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Zitate

und Aussprüche
Herkunft und
aktueller Gebrauch

7500 Zitate, Aussprüche,


Bonmots, Sentenzen und
Aphorismen -
von der klassischen Antike
bis zur modernen
Werbesprache,
von der Bibel bis zum
Fernsehfilm.

12
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Mannheim - Leipzig Wien ■ Zürich
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https://archive.org/details/dudenzitateundauOOOOunse
DUDEN
Band 12
Der Duden in 12 Bänden
Das Standardwerk zur deutschen Sprache

Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat


der Dudenredaktion:
Prof. Dr. Günther Drosdowski, Dr. Wolfgang Müller,
Dr. Werner Scholze-Stubenrecht,
Dr. Matthias Wermke

1. Rechtschreibung

2. Stilwörterbuch

3. Bildwörterbuch

4. Grammatik

5. Fremdwörterbuch

6. Aussprachewörterbuch

7. Herkunftswörterbuch

8. Sinn- und sachverwandte Wörter

9. Richtiges und gutes Deutsch

10. Bedeutungswörterbuch

11. Redewendungen und sprichwörtliche


Redensarten

12. Zitate und Aussprüche


DUDEN
Zitate und Aussprüche
Bearbeitet von
Werner Scholze-Stubenrecht
unter Mitarbeit von Maria Dose, Wolfgang Eckey,
Heidi Eschmann, Jürgen Folz, Dieter Mang,
Charlotte Schrupp

DUDEN BAND 12

DUDENVERLAG
Mannheim • Leipzig ■ Wien- Zürich

\ Kt
Pt i C« . K.vrT-
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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme


Der Duden: in 12 Bänden; das Standardwerk zur deutschen Sprache /
hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion:
Günther Drosdowski ... - [Ausg. in 12 Bd.]. -
Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverl.
NE: Drosdowski, Günther [Hrsg.]
[Ausg. in 12 Bd.]
Bd. 12. Duden »Zitate und Aussprüche«. - 1993
Duden »Zitate und Aussprüche«: Herkunft und
aktueller Gebrauch / bearb. von Werner Scholze-Stubenrecht.
Unter Mitarb. von Maria Dose ... -
Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverl., 1993
(Der Duden; Bd. 12)
ISBN 3-411-04121-8
NE: Scholze-Stubenrecht, Werner [Bearb.];
Zitate und Aussprüche
Das Wort DUDEN ist für Bücher aller Art für den Verlag
Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG als Warenzeichen geschützt.
Alle Rechte Vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, verboten
Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Einwilligung des Verlages
in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht
für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung
elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
© Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 1993
Satz: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG (DIACOS Siemens)
und Mannheimer Morgen Großdruckerei und Verlag GmbH
Druck und Bindearbeit: Graphische Betriebe Langenscheidt.
Berchtesgaden
Printed in Germany
ISBN 3-411-04121-8
Vorwort

Das Zitat, die wörtlich wiedergegebene Textstelle oder Äuße¬


rung, begegnet uns in sehr unterschiedlichen sprachlichen Ver¬
wendungsweisen. In einer wissenschaftlichen Abhandlung kann
es als Verteidigung oder Bekräftigung einer Behauptung oder als
Anstoß für eigene Überlegungen dienen. Die Berichterstattung
benutzt es im Bemühen um authentische Darstellung; in der Rhe¬
torik und der Literatur ist es ein Mittel der Ausschmückung, der
Abwechslung oder der Anschaulichkeit. In einer Diskussion, in
einem Gespräch kann es als Beweis für Belesenheit und Allge¬
meinbildung eingesetzt werden, und in der Werbung sowie in der
Alltagssprache ist es nicht selten Ausgangspunkt für sprachspiele-
rische Scherze und Anspielungen.
Der Dudenband >Zitate und Aussprüche< gliedert sich in zwei
Teile. Der erste, umfangreichere Abschnitt verzeichnet in alpha¬
betischer Anordnung die in der deutschen Sprache immer wieder
verwendeten, allgemein geläufigen Zitate wie >Durch diese hohle
Gasse muß er kommen< (Schiller), >Erlaubt ist, was gefällt<
(Goethe), >Der Anfang vom Ende< (Shakespeare), >Auf daß das
Haus voll werde< (Lukasevangelium), >Dieses war der erste
Streich< (Wilhelm Busch) oder >Und läuft und läuft und läuft ...<
(Automobilwerbung). Dieser als fester Bestandteil der deutschen
Sprache anzusehende Zitatenschatz wird auf sprachwissenschaftli¬
cher Grundlage dargestellt; Das Wörterbuch erläutert die Her¬
kunft der Zitate, verweist auf ihren ursprünglichen Textzusam¬
menhang und beschreibt den späteren und heutigen Gebrauch bis
hin zur scherzhaften Abwandlung.
Der zweite Teil des Buches bietet eine nach thematischen
Gesichtspunkten geordnete Sammlung von (zum Teil weniger
geläufigen) Zitaten, mit denen sich Reden, Briefe, Widmungen
und andere Texte gestalten und ausschmücken lassen.
So informiert dieses Nachschlagewerk einerseits über den kodifi¬
ziertem, also den sprachüblichen Gebrauch und über die Quel¬
len, den Ursprung von Zitaten, andererseits stellt es Material für
das kreative und individuelle Zitieren zur Verfügung.

Mannheim, im Oktober 1993


Der Wissenschaftliche Rat der Dudenredaktion
Inhalt

Einleitung . 9

A Das Zitat in der deutschen Sprache . 9


1. Zur Geschichte des Zitierens . 9
2. Das Zitat in der Gegenwartssprache . 13

B Die Auswahl für das Wörterbuch . 14

C Literaturverzeichnis . 16

Teil I: Herkunft und Verwendung der im


Deutschen gebräuchlichen Zitate . 17
Hinweise für die Benutzung . 17

Teil II: Thematische Sammlung von Zitaten,


Sentenzen, Bonmots und Aphorismen . 531
Hinweise für die Benutzung . 531

Quellenverzeichnis . 795

Register . 807
1. Die Bibel . 807
2. Personenregister . 808
Einleitung
A. Das Zitat in der deutschen Sprache

1. Zur Geschichte des Zitierens

Wenn man einen Text zu verfassen oder eine Rede zu halten hat, steht
man vor der Aufgabe, Lesern oder Zuhörern seine Gedanken zu einem
bestimmten Thema in verständlicher und einprägsamer Form zu übermit¬
teln. Dabei wird man feststellen, daß es oftmals sehr nützlich ist, das, was
man ausdrücken will, mit den Worten anderer Menschen wiederzugeben.
Dies kann zum Beispiel notwendig sein, um der eigenen Aussage durch
die Berufung auf eine Autorität größeres Gewicht zu verleihen. In vielen
Fällen hat man aber auch den Wunsch, bereits Gesagtes noch einmal
pointiert zusammenzufassen, eine längere Ausführung mit einem schlag¬
lichtartigen Satz abzuschließen. Oder man will eigenen Worten eine ge¬
wisse Würze verleihen und dem Leser- oder Hörerpublikum etwas mit¬
geben, das sich spontan einprägt, das noch lange im Ohr nachklingt. Als
Schreiber oder Redner greift man dann gerne auf eine Äußerung zurück,
in der eine allgemein bekannte Persönlichkeit, ein klassischer oder mo¬
derner Schriftsteller, ein Prominenter aus Politik, Wirtschaft oder Kultur
bereits einen ähnlichen oder sogar den gleichen Gedankengang prägnant
zugespitzt vorformuliert hat.

Wenn man sich dieses stilistischen Kunstgriffs bedient, wendet man eine
Technik an, die bei allen Autoren und Vortragenden von der Antike bis
hin zur Gegenwart immer wieder herangezogen wurde: man zitiert.
Schlägt man im Wörterbuch nach, so findet man zitieren definiert mit
>eine Stelle aus einem gesprochenen oder geschriebenen Text unter Beru¬
fung auf die Quelle wörtlich wiedergeben<. Das Wort geht zurück auf
lateinisch citare, das >herbeirufen<, auch >anrufen, erwähnen, nennen<
bedeutet und in der römischen Rechtssprache die Bedeutung >vorladen<
und >sich auf jemandes Zeugenaussage berufen< erhalten hat. Mit der
Übernahme des römischen Rechts wurde es im 15. Jahrhundert ins Deut¬
sche als juristischer Fachausdruck entlehnt. Seit dem frühen 18. Jahr¬
hundert wurde es, ausgehend von der lateinischen Bedeutung >erwähnen,
nennen< dann auch im Sinne von >einen Autor, eine Schriftfstelle] als
Zeugen heranziehen< verwendet. Ebenfalls im 18. Jahrhundert entstand
aus lateinisch citatum, >das [namentlich] Angeführte, Erwähnte< (substan¬
tiviertes Partizip Perfekt von citare), die gelehrte Bildung Zitat im Sinne
von >wörtlich angeführte Stelle (aus einer Schrift oder Rede)<.

Für die Autoren der Antike war das Zitat in erster Linie ein rhetorischer
Schmuck, mit dem sie ihre Ausführungen versahen. Zitiert wurde haupt¬
sächlich aus der >Ilias< und der >Odyssee< des altgriechischen Dichters

9
Homer (2. Hälfte des 8.Jh. v.Chr.), aus den Werken der altgriechischen
Dichter Pindar (5-/4. Jh. v. Chr.) und Hesiod (um 700 v. Chr.), später auch
aus der >Äneis< des römischen Dichters Vergil (70-19 v.Chr.). Man
schrieb die Zitate aus dem Gedächtnis nieder, eine wörtliche Wiedergabe
war selten. Die spätantiken Kirchenväter und die frühen christlichen
Schriftsteller setzten diese rhetorische Tradition fort. Zitiert wurden jetzt
aber vor allem Stellen aus der Bibel. Da diese Zitate im Disput mit Nicht¬
christen und Häretikern die nicht anzweifelbare Wahrheit in eindeutiger
Weise dokumentieren sollten, wurde dabei jetzt auch auf größere Wört¬
lichkeit geachtet. Auf Zitate aus sogenannten heidnischen Schriftstellern
griff man nur dann zurück, wenn man einen Vorbildcharakter von Perso¬
nen und Ereignissen im Hinblick auf die Botschaft des Neuen Testaments
zu erkennen glaubte. So wurde z. B. die 4. Ekloge von Vergils >Bucolica<,
einem Zyklus von zehn Hirtengedichten (Eklogen), in der ein neues Zeit¬
alter des Friedens verheißen wird, als Ankündigung Christi, des Heilan¬
des, gedeutet.

Für das Schrifttum im Mittelalter schien auf Grund der Materialfülle der
zur Verfügung stehenden neueren Handbücher und wissenschaftlichen
Lehrwerke ein Rückgriff auf die frühen Quellen nicht mehr nötig. Namen
von antiken Autoren wurden zwar noch genannt, aber ihr Gedankengut
wurde nicht mehr wörtlich angeführt, sondern im Sinne der christlichen
Heilslehre umgedeutet und idealisiert. Allenfalls besonders einprägsame
Aussprüche, Sinn- und Denksprüche, Sentenzen also, die herausgelöst
aus dem Textzusammenhang für sich alleine stehen konnten, zitierte man
noch wörtlich. Daraus bildeten sich dann in vielen Fällen allgemein ver¬
wendete Sprichwörter, die in Sammlungen aufgenommen wurden und
von hier aus wiederum in die Literatur Eingang fanden.

In der weltlichen mittelalterlichen Literatur stützten die Dichter den


Wahrheitsgehalt der eigenen Aussagen häufig durch Berufung auf andere
Quellen. Allerdings ersetzte hier die Nennung der Quelle das Anführen
des Zitats, da die andere Dichtung, auf die man sich berief, beim Publi¬
kum als bekannt vorausgesetzt werden konnte. Es entstanden so Dichter¬
kataloge, wie etwa im >Parzival< des Wolfram von Eschenbach (um
1170/80-um 1220) oder im >Sängerkrieg auf der Wartburgi, einer um
1260 entstandenen Gedichtsammlung.

In der geistesgeschichtlichen Bewegung des Humanismus (14.-16.Jh.)


besann man sich auf die kulturellen Leistungen der Antike zurück und
bemühte sich erfolgreich, die Schriften lateinischer und griechischer Au¬
toren aufzuspüren, zu übersetzen und durch kritische Ausgaben wissen¬
schaftlich aufzuarbeiten. Die bewußte Nachahmung antiker Vorbilder
war typisch für das literarische Schaffen dieser Epoche. Wurden lateini¬
sche oder griechische Texte zitiert, legte man jetzt größten Wert auf die
Nähe zum Original. Zitate aus alten Schriftstellern waren unverzichtbar,

10
man schmückte das eigene Werk damit, um Eindruck zu machen. War im
Mittelalter der Umgang mit Texten der Antike, also mit >heidnischem<
Schrifttum, eine heikle Sache, so wurde jetzt der Erfahrungsschatz der
alten Autoren zur Dokumentation der eigenen Lebensnähe verwendet.
Diese psychologisch geschickte Anwendungsweise von Zitaten aus dem
antiken Schrifttum führte auch dazu, daß man deutschen (oder einge¬
deutschten) Sprichwörtern und Redensarten eine ebensogroße Bedeu¬
tung zumaß und sie in gleicher Weise einsetzte.

In der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts diente das Zitat fast nur
noch als Stilmittel, um letztlich die poetische Wahrheit zu legitimieren
und ihren Wert zu steigern. Diese Entwicklung verstärkte sich noch im
Barock. Am Ende des 17. Jahrhunderts jedoch, schon an der Wende zur
Aufklärung, wurde das Zitat auch als Mittel der ironischen Charakterisie¬
rung verwendet, zum Beispiel im > Bäuerischen Machiavellus< von Chri¬
stian Weise (1642-1708), wo ein Schulmeister im Bewußtsein seiner
Überlegenheit seine Mitmenschen mit lateinischen Zitaten überhäuft.

Das am Ende des 18. Jahrhunderts aufkommende Bildungsbürgertum ver¬


stand sich als Gegenbewegung zur zerfallenden Feudalaristokratie und
setzte dieser seine >Geistesaristokratie< entgegen. Diese vom Gelehrten
bis zum Handwerksmeister reichende großbürgerliche Gruppierung be¬
zog ihr gesellschaftliches Prestige auf eine an idealistischen Werten und
am klassischen Altertum orientierten Bildung. Im frühen 19. Jahrhundert
dann waren die Persönlichkeits- und Bildungstheorien der deutschen
Klassik das Fundament für die weiterreichenden Bestrebungen, die
heraufkommende bürgerliche und industrielle Gesellschaft zu prägen,
sie geistig und kulturell zu überformen. Und wie konnte man seinen
Bildungsstand und sein angelesenes Wissen besser dokumentieren als mit
allerlei Zitaten aus Weltgeschichte und Weltliteratur? Eine bedeutende
Rolle als >Zitatenspender< behielt auch jetzt noch die Bibel, die - gestützt
besonders durch das evangelische Kirchenlied - seit dem 16. Jahrhundert
mehr als alle anderen literarischen Werke zur Verbreitung von Zitaten
und sprichwörtlichen Redensarten beigetragen hatte.

Zur Pflichtlektüre des Bildungsbürgers gehörten aber auch die Dichter


der literarischen Blütezeiten der europäischen Literaturen, so aus dem
Italien der Renaissance Dante Alighieri (1265-1321), aus dem Spani¬
schen Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616) und Pedro Calderön
de la Barca (1600-1681), aus dem Elisabethanischen Zeitalter der engli¬
sche Dichter William Shakespeare (1564-1616), aus Frankreich die Dich¬
ter Corneille (1606-1684), Moliere (1622-1673) und Racine (1639-1699),
außerdem Montesquieu (1689-1755) und Voltaire (1694-1778). Ein ab¬
solutes Muß und ein Maßstab für das Bildungsniveau war die perfekte
Kenntnis von ausgewählten Textstellen und Gedichten der Dichter der
sogenanten Weimarer Klassik, allen voran Johann Wolfgang Goethe

11
(1749-1832) und Friedrich Schiller (1759-1805), auf die dieser literatur¬
geschichtliche Terminus bald eingeengt wurde. Zum Kanon der klassi¬
schen Autoren zählen weiter vor allem Gotthold Ephraim Lessing
(1729-1781), Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), Christoph Mar¬
tin Wieland (1733-1813), Johann Heinrich Voß (1751-1826), Johann
Gottfried Herder (1744-1803), Friedrich Hölderlin (1770-1843), Jean
Paul (1763-1825), Heinrich von Kleist (1777-1811).
Ursprünglich kam es beim Zitieren auf die Wiedergabe des genauen
Wortlautes an, denn nur so konnte man seine Bildung unter Beweis stel¬
len. Die sich immer mehr auf breiteste Kreise ausweitende Verwendung
von Zitaten führte jedoch dazu, daß sie häufig nicht mehr in ihrem ur¬
sprünglichen Sinne gebraucht wurden, sondern in übertragener Bedeu¬
tung in den alltäglichen Sprachgebrauch eingingen, sozusagen zur sprich¬
wörtlichen Redensart wurden. Das hatte zur Folge, daß beim Gebrauch
eines Zitats in der gesprochenen Sprache kleine Veränderungen vorge¬
nommen wurden, entweder bedingt durch die Sprechsituation oder zur
Vereinfachung des Zitatgebrauchs. Ein Beispiel dafür ist das auf eine
Stelle in Schillers >Verschwörung des Fiesco zu Genua< zurückgehende
>Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan<, das im Original lautet: >Der
Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen<. Nach dem bei He-
siod zu lesenden >Vor den Verdienst setzten den Schweiß die Götter, die
unsterblichem zitierte und zitiert man noch heute >Vor den Erfolg haben
die Götter den Schweiß gesetzri.

Solche Zitate, die von eindeutig nachweisbaren Verfassern stammen, all¬


gemein bekannt geworden sind und dann oft wie sprichwörtliche Redens¬
arten verwendet werden, bezeichnete der deutsche Philologe August
Georg Büchmann (1822-1884) als geflügelte Worte<.

Dieser Ausdruck geht auf den griechischen Dichter Homer zurück. In


seinen Werken >Ilias< und >Odyssee< gebraucht er ihn über hundertmal
(griechisch: k'nea rtxepöevxa). Er bezeichnet damit Worte, die vom Mund
des Redners zum Ohr des Angesprochenen >fliegen<. Schon vor der Ho¬
merübersetzung von Johann Heinrich Voß (1781 und 1793) verwendete
Friedrich Gottlieb Klopstock in seinem Epos >Der Messias< diesen Aus¬
druck. Populär wurde die Bezeichnung dann durch Büchmanns Samm¬
lung >Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des Deutschen Volkes<, die
1864 zum ersten Male aufgelegt wurde.

Von einem geflügelten Wort< spricht man, wenn folgende Kriterien


vorliegen:

- Das Zitat muß sowohl allgemein bekannt sein als auch auf Grund
seines Inhaltes eine gewisse Aktualität haben.

- Das Zitat muß zumindest über einen längeren Zeitraum allgemein


verwendet werden.

12
- Das Zitat muß auf eine literarische Quelle oder eine historisch beleg¬
bare Person - zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit - zurückzuführen
sein.

2. Das Zitat in der Gegenwartssprache

Im Laufe der Zeit und bis hin zur Gegenwart hat sich der Zitatgebrauch
jedoch entscheidend verändert. War das Anbringen von Zitaten bis weit
in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein eine Sache des Bildungs¬
und damit des Sozialprestiges, so steht dies bei der heutigen Art des Zi-
tierens nicht mehr im Vordergrund. Flocht man früher ein Zitat in seine
Rede oder seinen Text ein, so wollte man seine Belesenheit, sein Bildungs¬
niveau unter Beweis stellen. Schüler mußten zeigen, daß sie die Werke
der großen Dichter und Denker >intus< hatten und durften sich nicht bei
einem falsch wiedergegebenen Zitat ertappen lassen. Vor allem seit dem
Ende des 2. Weltkriegs trat hier aber eine Zäsur ein. Das Zitat aus dem
tradierten Literaturkanon und seine korrekte Anwendung galt nicht mehr
unbedingt als Bildungsnachweis.

Das wird gerade heute besonders daran deutlich, was man in Rede und
Schrift für zitierwürdig hält. Natürlich sind immer noch die Bibel, die
klassische deutsche Literatur und die Weltliteratur gern benutzte Zitaten-
spender. Aber es zeigt sich eine deutliche Verschiebung hin zu aktuellen
Schlagwörtern oder Slogans aus den Bereichen Politik und Werbung. Die
Rolle der Literatur als Zitatenlieferant ist in der 2. Hälfte des 20. Jahrhun¬
derts fast zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken, sieht man einmal von
den Werken Bertolt Brechts mit ihrer politisch eindeutig ausgerichteten
Botschaft ab. Man zitiert heute weniger aus Werken, sondern es sind sehr
häufig die Titel der Werke, die das Zitat liefern: Die Plebejer proben den
Aufstand (Schauspiel von Günter Grass, 1966), Der Stoff, aus dem die
Träume sind (Roman von Johannes Mario Simmel, 1971), Gruppenbild mit
Dame (Roman von Heinrich Böll, 1971), Die unerträgliche Leichtigkeit des
Seins (Roman von Milan Kundera, 1984). In gleicher Weise sind Titel
von Spielfilmen und Fernsehserien die Lieferanten moderner Zitate:
Lohn der Angst (Spielfilm, 1952), Morgens um sieben ist die Welt noch in
Ordnung (Spielfilm, 1968), Das große Fressen (Spielfilm, 1973), Hätten
Sie’s gewußt (Fernsehquiz Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre), Mit
Schirm, Charme und Melone (Fernsehserie in den 60er Jahren), Acht Stun¬
den sind kein Tag (Femsehserie in den 70er Jahren). Auch Schlager- und
Songtitel werden häufig geflügelt, wie z. B. Mein Gott, Walter! oder Neue
Männer braucht das Land. Sehr groß ist ebenfalls die Zahl von Werbe¬
slogans, die in den letzten Jahrzehnten den modernen Zitatenschatz
bereichert haben, angefangen beim Duft der großen weiten Welt (Ziga¬
rettenwerbung) über Und läuft und läuft und läuft... (Autowerbung) bis
hin zur Feststellung Man gönnt sich ja sonst nichts (Spirituosen werbung).

13
Ein weiterer grundlegender Unterschied zur früheren Zitierweise ist der
jetzt übliche Umgang mit dem geflügelten Wort: Legte man früher aus
Gründen des Bildungsprestiges Wert auf exakte wörtliche Wiedergabe, so
ist man heute viel unbekümmerter im Umgang mit dem Zitierten. Es wird,
je nach dem aktuellen Anlaß, abgewandelt oder völlig verfremdet. Nicht
mehr Textgenauigkeit und Kontextgebundenheit machen den Wert des
Zitats aus, sondern vielmehr eine durch witzig-freche Veränderung ge¬
schaffene, nur noch assoziative Verbindung zum originalen Zusammen¬
hang, die ihrerseits wiederum beim Leser oder Hörer eine besondere Wir¬
kung erzielt. Diese neue Art des Zitatgebrauchs findet sich besonders in
den Schlagzeilen der Presse. So trug z. B. ein feministischer Artikel im
Feuilleton einer großen deutschen Tageszeitung die Überschrift >In den
Staub mit allen Feinden der Frau<. Hier wurde das als bekannt vorausge¬
setzte Zitat >In Staub mit allen Feinden Brandenburgs< aus Kleists >Prinz
von Homburg< verfremdet und in Bezug auf ein aktuelles Geschehen ge¬
setzt. Oft findet man aber auch das Original ohne Abwandlung zitiert,
z. B. >Szenen einer Ehe< (Überschrift eines Zeitungsartikels über eine
Bankenfusion; Titel eines Films von Ingmar Bergman) oder die Beschrei¬
bung der Hauptdarstellerin eines Fernsehfilms als >obskures Objekt der
Begierde< (>Dieses obskure Objekt der Begierden Titel eines Filmes von
Louis Bunuel). Diese Beispiele zeigen deutlich, daß heute häufig unkon¬
ventionell zitiert wird, da eben nicht mehr, wie zuvor gesagt, angelesenes
Wissen dokumentiert werden soll, sondern man mit einer schnell hinge¬
worfenen sprachlichen Chiffre bei anderen bestimmte Assoziationen her-
vorrufen will.

B. Die Auswahl für das Wörterbuch

Fast alles, was irgendwann einmal geschrieben oder in Gegenwart ande¬


rer gesagt wurde, kann theoretisch zitiert werden. Nur ein Teil der mög¬
lichen Zitate wird aber auch tatsächlich verwendet, und von diesen ist
wiederum nur ein Teil zu dem geworden, was man zum festen Bestand
des allgemeinen Sprachgebrauchs rechnen kann: Zitate, die immer wieder
angeführt werden, die auch in abgewandelter Form noch als Zitate er¬
kannt werden, die im Einzelfall sogar so sehr zur alltäglichen Ausdrucks¬
weise gehören, daß viele Menschen sie wie feste Redewendungen gebrau¬
chen.11 Diese Zitate werden - alphabetisch geordnet - im ersten Ab¬
schnitt des Wörterbuchs dargestellt, wo ihre Herkunft, ihr ursprünglicher
Textzusammenhang und ihre heutige Verwendungsweise angegeben wer¬
den. Die Auswahl stützt sich sowohl auf die im Literaturverzeichnis ange¬
gebenen Quellen als auch auf die Sprachbeobachtung der Dudenredak-

14
tion und die Sprachkompetenz ihrer Mitarbeiter. Ausschlaggebendes
Kriterium sollte die allgemeine Gebräuchlichkeit des Zitats sein, im
Zweifelsfall wurden eher solche Texte weggelassen, deren Herkunft
nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt ist.

Der Zitatenschatz der deutschen Sprache ist ebensowenig wie ihr Wort¬
schatz frei von Einflüssen aus anderen Sprachen geblieben. Vor allem aus
dem Lateinischen, aber auch aus modernen Sprachen wie Englisch und
Französisch, haben Zitate ihren festen Platz im deutschen Sprachge¬
brauch gefunden. Sie werden in diesem Wörterbuch selbstverständlich
ebenfalls berücksichtigt.

Der zweite Abschnitt dieses Dudenbandes enthält eine Sammlung von


Zitaten, Sentenzen, Bonmots und Aphorismen, die nicht nach ihrer Ge¬
bräuchlichkeit, sondern oft - ganz im Gegenteil - nach ihrer Originalität
ausgewählt wurden. Sie stammen von antiken Schriftstellern, aus der
Bibel, von klassischen und modernen Autoren, von prominenten Persön¬
lichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Hier finden sich prägnant
formulierte Gedanken, die für einen Text oder eine Rede Denkanstöße
geben, Ausgangspunkt der Reflexion werden können. Sie können aber
auch treffende Pointe oder allgemein rhetorischer Schmuck< im ge¬
schriebenen oder gesprochenen Wort sein. Die einzelnen Texte sind hier
nach thematischen Gesichtspunkten geordnet.

Die beiden Abschnitte des Wörterbuchs verbinden zwei Erscheinungsfor¬


men des Zitats, die sich gelegentlich überschneiden können, die aber
meist klar voneinander zu trennen sind. Sowohl die /geflügelten Worte<
des ersten Teils als auch der >Redeschmuck< des zweiten Teils haben ihre
Funktion in der deutschen Gegenwartssprache. Während erstere aber
einen im Kern relativ festen, sich nur allmählich verändernden Bestand
bilden, der sich wenigstens in grober Annäherung >vollständig< beschrei¬
ben läßt, gibt es für letztere keinen vorgegebenen Kanon, keine eindeutige
Abgrenzung, keine plausible Größenordnung. Hier kann das Wörterbuch
nur den Charakter einer Vorschlagsliste, einer begrenzten /Material-
sammlung< haben.

»Eine umfassende Darstellung der im Deutschen gebräuchlichen festen Wendungen bie¬


tet der Band 11 der Dudenreihe (/Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten^.

15
C. Literaturverzeichnis (Auswahl)

1. Quellen

Die in Teil I des Wörterbuchs angeführten Zitate wurden nicht nur auf
der Grundlage der unter 2. angeführten Literatur dargestellt, sondern
auch anhand der Originaltexte überprüft, soweit diese zugänglich waren.
Bei Zitaten aus der Bibel stützt sich der Text, sofern nicht anders angege¬
ben, auf die nach der Übersetzung Martin Luthers herausgegebene
>Konkordanzbibel< der Privilegierten Württembergischen Bibelanstalt,
Stuttgart.

2. Sammlungen und Sekundärliteratur

Bardong, Matthias/Demmler, Her¬ Kohlschmidt, Werner/Mohr, Wolfgang:


mann/Pfarr, Christian: Lexikon des Reallexikon der deutschen Literaturge¬
deutschen Schlagers. Ludwigsburg schichte. Berlin 1958.
1992.
Ladendorf, Otto: Historisches Schlag¬
Bartels, Klaus: Veni, vidi, vici. Geflü¬ wörterbuch. Straßburg, Berlin 1906.
gelte Worte aus dem Griechischen und
Mackensen, Lutz: Zitate, Redensarten,
Lateinischen. Zürich, München, 7. Aufl.
Sprichwörter. Brugg, Stuttgart, Salzburg
1989.
1973.
Böttcher, Kurt (et al.): Geflügelte Wor¬
Oster, Pierre: Dictionnaire de citations
te. Zitate, Sentenzen und Begriffe in
franfaises. Paris, Nouvelle edition 1989.
ihrem geschichtlichen Zusammenhang.
Leipzig, 5. Aufl. 1988. Rees, Nigel: Slogans. London, Boston,
Sidney 1982.
Brüne, Klaus (Red.): Lexikon des inter¬
nationalen Films. lOBde. Reinbek 1990. Reichert, Heinrich G.: Unvergängliche
lateinische Spruchweisheit. Urban und
Büchmann, Georg: Geflügelte Worte.
human. St. Ottilien, 6. Aufl. 1983.
Der Zitatenschatz des deutschen Vol¬
kes. Frankfurt a. M., Berlin, 37. Aufl. The Oxford Dictionary of Quotations.
1989. Oxford, 3rd ed. 1979.

Der Sprachdienst. Herausgegeben im Worbs, Hans Christoph: Der Schlager.


Auftrag der Gesellschaft für deutsche Bestandsaufnahme, Analyse, Doku¬
Sprache, Wiesbaden (Zeitschrift). mentation. Bremen 1963.

John, Johannes: Reclams Zitaten-Lexi- Würz, Anton: Reclams Operettenführer.


kon. Stuttgart 1992. Stuttgart, 19. Aufl. 1988.

Kiaulehn, Walter: Der richtige Berliner Zentner, Wilhelm: Reclams Opernfüh¬


in Wörtern und Redensarten. München, rer. Stuttgart, 21. Aufl. 1960.
10. Aufl. 1966.
Ziegler, Konrat/Sontheimer, Walther:
Kindlers Literaturlexikon im dtv. Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike.
12 Bde. München 1974. Stuttgart 1964.

16
Teil I: Herkunft und Verwendung der im Deutschen
gebräuchlichen Zitate

Hinweise für die Benutzung

Die im ersten Teil des Wörterbuchs verzeichneten Zitate sind alphabe¬


tisch nach dem ersten (durch fettere Schrift hervorgehobenen) Wort des
Zitats geordnet. Nicht berücksichtigt wurden hierbei lediglich die be¬
stimmten und unbestimmten Artikel sowie - bis auf wenige Ausnahmen -
das Personalpronomen >es<. Beginnen mehrere Zitate mit demselben
Wort, so bestimmen die folgenden Wörter die weitere alphabetische Sor¬
tierung. Da nicht immer klar zu entscheiden ist, welche Form des Zitats
die gebräuchlichste ist und da man sich gelegentlich an ein Zitat nur
ungefähr erinnert, wurde in vielen Fällen ein Verweis unter dem ersten
>sinntragenden< Wort angeführt. Ein Pfeil steht dann vor dem für die
Alphabetisierung entscheidenden Wort.

Beispiel für die alphabetische Anordnung der Zitate:


Fröhliche Wissenschaft
Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb
t Mit frommem Schauder
Frommer Betrug
Ein frommer Knecht war Fridolin
(Das Zitat „Mit frommem Schauder“ ist unter Mit nachzuschlagen.)

Die Erläuterungen zum Zitat beziehen sich in der Regel zunächst einmal
auf die Herkunft des Zitats, soweit es sich auf einen Autor, eine Text¬
stelle, einen Ausspruch oder auf eine bestimmte geschichtliche oder poli¬
tische Situation, Bewegung, Vereinigung o. ä. zurückführen läßt. Ist der
>eigentliche< Ursprung des Zitats dunkel, so erfolgt ein Hinweis auf die
literarische Quelle, die vermutlich zur Verbreitung des Zitats entscheidend
beigetragen hat. Über die reine Stellenangabe hinaus sollen zusätzliche
Informationen über die Quelle und den näheren Kontext zeigen, in wel¬
chem Zusammenhang das Zitat ursprünglich zu sehen ist; in vielen Fällen
hat sich der Gebrauch später von der Ausgangssituation mehr oder weni¬
ger weit entfernt. Die Beschreibung von typischen oder möglichen späte¬
ren Verwendungsweisen, vor allem im heutigen Sprachgebrauch, macht
diese sprach- und kulturgeschichtlich interessanten Veränderungen deut¬
lich. Auch besonders geläufige Varianten oder bewußte Abwandlungen
des Zitats werden in den Erläuterungen erwähnt.
Hinweise für die Benutzung des zweiten Teils dieses Wörterbuchs finden
sich auf S. 531.

17
A
Das A und O schen Gedichts zu gestalten sei. Homer
Diese Wendung geht zurück auf eine führt den Leser nämlich rasch mitten in
Stelle aus der Offenbarung des Johan¬ das Geschehen hinein (vergleiche auch
nes (1,8) mit dem Wortlaut: „Ich bin „In medias res“) und „beginnt den Tro¬
das A und das O, der Anfang und das janischen Krieg nicht mit dem doppel¬
Ende, spricht Gott der Herr..." Das „A“ ten Ei“ (nee gemino bellum Troianum or-
entspricht dabei dem ersten (Alpha), ditur ab ovo). Damit bezieht sich Horaz
das „O“ dem letzten Buchstaben des auf die Sage von Leda und dem
griechischen Alphabets (Omega). „Das Schwan; nach ihrer Verbindung mit
A und das O“ als das alles Umfassende Zeus in der Gestalt des Schwans gebar
ist eine Metapher für Gott. - Die Wen¬ Leda ein Ei (gelegentlich auch als dop¬
dung hat für uns die Bedeutung „das peltes Ei beschrieben), aus dem Helena
Wesentliche, die Hauptsache, der Kern¬ und Polydeukes hervorgingen. Die Ent¬
punkt“. führung Helenas war später der Anlaß
für die Kämpfe um Troja. - Auch heute
A Star is born wird „ab ovo“ noch im Sinne von „sehr
weitschweifig, von den allerersten An¬
Dies ist der Titel eines amerikanischen
fängen an“ gebraucht.
Films, dessen erste Fassung aus dem
Jahr 1937 stammt (deutscher Titel: „Ein
Ab urbe condita
Stern geht auf“) und in dem ein Mäd¬
Der römische Geschichtsschreiber Livi-
chen vom Lande in Hollywood zum
us (59 v. Chr.- 17 n. Chr.) hat seiner Dar¬
Filmstar aufgebaut wird. Populär wurde
stellung der römischen Geschichte die¬
eine Neuverfilmung des Stoffes unter
sen Titel gegeben. „Ab urbe condita“
der Regie von George Cukor aus dem
bedeutet dabei soviel wie „Von der
Jahre 1954 (deutscher Titel: „Ein neuer
Gründung der Stadt Rom an“, deren
Stern am Himmel“). Mit dem Zitat
Zeitpunkt Livius mit dem Jahr 753
kommentiert man den Beginn einer stei¬
v. Chr. angibt. - Man charakterisiert mit
len und in der Öffentlichkeit sehr be¬
dem Zitat heute (in eher bildungs¬
achteten Karriere.
sprachlichen Texten) eine sehr weit zu¬
rückgreifende, von den ersten Anfängen
Ä la recherche du temps perdu
ausgehende Abhandlung oder Erzäh¬
t Auf der Suche nach der verlorenen lung.
Zeit
Wo ist dein Bruder Abel?
Ä trompeur - trompeur et demi!
tSoll ich meines Bruders Hüter sein?
TAuf einen Schelmen anderthalben!
Es will Abend werden, und der
t Wo aber ein Aas ist, da sammeln Tag hat sich geneigt
sich die Geier Dieses Zitat stammt aus dem Lukas¬
evangelium (24,29) im Neuen Testa¬
Ab ovo ment. Dort begegnet zwei Jüngern auf
Der römische Dichter Horaz (65-8 dem Weg nach Emmaus der auferstan¬
v. Chr.) lobt in seiner „Ars poetica“ dene Jesus, der sich ihnen anschließt,
(Vers 147) Homers „Ilias“ als gutes Bei¬ ohne daß sie ihn erkennen. Als sie kurz
spiel dafür, wie der Anfang eines epi¬ vor ihrem Ziel sind und er sich an-

19
Abend Teil I

schickt, weiterzugehen, bitten sie ihn, Schwierigkeiten bewerkstelligen, über¬


sie nicht zu verlassen: „Bleibe bei uns; stehen konnte, ist dieses Zitat sehr ge¬
denn es will Abend werden, und der Tag läufig geworden. Es handelt sich dabei
hat sich geneigt.“ - Heute dient das Zi¬ um die letzte Zeile eines Vierzeilers aus
tat gelegentlich als Hinweis darauf, daß Heinrich Heines „Buch der Lieder“
das Ende eines Tages, der Feierabend (1817-1821), dessen vollständiger Text
naht und die Arbeit des Tages abge¬ lautet: „Anfangs wollt’ ich fast verza-
schlossen werden sollte. Auch ein über¬ gen/Und ich glaubt’, ich trüg’ es
tragener Gebrauch in bezug auf den Le¬ nie;/Und ich hab’ es doch getragen,
bensabend eines Menschen ist denkbar. -/Aber fragt mich nur nicht: wie?“

Es ist noch nicht t aller Tage


Aber hier, wie überhaupt, kommt
Abend
es anders, als man glaubt
Der t Untergang des Abendlandes Dieses Zitat stammt aus dem ersten Ka¬
pitel von Wilhelm Büschs Bilderge¬
schichte „Plisch und Plum“ (1882), in
tGoldne Abendsonne
dem zwei junge Hunde ertränkt werden
sollen, die aber von zwei Knaben heim¬
t Welch Schauspiel! Aber ach! Ein lich gerettet werden. Es faßt in ironi¬
Schauspiel nur! schem Ton die Lebenserfahrung in
Worte, daß häufig etwas einen ganz an¬
Aber dennoch hat sich Bolle ganz deren Verlauf nimmt, als man es
köstlich amüsiert wünscht oder erhofft. Sehr verwandt
Dies ist der Kehrreim eines alten anony¬ klingt die scherzhafte Redensart „Er¬
men Berliner Liedes, das von einem stens kommt es anders, und zweitens als
Mann mit Namen Bolle handelt, der bei man denkt“, die in gleicher Weise ge¬
einem Ausflug allerhand Mißgeschicke braucht wird.
erlebt, durch die er sich jedoch nicht um
seine gute Laune bringen läßt. Die erste
Strophe des „Herr Bolle“ betitelten Lie¬ Aber in Spanien tausendunddrei
des lautet: „Als Bolle einst zu Pfingsten/ Diese Worte werden gelegentlich zitiert,
Nach Pankow nahm sein Ziel,/Da hat er um zu konstatieren, daß von bestimm¬
seinen Jüngsten/Verloren im Gewühl./ ten Personen oder Dingen irgendwo er¬
Drei volle Viertelstunden/Hat er nach staunlich viele anzutreffen sind. Sie
ihm gespürt:/Aber dennoch hat sich stammen aus der berühmten „Register¬
Bolle/Ganz köstlich amüsiert.“ - Die arie“ des Leporello im 1. Akt der Oper
letzten beiden Zeilen zitiert man um¬ „Don Giovanni“ von Wolfgang Ama¬
gangssprachlich, wenn ein kleineres deus Mozart (1756-1791), italienisches
oder größeres Mißgeschick jemandes Libretto von Lorenzo da Ponte
gute Laune, sein Vergnügen an einem (1749-1838), deutscher Text der letzten
Fest oder einer Veranstaltung nicht Fassung von Hermann Levi (1839 bis
trüben konnte. 1900). Leporello, der Diener Don Gio¬
vannis, zählt in der Arie „Schöne Don¬
Aber der große Moment findet ein na, dies genaue Register“ die endlose
kleines Geschlecht Reihe der Liebschaften seines Herrn in
den verschiedensten Ländern auf. Er
Eine t große Epoche hat das Jahrzehnt
versucht damit, Donna Elvira über Don
geboren.
Giovanni die Augen zu öffnen, der sich
ihre Gunst durch ein Eheversprechen
Aber fragt mich nur nicht, wie? erschlichen hatte. Die Aufzählung gip¬
Als Stoßseufzer, mit dem man meistens felt schließlich in der Angabe von den
zum Ausdruck bringt, daß man etwas tausendunddrei Liebschaften Don Gio¬
nur mit viel Mühe oder unter größten vannis in Spanien.

20
Teil I Absicht

Die abgelebte moderne Gesell¬ wurde. Das verfassungsrechtlich be¬


schaft denkliche Vorgehen von Polizei, Bun¬
Der deutsche Dramatiker Georg Büch¬ desanwaltschaft und Bundeswehr führ¬
ner (1813- 1837) stellte - beeinflußt von te zu einer schweren innenpolitischen
den Ereignissen der Julirevolution 1830 Krise. Zu einem gerichtlichen Haupt-
in Frankreich - die Forderung nach ei¬ verfahren gegen die Beschuldigten kam
ner sozialen und ökonomischen Reform es nicht, da der Bundesgerichtshof den
allen unklaren Ideen liberaler Rhetorik Inhalt des „SpiegeL'-Artikels als nicht
gegenüber. In einem Brief an den der Geheimhaltung unterliegend ansah.
Schriftsteller Karl Gutzkow (1811 bis Die Äußerung Adenauers wird heute
1878) schrieb er 1836, daß man die Bil¬ noch gelegentlich ironisch zitiert, wenn
dung eines neuen geistigen Lebens im man sich auf eine übertriebene Furcht
Volke suchen und „die abgelebte mo¬ vor verräterischen oder ähnlichen Akti¬
derne Gesellschaft zum Teufel gehen vitäten bezieht.
lassen“ müsse. Der von ihm hier gepräg¬
te Ausdruck von der „abgelebten mo¬ t Wie in Abrahams Schoß
dernen Gesellschaft“ ist bis in unsere
Zeit als Schlagwort gebräuchlich geblie¬
ben, wenn die bürgerliche Gesellschaft Abrahams Wurstkessel
als nicht wandlungsfähig kritisiert wer¬ t Wie in Abrahams Schoß
den soll. In jüngster Zeit wird das Wort
vielfach auch zitiert, wenn die Wieder¬
Abschaum der Menschheit
herstellung alter Wertesysteme gefor¬
dert wird. Diese Fügung ist die Übersetzung des
griechischen Textes einer Stelle aus dem
Neuen Testament (1. Korinther 4, 13):
Abgemacht! Sela!
nepixadägßam toü xöoßov. Sie be¬
Das aus dem Hebräischen stammende zieht sich dort auf die Apostel, die, wie
Wort sela Findet man häufig in den Psal¬ Paulus sagt, von der Welt verachtet wer¬
men des Alten Testaments. Man deutet den. Als „Abschaum der Menschheit“
es als eine musikalische Vortragsbe¬ bezeichnet man heute in sehr emotiona¬
zeichnung mit der Bedeutung „Schluß“. ler, tiefe Verachtung ausdrückender
Daraus entstand eine heute nicht mehr Sprechweise kriminelle und asoziale
sehr gebräuchliche Wendung, mit der Mitglieder der menschlichen Gesell¬
man etwas nachdrücklich oder auch schaft.
scherzhaft für beendet oder erledigt er¬
klärt.
Abschied von Gestern
t Am farbigen Abglanz haben wir Dies ist der Titel eines im Jahr 1966 ent¬
das Leben standenen Films von Alexander Kluge,
dem er Motive seines Buchs „Lebens¬
Ein Abgrund von Landesverrat läufe“ zugrunde legte. In der Geschich¬
te eines jüdischen Mädchens, das aus
Im Zusammenhang mit der sogenann¬ der DDR in die Bundesrepublik geflo¬
ten „Spiegelaffäre“ sprach der damalige hen ist, spielt auch die Auseinanderset¬
Bundeskanzler Konrad Adenauer zung mit der nationalen Vergangenheit
(1876-1967) im November 1962 vor der Deutschen eine Rolle. - Mit dem
dem Deutschen Bundestag von einem Zitat kann man auf die Notwendigkeit
„Abgrund von Landesverrat im Lande“. eines Neubeginns, auch einer Loslö¬
Das Hamburger Nachrichtenmagazin sung, Bewältigung von Vergangenem
„Der Spiegel“ hatte anläßlich eines hinweisen.
NATO-Manövers die Bonner Verteidi¬
gungspolitik kritisiert, worauf dem Her¬
ausgeber und einigen Redakteuren „pu¬ t Man merkt die Absicht, und man
blizistischer Landesverrat“ vorgeworfen ist verstimmt

21
Abwesenheit Teil I

t Durch Abwesenheit glänzen Ollendorf, den die von ihm umworbene


Laura abgewiesen hat. Er hatte es ge¬
Ach, die Gattin ist’s, die teure wagt, sie auf die Schulter zu küssen, und
sie hatte ihm daraufhin einen Schlag mit
Dieses Zitat aus Schillers „Lied von der
dem Fächer versetzt. - Mit dem Zitat
Glocke“, das heute nur scherzhaft ge¬
kommentiert man scherzhaft oder mit
braucht wird, wenn von jemandes Frau
Selbstironie eine Zurückweisung, die
die Rede ist, steht im Gedicht in einem
einem widerfahren ist.
traurigen Zusammenhang. Die Textstel¬
le lautet: „Ach! die Gattin ist’s, die teu¬
Ach, ich habe sie verloren
re,/Ach! es ist die treue Mutter,/Die der
schwarze Fürst der Schatten/Wegführt So beginnt die berühmte Arie aus der
aus dem Arm des Gatten .../“ Oper „Orpheus und Euridike“ von
Christoph Willibald Gluck (1714 bis
Ach, es geschehen keine Wunder 1787), in der Orpheus um die zum zwei¬
ten Mal verlorene Geliebte klagt. Das
mehr!
Zitat wird scherzhaft in den verschie¬
Dieser Ausruf steht im 3. Auftritt des
densten Situationen verwendet, in de¬
Prologs von Schillers „Jungfrau von Or¬
nen eine Person oder Sache (vorüberge¬
leans“. Er bringt die Zweifel der Men¬
hend) verschwunden ist.
schen an einem möglichen Sieg über die
Engländer zum Ausdruck. Solcher Ver¬
Ach, man will auch hier schon wie¬
zagtheit setzt Johanna die Worte entge¬
der nicht so wie die Geistlichkeit!!
gen: „Es geschehn noch Wunder! Eine
weiße Taube/Wird fliegen und mit Ad¬ Mit dieser Feststellung enden die einzel¬
lerskühnheit diese Geier/Anfallen, die nen Episoden in Wilhelm Büschs Bil¬
das Vaterland zerreißen.“ - Als Zitat dergeschichte „Pater Filuzius“ (1872),
können die Worte Resignation ausdrük- in der dem intriganten Geistlichen seine
ken, sie können zum Beispiel in der Pläne und Anschläge immer wieder
Überzeugung gesprochen werden, daß mißlingen, er nicht an das Ziel seiner
die Lage aussichtslos sei oder daß etwas Wünsche gelangt. - Die Verse enthalten
nur mit viel Mühe und großer Anstren¬ die - im Scherz geäußerte - resignative
gung zu bewältigen sei. Feststellung, daß gewöhnlich andere
nicht so wollen, wie man es selbst
Ach, ich bin des Treibens müde! wünscht.
Dieses Zitat, mit dem man seinen Über¬
druß zum Ausdruck bringt, stammt aus
Ach, sie haben einen guten Mann
dem ersten der beiden Gedichte, die begraben
Goethe „Wanderers Nachtlied“ betitelt Das Zitat stammt aus einem Gedicht
hat. Der vollständige Text lautet: „Der von Matthias Claudius (1740-1815) mit
du von dem Himmel bist,/Alles Leid dem Titel „Bei dem Grabe meines Va¬
und Schmerzen stillest,/Den, der dop¬ ters“. Dessen erste Zeilen lauten: „Ach,
pelt elend ist,/Doppelt mit Erquickung sie haben/Einen guten Mann begra¬
füllest,/Ach, ich bin des Treibens mü¬ ben,/Und mir war er mehr“. Man ver¬
de!/Was soll all der Schmerz und wendet das Zitat auch heute noch gele¬
Lust?/Süßer Friede,/ Komm, ach komm gentlich als Ausdruck tiefen Bedauerns
in meine Brust!“ über den Tod eines Menschen.

Ach, ich hab’ sie ja nur auf die Ach, spricht er, die größte Freud’
Schulter geküßt ist doch die Zufriedenheit
Diese Liedzeile stammt aus Karl Mil¬ Diese Verse stammen aus Wilhelm
löckers Operette „Der Bettelstudent“ Büschs „Max und Moritz“ (1865). Den
(1882), deren Textbuch von F. Zell und „Vierten Streich“ spielen die beiden
R. Genee verfaßt wurde. Das Lied ent¬ Knaben ihrem Lehrer, dessen Pfeife sie
hält die Klage des Gouverneurs Oberst mit Schießpulver stopfen. Kurz bevor

22
Teil I Achillesferse

ihn das Unglück ereilt, gibt der Lehrer märchen (1812-1815) der Brüder
Lämpel seinem Behagen mit den obigen Grimm enthalten ist. Das Männlein mit
Worten Ausdruck. - Man verwendet dem Namen Rumpelstilzchen hilft der
das Zitat, um anzudeuten, daß man sehr Müllerstochter, Stroh zu Gold zu spin¬
zufrieden ist und sich behaglich fühlt, nen, und fordert von ihr ihr erstes Kind,
gelegentlich auch als leise Kritik an all¬ wenn sie erst Königin geworden ist. Sie
zu großer Selbstzufriedenheit. soll ihr Kind aber behalten dürfen,
wenn sie seinen Namen errät, eine Auf¬
Ach, wie bald schwindet Schönheit gabe, die das Rumpelstilzchen für un¬
und Gestalt! lösbar hält. - Der Reim, zumeist nur die
So beginnt die dritte Strophe des zum erste Hälfte „Ach, wie gut, daß niemand
Volkslied gewordenen Gedichts „Rei¬ weiß“, wird oft scherzhaft von jeman¬
ters Morgengesang“ von Wilhelm Hauff dem zitiert, der froh ist, daß etwas ihn
(1802-1827). Das Gedicht greift das Betreffendes nicht bekannt ist. - Ga¬
Thema der Vergänglichkeit auf, indem briele Wohmann hat dieses Zitatstück
es in der ersten Strophe die Frage auf¬ zum Titel eines ihrer Romane (1980) ge¬
wirft: „Morgenrot,/Leuchtest mir zum macht.
frühen Tod?“ - Das Zitat ist eine Klage
über die Vergänglichkeit alles Irdischen, Ach, wie ist’s möglich dann, daß
die im Dahinschwinden der äußeren ich dich lassen kann
Schönheit ihren sichtbaren Ausdruck
Die heute weniger bekannte Schriftstel¬
findet. Heute wird es meist scherzhaft
lerin Helmina de Chezy (1783-1856),
gebraucht, um in einem eher vorder¬
von der unter anderem das Libretto zu
gründigen Sinn die Vergänglichkeit von
Carl Maria von Webers Oper „Euryan-
Dingen zu kommentieren, die ihre
the“ stammt, bearbeitete 1824 ein Volks¬
Schönheit allzu rasch einbüßen. (Ver¬
lied aus dem Thüringer Wald, das mit
gleiche auch „Gestern noch auf stolzen
den Worten „Ach, wie ist’s möglich
Rossen“).
dann,/daß ich dich lassen kann!“ be¬
ginnt. Der sehr romantische Grundton
Ach, wie bald vergehn die schönen
dieses Liebesliedes kommt besonders in
Stunden
der letzten Strophe zum Ausdruck, in
t So ein Tag, so wunderschön wie heute der es heißt: „Wär ich ein Vögelein,/
wollt’ ich bald bei dir sein,/... schoss’
Ach! Wie gebrechlich ist der mich ein Jäger tot,/fiel’ ich in deinen
Mensch, ihr Götter Schoß ;/sähst du mich traurig an,/gern
Dieser Vers steht in der Schlußszene der stürb’ ich dann.“ - Heute zitiert man
Kleistschen Tragödie „Penthesilea“ den Anfang des Gedichts nur noch
(1808). Die Amazonenkönigin Penthesi¬ scherzhaft als Ausdruck des Bedauerns,
lea, die Heldin des Stücks, hat Achill, daß man jemanden verlassen, einen Be¬
den sie liebt, im Kampf getötet. Sie such beenden muß.
stirbt unmittelbar danach; die Über¬
macht des widerstreitenden Gefühls zer¬ Achillesferse
bricht sie. - Als Zitat gibt der Vers der
Als Achillesferse bezeichnet man die
Einsicht in die Unvollkommenheit und
verwundbare, empfindliche Stelle eines
Fehlbarkeit der Menschen Ausdruck.
Menschen. - Der Ausdruck entstammt
der griechischen Mythologie. Thetis, die
Ach, wie gut, daß niemand weiß, Mutter Achills, hatte das Kind in den
daß ich Rumpelstilzchen heiß’! Styx, einen Fluß in der Unterwelt, ge¬
Dieser Reim (ursprünglich in der Form: taucht, um es unverwundbarzu machen.
„Ach, wie gut ist, daß niemand Die Ferse, an der sie es gehalten hatte,
weiß, ...“) stammt aus dem Märchen war ihm dabei als einzige verwundbare
„Rumpelstilzchen“, das in der Mär¬ Stelle seines Körpers verblieben. So
chensammlung der Kinder- und Haus¬ konnte es geschehen, daß Achill, als ihn

23
acht Teil I

ein Pfeil des Paris an der Ferse traf, töd¬ Rom als Zahltage galten, bei den Grie¬
lich verletzt wurde. chen nicht gab.

Acht Stunden sind kein Tag Ad maiorem Dei gloriam


So lautete der Titel einer Fernsehserie, Diese Formel, die übersetzt „zur höhe¬
mit der der deutsche Theater-, Film- ren (eigentlich: größeren) Ehre Gottes“
und Fernsehregisseur Rainer Werner lautet, geht auf eine Textstelle in den
Fassbinder (1945-1982) Anfang der „Dialogen“ Papst Gregors des Großen
70er Jahre Aufsehen erregte. Er wollte (um 540-604 n.Chr.) zurück. Sie findet
in den einzelnen Filmen der Serie deut¬ sich später in den Beschlüssen des Kon¬
lich machen, wie stark die Zeit, die dem zils von Trient (1545-1563). Der 1534
einzelnen neben dem achtstündigen Ar¬ gegründete Jesuitenorden erhob sie zu
beitstag noch verbleibt, von beruflichen, seinem Wahlspruch. Man findet sie als
politischen und familiären Problemen Inschrift an älteren Bauwerken und als
bestimmt wird. Fassbinder wollte zu¬ Vorspruch in älteren literarischen und
gleich aber auch zeigen, daß jeder im musikalischen Werken.
Arbeitsalltag durchaus Herr seiner Si¬
tuation sein kann, daß Schwierigkeiten Ad usum Delphini
nicht einfach unabänderliches Schicksal Die lateinische Formel im Sinne von
sind. Der Serientitel wird zitiert, wenn „für die Jugend bearbeitet; in gereinig¬
man ausdrücken will, daß das Leben ter Ausgabe“ bedeutet wörtlich „für den
mehr ist als der Arbeitstag mit seinen Gebrauch des Dauphins“. Für den Un¬
Problemen. terricht des französischen Thronfolgers
reinigten auf Veranlassung seines Erzie¬
t Hab Achtung vor dem Men¬ hers, des Herzogs von Montausier, der
schenbild Historiker Jacques Benigne Bossuet
(1627-1704) und der Philologe, Theolo¬
t Bei genauerer Betrachtung steigt ge und Philosoph Pierre Daniel Huet
mit dem Preise auch die Achtung (1630-1721) Ausgaben antiker Klassi¬
ker von moralisch oder politisch anstö¬
Actum ne agas! ßigen Stellen, die erst am Schluß zusam¬
In der Komödie „Phormio“ des römi¬ mengestellt wurden. Die Bezeichnung
schen Dichters Terenz (185 oder wurde später allgemein auf Bearbeitun¬
195-159 v.Chr.) verwendet Phormio, gen literarischer Werke für die Jugend
ein listiger Schmarotzer, diesen auch bezogen, z. B. „Robinson Crusoe“ und
heute noch gelegentlich zitierten altrö¬ „Gullivers Reisen“. Die Formel kommt
mischen Rechtsgrundsatz, wenn er sagt: auch als in usum Delphini und in iro¬
Actum, aiunt, ne agas („Einmal Abge¬ nisch übertragenem Gebrauch vor, z. B.:
legtes, so sagen sie, sollst du nicht wie¬ „Etwas ist nicht in usum Delphini ge¬
der vornehmen“, Vers 419). Bereits zu schrieben.“
Terenz’ Zeiten wurde der Satz schon all¬
gemein als sprichwörtliche Redensart Den alten Adam ausziehen
im Sinne von „Drisch kein leeres Der t alte Adam
Stroh!“ gebraucht.
t Nach Adam Riese
Ad calendas graecas
Der römische Schriftsteller Sueton (um Der t alte Adam
70-140 n. Chr.) berichtet in seinen Kai¬
serbiographien von Kaiser Augustus, er Ade nun, ihr Lieben! Geschieden
habe von säumigen Schuldnern gesagt, muß sein
sie bezahlten ,,ad calendas graecas“ (an Diese beiden Aussagen werden je nach
den griechischen Kalenden). Das be¬ Situation zusammen oder auch einzeln
deutet soviel wie „niemals“, weil es die zitiert. Sie dienen meist als Floskeln
Kalenden (die Monatsersten), die in beim Abschiednehmen in einer eher

24
Teil I all

lockeren Atmosphäre. Gelegentlich wer¬ heimgesucht wird. Dabei handelt es sich


den sie auch gebraucht, um eine Situati¬ um eine der zehn Plagen, die von Jahwe
on zu überspielen, die bei schmerzliche¬ über das Land verhängt wurden, solan¬
ren Trennungen entsteht. Es handelt ge es die Kinder Israel nicht wegziehen
sich um zwei Zeilen aus der ersten Stro¬ ließ. Die Bibelstelle lautet: „... da ward
phe des „Wanderlieds“ von Justinus eine dicke Finsternis in ganz Ägypten¬
Kerner (1786-1862), einem Schriftstel¬ land drei Tage, daß niemand den ande¬
ler, der zu den wichtigsten Lyrikern der ren sah“.
spätromantischen schwäbischen Dich¬
terschule gezählt wird. Das „Wander¬ Ahasver, der Ewige Jude
lied“ mit den Anfangszeilen „Wohlauf, Im Jahr 1602 erschien die auf eine alte
noch getrunken/Den funkelnden Legende zurückgehende „Kurtze Be¬
Wein!“, das nach einer traditionellen schreibung und Erzehlung von einem
Volksweise gesungen wird, ist eines der Juden mit Namen Ahasverus“, der, weil
bekanntesten Gedichte Kerners. Die er dem kreuztragenden Christus nicht
Anfangszeilen werden gelegentlich erlaubt hatte, an seinem Haus kurz zu
noch als Aufforderung bei einem Um¬ rasten, nun zur Strafe in der Welt um¬
trunk o. ä. zitiert. herirren muß bis zur Wiederkunft Chri¬
sti. Der Stoff wurde immer wieder auf¬
Adel verpflichtet gegriffen und zu unterschiedlichen
Die Maxime stammt aus dem 1808 er¬ Dichtungen gestaltet (z. B. auch in Goe¬
schienenen Werk „Maximes et reflexi- thes Fragment gebliebenem Epos „Der
ons sur differents sujets de morale et de Ewige Jude“ und in Stefan Heyms 1981
politique“ von Pierre Marc Gaston Duc erschienenem Roman „Ahasver“). Die
de Levis. Die französische Form ist: No¬ Figur des „Ahasverus“, auch des „Ahas¬
blesse oblige. Der Sinn der Fügung liegt vers“ oder des „Ewigen Juden“ ist Sinn¬
in der Feststellung, daß jemandes Wert¬ bild für den ruhelos und ziellos die Welt
maßstäbe und seine Handlungen über¬ durchwandernden Menschen gewor¬
einstimmen sollen. Heute wird sie meist den.
in vordergründigerem Verständnis zi¬
tiert, wonach die Zugehörigkeit zu einer TDu ahnungsvoller Engel du!
gehobenen Gesellschaftsschicht zu ei¬
ner bestimmten Lebensweise, einem be¬ Alea iacta est
stimmten Lebensstil verpflichtet. - Die t Würfel sind gefallen
„Adel verpflichtet“ ist auch der deut¬
sche Titel einer englischen Filmkomö¬ TWenn ich nicht Alexander wäre,
die (Originaltitel: „Kind Hearts and Co-
möchte ich wohl Diogenes sein
ronets“), die nach dem Roman Noblesse
oblige von Roy Horniman im Jahre 1949
All animals are equal but some ani-
mit Alec Guinness in acht Hauptrollen
mals are more equal than others
gedreht wurde. - Eine satirische Weiter¬
führung des Zitats lautet: „Adel ver¬ t Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere
pflichtet zu nichts“. sind gleicher als andere

t Nicht für einen Wald voll Affen All mein Hoffen, all mein Sehnen
In Wilhelm Büschs (1832-1908) wohl
Eine ägyptische Finsternis bekanntester Bildergeschichte „Max
Man spricht - meist scherzhaft - von ei¬ und Moritz“ wird im „Ersten Streich“
ner „ägyptischen Finsternis“, wenn es geschildert, wie die beiden Knaben den
an irgendeinem Ort sehr dunkel ist. Der Hühnern der Witwe Bolte ein qualvolles
Ausdruck geht auf das Alte Testament Ende bereiten, indem sie ihnen an
(2. Moses 10,22-23) zurück. Hier wird Schnüre gebundene Brotstücke zu fres¬
von einer großen Finsternis berichtet, sen geben. Die Tiere bleiben mit diesen
von der Ägypten während drei Tagen Schnüren an einem Baumast hängen.

25
all Teil I

Beim Anblick ihres elend zu Tode ge¬ sich besonders in Szene zu setzen. In
kommenen Federviehs ruft die Witwe diesem Sinne wird das Zitat noch heute
verzweifelt aus: „Fließet aus dem Aug’, gebraucht, gelegentlich auch scherzhaft
ihr Tränen 1/All mein Floffen, all mein in selbstironischer Abwehr von zu gro¬
Sehnen,/Meines Lebens schönster ßem Lob.
Traum/Hängt an diesem Apfelbaum!“
Besonders der zweite Vers „All mein t Raum für alle hat die Erde
Floffen, all mein Sehnen“ wird heute
noch scherzhaft zitiert, wenn man auf Alle Herrlichkeit auf Erden
etwas anspielen will, worauf man sein Den Stoff für den 1955 in Amerika ge¬
ganzes inniges Verlangen gerichtet, wor¬ drehten Film mit dem englischen Titel
in man alle seine Hoffnung gesetzt hat. „Love is a many splendored thing“,
Auch der Vers „Meines Lebens schön¬ deutsch: „Alle Herrlichkeit auf Erden“,
ster Traum hängt an diesem Apfel¬ lieferte ein Roman von Han Suyin, der
baum“ ist ein populäres Zitat geworden, die Liebesgeschichte einer jungen Ärz¬
mit dem beispielsweise jemand eine ent¬ tin und eines amerikanischen Korre¬
täuschte Hoffnung scherzhaft kommen¬ spondenten während des Koreakrieges
tiert. - Daß die Witwe Bolte sich mit erzählt. Das Zitat wird im allgemeinen
den Worten „meines Lebens schönster auf irdisches Glück bezogen, meist ver¬
Traum“ auf ihre Hühner bezieht, die so¬ bunden mit dem unausgesprochenen
zusagen ihr höchstes Lebensglück dar¬ Gedanken der Vergänglichkeit. Es erin¬
stellten, ist charakteristisch für Wilhelm nert an eine Stelle im Neuen Testament
Büschs immer auch ironisch-distanzier¬ (1. Petrus 1, 24), wo „alle Herrlichkeit
te Haltung gegenüber den oft spießigen des Menschen“ mit „des Grases Blume“
Bürgeridealen seiner Zeit. verglichen wird, die nach kurzer Zeit
verblüht.
All you need is love
Dieser Titel eines Liedes der Beatles Alle Jahre wieder
(komponiert und getextet von John Len- Dies ist die erste Zeile des Weihnachts¬
non und Paul McCartney), das 1967 im liedes „Alle Jahre wieder/Kommt das
Rahmen einer weltweit ausgestrahlten Christuskind ...“. Das Lied findet sich
Fernsehsendung der Öffentlichkeit vor¬ unter den volkstümlichen Gedichten,
gestellt wurde, könnte als Motto der gesammelt von Wilhelm Hey (1789 bis
Flower-Power-Bewegung der 60er Jahre 1854), die er seiner zweiten Sammlung
angesehen werden. Der Titel (auf von „Fünfzig Fabeln für Kinder“ (Ham¬
deutsch etwa: „Alles, was man braucht, burg 1837) beigab. Das Zitat bringt zum
ist Liebe“) wird gelegentlich zitiert, Ausdruck, daß sich etwas mit schöner
wenn man eine allgemeine Ablehnung oder auch als lästig oder ärgerlich emp¬
von Haß und Gewalt zum Ausdruck fundener Regelmäßigkeit wiederholt.
bringen möchte oder auch wenn Geld 1967 drehte Peter Schamoni einen Spiel¬
und Reichtum jemandes Leben zu sehr film mit dem Zitat als Titel.
beherrschen.
Alle Jubeljahre einmal
Alle großen Männer sind beschei¬ Diese Fügung drückt aus, daß etwas
den „sehr selten“, nach Meinung des Spre¬
Das Zitat stammt aus Lessings „Briefen, chers häufig „viel zu selten“ geschieht.
die neueste Literatur betreffend“ (65. Der Name „Jubeljahr“, eine Lehnüber¬
Brief vom 2. November 1759). Hierin setzung des lateinischen „annus iubi-
äußert sich Lessing über den Literatur¬ laeus“, geht zurück auf eine Stelle des
theoretiker und Kritiker Johann Chri¬ Alten Testamentes (3. Moses 25,8 ff.),
stoph Gottsched, dessen Eitelkeit ihn nach der die Kinder Israel alle fünfzig
stört. Er setzt dagegen seine Überzeu¬ Jahre ein heiliges Jahr, ein sogenanntes
gung, daß wirkliche Größe bei einem „Halljahr“, zu begehen hatten mit
Menschen nicht das Bedürfnis weckt, Schuldenerlaß, Freilassung der israeliti-

26
Teil I
alle

sehen Sklaven und Rückgabe von ver¬ rechte“) aus dem Revolutionsjahr 1789
kauftem Boden. Ein solches Jahr wurde steht im Artikel 1: „Die Menschen wer¬
mit dem Blasen des Widderhorns eröff¬ den frei und gleich an Rechten geboren
net, dessen hebräischer Name „yövel" und bleiben es“ (Les hommes naissent et
in „Jubeljahr“ erhalten blieb. Im Mittel- demeurent libres et egaux en droits).
alter wurde das Wort zur Bezeichnung
eines besonderen Ablaßjahres der ka¬ Alle Menschen werden Brüder
tholischen Kirche übernommen, das zu¬
Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬
nächst alle hundert Jahre, später alle
dicht „An die Freude“, das durch seine
fünfzig Jahre und von 1500 an alle fünf¬
Vertonung als Schluß der 9. Sinfonie
undzwanzig Jahre wiederkehrte.
von Beethoven (1823) sehr bekannt wur¬
Alle Macht den Räten! de. Es verkündet hymnisch die Verbrü¬
derung aller Menschen in Momenten
Das von Lenin geprägte Schlagwort der
der Freude, der Begeisterung, die alle
russischen Oktoberrevolution (1917)
Mauern der Fremdheit einreißt. „Alle
„Alle Macht den Sowjets!“ wurde 1918
Menschen werden Brüder“ ist auch der
von der deutschen Spartakusgruppe
Titel eines 1967 erschienenen Romans
übernommen und zu „Alle Macht den
von Johannes Mario Simmel. Die Ver¬
Räten!“ abgewandelt (russisch „So¬
treterin einer feministischen Sprachwis¬
wjet“ = Rat). Die Gruppe, die später
senschaft, Luise F. Pusch (geb. 1944),
Spartakusbund hieß, war aus dem äu¬
gab einer ihrer Aufsatzsammlungen aus
ßersten linken Flügel der damaligen
dem Jahr 1990 den Titel „Alle Men¬
SPD hervorgegangen und forderte ein schen werden Schwestern“.
Rätesystem als Regierungsform für
Deutschland. - Das Zitat läßt sich heute
Alle menschlichen Gebrechen süh¬
auch - vielfach scherzhaft - in Zusam¬
net reine Menschlichkeit
menhängen verwenden, in denen „Rä¬
te“ in ganz anderer Bedeutung eine Rol¬ Das Zitat stammt aus einem Widmungs¬
le spielen, auf deren „Macht“ man hin- gedicht, das Goethe 1827 dem Schau¬
weisen möchte. „Alle Macht den ..." spieler Wilhelm Krüger zueignete, der
kann jedoch auch anderen Personen die Rolle des Orest in dem Drama
oder Sachen zugesprochen werden, so „Iphigenie auf Tauris“ gespielt hatte.
daß ein „werbewirksamer“ Slogan ent¬ Der Satz enthält die Grundidee des
steht, z. B.: Alle Macht den Frauen, den Goetheschen Stücks. Er gibt der Über¬
Kindern o. ä. zeugung Ausdruck, daß „reine Mensch¬
lichkeit“ die menschlichen Schwächen
Alle Menschen sind von Geburt zu überwinden vermag, daß Mensch¬
aus gleich lichkeit, Humanität als die höchste
menschliche Tugend anzusehen ist.
Dieser Grundsatz, der als eine der
Grundlagen demokratischer rechtlich-
politischer Systeme angesehen werden Alle Räder stehen still, wenn dein
kann, findet sich zum Beispiel in der starker Arm es will
amerikanischen Unabhängigkeitserklä¬ Dieses Zitat stammt aus einem Lied, das
rung. Sie wurde von Thomas Jefferson, Georg Herwegh 1863 für den „Allge¬
dem späteren dritten Präsidenten der meinen Deutschen Arbeiterverein“ als
USA, verfaßt, und mit ihr sagten sich Bundeslied geschrieben hat. Die zehnte
1776 die englischen Kolonien vom eng¬ Strophe dieser Hymne lautet: „Mann
lischen Mutterland los. Bereits im ersten der Arbeit, aufgewacht!/Und erkenne
Satz des zweiten Absatzes heißt es: deine Macht !/Alle Räder stehen
„... daß alle Menschen gleich geschaffen still,/Wenn dein starker Arm es will.“ -
sind“ (... that all Men are created equal). Man verwendet das Zitat gelegentlich
Auch in der französischen „Declaration noch heute im Zusammenhang mit ge¬
des droits de l’homme et du citoyen“ werkschaftlichen Aktionen bei Arbeits¬
(„Erklärung der Menschen- und Bürger¬ kämpfen.

27
alle Teil I

Alle reden vom Wetter, wir nicht! Form des menschlichen Zusammenle¬
bens zu verwirklichen sei.
Dieser eingängige Werbeslogan der
Deutschen Bundesbahn aus der zweiten
Hälfte der sechziger Jahre wird vielfach T Wenn alle untreu werden
scherzhaft oder auch ironisch abgewan¬
delt und ist so zum geflügelten Wort ge¬
worden. „Alle reden von läßt sich Alle Vögel sind schon da
verwenden, wenn man darauf hinweisen Der Titel dieses bekannten Kinderlie¬
möchte, daß man selbst etwas anders des, das das Kommen des Frühlings be¬
macht oder als geringeres Problem an¬ singt, wird gelegentlich in scherzhafter
sieht als andere, wobei meist der Gedan¬ Abwandlung zitiert. So könnte zum Bei¬
ke des Wettbewerbs im Vordergrund spiel der Beginn der Ferienzeit mit „Alle
steht. Auch die einen Überraschungs¬ Touristen sind schon da“ kommentiert
effekt enthaltende Abwandlung „Alle werden. Der Text des Liedes, das auf ei¬
reden von..., wir auch!“ ist gebräuchlich ne Melodie aus dem 18. Jahrhundert ge¬
geworden. sungen wird, wurde 1847 von Hoffmann
von Fallersleben geschrieben.
Alle Regeln der Kunst
t Nach allen Regeln der Kunst Alle Wasser laufen ins Meer
Dieses Zitat stammt aus dem Alten Te¬
Alle Tage ist kein Sonntag
stament (Prediger Salomo 1,7). Es ge¬
Die sprichwörtliche Redensart beruht hört in einen Zusammenhang, in dem
auf der Erkenntnis, daß das menschli¬ von der „Eitelkeit ( = Vergeblichkeit,
che Leben mehr aus mühevollem und Nichtigkeit) aller irdischen Dinge“, be¬
arbeitsreichem Alltag besteht als aus sonders aller menschlichen Bemühun¬
Feier- und Ruhetagen. Als Titel eines gen, gesprochen wird. Es resümiert, daß
Volksstücks von Carl Clewing (1884 bis alles, was geschieht, einem ewigen Ge¬
1954) und als Anfangszeile des Gedichts setz folgt, das unwandelbar den ständig
„Liebeslied“ von Carl Ferdinand (geb. gleichen Gang der Welt bestimmt. (Ver¬
1874, Todesjahr nicht ermittelt) ist die gleiche auch „Alles ist eitel“.)
Redensart literarisch genutzt worden.

Alle Tiere sind gleich, aber einige Alle Wohlgerüche Arabiens


Tiere sind gleicher als andere Das geflügelte Wort stammt aus der er¬
sten Szene des fünften Akts der Tragö¬
Diese zynische Feststellung findet sich
die „Macbeth“ von William Shake¬
in dem satirischen Roman „Farm der
speare (1564-1616). Lady Macbeth, die
Tiere“ (englisch: „Animal Farm“) von
über die begangenen Mordtaten in
George Orwell (1903-1950). Er be¬
Wahnsinn verfallen ist, glaubt Blut an
schreibt die Entwicklung und schlie߬
den Händen zu haben, das sie vergebens
lich den Niedergang eines Gemeinwe¬
abzuwaschen versucht. Schließlich resi¬
sens der Tiere, die die Menschen von ih¬
gniert sie mit den Worten: „Noch immer
rem Hof verjagt haben, um selbst eine
riecht es hier nach Blut; alle Wohlgerü¬
demokratische Form des Miteinander¬
che Arabiens würden diese kleine Hand
lebens und -arbeitens zu beginnen. Am
nicht wohlriechend machen“. (Here's
Schluß haben die Schweine die Herr¬
the smell of the blood still; all the per-
schaft an sich gerissen; sie unterdrücken
fumes of Arabia will not sweeten this little
die anderen Tiere und beuten sie auf die
hand.) - Man gebraucht das Zitat häufig
gleiche Weise aus, wie es vorher die
in Zusammenhängen, in denen es eher
Menschen taten. Ihre Revolution ist ver¬
ironisch zu verstehen ist, etwa wenn je¬
tan. - Das Zitat gibt der pessimistischen
Auffassung Ausdruck, daß das Prinzip mand aufdringlich parfümiert ist.
der Gleichheit (Alle Tiere sind gleich =
alle Menschen sind gleich) in keiner t Eines schickt sich nicht für alle!

28
Teil I aller

T Ich bin allein auf weiter Flur Allen Gewalten zum Trutz sich er¬
halten
Das Gedicht, dem diese Zeile entnom¬
Allein der Vortrag macht des Red¬
men ist, stammt aus Goethes Singspiel
ners Glück
„Lila“ aus dem Jahr 1777. Es bringt in
Wagner, der Famulus Fausts, beklagt zwei daktylischen Strophen die Über¬
(in Goethes Faust I, erste Nachtszene), zeugung zum Ausdruck, daß es nötig ist,
daß es ihm an der Kunst der Deklamati¬ „feige Gedanken“ und Verzagtheit ab¬
on und freien Rede mangele. Während zuschütteln, um im Lebenskampf zu be¬
Faust ihm zu erklären versucht, daß der¬ stehen. Man zitiert es noch heute gele¬
jenige, der wirklich etwas zu sagen hat, gentlich in bezug auf jemandes Stand¬
dafür auch leicht die richtigen Worte haftigkeit und Ausdauer in schwierigen
findet, beharrt Wagner mit obigen Wor¬ Lebenslagen.
ten darauf, daß es vor allem auf den ge¬
konnten Vortrag ankomme, wenn man
als Redner Erfolg haben will. - Der Aller Augen warten auf dich
heutige Gebrauch des Zitats ignoriert Dieses Zitat findet sich im Alten Testa¬
die Darlegungen Fausts und hebt - wie ment (145. Psalm, Vers 15), wo die Gna¬
Wagner - die Wichtigkeit der rhetori¬ de und Gerechtigkeit Gottes gepriesen
schen Begabung des Redners hervor. werden: „Aller Augen warten auf dich,
Man kommentiert mit dem Zitat entwe¬ und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner
der ihr Fehlen oder ihre Beispielhaftig- Zeit.“ Der vollständige Vers ist (auch in
keit in einem speziellen Fall. der leicht abgewandelten Form „Aller
Augen warten auf dich, o Herr, du gibst
ihnen Speise zur rechten Zeit“) als
Allein es steht in einem andern Tischgebet gebräuchlich geworden. -
Buch Als Zitat gebraucht man den ersten Teil
Das Zitat stammt aus der Flexenküchen¬ scherzhaft, etwa um jemanden zu begrü¬
szene im ersten Teil von Goethes Faust ßen, der verspätet in einer Runde er¬
(1808). Faust möchte verjüngt werden, scheint.
aber die Hexenküche, in der dies be¬
werkstelligt werden soll, behagt ihm
nicht. Mephisto sagt darauf: „Dich zu
Es ist noch nicht aller Tage Abend
verjüngen gibt’s auch ein natürlich Mit¬ Diese sprichwörtliche Redensart findet
tel ;/Allein es steht in einem andern sich bereits in dem Werk des römischen
Buch/Und ist ein wunderlich Kapitel.“ Schriftstellers Titus Livius (59 v. Chr. bis
Mit dem „natürlichen Mittel“ meint 17 n. Chr.) mit dem Titel „Ab urbe con-
Mephisto eine gesunde, einfache, mit dita“. Darin legt er dem Makedonenkö-
körperlicher Arbeit verbundene Lebens¬ nig Philipp V. diesen Ausspruch in den
weise. Das Zitat kann verwendet wer¬ Mund: nondum omnium dievum solem
den, um auszudrücken, daß etwas in ei¬ occidisse („noch sei nicht die Sonne
nen ganz anderen Zusammenhang ge¬ aller Tage untergegangen“). Der Satz
hört, daß es eine ganz andere Sache ist. verleiht der Gewißheit Ausdruck, daß
etwas Bestimmtes durchaus noch nicht
entschieden ist, daß sich nach der Mei¬
Es ist nicht t gut, daß der Mensch nung des Zitierenden noch manches än¬
allein sei dern kann oder daß der Adressat dieses
Ausspruchs seiner Sache noch nicht so
sicher sein kann. „Aller Tage Morgen“
t Jeder stirbt für sich allein nannte in Abwandlung der Redensart
der schwäbische Schriftsteller Josef
Eberle (1901-1986; Pseudonym: Seba¬
t Ich kann allem widerstehen, nur stian Blau) seine Lebenserinnerungen,
nicht der Versuchung die 1974 erschienen.

29
alles Teil I

t Nun muß sich alles, alles wenden gegen den Vorwurf des Plagiats mit den
Worten wehrt: Denique nullum est iam
Es würde alles besser gehen, wenn dictum, quod non dictum sit prius
man mehr ginge („Schließlich gibt es ja nichts mehr zu
sagen, was nicht früher schon gesagt
Dieses Zitat geht zurück auf Johann
worden wäre.“)
Gottfried Seumes Reisebericht aus dem
Jahre 1806 („Mein Sommer 1805“), in
Alles Getrennte findet sich wieder
dem es an einer Stelle heißt: „Ich halte
den Gang für das Ehrenvollste und Der Ausspruch stammt aus Friedrich
Selbständigste in dem Manne und bin Hölderlins Briefroman „Hyperion“
der Meinung, daß alles besser gehen (1797-1799), er steht am Schluß des
würde, wenn man mehr ginge.“ Man zweiten Bandes. Hyperion spricht hier
verwendet das Zitat, wenn man aus- die Überzeugung aus: „Wie der Zwist
drücken will, daß es nicht nur für den der Liebenden sind die Dissonanzen der
Körper gesünder ist, häufiger zu Fuß zu Welt. Versöhnung ist mitten im Streit,
gehen, sondern daß man auch das, was und alles Getrennte findet sich wieder.“
man sieht und erlebt, geistig besser auf¬ Man verwendet das Zitat meist als
nehmen und verarbeiten kann als beim scherzhaften Kommentar, wenn verlo¬
Fahren. Nicht zuletzt kann man sich rene oder vermißte Dinge sich wieder¬
damit heute auch sehr treffend auf die finden, oder auch wenn Menschen nach
Verkehrsprobleme durch den modernen einer Trennung oder nachdem sie sich
Individualverkehr beziehen. verloren hatten, wieder Zusammentref¬
fen.
Alles Ding währt seine Zeit
Alles Glück dieser Erde liegt auf
Diese Zeile stammt aus dem vielstrophi-
gen Lied „Sollt’ ich meinem Gott nicht
dem Rücken der Pferde
singen“ des Kirchenliederdichters Paul Das t Paradies der Erde liegt auf dem
Gerhardt (1607-1676). Die Verse „Alles Rücken der Pferde
Ding währt seine Zeit,/Gottes Lieb in
Ewigkeit“ bilden den Refrain der zehn Alles in der Welt läßt sich ertragen,
ersten Strophen des Liedes. Als Zitat nur nicht eine Reihe von schönen
spielt der Text auf die Endlichkeit und Tagen
Vergänglichkeit alles Irdischen an oder
Dieser Spruch findet sich bei Goethe in
auch, vordergründiger, darauf, daß et¬
der Abteilung „Sprichwörtlich“ der Ge¬
was Bestimmtes einmal ein Ende hat
dichtsammlung von 1815. (Für den hier
oder haben muß.
ausgesprochenen Gedanken gibt es be¬
reits mehrere Vorformen im Werk Mar¬
Alles fließt tin Luthers.) Die heutige Zitierweise
t Panta rhei lautet etwas abgewandelt: „Nichts ist
schwerer zu ertragen als eine Reihe von
Alles Gescheite ist schon gedacht guten Tagen.“ Man bezieht den Spruch
worden dabei zumeist auf eine Aufeinanderfol¬
Diesen Gedanken spricht Goethe in den ge von Feiertagen, die mit zu vielem Es¬
„Betrachtungen im Sinne der Wande¬ sen und Trinken und Müßiggang ein¬
rer“ am Ende des 2. Buches der Wan¬ hergehen, so daß man schließlich träge
derjahre aus. Und Mephisto (in Faust und verdrießlich oder übermütig wird.
11,2) läßt er sagen: „Wer kann was
Dummes, wer was Kluges denken,/Das t Und alles ist Dressur
nicht die Vorwelt schon gedacht?“
Schon in der Antike findet man diese Alles ist eitel
Feststellung bei verschiedenen Autoren, Dieses Zitat geht auf das Alte Testament
so bei dem römischen Komödiendichter zurück (Prediger Salomo 1,2 u. 12,8):
Terenz (um 185-159 v.Chr.), der sich „Es ist alles ganz eitel, sprach der Predi-

30
Teil I alles

ger, es ist alles ganz eitel.“ Der lateini¬ auf den Schneider mit dem Namen
sche Text der Vulgata lautet: Vanitas va- Böck abgesehen, den sie mit ihren Ru¬
nitatum, et omnia vanitas, in wörtlicher fen „Schneider, Schneider, meck, meck,
Übersetzung: „Eitelkeit der Eitelkeiten, meck“ in Zorn versetzten. So heißt es im
und alles ist Eitelkeit.“ Der Prediger folgenden: „Aber, wenn er dies er¬
will sagen, daß die Welt und alles fuhr,/ging’s ihm wider die Natur.“ -
menschliche Tun nichtig sind und ohne Das Zitat drückt aus, daß jemand im all¬
Bestand. - Für die Barockzeit war diese gemeinen sehr geduldig ist, daß aber in
Weitsicht besonders charakteristisch. So einer bestimmten Situation die Grenzen
findet man ein Gedicht von Andreas der Gutmütigkeit erreicht sind.
Gryphius (1616-1664) mit dem Titel
„Vanitas! Vanitatum vanitas!“. Auch Alles mit deine Hände
der dem Prediger Salomo entnommene Dies ist der dreimal wiederkehrende
Text der „Vier ernsten Gesänge“ (1896)
Refrain eines leicht sentimentalen Ge¬
von Johannes Brahms nimmt Bezug auf dichts in Berliner Mundart von Kurt Tu¬
diese Thematik. Goethe verwendete die¬ cholsky (1890-1935). Sein Titel lautet:
selbe Überschrift wie Gryphius für ein „Mutterns Hände“. Es zählt auf, was
Gedicht, das er in der Gedichtsamm¬ die Mutter an Arbeit für ihre Familie
lung von 1806 in der Abteilung „Geselli¬ mit ihren Händen verrichtet hat. - Als
ge Lieder“ veröffentlichte. Das Gedicht meist ironisch-scherzhaftes Zitat ver¬
stellt eine Parodie auf das Kirchenlied wendet man die Worte gelegentlich in
„Ich hab’ mein Sach’ Gott heimgestellt“ bezug auf etwas, was jemand eigenhän¬
von Johannes Pappus (1549-1610) dar. dig in mühevoller Arbeit geschaffen hat.
Bei Goethe wurde daraus: „Ich hab’
mein Sach’ auf nichts gestellt. Juch¬
Alles neu macht der Mai
he!“ - Der heutige Sprecher kann mit
Dies ist der Anfang des dreistrophigen
dem Zitat seiner Überzeugung Aus¬
Gedichts „Der Mai“ von Hermann
druck geben, daß vieles Weltliche nicht
Adam von Kamp (1796-1867), zuerst
die Bedeutung hat oder das Gewicht,
erschienen in der Liedersammlung
das man ihm beimißt.
„Lautenklänge“, Krefeld 1829. Als
Wanderlied besingt es die Freude an der
Alles ist verloren, nur die Ehre neu erwachten Natur. Mit „Alles neu
nicht macht der Mai“ kommentiert man
Diese Feststellung traf der französische scherzhaft eine augenfällige Verände¬
König Franz I. in einem Brief an seine rung, die an jemandem oder an einer
Mutter, nachdem er in der Schlacht von Sache zu erkennen ist.
Pavia (1525) eine Niederlage erlitten
hatte und in Gefangenschaft geraten Alles rennet, rettet, flüchtet
war: Tout estperdu, fors l’honneur. Diese Der Satz stammt aus Schillers „Lied von
überlieferte Kurzform, von der zunächst der Glocke“ (1799). Schiller beschreibt
behauptet wurde, daß aus ihr allein der damit das Verhalten von Menschen bei
lakonische Brieftext bestanden habe, einer in der Stadt wütenden Feuers¬
stellt jedoch nur die Quintessenz des brunst. Das Zitat wird heute nur scherz¬
später aufgefundenen, längeren Briefes haft gebraucht und auf eine drängende,
dar. - Mit dem Zitat kann man eine hastende Menge bezogen.
zwar entscheidende, aber letztlich eh¬
renvolle Niederlage kommentieren. Alles schon dagewesen
Dem Trauerspiel „Uriel Acosta“ (1846)
Alles konnte Bock ertragen, ohne von Karl Gutzkow entstammt der dort
nur ein Wort zu sagen in mehrfach abgewandelter Form vor¬
Die Verse stammen aus „Max und Mo¬ kommende Ausspruch „Und alles ist
ritz“ (1865) von Wilhelm Busch. Im schon einmal dagewesen“, eine Varian¬
„Dritten Streich“ haben es die beiden te der alttestamentlichen Erkenntnis

31
alles Teil I

„und geschieht nichts Neues unter der l'Italie der Madame de Stael (1766 bis
Sonne“ (Prediger Salomo 1,9). Er ist zu 1817) zurück, wo es heißt: Tout com¬
einer Floskel der heutigen Alltagsspra¬ prendre rend tres indulgent (Alles verste¬
che geworden, mit der man zum Beispiel hen macht sehr nachsichtig). Auch bei
ausdrückt, daß einen ein Ereignis oder Goethe findet man diese Überzeugung
eine Veränderung nicht überrascht. in verschiedener Ausprägung. So heißt
es zum Beispiel im Tasso (2,1): „Was
Alles über Eva wir verstehn, das können wir nicht ta¬
deln“. - Man kommentiert mit diesem
So lautet der deutsche Titel eines in
Satz eine oft allzu nachsichtige Einstel¬
Amerika entstandenen tragikomischen
lung gegenüber Personen oder Ge¬
Films mit Bette Davis, Anne Baxter und
schehnissen.
Marilyn Monroe aus dem Jahr 1950
(Originaltitel: All about Eve). Der Film,
dessen Dialoge Erich Kästner ins Deut¬ Alles, was entsteht, ist wert, daß es
sche übertrug, schildert die Karriere ei¬ zugrunde geht
ner skrupellosen jungen Schauspielerin, Mit den Worten „Ich bin der Geist, der
die zunächst von einer alternden Diva stets verneint!/Und das mit Recht; denn
gefördert wird, diese aber dann fast aus alles, was entsteht,/Ist wert, daß es zu¬
dem Filmgeschäft verdrängt. - Als Zitat grunde geht“ beschreibt Mephisto sich
verwendet man „Alles über ...“ in ent¬ selbst in der Studierzimmerszene in
sprechender Abwandlung, wenn man Goethes Faust I (1808). Zerstörung als
erschöpfende Mitteilungen, Daten o. ä. eine Erscheinungsform des Bösen ist
über eine Person oder auch eine Sache sein, des Teufels, Element. - Das Zitat
ankündigen will. dient zum Ausdruck oder zur Charak¬
terisierung einer pessimistischen oder
Alles Vergängliche ist nur ein zynischen Weitsicht.
Gleichnis
Der zweite Teil von Goethes Faust Alles wiederholt sich nur im Leben
(1824/31) endet mit einem „Chorus my- Der Gedanke der Wiederkehr des im¬
sticus“, dessen erste beiden Zeilen cha¬ mer Gleichen findet sich in vielen Varia¬
rakteristisch für des Dichters Auffas¬ tionen in der Literatur aller Zeiten. Das
sung von der menschlichen Erkenntnis¬ Zitat aus Schillers Gedicht „An die
fähigkeit sind. In seinem „Versuch über Freunde“ (1802) setzt diesen Tatbestand
die Witterungslehre“ (1825) schreibt in Gegensatz zu dem, was die Phantasie
Goethe: „Das Wahre, mit dem Gött¬ im Kunstwerk schafft. Die Fortführung
lichen identisch, läßt sich niemals von im Gedicht lautet dann: „Ewig jung ist
uns direkt erkennen, wir schauen es nur nur die Phantasie;/Was sich nie und nir¬
im Abglanz, im Beispiel, im Symbol..." gends hat begeben,/Das allein veraltet
Die irdische Welt in ihrer Vergänglich¬ nie“. Man kommentiert mit dem Zitat -
keit, die wir mit unseren Sinnesorganen oft mit resignierendem Unterton - das
wahrnehmen können, ist also nur als ein Wiederauftreten bestimmter Entwick¬
Gleichnis der ewigen, göttlichen Wahr¬ lungen oder die Wiederkehr bestimmter
heit anzusehen. - Das Zitat wird auch Ereignisse.
heute noch gelegentlich verwendet, um
auf die Vordergründigkeit des nur auf Alles zu seiner Zeit
das Materielle, Irdische gerichteten Er-
Diese Redewendung findet sich in ähn¬
kenntnisstrebens hinzuweisen.
licher Form schon im Alten Testament
(Prediger Salomo 3,1). Hier heißt es:
Alles verstehen heißt alles verzei¬ „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles
hen Vornehmen unter dem Himmel hat sei¬
Der Ausspruch tout comprendre c’est ne Stunde“. Man gebraucht die Wen¬
tout pardonner geht möglicherweise auf dung, um darauf hinzuweisen, daß et¬
eine Stelle in dem Roman Corinne ou was zum richtigen Zeitpunkt getan wer-

32
Teil I
als

den muß oder sich ereignen wird, daß zerbrechen“. Es geht zurück bis in die
Ungeduld und überstürztes Handeln Dichtung der griechischen Antike (He-
nicht zum Ziel führen. Goethe beginnt rodot, Sophokles und Phädrus verwen¬
seine „Noten und Abhandlungen zu den es). Noch geläufiger als das Zitat ist
besserem Verständnis des Westöstlichen heute die Redewendung „den Bogen
Diwans“ mit den Worten: „Alles hat überspannen“ mit der Bedeutung „et¬
seine Zeit! - Ein Spruch, dessen Bedeu¬ was auf die Spitze treiben, zu hohe For¬
tung man bei längerem Leben immer derungen stellen“.
mehr anerkennen lernt; diesem nach
gibt es eine Zeit zu schweigen, eine an¬
Allzufrüh und fern der Heimat
dere zu sprechen“. Ein bekanntes Lied
des amerikanischen Folksängers Pete In seiner Ballade „Das Grab im Busen-
Seeger (geb. 1919) mit dem Titel „Tum, to“ beschreibt August Graf von Platen
turn, turn (To everything there is a sea- (1796-1835), wie der Gotenkönig Ala-
son)“ greift ebenfalls diesen Gedanken rich, der auf einem Feldzug in Kala¬
auf. Der Text des Liedes lehnt sich sehr brien gestorben ist, von seinen Leuten
eng an den Bibeltext (Vers 1-8) an. Eine bestattet wird. Um die Leiche vor
deutsche Fassung (Text von Max Col- Schändung zu schützen, begruben die
pet) mit dem Titel „Für alles kommt die Goten den König im Flußbett des Bu-
Zeit“ wurde von Marlene Dietrich ge¬ sento, dessen Wasser sie vorher abgelei¬
sungen. tet hatten und nach der Bestattung wie¬
der zurückfließen ließen. Dazu heißt es
t Über die allmähliche Verferti¬ in der Ballade: „Allzufrüh und fern der
gung der Gedanken beim Reden Heimat/mußten hier sie ihn begraben“.
Ist jemand in jungen Jahren in der
Allwissend bin ich nicht; doch ist Fremde gestorben, kann das Zitat heute
mir viel bewußt noch herangezogen werden. Als Anspie¬
lung darauf, daß jemand ohne den ge¬
Der Ausspruch stammt aus Goethes
wohnten Komfort weit weg von zu Hau¬
Faust (Teil I, Studierzimmer). Es han¬
se ist, wird die scherzhafte Abwandlung
delt sich um eine ironische Bemerkung,
„unrasiert und fern der Heimat“ ver¬
die Mephisto, des Nachspionierens be¬
wendet.
schuldigt, Faust gegenüber in einer Art
gespielter Bescheidenheit macht. Heute
wird der Ausspruch meist in ähnlich iro¬ t Menschliches, Allzumenschli¬
nischer Weise oder auch nur scherzhaft ches
zitiert.
Als Büblein klein an der Mutter¬
Allzu straff gespannt, zerspringt
brust
der Bogen
Dies ist der Anfang des bekannten
In Schillers Drama „Wilhelm Teil“ Trinkliedes des Falstaff aus dem 2. Akt
(III, 3) geht diesem bekannten Bild vom der Oper „Die lustigen Weiber von
allzu straff gespannten Bogen eine di¬ Windsor“ von Otto Nicolai (1810 bis
rekte, gewissermaßen interpretierende 1849), deren Libretto (von Hermann
Aussage voraus, die aber im allgemei¬ Mosenthal) sich an das gleichnamige
nen nicht mitzitiert wird. Die Stelle lau¬ Lustspiel von Shakespeare anlehnt. Die
tet: „Zu weit getrieben/Verfehlt die erste Verszeile des Trinklieds wird heute
Strenge ihres weisen Zwecks,/Und allzu scherzhaft etwa im Sinne von „als ich
straff gespannt, zerspringt der Bogen“. noch klein war“ zitiert.
Das Motiv des zu stark oder auch zu
lange gespannten Bogens taucht vor
Schiller in der Literatur häufiger auf, so
Als das Wünschen noch geholfen
bei Grimmelshausen, wo es im „Simpli- hat
zissimus“ (1669) heißt: „Wenn man den Diese Formulierung ist Teil verschiede¬
Bogen überspannt, so muß er endlich ner Märchenanfänge. Das bekannte

33
als Teil I

Märchen der Brüder Grimm „Der Als die Bilder laufen lernten“ und war
Froschkönig oder Der eiserne Hein¬ die deutsche Fassung der englischen
rich“ beispielsweise beginnt mit den Serie „Mad Movies“ von Bob Monk-
Worten: „In den alten Zeiten, wo das house, einem Kenner und Sammler von
Wünschen noch geholfen hat, lebte ein Stummfilmen.
König..." Ähnlich der Anfang des weni¬
ger populären Märchens „Der Eisen¬ Als die Römer frech geworden
ofen“: „Zur Zeit, wo das Wünschen Dies ist die Anfangszeile des Scherzge¬
noch geholfen hat, ward ein Königs¬ dichtes „Die Teutoburger Schlacht“ von
sohn von einer alten Hexe ver¬ Joseph Victor von Scheffel (1826-1886),
wünscht Beim heutigen Gebrauch das besonders als Kommerslied in stu¬
dieser Floskel wird der Märchenton be¬ dentischen Verbindungen bekannt ge¬
wußt eingesetzt. Mit einer gewissen worden ist. Gelegentlich wird die For¬
Wehmut weist man auf andere Zeiten mulierung „Als die ... frech geworden“
und Zustände hin, in denen noch Dinge mit der Bezeichnung für eine andere
geschahen oder möglich waren, die heu¬ Personen- oder Volksgruppe abgewan¬
te undenkbar wären. delt und scherzhaft oder abwertend auf
Menschen bezogen, die bestimmte An¬
Als der Großvater die Großmutter sprüche gestellt oder Forderungen erho¬
ben haben.
nahm
Dies ist die Anfangszeile des Gedichts Als Mensch und Christ
„Das Großvaterlied“ (1812) von August
Mit dieser Floskel kann jemand seinen
Friedrich Ernst Langbein (1757-1835),
Worten eine Art scherzhaften Nach¬
einem zu seiner Zeit bekannten Berliner
druck verleihen, er kann damit auf seine
Schriftsteller. Er bezieht sich damit
Aussage in nicht allzu ernst gemeinter,
möglicherweise auf die gleichlautende
vielleicht auch spöttischer Weise auf¬
Zeile in dem Lied „Der Großvater-
merksam machen. Sie stammt aus der
Tanz“ seines Zeitgenossen Karl
Bildergeschichte „Die fromme Helene“
Schmidt (1746-1824), das schon 1794
von Wilhelm Busch (1832-1908). Zu
geschrieben wurde. Zusätzliche Verbrei¬
Beginn der Geschichte richtet der Onkel
tung fand das Zitat als Titel einer von
mahnende Worte an seine Nichte, die
Gustav Wustmann 1886 herausgegebe¬
einige Zeit bei Onkel und Tante auf dem
nen sehr populären Liedersammlung (in
Land verbringen soll: „Helene!“ -
der auch Langbeins Verse enthalten
sprach der Onkel Nolte -/„Was ich
sind). Heute wird die Gedichtzeile gele¬
schon immer sagen wollte !/Ich warne
gentlich noch dazu benutzt, frühere Zei¬
dich als Mensch und Christ:/Oh, hüte
ten anzusprechen, die „gute alte Zeit“
dich vor allem Bösen!/Es macht Pläsier,
heraufzubeschwören. Eine misanthro-
wenn man es ist,/Es macht Verdruß,
pisch gefärbte Abwandlung des Zitats
wenn man’s gewesen!“
verwendete der Zeichner und Karikatu¬
rist Paul Flora als Titel für einen 1971
Als wär’s ein Stück von mir
erschienenen Auswahlband seiner
Zeichnungen: „Als der Großvater auf Der Schlußvers der zweiten Strophe des
die Großmutter schoß“. bekannten Liedes „Ich hatt' einen Ka¬
meraden“ von Ludwig Uhland (1787 bis
1862) wurde in neuerer Zeit besonders
Als die Bilder laufen lernten dadurch populär, daß ihn Carl Zuck¬
Die frühen Jahre der Filmgeschichte mayer als Titel für seine Lebenserinne¬
werden häufig mit dieser Wendung apo¬ rungen (erschienen 1966) verwendete.
strophiert. Sie wurde populär als Titel Zitiert wird die Zeile heute häufig in we¬
einer Fernsehserie über Filme und mit niger ernsthaft gemeinter Weise, etwa
Filmen aus der Stummfilmzeit, die Ende wenn jemand das eigene enge Verhält¬
der 60er Jahre im deutschen Fernsehen nis zu einer bestimmten Person oder
lief. Die Serie hieß „Mad Movies oder Sache charakterisieren will.

34
Teil I
alte

Also sprach in ernstem Ton der „alten Menschen“ in seiner Unvollkom¬


Papa zu seinem Sohn menheit und Sündhaftigkeit, an dessen
Diese Worte werden oft als ironisieren¬ Stelle der „neue Mensch“ treten soll. So
de Einleitung oder auch nur als scherz¬ heißt es zum Beispiel im Brief des Pau¬
hafter Kommentar zu entsprechenden lus an die Kolosser (3,9): „... ziehet den
Situationen zitiert. Sie entstammen der alten Menschen mit seinen Werken
Geschichte vom „Zappelphilipp“ aus aus“. Während die Bibel vom „alten“
dem weltbekannten Kinderbuch „Der bzw. „neuen Menschen“ spricht, geht
Struwwelpeter“ des Frankfurter Arztes die Fügung „der alte Adam“ auf den la¬
und Schriftstellers Heinrich Hoffmann teinischen Schriftsteller Sidonius Apol¬
(1809-1894). Der Vater ermahnt seinen linaris (430-486) zurück. - Vom „alten
unruhigen („zappeligen“) Sohn Philipp Adam“ spricht man in scherzhaftem Zu¬
vergeblich, ruhig und gesittet am Tisch sammenhang, wenn man den Menschen
zu sitzen. mit all seinen Schwächen apostrophie¬
ren will. „Den alten Adam ausziehen“
Also sprach Zarathustra heißt dementsprechend soviel wie „sei¬
ne Fehler ablegen und ein neues (gottge¬
So lautet der Titel einer philosophi¬
fälligeres) Leben beginnen“.
schen, an der Bibel orientierten, diese
zugleich parodierenden Dichtung von
Friedrich Nietzsche (1844-1900). Das Es ist eine alte Geschichte
Zitat wurde in neuerer Zeit durch die Bei diesem Zitat handelt es sich um den
(frei nach Nietzsche) 1896 komponierte Anfang der dritten Strophe des 39. Ge¬
Tondichtung von Richard Strauss popu¬ dichts aus Heinrich Heines „Lyrischem
lär, deren Anfang unter anderem in dem Intermezzo“ (1822-1823). In dem Ge¬
Spielfilm „2001 - Odyssee im Welt¬ dicht wird die unglückliche Liebe eines
raum“ (1968) und auch gelegentlich in jungen Mannes zu einem Mädchen be¬
Fernsehwerbespots zu hören ist. Zitiert schrieben, das aber einen anderen liebt.
wird der Titel zumeist in weniger ernst¬ In Anspielung auf Liebesbeziehungen,
haften Zusammenhängen, etwa als belu¬ die auf unterschiedliche Weise oft
stigter Kommentar zu der als allzu gro߬ schmerzlich scheitern, ohne daß dies
spurig empfundenen Äußerung eines von Beginn an abzusehen wäre, wird
andern. heute noch gelegentlich zitiert: „Es ist
eine alte Geschichte,/Doch bleibt sie
T Ich bin zu alt, um nur zu spielen, immer neu.“
zu jung, um ohne Wunsch zu sein
Alte Kamellen
Alt und grau werden
t Olle Kamellen
Die heute im Sinne von „sehr lange auf
etwas warten müssen“ gebrauchte Re¬
Der alte Mann und das Meer
dewendung hat im Alten Testament
(1. Samuel 12,2) noch ihre konkrete Be¬ Der deutsche Titel der 1952 erschiene¬
deutung. Mit den Worten „Ich aber bin nen Erzählung von Ernest Hemingway
alt und grau geworden“ weist Samuel (englischer Titel The Old Man and the
auf sein hohes Alter hin, als er feierlich Sea) wird auch in mancherlei, meist
sein Richteramt niederlegt. scherzhaft gemeinter Abwandlung zi¬
tiert, z. B. „Der alte Mann und nichts
t Sorge macht alt vor der Zeit mehr“ oder - mit Anspielung darauf,
daß sich Hemingway mit einem Schuß
t Schier dreißig Jahre bist du alt selbst getötet hat - „Der alte Mann und
das Gewehr“.
Der alte Adam
Das Bild vom „alten Adam“ fußt auf T Jungen Wein in alte Schläuche
der Bibel und ihrer Vorstellung vom füllen

35
Alte Teil I

Der Alte hat’s gerufen, der Him¬ Varianten auch bei den griechischen
Philosophen und Schriftstellern Aristo¬
mel hat’s gehört
teles (384-322 v.Chr.), Zenon (etwa
Das Zitat stammt aus dem Gedicht „Des
335-263 v. Chr.), Plutarch (etwa 46-125
Sängers Fluch“ von Ludwig Uhland
n.Chr.) sowie den römischen Philoso¬
(1787-1862). Nachdem der Fluch des
phen und Staatsmännern Cicero
alten Sängers gegen den König, den
(106-43 v.Chr.) und Seneca (4 v.Chr.
„verruchten Mörder“, ausgesprochen
bis 65 n.Chr.).
ist, wird mit der Verszeile „Der Alte
hat’s gerufen, der Himmel hat’s gehört“
t Was man in der Jugend wünscht,
die Erfüllung des Fluches angekündigt.
hat man im Alter die Fülle
Wenn man die Verszeile heute zitiert,
gibt man gewöhnlich seiner Freude, Er¬
Alter schützt vor Torheit nicht
leichterung o. ä. darüber Ausdruck, daß
etwas Erhofftes glücklicherweise einge¬ Mit dieser sprichwörtlichen Redensart
kommentiert man kritisch oder auch in
troffen ist.
scherzhafter Absicht die Handlungs¬
Das Alte stürzt, es ändert sich die oder Verhaltensweise eines älteren
Menschen, tut man kund, daß man be¬
Zeit
stimmte Handlungs- oder Verhaltens¬
Zur Kennzeichnung einer Lage, in der weisen von Leuten in vorgerücktem Al¬
sich große Veränderungen vollziehen, ter für unpassend hält. Die Redensart
neue Ideen entstehen, neue Impulse ge¬ geht zurück auf eine Stelle in Shake¬
geben werden und in der nach Verlust speares Drama „Antonius und Cleopa¬
und Niedergang ein Neubeginn folgt, tra“ (1,3), wo Cleopatra in abwehrender
dient oft dieses Zitat aus Schillers Dra¬ Haltung und ungläubig die Worte
ma „Wilhelm Teil“ (IV, 2). Es lautet spricht: „Wenn mich das Alter auch
vollständig: „Das Alte stürzt, es ändert nicht schützt vor Torheit,/Doch wohl
sich die Zeit,/Und neues Leben blüht
vor Kindischsein“, im englischen Wort¬
aus den Ruinen“. Der zweite, wohl et¬
laut: ,,Though age from folly could not
was bekanntere Teil des Zitats wird oft
give me freedom,/It does from childish-
auch selbständig angeführt; er betont
ness." Die Redensart wurde dann im
besonders den Aspekt des hoffnungs¬
Laufe der Jahre in mancherlei mehr
vollen Wiederbeginns. (Vergleiche auch
oder weniger gelungener Weise abge¬
„Ein andersdenkendes Geschlecht“.)
wandelt, verballhornt, verdreht, wie et¬
wa: „Die Alte schützt vor Torheit
Den alten Adam ausziehen nicht“, „Torheiten schützen nicht vor
Der t alte Adam dem Altern“ oder auch: „Das ist das
Deprimierende am Alter: Es schützt vor
t Nehm’n Se ’n Alten! Torheit.“

Alter ego Alter Schwede


Die Bezeichnung eines guten, eines sehr Der meist als kameradschaftlich-ver¬
vertrauten Freundes als „anderes Ich“ trauliche oder scherzhaft-drohende An¬
ist in der lateinischen Form Alter ego be¬ rede gebrauchte Ausdruck soll aus der
kannt geworden und bildungssprach¬ Zeit nach dem 30jährigen Krieg stam¬
lich bis heute üblich geblieben. Die Aus¬ men, als Friedrich Wilhelm, der Gro¬
drucksweise hat ihre Wurzeln in der Li¬ ße Kurfürst (1620-1688), altgediente
teratur der Antike und kommt sowohl in schwedische Korporale veranlaßte, im
der griechischen wie auch in der lateini¬ Land zu bleiben und als Ausbilder in
schen Version vor. Als Urheber wird in seine Dienste zu treten. Diese Ausbil¬
erster Linie der griechische Philosoph der, besonders erfahren im militäri¬
und Mathematiker Pythagoras (etwa schen Drill, sollen „die alten Schwe¬
570-480 v. Chr.) genannt. Der Aus¬ den“ genannt worden sein. - Nach einer
druck erscheint aber in verschiedenen anderen, aus Schweden kommenden

36
Teil I
am

Version stammt der Ausdruck aus der nach der verlorenen, oft zur romanti¬
baltischen Studentensprache und diente schen Idylle verklärten Heimat ausge¬
zur Bezeichnung älterer, besonders dem drückt. In solchem gedanklichen Zu¬
fröhlichen Studentenleben zugewandter sammenhang ist auch die Verwendung
Studenten. gerade des „Lindenbaumliedes“ in dem
Roman „Der Zauberberg“ von Thomas
Altes Herz wird wieder jung Mann zu verstehen, der seinen Helden
Dies ist der Titel einer 1943 unter der Hans Castorp mit einzelnen Zeilen aus
Regie von Erich Engel entstandenen diesem Lied auf den Lippen in die
Filmkomödie, die sich um einen 70jäh- Schrecknisse des Krieges entschwinden
läßt.
rigen Junggesellen dreht. Emil Jannings
spielte hier seine letzte Filmrolle; in
weiteren Rollen sind Viktor de Kowa Am deutschen Wesen soll die Welt
und Elisabeth Flickenschildt zu sehen. genesen
Der Filmtitel wird, anerkennend oder
Ein großes Anliegen des deutsch-natio¬
auch anzüglich, im Hinblick auf neu¬
nal gesinnten Dichters Emanuel Geibel
erwachte Aktivitäten eines älteren Men¬
(1815-1884) war die deutsche Einigung
schen zitiert.
unter der Führung Preußens. Diese Idee
spielte in vielen seiner Gedichte eine
Alt-Heidelberg, du feine große Rolle. Besonderen Einfluß hatte
So lautet die Anfangszeile eines Liedes das Gedicht „Deutschlands Beruf1, das
von Joseph Victor von Scheffel mit den Versen endet; „Und es mag am
(1826-1886), das besonders als Kom¬ deutschen Wesen/Einmal noch die Welt
merslied studentischer Verbindungen genesen.“ Der Schlußgedanke dieses
bekannt geworden ist. Die Zeile wird Gedichts, bei Geibel noch als Wunsch
auch heute noch im Zusammenhang mit formuliert, wurde in der Folgezeit in
der Heidelberg-Romantik zitiert. verhängnisvoller Weise zur Forderung
erhoben und bis in den Nationalsozia¬
Am Anfang war das Wort lismus hinein als Schlagwort genutzt. In
Anspielung auf diese Zeit zitiert man
t Im Anfang war das Wort
den Satz heute gelegentlich als Mah¬
nung vor übertriebenem deutschen Na¬
Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr tionalismus oder als Kritik an zu un¬
nur einen hört und auf des Mei¬ nachgiebigem, zu egoistischem oder zu
sters Worte schwört rechthaberischem Verhalten Deutsch¬
t Jurare in verba magistri lands bei Zwistigkeiten und Meinungs¬
verschiedenheiten mit anderen Staaten.

Am Brunnen vor dem Tore


Das Lied „Am Brunnen vor dem Tore“ Am Ende hängen wir doch ab von
(eigentlicher Titel „Der Lindenbaum“), Kreaturen, die wir machten
das schon fast zu einem Volkslied ge¬ Mit diesen Worten bezieht sich Mephi¬
worden ist, gehört zu dem Zyklus „Win¬ sto (Goethe, Faust II, Laboratorium)
terreise“ von Wilhelm Müller, einem auf „Homunculus“, den künstlich er¬
Dichter des frühen 19. Jahrhunderts schaffenen Menschen. Dieser macht
(1794-1827). Seine Gedichte wurden sich kurz nach seiner Erschaffung zum
vor allem durch die Vertonung von Führer für Faust und Mephisto, um sie
Franz Schubert bekannt. Besonders ins antike Griechenland zu geleiten.
häufig zitiert werden die Anfangsverse Heute kann dieses Zitat jemand verwen¬
des Gedichts vom Lindenbaum: „Am den, der seine eigene als ärgerlich emp¬
Brunnen vor dem Tore,/Da steht ein fundene Abhängigkeit von Leuten, bei¬
Lindenbaum ;/Ich träumt’ in seinem spielsweise Politikern, charakterisieren
Schatten/So manchen süßen Traum.“ will, die er zuvor selbst unterstützt, ge¬
Mit diesen Versen wird die Sehnsucht fördert, gewählt hat.

37
am Teil I

Am farbigen Abglanz haben wir der Titel Le jour oü la pluie viendra. Er


das Leben wird meist mit Bezug auf das Eintreten
eines lange ersehnten, große Freude
Dieses Zitat stammt aus dem zweiten
oder Erleichterung bringenden Ereig¬
Teil von Goethes Faust (Anmutige Ge¬
nisses zitiert. Scherzhaft kann man da¬
gend). Am Beginn sieht man den im
mit auch unerwartete, anhaltende Re¬
Freien schlafenden Faust. Er schläft ei¬
genfälle kommentieren, die z. B. einen
nen Heilschlaf, der ihn von der Last sei¬
geplanten Ausflug „ins Wasser fallen“
ner Schuld befreit. Erwachend beobach¬
lassen.
tet er im aufsprühenden Gischt eines
Wasserfalls einen Regenbogen, den er
Amboß oder Hammer sein
als Symbol begreift: „Der spiegelt ab
das menschliche Bestreben./Ihm sinne Mit dem Bild von Hammer und Amboß,
nach, und du begreifst genauer:/Am far¬ das die Problematik der Polarität von
bigen Abglanz haben wir das Leben.“ Oben und Unten, vom Herrschen und
Mit dieser Erkenntnis wendet sich Faust Dienen verdeutlicht, schließt ein kurzes
neu dem Leben, der Welt der Erschei¬ spruchartiges Gedicht von Goethe. Es
nungen zu, die allein für den Menschen ist das zweite der kophtischen Lieder
erkennbar ist. Mit dem Zitat kommen¬ mit dem Titel „Ein anderes“ (1792). Die
tiert man die Freude an den Schönhei¬ zweite Hälfte des Gedichtes lautet: „Du
ten der Natur und ihrer Vielfalt. mußt steigen oder sinken,/Du mußt
herrschen und gewinnen,/Oder dienen
Am grünen Strand der Spree und verlieren,/Leiden oder triumphie-
ren,/Amboß oder Hammer sein“. Der
Die im Zusammenhang mit Berlin oft zi¬
deutsche Schriftsteller Friedrich Spiel¬
tierte Zeile ist der Refrain eines Cou¬
hagen gab einem seiner Romane den Ti¬
plets aus dem Volksstück „Der große
tel „Hammer und Amboß“ (1869). Ein
Wohltäter“ des Autors Heinrich Wilken
zentraler Gedanke dieses Entwicklungs¬
(1835-1886). Populär wurde sie als Titel
romans ist die Vorstellung, daß der
des 1955 erschienenen Romans von
Mensch nicht eins von beiden, sondern
Hans Scholz und besonders durch die
Hammer und Amboß zugleich sein
nach diesem Roman gedrehte gleich¬
müsse.
namige Fernsehserie.
Amerika den Amerikanern
Am sausenden Webstuhl der Zeit
Das Schlagwort (englisch America for
Die Worte, die als bildhafte Umschrei¬ the Americans) fußt auf der sogenannten
bung der Vergänglichkeit, der allzu Monroedoktrin, die 1823 von Präsident
rasch dahingehenden Zeit zitiert wer¬
James Monroe in einer Kongreßbot¬
den, gehören zu den Versen in Goethes
schaft dargelegt wurde. In der Monroe¬
Faust, in denen der Erdgeist sein eige¬ doktrin (die im übrigen nie die offizielle
nes Wesen beschreibt (Goethe, Faust I,
Anerkennung durch andere Mächte er¬
Nacht): „Geburt und Grab,/Ein ewiges
fahren hat, also nicht Bestandteil des
Meer,/Ein wechselnd Weben,/Ein glü¬
Völkerrechts ist) wurde in erster Linie
hend Leben,/So schaff ich am sausen¬
das Verbot der Intervention und der
den Webstuhl der Zeit,/Und wirke der
weiteren Kolonisation der europäischen
Gottheit lebendiges Kleid.“
Mächte auf dem amerikanischen Konti¬
nent ausgesprochen, aber auch eine Ver¬
Am Tag, als der Regen kam pflichtung zur Nichteinmischung der
Dies ist die Anfangszeile eines Liedes USA in die inneren Angelegenheiten
des französischen Chansonsängers Gil¬ Europas. Das Schlagwort wurde in
bert Becaud aus den 50er Jahren. Be¬ neuerer Zeit - gelegentlich in weniger
kannt wurde es besonders durch die In¬ ernsten Zusammenhängen - auch auf
terpretation der damals vor allem in andere Länder o.ä. übertragen ge¬
Frankreich sehr populären Sängerin braucht: „Afrika den Afrikanern“ oder
Dalida. Im französischen Original hieß auch „Bayern den Bayern“.

38
Teil I
an

Amerika, du hast es besser manden sehr gut kennt - nicht zuletzt,


Dieser Ausspruch, der im Zusammen¬ weil der oder die Betreffende einem
hang mit den in Europa bestehenden schon einmal unliebsam aufgefallen ist.
Problemen häufig zitiert wird, ist die Allgemein verbreitet wurden die Worte
Anfangszeile des Gedichtes „Den Verei¬ als Zitat aus Heinrich von Kleists Lust¬
nigten Staaten“ aus den „Xenien“ von spiel „Der zerbrochene Krug“ (1811),
Goethe. Die für Amerika so eindeutig wo der Gerichtsrat Walter das umständ¬
positiv klingende Aussage wird aller¬ liche Beharren des Richters Adam auf
dings in den folgenden Zeilen durch die Formalitäten mit den Worten abkürzt:
Begründung leicht abgeschwächt, daß „So sind dergleichen Fragen überflüs¬
die Geschichtslosigkeit Amerikas eine sig./Setzt ihren Namen in das Proto¬
indirekte Ursache für das leichtere Le¬ koll,/Und schreibt dabei: dem Amte
ben in der Gegenwart sei. Der erste Vers wohlbekannt.“
endet mit den Worten: „Dich stört nicht
im Innern/Zu lebendiger Zeit/Unnützes t Was deines Amtes nicht ist, da
Erinnern/Und vergeblicher Streit“. - laß deinen Vorwitz
Zur Frage abgewandelt erscheint das
Zitat als Titel des 1966 gedrehten, von
An der Quelle saß der Knabe
dem Rundfunk- und Fernsehjournali¬
sten Thilo Koch kommentierten italieni¬ Die Anfangszeile des in seiner Grund¬
schen Reportagefilms „Amerika, hast stimmung schwermütigen Gedichtes
du es besser?“. „Der Jüngling am Bache“ von Schiller
wird häufig zitiert, meist allerdings ins
Der amerikanische Traum Scherzhafte gewendet und in ganz pro¬
fanem Zusammenhang. Sie dient als
Das Schlagwort kennzeichnet ganz all¬
Kommentar etwa zu einer Situation, bei
gemein das amerikanische Ideal von ei¬
der sich jemand in einer günstigen Posi¬
ner wohlhabenden demokratischen Ge¬
tion befindet, an einem angenehmen
sellschaft in einem Land der unbegrenz¬
Platz mit der erfreulichen Aussicht, sich
ten Möglichkeiten, einem Land, in dem
aufs beste mit etwas versorgen zu kön¬
beispielsweise ein Tellerwäscher zum
nen, oder auch, wenn jemand eine sol¬
Millionär werden kann. Der amerikani¬
che Position allzusehr ausnutzt.
sche Dramatiker Edward Albee (gebo¬
ren 1928) benutzte das Schlagwort als
Titel eines Stückes, The American An die große Glocke hängen
Dream (1961), in welchem er die Ent¬ Die umgangssprachliche Redewendung
fremdung und Vereinsamung des Men¬ „etwas an die große Glocke hängen“ im
schen in dieser amerikanischen, brüchig Sinne von „etwas Privates, Vertrauli¬
gewordenen, menschenfeindlichen Ge¬ ches überall erzählen“ leitet sich von
sellschaft zum Thema macht und mit dem alten Brauch her, Bekanntmachun¬
den Mitteln des absurden Theaters das gen, öffentliche Rügen, drohende Ge¬
Scheitern des amerikanischen Traums fahr usw. der Allgemeinheit mit einer
darstellt. Auch das Buch „Distinguished Glocke - etwa der Schelle des Gemein¬
Visitors“ von Klaus Mann wurde 1992 dedieners oder der großen Kirchenglok-
mit dem deutschen Untertitel „Der ame¬ ke - anzukündigen. Die Lebensregel
rikanische Traum“ veröffentlicht. „Häng an die große Glocke nicht,/Was
jemand im Vertrauen spricht“ findet
t Ich hab’ hier bloß ein Amt und sich in „Ein silbern ABC“ von Matthias
keine Meinung Claudius (1740-1815).

Dem Amte wohlbekannt ... an die Wand drücken, daß sie


Die altertümliche amtssprachliche For¬ quietschen
mel wird heute scherzhaft gebraucht, Der drastische Ausdruck, der das rück¬
wenn man ausdrücken will, daß man je¬ sichtslose Vorgehen gegen unliebsame

39
an Teil I

Konkurrenten o. ä. umschreibt - er ist geht auf eine Eingabe mit Verbesse¬


auch in der Form „... an die Wand quet¬ rungsvorschlägen zurück, die der jünge¬
schen, daß/bis sie quietschen“ be¬ re Guilelmus Durandus, Bischof von
kannt wird Bismarck zugeschrieben. Mende, für das von Clemens V. nach
Er soll ihn 1878 auf die Nationallibe¬ Vienne 1311 einberufene Konzil verfa߬
ralen bezogen haben, mit denen er te. Darin heißt es (Rubrica I § 2,3): Vide-
Schwierigkeiten hatte. Bismarck selbst retur deliberandum, perquam utile fore et
hat jedoch energisch bestritten, diesen necessarium quod ante omnia corrigeren-
Ausspruch je getan zu haben. tur et reformarentur illa quae sunt in ec-
clesia Dei corrigenda et reformanda, tarn
An diesem Tage hätte die Weltge¬ in capite quam in membris („Es scheint
schichte ihren Sinn verloren in Erwägung gezogen werden zu müs¬
sen, daß es sehr nützlich und notwendig
Diesen Satz hat Walther Rathenau
sein würde, vor allem das, was in der
(1867-1922) beim Ausbruch des Ersten
Kirche Gottes verbesserungs- und re¬
Weltkriegs im Hinblick auf dessen Aus¬
formbedürftig ist, zu verbessern und zu
gang einem Freund gegenüber ausge¬
reformieren an Haupt und Gliedern.“)
sprochen. Rathenau, der spätere Au¬
ßenminister, hielt den damals regieren¬
An ihren Früchten sollt ihr sie er¬
den Wilhelm II. für einen zwar sympa¬
thischen Menschen, aber auch für einen kennen
zum Regieren völlig untauglichen Kai¬ Das bekannte Bibelzitat wird meist war¬
ser, der den Krieg niemals gewinnen nend gebraucht, z. B. wenn man darauf
könnte. Würde jedoch ein solcher Kai¬ hinweisen will, daß der wahre Charak¬
ser dennoch als Sieger zurückkehren, so ter von Menschen erst an dem zu erken¬
Rathenau, dann „hätte die Weltge¬ nen ist, was sie durch ihr Handeln be¬
schichte ihren Sinn verloren“. - In ähn¬ wirken, an den „Früchten“ ihres Tuns.
lichem Sinne wird, etwa angesichts ei¬ In der Bibel selbst gebraucht Jesus das
ner absurden Situation, einer für unsin¬ Wort (Matthäus 7, 16) im Zusammen¬
nig gehaltenen Entwicklung, der Aus¬ hang mit der Warnung vor „den fal¬
spruch Rathenaus auch heute noch zi¬ schen Propheten“ und erläutert dann
tiert. genauer, daß nur ein guter Baum gute,
ein fauler Baum jedoch nur schlechte
An einem Tag wie jeder andere Früchte bringen könne.

Dies ist der deutsche Titel eines ameri¬


kanischen Spielfilms aus dem Jahre t Denn an sich ist nichts weder gut
1955 (Regie: William Wyler; Originalti¬ noch böse, das Denken macht es
tel: „The desperate hours“, wörtlich erst dazu
übersetzt etwa: „Die Stunden der Ver¬
zweiflung“). Humphrey Bogart spielt Anathema sit
darin einen von drei Verbrechern, die Die lateinische Form der von Paulus in
auf der Flucht vor der Polizei in ein zwei Briefen (Galater 1,8 und 1. Korin¬
Haus eindringen und die dort wohnen¬ ther 16,22) gebrauchten Worte „der sei
de Familie terrorisieren. Der Filmtitel verflucht“ ist besonders als Formel für
wird gelegentlich zitiert, wenn Situatio¬ die Exkommunikation aus der katholi¬
nen angesprochen werden, die zunächst schen Kirche bekannt geworden. Heute
harmlos wirken, jedoch Überraschen¬ werden die Worte - vor allem in bil¬
des, oft Gefährliches bergen. dungssprachlichem Kontext - auch als
scherzhafte Verwünschung o. ä. verwen¬
An Haupt und Gliedern det.
Die Redewendung im Sinne von „völlig,
ganz und gar, in jeder Hinsicht“ kommt Das andere Geschlecht
meist in Verbindung mit „reformieren“ Dies ist der Titel eines berühmt gewor¬
und „Reform“ vor. Die Formulierung denen Buches von Simone de Beauvoir

40
Teil I andre

(1908-1986), das sich mit den Forde¬ lisch gegenübertretenden Idealisten,


rungen und den Problemen der Frauen¬ den Malteserritter Marquis von Posa.
emanzipation auseinandersetzt. Der Ti¬ Werden diese Worte heute zitiert, so las¬
tel, im französischen Original Le deuxie- sen sie eher die distanzierte Haltung des
me sexe (wörtlich: „Das zweite Ge¬ Sprechers gegenüber einem Menschen
schlecht“), wurde zeitweise zum Schlag¬ erkennen, den man für etwas eigensin¬
wort der Emanzipationsbewegung der nig, sonderbar, überspannt o. ä. hält.
Frauen. Er wird heute auch allgemein
als Bezeichnung für „die Frauen“ ver¬
wendet. Ein andersdenkendes Geschlecht
Das Wort vom „andersdenkenden Ge¬
t Einer wie der andere schlecht“ steht in einem Zusammen¬
hang, in dem die auch heute immer wie¬
Eine t Hand wäscht die andere der geäußerte Meinung vertreten wird,
daß die Zeiten immer schlechter wer¬
Ein andermal von Euren Taten den, daß früher dagegen alles besser
Dies ist ein Vers aus dem Gedicht „Die war. In Schillers Schauspiel „Wilhelm
Tobakspfeife“ des aus Colmar stam¬ Teil“ (II, 1) spricht der greise Freiherr
menden Dichters Gottlieb Konrad Pfef- von Attinghausen die Worte: „Das
fel (1736-1809), der in seiner Zeit mit Neue dringt herein mit Macht, das Al¬
seinen Fabeln und erzählenden Gedich¬ te, /Das Würd’ge scheidet, andere Zeiten
ten sehr bekannt war. - Das vielstrophi- kommen,/Es lebt ein andersdenkendes
ge Gedicht „Die Tobakspfeife“ erzählt Geschlecht.“ Das Motiv der sich wan¬
von einem Kriegsveteranen, der einen delnden Zeiten taucht, ins Positive ge¬
Pfeifenkopf besitzt, den ein junger Adli¬ wendet, später im vierten Akt (2. Szene)
ger ihm gerne abkaufen möchte. Der Al¬ wieder auf. Der sterbende Attinghausen
te möchte ihn jedoch nicht hergeben. spricht dann die Worte: „Das Alte
Statt dessen erzählt er dem Jungen, wie stürzt, es ändert sich die Zeit,/Und neu¬
er in den Besitz des besonderen Stücks es Leben blüht aus den Ruinen.“
kam. Die vierte Strophe des Gedichts
schildert den Versuch, den Pfeifenbesit¬ Der andre hört von allem nur das
zer von seiner Erzählung abzulenken Nein
und ihn zum Verkauf zu bewegen: „Ein
t Man spricht vergebens viel, um zu ver¬
andermal von Euern Taten ;/Hier, Alter,
sagen
seid kein Tropf,/Nehmt diesen doppel¬
ten Dukaten/Für Euern Pfeifenkopf.“ -
Man gebraucht das Zitat noch gelegent¬ Andre Städtchen, andre Mädchen
lich, um einen allzu Gesprächigen oder
Man gebraucht die (von vielen sicher als
Erzählfreudigen in seinem Gesprächs¬
nicht mehr ganz zeitgemäß empfunde¬
fluß zu bremsen und dazu zu bringen,
ne) sprichwörtliche Redensart, um aus¬
auf das Wesentliche zurückzukommen.
zudrücken, daß jemand ein ungebunde¬
nes Leben ohne feste persönliche Bin¬
t Du mußt dein Leben ändern!
dungen führt; wer viel umherzieht,
bleibt nicht treu. Es handelt sich hier um
t Aber hier, wie überhaupt, kommt
eine Zeile aus dem von Friedrich Silcher
es anders, als man glaubt vertonten Lied „Nun leb wohl, du klei¬
ne Gasse“ von Albert Graf Schlippen¬
Anders als sonst in Menschenköp¬
bach (1800-1886), mit der allerdings ge¬
fen malt sich in diesem Kopf die rade das Heimweh und die Sehnsucht
Welt nach der zurückgelassenen Geliebten
Voll bewundernder Anerkennung besonders zum Ausdruck gebracht wird.
spricht Philipp II., König von Spanien, Es heißt dort: „...ach wohl sind es andre
in Schillers Drama „Don Kariös“ Mädchen,/doch die eine ist es nicht!“
(III, 10) diese Worte über den ihm rebel¬ und am Schluß des Liedes: „Andre

41
Anfang Teil I

Mädchen, andre Städtchen,/O wie ger¬ spiel der Urlaubsort so gewählt wird,
ne kehrt’ ich um!“. daß man zugleich Geschäfte abwickeln
kann).
Der Anfang vom Ende
Die Redensart „Das ist der Anfang vom
Die Angst des Tormanns beim Elf¬
Ende“ mit der Bedeutung „der Unter¬ meter
gang, der Ruin o. ä. ist nicht mehr fern“ Dies ist der Titel einer 1970 veröffent¬
beruht auf einem stark abgewandelten lichten Erzählung von Peter Handke
Zitat aus Shakespeares „Ein Sommer¬ (geboren 1942). Die Situation des Tor¬
nachtstraum“ (V, 1). Dort heißt es im warts, der abzuschätzen versucht, wohin
englischen Originaltext: Thal is the true der Schütze den Ball schießen wird,
beginning of our end, also etwa „das ist steht hier symbolisch für die Schwierig¬
der wahre Beginn unseres Endes“. Bei keiten eines Menschen, andere zu ver¬
Shakespeare ist dies im Textzusammen¬ stehen und sich selbst verständlich zu
hang eine scherzhafte Verdrehung der machen. Jede Fehleinschätzung des
eigentlich gemeinten Aussage „Das ist Torwarts kann zum Tor für die gegneri¬
das wahre Ende unseres Beginnens“, sche Mannschaft führen; in der Erzäh¬
wobei „Ende“ in der älteren Bedeutung lung führen die Verständigungsschwie¬
von „Ziel“ zu verstehen ist. rigkeiten des Protagonisten bis zum
Mord an einer Kinokassiererin. Der
t Im Anfang war das Wort Buchtitel wird oft als distanzierter, gele¬
gentlich auch scherzhafter Kommentar
t Im Anfang war die Tat zu jemandes Angst in einer bestimmten,
vielleicht entscheidenden Situation zi¬
t Und jedem Anfang wohnt ein tiert.
Zauberinne
Angst essen Seele auf
Die t Furcht des Herrn ist der
Dies ist der Titel eines Films von Rainer
Weisheit Anfang
Werner Fassbinder aus dem Jahr 1973,
in dem eine ältere Frau einen sehr viel
t Wehret den Anfängen
jüngeren marokkanischen Gastarbeiter
heiratet. Beide müssen sich gegen eine
Der angeborenen Farbe der Ent¬
intolerante und feindselige Haltung ih¬
schließung wird des Gedankens
rer Mitmenschen behaupten. Der Titel
Blässe angekränkelt
wird zitiert, wenn man ausdrücken will,
t Von des Gedankens Blässe angekrän¬ daß sich Angst auf einen Menschen, auf
kelt seine Persönlichkeit, seine Gefühle zer¬
störerisch auswirkt.
Die t Welt aus den Angeln heben
t Keine Angst vor großen Tieren
Das Angenehme mit dem Nütz¬
lichen verbinden t Wer hat Angst vor Virginia
Diese Redewendung geht auf Vers 343 Woolf?
der „Ars poetica“ (= Dichtkunst) des
Horaz (65-8 v. Chr.) zurück: Omne tulit T Begnadete Angst
punctum, qui miscuit utile dulci („Den
Beifall aller hat erhalten, wer mit dem Anklagen ist mein Amt und meine
Angenehmen das Nützliche vermischt Sendung
hat“). Während Horaz von den Dich¬ Mit diesem Satz kann man sich für eine
tern und ihren Werken spricht, wird die Kritik entschuldigen, die man pflichtge¬
Redewendung heute ganz allgemein in mäß vorzutragen hat, auch wenn einem
bezug auf angenehme Dinge gebraucht, das nicht sehr angenehm ist. So versucht
die zugleich einen Nützlichkeitsaspekt es jedenfalls Kriegsrat von Questenberg
für jemanden haben (indem zum Bei¬ als Abgesandter des Kaisers gegenüber

42
Teil I
Appetit

Wallenstein in Schillers „Wallenstein I, is blowin ’ in the wind (wörtlich übersetzt


Die Piccolomini“ (11,7). Der folgende „Die Antwort treibt im Wind“). Man
Vers macht deutlich, daß die offizielle weist mit dem Zitat auf die Unlösbarkeit
Pflicht und die private Neigung hier an¬ eines Problems, das Offenbleiben einer
scheinend im Widerstreit liegen: „Es ist Frage hin.
mein Herz, was gern beim Lob ver¬
weilt.“ Anvertrautes Pfund
t Mit seinem Pfund wuchern
Ans Vaterland, ans teure, schließ
dich an Apage Satana!
Diese Mahnung richtet in Schillers Mit den Worten „Hebe dich weg von
„Wilhelm Teil“ (II, 1) der Freiherr von mir, Satan!“ (griechisch änaye aarava)
Attinghausen als Letzter seines Stam¬ weist Jesus im Matthäusevangelium den
mes an seinen Neffen Ulrich von Ru- Teufel zurück, der ihn in Versuchung
denz. Es geht hier allerdings weniger führen will (Matthäus 4,10). Sowohl die
darum, die Idee des Vaterlandes als sol¬ deutschen als auch die griechischen
che hochzuhalten, als um die Erkennt¬ Worte zitieren wir, wenn wir - mit ge¬
nis, daß das Vaterland für seine Bewoh¬ spielter Entrüstung - jemanden zurück¬
ner eine Quelle der Kraft darstellen weisen, der uns verführen, zu einem
kann. Das zeigen die unmittelbar dazu¬ zwar verlockenden, aber verbotenen
gehörenden Verse: „Das halte fest mit Tun überreden will.
deinem ganzen Herzen./Hier sind die
starken Wurzeln deiner Kraft;/Dort in Apfel der Zwietracht
der fremden Welt stehst du allein,/Ein
t Zankapfel
schwankes Rohr, das jeder Sturm zer¬
knickt.“
t Wenn ich wüßte, daß morgen die
Welt untergeht, würde ich heute
(Ohne Ansehen der Person
noch ein Apfelbäumchen pflan¬
zen
Antikommunismus ist die Grund¬
torheit unserer Epoche
TO wackrer Apotheker, dein
Diese Formulierung lehnt sich an eine
Trank wirkt schnell
Äußerung Thomas Manns (1875-1955)
an, der in seiner Rede „Schicksal und
Der Appetit kommt beim Essen
Aufgabe“ von 1943 vom „Schrecken der
Diese sprichwörtliche Redensart ist
bürgerlichen Welt vor dem Kommunis¬
möglicherweise aus dem Französischen
mus“ als der „Grundtorheit unserer
ins Deutsche gekommen. Die französi¬
Epoche“ spricht. Nach dem Zusam¬
sche Form L’appetit vient en mangeant
menbruch vieler sozialistischer Staaten
findet sich schon in Franfois Rabelais’
und Regierungssysteme dürfte das Zitat
(1494-1553) utopisch-burleskem und
kaum noch Verwendung finden.
satirischem Abenteuerroman „Gargan-
tua und Pantagruel“ von 1535 (Panta-
t Über diese Antwort des Kandi¬
gruel, der Sohn Gargantuas zeichnet
daten Jobses geschah allgemeines
sich unter anderem durch besondere
Schütteln des Kopfes Gefräßigkeit aus). Der französische Re¬
naissancedichter stützte sich thematisch
Die Antwort kennt nur der Wind auf das 1532 in Lyon erschienene Volks¬
Der Titel des 1973 veröffentlichten, buch von den Riesen Gargantua und
1974 verfilmten Romans von Johannes Pantagruel. Die erste deutsche Überset¬
Mario Simmel greift seinerseits den Re¬ zung von Gottlob Regis erschien
frain des Songs Blowin' in the Wind 1832-1841. Die Redensart wird heute
(1963) des amerikanischen Folk- und einerseits konkret gebraucht, etwa als
Popsängers Bob Dylan auf: The answer Aufforderung an jemanden, der keinen

43
apres Teil I

Appetit verspürt, trotzdem etwas zu es¬ Arbeit schändet nicht


sen. Andererseits gibt es aber auch eine Diese sprichwörtliche Redensart findet
übertragene Verwendung, bei der mit sich bereits in dem Lehrgedicht „Werke
„Appetit“ oft eher Habgier gemeint ist. und Tage“ (Vers 311) des altgriechi¬
schen Dichters Hesiod (um 700 v. Chr.).
Apres nous le deluge! Hesiod will damit seinen Bruder Perses
zur Arbeit ermuntern. Auch heute ent¬
t Nach mir die Sintflut!
hält die Redensart oft die indirekte Auf¬
forderung, sich einer Arbeit nicht zu
Die t schönen Tage in Aranjuez entziehen, auch dann nicht, wenn es
sind nun zu Ende sich um eine weniger angesehene Art
von Betätigung handelt.

t Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert


Das t Leben gab den Sterblichen
nichts ohne große Arbeit
Arbeit macht das Leben süß
Diese Redensart bildet die Anfangszeile Bete und arbeite!
des Gedichts „Arbeit“ aus Gottlob Wil¬ t Ora et labora!
helm Burmanns (1737-1805) „Kleinen
Liedern für kleine Jünglinge“ (1777). Arbeiten und nicht verzweifeln
Mit ihm wollte man ursprünglich wohl Diese Maxime ist eine Rückübersetzung
die Arbeit, die gemeinhin eher als etwas aus dem Englischen. Der schottische
empfunden wird, was einem sauer wer¬ Essayist und Historiker Thomas Carlyle
den kann - süß ist dagegen das Nichts¬ (1795-1881) schloß seine Antrittsrede
tun der Jugend schmackhaft machen. als Rektor der Universität Edinburgh
Die hinzuerfundene scherzhafte Ergän¬ 1866 mit seiner Übersetzung des Logen¬
zung: „Faulheit stärkt die Glieder“ stellt gedichts „Symbolum“, das Goethe an¬
dazu eine Art Antithese auf, betont zu¬ läßlich der Aufnahme seines Sohnes in
mindest, daß auch das Nichtarbeiten die Weimarer Loge Amalia (1815) ver¬
seine Vorteile hat. Heute wirkt die ernst¬ faßte. Die Schlußzeile lautet: „Wir hei¬
haft gemeinte Aussage „Arbeit macht ßen euch hoffen“. Carlyles freie Über¬
das Leben süß“ eher etwas altmodisch¬ setzung Work and despair not wurde als
bieder; man gebraucht die Redensart „Arbeiten und nicht verzweifeln“ ins
vorwiegend ironisch, gelegentlich sogar Deutsche übertragen und so als Titel
spöttisch gegenüber jemandem, der mit einer deutschen Carlyle-Auswahl von
Arbeit überlastet ist. 1902 gewählt. Sie kann als Motto oder
als praktischer Ratschlag zur Bewäl¬
Arbeit macht frei tigung schwieriger Lebenssituationen
zitiert werden.
Dieser Spruch stand über den Eingangs¬
toren der Konzentrationslager Ausch¬
Die Arbeiter haben kein Vaterland
witz, Dachau, Sachsenhausen und Flos-
senbrück, was angesichts des grauen¬ t Vaterlandslose Gesellen
haften Schicksals der Inhaftierten nur
als blanker Zynismus angesehen werden Arbeiter im Weinberg des Herrn
kann. Deshalb haftet dem Spruch heu¬ Mit dem Weinberg des Herrn ist im Al¬
te - sofern er überhaupt zitiert wird - ten Testament nach Jesaja 5,7 das Haus
ein starkes emotionales oder polemi¬ Israel gemeint. Seit dem 16. Jahrhundert
sches Element an; er wird gelegentlich wird er aber schon als Bild für das geist¬
unter bewußter Anspielung auf die Un¬ liche Amt und die Christenheit, die
menschlichkeit der Konzentrationslager christliche Kirche verstanden, in deren
ironisch als Ausdruck heftiger Ableh¬ Dienst man von Gott gerufen wird. Die
nung eines unreflektierten Arbeitsethos Metapher von den Arbeitern im Wein¬
verwendet. berg stammt aus dem entsprechenden

44
Teil I Ariadnefaden

Gleichnis im Neuen Testament, wo es von ihm umgestalteten gotischen Kirche


beim Evangelisten Matthäus (20, 1) San Francesco in Rimini. Alberti war
heißt: „Das Himmelreich ist gleich ei¬ seinerseits beeinflußt von dem römi¬
nem Hausvater, der am Morgen aus¬ schen Architekten Vitruv, der in seinem
ging, Arbeiter zu mieten in seinen Wein¬ Lehrwerk über die Architektur (De Ar-
berg.“ Gemeindemitglieder und Mitar¬ chitectura, um 25 v.Chr.) bereits über
beiter der Kirche werden, besonders bei die Beziehung zwischen beiden Künsten
feierlichen Anlässen, unabhängig von reflektiert und vom Architekten musika¬
ihrer Stellung innerhalb der klerikalen lische Kenntnisse verlangt. Goethe zi¬
Hierarchie auch heute noch oft als „Ar¬ tiert dieses Postulat Vitruvs in seiner
beiter im Weinberg des Herrn“ ange¬ Übersetzung der Autobiographie des
sprochen oder bezeichnen sich selbst so. Florentiner Goldschmieds und Bildhau¬
ers Benvenuto Cellini (1500-1571) und
Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert greift auch Schellings Formel in „Maxi¬
t Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert men und Reflexionen“ (Nr. 1 133) und
in den Gesprächen mit Eckermann
t Wer nicht arbeitet, soll auch (23. 3. 1829) auf. Arthur Schopenhauer
nicht essen schließlich lehnt die Vorstellung „daß
Architektur gefrorene Musik sei“ als
„keckes Witzwort“ ab („Die Welt als
Arbiter elegantiae
Wille und Vorstellung“, Bd.2, Buch 3,
Als Arbiter elegantiae oder elegantia- Kap. 39).
rum (in wörtlicher Übersetzung
„Schiedsrichter der Feinheit bzw. Fein¬
heiten“) bezeichnet man in gehobener Argusaugen
Sprache jemanden, der ein sicheres Ur¬ In bezug auf jemandes scharf beobach¬
teil in Fragen des guten Geschmacks, tenden Blick, dem nichts entgeht,
des Lebensstils besitzt und an den man spricht man von Argusaugen. Argus
sich in entsprechenden Fällen wie an ei¬ bzw. Argos ist der hundertäugige Riese
nen Schiedsrichter wenden kann. Die der griechischen Sage. In der Tragödie
Funktion des Arbiter elegantiae (so wird „Die Schutzflehenden“ des griechi¬
er bei Tacitus erwähnt) erfüllte am Hofe schen Dichters Äschylus (525/24 bis
des römischen Kaisers Nero der Schrift¬ 456/55 v. Chr.) bewacht er die von Hera
steller Gajus Petronius Arbiter (gestor¬ in eine Kuh verwandelte Io, die Gelieb¬
ben 66 n. Chr.), Autor des satirisch-par- te ihres Gatten Zeus.
odistischen Schelmenromans „Satiri-
con“.
Ariadnefaden
Unter diesem Ausdruck versteht man
Archimedischer Punkt
heute etwas, was jemanden durch Wirr¬
T Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten
nis hindurchleitet, ihm aus einer un-
kann, und ich bewege die Erde überschaubaren Situation hilft. Der Be¬
griff hat seinen Ursprung in der griechi¬
Architektur ist erstarrte Musik schen Sage, wo die in den Helden The-
Bei Friedrich Wilhelm Joseph von seus verliebte kretische Königstochter
Schelling (1775-1854) steht der zum To- Ariadne diesem ein Wollknäuel gibt,
pos gewordene Satz in seiner 1802/03 in das ihn aus dem Labyrinth, in dem er
Jena und 1804/05 in Würzburg gehalte¬ den Minotauros töten will, wieder her¬
nen Vorlesung über die Philosophie der ausführt. Diese Sage findet sich bei dem
Kunst in folgender Form: „Wenn die römischen Dichter Ovid (43 v.Chr. bis
Architektur überhaupt die erstarrte Mu¬ 17/18 n. Chr.) in den „Metamorphosen“
sik ist...“ Vor Schelling spricht der ita¬ (VIII), den „Heroides“ (X) und in den
lienische Architekt und Kunsttheoreti¬ „Fasti“ (III) sowie in der 42. Fabel des
ker Leon Battista Alberti (1404-1472) römischen Philologen und Polyhistors
von Musik angesichts der Fassade der Hyginus (60 v.Chr.-10 n.Chr.).

