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Was passiert, wenn Menschen


jeden Monat 1000 Euro bekommen,
ohne etwas dafür tun zu müssen?
Der Berliner Michael Bohmeyer pro­
biert es aus: Er sammelt im Internet
Geld und schenkt es Fremden -
ganz ohne Bedingungen.

Michael Bohmeyer
Seine Initiative ist so
etwas wie eine private
Lotterie mit politischen
Motiven

tellen Sie sich vor. Sie bekommen jeden nisse". erzählt er. Von diesem Geld lebt
sich vorstellen
einfach so
hier: sich denken
hier: ohne Arbeit; ohne
Bedingungen
S Monatiooo Euro. Einfach so. Was wür­
den Sie tun: Weiter jeden Tag zur Arbeit
er - ohne etwas tun zu müssen.
Am Anfang ist es für ihn schwierig, mit
die {ntemetge- Internetportal für Personen
meinschaft, -en mit den gleichen Interessen gehen? Den Job kündigen? Gar nichts seiner neuen Freiheit zu leben. Zuerst
gründen starten mehr tun? erwartet er, dass er vor allem faulenzen
der Firmen­ Profit, den eine Firma macht
gewinn, -e Was wäre, wenn? Das ist die Frage, die würde. Aber irgendwann passiert das
dazu hier: außerdem Michael Bohmeyer stellt. Zuerst sich selbst, Gegenteil: Er lebt bewusster, hatdie ganze
die Ersparnis, -se Geld, das man gespart hat
dann einer kleinen Gruppe Freunde und Zeit neue Ideen. Bald fragt er sich: Wie
erwarten hier: meinen, dass... passiert
faulenzen faul sein; sich ausruhen
Bekannter - und inzwischen einer Inter­ wäre es, wenn ich das auch für andere
bewusst hier: so, dass man genau netgemeinschaft mit mehr als 180000 Menschen möglich machen könnte? „Ich
überlegt, was wichtig ist im
Leben Mitgliedern. war schon immer der Meinung, dass man
FOTOS: PICTURE

das bedin- »Basisgehalt ohne Die Geschichte seiner Idee beginnt vor das bedingungslose Grundeinkommen
gungslose Bedingungen
Grundeinkom­ zwei Jahren. Damals kündigt er bei sei­ einfach ausprobieren muss."
men
ner Firma, die er ein paar Jahre vorher Bedingungsloses Grundeinkommen: f
einfach hier: wirklich >

