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Ehrenrede Ehrenrede

E sen, daß es sich bei Klage- bzw. Lobliedern um eine


anthropologische Konstante handle, an eine Situation
gebunden, die allen Völkern zu allen Zeiten bekannt
gewesen sei. In der neueren Forschung [6] wird der Ter-
Ehrenrede minus <E.> ersetzt durch <heraldische Totenklage> und
Α. Der Terminus <E.> wurde von Primisserfl] einge- <heraldische Preisrede>, womit die drei wichtigsten Vor-
führt, es gibt keine fremdsprachlichen Synonyme. Die E. bilder genannt sind.
gehört als Untergruppe zur mhd. <rede>. Sie bezeichnet 1. Totenklage: A u s g e h e n d von d e r lat. laudatio fune-
eine Totenklage oder eine Preisrede auf Lebende, in den bris (Leichenrede) und der Tatenschilderung im lat. hi-
meisten Fällen Männer, die dem adlig-ritterlichen Stand storiographischen Typ der Gesta finden sich Totenkla-
des ausgehenden Mittelalters angehörten. PETER S U - gen mit dem Schema Klage, Lob, Fürbitte in zahlreichen
CHENWIRT, Autor in der zweiten Hälfte des 14. Jh. und epischen Werken. Dazu gehören nach Leicher beispiels-
Hauptvertreter des Genres, gebrauchte keinen einheitli- weise die Totenklagen im angelsächsischen <Beowulf>, in
chen Terminus zur Bezeichnung seiner E., benennt aber der altnordischen Prosa-Edda, im ahd. <Hildebrands-
einzelne Redeteile als chlage, lop oder rede. Letzteres lied>, in der <Wiener Genesis», im <Rolandslied> des
bezeichnet die Großform der Sprechvers-Lyrik (gespro- PFAFFEN K O N R A D , in V E L D E K E S <Eneide>, bei HARTMANN
chen, nicht strophisch), im Unterschied zum Lied als VON AUE in <Erec>, <Iwein> und <Gregorius>, im <Nibe-
Form der Sangvers-Lyrik (gesungen, strophisch). [2] lungenlied> sowie in der <Klage>.[7] Der Theoretiker
Die E. gehört in den Bereich epideiktischer Bered- JOHANNES VON G A R L A N D I A unterscheidet in seinem nach
samkeit und ihrer belehrenden Intention wegen zur hi- 1229 erschienenen Werk <De arte prosayca, metrica et
storisch-politischen Kleindichtung. Zu letzterer zählt rithmica>, einem Hauptwerk der artes versificandi, zwi-
auch die Spruchdichtung der fahrenden Sänger als Kurz- schen fabula (Fabel), historia (Geschichtserzählung) und
form der Sangvers-Lyrik, wie z.B. die Bittgedichte des argumentum (Fiktion). Nach CICERO ordnet er dem argu-
ARCHIPOETA oder die Sprüche WALTHERS VON DER V O - mentum die Komödie zu; für die fabula nennt er keine
GELWEIDE, die die politische Lage kommentieren. Auch Beispiele. Die historia unterteilt er in Lyrik, Satire und
die E. ist vorstellbar als Zweck- und Gebrauchskunst, Komödie. Innerhalb der Lyrik nennt er zwei Arten von
die zum Vortrag bestimmt war und tatsächlich vorgetra- Totengedichten: «epichedion, id est nudum sine sepul-
gen wurde. Die Totenklage könnte ein Nicht-Fahrender, tura carmen, scilicet quod fit de insepultis» (das Epiche-
ein Gelegenheitsdichter, konzipiert und vor einer Trau- dion ist ein Lied allein, ohne Bestattung, das heißt, es
ergemeinde im Rahmen der Bestattungsfeierlichkeiten wird für die noch nicht Begrabenen gemacht); «epithafi-
vorgetragen haben. Die Preisrede könnte Dank- oder cum, id est carmen supra mortuum» (ein Epitaph ist ein
Bittrede eines fahrenden Sängers gewesen sein, der als Lied vor einem Leichnam). [8] Während das Epichedion
Gegenleistung für empfangene Geschenke oder als Bitte demnach auch Lesedichtung sein kann, ist das Epithafi-
um Entlohnung die Rede vor einem Adelspublikum ge- cum ein mit der Bestattungsfeier verbundener Vortrag.
halten haben könnte. Es ist aber auch möglich, der E. Die E. ist keiner der beiden Arten eindeutig zuzuord-
ihren Vortragscharakter abzusprechen und sie als reine nen. In der mittelhochdeutschen Literatur wird oft der
Lesedichtung mit fingierten Publikumsanreden zu be- Tod eines Herrn oder Mäzens beklagt, was wieder auf
trachten. In diesem Fall handelt es sich um eine rein die Preisrede verweist. Auch Klagen über den Tod eines
literarische Kunstform, um eine sich auf antike Muster Dichterkollegen erscheinen in Epik wie Lyrik, so beklagt
berufende Gattung, die sich zwar auf historische Persön- Waither seinen mutmaßlichen Rivalen REINMAR [9] und
lichkeiten beziehen, deren Bestattungsfeier bzw. deren Suchenwirt widmet eine seiner E. HEINRICH DEM TEICH-
Freigiebigkeit aber nicht voraussetzen würde. Als dritte NER als einzigem Nicht-Adligen. Aufgrund der Christia-
Möglichkeit könnte man eine mündliche Tradition der nisierung hatte sich der Schwerpunkt der Klage vom
E. annehmen. Diese könnte zu einem bestimmten Anlaß Schicksal des Toten auf das der Hinterbliebenen verla-
vor einem bestimmten Publikum gehalten worden sein, gert, da dem Toten selbst der Zugang zum Himmelreich
wurde aber - ihrem Charakter als Gebrauchskunst ge- offensteht. So entwickelte sich die Form der Witwenkla-
mäß - nicht aufgezeichnet. Demnach wären die wenigen ge (Hartmann von Aue, Reinmar). [10]
uns überlieferten E. entweder zufällige Mitschriften (da-
für spräche die Streuüberlieferung bei Suchenwirt) oder 2. Preisrede. Die Preisdichtung oder Herrschaftspane-
künstlerisch anspruchsvolle Formen der Verschriftli- gyrik des Mittelalters basierte auf antiken Mustern, un-
chung dieser Tradition (dafür spräche der frühe Zusam- terlag aber auch volkssprachlichen Einflüssen. In voller
menschluß zu einer Autorsammlung zu Lebzeiten Su- Blüte stand sie am Hof Karls d.Gr. unter dessen Nach-
chenwirts). Hauptvertreter einer Dichtung der E. sind folgern (z.B. E R M O L D U S N I G E L L U S , der 826-828 unter
der Niederländer G E L R E , dessen Schaffensperiode von Ludwig dem Frommen einen Panegyricus verfaßte).
1334 bis 1372 reichen soll, und der Österreicher Peter Aber auch die politische Dichtung gehört in diesen Zu-
Suchenwirt, der von 1350 bis 1395 bezeugt ist. Daneben sammenhang. Preis- oder Scheltlieder auf Fürsten und
sind nur wenige Einzelreden überliefert, die als E. be- Höfe wurden ebenso wie Totenklage und Zeitlied von
zeichnet werden können. Dabei stellt sich natürlich die den fahrenden Sängern als Formen politischer Zweck-
Frage, «wie eine derart abgegrenzte Gattung urplötzlich dichtung gepflegt. Bis ins 13. Jh. diente der Sangspruch
bei zwei zeitgenössischen Herolden in voneinander weit vor allem als Mittel zu Mahnung und Agitation. Dazu
entfernten Ländern entstehen und danach ebenso plötz- traten ab der zweiten Hälfte des 13. Jh. die Reimpaare,
lich wieder in Vergessenheit geraten konnte.» [3] und im 14. J. dominiert im politischen Bereich bei Toten-
B. Als Vorläufer der E. wurde aus kulturhistorischen klagen und Huldigungen historischer Personen die rede
Gründen lange Zeit die nordische Skaldendichtung ge- der Heroldsdichter.
nannt. [4] Dort finden sich bereits Totenpreislieder, 3. Herolds- bzw. Wappendichtung. Urbild aller Wap-
Preislieder auf einen lebenden Anführer sowie spezielle penschilderungen ist Homers Beschreibung des Achil-
Schilddichtung. Helm [5] hat allerdings darauf hingewie- les-Schildes in der Ilias (18,478ff.), die Rosenfeld [11] als
Verschriftlichung einer mündlichen, kultischen Zwek-

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Ehrenrede Ehrenrede

ken dienenden Schilddichtung sieht. Heraldische Schil- Gumolf Lappen von Ernwicht hinweggesetzt. Intention
derungen finden sich bereits in der frühhöfischen mhd. und Funktion der E. bleiben allerdings unklar. Mußte
Epik (Heinrich von Veldeke), später u. a. bei WOLFRAM das Adelspublikum der untergehenden höfischen Ritter-
VON E S C H E N B A C H (<Parzival>, <Willehalm>) und bei K O N - kultur durch den Preis von Tugenden und Taten an die
RAD VON W Ü R Z B U R G (<Das Turnier von Nantes>), aller- ritterlichen Verhaltensnormen erinnert werden? Offen
dings nie selbständig, sondern im Rahmen von Kampf- bleibt, wer die Auftraggeber waren und ob es solche
und Turnierschilderungen. Die Heroldsdichtung kommt überhaupt gab. Van D'Elden [19] nimmt an, daß Su-
gegen Ende des 13. Jh. auf und gelangt im 14. Jh. zur chenwirt als Mitglied des Ordens der Wiener St. Georgs-
Blüte. Fahrende Wappendichter treten als Reimspre- ritterschaft mit den E. eine zeremonielle Funktion ver-
cher bei Turnierfesten auf, festangestellte Herolde ver- band. Auch Nolte [20] sieht die E. als mündlich vorgetra-
künden Namen und Wahlspruch ihres Herrn, sowie die gene Begräbnisrede. Dies sieht er belegt in der Verwen-
Bedeutung seines Wappens in Versform. Bemerkens- dung von Publikumsanreden, im Lob der Familie des
wert, daß die heraldische Fachsprache ursprünglich das Toten (die sich Nolte als Publikum vorstellt) und in den
Französische war, eine lat. Terminologie hat nie exi- Aufforderungen an das Publikum zur Fürbitte. Jedoch
stiert. Eingang in einen Klagetext fand die Wappenbe- deutet die Verwendung der Publikumsanrede (Apostro-
schreibung (Blasonierung) erst in der ersten Hälfte des phe) bei Suchenwirt nicht unbedingt auf Vortragsbestim-
14. Jh. [12], Sprecherin ist die personifizierte Tugend. mung der E. Viele Wendungen an das Publikum sind
Bei ULRICH VON LICHTENSTEIN, Konrad von Würzburg formelhaft: «daz uns genomen hat der tot». [21] Mit
und HEINRICH VON FREIBERG werden die Turnierschilde- «uns» ist weniger das Publikum als die Menschheit ge-
rungen erstmals mit historischen Figuren besetzt. Rosen- meint. Aufforderungen wie «chlagt» oder «nemmet
feld [13] geht sogar von der Existenz einer Wappen-E. war» [22] leiten stets einen neuen Redeteil ein, meistens
aus, die sich die Ritter nach dem Turnier durch Geschen- die Fürbitte oder die Wappenbeschreibung. Eine Rede
ke (kostbare Wappenröcke und Schilde) an die Fah- mit sieben Publikumsanreden [23] steht zahlreichen Re-
renden von diesen erkauft haben sollen. den gegenüber, in denen das Publikum nicht angespro-
chen wird. Es werden sowohl die «zarten vrawen», als
Von SUCHENWIRT sind 23 E. überliefert, die meisten auch die Ordensritter angeredet. [24] Suchenwirt redet
davon sind heraldische Totenklagen. Drei E. galten Le- oft Personen oder Personifizierte an, die nicht real anwe-
benden, eine E. galt einer Frau, wobei es sich bei allen E. send sein konnten: «her tot», «O Österreich», «erczengel
grundsätzlich um historisch weniger bedeutsame Perso- vnd propheten», «O Teichner», «Maria» (fast regelmä-
nen handelte. Suchenwirt war - wie auch Gelre - kein ßig in der Fürbitte). [25] Literaturwissenschaftliche Mit-
Gelegenheitsdichter, sondern Berufsliterat. Er ist als tel lassen keine Unterscheidung zwischen real Anwesen-
Wappenblasonierer und -dichter an mehreren Höfen be- den und als anwesend Vorgestellten zu. Auch bei «ir
zeugt, darunter Wien und Nürnberg, dennoch reiste er chnappen von den wappen hoert» [26] kann es sich um
nach dem Tod seines Gönners Albrecht von Nürnberg eine reale Anrede handeln oder eine fingierte.
als Fahrender durch Deutschland (1361-1371/72).
Nach Van D'Elden[14] sind die E. nach folgendem Rezipiert wurden die E. nur indirekt, wie z. B. im sog.
strengen Schema («formula») aufgebaut: Einleitung (I), «Ehrenbrief» des PÜTERICH VON REICHERTSHAUSEN an die
Hauptteil (II), Preis charakteristischer Eigenschaften Pfalzgräfin Mechthild von Österreich (1462). Als im spä-
(IIA), Aufzählung der Taten (IIB), Allgemeiner Tu- ten 14. Jh. neben den erblichen Wappen frei wählbare
gendpreis (HC), Fürbitte, meist bei Maria (HD), Schluß- Embleme (Devisen) erschienen, verloren die Herolde an
teil (III), Wappenbeschreibung (IIIA), Namensnennung Bedeutung. An ihre Stelle traten die Pritschmeister, die
(HIB). Dieses Schema ist wohl keine Erfindung Suchen- ebenfalls eine eigene Dichtung hervorbrachten (Pritsch-
wirts, denn bereits die Totenklage des LEOPOLD H O R N - meisterdichtung). In der Renaissance wandelte sich die
BURG VON ROTENBURG um den Ritter Konrad III. von Wappendichtung zur literarischen Emblematik, die ihre
Schlüsselberg, der 1347 verstorben ist[15], stützt sich Fortsetzung in den allegorischen Wappendeutungen des
darauf, ist aber das einzige uns überlieferte Zeugnis für 16./17.Jh. fand ( J . C L A U S , M . O P I T Z , J . H E L W I G , die
die Existenz einer E.-Dichtung vor Suchenwirt. Die PEGNITZ-SCHÄFER). Seit der Reformationszeit existierte
Ähnlichkeit im Aufbau der E. bei Suchenwirt und Gelre daneben die bis heute beliebte Stammbuchemblematik.
stellt besonders Van D'Elden heraus. Sie schließt nicht Vereinzelte Anklänge finden sich noch bei den Hofdich-
aus, daß beide einander kannten oder einem gemeinsa- tern des 17./18. Jh. und in GOTTSCHEDS Helden- und Eh-
men Strukturmodell folgten. [16] In jedem Fall ist Su- renliedern.
chenwirts Werk gekennzeichnet durch Bewußtheit des
rhetorisch-handwerklichen Aspektes von «chunst»: Anmerkungen:
«[...] und rieht mich auf der chunste pan, Ob ich vind die 1 A. Primisser: P. Suchenwirts Werke aus dem 14. Jh. Ein Bey-
tichtez hört, Materi und maisterleichem wort Mit silben trag zur Zeit- und Sittengesch. (Wien 1827; ND 1961). Die
reim gemessen. Daz doch nicht wuerd vergessen Geplu- einzige Textausgabe zus. mit G. E. Frieß: Fünf unedirte Ehren-
emtes red mit worten, Daz ich der chuenste porten Fiorir reden P. Suchenwirts. Sber. d. philos.-hist. Classe der kaiserl.
mit suezzer sprueche taw» [ 17] ; ebenso an anderer Stelle : Akad. der Wiss. Bd. 88, Jg. 1877 (Wien 1878), H. I - I H . - 2 v g l .
«[...] das ich der alten chunst rodel Formirte nach dem Kap. 6.1. bei C. Brinker: Von manigen helden gute tat. Gesch.
alten model Der maisterleichen wieze. Ich form, ich als Exempel bei P. Suchenwirt (Frankfurt/New York/Paris
1987). - 3T. Nolte: Lauda post mortem. Die dt. und niederlän-
grab, ich snizze Der wort pildung und gestalt. Wan ich si dischen Ehrenreden des MA (Frankfurt/Bern 1983) 22. -
gib in die gewalt Der chunste zu beschawen, So han ich 4 H . Rosenfeld: Nordische Schilddichtung und mittelalt. Wap-
sew verhawen, An lidmaz vnd an lenge.» [18] Reflexio- pendichtung. ZfdPh 61 (1936) 232-269. - 5 K. Helm: Zu Su-
nen über das «gepluemte wort» stehen meist in der Ein- chenwirts E., Beitr. z. Gesch. d. dt. Sprache u. Lit. Begr. u.
leitung, im Zusammenhang mit der Bescheidenheitsto- H. Paul u. W. Braune (ΡΒΒ) 62 (1938) 383-390; hier 384. -
pik, dem fingierten Unvermögen des Dichters, seine 6 Brinker [2] Kap. 6.2.4; vgl. U. Müller: Unters, zur polit. Lyrik
Trauer in Worte zu kleiden. Er selbst hat sich über das (1974) 21, 432-448; H. Fischer: Stud, zur Märendichtung
Aufbauschema der E. in der parodistischen Klage auf (21983) 39. - 7R. Leicher: Die Totenklage in der dt. Epik von
der ältesten Zeit bis zur Nibelungen-Klage (1927); W. Neu-

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Einleitung Einleitung

mann: Die Totenklage in der erzählenden dt. Dichtung des In der dramatischen Exposition werden Situation und
13. Jh. (1933). - 8 Johannes von Garlandia 5, 333f. Abgedr. bei
Personen des Stückes vorgestellt, die Vorgeschichte der
E.Farai: Les arts poétiques du X l l e et du XHIe siècle (Paris
eigentlichen Bühnenhandlung dargelegt. Die E . kann in
1924). - 9K.Lachmann (Hg.): Die Gedichte Walthers v.d.
einer vorangehenden, abgeschlossenen Szene, im ersten
Vogelweide (°1965). - 1 0 H . Moseru. H.Tervooren (Hg.): D e s
Minnesangs Frühling (1988). MF 217, 14; MF 167, 31. - 11 Ro-
A k t eines D r a m a s (protasis) oder in einem Vorspruch
(Prolog) - als integrierter oder eigenständiger Teil des
senfeld [4] 233. - 1 2 0 . Weber: P. Suchenwirt. Stud, über sein
D r a m a s - geliefert werden. D e r Prolog übernimmt zu-
Wesen und Werk (1937). - 1 3 R o s e n f e l d [4], 255f. - 1 4 S . C. Van
D'Eiden: The E. of P. Suchenwirt and Gelre. PBB 97 (1975) meist auch Präsentation (Begrüßung und Lob des Publi-
kums, Nennung von A u t o r , Titel, Quellen u . a . ) und
8 8 - 1 0 1 . - 15abgedr. bei Weber[12], 180f. - 1 6 S . C . Van D'El-
den: P. Suchenwirt and Heraldic Poetry (Wien 1976) 150. - Kommentierung (Erläuterung der Absicht, des Anlas-
17Primisser [1] XVII, 2ff. - 18Frieß [1] III, 17ff. - 1 9 Van D'El-
ses), er kann f r ü h e r e Kritik zurückweisen, um Nachsicht
den [14] 101. - 2 0 N o l t e [3] 42f. - 21Primisser [1] V, 131; auch:
bitten oder zu R u h e und Aufmerksamkeit mahnen.
III, 80; VI, 48; VII, 222; XII, 20; XVI, 170. - 22Primisser[l]
Wie das D r a m a bedarf auch die Erzählung einer E . ,
VII, 186 u. 235; VIII, 63 u. 147; XIV, 338. - 23Primisser [1] VII.
- 24Primisser[1] X, Vers 16 u. 68. - 25Primisser [1] XII, 6; die den Leser offen oder verdeckt an Gegenstand und
XIV, 7; Frieß [1] III, 118; Primisser [1] XIX, 88 sowie in derPersonen des Textes heranführt, Voraussetzungen der
Totenklage auf den Teichner. - 2 6 Primisser [1] VII, 11. Handlung klärt, wichtige Wendungen und Ergebnisse
ankündigt oder vorwegnimmt; die Vorgeschichte kann
Β. Κ. Stengl
in der Erzählung allerdings auch an späterer Stelle nach-
- * Anrede —» Bittrede —* Dichtung —» Emblem, Emblematik —» geholt werden.
Epideiktische Beredsamkeit —» Epitaph —> Gedenkrede —> Ge- 2. Die Vorbemerkungen zu einer umfangreicheren
legenheitsrede —* Lobrede wissenschaftlichen Abhandlung werden auch Prolego-
mena genannt; sie geben einen Uberblick, stellen Begrif-
fe und Systematik vor. E . als Propädeutik ist eine Vor-
Einleitung (griech. είσήγησις, eiségësis; προοίμιον, prooí- übung oder Vorbereitung für Anfänger zum Erlernen
mion; πρότασις, protasis; lat. prooemium, principium, und Betreiben einer künstlerischen oder wissenschaftli-
exordium; engl, introduction; frz. introduction; ital. in- chen Disziplin: sie führt in Inhalt, U m f a n g und Methode
troduzione) ein. Im Unterschied zum Lehrbuch beabsichtigt die E .
A . Def. - Β. I. Antike. - II. Neuzeit. keine völlige Beherrschung eines Wissensgebietes.
Α . E . bezeichnet hinführende, einweisende und anlei- B . I . Antike. ARISTOTELES vergleicht das προοίμιον,
tende Texte: 1. einen Textteil: die Einführung zu einer prooímion, die E . der Rede, mit dem Prolog in der
R e d e oder Schrift; 2. eine Textsorte: den einführenden Poesie und dem Vorspiel in der Musik, die ebenfalls
Unterricht in einer Kunst oder Wissenschaft. «Anfänge und gleichsam Wegbereitung für das Folgen-
1. In der E . oder d e m Eingang zu seinem Vortrag de» seien. [1] D a b e i unterscheidet Aristoteles noch das
verfolgt der R e d n e r mehrere Ziele, entsprechend den προαύλιον, proaúlion, ein freies Vorspiel, vom nachfol-
beiden Möglichkeiten des exordiums: a) die Funktionen genden ένδόσιμον, endósimon, einem tonanschlagenden
des prooemiums, den Z u h ö r e r aufmerksam, gelehrig Vorspiel. Ebenso solle der R e d n e r von einem beliebigen
und wohlwollend zu machen (attentum parare, docilem Einsatz «in die E . übergehen und die Verbindung her-
parare, benevolum parare) oder b) die Strategie der insi- stellen». [2] In der E . werde der Z u h ö r e r psychologisch
nuatici, einer über die captatio benevolentiae hinausge- eingestimmt und thematisch vorbereitet. Sei die E . der
h e n d e Schmeichelei. Festrede (genus demonstrativum) besonders dem Beginn
des Flötenspiels oder dem prooímion des Dithyrambus
D e m Leser gibt die E . eine Einführung in Inhalt und
ähnlich, so gleiche die E . der Gerichtsrede (genus iudi-
Absicht eines literarischen oder wissenschaftlichen Wer-
ciale) dem prooímion des E p o s und dem Prolog des
kes, einer Edition. In ihrer thematischen Orientierung
Dramas, indem sie einen inhaltlichen Überblick über die
unterscheidet sich die E . von Vorrede oder Vorwort
folgende R e d e gewähre. In der Etymologie des Begriffes
(griech. πρόλογος, prólogos; lat. praefatio; engl, fore-
prooímion, wie sie Quintilian gibt [3], erscheinen beide
word, preface; frz. préface; ital. prefazione, prologo),
Bedeutungen: a) das vor dem Gesang (ο'ίμη, oimë) Vor-
die zumeist technische, historische oder biographische
getragene und b) das den Weg (οΐμος, oímos) Bereitende.
Bedingungen der Entstehung und Verbreitung einer
Ihre entscheidenden kommunikativen Aufgaben teile
Schrift behandeln. E . und Vorwort können vom Verfas-
die E . allerdings mit allen anderen Redeteilen. [4] U m
ser oder vom Herausgeber eines Textes geschrieben
den Zusammenhang zwischen E . und Rede zu charakte-
sein.
risieren, vergleicht ihn Aristoteles d e m Verhältnis zwi-
D e r Eröffnungsteil eines musikalischen oder dramati- schen Kopf und Körper. [5]
schen Stückes ist das Vorspiel (griech. προαύλιον, proaú-
lion; lat. prooemium; engl, prelude; frz. prélude; ital. II. Neuzeit. In der deutschen Redelehre wird exordium
preludio), das den Z u h ö r e r oder Zuschauer auf den fol- zumeist mit d e m Terminus <Eingang> übersetzt. D e r E .
genden Hauptteil vorzubereiten und dessen Verständnis kommt wieder die Aufgabe zu, eine übelgesinnte, unauf-
zu erleichtern hat. merksame oder auch nur psychisch uneinheitlich dispo-
Das musikalische Präludium, eine meist freie, impro- nierte Hörerschaft einzustimmen, also in eine den Ab-
visierte oder notierte instrumentale E . zu geschlossenen sichten des Redners vorteilhafte Verfassung zu bringen.
F o r m e n , hat technische oder thematische Funktion Die Anforderungen, die an eine gute E . gestellt werden,
(Stimmen der Instrumente, Angabe der Tonarten) und folgen zumeist den klassischen Regeln. In Anlehnung an
kommunikativen Aufgaben (Erzeugung von A u f m e r k - Cicero und Quintilian verlangt GOTTSCHED: D e r Eingang
samkeit). Zahlreiche Varianten des Präludiums (Intra- müsse 1. «ungezwungen und natürlich» zur R e d e passen,
da, Overtüre, Sinfonia u . a . ) unterscheiden sich nach dürfe 2. «nicht gemein» sein sondern sollte «ganz neu»
bestimmter musikalischer Anlage oder programmati- scheinen, müsse 3. der nachfolgenden Rede unverwech-
schem Gebrauch und können auch eigenständige Bedeu- selbar zugehören und ihr daher 4. «fest verbunden» sein,
tung haben. dürfe 5. «nicht zu lang» sein, d. h. «höchstens den vierd-

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Einleitung Einwand, Einwurf

ten Teil der R e d e ausmachen» und sollte 6. die Absich- werden durch personale Konditionierung ersetzt. WEL-
ten des Redners unterstützen, indem sie Aufmerksam- LER verlangt von der E . Kürze und Leichtigkeit, sie solle
keit, Gelehrigkeit und Wohlwollen bewirke. [6] U m den ruhig, leise und langsam gesprochen w e r d e n ; ihre Funk-
argumentativen Z u s a m m e n h a n g der R e d e zu gewährlei- tion liege in der «Einstimmung» [20], T h e m a und Ab-
sten, betont Gottsched, daß die E . bei der Produktion sicht der R e d e solle der R e d n e r zunächst vorenthalten.
der Rede erst zuletzt zu bedenken sei. [7] Diese Eigen- LEMMERMANN unterscheidet in seinem <Lehrbuch der
schaft teilt der Eingang mit der Vorrede, die nicht nur Rhetorik> vier E.-Techniken: 1. «Vorspann-Technik»,
nach Fertigstellung des Werkes geschrieben sondern oft 2. «Aufhänger-Technik», 3. «Denkreiz-Technik» und
sogar erst nachträglich veröffentlicht wird. Eine E . kön- 4. «Direkt-Technik». [21] Die Vorspann-Technik zielt
ne aber auch entfallen, wenn die Z u h ö r e r schon hinläng- auf ein persönliches Verhältnis zwischen R e d n e r und
lich vorbereitet seien oder wenn der R e d n e r in einem Z u h ö r e r , auf eine «Denkgemeinschaft» und m e h r noch
außerordentlichen Fall «gleichsam alle Regeln der Ein- eine «Fühlgemeinschaft». Ein Z u s a m m e n h a n g mit dem
gänge vergißt» und mit starkem A f f e k t unmittelbar (me- T h e m a der R e d e ist dabei unwesentlich - anders bei der
dias in res) einsetze. [8] Entschieden begegnen H A L L - Aufhänger-Technik; sie soll durch eine Begebenheit,
BAUER und GOTTSCHED einer Tendenz, besonders der einen Vergleich, ein Erlebnis oder eine überraschende
geistlichen Rede mehrere E . voranzustellen, die unter- Fragestellung eine Situation darstellen und damit auf
einander und mit d e m Hauptteil der R e d e nur lose ver- den Inhalt und Absicht der R e d e führen. Mit der D e n k -
knüpft sind und bei Bedarf auch in anderen Reden ver- reiz-Technik soll der H ö r e r durch Fragen u n d provozie-
wendet werden konnten. Diese «zweyköpfigten Unge- rende Auffassungen zur Mitarbeit gezwungen werden.
heuer» [9] gehen auf die Rhetoriken W E I S E S und seiner Für alle drei Varianten ist Kürze die wichtigste Forde-
Nachahmer zurück. rung, die Direkt-Technik verzichtet endlich ganz auf alle
eigentlich einleitenden Worte und k o m m t sofort auf den
Eine Stärkung der thematischen und argumentativen
Gegenstand zu sprechen ; dieses Vorgehen sei besonders
Funktion erfährt der Eingang in der Ergänzung oder
f ü r kurze, sachliche R e d e n zu empfehlen. Aus den Bei-
sogar Ersetzung des Exordiums durch die propositio.
spielen wird ersichtlich, d a ß die Angewandte Rhetorik
Die Proposition «oder der Vortrag, darinn man sagt, was
der Gegenwart auch in diesem Fall nur die oberflächli-
man in der R e d e haben wil», bildet als «Wesen und Kern
chen Regeln, nicht ihre theoriegeleiteten Grundsätze
von der Rede» zusammen mit einer anschließenden Insi-
übernimmt.
nuation den A n f a n g des Compliments bei W E I S E . [10]
Hallbauer läßt dann vor Proposition und Insinuation
noch ein Exordium zu. [11] Bei L I N D N E R wird der E. Anmerkungen:
geradezu eine logische Funktion im Konzept der Rede I Arist. Rhet. 1414 b. - 2ebd. - 3Quint. IV, 1, 1 - 2 . - 4vgl.
zugesprochen. D e r Inhalt des «Eingangs», der dem Arist. Rhet. 1415 b; Cie. or II, 323; Quint. IV, 1, 5 und 71. -
5 Arist. Rhet. 1415 b; Cie. or. II, 325. - 6 J. C. Gottsched: Aus-
«Hauptsatz» vorausgeht, könne zu diesem im «Verhält- führliche Redekunst. Nach Anleitung der alten Griechen und
niß des allgemeinen zum besonderen» stehen. [12] Mit Römer wie auch der neueren Ausländer (1736) 89f.; vgl. Cie.
Gottsched räumt Lindner ein, d a ß der Eingang sogar in or. II, 315, 319 und 325; Quint. IV, 1, 71. - 7 v g l . Gottsched [6]
einer kurzen A b h a n d l u n g bestehen könne, deren Ge- 85; Cie. or. II, 315. - 8Gottsched[6] 90; vgl. Quint. I, 1, 72. -
genstand «einige Verwandtschaft mit dem Hauptsatze» 9 Gottsched [6] 91; vgl. Hallbauer: «vielköpfigte Mißgeburten»
habe. [13] Mit d e m Exordium zusammen bildet die Pro- in: ders.: Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie
position bei FABRICIUS, PEUCER, BAUMEISTER u . a . die E.: (1725) 460. - IOC. Weise: Politischer Redner (1683) 169. -
psychische Vorbereitung des Hörers und thematische II Hallbauer [9] 460f. - 12 J. G. Lindner: Anweisung zur guten
Vorstellung der R e d e . Schreibart überhaupt und zur Beredsamkeit insonderheit
(1755) 157; vgl. ders.: Kurzer Inbegriff der Ästhetik, Redekunst
Eine implizite Theorie der E . entwickelt H E G E L in der und Dichtkunst, 2.Tl. (1772) 117. - 13ebd. 157; vgl. Gott-
P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes>. Er lehnt die gängigen sched [6] 90. - 14G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes
Funktionen der Vorrede, wie sie gleichzeitig z . B . von (zuerst 1807, benutzte Ausg.: Werke, hg. von E. Moldenhauer,
JEAN P A U L virtuos eingesetzt werden, für philosophische K.M. Michel, Bd. 3 (1986) S. llf.; vgl. J. Derrida: La dissémi-
Schriften ab. [14] G O E T H E faßt die Bedeutung des rech- nation (Paris 1972) 9 - 67. - 15J.W.Goethe: Maximen und
Reflexionen, in: ders.: Werke (Hamburger Ausgabe), hg. v.
ten Anfangs in einem Vergleich: «Wenn man das erste E.Trunz, Bd. 12 ( 10 1982) S.546. - 16J. Mattheson: Der voll-
Knopfloch verfehlt, kommt man mit dem ganzen Zu- kommene Cappellmeister (1739) 478. - 17J.G. Sulzer: Art.
knöpfen nicht zustande.» [15] Für die Musik kommt <Eingang>, in: ders.: Allgemeine Theorie der Schönen Künste,
Mattheson zu der Behauptung, daß «präludiren [ . . . ] mit 2. Tl. (zuerst 1771, benutzte Ausg. 21792) S. 2 3 - 2 5 , hier: S.24.
fug der höchste practische Gipffei in der Music genannt - 18F. Naumann: Die Kunst der Rede (1914) in: ders.: Werke,
werden mag». [16] In der Rhetorik urteilt SULZER: « E S ist Bd. 5, hrsg. v. T. Schieder (1964) S. 678f. - 19Sulzer [17] S. 25. -
also kaum einTheil der R e d e , an dem man die G r ö ß e des 20M. Weller: Das Buch der Redekunst (zuerst 1954, benutzte
Redners besser erkennen kann, als der Eingang» [17], Ausg. 141978); vgl. Naumann [18] 678. - 21H. Lemmermann:
und noch N A U M A N N schreibt: «Die E . ist als Kunstlei- Lehrbuch der Rhet. (zuerst 1962, benutzte Ausg. 41992)
132-144.
stung oft schwieriger und wichtiger als alles andere» -
dabei sei «[f]ür keinen Teil der Rede [ . . . ] eine schulmä- Literaturhinweis:
ßige Vorschrift weniger zu geben». [18] Schon Sulzer G. Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches
hatte bemerkt, daß es beim Eingang mehr auf den Ton (Frankfurt/New York 1992).
als auf den Inhalt a n k o m m e , weshalb es «eine vergeb- B. Kositzke
liche Sache [sei], dem R e d n e r Regeln für den Eingang —» Attentum parare —> Autor —» Dispositio —» Docere —» Exor-
vorzuschreiben.» [19] Nützlicher seien dem R e d n e r ge- dium —» Exposition —» Prolog —> Prooemium —> Vorwort
sunde Urteilskraft und genaue Kenntnis seiner Zuhörer.
Die Reduktion der E . um ihre intellektuellen und Einwand, Einwurf (lat. objectio, oppositio, contradictio,
sachliche Aspekte auf die emotionale, kommunikative engl, objection, frz. objection, ital. obiezione, eccezio-
Funktion setzt sich bis in die aktuellen Rhetorik-Ratge- ne, replica, pretesto)
ber fort: parteiliche Information und Argumentation A . Einwurf ist ein kurzer Widerspruch gegen eine ge-

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Einwand, Einwurf Eklektizismus

rade ablaufende Argumentation, eine unterbrechende Knaben einer den andern übet in den lectionibus, so sie
Zwischenbemerkung, während man unter Einwand den Tag über gehört haben.» [9] Im 17. Jh. erscheint der
Gründe versteht, die jemand gegen Absichten oder Einwand vor allem als Kanzleiwort: ein Wort einlegen,
Handlungen eines anderen vorbringt; auch Gegenargu- einflechten. Gewöhnlich bedeutet es <Widespruch erhe-
ment, Widerspruch, Protest, die Äußerung einer abwei- b e n : «Der Mahler wandte vieles ein». [10] Aus dem
chenden Auffassung: «'Dann solltest du lieber nicht dar- Vorbringen von Gegengründen ergab sich in der Ge-
über spotten' wandte Agathe ein.» [1] richtssprache auch die Bedeutung von <ein Rechtsmittel
Einwände sind Teil der argumentatio, können im posi- einlegen^ [11] Man konnte aber auch freundlich Ein-
tiven (probatio) wie im abstreitenden Teil (refutatio) wände machen im Sinne von <ein gutes Wort einlegend
vorkommen. Sie werden entweder 1) vom Redner selbst «die kan schon so ein gutes Wörtlein bei ihrem Herrn
vorgenommen, oder 2) er repliziert auf Einwände des einwenden». [12] Bei K A N T gilt der Einwurf als objekti-
Gegners. ver Grund «ein für wahr gehaltenes erkenntnis für falsch
Im ersten Fall kann er a) eigene Einwände vorbringen, zu halten». [13] Damit erhält der Einwand ein weitaus
oder b) er referiert gegnerische Einwände. Diese sind stärkeres Gewicht sowohl in der Redekunst wie auch in
entweder echt und werden vorgebracht, da sie leicht zu der Rechtsprechung, denn in der Regel muß der Ein-
entkräften sind, oder sie sind fingiert und ein rhetori- wand erst in der Debatte sich als stichhaltig erweisen,
sches Stilmittel (z. B. als fingierter Dialog), um die eige- während er bei Kant quasi ein Falsifikationskriterium
ne Position zu stärken, da sie scheinbar allen Anfechtun- bedeutet.
gen standhält. F. A. H A L L B A U E R nennt im 18. Jh. ebenfalls mehrere
Im zweiten Fall enthält die Replik entweder a) vorbe- Möglichkeiten, Einwände zu widerlegen: durch ausge-
reitete Einwände, die in einer Rede behandelt werden: machte Wahrheiten, bekannte Rechte und Gesetze, all-
dann kann man eine der eigenen Position günstige Aus- gemeine Gebräuche und Gewohnheiten oder durch Sät-
wahl treffen, oder b) man muß in einer Diskussion un- ze, die der Gegner selbst eingestanden hat. [14] Im
vorbereitet antworten - hier spielt der Zeitfaktor eine 20. Jh. gibt N E U M A N N ähnliche Ratschläge im Umgang
Rolle und beeinflußt die Art der Antwort. In jedem Fall mit Einwänden: ruhig bleiben, eine Denkpause einle-
dient die Widerlegung der Einwände der Stärkung der gen, um ihnen dann entweder argumentativ zu begegnen
eigenen Position und dazu, Zweifel der Zuhörer zu be- oder sie zu relativieren, indem sie in ein größeres Be-
seitigen. Einwände können entweder sachbezogen sein, zugssystem gestellt werden, sie als Frage in die Diskus-
subjektiv (emotional) oder scheinhaft (Desinteresse, sion zurückwerfen, oder falls unbedrohlich, annehmen.
Mißachtung) und die Reaktion muß darauf abgestimmt Des weiteren gibt er fünf Techniken an: Ausweich-Tech-
werden. Ratschläge, wie mit Einwänden umzugehen sei, nik, Verdrängungs-Technik (man ignoriert gegnerische
gibt es seit der Antike in wesentlich gleichbleibender Hauptpunkte und konzentriert sich auf günstigere De-
Form. Schon ARISTOTELES gibt genügend Hinweise: tails), Verdrehungs-Technik (Verfälschung gegnerischer
«Man muß sich auch zuweilen selbst einen Einwurf ma- Thesen), Unterstellungs-Technik (man unterstellt Ab-
chen (instantiam ferre [2]), denn die Antwortenden sichten und zieht aus des Gegners Thesen Folgerungen,
schöpfen gegen Diejenigen keinen Verdacht, welche an- die in ihr nicht enthalten sind), Verwirrungs-Technik
scheinend bei dem Angriff redlich verfahren.» [3] Auch (gegnerische Position wird vernebelt, indem man kom-
bei Q U I N T I L I A N sind Einwände Teil jeder Verteidigung, plizierte Unterscheidungen vornimmt und Probleme
und er gibt konkrete Anweisungen, wie man Einwänden durcheinander mischt). [15] Hinzu kommt noch eine ge-
begegnen kann: eine Sache widersprüchlich erscheinen zielte Fragetechnik.
lassen, heimtückische Anklagen anprangern, etwas ge-
ringschätzig behandeln, Beispiele geben, Anklagepunk- Anmerkungen:
te und Argumente umformulieren, Zweifelhaftes leug- 1 R . Musik Mann ohne Eigenschaften (1978) 752. - 2 Aristote-
nen oder ad hominem argumentieren [4]. les, Topica VIII, 1; translatio Boethii (1969) 156 b 18, 159. -
B. ARISTOTELES bestimmt den Einwand als Gegenmei- 3 Aristoteles, Topica VIII, 1 (1882) 179f. - 4vgl. Quint. V, 13,
nung, die entweder als gültiges Argument anerkannt Iff. - 5 Aristoteles [2] VIII, 8, 160 b 4, 169. - 6ders. [3] VIII, 8,
wird oder als rhetorisches Mittel, um die stärkere Posi- 192. - 7 vgl. Quint. V, 13, 3 6 - 3 8 ; 4 3 - 4 5 ; 50. - 8vgl. G. Ueding,
tion zu behindern: «Denn wenn er trotz vieler beige- B. Steinbrink: Grundriß der Rhet. (1986) 60. - 9 R . Vormbach:
brachten [...] Fälle den Satz in seiner Allgemeinheit Die evang. Schulordnungen des 16. Jh. (1860) 53. - lOGellert,
Werke I . T . , hg. von F . B e h r e n d (o.J.) 121. - 11 vgl. Grimm,
doch nicht zugibt, ohne einen Einwurf (instantia [5]) zu
Bd. 3, Sp.340. - 12Grimmelshausen: Simplicissimus (1669)
machen, so ist klar, daß er bloß Schwierigkeiten machen 321. - 13 Kant, Werke I, 414; vgl. Grimm [11] 347. - 14F. A.
will.» [6] Nach dem Fall der römischen Republik zog sich Hallbauer: Anleitung zur politischen Beredsamkeit (1736; N D
die Rhetorik aus der Politik zurück und wurde zum Lehr- 1974) 92ff. - 1 5 R. N e u m a n n : Zielwirksam reden ( 5 1985) 166.
fach. Quintilian beklagte diese Entwicklung und betonte
die Wichtigkeit von Übungen (exercitatio) zum Einwand Literaturhinweis:
als integralen Bestandteil jeder Verteidigung. [7] Im F. H a f t : Juristische Rhet. (1978)
Lehrbetrieb des Mittelalters hatte der Einwurf/Einwand M. Löhner
seinen Platz in der scholastischen disputatio unter Stu-
denten. Eröffnet wurde sie durch eine Problemstellung —» Argument —» Folgerung —> Frage —> Rechtfertigung —* Wi-
(quaestio), die dann von einem Verteidiger (defendens) derspruch
gestützt und einem Gegner (opponens) angegriffen wur-
de, die Gründe und Gegengründe in kurzen Syllogismen
abtauschten. Zwar waren diese Veranstaltungen von Eklektizismus (engl, eclectism; frz. éclectisme; ital.
Autoritäten beherrscht, doch die Tradition der römi- eclettismo)
schen Schuldeklamation ist im Aufbau erkennbar. [8] Im Α . Innerhalb der Philosophie meint E. eine Methode,
16. Jh. sind in Schulen solche disputationes noch vorgese- aus differenten Lehrmeinungen Elemente für den Auf-
hen, aber sie sind reduziert auf Übungen «in welchen die bau eines neuen philosophischen Systems auszuwählen.
Die wortgeschichtliche Vorform des E. ist das Adjektiv

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Eklektizismus Eklektizismus

<eklektisch> (lat. <electiva> oder <eclectica>). Eklektische rabunda eligit quod ubique reperit optimum & verissi-
Philosophie umfaßt eine Schulbildung innerhalb der mum» (mit Urteilskraft und tiefem Nachdenken erwählt,
deutschen Frühaufklärung (seit 1680). Die substantivi- was sich überall als das Beste und Wahrhaftigste
sche Wendung <E.> gehört vorrangig in die Polemik der zeigt). [6] Dem iudicium (Urteilskraft) kommt fortan ei-
nachkantischen Philosophie (Ende des 18. Jh.) gegen die ne Schlüsselstellung im eklektischen Auswahlverfahren
eklektische Schule. Innerhalb der Rhetorik gibt es expli- zu. A. W E S E N F E L D kommt nach einer philosophisch-hi-
zit keine eklektische Tradition, doch ist ein innerer Zu- storischen Skizze der eklektischen Philosophie zu dem
sammenhang zwischen Rhetorik und Eklektik von An- Resultat, daß lediglich der «methodus eclectica» dem
fang an evident. So geht schon aus ARISTOTELES' grund- Wandel der Zeiten und der jeweiligen Mischung des
sätzlicher Bestimmung der Rhetorik hervor, daß diese Guten und Bösen, Wahren und Falschen gemäß ist. [7]
wesenhaft auf einem eklektischen Prinzip gründet: An- Das Ziel der eklektischen Philosophie ist die Findung
ders als die übrigen Wissenschaften lasse sich die Rheto- und Anwendung der Wahrheit. Ihr Maßstab ist der allge-
rik, so Aristoteles, nicht auf einen bestimmten Gegen- meine Nutzen, ihre Anwendung läßt das iudicium reifen.
stand festlegen, über den sie belehren wolle; vielmehr Die theoretische wie auch praktische Seite des eklekti-
bezeichne sie das Vermögen, an jedem beliebigen Ge- schen Philosophierens, «inventio et applicatio veritatis»,
genstand das jeweils Glaubenerweckende zu erkennen wird am nachhaltigsten von C. T H O M A S I U S hervorgeho-
(Aristoteles, Rhetorik 1,2). Die Topik wird dann in der ben. [8] Ihm zufolge begegnet nur der Eklektiker der
Folgezeit als ein dieser Aufgabe entsprechendes Instru- unendlichen Fülle des Wissenswerten angemessen, da er
ment beansprucht, das prägend auf die rhetorische in- alles mit gleichem Eifer untersucht und die «veritas uti-
ventio-Lehre wirkt. Die <philosophische> bzw. <politi- lissima» (nutzbringendste Wahrheit) zutage fördert. [9]
sche Oratorio, wie sie sich v. a. zwischen 1680 und 1730 «Das praejudicium autoritatis humanae» (Vorurteil
ausgebildet hat, bezeichnet eine Nahtstelle von Philo- menschlicher Autorität) [10] ist das vorrangige Hinder-
sophie und Rhetorik und zeigt den Umfang gegenseitiger nis der Wahrheitssuche. Seine Ursache ist die Leicht-
Beeinflussung. gläubigkeit, das Gegenmittel umfassende Gelehrsam-
B . I. E. in der Philosophie. Schon bei D I O G E N E S L A E R - keit und Sicherheit im Urteilsvermögen: «Denn wie wilst
TIUS (2. Jh. n. Chr.) heißt es: «Übrigens tat sich erst vor du von andern urtheilen, wenn du selbst noch keinen
kurzem noch eine eklektische Sekte auf unter Führung Grund hast, nach dem man urtheilen soll, ja wenn du
des Potamon aus Alexandria, der sich aus den Lehren selbst, eigentlich davon zu reden, noch kein Judicium
aller Sekten auswählte, was ihm gefiel». [1] Erst im hast, sondern von anderer Autorität dependirest». [11]
17. Jh. aber wird aus philologisch-historischem Interesse Die Bedeutung des iudicium haben vor Thomasius
der Hintergrund dieser beiläufigen Bemerkung des Dio- bereits der Mediziner T S C H I R N H A U S E N [12] und der Hi-
genes erfragt. J. L I P S I U S zufolge zeichnet sich die «secta storiker D . G . MORHOF[13] hervorgehoben. Die These
electiva» durch die Tendenz aus, «nec homini uni, imo von der Schulung des iudicium durch eklektisches Philo-
nec sectae districte adhaerendum» (sich weder einem sophieren wird durch das Sündenfall-Argument der
einzelnen Menschen, noch einer Sekte bestätigend anzu- Theologen gestützt. Die menschliche Fähigkeit, das
schließen). [2] Wahre und Gute zu erkennen, ist prinzipiell fehlerhaft.
G . H O R N I U S erwähnt, daß die Vielfalt der «iudicia» Vorurteile beherrschen die Meinungsbildung. [14] Des-
(Meinungen, Urteile) innerhalb der akademischen Phi- halb ist der legitime Wahrheitssuchende ein «eclecticus»,
losophie der Entstehungsgrund einer eklektischen Sekte der alle Lehrmeinungen im Licht der rechtmäßigen Ver-
durch Potamon war: «quae ex omnibus, quod optimum, nunft durchleuchtet. [15] In diesem Sinn entwickelt
eligebat, nullius authoritati addicta» (die aus allem, was F. B U D D E die Grundlagen der eklektischen Philosophie
das Beste ist, erwählte, keiner Autorität verpflich- als Remedium für den menschlichen Intellekt, da sie das
tet).[3] iudicium ausbildet: «Virtus porro intellectus est, si iudi-
G. J. Vossius entwirft eine Skizze der eklektischen cium rite se habeat, si rectum sit, si acre sit, & in Íntimos
Lehrtradition. Sie umfaßt Cicero, Plutarch, Plotin, Ori- rerum recessus penetrare, veraque a falsis statim separa-
gines u.a. [4] Er beschließt seine Darstellung mit einem re queat» (Nun aber ist die Stärke des Intellekts, wenn
Lob der eklektischen Methode : «Flores enim ex omnibus das Urteilsvermögen sich herkömmlich verhält, wenn es
sectis legemus, & inde corollam plectemus capiti nostro, rechtmäßig ist, wenn es scharfsinnig ist, und es vermag,
quae quantò plus traxerit ex vero bonoque, tanto erit in die innersten Geheimnisse der Dinge einzudringen,
pulcrior atque adoratior, tantò enim minus marcescet» und das Wahre von dem Falschen sofort zu trennen). [16]
(Laßt uns von allen Lehrmeinungen die Blüten herausle- Die philosophisch-historische Einordnung der eklekti-
sen, und hieraus unserem Haupt ein Kränzchen flechten, schen Philosophie schreitet im 18. Jh. weiter voran.
das, je mehr es vom Wahren und Guten bekäme, desto J. BRUCKER ordnet die gesamte neuplatonische Tradition
schöner und duftender wäre, desto weniger welkt). [5] der eklektischen Philosophie zu. [17] J. A. FABRICIUS
Seit Vossius wird der historische Befund programma- räumt den Eklektikern beachtlichen Einfluß auf die Ge-
tisch wendbar. Die eklektische Methode wird zum Re- schichte der Gelehrsamkeit ein. [18] In <Zedlers Univer-
medium für die methodologischen Schwierigkeiten ba- sal-Lexikon> wird die Beschreibung der eklektischen
rocker Gelehrsamkeit: Wenn nicht alles Wissensmögli- Philosophie mit der Warnung versehen, «bey dieser Ge-
che enzyklopädisch erfaßbar ist, dann muß das Wissens- legenheit einem wanckenden Rohr nicht ähnlich» zu
werte bestimmt werden. J. C. STURM verleiht der eklekti- werden «oder auch aus Faulheit der Mühe überhoben zu
schen Philosophie den Status einer «ratio philosophan- seyn, die Sätze in ihrem richtigen Zusammenhange ein-
di», da sie frei von der Parteilichkeit der konkurrieren- zusehen». [19] J. G. W A L C H konstatiert im Philo-
den Sekten (Aristotelica, Cartesiana, Gassendica, Neo- sophischen Lexikon>, daß die eklektische Philosophie
Platonica) und ihrer Lehrmeinungen ist. Ein Kapitel den konkurrierenden Sekten vorzuziehen sei, «weil man
seiner Schrift trägt den Titel <De Philosophiae Electivae da wahrhaftig philosophiret, das ist, das Judicium brau-
necessitate, utilitate & praestantia>. Ihre «praestantia» chet». [20]
(Vorzug) beruht darauf, daß sie «cum judicio ac delibe-
Seit der Mitte des 18. Jh. rückt der Eklektiker in die

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Eklektizismus Eklektizismus

Nähe des Synkretisten, nur der rechtmäßige Gebrauch gegen die eklektische Philosophie als «Unmethode», da
des iudicium trennt sie vorerst noch. C. M E I N E R S ver- sie nur das Naheliegende zusammenrafft und kein Sy-
merkt, daß die eklektische Philosophie den philo- stem begründet. «Der Eklektizism ist also nichts anders
sophischen Unterricht dominiert. Richtig angewendet ist als ein seichter Synkretism; denn durch ihn werden alle
sie für die philosophische Erziehung nützlich, ansonsten Systeme in ein Chaos confusum zusammengerückt.» [30]
aber kann sie, so Meiners, auf Irrwege führen. «Es sind Demgegenüber tritt in Frankreich V. C O U S I N für den E.
also viele, die nicht einmal wissen, was eklektische Philo- ein. Nach Cousin bedarf es dreierlei für einen konse-
sophie sey und auch solche, die diese Art zu philosophie- quenten E.: ein System als Orientierungshilfe innerhalb
ren zum Werkzeuge ihres Verderbens machen.» [21] der Geschichte der Philosophie, ein ernsthaft-kritisches
In expliziter Anlehnung an BRUCKERS <Historia critica Vermögen und drittens die Dekomposition aller Syste-
philosophiae> führt D I D E R O T die substantivische Wen- me durch das kritische Verfahren sowie die Zusammen-
dung <éclectisme> ein. E. bedeutet mehr als eine philo- stellung eines einzigen Systems der menschlichen Er-
sophische Schulrichtung, er ist eine allgemeine Geistes- kenntnis. Der E. dient der Reformation der philo-
haltung. «L'éclectisme [...] avait été la philosophie des sophischen Wissenschaften und ist weder synkretistisch
bons esprits depuis la naissance du monde» (Der E. war noch systemfeindlich. [31] Cousin findet Anerkennung
die Philosophie der guten Geister seit der Entstehung bei F . W . J . SCHELLING, der allerdings mit dem Begriff
der Welt). [22] Der E. steht in engem Zusammenhang <E.> nichts anzufangen weiß. [32] P. LEROUX hingegen
mit dem Skeptizismus und unterscheidet sich durch seine hat vehement auf Cousins Reformationsentwurf rea-
Prinzipientreue strikt vom Synkretismus. Diderot be- giert. Seine <Réfutation de l'éclectisme> (Widerlegung
schreibt die Geschichte des E. in der Spätantike und des E.) markiert den Endpunkt der wortgeschichtlichen
seine Wiedergeburt am Ende des 16. Jh. Zu den moder- Entwicklung. Leroux wiederholt lediglich die Polemik
nen Eklektikern zählt er Hobbes, Descartes, Leibniz, gegen die eklektische Philosophie im Sinne von Rein-
Thomasius, Malebranche. [23] hold , Krug und Hegel: «l'éclectique est un homme incon-
stant, versatile, toujours tourné à ce qui triomphe actuel-
Erst in der Nachfolge K A N T S wird in Deutschland die lement dans le monde» (der Eklektiker ist ein unbestän-
pejorative Bedeutung eklektischer Philosophie ausge- diger Mensch, wankelmütig, und immer auf das ausge-
drückt. C.L. R E I N H O L D wirft ihr vor, den gemeinen richtet, was gerade die Welt beherrscht). [33]
Menschenverstand und das iudicium (Urteilskraft) zu
verwechseln. Der Eklektiker wählt beliebig aus den vor- Der Begriff <E.> findet auch Resonanz außerhalb der
handenen Systemen. [24] Reinhold zufolge gebraucht philosophischen Disziplin. A. H. NIEMEYER erläutert in
der Eklektiker die natürliche Vernunft in unbefriedigen- seinen Bemerkungen über den pädagogischen Zeit-
der Weise, wenn er den metaphysischen Disput (vgl. geist>, daß er sich sinnlosen Schulstreitigkeiten innerhalb
Kants «Antinomien der reinen Vernunft») nicht zur Ent- der Pädagogik entzieht, sieht aber die Risiken seines
scheidung führt. «Allein der sogenannte Eklekticismus Standpunktes. «Diese Parteylosigkeit ist nicht der Cha-
bedient sich des Raisonnement der ratio naturalis nur um rakter unserer Zeit; sie kommt sogar in Gefahr, bald für
die streitenden Parteyen ohne weitere Schlichtung ihrer Feigheit und Unentschlossenheit, bald für den uner-
Streitsache zur Ruhe zu verweisen. [...] Auf diesem gründlichsten Eklektizismus gehalten zu werden.» [34]
Wege wurde der eklektische Philosoph durch sein Nach- Niemeyer kennt beide Ebenen des Begriffsfeldes <E.>.
denken zu derselben Vorstellungsart geführt, zu welcher Seine Ablehnung eines prinzipienlosen E. widerspricht
die vulgäre Vernunft durch Gedankenlosigkeit ge- nicht einem Bekenntnis zur praxisorientierten eklekti-
langt.» [25] schen Methode. [35]
D . T I E D E M A N N führt im Register seiner mehrbändigen Innerhalb der Kunstwissenschaft gibt es vorrangig bei
Schrift über den <Geist der spekulativen Philosophie> die W I N C K E L M A N N ein positives Verständnis eklektischer
Rubrik <philosophischer E.>. Er subsumiert die pythago- Schulbildung, die sich in der Nachahmung klassischer
räische und (neu-)platonische Tradition bis zu den Ro- Vorbilder und selbständigen Mischung verschiedener
senkreuzern. [ 2 6 ] Der Philosophiehistoriker J . G. B U H L E Stilrichtungen erschöpft. [36] F. SCHLEGEL hingegen
bietet eine Charakteristik der eklektischen Philosophie kennt nur die pejorative Bedeutung des E. als gedanken-
im 1 8 . Jh. [ 2 7 ] Zur gleichen Zeit polemisiert FICHTE ge- und prinzipienlose Nachahmung. [37] Dieser Vorwurf
gen «jene schaale Wisserei und Stümperei, Eklekticis- gegen die eklektische Methode hält sich im 19. und
mus genannt, die ehemals beinahe allgemein waren, und 20. Jh. in den verschiedenen Disziplinen und wird erst in
auch gegenwärtig noch sehr häufig angetroffen wer- jüngster Zeit abgelöst. [38] Vorrangig innerhalb der Dis-
den». [28] kussion über die spätmoderne Architektur wird die positi-
H E G E L unterscheidet strikt zwischen der Weise, wie ve Bedeutung der eklektischen Methode wiederbelebt.
die Athener Akademie unter Plato und Antiochus Ele- Die Tendenz, aus allen verfügbaren Quellen das Nütz-
mente der sokratischen, pythagoräischen und zenoni- lichste und momentan Angemessenste auszuwählen,
schen Philosophie verband, und einer willkürlichen Aus- heißt E. [39]
wahl. «Es braucht nicht erinnert zu werden, daß hier von II. Rhetorik und E. Die eklektische Methode im 17.
einer solchen Vereinigung die Rede ist, welche das In- und frühen 18. Jh. läßt sich an einer Neubestimmung des
nerste der verschiedenen Philosophien als Eins und das- iudicium erläutern. Diese eklektische Tendenz kann für
selbe erkennt, nicht von dem Eklekticismus, der auf einen eng begrenzten Zeitraum auch innerhalb der Rhe-
ihrer Oberfläche umherirrt, und aus Blümchen, allent- torik nachgewiesen werden. Mit C. W E I S E rückt das iudi-
halben her zusammengerafft, sich seinen eiteln Kranz cium als Schlüsselbegriff in das Zentrum der Argumenta-
bindet.» [29] So ist bei Hegel aus Vossius' gelehrter Aus- tion. Die Ausbildung des iudicium wird seit dem Ende
lese der schönsten und nützlichsten Blüten ein bloßes des 17. Jh. zur Hauptaufgabe des literarischen Unter-
Zusammenraffen geworden. Vor allem der Praxisbezug richts. Weise klagt die «Thorheit» derjenigen an, die zu
eklektischen Philosophierens und die Nähe des iudicium früh ihre Studien abbrechen und sich auf ihre erlernten
zum gesunden Menschenverstand sind die Motive der Künste verlassen, «weil zu solchen ein reifes Judicium
Denunziation dieser Methode. W . T . K R U G polemisiert erfordert wird». [40] Die äußere Urteilsfähigkeit (Rela-