45
Arkadien Teil I

t Auch ich war in Arkadien Armer Lazarus


Von einem bedauernswerten Menschen,
Arm am Beutel, krank am Herzen
der arm und krank ist, der schwer zu lei¬
Die Redensart, mit der man scherzhaft den hat, spricht man umgangssprach¬
auf seinen chronischen oder augen¬ lich als armem Lazarus, oder man sagt,
blicklichen Geldmangel hinweist, ist der er sei arm wie Hiob. Beide Bezeichnun¬
Anfangsvers von Goethes erster Ballade gen gehen auf Gestalten der Bibel zu¬
„Der Schatzgräber“, die 1797 in Schil¬ rück: Lazarus auf das Gleichnis vom ar¬
lers „Musenalmanach für das Jahr men Lazarus im Lukasevangelium
1798“ erschien. Der Schatzgräber ist ein (16,19-31), Hiob auf die Titelfigur des
seiner lange andauernden Armut über¬ Buches Hiob im Alten Testament, das
drüssiger Mensch; er will seinem Kum¬ von der Erprobung seiner Frömmigkeit
mer ein Ende machen, indem er mit Hil¬ durch verschiedene Heimsuchungen be¬
fe einer Geisterbeschwörung versucht, richtet. In beiden Fällen ist die Armut
eine Stelle zu finden, wo ein Schatz ver¬ mit körperlicher Krankheit gepaart, bei
borgen liegt. Beim Graben erscheint Hiob kommt noch die Verspottung
ihm jedoch ein „schöner Knabe“, der durch andere hinzu (Hiob 17,6; 30,9).
ihm rät, die nutzlose Schatzsuche aufzu¬
geben und statt dessen ein vernünftiges t Ich bin nur ein armer Wanderge¬
Leben zu führen.
sell
t Weil du arm bist, mußt du früher
sterben t Was hat man dir, du armes Kind,
getan?
Einen tlangen Arm haben
Armut ist die größte Plage, Reich¬
Arm in Arm mit dir, so fordr’ ich tum ist das höchste Gut!
mein Jahrhundert in die Schranken
Dieses Zitat stammt aus der ersten Stro¬
Mit diesen begeisterten - heute wohl phe von Goethes Ballade „Der Schatz¬
eher scherzhaft zitierten - Worten wird gräber“. Es wird in ähnlicher Weise als
die Erkenntnis umschrieben, daß ge¬ Hinweis auf die eigene finanzielle Situa¬
meinsames Handeln mit einem zuver¬ tion (oder auch die anderer) verwendet
lässigen Freund, einem verläßlichen wie die Eingangszeile dieses Gedichtes.
Partner die Bewältigung schwieriger Siehe hierzu auch: „Arm am Beutel,
Aufgaben, größter Herausforderungen krank am Herzen“.
möglich macht, ln Schillers Drama
„Don Kariös“ spricht der Titelheld die¬ Die Armut kommt von der Power-
se Worte zu seinem Jugendfreund, dem
teh
Marquis von Posa, und bekräftigt damit
noch einmal den gerade erneuerten Der heute gelegentlich noch scherzhaft
Freundschaftsbund. Die Worte be¬ zitierte Spruch geht zurück auf ein Zitat
schließen den ersten Akt des Dramas. aus Fritz Reuters (1810-1874) wohl
meistgelesenem Werk „Ut mine Strom-
Arm wie Hiob tid“ (Kapitel 38), wo der Inspektor Brä-
t Armer Lazarus sig seine Rede im Rahmstädter Reform¬
verein mit den Worten abschließt: „Die
t Ich fühle eine Armee in meiner große Armut in der Stadt kommt von
Faust der großen Powerteh her!“ Das Wort
„Powerteh“, eine landschaftlich verball¬
T Kann ich Armeen aus der Erde hornte Form von französisch pauvrete
stampfen? mit der Bedeutung „Armut, Armselig¬
keit“ wurde durch den damals und in
T In den Armen liegen sich beide der Folgezeit häufig zitierten Ausspruch
und weinen vor Schmerzen und ziemlich geläufig. Es ist nicht ganz aus¬
Freude zuschließen, daß der Nebensinn des

46
Teil I
auch

Wortes „Knauserigkeit, Knickrigkeit, machen. Wichtig ist für ihn, daß das Er¬
Schäbigkeit“ bei Reuter eine Rolle ge¬ kennen der schlichten, wenn oft auch
spielt haben könnte, so daß der Satz schmerzlichen Wahrheit die Vorausset¬
vielleicht gar nicht so dümmlich ist, wie zung für richtiges und gutes Handeln ist.
er auf den ersten Blick aussieht. Das heute wohl seltener gebrauchte
Zitat kann zum Beispiel eine unange¬
t In dieser Armut welche Fülle! nehme, aber heilsame Zurechtweisung
kommentieren.
Die Art, wie man gibt, gilt mehr,
als was man gibt Die T Gesunden bedürfen des Arz¬
Mit dieser sprichwörtlichen Redensart tes nicht
wird ausgedrückt, daß es sehr entschei¬
dend ist, in welcher Art und Weise und
As You Like It
aus welchen Motiven heraus jemand et¬ t Wie es euch gefällt
was schenkt oder spendet. Sie stammt
aus der Komödie „Le menteur“ tSich Asche aufs Haupt streuen
(deutsch: „Der Lügner“) des französi¬
schen Dramatikers Pierre Corneille Asphaltliterat
(1606-1684) und lautet im Original: La In der Sprache der Nationalsozialisten
facon de donner vaut mieux que ce qu’on wurde das Wort „Asphalt“ zur Meta¬
donne. pher für alles (besonders im großstädti¬
schen Bereich angesiedelte) vermeint¬
t Unheimliche Begegnung der drit¬ lich Dekadente, Verdorbene. Das Wort
ten Art taucht in vielen Zusammensetzungen in
der nationalsozialistischen Presse und
Die t Presse ist die Artillerie der Literatur immer wieder auf. Der gesam¬
Freiheit te fortschrittliche, nicht auf die natio¬
nalsozialistische Ideologie ausgerichte¬
Die Artisten in der Zirkuskuppel: te Bereich von Kunst, Kultur und Zivili¬
sation wurde mit Wörtern wie „Asphalt¬
ratlos
mensch“, „Asphaltpresse“, „Asphalt¬
Häufig, wenn von der Ratlosigkeit, der blatt“, „Asphaltdemokratie“, „Asphalt¬
Hilflosigkeit von Personen, auch dem kultur“ diskriminiert. Der Begriff
Versagen von Institutionen die Rede ist, „Asphaltliterat“ zum Beispiel wird von
wird der Ausspruch von den Artisten in Goebbels in einer Rede vom 6. 4. 1933
dieser oder auch in abgewandelter Form folgendermaßen eingesetzt: „... jene
zitiert. Es handelt sich dabei um den Ti¬ wurzel- und artlosen Asphaltliteraten,
tel eines 1968 nach dem Buch und unter die meistenfalls nicht aus unserem eige¬
der Regie von Alexander Kluge gedreh¬ nen Volkstum hervorgegangen sind“.
ten Films, der die Schwierigkeiten einer
Zirkusdirektorin bei der Durchsetzung T Eulen nach Athen tragen
eines neuartigen Zirkusprojekts schil¬
dert, mit dem sie schließlich an immer Solange ich atme, hoffe ich
neuen Widerständen scheitert. t Dum spiro, spero

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich T Wie atmet rings Gefühl der Stille
dir reiche
Das Zitat stammt aus „Nathan der Wei¬ Auch das Schöne muß sterben
se“ (1,2) von Gotthold Ephraim Lessing In Zusammenhängen, in denen von der
(1729-1781). Nathan spricht dort die Vergänglichkeit aller Dinge, dem Verge¬
Worte zu Recha, seiner angenommenen hen des Irdischen gesprochen wird,
Tochter. Er will deren hingebungsvoller wird dieses Zitat, wenn auch nicht im¬
Schwärmerei durch die Konfrontation mer in sehr ernsthafter Weise, noch ge¬
mit der nüchternen Realität ein Ende braucht. Es sind die Anfangsworte des

47
auch Teil I

Gedichtes „Nänie“ von Schiller. (Eine auch einer von denen“. - Möglicherwei¬
„Nänie“ ist eine altrömische Totenkla¬ se hat sich aus diesen Worten auch die
ge.) umgangssprachliche Formulierung „das
ist auch so einer“ entwickelt. - Beein¬
Auch diese, schon geborsten, kann flußt von dem Bibelwort ist der Titel des
weitgehend autobiographischen Ro¬
stürzen über Nacht
mans „Auch einer“ von Friedrich Theo¬
tNoch eine hohe Säule zeugt von ver-
dor Vischer (1807-1887).
schwund’ner Pracht
Auch ich war ein Jüngling mit lok-
Auch du, mein Sohn Brutus? kigem Haar
In dieser Form wird der heute oft als Mit dieser Zeile beginnt das Lied des al¬
scherzhafte, als nicht ganz ernst gemein¬ ten Waffenschmieds, ein wehmütiger
te Floskel dienende Ausruf gebraucht. Rückblick in die schöne alte Zeit, aus
Man bringt damit sein gespieltes oder der Oper „Der Waffenschmied“ von
tatsächliches Erstaunen darüber zum Albert Lortzing (1801-1851), die nach
Ausdruck, daß jemand zur Gegenpartei dem Lustspiel „Liebhaber und Neben¬
übergelaufen ist und einen im Stich läßt. buhler in einer Person“ von Friedrich
Überliefert wurden sowohl von dem rö¬ Wilhelm Ziegler (1760-1827) entstand.
mischen Schriftsteller Sueton (um Gelegentlich wird diese Zeile auch heu¬
70-um 140 n. Chr.) in seinem Buch über te noch zitiert, um die „schöne Jugend¬
das Leben der Cäsaren als auch von zeit“ mit all ihren Freuden heraufzube¬
dem griechischen Geschichtsschreiber schwören, oder auch, um eine Aussage
Cassius Dio (um 155-um 235 n.Chr.) in wie „auch ich war schließlich einmal
seiner Geschichte Roms die Worte jung und weiß also Bescheid“ zu um¬
„Auch du, mein Sohn?“ Cäsar soll sie schreiben. Auch in scherzhafter An¬
bei seiner Ermordung (44 v.Chr.) dem spielung auf jemandes nicht mehr allzu
von ihm väterlich geförderten Brutus üppigen Haarwuchs wird dieses Zitat
zugerufen haben. Beide Autoren be¬ gelegentlich verwendet.
streiten allerdings auch die Authentizi¬
tät dieser Worte. Shakespeare, dem das Auch ich war in Arkadien
Zitat in irgendeiner Form wohl bekannt
Die altgriechische Landschaft Arkadien
war, läßt in seinem Drama „Julius Cä¬
gilt seit dem römischen Dichter Vergil
sar“ (III, 1) den sterbenden Cäsar die la¬
(70-19 v. Chr.) in der Hirten- und Schä¬
teinischen Worte Et tu. Brüte? („Auch
ferdichtung als Schauplatz glückseligen,
du, Brutus?“) ausrufen. Ähnlich auch
idyllischen Lebens. Das Zitat, mit dem
Schiller im Drama „Die Räuber“
man darauf hinweist, daß man auch ein¬
(IV,5): „Auch du - Brutus - du?“ - In
mal in einem solchen Land des Glücks
scherzhafter Abwandlung dieses Zitats
gelebt hat, taucht zunächst in lateini¬
sagt man gelegentlich von seinem [zu ge¬
scher Version - Et in Arcadia ego - als
ringen] Lohn oder Gehalt: „Auch du,
Bildinschrift im 17. Jh. auf. Ins Deut¬
mein Lohn brutto“.
sche übersetzt Findet sich der Ausspruch
in der Form „Auch ich war in Arka¬
Auch einer von denen sein dien“ (bei Herder, E. T. A. Hoffmann
Diese Worte, mit denen man jemanden und Eichendorff). Bei Schiller („Resi¬
einer Kategorie von Menschen zuord¬ gnation“, 1786) erscheint er in der Form
net, denen man bestimmte Dinge zu¬ „Auch ich war in Arkadien geboren“
traut, sind dem Matthäusevangelium und bei Goethe in der Form „Auch ich
entnommen. Sie stammen aus der Ver¬ in Arkadien“ als Motto der beiden
leugnungsszene im Hof des Hohenprie¬ 1816/17 erschienenen Bände der „Italie¬
sterpalastes. Einige Anwesende spre¬ nischen Reise“. Der Formulierung Wie¬
chen zu Petrus, der schon zweimal seine lands - „Auch ich lebt’ in Arkadia“
Zugehörigkeit zu Jesus geleugnet hat („Pervonte“, 1778) - ähnelt Ingeborg
(Matthäus 26,73): „Wahrlich, du bist Bachmanns „Auch ich habe in Arkadien

48
Teil I auf

gelebt“ als Titel und zugleich Anfang eine abschließende Meinung erst dann
einer Kurzerzählung (1952 für die Wie¬ bilden sollte, wenn man die Darstellung
ner Monatsschrift „Morgen“). aller Beteiligten kennt.

Auch Patroklus ist gestorben und Auf, auf zum fröhlichen Jagen
war mehr als du Als ermunternde Aufforderung, mit et¬
Der altgriechische Dichter Homer (2. was zu beginnen, sich ans Werk zu ma¬
Hälfte des 8.Jh.s v. Chr.) läßt in seiner chen, werden diese Worte gelegentlich
„Ilias“ Achilles zu Lyakon, dem ihn um zitiert. Es sind die Anfangsworte eines
sein Leben anflehenden Sohn des Troja¬ alten Jagdliedes aus dem 18. Jahrhun¬
nerkönigs Priamos, sagen: „Starb doch dert, dessen Dichter Gottfried Benjamin
auch Patroklos, der dir gegenüber Haneke (auch: Hanke; gestorben um
durchaus viel Bessere“ (Ilias XXI, Vers 1750) heute nicht mehr sehr bekannt ist.
107). Schiller übersetzte den Vers in sei¬
nem Trauerspiel „Die Verschwörung Auf beiden Seiten hinken
des Fiesko zu Genua“ mit den Worten: Die Redewendung, auch in der Form
„Auch Patroklus ist gestorben/Und war „auf beiden Füßen“ oder „Beinen hin¬
mehr als du“ (III, 5). Man zitiert die ken“, wird heute im allgemeinen auf ei¬
Schillersche Version heute, wenn man nen nicht geglückten, einen unpassen¬
jemandem deutlich machen will, daß er den Vergleich o. ä. angewandt. Sie geht
durchaus keine bevorzugte Behandlung zurück auf eine Stelle im Alten Testa¬
verdient, auch wenn er sich für etwas ment, wo der Prophet Elia (1. Könige
Besonderes hält und glaubt, für ihn hät¬ 18,21) zu dem von falschen Propheten
ten andere Maßstäbe zu gelten. verwirrten Volk Israel spricht: „Wie lan¬
ge hinket ihr auf beiden Seiten? Ist der
Auch was Geschriebnes forderst der Herr Gott, so wandelt ihm nach;
du, Pedant? ist’s aber Baal, so wandelt ihm nach.“
Diese Frage stammt aus der Studierzim¬
merszene in Goethes Faust I. Faust rich¬ Auf daß das Haus voll werde
tet sie beim Teufelspakt an Mephisto, Mit dieser freundlich-scherzhaften
bevor er schließlich mit seinem Blut un¬ Floskel wird schon mancher Gastgeber
terschreibt. Sie wird gelegentlich zitiert, seine Gäste, besonders wenn sie uner¬
um bei entsprechender Gelegenheit in wartet zahlreich waren, empfangen ha¬
scherzhafter Mißbilligung auf jemandes ben, ohne zu wissen, daß es sich dabei
Pedanterie oder sein mangelndes Ver¬ um ein Wort aus dem Neuen Testament
trauen auf mündliche Abmachungen handelt. Im „Gleichnis vom großen
hinzuweisen. Abendmahl“ (Lukas 14,23) befiehlt der
Hausherr seinem Diener, die Bettler,
Audiatur et altera pars Blinden und Lahmen von der Straße in
sein Haus zu holen, nachdem die eigent¬
Der alte lateinische, heute immer noch
lich zum Mahl Geladenen mit den un¬
gültige Grundsatz des Prozeßrechts be¬
terschiedlichsten Entschuldigungen ab¬
deutet übersetzt „Man muß auch die
gesagt hatten. Er tut dies mit den Wor¬
Gegenpartei anhören“ (wörtlich: „Auch
ten: „Gehe aus auf die Landstraßen und
der andere Teil möge gehört werden“).
an die Zäune, und nötige sie herein¬
Er geht in seiner lateinischen Form zu¬
zukommen, auf daß mein Haus voll
rück auf eine Stelle in der Tragödie
werde.“
„Medea“ des römischen Dichters, Phi¬
losophen und Politikers Seneca (um
4v. Chr.-65 n.Chr.). Heute gebraucht Auf den Bergen ist Freiheit
man den lateinischen Spruch ganz allge¬ Das Wort von der Freiheit auf den Ber¬
mein, um vor voreiligen Schlüssen, vor gen, oft nur vor dem Hintergrund von
einem allzu raschen Urteil zu warnen Bergromantik und Naturliebe im wörtli¬
und um auszudrücken, daß man sich chen Sinne verstanden und zitiert,

49
2 Duden 12 EDC
auf Teil I

stammt aus Schillers Trauerspiel „Die Auf der Bärenhaut liegen


Braut von Messina“. Es wird dort von Die Redewendung beruht auf einer al¬
dem die Handlung des Dramas reflek¬ ten übertreibenden Ausschmückung der
tierenden und kommentierenden Chor Lebensgewohnheiten der alten Germa¬
in einer der letzten Szenen des Dramas nen, wie sie der römische Geschichts¬
(im letzten Abschnitt „Die Säulenhal¬ schreiber Tacitus (um 55-nach 115
le“) gesprochen, und zwar in einer län¬ n.Chr.) in seiner „Germania“ (Kapitel
geren Betrachtung, in der die Freiheit 15) schildert. Sie findet sich in dem Lied
auf den Bergen metaphorisch den Nie¬ „Tacitus und die alten Deutschen“, das
derungen des menschlichen Daseins mit
Wilhelm Ruer für die Bierzeitung der
seinen irdischen Leidenschaften, mit
Leipziger Burschenschaft Dresdensia
„Verbrechen“ und „Ungemach“ entge¬
schrieb und das 1872 als Nr. 56 der
gengestellt wird.
„Fliegenden Blätter“ erschien. Darin
werden die Germanen als „Bärenhäu¬
ter“ dargestellt, die nicht kämpfen, son¬
Auf den Knien meines Herzens
dern ihr Leben genießen: „An einem
Als der Dichter Heinrich von Kleist Sommerabend/Im Schatten des heiligen
(1777-1811) sein Drama „Penthesilea“ Hains,/Da lagen auf Bärenhäuten/Zu
vollendet hatte und es Goethe zur Beur¬ beiden Ufern des Rheins/Verschiedene
teilung vorlegte, verbunden mit der Bit¬ alte Germanen,/ ... /Sie liegen auf Bä¬
te, es in Weimar aufzuführen, verwende¬ renhäuten/Und trinken immer noch
te er in seinem Brief (vom 24. 1. 1808) eins.“ Man gebraucht die Wendung
diese eigenwillige Metapher von den heute in der Umgangssprache im Sinne
„Knien des Herzens“. Sie sollte in ganz von „faulenzen“.
besonderer Weise die Inständigkeit, die
Dringlichkeit seiner Bitte unterstreichen Auf der Suche nach der verlorenen
(was Goethe allerdings nicht daran hin¬ Zeit
derte, die „Penthesilea“ mit großer
Dies ist der deutsche Titel des aus 7 Tei¬
Schärfe abzulehnen). Der heute eher
len bestehenden Romanzyklus Ä la re-
seltsam anmutende, metaphorische
cherche du temps perdu des französi¬
Ausdruck findet sich in ähnlicher Form
in dem apokryphen „Gebet Manasses“ schen Romanciers Marcel Proust
im Alten Testament. Dort heißt es (11): (1871-1922). Es geht in diesem Werk
„Darum beuge ich nun die Kniee mei¬ um das „Wiederfmden“ der vergange¬
nes Herzens und bitte dich, Herr, um nen, „verlorenen“ Lebenszeit mit Hilfe
Gnade.“ Das Zitat wird heute nur noch des Erinnerns. - Der Titel wird häufig
im Scherz verwendet, um einer inständi¬ zitiert, wenn ausgedrückt werden soll,
gen Bitte Nachdruck zu verleihen. daß sich jemand mit zurückliegenden
Ereignissen in seinem Leben, mit wich¬
tigen Lebensstationen beschäftigt (und
Auf der Bank der Spötter sitzen Dingen, die unwiderruflich vorbei sind,
nachtrauert).
Diese Redewendung (bekannt auch in
der Form „sitzen, wo die Spötter sit¬
Auf des Meisters Worte schwören
zen“), mit deren Hilfe man umschreiben
kann, daß jemand dazu neigt, seinen t Jurare in verba magistri
Spott mit andern zu treiben, geht auf ein
Bibelwort zurück. Im Psalm 1,1 heißt Auf des Messers Schneide stehen
es: „Wohl dem, der nicht wandelt im Mit der Redewendung wird ausge¬
Rat der Gottlosen ... noch sitzt, da die drückt, daß bei einer bestimmten kriti¬
Spötter sitzen.“ Der Titel einer Samm¬ schen Situation ein Punkt erreicht ist, an
lung von Satiren („Auf der Bank der dem sich - meist nur sehr knapp - ent¬
Spötter“) des Journalisten und Kaba¬ scheidet, ob die Sache gut oder böse en¬
rettautors Martin Morlock (1918-1983) den wird. Sie findet sich (mit dem älte¬
geht auf diese Redewendung zurück. ren „Schärfe“ für „Schneide“) schon in

50
Teil I auf

der „Ilias“ des altgriechischen Dichters Auf einen Schelmen anderthalben!


Homer (776. Jh. v.Chr.), wo es im 10.
In dieser sprichwörtlichen Redensart
Gesang, Vers 173 und 174 heißt: „Denn
hat das Wort „Schelm“ die veraltete Be¬
nun steht es allen fürwahr auf der Schär¬
deutung „Betrüger, Schurke“. Der Aus¬
fe des Messers VSchmählicher Unter¬
spruch, der ungefähr soviel bedeutet wie
gang den Achaiern oder auch Leben!“
„einer Betrügerei begegnet man am be¬
sten mit einer noch größeren Betrüge¬
Auf die Erde voller kaltem Wind rei“, soll von Friedrich dem Großen
kamt ihr alle als ein nacktes Kind (1712-1786) einem französischen Mar¬
Mit diesem Zitat aus einem Gedicht von schall gegenüber gebraucht worden sein
Bertolt Brecht (1898-1956), es sind die und lautet im französischen Original: ä
Anfangszeilen des Gedichtes „Von der trompeur - trompeur et demi. Friedrich
Freundlichkeit der Welt“, verweist man begegnete damit den Vorwürfen des
auf die ursprüngliche Gleichheit aller Franzosen, der ihm seine Bündnisver¬
Menschen und die anfänglich gleiche handlungen mit England verübelte, und
Hilfsbedürftigkeit aller. verwies darauf, daß ja die Franzosen
ihrerseits zuvor heimlich ein Bündnis
Auf diese Bank von Stein will ich mit Österreich gesucht hatten.
mich setzen
Die Worte, mit denen jemand ein ent¬ Auf Flügeln des Gesanges
sprechendes Vorhaben (etwa bei einer Dies ist die Anfangszeile eines Gedich¬
Wanderung) scherzhaft ankündigen tes aus dem „Buch der Lieder“ („Lyri¬
kann, stammen aus Schillers Drama sches Intermezzo“, Nr. 9) von Heinrich
„Wilhelm Teil“ (IV, 3; im Original mit Heine (1797-1856). Die erste Strophe
dem heute an dieser Stelle nicht mehr lautet: „Auf den Flügeln des Gesan¬
üblichen Dativ: „Auf dieser Bank von ges,/Herzliebchen, trag’ ich dich
Stein will ich mich setzen“). Sie stehen, fort,/Fort nach den Fluren des Gan-
gewissermaßen ein gedankliches Inne¬ ges,/Dort weiß ich den schönsten Ort.“
halten signalisierend, etwa in der Mitte Das Gedicht ist besonders durch die
des berühmten Monologs vor der „hoh¬ Vertonung von Felix Mendelssohn Bar¬
len Gasse von Küßnacht“, in dem Teil tholdy (1809-1847) bekannt geworden.
seine Absicht, die Erschießung des ty¬ Die Sopranistin Erna Berger (1900 bis
rannischen Reichsvogts Geßler, reflek¬ 1990) hat die Gedichtzeile zum Titel
tiert und rechtfertigt. Eine scherzhafte ihrer Lebenserinnerungen gemacht.
Abwandlung des Zitats ist „Auf diese[r]
Frau von Stein will ich mich setzen“. Auf freiem Grund mit freiem
Volke stehn
Auf einem Prinzip herumreiten Der Sinn dieser Zeile aus dem Schlu߬
Diese Redewendung (mit der Bedeu¬ monolog Fausts (Goethe, Faust II, 5.
tung „in kleinlicher Weise auf einem Akt, Großer Vorhof des Palasts) wird
Grundsatz beharren“), für die wahr¬ aus dem Zusammenhang, in dem sie
scheinlich die französische Entspre¬ steht, deutlicher. Vorausgegangen sind
chung etre a cheval sur les principes das die Worte des alten, erblindeten Faust:
Vorbild war, kommt in abgewandelter „Das ist der Weisheit letzter Schluß:/
Form im Deutschen zum ersten Mal Nur der verdient sich Freiheit wie das
wohl in der Oper „Der Wildschütz“ von Leben,/Der täglich sie erobern muß.“
Albert Lortzing vor (die 1842 uraufge- Faust glaubt, sein Ziel erreicht zu ha¬
führt wurde). Im 3. Akt der Oper spricht ben, sein Projekt der Landgewinnung
der Schulmeister Baculus die Worte: sei dabei, verwirklicht zu werden, es
„Der Herr Stallmeister reitet jetzt ein werde Raum geschaffen für die „vielen
anderes Prinzip“. Aus der Redewen¬ Millionen“, dort „tätig-frei zu wohnen“.
dung wurde dann die abwertende Be¬ Es folgen dann die Zeilen: „Solch ein
zeichnung „Prinzipienreiter“ abgeleitet. Gewimmel möcht’ ich sehn,/Auf freiem

51
2*
auf Teil I

Grund mit freiem Volke stehn./Zum Auf Herz und Nieren prüfen
Augenblicke dürft’ ich sagen :/Verweile In dieser Redewendung mit der Bedeu¬
doch, du bist so schön!“ Vergleiche da¬ tung Jemanden oder etwas sehr gründ¬
zu auch die Artikel „Werd’ ich zum Au¬ lich, eingehend prüfen oder untersu¬
genblicke sagen: Verweile doch, du bist chen“ steht die Formel „Herz und Nie¬
so schön!“ und „Das ist der Weisheit ren“ für das Innere des Menschen.
letzter Schluß“. Bei sehr feierlichen Volkstümlich wurde sie durch die Bibel,
Anlässen könnte das Zitat auch heute wo das Bild der Prüfung von Herz und
noch zum Ausdruck des menschlichen Nieren mehrfach auftaucht. Zum ersten
Freiheitsstrebens, der Ablehnung jeder Mal erscheint es in Psalm 7,10. Es heißt
territorialen Unterdrückung verwendet dort: „Laß der Gottlosen Bosheit ein
werden. Ende werden und fördere die Gerech¬
ten; denn du gerechter Gott, prüfst Her¬
Auf fruchtbaren Boden fallen zen und Nieren.“

Die Redewendung wird gebraucht, um


auszudrücken, daß etwas wirksam wird, Auf in den Kampf, Torero!
daß ein Ratschlag, ein Hinweis o.ä., be¬ Diese Aufforderung entstammt der 1875
reitwillig aufgenommen und befolgt uraufgeführten Oper „Carmen“ von
wird. Sie beruht möglicherweise auf Georges Bizet (1838-1875), deren Li¬
dem Gleichnis vom Sämann im Neuen bretto von Henri Meilhac und Ludowic
Testament (Matthäus 13,8 bzw. Markus Halevy nach einer Novelle von Prosper
4,8), wo davon gesprochen wird, daß Merimee verfaßt und von Julius Hopp
die Saatkörner beim Säen auf ganz un¬ ins Deutsche übersetzt wurde. Bei der
terschiedlichen Boden fallen können, sehr populär gewordenen Aufforde¬
also unterschiedliche Wachstumsbedin¬ rung, sich für eine Auseinandersetzung
gungen haben. Zunächst werden in dem zu rüsten oder etwas in Angriff zu neh¬
Gleichnis die schlechten Voraussetzun¬ men, handelt es sich um eine Zeile aus
gen genannt, nämlich es „Fiel etliches an dem berühmten Torerolied des Escamil-
den Weg ... in das Steinige ... unter die lo aus dem 2. Akt. Sie wurde im Volks¬
Dornen“, dann aber heißt es: „Etliches mund oft scherzhaft abgewandelt. Am
Fiel auf ein gutes Land und trug bekanntesten ist wohl die Form: „Auf in
Frucht“. den Kampf, die Schwiegermutter naht!“

Auf Händen tragen Auf Regen folgt Sonne


Das dieser Redewendung zugrunde lie¬ Die Volksweisheit, die besagt, daß auf
gende Bild, mit dem heute ausgedrückt schlechte, entbehrungsreiche Zeiten im¬
wird, daß man jemanden, dem man sehr mer wieder auch gute und erfolgreiche
zugetan ist, in jeder Hinsicht verwöhnt, folgen, ist in dem Bild vom immer sich
Findet sich schon in der Bibel. Im Psalm wiederholenden Wetterwechsel dieser
91, der den unter dem Schutz des all¬ sprichwörtlichen Redensart eingefan¬
mächtigen Gottes stehenden Menschen gen. Sie erscheint in ähnlicher Form in
zum Thema hat, heißt es in Vers 11 und lateinischer Sprache bereits in der gro¬
12: „Denn er hat seinen Engeln befoh¬ ßen Sprichwörtersammlung (1541) des
len über dir, daß sie dich behüten auf al¬ Schriftstellers und Predigers Sebastian
len deinen Wegen, daß sie dich auf den Franck (1499-1542 oder 1543) und lau¬
Händen tragen und du deinen Fuß nicht tet dort: Post nubilia Phoebus, also wört¬
an einen Stein stoßest.“ In der Ge¬ lich: „Nach den Wolken [erscheint]
schichte von der Versuchung Jesu durch Phoebus.“ „Phoebus“, ein Beiname des
den Satan (Matthäus 4,6 und Lukas auch als Sonnengott verehrten griechi¬
4,10 und 11) taucht das Bild des von schen Gottes Apollo, ist dabei gleichzu¬
den Engeln auf den Händen getragenen setzen mit „Sonne“. Das Bild des ewi¬
Menschen mit Berufung auf die Stelle in gen Wechsels von Regen und Sonne ist
Psalm 91 noch einmal auf. später in Volkslied- und auch Schlager-

52
Teil I aufgelöst

texte eingegangen. In einem kritisch auf Auf zum letzten Gefecht


den früheren Präsidenten der USA, Ro¬
Der erste Vers des Refrains der „Inter¬
nald Reagan, bezogenen Lied verwen¬
nationale“, des Kampfliedes der inter¬
dete der Aktionskünstler Joseph Beuys
nationalen Arbeiterbewegung, lautet:
(1921-1986) die wortspielerische Ab¬
„Völker, höret die Signale! Auf zum
wandlung „Auf Reagan folgt Sonne“.
letzten Gefecht!“. Der zweite Teil dieses
Verses, in dem das Wort „letzte“ im Sin¬
Auf Sand gebaut haben
ne von „alles entscheidend“ zu verste¬
Diese Wendung bedeutet „sich auf et¬ hen ist, wird heute gelegentlich noch als
was höchst Unsicheres verlassen ha¬ scherzhafte Aufforderung gebraucht, ei¬
ben“. Sie geht auf das Matthäusevange- ne letzte Anstrengung zu unternehmen,
lium im Neuen Testament zurück, wo es sich noch einmal „mächtig ins Zeug zu
am Schluß der Bergpredigt heißt: „Und legen“ und so eine schwere Arbeit oder
wer diese meine Rede hört und tut sie
eine schwierige Aufgabe zum Abschluß
nicht, der ist einem törichten Manne zu bringen. Die „Internationale“ wurde
gleich, der sein Haus auf den Sand bau¬ 1871 von Eugene Pottier, einem Mit¬
te. Da nun ein Platzregen fiel und kam glied der Pariser Kommune, gedichtet
ein Gewässer und wehten die Winde und 1888 vertont. Die heute übliche
und stießen an das Haus, da fiel es und deutsche Fassung („Wacht auf, Ver¬
tat einen großen Fall“ (7,26-27). dammte dieser Erde“) wurde 1910 von
Emil Luckhardt geschrieben.
Auf schwanker Leiter der Gefühle
Das einprägsame Bild von der „schwan¬
Auferstanden aus Ruinen
ken Leiter der Gefühle“, mit dem die
Dies sind die Anfangsworte des Liedes
emotionale Unbeständigkeit und Unsi¬
von Johannes R. Becher (1891-1958),
cherheit, auch die Beeinflußbarkeit des
vertont von Hanns Eisler, das 1949 zur
Menschen durch starke Gefühlsbewe¬
Nationalhymne der DDR erklärt wurde.
gung angesprochen wird, entstammt
Die Worte beziehen sich dort auf den
Schillers Gedicht „Die Macht des Ge¬
Neubeginn nach der Zerstörung
sanges“ von 1795. Das Gedicht enthält
Deutschlands im Zweiten Weltkrieg,
Betrachtungen über die Dichtkunst, ih¬
nach der Zerschlagung des Dritten
ren unergründlichen Ursprung und ihre
Reichs. Sie werden oft im Scherz zitiert,
verzaubernde, oft übermächtige Wir¬
um die überraschende, nicht mehr für
kung auf den Menschen.
möglich gehaltene Wiederkehr einer be¬
Auf seinem Schein bestehen stimmten Erscheinung, einer Mode o.ä.
zu kommentieren, oder auch bezogen
Diese Redewendung wird gebraucht,
auf das Comeback eines Künstlers,
wenn jemand mit Nachdruck seinen
eines Politikers oder eines Sportlers,
Anspruch auf etwas geltend macht, auf
mit dem niemand mehr gerechnet hatte.
ein Recht hinweist, von dem er nicht ab¬
zulassen gedenkt. Sie beruht auf einer
Stelle in Shakespeares Komödie „Der
Aufgelöst sind aller Ordnung Ban¬
Kaufmann von Venedig“ (IV, 1), wo der de
Geldverleiher Shylock die Worte spricht Nach dem Attentat auf den Reichsvogt
„Ich steh’ hier auf meinen Schein“ (im Geßler in Schillers „Wilhelm Teil“ er¬
englischen Original: I stay here on my kennt dessen Stallmeister Rudolf, daß
bond). Gemeint ist eine Schuldver¬ ein Aufstand des Volkes kaum noch zu
schreibung, die Shylock das Recht ein¬ verhindern ist und daß es jetzt nur noch
räumt, seinem Schuldner Antonio, dem darauf ankommt, mit den Soldaten
Kaufmann von Venedig, ein Pfund schnell ins nahe Küßnacht zu gehen, um
Fleisch aus dem Leib herauszuschnei¬ dort die kaiserliche Burg zu schützen:
den, wenn dieser nicht seine Schulden „Denn aufgelöst in diesem Augenblick/
zum vereinbarten Termin zurückzahlen Sind aller Ordnung, aller Pflichten Ban¬
kann. de“ (IV, 3). In verkürzter Form zitieren

53
aufgeräumten Teil I

wir - meist scherzhaft - diese Worte Aufstand der Massen


angesichts eines größeren Durchein¬ Dies ist der Titel eines der bekanntesten
anders, einer heillosen Unordnung Werke des spanischen Philosophen Or-
(sowohl im konkreten wie im übertrage¬ tega y Gasset (im Original La rebeliön de
nen Sinn). las masas, erschienen 1930). In diesem
Werk macht Ortega y Gasset (1883 bis
t In einem aufgeräumten Zimmer 1955) die Aufhebung des (seiner Mei¬
ist auch die Seele aufgeräumt nung nach für das menschliche Zusam¬
menleben grundlegenden) Unterschieds
Aufgeschoben ist nicht aufgeho¬ zwischen „Massen“ und „Elite“ dafür
ben verantwortlich, daß es zu revolutionä¬
ren Bewegungen, zur ungerichteten
Mit dieser sprichwörtlichen Redensart
„Aggressivität“ der „Massen“ kommt.
weist man daraufhin, daß etwas, was im
Das Wort vom „Aufstand der Massen“
Augenblick nicht erledigt, ausgeführt
wird heute oft auch in eher vordergrün¬
werden kann, keineswegs vergessen ist,
diger Weise verwendet, etwa im Zusam¬
sondern zu einem späteren Zeitpunkt
menhang mit dem geschlossenen Pro¬
nachgeholt werden wird. Sie ist lateini¬
test größerer gesellschaftlicher Gruppen
schen Ursprungs und stammt von dem
gegen etwas, was ihnen zugemutet oder
um 450 in Rom lebenden Mönch und
Schriftsteller Arnobius dem Jüngeren, abverlangt wird.
der unter anderem allegorische Kom¬
mentare zu den Psalmen verfaßte. Im Ein t großer Aufwand schmählich
Kommentar zu Psalm 36 ist die der
ist vertan
deutschen Redensart entsprechende la¬
teinische Form Quod differtur, non
aufertur zu finden. T Wie seinen Augapfel hüten

TWas man nicht aufgibt, hat man


Den t Splitter im fremden Auge,
nie verloren
aber nicht den Balken im eigenen
sehen
Aufklärung ist der Ausgang des
Menschen aus seiner selbstver¬
schuldeten Unmündigkeit Ein Auge auf... werfen
Diese zu einer Art Schlagwort geworde¬ Die in bezug auf Personen oder Sachen
ne Definition des Begriffs „Aufklä¬ gebräuchliche Redewendung im Sinne
rung“, wie er in dem Ende des 17. Jahr¬ von „Gefallen an jemandem oder etwas
hunderts beginnenden Aufklärungszeit¬ Finden, sich für jemanden oder etwas zu
alter verstanden wurde, stammt von interessieren beginnen“ hat im älteren
dem deutschen Philosophen Immanuel Sprachgebrauch die Bedeutung .jeman¬
Kant (1724- 1804). Sie steht in der 1784 den oder etwas ständig ansehen, die Au¬
veröffentlichten Abhandlung „Beant¬ gen von jemandem oder etwas nicht ab¬
wortung der Frage: Was ist Aufklä¬ wenden können“. So Findet sie sich be¬
rung“. Ihr folgt dort der Satz „Unmün¬ reits in der Bibel: In der apokryphen
digkeit ist das Unvermögen, sich seines „Geschichte von Susanna und Daniel“
Verstandes ohne Leitung eines andern heißt es in Vers 8 und 9: „Und da sie
zu bedienen.“ Zitiert wird sie besonders (= Susanna) die Ältesten sahen täglich
dann, wenn darauf hingewiesen wird, darin (= im Garten ihres Mannes) um¬
daß nur die Vernunft es ist, die dem hergehen, wurden sie gegen sie entzün¬
Menschen weiterhelfen kann, und daß det mit böser Lust und wurden darüber
es der Entschlußkraft, des Mutes be¬ zu Narren und warfen die Augen so
darf, sich des Verstandes zu bedienen, ganz auf sie, daß sie nicht konnten gen
ohne sich dabei von andern leiten oder Himmel sehen und gedachten weder an
durch andere einschränken zu lassen. Gottes Wort noch Strafe.“

54
Teil I Augen

Das Auge des Gesetzes Die Augen der Welt sind auf euch
Mit diesem idiomatischen Ausdruck be¬ gerichtet
zeichnet man heute in scherzhaftem Dies ist die deutsche Fassung des engli¬
Sprachgebrauch die Polizei. In Schillers schen Zitats The eyes of Ihe World are
„Lied von der Glocke“ steht die Rede¬ upon you aus dem Befehl General
wendung in folgendem Textzusammen¬ Dwight D. Eisenhowers vom 6. Juni
hang: „Schwarz bedecket/Sich die Er¬ 1944 zur Landung in der Normandie.
de ;/Doch den sichern Bürger schrecket/ Eisenhower könnte damit an einen an¬
Nicht die Nacht,/Die den Bösen grä߬ geblichen Ausspruch Napoleons vom
lich wecket ;/Denn das Auge des Geset¬ 21. Juli 1798 vor der Schlacht bei den
zes wacht.“ Die Metapher vom Auge Pyramiden angeknüpft haben: „Von
des Gesetzes ist als „Auge der (strafen¬ diesen Pyramiden schauen vierzig Jahr¬
den) Gerechtigkeit“ bei antiken Auto¬ hunderte auf euch herab“ - Du haut de
ren wie dem römischen Geschichts¬ ces pyramides quarante siecles vous con-
schreiber Ammianus Marcellinus (um templent, nach späterer Version ... ont
300-um 395) und dem griechischen leurs yeux fixes sur vous. Vor allem in
Tragiker Sophokles (um 496-um 406 Abwandlungen wie „Die Augen der
v. Chr.) vorgeprägt. Modewelt sind wieder einmal auf Paris
gerichtet“ oder „Die Augen der dritten
t Im düstern Auge keine Träne Welt sind auf die internationale Wäh¬
rungskonferenz gerichtet“ kann das Zi¬
tat heute zum Ausdruck des starken In¬
Das Auge sieht den Himmel offen teresses einer breiteren, weltweiten Öf¬
Den t Himmel offen sehen fentlichkeit an einem Ereignis verwen¬
det werden, von dem man sich etwas
Neues, eine wichtige Entscheidung oder
t Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,
ähnliches erwartet oder erhofft.
die Sonne könnt’ es nie erblicken
Die Augen gehen ... über
t Da bleibt kein Auge trocken Die Redewendung hat zwei Bedeutun¬
gen; zum einen in der Umgangssprache:
Auge um Auge, Zahn um Zahn Jemand ist durch einen Anblick über¬
wältigt“ und zum andern in gehobener
Die aus dem Alten Testament (zum Bei¬
Sprache: Jemand beginnt zu weinen“.
spiel 3. Moses 24,19-20) stammende
Die zweite Verwendung findet sich be¬
Redewendung besagt, daß bei erlitte¬
reits im Johannesevangelium (11,35),
nem Schaden Gleiches mit Gleichem
wo es von Jesus beim Anblick des toten
vergolten werden soll: „Und wer seinen
Lazarus heißt: „Und Jesu gingen die
Nächsten verletzt, dem soll man tun, wie
Augen über“. Goethe benutzt den Aus¬
er getan hat, Schade um Schade, Auge
druck in der in Faust I eingegangenen
um Auge, Zahn um Zahn; wie er hat ei¬
Ballade „Der König von Thule“ (1774):
nen Menschen verletzt, so soll man ihm
„Die Augen gingen ihm über,/So oft er
wieder tun.“ Heute wird der Satz meist
trank daraus“ - aus dem „goldnen Be¬
als Rechtfertigung für Racheakte ver¬
cher“, den ihm „sterbend seine Buhle“
wendet. Jesus dagegen hat im Neuen
gegeben hatte.
Testament den alten Rechtsgrundsatz
aufgegriffen und eine neue Lehre dage¬
gengesetzt: „Ihr habt gehört, daß da ge¬
Augen haben und nicht sehen;
sagt ist: ,Auge um Auge, Zahn um Ohren haben und nicht hören
Zahn.‘ Ich aber sage euch, daß ihr nicht Mit den einzeln oder zusammen ver¬
widerstreben sollt dem Übel; sondern, wendeten Redewendungen macht man
so dir jemand einen Streich gibt auf dei¬ jemandem zum Vorwurf, daß er etwas
nen rechten Backen, dem biete den an¬ offen zutage Liegendes nicht wahrneh¬
dern auch dar“ (Matthäus 5,38 und 39). men will. Sie gehen auf den 115. Psalm

55
Augen Teil I

im Alten Testament zurück. Die Verse 5 verbotenerweise als Liebender nähert


und 6 beziehen sich ganz konkret auf und damit wissentlich auch sein Leben
heidnische, von Menschen gemachte aufs Spiel setzt. „Man reiße mich von
Götzen: „Sie haben Mäuler und reden hier aufs Blutgerüste!“ sagt er in der
nicht; sie haben Augen und sehen nicht; vorhergehenden Zeile. Das Zitat bringt
sie haben Ohren und hören nicht; sie auch in heutigem Gebrauch - auch in
haben Nasen und riechen nicht“. Im der verkürzten Form „Ein Augenblick,
Neuen Testament (Matthäus 13, 13) gelebt im Paradiese“ - zum Ausdruck,
weist Jesus unter Bezugnahme auf die daß man für ein besonders schönes Er¬
Weissagung des Propheten Jesaja lebnis gern alle Arten von negativen
(6, 9 f.) mit diesen Worten auf die Not¬ Folgen in Kauf nimmt.
wendigkeit hin, in Gleichnissen zu pre¬
digen: „Denn mit sehenden Augen se¬ Ein t einz’ger Augenblick kann
hen sie nicht, und mit hörenden Ohren alles umgestalten
hören sie nicht; denn sie verstehen es
nicht.“ Es gibt im t Menschenleben Au¬
genblicke
T Ich seh’ dir in die Augen, Kleines
t Werd’ ich zum Augenblicke sa¬
Augen, meine lieben Fensterlein gen: Verweile doch, du bist so
T Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, schön!
von dem goldnen Überfluß der Welt!
Den Augiastall ausmisten
t Aller Augen warten auf dich Diese Redewendung benutzt man, um
auszudrücken, daß durch Schlamperei
t Um ihrer schönen Augen willen
und Nachlässigkeit entstandene verrot¬
tete Zustände, Mißstände, Korruption
Dem Augenblick Dauer verleihen
beseitigt werden und die Ordnung wie¬
Diese Formulierung drückt im heutigen derhergestellt wird. In der griechischen
Gebrauch aus, daß man einem schönen Mythologie war dies nach der „Biblio-
Augenblick oder Zeitabschnitt auf ir¬ theke“ 13,3 des griechischen Ge¬
gendeine Weise, auch mit den Möglich¬ schichtsschreibers Diodor (1. Jh. v. Chr.)
keiten der Technik Dauer verleihen Aufgabe des Herakles, des Sohnes von
möchte, zum Beispiel durch eine Foto¬ Zeus und Alkmene, der Gattin des Feld¬
grafie oder eine Videoaufzeichnung. herrn Amphitryon. Die Stallungen des
Das zugrundeliegende Goethe-Zitat aus Augias, des Königs der Epeier in Elis,
der Hymne „Das Göttliche“ von 1783 waren mit ihren 3 000 Rindern 30 Jahre
spricht dagegen nicht von einem nicht gereinigt worden. Herakles schaff¬
Wunsch oder Versuch, sondern von ei¬ te die Arbeit in einem Tag, indem er
ner spezifisch menschlichen Fähigkeit: zwei Flüsse hindurchleitete.
„Nur allein der Mensch/Vermag das
Unmögliche;/... Er kann dem Augen¬ Augurenlächeln
blick/Dauer verleihen.“
Hierunter versteht man ein wissendes,
verständnisinniges Lächeln unter Ein¬
t Doch der den Augenblick er¬
geweihten. Der Ausdruck geht zurück
greift, das ist der rechte Mann
auf eine von dem römischen Staats¬
mann, Redner und Philosophen Cicero
Ein Augenblick, gelebt im Para¬
(106-43 v. Chr.) in seiner Schrift „De di-
diese, wird nicht zu teuer mit dem
vinatione“ (II, 24) überlieferte Äuße¬
Tod gebüßt
rung des römischen Staatsmannes und
Das Zitat stammt aus Schillers „Don Schriftstellers Cato (234-149 v. Chr.).
Kariös“ (1787; 1,5), wo Kariös sich der Dieser soll sich darüber gewundert ha¬
Königin, seiner ursprünglichen Verlob¬ ben, daß ein Haruspex (der bei den
ten, jetzt der Gemahlin seines Vaters, Etruskern aus den Eingeweiden von

56
Teil I
aus

Opfertieren weissagte) bei der Begeg¬ war!“ Das Zitat bezieht sich heute gele¬
nung mit einem anderen Vertreter seiner gentlich scherzhaft, meist aber mit nost¬
Zunft nicht unwillkürlich lächeln oder algischem Unterton auf Ereignisse, Er¬
lachen müsse. Offensichtlich war Cato lebnisse aus jemandes Jugend, die in der
der Meinung, daß ein Haruspex selbst Erinnerung wieder lebendig werden.
nicht an seine Weissagungen glaubte,
sondern seinen Kunden etwas vormach¬ Aus der Not eine Tugend machen
te. Der Augur, der aus der Beobachtung Die Redewendung mit der Bedeutung
des Vogelflugs weissagte, war im anti¬ „einer unangenehmen Sache noch etwas
ken Rom das, was den Etruskern der Gutes abgewinnen, eine eigentlich
Haruspex war. schlechte Situation für sich zum Vorteil
wenden“ geht wohl auf einen Rat zu¬
t O du lieber Augustin! rück, den der Kirchenvater Hieronymus
(etwa 331-420) in einem Brief erteilt:
Aurea mediocritas Fac de necessitate virtutem! (auf
t Die goldene Mitte deutsch: „Mach aus der Not eine Tu¬
gend!“). In diesem Fall wird eine solche
Aus allen Himmeln fallen Handlungsweise als anerkennenswert
TAus allen Wolken fallen betrachtet, während Hieronymus’ Äu¬
ßerung im 3. Buch seiner „Apologien
Aus allen Wolken fallen gegen die Bücher des Rufinus“ eine ge¬
wisse Abwertung enthält: Facis necessi¬
Die umgangssprachliche Redewendung
tate virtutem (auf deutsch: „Du machst
bedeutet „sehr überrascht sein“. Sie
[ja nur] aus der Not eine Tugend“). Bei¬
könnte zusammen mit „aus allen Him¬
de Nuancierungen sind auch im heuti¬
meln fallen“ (im Sinne von „tief ent¬
gen Sprachgebrauch noch lebendig.
täuscht, ernüchtert, desillusioniert wer¬
den“) auf Jesaja 14,12 im Alten Testa¬
Aus der Tiefe des Gemüts
ment zurückgehen. Dort heißt es: „Wie
Dieses Zitat stammt aus Heinrich Hei¬
bist du vom Himmel gefallen, du schö¬
nes Sammlung „Lutetia. Berichte über
ner Morgenstern! Wie bist du zur Erde
Politik, Kunst und Volksleben“. In ei¬
gefällt, der du die Heiden schwächtest!“
nem Artikel vom 7. 5. 1843 beschreibt
Die Feststellung bezieht sich auf den
Heine ein Bild zu einem biblischen The¬
gestürzten König von Babylon, nach
ma, das er auf einer Pariser Gemälde¬
Auslegung durch die Kirchenväter auf
ausstellung gesehen hat: „Dem Kamele,
Luzifer.
welches sich auf dem Gemälde des Ho-
race Vernet befindet, sieht man es wohl
Aus dem Strom des Vergessens
an, daß der Maler es unmittelbar nach
trinken
der Natur kopiert und nicht, wie ein
t Lethe trinken deutscher Maler, aus der Tiefe seines
Gemüts geschöpft hat.“ Das Zitat wird
t Und aus den Wiesen steiget der auch heute in scherzhafter und ironisch¬
weiße Nebel wunderbar distanzierter Ausdrucksweise ge¬
braucht, wenn man sich auf etwas tat¬
Aus der Jugendzeit sächlich oder vermeintlich tief Empfun¬
Dies sind die Anfangsworte des bekann¬ denes bezieht.
ten Liedes von Robert Radecke
(1830-1911), einer Vertonung von Aus einem kühlen Grunde
Friedrich Rückerts (1788-1866) gleich¬ Die umgangssprachliche Wendung, die
namigem Gedicht elegischen Inhalts. auch in der Form „aus diesem kühlen
Die erste Strophe lautet: „Aus der Ju¬ Grunde“ gebräuchlich ist, hat die Be¬
gendzeit, aus der Jugendzeit/Klingt ein deutung „aus einem/diesem ganz einfa¬
Lied mir immerdar;/0 wie liegt so weit, chen bestimmten Grund“. Sie ist eine
o wie liegt so weit,/Was mein einst scherzhafte Umbildung des Anfangsver-

57
aus Teil I

ses „In einem kühlen Grunde“ des Ge¬ teln. Das Zitat geht auf den französi¬
dichts „Das zerbrochene Ringlein“ von schen Sozialtheoretiker C. H. de Saint-
Joseph von Eichendorff (1788-1857) Simon (1760-1825) zurück (im Franzö¬
aus dem Roman „Ahnung und Gegen¬ sischen: l'exploitation de l’homme par
wart“ (1811). Populär geworden ist das l’homme). Über das Scheitern sozialisti¬
Gedicht durch die Vertonung von Fried¬ scher Gesellschaftsformen spottet das
rich Glück aus dem Jahr 1814, beson¬ bekannte Scherzwort, nach dem der Ka¬
ders in der Fassung für Männerchor von pitalismus durch die Ausbeutung des
Friedrich Silcher. Menschen durch den Menschen ge¬
kennzeichnet sei, während es sich im
Aus nichts wird nichts Sozialismus genau umgekehrt verhalte.
t Von nichts kommt nichts
t Wir wollen niemals auseinan¬
Aus seinem Herzen keine Mörder¬ dergehn
grube machen
t Letzte Ausfahrt Brooklyn
Diese Redewendung hat die Bedeutung
„freiheraus sagen, was man denkt; et¬ TO, du Ausgeburt der Hölle!
was nicht verhehlen“. Sie ist eine freie
Verwendung der Lutherschen Überset¬ Ausgelitten hast du - ausgerungen
zung von Matthäus 21,13 im Neuen Te¬
So lautet der Anfangsvers des Gedichtes
stament: „Es steht geschrieben: ,Mein
„Lotte bei Werthers Grabe“ von Johann
Haus soll ein Bethaus heißen1; ihr aber
Heinrich von Reitzenstein (1722-1780).
habt eine Mördergrube daraus ge¬
Das Zitat wird heute gelegentlich als
macht.“ Durch das Zurückhalten
Grabspruch oder in Traueranzeigen ver¬
schlimmer, furchtbarer Gedanken wur¬
wendet. Die Redewendung „ausgelitten
de das Herz, das in der Metaphorik u. a.
haben“ hat in gehobenem Sprachge¬
als Tempel Gottes gilt, bildlich zur Mör¬
brauch die Bedeutung „(nach schwerem
dergrube, zu einem unterirdischen
Leiden) gestorben sein“; daneben gibt
Schlupfwinkel für Mörder.
es eine umgangssprachlich-scherzhafte
Verwendung im Sinne von „entzwei sein
Aus Spöttern werden oft Prophe¬
und deshalb ausgedient haben“.
ten
Das Zitat Findet sich in Shakespeares Ausgerechnet Bananen!
„König Lear“ (V,3). Im Original erwi¬
Dieser Ausruf des Unmuts, der Enttäu¬
dert die Königstochter Regan auf die
schung über ein unerwünschtes Ereignis
nicht ernstgemeinte Anspielung auf die
stammt aus dem Kehrreim eines nach
Vermählung Edmunds mit ihr: Jesters
dem 1. Weltkrieg entstandenen Schla¬
do oft prove prophets („Spaßmacher er¬
gers: „Ausgerechnet Bananen verlangt
weisen sich oft als Propheten“). Man
sie von mir!“ Im amerikanischen Origi¬
weist mit dem Zitat daraufhin, daß sich
nal von F. Silver heißt es 1923: Yes, we
eine bloß witzelnde Bemerkung später
have no bananas. Den deutschen Text
bewahrheiten und im nachhinein als
schrieb der österreichische Operetten¬
Prophezeiung heraussteilen kann.
librettist und Schlagertexter Beda, mit
bürgerlichem Namen Fritz Löhner
Aus tiefer Not schrei’ ich zu dir
(1883-1942).
t De profundis
Ausgestritten, ausgerungen ist der
Die Ausbeutung des Menschen lange, schwere Streit
durch den Menschen
Das Zitat aus Schillers Gedicht „Das
Der marxistische Begriff bezieht sich Siegesfest“ von 1803 greift vermutlich
auf die Aneignung des von den Arbei¬ den Gedichtanfang „Ausgelitten hast
tern erzeugten Arbeitsprodukts durch du - ausgerungen“ von Johann Hein¬
den Eigentümer von Produktionsmit¬ rich von Reitzensteins (1722-1780)

58
Teil I
Axt

„Lotte bei Werthers Grabe“ auf. Es be¬ Autorität, nicht Majorität


zieht sich bei Schiller aber auf das Ende
Diese Formulierung erschien 1851 im
des Trojanischen Krieges, wie die Fort¬
Titel einer Schrift von E. Knönagel:
setzung zeigt: „Ausgefüllt der Kreis der
„Autorität - nicht Majorität - be¬
Zeit/Und die große Stadt bezwungen.“
herrscht die Welt. Epistel ... wider den
Heute wird das Zitat wohl eher seltener
Aberglauben am Konstitutionalismus.“
gebraucht; denkbar wäre es als erleich¬
Der Titel bezieht sich auf eine Rede des
terter Kommentar nach der Beilegung
Rechtsphilosophen und Staatsrechts¬
eines Konflikts, nach Beendigung eines
lehrers Friedrich Julius Stahl (1802 bis
längeren Streites, einer langwierigen
1861) im Erfurter Parlament, wo er dar¬
Verhandlung.
auf hinwies, daß die Liberalen über ih¬
rem Zauberwort Majorität das Prinzip
Die T Schale des Zorns über jeman¬ der Autorität vergessen hätten, wie die
den ausgießen Revolution von 1848 gezeigt habe. Das
Zitat wird in Zusammenhängen verwen¬
t Im Auslegen seid frisch und det, wo nach Meinung des Zitierenden
munter! Legt ihr’s nicht aus, so legt Mehrheitsentscheidungen nicht zum
richtigen Ziel führen können, wo statt
was unter!
dessen eine Führungspersönlichkeit ge¬
fordert ist.
Auslöffeln müssen, was man sich
eingebrockt hat
Ave, imperator, morituri te salu-
Die umgangssprachliche Redewen¬
dung, die oft auch in der Variante „die tant!
Suppe auslöffeln, die man sich oder die t Morituri te salutant
einem jemand eingebrockt hat“ verwen¬
det wird, hat die Bedeutung „die Folgen
Die Axt an die Wurzel legen
seines Tuns tragen müssen“. Sie geht
vermutlich auf den römischen Komö¬ Diese Redewendung hat die Bedeutung
diendichter Terenz (um 190-159 „sich anschicken, einen Mißstand zu be¬
v.Chr.) zurück, bei dem es in seinem seitigen“. Sie hat ihren Ursprung in der
Lustspiel „Phormio“ (11,2,4) heißt: Tu¬ Büßpredigt Johannes des Täufers im
te hoc intristi; tibi omne est exedendum Neuen Testament, wo es in Matthäus
(„Du hast dir das eingerührt, du mußt 3,10 (wie auch in Lukas 3,9) mit Bezug
alles auslöffeln“). auf seine Zuhörer aus Jerusalem und
dem jüdischen Land heißt: „Es ist schon
die Axt den Bäumen an die Wurzel ge¬
t Etwas außerhalb der Legalität
legt. Darum, welcher Baum nicht gute
Frucht bringt, wird abgehauen und ins
Aut Caesar aut nihil Feuer geworfen.“
Diese auf einer Büste des Gajus Julius
Caesar angebrachte Inschrift („Entwe¬
der Caesar oder gar nichts“) erkor sich
Die Axt im Haus erspart den Zim¬
der italienische Renaissancefürst Cesa- mermann
re Borgia (1475-1507) zur Maxime. Sie Mit diesem Ausspruch beschließt Wil¬
drückt die Unbedingtheit dessen aus, helm Teil in Schillers gleichnamigem
der „alles oder nichts“ für sich fordert. Drama seine Arbeit am Hoftor (III, 1).
Mit diesem Zitat ermahnte auch Leo¬ Das Zitat bedeutet „Jemand, der im
pold Mozart seinen Sohn, an seine Kar¬ Umgang mit Handwerkszeug geschickt
riere zu denken. Am 12. Februar 1778 ist, braucht für vieles nicht die Hilfe ei¬
schreibt er ihm nach Mannheim: „Fort nes Fachmanns“. Eine umgangssprach¬
mit Dir nach Paris! Und das bald, setze lich-scherzhafte Abwandlung ist die Re¬
Dich großen Leuten an die Seite - aut densart „Die Axt im Haus ersetzt den
Caesar aut nihil!“ Scheidungsrichter“.

59
Babel Teil I

doll“ für einen Damenschlafanzug mit


kurzem Höschen und weitem Oberteil.

Babylonische Sprachverwirrung
t Babel

B t Freie Bahn dem Tüchtigen

TAch^wie bald schwindet Schön¬


heit und Gestalt!
Babel
Ach, wie bald vergehn die schönen
Der hebräische Name der Stadt Baby¬
Stunden
lon, des Mittelpunktes der altorientali¬
schen Kultur, wird heute in zwei Zu¬
t So ein Tag, so wunderschön wie heute
sammenhängen gebraucht: im Sinne
Balsam fürs zerrißne Herz
von „Sündenbabel“, einer abwertenden
Bezeichnung für einen Ort, eine Stätte So bezeichnet man - meist scherzhaft -
moralischer Verworfenheit, wüster Aus¬ etwas, was man als wohltuend und be¬
schweifung, des Lasters. Der alttesta- lebend empfindet, wenn man sich in
mentliche Prophet Jeremia weissagt den einem seelischen Tief befindet. Der Aus¬
Untergang Babels (Jeremia 50 und 51), druck findet sich - auf den Wein bezo¬
und in der Offenbarung des Johannes gen - in Schillers Gedicht „Das Sieges¬
im Neuen Testament wird der Unter¬ fest“ (1803), wo es heißt: „Trink ihn aus,
gang Babylons in Kapitel 17 und 18 be¬ den Trank der Labe,/Und vergiß den
schrieben. Außerdem bezeichnet Babel großen Schmerz/Wundervoll ist Bac¬
einen Ort, an dem viele fremde Spra¬ chus’ Gabe,/Balsam fürs zerrißne
chen gesprochen werden, so daß man Herz.“
auch von einer babylonischen Sprach¬
verwirrung oder einem babylonischen t Auf der Bank der Spötter sitzen
Sprachengewirr spricht, und zwar im
Anschluß an 1. Moses 11 im Alten Te¬ T Auf diese Bank von Stein will ich
stament. Danach wollten die Menschen mich setzen
in Babel aus Überheblichkeit gegen Jah¬
we einen Turm bis zur Höhe des Him¬ t Auf der Bärenhaut liegen
mels errichten, den sogenannten Baby¬
Ein barmherziger Samariter
lonischen Turm oder den Turmbau zu
Babel. Jahwe strafte sie aber, indem er Dieser Ausdruck geht auf das Lukas¬
ihre Sprache verwirrte und sie in alle evangelium im Neuen Testament zu¬
Lande zerstreute (Babylonische Verwir¬ rück. Im 10. Kapitel erzählt Jesus einem
rung). Schriftgelehrten ein Gleichnis von ei¬
nem Mann, der auf dem Weg von Jeri¬
cho nach Jerusalem überfallen wird und
Baby Doll schwerverletzt liegenbleibt. Ein Priester
In dem gleichnamigen amerikanischen und ein Levit gehen achtlos an ihm vor¬
Film, 1956 von Elia Kazan nach dem über, erst ein Samariter, ein Angehöri¬
Drehbuch von Tennessee Williams ge¬ ger des von den Juden verachteten Vol¬
dreht, ist die so bezeichnete Titelfigur kes der Samaritaner, nimmt sich des
eine lolitahafte Kindfrau. (Das engli¬ Hilfebedürftigen an und „ging zu ihm,
sche baby doll bedeutet soviel wie „Ba¬ verband ihm seine Wunden und goß
bypuppe“; es ist aber vor allem im ame¬ darein Öl und Wein und hob ihn auf
rikanischen Englisch auch eine Bezeich¬ sein Tier und führte ihn in die Herberge
nung für eine puppenhaft schöne junge und pflegte ihn“ (Lukas 10,34). Dieser
Frau von naivem Wesen.) Von daher Akt der Barmherzigkeit wird in dem
stammt auch die Bezeichnung „Baby¬ Gleichnis als beispielhaft dargestellt.

60
Teil 1 Bäume

Wenn man heute jemanden als barm¬ sion in Berlin gewesen und schilderte
herzigen Samariter bezeichnet, so meint nun sein Erschrecken über den Anblick,
man einen selbstlos helfenden Men¬ den ihm die Berliner Bevölkerung in
schen, der sich mitfühlend, mildtätig ge¬ den Straßen der Stadt geboten hatte:
genüber Notleidenden verhält, Ver¬ „Ich sah hier Gestalten die Straße be¬
ständnis für die Not anderer zeigt. In völkern, die ich nicht schildern will.“
diesem Zusammenhang spricht man
auch vom „Samariterdienst“. Des Basses Grundgewalt
Dieser Ausdruck stammt aus Faust I
Basiliskenblick (Auerbachs Keller), wo Siebei, einer der
Der Basilisk ist ein Fabelwesen des Al¬ lustigen Zecher, feststellt: „Wenn das
tertums, ein Mischwesen aus Schlange, Gewölbe widerschallt,/Fühlt man erst
Drache und Hahn mit giftigem Atem recht des Basses Grundgewalt.“ Er gibt
und tödlichem Blick (Basiliskenblick), damit dem Vergnügen Ausdruck, das es
von einer Schlange oder Kröte aus ei¬ einem Sänger bereiten kann, wenn die
nem Hühnerei ausgebrütet und meist als Akustik eines Gewölbes seine tragende
Hahn mit einem Schlangenschwanz Baßstimme durch den Widerhall beson¬
dargestellt. Diese phantastische Dar¬ ders eindrucksvoll zur Geltung bringt. -
stellung findet sich zuerst im Alten Das Goethe-Zitat wird meist scherzhaft
Orient, später gelangte sie über spätanti¬ verwendet, zum Beispiel wenn eine tiefe
ke Schriftsteller und Kirchenväter in die Männerstimme alle anderen Stimmen
Tierbücher des hohen Mittelalters und übertönt oder wenn sie mit großer Laut¬
hielt sich bis ins 17. Jahrhundert. Im Al¬ stärke eingesetzt wird.
ten Testament ist bei Jesaja (11,8) von
der Höhle des Basilisken die Rede. Heu¬ t Leute vom Bau
te wird von einem Basiliskenblick ge¬
sprochen, wenn jemand einen stechen¬ Der Bauer ist kein Spielzeug
den, bösen oder unheimlichen Blick hat, Das Zitat stammt aus der Ballade „Das
der Furcht einflößt oder Schlimmes von Riesenspielzeug“ von Adelbert von
der betreffenden Person erwarten läßt. Chamisso (1781-1838). Das Motiv geht
auf eine Volkssage zurück, in der ein
Basiliskeneier ausbrüten Riesenritter seine Tochter ermahnt,
Diese Redewendung wird gebraucht, nicht mit einem Bauern zu spielen. Bei
wenn sich jemand Böses ausdenkt oder Chamisso heißt es: „Sollst gleich und
etwas Schlimmes im Schilde führt. Un¬ ohne Murren erfüllen mein Ge-
ter einem Basiliskenei versteht man bot;/Denn wäre nicht der Bauer, so hät¬
auch ein Geschenk, das in böser Absicht test du kein Brot;/Es sprießt der Stamm
gegeben wird. Im Alten Testament heißt der Riesen aus Bauernmark her-
es bei Jesaja (59,5), auf sündige Juden vor;/Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei
bezogen: „Sie brüten Basiliskeneier und uns Gott davor!“ Mit dem Zitat „Der
wirken Spinnwebe. Ißt man von ihren Bauer ist kein Spielzeug“ wird die Be¬
Eiern, so muß man sterben; zertritt deutung des Bauern für die Ernährung
man’s aber, so fährt eine Otter heraus.“ des Menschen unterstrichen; gelegent¬
(Vergleiche auch den Artikel „Basilis¬ lich wird damit zum Ausdruck gebracht,
kenblick“.) daß man den Bauernstand (die Land¬
wirte) nicht von oben herab behandeln
Bassermannsche Gestalten und mit ihm nach Belieben umspringen
Der heute seltener gebrauchte Ausdruck kann.
mit der Bedeutung „verdächtige, frag¬
würdige Individuen“ geht auf einen Be¬
TVom Baum der Erkenntnis essen
richt zurück, den der Abgeordnete
Bäume sterben aufrecht
Friedrich Daniel Bassermann am 18. 11.
1848 der Frankfurter Nationalversamm¬ Der Titel der Komödie von Alejandro
lung vortrug. Er war in politischer Mis¬ Casona (eigentlich A. Rodriguez Älva-

61
Bäumlein Teil I

rez, 1903-1965) - im spanischen Origi¬ zuhalten, sich nicht einzumischen. Ganz


nal Los ärboles mueren de pie - wurde vordergründig kann die Verszeile auch
seit der Uraufführung 1949 (deutsche als Stoßseufzer an einem zu strahlen¬
Übersetzung 1950) zum geflügelten den, sonnenheißen Tag dienen, wenn
Wort. In dem Theaterstück gelingt es ei¬ man sich nach schattenspendenden
ner Großmutter, die jahrelang über das Wolken sehnt.
Schicksal und den schlechten Charakter
ihres Enkels - aus Rücksichtnahme - t Ich weiß nicht, was soll es bedeu¬
getäuscht wurde, nach der großen Ent¬ ten
täuschung, die ihr die Erkenntnis der
Wahrheit schließlich bereitet, Haltung t Nie sollst du mich befragen
zu bewahren, nicht zu verzweifeln und
um des Glückes der anderen willen de¬ t Unheimliche Begegnung der
ren Spiel weiterhin mitzuspielen. Heute dritten Art
wird dieses Zitat gebraucht, wenn man
ausdrücken will, daß ein [knorriger] Begeistrung ist keine Heringsware
Mensch rechtschaffen, ohne sich zu In Goethes Gedichtsammlung von 1815
beugen oder sich etwas zu vergeben, zu¬ findet sich im Abschnitt „Epigramma¬
grunde geht. tisch“ das Gedicht „Frisches Ei, gutes
Ei“ mit den folgenden Zeilen: „Enthu¬
TVom Bäumlein, das andere Blät¬ siasmus vergleich’ ich gem/Der Auster,
ter hat gewollt meine lieben Herrn,/Die, wenn ihr sie
nicht frisch genoßt,/Wahrhaftig ist eine
Beckmesserei schlechte Kost./Begeistrung ist keine
Dieser Ausdruck, mit dem man eine Heringsware,/Die man einpökelt auf ei¬
Kritik bezeichnet, die sich an Kleinig¬ nige Jahre.“ Das Zitat wird auch heute
keiten stößt, anstatt das Ganze zu beur¬ noch verwendet, um die spontane Be¬
teilen, geht zurück auf die Figur des geisterung über eine Sache, einen von
Sixtus Beckmesser in Richard Wagners leidenschaftlicher Anteilnahme getrage¬
Oper „Die Meistersinger von Nürn¬ nen Tatendrang zu rechtfertigen.
berg“ (1868). Beckmesser notiert beim
Sängerwettstreit die gegen die Tabula¬ TSo tauml’ ich von Begierde zu
tur, die satzungsmäßig festgelegten Re¬ Genuß
geln für den Vortrag der Meistersinger,
gemachten Verstöße und wird dabei als t Das ist der Beginn einer wunder¬
überaus pedantischer Kunstrichter dar¬ baren Freundschaft
gestellt. Wagner wollte mit dieser Figur
einen seiner Kritiker karikieren. Die begnadete Angst
Dies ist der deutsche Titel eines Thea¬
Bedecke deinen Himmel, Zeus terstücks von Georges Bernanos (1888
Mit den Zeilen „Bedecke deinen Him¬ bis 1948; französischer Titel: Dialogues
mel, Zeus,/Mit Wolkendunst“ beginnt des Carmelites), das vom Martyrium der
Goethes Gedicht „Prometheus“. Nach im Zuge der Säkularisierung Frank¬
der griechischen Mythologie brachte reichs 1794 hingerichteten sechzehn
Prometheus den Menschen gegen den Karmeliterinnen von Compiegne han¬
Willen Zeus’ das Feuer und zog sich da¬ delt. Einzig die ängstliche und schwa¬
mit den Zorn des Herrn des Himmels che junge Novizin Blanche de la Force
zu. Das Gedicht ist ein stolzer Monolog bleibt zunächst unentdeckt, überwindet
des Prometheus, der darin unmißver¬ jedoch durch Gottes Gnade ihre Angst
ständlich seine Verachtung für Zeus und folgt ihren Schwestern freiwillig auf
zum Ausdruck bringt. - Man verwendet das Schafott in den Tod. Blanche erklärt
das Zitat - meist scherzhaft-ironisch -, dies im Stück mit folgenden Worten:
wenn man eine mächtige Person oder „Selbst die Angst ist ein Geschöpf Got¬
Institution auffordern will, sich zurück¬ tes, das am Karfreitag erlöst worden

62
Teil I bei

ist.“ - In Situationen, in denen sich je¬ so schön gewesen“ geläufig) stammt aus
mandes Angst auf wunderbare Weise in dem Versepos „Der Trompeter von Säk-
übernatürliche Stärke wandelt, spricht kingen, ein Sang vom Oberrhein“ von
man auch heute noch gelegentlich von Joseph Viktor von Scheffel (1826 bis
einer „begnadeten Angst“. 1886), wo es im 2. Stück heißt: „Behüt’
dich Gott, es wär' zu schön gewe-
Begräbnis erster Klasse sen,/Behüt’ dich Gott, es hat nicht sol¬
t Leichenbegängnis erster Klasse len sein!“ Auch die zweite Zeile wird in
vergleichbaren Situationen zitiert.
t Das begreife ein andrer als ich
Bei Anruf Mord
t Denn eben, wo Begriffe fehlen, In dem amerikanischen Spielfilm „Bei
da stellt ein Wort zur rechten Zeit Anruf Mord“ (Originaltitel Dial ,,M" for
sich ein Murder) aus dem Jahre 1953 (Regie:
Alfred Hitchcock) wird durch das klin¬
t Mich ergreift himmlisches Beha¬ gelnde Telefon ein Mord angekündigt;
gen zugleich gehört es zum Ablauf eines raf¬
finierten Plans, der zu einem anderen
Behandelt jeden Menschen nach Mord mit Hilfe der Justiz führen soll. -
seinem Verdienst Heute werden, besonders in kurzgefa߬
ten Inseraten, oft Serviceleistungen mit
Mit diesem Zitat aus Shakespeares Tra¬
der einleitenden Fügung „Bei Anruf...“
gödie „Hamlet“ (11,2) wird heute meist
angeboten (z. B.: „Bei Anruf Babysit¬
zum Ausdruck gebracht, daß man die
ting“ oder „... Pizza ins Haus“).
Leistungen eines Menschen als Ma߬
stab für seine Beurteilung zugrunde le¬
gen soll. Im Original sagt Hamlet, ange¬ Bei einem Wirte wundermild
tan von Darbietungen einiger Schau¬ Mit dieser Zeile beginnt Ludwig Uh-
spieler am Hof, zu seinem Oberkämme¬ lands (1787-1862) Wanderlied „Ein¬
rer Polonius: Use every man after his de- kehr“, in dem von einer Rast unter ei¬
sert, and who should scape whipping? nem Apfelbaum erzählt wird. Dieser
(„Behandelt jeden Menschen nach sei¬ Apfelbaum, der wie ein Gasthaus An¬
nem Verdienst, und wer ist vor Schlägen nehmlichkeiten bietet, nämlich die „sü¬
sicher?“). Hamlet setzt dagegen einen ße Kost“ seiner Früchte, den Gesang
Umgang mit den Menschen, der sich der Vögel und den „kühlen Schatten“,
ungeachtet ihres Verdienstes auf die ei¬ wird dort als Wirt bezeichnet. Die erste
gene Vornehmheit gründet: Use them af¬ Strophe des Liedes lautet: „Bei einem
ter your own honour and dignity - the less Wirte wundermild,/Da war ich jüngst zu
they deserve, the more merit is in your Gaste;/Ein goldner Apfel war sein
bounty („Behandelt sie nach Eurer eig¬ Schild/An einem langen Aste.“ Das Zi¬
nen Ehre und Würdigkeit: je weniger sie tat wird heute gelegentlich noch ver¬
verdienen, desto mehr Verdienst hat wendet, um auszudrücken, daß man ei¬
Eure Güte“). nen schönen Aufenthalt im Freien hatte
oder irgendwo gastlich aufgenommen
Beharrlichkeit führt zum Ziel worden ist.
TNur Beharrung führt zum Ziel
Bei genauerer Betrachtung steigt
Behüt’ dich Gott, es wär’ zu schön mit dem Preise auch die Achtung
gewesen! In seiner Bildergeschichte „Maler
Mit diesem Stoßseufzer verleiht man Klecksei“ übt Wilhelm Busch (1832 bis
seiner Enttäuschung Ausdruck, wenn 1908) satirische Kritik an der Bildungs¬
etwas nicht so gekommen ist, wie man philisterei seiner Zeit. Besonders kenn¬
es sich gewünscht oder vorgestellt hat. zeichnend ist dafür, wie der Ich-Erzäh¬
Das Zitat (auch in der Form „... es wär’ ler im 1. Kapitel sein Verhalten als Mit-

63
bei Teil I

glied eines Kunstzirkels bei der Beurtei¬ und Tod die Ermordung Cäsars gerächt.
lung eines Gemäldes beschreibt: „Mit Shakespeare hat sich hier vermutlich
scharfem Blick, nach Kennerweise/Seh’ auf eine Stelle in der Cäsarbiographie
ich zunächst mal nach dem Preise,/Und des griechischen Schriftstellers Plutarch
bei genauerer Betrachtung/Steigt mit bezogen, wo die Ankündigung in der
dem Preise auch die Achtung.“ Man Form „Bei Philippi wirst du mich se¬
verwendet die beiden letzten Verse, um hen“ zu finden ist. Heute wird die Re¬
ironisch auszudrücken, daß manche densart als - gelegentlich auch scherz¬
Leute vieles nur deshalb besonders gut hafte - Drohung verwendet, mit der
finden oder für wertvoll halten, weil es man ausdrückt, daß man mit jemandem
teuer ist. noch eine Rechnung zu begleichen hat.

Bei Gott ist kein Ding unmöglich


Dieser Ausspruch geht auf das Lukas¬ Beim ersten Mal, da tut’s noch weh
evangelium (1,37) zurück. Dort sagt der Mit diesen Worten beginnt der Refrain
Engel Gabriel zu Maria, die daran zwei¬ eines Liedes aus dem Helmut-Käutner-
felt, daß sie ein Kind bekommen wird Film „Große Freiheit Nr. 7“ (1944) mit
(„Wie soll das zugehen, sintemal ich von Hans Albers: „Beim ersten Mal, da tut’s
keinem Manne weiß?“), mit Hinweis noch weh,/da glaubt man noch,/daß
auf ihre angeblich unfruchtbare, aber man es nicht verwinden kann./Doch mit
doch schwangere Freundin Elisabeth: der Zeit, so peu ä peu,/gewöhnt man
„Denn bei Gott ist kein Ding unmög¬ sich daran.“ Auf der Lebenserfahrung,
lich.“ Heute werden diese Worte zitiert, daß der erste Liebeskummer, die erste
wenn ausgedrückt werden soll, daß trotz Enttäuschung in der Liebe am schmerz¬
starker Zweifel etwas Unvorstellbares haftesten empfunden wird, beruht auch
Wirklichkeit werden kann. der heutige Gebrauch des Zitats. Man
tröstet jemanden, der in einer solchen
Bei Männern, welche Liebe fühlen Situation ist, mit dem Hinweis, daß der¬
Dieses Zitat stammt aus Mozarts Zau¬ artige Erfahrungen künftig leichter zu
berflöte (1791 uraufgeführt; Text von ertragen sein werden.
Emanuel Schikaneder). Nachdem Prin¬
zessin Pamina von Papageno erfahren
hat, daß der sie liebende Prinz Tamino Beim heiligen Bürokrazius!
zu ihrer Befreiung unterwegs sei, singt Dieser Ausruf wird - meist scherzhaft -
sie in einem Duett mit Papageno: „Bei gebraucht, wenn man seiner Verwunde¬
Männern, welche Liebe fühlen,/Fehlt rung, seinem Ärger über übertrieben ge¬
auch ein gutes Herze nicht.“ Heute wird naue, bürokratische Handhabung von
mit der ersten Zeile meist scherzhaft das Dienstvorschriften Ausdruck geben
in irgendeiner Weise auffällige Verhal¬ will. Er geht zurück auf ein Zitat aus der
ten eines verliebten Mannes kommen¬ Schulkomödie „Flachsmann als Erzie¬
tiert. her“ von Otto Ernst (1862-1926). Der
Lehrer Fleming sagt dort (III, 10) im
t... denn bei mir liegen Sie richtig! Hinblick auf seinen engstirnig-formali¬
stischen Direktor, der sich trotz seiner
Bei Philippi sehen wir uns wieder! Unfähigkeit auf bürokratischen Wegen
Die Redensart geht auf Shakespeares ein Amt erschlichen hat: „Bei dem heili¬
Drama „Julius Cäsar“ (IV, 3) zurück. gen Bureaukrazius ist nichts unmög¬
Dort antwortet Cäsars Geist auf die Fra¬ lich!“
ge Brutus’, weswegen er gekommen sei:
„Um dir zu sagen, daß du zu Philippi/
Mich sehn sollst.“ (Im englischen Text: Beim wunderbaren Gott - das
To teil thee thou shalt see me at Philippi.) Weib ist schön!
Bei dem ostmakedonischen Ort Philippi Mit diesen Worten gibt Don Kariös in
wird dann durch Brutus’ Niederlage Schillers gleichnamigem Drama (11,8)

64
Teil I
bella

der Faszination Ausdruck, die die Prin¬ Bekränzt mit Laub den lieben vol¬
zessin von Eboli, in die er sich gerade len Becher
verliebt, auf ihn ausübt. Das Zitat
Dieses Zitat stammt aus dem Gedicht
wird - auch in der verkürzten Form
„Rheinweinlied“ von Matthias Claudi¬
„Bei Gott, das Weib ist schön!“ - heute
us (1740-1815), das von Johann Andre
noch gelegentlich scherzhaft verwendet,
vertont wurde. Das Gedicht zum Lobe
wenn man die Schönheit einer Frau her¬
vorheben will. des rheinischen Weines beginnt mit den
Zeilen: „Bekränzt mit Laub den lieben
vollen Becher/Und trinkt ihn fröhlich
Bein von meinem Bein und Fleisch leer!/In ganz Europia, ihr Herren Ze¬
cher,/Ist solch ein Wein nicht mehr!“
von meinem Fleisch
Die erste Zeile wird heute noch als
So bezeichnet in der Schöpfungsge¬ Trinkspruch in geselliger Runde von
schichte des Alten Testaments der erste Weintrinkern verwendet.
Mensch Adam seine Frau, die von Gott
Jahwe aus seiner Rippe geschaffen wor¬
den war (1. Moses 2, 23). „Bein“ steht
Belami
hier in der veralteten Bedeutung „Kno¬
chen“. Wie den Ausdruck „eigen Das Wort mit der Bedeutung „Frauen¬
Fleisch und Blut“ (siehe dort) verwen¬ liebling“ geht zurück auf die Titelgestalt
det man diese Bibelworte zur Bezeich¬ des Romans Bel ami (in wörtlicher
nung des eigenen Kindes oder der eige¬ Übersetzung: „schöner Freund“) von
nen Kinder, wobei mit Nachdruck auf Guy de Maupassant (1850-1893). Der
die enge, direkte verwandtschaftliche Roman schildert den beruflichen Auf¬
Beziehung hingewiesen wird. stieg eines Abenteurers, der sich seines
Charmes und seiner Wirkung auf Frau¬
en zur Förderung seiner journalisti¬
Bekenntnisse einer schönen Seele schen Karriere bedient. Zusätzliche Ver¬
breitung erlangte die Bezeichnung
Das Zitat ist der Titel des 6. Buchs von
durch den gleichnamigen Film von Willi
Goethes Roman „Wilhelm Meisters
Forst aus dem Jahr 1939 mit dem lang¬
Lehrjahre“ (1795/96). Goethe verarbei¬
samen Foxtrott „Du hast Glück bei den
tete in der mit der Romanhandlung ver¬
Frau’n, Bel ami“ von Theo Mackeben.
knüpften Lebensbeichte einer Stiftsda¬
me seine Erinnerungen an die pietisti-
sche Schriftstellerin Susanne Katharina
von Klettenberg (1723-1774), Mitglied Bella gerant alii, tu, felix Austria,
der Herrnhuter Brüdergemeinde und nube
Freundin seiner Mutter. Sie hatte ihn Das Zitat Bella gerant alii, tu, felix Au¬
während seiner Krankheit im Jahre stria, nube!/Nam quae Mars aliis, dat tibi
1768 fürsorglich gepflegt. - Die „schöne regna Venus! („Kriegführen lasse die
Seele“ - der Begriff ist seit der mittelal¬ anderen, du, glückliches Österreich, hei¬
terlichen Mystik bekannt und kommt rate !/Reiche schenkt dir Venus wie an¬
auch bei Wieland und in Schillers Ab¬ deren Gott Mars!“) stellt eine Anspie¬
handlung „Über Anmut und Würde“ lung auf die Habsburger dar, die oft,
(1793) vor - ist im Einklang mit sich und statt Krieg zu führen, ihr Reich und
der Welt. Das Hauptanliegen ihrer „Be¬ ihren politischen Einfluß durch eine
kenntnisse“ stellt die pietistisch-mysti- geschickte Heiratspolitik vergrößern
sche Begegnung mit Gott dar. Heute konnten. Der Anfang des Zitats stammt
bringt man mit den Worten „Bekennt¬ wohl aus den „Heroides“ (13,84) des rö¬
nisse einer schönen Seele“ meist iro¬ mischen Dichters Ovid (43 v. Chr.-17
nisch zum Ausdruck, daß man jemandes oder 18 n.Chr.). Dort heißt es: Bella
Vorstellungen oder Äußerungen für et¬ gerant alii! Protesilaus amet! („Mögen
was naiv und weltfremd oder für zu andere Kriege führen, Protesilaus soll
idealistisch hält. lieben!“).

65
beneidenswert Teil I

Beneidenswert, wer frei davon Beschränkter Untertanenverstand


Dieses Zitat stammt aus der „Doppelten Gegen die von König Ernst August in
Ballade über dasselbe Thema“ im „Gro¬ Hannover 1833 verfügte Aufhebung der
ßen Testament“ des französischen Verfassung hatten namhafte Göttinger
Dichters Franfois Villon (geboren um Professoren (die „Göttinger Sieben“)
1431, Todesdatum unbekannt), in der es protestiert. Für dieses Verhalten erhiel¬
um die Gefahren der Liebe geht, die die ten sie Zustimmung aus breiten Kreisen
Männer leicht zu Narren machen und der Bevölkerung. Eine der vielen
ins Unglück stürzen kann. Die einzelnen schriftlichen Zustimmungen wurde dem
Strophen enden mit der Zeile Bien est damaligen preußischen Justizminister
eureux qui riens n'y a! (wörtlich über¬ von Rochow (1792-1847) zugespielt,
setzt: „Sehr glücklich ist, wer nichts da¬ der in seiner Antwort formuliert haben
mit zu tun hat!“). Man kommentiert mit soll, daß es sich für einen Untertanen
dem Zitat heute gelegentlich Verpflich¬ nicht gehöre, „die Handlungen des
tungen, Bindungen, Sachzwänge, denen Staatsoberhauptes an den Maßstab sei¬
man selbst unterworfen ist, während an¬ ner beschränkten Einsicht anzulegen“.
dere sich darüber hinwegsetzen können Aus dieser Formulierung entstand wohl
oder gar nicht davon betroffen sind. das politische Schlagwort vom „be¬
schränkten Untertanenverstand“. Der
t In Bereitschaft sein ist alles Lyriker Georg Herwegh, der auf einer
Reise durch Deutschland auch eine Au¬
dienz beim preußischen König Fried¬
Der Berg kreißte und gebar eine rich Wilhelm IV. (1840-1861) erhalten
Maus hatte, verwendete es im Dezember 1842
Diese Redensart stammt aus der „Ars in einem polemischen Brief an den Kö¬
poetica“ des römischen Dichters Horaz nig. Wegen dieses Briefes wurde er aus
(65-8 v.Chr.), wo es in Vers 139 heißt: Preußen ausgewiesen.
„Es kreißen die Berge, zur Welt kommt
nur ein lächerliches Mäuschen“ (latei¬ t In der Beschränkung zeigt sich
nisch: Parlurient montes, nascetur ridicu- erst der Meister
lus mus). Mit diesen Worten wollte Ho¬
raz die Dichter kritisieren, die nur wenig T Der ist besorgt und aufgehoben
von dem halten, was sie versprechen.
Wenn jemand große Vorbereitungen Besser als sein Ruf sein
trifft, große Versprechungen macht und
kaum etwas dabei herauskommt, dann „Das Ärgste weiß die Welt von mir, und
zitiert man heute: „Der Berg kreißte und ich kann sagen, ich bin besser als mein
Ruf.“ Diese Worte läßt Schiller in sei¬
gebar eine Maus“ oder auch nur: „Der
Berg gebar eine Maus“. nem Trauerspiel eine zornige Maria
Stuart ihrer Rivalin Elisabeth I. entgeg¬
nen (Maria Stuart III, 4). In ähnlicher
T Auf den Bergen ist Freiheit Form findet sich die Wendung bereits
bei dem römischen Dichter Ovid (43
t Das macht die Berliner Luft v. Chr. bis 17/18 n.Chr.), der versuchte,
einer Dame mit zweifelhaftem Ruf eine
t Ich bin ein Berliner gerechtere Beurteilung zukommen zu
lassen: Ipsa sua meliorfama („Sie selbst
war besser als ihr RuP‘).
t Viele sind berufen, aber wenige
sind auserwählt
Besser, man riskiert, einen Schul¬
digen zu retten, als einen Unschul¬
Bescheidenheit ist eine Zier, doch digen zu verurteilen
weiter kommt man ohne ihr
Dieser Satz aus der Erzählung „Zadig“
Den t Jüngling ziert Bescheidenheit des französischen Dichters und Philoso-

66
Teil I Bessere

phen Voltaire (1696-1778; im französi¬ ferkeit ist Vorsicht, und mittels dieses
schen Original: II vaut mieux hasarder besseren Teils habe ich mein Leben ge¬
de sauver un coupable que de condamner rettet“ (im englischen Original: The bet¬
un irmocent) zeigt dessen unerbittliche ter part of valour is discretion V,4).
Haltung Justizverbrechen gegenüber, Heute wird die Redensart meist in der
die ihm schon zu Lebzeiten den Beina¬ Form „Vorsicht ist die Mutter der Tap¬
men eines Freundes der Unglücklichen ferkeit“ verwendet oder in der scherz¬
einbrachte. Der Ausspruch wird zitiert, haften Abwandlung „Vorsicht ist die
wenn gesagt werden soll, daß Zweifel an Mutter der Porzellankiste.“
der Schuld eines Angeklagten nicht zu
beheben sind und es deswegen besser Das bessere Teil erwählt haben
ist, ihn freizusprechen. Mit dieser Redewendung will man aus-
drücken, daß sich jemand mit seiner
Besser spät als gar nicht Entscheidung die Voraussetzungen ge¬
Die sprichwörtliche Redensart, bei der schaffen hat, es besser zu haben als an¬
„besser“ auch durch „lieber“ und „gar dere. Zugrunde liegt vermutlich eine
nicht“ durch „nie“ oder „niemals“ er¬ Episode im Lukasevangelium (Lukas
setzt werden kann, ist schon bei Titus 10, 38-42), die Jesus im Hause von Mar¬
Livius (59 v. Chr.-17 n. Chr.) in seiner tha und Maria, den Schwestern des La¬
römischen Geschichte „Ab urbe condita zarus, zeigt. Martha beschwert sich dar¬
libri“ (IV,2,11) belegt: Potius sero quam über, daß sie die ganze Hausarbeit allei¬
numquam. Bekannt sind auch die fran¬ ne machen müsse, während Maria nur
zösische und die englische Variante: dasitze und ihm zuhöre. Jesus gibt ihr
Mieux vaut tard que jamais und Better daraufhin zur Antwort: „Martha, Mar¬
late than never. tha, du hast viel Sorge und Mühe; eins
aber ist not. Maria hat das gute Teil er¬
wählt; das soll nicht von ihr genommen
Bessere Hälfte
werden“ (10, 41 -42). Die Redewendung
Diese scherzhafte Bezeichnung für wird gelegentlich auch in der Form „den
„Ehefrau“ - seltener auch für „Ehe¬ besseren Teil erwählt (oder: gewählt)
mann“ - stammt aus dem Schäferroman haben“ gebraucht.
„The countess of Pembroke’s Arcadia“
des englischen Dichters Philip Sydney Das Bessere ist der Feind des Gu¬
(1554-1586), ins Deutsche übersetzt ten
1629/1638 unter dem Titel „Das Arka¬
Wer diese Worte (auch in der Variante
dien der Gräfin von Pembroke“. Der
„... des Guten Feind“) aus dem „Philo¬
englische Dichter John Milton (1608 bis
sophischen Wörterbuch“ des französi¬
1674) griff sie in seinem Epos „Paradise
schen Dichters und Philosophen Vol¬
lost“ auf, wo Adam seine Frau Eva als
taire (1696-1778) zitiert, will damit sa¬
dearer half, als „teurere Hälfte“ bezeich¬
gen, daß etwas, mag es noch so gut sein,
net.
weichen muß, wenn Besseres, Vollkom¬
meneres an seine Stelle treten kann. Ei¬
Der bessere Teil der Tapferkeit ist nen stetigen Fortschritt kann es nämlich
Vorsicht nur geben, wenn das Überkommene -
Shakespeare läßt im 1. Teil seines histo¬ zum richtigen Zeitpunkt - durch Ver¬
rischen Dramas „König Heinrich IV.“ bessertes und Weiterentwickeltes ersetzt
(uraufgeführt 1597) den komischen Hel¬ wird. Das Zitat kann aber auch gele¬
den Falstaff, einen beleibten, immer gentlich als Warnung verstanden wer¬
trinkenden und doch nie betrunkenen den, etwas, was allen Ansprüchen ge¬
Prahlhans und Feigling, einen Zwei¬ nügt und ohne Mängel ist, nicht noch
kampf dadurch überleben, daß dieser weiter perfektionieren zu wollen und es
sich totstellt. Der „Held“ kommentiert dadurch eher schlechter zu machen. -
dann seine taktische Meisterleistung mit Das französische Original lautet: Le
den Worten: „Das bessere Teil der Tap¬ mieux est Pennemi du bien.

67
Besseres Teil I

t Etwas Besseres als den Tod fin¬ zeigt das tägliche Leben mit seinen zahl¬
reichen Widrigkeiten, daß „die Welt“
dest du überall
nur das sein kann, was der in ihr leben¬
de Mensch daraus macht.
Das Beste ist gerade gut genug
Wo höchsten Ansprüchen Genüge getan Bestgehaßter Mann
werden muß, wo nur Ausgesuchtes die
Der Ausdruck mit der eigenwilligen ad¬
geforderte Qualität bieten kann, da ist
jektivischen Zusammensetzung geht
eben das Beste gerade gut genug. Dieser
wohl auf Otto von Bismarck (Reichs¬
Ansicht war schon Goethe, wie in einem
kanzler von 1871-1890) zurück. In einer
Brief nachzulesen ist, der im ersten Teil
Rede im preußischen Landtag während
seiner „Italienischen Reise“ abgedruckt
der Zeit der Auseinandersetzung der
ist. Goethe spricht hier seine Neubear¬
protestantisch-preußischen Staatsmacht
beitung der „Iphigenie“ an, der er sich
mit der katholischen Kirche (des soge¬
in den ersten Monaten seines Italienauf¬
nannten „Kulturkampfes“ von etwa
enthaltes intensiv gewidmet hatte und
1871-1878) rief der Reichskanzler aus,
die er für sehr gelungen hielt: „Ich weiß,
daß er wohl - mit Stolz - von sich be¬
was ich daran getan habe schreibt
haupten könne, „die am besten gehaßte
er. „Wenn es eine Freude ist, das Gute
Persönlichkeit“ im Deutschen Reich zu
zu genießen, so ist es eine größere, das
sein.
Bessere zu empfinden, und in der Kunst
ist das Beste gut genug“ (Brief aus Nea¬
pel vom 3. 3. 1787). Die Bestie im Menschen
t La bete humaine
Die beste aller möglichen Welten
Es ist bestimmt in Gottes Rat
In seinen „Abhandlungen zur Rechtfer¬
tigung Gottes, über die Güte Gottes, die T Wenn Menschen auseinandergehn, so
Freiheit des Menschen und den Ur¬ sagen sie: auf Wiedersehn, ja, Wieder¬
sprung des Übels“ (1710 in französi¬ sehn!
scher Sprache veröffentlicht unter dem
Titel „Essais de theodicee sur la bonte Bete und arbeite!
de dieu, la liberte de l’homme et l’ori- t Ora et labora!
gine du mal“) versucht der deutsche
Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz
t Bei genauerer Betrachtung steigt
(1646 bis 1716) den Vorwurf, Gott hätte
mit dem Preise auch die Achtung
in seiner Allmacht eine bessere Welt
schaffen müssen, zu widerlegen. Da
Gott wirklich allmächtig sei, so argu¬ Betrogener Betrüger
mentiert Leibniz dabei, hätte er natür¬ So nennt man jemanden, der andere
lich eine andere, bessere Welt schaffen hintergehen wollte, aber dann selbst
können. Und eben darum hätte Gott arglistig getäuscht worden ist. Die Be¬
nicht diese Welt erschaffen, so wie sie zeichnung geht auf die sogenannte
ist, „wenn sie nicht unter allen mögli¬ Ringparabel in Gotthold Ephraim Les-
chen die beste wäre“ (1,8). Diese „Be¬ sings (1729-1781) Versdrama „Nathan
weisführung“ reizte den französischen der Weise“ (III, 7) zurück. Hier treten
Philosophen Voltaire zum Spott, und er drei Söhne eines Mannes vor den Rich¬
karikierte sie in seinem Roman „Candi- ter und behaupten, ein jeder habe vom
de“ (1759). Dort versucht der stets opti¬ Vater einen Ring mit besonderen Kräf¬
mistische Erzieher und Philosoph Mai- ten geerbt, aber nur einer könne der ech¬
tre Pangloss zu beweisen, daß alles aufs te sein. Der weise Richter schlichtet den
beste geregelt sei „in der besten der Streit, indem er eine salomonisch-prag¬
möglichen Welten“ (im französischen matische Entscheidung fällt: „Oh, so
Original: dans le meilleur des mondes seid ihr alle drei/Betrogene Betrüger!
possibles). In Voltaires Roman aber Eure Ringe/sind alle drei nicht echt.“

68
Teil I
big

Der t wahre Bettler ist der wahre t Mit dem Bezahlen wird man das
König meiste Geld los

Bewaffneter Friede
Der deutsche Epigrammatiker Friedrich Biedermann und die Brandstifter
von Logau (1604-1655) betitelte zwei In diesem Theaterstück, das im März
seiner Sinngedichte „Gewaffneter Frie¬ 1953 als Hörspiel unter dem Titel „Herr
de“ und „Der geharnischte Friede“. Er Biedermann und die Brandstifter“ im
nahm damit Bezug auf die Zeit nach Bayerischen Rundfunk gesendet und im
dem 30jährigen Krieg in Deutschland. März 1958 in Zürich auf der Bühne ur-
Die deutschen Fürsten hatten im West¬ aufgeführt wurde, veranschaulicht Max
fälischen Frieden von 1648 das Bewaff¬ Frisch (1911-1991) typische Verhaltens¬
nungsrecht und das Recht der Entschei¬ weisen des Spießers und saturierten
dung über Krieg und Frieden zugespro¬ Bürgers. Feiges konformistisches Den¬
chen bekommen. Der Kaiser konnte al¬ ken führt dazu, daß dem Verbrechen
so im Reich nicht einfach mehr einen kein Widerstand entgegengesetzt wird
Krieg befehlen, andrerseits fand sich und „Brandstifter“ ungehindert zu Wer¬
bald in jedem Kleinstaat ein stehendes ke gehen können. Der Titel dieses
Heer. Allerdings sah Logau auch einen Stücks wird dementsprechend dann zi¬
möglichen Vorteil in der Entwicklung, tiert, wenn Konformismus und überstei¬
wie es das Sinngedicht zeigt: „Der Frie¬ gertes Sicherheitsdenken angeprangert
de geht im Harnisch her;/wie ist es so werden sollen, wenn das Sankt-Flori-
bestellt?/Es steht dahin; er ist vielleicht ans-Prinzip so weit getrieben wird, daß
die Pallas unsrer Welt.“ Beide Titel dem Brandstifter die Streichhölzer in
führten wohl zur Bildung des Ausdrucks die Hand gegeben werden, in der Hoff¬
„bewaffneter Friede[n]“, der vor allem nung, er möge das Nachbarhaus anzün¬
durch das Gedicht von Wilhelm Busch den.
über Fuchs und Igel allgemein bekannt
wurde.
Big Brother is watching you
TUnd sie bewegt sich doch! In seinem Roman „1984“ zeichnet der
englische Schriftsteller George Orwell
Bewundert viel und viel geschol¬
(1903-1950) das Schreckensbild eines
ten menschenverachtenden totalitären
„Bewundert viel und viel gescholten, Staates, in dem das Individuum totaler
Helena,/Vom Strande komm’ ich, wo Überwachung unterliegt und selbst bis
wir erst gelandet sind“. Mit diesen Wor¬ in intimste Bereiche verwaltet und be¬
ten betritt im sogenannten Helena-Akt herrscht wird. (Die Jahreszahl „1984“
im 2. Teil von Goethes „Faust“ die schö¬ wurde zu einer Art Symbolzahl für das
ne Helena die Bühne (Faust II, 3, Vers 8 Schreckensbild eines solchen Staates.)
488 f.). Treffend charakterisiert sie so ih¬ An der Spitze des Staatsapparates steht
re Lebensgeschichte. Ihre verführeri¬ ein fiktiver Parteiführer, der „Große
sche Schönheit wurde in der Antike ge¬ Bruder“ (englisch: Big Brother), dessen
rühmt. Aber ihre Treulosigkeit dem Bild allgegenwärtig ist und mit seinen
Gatten gegenüber brachte schließlich Augen jedem überallhin zu folgen
das Leid eines langen Krieges über scheint („Der Große Bruder beobachtet
Griechen und Trojaner. Was Helena im dich“, englisch: Big Brother is watching
Faust von sich sagt, kann auch heute you). Der Ausdruck „der große Bruder“
noch auf viele Menschen bezogen wer¬ ist dann zur Metapher für eine allmäch¬
den ; wohl niemand vermag die ungeteil¬ tige, alle und alles überwachende
te Zustimmung aller zu erreichen. Fast Staatsgewalt geworden. Er wird gele¬
immer gehen Bewunderung und Kritik gentlich aber auch scherzhaft verwen¬
Hand in Hand, zumal wenn jemand im det, wenn man ausdrücken will, daß
Rampenlicht der Öffentlichkeit steht. eine höhere Stelle, ein größerer, mächti-

69
Bild Teil I

gerer Partner seine Augen überall hat man heute aus, daß ein Mensch nur zu
und man stets unter Beobachtung ist. einer wirklichen Persönlichkeit werden
kann, wenn er sich auch gesellschaftli¬
Ein Bild für die Götter chen Aufgaben stellt und im Leben be¬
währt. Der Anfang des Zitates wird
So - oder auch als „Anblick“ oder
auch gebraucht, wenn - gelegentlich
„Schauspiel für die Götter“ - beschreibt
scherzhaft - gesagt werden soll, daß je¬
man scherzhaft einen grotesken, komi¬
mand, ohne daß es bemerkt worden ist,
schen Anblick, den jemand oder etwas
Qualitäten entwickelt hat.
bietet. Eine solche Wendung findet sich
schon in Goethes Singspiel „Erwin und
T Dies Bildnis ist bezaubernd schön
Elmire“ (1775), wo es heißt: „Ein
Schauspiel für Götter/Zwei Liebende zu Bildung macht frei
sehn!/Das schönste Frühlingswetter/Ist
Dieses Motto hatte der deutsche Ver¬
nicht so warm, so schön“ (1,1). Bei Goe¬
lagsbuchhändler Joseph Meyer (1796
the wird also das „Schauspiel für Göt¬
bis 1856), der Gründer des „Bibliogra¬
ter“ noch als etwas sehr Schönes, kei¬
phischen Instituts“, seiner „Groschen-
neswegs als etwas Lächerliches angese¬
Bibliothek der deutschen Klassiker für
hen.
alle Stände“ (1850 ff.) vorangestellt. Es
wurde bald zum Schlagwort für die An¬
Bilde, Künstler! Rede nicht!
hänger einer liberalen Schulpolitik. Im
Dies ist der erste Teil des Mottos, das „Schlußwort des Herausgebers“ seines
Goethe der Abteilung „Kunst“ seiner 52bändigen „Großen Conversations-
1815 erschienenen Gedichtsammlung Lexikons“ (erschienen 1855) hat er die¬
vorangestellt hat. Es lautet vollständig: sen Gedanken noch einmal formuliert:
„Bilde, Künstler! Rede nicht!/Nur ein „Die Intelligenz aller ist der stärkste
Hauch sei dein Gedicht.“ Die Worte Hort der Humanität und Freiheit.“
sind als Aufforderung an den schreiben¬ Meyers Worte haben ihre Bedeutung
den Künstler zu verstehen, keine „Wör¬ bewahrt und bringen auch heute noch
termuseen“ zu schaffen, sondern seinen zum Ausdruck, daß die Unfreiheit der
Stoff mit sparsamen Mitteln und künst¬ Unwissenheit nur durch die Durchset¬
lerischer Leichtigkeit möglichst bildhaft zung des Rechtes aller auf Wissensver¬
und anschaulich zu gestalten. Auf das mittlung und Information beseitigt wer¬
Zitat kann sich literarische Kritik auch den kann.
heute noch berufen, wenn die farblose
Geschwätzigkeit eines Werkes ange¬ Bin weder Fräulein, weder schön,
prangert werden soll. kann ungeleitet nach Hause gehen
In der Szene „Straße“ im ersten Teil von
t Wie sich die Bilder gleichen
Goethes „Faust“ weist Gretchen mit
diesen Worten kurz angebunden Faust
Es bildet ein Talent sich in der Stil¬ ab, der sie schmeichelnd zuvor gefragt
le, sich ein Charakter in dem Strom hatte: „Mein schönes Fräulein, darf ich
der Welt wagen,/Meinen Arm und Geleit Ihr an¬
Leonore Santivale, die Freundin der zutragen?“ Mit dem Zitat wehrt man,
Prinzessin Leonore von Este richtet die¬ meist in gewollt schnippisch-scherzhaf¬
se Worte an deren Bruder Alfons II., tem Ton, übertriebene Komplimente
den Herzog von Ferrara, den Mäzen des und Schmeicheleien ab. - „Fräulein“
Dichters Torquato Tasso in Goethes wird von Goethe im „Faust“ noch im al¬
gleichnamigem Schauspiel (1790). Der ten Sinne von „junge Frau des vorneh¬
Herzog wartet ungeduldig auf die Voll¬ men Standes, aus dem Adel“ gebraucht.
endung eines Werkes des Dichters und
übt Kritik an dessen Art, menschen¬ Bis aufs Blut
scheu und zurückgezogen über seiner Wir kennen heute die Wendungen je¬
Arbeit zu sitzen. Mit dem Zitat drückt manden bis aufs Blut peinigen, quälen

70
Teil I bittere

oder reizen“. Der bildhafte Ausdruck oder ironisch, wenn man sich an einem
„bis aufs Blut“ findet sich bereits im Ort oder in einer Situation befindet, die
Neuen Testament. Hier heißt es im „He¬ man nicht als positiv ansieht.
bräerbrief“ (12,4): „Denn ihr habt noch
nicht bis aufs Blut widerstanden in dem Bis hierher und nicht weiter
Kämpfen wider die Sünde.“ „Bis aufs
Mit dieser Redewendung drückt man
Blut“ meint eigentlich „bis hin zum
aus, daß etwas die Grenze des Tolerier¬
Blutvergießen“, im übertragenen Sinne
baren erreicht hat. Sie geht vermutlich
bedeutet es „bis zum äußersten“.
zurück auf das Buch Hiob im Alten Te¬
Bis aufs Messer stament. Jahwe stellt darin die Frage:
„Wer hat das Meer mit Türen verschlos¬
Als nach der französischen Intervention sen, da es herausbrach wie aus Mutter¬
in Portugal im Jahre 1807 die napoleo- leib“ (38,8) und zitiert dann seine eige¬
nischen Truppen Spanien besetzten, nen Worte, mit denen er das Meer bei
kam es 1808/1809 zur Belagerung von der Erschaffung der Welt in seine Gren¬
Saragossa. Die Aufforderung zur Kapi¬ zen verwiesen hat: „Bis hierher sollst du
tulation der Stadt soll der spanische Ge¬ kommen und nicht weiter; hier sollen
neral Jose de Palafox y Melci (1776 bis sich legen deine stolzen Wellen!“
1847) mit den Worten „Krieg bis aufs (38,11).
Messer“ (also unter Einsatz auch der
letzten und primitivsten Waffen) abge¬
t Und bist du nicht willig, so
lehnt haben. Die Fügung „bis aufs Mes¬
brauch’ ich Gewalt
ser“ wird heute mit wechselndem Be¬
zugswort (häufig mit „Kampf* oder
„Streit“) verwendet, um auszudrücken, Bist du’s, Hermann, mein Rabe?
daß bei einer Auseinandersetzung alle Die Frage stellt der alte Graf Moor in
Mittel von den Kontrahenten eingesetzt Schillers „Räubern“ (1781) an den zu
werden und auch vor Anwendung von ihm haltenden Untergebenen, der dem
Gewalt nicht zurückgeschreckt wird. im Schloß gefangengehaltenen Grafen
heimlich etwas zu essen bringt. Die An¬
Bis dat, qui cito dat rede „mein Rabe“ ist eine Anspielung
t Doppelt gibt, wer gleich gibt auf die Raben im 1. Buch von den Köni¬
gen (17,4 u. 6) im Alten Testament, wo
Bis hieher hat mich Gott gebracht es Raben sind, die während einer Dürre
Elia mit Nahrung versorgen: „Und die
So beginnt ein unter den Liedern zum
Raben brachten ihm Brot und Fleisch
Jahreswechsel eingeordnetes Kirchen¬
des Morgens und des Abends.“ - Heute
lied von Ämilie Juliane Gräfin von
wird das Zitat gelegentlich als scherz¬
Schwarzburg-Rudolstadt (1637-1706).
hafte Anrede an jemanden gebraucht,
„Bis hieher hat mich Gott gebracht/
den man nicht gleich erkennt oder über
durch seine große Güte./Bis hieher hat
dessen Erscheinen man sehr erstaunt ist.
er Tag und Nacht/bewahrt Herz und
Gemüte.“ Der Text geht von einer Bi¬
belstelle aus (1. Samuel 7,12), die sich Das bittere Brot der Verbannung
auf den Sieg der Israeliten über die Phi¬ essen
lister mit Gottes Hilfe bezieht und fol¬ Die Redewendung geht auf Shake¬
genden Wortlaut hat: „Bis hieher hat speares Drama „Richard II.“ zurück.
uns der Herr geholfen.“ - Carl Zuck¬ Darin klagt Herzog Bolingbroke: „Ich
mayer läßt in seinem Stück „Der Haupt¬ selbst, ein Prinz durch Rechte und Ge¬
mann von Köpenick“ (2,8) die Gefan¬ burt,/... Mußt’ eurem Unrecht meinen
genen in der Zuchthauskapelle diesen Nacken beugen,/... Und essen der Ver¬
Choral (in leicht abgewandelter Form) bannung bittres Brot.“ Die Verban¬
anstimmen: „Bis hierher hat uns Gott nung aus der Heimat wurde als Strafe
geführt./In seiner großen Güte - für einen in Ungnade Gefallenen im
Man verwendet das Zitat scherzhaft Altertum und im Mittelalter häufig ver-

71
bittet Teil I

hängt. Sie traf auch Dante (1265-1321), Blamier mich nicht, mein schönes
in dessen „Göttlicher Komödie“ sich Kind
eine ähnlich formulierte Klage findet: Mit diesem Vers beginnt ein Vierzeiler
„Verlassen wirst du alles, was am mei- von Heinrich Heine aus dem Jahr 1824.
sten/Du je geliebt: das ist der erste Man findet ihn unter der Nummer 17 in
Pfeil,/Der dich ereilt vom Bogen der der „Nachlese zu den Gedichten“. Voll¬
Verbannung./Du wirst erfahren, wie ständig lautet das Gedicht: „Blamier
nach Salze schmecket/Das Brot der mich nicht, mein schönes Kind,/Und
Fremde“ (Das Paradies, 17. Gesang, grüß mich nicht unter den Lin¬
Vers 55 ff.). Noch heute kann man diese den ;/Wenn wir nachher zu Hause
Redewendung gebrauchen, wenn von
sind,/Wird sich schon alles finden.“ Der
einem Menschen die Rede ist, der seine
zitierte Vers und das ganze Gedicht
Heimat verlassen mußte und in einem
drücken keine besondere Achtung vor
fremden Land zu leben gezwungen ist.
der Frau aus, an die sie gerichtet sind. -
Als Zitat kann der Vers als scherzhafte
Warnung dienen. Mit der zweiten Zeile
Bittet, so wird euch gegeben
drückt man aus, daß man selbst oder
t Suchet, so werdet ihr finden auch ein anderer nicht mit jemandem
oder einer Sache in Beziehung gebracht
werden möchte.
Black is beautiful
Dieses Schlagwort (auf deutsch:
t Du bist so blaß, Luise
„Schwarz ist schön“) ist aus der gegen
die Rassendiskriminierung gerichteten
amerikanischen Black-Power-Bewe- Die blaue Blume
gung der sechziger Jahre unsres Jahr¬ Als geheimnisvolles Symbol erscheint
hunderts hervorgegangen. Es ist Aus¬ die „blaue Blume“ in dem Romanfrag¬
druck des gewachsenen Selbstbewußt¬ ment „Heinrich von Ofterdingen“
seins der Menschen schwarzer Hautfar¬ (1802) des Dichters Friedrich von Har¬
be in Amerika. - „Black is beautiful“ denberg (Novalis). Zu Beginn des Ro¬
wurde in den siebziger Jahren gelegent¬ mans erfährt der junge Dichter Heinrich
lich von der CDU in der Wahlwerbung von Ofterdingen durch einen fremden
verwendet und bezog sich hier scherz¬ Reisenden von der wunderbaren Blume.
haft auf die umgangssprachliche Be¬ Sein ganzes Verlangen richtet sich von
zeichnung der CDU/CSU-Politiker als diesem Augenblick an darauf, sie zu fin¬
„die Schwarzen“. Als Zitat kann es auch den: „die blaue Blume sehn’ ich mich zu
ganz vordergründig auf die Farbe erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im
Schwarz (zum Beispiel von jemandes Sinn, und ich kann nichts anderes dich¬
Kleidung) bezogen oder entsprechend ten und denken.“ Heinrich Heine
abgewandelt werden. nimmt darauf in seiner Prosaschrift
„Geständnisse“ Bezug: „Die blaue Blu¬
me als das Symbol der romantischen
Black Power Sehnsucht hat Novalis in seinem Ro¬
Dieses Schlagwort des radikaleren Teils man .Heinrich von Ofterdingen' erfun¬
der Bürgerrechtsbewegung in den USA den und gefeiert.“ In Wirklichkeit ist
bedeutet soviel wie „schwarze Macht“. die „blaue Blume“ schon vor der Zeit
Es geht zurück auf den 1954 erschiene¬ der Romantik zu finden. Sie gehört in
nen gleichnamigen Roman des amerika¬ die Volkssage, in der vielfach von einer
nischen Schriftstellers Richard Wright blauen Wunderblume berichtet wird,
(1908-1960) und bezieht sich auf den die einer zufällig findet und die ihm den
Versuch der amerikanischen Schwar¬ Zugang zu verborgenen Schätzen eröff¬
zen, Macht und Einfluß in der politi¬ net. - Wenn man heute von jemandem
schen, sozialen und kulturellen Sphäre sagt, er suche nach der „blauen Blume“,
zu gewinnen und auszuüben. so bringt man damit meist zum Aus-

72
Teil I
Blick

druck, daß man ihn für einen Träumer Verleumdung mit einer Bißwunde ver¬
hält, für jemanden, der sich nicht auf glichen wird, von der immer eine Narbe
dem Boden der Realität bewegt. zurückbleibt.

t Wer einmal aus dem Blechnapf


frißt Bleierne Zeit
In seinem Gedicht „Der Gang aufs
Bleibe im Lande, und nähre dich Land“ fordert Friedrich Hölderlin
redlich (1770-1843) zu einem Ausflug in die
Der zum Sprichwort gewordene Vers Umgebung Stuttgarts auf, obgleich der
aus Psalm 37 (Vers 3) ermahnt die Gläu¬ Himmel noch bedeckt ist: „Trüb ist’s
bigen dazu, sich zu bescheiden, keinen heut, es schlummern die Gäng’ und die
Neid gegenüber den „Gottlosen“ bei Gassen und fast will/Mir es scheinen, es
sich aufkommen zu lassen: „Denn wie sei, als in der bleiernen Zeit.“ Im folgen¬
das Gras werden sie (= die Bösen, die den wird der Hoffnung auf spätere Bes¬
Übeltäter) bald abgehauen, und wie das serung der Verhältnisse Ausdruck gege¬
grüne Kraut werden sie verwelken“ ben; man soll also ein Vorhaben auch
(Vers 2). Das Sprichwort wird heute dann beginnen, wenn die Umstände zu¬
vielfach mit leicht ironischem Unterton nächst dagegen zu sprechen scheinen. -
Die Regisseurin Margarethe von Trotta
gebraucht. Es rät von Plänen ab, die
vom Sprecher als allzu hochfliegend drehte 1981 einen Film mit dem Titel
oder riskant angesehen werden und „Die bleierne Zeit“ und zeigte darin die
Möglichkeiten des politischen Wider¬
empfiehlt, mit der gewohnten Umge¬
stands in unserer Zeit am Beispiel zwei¬
bung und Lebenssituation zufrieden zu
sein. er Schwestern, von denen eine in das
Umfeld des Terrorismus gerät. - Das
Es bleibt immer etwas hängen Zitat wird allgemein in bezug auf trost¬
lose gesellschaftliche oder individuelle
Mit leichten Variationen („Etwas bleibt
Lebensumstände gebraucht, in denen
immer hängen“, „Immer bleibt etwas
man nur mit Mühe die Hoffnung auf
hängen“) wird diese sprichwörtliche
Besserung bewahren kann.
Redensart verwendet, wenn man aus-
drücken möchte, daß von Verleumdung
und übler Nachrede meist etwas zurück¬ Blendwerk der Hölle
bleibt, auch wenn sie eindeutig als sol¬ Ein „Blendwerk der Hölle“, einen hölli¬
che erkannt und verurteilt worden sind. schen Trug, nennt der eifersüchtige Don
Die Redensart wird auch in ihrer latei¬ Cesar den Anblick seiner Schwester
nischen Form, Semper aliquid haeret, ge¬ Beatrice in den Armen seines Bruders
braucht. Die vollständige Fassung lau¬ Don Manuel in Schillers Trauerspiel
tet: Audacter calumniare, semper aliquid „Die Braut von Messina oder die feind¬
haeret (auf deutsch: „Nur frech ver¬ lichen Brüder“ (1803). Beide Brüder lie¬
leumden, etwas bleibt immer hängen“). ben Beatrice, von der sie zunächst nicht
In dieser Form wird sie von dem engli¬ wissen, daß es ihre Schwester ist, die die
schen Philosophen und Staatsmann Mutter vor ihnen verborgengehalten
Francis Bacon (1561-1626) in seiner hat. - Als emphatischer Ausruf kann
Schrift „Über die Würde und den Fort¬ das Zitat jemandes Entrüstung zum
gang der Wissenschaften“ („De dignita- Ausdruck bringen, wenn er sich durch
te et augmentis scientiarum“) als sprich¬ den äußeren Anschein einer Sache auf
wörtlich erstmals angeführt. Die eigent¬ skandalöse Weise getäuscht sieht.
liche Quelle ist nicht nachzuweisen. Als
Ursprung wird oft eine Stelle in der
Schrift „De adulatore et amico“ („Über Einen Blick, geliebtes Leben! Und
den Schmeichler und den Freund“) des ich bin belohnt genug
griechischen Schriftstellers Plutarch Dies sind die beiden Schlußzeilen der
(um 46-um 125) angenommen, wo die dritten Strophe eines Gedichtes mit dem

73
Blick Teil I

Titel „Mit einem gemalten Band“, das blick macht mein Herz erglüh’n!“ -
Goethe 1771 Friederike Brion zugeeig¬ Man kann das Zitat verwenden, um -
net hat. Ein Blick (in einer anderen Fas¬ meist im Scherz - eine Gesellschaft,
sung des Gedichts ein Kuß) ist Lohn ge¬ eine Gruppe von Personen mit einer
nug für ein mit Rosen bemaltes Band, gewissen Grandezza zu begrüßen oder
das der Geliebten zum Geschenk ge¬ sich mit einer Ansprache an sie zu wen¬
macht wird. Mit dem Zitat kann man in den.
scherzhafter Übertreibung ein bewun¬
dertes oder geliebtes Wesen darum bit¬ t Mit Blindheit geschlagen sein
ten, einen wenigstens einmal (oder nach
einem Streit wieder) anzusehen. t Was? Der Blitz! Das ist ja die Gu-
stel aus Blasewitz
T Ich kann den Blick nicht von euch
wenden Blonde Bestie
In seiner Streitschrift „Zur Genealogie
Blick zurück im Zorn der Moral“ (1887) erklärt der deutsche
Im Jahr 1956 erschien das Schauspiel Philosoph Friedrich Nietzsche (1844 bis
Look back in Anger des Engländers John 1900), daß es gerade die Angehörigen
Osborne. Der deutsche Titel lautet der „vornehmen Rasse“ sind, „welche
„Blick zurück im Zorn“. Der große Er¬ durch gegenseitige Bewachung, durch
folg dieses Stücks, das 1959 mit Richard Eifersucht inter pares in Schranken ge¬
Burton verfilmt wurde, war der Figur halten sind“, und daß eben diese das
seines Helden zu verdanken. Dieser war Bedürfnis haben, von Zeit zu Zeit aus
der Prototyp des „zornigen jungen sich herauszugehen, die Enge der Zivili¬
Mannes“, der gegen die bestehende Ge¬ sation zu verlassen. Die Freiheit von al¬
sellschaftsordnung, in der er keinen len sozialen Zwängen genießend, wird
Platz zu finden glaubte, rebellierte. In so der Vertreter der Nietzscheschen
ihm erkannte sich eine ganze Generati¬ Herrenmoral eine „nach Beute und Sieg
on wieder. - Das Zitat nimmt Bezug auf lüstern schweifende blonde Bestie“.
jemandes Zorn über etwas in der Ver¬ Nietzsche stellt im weiteren klar, daß
gangenheit Liegendes, das er noch nicht zwischen „der blonden germanischen
vergessen oder noch nicht verarbeitet Bestie“, die im Europa der Völkerwan¬
hat. - Das formelhaft gewordene „Blick derung und der Wikingerzüge die
zurück ..." ermöglicht auch andere Ver¬ „Kühnheit einer vornehmen Rasse“ ver¬
knüpfungen, zum Beispiel „Blick zu¬ körperte, und den Deutschen „kaum ei¬
rück nach Woodstock“ oder „Blick zu¬ ne Begriffs-, geschweige eine Blutsver¬
rück nach Godesberg“, mit denen man wandtschaft besteht“. Dennoch wurde
auf zurückliegende Ereignisse verweist, gerade das Bild der „blonden Herren¬
die einer Epoche ihren Stempel aufge¬ rasse“ von der nationalsozialistischen
drückt haben. Ideologie begierig übernommen. - Als
„blonde Bestie“ wird heute noch gele¬
Blick’ ich umher in diesem edlen gentlich in emphatischer Ausdruckswei¬
Kreise se ein blonder, durch besondere Grau¬
samkeit oder Wildheit charakterisierter
Das Zitat stammt aus der Oper „Tann¬
Mensch bezeichnet.
häuser“ (1845) von Richard Wagner.
Der Titelheld befindet sich auf der
Wartburg, am Hof des Landgrafen von
Der t große Blonde mit dem
Thüringen, wo ein Sängerwettstreit schwarzen Schuh
stattfinden soll. Als erster Sänger tritt
Wolfram von Eschenbach auf. Er be¬ Blondinen bevorzugt
grüßt die festliche Runde der Zuhörer Dies ist der deutsche Titel einer ameri¬
mit den Worten: „Blick’ ich umher in kanischen Filmkomödie mit Marilyn
diesem edlen Kreise,/welch hoher An¬ Monroe und Jane Rüssel aus dem Jahr

74
Teil I Blut

1953. Der amerikanische Titel lautet: zum Ausdruck gebracht werden, daß für
Gentlemen Prefer Blondes. Die Haupt¬ beide Völker ihre Stammesverwandt¬
darstellerinnen spielen zwei Tingeltan¬ schaft ihren Zusammenhalt bedinge,
gelsängerinnen, von denen die eine eine der durch die geographische Trennung
Vorliebe für Diamanten und die andere durch Nordsee und Ärmelkanal nicht
ein Faible für Männer hat (welche sich beeinträchtigt werden könne. - Die Re¬
angeblich in blonde Frauen besonders densart betont die besondere Bedeutung
leicht verlieben). - Die prägnante For¬ von Blutsverwandtschaft, deren Bin¬
mulierung „... bevorzugt“ findet sich in dungen stärker als alles andere sind.
den verschiedensten Kontexten, vor
allem auch in Inseraten, wo man zum Blut ist ein ganz besondrer Saft
Beispiel „Nichtraucher bevorzugt“ Faust - in Goethes Drama „Faust, der
oder „Wochenendheimfahrer bevor¬ Tragödie erster Teil“ - hat mit Mephi¬
zugt“ lesen kann. sto einen Pakt geschlossen, den dieser
besiegelt haben möchte. Faust soll den
Blühen und grünen Vertrag „mit einem Tröpfchen Blut“ un¬
Die häufig verwendete Zwillingsformel, terzeichnen. In diesem Zusammenhang
mit der man Frühlingswachstum, fri¬ vermerkt Mephisto (2. Studierzimmer¬
sches Grün, Blüten und auch gutes Ge¬ szene): „Blut ist ein ganz besondrer
deihen der Saat assoziiert, findet sich Saft“. Die Unterschrift mit Blut gehört
bereits im Alten Testament. Bei Jesaja zu einem Bündnis mit dem Teufel; in äl¬
heißt es (27,6): „Es wird ... dazu kom¬ terer Mythologie gilt Blut als der Sitz
men, daß Jakob wurzeln und Israel blü¬ der Seele und des Lebens. - Als Zitat
hen und grünen wird, daß sie den Erd¬ dient der Ausspruch zum Beispiel dazu,
boden mit Früchten erfüllen.“ - ln dem die besonderen Bindungen, die durch
1810 entstandenen „Mailied“ von Goe¬ Blutsverwandtschaft gegeben sind, her¬
the erscheint die Formel in den Versen: vorzuheben, die in bestimmten Zusam¬
„Grünt und blühet/Schön der Mai“ in menhängen wirksam werden.
umgekehrter Reihenfolge.
Blut, Schweiß und Tränen
Blühender Unsinn Im Original lautet der Kontext des Zi¬
Dies ist der zum geflügelten Wort ge¬ tats : I would say to the House, as I said to
wordene Titel eines Gedichtes von Jo¬ those who have joined this Government, 7
hann Georg Friedrich Messerschmidt, have nothing to offer but blood, toil, tears
der von 1776 bis 1831 lebte und Lehrer and sweat'. („Ich möchte dem Haus sa¬
an der Fürstenschule Schulpforta war. gen, was ich zu denjenigen sagte, die
Auch in der stabreimenden Abwand¬ sich dieser Regierung angeschlossen ha¬
lung „blühender Blödsinn“ wird der ben: Ich habe nichts anzubieten als
Ausdruck häufig als Steigerung der Blut, Mühe, Tränen und Schweiß.“) Es
Wörter „Unsinn“ bzw. „Blödsinn“ ver¬ stammt aus einer Rede, die Winston
wendet. Churchill als englischer Premiermini¬
ster am 13. Mai 1940 vor dem Unterhaus
Die t blaue Blume gehalten hat. - Zum geflügelten Wort
wurde der Ausspruch in verkürzter
TSag mir, wo die Blumen sind Form. Er wird in Zusammenhängen ge¬
braucht, in denen von einer Aufgabe die
Blut ist dicker als Wasser Rede ist, die einem einzelnen oder einer
Der Ausspruch - eine auch in anderen Gruppe den größten Einsatz abverlangt.
Sprachen zu findende Redensart - wur¬
de durch den deutschen Kaiser Wil¬ Blut und Boden
helm II. (Regierungszeit 1888-1918) be¬ Dieser Ausdruck war einer der Schlüs¬
sonders populär. Der Kaiser bezog sie selbegriffe der nationalsozialistischen
auf das Verhältnis von Deutschen und Ideologie. Er findet sich jedoch schon
Engländern zueinander. Es sollte damit vor der Zeit des Dritten Reichs. So zum

75
Blut Teil I

Beispiel bei dem Kulturphilosophen tWeil nicht alle Blütenträume


Oswald Spengler in seinem zwischen reiften
1918 und 1922 entstandenen Werk „Der
Untergang des Abendlandes“ und bei
T Kann ich Armeen aus dem Boden
August Winnig in seinem Buch „Das
stampfen?
Reich als Republik“ (1928), das mit dem
Satz „Blut und Boden sind das Schick¬
sal der Völker“ beginnt. Zum Schlag¬ Den Bogen überspannen
wort des Dritten Reichs wurde die For¬ t Allzu straff gespannt zerspringt der
mel durch eine Schrift von Walter Darre Bogen
mit dem Titel „Neuadel aus Blut und
Boden“ (1930). Die Begriffe „Blut“ und t Mit der Bombe leben
„Boden“ stehen für „Rasse und Volks¬
tum“ und die Verwurzelung des Volkes
in seinem Lebensraum. Eine bestimmte
Bonjour Tristesse
Art der Bauern- und Heimatdichtung Dies ist der Titel eines 1954 erschiene¬
wurde entsprechend in der Zeit der na¬ nen Romans der französischen Schrift¬
tionalsozialistischen Herrschaft mit der stellerin Franfoise Sagan. Der Roman
Bezeichnung „Blut-und-Boden-Dich- versucht, das Lebensgefühl der Men¬
tung“ belegt. schen in einer Gesellschaft des Über¬
flusses und des Luxus in den 50er Jah¬
ren unseres Jahrhunderts einzufangen.
Blut und Eisen Überdruß, Langeweile und eine unbe¬
Die Formel ist durch Bismarck populär stimmte Art von Melancholie werden
geworden, der wiederholt die Verbin¬ als ihre Charakteristika vorgeführt. 1957
dung der beiden Begriffe als Metapher wurde das Buch in den USA unter der
für Krieg und Gewalt in Zusammen¬ Regie von Otto Preminger mit Deborah
hang mit der Durchsetzung politischer Kerr und David Niven in den Hauptrol¬
Ziele verwendete. Bekannt ist seine Äu¬ len verfilmt. - Das Zitat wird gebraucht,
ßerung vor dem preußischen Abgeord¬ etwa um jemandes „triste“ Stimmung,
netenhaus aus dem Jahr 1862: „Nicht die Tristheit einer bestimmten Umge¬
durch Reden und Majoritätsbeschlüsse bung oder etwas ähnlich deprimierend
werden die großen Fragen der Zeit ent¬ Wirkendes anzusprechen.
schieden - das ist der Fehler von 1848
und 1849 gewesen -, sondern durch Ei¬ Bonnie und Clyde
sen und Blut.“ Von 1886 ist eine weitere
Der amerikanische Film Bonnie and
Äußerung Bismarcks belegt: „...ich hat¬
Clyde wurde im Jahr 1967 von Arthur
te gesagt: Legt möglichst starke militäri¬
Penn mit Warren Beatty und Faye Du-
sche Kraft, mit anderen Worten mög¬
naway in den Hauptrollen gedreht. Er
lichst viel Blut und Eisen in die Hand
erzählt die Geschichte zweier junger
des Königs von Preußen ...; mit Reden
Leute aus der Provinz, die als skrupello¬
und Schützenfesten und Liedern macht
se Gangster ihren Traum von Reichtum
sie (= die Politik) sich nicht, sie macht
und Ünabhängigkeit wahrzumachen
sich nur durch Blut und Eisen.“ Die
versuchen. Ihr tragisches Ende im
Formel wurde zum Schlagwort für eine
Kampf gegen Polizei und Staatsmacht
Politik, für die der Krieg das vorrangige
ließ sie zu mythisch verklärten Volkshel¬
Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele
den werden. Der Filmtitel wird zitiert,
war.
wenn man sich auf einen Mann und eine
Frau bezieht, die in ähnlich unbeküm¬
T Bis aufs Blut merter Weise aufsehenerregende Ver¬
brechen begangen haben. Auch die Aus¬
drücke „Bonnie-und-Clyde-Methoden“
t Mit dem Blute meines eigenen oder „in Bonnie-und-Clyde-Manier“
Herzens geschrieben sind geläufig.