das Schlagwort, hier: Wort, das leicht zu gegründet hat. „Ich hatte etwas weniger Das ist das Schlagwort hinter seinem I
-e verstehen \st und d'\e Bas\s\dee als 1000 Euro pro Monat aus dem Frrmen-
eines Programms zeigt
Experiment. Die Idee wird seit Jahren in ;
sewinn und dazu noch ew paaz f/spay­ tevücMjffdvadanderen Sendern dtsku^
56 Deutsch perfekt 2/16
Gesellschaft
■m—
tiert (siehe nächste Seite Kasten). In allen
Parteien, bei Soziologen und Arbeitsmarkt­
experten gibt es Befürworter und Gegner haben mehr Ausflüge gemacht, sind auch
der Befürwor­ Person, die eine Sache unter­
des Grundeinkommens. Die diskutierten mal über Nacht weggefahren." ter, - stützt
Modelle unterscheiden sich vor allem in Robin und seine Schwester bekommen der Gegner, - hier: Person, die eine andere
Meinung hat
der Höhe der Zahlung. Das Prinzip aber mehr Bücher, und Robin darf zusätzlich die Höhe, -n von: hoch
ist immer gleich: Jeder, egal ob arm oder zum Klavierunterricht noch Gitarre lernen. bestimmte h/er: vereinbarte (-r/-s)
(-r/-s)
reich, soll pro Monat einen bestimmten „Wir haben in dem Jahr viel mehr bekom­ die Drogerie­ Firma mit vielen Drogeriemärk­
Betrag vom Staat bekommen, ohne dafür men als nur Geld", sagt die 46-Jährige. marktkette, ten an verschiedenen Orten
-n
etwas tun zu müssen. „Wir haben ein Stück Freiheit bekommen (der Drogerie­ Geschäft, in dem man z.B.
markt, -e Sachen für Kosmetik und zum
Der bekannteste deutschsprachige Be­ und sind den Spendern sehr dankbar für Putzen kaufen kann)
fürworter der Idee ist Götz Werner. Der diese Chance." fordern sagen, was man haben will
langfristig hier: in der Zukunft
Gründer der Drogeriemarktkette dm fordert Seit Dezember lebt die Familie wieder
lebenslang für den Rest des Lebens
langfristig ein lebenslanges monatliches ohne zusätzliches Grundeinkommen. Aber die Sozialleis­ finanzielle Hilfe vom Staat für
Grundeinkommen von 1500 Euro. Um das tung, -en arme Menschen
Olga Schmidt ist inzwischen selbst zu einer
abschaffen hier: entscheiden, dass sie nicht
zu finanzieren, schlägt er vor, alle ande­ Expertin für die Idee geworden. ..Dabei mehr gezahlt werden
ren Sozialleistungen abzuschaffen und die hatte ich mich vorher noch nie damit erhöhen höher machen
sjch beschäf­ hier:»studieren; untersuchen
Mehrwertsteuer auf 50 Prozent zu erhöhen. beschäftigt." Ihre Gedanken und Erfahrun­ tigen mjt
Während Michael Bohmeyer 2014 be­ gen teilt sie inzwischen gerne mit ande­ beschließen hier: entscheiden, dass etwas
gültig ist
ginnt, von seinem persönlichen Grund­ ren. Im Dezember 2015 liegt sie im Kran­ verlosen “ zufällig gewählten Gewinnern
einkommen zu leben, beschäftigt er sich schenken
erwarten hier: hoffen/wollen, dass jemand
mit den Theorien von Götz Werner und etwas macht
anderen Vorschlägen. Und er beschließt, rund um die O die ganze Zeit; 21* Stunden
Uhr am Tag
es auszuprobieren. Seine Idee: Er sam­
recht geben hier: zeigen, dass das Projekt