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Eklektizismus Eklektizismus

tion von R e d e und Anlaß, Ort, Zeit, Adressat) nimmt in Anmerkungen:


der <politischen> Redekunst eine zentrale Position ein. 1 Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philo-
Ziel war, ein angemessenes Verhältnis v o n Redepraxis sophen, übers, von O. Apelt (31990) 12. - 2J.Lipsius: Manu-
und sozialer Wirklichkeit zu garantieren. D a s aptum ductionis ad stoicam philosophiam libri tres (Lyon 21644) 22. -
3 G . H o r n i u s : Historiae philosophiae libri Septem. Quibus de
( A n g e m e s s e n h e i t ) war der übergeordnete Begriff in der origine, successione, sectis & vita Philosophorum ab orbe con-
politischen Rhetorik, diese Tradition weist auf Cicero dito ad nostram aetatem agitur (Lyon 1645) 222. - 4 J . G . Vos-
und Quintilian zurück. [41] Weise rechtfertigt den G e - sius: De Philosophia et Philosophorum sectis libri II (Den Haag
brauch des iudicium, insofern es ermöglicht, die besten 1658) 113-6. - 5 e b d . 117. - 6 J . C . Sturm: Philosophia eclectica
historischen Beispiele für eine R e d e auszuwählen. Wie (1686) 28. - 7 A. Wesenfeld: Dissertationes Philosophiae qua-
nützlich der eklektische Rückgriff auf die Historie ist, tuor materiae selectioris de Philosophia sectaria et electiva
«solches erkennet derselbe erst, welcher nunmehr einen (1694) 32. - 8C.Thomasius: Cautelae circa conceptum verae
Blick in das gemeine L e b e n thun, und sein Judicium von eruditionis & sapientiae in genere, in: Cautelae circa p r e c o g n i -
ta jurisprudentiae in usum auditorii Thomasiani (1710) I.
unterschiedenen B e g e b e n h e i t e n an den Tag geben
n. 2 4 - 3 2 , 7 - 8 . - 9ders.: Introductio ad philosophiam aulicam
soll». [42] seu lineae primae libri De prudentia cogitandi et ratiocinandi
A l l g e m e i n e Gelehrsamkeit und ausgebildete Urteils- (1702) 43. - lOders.: Einleitung zu der Vernunftlehre (1719) 5.
kraft bedingen die Redekunst. D e r politische Redner - 1 1 ders. : Ausübung der Vernunft-Lehre ( 1719) 179. - 1 2 E. W.
soll nicht nur überreden, sondern die allgemeine de Tschirnhausen: Medicina mentis, sive artis inveniendi pra-
Glückseligkeit fördern; dies ist der Zweck seiner R e d e - ecepta generalia (21695) 21. - 13D. G. Morhof: Polyhistor in
tres tomos, literarium... philosophicum et practicum (1708) II.
kunst. J. A . FABRICIUS unterscheidet in seiner P h i l o - cap. 1 η. 19, 353. - 14Thomasius[8] I. η.71, 14. - 15ders.:
sophischen Oratorie> zwischen einem besonderen Cautelae circa Studium Historiae Philosophiae, in: ebd. VI.
Zweck der Redekunst (Überredung) und einem allge- n. 95., 94. - 16F. Budde: Elementa philosophiae Instrumentalis
meinen (die Beförderung der Glückseligkeit menschli- seu Institutionum philosophiae eclecticae tomus primus (1725)
cher Gesellschaft). Voraussetzung für die Erreichung 154; vgl. ders.: Compendium Historiae Philosophiae observa-
dieser Ziele ist ein «gesäubertes Judicium» und die tionibus illustratum (1731) 534-538. - 17J. Brucker: Historia
Gleichgültigkeit des Willens gegenüber d e m Mate- critica philosophiae (1742) t.2. per.2., p a r s i . , lib. 1., cap. 2.,
rial. [43] Fabricius beruft sich hier auf Thomasius. sect.4.: de secta eclectica, 189ff.; vgl. G.Olearius: De Philo-
sophia eclectica, in: T. Stanlejo: Historia philosophiae vitas,
Während die philosophische Klugheitslehre die inven-
opiniones, resque gestas et dicta philosophorum sectae (Vene-
tio veritatis leistet, übernimmt die philosophische Ora- dig 1731) t.3, 343ff.; vgl. A.Rüdiger: Philosophia synthetica
torie deren applicatio g e m ä ß Anlaß, Ort, Zeit und tribus libris de sapientia, justitia et prudentia, methodo mathe-
Adressat. [44] So bedingen sich die Angemessenheit matice (1707). - 18J. A. Fabricius: Abriß einer allg. Historie
der Wahrheit und ihrer Darstellungsweise für ein ge- der Gelehrsamkeit (1752) t. 2, 3 0 0 - 2 3 und 435; vgl. G. Stolle:
lehrtes Publikum. J . C . G O T T S C H E D definiert die «wahre Anleitung zur Historie der Gelehrtheit, denen zum besten, so
Beredsamkeit» vom N u t z e n der darzustellenden Wahr- den freyen Künsten und der Philos, obliegen (31727) 373. -
heit her. «Es verdienet denselben [den Fleiß eines 19 J . H . Zedier: Großes vollständiges Universal-Lex. Bd. 8
Redners] aber ein jeder Satz, davon er seine Zuhörer (1734) Sp. 160. - 20J.G.Walch: Philos. Lex. ( 4 1775) 835. -
21C. Meiners: Revision der Philos., l . T . (1772) 61. - 2 2 D . Di-
gern überreden möchte; weil es ihnen nützlich und nö-
derot: Art. <éclectisme>, in: Encyclopédie III. (Paris 1756; ND
thig, auch d e m gemeinen Besten zuträglich ist, davon 1976) 39. - 2 3 ebd. 7 8 - 7 9 . - 2 4 C . L . Reinhold: Über das Funda-
überredet zu seyn. Dahin gehören also alte und neue, ment des philos. Wissens (1791; ND 1978) 53. - 25ders.: Über
theoretische und praktische, dogmatische und histori- den gegenwärtigen Zustand der Metaphysik und der transcen-
sche Wahrheiten; mit einem Worte, alles, w o v o n sich dentalen Philos, überhaupt, in: ders.: Auswahl vermischter
ein wahrscheinlicher B e w e i s führen läßt.» [45] Sehr., 2.T. (1797) 62. - 26D. Tiedemann: Geist der spekulati-
ven Philos. Bd. 6 (1797) 670; zur Gesch. der eklektischen Phi-
Im Anschluß an Gottsched setzt die Ästhetisierung in los.: ebd. Bd. 3 (1793) 189ff. - 2 7 J. G. Buhle: Gesch. der Philos.
Rhetorik und Philosophie ein (J.J. BREITINGER, A . G . Bd. 4., in: ders.: Gesch. der Künste und Wiss. 6. Abt. (1803)
BAUMGARTEN, KANT, SCHILLER). D a s iudicium, bisher 661-703; vgl. W. G. Tennemann: Grundrißder Gesch. der Phi-
gemeinsames Fundament von politisch-philosophischer los. (1812) 250. - 28 J. G. Fichte: Nicolais Leben und sonderba-
Redekunst und eklektischer Philosophie, erfährt eine re Meinungen (1801) in: ders. Sämtl. Werke (1846) 3. Abt.,
Bd. 3, 5. - 2 9 G . W.F. Hegel: Verhältnis des Skeptizismus zur
Neubestimmung. Innerhalb der R e d e - und Dichtkunst
Philos. (1802), in: H. Glockner (Hg.): Hegels Sämtl. Werke,
des späten 18. Jh. behält es als Geschmacksurteil seine Bd. 1 (1965) 246; vgl. Hegel: Vöries, über die Gesch. der Philos.
zentrale Position. In der Philosophie verliert es hinge- Bd.3, in: ebd. Bd. 19, 3 2 - 3 4 . - 30W.T.Krug: Fundamental-
gen seit Baumgarten und Kant als ästhetische Urteils- philos. (Züllichau-Freystadt 1803) 318; vgl. ders.: Art. <E.>, in:
kraft den praktischen Gehalt. Eine inventio et applicatio Allg. Handwtb. der philos. Wiss., nebst ihrer Lit. und Gesch.
veritatis ist nicht durchführbar, w e n n das iudicium ledig- Bd.5. (1838) 340-341. - 31 V.Cousin: Fragments philo-
lich subjektiv faßbar ist und die allgemeine Glückselig- sophiques pour servir a l'histoire de la philosophie Bd. 5 (Paris
keit sich nicht durch objektive Kriterien (Historie, Ur- 1833; ND Genf 1970) 7 4 - 7 8 . - 3 2 F . W. J. Schelling: Vorrede zu
teil) erschließt. einer philos. Sehr, des Herrn V.Cousin (1834), in: M.Frank
(Hg.): Schellings Ausg. Sehr. Bd. 4 (1985) 631. - 33P. Leroux:
D i e nachkantische Philosophie des deutschen Idealis- Réfutation de l'éclectisme où se trouve exposée la vraie défini-
mus vernachlässigt die Frage nach d e m praktischen tion de la philosophie (Paris 1839; ND Genf 1979) 60. - 34 A. H.
Nutzen der Wahrheit und nach den spezifisch rhetori- Niemeyer: Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts
schen Elementen in der Philosophie. D i e pejorative B e - (61813) Vorrede VIII. - 35ders.: Ansichten der dt. Pädagogik
stimmung des E. seit d e m späten 18. Jh. setzt demnach und ihrer Gesch. im 18. Jh. (1801) 61. - 36J. J. Winckelmann:
Abh. von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der
mit einem Mißverständnis ein: sie versteht nicht mehr
Kunst (1763) §14. - 37F.Schlegel: Gemäldebeschreibungen
(und das hat viele Gründe) den Praxisbezug eklekti- aus Paris und den Niederlanden in den Jahren 1802 - 4 , in: ders. :
scher Gelehrsamkeit. Weise, Thomasius und Fabricius Sämtl. Werke Bd. 6 (Wien 1823) 3 0 - 5 8 . - 38 vgl. E. Crispolti:
wußten, daß die Wahrheitssuche politische Relevanz Art. <Eclectism>, in: Encyclopedia of World art, vol. 4 (London
hat und bei ihrer Vermittlung rhetorischer Techniken 1961) 538-549. - 39vgl. C. Jencks: Die Struktur der postmo-
bedarf. dernen Architektur (21980) 127-128. - 4 0 C . Weise: Polit. Aca-

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demicus (Amsterdam 1684) cap. 3.t.5, 39-40. - 41 Cie. D e die E. ergäbe sich allein aus der Übereinstimmung mit
or. I I I , 212; Quint. X I , 1, 1 - 4 . - 42C. W. Weise: Polit. Redner sprachlichen Regeln. Denn bereits die Sprachreinheit
(1683) I V . 2 η. 2, 889. - 43 J. Α . Fabricius: Philos. Oratorie läßt sich nicht auf grammatikalische Gegebenheiten re-
(1724) §§ lOf., S. 9. - 44Thomasius: Cautelae circa Studium
duzieren. QUINTILIAN paraphrasierend schreibt hierzu
Rhetorices, in: ders. [8] I X , n.44, 120. - 45 J.C. Gottsched:
Vico: «Aliud est grammatice, aliud latine loqui.» (Eines
Ausführliche Redekunst ( 5 1759) § 12, 84.
ist es gemäß der Grammatik, ein anderes gemäß der
Latinität zu sprechen). [4] Hinzu kommt, daß sich der
Literaturhinweise:
W. Barner: Barockrhet. (1970). - H. Holzey: Philos, als E . , in:
souveräne Umgang mit Sprache gerade an der gelegent-
K . M ü l l e r u.a. ( H g . ) Studia Leibnitiana Bd. 15, H. 1 (1983) lichen Abweichung von der Regel zeigt. Was dem Schü-
19-29. - W.Schmidt-Biggemann: Topica Universalis. Eine ler als Laster (vitium) ausgelegt wird, kann beim Meister
Modeligesch, humanist, und barocker Wiss. (1983) 249-92. - sehr wohl zur Tugend (virtus) avancieren. Bei VICTORI-
ders. : In nullius verba iurare magistri. Ü b e r die Reichweite des NUS heißt es so in bezug auf den Fehler des Barbarismus:
E., in: ders. Theodizee undTatsachen (1988) 203—22. «Si a nobis per imprudentiam fiat, vitium est; si a poetis
G. Härtung vel oratoribus, virtus locutionis.» (Wenn er uns aus
Unachtsamkeit entsteht, handelt es sich um ein Laster;
- * Auctoritas —» Aufklärung —> Barock - » Epigone —» Historis- wenn er von Dichtern oder Rednern [eingesetzt wird],
mus —» Imitatio —» Inventio —» Iudicium —» Philosophische um eine Worttugend.) [5]
Oratorie —> Popularphilosophie Vorbild
Weitere Voraussetzungen für die E. sind ein wacher
Sinn für Wortnuancen sowie - damit einhergehend - die
Elegantia (engl, elegance; frz. élégance; ital. eleganzia) Organisation des Wortschatzes. Für den Stoiker FRONTO,
A . D e f . - Β. I. Griechische und römische Antike. - II. Christli- den Lehrer MARC AURELS, zeigt sich die Fertigkeit eines
che Antike und Mittelalter. - I I I . Humanismus und Renaissan- Redners an dessen genauer Kenntnis des «Maßes» (mo-
c e . - I V . 16.-18. Jh. dus) sowie «Gewichtes» (pondus) der Wörter. [6] Ein
A . Versucht man, im Deutschen eine Äquivalenz zur unscheinbares Detail kann dies bereits zutage fördern;
lateinischen <E.> zu schaffen, und übersetzt man in ana- «Una plerumque littera translata aut exempta aut inmu-
loger Etymologie - E. stammt von lat. <eligere> (wählen, tata vim verbi ac venustatem commutât et elegantiam vel
auslesen) a b [ l ] - etwa «Auserlesenheit», entsteht der scientiam loquentis declarat.» (Die Umstellung, die
Verdacht der Preziosität. Dies jedoch läuft dem antiken Streichung oder die Vertauschung eines Buchstabens
sowie dem neuzeitlichen Verständnis des Begriffes zuwi- verändert oft die Kraft und die Anmut eines Ausdrucks
der. Noch LITTRE definiert selbstverständlich die E. als und offenbart die E. bzw. die Kunstfertigkeit des Spre-
«Distinction dans le langage et le style qui, sans affecta- chenden). [7] Des weiteren wartet ein guter Redner nicht
tion ni recherche, résulte de la justesse et de l'agrément» darauf, daß ihm das richtige Wort einfällt. Wie ein Feld-
(eine Auszeichnung in Sprache und Stil, die sich ohne herr, der es versteht, jeden Wehrfähigen zur Verteidi-
Affektiertheit noch [übertriebene] Gewähltheit aus der gung ausfindig zu machen, ist es unerläßlich, daß auch er
Angemessenheit und der Annehmlichkeit ergibt). [2] schnellen Zugriff auf die Begriffe habe. Wir müssen,
schreibt Fronto, ihre Verstecke kennen, «ut, ubi quaesi-
Die E. orientiert sich an einem Ideal der «Ursprüng-
tis opus sit, ut per viam potius ad vestigandum quam
lichkeit» und «Natürlichkeit» von Sprache, wonach je-
invio progrediamur» (damit wir, wenn es die Lage ver-
dem Ding und jedem Konzept ein eigener, angemesse-
langt, eher auf geebneten Wegen denn auf unwegsamen
ner und daher genauer Begriff zukommt. Die «Natür-
Pfaden voranschreiten, um sie auszukundschaften). [8]
lichkeit» kann sich auf einen vermeintlichen vergange-
nen Vollkommenheitszustand der Sprache beziehen Eine besondere Entfaltung erfährt der Zusammen-
(Goldenes Zeitalter), den es mittels eigens dafür ge- hang von treffsicherer Wortwahl, E. und Anmut der
schaffener Richtlinien, insbesondere durch Etymologie Rede nicht von ungefähr im Rahmen der französischen
und analoge Rückbildungen, wiederzuerlangen gilt Diskussion um den Geschmack im 17. und 18. Jh. VOL-
(stoische Tradition). Die von der griechischen Stoa er- TAIRE, der in dieser Diskussion für einen normativen
stellten Richtlinien blieben, von einigen Modifikationen Begriff des Geschmacks (bon goût) eintritt, definiert:
abgesehen, in der ganzen lateinischen Tradition wirk- «L'élégance d'un discours n'est pas l'éloquence, c'en est
sam. Allerdings ging es - obgleich die ältere Sprache une partie: ce n'est pas la seule harmonie, le seul nom-
weiterhin für reiner und korrekter erachtet wurde - nicht bre, c'est la clarté, le nombre et le choix des paroles.»
mehr darum, einen früheren sprachlichen Zustand wie- (Die E. einer Rede besteht nicht in ihrer Eloquenz, sie ist
derherzustellen. Vielmehr galt es, angesichts einer stets ein Teil davon: Sie besteht nicht einzig im Rhythmus,
im Wandel begriffenen, «natürlichen» Sprache Kriterien sondern sie ist in der Klarheit, im Rhythmus und der
für die Zulässigkeit oder kontextuelle Angemessenheit Wahl der Worte). [9] Die E. läßt sich demnach begreifen
eines Begriffs zu sichern. In einigen Fällen - wenn da- als eine auf idiomatischer Korrektheit und Genauigkeit
durch die Verständlichkeit bei den Zuhörern begünstigt im Ausdruck beruhende Schönheit der Sprache, die
wird - kann die allgemeine sprachliche Praxis offensicht- durch einen ausgeprägten Sinn für die Bedeutungsnuan-
liche Verstöße gegen überkommene Sprachregeln legiti- cen sowie den Klang und den Rhythmus von Worten
m i e r e n ( S . EMPIRICUS [ 3 ] , AUGUSTINUS). ergänzt wird.
Eine wichtige Voraussetzung für die Erfüllung des E. B . I . Griechische und römische Antike. Als Konzept
ist die «Sprachreinheit» (έλληνισμός, hellenismós; latini- wird die E. in der griechisch-sprachigen Antike greifbar
tas). Diese beruht auf der Befolgung der grammatikali- im Zusammenhang mit dem Begriff des hellenismós. Ein
schen Regeln und der Einhaltung des einer Sprache ei- wichtiger Basistext hierfür ist ein Kapitel der aristoteli-
gentümlichen Wortschatzes sowie ihrer gewachsenen schen <Rhetorik>, wonach der Grund (αρχή, arché) aller
morphologischen und syntaktischen Strukturen. Im Hin- Stile (λέξις, léxis) in der Sprachreinheit (τό έλληνίζεικ, tó
blick auf die öffentlich gehaltene Rede ist des weiteren hellënizein) liege. [10] Anders als die von seinem Schüler
auch die korrekte Aussprache ein wichtiges Kriterium THEOPHRAST und der stoischen Tradition erarbeiteten
der Sprachreinheit. Dennoch wäre es falsch, zu meinen, «Tugenden» bzw. «Stilqualitäten» (άρεταί τής λέξεως, are-

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tai tes léxeôs; virtutes dicendi) sind jedoch die von ARI- Dinge. Im großen und ganzen entsprechen die Bedin-
STOTELES gleichsam in einem Mängelkatalog aufgeliste- gungen der E. beim AUCTOR AD HERENNIUM den beiden
ten «Reinheitskriterien» als «negative Qualitäten» zu ersten Stilqualitäten des THEOPHRAST: hellënismôs und
begreifen. [11] Für DIOGENES VON BABYLON gibt es fünf saphéneia. [26] Ähnlich nah liegen diese Termini auch
Qualitäten einer Rede: έ λ λ η ν ι σ μ ό ς , hellënismôs; σα- bei QUINTILIAN, nur daß er das für ihn sehr wichtige
φ ή ν ε ι α , saphéneia (perspicuitas\ Deutlichkeit); συντομία, Kriterium des Sprachgebrauchs (consuetude) - das er als
syntomía (brevitas, Kürze); πρέπον, prépon (aptum, An- consensus eruditorum begreift [27] - nicht unter die
gemessenheit) und κ α τ α σ κ ε υ ή , kataskeué (ornatus, An- Deutlichkeit subsumiert, sondern diesen gemeinsam mit
mut) [12J - neu ist gegenüber Theophrast die «Kürze». «Analogie» sowie «Etymologie» (ratio), «Alter» (vetu-
HERODIAN erweitert dieses Schema, indem er die fünfte stas) und «Autorität» (auctoritas) zur Erhaltung der idio-
Qualität durch κυριολογία, kyriología (praecisio) und εύ- matischen Korrektheit einsetzt. [28] In diesem folgt er -
συνδεσία, eusynthesía ersetzt: Die Anmut wird hier näher in kritischer Rezeption - VARROS Definition der Latini-
bestimmt durch Genauigkeit und harmonischen Klang in tät: Etymologie (natura), Analogie, Sprachgebrauch,
der Wortfolge. [13] Wie wichtig Herodian gerade die Autorität. [29] Als Regel zur Beachtung der «Proprie-
Genauigkeit ist, mag an seiner Aufzählung der Stilfehler tät», d.i. der Genauigkeit im Ausdruck, formuliert
ersichtlich werden. Die zu den Qualitäten vorerst par- Quintilian: «quo nihil inveniri possit significantius» (wo-
allel gefaßten sechs Stilfehler werden in seiner Schrift von nichts Treffenderes gefunden werden kann). [30]
<De soloecismo et barbarismo) auf die folgenden drei Den Begriff der E. selbst versteht Quintilian jedoch als
reduziert: σολοικισμός, soloikismós (soloecismus, Vertau- Feinsinnigkeit oder gar geistreiche Witzigkeit (urbani-
schung der Wortfolge und andere Syntax-Fehler), βαρ- tas). [31] Zu CICERO bestehen hier deutliche Unterschie-
βαρισμός, barbarismós (barbarismus, Fehler der Recht- de. Gewiß waren diesem idiomatische Korrektheit sowie
schreibung und/oder der Aussprache) und άκυρολογία, Genauigkeit wichtig, jedoch nur als elementare Vorbe-
akyrología (Ungenauigkeit des Ausdrucks). [14] Des dingungen. Der Schwerpunkt liegt bei ihm anderswo:
weiteren widmet er dem Problem der Ungenauigkeit Von den drei Aufgaben der Rede belehren (docere),
seine Abhandlung <De impropria dictione>. [15] Für Dio- rühren (movere) und erfreuen (delectare) kommt es Ci-
NYSIOS VON HALICARNASSOS gehört die kyriología neben cero hauptsächlich auf die dritte an. So legt er denn auch
«Sprachreinheit», «Deutlichkeit» und «Kürze» zu den bei den Stilqualitäten des Theophrast das Gewicht auf
ά ρ ε τ α ! ά ν α γ κ α ι α ι (aretai anankaíai), den von den ά ρ ε τ α ι die vierte, die Anmut, was ihm, (der gegen die «archai-
έπί-5ετοι (aretai epíthetoi) zu unterscheidenden notwendi- sierenden Sprachpuristen» seiner Zeit angetreten war),
gen Stilqualitäten. [16] Angesichts der in späteren rheto- bekanntlich den Vorwurf des Asianismus eingebracht
rischen Texten immer deutlicheren Verbindung zwi- hat. [32] CAESAR etwa reagierte darauf mit der Schrift
schen sorgfältiger Wortwahl und E. hat C.N. Smiley in <De analogia», in der ganz im Gegenteil die Latinität in
seiner Untersuchung <Latinitas and Ε λ λ η ν ι σ μ ό ς » (1906) den Vordergrund gestellt wird. [33] Eine enge Verbin-
in der stoischen Qualität der kyriología eine wesentliche dung zwischen Sprachreinheit und E. läßt sich bei PLI-
Erfüllung der E. gesehen und daher die beiden Termini NIUS DEM JÜNGEREN feststellen. [34] Besonders ergiebig
gleichgesetzt. [17] ist Frontos Schüler A. G E L L I U S . Ihm ist von den stoi-
schen Stilqualitäten die Genauigkeit die wichtigste. [35]
Eine Rolle spielt das E. auch in der Stillehre des D E M E - Ein Ding falsch zu benennen, sei ebenso töricht, wie
TRIOS. In seiner Erläuterung der λ έ ξ ι ς γλαφυρός (léxis gla- einen Menschen beim falschen Namen zu rufen. [36]
phyrós), des «glatten Stils», den er zugleich als «anmu- Schenkt man seinen Berichten in den <Noctes Atticae»
tig» und «heiter» bestimmt [18], tauchen einige Merkma- Glauben, so entzündete sich die Frage nach dem richti-
le auf, die bei anderen Autoren dem E. zugeordnet gen Wort bei jeder Zusammenkunft mit Freunden, ja sie
werden. Für Demetrios kann die Anmut an der sprachli- entwickelte sich geradezu zum gelehrten Gesellschafts-
chen Einkleidung ( ί ί λ η , hylë) und/oder im Wesen der spiel. [37] Dem entsprechend ist der einen Gegenstand
besprochenen Sache ( π ρ ά γ μ α , prágma) liegen, wenn etwa bzw. Sachverhalt am Treffendsten beschreibende Aus-
von den Gärten der Nymphen oder dem Gesang der druck als <elegantes> Wort zu begreifen. [38] Man kann
Nachtigall die Rede ist. [19] Der sprachlichen Anmut sich fragen, inwieweit hier - entgegen der in einer «Wie-
zuträglich sind für ihn u. a. die Kürze [20] und die Wort- derherstellung» bestehenden sprachreformerischen Ab-
reihenfolge. Für letzteres sind die rhetorischen Figu- sicht der römischen Stoa - nicht doch ein manieristischer
ren der Anadiplosis und Anaphora von besonderem Zug angelegt ist.
Wert. [21] Eine weitere Quelle der Anmut ist die wohl-
überlegte Wortwahl: Zu bevorzugen sind Worte, die das II. Christliche Antike und Mittelalter. Es kann - zumin-
Ohr durch Wohklang, das Auge durch Evozierung eines dest zeitweilig - von einem gespannten Verhältnis zwi-
angenehmen Bildes oder den inneren Sinn ansprechen, schen rhetorischer Lehre und frühem Christentum aus-
indem sie Assoziationen an (Alt-)ehrwürdiges hervorru- gegangen werden, das dazu führte, daß im Jahre 362
fen. [22] Ferner spielen rein rhythmische Kriterien eine Kaiser JULIAN ein Edikt herausgab, welches den Chri-
Rolle. [23] sten (die ohnehin wenig davon hielten) das Unterrichten
Der erste Text, in dem sich eine klare und geschlosse- von Grammatik und Rhetorik verbat. [39] Ein berühm-
ne Definition der E. findet, ist zugleich auch die erste tes Beispiel für den grundlegenden Konflikt zwischen
erhaltene lateinisch verfaßte Rhetorik, nämlich die an- Christentum und heidnischem Schrifttum stellt HIERONY-
onyme <Rhetorica ad Herennium>. In dieser Darstellung MUS' Traum dar, in dem Christus ihm vorwirft: «Non es
zeichnet die E. neben syntaktischem Aufbau (composi- Christianus, sed Ciceronianus.» [40]
tio) und Ausschmückung in Wort und Sache (dignitas) Eine klare Absage an die E. - und damit an die heidni-
den vollkommenen Redner aus. [24] Sie stützt sich auf sche Rhetorik - findet sich bei AMBROSIUS. Wie einem
latinitas und explanatio. Letztere ergänzt die idiomati- Brief an Kaiser Valentinian entnommen werden kann,
sche Korrektheit durch die Deutlichkeit, welche in «usi- stehen für ihn die E. der Worte (verborum elegantia) und
tatis verbis et propriis» [25] liegt, also durch Beachtung die «Kraft» der - besprochenen - Dinge (vis rerum) in
des Sprachgebrauchs und adäquate Bezeichnung der einem Gegensatz; einzig auf letzteres sei zu achten. [41]

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Einen Schritt weiter geht AUGUSTINUS. In <De doctrina (Aus diesem Grund ist die Sprache der Heiligen Schrift
christiana> entwickelt er die Fundamente eines christli- eher ungeschliffen denn elegant, denn nichts ist einer
chen, sich nicht mehr nach der Anmut der Worte richten- Sache, bei der es um die Erkenntnis des Wahren geht,
den Redeideals. Die Dinge sowie die sie bezeichnenden abträglicher und schädlicher, als dieser ganze gekünstel-
Worte seien als Zeichen (signa) der himmlischen Dinge te Stil.) [54] Jahre später geht MELANCHTON in seinem
zu begreifen. [42] Folgerichtig kommt es in diesem Ge- <Encomium eloquentiae> (1523) auf Picos Brief ein und
dankengang zu einer Verschiebung der beispielsweise vermerkt dazu kritisch : « Videbant inter se maiores nostri
für Cicero so wichtigen rednerischen Aufgabe des Er- haec duo, bene dicendi scientiam et animi iudicium,
freuens (delectatio). Dieses wird nicht mehr auf die Spra- natura cohaerere ; quare et non inepti quidam orationem
che bezogen, sondern auf die himmlischen Dinge: <Solo esse dixerunt explicatam animi rationem.» (Es sahen
Deo fruendum est>. Diesem Ziel hat vornehmlich die untereinander unsere Vorgänger, daß beide, die Kunst
Qualität der «Deutlichkeit» zu dienen [43] - die idiomati- der Wohlredenheit und das Verstandesurteil, natürli-
sche Korrektheit darf gegebenenfalls geopfert wer- cherweise miteinander verbunden seien, weswegen eini-
den. [44] Mit dieser Umwertung der Rhetorik schafft ge ernstzunehmende Gelehrte behaupteten, die Rede sei
Augustinus eine für große Teile des Mittelalters reprä- die sprachliche Entfaltung des Denkens.) [55] Melan-
sentative Haltung, die im Verzicht auf sorgfältige sprach- chton macht sich hiermit zum Sprachrohr einer bereits
liche Einkleidung des Gedankens sogar eine Tugend von PETRARCA vertretenen Überzeugung, wonach Spra-
sehen wird. Konzeptionell am wirksamsten wird die in che und Geist voneinander abhängen. An seinen Freund
<De doctrina christiana> entfaltete eloquentia sacra in der Τ . CALORIA schrieb dieser: «Ille [animus] comit egressu-
Renaissance - insbesondere nach der Drucklegung der rum [sermonem] et qualem esse vult fingit, hic egrediens
augustinischen Werke durch ERASMUS im Jahre 1528/29 - qualis ille sit nuntiat.» (Der Geist begleitet das gespro-
und in der Gegenreformation. [45] Erasmus selbst bringt chene Wort, er formt es nach seinem Willen; das gespro-
an einem Übersetzungsbeispiel aus dem NT den Unter- chene Wort gibt kund, wie der Geist beschaffen ist, der
schied zwischen antiker und christlicher Rhetorik wie es formt). [56] Die Sprache bezeichnet nicht lediglich die
folgt auf den Begriff: «Maluerunt [christiani] significan- Dinge, sondern erfüllt ihre vornehmlichste Aufgabe, in-
tius loqui quam elegantius» (Christen zogen es vor, sich dem sie - vom Geist geformt - diesen durch Sprachhand-
deutlicher anstatt eleganter auszudrücken). [46] Zeitge- lungen ausdrückt. [57] Die vollkommene Beredsamkeit
nossen des Augustinus sowie weitere spätantike bzw. kann daher, wie Petrarca seinem von «ciceronianischen
frühmittelalterliche christliche Verfasser von rhetori- Quellen» beeinflußten Freund auseinandersetzt, nicht in
schen Schriften orientieren sich allerdings stärker an geglückten Wendungen bestehen. [58] Dieses im Brief-
heidnischen Texten und tradieren das Ideal der Sprach- wechsel zwischen Petrarca und Caloria auftauchende
reinheit: S. VICTOR [47], VICTORINUS [48], FORTUNA- Grundmuster «Befolgung eines vorgegebenen Modells»
T E N [ 4 9 ] , C . I . V I C T O R [ 5 0 ] , ISIDOR v . SEVILLA [ 5 1 ] u . a . I m versus «Erschaffung eigener sprachlicher Ausdrucks-
Mittelalter kommt es dank den intensiven Antike-Stu- möglichkeiten» wird sich in der weiteren Debatte um
dien der Chartres-Schule, in der man die Erscheinung Objektivität bzw. Subjektivität des Stils wiederholen.
eines frühen Humanismus gesehen hat [52], wieder zu 2. Im Übergang vom 15. zum 16. Jh. kommt es im
einem regeren Interesse an Sprache und Stil. THIERRY deutschsprachigen Raum zu einer intensiven Beschäfti-
VON CHARTRES etwa kommentiert Ciceros <De inventio- gung mit der Möglichkeit idiomatischer Korrektheit und
ne> sowie die <Rhetorica ad Herennium>. Die E. defi- sprachlicher Treffsicherheit im Lateinischen. Dies ist der
niert er als «barbarismi ac soloecismi sine ulla obscuritate Kontext, in dem die Gattung der «Schülergespräche»
vitatio» (das Vermeiden von Barbarismen und Soloezis- entsteht. Auf der Seite der Befürworter finden wir in
men ohne jegliche Dunkelheit). [53] dieser Gruppe Autoren wie P A U L U S NIAVIS (<Dialogus ad
III. Für den Humanismus und die Renaissance können Latinum idioma perutilissimus>, 1489; <Latina idiomata>,
im wesentlichen drei Gruppen unterschieden werden: zwischen 1487 und 1495), A. H U E N D E R N (<Latinum idio-
1. Autoren, die nach mittelalterlich-scholastischem Vor- m a s ca. 1501) und L. CORVINUS (<Latinum idioma>,
bild sprachliche und stilistische Ungereimtheiten in Kauf 1503). Wie G. Streckenbach in <Stiltheorie und Rhetorik
nehmen, wenn nur der Sachverhalt selbst klar zum Aus- der Römer im Spiegel der humanistischen Schülerge-
druck kommt; 2. eine große Anzahl an Verfassern, die spräche> herausstellt, ist «der beherrschende Gesichts-
ihre Schriften - mit unterschiedlichen Mitteln und Ziel- punkt der [...] sprachlich-stilistischen Bemühungen» in
setzungen - der Möglichkeit eines Wiederauflebens des diesen Werken die Latinität. [59] Diese wird allerdings in
Lateinischen widmen; 3. schließlich Dichter, die durch der Hauptsache als «Grammatikalität» begriffen. An-
Anwendung der antiken E.-Kriterien den Volksspra- ders als bei Quintilian können hier grammatice und latine
chen zum Durchbruch verhelfen. dicere nicht mehr in einen Gegensatz treten [60], sondern
1. Bekanntester Vertreter der ersten Gruppe ist G. die E. - die beim römischen Rhetor noch einen Teil der
Pico DELLA MIRANDOLA. Auf einen Brief E. BARBAROS Latinität bildete - wird zum Gegenpol der puren Beach-
(1485), der die sprachliche Dürftigkeit mittelalterlicher tung grammatikalischer Regeln. Dennoch ist der Ertrag
Autoren anprangert, antwortet Pico, daß es keinen grö- an stilistischen Weisungen in Werken, die im vorliegen-
ßeren Gegensatz gebe als den zwischen Philosophie und den Umfeld den Begriff der E. im Titel führen, gering.
Rhetorik. Die eine sehe ihre Aufgabe im Erkennen und Etwa in: Niavis' <Elegantiae Latinitatis denuo una cum
Aufzeigen der Wahrheit, die andere verfälsche die Din- modo epistulari>, Corvinus' <Hortulus elegantiarum>,
ge durch Amplifizierung, Verminderung sowie weitere J. WIMPHELINGS <Elegantiarum medulla>. [61] Die
Machenschaften. Die Rhetorik könne daher nur jenen «grammatisierende Auffassung» der Latinität bleibt
erfreuen, dem die Blüten mehr als die Früchte gelten: kennzeichnend - wenn auch in geringerem Maße - noch
«Est ob hanc causam legere res sacras rusticepotius quam für die jüngeren Schülergesprächsverfasser J . M U R M E L -
eleganter scriptae, quod nihil sit magis dedecens et no- LIUS (<Pappa puerorum>, 1513), P . M O S E L L A N U S (<Pae-
xium in omni materia, in qua de vero cognoscendo agi- dologia>, 1518) und C. HEGENDORFFINUS (<Dialogi pueri-
tur, quam universum istud dicendi genus elaboratum.» les>, 1520). [62] Ein weiterer charakteristischer Zug ist

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die starke, wenn nicht gar ausschließliche Anlehnung an gerade vor Urteilsverirrungen bewahrt. Es kann nur ei-
Cicero, so daß seine besondere Handhabung des Lateini- nen vollkommenen Stil geben, jenen, welcher den anti-
schen zum allgemeinen Sprachgebrauch erhoben wird. ken Autoren - insbesondere Cicero - vor Augen ge-
Hierbei kommt es zu einer seltsamen Umkehrung, die schwebt habe. Urteilsvermögen (iudicium), Umsicht
dazu führt, daß die vornehmlich an der Latinität interes- (prudentia), Klarheit sowie Genauigkeit der Begriffe
sierten Ciceronianer des Humanismus und der Renais- und Ökonomie des Ausdrucks sind hierfür die unerläßli-
sance gegen Ciceros ursprüngliche Intention handeln. chen Voraussetzungen. [73] Auch Bembo nimmt eine
M.Fumaroli bemerkt dazu, daß die zu Ciceros Zeit als absolute Präfigurierung guten Schreibens an, in der Ge-
«Anti-Ciceronianer» geltenden Autoren in der Renais- stalt einer in Gott angelegten Schönheit. [74] Der Unter-
sance als «Ciceronianer» angesehen werden müßten, schied zu Pico liegt jedoch darin, daß diese im Namen der
während die «Anti-Ciceronianer» der Renaissance für Stilobjektivität angerufen wird. Anders das Vorgehen in
sich in Anspruch nehmen könnten, Ciceros getreueste V A L L A S Werk, das sowohl eine praktische Anleitung zur
Gefolgsleute zu sein. [63] Wiederherstellung des Lateinischen wie eine theoreti-
Auf der Seite der Gegner dieser Form der Bemühung sche Fundierung des adäquaten Sachbezugs von Sprache
um das Wiederaufleben des Lateinischen finden wir bietet. Wie Valla in der Vorrede zu seinen <Elegantiae
E R A S M U S , dessen Kritik im <Dialogus ciceronianus> linguae latinae> (1442) schreibt, ist es ihm darum zu tun
( 1 5 2 8 ) ihrerseits auf großen Widerstand bei SCALI- (nachdem die Künste zu seiner Zeit bereits neu erblüht
GER [ 6 4 ] und E. D O L E T [ 6 5 ] stößt, die im Angriff auf den waren), auch den «Glanz der Latinität» (fulgor latinita-
Ciceronianismus eine Gefährdung des profanen Schrift- tis) wieder zu gewinnen. [75] Sich intensiv mit dem
tums gesehen haben dürften. [66] Sich auf Quintilian Traum des Hieronymus auseinandersetzend [76] legt er
stützend [67] stellt Erasmus richtig, daß das Kriterium dar, daß die Rhetorik (ebenso wenig wie Musik und
der consuetudo nur angesichts einer in der eigenen Ge- Malerei) unmöglich schädlich sein könne. Wer sie ver-
genwart gebräuchlichen Sprache zur Anwendung kom- nachlässige, sei auch der theologischen Rede gänzlich
men kann. Hinzu kommt, wie er an die Adresse des unwürdig. Valla selber will jedoch nicht von der Bered-
französischen Ciceronianers DE LONGUEIL schreibt: samkeit handeln, sondern von der E. als ihrer Vorbedin-
Selbst wenn das Volk noch Latein spräche, bliebe immer gung [77], «sine qua caeca omnis doctrina est et illibera-
noch zu bedenken, daß der öffentliche Raum der Renais- lis» (ohne welche jegliche Lehre blind und dürftig
sance - anders als die römische Vielfalt an Einrichtungen ist). [78] Der Begriff der E. selbst wird nicht weiter defi-
(Senat, Tribunen- und Magistratenwahl, Volksver- niert, doch zeigt die Fülle der in den <Elegantiae> ange-
sammlungen usw.) - der gebildeten Schicht kaum noch führten Beispiele, daß es ihm dabei um die genaue Wort-
Gelegenheiten zur Einflußnahme durch Beredsamkeit bedeutung geht. Etwa um die semantische Abgrenzung
bietet. [68] Mit anderen Worten: Wer die antike Kunst zwischen «senes, veteres, antiqui» [79] oder zwischen
der Überzeugung anwenden will, muß zuallererst einer «crepitus, strepitus, fremitus, stridor». [80] Es gibt Fälle,
veränderten Realität Rechnung tragen. Voll des Lobes in denen «sola elegantiae gratia» ein Bedeutungsunter-
ist hingegen Erasmus am Ende des <Dialogus> über die schied sichtbar wird, das meint, wie Vallas Vorgehen
Innovatoren Valla und Politian. demonstriert, einzig durch die genaue Untersuchung des
Sprachgebrauchs Wortnuancen ausfindig gemacht wer-
Eine scharfe Verurteilung des Ciceronianismus for- den: Weder die Grammatik noch die Jurisprudenz zei-
muliert POLITIAN in einem Brief an den für die römische gen an, daß <libertinus> im Gegensatz zu <libertus> auch
Kurie tätigen P. CORTESE. Besser als der - dem Men- den Sprößling eines Freigelassenen bezeichnet. [81]
schen nur ähnliche - Affe sei das Antlitz des Stiers oder Kennzeichnend für Vallas E.-Ideal ist, daß es als Anwen-
des Löwen. Und: Anstatt die Zeit damit zu verbringen, dung der zuvor in den <Dialecticae disputationes> (1439)
Begriffe und Wendungen aus den Werken anderer zu angelegten Sprachphilosophie betrachtet werden kann.
entwenden, sei es vorzuziehen, den eigenen Stil mittels In seiner Reflexion über die Transzendentalien «ens, res,
verborgener Gelehrsamkeit, Lektüre und Übungen «gä- aliquid, unum, bonum, verum» gibt er darin anders als
ren» zu lassen. Er selber sei eben Politian, und nicht Thomas v. Aquin den Vorrang der res, der «Sache». [82]
Cicero. Er könne daher nur sich selbst ausdrücken. [69] Begründet wird dies dadurch, daß die «Sache» sowohl
Fundierter trägt der Politian-Schüler G. F. Pico DELLA die Bezeichnung (res ut vox) als auch das Bezeichnete
MIRANDOLA seine Verteidigung des persönlichen Stils (res ut non vox) begreift. Wörter sind somit den Dingen
vor in einem Brief an den ebenfalls in päpstlichen Dien- nicht äußerliche Zeichen, sondern Teil unseres Bezugs
sten stehenden B E M B O . In <De imitatione> (1512) legt er zur Wirklichkeit. Wir kennen die Dinge um uns nur als
dar, warum keinesfalls ein - einziger - Autor (Cicero) durch Sprache bestimmt. Daher ist es dasselbe zu fragen,
Gegenstand der Nachahmung sein darf. Es gebe eine was eine Sache sei oder was diese Sache bedeute. [83]
angeborene Idee des Schönen: Dieser, die allen im glei- Vallas Einstehen für die E. als Beachtung der genauen
chen Maße zuteil geworden ist, gelte es nachzueifern - Wortbedeutung ist somit nichts anderes als eine kohä-
nur die Wege, die zu ihr hinführen, sind verschieden rente Folge seiner Lehre von dem durch die Sprache
angelegt. Dem zufolge besteht die Beredsamkeit nicht in gesicherten Sachbezug.
der Erlernung einer Technik. Erinnerung und nicht An-
passung an ein vorgegebenes Modell ist die Quelle (indi-
3. In <De vulgari eloquentia> (zwischen 1302—1305)
viduellen) guten Schreibens. [70] Nicht von ungefähr un-
tritt D A N T E zugunsten der Volkssprachen ein als gegen-
terstellt denn auch Pico Anordnung (dispositio) und
über dem Latein «natürliche» Sprachen. [84] Von Inter-
sprachliche Umsetzung (elocutio) der Findung (inven-
esse ist im vorliegenden Zusammenhang seine nach
tio), welche selber ihre Stütze in Gedächtnis, Imagina-
Klangfarben vorgenommene Einordnung der für eine
tion und Urteilsvermögen hat. [71] Auf Pico antwortend
Canzone geeignetsten Wörter. Es gebe kindische (pueri-
macht Bembo seinerseits geltend, daß er in sich keine
lia), weibische (muliebria) und männliche (virilia) Wör-
Stilform entdeckt habe, die er nicht davor dank dem
ter, darüber hinaus ländliche (sylvestra) und städtische
Studium der Alten sowie der unablässigen Übung selber
(urbana). Von den städtischen - den besten - sind die
erschaffen habe. [72] Die Schriften anderer haben ihn
«gepflegten» (pexa) und «rauhen» (yrsuta) den «schlü-

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pfrigen» (lubrica) und «widerborstigen» (reburra) vorzu- IV. Ein großer Teil der Sprachdebatten im Übergang
ziehen. «Gepflegt» sind dreisilbige Wörter ohne Zisch- vom 16. zum 17. Jh. läßt sich an den Erziehungsprogram-
noch Hauchlaute, «rauh» hingegen sind ein- und mehr- men dreier Schulen darstellen: Jesuiten, Port-Royal und
silbige Wörter, die entweder aus (grammatikalischer) Oratorianer. Vallas Argument der Beredsamkeit als
Notwendigkeit oder zur Erreichung eines höheren Stütze des Glaubens spielt in jesuitischen Erziehungs-
Wohlklangs eingesetzt werden. Auf diese Weise lasse programmen für die Entwicklung einer theologia elegans
sich eine Harmonie der Gesamtkomposition (armonia eine zentrale Rolle. R. P . PERPINIAN hält so an die Adres-
compaginisi erreichen. [85] se des Collegium Romanum in <De studiis elegantioris>
Im französischen Sprachbereich sind es die Renais- (1565) fest: «Si sola specie et pulchritudine veritatis mira-
sance-Dichter, insbesondere die Mitglieder der PLÉIADE, bilem in hominum mentibus [elegantia] excitât amorem
welche für ihre Verteidigung der Volkssprache bekannt sui, quanto vehementius omnium voluntates accenderei,
geworden sind. Weniger beachtet sind Verfasser von si ad formam illam praeclaram tamquam margaritarum
rhetorischen Schriften wie P. FABRI, dessen <Le grand et sic verborum adiungeretur ornatus et orationis lumen?»
vrai art de pleine rhétorique> (1521) vor Du BELLAYS (Wenn sie [die E.] schon allein aufgrund des äußeren
berühmter <Défense et illustration de la langue française> Anblicks und der Schönheit der Wahrheit in den Herzen
(1549) für das Französische eintrat. Fabri übernimmt zur der Menschen das wunderbare Verlangen nach ihr er-
Beschreibung der vollkommenen Rede die Einteilung regt, wieviel stärker würde sie die Begierden Aller entfa-
des Auetor ad Herennium. [86] Zur E. hält er fest, daß chen, wenn die Zierde der Worte und der Glanz der
sie auf Reinheit, Klarheit und Anmut der Worte grün- Rede gleichsam wie der von Perlen sich mit dieser ausge-
de. [87] Auch seien Kürze sowie eine harmonische Wort- zeichneten Erscheinungsform der Wahrheit verbünde-
folge wichtig. [88] Im Gegensatz zur deutlichen (intelligi- ten?) [97] Im Zuge der jesuitischen Förderung des Thea-
ble) Rede dulde die E. keine Laster. Hinzu kommt: ters als pädagogisches Instrument kommt es zu Auffüh-
«Tout langage elegant est approuué par l'antiquité du rungen, in denen Studenten für die Feinheiten des Latei-
temps qui fut diet, pour l'autorité de celuy qui l'a dit, nischen sensibilisiert werden sollen. In J . G R E T S E R S für
pour la raison ou sentence qu'il contient, et pour la bayerische Zöglinge bestimmte <Comoedia altera de hu-
commune acoustumance de parler de gens entendus.» manitatis regno> (1590) erscheint z.B. neben «Solertia»
(Eine jede elegante Rede wird von dem Zeitalter, in dem auch die «E.» als Helferin der «Humanitas». [98] Im
sie gesprochen wird, gutgeheißen aufgrund der Autorität großen und ganzen kommt es im späten 16. sowie im
dessen, der sie gehalten hat, der Aussage, die sie enthält Laufe des 17. Jh. innerhalb des Jesuitenordens - nicht
und des allgemeinen Sprachgebrauchs der Gebilde- anders als bei ihren reformierten Gegnern [99] - zu einer
ten.) [89] Für Du BELLAY sind der Dichter und der Red- Wiederholung der bereits in Antike, Humanismus und
ner wie die Säulen einer jeden Sprache. [90] Sie kennen Renaissance vertretenen Positionen. [100] Gewiß lassen
die Kraft (vertu), die in angemessenen, dem Sprachge- sich im einzelnen Modifikationen und Verlagerungen
brauch nicht entfremdeten Wörtern liegt. [91] Die Be- der Argumentationsweisen feststellen. Die unterschied-
herrschung des Griechischen und des Lateinischen - so- lichen Stoßrichtungen sind jedoch nun auf die jeweiligen
wie anderer Volkssprachen - diene lediglich dazu zu «national» getragenen Fehden zurückzuführen: Wäh-
lernen, in der eigenen Sprache «elegant» (élégamment) rend die Jesuiten im deutschsprachigen Raum mit den
und «wortreich» (copieusement) zu formulieren. [92] Erziehungsprogrammen der Protestanten wetteifern,
Vorbild dieser Form der Nachahmung seien die Römer, muß sich z.B. in Frankreich die jesuitische Rhetorik
welche die besten Griechen imitiert, sie verschlungen gegenüber der sich ebenfalls an der E. orientierenden
und sie in «Blut» und «Nahrung» verwandelt haben. [93] Juristenberedsamkeit des Parlaments sowie der Sprache
Kennzeichnend für Du Beilay ist, daß eigener Ge- des Hofes behaupten. [101]
schmack und Gegenstand der Rede über das zu wählen-
de Vorbild entscheiden und daß der nachgeahmte Text Ein gänzlich neuer Ansatz verbindet sich mit dem -
immer in einer Fremdsprache verfaßt sein muß. Deutli- gegen die Gesellschaft Jesu gerichteten - Erziehungspro-
cher noch sind die Anleihen bei antiken rhetorischen gramm von PORT-ROYAL. In ihrer <Grammaire Générale
Quellen zur Bereicherung des französischen Wortschat- et Raisonnée Contenant les Fondements de l'Art de
zes in RONSARDS <Abrégé de l'art poétíque> (1565). Die Parler> (1660) postulieren A R N A U L T und LANCELOT - der
sprachliche Umsetzung gründet auf der Wortwahl: eine Jurist, der andere Geistlicher - , daß man die in den
«Pource tu te dois travailler estre copieux en vocables, et Wörtern «eingeschlossenen» Bedeutungen nur verste-
tirer les plus propres et signifians que tu pourras.» (Zu hen könne, wenn man zuvor wisse, was in unseren Ge-
diesem Zweck mußt du daran arbeiten, wortreich zu sein danken vorgehe. [102] Die Grundlagen zur Beherr-
und nach Möglichkeit die angemessensten sowie aus- schung einer Sprache liegen damit nicht mehr im allge-
drucksvollsten Wörter auszulesen.) [94] In praktischer meinen Gebrauch, sondern in Vernunftprinzipien, wel-
Hinsicht schlägt Ronsard vor, Einzelwörter analog zu che es ermöglichen sollen, eine jede Sprache aufgrund
bereits bewährten Begriffsbildungsschemata morpholo- von allgemeinen Prinzipien zu rekonstruieren. Wie Fou-
gisch zu erweitern. Dies könne sowohl mit veralteten als cault in der Einleitung zu seinem Neudruck der Gram-
auch mit noch gebräuchlichen Wörtern vorgenommen maire Générale> schreibt, hat dadurch die als «Kunst»
werden. [95] Hier wird stillschweigend Quintilians (art de parier) begriffene Grammatik «jene Regelmäßig-
«Analogie» auf die Kriterien «Alter» und «Sprachge- keit einer Sprache zu definieren, die weder deren Ideal
brauch» angewendet. Verändert hat sich jedoch der Dis- noch deren beste Anwendung noch die Grenze ist, wel-
kurs: Nicht die Erhaltung der Sprachreinheit, sondern che zu überschreiten der gute Geschmack verbietet, son-
die Erweiterung der sprachlichen Ausdrucksmöglichkei- dern die Gestalt und das innere Gesetz darstellt, die eine
ten steht hier zur Debatte. Die gelungenen Sprachschöp- bestimmte Sprache ausmachen». [103] Einen starken
fungen der Pléiade-Dichter werden u. a. in J. DE CHA- Einfluß übt die <Grammaire Générale> auf LAMY, der
BANELS Grammatik <Les sources de l'elegance françoise> Mitglied der - ebenfalls mit den Jesuiten rivalisierenden
(1612) aufgenommen. [96] - Oratorianer-Kongregation ist und 1675 sein Werk <Art
de Parler> (später: <La Rhétorique ou l'Art de Parlen)

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vorerst anonym veröffentlicht. Das zu Anfang der COLOMB Γ bemängeln zurecht, daß die erneute Trennung
<Grammaire G é n é r a l o formulierte Postulat, wonach: zwischen Rede und Gegenstand der Rede nicht nur nun
«Parler est expliquer ses pensées par des signes que les zugunsten der ersten vollzogen, sondern darüber hinaus
hommes ont inventés à dessein» (sprechen besteht darin, die Beredsamkeit auf - manierierte - «königliche Elo-
die eigenen Gedanken durch Zeichen zu erläutern, wel- quenz» (éloquence royale) reduziert wird. [114] Einen
che von den Menschen vorsätzlich erfunden wur- beständigen Einfluß auf dieses Ideal der Eloquenz in
den) [104], wird von ihm erheblich erweitert. Für Lamy Richtung eines «gallikanischen Attizismus» übten die
sind Wörter Zeichen, die geistige Gegenstände darstel- Salons von Mme. de Rambouillet und Mme. des Loges,
len. Sie sind wie die Farben eines Bildes, das unsere in denen die sanior pars, der - was Geschmack und
Gedanken wiedergibt. Die eigentliche Arbeit hat daher Sprachgefühl anbelangt - «besonnenere Teil» des Hofes
am «Original», d.i. an den Gedanken selbst zu gesche- mit Schriftstellern wie Malherbe und Balzac zusammen-
hen, die mit Genauigkeit zusammengestellt werden müs- traf. [115]
sen. [105] Die Einbildungskraft (imagination) hilft hier- Völlig unzeitgemäß erscheint in diesem Zusammen-
bei, sich die Dinge in ihrem «natürlichen Zustand» vor- hang Vico, der es versteht, den (inzwischen geringge-
zustellen, das Urteilsvermögen (jugement) hingegen, ei- schätzten) humanistischen Topos der Kongruenz von res
ne Ordnung für diese Dinge zu entwerfen. Die Bedin- und verba für seine Position fruchtbar zu machen. Diese
gung der Beredsamkeit ist aber der Scharfsinn (justesse Kongruenz ist deswegen gegeben, weil sich für ihn in
d'esprit). [106] Andererseits muß für die Zuordnung der Sprache, Mythen und Symbolen die Institutionen, juri-
sprachlichen Zeichen sowie für deren genaue Bedeutung stischen Grundlagen und religiösen Gebräuche einer
der Sprachgebrauch befragt werden [107] - dessen Herr- Gesellschaft erhalten: Durch die verba sind die Dinge für
schaft die auf Regelmäßigkeit hin angelegte Vernunft uns greifbar, daher ist die Geschichte der Institutionen
(raison) als Tyrannei betrachtet. [108] Zur Erkennung von der Sprachgeschichte untrennbar. [116] Diese in der
des guten Sprachgebrauchs nennt Lamy drei Kriterien: <Scienza nuova seconda> (1730—1744) entwickelte These
«Erfahrung» (expérience), «Vernunft» und «Analogie». spielt auch für seine <Institutiones Oratoriae> (1711,
Das erste und wichtigste Kriterium meint die sprachli- 1738) eine Rolle, in denen deutlich wird, daß für ihn
chen Gewohnheiten der Gebildeten und entspricht somit immer noch das Lateinische als Medium der Beredsam-
der antiken auctoritas. Die «Vernunft» ihrerseits, die keit gilt: Latinität und E. gehen für ihn Hand in
fähig ist, das allen Sprachen gemeinsame Grundgerüst zu Hand. [117] Zur Beschreibung der vollkommenen Rede
erkennen, formuliert Regeln. Die «Analogie» schließ- orientiert sich Vico vorerst traditionell an der Dreitei-
lich kann im Zweifelsfalle durch Vergleiche über die zu lung des Auetor ad Herennium. Entsprechend seiner
wählende grammatikalische Form entscheiden. [109] These von der Kongruenz zwischen res und verba, kann
Der E. widmet Lamy eigens ein Kapitel, in dem er erläu- die E. allerdings nur bestimmt werden, wenn zuvor Ur-
tert, daß es neben Sprachreinheit und Genauigkeit des sprung, Bedeutung und Gebrauch der Wörter eruiert
Ausdrucks auch einer «gewissen Kunstfertigkeit» (un werden. Auf diese Weise werde deutlich, daß es keine
certain art) oder einer «glücklichen Hand» (bon-heur) zwei Begriffe geben könne, die im selben Zeitalter eben-
bedarf, um eine sich in natürlichen Ausdrucksformen dieselbe Bedeutung haben. [118] Wörter können in drei
(expressions naturelles) offenbarende Leichtigkeit (faci- Kategorien unterteilt werden: In solche, die mehr, und
lité) der Sprache zu erzielen. [110] Grundlegende Bedin- andere, die weniger ausdrücken. Schließlich in Wörter,
gung hierfür bleibt aber die in Lamys vorangehender die den durch sie bezeichneten Gegenständen gleich-
Reflexion dargelegte Genauigkeit in der gedanklichen kommen (exaequant). Kennzeichnend für Vico ist, daß
Ausarbeitung. Anders als beispielsweise für Valla stellt er unter den letztgenannten Wörtern, von denen er
die sprachliche Einkleidung des Gedankens hier bloß die meint, daß sie dazu «geboren sind» (nata sunt), die Ge-
nachträgliche Suche nach den im Sprachgebrauch festge- danken unseres Geistes auszudrücken, auch Metaphern
legten Bedeutungen. Auf großes Interesse stößt das subsumiert - nicht Kunstmetaphern, sondern gewachse-
Werk <Art de Parlen in England, wo bereits die Werke ne und volkstümliche Metaphern (metaphoras nativas et
von Port-Royal eifrig rezipiert wurden. Die Sprache als populares).[ 119] Die Gegenstände unserer Erfahrung
Summe aller Zeichen, welche die Vernunft von Mehr- sind zahlreicher, als die Sprache an einzelnen Wörtern
deutigkeit und Ungenauigkeit zu befreien hat, begreifen aufzubieten hat. Das Gebot der Genauigkeit dehnt sich
auch H O B B E S im <Leviathan> (1651) [111] und LOCKE in dieser Sicht zwangsläufig auf den - den Dingen ange-
in seinem <Essay concerning Human Understanding) messenen - Gebrauch der Metapher aus. M. Mooney
(1689). [112] Das auf Betreiben Richelieus hin begonne- kommentiert hierzu treffend: «Die Metapher ist keine
ne Werk der Kodifizierung des höfischen Sprachge- Angelegenheit der Wahl; wir sind durch die Natur zur
brauchs durch die Académie française setzt sich im Laufe Dichtung verurteilt.» [120] Durch Vicos Sohn Gennaro,
des 17. Jh. durch und zieht auch die jesuitische Rhetorik der den neapoletanischen Lehrstuhl für Rhetorik von
weitgehend in ihren Bann. Es entsteht die (Vallas <Ele- seinem Vater erbt, bleiben die als Vorlesungsgrundlage
gantiae> nachempfundene) Gattung der «Remarques» konzipierten <Institutiones Oratoriae> in Italien bis zum
und «Observations» mit ihren wichtigsten Vertretern Ende des 18. Jh. wirksam. - Das E.-Ideal ist inzwischen
D U C L O S und V A U G E L A S . [113] Mit der endgültigen Zer- auch mit eigener Terminologie in den nationalsprachli-
schlagung der Port-Royal-Schule im Jahre 1709 geht eine chen Rhetoriken rezipiert worden. Ein Beispiel für
der wichtigsten Instanzen unter, die langfristig eine Al- Deutschland ist J. G. L I N D N E R . In der <Anweisung zur
ternative zur Sprachpolitik Ludwigs XIV. hätte bieten guten Schreibart überhaupt und zur Beredsamkeit inson-
können. Ihre Lehre ist aber insofern noch präsent, als die derheit> (1755) schreibt er: «Die Wohlredenheit (Ele-
starke Gewichtung der sprachlichen Ausdrucksform als gantia sermonis) ist eine Geschicklichkeit, schön und gut
Umkehrung des Postulats vom ausschließlich zeichen- zu schreiben und zu reden. Diese Wohlredenheit besteht
haften und daher - bezogen auf den Redegegenstand - vornämlich in der guten Schreibart, die jedem Schrift-
sekundären Charakter der Sprache begriffen werden steller ansteht, er sey ein Redner oder Geschichtschrei-
kann. Frühe Kritiker des höfischen Sprachgebrauchs wie ber.» [121]

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Elegantia Elementarunterricht

