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Fotos: Ana Santilli Lago

Produzieren mit dem, was da ist


Von den Schwierigkeiten, ein Filmprojekt mit Psychiatrieinsassen zu finanzieren

Zu den Höhepunkten des Bonner Mira-Filmfestivals ren, was da ist“, dieses Motto hat uns auch in einem Moment
2020, das wie so vieles im vergangenen Jahr nur der Einschränkungen Türen geöffnet.
online stattfinden konnte, zählte der argentini- Wir sind dankbar für die Einladung der ila, über die
sche Film „Los fuegos internos“, der von einem Ressourcen nachzudenken, die unser Projekt möglich gemacht
Team aus Beschäftigten im Gesundheitswesen und haben: Wie haben wir uns finanziert, auf welche Hindernisse
Künstlerinnen zusammen mit Patient*innen eines sind wir gestoßen, was hat uns zum Durchhalten bewogen?
psychiatrischen Krankenhaus realisiert wurde. Auch Lassen Sie uns das Wörterbuch zu Rate ziehen, um unsere
wenn in dem Projekt vieles ehrenamtlich gemacht Gedanken zu ordnen.
wurde, entstanden für einen 70-minütigen, profes- „Finanzieren bedeutet, einer Person oder einem Unternehmen
sionell produzierten Film erhebliche Kosten. Das Geld oder Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um Ausgaben
Geld dafür aufzutreiben, war der Hauptgrund dafür, zu decken, um Waren oder Dienstleistungen zu erwerben
dass es von den ersten Drehs bis zur Premiere des oder eine Aktivität zu entwickeln, ihr Wachstum zu för-
Films acht Jahre brauchte. Im folgenden Beitrag dern oder sie in Betrieb zu nehmen. Man kann von interner
erzählen die Macherinnen des Films über die Finanzierung sprechen, wenn durch die eigenen Aktivitäten
Herausforderungen, die ein solch ambitioniertes des Unternehmens erwirtschafteten Gewinne genutzt werden,
Projekt bedeutet. oder von externer Finanzierung, wenn sie von Investoren au-
ßerhalb des betreffenden Unternehmens stammt.“

W
von Laura Lago, Malena Battista, Laura Wir wissen, dass Projekte nicht im luftleeren Raum finan-
Lugano, Ana Santilli Lago & Ayelén Martínez ziert werden. Die Eigenschaften jedes Unternehmens bestim-
as alles zum argentinischen Kino gehört, ist sehr men die Bandbreite der Möglichkeiten. Aber sind wir ein
umfangreich und komplex. Im Folgenden stellen wir einige Unternehmen? Gehen wir zurück zum Wörterbuch: „Das Wort
der Höhen und Tiefen der Finanzierung unseres Films wäh- ‚Unternehmen‘ impliziert, etwas anzupacken, um es durch-
rend seiner achtjährigen Produktionszeit vor. Ja, acht Jahre! zuführen und eine Aktion zu erledigen, die man als wichtig
„Mit dem produzieren, was da ist“ überschrieben wir unse- ansieht und die eine gewisse Schwierigkeit mit sich bringt.“
ren Beitrag – darin schwingt mit und wird präsent, was uns
als Filmemacherinnen ausmacht. Gemeinsam einen Film
zu produzieren, ihn auf der großen Leinwand zu sehen, an
D as Wort „Unternehmen“ wird oft mit übermäßigem
Profit und Individualismus in Verbindung gebracht. Aber es
Festivals teilzunehmen und... die Pandemie. Wir hatten im gibt auch Unternehmen, die einen sozialen Zweck verfolgen,
Dezember 2019 Premiere, und im März 2020 schlossen die demokratisch funktionieren und solidarisch handeln. Nach
Kinos. Das soziokulturelle Panorama wurde unsicher, und diesem Verständnis handeln auch wir. Und wir haben eine
es wurde eine obligatorische präventive soziale Isolation ver- weitere Besonderheit: Wir sind gleichzeitig ein Kunstkollektiv
ordnet. Im April sind wir wieder aktiv geworden und haben und eine Einrichtung für psychische Gesundheit. Wir gehö-
den Film online angeboten. Der Film wurde tausende Male ren zu einem der vier psychiatrischen Krankenhäuser in der
abgerufen, und wir sind zu vielen Gesprächen, Debatten, Provinz Buenos Aires, aber wir arbeiten in kulturellen Räumen
Treffen, Interviews eingeladen worden... „Mit dem produzie- außerhalb des Krankenhauses. Aufgrund dieser doppelten