76
Teil I Botschaft

Böse Menschen haben keine Lie¬ ses Negative verkörperte, entmachtet


der oder beseitigt hat. Die Schwäche und
t Wo man singt, da laß dich ruhig nieder Fehlbarkeit des Menschen kann immer
wieder in anderer Weise Gestalt anneh¬
men.
Eine böse Sieben
Als „böse Sieben“ bezeichnet man um¬ t Wenn dich die bösen Buben lok-
gangssprachlich eine zanksüchtige ken
Frau. In der Literatur findet sich der
Ausdruck mit dieser Bedeutung zuerst Die bösen Buben von Korinth
bei dem Schriftsteller Johann Sommer
Den „bösen Buben“ begegnen wir in
(1559-1622) in seinem Werk „Ethogra-
Wilhelm Büschs (1832-1908) Bilderge¬
phia mundi“ (auf deutsch: „Sittenbe¬
schichte „Diogenes und die bösen Bu¬
schreibung der Welt“). Hierin heißt es:
ben von Korinth“, erschienen in den
„Ist denn deine Frau so eine böse Siebe-
„Münchner Bilderbogen“. Zwei Kna¬
ne ...?“ Mutmaßlich geht der Ausdruck
ben, die - wie „Max und Moritz“ -
auf eine Spielkarte in dem seit dem 15.
nichts anderes im Sinn haben als böse
Jahrhundert bekannten Kartenspiel
Streiche, setzen die Tonne des Philoso¬
„Kamöffel“ zurück. In diesem Spiel
phen Diogenes in Bewegung. „Sie gehn
gab es eine Karte mit der Zahl Sieben,
ans Faß und schieben es;/,Halt, halt!1
die alle anderen stechen, ihrerseits aber
schreit da Diogenes.“ Aber dann blei¬
von keiner anderen Karte gestochen
ben sie mit ihren Kleidern an den Nä¬
werden konnte. Man nannte sie „Teu¬
geln hängen, die aus dem Faß herausra¬
fel“ oder „böse Sieben“. Daß eine zank¬
gen, und geraten unter das rollende Faß.
süchtige Frau mit der „bösen Sieben“ in
Ihre Geschichte endet mit dem Vers:
Verbindung gebracht wurde, erklärt sich
„Die bösen Buben von Korinth/Sind
daraus, daß auf dieser Spielkarte eine
platt gewalzt, wie Kuchen sind.“ - Man
Frau abgebildet war, die mit ihrem
gebraucht das Zitat scherzhaft, um bei¬
Mann streitet.
spielsweise übermütige Jugendliche zu
charakterisieren.
Das t Gute - dieser Satz steht fest -
ist stets das Böse, was man läßt t Durch böser Buben Hand verder¬
ben
Den Bösen sind sie los, die Bösen
sind geblieben Böses mit Bösem vergelten
Faust und Mephisto befinden sich in t Gutes mit Bösem vergelten.
der Hexenküche (Goethe, Faust I), wo
Faust mit Hilfe eines Zaubertranks ver¬ t Er war von je ein Bösewicht
jüngt werden soll. Die Hexe redet Me¬
phisto als „Junker Satan“ an. Doch der
Die Botschaft hör’ ich wohl, allein
verbittet sich diese Anrede. „Den Na¬ mir fehlt der Glaube
men, Weib, verbitf ich mir!/.../Er ist Wenn zum Ausdruck gebracht werden
schon lang ins Fabelbuch geschrie¬ soll, daß man einer Sache sehr skeptisch
ben ;/Allein die Menschen sind nichts gegenübersteht, daß man etwas sehr
besser dran,/Den Bösen sind sie los, die wohl verstanden hat, es aber nicht glau¬
Bösen sind geblieben.“ Der Teufel er¬ ben oder für wahr halten kann, dann
scheint den Menschen nicht mehr als wird oft dieses Zitat aus Goethes Faust
das Fabelwesen mit Pferdefuß und Hör¬ (Teil I, „Nacht“) angeführt. Es sind die
nern. Er hat vielerlei andere Gestalt an¬ Worte, mit denen Faust den Verlust sei¬
genommen. - Das Zitat bringt zum Aus¬ nes Glaubens konstatiert, als bei seinem
druck, daß es eine Illusion ist zu den¬ Versuch, Gift zu nehmen, „Glocken¬
ken, etwas Negatives könne ein für alle¬ klang und Chorgesang“ zu ihm herein¬
mal für überwunden oder besiegt gelten, dringen und der „Chor der Engel“ die
weil man eine einzelne Person, die die¬ Auferstehung Christi verkündet.

77
Braten Teil I

Es wird mit t Recht ein guter Bra¬ Schiller. Es wird bereits in der 1. Szene
des 1. Akts von Wilhelm Teil selbst ge¬
ten gerechnet zu den guten Taten
sprochen und bestimmt als eine Art
Grundmotiv das gesamte Schauspiel.
Es ist ein Brauch von alters her:
Der „brave Mann“ ist nach älterem
Wer Sorgen hat, hat auch Likör!
Sprachverständnis ein Mensch, der sich
Die beiden bekannten Verse werden durch Rechtschaffenheit und Mut aus¬
sehr häufig zusammen, aber auch ein¬ zeichnet. Ein solcher Mensch ist auch
zeln zitiert. Es sind die Eingangsverse fähig, seine eigene Person, seine Interes¬
zum vorletzten Kapitel („Versuchung sen in selbstloser Weise zurückzustellen,
mit Ende“) der Bildergeschichte „Die sich opferbereit für andere einzusetzen.
fromme Helene“ von Wilhelm Busch Dieses Schillerzitat wird, auch wenn es
(1832-1908), in dem von dem schlim¬ Generationen von Schülern als Aufsatz¬
men Ende berichtet wird, das Helene thema gestellt worden ist, heute nur sel¬
genommen hat. Wenn der zweite Vers ten noch in seinem eigentlichen Sinn zi¬
allein oder auch zusammen mit dem er¬ tiert. Sehr viel häufiger ist der scherz¬
sten zitiert wird, so wird damit in scherz¬ hafte oder auch respektlos ironische
hafter Weise stets auf Alkoholkonsum Gebrauch, der bis zur unverhohlenen
in irgendeiner Form angespielt. Der er¬ Abwandlung zu „Der brave Mann denkt
ste Vers dagegen kann ganz unabhängig an sich selbst zuerst“ geht.
von diesem Thema bei allen möglichen
Gelegenheiten angeführt werden, wenn
Ein braves Pferd stirbt in den Sie¬
beispielsweise von einer alten Sitte die
len
Rede ist, die weitergeführt werden soll,
oder auch von einem alten Recht, das t In den Sielen sterben
man beibehalten sehen möchte.
Brechen Sie dies rätselhafte
Es braust ein Ruf wie Donnerhall Schweigen
In der nachnapoleonischen Zeit ent¬ Dieses Zitat, mit dem man jemanden in
standen nach der preußischen Niederla¬ scherzhafter Weise auffordern kann,
ge in Deutschland eine Reihe patrioti¬ endlich von etwas zu berichten, etwas
scher Lieder. Aus Max Schneckenbur¬ mitzuteilen, was man dringendst zu er¬
gers (1819-1849) „Die Wacht am fahren wünscht, stammt aus Schillers
Rhein“ wurde nicht nur die hier ge¬ „Don Kariös“ (1,1). Es gehört zu den
nannte erste Zeile allgemein bekannt; Anfangsworten des Dramas, die von Pa¬
siehe auch die Artikel „Lieb Vaterland, ter Domingo, dem Beichtvater Phil¬
magst ruhig sein“ und „Die Wacht am ipps II., gesprochen werden. Sie sind als
Rhein“. In der Vertonung von Carl eindringliche Mahnung an Don Kariös,
Wilhelm (1854) wuchs die Popularität den Sohn Philipps II., gerichtet, sich sei¬
des Liedes, das man besonders in den nem Vater anzuvertrauen.
Jahren 1870/71 als antifranzösisches
Kampflied auffaßte und einsetzte. - Die Bretter, die die Welt bedeuten
Heute verwendet man das Zitat nur
Diese Umschreibung für „Theaterbüh¬
noch scherzhaft, etwa in einem Kontext
ne“ geht auf Schillers Gedicht „An die
wie: „Es braust ein Ruf wie Donner¬
Freunde“ (1803) zurück. Dort heißt es
hall - das kalte Büfett ist eröffnet!“
in der letzten Strophe: „Sehn wir doch
das Große aller Zeiten/Auf den Bret¬
Die t gute Ehe ist ein ew’ger Braut¬
tern, die die Welt bedeuten,/Sinnvoll
stand still an uns vorübergehn.“ Das Gedicht
setzt gegen die große geschichtliche Ver¬
Der brave Mann denkt an sich gangenheit, gegen die Vorzüge anderer
selbst zuletzt Landschaften und Orte das Recht des
Das Wort vom „braven Mann“ stammt Gegenwärtigen, das Hier und Jetzt, das
aus dem Schauspiel „Wilhelm Teil“ von durch Menschlichkeit, Lebendigkeit

78
Teil 1 Brüder

und Phantasie gegenüber dem histo¬ „Der Bauer und sein Sohn“ versucht ein
risch Vergänglichen und dem fernen Vater, seinem Jungen das Lügen und
Weltgeschehen seine eigene Qualität ge¬ Aufschneiden auszutreiben, indem er
winnt. ihn mit einer Geschichte von einem
Stein auf einer bestimmten Brücke er¬
Brosamen, die von des Reichen schreckt. An diesem Stein soll jeder, der
Tisch fallen die Brücke überquert und an diesem Ta¬
Von jemandem, der in Armut lebt und ge schon gelogen hat, zu Fall kommen
der daher von anderen abhängig ist, und sich ein Bein brechen. Es wird nun
kann man sagen, er sei auf die Brosa¬ erzählt, wie sich Vater und Sohn bei ei¬
men angewiesen oder esse von den Bro¬ nem Spaziergang dieser Brücke nähern,
samen, die von des Reichen oder von und an dieser Stelle des Gedichts steht
des Herrn Tisch fallen. Diese Aus¬ der warnende Ausruf „Die Brücke
drucksweise geht zurück auf zwei Bibel¬ kömmt. Fritz, Fritz! wie wird dir’s
stellen. Bei Matthäus (15,27) heißt es: gehn!“ Der Knabe, der behauptet hatte,
„... aber doch essen die Hündlein von er habe einen Hund von der Größe ei¬
den Brosamen, die von ihrer Herren nes Pferdes gesehen, gesteht schließlich
Tisch fallen.“ Bei Lukas (16,21) wird seine Aufschneiderei ein. - Auf diese
vom armen Lazarus berichtet, daß er Fabel geht auch die heute noch geläufi¬
„begehrte sich zu sättigen von den Bro¬ ge Redewendung „über diese Brücke
samen, die von des Reichen Tische möchte ich nicht gehen“ im Sinne von
fielen“. „das erscheint mir wenig glaubhaft“ zu¬
rück.
Das Brot der frühen Jahre
Bruder Lustig
Dieser Titel einer 1955 erschienenen Er¬
Die scherzhafte, heute etwas antiquiert
zählung von Heinrich Böll (1917-1985)
wirkende Bezeichnung „Bruder Lustig“
wird zitiert, wenn die noch nicht allzu
für einen lebenslustigen, etwas leicht¬
günstigen Lebensumstände und Schwie¬
sinnigen und sorglosen Menschen geht
rigkeiten eines Menschen in jungen Jah¬
auf ein Märchen der Brüder Grimm zu¬
ren umschrieben werden sollen. In der
rück, dessen Titelheld diesen Namen
Erzählung selbst (die 1962 unter dem
trägt. Es handelt sich dabei um einen
gleichen Titel auch verfilmt wurde) ist
Soldaten, der sich nach seiner Entlas¬
dem Helden, der seine Jugend mit Hun¬
sung aus dem Kriegsdienst mit großer
ger und Entbehrung in der Nachkriegs¬
Unbekümmertheit und einer gewissen
zeit verlebte, das Brot zum Symbol ge¬
Pfiffigkeit durchs Leben schlägt, am En¬
worden; er beurteilt seine Mitmenschen
de mit einer List sogar den „heiligen Pe¬
danach, ob sie fähig sind, ihr Brot mit
trus“ hereinlegt und sich so Einlaß in
anderen zu teilen.
den Himmel verschafft.

T Wenn sie kein Brot haben, sollen t Und willst du nicht mein Bruder
sie doch Kuchen essen sein, so schlag’ ich dir den Schädel
ein
t Wer nie sein Brot mit Tränen aß
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!
Brot und Spiele
Mit den Zeilen „Brüder, zur Sonne, zur
t Panem et circenses Freiheit, Brüder zum Lichte em-
por!/Hell aus dem dunklen Vergang¬
Die Brücke kömmt. Fritz, Fritz! nen leuchtet die Zukunft hervor“ be¬
Der heute sicherlich nicht mehr allzu ginnt das Lied der internationalen Ge¬
häufig gebrauchte scherzhafte Warnruf werkschaftsbewegung. Zu einer Melo¬
stammt aus einem Gedicht des Dichters die aus dem 19. Jahrhundert schrieb
Christian Fürchtegott Geliert (1715 bis Leonid P. Radin 1896 den russischen
1769). In der moralisierenden Fabel Text; die deutsche Fassung stammt von

79
Brüderlein Teil I

Hermann Scherchen. Man zitiert den T Als Büblein klein an der Mutter¬
Beginn der ersten Zeile häufig im Zu¬ brust
sammenhang mit Berichten über Ge¬
werkschaften und deren Aktionen, oft
aber auch unabhängig davon als scherz¬ Buch des Lebens
hafte Aufforderung, bei sonnigem Wet¬ Das Bild vom „Buch des Lebens“ eines
ter nach draußen zu gehen oder zum Ur¬ Menschen als dessen Schicksalsbuch,
laub in den sonnigen Süden aufzubre¬ als Zusammenfassung gewissermaßen
chen. seines Lebens und Wirkens, geht auf die
Bibel zurück. In das bereits im Alten Te¬
Brüderlein fein, Brüderlein fein stament (2. Moses 32, 32) erwähnte
Als eine Art scherzhafte Beschwichti¬ Buch werden nach jüdischer Überliefe¬
gungsformel haben sich die Zeilen rung die Gerechten von Gott eingetra¬
„Brüderlein fein, Brüderlein fein,/Mußt gen, während die Sünder daraus getilgt
mir ja nicht böse sein!“ erhalten. Sie werden. Das Buch wird mehrfach in der
entstammen dem „Lied der Jugend“ aus Bibel genannt, so im Psalm 69, 29, wo
der Bühnendichtung „Das Mädchen vom „Buch der Lebendigen“ die Rede
aus der Feenwelt oder Der Bauer als ist, im Brief des Paulus an die Philipper
Millionär“, einem „Romantischen Ori¬ 4,3 und an verschiedenen anderen Stel¬
ginal-Zaubermärchen mit Gesang“ des len. Besonders bekannt geworden ist es
österreichischen Dramatikers Ferdi¬ aber durch die häufige Erwähnung in
nand Raimund (1790-1836), Musik von der Offenbarung des Johannes, wo es zu
Joseph Drechsler (1782-1852). Beginn des 5. Kapitels als „ein Buch ...
versiegelt mit sieben Siegeln“ bezeich¬
net wird (vergleiche auch den Artikel
tSoll ich meines Bruders Hüter
„Ein Buch mit sieben Siegeln“).
sein?

t Politische Brunnenvergiftung Ein Buch mit sieben Siegeln


Die Wendung ,jemandem oder für je¬
Der Brustton tiefster Überzeugung manden ein Buch mit sieben Siegeln
Dieser Ausdruck geht auf den Histori¬ sein“ hat die Bedeutung „für jemanden
ker Heinrich von Treitschke (1834 bis unverständlich, nicht durchschaubar
1896) zurück. Er verwendete ihn in dem sein, ein Geheimnis bleiben“. Sie hat ih¬
Aufsatz „Fichte und die nationale ren Ursprung in der Bibel. Dort ist an
Idee“, erschienen in dem Sammelwerk mehreren Stellen von einem Buch die
„Historische und politische Aufsätze“. Rede, das als „Buch des Lebens“ (ver¬
Der „Brustton“ ist der mit der „Brust¬ gleiche auch diesen Artikel) bezeichnet
stimme“ hervorgebrachte Ton, bei dem wird, in der Offenbarung des Johannes
der menschliche Brustkorb als Reso¬ 5,1 heißt es von diesem Buch: „Und ich
nanzkörper dient. Er ist also ein Ton, sah in der rechten Hand des, der auf
der sehr voll und tragend klingen kann. dem Stuhl saß, ein Buch, beschrieben
Etwas „im“ oder „mit dem Brustton der inwendig und auswendig, versiegelt mit
Überzeugung äußern“ bedeutet „etwas sieben Siegeln.“ Und in Vers 3 heißt es
äußern, wovon man völlig überzeugt weiter: „Und niemand im Himmel noch
ist“. auf Erden noch unter der Erde konnte
das Buch auftun und hineinsehen.“
T Denn Brutus ist ein ehrenwerter Goethe gebraucht die Wendung .je¬
Mann mandem ein Buch mit sieben Siegeln
sein“ im Faust (Faust I, Nacht): Der Fa¬
mulus Wagner, der davon schwärmt,
t Auch du, mein Sohn Brutus
sich „in den Geist der Zeiten zu verset¬
zen“, wird von Faust mit den Worten
Die t bösen Buben von Korinth zurechtgewiesen: „Mein Freund, die

80
Teil I Butzenscheibenlyrik

Zeiten der Vergangenheit/Sind uns ein Der Bürokrat tut seine Pflicht von
Buch mit sieben Siegeln
neun bis eins! Mehr tut er nicht!
Das Zitat stammt aus dem 2. Akt der
Bücher haben ihre Schicksale Operette „Der Obersteiger“ von Carl
t Habent sua fata libelli Zeller (1842-1898) mit dem Text von
Moritz West und Ludwig Held. Es bil¬
Des t vielen Büchermachens ist det den Refrain eines Couplets des
kein Ende Bergdirektors Zwack und beschreibt das
Ideal des kaiserlich-österreichischen
Beamten, der in bestimmten Positionen
Die Büchse der Pandora
nur vormittags Dienst hatte. Heute gibt
Der aus der griechischen Mythologie das meist scherzhaft gebrauchte Zitat
stammende Ausdruck wird in der Be¬ dem verbreiteten Vorurteil vom Beam¬
deutung „etwas Unheilbringendes“ ge¬ ten Ausdruck, der ohnehin nur wenig
braucht. Nach dem griechischen Dich¬ arbeitet und außerdem noch auf die ge¬
ter Hesiod (um 700 v. Chr.) war Pandora naue Einhaltung seiner Dienstzeit
eine von Hephaistos aus Erde geformte, pocht.
von den Göttern mit allen Vorzügen
ausgestattete Frau, die Zeus mit einem
Tonkrug, der alle Übel enthielt, auf die
TO alte Burschenherrlichkeit!
Erde sandte, um die Menschen für den
Raub des Feuers durch Prometheus zu Business as usual
strafen.
Dieser englische Ausdruck wurde durch
Winston Churchill populär, der in einer
t Denn der Buchstabe tötet, aber Rede anläßlich eines Banketts in der
der Geist macht lebendig Londoner „Guildhall“ am 9. November
1914 sagte: The maxim of the British
t Und noch zehn Minuten bis Buf¬ people is ,Business as usuaT („Die Maxi¬
me des britischen Volkes ist ,Die Ge¬
falo
schäfte gehen ihren normalen Gang' “).
Der damalige Marineminister Churchill
Die t ganze Welt ist Bühne bezog sich damit auf die Ereignisse des
Ersten Weltkriegs und deren Einfluß
Der bunte Rock auf das britische Wirtschafts- und Ge¬
Der veraltete Ausdruck für „Soldaten¬ schäftsleben. Man verwendet den Aus¬
rock, Uniformrock“ ist biblischen Ur¬ druck heute ganz allgemein zur Charak¬
sprungs. Im 1. Buch Moses 37,3 heißt es terisierung einer Lage, in der entweder
von Joseph, daß sein Vater ihm als dem nichts Besonderes zu vermelden ist,
Lieblingssohn einen bunten Rock oder in der irgendwelche Geschehnisse
machte. Entsprechend ausgezeichnet ohne Auswirkung auf den üblichen Ver¬
und herausgehoben waren die Soldaten lauf der Dinge geblieben sind.
durch ihren bunten, erst in späterer Zeit
feldgrauen Uniformrock. In diesen Butzenscheibenlyrik
sprachlichen Zusammenhang gehört die
Die abwertende Bezeichnung wurde
ebenfalls veraltete Redewendung „den
von Paul Heyse (1830-1914) in einer
bunten Rock anziehen bzw. ausziehen“
Versepistel vom 7. April 1884 an Ema-
im Sinne von „zum Militärdienst gehen
nuel Geibel geprägt. Sie bezog sich auf
bzw. vom Militärdienst zurückkom¬
episch-lyrische Dichtungen in der
men“.
Nachfolge Viktor von Scheffels, deren
Thema eine verklärte mittelalterliche
tln bunten Bildern wenig Klarheit Welt der Kaiserherrlichkeit, des Ritter¬
wesens, des Minnesangs, der Wein- und
t Dastehen wie Buridans Esel Burgenromantik und des freien Vagan-

81
Capuo Teil I

tentums ist. Solche Lyrik hat sich bis Frankreich. Dort hatte Frampois Gayot
heute vor allem in den studentischen de Pitaval 1734 damit begonnen, seine
Kommersbüchern erhalten. Causes celebres et interessantes avec les
jugements qui les ont decidees („Berühm¬
te und interessante Rechtsfälle mit den
entsprechenden Urteilen“) zu veröffent¬
lichen. Daher rührt der noch heute bil¬
dungssprachlich für einen berühmten

c oder berüchtigten Streit- oder Kriminal¬


fall verwendete Ausdruck „Cause cele¬
bre“.

Cave canem!
Capua der Geister Dieser lateinische Spruch wird heute in
So nennt Franz Grillparzer (1791-1872) zwei Bedeutungen verwendet: „Vor¬
in seinem Gedicht „Abschied von sicht, der Hund ist bissig!“ und ganz all¬
Wien“ die „stolze Kaiserstadt“. Das üp¬ gemein „Nimm dich in acht! Sieh dich
pige Wohlleben im reichen antiken vor!“ In alten römischen Villen findet er
Capua nahm Hannibals Kriegern die sich (mit der ersten Bedeutung) als In¬
Lust zum Kämpfen. In ähnlicher Weise schrift auf Tür oder Schwelle. Eine ent¬
läßt das Wien von 1843 die künstleri¬ sprechende Schilderung gibt der römi¬
schen Kräfte des Dichters erschlaffen, sche Schriftsteller Petronius Arbiter (ge¬
der nur noch mit der passiven Aufnah¬ storben 66 n. Chr.) im „Gastmahl des
me des Schönen um ihn herum beschäf¬ Trimalchio“, einer Einlage seines Ro¬
tigt ist: „Schön bist du, doch gefährlich mans „Satyricon“.
auch/Dem Schüler wie dem Mei-
ster,/Entnervend weht dein Sommer¬ Ceterum censeo
hauch,/Du Capua der Geister!“ Das Zitat wird als Ausdruck einer hart¬
näckig wiederholten Forderung, einer
Carpe diem! festen Überzeugung gebraucht. Mit dem
Diese Lebensregel findet sich in den Satz Ceterum censeo Carthaginem esse
„Oden“ (1,11,8) des römischen Dichters delendam - „Im übrigen bin ich der
Horaz (65-8 v.Chr.), wo es heißt: Carpe Meinung, daß Karthago zerstört werden
diem quam minimum credula postero muß“ - soll der römische Staatsmann
(„Greif diesen Tag, nimmer traue dem und Schriftsteller Cato der Ältere
nächsten“). Sie läßt sich auch mit „Nut¬ (234-149 v.Chr.) jede seiner Reden im
ze den Tag!“ oder „Genieße den Augen¬ römischen Senat abgeschlossen haben.
blick!“ wiedergeben und wird dement¬ Cato sah in Karthago einen gefährli¬
sprechend entweder als Aufforderung chen Handelskonkurrenten der Römer,
zitiert, seine Zeit nicht mit nutzlosen den es seiner Meinung nach unbedingt
Dingen zu vertun, oder als Rechtferti¬ auszuschalten galt.
gung für eine auf Genuß und diesseitige
Lebensfreude ausgerichtete Einstellung, Chacun ä son goüt
die wenig Sinn im ängstlich-vorsorgen- Die Redensart mit der Bedeutung, jeder
den Sparen und Planen für die Zukunft nach seinem Geschmack; jeder, wie’s
sieht. beliebt“ wurde vor allem durch das
Couplet des Prinzen Orlowsky aus der
Cause celebre Operette „Die Fledermaus“ (II) von Jo¬
Die in Deutschland von 1842 an erschie¬ hann Strauß (1825-1899) bekannt. Der
nene Sammlung von Kriminalfällen, die von C. Haffner und R. Genee verfaßte
unter dem Titel „Der neue Pitaval“ von Text stützt sich auf das Vaudevillestück
Julius Eduard Hitzig und Willibald Ale¬ „Reveillon“ von Henri Meilhac und Lu-
xis herausgegeben wurde, hatte als Vor¬ dovic Halevy. Der Refrain des Couplets
bild eine entsprechende Publikation aus lautet: „’s ist mal bei mir so Sitte,/Cha-

82
Teil I
cogito

cun ä son goüt.“ Man zitiert gelegent¬ Chronique scandaleuse


lich auch die erste Zeile dieses Refrains,
Die französische Bezeichnung für eine
wenn man zum Ausdruck bringen will,
Sammlung von Skandal- und Klatsch¬
daß man von einer Gewohnheit nicht
geschichten wurde als Titel des Tage¬
Abstand nehmen möchte.
buchs von Jean de Roye (1425-um
1495) populär. Jean de Roye war Sekre¬
Schwankt sein Charakterbild in
tär bei Johann II., Herzog von Bourbon;
der Geschichte
seine Aufzeichnungen über die Ereig¬
t Von der Parteien Gunst und Haß ver¬ nisse zur Regierungszeit Ludwigs XI.
wirrt.
sind allerdings keine „Skandalchronik“
im heutigen spektakulären Sinne. Das
Der t diskrete Charme der Bour¬
Buch erhielt erst in einer späteren Auf¬
geoisie lage (1611) den bekannten Titel, den wir
heute gelegentlich auch in bezug auf die
Cherchez la femme!
Darstellung eines einzelnen Skandals
Das Zitat (wörtlich übersetzt: „Suchen (und nicht nur auf die Skandalgeschich¬
Sie die Frau!“) wird im Sinne von „Da¬ ten einer ganzen Epoche bezogen) ver¬
hinter steckt bestimmt eine Frau!“ ge¬ wenden.
braucht. Es findet sich in dem Drama
„Les Mohicans de Paris“ (II, 13) von
A. Dumas d. Ä. (1802-1870). Möglicher¬ Citius, altius, fortius
weise geht es auf eine Stelle in den „Sa¬ Das lateinische Motto der Olympischen
tiren“ (6,242 f.) des römischen Dichters Spiele der Neuzeit - auf deutsch
Juvenal (um 60-nach 127) zurück: Nul- „Schneller, höher, weiter (eigentlich:
la fere causa est, in qua non femina litem stärker)“ - wurde von Pierre de Couber-
moverit („Es gibt kaum einen Prozeß, tin (1863- 1937) propagiert, der den Re¬
bei dem nicht eine Frau den Streit aus¬ kord, die sportliche Höchstleistung an
gelöst hätte“). die Spitze eines pyramidenförmig ge¬
dachten Modells des modernen Sports
Die Christel von der Post stellte. Der „Vater“ der neuzeitlichen
Das Auftrittslied der Briefchristel in Olympischen Spiele griff dabei auf eine
Carl Zellers (1842-1898) Operette „Der Formulierung des französischen Domi¬
Vogelhändler“ mit dem Text von Moritz nikanermönchs Henri-Martin Didon
West und Ludwig Held beginnt mit den (1840-1900) zurück, der als Schriftstel¬
Zeilen: „Ich bin die Christel von der ler, Prediger und Erzieher wirkte. - Der
Post;/Klein das Salair und schmal die Wahlspruch ist in der Sportdidaktik
Kost.“ Man kann die erste Zeile zitie¬ heute nicht mehr unumstritten, da er der
ren, um damit scherzhaft die Weiterga¬ Spitzenleistung ein höheres Gewicht
be eines Briefes zu begleiten oder anzu¬ beimißt als dem zumindest gesundheits¬
kündigen, besonders wenn man glaubt, politisch wichtigeren Breitensport.
daß der Adressat schon lange auf den
Brief gewartet und sich darauf gefreut
hat. Als „Christel von der Post“ wird Cogito, ergo sum
auch gelegentlich eine Briefträgerin be¬ Der französische Philosoph, Mathema¬
zeichnet. - Das Lied endet mit den Ver¬ tiker und Naturwissenschaftler Rene
sen „Nur nicht gleich, nicht auf der Descartes (1596-1650) faßte in seinem
Stell’,/Denn bei der Post geht’s nicht so 1644 erschienenen lateinisch geschrie¬
schnell!“, die einzeln oder zusammen benen Hauptwerk „Principia philoso-
zitiert werden, wenn man zur Geduld er¬ phiae“ („Die Prinzipien der Philoso¬
mahnen will oder sich nicht antreiben phie“, 1863 deutsch unter diesem Titel)
lassen möchte. die Ergebnisse seines Denkens und For-
schens in der Aussage zusammen: Haec
tSie sagen Christus und meinen cognitio: ego cogito, ergo sum, est omni-
Kattun um prima et certissima („Diese Erkennt-

83
coincidentia Teil I

nis: ich denke, also bin ich, ist von allen tragener Bedeutung gebraucht. Der la¬
die erste und zuverlässigste“). Bereits teinische Ausdruck geht auf den römi¬
1637 hatte er diesen Satz in seinem an¬ schen Rechtswissenschaftler Prosper
onym erschienenen „Discours de la Farinacius (1544-1613) zurück, der in
methode“ kurz und prägnant franzö¬ seinen „Variae Quaestiones“ damit den
sisch formuliert: Je pense, donc je suis. Gesamttatbestand eines Vergehens be-
Populär wurde die lateinische verkürzte zeichnete.
Form Cogito, ergo sum und die Überset¬
zung „Ich denke, also bin ich.“ Beson¬ Corriger la fortune
ders die Jugend- und Spontisprache hat Die Redensart wurde besonders durch
zahlreiche scherzhafte Abwandlungen die Figur des Riccaut de la Marliniere
des Zitats hervorgebracht, etwa „Ich aus Gotthold Ephraim Lessings
denke, also bin ich hier falsch.“ Auch (1729-1781) Komödie „Minna von
die lateinische Form wird gelegentlich Barnhelm“ (IV, 2) bekannt. Der prahle¬
unter Anlehnung an „Koitus“ scherz¬ rische französische Leutnant mokiert
haft entstellt zu „Coito, ergo sum“. Wei¬ sich über das plumpe deutsche Wort
tere Varianten finden sich in Sätzen wie „betrügen“; für seine nicht ganz ehrli¬
„Ich schreibe, also bin ich“ oder gar che Art des Kartenspiels erscheint ihm
„Ich jogge, also bin ich“, mit denen man der französische Ausdruck (deutsch et¬
zum Ausdruck bringt, daß eine be¬ wa „dem Glück nachhelfen“) als sehr
stimmte Tätigkeit entweder im Zentrum viel angemessener. Dieser findet sich
des eigenen Lebens steht oder so etwas
schon bei dem französischen Schriftstel¬
wie den eigenen gesellschaftlichen
ler Nicolas Boileau-Despreaux (1636
„Stellenwert“ bestimmt. bis 1711) in seinen „Satiren“ (Nr. 5), wo
von einem verarmten Adligen, der die
Coincidentia oppositorum
Bilder seiner Ahnen verkaufen will, ge¬
Der philosophische Fachausdruck (auf sagt wird: Et corrigeant ainsi la fortune
deutsch „Zusammenfall der Gegensät¬ ennemie/Retablit son honneur d force
ze“) ist ein zentraler Begriff im Denken d’infamie („Und indem er so das widri¬
des Kirchenrechtlers und Philosophen ge Schicksal korrigierte, stellte er seine
Nikolaus von Kues (1401-1464). Am Ehre durch Gemeinheit wieder her“). -
Beispiel der Kreislinie, die bei einem Heute verwenden wir die Redensart,
unendlich großen Radius des Kreises wie sie bei Lessing gebraucht wird, als
mit ihrem „Gegensatz“, der Geraden, beschönigende Umschreibung für
zusammenfällt, verdeutlicht der huma¬ „falsch spielen, betrügen“.
nistische Gelehrte seine Vorstellung von
Gott als einem allumfassenden Wesen,
Cosi fan tutte
in das alle, auch die gegensätzlichsten
Dinge eingebettet sind. - Der Ausdruck Der als Anspielung auf weibliche Un¬
treue gemeinte italienische Satz stammt
wird bildungssprachlich gelegentlich zi¬
tiert, wenn man sich auf das gleichzeiti¬ aus der 1790 uraufgeführten gleichna¬
ge Auftreten zweier einander eigentlich migen komischen Oper von Wolfgang
ausschließender Ereignisse bezieht Amadeus Mozart mit dem Text von Lo-
oder - vordergründiger - wenn zwei renzo da Ponte. Im 2. Akt verwünschen
sehr gegensätzliche Meinungen, Stand¬ die beiden Offiziere Fernando und Gu-
punkte, Charaktere aufeinandertreffen. glielmo ihre ungetreuen Bräute, worauf
der Marchese Don Alfonso ihnen aus
Corpus delicti männlicher Sicht nur bestätigen kann:
Cosi fan tutte - „So machen’s alle.“
In der juristischen Fachsprache versteht
man unter „Corpus delicti“ den Gegen¬
stand, mit dem eine Straftat begangen Courage ist gut, aber Ausdauer ist
worden ist und der dem Gericht als Be¬ besser
weisstück dient. In der Allgemeinspra¬ Diese sentenzhafte Ansicht äußert im 4.
che wird „Corpus delicti“ auch in über¬ Kapitel von Theodor Fontanes (1819 bis

84
Teil I
cum

1898) Roman „Der Stechlin“ die Haupt¬ sei, wobei der Glaube aber der Aus¬
figur Dubslav von Stechlin gegenüber gangspunkt der Erkenntnis bleibt. Der
Czako, dem Regimentskameraden sei¬ Ausdruck ist außerhalb der theologisch¬
nes Sohnes. Er bezieht sich damit auf philosophischen Fachsprache kaum ge¬
die große Zeit der Heiligen Allianz von bräuchlich. Denkbar wäre er als Kom¬
1813: „Große Zeit ist es immer nur, mentar zu einer eher unglaubwürdigen
wenn’s beinah schiefgeht, wenn man je¬ Darstellung, die man aber dennoch zu¬
den Augenblick fürchten muß: >Jetzt ist nächst einmal als wahr ansieht, weil sie
alles vorbei.< Da zeigt sich’s. Courage ist hilft, eine damit zusammenhängende
gut, aber Ausdauer ist besser. Ausdauer, Handlungsweise oder ein entsprechen¬
das ist die Hauptsache.“ Mit dem Zitat des Ereignis zu verstehen.
bekräftigt man seine Absicht, ein Ziel
durch Geduld und zähes Beharren zu Creme de la creme
erreichen und auf riskante Aktionen zu
Der häufig ironisch gebrauchte franzö-
verzichten.
sisierende Ausdruck findet sich zum er¬
sten Mal in der Nummer 1 (S.338) der
Credo, quia absurdum
Leipziger kulturpolitischen Zeitschrift
Dieser Satz - „Ich glaube, weil es der „Die Grenzboten“ von 1842. Er wird
Vernunft zuwiderläuft“ - geht mögli¬ auch heute noch im Sinne von „die vor¬
cherweise auf den lateinischen Kirchen¬ nehmsten, bedeutendsten Vertreter (be¬
schriftsteller Tertullian (160-nach 220) sonders der gesellschaftlichen Ober¬
zurück. In seiner Schrift „De carne schicht)“ gebraucht.
Christi“ heißt es: Et mortuus est Dei Fili¬
us; prorsus credibile, quia ineptum est - Cui bono
„Daß Gottes Sohn gestorben ist, ist ge¬
Diese Kernfrage der Kriminalistik nach
radezu eine Sache für den Glauben, weil
dem Tatmotiv bei der Aufklärung eines
es ungereimt ist (und sich nicht begrei¬
Verbrechens - auf deutsch „Wem nützt
fen läßt).“ Außerhalb des theologisch¬
es, wer hat einen Vorteil davon?“ - ist
philosophischen Bereichs wird der Aus¬
ein Zitat, das Marcus Tullius Cicero
druck wohl nur selten verwendet; er wä¬
(106-43 v. Chr.) in seinen Reden „Pro
re zum Beispiel als Kommentar zu einer
Milone“ und „Pro Roscio Amerino“ als
Geschichte denkbar, die zu unwahr¬
einen Ausspruch von Lucius Cassius
scheinlich klingt, als daß sie sich je¬
Longinus Ravilla (Konsul 127 v. Chr.)
mand ausgedacht haben könnte.
anführt.

Credo, ut intellegam
Cuius regio, eius religio
Dieser Satz - „Ich glaube, damit ich er¬
kenne“ - stammt von dem Philosophen Das auch im etwas erweiterten Sinne
und Theologen Anselm von Canterbury von „Wer die Macht ausübt, bestimmt
(1033-1109), der sich damit auf den in seinem Bereich die Weltanschauung“
Propheten Jesaja im Alten Testament anwendbare Zitat bedeutete eigentlich
(7,9 in der Septuagintaübersetzung: „Wes das Land, des der Glaube“. Es
„Glaubt ihr nicht, so werdet ihr nicht war ein wichtiger Grundsatz des Augs¬
verstehen“) und den Kirchenvater Au¬ burger Religionsfriedens von 1555, nach
dem der Landesfürst die Konfession der
gustinus (354-430) bezieht. Augustinus
Untertanen bestimmte. Geprägt wurde
formulierte im „Tractatus in Sanctum
diese Formel von dem Greifswalder Ka-
Joannem“: Credimus ut cognoscamus,
nonisten J. Stephani (1544-1623).
non cognoscimus ut credamus - „Wir
glauben, damit wir erkennen; wir erken¬
nen nicht, damit wir glauben.“ Anselm Cum grano salis
von Canterbury vertrat die Ansicht, daß Dieser lateinische Ausdruck geht auf ei¬
auch der Glaube mit philosophischen ne Stelle in der „Naturalis historia“
Mitteln, mit der Sprache der philosophi¬ (= „Naturgeschichte“) von Plinius d.Ä.
schen Argumentation zu interpretieren (23-79 n.Chr.) zurück, wo er schreibt,

85
cum Teil I

daß die Wirkung eines bestimmten Ge¬ Da geht er hin und singt nicht
gengiftes nur durch die Beigabe von mehr!
einem Körnchen Salz gewährleistet sei.
Das Zitat stammt aus der 1866 veröf¬
Im heutigen Sprachgebrauch hat das Zi¬
fentlichten 2. Auflage des Liederspiels
tat die Bedeutung von „mit Einschrän¬
„Die Kunst, geliebt zu werden“ von
kungen, nicht ganz wörtlich zu neh¬
Ferdinand Gumbert (1818-1896). Es
men“.
wird als scherzhafter Kommentar ge¬
braucht, wenn jemand nach einem Mi߬
Cum tacent, clamant erfolg enttäuscht und niedergeschlagen
In seiner ersten Rede „In L. Catilinam“ fortgeht.
(= „Gegen Catilina“) fordert Marcus
Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) den Po¬ Da hört sich doch alles auf!
litiker Catilina auf, Rom zu verlassen,
Die auch ohne „sich“ gebräuchliche
da Catilina erneut eine Verschwörung
umgangssprachliche Redewendung mit
geplant hatte. Dabei ist Cicero sich,
der Bedeutung „Nun ist es aber genug,
trotz ihres Schweigens, der Zustimmung
das ist ja unerhört!“ könnte durch Louis
der Senatoren sicher, denn: „Cum ta¬
Angelys (1787-1835) Posse „Die Reise
cent, clamant“ („Indem sie schweigen,
auf gemeinschaftliche Kosten“ populär
rufen sie laut“). Das Zitat wird bil¬
geworden sein. Dort heißt es im zweiten
dungssprachlich gelegentlich im Sinne
Akt in der ersten Szene: „Da hört allens
von „es herrscht stillschweigendes Ein¬
auf.“ Heute ist auch die Abwandlung
verständnis“ verwendet, wenn eine Zu¬
„Da hört sich doch verschiedenes auf!“
stimmung nicht ausdrücklich gegeben
geläufig.
wird, aber wohl vorausgesetzt werden
kann. (Siehe auch „Quousque tan-
dem?“) Da ist in meinem Herzen die Liebe
aufgegangen
Das Zitat stammt aus Heinrich Heines
(1797-1857) Anfangsgedicht des „Lyri¬
schen Intermezzos“, des zweiten Zyklus
aus dem „Buch der Lieder“: „Im wun¬
derschönen Monat Mai,/Als alle Knos¬

D pen sprangen,/Da ist in meinem Her¬


zen/die Liebe aufgegangen.“ Das zwei¬
strophige Gedicht ist vor allem als
Eingangslied von Robert Schumanns
Da bleibt kein Auge trocken Liedzyklus „Dichterliebe“ bekannt ge¬
worden.
Dieses Zitat stammt aus Johann Daniel
Falks (1768-1826) Gedicht „Paul. Eine
Handzeichnung“, das 1799 im „Ta¬ Da lacht die Koralle
schenbuch für Freunde des Scherzes Mit diesem Zitat bringt man heute in
und der Satire“ veröffentlicht wurde.
der Umgangssprache zum Ausdruck,
Die Zeile folgt auf die Verse: „In
daß man etwas für völlig lächerlich oder
schwarzen Trauerfloren wallt/Beim
unglaubhaft hält. Es geht zurück auf
Grabgeläut der Glocken/Zu unserm eine Illustrierte der dreißiger Jahre, die
Kirchhof jung und alt“ und drückt
„Koralle“, deren Witzseite die Über¬
leicht ironisch aus: „Alle weinen vor
schrift „Da lacht die Koralle“ trug.
Rührung.“ Inzwischen hat die daraus
entstandene umgangssprachliche Rede¬
wendung eine Bedeutungserweiterung Da packt die andern kalter Graus,
erfahren und kann außerdem heißen sie fliehen in alle Welt hinaus
„Alle lachen Tränen“ und „Keiner Das Zitat stammt aus Ludwig Uhlands
bleibt verschont“. (1787-1862) Gedicht „Schwäbische

86
Teil I da

Kunde“. Mit den „andern“ sind fünfzig des Volkes seinen Lohn von dreißig Sil¬
türkische Reiter gemeint, die die Flucht berlingen zurück. Sie weisen ihn aber
ergreifen, nachdem einer der Ihren von ab: „Was geht uns das an? Da siehe du
einem Schwaben aus Kaiser Barbaros¬ zu!" Die Aufforderung wird auch heute
sas Kreuzzug förmlich gespalten wor¬ in Situationen gebraucht, in denen man
den ist: „Zur Rechten sieht man wie zur ausdrücken will, daß man einem ande¬
Linken/Einen halben Türken herunter¬ ren in dessen schwieriger Lage nicht
sinken.“ Die Ausdrucksweise „jeman¬ helfen kann oder will.
den packt das kalte Grausen“ könnte
durch dieses Zitat allgemein geläufig ge¬ Da sitzt er nu mit das Talent
worden sein.
Das berlinisch-umgangssprachliche Zi¬
tat stammt aus der Posse „Berlin bei
Da rast der See und will sein Opfer Nacht“ von David Kalisch (1820 bis
haben 1872). Üblich sind Abwandlungen wie
z. B. „Da stehen bzw. sitzen wir nun mit
Das Zitat stammt aus Schillers „Wil¬
unserem Talent“ in der Bedeutung
helm Teil“ (1,1), wo der Fischer Ruodi
„Hier kommen wir mit unserem Wissen
sich weigert, wegen des stürmischen
nicht weiter; jetzt wissen wir nicht, was
Wetters am 28. Oktober als Fährmann
wir machen sollen, obwohl wir es doch
den verfolgten Baumgarten ans andere
eigentlich wissen müßten.“
Ufer zu bringen: „Es kann nicht sein; ’s
ist heut Simon und Judä,/Da rast der
See und will sein Opfer haben.“ Man Da speit das doppelt geöffnete
zitiert diese Zeile heute wohl nur selten, Haus zwei Leoparden auf einmal
etwa beim Anblick eines sturmge¬ aus
peitschten Gewässers. Das Zitat findet sich in Schillers Ballade
„Der Handschuh“, erschienen 1797 im
Da schweigt des Sängers Höflich¬ „Musenalmanach für das Jahr 1798“,
keit und berichtet vom Einlaß der Leopar¬
den zum Kampfspiel mit Tiger und Lö¬
Für diese Redensart gibt es verschiede¬
we. In ironisch übertreibender Aus¬
ne Quellen. Man findet sie in der Form
drucksweise lassen sich die Verse auf
„Das verschweigt des Sängers Höflich¬
zwei zugleich auftretende bedrohliche
keit“ als Kehrreim eines um 1800 in Ber¬
menschliche Gestalten beziehen.
lin erschienenen Liedes eines unbe¬
kannten Verfassers. Einen ähnlichen
Wortlaut hat ein 1812 entstandenes Ge¬ Da steh’ ich, ein entlaubter Stamm!
dicht von August Friedrich Langbein Diese Worte stammen aus Wallensteins
mit dem Titel „Die Weissagung“. Es be¬ Monolog in Schillers Tragödie „Wallen¬
ginnt mit den Zeilen „In einem Städt- steins Tod“ (III, 13). Der Titelheld stellt
lein, dessen Namen/des Dichters Höf¬ damit fest, daß er von fast allen verlas¬
lichkeit verschweigt.“ - Man verwendet sen und nur noch auf sich selbst gestellt
die Redensart, um auszudrücken, daß ist. Der Ausspruch läßt sich in entspre¬
man sich über eine bestimmte heikle Sa¬ chender Situation auf die eigene oder
che nicht äußern möchte. Sie kann je¬ eine andere Person beziehen.
doch auch der leicht vorwurfsvolle
Kommentar zu jemandes Schweigen auf Da steh’ ich nun, ich armer Tor!
eine bestimmte Frage sein. Und bin so klug als wie zuvor
Am Anfang von Goethes Faust I spricht
Da siehe du zu! Faust in der Szene „Nacht“ diese Worte
Das Bibelzitat steht im Evangelium des nach dem Hinweis auf alle seine bisheri¬
Matthäus (27,5). Der Jünger Judas, der gen, von ihm offensichtlich als nutzlos
Jesus verraten hat, bereut seine Tat und angesehenen Studien. Der heutige Ge¬
bringt den Hohepriestern und Ältesten brauch hat eher scherzhaften Charakter

87
da Teil I

und bezieht sich auf alltägliche Situatio¬ heit!’ hört man schallen;/Der ruh’ge
nen, in denen man immer noch nicht Bürger greift zur Wehr,/Die Straßen fül¬
weiß, wie man etwas zu verstehen hat len sich, die Hallen,/Und Würgerban¬
oder wie man sich verhalten soll. den ziehn umher.“ Die entfesselten
Volksmassen wüten in den Straßen. In
Da streiten sich die Leut’ herum oft diesen Zusammenhang gehören die Zei¬
um den Wert des Glücks len: „Da werden Weiber zu Hyänen/
Und treiben mit Entsetzen Scherz“. -
Das Zitat stammt aus Ferdinand Rai¬
Das Zitat wird heute oft in abschätzi¬
munds (1790-1836) „Original-Zauber¬
gem Sinn von Männern auf Frauen be¬
märchen“ „Der Verschwender“. Das
zogen, die sich sehr ungestüm für etwas
berühmte „Hobellied“ des Tischlers Va¬
einsetzen oder auf etwas reagieren.
lentin beginnt mit diesen Zeilen; das
Lied handelt von der Veränderlichkeit
des Glücks und von der Zufriedenheit Da, wo du nicht bist, blüht das
dessen, der sich einen - wenn auch be¬
Glück!
scheidenen - Wohlstand selbst erarbei¬
Von Georg Philipp Schmidt von Lübeck
tet hat.
(1766-1849) stammt das Lied „Des
Fremdlings Abendlied“. Der Wanderer
Da unten aber ist’s fürchterlich
in diesem Lied ist auf der vergeblichen
Das Zitat stammt aus Schillers Ballade Suche nach dem Glück. „Ich wandle
„Der Taucher“, erschienen 1797 im
still, bin wenig froh,/Und immer fragt
„Musenalmanach für das Jahr 1798“.
der Seufzer: wo?/Immer wo?“ Am Ende
Der Taucher spricht die Worte, nach¬ steht die resignative Einsicht: „Da, wo
dem er zum erstenmal erfolgreich in die
du nicht bist, blüht das Glück!“ Das
Tiefe des Meeres nach dem Becher des
Lied wurde von Carl Friedrich Zelter
Königs getaucht ist. Man gebraucht das
(1758-1832) und von Franz Schubert
Zitat meist scherzhaft, wenn man zum
(1797-1828) vertont. Schubert hat ihm
Beispiel seinen Abscheu vor einem
den Titel „Der Wanderer“ gegeben und
dunklen, unheimlichen Keller oder ei¬
den Text an mehreren Stellen verändert;
ner tief in die Erde führenden, stickigen
die zitierte Zeile lautet hier: „Dort, wo
Höhle ausdrücken will.
du nicht bist, dort ist das Glück!“

Da war’s um ihn geschehn


Dieses Zitat stammt aus der letzten Stro¬ Dahin möcht’ ich mit dir, o mein
phe von Goethes Ballade „Der Fischer“ Geliebter, ziehn
(1779), in der beschrieben wird, wie der Das Lied der Mignon (entstanden um
Fischer den Verlockungen einer Nixe 1783), das diese Zeile enthält, erschien
erliegt: „Sie sprach zu ihm, sie sang zu zuerst in Goethes „Wilhelm Meister“
ihm;/Da war’s um ihn geschehn:/Halb (Wilhelm Meisters Lehrjahre, 3. Buch,
zog sie ihn, halb sank er hin,/Und ward 1. Kapitel). Der Refrain der 1. Strophe
nicht mehr gesehn.“ Die Zeile wird heu¬ des bekannten Gedichts, das mit der
te gelegentlich scherzhaft kommentie¬ Frage „Kennst du das Land, wo die Zi¬
rend zitiert, wenn sich jemand hoff¬ tronen blühn“ beginnt, lautet vollstän¬
nungslos verliebt hat oder wenn jemand dig: „Kennst du es wohl?/Dahin! Da-
großes Pech in gesundheitlicher oder hin/Möchf ich mit dir, o mein Gelieb¬
Finanzieller Hinsicht hat. ter, ziehn.“ - Das Lied wurde von Lud¬
wig van Beethoven, Franz Liszt, Johann
Da werden Weiber zu Hyänen Friedrich Reichardt, Franz Schubert,
Die Gedichtzeile stammt aus Schillers Robert Schumann und Carl Friedrich
1799 entstandenem „Lied von der Glok- Zelter vertont. - Mit dem Zitat kann
ke“. Das Gedicht nimmt an dieser Stelle man in pathetischer oder scherzhafter
Bezug auf die Französische Revolution Sprechweise seiner Sehnsucht nach
(1789-1799). „.Freiheit und Gleich¬ einem Ort Ausdruck verleihen, an dem

88
Teil 1
Danaergeschenk

man gern mit einem geliebten Men¬ gott Geliert (1715- 1769) gab dieser Ge¬
schen sein möchte. schichte die Form einer Fabel. Hierin
heißt es zu Beginn: „Glaubt nicht, daß
tSein Damaskus erleben bei dem größten Glücke/Ein Wütrich je¬
mals glücklich ist;/Er zittert in dem Au-
Die Dame ist nicht fürs Feuer genblicke,/Da er der Hoheit Frucht ge-
Dies ist der deutsche Titel der engli¬ nießt./Bei aller Herrlichkeit stört ihn
schen Verskomödie The Lady’s not for des Todes Schrecken,/Und läßt ihn
Burning (1948) von Christopher Fry nichts als teures Elend schmecken.“
(geh. 1907). Das Stück spielt um das
Jahr 1400 und erzählt von einer jungen
Frau, die als Hexe verbrannt werden Dämon, den Dolch im Gewände
soll. - Man kann das Zitat verwenden, Die Ballade „Die Bürgschaft“ (1798)
um auszudrücken, daß jemand oder von Schiller beginnt mit den Versen:
auch eine Sache für etwas zu schade ist „Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich/
oder mit größerer Vorsicht oder Rück¬ Dämon, den Dolch im Gewände“. -
sicht behandelt werden sollte. Man zitiert diese Stelle, mit der im Ge¬
dicht der Versuch eines Tyrannenmor¬
Die Damen in schönem Kranz des angesprochen wird, meist scherzhaft
Man findet diese Zeile in Schillers Bal¬ als Hinweis auf jemandes üble Absich¬
lade „Der Handschuh“, erschienen ten, die man zu durchschauen glaubt.
1797 im „Musenalmanach für das Jahr
1798“. In der ersten Strophe wird die
Arena beschrieben, in der eine königli¬ Danaergeschenk
che Gesellschaft versammelt ist, um ei¬ Als „Danaergeschenk“ bezeichnen wir
nem „Kampfspiel“ wilder Tiere zuzu¬ ein Geschenk, das für den Empfänger
schauen. „Vor seinem Löwengar¬ zunächst etwas Erwünschtes darstellt,
ten,/Das Kampfspiel zu erwarten,/Saß sich dann aber als fragwürdig oder gar
König Franz,/Und um ihn die Großen unheilvoll erweist. Der Ausdruck geht
der Krone/Und rings auf hohem Balko- auf eine Stelle im 2. Gesang der „Änei's“
ne/Die Damen in schönem Kranz.“ - von Vergil (70 v.Chr.-19 v.Chr.) zu¬
Man verwendet das Zitat scherzhaft - rück: Quidquid id est, timeo Danaos et
oder auch als Kompliment - beim An¬ dona ferentes. („Was es auch sei: ich
blick einer Gruppe an einem bestimm¬ fürchte die Danaer, auch wenn sie Ge¬
ten Ort versammelter weiblicher Perso¬ schenke machen.“) In der Tragödie
nen. „Agamemnon“ von Seneca (4 v. Chr. bis
65 n. Chr.), in der ebenfalls der Kampf
Damoklesschwert um Troja geschildert wird, findet sich
Die Metapher, Sinnbild für eine dro¬ die Formulierung: Danaum fatale mu-
hende Gefahr, der sich jemand ausge¬ nus („verhängnisvolles Geschenk der
setzt sieht, geht zurück auf eine schon Danaer“). Die Danaer (= die Grie¬
von verschiedenen Autoren der Anti¬ chen), die Troja belagert hatten, waren
ke - zum Beispiel von Cicero und Ho- zum Schein abgezogen und hatten am
raz - erzählte Geschichte. Sie berichtet Strand vor der Stadt ein hölzernes Pferd
von einem Höfling des Tyrannen Dio¬ zurückgelassen. Vergebens versuchte
nys I. von Syrakus (404-367 v. Chr.) mit der Priester Laokoon die Trojaner vor
Namen Damokles. Damokles beneidete diesem „Geschenk der Danaer“ zu war¬
den Tyrannen um das Glück, mit allen nen. Man schaffte es in die Stadt, und
Gütern der Erde gesegnet zu sein. Dio¬ aus seinem Bauch kam eine Schar Krie¬
nys erteilte ihm eine drastische Lehre. ger der Danaer hervor, die die Stadt zu
Er überließ Damokles seinen Platz an Fall brachten. - Auch der Ausdruck
der fürstlichen Tafel. Aber gleichzeitig „Trojanisches Pferd“ wird in der oben
ließ er ein Schwert an einem Pferdehaar angegebenen Bedeutung als Zitat ver¬
über ihm aufhängen. Christian Fürchte¬ wendet.

89
Danaidenfaß Teil I

Danaidenfaß Ritter den Handschuh aus der Mitte der


wilden Tiere zurückbringen. Aber nach
Der Ausdruck hat die Bedeutung „ver¬
vollbrachter Tat haben sich seine Ge¬
gebliche Mühe, nutzloser Aufwand von
fühle für das Fräulein Kunigunde, das
Kraft, Zeit oder Geld“. Er geht zurück
ihn „mit zärtlichem Liebesblick“ emp¬
auf die griechische Sage von den „Da-
fängt, entscheidend gewandelt: „Und er
naiden“ in der Überlieferung des römi¬
wirft ihr den Handschuh ins Ge¬
schen Schriftstellers Hyginus (um 60
sicht :/,Den Dank, Dame, begehr’ ich
v. Chr.-um 10 n. Chr.). Nach ihm waren
nicht!‘/Und verläßt sie zur selben Stun¬
die Danaiden die 50 Töchter des sagen¬
de.“
haften Königs Danaos, von denen 49
auf Befehl ihres Vaters in der Braut¬
nacht ihre Männer ermordeten. In der
Der Dank des Vaterlandes ist euch
Unterwelt mußten sie zur Strafe Wasser gewiß
in ein durchlöchertes Faß füllen. Als Die Herkunft dieses Ausspruchs ist
Metapher taucht das „Faß der Danai¬ nicht bekannt; er stammt vermutlich aus
den“ bei dem griechischen Schriftsteller der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Er be¬
Lukian (im 2.Jh. n. Chr.) auf: „6 xcöv zieht sich auf die Teilnehmer an beiden
AavaiStov TtiOoij“. Bei den lateinischen Weltkriegen. Eine Variante dazu findet
Schriftstellern Plautus (im 3.Jh. v. Chr.) sich bei George Grosz (1893-1959) als
und Lukrez (im 1. Jh. v. Chr.) Findet man Bildunterschrift unter einer einen
ebenfalls das Bild vom „durchlöcherten Kriegskrüppel darstellenden Zeich¬
Faß“, in das etwas hineingefüllt werden nung. Sie lautet: „Des Volkes Dank ist
soll. Als Sprichwort kennen wir es in der euch gewiß“. - Man gebraucht den Aus¬
Form: „Ein Sieb hält kein Wasser“. spruch heute meist scherzhaft oder iro¬
nisch in unkriegerischen Zusammen¬
Daniel in der Löwengrube hängen, wenn beispielsweise jemand et¬
was für die Allgemeinheit getan hat, das
Von Daniel berichtet das Alte Testa¬
man lobend erwähnt.
ment (Daniel 6,17-24), daß man ihn zur
Strafe in einer Löwengrube den Löwen
zum Fraß vorgeworfen hatte. Aber sein Dank vom Haus Ostreich
Gott, Jahwe, beschützte ihn. Als man Diesen ironisch zu verstehenden Kom¬
ihn unverletzt unter den Löwen fand, mentar äußert in Schillers Trauerspiel
sagte Daniel: „Mein Gott hat seinen En¬ „Wallensteins Tod“ (1798) Oberst Butt-
gel gesandt, der den Löwen den Rachen ler im Gespräch mit Oktavio Piccolomi¬
zugehalten hat, daß sie mir kein Leid ge¬ ni. Er ist eine Anspielung auf die sprich¬
tan haben.“ - Man bezieht den Aus¬ wörtliche Undankbarkeit des österrei¬
druck meist im Scherz auf jemanden, chischen Kaiserhauses in politischen
der sich mehr oder weniger gefährlichen Zusammenhängen. Das heute nur noch
Widersachern gegenübersieht, gegen die selten verwendete Zitat „Dank vom
er sich behaupten muß. Haus Ostreich“ heißt danach soviel wie
„Undank“.
Den Dank, Dame, begehr’ ich
nicht t Nun danket alle Gott

Der Vers, mit dem man im Scherz je¬


mandes Dank zurückweist, steht am Daran erkenn’ ich den gelehrten
Schluß von Schillers Ballade „Der Herrn!
Handschuh“, erschienen 1797 im „Mu¬ Die Zeile stammt aus dem zweiten Teil
senalmanach für das Jahr 1798“. Die von Goethes Faust (1. Akt, Kaiserliche
Ballade handelt von einem Ritter des Pfalz). Mephisto erwidert auf eine län¬
königlichen Hofes, der den Handschuh gere Auslassung des Kanzlers über die
seiner Dame aus dem „Löwengarten“ Gefährlichkeit und Sündhaftigkeit der
herausholt, in den sie ihn leichtfertig natürlichen und geistigen Kräfte des
fallen ließ. Als Liebesbeweis sollte der Menschen mit den höhnischen Worten:

90
Teil I das

„Daran erkenn’ ich den gelehrten Gelehrten“ ist in dieser Bedeutung ge¬
Herrn!/Was ihr nicht tastet, steht euch bräuchlich.
meilenfern,/Was ihr nicht faßt, das fehlt
euch ganz und gar,/Was ihr nicht rech¬ Das also war des Pudels Kern
net, glaubt ihr, sei nicht wahr,/Was ihr
Der Ausspruch stammt aus Goethes
nicht wägt, hat für euch kein Ge-
Faust I (Studierzimmerszene). Während
wicht,/Was ihr nicht münzt, das, meint
des „Osterspaziergangs“ gesellt sich zu
ihr, gelte nicht.“ - Man verwendet die
Faust und Wagner ein schwarzer Pudel,
Zeile auch heute spottend, um jemandes
dessen seltsames Gebaren Faust auf¬
gelehrtenhaftes Gebaren zu kritisieren.
fällt: „Bemerkst du, wie in weitem
Schneckenkreise/Er um uns her und im¬
Daran erkenn’ ich meine Pappen¬ mer näher jagt?/Und irr’ ich nicht, so
heimer zieht ein Feuerstrudel/Auf seinen Pfa¬
Die Redewendung „seine Pappenhei¬ den hinterdrein.“ Der Pudel begleitet
mer kennen“ hat die Bedeutung „wis¬ Faust in sein Studierzimmer und ver¬
sen, woran man mit bestimmten Leuten wandelt sich vor seinen Augen: „Das ist
ist, ihre Eigenheiten, besonders ihre nicht eines Hundes Gestalt!/Welch ein
Schwächen kennen“. Sie geht auf das Gespenst bracht’ ich ins Haus!/Schon
Lob zurück, das Wallenstein in Schillers sieht er wie ein Nilpferd aus ...” Schlie߬
Drama (Wallensteins Tod, 3. Aufzug, lich nimmt das Tier menschliche Gestalt
15. Auftritt) den Männern des Küras¬ an, Mephisto tritt im Kostüm eines fah¬
sierregiments des Grafen von Pappen¬ renden Scholaren hervor. Darauf folgt
heim ausspricht. Sie hatten ihm die Fausts überraschter Ausruf. - Man ver¬
Treue bewahrt, während sich andere wendet das Zitat auch heute, um seiner
Regimenter auf kaiserlichen Befehl be¬ Überraschung über etwas, das sich lan¬
reits von Wallenstein als einem Landes¬ ge nicht recht erkennen oder durch¬
verräter abgewendet hatten. Die „Pap¬ schauen ließ, Ausdruck zu geben.
penheimer“ wollen von Wallenstein
selbst hören, was er vorhat: „Kein frem¬ Das begreife ein andrer als ich
der Mund soll zwischen uns sich schie¬ Dieses Zitat stammt aus der Oper „Zar
ben,/Den guten Feldherrn und die gu¬ und Zimmermann“ von Albert Lortzing
ten Truppen.“ Wallenstein antwortet (1801-1851). Im Finale des 2. Aufzugs
darauf: „Daran erkenn’ ich meine Pap¬ (10. Auftritt) muß der wichtigtuerische
penheimer.“ Bürgermeister van Bett erfahren, daß er
unter anderem auch den russischen Ge¬
Darüber sind sich die Gelehrten sandten fälschlich als „Staatsverräter“
noch nicht einig verdächtigt hat. Seine Überraschung
drückt er mit folgenden Worten aus: „O
Dieser Ausspruch geht wohl auf eine
Donnerwetter! Was soll das sein?/Das
Äußerung des römischen Dichters Ho-
begreife ein andrer als ich.“ Das Zitat
raz (65-8 v. Chr.) im Vers 78 seiner „Ars
wird in Situationen verwendet, die ei¬
poetica“ (= „Dichtkunst“) zurück. Er
nem völlig unverständlich sind, oder auf
sagt hier mit Bezug auf das elegische
Vorgänge, Entscheidungen bezogen, die
Versmaß der Distichen, von dem man
man nach eigenen Maßstäben oder Vor¬
nicht wisse, wer es zuerst verwendet hat:
stellungen nicht nachvollziehen kann
Grammatici certant, et adhuc sub iudice
oder will.
lis est. („Die Grammatiker streiten, und
noch ist der Rechtsstreit nicht entschie¬
den.“) - Man verwendet das Zitat, um
Das eben ist der Fluch der bösen
auszudrücken, daß die Ursache von et¬ Tat
was noch nicht bekannt ist, daß man Dieses Wort fällt im Gespräch zwischen
über etwas Bestimmtes noch nichts Ge¬ Max und Oktavio Piccolomini in Schil¬
naues weiß. Auch die abgewandelte lers Drama „Wallenstein“ (Die Piccolo¬
Formulierung „Darüber streiten sich die mini 5,1): „Das eben ist der Fluch der

91
das Teil I

bösen Tat,/Daß sie, fortzeugend, immer keit eines Vorgangs, eines Erlebnisses
Böses muß gebären.“ Oktavio Piccolo¬ o.ä. scherzhaft zu kommentieren.
mini bezieht sich dabei auf sein Verhält¬
nis zu Wallenstein, das nach Wallen¬ Das halte fest mit deinem ganzen
steins Vorhaben, sich mit den Schweden Herzen
zu verbinden, schwierig geworden ist: TAns Vaterland, ans teure, schließ dich
meinen Abscheu, meine innerste/
an.
Gesinnung hab’ ich tief versteckt.“ Er
erkennt: „In steter Notwehr gegen arge
Das ist das Los des Schönen auf
List/Bleibt auch das redliche Gemüt
der Erde!
nicht wahr.“ Man verwendet das Zitat,
um die negativen oder schlimmen Fol¬ Mit dieser Zeile endet die Klage The¬
gen einer Handlungsweise zu kommen¬ klas um den Tod des Freundes Max Pic¬
tieren. colomini in Schillers Drama „Wallen¬
stein“ („Wallensteins Tod“; 4, 12).
„- Da kommt das Schicksal - roh und
Das eben ist der Liebe Zauber¬
kalt/Faßt es des Freundes zärtliche Ge¬
macht stalt/Und wirft ihn unter den Hufschlag
Das Zitat stammt aus Franz Grillparzers seiner Pferde -/Das ist das Los des
(1791-1872) Trauerspiel „Sappho“. Die Schönen auf der Erde!“ Die Vorstel¬
Dichterin bringt von ihrem Sieg in der lung, daß besonders das Schöne und
Dichtkunst, den sie in Olympia errang, Edle schutzlos dem Tod und der Zerstö¬
diese Erkenntnis mit: „Das eben ist der rung ausgeliefert ist, findet hier wie an
Liebe Zaubermacht,/Daß sie veredelt, anderen Stellen bei Schiller Ausdruck.
was ihr Hauch berührt,/Der Sonne ähn¬ So zum Beispiel auch in dem Gedicht
lich, deren goldner Strahl/Gewitterwol¬ „Nänie“ (= Totenklage), das mit den
ken selbst in Gold verwandelt.“ Sappho Worten: „Auch das Schöne muß ster¬
spricht hier zu ihrer Dienerin Melitta ben! Das Menschen und Götter bezwin¬
von sich selbst, aus der Erfahrung ihrer get“ beginnt. - Mit dem Zitat kommen¬
Liebe zu Phaon; als Zitat bezieht man tiert man resignierend die Beobachtung
die Feststellung meist auf andere, deren oder Erfahrung, daß etwas Schönes sich
auffälliges oder unerwartetes, auf Liebe als vergänglich erwiesen hat oder in den
oder Verliebtheit zurückzuführendes Schmutz gezogen wurde.
Verhalten man damit kommentiert.
Das ist das Unglück der Könige,
Das gibt’s nur einmal, das kommt daß sie die Wahrheit nicht hören
nie wieder wollen
So beginnt der Refrain eines Schlagers Diese Erkenntnis stammt aus dem Mun¬
von Werner Richard Heymann (Musik) de des Politikers Johann Jacoby (1805—
und Robert Gilbert (Text) aus dem Film 1877). Er äußerte sich als Mitglied einer
„Der Kongreß tanzt“ (1931). Am be¬ am 2. 11. 1848 zu König Friedrich Wil¬
kanntesten sind die beiden ersten und helm IV. entsandten Deputation der
die beiden letzten Zeilen des Kehr¬ preußischen Nationalversammlung.
reims: „Das gibt’s nur einmal, das Der gleiche Gedanke findet sich schon
kommt nie wieder,/das ist zu schön, um früher in der Nachdichtung „Der Cid“
wahr zu sein!... Das kann das Leben nur (1803/04) von Johann Gottfried Herder:
einmal geben,/denn jeder Frühling hat „Ach, der Kön’ge hartes Schick¬
nur einen Mai!“ Gesungen wurde das sal,/Daß, wenn man sie nicht mehr
Lied von Lilian Harvey, in der Rolle ei¬ fürchtet,/Dann nur ihnen die Wahrheit
ner jungen Wiener Handschuhmache¬ spricht!“ - „Auch zu andern, andern
rin, die während des Wiener Kongresses Zeiten/Sagt man ihnen wohl die Wahr¬
(1814/15) eine Romanze mit dem russi¬ heit,/ Aber sie, sie hören nicht.“ - Man
schen Zaren Alexander I. erlebte. - Man bezieht das Zitat auf Menschen in einer
verwendet das Zitat, um die Einmalig¬ Machtposition, die den Realitäten nicht

92
Teil I
das

ins Auge sehen wollen oder vor kriti¬ Das ist des Landes nicht der
schen Worten ihre Ohren verschließen. Brauch
Mit diesen Worten läßt Goethe (in
Das ist der Beginn einer wunderba¬ Faust I, der Nachbarin Haus) Gretchen
ren Freundschaft die Annäherungsversuche Mephistos
und sein Angebot, sich ihr als „Galan“
Mit den Worten „Louis, ich glaube, das zur Verfügung zu stellen, abweisen.
ist der Beginn einer wunderbaren
Heute dienen diese Worte meist als
Freundschaft“, die der Barbesitzer Rick
scherzhafte Ablehnung. Sie werden zi¬
an den französischen Offizier Louis tiert, etwa wenn ein Vorschlag, ein An¬
richtet, endet der berühmte, zum Kult¬
sinnen als nicht zumutbar zurückgewie¬
film und Evergreen gewordene amerika¬ sen werden soll.
nische Film „Casablanca“, der 1942 mit
den Hauptdarstellern Ingrid Bergman
und Humphrey Bogart gedreht wurde.
Das ist des Sängers Fluch
Der Satz (im englischen Originaltext:
Louis, I think this is the beginning of a Mit diesen Worten endet die Ballade
beautiful friendship) wird meist scherz¬ „Des Sängers Fluch“ von Ludwig Uh-
haft oder auch ironisch zitiert, etwa land (1787-1862). Ein „Sängerpaar“,
wenn sich irgendwo eine menschliche ein alter Harfner und sein junger Beglei¬
Beziehung abzeichnet, die man alles an¬ ter, hatten im Schloß eines düsteren Kö¬
dere als freundschaftlich nennen möch¬ nigs die versammelte Runde der Höflin¬
te. ge mit ihrem Gesang begeistert. Der Kö¬
nig sah sein Volk „verführt“ und warf
voll Wut sein Schwert nach dem jungen
Das ist der Lauf der Welt Sänger, den er tödlich traf. Darauf ver¬
fluchte der alte Sänger das Schloß und
Mit diesem Ausspruch reagiert jemand
seine Bewohner. Das Gedicht endet:
auf bestimmte Vorgänge meist negativer
„Des Königs Namen meldet kein Lied,
Art, auf Ungerechtigkeiten, Verluste
kein Heldenbuch:/Versunken und ver¬
o. ä., die er damit seufzend oder auch
gessen. Das ist des Sängers Fluch.“ -
nur achselzuckend zu Kenntnis nimmt
Man verwendet den Ausspruch etwa im
und kommentiert - etwa im Sinne von
Sinne von „so rächt sich etwas immer
„So ist es nun einmal“ oder „So geht es
wieder, das kommt davon“.
eben zu in dieser Welt“. In einem ähnli¬
chen Sinn auch gebraucht Mephisto in
Goethes Faust I den Ausspruch. Er
kommentiert damit am Ende der Szene Das ist die Sonne von Austerlitz!
in Marthes Garten das sich anbahnende Diesen Ausspruch - im französischen
verhängnisvolle Liebesverhältnis zwi¬ Original: Voilä le soleil dAusterlitz! -
schen Faust und Gretchen. Seinen Ur¬ soll Napoleon Bonaparte (1769-1821)
sprung hat der Ausspruch in der Bibel. beim Sonnenaufgang vor der Schlacht
Im „Brief des Paulus an die Epheser“ von Borodino (7. September 1812) sei¬
werden zu Beginn des 2. Kapitels „des nen Offizieren in ermunternder Erinne¬
Menschen Elend außer Christo“ und rung an die Dreikaiserschlacht von Au¬
„der Gläubigen seliger Zustand in der sterlitz (2. Dezember 1805) zugerufen
Gemeinde Christi“ einander gegenüber¬ haben. Dort hatte die schließlich durch
gestellt. Mit der Fügung „nach dem die Wolken brechende Sonne, die einen
Lauf dieser Welt“ werden dabei die Ge¬ genauen Überblick über die Kampf¬
setzlichkeiten der von der Sünde be¬ handlungen ermöglichte, entscheidend
herrschten Welt umschrieben. Es heißt zum Sieg des französischen Kaisers bei¬
an der Stelle: „... da ihr tot wäret durch getragen. - In ähnlich aufmunternder
Übertretungen und Sünden, in welchen Absicht angesichts einer schwierigen Si¬
ihr weiland gewandelt nach dem Lauf tuation wird der Ausruf heute noch ge¬
dieser Welt..." (Epheser 2, 1 f.). legentlich zitiert.

93
das Teil I

Das ist ein weites Feld d’Enghien gesagt haben, der gegen die
Republik gekämpft hatte. - Mit diesen
Es gibt zwei Quellen für diese Redens¬
zynisch klingenden Worten drückt man
art. Man findet sie zum einen in dem
aus, daß man eine Handlung für un¬
Roman „Der Nachsommer“ (1857) von
überlegt und sehr töricht hält.
Adalbert Stifter. Dort heißt es: „Das ist
ein weites Feld, von dem ihr da redet“.
In Theodor Fontanes Roman „Effi
Das ist Teils Geschoß
Briest“ (1895) verwendet der Vater der Dies sind die letzten Worte des Land¬
Titelheldin mehrfach diese Floskel. Am vogts Geßler in Schillers Drama „Wil¬
Ende des Romans beschließt er ein Ge¬ helm Teil“ (1804). Geßler weiß, daß nur
spräch mit seiner Frau über das Schick¬ Teil es gewagt haben konnte, ihn zu tö¬
sal der Tochter Effi mit den Worten: ten. - Mit dem Zitat - auch in der Form
„Ach, Luise, laß ... das ist ein zu weites „Das war Teils Geschoß“ oder „Hic fuit
Feld.“ - Man zitiert - wohl nach Fonta¬ [Teil]“ -, gibt man zu erkennen, daß
ne -: „Das ist ein weites Feld“ bzw. man den Urheber einer bestimmten
„Das ist ein weites Feld, Luise“, womit Handlung kennt.
man zum Ausdruck bringt, daß ein The¬
ma zu weitläufig ist, als daß man es - im Das kann doch einen Seemann
Gespräch - erschöpfen könnte, oder nicht erschüttern
daß eine Frage nicht leicht zu beantwor¬ Der Schlager, dessen Refrain sehr popu¬
ten ist, daß es viel dazu zu sagen gäbe. lär wurde, stammt aus dem 1939 gedreh¬
ten Film „Paradies der Junggesellen“
Das ist Lützows wilde, verwegene mit Heinz Rühmann. (Der Textdichter
Jagd ist Bruno Balz, die Vertonung als
Das Zitat stammt aus dem Lied „Lüt¬ Marschfox stammt von Michael Jary.)
zows wilde Jagd“, das der Dichter der Der Film handelt von drei trinkfesten
Befreiungskriege, Theodor Körner, Männern - zwei davon Angehörige der
1813 schrieb und dessen sechs Strophen Marine -, die zeitweise ohne Frauen in
jeweils mit dieser Zeile enden. Das Lied einer gemeinsamen Wohnung leben.
beginnt mit dem Vers „Was glänzt dort Der Schlager beginnt mit den Worten:
im Walde im Sonnenschein?“ und be¬ „Es weht der Wind mit Stärke zehn“. -
singt das Freikorps des Freiherrn Lud¬ Der Refrain wird heute noch als Aus¬
wig Adolf Wilhelm von Lützow (1782 druck eines unerschütterlichen Optimis¬
bis 1834), das sich in den Befreiungs¬ mus zitiert.
kriegen besonders hervortat. In der Ver¬
tonung von Carl Maria von Weber ge¬ Das kommt nicht wieder
hört es noch heute zum Repertoire von t Das gibt’s nur einmal
Männerchören. - Man gebraucht das
Zitat scherzhaft, um eine Gruppe von Das macht die Berliner Luft
vorbeistürmenden Menschen oder ähn¬
Der Kehrreim „Das macht die Berliner
liches zu charakterisieren.
Luft, Luft, Luft,/So mit ihrem holden
Duft, Duft, Duft“ stammt aus der Ope¬
Das ist mehr als ein Verbrechen, rette „Frau Luna“ von Paul Lincke
das ist ein Fehler (1866-1946). Die auf dem Mond gelan¬
Der Ausspruch C’est pire qu'un crime, deten, zunächst von den Mondschutz¬
c’est une faute, häufig Napoleons Poli¬ männern verhafteten Berliner erinnern
zeiminister Fouche oder auch dem Di¬ sich am Ende des ersten Aktes an ihre
plomaten Talleyrand zugeschrieben, heimatliche „Berliner Luft“. - Heute zi¬
stammt nach anderen Quellen von dem tiert man die erste Zeile des Kehrreims
französischen Politiker Antoine Boulay gelegentlich noch, um Besonderheiten
de la Meurthe (1761-1840). Er soll dies des Berliner Lebens, der Verhaltenswei¬
im Zusammenhang mit der von Napole¬ se der Berliner Bevölkerung in scherz¬
on befohlenen Hinrichtung des Duc haft-ironischer Weise zu erklären oder

94
Teil I
das

um auszudrücken, daß man sich gerade renheit in bestimmten Situationen oft


in Berlin wohl fühlt und sich vom Flair vorbildlicher verhalten als andere.
dieser Stadt, von der Mentalität der Ber¬
liner gerne anstecken läßt.
Das war eine köstliche Zeit!
Das sei ferne von mir! Das Zitat, mit dem man eine vergangene
schöne Zeit beschwört, stammt aus der
Mit dieser Floskel, der im heutigen
komischen Oper „Der Waffenschmied“
Deutsch die Formulierung „Das liegt
(uraufgeführt in Wien 1846) von Albert
mir völlig fern“ entspricht, weist man et¬
Lortzing. Ihr liegt das Lustspiel „Lieb¬
was zurück, was man nicht tun oder wo¬
haber und Nebenbuhler in einer Per¬
mit man nichts zu schaffen haben möch¬
son“ von Friedrich Wilhelm Ziegler
te. Sie geht zurück auf die Bibel, wo sie
(1760-1827) zugrunde. Die „köstliche
vielfach verwendet wird. Im 1. Buch
Zeit“ besingt der alte Waffenschmied
Moses (44,17) heißt es zum Beispiel:
am Tag seines Meisterjubiläums, an
„Das sei ferne von mir, solches zu tun!“
dem er seine Erinnerung in die Vergan¬
Und schon vorher (18,25): „Das sei
genheit schweifen läßt.
ferne von dir, daß du das tust und tötest
den Gerechten mit dem Gottlosen ...“ In
den Sprüchen Salomos (30,7 f.) findet Das war in Schöneberg im Monat
man: „Zweierlei bitte ich von dir ...: Mai
Abgötterei und Lüge laß ferne von mir
Dieses Zitat ist der Anfang des Refrains
sein ...“
eines Marschliedes aus der Berliner
Posse „Wie einst im Mai“ (1913): „Das
Das sollst du am Kreuze bereuen war in Schöneberg/im Monat Mai,/ein
In Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ kleines Mädelchen/ war auch dabei./
(1798) verhängt der Tyrann Dionys mit Das hat den Buben oft/und gern ge¬
diesen Worten die Todesstrafe über Dä¬ küßt,/wie das in Schöneberg/so üblich
mon, der ihn ermorden wollte. - Das Zi¬ ist.“ Den Text des Liedes, das einen me¬
tat, das man heute noch als scherzhafte lancholischen Rückblick auf glückliche
Drohung verwenden kann, bedeutet Kindertage wiedergibt, wurde von Ru¬
dann soviel wie „dafür wirst du bestraft, dolf Bernauer verfaßt, die Melodie
das mußt du büßen!“ schrieb Walter Kollo. Man verwendet
das Zitat (auch in der Form „Es war ...“)
Das täuscht die hoffende Seele als scherzhafte Anspielung auf ein län¬
nicht ger zurückliegendes schönes Ereignis,
eine leider vergangene Zeit. (Vergleiche
T Noch am Grabe pflanzt er die Hoff¬
auch den Artikel „Wie einst im Mai“.)
nung auf

Das übet in Einfalt ein kindlich Das war kein Heldenstück, Okta-
Gemüt vio!
Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬ Mit diesen Verbitterung ausdrückenden
dicht „Die Worte des Glaubens“ (1797). Worten reagiert Wallenstein in Schillers
Am Ende der dritten Strophe, in der die gleichnamigem Drama („Wallensteins
Tugend als etwas durchaus Erstrebens¬ Tod“ 3, 9) auf Oktavio Piccolominis
wertes und trotz mancher Unzulänglich¬ Verrat an ihm. Wallenstein hatte auf
keiten im Leben Erreichbares darge¬ ihn als Freund vertraut. Aber in dem
stellt wird, heißt es im Zusammenhang: Augenblick, als Wallenstein sich auf die
„Er kann nach der göttlichen stre- Seite der Schweden schlug, fiel Oktavio
ben,/Und was kein Verstand der Ver¬ Piccolomini von ihm ab. - Man verwen¬
ständigen sieht,/Das übet in Einfalt ein det das Zitat, um auszudrücken, daß
kindlich Gemüt.“ Der letzte Vers wird man mit Entschiedenheit nicht billigt,
heute auf Menschen bezogen zitiert, die was jemand getan hat, daß der Betref¬
sich in ihrer Schlichtheit und Unerfah¬ fende sich dafür schämen sollte.

95
daß Teil I

Daß das weiche Wasser in Bewe¬ über die Eingeschränktheit seines Wis¬
gung mit der Zeit den mächtigen sens. Er hat sich darum „der Magie er¬
geben“ und hofft, mit ihrer Hilfe weiter
Stein besiegt
in die Geheimnisse der Natur einzu¬
Diese Verszeilen stammen aus einem dringen: „Daß ich erkenne, was die
der „Svendborger Gedichte“ (1939) von Welt/Im Innersten zusammenhält,
Bertolt Brecht. Es hat den Titel „Legen¬ /Schau’ alle Wirkenskraft und Sa¬
de von der Entstehung des Buches Tao- men,/Und tu’ nicht mehr in Worten kra¬
teking auf dem Weg des Laotse in die men.“ - Das Zitat bringt jemandes
Emigration“. Laotse trifft einen Zöllner, Wunsch zum Ausdruck, tiefer in ein
der von dem Weisen wissen möchte, ob Problem einzudringen, grundlegendere
sein Nachdenken über die Welt zu Er¬ Erkenntnisse über ein Sachgebiet oder
kenntnissen geführt habe. Auf seine
komplexere Vorgänge zu gewinnen.
Frage „Hat er was rausgekriegt?“ wird
ihm die Antwort zuteil: „Daß das wei¬
che Wasser in Bewegung/Mit der Zeit
Daß man vom Liebsten, was man
den mächtigen Stein besiegt./Du ver¬ hat, muß scheiden
stehst, das Harte unterliegt.“ - Die Na¬ t Wenn Menschen auseinandergehn, so
tur liefert ein Beispiel dafür, daß - auf sagen sie: auf Wiedersehn, ja Wieder¬
die Dauer gesehen - nicht Härte oder sehn!
Gewalt obsiegen. - Der Zukunftsfor¬
scher Robert Jungk (* 1913) gab einem Dastehen wie Buridans Esel
Essayband aus dem Jahr 1986 den Titel: Die Formulierung mit der Bedeutung
„Und Wasser bricht den Stein.“
„sich zwischen zwei gleichwertigen Din¬
gen nicht entscheiden können“ bezieht
Daß einer lächeln kann und immer sich auf eine dem französischen Philo¬
lächeln und doch ein Schurke sein sophen Johannes Buridan (1300-1358)
Das Zitat stammt aus Shakespeares Tra¬ zugeschriebene Parabel, nach der ein
gödie „Hamlet“ (1604). Im ersten Akt, hungriger Esel aus Unentschlossenheit
in der fünften Szene, begegnet Hamlet vor zwei gleichen Bündeln Heu verhun¬
dem Geist seines Vaters und erfährt, gern würde; sie ist in dieser Form aber
daß der Vater von seinem Bruder, Ham¬ in seinen Schriften nicht nachzuweisen.
lets Onkel, ermordet wurde, der jetzt als Der Grundgedanke stammt aus Aristo¬
König herrscht. Hamlets Entrüstung teles’ (384-322 v. Chr.) „De caelo“
über den Mörder äußert sich in den (= „Über den Himmel“; 11,13) und
Worten: „O Schurke! lächelnder, ver¬ wird in Buridans Kommentar zu diesem
dammter Schurke!/.../Daß einer lächeln Werk am Beispiel des Hundes aufge¬
kann und immer lächeln/Und doch ein nommen. Der Esel ist möglicherweise
Schurke sein; zum wenigsten/Weiß ich eine von Gegnern Buridans erfundene
gewiß, in Dänmark kann’s so sein.“ (Im Abwandlung.
englischen Originaltext: O villain, vil¬
lain, smiling, damned villain!/.../That Davon geht die Welt nicht unter
one may smile and smile and be a villain./
Der mit diesen Worten beginnende
At least I’m sure it may be so in Den-
Schlager (Text: Michael Jary, Musik:
mark.) - Das sehr literarische Zitat
Bruno Balz), zuerst gesungen von Zarah
bringt jemandes Erschütterung über die
Leander, stammt aus dem 1942 gedreh¬
Unwahrhaftigkeit eines Menschen zum
ten Film „Die große Liebe“. Der Film
Ausdruck.
erzählt die Liebesgeschichte zwischen
einem Luftwaffenoffizier und einer be¬
Daß ich erkenne, was die Welt im rühmten Varietesängerin. Er gehörte zu
Innersten zusammenhält den sogenannten „Durchhaltefilmen“,
Am Beginn des ersten Teils von Goethes mit denen die Menschen von den Ereig¬
Faust, in der Szene „Nacht“, erhebt nissen des Krieges abgelenkt werden
Faust in einem Selbstgespräch Klage sollten. - Das Zitat bekundet in salop-

96
Teil I deines

per Form, daß doch alles nicht so historischen Drama (uraufgeführt 1598)
schlimm ist, daß man einen Mißerfolg, seinen Sohn Heinrich, den Prinzen von
eine Widrigkeit nicht so schwernehmen, Wales (IV, 4). Der Prinz hatte den auf
nicht dramatisieren soll. dem Krankenlager in tiefem, ohnmacht¬
ähnlichem Schlaf liegenden Vater für
De profundis tot gehalten und dessen Krone an sich
Nach diesen Anfangsworten wird der genommen, bereit, sie als legitimer
130., in der lateinischen Bibelüberset¬ Nachfolger würdig zu tragen. Im engli¬
zung Vulgata der 129. Psalm, der 6. schen Original sagt der König: Thy wish
Bußpsalm, benannt. Der ganze Satz lau¬ was father, Harry, to that thought. Hein¬
tet: De profundis clamavi ad te. Domine. richs Ausspruch wird heute in der abge¬
Luther übersetzt den Vers mit „Aus der wandelten Form „Der Wunsch ist/war
Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ und verwen¬ [hier] Vater des Gedankens“ zitiert,
det den Psalm als Grundlage seines Kir¬ wenn man verdeutlichen will, daß das,
chenliedes „Aus tiefer Not schrei’ ich zu wovon jemand spricht, nur auf Wunsch¬
dir“. Der Psalm ist Bestandteil beson¬ denken beruht.
ders des katholischen Trauergottesdien¬
stes. „De profundis“ im Sinne von Deine Uhr ist abgelaufen
„Klagegesang“ wurde auch vom späte¬ In dieser Form erscheint die Redewen¬
ren Herausgeber als Titel für das letzte dung Jemandes Uhr ist abgelaufen“
Prosawerk Oscar Wildes (1854-1900) mit der Bedeutung Jemand wird bald
verwendet, für einen langen, im Zucht¬ sterben oder ist gerade gestorben“ in
haus von Reading geschriebenen, an Schillers Schauspiel „Wilhelm Teil“
Lord Alfred Douglas gerichteten Brief. (IV, 3): „Mach deine Rechnung mit dem
Himmel, Vogt,/Fort mußt du, deine Uhr
Dei gratia ist abgelaufen.“ Der Titelheld faßt hier
den Entschluß, die Ermordung des ty¬
t Von Gottes Gnaden
rannischen Reichsvogts Geßler zu voll¬
ziehen. Das Bild von der ablaufenden
Dein Schicksal ruht in deiner eig¬
Uhr bzw. auslaufenden Sanduhr für ein
nen Brust
zu Ende gehendes Leben benutzt vor
Dieser Ausspruch stammt aus Schillers Schiller Goethe in seinem Briefroman
Drama „Die Jungfrau von Orleans“ „Die Leiden des jungen Werthers“
(III,4). Agnes Sorel, die Geliebte König (1774; 2. Buch, 12. Dezember): „Meine
Karls VII., bittet Johanna, die Jungfrau Uhr ist noch nicht ausgelaufen, ich füh¬
von Orleans, um ein „erfreuliches Ora¬ le es.“ Bereits in Jakob Ayrers (um
kel“ für sich, nachdem sich Johanna 1543-1605) „Tragedia vom reichen
weitläufig über zukünftiges Geschehen Mann und armen Lazarus“ heißt es: „Er
in der „großen Weltgeschichte“ geäu¬ hat eine kleine Zeit,/So ist ihm die Uhr
ßert hat. Mit den Worten vom Schicksal, ausgeloffen.“
das in der eigenen Brust ruht, gibt Jo¬
hanna aber der fragenden Agnes Sorel Deines Geistes hab’ ich einen
zu verstehen, daß es einzig von ihr selbst Hauch verspürt
abhänge, wie sie ihr Schicksal gestalte.
Mit diesen Worten endet die Ballade
In diesem Sinne wird das Zitat auch
„Bertran de Born“ von Ludwig Uhland
heute gebraucht. - Vergleiche auch den
(1787-1862). Der Troubadour Bertran
Artikel „In deiner Brust sind deines
de Born hatte einen Sohn des Königs
Schicksals Sterne“.
Heinrich II. von England gegen seinen
Vater aufgehetzt. Zur Strafe wurde sein
Dein Wunsch war des Gedankens Schloß zerstört und er selbst gefangen¬
Vater genommen. Als der Gefangene, Freund
Mit diesen Worten empfängt ziemlich des im Kampf gefallenen Königssohns,
ungehalten König Heinrich IV. im 2. vor den König tritt, rührt er ihn mit sei¬
Teil von Shakespeares gleichnamigem ner Klage um den toten Freund. Der

97
3 Duden 12
Demokraten Teil I

König gibt ihm die Freiheit mit den Tod. „Ein Tännlein grünet wo,/Wer
Worten wieder: „Meinen Sohn hast du weiß im Walde,/Ein Rosenstrauch, wer
verführt,/Hast der Tochter Herz ver- sagt,/In welchem Garten?/Sie sind erle¬
zaubert,/Hast auch meines nun ge¬ sen schon,/Denk es, o Seele!/Auf dei¬
rührt :/Nimm die Hand, du Freund des nem Grab zu wurzeln/Und zu wach¬
Toten,/Die, verzeihend, ihm gebührt!/ sen.“ - Wir verwenden das Zitat meist
Weg die Fesseln! Deines Geistes/Hab’ in weniger düsterem Zusammenhang,
ich einen Hauch verspürt.“ (Ich ahne et¬ um jemandem etwas ins Bewußtsein zu
was von deinen dichterischen Fähigkei¬ rufen, ihn dazu zu ermuntern, sich etwas
ten, erklärt damit der König.) - Das sehr vorzustellen, sich auf eine Vision einzu¬
literarische Zitat kann in einem Zusam¬ lassen.
menhang verwendet werden, in dem je¬
mand andeuten will, daß er etwas von Denk’ ich an Deutschland in der
der Ausstrahlung einer bestimmten Per¬ Nacht, dann bin ich um den Schlaf
son oder Sache wahrgenommen hat.
gebracht
t Gegen Demokraten helfen nur Der freiwillige Entschluß Heinrich Hei¬
Soldaten nes, 1831 nach Paris überzusiedeln, er-
öffnete ihm zwar neue politische und
t Mehr Demokratie wagen kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten,
seine Liebe zum „wirklichen Deutsch¬
Den lieb’ ich, der Unmögliches be¬ land“ - wie er es formulierte -, wo seine
gehrt Schriften seit 1835 verboten waren, kam
aber immer wieder in seiner lyrischen
Im 2. Teil von Goethes Faust geleitet
Dichtung der Folgezeit zum Ausdruck.
der Zentaur Chiron den in Liebe zu He¬
Eines seiner meistzitierten Gedichte aus
lena entbrannten Faust zur Sibylle Man-
dieser Zeit sind die „Nachtgedanken“
to (2. Akt, Klassische Walpurgisnacht;
(1843), deren erste Strophe lautet:
Peneios). Sie ist sofort bereit, ihn zu Per¬
„Denk’ ich an Deutschland in der
sephone, der Gemahlin des Unterwelt¬
Nacht,/Dann bin ich um den Schlaf ge-
gottes Pluto, zu geleiten, um mit deren
bracht,/Ich kann nicht mehr die Augen
Hilfe die Freigabe Helenas aus dem To¬
schließen,/Und meine heißen Tränen
tenreich zu erwirken. Ihre Hilfsbereit¬
fließen.“ Die Anfangsverse werden heu¬
schaft begründet sie kurz und bündig
te noch zitiert, wenn auf ein mit großer
mit den zitierten Worten. Wir verwen¬
Skepsis beobachtetes Geschehen Bezug
den das Zitat heute gelegentlich, wenn
genommen wird, das in irgendeiner
wir anerkennend von jemandem spre¬
Form mit Deutschland oder den Deut¬
chen, der sich ein hohes, fast unerreich¬
schen in Zusammenhang steht.
bares Ziel gesetzt hat. Meistens jedoch
sind diese Worte eine ironische Entgeg¬
nung darauf, daß jemand Unmögliches TEr denkt zuviel: die Leute sind
wünscht oder unzumutbare Forderun¬ gefährlich
gen stellt.
Denn alle Schuld rächt sich auf
Denk es, o Seele Erden
Die Ermahnung „Denk es, o Seele!“ Im 13. Kapitel des zweiten Buches von
stammt aus Eduard Mörikes gleichna¬ Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjah¬
migem Gedicht aus dem Jahr 1852. Mö- ren“ (1782) lauscht die Titelgestalt dem
rike hat das Gedicht später - als „böh¬ Lied eines Harfenspielers - einer mit
misches Volksliedchen“ - an den geheimnisvoller Schuld beladenen Ge¬
Schluß seiner Novelle „Mozart auf der stalt -, in dem dieser die „himmlischen
Reise nach Prag“ gesetzt. Ein „Tänn¬ Mächte“ anklagend für sein Schicksal
lein“, ein Rosenstrauch, zwei schwarze verantwortlich macht. Die zweite Stro¬
Pferde, die vor seinem inneren Auge phe des Liedes lautet: „Ihr führt ins
vorüberziehen, assoziiert er mit seinem Leben uns hinein,/Ihr laßt den Armen

98
Teil I denn

schuldig werden,/Dann überlaßt ihr ihn gen den Kaiser zu stellen, jetzt sieht er
der Pein;/Denn alle Schuld rächt sich sich durch die Eigendynamik der Ent¬
auf Erden.“ Der letzte Vers wird zitiert, wicklung zum Handeln gezwungen, oh¬
wenn - in Abwandlung des eigentlichen ne es wirklich zu wollen. Stellt er sich
Sinngehalts - ausgedrückt werden soll, gegen den Kaiser, so stellt er sich mit
daß es doch eine Gerechtigkeit gibt und seinem ungewöhnlichen Schritt gegen
daß jeder für alle seine schuldhaften das traditionsgeheiligte „Gewohnte“
Verfehlungen letztlich seiner gerechten und steht dann außerhalb der geltenden
Strafe zugeführt wird. Ordnung („gemein“ steht hier im Sinne
von „gewöhnlich, gewohnt“). Mit dem
Denn an sich ist nichts weder gut Zitat will man in bestimmten Situatio¬
noch böse, das Denken macht es nen darauf hinweisen, daß es schwer ist.
erst dazu Neues gegen Altgewohntes durchzuset¬
zen, aus eingefahrenen Gleisen auszu¬
Diesen Gedanken spricht Hamlet in
scheren und gegen Dinge anzugehen,
Shakespeares gleichnamigem Trauer¬
die einem selbst oder anderen durch ste¬
spiel (entstanden um 1600) aus. Hamlet
te Gewohnheit liebgeworden sind.
nennt den beiden Hofleuten Rosen¬
kranz und Güldenstern gegenüber seine
Heimat Dänemark einen Kerker. Seinen
Denn bei der Post geht’s nicht so
Gesprächspartnern, die dies zurückwei¬ schnell
sen, antwortet er (11,2): „Nun, so ist es Die t Christel von der Post
keines für euch, denn an sich ist nichts
weder gut noch böse; das Denken ... denn bei mir liegen Sie richtig!
macht es erst dazu. Für mich ist es ein
Der Hauptverband der gewerblichen
Gefängnis.“ Im Original lautet die Stel¬
Berufsgenossenschaften produzierte in
le: 147)1', then ’tis none to you,for there is
den Jahren 1964, 1965 und 1967 eine Se¬
nothing either good or bad but thinking
rie von Kurzfilmen, in denen mit
makes it so. To me it is a prison. - Wir schwarzem Humor vor den Unfallge¬
kritisieren heute mit diesem Zitat das
fahren des Alltags- und Berufslebens
Verhalten eines Menschen, der jeman¬ gewarnt wurde. Die Kurzszenen liefen
des Äußerung einen anzüglichen Ne¬ vor oder nach den Wochenschauen in
bensinn unterstellt, weil er selbst so den Kinos. Der Hauptdarsteller Gün¬
denkt. Ganz allgemein kann man damit ther Jerschke spielte jeweils einen Chir¬
auch zum Ausdruck bringen, daß jedes urgen oder einen Bestattungsunterneh¬
Urteil subjektiv ist und von der Ein¬ mer und sagte zum Schluß jeder Szene
schätzung, der Denkweise des einzelnen (auf den Operationstisch oder den Sarg
abhängt. bezogen): „... denn bei mir liegen Sie
richtig!“ Mit dem umgangssprachlich
Denn aufgelöst in diesem Augen¬ gebräuchlichen Zitat (meist in der Form
blick sind aller Ordnung, aller „Bei mir liegen Sie richtig“) kann man
Pflichten Bande scherzhaft zum Ausdruck bringen, daß
t Aufgelöst sind aller Ordnung Bande man für jemandes Anliegen genau der
richtige Ansprechpartner ist.
Denn aus Gemeinem ist der
Mensch gemacht, und die Ge¬ Denn Brutus ist ein ehrenwerter
wohnheit nennt er seine Amme Mann
Der große Monolog Wallensteins im In der berühmten Rede des Antonius in
dritten Teil von Schillers Wallenstein- Shakespeares Drama „Julius Cäsar“
Trilogie („Wallensteins Tod“; 1,4) zeigt (1599) wird dieser Satz - jeweils leicht
den Feldherrn im Zwiespalt zwischen abgewandelt - mehrfach wiederholt. Im
Wollen und Müssen. Eben noch hatte er englischen Original lautet die erste Stel¬
nur mit dem Gedanken gespielt, die le: For Brutus is an honourable man,/So
Gunst der Stunde zu nutzen und sich ge¬ are they all, all honourable men. Antoni-

99
3*
denn Teil I

us, der die Ermordung Cäsars rächen ken/Mancher heitern Blumen Zier;/Sei-
möchte, widerlegt Schritt für Schritt alle denfäden, Seidenflocken,/Spielen ihre
Argumente, die Brutus und seine Mit¬ Rolle hier.“ Der Gesang endet mit der
verschworenen zugunsten ihrer Tat an¬ Strophe: „Niedlich sind wir anzuschau¬
führen könnten, so daß die Bezeichnung en,/Gärtnerinnen und galant ;/Denn das
„ehrenwerter Mann“ schließlich als pu¬ Naturell der Frauen/Ist so nah mit
re Ironie erscheint. Entsprechend wird Kunst verwandt.“ - Das Zitat schreibt
mit dem Zitat auch heute meist zum den Frauen eine unmittelbare Bezie¬
Ausdruck gebracht, daß man jemanden hung zu allem Schönen zu, was sich zum
gerade nicht für besonders ehrenhaft Beispiel auch in ihrem Schmuckbedürf¬
hält. nis äußert.

Denn das Gemeine geht klanglos Denn dem Glück, geliebt zu wer¬
zum Orkus hinab den, gleicht kein ander Glück auf
Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht Erden
„Nänie“ (= „Totenklage“; entstanden Diese Verse aus der 27. Romanze von
1799), in dem es in den beiden letzten
Johann Gottfried Herders (1744-1803)
Zeilen heißt: „Auch ein Klaglied zu sein
„Der Cid“, einer freien Nachdichtung
im Mund der Geliebten, ist herr-
einer französischen Prosafassung, wer¬
lich,/Denn das Gemeine geht klanglos
den heute noch gerne ins Poesiealbum
zum Orkus hinab.“ Das Gedicht reflek¬
geschrieben. Sie bilden die erste Hälfte
tiert die Vergänglichkeit auch des Schö¬
eines Vierzeilers, der vollständig lautet:
nen, des Vollkommenen, führt aber als
„Denn dem Glück, geliebt zu wer¬
Trost an, daß die Klage um das Verlore¬
den, /Gleicht kein ander Glück auf Er¬
ne dieses noch einmal hervorhebt und
den ;/Die geliebte Schäferin,/Sie allein
würdigt, während das Unvollkommene,
ist Königin.“
Alltägliche nahezu unbeachtet ver¬
geht. - Mit dem Zitat kann man - meist
scherzhaft - den Verlust einer Sache Denn der Buchstabe tötet, aber der
kommentieren, um die es nicht schade Geist macht lebendig
ist, der man keine Träne nachweint. Bei dem Zitat handelt es sich um eine
Stelle aus dem 2. Brief des Apostels
Denn das ist sein Lebenszweck Paulus an die Korinther (Kapitel 3, Vers
Mit diesen Worten kennzeichnet Wil¬ 6). Mit dem Buchstaben ist das Mosai¬
helm Busch (1832-1908) im „Dritten sche Gesetz als Ausdruck des Alten
Streich“ von „Max und Moritz“ die für Bundes gemeint. Paulus versteht sich als
alle äußerst nützliche Tätigkeit des Diener des Neuen Bundes, nicht des
Schneidermeisters Böck. Man zitiert sie, Buchstabens, sondern des in Christus
wenn man scherzhaft ausdrücken will, Gerechtigkeit und Leben bringenden
daß sich jemand ganz und gar einer be¬ Geistes. Im heutigen Sprachgebrauch
stimmten Sache verschrieben hat, die wirkt diese antithetische Bibelstelle in
sein ganzer Lebensinhalt geworden ist. folgenden metaphorischen Ausdrucks¬
weisen nach: „toter Buchstabe, nach
Denn das Naturell der Frauen ist dem Buchstaben des Gesetzes handeln,
am Buchstaben kleben, sich an den
so nah mit Kunst verwandt
Buchstaben klammern, etwas nach
Die Verse stammen aus dem ersten Akt Geist und Buchstaben erfüllen.“
des zweiten Teils von Goethes Faust. In
der „Kaiserlichen Pfalz“ findet ein
Maskenfest statt, das mit einem Mas¬ Denn der Mensch als Kreatur hat
kenzug beginnt. Dieser wird von jungen von Rücksicht keine Spur
florentinischen Gärtnerinnen angeführt, Am Anfang des „Julchen“ überschrie-
die künstliche Blumen im Haar tragen. benen dritten Teils der „Knopp-Trilo¬
Sie singen: „Tragen wir in braunen Lok- gie“ (1875/77) von Wilhelm Busch fln-

100
Teil I denn

det man diese Feststellung. Hier ist sie turkatastrophe wieder einmal gezeigt
auf das eben geborene Julchen bezogen, hat, daß allem technischen Fortschritt
das als schreiender Säugling, als zum Trotz der Mensch die Natur und ih¬
Mensch im unverständigen, „kreatürli- re elementaren Kräfte nicht vollständig
chen“ Zustand, keine Rücksichtnahme beherrschen kann. In demselben ge¬
auf andere kennt. Man bezieht das Zitat danklichen Zusammenhang stehen die
heute vor allem auf erwachsene Men¬ Zeilen auch in Schillers Gedicht, wo der
schen, die sich besonders rücksichtslos Anblick des glühenden Metalls beim
verhalten. Glockenguß den Ausgangspunkt für
eine sehr bildhafte Darstellung der Ur¬
gewalt des Feuers bildet.
Denn der Regen, der regnet jegli¬
chen Tag
Wenn am Ende von Shakespeares Ko¬
Denn die Natur läßt sich nicht
mödie „Was ihr wollt“ (gedruckt 1623)
zwingen
der Narr, der im Grunde weiser ist als
die gescheiten Leute, das Schlußlied In Christian Fürchtegott Gellerts
singt, dessen vier erste Strophen mit die¬ (1715-1769) Fabel „Die Nachtigall und
ser Zeile enden (englisch: For the rain it die Lerche“ wird der Nachtigall von der
raineth every day), dann führt er mit sei¬ Lerche vorgehalten, daß sie zwar schö¬
ner pessimistisch-resignativen Sicht der ner singe als andere Vögel, aber nur
Dinge die Zuschauer aus der Illusionen¬ während weniger Wochen im Jahr. Dar¬
welt des Theaters langsam wieder zu¬ auf erwidert die Nachtigall, daß sie nur
rück in die Wirklichkeit. Auch im „Kö¬ kurze Zeit singe, um eben einen so schö¬
nig Lear“ (III, 2) singt der Narr ein Lied nen Gesang hervorzubringen, und gibt
(allerdings nur eine Strophe) mit dem¬ als weitere Begründung an: „Ich folg’
selben Strophenmuster. - Der Vers wird im Singen der Natur;/so lange sie ge¬
als Zitat verwendet, wenn man etwas beut (= gebietet), so lange sing’ ich
durch seine gleichförmige stete Wieder¬ nur,/Sobald sie nicht gebeut, so hör’ ich
holung als monoton oder sogar als de¬ auf zu singen ;/Denn die Natur läßt sich
primierend empfindet. Er ist aber auch nicht zwingen.“ Losgelöst vom Inhalt
als Stoßseufzer zu hören, mit dem das in der Fabel zitieren wir heute diesen Vers,
unseren Breiten häufig schlechte Som¬ um auszudrücken, daß das Naturge¬
merwetter kommentiert wird. schehen sich letztlich nicht vollständig
vom Menschen beeinflussen läßt und
die Naturgewalten nicht völlig be¬
... denn der Wind kann nicht lesen herrschbar sind. Auch in bezug auf die
So lautet der Titel eines Romans des menschliche Natur, die physischen Be¬
englischen Schriftstellers Richard Ma- dürfnisse und Unzulänglichkeiten des
son (englischer Titel: The Wind cannot Menschen, die er bei aller Willensstärke
read; erschienen 1946, deutsch 1948; nicht unterdrücken oder überwinden
verfilmt 1958), in dem die Liebesge¬ kann, wird das Zitat gelegentlich ver¬
schichte eines englischen Offiziers und wendet.
einer Japanerin in Indien erzählt wird.
Man zitiert ihn, wenn man andeuten
will, daß das, was man tut oder sagt, Denn dieser letzten Tage Qual war
wohl kaum zur Kenntnis genommen
groß
wird oder in seiner Auswirkung unge¬
Mit diesem Zitat aus Schillers „Wallen¬
wiß bleibt.
steins Tod“ will man zum Ausdruck
bringen, daß eine Zeit quälender Unge¬
Denn die Elemente hassen das Ge- wißheit oder großer seelischer und kör¬
bild von Menschenhand perlicher Anspannung hinter einem
Dieses Zitat aus Schillers „Lied von der liegt. Vollständig lautet das Zitat: „Ich
Glocke“ wird verwendet, wenn eine Na¬ denke einen langen Schlaf zu tun,/Denn

101
denn Teil I

dieser letzten Tage Qual war starke Seelen in dem Geschlecht.“


groß,/Sorgt, daß sie nicht zu zeitig mich Wenn wir diesen Ausspruch zitieren,
erwecken“ (V,5; siehe auch: „Ich denke dann wollen wir oft - mit scherzhaft¬
einen langen Schlaf zu tun“). spottendem Unterton - darauf hinwei-
sen, daß das Gegenteil heute der Fall ist
Denn du bist Erde und sollst zu Er¬ und die Angehörigen des „schwachen
Geschlechts“ alles andere als gebrechli¬
de werden
che und hilfebedürftige Wesen sind.
Mit diesen Worten deutet Gott im Alten
Testament nach dem Sündenfall Adam
an, daß seine sterbliche Hülle wieder zu Denn ein Haifisch ist kein Hai¬
dem werden wird, woraus sie geschaffen fisch, wenn man’s nicht beweisen
worden ist (1. Moses 3,19). Diese Bibel¬ kann
stelle ist zusammen mit der ähnlichen Der „Haifisch“ ist in Bertolt Brechts
Formulierung „Denn der Staub muß „Dreigroschenoper“ (uraufgeführt am
wieder zu der Erde kommen, wie er ge¬ 31.8. 1928 in Berlin) der Straßenräuber
wesen ist“ (Prediger 12,7) die Grundla¬ und Geschäftemacher Macheath, dem
ge der Bestattungsformeln der christli¬ man aber, wie es schon in der zu Anfang
chen Kirchen „Erde zu Erde, Asche zu gesungenen „Moritat von Mackie Mes¬
Asche, Staub zu Staub“ und „Bedenke, ser“ heißt, nichts beweisen kann. Zwei
Mensch: Staub bist du und zum Staube hierzu später nachgedichtete Strophen
kehrst du wieder zurück.“ läßt Brecht jeweils enden: „Denn ein
Haifisch ist kein Haiftsch,/Wenn man’s
Denn eben, wo Begriffe fehlen, da nicht beweisen kann.“ Diese Verse wer¬
stellt ein Wort zur rechten Zeit sich den zitiert, wenn man resigniert feststel¬
ein len muß, daß jemand seiner gerechten
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust Strafe nicht zugeführt werden kann, da
I. Im zweiten Teil der Studierzimmer¬ es für seine kriminellen Machenschaf¬
szene rät Mephisto dem Schüler, sich ten - seien sie auch noch so offensicht¬
beim Theologiestudium möglichst eng lich - keine juristisch stichhaltigen Be¬
an die Worte eines Lehrmeisters zu hal¬ weise gibt. - Auch als ironischer Kom¬
ten. Auf den Einwand des Schülers mentar zu einer allzu spitzfindigen oder
„Doch ein Begriff muß bei dem Worte überflüssigen Beweisführung ist das
sein“ antwortet Mephisto: „Schon gut! Zitat geläufig.
Nur muß man sich nicht allzu ängstlich
quälen ;/Denn eben, wo Begriffe feh¬ Denn ein vollkomm’ner Wider¬
len,/Da stellt ein Wort zur rechten Zeit spruch bleibt gleich geheimnisvoll
sich ein.“ Damit wird gesagt, daß leeres für Kluge wie für Toren
Wortgeklingel stets viel leichter hervor¬
Der „vollkommene Widerspruch“, auf
zubringen ist als eine inhaltlich bedeut¬
den Mephisto im ersten Teil von Goe¬
same Aussage. Diese Vorstellung liegt
thes Faust („Hexenküche“) anspielt,
auch dem heutigen Gebrauch des Zitats
liegt in einem Zauberspruch mit Zahlen¬
zugrunde. (Vergleiche auch: „Mit Wor¬
spielereien, den zuvor eine Hexe aufge¬
ten läßt sich trefflich streiten“.)
sagt hatte. Dieses „Hexeneinmaleins“
hat Goethe wohl als Parodie auf die
Denn ein gebrechlich Wesen ist das Zahlensymbolik bestimmter abstrus¬
Weib tiefsinniger Schriften verstanden. Die
Aufs entschiedenste weist Königin Eli¬ szenischen Anmerkungen zum Auftritt
sabeth in Schillers Trauerspiel „Maria der Hexe parodieren allerdings Zeremo¬
Stuart“ (uraufgeführt am 14. 6. 1800) nien des katholischen Gottesdienstes.
diese Worte George Talbots, des Grafen Von daher gesehen ist Mephistos Be¬
von Shrewsbury und Mitglieds ihres merkung durchaus auch als ironische
Thronrats, zurück und erwidert ihm: Bewertung von Glaubensdingen zu ver¬
„Das Weib ist nicht schwach. Es gibt stehen. Die Geheimnisse des Glaubens

102
Teil I denn

kann ein schlichter Geist auf Grund des Denn ihre Werke folgen ihnen
fehlenden Intellekts nur als Wahrheit nach
akzeptieren, aber auch der Intellektuelle
Im 14. Kapitel der Offenbarung des Jo¬
kommt hier mit seiner Ratio nicht wei¬
hannes wird von den im Glauben an
ter. So wird das Zitat dann verwendet,
Gott Verstorbenen gesagt, daß sie nun¬
wenn man darlegen will, daß etwas ei¬
mehr von ihrer Arbeit ausruhen können,
gentlich Unmögliches oder Unwahr¬
da alles, was sie im irdischen Leben ge¬
scheinliches durch seine Absurdität
leistet haben, nachwirke und ihnen an¬
schon fast wieder glaubhaft ist oder daß
gerechnet werde. In Vers 13 heißt es:
man etwas nur verworren und wider¬
„Selig sind die Toten, die in dem Herrn
sprüchlich genug formulieren muß, da¬
sterben von nun an. Ja, der Geist
mit andere dahinter eine tiefe, geheim¬
spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit;
nisvolle Wahrheit vermuten.
denn ihre Werke folgen ihnen nach.“
Diese Bibelstelle wird heute bei entspre¬
Denn er war unser! chendem Anlaß in diesem Sinne zitiert.
Man gebraucht diese Worte aber auch,
Goethes „Epilog zu Schillers ,Glocke“',
um auszudrücken, daß jeder im Leben
der bei Schillers Totenfeier am 10. Au¬
früher oder später an dem gemessen
gust 1805 in Bad Lauchstädt, dem Mo¬
werden wird, was er vollbracht hat und
debad der Goethezeit, gesprochen wur¬
jeder sich einmal den Folgen seines frü¬
de, liefert uns dieses Zitat. Es wird ver¬
heren Handelns stellen muß.
wendet, wenn man von jemandem
spricht, mit dem man längere Zeit in ei¬
Denn kein größeres Verbrechen
ner engen Gemeinschaft verbunden
gibt es, als nicht kämpfen wollen,
war, der aber weggegangen oder ver¬
storben ist. Stolz auf das frühere Ver¬ wo man kämpfen muß
hältnis und ein noch immer vorhan¬ Mit diesen Worten verurteilt der jüdi¬
denes Zusammengehörigkeitsgefühl sche Arzt und Klinikleiter Professor
klingen dabei an. Mamlock im 4. Akt des gleichnamigen
Dramas von Friedrich Wolf (1888 bis
1953; erschienen 1935) die Tatenlosig¬
Denn ich bin ein Mensch gewesen, keit dem nationalsozialistischen Terror
und das heißt ein Kämpfer sein gegenüber. Er setzt seinen Namen selbst
auf die Liste der aus „rassischen Grün¬
In dem Gedicht „Einlaß“, das im „Buch
den“ zu entlassenden Mitarbeiter und
des Paradieses“ von Goethes „Westöst¬
weist damit das Angebot der Regierung
lichem Diwan“ steht, fragt die den Para¬
zurück, formell sein Krankenhaus wei¬
dieseingang bewachende Huri einen vor
terzuleiten. Er ist nicht bereit, seine
dem Paradiestor stehenden Dichter, ob
Überzeugung zu verraten und sich zu
er im Leben ein mutiger Kämpfer und
unterwerfen.
ein Held gewesen sei; sie bittet ihn, sei¬
ne Wunden zu zeigen und so sein Ein¬
laßbegehren zu rechtfertigen. Darauf Denn nichts ist groß, was nicht
antwortet der Dichter: „Nicht so vieles wahr ist
Federlesen !/Laß mich immer nur her¬ Das Zitat ist der Schlußsatz aus Gott¬
ein :/Denn ich bin ein Mensch gewe¬ hold Ephraim Lessings (1729-1781) 30.
sen, /Und das heißt ein Kämpfer sein.“ Stück der „Hamburgischen Dramatur¬
Damit ist gemeint, daß der tägliche gie“ vom 11. August 1767. Der Autor
Kampf mit den großen und kleinen wertet damit am Beispiel der Kleopatra
Schwierigkeiten des Lebens dem Men¬ die Helden der Corneilleschen Tragödie
schen alles abverlangt. Wer in diesem ab. „Nicht wahr“ bedeutet bei Lessing
Daseinskampf besteht, ist ein Kämpfer „unnatürlich, gekünstelt“; er bezieht
und ein wahrer Held. Zum Ausdruck sein Diktum auf den Stolz als Motivati¬
dieses Gedankens werden die Zeilen on der Corneilleschen Kleopatra, wo
auch heute zitiert. Eifersucht seiner Ansicht nach natürli-

103
denn Teil I

eher, „wahrer“ gewesen wäre. Das Zitat größeres Leid kommen als das, was ihm
wird heute im allgemeineren Sinne ver¬ jetzt zugefügt würde. Dies verdeutlichte
wendet; man drückt damit aus, daß er dann mit einem Bild: Wer achtlos
wahre Größe nicht auf Lüge, auf fal¬ und ohne Rücksicht grünes Holz
schen Schein gegründet sein kann. (= Gottes Sohn) abbricht und so den
„lebendigen“ Baum zerstört, wie wird
Denn sie hat viel geliebt der erst mit dürrem, wertlosem Holz
(= mit den Menschen) umgehen? Wir
Dieser Vers aus dem Lukasevangelium
verwenden das Bibelwort, um auszu¬
(7,47) lautet vollständig; „Ihr sind viele
drücken, daß dort, wo auf das gesunde,
Sünden vergeben, denn sie hat viel ge¬
junge, noch im Wachstum befindliche
liebt (revidierte Fassung von 1964; dar¬
Leben keine Rücksicht genommen wird.
um hat sie mir viel Liebe erzeigt).“ Die
Alte, Kranke und Bedürftige erst recht
Worte beziehen sich auf eine „büßende
keine Rücksichtnahme und Hilfe erwar¬
Sünderin“, die Jesus die Füße wäscht
ten können. Man kann mit diesen Wor¬
und salbt, während er zu Tische sitzt.
ten jedoch auch zum Ausdruck bringen,
Heute werden sie meist auf eine Frau
daß es verhängnisvoll wäre, an eine pri¬
bezogen, die auf ein aufopferungsvolles
vilegierte Gruppe (z. B. Politiker) ande¬
Leben zurückblicken kann. Sie können
re Maßstäbe anzulegen als an andere
aber auch gebraucht werden, wenn auf
Menschen. Zitiert wird auch in der
eine Frau angespielt werden soll, die
Form: „So das geschieht am grünen
zahlreiche Liebschaften hatte.
Holz

... denn sie wissen nicht, was sie


Denn tausend Jahre sind vor dir
tun
wie der Tag, der gestern vergangen
So lautet der deutsche Titel eines 1955
gedrehten Films des amerikanischen
ist
Regisseurs Nicholas Ray (englischer So lautet der Vers des 90. Psalms im
Titel: „Rebel Without a Cause“). James Alten Testament (Psalm 90,4), der ge¬
Dean (1931-1955) verkörpert darin die wöhnlich in der gekürzten Form „Tau¬
Jugend der Nachkriegszeit, die die tra¬ send Jahre sind vor dir wie ein Tag“ zi¬
ditionellen Werte ablehnt und in der tiert wird. Er stellt die Ewigkeit Gottes
überkommenen Ordnung keine Mög¬ der Vergänglichkeit des Menschen ge¬
lichkeit zur Selbstverwirklichung mehr genüber. Ohne direkten Bezug auf Gott
sieht. Zitiert wird dieser Titel, wenn werden diese Worte gebraucht, um
man - mit einem Kopfschütteln sozusa¬ einen längeren Zeitraum zu relativieren
gen - zu erkennen geben will, daß je¬ oder um anzudeuten, wie schnell die
mandes Handlungsweise eigentlich jeg¬ Zeit vergeht.
licher Vernunft zuwiderläuft. Dem deut¬
schen Filmtitel liegt die Bitte des ge¬ Denn was er sinnt, ist Schrecken
kreuzigten Christus im Lukasevangeli¬
In der zweiten Strophe seiner Ballade
um zugrunde: „Vater, vergib ihnen,
„Des Sängers Fluch“ schildert Ludwig
denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lu¬
Uhland (1787-1862) den König, zu des¬
kas 23,34).
sen Schloß ein alter Sänger und sein
junger Begleiter kommen, als finsteren
Denn so man das tut am grünen Despoten: „Dort saß ein stolzer König,
Holz, was will am dürren werden? an Land und Siegen reich;/Er saß auf
Diese Worte spricht Jesus im Lukas¬ seinem Throne so finster und so
evangelium (23,31) zu den Frauen, die bleich:/Denn was er sinnt, ist Schrek-
ihm auf dem Wege zur Kreuzigungsstät¬ ken, und was er blickt ist Wut,/Und was
te folgen. Zuvor hatte er sie schon er¬ er spricht ist Geißel, und was er
mahnt, sie sollten nicht seinetwegen schreibt, ist Blut.“ Der Anfang des drit¬
weinen und klagen, denn über sie selbst ten Verses wird heute in scherzhaftem
und ihre Nachkommen werde ja noch Ton zitiert, wenn man glaubt, daß je-

104
Teil I
denn

mand etwas im Schilde führt und man sich zur Höchstleistung aufzuschwin¬
dadurch große Unannehmlichkeiten auf gen, denn nur so kann er „ein lebend
sich zukommen sieht. Denkmal sich erbaun“. Schiller greift in
diesem Prolog das Wort des römischen
Denn was man schwarz auf weiß Dichters Horaz (65-8 v.Chr.) auf, der in
besitzt, kann man getrost nach seinen „Satiren“ sagt: „Den hervorra¬
Hause tragen gendsten Männern gefallen zu haben ist
Dies sind die Worte des Schülers in der nicht das geringste Lob“ (I, 17,35; latei¬
sogenannten „Schülerszene“ in Goethes nisch : principibus placuisse viris non ulti¬
Faust (1. Teil, Studierzimmer 2). Der ma laus est). - Mit dem heute seltener
gebrauchten Zitat wird zum Ausdruck
Schüler hält es für nützlich. Gehörtes
schriftlich festzuhalten, um es dann im¬ gebracht, daß nicht unbedingt die Popu¬
mer parat zu haben. Heute werden diese larität bei der breiten Masse dauerhaf¬
Worte - oft ironisch - zitiert, wenn es ten Ruhm gewährleistet, sondern daß
diesen nur die Anerkennung durch her¬
darum geht, eine Unterlage über eine
Aussage, Vereinbarung o. ä. zu haben. ausragende Persönlichkeiten bringen
kann.

Denn wer da hat, dem wird gege¬


ben Denn wir können die Kinder nach
unserem Sinne nicht formen
Im Matthäusevangelium sagt Jesus zu
seinen Jüngern (Matthäus 13,11-12): In Goethes Versepos „Hermann und
„Euch ist’s gegeben, daß ihr das Ge¬ Dorothea“ (erschienen 1797) gerät der
heimnis des Himmelreichs versteht; die¬ Vater mit seinem tüchtigen, aber
sen aber ist’s nicht gegeben./Denn wer schüchternen Sohn in Streit und tadelt
da hat, dem wird gegeben, daß er die ihn wegen seiner Unbedarftheit und we¬
Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem gen seiner Ungeschicklichkeit im Um¬
wird auch genommen, was er hat.“ Er gang mit Mädchen. Dem erzürnten Va¬
erklärt so, warum er zum Volk in ter hält die verständnisvolle Mutter (im
Gleichnissen spricht, damit es seine „Dritten Gesang“) vor, er sei ungerecht
Lehre besser verstehe. Denn wer - wie gegen den Sohn: „Denn wir können die
die Jünger - ein umfangreicheres Wis¬ Kinder nach unserem Sinne nicht for¬
sen als andere hat, für den ist es leicht, mens/So wie Gott sie uns gab, so muß
dieses Wissen anzuwenden und auch zu man sie haben und lieben“. In diesem
vermehren. Wer aber nur wenig weiß, Sinne wird der erste der beiden Verse
läuft leicht Gefahr, dieses Wenige noch auch heute noch zitiert.
zu verlieren. Der Anfang des 12. Verses
wird heute allerdings gewöhnlich in Denn wo das Strenge mit dem Zar¬
dem Sinne verwendet, daß es demjeni¬ ten, wo Starkes sich und Mildes
gen, der Besitz und Reichtum angehäuft paarten, da gibt es einen guten
hat, leicht gemacht wird, noch reicher Klang
zu werden.
In diesen Versen aus Schillers „Lied von
der Glocke“ wird die Gegensätzlichkeit
Denn, wer den Besten seiner Zeit
der Charaktere zweier Partner, die eine
genug getan, der hat gelebt für alle Ehe miteinander eingehen wollen, mit
Zeiten dem Mischungsverhältnis der zum
Diese Worte im „Prolog zu Wallensteins Glockenguß verwendeten Legierung
Lager“ (gesprochen bei der Wiederer¬ verglichen. Nach Schiller wäre also die
öffnung der Schaubühne in Weimar Grundlage einer guten Ehe in einer
1798) richtet Schiller an den agierenden wohlausgewogenen Verbindung des
Schauspieler. Ihn, den Mimen, „dem Streng-Männlichen mit dem Zart-Weib¬
die Nachwelt keine Kränze flicht“, for¬ lichen zu sehen. Wir verwenden das Zi¬
dert er auf, auf der Bühne im Augen¬ tat heute auch in einem allgemeineren
blick seines Auftretens alles zu geben. Sinne und beziehen es auf den harmoni-

105
denn Teil I

sehen Ausgleich von Gegensätzlichkei¬ daß er entsprechend versorgt ist. Oder


ten verschiedener Art. aber man will andeuten, daß dafür Sor¬
ge getragen wurde, daß der Betreffende
nicht mehr störend irgendwo eingreifen
Denn wo zwei oder drei versam¬
kann, daß man sich seiner in irgend¬
melt sind in meinem Namen, da
einer Form geschickt entledigt hat.
bin ich mitten unter ihnen
Diese Worte Jesu im Matthäusevangeli¬
Der ist in tiefster Seele treu, wer die
um (18,20), die auf die Gegenwart Got¬
Heimat liebt wie du
tes auch in einer kleinen Gemeinschaft
von Gläubigen hinweisen, werden häu¬ Diese Verse stammen aus Theodor Fon¬
fig auch außerhalb religiöser Zusam¬ tanes (1819-1898) Ballade „Archibald
menhänge zitiert. Man verwendet das Douglas“. Dem aus der Heimat ver¬
Zitat (oft in der abgewandelten, ver¬ bannten Graf Douglas gelingt es, den
kürzten Form „Wo zwei oder drei in Groll seines Königs zu besänftigen; der
meinem Namen versammelt sind“) z. B. König nimmt seinen früheren Sene-
als scherzhafte Anrede einer kleinen schall in Gnaden wieder auf, weil dieser
Gruppe von Personen. lieber den Tod erleiden will, als weiter¬
hin nicht „die Luft im Vaterland“ atmen
zu dürfen. Solche Heimatliebe wird vom
t Aber dennoch hat sich Bolle ganz
König als Beweis unverbrüchlicher
köstlich amüsiert
Treue angesehen. Man zitiert die Verse
heute, wenn jemandes Heimatverbun¬
Der teine fragt: Was kommt da¬ denheit lobend hervorgehoben werden
nach? Der andere fragt nur: Ist es soll.
recht?
Der starb Euch sehr gelegen
Der hat die Macht, an den die Im 4. Akt von Schillers Trauerspiel
Menge glaubt „Maria Stuart“ (uraufgeführt am 14. 6.
Der deutsche Dramatiker Ernst Rau- 1800) sieht Mortimer, der Neffe von
pach (1784-1852) formulierte diese Er¬ Marias Kerkermeister, sein Doppelspiel
fahrungstatsache in seinem historischen um deren Rettung aufgedeckt und tötet
Drama „Kaiser Friedrichs II. Tod“ sich (IV, 4). Durch diesen Selbstmord
(1,3). Mit diesen Worten kommentiert wird der Graf von Leicester, ein Günst¬
man heute gewöhnlich den Erfolg eines ling Königin Elisabeths, der aber eben¬
Demagogen. falls ein doppeltes Spiel gespielt hat,
von einem möglichen Belastungszeugen
Der ist besorgt und aufgehoben befreit. Elisabeths skrupelloser Berater
Burleigh kommentiert dies mit den
In Schillers Ballade „Der Gang nach
Worten (IV,6): „Graf! Dieser Mortimer
dem Eisenhammer“, erschienen 1797 im
starb Euch sehr gelegen.“ Heute zitiert
„Musenalmanach für das Jahr 1798“,
man meist die verkürzte Form „Der
sind diese Worte die hämische Antwort,
starb Euch sehr gelegen“, wenn man an¬
die zwei Mörder auf die Frage nach dem
deuten will, daß jemand aus dem Tod
Verbleib ihres Opfers geben, das sie in
oder Verschwinden eines anderen Nut¬
einem Schmelzofen verbrannt haben
zen zieht.
(vergleiche dazu auch: „Des freut sich
das entmenschte Paar“). Die manchmal
noch dazu oder auch allein zitierte Fort¬ Der werfe den ersten Stein
setzung „Der Graf (auch: Herr) wird Die Redewendung „den ersten Stein auf
seine Diener loben“ spielt auf denjeni¬ jemanden werfen“ mit der Bedeutung
gen an, der den Befehl für den Mord ge¬ „damit beginnen, einen andern öffent¬
geben hat. Heute benutzt man das Zitat lich zu beschuldigen, ihm etwas vorzu¬
noch gelegentlich, wenn man ausdrük- werfen“ ist biblischen Ursprungs. Im
ken will, daß jemand in guter Obhut ist. 8. Kapitel des Johannesevangeliums

106
Teil I deutsche

wird davon berichtet, daß Pharisäer und bringenden Götter auf die Bühne
Schriftgelehrte eine „Ehebrecherin“ zu schweben ließ.
Jesus brachten und ihn (um ihn zu einer
falschen Reaktion zu verleiten) fragten: Deutsch sein heißt eine Sache um
„Mose ... hat uns im Gesetz geboten, ihrer selbst willen tun
solche zu steinigen; was sagst du?“ Die
Die heute meist spöttisch oder zynisch
entwaffnende Antwort Jesu lautete
gebrauchte Redensart wird auf jeman¬
(8,7): „Wer unter euch ohne Sünde ist,
des Handeln bezogen, der nicht gewillt
der werfe den ersten Stein auf sie.“
ist, selbstkritisch nach dem Sinn und
Zweck seines Tuns zu fragen. Die Sen¬
Derjenige, welcher tenz ist auf eine ähnliche (andersge¬
meinte) Äußerung Richard Wagners in
Dieser umgangssprachliche Ausdruck,
seinem 1867 veröffentlichten Aufsatz
der im Sinne von „der, auf den es an¬
„Deutsche Kunst und deutsche Politik“
kommt, von dem die Rede ist“ verwen¬
zurückzuführen, wo es im Zusammen¬
det wird, stammt aus dem Einakter
hang heißt: „Hier kam es zum Bewußt¬
„Das Fest der Handwerker“ von Louis
sein und erhielt seinen bestimmten Aus¬
Angely (1787-1835), dem Schöpfer der
druck, was deutsch sei, nämlich: die Sa¬
frühen Berliner Lokalposse. Im Stück
che, die man treibt, um ihrer selbst und
selbst heißt es „allemal derjenige, wel¬
der Freude an ihr willen treiben“.
cher“.