Anmerkungen: bach [46] 76-86. - 62 vgl. ebd. 25f., 60ff. - 63Fumaroli [32] 52,
lvgl. Cicero: De natura deorum 2, 72. - 2Littré: Dictionnaire Anm.28. - 64J.C. Scaligeri oratio pro M.T. Cicerone contra
de la langue française (Paris 1863-1872). (Hervorhebungen Desiderium Erasmum Roterodamum (Paris 1531); ders.: ad-
durch T. Albertini (T. A.)). - 3vgl. S.Empiricus: Opera, hg. versus Desid. Erasmum dialogum ciceronianum oratio secunda
von I. Bekker (1842) 651, 21ff.; 652, Iff. - 4 G . B . Vico: Institu- (Paris 1537). - 6 5 E . Dolet: Dialogus de imitatione Ciceroniana,
tiones Oratoriae 74, in: Opere, hg. von F. Nicolini (Bari adversus Desiderium Erasmum Roterodamum, pro Christo-
1911-1941) Bd. 8, 170; vgl. Quint. I, 6, 27. - SVictorinus: De phoro Longolio (Lyon 1535; ND Genf 1974). - 66 vgl. Fumaro-
soloecismo et barbarismo (Fragment), hg. von M. Niedermann l i ^ ] llOff. - 67Quint. XII, 10, 40. - 68Erasmus: Dialogus
(Neuenburg 1937) 37,3. - 6vgl. M. Cornelii Frontonis Epistu- ciceronianus sive de optimo genere dicendi (Basel 1528) 130ff. -
lae, ed. M.P.J. van den Hout (1988) 56. - 7ebd. 58. - 8 e b d . 69 A. Politianus Paulo Cortesio, in: Prosatori latini [54] 902. -
135f. (De eloquentia); vgl. ebd. 89. - 9 Voltaire: Art. (Élégan- 70G. Santangelo: Epistole de Imitatione di G.F. Pico della Mi-
c e s in: Diderot, D'Alembert: Encyclopédie, Bd. 12, 69. - randola e di P. Bembo (Florenz 1954) 27f., 30f. - 71 vgl. Fuma-
10 Arist. Rhet. III, 5, 1407 a20. - 11 vgl. E . M . Copes Kommen- roli [32] 83f. - 72 Santangelo [70] 42. - 73 Fumaroli [32] 88. -
tar in: The Rhet. of Aristotle, hg. von J . E . Sandys (Cambridge 74Santangelo [70] 49. - 75L. Valla: Elegantiarum libri [nur die
1877) 55. - 12 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen be- Vorreden], in: Prosatori latini [54] 598. - 76 vgl. die ganze Vor-
rühmter Philosophen, hg. von K.Reich, übers, von O.Apelt rede zum 4. Buch, ebd. 612-622. - 77ebd. 620. - 78 Vorrede
(21967) Zenon, 7, 59. - 13Herodian: De soloecismo et barbaris- zum 3. Buch, ebd. 608. - 79L. Valla: Latinae linguae elegantia-
mo, in: Lex. vindobonense, hg. von A. Nauck (Petersburg 1867; rum libri sex, in: Opera (Basel 1540; ND Turin 1962) IV, 5,123.
ND 1965) 308ff. - 14ebd. - 15ebd. 313-320; vgl. Isid. Etym. II, - 80ebd. IV, 29, 131. - 8 1 ebd. IV, 1, 121f. - 82ders.: Dialecti-
20. - 1 6 vgl. G. Kennedy: The Art of Rhet. in the Roman World cae disputationes I, 2, in: Opera [79] 646-649; vgl. Otto [56]
- 3 0 0 B . C . - A . D . 300 (Princeton 1972) 349. - 17C.Ν. Smiley: 110-126. - 83Valla[82] I, 14, 676f. - 84Dante: De vulgari
Latinitasand 'Ελληνισμός, in: Bulletin of the Univ. ofWisconsin, eloquential, 4. - 8 5 e b d . II, 7. - 8 6 v g l . Auct. ad Her. IV, 12,17.
143, Philol. and Lit., Bd. III, T. 3 (1906) 205-272, 261. - 1 8 F ü r - 87P. Fabri: Le grand et vrai art de pleine rhét. (Rouen 1889)
die besonderen konzeptuellen Schwierigkeiten, die dieser Stil 22. - 88ebd. 23. - 89ebd. 22. - 9 0 J . D u Bellay: Défense et
stellt, vgl. G. Morpurgo-Tagliabue: Demetrio. Dello stile (Rom illustration de la langue française (Paris 1936) II, 1, 67. - 9 1 ebd.
1980) 9 0 - 9 8 . - 19Demetrios: Vom Stil, hg. von L. Raderma- I, 5, 43; I, 8, 49. - 92ebd. I, 5, 42; I, 9, 50. - 93ebd. I, 7, 47. -
cher, übers, von E. Orth (1929) § 132f. - 20ebd. § 137. - 21 ebd. 94P. Ronsard: Abrégé de l'art poétique, in: Oeuvres complètes
§§ 139ff. - 22vgl. ebd. §§142-160; §§173-178. - 23ebd. (Paris 1950) 1000. - 95ebd. 1008. - 9 6 J . d e Chabanel: Les
§§ 179-185. - 24Auct. ad Her. IV, 12, 17. - 25ebd. - 26vgl. sources de l'elegance françoise ou du droit et naïf usage des
F. Striller: De stoicorum studiis rhetoricis, Breslauer Philol. principales parties du parler françois (Toulouse 1612). -
Abhandl. 1, 2 (1886); J. Stroux: De Theophrasti virtutibus di- 97 J.P. Perpinianus SJ: De studiis elegantioris, in: Monumenta
cendi (1912); D.Matthes: Hermagoras von Temnos paedagogica Societatis Jesu, hg. von L. Lukács, 4Bde (Rom
1904-1955, in: Lustrum 3 (1958) 58-214; K.Barwick: Zur 1963, 1981) Bd. II, 662. (zit. und übers, nach Bauer [55] 68). -
Rekonstruktion der Rhet. des Hermagoras von Temnos, in: 98vgl. Bauer [55] 3ff. - 9 9 v g l . ebd. 60ff. -100vgl. Fumaroli [32]
Philologus 109 (1965) 186 - 218. - 27Quint. I, 6, 45. - 2 8 e b d . I, 418ff. - 101 vgl. ebd. 673ff. - 102A.Arnault, C.Lancelot:
6,1. - 29 vgl. Smiley [17], - 30Quint. VIII, 2, 9. - 31 ebd. I, 8,8; Grammaire générale et raisonnée contenant les fondements de
VI, 3, 39; VI, 3, 103-112. - 32vgl. U. v. Wilamowitz-Moellen- l'art de parler (Paris 1830; ND Paris 1969) 23. - 103M. Fou-
dorf: Asianismus und Atticismus, in: Hermes 35 (1900) 1 - 5 2 ; cault, ebd. - 104ebd. 7. - 105B. Lamy: La Rhét., ou L'art de
A. Desmondeiez: Sur la polémique de Cicéron, in: Revue des parler (Amsterdam 41699; ND Brighton 1969) I, 2, 5 - 7 . -
Études Latines 30 (1952) 168-185; B.Kytzler: «Manierismus» 106ebd. I, 3, 8 - 1 1 . - 107ebd. I, 14, 68. - 108ebd. I, 17, 77. -
in der klass. Antike? In: Colloquia (1967) 3ff.; M.Fumaroli: 109 ebd. I, 16, 7 3 - 7 6 . - llOebd. I, 18, 82-84. - 111 T. Hobbes:
L'Age de l'éloquence. Rhét. et «res litteraria» de la Renaissan- Leviathan 1.4; 1.5, in: The English Works, hg. von W. Moles-
ce au seuil de l'époque classique (Genf 1980) 4 7 - 5 5 . - 33siehe worth (London 1839) Bd. III, 19f., 30-36. -112J. Locke: Essay
G. L. Hendrickson : The De analogia of Julius Caesar: its Occa- concerning Human Understanding (Oxford 1894) 3, 10, 34. -
sion, Nature, and Date with Additional Fragments, in: Classical 113 vgl. M. H.J. Minckwitz: Beiträge zur Gesch. der frz. Gram-
Philology (1906) 97-129; Kennedy [16] 239ff. - 34Plinius matik im 17. Jh., 2Bde. (1897). - 114vgl. Fumaroli [32] 647ff. -
d. Jüngere: Epistulae IV, 20, 2; V, 5, 3. - 35vgl. Smiley [17] 115vgl. ebd. 658ff.; 683ff. - 116G.B. Vico: Scienza nuova se-
259. - 3 6 A. Gellius: Noctes Atticae IV, 1,18. - 3 7 s i e h e ebd. II, conda, in: Opere[4] Bd.4, §§385-399. - 117ders.: Institutio-
26; III, 19; IV, 1; XIII, 25. - 38vgl. Smiley [17] 261ff. - 39vgl. n s Oratoriae 74f., ebd. Bd. 8, 170f. - 118 ebd. 82f., 177. -
H.-I. Marrou: Gesch. der Erziehung im klass. Altertum (1957) 119ebd. 83, 178. - 120M. Mooney: Vico in the Trad, of Rhet.
422ff. -40Hieronymus: Epistula a Magno, in: ML, Bd. 22,665. (Princeton, New Jersey 1985) 79. - 121 J. G. Lindner: Anwei-
- 41 Ambrosius: Épistulae 18, 2, in: Opera, hg. von M. Zelser sung zur guten Schreibart überhaupt und zur Beredsamkeit
(Mailand/Rom 1988) Bd. 21, 63. - 42Aug. Doctr. I, 12. - insonderheit (1755; ND 1974) I, § 2.
43ebd. IV, 11, 26. - 44ebd. III, 7; De catechizandi rudibus 9, T. Albertini
13. - 4 5 v g l . Fumaroli [32] 70ff., 136-152. - 4 6 E r a s m u s : Fami-
liarium colloquiorum opus (Basel 1553) 661; vgl. G. Strecken- —» Angemessenheit —> Anmut > Asianismus —> Asteismus —>
bach: Stiltheorie und Rhet. der Römer im Spiegel der humani- Attizismus —» Auctoritas —» Aussprache —> Barbarismus —>
stischen Schülergespräche (1979) 74. - 4 7 S u l p . Vict. 15, 320ff. - Beredsamkeit —> Brevi tas —» Ciceronianismus —> Compositio —»
48vgl. Victorinus[5]. - 4 9 F o r t u n . Rhet. III, 8. - 50C.I. Victor: Copia —» Elocutio —» Eloquentia —> Euphonie —» Geschmack —»
Praecepta artis rhetoricae XX, in: Rhet. Lat. min. 431ff. - Grammatik —> Kunstprosa —» Latinitas —» Ornatus Perspicui-
51 Isid. Etym. 1,32; II, 16; II, 20. - 5 2 vgl. A. Buck: Die humani- tas —> Rhythmus —> Stillehre —» Urbanitas - * Virtutes-/vitia-
stische Trad, in der Romania (Bad Homburg/Zürich 1968). - Lehre —» Wohlredenheit
53 The Latin Rhetorical Commentaries by Thierry of Chartres,
hg. von Κ. M. Fredborg (Toronto 1988) 4. 12. 17, 330. - 54«Io-
annes Picus Mirandulanus Hermolao Barbaro sui s.», in: Prosa-
tori latini, hg. von E. Garin (Mailand/Neapel 1952) 808 (Her- Elementarunterricht ( a u c h A n f a n g s u n t e r r i c h t ; griech.
vorhebungen durch Τ. Α.). - 55Melanchthons Werke, hg. von τα πρώτα στοιχεία, tá p r ö t a Stoicheía; τα γράμματα, tá
R. Stupperich (1961) Bd. III, 47; zit. und übers, nach B. Bauer: g r á m m a t a ; lat. p r i m a l i t t e r a r u m e l e m e n t a ; r u d i m e n t a ;
Jesuitische <ars rhetorica> im Zeitalter der Glaubenskämpfe c o m m u n e s litterae; engl, e l e m e n t a r y i n s t r u c t i o n ; frz. en-
(Frankfurt a.M./Bern/New York 1986) 67. - 56Petrarca: Ad s e i g n e m e n t p r i m a i r e / é l é m e n t a i r e ; ital. i n s e g n a m e n t o /
Thomam Messanensem de studio eloquentiae, in: Opere, hg. istruzione e l e m e n t a r e )
von V. Rossi u. U. Bosco (Florenz 1933; ND 1968) Bd. 1, A. Def. - Β . Ι . Antike. - II. Mittelalter. - III. Humanis-
4 5 - 4 8 . 4 5 (dt. Übers, von S. Otto: Renaissance und frühe Neu- mus, Reformation, Gegenreformation. - IV. Barock. -
zeit (1984) 100. - 57 vgl. Otto [56] 105f. - 58 Petrarca [56] 45f. - V. 18.-20. Jh.
59Streckenbach [46] 40. - 60vgl. Vico [4]. - 61 vgl. Strecken-
A . D e r E . stellt e i n e e r s t e , allgemeine A u s b i l d u n g s s t u -

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fe dar, die Grundkenntnisse und -fertigkeiten vermittelt, Schwerpunkt des E . und dient der Vorbereitung der
auf denen weiterführende Wissensvermittlung aufbauen Lektüre der Klassiker und der Unterweisung in die Rhe-
kann. Die Einteilung in elementare und weiterführende torik auf den folgenden Stufen. D a n e b e n erwirbt der
Bildung, angepaßt an die Entwicklung des Individuums, Schüler Grundkenntnisse im Rechnen und in der Musik;
gilt seit der griechischen Antike. Die Inhalte des E. ferner finden gymnastische Übungen statt. [4] D e r Un-
werden im R a h m e n von Sprach- und Kulturgemein- terricht wird vom zuständigen Elementarlehrer, vom
schaften festgelegt und reflektieren die historisch und Schreib- und Leselehrer, vom Musiklehrer und vom
gesellschaftlich jeweils gültigen Ansprüche an die grund- Gymnastiklehrer einer G r u p p e von Schülern erteilt.
legende Bildung. Dies gilt f ü r die hellenistische Primär- Sein gesellschaftliches A n s e h e n ist gering, er wird
schule ebenso wie für die m o d e r n e Grundschule. Die schlecht bezahlt und hat keine Erziehungsaufgabe; sie
sprachlich-rhetorische Elementarbildung spielt dabei obliegt dem Begleiter des Kindes. In der Epoche des
von der Antike bis ins 18. Jh. eine besondere Rolle. Der Hellenismus erfolgt die Institutionalisierung und fachli-
Terminus <E.> reflektiert das Prinzip des geregelten auf- che Differenzierung des schulischen Bildungswesens.
bauenden Wissenserwerbs gebunden an spezifische Die Beschäftigung mit der Rhetorik geht zu den Schulen
Schul- und Lernformen. über. [5] D e r Unterricht ist, mit A u s n a h m e n auf der
Rhetorikunterricht auf dieser Unterrichts- und Lern- untersten Stufe, nicht mehr privater Initiative überlas-
stufe ist Bestandteil des Sprachunterrichts. Er erfordert sen, sondern in der Regel Gegenstand gesetzlicher Für-
die Fähigkeiten des Lesens, Schreibens sowie Anfangs- sorge in den griechischen Kleinstaaten. [6]
kenntnisse in Grammatik und in Literatur und beginnt in In R o m bildet f ü r die Mehrheit der Bevölkerung die
der Regel auf der Stufe des Grammatikunterrichts. Hier Elementarschule (ludus litterarius), die das Kind a b
werden dem Schüler Grundlagen für die nächsthöhere dem 7. Lebensjahr besucht, den einzigen systemati-
Stufe vermittelt, auf der die erworbenen Kenntnisse ver- schen Unterricht. [7] Sie ersetzt den einstigen häusli-
tieft und erweitert werden. Im Laufe seiner historischen chen Unterricht und umfaßt Lesen und Schreiben in
Entwicklung zeigt sich, entsprechend sich ändernder Be- Latein, ebenso elementaren Rechenunterricht. Die
rufs- und Erziehungsziele, eine unterschiedliche Aus- <Zwölf Tafeln> bilden zunächst den Kristallisationskern
richtung, Gewichtung und Praxis der Rhetorik auf der alles Lernens. Sie dienen der Einübung des Lesens und
Elementarstufe. werden anfänglich auswendig gelernt. [8] Mit der zu-
D e r E . ist die am meisten verbreitete Unterrichtsform. n e h m e n d e n Hellenisierung zeichnen sich Veränderun-
E r ist nicht immer an die Institution Schule gebunden; gen in Unterrichtsinhalten und -methoden ab. Im Erzie-
soziale und gesellschaftliche Gegebenheiten wie Her- hungsgang zum perfectas orator nach Cicero, der Kin-
kunft und Lebenskreis des Schülers, regionale und loka- der der höheren Klassen betrifft, wird das Erlernen von
le Verschiedenheiten und bereitstehende Möglichkeiten zwei Sprachen vorherrschend. Später wird die rhetori-
spielen eine Rolle. Als erster systematischer Unterricht sche Erziehung zur üblichen F o r m d e r Allgemeinbil-
erfüllt er propädeutische Funktion für jede weitere Un- dung. Schon vor dem Besuch der Elementarschule, in
terweisung. Neben der Vermittlung von grundlegenden der das Kind in der Muttersprache systematisch unter-
Kenntnissen für den praktischen Nutzen dient er der wiesen wird, lernt es Griechisch zu sprechen. Mit d e m
formalen Geistesschulung. Er soll die Aufmerksamkeit, Erreichen des Schulalters eignet es sich nach gleicher
das Auffassungs-, Beobachtungs- und Imitationsvermö- M e t h o d e wie in Griechenland das Lesen und Schreiben
gen, das Gedächtnis und den Verstand des Kindes wek- an und wird dann gleichzeitig in Latein und Griechisch
ken, üben und schärfen. Z u d e m werden Bildsamkeit und unterwiesen. [9] Mit dem Lesen wird das Schreiben ver-
Aufnahmebereitschaft dieser Alterstufe für erzieheri- b u n d e n . Lautes Lesen, Auswendiglernen und die Rezi-
sche Einflüsse betont. D e r E . wird allgemein nicht nur tation von einfachen Texten gelten als vorbereitende
als nützlich sondern auch als unbedingt notwendig erach- Übungen für das Erlernen der R e d e und des Stils. [10]
tet. Neben der Unterweisung wird auf dieser Stufe der Auf der nächsten Stufe wird der Schüler zur Lektüre
Erziehung besonderer Wert beigemessen. von Vergil, Horaz, H o m e r und Cicero u . a . hingeführt.
B.I. Antike. Im Hellenismus beginnt die klassische Die grammatische und literarische Bildung sind Voraus-
Grundbildung ab dem 7. Lebensjahr. [1] Sie stellt ge- setzung für das Erlernen der Rhetorik. D a n e b e n wird
wöhnlich eine stufenmäßige, sich über mehrere Jahre Rechenunterricht erteilt. Die niedrige Bewertung des
erstreckende Unterweisung hinsichtlich verschiedener E . kommt auch in R o m in der geringen Honorierung
Unterrichtsgegenstände dar, ist nicht mehr an den Be- der dafür zuständigen Lehrer zum Ausdruck. [11] D e r
dürfnissen der Ausbildung zum zukünftigen Rhetor aus- E . ist meist Gemeinschaftsunterricht. In der römischen
gerichtet, sondern wird zum wichtigsten Instrument der Republik wird die Erziehung der Initiative und Tätig-
Allgemeinbildung. Sie beginnt mit dem Lesen und keit von Privatleuten überlassen. In der Kaiserzeit tritt
Schreiben und schreitet hierbei vom Einfachen zum eine staatliche Regelung ein, die sich jedoch hauptsäch-
Vielfältigen, vom Bestandteil zum Zusammengesetzten lich auf die höhere Bildung bezieht.
vor. [2] Zunächst werden die Buchstaben des Alphabets,
dann die Silben, Silbenverbindungen, ganze Wörter,
Sätze und schließlich einfache Texte gelesen und aus- Anmerkungen:
t Arist. Pol., übers, und eri. von E. Rolfes ( 3 1965) VII, 17, 1336
wendig gelernt. [3] D e r Schreibunterricht ist vom Lesen b. - 2 e b d . VIII, 3, 1337 b. - 3 M . P. Nilsson: D i e hellenist.
nicht getrennt. Schon auf dieser Stufe beginnt der Schü- Schule (1955) 1 1 - 1 6 . - 4 Arist. [1] VIII, 3, 1337b. - 5 e b d . VIII,
ler die Helden H o m e r s anhand von Namenslisten und 1 und 3, 1337 a; vgl. G. Ueding, B. Steinbrink: Grundriß der
Wörterverzeichnissen kennenzulernen. Zusätzlich wer- Rhet. (1986) 27. - 6 N i l s s o n [ 3 ] 9 - 1 1 , 4 0 - 4 2 , 5 6 - 5 9 . -
den Texte ausgewählt, die in die Mythologie einführen 7 M . Lechner: Erziehung und Bildung in der griech.-röm. Anti-
und mit Morallehren vertraut machen. Grammatische ke (1933) 141ff. - 8Cicero, D e legibus, hg. von K. Ziegler,
Grundbegriffe und die Regeln der Stilistik anhand von 3. A u f l . , Überarb. und erg. von W. Görler (1979) II, 23, 59. -
Versübertragungen in Prosa, A n e k d o t e n , Fabeln und 9Quint. I, 1, 1 2 - 1 4 . - lOebd. I, 1, 3 1 - 3 7 . - l l F . K ü h n e r t :
Allgemeinbildung und Fachbildung in der Antike (1961) 40.
Mythen werden gelernt. D e r Sprachunterricht bildet den

1005 1006

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II. Mittelalter. Bei der Vermittlung von Elementar- Sie dienen zur Vermittlung der Zweckformen des beruf-
kenntnissen, die für den geistlichen Stand als auch für lichen und privaten Schriftverkehrs; darüber hinaus tra-
Laien unabdingbar sind, kommt der Rhetorik besondere gen sie zur Schulung des sprachlichen Ausdrucks bei.
Bedeutung zu. Sie ist Teil des Triviums und dient in Der erste Leseunterricht ist zugleich auch Religionsun-
diesem Rahmen als Propädeutikum für das Verständnis terricht. Ziel und Medium ist das Erlernen der deutschen
der biblischen Schriften. Auf der Stufe des E . ist sie in die Sprache. Daneben steht als zweites Fach Rechnen, mit-
Unterrichtsziele Grammatikkenntnis, Bibelverständnis unter auch die Vermittlung des kirchlichen Festkalen-
und religiöse Unterweisung integriert. Lesen, Singen ders. [7]
und Rechnen, sowie das selbständige Fach Schreiben
sind die Voraussetzung für das Erlernen des Lateins, das
Anmerkungen:
im Lehrplangefüge die zentrale Stelle einnimmt. [1] Die l v g l . L M A , B d . II, A r t . <E.>, Sp. 1 7 9 9 - 1 8 0 0 . - 2 P . V o s s e n :
Unterweisung beginnt gewöhnlich im 7. Lebenjahr, auch D e r Libellus Scolasticus des W a l t h e r von S p e y e r ( 1 9 6 2 ) 37. -
jüngere Kinder finden Aufnahme in Klöstern oder wer- 3 e b d . 3 7 — 4 0 . - 4 R . K ö h n : Schulbildung und Trivium im lat.
den im Privatunterricht vor Schuleintritt unterrichtet. H o c h m i t t e l a l t e r und ihr möglicher praktischer N u t z e n , in:
Nach dem Zeugnis WALTHER VON SPEYERS werden die J . F r i e d ( H g . ) : Schulen und Studium im sozialen W a n d e l des
Buchstaben des Alphabets, die Silben und einzelne Wör- h o h e n und späten M A ( 1 9 8 6 ) 219ff. - 5 v g l . W . W ü h r : D a s
ter gelernt, was zum Lesen und Auswendiglernen des abendländ. Bildungswesen im M A ( 1 9 5 0 ) 1 5 0 - 1 5 2 ; G . H a m -
pel: D i e dt. S p r a c h e als G e g e n s t a n d und A u f g a b e des Schulwe-
Psalters führt. [2] In späteren städtischen Lateinschulen
sens v o m Spätmittelalter bis ins 17. J h . ( 1 9 8 0 ) 4 2 - 4 5 . -
wird dieser durch die Lesefibel mit dem A B C , dem Pa-
6 H . K i e p e : E t t w a s v o n B u c h s t a b e n , in : B e i t r ä g e zur G e s c h . der
ternoster, dem Ave Maria, dem Credo und anderen dt. S p r a c h e 103, H . 1 ( 1 9 8 1 ) 1 - 5 . - 7 W ü h r [ 5 ] 152.
liturgischen Stücken ersetzt. Als erste Schreibübungen
werden Alphabet und Silbenreihen geübt, Alphabetver-
III. Humanismus, Reformation, Gegenreformation. In
se und Sprüche schließen sich an. Gleichzeitig erhält der
den Inhalten und der Organisation des E . zeichnen sich
Schüler Gesangsunterricht, ebenso Grundkenntnisse im
einige Neuerungen ab. Die Humanisten wenden sich
Rechnen, mitunter auch in der Festrechnung. Auf dieser
verstärkt dem Sprachunterricht in den Lateinschulen zu,
ersten, beispielsweise zwei Schuljahre dauernden Unter-
der durch das Griechische ergänzt wird, mit dem Ziel,
richtsstufe, erfolgt der Sprachunterricht, der den breite-
ihn zu reformieren. Bildungsziel ist die eloquentia, die
sten Raum einnimmt, noch in der Muttersprache. Er ist
geistig-sittliche Bildung einschließt, verbunden mit reli-
gleichzeitig religiöse Unterweisung und Voraussetzung
giöser Unterweisung. Der Unterricht soll in erster Linie
für das Erlernen der lateinischen Grammatik in den
künftige Geistliche, aber auch andere gelehrte Berufe
nächsten vier Schuljahren. [3] Anhand der <Ars minor>
heranbilden. [1] Der E. beginnt in der Regel im 7. Le-
des DONATUS werden die Redeteile, die Deklinationen
bensjahr. In MELANCHTHONS einflußreicher Schulord-
und Konjugationen, daneben Vokabeln und Redewen-
nung <Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im
dungen erlernt. Der Schüler soll im aktiven Gebrauch
Kurfürstentum Sachsen> (1528) kommen humanistische
des Lateins geübt werden, das dann Unterrichtssprache
und protestantische Prinzipien der Reform der Latein-
wird. Die Anfangslektüre bilden die <Disticha Catonis>
schulen exemplarisch zum Ausdruck. [2] Bei der seit
und die Fabeln des AVIANUS, die schließlich zu den heid-
dem Mittelalter gebräuchlichsten Einteilung der Schüler
nischen und christlichen SchulaTitoren hinführen. Zu-
in drei <Haufen> (drei Abteilungen, die jeweils einem
dem werden die Regeln der Metrik und der Orthogra-
mehrjährigen Kurs entsprechen) hält sie mit der unter-
phie vermittelt; neben elementaren Übungen im Erzäh-
richtlichen Gestaltung des ersten Haufens am mittelal-
len und Vortragen erfolgen Anleitungen für das Abfas-
terlichen Konzept fest. [3] Zunächst soll der Schüler das
sen von Briefen und anderen Schriftstücken. Die Orga-
Lesen lernen, wozu Melanchthons <Handbüchlein> mit
nisation des E . ist nicht streng reglementiert. Neben den
dem Alphabet und den katechetischen Hauptstücken
Elementarschulen, die von kirchlichen Institutionen ge-
herangezogen wird. Durch die Einführung des Donat
tragen werden, kann die Elementarbildung in den Hän-
und des Cato bereits auf dieser Stufe soll schon der E . auf
den eines Privatlehrers, selbst eines Laien liegen und ist
die Basis der klassisch-römischen Autoren gestellt wer-
auch als Schule außerhalb eines Klosters, Kollegiatstifts
den. Die Unterrichtssprache ist zunächst deutsch, doch
oder Domkapitels denkbar. [4] Im 14. und 15. Jh. finden
soll Latein die Muttersprache möglichst rasch ersetzen.
sich neben den kirchlichen und städtischen Schulen
Daneben erfolgen Schreiben und Gesangsunterricht.
vielerorts sogenannte Schreib/Lese- und Rechenschulen
Das Kernstück der Reform bildet der Grammatikunter-
oder deutsche Schulen. Sie werden auf mehr oder weni-
richt des zweiten Haufens. Dieser wird streng an die
ger privater Basis von einzelnen Schreibern geführt, ver-
Abfolge des Stoffes der Grammatiklehrbücher gebun-
mitteln elementaren Lese- und Schreibunterricht und
den. Daran schließt sich die Lektüre von Autoren wie
tragen damit den wirtschaftlich praktischen Bedürfnis-
Aesop, Terenz und Plautus, schließlich auch Erasmus
sen der städtischen Bevölkerung Rechnung. [5] Für das
an. Religion wird eigenes Unterrichtsfach. Inhalte sind
Lesenlernen wird die übliche Buchstabiermethode ange-
das Auswendiglernen des Vaterunsers, des Glaubensbe-
wandt, der Lesevorgang erfolgt in derselben methodi-
kenntnisses, der Zehn Gebote, von Sprüchen, Psalmen
schen Abfolge wie im Lateinischen. Anschließend übt
und Evangelien als Vobereitung für die christliche Pra-
der Schüler Merksätze und Gebete wie das Vaterunser,
xis. Im dritten Haufen vertieft der E . die Grammatik-
das Ave Maria, die Zehn Gebote und das Glaubensbe-
kenntnisse anhand der Lektüre von Vergil, Ovid und
kenntnis anhand der deutschen Lesefibel. Verdeut-
Cicero. Weitere Unterweisung in den Regeln der Me-
schungen der <Disticha Catonis> dienen als zusätzlicher
trik, um eigene Verse zu machen, Übungen, um gewand-
Lesestoff. Weiterhin findet Schreibunterricht und
tes Latein zu sprechen und Briefeschreiben im klassi-
Rechtschreiben statt. Nach dem Vorbild der lateinischen
schen Stil schließen sich an. Daneben erfolgt Musikun-
ars dictandi entstehen nun deutsche Rhetoriken, z . B .
terricht. Der E . ist Gemeinschaftsunterricht und soll
«Hie hebt sich an die Kunst die genant ist Rethorica vnd
ohne körperliche Strafen erteilt werden. [4] E r erhält
lernet wie man prieff schreiben soll vnd ander ding». [6]
eine Aufwertung, da er für das weitere Leben der Schü-

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1er als entscheidend erachtet wird. Die <Württembergi- sollen Kinder vom 6. oder 7. bis zum 10. Lebensjahr auf
sche Kirchenordnung> (1559) liefert detaillierte Anwei- deutsch Grundkenntnisse in Lesen, Schreiben, deutsche
sungen für die Gestaltung des muttersprachlichen E. [5] Sprachlehre, Briefstil, Religionsunterricht, Singen und
Nach dem Vorbild des Lateinunterrichts werden die Rechnen erwerben. Darüber hinaus sollen sie sich der
Schüler in drei Haufen unterteilt. Aufgabe des ersten ist Muttersprache schriftlich und mündlich mit Geschick
es, die Buchstaben zu erlernen. Der zweite hat sich mit bedienen können. «Gut aber wäre es, daß die allgemeine
der Zusammenstellung der Buchstaben und Silben zu Jugend in der Redekunst abgerichtet würde mit Send-
beschäftigen, der dritte in den Fertigkeiten des Lesens briefschreiben, mit Redestellen. Darzu können nun
und Schreibens zu üben. Dazu gehört die Unterweisung Herrn Lutheri deutsche Schriften trefflich dienen, als der
der um diese Zeit eingeführten Grundsätze der Ortho- ein Meister in der deutschen Sprach ist, item andere
graphie, der Interpunktion und der deutschen Gramma- bewährete deutsche Redener, wie man sie haben
tik. Daneben findet Katechismusunterricht statt. [6] Die kann.» [3] Durch die sprachlich-rhetorische Bildung in
bisher auf privater Basis betriebenen deutschen Schulen der Muttersprache sollen zugleich die Grundlagen für
bekommen den Status von städtischen Schulen, die Leh- den Unterricht in anderen Sprachen gelegt werden. Sie
rer werden examiniert und in den Dienst der Gemeinde wird als kürzerer, unbeschwerlicher Weg zu den klassi-
oder des Landes gestellt. [7] Für die Reform und Organi- schen Sprachen betrachtet. Aus dem Nebeneinander
sation des Schulwesens auf katholischer Seite wirkt von deutscher Schule und Lateinschule ergibt sich ein
hauptsächlich der Jesuitenorden als Reaktion auf die Nacheinander. Grundlage des gesamten Schulwesens ist
Veränderungen durch die Reformation. Seine Studien- die deutschsprachige Schule, deren Besuch für alle Kin-
ordnung <Ratio atque institutio studiorum> (1599) zielt der mit dem Ziel einer allgemeinen Volksbildung ver-
auf die Ausbildung von Ordensnachwuchs, aber auch bindlich sein soll. Die Bildung und gesellschaftliche An-
von Nichtordensmitgliedern. [8] Elementares Lesen und erkennung des Lehrerstandes werden zu einem dringen-
Schreiben wird bei Schuleintritt schon vorausgesetzt; sie den Anliegen. Die Bestrebungen der Reformpädagogen
orientiert sich nicht am Alter, sondern an den Fähigkei- gehen in Schulordnungen ein, die von Landesfürsten
ten des Schülers. Die Schulen für die grundlegende Bil- erlassen werden. Besonders bedeutsam für die Organisa-
dung (studia inferiora) bestehen aus fünf Stufen oder tion des Elementarschulwesens ist der <Gothaische
Klassen. In den beiden untersten Grammatikklassen er- Schulmethodus>, den der Rektor des Gymnasiums zu
wirbt der Schüler die notwendigen Kenntnisse in Latein Gotha, A. REYHER, 1642 für Herzog Ernst den Frommen
und Griechisch. Gelesen wird hauptsächlich Cicero. Mit entwirft. [4] Das Bemühen richtet sich hier auf ein ein-
Ausnahme dieser Klassen wird der Gebrauch des Latein- heitliches Schulwesen mit allgemeinem Schulzwang für
sprechens streng eingehalten. In der nächsten Klasse Kinder ab dem 5. Lebensjahr, auf die Muttersprache als
schließt sich die Lektüre römischer Elegiker und Vergils, Unterrichtssprache und die Einführung realistischer Bil-
im Griechischunterricht Aesop und Chrysostomos an. In dungsinhalte, ebenso auf eine natürliche, allgemeine
der sogenannten Humanitätsklasse werden Grund- Methode mit festen Lehrbüchern und Plänen. Reyher
kenntnisse in Rhetorik vermittelt. Die sogenannte Rhe- verfaßt 1657 für diesen Unterricht das erste Realienbuch
torikklasse verfolgt das Ziel der perfecta eloquentia, wo- für die Elementarschule. Im Unterricht werden neben
zu die Kenntnis der Rede- und Dichtkunst, das Versema- dem bisher üblichen Lesen, Schreiben, Gesang, Religion
chen und die Bearbeitung kurzer Dramen gehört. Dane- und Rechnen nun auch die Realien wie Heimat- und
ben erfolgt religiöse Erziehung durch Messe, Predigt, Bürgerkunde, Naturlehre und Hausregeln behandelt.
Katechismusunterricht und Gesang. Kennzeichnend ist
die intellektuelle Einprägung des Stoffes durch Auswen-
diglernen, schriftliche Übungen und Wiederholung. Für Anmerkungen:
die praktisch-pädagogische Ausbildung der Lehrer wird 1 vgl. G. Hampel: Die dt. Sprache als Gegenstand und Aufgabe
Sorge getragen. Im allgemeinen gründen und unterhal- des Schulwesens vom Spätmittelalter bis ins 17. Jh. (1980) 90ff.
- 2 A. Reble: Gesch. der Päd., Dok. Bd. (21992) 109-111. -
ten Fürsten und Städte die Elementarschulen. [9] 3G. Hohendorf (Hg.): Die neue Lehrart. Pädagog. Schriften
Wolfgang Ratkes (1957) 117-118. - 4Spätere verbesserte und
erweiterte Ausg., in: R.Vormbaum (Hg.): Ev. Schulordnun-
Anmerkungen : gen, Bd. II (1863) 295-362.
1E. Lichtenstein: Luther und die Schule, in: Der Ev. Erzieher.
ZS für Päd. und Theol., 7. Jg., H. 1 (1955) 2-13. - 2 A. Reble: V. 18. -20. Jahrhundert. Die Schriften und Unter-
Gesch. der Päd. Dokumentationsband (21992) 88-93. - 3vgl.
G. Hampel: Die dt. Sprache als Gegenstand und Aufgabe des richtspläne der Philanthropen üben nachhaltigen Ein-
Schulwesens vom Spätmittelalter bis in 17. Jh. (1980) 85ff. - fluß auf das Schul- und Erziehungswesen aus. Abwei-
4Lichtenstein [1] 7f. - 5 R . Vormbaum (Hg.): Ev. Schulordnun- chend von früheren Vorstellungen gehen die Aufklä-
gen, Bd. I (1860) 159-165. - 6Hampel [3] 73. - 7 e b d . 68ff. - rungspädagogen vom Erfahrungsbereich und der Umge-
8Reble[2] 93-105. - 9W.Moog: Gesch. der Päd., Bd. 2, neu bung des Kindes aus und erweitern von hier aus langsam
hg. von F.-J. Holtkemper (s1967) 191-203. den Umkreis in immer weitere Bereiche. Diese Grund-
gedanken finden sich in J . B . BASEDOWS <Vorstellung an
IV. Barock. Die Bestrebungen pädagogischer Refor- Menschenfreunde) (1768). [1] Sein <Elementarwerk>
mer wenden sich gegen den humanistischen Schulbetrieb (1774) stellt ein Lehrbuch für die gesitteten Stände dar,
und rücken Muttersprache und Sprachvermittlung in den das er an seinem im gleichen Jahr in Dessau gegründeten
Blickpunkt. [ 1 ] W. RATKES <Memorial> (1612) legt die <Philanthropin> praktisch umsetzt. Demnach sollen Jun-
Rangfolge des Sprachenlernens fest, weist der Mutter- gen und Mädchen bis etwa zum 10. oder 12. Lebensjahr
sprache die primäre Rolle zu und verurteilt die her- auf kindgemäße Weise das Lesen in der Muttersprache
kömmlichen Methoden des Auswendiglernens, Wieder- nach der Buchstabiermethode, das Schreiben, Anfangs-
holens und Rezitierens. [2] Elementare Bildung und wei- kenntnisse in Rechnen, Geographie und Geschichte so-
terführender Unterricht werden auf die Grundlage der wie Gebete erlernen. [2] Betont wird die Pflege der
deutschen Sprache gestellt, die gründlich zu erlernen ist. «Wohlredenheit» in der Muttersprache, «welche zu den
Sie schließt nun auch elementare Sachbelehrung ein. So Geschäften und Vergnügungen des Lebens erfordert

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Elementarunterricht Elementarunterricht

wird». [3] Den Anfang dieses Unterrichts bilden stilisti- Reformplan setzt die organisierte Ausbildung von Ele-
sche Übungen wie der schriftliche Vortrag von Mittei- mentarlehrern voraus. Der E. und das Bildungswesen
lungen, Bitten und Entschuldigungen und erste Übun- des 19. Jh. insgesamt bleiben jedoch weit von Humboldts
gen im Abfassen von Briefen. Nicht minder ist die Ge- Reformabsichten entfernt. Durch die anschließende
wandtheit im mündlichen Ausdruck durch entsprechen- Entwicklung wird die Einheitskonzeption des Bildungs-
de Aufgaben zu schulen. [4] Grammatikalische Übungen wesens rückgängig gemacht. Es erfolgt die Rückkehr zur
erfolgen erst, nachdem der Schüler die nötigen Sach- ständischen Bildung, die Elementarschule wird zur
kenntnisse erworben hat; sie nehmen einen geringen Volksschule, deren Ziel es ist, volkstümliche Bildung,
Stellenwert ein. [5] Die Philanthrophen setzen sich mit praktische und für den unmittelbaren Lebenskreis erfor-
Nachdruck für den Gemeinschaftsunterricht und für die derliche Kenntnisse zu vermitteln und in der christlichen
Lehrerbildung ein; schließlich fordern sie bei der Schul- Religion zu unterweisen. [11] Dies illustriert der enge
organisation volle Verstaatlichung und einheitliche Lehrplan nach 1848. Er ist nach den Möglichkeiten einer
Durchgliederung. Indessen treten J . H . P E S T A L O Z Z I S einklassigen Volksschule auf dem Lande bemessen und
Ideen zur Elementarbildung hervor, die zum Fundament umfaßt Religionsunterricht, konzentriert auf Katechis-
einer allgemeinen Volksbildung werden. Seine Unter- mus, biblische Geschichte und Liturgie, Deutschunter-
richtsmethode, besonders im Bereich des Lesens, richt, reduziert auf Lesen und Schreiben mit dem aus-
Schreibens und Rechnens, steht weit über dem methodi- drücklichen Verbot, einen selbständigen, systemati-
schen Niveau der Schule des 18. Jh. und gibt den Anstoß schen Grammatikunterricht zu betreiben, Rechnen und
zu einer humaneren Schule im Sinne einer für die Musikunterricht. Es genügt, wenn die Schüler «das im
menschliche Natur angemesseneren Organisation des Unterrichte Empfangene sprachrichtig in schriftmäßiger
Lernens. Darüber hinaus trägt sie dazu bei, Lernprozes- Form niederschreiben können, und eine einfache Volks-
se zu erleichtern und zu beschleunigen. Ausgangspunkt schule kann mit dieser Leistung sich füglich begnügen
der Bildung werden die Anlagen, Kräfte und Fähigkei- und das Aufsatzmachen andern Anstalten mit reichern
ten des einzelnen, die harmonisch unter Berücksichti- Mitteln überlassen». [12] Nur in Stadtschulen können
gung des engeren besonderen Lebenskreises zu entfalten zusätzlich Zeichnen, Naturkunde und vaterländische
sind. [6] Besonders im <Stanser Brief> (1799) und im Geschichte unterrichtet werden. Auch die Lehrerbil-
Buch <Wie Gertrud ihre Kinder lehrt> (1801) beschäftigt dung ist auf Thematik und Niveau einer einklassigen
Pestalozzi die Frage nach der Methode, wie Erziehung Volksschule ausgerichtet. Für die Kinder der herrschen-
und Unterricht planmäßig aufgebaut und elementarisiert den Gesellschaftsschichten werden Vorschulen zur Vor-
werden können. [7] Da nach seiner Ansicht alle Erkennt- bereitung auf die höheren Schulen eingerichtet. A b 1872
nis von Zahl, Form und Namen der Dinge ausgeht, muß tritt neben die einklassige die mehrklassige Volksschule.
sich der Unterricht an diesen Elementen orientieren und Die pädagogische Reformbewegung um die Jahrhun-
ist in <Sprachunterricht> (Ton-, Wort- und Sprachlehre), dertwende richtet sich mit ihrer Forderung nach Selbst-
<Formunterricht> (Maß-, Zeichnungs- und Schreibkunst) tätigkeit des Schülers gegen die herkömmliche Lern-
und <Zahlunterricht> (Rechenkunst) einzuteilen. Der er- schule. Eine systematische Wissensvermittlung wird un-
ste muttersprachliche Unterricht beruht ganz auf der ter Berufung auf subjektive Schülerbedürfnisse abge-
Anschauung und umfaßt die Benennung von Gegenstän- lehnt. Der Sprachunterricht ist kein eigenes Fach mehr;
den. Der Schulunterricht soll anschließend dazu verhel- für die Volksbildung bedeutet dies die Festschreibung
fen, sich geordnet, bestimmt und sprachrichtig ausdrük- der «niederen» Sprachbildung. [13] Das Weimarer
ken zu können. Übungen der Sprachformen schließen Grundschulgesetz von 1920 erklärt die Volksschule in
sich an; die Grammatik soll der Schüler selbst ableiten den vier untersten Jahrgängen als die für alle Kinder
können. [8] Pestalozzis wegweisende Impulse finden gemeinsame und obligatorische Grundschule und löst
Eingang in die preußische Bildungsreform. Den Neuhu- die Vorschulen auf. Auf den Grundlagen der «volkstüm-
manisten zufolge soll die Schule durch formale Bildung, lichen Bildung» und des «Gesamtunterrichts» wird in
durch die Entfaltung und Übung der Kräfte, durch allsei- den Volksschulen im Zeitalter des Faschismus der bishe-
tige und harmonische Ausbildung aller Anlagen zur rige Lernstoff noch entschiedener auf «deutschkundli-
Selbstbildung befähigen. Nach W. VON H U M B O L D T S Re- ches» Arbeiten eingestellt. [14] Nach 1945 erfährt die
formplan gibt es nur einen Unterricht, der sich differen- sprachliche Bildung inhaltliche Änderungen. Sprachli-
zierend entfaltet, aber keine qualitative Unterscheidung che und literarische Formen sind im Lehrplan der
in verschiedene ständisch bedingte Formen zuläßt. Folg- Grundschule (Primarstufe), die seit 1964 in ihrer Organi-
lich gibt es nur eine Schule, die in verschiedene, aneinan- sation selbständig ist, nach propädeutischen, aufbauen-
der anschließende Stufen von der Elementarschule bis den Gesichtspunkten didaktisiert. Vermittelt werden ne-
zur Universität gegliedert ist, wie sein <Königsberger ben den grundlegenden Kulturtechniken des Lesens und
Schulplan> und <Litauischer Schulplan> (beide 1809) ver- Schreibens auch Fertigkeiten der mündlichen und
deutlichen. [9] Das Fundament und die erste Stufe der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit (Erzählung, Beschrei-
Bildung ist der E. «Er ist noch nicht sowohl Unterricht, bung, Bericht) sowie erste Erfahrungen mit Grammatik
als er zum Unterricht vorbereitet, und ihn erst möglich und literarischer Rezeption. Schulische Feiern auf der
macht.» [10] Somit dient der Unterricht in Lesen und Primarstufe geben schließlich die Möglichkeit zur Ein-
Schreiben, in den Grundregeln der Muttersprache, ele- übung und Erprobung oratorischer, deklamatorischer
mentarem Rechnen, Religion, Zeichnen, Musik und oder musikalisch-theatralischer Präsentationen.
Leibesübungen, den der Schüler vom 7. bis zum 9. Le-
bensjahr besucht, dazu, Fähigkeiten und Fertigkeiten für
weitere Bildung zu entwickeln, die ihn befähigen, sich Anmerkungen:
selbst zu bestimmen. Der E. kann noch um geogra- 1 A . R e b l e : Gesch. der Päd., D o k . Bd. ( 2 1992) 1 9 3 - 1 9 5 . -
phischen, geschichtlichen und naturhistorischen Unter- 2T. Fritzsch (Hg.): J . B . B a s e d o w s Elementarwerk, Bd. I
richt erweitert werden. Der sprachlich-rhetorischen Bil- (1909) 1 4 - 2 2 , 5 0 - 5 6 . - 3 e b d . Bd. II, 504. - 4 e b d . 522f. - 5 e b d .
dung wird besondere Bedeutung beigemessen. Dieser 4 8 1 - 4 8 2 . - 6 R e b l e [1] 3 5 1 - 3 5 4 . - 7 e b d . 3 5 4 - 3 7 7 ; vgl. F. Dele-
kat: Johann Heinrich Pestalozzi ( 3 1968) 2 6 8 - 3 5 2 . - 8 J . E c k -
hardt, H. Helmers (Hg.): Theorien des Deutschunterrichts

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Elenchos Elenchos

(1980) 4 8 - 5 3 ; vgl. W. Klafki: D a s päd. Problem des E l e m e n t a - unhaltbar ist: Im Widerspruch mit sich selbst fällt diese
ren und die Theorie der kategorialen Bildung ( 3 / 4 1964) 13 - 8 6 . - gewissermaßen in sich zusammen und macht so ihre
9 R e b l e [ 1 ] 2 9 9 - 3 0 5 ; vgl. C . M e n z e : D a s B i l d u n g s w e s e n Wil- Schwäche offenbar. Wo es um eine Prüfung von Perso-
h e l m v o n H u m b o l d t s (1975) 121ff., 190ff. - 10 R e b l e [1] 300. -
nen oder fraglichen Dingen geht, findet der E . auch in
11 vgl. M e n z e [9] 3 7 4 - 3 8 3 . - 1 2 E c k h a r d t , H e l m e r s [8]
1 3 9 - 1 4 0 ; vgl. H . Blankertz: D i e G e s c h . der Päd. Von der A u f -
der griechischen Historia seinen Ort. So kann bei H E R O -
klärung bis zur G e g e n w a r t (1982) 155—166. - 1 3 vgl. Eckhardt, DOT [7] der totgeglaubte Arion die Attentäter durch sein
H e l m e r s [8] 2 3 7 - 2 4 6 , 3 8 8 - 3 9 0 . - 1 4 vgl. e b d . 2 4 7 - 2 6 8 ; T. Wil- unverhofftes Auftreten überführen. Solche Gewißheit
h e l m : Päd. der G e g e n w a r t ( 5 1977) 7 0 - 8 5 . folgt aus der Notwendigkeit des So-Seins, die aus der
Prüfung resultiert: ή ανάγκη ε λ έ γ χ ε ι . [8] T H U K Y D I D E S , wie
Literaturhinweise : auch schon Herodot, grenzt vom E. das Mythische aus,
P . B a r t h : D i e E l e m e n t e der Erziehungs- und Unterrichtslehre bei dem es keine Möglichkeit einer Überprüfung gibt: Es
( 9 / 1 0 1923). - F. Paulsen: G e s c h . des gelehrten Unterrichts, sind οντα ανεξέλεγκτα (nicht überprüfbare Dinge). [9]
3. A u f l . hg. von R . L e h m a n n , 2 B d . ( 1 9 1 9 - 1 9 2 1 , N D 1965). -
W.Flitner: Theorie des päd. W e g e s ( 7 1965). - H . J . M a r r o u :
Die Kraft des beweisenden Logos strahlt von der Phi-
G e s c h . der Erziehung im klassischen A l t e r t u m ( 7 1976). - losophie auch auf die frühe Rhetorik aus. Indem der
F. Blättner: G e s c h . der Päd. ( 1 5 1980). - A . R e b l e : G e s c h . der Logos selbst in die πράγματα (prágmata, Dinge) ein-
Päd. ( 1 5 1989). - J . D o l c h : Lehrplan des A b e n d l a n d e s ( 3 1971, dringt, verlieren bei A N T I P H O N die un technischen Bewei-
N D 1982). - E. Lichtenstein: D e r Ursprung der Päd. im griech. se archaischer Zeit an Bedeutung. [10] Im στοχασμός (sto-
D e n k e n (1970). - H . J . F r a n k : G e s c h . des Deutschunterrichts chasmós, status coniecturalis), der von Antiphon bevor-
(1973). - S. F. B o n n e r : Education in A n c i e n t R o m e ( L o n d o n zugt zum status seiner Reden gewählt wird [11], führt
1977). - R . A . Kaster: Guardians of Language ( B e r k e l e y 1988). eine im Logos vorgenommene Rekonstruktion der geg-
H. Gwosdek nerischen Vorwürfe zu einem Widerspruch des fakti-
schen Befundes. Der έλεγχος της αληθείας [12] (élenchos
—> Allgemeinbildung —> Deutschunterricht —> Didaktik —> tés aletheías), das Verfahren zur Überprüfung, läßt die
Enkyklios paideia —> Erziehung, rhet. —» Fibel Grammatik-
Wahrheit nach dem Maßstabe einer Wahrscheinlichkeit,
unterricht —» Lehrbücher —» Literaturunterricht —» Pädagogik
—* P r o g y m n a s m a / G y m n a s m a —> Propädeutik —> Schreibunter-
die der Logos zu erbringen hat, erstreiten. G O R G I A S ver-
richt kündet im <Enkomion auf Helena> [13] programmatisch,
daß «das Erforderliche (τό βέον, tó déon) richtig zu sagen
und die Tadler der Helena zu widerlegen, unmittelbar
Elenchos (dt. Beweismittel, Beweis, Prüfung, Widerle- zusammengehöre». [14] Denn da sich das Erforderliche
gung) jeweils situativ bestimmt, muß der Vorwurf, den man
A . Dem griech. έλεγχος, élenchos fehlen Äquivalente, Helena macht, in einen Rahmen gestellt werden, der
da er eine weite Spanne von Bedeutungen umfaßt: neben jenen als ungerecht erweisen kann. Wie die gorgianische
l ) d e m <Beweis> (probatio) und dem <Beweismittel> (ar- <Apologie des Palamedes> [15] zeigt, ist die Situation vor
gumentum) auch 2) den Vorgang des <Prüfens> (probare) Gericht in gleicher Weise auf das déon bezogen. Vor
bzw. die <Überprüfung>; führt diese zu einem negativen Gericht ergeben sich neue Tatsachen; denn die Entschei-
Ergebnis, entlarvt der E. ein vermeintliches oder vorge- dung der Richter über Leben und Tod kann, da die
täuschtes Sein. Daraus erklärt sich 3) die Bedeutung Wahrheit des zu verhandelnden Tatbestandes dritten
<Widerlegung> (refutado). verschlossen bleibt, nurmehr nach der Wahrscheinlich-
keit getroffen werden. Wenn Palamedes in seiner Rede
Bereich. Der E. entwickelt sich in der frühgriechischen alle Wahrscheinlichkeit für seine Unschuld ins Feld füh-
Philosophie zu einer Methode der Prüfung fraglicher ren kann, dann müssen die Richter nach diesem έργον
Dinge und dringt von hier in die Historiographie und die (érgon, Werk) urteilen. [16] Diese Wahrscheinlichkeit
Rhetorik vor. Piaton führt ihn in die Philosophie zurück, suchen Gorgias und Antiphon durch den apagogischen
Aristoteles systematisiert ihn. Beweis zu schaffen, darin eleatischem Denken verhaf-
B. In den HOMERISCHEN E P E N ist der E. durchweg ne- tet. [17]
gativ. Der Heros muß im Agon seine Qualitäten unter
Beweis stellen. Eine Niederlage macht aus der Prüfung Die Philosophie PLATONS ist von der Form des Dialo-
eine Schande, wenn nämlich «der Anspruch durch die ges nicht zu trennen [18]; diese Form ist durch den E.
Realität entlarvt ist». [1] Daher wird E. zumal in der bestimmt. Die im Logos engagierten Personen treten, im
Paränese verwandt; so mahnt Odysseus: «Denn eine Durchgang des E., aus einem ungeprüften Sein in ein
Schande (élenchos) wird es sein, wenn die Schiffe nimmt geprüftes. [19] Trotz der Charakterisierung der Ge-
der helmfunkelnde Hektor!»[2] Hektors Sieg wäre der sprächspartner gewinnt der E. daher eine überpersonale
Beweis für die Schwäche der Griechen. Nach dem frühe- Dimension [20], die zum Richtpunkt der Diskussion
sten Beleg also meint E. eine Prüfung in der Krisis. Bei wird. Wie die Gesprächspartner diesen Übergang voll-
PARMENIDES [3] steht die Wahrheitsfähigkeit der sinnli- ziehen, markiert andererseits die persönliche Einstel-
chen Welt, die nicht die kontinuierliche Identität des lung zur Aufgabe des Dialoges. Reagieren die Partner
Seienden hat, zur Entscheidung. Da es keinen Weg vom auf den E. ihrer Thesen ungehalten [21], so haben sie
Nicht-Sein zum Sein geben kann, folgt, daß Parmenides kein Interesse an der neuen Richtung des Logos, die der
die veränderliche Ding-Welt in den Bereich des Nicht- E. anzeigt. Diese Orientierung unterscheidet den E. von
Seins verweist. Dies ist das Ergebnis des vorangegange- der Eristik. [22] Im Platonischen Wissensmodell, zumal
nen Logos, kraft dessen der E. nur die eine Seite der in den Frühdialogen, ist die Wahrheit nicht in die Ver-
Disjunktion stehen läßt [4]: daß nur Sein ist. Diese Krisis fügbarkeit des Menschen gestellt. Allenfalls kann er an
e r f ü l l t s i c h i m E . : κρίναι 3ε λ ό γ ω πολύίηριν έλεγχαν ( e n t s c h e i - der Wahrheit teilhaben, indem er im Denken und Han-
de mit dem Logos die hart bestreitende Überfüh- deln auf diese gerichtet ist [23]; der E. hat daher weniger
rung). [5] Z E N O N S indirekter Beweis steht in der Tradi- eine positive als eine negative Funktion, da er zunächst
tion des agonalen E., wenn er den gegnerischen Stand- mit einem Schock [24] in eine Aporie führen muß. Diese
punkt zum Ausgang wählt. [6] Daraus leitet er paradoxe findet ihre prägnanteste Formulierung im Sokratischen
Folgen ab, die zeigen sollen, daß die These des Gegners Wissen um das Nichtwissen. Jede These, die SOKRATES

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Elenchos Elenchos

widerlegt, zeigt dieses unbedingte Streben nach Wahr- status coniecturalis verteidigt. Im Falle, daß der Kläger
heit, das bei der Befreiung von Irrtümern und vermein- Zeugen aufbieten kann, bezweifelt der Angeklagte de-
tem Wissen ansetzt. In dem Maße, wie es gelingt, die ren Glaubwürdigkeit; fehlen diese, nützt er diese Tatsa-
antagonistische Struktur von These und Überprüfung zu che, indem er die Schwere der Anklage in Relation zur
überwinden, entwickelt sich die Form des Dialoges zu Beweislage setzt oder nach den Peristasen (περιστάσεις,
einem synergistischen Modell. [25] In den späteren Dia- circumstantiae) fragt. Er geht also seinerseits mit dem
logen verliert der E. an bissiger Schärfe sokratischer Kläger über die Umstände des zur Last gelegten Sach-
Ironie, wenn sich der Charakter der Gesprächspartner verhalts ins Verhör. [39]
als philosophisch genug erweist. [26] Entgegen der frü- Der E. dient im N E U E N TESTAMENT in Hb. 11,1 in
her vertretenen Meinung, Sokrates widerlege die Thesen Verbindung mit dem Begriff der <hypóstasis> zur Be-
des Gesprächspartners durch den Aufweis, daß sie in schreibung des Glaubens (πίατις, pístis). Der Glaube ist
sich widersprüchlich seien, hat neuerdings G.Vlastos «Voraussetzung, Beginn und Vollendung» [40] dessen,
den <Standard-E.> als Aufweis nicht-konsistenter Prä- was die christliche Botschaft verheißt. Der Glaube gibt
missen definiert. [27] Demnach wird der Partner zu einer als E. d e r nicht-sichtbaren D i n g e (πραγμάτων ελεγχος où
Prämisse q gebracht, die der These ρ widerspricht, wes- βλεπομένοίν) einen Beweis für die Begründung der Wirk-
halb ρ falsch sein muß. Die Meinungen gehen darüber lichkeit des Gehofften in der hypostasis, womit bereits
auseinander, wie Sokrates gegen ρ argumentieren kann. die Hoffnung erfüllt ist. Diese Paradoxie liegt im manife-
G. Vlastos nimmt an, Sokrates verfüge über eine konsi- sten Aufweis von Nicht-Manifestem, zusammengenom-
stente, immer wahre Lehre, andere meinen [28], Sokra- men in den Bedeutungen von <Beweisgang> und <Bewie-
tes thematisiere lediglich für den Beweis von non-p nicht senem>, die <E.> bietet. Die moralische Relevanz des
eigens die Wahrheit von q. platonischen E. erfährt schließlich bei PHILON VON A L E X -
ARISTOTELES formalisiert die Widerlegung in der <To- ANDRIA eine Umprägung dergestalt, daß der E. zum Ge-

pik>, indem er den E. als negativen Syllogismus defi- wissen wird, das sich als König, Richter oder auch als
niert. [29] Damit ist eine auf Sachfragen bezogene Ge- Zeuge und Ankläger «uns im innern entlarvt». [41] Die
sprächstechnik verbunden, die von den Personen ab- weitere Wirkungsgeschichte des E. wird von der refutado
sieht, die auf Fragende und Antwortende reduziert sind. bestimmt.
Die auf die Zerstörung der Fragerposition zielende Ar-
gumentation nennt Aristoteles λύσις (lysis, refutado); sie Anmerkungen:
deckt Fehler in der Beweisführung des anderen auf. [30] I vgl. Lex. des frühgriech. Epos unter <E.> mit Lit. - 2Homer
Der Verteidiger legt hierbei dem Angreifer ένστάσεις (en- Ilias 11, 314/15 (übers, von W. Schadewaldt, 1975); vgl. Odys-
stáseis) in den Weg, «Fälle, in denen es sich nicht so see 21, 329. - 3 V S 28 B7. - 4vgl. U. Hölscher: Vom Wesen des
Seienden (1986) 88. - 5 V S 28 B7,5 eigene Übers.; vgl. Höl-
verhält». [31] Dabei muß der Aufweis eines Fehlers nicht scher [4] 19. - 6 V S 29 B3. - 7Herodot, Historien I, 24. -
zur vollständigen Auflösung der Argumentation führen ; 8Herodot, Historien II, 22. - 9Thukydides, Historien I, 2 1 ;
es genügt, wenn der Angreifer seinen Syllogismus nicht Herodot II, 23. - 1 0 F . Solmsen: Antiphonstudien (1931) 42ff. -
fortführen kann und seine Behauptungen modifizieren II Antiphon, Oratio 1; 2; 5; 6. - 12 Antiphon frg. 35; Oratio 5,
muß. [32] Besondere Bewandtnis hat dieses Verfahren 35. - 1 3 V S 82 B l l . - 1 4 V S 82 B l l , 2 . - 1 5 V S 82 B l l a , 3 0 . -
bei der Widerlegung sophistischer Trugschlüsse. [33] Die 1 6 V S 82 B l l a , 3 4 . - 1 7 E . B u x : Gorgias und Palamedes, in:
von Zenon eingeführte reductio ad absurdum wird von Hermes 76 (1941) 398; H.-J. Newiger: Unters, zu Gorgias'
Aristoteles in diesem Zusammenhang nicht besonders Schrift «Über das Nichtseiende> (1973) 181. - 18vgl. Plat.
behandelt; das mag mit dem Problem [34] zusammen- Phaidr. 275 D ff. - 1 9 v g l . Piaton, Apologie 3 9 C : Stáóvsu ελεγχον
hängen, daß der Gegner etwas zugeben muß, damit der του βίου (Rechenschaft über das eigene Leben ablegen). - 20 Pia-
ton, Protagoras 333C. - 2 1 Platon, Apologie 21 CDE, 23 A ; vgl.
Beweis zur absurden conclusio geführt werden kann. Politeia 337; allgemein Menon 80 A B . - 22vgl. Piaton, Euthy-
Indessen läßt Aristoteles den E. bei der Verteidigung des demos 272 A B . - 23 vgl. W. Wieland: Piaton und die Formen
Satzes vom Widerspruch (SvW) zum Zuge kommen. des Wissens (1982) 136, 146. - 2 4 R . Robinson: Plato's Earlier
Wer sich gegen diesen Satz äußert, kann darin, daß er Dialectic (Oxford 2 1953) 18; Platon, Menon 80 A ff. - 25vgl.
etwas in seiner Rede bezeichnet (σημαίνει, sëmainein), Wieland [23] 79f. - 2 6 P l a t o n , E p . V I I , 3 4 4 B . - 2 7 G . Vlastos:
widerlegt werden, da er vom SVW bereits Gebrauch The Socratic Elenchus, in: Oxford Stud, in Ancient Philos. ( =
macht. Weil dieses oberste Prinzip nicht positiv bewiesen O S A P ) v o l . 1 (1983) 2 7 - 5 8 . - 2 8 R . K r a u t : Comments on
werden kann, bleibt der E. die einzige Form der Vertei- G. Vlastos [ . . . ] [27] 5 9 - 7 0 ; T. H. Brickhaus, N. D. Smith: Vla-
stos on the Elenchus, in: O S A P vol. 2 (1984) 1 8 5 - 1 9 6 . - 2 9 Ari-
digung, und so - indirekt - des Beweises. [35]
stoteles, Topik 165 a 2, 1 6 8 a 3 5 - 3 7 ; Arist. Rhet. 1396 b 26; vgl.
In der sog. <Alexander-Rhetorik> des A N A X I M E N E S Κ. Schickert: Die Form der Widerlegung beim frühen Aristote-
les (1977) 12. - 30Schickert [29] 13. - 31 Aristoteles, Topik
wird der E. neben den Argumenten der Wahrscheinlich-
157 a 35. - 3 2 e b d . 1 6 0 b 2 3 - 1 6 1 a 1 5 ; Schickert [29] 9. - 3 3 Aristote-
keit, den Beispielen und den Indizien zu den Beweisen les, Topik 1 7 6 b 2 9 - 1 7 7 " 8 , ebd. cap. IX 1 6 - 3 3 . - 3 4 e b d . 157 b 38.
(πίστεις, pistéis) «aus den Worten, Menschen und Din- - 35 Aristoteles, Met. 1 0 0 6 a l l . - 3 6 A u c t . ad Alex. 1431a6ff.
gen selbst» gezählt und schließlich definiert als «was sich (eigene Übers.) - 3 7 L y s i a s , Oratio 3 2 , 1 2 ; Isokrates, Oratio 12,
nicht anders verhalten kann». Damit sind Notwendigkei- 150. - 38Lysias, Oratio 31, 3; 19, 7. - 39Hermog. Stat. p. 45,
ten oder Unmöglichkeiten aufgrund der Natur der Dinge 5ff. ed. Rabe (1913); Syrianus, in Hermogenem commentarla
gemeint bzw. «wie wir sagen, daß es notwendig ist» oder II, p. 70, 5ff. ed. Rabe (1893) ( = Rhet. Graec. W. IV, 325ff.);
«wie die Gegner sagen, daß es unmöglich ist». [36] vgl. I. C.T. Ernesti: Lexicon technologiae Graecorum Rhetori-
cae (1795) 101. - 4 0 H . Dörrie: Zs f. d. neutest. Wiss. 46 (1955)
Die noch bei L Y S I A S und ISOKRATES geläufigen Bedeu- 198; ders.: 'Τπόττασις. Wort und Bedeutungsgesch., in: Platoni-
tungen einer <Prüfung>, die der Angeklagte über sich ca Minora (1976) 13 - 6 9 , bes. 61ff. - 41Philon, Quod deterius
ergehen zu lassen hat [37], und deren Ergebnis: die 23; vgl. V. Nikiprowetzky: La doctrine de l'élenchos chez Phi-
<Überführung> bzw. <Entlarvung> [38], finden auch in lon, in: R. Arnaldez et al. (Ed.): Philon d'Alexandrie, Collo-
den späteren Lehrbüchern keine Berücksichtigung. ques internationaux du Centre National (Paris 1967) 255 - 2 7 5 ;
HERMOGENES kennt den E. nur noch in der ΆΠΑΊΤΗΣΙΣ R.T.Wallis: The Idea of Conscience in Philo of Alexandria
έλεγχων (apaitësis elénchôn), der Forderung nach un- (Berkeley 1975).
technischen Beweisen, mit der der Angeklagte sich im