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Foto: Die drei Protagonisten des Films Los fuegos internos

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Einbindung sehen wir uns im Bereich der kommunalen psy- jenigen, die seit Jahrhunderten als Abfall behandelt werden.
chischen Gesundheit. Als wir unser Projekt in Angriff nahmen, Er dokumentiert nicht das Andere, sondern diese Anderen
sahen wir uns mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert: Filme erarbeiteten ihre eigenen Zeugnisse und fügen das Ganze zu
ohne viel Wissen und zudem mit sehr sensiblem Material zu einem kollektiven Kunstobjekt zusammen.
machen – den Erfahrungen von Menschen, die in der Anstalt Dagron beschreibt die Schwierigkeiten, mit denen diese Art
gelitten haben. Wir reagierten mit den Werkzeugen, die wir von audiovisuellen Produktionen konfrontiert ist: „Als Kunst
hatten, und mit den Werkzeugen, die wir noch nicht hatten. und Industrie leidet das lateinamerikanische Kino zuneh-
„Produzieren mit dem, was wir haben“ bedeutet auch zu er- mend unter einer Situation der Wehrlosigkeit gegenüber dem
finden, was wir nicht haben. kommerziellen Kino, das von den großen Produktions- und
Deshalb sehen wir unsere Praxis als hybrid an. Wir sind nicht Vertriebszentren der Welt gefördert wird. (... Es) hat natür-
ausschließlich unabhängig, staatlich, gemeinschaftlich oder lich mit einer Struktur zu tun, die – vom Nichtvorhandensein
kollektiv, noch sind wir alle nur Nutzerinnen, Künstlerinnen rechtlicher Rahmenbedingungen bis zur Ausstellung, ein-
oder Arbeiterinnen. schließlich der Rolle des Staates und des Vertriebs – eine (...)