Der deutsche Michel


Des freut sich das entmenschte Die spöttische Bezeichnung für den
Paar mit roher Henkerslust Deutschen, meist gemünzt auf den bie¬
Das Zitat stammt aus Schillers Ballade deren, unpolitischen, etwas schlafmützi¬
„Der Gang nach dem Eisenhammer“, gen Bürger, Findet sich erstmals 1541 in
erschienen 1797 im „Musenalmanach der „Sprichwörtersammlung“ des deut¬
für das Jahr 1798“ und bezieht sich dort schen Dichters Sebastian Franck
auf die beiden im Eisenhammer (einer (1499-1542 oder 1543). Sie meint dort
Schmelzhütte und Werkstatt mit großen, einen ungebildeten, einfältigen Men¬
hier mit Wasserkraft betriebenen Häm¬ schen und wurde in dieser Bedeutung
mern) arbeitenden Knechte, die im Auf¬ bis ins 17. Jh. verwendet. Zugrunde liegt
trag ihres Herrn einen vermeintlich die in bäuerlichen Kreisen häufige
Schuldigen in das Feuer werfen sollen. Kurzform des Vornamens „Michael“,
Die Zeilen werden heute meist scherz¬ der im Mittelalter in der christlichen
haft zitiert, um die Schadenfreude zwei¬ Welt als Name des Erzengels Michael
er Menschen kritisch-spöttisch zu kom¬ Verbreitung fand. Als Überwinder des
mentieren. Teufels galt dieser als Schutzheiliger,
besonders des deutschen Volkes. Von
der städtischen Bildungsschicht dürfte
Deus ex machina die Kurzform des Namens wohl zuerst
Mit dieser lateinischen Wiedergabe ei¬ satirisch auf den Bauernstand bezogen
ner Stelle im Dialog „Kratylos“ des worden sein und dann in Verbindung
griechischen Philosophen Platon (etwa mit dem Attribut „deutsch“ endgültig
428-347 v. Chr.) wird in gebildeter Aus¬ eine Ausweitung auf das ganze Volk er¬
drucksweise ein unerwarteter, im richti¬ fahren haben. In den Bemühungen des
gen Moment auftauchender Helfer in 17.Jh.s um die Reinhaltung der deut¬
einer schwierigen Situation bezeichnet, schen Sprache kennzeichnet der Name
auch eine überraschende, unerwartete dann den redlichen, aufrechten Deut¬
Lösung eines Problems. Die Überset¬ schen, der seine Muttersprache gegen
zung lautet „[der] Gott aus der Maschi¬ die Aufnahme von Fremdwörtern ver¬
ne“. Gemeint ist die „Theatermaschine“ teidigt. In den 30er und 40er Jahren des
im antiken Theater, eine kranähnliche 19. Jh.s wird er in der politischen Aus¬
Vorrichtung, die die überraschend Hilfe einandersetzung zum Spottnamen für

107
deutsche Teil I

den gutmütigen, aber einfältigen und Deutschland, Deutschland über


verschlafenen Deutschen (in der Kari¬ alles
katur mit Zipfelmütze dargestellt), der So beginnt die erste Strophe des 1841
sich seiner Machthaber nicht zu er¬ von Hoffmann von Fallersleben (1798—
wehren weiß und wachgerüttelt werden 1874) auf Helgoland zu einer Melodie
sollte. von Joseph Haydn („Gott erhalte Franz
den Kaiser“) gedichteten Deutschland¬
Die deutsche Revolution hat im liedes. „Das Lied der Deutschen“, so
Saale stattgefunden der ursprüngliche Titel, wurde 1922 zur
In dem aus „Gedankensplittern“ und deutschen Nationalhymne erklärt. Seit
Aphorismen Kurt Tucholskys (1890— 1952 wird in der Bundesrepublik
1935) zusammengestellten Band Deutschland nur noch die dritte Stro¬
„Schnipsel“ findet sich im Abschnitt phe, die mit den Worten „Einigkeit und
„Wir Negativen“ der Text: „Die deut¬ Recht und Freiheit“ anfängt, gesungen.
sche Revolution hat im Jahre 1918 im Karl Simrocks 1848 entstandenes Ge¬
Saale stattgefunden. Das, was sich da¬ dicht „Deutschland über alles“ enthält
mals abgespielt hat, ist keine Revolution die oben zitierte Zeile in allen fünf Stro¬
gewesen: keine geistige Vorbereitung phen. - Der patriotische Überschwang
war da, keine Führer standen sprungbe¬ dieser Worte wurde schon von Kurt Tu¬
reit im Dunkel; keine revolutionären cholsky ironisiert, der einem von ihm
Ziele sind vorhanden gewesen.“ - Man zusammen mit John Heartfield 1929
zitiert den ersten Satz - meist verkürzt herausgegebenen politisch-satirischen
oder in Abwandlungen wie „Die Revo¬ Buch den Titel „Deutschland, Deutsch¬
lution findet im Saale statt“ -, wenn ei¬ land über alles!“ gab. Tucholsky schrieb
ne grundlegende Umgestaltung nur dazu: „Aus Scherz hat dieses Buch den
halbherzig, ohne die nötige Radikalität Titel Deutschland über alles< bekom¬
durchgeführt wird. men, jenen törichten Vers eines gro߬
mäuligen Gedichts. Nein, Deutschland
steht nicht über allem und ist nicht über
t Wir Deutsche fürchten Gott, aber
allem - niemals. Aber mit allen soll es
sonst nichts in der Welt
sein, unser Land.“ - Hans Magnus En¬
zensberger veröffentlichte 1967 einen
t Am deutschen Wesen soll die Band gesellschaftskritischer Essays mit
Welt genesen dem Titel „Deutschland, Deutschland
unter anderm“. - Auch heute wird der
t Im Deutschen lügt man, wenn Anfang des Deutschlandliedes meist
man höflich ist dann zitiert, wenn man damit kritisch
auf zu nationalistische Bestrebungen in
Deutschland hinweisen will.
TO Deutschland, bleiche Mutter!

Deutschland, deine... Deutschland, einig Vaterland


Mit „Deutschland, deine ..." beginnen Mit diesem emphatischen Wunsch, der
einige Titel von Büchern, in denen amü¬ vor allem bei den Leipziger Montagsde¬
sant-informativ typische Merkmale und monstrationen im Jahre 1989 häufig ge¬
Eigenheiten verschiedener deutscher äußert wurde, wird die vierte Zeile der
Volksstämme dargestellt werden, z. B. Nationalhymne der ehemaligen DDR
Thaddäus Troll (1914-1980), „Deutsch¬ zitiert. Das Lied mit der Anfangszeile
land, deine Schwaben“. Nach diesem „Auferstanden aus Ruinen“ haben Jo¬
Muster sind zahlreiche, meist auf einen hannes R. Becher (Text) und Hanns Eis¬
Personenkreis bezogene Abwandlungen ler (Melodie) geschrieben. Es wurde an¬
üblich geworden wie „Deutschland, dei¬ läßlich des 32. Jahrestages der Oktober¬
ne Denker“ oder „Deutschland, deine revolution am 7. November 1949 erst¬
Jugend“. mals öffentlich vorgetragen.

108
Teil I Dichtung

Deutschlands Zukunft liegt auf Dichter und Denker


dem Wasser Das t Volk der Dichter und Denker
Die Vision „Unsere Zukunft liegt auf
dem Wasser“ stammt aus einer Rede
Kaiser Wilhelms II. anläßlich der Ein¬ t Wer den Dichter will verstehen
weihung des Stettiner Freihafens am
23. 9. 1898. Mit diesen Worten brachte
er seine feste Überzeugung zum Aus¬
Dichterische Freiheit
druck, daß Deutschland seine Position
weltpolitisch nur verbessern könne, Dieses Zitat geht zurück auf den römi¬
wenn neben dem Ausbau der Handels¬ schen Politiker, Philosophen und Dich¬
marine eine starke Kriegsflotte zur Er¬ ter Lucius Annaeus Seneca (um
oberung und Sicherung von Kolonien 4v.Chr.-65 n.Chr.), der in seinen na¬
zur Verfügung stehen würde. In abge¬ turwissenschaftlichen Untersuchungen
wandelter Form erscheint das Zitat heu¬ „Quaestiones naturales“ (= „Untersu¬
te in unterschiedlichen Zusammenhän¬ chungen, die die Natur betreffen“; II,
gen, wie etwa „Deutschlands Zukunft 44,1) erklärt: poeticam istud licentiam
decet („das gehört zur dichterischen
liegt in Europa“ oder „Deutschlands
Zukunft liegt im Export“. Freiheit“). Ähnliche Feststellungen fin¬
den sich auch bei anderen antiken Auto¬
ren wie Cicero, Phädrus, Horaz und
Lukian. Unter der dichterischen Frei¬
Dichten und Trachten heit versteht man ursprünglich die freie
Das allzuoft nur auf weltliche Dinge Entfaltung der poetischen Phantasie,
ausgerichtete Denken und Streben der die auch eine Abweichung des Dichters
Menschen bezeichnet diese - oft mit von den Tatsachen und der historischen
ironischem Unterton verwendete - Genauigkeit umfassen kann. Heute wird
das Zitat auch als scherzhafte Anspie¬
Zwillingsformel aus dem Alten Testa¬
ment. Sie stammt aus dem l.Buch Mo¬ lung auf eine Darstellung gebraucht,
ses, wo Gott Jahwe enttäuscht feststellt, die offensichtlich sachlich nicht ganz
stimmt oder unerwartete sprachliche
„daß der Menschen Bosheit groß war
Eigentümlichkeiten enthält.
auf Erden und alles Dichten und Trach¬
ten ihres Herzens nur böse war immer¬
dar“ (1. Moses 6,5).
Dichtung und Wahrheit
Neben dem Haupttitel „Aus meinem
Leben“ erhielt Goethes Autobiographie
Der Dichter steht auf einer höhern den Untertitel „Dichtung und Wahr¬
Warte heit“ (1811), den Goethe der von ihm
Bei Goethe heißt es in den „Noten zum und anderen gelegentlich auch verwen¬
Westöstlichen Diwan“ (1819) unter deten Version „Wahrheit und Dich¬
„Eingeschaltetes“: „Der Dichter steht tung“ wohl aus klanglichen Gründen
viel zu hoch, als daß er Partei machen letztlich vorgezogen hatte. Goethe greift
sollte.“ Bekannter wurde das Zitat aus damit die schon bei Platon zu findende
Ferdinand Freiligraths Gedicht „Aus Gegenüberstellung von „erdichteter Fa¬
Spanien“ (1841): „Der Dichter steht auf bel“ einerseits und „wahrer Überliefe¬
einer höhern Warte/Als auf den Zinnen rung“ andererseits auf. - Wenn man
der Partei.“ Heute wird das Zitat ge¬ Zweifel daran hat, ob eine Darstellung
wöhnlich gebraucht, wenn man aus- wirklich in allen Teilen den Tatsachen
drücken will, daß jemand auf Grund entspricht und gleichzeitig vermutet,
einer gewissen Distanz zu alltäglichen daß einige Dinge frei erfunden sind,
Dingen einen ausgewogeneren Stand¬ dann bringt man diesen Verdacht heute
punkt vertritt, daß der Betreffende über mit dem Zitat „Dichtung und Wahr¬
den Dingen steht. heit“ zum Ausdruck.

109
die Teil I

Die ich rief, die Geister nehmen will und von der er noch nicht
weiß, daß sie seine Schwester ist. - Das
Gegen Ende von Goethes Ballade „Der
Zitat wird - häufig in der verkürzten
Zauberlehrling“ wird eben diesem Zau¬
Form „Die oder keine!“ - auch heute
berlehrling klar, daß sich die von ihm
meist auf die Frau bezogen, in der man
herbeigezauberten dienstbaren Geister
seine ideale Lebensgefährtin sieht.
nicht mehr unter Kontrolle bringen las¬
sen und mehr tun, als sie eigentlich soll¬
Die mit Tränen säen, werden mit
ten. Da ihm die Zauberformel zur Been¬
Freuden ernten
digung dieses Treibens nicht einfällt,
seufzt er verzweifelt: „Die ich rief, die Bei diesen Worten handelt es sich um
Geister,/Werd’ ich nun nicht los.“ - Das den 5. Vers im 126. Psalm des Alten Te¬
Zitat wird heute (auch in der Form „die staments. In Situationen der Not und
Geister, die ich rief1) gebraucht, wenn Verzweiflung, die kaum noch Zukunfts¬
eine Entwicklung, die man selbst mit in hoffnungen aufkommen lassen, soll mit
Gang gebracht hat, außer Kontrolle ge¬ diesem Zitat Trost im Hinblick auf bes¬
rät und nicht mehr aufgehalten werden sere Zeiten gespendet werden. Gleich¬
kann. zeitig wird damit angesprochen, daß
man sich erst über etwas wirklich freuen
kann, den Wert einer glücklichen Phase
Die im Dunkeln sieht man nicht
nur dann richtig zu schätzen weiß, wenn
Am 31. 8. 1928 wurde in Berlin „Die
man auch schlimme Zeiten durchge¬
Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht
macht hat.
(1898-1956), zu der Kurt Weill (1900-
1950) die Musik schrieb, uraufgeführt. Die spinnen, die Römer!
Der populärste Song aus diesem Werk
Dies ist eine stehende Redewendung
ist die „Moritat von Mackie Messer“,
von Obelix, einem der Helden der in
mit der die Oper beginnt. Zu diesem
viele Sprachen übersetzten französi¬
Song hat Brecht nachträglich einige
schen Comicserie „Asterix“. Die von
Strophen geschrieben, von denen be¬
dem Kinderbuchautor Rene Goscinny
sonders die letzte sehr bekannt ist und
und dem Zeichner Albert Uderzo ge¬
oft zitiert wird. Sie greift unter gesell¬
schaffene Serie erschien zuerst 1959 in
schaftskritischem Aspekt das von
der Comiczeitschrift „Pilote“. Die
Brecht in vielen Variationen behandelte
durch einen Zaubertrank unbesiegbaren
Thema der sozialen Ungerechtigkeit er¬
Gallier stehen in ständiger Auseinan¬
neut auf und weist mit dem Bild von
dersetzung mit den Römern, deren Ver¬
Licht und Dunkel eindringlich auf die
halten dem etwas einfältigen Obelix oft
unterschiedliche Lebenssituation der
unverständlich erscheint. Sein Kom¬
vom Schicksal Begünstigten und der Be¬
mentar (französisch: Ils sont fous, les
nachteiligten hin. Die Strophe lautet:
Romains!) wird - häufig auch in Ab¬
„Denn die einen sind im Dunkeln/Und
wandlungen wie „Die spinnen, die Poli¬
die andern sind im Licht./Und man sie-
tiker!“ oder „Die spinnen, die Leh¬
het die im Lichte./Die im Dunkeln sieht
rer!“ - umgangssprachlich zitiert, wenn
man nicht.“ Die vorletzte Zeile wird,
man eine Handlungsweise oder Einstel¬
ebenso wie die letzte, häufig auch allein
lung als unsinnig und unakzeptabel cha¬
zitiert, meist in der Form: „Man sieht
rakterisieren will.
nur die im Lichte“.

f Wie ein Dieb in der Nacht


Die ist es, oder keine sonst auf Er¬
den! Diem perdidi
Mit diesen Worten faßt Don Cesar in Das Zitat wird in der Biographie „Ti¬
Schillers „Braut von Messina“ (Vers tus“ des römischen Schriftstellers Sue-
1 543) Isabella und Don Manuel gegen¬ ton (um 70-um 140) dem Kaiser Titus
über seine starken Gefühle für Beatrice Flavius Vespasianus zugeschrieben, der
zusammen, die er liebt und zur Frau einmal bei Tisch aus Ärger darüber, daß

110
Teil I dies

er an diesem Tage noch niemandem ei¬ auf dem Dach seines Palastes und sagt,
nen Wunsch erfüllt habe, gesagt haben zufrieden auf das von ihm beherrschte
soll: Amici, diem perdidi („Freunde, ich Inselreich Samos schauend, zu dem
habe einen Tag verloren“). Man ge¬ ägyptischen König: „Dies alles ist mir
braucht den bildungssprachlichen Aus¬ untertänig.“ Heute werden diese Worte
druck als Kommentar zu einem Tag, an meist scherzhaft, aber nicht ohne Stolz
dem man nichts Positives geleistet oder zitiert, wenn jemand die Machtposition,
erreicht hat, an dem man vielleicht so¬ die er innehat, kommentieren will.
gar eine günstige Gelegenheit nicht
wahrnehmen konnte. Dies Bildnis ist bezaubernd schön
So äußert im 1. Akt von Mozarts Oper
Der Diener zweier Herren „Die Zauberflöte“ Prinz Tamino sein
t Niemand kann zwei Herren dienen Entzücken, als er zum ersten Male das
Bildnis Prinzessin Paminas sieht. Der
Text des 1791 in Wien uraufgeführten
Dienstbare Geister
Musikwerks stammt von dem Bühnen¬
Im Brief an die Hebräer (1,14) aus dem dichter Emanuel Schikaneder (1751 bis
Neuen Testament wird zur Stellung der
1812). - Das heute wohl nur noch
Engel (im Verhältnis zu Christus) die scherzhaft oder ironisch gebrauchte Zi¬
rhetorische Frage gestellt: „Sind sie
tat kommentiert die Abbildung eines
nicht allzumal dienstbare Geister, aus¬ schön anzusehenden Menschen oder
gesandt zum Dienst um derer willen, die
eines schönen Gegenstandes. Oft
ererben sollen die Seligkeit?“ Heute schwingt dabei ein leiser Zweifel mit, ob
spricht man verhüllend oder anerken¬ das Bild auch tatsächlich dem Abgebil¬
nend von dienstbaren Geistern, wenn deten entspricht.
man Dienstpersonal besonders im
Haushalt oder im Hotel meint, das,
Dies irae, dies illa
meist im Hintergrund arbeitend, not¬
wendige, aber oft unzureichend gewür¬ Der Franziskaner Thomas von Celano
digte Aufgaben übernimmt. (um 1190-1260) soll die ergreifende
Hymne „Dies irae, dies illa“ verfaßt ha¬
ben, die auch als Sequenz in die katholi¬
Des Dienstes immer gleich gestell¬
sche Totenmesse aufgenommen wurde.
te Uhr Der lateinische Text beginnt mit den
Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬ Versen: Dies irae, dies illa/Solvet sae-
ma „Die Piccolomini“ (1,4). Dort sagt clum in favilla (in freier deutscher Nach¬
Max Piccolomini, als er voll Sehnsucht dichtung: „Tag der Rache, Tag der Zäh-
nach dem Frieden gegenüber seinem ren,/Wird die Welt in Asche kehren“).
Bruder Octavio über das eintönige und Mit diesem lateinischen Text wird auch
unbefriedigende Soldatenleben klagt: Gretchen in Goethes Faust (I, „Dom¬
„Denn dieses Lagers lärmendes Ge¬ szene“) in Anspielung auf das Jüngste
wühl,/Der Pferde Wiehern, der Trompe¬ Gericht konfrontiert. Heute wird das Zi¬
te Schmettern,/Des Dienstes immer tat „Dies irae, dies illa“ (wörtlich: „Tag
gleichgestellte Uhr,/Die Waffenübung, des Zornes, jener Tag“) in gebildeter
das Kommandowort -/Dem Herzen Ausdrucksweise auf einen Tag bezogen,
gibt es nichts, dem lechzenden.“ Heute an dem man heftige Vorwürfe, laute
wird das Zitat oft resignierend auf die Auseinandersetzungen befürchtet oder
Monotonie des Alltags, besonders auf diese über sich ergehen lassen muß.
sich immer wiederholende Tagesabläu¬
fe im Berufsleben bezogen. Dies ist die Zeit der Könige nicht
mehr
Dies alles ist mir untertänig Dieses Zitat stammt aus Hölderlins in
Zu Beginn von Schillers Ballade „Der den Jahren 1797 bis 1800 entstandenen
Ring des Polykrates“ steht Polykrates ersten Fassung des Dramas „Der Tod

111
dies Teil I

des Empedokles“ (11,4). Dort antwortet one giant leap for mankind („Dies ist ein
Empedokles, der sich innerlich längst kleiner Schritt für einen Menschen, ein
für den Freitod entschieden hat, einem riesiger Sprung für die Menschheit“).
Bürger von Akragas auf dessen im Na¬ Man kommentiert mit diesem Zitat Ak¬
men des Volkes vorgetragenen Wunsch, tionen oder Leistungen, die für sich ge¬
er möge doch ihr König werden: „Dies nommen eher unbedeutend erscheinen,
ist die Zeit der Könige nicht mehr.“ Mit aber im Zusammenhang mit großen,
dem ebenfalls populär gewordenen umwälzenden Veränderungen in der
Ausspruch „Euch ist nicht zu helfen, Gesellschaft oder in einem Fachbereich
wenn ihr selber euch nicht helft“ ver¬ stehen.
deutlicht Empedokles seine Überzeu¬
gung, daß das Volk nur durch eine De¬
Dies Kind, kein Engel ist so rein
mokratie, nicht aber durch die Einset¬
zung eines Herrschers seine Probleme Dieses Zitat stammt aus Schillers Balla¬
lösen kann. Wenn man heute eine mon¬ de „Der Gang nach dem Eisenham¬
archistische oder diktatorische Staats¬ mer“, erschienen 1797 im „Musenalma¬
form für nicht mehr zeitgemäß hält oder nach für das Jahr 1798“; darin wird von
wenn man die unumschränkte Herr¬ dem jungen Diener Fridolin berichtet,
schaft eines einzelnen in einem be¬ der die Frau des Grafen von Savern sehr
stimmten Bereich kritisieren will, kann verehrt und verdächtigt wird, ein Ver¬
man zitierend sagen: „Dies ist die Zeit hältnis mit der Gräfin zu haben. Am En¬
der Könige nicht mehr.“ Außerdem de, als sich dieser Verdacht nicht bestä¬
wird das Zitat auch gelegentlich in ei¬ tigt hat, nimmt der Graf den Diener bei
nem allgemeineren Sinne gebraucht, um der Hand und sagt zu seiner Frau: „Dies
auszudrücken, daß eine Epoche vorüber Kind, kein Engel ist so rein,/Laßt’s Eu¬
ist, daß es eine Einrichtung nicht mehr rer Huld empfohlen sein!“ Wenn man
gibt, weil sie sich überlebt hat. zum Ausdruck bringen will, daß je¬
mand, besonders eine jüngere Person,
wirklich unschuldig ist oder eine makel¬
Dies ist ein Herbsttag, wie ich kei¬ lose Vergangenheit hat, zitiert man heu¬
nen sah te noch gelegentlich: „Dies Kind, kein
Mit diesen Worten beginnt die erste Engel ist so rein.“
Strophe von Christian Friedrich Heb¬
bels (1813-1863) Gedicht „Herbstbild“,
Dieselbe Hand gibt Heilung mir
in dem er beschreibt, wie trotz Windstil¬
und Wunden
le die reifen Früchte von den Bäumen
fallen. - Heute wird das Zitat in unter¬ Das vielleicht bekannteste Werk des ita¬
schiedlichen Abwandlungen verwendet, lienischen Dichters Francesco Petrarca
wenn man auf dem Hintergrund persön¬ (1304-1374) ist die unter dem Titel „II
licher Vergleichsmöglichkeiten etwas canzoniere“ („Liederbuch“) zusam¬
für besonders schön oder einzigartig mengefaßte Sammlung der Gedichte an
hält, zum Beispiel „Dies ist ein Festtag, Laura. Petrarca ließ darin das Bild einer
wie ich keinen sah“ oder „Dies ist ein Frau entstehen, die, anders als die ganz
Schauspiel, wie ich keines sah“. entrückte, engelhafte Frau des Minne¬
sangs, irdischere, individuelle Züge
trägt. In der Zeile „Dieselbe Hand gibt
Dies ist ein kleiner Schritt für einen
Heilung mir und Wunden“ aus dem
Menschen
131. Sonett klingt ein Motiv an, das spä¬
Dieses Zitat geht auf den amerikani¬ ter häufig aufgegriffen und in vielfälti¬
schen Astronauten Neil Armstrong zu¬ ger Weise formuliert wurde und bis ins
rück. Als er am 20.7. 1969 die Mondfäh¬ Volkslied hinein wirksam blieb: die
re verließ und als erster Mensch seinen Macht der Geliebten über den Lieben¬
Fuß auf den Mond setzte, sprach er die den, ihm Leiden zu bereiten und sie von
über die Medien weltweit verbreiteten ihm zu nehmen, ihn zu verwunden und
Worte: That's one small step for a man, zu heilen.

112
Teil I Ding

Diesem System keinen Mann und war, einfach weitergereicht wurde, ohne
keinen Groschen daß aus ihm getrunken wurde. Wenn
man heute zitiert „Dieser Kelch möge
Vorwiegend in Auseinandersetzungen
an mir vorübergehen“, dann verleiht
und Debatten, die im deutschen Reichs¬
man mit einer Art Stoßseufzer seiner
tag Ende des letzten Jahrhunderts statt¬
Hoffnung Ausdruck, daß einem ein
fanden, aber auch in Reden, Kundge¬
drohendes Ungemach erspart bleiben
bungen und Wahlaufrufen jener Jahre
möge.
wurde diese Devise als Formulierung ei¬
nes Grundsatzes sozialdemokratischer
Politik häufig gebraucht. Sie richtete Dieses war der erste Streich
sich vor allem gegen die Militäretats, die In der Bildgeschichte „Max und Mo¬
die Sozialdemokraten strikt ablehnten, ritz“ von Wilhelm Busch (1832-1908)
und wurde, auch in Abwandlungen, be¬ wird der zweite Streich der beiden Laus¬
sonders von dem Begründer und Führer buben im Text mit folgenden Worten
der deutschen Sozialdemokratie August angekündigt: „Dieses war der erste
Bebel (1840-1913) und dem Mitbegrün¬ Streich,/Doch der zweite folgt so¬
der Wilhelm Liebknecht (1826-1900), gleich.“ In entsprechender Weise wer¬
dem Vater von Karl Liebknecht, immer den auch alle folgenden Streiche mitein¬
wieder verwendet. ander verbunden. - Mit dem Zitat kom¬
mentiert man heute befriedigt oder hoff¬
Dieser Erdenkreis gewährt noch nungsvoll eine gelungene Aktion, die als
Raum zu großen Taten Beginn einer fest geplanten Abfolge
weiterer Aktionen angesehen wird.
Bei Themen, die die heute der Mensch¬
heit gestellten Aufgaben bei der Bewäl¬
Ding an sich
tigung der Probleme auf der Erde an¬
sprechen, könnte dieses Zitat herange¬ Dieser philosophische Ausdruck Findet
zogen werden. In Goethes Faust (Faust sich in Immanuel Kants „Kritik der rei¬
II, Hochgebirge, starre, zackige Felsen¬ nen Vernunft“ (1781), wo es im Zusam¬
gipfel) ist es die Antwort Fausts auf eine menhang heißt: „... folglich wir von kei¬
ironische Bemerkung Mephistos. Dieser nem Gegenstände als Ding an sich
hatte auf das unermüdlich suchende selbst, sondern nur sofern es Objekt der
Streben Fausts angespielt und dabei den sinnlichen Anschauung ist, ... Erkennt¬
Mond als mögliches Ziel dieses Stre- nis haben können.“ Und an anderer
bens genannt. Nach dem Hinweis auf Stelle schreibt Kant: „Was es für eine
den „Erdenkreis“ als sein zukünftiges Bewandtnis mit den Gegenständen an
Betätigungsfeld entwirft Faust seinen sich und abgesondert von aller dieser
Plan zu einem Projekt der Landgewin¬ Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben
nung. Er ist nun beherrscht von dem möge, bleibt uns gänzlich unbekannt.“
Gedanken „Das herrische Meer vom Außerhalb der philosophischen Fach¬
Ufer auszuschließen,/Der feuchten sprache sprechen wir von einem „Ding
Breite Grenzen zu verengen ..." an sich“ (meist in Abwandlungen wie
„die Idee an sich“ oder „der Sport an
Dieser Kelch möge an mir vorüber¬ sich“), wenn wir uns auf das Eigentli¬
che, Wesentliche einer Sache beziehen
gehen
wollen. Dabei bleibt Kants Reflexion
Im Matthäusevangelium (26,39) des über die begrenzte Erkenntnisfähigkeit
Neuen Testaments betet Jesus in Todes¬ des Menschen unbeachtet.
angst: „Mein Vater, ist’s möglich, so ge¬
he dieser Kelch von mir.“ Die bildhafte
Es gibt mehr Ding’ im Himmel und
Ausdrucksweise geht darauf zurück,
auf Erden, als eure Schulweisheit
daß es bereits in der Antike bei einem
Gastmahl üblich war, einen gemeinsa¬
sich träumt, Horatio
men Trinkkelch umgehen zu lassen, der, Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
wenn er mit schlechtem Wein gefüllt Tragödie „Hamlet“ (1,5). Im Original

113
Ding Teil I

sagt Hamlet, erschüttert von der Begeg¬ Dir wird gewiß einmal bei deiner
nung mit dem Geist seines Vaters, zu Gottähnlichkeit bange!
seinem Freund Horatio: There are more
In Goethes Faust (Faust I, Studierzim¬
things in heaven and earth, Horatio, then
mer, 2) schreibt Mephisto dem Schüler,
are dreamt of in your philosophy. Heute
der in seinem wissenschaftlichen Stre¬
wird dieser Satz gewöhnlich in der Form
ben nach einem geeigneten Weg sucht,
„Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel
das Richtige zu erkennen, einen Leitsatz
und Erde, als unsere Schulweisheit sich
in sein Stammbuch: „Eritis sicut Deus,
träumen läßt“ zitiert. Man kommentiert
scientes bonum et malum“ (nach 1. Mo¬
damit Erfahrungen, die uns die Be¬
ses 3,5: „... und werdet sein wie Gott
grenztheit unseres Wissens deutlich ma¬
und wissen, was gut und böse ist“). Dar¬
chen.
auf verläßt der Schüler ihn, und Mephi¬
sto fügt hinzu: „Folg’ nur dem alten
t Alles Ding währt seine Zeit Spruch und meiner Muhme, der Schlan-
ge,/Dir wird gewiß einmal bei deiner
Der Dinge harren, die da kommen Gottähnlichkeit bange!“ Vor diesem
sollen Hintergrund kann man das Zitat ver¬
wenden, um auszudrücken, daß es
Diese Redewendung gebraucht man,
manchmal besser ist, nicht alles zu wis¬
um auszudrücken, daß es für jemanden
sen, wenn man seine innere Ruhe be¬
gilt abzuwarten und zu sehen, wie sich
wahren will. Unabhängig vom Kontext
die Dinge entwickeln, was auf ihn zu¬
des Stückes gebraucht man das Zitat
kommt. Sie geht auf eine Stelle im Neu¬
aber auch, um einen sehr eingebildeten
en Testament zurück. Im 21. Kapitel des
Menschen spöttisch zurechtzuweisen.
Lukasevangeliums spricht Jesus von der
Zerstörung Jerusalems und von seiner
Zukunft. In diesem Zusammenhang Der diskrete Charme der Bour¬
heißt es in Vers 26: „... und die Men¬ geoisie
schen werden verschmachten vor Dies ist der Titel eines Films von Luis
Furcht und vor Warten der Dinge, die Bunuel aus dem Jahr 1972 (im französi¬
kommen sollen auf Erden ...“ schen Original: Le charme discret de la
bourgeoisie). In Anlehnung an diesen
Diogenes in der Tonne Film, der die bürgerliche Gesellschaft
In seinem Werk „Über Leben und Mei¬ als dekadent und zerrüttet darstellt,
nungen berühmter Philosophen“ be¬ wird auch das Zitat meist als Anspie¬
richtet der griechische Philosoph Dioge¬ lung auf unlautere Machenschaften der
nes Laertios (um 220 v. Chr.) auch über „besseren Kreise“ verwendet. In iro¬
Diogenes von Sinope (400-ca. 328 nisch abgemilderter Form kann es auch
v. Chr.), der nach einer Anekdote im auf übertriebene Verfeinerungen des
Metroon, dem Tempel der Göttermutter bürgerlichen Lebensstils bezogen wer¬
Kybele, in einem Faß gewohnt haben den. Scherzhafte Abwandlungen wie
soll. Er zählt zu den Kynikern, den An¬ „der diskrete Charme des Kasernen¬
gehörigen einer antiken Philosophen¬ hofs“ sind ebenfalls gebräuchlich.
schule, die Bedürfnislosigkeit und
Selbstgenügsamkeit forderten, und lebte Divide et impera!
diesen Grundsätzen entsprechend be¬ Dieses Zitat („Teile und herrsche!“)
wußt anders, als es Konventionen oder geht wahrscheinlich nicht, wie man mei¬
gesellschaftlichen Zwängen entspro¬ nen könnte, auf die römische Antike zu¬
chen hätte. In Anspielung auf jemandes rück. Im Sinne von „Entzweie, um zu
selbstzufriedene, gesellschaftsferne, de¬ gebieten!“ soll die lateinische Form
monstrativ einfache, asketische oder nach einem Leitsatz König Ludwigs XI.
auch alternative Art zu leben kann ge¬ von Frankreich (1423-83) gebildet wor¬
sagt werden: Er lebt wie „Diogenes in den sein (diviser pour regner). Zur Siche¬
der Tonne“. rung ihrer Macht haben sich in der Ge-

114
Teil I doch

schichte immer wieder Herrscher von nen kann :/Doch der den Augenblick er¬
diesem Gedanken leiten lassen. Goethe greift,/Das ist der rechte Mann.“ Beson¬
stellt dazu in seiner Sammlung „Sprich¬ ders bei den weiblichen Patienten gelte
wörtliches“ eine Antithese auf: „Ent¬ es, sie durch entschlossenes Auftreten
zwei’ und gebiete! Tüchtig Wort ^Ver¬ zu beeindrucken: mit feurigen Blicken
ein’ und leite! Beßrer Hort.“ und wohldosierten Vertraulichkeiten
seien ihre Leiden leicht zu kurieren.
Do ut des
Diese altrömische Rechtsformel, die bei Doch der Mensch hofft immer Ver¬
Vertragsabschlüssen oder Tauschge¬ besserung
schäften gebraucht wurde, bedeutet
t Noch am Grabe pflanzt er die Hoff¬
übersetzt: „Ich gebe, damit du gibst.“
nung auf
Sie findet sich in dem Hauptwerk des
niederländischen Rechtsgelehrten Hu¬
go Grotius (1583-1645), das unter dem Doch der Segen kommt von oben
Titel „De jure belli ac pacis libri tres“ Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬
(„Drei Bücher über das Recht des Krie¬ dicht „Das Lied von der Glocke“. Mit
ges und des Friedens“) im Jahre 1625 den Zeilen „Von der Stirne heiß/Rinnen
veröffentlicht wurde. Heute wird sie ge¬ muß der Schweiß,/Soll das Werk den
braucht, um anzudeuten, daß man mit Meister loben ;/Doch der Segen kommt
einer Gegengabe oder einem Gegen¬ von oben“ endet die erste Strophe. Die
dienst rechnet. Anstrengung des Menschen ist für das
Gelingen einer Arbeit wichtig, aber Got¬
Doch, ach! schon auf des Weges tes Segen ist ebenso unerläßlich. - Heu¬
Mitte te wird die letzte Zeile fast nur noch vor¬
Wenn man erschrocken feststellt, daß dergründig-scherzhaft zitiert, wenn zum
man womöglich schon die Hälfte seines Beispiel etwas von oben auf jemanden
Lebens hinter sich hat und die im Rück¬ fällt oder wenn jemand von einem Re¬
blick schöne Zeit der Jugend unwieder¬ genguß durchnäßt wird.
bringlich vorbei ist, zitiert man aus
Schillers „Die Ideale“ den Vers: „Doch, Doch die Verhältnisse, sie sind
ach! schon auf des Weges Mitte“. In
nicht so
diesem Gedicht wird beklagt, daß die
Dieses Zitat stammt aus der 1928 ent¬
Begleiter der Jugend, nämlich die Ideale
standenen Dreigroschenoper von Ber¬
Liebe, Glück, Ruhm und Wahrheit,
tolt Brecht. Im „Ersten Dreigroschen-
keinen dauerhaften Bestand haben:
Finale“ stellt der den Armen wohlge¬
„Doch, ach! schon auf des Weges Mitte/
sinnte Geschäftsmann Peachum mit der
Verloren die Begleiter sich,/Sie wandten
Bibel in den Händen fest: „Doch leider
treulos ihre Schritte,/Und einer nach
hat man bisher nie vernommen/Daß ei¬
dem andern wich.“
ner auch sein Recht bekam - ach
wo!/Wer hätte nicht gern einmal Recht
Doch der den Augenblick ergreift,
bekommen/Doch die Verhältnisse, sie
das ist der rechte Mann sind nicht so.“ Man zitiert die letzte Zei¬
Mit diesem Zitat aus der Schülerszene le, wenn äußere Umstände ein Vorha¬
in Goethes Faust I weist man darauf ben vereiteln oder um bestehende Unge¬
hin, daß es im Leben darauf ankommt, rechtigkeiten oder Unzulänglichkeiten
zur rechten Zeit zu handeln, seine Chan¬ zu kritisieren.
ce zu nutzen. Im Stück versucht Mephi¬
sto, dem Schüler einzureden, daß ein er¬
Doch eine Würde, eine Höhe ent¬
folgreicher Arzt sich nicht mit allzulan¬
gem Studium aufhalten solle: „Verge¬ fernte die Vertraulichkeit
bens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich Das Zitat, mit dem man jemandes (oft
schweift,/Ein jeder lernt nur, was er ler¬ auf Grund seiner Stellung) distanzierte.

115
doch Teil I

keine Vertraulichkeit zulassende Hal¬ Doch mit des Geschickes Mächten


tung charakterisiert, stammt aus Schil¬ ist kein ew’ger Bund zu flechten
lers Gedicht „Das Mädchen aus der Diese Lebenserfahrung steht in Schil¬
Fremde“ aus dem „Musenalmanach für
lers „Lied von der Glocke“ (1799) im
das Jahr 1797“. In der 3. Strophe bezie¬ Anschluß an die ausführliche Schilde¬
hen sich die folgenden Zeilen auf die Ti¬ rung häuslichen Glücks (Vers 144 f.).
telgestalt, die als Allegorie der Poesie zu Oft wird auch noch die nächste Verszei-
sehen ist: „Beseligend war ihre Nä¬
le mitzitiert: „Und das Unglück schrei¬
he,/Und alle Herzen wurden weit,/
tet schnell.“ Man verwendet das Zitat
Doch eine Würde, eine Höhe/Entfernte
als Warnung oder als resignierenden
die Vertraulichkeit.“
Kommentar, um auf die unvorhersehba¬
ren Wechselfälle des Schicksals hinzu¬
t Leicht beieinander wohnen die weisen.
Gedanken, doch hart im Raume
stoßen sich die Sachen Doch niemals zeigen sein wahres
Gesicht
Doch jeder Jüngling hat wohl mal t Doch wie’s da drin aussieht
’n Hang fürs Küchenpersonal
Dieses Zitat stammt aus Wilhelm Doch sicher ist der schmale Weg
Büschs (1832-1908) Bildgeschichte der Pflicht
„Die fromme Helene“. An einer Stelle Dieses Zitat stammt aus Schillers Tragö¬
wird von Helenes Vetter Franz erzählt, die „Wallensteins Tod“ (IV, 2). In einem
der im Hause des Onkels Nolte zu Be¬ Gespräch mit Buttler ringt Gordon mit
such ist und sich nicht nur für Helene, sich, ob er dem Befehl des Kaisers ge¬
sondern auch für die Küchenhilfe horchen muß, den ihm persönlich sehr
Hannchen interessiert: „Man sah ihn verbundenen Herzog von Friedland, der
oft bei Hannchen stehn!/Doch jeder sich vom Kaiser losgesagt hat, gegen
Jüngling hat wohl mal/’n Hang fürs Kü¬ sein inneres Gefühl gefangenzunehmen.
chenpersonal, /Und sündhaft ist der Buttler gibt ihm daraufhin zu bedenken:
Mensch im ganzen !/Wie betet Lenchen „Wo viel Freiheit, ist viel Irrtum ;/Doch
da für Franzen!“ In allgemeiner Anspie¬ sicher ist der schmale Weg der Pflicht.“
lung auf meist jüngere Männer, denen Wenn man in einer bestimmten Situati¬
man ein Verhältnis mit einer Hausange¬ on im Grunde lieber einen nicht risiko¬
stellten unterstellt, wird gelegentlich in freien, unkonventionellen Weg gehen
leicht abgewandelter Form zitiert: „Je¬ würde, letztlich aber doch nur seine
der Jüngling hat nun mal ’n Hang fürs Vorschriften oder Anweisungen befolgt,
Küchenpersonal.“ dann kann man zitierend sagen: „Doch
sicher ist der schmale Weg der Pflicht.“
Doch kann man mit Begeist’rungs-
schätzen nicht die Besonnenheit Doch uns ist gegeben, auf keiner
ersetzen Stätte zu ruhn
Diese Schlußverse der ersten Strophe Mit diesen Worten beginnt die dritte
des Gedichts „Vermittlung“ von Hein¬ Strophe von Hölderlins (1770-1843)
rich Heine (1797-1856) werden zitiert, Gedicht „Hyperions Schicksalslied“:
wenn man jemanden ermahnen will, „Doch uns ist gegeben,/Auf keiner Stät¬
nicht übereilt zu handeln, sondern be¬ te zu ruhn,/Es schwinden, es fallen/Die
sonnen und mit Überlegung an eine Sa¬ leidenden Menschen/Blindlings von ei¬
che heranzugehen. Die erste Strophe ner/Stunde zur andern,/Wie Wasser von
lautet vollständig: „Du bist begeistert, Klippe/Zu Klippe geworfen,/Jahrlang
du hast Mut -/Auch das ist gut!/Doch ins Ungewisse hinab.“ Die beiden er¬
kann man mit Begeist’rungsschätzen/ sten Verse werden heute zitiert, um auf
Nicht die Besonnenheit ersetzen.“ die Rastlosigkeit unseres Lebens, auf

116
Teil I Don

die Unbeständigkeit des Schicksals, auf Doktor Eisenbart


die ständige Veränderung unserer Welt
Dieser Ausdruck geht auf den deut¬
hinzuweisen, die uns vor immer neue
schen Wundarzt Johann Andreas Eisen¬
Aufgaben stellt und uns nicht zur Ruhe
barth (1663-1727) zurück, der, ohne je
kommen läßt.
studiert oder einen Doktortitel erwor¬
ben zu haben, ein erfolgreicher Opera¬
teur war. Er wurde jedoch auf Grund
Doch wer bei schöner Schnitt’rin
seiner marktschreierischen Werbeme¬
steht, dem mag man lange winken
thoden (er trat zusammen mit Komö¬
Dies sind die beiden letzten Zeilen der dianten, Musikanten und Akrobaten
5. Strophe aus Joseph Victor von Schef¬ auf) bald als Quacksalber und Kurpfu¬
fels (1826-1886) „Wanderlied“ („Wohl¬ scher angesehen. So wird er auch in ei¬
auf, die Luft geht frisch und rein“), das nem bekannten, um 1800 entstandenen
in der Sammlung „Gaudeamus, Lieder Studentenlied verspottet: „Ich bin der
aus dem Engeren und Weiteren“ er¬ Doktor Eisenbart./Kurier’ die Leut
schien. Der Wanderer sieht an dieser nach meiner Art,/Kann machen, daß die
Stelle den Einsiedler, bei dem er seinen Blinden gehn,/Und daß die Lahmen
Durst zu stillen hofft, draußen bei einer wieder sehn.“ Ein Arzt, der gerne derbe
Schnitterin stehen. Die Verse lassen sich Kuren anwendet oder wenig Sachkennt¬
entsprechend verwenden, wenn jemand nis zu besitzen scheint, wird noch heute
in angenehmer weiblicher Gesellschaft scherzhaft „Doktor Eisenbart“ genannt.
nur schwer für einen zu sprechen ist.

Dolce vita
Doch wie’s da drin aussieht Diese Bezeichnung für ein Leben im Lu¬
xus, das nur aus Müßiggang und Ver¬
Dieses Zitat stammt aus der 1929 urauf-
gnügen besteht, stammt aus dem Italie¬
geführten romantischen Operette „Das
nischen und bedeutet „süßes Leben“.
Land des Lächelns“ (Musik: Franz Le¬
Sie wurde durch den 1959 gedrehten
har; Text: Ludwig Herzer und Fritz
Film La dolce vita des italienischen Re¬
Löhner). Es ist Teil einer Arie des chine¬
gisseurs Federico Fellini populär, in
sischen Prinzen Sou-Chong, der Lisa,
dem das Leben und Treiben der römi¬
die Tochter des Grafen Lichtenfels liebt,
schen High-Society Ende der fünfziger
diese Liebe zu einer Europäerin aber für
Jahre kritisch beleuchtet wird. - Sowohl
hoffnungslos hält und sich nach dem
„das süße Leben“ als auch „Dolce vita“
Grundsatz „Immer nur lächeln“ nach
sind heute als bildlich gebrauchte Aus¬
außen hin nichts anmerken läßt: „Doch
drücke üblich.
wie’s da drin aussieht,/geht niemand
was an!“ Auch heute kommentieren wir
mit dem Zitat Situationen, in denen die Don Camillo und Peppone
nach außen hin gezeigte heitere Gelas¬ Der deutsche Titel dieses französisch¬
senheit eines Menschen offensichtlich italienischen Spielfilms von 1952
im Widerspruch zu seinen wahren Emp¬ (Hauptdarsteller: Fernandel und Gino
findungen steht. In einer ebenfalls häu¬ Cervi; italienischer Titel: 11 Piccolo mon-
figer zitierten Zeile aus derselben Arie do di Don Camillo) wird heute noch ge¬
wird der gleiche Gedanke noch einmal legentlich auf eine letztlich doch
in anderer Form ausgedrückt. Sie lautet: freundschaftliche Konkurrenzbezie¬
„Lächeln trotz Weh und tausend hung zwischen einem Ortspfarrer und
Schmerzen, doch niemals zeigen sein dem weltlichen Bürgermeister bezogen,
wahres Gesicht.“ wie sie hin und wieder in ländlichen Ge¬
meinden anzutreffen ist. Der Film wur¬
de nach dem gleichnamigen Roman von
t Sollen dich die Dohlen nicht um- Giovanni Guareschi (1908-1968) ge¬
schrein, mußt nicht Knopf auf dem dreht und handelt von dem listigen
Kirchenturm sein Dorfgeistlichen Don Camillo und sei-

117
Donner Teil I

nem kommunistischen Bürgermeister dichte, „Sprichwörtlich“): „Doppelt


Peppone, die sich bei politischen und gibt, wer gleich gibt./Hundertfach, der
gesellschaftlichen Problemen in ihrem gleich gibt,/Was man wünscht und
Dorf ständig auf komische, manchmal liebt.“ - Auch heute wird das Zitat häu¬
auch handgreifliche Weise ins Gehege fig verwendet, wenn man darauf hinwei-
kommen. sen will, daß eine Unterstützung sehr
dringend gebraucht wird, daß die Not¬
Donner und Doria lage der Betroffenen eigentlich keinen
In Schillers Drama „Die Verschwörung Aufschub der Hilfeleistungen zuläßt.
des Fiesco zu Genua“ (1783) kündigt
Gianettino Doria seinem Vertrauten Lo- Ein Dorn im Auge sein
mellino an, daß dieser das zweithöchste Die Redewendung in der Bedeutung
Staatsamt, die Prokuratorwürde, be¬ „jemandem ein Ärgernis sein, jemanden
kommen solle. Als Lomellino Bedenken stören und ihm deshalb verhaßt sein“
äußert, verleiht Doria seiner Aussage war bereits im Mittelhochdeutschen ge¬
mit den Worten Nachdruck: „Donner bräuchlich. Sie wird heute noch häufig
und Doria! Du sollst Prokurator wer¬ verwendet und ist uns vor allem auch
den“ (1,5). Heute gilt der Ausruf „Don¬ aus dem Alten Testament bekannt, wo
ner und Doria“ ebenso wie „Donner Gott den Israeliten befiehlt, die Kanaa¬
und Blitz“ als umgangssprachlicher niter aus dem Lande Kanaan zu verja¬
Ausdruck einer starken Verwunderung gen. Dort heißt es (4. Moses 33,55):
über eine überraschende Situation oder „Werdet ihr aber die Einwohner des
Entwicklung. Er kann aber auch als (är¬ Landes nicht vertreiben vor eurem An¬
gerliche) Verstärkung einer dringenden gesicht, so werden euch die, so ihr über¬
Aufforderung vorangestellt werden. bleiben laßt, zu Dornen werden in euren
Augen und zu Stacheln in euren Seiten
Donnerwetter, Parapluie und werden euch drängen in dem Lan¬
Dieser meist scherzhaft gemeinte Fluch de, darin ihr wohnt.“
wurde durch Johann Strauß’ „Zigeuner¬
baron“ (1885) populär. Die Verbindung Dornröschenschlaf
von Donnerwetter und Parapluie geht Von einem „Dornröschenschlaf“
wahrscheinlich auf eine Szene in Pius spricht man, wenn man ein allzu untäti¬
Alexander Wolffs (1782-1828) Drama ges, verträumtes Dasein charakterisie¬
„Preciosa“ (Musik von Carl Maria von ren will, gelegentlich auch dann, wenn
Weber) zurück. Dort verwendet Pedro man kritisieren will, daß eine bestimmte
(der oft französische Wörter gebraucht, Entwicklung „verschlafen“ wurde. Der
ohne sie genau zu kennen) wiederholt Ausdruck bezieht sich auf das Märchen
die Ausrufe „Parapluie“ und „Donner¬ der Brüder Grimm vom „Dornröschen“,
wetter“, wobei das erstere (auf deutsch: einer Königstochter, die mit ihrem gan¬
„Regenschirm“) eine Verballhornung zen Hofstaat in einen hundert Jahre
von „Parbleu“ darstellt, einem französi¬ dauernden Schlaf versetzt wird. Daraus
schen Fluch, der seinerseits aus „par wird sie erst durch den Kuß eines Kö¬
dieu“ (= „bei Gott“) entstanden ist. nigssohns wieder erweckt.

Doppelt gibt, wer gleich gibt Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Dieses Zitat geht auf einen Spruch des Dies ist der Titel eines 1931 gedrehten
römischen Dichters Publilius Syrus klassischen Horrorfilms, der ersten Ver¬
(l.Jh. v.Chr.) zurück, der im Original filmung der Erzählung „Der seltsame
lautet: Inopi beneficium bis dat, qui dat Fall des Doctor Jekyll und des Herrn
celeriter („Dem Armen gibt eine doppel¬ Hyde“ (englisch: The Strange Case of
te Gabe, wer schnell gibt“). In Anleh¬ Dr. Jekyll and Mr. Hyde) von Robert
nung an die bekanntere gekürzte Form Louis Stevenson (1850-1894). Thema
Bis dat, qui cito dat („Doppelt gibt, wer ist das Problem der Persönlichkeitsspal¬
schnell gibt“) heißt es bei Goethe (Ge¬ tung. Es wird an einem Arzt aufgezeigt.

118
Teil I Dreiecksverhältnis

der seine Theorie der Trennungsmög¬ wie es in einer Vorbemerkung des Stük-
lichkeit von Gut und Böse im Menschen kes heißt. Der Titel wird heute zitiert,
an sich selbst mit Hilfe eines von ihm um Situationen zu kennzeichnen, in de¬
entdeckten Elixiers praktiziert. Durch nen jemand von etwas ausgeschlossen
die von ihm herbeigeführte Aufspaltung oder an etwas nicht beteiligt wird.
seiner Person in ein gutes und ein böses
Ich, in ein Tag- und ein Nachtwesen, ge¬ Die drei Grazien
rät er schließlich ins Verderben, da er
Die drei Grazien waren im römischen
den Wechsel zwischen beiden auf die
Altertum als göttliche Gestalten Sinn¬
Dauer nicht mehr kontrollieren kann.
bilderjugendlicher Anmut und Lebens¬
Der Titel des Films wird gelegentlich
freude. Sie entsprechen den Chariten
herangezogen, wenn man die extremen,
der griechischen Mythologie, die bei
unverständlich erscheinenden Verhal¬
dem altgriechischen Dichter Hesiod
tensweisen eines Menschen kennzeich¬
(um 700 v. Chr.) als Dreiheit auftreten
nen will.
und sich häufig im Gefolge von Hermes,
Drachensaat Aphrodite und Apoll finden. Heute be¬
zeichnet man so - scherzhaft, oft auch
Gedanken oder Äußerungen, die Zwie¬ ironisch - drei weibliche Personen, die
tracht säen oder anderen Schaden an-
gemeinsam in Erscheinung treten.
richten, werden nach einer Fabel des rö¬
mischen Schriftstellers Hyginus (t um
Drei Wochen war der Frosch so
10 n. Chr.) in gehobener Sprache häufig
krank!
mit dieser Metapher bezeichnet. In der
Fabel wird erzählt, wie Kadmos, der Dieser Ausspruch wird gerne als scherz¬
Ahnherr des thebanischen Königshau¬ hafter Kommentar zu jemandes Gene¬
ses, in der griechischen Mythologie ei¬ sung gebraucht, oft ergänzt durch den
nen dem Gott Ares heiligen Drachen er¬ Satz: „Nun raucht er wieder, Gott sei
schlägt. Auf den Rat der Göttin Athene Dank!“ Die beiden Sätze zusammen bil¬
sät er dessen Zähne in die Erde. Aus den den Schluß einer kleinen Bilderge¬
dieser „Drachensaat“ erwachsen dann schichte von Wilhelm Busch (1832 bis
gewaltige Krieger, die sich gegenseitig 1908) mit dem Titel „Die beiden Enten
erschlagen. und der Frosch“. In dieser Geschichte
wird erzählt, wie ein Frosch nach turbu¬
t Von drauß’ vom Walde komm ich lenter und aufregender Verfolgungsjagd
her zwei jungen Enten entkommen kann,
die ihrerseits einem Koch zum Opfer
Draußen vor der Tür fallen.

Dies ist der Titel eines Theaterstücks


von Wolfgang Borchert(1921-1947)mit Dreiecksverhältnis
dem Untertitel „Ein Stück, das kein Unter einem „Dreiecksverhältnis“ wird
Theater spielen und kein Publikum se¬ heute ganz allgemein die Beziehung ei¬
hen will“, das 1947 zunächst als Hör¬ ner Person zu zwei Geschlechtspartnern
spiel gesendet und später als „Liebe 47“ verstanden. Ursprünglich wurde damit
auch verfilmt wurde. Das Stück zeigt an nur das Liebesverhältnis eines Mannes
der Gestalt eines Kriegsheimkehrers ex¬ zu zwei Frauen bezeichnet. Diese Be¬
emplarisch Elend und Einsamkeit der zeichnung ist aus dem Ausdruck „drei¬
Kriegsgeneration nach dem Ende des eckiges Verhältnis“ entstanden, den der
Kriegs. Es sind Menschen, die zurück¬ norwegische Dichter Henrik Ibsen
kehren wollen, aber nicht können, weil (1828-1906) in seinem Schauspiel
es ihr Zuhause nicht mehr gibt, weil ihre „Hedda Gabler“ (11,1) verwendet.
früheren sozialen Bindungen zerstört Nach der Uraufführung dieses Stückes
sind und es ihnen nicht möglich ist, im Jahr 1891 wurde der Ausdruck popu¬
neue Bindungen einzugehen. Ihr „Zu¬ lär und hat sich schließlich in der Form
hause ist dann draußen vor der Tür“, „Dreiecksverhältnis“ durchgesetzt.

119
dreifach Teil I

Dreifach ist der Schritt der Zeit lution (1789) erschienene einflußreiche
Mit diesen Worten werden die drei Zeit¬ Schrift Qu'est-ce que le Tiers Etat?
(„Was ist der dritte Stand?“) von Em¬
stufen „Zukunft“, „Gegenwart“ und
„Vergangenheit“ angesprochen, die der manuel-Joseph Sieyes. Darin heißt es:
Mensch ganz unterschiedlich empfin¬ Qu’est-ce que le Tiers Etat? Tout.
det. Es handelt sich dabei um die erste Qu'a-t-il ete jusqu’ä present dans l’ordre
Zeile des 1795 entstandenen Gedichts politique? Rien. Que demande-t-il? A y
„Spruch des Konfuzius“ von Schiller. devenir quelque chose. („Was ist der drit¬
In den drei folgenden Zeilen des Ge¬ te Stand? Alles. Was war er bis heute in
dichts wird das dreifache Verhältnis des der politischen Ordnung? Nichts. Was
Menschen zur Zeit näher erläutert: „Zö¬ fordert er? Dort etwas zu werden.“)
gernd kommt die Zukunft hergegan-
gen,/Pfeilschnell ist das Jetzt entflo- Der Dritte im Bunde
gen,/Ewig still steht die Vergangenheit.“ Diese Wendung im Sinne von „der drit¬
te Teilnehmer“ wurde durch Schillers
Dreimal umgezogen ist so gut wie Ballade „Die Bürgschaft“ (1797 im
einmal abgebrannt „Musenalmanach für das Jahr 1798“ er¬
schienen) im Deutschen gebräuchlich.
Diese Redensart geht auf das englische
Nachdem der Tyrann von Syrakus Zeu¬
Three removals are as bad as a fire zu¬
ge unverbrüchlicher Freundestreue ge¬
rück, das sich schon bei Benjamin
worden ist, empfindet er „ein menschli¬
Franklin (1706-1790) im Vorwort seines
ches Rühren“ und bittet mit folgenden
„Poor Richard’s Almanack“ findet: I
Worten darum, in diesen Freund¬
never saw an oft removed Tree,/Nor yet
schaftsbund aufgenommen zu werden:
an oft removed Family,/That throve so
„Ich sei, gewährt mir die Bitte,/In eurem
well, as those that settled be. And
Bunde der Dritte.“ - Der Ausdruck
again,/Three Removes are as bad as a
kommt bereits bei den Autoren der An¬
Fire. („Ich sah nie einen oft umgepflanz¬
tike in verschiedenen Quellen vor, zum
ten Baum, noch eine Familie, die oft
Beispiel im „Leben des Pythagoras“ von
umgezogen war, die so gut gediehen wie
Aristoxenos von Tarent (um 350-300
die, die ihren festen Platz hatten. Und
v. Chr.) und in Ciceros (106-43 v.Chr.)
noch einmal: Drei Umzüge sind so
„Tusculanae disputationes“ (= „Ge¬
schlimm wie ein Feuer.“) Mit der Re¬
spräche in Tusculum“) und „De offici-
densart bringt man auch heute noch
is“ (= „Vom pflichtgemäßen Han¬
zum Ausdruck, daß beim Wohnungs¬
deln“).
wechsel immer etwas zu Bruch geht
oder ganz und gar abhanden kommt.
t Nach drüben ist die Aussicht uns
verrannt
Für dreißig Silberlinge verraten
t Judas
Druckerschwärze auf Papier
Die t Presse - Druckerschwärze auf Pa¬
t Und alles ist Dressur pier

t Und drinnen waltet die züchtige Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Hausfrau ob sich das Herz zum Herzen fin¬
det!
Der dritte Stand
Diese Zeilen stammen aus Schillers
Der historische Begriff mit der Bedeu¬ „Lied von der Glocke“; sie raten zur Be¬
tung „das Bürgertum neben Adel und sonnenheit bei der Wahl des Lebensge¬
Geistlichkeit“ ist nach dem französi¬ fährten oder der Lebensgefährtin. Wie
schen le tiers etat gebildet. Besonders viele Verse dieses Gedichts werden sie
verbreitet wurde er wohl durch die vor heute fast nur noch in scherzhaft abge¬
dem Ausbruch der Französischen Revo¬ wandelter Form gebraucht, etwa mit fol-

120
Teil I du

gendem zweiten Teil: ob sich nicht spricht diese Worte. Er richtet sie an
noch was Beßres findet“. Faust, den er durch die „Geister“ in
Schlaf versenken ließ, weil dieser ihn
Drum soll der Sänger mit dem Kö¬ zuvor mit den Worten „Den Teufe! hal¬
nig gehen te, wer ihn hält!“ nicht so schnell Wegge¬
Im zweiten Auftritt des ersten Aufzugs hen lassen wollte. Man zitiert diese Äu¬
von Schillers romantischer Tragödie ßerung des Mephisto, wenn man jeman¬
„Die Jungfrau von Orleans“ (1801) sagt dem etwas zu verstehen geben will wie:
der König, Karl VII. von Frankreich, „Wenn du mich hereinlegen willst, mußt
über die an seinem Hof weilenden Sän¬ du dir schon etwas mehr einfallen las¬
ger und ihre Kunst: „Sie machen uns sen“ oder allgemeiner auch: „Das
den dürren Zepter blühn,/Sie flechten schaffst du nicht, dieser Aufgabe bist du
noch nicht gewachsen.“
den unsterblich grünen Zweig/Des Le¬
bens in die unfruchtbare Krone,/Sie
Du bist Orplid, mein Land!
stellen herrschend sich den Herrschern
gleich,/Aus leichten Wünschen bauen Mit diesen Worten beginnt Eduard Mö-
sie sich Throne,/Und nicht im Raume rikes Gedicht „Gesang Weylas“ (1838).
liegt ihr harmlos Reich.“ Ihnen verbin¬ Zu den Namen „Orplid“ und „Weyla“
det sich der König mit den Worten: erfährt man Näheres in Mörikes Novel¬
„Drum soll der Sänger mit dem König le „Maler Nolten“, in deren erstem Teil
gehen,/Sie beide wohnen auf der der Schauspieler Larkens erzählt, daß er
Menschheit Höhen!“ - Mit dem wohl sich als Schüler mit einem Freund eine
nicht mehr sehr häufig gebrauchten Zi¬ eigene poetische Welt ausdachte: „Wir
tat läßt sich zum einen eine Verbindung erfanden für unsere Dichtung einen au¬
von Poesie und weltlicher Macht be¬ ßerhalb der bekannten Welt gelegenen
schwören, zum anderen stellt man damit Boden... Die Insel hieß Orplid, und ihre
die Dichtkunst auf eine sehr hohe ge¬ Lage dachte man sich in dem Stillen
sellschaftliche Stufe, betont ihr soziales Ozean zwischen Neuseeland und Süd¬
und damit auch politisches Gewicht. amerika. Orplid hieß vorzugsweise die
Stadt des bedeutendsten Königreichs:
sie soll von göttlicher Gründung gewe¬
Du ahnungsvoller Engel du!
sen sein, und die Göttin Weyla... war ih¬
Der Ausruf stammt aus dem ersten Teil re Beschützerin.“ Das Gedicht wurde
von Goethes Faust (1806). Faust rea¬ 1888 von Hugo Wolf vertont und hat da¬
giert mit diesen Worten auf Gretchens durch noch größere Bekanntheit gewon¬
Ablehnung Mephistos, der ihr gefühls¬ nen. - Das Zitat kann in gehobener
mäßig zuwider ist („Der Mensch, den Sprache die Sehnsucht nach einem be¬
du da bei dir hast,/Ist mir in tiefer innrer stimmten Ort oder das Glücksgefühl,
Seele verhaßt“). Das Zitat wird meist in dort angekommen zu sein, zum Aus¬
einer Situation gebraucht, in der jemand druck bringen.
instinktiv etwas Ungutes oder Negatives
richtig erkennt oder einschätzt. Häufig Du bist so blaß, Luise
wird allerdings auch falsch zitiert: „Du
Das gelegentlich scherzhaft gebrauchte
ahnungsloser Engel du!“, womit man
Zitat, mit dem man auf jemandes blas¬
den Sinn des Goetheschen Zitats in sein
ses Aussehen anspielt, stammt aus
Gegenteil verkehrt; mit dem abgewan¬
Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Ka¬
delten Zitat wird jemand leicht mitleidig
bale und Liebe“ (1784). Ferdinand von
oder spöttisch als ahnungslos oder naiv
Walter, der Luise, die Tochter des Musi¬
hingestellt.
kers Miller, liebt, richtet diese Worte an
sie: „Du bist blaß, Luise?“ Er forscht
Du bist noch nicht der Mann, den nach dem Grund für ihr blasses Ausse¬
Teufel festzuhalten hen und erfährt, daß sie die Hoffnungs¬
Der Teufel selbst, Mephisto nämlich in losigkeit ihrer Liebe bekümmert. Die ge¬
Goethes Faust (Faust I, Studierzimmer), sellschaftliche Kluft zwischen der Bür-

121
du Teil I

gerlichen und dem Adligen läßt für die ein von einer anderen Kraft An- oder
Gesellschaft ihrer Zeit keine Verbin¬ Vorangetriebener. Das in diesem Sinne
dung zwischen beiden zu. gebrauchte Zitat stammt aus Goethes
Faust (Teil I, Walpurgisnacht), wo Me¬
phisto mit diesen Worten das Gedränge
Du bist wie eine Blume
der Geister, Teufel und Hexen auf dem
In dem „Die Heimkehr“ überschriebe- nächtlichen Wege zum Blocksberg be¬
nen Zyklus von 88 Gedichten Heinrich
schreibt.
Heines (1797-1856) beginnt die Nr. 47
mit den Worten: „Du bist wie eine Blu¬
me/So hold und schön und rein“. Es ist Du gleichst dem Geist, den du be¬
eines der schönsten Liebesgedichte des greifst
Dichters, das von Franz Liszt, Robert Diese Worte stammen aus Goethes
Schumann und Hugo Wolf vertont wur¬ Faust (Teil I, Nacht). Faust hat den Erd¬
de. - Von einem eher romantisch veran¬ geist beschworen. Dieser erscheint ihm,
lagten Menschen könnte das Zitat auch spricht zu ihm und beschreibt sein eige¬
heute noch als Kompliment an eine ge¬ nes Wesen und Wirken: „Geburt und
liebte Frau gerichtet werden. Grab,/Ein ewiges Meer,/Ein wechselnd
Weben,/Ein glühend Leben,/So schaff
Du bleibst doch immer, was du bist ich am sausenden Webstuhl der
Mephisto belehrt Faust in der Studier¬ Zeit,/Und wirke der Gottheit lebendiges
zimmerszene im ersten Teil von Goethes Kleid.“ Faust ist von diesen Worten be¬
Faust, daß ihm all sein Streben nichts geistert, glaubt sich dem Wesen des Erd¬
nützt, weil er doch immer der gleiche geistes ganz nah, glaubt ihm zu gleichen.
bleiben wird: „Du bist am Ende - was Der Erdgeist aber gibt ihm schonungs¬
du bist./Setz’ dir Perücken auf von Mil¬ los und ohne Umschweife zu verstehen,
lionen Locken,/Setz’ deinen Fuß auf el¬ daß Faust nicht diesem Wesen, sondern
lenhohe Socken,/Du bleibst doch im¬ nur seiner eigenen unvollkommenen
mer, was du bist.“ - Das Zitat verweist Vorstellung davon gleicht. Er weist ihn
darauf, daß der Versuch, sich anders mit den Worten ab: „Du gleichst dem
darzustellen als man ist, letztlich erfolg¬ Geist, den du begreifst,/Nicht mir!“ und
los bleiben muß. verschwindet. Mit diesem Zitat gibt man
jemandem zu verstehen, daß er in ande¬
ren Bahnen denkt, daß er etwas nicht
Du fragst nach Dingen, Mädchen,
begriffen hat, es vielleicht gar nicht be¬
die dir nicht geziemen greifen kann.
Dieser Satz, der gewissermaßen mit ei¬
nem Augenzwinkern zitiert werden
kann, um einer Frage auszuweichen,
Du, glückliches Österreich, heirate!
stammt aus Schillers Drama „Die Jung¬ T Bella gerant alii, tu felix Austria, nube
frau von Orleans“ (Prolog, 3. Auftritt).
Thibaut d’Arc, der Vater von Johanna,
Du hast der Götter Gunst erfahren!
der späteren „Jungfrau von Orleans“,
spricht diese Worte. Sie bringen seine Es handelt sich bei dem Zitat um die
große Verwunderung darüber zum Aus¬ Anfangszeile der 2. Strophe von Schil¬
druck, daß seine Tochter mit so reger lers Ballade „Der Ring des Polykrates“,
Anteilnahme einem Bericht über den die auf einer Erzählung des griechi¬
Kriegsverlauf und die verlorenen schen Dichters Herodot beruht. Der
Schlachten der Franzosen folgt. König von Ägypten als Gast des Poly¬
krates, des Tyrannen von Samos, be¬
ginnt mit diesen Worten die Schilderung
Du glaubst zu schieben, und du des Glücks, das die Götter Polykrates
wirst geschoben gewährt haben. Die weiteren Glücks¬
Oftmals ist derjenige, der von sich botschaften flößen dem Gast jedoch
glaubt, die treibende Kraft zu sein, nur Entsetzen ein: „Mir grauet vor der Göt-

122
Teil I
du

ter Neide;/Des Lebens ungemischte das Verhalten eines Menschen aus, dem
Freude/Ward keinem Irdischen zuteil.“ man zu Unrecht vertraut hatte.
Mit dem oben genannten Zitat geben
wir auch heute unserer Meinung Aus¬ T Halte fest: Du hast vom Leben
druck, daß jemandem ein besonderes doch am Ende nur dich selber
Glück zuteil wurde. Und ebenso zitieren
wir „Mir grauet vor der Götter Neide“ Du liebes Kind, komm, geh mit
voller Unbehagen, wenn uns bei einer mir!
Aufeinanderfolge glücklicher Ereignis¬
se das Gefühl überkommt, ein Umschla¬ Diese heute nur noch als scherzhafte
Aufforderung gebrauchten Worte stam¬
gen ins Negative sei auf die Dauer un¬
ausweichlich. men aus einer der bekanntesten Balla¬
den von Goethe, aus dem „Erlkönig“.
Es sind die ersten Verführungsworte des
Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Erlkönigs, die der phantasierende Kna¬
ami be in den Armen seines durch die Nacht
t Belami reitenden Vaters zu hören glaubt: „Du
liebes Kind, komm, geh mit mir!/Gar
schöne Spiele spiel’ ich mit dir..."
Du hast mich heimgesucht bei
Nacht Du mußt dein Leben ändern!
Dies ist der Titel eines Buches, das 1954 Diese Forderung nach Selbstbesinnung
von Helmut Gollwitzer u. a. herausgege¬ und Veränderung, die sicherlich viele
ben wurde und „Abschiedsbriefe und schon einmal in irgendeiner Situation
Aufzeichnungen des Widerstandes ihres Lebens an sich selbst gestellt
1933-1945“ enthält. Der Titel geht auf haben, ist in dieser Weise in einem
eine Bibelstelle zurück. Im 17. Psalm, Gedicht von Rainer Maria Rilke
Vers 3 heißt es: „Du prüfst mein Herz (1875-1926) formuliert. Es ist das So¬
und siehst nach ihm des Nachts...“ bzw. nett „Archäischer Torso Apollos“ aus
in der revidierten Fassung der Luther- der Sammlung „Der neuen Gedichte an¬
Bibel: „Du prüfst mein Herz und suchst derer Teil“ von 1908. Am Ende dieses
es heim bei Nacht..." - Mit dem Zitat Gedichtes, das sich mit der Wirkung der
kann man zum Ausdruck bringen, daß Kunst auf den Menschen befaßt, steht
man von jemandem geträumt hat oder als Fazit diese zum geflügelten Wort ge¬
daß man sich mit jemandem in schlaflo¬ wordene Forderung an den Menschen.
ser Nacht in Gedanken beschäftigt hat.
Du red’st, wie du’s verstehst
Du hast’s erreicht, Oktavio! Mit diesem Zitat gibt man jemandem zu
Im 13. Auftritt des 3. Aktes von Schillers verstehen, daß er von einer Sache keine
Trauerspiel „Wallensteins Tod“ (1798/ Ahnung hat, nichts versteht. Es stammt
99) hält Wallenstein einen langen Mo¬ aus Schillers Drama „Wallenstein“ (Die
nolog, der mit diesen Worten beginnt. Piccolomini 11,6), wo der „kaiserliche
Er ist sich bewußt, daß nun fast alle sei¬ Generalissimus“ Wallenstein die Vor¬
haltungen des Feldmarschalls Illo auf
ne Soldaten und Offiziere ihn verlassen
diese Weise abtut. Dabei erkennt Illo
haben, weil sie den Verrat am Kaiser
die wirklichen Gegebenheiten, während
nicht mitmachen wollen. Oktavio Picco¬
Wallenstein in seinem Sternenglauben
lomini, einer seiner Generale, dem er bis
befangen ist.
zuletzt vertraut hatte, hat längst seinen
Mörder gedungen. Im Kontext des Mo¬
nologs heißt es: „Du hast’s erreicht, Ok¬
Du siehst mich lächelnd an, Eleo¬
tavio! - Fast bin ich/Jetzt so verlassen nore
wieder, als ich einst/Vom Regensburger Diesen Satz kann man jemandem ge¬
Fürstentage ging.“ - Mit dem Zitat genüber im Scherz zitieren, wenn man
drückt man seine Enttäuschung über ihn eigentlich fragen will: „Was hast

123
du Teil I

du? Was gibt es? Ist irgend etwas nicht verhält und keinerlei Konkurrenz neben
in Ordnung?“ Es ist der Satz, mit dem sich duldet.
das Schauspiel „Torquato Tasso“ von
Goethe beginnt, und er steht dort in ei¬ Du Spottgeburt von Dreck und
ner ganz ähnlichen Funktion. Die Prin¬ Feuer
zessin Leonore von Este spricht ihn zu
Diese derbe Beschimpfung stammt aus
ihrer Freundin Leonore Sanvitale und
Goethes Faust (Teil I, Marthens Gar¬
fährt entsprechend fort: „Was hast du?
ten). Sie ist gegen Mephisto gerichtet.
Laß es eine Freundin wissen!“
Faust reagiert damit heftig auf die zyni¬
schen Bemerkungen, die Mephisto über
Du siehst, mit diesem Trank im Gretchen und ihr Verhältnis zu Faust
Leibe, bald Helenen in jedem Wei¬ gemacht hat. Im Scherz ist die negative
be Kennzeichnung „Spottgeburt von
Dreck und Feuer“ von Personen oder
Dieser Ausspruch stammt aus Goethes
auch von Sachen, die man als besonders
Faust (Teil I, Hexenküche). Faust hat
häßlich oder mißlungen betrachtet,
den Trank der Hexe zu sich genommen
auch heute noch zu hören.
und möchte, bevor er mit Mephisto die
Hexenküche verläßt, noch einmal das
Du sprichst ein großes Wort gelas¬
Bild der schönen Helena sehen, das ihn
zuvor beim Blick in einen Spiegel schon
sen aus
entzückt hatte. Mephisto jedoch kom¬ Mit diesen Worten reagiert König Tho-
plimentiert ihn hinaus mit den Worten, as in Goethes „Iphigenie auf Taurus“
die die Wirkung des Trankes dahinge¬ (1,3) auf die Enthüllung der Heldin, sie
hend beschreiben, daß nun jede Frau sei aus dem verfluchten Geschlecht des
begehrenswert wie Helena für ihn sein Tantalus. Heute wird in diesem Zitat oft
wird. In ähnlichem Sinne können diese „großes Wort“ durch „wahres Wort“ er¬
Worte des Mephisto auch heute noch zi¬ setzt.
tiert werden, wenn von der Wirkung des
Alkohols bei Männern die Rede ist. Du sprichst von Zeiten, die vergan¬
gen sind
Du sollst dem Ochsen, der da In Schillers Drama „Don Kariös“ (1,2)
drischt, nicht das Maul verbinden hält Kariös diesen Satz seinem Jugend¬
freund, dem Marquis von Posa, entge¬
Diese sprichwörtliche Redensart ist ein
gen. Dieser hatte von Zeiten gespro¬
unverändert aus der Bibel übernomme¬
chen, als Don Kariös noch ein „löwen¬
nes Zitat. Es findet sich im 5. Buch Mo¬
kühner Jüngling“ war mit Träumen von
ses 25,4 und besagt, daß man jemanden,
Freiheit und einem „neuen goldnen Al¬
der schwer arbeitet, auch entsprechend
ter in Spanien“. Der niedergeschlagene
entlohnen, ihn in angemessener Weise
und völlig verunsicherte Kariös jedoch
an den Früchten seiner Arbeit teilhaben
möchte daran im Augenblick nicht erin¬
lassen soll. Das Bild des dreschenden
nert werden. Die Worte des Don Kariös
Ochsen bezieht sich auf die früher geüb¬
werden heute zitiert, wenn man jeman¬
te Technik des Dreschens, bei der man
dem klarmachen möchte, daß sich die
Ochsen in einem Rundlauf gehen und
Zeiten geändert haben, daß es nutzlos
die Ähren mit den Hufen zertreten ließ.
ist, sich ans Vergangene zu klammern.

Du sollst keine anderen Götter ne¬ Du trägst den Cäsar und sein
ben mir haben Glück
Dieser Teil aus dem ersten der Zehn Ge¬ Diese Worte, mit denen man jeman¬
bote (2. Moses 20,3) wird oft auch in den - oft scherzhaft - auf dessen beson¬
übertragenem Sinn verwendet. Man zi¬ ders hohe Verantwortung angesichts der
tiert ihn beispielsweise als Hinweis dar¬ Bedeutung der eigenen Person hinweist,
auf, daß sich jemand sehr selbstherrlich soll Cäsar während eines Sturmes an

124
Teil I Dunkelmann

der Küste Illyriens an den Kapitän des t Mir wird von alledem so dumm,
Schiffes gerichtet haben. Cäsar appel¬
als ging mir ein Mühlrad im Kopf
lierte damit an den Kapitän, nicht den
herum
Mut zu verlieren. Die Begebenheit wird
in Plutarchs oft sehr anekdotisch gehal
tenen Biographien berühmter Griechen t Wer kann was Dummes, wer was
und Römer beschrieben. Kluges denken, das nicht die Vor¬
welt schon gedacht

Du weißt wohl nicht, mein Freund, t Mit der Dummheit kämpfen Göt¬
wie grob du bist? ter selbst vergebens
Mit dieser Frage kritisiert man meist
scherzhaft jemanden, dessen Verhalten t Wenn Dummheit weh täte
oder Äußerungen man nicht gerade als
sehr zart und zurückhaltend empfindet.
Ein Dummkopf Findet immer ei¬
Sie stammt aus Goethes Faust (Faust II,
2. Akt, Hochgewölbtes, enges gotisches
nen noch Dümmeren, der ihn be¬
Zimmer). Dort stellt Mephisto diese wundert
Frage an den „Baccalaureus“ (eine Per¬ Ein TTor find’t allemal noch einen grö¬
son, die mit dem „Schüler“ aus Faust I ßeren Toren, der seinen Wert zu schät¬
identisch ist). Dieser hatte ihn zuvor mit zen weiß
den groben Worten beleidigt: „Gesteht
nur, Euer Schädel, Eure Glatze/Ist nicht t Herr, dunkel war der Rede Sinn
mehr wert, als jene hohlen dort?“

Dunkel war’s, der Mond schien


t O du zertrümmert Meisterstück helle
der Schöpfung Dies ist die erste Zeile eines Nonsensge¬
dichtes, das in verschiedenen Textva¬
rianten in mehreren Sammlungen von
Der Duft der großen, weiten Welt Kinderreimen und volkstümlichen Ver¬
Dieser Ausdruck, der eine Atmosphäre sen zu finden ist. Der Ursprung des Ge¬
von internationaler Weite, das Fluidum dichts ist unbekannt. Es ist wegen seiner
von Freiheit und Ungebundensein, von logischen Widersprüchlichkeiten, seiner
Reichtum und Wohlleben vermitteln paradoxen Wortspielereien bei Kindern
soll, wurde 1959 als Werbeslogan ge¬ sehr beliebt geblieben. Besonders die
prägt. Eine Zigarettenfirma versuchte beiden ersten Strophen des Gedichts
damit, ihrer Marke „Peter Stuyvesant“ werden häufig aufgesagt. Sie lauten:
ein besonderes Image zu geben. Der „Dunkel war’s, der Mond schien hel¬
Ausdruck wurde durch die intensive le,/schneebedeckt die grüne Flur,/als
Werbung sehr populär und hat sich da¬ ein Wagen blitzesschnelle/langsam um
nach verselbständigt. die Ecke fuhr./Drinnen saßen stehend
Leute,/schweigend ins Gespräch ver-
tieft,/als ein totgeschoßner Hase/auf
Dulce et decorum est pro patria dem Sande Schlittschuh lief.“
mori
Im dritten Buch der „Oden“ (III, 2,13) Dunkelmann
des römischen Dichters Horaz (65-8 Die heutige Bedeutung „zwielichtiger
v. Chr.) steht dieser den Heldentod ver¬ Mensch, den man dunkler Machen¬
herrlichende Spruch. Er bedeutet über¬ schaften verdächtigt; Drahtzieher“ und
setzt „Beglückend (oft auch mit »süß« die bereits veraltete „Vertreter des
übersetzt) und ehrenvoll ist es, fürs Va¬ Rückschritts; Bildungsfeind“ sind erst
terland zu sterben“ und ist noch auf zu Anfang des 19.Jh.s entstanden. Das
Heldengedenktafeln u. ä. zu finden. Wort gelangte um 1795 als Lehnüberset-

125
dunkeln Teil I

zung für das lateinische vir obscurus ins Vorstellung des Unbekannten, Un¬
Deutsche. Die „Epistolae obscurorum durchschaubaren, noch nicht Erforsch¬
virorum“ - d.h. „Briefe unberühmter ten mit der des von dunkelhäutigen
Männer“, die sogenannten „Dunkel¬ Menschen bewohnten Gebiets. - Ein
männerbriefe“ - waren eine 1516 von Gedicht von Ingeborg Bachmann
deutschen Humanisten um Ulrich von (1926-1973) trägt den Titel „Liebe:
Hutten verfaßte satirische Streitschrift. Dunkler Erdteil“, ebenso ein kleiner
Sie war so formuliert, als ob sie von Gedichtband derselben Autorin.
scholastischen Theologen gegen die er¬
starrte spätmittelalterliche Wissenschaft Durch Abwesenheit glänzen
geschrieben worden sei, und sie persi¬ Diese Redewendung ist eine Überset¬
flierte die dünkelhafte Unwissenheit, zung des französischen briller par son
Heuchelei und Unmoral der fiktiven absence, das der französische Dichter
Schreiber. Marie-Joseph de Chenier (1764-1811)
in seiner Tragödie „Tibere“ (1,1) ver¬
t Im dunkeln tappen wendete. Zugrunde liegt eine Stelle aus
den „Annalen“ des römischen Histori¬
t Die im Dunkeln sieht man nicht kers Tacitus, die von der Bestattung Ju-
nias, der Frau des Cassius und Schwe¬
Dunkler Ehrenmann ster des Brutus, berichtet. Die Bildnisse
Mit diesem Ausdruck bezeichnet man dieser zu den Mördern Julius Cäsars ge¬
einen allgemein für ehrenhaft gehalte¬ hörenden und mit der Verstorbenen ver¬
nen Mann, der es in Wahrheit gar nicht wandten Männer wurden nicht, wie es
ist, dessen Machenschaften jedoch nicht eigentlich römischer Sitte entsprach, vor
recht nachweisbar sind. Der Ausdruck dem Leichenzug hergetragen. Sie fielen
geht auf eine Stelle in Goethes Faust also dadurch auf, daß sie nicht da wa¬
(Faust I, Vor dem Tor) zurück, wo Faust ren. „Sie leuchteten dadurch hervor,
beim sogenannten „Osterspaziergang“ daß man ihre Bildnisse nicht sah“, wie
zum Schüler Wagner von seinem Vater die Übersetzung des lateinischen Origi¬
und von dessen Alchimistenkünsten nals lautet.
spricht. Bei Goethe hat die Kennzeich¬
nung „dunkler Ehrenmann“ noch nicht Durch böser Buben Hand verder¬
die negative Bedeutung von heute. ben
„Dunkel“ wird der Ehrenmann deswe¬ Dies ist ein Vers aus der 1797 entstande¬
gen genannt, weil seine Tätigkeit für den nen Ballade „Die Kraniche des Ibykus“
Uneingeweihten nicht durchschaubar von Friedrich Schiller. Das viele Stro¬
ist, ihm etwas absonderlich erscheinen phen umfassende Gedicht erzählt von
muß. Faust sagt über seinen Vater: dem (im 6. vorchristlichen Jahrhundert
„Mein Vater war ein dunkler Ehren- in Unteritalien lebenden) Dichter Iby¬
mann,/Der über die Natur und ihre kus, der auszieht, um an den zu Ehren
heil'gen Kreise/In Redlichkeit, jedoch Poseidons in Korinth stattfindenden
auf seine Weise,/Mit grillenhafter Mühe Isthmischen Spielen, dem „Kampf der
sann.“ Wagen und Gesänge“, teilzunehmen.
Unterwegs wird er von zwei Mördern
Dunkler Erdteil überfallen und getötet. Als kein Mensch
Im Jahr 1878 veröffentlichte Henry in der Nähe ist, der ihm zu Hilfe eilen
Morton Stanley (1841 -1904) seinen Be¬ könnte, klagt er: „So muß ich hier ver¬
richt über eine Afrikareise unter dem Ti¬ lassen sterben,/Auf fremdem Boden,
tel Through ihe Dark Continent. Im glei¬ unbeweint,/Durch böser Buben Hand
chen Jahr erschien auch die deutsche verderben,/Wo auch kein Rächer mir er¬
Übersetzung „Durch den dunkeln Welt¬ scheint.“ - Das nur noch selten verwen¬
teil“. Bei der Kennzeichnung Afrikas dete Zitat läßt sich heute eher auf Dinge
als des „dunkeln Erdteils“, die danach beziehen, die von Menschen mutwillig
üblich wurde, mischte sich wohl die oder gedankenlos zerstört werden.

126
Teil I ecce

Durch die Wälder, durch die Auen Durch zweier Zeugen Mund wird
Dies ist der Beginn der Arie des Jäger¬ allerwegs die Wahrheit kund
burschen Max aus Carl Maria von Diese Sentenz findet sich in Goethes
Webers (1786-1826) Oper „Der Frei¬ Faust I (Der Nachbarin Haus). Mephi¬
schütz“ mit dem Text von Johann Fried¬ sto will gemeinsam mit Faust den Tod
rich Kind (1768-1843): „Durch die des Mannes der Marthe Schwerdtlein
Wälder, durch die Auen/Zog ich leich¬ bezeugen. Er nimmt damit eine Stelle
ten Muts dahin“ (1,4). Die erste Zeile aus dem Johannesevangelium (8,17)
wird - meist scherzhaft - zitiert, wenn auf: „Auch steht in eurem Gesetz ge¬
man zum Beispiel einen Ausflug in die schrieben, daß zweier Menschen Zeug¬
Natur plant oder von solch einem Aus¬ nis wahr sei.“ Johannes weist damit auf
flug erzählt. das fünfte Buch Moses (19,15) hin, wo
es heißt: „Es soll kein einzelner Zeuge
wider jemand auftreten über irgendeine
Missetat oder Sünde,... sondern in dem
Durch diese hohle Gasse muß er
Mund zweier oder dreier Zeugen soll
kommen
die Sache bestehen.“ Mit dem heute sel¬
Das Zitat stammt aus Teils Monolog in tener gebrauchten Zitat betont man
Schillers Drama „Wilhelm Teil“ (IV, 3), nachdrücklich die Richtigkeit einer
wo die Titelgestalt den Reichsvogt Geß- Aussage, die von zwei Personen über¬
ler erwartet, um ihn zu töten: „Es führt einstimmend bestätigt wird.
kein andrer Weg nach Küßnacht. -
Hier/Vollend ich’s. - Die Gelegenheit
Eine durstige Seele
ist günstig.“ Mit „hohler Gasse“ ist ein
Hohlweg gemeint. Heute wird der Satz Mit dem Ausdruck bezeichnet man je¬
scherzhaft zitiert, wenn man jemandem manden, der immer Durst hat, oder
auflauert oder ihn aus einer bestimmten auch jemanden, der dem Alkohol zu¬
Richtung erwartet. Auch ein übertrage¬ neigt. Es handelt sich ursprünglich um
ner Gebrauch im Sinne von „ein ande¬ ein Bibelzitat aus Psalm 107,8 f., wo von
rer Ausweg, eine andere Handlungswei¬ denen die Rede ist, die sich in der Wüste
se bleibt ihm nicht übrig“ ist denkbar. verirrten, Hunger und Durst litten, und
dann von Gott wieder auf den richtigen
Weg geführt wurden: „... die sollen dem
Herrn danken für seine Güte und für
Durch Heftigkeit ersetzt der Irren¬ seine Wunder, die er an den Menschen¬
de, was ihm an Wahrheit und an kindern tut, daß er sättigt die durstige
Kräften fehlt Seele und füllt die hungrige Seele mit
Gutem.“
Diese sentenzhafte Lebensweisheit
spricht in Goethes Schauspiel „Torqua¬
to Tasso“ (IV, 4) der Staatssekretär An¬
tonio gegenüber dem Dichter Tasso aus.
Er will ihm seinen Wunsch, den Hof des
Fürsten zu verlassen, versagen, da es
Tasso an wirklicher Einsicht und echter
Willenskraft mangele: „Du scheinest
mir in diesem Augenblick/Für gut zu
E
halten, was du eifrig wünschest,/Und
willst im Augenblick, was du begehrst./
Durch Heftigkeit ersetzt der Irren- Ecce, homo!
de,/Was ihm an Wahrheit und an Kräf¬ Dies ist die lateinische Übersetzung ei¬
ten fehlt.“ Das Zitat wird noch gelegent¬ ner Stelle aus dem Johannesevangelium
lich gebraucht, um jemanden zurechtzu¬ (19,5). Ihr entspricht in der Lutherbibel
weisen, der ungestüm und aufbrausend der Ausruf: „Sehet, welch ein Mensch!“
auf einem falschen Standpunkt beharrt. Mit diesen Worten führte Pilatus den

127
Echte Teil I

anklagenden Juden den gegeißelten Je¬ schrift, um die behördliche Postüberwa¬


sus vor. In der Kunst entwickelte sich chung zu täuschen. - Das Zitat kann in
daraus das Ecce-Homo, die Darstellung bildungssprachlichen Kontexten auch
des dornengekrönten Christus. Fried¬ heute noch als Aufruf zum Kampf ge¬
rich Nietzsche (1844-1900) nannte den gen Intoleranz und religiösen Wahn ge¬
Rückblick auf sein Leben und Schaffen braucht werden.
„Ecce homo. Wie man wird, was man
ist.“
Edel sei der Mensch, hilfreich und
gut!
Das Echte bleibt der Nachwelt un¬
Die beiden Anfangszeilen von Goethes
verloren
Gedicht „Das Göttliche“ (erschienen
Das Zitat mit dem Hinweis auf die Un¬ 1785) werden oft in Poesiealben zitiert,
vergänglichkeit echter Kunst stammt gelegentlich auch mit den übrigen Ver¬
aus Goethes Faust I. Im „Vorspiel auf sen der ersten Strophe: „Denn das al-
dem Theater“ äußert sich der Dichter lein/Unterscheidet ihn/Von allen We-
über sein Werk: „Oft, wenn es erst sen,/Die wir kennen.“ Das Gedicht for¬
durch Jahre durchgedrungen,/Erscheint dert uns Menschen auf, uns so zu ver¬
es in vollendeter Gestalt./Was glänzt, ist halten, daß wir den „hohem Wesen“
für den Augenblick geboren;/Das Echte gleichen, daß das Göttliche, das wir an¬
bleibt der Nachwelt unverloren.“ ders nicht erkennen können, in unserem
Tun sichtbar wird.
Ein echter deutscher Mann mag
keinen Franzen leiden
Edle Einfalt, stille Größe
Unpolitisch mag er ja sein, der lustige
Diese Charakterisierung der griechi¬
Zecher Brander in der Szene „Auer¬
schen Kunst durch den Archäologen Jo¬
bachs Keller in Leipzig“ im 1. Teil von
hann Joachim Winckelmann (1717 bis
Goethes „Faust“, denn schließlich hat
1768) stammt aus der vor seiner Romrei¬
er gerade verkündet: „Ein garstig Lied!
se verfaßten Abhandlung „Gedanken
Pfui! Ein politisch Lied“. Das hindert
über die Nachahmung der griechischen
ihn aber nicht, sein nationales Ressenti¬
Werke in der Malerei und Bildhauer¬
ment gegenüber dem Nachbarland
kunst“: „Das allgemeine vorzügliche
Frankreich sehr deutlich zum Ausdruck
Kennzeichen der griechischen Meister¬
zu bringen: „Ein echter deutscher Mann
mag keinen Franzen (= Franzosen) lei- stücke ist endlich eine edle Einfalt und
eine stille Größe, sowohl in der Stellung
den,/Doch ihre Weine trinkt er gern.“
als im Ausdruck.“ Winckelmann be¬
Mit diesen Worten tadelt man heute ei¬
stimmte damit das Schönheitsideal der
nen Menschen, der zu erkennen gibt,
deutschen Klassik. Das verkürzte Zitat
daß er zwar das Ausländische sehr ger¬
ne mag, den Ausländer selbst aber nicht wird heute meist ironisch-spöttisch ge¬
leiden kann. braucht, um auf jemandes Naivität oder
geistige Schlichtheit anzuspielen.

Ecrasez l’infäme!
Das Schlagwort des französischen Phi¬ Ein edler Mann wird durch ein gu¬
losophen Voltaire (1696-1778) gegen tes Wort der Frauen weit geführt
die katholische Kirche - „Rottet den Arkas, der Vertraute des Königs Thoas,
niederträchtigen Aberglauben aus!“ (im gibt in Goethes „Iphigenie auf Tauris“
Original ist am Schluß Superstition zu er¬ (1,2) der Titelheldin den lebensklugen
gänzen) - taucht besonders in den Jah¬ Rat, dem König „freundlich und ver¬
ren 1759- 1768 in seiner Korrespondenz traulich zu begegnen“, denn „Ein edler
mit d’Alembert, Damilaville und Fried¬ Mann wird durch ein gutes Wort/Der
rich dem Großen auf. Voltaire verwen¬ Frauen weit geführt.“ - Das heute eher
det es häufig auch abgekürzt (z. B. in der selten gebrauchte Zitat betont den be¬
Form „Ecrlinf“) statt seiner Unter¬ sänftigenden und lenkenden Einfluß,

128
Teil I ehret

den eine Frau durch Lob und Freund¬ und dein Nacken ist eine eiserne Ader,
lichkeit auf einen Mann ausüben kann. und deine Stirn ist ehern.“

Ein edler Mensch zieht edle Men¬ Ehernes Gesetz


schen an Die dem gehobenen Stil angehörende
In Goethes Schauspiel „Torquato Tas- Formulierung, bei der „ehern“ „unum¬
so“ (1,1) beschreibt Leonore Sanvitale stößlich“ bedeutet, findet sich in Goe¬
mit dieser sentenzhaften Feststellung thes Gedicht „Das Göttliche“: „Nach
gegenüber ihrer Freundin, der Schwe¬ ewigen, eh’rnen./Großen Gesetzen/
ster des Herzogs von Ferrara, das Ver¬ Müssen wir alle/Unseres Daseins/Krei¬
hältnis des Herrscherhauses Este in Fer¬ se vollenden.“ Der Unabänderbarkeit
rara zu Künstlern und Wissenschaftlern, des Schicksals kann der Mensch den¬
die dort am Hof wirkten und wirken: noch etwas entgegensetzen; edler Cha¬
„Ein edler Mensch zieht edle Menschen rakter und richtiges, nützliches Tun un¬
an/Und weiß sie festzuhalten, wie ihr terscheiden ihn von der übrigen Schöp¬
tut./Um deinen Bruder und um dich fung. (Vergleiche auch „Edel sei der
verbinden/Gemüter sich, die euer wür¬ Mensch, hilfreich und gut!“)
dig sind.“ Das Zitat kann in gehobener,
feierlicher Ausdrucksweise die Leistung Ehre, wem Ehre gebührt!
eines Menschen hervorheben, dem es
Die Redensart stammt aus dem Neuen
gelingt, herausragende Persönlichkeiten
Testament. Der Apostel Paulus fordert
im Dienst an einer gemeinsamen Sache
in seinem Brief an die Römer (13,7) Ge¬
zu vereinen.
horsam gegenüber der Obrigkeit: „So
gebet nun jedermann, was ihr schuldig
Eher geht ein Kamel durch ein seid: Schoß (veraltet für: Steuer, Abga¬
Nadelöhr be), dem der Schoß gebührt; Zoll, dem
Die Redensart im Sinne von „es ist so der Zoll gebührt; Furcht, dem die
gut wie unmöglich“ geht auf eine Stelle Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre ge¬
im Neuen Testament (Matthäus 19,24) bührt.“ - Das leicht abgewandelte Zitat
zurück, wo Jesus zu seinen Jüngern sagt: dient im heutigen Sprachgebrauch dazu,
„Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein besondere Anerkennung und Hochach¬
Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher tung auszudrücken. Oft reagiert man da¬
ins Reich Gottes komme.“ Die Bedeu¬ mit auch auf das aus zu großer Beschei¬
tung von Nadelöhr im Zitat selbst ist un¬ denheit erfolgte Zurückweisen einer Eh¬
klar. Entweder könnte damit ein kleines rung und betont damit, daß gerade die
Tor in der alten Jerusalemer Stadtmauer angesprochene Person diese Ehrung in
gemeint sein, oder es könnte eine Ver¬ besonderem Maße verdient hat.
wechslung der Wörter für „Kamel“ und
„Schiffstau“ im Aramäischen vorliegen, Ehret die Frauen! Sie flechten und
wo die entsprechenden Wörter sehr weben himmlische Rosen ins irdi¬
ähnlich sind. sche Leben
Das Zitat besteht aus den ersten beiden
Eherne Stirn Zeilen von Schillers Preisgedicht auf die
In gehobenem übertragenem Sprachge¬ „Würde der Frauen“, in dessen jeweils
brauch sagt man „etwas mit eherner durch daktylisches und trochäisches
(oder: eiserner) Stirn behaupten“ und Versmaß unterschiedenen Strophen ab¬
meint damit soviel wie „etwas unbeirr¬ wechselnd die verschiedene Wesensart
bar, in herausfordernder Weise behaup¬ von Frau und Mann charakterisiert
ten“. Bereits im Alten Testament ist wird. August Wilhelm Schlegel (1767 bis
beim Propheten Jesaja (48,4) von „eher¬ 1845) fühlte sich zu einer Parodie auf
ner Stirn“ im Zusammenhang mit der Schillers Gedicht herausgefordert, de¬
Halsstarrigkeit des Volkes Israel die Re¬ ren Anfang lautet: „Ehret die Frauen!
de: „Denn ich weiß, daß du hart bist, Sie stricken die Strümpfe/Wollig und

129
Ehrfurcht Teil I

warm, zu durchwaten die Sümpfe sen Geistesblitz zuschrieb (eine ähnli¬


Wer das Zitat heute gebraucht, muß che Geschichte erzählt der Kunsthisto¬
darauf gefaßt sein, daß man ihm ein an¬ riker Giorgio Vasari schon 1550 über
tiquiertes Verständnis von der Rolle der den Architekten Filippo Brunelleschi,
Geschlechter zum Vorwurf macht. der ein Menschenalter vor Kolumbus
lebte), aber durch die Verbindung mit
Ehrfurcht vor dem Leben seinem Namen ist die Anekdote bis heu¬
Der Ausdruck geht auf den Missions¬ te bekannt und „das Ei des Kolumbus“
arzt Albert Schweitzer (1875-1965) zu¬ zur festen Fügung geworden.
rück. Über die Entstehung schreibt
Schweitzer in seiner Autobiographie t Wenn ich um jedes Ei so kakelte
„Aus meinem Leben und Denken“:
Eifersucht ist eine Leidenschaft,
„... als wir bei Sonnenuntergang durch
eine Herde Nilpferde hindurchfuhren, die mit Eifer sucht, was Leiden
stand urplötzlich ... das Wort,Ehrfurcht schafft
vor dem Leben1 vor mir.“ Das Zitat Der spanische Dichter Miguel de Cer¬
kann als eine Art oberster Grundsatz vantes Saavedras (1547-1616) verfaßte
einer humanistischen Weltanschauung neben seinem weltbekannten Roman
angesehen werden, als Ausdruck einer „Don Quijote“ auch verschiedene dra¬
umfassenden Achtung von Mensch und matische Werke, darunter neun soge¬
Natur. nannte „Zwischenspiele“, kurze unter¬
haltsame Stücke, die zwischen die Akte
Ehrlicher Makler eines Dramas eingeschoben werden
Der Ausdruck im Sinne von „uneigen¬ konnten. In der Übersetzung von Her¬
nütziger Vermittler“ geht wohl auf einen mann Kurz (1870/71) Finden sich im
Ausspruch des Reichskanzlers Otto von vierten Auftritt des Zwischenspiels „La
Bismarck (1815-1898) zurück, der sich guarda cuydadosa“ („Der wachsame
am 19. 2. 1878 auf dem Berliner Kon¬ Posten“) die auf einen verliebten Solda¬
greß selbst so bezeichnete, wo er zwi¬ ten bezogenen Worte: „O Eifersucht,
schen Rußland einerseits und England Eifersucht, du Leidenschaft, die mit
und Österreich-Ungarn andererseits Eifer sucht, was Leiden schafft.“ Das
vermittelte, um den Balkankonflikt zu Originalzitat O zelos, zelos! Quan mejor
schlichten: „... ich denke sie (= die Mis¬ os llamaran duelos, duelos! bedeutet
sion der Vermittlung des Friedens) mir eigentlich: „O Eifersüchte, Eifersüchte!
bescheidener, ja ... mehr die eines ehrli¬ Wieviel besser nennt man euch Leiden,
chen Maklers, der das Geschäft wirklich Leiden!“
zustande bringen will.“
Eigen Fleisch und Blut
Ei des Kolumbus Der Ausdruck, der heute soviel bedeutet
Der Ausdruck im Sinne von „überra¬ wie „die eigenen Kinder“, findet sich im
schend einfache Lösung“ geht auf eine weiteren Sinne von „Blutsverwandter“
Anekdote in Girolamo Benzonis „Hi- bereits im Alten Testament (1. Moses
storia del mondo nuovo“ aus dem Jahr 37,27). Hier entscheidet sich das
1565 zurück. Danach habe sich Kolum¬ Schicksal des jungen Joseph, den seine
bus bei einem Gastmahl auf eine Be¬ Brüder in eine Grube geworfen haben.
merkung von der angeblich gar nicht so Juda schlägt den anderen vor: „Kommt,
schwierigen Entdeckung Amerikas hin laßt uns ihn den Ismaeliten verkaufen,
ein Ei bringen lassen und dann alle An¬ daß sich unsere Hände nicht an ihm ver¬
wesenden aufgefordert, das Ei auf die greifen; denn er ist unser Bruder, unser
Spitze zu stellen. Niemand konnte das, Fleisch und Blut.“ Die Formulierung
nur Kolumbus brachte das Kunststück betont die Bedeutsamkeit der nahen
zuwege, und zwar dadurch, daß er die verwandtschaftlichen Beziehung mit ei¬
Spitze des Eis eindrückte. Kolumbus ner gewissen Emphase. Man verwendet
war zwar nicht der erste, dem man die¬ sie heute vor allem, wenn von einer Ge-

130
Teil I eine

fährdung dieser Beziehung die Rede ist Eilende Wolken, Segler der Lüfte!
oder von einem Verstoß gegen die „Hei¬
Der Vers wird meist zusammen mit dem
ligkeit“ der Familienbande.
folgenden zitiert: „Wer mit euch wan-
derte, mit euch schiffte!“ und drückt ein
unbestimmtes, oft durch den Anblick
Das eigentliche Studium der
der am Himmel ziehenden Wolken aus¬
Menschheit ist der Mensch
gelöstes Fernweh aus. In Schillers Dra¬
Die Formulierung dieser Erkenntnis ma „Maria Stuart“ (II1,1) gibt die Titel¬
legt Goethe in dem Roman „Die Wahl¬ heldin auf diese Weise ihrer Sehnsucht
verwandtschaften“ der Gestalt der Otti¬ nach Freiheit Ausdruck. Die freien Wol¬
lie in den Mund (2. Teil, VII): „Dem ken sind für sie die einzigen Gesandten,
einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit denen sie Grüße an ihr „Jugendland“
dem zu beschäftigen, was ihn anzieht; Frankreich auftragen kann.
aber ... das eigentliche Studium der
Menschheit ist der Mensch.“ Das be¬ Der eine fragt: Was kommt da¬
deutet, daß dem Menschen keine Mög¬
nach? Der andere fragt nur: Ist es
lichkeit der Erkenntnis über sich hinaus
recht?
gegeben ist, daß diese Erkenntnismög¬
lichkeit aber zugleich seine Aufgabe So beginnt ein Vierzeiler Theodor
und für ihn von größtem Interesse ist, Storms (1817-1888), der dann fortge¬
wie es schon in dem Roman „Wilhelm führt wird: „Und also unterscheidet
Meisters Lehrjahre“ (11,4) heißt: „Der sich/Der Freie von dem Knecht.“ Nach
Mensch ist dem Menschen das Interes¬ dem Ende des 1. Deutsch-Dänischen
santeste und sollte ihn vielleicht allein Krieges war Storms Heimatstadt Hu¬
interessieren.“ - Das Zitat findet sich sum am 1. 8. 1850 von den Dänen be¬
schon in Alexander Popes (1688-1744) setzt worden, die dort ein strenges Regi¬
Lehrgedicht „An Essay on Man“: The ment führten. Storm leistete den däni¬
proper study of mankind is man und da¬ schen Behörden Widerstand, so daß
vor in der Vorrede zum „Traite de la sa¬ ihm seine Bestallung als Rechtsanwalt
gesse“ des französischen Philosophen schließlich entzogen wurde. Auch heute
und Theologen Pierre Charron (1541 bis noch widmen wir diese Verse gerne je¬
1603): La vraie Science et le vrai etude de mandem, der nicht unterwürfig am
l’homme c’est l’homme - „Die wahre Buchstaben von Vorschriften klebt, für
Wissenschaft und das wahre Studium den die Folgen seines Handelns, soweit
des Menschen ist der Mensch.“ Das Zi¬ er sie als mündiges Mitglied eines Ge¬
tat läßt sich heute als Mahnung gegen¬ meinwesens einschätzen kann, viel
über einer Wissenschaft verwenden, die wichtiger sind als die Anpassung an die
in ihrem Forschungsdrang die Bedürf¬ herrschenden Verhältnisse.
nisse und Nöte des Menschen zu sehr
aus den Augen verliert. Das eine tun und das andere nicht
lassen
Die beiden Verben „tun“ und „lassen“
Eigentum ist Diebstahl werden in den verschiedensten Wen¬
Die These, die als radikalsozialistischer dungen in Opposition zueinander ge¬
Slogan auch heute noch verwendet setzt: „tun, was man nicht lassen kann;
wird, findet sich in der Abhandlung tun und lassen können, was man will;
„Qu’est-ce que la propriete?“ („Was ist jemandes Tun und Lassen“. Hierher ge¬
Eigentum?“) des französischen Früh¬ hört auch die Wendung: „das eine tun
sozialisten und Schriftstellers Pierre und das andere nicht lassen“ mit der Be¬
Joseph Proudhon (1809-1865). Damit deutung „beides tun (weil man beides
griff er die bestehende Eigentumsord¬ für gleichermaßen wichtig hält)“. Diese
nung an, wobei er nicht das Prinzip des Wendung läßt sich auf einen Vers des
Privateigentums, sondern dessen unglei¬ Matthäusevangeliums (23,23) zurück¬
che und ungerechte Verteilung meinte. führen. Er lautet: Weh euch, Schriftge-

131
einem Teil I

lehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die Einer kam durch


ihr verzehntet die Minze, Dill und Küm¬ Dies ist der deutsche Titel des britischen
mel und lasset dahinten das Schwerste Kriegsfilms The one that got away von
im Gesetz, nämlich das Gericht, die Roy Baker aus dem Jahr 1957, worin ein
Barmherzigkeit und den Glauben! Dies deutscher Fliegeroffizier (gespielt von
sollte man tun und jenes nicht lassen.“ Hardy Krüger) im Zweiten Weltkrieg in
britische Kriegsgefangenschaft gerät
Einem ist sie die hohe, die himmli¬
und aus verschiedenen Lagern flieht.
sche Göttin, dem andern eine tüch¬ Der Titel wird scherzhaft zitiert, wenn
tige Kuh, die ihn mit Butter ver¬ aus einer Gruppe letztlich nur einer
sorgt übrigbleibt, der das gesteckte Ziel er¬
In dem von Schiller herausgegebenen reicht, oder wenn man mit dem letzten
„Musenalmanach für das Jahr 1797“ Spielstein ein Brettspiel gewinnt.
finden sich unter den „Xenien“ (das
sind zweizeilige, oft satirische Sinnge¬
dichte aus einem Hexameter und einem Einer trage des anderen Last
Pentameter) diese Zeilen mit dem Titel Diese Aufforderung steht im Brief des
„Wissenschaft“. Sie beschreiben den Apostels Paulus an die Galater (6,2), in
Unterschied zwischen einer um ihrer dem der Apostel zu Sanftmut und Hilfs¬
selbst willen mit hohem Anspruch be¬ bereitschaft ermahnt. Zur Begründung
triebenen Wissenschaft und einer nur sagt Paulus im folgenden: „ ...,so werdet
am materiellen Nutzen orientierten ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Das Zi¬
„Brotwissenschaft“. Als Zitat könnten tat kann z. B. als Motto eines Spenden¬
sie zum Beispiel in der Diskussion um aufrufs verwendet werden; gelegentlich
den gesellschaftlichen Stellenwert der kommentiert man damit scherzhaft-iro¬
Wissenschaft, etwa im Hinblick auf nisch jemandes Versuch, seine Aufga¬
deren staatliche Förderung, auch heute ben auf andere abzuwälzen.
gelegentlich verwendet werden.

Einer für alle Einer wie der andere


Das Zitat, eigentlich „einer für viele“ Die heute meist als negative Feststellun¬
(lateinisch: unuspro multis) geht auf das gen gebräuchlichen Formulierungen
5. Buch der „Äneis“ des römischen wie „Da ist einer wie der andere“ (im
Dichters Vergil (70-19 v. Chr.) zurück. - Sinne von „Sie taugen alle nichts“) ge¬
Venus hat für Äneas, den Helden des hen auf ein Bibelzitat zurück. Im 1. Ko¬
Epos, bei Neptun Hilfe erbeten für eine rintherbrief 3,6-8 sagt Paulus von sich
glückliche Überfahrt übers Meer. Nep¬ und dem urchristlichen Missionar Apol¬
tun verspricht, Äneas werde sicher den los : „Ich habe gepflanzt, Apollos hat be¬
Hafen erreichen, einer seiner Gefährten gossen; aber Gott hat das Gedeihen ge¬
aber werde den Tod finden: Unum pro geben. So ist nun, weder der da pflanzt
multis dabitur caput („Ein Haupt wird noch der da begießt, etwas, sondern
für viele geopfert werden“). Als Zitat Gott, der das Gedeihen gibt. Der aber
steht „einer für alle“ als Ausdruck der pflanzt und der da begießt, ist einer wie
Stellvertretung, des Einstehens für an¬ der andere.“
dere in einer Gemeinschaft. Auch erwei¬
tert um die Umkehrung „alle für einen“
findet man es als Wahlspruch, der die Einer zuviel an Bord
Zusammengehörigkeit und das Fürein- Dies ist der Titel eines Kriminalromans
ander-Einstehen in einer Gruppe em¬ von Fred Andreas (geboren 1898, To¬
phatisch zum Ausdruck bringt; so z.B. desdatum unbekannt), in dem es um den
als Motto der „Drei Musketiere“ in dem nach einem Sturm verschwundenen Ka¬
bekannten Roman von Alexandre Du¬ pitän eines Frachtschiffes geht. Das
mas d.Ä. (im französischen Original: Buch wurde 1935 mit Rene Deltgen und
Tous pour un, un pour tous). Willy Birgel verfilmt. Meist im Scherz

132
Teil I
eins

wird dieser Titel noch zitiert, wenn man Wir benutzen ihn zur scherzhaft-spötti¬
beispielsweise jemandem zu verstehen schen Bezeichnung eines Menschen, der
geben will, daß er überflüssig ist, daß er seinen Gesundheitszustand fortwäh¬
augenblicklich stört. rend ängstlich beobachtet und schon ge¬
ringfügige Beschwerden als ernste
Eines schickt sich nicht für alle! Krankheitssymptome deutet.
Die Redensart ist der Schlußstrophe
von Goethes Gedicht „Beherzigung“ Einigkeit und Recht und Freiheit
entnommen, die gelegentlich in Poesie¬
Der Sorge über die Zersplitterung
alben zitiert wird: „Eines schickt sich
Deutschlands in viele Kleinstaaten gab
nicht für alle!/Sehe jeder, wie er’s trei¬
der Germanist und Lyriker August
be,/Sehe jeder, wo er bleibe,/Und wer
Heinrich Hoffmann von Fallersleben
steht, daß er nicht falle.“ Die erste Zeile
(1798-1874) in seinem am 26. 8. 1841
könnte auf Marcus Tullius Ciceros
auf Helgoland verfaßten Gedicht „Das
(106-43 v. Chr.) Rede „Pro Roscio
Lied der Deutschen“ Ausdruck. Der zi¬
Amerino“ (42,122) zurückgehen, in der
tierte Vers ist der Anfang der 3. Strophe,
er sagt: Non in omnes arbitror omnia con-
er wird dann noch einmal wiederholt.
venire („Ich finde nicht, daß sich alles
Seit 1952 wird in der Bundesrepublik
für alle schickt“). Der letzten Zeile liegt
Deutschland diese 3. Strophe als offi¬
ein Bibelzitat zugrunde. Im 1. Brief an
zielle Hymne gesungen. Vergleiche dazu
die Korinther (10,12) schreibt Paulus
auch „Deutschland, Deutschland über
die warnenden Worte: „Darum, wer
alles“.
sich läßt dünken, er stehe, mag wohl Zu¬
sehen, daß er nicht falle.“ - Heute wird
Eins ist not, ach Herr, dies eine
„Eines schickt sich nicht für alle“ noch
gebraucht, wenn man unterschiedliche Im 10. Kapitel des Lukasevangeliums
Verhaltensweisen von Menschen apo¬ wird erzählt, daß Jesus bei Martha zu
strophiert, die nicht alle nach demsel¬ Gast ist. Diese beschwert sich, daß sie
ben Schema zu beurteilen sind. alle Arbeit alleine machen müsse, wäh¬
rend ihre Schwester Maria nur dasitze
Einesteils der Eier wegen und ihm zuhöre. Jesus weist sie mit den
Das Zitat stammt aus Wilhelm Büschs Worten zurecht: „Martha, Martha, du
(1832-1908) „Max und Moritz. Eine hast viel Sorge und Mühe; eins aber ist
Bubengeschichte in sieben Streichen.“ not. Maria hat das gute Teil erwählt“
Die Zeile steht zu Beginn des „Ersten (Lukas 10,41-42). Nach dieser Bibel¬
Streichs“ in folgendem Kontext: „Man¬ stelle dichtete Johann Heinrich Schrö¬
der (1666-1699) den Text zu einem Kir¬
cher gibt sich viele Müh’/Mit dem lie¬
chenlied, der beginnt: „Eins ist not, ach
ben Federvieh ;/Einesteils der Eier we¬
Herr, dies eine,/lehre mich erkennen
gen, /Welche diese Vögel legen“, woran
dich!“ Der erste Vers des Liedes wird
anschließend weitere Gründe für die
manchmal zitiert, wenn man scherzhaft
Hühnerhaltung folgen. Als scherzhaft
andeuten will, daß etwas Bestimmtes
ausweichende Antwort auf die Frage,
unbedingt getan werden muß oder eine
warum man etwas tut oder wünscht, ist
bestimmte Sache dringend benötigt
das Zitat gebräuchlich geworden. Man
wird. Im gleichen Sinne wird auch der
deutet damit zum einen an, daß es eine
Anfang des Evangeliumverses („Eins
ganze Reihe von guten Gründen gibt,
aber ist not“) verwendet.
und zum andern, daß diese Gründe et¬
was mit einem materiellen Nutzen zu
tun haben. Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt
läuft die Zeit; wir laufen mit
Der eingebildete Kranke Das muß Tobias Knopp im letzten Teil
So lautet der deutsche Titel der Komö¬ der Knopp-Trilogie von Wilhelm Busch
die Le malade imaginaire des französi¬ (1832-1908) feststellen, wenn er seine
schen Dichters Moliere (1622-1673). Tochter Julchen betrachtet, die - eben

133
einsam Teil I

noch ein wohlgenährter Säugling - zum dem Versanfang angedeutet, daß der
pausbackigen Kleinkind herangewach¬ Zeitpunkt kommen wird, an dem etwas
sen ist. Mit diesem Zitat deutet man an, Entscheidendes geschieht.
wie schnell die Zeit vergeht und wie
rasch wir uns verändern. Ein einz’ger Augenblick kann alles
umgestalten
Einsam bin ich, nicht alleine
Diese Erfahrung hat Christoph Martin
Die Verszeile stammt aus dem Drama
Wieland (1733-1813) in seinem roman¬
„Preciosa“, das Pius Alexander Wolff tischen Epos „Oberon“ im 7. Gesang,
(1782-1828) nach der Novelle „Das Zi¬
Stanze 75 (der Fassung von 1784 in 12
geunermädchen von Madrid“ von Cer¬
Gesängen) sentenzhaft formuliert. Die
vantes verfaßte und zu dem Carl Maria
mit ihrem Geliebten Hüon auf eine ein¬
von Weber die Musik schrieb. Als Zitat
same Insel verschlagene Rezia - Aman¬
bekundet es eine positive Einstellung
da, wie sie nach ihrer Taufe heißt -
zur Einsamkeit, die nicht Verlassenheit
wehrt mit diesem Ausspruch Hüons
und Unglücklichsein bedeuten muß. -
Klagen über ihr Elend ab, weil sie nicht
Den gleichen Gedanken findet man in
an die Sinnlosigkeit alles bisher Ertrage¬
dem Lied des Harfenspielers in Goethes
nen glauben kann. Man zitiert die Zeile
„Wilhelm Meister“. Dort heißt es: „Und
heute sowohl als Ausdruck der Hoff¬
kann ich nur einmal/Recht einsam
nung in schwieriger Lage als auch als
sein,/Dann bin ich nicht allein.“
Warnung in einer zwar günstigen, aber
noch nicht gesicherten Situation.
T Freiheit ist Einsicht in die Not¬
wendigkeit
t Vom Eise befreit sind Strom und
Einst haben die Kerls auf den Bäu¬ Bäche
men gehockt
Mit den Zeilen „Einst haben die Kerls Die t höchste Eisenbahn
auf den Bäumen gehockt,/behaart und
mit böser Visage“ beginnt das Gedicht Der Eiserne Vorhang
„Die Entwicklung der Menschheit“ von
Mit diesem Ausdruck bezeichnete man
Erich Kästner (1899-1974). Es spielt
nach dem Ende des 2. Weltkriegs aus
auf die stammesgeschichtliche Ver¬
westlicher Sicht die Grenze zu den am
wandtschaft des Menschen mit dem
politischen und wirtschaftlichen System
Affen an und wird bei einer eher skep¬
der Sowjetunion orientierten osteuro¬
tischen Betrachtung der menschlichen
päischen Staaten, - eine Grenze, die die
Entwicklung zitiert.
Einblicknahme in die östlichen Verhält¬
nisse verhinderte. Es handelt sich dabei
Einst wird kommen der Tag um die bildliche Verwendung der Be¬
An zwei verschiedenen Stellen der zeichnung für den feuersicheren Ab¬
„Ilias“, dem Epos des altgriechischen schluß der Theaterbühne gegen den Zu¬
Dichters Homer (wohl 8.Jh. v. Chr.) schauerraum, der „eiserner Vorhang“
über die 51 entscheidenden Tage des genannt wird (wohl eine Lehnüberset¬
Trojanischen Krieges, finden wir die zung des englischen iron curtain). Durch
Verse: „Einst wird kommen der Tag, da die Reden des britischen Politikers Win-
die heilige Ilios (= Troja) hin¬ ston Churchill in den Jahren 1945 und
sinkt,/Priamos selbst und das Volk des 1946 fand der Ausdruck bald weite Ver¬
lanzenkundigen Königs!“ Einmal breitung.
spricht sie Agamemnon, der König von
Mykene, zu seinem Bruder Menelaos
T Mit eisernem Zepter
(IV, 164f.), das zweite Mal kommen sie
aus dem Munde des trojanischen Hel¬
den Hektor (VI, 448 f.). Heute wird mit t Wie eiskalt ist dies Händchen

134
Teil I Endstation

t Denn die Elemente hassen das Praktiken staatlicher Institutionen dar¬


Gebild von Menschenhand stellt. Er wird gewöhnlich zitiert, wenn
man das - oftmals unerwartete - Ende
Elfenbeinturm einer Entwicklung, den Abbruch eines
Vorhabens kommentieren will.
Dieser Ausdruck für die selbstgewählte
Isolation - besonders eines Künstlers
Ein Ende mit Schrecken
oder Wissenschaftlers, der in seiner ei¬
genen Welt lebt, ohne sich um Gesell¬ Von den „Gottlosen“ wird im Alten Te¬
schaft und Tagesprobleme zu küm¬ stament in Psalm 73,19 gesagt: „Wie
mern - ist eine Lehnübersetzung des werden sie so plötzlich zunichte! Sie ge¬
französischen tour d’ivoire. Er geht auf hen unter und nehmen ein Ende mit
den französischen Literaturkritiker und Schrecken.“ Auch heute noch bezeich¬
Schriftsteller Charles-Auguste Sainte- nen wir einen schrecklichen, schlimmen
Beuve (1804-1869) zurück. Sainte- Ausgang, den etwas nimmt, mit diesen
Beuve schrieb über den französischen Worten. Sie finden sich ebenfalls in der
romantischen Dichter Alfred de Vigny Redensart „Lieber ein Ende mit Schrek-
(1797-1863) in einem in Verse gefaßten ken als ein Schrecken ohne Ende“ (sie¬
Brief, dieser habe sich noch vor dem Er¬ he auch diesen Artikel).
reichen seines schöpferischen Höhe¬
punkts gleichsam in seinen Elfenbein¬
... t und kein Ende
turm zurückgezogen (französisch ... et
Endlich naht sich die Stunde
Vigny .../Comme en sa tour d’ivoire ... se
rentrait). Der Vergleich enthält eine An¬ Dies sind die Anfangsworte der bekann¬
spielung auf das Hohelied Salomos im ten Arie der Susanna im 4. Akt von Mo¬
Alten Testament, wo es über die Gelieb¬ zarts Oper „Figaros Hochzeit“ (urauf-
te heißt (7,5): „Dein Hals ist wie ein geführt am 1. 5. 1786 in Wien). Susanna
elfenbeinerner Turm.“ ist glücklich, denn der ehelichen Verei¬
nigung mit dem geliebten Figaro scheint
Elysium nun nichts mehr im Wege zu stehen.
Zitiert werden diese Worte heute als
t Gefilde der Seligen
Ausdruck der Freude darüber, daß nach
einer langen Zeit des Wartens ein er¬
Das Ende der Neuzeit
sehntes Ereignis eintritt, daß endlich der
So hat der deutsche Theologe und Reli¬ herbeigewünschte Zeitpunkt gekommen
gionsphilosoph italienischer Herkunft ist.
Romano Guardini (1885-1968) sein
1950 erschienenes Buch überschrieben. Endstation Sehnsucht
Der Titel nimmt Bezug auf das Ende des So lautet der deutsche Titel eines 1947
2. Weltkriegs und die nachfolgende hi¬ uraufgeführten Schauspiels des ameri¬
storisch-politische Entwicklung. Gele¬ kanischen Dramatikers Tennessee Wil¬
gentlich wird er heute noch zitiert, um liams (1911-1983). Der englische Titel
auszudrücken, daß 1945 die sich dem ist A Streetcar Named Desire („Eine
Mittelalter anschließende geschichtli¬ Straßenbahn namens Sehnsucht“). Das
che Epoche der Neuzeit zu Ende gegan¬ Stück über eine Frau, die an ihrer
gen ist und ein neuer Zeitabschnitt be¬ Schuld am Selbstmord ihres Mannes
ginnt, der von der Polarität zwischen und an der Unbarmherzigkeit ihrer Mit¬
Ost und West und dem Emanzipations¬ menschen zerbricht, wurde 1951 von
streben der Völker Afrikas, Asiens und Elia Kazan mit Vivien Leigh und Mar¬
Südamerikas geprägt wird. lon Brando verfilmt. Mit dem Zitat wird
scherzhaft-ironisch kommentiert, daß
Ende einer Dienstfahrt jemand das Ziel seiner Wünsche nicht
Dies ist der Titel einer 1966 erschiene¬ erreicht hat und am Ende aller Bemü¬
nen Erzählung von Heinrich Böll, die hungen nur ein - nicht zu stillendes -
eine ironisch verkleidete Kritik an den schmerzliches Verlangen übrigbleibt.

135
Engelszungen Teil I

t Mit Engelszungen nal heißt es: He thinks too much. Such


men are dangerous; 1,2). Ein solches Ur¬
Entbehren sollst du, sollst entbeh¬ teil hört man auch heute noch häufig
ren! über Leute, die sich ihre eigenen Gedan¬
ken machen und nicht autoritätsgläubig
Mit bitteren Worten läßt Goethe seinen
sind. Scherzhaft wird das Zitat gelegent¬
Faust im ersten Teil des Dramas der Er¬
lich auch auf jemanden bezogen, der zu
kenntnis Ausdruck geben, daß jedes
viel grübelt und hinter allem einen tiefe¬
befriedigte Bedürfnis neue Wünsche
ren Sinn sucht.
weckt. Faust glaubt auch nicht, daß das
Leben überhaupt in irgendeiner Form
seinem Sehnen und Wünschen eine Be¬ Er, der herrlichste von allen
friedigung zu gewähren vermag. „Was Mit dieser Zeile beginnt das zweite Ge¬
kann die Welt mir wohl gewähren?“ dicht aus dem Liederkreis „Frauenliebe
fragt er zu Beginn der 2. Studierzimmer¬ und -leben“ von Adelbert von Chamisso
szene. Resignierend gibt er selbst die (1781-1838). Der Zyklus, lyrischer Aus¬
Antwort: „Entbehren sollst du! Sollst druck einer hingebungsvollen Liebe aus
entbehren!“ Man zitiert diesen Ausruf, der Sicht einer Frau, wurde besonders
wenn man jemandem (mit einem gewis¬ durch die Vertonung von Robert Schu¬
sen Pathos) sagen will, daß der Sinn des mann bekannt. Das Zitat aus dem zwei¬
Lebens nicht darin liegen kann, alles zu ten Gedicht wird zur Charakterisierung
erlangen, was man glaubt, unbedingt eines Mannes heute wohl nur noch iro¬
haben zu müssen. nisch oder scherzhaft gebraucht.

Enthaltsamkeit ist das Vergnügen


an Sachen, welche wir nicht krie¬ Er lebte, nahm ein Weib und starb
gen Dieser oft zitierte Spruch ist die letzte
Diese Erkenntnis legt Wilhelm Busch Zeile des Gedichts „Der Greis“ von
(1832-1908) einem Weisen in seinem Christian Fürchtegott Geliert (1715 bis
Gedicht „Der Flaarbeutel“ in den 1769), dem volkstümlichsten Dichter
Mund. Mit hintergründigem Humor der Aufklärung. In dem Gedicht besingt
wird hier die Lebenserfahrung formu¬ Geliert fünf Strophen lang einen Greis,
liert, daß uns oft nur übrigbleibt, so zu von dem es im Grunde nichts Nennens¬
tun, als wollten wir etwas Begehrens¬ wertes zu berichten gibt, und er beendet
wertes gar nicht haben. Wir müßten ja den Lobgesang mit den scherzhaft-iro¬
sonst zugeben, daß wir überhaupt nicht nischen Zeilen: „Hört, Zeiten, hört’s! Er
in der Lage sind, es in unseren Besitz zu ward geboren,/Er lebte, nahm ein Weib
bringen. und starb.“

T Da steh’ ich, ein entlaubter Er nennt’s Vernunft und braucht’s


Stamm! allein, nur tierischer als jedes Tier
zu sein
Eine Tgroße Epoche hat das Jahr¬
Das vernichtende Urteil über das, was
hundert geboren; aber der große
die Menschen im Namen der Vernunft
Moment findet ein kleines Ge¬
anrichten, äußert Mephisto gegenüber
schlecht
Gott in Goethes Faust I (Prolog im
Himmel). Mephisto meint sogar: „Ein
Er denkt zuviel: die Leute sind ge¬
wenig besser würd’ er leben,/Hätt’st du
fährlich ihm nicht den Schein des Himmelslichts
Zu Recht äußert Julius Cäsar in Shake¬ gegeben.“ Das Zitat wird auch heute
speares gleichnamiger Tragödie (ver¬ noch gelegentlich verwendet, um mit
mutlich 1599 entstanden) so sein Mi߬ scheinbar rationalen Begründungen
trauen gegenüber Cassius, einem seiner verbrämte Grausamkeiten anzupran¬
späteren Mörder (im englischen Origi¬ gern.