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Ellipse Ellipse

Literaturhinweise : elliptisch. Was in der Alltagssprache unwillkürlich ge-


R. Schupp: Zur Gesch. der Beweistopik in der älteren griech. schieht («Du hier?»), wird in der Literatur als Kunstmit-
Gerichtsrede, in: Wiener Stud. 45 (1926/27) 17-28 und tel eingesetzt, u m den Eindruck unmittelbarer Natür-
173-185. - B. Waldenfels: Das Sokratische Fragen: Aporie, lichkeit zu wecken. In der deutschen Literatur hat dies
E., Anamnesis (1961). - G.Thür: Beweisführung vor den
Schwurgerichtshöfen Athens (Wien 1977). - G . B . Kerferd: The besonders der Sturm und D r a n g genutzt. Gestisch unter-
Sophistic Movement (Cambridge 1981). - J. H. Lesher: Parme- stützt, ist die E . im D r a m a das wirksamste Pathosmo-
nides' Critique ofThinking, in: Oxford Stud, in Ancient Philos, ment: «(gräßlich schreiend, sich die H a a r e ausraufend)
Mein Fluch ihn gejagt in den Tod! gefallen in Verzweif-
vol. 2 (1984) 1 - 3 0 . - T. Buchheim: Die Sophistik als Avantgar-
de normalen Lebens (1986). - G. Vlastos: Socrates. Ironist and lung!» [2]
Moral Philosopher (Cambridge 1991). Im System der rhetorischen Figuren ist die E . die
T. Schirren einfachste G r u n d f o r m in der Reihe der Auslassungsfigu-
ren (figurae per detractionem). [3] Sie ist immer ein Be-
—» Argumentation —> Aristotelismus —> Beweis, Beweismittel standteil des Zeugmas, denn einen Satzteil zugleich auf
—* Dialektik —» Dialog —» Diskussion —» Disputation —» Enthy-
mem —* Epicheirem —> Piatonismus —* Refutatio —» Sophistik —* mehrere zu beziehen heißt, ihn an mindestens einer Stel-
Syllogismus, Syllogistik le einzusparen. Jedes Zeugma enthält also eine E . , die
leicht durch den Kontext zu ergänzen ist. Die Ellipse
steht an erster Stelle der Auslassungsfiguren, das Zeug-
Ellipse (griech. ελλειψις, élleipsis; lat. detractio, auch ma an zweiter. A n dritter Stelle wird das Asyndeton, das
defectio, defectus; dt. Auslassung; engl, ellipse, ellipsis; Auslassen der Konjunktionen, in diese Reihe geordnet
frz. ellipse; ital. ellissi) und zumeist noch der Vergleich zur Aposiopese, der zur
Α . Unter E . als rhetorischer Figur (Wortfigur, figura E. analogen Gedankenfigur (figura sententiae), gezogen:
elocutionis) versteht man das Auslassen der für den In- Sie ist das Auslassen von semantisch relevanten Satztei-
halt eines Satzes entbehrlichen Teile, d . h . all dessen, len.
was für die Aussage nur formal-syntaktischen, aber kei- Im weiteren Sinne wird die E . nicht nur als Wortfigur,
nen semantischen Wert hat. Das Ausgelassene wieder zu sondern allgemein als eine der beiden möglichen Verfeh-
ergänzen ist entweder allein durch die Sprachkenntnis lungsrichtungen aufgefaßt. Dies beruht auf der Dreitei-
möglich - wie etwa die Verbform «est» (ist) in «homo lung, daß es ein richtiges Mittelmaß und davon abwei-
homini lupus» (der Mensch dem Menschen ein Wolf) - chend die Fehler des <Zuwenig> und des <Zuviel> gibt.
oder durch Kontext und Situation. So versteht es sich in Die Aristotelische Ethik zeichnet dieses Schema vor,
der Textsorte <Wettervorhersage> von selbst, daß die indem sie der glücklichen Mitte Mangel (élleipsis) und
elliptische Aussage «im Norden sonnig» futurischen Sinn Ü b e r m a ß (υπερβολή, hyperbolé) kontrastiert. [4] Die
hat und sich konkret auf den folgenden Tag bezieht: «Im Rhetorik greift dieses Schema auf, und man kann es, wie
Norden ist [wird] es morgen sonnig [sein].» Was negativ Lausberg es tut, grundsätzlich auf die beiden <Ände-
Auslassung, Mangel (so die Wortbedeutung von έλλειψις, rungskategorien> der Auslassung (detractio) und Hinzu-
élleipsis) von Redeteilen heißt, kann man positiv als fügung (adiectio) beziehen. E . ist dann generell der Feh-
Beschränkung auf das semantisch Notwendige definie- ler (Vitium) des <Zuwenig>. [5] Das Ziel der rhetorischen
ren. Die E. dient der Sprachökonomie. Alles Uberflüssi- Theorie besteht darin, die Bedingungen festzustellen,
ge, d. h. alles, was sich von selbst versteht oder leicht aus unter denen dieser Fehler sich zum G u t e n , das Vitium
dem Kontext zu ergänzen ist, wegzulassen, ist in der sich zur virtus wendet.
Alltagssprache ein Merkmal der knappen Verständi-
Die Musiktheorie übernimmt im 17. und 18. Jh. den
gung. Notizen und Mitteilungen sind häufig elliptisch,
Begriff <E.> aus der Rhetorik, um das Auslassen eines
Sprach- als Geldersparnis ist der Telegrammstil. Gruß-
nach den Regeln der H a r m o n i e eigentlich erwarteten
und Befehlsformeln sind habitualisierte E . («Guten
Klangs zu bezeichnen («Verschweigung einer Conso-
Tag», «Hände hoch»), ebenso der größte Teil stereoty-
nans», «Auslassung eines Tonikaklangs»). [6]
per Geschäftskonversation («Zwei Eis! Mit Sahne? Oh-
Β. I. D e r Begriff <E.> ist von A n f a n g an ein Terminus
ne.»). Redensarten und Sentenzen («Aus den Augen,
der Rhetorik wie der Grammatik. Beide bezeichnen da-
aus dem Sinn») sowie Parolen («Friede den H ü t t e n ,
mit dasselbe P h ä n o m e n , doch ist ihr Interesse daran
Krieg den Palästen») wirken durch elliptische Kürze.
verschieden. In der G r a m m a t i k dominiert lange Zeit das
Die rhetorische Theorie empfiehlt die E. als ein Mittel
Ideal des wohlgeformten, vollständigen Satzes, so daß
der brevitas (Kürze), warnt jedoch, daß diese Tugend
die E . nur als Regelverstoß angesehen wird. Die Rheto-
sich zum Laster verkehrt, sobald übertriebene Verkür-
rik hat dagegen umgekehrt nicht so sehr nach dem Feh-
zung zur Unverständlichkeit (obscuritas, Dunkelheit)
lenden, sondern nach den eigenen Ausdrucksqualitäten
führt. D e r Beste ist, wer kein Wort zu viel und keines
der Kürze gefragt. In jüngerer Zeit gleicht sich die Gram-
zuwenig sagt. Das ist das Ideal prägnanter Kürze (Bra-
matik dem an, indem sie bei der Beurteilung der E. das
chylogie), die also im äußersten M a ß der gerade noch
alte Richtmaß syntaktischer Vollständigkeit aufgibt. So
verständlichen E . besteht. Als deren Meister gilt in der
sieht auch sie statt des Verstoßes den neuen Ausdrucks-
Antike TACITUS, in der neueren Literatur wird dafür
wert. Verknüpft ist damit die grundsätzliche Entschei-
niemand so sehr gepriesen wie R A C I N E . Sein Vers «Je
dung, was man überhaupt als <Satz> definieren will.
t'aimais inconstant, qu'eussé-je fait fidèle» [1] ist das Mu-
Denn wer von Auslassung spricht, braucht eine Vorstel-
ster, wie sich in der E . ein komplexer G e d a n k e konzen-
lung davon, was zur Vollständigkeit eigentlich vorhan-
trieren kann (syntaktisch ausführlich müßte es heißen: Je
den sein müßte. Die Neubewertung der E . provoziert so
t'aimais, quoique tu fusses inconstant, qu'eussé-je fait si
die neue Definition des Satzes, in letzter Konsequenz die
tu avais été fidèle. Ich liebte dich, obwohl du untreu
A n n a h m e von <Einwortsätzen>.
warst, was hätte ich getan, wenn du treu gewesen wärest.
Racine verkürzt: Ich liebte dich untreu, was hätte ich Die Differenz, daß der eine nach dem stilistischen
treu getan.). Neben gedanklich-stilistischer Zuspitzung Wert fragt, wo der andere nur den Regelverstoß sieht,
ist die E . Ausdruck der Emotionalität. Erregung spricht zeigt sich in der Antike gleich bei der ersten ausführliche-
ren Erörterung der E . , bei QUINTILIAN . E r betont, daß er

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Ellipse Ellipse

das, «was im Bereich der Ausdrucksfehler Ellipse ge- rektur nach jedem Beispiel die Wiederherstellung an,
nannt wird» («quod inter vitia ellipsis vocatur»), nicht welches Wort denn genau fehle.
negativ als Fehler, sondern positiv als Stilfigur beurteilen II. Zum Mittelalter hin wird das Lehrbuchwissen über
will: «mihi hanc figuram esse magis placet» (Mir scheint die E. durch M A R T I A N U S CAPELLA und ISIDOR VON
es sich hier eher um eine Redefigur zu handeln). [7] SEVILLA überliefert. Martianus hebt den Reiz der Schnel-
Definiert wird sie dann als erste und einfachste Form der ligkeit und Schlagfertigkeit hervor («celeritate gratissi-
Auslassungsfiguren («figurae per detractionem»): E. ma»[20]); Isidors <Etymologiae> führen sie doppelt, so-
liegt vor, «cum substractum verbum aliquod satis ex wohl in ihrem grammatischen als auch ihrem rhetori-
ceteris intellegitur» (wenn ein unterdrücktes Wort hin- schen Teil an: im ersten Fall als «Auslassung, bei der
reichend durch die übrigen Worte verständlich wird). notwendige Wörter fehlen» («Eclipsis est defectus dic-
Kürze und Überraschung sind der Reiz dieser Figur [8]: tionis, in quo necessaria verba desunt»), im zweiten als
Quintilian schätzt die E. als die Kunst, eine Aussage auf Stilmittel im Dienst der Kürze («brevitas studio»). [21]
das semantisch Notwendige zu pointieren. Von der Apo- III. Unter den Humanisten ist es M E L A N C H T H O N , der
siopese grenzt er die E. dadurch ab, daß jene ver- hinter die lateinische Vermittlung zurück die E. wieder
schweigt, was «ungewiß oder gewiß nur in längerer Rede aus der griechischen Lehre und Praxis darstellt. [22] SCA-
zu erklären» ist, diese dagegen «nur ein Wort, und zwar LIGERS Poetik empfiehlt die E. als bestes Mittel, Emotio-
ein ganz deutlich greifbares vermißt» («illa quid taceat, nen auszudrücken. Verwunderung, Liebe, Haß und
incertum est aut certe longiore sermone explicandum, Zorn nennt er als Beispiele («Elleipsis. Defectus verbor-
hic unum verbum et manifestum quidem desidera- um, πάθος maximè significat: admirationem, amorem,
tum»). [9] Dieses Unterscheidungskriterium führt dazu, odium, iram»). Die grammatische Unvollständigkeit ist
einen Sonderfall der E. vorzusehen, bei dem es sich der Kunstgriff, in der Literatur den Ton natürlicher Lei-
eigentlich im Sinne der Aposiopese um eine semanti- denschaft zu imitieren. Doch neben der pathetischen
sche, und nicht nur um eine syntaktische Verkürzung kennt Scaliger auch die - von Quintilian beschriebene -
handelt: den Fall nämlich, in dem man «schicklicherwei- <schamhafte> E., die ein ungebührliches Wort ver-
se aus Scham Worte unterdrückt» («verba decenter pu- schweigt. In würdiger Dichtung komme so etwas kaum
doris gratia subtrahuntur»). [10] Wenngleich hier nicht vor, die Komödien jedoch machen davon Gebrauch. [23]
nur ein grammatisches Funktionswort oder - wie beim Von Scaliger hängt Vossius ab, der die E. ebenfalls als
Zeugma - etwas andernorts im Kontext Genanntes aus- rhetorisch-literarische Nachahmung natürlicher Emotio-
gelassen ist, weiß doch jeder genau, was fehlt. Solche nen lehrt. [24] Auch MEYFARTS <Teutsche Rhetorica>,
<schamhaften> E. sind in der Alltagssprache geläufig eines der ersten deutschen Lehrbücher, das die E. ver-
(«Ich muß»). Das bekannteste Beispiel in der deutschen zeichnet, sieht und empfiehlt nur den affektrhetorischen
Literatur ist das in den Klassiker-Ausgaben bereinigte Wert dieser Figur. Allerdings mahnt Meyfart dabei zur
Zurückhaltung: «Diese Art [sc. wenn ein Wort «erman-
Götz-Zitat: «Er aber, sag's ihm, er kann mich » [11],
gelt»] wird Ellipsis genennet / und muß von dem Redner
das ebenso schamhaft elliptisch in die Umgangssprache
sparsam gebrauchet werden / wenn nemlich etwas wichti-
eingegangen ist.
ges ist anzudeuten in Trawern und Schmertzen / in Frew-
Neben der Definition der E. als Wortfigur verwendet den und Schertzen / in Lieb und Haß / in Demuth und
Quintilian den Begriff auch im weiteren Sinne als eine Hoffart / und dergleichen.» [25]
der möglichen Verfehlungsrichtungen des sprachlichen
Ausdrucks. Hier ist die E. als «Fehler des Weglassens» IV. Die Aufklärung rückt dagegen eine ganz andere
(«vitium detractionis») dem der «Hinzufügung» («vitium Stilqualität der E. in den Vordergrund: Knappheit und
adiectionis», dafür auch pleonasmos, tautologia) kontra- Präzision. Nur keine überflüssigen Worte, Beschrän-
stiert. [12] Allerdings legt Quintilian allen Nachdruck kung auf das semantisch Notwendige! So wird die E. als
darauf, daß man es nicht bei dem Begriff des <Aus- Kernfigur sprachlich-gedanklicher Genauigkeit geprie-
drucksfehlers> bewenden lasse, sondern beachte, wel- sen. CONDILLACS <Traité de l'art d'écrire> hält im Kapitel
cher stilistische Wert zu erreichen sei, «wenn es mit «Des constructions elliptiques» eine Lobrede auf die E. :
Überlegung geschieht» («cum a prudentibus fit»). [13] Sie verleihe unserem Ausdruck die Schnelligkeit unseres
In den spätantiken griechischen und lateinischen Rhe- Denkens («donner à nos expressions la rapidité de nos
toriken gehört die E. zum festen Bestandteil des Figu- pensées».) Formelhaft soll sich die sprachliche Kürze als
reninventars. Eine Vielzahl von Texten verzeichnet argumentative Schlüssigkeit einprägen: «moins on em-
sie. [14] Auch die Lateiner wählen als Stich wort den ploie de mots, plus les idées sont liées» (je weniger Worte
griechischen Terminus E., ihre Übersetzungen wechseln man gebraucht, desto verbundener sind die Gedan-
zwischen detractio ( A Q U I L A R O M A N U S [15]), defectio ken). [26] In dieser Entgegensetzung von «mots» und
(<Carmen de figuris> [16]) und defectus (<Schemata dia- «idées», von Worten und Gedanken, klingt die mathe-
noeas>. [17]) Deutlich bleibt auch hier der Unterschied, matisch-logische Sprachkritik an, die tendenziell alle Be-
daß die Rhetoriker auf den stilistischen Reiz hinwei- redsamkeit als leeres <Worte-Machen> verurteilt. Genau
sen [18], wo die Grammatiker zumeist nur den Regelver- besehen, handelt es sich dabei um eine Werteverschie-
stoß sehen. Sie sei «ein um einen notwendigen Teil be- bung innerhalb des rhetorischen Systems. Abgelehnt
raubter Satz», «das Fehlen eines notwendigen Satzteils» werden alle Figuren der Erweiterung und Ausschmük-
oder «ein Satz mit weniger Worten, als notwendig ist», kung, geschätzt dagegen alle Formen der Verkürzung,
lautet einhellig, was die <Artes grammaticae> zur E. zu solange sie die Verständlichkeit nicht gefährden. So ist es
sagen haben (DIOMEDES: «Ellipsis est necessaria dictione schlüssig, daß die E. als Beschränkung auf das seman-
fraudata sententia»; D O N A T U S : «Eclipsis est defectus qui- tisch Notwendige zur bevorzugten Figur wird. Deren
dam necessariae dictionis»; CHARISIUS: «Ellipsis est sen- Stilqualität kann dann als gedankliche Lebendigkeit und
tentia verbo minor quam necessc est»; C L A U D I U S SACER- Neuheit (die E. ist die Figur, «que les bons écrivains se
DOTUS: «Eclipsis est sensus minus habens verborum, permettent pour donner plus de vivacité au discours»;
quam nécessitas postulat» [19]). Statt stilistischer Erwä- die die guten Schriftsteller sich erlauben, um ihre Rede
gungen schließt sich dabei wie eine grammatische Kor- lebendiger zu machen [27]) der denkfaulen grammati-

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Ellipse Elocutio

sehen Korrektheit kontrastiert werden. Die Opposition ders.: Elemente der lit. Rhet. ( 7 1982) § 95, 1. - 6vgl. Riemann
«idées» - «mots» ist also doch innersprachlich, nämlich Musik Lex. Sachteil ( 1 2 1967) 258. - 7Quint.VIII, 6, 21f. -
die von Rhetorik und Grammatik: «Plus occupés des 8Quint. IX, 3, 58. - 9Quint. IX, 3, 60. - lOQuint. IX, 3, 59. -
l l J . W . v . Goethe: Götz von Berlichingen III, Hamburger
mots que des pensées, ils [les grammairiens] désapprou-
Ausg. Bd. 4,139. - 1 2 Q u i n t . 1 , 5 , 4 0 und VIII, 3, 50. - 1 3 Quint.
vent les ellipses, lorsqu'elles paraissent rapprocher des VIII, 3, 50. - 14für die griech. Rhet. vgl. Rhet. Graec. Sp. III:
mots qu'on n'a pas vus ensemble» (mehr mit den Worten Alexandros: Peri schëmâtôn, 33; Phoibammonos: Peri schemá-
als den Gedanken beschäftigt, mißbilligen die Gramma- tòn, 46; Tiberios: Peri schëmâtôn, 78; Tryphonos: Peri trópon,
tiker die Ellipsen, wenn sie Worte zusammenzubringen 191; Gregorios: Peri trópon, 221; Georgios: Peri trópon, 252. -
scheinen, die man nicht zusammen gesehen hat). [28] 15 Aquila Romanus : D e figuris sententiarum et elocutionis liber
V. Die Wendung der neueren Grammatik, das Ideal § 46, in: Rhet. Lat. min. 37. - 1 6 C a r m e n de figuris vel schemati-
der formal-syntaktischen Vollständigkeit zugunsten bus 175, in: Rhet. Lat. min. 70. - 1 7 S c h e m a t a dianoeas quae ad
pragmatischer Betrachtung aufzugeben, zeigt sich bei- rhetores pertinent 31, in: Rhet. Lat. min. 75. - 1 8 v g l . Carmen
de figuris vel schematibus [16] und Martianus Capella: Liber de
spielhaft in H . P A U L S <Prinzipien der Sprachgeschichte): arte rhet. 41, in: Rhet. Lat. min. 483. - 1 9 G r a m m . Lat.: Diome-
<Misst man allemal den knapperen Ausdruck an dem des: Ars grammatica, lib. II, in: Bd. 1,450; Donatus: Ars gram-
daneben möglichen umständlicheren, so kann man mit matica III, in: Bd. 4,395; Charisius: Ars grammatica, lib. IV, in:
der Annahme von Ellipsen fast ins Unbegrenzte gehen. Bd. 1, 271; M. Claudius Sacerdotus: Ars grammatica, lib. I, in:
Bekannt ist der Mißbrauch, der damit im 16. und 17. Jh. Bd. 6 , 4 5 4 . - 2 0 Martianus Capella [18], - 2 1 Isid. Etym. 1 , 3 4 , 1 0
getrieben ist.» [29] Zur Neubewertung gibt Paul zwei und II, 2 0 , 3 f . - 2 2 P . Melanchthon: Elementa rhetorices (1532),
Alternativen an: entweder «zugeben, daß es zum Wesen lib. II, in: Opera. Ed. C. G. Bretschneider (1846; N D 1963)
des sprachlichen Ausdrucks gehört elliptisch zu sein», Bd. 13, 476. - 2 3 J . C . Scaliger: Poetices libri Septem (1561) IV,
d. h. aufhören, in der E. einen Verstoß gegen grammati- 27. - 2 4 G . J. Vossius: Commentariorum Rhetoricorum, sive
Oratoriorum libri sex (Leiden 1630; N D 1974) lib. V, cap. II, 1,
sche Korrektheit zu sehen, oder den Begriff der E. auf Bd. 2, 267. - 25 J. M. Meyfart: Teutsche Rhetorica oder Rede-
die Fälle einschränken, wo die Verkürzung bewußt als kunst (1634; N D 1977) B u c h i , cap. 22, 219. - 2 6 E . de Condil-
Stilmittel eingesetzt wird. [30] Daß jedoch der oft falsche lac: Traité de l'art d'écrire, chap. X, in: Œuvres complètes, T. V
Maßstab syntaktischer Vollständigkeit nicht so schnell (Paris 1821/22; N D 1970) 262. - 27ebd. 261. - 28ebd. 264. -
aus den Köpfen verschwindet, klagt noch selbstkritisch 2 9 H . Paul: Prinzipien der Sprachgesch. (1880, 9 1975) 313. -
K. BÜHLER: «Manchmal kommt man sich dabei wie ein 30ebd. 313f. - 3 1 Κ. Bühler: Sprachtheorie ( 2 1965) 157. - 3 2 v g l .
dummer Schulbub oder (vielleicht richtiger gesagt) wie Racine[1]. - 3 3 H . Weinrich: Linguistische Bemerkungen zur
ein pedantischer Schulmeister vor, wenn man, wo die modernen Lyrik, in: Akzente 15 (1968) 36. - 3 4 P . C e l a n : Ent-
wurf einer Landschaft (Sprachgitter, 1959), in: Gedichte (1975)
naive Praxis völlig unzweideutig ist, mit Satzergänzun-
1,184.
gen zu theoretisieren beginnt.» [31] Damit der Begriff E.
aussagekräftig bleibt, ist es sinnvoll, ihn auf die Fälle zu
beschränken, in denen tatsächlich eine Auslassung deut- Literaturhinweise :
lich wird, und nicht auch dort von E. zu sprechen, wo M. V. Giuliani, A . Puglielli: Aspetti teorici dell'ellissi nella tra-
man erst künstlich ergänzen muß, was dann angeblich dizione grammaticale, in: Teoria e storia degli studi linguistici.
( = Atti del settimo convegno int. di studi, Roma, 2 - 3 giugno
ausgelassen werde. Man kann dabei immer noch zwi- 1973), hg. von U.Vignuzzi et al. ( R o m 1975) 2 6 1 - 2 8 0 . -
schen habitualisierten («Hilfe!») und kühneren E. [32] A . B e t t e n : Ellipsen, Anakoluthe und Parenthesen, in: D S 4
unterscheiden. Doch wird die E. erst dann als Stilfigur (1976) 2 0 7 - 2 3 0 .
greifbar, wenn man die Fälle ausschließt, in denen die S. Matuschek
Anwesenheit eines Wortes auffälliger wäre als dessen
Fehlen (z.B. «Mir geht es wie dir.»). Um Sprachnorm —» Aposiopese —» Asyndeton —» Brachylogie —» Brevitas —>
und stilistischen Willen auseinanderzuhalten, könnte Figurenlehre —» Grammatik —> Obscuritas —» Virtutes-/vitia-
man bei der E. zwischen einem weiteren grammatischen Lehre —» Zeugma
(linguistischen) und einem engeren rhetorischen (stilisti-
schen) Begriff differenzieren. Das entspricht den beiden
Alternativen von H. Paul. Elocutio (griech. λέξις, léxis, φράσις, phrásis; dt. redneri-
scher Ausdruck, Stil; engl, diction, locution, elocution;
Wie die E. als Stilfigur zum literarischen Epochen- frz. élocution; i tal. elocuzione)
merkmal werden kann, beweist die moderne Lyrik. Die A . D e f . - B . I . Antike. - II. Mittelalter. - III. Renaissance,
Verkürzung des Satzes gewinnt poetologische Bedeu- H u m a n i s m u s . - I V . 17., 1 8 . J h . - V . 19. J h . - V I . 20. Jh.
tung. Der syntaktische Zusammenhang zerfällt zugun- A . In der auf die Antike zurückgehenden Rhetoriktra-
sten der semantischen Evokationskraft der einzelnen dition bezeichnet E. einerseits die praktische Formulie-
Wörter. So wird deren Mehrdeutigkeit und Assozia- rungskunst eines Redners oder Autors, andererseits die
tionsweite nicht mehr durch den Kontext begrenzt, son- rhetorische Formulierungstheorie. Die Theorie vermit-
dern in Satzfragmenten freigelassen («Die Opferung des telt in Hinsicht auf die Textverfassung allgemeine Re-
Satzes und des von ihm gestifteten Sinnes zugunsten der geln des Sprachgebrauchs unter dem Gesichtspunkt der
semantischen Evokationskraft des Wortes wird zum poe- intendierten Wirkung (funktionaler Aspekt) und spezifi-
tologischen Programmpunkt.»[33]) Dies läßt sich z.B. sche konventionalisierte Ausdrucksformen (strukturaler
an P. C E L A N S <Entwurf einer Landschaft) zeigen: «Rund- Aspekt).
gräber, unten. Im / Viertakt der Jahresschritt auf / den Als «Lehre vom Ausdruck oder von der Darstel-
Steilstufen rings. / Laven, Basalte, weltherz- / durchglüh- lung» [1] bezieht sich die E. in den antiken Rhetoriken
tes Gestein. / Quelltuff, / wo uns das Licht wuchs, vor / speziell auf die sprachliche Gestaltung der «in der inven-
dem Atem.» [34] tio gefundenen und in der dispositio geordneten Gedan-
ken». [2] Dahinter steht die antike Auffassung, daß sich
Anmerkungen:
im rhetorischen Prozeß fünf getrennt ablaufende Text-
1J. Racine: Andromaque IV, 5, Vers 1365. - 2 F . Schiller: Die produktions- und Aufführungsphasen, partes rhetoricae
Räuber II, 2. - 3vgl. H. Lausberg: Hb. der lit. Rhet. ( 3 1990) oder officia oratoris, unterscheiden lassen (inventio, dis-
§§688ff. - 4 A r i s t . E N 1106bll. - 5 v g l . Lausberg[3] § 1064 und positio, elocutio, memoria, actio). Nach dieser Tradition

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Elocutio Elocutio

gilt die E. als dritter der fünf Aufgabenbereiche des schichte einzelne Grammatiker beiden Bereichen ihre
Redners. Die kognitiven Produktionsprozesse (inventio, Aufmerksamkeit schenkten.
teilweise auch disposino) und die Verbalisierungs- und In der Neuzeit hat sich die Kategorie Stil eingebürgert.
Vertextungsvorgänge (elocutio, auch dispositio) folgen Sie bezieht sich auf sprachliche Merkmale von Texten,
je eigenen Methodiken. Vorausgesetzt wird dabei, daß die nicht den Aspekt der Grammatikalität (für sich ge-
die Rede aus dem Inhalt und der Form besteht, d . h . nommen) betreffen. Man versteht die Grammatik heute
«den res und den verba, dem Stoff, wie der Redner ihn zumeist als das «Reich verbindlicher Korrektheitsre-
erfaßt und dem Hörer näherbringen will, und der sprach- geln» und die Stilistik als das «Reich der Freiheit» [9]
lichen Form, die seine Argumente noch glaubwürdiger verschiedener Formulierungsmöglichkeiten. Demge-
und bestimmender machen soll. Jenem Zwecke dient die genüber betonten andere Epochen gerade auch die Nor-
εΰρεσις, inventio, diesem die λέξις, elocutio». [3] Der mativität elokutionär-stilistischer Regelsysteme. Dabei
A U C T O R A D H E R E N N I U M ( 1 . Jh. v.Chr.) definiert die E. «wird von einer abstrakten Adäquatheit der Texte in
als «idoneorum verborum et sententiarum ad inventio- bezug auf die Gegenstände des Sprechens ausgegangen,
nem adcommodatio» (Anwendung der geeigneten Wör- und bestimmte Ausdrucksmittel werden dann idealen
ter und Sätze auf die gefundenen Gedanken). [ 4 ] CICERO Gegenständen des Sprechens präskriptiv zugeord-
übernimmt diese Definition in seine Frühschrift <De in- net». [10]
ventione>. [5] An anderer Stelle stellt er fest, die E. Unter der Perspektive rhetorischer Tradition sind
liefere das sprachliche Gewand>, also bestimmte Aus- «elokutionelle Kompetenz» und «elokutionelles Wis-
drucksmittel für die Gedanken, und schmücke das Ge- sen» oberhalb der grammatischen Kompetenz anzusie-
fundene («inventa vestire atque ornare oratione»), [6] deln. Grammatikalität (latinitas) forderten die antiken
Für Q U I N T I L I A N heißt <ausdrücken> (eloqui) «omnia, Rhetoriker als elementares Sprachgebrauchsprinzip und
quae mente conceperis, promere atque ad audientis per- somit als Basis rhetorischer E. Coserius Drei-Ebenen-
ferre» (alles, was man in Gedanken erfaßt hat, zum Modell sprachlicher «competence» (Chomsky) ist für
Vorschein bringen und es den Hörern übermitteln). [7] diesen Zusammenhang zu präzisieren. Coseriu unter-
Als eigentlicher Kernbereich der E. können die syste- scheidet (1.) eine allgemeinsprachliche Ebene mit «elo-
matisch auseinanderzuhaltenden Bereiche von Sprach- kutionellem Wissen», (2.) eine einzelsprachliche Ebene
gebrauchsregeln sowie Figurentaxonomien und be- mit «idiomatischem Wissen» und (3.) eine Diskurs-Ebe-
stimmten Kompositionsregeln angesehen werden. Da ne mit «expressivem Wissen». Der Terminus <elokutio-
die Rhetorik jedoch bis in die frühe Neuzeit hinein die nell> ist für Coseriu «konventionell, d . h . er versucht,
maßgebliche Texttheorie einschließlich Stilistik blieb, einer Tradition zu entsprechen. Er will den alten Begriff
wurde das Gebiet der E. immer mehr mit allen die Ver- der <E.> wiederaufnehmen, der zur antiken Rhetorik
textung betreffenden Elementen angereichert; das gilt gehört und dort für die allgemeine Art des Sprechens
selbst für poetologische Bereiche im engeren Sinne, wie steht.» [11] Demgegenüber muß hier präzisiert werden,
Metrik oder Gattungstheorie. daß die spezifisch rhetorisch-elokutionelle Kompetenz
Diese Neigung zur unsystematischen Anreicherung des nicht die allgemeine Art des Sprechens betrifft, sondern
rhetorischen E.-Kapitels meint Volkmann schon bei in erster Linie der dritten, der «expressiven Ebene» zu-
Q U I N T I L I A N beobachten und kritisieren zu können. Quin-
zuordnen ist. Auf dieser Ebene geht es nach Coseriu um
tilian behandelt im VIII. u. IX. Buch die virtutes elocutio- Wissen, «das sich darauf bezieht, wie man in bestimmten
nis, dann den ornatus, die Sentenzen, Tropen, Figuren Situationen spricht, und das Urteile über die Angemes-
und die Komposition. Im X. Buch geht es um die copia senheit ermöglicht». Der Terminus <expressiv> steht da-
verborum, die Nachahmung, verschiedene Stilübungen bei in Nachbarschaft zu den Termini <diskursiv> (d. h.
und i m i . Kap. des XI. Buches um die Aufgabe passend zu «Wissen, das die discours bzw. Diskurse betrifft») und
sprechen (aptum). Alles das gehört bei ihm mit zur Lehre <textuell> (d.h. «Wissen, das der Gestaltung von Texten
von der E. Die Stilarten dagegen werden erst ganz am zugrundeliegt»). [12] Genau darum ging es aber den Au-
Schluß seines Werkes berührt; für Quintilian liegen sie toren der rhetorischen E.-Tradition immer.
außerhalb der materia artis. Volkmann kritisiert diese Diese Tradition nimmt ihren Ausgang in der antiken
Aufteilung mit dem Hinweis, die Rhetorik als τέχνη (téch- griechisch-lateinischen Sprachkultur. Ihr entstammen
nê), als reine Kunstlehre, dürfe «mit der Encyklopaedie die elokutionären Kategorien und die bereits in den frü-
und Methodologie der rhetorischen Studien und Uebun- hen Rhetoriken abgehandelten Grundsektoren der rhe-
gen nicht verwechselt werden». Die «Betrachtung der torisch bedeutsamen sprachlichen Gestaltungsmittel.
Stilarten» habe den Schluß des E.-Kapitelszu bilden, weil Auf dem Gebiet altsprachlicher Stilistik behalten sie bis
sie «ja die Regeln über die zweckmässige Anwendung des in die Neuzeit hinein Gültigkeit. Ein stabiles elokutionä-
von dem Schmuck und der Composition der Rede gesag- res System gab es allerdings nicht. «Die internen Eintei-
ten» abgebe. Andererseits gehörten Vorschriften über lungen der elocutio waren zahlreich, und zwar vermut-
die copia verborum, über Nachahmung sowie über Stil- lich aus zwei Gründen: zunächst weil diese techne ver-
übungen nicht zur materia artis. [8] schiedene Idiome zu durchwandern hatte (Griechisch,
Eine solche feste Vorstellung vom Inhalt des E.-Kapi- Lateinisch, romanische Sprachen), von denen jedes die
tels hat es in der Geschichte der Rhetorik nie gegeben. Natur der «Figuren» verlagern konnte; schließlich weil
Das Kriterium für die Aufnahme oder Ausgrenzung von der Durchbruch dieses Teils der Rhetorik terminologi-
Elementen war die vom einzelnen Autor abhängige all- sche Neuschöpfungen erforderlich machte (was aus der
gemeine Überlegung, ob sie für die sprachliche Gestal- wahnwitzigen Bezeichnung der Figuren ersichtlich
tung von Texten als wichtig anzusehen seien oder nicht. ist).» [13]
Die so entstandenen Systeme von stilistischen Regeln, Weitere Veränderungen traten später ein durch das
sprachlichen Mustern und Formtaxonomien wurden im- Vordringen der europäischen Nationalsprachen auf al-
mer von den grammatischen, d. h. von den auf eine Ein- len Bildungssektoren und durch die seit dem Renais-
zelsprache bezogenen Orthosystemen getrennt. Dem wi- sance-Humanismus in ganz Europa einsetzende volks-
derspricht nicht die Tatsache, daß im Verlauf der Ge- sprachliche Poetik- und Rhetorikliteratur. Die Autoren

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hatten sich jetzt auf die Eigenheiten der Einzelsprachen sche Vorschriften auf 115 der ganzen <Ars rhetorica>.»
einzustellen und mußten die auf das Latein ausgerichte- Insgesamt begnügen sich diese Autoren damit, «termini
ten elokutionären Sektoren entsprechend modifizieren. technici in langen Reihen aufzustellen und zu definieren
Dennoch gibt es eine unübersehbare Konstanz, vor al- und durch einige Beispiele zu erläutern». [3]
lem in der Terminologie, und gerade in der Systematik A m Anfang der Entwicklung lenkte die hoch entwik-
und Kategorienbildung von Stilistiken lassen sich bis in kelte griechische Redekunst das Interesse der Rhetorik-
die Gegenwart Wirkungen der klassischen E.-Tradition theoretiker auf sprachstrukturale Fragen. Dementspre-
nachweisen. chend geht auch das erste griechische Lehrbuch der Rhe-
Die Geschichte der E . wird im folgenden als Geschich- torik des A N A X I M E N E S (4. J h . v . C h r . ) schon auf Fragen
te eines Kapitels der Rhetoriktheorie verstanden. B e - der Lexis ein. Einen eigenen systematischen Platz be-
nachbarte sprach- und texttheoretische Disziplinen, wie kommt die E . (léxis und phrásis) aber erst bei ARISTOTE-
die Grammatik oder die Poetik, bleiben dementspre- LES im 3. Buch seiner <Rhetorik> zugewiesen, und zwar
chend weitgehend ausgeklammert. Allerdings ist es bei zwischen εΰρεσις, heúresis (inventio) und τάξις, táxis (dis-
der Darstellung der neuzeitlichen Entwicklung unum- posino ). Im Anschluß daran hat dann der Aristoteles-
gänglich, auf die an die Stelle der Rhetorik getretenen Schüler THEOPHRAST (4./3. J h . v. Chr.) erstmals eine Mo-
stilkundlichen, linguistischen und textwissenschaftlichen nographie über die Lexis verfaßt. Das Werk (<Perí Lé-
Disziplinen einzugehen. Die Entwicklung in Deutsch- xeös>), von dem sich nur wenige Nachrichten über seinen
land muß hier aus pragmatischen Gründen als gesamteu- Inhalt erhalten haben, wurde in der Folgezeit für die
ropäisches Paradigma genommen werden. Insgesamt Grundsystematik der E.-Kapitel in Rhetoriken maßge-
richtet sich das Augenmerk bei der Darstellung auf die bend. Man hat den Inhalt wie folgt rekonstruiert: Theo-
Konstanten und Variablen im Weiterleben der antiken phrast eröffnete seine Schrift mit einer Besprechung der
elokutionären Theorie-Sektoren, auf die Art ihrer Ver- Redeteile. Dann handelte er von den Grundeigenschaf-
knüpfung und innovativen Veränderung. Daneben be- ten einer guten Darstellung, guten Stileigenschaften im
steht das dokumentarische Anliegen, wichtige Werke allgemeinen. Daran Schloß sich eine Erörterung der E . in
vorzustellen, die im Lauf der Jahrhunderte Beiträge zur drei Teilen an, erstens die Lehre von der Auswahl der
E.-Tradition geliefert haben. Wörter, zweitens die Lehre von der Textkomposition
oder Harmonie einer R e d e , drittens die Lehre von den
Figuren. A m Schluß des Werkes stand die Lehre von den
Anmerkungen:
1R. Volkmann: Die Rhet. der Griechen und Römer in systema- Stilarten. Nach Fuhrmann hat Theophrast damit «fürs
tischer Übersicht ( 2 1885; ND 1987) 393. - 2H. Lausberg: Hb. System», d . h . «für eine klare, überschaubare Ordnung
der lit. Rhet. (31991) §453. - 3 J. Martin: Antike Rhet. (1974) der verzweigten Materie», das entscheidende traditions-
11. - 4 Auct. ad Her. I, 2, 3. - 5Cie. De inv. I, 7, 9. - 6Cic. De bildende Modell geliefert. E s läßt sich vereinfachend auf
or. 1,142. -7Quint. VIII, prooem. 15. -8Volkmann [1] 397f. - die beiden Begriffe der Stilqualitäten (latinitas, perspi-
9vgl. H. J. Heringer: Grammatik und Stil (1989) 9. - 10E. Co- cuitas, aptum und ornatus) sowie der Stilarten (hoher,
seriu: Textlinguistik, hg. u. bearb. von J. Albrecht (1980) 10. - mittlerer, niederer Stil) bringen. [4]
llE.Coseriu: Sprachkompetenz. Grundzüge der Theorie des
Sprechens, bearb. u. hg. v. H. Weber (1988) 78. -12ebd. 87. - Berücksichtigt man die linguistische, auch schon in
13 R. Barthes: L'Ancienne Rhétorique, in: Communications 16 den antiken Theorien enthaltene Unterscheidung von
(1970) 172-229, hier 218; dt. in R. Barthes: Das semiologische
Sprachsystem und Sprachgebrauch, so kann man als B e -
Abenteuer (1988) 15-101, hier 86.
urteilungsmaßstab für die weitere Entwicklung folgende
idealtypische Grundsystematik der rhetorischen E . - S e k -
B.I. Antike. Über die Entwicklung der antiken E . - toren ableiten; ihre einzelnen Elemente sind allerdings
Theorie, ihre Quellen, die Varianten ihrer Systematik in den Rhetoriken unterschiedlich präsent oder werden
und das elokutionäre Inventar geben nach wie vor am verschieden gewichtet:
gründlichsten die umfangreichen einschlägigen Kapitel 1. Allgemeine Regeln des Sprachgebrauchs:
bei Volkmann, Martin und Lausberg Auskunft. [1] Im a) Prinzipien rechten Sprachgebrauchs (virtutes elo-
folgenden brauchen daher nur Grundzüge der auf dem cutionis: latinitas, perspieuitas, aptum, ornatus-Po-
Gebiet der E . entwickelten Sektoren dargestellt zu wer- stulat, amplificatio-Postulat, Wortwahl/electio ver-
den. borum);
Bei R . Barthes findet sich eine knappe historische b ) Verstöße gegen diese Prinzipien (vitia).
Skizze: «Die elocutio hat sich seit der Entstehung der 2. Sprachliche Strukturen (Redeschmuck/oraaft«):
Rhetorik stark gewandelt. In der Einteilung von Korax a) Amplifikations- bzw. Minutionsmuster;
[5. Jh. v.Chr.] fehlt sie und tauchte erst auf, als Gorgias b) Barbarismen und Soloecismen (eigentlich vitia, als
[5./4. J h . ] (aus der Poesie stammende) ästhetische Krite- rhetorische Mittel erlaubt);
rien auf die Prosa anwenden wollte. Aristoteles c) Tropen und Figuren;
[384—322] behandelt sie weniger ausführlich als die übri- d) compositio-Phänomene.
ge Rhetorik; sie entwickelt sich vor allem bei den Latei- 3. Stilartenlehre.
nern (Cicero [ 1 0 6 - 4 3 ] , Quintilian [ 3 5 - 1 0 0 ] ) , erfährt Die E . zerfällt damit in zwei sachliche Komplexe.
ihre geistige Entfaltung bei Dionysius von Halikarnaß Einerseits werden spezifisch strukturierte Formulie-
[30—8] und dem Anonymus des Peri Hypsous [ l . J h . rungsmodelle gesammelt (2.), andererseits werden allge-
n.Chr.] und vereinnahmt schließlich die gesamte Rheto- meine Fragen des Sprachgebrauchs erörtert (1. Allge-
rik, die ausschließlich mit den <Figuren> gleichgesetzt meine Regeln, 3. Stilartenlehre), bei denen es um Mög-
wird.» [2] Die jüngeren lateinischen Rhetoren stützen lichkeiten, Bedingungen und Normen für die Verwen-
sich auf diese Quellen. Bei ihnen wird die Behandlung dung bestimmter Sprachstrukturen geht.
der E . «um so spärlicher, j e weiter man vom Altertum Zu 1. Allgemeine Regeln des Sprachgebrauchs: Die
fortrückt: SULPICIUS VICTOR (4. J h d . ) bringt nur 19Zei- Zahl der zentralen virtutes elocutionis (άρεταί λέξεως, are-
len De elocutions, J U L I U S SEVERIANUS (5. J h d . ) läßt jede tai léxeôs) schwankt. Theophrast hatte schon vier, die
Stilistik bei Seite; C . J U L I U S VICTOR hat 9 S e i t e n stilisti- Stoiker fünf, und DIONYSIOS VON HALIKARNASSOS will bei

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ISOKRATES doppelt soviele finden. [5] Theophrasts Lehre tio), 5. Anhäufung gleichbedeutender Bezeichnungen
ging modifiziert in die erste, vom AUCTOR A D H E R E N N I U M (congeries).
( l . J h . v.Chr.) verfaßte lateinische Rhetorik ein, ein Zu 2. Sprachliche Strukturen (Redeschmuck/κόσμος,
Werk, das übers Mittelalter hinaus von erstrangiger Wir- kósmos, ornatus): Der hier für die Systematisierung ge-
kung war. [6] Ein gelungener Text muß nach dem Autor wählte neutrale Ausdruck sprachliche Struktur> bezieht
drei Eigenschaften haben, elegantia, compositio und dig- sich auf die teils umfangreichen Strukturtaxonomien, die
nitas. Die Eleganz bewirkt, daß jeder Gedanke rein und sich unter der Rubrik ornatus finden. An den Terminus
deutlich ausgedrückt wird. Sie zerfällt in latinitas und <ornatus> sind zunächst aber auch intentionale Vorstel-
explanatio. Die latinitas hält die Rede frei von syntakti- lungen geknüpft. Die antiken Überlegungen zum orna-
schen Verstößen (Soloecismen) und von Verstößen ge- íwí-Begriff, die bereits zu einer differenzierten Sicht der
gen die Formenlehre (Barbarismen), sorgt mithin für Überformungsproblematik führten, haben mithin so-
grammatische Korrektheit. Die explanatio macht durch wohl einen Wirkungs- als auch einen Strukturaspekt.
verba usitata et propria die Rede verständlich und deut- Aus Gründen erhöhter Wirksamkeit sollte sich der
lich. Die compositio regelt die gleichmäßig geglättete Redner, wenn er die allgemeinen Regeln der Textverfas-
Zusammenstellung der Wörter. Die dignitas schmückt sung beherzigt hat, überlegen, wie er seinen Text weiter
die Rede durch Figuration und Variationsreichtum in überformen, <schmücken> kann. Quintilian sagt dazu:
lexikalischer und gedanklicher Hinsicht (verborum und «Ornatum est, quod perspicuo ac probabili plus est»
sententiarum exornatio). (Das Schmuckvolle ist das, was mehr ist als nur durch-
Zum Grundbestand der rhetorischen virtutes-Tradi- sichtig und einleuchtend.)[16], d . h . die Grundeigen-
tion wurden die drei an die Begriffe latinitas, perspicuitas schaften eines Textes müssen in steigernder Absicht mo-
und aptum geknüpften Haupterfordernisse der redneri- difiziert werden. Wer bloß korrekt, deutlich und mit
schen Darstellung. Weitere virtutes, wie die brevitas, Rücksicht auf das Angemessenheitspostulat spricht,
traten bisweilen hinzu. [7] Schon ARISTOTELES hatte die kann, so Quintilian [17], nicht auf besonderen Beifall
grammatische Korrektheit (έλληνιςμός, hellènismós; lati- rechnen; er hat eher Fehler vermieden, als Vorzüge ge-
nitas) zur Grundbedingung des sprachlichen Ausdrucks zeigt. Befähigung zu gelungener inventio und dispositio
gemacht. [8] Man verlangt dabei vom Redner Kenntnis werden bei einem guten Redner vorausgesetzt. Erst der
der grammatischen Regeln, Kenntnis des Sprachschat- sprachliche Schmuck empfiehlt das Talent des Vortra-
zes und eine reine Ausdrucksweise. Das zweite Erfor- genden und ist geeignet, den Beifall der Menge zu gewin-
dernis optimaler Textverfassung ist die Deutlichkeit nen. Denn nicht nur die blanke Waffe, sondern auch die
(σαφήνεια, saphéneia; perspicuitas). Man erreicht sie glänzende ziert den Kämpfer. Ein Publikum, das gerne
nach QUINTILIAN durch den Gebrauch der eigentlichen zuhört, ist aufmerksamer, eher zum Glauben geneigt,
Wortbedeutungen (verbapropria), die folgerichtige An- vom Vergnügen gefangengenommen und von der Be-
ordnung der Wörter (rectus ordo) sowie dadurch, daß wunderung hingerissen. Deshalb schreibt CICERO, daß
kein Schluß zu lang hinausgeschoben wird (non in lon- eine Rede, die keine Bewunderung erregt, auch nicht
gum dilata conclusio) und nichts fehlt oder überflüssig ist entscheidungswirksam sei. [18] Es geht aber nicht nur
(nihil ñeque desit neque superfluat). [9] Wichtig ist hier darum, den Text angenehmer, sondern auch darum, die
die rechte Wortauswahl (electio verborum) [ 10]; manie- Sache glaubwürdiger und überzeugender zu ma-
rierter Gebrauch veralteter Wörter und Ausdrücke, chen. [19]
Fachtermini sowie Provinzialismen sollten vermieden
Schon bei den Griechen wurden die E. und speziell
werden. Der Deutlichkeit steht die Dunkelheit des Aus-
Fragen des ornatus zum Thema der rhetorischen Fachli-
drucks (obscuritas) gegenüber. [11] Das dritte Haupter-
teratur. ARISTOTELES handelt über Fragen der Lexis in
fordernis guter Textverfassung ist die Angemessenheit
der <Poetik> [20] und in den ersten zwölf Kapiteln des
des Ausdrucks (πρέπον, prépon; aptum, decorum). [ 12]
dritten Buches der <Rhetorik> nach den Gesichtspunkten
Das Angemessenheitspostulat stellt sich nicht für alle
der Deutlichkeit und der nicht zu hohen und nicht zu
Fälle gleich dar, sondern die Art zu formulieren muß sich
niedrigen Stilhöhe. Der AUCTOR AD H E R E N N I U M widmet
nach der Sache, Person, Zeit oder dem genus der Rede
den größeren Teil des vierten und letzten Buches seiner
richten. Bestimmte Fehler sind mit Rücksicht hierauf zu
Rhetorik dem ornatus, dessen Zweck in der Erhöhung
vermeiden, etwa mißverständlicher Wortgebrauch, fal-
der dignitas von Texten gesehen wird. [21] Cicero behan-
sche Stilhöhe, falsche Affektiertheit oder auch Prahle-
delt den ornatus am Schluß des dritten Buches seiner
rei, mangelnde Disposition u. a. Unter dem Gesichts-
Schrift <De oratore>, und bei Quintilian findet sich der
punkt der Angemessenheit ist generell auf die electio
ornatus-Teil in den Kapiteln drei bis sechs des achten und
verborum zu achten, Neologismen etwa und Obszön-
im ganzen neunten Buch der <Institutio oratoria>. Das
wortschatz sind mit Vorsicht zu behandeln. [13]
älteste inhaltlich bekannte Spezialwerk zur Figurenleh-
QUINTILIAN widmet den Möglichkeiten, einen Sach-
re [22] vom jüngeren GORGIAS ( l . J h . v.Chr.) ist eine
verhalt bei der Textgestaltung besonders herauszuarbei- ursprünglich umfangreiche Schrift (<Peri Schëmàton>).
ten, also den Möglichkeiten sprachlicher Steigerung Es ist teilweise in der lateinischen Bearbeitung des R U T I -
LIUS L U P U S überliefert. [23]
(αΰξησις, auxësis; amplificano) bzw. Minderung (μ,είωσις,
meiösis; minutio) ein eigenes E.-Kapitel. [14] Für ihn Hinsichtlich der Frage, welche Arten von sprachlichen
beruht nämlich die ganze Gewalt des Redners auf der Strukturen beim ornatus vorliegen, kommen die antiken
Kraft zu steigern und abzuschwächen («vis oratoris om- Autoren bereits zur Unterscheidung grammatischer Ba-
nis in augendo minuendoque consistit»), [15] Erreicht sisstrukturen und rhetorisch motivierter Hyperstruktu-
wird dies mit fünf Techniken: 1. Wahl vergrößernder ren auf Mikro- und Medio-Ebene von Werken. Dabei
(bzw. verkleinernder) Bezeichnungen, 2. Aneinander- geht man von einem Zweischritt beim Vertextungsvor-
reihung überbietender Bezeichnungen (incrementum), gang aus, eine Vorstellung, die sich während der ganzen
3. Vergleich (comparatio), 4. Vergrößerung einer Sache älteren Rhetorikgeschichte gehalten hat. Sie besteht in
durch Schluß aus einem mit der Sache selbst nicht oder der Annahme, daß der Autor zunächst eine Einfachver-
nur äußerlich zusammenhängenden Umstand (ratiocina- sion seines Textes herstellt und diese danach mit figura-

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len Mitteln modifiziert. Die grammatische Korrektheit durch Autorität, Alter, Gewohnheit, oft durch eine ge-
läßt sich nicht steigern, aber der Text kann unter Beach- wisse ratio verteidigt, wären sie ferner nicht beabsichtigt,
tung der grammatischen Korrektheitsregeln nach be- so handelte es sich dabei um Fehler. [29] In Dichtungen
stimmten Strukturmustern und Verfahrensregeln über- sind sie auf jeden Fall lizenzierte Möglichkeiten und
formt werden. Zur Erklärung diente die bis in die Ge- heißen dann Metaplasmen bzw. Figuren. Entsprechend
genwart weitgehend akzeptierte Deviationstheorie, ge- sagen die lateinischen Grammatiker C H A R I S I U S [30] und
mäß der etwa Q U I N T I L I A N definiert: <Eine Figur ist, wie DIOMEDES[31]: «barbarismus [ . . . ] apud poetas meta-
es ja schon der Name erkennen läßt, eine Gestaltung der plasmus vocatur, soloecismus autem schema».
Rede, die abweicht von der allgemeinen und sich zu- Die zwei wichtigsten Figurenbereiche sind die der Tro-
nächst anbietenden Art und Weise» («<figura>, sicut no- pen und Figuren im engeren Sinn. Für die Erklärung der
mine ipso patet, conformatio quaedam orationis remota Tropen wird regelmäßig auf die verbum proprium-Theo-
a communi et primum se offerente ratione»). [24] Nach rie zurückgegriffen. Der Tropus ist danach «ein zum
Volkmann geht es bei diesem Deviationsprinzip um «ge- Schmuck der Rede von seiner ursprünglichen, natürli-
wisse Ausdrucksweisen, die von der herkömmlichen chen Bedeutung auf eine andere übertragener Aus-
zwar abweichen, aber weil sie nicht ohne gewisse innere druck, oder, wie die Grammatiker meist definiren, eine
Berechtigung sind, in angenehmer Weise Abwechslung von der Stelle, wo sie eigentlich ist, auf eine andere, wo
und Mannigfaltigkeit in die Darstellung bringen. Dies sie uneigentlich ist, übertragene Redeweise». [32] Beim
sind die sogenannten grammatischen Figuren». Darüber Tropus geht es also um den Austausch einzelner Wörter.
hinaus läßt sich die lexikalische Korrektheit und Her- Dagegen hat es die Figur mit der syntagmatischen Kom-
kömmlichkeit der Darstellung «theils steigern, theils mo- bination von Wörtern zu tun (Quintilian spricht von ihrer
dificiren durch geschicktes Heranziehen des alterthümli- <Anordnung>, collocatio) [33], ohne daß die in der anti-
chen und minder herkömmlichen, und anmuthiges Ab- ken Tradition als ursprünglich angenommene Bedeu-
weichen von der Proprietät des Ausdrucks», letzteres tung der Wörter verändert würde. Bei den meisten Rhe-
erreichen die Tropen. [25] torikern teilen sich die Figuren, gewissermaßen die Vor-
Im Zentrum der ornatus-Theorien stehen gewöhnlich stellung von der Bilateralität des sprachlichen Zeichens
Figurentaxonomien, also mehr oder weniger umfangrei- vorwegnehmend, wiederum in die zwei Gruppen der
che Versuche, bestimmte sprachliche Strukturen, die Figuren des Ausdrucks (figurae verborum) und der Figu-
man unter der Kategorie <Figur> führte, zu klassifizieren ren des Inhalts (figurae sententiarum). «Schon dem Cice-
und in Ordnungssysteme zu bringen. Für diese Struktu- ro war diese Eintheilung bekannt, und es ist nicht zu
ren wurden Generierungsregeln aufgestellt [26] und grie- bezweifeln, dass sie bis auf Theophrast zurückgeht.» [34]
chische und lateinische Nomenklaturen entwickelt. Sie Die Ausdrucksfiguren untergliedern sich nach Q U I N T I -
LIAN in die bereits erwähnten grammatischen Figuren
stellten für die Rhetoriktheorie von Anfang an ein Pro-
blem dar. «Die rhetorische Behandlung der Figuren geht und die eigentlichen rhetorischen Figuren. Mit den rhe-
selbstverständlich bis über Theophrast und Aristoteles torischen Figuren kann die sprachliche Oberfläche der
zurück. Die angedeuteten Schwierigkeiten traten erst vorausgesetzten Einfachversion des Textes weiter über-
hervor, als sie einer monographischen Behandlung un- formt werden, z.B. in Form von Wiederholungsstruktu-
terzogen wurden, und dies ist, so viel wir wissen, zuerst ren (Anapher, Asyndeton, Chiasmus, Gemination
durch den jüngeren Gorgias, den Lehrer von Cicero's etc.). [35]
Sohne, geschehen.» [27] Quintilian versuchte, die Syste- Die Ausdrucksfiguren sind durch festgelegte Oberflä-
matisierungsversuche zusammenzufassen. Dabei war es chenstrukturen definiert, die Sinnfiguren dagegen ledig-
erstens schwierig, die grammatischen Basisstrukturen lich durch eine semantische Tiefenstruktur. Dement-
einleuchtend von den sog. grammatischen Figuren sowie sprechend gelangt CICERO zu folgender Abgrenzung:
den auf anderer Ebene angesiedelten rhetorischen Figu- <Zwischen den Figuren des Ausdrucks und denen des
ren und den weiteren, unter der Rubrik compositio be- Gedankens besteht ein Unterschied insofern, als man die
handelten syntaktischen Strukturen zu unterscheiden. Figuren des Ausdrucks zerstört, wenn man die Worte
Zweitens stand für bestimmte Bereiche von Seiten der ändert, während die des Gedankens bestehen bleiben,
Poetik die Zuständigkeit der Rhetorik in Frage, etwa im welcher Worte man sich auch bedient> («inter conforma-
Bereich metrischer oder transphrastischer Strukturen tionem verborum et sententiarum hoc interest, quod
(d.h. über die Satzgrenze hinausgehende Textstruktu- verborum tollitur, si verba mutaris, sententiarum perma-
ren). Drittens ließen sich die Tropen nicht mit der nöti- net, quibuscumque verbis uti velis»). [36]
gen Klarheit von den Figuren (schémata) im engeren
Sinn trennen und diese ihrerseits wiederum nicht pro- Es verbleibt noch die Lehre vom Satzbau (verba con-
blemlos in Wort- und Gedankenfiguren unterteilen. iuncta), die unter der Rubrik compositio [37] oder struc-
Viertens war unklar, ob man je die Fülle aller möglichen tura[38] geführt wird. Dabei geht es um den bewußt
rhetorisch relevanten Strukturmuster erfassen konnte. kunstvoll gestalteten Bau der Sätze und der Wortfolge
mit dem Ziel, den Text als einen fortlaufend geschlosse-
Diese und ähnliche Schwierigkeiten haben im Lauf der nen Zusammenhang erscheinen zu lassen. Jenseits der
Rhetorikgeschichte immer wieder dazu herausgefordert, kunstlosen, an Umgangssprache und Alltagstexten
umfangreiche und teils hochdifferenzierte Figurensyste- orientierten Syntax der oratio soluta [39], unterschied
me zu entwerfen. Spätestens seit Q U I N T I L I A N gab es aller- man a) den parataktischen Satzbau der oratio perpe-
dings ein recht stabiles taxonomisches Grundmodell. tua [40], bei der die Gedanken quasi geradeaus fort-
Zunächst gruppierte man jene Figuren zu einem Be- schreiten, und b) die hypotaktische Periode, bei der die
reich, deren Struktur sich unter direktem Bezug auf das am Anfang aufgestellten Gedanken im Satzverlauf wei-
grammatische Basis- und Orthosystem beschreiben läßt. ter entwickelt werden, bis die Periode durch immer neue
Man kann sie mit Quintilian [28] grammatische Figuren hinzutretende Elemente in sich selbst einen Abschluß
nennen. Gemeint sind die Barbarismen und Soloecis- findet. Als syntaktische Grundbausteine gelten dabei
men, deren Merkmal ein Verstoß gegen grammatische Komma (incisum) und Kolon (membrum). In älterer und
Regeln auf Wort- oder Syntaxebene ist. Würden sie nicht späterer Zeit begnügte man sich lediglich mit der rhyth-