U nsere Art, uns mit psychischer Gesundheit auseinander-


zusetzen, und unsere Art, Filme zu machen, sind miteinander
kommerziell orientierte Richtung (...) privilegiert.“ 1
Unser Film stieß auf diese Schwierigkeiten und wir mussten
sie überwinden, sie in eine Chance verwandeln.
verknüpft und fordern uns jedes Mal heraus. Lassen Sie uns
heranzoomen und sehen, was für eine Art von Film wir ge-
macht haben. Dagron sagt in dem Buch „El Cine Comunitario
A m Anfang des Artikels sagten wir, dass wir acht Jahre
für die Produktion gebraucht haben. Im Jahr 2012 hatten
en América Latina y el Caribe“: wir die Idee, ein audiovisuelles Werk zu erstellen. Im Jahr
“Gemeinschaftskino und audiovisuelle Medien sind ein 2013 erhielten wir die Zusage für einen Zuschuss, mit dem
Ausdruck der Kommunikation, des künstlerischen Ausdrucks wir einen Trailer und einen mittellangen Film produzier-
und des politischen Ausdrucks. Sie entstehen (...) aus dem ten, der zur Hälfte fertig wurde. 2014 zeigten wir den Trailer
Bedürfnis, ohne Vermittler zu kommunizieren, (...) in einer bei Festivals und anderen Treffen. Im Jahr 2015 beschlossen
eigenen Sprache, die nicht durch andere existierende Sprachen wir, einen Langfilm zu machen, für den wir mehr Mittel be-
vorgegeben ist, und zielen darauf ab, in der Gesellschaft die nötigten. Im Jahr 2016 erhielten wir einen Zuschuss für die
Funktion zu erfüllen, marginalisierte, unterrepräsentierte Filmproduktion und ein Schulungsstipendium. Im Jahr 2017
oder ignorierte Kollektive politisch zu vertreten.“ führten wir Dreharbeiten und die Vorbearbeitung durch. Im
Diese Charakterisierung finden wir sehr richtig. Wir orien- Jahr 2018 die Postproduktion. Im Jahr 2019 haben wir uns
tieren uns an dem, was jede Person mitbringt, und wir wol- für Festivals angemeldet und einen Premierentermin bekom-
len keineswegs, dass sie leidet oder Einschränkungen er- men. Um die Kosten für diese letzte Etappe zu decken, orga-
duldet. So lassen wir zu und erlauben uns, mit dem zu ar- nisierten wir ein virtuelles Crowdfunding, wir baten einen
beiten, was da ist. Wir versuchen, Vorurteile und den defi- Berufsverband und eine Menschenrechtsorganisation aus
zitären oder ängstlichen Blick auf Menschen, die durch ei- der Provinz um Hilfe.
ne Diagnose oder einen von der vermeintlichen Normalität Interne oder externe Finanzierung? Es ist bezeichnend für
abweichenden Lebensstil stigmatisiert sind, aufzulösen. Der uns, dass wir nicht in der Lage waren, eine Finanzierung
Film zeugt von den Fähigkeiten und der Menschlichkeit der- aus dem staatlichen Bereich der psychischen Gesundheit
zu erhalten, einem Bereich, zu dem das
Projekt explizit gehört, selbst als es uns
gelang, audiovisuelles Material vorzule-
gen, das zeigte, dass das Projekt lebensfä-
hig war. Diese Situation war zwischen den
Jahren 2014 und 2016 problematisch, da
sie eine Sackgasse in der Realisierung er-
zeugte, die nicht auf die subjektive Zeit
der vorkommenden Personen reagierte.
Das erschwerte ihre Teilnahme und be-
deutete, dass bei der Wiederaufnahme
der Dreharbeiten die Disposition einiger
Fotos: Ana Santilli Lago

nicht mehr die gleiche war wie zuvor und


das Filmen anstehender Szenen verhinder-
te. In jedem Fall müssen wir berücksichti-
gen, dass das Gehalt für die Koordination