136
Teil I Erde

Er soll dein Herr sein berichtet, wird die Situation des Famili¬
Mit diesem Bibelwort aus der Geschich¬ envaters geschildert, der bei allen Verlu¬
te der Verfluchung des ersten Men¬ sten, die er erlitten hat, beglückt fest¬
schenpaares nach dem Sündenfall stellt, daß keines der Familienmitglieder
(1. Moses 3,16), das etwas über das Ver¬ zu Schaden gekommen ist. Die Stelle
hältnis von Mann und Frau aussagt, ist lautet: „Ein süßer Trost ist ihm geblie¬
immer wieder gegen eine gleichberech¬ ben :/Er zählt die Häupter seiner Lie¬
tigte Stellung der Frauen argumentiert ben, /Und sieh! Ihm fehlt kein teures
worden. Es wird heute aber wohl eher Haupt.“ Heute wird die Zeile meist in
scherzhaft zum Thema Gleichberechti¬ weniger ernsten Zusammenhängen zi¬
gung von Mann und Frau zitiert. tiert, etwa wenn jemand überprüft, ob
eine Gruppe vollzählig ist o.ä. Scherz¬
Er war ein Mann, wir werden nim¬ haft übertragen gebraucht wird das Zi¬
tat auch bei der Überprüfung des In¬
mer seinesgleichen sehen
halts einer Geldbörse, wobei damit an¬
Dieses Zitat stammt aus Shakespeares gedeutet werden soll, daß diese nicht
Drama „Hamlet“ (1,2). Hamlet spricht sonderlich gut bestückt ist. Eine scherz¬
zu seinem Freund Horatio voller Hoch¬ hafte Abwandlung des Zitats lautet: „Er
achtung über seinen ermordeten Vater zählt die Häupter seiner Lieben, und
und charakterisiert ihn mit den Worten: sieh! Es waren acht statt sieben.“
„Er war ein Mann; nehmt alles nur in
allem ;/Ich werde nimmer seinesglei¬
Es erben sich Gesetz’ und Rechte
chen sehn.“ Im englischen Original: He
wie eine ew’ge Krankheit fort
was a man, take him for all in alljl shall
not look upon his like again. Mit dem ver¬ Mit diesen Worten kommentiert in Goe¬
kürzten Zitat bekundet man seine be¬ thes Faust (Teil I, Studierzimmer) der
sondere Anerkennung oder Bewunde¬ als Faust verkleidete Mephisto auf seine
rung gegenüber einem Verstorbenen. Weise das Thema Rechtsgelehrsamkeit,
Die zweite Hälfte der ersten Zeile nachdem der eifrig beflissene Schüler
(„Nehmt alles nur in allem“) wird unab¬ Wagner geäußert hatte, daß er zu dieser
hängig vom Textzusammenhang zitiert, Fakultät sich „nicht bequemen“ könne.
um ein - meist positives - Urteil einzu¬ Die im Zusammenhang mit juristischen
leiten, zu dem man nach sorgfältiger Fragen, der Juristerei als Lehrfach oder
Überlegung und nach Abwägung aller ausgeübter Tätigkeit gerne scherzhaft-
Fakten und Umstände gekommen ist. spöttisch zitierten Worte lauten im Zu¬
sammenhang: „Ich weiß, wie es um die¬
Er war von je ein Bösewicht se Lehre steht./Es erben sich Gesetz’
und Rechte/Wie eine ew’ge Krankheit
Die Aussage über den Bösewicht, die
fort;/Sie schleppen von Geschlecht sich
man wohl nur im Scherz noch auf je¬
zu Geschlechte/Und rücken sacht von
manden anwendet, lautet vollständig:
Ort zu Ort./Vernunft wird Unsinn,
„Er war von je ein Bösewicht;/Ihn traf
Wohltat Plage...“
des Himmels Strafgericht!“ Sie stammt
aus der Oper „Der Freischütz“ (III,6)
von Carl Maria von Weber (1786-1826) t Wieviel Erde braucht der
mit dem Text von Johann Friedrich Mensch?
Kind (1768-1843) und bezieht sich dort
auf den Jägerburschen Kaspar, dem Der Erde Gott, das Geld
sein Pakt mit dem Teufel letztlich zum Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬
Verhängnis wird. dicht „An die Freunde“ (1802). In der
dritten Strophe heißt es, bezogen auf
Er zählt die Häupter seiner Lieben das rege Handels- und Geschäftsleben
Dies ist eine Zeile aus Schillers Gedicht in London: „Und es herrscht der Erde
„Das Lied von der Glocke“. In dem Ab¬ Gott, das Geld.“ Mit dem Zitat wird
schnitt, der von einer Brandkatastrophe heute kritisch zum Ausdruck gebracht,

137
Erde Teil I

daß das Geld im Leben oft eine zentrale, tGroße Ereignisse werfen ihre
allzu wichtige Rolle spielt. Schatten voraus

t Was du ererbt von deinen Vätern


Die Erde hat mich wieder
hast, erwirb es, um es zu besitzen
Mit Erleichterung oder auch nur im
Scherz haben sicher schon viele, die ge¬ Vor den Erfolg haben die Götter
rade ein Flugzeug verlassen haben oder den Schweiß gesetzt
von einem Schiff an Land gegangen
T Ohne Fleiß kein Preis
sind, dieses Zitat gebraucht. Aber auch
auf manchen, der sich aus irgendwel¬
Ergo bibamus!
chen Träumen oder Phantasien plötz¬
lich in die harte Realität zurückversetzt Durch ein Trinklied von Goethe mit
fühlte, wurde der Ausspruch schon an¬ dem Titel „Ergo bibamus!“, auf deutsch
gewendet. Er stammt aus Goethes Faust „Also laßt uns trinken!“, fand dieser
(Teil I, Nacht). Faust ist, nachdem er Trinkspruch, der schon im Mittelalter
vergebens das Zeichen des Makrokos¬ bekannt war, allgemeine Verbreitung. In
mos geschaut hat und vom Erdgeist zu¬ diesem Lied mit der Anfangszeile „Liier
rückgewiesen worden ist, in seinem Er¬ sind wir versammelt zu löblichem Tun“
kenntnisstreben an einem Punkt ange¬ wird der Spruch kehrreimartig mehr¬
langt, wo er verzweifelt zur Giftphiole fach wiederholt. Heute wird er wohl
greift. Am letzten Schritt wird er dann vorwiegend noch in studentischen Ver¬
durch den „Chor der Engel“ gehindert, bindungen gebraucht.
die den Ostermorgen ankündigen
(„Christ ist erstanden“), und am Ende TVom Erhabenen zum Lächerli¬
dieser Szene kann er schließlich ausru- chen ist nur ein Schritt
fen: „O tönet fort, ihr süßen Himmels¬
liederl/Die Träne quillt, die Erde hat Erhebe dich, du schwacher Geist
mich wieder!“ Diese ermunternde Aufforderung an ei¬
nen andern oder auch an sich selbst,
endlich aufzustehen, zu einem Ent¬
Die Erde sei dir leicht! schluß zu kommen, sich zu etwas aufzu¬
Dieser Ausspruch kommt als Grab¬ raffen o. ä., ist die scherzhafte Abwand¬
spruch in verschiedenen Varianten vor, lung der Anfangszeile eines geistlichen
zum Beispiel „Leicht sei dir die Erde!“ Liedes. Es handelt sich dabei um ein
oder „Möge dir die Erde leicht sein!“ In Weihnachtslied des evangelischen Pfar¬
der lateinischen Form lautet er: Sit terra rers und Dichters des Frühbarock Jo¬
tibi levis! Er ist seit der Antike auf Grab¬ hann Rist (1607-1667), das auch im
steinen zu lesen und geht zurück auf ei¬ „Evangelischen Kirchengesangbuch“
ne Stelle im 2. Elegienbuch des römi¬ (Nr. 24) enthalten ist. Das Lied beginnt
schen Dichters Tibull (um 50-um 70 mit den Worten: „Ermuntre dich, mein
v. Chr.). Bezogen auf ein Mädchen, des¬ schwacher Geist...“ Diese Anfangszeile
sen man nach seinem Tod noch lange in wird selbst auch noch in ähnlicher Wei¬
Verehrung gedenkt, heißt es dort: Terra se verwendet wie die später daraus ent¬
securae sit super ossa levis, auf deutsch: standene Abwandlung.
„Die Erde sei der Geborgenen über den
Gebeinen leicht.“ Die Erinnerung ist das einzige Pa¬
radies, aus dem wir nicht vertrie¬
t Denn du bist Erde und sollst zu ben werden können
Erde werden Dieser etwas wehmütig klingende Aus¬
spruch verklärt die Erinnerung und gibt
gleichzeitig den indirekten Hinweis auf
t Dieser Erdenkreis gewährt noch die Härte und Unausweichlichkeit der
Raum zu großen Taten Realität. Er stammt aus den „Impromp-

138
Teil I erlaubt

tus für Stammbücher“ von Jean Paul nes; er weiß nicht, daß der Schuldige,
(1763-1825). Die vollständige Sentenz Hugo von Oerindur, in Wahrheit sein
lautet im Original: „Die Erinnerung ist Sohn ist, verspürt aber dennoch einen
das einzige Paradies, aus welchem wir Widerstreit seiner Gefühle: „Und - er¬
nicht getrieben werden können. Sogar klärt mir, Oerindur,/Diesen Zwiespalt
die ersten Eltern waren nicht daraus zu der Natur!/Bald möchf im Blut sein Le¬
bringen.“ ben/Schwinden sehn, bald ihm verge¬
ben.“
Erisapfel
t Zankapfel Erlaubt ist, was gefällt
Dieser Ausspruch, meist mit leichter
Erkenne dich selbst Ironie oder als Ausdruck der Resignati¬
Im 6.Jh. v. Chr. gab es in Griechenland on gegenüber dem Zeitgeschmack zi¬
eine Reihe von Staatsmännern und Phi¬ tiert, stammt aus dem Schauspiel „Tor¬
losophen, die später (zum ersten Mal im quato Tasso“ (11,1) von Goethe. Mit
4. Jh. v. Chr. von Platon) als die „Sieben ihm korrespondiert ein zweiter, der den
ersten variiert, ihn einschränkt und
Weisen“ bezeichnet wurden. Einem die¬
ser Sieben Weisen (genannt werden u. a. meist auch als eine Art Antwort auf den
Chilon von Sparta, Solon von Athen, ersten zitiert wird. Er hat auch im Dra¬
ma, wo er in der gleichen Szene vor¬
Thaies von Milet) wird der Aufruf „Er¬
kommt, eine ähnliche Funktion. Er lau¬
kenne dich selbst“ (griechisch rvmdi
tet: „Erlaubt ist, was sich ziemt.“ In ei¬
aeavröv, lateinisch Nosce te ipsum) zu¬
nem längeren Dialog zwischen Tasso
geschrieben. Er stand als Inschrift über
und der Prinzessin Leonore von Este ge¬
dem Eingang des heute zerstörten Apol¬
rät Tasso ins Schwärmen von einer ver¬
lotempels in Delphi. Die Erkenntnis,
gangenen „goldenen Zeit“, wo Mensch
nur ein Mensch zu sein, sollte die Ehr¬
und Tier in einer Art paradiesischem
furcht vor der Gottheit steigern. Platon
Urzustand noch in uneingeschränkter
(etwa 428-347 v. Chr.) läßt später in sei¬
Freiheit leben und wirken konnten und
nem Dialog „Hipparchos“ Sokrates die¬
wo Jedes Tier, durch Berg und Täler
sen Sinnspruch zitieren. Er wird nun in
schweifend,/Zum Menschen sprach:
erweitertem Sinn verstanden. Selbster¬
Erlaubt ist, was gefällt.“ Die Prinzessin
kenntnis wird als Vorbedingung gese¬
holt den begeisterten Tasso mit dem
hen, als Ausgangspunkt aller mensch¬
Hinweis auf die für den Menschen not¬
lichen Weisheit.
wendige Gesittung auf den Boden der
Realität zurück: „Nur in dem Wahl¬
Erkläret mir, Graf Oerindur, die¬ spruch ändert sich, mein Freund,/Ein
sen Zwiespalt der Natur einzig Wort: Erlaubt ist, was sich
Diese gelegentlich noch als scherzhafte ziemt.“ Auf einen Einwand Tassos hin
Floskel verwendete Bitte um Aufklä¬ erläutert sie ihm schließlich auch, wer
rung eines widersprüchlichen Sachver¬ dabei das Maß setzt, wer die richtige
haltes geht auf eines der heute nicht Entscheidung fällt, wenn es um Sitte
mehr gespielten Schicksalsdramen des und Gesittung geht: „Willst du genau
Schriftstellers Adolf Müllner (1774 bis erfahren, was sich ziemt,/So frage nur
1829) zurück. Das Stück mit dem Titel bei edlen Frauen an.“ Auch dieser Aus¬
„Die Schuld“, das 1813 uraufgeführt spruch wurde zum geflügelten Wort, das
wurde und damals häufig auf den Spiel¬ heute allerdings wohl vorwiegend in
plänen der deutschen Theater stand, scherzhafter Weise zitiert wird und da¬
spielt an der Küste der skandinavischen bei als charakteristischer Hinweis auf
Halbinsel auf der Stammburg des Ge¬ die Stellung der Frau in der Goethezeit
schlechts der Grafen Oerindur. Das Zi¬ und die ihr zugedachte Rolle dienen
tat stammt aus der fünften Szene im kann. Die Prinzessin beendet ihre Aus¬
2. Akt des Dramas. Don Valeros sucht führung mit dem Satz: „Nach Freiheit
den Mörder seines vermeintlichen Soh¬ strebt der Mann, das Weib nach Sitte.“

139
erlaubt Teil I

Erlaubt ist, was sich ziemt unkluge.“ Die auch im englischen


Sprachraum üblich gewordene sprich¬
t Erlaubt ist, was gefällt
wörtliche Redensart (To err is human)
erfuhr im 18. Jh. eine Erweiterung. Der
Ermuntre dich, mein schwacher
englische Dichter der Aufklärung Alex¬
Geist ander Pope (1688-1744) prägte in sei¬
t Erhebe dich, du schwacher Geist nem „Essay on criticism“ („Versuch
über die Kritik“) die Sentenz: To err is
Ernst ist das Leben, heiter ist die human, to forgive divine, die auch im
Kunst Deutschen üblich wurde: „Irren ist
Dieser klassische Ausspruch über das menschlich, vergeben göttlich“.
Verhältnis von Leben (oder Wirklich¬
keit) und Kunst wird in Zusammenhän¬ Erreicht den Hof mit Müh und Not
gen zitiert, in denen von den Aufgaben Diese Gedichtzeile aus einer der be¬
der Kunst, ihrem die Wirklichkeit ästhe¬ kanntesten Balladen von Goethe, dem
tisch überhöhenden Charakter gespro¬ „Erlkönig“, wird heute meist als eine
chen wird. Der Spruch, der sicherlich Art scherzhafter Stoßseufzer von jeman¬
manchen Eingang zu Theatern und Mu¬ dem gebraucht, der gerade noch zur
seen ziert, stammt aus Schillers Trilogie rechten Zeit irgendwo eintrifft, der sein
„Wallenstein“. Mit ihm schließt der Ziel in letzter Minute noch erreicht o. ä.
Prolog zu „Wallensteins Lager“. Theo¬ Im Gedicht selbst wird mit dieser vor¬
dor W. Adorno hat sich in seiner letzten Zeile der dramatischen Schlu߬
„Ästhetischen Theorie“ (1970 postum strophe beim Leser die Hoffnung er¬
erschienen) kritisch auf das geflügelte weckt, daß der Vater nach dem unheim¬
Wort bezogen: „Der Bürger wünscht die lichen Ritt durch die Nacht sein Kind
Kunst üppig und das Leben asketisch; doch noch unbeschadet nach Hause ge¬
umgekehrt wäre es besser.“ bracht habe, bevor mit der Schlußzeile
die Hoffnung zunichte gemacht wird:
t So ernst mein Freund? Ich kenne „In seinen Armen das Kind war tot.“
dich nicht mehr (Vergleiche auch „Wer reitet so spät
durch Nacht und Wind“.)
Errare humanum est
Errötend folgt er ihren Spuren
Die heute übliche, knappe lateinische
Fassung dieser sprichwörtlichen Re¬ Diese immer wieder in meist scherzhaft¬
densart, die auch in der deutschen Form anzüglicher Weise zitierten Worte stam¬
„Irren ist menschlich“ gebraucht wird, men aus Schillers „Lied von der Glok-
ist in der Antike nicht belegt. Sie geht ke“. Sie gelten dort in dem Abschnitt
vermutlich auf den lateinischen Kir¬ des Gedichts, der Kindheit und Jugend
chenvater Hieronymus (um 347-419 beschreibt, dem herangewachsenen
oder 420) zurück. In einem seiner Briefe Jüngling und seiner ersten Liebe. -
(„Epistulae“ 57,12) heißt es: ... quia et Ebenso verhält es sich mit den kurz da¬
errasse humanum est et confiteri errorem nach folgenden Zeilen „O zarte Sehn¬
prudentis, auf deutsch: „... weil es so¬ sucht, süßes Hoffen,/Der ersten Liebe
wohl menschlich ist geirrt zu haben, als goldne Zeit“, die sowohl beide zusam¬
auch klug, den Irrtum einzugestehen.“ men als auch je einzeln in ähnlicher
Der Gedanke allerdings ist schon älter Weise scherzhaft zitiert werden. Zu der
und taucht bereits in der griechischen sich unmittelbar anschließenden Zeile
Literatur auf. Bei dem römischen „Das Auge sieht den Himmel offen“
Schriftsteller Cicero (116-43 v. Chr.) vergleiche den Artikel „Den Himmel
heißt es dann in den „Philippischen Re¬ offen sehen“.
den“ (12,2): Cuiusvis hominis est errare,
nullius, nisi insipientis, in errore perseve- Erschossen sein wie Robert Blum
rare, auf deutsch: „Jeder Mensch kann Der Politiker Robert Blum (1807-1848)
irren, im Irrtum verharren wird nur der beteiligte sich 1848 als Abgeordneter

140
Teil I es

der Frankfurter Nationalversammlung stimmtes eingelassen und einen ersten


am revolutionären Kampf der Demo¬ Schritt getan hat, bei der Entscheidung
kraten in Wien gegen die Regierung und über den zweiten Schritt nicht mehr frei
wurde dort am 9.11. 1848 standrechtlich und unabhängig ist. Die einmal getrof¬
erschossen, ln Deutschland herrschten fene Entscheidung bindet. Das Zitat
Empörung und allgemeine Trauer um stammt aus Goethes Faust (Teil I, Stu¬
ihn. Ein weitverbreitetes anonymes Lied dierzimmer). Mephisto erläutert Faust
aus jener Zeit enthält die Zeilen „Er¬ das „Gesetz der Teufel und Gespen¬
schossen ist dein Robert/Dein treuer ster“, nach welchem diese einen Raum
Robert Blum“. Daraus entwickelte sich nur durch den Zugang verlassen kön¬
die umgangssprachliche Wendung „er¬ nen, durch den sie auch in den Raum
schossen sein wie Robert Blum“ im Sin¬ hineingelangt sind. Beim Betreten eines
ne von „völlig erschöpft sein, am Ende Raumes steht ihnen die Wahl des Ein¬
sein“. gangs noch frei, beim Verlassen jedoch
nicht mehr.
Erst geköpft, dann gehangen
t Lieber der Erste hier als der Zwei¬
„Erst geköpft, dann gehangen, dann ge¬
spießt auf heiße Stangen“. Mit diesen
te in Rom
Worten artikuliert der Palastaufseher
Osmin seine Rachegelüste in Mozarts Der ersten Liebe goldne Zeit
Singspiel „Die Entführung aus dem Se¬ t Errötend folgt er ihren Spuren
rail“ (1782 uraufgeführt). Das Libretto
stammt von Gottlob Stephanie, der da¬ t In der ersten Reihe sitzen
für ein Libretto mit gleichem Titel von
Christian Friedrich Bretzner für Mozart
Die Ersten werden die Letzten und
umarbeitete. - Das Zitat wird heute
die Letzten werden die Ersten sein
noch gelegentlich als scherzhafte Dro¬
hung verwendet. Dieser trostreiche Hinweis ist sicher
manchem schon zuteil geworden, der
bei etwas benachteiligt wurde, irgendwo
Erst kommt das Fressen, dann ins Hintertreffen geriet, von andern bei
kommt die Moral einer Sache überflügelt wurde oder
Wenn bei Themen wie „soziale Unge¬ auch bei einer Verteilung zu kurz kam.
rechtigkeit“, „Armut“ o. ä. in etwas her¬ Das Wort stammt aus dem Matthäus¬
ausfordernderer Weise auf die elemen¬ evangelium, wo Jesus bei einer Erörte¬
taren Grundbedürfnisse des Menschen rung darüber, wer und auf welche Weise
hingewiesen werden soll, wird häufig jemand ins Reich Gottes eingehe, den
dieses Zitat von Bertolt Brecht Jüngern auf ihre Fragen antwortet und
(1898-1956) herangezogen. Es stammt seine Ausführungen mit den Worten
aus der 1928 in Berlin uraufgeführten schließt: „Aber viele, die da sind die Er¬
„Dreigroschenoper“, zu der Kurt Weill sten, werden die Letzten und die Letzten
die Musik schrieb, und wird im „Zwei¬ werden die Ersten sein.“ (19,30).
ten Dreigroschenfinale“ (das über¬
schrieben ist mit der Frage „Denn wo¬ Es hat nicht sollen sein!
von lebt der Mensch?“) von Mackie
t Behüt’ dich Gott, es wär’ zu schön ge¬
Messer und Jenny gesungen.
wesen!

t Sie ist die erste nicht Es war einmal


Mit Sätzen wie „Es war einmal eine alte
Das erste steht uns frei, beim zwei¬ Geiß“ (Der Wolf und die sieben Gei߬
ten sind wir Knechte lein), „Es war einmal eine kleine süße
Mit diesem Zitat soll ausgedrückt wer¬ Dirne“ (Rotkäppchen) oder „Es war
den, daß jemand, der sich auf etwas Be¬ einmal ein Förster“ (Fundevogel) begin-

141
es Teil I

nen viele Märchen, und die Floskel „Es sen mit den Worten begründet: „... Daß
war einmal“ gilt deshalb als die „klassi¬ er die Schwere des Daseins ertrage/Und
sche“ Märcheneinleitung. Sie wird nicht das ermüdende Gleichmaß der Tage/
nur in der Literatur zitiert, um zum Bei¬ Und mit erfrischendem Windesweben/
spiel eine Erzählung als märchenhaft zu Kräuselnd bewege das stockende Le¬
charakterisieren, sondern sie wird auch ben.“ Zu dieser Reflexion kommt der
alltagssprachlich verwendet und dort - Chor als Begleiter des Geschehens, weil
meist bedauernd oder wehmütig - auf er an der Stelle des Dramas gerade eine
etwas Vergangenes, nicht mehr Wieder¬ Ruhepause hat: „Sage, was werden wir
kehrendes bezogen. jetzt beginnen,/Da die Fürsten ruhen
vom Streit,/Auszufüllen die Leere der
Es wär’ so schön gewesen! Stunden/Und die lange, unendliche
Zeit?“ Das Zitat wird auch heute noch
t Behüt’ dich Gott, es war’ zu schön ge¬
gelegentlich angeführt, um darauf hin¬
wesen!
zuweisen, daß der Mensch den Blick
nach vorn, in die Zukunft richten muß
Etwas außerhalb der Legalität
und sich nicht mit Stillstand oder stän¬
Dieser Formulierung verhalf in der Fra¬
diger Wiederholung des immer Glei¬
gestunde des Deutschen Bundestages
chen zufriedengeben darf.
am 8. 11. 1962 der damalige Innenmini¬
ster Fiermann Höcherl zur Popularität,
indem er die Verhaftung des Redakteurs Etwas ist faul im Staate Dänemark
Ahlers im Zusammenhang mit der Spie¬ Dieser Satz steht in der vierten Szene
gel-Affäre so bezeichnete. Der Schrift¬ des ersten Aktes von Shakespeares
steller Max von der Grün wählte den Trauerspiel „Hamlet“ (entstanden um
Ausdruck als Titel für einen Erzäh¬ 1600). Die englische Form lautet: Some-
lungsband (1980). Mit dem Zitat kom¬ thing is rotten in the state of Denmark. Er
mentiert man ironisch eine Handlungs¬ wird von Marcellus, einem der Begleiter
weise, die man im Grunde als illegal an- Hamlets, auf der Terrasse des Schlosses
sehen müßte. gesprochen. Dort erwartet man um Mit¬
ternacht den Geist von Hamlets Vater.
Etwas Besseres als den Tod findest Die Äußerung steht in Zusammenhang
du überall mit den Vorgängen am dänischen Kö¬
In dem Grimmschen Märchen von den nigshof, wo der König von seinem Bru¬
„Bremer Stadtmusikanten“ wird der der ermordet wurde und seine Witwe
vom Kochtopf bedrohte Hahn mit die¬ sich mit dem Mörder verbunden hat. -
sen Worten aufgefordert, sich Esel, Der Satz wurde zu einem häufig ver¬
Hund und Katze anzuschließen: „...zieh wendeten geflügelten Wort. Man ge¬
lieber mit uns fort, wir gehen nach Bre¬ braucht es (auch in der Form „Es ist et¬
men, etwas Besseres als den Tod Findest was faul im Staate Dänemark“), um den
du überall; du hast eine gute Stimme, Verdacht auszusprechen, daß in einem
und wenn wir zusammen musizieren, so bestimmten Bereich etwas - noch nicht
muß es eine Art haben.“ Das Zitat dient genauer zu Fassendes - nicht in Ord¬
gelegentlich als scherzhafte Ermunte¬ nung ist.
rung, sich einer mißlichen Lage zu ent¬
ziehen und an einem neuen Lebens- und Die Eule der Minerva beginnt erst
Wirkungsort etwas Neues zu beginnen. mit der einbrechenden Dämme¬
rung ihren Flug
Etwas fürchten und hoffen und
Die „Eule der Minerva“ ist als bildliche
sorgen muß der Mensch für den
Umschreibung der Philosophie oder der
kommenden Morgen Weisheit zu verstehen. „Minerva“, eine
Dieser sentenzhafte Ausspruch des altitalische Gottheit war ursprünglich
Chors in Schillers „Braut von Messina“ die Beschützerin des Handwerks, sie
(Vers 866 f.) wird in den folgenden Ver¬ wurde aber später mit Athene, der grie-

142
Teil I ewig

chischen Göttin der Weisheit, gleichge¬ Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein,
setzt. Die Eule gehört zu den bekannte¬
nein. Was darüber ist, das ist vom
sten Attributen bei der Darstellung
Übel
Athenes. Das Zitat, mit dem man zum
Ausdruck bringt, daß wahre Erkenntnis Das Bibelzitat aus dem Matthäusevan¬
erst aus einem gewissen zeitlichen (hi¬ gelium (5,37) gehört zur Fortsetzung der
storischen) Abstand möglich ist, stammt Bergpredigt und spricht von der rechten
aus Georg Wilhelm Friedrich Hegels Gesetzeserfüllung. Es steht in dem Text¬
Vorrede zu seinen „Grundlinien der zusammenhang, wo es heißt, daß man
Philosophie des Rechts“ (1821). Es nicht nur keinen Falscheid, sondern
heißt dort: „Wenn die Philosophie ihr überhaupt nicht schwören solle. Das Zi¬
Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt tat wird häufig gebraucht, um jemanden
des Lebens alt geworden, und mit Grau zu einer klaren, unzweideutigen und
in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, wahren Aussage aufzufordern, und
sondern nur erkennen; die Eule der Mi¬ auch, um jemandes Weitschweifigkeit
und Vagheit zu kritisieren.
nerva beginnt erst mit der einbrechen¬
den Dämmerung ihren Flug.“
Das europäische Haus
Das t gemeinsame Haus Europa
Eulen nach Athen tragen
Die Redensart im Sinne von „etwas Europens übertünchte Höflichkeit
Überflüssiges tun, einen überflüssigen
Die Formulierung findet sich in Johann
Beitrag zu etwas leisten“, die meist in
Gottfried Seumes (1763-1810) Gedicht
der Formulierung „das hieße Eulen
„Der Wilde“, dessen Anfangszeilen (in
nach Athen tragen“ gebraucht wird, ist
der Fassung von 1793) lauten; „Ein
griechisch-lateinischen Ursprungs; sie
Amerikaner, der Europens/Übertünchte
geht auf den Ausspruch „Wer hat die
Höflichkeit nicht kannte,/Und ein Herz,
Eule nach Athen getragen?“ in Aristo-
wie Gott es ihm gegeben,/Von Kultur
phanes’ (um 445-386 v. Chr.) Komödie
noch frei im Busen trug..." Die Höflich¬
„Die Vögel“ zurück. Die Eule war kon¬
keit, durch die sich die Europäer auszu¬
kret wie auch als Sinnbild der Weisheit
zeichnen meinen, ist nach dieser Auffas¬
(wegen ihrer Nachtsichtigkeit) und als
sung nur Tünche, etwas nur Oberflächli¬
Attribut der weisen Stadtgöttin Athene
ches. Das Zitat wird vor diesem Hinter¬
schon längst in Athen heimisch.
grund auch heute noch gelegentlich ver¬
wendet, um eine künstliche, im Grunde
Eulenspiegelei heuchlerische formelle Höflichkeit zu
Der Ausdruck im Sinne von „Schelmen- kritisieren, hinter der jemand seinen
stück; Streich, mit dem man jemanden wahren Charakter verbirgt.
zum Narren hält“ bezieht sich ursprüng¬
lich auf Till Eulenspiegel, einen Das ewig Gestrige
Schalksnarren, der um 1350 in Mölln an Das Zitat steht in Schillers Tragödie
der Pest gestorben ist und unter dem „Wallensteins Tod“ (1,4). In seinem
ihm später gegebenen Namen zum Hel¬ Monolog zögert Wallenstein, den Abfall
den eines ursprünglich niederdeutschen vom Kaiser zu vollziehen, weil er er¬
Volksbuches (Lübeck 1478) wurde. In kennt: „Ein unsichtbarer Feind ist’s,
der in eine Rahmenhandlung kom¬ den ich fürchte,/Der in der Menschen
ponierten Schwanksammlung bleibt Brust mir widersteht,/Durch feige
Eulenspiegel in allen Situationen durch Furcht allein mir fürchterlich./Nicht,
bäuerlichen Mutterwitz überlegen; sei¬ was lebendig, kraftvoll sich verkün¬
ne Streiche, deren Witz oft auf dem digt,/Ist das gefährlich Furchtbare. Das
Wörtlichnehmen einer bildhaften Aus¬ ganz/Gemeine ist’s, das ewig Gestri¬
sage beruht, treffen Bauern und Bürger, ge,/Was immer war und immer wieder-
aber auch weltliche und geistliche Her¬ kehrt/Und morgen gilt, weil’s heute hat
ren. gegolten!“ „Das ewig Gestrige“ meint

143
ewig Teil I

hier die alltäglichen, festen Gewohnhei¬ für die Menschheit“ stammt aus Goe¬
ten und Vorstellungen, an denen die thes Faust II, den der Chorus mysticus
Menschen oft ängstlich festhalten. im Hinblick auf Fausts Erlösung mit
Wenn wir heute jemanden als einen den Worten beschließt: „Alles Vergäng¬
„Ewiggestrigen“ bezeichnen, kritisieren liche/Ist nur ein Gleichnis ;/Das Unzu¬
wir damit seine Rückständigkeit, seine längliche,/Hier wird’s Ereignis ;/Das
Unfähigkeit, sich neuen Gedanken zu Unbeschreibliche,/Hier ist’s getan ;/Das
öffnen, und sein stures Festhalten an Ewig-Weibliche/Zieht uns hinan.“ Die
längst Überlebtem. Bezeichnung „das Ewig-Weibliche“
knüpft an die unmittelbar vorhergehen¬
Ewig ist die Freude de Anrede des Doctor Marianus an die
t Kurz ist der Schmerz Mater gloriosa an: „Jungfrau, Mutter,
Königin,/Göttin“. Heute wird oft der
Ewig jung ist nur die Phantasie weitere Kontext „Das Ewigweibliche
t Alles wiederholt sich nur im Leben zieht uns hinan“ zitiert, wobei meist
sehr vordergründig die Anziehungskraft
t Und ewig singen die Wälder der Frauen angesprochen wird, die die
Männer zum Streben nach Höherem an¬
Der ewige Friede ist ein Traum spornt. Geläufig ist auch die antitheti¬
Die Fortsetzung des Zitats lautet „und sche Abwandlung „Das Ewigweibliche
nicht einmal ein schöner“. Es stammt zieht uns hinab“, mit der dieselbe An¬
aus einem Brief des Generalfeldmar¬ ziehungskraft nun so dargestellt wird,
schalls Helmuth von Moltke vom 11.12. als führe sie zu Sündhaftigkeit und Ver¬
1880 an den Heidelberger Rechtsgelehr¬ kommenheit.
ten Johann Kaspar Bluntschli. Die Idee
Ex nihilo nihil Fit
des ewigen Friedens war als spätantikes
Erbe mittelalterlicher Endzeiterwartun¬ t Von nichts kommt nichts
gen lebendig. Durch die neuzeitliche
Ablösung vom theologischen Ge¬ Ex Oriente lux
schichtsbild erhielten die Projekte ewi¬ Der lateinische Satz - auf deutsch „Aus
gen Friedens den Charakter von Uto¬ dem Osten kommt das Licht“ - bezog
pien. Immanuel Kant hielt 1795 mit sei¬ sich zuerst auf die Sonne, dann in über¬
ner Schrift „Zum ewigen Frieden“ an tragenem Gebrauch auf Christentum
dessen Ideal fest. Darauf könnte sich und Kultur. Im Alten Testament be¬
Moltkes Briefstelle ablehnend beziehen. schreibt bereits der Prophet Hesekiel
(43,2) das Licht Gottes als von Osten
t Ahasver, der Ewige Jude kommend: „Und siehe, die Herrlichkeit
des Gottes Israels kam von Morgen und
Die Ewige Stadt brauste, wie ein großes Wasser braust;
Die Stadt Rom verdankt diesen Beina¬ und es ward sehr licht auf der Erde von
men - im lateinischen Original: urbi ae- seiner Herrlichkeit.“ Eine scherzhafte
terna - einer Stelle in den Elegien (II, Erweiterung des Satzes spielt auf die
5,23) des römischen Dichters Tibull westliche Dekadenz an: „Ex Oriente lux,
(um 50-um 17 v.Chr.). Dank ihrer gro¬ ex occidente luxus“.
ßen Geschichte und ihrer noch immer
bedeutenden kirchlichen und politi¬ Die Extreme berühren sich
schen Rolle hat die Stadt den alten Bei¬ Die Sentenz bedeutet „die Extreme sind
namen bis heute behalten. in gewisser Hinsicht verwandt, führen
zu denselben Folgerungen“ und ist die
TO Ewigkeit, du Donnerwort Übersetzung der Überschrift Les ex¬
tremesse touchent des Kapitels 348 im 4.
Das Ewigweibliche
Band des kulturhistorischen Werks „Ta¬
Der Ausdruck im Sinne von „das Weib¬ bleau de Paris“ („Paris, ein Gemälde“;
liche in seiner bleibenden Bedeutung von Louis Sebastien Mercier (1740

144
Teil I falscher

bis 1814). Vorformen dieses Apho¬ genehmen Besprechung oder einer Prü¬
rismus finden sich in Aristoteles’ fung o.ä. bringen soll.
(384-322 v.Chr.) „Eudemischer Ethik“
(III,7) und Montaignes (1533-1592) TO du Falada, da du hangest
„Essais“ (I, 54). Das Zitat wird heute
auch gelegentlich verwendet, wenn sich Den Fall setzen
zwei sehr gegensätzliche Positionen in Die Redewendung bedeutet „als gege¬
einem Punkt oder in einigen Punkten ben annehmen“. Sie wird häufig auch in
aneinander angenähert haben. der Form „gesetzt den Fall“ gebraucht.
Popularität erlangte sie durch Johann
Gottwerth Müllers (1743-1828) Roman
„Die Herren von Waldheim“ in der
Form „Posito, ich setz’ den Fall“ und
durch Louis Angelys (1787-1835) Berli¬
ner Lokalposse „Das Fest der Handwer¬

F ker“ in der Form „Positus, ich setz’ den


Fall“. Das lateinische posito ist eine
Kurzform von posito casu (= „gesetzten
Falls, angenommen“) und stammt aus
der älteren Fachsprache der Philoso¬
Das Fähnlein der sieben Aufrech¬
phie und des Rechts. Die Kurzform
ten
wurde schon im 18. Jh. auch umgangs¬
Eine der populärsten Erzählungen aus sprachlich gebräuchlich und gelegent¬
der Sammlung „Züricher Novellen“ des lich zu „positus“ umgebildet; heute ist
schweizerischen Dichters Gottfried Kel¬ sie aus dem allgemeinen Sprachge¬
ler (1819-1890) trägt den Titel „Das brauch verschwunden.
Fähnlein der sieben Aufrechten“. Die
mit liebevoller Ironie erzählte Ge¬ Fallen seh’ ich Zweig’ auf Zweige
schichte handelt von sieben alten redli¬
Das Zitat stammt aus Franz Grillparzers
chen Handwerksmeistern, die eine Ge¬
(1791-1872) Schicksalsdrama „Die
sellschaft gegründet haben, um ihre va¬
Ahnfrau“, in dessen Eingangsversen der
terländischen Prinzipien, ihre von
alte Graf Borotin als letzter männlicher
Rechtschaffenheit und Gediegenheit
Sproß seiner Tochter gegenüber den be¬
geprägten Grundsätze pflegen und vorstehenden Untergang seines Hauses
hochhalten zu können. Der Titel der Er¬
beklagt: „Nun, wohlan! Was muß, ge-
zählung wird häufig im übertragenen schehel/Fallen seh’ ich Zweig’ auf
Sinne zitiert, beispielsweise zur Kenn¬ Zweige,/Kaum noch hält der morsche
zeichnung einer kleineren Gruppe von Stamm;/... Kaum daß fünfzig Jahr’ ver-
Personen, die sich irgendwo tapfer ge¬ fließen,/Wird kein Enkel mehr es wis-
schlagen hat, die im Gegensatz zu an¬ sen,/Daß ein Borotin gelebt.“ Das heute
dern bei etwas durchgehalten hat, die wohl weniger gebräuchliche Zitat könn¬
nicht so leicht aufgibt o.ä. te in gehobener Ausdrucksweise auf
eine auseinanderbrechende, im Nieder¬
Fahrstuhl zum Schafott gang befindliche Institution oder Ge¬
In dem französischen Spielfilm L’ascen- meinschaft bezogen werden.
seur pour l’echafaud, den Louis Malle
1957/58 gedreht hat, scheitert ein per¬ Falscher Prophet
fekter Mordplan, weil der Fahrstuhl Wenn man jemanden als falschen Pro¬
eines Bürohauses übers Wochenende pheten bezeichnet, so meint man damit,
steckenbleibt. Der deutsche Titel des daß er die Menschen in die Irre führt,
Films wird scherzhaft zitiert, wenn je¬ daß man ihm nicht vertrauen soll. Im
mand mit gemischten Gefühlen auf Neuen Testament wird an mehreren
einen Aufzug wartet, der ihn zu einer Stellen vor den „falschen Propheten“
schwierigen oder wahrscheinlich unan¬ der Endzeit gewarnt, u. a. im Markus-

145
4 Duden 12
Falschheit Teil I

evangelium (13,22 f.): „Denn es werden beiters, der sich gegen den Terror der
sich erheben falsche Christi und falsche Bandenkämpfe des Hafenviertels be¬
Propheten, die Zeichen und Wunder hauptet. Besonders geläufig ist die Re¬
tun, daß sie auch die Auserwählten ver¬ dewendung „die Faust im Nacken spü¬
führen, so es möglich wäre. Ihr aber ren“, die soviel bedeutet wie „sich sehr
sehet euch vor!“ stark unterdrückt fühlen; unter Zwang
handeln müssen“.
Die Falschheit herrschet, die Hin¬
terlist
Fehlt, leider, nur das geistige Band
Das Zitat stammt aus dem Chorlied
„Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Das Zitat stammt aus der Schülerszene
Pferd!“ am Schluß des 11. Auftritts von von Goethes Faust I. Mephisto attak-
„Wallensteins Lager“ von Schiller. In kiert in seiner Satire auf die Hochschul¬
der Strophe des Dragoners heißt es: fakultäten die Logik: „Wer will was
„Die Falschheit herrschet, die Hinter¬ Lebendigs erkennen und beschrei¬
list/Bei dem ganzen Menschenge- ben,/Sucht erst den Geist herauszutrei¬
schlechte./Der dem Tod ins Angesicht ben,/Dann hat er die Teile in seiner
schauen kann,/Der Soldat allein ist der Hand,/Fehlt, leider! nur das geistige
freie Mann.“ Die Sentenz, daß die Band./Encheiresin naturae nennt’s die
Falschheit die Welt regiert, findet sich Chemie“ (Vers 1936-1940). Durch die
auch schon in dem satirischen Tierepos Gleichsetzung mit letzterem Begriff ist
„Froschmeuseler“ (1,1, Kapitel 6) von mit dem geistigen Band die durch die
Georg Rollenhagen (1542-1609): Natur bewirkte Verknüpfung aller Teile
„Falschheit regiert die ganze Welt.“ Als zu einem Ganzen gemeint, zu der der
allgemeine Klage eines Menschen, den Mensch nicht fähig ist. - Man kann das
man betrogen hat oder der das Opfer Zitat zur Charakterisierung von etwas
einer Intrige wurde, ist das Zitat noch Unzusammenhängendem verwenden,
gebräuchlich. zum Beispiel den unkoordinierten Ak¬
tionen der einzelnen Mitglieder einer
t Vom Fanatismus zur Barbarei ist Gruppe, die nicht von einer gemeinsa¬
es nur ein Schritt men Grundidee gesteuert werden.

t Am farbigen Abglanz haben wir Feiger Gedanken bängliches


das Leben Schwanken
t Wer es fassen kann, der fasse es! t Allen Gewalten zum Trutz sich erhal¬
ten.
t Jeder muß nach seiner Fasson
selig werden Feigenblatt
t Etwas ist faul im Staate Däne¬ Das Wort in der Bedeutung „etwas, was
mark dazu benutzt wird, etwas vor anderen zu
verbergen; etwas, was als Tarnung oder
Faulheit stärkt die Glieder schamhafte Verhüllung dient“ ist bibli¬
schen Ursprungs. Im 1. Buch Moses
t Arbeit macht das Leben süß
(3,7) heißt es nach dem Sündenfall von
Die Faust im Nacken Adam und Eva: „Da wurden ihrer bei¬
der Augen aufgetan, und sie wurden ge¬
Die Metapher mit der Bedeutung „un¬
wahr, daß sie nackt waren, und flochten
ausweichliche Bedrohung“ wurde als
Feigenblätter zusammen und machten
Filmtitel für die deutsche Version von
sich Schürze ( = Lendenschurze).“
„On the Waterfront“ von Elia Kazan
aus dem Jahr 1954 verwendet. Der Film
(mit Marlon Brando in der Hauptrolle) t In den öden Fensterhöhlen
erzählt die Geschichte eines Hafenar¬ wohnt das Grauen

146
Teil I feurige

Ferien vom Ich Ein feste Burg ist unser Gott


Sich für eine gewisse Zeit von der Ar¬ Das Zitat ist der Anfang eines Kirchen¬
beit, den Alltagsproblemen und der Fa¬ liedes von Martin Luther (1483-1546),
milie lösen, Abstand von allem gewin¬ das 1529 in Klugs verlorengegangenen
nen und wieder zu sich selbst finden - „Geistlichen Liedern, aufs neu gebes¬
das sind „Ferien vom Ich“. Dieser Be¬ sert“ erschien und besonders am Refor¬
zeichnung liegt der gleichlautende Titel mationsfest gesungen wird. Man ge¬
eines 1916 erschienenen Unterhaltungs¬ braucht diese Worte, wenn man sein
romans von Paul Keller (1873-1932) zu¬ Gottvertrauen bekunden will.
grunde, dessen Thema die Erholung von
Berufs- und Alltagsstreß in einem neu¬
artigen Sanatorium mit dem Namen Fette Jahre
„Ferien vom Ich“ ist, in das die Gäste Im 1. Buch Moses wird berichtet, daß
nur ganz ohne Gepäck und Begleitung der Pharao einen seltsamen Traum hat¬
aufgenommen werden und in dem sie te. Er sah aus dem Nil sieben schöne,
gegenüber der Außenwelt fast völlig ab¬ fette Kühe steigen und am Ufer weiden,
geschirmt sind. Das Buch wurde mehr¬ die dann aber von sieben häßlichen, ma¬
mals verfilmt, zuerst 1934, dann 1952 geren Kühen gefressen wurden (1. Mo¬
und schließlich noch einmal im Jahre ses 41,2-4). Der Traum wird dann von
1963. Joseph so gedeutet, daß nach sieben
Jahren des Wohlstands sieben Hunger¬
Fern im Süd das schöne Spanien jahre über Ägypten kommen werden,
und Joseph rät dem Pharao, rechtzeitig
Mit den Worten „Fern im Süd das schö¬
Vorsorge zu treffen (1. Moses
ne Spanien,/Spanien ist mein Heimat¬
41,25-36). Nach dieser biblischen Er¬
land“ beginnt das von Emanuel Geibel
zählung bezeichnet man scherzhaft gute
(1815-1884) geschriebene Lied „Der
oder schlechte Zeiten als fette oder ma¬
Zigeunerbube im Norden“. Den Jungen
gere Jahre.
quält das Heimweh so sehr, daß er es
nicht länger ertragen kann, und das Ge¬
dicht schließt mit den Zeilen „Fort zum Feurige Kohlen auf jemandes
Süden! Fort nach Spanien!/In das Land Haupt sammeln
voll Sonnenschein !/Unterm Schatten
Mit dieser Redewendung (die auch in
der Kastanien/Muß ich einst begraben
der Form „glühende Kohlen auf jeman¬
sein.“ Man verwendet das Zitat auch
des Haupt sammeln“ vorkommt) drückt
heute noch gelegentlich, wenn man auf
man aus, daß jemand durch die Gro߬
den „sonnigen Süden“, besonders auf
mut oder die gute Tat eines anderen be¬
die Küste des westlichen Mittelmeers
schämt wird. Sie geht zurück auf die
anspielen will und sich - gerade an tri¬
Sprüche Salomos, wo es heißt: „Hun¬
sten Regentagen - dorthin sehnt.
gert deinen Feind, so speise ihn mit
Brot; dürstet ihn, so tränke ihn mit Was¬
Fern von Madrid ser. Denn du wirst feurige Kohlen auf
Das Zitat stammt aus Schillers Don sein Haupt häufen, und der Herr wird’s
Kariös (1787). Im sechsten Auftritt des dir vergelten“ (Sprüche 25,21-22). Im
ersten Aktes verbannt König Philipp die Paulusbrief an die Römer wird diese
Marquise von Mondekar vom königli¬ Stelle nochmals aufgegriffen (Römer
chen Hof, weil sie ihre Aufgabe als Hof¬ 12,21-22). Der Vorstellung liegt wohl
dame nicht so erfüllt hat, wie er es von ein für Ägypten im 3. Jh. v. Chr. bezeug¬
ihr erwartete: „Deswegen/Vergönn’ ich ter Ritus zugrunde, der die Sinnesände¬
Ihnen zehen Jahre Zeit,/Fern von Ma¬ rung, die Reue und Beschämung eines
drid darüber nachzudenken.“ Der Aus¬ Büßenden zum Ausdruck bringen sollte.
druck wird heute im Sinne von „weitab Die „feurigen Kohlen“ wurden dabei
vom eigentlichen Geschehen“ ge¬ wahrscheinlich in einem Kohlebecken
braucht. auf dem Kopfe getragen.

147

fiat Teil I

Fiat iustitia et pereat mundus schen Schriftsteller F. de Jouvenot und


H. Micard.
Der literarischen Überlieferung nach
soll dies der Wahlspruch Kaiser Fer¬
dinands I. (deutscher Kaiser von Finden Sie, daß Constanze sich
1556-1564) gewesen sein. Übersetzt richtig verhält?
lautet die lateinische Devise: „Es ge¬ Diese Frage bleibt am Ende der Ko¬
schehe Gerechtigkeit, möge auch die mödie „The Constant Wife“ des briti¬
Welt (darüber) zugrunde gehen.“ Dieses schen Schriftstellers William Somerset
Bekenntnis zu einer Gerechtigkeit um
Maugham (1874-1965) offen. Sie ist der
jeden Preis zitiert man heute noch, wenn deutsche Titel dieses 1927 in London ur-
kritisch angemerkt werden soll, daß in aufgeführten Bühnenstücks, in dem eine
einer bestimmten Sache dem Buchsta¬ betrogene Ehefrau ganz und gar nicht so
ben des Gesetzes zwar Genüge getan
reagiert, wie es die Konvention von ihr
worden ist, aber durch eine zu legalisti-
verlangt. Das Bühnenstück wurde 1962
sche Vorgehensweise letztlich allen Be¬
mit Lilli Palmer in der weiblichen
teiligten mehr Schaden als Nutzen zuge¬
Hauptrolle verfilmt. Mit entsprechend
fügt wurde. eingesetztem Namen wird der Titel heu¬
te zitiert, wenn man ausdrücken will,
Fiat lux! daß man das Verhalten einer bestimm¬
Es t werde Licht ten Person mißbilligt.

Es fiel ein Reif in der Frühlings¬ Fische müssen schwimmen


nacht Im Roman „Satyricon“ des römischen
Mit diesem Satz beginnt ein rheinisches Schriftstellers Petronius (t66 n.Chr.)
Volkslied, das Heinrich Heine fordert in der parodistischen Einlage
(1797-1856) in die drei Gedichte umfas¬ „Das Gastmahl des Trimalchion“ der
sende Folge „Tragödie“ aufgenommen Gastgeber nach den servierten Fischen
hat, in der von einem jungen Liebespaar seine Gäste auf, dem Wein kräftig zuzu¬
die Rede ist, das aus der Heimat fliehen sprechen, denn: „Fische müssen
muß und in der Fremde stirbt. Die erste schwimmen“ (lateinisch Pisces natare
Strophe des Liedes lautet: „Es fiel ein oportet). Heute führt man diese Worte
Reif in der Frühlingsnacht,/Er fiel auf scherzhaft als Begründung an, wenn
die zarten Blaublümelein,/Sie sind ver¬ man zu oder nach einem Fischgericht
welket, verdorret.“ Auf Situationen be¬ reichlich trinkt.
zogen, in denen beginnende positive
Entwicklungen durch unerwartete Er¬ t Unter seine Fittiche nehmen
eignisse im Keim erstickt werden, wird
das Zitat heute verwendet.
Fixe Idee
Eine unrealistische Vorstellung oder
Fin de siede
Meinung, die jemanden beherrscht und
Die Zeit des ausgehenden 19. Jh.s, die in
von der er nicht abzubringen ist, be¬
Gesellschaft, bildender Kunst und Lite¬
zeichnet man als „fixe Idee“. Dieser
ratur ausgeprägte sogenannte „Verfalls¬
Ausdruck taucht erstmals im 18.Jh. in
erscheinungen“ wie Überfeinerung,
der medizinischen Fachsprache auf, wo
Ästhetizismus u.ä. aufwies, wird mit
er „Zwangsvorstellung“ bedeutet. Er ist
diesem französischen Ausdruck be¬
eine Übersetzung des neulateinischen
nannt. Die Epochenbezeichnung bezog
idea fixa (lateinisch fixus bedeutet „be¬
sich ursprünglich nur auf Frankreich.
festigt, fest; unabänderlich“).
Übersetzt bedeutet sie „Ende des Jahr¬
hunderts“. Sie geht zurück auf den
gleichlautenden Titel eines Theater¬ TO flaumenleichte Zeit der dunk¬
stücks (erschienen 1888) der französi¬ len Frühe

148
Teil I Frau

Flegeljahre Die Forderung des Tages


Die Entwicklungsjahre, in denen ein In der Abteilung „Allgemeines, Ethi¬
junger Mensch zu flegelhaftem Beneh¬ sches, Literarisches“ der „Maximen und
men neigt, bezeichnet man mit diesem Reflexionen“ von Goethe Findet man
Ausdruck, der gegen Ende des 18.Jh.s auf die Frage: „Wie kann man sich
erstmals literarisch belegt ist. Eine wei¬ selbst kennenlernen?“ diese Antwort:
tere Verbreitung fand das Wort als Titel „Durch Betrachten niemals, wohl aber
der fragmentarisch gebliebenen Biogra¬ durch Handeln. Versuche, deine Pflicht
phie Jean Pauls, die 1804/1805 veröf¬ zu tun, und du weißt gleich, was an dir
fentlicht wurde. ist. - Was aber ist deine Pflicht? Die
Forderung des Tages.“ - Das Zitat ver¬
t Eigen Fleisch und Blut weist auf das, was dem „tätigen“ Men¬
schen im Goetheschen Sinne obliegt,
t In Fleisch und Blut übergehen sich den Aufgaben zu stellen, deren Be¬
wältigung er als Notwendigkeit erkennt.
T Bein von meinem Bein und „Die Forderung des Tages“ nannte
Fleisch von meinem Fleisch Thomas Mann eine Sammlung seiner
„Reden und Aufsätze aus den Jahren
Die Fleischtöpfe Ägyptens 1925-1929“, erschienen 1930. Heute
wird das Zitat auch allgemein zur Be¬
Der Ausdruck geht zurück auf das Alte
zeichnung aktueller politischer oder
Testament, wo im 2. Buch Moses (16,3)
gesellschaftlicher Notwendigkeiten ver¬
von dem Auszug der Kinder Israel aus
wendet.
Ägypten berichtet wird. Als diese auf ih¬
rer Wüstenwanderung zurück in ihr ei¬
Fortes fortuna adiuvat
genes Land Mangel an Nahrung leiden,
sehnen sie sich zurück nach Ägypten, Dem t Mutigen hilft Gott
obgleich sie dort in Knechtschaft lebten.
„Wollte Gott, wir wären in Ägypten ge¬ Fortiter in re, suaviter in modo
storben ..., da wir bei den Fleischtöpfen t Hart in der Sache
saßen und hatten die Fülle Brot zu es¬
sen.“ Die „Fleischtöpfe Ägyptens“ oder TAber fragt mich nur nicht, wie?
auch einfach die „Fleischtöpfe“ sind für
uns zum Sinnbild für ein durch Verzicht Franz heißt die Kanaille
auf Freiheit oder andere Ideale erlang¬ Das bekannte Zitat stammt aus Schillers
tes Wohlleben geworden. Drama „Die Räuber“ (1781). Karl Moor
öffnet im Kreis seiner Kumpane den
t Ohne Fleiß kein Preis Brief, den sein Bruder Franz stellvertre¬
tend für seinen Vater an ihn geschrieben
t Das eben ist der Fluch der bösen hat. Der Bruder teilt ihm mit, der Vater
Tat habe ihn, Karl Moor, verstoßen. Auf
das Verlesen des Briefs vor den Kumpa¬
t Auf Flügeln des Gesanges nen folgt aus ihrem Kreis diese Reakti¬
on: „Ein zuckersüßes Brüderchen! In
Flüssiges Brot der Tat! - Franz heißt die Kanaille?“ -
Diese scherzhafte Bezeichnung für Man verwendet das Zitat heute nicht in
„Bier“ stammt von dem deutschen der Form der Frage, sondern als eher
Schriftsteller und Privatgelehrten Karl scherzhafte Bekräftigung, wenn irgend
Julius Weber (1767-1832). In einem sei¬ jemandes Name in einem bestimmten
ner Hauptwerke, „Deutschland oder Zusammenhang gefallen ist.
Briefe eines in Deutschland reisenden
Deutschen“, heißt es an einer Stelle im Die Frau meiner Träume
ersten Band: „Bier ist flüssiges Brot, Dieser Ausdruck ist als Titel eines Re¬
Branntwein verklärtes Brot“. vuefilms aus dem Jahr 1944 mit Marika

149
Frau Teil I

Rökk in der Hauptrolle populär gewor¬ grundlegenden gesellschaftlichen Um¬


den. Das Drehbuch stammt von Johann wälzungen führen wird. Die Mehrdeu¬
Vasary, Regie führte Georg Jacoby, tigkeit des Wortes „kommen“, das in
Franz Grothe schuf die Filmmusik, von der saloppen Umgangssprache auch die
der der Schlager „In der Nacht ist der Bedeutung „zum Orgasmus kommen“
Mensch nicht gern alleine“ besonders hat, wurde hier sicher bewußt einge¬
bekannt wurde. - Mit dem Zitat be¬ setzt, da viele Feministinnen auch in der
zeichnet man sein Idealbild einer Frau sexuellen Kraft der Frau einen entschei¬
als Partnerin oder Lebensgefährtin - oft denden Aspekt ihres emanzipatorischen
auch in scherzhafter oder ironischer Selbstverständnisses sehen.
Ausdrucksweise.
Frauen sind doch bessere Diplo¬
Eine Frau ohne Mann ist wie ein maten
Fisch ohne Fahrrad So lautet der Titel eines deutschen
Dieser in den siebziger Jahren aufge¬ Spielfilms von 1941 (mit Marika Rökk
kommene und allgemein bekannt ge¬ und Willy Fritsch), in dem die Nichte ei¬
wordene Spruch, mit dem besonders die nes Kasinodirektors in einer Art „diplo¬
Vertreterinnen der Frauenbewegung ih¬ matischen Mission“ versuchen soll, die
re erstrebte Unabhängigkeit in drasti¬ behördliche Schließung des Kasinos zu
scher Form bekundeten und bekunden, verhindern. Das Zitat konstatiert, daß
ist in den deutschen Titel eines 1990 aus Frauen oft „diplomatischer“, taktisch
dem Amerikanischen übersetzten Ro¬ geschickter und vielleicht auch raffi¬
mans von Elizabeth Dunkel eingegan¬ nierter als Männer Vorgehen, um ein be¬
gen. Das emanzipatorische Frauenbuch stimmtes Ziel zu erreichen.
heißt: „Der Fisch ohne Fahrrad“.
Frauen sind keine Engel
Die Frau schweige in der Gemein¬ Dieses Zitat ist der Titel eines Filmlust¬
de spiels aus dem Jahr 1943. Sein Regisseur
Diese Aufforderung - in lateinischer war Willy Forst, das Drehbuch schrieb
Form Mulier taceat in ecclesia - geht auf Geza von Cziffra. Die Schauspielerin
den 1. Korintherbrief (14,34) zurück. Margot Hielscher sang darin das sehr
Hier heißt es: „... lasset eure Weiber populär gewordene Lied „Frauen sind
schweigen in der Gemeinde; denn es keine Engel“, dessen Melodie von Theo
soll ihnen nicht zugelassen werden, daß Mackeben stammt. - Der Titel wird
sie reden, sondern sie sollen untertan vielfach zitiert, um anzudeuten, daß
sein, wie auch das Gesetz sagt.“ - Diese auch Frauen menschliche Schwächen
Worte werden heute scherzhaft zitiert, und Fehler haben, vielleicht gelegent¬
um eine Frau zum Schweigen aufzufor¬ lich auch, um jemandes idealistisch-ver¬
dern; sie werden von Frauen oft auch klärtes Frauenbild ein wenig zurechtzu¬
ironisch oder herausfordernd vorge¬ rücken.
bracht, wenn ihnen ein Mitspracherecht
verweigert wird. Gebräuchlich ist das t Mein schönes Fräulein, darf ich
Zitat auch in der Form „Die Frau wagen, meinen Arm und Geleit Ihr
schweige in der Kirche“. anzutragen

Frauen kommen langsam, aber ge¬ Es sind nicht alle frei, die ihrer
waltig Ketten spotten
Dies ist der Titel eines Liedes der Rock¬ Dieses Zitat stammt aus Lessings dra¬
gruppe „Ina Deter Band“ aus dem Jahr matischem Gedicht „Nathan der Wei¬
1986. Der Satz ist auf die Emanzipati¬ se“ (IV, 4). In einem Gespräch zwischen
onsbewegung der Frauen zu beziehen, Saladin und dem Tempelherrn kommt
die danach zwar zunächst nur langsam die Frage auf, ob Nathan seine Tochter
Fortschritte erzielt, letztlich aber zu dem Tempelherrn erst nach dessen

150
Teil I
Freiheit

Übertritt zum jüdischen Glauben zur Entfaltung seiner Kräfte wünscht. Man¬
Frau geben wolle. Zu diesem Gedanken che werden in dem Zitat aber eher
merkt der Tempelherr an: „Der Aber- eine Parole der nur erfolgsorientierten
glaub\ in dem wir aufgewachsen,/Ver- „Ellenbogengesellschaft“ sehen und es
liert, auch wenn wir ihn erkennen, dar- höchstens spöttisch oder ironisch ge¬
um/Doch seine Macht nicht über uns. - brauchen.
Es sind/Nicht alle frei, die ihrer Ketten
spotten.“ Wir zitieren die letzte Zeile ge¬ Das freie Spiel der Kräfte
legentlich als Ausdruck der Skepsis,
Das Schlagwort hat seinen Ursprung im
wenn jemand sich zu sehr rühmt, sich
18. Jh. Man führt es sowohl auf den eng¬
aus seinen alten Bindungen und Zwän¬
lischen Nationalökonomen und Philo¬
gen befreit zu haben.
sophen Adam Smith (1723-1790) als
Frei will ich sein im Denken und auch auf die sogenannten Physiokraten,
eine Gruppe französischer Wirtschafts¬
im Dichten
wissenschaftler des 18. Jh.s, zurück. Als
Mit den folgenden Worten weigert sich Grundprinzip ihrer Lehren galt die Not¬
der junge Dichter Torquato Tasso in wendigkeit einer freien Entfaltung der
Goethes gleichnamigem Schauspiel (er¬ wirtschaftlichen Kräfte. Bei Schelling
schienen 1790, uraufgeführt 1807), sein taucht die Formel in seiner naturphilo¬
dichterisches Schaffen irgendwelchen sophischen Schrift „Von der Weltseele“
äußeren Zwängen zu unterwerfen auf. Hier heißt es: „Das Wesen des Le¬
(IV, 2): „Einen Herm/Erkenn’ ich nur, bens aber besteht überhaupt nicht in ei¬
den Herrn, der mich ernährt,/Dem folg’ ner Kraft, sondern in einem freien Spiel
ich gern, sonst will ich keinen Meister./ von Kräften, das durch einen äußern
Frei will ich sein im Denken und im Einfluß kontinuierlich unterhalten
Dichten;/Im Handeln schränkt die Welt wird.“ - Man gebraucht die Wendung,
genug uns ein.“ Er richtet sie an Leono- um einen Vorgang oder ähnliches, das
re, die Schwester des Herzogs Alfons II., ohne Lenkung oder Steuerung von au¬
und spricht damit seinen Konflikt mit ßen in eine Balance kommt, zu charak¬
dem herzoglichen Staatssekretär Anto¬ terisieren.
nio an. Dieser weltmännische Politiker
ist Tassos Komplementärfigur, und sei¬
t Und also unterscheidet sich der
ne Auseinandersetzung mit Tasso sym¬
Freie von dem Knecht
bolisiert das Spannungsverhältnis zwi¬
schen der Außenwelt, der gesellschaftli¬
chen Realität, und der Innenwelt, der t Auf freiem Grund mit freiem
Welt des schöpferischen Menschen. Volke stehn
Das Zitat soll bekräftigen, daß man es
sich nicht nehmen lassen wird, zu den¬ Freiheit der Meere
ken, was man will, und seine Meinung Bei diesem Zitat handelt es sich um den
frei zu äußern. übersetzten Titel einer Schrift des hol¬
ländischen Rechtsgelehrten Hugo Gro-
Freie Bahn dem Tüchtigen tius (1583-1645). Der Originaltitel lau¬
In einer Sitzung des Reichstags am 28.9. tet Mare liberum. Grotius verfocht darin
1916 prägte der damalige Reichskanzler den Anspruch Hollands auf freien Han¬
Theobald von Bethmann-Hollweg del mit Indien, der ihm von den Portu¬
(1856-1921) den Satz „freie Bahn für al¬ giesen streitig gemacht wurde. - Von
le Tüchtigen“, der zu einem geflügelten der „Freiheit der Meere“ kann man im
Wort wurde. - Man kann den Aus¬ Zusammenhang mit dem Gefühl von
spruch (in der Form „freie Bahn dem Freiheit und Uneingeengtheit sprechen,
Tüchtigen“) in einem Zusammenhang das sich dem Menschen angesichts der
verwenden, in dem man einem Men¬ Weite des Meeres - wie er sie beispiels¬
schen, der sich als tüchtig und befähigt weise auf einer Seereise erlebt - auf¬
erwiesen hat, die Möglichkeit zur freien drängt.

151
Freiheit Teil I

Freiheit, die ich meine deutschen Schriften zur Französischen


Revolution wurden zunächst oft nur die
So beginnen die erste und letzte Strophe
beiden ersten Begriffe, nämlich „Frei¬
des Liedes „Freiheit“ von Max von
heit“ und „Gleichheit“ angesprochen,
Schenckendorf (1783-1817), einem
aber die dem Französischen entspre¬
Dichter der Befreiungskriege. Die er¬
chende Formel „Freiheit, Gleichheit,
sten Zeilen lauten: „Freiheit, die ich
Brüderlichkeit“ setzte sich schließlich
meine,/Die mein Herz erfüllt,/Komm
durch und blieb bis zum heutigen Tag
mit deinem Scheine,/Süßes Engels¬
geläufig.
bild!“ Es geht darin um die Freiheit von
der napoleonischen Herrschaft, die die
Menschen dieser Zeit erstrebten. - Das
Zitat ist ein Bekenntnis zu Freiheit und Freiheit ist Einsicht in die Notwen¬
Unabhängigkeit bzw. Ausdruck des digkeit
Verlangens danach. Während „die ich Dieser Ausspruch findet sich in Fried¬
meine“ in Schenckendorfs Lied soviel rich Engels’ Schrift „Herrn Eugen Düh-
bedeutet wie „die ich liebe“, versteht rings Umwälzung der Wissenschaft“
man „meinen“ in dem Zitat heute eher aus dem Jahr 1878 (dem sogenannten
im Sinne von „verstehen, im Sinne „Anti-Dühring“). Es geht darin um das
haben“. dialektische Verhältnis von Freiheit und
Notwendigkeit. Einsicht in die Notwen¬
digkeit einer Sache bewirkt die Freiheit
Der Freiheit eine Gasse! ihr gegenüber, weil sie dann nicht mehr
Diese Forderung stammt aus dem Ge¬ als äußerlicher Zwang, sondern als in¬
dicht „Aufruf“ (1813) von Theodor neres Bedürfnis empfunden wird. Das
Körner, einem Dichter der Befreiungs¬ Zitat kann heute auch gelegentlich als
kriege. Es beginnt mit der Zeile „Frisch ironischer Ausdruck der Resignation
auf, mein Volk! Die Flammenzeichen angesichts unabänderlicher Gegeben¬
rauchen“. Die zweite Strophe des lan¬ heiten verwendet werden.
gen Gedichts lautet: „Das höchste Heil,
das letzte, liegt im Schwerte!/Drück’ dir
den Speer ins treue Herz hinein! -/Der Freiheit ist immer Freiheit der An¬
Freiheit eine Gasse! -/Wasch’ die Er¬
dersdenkenden
de,/Dein deutsches Land, mit deinem
Dieser zum Schlagwort gewordene Satz
Blute rein!“ Eine ähnliche Stelle enthält
findet sich als Randbemerkung in einer
auch Max von Schenckendorfs Gedicht
aus dem Nachlaß herausgegebenen
„Schill. Eine Geisterstimme“ aus dem
Jahr 1809. Hier finden sich die Worte Schrift von Rosa Luxemburg (1871 bis
„Für die Freiheit eine Gasse“. - Man 1919). Ihr Titel ist „Die Russische Revo¬
lution. Eine kritische Würdigung“, her¬
verwendet das Zitat in Zusammenhän¬
gen, in denen man gegen Beschränkun¬ ausgegeben von P. Levi, 1922. Rosa Lu¬
gen oder Einengungen angehen will. xemburg gibt darin ihrer Überzeugung
Ausdruck, daß „politische Freiheit“
nicht das Privileg einer Gruppierung, et¬
wa einer Partei, sein kann, weil - wie sie
Freiheit, Gleichheit, Brüderlich¬
in diesem Zusammenhang fortfährt -
keit „all das Belebende, Heilsame und Rei¬
Diese drei Schlagworte, im Französi¬ nigende der politischen Freiheit an die¬
schen Liberte, Egalite, Fraternite, wur¬ sem Wesen hängt und seine Wirkung
den 1793 zur Losung der Französischen versagt, wenn die ,Freiheit’ zum Privile¬
Revolution und später, in der Zeit der gium wird“. Das heißt, Widerspruch
zweiten Republik (1848-1852), sogar und Opposition der „Andersdenken¬
zur offiziellen Devise des Staates. Die den“ sind nötig. - Als Zitat verwendet
Formel ist auch heute noch französi¬ man den Ausspruch vielfach ganz allge¬
schen Geldmünzen eingeprägt. - In mein als Ermahnung zur Toleranz.

152
Teil I
Freuden

Freiheit ist nur in dem Reich der Freude dieser Stadt bedeute,
Träume t Friede sei ihr erst Geläute
Schillers Gedicht „Der Antritt des neu¬
en Jahrhunderts“ (1801) beklagt den
Zustand der Welt am Anfang des neuen, Freude, schöner Götterfunken
19. Jahrhunderts. Es beginnt: „Edler Mit diesem Vers beginnt Schillers Ge¬
Freund! Wo öffnet sich dem Frie- dicht „An die Freude“ (1785), das durch
den,/Wo der Freiheit sich ein Zufluchts¬ seine Vertonung als Schluß der 9. Sinfo¬
ort?“ ln der letzten Strophe des Ge¬ nie (1823) von Beethoven besonders be¬
dichts gibt Schiller der Überzeugung kannt wurde. Die Freude wird als „Göt¬
Ausdruck, daß die Freiheit nur „im terfunken“ und als „Tochter aus Elysi¬
Reich der Träume“ existiert. „Ach, um¬ um“ gleichsam als Göttin angespro¬
sonst auf allen Länderkarten/Spähst du chen. Der Dichter preist ihren Zauber,
nach dem seligen Gebiet,/Wo der Frei¬ der die Menschen vereint. - Als „Song
heit ewig grüner Garten,/Wo der of Joy“ wurde die Beethovensche Melo¬
Menschheit schöne Jugend blüht.“ - die in einen Popsong verwandelt. Im
Das Zitat gibt der realistischen Einsicht Jahr 1986 haben die EG-Außenminister
Raum, daß völlige Unabhängigkeit oder die Melodie des Liedes „An die Freu¬
Freiheit von allen Zwängen illusionär de“ zur Europahymne erhoben.
ist.

Freude war in Trojas Hallen


tSich mit fremden Federn So beginnt Schillers Gedicht „Kassan¬
schmücken dra“ (1802). Es hat die Klage der Kas¬
sandra zum Inhalt, die als Priesterin
Ein fremder Tropfen in meinem Apolls die Gabe der Weissagung hat.
Während große Freude in ihrer Umge¬
Blute
bung herrscht und man sich anschickt,
Der Ausspruch findet sich am Ende des die Hochzeit von Achill und Polyxena,
zweiten Aufzugs von Goethes Trauer¬ der Schwester Kassandras, zu feiern, ist
spiel „Egmont“. Wilhelm von Oranien sie von der Vorahnung der kommenden
hat vergebens versucht, Egmont zu Schrecken niedergedrückt. - Das Zitat
überreden, mit ihm die Stadt Brüssel zu kommentiert die frohe Stimmung an
verlassen, weil Herzog Alba, der Vertre¬ einem Ort, an dem man möglicherweise
ter Spaniens, im Anmarsch ist. Oranien noch nichts von drohendem Unheil
fürchtet für das Leben Egmonts. Aber ahnt.
Egmont will die Gefahr nicht sehen. Er
schüttelt den Gedanken an eine Gefähr¬
dung, den Oranien ihm eingepflanzt Die Freuden, die man übertreibt,
hat, mit den Worten ab: „Weg! - Das ist verwandeln sich in Schmerzen
ein fremder Tropfen in meinem Blute.
Diese Lebensweisheit stammt aus einem
Gute Natur, wirf ihn wieder heraus!“ -
Lied des weimarischen Schriftstellers
Mit diesem Zitat distanziert man sich
Friedrich Justin Bertuch (1747-1822)
von etwas, einem Gedanken, einer Re¬
mit dem Titel „Das Lämmchen“. Es fin¬
gung oder ähnlichem, von dem man er¬
det sich in der Liedersammlung „Wie¬
kennt, daß es dem eigenen Wesen fremd
genliederchen“ aus dem Jahre 1772.
ist. Darin wird geschildert, wie ein Lämm¬
chen allzu fröhlich und unvorsichtig
t Ich kann gar nicht so viel fressen, umherspringt und sich schließlich ein
wie ich kotzen möchte Bein bricht. Es heißt dort in der letzten
Strophe wörtlich: „Die Freuden, die
man übertreibt,/die Freuden werden
t Ach, spricht er, die größte Freud’ Schmerzen!“ - Das Zitat ist eine Er¬
ist doch die Zufriedenheit mahnung zur Mäßigung.

153
freuet Teil I

Freuet euch mit den Fröhlichen kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen.
und weinet mit den Weinenden Die als „Chorstrophe“ immer wieder¬
kehrenden Anfangszeilen lauten:
Das 12. Kapitel des Römerbriefes ent¬
„Freut euch des Lebens,/Weil noch das
hält eine Reihe christlicher Lebensre¬
Lämpchen glüht;/Pflücket die Ro-
geln. Es sind Aufforderungen und Mah¬
se,/Eh’ sie verblüht!“ Auf diese Verse
nungen des Apostels Paulus, gerichtet
gibt es eine ebenso bekannte Parodie:
an die Gemeinde in Rom. Römer 12,
„Freut euch des Lebens,/Großmutter
Vers 15 enthält eine der bekanntesten
wird mit der Sense rasiert,/Alles verge¬
dieser Regeln: die Ermahnung, am Le¬
bens !/Sie war nicht eingeschmiert.“ -
ben und Schicksal anderer teilzuneh¬
Das Zitat ist eine Aufforderung zu ei¬
men, sich ihrer anzunehmen nicht nur in
nem unbeschwerten Genießen der Freu¬
guten, sondern auch in bösen Zeiten.
den, die sich bieten.
Die erste Hälfte dieses Bibelwortes wird
auch allein zitiert, oft in weniger ernst¬
TDes freut sich das entmenschte
haften Zusammenhängen.
Paar mit roher Henkerslust
T O Freund, das wahre Glück ist die
Friede den Hütten! Krieg den
Genügsamkeit
Palästen!
T Mein Freund kannst du nicht län¬ Diese in erster Linie als Kampfansage
gegen die Reichen zu verstehende Paro¬
ger sein
le stellte der sozial engagierte Dichter
Georg Büchner (1813-1837) als Motto
t Mein lieber Freund und Kupfer¬
seiner radikaldemokratischen Kampf¬
stecher
schrift „Hessischer Landbote“ voran,
die er 1834 herausgab. Er übernahm da¬
t Lieben Freunde, es gab schön’re
mit eine Losung aus der Französischen
Zeiten
Revolution von 1789, änderte aber die
Reihenfolge der beiden Aussagen dieser
t O Freunde, nicht diese Töne!
Losung. Sie lautet im französischen Ori¬
ginal: Guerre aux chäteaux! Paix aux
Freunde, vernehmet die Geschich¬
chaumieres! und wird dem französi¬
te schen Schriftsteller Sebastien Roch Ni¬
Als Ankündigung beim Erzählen einer colas Chamfort (1741-1794) zuge¬
Neuigkeit, auch eines Witzes o.ä. wird schrieben. Er soll sie als Schlachtruf für
dieser Ausspruch gelegentlich scherz¬ die französischen Revolutionstruppen
haft zitiert. Es ist der Beginn einer be¬ vorgeschlagen haben.
rühmten Tenorarie, des Postillionlieds,
aus dem ersten Akt der komischen Oper Friede sei ihr erst Geläute
„Der Postillion von Lonjumeau“ von Mit diesem Friedenswunsch endet
Adolphe Charles Adam (1803-1856). Schillers vielleicht bekanntestes Ge¬
Die deutsche Übersetzung des französi¬ dicht „Das Lied von der Glocke“. In
schen Librettos stammt von M. G. diesem Gedicht werden die Vorgänge
Friedrich. beim Gießen einer Glocke geschildert
und symbolisch verbunden mit den Er¬
Freut euch des Lebens eignissen, die im Ablauf des menschli¬
So beginnt ein bekanntes Lied des chen Lebens auftreten. Nach der Schil¬
Schweizer Dichters und Malers Johann derung der letzten dramatischen Ereig¬
Martin Usteri (1763-1827) aus dem Jahr nisse und der Fertigstellung der Glocke,
1793. Die Melodie stammt von Hans die auf den Namen „Concordia“ ge¬
Georg Nägeli. Das Lied ist Ausdruck tauft wird, stehen am Ende des langen
naiver Lebensfreude, die sich auf Be¬ Gedichts die beiden oft zusammen zi¬
scheidenheit und Genügsamkeit grün¬ tierten Zeilen: „Freude dieser Stadt be-
det und auf die Bereitschaft, sich an den deute,/Friede sei ihr erst Geläute.“

154
Teil I
frommer

Der Friederich, der Friederich, das Die Zigarettenfirma versuchte damals,


war ein arger Wüterich! ein Image von Fröhlichkeit und Unbe¬
Als nicht sehr ernst gemeinte, an einen schwertheit mit der Zigarettenmarke zu
jähzornigen, leicht aufbrausenden Men¬ verbinden. Der Ausdruck wurde durch
schen gerichtete Mahnung ist dieser die intensive Werbung ziemlich popu¬
Ausruf gelegentlich zu hören. Es sind lär, hat sich dann gewissermaßen ver¬
die ersten beiden Verse, mit denen „Die selbständigt und wird nun auf Genüsse
Geschichte vom bösen Friederich“ aus der verschiedensten Art angewendet.
dem „Struwwelpeter“ beginnt, dem
weltbekannten Kinderbuch des Frank¬ Fröhliche Wissenschaft
furter Arztes und Schriftstellers Hein¬
Der Begriff „fröhliche Wissenschaft“ ist
rich Hoffmann (1809-1894). eine von dem Philosophen Johann Gott¬
fried Herder (1744-1803) geprägte Be¬
zeichnung für die altprovenzalische Li¬
Frisch, fromm, fröhlich, frei
teratur, besonders für die Minnelyrik
Dieser Turnerwahlspruch früherer Zei¬ der Troubadours. Der Begriff wurde
ten geht auf den „Turnvater“ Jahn dann in der Folgezeit immer wieder auf¬
(Friedrich Ludwig Jahn, 1778-1852) zu¬ gegriffen und auf andere Bereiche aus¬
rück, der in seinem Buch „Die deutsche gedehnt oder übertragen. Friedrich
Turnkunst“ (1816) eine ähnliche For¬ Nietzsche zum Beispiel benutzte ihn als
mulierung gebrauchte. In der heute be¬ Schlagwort, das für ihn die Freude über
kannten Form eingeführt hat diesen die wiederkehrende Kraft nach langer
Wahlspruch erst der Germanist und Entbehrung ausdrückte, und nannte ei¬
Sportpädagoge Hans Ferdinand Ma߬ nes seiner Werke „Die fröhliche Wis¬
mann (1797 bis 1874), ein Schüler Jahns. senschaft (La gaya scienza)". Der fran¬
Der Spruch wird kaum noch in seiner zösische Regisseur Jean-Luc Godard
ursprünglichen Funktion gebraucht; drehte 1968 einen Film, der sich mit mo¬
wenn man heute beispielsweise jeman¬ dernen Gesellschaftsproblemen befa߬
des Handlungsweise als „frisch, fromm, te. Er trug im Deutschen ebenfalls die¬
fröhlich, frei“ bezeichnet, so will man sen Titel, im französischen Original
damit ausdrücken, daß man sie für „un¬ hieß er Le gai savoir.
bekümmert, impulsiv, sorglos, unbe¬
dacht“ hält.
Einen fröhlichen Geber hat Gott
lieb
Friß, Vogel, oder stirb! Der früher bei kirchlichen Spendenauf¬
Die Redensart nimmt Bezug auf einen rufen häufig genutzte Ausspruch ist
gefangenen Vogel, der - um zu überle¬ heute eher als scherzhafter Kommentar
ben - fressen muß, was man ihm als bei Sammlungen, Kollekten o. ä. zu hö¬
Futter reicht. Im übertragenen Sinne ren, die man als lästig empfindet. In der
sagt sie aus, daß jemand in einer be¬ Bibel steht dieser Spruch im 2. Korin¬
stimmten Situation keine Wahl oder therbrief (9,7) in einem Zusammen¬
Ausweichmöglichkeit hat. Er muß tun, hang, in dem der Apostel Paulus die Ge¬
wozu die Gegebenheiten ihn zwingen. meinde in Korinth ermahnt und auffor¬
„Friß, Vogel, oder stirb!“ war auch der dert, „für die armen Christen in Jerusa¬
Titel einer gegen Martin Luther gerich¬ lem“ zu spenden.
teten Schmähschrift, die der Straßbur¬
ger Pfarrer Johann Nikolaus Weislinger t Mit frommem Schauder
im Jahr 1722 verfaßte.

Frommer Betrug
Frohen Herzens genießen Wenn man jemanden in guter Absicht
Zur Einführung der Zigarettenmarke täuscht oder ihm etwas verschweigt,
„HB“ wurde dieser Slogan 1955 kreiert. so wird dieses Vorgehen als „frommer

155
frommer Teil I

Betrug“ bezeichnet. Dieser Ausdruck schenkt (vergleiche auch den Artikel


stammt aus den „Metamorphosen“ des „Kassandra“). Die Tragik dieser Figur
römischen Dichters Ovid (43 v. Chr. bis wird auch deutlich in der am Anfang
17/18 n. Chr.). Dort wird an einer Stelle der 8. Strophe des Gedichts gestellten
von einem Kreter erzählt, der unbedingt Frage nach dem Sinn der Prophezeiung
einen Sohn haben wollte. Würde ihm ei¬ eines unmittelbar drohenden Unheils,
ne Tochter geboren, würde er sie töten. das nicht abzuwenden ist: „Frommt’s,
Als das Kind nun tatsächlich ein Mäd¬ den Schleier aufzuheben,/Wo das nahe
chen war, riet die Göttin Isis der Mutter, Schrecknis droht?“ Zitiert wird meist
das Neugeborene für einen Jungen aus¬ nur der erste Teil dieser Frage, womit
zugeben. So wurde durch diesen „from¬ man seinen Zweifel darüber ausdrückt,
men Betrug“ (lateinisch pia fraus) das ob es denn sinnvoll oder nützlich ist,
Leben des Kindes gerettet, und die Göt¬ etwas Bestimmtes genau zu ergründen.
tin verwandelte es später wirklich in ei¬
nen Jungen. - Der Ausdruck wird heute
Früchte des Zorns
auch als Bezeichnung für eine Selbst¬
In seinem 1939 erschienenen Roman
täuschung, durch die man sich etwas
„Die Früchte des Zorns“ (englischer Ti¬
einredet, was in Wirklichkeit nicht zu
tel: The grapes of wrath) beschreibt der
realisieren ist, verwendet.
amerikanische Schriftsteller John Stein¬
beck (1902-1968) das harte Leben wan¬
Ein frommer Knecht war Fridolin
dernder Farmarbeiter in Kalifornien,
Mit dieser Zeile beginnt die (1797 er¬ dokumentiert damit zugleich den un¬
schienene) Ballade „Der Gang nach beugsamen Lebenswillen der Menschen
dem Eisenhammer“ von Schiller. In ihr und setzt sich in scharfer Kritik mit den
wird eine Geschichte von einem jungen, Auswüchsen des amerikanischen Kapi¬
seiner Herrin treu ergebenen Diener er¬ talismus auseinander. Nach dem Ro¬
zählt, der von einem Neider bei seinem man wurde 1940 unter der Regie von
Herrn verleumdet wird und daraufhin John Ford ein Film gedreht, der wie das
in einer Schmelzhütte, dem Eisenham¬ Buch großen Erfolg hatte. Der englische
mer, umgebracht werden soll. Treue Titel zitiert eine Formulierung aus dem
und Gottesfürchtigkeit, die das Han¬ Gedicht „The Battle Hymn of the Ame¬
deln des jungen Dieners bestimmen, be¬ rican Republic“ der amerikanischen
wahren ihn jedoch vor diesem grausigen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin
Geschick. Die erste Zeile dieses Gedich¬ Julia Ward Howe (1819-1910). Darin
tes wird heute vorwiegend wohl ironisch heißt es: „Mine eyes have seen the glory
oder scherzhaft zur Charakterisierung of the coming of the Lord:/He is tramp-
eines diensteifrig strebsamen, beflisse¬ ling out the vintage where the grapes of
nen Menschen zitiert. wrath are stored“ („Meine Augen haben
die Herrlichkeit der Ankunft des Herrn
Es t kann der Frömmste nicht in gesehen: Er keltert den Wein, wo die
Frieden leben, wenn es dem bösen Trauben des Zorns gelagert sind“). Im
Nachbarn nicht gefällt Deutschen wurde der Titel von Roman
und Film zu einem feststehenden Aus¬
Frommt’s, den Schleier aufzuhe¬ druck, der als bildliche Umschreibung
etwa im Sinne von „Ergebnis, Folgen
ben?
unbeherrschter, unüberlegter Taten,
Die Seherin Kassandra, eine Gestalt aus
blinden Handelns“ verwendet wird.
der griechischen Mythologie, steht im
Mittelpunkt des Gedichtes „Kassan¬
dra“ von Schiller (aus dem Jahr 1802). Die T schlechtesten Früchte sind es
Es enthält im wesentlichen die Klage nicht, woran die Wespen nagen
der Seherin über ihr Schicksal, die Gabe
der Weissagung zu besitzen, ohne daß t An ihren Früchten sollt ihr sie er¬
jemand ihren Prophezeiungen glauben kennen

156
Teil I fünfte

Früh übt sich, was ein Meister wer¬ derie erstarrten konventionellen Moral
den will von Schule und Elternhaus. Der Titel
Das auch heute noch oft zitierte Sprich¬ des Stücks wird seither als Umschrei¬
wort findet sich in Schillers Schauspiel bung der beginnenden Sexualität bei
„Wilhelm Teil“ (III, 1). Es ist die Ant¬ Jugendlichen verwendet.
wort, die Wilhelm Teil seiner Frau Hed¬
t Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr wer-
wig gibt, die im Hinblick auf ihre beiden
mit einer Armbrust beschäftigten Kin¬
det’s nicht erjagen
der vorwurfsvoll geäußert hatte: „Die
t Und führe uns nicht in Versu¬
Knaben fangen zeitig an zu schießen.“
chung
Und ihre Antwort auf Teils Äußerung
lautet dann: „Ach, wollte Gott, sie lern-
t Und führen, wohin du nicht
ten’s nie!“ Mit dem Zitat, das manchmal
willst
auch nur in der Verkürzung „Früh übt
sich“ verwendet wird, kommentiert
Es führt kein Weg zurück
man - meist ironisch - das Verhalten
von Kindern oder Jugendlichen, aus de¬ Die resignative Erkenntnis, daß es in
nen man auf die späteren Fertigkeiten einer bestimmten Situation keinen Weg
des Erwachsenen schließen zu können zurück gibt und das Vergangene unwie¬
glaubt. derbringlich verloren ist, formuliert der
deutsche Titel von Thomas Wolfes
Frühling, ja du bist’s! Dich hab’ (1900-1938) Roman You can’t go home
again. Die Hauptfigur, der junge Ro¬
ich vernommen!
mancier George Webber, macht diese
t Frühling läßt sein blaues Band wieder
Erfahrung in verschiedenen Lebensbe¬
flattern durch die Füfte
reichen. Es gibt für ihn keine Rückkehr
in seine amerikanische Heimatstadt, zu
Frühling läßt sein blaues Band seiner romantischen Liebe, zum literari¬
wieder flattern durch die Lüfte schen Ruhm, zu seiner zweiten geistigen
Bei dem Zitat handelt es sich um die Heimat im Deutschland der dreißiger
beiden ersten Verszeilen von Eduard Jahre, zur Vaterfigur, die er in seinem
Mörikes (1804-1875) populärem, u. a. Lektor und literarischen Berater sieht.
von Robert Schumann und Hugo Wolf
vertontem Frühlingsgedicht „Er ist’s“. Fülle der Gesichte
Fast ebenso bekannt wie die beiden er¬ Als gehobene Umschreibung einer
sten sind auch die beiden letzten Zeilen „Vielzahl von Eindrücken“ oder auch
dieses Gedichts. Sie lauten: „Frühling, für Ausdrücke wie „Ideen-, Einfalls¬
ja du bist’s!/Dich hab’ ich vernom¬ reichtum, Phantasie, Kreativität“ o.ä.
men!“ Mit beiden Zitaten werden heute wird diese Fügung noch gebraucht. Sie
meist scherzhaft die ersten Anzeichen stammt aus Goethes Faust (Teil I,
des Frühlings in der Natur begrüßt. Nacht) und ist Teil einer ärgerlichen
Äußerung Fausts über seinen Schüler
Es tmuß doch Frühling werden Wagner. Faust, noch ganz aufgewühlt
durch die Begegnung mit dem Erdgeist,
Frühlings Erwachen fühlt sich gestört und belästigt durch
Das Drama „Frühlings Erwachen. Eine den an der Tür klopfenden Famulus.
Kindertragödie“ von Frank Wedekind Seine unwilligen Worte lauten: „Es wird
(1864-1918) ist das erste große Bühnen¬ mein schönstes Glück zunichte!/Daß
werk des Dichters, mit dem er schlagar¬ diese Fülle der Gesichte/Der trockne
tig bekannt wurde. Nach der Urauffüh¬ Schleicher stören muß!“
rung 1906 in Berlin blieb es bis 1912 ver¬
boten. Wedekind schildert in diesem Die fünfte Kolonne
Drama die Nöte dreier Jugendlicher in Eine politische Gruppe, die im Krieg
der Pubertät im Konflikt mit der in Prü¬ oder bei internationalen politischen

157
für Teil I

Konflikten mit dem Gegner des eigenen nen 1819), der Sammlung von Gedich¬
Landes aus ideologischen Gründen zu¬ ten, die besonders aus Goethes Beschäf¬
sammenarbeitet, z. B. eine im Unter¬ tigung mit der Dichtung des persischen
grund tätige Spionagegruppe, wird mit Dichters Hafis hervorging, findet man
dem Ausdruck „fünfte Kolonne“ be¬ die Verse „Für Sorgen sorgt das liebe
zeichnet. Er stammt aus der Zeit des Leben,/Und Sorgenbrecher sind die Re¬
Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) ben.“ Mit ihnen spricht der Dichter den
und wurde 1936 von dem spanischen Freunden des Weins aus dem Herzen.
General Emilio Mola, einem der militä¬ Wir zitieren die erste Zeile, um dem
rischen Führer des Aufstandes gegen Vorwurf der Sorglosigkeit und Leichtle¬
die Republik, geprägt. Er sagte, er wer¬ bigkeit mit dem Hinweis zu begegnen,
de vier Kolonnen gegen Madrid führen, daß das Leben schwer genug sei und
aber die fünfte Kolonne, nämlich die in man gelegentlich einfach alle Alltags¬
Madrid tätigen Anhänger des Aufstan¬ sorgen hinter sich lassen müsse.
des, werde mit der Offensive beginnen.
Der amerikanische Schriftsteller Ernest
Die Furcht des Herrn ist der Weis¬
Hemingway, der sich im Spanischen
heit Anfang
Bürgerkrieg auf der Seite der Republi¬
kaner engagierte, gab einem (1938 er¬ Das Zitat findet sich im Alten Testa¬
schienenen) Theaterstück den Titel The ment (in Psalm 111,10) mit der Fortset¬
fifth column. Später wurden dann fa¬ zung: „Das ist eine feine Klugheit, wer
schistische Gruppen in westeuropäi¬ darnach tut; des Lob bleibt ewiglich.“
schen Ländern als fünfte Kolonne des Mit „Furcht des Herrn“ ist in veralten¬
nationalsozialistischen Deutschland, dem Sprachgebrauch „Ehrfurcht vor
noch später die kommunistischen Par¬ Gott, Gottesfurcht“ gemeint, wie man
teien als fünfte Kolonne der Sowjetuni¬ auch sagen kann „in der Furcht des
on bezeichnet. Herrn (= gottesfürchtig) leben“. Das
Zitat warnt vor menschlicher Überheb¬
lichkeit und betont den Anspruch der
Für dreißig Silberlinge verraten
Religion, daß Forschung und Wissen¬
t Judas
schaft ihr letztlich unterzuordnen seien.

Für einen Kammerdiener gibt es


Furcht und Elend des Dritten
keinen Helden
Reiches
Diese sprichwörtliche Redensart besagt,
t Glanz und Elend der Kurtisanen
daß aus der Nähe besehen und bei inti¬
mer Kenntnis der Gewohnheiten und
Lebensumstände eines Menschen alles t Zwischen Furcht und Hoffnung
Heldische, das er in den Augen Außen¬ schwebend
stehender hat, schwindet. Die Quellen
dieser Redensart sind nicht ganz ein¬ Furcht und Zittern
deutig festzulegen. Bereits in der Antike
Das Wortpaar findet sich an mehreren
berichtet der griechische Schriftsteller
Stellen in der Bibel, u. a. im Buch Hiob
Plutarch (um 46-um 125 n. Chr.) von
(4,13 f.): „Da ich Gesichte betrachtete
Antigonos Gonatas (um 319-um 239
in der Nacht, wenn der Schlaf auf die
v. Chr.), dem zeitweiligen König von
Leute fällt, da kam mich Furcht und Zit¬
Makedonien, er solle, als er in einem
tern an, und alle meine Gebeine er¬
Gedicht „Sohn der Sonne“ und „Gott“
schraken.“ Der dänische Philosoph So¬
genannt wurde, gesagt haben: „Davon
ren Kierkegaard (1813-1855) wählte
weiß mein Kammerdiener nichts.“
das Zitat als Titel einer Schrift von 1843
(auf deutsch im Jahre 1882 erschienen).
Für Sorgen sorgt das liebe Leben
Im heutigen Sprachgebrauch dient das
Im „Schenkenbuch“ von Goethes Wortpaar zur verstärkenden Bezeich¬
„Westöstlichem Diwan“ (zuerst erschie¬ nung großer Furcht.

158
Teil I futsch

Ein furchtbar wütend Schrecknis Fürchterlich Musterung halten


ist der Krieg In dieser meist nur noch scherzhaft ge¬
Das Zitat stammt aus Schillers „Wil¬ brauchten Wendung hat das Wort „Mu¬
helm Teil“ (1,2). Es sind die Worte sterung“ die heute veraltete Bedeutung
Stauffachers an seine Frau, die ihn zum „Inspektion, Überprüfung“. Die Wen¬
Aufruhr gegen den Reichsvogt Geßler dung bedeutet also etwa .jemanden, et¬
antreiben will. Er dagegen lehnt den was in strengster Weise und ohne Nach¬
Krieg ab, weil er weiß: „Die Herde sicht überprüfen“. Sie stammt aus Schil¬
schlägt er und den Hirten.“ Obgleich lers Schauspiel „Die Räuber“ (II, 3) und
das Zitat nichts von seiner Allgemein¬ ist ein Zitat der Worte des Räuberhaupt¬
gültigkeit verloren hat, wirkt es heute manns Karl Moor. Voller Empörung
durch Versmaß und Wortwahl ein we¬ über das verwerfliche Verhalten und die
nig antiquiert und dadurch fast schon zu Greueltaten einzelner der ihm unterge¬
harmlos angesichts der realen Kriegs¬ benen Räuber ruft er aus: „... ich will
ereignisse unserer Zeit. nächstens unter euch treten und fürch¬
terlich Musterung halten.“

Es fürchte die Götter das Men¬ Der Fürst dieser Welt


schengeschlecht Diese Bezeichnung für den Teufel
Das Zitat stammt aus Goethes Schau¬ stammt aus der Bibel. Es ist ein Wort
spiel „Iphigenie auf Tauris“ (IV, 5). In Jesu aus dem Johannesevangelium
einem längeren Monolog über ihr wech¬ (12,31), das er im Zusammenhang mit
selvolles Schicksal erinnert sich Iphige¬ der Ankündigung seines nahen Todes
nie an das „Lied der Parzen“, das ihr ih¬ gebraucht. Die Stelle lautet: „Jetzt geht
re Amme vorsang. Die erste Strophe das Gericht über die Welt; nun wird der
dieses Liedes lautet: „Es fürchte die Fürst dieser Welt ausgestoßen werden.“
Götter/Das Menschengeschlecht !/Sie Bekannt geworden ist der Ausdruck be¬
halten die Herrschaft/In ewigen Hän- sonders dadurch, daß ihn Martin Luther
den,/Und können sie brauchen,/Wie’s (1483-1546) im dritten Vers seines wohl
ihnen gefällt.“ Heute wird mit dem Zi¬ bekanntesten Liedes „Ein feste Burg ist
tat, besonders in bezug auf jemandes unser Gott“ verwendet hat.
allzu optimistische Weitsicht, mahnend
in Erinnerung gerufen, daß niemand vor Der Fürs! ist der erste Diener sei¬
unerwarteten Schicksalsschlägen ge¬ nes Staates
schützt ist. Friedrich II. verstand sich, besonders
von Voltaire beeinflußt, als Repräsen¬
tant eines aufgeklärten Absolutismus.
Fürchte mich weder vor Hölle Bereits im ersten Regierungsjahr (1740)
noch Teufel setzte er sich die Maxime „Der Fürst ist
„Mich plagen keine Skrupel noch Zwei¬ der erste Diener seines Staates“, die er
fel,/Fürchte mich weder vor Hölle noch im Original stets französisch formulier¬
Teufel.“ Das sagt Faust im ersten Teil te: Un prince est le premier serviteur et le
von Goethes Tragödie von sich selbst premier magistrat de l'Etat. Heute wird
(Anfangsmonolog der Szene „Nacht“). mit diesem Zitat ausgedrückt, daß
Man verwendet den zweiten Vers des Macht und damit verbundene Rechte
Zitats heute, wenn man ausdrücken will, nicht von Pflichten und Fürsorge ande¬
daß man vor nichts und niemandem ren gegenüber getrennt werden dürfen.
Angst hat, keinerlei Furcht kennt.
Futsch ist futsch, hin ist hin
Die saloppe Redensart - auch in der Va¬
t Etwas fürchten und hoffen und riante „... und hin ist hin“ - geht auf das
sorgen muß der Mensch für den von Ludwig Keller vertonte Wanderlied
kommenden Morgen „Bin ein fahrender Gesell“ von Rudolf

159
Futteral Teil I

Baumbach (1840-1905) zurück. Der Die ganze Richtung paßt uns nicht
Kehrreim „Lustig Blut und leichter Dieser Satz mit der Bedeutung „diese
Sinn,/Hin ist hin, hin ist hin“ wurde Ausformung, Entwicklung lehnen wir
schon bald auch in der abgewandelten grundsätzlich ab“ geht auf den Berliner
Form zitiert. Man drückt damit - ein Polizeipräsidenten Bernhard Freiherr
wenig leichthin - die Einsicht aus, daß von Richthofen zurück. Er beantwortete
etwas unwiederbringlich verloren ist. damit am 23. 10. 1890 eine Frage des
Direktors des Lessing-Theaters, Oskar
Der t Mensch im Futteral Blumenthal, nach dem Grund für das
Verbot des Theaterstücks „Sodoms En¬
de“ von Hermann Sudermann. Das Zi¬
tat wird oft so gebraucht, daß man es je¬
manden, z. B. einem politischen Gegner,
in den Mund legt, um dessen Borniert¬
heit und Arroganz und vor allem dessen
Unfähigkeit zur Differenzierung und ra¬

G tionalen Argumentation anzuprangem.

Die ganze Welt ist Bühne


Eine Gabe Gottes Das Zitat stammt aus Shakespeares Ko¬
Dieser Ausdruck Findet sich im Prediger mödie As You Like It („Wie es euch ge¬
Salomo des Alten Testaments, u. a. Ka¬ fällt“) 11,7, wo der verbannte Herzog
pitel 3,13: „Denn ein jeglicher Mensch, und der Edelmann Jacques über das
der da ißt und trinkt und hat guten Mut Leid in dieser Welt sprechen und
in aller seiner Arbeit, das ist eine Gabe Jacques einen längeren Vergleich des
Gottes.“ Er wird heute allgemein für et¬ Menschenlebens mit einem Theater¬
was sehr Schönes, Angenehmes, Positi¬ stück in sieben Aufzügen mit den fol¬
ves gebraucht, oft auch in der erweiter¬ genden Worten beginnt: All the world’s a
ten Form „eine gute Gabe Gottes“. stage,/And all men and women merely
players. Damit nimmt er die lateinische
Inschrift des Shakespeareschen Globe
Gäbe es Gott nicht, so müßte man
Theatre auf: Totus mundus agit histrio-
ihn erfinden
nem („Die ganze Welt spielt Theater“).
Das Zitat stammt aus Voltaires Zugrunde liegt die in die Antike zurück¬
(1696-1778) „Epistel an den Verfasser reichende Vorstellung vom Welttheater,
des Buches von den drei Betrügern“ vom Theatrum mundi, wonach die Welt
und lautet im Original: Si Dieu n'existait als ein Theater aufgefaßt wird, auf dem
pas, il faudrait l’inventer. In freier Ver¬ die Menschen vor Gott ihre Rolle spie¬
wendung sagt man z. B. von etwas Prak¬ len. Mit dieser Vorstellung verbinden
tischem, was sich schon bewährt hat: wir das Zitat auch im heutigen Sprach¬
„Wenn es das nicht gäbe, müßte man es gebrauch; hinzu tritt vielleicht auch ge¬
geradezu erfinden.“ legentlich der Gedanke, daß man der
Öffentlichkeit gegenüber nicht sein
Ganz ohne Weiber geht die Chose wahres Gesicht zeigt, sondern versucht,
nicht sich wie ein Schauspieler hinter einer
Maske zu verstecken.
Das Zitat stammt aus der Operette „Die
Csardasfürstin“ von Emmerich Kalman
(1882-1953) mit dem Text von Leo
Stein und Bela Jenbach. Es wird im Sin¬ t Immer strebe zum Ganzen, und
ne von „ganz ohne Frauen geht es eben kannst du selber kein Ganzes wer¬
doch nicht“ vor allem in der Umgangs¬ den, als dienendes Glied schließ an
sprache gebraucht. ein Ganzes dich an!

160
Teil I
gebet

Die Garde stirbt und ergibt sich t Ach, die Gattin ist’s, die teure
nicht
Nantes in Frankreich ist die Geburts¬
stadt des Generals Pierre Cambronne
Gaudeamus igitur, iuvenes dum
(1770-1842). Dort hat man dem Gene¬ sumus
ral eine Statue errichtet mit der Auf¬ Das Zitat - auf deutsch: „Freuen wir
schrift La garde meurt ei ne se rend pas uns also, solange wir jung sind“ - ist der
(„Die Garde stirbt und ergibt sich Anfang des Studentenliedes „De brevi-
nicht“), ein Ausspruch, den der General tate vitae“ („Über die Kürze des Le¬
während der Schlacht von Waterloo ge¬ bens“) in der Fassung Chr. Wilhelm
braucht haben soll. Dieser hat aber öfter Kindlebens von 1781. Josef Victor von
bestritten, sich je in dieser Weise geäu¬ Scheffel nannte 1868 seine Sammlung
ßert zu haben. von Studentenliedern „Gaudeamus“. In
der Akademischen Festouvertüre von
Johannes Brahms aus dem Jahr 1880
Ein garstig’ Lied! Pfui! Ein poli¬ wird das Lied zitiert und verarbeitet.
tisch’ Lied
Das Zitat findet sich in Goethes Faust I,
in der Szene „Auerbachs Keller in Leip¬ Geben ist seliger denn Nehmen
zig“, wo Brander das vom Zechgesellen Dieser Spruch geht auf das Neue Testa¬
Frosch angestimmte Lied - „Das liebe ment (Apostelgeschichte 20,35) zurück,
Heil'ge Röm’sche Reich,/Wie hält’s nur wo Paulus ihn als Jesu Wort an die Älte¬
noch zusammen?“ - mit den Worten sten der Gemeinde von Ephesus weiter¬
unterbricht: „Ein garstig’ Lied! Pfui! gibt. Als Aufforderung, nicht egoistisch
Ein politisch’ Lied,/Ein leidig’ Lied! zu sein, anderen großzügig zu helfen,
Dankt Gott mit jedem Morgen,/Daß Ihr wird er auch heute noch häufig zitiert.
nicht braucht fürs Röm’sche Reich zu Mit der Umkehrung „Nehmen ist seli¬
sorgen!“ Man zitiert den Anfang dieser ger denn geben“ kommentiert man iro¬
Äußerung meist spöttisch-ironisch, um nisch jemandes allzugroßen Egoismus.
jemandes apolitische Haltung zu cha¬
rakterisieren.
Geben Sie Gedankenfreiheit
Das Zitat stammt aus Schillers Drama
Gast auf Erden „Don Kariös“ (111,10), wo der Malte¬
Die Erkenntnis, nur Gast auf Erden serritter Marquis Posa die Forderung
(und damit sterblich) zu sein, geht auf nach Gedankenfreiheit gegenüber Phil¬
Psalm 119,19 im Alten Testament zu¬ ipp II., dem König von Spanien, aus¬
rück: „Ich bin ein Gast auf Erden.“ Der spricht. Gemeint ist damit die Freiheit,
dichterische Ausdruck „Erdengast“ in weltanschaulicher und politischer
wird gelegentlich mit „Erdenpilger“ Hinsicht zu denken, was man will, und
synonym gebraucht. Das Psalmwort hat diese Gedanken auch zu äußern.
der Dichter und evanglisch-lutherische
Pfarrer Paul Gerhardt (1607-1676) als
Anfang eines Kirchenliedes gewählt: Gebet, so wird euch gegeben
„Ich bin ein Gast auf Erden/Und hab’ Das Bibelzitat stammt aus der Bergpre¬
hier keinen Stand,/Der Himmel soll mir digt im Lukasevangelium (6,38), wo die
werden,/Da ist mein Vaterland.“ Auch Worte ursprünglich eschatologischen
Goethe greift das Bild vom Gast auf Er¬ Bezug auf das Reich Gottes haben: Wer
den in seinem Gedicht „Selige Sehn¬ mildtätig ist, wird leichter die ewige Se¬
sucht“ aus dem „Westöstlichen Diwan“ ligkeit erlangen. Dieser Bezug fehlt oft
auf: „Und solang du das nicht in der heutigen Verwendung des Zitats;
hast,/Dieses: Stirb und werde!/Bist du man versteht es dann eher im Sinne des
nur ein trüber Gast/Auf der dunklen lateinischen „Do ut des“ (vergleiche
Erde.“ diesen Artikel).

161
gebeugt Teil I

Gebeugt erst zeigt der Bogen seine Wechselspiel von Leben und Tod in der
Kraft Natur verwendet.

Mit diesem Bild beschreibt „Sappho“


t Jedermann klagt über sein Ge¬
am Ende von Franz Grillparzers gleich¬
namigem Trauerspiel (1817) ihre innere
dächtnis, niemand über seinen
Situation. Die gefeierte Dichterin hat Verstand
geglaubt, sich mit dem sie verehrenden
Jüngling Phaon verbinden zu können. TWär’ der Gedank’ nicht so
Phaon wendet sich jedoch von ihr ab, verwünscht gescheit, man wär’
als er einer der jungen Dienerinnen der versucht, ihn herzlich dumm zu
Sappho begegnet. Er weist Sappho jetzt nennen
mit den Worten zurück: „Mit Hohem,
Sappho, halte du Gemeinschaft!/Man t Große Gedanken kommen aus
steigt nicht ungestraft vom Göttermah¬ dem Herzen
le/Herunter in den Kreis der Sterbli-
chen./Der Arm, in dem die goldne Leier
Die Gedanken sind frei
ruhte,/Er ist geweiht, er fasse Niedres
Diese Aussage bildet die Anfangszeile
nicht.“ Sappho leidet schwer an der Er¬
und den Kehrreim eines Liedes aus der
kenntnis, daß für sie die Kunst und
Sammlung „Des Knaben Wunderhom“
nicht die Teilhabe am Leben bestimmt
(Heidelberg 1806-1808) von Achim von
ist. Aus dem Leiden erwächst ihr aber
Arnim und Clemens Brentano. Auf den
die Kraft zu ihrem Entschluß, den Frei¬
Anfang des Liedes: „Die Gedanken
tod zu wählen. - Das sehr literarische
sind frei,/Wer kann sie erraten,/Sie flie¬
Zitat bringt zum Ausdruck, daß erst die
hen vorbei/Wie nächtliche Schatten./
äußere Herausforderung die inneren
Kein Mensch kann sie wissen,/Kein
Kräfte in einem Menschen mobilisiert.
Jäger erschießen“ spielt Joseph von
Eichendorff (1788-1857) in seinem Ge¬
Die gebratenen Tauben fliegen dicht „Verschwiegene Liebe“ an: „Wer
einem nicht ins Maul mag sie erraten,/Wer holte sie ein?/Ge-
Die umgangssprachliche Redensart mit danken sich wiegen,/Die Nacht ist ver¬
der Bedeutung „es fällt einem nichts oh¬ schwiegen,/Gedanken sind frei.“ Das
ne Mühe, ohne Arbeit zu“ geht wohl zu¬ Zitat wird heute nicht nur als allgemeine
rück auf Hans Sachs’ (1494-1576) Fabel Feststellung verwendet. Auch in Situa¬
vom Schlaraffenland: „Auch fliegen tionen, in denen man entweder ausdrük-
um, möget ihr glauben,/Gebraten Hüh¬ ken möchte, daß man trotz äußerer
ner, Gäns’ und Tauben./Wer sie nicht Zwänge seine geistige Unabhängigkeit
fängt und ist so faul,/Dem fliegen sie nicht aufzugeben gedenkt oder daß es
selbst in das Maul.“ einem gleichgültig ist, was ein anderer
denkt, wird es gebraucht.

t Denn ein gebrechlich Wesen ist


Gedanken sind zollfrei
das Weib
Das bereits von Luther in seiner Schrift
„Von weltlicher Obrigkeit“ (1523) auf¬
Geburt und Grab, ein ewiges Meer geführte Sprichwort geht auf den römi¬
So kennzeichnet der „Erdgeist“ im 1. schen Juristen Domitius Ulpianus
Teil von Goethes Faust (Nacht) das ewi¬ (170-223) zurück. In den Digesten (ei¬
ge Werden und Vergehen, das endlose nem juristischen Sammelwerk) des Cor¬
Meer von Geborenwerden und Sterben pus Juris Civilis XLVII1, 19,18 heißt es
in der Geschichte des Lebens. Im glei¬ aus seinem 3. Buch „Ad edictum praeto-
chen Sinne werden diese Worte auch ris“ (einem Kommentar zu den Grund¬
heute noch als Metapher für das Kom¬ sätzen prätorianischer Rechtspre¬
men und Gehen der Generationen in chung): Cogitationis poenam nemo pati-
der Geschichte, für das immer gleiche tur („Für seine Gedanken wird niemand

162
Teil I
gefallener

bestraft“). In diesem Sinne wird das Das gefährliche Alter


Sprichwort auch heute gebraucht.
Mit diesem Ausdruck bezeichnet man
heute in scherzhafter Weise das mittlere
t Von des Gedankens Blässe ange¬
Alter von Männern, in dem sie verstärkt
kränkelt
zu Liebesabenteuern neigen. Er wurde
populär durch ein 1910 erschienenes
t Wer sich in Gefahr begibt,
und damals vielgelesenes Buch der
kommt darin um
dänischen Autorin Karin Michaelis,
Gefahr im Verzüge dessen Titel „Das gefährliche Alter“
(dänisch Den Jarlige alder) hier aller¬
Droht in irgendeiner Form unmittelbar
dings auf eine Frau zu beziehen ist, de¬
Gefahr, sprechen wir von „Gefahr im
ren körperliche und seelische Probleme
Verzüge“ oder sagen: „Gefahr ist im
während des Klimakteriums der Roman
Verzug“, obwohl es korrekterweise „Ge¬ beschreibt.
fahr ist im Anzug“ heißen müßte. Denn
„Verzug“ bedeutet eigentlich „Auf¬
schub, Verzögerung“, und unsere Wen¬ Gefährliche Liebschaften
dung besagte ursprünglich nichts ande¬
Der Titel des berühmten Briefromans
res, als daß Gefahr im Aufschieben, im
von P. A. F. Choderlos de Laclos
Verzögern einer Sache liege. Dies ist (1741-1803) ist zusätzlich durch drei
auch die Bedeutung der zugrundelie¬ Verfilmungen bekanntgeworden: 1959
genden lateinischen Sentenz periculum Les Liaisons dangereuses von Roger Va-
in mora, die wir bei dem römischen Hi¬ dim, 1989 Dangerous Liaisons von Ste¬
storiker Livius (59 v.Chr.-17 n.Chr.) phen Frear und „Valmont“ von Milos
finden. Ein römischer Feldherr hatte in Forman. Analog dem Inhalt des Ro¬
einer Schlacht erkannt, daß mehr Ge¬ mans, der die Sittenverderbnis des Pari¬
fahr in der Verzögerung (nämlich des ser Adels am Beispiel eines skrupellosen
Rückzuges) liege als in der Beibehal¬ Spiels um Liebe und Liebesbeziehungen
tung der geordneten Schlachtreihen, schildert, läßt sich das Zitat auf zweifel¬
und befahl seinen Truppen, sich abzu¬ hafte, moralisch verwerfliche und zu¬
setzen. gleich gefährliche Geschäfte übertra¬
gen, auf die sich jemand einläßt.
t Wo aber Gefahr ist, wächst das
Rettende auch
Gefallener Engel
t In Gefahr und großer Not bringt
Der Sturz der Engel, die sich gegen Gott
der Mittelweg den Tod Jahwe erhoben hatten, aus dem Himmel
in die Hölle wird in der Offenbarung
Gefährlich ist’s, den Leu zu wek-
des Johannes geschildert (12,7-9). Auf
ken diese Bibelstelle und besonders auf Lu¬
Dieses Zitat stammt aus Schillers „Lied kas 10,18 („Ich sah wohl den Satanas
von der Glocke“ (1799). Hier heißt es: vom Himmel fallen“) geht die Vorstel¬
„Gefährlich ist’s, den Leu zu wek- lung vom Teufel als „gefallenem Engel“
ken,/Verderblich ist des Tigers zurück. Früheren bürgerlichen Moral¬
Zahn,/Jedoch der schrecklichste der vorstellungen folgend, wurde der Aus¬
Schrecken,/Das ist der Mensch in sei¬ druck dann verhüllend auf eine junge
nem Wahn.“ Man verwendet es, wenn ledige Mutter oder auf eine junge Frau,
man - meist scherzhaft - darauf hinwei- die vorehelichen Geschlechtsverkehr
sen will, daß es sehr nachteilig sein hatte, bezogen. Gelegentlich wird er
kann, leichtsinnig eine Gefahr herauf¬ noch heute auf eine junge Frau „mit
zubeschwören oder unvorsichtigerweise Vergangenheit“ angewendet. Auch ei¬
jemanden auf Dinge aufmerksam zu nen Mann, von dessen moralischer Inte¬
machen, die man zum eigenen Vorteil grität man überzeugt war, der aber dann
besser auf sich beruhen ließe. ein Opfer seiner menschlichen Schwä-

163
Gefilde Teil I

chen geworden ist, findet man manch¬ überholten politischen und gesellschaft¬
mal so gekennzeichnet. lichen Verhältnissen. Die liberale und
demokratische Bewegung war mit der
Beseitigung der Frankfurter Reichsver¬
Gefilde der Seligen
fassung mundtot gemacht worden, und
Der altgriechische Dichter Hesiod (um jeder wurde verfolgt, der auch nur im
700 v. Chr.) erzählt in seiner Dichtung mindesten revolutionärer Umtriebe ver¬
„Werke und Tage“ (171 ff.) von den „In¬ dächtig war. Den Geist der Zeit erhellen
seln der Seligen“, wo die Heroen am schlaglichtartig diese Schlußworte eines
Rande der Welt, fern von den Göttern Gedichts von Wilhelm von Merckel
und den Menschen, ein Leben im Zu¬ (1803-1861) mit dem Titel „Die fünfte
stand völligen Glücks führen. Er lehnt Zunft“ (erstmals veröffentlicht 1848).
sich dabei an die bei Homer geschilder¬ Daß solche Gedanken aber nicht der
ten „Elysischen Gefilde“ an (griech. Vergangenheit angehören, führen uns
’HXvaiov neSiov, lateinisch Elysium), immer wieder die täglichen Nachrichten
„wo ... ruhiges Leben die Menschen im¬ aus aller Welt vor Augen.
mer beseligt“ (Odyssee IV, 564 f.). Da¬
nach bezeichnet man auch heute noch
einen weltabgeschiedenen Ort, an dem
ein glückliches und friedliches Dasein
Geh aus mein Herz und suche
möglich scheint, als „Elysium“ oder als Freud’
„Gefilde der Seligen“. „Geh aus mein Herz und suche
Freud’/In dieser lieben Sommerzeit/An
deines Gottes Gaben.“ So beginnt der
Geflügelte Worte
bald zum Volkslied gewordene „Som¬
Diese Bezeichnung für bekannte, vielzi¬ mergesang“ des evangelischen Theolo¬
tierte Aussprüche - meist Zitate aus lite¬ gen und Kirchenlieddichters Paul Ger¬
rarischen Werken oder Aussprüche hi¬ hardt (1607-1676). Besonders der An¬
storischer Personen -, deren Herkunft fang des Liedes wird auch heute noch
im allgemeinen eindeutig nachgewiesen gelegentlich als scherzhafte Aufforde¬
werden kann, geht auf den altgriechi¬ rung zitiert, auszugehen und aus dem
schen Dichter Homer (2. Hälfte des Alltagstrott einmal auszubrechen.
8. Jh.s v. Chr.) zurück. In seinen Werken
„Ilias“ und „Odyssee“ gebraucht er den
Ausdruck an zahlreichen Stellen (grie¬
chisch : ensa TiTegöevra). Er bezeichnet Geh mir ein wenig aus der Sonne
damit Worte, die vom Mund des Red¬ Diese Worte soll der altgriechische ky-
ners zum Ohr des Angesprochenen nische Philosoph Diogenes von Sinope
„fliegen“. Schon vor der Homerüberset¬ (4.Jh. v. Chr.) zu Alexander dem Gro¬
zung von Johann Heinrich Voß (1781 ßen gesagt haben, als dieser ihn auf¬
und 1793) verwendete Friedrich Gott¬ suchte und ihm einen Wunsch freistell¬
lieb Klopstock (1724-1803) in seinem te. Verschiedene antike Autoren überlie¬
Epos „Der Messias“ diesen Ausdruck. ferten sie als Musterbeispiel für die Be¬
Populär wurde die Bezeichnung durch dürfnislosigkeit, wie sie demonstrativ
August Georg Büchmanns (1822-1884) von den Anhängern der philosophi¬
Sammlung „Geflügelte Worte. Der Ci- schen Richtung der Kyniker vorgelebt
tatenschatz des Deutschen Volkes“ von wurde. Wir zitieren den Ausspruch heu¬
1864. te, wenn wir jemandem zu verstehen ge¬
ben wollen, daß er stört und sich doch
entfernen sollte. Gelegentlich benutzt
Gegen Demokraten helfen nur
man die Worte auch als ganz konkret
Soldaten
gemeinten scherzhaften Hinweis dar¬
Die Jahre nach dem Scheitern der Revo¬ auf, daß jemand sich ungünstig plaziert
lution von 1848 in Deutschland waren hat und einem die Sonne oder das Licht
geprägt durch starres Festhalten an nimmt.

164
Teil I geht

Gehabte Schmerzen, die hab’ ich ne“, der heute noch gelegentlich scherz¬
gern haft übertragen für „Mund“ verwendet
wird.
Dies sagt im ersten Teil von Wilhelm
Büschs (1832-1908) Knopp-Trilogie
Knopps alter Freund Sauerbrot. Er Es würde t alles besser gehen,
glaubt nämlich, allem Eheungemach wenn man mehr ginge
entronnen zu sein, da seine Frau gestor¬
ben ist und aufgebahrt im Nebenzim¬ Gehorcht der Zeit und dem Gebot
mer liegt. Wir zitieren diese Worte heute der Stunde
zum Ausdruck der Erleichterung, wenn
Mit diesen Worten versucht in Schillers
wir etwas Unangenehmes hinter uns ge¬
Trauerspiel „Maria Stuart“ (uraufge-
bracht haben.
führt 1800) der Graf von Shrewsbury die
schottische Königin im Gefängnis vor
Gehe hin und tue desgleichen der Begegnung mit ihrer Rivalin Elisa¬
Das Gleichnis vom Barmherzigen Sa¬ beth zu einer demutsvollen Haltung zu
mariter im Lukasevangelium (10,30 bis bewegen. Losgelöst von diesem Bezug,
37), das Jesus einem Schriftgelehrten werden diese Worte heute verwendet,
vorträgt, endet mit der Aufforderung an wenn man mit Nachdruck sagen will,
diesen, sich in entsprechenden Situatio¬ daß die unmittelbaren Umstände ein be¬
nen ebenso zu verhalten: „So gehe hin stimmtes Handeln, eine bestimmte Ver¬
und tue desgleichen!“ Man zitiert diese haltensweise verlangen.
Bibelworte, wenn man jemandem nahe¬
legen will, sich nach dem lobenswerten Es geht alles vorüber
Vorbild eines anderen zu verhalten oder
Mit dieser Zeile beginnt der Refrain des
danach zu handeln.
gleichnamigen Schlagers von 1942, in
dem einem auf Wachposten stehenden
Gehe nie zu deinem Ferscht, wenn Soldaten verheißen wird, daß auch er
du nicht gerufen werscht einmal wieder in die Heimat zurückkeh¬
Dieser scherzhafte, mundartlich gefärb¬ ren kann. Der Text stammt von Kurt
te Vers wird (gelegentlich durchaus Feltz, die Musik schrieb Fred Raymond.
selbstironisch) auch heute noch als Die erste Hälfte des Refrains, die meist
Mahnung zitiert, nicht unaufgefordert verkürzt, gelegentlich aber auch ganz zi¬
seinen Vorgesetzten aufzusuchen, son¬ tiert wird, lautet: „Es geht alles vor-
dern seine Nähe lieber zu meiden. In über,/es geht alles vorbei,/auf jeden De¬
der Form „Gehe nicht zu einem zember/folgt wieder ein Mai.“ Das Zitat
Ferscht,/Wenn du nicht gerufen wird vor allem als Trost und Ermun¬
werscht“ stand dieser Vers in der Berli¬ terung für jemanden gebraucht, der in
ner Zeitschrift „Ulk“ (1898, Nr. 31), einer traurigen oder verzweifelten Lage
einem „illustrierten Wochenblatt für ist.
Humor und Satire“, Supplement zum
„Berliner Tageblatt“. Es geht mir ein Licht auf
Diese Redensart geht auf verschiedene
Gehege der Zähne Bibelstellen zurück, z. B. Hiob 25,3 und
Der altgriechische Dichter Homer (2. Psalm 97,11. Im Neuen Testament
Hälfte des 8.Jh.s v. Chr.) läßt in seinen (Matthäus 4,16) heißt es: „... das Volk,
Werken „Ilias“ und „Odyssee“ an meh¬ das in der Finsternis saß, hat ein großes
reren Stellen einen Gesprächspartner Licht gesehen; und die da saßen am Ort
auf eine bestimmte Äußerung hin entrü¬ und Schatten des Todes, denen ist ein
stet oder erstaunt mit dem Satz reagie¬ Licht aufgegangen.“ Im Unterschied
ren : „Welches Wort ist dem Zaun deiner zum bildlichen Gebrauch in der Bibel,
Zähne entflohen?“ (griechisch: flolöv der die Erhellung des menschlichen
as enog cpvyev epKog öSövzcov). Daher Geistes durch das Licht des Glaubens
rührt der Ausdruck „Gehege der Zäh¬ meint, wird mit dem Zitat heute ausge-

165
Geist Teil I

drückt, daß man plötzlich etwas versteht tierend und sich selbst Mut machend, in
oder durchschaut, was einem zunächst seinem Monolog an einer Stelle: „Noch
völlig unklar war. Auch scherzhafte Ab¬ fühl’ ich mich denselben, der ich
wandlungen sind üblich geworden, wie war!/Es ist der Geist, der sich den Kör¬
z. B. „Es geht mir ein Kronleuchter per baut“. Heute wird mit dem Zitat
auf'. zum Ausdruck gebracht, daß man einen
Gegenstand oder eine Person oft nicht
Den Geist aufgeben konkret wahrnimmt, sondern eher seine
eigene [Wunschjvorstellung davon als
Die Redewendung mit der ursprüngli¬
Realität ansieht. Auch als Ermutigung
chen Bedeutung „sterben“ wird heute
zum Mobilisieren psychischer Kraft¬
auch umgangssprachlich-scherzhaft im
reserven werden die Worte gebraucht.
Sinne von „entzweigehen, nicht mehr
funktionieren“ verwendet. Sie findet
sich - in der alten Bedeutung, in der Der Geist, der stets verneint
„Geist“ als „Lebenshauch“ oder „Le¬ „Ich bin der Geist, der stets ver-
ben“ zu verstehen ist - schon in der Bi¬ neintl/Und das mit Recht; denn alles,
bel. In den Klageliedern des Jeremia was entsteht,/Ist wert, daß es zugrunde
2,11 und 12 heißt es: „Ich habe schier geht.“ Mit diesen Worten stellt sich Me¬
meine Augen ausgeweint... da die Säug¬ phisto im ersten Teil von Goethes Faust
linge und Unmündigen auf den Gassen (Studierzimmer 1) selbst vor. Als einen
in der Stadt verschmachteten ... und in solchen „Geist“ bezeichnet man danach
den Armen ihrer Mütter den Geist auf- einen Menschen, dessen Äußerungen
gaben.“ Und in der Apostelgeschichte von einer negativen Einstellung geprägt
lesen wir (5,5): „Da Ananias aber diese sind und der eine nihilistische Haltung
Worte hörte, fiel er nieder und gab den zeigt.
Geist auf.“
t Sich in den Geist der Zeiten ver¬
Der Geist der Medizin ist leicht zu setzen
fassen
In der sogenannten Schülerszene im er¬ Der Geist ist willig, aber das
sten Teil von Goethes Faust (Studier¬ Fleisch ist schwach
zimmer 2) stellt Mephisto mit beißen¬ Wenn bei jemandem zwar ein guter Vor¬
dem Spott einem studierwilligen Schü¬ satz vorhanden ist, die Ausführung
ler zuerst die Hochschulfakultäten Jura dann aber an einer menschlichen
und Theologie vor. Dann beschreibt er Schwäche scheitert, zitiert man diese Bi¬
die Medizin mit folgenden zynischen belworte. Jesus spricht sie im Matthäus¬
Worten: „Der Geist der Medizin ist evangelium zu seinen Jüngern, die im
leicht zu fassen;/Ihr durchstudiert die Garten Gethsemane mit ihm wachen
groß’ und kleine Welt,/Um es am Ende und beten sollten, aber einfach einge¬
gehn zu lassen,/Wie’s Gott gefällt.“ Das schlafen waren (Matthäus 26,41). Das
seltener gebrauchte Zitat betont nicht Zitat hat auch einige zweideutig-hämi¬
nur die Begrenztheit der ärztlichen sche Abwandlungen erfahren. Dazu ge¬
Kunst, sondern läßt auch anklingen, hört z. B. die Behauptung, in der Liebe
was Mephisto noch weiterhin ausführt sei schon einmal bei der einen oder dem
und den Ärzten unterstellt, nämlich, anderen der Geist zwar schwach, dafür
daß sie ihren Beruf aus eher niedrigen aber das Fleisch sehr willig. Und schon
Motiven gewählt hätten. mancher mußte sich bei einer Diät ein¬
gestehen: Der Geist ist willig, aber das
Es ist der Geist, der sich den Kör¬ Fleisch schmeckt zu gut.
per baut
Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬ Der Geist weht, wo er will
ma „Wallensteins Tod“ (111,13). Dort Im Johannesevangelium veranschau¬
sagt Wallenstein, über sich selbst reflek¬ licht Jesus das Wirken Gottes und des-

166
Teil I Geld

sen Erkennbarkeit durch den Menschen t Wes Geistes Kind


mit dem Vergleich: „Der Wind bläst, wo
er will, und du hörst sein Sausen wohl; Gekeilt in drangvoll fürchterliche
aber du weißt nicht, woher er kommt Enge
und wohin er fährt“ (3,8). Der griechi¬
In Schillers „Wallensteins Tod“ (urauf-
sche Text des Versanfangs ro nvevpa
geführt 1799) berichtet ein schwedischer
önov 9sXei nvei wird in der Vulgata la¬
Hauptmann ausführlich von der
teinisch mit Spiritus ubi vult spiral („Der
Schlacht, in der Max Piccolomini den
Geist weht, wo er will“) wiedergegeben
Tod gefunden hat (IV, 10). Von den
(griechisch nvevpa kann sowohl
feindlichen Truppen heißt es da: „Nicht
„Wind“ als auch „Geist“ bedeuten, und
vorwärts konnten sie, auch nicht zu¬
nvelv kann mit „blasen“ oder „wehen“
rück,/Gekeilt in drangvoll fürchterli¬
übersetzt werden). Man verwendet be¬
cher Enge.“ Den zweiten Teil des Verses
sonders die deutsche Übersetzung des
bezieht man heute scherzhaft auf eine
lateinischen Textes heute, um zu ver¬
dichtgedrängte Menschenmenge, in der
deutlichen, daß sich die Freiheit der Ge¬
man eingekeilt steht, oder auch auf be¬
danken, das denkende Bewußtsein der
engte räumliche Verhältnisse.
Menschen niemals einschränken läßt. -
Gelegentlich wird der Satz aber auch
Gelassen stieg die Nacht ans Land
auf jemanden angewendet, der seine ei¬
genen Anschauungen hat und dessen Mit dieser Zeile beginnt das Gedicht
Handeln von Spontaneität geprägt ist. „Um Mitternacht“ von Eduard Mörike
(1804-1875), das in seinen beiden Stro¬
phen die Schwebe zwischen zwei Tagen
Die Geister, die ich rief und zugleich den vergangenen Tag be¬
t Die ich rief, die Geister singt. Die Anfangszeile setzt sich fort:
„Lehnt träumend an der Berge
Wand,/Ihr Auge sieht die goldne Waage
t Von allen Geistern, die vernei¬ nun/Der Zeit in gleichen Schalen stille
nen, ist mir der Schalk am wenig¬ ruhn;/Und kecker rauschen die Quellen
sten zur Last hervor,/Sie singen der Mutter, der
Nacht, ins Ohr/Vom Tage,/Vom heute
gewesenen Tage.“ Zur poetischen Cha¬
Die Geisterwelt ist nicht ver¬ rakterisierung einer nächtlichen Stim¬
schlossen mung wird das Zitat gelegentlich auch
Im ersten Teil von Goethes Faust heute noch verwendet.
(Nacht) zitiert Faust die Worte eines
nicht namentlich genannten Weisen: Gelbe Presse
„Die Geisterwelt ist nicht verschlos¬ t Yellow Press
sen ;/Dein Sinn ist zu, dein Herz ist
tot!/Auf, bade, Schüler, unverdrossen/ T Zum Kriegführen sind drei Dinge
Die ird’sche Brust im Morgenrot!“ Er nötig: Geld, Geld und nochmals
ist beseelt von dem Hochgefühl, in der
Geld
Magie einen Weg zur wahren Erkennt¬
nis gefunden zu haben. Losgelöst vom
Geld regiert die Welt
eigentlichen Inhalt zitiert man diese
Verse heute, wenn man jemandem sagen In Anspielung darauf, daß die auf
will, daß sich nur dem die Vielfalt der Grund ihres Geldes Mächtigen großes
Ansehen genießen und mit ihren weit¬
Welt und des Wissens erschließt, der be¬
reit ist, unvoreingenommen und mit of¬ reichenden Möglichkeiten auch ma߬
geblichen Einfluß auf die Politik neh¬
fenen Sinnen allem gegenüberzutreten.
men können, wird diese sprichwörtliche
Redensart verwendet, die bereits in Ge¬
t Deines Geistes hab’ ich einen org Henischs 1616 gedrucktem Wörter¬
Hauch verspürt buch „Teütsche Sprach und Weißheit“

167
Geld Teil I

verzeichnet ist. Sie findet sich in ähnli¬ Politiker Francis Bacon (1561-1626) in
cher Form in der Oper „Margarete“ von einem Brief an den Earl of Essex ver¬
Charles Gounod (1818-1893), wo es im wendete. In Goethes „Westöstlichem
„Rondo vom goldenen Kalb“ heißt: Diwan“ (Buch Suleika) beginnt Hatems
„Ja, das Gold regiert die Welt.“ Liebeswerbung um Suleika mit den
Worten: „Nicht Gelegenheit macht Die-
Geld stinkt nicht be,/Sie selbst ist der größte Dieb;/Denn
Von dem römischen Kaiser Vespasian sie stahl den Rest der Liebe,/Die mir
(9-79 n.Chr.) wird überliefert, daß er noch im Herzen blieb.“ Wenn eine gün¬
von seinem Sohn getadelt worden sei, stige Gelegenheit jemanden dazu ver¬
weil er die römischen Bedürfnisanstal¬ führt, sich etwas, was ihm nicht gehört,
ten mit einer Steuer belegt hatte. Darauf was er aber gerne hätte, einfach zu neh¬
habe der Kaiser seinem Sohn das so ein¬ men, dann sagt man heute „Gelegenheit
genommene Geld unter die Nase gehal¬ macht Diebe“.
ten und ihn gefragt, ob es streng rieche.
Die lateinische Feststellung non ölet (es t Darüber sind sich die Gelehrten
stinkt nicht) ist der Ausgangspunkt der noch nicht einig
uns heute geläufigen Redensart, mit der
man ausdrückt, daß auch unrechtmäßig Gelehrtenrepublik
oder auf unmoralischem Wege erworbe¬ Dieses Wort geht auf Friedrich Gottlieb
nes Geld seinen Zweck erfüllt, daß man Klopstocks nicht abgeschlossene Prosa¬
dem Geld letztlich nicht ansehen kann, schrift „Die deutsche Gelehrtenrepu¬
woher es stammt. blik“ (1774) zurück, in der das Prinzip
der Freiheit vom Regelzwang in der
t Ist das nötige Geld vorhanden Dichtung entwickelt und ein Zusam¬
menschluß aller deutschen Schriftsteller
t Wer will kommen zu Geld angestrebt wird mit dem Ziel, der deut¬
schen Kultur eine überlegene Stellung
t In Geldsachen hört die Gemüt¬ zu verschaffen. Arno Schmidt greift den
lichkeit auf Begriff in seiner utopischen Satire „Die
Gelehrtenrepublik. Kurzroman aus den
Die Gelegenheit beim Schopf Roßbreiten“ (1957) auf. Heute wird da¬
fassen mit gelegentlich eher kritisch die Zu¬
Diese verbreitete Redewendung ist wohl sammensetzung von Parlamenten oder
nach dem Bild des in der griechischen anderen Entscheidungsgremien ange¬
Mythologie seit dem 5.Jh. v. Chr. ver¬ sprochen, in denen Angehörige der ge¬
ehrten Kairos, des Gottes der „günsti¬ bildeten Schichten, vor allem Lehrer
gen Gelegenheiten“ entstanden. Der und Hochschullehrer, überrepräsentiert
griechische Bildhauer Lysippos hat die¬ sind.
sen Gott der Überlieferung nach mit
kahlem Hinterkopf, aber einem locki¬ Gelobt sei, was hart macht
gen Haarschopf über der Stirn darge¬ Diese Redensart stammt aus Friedrich
stellt. Mit der Redewendung wird das Nietzsches (1844-1900) „Zarathustra“
rasch entschlossene Nutzen einer gün¬ (3. Teil, „Der Wanderer“). Bei einem
stigen Gelegenheit, eines günstigen Au¬ beschwerlichen Aufstieg zu einem Gip¬
genblicks ausgedrückt. Gebräuchliche fel macht sich Zarathustra an einer Stel¬
Abwandlungen sind: „Die Gelegenheit le mit folgenden Worten Mut, nicht auf¬
beim Schopf oder Schopfe ergreifen, zugeben: „Wer sich stets viel geschont
packen, nehmen“. hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen
Schonung. Gelobt sei, was hart macht.“
Gelegenheit macht Diebe Wenn man zum Ausdruck bringen will,
Dieses Sprichwort entspricht dem engli¬ daß es letztlich von Vorteil ist, sich
schen opportunity makes a thief das der immer wieder belastenden Situationen
englische Philosoph, Schriftsteller und auszusetzen, ohne sich durch Mißerfolg

168
Teil I Genie

oder Kritik aus dem seelischen Gleich¬ (wörtlich übersetzt: „Das Wohl des ein¬
gewicht bringen zu lassen, greift man zelnen muß dem öffentlichen Wohl wei¬
auf dieses Zitat zurück. In derb-scherz¬ chen“). Der Grundsatz „Gemeinnutz
hafter Anspielung auf die männliche geht vor Eigennutz“ ist auch heute - mit
Potenz ist auch die abgewandelte Form Einschränkungen - die Grundlage vie¬
„Gelobt sei, was hart wird“ im Kneipen- ler Gesetze und Bestimmungen.
und Stammtischmilieu geläufig.

Das Gelobte Land


Das gemeinsame Haus Europa
Mit diesem Ausdruck ist das biblische
Palästina als das Land der Verheißung Mit diesem bildlichen Ausdruck wird
gemeint. In der Bibel selbst wird diese die Zusammengehörigkeit, die gemein¬
Bezeichnung zwar nicht verwendet, same politische Zukunft aller europäi¬
doch in der deutschen Literatur ist sie schen Nationen einschließlich der
seit dem 15. Jahrhundert belegt. Heute GUS-Staaten beschworen. Er stammt
spricht man im übertragenen Sinne von aus der bildhaften Sprache des sowjeti¬
einem gelobten Land, wenn ein Staat, schen Politikers und Reformers Michail
eine Region, vielleicht auch nur ein Gorbatschow (*1931). In seinem 1987
Wirkungsfeld (wie z. B. Hollywood für erschienenen Buch „Perestroika und
einen Filmschauspieler) gemeint ist, mit neues Denken für unser Land und die
dem man die Vorstellung eines idealen ganze Welt“ prägte er die Formulierung
Lebens (und Arbeitens) verbindet. „Europa, unser gemeinsames Haus“
(russisch: Ewropa - nas obschtsch dom),
Ein gemästet Kalb die bald von vielen Politikern Westeuro¬
pas aufgegriffen wurde. Ein ähnliches
Im neutestamentlichen Gleichnis vom
Bild verwendete schon Kurt Tucholsky
verlorenen Sohn richtet der von Freude
im Eröffnungsartikel für die erste öster¬
erfüllte Vater bei der Rückkehr des Soh¬
reichische Ausgabe der Wochenschrift
nes ein Festmahl aus und befiehlt seinen
„Die Weltbühne“: „Europa ist ein gro¬
Bediensteten: „... und bringet ein gemä¬
ßes Haus“ (Wiener Weltbühne 1,1;
stet Kalb her und schlachtet’s; lasset
29. 9. 1932, S. 1).
uns essen und fröhlich sein!“ (Lukas
15,23). Auf diese Bibelstelle geht die
Verwendung des Ausdrucks „ein gemä¬
stet Kalb“ zurück, mit dem man scherz¬ Genie ist Fleiß
haft auf eine üppige Mahlzeit oder eine Nur auf den ersten Blick scheint einem
kulinarische Köstlichkeit anspielt, die genialen Menschen alles zuzufliegen, in
aus besonderem Anlaß serviert wird Wirklichkeit sind seine Leistungen oft
oder serviert werden soll. erst das Ergebnis harter Arbeit. Diese
Einsicht findet sich in einem Vierzeiler
t Denn das Gemeine geht klanglos Theodor Fontanes (zuerst veröffentlicht
zum Orkus hinab 1889), den er dem Maler, Zeichner und
Graphiker Adolph Menzel (1815-1905)
t Denn aus Gemeinem ist der gewidmet hat: „Gaben, wer hätte sie
Mensch gemacht nicht?/Talente - Spielzeug für Kin¬
der, /Erst der Ernst macht den
Gemeinnutz geht vor Eigennutz Mann,/Erst der Fleiß das Genie.“ Der
Diese Maxime stammt von dem franzö¬ amerikanische Erfinder Thomas A. Edi¬
sischen Schriftsteller und Staatstheore¬ son (1847-1931) hat den gleichen Ge¬
tiker Montesquieu (1689-1755), der in danken in einem Interview 1930 einmal
seinem außergewöhnlich erfolgreichen so ausgedrückt: „Genie ist ein Prozent
Hauptwerk „Vom Geist der Gesetze“ Inspiration und neunundneunzig Pro¬
(Buch 26, Kapitel 15, „Die verschiede¬ zent Transpiration“ (englisch: Genius is
nen Arten der Gesetze“) schrieb: Le one per cent inspiration and ninety-nine
bien particulier doit ceder au bien public per cent perspiration).