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mischen Seite der Periodologie und ließ das grammati- Das auf einfache Sprachmittel beschränkte genus subtile
sche Verhältnis der Satzglieder zueinander ganz unbe- dient der Darlegung von Sachverhalten (docere) und
achtet. [41] Dazu wäre erklärend zu sagen, daß die latei- erfordert deshalb Scharfsinn; es findet im Erzählen und
nischen Grammatiker nicht zu einer wirklichen Syntax- Beweisen Verwendung. Demgegenüber soll das erhabe-
lehre vorgedrungen sind. ne genus grande atque robustum die Gefühle erregen
Hinsichtlich der Wortfolge lehrt die compositio unter (movere) ·, es kann den ganzen Hyperstrukturierungsap-
der Rubrik ordo, wie die Wörter kunstmäßig innerhalb parat ausschöpfen. [52] Zwischen diesen beiden extre-
einer Periode zusammenzustellen sind, wobei die rechte men Stilebenen ist eine mittlere (medium ex duobus bzw.
Anordnung der Wörter, ihre Verbindung und der floridum) angesiedelt, die dem delectare und dem conci-
Rhythmus zu beachten sind. Diskutiert wird dabei auch liare dient und deshalb mit lenitas auszustatten ist.
das Konzept des ordo naturalis, also der natürlichen
Aufzählungsabfolge (z.B. Tag und Nacht, Aufgang und Anmerkungen :
Untergang) im Gegensatz zum ordo artificialis. Unter 1 R . Volkmann: Die Rhet. der Griechen u. Römer in systemat.
der Rubrik iunctura oder coniunctura geht es um die Übersicht ( 2 1885; N D 1987) 393ff.; J.Martin: Antike Rhet.
Frage, wie das unmittelbare Nebeneinander von Silben, (1974) 247ff. ; H. Lausberg: Hb. der lit. Rhet. ( 3 1990) §§ 453ff. -
Wörtern und Sätzen zu regeln ist (z.B. Hiatus-Pro- Ì R . B a r t h e s : L'Ancienne Rhétorique, in: Communications 16
blematik). Dabei sind die syntaktischen Einheiten (An- (1970) 1 7 2 - 2 2 9 , hier 217f.; dt. in R.Barthes: Das semiologi-
fang, Mitte, Schluß) zu beachten. Die Metrik ist zwar sche Abenteuer (1988) 1 5 - 1 0 1 , hier 86. - 3 G . Streckenbach:
Stiltheorie u. Rhet. der Römer im Spiegel d. humanistischen
unter der Rubrik numerus eigentlich der Poetik zuzuord-
Schülergespräche (1979) 88f. - 4 M . Fuhrmann: Die antike
nen, ihr wird aber dennoch auch von der Rhetorik Auf- Rhet. (1984) 114. - 5 v g l . Martin[1] 252. - 6 v g l . Auct. ad Her.
merksamkeit geschenkt, weil die Prosa bis zu einem IV, 12,17ff. - 7vgl. H. Rüdiger: Pura et illustris brevitas. Über
gewissen Grad rhythmisch sein muß. Die Rhetoriker Kürze als Stilideal, in: Konkrete Vernunft. FS E. Rothacker,
gehen daher in gesonderten Kapiteln auf den Rhythmus hg. v. G . F u n k e ( 1 9 5 8 ) . - 8 Arist. Rhet. 111,5; 1 4 0 7 a . - 9 Q u i n t .
der Periode ein (oratorius numerus). [42] Beachtung fin- VIII, 2 , 2 2 . - 1 0 Quint. 1,12, 4. - 1 1 Quint. VIII, 2 , 1 2 . - 1 2 vgl.
det hier vor allem der rhythmische Satzschluß (clausula) Quint. VIII, 3, 42; Arist. Rhet. III, 2; 1404b 3f.; Cicero, Parti-
mit den vier cursus genannten Hauptformen. [43] Mit tiones oratoriae 6, 19. - 13vgl. Volkmann [1] 411ff. - 14vgl.
Lausberg [44] kann man die Grundelemente der compo- Quint. VIII, 4. - 1 5 Q u i n t . VIII, 3, 89. - 1 6 Q u i n t . VIII, 3, 61. -
17Quint. VIII, 3, 1 - 7 . - 18vgl. Cicero, Epistulae, frg. 8, 8. -
sitio in folgendem Schema erfassen: 19vgl. Isocr. or. 5, 27. - 2 0 Arist. Poet. 2 0 - 2 2 ; 1456b 2 0 - 1 4 5 9 a
(1) Das Satzganze: oratio soluta, oratio perpetua, pe- 16. - 2 1 Auct. ad Her. IV, 1 2 , 1 7 - 5 6 , 69. - 2 2 vgl. Volkmann [1]
riodus (colon, comma, periodorum genera et usus). 456f.; Martin [1] 270f. - 23vgl. Rutilius Lupus, Schémata lé-
xeös, in: Rhet. Lat. min. 3ff. - 24Quint. IX, 1, 4. - 25Volk-
(2) Wortfolge: ordo, iunctura (Wortganzheiten, mann [1] 411. - 26vgl. W. Ax: Quadripertita ratio: Bemerkun-
Wortteile, wie Silben und Laute), numerus (in clausulis, gen zur Gesch. eines aktuellen Kategoriensystems (Adiectio-
in initiis, in mediis). Detractio-Transmutatio-Immutatio), in: Historiographia Lin-
Zu 3. Stilartenlehre: Als grundlegend und von größter guistica 13 (1986) 191-214; J.Knape: Art. <Änderungskatego-
historischer Wirkung erwies sich das Konzept der Drei- rien>, in: H W R , Bd. 1 (1992) Sp. 549ff. - 27Volkmann [1] 456f.
stillehre. Obwohl es bisweilen modifiziert, z. B. als Zwei- - 2 8 Q u i n t . IX, 3 , 2 . - 2 9 v g l . Quint. I, 5, 5. - 30Charisius: Ars
oder Vierstillehre auftrat, sprach man «bei überaus grammatica IV 1, in: Gramm. Lat. Bd. 1, 265. - 31Diomedes:
schwankender Terminologie im einzelnen doch allge- Ars grammatica II, in: Gramm. Lat. Bd. 1,451. - 32Volk-
m a n n [ l ] 460. - 3 3 Q u i n t . IX, 3, 2. - 34Volkmann[1] 460; vgl.
mein von einer erhabenen, mittleren und niedrigen Stil- auch A . N . Bradford: Classical and Modern Views of the Figu-
art. Diese Eintheilung ist uralt und geht wahrscheinlich res of Speech: Ancient Theory and Modern Manifestations
a u f ANTISTHENES [ c a . 4 5 5 — 3 6 0 v . C h r . ] z u r ü c k » . [45] D e r (Diss, masch. N e w York 1982). - 3 5 Weitere Grundformen bei
mit Bezug auf die griechische Tradition diskutierte Ge- D . Fehling: Die Wiederholungsfiguren u. ihr Gebrauch bei den
gensatz von Asianismus (emphatische, vieldeutige, Griechen vor Gorgias (1969) 10. - 36Cie. D e or. 3 , 200. -
schmuckbeladene Redeweise) und Attizismus (nüchter- 37Quint. IX, 4, 1; vgl. A . Scaglione: Komponierte Prosa von
ne, klare, schmucklose Redeweise) gehört in diesen Zu- der Antike bis zur Gegenwart, Bd. I (1981). -38Fortunatianus,
sammenhang. [46] Schon QUINTILIAN hat erkannt, daß Ars rhetorica III, 10, in: Rhet. Lat. min. 127. - 3 9 Q u i n t . IX, 4,
jedes starre System von Stilebenen eine schematisch ver- 19. - 40 Aquila Romanus : D e figuris sententiarum et elocutionis
§ 18, in: Rhet. Lat. min. 27, 16f. - 41 Quint. IX, 4, 19ff.; vgl.
einfachende und empirisch kaum haltbare Konstruktion auch Volkmann[1] 509. - 42Quint. IX, 4, 57. - 43Martin[l]
ist. Er sah klar, daß zwischen je zwei Arten der Rede 328; E. Norden: Die antike Kunstprosa (1898; N D 1958) Bd. II,
immer auch noch eine dritte angesetzt werden kann und 909ff. - 44Lausberg[1] § § 9 1 1 - 1 0 5 4 . - 45Volkmann[1] 532. -
daß man somit auf fast unzählige Arten kommt. [47] 4 6 A . D . Leeman: Orationis ratio. The stylistic Theories and
Practice of the Roman Orators Historians and Philosophers
Bei der Lehre von den Stilebenen definierte man un-
(Amsterdam 1963) Bd. 1, 91ff.; Norden [43] Bd. I, 251ff. -
terschiedliche Sprachgebrauchsebenen, die sich auf 47Quint. XII,10,66f. vgl. Diogenes Laertios VI, 15; Auct. ad
funktionale, situative und soziale Kriterien ausrichten Her. IV, 8,11; Cie. Or. 21, 69; Quint. XII, 10, 58. - 4 8 A u c t . ad
(Intention, inneres und äußeres aptum einschließlich so- Her. IV, 8,11. - 4 9 C i c . Or. 2 3 , 7 5 - 2 8 , 9 9 . - 5 0 C i c . Or. 21,70. -
zialem Kontext). Jede dieser Ebenen verlangt eine vor 51 Quint. XII, 10. - 5 2 v g l . Quint. XII, 10, 61.
allem aptum-gesteuerte spezifische Selektion des inven-
tiven Materials und der sprachlichen Mittel. Bestimmte
sprachliche Hyperstrukturen dürfen danach also nur auf II. Mittelalter. In der westlichen Kultur des Mittelalters
bestimmten Stilebenen realisiert werden. war die klassische lateinische Rhetoriktradition zumin-
Die älteste geschlossene Darstellung dieser drei stili- dest in Form von Abschriften der <Rhetorica ad Heren-
stischen Charaktere findet sich beim AUCTOR AD HEREN- nium> (rhetorica nova) und CICEROS <De inventions
NIUM. [48] CICERO handelt dann im <Orator> [49] die Stile- (rhetorica antiqua) ohne Unterbrechung gewährlei-
benen differenziert nach Inhalts-, Form- und Wirkungs- stet. [1] Bisweilen beschränkte sich die Kenntnis auf Ex-
fragen ab und entwickelt damit ein funktionales Dreistil- zerptwerke, wie das des ULRICH VON BAMBERG (<Libellus
konzept. [50] Auch QUINTILIAN geht in der <Institutio Graecia nobilium>, vor 1127). Das Werk diente der Un-
oratoria> [51] von einer funktionalen Dreistillehre aus. terweisung im prosaischen Dictamen und stellt Passagen

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zu Teilgebieten der E. aus schulläufigen antiken Rheto- wird in ihren klassischen Bestandteilen, allerdings ver-
riken zusammen. Vor allem geht es um die compositio kürzt und in eigenwilliger Zusammenstellung abgehan-
des Satzes, aber auch um die metaphorische Rede und delt (II, 16—21). Eine allgemeine Definition fehlt, am
die Figurenlehre. [2] Eigenständige und umfassende rhe- Anfang stehen die Sprachgebrauchsgrundsätze, d . h . die
torische Theoriewerke sind dagegen selten. In der For- virtutes elocutionis (II, 16) und die Dreistillehre (II, 17).
schung geht man deshalb schon seit langem von einer Dann folgen Strukturtaxonomien mit compositio (II,
«mediaeval fragmentation» [3] der Rhetorik aus. Das 18-20) und die Figurenlehre (II, 21). Barbarismus bzw.
heißt, rhetorisches Wissen wird kaum in Gesamtrhetori- Metaplasmus und Soloecismus sowie Tropenlehre wer-
ken, sondern in praxisorientierten Spezialwerken ver- den gemäß der noch zu behandelnden donatistischen
mittelt, in denen zum Teil die eigentlich rhetorischen Grammatikertradition schon im ersten, der Grammatik
Fragestellungen nicht einmal im Vordergrund stehen. gewidmeten Buch abgehandelt.
Auch die klassische rhetorische Fachterminologie, etwa Die frühe enzyklopädische Tradition setzen im Hoch-
der Begriff <E.>, tritt vielfach nicht mehr in Erscheinung. mittelalter Autoren wie A L A N U S AB INSULIS und V I N -
Über den Stellenwert der E. im Mittelalter gibt es ZENZ VON BEAUVAIS fort. Alanus stellt um 1180 in seinem
bisweilen durchaus fragwürdige Auffassungen, etwa <Anticlaudianus> die septem artes ausführlich vor. Die
wenn behauptet wird, daß die mittelalterliche Rhetorik Rhetorik wird dabei poetisch überschwenglich sogleich
sich auf die E. beschränkte, auf das <Schatzhaus> der als Hüterin und Spenderin des Sprachschmucks, d . h .
Tropen, Figuren und Gemeinplätze, oder daß für den von ihren elokutionellen Leistungen her gesehen. Sie
mittelalterlichen Prediger Kenntnisse der E. nahezu ge- vollendet auf der sprachlichen Oberfläche, was Gram-
nügten. [4] Weder die erste noch die zweite These lassen matik und Dialektik, die Schwesterdisziplinen, erarbei-
sich aus den Theoriequellen beweisen. Alles in allem tet haben, indem sie es mit vollkommenem Schmuck
wird nämlich die inventio mindestens genauso, wenn versieht («opus sororum perfectius ornat»; III, 141f.). [8]
nicht gar mit Vorrang behandelt und zwar gerade in den Die Analogie zur Malkunst wird entfaltet: <Hier erglänzt
für Prediger bestimmten Traktaten. Natürlich haben die aus des Malers Schatz der rhetorischen Farben Bild, und
Dichter gern den Sprachschmuck herausgehoben, z.B. so malet die Malkunst hier: <die Malkunst der Worte. >
THOMASIN VON ZERCLAERE (ca. 1 1 8 5 — n . 1 2 1 5 ) : «Rhetori- («Hic pictoris ope splendei pictura coloris / Rhetorici, sic
ca chleit / unser rede mit varwe schöne». [5] Landläufig picturam pictura colorât»; III, 168f.). [9]
mag das Diktum rhetorica verba colorât gewesen sein. [6] Mit dem <Speculum maius> hat Vinzenz von Beauvais
Eine generelle Reduktion der mittelalterlichen Rheto- (1184/94—1264) wohl die umfassendste Enzyklopädie
rikauffassung auf die E. verbietet sich aber. [7] des Mittelalters geschaffen. In ihrem zweiten Teil han-
Von den wichtigsten Theoriequellen stammen aus delt er die septem artes und damit auch die Rhetorik ab.
dem Bereich lateinischer sprachlicher Schulbildung die Aus den Bereichen der E. werden, nach Isidor von Sevil-
Werke der ars grammatica und ars poetriae, für den la und wie in der donatistischen Grammatikertradition
Bereich kirchlicher Verkündigung entstanden die Werke üblich, die Barbarismen und Metaplasmen, Soloecis-
der ars praedicandi, und auf die schriftliche Kommunika- men, aber auch die Figuren- und Tropenlehre (mit be-
tion, vor allem im politisch-rechtlichen Leben, waren die sonderer Berücksichtigung der Allegorie) am Ende des
Werke der ars dictandi ausgerichtet. Weitere Quellen Grammatikteils erörtert. [10] Der größte Teil des Rheto-
kommen hinzu. So ergeben sich folgende Hauptgrup- rik-Kapitels ist dann der inventio und poetologischen,
pen: vor allem auch Gattungsfragen gewidmet. Eingeschoben
a) Enzyklopädische Werke. Sie vermitteln auch ist ein knappes E.-Kapitel (<De constructione & ornatu
Grundkenntnisse zur Rhetorik als einem der sieben orationis Rhetoricae>) mit einigen Kerndefinitionen zur
Schulfächer (septem artes liberales). Bei den Enzyklo- compositio (comma, colon, periodus), Dreistillehre und
pädisten des 5., 6. und 7. Jh., die Teile des antiken Wis- zu elegantia, compositio und dignitas. Zum Schluß wer-
sens ans Mittelalter weiterreichten, behält die E. ihre den nochmals Figuren vorgestellt (figurae verborum und
Systemstelle im Schema der fünf officia oratoris. Das gilt sententiarum). [11]
auch für M A R T I A N U S CAPELLA ( 5 . Jh.), der im 5 . Buch b) Gesamtrhetoriken eigenständiger Art treten im
seiner Enzyklopädie der septem artes <De nuptiis Mercu- Mittelalter ganz selten auf. In karolingischer und ottoni-
rii et Philologiae> auf die Rhetorik eingeht. Unter Bezug scher Zeit entstanden A L K U I N S (t804) <Disputatio de
auf Cicero stellt er fest, die E. habe zwei Fundamente rhetorica> [12] und die NOTKER DEM D E U T S C H E N von
(fundamenta) und zwei Gipfel (fastigia 5, 508). Die bei- St. Gallen ( t 1022) zugeschriebene <Rhetorica>. [13] Al-
den Fundamente sind für ihn die klassischen virtutes kuin behandelt die E. in traditioneller Weise als drittes
elocutionis der latinitas und perspicuitas, die beiden Hö- der fünf officia (37.—38.Kap.). Einleitend werden als
hepunkte bestehen in der rednerischen Verfügungsge- elokutionäre virtutes sprachliche Richtigkeit und Ver-
walt über Redeschmuck (ornatus) und verbalen Reich- ständlichkeit angegeben («facunda debet esse [elocutio]
tum (copia). Im einzelnen werden dann Tropen und et aperta»). Das erste wird durch Grammatikalität und
Figuren vorgestellt (V, 5 0 9 — 5 3 7 ) , ein compositio-Ab- Nachahmung der klassischen Autoren erreicht, das zwei-
schnitt mit Hinweisen zu den vitia, zu Satzrhythmik und te durch Verzicht auf uneigentliche Rede. Der größte
Metrik ist eingeschoben (V, 5 1 4 — 5 2 3 ) . Während Mar- Teil der weiteren Erörterungen ist dann der Figurenleh-
tianus alle fünf officia oratoris behandelt, geht der re und einigen Hinweisen zur compositio gewidmet.
Mönchslehrer CASSIODOR ( t 5 7 5 ) anläßlich der Behand-
Die Notker-Rhetorik enthält einen recht eigenständi-
lung der septem artes im Rhetorikteil seiner <Institutio-
gen und relativ langen E.-Teil. Die auf dem <Auctor ad
nes> nur länger auf die inventio, nicht aber auf die E. ein.
Herennium> (I, 2, 3) fußende Definition (Kap. 51) gibt
Lediglich die Herennius-Definition der E. nimmt er ein-
der Text lateinisch-althochdeutsch: «Elocutio est ido-
leitend auf (II, 2, 2).
neorum uerborum ad inuentionem accomodano. Elocu-
Auch der für die Vermittlung antiken Wissens so wich- tio. daz chit reht kesprache. uel reht kechose ist. Ido-
tige ISIDOR VON SEVILLA ( t 636) widmet sich der Rhetorik neorum uerborum accomodatio ad inuentionem. Dero
im 2. Buch seiner <Etymologiae> ausführlicher. Die E. sculdigon uuorto legida ze dinen gedanchin. ze demo so

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du sprechen uuellest». [14] Ein eigenes Kapitel handelt schrift und <De schematibus et tropis> von B E D A VENERA-
«de elocutionis dignitate», worin unter Bezug auf die BILIS ( T 7 3 5 ) gerückt werden. [19] Eigenständige Figu-
Kirchenväter Hieronymus und Augustinus die große Be- rentraktate lieferten des weiteren u.a. im 11. Jh. O N U L F
deutung der sprachlichen Gestaltung (neben der an die VON SPEYER (<Colores rhetorici>) [20] und MARBOD VON
inventio geknüpften gedanklichen) hervorgehoben wird R E N N E S (<De ornamentis verborum>) [21], im 13. Jh.
(Kap. 57). Nach Martianus Capeila und unter Hinweis dann GEOFFREY VON VINSAUF (<De coloribus rhetori-
auf Cicero sind latinitas und perspicuitas als die structure cis>) [22] und JOHANNES VON GARLANDIA (<Exempla
totius elocutionis fundamenta angegeben, als die höch- honestae vitae>) [23]. Auch der anonyme Figurentraktat
sten und wichtigsten Leistungsbereiche (fastigio) wieder- von St. Omer steht in dieser Reihe. [24]
um copia verborum und ornatus (Kap. 52). Die gesamte d) Ars grammatica. Unter dem Vorzeichen des lateini-
Figurenlehre erscheint unter der Dichotomie von elocu- schen Spracherwerbs dominierte im Schulkursus der drei
tio in verbis singulis und in verbis coniunctis (Kap. 52), im Trivium zusammengefaßten unteren Artes-Fächer
ebenso die Abschnitte zu Barbarismus und Soloecismus zumeist die Grammatik. Da es naturgemäß auf dem Feld
(Kap. 52 und 54). Zum ersten Mal in der Geschichte d e r E . zahlreiche Berührungspunkte zwischen Gramma-
werden hier elokutionäre Phänomene mit deutschspra- tik und Rhetorik gab, lag es nahe, die in der Rhetorik-
chigen Beispielen erläutert. Zur Illustration der Aus- theorie behandelten elokutionären Phänomene auf dem
drucksfiguren (figurç lexeos, in quibussola placet compo- Wege von Erörterung und Stilübung in den Grammatik-
sitio uerborum; Kap. 52), wo sonst Ennius, Vergil und unterricht zu integrieren. Gerade im Bereich der die
die römischen Dichter zitiert werden, bringt Notker als compositio betreffenden Syntax war die Grenzziehung
Beispiel des Klangschmucks (in omni lingua causa delec- zwischen Grammatik und Rhetorik schwierig. Dement-
tationis) u.a. einen deutschen Stabreim von Kampflust sprechend legte etwa der Grammatiker ARUSIANUS
und Waffenklang: MESSIUS im 4. Jh. eine alphabetische Sammlung von
grammatischen Konstruktionen an, die aus Klassikern
«Sóse snél snéllemo
wie Vergil, Sallust, Terenz und Cicero Satzmuster
pegágenet ándermo. schöpfte und die später unter dem Titel <Exempla elocu-
sô uuírdet slîemo tionum> überliefert wurde. [25] Die Grammatiktheoreti-
firsniten sciltriemo. » ker trugen den vielfältigen Überschneidungen der Fä-
(Wenn ein Held einem anderen Helden / Begegnet / So cher in der Theorie und in der schulischen Unterrichts-
wird schleunigst / Zerschnitten der Schildriemen.) praxis dadurch Rechnung, daß sie ihren Lehrbüchern
Bei den Inhaltsfiguren erläutert die Notker-Rhetorik ausgedünnte E.-Teile anfügten oder separate einschlägi-
die Figur der Hyperbel mit grotesken Versen über einen ge Traktate schufen. Abgrenzende Definitionen des E.-
gejagten Eber: Sektors, wie sie sich bei den Rhetorikern im Rahmen der
«Imo sintfûoze fünf-o/jfta'fl-Lehre finden, fehlen bei ihnen vielfach. [26]
fûodermâze. Die wichtigste Grammatik des Mittelalters wurde die
imo sínt bürste des A E L I U S DONATUS (4. Jh.). In der Version für Fortge-
ébenhô forste, schrittene (<Ars maior>) behandelt das dritte Buch, der
únde zéne sine, sogenannte <Barbarismus>, Fragen der E. Es besteht,
zuuélifélnîge. » wie der Name schon andeutet, aus einer Figurentaxono-
(Ihm sind Füße eigen / fudermäßig / Ihm sind Borsten mie, die zunächst unter der deviationstheoretisch be-
eigen / so hoch wie Forste / und seine Zähne / zwölf Ellen gründeten Kategorie vitia Barbarismen sowie Soloecis-
men behandelt. Donat zieht bei den Barbarismen am
lang.)
Anfang auch die Änderungskategorien heran. Unter ge-
In nur einem Kapitel wird die compositio, speziell der wissen pragmatischen Bedingungen sind grammatische
rhythmische Satzschluß abgehandelt (Kap. 55). Aus- Fehler (vitia) als intendierte Figuren lizenziert; aus Bar-
führliche Erörterungen sind dagegen den genera dicendi barismen werden dann Metaplasmen, aus Soloecismen
gewidmet. Notker entfaltet jedoch keine Dreistillehre, Schemata. Donatus zählt am Schluß des Buchs Figuren
sondern eine Vierstillehre (Kap.38—42). Bei den Ver- und Tropen auf. [27]
fahren stilistischer Überformung unterscheidet er näm-
lich die auf Gewichtigkeit zielenden der Römer, die Kennzeichnend für die grammatische Tradition wird,
scharfsinnigen der Griechen, die schmuckvoll-eleganten daß nur Ausdrucksfiguren (figurae verborum) und Tro-
der Attizisten und die wortreichen der Asianisten («alii pen, aber keine Inhaltsfiguren (figurae sententiarum) be-
sunt grauiores ut romani, alii acutiores ut greci, alii orna- handelt werden. In anderen Vollgrammatiken des 4. Jh.,
tiores ut attici, alii copiosiores ut asini»; Kap. 38). wie denen des CHARISIUS und des DIOMEDES, finden sich
c) Separate Elocutiotraktate. Die antike Tradition vergleichbare Taxonomien. Beide haben aber darüber-
monographischer Behandlung des Figurensystems setzt hinaus auch compositio-Abschnitte. Charisius handelt
sich in der Übergangszeit zum Frühmittelalter mit Wer- nur kurz über Rhythmus und Metrum (Ende des 4. Bu-
ken von Grammatikern und Rhetorikern fort. [15] Zu ches) [28], Diomedes dagegen widmet sich der composi-
ihnen zählen JULIUS RUFINIANUS (4. Jh.), der einen <De tio ausführlicher (am Ende des 2. Buches) und reserviert
figuris sententiarum et elocutionis liber> [16] schrieb, das ganze 3. Buch Fragen der Metrik und Rhythmik. [29]
und CONSENTIUS (ca. 5. Jh.) mit <De Barbarismis et Me- Auch die späteren mittelalterlichen Grammatiker ha-
taplasmis>. [17] Hierher gehören auch die <Versus et ex- ben Metrikkapitel in ihren compositio-Abteilungen, et-
cerpta de compositione et de metris oratorum> des R U F I - wa EBERHARD VON B E T H U N E (t 1212) im 4. Kapitel seines
NUS VON ANTIOCHIEN (5. Jh.), worin in knapper Form das
<Graecismus> und ALEXANDER DE VILLA D E I im 10. und
antike compositio-Wissen vermittelt wird (Metrik und 11. Kapitel seines <Doctrinale> (vollendet 1199). Unter
Satzrhythmik sowie, unter ausführlicher Cicero-Zita- Anlehnung an die Systematik Donats stellt Eberhard
tion, Komma, Kolon und Periode). [18] In diese Tradi- drei Kapitel Figurenlehre an den Anfang seines Tex-
tion können <De metris et enigmatibus ac pedum regulis> tes [30], Alexander beschließt sein Werk im 12. Kapitel
mit einer entsprechenden Taxonomie. [31]
von A L D H E L M VON MALMESBURY (t709) sowie Metrik-

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Wie sehr die Grammatik in der Praxis nicht nur die Nachahmung und Überbietung der Vorlagen auf eloku-
elokutionären Teile der Rhetorik an sich gezogen hatte, tionärer Ebene wird dabei empfohlen.
wird im Grammatik-Kapitel des bis ins 12. Jh. verbreite- GEOFFREY VON V I N S A U F baut die mehr als zweitausend
ten Lehrbuchs für Geistliche <De clericorum institutio- Verse seiner <Poetria nova> nach dem Schema der fünf
n s von H R A B A N U S M A U R U S ( T 8 5 6 ) deutlich. [ 3 2 ] Die officia oratoris auf. Für die nicht dem Begriff, aber der
Grammatik ist für Hraban eben auch die scientia inter- Sache nach auftretende E. gibt er einleitend an, daß sie
pretandi poetas atque historíeos (18. Kap.). Daher ver- es mit den sprachlichen Gewichten (pondera) zu tun
mittelt sie die theoretisch vom Fach Rhetorik reklamier- habe und daß es bei ihr darauf ankomme, keine bäurisch-
ten Kenntnisse und die Beurteilung der Redeteile, den derbe, sondern eine kultivierte Ausdrucksform zu wäh-
Schmuck der Figuren und die Bedeutung der Tropen len (83f.). Mit den Versen 203-1846 ist der größte Teil
(«partium orationis iura, schematum decorem, tropo- des Werkes elokutionären Belangen gewidmet. [35] Das
rum virtutem»). Auch die Metrik (metrica ratio) fällt ihr gilt auch für das ähnlich aufgebaute Prosa-<Documen-
zu. Im folgenden Rhetorik-Kapitel (19. Kap.) wird die tum>. [36] Es beginnt mit der dispositio, endet mit Hin-
Rhetorik dann nur noch als <weltliche> Wissenschaft ver- weisen zur pronuntiatio und wird im Mittelteil von Aus-
teidigt. Zum Inhalt des Faches heißt es lediglich, daß es führungen zu inventio und E. beherrscht.
um die Kunst gehe, etwas beredt und geschickt (diserte et In der <Poetria> wie im <Documentum> geht es zu-
decenter) vorzutragen sowie etwas angemessen und ele- nächst um die amplificatio/dilatatio bzw. abbreviano ma-
gant (apte et eleganter) abzufassen. teriae, d . h . um Methoden verlängernder bzw. verkür-
e) Ars poetriae. Im 12. und 13. Jh. entstand eine Reihe zender Stoffbearbeitung. Die vorgestellten Amplifika-
von lateinischen Poetiken, die sich wesentlich auf Ele- tionstechniken gehen auf die Figurenlehre der <Rhetori-
mente der rhetorischen Tradition gründen. Am Anfang ca ad Herennium> zurück, sind aber systematisch vom
steht die <Ars versificatoria> des M A T T H A E U S VON V E N D Ô - ornatus im engeren Sinne getrennt. Die acht Amplifika-
ME (um 1175), es folgen als weitere wichtige Werke u . a . tionsmuster sind: interpretatio/expolitio, circumlocutio/
die <Poetria nova> des GEOFFREY VON V I N S A U F (um 1210) periphrasis, comparatio/collatio, apostrophatio/exclama-
und das ihm zugeschriebene <Documentum de modo et tio, conformatio/prosopopoeia, digressio, descriptio und
arte dictandi et versificando (um 1215), die <Ars poetica> oppositio/contrarium. Die sieben Abbreviations-Modi
von GERVAIS VON M E L K L E Y (ca. 1208-16) sowie von sind: emphasis/significatio, articulus, ablativus absolutus,
J O H A N N E S VON G A R L A N D I A <De arte prosaica, metrica et Vermeidung von repetitiones und descriptiones, intellec-
rithmica (Parisiana Poetria)> (Mitte 13. Jh.). [33] Die tiolsynecdoche, dissolutio/asyndeton.
Verfasser dieser Poetrien waren Grammatiker, die Geoffrey eröffnet den ornatus-Teil mit Überlegungen
Theoriewerke für die im lateinischen Sprachunterricht zum Diktum ut pictura poesis (Horaz, Ars poetica 361).
des Triviums üblichen exercitationes auf den Feldern der Dabei geht es um das Verhältnis von color exterior (auf
Vers- und Prosatextgestaltung schaffen wollten. der Ausdrucksebene/verba) und color intimus (auf der
Elokutionellen Fragen kommt dabei naturgemäß ein Inhaltsebendsententia). Der Text muß stets innen und
großes Gewicht zu, wenngleich die Vermischung mit außen koloriert werden (semper sermo coloret intus et
materiellen, d . h . auf die inventio bezogenen Fragen exterius; Poetr. 742). Auch auf inhaltlicher Ebene, auf
unübersehbar ist. Auch die Ebenen von Sprachgebrauch der Ebene der materia, hat eine künstlerische Gestal-
und Sprachstruktur sind nur analytisch strenger ausein- tung, z.B. mittels Wortwahl oder durch Inhaltsfiguren
anderzuhalten. Das gilt für jedes der drei in elokutionä- zu erfolgen, dies sogar vorrangig (<Documentum>, II, 3,
rer Hinsicht besonders wichtigen und in den Poetiken 2). Die so durch innere Farbgebung (color intimus, Po-
behandelten Gebiete von amplificatio/dilatatio [34], or- etr. 746) geformte Sinnebene hat mit der äußeren zu
natus und Stilartenlehre. harmonieren; nur das äußere Antlitz eines Textes zu
MATTHAEUS VON V E N D Ô M E geht vom elegantia-Ideal bemalen, heißt letztlich ein Schmutzbild zu schaffen,
als allgemeiner Sprachgebrauchsregel aus. Er entwickelt eine gefälschte Sache und ein erlogenes Gebilde («faci-
im ersten Buch eine Epitheton-Lehre. Für die descriptio em depingere verbi est pictura luti, res est falsaria, ficta
eines bestimmten Typs von Personen hat der Verfasser forma»; Poetr. 747-749).
danach bestimmte passende Prädikate herauszustellen Für seine Nachfolger richtungsweisend wird die dann
(iampliare; 1, 65) und folglich bestimmte Epitheta zu eingeführte neue Stilartentheorie auf der Grundlage der
verwenden. Im zweiten Buch geht es um den color dicen- Unterscheidung von ornatus difficilis und ornatus facilis.
di, den Matthaeus auch superficialis ornatus verborum Geoffrey spricht von ornata difficultas und facilitas (<Do-
nennt (2, 9) und den er in Form einer kapitelfüllenden cumentum>; II, 3). Die ornata difficultas resultiert allein
Auflistung eleganter Ausdrücke, vor allem Adjektive aus dem Tropengebrauch. Eine entsprechende Taxono-
und Verben, dokumentiert. Sind die beiden ersten mie wird in beiden Werken vorgelegt (Poetr. 770—949;
Bücher tendenziell eher inven/zo-orientiert, so geht es im Documentum II, 3, 4ff.). Über allem aber steht das
dritten unter den Kategorien modus dicendi bzw. verba Deutlichkeits-Postulat; stilistische gravitas darf nicht zur
polita hauptsächlich um rein elokutionäre Belange. Ab- semantischen Verdunkelung führen (Poetr. 843f.,
gehandelt wird der rhetorische ornatus, bestehend aus 1068f.). Die ornata facilitas entsteht laut <Poetria>
scemata, tropi (beide Gruppen nach Donat) und colores (1094ff.) durch Gebrauch der Ausdrucks- und Inhaltsfi-
rhetorici (i. e.figurae sententiarum gemäß dem Auetor ad guren, deren Inventar mit Beispielen unterfüttert eben-
Herennium). Die letztgenannte Gruppe der Inhaltsfigu- falls dargestellt wird. Bei all dem geht es auch um die seit
ren wird nur als Termini-Liste geboten und mit dem der Antike diskutierte Frage, inwieweit die im Kapitel
Hinweis versehen, ein anderer habe sie ja bereits aus- <E.> vermittelten Strukturmuster in selbstbezüglichem
führlicher dargestellt (3, 45), was sich vermutlich auf Spiel aktualisiert werden dürfen oder nicht, kurz, um
MARBODS VON R E N N E S (t 1123) <De ornamentis verbor- den Gegensatz von ästhetischer Autoreflexivität und se-
um* bezieht. Im vierten Buch diskutiert Matthaeus mantisch motivierter Funktionalität sprachlicher Mittel.
Sprachgebrauchsprinzipien für die variierende Bearbei- Geoffrey spricht sich für strenge Funktionalität aus.
tung von Stoffen (permutado und executio materiae).
Quadlbauer stellt fest, daß die zwei «Schmuckarten

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Geoffreys dem Gehalte nach die eigentlichen Erben der uoco illam que non est retorice ampliata ñeque ornata»
[elokutionellen] genera dicendi sind gegenüber den [ma- (<nackte Sachverhalte) sind jene, die weder rhetorisch
teriellen] styli, die in den stofflichen Bereich abgeglitten amplifiziert noch geschmückt sind) (IV, 144f.). Das Am-
sind». [37] Im <Documentum> ist zwar noch von den tres plifizieren ist schließlich auch Thema im sechsten Kapitel
styli, humilis, mediocris, grandiloquus die Rede (II, 3, zum ornatus (VI, 394ff.), wo sich im übrigen die übliche
145), aber, «daß über bestimmte personae oder res ge- umfangreiche Figurentaxonomie (Ausdrucks- und In-
sprochen wird, konstituiert an sich schon den entspre- haltsfiguren der Herennius-Tradition) findet. Das siebte
chenden stylus, nicht erst eine bestimmte Qualität der Kapitel handelt Rhythmik und Metrik ab.
Lexis. Das ist der materielle [inventive] Stilbegriff, wie Die von Geoffrey eingeführten beiden Stilarten kom-
er in den Wiener Horazscholien [10./II. Jh.] begegnet, men nicht im ornatus-Teil vor, sondern im zweiten Kapi-
nur exakter und mit durchgängiger Konsequenz für alle tel, das der inventio gewidmet ist. Johannes gibt ihnen
drei styli formuliert.» [38] hier die heute geläufigen Namen ornatus difficilis (ge-
Im Mittelpunkt der <Ars poetica> des GERVAIS VON kennzeichnet durch Verwendung von Tropen) und orna-
M E L K L E Y [39], die sich u. a. auf Matthaeus von Vendôme tus facilis (II, 44ff.). Wie bei Geoffrey kennzeichnet den
und Geoffrey von Vinsauf stützt [40], steht eine umfang- ornatus facilis nicht der Gebrauch von Figuren, sondern
reiche Figurenlehre. Sie ist aber nicht wie bei den Vor- die determinado, d . h . die Attribuierung von Verben,
gängern nach der Tradition der <Rhetorica ad Heren- Adjektiven und Substantiven (II, 147ff.). Die von Johan-
nium> in Ausdrucksfiguren, Tropen und Inhaltsfiguren nes an die Rota Virgilii geknüpfte Dreistillehre ist davon
gegliedert, sondern als Ordnungskriterium dient die zu trennen (II, 116ff.). «Der stilus ist ein an eine persona
Entsprechung von Sache und sprachlichem Ausdruck. geknüpftes Sachgebiet mit den dazugehörigen Bezeich-
Es ergeben sich drei Gruppen: 1. Figuren der idemptitas, nungen, er ist die materia» - «Von einem besonderen
bei denen die proprietas verborum gewahrt bleibt. Hinzu Wie der elocutio ist nicht die Rede. Das ist eben der
kommen aber auch Figuren, bei denen die Wörter zwar materielle Stilbegriff, wie er sich auch bei Galfrid [=
improprie gebraucht werden, der semantische Zusam- Geoffrey] und in den Wiener Horazscholien findet, hier
menhang zwischen der eigentlichen und der übertrage- [auch als graphisches Schema] in konkretester Form dar-
nen Bedeutung des übertragenen Wortes jedoch gewahrt gelegt.» Dementsprechend handelt der Abschnitt über
bleibt. Hierunter fallen dann bestimmte Tropen (z.B. die Fehler bei den drei Stilen (im fünften Kapitel zu den
Metonymie) ebenso wie Ausdrucksfiguren (z.B. Poly- vitia) über das Stoffliche, «den Typus der materia, der
syndeton) oder Inhaltsfiguren (z.B. Correctio). 2. Figu- rein gehalten werden, dessen rectitudo gewahrt bleiben
ren der similitudo, unter die alle noch verbleibenden muß». [43]
Figuren des übertragenen Ausdrucks (verba impropria)
Als Ergänzung zu den Poetikern des 1 2 . / 1 3 . Jh. sei
fallen, z . B . die Metapher. 3. Figuren der contrarietas,
noch auf den wirkungsgeschichtlich wichtigen Rhetori-
«in denen entweder das Gegenteil von dem, was gemeint
ker des 1 4 . Jh. N I K O L A U S VON D Y B I N verwiesen, der in
ist gesagt (allegoria) oder dem Literalsinn nach Unver-
seiner <Declaracio oracionis de beata Dorothea> (Mitte
einbares iuxtaponiert wird». [41] Es schließen sich drei
14. Jh.) die E. vom color unterscheidet. E. ist die Erfin-
Sonderthemen an: Sprichwörter und Sentenzen (paroe-
dung geeigneter Wörter und Sätze, wobei die Geeignet-
mia), Schönheit und Angemessenheit der Sprache (mun-
heit (ydoneytas) zum einen in der Ermöglichung einer
ditia), Anweisungen zur Schilderung von Personen und
Verlängerung und poetischen Ausweitung (prolongado
Sachverhalten (argumenta), wie bei Matthaeus von Ven-
= Amplifikation) der Materie, zum anderen in einer
dôme. Auf andere Themen, darunter die Erörterung der
eventuellen Verkürzung (abbreviacio) besteht. Der co-
zur klassischen E. zählenden Dreistillehre, mußte Ger-
lor bezeichnet einen modus loquendi, der der speziellen
vais verzichten, wie er ausdrücklich betont (204,13). Am
Bedeutung der Sache angemessen sein soll. [44]
Schluß stehen dann Ausführungen zur Metrik und zum
dictamen prosaicum mit Anmerkungen zur compositio, f) Ars praedicandi. Die oben bereits erwähnte Rhe-
speziell auch zum cursus. torik des H R A B A N U S M A U R U S wurde zum wichtigen
Vermittler augustinischen Gedankenguts. [45] Im letz-
J O H A N N E S ' VON G A R L A N D I A <Parisiana Poetria> ist ein ten Teil des 3. Buches stellt Hrabanus nahezu ausschließ-
aus sieben Kapiteln locker gefügtes Werk. Auch inner- lich auf der Grundlage von Augustinus-Zitaten die Drei-
halb der Kapitel fehlt es an Kohärenz. «Metrische, gram- stillehre als homiletisches Grundmodell dar ( 2 8 . -
matische und stilistische, auf Prosa oder Vers bezogene 36. Kap.). Daran schließen sich (im 37. Kap.) die allge-
Regeln wechseln in oft assoziativer Reihung, eingestreu- meinen Sprachgebrauchsprinzipien aus der aptum-Lehre
te Beispiele lassen den Kontext noch lockerer erschei- des <Liber regulae pastoralis> G R E G O R S DES G R O S S E N
nen.» [42] Dementsprechend tauchen Ausführungen zur (t604) an. Nach diesen Grundsätzen hat sich der sermo
amplificatio an verschiedenen Stellen des Werkes auf. doctorum nach der Verfassung der Zuhörer, ihrem Ge-
Zunächst im ersten, der inventio gewidmeten Kapitel, schlecht, ihrer Stimmung, ihrem Bildungsgrad, ihrer
wo sieben Figuren (colores) aufgezählt werden: Annomi- Einstellung und ihrer moralischen und körperlichen La-
natio, Traductio, Repetido, Gradatio, Interpretatio, Dif- ge zu richten.
finicio, Sermocinano (I, 331—334). Diese Figuren, mit Der Kirchenvater A U G U S T I N U S ( + 4 3 0 ) war mit seiner
denen die Amplifikationstechniken bezeichnet werden, Schrift über den christlichen Unterricht <De doctrina
tauchen dann später im ornatus-Teil wieder auf. Ein christiana> von großer Bedeutung für die Überführung
zweites Mal wird die amplificatio im vierten Kapitel zur des antiken Rhetorikideals ins Bewußtsein des christli-
ars dictaminis behandelt. Kurz ist dabei auch von der chen Mittelalters. [46] Das 4. Buch der Schrift ist der
abbreviatio die Rede (IV, 285ff.), dann geht es um die Verteidigung der Rhetorik gewidmet. Augustinus analy-
schon bei Geoffrey erörterten modi ampliandi (IV, siert Paulus-Briefe und Propheten-Texte, um deren an-
309ff.). Die elokutionäre Perspektive wird deutlich, gemessene Rhetorizität nachzuweisen (IV, 7). Als Ana-
wenn Johannes die Amplifikation hier zum Element der lyseparadigma zieht er die compositio-Trias von Kom-
«ars uestiendi nudam materiam» (Kunst der Einkleidung ma, Kolon und Periode heran und vermittelt damit
der nackten Sachverhalte) erklärt; «<materiam nudam> gleichzeitig deren Funktionsweise. Auch ornatus-Phäno-

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mene werden angesprochen. Fast die ganze zweite Hälf- nem <Manuale curatorum predicando : <Geistliche Rhe-
te des 4. Buches verwendet er schließlich darauf, mit torik braucht keine verschönerte Sprache> («rhetorica
Bezug auf Cicero die Dreistillehre darzustellen und ihre divina non requirit sermonem politum»), [55] Wenn von
Praxis am Beispiel biblischer Texte für den orator chris- den möglichen Fehlern bei der Predigt die Rede ist (de
tianus zu erläutern (IV, 17—26). Er sieht Stoff- und vicijs et cautelis predicativum), wird ausdrücklich der
Stilschemata wesentlich in innerer Abhängigkeit von den einfache und klare Stil gefordert (simplex et planus sti-
Aufgaben des Redners. [47] Augustinus hat damit nicht lus) , und: <Die christliche Predigt bedarf keiner pompös-
nur geholfen, die Rhetorik vom Odium der Paganität zu geschmückten Ausdrucksweise.> («Predicatio Christiana
befreien und sie in die christliche Tradition zu überfüh- non indiget pompa neque cultu sermonis», fol. LXIV a ).
ren, sondern zugleich auch der E. den ihr gebührenden Dennoch nimmt Surgant im Kapitel <De convenientia et
hohen Rang zugewiesen. differentia rhetorice divine cum rhetorica humana> (1/19)
Dennoch gab es unter den Klerikern immer eine zwie- anläßlich der Vorstellung der fünf officia oratoris die E.-
spältige Haltung gegenüber aufwendiger Stilistik. In der Definition des Auetors ad Herennium auf (fol. XLIII b ).
Praxis benutzte man die orneto-Techniken durchaus, Und im 16. Kap. des ersten Buches gibt es unter den 15
und man tradierte und studierte die Spezialwerke zur insgesamt eher mvenrio-orientierten modi amplificandi
Figurenlehre. In der Theorie schieden sich die Geister. seu dilatandi als dreizehnten doch einen modus per colo-
Viele scholastische Prediger hoben immer wieder aus- res rhetoricales. Als Gewährsleute werden der Auetor ad
drücklich den Wert sprachlicher Wohlgeformtheit von Herennium (4. Buch) und Enea Silvio Piccolomini (ei-
Predigten hervor. [48] Demgegenüber propagierte man gentlich Albrecht von Eyb) genannt. Die 13 colores sind:
aber in vielen der seit dem 12. Jh. entstandenen artes expeditio, conversio, contentio, exclamatio, contrarius,
praedicandi auch ein rigoristisches, asketisches und elo- occupatio, inflexio, dubitatio, proverbium, correctio, lau-
cwfi'o-feindliches Stilideal. [49] Eleganz ist danach für die datio, reprehensio, conclusio.
Verkündigung der Wahrheit weder notwendig noch pas- In den Predigtlehren wird stets dem Gehalt der Vor-
send; Eleganz ist für das Dictamen reserviert. A L A N U S rang eingeräumt, ihre Verfasser haben «im allgemeinen
AB INSULIS wendet sich in seiner <Ars praedicandi> am nicht in erster Linie stilistische Interessen». [56] Dem-
Ende des 12. Jh. gegen <unflätige und kindische Worten entsprechend stehen bei diesen Werken Argumenta-
in der Predigt und weist <rhythmische Melodien sowie tionslehre und folglich inventio- und dispositio-Fragen
metrischen Gleichklang> zurück, weil sie <eher das Ohr ganz im Vordergrund. Typisch ist, wie sich die <Ars
besänftigen als den Verstand informieren) («Praedicatio praedicandi> des P S E U D O - H E I N R I C H VON LANGENSTEIN
enim in se non debet habere verba scurrilia, vel puerilia, (15. Jh.) ganz darauf konzentriert, eine der Interpreta-
vel rhythmorum melodías et consonantias metrorum, tion nach dem vierfachen Schriftsinn analoge Lehre von
quae potius fiunt ad aures demulcendas, quam ad ani- vier deutenden Predigt-Modi zu entwickeln [57], oder
mum instruendum») [50]; er möchte einen Mittelweg wie sich der Traktat des P S E U D O - T H O M A S VON A Q U I N
zwischen bombastischem Schmuck und blutleeren Wor- (Druck Nürnberg 1477) im wesentlichen nur mit den
ten verfolgen. H U M B E R T DE R O M A N S ( t 1 2 7 7 ) betont in neun inhaltlich bestimmten Predigt-Amplifikationen
<De eruditione praedicatorum> den Inhalt der Predigt. auseinandersetzt. [58] Noch der Humanist R E U C H L I N
Mehr nach sprachlichem Schmuck zu streben als nach steht mit seinem 1503 erschienenen <Liber congestorum
den Inhalten bedeute, die Schönheit des Tabletts, auf de arte praedicandi> in dieser mittelalterlichen Tradi-
dem das Essen getragen wird, der Schönheit des Essens tion, denn auch er verzichtet völlig auf einen E.-Teil. [59]
selbst vorzuziehen («Alij sunt qui magis student circa Im Verlauf des 16. Jh. ändert sich dies jedoch. Auf SUR-
verborum ornamentum quam circa sententias dicendas: GANTS <Manuale> wurde schon hingewiesen, und 1514
similis illis qui magis curant de pulchritudine scutellae in behandelt der <Tractatus de modo praedicandi> des
qua ministrant cibaria, quam de ipsis cibis»). [51] WIL- HIERONYMUS D U N G E R S H E I M von Ochsenfurt im S.Kapi-
HELM VON A U V E R G N E ( t 1 2 4 9 ) betont, eine von Zunei- tel die Figuren. [60]
gung geprägte und einfache Predigt bewege und erbaue
viel mehr als eine übertrieben geschliffene oder ge- Durch den Einfluß des Augustinus behielt immerhin
schmückte («affectuosus enim sermo et simplex, non die alte Dreistillehre auch in den Predigttraktaten ein
politus vel subornatus, amplius movet et edificat»). [52] gewisses Gewicht. Nach Quadlbauer unterschied man im
Die franziskanische <Ars concionando des P S E U D O - B O - Mittelalter die drei Stilebenen teils mehr nach stofflichen
NAVENTURA ( 1 4 . Jh.?) rät dem Prediger: Gebrauche ge- Kriterien (Vergil-Tradition), teils mehr nach stilistischen
wöhnliche Wörter (verba usitata), die mit dem Gedan- (Cicero-Augustinus-Tradition). [61] Schon in einer der
ken und der behandelten Sache übereinstimmen; präge ersten <Artes praedicandi>, in G U I B E R T S VON N O G E N T
keine neuen Ausdrücke, sonst wirst du dich lächerlich <Quo ordine sermo fieri debeat> aus dem 12. Jh. findet
machen. [ 5 3 ] Die <Ars praedicandi> des P S E U D O - A L B E R - sich eine Anspielung auf die genera dicendi. [62] Als
TUS M A G N U S ( 1 5 . Jh.) hat weder Vertrauen in die Erha- Beweis für das Weiterleben speziell der ciceronisch-au-
benheit von Wörtern, noch in die gelehrten Worte der gustinischen Tradition kann auch auf die aus dem 14. Jh.
menschlichen Wissenschaft, auch nicht in bombastischen stammende <Forma praedicandi> des R O B E R T VON B A S E -
Schmuck, sondern strebt sprachliche Einfachheit an. Die VORN verwiesen werden. Unter dem Stichwort coloratio
Rede des Predigers soll weder wegen etwaiger bäuerli- wird erst ganz am Schluß des Werkes die E. in einigen
cher Einfachheit verachtet noch wegen einer falschen Absätzen gestreift (50. Kap.), was bezeichnend für die
Anmut und Schönheit verdächtigt werden («In manifes- Marginalisierung dieses Bereichs ist. Hier findet sich
tum est etiam producenda non in sublimitate verborum, dann ein Hinweis auf die genera dicendi-Lehre des Augu-
neque in doctis humane sapientie verbis quasi ornatu stinus, außerdem eine knappe Bemerkung zu den die
meretricio induta, sed in simplicitate verbi quasi veste compositio betreffenden clausulae und ein Hinweis auf
maternali, ut nec rusticiate verborum habeatur despecta, das letzte Buch der < Rhetorica ad Herennium>, wo die
nec lepore verborum demendicata pulcritudine sit su- colores rhetorici abgehandelt seien. [63]
specta»). [ 5 4 ] Noch 1 5 0 2 schreibt J . U . SURGANT in sei- g) Ars dictandi. «Unter den Begriff der Ars dictandi
fallen jene mittelalterlichen Lehrschriften, die der

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zweck- und kunstgerechten Abfassung von Briefen gel- che Kapitel zum Ornatus beginnt mit Definitionen von
ten.» Mit dieser Definition eröffnen Worstbrock/Klaes/ elegantia, compositio und dignitas, die sich ebenso wie
Lütten 1992 den ersten Teil ihres <Repertoriums der die anschließenden Wortfiguren an der <Rhetorica ad
Artes dictandi des Mittelalters>, das die Erforschung Herennium> (IV, 1 2 , 1 7 - 4 , 3 0 , 4 1 ) orientieren. Die Aus-
dieser mittelalterlich-rhetorischen Gattung auf eine wahl der Wortfiguren stimmt in etwa mit der im Kontext
neue Basis stellt. Der Gegenstandsbereich der ars dictan- der <Summa> des Magister Bernardus überlieferten Figu-
di variiert insgesamt, «ist offen ebenso für allgemeine renlehre überein. Das restliche Kapitel besteht aus um-
Lehrstücke des Prosastils und grammatikalische Erörte- fangreichen Auszügen aus Isidors <Etymologiae> : Colo-
rungen wie die Einweisungen in das Urkundenwesen res sententiarum (2, 21, 5 - 4 5 ) , Schemata (1, 36, 2 - 2 0 ) ,
und andere Arten von Kanzleischriftgut.» Mit der Stil- Tropen (1, 37, 1—21), Barbarismus und Soloecismus (1,
Kategorie ist hier auf die bisweilen vielfältigen elokutio- 32f.) sowie 10 Vitia (1, 34). Zusätzlich genannte Vitia
nären Elemente in den artes dictandi verwiesen. Es gibt sind übertriebenes hyperbaton und überladene Rede
Werke, die ganz auf ihre Darstellung verzichten, andere (suffulta oratio).» [69]
stellen sie in den Vordergrund. «Das sprachstilistische Die älteste erhaltene Diskussion des Cursus bietet die
Interesse kann ebenso wie das formaltechnische völlig anonyme <Forma dictandi> aus der Zeit vor 1180. «Die
dominieren.» [64] Zumeist aber bedienen die Werke bei- knappen, mit Beispielen veranschaulichten Anweisun-
de Interessen. Unter Rückgriff auf die Kommentare von gen zur rhythmischen Gestaltung von Anfang, Mitte und
Worstbrock/Klaes/Lütten sei hier nur auf einige von ih- Ende einer Periode werden in einem einleitenden Satz
nen verwiesen. als Regeln für den an der römischen Kurie geltenden
Am Anfang steht ALBERICH VON M O N T E C A S S I N O , des- Cursus ausgewiesen. Einzelne, nur lose aneinanderge-
sen <Breviarium> zwischen 1077 und 1080 entstand. Sein reihte Bemerkungen zur Stilistik, insbesondere zur
elokutionäres Thema ist die Ausdrucksvariation mit dem Wortwahl, schließen sich an.» [70] Die <Forma dictandi>
Ziel einer kunstvolleren Textform. Die Stilarten (humi- hat die Cursuslehren anderer Werke bis hinein ins frühe
lis, mediocris und grandiloquus) treten als Grade des 13. Jh. nachhaltig beeinflußt.
durch Ausdrucksvariation erzielten sprachlichen ornatus Der bekannte Bologneser dictator BONCOMPAGNO DA
in Erscheinung. «Alberich nennt das Verfahren der Aus- SIGNA (ca. 1165-1235) geht in seiner <Rhetorica novis-
drucksvariation commutatio (auch conuersio, reconuer- sima> nur im 9. Buch <De adornationibus> auf elokutio-
sio). Sie besteht in der grammatischen Transformation näre Fragen ein. Adornationes vel colores, schreibt er,
eines Wortes, Syntagmas, Satzes in eine sachlich gleich- serenant et clarificant dictamina. [71] Gegenstand der
wertige, aber stilistisch gesteigerte Größe. Die Commu- Erörterung sind aber nur die Transsumptionen, d . h .
tatio wird in den fünf Kapiteln des <Breviarium> vorge- Formen der metaphorisch-tropischen Rede. Der eben-
führt an Verben, Adjektiven, Adverbien, Sentenzen. falls zu den bedeutenderen Bologneser dictatores zäh-
Der kompetente Stilist muß neben der grammatischen lende G U I D O F A B A (ca. 1190-1245) schrieb um 1228/29
Ausdruckswandlung auch der lexikalischen Variation eine sehr erfolgreiche <Summa dictaminis>. [72] Er gibt
mächtig sein; deren Möglichkeiten werden an Beispielen als allgemeine Sprachgebrauchsprinzipien elegantia,
synonymischer Reihen illustriert. Das Schlußkapitel compositio und dignitas (II, ciiii) nach dem Auetor ad
brilliert am Gegenstand von Lob und Tadel zusammen- Herennium (IV, 12, 18) an und bietet eine ausführliche
fassend mit allen Spielarten der ornamentalen Aus- Figurenlehre. [73] Im compositio-Teil geht er auf die
druckswandlung.» [65] Fragen des ordo verborum, auf Rhythmik und die cur-
Alberichs Lehre der commutatio wurde direkt oder sws-Lehre ein. [74] Bei den Stilarten entwickelt er wie
indirekt von einer beträchtlichen Zahl der Magister des Geoffrey ein dichotomisches Schema, das Schmuckar-
12. Jh. aufgegriffen, u . a . auch von GEOFFREY VON V I N - ten mit Typen der materia parallel setzt: materia magna
SAUF (<Poetria nova>, vv. 1588-1760). [66] In den <Dicta-
(entsprechend dem sermo difficilis) - mediocris, parva
minum radii> gibt Alberich als allgemeine Sprachge- (zusammen dem sermo facilis entsprechend). «Die
brauchsregeln proprietas und das horazische Maß der Schmuckarten sind die angemessenen Arten des Aus-
<Kürze ohne Dunkelheit* an. Die Zielsetzung der drucks für bestimmte Arten der materia; sie stehen der
sprachlichen Gestaltung wird rhetorisch als Persuasivität materia gegenüber wie die klassischen genera dicendi
begriffen. Vermittelt werden dann die wirksamsten stili- dem Stoff, anzuwenden nach dem Gesetz des decorum,
stischen Mittel, d . h . ausgewählte rhetorische Figuren wie die Alten sagen.» [75]
und Tropen. [67] Zu den von Alberich beeinflußten Au- K O N R A D VON M U R E (ca. 1210-1281) bietet im zweiten
toren gehört auch der vermutlich Bologneser MAGISTER Teil seiner <Summa de arte prosandi> unter der Rubrik
B E R N A R D U S , der sich im zweiten Teil seiner <Rationes «De modo scribendi, loquendi et mittendi» [76] eine
dictandi> (entstanden 1138—1143) mit elokutionären weitschweifige und relativ unsystematische Lehre von 16
Fragen beschäftigt. Was er zur Stilistik sagt, läßt sich modi loquendi. Die drei virtutes elocutionis werden er-
«überwiegend dem Verfahren der Commutatio subsu- wähnt. [77] Bei der compositio geht es um den ordo, vor
mieren». [68] allem aber um Wortfügungs-vi'iw, auch eine Liste von
Der Notar der päpstlichen Kanzlei und Mönch von Barbarismen und Soloecismen findet sich. Am ausführ-
Clairvaux T R A N S M U N D U S schuf vor 1188 <Introductiones lichsten werden die colores rhetorici (Tropen, Aus-
de arte dictandi>. Im ersten Teil geht es unter Rückgriff drucks- und Inhaltsfiguren) dargestellt. [78] Konrad er-
auf den genannten Magister Bernardus auch um die com- wähnt die Dreistillehre: tres sunt stili, humilis, mediocris
positio, speziell um Anweisungen zu Wortstellung und et altus [79], nimmt aber auch auf die beiden Schmuckar-
Satzgliederung; «die Definitionen von colon, comma ten Geoffreys Bezug. Er charakterisiert sie «unter Hin-
und periodus stehen allerdings den <Praecepta dictamin- weis auf die <Dunkelheit> des schweren Schmucks» [80]
um> des Adalbertus Samaritanus [von ca. 1115] näher. und ignoriert damit Geoffreys allgemeines claritas-Ideal,
Es folgt eine kurze Cursuslehre, ausdrücklich den Roma- das den einfachen, luziden und klaren Stil vom schwie-
norum presertim dictaminum studiosis empfohlen, die rig-obskuren abgrenzt. [81]
Cursus planus, velox und tardus vorstellt. Das ausführli-

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Anmerkungen: in: ML 210, 112. - 51Humbert von Romans: De eruditione


