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Auszug aus: Georg Heinrich von Langsdorff

Von Nukahiwa nach den Sandwich-Inseln


Über die Körperpraktik des „Tatuieren“
Die merkwürdigste und interessanteste Art der Südseeinsulaner, den nackten Körper
zu verschönern, besteht in der Punktierung oder dem Tatuieren. Diese Zierde so vieler
Völker des Erdbodens verdient eine größere Aufmerksamkeit der Reisenden, als es
bisher geschehen ist, und ich wundere mich, daß der Scharfblick eines Forsters diesen
Gegenstand so gleichgültig übergangen hat, da es ohne Widerrede sehr auffallend ist,
unter weit entfernten Nationen, die in keinem Berührungspunkt miteinander stehen
oder unseres Wissens je gestanden haben, dennoch einen und denselben Gebrauch
zu finden.
Die regelmäßigsten Zeichnungen und Verzierungen, womit der Körper der Männer
in Nukahiwa vom Kopf bis zum Fuß bedeckt ist, ersetzen bei diesen Menschen
gewissermaßen die Kleidung, die sie wegen des heißen Himmelstriches gänzlich
entbehren können. Viele suchen sich hier ebensosehr durch eine symmetrische
Tatuierung als bei uns durch ein reiches Kleid in Ansehen zu setzen; und obschon
dieser Schmuck keine persönliche Auszeichnung bedeutet, so bedienen sich doch
besonders nur die Vornehmern desselben, indem diese allein ihn zu bezahlen
imstande sind.
Das Geschäft der Tatuierung ist einigen Personen überlassen, deren einziger
Erwerbszweig in Ausübung dieser Kunst besteht, und ich vermute, daß derjenige, der
am meisten Geschmack zeigt und der die größte Geschicklichkeit in der Ausführung
besitzt, auch am meisten zu tun hat, etwa so wie bei uns ein guter Schneider; nur mit
dem Unterschied, daß die Wahl nicht so gleichgültig geschehen kann; denn wenn das
Kleid der Punktierung ein einziges Mal verdorben ist, muß der Schaden lebenslang
getragen werden.
Um das Tatuieren zu bewerkstelligen, bedient man sich der Flügelknochen von
Tropikvögeln, die an einem Ende kammartig ausgezackt und zugespitzt werden und
bald halbmondförmige, bald geradlinige, breite oder schmale Werkzeuge oder
Tatuierspitzen darbieten, je nachdem sie der Künstler zu Erreichung seiner Absicht
nötig erachtet.
Sobald der Nukahiwer in die Jünglingsjahre tritt, so wird der Anfang mit dem
Tatuieren gemacht, und dies ist eines der wichtigsten Ereignisse seines Lebens. Der
Künstler, der dieses verrichtet, erhält sowohl vorher als nachher mehrere Schweine
zur Belohnung. Die Anzahl derselben richtet sich nach dem Reichtum der einzelnen
Personen. Während unseres Aufenthaltes auf dieser Insel wurde der Sohn des Chefs
Katanuah tatuiert. Er ward in dieser Absicht als das Kind eines Vornehmen des Landes
in einem besondern Hause auf mehrere Wochen, so lange die Tatuierung dauerte,
abgesondert und war tabu; d.h. er durfte nicht ausgehen und auch von niemand außer
den Personen, die von dem Tabu ausgeschlossen sind, wozu z.B. der Vater gehört,
besucht werden. Allen Weibern, auch sogar der Mutter, ist der Zugang zum Kandidaten
verweigert. Die besten Lebensmittel, welche die zu tatuierende Person und der
Tatuierungsmeister während der Zeit der Punktierung bedürfen, müssen vorher
herbeigeschafft und dem letztern, solange er beschäftigt ist, täglich im Überfluß
gereicht werden. Dieser legt im ersten Jahr nur den Grund zu den Hauptfiguren an
Brust, Armen, Rücken und Schenkeln, und zwar so, daß er, solange der Schorf der
ersten Figur noch nicht abgetrocknet oder abgefallen ist, die folgende nicht anfängt.
Jede einzelne Zeichnung erfordert auf diese Weise drei bis vier Tage, und die erste
Sitzung dauert gewöhnlich drei oder vier Wochen.
Während der Zeit der ersten Operation oder des auferlegten Tabus darf der Knabe
nicht viel trinken, indem man dadurch einer stärkern Entzündung vorzubeugen glaubt;
auch nicht des Morgens früh, sondern bloß mittags und abends essen. Ist einmal der
Anfang gemacht, so werden in der Folge alle drei oder sechs Monate und zuweilen in
noch größern Zwischenräumen Nebenfiguren und Verschönerungen der
Hauptzeichnungen hinzugefügt, so daß wohl 30 und 40 Jahre verstreichen können,
ehe der Körper ganz tatuiert ist. Wir sahen einige bejahrte Männer vornehmen
Standes, die so sehr über und über punktiert waren, daß man kaum mehr die
Zeichnung der Figuren unterscheiden konnte, wodurch der Körper ein ganz
negerartiges Ansehen erhielt. Dieses ist nach hiesigen Begriffen ein hoher Grad von
Vollkommenheit des Körperschmucks, wahrscheinlich, weil er kostbar ist und die
Ausgaben der vielen Schweine, die unmittelbar mit demselben verbunden sind, einen
wohlhabenden Mann verraten. Sonderbar genug, daß die reichen Männer ihre
Schönheit in ein negerartiges Ansehen, die Weiber hingegen in die Erhaltung ihrer
natürlichen weißen Farbe setzen!
Die Punktierung der minder bemittelten Personen geschieht in gemeinschaftlichen,
besonders dazu eingerichteten Tabuhäusern, die den Tatuiermeistern zugehören und
gleichsam als Pensionsanstalten oder als Tatuierwerkstätten anzusehen sind. In einer
jeden solchen Wohnung, deren ein Tatuierer, welcher uns öfters an Bord besuchte,
drei besaß, können acht bis zehn Personen auf einmal aufgenommen werden, die
dann verhältnismäßig für das ihnen anzupunktierende Kleid, je nachdem die Figur
mehr oder minder mühsam oder künstlich ist, bezahlen müssen.
Die ärmeren Insulaner, die eben nicht viele Schweine zu schlachten haben und wohl
meistens nur mit der Brotfrucht vorlieb nehmen müssen, lassen sich von den
Anfängern und Laien in der Tatuierkunst punktieren, deren Arbeit eben keine
besondere Aufmerksamkeit verdient und deren Probestückchen auch selbst von
einem Fremden sehr bald erkannt werden.
Die allerniedrigste und ärmste Klasse, mehrenteils Fischer, deren wir aber nur sehr
wenige zu sehen bekamen, können nicht so viel aufbringen, um ein solches Kleid,
wenn auch von den Lehrburschen gemacht, zu bezahlen, sie sind daher gar nicht
tatuiert.

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