169
genieße Teil I

Genieße, was dir Gott beschieden Durchschnittsbürger teurer machen, in¬


dem sie Abgaben erhöhen, Preise her¬
Dieses Zitat stammt aus Christian
aufsetzen oder neue Gebühren fordern.
Fürchtegott Gellerts (1715-69) Lied
„Zufriedenheit mit seinem Zustande“,
dessen vierte Strophe lautet: „Genieße, Genug des grausamen Spiels
was dir Gott beschieden,/Entbehre „Laßt, Vater, genug sein das grausame
gern, was du nicht hast./Ein jeder Stand Spiel“, so bittet in Schillers „Der Tau¬
hat seinen Frieden,/Ein jeder Stand cher“ die Königstochter ihren Vater,
auch seine Last.“ In Situationen, in de¬ den Wagemut des tapferen Knappen
nen jemand mit den gegebenen Umstän¬ nicht ein zweites Mal auf die Probe zu
den, seinen Verhältnissen unzufrieden stellen. In der verkürzten und leicht ab¬
ist, unausgeglichen ist, weil er immer gewandelten Form „Genug des grausa¬
neue Ansprüche an das Leben hat, wird men Spiels!“ wird das Zitat heute im
das Zitat als Trost und Aufmunterung Sinne von „Hör auf oder hören wir doch
verwendet. auf damit!“ gebraucht. Man verwendet
es zum Beispiel, wenn etwas allen Betei¬
Genießt der Jüngling ein Vergnü¬ ligten keine Freude mehr macht, son¬
gen dern zur Quälerei zu werden droht, oder
als Aufforderung, jemanden nicht län¬
In seinem Gedicht „Die Alte“ läßt
ger zum besten zu halten, auf die Folter
Friedrich von Hagedorn (1708-54) eine
zu spannen oder zu verspotten.
alte Frau darüber Klage führen, daß die
Sitten der neueren Zeit das Verhältnis
der Geschlechter nachteilig verändert Geprägte Form, die lebend sich
hätten. Dazu heißt es in der zweiten entwickelt
Strophe: „Zu meiner Zeit/Befliß man Die Zeile stammt aus dem ersten der un¬
sich der Heimlichkeit./Genoß der Jüng¬ ter der Überschrift „Urworte. Or-
ling ein Vergnügen,/So war er dankbar phisch“ veröffentlichten Gedichte Goe¬
und verschwiegen:/Und jetzt entdeckt thes mit dem Titel „AAIMQN, Dä¬
er’s ungescheut.“ Als Hinweis darauf, mon“. Die „Urworte. Orphisch“ sind
daß man mit seinen Erfolgen beim an¬ aus einer Beschäftigung Goethes mit ei¬
deren Geschlecht nicht prahlen soll, ner bestimmten griechischen Naturan¬
oder als Aufforderung, eine intime Be¬ schauung, den orphischen Lehren, her¬
ziehung nicht durch Indiskretion zu ge¬ vorgegangen. Danach ist der Mensch
fährden, wird heute scherzhaft-mah- von der Stunde seiner Geburt an - be¬
nend in leicht abgewandelter Form zi¬ stimmt durch die Einwirkung der Ge¬
tiert: „Genießt der Jüngling ein Vergnü¬ stirne - als Individuum geprägt, das
gen,/So sei er dankbar und verschwie¬ sich in bestimmter Weise entwickeln
gen.“ muß. Entsprechend heißt es hier bei
Goethe: „So mußt du sein, dir kannst du
Die Gentlemen bitten zur Kasse nicht entfliehen,/So sagten schon Sibyl¬
len, so Propheten ;/Und keine Zeit und
Dies ist der Titel eines mehrteiligen
Fernsehfilms aus dem Jahre 1974 (Re¬ keine Macht zerstückelt/Geprägte
Form, die lebend sich entwickelt.“
gie: John Olden und Claus Peter Witt),
der von den sogenannten Posträubern
handelt, die in den 60er Jahren bei ei¬ Der Gerechte muß viel leiden
nem raffinierten Überfall auf einen eng¬ Diese sprichwörtliche Redensart geht
lischen Postzug - ohne größere Gewalt¬ auf den Psalm 34,20 im Alten Testa¬
anwendung - Geldsäcke millionen¬ ment zurück, wo es heißt: „Der Gerech¬
schweren Inhalts erbeuteten und ent¬ te muß viel leiden, aber der Herr hilft
kommen konnten. Der Titel wird oft ihm aus dem allem.“ Mit der oft auch
scherzhaft-ironisch zitiert, wenn zum scherzhaft-selbstironisch gebrauchten
Beispiel Entscheidungsträger in Politik Redensart drückt man aus, daß wohl¬
oder Wirtschaft das Leben für den meinende, rechtschaffene Menschen oft

170
Teil I geschenkten

verkannt werden, es im Leben nicht im¬ deutscher Zeit, wird diese sprachliche
mer leicht haben. Verbindung (oft auch in der umgekehr¬
ten Form „Wunder und Zeichen“) im¬
TThe Germans to the front! mer wieder verwendet. Dem heute ge¬
bräuchlichen Ausruf des Erstaunens am
t In keinem guten Geruch stehen nächsten kommt, weniger inhaltlich als
formal, eine Stelle aus Schillers Wallen¬
Gesammeltes Schweigen stein (Wallensteins Lager, 8. Auftritt),
Dieses Zitat geht auf den Titel einer wo es in der sogenannten Kapuziner¬
1958 erschienenen Satire von Heinrich predigt heißt: „Es ist eine Zeit der Trä¬
Böll zurück: „Doktor Murkes gesam¬ nen und Not,/Am Himmel geschehen
meltes Schweigen“. Die Titelfigur, ein Zeichen und Wunder.“
Redakteur beim Hörfunk, hat die Ei¬
genart, die aus den Programmen heraus¬ Geschehenes läßt sich nicht unge¬
geschnittenen Tonbandabschnitte zu schehen machen
sammeln, auf denen nichts zu hören ist, Dieses Zitat geht zurück auf die Komö¬
weil der Sprechende gerade eine Pause die „Aulularia“ (= „Topfkomödie“,
macht, die also sein Schweigen doku¬ nach dem Geldtopf des Geizigen) des
mentieren. In scherzhafter Anspielung römischen Dichters Titus Maccius Plau-
auf diesen Böll-Titel kann man von je¬ tus (250-184 v. Chr.). Euclio, der geizige
mandem, der sich zum Beispiel an einer Alte, interessiert sich vor allem für sei¬
Diskussion nicht beteiligt oder sich zu nen Goldschatz und mißversteht das
etwas nicht äußert, obgleich man das Geständnis des Jünglings Lyconides,
von ihm erwartet hätte, scherzhaft sa¬ der ihm sein Verhältnis mit Euclios
gen, er fiele durch sein „gesammeltes Tochter mit folgenden Worten beichtet:
Schweigen“ auf. Factum illud; fieri infectum non potest
(„Es ist geschehen und nicht ungesche¬
Es geschah am hellichten Tag hen zu machen“). Aussprüche ver¬
Nach einem Drehbuch von Friedrich gleichbaren Inhalts sind bei einer Reihe
Dürrenmatt, das später zur Grundlage von Dichtern der Antike belegt. Heute
seines Romans „Der Verdacht“ wurde, wird mit dem Zitat zum Ausdruck ge¬
entstand 1958 ein Schweizer Spielfilm bracht, daß es wenig Sinn hat, über et¬
über einen Kindermörder (gespielt von was, was nun einmal passiert ist, zu kla¬
Gert Fröbe) und den Polizeibeamten, gen. Oft verbindet sich mit dieser Fest¬
der ihn schließlich faßt (gespielt von stellung der Gedanke, aus negativen Er¬
Heinz Rühmann). Der Titel dieses Films fahrungen zu lernen und es in Zukunft
wird zitiert, um Verbrechen oder andere besser zu machen.
Gewaltakte als ganz unerwartet oder als
besonders dreist zu charakterisieren. t Alles Gescheite ist schon gedacht
worden
t Ach, es geschehen keine Wunder
mehr! Einem geschenkten Gaul sieht
man nicht ins Maul
Es geschehen noch Zeichen und Das Sprichwort mit der Bedeutung „mit
Wunder einem Geschenk soll man, so wie es ist,
Die in diesem Ausruf des Erstaunens, zufrieden sein“ geht über den Kirchen¬
der Überraschung über ein nicht mehr vater Hieronymus (um 347-420 oder
für möglich gehaltenes Geschehen ent¬ 419) in seinem Kommentar zum Ephe-
haltene Zwillingsformel „Zeichen und serbrief auf ein römisches Sprichwort
Wunder“ taucht mehrfach bereits in der zurück: Noli equi dentes inspicere donati
Bibel auf, etwa im 2. Buch Moses 7,3, („Prüfe nicht die Zähne eines geschenk¬
wo es heißt: „... daß ich meiner Zeichen ten Pferdes“). - Alter und Wert eines
und Wunder viel tue in Ägyptenland.“ Pferdes stellt der Käufer beim Pferde¬
In der Literatur, besonders in neuhoch¬ handel unter anderem dadurch fest, daß

171
Geschichte Teil I

er ihm ins Maul sieht und den Zustand lich Naupengeheuerliche (Naupen =
seines Gebisses prüft. Hildegard Knef Schrullen) Geschichtklitterung von
verwendete den Ausdruck „Der ge¬ Thaten und Rhaten der ... Helden und
schenkte Gaul“ als Titel ihrer Me¬ Herren Grandgusier, Gargantoa und
moiren. Pantagruel/Königen inn Utopien ..."
Das dem Wort „Klitterung“ zugrunde
Die Geschichte aller bisherigen liegende Verb „klittern“ ist heute nur
Gesellschaft ist die Geschichte von noch mundartlich gebräuchlich; es be¬
Klassenkämpfen deutet ursprünglich soviel wie „schmie¬
ren, klecksen“.
Mit dieser These beginnt das erste, mit
„Bourgois und Proletarier“ überschrie- t Ade nun, ihr Lieben! Geschieden
bene Kapitel des 1848 veröffentlichten
muß sein
„Manifests der Kommunistischen Par¬
tei“ von Karl Marx und Friedrich En¬ Es geschieht nichts Neues unter
gels. Das Zitat wird herangezogen,
der Sonne
wenn man als Hauptursache für gesell¬
Dieses Zitat wird (auch in der Form „Es
schaftliche Veränderungen die Ausein¬
gibt nichts ...“) gebraucht, um auszu¬
andersetzung zwischen den gegensätzli¬
drücken, daß bestimmte Abläufe oder
chen Klassen um die Entscheidungsge¬
walt in der Gesellschaft ansieht. Ereignisse immer wiederkehren und da¬
her nicht überraschen müssen. Es geht
auf eine Erkenntnis im Alten Testament
Es ist eine t alte Geschichte
zurück: „... und geschieht nichts Neues
unter der Sonne“, heißt es im Prediger
Geschichten aus dem Wienerwald
Salomo (1,9), wo auf die Eitelkeit und
Diesen Titel (auch in der mundartnahen Nichtigkeit alles Irdischen hingewiesen
Form: „G’schichten aus dem Wiener¬ wird. Der folgende Vers lautet: „Ge¬
wald“ zu finden) gab der „Walzerkö¬ schieht auch etwas, davon man sagen
nig“ Johann Strauß einer seiner Kom¬ möchte: Siehe das ist neu? Es ist zuvor
positionen aus dem Jahr 1868. Erneut auch geschehen in den langen Zeiten,
verwendet hat ihn der österreichische die vor uns gewesen sind.“
Schriftsteller Ödön von Horvath als Ti¬
tel seines 1931 uraufgeführten sozialkri¬ Geschlechter kommen, Ge¬
tischen Volksstücks, in dem unter ande¬ schlechter vergehen, hirschlederne
rem auch ein Picknick im Wienerwald, Reithosen bleiben bestehen
dem beliebten Ausflugsziel der Wiener,
Wenn man auf scherzhafte Weise die
vorkommt. Als Zitat könnte der Aus¬
besondere Haltbarkeit oder Beständig¬
druck heute leicht scherzhaft auf Be¬
keit einer Sache hervorheben will, kann
richte über österreichische, besonders
man dieses Zitat verwenden. Es handelt
Wiener Verhältnisse oder Ereignisse be¬
sich dabei um die beiden letzten Zeilen
zogen werden.
eines Gedichts des Lyrikers Börries von
Münchhausen (1874-1945), der „Leder¬
Geschichtsklitterung
hosensaga“, in der eine durch Genera¬
Eine in bestimmter Absicht verfälschte tionen weitervererbte Reithose besun¬
Darstellung oder Deutung geschichtli¬ gen wird.
cher Ereignisse oder Zusammenhänge,
die durch Auslassung oder einseitige t Auch was Geschriebnes forderst
Betonung bestimmter Fakten verzerrt du, Pedant?
werden, wird als Geschichtsklitterung
bezeichnet. Der Ausdruck geht auf den t Nicht gesellschaftsfähig
Titel von Johann Fischarts freier Bear¬
beitung des Romanzyklus „Gargantua“ Das Gesetz des Dschungels
von Franfois Rabelais zurück, der in der Der englische Schriftsteller Rudyard
2. Auflage von 1582 lautet: „Affentheur- Kipling (1865-1936) wurde in Deutsch-

172
Teil I gestrenge

land besonders durch seine spannenden erste Teil des Zitats wird - mit oder oh¬
Tiergeschichten unter dem Titel „Im ne Ironie - gelegentlich auch auf andere
Dschungel“, allgemein bekannt als Gebiete übertragen gebraucht.
„Das Dschungelbuch“, populär, ln die¬
sem Buch verwendet der Autor den t Wo das gesteckt hat, liegt noch
Ausdruck „das Gesetz des Dschungels“ mehr
(englisch: the law of the jungte), der auch
im Deutschen zu einer feststehenden t Liegt dir Gestern klar und offen,
Fügung wurde. Sie dient zur Charakteri¬ wirkst du heute kräftig frei
sierung einer Verhaltensweise, für die
jedes Mittel erlaubt scheint, zur Um¬ Gestern noch auf stolzen Rossen
schreibung von Gesetz- und Rechtlosig¬ In dem Gedicht „Reiters Morgenge¬
keit. sang“, das mit den bekannten Zeilen
„Morgenrot,/Leuchtest mir zum frühen
Gesetz ist mächtig, mächtiger ist
Tod?“ beginnt, greift der Schriftsteller
die Not Wilhelm Hauff (1802-1827) das Thema
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust der Vergänglichkeit auf. An der Gestalt
(Teil II, 1. Akt, Weitläufiger Saal) und des in der Schlacht zu jeder Stunde vom
ist ein Ausspruch des Plutus, des Gottes Tode bedrohten Reiters zeigt er in teil¬
des Reichtums, im karnevalistischen weise krassen Bildern die Endlichkeit
Maskenspiel. Gebraucht wird es in ähn¬ alles Lebenden und die Flüchtigkeit des
lichem Sinne wie die allgemein bekann¬ Daseins auf. Besonders deutlich wird
tere sprichwörtliche Redensart „Not dies in der lapidaren Formulierung der
kennt kein Gebot“. Man drückt damit populär gewordenen Zeilen in der 2.
also aus, daß man in einer Notlage eher Strophe „Gestern noch auf stolzen Ros¬
dazu geneigt ist, sich über Gesetz und sen,/Heute durch die Brust geschos¬
Moral hinwegzusetzen, daß dies dann sen“. Herausgelöst aus ihrem Kontext
auch unter Umständen durchaus zu werden die beiden Zeilen häufig zitiert,
rechtfertigen sei. meist aber in weniger dramatischen Zu¬
sammenhängen. Jemandes Entlassung
Es t erben sich Gesetz’ und Rechte aus einem hohen Amt beispielsweise ist
wie eine ew’ge Krankheit fort sicherlich schon öfter und nicht ohne
Schadenfreude mit diesem Zitat kom¬
t Nach dem Gesetz, wonach du mentiert worden.
angetreten
T Von gestern sein
t In jedes Menschen Gesichte steht
seine Geschichte Gestrenge Herren regieren nicht
lange
Ein Gespenst geht um in Europa - Der in dieser sprichwörtlichen Redens¬
das Gespenst des Kommunismus art enthaltene Gedanke, daß allzu stren¬
Im Jahre 1848 wurde in London das von ges und furchtgebietendes Herrschafts¬
Karl Marx und Friedrich Engels im gebaren sich auf Dauer nicht halten
Auftrag des Bundes der Kommunisten kann, ist ähnlich bereits in einem Vers
verfaßte Kommunistische Manifest un¬ aus der Antike formuliert. In der Tragö¬
ter dem Titel „Manifest der Kommuni¬ die „Medea“ des römischen Dichters,
stischen Partei“ veröffentlicht. Es be¬ Philosophen und Politikers Seneca (um
ginnt mit dem Satz vom Gespenst des 4v.Chr.-65 n.Chr.) heißt es: Iniqua
Kommunismus in Europa, der bald da¬ numquam regna perpetuo manent, auf
nach zum geflügelten Wort wurde. Er deutsch etwa: „Ungerechte [Ge¬
ironisiert aus der Sicht der Autoren die waltherrschaft ist nicht von ewiger
Furcht vor den Kommunisten in Europa Dauer“. Möglicherweise geht die heute
und die falschen Vorstellungen, die man gebräuchliche Redensart auf diesen
sich vom Kommunismus machte. Der Vers zurück.

173
Gestrige Teil I

Das t ewig Gestrige „Urania“ (= die Himmlische) ist in der


griechischen Mythologie die Muse der
Die Gesunden bedürfen des Arz¬ Sternkunde, aber auch ein Beiname der
tes nicht Aphrodite, der Göttin der Liebe und der
Schönheit. Liebe und Freundschaft er¬
Mit diesen Worten (eigentlich: „Die
scheinen dem Dichter als Gesandte des
Starken bedürfen des Arztes nicht“) ant¬
Himmels, und er führt aus: „Sei hoch
wortet Jesus auf die vorwurfsvolle Frage
beseligt oder leide ;/Das Herz bedarf ein
der Pharisäer, warum er mit den Sün¬
zweites Herz,/Geteilte Freud’ ist dop¬
dern am Tisch zusammensitze (Mat¬
pelt Freude,/Geteilter Schmerz ist hal¬
thäus 9,12). Bekräftigt und verdeutlicht
ber Schmerz.“ Bei den römischen
wird diese Antwort noch durch die un¬
Schriftstellern Cicero (106-43 v. Chr.)
mittelbar folgenden Worte: „Ich bin ge¬
und Seneca (4v. Chr.-65 n. Chr.) Findet
kommen, die Sünder zur Buße zu rufen,
man diesen Gedanken in ähnlicher
und nicht die Gerechten“. Fleute wird
Form ausgesprochen.
das Jesuswort von den Gesunden, die
des Arztes nicht bedürfen, meist dann
zitiert, wenn nachdrücklich darauf hin¬ Der geteilte Himmel
gewiesen wird, daß man diejenigen un¬ In dem 1963 erschienenen Roman von
terstützen muß, die Hilfe wirklich nötig Christa Wolf (* 1929) ist die Darstellung
haben. menschlicher Konflikte mitbestimmt
durch die Problematik des geteilten
Gesunder Geist in gesundem Kör¬ Deutschlands zwei Jahre nach Errich¬
per tung der Mauer in Berlin. Im Zusam¬
menhang mit den Problemen um die
In seinen „Satiren“ äußert sich der rö¬
beiden Staaten auf deutschem Boden
mische Satiriker Juvenal (um 60-nach
wurde der Titel des Romans häufig zi¬
127) spöttisch über die oftmals törichten
tiert.
Wünsche der Menschen in ihren Gebe¬
ten. Er rät, es doch den allwissenden
Göttern zu überlassen, was sie gewähren Geteilter Schmerz ist halber
wollen und was nicht. Allenfalls darum, Schmerz
daß der Geist gesund sei und in einem t Geteilte Freude ist doppelte Freude
gesunden Körper wohne, solle man be¬
ten (lateinisch Orandum est, ut sit mens T Mit Getöse schrecklich groß
sana in corpore sano; 10,356). Besonders
die Turnbewegung des 19. Jh.s interpre¬ Getrennt marschieren, vereint
tierte dann diese Worte in der einseiti¬ schlagen
gen Weise, daß nur in einem gesunden
Körper ein gesunder Verstand wohnen Dieser Grundsatz militärischer Strategie
wird im allgemeinen dem preußischen
könne. Auch die verkürzte lateinische
Form Mens sana in corpore sano wird Generalfeldmarschall Helmuth Graf
heute noch in diesem Sinne verwendet. von Moltke (1800-1891) zugeschrieben.
Seiner Vorstellung von der Aufgabe,
Aus Studentenmund ist manchmal als
scherzhafte Abwandlung zu hören: große Massenheere zu führen und zu di¬
„Wer in die Mensa geht, braucht einen rigieren, entsprach diese militärische
gesunden Körper.“ Devise auch durchaus. Formuliert hat er
sie aber in dieser Weise wohl nicht. Der
Historiker und politische Publizist
Geteilte Freude ist doppelte Freu¬
Heinrich von Treitschke (1834-1896)
de
nennt als eigentlichen Urheber des Aus¬
Diese sprichwörtlich gewordene Le¬ spruchs den preußischen General und
bensweisheit hat der Dichter Christoph Heeresreformer Scharnhorst (1755 bis
August Tiedge (1752-1841) in seinen 1813). Zitiert wird der Satz heute meist
„Fragmenten aus Tiedges Urania“ in scherzhaft und dabei übertragen auf Si¬
ähnlicher Form niedergeschrieben. tuationen nichtmilitärischer Art, in de-

174
Teil I gewaltloser

nen es sinnvoll erscheint, ein gemeinsa¬ es Herz“ erhielt. Zitiert wurde oft nur
mes Ziel zunächst unabhängig vonein¬ der erste Teil dieses Gedichtanfangs, als
ander auf unterschiedlichen Wegen an¬ Ganzes war er sicher häufig in Poesie¬
zustreben. alben zu finden.

t Alles Getrennte findet sich wie¬ t Von der Gewalt, die alle Men¬
der schen bindet, befreit der Mensch
sich, der sich überwindet
Getretner Quark wird breit, nicht
stark Gewalt geht vor Recht
Dieser Vers stammt aus dem „Buch der Der Ausspruch geht auf eine Stelle im
Sprüche“ in Goethes Gedichtsammlung Alten Testament zurück, wo er, in etwas
„Westöstlicher Diwan“. Ihm liegt wohl anderer Form, als Anklage vorgebracht
das tartarische Sprichwort „Wenn der wird. Der Prophet Habakuk wendet sich
Dreck getreten wird, verbreitet er sich“ an Gott mit der Klage (Habakuk 1,3):
zugrunde, das Goethe aus der orientali- „Warum lassest du mich Mühsal sehen
stischen Literatur bekannt gewesen sein und siehest dem Jammer zu? Raub und
dürfte. Mit dem Zitat soll ausgedrückt Frevel sind vor mir. Es geht Gewalt über
werden, daß etwas, dem die inhaltliche Recht.“ Anklage und Vorwurf enthält
Tiefe fehlt, auch durch noch so unver¬ der Ausspruch auch heute noch.
hältnismäßig großen Aufwand nicht auf
ein höheres Niveau gebracht werden t Allen Gewalten zum Trutz sich
kann. erhalten

t Sei getreu bis an den Tod, so will Ein gewaltiger Jäger vor dem
ich dir die Krone des Lebens geben Herrn
Mit dieser scherzhaften Umschreibung
Getreuer Eckart kennzeichnet man jemanden als einen
Die Symbolfigur für einen treuen Helfer begeisterten, passionierten Jäger. Der
erscheint in der germanischen Helden¬ Ausdruck wird häufig auch auf andere
sage als Beschirmer der gotischen Har- Bereiche übertragen, so daß man etwa
lungen vor ihrem Onkel Ermanarich. Im von einem gewaltigen (gelegentlich
Nibelungenlied warnt er an der Grenze auch: großen) Redner oder Esser vor
von Rüdegers Mark die Nibelungen vor dem Herrn sprechen kann. Die Aus¬
den ihnen im Hunnenland drohenden drucksweise geht auf eine Stelle in der
Gefahren. In der Tannhäusersage ver¬ Bibel zurück. Im l.Buch Moses (10,9)
wehrt er jedem den Eintritt in den ver¬ heißt es von Nimrod, einem Nachkom¬
derbenbringenden Venusberg. In Goe¬ men von Noah: „... und war ein gewalti¬
thes Ballade „Der getreue Eckart“ tritt ger Jäger vor dem Herrn. Daher spricht
er als Warner und freundlicher Helfer man: Das ist ein gewaltiger Jäger vor
der Kinder auf, die beim abendlichen dem Herrn wie Nimrod.“
Bierholen der „Wilden Jagd“ begegnen.
t Viel Gewaltiges lebt, doch ge¬
Ein getreues Herze wissen hat des waltiger nichts als der Mensch
höchsten Schatzes Preis
Das Zitat, ein Lobpreis echter, verläßli¬ Gewaltloser Widerstand
cher Liebe und Freundschaft, ist der Be¬ Dieser Begriff (auch in der Form „ge¬
ginn eines Gedichtes von Paul Fleming waltfreier Widerstand“) spielt in der
(1609-1640), einem Dichter des Barock. modernen Friedens- und Konfliktfor¬
Die Anfangsbuchstaben der sechs Stro¬ schung und auch in der Ökologiebewe¬
phen ergeben das Akrostichon „Eis¬ gung eine wichtige Rolle. Er dient als
gen“, weshalb das Gedicht wohl in spä¬ Bezeichnung für Aktionen unterschied¬
teren Ausgaben den Titel „Eisgens treu¬ lichster Art, wie Demonstrationszüge,

175
Gewehr Teil I

Menschenketten, Sitzstreiks, Blockaden auf die unwillige Reaktion Fausts nach


o. ä., die, oft von Bürgerinitiativen getra¬ Anhören des „Hexeneinmaleins“ mit
gen, unter Berufung auf die Gewissens¬ seinen unsinnig erscheinenden Zahlen¬
freiheit ohne Mittel der Gewalt gegen spielereien. Mephisto drückt in seinen
Inhaber der Staatsgewalt durchgeführt Worten aus, daß die Menschen sehr
werden. Der Begriff geht auf den indi¬ leicht auf alle möglichen Theorien her¬
schen Freiheitskämpfer Mahatma Gan¬ einfallen, wenn sie nur einigermaßen
dhi (1869-1948) zurück, der im Kampf glaubhaft vorgebracht werden.
um die politischen Rechte der indischen
Einwanderer in Südafrika seine Me¬ Gib dich zufrieden und sei stille
thode des gewaltlosen Widerstands, der
Das Zitat ist die Anfangszeile eines
Gewaltlosigkeit (englisch: non-violence)
evangelischen Kirchenliedes von Paul
entwickelte. Ebenso wie Gandhi hat
Gerhardt (1606-1676), das auch durch
auch der Führer der schwarzen Bürger¬
die dreifache Vertonung von Johann Se¬
rechtsbewegung, Martin Luther King
bastian Bach für das Gesangbuch des
(1929-1968), im bewußten Gegensatz
Zeitzer Schloßkantors Schemelli zusätz¬
zum Revolutionsgedanken den Begriff
liche Bekanntheit erlangt hat. Der für
des gewaltlosen Widerstandes verwen¬
das Verständnis notwendige Textzu¬
det und die Gewaltlosigkeit zur wirksa¬
sammenhang lautet: „Gib dich zufrie¬
men Waffe der Bürgerrechtsbewegung
den und sei stille/ln dem Gotte deines
der amerikanischen Schwarzen ge¬
Lebens!/In ihm ruht aller Freuden Fül¬
macht.
le,/Ohn’ ihn mühst du dich verge¬
T Haben ein Gewehr! bens ...“ Die Aufforderung „Gib dich
zufrieden!“ kehrt am Schluß jeder Stro¬
Gewogen und zu leicht befunden phe wieder. Die im Sinne dieser Auffor¬
derung zitierte Anfangszeile gibt, beson¬
Diese sprichwörtliche Redensart hat die
ders wenn man sie auf sich selbst be¬
Bedeutung „geprüft und für ungenü¬
zieht, oft einer gewissen Resignation
gend, zu schlecht befunden“. Sie geht
Ausdruck.
auf eine Stelle in der Bibel zurück, wo
beim Propheten Daniel die Geschichte
von Belsazar, dem babylonischen Kö¬ Gib meine Jugend mir zurück!
nig, erzählt wird, dem bei einem Gelage Das Zitat als Ausdruck der Sehnsucht
eine Schrift an der Wand erschien, die nach der vergangenen Jugend stammt
niemand zu deuten wußte. Erst der her¬ aus dem „Vorspiel auf dem Theater“
beigerufene Daniel konnte sie schlie߬ aus Goethes Faust. Die Zeile ist der
lich entziffern. Ein Teil der Botschaft an Schlußpunkt der Entgegnung des Dich¬
Belsazar (Daniel 5,27) lautete: „... man ters auf die Aufforderung der „Lustigen
hat dich in einer Waage gewogen und zu Person“, für die Jugend zu schreiben:
leicht befunden.“ (Vergleiche auch den „So gib mir auch die Zeiten wieder,/Da
Eintrag „Menetekel“.) ich noch selbst im Werden war,/Da sich
ein Quell gedrängter Lieder/Ununter-
Gewöhnlich glaubt der Mensch, brochen neu gebar,... Gib meine Jugend
wenn er nur Worte hört, es müsse mir zurück!“
sich dabei doch auch was denken
lassen Gib mir einen Punkt, wo ich hintre¬
Als Zitat können diese ironischen Worte ten kann, und ich bewege die Erde
dann angebracht sein, wenn jemand Der griechische Mathematiker Archi-
nach Sinn und Wert der Äußerungen ei¬ medes (um 285-212 v. Chr.) soll mit die¬
nes anderen fragt oder wenn er diese sem Ausspruch das von ihm bewiesene
überhaupt in Frage stellen will. Es han¬ Hebelgesetz veranschaulicht haben. So
delt sich dabei um eine Aussage des überliefert es Pappos, ein griechischer
Mephisto aus Goethes Faust (Teil I, Mathematiker im 3./4. Jh. n. Chr. in sei¬
Hexenküche). Mephisto antwortet damit ner „Synagoge“, einer Sammlung ma-

176
Teil I gibt

thematischer Abhandlungen (griechisch Tod“. Erst in der letzten Strophe, die,


Aög ncn noä ot<x> %ai Afivcö TVV yijv). als „Anmerkung“ gekennzeichnet, wie
Wer diese Worte zitiert, fordert für sich beiläufig zugesetzt erscheint, wird die
im übertragenen Sinne einen „Archime¬ eigentlich dringliche Frage gestellt, die
dischen Punkt“, also einen Standpunkt, in der Überschrift bereits ihre Antwort
von dem aus etwas grundlegend be¬ erfahren hat.
stimmt, bewegt oder verändert werden
kann.
Es gibt im Menschenleben Augen¬
Gib mir meine Legionen wieder! blicke
Das Zitat geht auf den römischen Dieses Zitat stammt aus Schillers Tragö¬
Schriftsteller Sueton (* um 70 n. Chr.) die „Wallensteins Tod“ (11,3). Feldmar¬
zurück. Sueton berichtet in seiner Bio¬ schall Illo und Graf Terzky sind der
graphie des Kaisers Augustus, dieser Meinung, daß es ein Fehler war, Okta-
habe angesichts der von seinem Feld¬ vio Piccolomini mit der Führung einiger
herrn Varus verlorenen Schlacht gegen Regimenter zu betrauen. Wallenstein je¬
die Germanen im Teutoburger Wald (im doch ist überzeugt, „ein Pfand vom
Jahr 9v. Chr.) ausgerufen Quinctili Vare, Schicksal selbst“ für die Zuverlässigkeit
legiones redde! („Quinctilius Varus, gib Oktavios bekommen zu haben. Die
mir die Legionen wieder!“). - Der deut¬ Schilderung einer Nacht, in der Wallen¬
sche Dichter Victor von Scheffel stein einen Traum und eine Begegnung
(1826-1886) besang die „Teutoburger mit Oktavio hatte, die er als Zeichen des
Schlacht“ in einem vielstrophigen Kom¬ Schicksals auffaßte, leitet er mit folgen¬
merslied, in dessen 11. Strophe es über den Versen ein: „Es gibt im Menschen¬
Augustus heißt: „Erst blieb ihm vor jä¬ leben Augenblicke,/Wo er dem Welt¬
hem Schrecken/Ein Stück Pfau im Hal¬ geist näher ist, als sonst,/Und eine Frage
se stecken,/dann geriet er außer frei hat an das Schicksal.“ Heute wird
sich:/,Varus, Varus, schäme dich,/Red¬ mit dem Zitat meist auf Situationen an¬
gespielt, in denen sich etwas ereignet,
de legiones!““ - Mit dem Zitat kann
man jemanden scherzhaft zu Wieder¬ das aus der Normalität des Alltagsle¬
gutmachung auffordem, wenn man et¬ bens herausragt - sei es, daß eine beson¬
ders wichtige Entscheidung zu treffen
was durch dessen Schuld eingebüßt hat;
es kann auch allgemein das Bedauern ist, sei es, daß ein außergewöhnliches
Verhalten nötig wird oder daß völlig un¬
über etwas Verlorenes ausdrücken, das
erwartete Ereignisse eingetreten sind.
man gern zurückbekäme.

Es gibt ein Leben vor dem Tod Es gibt nichts Gutes außer: Man
Mit dem Zitat wird auf eindringliche tut es
Weise das Anrecht des Menschen, ein Das Zitat ist eines der kürzesten Epi¬
gutes, menschenwürdiges Leben zu füh¬ gramme aus der 1950 veröffentlichten
ren, angesprochen. Bei dem Ausspruch Sammlung „Kurz und bündig“ von
handelt es sich um den Titel eines Lie¬ Erich Kästner. Es trägt die Überschrift
des des Schriftstellers und Liederma¬ „Moral“ und betont die Notwendigkeit
chers Wolf Biermann (einen Titel, der des Handelns, wenn man etwas Gutes
besonders als Motto einer 1976 erschie¬ erreichen will.
nenen Langspielplatte mit Liedern von
Wolf Biermann populär wurde). In dem
Gedicht selbst wird zunächst eine Art Es gibt noch Richter in Berlin
Gegenposition zu der in der Überschrift Dieser Ausspruch stammt aus einer
gemachten Aussage bezogen. Refrain¬ Verserzählung des französischen
artig schließt jede Strophe mit der dem Schriftstellers Franfois Andrieux
religiösen Bereich entnommenen, eine (1759-1833) mit dem Titel „Meunier
Vertröstung auf das Jenseits enthalten¬ sans-souci“ aus dem Jahr 1797. Es geht
den Aussage „Es gibt ein Leben nach dem darin um den Rechtsstreit zwischen dem

177
gibt Teil I

„Müller von Sanssouci“ und Friedrich Gla nz und Elend der Kurtisanen
dem Großen, den die Mühle in der Nä¬ So hat der französische Schriftsteller
he seines Schlosses störte. Das Berliner Honore de Balzac (1799-1850) einen
Kammergericht hatte zugunsten des 1838-1847 in vier Teilen erschienenen
Müllers entschieden. Sowohl in der Roman betitelt (französisch: Splendeurs
französischen - //y a des juges ä Berlin - ei miseres des courtisanes). In einem
wie in der deutschen Form wurde der breit angelegten Querschnitt durch die
Ausspruch allgemein bekannt. - Man zeitgenössische Gesellschaft wird die
kann damit seiner Genugtuung über den vernichtende Gewalt der Leidenschaft
Ausgang einer strittigen Angelegenheit dargestellt. Der Titel wird heute in den
Ausdruck geben, von der man denkt, verschiedensten Variationen zitiert,
daß sie ordnungsgemäß und unpartei¬ wenn man das Nebeneinander von gro¬
isch entschieden wurde. ßem Erfolg und Niedergang ansprechen
will, zum Beispiel in Fügungen wie
Es gibt sone und solche „Glanz und Elend Hollywoods“ oder
„Glanz und Elend des römischen Kai¬
Die umgangssprachliche Redensart mit
serreiches“. Er ist auch Vorbild für Ber¬
der Bedeutung „es ist nun einmal so,
tolt Brechts Szenenfolge „Furcht und
daß die Menschen unterschiedlich sind,
Elend des Dritten Reiches“ (uraufge-
daß nicht alle gleich angenehm sind“
führt 1938). In dieser Aufreihung cha¬
geht wohl zurück auf ein Zitat aus der
rakteristischer Situationsbilder veran¬
Berliner Lokalposse „Graupenmüller“
schaulicht Brecht den unerträglichen
von Hermann Salingre (1833-1879).
und verabscheuungswürdigen Zwang,
Dort heißt es: „Et jibt sonne, und et jibt
unter dem man in Deuschland während
solche,/Denn jibt’s ooch noch an¬
des nationalsozialistischen Regimes le¬
dre -/Und det sind de Schlimmsten.“
ben mußte.

Es gibt viel zu tun


TPacken wir’s an! Der gläserne Abgeordnete
Einige SPD-Bundestagsabgeordnete
wie Norbert Gansei und Klaus Thüsing
t Das gibt’s nur einmal, das kommt
begannen um 1980 damit, ihre Einkünf¬
nie wieder te und Ausgaben offenzulegen und sich
der Öffentlichkeit mit „gläsernen Ta¬
schen“ zu präsentieren. Die Medien be¬
Es ging spazieren vor dem Tor
richteten darüber mit Überschriften wie
Mit den Versen „Es ging spazieren vor
„Der gläserne Abgeordnete“. Später
dem Tor/Ein kohlpechrabenschwarzer
wurden ähnliche Fügungen wie „der
Mohr“ beginnt die „Geschichte von den
gläserne Mensch“ oder „der gläserne
schwarzen Buben“ aus Dr. Heinrich
Patient“ geprägt, bei denen der Ge¬
Hoffmanns Bildergeschichte „Der
danke der Offenheit umschlug in den
Struwwelpeter“ (1847), in der drei Jun¬
der unerwünschten Kontrollierbarkeit
gen zur Strafe dafür, daß sie einen
durch den Einsatz elektronischer Da¬
Schwarzen verspottet haben, in ein gro¬
tenverarbeitungssysteme, zum Beispiel
ßes Tintenfaß getaucht werden. Das Zi¬
bei der Volkszählung oder der Erfas¬
tat könnte zum Beispiel scherzhaft auf
sung medizinischer Behandlungen.
jemanden bezogen werden, der vor der
Tür eines Hauses unruhig auf und ab
geht, weil er ungeduldig auf jemanden
wartet. Das Glasperlenspiel
Als der Roman „Das Glasperlenspiel“
von Hermann Hesse (1877-1962) nach
t Wie kommt mir solcher Glanz in dem Krieg in Deutschland erscheinen
meine Hütte? konnte, erregte er großes Aufsehen und

178
Teil I Glück

hatte eine außergewöhnliche Wirkung. etwas fast unmöglich Erscheinendes er¬


Die Geschichte der utopischen Ordens¬ reichen kann. Gebräuchlich ist auch die
provinz Kastalien, „des Reichs des Gei¬ Form „Der Glaube kann Berge verset¬
stes und der Seele“, in deren Zentrum zen“.
das Glasperlenspiel steht, ein „Spiel mit
sämtlichen Inhalten und Worten unse¬ t Wer’s glaubt, wird selig
rer Kultur“, faszinierte viele. Das Titel¬
wort „Glasperlenspiel“ wurde zur Me¬ Gleiches mit Gleichem vergelten
tapher, zu einem bildlichen Ausdruck
Diese Redewendung findet sich bereits
für Gedankenspiel, für artistische Spie¬
bei dem römischen Komödiendichter
lerei als Selbstzweck, für spielerische
Plautus (um 250-184 v. Chr.). In seinem
Handlungsweise ohne bestimmte Ab¬
Lustspiel „Mercator“ („Der Kauf¬
sicht und praktischen gesellschaftlichen
mann“), in dem Vater und Sohn um das¬
Zweck.
selbe Mädchen werben, heißt es (III,
4,44, Vers 629): ut par pari respondeas
Glaube, Hoffnung, Liebe
(„um Gleiches mit Gleichem zu vergel¬
Das Zitat stammt aus dem 1. Brief des
ten“). Das entspricht dem alten Rechts¬
Apostels Paulus an die Korinther. Im
grundsatz aus dem mosaischen Gesetz
13. Kapitel, in dem er die Liebe preist,
(2. Moses 21,24): „Auge um Auge, Zahn
faßt er in Vers 13 seine Ausführungen
um Zahn“. Heute sagt man meistens
zusammen: „Nun aber bleibt Glaube,
„Man soll nicht Gleiches mit Gleichem
Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die vergelten“, gebraucht die Wendung also
Liebe ist die größte unter ihnen.“ Im 1.
in einem Kontext, der zu einer versöhn¬
Brief des Paulus an die Thessalonicher lichen, eher neutestamentlichen Hal¬
(1,3 und 5,8) werden die göttlichen Tu¬
tung aufruft.
genden in der Reihenfolge Glaube, Lie¬
be, Hoffnung aufgeführt. In beiden For¬
t Wissen, was die Glocke geschla¬
men kommen sie als Grabspruch vor.
gen hat
Außerdem wählte Johannes Brahms
(1833-1897) die Verse 1-3 und 12f. aus
dem 13. Kapitel des 1. Korintherbriefs
TSei glücklich, du gutes Kind
als Text für den letzten der „Vier ernsten
Gesänge“. Glotzt nicht so romantisch!
In der Glosse vor dem 1. Akt der Komö¬
Der Glaube macht selig die „Trommeln in der Nacht“ von Ber¬
T Wer’s glaubt, wird selig tolt Brecht (1898-1956) wird dieser Satz
als antiillusionistischer Plakatspruch
Der Glaube versetzt Berge für den Zuschauerraum empfohlen. Im
Die Redensart geht auf die Bibel zu¬ 5. Akt richtet ihn der halbherzige Revo¬
rück. Im Matthäusevangelium (17,20) luzzer Kragler bei den Kämpfen im Ber¬
heißt es z. B.: „So ihr Glauben habt wie liner Zeitungsviertel auch gegen seines¬
ein Senfkorn, so mögt ihr sagen zu die¬ gleichen: „Glotzt nicht so romantisch!...
sem Berge: Hebe dich von hinnen dort¬ Ihr blutdürstigen Feiglinge, ihr!“ Das
hin! So wird er sich heben; und euch Zitat kann in salopper Sprechweise als
wird nichts unmöglich sein.“ Und im 1. eine rüde Zurückweisung lästiger Ver¬
Korintherbrief (13,2) lesen wir: „Und ehrer verwendet werden, oder auch
wenn ich weissagen könnte und wüßte als grobe Aufforderung, sich nicht in
alle Geheimnisse und alle Erkenntnis Träumereien oder Schwärmereien zu
und hätte allen Glauben, also daß ich verlieren, wo eine kritische Haltung,
Widerstand gegen den schönen Schein
die Berge versetzte, und hätte der Liebe
nicht, so wäre ich nichts.“ Mit der Re¬ gefordert wäre.
densart wird zum Ausdruck gebracht,
daß man - wenn man fest von einer t Und doch, welch Glück, geliebt
Sache überzeugt ist - unter Umständen zu werden!

179
Glück Teil I

Glück hat auf die Dauer nur der thes Trauerspiel „Egmont“ (III, 2). Ob¬
Tüchtige wohl in diesem Lied nur widerstreitende
Empfindungen der liebenden Seele ge¬
Das in der Originalfassung weniger
schildert werden, kommt Klärchen doch
apodiktisch klingende Zitat findet sich
zu dem Schluß: „Glücklich allein/Ist
in Helmuth Graf von Moltkes (1800 bis
die Seele, die liebt.“ Zitat und Lied sind
1891) „Abhandlung über Strategie“:
durch die Bühnenmusik Beethovens
„Über den Ruf eines Feldherrn freilich
und durch weitere Vertonungen von
entscheidet vor allem der Erfolg. Wie¬
Schubert, Liszt und Reichardt zusätz¬
viel daran sein wirkliches Verdienst ist,
lich bekannt geworden.
ist außerordentlich schwer zu bestim¬
men. An der unwiderstehlichen Gewalt
der Verhältnisse scheitert selbst der be¬ Glücklich ist, wer vergißt, was
ste Mann, und von ihr wird ebensooft nicht mehr zu ändern ist
der mittelmäßige getragen. Aber Glück
Das Zitat stammt aus der Operette „Die
hat auf die Dauer doch zumeist wohl
Fledermaus“ von Johann Strauß (1825
nur der Tüchtige.“ Das Zitat ist inzwi¬
bis 1899) mit dem Libretto von C. Haff-
schen aus seinem militärischen Zusam¬
ner und R. Genee nach dem Vaudeville
menhang gelöst; man verwendet es häu¬
„Reveillon“ von Meilhac und Halevy.
fig, wenn jemandes Erfolg von Neidern
Im 1. Akt zerstreut damit der verliebte
als reine Glückssache dargestellt wird
Alfred, einstiger Gesangslehrer der Ro¬
oder wenn jemand das eigene Versagen
salinde von Eisenstein, ihre Bedenken
als reines Pech verteidigt.
wegen ihres abwesenden Gatten, so daß
sie schließlich in den Refrain einstimmt.
Glück im Winkel Man verwendet das Zitat zum Beispiel
Mit diesem Ausdruck charakterisiert als Aufforderung, sich mit Unabänderli¬
man oft mit nachsichtigem Schmunzeln chem abzufinden, oder als Ausdruck
oder einer gewissen Kritik ein Leben in der Resignation, mit dem man ein nicht
Zurückgezogenheit und das Sichbe- wiedergutzumachendes Versäumnis
scheiden mit häuslichem Glück. Die an¬ kommentiert. Auch scherzhafte Ab¬
schauliche Bezeichnung wurde viel¬ wandlungen wie „Glücklich ist, wer ver¬
leicht durch Hermann Sudermanns gißt, daß ihm nicht zu helfen ist“ treten
(1857-1928) Schauspiel „Das Glück im gelegentlich auf.
Winkel“ verbreitet.

Dem Glücklichen schlägt keine


Das Glück ist eine leichte Dirne Stunde
Das Zitat ist der 1. Vers des Mottos, das
Schiller läßt in dem „Die Piccolomini“
dem 2. Buch von Heinrich Heines
überschriebenen Teil seines Wallen¬
(1797-1856) Gedichtzyklus „Romanze¬
stein-Dramas den in seine Kusine The¬
ro“ vorangestellt ist. Die folgenden Ver¬
kla verliebten Max Piccolomini das fol¬
se lauten: „Sie weilt nicht gern am sel¬
gende sagen (III, 3): „O, der ist aus dem
ben Ort;/Sie streicht das Haar dir aus
Himmel schon gefallen,/Der an der
der Stirne/Und küßt dich rasch und flat¬
Stunden Wechsel denken muß!/Die Uhr
tert fort.“ Der Topos von der Unbestän¬
schlägt keinem Glücklichen.“ In der
digkeit des Glücks erscheint hier im
Form „Dem Glücklichen schlägt keine
Bild eines leichten Mädchens.
Stunde“ gebraucht man das Zitat als -
oft scherzhaften - Kommentar, wenn je¬
t Jeder ist seines Glückes Schmied mand vergißt, auf die Zeit zu achten,
oder wenn sich jemand um Termine
Glücklich allein ist die Seele, die nicht kümmern muß oder ihnen bewußt
liebt eine geringe Bedeutung beimißt.

Mit den Zeilen „Freudvoll/Und leid¬


voll“ beginnt Klärchens Lied in Goe¬ t Ohne Gnade und Barmherzigkeit

180
Teil I goldene

Gnade vor jemandes Augen fin¬ t Nach Golde drängt, am Golde


den hängt doch alles
Die Redewendung im Sinne von „vor je¬
mandem bestehen können, von ihm
anerkannt, akzeptiert werden“ findet Goldene Äpfel auf silbernen Scha¬
sich im Alten Testament, wo von der Er¬ len
wählung Abrahams durch Gott berich¬ Dieses Zitat findet sich in den Sprüchen
tet wird. Abraham erkennt Gott in drei Salomos (25,11) im Alten Testament.
fremden Männern, denen er Gast¬ Dort heißt es: „Ein Wort, geredet zu sei¬
freundschaft gewähren muß: „Herr, ner Zeit, ist wie goldene Äpfel auf sil¬
habe ich Gnade gefunden vor deinen bernen Schalen.“ Das Bild wurde von
Augen, so gehe nicht an deinem Knecht Dichtern des 18. Jahrhunderts häufig
vorüber“ (1. Moses 18,3). verwendet, so auch von Goethe in den
„Bekenntnissen einer schönen Seele“.
Es steht für etwas im geistigen Sinne be¬
Gold gab ich für Eisen sonders Wertvolles, Kostbares.

Am 17. 3. 1813 erließ der preußische


König Friedrich Wilhelm III. seinen be¬ Goldene Berge versprechen
rühmten Aufruf „An mein Volk“ zum
Diese Redewendung geht auf das Stück
Kampf gegen die napoleonische Herr¬
„Phormio“ des römischen Komödien¬
schaft. Darin beschwor der König die
dichters Terenz (185-159 v. Chr.) zu¬
Einheit von Krone, Staat und Nation.
rück. In dem Lustspiel (1,2) lockt je¬
Eine Welle patriotischer Begeisterung
mand seinen Freund, ihm „Berge Gol¬
und Opferbereitschaft ging danach
des versprechend“ (lateinisch: montes
durch ganz Preußen. Durch freiwillige
auri pollicens), nach Kilikien. Wenn je¬
Spenden konnten Truppen ausgerüstet
mandem goldene Berge versprochen
und verstärkt werden. Das Motto dieser
werden, dann werden ihm große, uner¬
Spendenaktion „Gold gab ich für Ei¬
füllbare Versprechungen gemacht, wird
sen“ klingt bereits in Schillers „Jung¬
ihm etwas vorgegaukelt.
frau von Orleans“ (uraufgeführt 1803)
an. Hier fordert Agnes Sorel, die Ge¬
liebte König Karls, den König auf: Eine goldene Brücke bauen
„Verwandle deinen Hofstaat in Solda¬
Die Wendung „jemandem eine goldene
ten/Dein Gold in Eisen; alles, was du
Brücke oder goldene Brücken bauen“
hast,/Wirf es entschlossen hin nach dei¬
mit der Bedeutung „jemandem das Ein¬
ner Krone!“ (1,4). Der Ursprung dieses
geständnis seiner Schuld, das Nachge¬
Ausdrucks liegt weiter zurück, er ist
ben erleichtern, die Gelegenheit zum
schon im 16. Jh. literarisch belegt.
Einlenken geben“ findet sich bereits bei
dem Publizisten und Satiriker des Ba¬
rock Johann Fischart (1546-1590). In
Gold und Silber lieb’ ich sehr seinem Hauptwerk, meist zitiert als
Das Zitat stammt aus der erste Strophe „Geschichtsklitterung“, gibt es im Kapi¬
eines Gedichts von August Schnezler tel 47 der ersten Auflage eine Stelle, wo
(1809-1853), das 1843 in Leipzig in ei¬ er sagt, man solle „dem Feind Tür und
nem „Liederbuch des deutschen Vol¬ Tor auftun und ihm eine goldene Brük-
kes“ erschien. Die Strophe lautet: ke machen, daß er davonziehen könne“.
„Gold und Silber preis’ ich sehr,/ Zugrunde liegt eine alte Kriegsregel,
Könnt’ es auch wohl brauchen ;/Hätf ich wonach man einen abziehenden oder
nur ein ganzes Meer,/Mich hineinzutau¬ fliehenden Feind möglichst nicht in
chen!“ Man zitiert die leicht abgewan¬ Kämpfe verwickelt, sondern ihm -
delte erste Zeile in scherzhafter Aus¬ wenn nötig - sogar Brücken baut, um
drucksweise, um sein Interesse an mate¬ seinen Abzug, seine Flucht zu erleich¬
riellen Gütern zu betonen. tern.

181
goldene Teil I

Die goldene Mitte zweite Sohn des Schneiders, der bei ei¬
nem Müller in die Lehre gegangen war,
Dieser Ausdruck könnte (ebenso wie die
erhielt von diesem am Ende der Lehrzeit
Variante „der goldene Mittelweg“) auf
einen Esel „von einer besonderen Art“.
die aurea mediocritas in den „Oden“ (II,
Der Müller beschrieb die ungewöhnli¬
10,5) des römischen Dichters Horaz
che Fähigkeit dieses Tieres so: „... wenn
(65-8 v.Chr.) zurückgehen, der damit
du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst:
zu - bei aller Lebensfreude - maßvol¬
,Bricklebrit‘, so speit dir das gute Tier
lem Genuß ermahnt. Man bezeichnet
Goldstücke aus, hinten und vorn.“
damit einen angemessenen, zwischen
den Extremen liegenden Standpunkt
Goldne Abendsonne
oder eine solche Entscheidung.
Die beiden Worte bilden den Anfang
Der t Mann mit dem goldenen des Gedichtes „An die Abendsonne“
der Schweizer Dichterin Anna Barbara
Arm
Urner (1760-1803). Das Gedicht wurde
1815 von Hans Georg Nägeli vertont.
Goldenes Kalb
Im Lied sind die zweite und vierte Zeile
Die stilistisch gehobenen Redewendun¬ leicht verändert: „Goldne Abendson-
gen „das Goldene Kalb anbeten“ und
ne,/Wie bist du so (im Original: O wie
„um das Goldene Kalb tanzen“ im Sin¬ bist du) schön !/Nie kann ohne Wonne/
ne von „geldgierig sein; den Wert, die
Deinen Glanz (im Original: Blick) ich
Macht des Geldes sehr hoch schätzen“
sehn.“
gehen auf das Alte Testament zurück.
Im 2. Buch Moses, 32 wird berichtet, Goldne Rücksichtslosigkeiten
daß Aaron, der ältere Bruder des Moses,
Das Zitat stammt aus Theodor Storms
auf Drängen der Volksmenge aus ihrem
(1817-1888) Gedicht „Für meine Söh¬
Schmuck am Sinai das Goldene Kalb
ne“, wo es in der 2. Strophe heißt: „Blü¬
gießen läßt, dem das Volk opfert.
te edelsten Gemütes/Ist die Rücksicht;
doch zu Zeiten/Sind erfrischend wie
Goldenes Zeitalter
Gewitter/Goldne Rücksichtslosigkei¬
Mit dem „Goldenen (auch: Saturni- ten.“ Den Ausdruck „goldne Rück¬
schen) Zeitalter“ war ursprünglich die sichtslosigkeit“ verwandte Storm schon
ideale Vorzeit der antiken Sage gemeint. vier Jahre vor Entstehen des Gedichtes
Der griechische Dichter Hesiod (um 700 in einem Brief an Eduard Mörike vom
v.Chr.) schildert sie in „Werke und Ta¬ 20. 11. 1850. Wenn man zum Ausdruck
ge“ (109-120) als paradiesischen Allge¬ bringen möchte, daß falsch verstandene
meinzustand ohne politische oder sozia¬ Rücksichtnahme sich in einer bestimm¬
le Probleme. Der Prozeß weiterer ten Situation nachteilig auswirken wür¬
Menschheitsentwicklung stellt sich von de, kann man „goldene Rücksichtslosig¬
hier aus als Verschlechterung dar. Im keiten“ empfehlen, die zur wohltuenden
übertragenen Sinne wird heute auch all¬ Klärung eines Sachverhaltes beitragen
gemein eine Blütezeit oder eine Zeit gro¬ dürften.
ßer wirtschaftlicher Erfolge auf einem
Gebiet als „goldenes Zeitalter“ bezeich¬ Die goldnen Sternlein prangen
net, z. B. „das goldene Zeitalter der
Das Zitat kommt sowohl in Matthias
Schwarzweißfotografie“ oder „das gol¬
Claudius’ (1740-1815) Abendlied „Der
dene Zeitalter des Ostasienhandels“.
Mond ist aufgegangen“ als auch in Paul
Gerhardts (1607-1676) „Nun ruhen alle
Goldesel
Wälder“ vor. Bei Claudius hat es die
Der umgangssprachliche Ausdruck mit Fortsetzung: „Am Himmel hell und
der Bedeutung „unerschöpfliche Geld¬ klar“; bei Gerhardt heißt es dagegen:
quelle“ geht zurück auf das Grimmsche „Die güldnen Sternlein prangen/Am
Märchen „Tischchen deck dich, Gold¬ blauen Himmelssaal“. Auch wegen
esel und Knüppel aus dem Sack“. Der ihrer Vertonungen - „Nun ruhen alle

182
Teil I Gott

Wälder“ auf eine Melodie des 15.Jh.s, als pathetischer Kommentar zu histori¬
„Der Mond ist aufgegangen“ von schen Befreiungskämpfen gebraucht.
J. A. P. Schulz, Franz Schubert, J. F. Rei-
chardt und Othmar Schoeck - sind Gott der Herr hat sie gezählet
beide Lieder sehr populär.
Dieser Vers stammt aus dem Kinderlied
„Weißt du, wieviel Sterne (häufig:
t Trinkt, o Augen, was die Wimper Sternlein) stehen“, das der Superinten¬
hält, von dem goldnen Überfluß dent und Dichter Wilhelm Hey
der Welt! (1789-1854) im Anhang seiner Fabel¬
sammlungen veröffentlicht hat. Mit die¬
t Wenn die Gondeln Trauer tragen sen Worten bringt man gelegentlich
scherzhaft zum Ausdruck, daß man
t Man gönnt sich ja sonst nichts nicht weiß, wie zahlreich etwas vorhan¬
den ist, daß man keine genaue Angabe
Den gordischen Knoten durch- über Anzahl oder Umfang von etwas
hauen machen kann. Auch die Anfangszeile
des Liedes „Weißt du, wieviel Sterne
Die Redewendung im Sinne von „eine
stehen“ wird im gleichen Sinne als Zitat
Schwierigkeit auf verblüffend einfache
gebraucht.
Weise lösen“ leitet sich von dem Gordi¬
schen Knoten aus der griechischen Sage
t Mit Gott für König und Vater¬
her, einer kunstvollen Verknotung von
land
Stricken am Wagen des sagenhaften
phrygischen Königs Gordios. Nach ei¬
Gott grüß Euch, Alter! Schmeckt
nem Orakel sollte derjenige, der den
Knoten löste, die Herrschaft über Klein¬
das Pfeifchen?
asien erlangen. Wie der römische Ge¬ Mit diesen Worten begrüßt am Anfang
schichtsschreiber der Kaiserzeit, Curti- des Gedichts „Die Tobakspfeife“ von
us Rufus, in seiner „Geschichte Alexan¬ Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809)
ders des Großen“ überliefert, soll dieser ein junger Adliger einen Kriegsvetera¬
den Knoten mit dem Schwert durch¬ nen. Der auffällige Kopf der Tabaks¬
trennt und damit das Orakel erfüllt pfeife des Alten hat seine Aufmerksam¬
haben. keit erregt, und er möchte ihn gerne kau¬
fen. Der Vers wird gelegentlich noch als
Der Gott der Eisen wachsen ließ, scherzhafter Gruß verwendet, wenn
der wollte keine Knechte man auf jemanden trifft, der gerade da¬
bei ist zu rauchen.
In seinem 1813 erschienenen „Vater¬
landslied“ bringt Ernst Moritz Arndt
t O, ein Gott ist der Mensch, wenn
(1769-1860) die herrschende Stimmung
er träumt, ein Bettler, wenn er
im Volk gegenüber der napoleonischen
Fremdherrschaft in Deutschland zum
nachdenkt
Ausdruck. Die erste Strophe beginnt:
„Der Gott der Eisen wachsen ließ,/Der Gott ist immer mit den stärksten
wollte keine Knechte,/Drum gab er Sä¬ Bataillonen
bel, Schwert und Spieß/Dem Mann in Diese Redensart stammt wahrscheinlich
seine Rechte.“ Wenn sich schon die aus dem Französischen, wo der zugrun¬
Fürsten der deutschen Staaten nicht von deliegende Gedanke bereits im 17. Jahr¬
Napoleon lossagen, so sollen doch die hundert zu finden ist. So schrieb der
deutschen Männer „nimmer im Tyran¬ Comte de Bussy-Rabutin am 18. 10.
nensold/Die Menschenschädel spal¬ 1677 in einem Brief an den Comte de Li¬
ten“, sondern für die Befreiung des Vol¬ moges: Comme vous savez, Dieu est d'or-
kes kämpfen; denn nur „das ist die gro¬ dinaire pour les gros escadrons contre les
ße Sache“ (5. Strophe). Das martiali¬ petits („Wie Sie wissen, hilft Gott nor¬
sche Zitat wird heute noch gelegentlich malerweise den großen Eskadronen

183
Gott Teil I

[= Schwadronen] gegen die kleinen“). als Zeichen der Errettung gegeben wird.
Und in einem Brief der Marquise von Im 30jährigen Krieg gab der schwedi¬
Sevigne an ihre Tochter vom 22.12.1673 sche König Gustav II. Adolf vor der
heißt es: La fortune est toujours pour les Schlacht bei Breitenfeld 1631 die Worte
gros bataillons („Das Glück ist immer „Gott mit uns“ als Parole aus. Seit dem
auf der Seite der großen Bataillone“). 18. Jahrhundert waren sie der Wahl¬
Auch bei Friedrich dem Großen (der ja spruch der preußischen Könige und
französisch schrieb) und Voltaire finden standen dann auch auf dem Koppel¬
sich ähnliche Belegstellen, die sicher zur schloß deutscher Soldaten.
Verbreitung der Redensart beigetragen
haben. Heute wird sie vor allem ge¬ t Gäbe es Gott nicht, so müßte man
braucht, wenn kritisch-resignativ der ihn erfinden
Erfolg der Mächtigen kommentiert wird
und man selbst eher der Position eines Gott schuf ihn, also laßt ihn für
Schwächeren oder einer weniger ein¬ einen Menschen gelten
flußreichen Gruppierung zuneigt. Dieses nicht gerade schmeichelhafte
Urteil fällt in Shakespeares Schauspiel
T Bei Gott ist kein Ding unmöglich „Ein Sommemachtstraum“ (1,2) die rei¬
che Portia über einen Herrn aus dem
Gott ist tot Kreise ihrer Freier. Im englischen Origi¬
„Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir nal sagt sie God made him, and therefore
haben ihn getötet!“ So ruft der „tolle lei him pass for a man. Mit diesem Zitat
Mensch“ im 125. Stück von Nietzsches bringt man scherzhaft zum Ausdruck,
„Fröhlicher Wissenschaft“ (1882) aus. daß man jemanden, der eigentlich be¬
Christentum und christlich-jüdisch- kannt sein müßte, nicht näher kennt,
abendländische Werte werden dort als daß man noch nicht viel oder gar nichts
Merkmale einer „Sklavenmoral“ ange¬ von ihm gehört hat. Gelegentlich wird
sehen, die es zu überwinden gilt. Der mit dem Zitat angedeutet, daß auch je¬
„tolle Mensch“ hat diesen Schritt für mand, der sich durch eine verbrecheri¬
sich vollzogen und ist auf dem Wege sche Tat außerhalb der menschlichen
zum „Übermenschen“. Und dieser „An¬ Gesellschaft gestellt hat, dennoch eine
tichrist und Antinihilist, dieser Besieger der Würde des Menschen angemessene
Gottes und des Nichts“ ist für Nietzsche Behandlung erfahren muß.
der Mensch der Zukunft. - Als scherz¬
hafte Antwort auf das Motto „Gott ist Gott schütze mich vor meinen
tot. (Nietzsche)“ findet man gelegent¬ Freunden
lich die Formulierung „Nietzsche ist tot. Mit dieser zunächst paradox klingenden
(Gott)“. Aussage wird ausgedrückt, daß man
Freunden gegenüber in gewisser Weise
T Wer nur den lieben Gott läßt wal¬ wehrloser ist als gegenüber Feinden, ge¬
ten gen die man ja mit geringeren Hemmun¬
gen vorzugehen weiß, gegenüber denen
Gott mit uns! man auch sehr viel wachsamer und mi߬
Im 1. Kapitel des Matthäusevangeliums trauischer ist. In eher scherzhafter Wei¬
wird berichtet, daß Joseph im Traum die se bringt man damit gelegentlich auch
Geburt Jesu mit den Worten verkündet zum Ausdruck, daß allzu viel freund¬
wurde: „Siehe, eine Jungfrau wird schaftliche Zuwendung, sei sie auch
schwanger sein und einen Sohn gebä¬ noch so gut gemeint, recht lästig werden
ren, und sie werden seinen Namen Im¬ kann. Der Ausspruch geht wohl auf eine
manuel heißen, das ist verdolmetscht: lateinische Sprichwörtersammlung des
Gott mit uns“ (Matthäus 1,23). Diese 16. Jahrhunderts zurück, wo von König
Prophezeiung geht auf den Propheten Antigonos berichtet wird, der ein Opfer
Jesaja im Alten Testament zurück (Jesa¬ darbringen läßt, damit Gott ihn vor
ja 7,14), wo sie dem Hause Davids seinen Freunden behüte. Auf Befragen

184
Teil I Grabe

erklärt er dazu, vor seinen Feinden kön¬ t Wen die Götter lieben, der stirbt
ne er sich selbst schützen, vor seinen jung
Freunden aber nicht.

Götterdämmerung
Gott sei Dank! Nun ist’s vorbei mit
Der auf die nordische Mythologie zu¬
der Übeltäterei
rückgehende Ausdruck mit der Bedeu¬
Am Ende von „Max und Moritz“ läßt tung „der Untergang der Götter in Ver¬
Wilhelm Busch (1832-1908) das ganze bindung mit dem Weltbrand vor dem
Dorf mit diesen Worten aufatmen. Man Anbruch eines neuen Weltzeitalters“
verwendet sie heute meist als mehr wurde durch Richard Wagners (1813 bis
scherzhaft gemeinten Seufzer der Er¬ 1883) „Götterdämmerung“, den Schlu߬
leichterung, wenn die Urheber von teil des „Rings des Nibelungen“, popu¬
Dummejungenstreichen ausfindig ge¬ larisiert; er ist aber schon im 18. Jahr¬
macht worden sind und ihrem Treiben hundert in der deutschen Literatur be¬
ein Ende gesetzt worden ist, allgemeiner legt. Es handelt sich bei dem Wort um
auch, wenn etwas als unangenehm, lä¬ eine falsche Lehnübersetzung von altis¬
stig Empfundenes abgestellt worden ist. ländisch ragna rökkr = Götterverfinste¬
rung, das mit ragna rök = Götterschick¬
Gott, sei mir Sünder gnädig! sal vermischt wurde. In übertragenem
So spricht der Zöllner im Gleichnis vom Gebrauch wird der Ausdruck ganz all¬
gemein auf den Beginn einer neuen
betenden Pharisäer und Zöllner, das im
Lukasevangelium erzählt wird (Lukas Epoche, auf eine grundlegende Umwäl¬
zung und Veränderung der bisher gel¬
18,13). Diese Worte stehen in deutli¬
tenden Werte in einem bestimmten
chem Kontrast zu denen des selbstge¬
Bereich bezogen.
rechten Pharisäers (vergleiche das Zitat
„Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin
wie die anderen Leute“). Der Aus¬ t Von Gottes Gnaden
spruch des Zöllners wurde zum geflü¬
gelten Wort und wird insbesondere als
Gottes Mühlen mahlen langsam
Stoßseufzer oder Gebet von jemandem
zitiert, der sich all seiner menschlichen Dieses Sprichwort ist der Anfang des er¬
Schwächen und der Unzulänglichkeit sten Verses des Sinngedichtes „Gött¬
liche Rache“ von Friedrich von Logau
seines Handelns voll bewußt ist und
(1604-1655). Es besagt, daß jeder für
sich entsprechend demutsvoll und be¬
sein Unrechtes Tun die gerechte Strafe
scheiden gibt.
erhält, auch wenn dies nicht immer
gleich geschieht. Gottes Gerechtigkeit
TWas Gott tut, das ist wohl getan entgeht niemand. Der vollständige Ge¬
dichttext lautet: „Gottes Mühlen mah¬
TWen Gott vernichten will, den len langsam, mahlen aber trefflich
schlägt er mit Blindheit klein,/Ob aus Langmut er sich säumet,
bringt mit Schärf er alles ein.“ Logau
hat den Grundgedanken dieses Epi¬
tWem Gott will rechte Gunst er¬
gramms wohl von Sextus Empiricus, ei¬
weisen, den schickt er in die weite
nem altgriechischen Arzt und Philoso¬
Welt phen um 200 n.Chr., übernommen; bei
ihm heißt es: „Erst lange Zeit nachher
TWas nun Gott zusammengefügt mahlen der Götter Mühlen, doch mah¬
hat, das soll der Mensch nicht len sie Feines“ (griechisch: öige 8eäv
scheiden äXeovai ßvXoi, äXeovai 8s Xemä).

T Dir wird gewiß einmal bei deiner TNoch am Grabe pflanzt er die
Gottähnlichkeit bange! Hoffnung auf

185
Gradus Teil I

Gradus ad Parnassum Grau, teurer Freund, ist alle Theo¬


Unter diesem Titel (deutsch: „Stufen rie
zum Parnaß“) gab Ende des siebzehnten „Grau, teurer Freund, ist alle Theo¬
Jahrhunderts der Jesuit Paul Aler eine rie,/Und grün des Lebens goldner
Art Lehrbuch und Materialsammlung Baum.“ Mit diesen Worten weist Me¬
für die Verfertigung lateinischer Verse phisto im 1. Teil von Goethes Faust im
heraus. Der Parnaß, ein Gebirge in Mit¬ 2. Teil der Studierzimmerszene den
telgriechenland, galt in der Antike als Schüler auf die Unzulänglichkeit eines
Sitz Apollos und der Musen und damit nur theoretischen Wissens hin. Die Pra¬
im übertragenen Sinne als „Reich der xis alleine zählt, und nur „der den Au¬
Dichtkunst“. - Der Titel des Buches genblick ergreift,/Das ist der rechte
wurde nicht nur für ähnliche Lehrwerke Mann.“ Mit diesem Zitat ermuntert
in späterer Zeit verwendet (z. B. für eine man heute einen Menschen, Erfahrun¬
Kontrapunktlehre des österreichischen gen im Leben zu sammeln, oft warnt
Komponisten Johann Joseph Lux aus man mit diesen Worten auch davor, vor
dem Jahre 1725), man zitiert ihn heute lauter Theoretisieren die Wirklichkeit
in gehobener Sprache auch allgemein aus dem Blick zu verlieren.
für eine Hilfe zur Vervollkommnung auf
den verschiedensten Gebieten. Graue Eminenz
So bezeichnet man besonders in der Po¬
Der Graf wird seine Diener loben litik eine einflußreiche Persönlichkeit,
t Der ist besorgt und aufgehoben die nach außen kaum in Erscheinung
tritt. Der Ausdruck ist eine Lehnüber¬
Gralshüter setzung des französischen l’eminence
In der Dichtung Wolframs von Eschen¬ grise, des Beinamens des französischen
bach (um 1170/1180-um 1220) wird der Kapuzinerpaters und engsten Beraters
Gral - ein geheimnisvoller, Wunder von Kardinal Richelieu, Pere Joseph
wirkender Stein von einer geweihten (1577-1638). Richelieu war bemüht,
Ritterschar auf dem Berg Montsal- dem stets in der grauen Kapuzinerkutte
vatsch gehütet. Nach diesem in der mit¬ auftretenden Pater in Rom die Kardi¬
telalterlichen europäischen Dichtung nalswürde und damit eine Robe und
verbreiteten Motiv bezeichnen wir - oft den Titel „Eminenz“ zu verschaffen,
mit leichter Ironie - als „Gralshüter“ je¬ doch ohne Erfolg. Pere Joseph blieb die
manden, der sich berufen fühlt, die „graue Eminenz“. Im 19. Jh. wurde in
Reinheit einer Lehre, die Unversehrt¬ Deutschland vor allem der Diplomat
heit einer Einrichtung zu bewahren. Friedrich von Holstein (1837-1909), ein
vertrauter Mitarbeiter Bismarcks, mit
diesem Beinamen belegt.
Das Gras wachsen hören
Von einem Menschen, der an den klein¬
Das Grauen vor dem Nichts
sten oder auch an bloß eingebildeten
t Horror vacui
Anzeichen zu erkennen glaubt, wie die
Lage ist oder wie sie sich entwickelt, sa¬
gen wir mit leichtem Spott, er höre das t Mir grauet vor der Götter Neide
Gras wachsen. Diese Redewendung
geht auf die sogenannte Jüngere Edda“ Die t drei Grazien
zurück, ein skaldisches Lehrbuch des
frühen 13. Jahrhunderts. Dort heißt es Greif nicht in ein Wespennest,
(in Karl Simrocks [1802-1876] Überset¬ doch wenn du greifst, so greife fest
zung) von Heimdall, einem der 12 Äsen In seiner Sinnspruchsammlung „Ein
und Wächter der Götter, daß er eine un¬ gülden ABC“ schreibt Matthias Claudi¬
gewöhnlich starke Sinnesschärfe habe us (1740-1815): „Greif nicht leicht in
und „das Gras in der Erde und die Wol¬ ein Wespennest;/Doch wenn du greifst,
le auf den Schafen wachsen“ höre. so stehe fest.“ Mit diesen Zeilen, die

186
Teil I Gretchenfrage

heute leicht abgewandelt zitiert werden, mit Göttern soll sich nicht messen/ir¬
ist gemeint, daß man eine heikle oder gendein Mensch .../Was unterscheidet/
gefährliche Angelegenheit besser auf Götter von Menschen?/... Uns hebt die
sich beruhen lassen soll; wenn man aber Welle,/Verschlingt die Welle,/Und wir
schon etwas unternimmt, dann soll man versinken./Ein kleiner Ring/Begrenzt
es konsequent und gründlich tun. unser Leben ...“ Das berühmte Gedicht
wurde von Franz Schubert (1797-1828)
Greift nur hinein ins volle Men¬ und Hugo Wolf (1860-1903) vertont.
schenleben!
Das Zitat stammt aus Goethes Faust I. Die Grenzen des Wachstums
Im „Vorspiel auf dem Theater“ beginnt Unter dem Titel The limit to growth
damit der Ratschlag der „Lustigen Per¬ („Die Grenze des Wachstums“) wurde
son“ für den Dichter, der ein Stück lie¬ 1972 eine Untersuchung von Dennis
fern soll: „Greift nur hinein ins volle Meadows u. a. veröffentlicht. Die Studie
Menschenleben !/Ein jeder lebt’s, nicht erschien in den „Berichten an den Club
vielen ist's bekannt,/Und wo ihr’s packt, of Rome“, eine informelle Vereinigung
da ist’s interessant.“ Möglicherweise von Wirtschaftsführern, Politikern und
hat Goethes Formulierung zur Verbrei¬ Wissenschaftlern aus über 30 Ländern,
tung der ebenfalls im späten 18. Jh. zu¬ die sich die Erforschung von Ursachen
erst belegten Redewendung „aus dem und inneren Zusammenhängen der all¬
Leben gegriffen sein“ beigetragen (oder gemeinen Menschheitsprobleme beson¬
ist von ihr beeinflußt worden). Mit die¬ ders im wirtschaftlichen und sozialen
ser Wendung bezeichnet man eine sehr Bereich zur Aufgabe gemacht hat. Das
realistische, wirklichkeitsnahe Darstel¬ Zitat ist vor allem im Hinblick auf die
lung oder Schilderung, während das immer größer werdenden Umweltschä¬
Goethe-Zitat darauf hinweist, daß man digungen durch wirtschaftliches Wachs¬
aus der lebendigen Vielfalt des mensch¬ tum ein aktuelles Schlagwort geblieben.
lichen Lebens reichlich Anschauungs¬
material für die verschiedensten Er¬ Ins grenzenlose Reich der Mög¬
kenntnisse gewinnen kann. lichkeiten
t Sein greises Haupt schütteln Das t Land der unbegrenzten Möglich¬
keiten
Eine Grenze hat Tyrannenmacht
Grenzsituation
In Schillers „Wilhelm Teil“ (11,2) sagt
Werner Stauffacher in seiner Rede vor Das Wort im Sinne von „ungewöhnliche
dem Rütlischwur: „... und der fremde Situation, in der nicht die üblichen Mit¬
Herrenknecht/Soll kommen dürfen und tel, Maßnahmen zu ihrer Bewältigung
uns Ketten schmieden,/Und Schmach Anwendung finden können“ ist eine
antun auf unsrer eignen Erde?/Ist keine Prägung des Philosophen Karl Jaspers
Hülfe gegen solchen Drang? .../Nein, ei¬ (1887-1969). In der „Psychologie der
ne Grenze hat Tyrannenmacht.“ Das Zi¬ Weltanschauungen“ aus dem Jahr 1919
tat steht für die Überzeugung, daß ein heißt es in bezug auf Erfahrungen wie
Volk sich seine Rechte auf die Dauer die Situationsgebundenheit des Men¬
nicht vorenthalten läßt oder daß es kei¬ schen, seine Herkunft, Kampf, Leiden,
ne alles umfassende Unterdrückung ge¬ Schuld, Tod: „Diese Situationen, die an
ben kann, daß Widerstand möglich und der Grenze unseres Daseins überall ge¬
geboten ist. fühlt, erfahren, gedacht werden, nennen
wir darum ,Grenzsituationen’.“
Grenzen der Menschheit
Das Zitat ist der Titel eines Gedichts Gretchenfrage
von Goethe. Das Wort „Menschheit“ ist Mit diesem Ausdruck bezeichnet man
wohl zugleich als „Menschsein“ und eine unangenehme, oft peinliche und
„die Menschen“ zu verstehen: „Denn zugleich für eine bestimmte Entschei-

187
Grieche Teil I

düng wesentliche Frage in einer schwie¬ Mann, wobei die verschiedensten Ab¬
rigen Situation. Es kann auch die Frage wandlungen der zweiten Hälfte des
nach jemandes Religion oder politi¬ Zitats möglich sind.
scher Überzeugung gemeint sein. Das
Wort ist in Anlehnung an die von Gret- Der große Bruder
chen an Faust gerichtete Frage „Nun t Big brother is watching you
sag, wie hast du’s mit der Religion?“
entstanden (Goethe, Faust I, Marthens Eine große Epoche hat das Jahr¬
Garten). Auch diese Frage selbst wird - hundert geboren; aber der große
meist in der leicht abgewandelten Form
Moment findet ein kleines Ge¬
„Wie hältst du’s mit der Religion?“ -
schlecht
zitiert, um auf ein wesentliches, ent¬
scheidendes, oft heikles Problem hin¬ Im „Musenalmanach für das Jahr 1797“
zuweisen und jemanden zu einer klaren veröffentlichte Schiller eine größere An¬
Stellungnahme in der betreffenden Sa¬ zahl von Sinngedichten, Distichen und
che aufzufordern. Xenien, von denen mehrere in Zusam¬
menarbeit mit Goethe entstanden. Zu
Grieche sucht Griechin ihnen ist auch dieser Sinnspruch mit
Dies ist der Titel einer 1966 mit Heinz dem Titel „Der Zeitpunkt“ zu zählen. Er
Rühmann in der Hauptrolle verfilmten wird oft herangezogen, um-zu konstatie¬
Erzählung von Friedrich Dürrenmatt ren, die meisten Menschen seien unfä¬
aus dem Jahr 1955. Darin erkennt der hig, große Ereignisse und Momente gei¬
biedere Grieche Archilochos erst bei der stesgeschichtlicher, künstlerischer oder
Trauung, daß es sich bei seiner Braut, historischer Art in ihrer vollen Tragwei¬
die er über ein Zeitungsinserat kennen¬ te zu erfassen und zu würdigen. Je nach
gelernt hat, um eine stadtbekannte Pro¬ Situation wird das zweizeilige Sinnge¬
stituierte handelt. Das Zitat wird - auch dicht als Ganzes oder auch in seinen
in Abwandlungen wie „Bayer sucht beiden Teilen einzeln zitiert. Dabei wird
Bayerin“ - gelegentlich scherzhaft im der zweite Teil gelegentlich auch zu
Anzeigenteil von Zeitungen unter der scherzhaften Zweideutigkeiten mi߬
Rubrik „Bekanntschaften“ oder in Hei¬ braucht.
ratsannoncen verwendet.
Große Ereignisse werfen ihre
t Wer wollte sich mit Grillen pla¬ Schatten voraus
gen Diese sprichwörtliche Redensart kommt
aus dem Englischen; sie stammt aus
Der große Blonde mit dem dem Gedicht „Lochiel’s Waming“
schwarzen Schuh (deutsch: „Lochiels Warnung“) des
So lautet der Titel der deutschen Versi¬ schottischen Dichters Thomas Camp¬
on des französischen Films Le grand bell (1777-1844). Dort heißt es in einem
blond avec une chaussure noire aus dem poetischen Bild, daß die tief stehende
Jahr 1972, der die Verwicklungen um ei¬ Sonne des Lebensabends eine Art sehe¬
nen vermeintlichen Topagenten in einer rische Kraft verleiht: And coming events
Parodie auf die Arbeit der Geheimdien¬ cast their shadows before („Und kom¬
ste schildert. Der „große Blonde“ ist ein mende Ereignisse werfen ihre Schatten
tolpatschiger Musiker, der versehentlich voraus“). Das leicht abgewandelte Zitat
einen braunen und einen schwarzen kommentiert die ersten wahrnehmbaren
Schuh angezogen hat. Da er so sehr Anzeichen einer bevorstehenden, be¬
leicht zu beschreiben und in der Menge sonderen Veranstaltung, Festlichkeit
zu erkennen ist, wird er zum ahnungslo¬ o.ä.
sen Lockvogel in einer Agentenintrige.
Man verwendet das Zitat meist scherz¬ Große Freiheit Nr. 7
haft in bezug auf einen durch Körper¬ Der Titel des Films von Helmut Käut-
größe und blonde Haare auffälligen ner bezieht sich auf eine Straße im

188
Teil I große

Hamburger Stadtteil St. Pauli. In dem gentlich scherzhaft als Bezeichnung für
1943/44 gedrehten Film spielt Hans Al- einen hochgewachsenen Norddeut¬
bers einen Seemann, den Lebensgefähr¬ schen verwendet. Besonders Gerhard
ten einer Nachtlokalbesitzerin, der als Stoltenberg, der ehemalige Ministerprä¬
Stimmungssänger auftritt. Er verliebt sident von Schleswig-Holstein und
sich in ein junges Mädchen, das sich spätere Bundesminister, wurde in den
aber für einen anderen entscheidet; der Medien des öfteren so genannt.
Seemann sucht danach seine „große
Freiheit“ wieder auf dem Meer und Große Seelen dulden still
heuert auf einem Schiff an. Das Zitat Diese Worte spricht in Schillers „Don
kommentiert meist ironisch jemandes Kariös“ (1,4) Marquis Posa zur Königin
Bestreben, sich aus seinen gesellschaft¬ gewandt, wenn auch vordergründig mit
lichen Bindungen zu befreien und in Bezug auf die Heldin der von ihm er¬
einem neuen Leben die wahre Freiheit zählten Geschichte, die sich in einer
zu finden. ähnlichen Situation wie Elisabeth von
Valois zwischen dem König und seinem
Das große Fressen Sohn befindet. Einen verwandten Ge¬
Der französische Spielfilm La grande danken spricht Mathilde Wesendonck
bouffe (deutscher Titel: „Das große (1828-1902) in dem von Richard Wag¬
Fressen“) von 1973, für den sich die ner vertonten Gedicht „Im Treibhaus“
weibliche Hauptdarstellerin Andrea aus: „Und wie froh die Sonne scheidet/
Ferreol eine Rubensfigur anessen mu߬ Von des Tages leerem Schein,/Hüllet
te, erregte wegen seiner schockierenden der, der wahrhaft leidet,/Sich in Schwei¬
Schilderung einer selbstmörderischen gens Dunkel ein.“ Heute kann das Zitat
„Freßorgie“ großes Aufsehen. Sein Ti¬ auch scherzhaft oder selbstironisch ver¬
tel wurde bald als salopp-scherzhafte wendet werden, wenn jemand ein - im
Bezeichnung für Veranstaltungen ge¬ Grunde geringfügiges - Unrecht oder
bräuchlich, bei denen kalte Büfetts und Leid klaglos hinnimmt.
kulinarische Genüsse im Mittelpunkt
stehen. Der große Unbekannte
Mit dem Ausdruck wird in der Krimi¬
Große Gedanken kommen aus nalliteratur ironisch auf einen verbor¬
dem Herzen gen bleibenden Täter hingewiesen, den
Das Zitat - im Original: Les grandes es vielleicht gar nicht gibt, dessen sich
pensees viennent du cosur - stammt von jemand möglicherweise nur zu seiner ei¬
Luc de Clapier, Marquis de Vauvenar- genen Entlastung bedient. Letztlich geht
gues (1715-1747). Es ist die 87. Maxime die Formulierung wahrscheinlich auf ei¬
aus seinem Hauptwerk „Introduction ä ne Stelle im Alten Testament zurück, wo
la connaissance de l’esprit humain, sui- es im Buch Hiob (36,26) heißt: „Siehe,
vie de reflexions et de maximes“ („Ein¬ Gott ist groß und unbekannt“. Mit the
leitung zur Kenntnis des menschlichen great Unknown wurde Walter Scott, der
Geistes, gefolgt von Betrachtungen und zunächst anonyme Verfasser des histori¬
Maximen“). Es drückt aus, daß erhabe¬ schen Romans „Waverly“ (1814) von
ne Gedanken nicht auf bloßem Verstan¬ dem zeitgenössischen Kritiker James
desdenken beruhen, sondern daß an Ballantyne bezeichnet. Auch Nikolaus
ihrem Zustandekommen letztlich das Lenau verwendet in der 7. Strophe sei¬
Gefühl beteiligt ist. nes Gedichts „Der Hagestolz“ (1837/38)
den Ausdruck „der große Unbekannte“
t An die große Glocke hängen in bezug auf den göttlichen Lebensgeist,
der einen Totenschädel einst beseelte.
Der große Klare aus dem Norden
Der seit 1967 verwendete Werbespruch
Das große Welttheater
für die Kornmarke Bommerlunder aus Das Zitat - im spanischen Original El
Flensburg wurde sehr populär und gele¬ gran teatro del mundo - ist der Titel

189
große Teil I

eines Auto sacramental, eines spätmit¬ haben. Wir zitieren den Satz - oft in
telalterlichen spanischen Fronleich¬ scherzhaft-pathetischer Ausdruckswei¬
namsspiels, von Calderon de la Barca se - im Sinne von „aller Aufwand war
(1600-1681). Das Schauspiel wurde umsonst“.
1846 von Joseph von Eichendorff ins
Deutsche übersetzt. Hugo von Hof¬ Der größte Lump im ganzen Land,
mannsthals Nachdichtung „Das große das ist und bleibt der Denunziant
Salzburger Welttheater“ erschien 1922.
Bis zum heutigen Tag hat dieses ver¬
Der bis in die Barockzeit weitverbreitete
nichtende Urteil des Germanisten und
literarische Topos vom Welttheater,
Lyrikers August Heinrich Hoffmann
dem Theatrum mundi, der Vorstellung
von Fallersleben (1798-1874), das er in
der Welt als eines Theaters, auf dem die
seinen „Politischen Gedichten aus der
Menschen (vor Gott) ihre Rollen spie¬
Vorzeit Deutschlands“ (1843) fällte, sei¬
len, erscheint als Vergleich oder Meta¬
ne Gültigkeit bewahrt. Der Dichter des
pher bereits in der Antike bei Platon,
„Deutschlandliedes“ war 1842 wegen
Horaz, Seneca und im Urchristentum
seiner nationalliberalen Haltung seines
bei Augustinus.
Professorenamtes enthoben und des
Der große Zampano Landes verwiesen worden.

Der „große Zampano“ tritt in Federico


Eine der größten Himmelsgaben
Fellinis Film „La Strada“ (deutsch:
„Das Lied von der Straße“) aus dem Das Zitat stammt aus Goethes Faust
Jahr 1954 auf. Es ist der bramarbasie¬ (Erster Teil. Der Nachbarin Haus).
rende, großsprecherische Jahrmarktsar¬ Faust möchte Gretchen Wiedersehen
tist Zampano, der vor seinem Publikum und fordert von Mephisto, eine Gele¬
als „der große Zampano“ auftritt, der genheit dafür zu schaffen. Im Gespräch
den Seiltänzer Matto im Streit tötet und mit Gretchen im Haus der Frau Marthe
das Dorfmädchen Gelsomina, das er zu sinniert dann Mephisto: „’s ist eine der
seiner Sklavin gemacht hat, wieder ver¬ größten Himmelsgaben,/So ein lieb
läßt. - Nach dieser Figur spricht man Ding im Arm zu haben.“ - Man bezieht
von einem „großen Zampano“ als von das Zitat heute auch auf Dinge, beson¬
einem sich lautstark in Szene setzenden ders aus dem kulinarischen Bereich, die
Mann, der durch sein prahlerisches Ge¬ als besonders köstlich gelten.
baren beeindrucken will, der behauptet,
Unmögliches möglich machen zu kön¬ t Als der Großvater die Großmut¬
nen. ter nahm

t Und die Größe ist gefährlich und Grün ist die Heide
der Ruhm ein leeres Spiel
Dieser banale Satz geht zurück auf den
Kehrreim aus Hermann Löns’ Heide¬
t Alle großen Männer sind be¬
lied „Geheimnis“, das 1911 in der
scheiden
Sammlung „Der kleine Rosengarten“
erschienen ist. „Ja, grün ist die Heide,
Ein großer Aufwand schmählich
die Heide ist grün,/Aber rot sind die Ro¬
ist vertan
sen, wenn sie da blühn.“ Inhaltlich wur¬
Das Zitat (im Original: „Ein großer de das Zitat auch durch einen bekann¬
Aufwand, schmählich! ist vertan“) ten deutschen Heimatfilm mit gleichlau¬
stammt aus Goethes Faust II, aus dem tendem Titel aus dem Jahr 1951 (Regie:
fünften Akt. In der Szene der Grable¬ Hans Deppe) geprägt, dessen Trivialität
gung muß Mephisto erkennen, daß alle durch romantisch verschönte Zeitpro¬
seine Anstrengung, Fausts Seele zu ge¬ blematik, verklärende Landschaftsbil¬
winnen, umsonst war, daß er seine Wet¬ der, sentimentale Liebesgeschichten
te mit Gott verloren hat, nachdem die und Klamottenkomik zum Ausdruck
Engel Fausts unsterbliche Seele entführt kommt.

190
Teil I gut

Die Gründe kenne ich nicht, aber t O daß sie ewig grünen bliebe, die
ich muß sie mißbilligen schöne Zeit der jungen Liebe
Dies ist ein Ausspruch des Abgeordne¬
ten Julius Keil, der im Februar 1849 Grünen und blühen
während einer Sitzung der 2. Kammer I Blühen und Grünen
des ordentlichen Landtags im König¬
reich Sachsen sagte: „Das halte ich eben Gruppenbild mit Dame
für ein Unheil, daß die Staatsregierung Dies ist der Titel eines 1971 erschie¬
solche Erklärungen allein abgibt, und nenen Romans von Heinrich Böll. Als
vielleicht eben weil sie keinen Hinter¬ verstärkt Frauen in die Länderkabinette
halt an der Volksvertretung hat, sich berufen wurden, griffen Journalisten
nicht entschließen kann, bindende und diesen Titel auf und präsentierten die
definitive Erklärungen abzugeben. Die posierenden neuen Regierungen in der
Gründe kenne ich nicht, aber ich muß Bildunterschrift als „Gruppenbild mit
sie mißbilligen.“ Das Zitat wird gele¬ Dame[n]“.
gentlich gebraucht, um auszudrücken,
daß man eine Handlungs- oder Verhal¬ G’schichten aus dem Wienerwald
tensweise in jedem Fall verurteilt, auch t Geschichten aus dem Wienerwald
wenn einem die jeweiligen Beweggrün¬
de nicht bekannt sind. Die güldnen Sternlein prangen
Die t goldnen Sternlein prangen

Grund- und Eckstein t Mit dem Gürtel, mit dem Schleier


Diese Zwillingsformel findet sich schon reißt der schöne Wahn entzwei
im Alten Testament. Bei Jesaja (28,16)
heißt es: „Darum spricht Gott der Herr: TWas? Der Blitz! Das ist ja die
Siehe, ich lege in Zion einen Grund¬ Gustel aus Blasewitz
stein, einen bewährten Stein, einen köst¬
lichen Eckstein, der wohl gegründet Es ist nicht gut, daß der Mensch
ist.“ Der „Eckstein“ wird in älterem allein sei
Sprachgebrauch oft im selben Sinne wie Dieses Zitat findet sich im Alten Testa¬
„Grundstein“ gebraucht, so daß bei ment (1. Moses 2,18). Es bezieht sich
dem sprachlichen Bild vom „Grund- auf Adam, der zunächst im Paradies al¬
und Eckstein“ eine verstärkende Ver¬ lein ist und dem Gott eine Gefährtin an
dopplung vorliegt. Man bezeichnet da¬ die Seite geben will. Es heißt dort im bi¬
mit die Grundlage, das wesentliche Ele¬ blischen Wortlaut: „Es ist nicht gut, daß
ment einer Institution oder einer Ent¬ der Mensch allein sei; ich will ihm eine
wicklung; in ähnlicher Weise spricht Gehilfin machen, die um ihn sei“. - Das
man häufig auch vom „Grund- und Zitat wird dann verwendet, wenn man
Eckpfeiler“. im Alleinsein von Menschen die Gefahr
der Isolierung sieht, oder ganz allge¬
mein als eine an jemanden gerichtete
Grüne Lunge Ermunterung, sich an andere anzu¬
Dieser bildliche Ausdruck für „Park, schließen oder sich einen Ehepartner,
Grünanlage einer Großstadt“ geht mög¬ einen Lebensgefährten zu suchen.
licherweise auf eine Formulierung des
englischen Staatssekretärs William Pitt
t Ach, wie gut, daß niemand weiß,
(1708-1778) zurück. In einer Rede sei¬ daß ich Rumpelstilzchen heiß’!
nes Biographen William Windham vom
30. 6. 1808 vor dem Unterhaus heißt es, Gut dem Dinge
Pitt habe des öfteren gesagt, that the Diese Floskel taucht öfter bei Walter
parks were the lungs of London („daß die Kempowski auf, z. B. in seinem Roman
Parks die Lungen von London seien“). „Tadellöser & Wolff' aus dem Jahr

191
gut Teil I

1971. Sie bedeutet dort soviel wie „gut, wurde damit weniger unter dem Aspekt
in Ordnung“ und wird auch als Zitat in der Macht und Autorität gesehen als im
diesem Sinne verwendet. Hinblick auf seine Bereitschaft zur Für¬
sorge. Verstärkt erscheint dann gerade
Gut gebrüllt, Löwe! dieser Gedanke, gesteigert bis zur Hin¬
Dieses Zitat aus Shakespeares „Ein gabe des Lebens, im Neuen Testamen
Sommernachtstraum“ (V, 1) gebraucht bei der Übertragung des Bildes vom
man, wenn etwas treffend, schlagfertig Hirten auf Christus. Die Bezeichnung
bemerkt oder kommentiert wurde. Im „der Gute Hirte“ für Jesus geht auf das
Original sagt im sogenannten Rüpel¬ Jesuswort bei Johannes (10,12) zurück:
spiel Demetrius, als das Brüllen des „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte
„Löwen“ die arme Thisbe erschreckt: läßt sein Leben für die Schafe.“ Die Be¬
Well roared, Hon! zeichnung wurde später oft auf den ver¬
antwortungsvoll in seiner Gemeinde
t Jenseits von Gut und Böse wirkenden Pfarrer übertragen.

Die gute Ehe ist ein ew’ger Braut¬ Der gute Mensch von ...
stand Der Titel von Bertolt Brechts
Das sentenzhafte Zitat stammt aus (1898-1956) Parabelstück „Der gute
Theodor Körners (1791-1813) Trauer¬ Mensch von Sezuan“ ist mit beliebiger
spiel „Die Sühne“ (6. Auftritt). Es Abwandlung der Ortsangabe zum Zitat
bringt - in heute eher altmodisch anmu¬ geworden. Es wird nach der Heldin
tender Form - zum Ausdruck, daß es in Shen Te meist zur Charakterisierung ei¬
einer guten Ehe keine Abstumpfung, nes gutmütigen, hilfsbereiten Menschen
keine Routine geben darf, sondern daß gebraucht, an den man sich immer wen¬
die Partner sich stets so umeinander be¬ den kann, gelegentlich auch ironisch auf
mühen, einander so liebevoll zugetan jemanden bezogen, der sich zu selbstge¬
sein sollten wie in der Zeit ihres Verlobt¬ fällig als Wohltäter feiern läßt.
seins. Eine so geführte Ehe bewahrt
dann auch auf Dauer das Glück, das mit Das Gute - dieser Satz steht fest -
den ersten Tagen des Zusammenseins ist stets das Böse, was man läßt
verbunden ist. Das Zitat ist ein Ausspruch von Onkel
Nolte im Epilog zu Wilhelm Büschs
Eine gute Gabe Gottes (1832-1908) Bildergeschichte „Die
Eine t Gabe Gottes fromme Helene“, nachdem Helene
durch Alkoholgenuß ihren tödlichen
Der Gute Hirte Unglücksfall ausgelöst hat. Schon bei
dem römischen Dichter Horaz (65-8
Das Bild des Hirten wird in der Bibel,
v. Chr.) heißt es in den „Epistulae“ (I,
besonders im Alten Testament, sehr
1,41): Virtus est vitium fugere („Tugend
häufig gebraucht. Es ist durchaus nicht
ist, das Laster zu fliehen“). Man ver¬
als Idylle gedacht (zu der es auf bildli¬
chen Darstellungen späterer Zeiten häu¬ wendet das Busch-Zitat gelegentlich,
fig wurde), sondern ist zu verstehen aus wenn jemand ein verwerfliches Vorha¬
der damaligen Kenntnis des Hirtenbe¬ ben aufgegeben, einer Versuchung nicht
nachgegeben hat.
rufs als einer schweren, oft gefahrvollen
Tätigkeit voller Verantwortung. Ohne
Hirte war eine Herde verloren. So ver¬ Die guten ins Töpfchen, die
band sich mit dem Bild des Hirten die schlechten ins Kröpfchen
Vorstellung von der gerechten, fürsorg¬ Das Zitat stammt aus Grimms Märchen
lichen Herrschaft. „Hirte“ konnte Eh¬ „Aschenputtel“. Aschenputtel bittet mit
rentitel für Könige und Gottheiten sein. diesen Worten die Tauben, beim mühsa¬
Im Alten Testament wird dieser Titel men Verlesen der Linsen zu helfen. Man
vorwiegend auf Gott angewendet. Gott verwendet das Zitat scherzhaft in bezug

192
Teil I Gutes

auf Dinge, die man nach ihrer Qualität und Retter wirkenden Menschen als
sortiert. „guten Engel“.

Einen guten Kampf kämpfen Ein guter Mensch in seinem dunk¬


Diese Formulierung mit der Bedeutung len Drange ist sich des rechten
„sich für eine gute Sache mit seiner gan¬ Weges wohl bewußt
zen Person einsetzen“ geht auf das
Mancher Generation von Schülern ist
Neue Testament zurück; dort heißt es
sicherlich dieses bekannte Zitat als Auf¬
im 1. Brief des Apostels Paulus an Ti¬
satzthema gestellt worden. Es stammt
motheus 6,12: kämpfe den guten
aus dem „Prolog im Himmel“ zu Goe¬
Kampf des Glaubens“ und im 2. Brief
thes Faust. Im Dialog zwischen Gott
an Timotheus 4,7: „Ich habe einen gu¬
und Mephisto kommt es zu einer Mei¬
ten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf
nungsverschiedenheit und einer Art
vollendet, ich habe Glauben gehalten“.
Wette darüber, ob es Mephisto gelingen
kann, den „Doktor Faust“ auf seinem
Den guten Willen für die Tat neh¬
„Wege mit herab“ zu führen oder ob
men
Gott ihn „bald in die Klarheit führen“
Diese Redewendung geht wahrschein¬ wird. Mit den später zum häufig ge¬
lich auf den zweiten Dialog von Jona¬ brauchten Zitat gewordenen Worten
than Swifts (1667-1745) „Polite Con- weist Gott darauf hin, daß Mephisto,
versations“ („Höfliche Gespräche“) zu¬ dem für seine „Wette gar nicht bange“
rück. Es heißt dort im Original: Thou ist, nicht einkalkuliert hat, daß einem
must take the will for the deed („Man Menschen guten Willens womöglich die
muß den Willen für die Tat nehmen“). Befähigung innewohnt, sich auch in un¬
Vermutlich stammt diese Ausdrucks¬ durchschaubaren Situationen für das
weise von dem römischen Dichter Ovid Richtige zu entscheiden.
(43 v.Chr.-17/18 n.Chr.), der in einem
Brief aus seinem Verbannungsort am Guter Mond, du gehst so stille
Schwarzen Meer seinem Freund Rufus
So beginnt ein seit etwa 1800 bekanntes
eines seiner Werke mit den Worten
Volkslied, dessen Verfasser unbekannt
empfahl: Ut desint vires, tarnen est lau-
ist. Darin klagt ein Verliebter dem
danda voluntas („Wenn auch die Kräfte
Mond, daß er mit der Geliebten nicht
fehlen, so ist dennoch der Wille zu lo¬
glücklich werden könne, da er ja schon
ben“; Epistulae ex Ponto III, 4,79). Die
gebunden sei. Heute wird der Anfang
Redewendung bedeutet soviel wie „an¬
der ersten Strophe „Guter Mond, du
erkennen, daß sich jemand bemüht hat,
gehst so stille in den (meist zitiert: durch
auch wenn der Erfolg ausgeblieben ist“
die) Abendwolken hin“ gelegentlich
und wird oft gebraucht, um jemanden
noch - ohne tiefere Sinngebung - beim
zu trösten, der einem etwas Gutes tun
Anblick des Mondes am Abend- oder
wollte und es nicht zustande gebracht
Nachthimmel zitiert.
hat.

Guter Engel Es tgibt nichts Gutes außer: Man


Im alttestamentlichen apokryphen Buch
tut es
des Tobias (5,28 und 29) tröstet dieser
seine Frau, als beider Sohn, der junge
Gutes mit Bösem vergelten
Tobias, zu einer Reise aufbricht, mit den Die Redewendung, mit der man zum
Worten: „Weine nicht; unser Sohn wird Ausdruck bringt, daß jemand sehr un¬
frisch und gesund hin- und wieder her¬ dankbar handelt, findet sich schon in
ziehen, und deine Augen werden ihn se¬ der Bibel und wurde durch sie wahr¬
hen. Denn ich glaube, daß ein guter En¬ scheinlich besonders verbreitet. Dort
gel Gottes ihn geleitet und alles wohl wird an verschiedenen Stellen die Frage
schicken wird, was er vorhat“. Danach aufgeworfen, ob es recht sei, Gutes mit
bezeichnen wir heute einen als Helfer Bösem zu vergelten. So zum Beispiel im

193
5 Duden 12
hab Teil I

Buch des Propheten Jeremia (18,20), wo in seine Liebe zu Gretchen. Er beobach¬


es heißt: „Ist’s recht, daß man Gutes mit tet und kommentiert den Gang der Er¬
Bösem vergilt?“ Im Neuen Testament eignisse mit zynischen Worten. - Mit
wird gefordert, nicht einmal Böses mit dem Zitat bestätigt jemand mit Nach¬
Bösem zu vergelten, also nicht Rache zu druck, daß ihm etwas Bestimmtes be¬
üben. Im 1. Petrusbrief (3,9) heißt es sonders gefällt, wobei auch Schaden¬
entsprechend: „Vergeltet nicht Böses freude im Spiel sein kann.
mit Bösem oder Scheltwort mit Schelt¬
wort, sondern dagegen segnet, und wis¬ Hab’ ich nur deine Liebe, die
set, daß ihr dazu berufen seid, daß ihr Treue brauch’ ich nicht
Segen erbet.“
Dies sind die beiden Anfangszeilen des
Liedes von Fiametta, der Geliebten der
Titelgestalt aus Franz von Suppes
(1819-1895) Operette „Boccaccio“ (Li¬
bretto von F. Zell und R. Genee). Das
Zitat, in dem eine ungewöhnliche Tole¬

H ranz gegenüber der Untreue eines ge¬


liebten Menschen zum Ausdruck
kommt, kann gelegentlich als nicht sehr
freundliche, ironische Anspielung auf
Hab Achtung vor dem Menschen¬ jemanden gebraucht werden, der einem
bild treulosen Ehe- oder Lebenspartner des¬
sen Seitensprünge immer wieder ver¬
Diese Ermahnung findet sich mehrfach
zeiht.
in dem Gedicht „Höchstes Gebot“, das
Friedrich Hebbel (1813-1863) in der
Neujahrsnacht 1836/37 schrieb. Man zi¬ Hab’ mich nie mit Kleinigkeiten
tiert die Zeile auch heute so, wie sie vom abgegeben
Dichter gemeint war, als Aufruf zur Hu¬ Mit diesen Worten kann jemand kund¬
manität, zur Achtung der Menschen. tun, daß er gewisse Ansprüche hat, sich
für Dinge, die vermeintlich unter sei¬
Hab’ ich den Markt und die Stra¬ nem Niveau liegen, zu schade ist o. ä. Si¬
ßen doch nie so einsam gesehen cher geschieht dies meist in scherzhaft¬
Wenn sich jemandem ein Ort, den er ironischer Weise mit einer Art gespielter
sonst vielleicht nur belebt kennt, aus ir¬ Überheblichkeit. Das Zitat stammt aus
gendeinem Anlaß wie ausgestorben prä¬ Schillers Schauspiel „Die Räuber“
sentiert, so kann er seinem Erstaunen (V, 1). Die Worte haben dort allerdings
darüber auch heute noch mit diesem Zi¬ eine andere Funktion. Sie kennzeichnen
tat Ausdruck verleihen. Es handelt sich den verzweiflungsvoll-verwirrten Zu¬
dabei um die Anfangszeile des Epos stand des in Gewissensangst geratenen
„Hermann und Dorothea“ von Goethe. Schurken Franz Moor, der, im Grunde
Dort wird zu Beginn erzählt, daß fast Gott und sein Gewissen leugnend, ange¬
alle Bewohner der Stadt sich neugierig sichts der herandringenden Todesge¬
einen Flüchtlingszug ansehen, der in der fahr sich im Gebet versucht, was ihm al¬
Nähe des Ortes vorbeizieht, und daß die lerdings in grotesk-blasphemischer Wei¬
Stadt deshalb so gut wie menschenleer se mißlingt. Die Stelle, ein Teil des Ge¬
ist. betes, lautet: „Ich bin kein gemeiner
Mörder gewesen, mein Herrgott - hab
Hab’ ich doch meine Freude dran! mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben,
Diese höhnische Antwort wird Faust in mein Herrgott
einem Dialog mit Mephisto in Goethes
bekanntestem Theaterstück zuteil (Er¬ Hab Sonne im Herzen
ster Teil, Marthens Garten). Mephisto Der Schriftsteller Cäsar Flaischlen
freut sich über die Verstricktheit Fausts (1864-1920) war ein zu seiner Zeit be-

194
Teil I haben*

kannter Erzähler, Dramatiker und Lyri¬ ist. So kann beispielsweise jemand, der
ker. Aus seinem damals viel gelesenen gerade zu Geld gekommen ist, ausrufen:
Buch „Aus den Lehr- und Wanderjah¬ Habemus pecuniam!
ren des Lebens“ stammt das Gedicht
„Hab Sonne (nach der Melodie von Haben ein Gewehr!
„Der Mai ist gekommen“ zu singen), Dies ist eine in der Umgangssprache als
dessen Anfangszeilen als Ermunterung Antwort auf ein bestimmtes Anliegen
zu positiver Lebenseinstellung auch meist scherzhaft verwendete Floskel.
heute noch zitiert werden: „Hab Sonne Sie bedeutet etwa soviel wie: „Das ist
im Herzen/ob’s stürmt oder schneit,/ob leider nicht möglich, dazu bin ich nicht
der Himmel voll Wolken,/die Erde voll in der Lage“. Sie stammt aus einem Kin¬
Streit!“ Die erste Zeile wurde auch zum derlied von Friedrich Wilhelm Güll
Titel eines Spielfilms (1952) mit Lise¬ (1812-1879), der als Erneuerer des Kin¬
lotte Pulver. dergedichts im 19. Jahrhundert gilt. Das
Lied beginnt mit den Zeilen: „Wer will
Habe nun, ach! Philosophie unter die Soldaten,/Der muß haben ein
Mit diesen berühmten Worten beginnt Gewehr...“
der Auftrittsmonolog Fausts in Goethes
Drama (Faust I, Nacht). Sie werden Haben und Nichthaben
meist zitiert, um damit eine gewisse Rat¬ Dies ist der Titel eines 1937 erschiene¬
losigkeit zu signalisieren, um anzudeu¬ nen Romans von Ernest Hemingway
ten, daß man bereits alles mögliche un¬ (1899-1961; englischer Originaltitel: To
ternommen hat, aber immer noch nicht have and have not). Möglicherweise be¬
weiß, wie es weitergehen soll, wie man zog sich Hemingway damit auf eine
sich verhalten soll, woran man ist. Der Stelle in Miguel de Cervantes’ „Don
Anfang des Monologs wird dabei mehr Quichotte“, wo es (im 20. Kapitel)
oder weniger vollständig oder auch nur heißt: Dos linages sölos hay en el mundo,
bruchstückhaft zitiert. Gelegentlich ge¬ como decia una abuela mia, que son el te-
nügt auch schon der Stoßseufzer „Habe niry el no tenir („Es gibt nur zwei Fami¬
nun, ach!“ Die Stelle lautet im ganzen: lien auf der Welt, wie eine meiner Gro߬
„Habe nun, ach! Philosophie,/Juristerei mütter sagte, die Habenden und die
und Medizin,/Und leider auch Theolo¬ Nichthabenden“). Das Zitat wird oft
gie !/Durchaus studiert, mit heißem Be- dann benutzt, wenn man die Gegensätz¬
mühn.“ lichkeit von Reichtum und Armut, von
Besitzenden und Besitzlosen anspre¬
Habemus Papam chen will. Der Roman, in dem ein
Einem kirchlichen Ritus entsprechend Bootsverleiher, ein Habenichts, mit
wird nach einer Papstwahl mit dieser la¬ denselben skrupellosen Methoden wie
teinischen Formel auch heute noch der die Reichen sein Geld zu verdienen
neue Papst der Öffentlichkeit präsen¬ sucht und schließlich in einer Schießerei
tiert. Die vollständige, seit dem 15. Jahr¬ zu Tode kommt, wurde mehrfach ver¬
hundert schriftlich überlieferte Formel filmt. Besonders erfolgreich war der
lautet: Annuntio vobis magnum gaudi- 1944 nach Motiven des Hemingwayro¬
um: Papam habemus, auf deutsch: „Ich mans gedrehte Film gleichen Titels mit
verkündige euch eine große Freude: Wir Humphrey Bogart und Laureen Bacall.
haben einen Papst.“ Heute wird mit
dem Ruf „Habemus Papam“ vor der
Haben* sua fata libelli
Außenloggia der Peterskirche in Rom Das Zitat stammt aus dem Lehrgedicht
den Wartenden die vollzogene Papst¬ „De litteris“ („Über die Artikulation der
wahl bekanntgegeben. - In scherzhafter Buchstaben“) des afrikanischen Gram¬
Übertragung wird die lateinische For¬ matikers Terentianus Maurus (Ende des
mel gelegentlich benutzt, um jemandem 3. Jahrhunderts). Der ganze Vers 258
mitzuteilen, daß man gerade in den Be¬ lautet: Pro captu lectoris habent sua fata
sitz von etwas Erstrebenswertem gelangt libelli („Je nach der Aufnahme durch

195
5*
Haie Teil I

den Leser haben die kleinen Büchlein des lautet: „Und der wilde Knabe
ihre Schicksale“). Mit diesem Satz wird brach/’s Röslein auf der Heiden ;/Rös-
auf die bisweilen sehr bewegte Rezepti¬ lein wehrte sich und stach,/Half ihm
onsgeschichte literarischer Werke hin¬ doch kein Weh und Ach,/Mußt es eben
gedeutet. In Abwandlung zitiert man leiden./Röslein, Röslein, Röslein rot,/
auch gelegentlich „Wörter haben ihre Röslein auf der Heiden.“
Schicksale“, wenn es um die Etymolo¬
gie oder Geschichte eines Wortes geht. Die Hälfte ist mehr als das Ganze
Das Zitat findet sich im Lehrgedicht
Haie und kleine Fische „Werke und Tage“ (40 f.) des griechi¬
Dies ist der Titel eines 1956 erschiene¬ schen Dichters Hesiod (um 700 v. Chr.)
nen Romans von Wolfgang Ott (* 1923), und bezieht sich auf die von Hesiods
in dem realistisch-anklagend der U- Bruder Perses erneut erzwungene Tei¬
Boot-Krieg dargestellt wird. Der damals lung des väterlichen Erbes, nach der
vielgelesene Roman wurde unter dem Hesiod mit dem ihm verbliebenen klei¬
gleichen Titel 1957 auch verfilmt (Re¬ nen Teil mehr als Perses erwirtschaftete.
gie: Frank Wisbar). Der durch Buch Es heißt daher von den ungerechten
und Film sehr populär gewordene pla¬ Richtern: „Toren! Sie wissen ja nicht,
stisch-bildhafte Titel wurde bald dazu wie Halbes mehr als ein Ganzes gilt!“
verwendet, Verhältnisse zu kennzeich¬
nen, wie sie sich zwischen Herrschen¬ Halte fest: du hast vom Leben
den und Beherrschten, Mächtigen und doch am Ende nur dich selber
Unterdrückten, Betrügern und Betroge¬
Die Erkenntnis, daß nicht der äußere
nen ergeben.
Glanz, nicht der vergängliche Ruhm am
Ende des Lebens zählt, spricht Theodor
t Und der Haifisch, der hat Zähne
Storm in der letzten Strophe seines Ge¬
Halb zog sie ihn, halb sank er hin dichts „Für meine Söhne“ (1854) aus.
Diese Verse gibt man auch heute noch
Wenn sich jemand nur zögernd dazu
jüngeren Menschen als Motto mit auf
entschließt, eine bestimmte Beziehung
ihren Lebensweg.
zu jemandem einzugehen, dabei weni¬
ger aus eigener Initiative handelt, weni¬ Haltet euch an Worte
ger einem inneren Drang folgt als äuße¬
rem Druck oder äußerer Verlockung, so t Jurare in verba magistri
wird eine solche Unentschlossenheit oft
scherzhaft mit diesem Zitat kommen¬ t Um auf besagten Hammel zu¬
tiert. Es handelt sich dabei um die vor¬ rückzukommen
letzte Zeile der Ballade „Der Fischer“
(1779) von Goethe. Darin wird von ei¬ Hammer und Amboß
nem Fischer erzählt, der sich von den T Amboß oder Hammer sein
Worten und Gesängen einer aus dem
Wasser auftauchenden Nixe so betören t Dieselbe Hand gibt Heilung mir
läßt, daß er ihr am Ende in die Fluten und Wunden
folgen muß: „Halb zog sie ihn, halb
sank er hin,/Und ward nicht mehr ge- Eine Hand wäscht die andere
sehn.“
Die sprichwörtliche Redensart geht auf
die lateinische Formel manus manum la-
Half ihm doch kein Weh und Ach vat zurück. Diese ist sowohl bei dem rö¬
In Anspielung auf schmerzliche, unan¬ mischen Philosophen und Dichter Sene-
genehme Situationen, die jemand trotz ca (um 4v.Chr.-65 n. Chr.) in der Satire
Jammerns und Klagens durchzustehen „Apocolocyntosis“ belegt als auch bei
hatte, wird dieses Zitat aus Goethes dem römischen Schriftsteller Petronius
Volkslied „Heidenröslein“ verwendet. (t66 n.Chr.) in dem Schelmenroman
Die dritte Strophe dieses bekannten Lie¬ „Satiricon“. Mit der Redensart wird ei-

196
Teil I Hans

ne gegenseitige Hilfeleistung angespro¬ auch die Brüder Grimm in ihre Samm¬


chen: Eine Gefälligkeit, die man jeman¬ lung aufgenommen haben. Bei ihnen
dem erwiesen hat, wird mit einem Ge¬ lautet die entsprechende Stelle etwas
gendienst belohnt. In diesem Sinne wird anders, nämlich: „Gang, Veitli, gang,
das Wort auch von Goethe verwendet in gang du voran,/i will dahinte vor dir
dem epigrammatischen Gedicht „Wie stahn.“ Geläufiger aber ist diese Stelle
du mir, so ich dir“. Die letzten beiden in folgendem Wortlaut: „Hannemann,
Verse lauten: „Hand wird nur von Hand geh du voran!/Du hast die größten Stie¬
gewaschen ;/Wenn du nehmen willst, so fel an,/daß dich das Tier nicht beißen
gib!“ Heute gebraucht man die Redens¬ kann.“ Bei dem Namen „Hannemann“
art oft auch mit dem Nebengedanken, handelt es sich um eine landschaftliche
daß es sich bei diesen Gefälligkeiten um Koseform von „Johannes“. In dem
eigentlich unerlaubte Handlungen, um Märchen wird erzählt, wie sieben
nicht ganz saubere Geschäfte handelt, Schwaben mit einem Spieß gemeinsam
die unbestraft bleiben, weil sich die Be¬ einen vermeintlichen Drachen erlegen
teiligten nicht gegenseitig verraten. wollen, der in Wirklichkeit ein Hase ist.

t Seine Hände in Unschuld wa¬ Hannibal ante portas


schen Als Warnung vor einer drohenden Ge¬
fahr, vor einer Person oder Sache, von
Der Handelnde ist immer gewis¬ der Unangenehmes zu erwarten ist, hat
senlos sich dieser lateinische Ausspruch bis
Dies ist der erste Teil eines Aphorismus heute gehalten. Die Übersetzung lautet
aus den sogenannten „Maximen und „Hannibal vor den Toren“. Der lateini¬
Reflexionen“ von Goethe (aus dem sche Ausspruch geht auf eine Äußerung
Teil, der „Ethisches“ und „Literari¬ des römischen Politikers und Schrift¬
sches“ behandelt). Mit dem sehr extrem stellers Cicero (106-43 v.Chr.) in einer
formulierten Gedanken ist die Vorstel¬ seiner Philippischen Reden zurück, wo
lung verknüpft, daß jemand, der han¬ die Formulierung „Hannibal ad portas“
delt, Tatkraft zeigt und Entschlüsse vorkommt. Auch bei dem römischen
faßt, nicht immer alle Eventualitäten Geschichtsschreiber Livius (49 v.Chr.
mitbedenken, mitberücksichtigen kann, bis 17 n.Chr.) findet sich diese Formu¬
daß er Skrupel überwinden muß und so lierung. Sie bezieht sich auf eine be¬
ständig in der Gefahr ist, Fehler zu be¬ drohliche Situation im 2. Punischen
gehen, schuldig zu werden. Der gleiche Krieg (218-201 v.Chr.), als der kartha¬
Gedanke ist im zweiten Teil des Apho¬ gische Feldherr Hannibal bis nach Rom
rismus in umgekehrter Weise noch ein¬ vorgedrungen war, nachdem er fast
mal formuliert, er lautet: „Es hat nie¬ ganz Unteritalien erobert hatte. - Auch
mand Gewissen als der Betrachtende.“ Abwandlungen des Zitats, bei denen
„Hannibal“ zum Beispiel durch einen
t Auf Händen tragen anderen Namen ersetzt wird, werden
heute häufig gebraucht. Bekannt ist un¬
tMit Hangen und Bangen ter anderem „Pappa ante portas“, der
Titel eines Spielfilms, den der Cartoo¬
Hannemann, geh du voran! nist und Autor Loriot (Vicco von Bü-
Diesen zur Redensart gewordenen Aus¬ low) gedreht hat.
ruf verwendet man, wenn jemand bei
der Erledigung einer unangenehmen Sa¬
Hans Dampf in allen Gassen
che einen andern vorschickt, wenn sich „Hans Dampf in allen Gassen“ oder
jemand also unangenehmen Dingen auch nur „Hans Dampf' (auch in der
gerne entzieht, sie andern überläßt. Der Schreibung „Hansdampf“) ist für uns
Ausdruck stammt aus dem in verschie¬ ein Mensch, der überaus umtriebig ist,
denen Fassungen existierenden Volks¬ überall Bescheid zu wissen glaubt und
märchen „Die sieben Schwaben“, das mitredet und viel Aufhebens von sich

197
Hans Teil I

und seinem Tun macht. - Einen ersten t Leicht beieinander wohnen die
Beleg für diesen Ausdruck liefert die Gedanken, doch hart im Raume
Sprichwörtersammlung von Johann stoßen sich die Sachen
Agricola (um 1494-1566), Pfarrer und
Leiter der Lateinschule in Eisleben.
Hier wird allerdings nur von einem Hart in der Sache
„Hans in allen Gassen“ gesprochen. Das Motto „Hart in der Sache, milde in
„Hans Dampf in allen Gassen“ ist dann der Form“ (lateinisch Fortiter in re, sua-
der Titel einer Erzählung von Johann viter in modo) geht wohl auf den jesuiti¬
Heinrich Daniel Zschokke (1771-1848). schen Ordensgeneral Claudio Acquavi-
Eine stadtbekannte Figur dieses Na¬ va (1543-1615) zurück, der in seinem
mens soll es in Gotha gegeben haben. Werk Industriae ad curandos animae
Dort erschien 1846 das Versepos eines morbos („Bemühungen, die Krankhei¬
Unbekannten, in dem eine Figur „Hans ten der Seele zu heilen“) zu der Metho¬
George, genannt Hans Dampf' auftrat. de, einen Standpunkt zu verteidigen, ein
Ziel anzustreben, anmerkt: Fortes in fine
Hans im Glück consequendo et suaves in modo ac ratione
Als einen „Hans im Glück“ bezeichnet assequendi simus („Laßt uns stark sein
man einen unbekümmerten, sorglosen in der Verfolgung des Ziels und milde in
Menschen, von dem man glaubt, er habe der Art und Weise, es zu erreichen“).
bei allen Unternehmungen Glück, es
fiele ihm alles von selbst zu. Die Be¬
Das Harte unterliegt
zeichnung geht auf ein Märchen der
t Daß das weiche Wasser in Bewegung
Brüder Grimm mit diesem Titel zurück.
mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt
Es handelt von einem gutmütigen Bur¬
schen, der in seiner Einfalt einen Gold¬
klumpen, seinen Lohn von sieben Jah¬ Häßliches Entlein
ren, in einem Tauschhandel weggibt
In seinem Märchen „Das häßliche jun¬
und nach einer Reihe von schlechten
ge Entlein“ erzählt der dänische Schrift¬
Tauschgeschäften nichts mehr besitzt
steller Hans Christian Andersen (1805
als einen Schleifstein, der ihm schlie߬
bis 1875), wie ein Schwanenküken aus
lich auch noch in einen Brunnen fällt.
Versehen in einem Entennest ausgebrü¬
Der Bursche aber fühlt sich von einer
tet wird. Als es aus dem Ei schlüpft, ist
Last befreit, er ist mit sich und der Welt
es größer und häßlicher als die Enten¬
zufrieden und kann so am Ende aus-
küken und wird von allen gehänselt und
rufen: „So glücklich wie ich ... gibt es
schikaniert. Es läuft davon und findet
keinen Menschen unter der Sonne.“
dann später, als es zu einem stolzen, jun¬
gen Schwan herangewachsen ist, end¬
Happy few
lich zu seinen Artgenossen, die neidlos
Den Ausdruck bezieht Heinrich V. in seine Schönheit anerkennen. Der Mär¬
Shakespeares gleichnamigem Königs¬ chentitel wird oft als wenig wohlwollen¬
drama (IV, 3) auf die kleine Schar seiner de Bezeichnung für eine nicht sonder¬
Kampfgefährten, die auf Grund ihrer lich hübsche junge Frau verwendet.
Teilnahme an der bevorstehenden Häufig dient er aber auch allgemein als
Schlacht von Azincourt mit ihm bis ans Metapher für eine äußerlich wenig
Ende der Welt unvergessen sein werden, attraktive, unscheinbare Person oder
die er sogar seine Brüder nennen wird: Sache, deren lange verkannte Vorzüge
We few, we happy few, we band of sich unerwartet zeigen.
brothers („Wir wenigen, wir wenigen
Glücklichen, wir Schar von Brüdern“).
Der Ausdruck wird heute ganz allge¬ Hast du noch keinen Mann, nicht
mein auf eine kleine Schar von Auser¬ Manneswort gekannt?
wählten, auf einen erlesenen Kreis be¬ In der Studierzimmerszene im ersten
zogen. Teil von Goethes Faust schließt Faust

198
Teil I Haus

seinen Pakt mit Mephisto. Darüber ver¬ he Einschaltquoten, und ihr Titel wurde
langt Mephisto von Faust etwas bald zum geflügelten Wort. Man bringt
„Schriftliches“, worauf Faust unwillig damit zum Ausdruck, daß jemand das,
antwortet: „Auch was Geschriebnes for¬ was man ihm gerade als Information ge¬
derst du, Pedant?/Hast du noch keinen geben hat, bestimmt nicht gewußt hätte,
Mann, nicht Manneswort gekannt?“ - wenn man ihm die entsprechende Frage
Man verwendet das Zitat, um mit dieser gestellt hätte.
rhetorischen Frage seine Zuverlässig¬
keit zu unterstreichen und zu betonen, Ein Hauch von Nerz
daß man zu einem gegebenen Wort
Der deutsche Titel dieses amerikani¬
auch stehen wird.
schen Spielfilms von 1961 mit Doris
Day und Cary Grant (englischer Titel:
Hast du zur Nacht gebetet, Desde- That Touch of Mink) wird häufig ver¬
mona? wendet, um anzudeuten, daß eine be¬
Diese Worte richtet Othello in Shake¬ stimmte Umgebung oder Situation an
speares gleichnamiger Tragödie an sei¬ Reichtum und Luxus denken läßt. Als
ne Gemahlin Desdemona (V, 2; englisch Ausdruck für eine besondere Atmo¬
Haveyouprayed to-night, Desdemona?). sphäre, für einen entstehenden, sich
Er ist soeben in ihr Schlafgemach getre¬ ausbreitenden Eindruck wird das Zitat
ten, nur noch von dem einen Gedanken oft auch abgewandelt, z. B. zu „Ein
erfüllt, sein untreues Weib zu töten und Hauch von Abenteuer“ oder „Ein
so seine gekränkte Ehre wiederherzu¬ Hauch von Weltoffenheit“.
stellen. Verwendet wird das Zitat - mit
scherzhaftem Unterton - zum Beispiel Eine t Reformation an Haupt und
als drohende Ankündigung, daß man Gliedern
jetzt von dem oder der Angesprochenen
Rechenschaft über etwas verlangen Haupt- und Staatsaktion
wird, oder auch als allgemeine Dro¬
Dieser Ausdruck geht auf die Reper¬
hung, der gleich eine Bestrafung oder
toirestücke der deutschen Wanderbüh¬
etwas Ähnliches folgen wird.
ne des 17. und frühen 18. Jahrhunderts
zurück. In den Aufführungen wurde ein
Hast manchen Sturm erlebt
Hauptstück (die „Hauptaktion“) von
T Schier dreißig Jahre bist du alt komischen Zwischen- und Nachspielen
umrahmt. Inhaltlich befaßten sich diese
Hatte sich ein Ränzlein angemäst’t Stücke, die oft lediglich auf den Ge¬
als wie der Doktor Luther schmack des breiten Publikums zuge¬
Mit diesem Spottvers wurden sicher schnittene Bearbeitungen älterer Dra¬
schon viele wohlbeleibte Menschen ver¬ men und Opern waren und in höfischen
höhnt oder geneckt. Er stammt aus Goe¬ Kreisen spielten, meist mit pseudo-hi¬
thes Faust (Teil I, Auerbachs Keller). storisch-politischen Stoffen („Staatsak¬
Einer der „lustigen Gesellen“, nämlich tionen“). Die polemische Bezeichnung
„Brander“, singt ein Lied von einer „Haupt- und Staatsaktionen“ für diese
„Ratf im Kellernest“, in dem diese Ver¬ Stücke wurde als kritischer Terminus
se Vorkommen. Das Lied handelt von ei¬ von Gottsched geprägt. Mit der heute
ner feisten Ratte, die von der Köchin verbreiteten Wendung „eine Haupt-
vergiftet wird und ein klägliches Ende und Staatsaktion aus etwas machen“
findet. wird ausgedrückt, daß etwas mit zu gro¬
ßem Aufwand betrieben, in Szene ge¬
Hätten Sie’s gewußt? setzt wird.

So hieß eine Quizsendung, die bis zum


Anfang der 60er Jahre im Fernsehen
TWenn das Haus eines Großen
ausgestrahlt und von Heinz Maegerlein zusammenbricht, werden viele
moderiert wurde. Sie erreichte sehr ho¬ Kleine erschlagen

199
Teil I
Haus

t Wer jetzt kein Haus hat, baut sich schen auf jeweils des anderen Fahrgast
ein. Mit den Worten „Du sollst meinen
keines mehr
Passagier nicht hauen; er ist mir anver¬
traut und zahlt honett, oder ich hau’ den
Haus ohne Hüter
deinen auch“ wird den Geschäftsleuten
Dies ist der Titel eines 1954 erschiene¬ klar gemacht, wie sehr sich die Kutscher
nen Romans von Heinrich Böll, in dem um ihr Wohlergehen kümmern und daß
besonders das Schicksal von zwei Frau¬ diese Fürsorge eine bessere Entlohnung
en dargestellt wird, die ohne ihre im verdient. Zuvor hatte einer der Passagie¬
Krieg gefallenen Ehemänner weiterle¬ re sich über den Aufenthalt mit der Fra¬
ben und deren Söhne ohne Vater auf¬ ge, ob sie denn nochmals vierzig Jahre
wachsen müssen. In Situationen, in de¬ warten sollten, beschwert. Wegen dieser
nen eine schützende und ordnende Anspielung auf die im Alten Testament
Hand fehlt und entsprechend der innere beschriebene vierzigjährige Wanderung
Zusammenhang verlorengeht, weil der aus Ägypten geflohenen Israeliten
manches planlos und ohne Führung wurde wahrscheinlich die Formulierung
verläuft, wird dieses Zitat herangezo¬ „Haust du meinen Juden, hau’ ich dei¬
gen. nen Juden“ im 19. Jahrhundert zur ge¬
flügelten Redensart, die im Sinne von
Des Hauses redlicher Hüter „Wie du mir, so ich dir“ gebraucht wur¬
Wenn man jemanden als absolut zuver¬ de. Eine weitere Quelle ist das Gedicht
lässig einschätzt und ihm zutraut, einen „Die beiden Juden“, das Karl Simrock
ihm übertragenen Bereich so zu beauf¬ 1831 schrieb. Darin wird ein Streit dar¬
sichtigen und zu führen, wie man es über geschildert, ob ein gläubiger oder
selbst tun würde, wird oft scherzhaft ein aufgeklärter Jude sich besser zum
dieses Zitat aus Schillers Gedicht „Die Pächter eines Landgutes eigne. Eine
Bürgschaft“ herangezogen. Dort wird Zeile des Gedichts lautet: „Freund,
eine Nebenfigur namens Philostratus so schlägst du meinen Juden, schlag’ ich
charakterisiert; es ist ein Bediensteter deinen“. - Die Verwendung des Zitats
des Moros, der seinen Herrn mit den kann heute, nach der Massenvernich¬
noch bekannteren Worten „Zurück! Du tung der Juden im Dritten Reich, als an¬
rettest den Freund nicht mehr“ (verglei¬ stößig empfunden werden.
che diesen Artikel) dazu bewegen will,
wenigstens das eigene Leben zu retten. Hebe dich weg von mir, Satan!
t Apage Satana
Haust du meinen Juden, hau’ ich
deinen Juden Hecht im Karpfenteich
Diese Redensart findet sich in dem In der Natur jagt der Hecht die trägen
Lustspiel „Der Datterich“ des hessi¬ Karpfen hin und her und läßt sie nicht
schen Mundartdichters Ernst Elias Nie¬ zur Ruhe kommen. Mit einem Hecht
bergall (1815-1843), wo es in der 1. Sze¬ verglich der deutsche Historiker Hein¬
ne des 6. Bildes heißt: „Haagste mein rich Leo (1799-1878) in einem Aufsatz
Judd, da haag ich Dein aach.“ Sie geht den französischen Kaiser Napoleon III.,
wohl auf die Erzählung „Die zwei Po¬ den er als politischen Störenfried im
stillone“ aus Johann Peter Hebels Gleichgewicht der europäischen Kräfte
„Schatzkästlein des rheinischen Haus¬ sah. In einer Reichstagsrede am 6. 2.
freundes“ (1811) zurück. Darin „erzie¬ 1888 griff Bismarck dieses Bild auf und
hen“ zwei Kutscher ihre Passagiere, charakterisierte die Stellung Deutsch¬
zwei Geschäftsleute, auf grobe Weise zu lands zwischen den beiden kriegerisch
weniger Knausrigkeit beim Trinkgeld¬ gesinnten Nachbarstaaten Frankreich
geben; An einer engen Straßenstelle und Rußland mit den Worten: „Die
kommen die Kutschen nicht aneinander Hechte im europäischen Karpfenteich
vorbei, die Kutscher tun so, als gerieten hindern uns, Karpfen zu werden.“ Heu¬
sie in Streit und schlagen mit ihren Peit¬ te wird jemand, der durch seine Anwe-

200
Teil I Heimchen

senheit, besonders in einer langweili¬ alle angesehen wird. Der Anfang des Zi¬
gen, nicht sehr aktiven Umgebung, Un¬ tats kann auch allgemeiner in bezug auf
ruhe schafft, als Hecht im Karpfenteich einen ersehnten Zeitpunkt verwendet
bezeichnet. werden, zum Beispiel in einem Sto߬
seufzer wie „Heil sei dem Tag, an dem
Die Hefe des Volkes ich diesen Menschen nicht mehr sehen
Der gehoben abwertende Ausdruck muß!“
„Hefe“ bedeutet „übler, verkommener
Heile Welt
Teil einer Bevölkerungsschicht; Ab¬
schaum“. Meist wird er mit einem ab¬ Oft wird bei der Bewertung von Fern¬
hängigen Genitiv, besonders als „Hefe sehserien, Filmen o.ä. kritisch ange¬
des Volkes“, gebraucht. Diese Aus¬ merkt, sie zeigten nur eine heile Welt.
drucksweise geht auf lateinisch Faex ci¬ Die Kritik richtet sich dann dagegen,
vitatis zurück und findet sich in Marcus daß eine illusionäre Intaktheit der Welt
Tullius Ciceros (106-43 v. Chr.) Vertei¬ oder eines bestimmten Bereichs frei von
digungsrede „Pro Flacco“ (8,18). Konflikten und ohne Bezug zur Realität
des Lebens vorgegaukelt wird. Das Zitat
t Durch Heftigkeit ersetzt der Ir¬ selbst geht wohl zurück auf den Titel
einer 1950 erschienenen Gedichtsamm¬
rende, was ihm an Wahrheit und
lung von Werner Bergengruen, „Die
an Kräften fehlt
heile Welt“.

Heil dir im Siegerkranz t In diesen heil’gen Hallen


Dieses Zitat geht auf den Anfang eines
1790 von dem schleswigschen Dichter T O heilig Herz der Völker, o Vater¬
Heinrich Harnes verfaßtes Loblied auf land!
den dänischen König Christian zurück.
Eine gekürzte und leicht abgeänderte O heilige Einfalt!
Form veröffentlichte Balthasar Gerhard TO sancta simplicitas!
Schumacher im Jahre 1793. Die Melo¬
die entspricht der des englischen Volks¬ Die Heilige und ihr Narr
lieds „God save great George the King“. Dies ist der Titel eines schwärmeri¬
Später wurde das Lied preußische Kö¬ schen, religiös gefärbten Romans von
nigshymne und blieb deutsche Hymne Agnes Günther (1863-1911), in dem
bis zum Zusammenbruch des Kaiser¬ eine zarte, seelenvolle junge Frau ihren
reichs im Jahre 1918. Die Anfangsverse männlich-herben, zunächst areligiösen
lauteten: „Heil dir im Sieger¬ Mann zum gläubigen Menschen be¬
kranz,/Herrscher des Vaterlands,/Hei) kehrt. - Wenn es offenkundig ist, daß
Kaiser dir!“ Als Aufforderung in einer eine sich überlegen fühlende Frau einen
erfolgversprechenden Situation, die Mann, der sie blind umschwärmt, gern
Gunst der Stunde zu nutzen, wird heute lächerlich macht oder bewußt nicht be¬
das Zitat auch gelegentlich scherzhaft achtet, ihn also zum Narren macht, be¬
erweitert: „Heil dir im Siegerkranz, zeichnet man ein solches ungleiches
nimmm, was du kriegen kannst!“ Paar heute gelegentlich scherzhaft zitie¬
rend als „die Heilige und ihr Narr“.
Heil sei dem Tag
Das Zitat „Heil sei dem Tag, an wel¬ TBeim heiligen Bürokrazius!
chem du bei uns erschienen“ stammt
aus der Oper „Zar und Zimmermann“
Heimchen am Herde
von Albert Lortzing (1801-1851). Es Bei diesem Zitat handelt es sich um die
wird heute gelegentlich noch gebraucht, deutsche Übersetzung des Titels einer
wenn man scherzhaft-übertreibend her¬ Weihnachtsgeschichte des englischen
vorheben will, daß jemand große Er¬ Schriftstellers Charles Dickens aus dem
wartungen erfüllt und als Gewinn für Jahre 1846: The Cricket on the Hearth.

201
Heinrich Teil I

Heute verbindet sich mit dem abwer¬ „Knopp-Trilogie“ von Wilhelm Busch
tend gebrauchten Ausdruck die Vorstel¬ (1832-1908). Als Junggeselle unter¬
lung von einer naiven, nicht emanzipier¬ wegs, trifft Knopp auf einen gewissen
ten Frau, die nur die Erfüllung ihrer Sauerbrot, der mit diesen Worten seiner
häuslichen Pflichten kennt. diebischen Freude darüber Ausdruck
verleiht, durch den Tod seiner Frau dem
Martyrium der Ehe entronnen und wie¬
Heinrich, der Wagen bricht
der frei zu sein. Mit dem Zitat wird heu¬
Wenn man befürchtet, daß ein Fahrzeug te auf jemanden angespielt, dem man
wegen Überladung oder zu schneller innerlich eine ähnliche Reaktion unter¬
Fahrt über eine holprige Wegstrecke die stellt, weil für ihn durch den Tod der
Belastung nicht aushält, und man auch Frau eine unglückliche Ehe zu Ende
schon entsprechende knackende Geräu¬ geht oder er nach einer Zweckheirat sei¬
sche feststellt, versucht man mit der ne Frau beerben kann. Losgelöst von
nicht ganz ernst gemeinten Bemerkung diesem Zusammenhang, wird das Zitat
„Heinrich, der Wagen bricht“ den Fah¬ oft nur als Verstärkung von „heißa!“ als
rer zu veranlassen, vorsichtiger zu fah¬ Ausruf der Freude und Ermunterung
ren. Das Zitat stammt aus dem Märchen gebraucht.
„Der Froschkönig oder der eiserne
Heinrich“ aus der Sammlung der Brü¬
t Mit heißem Bemühn
der Jacob und Wilhelm Grimm
(1785-1863 bzw. 1786-1859). Als der
junge König bei einem Krachen wäh¬ t Was ist ihm Hekuba
rend einer Kutschfahrt gegenüber sei¬
nem treuen Diener Heinrich meint, daß Der Held der westlichen Welt
der Wagen breche, antwortet dieser Dies ist der deutsche Titel des 1907 ur-
ihm: „Nein, Herr, der Wagen nicht,/es aufgeführten Theaterstücks The Playboy
ist ein Band von meinem Herzen,/das of the Western World von John Milling-
da lag in großen Schmerzen,/als ihr in ton Synge, einem irischen Dramatiker.
dem Brunnen saßt,/als ihr ein Fretsche Im Mittelpunkt der Handlung steht ein
(Frosch) wast (wart).“ gewisser Christie Mahon, der in der An¬
nahme, aus Zorn seinen Vater erschla¬
Heinrich! Mir graut’s vor dir gen zu haben, an die Westküste Irlands
(Synges westem world, die abgelegene,
Dieses Zitat stammt aus Goethes Tragö¬
hinterwäldlerische Züge trägt) flieht, wo
die Faust, 1. Teil. In der Kerkerszene wi¬
ihm aber in Kenntnis seiner Tat Ver¬
dersteht Gretchen der Versuchung, mit
ständnis entgegengebracht wird. Dies
Fausts und Mephistos Hilfe zu entflie¬
ermöglicht es ihm, als vermeintlicher
hen und damit ihrer Hinrichtung zu ent¬
Held ein unbeschwertes Leben wie ein
gehen. Sie will so ihre Schuld büßen
„Playboy“ zu führen. Heute verbindet
und wendet sich von Faust mit den Wor¬
sich mit dem eher ironisch gebrauchten
ten ab: „Heinrich! Mir graut’s vor dir.“
Zitat meist die Vorstellung eines Män¬
Diese Worte werden (auch abgewandelt
nertyps, der die westliche Lebensart und
mit anderen Namen) zitiert, wenn einem
westliche Ideologie verkörpert und sich
jemand drohend oder unheimlich er¬
auch kämpferisch dafür einsetzt (wie
scheint, besonders auch, wenn einen je¬
zum Beispiel die Filmfigur James
mand mit Verlockungen zur Teilnahme
Bond).
an seinem unheilvollen Vorhaben bewe¬
gen will.
Die Helden sind müde
Dies ist der deutsche Titel eines franzö¬
„Heißa!" rufet Sauerbrot. „Heißa!
sischen Spielfilms von 1954 (Regie Yves
Meine Frau ist tot!“
Ciampi, französischer Titel: Les heros
Das Zitat findet sich in den „Abenteu¬ sont fatigues). Er wird als scherzhafte
ern eines Junggesellen“, dem 1. Teil der oder spöttische Feststellung verwendet,

202
Teil I Herr

wenn bei jemandem - meist bei mehre¬ zählung ist auch in den Äsopischen Fa¬
ren Personen - der Schwung, die Kraft, beln enthalten. In der bildenden Kunst
der Eifer bei der Bewältigung einer Auf¬ hat sie der italienische Maler Agostino
gabe nachlassen. Carracci (1557-1602) als Thema für ein
Gemälde gewählt.
t Das war kein Heldenstück, Okta-
vio! Hermann heeßt er!
Mit diesem Vers beginnen und enden
t Mein ist der Helm und mir gehört die fünf Strophen eines Liedes, das mit
er zu dem Namen seiner Interpretin, Claire
Waldoff (1884-1957), fest verbunden
Das Hemd ist näher als der Rock ist. Das sentimentale Lied über einen
Wenn man ausdrücken will, daß jeman¬ geliebten Mann namens Hermann hatte
dem der eigene Vorteil wichtiger ist als der Komponist Ludwig Mendelssohn
die ebenso berechtigten Interessen an¬ für sie geschrieben und vertont. Es wur¬
derer, so sagt man oft „Ihm ist das de eines ihrer meistgesungenen und po¬
Hemd näher als der Rock“. Diese Re¬ pulärsten Lieder, mit dem sie zuerst im
densart geht wohl auf eine der Komö¬ Jahr 1914 auftrat. Während der Zeit der
dien des römischen Dichters Plautus Naziherrschaft war dieses Lied von ei¬
(um 250-184 v. Chr.) zurück. In dem nem unbekannten Verfasser um einen
Stück „Trinummus“ („Das Dreidrach¬ Spottvers vermehrt worden, der sich auf
menstück“) heißt es: Tunica proprior den damaligen Reichsmarschall Her¬
palliost, wobei das römische Unterge¬ mann Göring bezog. Dieser Vers lautet:
wand, die Tunika, im Deutschen mit „Rechts Lametta, links Lametta,/Und
„Hemd“ wiedergegeben wird, während der Bauch wird imma fetta,/Und in
das griechische Obergewand Pallium Preußen ist er Meester -/Hermann
(entspricht der römischen Toga) mit heeßt er!“ - Man führt das Zitat gele¬
„Rock“ übersetzt wurde. gentlich scherzhaft mit Bezug auf eine
Person mit dem Namen Hermann an.
t Dies ist ein Herbsttag, wie ich
keinen sah t Bist du’s, Hermann, mein Rabe?