I L . Arbusow: Colores rhetorici ( 2 1963); C.S.Baldwin: Medie- praedicatorum libri duo. Ed. M. de la Bignè, in: Maxima biblio-
val Rhetoric and Poetic (to 1400). Interpreted from representa- theca vetera patrum, Bd. 25 (Lyon 1677) 424-567, hier. 432F.
tive works (New York 1928); J.J.Murphy: Rhetoric in the Ex. Tübingen: Gb 17.fol. - 5 2 E d . bei A. de Poorter: Un manuel
Middle Ages (Berkeley/London/New York 1974; 61990) 89ff. - de prédication médiévale, in: Revue néoscholastique de philo-
2 U . Krewitt: Metapher u. tropische Rede in der Auffassung des sophie 25 (1923) 192-209, hier 202. - 53Ps.-Bonaventura: Ars
MA (1971) 182ff.; F. J. Worstbrock, M.Klaes, J. Lütten: Re- concionandi, in: Bonaventura: Opera omnia (Quaracchi 1891)
pertorium der Artes dictandi des MA (1992) 112. - 3 B. Vickers: T. IX, 8—21, hier 16. - 54R. Stapper: Eine angeblich von Al-
In Defence of Rhet. (Oxford 1988) 214. - 4 C . Smith: The bertus Magnus verfaßte Ars praedicandi, in: Römische Quartal-
Medieval Subjungation and the Existential Elevation of Rheto- schrift, Suppl. XX (1913) 388-402, hier 396. - 55Basel 1506.
ric, in: PaR 5 (1972) 159-174, hier 164. Smith nimmt Bezug auf Ex. Tübingen: Gb. 356.4°, fol.XLIV". - 56Quadlbauer [37]
R.R.Bolgar: The Classical Heritage (Cambridge 1963) 149. - 57Ed. bei. H.Caplan: <Henry of Hesse» on the Art of
102—105. - 5Thomasin von Zerclaere: Der welsche Gast. Hg. Preaching, in: ders.: Of Eloquence (Ithaca/London 1970) 135ff.
v. F.W.v.Kries. Bd. 1 (1984) vv. 9576f. - 6 G . Meier: Die - 5 8 Hain 1351—62; engl. Übers, bei H. Caplan: A Late Medie-
sieben freien Künste im MA (Programm Einsiedeln 1886/87) T. val Tractace on Preaching, in: Caplan [56] 40ff. - 59Pforzheim
1, 12; vgl. auch J . O . W a r d : Artificiosa eloquentia in the MA 1503. Ex. Tübingen: Gi 20.4°. - 60R.Cruel: Gesch. der dt.
(Ph. D. Diss. Toronto 1972) Bd. I, 392 A n m . 2 . - 7Vgl. den Predigt im MA (1879; ND 1966) 599. - 6 1 Quadlbauer [37] 159f.
knappen Überblick bei Ward [6] Bd. I, 390ff. - 8 Alain de Lille: - 62 Quadlbauer [37] 82. - 63 Ed. in T. M. Charland: Artes prae-
Anticlaudian, ed. R. Bossuat (Paris 1955). - 9 Alanus ab Insulis; dicandi (Paris/Ottawa 1936) 320. - 64Repertorium [2] IX. -
Der Anticlaudian, übers, v. W.Rath (1966, 21983) 146. - 65ebd. 1 2 . - 6 6 e b d . 1 3 . - 6 7 e b d . 1 7 . - 6 8 e b d . 2 6 . - 6 9 e b d . 101.
10 Vinzenz von Beauvais: Speculum Quadruplex sive speculum - 70ebd. 134. - 71Ed. in: A. Gautentius (Ed.): Bibliotheca
maius (Douai 1624; ND Graz 1965) Bd. 2: <Speculum doctrina- Iuridica Medii Aevii, Vol. II: Scripta Anecdota Glossatorum
le», Sp. 207-210. - 11 ebd. Sp. 287 und 298f. - 12Ed. in: Rhet. (1892) 280. - 72Ed. A.Gaudenzi, in: Il Propugnatore Ν. S. 3
Lat. min. 523 - 550; lat./engl. Ausg.: W. S. Howell: The Rheto- (1890) 1,287-338; II, 345-393. - 7 3 C . B . Faulhaber: The Sum-
ric of Alcuin & Charlemagne (New York 1965). - 13Ed. bei ma dictaminis of Guido Faba, in: J . J . Murphy (Ed.): Medieval
P.Piper (Hg.): Die Sehr. Notkers und seiner Schule, Bd. 1 Eloquence (Berkley/Los Angeles/London 1968) 105. - 7 4 e b d .
(1882) 623 - 684. - 14ebd. 671. - 15Texte in den Gramm. Lat., 99. - 75Quadlbauer [37] 125; zum decorum-Konzept bei Guido
Bde. 6und 7. - 1 6 E d . in: Rhet. lat. min. 38ff. - 1 7 G r a m m . Lat. siehe auch Faulhaber [73] 99. - 76Ed. W. Kronbichler (Zürich
Bd. 5, 386ff. - 1 8 R h e t . Lat. min. 575ff. - 1 9 Z u beiden Autoren 1968) 47ff. - 77ebd. 6 1 . - 7 8 e b d . 81ff. - 79ebd. 4 8 . - 8 0 Q u a d l -
siehe Krewitt [2] 157ff. - 20Ed. W. Wattenbach, in: SB Kgl.- bauer [37] 127. - 8 1 vgl. ebd. 48.
Preuss. Akad. d. Wissen. (1894) 361ff. - 2 1 E d . J. J. Bourassé,
in: ML 171, Sp. 1687ff. - 22Ed. in E. Farai: Les artes poétiques
du Xlle et du XlIIe siècle (Paris 1924) 321ff. - 23Ed. E. Habel, III. Renaissance, Humanismus. Mit der humanisti-
in: R F 29 (1911) 137ff. - 24Ed. in: Notices et extraites des schen Rückbesinnung auf die Antike setzte spätestens
manuscrits de la Bibliothèque Nationale, Bd. 31 (1884) 99ff. - seit der Wiederentdeckung des vollständigen Quintilian
25Gramm. Lat. Bd.7. - 26Überblick zum Verhältnis von durch POGGIO im Jahre 1416 auch die neuerliche Vermitt-
Grammatik und Rhetorik in Hinsicht auf die Figurenlehre bei lung aller an die fünf officia oratoris geknüpften Bereiche
Murphy [1] 184ff. - 27Ed. L. Holtz, in: ders.: Donat et la tradi- der antiken Rhetorik ein. D a s sprachliche Ideal klassi-
tion de l'enseignement grammatical (Paris 1981) 653ff. - 28 Ed. scher Latinität vermittelte man zunächst vor allem an
K. Barwick: Ars grammatica (1964) 377f. - 2 9 E d . in: Gramm. den italienischen Universitäten und Humanistenschu-
Lat. Bd. 1, S. 297ff. - 30Ed. J. Wrobel (Breslau 1887; ND 1987)
15ff. - 31 Ed. D. Reichling, Monumenta Germaniae Paedagogi- len, etwa an der des Veroneser Lateinlehrers G U A R I N O
ca, Bd. XII (1893). - 32Ed. A. Knoepfler (1900). - 3 3 M a t t h a e - G U A R I N I ( 1 3 7 4 - 1 4 6 0 ) . [1] E s entstand «eine umfangrei-
us von Vendôme: Ars versificatoria. Ed. F. Munari, in: Opera, che Literatur über die Nachahmung, die ein attizistisches
Bd. 3 (Rom 1988); ältere Ed. bei Farai [22] 109ff.; Galfred von T h e m a der späteren A n t i k e aufgreift, und in der die
Vinosalvo: lat./engl. Ed. der <Poetria nova> von E. Gallo: The Frage diskutiert wird, o b man antike Schriftsteller und
Poetria Nova and its sources in early rhetorical doctrine (1971); besonders Cicero nachahmen solle oder nicht. Darunter
<Documentum> : Ed. Farai [22] 265ff.; Gervais von Melkley: Ars befinden sich auch ein Briefwechsel zwischen Poliziano
poetica, hg. v. H.-J. Gräbener (1965); Johannes von Garlandia: und Paolo Cortesi, Traktate v o m B e m b o und Gianfran-
lat./engl. Ed. der <Parisiana Poetria> von T. Lawler: The Pari- cesco Pico und später v o n Erasmus und anderen.» [2]
siana Poetria of John of Garland (New Haven/London 1974);
ältere Ed. v. G. Mari: Poetria magistri anglici de arte prosayea D i e Forderung nach elegantia führte zu besonderer A u f -
metrica et rithmica, in RF 13 (1902) 883ff. - 34 Zur Terminolo- wertung der E . Im Verlauf des 15. Jh. setzte dieser Pro-
gie vgl. F. J. Worstbrock: Dilatatio materiae, in: Frühmittelal- zeß auch in den anderen europäischen Ländern ein, vor
terliche Stud. 19 (1985) 1 - 3 0 . - 35 Ausführlicher Kommentar allem im U m f e l d der hohen Schulen. [3] Überall stand
bei Gallo [33] 150ff. - 36 Synopse zu den Inhalten beider Werke am A n f a n g das Autorenstudium im Mittelpunkt, dabei
bei R. P. Parr: Geoffrey von Vinsauf. Documentum de modo et nahm die Beschäftigung mit antiken Rhetoriken zu. D i e
arte dictandi et versificandi (engl.) (Milwaukee 1968) 97ff. - für eine Schrift Ciceros gehaltene <Rhetorica ad Heren-
37 F. Quadlbauer: Die antike Theorie der genera dicendi im lat. nium> behielt ihren herausragenden Platz unter den All-
MA (Wien 1962) 126. - 3 8 e b d . 90. - 3 9 v g l . P. Klopsch: Einf. in
gemeinrhetoriken, die zur generellen Orientierung dien-
die Dichtungslehren des lat. MA (1980) 140ff. - 4 0 Ed. Gräbe-
ner [33] 1, 10-12. - 41 Ed. Gräbener [33] XL. - 42 Klopsch [39] ten. Ihr viertes, der E. g e w i d m e t e s B u c h fand bei d e n
147. - 43Quadlbauer[37] 114f. - 44S.P.Jaffe (Ed.): Nicolaus Humanisten (wie schon im Mittelalter) besonderes In-
Dybinus' Declarado oracionis de beata dorothea (1974) 121, teresse, und so wundert es nicht, daß eine der ersten
1-11. - 4 5 v g l . Knoepfler[32], - 4 6 E d . W.M.Green, in: Cor- Rhetorikvorlesungen an einer deutschen Universität
pus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Bd. 80 (1963). dieses Buch z u m Gegenstand hatte: die u m 1457/58 v o n
Siehe dazu Murphy [1] 43ff.; auch A. Michel: Rhétorique, poé- G E O R G VON P E U E R B A C H in Wien gelesene Einführung in
tique et théologie dans le latin médiéval, in: Helmantica 40 die <Rhetorica ad Herennium». In der erhaltenen Eröff-
(1989) 115ff. -47Quadlbauer[37] 159. - 48J.B. Schneyer: Die nungsrede zur Lektüre des vierten Buches (Clm 18802,
Unterweisung der Gemeinde über die Predigt bei scholasti-
fol. 75 r ) betont Peuerbach, wie überaus wichtig es sei,
schen Predigern. Eine Homiletik aus scholastische χ Prothemen
(1968) 75f. - 49nach H.Câplan: Classical R h e t o r i - and the sein Wissen sprachlich elegant und zierlich vorzutragen
Medieval Theory of Preaching, in: R . F . H o w e s (Ed.): Histori- («eleganter et suaviter proferre»). Schmuckvoll zu reden
cal Studies of Rhetoric and Rhetoricians (Ithaca, New York sei das charakteristische Merkmal des wahren Redners
1961) 79f. - 50 Alanus ab Insulis: Summa de arte Praedicatoria, («ornate autem dicere proprium esse»). D e r Preis für die

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Aneignung elokutionärer Fähigkeiten seien ständige ex- ma eine Reihe als synonym angesehener, variierender
ercitatio und imitatio. Das vierte auf die E. bezogene Phrasen. Im Druck steht nach dem Lemma jeweils ein
Buch der Herennius-Rhetorik sei das schwierigste, und volkssprachlicher Vorschlag, auf den dann lateinische
sein Stoff erfordere größere Bemühung als der der vor- Varianten folgen (z.B.: «<Grates>: Ich sage dir grossen
angehenden drei Bücher. [4] danck. Magnas tibi gratias dico. Amplissimas tibi gratias
Elegantien. Im Humanismus entstand bald eine rei- habeo» usw.). [18] Solche Synonymen-Listen sind teil-
che, der E. dienende Spezialliteratur. Zu ihr gehören die weise auch in anders geartete Werke aufgenommen wor-
humanistischen Schülergespräche, die sich auch ver- den, z.B. bei Perotti, aber auch bei GIAMMARIO FILELFO
schiedenen Themen der lateinischen Stilistik wid- (PHILELPHUS, 1426—1480) in jedes der 80 Kapitel seines
men. [5] Den größten Ruhm jedoch erwarb sich L O R E N - <Epistolarium>. [19]
ZO V A L L A (1405-1457) mit seinen Elegantien der lateini- Das Copia-Lehrbuch des ERASMUS VON ROTTERDAM
schen Sprache <Elegantiae linguae latinae> von 1447. Das steht in der Tradition dieser Werke und übertraf sie bald
Werk ist eine lemmatisierte Zusammenstellung antiker an Wirkung. Erasmus paraphrasierte erstmals 1489 Val-
Ausdrucksmuster [6] ; der Gebrauch bestimmter Aus- las <Elegantiae>. Er kannte die Werke Datis und Perot-
drücke und die Verwendung gewisser Konstruktionen tis [20], die u.a. zum Vorbild für sein eigenes zweiteili-
(ζ. Β . Deut & ita cum superlativo) [7] werden erklärt und ges, nicht streng systematisch gegliedertes Schulbuch
dokumentiert. Valla sucht der Eloquenz «eine neue und <De copia verborum ac rerum> (Erstdruck 1512) wurde.
festere Grundlage zu geben, indem er den Redege- Erasmus unterscheidet darin den knappen und den wort-
brauch der Alten selbst im Einzelnen feststellen und den reichen Stil (Kap. 1/5). Die copia ist wichtig zur Erlan-
mittelalterlichen Rost tilgen will». - «Seit Jahrhunder- gung stilistischer Kompetenz im Sinne des elegantia-Ide-
ten, sagt er, habe niemand mehr wirkliches Latein ge- als (Kap. 1/10). Es gilt, Tautologien und Monotonie ver-
schrieben, die Latinität des alten Rom sei von Barbaren breitenden Gleichklang im Ausdruck zu vermeiden,
unterdrückt, er wolle sie befreien. Zwar die alten Gram- weshalb die Fähigkeit zur varietas geschult werden muß
matiker, Donatus, Servius, Priscianus, hält er noch leid- (Kap. 1/8). Im ersten, umfangreicheren Teil der Schrift
lich in Ehren, obwohl er manches besser weiss wie sie. stehen darum die rationes variandi im Mittelpunkt. Eras-
Aber die Papias, Isidoras, Hugutio und ihresgleichen mus behandelt die rhetorischen Figuren und bietet teil-
erfahren seine ganze Verachtung: sie haben ihre Schüler weise sehr umfangreiche Satz-Synonymielisten. Der
nur dummer gemacht. Doch traten die Angriffe hier in zweite Teil will mit 20 aus vielfältigen Textquellen ge-
den Hintergrund gegen die großartige Sammlung eines speisten loci der inventio rerum dienen. Mit weit über
grammatischen Stoffes, den noch niemand in dieser Art hundert Nachdrucken und rund zweihundert Bearbei-
anzufassen gewußt.» [8] tungen und Auszügen wurde das Werk zur erfolgreich-
sten rhetorischen Stilistik der frühen Neuzeit. [21]
Die <Elegantiae> waren im frühen Buchdruck ab 1471
mit mindestens 23 Inkunabeln sehr erfolgreich. [9] Hinzu Compositio-Lehrbücher. Der <Auctor ad Herennium>
kommen Bearbeitungen, wie die von B O N U S A C C U R - hatte als die drei obersten Sprachgebrauchsprinzipien
SIUS [10] oder die der <Elegantiae terminorum>. [11] Der elegantia, compositio und dignitas (IV, 12, 17) genannt.
Erfolg des Werkes setzte sich im 16. Jh. fort. Es entstan- Ausführlich behandelte er nur die Rubrik dignitas mit
den Ergänzungs- und Kommentarwerke, wie die <Anno- der Figurenlehre. Die Humanisten füllten die beim Au-
tationes in Laurentii Vallae de Latinae Linguae Elegan- tor nur mit wenigen Sätzen bedachte Rubrik elegantia
tia Libros sex> des JOHANNES THEODERICI [12], aber auch mit Werken der oben erwähnten Art für ihre Zwecke
eigenständige Nachahmungen, wie die Elegantien des auf. An die Stelle der beim Autor ebenfalls wenig ergie-
G E O R G FABRICIUS (<Elegantiae poeticae ex Ovidio, bigen Rubrik compositio setzten sie eigene umfangreiche
Tibullo, Propertio> [13], <Elegantiarum ex Plauto et Spezialwerke, in die das (auch durch die Wiederentdek-
Terentio Libri II> [14], <Elegantiarum puerilium ex M. kung Quintilians bereicherte) compositio-Wissen Ein-
Tullii Ciceronis Epistolis Libri tres> [15]). gang fand.
Noch erfolgreicher waren allerdings in der Inkuna- An erster Stelle ist hier GASPARINO B A R Z I Z Z A mit sei-
belzeit mit über hundert Drucken die seit 1470 herausge- ner um 1420 entstandenen Schrift <De compositione pri-
kommenen <Elegantiolae> des AGOSTINO D A T I (1420— ma elocutionis parte> zu nennen. [22] Barzizza hält sich
1478). [16] Das Werk beginnt mit der Aufforderung, in seinen systematischen Ausführungen zu den drei Ge-
imitativ der Sprache der Alten zu folgen und sich durch bieten der Kompositionslehre, also ordo, iunctura und
die Lektüre Ciceros zu schulen; nur so erreiche man eine numerus, sehr stark an die Darstellung Quintilians (IX,
schmuckvolle und reiche Sprache (in dicendo & ornatus 4). Viele Beispiele übernimmt er, manches umschreibt
& copiosus). [17] Dann folgen 211 knapp gefaßte und und erweitert er, oft findet er einen prägnanteren Aus-
exemplifizierte grammatisch-stilistische Lehren (prae- druck und eine präzisere Definition. Unter anderem er-
cepta). Nicht ganz so oft wurden die in diesen Zusam- schließt er aus Quintilians Beispielen drei ordines. Den
menhang gehörenden Grammatiken des NICOLÒ PEROTTI ordo naturalis, den ordo artificialis und einen dritten
gedruckt (<Rudimenta grammatices>, Erstdruck 1473 ordo, der eigengesetzlich funktioniert (estordinis obser-
und <Ars grammatica), Erstdruck 1474, mit insgesamt vado sui generis restrictiva). [23] NIKLAS VON W Y L E wird
mehr als 50 Inkunabeln). das später in den 1478 erfolgten Druck seiner <18. Trans-
Synonymiken. Perottis Werke gingen auch auf die latze) übernehmen. [24] Sie stellt die erste deutschspra-
schon in der mittelalterlichen ars dictandi-Literatur be- chige Adaptation einiger Kompositionsprinzipien Bar-
handelten Synonymien ein. Perotti Schloß sich damit den zizzas dar. Barzizza äußert in seinem Werk bisweilen
im Dienst stilistischer Variationsbreite entstandenen hu- eigene Beobachtungen zum antiken Stil (z.B. über die
manistischen Synonymen-Sammlungen an. Von ihnen Wortstellung); er betont u . a . auch die Rücksichtnahme
wurden die <Sententiarum variationes sive Synonyma> auf den Wohlklang. A m kürzesten behandelt er das Ge-
des um die Mitte des 15. Jh. wirkenden Grammatikers biet des numerus, des prosaischen Rhythmus; hier zieht
STEFANO FIESCHI ( F L I S C U S ) früh gedruckt, und zwar im-
er das fünfte Buch der oben erwähnten spätrömischen
mer zweisprachig. In diesem Werk folgt auf jedes Lem- Enzyklopädie des Martianus Capeila heran. [25]

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Um 1457 hat dann ALBRECHT VON E Y B das Werk Barziz- E. gelte als ein solches Proprium der Rhetoren, daß man
zas in den ersten Teil einer eigenen Schrift eingearbeitet, die übrigen officia oratoris oft zurückgestellt, d . h . die
die unter dem Titel <Artis rhetoricae praecepta> überlie- memoria allein der natürlichen Veranlagung, die inven-
fert und bald fälschlich seinem berühmten Zeitgenossen tio und dispositio aber anderen Disziplinen und nicht der
E N E A SILVIO PICCOLOMINI zugeschrieben wurde. [26] Al- Rhetorik zugeordnet habe. [36]
brecht von Eyb gliedert den ersten Teil des Werkes in 50 Trapezuntios stellt dem sein Werk abschließenden E.-
rubrizierte praecepta. Zunächst werden sieben Vor- Teil einige grundlegende Definitionen voran. Er unter-
schriften zur iunctura behandelt, bei denen es (nach dem scheidet zwei Ebenen (partes elocutionis): 1. die Be-
Vorbild Barzizzas) z.B. um die Vermeidung von Miß- trachtungsebene der figurae orationis, womit in der He-
klängen durch Wortstellungsfehler geht, um Hiatus, Sil- rennius-Terminologie die drei Stilebenen gemeint sind,
benwiederholungen usw. Es folgen 40 Vorschriften zum deren Struktur insgesamt, wie bei einem Wald, ganzheit-
ordo, während sich zum numerus nur noch ein einziges lich und unbestimmt (universa & confusa) wahrgenom-
praeceptum anschließt. A n 49. Stelle steht, eher den Tra- men wird. 2. die Betrachtungsebene der singulae dicendi
ditionen der ars dictandi folgend, ein Abschnitt <de modo formae, deren Struktur, wie bei einem einzelnen Baum,
punctandi>. Das 50. praeceptum bringt dann eine hexa- genauer (distinctius) zu erkennen ist. [37] Dann fächert
metrisierte Figurentaxonomie nach dem <Auctor ad He- er eine verborum copia tripartita nach verba propria,
rennium> (25 colores mit den für die mittelalterlichen innovata und translata (= Tropen) auf. [38] Der ornatus
Poetrien typischen Lücken). [27] Der zweite Teil des wird zweigeteilt vorgestellt, nämlich a) aufs Einzelwort
Werkes ist ein rhetorisches Phrasenbuch, das sich aus- bezogen und b) auf Wortverbindung und Anordnung
drücklich auf die bereits erwähnte Sammlung von ele- bezogen («sint duo, quibus res maxime ornantur, delec-
ganten Ausdrucksformen, die <Synonyma> des S. Fieschi tus uerborum & compositio, ordine quidem delec-
(Fliscus) beruft. Auch Barzizza wird wieder als Ge- tus»). [39] Als Gegenstand der compositio werden ge-
währsmann genannt, was auf ein verlorenes Synonymen- mäß der Tradition lautliche Einzelelemente (uox, uoca-
werk aus seiner Feder hindeuten könnte. [28] Die Rede- les, consonantes), Buchstaben und Silben, Einzelaus-
teile {exordium bis conclusio) dienen als Gliederungs- drücke und Satzglieder angegeben. [40] Hier folgt be-
prinzip. Albrecht von Eyb hat die <Artis rhetoricae prae- reits eine Reihe ausführlicher Erörterungen zur Verifi-
cepta> wenig später an den Anfang seiner (Margarita kation und zur prosaicae orationis compositio. Dann
poetica> gestellt, wobei er allerdings den Synonymenteil kündigt Trapezuntios an: «nunc formas dicendi omnes,
nochmals nach Fliscus erweiterte. Er verhalf den <Prae- ac genera, quantum in nobis situm est, clare ac distincte
cepta> auf diese Weise zu großer Wirkung, stellte doch explanare conabimur» (Nun werde ich alle elokutionä-
die schon früh gedruckte <Margarita> [29] «das erste um- ren Formen und Stilmittel, so sehr ich vermag, klar und
fassende Hülfsbuch der humanistischen Rhetorik in deutlich erklären). [41] Er ist sich bewußt, hier einen
Deutschland» dar. [30] Albrecht von Eyb fügt schließlich Neuanfang leisten zu müssen und betont, er wolle sich
noch einen dritten Traktat an, der zunächst eine Samm- der schwierigen Materie nicht entziehen, auch wenn es
lung von eleganten Phrasen aus Briefen Ciceros und nicht leicht sei, die vom Schutt der Dummheit während
italienischer Humanisten bietet, dann aber zu einer Prä- vieler Jahrhunderte bedeckten Sachverhalte neu ins
sentation schöner Verspassagen vor allem aus römischen Licht zu setzen («verum etiam rem iam per multa sécula
Dichtern übergeht. ignorantiae sordibus obrutam in medium protrahe-
re»). [42] Als nächstes führt er die sieben Stilqualitäten
Das 50-Praecepta-Schema Eybs erscheint wieder im des Hermogenes ein (septem ideae Hermogenis) [43]: cla-
Rhetorikteil der erstmals 1482 gedruckten <Oratoriae ritas (worunter puritas, perspicuitas und elegantia fal-
artis epitoma> [31] des Wanderhumanisten JACOBUS P U - len) [44], magnitudo, venustas, velocitas, affectio, veritas,
BLICIUS H I S P A N U S ( f l 4 7 3 ) . Der compositio-TdA des gravitas. Diese Stilqualitäten bilden die Rubriken der
Werkes ist der umfangreichste und enthält als gezählte weiteren Ausführungen. In jeder Rubrik werden dann
praecepta die 47 Abschnitte Eybs zu iunctura und ordo, drei Aspekte unter Heranziehung zahlreicher klassischer
an die sich (ungezählt) Kapitel zum numerus, zum modus Textbeispiele abgehandelt (tria in omni oratione) : 1. sen-
punctandi und zu den colores anschließen. tentia, 2. methodus vel artificium, 3. compositio. Hierbei
Allgemeinrhetoriken. Die wiederbelebte Kenntnis- ist unter sententia der durch Wörter auszuschmückende
nahme der antiken Theoriewerke war für das E.-Ver- Inhalt zu verstehen, ohne den es unsinnig wäre, über-
ständnis der Epoche von besonderer Bedeutung. Zu den haupt Worte dichterisch schmuckvoll zu gestalten («sen-
eigenen rhetoriktheoretischen Leistungen des 15./16. Jh. tentia est res inuenta uerbis expolienda, sine qua uerba in
gehören die neu entstandenen Gesamtrhetoriken, die numerum ornate construere furiosum est»). [45] Die Me-
das antike rhetorische Wissen sammeln und wieder sy- thodus oder das Artificium ist die Art und Weise, durch
stematisch präsentieren wollen. Allerdings hält sich ihre die ein Inhalt mittels Wörtern genauer herausgearbeitet
Zahl im 15. Jh. noch in deutlichen Grenzen. [32] Die wird («artificium est uia & modus, quo sententia uerbis
gewichtigste Gesamtrhetorik des 15. Jh. sind die 1433/34 explicatur»). [46] Unter den verschiedenen genannten
von GEORGIOS TRAPEZUNTIOS herausgegebenen <Rheto- Rubriken werden dementsprechend ausführliche Figur-
ricorum libri V>. [33] Das Werk wurde früh gedruckt und entaxonomien geboten. Zur compositio schließlich ge-
gilt als die erste vollständige Rhetorik des Humanismus hört die Darstellung der für folgende sechs partes compo-
und als einzige umfassende weltliche Rhetorik eines ita- sitions geltenden Verknüpfungsregeln: dictio (haec est
lienischen Humanisten im 15. Jh. [34] Trapezuntios uerba), exornatio, membrum, collocatio, clausula & nu-
sucht in einer großen Synthese lateinisches und griechi- merus. Auch dies wird dann unter den einzelnen Rubri-
sches Rhetorikwissen zusammenzuführen. D e r E . räumt ken jeweils neu ausgeführt.
er dabei einen herausragenden Platz ein. [35] Wenn die
Sprache den Menschen vom Tier unterscheide, dann In Deutschland war Trapezuntios' Rhetorik zunächst
könne kein Zweifel daran bestehen, daß die sprachlichen von begrenzter Wirkung. Hier wurde im 15. Jh. die be-
Gestaltungsmöglichkeiten die wichtigste Gabe der Natur reits erwähnte <Oratoriae artis epitoma> (x1482) des
an den Menschen sei. Die Auseinandersetzung mit der JACOBUS PUBLICIUS besonders wichtig. Das Werk ist eine

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Gesamtrhetorik, die die E. im Rahmen der klassischen Teil das Herennius-Figureninventar ebenfalls eigenstän-
fünf officia oratoris sieht. Allerdings trennt Publicius dig in zwölf Gruppen unterteilt.
memoria und pronuntiatio mit dem Hinweis ab, daß es Zu den Bewunderern von Trapezunt gehörte PHILIPP
sich hier um allgemeine Befähigungen handle, die weni- M E L A N C H T H O N , auch wenn er bei der Ausarbeitung sei-
ger von der ars als der natura abhängen. [47] Mit ähnli- ner Rhetorikversionen (von 1519,1521 und 1531) eigene
cher Begründung wird dann später M E L A N C H T H O N beide Wege ging. [60] Man kann sagen, daß Melanchthon mit
officia aus dem System der ars rhetorica herausnehmen. seiner 1521 erschienenen Rhetorikversion eine elokutio-
Die Publicius-Rhetorik wurde auch in Deutschland ver- näre Wende vollzogen hat, indem er die Betonung dia-
schiedentlich gedruckt. [48] Sie hat u . a . direkt die <Epi- lektischer und inventiver Aspekte aufgab. [61] In der
tome in utramque Ciceronis rhetoricair» des K O N R A D letzten Fassung von 1531 besteht die Rhetorik praktisch
CELTIS von 1 4 9 2 sowie den Rhetorikteil der <Margarita nur noch aus inventio und E., mit deutlichem Überge-
philosophica> des GREGOR R E I S C H beeinflußt. [ 4 9 ] Die wicht der E. Bemerkenswert sind Melanchthons ver-
Publicius-Rhetorik übernimmt (und betont damit zu- schiedentlich publizierte sprachtheoretische Äußerun-
gleich) die 47 letztlich auf Barzizza zurückgehenden elo- gen. In seiner Rhetorik verteidigt er zu Beginn des E.-
kutionär-kompositionellenpraecepta. Bei Celtis geht der Teils mit großem Engagement die Beschäftigung mit
umfangreiche praecepta-Teil wieder verloren, Reisch Prinzipien der rechten sprachlichen Gestaltung und
bringt nur 30praecepta. Textverfassung (ratio eloquendi). Nur wer sich sprach-
Bei Einführung der fünf partes rhetoricae definiert lich klar und differenziert ausdrücken kann, schreibt er,
Publicius die E. als uenusta exornatio des in der inventio vermag auch klare und differenzierte Gedanken zu ver-
gefundenen sprachlichen und sachlichen Materials. [50] mitteln. [62] Die E. beruht für ihn auf drei Grundpfeilern
Diese Konzentration auf die Herennius-Kategorie exor- (tres partes elocutionis): auf einer an der Antike orien-
natio übernehmen dann auch Celtis und Reisch bei ihren tierten Eleganz und Grammatikalität, auf Figuration
Definitionen. [51] Die Ausführungen zur E. sind bei Pu- und auf Amplifikation. [63] Entsprechend stehen die
blicius [52], Celtis [53] und Reisch [54] nach dem glei- drei mit Sprachstrukturen befaßten klassischen Haupt-
chen Schema aufgebaut. Zunächst wird, wie beim <Auc- sektoren der E. im Mittelpunkt der weiteren Ausführun-
tor ad Herennium>, die Dreistillehre vorgestellt, dann gen: a) eine breit angelegte Figurentaxonomie, b) Ele-
gliedern die drei Herennius-Kategorien elegantia, com- mente einer Kompositionslehre im Kapitel <De imitatio-
positio und dignitas den Text. Unter elegantia werden die ne> und c) die Dreistillehre. Das imitatio-Kapitel räumt
klassischen Sprachgebrauchsprinzipien, die v/ria-Pro- dem stilistischen Nachahmungsprinzip (generalis imitatio
blematik, Barbarismen und Soloecismen angesprochen. elocutionis) [64] erstmals innerhalb einer neu entstande-
Unter compositio folgt der bereits erörterte Teil mit den nen Gesamtrhetorik mit großem Nachdruck einen her-
47praecepta. Der Abschnitt dignitas stellt dann die ver- ausragenden Platz ein. A m umfangreichsten ist Melan-
schiedenen colores vor. Publicius bietet hier eine eigen- chthons hochdifferenzierte Figurenlehre, die Eingang in
ständige, in fünf große Klassen gegliederte Figurentaxo- zahlreiche Rhetoriklehrbücher der Zeit fand. [65]
nomie, die fast alle 64 Herennius-Figuren einbezieht. Zu Melanchthons Schülern zählte der zuletzt an der
Auch FRIEDRICH RIEDERER, der Verfasser und Drucker Universität Rostock auch in der artistischen Fakultät
der ersten deutschsprachigen Gesamtrhetorik <Spiegel lehrende Humanist und Theologe D A V I D CHYTRAEUS
der wahren Rhetorik> von 1493, kennt das Publicius- (1530-1600). Er veröffentlichte ebenfalls ein Rhetorik-
Werk. Riederer stützt sich bei seiner Publicius-Rezep- Lehrbuch und schuf um 1570 auf einem seiner zahlrei-
tion allerdings im wesentlichen nur auf dessen von der chen tabellarischen Einblattdrucke eine Übersicht zum
eigentlichen Rhetorik getrennte ars dictandi. Sein Werk schulgängigen, von Melanchthons Rhetorik beeinfluß-
folgt in System und Details hauptsächlich der <Rhetorica ten Elocutio-System (vgl. die Abb.). Die E., so definiert
ad Herennium» und bietet daher die E. unter der Über- Chytraeus auf dem Einblattdruck, stellt die behandelten
schrift «Von zierlicher red dem Vierden teil der retho- Sachverhalte im Text sprachlich korrekt und klar dar,
ric». [55] Riederer kannte die Rhetorikliteratur seiner streicht sie mit geeigneten rhetorischen Figuren und Or-
Zeit und hat sie an den entsprechenden Stellen eingear- namenten glanzvoll heraus und steigert sie. Sie besteht
beitet; z.B. erörtert er im compositio-Teil «Von zesa- aus Sprachstrukturen, die sich a) auf Grammatikalität in
mensatzung» den (dritten) ordo sui generis restrictive Form korrekter Rede gründen (sermo emendatus) und b)
orationis nach Barzizza/Wyle [56], und er hat auch, wie auf rhetorische Figuration, die aus Gründen eleganter
Publicius, ein Kapitel <de modo punctandi> («Von punc- Ausgestaltung hinzugefügt wird. Zum sermo emendatus
tierender maß»). [57] ( = a) zählen Wortreichtum und Wortwahl (copia et de-
Publicius und Riederer schlagen eine Brücke zur mit- lectus verborum), die richtige Syntax (iusta constructio),
telalterlichen Tradition, indem sie ihren Rhetoriken je- elegante Ausdrucksweise (phrasis) sowie rechte Wortfü-
weils noch eine ars dictandi anhängen. JAKOB LOCHERS gung und Rhythmik (compositio). Zur wichtigeren Ab-
1496 ebenfalls von Riederer gedruckte <Epithoma rheto- teilung Figuren ( = b) zählen die beiden großen Bereiche
rices> repräsentiert dagegen den rein humanistischen Ty- der grammatischen und der rhetorischen Figuren (ein-
pus, der die E., terminologisch und systematisch an der schließlich Tropen). Die grammatischen beruhen auf
Antike orientiert, im Rahmen des klassischen Schemas dem Deviationsprinzip, dessen Anwendung mutationes
der fünf officia präsentiert. [58] Als erste große deutsche uel conformationes sowohl bei einzelnen Ausdrücken
Gesamtrhetorik des 15. Jh. entstand J O H A N N KOELHOFFS bewirken kann (z.B. die Metapher) als auch bei zusam-
1484 gedruckte <Ars dicendi sive perorando. [59] Von menhängenden Textteilen (z.B. die Allegorie), ebenso
ihren 17 Büchern behandelt nur das dreizehnte die E. auf Satzebene (z.B. die Ellipse). Die rhetorischen Figu-
Wiederum gruppieren die drei Herennius-Rubriken ele- ren bestehen aus den Inhaltsfiguren (schemata dianoeas)
gantia, compositio und dignitas den Stoff. Allerdings fällt und den Figuren der Amplifikation, die den Text nicht
auf, daß auch Koelhoff die compositio-Defizite seines nur schmücken, sondern auch steigern und erweitern;
Gewährsmannes mit ausführlichen Erörterungen zu Me- viele von ihnen lassen sich (gemäß Melanchthons Rheto-
trik und Klauseln eigenständig gestaltet und im dignitas- rik) ex locis dialecticis herleiten.

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Elocutio Elocutio

T A B V L A COMPLECTENS SVMMÄM SECVNDI LIBRI RHETORICES,


DLI E L O C V T I O N E , ET INPRJMIS P B FIGVRIS GRAMMA.
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y mia diltionu, fi Omionù,m SCHEMATA FlGf^AE AMTLIFKATIony-M,
'i Ufi Τ1,muante Significatione, ftCcrnSniélme.
DIANOIA!.fu im „pintea ht* DM«*.
SCHEMATA figo^tthtotm, ttrt ittmo
m o r i ornan. otrbormm mannt, ¡id td·
fiomSrttieiimpiiphmltLEXEOÏ Gr»«/**, Afcfom.
4m tftOm σ mtm IX DEFIHIT10 H£.
L i&wiçfil. Innerfio.
«β tHmanlííffllfitdtlt- Sjmonjmi*. Commmictlio.
*m. ftj Itti prvtanuittlo· 2. ¿¡«giù. frittati.
Ktvi,urlt.-irMKm,ml ptr· Expolttia. Correlilo.
tti ortiututjcí periti m- . 3 Harm prtcipiufmt. jinxefo, Oaellto.
U Mnaftiori. nàtati* itttvformou. ti iäkfis. Occupatio.
4- Ψη/effii. 1. Itilerro*atio,
1. Melalepfii.
Η «i HíJÍÍ KX DIV1510 Ν R. Conceßto.
ζ. Amiptofn. 2. Suited,0.
J. Sjmtcdxht. O R THO GR A PH l
· PROSODI
C A, ETTMOLO· Meri/imi. <fíri.¿ufi<¡lc.
«CA. 6. Synecdoche. J. ExcUmdlh. Congeries,
4. Metonymia.
7. EMCMÍO.
hcremeníum. ix íiMiniT);
jDnhttat 'm, A GENBAI.
5- Antonomaßa. l £>V»- ri,
Exempta.
6. Catochreßl. 1. S)flo¡e. EnaUop. g. 5. Ψοταάοχοη, Transferee Hjrpotbeßn
». Troflhfu. ¡. tìumfu. H*IW 9. firperhaë. 6. Comumnicatiot tUlbefi*. f^Lte.
7. (kmmftU 2. Efinhfiι. /»<· 7. Tramine. Gnom*. Compaiano.
10 Syntiefu.
% HppeMe. j. fo'We. An! intend Koemala. fro/opopttia.
refu. IL í'tlipfil. g. AneTfio.
9. Tapmofu. AfttOlfil. Epipbonemi, Dialo¡ifmoi.
5. &«<!>/*. f.sj,Λ. 12. Arupodoto. 9. Lktnlid, I X CAVSIS.
10. hon. AMori*.
IX CIRCVMJTANTIU·
á.
• Apocope.
• • fíttrnfu, 'J- ^fiofef"· Trofopographia.
7. Anuftttthn 6 . tifili· tv «α*» ι 14. Epaotep. Tranllatto.
Ί opoçrap/na.
g. Meuthtfu. tfu. μτ-P'f Color.
«• rttíir fimi » Chronegrapliia.
tor.Dt bo LÍ· A
Cljnux.
UetttpUfmr de yuitui Mitriti, I. IX CONTRAAlIt, 'PtUbopatrt.
»¿-"".α^.νρφ (71. Antuhefis.
Im m mxém uoukt Aotmeuiole. ITC.

£X bf> rrmprmkirlttrt, Ormmeitk o· Rl««ii. - O « , oetrn, Tm l u . , fcn : tmf mfiptm


α-fi.«ί^φψΜ.σ CttnmtW.Λ/bJmrn : OttmMrMJ,I-.»I«««,M»<«X.
<DSVW CHTT^ys.

David Chytraeus: Tabvla complectens svmmam secvndi libri rhetorices, de eloevtione, et inprimis defigvris grammaticis et rhetoricis.
Rostock um 1570. Einblattdruck Wolfenbüttel in: 95.10 Quodl. 2°, Bl. 233.

Die internationale Wirkung der Melanchthon-Rheto- vor Elokution. Er entzieht deshalb der Rhetorik unter
rik war groß. In England etwa wurde sie zur Quelle der scharfer Kritik an den antiken Autoritäten, voran Ari-
ersten englischsprachigen Rhetorik <The arte or crafte of stoteles und Cicero, die Zuständigkeit für inventio,
rhethoryke> (um 1530) des LEONARD COX. [66] Interes- disposino und memoria·. «Tres itaque partes illae, In-
santerweise ließ der dialektikorientierte Cox jedoch den ventio inquam, Dispositio, Memoria, dialecticae artis
gesamten E.-Teil weg. Das änderte sich in den nachfol- sunto.» Der Rhetorik bleibt non elocutio solum in tro-
genden englischen Rhetoriken gründlich. HENRY PEA- pis & figuris, sondern auch noch die actio. Der auf
CHAMS 1577 gedruckter <Garden of Eloquence> bietet diese beiden officia oratoris reduzierten Rhetorik
ausschließlich eine nach Stichworten geordnete Figuren- spricht er als Leistungsbereiche zu, daß sie mit den
taxonomie mit eingeschobenen Erläuterungen zu weite- Glanzlichtern der Tropen den sprachlichen Ausdruck
ren elokutionären Kategorien, wie Order, Amplification variieren, ihn mit dem Zierart der Figuren schmücken
und Incrementum. [66] Auch in der zweiteiligen <Arca- (elocutio) könne und daß sie mit dem Rhythmus der
d i a n R h e t o r i c » ( 1 5 8 8 ) v o n A B R A H A M FRAUNCE ü b e r w i e g t Stimme zu ergötzen (pronuntiatio) und mit der Würde
der E.-Teil mit Regeln und Beispielen zur Figurenlehre der Gestik zu erregen (actio) vermöge («ut possit tro-
sowie zu verse and rime (1/13—14). Dagegen tritt das porum luminibus variare, insignibus figurarum exorna-
zweite, der actio/pronuntiatio gewidmete Buch zurück. re, modulatione vocis permuleere, dignitate gestus ex-
Im Vorwort teilt Fraunce die Rhetorik in zwei Teile ein, citare»). [69]
in Eloqution and Pronuntiation, und definiert: «Eloqu- Mit dieser engen Begrenzung der Rhetorik hat Ramus
tion is the first part of Rhetorike, concerning the orde- den Weg bereitet für die bis ins 20. Jh. nachwirkende
ring & trimming of speach. It hath also 2 parts, Congrui- Auffassung, die Rhetorik bestehe im wesentlichen in der
tie [i.e. kohärenzstiftende compositio und Grammatika- Figurenlehre, sei also vor allem auf Fragen der E. kon-
lität] and Brauerie [i. e. Figuration]». [68] zentriert. Die in ganz Europa äußerst erfolgreiche, von
Mit seiner Zweiteilung der Rhetorik in E. und actio seinem Schüler AUDOMARUS TALAEUS (Omer Talon) her-
erweist sich Fraunce als ein Vertreter des Ramismus. ausgegebene <Rhetorica> betont diese Prädominanz der
PETRUS RAMUS, einer der bedeutendsten französischen E. Der actio wird nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt,
Gelehrten des Zeitalters, bekräftigte in seinen erst- 80% des Textes besteht aus Figurenlehre und eingeleg-
mals 1577 erschienenen <Scholarum rhetoricarum libri ten Kapiteln zu rhythmus (Kap. 1/15), metrum (1/16) und
XX> die Rolle der Dialektik als allgemeingültiger wis- numerus oratorius (1/17-18). [70] Fraunce u. a. überneh-
senschaftlicher Basisdisziplin. Kognition geht für ihn men dies später. Das auf diese Weise überschaubar ge-

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Elocutio Elocutio

w o r d e n e System stellte man ebenfalls gern in graphi- 59GW 2563. Ex. Bamberg: Inc.typ. N.II.12. - 60J. Knape:
schen Schautafeln dar. [71] Philipp Melanchthons <Rhet.> (1993) 56. - 61 ebd. 30. - 62ebd.
89ff. und lOff. - 63ebd. 91. - 64ebd. 107. - 65ebd. 3. - 66Ed.
Anmerkungen: F.I. Carpenter (Chicago 1899). - 67H.Peacham: The Garden
1 Überblick bei A. Grafton, L. Jardine: From Humanism to the of Eloquence (London 1577; ND Menston 1971). - 68A.
Humanities. Education and the Liberal Arts in Fifteenth- and Fraunce: The Arcadian Rhetoric (London 1588; ND 1969)
Sixteenth-Century Europe (London 1986). - 2 P . O . Kristeller: fol. A2 a . - 6 9 P . Ramus: Scholae rhetoricae, in: P. Rami Scholae
Rhet. u. Philos, von der Antike bis zur Renaissance, in: ders.: in liberales artes (Basel 1578) col. 191. Ex. Augsburg: 2° Phil.
Stud, zur Gesch. der Rhet. u. zum Begriff des Menschen in der 78. - 70Druck Köln 1577. Ex. Tübingen: Dh 83. - 71 vgl. die
Renaissance, übers, v. R. Jochum (1981) 11-62, hier 48f.; vgl. Abb. im HWR Bd. 1 (1992) 1291f.
auch R.Sabbadini: Storia del Ciceronianismo (Turin 1885);
M.W. Croll: The Anti-Ciceronian Movement, in: ders.: Style, IV. 17. und 18. Jahrhundert. D a s Reformationszeital-
Rhetoric, and Rhythm (Princeton 1966) 7ff. - 3 knapper Über- ter brachte einen Aufschwung des Schulwesens mit sich.
blick bei B.Vickers: Rhetorical and anti-rhetorical tropes, in: Im 17. Jh. konkurrierten die vielen neuorganisierten
Comparative criticism 3 (1981) 118ff. - 4 T e x t bei H. Wallner: evangelischen Schulen mit d e n katholisch-jesuitischen
Georg von Peuerbach. Ein Beitrag zum Wiener Frühhumanis-
mus (Diss, masch. Wien 1947) 107-110. - Svgl. das Kapitel Gründungen. Basissprache für den gehobenen Schulun-
Stilistische Probleme) bei G. Streckenbach: Stiltheorie u. terricht und für die Universitäten blieb bis ins 18. Jh. das
Rhet. der Römer im Spiegel der humanistischen Schülergesprä- Latein. D i e E. erfuhr deshalb in den Rhetorikklassen
che (1979) 39ff. - 6 Zur Entstehung siehe W. Schwahn: Lorenzo weiterhin als lateinische Stilistik viel Aufmerksamkeit.
Valla. Ein Beitrag zur Gesch. des Humanismus (Diss. Berlin S o erklärt sich auch der große Druckerfolg elokutionsbe-
1896) 31ff.; zur Intention vgl. H.-B.Gerl: Rhet. als Philos. tonter Werke, wie der o b e n erwähnten Talaeus/Ramus-
Lorenzo Valla (1974) 235f. - 7Zit. η. Laurentii Vallae opera <Rhetorik>. [1] Darauf aufbauend erschienen Spezial-
collecta. Basel, Heinrich Petri, 1540. Faksimile con una premes- werke, wie O. C A S M A N N S <Rhetoricae tropologiae> mit,
sa di E. Garin. Bd. 1 (Turin 1962) 20f. - 8 G. Voigt: Die Wieder- wie es heißt, praecepta ex A. Thalaeo Methodica sowie
belebung des classischen Alterthums ( 3 1893; ND 41960) B d . I ,
S.468. - 9Hain 15800-15823. - 10GW 168-184. - 11 GW explicado rotunda & perspicua für den Vsus in Analyst &
9277-9284. - 12Gedruckt u.a. in Basel, B.Lasius, 1541. Ex. Genesi in sacris & profanis. [2] A b e r auch andere Rheto-
Tübingen: Cc 155.8°. - 13Leipzig 1549 u.ö. = VD 16: F riklehrwerke aus d e m 16. Jh., des E R A S M U S <Copia> oder
298-304. -14Leipzig 1554 u.ö. = VD 16: F 307-310. - 1 5 G e - MELANCHTHONS <Elementa rhetorices> wurden weiterhin
druckt u.a. in Basel, L. Lucius, 1555. Ex. Tübingen: Cc 155.8°. in Nachdruck oder Bearbeitung rezipiert. [3] D i e s e
- 1 6 G W 8032-8138. - 17Druck Basel, nicht nach 1488 ( = GW Werke nahmen Einfluß auf Schulbücher wie des J. MI-
8080), fol. aij a . Ex. Bamberg: Inc.typ. N.II.15(2.). - 18Druck CRAELIUS <Tractatus de copia verborum et rerum in quo
Speyer, Drach, 1484 (= GW 10007) p. 28. Ex. Tübingen: Cc praecepta rhetorica praxi continua in usum Scholarum &
24.4°. - 1 9 Hain 12970. - 20 Einl. zu Erasmus: De duplici copia
Studiosorum eloquentiae explicantur & illustrantur>. [4]
verborum ac rerum, hg. ν. Β. I. Knott, in: Opera omnia Bd. 1-6
(Amsterdam u.a. 1988) 7 u . 10. - 2 1 H . D . Rix: The Editions of Weitere Spezialwerke waren etwa <Figurarum rhetori-
Erasmus' <De copia>, in: Studies in Philology 43 (1946) 602f.; carum methodus, duobus libris, ad usum elocutionis po-
J. K. Sowards: Erasmus and the Apologetic Textbook. A Study tißimum oratoriae adornata* von M . D . VECHNER[5]
of the De duplici copia verborum ac rerum, in: Studies in oder <De elocutionis imitatione> von J. OMPHALIUS. [6]
Philology 55 (1958) 122ff. - 22 Bereits 1481 gedruckt (GW
10031); Ausgabe: R.P.Sonkowsky (Ed.): An Edition of Ga- D a s wichtigste jesuitische Lehrbuch der Epoche waren
sparino Barzizza's De compositione (Ph.D.Diss, masch. Cha- die immer wieder nachgedruckten <De arte rhetorica
pel Hill 1958). - 23ebd. 2, 6. - 24Translationen, hg. v. A. v. libri tres> des C. SOAREZ (um '1560). In der Gewichtung
Keller (1861; ND 1967) 354. - 25vgl. M. Herrmann: Albrecht der officia oratoris folgt Soarez der ihm bekannten Me-
von Eyb u. die Frühzeit d. dt. Humanismus (1893) 178f. - lanchthon-Rhetorik insofern, als inventio und E. prak-
26Zwei Inkunabeldrucke (GW 9542-9543). - Zit. n.: Enea tisch das Werk zu gleichen Teilen beherrschen. Inner-
Silvio Piccolomini: Opera omnia (Basel 1551). Ex. Tübingen: halb des E . - B u c h e s werden die klassischen Grundsekto-
Kf II 6.2°. - 27vgl. die Übersicht bei E. Farai: Les artes poéti-
ques du XII e et du XIII e siècle (Paris 1924) 52. - 28 Herr- ren des antiken E.-Modells dargestellt: 1. Sprachge-
mann [25] 181. - 2 9 G W 9529-9541. - 3 0 H e r r m a n n [25] 181. - brauchsprinzipien (Soarez unterscheidet zunächst die
31 Hain 13545; zit. nach der Ausgabe Venedig 1485. Ex. Tübin- vier Sprachtugenden: «haec in elocutione spectanda
gen: Dh 26.4°. - 3 2 vgl. Kristeller [2] 48. - 3 3 H a i n 7608-7609. sunt, vt latine, vt plane, vt ornate, vt apte dicamus») [7],
Zit. nach der Ausgabe Basel 1522. Ex. Tübingen: Dh 21.4°. - deren Erörterung um eine orneius-Definition und Uber-
34J. Monfasani: George of Trebizond. A Biography and a Stu- legungen zum vitiösen und zum angemessenen Vokabu-
dy of his Rhetoric and Logic (Leiden 1976) 261. - 35Zum E.- lar (Gebrauch von N e o l o g i s m e n , Fremd- oder Obszön-
Teil und seinen Quellen siehe zusammenfassend ebd. 281-289. wörtern etc.) angereichert ist. 2. Sprachstrukturen: eine
- 3 6 ebd. 282 Anm. 159 und 156. -37Trapezuntios [33] fol. 124a. umfangreiche Taxonomie v o n Tropen und Figuren und
- 38ebd. fol. 124b. - 39ebd. fol. 127a. - 40ebd. fol. 127b. -
41 ebd. fol. 134a. - 4 2 e b d . fol. 134a. - 4 3 e b d . fol. 135a. - 4 4 n ä - ein ausführlicher compositio-Teil (ordo, iunctura, nume-
her erläutert ebd. fol. 136 a -137 a und 142 b -143 a . - 45ebd. rus, periodus). 3. Stilarten: zunächst werden nochmals
fol. 135a. - 46ebd. fol. 135a. - 47Publicius [31] fol.A4 a . - Angemessenheitsfragen bezüglich des Gebrauchs v o n
48Hain 13545-13552. - 49Zu Celtis siehe F.J. Worstbrock: Versen diskutiert, dann folgt die klassische Dreistillehre.
Die Brieflehre des Konrad Celtis. Textgesch. und Autorschaft,
in: Philol. als Kulturwissenschaft. FS K. Stackmann, hg. v. Z u den wichtigsten Rhetoriktheoretikern der Zeit
L. Grenzmann, H. Herkommer, D. Wuttke (1987) 243. - 5 0 P u - zählt der Polyhistor und Leidener Rhetorikprofessor
blicius [31] fol. A4 a . - 51K. Celtis: Epitome in rhetoricam Cice- G. J. V o s s i u s ( 1 5 7 7 - 1 6 4 9 ) . Sein Schulbuch <Rhetorices
ronis vtranque. Zit. nach der Ausgabe Ingolstadt 1532. Ex. contractae, sive partitionum oratoriarum libri quinque>
München: Ph.sp. 743/1. fol. B2 a ; G. Reisch: Margarita philo- ('1606, Neufassung 1621) fand im 17. Jh. weite Verbrei-
sophica (Freiburg 1503) fol.cij 3 . Ex. Tübingen: Aa 32.4°. - tung. Im Mittelpunkt des vierten Buches steht die Lehre
52Publicius [31] fol. B 4 b - E 5 b . - 53Celtis[51] Kap. I X - X I I I , von den Tropen (Kap. 3b—10) und von den Figuren
f o l . B 7 b - C 6 a . - 54Reisch[51] fol. cij a -c5 b . - 55Druck Frei- (Kap. 11—22). «So bereitwillig manche Rhetoriker dar-
burg, 1493, Bl.XLIII a . Ex. Tübingen: D h 2 . Fol. - 56ebd.
Bl.XLVII"; vgl. oben Sp. 1048. - 57ebd. Bl.XLVIII b . - auf verzichtet haben, diese spröde Materie zu repetie-
58Druck Freiburg, 1496. Ex. Bamberg: Inc.typ. M.III.31(4.). - ren, so unumgänglich ist sie doch in einem Lehrbuch für
Anfänger. D i e Möglichkeit, hier wieder mehr Dichterzi-

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Elocutio Elocutio

tate zu bringen, hat Vossius reichlich genutzt. Poesie und ken des 17. und 18. Jh. wird der E. unterschiedliches
Rhetorik benötigen das gleiche Instrumentarium. Es Gewicht eingeräumt. In einer rein ramistischen theoreti-
wird im fünften und letzten Buch zunächst erweitert schen Rhetorik wie J . M . MEYFARTS <Teutscher Rhetori-
durch die Lehre von der compositio, d.h. Wortverbin- ca oder Redekunst* von 1634 ist sie selbstverständlich
dung, Wortstellung, Kolon, Satzglied, Periode und beherrschend. In Rhetoriken, die man der Progymnas-
Rhythmus (Kap. 1—3). Jetzt erst ist der Kreis der ele- mata-Tradition zuordnen kann, die sich also um rhetori-
mentaren praecepta elocutionis geschlossen ; und zusam- sche Gattungen und die Präsentation von Textmustern
men mit der Figuren- und Tropenlehre ist die Grundlage bemühen, wie C. W E I S E S <Neu-Erleuterter Politischer
geschaffen, um noch die klassische doctrina von den drei Redner> (1684) [13] oder J. C. M Ä N N L I N G S <Expediter
Stilen und ihren opposita oder vitia zu berühren Redner> (1718), tritt die E. in den theoretischen Passa-
(Kap. 4 - 7 ) . Die zunehmende Knappheit in der Darstel- gen bisweilen zugunsten der inventio zurück. Meyfart
lung dieser Punkte läßt vermuten, daß Vossius hier die kennt mit Ramus nur zwei Teile der Rhetorik: Elocution
Grenze des rhetorischen Gymnasialunterrichts gegeben und Pronuntiation. Er definiert: «Die Elocution (wiewol
sah.» (Barner) [8] es schwer zu verteutschen /) ist nichts anders als eine
Die <Rhetorice contracta> stellt in ihrem Grundbe- Außstaffierung der Rede / von artigen vnd geschickten
stand nichts anderes als die gekürzte und vereinfachte Worten / auch klugen vnd vernünfftigen Sprüchen / die
Fassung eines zweiten umfangreicheren Buches dar, das außersonnene Sachen vorzubringen.» [14] Was er dann
Vossius ebenfalls im Jahre 1606 in Leiden zum ersten auf den weiteren rund 400Seiten ausführt, ist lediglich
Mal veröffentlichte [9], die <Commentariorum rhetori- eine umfangreiche Erklärung der Tropen und Figuren.
corum, sive oratoriarum institutionum libri sex>. Auch Abgesehen von wenigen Bemerkungen zu Spachge-
dieses Werk widmet mehr als die Hälfte seines Textes brauchsprinzipien (die Unterscheidung von innerem und
der E. Die zu Beginn des vierten Buches gebotenen äußerem aptum deutet sich an [15]) und zur Wortfügung
Definitionen sind ciceronianisch geprägt. Dann aller- in Kap. 1/5—6, entfallen die bei Ramus noch vorhande-
dings folgt eine Reihe von Kapiteln, in denen Vossius nen compositio-Reste. Von solchen Resten kann man
didaktische und theoretische Fragen der E. erörtert. So vielleicht auch noch bei Weise reden, der lediglich im
diskutiert er etwa, ob man sich im Unterricht zuerst mit ersten Kapitel Ausführungen zum periodo macht und
der inventio beschäftigen solle. Er kommt zu dem Urteil, erläutert, welche Möglichkeiten der Satzkonstruktion
daß es besser sei, mit der E. zu beginnen, weil erstens sich bei der Formulierung eines Gedankens (propositio)
sich die Wörter leichter aneignen lassen als die Dinge, anbieten. Männling ist ebenfalls ganz auf inventive Fra-
und weil man zweitens bei jungen Leuten erst die Grund- gen eingestellt. Im Einleitungskapitel macht er einige
lagen für das auf Lebenserfahrung basierende inventio- Bemerkungen zur Wortfügung, zum rechten stylus und
Wissen legen muß. [10] Vossius unterscheidet in einem spricht weitere elokutionäre Elemente nur noch mit den
anderen Einleitungskapitel elocutio naturalis und elocu- Worten an: Ǥ 12. Was ferner in der Elaboration einer
tio artificiosa. Letztere zerfällt wiederum in vier Berei- Rede die gröste Zierlichkeit giebt, sind 1.) die Particulae
che : vel philosophica est, vel oratoria, vel histórica, vel connexionis, welche die Periodos anfahen, und an einan-
poètica. [11] Eine andere Unterscheidung ist die der zwei der hencken, 2.) die Figurae aus der Rhetorica, e.g.
partes oratoriae elocutionis. Die erste pars wird univer- Interrogatio [...].» [16]
salis & communis genannt; es geht bei ihr um all jene
In J. RIEMERS <Lustiger Rhetorica oder Kurtzweiligem
sprachlichen Mittel, quae orationem ornant. Die andere
Redner> (1681) geht die Zurückdrängung der E. noch
pars wird specialis ac propria genannt und erörtert auf
nicht ganz so weit. Im Kapitel <Von der Elaboration*
unterschiedliche Materien ausgerichtete Gestaltungsar-
(III/l) entfaltet er doch eine rudimentäre Lehre von zehn
ten (elocutionis diversitatem pro diversa materia). Vos-
Figuren bzw. Tropen mit Definitionen undTextmustern.
sius behandelt diese letztgenannte pars elocutionis im
Er nennt die Amplifikation Elaboration, was für ihn
sechsten Buch unter der Rubrik characteres und meint
nichts anderes ist «als eine Erweiterung der kurtzen Pro-
damit die bei ihm sehr differenziert abgehandelte Stil-
positionen / durch zierliche Worte / und angenehme Re-
artenlehre (d.h.: Dreistillehre - attischer, asianischer,
den». Man hat dazu «Wort= und Redens=Mittel von nöh-
rhodischer Stil - Vierstillehre - Sieben ideae Hermoge-
ten / woferne der Oration eine Zierligkeit zuwachsen
nis). Wie bei einem Haus bestehe die ganze E., fährt
soll.» [17] C. SCHRÖTER hat seiner (Gründlichen Anwei-
Vossius in seinen einleitenden Überlegungen fort, aus
sung zur deutschen Oratorie nach dem hohen und sinn-
dem Fundament und dem sich darüber erhebenden Auf-
reichen Stylo> (1704) einen längeren Theorieteil voran-
bau oder der Struktur (fundamentum ά exaedificatio sive
gestellt, in dem der E. unter der Rubrik <De variatione>
structura). Unter Verwendung der klassischen Heren-
relativ breiter Raum zugestanden wird. Hier begegnen
nius-Kategorien erläutert er: das Fundament ist das ele-
Kapitel zu den Synonyma, zu den Perioden und zur
ganiw-Postulat, das puritas und perspicuitas einfordert;
«schönere[n] Art der Variation, so durch Tropos und
Aufbau und Struktur schaffen compositio und dignitas
Figuras geschieht». [18]
(i.e. Figuration). [12] Was Vossius dann weiterhin im
einzelnen in den Büchern vier bis sechs mit umfangrei- Neben diesen Werken gibt es theoretische oder doch
chen Erörterungen und Beispielen folgen läßt, ist ganz theoriebetonte Rhetoriken, in denen die traditionellen
an dem bekannten antiken, von ihm durch die drei He- Elemente der E. alle ihren Platz finden: so etwa bei
rennius-Kategorien charakterisierten Grundmodell der E. U H S E im <Wohl-informirten Redner* (1709) oder bei
E.-Theorie orientiert: 1. Allgemeine Sprachgebrauchs- J . A. FABRICIUS in den Kapiteln <Von dem Ausdruck der
prinzipien, 2. Sprachliche Strukturen (ornatus) und 3. Gedanken* und <Vom stilo* seiner (Philosophischen
Stilartenlehre. Oratorie* (1724). Hinsichtlich Kohärenz, Klarheit und
klassisch geordnetem Aufbau überragt all diese Werke
Aufmerksamkeit finden elokutionäre Bereiche auch der allgemeine Teil von J . C . G O T T S C H E D S (Ausführlicher
in den zeitgenössischen von der Rhetorik beeinflußten Redekunst* (11736). [19] Gottsched beginnt die Darstel-
Poetiken, die (wie oben gesagt) nicht weiter berücksich- lung des Systems mit den Definitionen der fünf antiken
tigt werden können. In den volkssprachlichen Rhetori- officia oratoris (1/3). Er gliedert seine weitere Darstel-

