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Gesammelte Schriften.
Wilhelm von Humboldts
Gesammelte Schriften.
Band I.
Erste Abteilung:
W e r k e I.
Berlin
B. Behr's V e r l a g
1903.
Photomechanischer Nachdruck
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1968
Wilhelm von Humboldts
Werke.
Herausgegeben von
Albert Leitzmann.
Erster Band.
1785—1795·
Berlin
B. Behr's Verlag
1903.
Photomechanischer Nachdruck
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1968
Unveränderter photomechanischer Nachdruck
der ersten A u f l a g e , B e r l i n 1903, mit freundlicher G e n e h m i g u n g des B . B e h r ' s V e r l a g e s .
E i n I n h a l t s v e r z e i c h n i s f ü r d i e B ä n d e 1 — 1 5 b e f i n d e t s i c h a m E n d e v o n B a n d 15.
Archiv-Nr. 36 47 680
©
1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. j . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuch-
handlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13.
Printed in the Netherlands
Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Geneh-
migung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege
(Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen
D e r Königlich preußischen Akademie der Wissenschaften
sind zu ihrer Zweijahrhundertfeier im März iqoo durch die Gnade
Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. aus dem
Allerhöchsten Dispositionsfonds Mittel gewährt worden, die es ihr
ermöglichen, eine alte Dankesschuld gegen den Schöpfer ihres
neuen Lebens einzulösen und Wilhelm v. Humboldts weitver-
zweigte Geistesarbeit in einer auch die politischen Denkschriften,
die Tagebücher und Briefe zum ersten Mal umfassenden Ausgabe
nach sachlicher und zeitlicher Ordnung allseitig und getreu zu
entfalten. Sie hätte jedoch diese große Sammlung den Händen
der berufenen Forscher Professor Dr. Albert Leitzmann in Jena und
Professor Dr. Bruno Gebhardt in Berlin nicht anvertrauen können
ohne das hochherzige Entgegenkommen der Familie Humboldts,
an deren Spitze seine Enkelin Frau v. Heinz sogleich den ganzen
in Tegels geweihten Räumen liegenden handschriftlichen Nachlass
zur Verfügung stellte. Für den politischen Teil hat das Geheime
Staatsarchiv eine Fülle von Akten beigesteuert. Der fördernden
Hilfe anderer Institute und einzelner Personen wird am gehörigen
Orte gedacht werden. Über die Grundsätze und die Quellen
dieser Gesammtausgabe unterrichten knappe kritische und sach-
liche Erläuterungen.
7·
Theorie der Bildung des Menschen.
Bruchstück.
Μ
Es wäre ein grosses und trefliches Werk zu liefern, wenn
jemand die eigenthümlichen Fähigkeiten zu schildern unternähme,
welche die verschiedenen Fächer der menschlichen Erkenntniss
zu ihrer glücklichen Erweiterung voraussetzen; den ächten Geist,
in dem sie einzeln bearbeitet, und die Verbindung, in die sie alle
mit einander gesetzt werden müssen, um die Ausbildung der
Menschheit, als ein Ganzes, zu vollenden. Der Mathematiker, der
Naturforscher, der Künstler, ja oft selbst der Philosoph beginnen
nicht nur jetzt gewöhnlich ihr Geschäft, ohne seine eigentliche
Natur zu kennen und es in seiner Vollständigkeit zu übersehen,
sondern auch nur wenige erheben sich selbst späterhin zu diesem
höheren Standpunkt und dieser allgemeineren Uebersicht. In einer
noch schlimmeren Lage aber befindet sich derjenige, welcher, ohne
ein einzelnes jener Fächer ausschliessend zu wählen, nur aus allen
für seine Ausbildung Vortheil ziehen will. In der Verlegenheit
der Wahl unter mehreren, und aus Mangel an Fertigkeit, irgend
eins, aus den engeren Schranken desselben heraus, zu seinem
eignen allgemeineren Endzweck zu benutzen, gelangt er nothwendig
früher oder später dahin, sich allein dem Zufall zu überlassen und
was er etwa ergreift, nur zu untergeordneten Absichten, oder
bloss als ein zeitverkürzendes Spielwerk zu gebrauchen. Hierin
liegt einer der vorzüglichsten Gründe der häufigen und nicht
2.
Dies aber nun würde gerade durch ein Werk, wie das oben-
erwähnte auf die kräftigste Weise befördert werden. Denn be-
stimmt, die mannigfaltigen Arten menschlicher Thätigkeit in den
Richtungen, die sie dem Geiste geben, und den Forderungen, die
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ist selbst damit noch wenig geschehen, wenn man nicht zugleich
auf die Verschiedenheit der Köpfe, auf die Mannigfaltigkeit der
Weise Rücksicht nimmt, wie sich die Welt in verschiedenen Indi-
viduen spiegelt. Jenes Werk müsste daher zugleich auch diese
Mannigfaltigkeit schildern, und dürfte unter denen, die sich in
irgend einem Fache hervorgethan haben, niemanden übergehen,
durch den dasselbe eine neue Gestalt, oder einen erweiterten Be-
griff gewonnen hätte. Diese müsste es in ihrer vollständigen
Individualität, und dem ganzen Einflüsse zeichnen, den ihr Zeit-
alter und ihre Nation auf sie ausgeübt hätte. Dadurch nun über-
sähe man nicht nur die mannigfaltigen Arten, wie jedes einzelne
Fach bearbeitet werden kann, sondern auch die Folge, in der eine
nach und nach aus der andern entspringt. Da jedoch diese Folge
immer wieder durch den Einfluss des Nationalcharakters, des Zeit-
alters und der äussern Umstände überhaupt unterbrochen wird,
so erhielte man zwei verschiedene aber immer gegenseitig auf
einander einwirkende Reihen: die eine der Veränderungen, welche
irgend eine Geistesthätigkeit nach und nach in ihrem Fortschreiten
gewinnt, die andre derjenigen, welche der Charakter der Menschen
in einzelnen Nationen und Zeiten sowohl, als im Ganzen, durch
die Beschäftigungen annimmt, die er nach und nach ergreift; und
in beiden zeigten sich ausserdem die Abweichungen, durch die
genievolle Individuen diesen sonst ununterbrochen fortschreitenden
Naturgang plötzlich stören, und ihre Nation oder ihr Zeitalter auf
einmal in andre, neue Aussichten eröfnende Bahnen hinschleudern.
Allein nur, indem man dies schrittweise verfolgt und am Ende
im Ganzen überschaut, gelangt man dahin, sich vollkommne
Rechenschaft abzulegen, wie die Bildung des Menschen durch ein
regelmässiges Fortschreiten Dauer gewinnt, ohne doch in die Ein-
förmigkeit auszuarten, mit welcher die körperliche Natur, ohne
jemals etwas Neues hervorzubringen, immer nur von neuem die-
selben Umwandlungen durchgeht.