Herkules am Scheidewege Der Herr der Fliegen


Wenn jemand vor einer schwierigen, Der Name des Stadtgottes von Ekron im
schwerwiegenden Entscheidung steht, Lande der Philister wird im Alten Testa¬
dann kann man sagen, er stehe da wie ment (2. Buch der Könige 1,2) als „Beel¬
„Herkules am Scheidewege“. Dieses zebub“ überliefert. Hebräisch Baal Ze-
Bild geht zurück auf eine Stelle in den bub bedeutet „Herr der Fliegen“ und ist
„Erinnerungen an Sokrates“ des altgrie¬ eine verspottende Entstellung des ei¬
chischen Geschichtsschreibers und gentlichen hebräischen Namens Baal
Schriftstellers Xenophon (4./3.Jh. Zebul „erhabener Herr“. Im 1. Teil von
v. Chr.). Dort wird eine Erzählung über¬ Goethes Faust bezeichnet sich Mephi¬
liefert, nach der Herkules als junger sto selbst mit den Worten: „Herr der
Mann an einer Wegscheide anlangt, an Ratten und der Mäuse,/Der Fliegen,
der ihm zwei die „Lust“ und die „Tu¬ Frösche, Wanzen, Läuse“ (Studierzim¬
gend“ symbolisierende Frauengestalten mer 1). Schon vorher hat Faust den aus
begegnen. Beide schildern ihm ihre Vor¬ der Pudelgestalt geschlüpften Mephisto
züge und die Fehler der anderen. Vor als „Fliegengott“ angesprochen. In
die Wahl gestellt, sich für ein leichtes Jean-Paul Sartres Drama „Die Fliegen“
Leben des Genusses oder ein mühevol¬ (1943 uraufgeführt) ist Jupiter der Gott
les Leben der Tugend zu entscheiden, der Fliegen. Die Fliegen symbolisieren
wählt der Sagenheld den Weg der Tu¬ die Erinnyen, die von den Göttern zur
gend als Voraussetzung für das Errei¬ Strafe der sündigen Bevölkerung der
chen der wahren Lebensgüter. Die Er¬ Stadt Argos geschickten Rachegöttin-

203
Herr Teil I

nen. Besonders verbreitet wurde die Be¬ Herrn sei gelobt!“ Damit beweist Hiob
zeichnung in jüngerer Zeit durch Wil¬ angesichts all der Unglücksbotschaften,
liam Goldings Roman Lord of the Flies die er zuvor vernommen hat, eine gott¬
(1954), in dem geschildert wird, wie eine gefällige Gelassenheit; sein Unglück
Gruppe von Schuljungen auf einer un¬ läßt ihn nicht an seinem Glauben irre
bewohnten Insel zu überleben versucht werden.
und dabei immer stärker verwildert. Der
englische Regisseur Peter Brook hat den Der Herr ist mein getreuer Hirt
Roman in den Jahren 1961-63 verfilmt. Mit diesen Worten beginnt der sehr be¬
kannte 23. Psalm, der die Überschrift
Herr, dunkel war der Rede Sinn „Der gute Hirte“ trägt. Dieser Psalm ist
Diese Worte stammen aus Schillers Bal¬ Ausdruck unerschütterlicher Glaubens¬
lade „Der Gang nach dem Eisenham¬ gewißheit, der Gewißheit eines Gebor¬
mer“ (1797). Der Knecht Fridolin gibt genseins, wie es das Bild des guten Hir¬
sie seinem Herrn zur Antwort auf die ten vermittelt. Der Text liegt in einer
Frage, was man zu ihm in der Eisen¬ Nachdichtung auch einer Bachkantate
schmelze gesagt habe. Man zitiert den (BWV 112) mit der Überschrift „Der
Vers (heute meist ohne „Herr“), wenn Herr ist mein getreuer Hirt“ zugrunde.
man andeuten will, daß man den Sinn Vergleiche auch den Artikel „Der Gute
einer Aussage nicht verstanden hat. Hirte“.

TO Herr, er will mich fressen! t Wie der Herr, so ’s Gescherr

Der Herr wird seine Diener loben


Herr: es ist Zeit. Der Sommer war
sehr groß T Der ist besorgt und aufgehoben

„Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr Herrenmoral und Sklavenmoral
groß./Leg deinen Schatten auf die Son¬
Im 260. Stück seiner Abhandlung „Jen¬
nenuhren,/Und auf den Fluren laß die
seits von Gut und Böse“ schreibt Fried¬
Winde los.“ So beginnt Rainer Maria
rich Nietzsche (1844-1900), daß sich
Rilkes (1875-1926) Gedicht „Herbst¬
ihm zwei „Grundtypen“ von Moral mit
tag“. Mit dem Anfangsvers bringt man
einem signifikanten „Grundunter¬
gewöhnlich zum Ausdruck, daß es nach
schied“ gezeigt hätten: „Es gibt eine
einer langen Entwicklung an der Zeit
Herrenmoral und eine Sklavenmoral“.
ist, einen Abschluß zu finden, besonders
Die „Herrenmoral“ geht aus der Selbst¬
dann, wenn man in seinem Leben genug
bejahung und dem Selbstbewußtsein
geleistet hat und nunmehr die Früchte
seiner Arbeit genießen kann. der Angehörigen der Herrenschicht her¬
vor. „Verachtet wird der Feige, der
Ängstliche, der Kleinliche, der an die
Der Herr hat’s gegeben, der Herr
enge Nützlichkeit Denkende.“ Im Ge¬
hat’s genommen
gensatz dazu steht die „Sklavenmoral“,
Diese Worte, die zum einen zum Be¬ deren Träger die zur Tat unfähigen
gräbnisritual christlicher Kirchen gehö¬ Menschen sind, die ihre Identität durch
ren, zum anderen aber auch allgemein die bloß negierende Reaktion auf die
als Ausdruck der Schicksalsergebenheit Reize der Außenwelt zu finden suchen.
oder als Trost für Menschen zitiert wer¬ Für Nietzsche ist aber die wirkliche
den, die einen schweren Verlust erlitten Freiheit des einzelnen nur dadurch zu
haben, gehen auf das Alte Testament zu¬ erreichen, daß Moral einzig und allein
rück. Im 1. Kapitel des Buches Hiob nach ihrem Wert für das Leben zu beur¬
heißt es in Vers 21: „... und sprach: Ich teilen ist. „Herrenmoral“ ist daher das,
bin nackt von meiner Mutter Leibe ge¬ was das Handeln des „Übermenschen“
kommen, nackt werde ich wieder dahin¬ bestimmt, „Sklavenmoral“ hingegen ist
fahren. Der Herr hat’s gegeben, der die Moralvorstellung der nach Nietz¬
Herr hat’s genommen; der Name des sche abzulehnenden und abzulösenden

204
Teil I Heulen

christlich-jüdischen abendländischen Unmöglichkeit, jemandes Gemütsver¬


Wertvorstellungen. fassung genau zu erkennen.

Herrlich! Etwas dunkel zwar 1 Mein Herz ist wie ein Bienenhaus
Das Zitat mit der Fortsetzung „Aber’s
klingt recht wunderbar“ stammt aus Pi¬ Herz, mein Herz, was soll das ge¬
us Alexander Wolffs (1782-1828) Sing¬ ben?
spiel „Preciosa“ (1,5) mit der Musik von So beginnt Goethes Gedicht „Neue Lie¬
Carl Maria von Weber. Den Stoff für be, neues Leben“ (1775), in dem die
sein Stück fand Wolff in der Novelle Beunruhigung und veränderte Lebens¬
„La gitanilla de Madrid“ („Das Zigeu¬ haltung geschildert wird, die ein Ver¬
nermädchen von Madrid“) von Cervan¬ liebter im Banne seiner Angebeteten an
tes. Man gebraucht das Zitat meist iro¬ sich beobachtet. Man zitiert diesen
nisch, um etwas, was man nicht ganz Vers - oftmals mit leichter Selbstiro¬
verstanden hat, zunächst einmal nie -, wenn man sich ganz von der Emp¬
(scheinbar) zu loben. findung geleitet sieht, wo eigentlich bes¬
ser der kühle Verstand gefordert wäre.
Herrlich und in Freuden leben
Ein Herz und eine Seele
Diese Redewendung, mit der ausge¬
drückt wird, daß es jemandem sehr gut Will man sagen, daß zwischen zwei
geht, daß er sorgenfrei lebt, stammt aus Menschen große Einmütigkeit besteht,
dem Gleichnis vom reichen Mann und daß sie nahezu unzertrennlich sind, so
dem armen Lazarus im Lukasevangeli¬ gebraucht man diese Redewendung, die
um. Dort heißt es: „Es war aber ein rei¬ sich schon in der Apostelgeschichte im
cher Mann, der kleidete sich mit Purpur Neuen Testament findet. Dort heißt es,
und köstlicher Leinwand und lebte alle die innige Gemeinschaft der Gläubigen
Tage herrlich und in Freuden“ (Lukas betonend: „Die Menge aber der Gläubi¬
16,19). gen war ein Herz und eine Seele; auch
keiner sagte von seinen Gütern, daß sie
Herrlichen Tagen führe ich euch sein wären, sondern es war ihnen alles
gemein“ (Apostelgeschichte 4,32). Der
entgegen
Fernsehautor Wolfgang Menge verwen¬
Diese etwas vollmundige Versprechung dete „Ein Herz und eine Seele“ als iro¬
gab Kaiser Wilhelm II. (deutscher Kai¬ nischen Titel einer Femsehserie.
ser von 1888-1918) im Februar 1892 in
einer Rede vor dem Brandenburgischen t Auf Herz und Nieren prüfen
Provinziallandtag. Man zitiert seine
Worte gelegentlich scherzhaft, wenn t Wes das Herz voll ist, des geht der
man jemandem angenehme, erfreuliche Mund über
Erlebnisse oder ganz allgemein bessere
Tage in Aussicht stellen will. t Da ist in meinem Herzen die
Liebe aufgegangen
Es ist das Herz ein trotzig und ver¬
zagt Ding Heulen und Zähneklappern
Dieses Zitat stammt aus dem Buch des Mit „Heulen und Zähneklappen“ be¬
Propheten Jeremia (17,9) im Alten Te¬ schreibt das Neue Testament an mehre¬
stament. Dort wird die Unberechenbar¬ ren Stellen das Verhalten derjenigen,
keit, auch Widersprüchlichkeit im Emp¬ die dem „Letzten Gericht“ verfallen. So
finden und Handeln des Menschen an¬ heißt es beispielsweise im Matthäus¬
gesprochen und betont, daß nur Gott evangelium (13,49 f.): „Also wird es
„das Herz ergründen und die Nieren auch am Ende der Welt gehen: die En¬
prüfen“ kann (17,16). Man zitiert die gel werden ausgehen und die Bösen von
Bibelstelle auch heute als Hinweis auf den Gerechten scheiden und werden sie
jemandes innere Zerrissenheit, auf die in den Feuerofen werfen; da wird Heu-

205
heureka Teil I

len und Zähneklappen sein.“ - Das Zi¬ Hic Rhodus, hic salta!
tat, heute meist in den Formen „Heulen Diese lateinische Redensart wird in ge¬
und Zähneklappern“ und „Heulen und hobenem Sprachgebrauch im Sinne von
Zähneknirschen“ gebraucht, dient zur „Hier gilt es, hier mußt du dich ent¬
meist scherzhaften Charakterisierung scheiden, dich beweisen“ gebraucht. Sie
von großer, übertriebener Furcht. geht auf eine lateinische Übersetzung
der Fabeln des Äsop zurück. Eine der
Heureka! Fabeln handelt von einem Prahler, der
erzählt, er habe in Rhodos einmal einen
Diesen freudigen Ausruf (griechisch:
sehr weiten Sprung getan. Daraufhin
eupr/Ka = „ich habe [es] gefunden“)
fordert man ihn mit den Worten „Hier
soll - nach der Darstellung des römi¬
ist Rhodos, hier springe!“ auf, an Ort
schen Baumeisters und Architekten
und Stelle zu beweisen, wie gut er sprin¬
Vitruv (l.Jh. v.Chr.) - der griechische
gen kann.
Mathematiker und Physiker Archime-
des (3. Jh. v. Chr.) bei seiner Entdeckung
des hydrostatischen Auftriebs getan ha¬ Hie Welf, hie Waiblingen!
ben. (Nach diesem auch „Archimedi¬ Dieser Schlachtruf soll - was aber histo¬
sches Prinzip“ genannten physikali¬ risch nicht eindeutig nachgewiesen ist -
schen Gesetz ist der statische Auftrieb zuerst bei der Schlacht um Weinsberg
eines Körpers gleich dem Gewicht der im Jahr 1140 gebraucht worden sein.
von ihm verdrängten Flüssigkeits- oder Die nach der staufischen Burg Waiblin¬
Gasmenge.) - Auch heute noch wird gen benannte Partei des Stauferkönigs
eine - oftmals überraschend einfache - Konrad III. besiegte dort die Gegenpar¬
Lösung eines schwierigen Problems mit tei der Welfen, eines fränkischen Adels¬
diesem Ausruf erleichtert kommentiert. geschlechts, das durch die Wahl Kon-
rads zum König seine Machtansprüche
verletzt sah. - Man gebraucht die For¬
t Zwischen heut und morgen liegt
mel (gelegentlich auch in der Form „Hie
eine lange Frist Welf, hie Waibling!“) meist scherzhaft,
um zwei sich feindselig gegenüberste¬
Der heutige Tag ist ein Resultat hende Personen oder Gruppen zu cha¬
des gestrigen. Was dieser gewollt rakterisieren.
hat, müssen wir erforschen, wenn
wir zu wissen wünschen, was jener Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s
will sein!
Der sentenzhafte Ausspruch stammt aus Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust
Heinrich Heines Zusammenstellung po¬ (Teil I, Vor dem Tor). Faust und sein Fa¬
litischer Berichte, die er in den Jahren mulus Wagner bewegen sich bei ihrem
1831/32 von Paris aus für die Augsbur¬ „Osterspaziergang“ in einem bunten
ger „Allgemeine Zeitung“ geschrieben Volksgewimmel. Die Menschen freuen
hatte. Sie trägt den Titel „Französische sich an der wiedererwachten Natur.
Zustände“. Hier Findet sich der genann¬ Faust fühlt sich nicht fremd unter dem
te Ausspruch im Artikel VI vom 19. 4. einfachen Volk. Sein Monolog, der mit
1832. - Heine postuliert damit den inne¬ dem Vers „Vom Eise befreit sind Strom
ren Zusammenhang nicht nur der ge¬ und Bäche“ beginnt, endet mit den Ver¬
schichtlichen Ereignisse, die sich folge¬ sen „Ich höre schon des Dorfs Getüm-
richtig auseinander entwickeln. Auch mel,/Hier ist des Volkes wahrer Him-
für das Leben des einzelnen gilt die mel,/Zufrieden jauchzet groß und
Wahrheit dieses Satzes. klein:/,Hier bin ich Mensch, hier darf
ich’s sein!“1 - Man zitiert die letzte Zei¬
le, um auszudrücken, daß man sich in
Hic fuit [Teil] einer bestimmten Umgebung frei von
t Das ist Teils Geschoß Zwängen fühlt und sich so geben kann.

206
Teil I hier

wie man ist. Auch die drittletzte Zeile ist gut sein! Willst du, so wollen wir hier
zu einem gebräuchlichen Zitat gewor¬ drei Hütten machen: dir eine, Mose eine
den, mit dem man Veranstaltungen oder und Elia eine“ (Matthäus 17,4). - Man
Einrichtungen charakterisiert, die den trifft diese Feststellung - von der häufig
Menschen ein unbeschwertes - meist auch nur der zweite Teil „Hier laßt uns
nicht sehr anspruchsvolles - Vergnügen Hütten bauen“ zitiert wird -, um auszu¬
bieten. drücken, daß man einen bestimmten Ort
besonders schön findet, daß man sich
Hier endigt meine Vollmacht gern dort niederlassen oder dort verwei¬
len möchte.
Im ersten Aufzug (5. Auftritt) von Schil¬
lers Drama „Wallensteins Tod" verhan¬
delt der schwedische Unterhändler Hier ist Rhodos, hier springe!
Wrangel mit Wallenstein, der die Ab¬ THic Rhodus, hic salta!
sicht hat, sich vom Kaiser abzuwenden
und sich mit den Schweden zu verbün¬
den. Diese verlangen von ihm die Über¬ Hier sind wir versammelt zu löbli¬
gabe von Prag, wozu sich Wallenstein chem Tun
nicht bereit erklären kann. Darauf wird Mit dieser Zeile beginnt ein von Goethe
ihm von Wrangel die kühle Antwort zu¬ 1810 gedichtetes Trinklied mit dem Titel
teil: „Hier endigt meine Vollmacht.“ - „Ergo bibamus!“ Friedrich Zelter hat es
Man verwendet das Zitat, um etwas, unmittelbar nach seiner Entstehung ver¬
wozu man sich nicht berechtigt fühlt, tont. Noch heute ist das Lied in den
zurückzuweisen. Kommersbüchern der studentischen
Verbindungen enthalten. - Mit dem
Hier ist des Volkes wahrer Himmel Zitat kann man (in scherzhafter Aus¬
drucksweise) ein gemeinsames Vorha¬
t Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s
ben, zu dem sich Menschen versammelt
sein!
haben, einleiten.

Hier ist die Stelle, wo ich sterblich


Hier stehe ich, ich kann nicht an¬
bin
ders
Diese Worte spricht Philipp II. von Spa¬
Martin Luther war im Jahr 1521 von
nien in dem 1787 entstandenen Drama
„Don Kariös“ (1,6) von Schiller. Der Kaiser Karl V. vor den Reichstag zu
Worms geladen worden. Er sollte seiner
König ahnt, daß er in seinem Sohn Karl
Lehre abschwören. Der Überlieferung
einen Nebenbuhler hat und ist voll Arg¬
nach hat er seine Ablehnung dieses An¬
wohn und Eifersucht. Diese Eifersucht
findet ihren Ausdruck in den obigen sinnens mit den Worten beschlossen:
„Hier stehe ich, ich kann nicht anders.
Worten. - Mit dem Zitat bekennt man
sich zu einer bestimmten Schwäche, Gott helfe mir. Amen.“ Während nur
der zweite Teil der Äußerung (Gott hel¬
einer Vorliebe oder Passion.
fe mir. Amen.) als authentisch gilt, wird
der erste Teil vielfach als Zitat ge¬
Hier ist gut sein, hier laßt uns Hüt¬ braucht. Der Sprecher bringt damit (oft
ten bauen scherzhaft) entschuldigend zum Aus¬
Der Spruch hat seinen Ursprung im druck, daß er zu einem bestimmten
Neuen Testament, wo an verschiedenen Handeln oder Verhalten steht.
Stellen (Matthäus 17,4, Markus 9,5 und
Lukas 9,33) von der Verklärung Jesu be¬
Hier wendet sich der Gast mit
richtet wird. Jesus führte drei seiner
Jünger auf den Berg Tabor, auf dem ih¬
Grausen
nen Moses und Elias erschienen und wo Die Zeile steht in der Schlußstrophe von
sie mit Jesus redeten. Petrus richtete da¬ Schillers Ballade „Der Ring des Poly-
nach an Jesus die Worte: „Herr, hier ist krates“, die auf einer Erzählung des

207
hier Teil I

griechischen Dichters Herodot beruht. bei einem Probeschuß zu fehlen, der


Der König von Ägypten als Gast des über den künftigen Schwiegersohn des
Polykrates, des Tyrannen von Samos, Erbförsters Kuno und damit über die
wird von Grausen gepackt, als der Ring, Anwartschaft auf die Erbförsterei ent¬
den sein Gastgeber als Tribut für den scheiden soll, geht der Jägerbursche
Neid der Götter in die Flut geworfen Max einen Pakt mit dem schwarzen Jä¬
hat, wieder auftaucht. Der Gast nimmt ger Samiel ein, der ihm mit der Zauber¬
gerade das als untrügliches Zeichen: kraft einer treffsicheren Freikugel hel¬
„,Die Götter wollen dein Verder- fen will. Das Zitat wird meist scherzhaft
ben,/Fort eil’ ich, nicht mit dir zu ster¬ bei Würfel- und Kartenspielen verwen¬
ben.‘/Und sprach’s und schiffte schnell det, zum Beispiel, wenn ein Skatspieler
sich ein.“ Im Gedicht wird nicht mehr in der Hoffnung, gute Karten zu finden,
ausgeführt, daß Polykrates schließlich den Skat aufnimmt.
von dem persischen Satrapen Oroites
nach Magnesia gelockt und hingerichtet
Der Himmel auf Erden
wurde. - Heute gebraucht man das Zitat
Als frühester Beleg für diesen Ausdruck
(oft scherzhaft), um auszudrücken, daß
man etwas Unerträglich findet, es nicht gilt eine Stelle aus der Versdichtung
länger mit ansehen möchte. „Das verlorene Paradies“ von John Mil¬
ton (1608-1674), in der das Paradies für
Adam und Eva als Heaven on earth be¬
t Aber hier, wie überhaupt, kommt zeichnet wird. Im Jahr 1706 erschien mit
es anders, als man glaubt dem entsprechenden deutschen Titel die
Übersetzung eines Buchs des holländi¬
High-noon schen Predigers Fredericus van Leen-
hof. Ebenso sind diese Worte Titel eines
Dieser Ausdruck geht zurück auf den
1797 erschienenen Werks des Pädago¬
berühmten amerikanischen Western aus
gen Christian Gotthilf Salzmann. - Als
dem Jahr 1952 mit dem Titel High Noon,
„Himmel auf Erden“ bezeichnet man
deutsch: „Zwölf Uhr mittags“. (Die
die Lebensumstände eines Menschen,
Hauptrollen spielen Gary Cooper und
dem es besonders gutgeht bzw. der mit
Grace Kelly, der Regisseur ist Fred Zin¬
besonderer Fürsorge und Liebe umge¬
nemann.) Der Film heißt so, weil der
ben ist.
Gangster, der mit seiner Bande den She¬
riff umbringen will, mit dem Mittagszug
eintrifft. Er schildert, wie der Sheriff - t Und der Himmel hängt voller
von den Bewohnern des Ortes im Stich Geigen
gelassen - nur auf sich gestellt den
Kampf mit der Bande besteht. - Der
Der Himmel ist blau, das Wetter ist
Ausdruck „High-noon“ wird im Sinne
schön, Herr Lehrer, wir wollen
von „spannungsgeladene Atmosphäre“
spazierengehn
und „bedrohliche Minuten vor einer
Entscheidung“ gebraucht, gelegentlich Mit diesem Vers versuchen Schüler ge¬
auch in der Bedeutung „höchste Zeit“. legentlich ihren Lehrer zu animieren,
den Unterricht abzubrechen und ihnen
freizugeben. Er ist die Umformung
Hilf dir selbst, so hilft dir Gott
eines Verses aus dem Gedicht „Josephi¬
Dem t Mutigen hilft Gott ne“ von Otto Julius Bierbaum
(1865-1910): „Der Himmel ist blau, das
Hilf, Samiel Wetter ist schön,/Madame, wir wollen
spazierengehn.“
Diese Anrufung eines bösen Geistes, die
auch in der Form „Samiel hilf* verbrei¬
tet ist, stammt aus Friedrich Kinds Text t Willst du in meinem Himmel mit
zu Carl Maria von Webers Oper „Der mir leben: So oft du kommst, er
Freischütz“ (1821). Aus Angst davor. soll dir offen sein

208
Teil I hippokratischer

Den Himmel offen sehen voll,/Gedankenvoll sein.“ - Das Zitat


Die der gehobenen Sprache angehören¬ drückt den abrupten Wechsel in der
de Redewendung im Sinne von „sich am Stimmungslage von Gefühlsüber¬
Ziel aller Wünsche glauben und sehr schwang zu tiefster Traurigkeit aus, den
glücklich sein“ hat ihren Ursprung im manche Menschen an sich erfahren, zu
Neuen Testament (Johannes 1,51). Dort deren Charakterisierung das Zitat häu¬
sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Von nun fig verwendet wird. Vertont wurde das
an werdet ihr den Himmel offen sehen Lied von Reichardt, Beethoven, Schu¬
und die Engel Gottes hinauf- und her¬ bert und Liszt.
abfahren auf des Menschen Sohn.“ Das
Aus allen Himmeln fallen
gleiche Bibelzitat wird auch in Schillers
„Lied von der Glocke“ in folgendem TAus allen Wolken fallen
Textzusammenhang aufgenommen: „O
zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,/Der er¬ Eine der t größten Himmelsgaben
sten Liebe goldne Zeit,/Das Auge sieht
t Auf beiden Seiten hinken
den Himmel offen,/Es schwelgt das
Herz in Seligkeit.“ Eine umgangs¬
t Und hinter ihm, in wesenlosem
sprachlich-scherzhafte Abwandlung der
Scheine, lag, was uns alle bändigt,
Redewendung lautet: „Den Himmel
voller Baßgeigen sehen“. (Siehe auch
das Gemeine
den Artikel „Und der Himmel hängt
Hiobsbotschaft
voller Geigen“.)
Dieser Ausdruck mit der Bedeutung
Den Himmel überlassen wir den „Unglücksnachricht“ geht (ebenso wie
das gleichbedeutende Wort „Hiobs¬
Engeln und den Spatzen
post“) auf das Buch Hiob des Alten Te¬
Der Vers stammt aus Heinrich Heines staments (1,14-19) zurück. Nacheinan¬
Gedichtzyklus „Deutschland. Ein Win¬ der wurde Hiob eine Schreckensmel¬
termärchen“. Der Zyklus war 1844 nach dung um die andere gebracht. Er hatte
einer Deutschlandreise des seit 12 Jah¬ all sein Vieh, seine Knechte und seine
ren in Frankreich im Exil lebenden Söhne verloren. Durch Goethes Ver¬
Dichters entstanden. Heine kritisiert wendung des Ausdrucks in seinem
darin mit beißendem Spott den im Schauspiel „Götz von Berlichingen mit
Deutschland der Restauration herr¬ der eisernen Hand“ (1773) wurde
schenden Geist. Im ersten Gedicht (Ka- „Hiobspost“ allgemein bekannt. Liebe¬
put 1) wendet er sich gegen die Vertrö¬ traut bringt im ersten Akt dem Abt von
stung der Menschen auf ein besseres Fulda und dem Bischof von Bamberg
Jenseits. Er setzt dagegen: „Wir wollen die Nachricht, daß Götz seinen Gegner
hier auf Erden schon/Das Himmelreich Weislingen gefangengenommen hat.
errichten.“ - Man verwendet das Zitat „Berlichingen hat ihn (= Weislingen)
heute scherzhaft, wenn man von etwas und drei Knechte bei Haslach wegge¬
spricht, auf das man „großzügig“ ver¬ nommen. Einer ist entronnen, euchs an¬
zichtet, weil es einen nicht interessiert. zusagen.“ Der Abt antwortet darauf:
„Eine Hiobspost.“ In einem Brief an
t Zwischen Himmel und Erde Zelter vom 21.11. 1830 verwendete Goe¬
schweben the auch den Ausdruck „Hiobsbot¬
schaft“.
Himmelhoch jauchzend, zum Tode
betrübt Hiobspost
Die beiden Zeilen stammen aus dem t Hiobsbotschaft
Lied, das Klärchen, die Geliebte Eg-
monts, im 3. Aufzug von Goethes Trau¬
Hippokratischer Eid
erspiel „Egmont“ (1788) singt. Sein Unter diesem Ausdruck versteht man
Anfang lautet: „Freudvoll/Und leid¬ das dem griechischen Arzt Hippokrates

209
Hirsch Teil I

(um 460-um 370 v. Chr.) zugeschriebe¬ wodurch die Engel fielen,/Woran der
ne, aber höchstens dem Sinne nach auf Höllengeist den Menschen faßt.“ -
ihn zurückgehende, aus der Antike „Hochmut“ im profanen Sinne - so wie
überlieferte Gelöbnis der Ärzte, das die man ihn heute versteht - ist eine Form
ethischen Leitsätze ärztlichen Handelns von Stolz und Überheblichkeit anderen
enthält. Dazu gehört zum Beispiel, nie¬ Menschen gegenüber, die sich ebenso
mals zum Nachteil und Unrecht eines verderblich auswirken kann.
Kranken tätig zu werden oder grund¬
sätzlich die Verabreichung tödlicher Das höchste der Gefühle
Gifte zu verweigern. Es ist das Vorbild
Mit diesen Worten wird umgangs¬
des heutigen Ärztegelöbnisses.
sprachlich das Äußerste, was in einer
bestimmten Situation möglich ist oder
t Wie der Hirsch schreit nach fri¬
sich tun läßt, bezeichnet. Sie stammen
schem Wasser
aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ (2.
Akt, Duett Papageno/Papagena), wo sie
t Zu Hitler fällt mir nichts ein
aber im Sinne von „das schönste Ge¬
Hoch klingt das Lied vom braven fühl“ zu verstehen sind. Papageno und
Papagena geben damit ihrer Vorfreude
Mann
auf reichen Kindersegen Ausdruck.
Mit diesen Worten beginnt die Ballade
„Das Lied vom braven Mann“ von
Die höchste Eisenbahn
Gottfried August Bürger (1747-1794).
Nach dem sprachlichen Verständnis sei¬ Diese scherzhaft-umgangssprachliche
ner Zeit ist unter dem „braven Mann“ Wendung bedeutet „höchste Zeit“. Sie
ein Mensch zu verstehen, der sich durch geht auf Adolf Glaßbrenner (1810 bis
Rechtschaffenheit und Mut auszeich¬ 1876) zurück, den Begründer der humo¬
net. Das Gedicht handelt denn auch von ristisch-satirischen Berliner Volkslitera¬
einem armen, aber rechtschaffenen tur. In seiner humoristischen Szene
„Bauersmann“, der unter Einsatz seines „Ein Heiratsantrag in der Niederwald¬
Lebens eine heldenhafte Rettungstat straße“ läßt er einen zerstreuten Men¬
vollbringt, das als Preis ausgesetzte schen, der ständig Begriffe vertauscht,
Gold jedoch den von ihm geretteten Op¬ sagen: „Es ist die allerhöchste Eisen¬
fern überläßt. Die Verszeile aus dem bahn, die Zeit is schon vor drei Stunden
„Lied vom braven Mann“ wird heute anjekommen.“ Üblich sind heute die
meistens dann zitiert, wenn ein scherz¬ Versionen (ohne Artikel) „höchste/al¬
haft oder auch ironisch gemeintes Lob lerhöchste Eisenbahn“.
ausgesprochen werden soll.
Höchstes Glück der Erdenkinder
Hochmut kommt vor dem Fall ist nur die Persönlichkeit
Die auch in anderen Sprachen verbrei¬ Aus Goethes 1819 erstmals erschiene¬
tete sprichwörtliche Redensart hat ihre nem Gedichtzyklus „Westöstlicher Di¬
Wurzeln im Alten Testament. So liest wan“ stammt dieser Satz. Allerdings ist
man in den Sprüchen Salomos (16,18): er dort nicht als die allgemeingültige Be¬
„Wer zugrunde gehen soll, der wird zu¬ hauptung formuliert, die man beim Zi¬
vor stolz; und Hochmut kommt vor dem tieren meist zugrunde legt, sondern als
Fall.“ Eine Stelle im apokryphen Buch eine widerlegbare Meinung. In dem
Jesus Sirach (3,30) lautet: „Denn Hoch¬ „Buch Suleika“, einem Dialog in Ge¬
mut tut nimmer gut, und kann nichts dichten zwischen den Liebenden „Sulei¬
denn Arges daraus erwachsen.“ „Hoch¬ ka“ und „Hatem“, gibt Suleika die all¬
mut“ im biblischen Sinne war die Hy¬ gemein geltende Meinung über den
bris gegenüber Gott, die als Frevel galt Wert der Persönlichkeit wieder mit den
und Verderben nach sich zog. Im Prolog Worten: „Volk und Knecht und Über¬
von Schillers „Jungfrau von Orleans“ winder,/Sie gestehn zu jeder Zeit,/
finden sich die Verse „Hochmut ist’s, Höchstes Glück der Erdenkinder/Sei

210
Teil I höherer

nur die Persönlichkeit.“ Hatem aber bei manchen nur eine Höflichkeit des
setzt dieser allgemeinen Meinung seine Herzens - und gerade das Gegenstück
eigene entgegen, daß nämlich der einer Eitelkeit des Geistes.“ - Gemeint
Mensch nicht in der Persönlichkeit als ist mit dieser Formulierung eine Höf¬
solcher, nicht im „werten Ich“ das lichkeit, die von innen, von Herzen
höchste Glück findet, sondern im ande¬ kommt im Gegensatz zu einer nur auf¬
ren Menschen, im geliebten Du, und so gesetzten, leeren Förmlichkeit, die ohne
antwortet er: „Kann wohl sein! so wird Wert ist.
gemeinet;/Doch ich bin auf andrer
Spur:/Alles Erdenglück vereinet/Find’ Das Hohelied
ich in Suleika nur.“
Das „Hohelied“ (auch „Das Hohelied
Salomos“) ist eine Sammlung volkstüm¬
Hoff, o du arme Seele
licher Liebes- und Hochzeitslieder im
„Hoff, o du arme Seele,/hoff und sei un¬ Alten Testament. Die deutsche Überset¬
verzagt!“ So beginnt die 6. Strophe des zung steht für hebräisch sir ha-sirim
Kirchenliedes „Befiehl du deine Wege“ bzw. lateinisch canticum canticorum
des evangelischen Theologen und Kir¬ („Lied der Lieder“, d. h. „schönstes,
chenlieddichters Paul Gerhardt (1607 herrlichstes Lied“). Der Überlieferung
bis 1676; Evangelisches Kirchengesang¬ nach ist König Salomo (9.Jh. v.Chr.)
buch Nr. 294). Man zitiert diesen Vers der Autor, doch sind die meisten Lieder
gelegentlich - meist nur die Anfangs¬ möglicherweise erst in späterer Zeit ent¬
worte -, wenn man jemandem Mut ma¬ standen. Heute verwendet man diesen
chen und ihn darin bestärken will, auf Titel (mit unterschiedlichem Genitivat¬
Besserung zu hoffen. tribut), um in gehobener Sprache eine
Haltung oder Tat zu kennzeichnen, die
t All mein Hoffen, all mein Sehnen symbolisch ein Loblied auf etwas dar¬
stellt (z. B. das Hohelied der Arbeit).
Hoffnung läßt nicht zuschanden
werden
Hoher Sinn liegt oft in kind’schem
Im 5. Kapitel seines Briefes an die Rö¬
Spiel
mer schreibt Paulus: „Geduld aber
bringt Erfahrung; Erfahrung aber bringt Mit diesem Vers endet Schillers Gedicht
„Thekla. Eine Geisterstimme“ (1802).
Hoffnung; Hoffnung aber läßt nicht zu¬
schanden werden“ (Römer 5,4-5). Den Der Dichter bezieht sich darin auf die
Figur der Thekla in seinem Drama
Anfang des 5. Verses zitiert man gele¬
„Wallenstein“ und auf Wallenstein, den
gentlich, wenn man jemanden ermun¬
Sternengläubigen. Dem Schlußwort
tern will, nicht die Hoffnung aufzuge¬
geht die Aufforderung voraus „Wage
ben, mit Zuversicht in die Zukunft zu
du, zu irren und zu träumen“. In den
blicken.
von der Realität abgehobenen „Träu¬
tWas sind Hoffnungen, was sind men“ liegt für den Dichter eine tiefe Be¬
deutung, vergleichbar dem tieferen
Entwürfe
Sinn, der dem unreflektierten Spiel der
Höflichkeit des Herzens Kinder zugrunde liegen kann. - Man
verwendet das Zitat - häufiger in der
Von der „Höflichkeit des Herzens“
Form - „Tiefer Sinn liegt oft in
spricht Ottilie in ihrem Tagebuch im 5.
kind’schem Spiel“ bei der Betrachtung
Kapitel des 2. Teils von Goethes „Wahl¬
von Kindern, die ganz in sich versunken
verwandtschaften“ (1809). Hier heißt
ihren Spielen hingegeben sind.
es: „Es gibt eine Höflichkeit des Her¬
zens; sie ist der Liebe verwandt.“ Auch
bei Nietzsche findet man diese Formu¬
Höherer Blödsinn
lierung in der Schrift „Jenseits von Gut Der Ausdruck wurde um 1850 mutma߬
und Böse“ (1886). Im 4. Hauptstück lich von Otto Wigand, dem Herausgeber
steht hier: „Sich über ein Lob freuen ist der „Jahrbücher für Wissenschaft und

211
hohle Teil I

Kunst“ geprägt. Er ist ein Ausdruck des dem Titel „Die Hölle auf Erden, oder
Ärgers: „Wir meinen die Gesellschafts¬ Geschichte der Familie Fredini“.
schwindel im lieben deutschen Vater¬
land ... Geblütswallungen, die ... auf
dem Niveau des höheren Blödsinns ste¬ Die Hölle, das sind die anderen
hen.“ Die satirische Zeitschrift „Klad¬ In Jean-Paul Sartres Einakter „Bei ge¬
deradatsch“ spricht dagegen 1856 von schlossenen Türen“ (auch unter dem Ti¬
einem „Styl des höheren Blödsinns“ tel „Geschlossene Gesellschaft“ aufge¬
und meint damit eine bestimmte Art des führt; französischer Titel: „Huis clos“;
Ulks, die sie besonders für sich in An¬ uraufgeführt 1944; deutsch 1949) finden
spruch nimmt. Im heutigen Sprachge¬ sich zwei Frauen und ein Mann - alle
brauch sind beide Bedeutungen enthal¬ drei jüngst verstorben - in einem Salon
ten. „Höherer Blödsinn“ kann sowohl wieder. Dieser Salon ist Sartres subtil
„Unsinn, ärgerliches törichtes Gerede“ und äußerst beklemmend dargestellte
als auch „Nonsens, Ulk, Spaß“ bedeu¬ Hölle. Die drei können den Raum nicht
ten. verlassen, sind also bedingungslos auf¬
einander angewiesen. Wie in ihrem ge¬
t Durch diese hohle Gasse muß er lebten Leben müssen sie auch hier er¬
kommen kennen, daß die persönliche Freiheit am
Freiheitsanspruch des anderen ihre
Grenze findet. Das Dasein des Mitmen¬
TSich in die Höhle des Löwen schen ist nichts anderes als eine tödliche
wagen Bedrohung der eigenen Selbstverwirkli¬
chung. Doch nicht einmal umbringen
Holder Schwan vom Avon können sie sich gegenseitig, sie sind ja
bereits tot. Garcin, der Mann, kommt
Sweet swan of Avon („Holder Schwan
dann zur fürchterlichen Erkenntnis:
vom Avon“) nennt der englische Dich¬
„Also dies ist die Hölle. Niemals hätte
ter Ben Johnson (1572-1637) in einem
ich geglaubt ... Ihr entsinnt euch:
Gedicht seinen heute berühmteren Zeit¬
Schwefel, Scheiterhaufen, Bratrost. ...
genossen William Shakespeare (1564 bis
Ach, ein Witz! Kein Rost erforderlich,
1616). Abgedruckt ist dieses Gedicht in
die Hölle, das sind die andern.“ (Fran¬
der ersten Folioausgabe der Dramen
zösisch: Alors, c’est ca l'enfer. Je n'aurais
Shakespeares, die 1623 in London her¬
jamais cru ... Vous vous rappelez: le sou-
ausgegeben wurde. Johnson spielt dabei
fre. le bücher, le gril... ah! quelle plaisan-
auf den Fluß Avon an, an dem Shake¬
terie. Pas besoin de gril, l'enfer, c’est les
speares Heimatstadt Stratford-upon-
Avon liegt. autres). Mit dem Zitat kann man zum
Ausdruck bringen, daß die Schwierig¬
keiten, mit anderen Menschen auszu¬
Die Hölle auf Erden kommen, oft unüberwindlich sind.
Verhältnisse, die jemandem das Leben
unerträglich erscheinen lassen, bezeich¬
net man häufig als „Hölle auf Erden“. Homerisches Gelächter
Dieser Ausdruck geht wohl letztlich auf Nach Stellen in der „Ilias“ und der
die zu den Apokryphen zählende „Odyssee“ des altgriechischen Dichters
„Weisheit Salomos“ im Alten Testa¬ Homer (2. Hälfte des 8.Jh.s v.Chr.), wo
ment zurück. Dort heißt es: „... und was das Lachen der Götter als „unauslösch¬
in der Welt geschaffen wird, das ist gut, lich“ oder „unermeßlich“ beschrieben
und ist nichts Schädliches darin. Dazu wird, bezeichnet man ein schallendes,
ist der Hölle Reich nicht auf Erden“ nicht enden wollendes Gelächter in ge¬
(Weisheit Salomos 1,14). - Der deut¬ hobener Ausdrucksweise häufig als
sche Literaturhistoriker und Schriftstel¬ „homerisches Gelächter“ (bereits im
ler Johann Gottfried Gruber (1774 bis 18. Jh. im Französischen als rire home-
1851) veröffentlichte 1800 ein Buch mit rique).

212
Teil I honigsüße

Homo faber Mensch bezeichnet. Der niederländi¬


Diese lateinische Fügung (deutsch: „der sche Kulturhistoriker Johan Huizinga
Mensch als Verfertiger“) ist ein Termi¬ (1872-1945) führte ihn in seinem 1938
nus der modernen philosophischen An¬ erschienenen gleichnamigen Buch ein.
thropologie. Sie charakterisiert den Er charakterisiert darin das Spiel als
Menschen mit seiner Fähigkeit, für sich Grundkategorie menschlichen Verhal¬
Werkzeuge und technische Hilfsmittel tens und menschlicher Entwicklung und
herzustellen, die er, da er organisch und hebt seine Funktion in seinen verschie¬
instinktmäßig nicht entsprechend aus¬ denen Formen als kulturbildenden Fak¬
gerüstet ist, zur Bewältigung und Kulti¬ tor hervor.
vierung der Natur benötigt. „Homo fa¬
ber“ ist auch der Titel eines Romans (er¬
Honi soit qui mal y pense
schienen 1957) von Max Frisch, in dem Das Zitat - auch in der deutschen
der Ingenieur Faber unwissentlich eine Form: „Ein Schuft, wer Böses dabei
Liebesbeziehung zu seiner Tochter ein¬ denkt“ - wird heute verwendet, wenn
geht. man in einer Situation sagen will: „Nur
ein Mensch, der immer gleich Schlech¬
tes denkt, wird hierbei etwas Anstößiges
Homo homini lupus
Finden.“ Wörtlich lautet die Überset¬
Dieser lateinische Satz bedeutet wört¬ zung: „Verachtet sei, wer Arges dabei
lich übersetzt „Der Mensch (ist) dem denkt.“ Honi soit qui mal y pense ist der
Menschen ein Wolf.“ Damit charakteri¬ Wahlspruch des höchsten englischen
siert der englische Philosoph Thomas Ordens, des sogenannten Hosenbandor¬
Hobbes (1588-1679) in seinem staats¬ dens (The Most Noble Order of the Gar-
philosophischen Werk „Leviathan or ter). Seine Stiftung durch König Edu¬
the matter, form, and power of a Com¬ ard III. 1348 wird nach Polydor Vergils
monwealth, ecclesiastical and civil“ „Englischer Geschichte“ von 1570 auf
(1794 deutsch mit dem Titel „Leviathan einen galanten Zwischenfall zurückge¬
oder Der kirchliche und bürgerliche führt, als Eduard auf einem Ball das
Staat“) das für ihn natürlichste Verhal¬ Strumpfband seiner Gemahlin oder sei¬
ten des Menschen: das aus den Grund¬ ner Geliebten, der Gräfin Salisbury,
triebkräften Selbsterhaltung und Lust¬ aufgehoben haben soll. Nach den 1841
gewinn resultierende Streben nach von G. F. Beltz herausgegebenen „Me¬
uneingeschränkter Macht. Bildungs¬ morials of the Order of the Garter“ soll
sprachlich wird diese Formulierung dagegen Eduard 1346 in der siegreichen
verwendet, um den Menschen als ge¬ Schlacht bei Crecy sein Strumpfband
fährlichsten Feind des Menschen zu als Fahnenband benutzt und zur Erin¬
kennzeichnen. Übernommen hat sie nerung daran den Hosenbandorden ge¬
Hobbes von dem römischen Dichter stiftet haben. Das eigentliche Ordens¬
Plautus (um 250-um 184 v. Chr.). In zeichen ist ein schmales blaues Samt¬
dessen Komödie „Asinaria“ heißt es: band mit der goldenen Ordensdevise
Lupus est homo homini, non homo, quom und wird von Herren unter dem linken
qualis sit non novit („Ein Wolf ist der Knie, von Damen am linken Oberarm
Mensch dem Menschen, kein Mensch, getragen.
wenn er nicht weiß, wie dieser geartet
ist“; Asinaria, Vers 495). Ein Kaufmann Honigsüße Rede
begründet dort mit diesen Worten seine
In der „Ilias“ des altgriechischen Dich¬
Weigerung, einem ihm Unbekannten ei¬
ters Homer (2. Hälfte des 8. Jh.s v. Chr.)
ne größere Geldsumme auszuhändigen.
wird von Nestor, dem wegen seiner
Weisheit und Redegabe gerühmten grei¬
Homo ludens sen Sagenheld, gesagt, er sei jemand,
Mit diesem lateinischen Ausdruck wird „dem von der Zunge süßer als Honig die
der spielende (lateinisch ludens = spie¬ Rede floß“ (griechisch: toö xal' «tto
lend) und dadurch schöpferische yXcoaoqg peXiTog yXvxicov geev avSi)

213
hoppla Teil I

(1,249). Heute bezeichnet man als „ho¬ Horror vacui


nigsüße Rede“ übertrieben liebenswür¬ In der scholastischen Philosophie blieb
dige Worte, die nichts anderes als bis zur Entdeckung des Luftdrucks in
Schmeichelei oder Lobhudelei sind. der Physik durch E. Torricelli
(1643/1644) die Vorstellung beherr¬
Hoppla, jetzt komm’ ich! schend, daß die Natur vor einem leeren
Raum einen Abscheu habe und diesen
Der Titel dieses Schlagers aus dem Jahr
mit allen Mitteln auszufüllen suche.
1932 charakterisiert seinen Interpreten
Diesen Gedanken formulierte der fran¬
Hans Albers bereits als den rauhbeini¬
zösische Dichter Francois Rabelais (um
gen Draufgänger mit Herz, den der
1494-1553) in seinem fünfbändigen Ro¬
Schauspieler später in vielen Filmen
manzyklus „Gargantua und Pantagru-
darstellte. Der Text des Liedes stammt
el“ in der lateinischen Form Natura ab-
von Robert Gilbert, dem deutsch-ameri¬
horret vacuum „Die Natur schreckt das
kanischen Texter und Librettisten, der
Leere ab“. Darauf geht der Ausdruck
unter anderem auch das Libretto für die
Horror vacui „das Grauen vor dem Lee¬
Operette „Im weißen Rößl“ verfaßte,
ren, dem Nichts“ zurück. Man bezieht
und die Melodie wurde von Werner Ri¬
ihn heute ganz allgemein auf Situatio¬
chard Heymann komponiert, der zahl¬
nen, in denen jemand befürchtet, daß
reiche Filmmusiken, zum Beispiel für
plötzlich alles bisher Tragende und
„Die drei von der Tankstelle“, geschrie¬
ben hat. Man zitiert den Schlagertitel Sinngebende nicht mehr vorhanden sein
heute meist mit einem negativen Unter¬ wird, also ein politisches oder kulturel¬
les Vakuum droht. Gelegentlich wird
ton, um unbekümmert-rücksichtsloses
Verhalten zu charakterisieren. scherzhaft mit „Horror vacui“ auch
ganz konkret die Angst vor gähnender
Leere bezeichnet, die z. B. einen Veran¬
Horch, was kommt von draußen stalter bei einem Blick durch den Vor¬
rein? hang in den Zuschauerraum befallen
Mit diesem Vers beginnt ein beliebtes kann.
Volkslied, das in der 2. Hälfte des
19.Jh.s wohl im Vogtland entstanden t Wer zwei Paar Hosen hat, mache
ist. Man zitiert ihn heute gelegentlich eins zu Geld und schaffe sich die¬
scherzhaft, wenn man von draußen ein ses Buch an
Geräusch hört, das auf jemandes Kom¬
men schließen läßt. t Ich wünsche, daß sonntags jeder
Bauer sein Huhn im Topf hat
Das Hornberger Schießen
Wenn etwas, um das viel Aufhebens ge¬
TVon Humanität durch Nationali¬
macht wird, im Endeffekt ergebnislos tät zur Bestialität
endet, so sagt man, es sei ausgegangen
„wie das Hornberger Schießen“. Die Humor ist, wenn man trotzdem
Herkunft dieser Redensart bleibt im lacht
Dunkeln. Eine mögliche Erklärung, die Diese Devise hat der deutsche Schrift¬
häufig genannt wird, ist die Sage, daß steller Otto Julius Bierbaum (1865 bis
die Bürger von Homberg im Schwarz¬ 1910) seiner „Yankeedoodle-Fahrt und
wald zur Begrüßung eines Fürsten so oft andere Reisegeschichten“ (1909) voran¬
die Salutschüsse übten, daß schließlich gestellt. Man zitiert sie in Situationen, in
bei seiner Ankunft kein Pulver mehr denen man es als das Beste erkannt hat,
vorhanden war. Um den Landesherrn allen Schwierigkeiten des Alltags mit
nicht ohne ßegrüßungssalut einziehen heiterer Gelassenheit zu begegnen.
zu lassen, sollen einige Hornberger ver¬ Auch als Kommentar zu einem schlech¬
sucht haben, die Böllerschüsse durch ten Witz oder zu einem Mißgeschick ist
lautes Brüllen nachzuahmen. das Zitat gebräuchlich.

214
Teil I Hydra

T Keinen Hund mehr hinter dem deutsch „Der Hunger ist der beste
Ofen hervorlocken Koch, den es je gab oder noch geben
wird“). Auch in der Antike findet sich
Es t möchte kein Hund so länger dieser Gedanke schon. So sagt der alt¬
leben griechische Philosoph Sokrates (um
470-399 v.Chr.) bei Xenophon (pare
tn)v sjtiQvßiav roü airou öl//ov avrcp
Hunde, wollt ihr ewig leben?
eivai („so daß das Verlangen nach Nah¬
Dies ist der Titel eines deutschen Films rung ihm zur Würze wird“). Bei dem rö¬
über die Schlacht von Stalingrad 1942/ mischen Staatsmann, Redner und Philo¬
43, der 1958 in die Kinos kam. Man zi¬ sophen Cicero (106-43 v.Chr.) heißt es
tiert den Filmtitel heute als scherzhafte in seinem philosophischen Dialog
Entgegnung auf jemandes Einwand hin, „Über das höchste Gut und das höchste
eine bestimmte Sache, ein bestimmtes Übel“ (lateinisch „De finibus bonorum
Vorgehen sei zu gefährlich und sollte et malorum“): Cibi condumentum est Ja¬
deswegen unterbleiben. - Vom preußi¬ mes „Der Speise Würze ist der Hunger“
schen König Friedrich II. (Regierungs¬ (II, 28,90).
zeit 1740-1786) wird anekdotenhaft
überliefert, er habe einmal Soldaten, die
Hurrapatriotismus
bei einer Schlacht flohen, zugerufen:
„Ihr verfluchten Kerls, wollt ihr denn Diese abwertende Bezeichnung für ei¬
nen übertrieben begeisterten Patriotis¬
ewig leben?“
mus kam Ende des 19. Jh.s auf. Nach
Otto Ladendorfs „Historischem Schlag¬
Hundertfältig Frucht tragen
wörterbuch“ (Straßburg/Berlin 1906,
Wenn man von etwas sagt, daß es hun¬ S. 130/131) ist es erstmals in dieser Form
dertfältig (oder hundertfältige) Frucht im März 1900 in einem Zeitschriftenbei¬
trägt, so drückt man damit aus, daß sich trag belegt.
die betreffende Sache sehr gelohnt hat
oder auch, daß etwas, besonders eine
Hüte deine Seele vor dem Karrie¬
mühevolle Sache, reichlich belohnt wur¬
remachen
de. Die Redewendung geht auf eine
Stelle im Neuen Testament (Matthäus In seinem Gedicht „Für meine Söhne“
13,8 bzw. Markus 4,8) zurück. Es wird (1854) spricht Theodor Storm in der 5.
dort im Gleichnis vom Sämann von den Strophe die mahnenden Worte: „Was
Saatkörnern gesprochen, die auf unter¬ du immer kannst, zu werden,/Arbeit
schiedlichen Boden fallen und somit scheue nicht und Wachen; Aber hüte
unterschiedliche Wachstumsbedingun¬ deine Seele/Vor dem Karrieremachen.“
gen haben. Es heißt dann bei Matthäus: Man zitiert die beiden letzten Verszei-
„Etliches fiel auf ein gutes Land und len, wenn man jemanden davor warnen
trug Frucht, etliches hundertfältig, etli¬ will, seinen Aufstieg rücksichtslos zu er¬
ches sechzigfältig, etliches dreißigfäl- kämpfen, dem Gedanken an die Karrie¬
re alles andere unterzuordnen.
tig.“

Hunger ist der beste Koch t Hier ist gut sein, hier laßt uns
Hütten bauen
Diese sprichwörtliche Redensart ver¬
wendet man, wenn großer Hunger einen
Menschen, der sonst sehr wählerisch im Hydra
Essen ist, dazu bringt, auch weniger gu¬ In der „Theogonie“ des altgriechischen
tes Essen mit Appetit zu verzehren. Sie Dichters Hesiod (um 700 v.Chr.) findet
findet sich in dieser Form erstmals bei sich erstmals dieser Name für das
dem mittelhochdeutschen Spruchdich¬ schlangenähnliche neunköpfige Unge¬
ter Freidank (1. Hälfte des 13. Jh.s), wo heuer in den Sümpfen von Lerna in der
es heißt: Der hunger ist der beste koch/ Argolis. Es zu töten war eine der zwölf
der ie wart oder wirdet noch (neuhoch¬ schweren Arbeiten, die der Sagenheld

215
I Teil I

Herakles auf Geheiß des delphischen 5. Strophe von Goethes Gedicht „An
Orakels zu verrichten hatte. Die’nach je¬ den Mond“ (2. Fassung 1789). Es ist an
dem Schwertstreich doppelt nachwach¬ Charlotte von Stein gerichtet, mit der
senden Köpfe der Hydra brannte er Goethe ein sehr enges Freundschafts¬
schließlich - unterstützt von seinem Ge¬ verhältnis verband. Das Motiv des
fährten Jolaos - mit glühenden Baum¬ Rückblicks auf eine verlorene Liebe,
stämmen ab (Theogonie 313 ff.). Noch das die Zeilen erkennen lassen, fand erst
heute wird der Name dieses Sagenunge¬ in der zweiten Fassung Eingang in das
heuers als Sinnbild für ein scheinbar un¬ Gedicht. Die Strophe lautet vollständig:
ausrottbar wucherndes Übel, für das „Ich besaß es doch einmal,/Was so köst¬
sich immer wieder erhebende Böse ver¬ lich ist!/Daß man doch zu seiner Qual/
wendet. Nimmer es vergißt!“

Ich bin allein auf weiter Flur


Dieses Zitat stammt aus Ludwig Uh-
lands Gedicht „Schäfers Sonntagslied“
aus dem Jahr 1805. Der Schäfer spricht

I von der andachtsvollen Morgenstille


des Sonntags, an dem er mit der Natur
allein ist. - Als Zitat wird es meist
scherzhaft (und oft auch in der Form
I have a dream „allein auf weiter Flur stehen“) ge¬
braucht, wenn jemand zum Ausdruck
Am 28. August 1963, anläßlich des hi¬
bringen möchte, daß er ohne Gesell¬
storischen „Marschs auf Washington“,
schaft, einsam ist oder daß er als einzi¬
hielt der schwarze amerikanische Bür¬
ger etwas tut, zum Beispiel eine Mei¬
gerrechtler Martin Luther King eine Re¬
nung vertritt, die kein anderer teilt.
de, in der er mehrmals seine Visionen
von einer gerechteren Gesellschaft mit
den Worten „I have a dream“ („Ich
Ich bin der letzte meines Stammes
habe einen Traum“) einleitete. So sagte Der greise Freiherr von Attinghausen
er z. B. „Ich habe einen Traum, daß spricht in Schillers „Wilhelm Teil“ diese
eines Tages auf den roten Hügeln von Worte zu seinem Neffen und Erben Ul¬
Georgia die Söhne früherer Sklaven und rich von Rudenz (II, 1). Man zitiert sie
die Söhne früherer Sklavenhalter mit¬ heute, wenn man daraufhinweisen will,
einander am Tisch der Brüderlichkeit daß man ohne Nachkommen geblieben
sitzen können“ und „Ich habe einen ist und mit dem eigenen Tode die Fami¬
Traum, daß meine vier kleinen Kinder lie und ihr Name ausstirbt. Gelegentlich
eines Tages in einer Nation leben wer¬ will man mit dem Zitat aber auch aus-
den, in der man sie nicht nach ihrer drücken, daß man jemand ist, der am
Hautfarbe, sondern nach ihrem Charak¬ Althergebrachten festhält und mit sei¬
ter beurteilen wird“. Das Zitat kann in ner Einstellung im Freundes- und Be¬
entsprechenden Kontexten als eindring¬ kanntenkreis alleine dasteht.
liche Mahnung an die vielerorts noch
nicht verwirklichten Ideale Martin Lu¬ Ich bin der Mann der bleichen
ther Kings verwendet werden, es kann Furcht nicht
aber auch in anderen Bereichen zur An¬
Das Zitat stammt aus Schillers Drama
kündigung visionärer Vorstellungen von
„Die Räuber“ (1781). Karl Moor spricht
der Zukunft dienen.
so zu seinem Vater, den er im Kerker
seines Schlosses schmachtend Findet
Ich besaß es doch einmal, was so
und von dem er glaubt, daß es sich um
köstlich ist!
den ruhelosen Geist des toten Vaters
Wer mit diesen Worten das Ende, den handelt. Schaudernd fordert er ihn auf
Verlust von etwas beklagt, zitiert aus der zu sprechen: „Rede, rede! Ich bin der

216
Teil I ich

Mann der bleichen Furcht nicht.“ - galant, Madame“ scherzhaft abwandelt.


Man kann das Zitat scherzhaft verwen¬ (Das Tangolied „Ich küsse Ihre Hand,
den, um zu erkennen zu geben, daß man Madame ...“ wurde 1928 von Fritz Rot-
sich vor etwas nicht fürchtet. ter und Ralph Erwin geschrieben und
besonders durch Richard Taubers Inter¬
t Ach, ich bin des Treibens müde pretation populär.) Der Filmtitel wird
gelegentlich zitiert, um eigenes tolpat¬
Ich bin des trocknen Tons nun satt schiges oder unkonventionelles Verhal¬
Im ersten Teil von Goethes Faust gibt ten gegenüber einer (umworbenen) Frau
Mephisto in der sogenannten Schüler¬ selbstironisch zu kommentieren.
szene (Studierzimmer 2) dem studierwil¬
ligen Schüler eine ironisch-satirische Ich bin ein freier Mann und singe
Darstellung der Hochschulfakultäten Man gebraucht dieses Zitat, wenn man
Jura und Theologie. Als er dann auf Bit¬ zum Ausdruck bringen möchte, daß
ten des Schülers noch über die Medizin man großen Wert darauf legt, freiheraus
„ein kräftig Wörtchen“ sagen soll (siehe und unbekümmert sagen zu können,
auch „Der Geist der Medizin ist leicht was man denkt, obwohl es manchmal
zu fassen“), wird er zynisch und deutet vielleicht opportun wäre, sich mit seiner
dies durch die beiseite gesprochenen eigenen Meinung mehr zurückzuhalten.
Worte an: „Ich bin des trocknen Tons Es stammt aus Georg Herweghs
nun satt,/Muß wieder recht den Teufel (1817-1875) Gedicht „Leicht Gepäck“,
spielen.“ Man zitiert diese Worte heute, das mit den Versen beginnt: „Ich bin ein
wenn man der Ansicht ist, man habe freier Mann und singe/Mich wohl in
sich lange genug in sachlichen und keine Fürstengruft,/Und alles, was ich
nüchternen Ausführungen ergangen. mir erringe,/Ist Gottes freie Himmels¬
luft.“ Sämtliche Strophen enden mit
Ich bin die Christel von der Post dem ebenfalls oft zitierten Satz: „Mein
Die t Christel von der Post ganzer Reichtum ist mein Lied.“

Ich bin ein Berliner Ich bin ein Gast auf Erden
Bei einem Besuch des nach dem Mauer¬
t Gast auf Erden
bau geteilten Berlins am 26. 6. 1963 be¬
kannte sich der amerikanische Präsident
t Denn ich bin ein Mensch gewe¬
John F. Kennedy (1917-1963) in einer
sen, und das heißt ein Kämpfer
Rede vor dem Schöneberger Rathaus
zur Freiheit Berlins mit den Worten:
sein
„Der stolzeste Satz, den man heute in
der freien Welt sagen kann, heißt: ,Ich Ich bin ein Mensch, nichts
bin ein Berliner.“ Deshalb bin ich als Menschliches ist mir fremd
freier Mensch stolz darauf, sagen zu Diese Sentenz lautet in ihrer ursprüng¬
dürfen: Auch ich bin ein Berliner.“ Die¬ lich lateinischen Form: Homo sum,
ser Ausspruch, den Kennedy in deutsch humani nil a me alienum puto. Sie
vortrug, spielt auf das lateinische Civis stammt aus der Komödie „Heautonti-
Romanus sum („Ich bin ein römischer morumenos“ („Der Selbstquäler“) des
Bürger“) an. Man zitiert ihn, wenn man lateinischen Komödiendichters Terenz
sich als Nichtberliner mit Berlin verbun¬ (um 190-159 v. Chr.). Hier wird dem
den fühlt, am Schicksal dieser Stadt An¬ Helden des Stücks auf die an seinen
teil nimmt. Nachbarn gerichtete Frage, ob er denn
soviel Zeit habe, sich um die Probleme
Ich bin ein Elefant, Madame anderer Menschen zu kümmern, dies als
Dies ist der Titel eines deutschen Spiel¬ Antwort zuteil. Das Stück des Terenz
films aus dem Jahre 1968 (Regie: Peter geht auf eine verlorengegangene Komö¬
Zadek), der die Schlagerzeilen „Ich küs¬ die des griechischen Komödiendichters
se Ihre Hand, Madame, ... ich bin ja so Menander (um 342-290 v. Chr.) zurück,

217
ich Teil I

dessen Titel Terenz für sein Stück über¬ ner-Hochstädt. Der Fremde, der ins
nommen hat. Der Ausspruch war schon Schloß de Weert kommt, versteckt sich
in der Antike zum geflügelten Wort ge¬ zunächst hinter der Mitteilung, „nur ein
worden. Man findet ihn u. a. im Werk armer Wandergesell“ zu sein: „Ich bin
von Cicero und Seneca zitiert. - Mit nur ein armer Wandergesell,/Gute
dem Zitat deutet man jemandem an, Nacht, liebes Mädel, gut’ Nacht.“ - Das
daß man Verständnis für seine Schwä¬ Zitat kann dazu dienen, sich der Frage
chen hat, oder man gibt damit eigene nach der eigenen Identität scherzhaft zu
Schwächen zu. entziehen oder darauf hinzuweisen, daß
man sich nur vorübergehend an einem
Ich bin es müde, über Sklaven zu Ort aufzuhalten gedenkt.
herrschen
t Mit Verlaub, ich bin so frei
Diesen Satz soll Friedrich der Große
(Regierungszeit 1740-1786) in einer An¬
Ich bin so satt, ich mag kein Blatt
weisung an sein Kabinett kurz vor sei¬
nem Tode geschrieben haben. Er ist Dieses Zitat stammt aus dem Märchen
charakteristisch für diesen Monarchen, „Tischchen deck dich, Goldesel und
der für die geistigen Strömungen seiner Knüppel aus dem Sack“ der Brüder
Zeit durchaus aufgeschlossen war, was Grimm. Die Ziege eines Schneiders, die
seine Reformansätze im Heer-, Rechts¬ von seinen Söhnen auf die Weide ge¬
und Verwaltungswesen belegen (1777 führt wird, antwortet abends auf die
Aufhebung der Leibeigenschaft). Ande¬ Frage, ob sie auch satt geworden sei, mit
rerseits kann diese Äußerung aber auch den Worten: „Ich bin so satt, ich mag
als bezeichnend für seine im Alter im¬ kein Blatt, meh, meh!“ Zu Hause im
mer stärker zutage tretende negative Be¬ Stall dagegen sagt sie zu dem Schneider:
urteilung der menschlichen Natur ange¬ „Wovon sollt’ ich satt sein? Ich sprang
sehen werden. nur über Gräbelein und fand kein einzig
Blättelein, meh, meh!“ Heute wird das
Ich bin kein ausgeklügelt Buch Zitat gebraucht, wenn man aufgefordert
wird, doch noch etwas zu essen, und
Ein t Mensch in seinem Widerspruch
zum Ausdruck bringen will, daß man
wirklich satt ist.
Ich bin nicht in der Gebelaune heut
Das Zitat - im Original I am not in the Ich bin so wild nach deinem Erd¬
giving vein to-day - stammt aus Shake¬ beermund
speares Tragödie „Richard III.“ (IV, 2).
Die Werke des französischen Dichters
Es ist dort des Königs Entgegnung, als
Francois Villon (um 1431-um 1463) ha¬
ihn der Herzog von Buckingham mehr¬
ben den deutschen Schriftsteller und
mals an sein Versprechen erinnert,
Übersetzer Paul Zech (1881-1946) zu
Buckingham die Grafschaft Hereford
freien Nachdichtungen angeregt, die
dafür zu geben, daß er Richard auf den
unter dem Titel „Die lasterhaften Balla¬
Thron half. Üblich ist heute die Aus¬
den und Lieder des Franz Villon“ veröf¬
drucksweise „in Geberlaune sein“, wo¬
fentlicht wurden. Dabei geht nur ein
mit man eine (momentane) Neigung zur
Teil der Texte tatsächlich auf Villon zu¬
Großzügigkeit anspricht.
rück, die anderen hat Zech - ohne sie zu
kennzeichnen - „hinzugedichtet“. Zu
Ich bin nur ein armer Wandergesell
letzteren gehört auch das Gedicht „Ich
Das so beginnende, bekannte Lied bin so wild nach deinem Erdbeer-
stammt aus der Operette „Der Vetter mund“, das durch die Rezitationsauf¬
aus Dingsda“ von Eduard Künneke tritte des Schauspielers Klaus Kinski
(1885-1953). Das Textbuch der 1920 sehr bekannt wurde. Kinski übernahm
uraufgeführten Operette schrieben Her¬ den Titel des vermeintlichen Villon-Ge-
mann Haller und (Rideamus) Fritz Oli¬ dichts für seine 1975 erschienene Auto¬
ven nach einem Lustspiel von M. Kemp- biographie, in der er sein exzentrisches

218
Teil I ich

Leben und seine sexuellen Erlebnisse in nem Gespräch mit dem Fernsehjourna¬
unverhüllter Sprache beschreibt. listen Friedrich Nowottny für die ARD-
Tagesschau seine Reaktion auf die für
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe ihn unvorhergesehene negative Wende
eingestellt in der Diskussion um die Steuerreform
Mit diesem Chanson aus dem 1930 ent¬ mit den Worten beschrieb: „Ich dacht’,
standenen Film „Der blaue Engel“ wur¬ mich tritt ein Pferd.“ In dem 1973 er¬
de Marlene Dietrich in der Rolle einer schienenen Buch „Die neuen Leiden
des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf
lasziven Barsängerin berühmt. Es
stammt aus der Feder von Friedrich heißt es: „Ich dachte, mich tritt ein
Pferd und streift ein Bus und alles zu¬
Hollaender, der die Filmmusik zu die¬
sem Kinoklassiker schrieb. Wenn je¬ sammen.“ Es existieren zahlreiche Ab¬
wandlungen wie „ich denk’, mich küßt
mand sich ganz und gar einer Sache ver¬
ein Elch“ oder „ich denk’, ich steh’ im
schrieben hat, wird das Zitat heute auch
Wald“, mit denen man in salopper Re¬
mit wechselnder Ergänzung gebraucht,
deweise zum Ausdruck bringt, daß man
indem der Betroffene sagt: „Ich bin von
über etwas äußerst überrascht ist, etwas
Kopf bis Fuß auf... eingestellt.“
so nicht für möglich gehalten hat.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu
jung, um ohne Wunsch zu sein Ich denke, also bin ich
t Cogito, ergo sum
Mit diesen Worten beklagt der alte
Faust (Goethe, Faust I, Studierzimmer)
aus einer resignativen Haltung heraus Ich denke einen langen Schlaf zu
seine Lebenssituation, bevor er den Pakt tun
mit dem Teufel eingeht. Diese Worte Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬
sind auch in der heutigen Zeit geeignet, ma „Wallensteins Tod“ (V, 5). Erschöpft
die Lebenskrise vieler Menschen zu wünscht Wallenstein seinem Kammer¬
charakterisieren. diener sowie Seni und Gordon, die ihn
verzweifelt bedrängt haben, sich nicht
Ich danke dir, Gott, daß ich nicht mit den Schweden einzulassen, eine gu¬
bin wie die andern Leute te Nacht und zieht sich mit den Worten
Der Vers aus dem Lukasevangelium zurück: „Ich denke einen langen Schlaf
(Lukas 18,11) lautet vollständig: „Ich zu tun,/Denn dieser letzten Tage Qual
danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie war groß,/Sorgt, daß sie nicht zu zeitig
die andern Leute, Räuber, Ungerechte, mich erwecken.“ In Situationen starker
Ehebrecher oder auch wie dieser Zöll¬ Ermüdung, in denen man das Bedürfnis
ner.“ Im Unterschied zum Zöllner, der hat, sich durch einen längeren Schlaf zu
sich seiner Fehler bewußt ist, ist der regenerieren, wird das Zitat heute noch
Pharisäer voll Selbstgerechtigkeit und verwendet.
Selbstüberhebung. Seine Worte werden
oft zur Kennzeichnung eines allzu sehr Ich erwachte eines Morgens und
von sich überzeugten Menschen ver¬ fand, daß ich berühmt war
wendet, der sich urteilend über andere In den Jahren 1812 bis 1818 erschien
erhebt. Sie bringen meist Spott oder das Versepos „Childe Harold’s Pilgri-
auch Unwillen des Sprechers zum Aus¬ mage“ des englischen Dichters Lord
druck (siehe auch den Artikel „Gott, sei George Gordon Noel Byron (1788 bis
mir Sünder gnädig!“). 1824). (Eine deutsche Übersetzung wur¬
de 1836 unter dem Titel „Ritter Harolds
Ich denk’, mich tritt ein Pferd Pilgerfahrt“ herausgegeben.) Die Veröf¬
Diese umgangssprachliche Redensart fentlichung der ersten beiden Gesänge
wurde durch eine Äußerung des frühe¬ („Cantos“) machten den Autor über
ren Finanzministers Hans Apel beson¬ Nacht berühmt. Dies behauptet zumin¬
ders populär, der im Jahre 1975 in ei¬ dest sein enger Freund und Biograph,

219
ich Teil I

der irische Dichter Thomas Moore Ich grüße dich, du einzige Phiole
(1779-1852), der in seinem „Life of
Mit diesen Worten bezieht sich Faust in
Byron“ die Worte Byrons I awoke one Goethes gleichnamigem Drama (Teil I,
morning and found myself famous über¬
Nacht) auf eine bauchige Giftflasche in
liefert. Das Zitat wird gelegentlich seinem Arbeitszimmer. Beim Anblick
verwendet, wenn eine berühmte Persön¬
einer Trinkschale, in die er den Inhalt
lichkeit im Nachhinein mit - oft gespiel¬
dieser Phiole entleeren will, sinniert er
ter - Verwunderung feststellt, wie rasch
in einem Monolog über die vielfältige
sie ihre Berühmtheit erlangt hat.
Wirkung des Alkohols und über geselli¬
ge Trinkrunden von früher. Wenn man
Ich fühle eine Armee in meiner Lust verspürt, ein alkoholisches Ge¬
Faust tränk zu sich zu nehmen, und erst nach
längerem Suchen gerade noch eine
Bei diesem der Demonstration eigener
Flasche findet, kann man gelegentlich
Macht und Stärke dienenden Zitat han¬
scherzhaft diese Worte zitieren.
delt es sich um die freudig ausgerufenen
Worte des Karl Moor in Schillers
Schauspiel „Die Räuber“ am Ende des Ich hab’ es getragen sieben Jahr
zweiten Aktes. Der Hauptmann und sei¬
Mit den Versen „Ich hab’ es getragen
ne „Räuber“ haben sich wieder zusam¬
sieben Jahr/Und ich kann es nicht tra¬
mengeschlossen und brechen auf zu
gen mehr!“ beginnt Theodor Fontanes
neuen Taten.
(1819-1898) Ballade „Archibald Dou¬
glas“. Graf Archibald spricht damit sei¬
Ich geh’ aus, und du bleibst da ne für ihn unerträglich gewordene, be¬
t Konrad, sprach die Frau Mama reits sieben Jahre währende Verban¬
nung aus seiner Heimat und vom Hofe
des schottischen Königs Jakob an. Man
Ich ging im Walde so für mich hin zitiert die Anfangszeile meist scherzhaft,
Dieses Zitat stammt aus Goethes Ge¬ wenn man seinem Herzen nach einer
dicht „Gefunden“ aus dem Jahre 1813, langen Zeit, in der man etwas still¬
das er seiner Frau Christiane gewidmet schweigend ertragen hat, endlich einmal
hat. Die erste Strophe lautet: „Ich ging Luft machen möchte.
im Walde/So für mich hin,/Und nichts
zu suchen,/Das war mein Sinn.“ Gele¬
gentlich zitiert man diese Worte als Ich hab’ getan, was ich nicht lassen
scherzhafte Einleitung, wenn man über konnte
eine unverhoffte Begegnung oder Ent¬ In der ersten Szene von Schillers „Wil¬
deckung bei einem [Wald]spaziergang helm Teil“ entschließt sich Teil, Baum¬
berichten will. garten vor den Reitern des Landvogts zu
schützen, indem er ihn trotz eines dro¬
henden Unwetters mit einem Kahn zum
Ich grolle nicht, und wenn das Herz
rettenden anderen Ufer des Vierwald¬
auch bricht
stätter Sees bringt. Sollte er von der
Das Zitat ist der Anfang eines Gedichtes Fahrt nicht lebend zurückkehren, so soll
aus Heinrich Heines (1797-1856) „Lyri¬ man seine Frau trösten; er kommentiert
schem Intermezzo“, dem 2. Zyklus des sein Handeln in einer vorweggenomme¬
„Buches der Lieder“. Größere Bekannt¬ nen Rückschau mit den Worten „Ich
heit hat das Gedicht als siebentes Lied hab' getan, was ich nicht lassen konn¬
von Robert Schumanns (1810-1856) te“. Zur Rechtfertigung einer umstritte¬
Zyklus „Dichterliebe“ erlangt. Man ge¬ nen Handlungsweise wird das Zitat
braucht das Zitat meist scherzhaft-iro¬ auch heute noch verwendet. Sehr häufig
nisch, um auszudrücken, daß man trotz ist auch die an einen anderen gerichtete
einiger Berechtigung keinen Groll ge¬ resignierende Aufforderung „Tu, was
gen jemanden hegen will. du nicht lassen kannst“.

220
Teil I ich

Ich hab’ hier bloß ein Amt und auf die Frage antworten, woher man das
keine Meinung Geld für eine größere Neuanschaffung
o.ä. genommen habe.
Der Satz stammt aus Schillers „Wallen¬
stein“ (Wallensteins Tod, 1,5). Es ist die
Antwort, mit der sich der als schwedi¬
t Ach, ich hab’ sie ja nur auf die
scher Unterhändler auftretende Oberst Schulter geküßt
Wrangel, von Wallenstein nach seiner
Meinung befragt, einer persönlichen Ich habe das Meinige getan
Stellungnahme entzieht. Das Zitat dient Schillers Drama „Don Kariös“ (1787)
gelegentlich auch heute noch als aus¬ endet mit diesen Worten. Damit über¬
weichende Antwort auf eine Frage, antwortet der König seinen Sohn, der
die jemand nicht mit einer persönli¬ zweifach Verrat an ihm geübt hat, dem
chen Meinungsäußerung beantworten Großinquisitor: „Kardinal, ich habe das
möchte. Meinige getan. Tun Sie das Ihre.“ -
Man verwendet das Zitat, um auszu¬
Ich hab’ mein Herz in Heidelberg drücken, daß man in einem bestimmten
verloren Zusammenhang getan hat, was man tun
konnte oder was man zu tun für nötig
Dies ist der Titel eines sehr bekannten
hielt (und daß man weiteres nicht zu tun
Schlagers von Fred Raymond aus dem
gedenkt).
Jahre 1925, zu dem Raymond zwei Jahre
später auch eine Operette (mit demsel¬
Ich habe einen Traum
ben Titel) schrieb. Ein Unterhaitungs-
film aus dem Jahre 1952, für den Schla¬ 11 have a dream
ger und Titel ebenfalls verwendet wur¬
den, sorgte für eine weitere Verbreitung Ich habe gelebt und geliebet
dieser Worte, die man - auch mit ande¬ t Ich habe genossen das irdische Glück
rem Ortsnamen - zitieren kann, wenn
man an eine Stadt, einen Ort erinnern Ich habe genossen das irdische
will, wo man sich in jemanden verliebt Glück, ich habe gelebt und geliebet
hat. Mit diesen Zeilen zitieren wir die beiden
letzten Verse der 2. Strophe von Fried¬
Ich hab’ mein Sach’ auf nichts ge¬ rich Schillers Gedicht „Des Mädchens
stellt Klage“, das gekürzt auch in die „Picco¬
Bei diesem Zitat handelt es sich um den lomini“ (III, 7) als „Theklas Lied“ auf¬
ersten Vers des Liedes „Vanitas! Vanita- genommen wurde. Das Mädchen sehnt
tum vanitas!“, mit dem Goethe das Kir¬ sich (nach dem Tod des Geliebten) aus
chenlied „Ich hab’ mein Sach’ Gott dem Leben fort - „Du Heilige, rufe dein
heimgestellt“ von Johannes Pappus Kind zurück ...!“ -, da mit der Liebe
(1549-1610) parodiert. Wenn man sich auch das Leben für sie zu Ende ist und
nur auf sich selbst angewiesen fühlt und nur in der Einheit von Leben und Liebe
losgelöst von jeglichen Bindungen sich das irdische Glück bestand. Durch
selbst genug ist, kann man dies mit dem Franz Schuberts Vertonung von 1816
Zitat zum Ausdruck bringen. hat das Gedicht zusätzliche Popularität
erlangt. Das Zitat könnte als Motto
Ich hab’ meine Tante geschlachtet einer Autobiographie vorangestellt wer¬
den oder jemandes wehmütige Erinne¬
Mit dieser Zeile beginnen die erste und
rung an vergangene glückliche Tage
die letzte Strophe des Bänkelliedes „Der
zum Ausdruck bringen.
Tantenmörder“ von Frank Wedekind
(1864-1918). Wedekind trat mit solchen
Ich habe jetzt keine Zeit, müde zu
Liedern, der er zur Laute vortrug, in den
Münchner Cabarets „Elf Scharfrichter“ sein
und „Simplicissimus“ auf. - Mit dem Dies sollen die letzten zusammenhän¬
Zitat kann man zum Beispiel scherzhaft genden Worte gewesen sein, die Kaiser

221
ich Teil I

Wilhelm I. (1797-1888) vor seinem To¬ wird heute noch gebraucht, wenn man
de geäußert hat. In Situationen der An¬ ein Ziel verfehlt hat und dennoch stolz
spannung, in denen man glaubt, trotz darauf ist, alles versucht zu haben, wenn
Erschöpfung noch wichtige Dinge erle¬ man ein hohes Risiko eingegangen ist,
digen zu müssen, die keinen Aufschub ohne Gefahren zu scheuen.
dulden und daher den Gedanken an ei¬
ne Ruhepause nicht aufkommen lassen, Ich hatt’ einen Kameraden
wird dieses Zitat heute gebraucht. Mit diesen Worten beginnt das später
nach einer Volksweise vertonte Gedicht
Ich habe nur ein Vaterland, das „Der gute Kamerad“ von Ludwig Uh-
heißt Deutschland land (1787-1862). Das Lied wird heute
Als überzeugter Gegner eines Partikula¬ noch bei Gedenkfeiern für Kriegstote,
rismus in Deutschland schrieb der preu¬ aber auch häufig bei feierlichen Begräb¬
ßische Reformer Heinrich Friedrich nissen gespielt, bei denen die kamerad¬
Karl vom und zum Stein dem hannover¬ schaftliche Verbundenheit mit dem
schen Reichsgrafen Ernst zu Münster Toten besonders hervorgehoben werden
im Jahre 1812 einen Brief, aus dem die¬ soll (siehe auch „Als wär’s ein Stück von
ses Zitat stammt. Wenn man heute (mit mir“).
einem gewissen Pathos) darauf abheben
will, daß man in Deutschland und nicht Ich hatte einst ein schönes Vater¬
nur in der Region Deutschlands, wo land
man geboren wurde, seine Heimat sieht, Dieses Zitat stammt aus Heinrich Hei¬
zitiert man diese Worte. nes (1797-1856) dreiteiligem Gedicht
„In der Fremde“, in dem er sich in sei¬
Ich habe schon so viel für dich ge¬ nem Pariser Exil wehmütig an sein
tan Deutschland erinnert. Wenn man sich
Mit diesen Worten reagiert Margarete in erst fern der Heimat der Vorzüge seines
Goethes Faust (Teil I, Marthens Garten) Herkunftlandes bewußt wird oder sei¬
resignierend auf den von Faust geäußer¬ nem Land, wie es früher einmal war,
ten Wunsch, sie möge ihrer Mutter ein nachtrauert, verwendet man dieses
Schlafmittel verabreichen, damit er sie Heine-Zitat.
in der Nacht unauffällig besuchen kann.
Wenn man sich nach Kräften bemüht Ich kam, ich sah, ich siegte
hat, jemandem behilflich zu sein, ihm Dieser Ausspruch im Sinne von „das
schon manchen Gefallen getan hat, war ein überaus rascher Erfolg; kaum
bringt man mit diesem Zitat zum Aus¬ angekommen, schon erfolgreich“ geht
druck, daß man innerlich kaum noch nach der Cäsarbiographie, Kapitel 50,
bereit ist, sich ein weiteres Mal für ihn von Plutarch (46-125) auf Gajus Julius
einzusetzen. Cäsar zurück. Dieser soll seinem
Freund Amicitius in Rom seinen Blitz¬
Ich hab’s gewagt sieg über Pharnakes II. bei Zela im Jah¬
Dieser Satz gilt als Wahlspruch des re 47 v. Chr. mit den entsprechenden
deutschen Humanisten und politischen lateinischen Worten Veni, vidi, vici mit¬
Publizisten Ulrich von Hutten (1488 bis geteilt haben.
1523), der ihn im Sinne von Cäsars „Die
Würfel sind gefallen“ mehrfach in sei¬ Ich kann allem widerstehen, nur
nen Schriften und Gedichten verwende¬ nicht der Versuchung
te. Dabei greift von Hutten möglicher¬ In Oscar Wildes Komödie „Lady Win-
weise auf den griechischen Dichter dermeres Fächer“ (englischer Titel:
Äschylus zurück, der dem Titelhelden „Lady Windermere’s Fan“; Urauffüh¬
seiner Tragödie „Der gefesselte Prome¬ rung 1892) beginnt der erste Akt mit
theus“ die Worte „Ich aber hab’s ge¬ einem kleinen Streitgespräch zwischen
wagt“ in den Mund legt. Das Zitat Lady Windermere und Lord Darling-

222
Teil I ich

ton. Sie bittet ihn, sie mit seinen Kom¬ Ich kann schreiben links, ich kann
plimenten zu verschonen, und als er sie schreiben rechts
dennoch „eine ganz bezaubernde Puri¬
Diese Kritik an einem Journalisten, der
tanerin“ nennt, antwortet sie streng:
konträre politische Richtungen unter¬
„Das Eigenschaftswort war überflüssig,
stützt, hat ihren Ursprung in Gustav
Lord Darlington.“ Zu seiner Entschul¬
Freytags (1816-1895) Lustspiel „Die
digung sagt er: „Ich kann nichts dafür.
Journalisten“ (II, 2). Darin sagt die Ge¬
Ich kann allem widerstehen, nur nicht
stalt des Schmock von sich selbst: „Ich
der Versuchung.“ - Man zitiert diese
habe geschrieben links und wieder
Worte meist als scherzhaften Kommen¬
rechts. Ich kann schreiben nach jeder
tar, wenn man zum Beispiel ein angebo¬
Richtung.“
tenes Getränk, eine Leckerei oder ähnli¬
ches annimmt.
Ich kann’s nicht fassen
Ich kann den Blick nicht von euch In Situationen positiver oder negativer
Überraschungen wird mit diesen Wor¬
wenden
ten ausgedrückt, daß man ein Ereignis
Mit dieser Zeile beginnt ein Gedicht oder einen Umstand in all seinen Aus¬
von Ferdinand Freiligrath mit dem Titel
wirkungen noch gar nicht richtig begrei¬
„Die Auswanderer“. Es entstand 1832 fen kann. Sie finden sich in den Versen
in Amsterdam, wo Freiligrath zeitweise „Ich kann’s nicht fassen, nicht glau-
lebte und wo er deutsche Auswanderer, ben,/Es hat ein Traum mich berückt“,
die sich nach Amerika einschifften, be¬ mit denen das dritte Gedicht aus „Frau-
obachtet hatte. - Das Zitat drückt die en-Liebe und -Leben“ von Adelbert von
Faszination aus, mit der der Sprecher Chamisso (1781-1838) beginnt, das
ihn interessierende oder seine Teilnah¬ auch in der Vertonung von Robert Schu¬
me erweckende Personen betrachtet mann bekannt wurde.
oder auch seine Bewunderung für je¬
mandes blendende Erscheinung.
Ich kenne die Weise, ich kenne den
Text
Ich kann gar nicht so viel fressen,
In Heinrich Heines (1797-1856) Ge¬
wie ich kotzen möchte
dichtzyklus „Deutschland. Ein Winter¬
Dieser drastische Ausdruck des Mißfal¬ märchen“ (Kaput I, 8. Strophe) finden
lens geht auf den im nationalsozialisti¬ sich die Zeilen „Ich kenne die Weise,
schen Deutschland verfemten Maler ich kenne den Text,/Ich kenn’ auch die
Max Liebermann (1847-1935) zurück. Herren Verfasser;/Ich weiß, sie tranken
Von ihm wird diese Äußerung in der heimlich Wein/Und predigten öffent¬
Form „Ich kann gar nicht so viel essen, lich Wasser.“ Die „Herren Verfasser“
wie ich kotzen möchte“ überliefert. Sie sind die Verfasser des „Entsagungslie¬
bezog sich auf seinen Abscheu vor den des“, das der Dichter bei seiner Rück¬
Nationalsozialisten und ihren Taten. kehr nach Deutschland ein „kleines
Harfenmädchen“ singen hört. Mit die¬
Ich kann nicht Fürstendiener sein sem Lied vom irdischen Jammertal lullt
Diese stolzen Worte spricht der Marquis man das Volk ein. Die Herrschenden in
von Posa in Schillers Drama „Don Kar- Staat und Kirche predigen dem Volk
los“ (III, 10). Er lehnt es als freier Mal¬ „Wasser“, während sie sich den „Wein“
teserritter dem spanischen König Phil¬ Vorbehalten. Die Diskrepanz zwischen
ipp II. gegenüber gleich zweimal ab, in dem, was man andern abverlangt, und
dessen Dienste zu treten. Heute bringt dem, was man sich selber zubilligt, läßt
man mit dem Zitat zum Ausdruck, daß sich mit diesem Zitat in vielfältigem Zu¬
man lieber auf Vorteile und Annehm¬ sammenhang veranschaulichen. Der
lichkeiten verzichtet, als seine persönli¬ Anfang wird auch gelegentlich allein zi¬
che Unabhängigkeit aufgeben zu müs¬ tiert, wenn man zum Beispiel jemandes
sen. allzu bekannten (und längst durch-

223
ich Teil I

schauten) Standpunkt ablehnend kom¬ dichts in die Drohung um: „Und bist du
mentieren möchte. nicht willig, so brauch’ ich Gewalt!“ -
Der heute wohl nur noch scherzhaft zi¬
Ich kenne keine Parteien mehr tierte Vers kann die starke Anziehungs¬
Dieses Zitat stammt von Kaiser Wil¬ kraft verdeutlichen, die jemand auf
helm II., der angesichts des bevorste¬ einen anderen durch sein attraktives
henden Kriegsbeginns am 4. 8. 1914 bei Äußeres ausübt.
der außerordentlichen Sitzung des
Reichstages in Berlin gesagt hat: „Ich Ich liebe dir, ich liebe dich
kenne keine Parteien mehr, ich kenne In Anspielung darauf, daß im Berlini¬
nur Deutsche.“ Drei Tage zuvor hatte er schen oft der Akkusativ mit dem Dativ
diesen Gedanken in einer Ansprache an verwechselt wird, zitiert man häufig die
das Volk vor dem Königlichen Schloß folgenden Zeilen aus dem Gedicht „Mir
schon einmal geäußert: „In dem bevor¬ und mich“: „Ich liebe dir, ich liebe
stehenden Kampfe kenne ich in meinem dich!/Wie’s richtig ist, das weeß ich
Volke keine Parteien mehr. Es gibt unter nich/Un is mich ooch Pomade/.../Ich
uns nur noch Deutsche.“ In Situatio¬ lieb’ nich uffn dritten Fall,/Ich lieb’
nen, in denen man eine Gruppe von nich uffn vierten Fall,/Ich lieb’ uf alle
Leuten mit den verschiedensten Interes¬ Fälle!“ Das Gedicht soll von dem Berli¬
sen anspricht, die man für eine wichtige ner Hofschauspieler Johann Ferdinand
gemeinsame Sache zu gewinnen sucht, Rüthling (1793-1849) verfaßt worden
soll mit dem Zitat zum Ausdruck ge¬ sein.
bracht werden, daß man nur mit verein¬
ten Kräften (und unter Hintanstellung Ich liebe eine gesinnungsvolle Op¬
persönlicher Ziele) Erfolg haben kann. position
Mit diesen Worten versuchte der preu¬
Ich klage an!
ßische König Friedrich Wilhelm IV. an¬
In dem berühmten Dreyfus-Prozeß En¬ läßlich einer Audienz am 19. 11. 1842
de des 19. Jahrhunderts ergriff der fran¬ dem Lyriker Georg Herwegh, der wegen
zösische Schriftsteller Emile Zola seiner „Gedichte eines Lebendigen“ als
(1840-1902) die Partei des angeklagten Idol des jungen revolutionären
jüdischen Generalstabsoffiziers Alfred Deutschlands galt, ein Kompliment zu
Dreyfus. In einem offenen Brief an den machen. Heute noch bringt man mit
französischen Präsidenten beschuldigte dem Zitat in bezug auf Andersdenkende
er das Kriegsgericht, ein Fehlurteil auf seinen Respekt zum Ausdruck, wenn
Grund von Vorurteilen gefällt zu haben. man deren Haltung auf Grund ihrer gei¬
Dem in der Zeitschrift „Aurore“ am stigen und sittlichen Grundeinstellung
13. 1. 1898 publizierten Brief gab er die zu schätzen weiß.
Überschrift J’accuse! („Ich klage
an!“). - Man zitiert diesen emphati¬ Ich muß euch sagen, es weihnach¬
schen Ausruf, um einer Kritik, einem tet sehr
Anprangern von Mißständen ein beson¬
t Von drauß’ vom Walde komm' ich her
deres [moralisches] Gewicht zu geben.

Ich küsse Ihre Hand, Madame ... Ich sage wenig, denke desto mehr
Wenn man ausdrücken will, daß man
t Ich bin ein Elefant, Madame
sich seine eigenen Gedanken zu etwas
macht, ohne sie jedoch als Kritik laut
Ich liebe dich, mich reizt deine
werden zu lassen, zitiert man diese Wor¬
schöne Gestalt
te, die Lord Gloucester (Gloster) im
Mit diesen Worten finden die Lockun¬ dritten Teil von Shakespeares histori¬
gen des „Erlkönigs“ in Goethes gleich¬ schem Drama „Heinrich VI.“ spricht
namiger Ballade ihren Höhepunkt; sie (IV, 1; im vollständigen englischen Ori¬
schlagen in der folgenden Zeile des Ge¬ ginal I hear, yet say not much, but think

224
Teil I ich

the more). Er kommentiert damit - für Ich schnitt es gern in alle Rinden
die Umstehenden nicht hörbar - die ein
Ankündigung König Eduards, seines
Dieses Zitat stammt aus Wilhelm Mül¬
Bruders, mit Gewalt gegen die vorzuge¬
lers (1794-1827) Gedichtzyklus „Die
hen, die seiner Gemahlin, Lady Grey,
schöne Müllerin“, dessen mit „Unge¬
den ihr zustehenden Respekt verweiger¬
ten. duld“ überschriebenes siebtes Gedicht
in der Vertonung von Franz Schubert
bekannt wurde. Die erste Strophe be¬
Ich sah des Sommers letzte Rose
ginnt mit „Ich schnitt es gern in alle Rin¬
stehn den ein“ und endet wie alle anderen
Die t letzte Rose Strophen auch mit der Botschaft „Dein
ist mein Herz und soll es ewig bleiben!“
Ich saz üf eine steine Heute wird mit dem Zitat (meist in der
ersten euphorischen Phase des Verliebt¬
Mit diesem Vers beginnt das wohl be¬
seins) gelegentlich noch zum Ausdruck
kannteste Gedicht des mittelalterlichen
gebracht, daß man aller Welt mitteilen
Dichters Walther von der Vogelweide
möchte, den richtigen Partner fürs Le¬
(1170-1230). Er wird heute noch gele¬
ben gefunden zu haben.
gentlich zitiert, um eine besinnliche Si¬
tuation zu beschreiben, in der man allei¬
Ich sei, gewährt mir die Bitte, in
ne irgendwo in Ruhe gesessen hat, um
über sich selbst nachzudenken oder um
eurem Bunde der Dritte
sich Gedanken über Dinge zu machen, Der t Dritte im Bunde
die einen innerlich bewegen.
Ich singe, wie der Vogel singt
Ich seh’ dir in die Augen, Kleines Dieses Zitat stammt aus dem 11. Kapitel
Kaum ein Film verdient die Bezeich¬ des 2. Buches von Goethes „Wilhelm
nung „Kultfilm“ so sehr wie „Casablan¬ Meisters Lehrjahre“. In der vorletzten
ca“, der 1942 mit Humphrey Bogart und Strophe seines Liedes bringt ein Harfen¬
Ingrid Bergman in den Hauptrollen ge¬ spieler, den Wilhelm für sein schönes
dreht wurde. In der deutschen Syn¬ Spiel belohnen möchte, zum Ausdruck,
chronfassung von 1975 sagt die Hauptfi¬ daß es ihm keineswegs um materiellen
gur Rick (Bogart) mehrfach zu der von Dank zu tun ist: „Ich singe, wie der Vo¬
ihm geliebten Ilsa (Bergman) „Ich seh’ gel singt,/Der in den Zweigen wohnet./
dir in die Augen, Kleines“ - eine For¬ Das Lied, das aus der Kehle dringt,/Ist
mulierung, die mit dem englischen Ori¬ Lohn der reichlich lohnet.“ Heute wird
ginaltext Here’s looking atyou, kid kaum mit dem Zitat ausgedrückt, daß man un¬
etwas zu tun hat, denn das heißt auf beschwert Freude am Gesang hat oder
deutsch soviel wie „Hoch die Tassen, daß man dazu neigt, unbekümmert, frei¬
Kleines“ oder einfach „Prost, Kleines“. heraus und ohne Ziererei zu sprechen
(vergleiche auch „Ich bin ein freier
Die „falsche“ Übersetzung paßte nach
Mann und singe“).
Ansicht des Synchronregisseurs gut zur
Situation und zum Bildausschnitt; er
ahnte wohl nicht, daß er damit einen der
Ich tanze mit dir in den Himmel
in Deutschland meistzitierten Filmtexte hinein
geschaffen hatte. Sowohl die Werbung Mit dem Satz „Ich tanze mit dir in den
als auch der allgemeine Sprachgebrauch Himmel hinein, in den siebenten Him¬
verwenden den Satz - oft auch abge¬ mel der Liebe“ beginnt die Refrainstro¬
wandelt, zum Beispiel zu „Schau mir in phe eines immer noch bekannten Schla¬
die Augen, Kleines“ -, um mehr oder gers (Text: Fritz Beckmann, Musik:
weniger bedeutungsvolle Situationen zu Friedrich Schröder), der in dem Film
kommentieren, in denen man jemanden „Sieben Ohrfeigen“ (1937) von Lilian
oder etwas mehr oder weniger bedeu¬ Harvey und Willy Fritsch gesungen
tungsvoll ansieht. wurde. Als Motto einer fröhlichen

225
ich Teil I

Tanzveranstaltung oder als scherzhafter Schlußsatz „Ich verstehe die Welt nicht
Ausdruck der Freude am Tanzen mit ei¬ mehr“ zum Ausdruck.
nem bestimmten Partner wird das Zitat
noch gelegentlich gebraucht. Ich war ein Jüngling noch an Jah¬
ren
Ich träum’ als Kind mich zurücke Mit diesem Satz wird auf die Zeit der
Jugend angespielt, an die man sich als
Wenn man besonders als älterer
älterer Mann im Zusammenhang eines
Mensch Erinnerungen an die eigene
weit zurückliegenden Ereignisses oder
Kindheit sucht und diese noch einmal
Vorfalls erinnert, als man noch ganz an¬
nacherleben möchte, kann das mit die¬
dere Vorstellungen oder Möglichkeiten
sem Zitat kommentiert werden. Es
hatte. Bei dem Zitat handelt es sich um
stammt aus Adelbert von Chamissos
die freie Übersetzung des französischen
(1781-1838) Gedicht „Das Schloß Bon¬
A peine au sortir de l’enfance quatorze
court“, dessen erste Strophe lautet: „Ich
ans au plus je comptais (wörtlich: „Noch
träum’ als Kind mich zurücke,/Und
kaum der Kindheit entwachsen, zählte
schüttle mein greises Haupt;/Wie sucht
ich höchstens vierzehn Jahre“) aus der
ihr mich heim, ihr Bilder,/Die lang ich
Oper „Joseph von Ägypten“ (1807) von
vergessen geglaubt?“
Etienne Mehul (1763-1817) und Alex-
andre Duval (1767-1842).
Ich und mein Haus wollen dem
Herrn dienen Ich wasche meine Hände in Un¬
Im Alten Testament wird berichtet, daß schuld
Josua, der Nachfolger Moses, die Stäm¬ t Seine Hände in Unschuld waschen
me Israels vor die Wahl stellte, den alten
oder auch fremden Göttern zu dienen Ich weiß, daß ich nichts weiß
oder aber allein Gott Jahwe. Für sich Wenn man sich selbst als jemanden cha¬
selbst und die Seinen hatte er bereits ei¬ rakterisieren will, der eher einmal eine
ne Entscheidung getroffen: „Ich aber Antwort auf eine grundsätzliche Frage
und mein Haus wollen dem Herrn die¬ schuldig bleibt, als vorschnell trotz in¬
nen“ (Josua 24,15). Man zitiert diese Bi¬ nerer Zweifel Stellung zu nehmen, ge¬
belworte gelegentlich, wenn man an¬ braucht man diesen Grundsatz des
deuten will, daß man vorbehaltlos je¬ griechischen Philosophen Sokrates
mandes Führungsanspruch anerkennt
(470-399 v. Chr.). Das Zitat geht wohl
und sich ihm unterordnen will. Mit dem
auf die durch den griechischen Philoso¬
Zitat kann aber auch scherzhaft ausge¬
phen Platon überlieferte „Verteidi¬
drückt werden, daß man ohne Ein¬
gungsrede“ des Sokrates zurück, wo es
schränkung jemandem seine Hilfe an¬
an einer Stelle auf griechisch heißt: ov-
bietet.
rog psv oi'sTal n eiSevai ovx eiScög, eycb
8s, coonep ovv ovx oi'Sa, ovös ol'ouai
Ich verstehe die Welt nicht mehr („Jener glaubt etwas zu wissen, weiß
aber nichts; ich weiß zwar auch nichts,
Dieses Zitat im Sinne von „ich verstehe
glaube aber auch nichts zu wissen“).
nicht, daß so etwas geschehen kann, daß
es so etwas geben kann“ hat wohl seinen
Ursprung in Friedrich Hebbels
Ich weiß, es wird einmal ein Wun¬
(1813-1863) Trauerspiel „Maria Mag- der geschehn
dalene“. Am Ende des Dramas sieht Dies ist der Titel eines immer noch be¬
sich der Tischlermeister Anton in sei¬ kannten Schlagers (Text: Bruno Balz,
nem Glauben an bestimmte ideelle Wer¬ Musik: Michael Jary), den Zarah Lean¬
te schwer enttäuscht, als er von dem der in dem 1942 entstandenen deut¬
Selbstmord seiner Tochter Klara er¬ schen Spielfilm „Die große Liebe“ sang.
fährt. Seine Fassungslosigkeit und sein Als Ausdruck eines unverbesserlichen
Unverständnis kommt in seinem Optimismus, der auch die Realisierung

226
Teil I ich

persönlicher Träume und Wünsche um¬ Ich wittre Morgenluft


faßt, wird dieses Zitat heute oft scherz¬
Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
haft gebraucht.
Tragödie „Hamlet“ (1,5). Im Original
sagt der Geist, der unbedingt noch die
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ganze Wahrheit über den Tod von Ham¬
lets Vater offenlegen will, bevor er bei
Bei diesem Zitat handelt es sich um den
Tagesanbruch wieder verschwinden
Beginn des zweiten Gedichts aus Hein¬
muß, angesichts der zu Ende gehenden
rich Heines (1797- 1856) Gedichtsamm¬
Nacht zu Hamlet: But soft! methinks, I
lung „Die Heimkehr“, das in der Verto¬
scent the morning air („Doch still! Mich
nung von Friedrich Silcher (1789-1860)
dünkt, ich wittre Morgenluft“). Heute
zu einem bekannten Volkslied wurde.
wird mit der umgangssprachlichen
Die erste Strophe lautet: „Ich weiß
Wendung „Morgenluft wittern“ zum
nicht, was soll es bedeuten,/Daß ich so
Ausdruck gebracht, daß jemand die
traurig bin;/Ein Märchen aus alten Zei¬
Möglichkeit sieht, einen Vorteil zu er¬
ten,/Das kommt mir nicht aus dem
langen, aus einer ungünstigen Lage her¬
Sinn.“ Heine greift hier das Märchen
auszukommen.
von der Loreley auf, die als Phantasie¬
gestalt erstmals in einer Ballade von
Clemens von Brentano im Jahre 1799
beschrieben wird. Wenn man heute in Ich wollte, es würde Nacht oder die
bestimmten Situationen nicht versteht, Preußen kämen!
welchen Sinn oder Zweck eine Ent¬
In einer durch massive Angriffe Napo¬
scheidung oder ein Verhalten hat, was
leons für seine Truppen bedrohlich wer¬
dahinter steckt, kann man kopfschüt¬
denden Situation in der Schlacht von
telnd zitieren: „Ich weiß nicht, was soll
Waterloo soll der Herzog von Welling¬
es bedeuten.“
ton am 18.6. 1815 in Hoffnung auf preu¬
ßische Unterstützung diesen Satz gesagt
haben. Heute wird mit dem Zitat gele¬
Ich werde die Welt aus den Angeln
gentlich noch scherzhaft zum Ausdruck
heben
gebracht, daß man in einer schwierigen
Die t Welt aus den Angeln heben Lage, in der man verzweifelt nach einer
Lösung sucht, entweder auf eine Ver¬
schnaufpause oder dringend benötigte
Ich will dem Schicksal in den Ra¬ Hilfe von Dritten hofft.
chen greifen
Wenn man nicht bereit ist, sich seinem
Schicksal zu beugen, sondern unter Ein¬
beziehung aller Risiken entschlossen ist,
Ich wünsche, daß sonntags jeder
eine Wendung zum Positiven für sich Bauer sein Huhn im Topfe hat
herbeizuführen, kann man das mit die¬ Mit diesen Worten kann vor dem Hin¬
sem Zitat ausdrücken. Es stammt aus ei¬ tergrund einer Notsituation dem
nem Brief, den Ludwig van Beethoven Wunsch Ausdruck verliehen werden,
am 16. 11. 1801 an seinen Jugendfreund daß es besonders denen, die hart arbei¬
Franz Gerhard Wegeier geschrieben ten müssen, auch gutgehen soll, sie we¬
hat. Beethoven beschreibt darin, daß er nigstens satt zu essen haben. Während
zwar unter seiner Hörschwäche leidet, der Hugenottenkriege (1562-98) soll
aber aus der Liebe zu einem „zauberi¬ Heinrich IV. zum Herzog von Savoyen
schen Mädchen“ wieder neuen Lebens¬ gesagt haben: „Wenn Gott mir noch ein
mut geschöpft hat: „Ich will dem Leben schenkt, so will ich es so weit
Schicksal in den Rachen greifen, ganz bringen, daß es keinen Bauern in mei¬
niederbeugen soll es mich gewiß nicht. nem Königreich gibt, der nicht imstande
Oh, es ist so schön, das Leben tausend¬ ist, sonntags ein Huhn in seinem Topfe
mal leben!“ zu haben.“

227
ich Teil I

Ich würde dir ohne Bedenken eine dem Jahre 1973, in dem die Autoren
Kachel aus meinem Ofen schenken sich kritisch mit den führenden Schich¬
ten der bundesrepublikanischen Indu¬
Als scherzhafter Ausdruck grenzenlosen
striegesellschaft auseinandersetzen.
Vertrauens einer einem sehr naheste¬
Wenn man sich und andere in einer Po¬
henden Person gegenüber wird dieses
sition der Schwächeren sieht und die
Zitat gelegentlich verwendet. Es stammt
Ursache dafür in einem starken sozialen
aus der ersten Strophe des heiter-melan¬
Gefälle in der Gesellschaft vermutet,
cholischen Gedichts „Ich habe dich so
kann man die Vorstellung von einer pri¬
lieb!“ von Joachim Ringelnatz (1883 bis
vilegierten gegenüber einer unterprivile¬
1934).
gierten Schicht mit diesem Zitat zum
Ausdruck bringen.
Ick bün all hier
Dieses Zitat stammt aus dem bekann¬
Ihr Mann ist tot und läßt sie grüßen
ten, in niederdeutscher Mundart ge¬
Mit diesen Worten teilt Mephisto in
schriebenen Märchen „Der Hase und
Goethes Faust (Teil I, Der Nachbarin
der Igel“ aus der Sammlung der Brüder
Haus) Frau Marthe ziemlich unvermit¬
Grimm. Darin wettet ein Igel mit einem
telt und wenig einfühlsam mit, daß ihr
Hasen, daß er schneller laufen könne als
vermißter Mann gestorben sei, und gibt
der Hase. Am Ziel der Laufstrecke wird
der verblüffte Hase von der Frau des vor, Näheres über seinen Tod zu wissen.
Igels, die er für den Igel selbst hält, mit Das Zitat wird heute als - meist recht
den Worten „Ick bün all hier“ (Ich bin bissiger - Kommentar in anderen Situa¬
schon hier) empfangen. Wenn andere tionen verwendet, in denen sich jemand
darüber erstaunt sind, einen früher als besonders taktlos geäußert oder verhal¬
erwartet irgendwo anzutreffen, macht ten hat.
man mit diesem Zitat auf sich aufmerk¬
sam und versucht gleichzeitig, die über¬ Ihr naht euch wieder, schwankende
raschende Situation scherzhaft zu über¬ Gestalten
spielen. Mit diesen Worten beginnt die an den
Leser gerichtete „Zueignung“, die Goe¬
Ick sitze da und esse Klops the 1797 nach mehrjähriger Unterbre¬
Mit diesem Satz beginnt ein Gedicht ei¬ chung vor Wiederaufnahme seiner Ar¬
nes unbekannten Verfassers in Berliner beiten am Faust dem Gesamtwerk als
Mundart, dem der deutsche Schriftstel¬ Einleitung voranstellte. Goethe ver¬
ler Hartmann Goertz (1907-1991) den sucht mit diesen niedergeschriebenen
Titel „Tiefsinn“ gegeben hat. Bezogen Eindrücken zu vermitteln, wie die Per¬
auf Situationen, in denen einem aus hei¬ sonen des Stücks in ihrem Zusammen¬
terem Himmel etwas sehr Merkwürdi¬ spiel auf ihn einwirken, sich wie
ges widerfährt, wird dieses Zitat heute „schwankende“ (also nur schwer faßba¬
scherzhaft angeführt, manchmal auch re) Gestalten in seine Gedanken drän¬
das ganze Gedicht zitiert: „Ick sitze da gen. Heute wird das Zitat meist scherz¬
und esse Klops./Uff eenmal kloppts./ haft gebraucht, zum Beispiel auf leicht
Ick jeh’ zur Tür und denk’ nanu,/Erst angetrunkene Personen bezogen, die
war se uff, jetz isse zu./Ick mache uff mit ein wenig unsicheren Schritten auf
und kieke,/Und wer steht draußen: einen zukommen.
Icke!“
Ihr werdet sein wie Gott und wis¬
Ihn traf des Himmels Strafgericht sen, was gut und böse ist
T Er war von je ein Bösewicht In der Schöpfungsgeschichte des Alten
Testaments sagt die Schlange zu Adam
Ihr da oben, wir hier unten und Eva: „... welches Tages ihr davon
Dies ist der Titel eines Buches von Gün¬ esset, so werden eure Augen aufgetan,
ter Wallraff und Bernt Engelmann aus und werdet sein wie Gott und wissen,

228
Teil I im

was gut und böse ist“ (1. Moses 3,5). Sie Im Anfang war das Wort
verführt damit die ersten Menschen, die
Mit diesem Satz beginnt das Evangeli¬
verbotene Frucht vom Baum der Er¬
um des Johannes im Neuen Testament.
kenntnis zu essen. Goethe greift diese
In der nicht leicht zu verstehenden Text¬
Bibelstelle im 1. Teil des Faust auf, wo
stelle könnte das „Wort“ soviel wie
Mephisto sie in der lateinischen Form
„göttliches Prinzip“ bedeuten; bei der
Eritis sicut Deus, scientes bonuw et ma-
Verwendung als Zitat (oft auch ungenau
lum dem Schüler ins Stammbuch
als „Am Anfang war das Wort“) wird
schreibt (Studierzimmer 2). In der Ge¬
der Text im allgemeinen ganz konkret
schichte vom Sündenfall wird das von
verstanden. Man kann damit zum Bei¬
Gott erschaffene Wesen durch das ver¬
spiel zum Ausdruck bringen, daß ein be¬
botene Wissen gottgleich und verliert
stimmtes Wort zum Ausgangspunkt ei¬
damit seine paradiesische Unschuld.
ner Debatte, einer Entwicklung wurde
Der nach Erkenntnis strebende Wissen¬
oder daß eine theoretische Erörterung
schaftler wird - das ist Mephistos „teuf¬
einer Handlung, einem Unternehmen
lischer“ Hintergedanke - das gleiche
vorausgehen sollte. (Siehe dazu auch
Schicksal erleiden.
„Im Anfang war die Tat“.) Der Aphori¬
stiker Stanislaw Jerzy Lee (1909-1966)
Ihr wisset weder Tag noch Stunde hat das Zitat so „vervollständigt“: „Im
t Mors certa, hora incerta Anfang war das Wort - am Ende die
Phrase.“

t Denn ihre Werke folgen ihnen


Im Anfang war die Tat
nach
Der Anfang des Johannesevangeliums
„Im Anfang war das Wort“ ist der Aus¬
Ihre Zahl ist Legion gangspunkt für das Goethezitat „Im An¬
Dieses Zitat geht auf das Neue Testa¬ fang war die Tat“. Es stammt aus Faust I
ment zurück. Bei Markus 5,9 antwortet (Studierzimmer). Faust, der den Anfang
der „unsaubere Geist“ Jesus auf dessen des Johannesevangeliums aus dem
Frage nach seinem Namen: „Legion Griechischen übersetzen will, nimmt
heiße ich; denn wir sind unser viele.“ mehrere Anläufe bei der Übertragung
Mit dem Namen soll in Anlehnung an des griechischen Begriffs „Logos“, des¬
die Stärke einer römischen Legion von sen Vielschichtigkeit er erkennt. Die
weit über 6 000 Mann eine große Anzahl Übersetzung mit „Wort“, die er in der
angedeutet werden. Heute wird mit dem deutschen Übersetzung (von Luther)
Zitat in gehobener Sprache nachdrück¬ vorfindet, genügt ihm nicht. Er versucht
lich zum Ausdruck gebracht, daß man es nacheinander mit den Begriffen
eine sehr große, kaum zu überblickende „Sinn“ und „Kraft“ und kommt, seiner
Menge meint. augenblicklichen Verfassung entspre¬
chend, schließlich zum Begriff der
„Tat“. Das Zitat wird gelegentlich als
II dolce far niente
Aufforderung zu aktivem, tatkräftigem
Diese Bezeichnung für ein Leben ohne Verhalten verwendet, als Mahnung,
Arbeit und Belastungen, das nur aus nicht immer nur schöne Reden zu füh¬
Müßiggang und Vergnügungen besteht, ren, wenn man etwas verwirklichen will.
stammt aus dem Italienischen und be¬
deutet „das süße Nichtstun“. Sie geht
Im Auslegen seid frisch und mun¬
wohl zurück auf eine Stelle in den „Epi-
ter! Legt ihr’s nicht aus, so legt was
stolae“ (VIII, 9,1) des römischen Dich¬
ters Plinius d. Ä. (23 oder 24-79), wo es unter!
an einer Stelle heißt: Illud iners quidem, Der Spruch stammt aus dem 2. Buch
iucundum tarnen nil agere („Dieses zwar von Goethes „Zahmen Xenien“, das
erschlaffende, aber doch so angenehme 1821 in der Zeitschrift „Über Kunst und
Nichtstun“). Altertum“ erschien. Er geißelt die Un-

229
im Teil I

bedachtsamkeit bei der Auslegung von ben hat. Die erste Strophe lautet: „Im
Texten, denen oft nur irgendeine Be¬ düstern Auge keine Träne,/Sie sitzen am
deutung untergelegt wird, in die etwas Webstuhl und fletschen die Zäh¬
hineininterpretiert wird. ne:/,Deutschland, wir weben dein Lei¬
chentuch,/Wir weben hinein den dreifa¬
Im Deutschen lügt man, wenn man chen Fluch -/Wir weben, wir weben!“1
höflich ist
Im echten Manne ist ein Kind ver¬
In der Szene „Hochgewölbtes, enges go¬
steckt
tisches Zimmer“ zu Beginn des 2. Aktes
im 2. Teil von Goethes Faust trifft Me¬ Das t Kind im Manne
phisto, als Professor verkleidet, wieder
auf den Schüler aus der Studierzimmer¬ Im edlen Herzen nur wohnt wahre
szene des 1. Teils. Dieser hat jetzt zum Liebe
untersten akademischen Grad des Bak¬ Dies ist der Titel einer Kanzone des ita¬
kalaureus promoviert. Ungehalten läßt lienischen Dichters Guido Guinizelli
er jetzt eine Schimpfkanonade auf Leh¬ (zwischen 1230 und 1240 - um 1276),
rer und universitären Lehrbetrieb los. der als Haupt der Bologneser Dichter¬
Auf Mephistos Frage, ob er sich denn schule gilt (italienischer Titel Al cor gen-
nicht seiner Grobheit bewußt sei, til rempaira sempre amore). Mit dem Zi¬
kommt die Rechtfertigung: „Im Deut¬ tat soll ausgedrückt werden, daß tiefe
schen lügt man, wenn man höflich ist.“ Zuneigung zu jemandem nur dann ehr¬
Zitiert werden diese Worte heute auch lich und nicht nur oberflächlich ist,
dann, wenn man eine Äußerung zurück¬ wenn sie auf einem tiefen, inneren Ge¬
weisen will, die man nicht mehr als Zu¬ fühl beruht, das sich nur bei Menschen
vorkommenheit auffaßt, sondern als mit einem guten Charakter einstellen
übertriebene und deplazierte Schmei¬ kann.
chelei empfindet.
Im engen Kreis verengert sich der
Im dunkeln tappen Sinn
Der Redewendung im Sinne von „in ei¬ Es t wächst der Mensch mit seinen
ner aufzuklärenden Sache noch keinen großem Zwecken
Anhaltspunkt haben“ liegt ein Bibelzi¬
tat aus dem 5. Buch Moses, 28,28f. zu¬ Im Kleinen wie im Großen treu
grunde, wo der Prophet dem Gott nicht sein
Gehorchenden flucht: „Der Herr wird
Diese Formulierung geht auf eine Bibel¬
dich schlagen mit Wahnsinn, Blindheit
stelle im Lukasevangelium (16,10) zu¬
und Rasen des Herzens; und wirst tap¬
rück: „Wer im Geringsten treu ist, der
pen am Mittag, wie ein Blinder tappt im
ist auch im Großen treu ...“ Während in
Dunkeln; und wirst auf deinem Wege
der Bibel jemandes Verhalten in bezug
kein Glück haben..."
auf Kleinigkeiten, scheinbar Unwichti¬
ges als kennzeichnend für sein Verhal¬
Im düstern Auge keine Träne ten ganz allgemein angesehen wird, be¬
Wenn man den Eindruck gewinnt, daß inhaltet das abgewandelte Zitat die all¬
jemand verbittert ein schweres Schick¬ gemeine Forderung, daß man in allen
sal erträgt und gleichzeitig versucht, sei¬ Dingen gleichermaßen zuverlässig sein
ne Gefühle trotz großer Verzweiflung zu soll.
verbergen, läßt sich ein solcher Zustand
mit diesem Zitat beschreiben. Es Im kühlen Keller sitz’ ich hier
stammt aus dem Gedicht „Die schlesi¬ Das Zitat, das oft auch in der Variante
schen Weber“, das Heinrich Heine „im tiefen Keller“ gebraucht wird, ist
(1797-1856) anläßlich eines Aufstandes der Anfang des Liedes „Der Rheinwein¬
der zu Hungerlöhnen arbeitenden schle¬ zecher“ von Karl Müchler (1763- 1857).
sischen Weber im Jahre 1844 geschrie¬ Die Vertonung von Ludwig Fischer

230
Teil I immer

stammt aus dem Jahr 1802. Die Liedzei¬ Lilian Harvey und Willy Fritsch 1937
le wird - gelegentlich auch zusammen sangen, beginnt und endet mit den Zei¬
mit der folgenden Zeile „Auf einem Faß len: „Ich tanze mit dir in den Himmel
von Reben“ - scherzhaft bei entspre¬ hinein,/in den siebenten Himmel der
chenden konkreten Anlässen zitiert, Liebe.“
zum Beispiel bei einer Weinprobe im
Winzerkeller. Im tiefen Keller sitz’ ich hier
t Im kühlen Keller sitz’ ich hier
Im Leben geht alles vorüber
Das Zitat ist der Titel eines Schlagers,
Im Wald und auf der Heide
den Peter Kreuder 1940 komponierte
und der durch Ilse Werners Interpretati¬ Dieses Zitat geht zurück auf die An-
on populär wurde. Man zitiert den Satz fangsverse von Johann Wilhelm Jakob
sowohl als Trost für jemanden, der gera¬ Bornemanns (1767-1851) „Jägerlied“
de eine schmerzhafte oder unangeneh¬ (1816), die ursprünglich so lauteten: „In
me Erfahrung bewältigen muß, als auch grünbelaubter Heide,/Da such ich mei¬
zum Ausdruck wehmütig-resignativen ne Freude,/Ich bin ein Jägersmann!“
Bedauerns darüber, daß etwas Schönes Bekannt wurde das auf eine Volksweise
zu Ende geht. gesungene Lied jedoch mit dem geän¬
derten ersten Vers. Heute wird das Zitat
Im Schweiße seines Angesichts meist als scherzhafte Metapher für die
freie, durch Bebauung und Verkehr un¬
Dieser Ausdruck geht auf das 1. Buch
beeinträchtigte Natur gebraucht.
Moses (3,19) zurück, wo nach dem Sün¬
denfall Adam von Gott bestimmt wird:
„Im Schweiße deines Angesichts sollst Im Wein liegt Wahrheit
du dein Brot essen“. Die ersten Worte tln vino veritas
dieser Bibelstelle, die dem Menschen
verkündet, daß er sich seinen Lebensun¬ Im Westen nichts Neues
terhalt durch harte Arbeit verdienen
Diese scherzhaft umgangssprachliche
muß, werden heute ganz allgemein auf
Redensart wird im Sinne von „es gibt
ein anstrengendes, mühevolles Tun be¬
nichts Neues zu berichten“ gebraucht.
zogen.
Sie greift den Titel eines in den USA
Im siebten Himmel sein und in Großbritannien verfilmten Ro¬
mans von Erich Maria Remarque
Diese umgangssprachliche Redewen¬
(1898-1970) auf. Der Titel seinerseits
dung, die auch in der Form „sich wie im
nimmt Bezug auf Formulierungen in
siebten Himmel fühlen“ gebräuchlich
amtlichen Heeresberichten des Ersten
ist, bedeutet soviel wie „überglücklich
Weltkriegs wie etwa „Von der Westfront
sein“. Sie geht auf die Bibel zurück, in
ist nichts Neues zu melden“ oder „Auf
der die Schilderung des Himmels zum
dem westlichen Kriegsschauplatz nichts
Teil von alten morgenländischen Vor¬
Neues.“
stellungen geprägt ist, wonach es für die
Seligen mehrere Himmel gibt, die über¬
Im wunderschönen Monat Mai
einander angeordnet sind. So heißt es
zum Beispiel im 2. Korintherbrief t Da ist in meinem Herzen die Liebe auf¬
(12,2): „Ich kenne einen Menschen in. gegangen
Christo; vor vierzehn Jahren (...) ward
derselbe entzückt bis in den dritten Immer an der Wand lang
Himmel.“ In frühchristlichen apokry¬ TUnd dann schleich’ ich still und leise
phen Schriften wird der siebte Himmel immer an der Wand lang
als der höchste bezeichnet, in dem Gott
selbst mit den Engeln wohnt. - Der Re¬
Immer derselbe
frain des bekannten Schlagers „Ich tan¬
ze mit dir in den Himmel hinein“, den t Semper idem

231
immer Teil I

Immer langsam voran! back) eines märchenhaften Science-fic¬


tion-Films von Irvin Kershner aus dem
Diese Aufforderung im Sinne von „nur
Jahr 1979. Darin wird der Verteidi¬
nicht so schnell!“ ist der Anfang des
gungskampf der Prinzessin eines Ster-
volkstümlichen Liedes „Die Krähwink¬
nenimperiums zusammen mit ihren Be¬
ler Landwehr“: „Nur immer langsam
schützern gegen die Finsterlinge aus der
voran, nur immer langsam voran,/Daß
Galaxis geschildert. Das Zitat wird auch
die Krähwinkler Landwehr folgen
auf ein Imperium im wirtschaftlichen
kann.“ Die Melodie ist seit 1813 be¬
oder in einem anderen Bereich übertra¬
kannt, der später oft veränderte Text da¬
gen. - Es handelt sich bei diesem Film
gegen erst seit 1840.
um den zweiten Teil einer Trilogie, de¬
ren erster Teil 1978 unter dem Titel
t Und immer lockt das Weib „Krieg der Sterne“ in die deutschen
Kinos kam (vergleiche diesen Artikel);
Immer nur lächeln! der dritte Teil, „Die Rückkehr der Jedi-
Diese Devise ist mit der Fortsetzung Ritter“ wurde 1982 gedreht.
„Und immer vergnügt!“ der Anfang der
Arie des chinesischen Prinzen Sou- In allen meinen Taten
Chong aus der Operette „Das Land des Der Ausdruck wird leicht scherzhaft im
Lächelns“ von Franz Lehar (1870 bis Sinne von „bei allem, was ich tue“ und
1948) mit dem Text von Ludwig Herzer im Zusammenhang mit etwas, was man
und Fritz Löhner. Das Zitat wird häufig sich zur Gewohnheit gemacht hat, ge¬
als Ermunterung dazu verwendet, sich braucht. Das Zitat ist der Anfang des
Ärger, Verdruß oder Leid nicht anmer¬ Kirchenliedes „In allen meinen Taten/
ken zu lassen, hinter einem Lächeln sei¬ Lass’ ich den Höchsten raten“ von Paul
nen wahren Gemütszustand zu verber¬ Fleming (1609-1640).
gen und vor allem denen, die für jenes
Ungemach verantwortlich sind, mit äu¬ In Bereitschaft sein ist alles
ßerem Gleichmut und ungetrübter Höf¬ Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
lichkeit gegenüberzutreten. (Vergleiche Tragödie „Hamlet“ (V, 2). Im Gespräch
auch „Doch wie’s da drin aussieht“.) mit seinem Freund Horatio kommen
Hamlet starke Zweifel, ob er den Zwei¬
Immer strebe zum Ganzen, und kampf mit Laertes, dem Sohn des Polo-
kannst du selber kein Ganzes wer¬ nius, gewinnen kann. Trotz eines ungu¬
den, als dienendes Glied schließ an ten Gefühls entschließt er sich mit den
ein Ganzes dich an! Worten „In Bereitschaft sein ist alles“
(englisch: The readiness is all) doch da¬
Der oft für Poesiealben verwendete
zu, dem Kampf nicht auszuweichen. Er
Spruch stammt aus Schillers Musenal¬
meint damit die Bereitschaft zu sterben.
manach für das Jahr 1797, worin er un¬
Heute werden die Worte Hamlets -
ter dem Titel „Pflicht für jeden“ zu den
auch in der abgewandelten Form „Be¬
sogenannten „Votivtafeln“ gehört.
reit sein ist alles“ - gewöhnlich zitiert,
Schiller gibt damit der idealistischen
wenn man sich auf möglicherweise ein¬
Vorstellung Ausdruck, daß der Mensch
tretende Ereignisse vorher gut vorberei¬
zu seiner Selbstverwirklichung die inne¬
tet oder wenn man anderen raten will,
re Zerrissenheit des neuzeitlichen Indi¬
dies zu tun.
viduums überwinden und zu einer har¬
monischen Einheit entweder innerhalb In bunten Bildern wenig Klarheit
seiner Persönlichkeit oder wenigstens
Im „Vorspiel auf dem Theater“ zu Goe¬
als Mitglied einer Gruppe finden soll.
thes Faust I äußert sich die „Lustige
Person“ über das dichterische Schaffen
Das Imperium schlägt zurück mit den Worten „In bunten Bildern we¬
Das Zitat ist der deutsche Titel (im ame¬ nig Klarheit,/Viel Irrtum und ein Fünk¬
rikanischen Original: The Empire strikes chen Wahrheit,/So wird der beste Trank

232
Teil I in

gebraut,/Der alle Welt erquickt und auf¬ heute zitiert man die beiden Verszeilen
erbaut./.../Dann sauget jedes zärtliche angesichts zerstörter Häuser in von
Gemüte/Aus Eurem Werk sich melan- Krieg, Feuer oder Naturkatastrophen
chol’sche Nahrung,/Dann wird bald heimgesuchten Straßenzügen.
dies, bald jenes aufgeregt,/Ein jeder
sieht, was er im Herzen trägt.“ - Die er¬ In den Ozean schifft mit tausend
ste Zeile wird heute gelegentlich zitiert, Masten der Jüngling; still auf ge¬
wenn man eine sehr farbige, ausge¬ rettetem Boot treibt in den Hafen
schmückte Darstellung wegen ihres
der Greis
Mangels an klarer Aussage kritisiert.
Schillers Distichon „Erwartung und Er¬
füllung“ stammt aus dem Musenalma¬
In deiner Brust sind deines Schick¬
nach für das Jahr 1797. Es beschreibt
sals Sterne
mit dem Bild des Lebensschiffes die
Dieser Ausspruch stammt aus Schillers großartige Ausfahrt auf das Meer des
Drama „Wallenstein“ („Die Piccolomi¬ Lebens. Im Kontrast dazu läßt sich der
ni“ 11,6). Der stemengläubige „kaiserli¬ Mensch am Ende seines Lebens still in
che Generalissimus“ Wallenstein steht den Hafen treiben. Die Erfüllung ist
unentschlossen vor einer wichtigen Ent¬ nicht die Erfüllung des Erwarteten; das
scheidung. Sein Feldmarschall Illo rät Zitat kann in der Rückschau auf jeman¬
ihm, sofort zu handeln, nicht zaudernd des Leben deutlich machen, wie sehr die
auf die „Sternenstunde“ zu warten, und Vorstellungen und Absichten, die man
hält ihn zu größerem Selbstvertrauen an als junger Mensch hat, durch die Wech¬
mit den Worten: „Glaub’ mir,/In deiner selfälle des Schicksals relativiert und
Brust sind deines Schicksals Sterne./ verändert werden.
Vertrauen zu dir selbst, Entschlossen-
heit/Ist deine Venus!“ Nicht die Sterne In den Sielen sterben
also sind es, die jemandes Geschick be¬
Diese Redewendung mit der Bedeutung
stimmen, sondern der Mensch selbst be¬
„bis zuletzt arbeitend, mitten in der Ar¬
stimmt es durch sein Handeln, so lautet
beit sterben“ wurde durch einen Aus¬
die Mahnung Illos. Vergleiche dazu
spruch Bismarcks besonders verbreitet.
auch den Artikel „Dein Schicksal ruht
In einer Rede vor dem Preußischen Ab¬
in deiner eignen Brust“.
geordnetenhaus (1881) wies Bismarck
Forderungen nach seinem Rücktritt un¬
In den Armen liegen sich beide und ter anderem mit den Worten zurück:
weinen vor Schmerzen und Freude „Ein braves Pferd stirbt in den Sielen.“
Wie einige andere Stellen aus der Balla¬ Das Wort „Siele“ bezeichnet im Nord¬
de „Die Bürgschaft“ von Schiller wer¬ deutschen das Geschirr für Arbeitstiere
den auch diese Zeilen heute noch zitiert, wie Ochsen oder Pferde.
wenn auch nur aus scherzhaft kommen¬
tierender Distanz oder in scherzhafter In der Beschränkung zeigt sich erst
Übertreibung. Im Gedicht selbst leiten der Meister
die Zeilen die Schlußszene ein, wo sich
Am 26. Juni 1802 wurde in der kleinen
die Spannung nach den dramatischen
Kurstadt Bad Lauchstätt, dem Mode¬
Geschehnissen auflöst, in denen die Be¬
bad der Goethezeit und der Sommerre¬
währung von Freundschaft und Treue
sidenz des Weimarer Hofes, mit der Mo¬
dargestellt ist. zartoper „Titus“ das neue Schauspiel¬
haus eröffnet. Voraus ging das von Goe¬
In den öden Fensterhöhlen wohnt the verfaßte Vorspiel „Was wir brin¬
das Grauen gen“. Der 19. Auftritt endet mit einem
Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬ Sonett, in dem das Verhältnis von Natur
dicht „Das Lied von der Glocke“, wo an und Kunst sowie die Abhängigkeit des
einer Stelle die Zerstörungen nach einer Künstlers von dem durch ihn zu gestal¬
Feuersbrunst beschrieben werden. Auch tenden „Material“ angesprochen wird.

233
in Teil I

Aus dem Schlußterzett fand der zweite Sinne von „bevorzugt behandelt, sehr
Vers schnell als geflügeltes Wort Ver¬ gut bedient oder versorgt werden“ ver¬
breitung: „Wer Großes will, muß sich wendet werden kann.
zusammenraffen./In der Beschränkung
zeigt sich erst der Meister,/Und das Ge¬ In der Mitten liegt holdes Beschei¬
setz nur kann uns Freiheit geben.“ - den
Das Zitat kann heute als Ermahnung Diese Schlußverse von Eduard Mörikes
dienen, sich nicht zu verzetteln und sich (1804-1875) Gedicht „Gebet“ sollen sa¬
auf weniges, aber Wichtiges zu konzen¬ gen, daß das, was zwischen zwei Extre¬
trieren. Es wird aber auch oft ironisch¬ men liegt, das Angemessene und Erstre¬
scherzhaft zur Rechtfertigung von zu ge¬ benswerte ist. Man kommentiert damit
ringer eigener Leistung, von mangeln¬ entweder die eigene Handlungsweise
dem Ehrgeiz gebraucht. Die verball¬
oder ermahnt einen anderen zu etwas
hornte Form „In der Beschränktheit mehr Bescheidenheit. Meist wird diesen
zeigt sich erst der Meister“ drückt bos¬ Versen noch ein „doch“ vorangestellt.
haften Spott über die Kurzsichtigkeit,
Ignoranz oder Fehlleistung eines Vorge¬
In der Nacht ist der Mensch nicht
setzten aus.
gern alleine
Dieser von Franz Grothe komponierte
In der ersten Liebe lieben die Frau¬
Schlager wurde von Marika Rökk in
en den Geliebten, in der späteren dem 1944 gedrehten Spielfilm „Die
die Liebe Frau meiner Träume“ (siehe auch dort)
Das Zitat ist die 471. von La Rochefou- gesungen. Man zitiert den Titel gele¬
caulds (1613-1680) „Maximen und Re¬ gentlich scherzhaft, wenn ein geselliges
flexionen“ („Reflexions ou Sentences et Beisammensein sich bis in die späten
maximes morales“) und lautet im Origi¬ Nachtstunden ausdehnt, oder in ver¬
nal: Dans les premieres passions les ständnisvoller Anspielung auf ein Lie¬
femmes aiment l’amant, et dans les autres bespaar, das eine Nacht miteinander
elles aiment l'amour. Als reine Feststel¬ verbracht hat.
lung wird hiermit ausgedrückt, daß es
der Frau in ihren ersten Leidenschaften In des Schicksals Speichen greifen
um den Geliebten und in den späteren t Willst du mit den Kinderhänden in des
um die Liebe selbst geht. Dementspre¬ Schicksals Speichen greifen?
chend kann das Zitat auf eine Frau be¬
zogen werden, die sich in reiferen Jah¬
In des Waldes düstern Gründen
ren mit einem Mann verbindet, von dem
man glaubt, daß sie an seiner Person Das Zitat ist der Anfang eines Gedichts,
eigentlich nicht viel finden könne. Eine das zusammen mit anderen Romanzen
andere Möglichkeit wäre der Bezug auf und Liedern über Rinaldo Rinaldini
eine Frau, die sich nach der ersten Lei¬ von Christian August Vulpius
denschaft ihre späteren Partner eher (1762-1827), dem Verfasser des gleich¬
wahllos und ohne einem einzelnen treu namigen Schauerromans über den Räu¬
zu bleiben aussucht. berhauptmann, in der Zeitschrift „Ja¬
nus“ veröffentlicht wurde. Das volks¬
tümliche Lied wird auch in abgewandel¬
In der ersten Reihe sitzen ter Form als „In des Waldes finstern
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkan¬ Gründen“ oder „In des Waldes tiefsten
stalten ARD und ZDF werben mit dem Gründen“ zitiert. Letzteres wohl in An¬
Slogan „Bei ARD und ZDF sitzen Sie in lehnung an Schillers Gedicht „Kassan¬
der ersten Reihe“ für die Aktualität und dra“, wo es in der dritten Strophe heißt:
Attraktivität ihrer Fernsehprogramme. „In des Waldes tiefste Gründe/Flüchte¬
Der Werbespruch hat bereits den allge¬ te die Seherin." Man benennt mit dem
meinen Sprachgebrauch beeinflußt, so Zitat scherzhaft einen Ort, der sich sehr
daß „in der ersten Reihe sitzen“ auch im abgelegen mitten im Wald befindet.