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lung nach diesen officia, unter Weglassung der memoria, führliche Redekunst> enthält Lamy-Anleihen. [23] Ra-
und räumt der E . breiten Raum ein (<Von der Ausarbei- mistischer Einfluß ist bei Lamy unverkennbar. Er kon-
tung einer Rede>; 1/12). Man hat der deutschen Schreib- zentriert sich im Kern ganz auf Fragen mündlicher und
art, konstatiert er, inzwischen «genauer Achtung gege- schriftlicher Sprachgestaltung, die sich mit den bei Ra-
ben als vorhin. Man hat allmählich die alte Rauhigkeit mus für die Rhetorik reservierten officia der E . und
unsrer Ausdrückungen ins Feine gebracht, und solche pronuntiatio verbinden lassen. Die Fragestellungen des
wohlklingende, zierliche und prächtige Redensarten er- Werkes sind vom Cartesianismus beeinflußt und stehen
funden; daß wir es nunmehr in allen Gattungen der der Grammatik und Logik von Port-Royal nahe. [24]
Schreibart den Ausländern gleich thun können» (1/12, Lamy geht von semiotischen und kommunikationstheo-
§ 3). Ausfeilen des schriftlichen Entwurfs eines Textes retischen Fragestellungen aus, konzentriert sich aber vor
wird als unbedingte Notwendigkeit empfohlen. «Wie ein allem auf die expressiven Leistungsmöglichkeiten
bloßer Kohlenriß noch keinen vergnüget [ . . . ] , so ist es sprachlich-rhetorischer Strukturen, etwa die affekterre-
mit einer Rede beschaffen. Die gute Ausarbeitung muß gende Funktion der Figuren. Die ersten drei Bücher
einem Entwürfe allererst das rechte Leben und Ansehen handeln jeweils von vielfältigen Problemen der Sprache
geben» (1/12, § 4). Gottsched gibt zunächst eine Vielzahl ( z . B . physiologischen Grundlagen, grammat. Katego-
praktischer Ratschläge für die Überarbeitung der textli- rien, Sprachgebrauchsprinzipien), von Tropen und Figu-
chen Rohfassung (1/12, §§ 4—14), gefolgt von der Erörte- ren, von Klang und Wohllaut. Das vierte Buch ist ganz
rung bestimmter Sprachgebrauchsprinzipien im Bereich der Stillehre gewidmet; hier begegnen dem Leser die
der Lexik, z . B . Fremdwort etc. (1/13, § § 1 - 9 ) . Dann Dreistillehre ebenso wie die vier Bereiche der elocutio
schließt sich unter der Rubrik <Von verblümten Aus- artificiosa des Vossius. Bemerkenswert ist jedoch die
drückungen> eine Tropologie an (1/13, §§10—20); Syn- Abkehr von der Vorstellung, Stil sei lediglich Konven-
onyme und Epitheta werden anschließend nur in je ei- tion. Schon in den Renaissance-Debatten über den Cice-
nem Abschnitt behandelt. Das 14. Hauptstück des ersten ronianismus, etwa bei E R A S M U S oder MONTAIGNE ging es
Teils ist ganz der compositio und den Figuren unter der immer wieder um die Frage von bloßer Imitation, indivi-
Rubrik <Von den Perioden und ihren Zierrathen, den dueller Variation oder gar individueller Aemula-
Figuren> gewidmet. Anstelle der klassischen Dreistilleh- tion. [25] Auf lange Sicht verhilft Lamy der Auffassung,
re entwickelt Gottsched schließlich noch in zwei weite- Stil sei durchaus auch Individualstil zum Durchbruch.
ren Hauptstücken (1/15—16) seine Lehre von den Schreib- «Stile», so erläutert er, hieß ursprünglich der Schreib-
arten. Dabei handelt es sich um eine Taxonomie nach stift, mit dem jemand etwas schrieb. Man sagte dann,
Sprachgebrauchsgrundsätzen in Analogie zu dem Mo- diese Schrift komme von seiner Hand («cette écriture est
dell der antiken virtutes und vitia elocutionis. Es gibt zwei de la main d'un tel»; IV/1), die Alten sagten [z.B. Cie.
Schreibarten, eine schlechte und eine gute Schreibart (1/ Brut, 25,96], sie sei dessen Stil («c'est du stile d'un tel»),
15, § 2). Die schlechte Schreibart unterteilt er in folgende Lamy schließt seinen Gedanken mit der Feststellung ab,
Klassen: fünf dunkle, unverständliche oder undeutliche, daß man im Lauf der Zeit das Wort «stile» nur noch für
drei pedantische, drei affectirte, zwei phantastische, drei die Art sich auszudrücken nahm («manière de s'expri-
hochtrabende oder schwülstige, eine niederträchtige, eine mer»; IV/1). B U F F O N hat dies'später in seiner Akademie-
allzuweitläuftige, eine allzu kurze, eine übel zusammen- rede von 1753 zum Diktum «Le style est l'homme même»
hängende sowie eine übelgetheilte. Die gute Schreibart zugespitzt. [26] Bei Lamy ist nur noch das letzte Buch
unterteilt er nach folgenden Eigenschaften: 1) deutlich, einigen dispositionellen und inventivischen Bereichen
2) artig, 3) ungezwungen, 4) vernünftig, 5) natürlich, 6) ( z . B . derTopik) gewidmet. Das in seinem Werk ansatz-
edel, 7) wohlgefaßt, 8) ausführlich, 9) wohlverknüpft und weise formulierte Konzept reiner Individualstilistik
10) wohlabgetheilet (1/16, § 1). konnte in der Folgezeit allerdings noch nicht die theore-
tische und praktische Rückbindung an die Rhetoriktra-
Gottscheds Schreibartenlehre übertrifft rein quantita- dition auflösen.
tiv seine Ausführungen zu den Tropen, Figuren und zur
compositio. Hierin drückt sich die Tatsache aus, daß sich K. P. MORITZ, der <Vorlesungen über den deutschen
die Stilistik als Theorie volkssprachlicher Textgestaltung Stil> hielt ( 1 1793—94), war zunächst der einzige, «der sich
im Laufe des 18. Jh. von der Rhetorik ablöst und als damals konsequent von der traditionellen, von der Rhe-
eigenständiger Bereich etabliert. Der Terminus <Stili- torik geprägten Regelstilistik abwandte und das Indivi-
stik> kommt allerdings «wahrscheinlich erst im späten duell-Charakteristische des Ausdrucks der Gedanken
18. Jh. als Lehnbildung des frz. Stilistique ins Deut- betonte. Für das Charakteristische, die Eigentümlichkeit
sche». [20] Was in der lateinischen Literatur weiterhin in der Schreibart, worunter Moritz Stil verstand, gebe es
unter E . abgehandelt wird, knüpfte sich in der volks- keine Stilregeln im traditionellen Sinn; nur gute stilisti-
sprachlichen seit der zweiten Hälfte des 17. Jh. immer sche Leistungen könnten beeindrucken und musterhaft
stärker an die Kategorie des <Stils>. Wie sich am Beispiel wirken.» [27] Moritz wirft die Frage auf, inwieweit
Gottscheds beobachten läßt, wird die alte Dreistillehre kognitive und verbale Prozesse überhaupt zu trennen
dabei zugunsten differenzierter funktionaler oder ande- sind. «Nirgendwo ist nun das Geistige mit dem Mechani-
rer usueller, d. h. sprachgebrauchs-orientierter Stilarten- schen mehr verwechselt worden, als bei der Lehre vom
konzepte aufgelöst. Dies zeigt sich auch in F. A . H A L L - Styl.» Das ist verständlich, «weil Gedanke und Ausdruck
BAUERS Kapitel <Von dem Ausdruck der Gedanken so nahe aneinander gränzen, daß man den Irrthum kaum
durch den teutschen stilum> seiner <Anweisung zur ver- gewahr wird, wenn man beide mit einander verwech-
besserten Teutschen Oratorie> (1725). [21] selt.» [28] Moritz tritt für den Primat der Kognition ein,
Der wichtigste Wegbereiter dieser Entwicklung war denn «wer von der Sache, worüber er schreibt, richtige
B.LAMY mit seiner Rhetorik <De l'art de parlen von Begriffe hat, dessen Ausdruck wird auch dem Gegen-
1675. Das Werk war bis weit ins 18. Jh. hinein von größ- stande selbst angemessen sein; und wem diese richtigen
ter europäischer Wirkung. [22] Gottsched bezog das gan- Begriffe fehlen, dessen Schreibart werden keine Regeln
ze X . Hauptstück <Von den Figuren in der Poesie> seiner des Styls verbessern.» Was bleibt im Bereich der E.
<Critischen Dichtkunst> daraus, und auch seine A u s - übrig, wenn die gedankliche Grundlage das eigentlich

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Maßgebliche ist? Nach Moritz beschränkt sich der Aus- 6. Präcision und Kürze; 7. Würde; 8. Wohlklang; 9. Leb-
druck dann nur noch auf «das Mechanische der Wortstel- haftigkeit und endlich 10. Einheit» (ebd. § 5). Diese zehn
lung und des Periodenbaues, auf die Vermeidung des Eigenschaften bilden im folgenden die Rubriken f ü r die
Eintönigen, der H ä r t e n und des Uebelklangs». Dement- Einzelkapitel, in denen das traditionelle elokutionelle
sprechend ist es «unnütz und zwecklos», die «einzelnen Grundinventar abgehandelt wird. So erscheinen etwa
Schönheiten des Ausdrucks, welche man unter der Be- kompositionelle Fragen (Perioden, Numerus) im Kapi-
nennung r e d n e r i s c h e Figuren> begreift, in den Anwei- tel <Wohlklang> (1/8) und die Figurenlehre im umfang-
sungen zum Styl, durch Regel und Vorschrift <lehren> zu reichsten Kapitel <Von der Lebhaftigkeit oder den Figu-
wollen». Zuzugestehen sei lediglich der Nutzen ihrer ren> (1/9). Die Stilartenlehre folgt im zweiten Teil des
Kenntnis in Hinsicht darauf, daß es «angenehm und Werkes. Sie inkorporiert in einer hochdifferenzierten
zweckmäßig» ist, «bei dem Lesen guter Schriftsteller auf Taxonomie auch die klassische Dreistillehre (Beispiele:
diese Schönheiten aufmerksam zu seyn». [29] So deutet «Von dem bildlichen Style, Von d e m rührenden Style,
sich bei Moritz der zu dieser Zeit in G a n g gekommene Von dem erhabenen Style, Von dem poetischen Style»).
Bruch mit der Rhetoriktradition an, nach der Figurenta- D e r dritte Teil des Werkes schließlich erörtert «Hülfs-
xonomien stets als integraler Bestandteil der Ausdrucks- mittel der guten Schreibart», von den kognitiven Befähi-
lehre angesehen wurden. Moritz erklärt ein Inventar in gungen (Genie) bis hin zu den Grundlagen des Ge-
ihrer Struktur genau definierter Figuren und damit den schmacks sowie den «Regeln der Kritik».
Kern der älteren E.-Theorie f ü r obsolet. «Was man red- Adelungs Werk wurde verschiedentlich wieder aufge-
nerische Figuren nennt, ist eigentlich die Sprache der legt und war von großer Wirkung auch auf Schulbücher.
<Empfindung>, der es an Worten fehlt, und die sich auf Ein Beispiel ist die zweiteilige deutsche <Rhetorik> des
mancherley Weise zu helfen sucht, um diesen Mangel zu Breslauer Gymnasialprofessors G . G . F Ü L L E B O R N von
ersetzen. D e r Ausdruck des Redners m u ß nothwendig 1802, in der nach dem kurzen inventio-Teil ein zweiter
das Resultat von der Seelenstimmung seyn, in die er sich umfangreicherer Teil <Von der Kunst zu schreiben) folgt.
versetzt hat. Die rednerischen Figuren aber können ja Dieser Teil ist im wesentlichen ein Auszug aus Adelungs
bei dem R e d n e r die erforderliche Seelenstimmung nicht Stil-Buch. Z u Beginn steht eine immer noch an klassi-
hervorbringen.» [30] schen Quellen orientierte Definition: «Die Kunst zu
War bei Moritz die Frage nach der Verbindlichkeit schreiben, elocutio, oder die Theorie des Styls enthält
von Sprachkonventionen, von Sprachgestaltungsnor- eine Anweisung, seine G e d a n k e n in einer bestimmten
men und wohldefinierten rhetorischen Sprachstrukturen und zweckmäßigen O r d n u n g und Folge, richtig, ver-
zugunsten des Individualstiis entschieden worden, so ständlich und angenehm auszudrücken» (II/l). Fülle-
hielt die Mehrheit der A u t o r e n seiner Zeit doch noch am born problematisiert (in A n k n ü p f u n g an Moritz) die tra-
Konventionalitäts-Postulat fest. Hierzu zählt auch J. C. ditionelle Trennung von inventio und E . , wenn er einlei-
A D E L U N G . Er nahm mit seinem dreiteiligen Werk <Über tend die Frage aufwirft: ob eine eigenständige elokutio-
den deutschen Styl> ('1785) maßgeblichen Einfluß auf näre «Theorie möglich sei, das heißt, ob sich der Styl, als
die Etablierung der Stilistik als eigenständiger Disziplin. Form, von dem G e d a n k e n , als der Materie, so trennen
«Die Lehre vom Style», so beginnt er sein Werk, «be- lasse, daß man f ü r ihn abgesondert eine Theorie geben
schäftigt sich mit dem schönen Ausdrucke» (1/ § 1). [31] könne?» Seine Antwort lautet, man könne «als gewiß
Dabei geht es nicht um rein individuelles Sprachempfin- a n n e h m e n , daß die Kunst zu schreiben ihren ganz me-
den, sondern es gilt unausgesprochen die WoLFFsche chanischen Theil habe, der ohne Rücksicht auf den In-
Maxime quod placet dicitur pulchrum. [32] Dies schließt halt abgehandelt werden kann, und d a ß für das Nichtme-
einerseits die geschmackliche Urteilsbildung einer Grup- chanische sich Regeln aus Zergliederungen vorhandener
pe ein, andererseits bringt es notwendig einen stilisti- Beispiele abziehen lassen.» [33] Z u m «Mechanischen
schen Norm-Relativismus mit sich. «Das Empfindungs- der Kunst zu schreiben» rechnet er gemäß Moritz die
vermögen ist in den verschiedenen Graden der Cultur so Abschnitte: «1. Von der Reinigkeit. 2. Von der Sprach-
verschieden gestimmt, H e r k o m m e n , Gewohnheit, Er- richtigkeit. 3. vom Bau der Sätze und Perioden. 4. Vom
ziehung und hundert zufällige Umstände haben so vielen Wohlklang». Das «Nichtmechanische» handelt er dann
Einfluß auf den Geschmack, daß ein Ding unmöglich zu unter d e m ausführlichen Kapitel B e o b a c h t u n g e n über
allen Zeiten und unter allen Z o n e n gefallen, folglich den Charakter des Styls> ab, in dem die traditionelle
auch unmöglich für schön gehalten werden kann» (ebd. Figuren- und Stilartenlehre folgen.
§2). Stilnormen haben also begrenzte Reichweite, aber
es gibt sie. In einer Zeit, «da fast jeder Schriftsteller sich
Anmerkungen:
seine Sprache selbst modeln will», dürfe eine auf Ver-
l v g l . J. Knape: Art. <Barock>, in: H W R Bd. 1 (1992) 1286ff. -
bindlichkeit bauende «Lehre nicht übergangen werden» 2Frankfurt 1600. E x . Oxford. B o d l . Libr. : 8° C 62 Art (2) = 167
(ebd. §5). A n k n ü p f u n g an die ältere Rhetoriktradition Exp. - 3 Z u r Melanchthon-Nachfolge vgl. W . B a r n e r : Ba-
ergibt sich bei der Stillehre nun daraus, daß die «neuere rockrhet. (1970) 265 A n m . 34; J. Knape: Philipp Melanchthons
Europäische Cultur den Griechischen und Römischen <Rhetorik> (1993) 3f. - 4 Stettin 1656. Ex. Stuttgart. - 5 Leipzig
Geschmack» nach wie vor als einzigen anerkenne und 1621. E x . Breslau. - 6 K ö l n 1613. Ex. Breslau. - 7 Z i t . n. d e m
ihm nacheifere. In der Stilistik nimmt derjenige die rich- Druck Köln 1577. Ex. Tübingen: D h 129. p . 7 9 . - 8 B a r n e r [ 3 ]
tige Position ein, der «für das Schöne Einheit in der 273. - 9 B a r n e r [3] 267. - 1 0 G . J. Vossius: C o m m e n t a r i o r u m . . .
Mannigfaltigkeit fordert», d . h . bei aller Individualität ( N D 1974) Liber IV, p . 2 f . - 11 ebd. p . 3 . - 1 2 e b d . p . 4 . -
1 3 C . Weise: Neu-Erleuterter polit. R e d n e r ( N D 1974). - 14hg.
doch allgemeinere einheitstiftende Sprachgebrauchs-
von E. Trunz (1977) 61. - 1 5 e b d . 60. - 1 6 C . Männling: Expedi-
prinzipien akzeptiert (ebd. §4). Für den Ausdruck gel- ter R e d n e r ( N D 1974) 9. - 1 7 J. Riemer: Werke, hg. v. H . Krau-
ten deshalb folgende «allgemeine Eigenschaften», zu de- se, Bd. 3 (1985) 132f. - 18C. Schröter: Gründliche A n w e i -
nen auch die klassischen virtutes elocutionis zählen: s u n g . . . ( N D 1974) 119. - 1 9 Z i t nach. 5 1759, in: A u s g e w .
«1. D e r Gebrauch des Hochdeutschen oder der Schrift- Werke, hg. v. P . M . Mitchell, Bd. VII/1 (1975). - 2 0 B . Sowins-
sprache; 2. Sprachrichtigkeit; 3. Reinigkeit; 4. Klarheit ki : Stilistik (1991) 22. - 21 F. A . Hallbauer : A n w e i s u n g . . . ( N D
und Deutlichkeit; 5. Angemessenheit und Ueblichkeit; 1974) 4 9 5 - 5 4 3 . - 2 2 Ü b e r s , v. J . C . Messerschmidt (1753), frz.
u. dt. Version hg. v. E. R u h e , mit e i n e m einl. Essay v. R. Beh-

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r e n s ( 1 9 8 0 ) 1 6 . - 2 3 e b d . 16 u . 1 9 . - 2 4 e b d . 4 2 . - 2 5 R . S a b b a d i - rie der [philologischen] Hermeneutik». [6] Für ihn ist Stil


ni: S t o r i a d e l C i c e r o n i a n i s m o ( T u r i n 1 8 8 5 ) ; A . M ü l l e r : Stil. in erster Linie Individualstil und folglich heißt «individu-
Studien zur Begriffsgesch. im romanisch-dt. Sprachraum (Diss. elle Interpretation» (neben der grammatischen, histori-
E r l a n g e n - N ü r n b e r g 1981) 3 3 ; W . G . M ü l l e r : T o p i k d . S t i l b e -
schen und generischen) für ihn zunächst «Bestimmung
g r i f f s ( 1 9 8 1 ) 3 5 . - 2 6 M ü l l e r : T o p i k [25] 1 2 4 ; S o w i n s k i [20] 2 0 . -
2 7 S o w i n s k i [20] 2 3 . - 2 8 K . P . M o r i t z : V o r l e s u n g e n ü b e r d e n
der Individualität aus der Compositionsweise». [7] «Zwi-
S t y l , h g . v . J. J. E s c h e n b u r g ( 2 1 8 0 8 ) 2 . - 2 9 e b d . 67. - 3 0 e b d . 6 9 f .
schen der Einheit eines Werkes und dem individuellen
- 3 1 J . C . A d e l u n g : Ü b e r d e n dt. Styl ( N D 1 9 7 4 ) 3 3 . - Sprachgebrauch im Einzelnen liegt bei jedem Schriftstel-
3 2 C . Wolff: Psychol, empirica (1732) § 5 4 3 . - 3 3 G . G . F ü l l e - ler eine bestimmte Art der Gedankenverknüpfung; die
born: R h e t . (Breslau 1802) 30. Alten nennen dies die ίίέα [idèa], d . h . die Stilform des
Schriftstellers.» Je subjektiver ein Schriftsteller ist, desto
V. 19. Jahrhundert. Im 19. Jh. wird der Zuständigkeits- mehr wird er seine «Empfindung selbst wieder veräus-
bereich der Rhetorik zunächst weiter eingeschränkt, die sern und zu objectivem Material gestalten», und dazu
ganze Disziplin dann endgültig in Frage gestellt und «steht ihm nun die Gliederung der Composition stufen-
schließlich zugunsten anderer Disziplinen wie den ein- weise zu Gebote.» Zur subjektiven «Einkleidung der
zelsprachlichen Philologien, der Poetik oder Ästhetik Gedanken» gehören die «Accomodation» (d.h. die An-
zurückgedrängt. Die Entwicklung in Deutschland ver- knüpfung neuer Wahrheiten an etwas Altes), «die Ver-
läuft langfristig wie in den anderen europäischen Län- gleichungen und rhetorischen Figuren und ausserdem
dern. das Enthymen.» [8] Unterscheidungskriterium hinsicht-
Bei Sprachwissenschaftlern wie J . G R I M M , H . P A U L lich der «Schreibweise eines Schriftstellers» sei beson-
oder R. H E I N Z E L kommt die Rhetorik gar nicht mehr ders auch «der eigenthümliche Perioden- und Wortbau,
vor. [1] Das Gebiet der E. wollen einige Stilistiker nur denn hier kommt noch das musikalische Element der
noch auf den Stil der mündlichen Rede begrenzen (WEN- Sprache in Rhythmus und melodischem Klang in Be-
DEL, SNELL). [2] Romantikbeeinflußte Autoren, die
tracht.» [9] Boeckh betont jedoch ausdrücklich, «dass
sprachliche Regeln, Muster und Grundsätze zumindest man bei der Erforschung des individuellen Sprachge-
für die Literatur als zu normativ und einengend empfin- brauchs stets das abzuscheiden hat, was zum National-
den, stehen dem ganzen Bereich skeptisch gegenüber. und Gattungsstil gehört.» [10] Er verbindet also den In-
H E G E L etwa hat im dritten Teil seiner <Asthetik>
dividualstilgedanken mit Überlegungen zum gattungsty-
('1835—38) zwar noch ein Kapitel über den Sprachli- pischen Stil sowie zum National- und Funktionalstil. Oft
chen Ausdrucke in dem traditionelle elokutionäre habe man den Gattungscharakter mit dem individuellen
Grundelemente unter Rubriken wie «Wörter und Be- Stil verwechselt, «z.B. vieles als Pindarische Eigenthüm-
zeichnungen» (d.h. Wortgebrauch), «Wortstellung» und lichkeit angesehen, was zum Charakter der dorischen
«Periodenbau» erörtert werden, doch bekommen sie ei- Lyrik überhaupt gehört. Hernach setzt die individuelle
ne neue Bedeutung, indem er sie in seine Überlegungen Auslegung die generische voraus, während doch andrer-
zum Individualstil romantischer Gemütstiefe integriert. seits erst aus dem Wesen der Individualität selbst die
Seine Abrechnung mit der herkömmlichen Figurenlehre Zwecke und Richtungen verstanden werden können, in
als elokutionärem Kernbereich fällt dementsprechend die sie eingeht, also die generische Auslegung auf der
eindeutig aus: «In dieses Feld gehören die sogenannten individuellen beruht. Der Cirkel löst sich hier approxi-
Redefiguren, insoweit sich dieselben nämlich auf die mativ dadurch, dass sich der die Gattungen bestimmen-
sprachliche Einkleidung als solche beziehn. Ihr Ge- de Zweck z.Th. ohne die vollständige Kenntniss der
brauch jedoch führt leicht in das Rhetorische und Dekla- Individualität erkennen läßt.» [11]
matorische im schlechten Sinne des Worts, und zerstört
F. T. VISCHER entwickelt in seiner <Aesthetik>
die individuelle Lebendigkeit, wenn diese Formen eine
('1846—57) eine differenzierte Stilartenlehre, die die bis
allgemeine, nach Regeln gemachte Ausdrucksweise an
dahin zumeist auf Sprache beschränkte Verwendung des
die Stelle des eigenthümlichen Ergusses der Empfindung
Stilbegriffs semiotisch erweitert. Vischer geht vom Indi-
und der Leidenschaft setzen, und dadurch besonders das
vidualstil aus: «Subjektivität durchdringt den Gegen-
Gegentheil jener innigen, wortkargen, fragmentarischen
stand» und «die Technik als habitueller Ausdruck der
Aeußerung bilden, deren Gemüthstiefe nicht Redens zu
objektiven Gewalt des Genius oder das Ideale, wie es in
machen weiß, und dadurch besonders in der romanti-
der technischen Gewöhnung erscheint, heißt Stil»
schen Poesie zur Schilderung in sich gedrungener Seelen-
(§527). Der Individualstil wird aber u . U . zum «provin-
zustände von großer Wirksamkeit ist. Im Allgemeinen
ziellen und nationalen Stil» (§ 529) sowie zum Epochen-
aber bleibt die Wortstellung eines der reichhaltigsten
stil (§530). Dieser «Stil der Weltalter» wird in Anknüp-
äußeren Mittel der Poesie.» [3]
fung an Stilartenlehren des 18. Jh. weiter differenziert:
Andere von sprachhistorischen, grammatischen, phi- er tritt «in jeder Hauptperiode zuerst als strenger und
lologischen oder stiltheoretischen Ansätzen ausgehende harter (teilweise typischer und hieratisch gebundener),
Autoren des 19. Jh. setzten sich durchaus produktiv mit dann als hoher oder erhabener schöner, endlich als an-
den Grundsektoren der E.-Tradition auseinander. [4] mutiger, reizender und rührender Stil» auf (§531).
Allerdings muß hier deutlich hervorgehoben werden, Strukturale elokutionäre Elemente, keineswegs negativ
daß es sich dabei um eine in die inzwischen verselbstän- akzentuiert, arbeitet Vischer in den speziellen Band zur
digte Disziplin Stilistik überführte E. handelt. Program- <Dichtkunst> ein. Hier gibt es Kapitel zum sprachlichen
matische Werke, wie K . F . BECKERS <Der deutsche Stil> Ausdruck» (§850), die sich mit den «Mitteln der Veran-
(1848), die die officia der Rhetorik endgültig neuen Fä- schaulichung und der Belebung, des Bildes und der Stim-
chern zuwiesen, trugen maßgeblich zu dieser Verselb- mung» beschäftigen (§851) und ausführlich die Tropen
ständigung bei. [5] Hierher gehören auch A. BOECKHS und Figuren (§§851—854) sowie Rhythmik und Metrik
zwischen 1809 und 1865 gehaltene Vorlesungen über (§§855-860) erörtern.
<Encyklopädie und Methodologie der philologischen Theoriegeschichtlich bedeutsam wurde G . GERBERS
Wissenschaften) ('1877). Boeckh kommt von der klassi- <Die Sprache als Kunst> ('1871-73), weil er die bis dato
schen Philologie her und gilt als Begründer einer «Theo- für eine Erklärung elokutionärer Phänomene als gültig

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angesehene Deviationstheorie in Frage stellte. [12] Sein che sich als individuelle Bildungen von d e m Gemeingut
Werk ist nicht nur in dieser Hinsicht die Hauptquelle für der Sprache des Bedürfnisses, der Mitteilung absondern,
NIETZSCHES Rhetorikvorlesung von 1874. Im übrigen während die der Sprachkunst sich abheben von der lite-
muß man davon ausgehen, daß auch W. SCHERERS aus rarischen Sprache, der Sprache der Gebildeten; dass
dem Nachlaß herausgegebene <Poetik> (1888) von Ger- jene hervorgehen aus blossem Sprachgefühl, gestaltet
ber beeinflußt ist. Scherer versucht ebenfalls die Rheto- werden nach unbewusstem Kunsttrieb, sich daher auch
riktradition wieder fruchtbar zu machen. Bei der Be- leicht wieder verlieren in der Sprache Aller, [ . . . ] wäh-
trachtung des sprachlichen Kunstwerks verlangt er eine rend diese in bewusster Eigenbehandlung einer als gültig
«Analyse in inventio, dispositio, elocutio und Me- anerkannten Sprache innerhalb eines bestimmten Rede-
trum». [13] Er weist auf die Bedeutung der antiken Rhe- ganzen geschaffen werden und sich damit als derartige
torik mit ihrer strengen Systematik für die Literaturwis- Abweichungen von dem gewöhnlichen Ausdruck dar-
senschaft hin. «Insbesondere für die vergleichende Stil- stellen, welche man als solche immer empfindet, und die
analyse ist sie von Nutzen, daher soll die Lehre von den sich desshalb dem allgemeinen Gebrauche entzie-
Tropen und Figuren in das geplante System der Wissen- hen.» [20]
schaft <Kunst der Rede> aufgenommen werden.» [14] Im 19. Jh. gab es aber nach wie vor eine Literatur, die
Nietzsche kannte neben G e r b e r auch das umfangreiche direkt an die Tradition der praxisorientierten rhetori-
Elocutio-Kapitel R . V O L K M A N N S , der in seiner <Rhetorik schen Lehrbücher anknüpfte. Hier sind zunächst die
der Griechen und R ö m e r in systematischer Übersicht) Spezialwerke zur Figurenlehre zu nennen. Wie die mei-
('1872) einen umfassenden und wissenschaftlich fundier- sten der vorangegangenen Jahrhunderte brachte das
ten Überblick über die in der Antike behandelten eloku- 19. Jh. noch einige von ihnen hervor. In Frankreich war
tionären Sektoren gibt. P. FONTANIER von Bedeutung, der 1818 den b e r ü h m t e n ,
GERBER kommt aufgrund einer teilweise spekulativ erstmals 1730 erschienenen <Traité des Tropes> von
arbeitenden Sprach- und Bedeutungs-Ursprungstheorie C. DU M A R S A I S neu mit einem C o m m e n t a i r e raisonné>
zu der These: «Alle Wörter sind Lautbilder und sind in herausgab. [21] Fontanier sah die rhetorische Figuren-
Bezug auf ihre Bedeutung an sich und von Anfang an lehre immer noch als Grundlage der Stilistik an. [22]
Tropen und eigentliche Worte> d. h. Prosa giebt es in der Deshalb erarbeitete er in den folgenden J a h r e n mit dem
Sprache nicht». [15] N I E T Z S C H E übernimmt dies wörtlich <Manuel classique pour l'étude desTropes> ( 1 1821) sowie
in sein Vorlesungskapitel «Verhältnis des Rhetorischen den <Figures autres que tropes» ( 1 1827) zwei umfangrei-
zur Sprache» [16] und überträgt es zudem (wie Ger- che Werke zur Figurenlehre. [23] Die dabei entfaltete
ber) [17] auf die Figuren im engeren Sinn: «Ebensowenig Figurenlehre, so T . T O D O R O V , «conduit à son extrême
wie zwischen den eigentlichen Wörtern und den Tropen une tendance qui est également présente dans la rhétori-
ein Unterschied ist, giebt es einen zwischen der regel- que <affective>» (führt in ihrem Extrem zu einer Ten-
rechten <Rede> und den sogenannten r h e t o r i s c h e n Figu- denz, die in der <affektiven> Rhetorik gleichfalls vorhan-
ren>. Eigentlich ist alles Figuration, was man gewöhnlich den ist). [24] Auch in Deutschland erschienen teils um-
Rede nennt.» Dies verbindet Nietzsche (an Stelle einer fangreiche, ganz auf die Figuren konzentrierte Lehrbü-
Deviationstheorie) mit einer Selektionstheorie, die jegli- cher für den Schulgebrauch, so etwa <Die Tropen und
che figurale Struktur als in der Sprache gegebene fakul- Figuren» von P. G R O S S (1880).
tative Möglichkeit begreift: «Die Sprache wird geschaf- Die klassischen Sektoren der E . gaben weiterhin bei
fen von den einzelnen Sprachkünstlern, festgestellt aber den meisten auf die Nationalsprachen bezogenen Lehr-
dadurch, dass der Geschmack der Vielen eine Auswahl büchern der Stilistik f ü r Schule und Universität die Basis
trifft.» Nur wenn die Sprachschöpfer mit ihren Bildun- ab. Das gilt für H . A . SCHOTTS <Theorie der rednerischen
gen nicht durchdringen, beruft sich die Sprachgemein- Schreibart und des äußeren Vortrage mit besonderer
schaft «auf den usus und spricht von Barbarismen und Hinsicht auf geistliche Reden> von 1828 ebenso wie f ü r
Solöcismen. Eine Figur, welche keine A b n e h m e r findet, die <Academischen Vorlesungen» des Jahres 1836 zur
wird Fehler». [18] Auch G e r b e r hatte die besondere Rol- <Poetik, Rhetorik und Stilistik» von W. W A C K E R N A G E L .
le des Usus betont und auf die Funktion der Grammati- Schott handelt die modifizierten virtutes elocutionis un-
ker als soziale Organe der Sprachnormierung hingewie- ter dem Kapitel E i g e n s c h a f t e n des guten Styls, die sich
sen: «Zwar überschätzen leicht die Regeln machenden zunächst auf die Forderungen des Erkenntnisvermögens
Grammatiker ihre Einwirkung auf Gestaltung der Spra- beziehen» ab. Eine an die A u t o r e n des 18. Jh. anschlie-
che, aber diese macht sich doch immerhin geltend durch ßende Stilartenlehre, die Figuren- und Kompositions-
Fixirung der herrschenden Ansichten über Barbarismen, theorie, findet sich dann unter der Rubrik E i g e n s c h a f -
Soloecismen, Archaismen, Neologismen, Provinzialis- ten des guten Styls, die sich zunächst auf die Ansprüche
men, Kakophonieen u . d . m . » [ 1 9 ] In dem gedruckten der Einbildungskraft und Phantasie, des Gefühls, der
Teil der Nietzsche-Vorlesung folgen auf die genannten feineren Sinnlichkeit beziehen, oder zu den verschiede-
allgemein theoretischen Überlegungen Kapitel zu den nen geistigen Vermögen in gleichem Verhältnisse ste-
virtutes elocutionis («§ 4. Reinheit, Deutlichkeit und An- hen». Wackernagel trennt in seiner Vorlesung die Rheto-
gemessenheit der elocutio» etc.) und zu den Tropen rik von der Stilistik ab und geht damit eigene Wege.
(§7); im Manuskript schließen sich dann u. a. die weite- Rhetorik ist f ü r ihn «Theorie der Prosa» [25] und bedeu-
ren Teile der Figurenlehre an. G e r b e r entfaltet ebenfalls tet letztlich eine Prosa-Gattungslehre nach inhaltlichen
im zweiten «Besonderen Theil» seines Werkes eine aus- und dispositionellen Gesichtspunkten. D e r «Stil» dage-
führliche Figurentaxonomie. Hatte er im ersten Teil bei gen beschränkt sich auf «die Oberfläche der sprachlichen
den «Figuren und Tropen der Sprache» deviationistische Darstellung, nicht die Idee, nicht den Stoff, sondern
Vorstellungen verworfen, so führt er sie im zweiten Teil lediglich die Form, die Wahl der Worte, den Bau der
(mit gutem Grund und anders als Nietzsche) bei den Sätze». [26] D e r Stil hat eine «subjective» Seite (Perso-
«Figuren und Tropen der Sprachkunst» wieder ein. nalstil des Autors) und eine «objective» (Ausrichtung
Denn es gibt einen Unterschied zwischen beiden Figu- auf Inhalt und Zweck eines Textes) [27], was das Aufstel-
renarten : «Er beruht darauf, dass die Figuren der Spra- len einer Stillehre sinnvoll macht. Wackernagel unter-

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nimmt dabei den Versuch, unter dem Dach einer sich 1967). - 22G. Genette: introduction» zur Ausgabe von P. Fon-
ausdrücklich auf das antike Modell beziehenden Drei- tanier: Les Figures du Discours [ = Manuel classique pour l'étu-
stillehre die klassischen Grundelemente der E . in ein de des Tropes / Des Figures autres que les Tropes] (Paris 1968)
9. - 2 3 E d . G. Genette ebd. - 24T. Todorov: Théories du sym-
kohärentes System zu bringen. Beim ersten Stil («des
bole (Paris 1977) 136. - 25hg. von L. Sieber (1873) 236. -
Verstandes») behandelt er beachtenswerte Aspekte der 26ebd. 311. - 2 7 e b d . 314. - 2 8 L . Gerlach: Theorie der Rhet. u.
virtutes elocutionis und bestimmter vitia, des weiteren Stilistik (Programm Dessau 1877) 5. - 29Linn[l] 40. - 3 0 J . P .
bestimmte Tropen und compositio-Aspekte. Dasselbe Krebs: Antibarbarus (ND 9 1984) 16. - 3 1 ebd. 19ff.
geschieht beim zweiten Stil («der Einbildung»), wobei
hier außerdem die Figuren im engeren Sinne besprochen VI. Linguistische und literaturwissenschaftliche Per-
werden. Zum dritten Stil («des Gefühls») folgen dann spektiven im 20. Jahrhundert. Das 20. Jh. bringt für die
nur noch wenige Hinweise. Wackernagels erst 1873 ver- Rhetorik und damit auch für die E.-Tradition in Wissen-
öffentlichter Versuch, ähnlich wie Adelung einzelnen schaft und Sprachkultur zugleich ein Ende und einen
Stilarten bestimmte Gruppen des traditionellen figura- Neuanfang mit sich. Schien die Rhetorik als Disziplin in
len und kompositionellen Inventars zuzuordnen, kam der ersten Hälfte des Jahrhunderts endgültig unterge-
verspätet, blieb ohne besondere Wirkung und erfuhr gangen zu sein, so entstand spätestens seit den 60er
bereits bei den Zeitgenossen Kritik. [28] Jahren wieder ein großes Interesse an rhetorischen Fra-
Die Stilistik-Lehrbücher der «Schulrhetorik» [29], be- gestellungen, das auch die alten Traditionen wieder ins
sonders wenn sie für den Unterricht in den alten Spra- Bewußtsein rückte. Diese Neubelebung wurzelt in ver-
chen bestimmt waren, hielten in der Regel an den durch schiedenen kulturhistorischen Bedingungen, unter de-
die antiken Vorbilder bestimmten Systemen fest. Als nen das neue wissenschaftliche Anliegen der sich nach
Beispiele sind hier die auch für den Deutschunterricht dem zweiten Weltkrieg etablierenden Strukturalisten
gedachten Werke von A . J . HOFFMANN <Rhetorik für und Semiotiker an erster Stelle zu nennen ist.
höhere Schulen> (1859), F.BECK <Lehrbuch des deut- Ungebrochen blieb die Tradition normativer Sprach-
schen Prosastils> (1861) oder C . H . REICHARDT <Logik, verwendungslehren bei den alltagspraktischen Stilleh-
Stilistik und Rhetorik I> (1877) zu nennen. Im altsprach- ren. Im deutschen Sprachgebiet, das hier als Beispiel für
lichen Unterricht gab es zudem Lehrbücher, die konzep- ähnliche Erscheinungen in anderen europäischen Regio-
tionell die Tradition der Renaissance-Elegantien (z.B. nen stehen kann, gibt es weiterhin zahlreiche «populäre
die L. VALLAS) fortführten; hier ist etwa der <Antibar- Stillehren» [1] (z.B. REINERS <Stilkunst> x1943; Neubear-
barus der lateinischen Sprache> ( ! 1834; Neubearbeitung beitung 1991), in denen sich alle wesentlichen, auf die
7 1905; Nachdruck 9 1984) des J . P . KREBS zu erwähnen.
Volkssprache applizierten und entsprechend modifizier-
Dem Werk liegt eine auf die virtus elocutionis der latini- ten Grundelemente des klassisch-rhetorischen E.-Kon-
tas reduzierte Stilauffassung zugrunde, denn es geht pro- zepts wiederfinden. [2] Kritischer wissenschaftlicher
grammatisch nur darum, daß man die lateinische Spra- Überprüfung halten solche Werke jedoch selten stand. [3]
che «in ihrer Reinheit und Richtigkeit, also stilistisch Nach wie vor werden Stilistiken auch für den Schulge-
handhabe». Nur so sei «es möglich, einen wirklichen Stil brauch geschaffen, z . B . H. J . HERINGERS <Grammatik
zu schreiben, der frei von aller Sprachmengerei, von und Stilistik. Praktische Grammatik des Deutschen)
Barbarismen und Solözismen klassisches Gepräge trägt (1989). Heringer gibt darin u.a. «goldene Regeln für
und wegen seiner Eleganz gefallen muss». [30] Bevor gutes Sprechen und Schreiben» (1. Schreib verständlich!
dann der «klassische» Sprachusus im einzelnen abgehan- Bedenke, für wen du schreibst! 2. Schreib einfach und
delt wird, gibt Krebs noch sechs allgemeine «Vorschrif- klar! Vermeide Mehrdeutigkeiten! 3. Schreib genau,
ten» zur stilgerechten electio verborum: 1. Vermeide alle doch nicht übergenau! 4. Fasse dich kurz! 5. Überleg,
vorklassischen oder altlateinischen Formen und Wörter. bevor du schreibst! Bedenke, was du erreichen
2. Vermeide wo möglich alle dichterischen Wörter, Re- willst!). [4] Diese Regeln knüpfen inhaltlich an die klassi-
densarten und Wörterverbindungen, selbst der klassi- schen virtutes elocutionis an, und die Methode ihrer Prä-
schen Zeit. 3. Gebrauche die klassischen Wörter nach sentation erinnert an die Sprachgebrauchs-«Vorschrif-
Möglichkeit nur nach Art der Klassiker. 4. Vermeide alle ten» des < Antibarbarus> von J . Ρ. KREBS . Mit den neueren
spätlateinischen Wörter, Wortverbindungen und Re- praktischen Stilistiken werden nach wie vor «Gebrauchs-
densarten. 5. Zulässig sind nachklassische Prägungen, normen» vermittelt, die die Verwendung «kommunikati-
wenn sich noch kein Wort aus der bessern Zeit findet. ver Mittel» regeln und damit Konventionen für den Ge-
6. Griechische Wörter, mit griechischen Buchstaben ge- brauch «des Instruments» Sprache bieten. Normativ ar-
schrieben, können nur dann ohne Tadel in die lateinische gumentierende Werke dieser Art «normalisieren» zwei-
Rede eingemischt werden, wenn von ihnen die Rede fellos in gewissem Umfang den «Sprachgebrauch in der
ist. [31] Bevölkerung». [5]
Seit Beginn des 20. Jh. vollzog sich im wissenschaftli-
Anmerkungen:
1 M.-L. Linn: Stud, zur dt. Rhet. u. Stilistik im 19. Jh. (1963) 72.
chen Bereich ein Wandel von der präskriptiven, an rhe-
- 2 J . A . Wendel: Lehrbuch des dt. Styls (1816); C.W. Snell: torischen Konventionen geschulten Stilistik zur wissen-
Lehrbuch der dt. Schreibart ('1788, 3 1818); vgl. Linn[l] 25f. - schaftlich-deskriptiven und theoretisch-analytischen
3 G . W . F . Hegel: Sämtliche Werke, hg. von H. Glockner, Disziplin. «Die neue Wissenschaft hat gleich von Anfang
Bd. 14 (1954) 284. -4Überblick bei Linn [1]. - SLinn [1] 28f. u. an zwei verschiedene Wege eingeschlagen. Die eine For-
39. - 6 A . B o e c k h : Encyklop. u. Methodologie der philol. schungsrichtung interessierte sich für die Stilmittel ein-
Wiss., hg. v. E. Bratuscheck (1877) 79. - 7ebd. 127. - 8ebd. zelner Sprachen, für die Ausdrucksformen, die sie für
134f. - 9ebd. 136. - lOebd. S. 137. - 11 ebd. 131. - 12Fehlt bei den mündlichen und schriftlichen Gebrauch zur Verfü-
Linn [1], - 13W. Scherer: Poetik, hg. von R . M . Meyer (1888)
gung stellen.» [6] Hier ist als richtungweisend der <Traité
6 9 . - 1 4 L i n n [1] 35f.; Scherer [6] 289. - 1 5 G. Gerber: Die Spra-
che als Kunst. 2 Bde. (Bromberg 1 8 7 1 - 7 3 ) B d . I , 333. -
de stylistique française> von C. BALLY (1909) zu nennen.
1 6 F . Nietzsche: Ges. Werke (Musarionausgabe) Bd. 5 (1922) Ihm geht es um eine Stilistik der Sprache, nicht der
297ff. - 17Gerber[15] Bd.I, 391f. - «Nietzsche[16] 300. - Literatur. Ihr Untersuchungsgegenstand ist der in be-
19Gerber[15] Bd.I, 331f. - 20ebd. Bd. II, 5. - 2 1 ( N D Genf stimmten Redesituationen auftretende Ausdruck von

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Gefühlen. E r drückt sich in überlegter Wortwahl und, in lich auch an den französischen Semiologen R. BARTHES
geringerem Grade, infolge einer Selektion auch auf der an. Für ihn ist die E. der klassischen Rhetorik der «para-
Ebene der Syntax aus. Im Sinne Ballys «haben ein wenig digmatische Pol» der ars rhetorica, dem die dispositio als
später andere Stilistiker ( M A R O U Z E A U , CRESSOT) syste- «syntagmatischer Pol» im Sinne Jakobsons gegen-
matisch alle Laute, die Redeteile, die syntaktischen übersteht. Barthes hielt 1964/65 in Paris ein Seminar zur
Konstruktionen und den Wortschatz beschrieben, und <Alten Rhetorik» ab. [16] Die daraus hervorgegangene
zwar jeweils in bezug auf das dem begrifflichen Gehalt Publikation der «Ancienne Rhétorique» (1970) fügt sich
Äußere». [7] D e r 1935 veröffentlichte <Traité de stylisti- zu zahlreichen strukturalistischen Veröffentlichungen in
que latine» von J. M A R O U Z E A U ist nach Einschätzung von Bereichen, die traditionellerweise der E . zugerechnet
W. A x immer noch richtungweisend für die Erforschung werden. Für den Gesamtbereich der Stilistik entwickelte
der lateinischen Stilistik. [8] D e m anderen Zweig der M. RIFFATERRE seit 1960 ein fruchtbares Analysekon-
neueren wissenschaftlich-empirischen Stilforschung ging zept, das mit Hilfe der Kategorien Kontext, pattern,
es mehr um die Frage, wie die «Stilmittel von schöpferi- Markierung und Kontrast «faites stylistiques» (stilisti-
schen Autoren genutzt werden». [9] Diesen Weg be- sche Fakten) [17] der Sprache erfaßbar macht. Für Riffa-
schritt L. SPITZER, einer der Begründer der modernen terre ergibt sich die stilistische Struktur eines Textes aus
literarischen Stilistik. E r will nicht das stilistische System einer «Folge markierter Elemente, die mit nicht mar-
einer Sprache rekonstruieren, sondern konzentriert sich kierten Elementen kontrastieren, Dyaden, binäre Grup-
ganz auf das stilistische System einzelner literarischer pen, deren Pole (Kontext, Kontrast in bezug auf diesen
Werke. Ansatzpunkt für die Analyse ist das quantitative Kontext) untrennbar sind, unabhängig voneinander
oder qualitative Hervorstechen bestimmter sprachlicher nicht existieren (jedes stilistische Faktum besteht also
Merkmale. Deshalb spricht H . R. J A U S S mit Bezug auf aus einem Kontext und einem Kontrast)». [18] Z u m
die Literaturwissenschaft vom dritten großen Paradigma Grundbuch strukturalistischer Figurenlehre (dem tradi-
(neben Antike-Orientierung und Historismus), «das im tionellen elokutionären Kernbereich) wurde die <Rhéto-
H e r a u f k o m m e n und im Siegeszug der Stilistik zu Beginn rique générale» (1970) der Lütticher groupe μ. [19] Dabei
unseres Jahrhunderts zu sehen» sei. [10] Beide stilwis- handelt es sich um den wichtigsten einer Reihe von An-
senschaftliche Ansätze haben Schule gemacht, gingen sätzen, umfassende strukturalistische Figurentaxono-
aber letztlich nicht zusammen, so daß es immer noch die mien zu erstellen. [20] Es geht um den Versuch, das
Gegensätze von linguistischer und literarischer Stilistik, traditionelle Figureninventar aus grundlegenden lingu-
Stilistik des Codes und der Nachricht, Ausdrucksstilistik istischen Prinzipien zu entwickeln und in einem streng
oder genetischer Stilistik gibt. [11] formalisierten kohärenten System zu erfassen, bei dem
auch die klassischen Änderungskategorien einbezogen
Unter neuen Perspektiven suchte man in der zweiten werden.
Hälfte des 20. Jh. auch wieder verstärkt das Interesse auf
die klassische Rhetoriktradition zu lenken. E . R . CUR- Man kann sagen, daß es seit 1960 für die Rhetorik zu
TIUS (1948) etwa bemerkte, wie sehr bestimmte fest einer eine Art «linguistic turn» kam (verstanden als wis-
strukturierte Verbalformeln das «rhetorische» Sprach- senschaftlich-linguistische Wende). Auch die neuere
verhalten des Mittelalters prägen. [12] Und H . LAUSBERG sprachwissenschaftliche Forschung besann sich zuneh-
konzipierte sein 1960 erschienenes <Handbuch der litera- mend wieder auf die Rhetorik und setzte sich mit den
rischen Rhetorik» als eine umfassende protostrukturali- Leistungen der klassisch-rhetorischen E.-Theorie aus-
stische Aufarbeitung der vornehmlich antiken Rhetorik- einander. Vor allem Pragmatik, linguistische Stilistik
traditionen. Ausdrücklich orientiert er sich dabei an und Textlinguistik bezogen die rhetorische Tradition in
Grundkategorien D E S A U S S U R E S (langue und paro- ihre Konzepte ein.
le). [13] In der Folgezeit erschienen zahlreiche lexikonar- Z u r linguistischen Wende gehörten ebenfalls die er-
tige Handbücher mit vergleichbarem Anliegen, so das wähnte Abkehr von der präskriptiven und die Hinwen-
<Dictionnaire de Poétique et de Rhétorique» von H. dung zur deskriptiven Stilistik. Allerdings vollzog sich
2
MORIER (1961; 1975) und <A Handlist of Rhetorical dies, wie gesagt, nur im wissenschaftlichen Bereich. Die
Terms» von R . A . L A N H A M (1962; 2 1991), die freilich neuere linguistische Stilistik lebt inzwischen von einer
mehr den seit J. C. T. E R N E S T I (1795/97) vertrauten Lexi- Vielfalt methodischer und inhaltlicher Fragestellun-
koncharakter wahrten. [14] Systematisch aufgebaut ist gen. [21] T . TODOROV etwa favorisiert eine Diskursstili-
dagegen E . P . J . CORBETTS <Classical Rhetoric for the stik. E r sieht die Zukunft der Stilistik in ihrer Konzentra-
Modern Student» (1965) mit einem umfangreichen E.- tion auf die in jeder sprachlichen Äußerung beobachtba-
Teil (style), der alle klassischen E.-Sektoren enthält. ren Beziehungen, Regeln und Einschränkungen, die sich
Die entscheidende Entwicklung in der neueren wis- nicht durch den Mechanismus der langue, sondern allein
senschaftlichen Auseinandersetzung mit elokutionären durch den des Diskurses erklären lassen. «In dem Mo-
Phänomenen bahnte sich jedoch bei den von der struk- ment wäre Platz für eine Diskursanalyse, die die alte
turalen Linguistik und der französischen Sémiologie her- Rhetorik als allgemeine Wissenschaft des Diskurses ab-
kommenden Autoren an, die unter anderem wahrnah- lösen würde. Eine solche Wissenschaft besäße <vertikale>
men, daß die Rhetoriker im Kapitel Ε . , speziell bei ihren Unterteilungen, wie zum Beispiel die Poetik, die sich
Figurentaxonomien, schon immer strukturalistisch gear- allein mit einer Art von Diskursen, den literarischen,
beitet haben. Als wichtigster Grundlagentheoretiker ist befaßt; und sie besäße <horizontale> Unterteilungen, wie
hier zunächst R. JAKOBSON zu nennen. Seine Zwei-Ach- die Stilistik, deren Gegenstand nicht aus allen, sich auf
sen-Theorie (Paradigma und Syntagma nach DE S A U S S U - einen Diskurstypus beziehenden Problemen bestünde,
RE) bot das seit den 60er Jahren des 20. Jh. meist disku- sondern aus einem Typus von Problemen, die alle Dis-
tierte linguistisch-strukturale Analysemodell, das er mit kurse betreffen. Dieser Bereich würde sich ungefähr mit
der Zweipoligkeit von Metapher und Metonymie in Ver- dem der alten elocutio decken: Unter Ausschluß der vom
bindung brachte.[15] thematischen Aspekt oder syntaktischen A u f b a u des
Diskurses aufgeworfenen Probleme, also mit dem, und
Die Wiederentdeckung der gesamten Rhetoriktradi- nur mit dem, was an anderer Stelle als verbaler Aspekt
tion unter strukturalistischen Vorzeichen knüpft wesent-

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des Textes definiert worden ist; das würde dann die Stil- kurs wird. Der Exkurs gefährdet die Textkontinuität und
untersuchung ausmachen.» [22] die Textkohärenz, indem er sich einer Semantik zuwen-
Unter linguistischer Perspektive werden bei der Stil- det, die nicht Thema des Textes ist.» [31] Insgesamt be-
analyse die klassischen elokutionären Strukturbereiche tont Junker die Nähe der traditionellen rhetorischen E.
(Figuren, Kompostionsschemata) den verschiedenen zu textlinguistischen Vorstellungen: «Eine Sichtung und
linguistischen Ebenen von Graphemik, Phonologie, Le- Neuinterpretation der konkreten rhetorischen Struktu-
xikologie einschließlich Morphologie, Syntax und Se- ren legt also moderne textgrammatische Fragestellungen
mantik zugeordnet. So befaßt sich die Laut- oder Phono- und Sichtweisen frei. Die traditionelle Rhetorik erweist
stilistik u. a. mit der expressiven Nutzung der Onomato- sich als Textgrammatik in der Weise, daß sie die Lehre
pöie. [23] Die Graphostilistik untersucht die graphischen sein will von der Rede als Ganzem, den Redeteilen und
Präsentationsformen. [24] Die Wortstilistik erforscht ihrer Funktionalität hinsichtlich des ganzen Textes, von
«die Ausdrucksmittel, über die der Wortschatz einer den Satzfolgen, Sätzen, Wortgruppen und Einzelwör-
Sprache verfügt; sie untersucht Phänomene wie die tern bis hin zum einzelnen Laut.» [32]
Wortbildung (z.B. die Kontamination bei Lewis Caroli Das textlinguistische Interesse an den rhetorischen
und James Joyce), die Synonymie, die Mehrdeutigkeit Traditionen zeigte starke Wirkung bei der sich seit den
oder auch den Gegensatz von unscharfen und präzisen, 70er Jahren des 20. Jh. etablierenden Textwissenschaft
abstrakten und konkreten, seltenen und alltäglichen (frz. science du texte; engl, discourse analysis). Diese
Ausdrücken». Die Satzstilistik befaßt sich «mit den Aus- Disziplin verbindet linguistische und literaturwissen-
druckswerten der Syntax in drei sich überlagernden Be- schaftliche Methoden zu neuen Textanalyseverfahren.
reichen: Sie untersucht Satzglieder (einzelne grammati- Der Rhetorik wird dabei ein hoher Rang neben Gram-
sche Formen, Übergänge von einer Wortart in die ande- matik, Stilistik, Psycholinguistik und Pragmatik einge-
re), Satzbau (Wortstellung, Negation usw.) und die grö- räumt. [33] Die Pragmatik zählt inzwischen ebenfalls zu
ßeren Einheiten, zu denen sich einzelne Sätze zusam- den rhetorikrelevanten Arbeitsfeldern der Linguistik.
menschließen (direkte, indirekte und erlebte Rede Sie untersucht u . a . als Linguistik der «parole», welche
usw.)». [25] verschiedenen Funktionen Sprachzeichen in Hinsicht
Im Hinblick auf die verschiedenen sprachwissen- auf die verschiedenen Elemente des Kommunikations-
schaftlichen Arbeitsfelder ist der «Brückenschlag zwi- prozesses überhaupt haben können (Funktionalismus
schen antiker Rhetorik und heutiger Textlinguistik» be- der Prager Schule). [34] Bereits C.MORRIS, einer der
sonders wichtig. [26] Dem entspricht die Tatsache, daß Väter der neueren Semiotik- und Pragmatikforschung,
die Gesellschaft für Angewandte Linguistik ihre frühere hatte die Rhetorik 1938 «as an early and restricted form
ständige Tagungssektion «Stilforschung und Rhetorik» of pragmatics» bezeichnet. [35] Inzwischen unterliegt es
Ende der 80er Jahre in «Stilistik und Textlinguistik» keinem Zweifel mehr: «Die alten Kunstlehren Rhetorik
umbenannte. [27] E. COSERIU konstatiert 1980 «ein Kon- und Hermeneutik werden als Pragmatik <avant la lettre»
tinuitätsbewußtsein, das in der literarischen Stilistik und neu entdeckt» (SCHLIEBEN-LANGE). [36] Bezüglich der E.
über sie hinaus in der Rhetorik die Ursprünge der Text- ist der wichtige von B. SANDIG seit 1978 in verschiedenen
linguistik erkennt». Diese «Art von Textlinguistik» ist, Arbeiten unternommene Ansatz von Bedeutung, eine
so Coseriu, «der Konvergenzpunkt, auf den scheinbar «sprachpragmatische Grundlegung der Stilbeschrei-
ganz unterschiedliche Richtungen zustreben, wie z.B. bung» [37] auszubauen. «Damit wird systematisch die
die Kommunikationsforschung, die allgemeine Semio- Möglichkeit eröffnet», so U.PÜSCHEL, «an die älteste
tik, die Literaturwissenschaft, die Handlungstheorie, die Tradition der Stilistik - die rhetorische - anzuknüpfen.
Sprechakttheorie, auch die Philologie im engeren Sinn Denn es geht um die Art der Sprachverwendung und ihre
als Wissenschaft von der Kritik und der Rekonstruktion Funktion für das Sprachhandeln, das Sprechen und
von Texten und nicht zuletzt die typisch philologische Schreiben also, und darum ging es schon der Rhetorik
Disziplin der Hermeneutik». [28] Die Rhetorik hat die mit ihrer Lehre von den drei Genera mit ihren je spezifi-
von der Textlinguistik überschrittene Grenze des Satzes schen Redefunktionen des probare, conciliare und mo-
im grammatischen Sinn nie gesetzt, sondern geht vom vere. Die Rhetorik ist im Kern eine sprachpragmatische
jeweiligen Werk (z.B. einer Rede) aus und unterschei- Stilistik, auch wenn sie ihre Kategorien nicht explizit
det hier traditionellerweise Konstruktionen bei den ver- handlungstheoretisch stützt und den Stilbegriff nicht
ba singula und den verba coniuncta. Aus rhetorischer kennt.» [38] Eine semiotische Orientierung des Pragma-
Sicht, die sich hier mit der textlinguistischen trifft, kann tikbegriffs hin auf die Frage der Wirkung sprachlicher
man feststellen, daß Texte zunächst einmal «nicht aus Zeichen unternimmt D . B R E U E R mit seiner Pragmati-
Sätzen oder anderen sprachlichen Konstrukten» beste- schen Texttheorie> (1974) [39], die die genuin rhetori-
hen, «sondern aus Äußerungen. Sätze sind syntaktische, sche Frage nach den Korrelationen zwischen elokutionä-
Äußerungen sind kommunikative Einheiten». [29] Für ren Sprachstrukturen (vor allem Figuren) und Adressa-
die Rhetorik ist die Satzgrenze keine positiv oder negativ tenwirkung stellt. Besonders interessant ist hier die rhe-
zu bewertende Markierung. Die Rhetorik «setzt sich in torische Affektenlehre, die sich schon immer auf das
ihrer neutralen, umfassenden Textorientiertheit nicht Problem konzentrierte, mit welchen Figuren sich welche
ab, ist daher auch nicht betont transphrastisch, sie ist Emotionen auslösen lassen. Für einen Autor wird dies in
<auch transphrastisch>, ebenso wie einzelwort-orientiert, der Phase der Textverfassung wichtig, in der er sich u. U.
wortgruppen-orientiert und satz-orientiert». [30] Aber für bestimmte Figurationen entscheiden muß, und folg-
natürlich macht gerade die transphrastische Perspektive lich, so Breuer, «ein Abrufschema für eine Menge kon-
viele rhetorisch-elokutionäre Phänomene für die Text- kreter Redewendungen eines bestimmten Wirkungsgra-
linguistik interessant. H. JUNKER weist 1976 unter ande- des» braucht. [40]
rem auf die amplificatio hin: «Die Amplifikation, die per
definitionem zur Ausweitung neigt, ist mit Vorliebe Rhetorisch elokutionärc Fragestellungen lassen sich
transphrastisch. Sie kann sogar in so extremem Maße auch mit Hilfe der Sprechakttheorie ( A U S T I N , SEAR-
amplifizieren, daß sie sich verselbständigt und zum Ex- LE) [41] als Teil einer linguistischen Handlungstheorie
weiterverfolgen. Sie fragt, wie wir durch Äußerungen