melt im Internet Geld und verlost es. Wer Sinn macht
spenden Geld schenken, um zu helfen
gewinnt, bekommt ein Jahr lang jeden
die Kranken­ Frau, die beruflich Kranke pflegt
Monat 1000 Euro. Was er von den Gewin­ schwester, -n
zusätzlich hier: noch dazu
nern erwartet: nichts.
gebrauchen benutzen
Für Bohmeyer, der eigentlich faulen­ Gewinner der Klavierun­ Pianounterricht
zen wollte, beginnt die arbeitsintensivs­ kenhaus. „Mit meinen Mitpatienten habe Robin terricht
Mit den 1000 ein Stück hier: «ein bisschen
te Zeit seines Lebens. Er gründet einen ich schon viel über das Grundeinkommen Euro wollte er dankbar sein «danken
„jeden Monat
Verein, programmiert die Webseite www. diskutiert", sagt sie und lacht. So hilft sie, dabei h/er« und das, obwohl...
ein Buch"
mein-grundeinkommen.de und startet dass die Idee bekannter wird - und das gekauft teilen hier: anderen berichten
bekommen der Mjtpati- anderer Patient
eine Crowdfunding-Kampagne. Mehrere freut Michael Bohmeyer. „Ich glaube, man ent, -en
Wochen lang arbeitet er fast rund um die kann Menschen am besten überzeugen, überzeugen hier: erreichen, dass man an die
Idee glaubt
Uhr. Der Erfolg gibt ihm recht: In 80 Tagen wenn man ihnen Fragen stellt und ihnen verteilen an verschiedene Personen geben
spenden fast 8000 Menschen rund 50000 Geschichten erzählt", sagtet. die Agentur, Firma, die einen Service für
-en Privatpersonen oder andere
Euro. Im September 2014 kann er die ersten Je mehr Menschen ihre Geschichten Firmen anbietet
vier Grundeinkommen verlosen, wenige erzählen, desto schneller wächst sein der Mitarbei­ Angestellter
ter, -
Wochen später schon das fünfte. Und das Projekt. Inzwischen hat er schon mehr als der Partygän­ Person, die regelmäßig auf
hat einen speziellen Gewinner: den acht­ 25 Grundeinkommen verteilt. Aus seinem ger, - Partys geht
(regelmäßig immer wieder, z.B. einmal pro
jährigen Robin aus Baden-Württemberg. Ein-Mann-Experiment ist eine Agentur Woche)
Als Robin gewinnt, ändert sich viel für mit zwölf Mitarbeitern geworden, die das/der Loft, hier: Büro mit großen, hohen
-s engl. Räumen, die früher Teil einer
seine Familie. Seine Mutter Olga Schmidt schon an den nächsten Sozialprojekten Fabrikwaren
die Etage, -n z. B. 1. Stock, 2. Stock...
(Nachname geändert) ist Krankenschwes­ arbeiten. franz.
ter. ihr Mann arbeitet in der IT-Branche. Ein Gebäude in Berlin-Kreuzberg,
Die 1000 Euro zusätzlich im Monat kann direkt im Zentrum der Kreativen und Par-
die Familie gut gebrauchen. „Wir haben tvgänger. In einem Loft in der obersten
beschlossen, das Geld bewusst für die Etage haben Bohmeyer und seine Kol­
Familie auszugeben", erzähltOlga Schmidt. legen ihr Büro. Zwei große Holztische
Von den 1000 Euro im Monat kann die sind ihre Arbeitsplätze, das Team von
Familie Dinge unternehmen, für die sie „Mein Grundeinkommen" sitzt gemein­
sonst nicht genug Geld gehabt hätte. „Wir sam darum herum. Es sieht aus wie der ►