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1) beide Zitate aus: Dagron, A. G. (2014) El Cine Comunitario Übersetzung: Annika Erpenbeck
en América Latina y el Caribe. Bogotá. Centro de
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Competencia en Comunicación para América Latina
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des Aufbaus und die Produktion des Dokumentarfilms, die terzuentwickeln, was uns allerdings zu dem Problem führ-
Nutzung der Buchhandlung, des Besprechungsraums und te, das Projekt neu zu starten. Obwohl wir einer staatlichen
des Festnetztelefons vom Krankenhaus bereitgestellt wur- Behörde angehörten, war es durch unsere Selbstverwaltung
den. Wenn man mit einem kleinen Produktionsbudget wie eine große Herausforderung, mehr Mittel für den Film zu
dem unseren arbeitet, sind diese Punkte nicht unwichtig. bekommen. Die vom Staat über die INCAA und die FNA
Wir müssen auch sagen, dass staatliche Stellen mit fi- erhaltene Finanzierung hätte nicht ausgereicht, um alle
nanziellen Beiträgen von zwei Kulturförderungsorganen Kosten für Produktion, Premiere und Vertrieb zu decken. Die
des Nationalstaates präsent waren, den Zuschüssen des Zusammenarbeit in Form von Geld, Arbeit und Material, der
„Nationalen Fonds für die Künste“ (FNA) und dem so- drei Patienten, die die Protagonisten des Films waren, der
genannten „Fünften Weg der Förderung des digitalen ehrenamtlichen Regisseurinnen des Films und des umfang-
Dokumentarfilms“ vom „Nationalen Institut für Kino und reichen Netzwerks von Menschen und Organisationen, wel-
audiovisuelle Künste“ (INCAA). ches das Kollektiv während seines Werdegangs geschmiedet
Der Zuschuss des INCAA war ausschlaggebend für die hat, war entscheidend.
Postproduktion und den Zugang zur Premiere in einem wich- Acht Jahre lang beschäftigte sich ein Kollektiv aus dem
tigen Theater in Buenos Aires. Es sollte jedoch erwähnt wer- Krankenhausumfeld, dem es um Kunst wie auch um mentale
den, dass dessen wirtschaftlicher Beitrag für die durchschnitt- Gesundheit ging, daran, einen Film zu drehen, in dem am-
lichen Ausgaben unabhängiger Filmproduktionen recht ma- bulante Patienten des Krankenhauses ihre eigene Geschichte
ger ist. Die Höchstgrenze, die erreicht werden kann, liegt bei so gut wie möglich erzählen. Bei den Finanzierungen, die wir
weniger als zehn Prozent der durchschnittlichen Kosten ei- bekamen wie auch bei denen, die wir am Ende nicht beka-
nes nationalen Films, wie das Institut selbst sie errechnet. men, setzten wir uns immer als gemeinsame Richtschnur al-
Diese vorgegebenen Durchschnittskosten liegen unter den ler, dass technisch und künstlerisch die Würde der Beteiligten
realen Zahlen, die kommerzielle Produktionsfirmen ange- gewahrt blieb.
ben – die aus diesem Grund regelmäßig Hilfe vom INCAA Mitten in der Pandemie unternahm der argentinische Staat
durch Kredite bekommen, die denjenigen gewährt werden, die Umsetzung des Nationalen Gesetzes für psychische
die Anforderungen erfüllen, die für die meisten unabhängi- Gesundheit, das einen integralen und gemeindenahen Ansatz
gen Filmemacher*innen unmöglich zu erreichen sind. Das und vor allem grundsätzliche Veränderungen bei den psychia­
heißt also, dass diese Lücke zwischen unabhängig und kom- trischen monovalenten Kliniken vorsieht. Internationale
merziell in demselben staatlichen Organismus angelegt ist, Organisationen heben weltweit die Bedeutung der psychi-
dessen Zweck die Entwicklung der nationalen audiovisuel- schen Gesundheit und die Notwendigkeit hervor, die öffentli-
len Industrie ist. chen und privaten Investitionen in diesen Bereich zu erhöhen.
Kehren wir zu unserem Film zurück. Externe Finanzierung, Wir fragen uns, ob wir und andere Akteur*innen im kom-
oder interne? Mieten und Ausleihen, Beratung, Transfers, munalen Bereich diese Art von kulturellen Versuchen noch
Performances, Grafiken... waren einige der Inputs, die von einmal machen können, und zwar mit besserer finanziel-
sozialen Organisationen, Künstler*innen und verwandten ler Ausstattung. Dann könnten wir „produzieren, mit dem
Personen gestellt wurden. Jede*r von ihnen hat an diesem was da ist“ und damit dazu beitragen, dass es größere sozia­
Film mitgewirkt. Aus der Sicht der kommunalen psychischen le Gerechtigkeit gibt. n
Gesundheit sind diese Akteur*innen Teil
des Unternehmens. Unsere Wertschätzung
gilt jeder und jedem von ihnen.

D ie erste Förderung im Jahr 2013


hat uns geholfen, einen Teil der audio­
visuellen Produktion zu erstellen und
das Potenzial zu erkennen, das darin
steckt. Ohne geschultes Personal, ohne
eigene Ausrüstung, ohne angeschlosse-
ne Produktionsfirmen haben wir es ge-
schafft, einen Trailer zu erstellen, der beim
Publikum eine Wirkung erreicht hat, mit
der wir nicht gerechnet hatten. Über un-
sere persönliche Befriedigung hinaus hat
uns dies dazu gebracht, das Drehbuch zu
verbessern und es zu einem Langfilm wei-

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Los Fuegos Internos, Argentinien 2019, 70:42 Minuten. Der Trailer (2:17
Min.) ist unter https://mira-filmfestival.de/en/project/los-fuegos-internos-2/
zu sehen. Mehr Infos zum Film gibt es bei facebook: https://es-la.facebook. ila 442
com/losfuegosinternosdocumental/ Feb. 2021

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