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eines Satzes oder Textes Handlungen mit Sprache ver- Sprechakttheorie, allgemeiner Handlungstheorie, Text-
richten, z.B. drohen, bitten, behaupten, fragen, ankla- sorten-Analyse und der rhetorischen Tradition benutzt,
gen, urteilen, beklagen usw. So wie Sätze unter semanti- «Angemessenheitsregeln» folgender Art auf: «Bestimm-
scher Perspektive <wahr> oder <unwahr> sein können, so te Handlungsmuster dürfen konventionell nur mit dem
können Sprechakte in einem bestimmten Kontext <glük- Ausdruck bestimmter Einstellungen durchgeführt wer-
ken>/<gelingen> oder <mißlingen>. Die Sprechakttheorie den (z.B. ist im Schulaufsatz in der Regel Witz und
ermöglicht neue Sichtweisen nicht nur bei den virtutes Scherzen ausgeschlossen). Ebenso gelten f ü r bestimmte
elocutionis (Angemessenheitspostulat), sondern ebenso Sachverhaltstypen bestimmte Einstellungskonventio-
in bezug auf die Figurenlehre. Hier sei nur auf die Arbeit nen, z.B. ist Religiöses <ernsthaft> darzustellen.» Es ge-
von J. MEIBAUER ZU den <Rhetorischen Fragen> (1986) hört zur kommunikativen Kompetenz, sich über den
verwiesen. Stellenwert solcher Angemessenheitsregeln im klaren zu
H . LAUSBERG hat in seinem <Handbuch der literari- sein. Sandig weist in diesem Sinn darauf hin, daß ihre
schen Rhetorik), mit dem er noch einmal die ganze klas- Befolgung wichtig ist «für die Gestaltung der Beziehung
sische Rhetoriktradition in ein einheitliches Gesamt- der an der Interaktion Beteiligten», daß das eventuelle
system zu bringen suchte, die rein quantitativ sein Buch Abweichen von den Angemessenheitsregeln «im Kon-
beherrschende E. in folgende Sektoren gegliedert text und/oder der Situation sinn-voll» sein m u ß und «mit
(§§458-1077): Graden der Angemessenheit» zu rechnen ist: «von kon-
ventionell angemessen und abweichend angemessen
A) Elocutionis virtutes et vitia über mehr oder weniger angemessen bis zu unangemes-
1) Latinitas s e n » . ^ ] Auch E . E G G S bringt 1990 Sprachnorm und
2) Perspicuitas Handlungsnorm in Verbindung. E r unterscheidet Hand-
3) Ornatus lungsnormen von Realisierungsstandards nach dem Mo-
a) in verbis singulis dell: Wenn χ eine Sprachhandlung des Typs C durchfüh-
b) in verbis coniunctis ren will [= Handlungsnorm], dann soll er sie in der
a) Figurae bestimmten Form C F durchführen [= Realisierungsstan-
(Ì) Compositio dard]. [48] Im Sinne der Sprechakttheorie kann das äu-
4) Aptum ßere aptum hier als Handlungsnorm verstanden werden,
5) Vitia der ein sprachlicher Realisierungsstandard korreliert.
B) Elocutionis genera. Dabei ist festzuhalten, daß es in einem zentralen Teil der
Sprechakttheorie, nämlich der Behandlung der Bedin-
Jeder dieser Bereiche ist inzwischen in den Sprach- und gungen von illokutionären Akten, nicht um die an sich
Literaturwissenschaften Gegenstand wissenschaftlicher kommunikativ-ethisch neutralen Standardrealisierun-
Forschung geworden. Aus pragmatischen Gründen kön- gen geht, sondern um kommunikativ-ethische Hand-
nen dazu im folgenden nur einige knappe Hinweise zu lungsnormen. So gilt ζ. B. für den illokutionären Akt des
ausgewählten Aspekten auf Grundlage der germanisti- Fragens die Handlungsnorm, daß man einen anderen
schen Forschung geboten werden. nur das fragen sollte, was man nicht weiß. [49] A u s der
Virtutes elocutionis: Klammert man das ornatus-Postu- Kommunikationstheorie sind hier die von H . P . G R I C E
lat aus, dann bleiben erstens die Grammatikalität for- (1967) rekonstruierten Konversationsmaximen einzube-
dernde latinitas (sprachliche Korrektheit)) und zweitens ziehen. Sie formulieren auf der Basis des kommunikati-
die perspicuitas (^sprachliche Klarheit>), die sich auf die ven Kooperationspostulats Prinzipien, denen die ge-
pragmatische Kategorie der Verständlichkeit be- nannten Standardrealisierungen genügen sollten (Quan-
zieht. [42] Die dritte virtus der <Angemessenheit) (ap- tität: sprich so informativ wie möglich und nicht informa-
tum) kann die beiden vorangehenden beinhalten, zielt tiver als nötig! Qualität: Sprich wahr! Relation: Sage nur
aber insgesamt auf Akzeptabilität ab. Von seiten der Relevantes! Modalität: Sei klar!). [50] U n t e r diesen Vor-
Pragmalinguistik hat man versucht, die hier ins Spiel aussetzungen ist das öpiM/n-Kalkül eines Redners mit
kommenden Kompetenzen in Analogie zu CHOMKYS persuasiven Absichten zu beurteilen, der u . U . eben
ccwpefence-Kategorie in einem Modell zu erfassen. So doch fragt, was er längst weiß und darüber hinaus viel-
schlägt der Soziolinguist D . H Y M E S vor, von sozial ver- leicht bewußt Irrelevantes sagt.
mittelter «kommunikativer Kompetenz» [43] zu spre-
chen, die über die <Akzeptabilität) [44] einer Äußerung Für die pragmatische Stilforschung und «interpreta-
in ähnlicher Weise entscheidet, wie Chomkys sprachli- tive Soziolinguistik» [51] beruht das aptum (Angemes-
che competence über die <Grammatikalität> einer Äuße- senheit/Unangemessenheit) auf einer «Erwartungs-
rung. norm» [52], die zur kommunikativen ( d . h . u . a . sprach-
Hier sei noch der Hinweis angefügt, daß die prakti- stilistischen) Kompetenz des Sprachbenutzers gehört.
schen Stillehren der Gegenwart den drei genannten klas- Die Erwartungsnorm resultiert aus Lernerfahrung. Der
sischen virtutes elocutionis nach Belieben zahlreiche wei- Sprachbenutzer erwartet das in bestimmten Kommuni-
tere «Stilprinzipien»[45] hinzufügen. W . S A N D E R S etwa kationssituationen gehäuft auftretende sprachliche In-
hat die folgenden aus verschiedenen Stillehren zusam- ventar bei sich wiederholender Situation aufs Neue und
mengestellt: Angemessenheit (in Ton und Sache), Klar- hat gelernt, es zu verstehen. [53] So können sich Sprach-/
heit, Eindeutigkeit, Vollständigkeit, Leichtverständlich- Interaktionspartner durch den Stil funktional signalisie-
keit, Übersichtlichkeit, Eingängigkeit, Genauigkeit, ren, wie der Handlungskontext zu verstehen ist. «Mit
Sachlichkeit, Natürlichkeit, Knappheit, Kürze, Mäßig- angemessen als Funktionsbeschreibung zu einem Stil
keit, Sparsamkeit, Anschaulichkeit, Lebendigkeit, Far- meint man also», so B. Sandig, «die Art der Handlungs-
bigkeit. [46] durchführung ist funktional: sinn-voll und wirksam» so-
Z u m äußeren aptum haben u. a. die Stilistik- und die wie aus Sicht des Rezipienten «für die konkreten Ziele
Sprachnorm-Forschung diverse Beiträge geliefert. So geeignet». [54] D e r Textwissenschaftler VAN D I J K nimmt
stellt ζ. Β. B. SANDIG in ihrer richtungweisenden <Stilistik eine Trennung von Stilistik und Rhetorik vor, wenn er
der deutschen Sprache) (1986), die Kategorien aus schreibt: «Während die Stilistik in grammatischer Hin-

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sieht unterschiedliche Sprachformen zur Geltung bringt die Stelle einer allgemeinen Sprachnorm tritt. Er fordert
und in Zusammenhänge mit Eigenschaften des stilisti- den Abschied von allgemeinen zugunsten text-relativer
schen Kontextes einbringt, wie Haltung, Einstellung, Normen: Er schlägt vor, «den Begriff der allgemeinen
Charakter und soziale Faktoren, wird die Rhetorik dar- Norm [norme générale] durch den des stilistischen Kon-
über hinaus auch andere Strukturen als charakteristische textes [contexte stylistique] zu ersetzen und die stilisti-
erkennen lassen und eher auf das qualitative Element schen Verfahren [procédés stilistiques] mit Bezug auf
gerichtet sein, aufgrund dessen der Text optimal wirk- diesen Kontext zu studieren». [60] R. H A R W E G trat dann
sam ist; damit liegt die Bedeutung weniger auf der Hal- 1972 entschieden für die Überwindung des evaluativen
tung als vielmehr auf den kommunikativen Absichten des Begriffs der stilistischen «Gutheit» zugunsten der tex-
Sprechers, nämlich auf der von ihm gewünschten Verän- tuellen (textgrammatischen) Richtigkeit ein, was ein
derung beim Hörer. Ein Basisbegriff der Stilistik ist da- weiterer substantieller Fortschritt war: «Ein stilistisch
her <Adäquatheit>, während es der Rhetorik eher um die guter Text ist demzufolge also nichts anderes als ein
<(optimale) Effektivität* von Äußerungen geht: eine Äu- textgrammatisch richtiger Text.» [61] K. E H L I C H S Bei-
ßerung muß in bestimmten Situationen nicht nur korrekt trag zum Solözismus von 1986 argumentierte ähnlich und
oder angemessen sein, um noch akzeptabel zu erschei- wies die Problematik des sog. vitiösen <Normverstosses
nen, sie muß auch gut passen, um wirklich auch als im Regelwerk* auf. Die Meinung «vitia sind schlecht»
Bedingung für weiteres Handeln akzeptiert zu wer- stellt für ihn eine «äußerst massive Diskreditierung wei-
den.» [55] ter Teile des faktischen Sprachgebrauchs dar». Vor al-
Dem inneren aptum schenkt u . a . die Textlinguistik lem in der mündlichen Rede werde vieles keineswegs als
Aufmerksamkeit. So sind Angemessenheit (prépon) und vitiös empfunden. Die geschriebene Sprache trete aber
Notwendigkeit (anankaion) nach J U N K E R ( 1 9 8 6 ) text- dennoch «als Zensor der mündlichen auf» und erteile
linguistisch interpretierbare «rhetorische Verkettungs- «ihr das Verdikt, sie sei unrein, unzureichend, negativ zu
kategorien», die als «textinterne Relationen» die «Har- bewerten». [62] Hier stellt sich das Problem unterschied-
monie und die kausallogische, notwendige Abfolge bein- licher Lizenziertheit von Abweichungen auf verschiede-
halten» und sich «auf den ganzen Text, die Teile der nen Sprachgebrauchsebenen sowie der entsprechenden
Rede, Satzgruppen, Sätze, Wortgruppen, Einzelwörter, Akzeptanz bei den Rezipienten. Was auf einer Ebene als
Silben, Einzellaute» richten. [56] «Stilfehler» gilt, kann auf einer anderen akzeptabel sein.
Wirkliche «Fehler» sind in der Einschätzung der Rezi-
Vitia: Rhetorisch-elokutionäre Sprach- und Stilfehler pienten in ihnen bekannten kommunikativen Situatio-
oder stilistische Mängel sind nach Lausberg Verstöße nen «nicht in erster Linie Abweichungen von Regeln
gegen die virtutes elocutionis. Der ganze Komplex ist (bzw. Konventionen, bzw. Normen), sondern Frustra-
inzwischen zum Gegenstand der Sprachnormforschung tionen von Erwartungen». [63]
und hier speziell der Fehlerlinguistik geworden. [57] So
lassen sich etwa die von K. G L O Y unterschiedenen Electio verborum: Die in der antiken Theorie unter
«Sprachnormtypen» [58] den virtutes elocutionis zuord- den Rubriken Archaismus, Provinzialismus, Neologis-
nen: mus oder Obszönwortschatz behandelten Fragen der an-
- latinitas, perspieuitas: grammatisch-semantische Nor- gemessenen Wortwahl sind heute vor allem Gegenstand
men (einschließlich phono- und graphologischen Nor- der Sprachnormforschung, der Synonymik und Wortsti-
men); listik. [64] Bei R . B A R T H E S ist die electio verborum eine
- ornatus: Normen der Äußerungsqualität (bezogen auf elokutionäre Grundoperation. Im Kapitel <elocutio> sei-
«ästhetische Wirkung»); ner <Ancienne Rhétorique* von 1970 erklärt er die Gene-
- aptum: Sprachhandlungsnormen. rierung figuraler Strukturen mit Hilfe von R. JAKOBSONS
H . F R I C K E definiert: «Eine sprachliche Norm ist eine 1960 veröffentlichter Zwei-Achsen-Theorie. [65] «Die
nachweisbar wiederkehrend befolgte Richtlinie ver- Basisopposition ist die zwischen [1.] Paradigma und
ständigungsrelevanten sprachlichen Verhaltens, deren [2.] Syntagma: 1. die Wörter wählen (electio, ekloge);
Nichterfüllung in wiederkehrender Weise von der 2. sie zusammenstellen (synthesis, compositio).» Die
Sprachgemeinschaft so durch Sanktionen geahndet wird, electio ist grundlegend für alle Arten von tropischer Re-
daß diese Sanktionen von den Betroffenen selbst über- de. Sie «setzt voraus, daß man in der Sprache einen
wiegend akzeptiert werden.» [59] Die linguistische Terminus an die Stelle eines anderen setzen kann: Die
Norm-Kategorie ist mehrschichtig. Grammatiken ver- electio ist möglich, weil die Synonymie zum System der
mitteln die Normen sprachlicher Korrektheit, die bei Sprache gehört (Quintilian): der Sprecher kann einen
den Sprechern einer Sprache Urteile wie <richtig/falsch> Signifikanten durch einen anderen ersetzen, er kann bei
oder <verständlich/unverständlich> begründen können. dieser Substitution sogar eine Nebenbedeutung hervor-
Die sog. Sprachkritik und präskriptive Stilistiken versu- bringen (Konnotation).» [66] Der hier gebrauchte Be-
chen Normen des angemessenen Sprachgebrauchs in griff der Synonymie wird von der modernen lexikali-
Hinsicht auf das Urteil <akzeptabel/nicht akzeptabel) schen Semantikforschung dahingehend präzisiert, daß es
aufzustellen, damit die in Frickes Definition genannten keine <reinen> Synonyme gibt. Es gibt zwar Wörter, die
Sanktionen der jeweiligen Sprechergemeinschaft nicht denselben Referenten bezeichnen, aber so gut wie im-
erfolgen. Über die geringen Möglichkeiten solcher Ver- mer verschiedene Gefühlswerte oder verschiedene Ne-
suche, mehr aber noch über ihre Grenzen informiert benvorstellungen vermitteln (Konnotation). [67]
S A N D E R S in seiner Arbeit zu den <Sprachkritikastereien>
Die Varietätenlinguistik kann zur Klärung der Frage
(1992). Vom Standpunkt moderner deskriptiver Sprach-
beitragen, wie durch die electio verborum sog. 'Stilfär-
wissenschaft aus ist präskriptive Stilistik mit dem morali-
bungen' Zustandekommen. Dabei wird vorausgesetzt,
stisch konnotierten Gegensatzpaar von sprachlichen vir-
daß es Sprechergruppen in einer Sprachgemeinschaft
tutes (Tugenden) und vitia (Lastern) fragwürdig.
gibt, die auf ein spezifisches sprachliches Inventar zu-
Eine Neuorientierung ging hier vom kontextualisti- rückgreifen können (Umgangssprache, Fachsprache,
schen Konzept R I F FATERRES aus, der ein neues deskripti- Dialekt usw.). [68] Man kann hier auch mit der analyti-
ves Modell vorstellte, bei dem die Einzeltext-Norm an schen Kategorie des sprachlichen Registers arbeiten, die

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aus der Kontextualismus-Schule des britischen Lingui- solche lenken, also die «poetische Funktion» der Spra-
sten J. R. FIRTH hervorging. [ 6 9 ] Die stilistisch relevante che (Jakobson) aktualisieren. [80] Nach T . TODOROV ist
Wortwahl besteht danach in der Entscheidung für ein «Figuralität» (figuralité) in diesem Sinne nichts anderes
bestimmtes sozialkommunikativ gebotenes Register. «als die Möglichkeit der Sprache, als solche wahrgenom-
Bei der Analyse entsprechender Vorgänge kommen als men zu werden», und die «verschiedenen sprachlichen
gleichberechtigte Register-Komponenten in Betracht: Anomalien sind eines der Mittel, die Sprache wahr-
field of discourse (Gesprächsgegenstand im weitesten n e h m b a r zu machen». [81]
Sinne), mode of discourse (das Medium und die Weise, Bei den Figuren der Rhetoriktradition hielt LAUSBERG
in der Kommunikation in einer bestimmten Situation ein Generierungsmodell auf Grundlage der klassischen
stattfindet) sowie style of discourse (Beziehung zwischen Änderungskategorien (Hinzufügung/adí'ec/ιο, Wegnah-
den an der Kommunikation partizipierenden Sprachteil- mddetractio, VmsieWungltransmutatio und Austausch/
nehmern, die den Stil als casual, intimate oder deferenti- immutatio) f ü r geeignet. D a s hatte weitreichende Fol-
al, also als unverbindlich - umgangssprachlich - lässig, gen, denn strukturalistisch orientierte Theoretiker be-
als kolloquial - vertraut - persönlich oder als förmlich - gannen in den 70er Jahren, diesen Ansatz weiterzuent-
zurückhaltend - höflich - hochsprachlich determinie- wickeln und trugen so insgesamt zur Neubelebung der
ren). [70] «Eine Biologievorlesung etwa wird also in be- rhetorischen E.-Forschung bei. Allen voran sind hier
zug auf das field als <wissenschaftlich>, in bezug auf mode J.DURAND, T.TODOROV und die GROUPE Μ zu nen-
als <Vortrag> und in bezug auf style als <förmlich> (polite) nen. [82] Die wichtigsten Neuerungen gegenüber Laus-
eingestuft werden können.» [71] Entsprechend wird berg waren die Einführung der linguistischen E b e n e n
beim R e d n e r die electio verborum determiniert. (Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, G r a p h e -
Ornatus: Die Rubrik ornatus bezeichnet traditionell mik und Text) als Analyseebenen und der von PLETT
den elokutionären Sektor der Strukturtaxonomien (Fi- vollzogene Rückgriff auf JAKOBSONS Zwei-Achsen-
guren und rhetorische Kompositionsmuster). Den tex- Theorie mit dem Äquivalenz-Theorem.
tuellen Status rhetorischer Figuration und Komposition Diese bemerkenswerten Versuche einer linguistischen
suchte die Antike in den bildlichen Kategorien von Be- Systematisierung der Figurentheorie, deren Ziel es war,
kleidung und Schmuck zu fassen (inventa vestire atque allumfassende und kohärente strukturalistische Figuren-
ornare oratione, Cie. D e or. 1 , 1 4 2 ) . In der Stillehre hat matrices zu schaffen, erwiesen letztlich die begrenzte
dies zu der Vorstellung vom «Stil als bedeutsamer Beiga- Reichweite der zunächst unkritisch ü b e r n o m m e n e n De-
be» geführt. [72] Die neuere pragmatisch orientierte Sti- viationstheorie. Es lassen sich eben nur bestimmte figu-
listik stellt dies in Frage. G . A N T O S ( 1 9 8 2 ) und M. H O F F - rale Strukturen deviationistisch erklären. [83] Dies gilt
MANN ( 1 9 9 0 ) betonen, das Formulieren sei kein Über- für alle elokutionären P h ä n o m e n e . In der allgemeinen
führen von fertigen vorgeprägten Inhalten in eine nur Stiltheorie hat sich daher RIFFATERRE 1971 f ü r einen rela-
äußerliche sprachliche Form, sondern ein integrales tiven Deviationismus ausgesprochen [84], a n d e r e A u t o -
schöpferisches Handeln. Mit der Unterscheidung von ren wie VAN D I J K sind ihm hierin gefolgt. [85] Riffaterre
Herstellen und Darstellen läßt sich ihrer Meinung nach definiert die sprachliche N o r m als textinterne G r ö ß e ,
das «Bekleidungsmodell» der Stilistik überwinden. D e r verzichtet mithin auf einen übertextuellen Normansatz.
Begriff des schöpferischen Handelns verschiebt das In seiner Sicht werden strukturell nachweisbare N o r m e n
Nacheinander von zunächst kognitiv-inventiven und erst gewöhnlich erst im jeweiligen Text aufgebaut, und ihre
dann elokutionären Vorgängen in ein prozeßhaftes In- Durchbrechung konstituiert innertextlichen Kontrast ( =
und Miteinander. [73] Stil). [86]
Für die in LAUSBERGS E.-Kapitel (<Handbuch> Die stärkste Gegenbewegung zum Deviationismus
§§ 479—1054) in ihrer überreichen Terminologie klassifi- kam von der Selektionstheorie, die «Stil als Resultat
zierten Figuralstrukturen suchten linguistisch orientierte einer Wahl unter den vom Sprachsystem zur Verfügung
A u t o r e n seit den 60er Jahren, angeregt vor allem durch gestellten fakultativen Möglichkeiten» auffaßt. [87]
die strukturalistische und generativistische Theoriebil- Dementsprechend definiert TODOROV Stil «als die Selek-
dung, Erklärungsmodelle und Generierungsregeln auf- tionen, die jeder Text unter einer bestimmten Zahl von
zustellen. U. E c o formulierte dementsprechend als Auf- in der Sprache enthaltenen Möglichkeiten trifft. D e r so
gabe, «die Definitionen der traditionellen Rhetorik verstandene Stil deckt sich mit den Registern der Spra-
durch ein elementares semiotisches Modell auf eine ge- che, mit ihren Sub-Codes. Darauf eben beziehen sich
nerative Matrix zu bringen». [74] Z u einem integralen Ausdrücke wie figürlicher Stil>, <emotiver Diskurs> usw.
Konzept ist es aber in der Folgezeit nicht gekommen. Es U n d die stilistische Beschreibung einer Ä u ß e r u n g stellt
bleibt vorläufig bei einer Vielzahl nebeneinander stehen- lediglich die Beschreibung aller ihrer verbalen Eigen-
der Theorieansätze. schaften dar.» [88]
Die längste Tradition hat die Deviationstheorie, die Eine Reihe von A u t o r e n suchte eine engere methodi-
das Z u s t a n d e k o m m e n elokutionärer Sprachstrukturen sche Orientierung an CHOMSKYS generativer Transfor-
durch Normabweichung erklärt. Sprachliche Normen mationsgrammatik, so daß heute von einer «generativen
werden dabei zumeist als «Richtigkeitsnormen» (gram- Stilistik» und «generativen Rhetorik» die R e d e sein
matisch) [75], «Häufigkeitsnormen» (statistisch) [76] kann. [89] Ihr Konzept basiert auf denselben methodi-
oder «Angemessenheitsnormen» (pragmatisch) [77] de- schen Voraussetzungen wie das der «generativen Poe-
finiert. tik». [90] Bereits 1964 zeigte R . O H M A N N auf Grundlage
Für die literarische Stilistik von Bedeutung ist in die- der ersten generativen Transformationsgrammatik
sem Zusammenhang die formalistische, von J. M U K A - Chomskys von 1957, wie syntaktische Stilvarianten aus
ftovsKY (1932) weiterentwickelte Entautomatisierungs- fakultativen Transformationen von Kernsätzen erklär-
Theorie (tschech. aktualisace [78]; engl, foreground- bar sind. [91] A . W O L L M A N N versuchte dann 1974 f i g u -
ing[79]). Bestimmte stilistische Überformungen dienen ration und Komposition als generative Prinzipien der
danach der Wahrnehmungserschwerung und sollen beim Sprachverwendung> zu bestimmen. [92] E r geht davon
Rezipienten die Aufmerksamkeit auf die Sprache als aus, daß bei der Generierung einer syntaktischen O b e r -

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flächenstruktur neben den (primär-grammatischen) Grammatiken gefunden. So behandelt sie E N G E L in sei-


Transformationsregeln noch (sekundär-stilistische) Fi- ner <Deutschen Grammatik) ( 2 1991) als «Konnexionen
gurationsregeln operieren. Vorausgesetzt werden dabei im Text» und stellt dazu einleitend fest: «Zu den textver-
Regeln einer kommunikativ-figurativen (F-)Komponen- knüpfenden Mitteln gehören gewisse syntaktische Figu-
te der Sprachkompetenz (d.h. Abweichungs-, Äquiva- ren der klassischen Rhetorik, daneben aber auch die
lenz- und Proportionsregeln). «Sie operieren vor und verschiedenen Redetaktiken, die der traditionellen Stili-
gleichzeitig mit den syntaktischen und zwar so, daß sie stik zwar seit langem bekannt waren, aber erst neuer-
den generativen Prozeß auf verschiedenen Stufen dings unter textlinguistischen Aspekten beachtet und
steuern». [...] «Die beiden Regelsysteme sind miteinan- angemessen beschrieben worden sind.» [103]
der verkoppelt und aufeinander angewiesen.» [93] Hatte Schließlich sei noch auf das soziolinguistische Interes-
Ohmann Texte von Faulkner, Hemingway, Henry James se an den Figuren hingewiesen, bei dem es nicht mehr um
und D. H. Lawrence analysiert, so bezog sich Α. B. B L A U Figurenschmuck (ornatus) unter dem Gesichtspunkt der
1978 mit einem analogen methodischen Konzept auf Stilistik oder ästhetischen Applikation geht, sondern um
Werke Liliencrons, Trakls und Bachmanns. Zur Ermitt- etwaigen gruppenspezifischen Figurengebrauch. So wä-
lung stilistischer Charakteristika untersuchte sie Verstö- re etwa zu untersuchen, «ob alle Gruppen innerhalb
ße gegen Wortstellungsregeln, lexikalische Abweichun- einer Ethnie dieselben Tropen und Figuren verwenden,
gen, Verletzungen der strikten Subkategorisierungs- und oder ob es z.B. alters-, geschlechts-, status-spezifische
der Selektionsregeln. [94] Freilich geben solche metho- Zuschreibungen gibt, bzw. ob die Tropen und Figuren in
dischen Sammlungen von Stilistika keinen Aufschluß allen Ethnien, interkulturell, einen vergleichbaren Gel-
über den poetischen Status und die literarische Bewer- tungsradius haben» usw. Forschungsgegenstand ist mitt-
tung der Werke. lerweile auch die Frage, welche Aufschlüsse der Meta-
Mit den Figuren und Tropen beschäftigten sich auch pherngebrauch über die Struktur von Organisationsfor-
andere linguistische Richtungen. So gab es Versuche, die men gibt. [104]
pragmatische Perspektive auch für die Systematisierung Genera elocutionis: Das einfache Modell der antiken
des Figurensystems nutzbar zu machen. R. PODLEWSKI Dreistillehre ist heute einer differenzierten linguisti-
bot hier 1982 Ansätze unter Rekurs auf die Pragmatik schen Stilartenlehre gewichen. Von den verschiedenen
von C.S. PEIRCE. [ 9 5 ] V A N D I J K grenzte eine eigene explikativen Theorien war schon die Rede (z.B. von der
Gruppe «pragmatischer Figuren» aus dem rhetorischen Abweichungs- und Selektionsstilistik, der Kontextstili-
Figureninventar aus [ 9 6 ] , und nach R. L Ü H R sind «auch stik RIFFATERRES, der Varietätenstilistik und der Theorie
die Redefiguren der antiken Rhetorik» aus den GRICE- sprachlicher Register etc.). Beim antiken Konzept der
schen Konversationsmaximen ableitbar. So werde z.B. genera dicendi geht es aber um Stiltypologie, d . h . um
«mit der Ironie gegen die erste Maxime der Qualität Stilebenen, die sich nach der Art ihrer Ausrichtung auf
(Sage nichts, was du für falsch hältst!) verstoßen.» [97] ganz bestimmte kommunikative Bedingungen und folg-
Auf dem Feld der Tropen hat besonders die Metaphern- lich nach ganz bestimmten strukturalen Textmerkmalen
forschung bemerkenswerte Beiträge zur Semantiktheo- unterscheiden lassen. Unterschiedliche linguistische
rie geliefert. Hier sei nur auf die Arbeiten des Semioti- Perspektiven haben auf diesem Feld zwar zu unter-
kers E c o verwiesen. [98] schiedlichen Konzepten geführt, im Kern sind es aber
Besondere Aufmerksamkeit fanden die Figuren bei nach wie vor die zwei genannten Betrachtungsebenen
den Textlinguisten und Textgrammatikern: «Untersucht (die textstrukturale und die pragmatische), von denen
man die rhetorischen Figuren unter textgrammatischen aus man zu Stiltypologien oder Stilklassifizierungen
Aspekten, so zeigt sich erstaunlicherweise, daß für viele kommt. Einerseits bestimmt man dabei die stilistischen
rhetorische Strukturmuster die Satzgrenze keine Mar- Charakteristika eines Textes/Diskurses, so TODOROV,
kierung bedeutet, sie daher im modernen Sinn trans- «auf der Ebene der Äußerung [au plan de l'énoncé], das
phrastische grammatische Formen sind, die man als heißt auf der Ebene seines verbalen, syntaktischen und
Textfiguren definieren könnte.» - «Viele rhetorische Fi- semantischen Aspekts sowie der Unterteilungen, die die
guren erweisen sich als fakultative Textfiguren. Der mo- Dimensionen der Einheiten festlegen, und zwar von den
dus per incrementa, das Gesetz der wachsenden Glieder, distinktiven phonischen oder semantischen Merkmalen
kann transphrastisch sein, muß es aber nicht. Viele Wie- bis zur gesamten Äußerung; andererseits auf der Ebene
derholungsfiguren sind fakultativ transphrastisch: Ana- des Äußerungsaktes [l'énonciation], das heißt auf der
pher, Epipher, Complexio, Kyklos und Parallelis- Ebene der gegebenen Beziehung zwischen den Personen
mus.» [99] Weitere Figuren, die nach H . B R I N K M A N N des Diskurses (Sprecher/Empfänger/Referenten).» [105]
«zum Aufbau eines Textes führen», sind offene Sätze Von der einen Ebene ausgehend kommt man zu Ty-
(insbesondere Frage und Antwort [subiectio]), Wieder- pen wie Nominalstil, Verbalstil oder zu den Textsorten-
holungsfiguren, isökölon, distributio und descriptio, Mo- bzw. Gattungsstilen. Von der anderen Ebene ausgehend
difikationen der Sprecherrolle (simulatio, permissio), kommt man zu Typen wie Individualstil, Sozial- und
Sprecher-Hörer-Relation (interrogano, ratiocinatio, Gruppenstil einschließlich ethnic ,sTy/e[106], Genera-
subiectio, apostrophé, sermocinatio). [100] Die Textlin- tionsstil, Zeit-/Epochenstil, Situationsstil und Funktio-
guistik leistet insgesamt Beträchtliches zur Erhellung fi- nalstil. [107]
guraler Mechanismen, z.B. der Anaphorik, aber auch
Der klassischen Dreistillehre am nächsten steht die
bestimmter Satzkonstruktionsformen wie den Asyndeta
aus der Prager strukturalistischen Schule hervorgegan-
oder Parallelismen. [101] Bei der Analyse bestimmter
gene und vor allem mit dem Namen E. R I E S E L verbunde-
Figuren, wie der climax (gradatio), lohnt ein Rückgriff
ne Funktionalstil-Lehre. [108] Jüngere Strukturalisten
auf die Theorie der funktionellen Satzperspektive, die
wie TODOROV lehnen sie ab: «Es ist überflüssig, den Be-
den Aufbau des Satzes im Kommunikationsakt in Hin-
griff Stil zu verwenden, um einen Funktionstyp der Spra-
blick auf Ausgangspunkt und Ziel der Äußerung be-
che zu bezeichnen, wie zum Beispiel journalistischer)
schreibt. [102] Inzwischen haben rhetorische Mittel)
oder administrativer) Stil usw». [109] In der ehemaligen
dieser Art als textlinguistische Elemente Eingang in
Sowjetunion, Tschechoslowakei und D D R jedoch mach-

1079 1080

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Elocutio Elocutio

te Riesels Taxonomie anscheinend wohlorganisierter 112-127. - 3 4 B . Schlieben-Lange: Linguist. Pragmatik ( 2 1979)


Sprachgebrauchs- und Diskurssphären Schule. So ent- 12f. - 35 C. Morris : Foundations of the Theory of Signs (Chica-
warf G. M I C H E L 1983 auf ihrer Basis eine funktionale go 1938) 30. - 36 Schlieben-Lange [34] 107. - 37 Β. Sandig : Stili-
Stiltypologie. Für ihn geht es bei den Stiltypen um eine stik. Sprachpragmatische Grundlegung der Stilbeschreibung
(1978); weitere Titel bei Püschel [21] 64ff. - 38Püschel [21] 53f.
«Gruppenbildung», die «nach dem Prinzip des Ausbil-
- 3 9 D . B r e u e r : Einf. in die pragmatische Texttheorie (1974)
dungsgrades eines Merkmals bzw. Merkmalskomplexes 175ff. - 40ebd. 176. - 4 1 J . L . Austin: How to do Things with
und darauf beruhenden Qualitäten erfolgt». Das der Words (Oxford 1962, 2 1975); dt.: Zur Theorie der Sprechakte,
funktionalen Stiltypologie zugrunde liegende «Eintei- dt. Bearb. v. E. v.Savigny ( 2 1979); J . R . Searle: Speech Acts.
lungsprinzip» ist «der auf der kommunikativen Funktion An Essay in the Philosophy of Language (Cambridge 1969); dt.:
der Sprache basierende Zusammenhang zwischen be- Sprechakte. Ein sprachphilos. Essay. Übers, von R. u. R. Wig-
stimmten sprachlichen Gebrauchsweisen und bestimm- gershaus (1971). - 42Kalverkämper [26] 6. - 4 3 D . Hymes: On
ten außersprachlichen Situationen». Dabei werden typi- Communicative Competence (Philadelphia 1971); Auszüge in:
sche Korrelationen zwischen bestimmten «Situationsty- J . B . Pride, J . H o l m e s (Hg.): Sociolinguistics. Selected Read-
ings (London 1972) 269—293; ders.: Communicative Compe-
pen» und bestimmten sprachlichen Konstanten ange-
tence, in: Sociolinguistics/Soziolinguistik. HSK 3.1, hg.v.
nommen. Es ergibt sich dann die folgende, schon von U . A m m o n , N. Dittmar, K . J . Mattheier (1987) 219-229. -
Riesel entworfene «funktionalistische Grobgliederung»: 44Schlieben-Lange[34] 13. - 45Sowinski [1] 78f. - 46W. San-
1. Stil des Amtsverkehrs, 2. Stil der Wissenschaft, 3. Stil ders: Gutes Deutsch - Besseres Deutsch. Prakt. Stillehre der dt.
des Journalismus, 4. Stil des Alltagsverkehrs und (als Gegenwartssprache (1986) 51ff. - 47B. Sandig: Stilistik der dt.
Sonderfall) 5. Stile der künstlerischen Literatur. [110] Sprache (1986) 144f. - 4 8 E . Eggs: Sprachnorm, Sprachsystem,
Redetechniken, in: W. Seetekorn: Sprachnorm und Sprachnor-
Anmerkungen : mierung. Deskription - Praxis - Theorie (1990) 141. - 49ebd.
1 A . Bremerich-Vos: Populäre rhet. Ratgeber (1991); vgl. B. 149. - 5 0 G . G r e w e n d o r f , F . H a m m , W.Sternefeld: Sprachli-
Sowinski: Stilistik (1991) 6 u. 95. - 2Krit. Überblick bei R . M . ches Wissen ( 3 1989) 401ff.; vgl. P. H. Grice: Logic and Conver-
Nickisch: Gutes Deutsch? (1975). - Fürs Englisch-Amerikani- sation (1967/87), in: ders.: Studies in the Way of Words (Cam-
sche siehe z.B. die Stilistiken von R. Lanham: Style. An Anti- bridge, Mass./London 1989) 1 - 1 4 3 . - 51V. Hinnekamp,
Textbook (New Haven 1974); J.Williams: Style (Glenview M. Selting (Hg.): Stil u. Stilisierung. Arbeiten zur interpretati-
1981). - 3 Bsp. bei H. Rupp: Uber die Notwendigkeit von u. das ven Soziolinguistik (1989). - 5 2 H . Steger: Sprachverhalten -
Unbehagen an Stilbüchern, in : Sprachnormen in der Diskussion Sprachsystem - Sprachnorm, in: Dt. Ak. f. Sprache u. Dichtung
(1986) 102ff. - 4 H . J. Heringer: Grammatik und Stil (1989) 9ff. (Hg.): Jb. 1970 (1971) 17. - 53W. Fleischer, G. Michel: Stilistik
- 5 R . B a r t s c h : Sprachnormen: Theorie und Praxis (1985; N D der dt. Gegenwartssprache ( 2 1977) 57; E. Besch: Wiederholung
1987) 171. - 6S. Ullmann: Sprache und Stil. Aufsätze zur Se- und Variation (1989) 126. - 54 Sandig [47] 333. - 55 Van
mantik und Stilistik (1972) 112; Orig.: Language and Style Dijk [33] 113f. - 56 Junker [30] 380. - 5 7 D . Cherubim (Hg.):
(Oxford 1966). - 7 T . Todorov: Rhet. u. Stilistik, in: O . Ducrot, Fehlerlinguistik. Beiträge zum Problem der sprachlichen
T.Todorov: Enzyklopäd. Wtb. der Sprachwiss. (1975) 91; Abweichung (1980). - 58K. Gloy: Sprachnormen I. Linguisti-
Orig.: Rhétorique et stylistique, in: dies.: Dictionnaire encyclo- sche und soziol. Analysen (1975) S. 63 - 6 5 ; ders.: Sprachnorm,
pédique des sciences du langage (Paris 1972) 102. - 8W. Αχ: in: LGL 2 , 3 6 3 - 3 6 8 , hier 364. - 5 9 H . Fricke: Norm u. Abwei-
Sprachstil in der lat. Philol. (1976) 279. - 9Ullmann[6] 112. - chung. Eine Philos, der Lit. (1981) 83; vgl. dazu E . Coseriu:
10H. R. Jauß: Paradigmawechsel in der Literaturwiss., in: LB 3 System, Norm und <Rede>, in: ders.: Sprache, Strukturen und
(1969) 49. - 11 Todorov [7] 92; frz. 103; Überblick bei H . U . Funktionen (1970) 193-212; ders.: Sistema, Norma y Habla
Gumbrecht, K . L . Pfeiffer (Hg.): Stil. Gesch. und Funktionen (Montevideo 1952). - 60Riffaterre [17] 64; dt. 60. - 61R. Har-
eines kulturwiss. Diskurselements (1986). - 1 2 E . R . Curtius: weg: Stilistik undTextgrammatik, in: LiLi 2 (1972) H . 5 , 7 1 - 8 1 ,
Europ. Lit. u. lat. MA (*1948 u . ö . ) . - 13H. Lausberg: Hb. der hier 75. - 62K. Ehlich: Der Normverstoß im Regelwerk. Über
lit. Rhet. (4960; 3 1990) 7 f . - 1 4 J . C . T . Ernesti: Lexicon techno- den Solözismus, in: LiLi 16 (1986) H . 62, 7 4 - 9 1 , hier 77f. -
logiae Graecorum rhetoricae (1795); ders.: Lexicon technolo- 63R.Keller: Zum Begriff des Fehlers im muttersprachlichen
giae Latinorum rhetoricae (1797). - 15 R. Jakobson: The Meta- Unterricht, in: D . C h e r u b i m (Hg.): Fehlerlinguistik (1980)
phoric and Metonymie Pols, in: R. Jakobson, M. Halle: Funda- 23 - 42, hier 40. - 64U. Püschel: Wortstilistik im Wtb. Zu «Stil-
mentals of Language (S'Gravenhage 1956) 7 6 - 8 2 ; dt.: Die färbung» und <Gebrauchsangaben>, in Z G L 18 (1990) 273-287.
Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik, in: dies.: - 65 Jakobson [15], - 66Barthes[16], dt. 86. - 67K. Baldinger:
Grundlagen der Sprache (1960) 6 5 - 7 0 ; R.Jakobson: Lingu- Die Semasiologie: Versuch eines Überblicks (1957) 23; S. Ull-
istics and Poetics, in: T. A. Sebeok (Hg.): Style in Language mann: Principles of Semantic (Oxford 2 1957); dt.: Grundzüge
(Cambridge/Mass. 1960) 350-377; dt.: Linguistik und Poetik, der Semantik ( 2 1972) lOlf. - 6 8 K . Nabrings: Sprachliche Varie-
in: ders.: Poetik. Ausgew. Aufsätze 1921—71, hg. von E. Ho- täten (1981); G. Berruto: Varietät, in: Sociolinguistics/Soziolin-
lenstein, T.Schelbert (1979) 83-121. - 1 6 i n : Communications guistik [43] 263 - 267. - 69B. Spillner: Style and Register, in:
16 (1970) 172-229; dt. in: R. Barthes: Das semiologische Aben- Sociolinguistics/Soziolinguistik[43] 281ff. - 7 0 E . W . B . Hess-
teuer (1988) 15-101, 15f. - 17 M. Riffaterre: Essais de stylisti- Lüttich: Das sprachliche Register, in: DS 2 (1974) 2 6 9 - 2 8 6 ,
que structurale (Paris 1971) 28; dt.: Strukturale Stilistik (1973) hier 276-279. - 71 ebd. 279. - 72vgl. Sandig [47] 163. -
29. - 18ebda. 65f.; dt. 61. - 19dt. J. Dubois u.a.: Allgemeine 7 3 G . A n t o s : Grundlagen einer Theorie des Formulierens
Rhet. (1974). - 20vgl. J. Knape: Art. <Änderungskategorien>, (1982); M. Hoffmann: Stil und Situation - Stil als Situation. Z u
in: H W R B d . 1 (1992) 549-566. - 2 1 vgl. den Forschungsbericht Grundlagen eines pragmatischen Stilbegriffs, in: U. Fix (Hg.):
von U.Püschel: Stilistik: Nicht Goldmarie - nicht Pechmarie. Beiträge zur Stiltheorie (1990) 4 6 - 7 2 . - 7 4 U . Eco: Einf. in die
Ein Sammeiber., in: DS 19 (1991) 5 0 - 6 7 und Sowinski[1], - Semiotik, übers, von J. Trabant (1972) 184. - 7 5 v g l . H. Steger:
22Todorov[7] 93, frz. 104. - 23Ullmann[6] 124; B. Spillner: Normprobleme, in: Dt. Akad. f. Sprache u. Dichtung (Hg.):
Grundlagen der Phonostilistik und Phonoästhetik, in: ders. Der öffentliche Sprachgebrauch. Bd. 1. (1980) 210-219, 211. -
(Hg.): Methoden d. Stilanalyse (1984) 69 - 9 9 . - 24R. Pfeiffer- 76Zu statistischen Stiltheorien vgl. U.Püschel: Linguistische
Rupp: Graphostilistik, in: Spillner (Hg.) [23] 101-119. - 2 5 Ull- Stilistik, in: LGL 2 , 307; K . H . Ihlenburg: Stilnorm und prakti-
mann [6] 124. - 2 6 H . Kalverkämper: Orientierung zur Textlin- sche Stillehre, in: Sprachpflege 19 (1970) 178-181; U . P i e p e r :
guistik (1981) 5; vgl. W. Heinemann, D . Viehweger: Textlingu- Über die Aussagekraft statistischer Methoden f ü r die linguist.
istik (1991) 19-22. - 27vgl. Püschel[21] 62. - 28E.Coseriu: Stilanalyse (1979). - 77 vgl. Sandig [47] 76f.; Besch [53] 125ff.;
Textlinguistik, hg. u.bearb. v. J. Albrecht (1980) 11. - 2 9 U . En- vgl. U. Püschel: Das Stilmuster <Abweichen>, in: SuL 16 (1985)
gel: Dt. Grammatik ( 2 1991) 33. - 3 0 H . Junker: Rhet. u. Text- 9—24. - 78 J. Mukarovsky: Jazyk spisvony a jazyk básnicky, in:
grammatik, in: R F 8 8 (1976) 382. - 3 1 ebd. 381f. - 3 2 e b d . 382. - Spisovná cestina a jazyková kultura, hg. von B . H a v r á n e k ,
33 vgl. etwa das Kapitel «die rhet. Struktur des Textes» beiT. A. M. Weingart (Prag 1932) 123-156; jetzt in: J. Mukarovsky: Stu-
van Dijk: Textwiss. Eine interdisziplinäre Einf. (1980) die ζ poetiky (Prag 1982) 3 4 - 5 4 ; engl. Teilübers.: Standard

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Eloge Eloge

Language and Poetic Language, in: P. Garvin ( E d . ) : A Prague den spezifischen Kern der epideiktischen Redekunst
School R e d e r o n Esthetics, Literary Structure and Style ( G e o r - dar. Als Lobrede ist sie pragmatischen Regeln unter-
g e t o w n 1964) 1 7 - 3 0 . - 7 9 G . N . L e e c h : A Linguistic G u i d e to stellt: Allem Zweideutigen muß ein eindeutiger Wert
English Poetry ( L o n d o n 1969) 56; vgl. Β . Carstensen: Stil u.
beigemessen werden; auch muß man mit den Erwartun-
N o r m , in: Z D L 37 (1970) 2 5 7 - 2 7 9 , hier 267ff. - 8 0 J a k o b -
s o n [ 1 5 ] ; vgl. Riffaterre[17] 145ff., dt. 124ff. - 8 1 T . Todorov:
gen des Publikums spielen. Die Darstellung soll tenden-
Stil, in: D u c r o t , Todorov [7] 343, frz. 386. - 82 siehe zu d e m ziös sein, das heißt, es gilt etwa, «den Verwegenen als
ganzen K o m p l e x K n a p e [20]. - 8 3 T . T o d o r o v : Figure, in: Todo- tapfer und den Verschwender als freigebig» zu prei-
rov, D u c r o t [7] 311f., frz. 349f. - 8 4 R i f f a t e r r e [17] 134ff., dt. sen. [4] Die E. ist zugleich auch eine rhetorische Hand-
114ff. - 8 5 V a n D i j k [ 3 3 ] 97, 103, 117. - 8 6 H . R ü c k e : Stilanaly- lung, die Bestandteil der epideiktischen Gattung ist (so
sen mit H i l f e des theoret. A n s a t z e s von Michel Riffaterre, in: gehören beispielsweise die E. und die Tröstung zu jeder
Spillner ( H g . ) [23] 1 7 5 - 1 9 1 . - 87Spillner: Linguistik u. Litera- Grabrede), auf die aber auch einfach bei jeder Gelegen-
turwiss. Stilforschung, R h e t . , T e x t l i n g u i s t i k (1974) 48; vgl. auch heit zurückgegriffen wird, bei der eine Person oder eine
C a r s t e n s e n [ 7 9 ] 263f.; B . S o w i n s k i : D t . Stilistik (1972) 27;
Tat gewürdigt werden soll: «In den Gerichtsreden (genus
G . Michel: G r u n d z ü g e der Stilistik, in: K l e i n e Enzyklopädie dt. iudiciale) oder den politischen Reden (genus deliberati-
Sprache, hg. von W. Fleischer u. a. (1983) 450 - 4 8 9 , hier 460ff.;
vum) sind wichtige Abschnitte dem Lob oder dem Tadel
W . S a n d e r s : Stil u. Spracheffizienz, in: R h e t . 7 (1988) 6 3 - 7 7 ,
hier 64f. - 8 8 T . Todorov: Stil, in: D u c r o t , T o d o r o v [7] 341, frz.
gewidmet.» [5] Die E. wird dann nicht als Zweck der
383. - 8 9 v g l . Püschel [76] 307; Sowinski [1] 40f.; K. O s t h e e r e n , Rede, sondern als Mittel der Überzeugung verstanden.
Art. «Generative Rhetorik), ersch. in: H W R , B d . 3. - J. C . SCALIGER hat die E. der Kategorie der Figuren zuge-
9 0 T . v . D i j k : Beiträge z. generativen Poetik (1972); U . O o m e n : ordnet und sie als Oberbegriff verstanden, unter den
Ling. Grundlagen poet. Texte (1973) 6ff. - 9 1 R . O h m a n n : sowohl Lob als auch Tadel fallen. [6] Die Figuren, die für
G e n e r a t i v e Grammatik und der Begriff: Lit. Stil (1964), in: das Lob verwendet werden können, sind folgende: Be-
H . B l u m e n s a t h ( H g . ) : Strukturalismus in der Literaturwiss. schreibung, Antonomasie, Epitheton [7], Vergleich [8],
(1972) 8 9 - 1 0 5 . - 9 2 i n : G . N i c k e l , A . R a a s c h ( H g . ) : I R A L - amplificatio [9] und Ironie (der scheinbare Tadel fungiert
Sonderband. Kongreßbericht der 5. Jahrestagung d. Gesell- hierbei in Wirklichkeit als Lob). [10]
schaft für a n g e w a n d t e Linguistik (1974) 2 9 1 - 2 9 6 . - 9 3 ebd. 296.
C. I. Renaissance, Barock und Klassizismus nehmen in
- 9 4 A . B . Blau: Stil und A b w e i c h u n g ( U p p s a l a 1978). -
95 R . Podlewski: R h e t . als pragmatisches System (1982) 173ff. -
ihre Theorie und Praxis der E. das antike Erbe und die
9 6 V a n Dijk [33] 122ff. - 9 7 R . L ü h r : N e u h o c h d e u t s c h ( 2 1988) christliche Überlieferung auf. Die französischen Ab-
279. - 9 8 U . E c o : Semiotik und Philos, der Sprache (dt. 1985) handlungen zur E. sind ziemlich knapp. Sie begnügen
1 3 3 - 1 9 2 . - 9 9 J u n k e r [ 3 0 ] 381. - 1 0 0 H . Brinkmann: D i e dt. sich mit Anleihen aus neulateinischen Werken, die, wie
Sprache. Gestalt und Leistung ( z 1971) 714-723. - die von G.J.Vossius im 17. Jh. oder D. COLONIA im
1 0 1 W . Dressler: Einf. in die Textlinguistik (1973) 70, 74 und 18. Jh., eine systematische Beschreibung dessen bieten,
passim. - 1 0 2 e b d . 55. - 1 0 3 E n g e l [29] 93. - 1 0 4 H . Geißner: was sich für die E. eignet.. Sie führen immer wieder
R h e t . , in: Sociolinguistics/Soziolinguistik [43] 1770. - 1 0 5 T . To- dieselben Verzeichnisse von loci auf. [11] Die Arten des
dorov: Stil, in: D u c r o t , T o d o r o v [ 7 ] 342, frz. 384; vgl. auch van
Dijk [33] 98ff. - 1 0 6 G e i ß n e r [ 1 0 4 ] 1772; V. H i n n e n k a m p : D i e
Lobes unterscheiden sich nach dem jeweiligen Gegen-
Stilisierung v o n Ethnizität, in: V. H i n n e n k a m p , M . Selting: Stil
stand (Gott, Mensch, Tier, Ding) und nach dem inneren
und Stilisierung. A r b e i t e n zur interpretatativen Soziolinguistik Aufbau: Er kann <natürlich>, das heißt chronologisch,
(1989) 253 - 291. - 1 0 7 Ü b e r b l i c k e bei W . S a n d e r s . Linguisti- sein oder <künstlich>, das heißt, einem Leitgedanken
sche Stilistik (1977) 89ff.; Püschel [76] 308f.; Sandig [47] 157ff.; folgen. Bei einer Grabrede etwa wendet man sich zu-
Sowinski [ l ] 7 6 f f . - 1 0 8 E . R i e s e l : Stilistik der dt. Sprache (Mos- nächst der Zeit vor der Geburt zu, also der Herkunft und
kau 1959) 421ff.; E. Riesel, E. Schendels: D t . Stilistik ( M o s k a u der gesellschaftlichen Ausgangssituation (etwa aus einer
1975) 22, 27, 292ff. - 1 0 9 T . T o d o r o v : Stil, in: D u c r o t , T o d o - berühmten Familie oder aus ganz bescheidenen Anfän-
rov [7] 341, frz. 383. - 1 1 0 Michel [87] 483ff.
gen). Um das Leben des Verstorbenen zu preisen, unter-
J. Knape scheidet man nach natürlichen Gaben physischer oder
moralischer Natur wie denen der Stärke, des Gerechtig-
—* Ä n d e r u n g s k a t e g o r i e n —» A n g e m e s s e n h e i t —* Color —» Colo- keitssinnes oder der Enthaltsamkeit; nach materiellen
res rhetorici - » D e c o r u m —» Dreistillehre —> Figurenlehre —> Gütern, nach der Bildung und nach den Taten. Am
G r o u p e μ —> Latinitas —> O m a t u s —> Perspicuitas —> Stil —>
Schluß der Rede äußert man seine Trauer um den Toten,
Stillehre —> Virtutes-/Vitia-Lehre
ruft die Wertschätzung der Öffentlichkeit für ihn in Erin-
nerung und seine Vorbildlichkeit. Dieselbe Auflistung
Eloge (lat. laus, laudatio; dt. Lobrede; engl, eulogy; ital. von loci wird auch beim Preis einer Tat oder einer Erfin-
elogio, enkomio) dung verwendet oder bei der E. auf eine Stadt (Erwäh-
A . Die E. ist «eine Lobrede auf eine Person oder eine nung ihrer Gründer, ihrer Altehrwürdigkeit, ihrer Ver-
Sache, die wegen ihrer Vorzüglichkeit, ihres Ranges dienste, ihrer Stärke, ihrer Bürger).
oder ihrer guten Eigenschaften gerühmt wird».[l] Das
französ. Wort <E.>, belegt seit dem 16. Jh., entstand aus Diese schon von den hellenistischen Lehrbüchern ge-
mittellat. <eulogium>, das seinerseits auf griech. εύλογία prägte Kodifizierung der E. bleibt auch im jesuitischen
(eulogía) verweist. [2] In der französischen Kultur hat Unterrichtswesen lebendig. So nimmt der <Candidatus
die E. besondere Funktionen, Anwendungsbereiche und rhetoricae> des J . DE JOUVANCY Hermogenes und Aphto-
Themen. Sie liefert das Grundmuster für bestimmte rhe- nius wieder auf und macht aus der E. eine der «vorberei-
torische Gattungen (z.B. Grabrede, akademische Fest- tenden Übungen» (Progymnasmata), die sich auf das
rede). Ihr rhetorisches Konzept und die überlieferten Prinzip der amplificatio stützen. [12] Im Humanismus
Modalitäten gehen auf die griechische und römische An- werden spielerische und parodistische Verformungen
tike (in erster Linie auf das έγκώμιον, enkómion) zurück. der E. gepflegt, für die sich bei Lukian und Isokrates
Β. Allgemeines. Die E. besteht im Rühmen eines Ge- kanonische Beispiele finden. Von MELANCHTON, SCALI-
genstandes oder einer Person. Die HERENNIUS-RHETORIK GER und PASSERAT in Latein oder der Muttersprache
definiert als «laudabile» dasjenige, was es verdient, in verfaßt, wird die paradoxe E. mit dem <Lob derTorheit>
der Erinnerung bewahrt zu werden. [3] Zusammen mit schließlich besonders von ERASMUS gepflegt. Er benutzt
ihrem Gegenteil, dem Tadel (vituperatio), stellt die E. die traditionellen rhetorischen Regeln, um die Hochsta-

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Eloge Elogium

pelei der falschen Gelehrten und der Mächtigen zu de- keine Eloge, das ist eine Hymne. Der Autor gleicht
nunzieren und ihnen das entgegenzustellen, was vor aller diesen großen Priestern, die im Schein des Heiligen Feu-
Welt nur als Torheit gilt, doch im Zeichen des Kreuzes ers zum Volk sprachen, das zu Füßen der Statue seiner
seine höchste Steigerung erfährt. [13] Gottheit lauschte.» [21] Diese Anerkennung der E. fin-
Außer als humanistisches Pastiche wird die E. im we- det sich in der Moderne wieder, zum Beispiel im ersten
sentlichen in der Form der Grabrede praktiziert, in der <Manifest des Surrealismus) von A. B R E T O N , im <Van
antike und mittelalterlich-christliche Muster konvergie- Gogh suicidé de la société> von A. A R T A U D oder im <Pour
ren. Im Verbund mit der <Beweinung> und der <Trö- un Malherbe> von F. P O N G E .
stung> widmet man die E. zugleich Märtyrern und Heili-
gen und gibt ihr eine apologetische Orientierung. [14] Anmerkungen:
Die Grabrede erlebt ihre Blütezeit im 16. und 17. Jh. I E . M a l l e t : Art. <E.>, in: Encyclopédie B d . 4 (Paris 1755). -
Während der Religionskriege dient sie auch polemischen 2 E . Gamillschegg: Etymolog. Wtb. der frz. Sprache ( 2 1969)
Zwecken. BOSSUET gibt ihr im 17. Jh. das Gepräge einer 356. - 3 Auct. ad Her. III, IV, 1. - 4 Arist. Rhet. 1367b, 29f. -
5 Auct. ad Her., III, Vili, 15. - 6 J . C . Scaliger: Poetices libri
Predigt.
Septem (Lyon 1561; N D 1964) Buch III, Kap. 40. - 7Quint.
II. In der Aufklärung entsteht die Gattung der akade- VI II, 6, 2 9 - 3 0 u. 40. - 8 Auct ad Her. IV, XLIX, 62. - 9 Arist.
mischen E. Während die Festrede zur Lächerlichkeit Rhet. 1368a, 10. - ÍOQuint. VIII, 6, 55. - 11G.I. Vossius:
depraviert wird, erlebt die E. eine Aufwertung durch Commentariorum Rhetoricorum sive Oratoriarum Institution-
die Philosophie. D ' A L E M B E R T schreibt: «Die philo- um Libri sex (1630) I, 5, 42-111; D . Colonia: De Arte Rhetori-
sophischen Gedanken sind Seele und Substanz dieser ca (Lyon 1710) IV, I, 353 - 4 0 1 . - 12 vgl. H . I . Marrou: Histoire
Art von Schriften [d.h. der E.]; man wird sie in manchen de l'éducation dans l'antiquité (1948) I, 296 s.v.; A. Collinot u.
F. Mazière: L'exercice de la parole (Paris 1987). - 13vgl.
Fällen mit kunstvoller Knappheit in den Hergang ein- C. Lauvergnat Gagnière: Lucien de Samosate et le lucianisme
flechten und sie in anderen, um sie weiter auszuführen, en France au XVIè siècle (Genf 1988) 2 0 1 - 2 1 4 . - 14vgl.
zu gesonderten Abschnitten zusammenfassen, wo sie V. L. Saulnier: L'oraison funèbre au XVIè siècle, in: Bibliothè-
sich zu lichtvollen Gebilden fügen werden.» [15] Auf que d'Humanisme et de la Renaissance (1948) 124-157. -
diese Weise erhält die E. eine politische Dimension: Sie 15 D'Alembert: Reflexions sur les éloges académiques. Mélan-
vermittelt gegenüber der christlichen Weltanschauung ges de littérature (1759) 2 (Neubearb. des Art.: <Eloge académi-
neue gesellschaftliche und moralische Werte. [16] que), in: Encyclopédie, Bd. 5, 1755). - ltìvgl. J.C. Bonnet:
A . L . THOMAS verurteilt in seinem <Essai sur les éloges> Naissance du panthéon, in: Poétique 33 (1978) 4 6 - 65. -
1 7 A . L . T h o m a s : Essai sur les éloges (1773) 3 5 - 3 6 . - 18J.
(1773) [17] den korrputen und schmeichlerischen Ge-
Droz: Essai sur l'art oratoire (Paris an VIII) 213-214. - 1 9 Vil-
brauch der E. und verlangt stattdessen, daß sie zur Ver- lemain: Essai sur l'oraison funèbre (1813). - 20C.Perelman,
vollkommnung des menschlichen Geschlechtes beitrage. L. Olbrechts-Tyteca: Traité de l'argumentation (Brüssel 1970)
Sie solle daher all denen zuteil werden, die sich für das 4 , 6 2 - 8 3 . - 2 1 Thomas [17] 2 3 2 - 2 3 3 .
öffentliche Wohl einsetzten oder staatsbürgerliche Vor- J.-P. SermainlA. M.
bilder darstellten: den Literaten, Gelehrten, Wirt-
schaftsexperten und Forschern. Die Revolution teilt die- —> Abschiedsrede —» Consolatio —* Enkomion —* Epideiktische
se Auffassung von der Funktion der E.: «Die Grabreden Beredsamkeit —» Epitaph —» Gedenkrede —> Leichenpredigt —•
gehören in den Bereich der Reden, die anläßlich öffentli- Lobrede
cher Feierlichkeiten gehalten werden», als «eine Eh-
rung, die das Vaterland seinen großen Bürgern wider-
f a h r e n l ä ß t » . (DROZ) [18]
Elogium (epideiktisch: dt. Inschrift; engl, inscription,
Nach der Revolution bemühen sich die Historiogra- epigraph, epitaph; frz. inscription, épigraphe, épitaphe;
phen der E. darum, deren revolutionäre Episode zugun- ital. iscrizione, epigrafe, juristisch·, lat. auch iudicatio; dt.
sten einer christlich orientierten E. vergessen zu ma- Beurteilung, Belastungsbericht, förmliche Beschuldi-
chen. Sie wird nun als Instrument angesehen, um den gung; engl, indictment; frz. inculpation; ital. incolpazio-
sozialen Zusammenhalt zu fördern. [19] Ihre Rolle als ne)
rhetorische Übung im Unterrichtswesen verliert die E. I. Epideixis. - II. Jurisprudenz.
allerdings im Lauf des 19. Jh. Dennoch findet sie auch I. Epideixis. A . E. nannte man in Rom ganz allge-
heute noch Verwendung als eine der wenigen Restfor- mein eine knapp gefaßte Sentenz[1], später spezieller
men der antiken Redekunst. - Interessant ist, daß C. PE- eine Inschrift. [2] Im engeren Sinn ist E. diejenige In-
RELMAN in seinem <Traité de l'argumentation> (1970) die schrift, die auf einer Grabstatue aufgeschrieben wird. Sie
E. als einen der wesentlichen Bestandteile des persuasi- war ursprünglich in saturnischen Versen abgefaßt, später
ven Verfahrens ansieht. Sie verstärkt die Bereitschaft in Hexametern und auch in Prosa. Das E. unterrichtet -
zum Handeln, indem sie es eng an die von ihr gepriese- oftmals in der Art einer Lobrede - über Laufbahn und
nen Werte knüpft, und kann so in den Dienst politischer Verdienste des Geehrten.
Zielsetzung und Propaganda treten. [20] B. Geschichte. Die E. stehen im Zusammenhang mit
In der französischen Literatur hat die E. allerdings ein der Verehrung, die man den verstorbenen Angehörigen
zwiespältiges Echo gefunden. Wegen ihrer Plattheit ver- zukommen ließ, und sagen etwas über die Bedeutung
achtet, behauptete sie dennoch ihre Bedeutung als In- aus, die die Totenverehrung bei den Angehörigen hatte.
strument für die Schriftsteller, die ihrem ästhetischen Aufgrund dieses Zusammenhangs steht das E. in einer
oder persönlichen Engagement Ausdruck geben woll- Reihe mit verwandten rhetorischen Anrede- und Vor-
ten. So hält im 16. Jh. PERRON eine E. auf Ronsard, tragsformen bei ähnlichen Anlässen. Es sind vor allem
FONTENELLE rühmt Malebranche, LEIBNIZ Newton, die laudatio funebris (Leichenrede), die von einem An-
D ' A L E M B E R T Montesquieu und Dumarsais; THOMAS lobt gehörigen oder einem dazu Berufenen am Grab des Ver-
Descartes. In seiner <Eloge de Richardson>, in der er storbenen gehalten wurde, und die sog. tituli, die als
versucht, die Gattung <Roman> zu legitimieren und ein Aufschriften auf den sog. imagines, den Wachsmasken,
gefühlsbetontes Verhältnis zur Welt ins Leben zu rufen, die in den Hallen der vornehmen Häuser angebracht
verwandelt D. D I D E R O T die E. in ein Manifest: «Das ist waren, hier zu nennen. Die tituli und das E. sind begriff-

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