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Gewinner Marc Wander
Seit er das Geld bekommt, geht
es dem chronisch Kranken auch
gesundheitlich besser

Esstisch in einer Wohngemeinschaft. Aber Grundeinkommen ist für mich eine sehr
das ist Bohmeyers Labor für eine neue Art große Erleichterung." Seit er es bekommt,
des Arbeitens. „Wir wollen vieles anders geht es ihm auch gesundheitlich besser.
machen als andere", sagt er. Er macht Pläne für die Zukunft. „Mein Ziel
Teil des Experiments ist die Frage der ist es, in einem Jahr wieder arbeiten oder
Bezahlung. Seit Kurzem hat der Verein studieren zu können", sagt er.
genug Geld, um allen Mitarbeitern ein Wersind die Spender, die Olga Schmidt,
monatliches Gehalt zu bezahlen. „Das Marc Wander und den anderen ein Jahr
verteilen wir nach dem Bedarfsprinzip", lang ein Leben mit weniger Sorgen ermög­
sagt Bohmeyer. Dazu schreibt jeder sein lichen. und das ohne Bedingungen?
Wunschgehalt auf einen Zettel, dann dis­ Michael Bohmeyer weiß nicht viel über
kutiert das Team über die Forderungen - sie. „Ich habe selbst ein paar Hundert
und jeder bekommt schließlich so viel, wie Euro gespendet, und viele meiner Freun­
er zum Leben braucht. „Frauen bekom­ de spenden auch", sagt er. Auf der Web­
men pauschal 15 Prozent mehr, weil wir seite kann sich jeder Besucher ein Profil
festgestellt haben, dass sie zu wenig für anlegen: Wer an der Verlosung teilneh­
Die Schweiz als Pionier? sich fordern", sagt der 31-Jährige. „Für men will, schreibt, was er mit dem Geld
uns alle ist das nicht einfach. Wir haben tun will. Spender schreiben, warum sie
Geld ohne Bedingungen und ohne
es alle nicht gelernt, offen über Geld zu spenden. Aber viele bleiben anonym oder
Prüfung, ob jemand es wirklich braucht:
Das Grundeinkommen ist eine revolutio­ sprechen." geben sich ein Pseudonym.
näre Idee, die in vielen Ländern diskutiert Geld ist für die meisten Deutschen Niemand muss etwas über sich erzäh­
wird. Sehr populär ist sie in der Schweiz. immer noch ein Tabu. Und „einfach so" len, wenn er nicht möchte. Auch das ist
Im Oktober 2013 wurde die Volksinitiative Geld geschenkt zu bekommen - das kön­ Teil des Prinzips: Jeder bekommt eine
„Bedingungsloses Grundeinkommen“ nen sich viele Menschen nicht vorstellen. Chance - ohne etwas dafür tun zu müs­
gestartet - mit Unterstützung des deut­
„Meine Großeltern waren am skeptischs­ sen, bedingungslos. ■ Barbara Kerbel
schen Unternehmers Götz Werner, der
ten", erzählt Marc Wander aus Kassel. „Sie
die Idee schon seit Jahren aktiv unter­
haben gesagt, ich soll erst einmal warten,
stützt. 126000 Schweizer haben für die
Initiative unterschrieben; für keine andere ob das Geld auch wirklich auf mein Konto
Volksinitiative vorher waren die nötigen kommt."
100000 Unterschriften so schnell gesam­ Der 28-Jährige bekommt seit August die Wohnge- Gruppe von Personen, die
melt. Deshalb stimmen die Schweizer in jeden Monat 1000 Euro von Bohmeyers meinschaft, zusammenwohnt
-en
diesem Jahr in einem Referendum über Verein. Weil er an der chronischen Krank­ das Bedarfs­ Prinzip, dass der zuerst etwas
die Idee ab. Und wenn alles so klappt, wie prinzip bekommt, der es am nötigsten
heit Morbus Crohn leidet, ist der Bankkauf­
es sich die Initiatoren wünschen? Dann ist braucht
mann seit fast zwei Jahren krankgeschrie­ offen hier: ehrlich
ausgerechnet die kleine, reiche Schweiz
ben. Als er bei der Verlosung gewinnt, erst einmal hier: am Anfang
das erste Land, das ein bedingungsloses
leiden an hier: haben und deshalb Pro­
Grundeinkommen einführt. hat er finanzielle Probleme: Die Zahlung bleme haben
seines Krankengeldes geht zu Ende. Er der Bankhauf- Person, die bei einer Bank
das Grundein- ~ Basisgehalt mann, -leute arbeitet
kommen, -_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
muss viele Formulare ausfüllen, um auch
krankschrei­ schriftlich bestätigen, dass je­
die Volksiniti- hier: Wunsch des Volkes nach in Zukunft Sozialleistungen zu bekommen. ben mand wegen Krankheit nicht zur
ative, -n einer Gesetzesänderung des Arbeit oder Schule gehen kann
Gesetzes Dieser Stress fällt mit dem Grundeinkom­ wegfallen hier: aufhören, da zu sein
(das Gesetz, -e hier: schriftliche Regel, die die men weg. Der 28-Jährige kann sich nun die Grund­ Summe, die Arbeitslose und sehr
Regierung macht und an der sich sicherung arme Menschen als finanzielle
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ alle orientieren müssen)_ _ _ _ _ _ ganz aufseine Therapie konzentrieren. Unterstützung vom deutschen
der Unterneh­ Besitzer und oft auch Leiter Staat bekommen
mer, - einer Firma
„Finanziell ist es kein großer Unter­
die Erleichte­ Gefühl, dass man weniger Sor­
abstimmen Wer: Ja oder Nein sagen schied, ob ich vom Grundeinkommen rung gen hat; hier auch: Aspekt, der
ausgerechnet O hier:“ überraschend das Leben leichter macht
_ lebe oder Grundsicherung oder Rente
einführen hier: entscheiden, dass es etwas < ermöglichen möglich machen
Neues gibt 1 bekommen würde", sagt er. „Aber die ein Profil hier: “ Informationen über sich
1 Bedingungslosigkeit ist ein Geschenk. Das anlegen schreiben

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