234
Teil I in

In des Worts verwegenster Bedeu¬ sucht unbekannt ist. Die Anfangszeile


tung dieser sehr populär gewordenen Arie
wird gerne dazu verwendet, sich in
Mit dieser Formulierung bekräftigt in
scherzhafter oder auch spöttischer Wei¬
Schillers „Don Kariös“ (1,9) Marquis
se über Räume zu äußern, die man aus
Posa seinen Freundschaftsbund mit
irgendeinem Grund nur mit einer gewis¬
Don Kariös, indem er auf dessen Frage
sen Ehrfurcht betritt, die nicht jeder¬
„Der Meinige?“ antwortet: „Auf ewig/
mann ohne weiteres zugänglich sind
Und in des Worts verwegenster Bedeu¬
o.ä.
tung.“ Posa deutet auf die ungewöhnli¬
che Art dieser Freundschaft hin, die sich
über Normen hinwegsetzt. Die heutige In dieser Armut welche Fülle!
Verwendung des Zitats hat den Aspekt Diese Worte spricht in Goethes Faust I
des Unkonventionellen bewahrt; es (Abend) der Titelheld, nachdem er sich
wird aber kaum noch anders als scherz¬ von Mephisto hat in Margaretes Zim¬
haft gebraucht. mer führen lassen. Faust äußert seine
Empfindungen in den Worten „Wie at¬
In die Wüste schicken met rings Gefühl der Stille,/Der Ord¬
t Sündenbock nung, der Zufriedenheit !/In dieser Ar¬
mut welche Fülle!/In diesem Kerker
In diesem unserem Lande welche Seligkeit!“ Die bescheidene Ein¬
richtung des Zimmers regt seine Phanta¬
Mit diesen Worten bezog sich Helmut
sie an und läßt ihn in den Gegenständen
Kohl in den frühen Jahren seiner Kanz¬
deren Geschichte und das erfüllte Le¬
lerschaft gelegentlich auf die Bundesre¬
ben der Bewohnerin des Zimmers erah¬
publik Deutschland. Sie wurden zu¬
nen. Das Zitat wird heute meist scherz¬
nächst von Kabarettisten und Parodi¬
haft verwendet, wenn man zum Beispiel
sten als typische Ausdrucksweise des
in etwas zunächst unscheinbar und karg
Kanzlers aufgegriffen; heute sind auch
Erscheinendem plötzlich eine unerwar¬
scherzhafte Abwandlungen wie „In die¬
tete Vielfalt entdeckt.
sem unserem Provinznest“ oder „In die¬
ser unserer Bundeswehr“ gebräuchlich,
womit man eine ironisch-kritische Di¬
In dulci jubilo
stanz zu dem genannten Ort oder der Das Zitat - in wörtlicher Übersetzung
Institution zum Ausdruck bringt. „in süßem Jubel“ - ist der Anfang eines
mittelalterlichen Weihnachtsliedes mit
In diesem Zeichen wirst du siegen gemischtem lateinischem und deut¬
schem Text: „In dulci jubilo/Nun singet
t In hoc signo vinces
und seid froh!“ Das Lied stammt aus ei¬
ner Handschrift des 14. Jahrhunderts
In diesen heil’gen Hallen
mit der Lebensbeschreibung des Mysti¬
In der Oper „Die Zauberflöte“ von
kers Heinrich Seuse (latinisiert Suso).
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 bis Über die Verwendung in Studenten-
1791), Text von Johann Emanuel Schi¬
und Kommersliedern hat das Zitat die
kaneder (1748-1812), sind zwei Berei¬
umgangssprachliche Bedeutung „herr¬
che einander gegenübergestellt, in de¬
lich und in Freuden“ erhalten.
nen einerseits die Königin der Nacht als
Vertreterin des bösen und andererseits
In einem aufgeräumten Zimmer ist
der Sonnenkönig Sarastro als Sachwal¬
ter des guten Prinzips fungieren. In der
auch die Seele aufgeräumt
berühmten Arie des Sarastro (im 2. Akt) Diese Feststellung stammt aus der Fe¬
mit der Anfangszeile „In diesen heiFgen der von Ernst Freiherr von Feuchters¬
Hallen“ erklärt der Sonnenkönig der ieben (1806-1849), einem österreichi¬
Tochter der Königin der Nacht, Pami- schen Schriftsteller und Arzt, der beson¬
na, daß in seinem Bereich, im Reich der ders mit seinen populärphilosophischen
Geweihten des Sonnenkreises, Rach¬ und pädagogischen Schriften Erfolg

235
in Teil I

hatte. Sie steht im 4. Kapitel seiner wohl (1870-1931), in dem jede Strophe mit
bekanntesten Schrift „Zur Diätetik der dieser Lebensweisheit endet.
Seele“, einer Lehre zur Erhaltung der
Gesundheit durch Kräftigung von Geist In Geberlaune sein
und Willen. Mit der Äußerung über die t Ich bin nicht in der Gebelaune heut
„Aufgeräumtheit“ der Seele stellt der
Autor die These auf, daß sich innere
In Gefahr und großer Not bringt
und äußere Ordnung bei einem Men¬
der Mittelweg den Tod
schen entsprechen, daß die äußerlich
bei jemandem herrschende Ordnung ge¬ Dieser Sinnspruch stammt von Fried¬
wissermaßen als das Spiegelbild seines rich von Logau (1604-1655), einem der
inneren Zustandes anzusehen ist. bedeutendsten Epigrammatiker des Ba¬
rocks. Er bringt zum Ausdruck, daß es
In flagranti bedrohliche Situationen im Leben gibt,
wo man keinen Kompromiß eingehen
Der bildungssprachliche Ausdruck mit
darf. Die Regisseure Alexander Kluge
der Bedeutung „auf frischer Tat“
stammt aus dem Codex Justinianus, ei¬ und Edgar Reitz verwendeten ihn als Ti¬
tel ihres 1974 gedrehten Films über die
nem Teil des Corpus Juris Civilis. Der
gesellschaftliche und politische Situati¬
oströmische Kaiser Justinian (527-565)
ließ diese Sammlung von Gesetzestex¬ on in Deutschland Anfang der siebziger
Jahre.
ten durch seinen Justizminister Tribo-
nianus vornehmen. Im Codex Justinia¬
nus XIII, 9,1) heißt es: In ipsa rapina et In Geldsachen hört die Gemütlich¬
adhuc flagrante crimine comprehensi keit auf
(„Sie sind direkt beim Raub und noch Dieses Zitat geht auf einen Ausspruch
auf frischer [wörtlich: „brennender“] des rheinischen Abgeordneten David
Tat ertappt worden“). Hansemann zurück, der im ersten Verei¬
nigten Preußischen Landtag 1847 gegen
In Fleisch und Blut übergehen das preußische Junkertum gerichtet sag¬
Diese Redewendung könnte auf die in te: „Bei Geldsachen hört die Gemüt¬
der Bibel vielfach vorkommende Ver¬ lichkeit auf.“ Heute wird mit dem Zitat
bindung „Fleisch und Blut“ mit der Be¬ zum Ausdruck gebracht, daß die Tole¬
deutung „(menschlicher) Körper, Kör¬ ranzschwelle in finanziellen Angelegen¬
perlichkeit, Mensch“ zurückgehen. So heiten weit niedriger ist als in anderen
heißt es zum Beispiel im Paulusbrief an Bereichen. Verbreitet ist auch die abge¬
die Epheser (6,12): „Denn wir haben wandelte Form „In Geldsachen hört die
nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, Freundschaft auf‘, die die Empfehlung
sondern mit... den bösen Geistern unter nahelegt, daß man mit Freunden keine
dem Himmel“ und im 1. Korintherbrief Geschäfte machen soll.
(15,50): „Das sage ich aber, liebe Brü¬
der, daß Fleisch und Blut nicht können In gleichem Schritt und Tritt
das Reich Gottes ererben“. - Die Rede¬ Die Formulierung stammt aus Ludwig
wendung drückt aus, daß jemandem et¬ Uhlands (1787-1862) Lied „Der gute
was, bes. eine Verhaltensweise, so Kamerad“, das auf eine Volksweise ge¬
selbstverständlich wird, daß sie schlie߬ sungen und Bestandteil des militäri¬
lich gewissermaßen Teil von ihm selber schen Trauerzeremoniells wurde. In der
ist.
1. Strophe heißt es von dem Kamera¬
den: „Die Trommel schlug zum Strei¬
In fünfzig Jahren ist alles vorbei
te,/Er ging an meiner Seite/In gleichem
Mit dieser umgangssprachlich-scherz¬ Schritt und Tritt.“ In übertragener An¬
haften Redensart versucht man, sich wendung bedeutet die zitierte Zeile so¬
oder jemand anders über etwas hinweg¬ viel wie der ebenfalls übertragen ge¬
zutrösten. Sie entstammt dem gleichna¬ brauchte Ausdruck „im Gleichschritt“.
migen Couplet von Otto Reutter Man sagt z. B. „im Gleichschritt mar-

236
Teil I in

schieren“ oder „im gleichen Schritt und Wort „Geruch“ hat hier nichts mit „rie¬
Tritt marschieren“ im Sinne von „etwas chen“ zu tun, sondern es gehört seiner
gemeinsam betreiben“. Herkunft nach zu „Gerücht“, das sei¬
nerseits auf ein älteres „Gerüchte“ mit
In hoc signo vinces der Bedeutung „Gerufe, Geschrei“ zu¬
Der lateinische Spruch (deutsch: „In rückgeht, also zur Wortfamilie von „ru¬
diesem Zeichen wirst du siegen“) ist die fen“ gehört. In der Lutherübersetzung
inkorrekte Übersetzung der Inschrift ei¬ des 2. Buchs Moses findet sich eine Stel¬
nes Kreuzes, das nach der Legende le, die zeigt, daß schon Luther die ei¬
Konstantin dem Großen vor der Ent¬ gentliche Herkunft des Wortes nicht be¬
scheidungsschlacht gegen Maxentius im achtete. Dort kommt das Mißtrauen des
Jahr 312 erschien. Die griechische Fas¬ israelitischen Volkes gegenüber Moses
sung wäre im Lateinischen wörtlich mit und seinem Bruder Aaron in den Wor¬
in hoc vince! („In diesem [= in diesem ten zum Ausdruck (5,21): „Der Herr ...
Zeichen] siege!“) wiederzugeben. Das richte es, daß ihr unseren Geruch habt
Zitat ist auch heute meist im religiösen stinkend gemacht vor Pharao und sei¬
Bereich gebräuchlich, wo es dem Glau¬ nen Knechten.“ (Im revidierten Bibel¬
ben Ausdruck verleiht, daß man im Zei¬ text heißt diese Stelle: „Der Herr... stra¬
fe es, daß ihr uns in Verruf gebracht
chen des Kreuzes unter dem besonderen
habt vor dem Pharao und seinen Gro¬
Schutz Gottes steht.
ßen.“)
In jeden Quark begräbt er seine
In medias res
Nase
Der bildungssprachliche Ausdruck
Das Zitat stammt aus Goethes Faust I
kommt in Redewendungen wie „in me¬
(Prolog im Himmel). Mephisto macht
dias res gehen“ im Sinne von „unmittel¬
zum Herrn hin diese wegwerfende Be¬
bar und ohne Umschweife zur Sache
merkung über den Menschen. Heute
kommen“ vor. Er geht auf die „Ars poe-
sagt man umgangssprachlich abwertend
tica“ (Vers 148) des römischen Dichters
meist „seine Nase in jeden Quark stek-
Horaz (65-8 v.Chr.) zurück. Horaz lobt
ken“ im Sinne von „sich mit jedweder den griechischen Dichter Homer, weil
Belanglosigkeit befassen“ oder auch
er in der „Ilias“ bei der Erzählung des
„sich um Dinge kümmern, die einen
Trojanischen Krieges in medias res
nichts angehen“. („mitten in die Dinge“) hineinführe.

In jedes Menschen Gesichte steht In meinem Reich geht die Sonne


seine Geschichte nicht unter
Dieses Zitat stammt aus Friedrich von Dieser historisch nicht belegte Aus¬
Bodenstedts (1819-1892) „Liedern des spruch soll von Kaiser Karl V.
Mirza-Schaffy“. In den darin enthalte¬ (1519-1556) stammen, in dessen Macht¬
nen „Vermischten Gedichten und Sprü¬ bereich in Europa und Amerika mehre¬
chen“ heißt es: „In jedes Menschen Ge¬ re Zeitzonen des Erdballs fielen. Schil¬
sichte/Steht seine Geschichte,/Sein ler legt in „Don Kariös“ (1787; 1,6)
Hassen und Lieben/Deutlich geschrie¬ Philipp II. von Spanien die Worte in den
ben.“ Mit dem Zitat wird zum Ausdruck Mund: „Die Sonne geht in meinem
gebracht, daß sich oft an den Gesichts¬ Staat nicht unter.“ In der ersten Ausga¬
zügen eines Menschen (zum Beispiel an be des 1. Aktes in der „Rheinischen
seinen Sorgenfalten) ablesen läßt, ob Thalia“ von 1785 heißt es an der ent¬
ihm im Leben ein leichtes oder schweres sprechenden Stelle „in meinem Reich“.
Schicksal beschieden war. Man gebraucht den bildhaften Aus¬
druck, um zum Beispiel auf jemandes
In keinem guten Geruch stehen weltweiten Einfluß oder auf die welt¬
Diese Redewendung bedeutet soviel wie weite Verbreitung einer Sache hinzuwei¬
„einen schlechten Ruf haben“. Das sen.

237
in Teil I

In meines Vaters Hause sind viele schöner Weise“ ausführen. - Der Aus¬
Wohnungen druck wird in seiner heute geläufigen
Form auch umgangssprachlich übertra¬
Diese Worte richtet Jesus in seiner Ab¬
gen gebraucht im Sinne von „sich trotz
schiedsrede an seine Jünger (Evangeli¬
seiner Qualität nicht durchsetzen und
um des Johannes, 14,2). Er will damit
wieder aus einem Bereich verschwin¬
sagen, daß im Reich Gottes Platz für
den“. Im Sportjargon kann die Formu¬
Menschen ganz unterschiedlicher Art
lierung auf eine Mannschaft angewandt
ist. Man verwendet das Zitat als Aus¬
werden, deren Spiel zwar schön anzuse¬
druck allgemeiner Toleranz und großzü¬
hen ist, die aber ohne die nötige Härte
giger Gastfreundschaft.
spielt und deshalb verliert.

In nuce In seiner Sünden Maienblüte


Dieser bildungssprachliche Ausdruck Das Zitat stammt aus Shakespeares
bedeutet „im Kern; in knapper Form“. „Hamlet“ (III, 3). Der Titelheld nimmt
Er hat seinen Ursprung wohl in der hier (in der Übersetzung von August
„Naturalis historia“ des römischen Hi¬ Wilhelm Schlegel) einen Ausdruck, mit
storikers und Schriftstellers Plinius d. Ä. dem der Geist seines Vaters ihm dessen
(23-79 n.Chr.), der darin schreibt, daß Ermordung mitgeteilt hatte, wieder auf:
Cicero von einer Pergamenthandschrift „Er (= König Claudius) überfiel in
der „Ilias“ berichtet habe, die „in einer Wüstheit meinen Vater,/Voll Speis’, in
Nußschale“ Platz gefunden hätte. seiner Sünden Maienblüte“ (im Origi¬
nal: He took my father grossly, full of
bread/With all his crimes broad blown,
In Sack und Asche gehen
as flush as May). Die Formulierung
Die heute in gehobener Sprechweise
wird heute gelegentlich scherzhaft-iro¬
noch erhaltene Redewendung mit der
nisch gebraucht, um das frühzeitige En¬
Bedeutung „Buße tun; etwas büßen, be¬
de eines Übeltäters zu kommentieren
reuen“ geht auf die Bibel zurück. So¬
oder auf seine bereits in früher Jugend
wohl im Alten als auch im Neuen Testa¬
begangenen Untaten hinzuweisen.
ment werden „Sack“ und „Asche“ als
Zeichen der Buße und der Trauer ge¬
nannt, beispielsweise im Buch Esther In sieben Sprachen schweigen
4,1, wo es heißt: „Da Mardochai erfuhr Die scherzhafte Redewendung bedeutet
alles, was geschehen war, zerriß er seine „sich überhaupt nicht äußern, bei einer
Kleider und legte einen Sack an und Diskussion stummer Zuhörer sein“. Ih¬
Asche und ging hinaus mitten in die re Entstehung oder zumindest ihre Ver¬
Stadt und schrie laut und kläglich.“ breitung wird mit dem Berliner Altphi¬
Oder bei Matthäus 11,21: „Wären sol¬ lologen Immanuel Bekker (1785-1871)
che Taten zu Tyrus und Sidon gesche¬ in Verbindung gebracht, von dem sein
hen, wie bei euch geschehen sind, sie Lehrer Friedrich August Wolf gesagt
hätten vorzeiten im Sack und in der haben soll, er schweige in sieben Spra¬
Asche Buße getan.“ chen.

In Schönheit sterben In Staub mit allen Feinden Bran¬


Die Formulierung geht wohl auf Henrik denburgs!
Ibsens (1828-1906) Schauspiel „Hedda Heinrich von Kleist (1777-1811) läßt
Gabler“ (III, 7) zurück. Die Schicksal sein Schauspiel „Der Prinz von Hom¬
spielende Titelheldin gibt Lovborg, der burg“ mit dieser Sentenz enden. Sie
sein Buchmanuskript verloren zu haben wurde in der Folgezeit in Preußen zum
glaubt und deshalb seinem Leben ein geflügelten Wort, zum politischen
Ende bereiten möchte, eine ihrer Pisto¬ Schlagwort. Heute wird sie allenfalls
len. Damit soll er seinen Selbstmord „in noch als nicht ernst gemeinte Verwün-

238
Teil I ins

schung, als scherzhafte Drohung ge¬ meint (Glossolalie). Heute wird der
braucht. Ausdruck gelegentlich scherzhaft auf je¬
manden angewendet, der im Über¬
In Tyrannos! schwang seiner Gefühle einen sich über¬
Die zweite Auflage (1782) von Schillers stürzenden Schwall von Worten von
zur Periode des Sturm und Drang gehö¬ sich gibt, die für den Zuhörer zunächst
rendem Drama „Die Räuber“ trug als akustisch wie inhaltlich unverständlich
Titelvignette einen aufgerichteten Lö¬ sind.
wen mit diesem lateinischen Wahl-
T Nur ein toter Indianer ist ein
spruch (deutsch: „Gegen die Tyran¬
nen“). Dies konnte als Anspielung auf
guter Indianer
Herzog Karl Eugen von Württemberg
Ingenieure der menschlichen See¬
verstanden werden, der Schiller zum
len
Medizinstudium an seiner Militäraka¬
demie zwang. Mit dem Motto wurde der Diese besonders in der marxistisch
Titel einer verlorengegangenen Streit¬ orientierten Literaturwissenschaft ver¬
schrift von Ulrich von Hutten (1488 bis breitete Metapher für die Schriftsteller
1523) aufgenommen. und ihre Aufgabe in der Gesellschaft ist
eine Prägung von J. W. Stalin (1879 bis
In usum Delphini 1953). Bei einer Begegnung mit dem
Schriftsteller Maxim Gorki im Jahre
t Ad usum Delphini
1932 bezeichnete er so die sowjetischen
Schriftsteller.
In vino veritas
Das lateinische Sprichwort (auf deutsch TNach innen geht der geheimnis¬
„im Wein ist bzw. liegt Wahrheit“) geht volle Weg
über die griechische Entsprechung in
der Sammlung des Zenobios auf den Innere Emigration
griechischen Dichter Alkaios (um Diese Bezeichnung für die Abkehr von
620-um 580 v. Chr.) zurück, der in ei¬ den Auseinandersetzungen mit den ak¬
nem seiner Fragmente sagt, daß Wein tuellen politischen Vorgängen als Aus¬
auch Wahrheit sei. Im heutigen Sprach¬ druck der Opposition ist 1945 zum
gebrauch wird weniger darauf Bezug ge¬ Schlagwort geworden. Es bestimmte ei¬
nommen, daß Alkoholgenuß ein Weg ne Kontroverse zwischen dem 1933 aus
zur Erkenntnis von Wahrheit sei, son¬ dem nationalsozialistischen Deutsch¬
dern man spielt eher darauf an, daß der land emigrierten Thomas Mann und an¬
Alkoholisierte zur Gesprächigkeit neigt deren Schriftstellern, die im Lande ge¬
und leicht Dinge ausplaudert, die er im blieben waren. Nicht ins Exil gegangene
nüchternen Zustand verschwiegen oder Autoren wie Frank Thieß (1890-1972),
bestritten oder weitaus weniger unver¬ Manfred Hausmann (1898-1986) und
blümt geäußert hätte. Walter von Molo (1880-1958) wollten
dabei ihre „innere Emigration“ höher
In Zungen reden bewertet sehen als das Zusehen von au¬
Mit diesem Ausdruck wird im Neuen ßen in den „bequemen Logen des Aus¬
Testament an verschiedenen Stellen das lands“. Es existieren aber auch Belege
ekstatische Reden besonders in den Ver¬ für diesen Ausdruck aus den 30er Jah¬
sammlungen der christlichen Urgemein- ren.
de bezeichnet (Markus 16,17; Apostel¬
geschichte 2,4; 10,46; 19,6; 1. Korin¬
tlns Innre der Natur dringt kein
ther 14,2ff.; im griechischen Urtext: erschaffner Geist
■yXäaoaig XaXelv). Dabei ist sowohl das
Ins große Stammbuch der Natur
Reden in fremden Sprachen als auch
das Hervorbringen unverständlicher Das Bild ist der 1. Strophe von Heinrich
Laute im Zustand religiöser Ekstase ge¬ Heines (1797-1856) Gedicht „Das Ho-

239
ins Teil I

helied“ entnommen: „Des Weibes Leib gnant die allgemeine Lebenserfahrung,


ist ein Gedicht,/Das Gott der Herr ge¬ daß erfolgreiche Menschen den Neid
schrieben/ins große Stammbuch der der weniger erfolgreichen auf sich zie¬
Natur,/Als ihn der Geist getrieben.“ Mit hen.
„Stammbuch“ ist hier ein Buch gemeint,
in das sich Gäste, Freunde, Bekannte Irren ist menschlich
mit Versen, Sinnsprüchen oder derglei¬ t Errare humanum est
chen zur Erinnerung eintragen. - Das
Zitat kann zum Beispiel Verwendung
Es irrt der Mensch, solang er strebt
finden, wenn man auf naturgeschichtli¬
che Ereignisse hinweisen will, die zu Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust
heute noch erkennbaren Veränderungen (Teil I, „Prolog im Himmel“). Mephisto
unserer natürlichen Umwelt geführt ha¬ wettet mit Gott um Fausts Seelenheil; er
ben, die also im „großen Stammbuch möchte allerdings die Erlaubnis, diesen
der Natur“ verewigt und daraus ables¬ Menschen sacht auf den schlechten
bar sind. Weg führen zu dürfen. Der Herr ant¬
wortet darauf: „So lang’ er auf der Erde
Ins Innre der Natur dringt kein er- lebt,/So lange sei dir’s nicht verboten./
schaffner Geist Es irrt der Mensch, so lang’ er strebt.“
Man zitiert heute meist die leicht abge¬
Diese apodiktische Aussage mit der
wandelte Form „Es irrt der Mensch, so¬
Fortsetzung „Zu glücklich, wem sie
lang er lebt“ und bringt damit resignie¬
noch die äußre Schale weist“ macht Al-
rend zum Ausdruck, daß uns immer
brecht von Haller (1708-1777) in dem
wieder Irrtümer unterlaufen können.
Gedicht „Falschheit menschlicher Tu¬
genden“, in dem er sich kritisch mit den
t Nur der Irrtum ist das Leben, und
Idolen der Menschen (wie z. B. dem
Märtyrer, dem Asketen, dem Kriegshel¬
das Wissen ist der Tod
den oder - worauf sich das Zitat be¬
zieht - dem großen Denker) auseinan¬ Irrungen, Wirrungen
dersetzt. Goethe fordern diese Zeilen Ein gesellschaftskritischer Roman von
zum Widerspruch heraus, den er in sei¬ Theodor Fontane (1819-1898) mit dem
nem Gedicht „Allerdings“ (1820) for¬ Thema der unstandesgemäßen Liebe
mulierte. Gegen die erste Zeile setzt er zwischen einem Adligen und einem bür¬
seine Ansicht, daß wir selbst als Teil der gerlichen Mädchen, die gezwungen
Natur schon in ihrem Inneren sind; ge¬ sind, ihr Glück gesellschaftlichen Vor¬
gen die (von ihm ungenau zitierte) zwei¬ urteilen zu opfern, trägt den Titel „Ir¬
te Zeile behauptet er: „Natur hat weder rungen, Wirrungen“. Der Titel dieses
Kern/Noch Schale,/Alles ist sie mit ei¬ Romans, in dem sich Fontane für dama¬
nem Male“. - Das Zitat gibt einer allge¬ lige Verhältnisse freimütig mit sozialen
meinen Skepsis gegenüber den Erkennt¬ und erotischen Problemen des späten
nismöglichkeiten des Menschen Aus¬ 19. Jahrhunderts auseinandersetzte und
druck, der nie die Geheimnisse der entsprechend Anstoß erregte, wurde
Natur werde entschlüsseln können. zum geflügelten Wort. Es dient auch
heute noch dazu, Konfusionen, Fehlent¬
Invidia gloriae comes wicklungen, verworrene Zustände un¬
Das sprichwörtliche Zitat findet sich bei terschiedlichster Art zu benennen oder
dem römischen Geschichtsschreiber zu kommentieren.
Cornelius Nepos (um 100 bis um 25
v. Chr.) in seiner Lebensbeschreibung Is’ was, Doc?
(Vitae XII, 3) des griechischen Feld¬ An Stelle von „Ist etwas nicht in Ord¬
herrn Chabrias (gefallen 357 v. Chr.). nung?“ oder „Was gibt es denn hier?“
Die deutsche Entsprechung lautet: wird in der Umgangssprache gelegent¬
„Neid ist des Ruhmes Geleit“ (wörtlich: lich die Frage „Is’ was, Doc?“ gestellt.
„Begleiter“). Das Zitat formuliert prä¬ Man zitiert damit den deutschen Titel

240
Teil I ist

eines amerikanischen Films, der im Ori¬ Hamlet diese vermeintliche Verwirrtheit


ginal What's up, Doc? lautet. Es handelt näher zu ergründen sucht, spürt unbe¬
sich dabei um eine turbulente Kriminal- wußt den Hintersinn in den Äußerun¬
und Liebeskomödie, die 1972 unter der gen und im Verhalten Hamlets. Das Zi¬
Regie von Peter Bogdanovich mit Bar- tat (oft auch in der Form „Ist dies schon
bra Streisand und Ryan O’Neal in den Wahnsinn, hat es doch Methode“) wird
Hauptrollen entstand. von jemandem verwendet, der bei der
Beurteilung bestimmter Vorgänge oder
Ist das nötige Geld vorhanden Handlungsweisen anderer, die er für
Für die Verfilmung seiner „Dreigro¬ völlig unsinnig und verrückt hält, doch
schenoper“ hat Bertolt Brecht die „Bal¬ eine bestimmte Linie, ein System zu er¬
lade, in der Macheath jedermann Abbit¬ kennen glaubt (was den Eindruck der
te leistet“ im Jahre 1930 um drei zusätz¬ Verrücktheit womöglich noch steigert).
liche Strophen ergänzt. Die erste dieser
neuen Schlußstrophen lautet: „Und so Ist Gott für uns, wer mag wider uns
kommt zum guten Ende/Alles unter ei¬ sein?
nen Hut./Ist das nötige Geld vorhan¬
Der Apostel Paulus schreibt im 8. Kapi¬
den/Ist das Ende meistens gut.“ Mit
tel seines Briefes an die Römer: „Wel¬
dem verkürzten Zitat „Ist das nötige
che er aber verordnet (= vorherbe¬
Geld vorhanden“ will man heute an¬
stimmt) hat, die hat er auch berufen;
deuten, daß die Verwirklichung eines
welche er aber berufen hat, die hat er
Vorhabens, eines Traums oft nur auf der
auch gerecht gemacht; welche er aber
Grundlage einer entsprechenden finan¬
hat gerecht gemacht, die hat er auch
ziellen Absicherung möglich ist.
herrlich gemacht./Was wollen wir nun
hiezu sagen? Ist Gott für uns, wer mag
Ist das Wort der Lipp’ entflohen,
wider uns sein?“ (Römer 8,30-31). Un¬
du ergreifst es nimmermehr ter dieser - kaum zu beweisenden, aber
Als Warnung vor allzu voreiligen Äuße¬ ebenso schwer zu widerlegenden - Prä¬
rungen ist dieser Ausspruch sicher oft misse sind im Laufe der Geschichte
zitiert worden. Heute wird er, wenn Kreuzzüge und Kriege geführt worden,
überhaupt, eher scherzhaft gebraucht. mußten sich Menschen Inquisitionen
Es handelt sich dabei um den ersten Teil unterwerfen, erhielt die Selbstherrlich¬
eines Epigramms von Wilhelm Müller keit manches Souveräns ihre vermeintli¬
(1794 bis 1827), einem deutschen Dich¬ che moralische Rechtfertigung.
ter, der heute fast nur noch als Autor
einiger volkstümlich gewordener Lieder
Es ist keine List über Frauenlist
aus den von Franz Schubert vertonten
Zyklen „Winterreise“ und „Die schöne Dieses Zitat stammt aus den Apokry¬
Müllerin“ bekannt ist. Das Epigramm phen des Alten Testaments. Im Buch Je¬
lautet vollständig: „Ist das Wort der sus Sirach geht es im 25. Kapitel unter
Lipp’ entflohen, du ergreifst es nimmer- anderem auch um die „Schilderung des
mehr,/Fährt die Reu’ auch mit vier Pfer¬ bösen Weibes“, und in diesem Zusam¬
den augenblicklich hinterher.“ menhang steht die Sentenz über die
Frauenlist (Vers 18). Sie wird heute zi¬
Ist denn Lieben ein Verbrechen? tiert, wenn eine Frau ein Ziel durch eine
besonders raffinierte List erreicht hat
tKann denn Liebe Sünde sein?
oder zu erreichen versucht, wobei man
unterstellt, daß die Männer zu solcher
Ist dies schon Tollheit, hat es doch
Raffinesse und Gemeinheit gar nicht
Methode fähig seien.
Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
Drama „Hamlet“ (11,2). Der Oberkäm¬
merer Polonius, der im Dialog mit dem
’s ist mal bei mir so Sitte
ihm geistesverwirrt erscheinenden tChacun ä son goüt

241
6 Duden 12
ist Teil I

Es ist nicht gut, mitten im Strom worden ist. Sie geht auf eine Stelle in der
die Pferde zu wechseln Apostelgeschichte des Neuen Testa¬
ments zurück. Hier wird berichtet, daß
Oft ist es mit Gefahren, zumindest aber
der Schriftgelehrte Gamaliel vor Über¬
mit Reibungsverlusten verbunden,
griffen auf die Apostel mit den Worten
wenn man ein eingespieltes Team durch
warnte: „Lasset ab von diesen Men¬
ein anderes ersetzt, bevor ein angestreb¬
schen und lasset sie fahren! Ist der Rat
tes Ziel erreicht ist. Als Warnung vor
oder das Werk aus den Menschen, so
diesen Risiken dient dieses Zitat, das
wird’s untergehen; ist’s aber aus Gott,
aus einer Rede des amerikanischen Prä¬
so könnet ihr’s nicht dämpfen“ (Apo¬
sidenten Abraham Lincoln vor dem
stelgeschichte 5,38-39).
Kongreß (1864) stammt: 1t is not best to
swap horses while Crossing the river („Es
ist nicht das beste, die Pferde zu wech¬
seln, solange man den Fluß überquert“).

Es ist nicht wahr, daß die kürzeste


Linie immer die gerade ist
Diese Behauptung stellt Gotthold
Ephraim Lessing in §91 seiner Schrift
J
„Die Erziehung des Menschenge¬
schlechts“ (1780) auf. Er spricht hierbei Ja, der Krieg verschlingt die Be¬
die „ewige Vorsehung“ an und bittet sten!
sie: „Laß mich an dir nicht verzweifeln,
In seinem Gedicht „Das Siegesfest“ hat
wenn selbst deine Schritte mir scheinen
Schiller die Polarität von Siegen und
sollten zurückzugehen!“ Und gleichsam
Unterliegen, die das menschliche Leben
als Bekräftigung fügt er den zitierten
bestimmt, zum Thema gemacht und am
Satz hinzu, eine Lebensweisheit, die fast
Beispiel der im Kampf siegreichen Grie¬
jeder schon bestätigt gefunden hat.
chen und der unterlegenen Trojaner
Nicht immer ist es der direkte Weg, der
dargestellt. Der in dem Zitat aus diesem
im Leben zum Ziel führt. In vielen Fäl¬
Gedicht enthaltene Gedanke, die Klage
len ist es ein Umweg, der schneller das
nämlich über die Grausamkeit und
Angestrebte erreichen läßt. In diesem
Blindheit des Schicksals, das gerade
Sinne werden Lessings Worte auch heu¬
auch die Besten zu Opfern werden läßt,
te noch verwendet.
ist oft aufgegriffen und vielfältig formu¬
liert worden. Auch Schiller bezog sich
Es ist vollbracht
bereits auf eine Stelle in der Tragödie
Bei diesem Satz handelt es sich nach
„Philokletes“ von Sophokles (um
dem Evangelium des Johannes (19,30)
496-um 406 v. Chr.), wo es im 3. Auftritt
um die letzten Worte des gekreuzigten
heißt: „... nimmer ist’s des Krieges
Jesus. Heute wird das Zitat in unter¬
Art,/Die Schlechten zu verschlingen,
schiedlichen Zusammenhängen verwen¬ nein, die Besten stets.“
det, zum Beispiel, wenn man etwas
Außergewöhnliches ausgeführt, zustan¬ Ja, ich bin’s, du Unglücksel’ge
de gebracht hat oder wenn eine mühe¬
Dieser heute nur noch scherzhaft ge¬
volle Arbeit abgeschlossen ist.
brauchte Ausruf, mit dem jemand einen
Ist’s Gottes Werk, so wird’s be¬ andern überraschen, ihn nach längerer
Abwesenheit im Scherz begrüßen kann
stehn; ist’s Menschenwerk, wird’s
o.ä., stammt aus dem Trauerspiel „Die
untergehn
Ahnfrau“ von Franz Grillparzer
So lautet die Inschrift auf dem Luther¬ (1791-1872). Die Worte fallen inner¬
denkmal in Wittenberg, das der Bild¬ halb einer Szene im 3. Akt, in der Jaro-
hauer Gottfried Schadow (1764-1850) mir von Eschen seiner Verlobten Berta
geschaffen hat und das 1821 aufgestellt von Borotin eröffnet, daß er nicht derje-

242
Teil I Jahres

nige ist, für den sie ihn hält, und in der erkennen.“ Faust aber antwortet zu¬
er sich ihr als Mitglied einer Räuberban¬ rechtweisend und mit leichtem Hohn
de zu erkennen gibt. Gelegentlich wird „Ja, was man so erkennen heißt!“ Heute
das Zitat noch um eine später folgende wird der Ausruf in dieser oder in viel¬
Zeile erweitert (drei Zeilen des Textes fach abgewandelter Form in unter¬
werden dabei übersprungen): „Ja, ich schiedlichen Zusammenhängen verwen¬
bin’s, du Unglücksel’ge, bin der Räuber det, z. B.: „Ja, was man so Liebe heißt!
Jaromir!“ Was man so Volksmusik heißt! Was
man so Staat heißt!“ usw.
Ja, ja, Prozesse müssen sein
Dieses Zitat benutzt jemand beispiels¬ J’accuse!
weise, wenn er jemandes Neigung, bei t Ich klage an!
jeder Gelegenheit zu prozessieren,
scherzhaft oder auch mit Spott kom¬ Jagdszenen aus Niederbayern
mentieren will. Es ist die Anfangszeile
Dies ist der Titel eines Theaterstücks
des Gedichtes „Der Prozess“ von Chri¬
des Dramatikers und Schauspielers
stian Fürchtegott Geliert (1715-1769).
Martin Sperr (* 1944), das besonders
In dem Gedicht wird beschrieben, wie
durch die Verfilmung (1968, Regie: Pe¬
jemand, der allzusehr auf seinem Recht
ter Fleischmann) unter dem gleichen Ti¬
beharrt, in einem langen Prozeß zwar
tel berühmt und allgemein bekannt wur¬
sein Anrecht auf einen schmalen Feld¬
de. Geschildert wird im Milieu dumpfer
rain verteidigt, am Ende aber beinahe
bayerischer Provinzialität die Verfol¬
Haus und Hof verloren hat.
gung eines homosexuellen Außensei¬
ters, der fälschlicherweise eines Mordes
Ja, mach nur einen Plan
verdächtigt und von den fanatisierten
Seine Skepsis, sein Mißtrauen gegen¬ Dorfbewohnern zu Tode gebracht wird.
über allzu genauer Planung, allzu sehr Der Titel des Stücks wurde zum Syn¬
durchorganisierten Vorhaben kann man onym für eine systematische Hetz- und
mit diesem Zitat zum Ausdruck bringen, Verleumdungskampagne.
besonders wenn man davon überzeugt
ist, daß das Geschehen letztlich von un¬ Die Jahre fliehen pfeilgeschwind
vorhergesehenen, fremden Einflüssen
Wenn jemand erstaunt oder auch er¬
bestimmt werden wird. Es stammt aus
schreckt konstatiert, wie schnell doch
der 1928 in Berlin uraufgeführten
die Zeit vergangen ist, wieviele Jahre ein
„Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht
bestimmtes Ereignis schon wieder zu¬
(1898-1956), Musik von Kurt Weill
rückliegt, so bedient er sich gelegentlich
(1900-1950). Im 3. Akt teilt der Bettler¬
dieses Zitats. Es ist eine Zeile aus Schil¬
könig Peachum dem Polizeichef von
lers Ballade „Das Lied von der Glocke“.
London seine Ansichten in dem „Lied
In der Passage des Gedichts, die dem
von der Unzulänglichkeit menschlichen
Heranwachsen eines Kindes gilt, wird
Strebens“ mit und äußert sich in der 2.
durch diese Zeile die Zeit des „goldnen
Strophe im Hinblick auf das Planen in
Morgens“ der Kindheit von der Jugend¬
folgender Weise: „Ja, mach nur einen
phase des „ins Leben wild“ hinausstür¬
Plan,/Sei nur ein großes Licht!/Und
menden Knaben getrennt.
mach dann noch ’nen zweiten
Plan,/Gehn tun sie beide nicht."
TWir bringen unsre Jahre zu wie
Ja, was man so erkennen heißt! ein Geschwätz
Dieser Ausruf stammt aus Goethes
Des Jahres letzte Stunde ertönt mit
Faust (Teil I, Nacht). Der Famulus
Wagner spricht im Dialog mit Faust vol¬
ernstem Schlag
ler Emphase die Worte: „Allein, die Selbstbesinnung, Gedanken und Refle¬
Welt! Des Menschen Herz und xionen über Vergangenes und Zukünfti¬
Geist !/Möcht’jegliches doch was davon ges sind kennzeichnend für viele litera-

243
6*
Jahrhundert Teil I

rische Äußerungen, die sich auf das Jah¬ sei, stammt aus einer Bildergeschichte
resende, den Jahreswechsel beziehen. von Wilhelm Busch (1832-1908) mit
Entsprechend verhält es sich auch mit dem Titel „Diogenes und die bösen Bu¬
diesem Zitat. Es sind die ersten beiden ben von Korinth“. In der Geschichte
Zeilen eines Gedichtes mit dem Titel wird erzählt, wie zwei „böse Buben“
„Neujahrslied“ von Johann Heinrich dem Philosophen Diogenes in seiner
Voß (1751-1826), einem vom aufgeklär¬ Tonne mit Streichen so lange zusetzen,
ten Geist seiner Zeit geprägten Dichter, bis sie schließlich selbst unter die Tonne
der besonders als Mitherausgeber des geraten und am Ende „platt gewalzt, wie
„Göttinger Musenalmanachs“ und als Kuchen sind“. Die Geschichte endet
Übersetzer der bedeutendsten Dichtun¬ mit den Zeilen: „Diogenes der Weise
gen der Antike bekannt wurde. Das Ge¬ kroch ins Faß/Und sprach: Jaja! Das
dicht wurde von Johann Abraham Peter kommt von das!““
Schulz (1747- 1800) vertont, dem Kom¬
ponisten vieler volkstümlich geworde¬
ner Lieder. Je mehr er hat, je mehr er will
Dieses Zitat wird häufig dazu benutzt,
t Arm in Arm mit dir, so fordr’ ich um jemandes Unersättlichkeit, Maßlo¬
mein Jahrhundert in die Schran¬ sigkeit zu charakterisieren und zu ta¬
ken deln. Es handelt sich dabei um eine Zei¬
le aus dem Gedicht „Zufriedenheit“
Jahrmarkt der Eitelkeit (mit der ebenfalls häufig zitierten An¬
So lautet der deutsche Titel eines fangszeile „Was frag’ ich viel nach Geld
Gesellschaftsromans des englischen und Gut“) von Johann Martin Miller
Schriftstellers William Makepeace (1750-1814), einem Vertreter der Dich¬
Thackeray (1811-1863; englischer Ti¬ tung der Empfindsamkeit im 18. Jahr¬
tel: Vanity Fair, Or, A Novel wilhout a hundert. Das Gedicht wurde auch be¬
Hero). Das Ziel des Autors ist es, kannt durch die Vertonung von Christi¬
menschliche Schwächen zu entlarven an Gottlob Neefe (1748-1798), der ein
und das Befangensein der Repräsentan¬ Lehrer Beethovens war. Gelegentlich
ten der Gesellschaft in Egoismus, wird das Zitat auch in erweiterter Form
Dummheit und Bosheit bloßzustellen. gebraucht. Zitiert werden dann die bei¬
Den Titel übernahm Thackeray aus dem den letzten Zeilen der zweiten Strophe
Erbauungsbuch „The Pilgrim’s Pro¬ des Gedichts: „Je mehr er hat, je mehr
gress“ (deutsch 1685 unter dem Titel er will,/Nie schweigen seine Klagen
„Eines Christen Reise nach der Seeligen still.“
Ewigkeit“). Dort heißt es vom himmli¬
schen Jerusalem, daß der Name der
Stadt „Eitelkeit“ sei und daß es hier Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert
einen „Jahrmarkt der Eitelkeit“ gebe - Diese Redensart ist eine Abwandlung
die Verkörperung weltlicher Hoffart so¬ des Bibelverses „... denn ein Arbeiter ist
zusagen. Wir bezeichnen heute als Jahr¬ seines Lohnes wert“, wie es im Neuen
markt der Eitelkeit alle die Anlässe, bei Testament beim Evangelisten Lukas
denen es für die Schickeria gilt, sich zur (10,7) heißt. Eine ähnliche Aussage fin¬
Schau zu stellen, getreu der Devise „se¬ det sich bei Matthäus (10,10): „Denn
hen und gesehen werden“.
ein Arbeiter ist seiner Speise wert“. Bei¬
de Stellen beziehen sich auf die Jünger
Jaja! Das kommt von das!
als Arbeiter im Dienst der Verkündi¬
Diese (um des Reimes willen) scherz¬ gung. Das leicht abgewandelte Zitat
haft in grammatikalischer Eigenwillig¬ kann heute einer Forderung nach ge¬
keit formulierte Äußerung, die jemand rechter Entlohnung Ausdruck verleihen
triumphierend machen kann, wenn er oder die (vielleicht nur widerstrebend
ausdrücken will, daß er es ja gleich ge¬ angenommene) Entlohnung eines ein¬
wußt habe, und daß dies nun die Folge zelnen Hilfsdienstes rechtfertigen.

244
Teil I jeder

t Und jedem Anfang wohnt ein diendichter Plautus (um 250-184


Zauberinne v. Chr.) behält diese Fähigkeit, sich
selbst sein Glück zu schaffen, dem Wei¬
Jedem Mann ein Ei sen vor: Sapiens ipse fingit fortunam
(Trinummus II, 2,84). Gottfried Keller
Das Zitat mit der Fortsetzung „dem
(1819-1890) verarbeitete das Sprich¬
frommen Schweppermann zwei“ ist an¬
wort in der Novelle „Der Schmied sei¬
geblich ein Ausspruch Ludwigs des
nes Glücks“ aus der Sammlung „Die
Bayern (um 1282-1347), der bei der
Leute von Seldwyla“.
Verteilung der knappen Vorräte nach
der siegreichen Schlacht bei Mühldorf Jeder ist sich selbst der Nächste
dem verdienstvollen Feldhauptmann
Diese sprichwörtliche Redensart mit der
Seyfried Schweppermann zwei Eier zu¬
Bedeutung Jeder denkt zuerst an sich
gestand. In übertragenem Gebrauch
selbst“ ist lateinischen Ursprungs. Bei
kann man damit der Meinung Ausdruck
dem römischen Komödiendicher Te-
geben, daß jemandem bei der Vertei¬
renz (2. Jh. v. Chr.) heißt es in dem Stück
lung von materiellen Gütern oder von
„Andria“ (IV, 1) im lateinischen Origi¬
anderen Vergünstigungen mehr zustehe
nal: Proximus sum egomet mihi, auf
als den andern, weil er für entsprechen¬
deutsch: „Ich bin mir'selbst der Näch¬
de Verdienste zu belohnen sei. Auch als
ste“.
ironischer Kommentar bei einer unge¬
rechten Verteilung oder bei zu sparsa¬
t Doch jeder Jüngling hat wohl mal
mer Belohnung kann das Zitat verwen¬
’n Hang fürs Küchenpersonal
det werden.
Ein jeder kehre vor seiner Tür
Jedem Tierchen sein Pläsierchen
Dieses (auch in anderen Sprachen be¬
Mit dieser sprichwörtlichen Redensart kannte) Sprichwort im Sinne von „jeder
will man zum Ausdruck bringen, daß möge sich um seine eigenen Angelegen¬
man jedem zubilligen muß, so zu han¬ heiten kümmern, statt andere zu kritisie¬
deln, sich so zu verhalten, wie er es für ren“ hat Goethe unter dem Titel „Bür¬
richtig hält, auch dann, wenn dabei be¬ gerpflicht“ in seinen „Zahmen Xenien“
sondere Marotten, Verrücktheiten zuta¬ im 9. Buch verwendet. Es heißt dort wei¬
ge treten. Die Redensart geht zurück auf ter: „Und rein ist jedes Stadtquartier./
den Titel einer humoristischen Gedicht¬ Ein jeder übe sein’ Lektion,/So wird es
sammlung von Edwin Bormann (1851 gut im Rate stöhn!“ Schon Georg Rol¬
bis 1912), einem sächsischen Dialekt¬ lenhagen (1542-1609) hatte in seinem
dichter, und Adolf Oberländer (1845 bis grotesken satirischen Tierepos „Frosch-
1923), dem neben Wilhelm Busch be¬ meuseler“, einer allegorischen Darstel¬
deutendsten deutschen Karikaturisten lung der Reformationszeit und ihrer
seiner Zeit. Der Titel lautete: „Ein jedes Wirren nach antikem Muster, eine ähn¬
Tierchen hat sein Pläsierchen. Zoologi¬ liche Formulierung gewählt. In Buch 1,
scher Liedergarten“. Teil 2, Kapitel 5, Vers 130f. heißt es:
„Für seiner Tür kehr’ jeder fein,/So
Jeder ist seines Glückes Schmied wird’s in der ganzen Stadt rein.“
Das Sprichwort im Sinne von „man hat
sein Schicksal oder Wohlergehen selbst
Jeder Krämer lobt seine Ware
in der Hand“ geht nach der Sallust zu¬ Dieser Ausspruch geht möglicherweise
geschriebenen Schrift „De re publica or- auf das erste Buch der „Epistulae“ des
dinanda“ auf den römischen Zensor römischen Dichters Horaz (65-8
(312 v. Chr.) und Konsul (307 und 296 v. Chr.) zurück. Bei diesem Werk han¬
v. Chr.) Appius Claudius Caecus zu¬ delt es sich um poetische Briefe, die be¬
rück. Dieser habe in einer Spruchsamm¬ sonders (im ersten Buch) allgemeine
lung geschrieben, fabrum esse suae Fragen der Lebensführung behandeln.
quemque fortunae. Der römische Komö¬ Der Originaltext des Zitats lautet: Lau-

245
jeder Teil I

dal venalis qui volt extrudere mercis. merkung Friedrichs des Großen zurück,
(Wörtlich übersetzt: „Es lobt derjenige, die sich auf die Toleranz den Religionen
der seine Ware losschlagen will.“) - Es gegenüber bezieht. Als er am 22. 6. 1740
drückt sich darin die begründete Skep¬ eine Anfrage des Staatsministers von
sis gegenüber allem aus, was zu sehr an¬ Brand und des Konsistorialpräsidenten
gepriesen wird. von Reichenbach erhielt, ob die rö¬
misch-katholischen Schulen wegen ih¬
Jeder liebt sich selber nur am mei¬ rer Unzuträglichkeit wieder abgeschafft
sten werden sollten, schrieb er diese Antwort
Dieser Ausspruch stammt aus „Nathan an den Rand des Schriftstücks und fügte
der Weise“ (III, 7) von Gotthold Ephra¬ hinzu, daß keine Religion der anderen
im Lessing (1727-1781), und zwar aus Abbruch tun dürfe.
der berühmten „Ringparabel“, mit der
Nathan dem Sultan Saladin dessen Fra¬
Jeder stirbt für sich allein
ge nach der wahren Religion beantwor¬ Diese pessimistisch klingende Aussage
tet. Als Zitat dient der Ausspruch meist über die Einsamkeit des menschlichen
als Tadel angesichts eines allzu deutlich Individuums, sein Eingeschlossensein
werdenden Egoismus, einer übertriebe¬ in sein Dasein als Einzelwesen und das
nen Ichbezogenheit. Zurückgeworfensein auf sich selbst in
den Grenzsituationen des Lebens wird
Jeder Mensch hat seinen Preis in etwas erweitertem Sinn auch zitiert,
wenn ausgedrückt werden soll, daß in
Der britische Staatsmann Sir Robert
Walpole (1676-1745) war der erste Pre¬ entscheidenden Situationen jeder in er¬
mierminister der britischen Geschichte. ster Linie auf sich selbst angewiesen ist,
Auf ihn wird dieser Ausspruch zurück¬ seine Entscheidungen selbst treffen
geführt. Im Hinblick auf bestimmte an¬ muß und nicht auf die Hilfe anderer
geblich uneigennützig handelnde Perso¬ zählen kann. Es handelt sich dabei um
nen soll er gesagt haben: All those men den Titel eines Romans des deutschen
have theirprice, auf deutsch: „Alle diese Schriftstellers Hans Fallada (1893 bis
Leute haben ihren Preis.“ Es ist der zy¬ 1947). Der Roman schildert die Ge¬
nische Hinweis auf die Bestechlichkeit schichte eines Arbeiterehepaares, das
des Menschen, darauf also, daß letztlich einen aussichtslosen Kampf gegen den
jeder Mensch käuflich ist. In diesem Totalitarismus des Naziregimes führt,
Sinne wird das Zitat in seiner abgewan¬ bis es schließlich von diesem vernichtet
wird.
delten Form auch heute noch ge¬
braucht.
Jeder Tag hat seine Plage
Jeder Mensch ist ein Abgrund Bei diesem als eine Art Stoßseufzer an¬
gesichts täglich erneut auftretender Un¬
Dieses Zitat aus Georg Büchners „Woy-
annehmlichkeiten gebräuchlichen Aus¬
zeck“ (1836) ist charakteristisch für die
spruch handelt es sich um ein abgewan¬
pessimistische Weitsicht dieses Dich¬
ters, die den Menschen dunklen Gewal¬ deltes Bibelwort. Das 6. Kapitel des
ten in seinem Innern ausgeliefert sieht. Matthäusevangeliums, das den Mittel¬
teil der Bergpredigt enthält, endet mit
Woyzeck selbst sagt die Worte in der
siebten Szene: „Jeder Mensch ist ein den Worten: „Es ist genug, daß ein jegli¬
cher Tag seine eigene Plage habe.“ Die
Abgrund; es schwindelt einem, wenn
man hinabsieht.“ Form, in der das Wort heute zitiert wird,
wurde von Goethe geprägt. Das Lied
der Philine, „Singet nicht mit Trauertö¬
Jeder muß nach seiner Fasson
nen“, aus „Wilhelm Meisters Lehrjah¬
selig werden
re“ endet mit den eher schelmischen
Die Redensart im Sinne von „Jeder soll Versen: „Jeder Tag hat seine Pla¬
nach seiner eigenen Auffassung leben, ge/Und die Nacht hat ihre Lust.“ Das
sein Leben gestalten“ geht auf eine Be¬ Lied wurde besonders bekannt durch

246
Teil I jedes

die Vertonungen von Robert Schumann worden sind, alsdann den geringem; du
(1841) und Hugo Wolf (1888). hast den guten Wein bisher behalten“
(Johannes 2,10). Damit wird auf Jesu
Ein jeder Wechsel schreckt den Verwandlung von Wasser in Wein hin¬
Glücklichen gewiesen, aber zugleich die übliche Auf¬
fassung von der Reihenfolge der servier¬
Diese Worte spricht in Schillers Tragö¬
ten Weinqualitäten bestätigt. Man
die „Die Braut von Messina“ (1,7) der
bringt diesen Sachverhalt auch häufig
eine der feindlichen Brüder, Don Ma¬
mit den Worten: „Wenn die Gäste trun¬
nuel, der keine Nachforschungen über
ken sind, kommt der schlechtere Wein“
die Herkunft seiner Geliebten anstellen
zum Ausdruck.
möchte. So sagt er zunächst: „Nie wagt'
ich’s, einer Neugier nachzugeben,/Die
mein verschwiegnes Glück gefährden Jedermann klagt über sein Ge¬
konnte.“ Wenig später wird diese Aus¬ dächtnis, niemand über seinen Ver¬
sage durch eine allgemeine Feststellung stand
erläutert und bekräftigt: „Ein jeder Das Zitat ist die 89. von La Rochefou-
Wechsel schreckt den Glücklichen;/Wo caulds (1613-1680) „Maximen und Re¬
kein Gewinn zu hoffen, droht Verlust.“ flexionen“ („Reflexions ou Sentences et
Wer glücklich und zufrieden ist, kann maximes morales“) und lautet im Origi¬
von jeder Veränderung seiner Lebenssi¬ nal: Tout le monde se plaint de sa
tuation nur eine Verschlechterung er¬ memoire, et personne ne se plaint de son
warten; in diesem Sinne wird das Zitat jugement. Es ist zwar Mode, über sein
auch heute noch gelegentlich verwen¬ schlechtes Gedächtnis zu klagen - hier
det. gibt man eine Schwäche bereitwillig zu,
da die Gedächtnisleistung als etwas
Jeder Zoll ein König eher Mechanisches, von der allgemei¬
Der Ausspruch stammt aus Shake¬ nen Intelligenz Unabhängiges angese¬
speares Drama „König Lear“ (IV, 6). ln hen wird. Dagegen will niemand gern
der öden Landschaft der Kreidefelsen zugeben, daß der eigene Verstand für
bei Dover begegnen sich der „mit Blu¬ etwas nicht ausreicht.
men und Kränzen“ seltsam geschmück¬
te, dem Wahnsinn entgegentreibende Jedes legt noch schnell ein Ei
König Lear und der durch Blendung Im „Ersten Streich“ der Bildergeschich¬
blind gewordene Graf von Gloster. Auf te „Max und Moritz“ von Wilhelm
die Frage Glosters „Ist’s nicht der Kö¬ Busch (1832-1908) wird geschildert,
nig?“ antwortet Lear voller Ironie und wie die beiden Knaben Max und Moritz
Bitterkeit: „Ja, jeder Zoll ein König“ die Hühner der Witwe Bolte auf grotes¬
(im englischen Original: Ay, every inch a ke Weise zu Tode bringen. Von den an
king). Der Ausspruch hat sich verselb¬ einem langen Ast in einer Reihe hän¬
ständigt und wird mit unterschiedlichen genden Tieren heißt es dann: „Jedes legt
Übertragungen in verschiedenen Zu¬ noch schnell ein Ei,/Und dann kommt
sammenhängen verwendet, wobei heute der Tod herbei.“ Das Zitat besonders
oft auch eine gewisse Ironie, ein leichter der ersten dieser Zeilen dient als scherz¬
Spott mitschwingt, so beispielsweise in hafter Kommentar zu Situationen, in
Äußerungen, wie: jeder Zoll ein Gene¬ denen in letzter Minute und in aller Eile
ral, jeder Zoll eine Dame. noch bestimmte Maßnahmen getroffen,
diese oder jene Dinge erledigt werden.
Jedermann gibt zuerst den guten
Wein Jedes Volk hat die Regierung, die
Im Neuen Testament sagt auf der Hoch¬ es verdient
zeit zu Kana der Speisemeister zum Mit diesem etwas süffisant klingenden
Bräutigam: „Jedermann gibt zum ersten Bonmot schmückt auch heute noch
guten Wein, und wenn sie trunken ge¬ mancher politische Kommentator seine

247
jedoch Teil I

kritische Stellungnahme beispielsweise dem Angesicht des Herrn und wohnte


nach einem Wahlausgang, der nicht im Lande Nod, jenseit Eden, gegen
seinen Vorstellungen entspricht. Es Morgen“ (1. Moses 4,16).
stammt aus einem Brief des französi¬
schen Diplomaten, Staats- und Jenseits von Gut und Böse
Geschichtsphilosophen Graf Joseph de
„Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel ei¬
Maistre (1753-1821), der ein Gegner
ner Philosophie der Zukunft“ ist der Ti¬
der Französischen Revolution war und
tel einer Schrift des Philosophen Fried¬
einen katholisch-restaurativen Monar¬
rich Nietzsche (1844-1900). Der Titel ist
chismus vertrat. Im Original lautet der
in die Redewendung „jenseits von Gut
Satz: Toute nation a le gouvernement
und Böse sein“ eingegangen. Man ge¬
qu 'eile merite.
braucht sie - häufig scherzhaft oder
auch ironisch - in bezug auf einen Men¬
Jedoch der schrecklichste der schen, der in gewisser Weise der Welt
Schrecken, das ist der Mensch in entrückt ist. Auch als scherzhafte Um¬
seinem Wahn schreibung dafür, daß man jemandem
Das Zitat stammt aus Schillers „Lied unterstellt, er habe wegen seines hohen
von der Glocke“ und steht in dem Ab¬ Alters keine sexuellen Bedürfnisse
schnitt, der auf die Schrecken der Fran¬ mehr, wird das Zitat verwendet.
zösischen Revolution anspielt, wo der
Mensch in seiner blinden, wahnhaften Jeremiade
Raserei mehr als Löwe und Tiger zu Der heute nicht mehr allzu häufig ge¬
fürchten ist: „Gefährlich ist’s, den Leu brauchte Ausdruck hat die Bedeutung
zu wecken,/Verderblich ist des Tigers „wortreiche Klage, die jemand in oft
Zahn,/Jedoch der schrecklichste der wehleidigem Ton über etwas führt“.
Schrecken,/Das ist der Mensch in sei¬ Das Wort wurde (vielleicht unter dem
nem Wahn.“ Auch die jüngsten Ab¬ Einfluß des französischen Ausdrucks
schnitte der menschlichen Geschichte jeremiade) nach der biblischen Gestalt
geben zahlreiche Anlässe, die Schiller- des Propheten Jeremia gebildet, und
schen Zeilen zu zitieren. zwar nach dem Titel des Buches „Die
Klagelieder Jeremias“. Im Mittelpunkt
Jenseits von Eden dieses Buches steht die Klage über „die
Zur Kennzeichnung von Vorgängen Verwüstung Judas“, die Zerstörung
und Zuständen, die von schicksalhaften Jerusalems und des Tempels.
Verstrickungen des Menschen in Irrtum
und Unrecht zeugen, von seinem Versa¬ Jetzt aber naht sich das Malheur
gen und Schuldigwerden, dient dieser In der Bildergeschichte „Hans Hucke¬
literarische Ausdruck. Es handelt sich bein - der Unglücksrabe“ erzählt Wil¬
um den Titel eines Romans des ameri¬ helm Busch (1832-1908) die Erlebnisse
kanischen Schriftstellers John Steinbeck eines jungen, übermütig-wilden Raben,
(1902-1968; englischer Originaltitel: der von einem Knaben gefangen wird,
East of Eden), der besonders durch die in seiner neuen Umgebung eine Reihe
Verfilmung (1955) unter der Regie von von boshaften Streichen verübt und
Elia Kazan und mit James Dean in sei¬ zum Verursacher einer Serie von aufre¬
ner ersten Hauptrolle bekannt wurde. genden und turbulenten Szenen wird.
Geschildert wird ein spektakuläres Fa¬ Schließlich bringt er sich selbst zur
milien- und Generationendrama mit ei¬ Strecke, indem er sich nach dem Genuß
ner modernen Variante des biblischen von Likör mit einem Strickzeug erdros¬
Kain-und-Abel-Themas im Mittel¬ selt. Die Wende zu diesem bösen Ende
punkt. Buch- und Filmtitel beziehen hin wird mit den Versen eingeleitet:
sich auf eine Stelle im Alten Testament, „Jetzt aber naht sich das Mal-
wo es nach der Schilderung von Kains heur,/Denn dies Getränke ist Likör.“
Brudermord heißt: „Also ging Kain von Der erste Vers wird oft scherzhaft als

248
Teil I Judaskuß

Ankündigung drohender Mißlichkeiten, Johanna geht, und nimmer kehrt


unliebsamer Begegnungen o. ä. zitiert. sie wieder
ln Schillers Tragödie „Die Jungfrau von
Jetzt wächst zusammen, was zu¬ Orleans“ (uraufgeführt 1801 in Leipzig)
sammengehört spricht Johanna diese Worte im vierten
Mit diesen Worten kommentierte Willy Auftritt des Prologs. Man gebraucht sie
Brandt am 10. November 1989 den Fall heute, wenn man scherzhaft andeuten
der Berliner Mauer. Schon wenige Mo¬ will, daß jemand enttäuscht oder belei¬
nate später, als die wirtschaftlichen und digt weggeht, weil er mit seinem Vorha¬
politischen Schwierigkeiten der deut¬ ben nicht zum Zuge gekommen ist.
schen Wiedervereinigung immer deutli¬ Auch in der scherzhaft abgewandelten
cher zu spüren waren, entstanden auch Form „Johanna geht, und niemals fegt
pessimistische Abwandlungen dieses sie wieder“ ist das Zitat gebräuchlich.
Ausspruchs wie „Jetzt bricht zusammen,
was zusammengehört“.
Judas
Jeunesse doree Im Matthäusevangelium (ebenso auch
Mit diesem Ausdruck (auf deutsch: bei Markus, Lukas und Johannes) ist es
„vergoldete Jugend“) wurde früher häu¬ der Jünger Judas Iskariot, der Jesus von
figer die vergnügungssüchtige reiche Nazareth an die jüdische Behörde ver¬
Großstadtjugend gekennzeichnet. Der rät. Nach dieser biblischen Gestalt be¬
Ausdruck stammt aus der Zeit der Fran¬ zeichnet man einen Menschen, der treu¬
zösischen Revolution. Er diente nach los an jemandem handelt, jemanden
dem Sturz Robespierres (1794) als Pro¬ heuchlerisch verrät, als „Judas“. Für
pagandawort der Jakobiner für die seinen Verrat erhielt Judas (nach Mat¬
männliche Jugend des französischen thäus 26,15) dreißig Silberlinge. Darauf
Großbürgertums in Paris, die durch ihre geht die Wendung „jemanden, etwas für
reaktionäre Haltung und ihre Kleidung dreißig Silberlinge verraten“ zurück.
von sich reden machte, die Jakobiner Man verwendet sie, um auszudrücken,
aktiv bekämpfte und unter Führung des jemand habe einen Verrat für wenig
Politikers und Publizisten L. Freron Geld, also eher leichtfertig und recht
(1754-1802) zur Gegenrevolution auf¬ skrupellos begangen. Auch der Aus¬
rief. druck „Judaslohn“ für die Gegenlei¬
stung, die jemand für eine verräterische
Johann, der muntre Seifensieder Tat erhält, bezieht sich darauf (siehe
auch „Judaskuß“).
Dieser heute sicher nicht mehr allzu
häufig gebrauchte Ausdruck als Be¬
zeichnung für einen fröhlichen, sorglo¬
sen, unbekümmerten Menschen stammt Judaskuß
aus dem Gedicht „Johannes, der Seifen¬ ln den Evangelien von Matthäus, Mar¬
sieder“, in dem ein Seifensieder schlich¬ kus und Lukas wird berichtet, daß Judas
ten Gemüts sich von einem Nachbarn Iskariot (siehe auch „Judas“) Jesus von
das Recht auf sein fröhliches Singen ab¬ Nazareth an die jüdische Behörde ver¬
kaufen läßt. Die Sorge um seinen neuen raten habe. Damit aber auch der Richti¬
Reichtum vergällt ihm aber so sehr das ge ergriffen würde, vereinbarte er einen
Dasein, daß er das Geld wieder zurück¬ Kuß als Erkennungszeichen: „Und der
gibt und lieber arm, aber mit Gesang Verräter hatte ihnen ein Zeichen gege¬
weiterlebt. Das Zitat ist die Schlußzeile ben und gesagt: Welchen ich küssen
dieses Gedichts von Friedrich von Ha¬ werde, der ist’s; den greifet“ (Matthäus
gedorn (1708-1754), einem Fabeldich¬ 26,48; ähnlich in Markus 14,44 f. und
ter und Lyriker besonders der Anakre- Lukas 22,47 f.). Danach bezeichnet man
ontik, dessen Einfluß bis zu Lessing und heute eine heuchlerische freundliche
dem jungen Goethe reichte. Geste als „Judaskuß“.

249
Judaslohn Teil I

Judaslohn derben“ (Matthäus 9,17; revidierte Fas¬


sung von 1984; ursprünglicher Text:
t Judas
„Man faßt auch nicht Most in alte
Schläuche...“). Aus dieser Bibelstelle ist
tTut nichts! Der Jude wird ver¬ der zitierte Ausdruck entstanden, der
brannt! auch in der Form „Neuer Wein in alten
Schläuchen“ gebräuchlich ist. Er wird
t Haust du meinen Juden, hau’ ich verwendet, wenn man ausdrücken will,
deinen Juden daß ein bestimmtes Vorgehen zu keiner
grundlegenden Änderung geführt hat,
daß dadurch nichts durchgreifend er¬
Jugend ist Trunkenheit ohne Wein
neuert wurde, sondern etwas nur eine
Diese Worte stammen aus dem „Schen¬ notdürftige oder halbherzige Umgestal¬
kenbuch“ in Goethes „Westöstlichem tung erfahren hat.
Diwan“ (erster Druck 1819). Für den
Dichter sind jugendliche Frische und
Kraft, jugendlicher Überschwang, das
t Doch jeder Jüngling hat wohl
Hochgefühl der eigenen Stärke ein mal ’n Hang fürs Küchenpersonal
rauschhafter Zustand, der beflügelt und
alle Grenzen überwinden läßt und der t Auch ich war ein Jüngling mit
ohne Stimulanzien wie z. B. Alkohol er¬ lockigem Haar
reicht wird. Eben diese „Trunkenheit“
ist das Privileg der Jugend. In diesem
Sinne wird der Vers auch heute noch
Den Jüngling ziert Bescheidenheit
zitiert. Dieses Zitat ist eine Umstellung der
Worte, mit denen im Drama „Die Ahn¬
frau“ des österreichischen Dramatikers
Jugend von heute
Franz Grillparzer (1791-1872) der ju¬
Unter diesem Titel erschien 1899 eine gendliche Held Jaromir vom alten Gra¬
Komödie des deutschen Schriftstellers fen Zdenko von Borotin ermahnt wird,
Otto Ernst (Pseudonym für O. E. seine Bescheidenheit nicht zu übertrei¬
Schmidt; 1862-1926). Der Ausdruck ben: „Ziert Bescheidenheit den Jüng¬
wurde als Bezeichnung für die Jugendli¬ ling,/Nicht verkenn’ er seinen Wert!“ (I,
chen gebräuchlich, für die jungen Leute Vers 692 f.). Durch die Umstellung wird
der (vom Standpunkt des Sprechers aus auch der ursprüngliche Sinn der Auffor¬
gesehen) heutigen Zeit, besonders im derung verändert, die jetzt eine mit ver¬
Hinblick auf ihre Verhaltensweise, ihr haltenem Nachdruck gegebene Ermah¬
Auftreten. Auch in verschiedenen Ab¬
nung zu etwas mehr Bescheidenheit und
wandlungen wie „Manager von heute“
Zurückhaltung ist. Ob allerdings das
oder „Kommunikationsmittel von heu¬ scherzhafte Sprichwort „Bescheidenheit
te“ wird der Ausdruck gebraucht, um ist eine Zier, doch weiter kommt man
Personen oder Sachen zu kennzeichnen,
ohne ihr“ hierin seinen Ursprung hat,
die in die jetzige Zeit passen, dem Trend erscheint fraglich.
der Gegenwart entsprechen.

Die jüngsten Kinder meiner Lau¬


TSo jung kommen wir nicht mehr
ne
zusammen
Der deutsche Dramatiker August von
Kotzebue (1761-1819) lebte nach sei¬
Junger Wein in alten Schläuchen nem Ausscheiden aus dem diplomati¬
Im Matthäusevangelium heißt es in ei¬ schen Dienst auf seinem Landgut in Est¬
nem Gleichnis: „Man füllt auch nicht land, bis er 1797 nach Wien als Hofthea¬
neuen Wein in alte Schläuche; sonst zer¬ terdichter berufen wurde. Einige seiner
reißen die Schläuche, und der Wein Schriften aus dieser Zeit gab er unter
wird verschüttet, und die Schläuche ver¬ dem Sammeltitel „Die jüngsten Kinder

250
Teil I Käfig

meiner Laune“ heraus. Man zitiert die¬


sen Titel heute (auch in der Form „Das
jüngste Kind meiner Laune“ und häufig
auch mit Bezug auf eine andere Person
in Verbindung mit „ihrer“ oder „sei¬
ner“), um etwas als aus einer Laune ent¬
sprungenen Einfall, als spontane Idee
K
zu kennzeichnen.

Kadavergehorsam
Jurare in verba magistri
Dieser im 19. Jahrhundert gebräuchlich
Diese lateinische Redewendung aus den
gewordene Ausdruck leitet sich von
„Epistulae“ des römischen Dichters
einer Vorschrift aus den jesuitischen Or¬
Horaz (65-8 v. Chr.) bedeutet übersetzt
densregeln des Ignatius von Loyola
„auf des Meisters Worte schwören“, ist
(1491-1556) ab. In den „Constitutio-
im heutigen Gebrauch aber ironisch ge¬
nes“ (4,1) heißt es, die Ordensmitglie¬
meint und hat den Sinn „die Meinung,
der sollen sich von Gott und den Vorge¬
das Urteil eines anderen, besonders ei¬
setzten leiten lassen perinde ac si cadaver
nes Höhergestellten kritiklos überneh¬
essent („als seien sie ein Leichnam“ [der
men“. Goethe hat die deutsche Entspre¬
alles mit sich machen läßt]). Dement¬
chung der Redewendung im Faust ver¬
sprechend wird das Wort „Kadaverge¬
wendet. In der Schülerszene (Faust I,
horsam“ heute (meist abwertend) im
Studierzimmer) gibt Mephisto dem
Sinne von „blinder, willenloser Gehor¬
Schüler hinterhältig den falschen Rat:
sam unter Aufgabe der eigenen Persön¬
„Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr nur
lichkeit“ gebraucht.
einen hört,/Und auf des Meisters Worte
schwört“, um dann auch noch fortzu¬
fahren: „Im ganzen - haltet euch an Kaffeehausliterat
Worte!/Dann geht Ihr durch die sichre Mit diesem abwertenden Ausdruck be¬
Pforte/Zum Tempel der Gewißheit ein.“ zeichnet man einen Schriftsteller, der
sich häufig im Kaffeehaus aufhält und
Einen Jux will er sich machen dort auch seine Werke verfaßt (und dem
So lautet der Titel einer 1842 uraufge- man deshalb eine gewisse Oberfläch¬
führten Posse mit Gesang des österrei¬ lichkeit und literarische Leichtgewich¬
chischen Schriftstellers und Schauspie¬ tigkeit unterstellt). Er geht auf den
lers Johann Nestroy (1801-1862). Er, österreichischen Politiker Georg Ritter
das ist der ansonsten grundsolide Kauf¬ von Schönerer (1842-1921) zurück, der
mannsgehilfe Weinberl, der zusammen sich mit zunehmender antisemitischer
mit dem Lehrjungen Christopherl unbe¬ Haltung der deutschnationalen Bewe¬
dingt auf Abenteuer ausgehen will, statt gung anschloß und ihn in deren Linzer
im Laden die Geschäfte zu führen, wie Programm von 1882 verwendete.
es ihm sein Chef für die Zeit seiner Ab¬
wesenheit aufgetragen hat. Man zitiert
Ein Käfig voller Narren
den Titel heute gelegentlich, wenn man
zu verstehen geben will, daß man etwas Dies ist der Titel eines im Transvestiten¬
gerade Gehörtes nicht für wahr hält, milieu spielenden französischen Films
oder nicht glaubt, daß es jemandem mit aus dem Jahr 1978. Der Originaltitel
etwas Ernst sein kann. lautet La Cage aux Folles (wörtlich:
„Der Narrenkäfig“). Dem Drehbuch
liegt ein Bühnenstück von Jean Poiret
mit dem Titel „Männer sind doch besse¬
re Frauen“ zugrunde. - Das Zitat ist
beispielsweise zur Charakterisierung
einer Ansammlung von Menschen an
einem bestimmten Ort verwendbar, die

251
Kainsmal Teil I

man in irgendeiner Hinsicht für unver¬ Die kaiserlose, die schreckliche


nünftig oder für „närrisch“ hält. Zeit
In Schillers Ballade „Der Graf von
Kainsmal Habsburg“ (1803), deren Handlung am
Tage der Krönung Rudolfs I. von Habs¬
Im 1. Buch Moses wird erzählt, daß
burg zum deutschen Kaiser am 24. 10.
Kain nach dem Mord an seinem Bruder
1273 zu Aachen spielt, wird das Ende
Abel von Gott Jahwe ein Zeichen erhal¬
des Interregnums (der Zeit zwischen
ten haben soll, das ihn als allein von
dem Erlöschen der Staufermacht und
Gott zu Richtenden kenntlich machte.
Es heißt dort: „Und der Herr machte ein dem Beginn der Herrschaft der Habs¬
Zeichen an Kain, daß ihn niemand er¬ burger 1254-1273) mit folgenden Wor¬
schlüge, wer ihn fände“ (1. Moses 4,15). ten beschrieben: „Denn geendigt nach
Heute wird der Ausdruck „Kainsmal“ langem verderblichen Streit/War die
(oder auch „Kainszeichen“) metapho¬ kaiserlose, die schreckliche Zeit.“ Mit
risch im Sinne von „Schuld, die jeman¬ dem Ausdruck „die kaiserlose, die
dem gleichsam an der Stirn geschrieben schreckliche Zeit“ wird heute noch
steht“ verwendet. manchmal scherzhaft die Zeit der Ab¬
wesenheit eines Vorgesetzten bezeich¬
net oder - ganz allgemein - das Fehlen
Kainszeichen einer Autorität in den unterschiedlich¬
t Kainsmal sten Bereichen. - Das Zitat wird häufig
auch in abgewandelter Form verwendet.
So spricht z. B. mancher Sportbegeister¬
Dem Kaiser geben, was des Kai¬ te von der Sommerpause im Fußball als
sers ist von der „fußbailosen, der schrecklichen
Diese Redewendung geht auf ein Bibel¬ Zeit“.
zitat aus Matthäus 22,21 zurück, wo Je¬
sus auf die Frage der Abgesandten der t Um des Kaisers Bart streiten
Pharisäer nach dem Zinsgroschen sagt,
indem er auf die Münze mit der Abbil¬
tSo bist du des Kaisers Freund
dung des Kaisers weist: „So gebet dem
nicht
Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott,
was Gottes ist!“ Man gebraucht die Re¬
dewendung heute allgemein im Sinne Des Kaisers neue Kleider
von „seine Pflicht gegenüber der Obrig¬ In diesem Märchen des dänischen
keit erfüllen“. Schriftstellers Hans Christian Andersen
(1805-1875) wird ein eitler Monarch
von zwei listigen Betrügern zum besten
Der Kaiser ging, die Generale blie¬
gehalten, die ihm versprechen, die
ben
schönsten Kleider anzufertigen, die
Dies ist der Titel eines 1932 erschiene¬ obendrein, da sie für jeden unsichtbar
nen Romans von Theodor Plievier, der sein sollen, „der nicht für sein Amt tau¬
die politische Situation beschreibt, der ge oder unverzeihlich dumm sei“, ihm
sich der Reichspräsident Ebert nach noch zeigen würden, wie es um seinen
dem Zusammenbruch des Kaiserreichs Hofstaat bestellt sei. Und prompt be¬
ausgesetzt sah. Besonders auf autoritäre staunen dann auch alle die in Wirklich¬
Staaten bezogen, in denen das Militär keit gar nicht vorhandenen Kleider,
eine mächtige Position innehat, wird mit denn keiner will sich die Blöße geben,
dem Zitat zum Ausdruck gebracht, daß die eigene Unfähigkeit eingestehen zu
mit einem Wechsel an der Spitze nicht müssen. Erst ein Kind sagt in seiner Un¬
automatisch ein gesellschaftlicher Wan¬ schuld, daß der Kaiser gar keine Kleider
del verbunden ist, da verkrustete Struk¬ anhat. - Der Märchentitel wird im Zu¬
turen früherer Zeiten noch länger nach¬ sammenhang mit enthüllten menschli¬
wirken. chen Schwächen und Eitelkeiten zitiert.

252
Teil I kann

Ein Kaiserwort soll man nicht t Ich hatt’ einen Kameraden


drehn noch deuteln!
Nach dem Sieg König Konrads III. ge¬
Einen t guten Kampf kämpfen
gen Welf VI. in der Schlacht bei Weins¬
Der Kampf mit dem Drachen
berg (heute im Landkreis Heilbronn) am
21. 12. 1140 ergab sich die belagerte Dies ist der Titel einer Ballade von
Stadt. Als - der Sage nach - der König Schiller aus dem Jahr 1798. Wer eine
allen Männern den Tod androhte und Aufgabe als einen „Kampf mit dem
nur den Frauen freien Abzug gewährte Drachen“ bezeichnet, will damit zum
und ihnen erlaubte, mitzunehmen, was Ausdruck bringen, daß er sie für höchst
sie tragen könnten, trugen diese ihre unangenehm und für kaum zu bewälti¬
Männer aus der Stadt heraus. Konrads gen hält. In dem Gedicht selbst wird be¬
Bruder wollte die List nicht gelten las¬ schrieben, wie ein junger Ordensritter in
sen, doch der König stand zu seinem einem langen, schweren Kampf einen
Wort. - Der zitierte Vers stammt aus Drachen bezwingt und so das Land von
Gottfried August Bürgers Gedicht „Die diesem Ungeheuer befreit. Im Gegen¬
Weiber von Weinsberg“ (1777). Er wird satz zu der dem Jüngling zujubelnden
heute noch gebraucht, wenn man aus- Menge verweigert ihm der Ordensobere
drücken will, daß etwas, so wie es gesagt jedoch Lob und Anerkennung. Diese
wurde, seine Gültigkeit haben soll. werden ihm erst zuteil, als er Gehorsam
und Demut, die wahren Tugenden des
Christen, zeigt. Am Ende empfängt er
t Nur die größten Kälber wählen als Lohn wieder das ihm zuvor aber¬
ihre Metzger selber kannte Kreuz des Ritterordens.

Der kalte Krieg T Auf in den Kampf, Torero!

Dieser Ausdruck bezeichnet einen ohne Kampf ums Dasein


Waffengewalt, besonders auf wirt¬
Im Jahr 1859 erschien die Abhandlung
schaftlicher, bündnispolitischer und
„On the Origin of Species by Means of
psychologischer Ebene ausgetragenen
Natural Selection, or the Preservation of
Konflikt zwischen Staaten, die verschie¬
Favoured Races in the Struggle for
denen ideologischen Machtblöcken an¬
Life“ (deutsch: „Über den Ursprung der
gehören. Nach 1945 wurde er speziell
Arten durch natürliche Auslese oder die
auf das Verhältnis zwischen den USA
Erhaltung bevorzugter Rassen durch
und der früheren UdSSR und den Ver¬
den Kampf ums Dasein“) des engli¬
bündeten beider Mächte bezogen. Er ist
schen Naturforschers Charles Darwin
eine Lehnübersetzung des englischen
(1809-1882). Die hier verwendete For¬
cold war. Zu seiner allgemeinen Verbrei¬
mulierung struggle for life - wie auch
tung dürfte besonders das 1947 erschie¬
das im gleichen Werk gebrauchte strug¬
nene Buch „The Cold War. A Study in
gle for existence -, die man als Grund¬
US Foreign Policy“ des amerikanischen
vorstellung der Evolutionstheorie Dar¬
Publizisten Walter Lippmann (1889 bis
wins ansehen kann, wurde zu einem
1974) beigetragen haben.
weitverbreiteten Schlagwort. Es dient
zur Umschreibung des menschlichen
t Eher geht ein Kamel durch ein Lebens- und Existenzkampfs.
Nadelöhr
Kann denn Liebe Sünde sein?
In dem Film „Der Blaufuchs“ aus dem
t Wohlauf, Kameraden, aufs
Jahr 1938 (Musik von Lothar Brühne,
Pferd, aufs Pferd!
Text nach einem Bühnenstück von
F. Herczeg) singt Zarah Leander das be¬
t Unter Kameraden ist das ja ganz rühmt gewordene Lied, das mit dieser
egal rhetorischen Frage beginnt. Einen ent-

253
kann Teil I

sprechenden Gedanken findet man in zweite folgt: „Wächst mir ein Kornfeld
Lessings 1755 entstandenem Trauer¬ in der flachen Hand?“) stammt aus der
spiel „Miß Sara Sampson“ (4,8), in dem Tragödie „Die Jungfrau von Orleans“
Lady Marwood sagt: „Es ist kein Ver¬ (1,2) von Schiller. Sie ist die hilflose
brechen, geliebt haben; noch viel weni¬ Antwort des Königs Karl auf das Ver¬
ger ist es eines, geliebt worden sein.“ langen seiner Untertanen nach Hilfe.
Ein bereits im 19. Jahrhundert bekann¬ Die heute übliche Redewendung „etwas
tes Lied eines unbekannten Verfassers aus dem Boden stampfen [können]“ im
beginnt mit der Frage: Ist denn Lieben Sinne von „etwas aus dem Nichts her¬
ein Verbrechen? vorbringen [können]“ könnte durch das
Schiller-Zitat zusätzliche Verbreitung
gefunden haben. Schon der römische
Es kann der Frömmste nicht in Feldherr und Politiker Pompeius soll
Frieden leben, wenn es dem bösen (nach Plutarch) damit geprahlt haben,
Nachbarn nicht gefällt es würden Soldaten aus dem Erdboden
Dieses Zitat stammt aus Schillers „Wil¬ steigen, wenn er auf den Boden Italiens
helm Teil“ (IV,3). Darin antwortet Teil stampfe.
dem Feldschützen Stüssi, der in unruhi¬
gen Zeiten diejenigen beneidet, die zu
Es kann ja nicht immer so bleiben
Hause in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen
dürfen: „Es kann der Frömmste nicht Wenn man zum Ausdruck bringen will,
im Frieden bleiben,/Wenn es dem bösen daß eine Pechsträhne oder eine glückli¬
Nachbar nicht gefällt.“ Mit dem in che, unbeschwerte Phase im Wechsel¬
leicht abgewandelter Form gebräuch¬ spiel des Lebens irgendwann einmal zu
lichen Zitat wird heute zum Ausdruck Ende gehen muß, wird dieses Zitat ver¬
gebracht, daß auch friedfertige Men¬ wendet. Es stammt aus August von Kot-
schen durch ihre Umwelt in Streit und zebues Lied „Trost beim Scheiden“
Auseinandersetzungen hineingezogen (1802; Vertonung von Friedrich Hein¬
werden können. rich Himmel), dessen erste Strophe lau¬
tet: „Es kann ja nicht immer so bleiben/
hier unter dem wechselnden Mond,/es
Es kann die Spur von meinen blüht eine Zeit und verschwindet,/was
Erdentagen nicht in Äonen unter¬ mit uns die Erde bewohnt.“ (Vergleiche
gehn auch das Zitat „So knüpfen ans fröhli¬
Diese Worte stehen am Ende des che Ende den fröhlichen Anfang wir
an“.)
Schlußmonologs Fausts (Goethe, Faust
II, 5. Akt, Großer Vorhof des Palasts).
Der erblindete Faust hat eine Vision von Kannegießer
seinem sich vollendenden Lebenswerk,
„Kannegießer“ ist die heute nicht mehr
einem dem Meer abgerungenen frucht¬
sehr gebräuchliche Bezeichnung für ei¬
baren Land für Millionen. So kann er in
nen Stammtischpolitiker. Der Ausdruck
dem Glauben sterben, er habe durch
leitet sich von der Figur des ohne Sach¬
sein Wirken etwas Dauerhaftes für die
verstand politisierenden Zinngießers
Menschheit geschaffen. Zitiert werden
her, der in der Komödie „Den politiske
die Worte Fausts meist als Anerken¬
Kandestober“ (1822; deutsch: „Der po¬
nung großer Leistungen anderer, aber
litische Kannegießer“) des dänischen
auch als ironisch-scherzhafter Kom¬
Dichters Ludwig Holberg auftritt. Als
mentar zu eigenen Anstrengungen.
Ableitungen von „Kannegießer“ kamen
im 18. Jahrhundert „Kannegießerei“
Kann ich Armeen aus der Erde und das Verb „kannegießern“ in Ge¬
stampfen? brauch.

Die verzweifiungsvoll ausgerufene rhe¬


torische Frage (der unmittelbar eine t Uns ist ganz kannibalisch wohl

254
Teil I Kastanien

Kanonenfutter hat und damit an seinem Schicksal


Der Ausdruck geht möglicherweise auf selbst schuld war. - Mit der Redensart
Shakespeares Königsdrama „Heinrich erklärt man in umgangssprachlich
der Vierte“ (1. Teil, 4. Aufzug, 2. Szene) scherzhafter Ausdrucksweise einen
Schwächeren oder offensichtlich Un¬
zurück. Es handelt sich dabei um die
freie Übersetzung einer Formulierung, schuldigen zum Anstifter eines Streits,
die Falstaff gegenüber dem Prinzen zum Sündenbock für bestehende Unei¬
nigkeiten.
Heinrich gebraucht, als er auf die von
ihm angeworbenen Soldaten angespro¬
chen wird. Falstaff nennt sie verächtlich T Wer hat denn den Käse zum
oder gedankenlos food for powder, was Bahnhof gerollt?
von den Shakespeareübersetzern der
Klassik, August Wilhelm Schlegel und Kassandraruf
Ludwig Tieck, wörtlich mit „Futter für
Man bezeichnet in gehobener Sprache
Pulver“ übersetzt wurde. Daraus könnte
jemanden als „Kassandra“, der eine
(in der Mitte des 19. Jahrhunderts) das
drohende Gefahr, eine unheilvolle Ent¬
Wort „Kanonenfutter“ als äußerst sa¬
wicklung erkennt, dessen Warnungen
loppe Bezeichnung für „Soldaten, die in
aber nicht gehört werden. Desgleichen
einem Krieg sinnlos und skrupellos ge¬
spricht man von einem „Kassandraruf1
opfert werden“ entstanden sein.
als von einer ungehört verhallenden
Warnung. - Kassandra ist eine Gestalt
der griechischen Mythologie. Apoll hat¬
Kapuzinerpredigt te ihr die Gabe der Weissagung verlie¬
hen. Weil sie aber seine Werbungen zu¬
Von einer „Kapuzinerpredigt“ im Sinne
rückwies, bewirkte er, daß ihren War¬
von „scharfe Zurechtweisung, Strafpre¬
nungen kein Glauben geschenkt wurde.
digt“ spricht man nach Schillers Drama
Von Kassandra berichtet in der Antike
„Wallenstein“ (1798/99). Hier (Wallen¬
Homer in der „Odyssee“, bei den grie¬
steins Lager, 8. Auftritt) trifft der Kapu¬
chischen Tragikern spielt sie eine Rolle
zinermönch am Sonntag die Menschen
und in der „Äneis“ von Vergib Schiller
im Lager trinkend und tanzend an, was stellt in seinem 1802 entstandenen Ge¬
ihn zu seiner heftigen Strafpredigt ver¬
dicht „Kassandra“ die Tragik dieser Se¬
anlaßt. - Die Kapuziner wirkten beson¬ herin dar, die sich nicht unbekümmert
ders in der Zeit der Gegenreformation dem Augenblick hingeben kann, weil sie
als wortgewaltige Prediger. Abraham a von dem nahenden Unheil weiß. Von
Santa Clara (1644-1709), einer ihrer be¬
Christa Wolf erschien 1983 eine Erzäh¬
kanntesten Vertreter, gilt als Vorbild für
lung mit demselben Titel.
die Schillersche Gestalt.

Die Kastanien aus dem Feuer ho¬


len
Der Karnickel hat angefangen Die umgangssprachliche Redewen¬
Die verleumderische Behauptung, die dung, auch in der Form „für jemanden
zur Redensart wurde, stammt aus einer die Kastanien aus dem Feuer holen“,
Versgeschichte von Heinrich Lami beruht auf einer vielfach belegten, be¬
(1787-1849) mit dem Titel „Eigennützi¬ sonders aber durch den französischen
ge Dienstfertigkeit“. Ein Pudel tötet auf Fabeldichter La Fontaine (1621-1695)
dem Markt das Kaninchen einer Markt¬ bekannt gewordenen Tierfabel mit dem
frau. Sie zitiert den Hundebesitzer vor Titel „Le singe et le chat“ („Der Affe
die „Obrigkeit“. Ein Schusterjunge, der und die Katze“). Die Redewendung be¬
den Streit darüber mit angehört hat, er¬ sagt soviel wie „für einen anderen eine
bietet sich für ein Trinkgeld „gegen das unangenehme Sache erledigen“. In der
Kaninchen“ auszusagen und zu bezeu¬ Fabel überredet der Affe, der gerne die
gen, daß „der Karnickel“ angefangen im Feuer bratenden Kastanien verspei-

255
Kasus Teil I

sen möchte, die Katze, sie für ihn aus Schritten neigenden Menschen, der
der glühenden Asche herauszuholen. nichts zu verlieren hat.

Kaudinisches Joch
Der Kasus macht mich lachen
Dieser bildungssprachliche Ausdruck
Der Pudel, der sich in Goethes Faust
für eine schimpfliche Demütigung geht
(Erster Teil, Vor dem Tor) dem Gelehr¬
auf die römische Geschichte zurück.
ten und seinem Famulus Wagner beim
Der Geschichtsschreiber Livius (um 59
Spaziergang angeschlossen hatte, ver¬
v. Chr. -17 n. Chr.) berichtet, daß das rö¬
wandelt sich in der folgenden Szene in
mische Heer 321 v. Chr. nach seiner
Fausts Studierzimmer in die Gestalt des
Niederlage an den Kaudinischen Päs¬
Mephisto, der im Kostüm eines fahren¬
sen (bei der Stadt Caudium) waffenlos
den Scholaren erscheint. Faust reizt
durch ein aus den Speeren der siegrei¬
diese überraschende Veränderung zum
chen Samniten gebildetes Spalier hin¬
Lachen. - Man verwendet das Zitat in
durchgehen mußte. Jeweils zwei Speere
etwas altertümelnder Ausdrucksweise,
waren oben durch einen (wie ein Joch)
um etwas als lächerlich oder unsinnig
querliegenden dritten miteinander ver¬
darzustellen und abzutun.
bunden.

Kategorischer Imperativ Kaum gegrüßt - gemieden


Der philosophische Begriff im Sinne Als scherzhaften Kommentar verwendet
von „unbedingt gültiges sittliches Ge¬ man diese Worte bei einem allzu kurzen
bot“ stammt von Immanuel Kant Besuch oder Zusammentreffen. Das Zi¬
(1724-1804). Er stellt ihn in der tat stammt aus Nikolaus Lenaus
„Grundlegung zur Metaphysik der Sit¬ (1802-1850) Gedicht „Der Postillon“,
ten“ in Gegensatz zum hypothetischen wo es in der 7. Strophe angesichts der
Imperativ, der eine Pflicht beinhalten¬ schnellen Fahrt mit der Postkutsche
den Forderung, die nur unter gewissen heißt: „Wald und Flur im schnellen
Bedingungen gilt. In der „Kritik der Zug/Kaum gegrüßt - gemieden.“
praktischen Vernunft“ (1. Teil, 1. Buch,
1. Hauptstück, §7) wird der kategori¬ Es t muß auch solche Käuze geben
sche Imperativ folgendermaßen formu¬
liert: „Handle so, daß die Maxime Kaviar für das Volk
deines Willens jederzeit zugleich als In Shakespeares „Hamlet“ fordert der
Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung Titelheld in der zweiten Szene des zwei¬
gelten könne.“ ten Aktes einen der Schauspieler auf,
eine Rede aus einem Stück vorzutragen,
Katholischer sein als der Papst das seinerzeit nicht oder nicht mehr als
einmal aufgeführt worden war. Das
T Päpstlicher sein als der Papst
Stück hatte beim breiten Publikum kei¬
nen Anklang gefunden, mit Hamlets
Katilinarische Existenz Worten: 'Twas caviare to the general
In Anspielung auf die Verschwörung („Es war Kaviar für das Volk“). Mit
des römischen Prätors Catilina (108-62 dem Zitat bezeichnet man auch heute
v. Chr.) gebrauchte Otto von Bismarck etwas, das von der breiten Masse in sei¬
in der Sitzung der Budgetkommission ner Qualität nicht erkannt wird, was
des preußischen Abgeordnetenhauses dem Ungebildeten nicht zugänglich ist.
vom 30. 9. 1862 diesen Ausdruck: „Im
Lande gibt es eine Menge katilinari- Es T muß nicht immer Kaviar sein
scher Existenzen, die ein großes Interes¬
se an Umwälzungen haben.“ In bil¬ Kein Feuer, keine Kohle kann
dungssprachlich veraltendem Gebrauch brennen so heiß
versteht man unter der Fügung einen So beginnt ein aus dem 18. Jahrhundert
heruntergekommenen, zu verzweifelten stammendes und seit der 1. Hälfte des

256
Teil I keine

19. Jahrhunderts weitverbreitetes Volks¬ stellungen wie „Kein Platz für Grün¬
lied. Die erste Strophe lautet vollstän¬ anlagen“ vielfältig abgewandelt.
dig: „Kein Feuer, keine Kohle/kann
brennen so heiß/als heimliche Lie- Kein Talent, doch ein Charakter
be,/von der niemand nichts weiß.“ Man
Das Zitat stammt aus Heinrich Heines
verwendet das Zitat - meist scherz¬
(1797-1856) satirischem Versepos „Atta
haft um auf ein verborgenes Liebes¬
Troll“ und gehört dort zum Grabspruch
verhältnis anzuspielen.
des Titelhelden, des deutschen Bären
Atta Troll: „Sehr schlecht tanzend, doch
t Denn kein größeres Verbrechen
Gesinnung/Tragend in der zott’gen
gibt es, als nicht kämpfen wollen, Hochbrust;/Manchmal auch gestunken
wo man kämpfen muß habend ;/Kein Talent, doch ein Charak¬
ter!“ (Kaput XXIV, 12. Strophe). Heine
Kein Klang der aufgeregten Zeit kehrt hier den ihm von der Kritik ge¬
drang noch in diese Einsamkeit machten Vorwurf des Talents ohne Cha¬
Mit diesen Versen endet das Gedicht rakter um. Man verwendet das Zitat
„Abseits“ von Theodor Storm auch heute eher abwertend, um jeman¬
(1817-1888). Das Gedicht gehört zu den zu charakterisieren, der mangelnde
Storms Naturlyrik. Es beschreibt die Fähigkeiten durch stramme Gesinnung
Stille eines Sommernachmittags in der auszugleichen sucht.
Weltabgeschiedenheit eines Heide¬
dorfs. Das Zitat wird gelegentlich ge¬ Kein Wässerchen trüben können
braucht, um - auch ironisch - die Idylle Die umgangssprachliche Redewendung
und Weltferne eines Ortes zu charakteri¬ mit der Bedeutung „völlig harmlos sein;
sieren. nichts Böses oder Unrechtes tun kön¬
nen“ hat ihren Ursprung in einer „Äso¬
Kein Mensch muß müssen pischen Fabel“ des römischen Fabel¬
Dieses zur Redensart gewordene Zitat dichters Phädrus (tum 50 n.Chr.). Dar¬
hat seinen Ursprung wahrscheinlich in in wirft ein Wolf, der an einem Bach
Lessings Drama „Nathan der Weise“ trinkt, einem weiter unterhalb aus dem
(1779). Im 3. Auftritt des 1. Aufzugs äu¬ gleichen Bach trinkenden Lamm vor, es
ßert Nathan im Gespräch mit dem Der¬ habe sein Wasser trübe gemacht. Das
wisch: „Kein Mensch muß müssen, und Lamm verteidigt sich mit dem Hinweis,
ein Derwisch müßte ?/Was müßt’ er daß es sein Wasser nicht habe trüben
denn?“ Die Antwort lautet: „Warum können, weil der Bach doch nicht berg¬
man recht ihn bittet,/Und er für gut er¬ auf fließe. Für den Wolf war die Be¬
kennt, das muß ein Derwisch.“ - Man schuldigung aber nur ein Vorwand. Er
verwendet das Zitat, um ein Ansinnen fraß das Lamm „zur Strafe“ auf. - Man
zurückzuweisen, das jemand an einen gebraucht die Wendung häufig auch in
stellt, oder um einen anderen darin zu der Form „aussehen, als könnte man
bestärken, daß er etwas Bestimmtes kein Wässerchen trüben“, was soviel be¬
auch lassen oder verweigern kann. deutet wie „harmlos aussehen, ohne es
zu sein“.
Kein Platz für wilde Tiere
Im Jahr 1954 erschien das (1956 verfilm¬
Keine Angst vor großen Tieren
te) Buch „Kein Platz für wilde Tiere“ Die Aufforderung, „keine Angst vor
des Zoologen Bernhard Grzimek großen Tieren“ zu haben, mit denen in
(1909-1987), in dem es um die bedrohte umgangssprachlicher Ausdrucksweise
Tierwelt Afrikas geht. Der Titel wurde Personen von großem Ansehen, hohem
im Zusammenhang mit Tierschutzaktio¬ Rang gemeint sind, ist zugleich der Titel
nen häufig zitiert, und er wird heute zur eines heiteren Spielfilms aus dem Jahr
Bildung von Slogans wie „Kein Platz für 1953 mit Heinz Rühmann in der Haupt¬
Drückeberger“ oder anklagende Fest¬ rolle. In diesem Film spielen zwei Lö-

257
keine Teil I

wen als ganz konkrete „große Tiere“ Gesellen“ (1878) des Schriftstellers
mit. Rudolf Baumbach (1840-1905) findet.

Keine Ruh’ bei Tag und Nacht Keiner weiß vom andern
So beginnt die Arie des Leporello am Die erste Strophe des Gedichts „Nie¬
Anfang von Mozarts Oper „Don Gio¬ mals wieder“ von Hoffmann von Fal¬
vanni“, die 1787 in Prag uraufgeführt lersleben (1798-1874) endet mit den
wurde. Das italienische Libretto stammt Versen: „Und wir müssen wandern,
von Lorenzo da Ponte. Leporello führt wandern,/Keiner weiß vom andern.“ -
in der Arie Klage über seinen Dienst: Man kann das Zitat verwenden, um dem
„Keine Ruh’ bei Tag und Nacht,/ Bewußtsein von der Isoliertheit der
Nichts, was mir Vergnügen macht,/ Menschen, von ihrem letztlichen Allein¬
Schmale Kost und wenig Geld,/Das er¬ sein Ausdruck zu geben. In Hermann
trage, wem’s gefällt.“ Er möchte „nicht Hesses Gedicht „Im Nebel“ kommt ein
länger Diener sein“. Die ähnliche For¬ ähnlicher Gedanke in den Schlußversen
mulierung „keine Ruhe Tag und Nacht“ zum Ausdruck: „Kein Mensch kennt
findet sich schon in der Offenbarung den andem,/Jeder ist allein.“
des Johannes (4,8 u. 14,11) im Neuen
Testament. Das Zitat ist auch heute
t Dieser Kelch möge an mir vor¬
noch gebräuchlich als Klage eines Men¬ übergehen
schen, der unablässig von etwas oder je¬
mandem geplagt wird oder so beschäf¬
t Im kühlen Keller sitz’ ich hier
tigt ist, daß er keine Ruhe finden kann.
Kennst du das Land, wo die Kano¬
nen blühn?
Keinen Hund mehr hinter dem
T Kennst du das Land, wo die Zitronen
Ofen hervorlocken
blühn?
Mit dieser seit dem 17. Jahrhundert be¬
legten umgangssprachlichen Redewen¬ Kennst du das Land, wo die Zitro¬
dung wird zum Ausdruck gebracht, daß nen blühn?
man mit einer Sache niemandes Interes¬
Das mit diesem Vers beginnende, be¬
se mehr wecken kann, daß etwas nie¬
rühmte Lied der Mignon steht am An¬
mandem mehr einen Anreiz bietet. Zu
fang des 3. Buches von Goethes Roman
ihrer Verbreitung trug vielleicht auch
„Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795/
die Ballade „Der Kaiser und der Abt“
96). Mignon, das von einem Geheimnis
von Gottfried August Bürger (1747 bis
umgebene Kind in der Begleitung Wil¬
1797) bei. Dort charakterisiert sich der
helm Meisters, drückt mit seinem Ge¬
pfiffige Schäfer Hans Bendix selbst mit
sang das Verlangen nach seiner Heimat
den Worten „Versteh’ ich gleich nichts
Italien aus. - Das Lied wurde besonders
von lateinischen Brocken,/So weiß ich
durch seine verschiedenen Vertonungen
den Hund doch vom Ofen zu locken.“
unter anderem von Beethoven, Schu¬
Mit seiner Bauernschläue und seinem
bert, Schumann, Liszt und Hugo Wolf
Mutterwitz will er dem Abt von St. Gal¬
bekannt. - „Das Land, wo die Zitronen
len, seinem Herrn, helfen, drei sehr
blühn“ wurde vor allem für Bildungsrei¬
schwierige Rätsel zu lösen, die diesem
sende zum Synonym für Italien. - Erich
vom Kaiser aufgegeben worden sind.
Kästner (1899-1974) hat diesen Vers in
einem 1928 entstandenen Gedicht abge¬
Keinen Tropfen im Becher mehr
wandelt, in dem er ein negatives Bild
Mit diesem Vers, der das Bedauern über von Deutschland entwirft. Es beginnt
einen geleerten Becher zum Ausdruck und endet mit der Frage: „Kennst du
bringt, beginnt das Gedicht „Die Lin¬ das Land, wo die Kanonen blühn?“ Die
denwirtin“, das sich in einer Sammlung letzte Strophe lautet: „Dort reift die
volksliedartiger Wander- und Studen¬ Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün./Was
tenlieder, den „Liedern eines fahrenden man auch baut - es werden stets Kaser-

258
Teil I Kindesbeinen

nen./Kennst du das Land, wo die Kano¬ Das Kind im Manne


nen blühn?/Du kennst es nicht? Du Die Redewendung geht auf Nietzsches
wirst es kennenlernen!“
Werk „Also sprach Zarathustra“ zu¬
rück. Hier findet man in dem Kapitel
Ein Kerl, der spekuliert, ist wie ein
„Vom alten und jungen Weiblein“ die
Tier auf dürrer Heide
Feststellung: „Im echten Manne ist ein
„Drum frisch! Laß alles Sinnen Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr
sein,/Und grad’ mit in die Welt hin- Frauen, so entdeckt mir doch das Kind
ein!/lch sag’ es dir: ein Kerl, der speku¬ im Manne!“ - Auf „das Kind im Man¬
liert,/Ist wie ein Tier auf dürrer Heide/ ne“ berufen sich Männer häufig, um ih¬
Von einem bösen Geist im Kreis herum¬ ren Spieltrieb zu rechtfertigen; Frauen
geführt,/Und ringsumher liegt schöne kommentieren mit der Redewendung
grüne Weide.“ Mit diesen Worten will eher nachsichtig ein männliches Verhal¬
Mephisto im 1. Teil von Goethes Faust ten, das ihnen kindisch oder albern vor¬
(2. Teil der Studierzimmerszene) den kommt.
Gelehrten auf den Boden der Wirklich¬
keit zurückholen. Mephisto greift an
T Dies Kind, kein Engel ist so rein
dieser Stelle seine ebenfalls häufig zi¬
tierten Worte „Grau, teurer Freund, ist
alle Theorie“ (siehe auch diesen Ein¬
Kinder des Olymp
trag) in dem Sinne auf, in dem das Zitat Der im Schauspielermilieu spielende, in
auch heute verwendet wird: Derjenige, den Jahren 1943/45 entstandene franzö¬
der sich mit bloßen Annahmen, mit sische Film mit dem Originaltitel Les
Mutmaßungen und theoretischen Erör¬ Enfants du Paradis war zu seiner Zeit
terungen begnügt, geht am wirklichen sehr berühmt - sowohl wegen seines an¬
Leben vorbei und gleicht dem „Tier auf rührenden Inhalts als auch wegen der
dürrer Heide“, das nichts zu fressen Kunst seiner Darsteller, besonders des
findet. Pantomimen Jean-Louis Barrault. Man
spricht von „Kindern des Olymp“ etwa
t Einst haben die Kerls auf den zur Charakterisierung von Menschen,
Bäumen gehockt die außerhalb des bürgerlichen Milieus
leben.
Das Kind beim rechten Namen
nennen Kinder jammern, Mütter irren
Die umgangssprachliche Redewen¬ Der Vers stammt aus Schillers „Lied
dung - auch in den Varianten „Das von der Glocke“. Er steht in der 5. Be¬
Kind beim Namen nennen“ und „Das trachtung, die die Zerstörung des bür¬
Kind beim richtigen Namen nennen“ - gerlichen Wohlstandes durch eine Feu¬
wird gebraucht, wenn man etwas ohne ersbrunst beschreibt. Der Großbrand
Beschönigung ganz klar als das bezeich¬ wütet in der Stadt, „Flackernd steigt die
net, was es ist. Die Redewendung gibt es Feuersäule,/.../Pfosten stürzen, Fenster
seit dem 17. Jahrhundert, sie ist aber klirren,/Kinder jammern, Mütter irren“.
wohl durch Goethes Faust I (Nacht) be¬ Heute wird der zitierte Vers noch gele¬
kannt geworden, wo Faust seinen Fa¬ gentlich scherzhaft verwendet, um eine
mulus Wagner darauf hinweist, daß es völlig chaotisch durcheinanderlaufende
gefährlich sein kann, seine Erkenntnisse Menschenmenge, ein Gewimmel zu
offen mitzuteilen: „Ja, was man so er¬ charakterisieren.
kennen heißt!/Wer darf das Kind beim
rechten Namen nennen?/Die wenigen, tWenn ihr nicht werdet wie die
die was davon erkannt,/Die töricht
Kinder
g’nug ihr volles Herz nicht wahr¬
ten,/Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen
offenbarten,/Hat man von je gekreuzigt TVon Mutterleib und Kindesbei¬
und verbrannt.“ nen an

259
Kindlein Teil I

t Lasset die Kindlein zu mir kom¬ rung in einem seiner Sinngedichte (III.
Tausend, 5. Hundert, Nr. 35), und in la¬
men
teinischer Form findet sie sich bereits
t Das übet in Einfalt ein kindlich bei dem römischen Rhetoriker Quintili-
an (um 35-um 100) in seiner „Institutio
Gemüt
oratoria“ (8,5): Vestis virum reddit
Die Kirche hat einen guten Magen („Das Kleid macht den Mann“).
Das Zitat aus Goethes Faust I (Spazier¬
tim Kleinen wie im Großen treu
gang) spielt auf die Bedenkenlosigkeit
der katholischen Kirche an, sich irdi¬
sein
sche Reichtümer einzuverleiben: „Hat
Kleiner Mann ganz groß
ganze Länder aufgefressen/Und doch
noch nie sich übergessen.“ Mephisto Das Zitat geht vielleicht ursprünglich
berichtet Faust davon, daß sein auf den Titel eines Theaterstücks von
Schmuckkästchen für Margarete von ih¬ Edgar Kahn (1903-1955) und Ludwig
rer Mutter dem Pfarrer übergeben wor¬ Bender (1908-1973) zurück. 1956 ent¬
den sei, der dazu gemeint habe: „Die stand unter dem gleichen Titel ein Film
Kirch’ allein, meine lieben Frauen,/ von Hans Grimm. Der Film handelt von
Kann ungerechtes Gut verdauen.“ einem kleinen Jungen, der, als sein
Pferd verkauft werden soll, sich nicht
Der T große Klare aus dem Norden von ihm trennen läßt, sondern heimlich
mit ihm von zu Hause fortgeht und eine
Klassischer Boden ganze Weile selbst für es sorgt. Zum
Die Bezeichnung für die Landschaft der Schluß gewinnt das Pferd für seinen
griechisch-römischen Antike ist eine kleinen Besitzer ein großes Rennen. -
Übersetzung von englisch classic Man gebraucht das Zitat als scherzhaft¬
ground, das von dem englischen Schrift¬ anerkennenden Kommentar, wenn ei¬
steller Joseph Addison (1672-1719) ge¬ nem kleinen Jungen eine besondere
prägt wurde. Addison war Herausgeber Ehrung widerfährt oder wenn er etwas
der Zeitschrift „The Spectator“. Er war Besonderes geleistet hat.
berühmt für seinen an klassischen Vor¬
bildern geschulten Stil. Als erster lenkte Kleiner Mann - was nun?
er den Blick seiner Zeitgenossen auf die So lautet der Titel eines Romans von
Schönheiten der Natur, die ihm auf aus¬ Hans Fallada (1893-1947) aus dem
gedehnten Reisen begegneten. Die Be¬ Kleine-Leute-Milieu zur Zeit der Wirt¬
zeichnung classic ground entstammt Ad¬ schaftskrise. Er wird in umgangssprach¬
disons „Letter from Italy to the Right licher und gelegentlich scherzhafter
Honorable Charles Lord Halifax“ aus Redeweise zitiert, um jemandes Ratlo¬
dem Jahr 1701. Hier heißt es: „Poetic sigkeit angesichts übergroßer Schwie¬
fields encompass me around,/And still I rigkeiten auszudrücken.
seem to tread on classic ground.“ („Poe¬
tische Gefilde umgeben mich, und ich T Dies ist ein kleiner Schritt für ei¬
scheine noch jetzt auf klassischen Bo¬ nen Menschen
den zu treten.“)
Das kleinere Übel
Kleider machen Leute Der Ausdruck geht auf den griechischen
Diese sprichwörtliche Redensart mit der Philosophen Platon (427-347 v. Chr.)
Bedeutung „gepflegte, gute Kleidung zurück, der in seinem Dialog „Protago-
fördert das Ansehen“ erlangte zusätzli¬ ras“ Sokrates die Worte in den Mund
che Bekanntheit als Titel von Gottfried legt: „Von zwei Übeln wird niemand
Kellers (1819- 1890) gleichnamiger No¬ das größere wählen, wenn er das kleine¬
velle aus dem Zyklus „Die Leute von re wählen kann.“ Diese Erkenntnis fin¬
Seldwyla“. Friedrich von Logau det sich in ähnlicher Form noch bei wei¬
(1604-1655) verwandte die Formulie¬ teren Autoren der Antike, so bei Aristo-

260
Teil 1 Köhlerglaube

teles und Cicero. Man bezeichnet mit schreibt die Besonderheit des Ge¬
dem Ausdruck auch heute noch etwas, schenks mit folgenden Worten: „... hat
was man notgedrungen akzeptiert, weil dir jemand etwas zu leid getan, so sprich
die vorhandene Alternative als etwas nur .Knüppel aus dem Sack1, so springt
noch Schlimmeres angesehen wird. dir der Knüppel heraus unter die Leute
und tanzt ihnen so lustig auf dem Rük-
Klopfet an, so wird euch aufgetan ken herum, daß sie sich acht Tage lang
T Suchet, so werdet ihr finden nicht regen und bewegen können“. Man
verwendet den Ausdruck heute um¬
t Wer wird nicht einen Klopstock gangssprachlich als Umschreibung für
eine unangemessen grobe und rück¬
loben?
sichtslose Bestrafung oder Zurechtwei¬
sung.
TOh, ich bin klug und weise, und
mich betrügt man nicht
Knurre nicht, Pudel!
Der kluge Mann baut vor Das scherzhaft gebrauchte Zitat, mit
Das sprichwörtlich gebrauchte Zitat im dem man unerwünschte Zwischenbe¬
Sinne von „es ist klug, Vorsorge zu tref¬ merkungen unterbinden will, stammt
fen“ stammt aus Schillers Drama „Wil¬ aus Goethes Faust I (Studierzimmer 1).
helm Teil“. In der 2. Szene des 1. Aktes Faust richtet diese Aufforderung an den
rät Gertrud Stauffacher ihrem Mann, ihm zugelaufenen Pudel, in dem sich
sich mit Landsleuten zu beraten und Mephisto verbirgt und der ihn bei seiner
sich gegen den Druck des Reichsvogts Übersetzung des Johannesevangeliums
Geßler zur Wehr zu setzen: „Noch stört.
stehst du unversehrt - willst du erwar-
ten,/Bis er die böse Lust an*dir gebüßt
T Feurige Kohlen auf jemandes
(= befriedigt)?/Der kluge Mann baut
vor.“ Flaupt sammeln

Der Knabe Don Karl fängt an, mir Köhlerglaube


fürchterlich zu werden
Der bereits etwas veraltete Ausdruck
Diese Worte sagt in Schillers „Don Kar- mit der Bedeutung „blinder Glaube, der
los“ (1,6) König Philipp II. zu seinen nicht durch Einsicht oder bessere Er¬
Granden angesichts der Abwesenheit kenntnis erschüttert wird“ geht auf eine
des Infanten und fährt fort: „Er meidet Schwankerzählung des 16. Jahrhunderts
meine Gegenwart, seitdem/Er von Alka- zurück, in der der Teufel oder ein Bi¬
las hoher Schule kam.“ Abgeschwächt schof einen Köhler fragt, was er glaube.
und leicht scherzhaft verwendet man Der Köhler antwortet, was die Kirche
das Zitat (meist ohne „Don“), wenn je¬ glaube. Auf die weitere Frage, was denn
mandes Verhalten einem unheimlich zu die Kirche glaube, antwortet der Köh¬
werden beginnt. ler: „Was ich glaube.“ Eine Variante
hierzu führt Johann Agricola in seinen
tZwei Knaben, jung und heiter „Sprichwörtern“ (1534) Nr. 234 an, wo¬
nach die Antwort des Köhlers lautet:
Knüppel aus dem Sack „Daß uns Jesus Christus durch sein Blut
Dieser Ausdruck geht auf das Grimm¬ vom Tod erlöst hat.“ Luther erzählt die
sche Märchen „Tischchen deck dich, Geschichte in seiner „Warnungsschrift
Goldesel und Knüppel aus dem Sack“ an die zu Frankfurt a. M.“ (1533) und
zurück. Der dritte Sohn des Schneiders, lobt den einfältigen Glauben, der den
der bei einem Drechsler in die Lehre ge¬ Teufel überwindet. Bereits in Johann
gangen war, erhielt von diesem am Ende Fischarts „Geschichtsklitterung“ (1582)
der Lehrzeit einen Sack mit einem wird der Ausdruck übertragen in abwer¬
Knüppel darin. Der Drechsler be¬ tendem Sinne gebraucht.

261
Koloß Teil I

Koloß auf tönernen Füßen Komme, was kommen mag


Von einem „Koloß auf tönernen Fü¬ In Shakespeares Tragödie „Macbeth“
ßen“ spricht man nach dem Traum des prophezeien die drei Hexen dem Titel¬
Königs Nebukadnezar im Buch Daniel helden, daß er König werde. Macbeth
(2,31-35) des Alten Testaments. (Der stellt sich dieser Voraussage in der drit¬
Ausdruck soll auf den französischen ten Szene des ersten Aufzugs mit den
Enzyklopädisten Denis Diderot [1713 Worten: „Komme, was kommen
bis 1784] zurückgehen, der von dem mag;/Die Stund’ und Zeit durchläuft
Rußland Katharinas II. gesagt haben den rauhsten Tag.“ Im englischen Origi¬
soll, es sei ein colosse aux pieds d'argile.) nal lautet die Stelle: Come what come
Nebukadnezar hatte im Traum „ein gro¬ may/time and the hour runs through the
ßes und hohes und sehr glänzendes roughest day. - Das Zitat gibt der Ent¬
Bild“ vor sich gesehen, „das war schlossenheit Ausdruck, mit der jemand
schrecklich anzusehen“. Es handelte unerschrocken Zukünftigem entgegen¬
sich um eine menschliche Gestalt, die sieht.
aus Gold, Silber und Eisen gebildet war,
ihre „Füße waren eines Teils Eisen, ei¬ Es kommet nicht auf euch an
nes Teils Ton“. Diese Figur wurde zer¬
Dieses Zitat stammt aus der fünften
stört von einem herabstürzenden Stein, Strophe von Bertolt Brechts letztem Ge¬
der ihre Füße traf. Man bezeichnet da¬
dicht seiner Hauspostille „Großer
nach eine Person oder Sache als „Koloß
Dankchoral“ (1927). „Lobet die Kälte,
auf tönernen Füßen“, die groß und
die Finsternis und das Verder¬
mächtig oder stabil erscheint, die aber
ben !/Schauet hinan:/Es kommet nicht
nicht fest gegründet ist und darum an¬
auf euch an/Und ihr könnt unbesorgt
fällig und leicht zerstörbar.
sterben.“ Bezogen auf Menschen, die
keinen Einfluß auf eine Entscheidung
Komm auf die Schaukel, Luise! haben, deren Interessen als unwichtig
Das Zitat ist Titel und Teil des Refrains angesehen werden, wird heute zitiert:
eines Schunkelwalzers, den Hans Albers „Es kommet nicht auf euch an.“
1932 in „Liliom“, der tragikomischen
sogenannten „Vorstadtlegende“ von Kommet zuhauf
Franz Molnär (1878-1952), sang. Der Diese oft scherzhaft verwendete Auffor¬
Text stammt von Hans Herbert, die Mu¬ derung, zahlreich zu erscheinen, ohne
sik von Theo Mackeben. Man verwen¬ Hemmungen auch in großen Gruppen
det das Zitat heute gelegentlich als all¬ einer Einladung zu folgen, stammt aus
gemeine scherzhafte Aufforderung an dem Kirchenlied „Lobe den Herren,
eine Frau, sie möge sich dem Sprecher den mächtigen König der Ehren“ von
oder einer Gruppe zugesellen. Joachim Neander (1650-1680). Die er¬
ste Strophe endet mit den Versen:
Komm, lieber Mai „Kommet zuhauf, Psalter und Harfe
Das mit diesem Vers beginnende Lied wacht auf, lasset den Lobgesang hö¬
mit dem Titel „Fritzchen an den Mai“ ren.“
schrieb der Liederdichter Christian
Adolf Overbeck (1755-1821). Nach der Es kommt die Nacht, da niemand
Vertonung durch Mozart im Jahre 1791 wirken kann
wurde es zu einem bekannten Volkslied. Diese Feststellung stammt aus dem
In dem fünfstrophigen Lied wünscht ein Neuen Testament, in dem es heißt: „Ich
Kind den Frühling mit all den Möglich¬ muß wirken die Werke des, der mich ge¬
keiten des Spielens im Freien herbei. sandt hat, solange es Tag ist; es kommt
„Komm, lieber Mai, und mache/Die die Nacht, da niemand wirken kann“
Bäume wieder grün,/Und laß mir an (Johannes 9,4). Mit dem Zitat soll in Er¬
dem Bache/Die kleinen Veilchen innerung gebracht werden, daß die Zeit
blühn!“ des menschlichen Lebens begrenzt ist

262
Teil I König

und man seine Chance nutzen soll, et¬ re im Mittelpunkt, die zahllosen Ver¬
was zu leisten, bevor es Nacht wird, der wechslungen ausgesetzt sind. - Man
Tod eintritt. In Abwandlung steht in verwendet das Zitat zur Charakterisie¬
Goethes „Gedichten“ (Abschnitt „Sprü¬ rung von verworrenen menschlichen
che“) und auch im „Buch der Sprüche“ Verhältnissen oder Beziehungen.
des „Westöstlichen Diwans“: „Noch ist
es Tag, da rühre sich der Mann!/Die Der Kongreß tanzt
Nacht tritt ein, wo niemand wirken Die spottenden Worte, bezogen auf die
kann.“ geringe Effektivität des Wiener Kon¬
gresses (1814/15) werden dem österrei¬
Kommt dir ein schönes Kind ent¬ chischen Feldmarschall und Diploma¬
gegen, laß es nicht ungeküßt vor¬ ten Charles Josef von Ligne (1735 bis
bei! 1814) zugeschrieben. Sie sind in der
Die beiden Verse stehen am Schluß des Form Le congres ne marche pas, il danse
Studentenliedes „Ich lobe mir das Bur¬ (deutsch: „Der Kongreß macht keine
schenleben“. Die zehnte Strophe darin Fortschritte, er tanzt“) überliefert. In
beginnt mit zwei Versen, die - leicht ab¬ gleicher Weise spottet auch ein Gedicht
gewandelt - der letzten Strophe des Kir¬ von Friedrich Rückert, das sich unter
chenliedes „Wer nur den lieben Gott seinen „Kriegerischen Spott- und Eh¬
läßt walten“ von Georg Neumark renliedern“ findet. Es trägt den Titel
(1621-1681) entstammen. Das Studen¬ „Herr Kongreß“ (1814) und beginnt mit
tenlied von einem unbekannten Verfas¬ den Versen: „Was hat Herr Kongreß in
ser endet so mit der Strophe: „Sing, bet Wien getan?/Er hat sich hingepflanzt/
und geh auf rechten Wegen/und tu das Und hat nach einem schönen Plan,/An¬
Deine nur getreu ;/kommt dir ein schö¬ statt zu gehn, getanzt“. Im Jahr 1931
nes Kind entgegen,/laß es nicht unge¬ entstand der wegen seiner Kamerafüh¬
rung, seiner Stars und seiner beliebten
küßt vorbei.“
Melodien berühmt gewordene deutsche
Film „Der Kongreß tanzt“. Die Haupt¬
T Aber hier, wie überhaupt, kommt
rollen spielten Lilian Harvey, Willy
es anders, als man glaubt
Fritsch und Carl Heinz Schroth. - Man
verwendet das Zitat, um seiner Überra¬
Das kommt nicht wieder
schung oder Kritik an der mangelnden
T Das gibt’s nur einmal Ernsthaftigkeit oder Sachbezogenheit
besonders einer politischen Veranstal¬
Ein Komödiant könnt’ einen Pfar¬ tung Ausdruck zu geben.
rer lehren
Das Zitat stammt aus Goethes Faust I Der König herrscht, aber er regiert
(Nachtszene). Es kommt aus dem Mund nicht
von Wagner, dem Famulus Fausts. Der Diesen Ausspruch formulierte 1830 der
möchte von den rhetorischen Gaben sei¬ französische Politiker Adolphe Thiers
nes Lehrers profitieren. „Denn heutzu¬ (1797-1877) in der oppositionellen libe¬
tage wirkt das viel./Ich hab' es öfters ralen Zeitung „Le National“ (franzö¬
rühmen hören,/Ein Komödiant könnt’ sisch : Le roi regne et ne gouvernepas). Er
einen Pfarrer lehren.“ - Man verwendet richtete sich vor allem gegen die seit
das Zitat eher ironisch und kritisch mit 1814 geltende „Charte constitutionelle“,
Bezug auf einen Geistlichen in seinem eine Verfassung, die die Mehrheit der
Amt. Bevölkerung von der Teilnahme an der
politischen Macht ausschloß. Die libe¬
Eine Komödie der Irrungen rale Mehrheit in der französischen De¬
Das Zitat ist der deutsche Titel einer putiertenkammer versuchte, eine Mon¬
Komödie von Shakespeare. Die engli¬ archie zu schaffen, in der der König sei¬
sche Form lautet The Comedy of Errors. ne Herrschaft auf den Willen der Nati¬
In dem Stück stehen zwei Zwillingspaa¬ on gründen sollte. Thiers’ Worte werden

263
König Teil I

letztlich dem polnischen Staatsmann „Der Struwwelpeter“ (erschienen 1845),


Jan Zamoyski (1542-1605) zugeschrie¬ worin in einzelnen drastischen Ge¬
ben, der im polnischen Reichstag König schichten Belehrungen für Kinder ent¬
Sigismund III. den lateinischen Satz halten sind. „Die Geschichte vom Dau¬
Regna, sed non impera „Regiere, aber menlutscher“, in der dem daumenlut¬
herrsche nicht!“ zugerufen haben soll. schenden Konrad vom Schneider mit ei¬
Der Ausspruch kennzeichnet das Wesen ner übergroßen Schere beide Daumen
der konstitutionellen Monarchie, in der abgeschnitten werden, beginnt mit den
der Monarch zwar oberstes Staatsorgan Versen: „,Konrad!“ sprach die Frau
bleibt, ihm jedoch ein Parlament zur Mama,/,Ich geh aus, und du bleibst
Seite gestellt ist, und in der die Recht¬ da.““ - Man verwendet das Zitat als
sprechung von unabhängigen Gerichten scherzhaften Kommentar, wenn jemand
ausgeübt wird. eine Aufforderung in besonders stren¬
gem Tonfall oder mit erzieherischem
Der König ist tot, es lebe der Kö¬ Nachdruck an andere richtet.
nig!
Konzertierte Aktion
Das Zitat, mit dem man die Kontinuität
von etwas ausdrücken will, ist französi¬ Der Ausdruck findet sich zuerst in ei¬
schen Ursprungs. Mit dem Ruf Le roi est nem Jahresgutachten des sogenannten
mort, vive le roi! wurde in Frankreich - Sachverständigenrates zur Begutach¬
üblicherweise durch einen Herold vom tung der gesamtwirtschaftlichen Ent¬
Schloßbalkon - der Tod des alten und wicklung aus dem Jahr 1965 und ist
die Thronbesteigung des neuen Königs wohl den französischen action concertee
verkündet, zuletzt 1824 bei der Beiset¬ oder den englischen concerted action
zung Ludwigs XVIII. und der Ausru¬ nachgebildet. 1966 brachte ihn Karl
fung Karls X. Aus diesem Anlaß verfa߬ Schiller, der nachmalige Bundeswirt¬
te der Schriftsteller und Politiker Cha¬ schaftsminister, in die Diskussion.
teaubriand (1768-1848) eine Flugschrift Schiller war bestrebt, die Einrichtung
mit diesem Titel. der konzertierten Aktion zu einem Mit¬
tel der Steuerung der Konjunktur zu
Der König rief, und alle, alle ka¬ machen. Die konzertierte Aktion, 1967
men ins Leben gerufen, war dabei ein Ge¬
sprächsforum, das alle am Wirtschafts¬
Das Zitat ist der Anfang eines von Hein¬
leben Beteiligten - einschließlich der
rich Clauren (1771-1854) 1813 im Rah¬
Gewerkschaften - zusammenführte. -
men der Freiheitskriege gegen Napole¬
Man spricht heute von einer konzertier¬
on verfaßten Liedes. Die Zeile wird in
ten Aktion vielfach in übertragenem
heutiger, auch ironischer oder scherz¬
Sinn mit der Bedeutung „gemeinschaft¬
hafter Verwendung vielfach abgewan¬
liche Aktion, mit der etwas Bestimmtes
delt, so daß oft nur „rief1 und „kamen“
bewirkt werden soll“.
erhalten bleiben.

Köpenickiade
t Wenn die Könige bauen, haben
Die Bezeichnung für einen Gauner¬
die Kärrner zu tun
streich oder ein Täuschungsmanöver,
das durch das Obrigkeitsdenken der
Es t waren zwei Königskinder
Menschen ermöglicht wird, geht zurück
auf die Besetzung des Rathauses in Ber¬
t Wär’s möglich? Könnt’ ich nicht
lin-Köpenick 1906 durch den Schuhma¬
mehr, wie ich wollte?
cher Wilhelm Voigt, der in Haupt¬
mannsuniform mit Hilfe einiger Solda¬
Konrad, sprach die Frau Mama
ten, die ihm zufällig begegneten, den
Der Frankfurter Arzt und Schriftsteller Bürgermeister verhaftete und die Stadt¬
Heinrich Hoffmann (1809-1894) kasse beschlagnahmte. Die Geschichte
schrieb das sehr bekannte Kinderbuch wurde 1926, 1931 und 1956 verfilmt, von

264
Teil I kreuzige

Wilhelm Schäfer (1868-1952) zu einem Der kranke Mann am Bosporus


Roman und von Carl Zuckmayer 1931
Mit diesem Ausdruck wird gelegentlich
zu einem Schauspiel - „Der Haupt¬
die Türkei bezeichnet, wenn man auf ih¬
mann von Köpenick“ - verarbeitet.
re politischen, wirtschaftlichen oder so¬
zialen Probleme hinweisen will. Früher
tDas war eine köstliche Zeit! war „kranker Türke“ als abschätzige
Bezeichnung für den Sultan bzw. das
T Ich kann gar nicht so viel fressen, Osmanische Reich gebräuchlich. Bereits
wie ich kotzen möchte im 17. Jahrhundert entstand ein Lied
des bayerischen Chorherrn J. A. Poysel
„Der Türk ist krank“. Im 18. Jahrhun¬
Krach im Hinterhaus dert erscheint die Metapher bei Montes¬
Dies ist der Titel eines Lustspiels (1934) quieu in den „Lettres persanes“ von
und eines Romans (1936) von Maximili¬ 1721. Schließlich soll Zar Nikolaus I.
an Böttcher, der zahlreiche Romane von Rußland den Ausdruck im Jahr
und Dramen mit volkstümlichen Moti¬ 1853 gegenüber dem englischen Ge¬
ven schrieb. - Man verwendet das Zitat sandten Seymour verwendet haben. -
als scherzhaften Kommentar zum Bei¬ Auch Abwandlungen wie zum Beispiel
spiel bei Streitigkeiten in der Nachbar¬ „der kranke Mann an der Seine“ für
schaft. einen in politische Schwierigkeiten ge¬
ratenen französischen Staatspräsiden¬
Krach um Jolanthe ten sind heute vereinzelt zu finden.

Dies ist der Titel einer Bauernkomödie


t Am Ende hängen wir doch ab von
des Schriftstellers August Hinrichs
(1879-1956). Das ursprünglich platt¬
Kreaturen, die wir machten
deutsch geschriebene Stück aus dem
Jahr 1930 hatte den Titel „Swienskomö- Krethi und Plethi
di“. Die hochdeutsche Fassung erschien In Luthers Bibelübersetzung (2. Samuel
1935 mit dem Titel „Krach um Jolan¬ 8,18) ist von den „Crethi und Plethi“, in
the“. - Man zitiert den Titel, wenn man heutiger Übersetzung von den „Kre-
andeuten will, daß man einen Streit für thern und Plethern“ die Rede. Sie waren
unnötig oder albern hält. wahrscheinlich Soldaten der Leibwache
König Davids, ihrer Herkunft nach Kre¬
ter beziehungsweise Philister (= Ple-
Ein t Teil von jener Kraft, die stets
ther), also Angehörige verschiedener
das Böse will und stets das Gute
Völkerschaften. Diese Männer waren
schafft als sichtbarer Ausdruck der Macht des
Königs gefürchtet und wenig beliebt.
Krähwinkel Schon zu Luthers Zeit war die Bezeich¬
Die spöttische Bezeichnung für eine nung „Krethi und Plethi“ für eine „ge¬
spießbürgerliche Kleinstadt ist wohl im mischte Gesellschaft“ allgemein be¬
19. Jahrhundert gebräuchlich gewor¬ kannt. Heute wird sie abwertend ge¬
den. Sie wurde durch Jean Pauls 1801 braucht in bezug auf (alle möglichen)
erschienene Satire „Das heimliche Leute, die man nicht sehr hoch ein¬
Klaglied der jetzigen Männer“ und schätzt.
wohl vor allem durch Kotzebues Komö¬
die „Die deutschen Kleinstädter“ (1803) t Das sollst du am Kreuze bereuen
allgemein verbreitet. In beiden literari¬
schen Werken ist ein Ort namens Kreuzige ihn!
„Krähwinkel“ der Schauplatz des Ge¬ So lautet der Ruf der Volksmenge, die
schehens. den Tod Jesu forderte. Der Evangelist
Markus berichtet davon im Neuen Te¬
t Jeder Krämer lobt seine Ware stament: „Pilatus aber antwortete wie-

265
Krieg Teil I

derum und sprach zu ihnen: Was wollt schonen.“ Eine ähnliche Aussage über
ihr denn, daß ich tue dem, den ihr be¬ den Krieg findet sich auch in Schillers
schuldigt, er sei König der Juden? Sie „Wilhelm Teil“ (1,2): „Ein furchtbar
schrieen abermals: Kreuzige ihn!“ wütend Schrecknis ist/Der Krieg, die
(Markus 15,12 f.). - Man charakterisiert Herde schlägt er und den/Hirten.“ Als
mit dem Zitat das Verhalten der Öffent¬ Ausdruck der Ablehnung von Kriegen
lichkeit, die einer Person des öffentli¬ mit all ihren Grausamkeiten und der da¬
chen Lebens, beispielsweise einem Poli¬ mit verbundenen Anwendung von Ge¬
tiker, mit diesem Verdikt ihre Gunst ent¬ walt wird das Zitat auch heute noch ge¬
zieht und ihre Absetzung oder ähnliches legentlich gebraucht.
verlangt. In der Redensart: „Heute
heißt es hosianna und morgen kreuzige
ihn“ drückt sich diese rasche Wandel¬ Der Krieg ernährt den Krieg
barkeit der menschlichen Urteile beson¬ „Der Krieg ernährt den Krieg. Gehn
ders kraß aus. (Auch der erste Teil die¬ Bauern drauf,/Ei, so gewinnt der Kaiser
ser letztgenannten Redensart geht auf mehr Soldaten.“ Diese zynische Bemer¬
die Bibel zurück, wo bei Matthäus 21,9 kung macht in den „Piccolomini“, dem
zu lesen ist: „Das Volk aber, das vorging 2. Teil von Schillers Wallenstein-Trilo¬
und nachfolgte, schrie und sprach: gie, der General der kroatischen Trup¬
Hosianna dem Sohn Davids!“) pen, Isolani (1,2). Ihm ist es nur recht,
wenn für den Krieg verstärkt Bauern
Krieg bis aufs Messer eingezogen werden. Die Versorgung der
t Bis aufs Messer Bevölkerung leidet zwar darunter, aber
der Kaiser und seine Feldherren haben
mehr Soldaten zur Verfügung. Man ver¬
Krieg der Sterne
wendet das Zitat heute, wenn man dar¬
Das durch Weltraumsatelliten gestützte auf anspielen will, daß es immer wieder
Raketenabwehrsystem SDI (Abkürzung
Menschen gibt, die auch aus einem
für das englische „Strategie Defense In¬
Krieg noch Vorteile für sich selbst zie¬
itiative“, übersetzt „Strategische Vertei¬
hen und aus dem Leid anderer Kapital
digungsinitiative“) stellte 1983 der da¬
schlagen. - Der Gedanke findet sich
malige US-Präsident Ronald Reagan
schon bei dem römischen Geschichts¬
unter der englischen Bezeichnung star
schreiber Livius (59 v. Chr.-17 n.Chr.),
wars („Sternenkriege“) der Öffentlich¬
bei dem es heißt: „Der Krieg ernährt
keit vor. Er griff dabei auf den Titel ei¬
sich selbst“ (lateinisch: bellum se ipsum
nes 1977 entstandenen amerikanischen
alit; Ab urbe condita XXXIV, 9).
Science-fiction-Films zurück, in dem
mit aufwendiger Trickfilmtechnik mär¬
chenhafte Weltraumabenteuer gezeigt Krieg, Handel und Piraterie, drei¬
werden. - Die Fortsetzung des Films
einig sind sie
kam in Deutschland 1980 unter dem
Titel „Das Imperium schlägt zurück“ in „Ich müßte keine Schiffahrt ken-
die Kinos (vergleiche diesen Artikel). nen:/Krieg, Handel und Piraterie,/Drei¬
einig sind sie, nicht zu trennen.“ Diese
Worte, die Mephisto im 2. Teil des Faust
Es ist der Krieg ein roh, gewaltsam
spricht (5. Akt, Szene „Palast“), sind
Handwerk
wohl als satirischer Kommentar Goe¬
Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬ thes auf das Gebaren der damaligen
ma „Die Piccolomini“ (1,2). Dort sagt Seemacht Großbritannien zu verstehen.
Feldmarschall Illo in einem Gespräch Das Zitat wird in der kürzeren Form
über Kriegsvorbereitungen zu dem kai¬ heute noch verwendet, wenn man aus-
serlichen Kriegsrat von Questenberg: drücken will, daß viele Praktiken des
„Es ist der Krieg ein roh, gewaltsam Wirtschaftslebens durchaus mit kriege¬
Handwerk./Man kommt nicht aus mit rischen Auseinandersetzungen und See¬
sanften Mitteln, alles/Läßt sich nicht räuberei verglichen werden können.

266
Teil I kühl

Der Krieg ist der Vater aller Dinge Kristallnacht


Der altgriechische Philosoph Heraklit Mit diesem eher verharmlosenden Aus¬
(675. Jh. v.Chr.) führt alles Werden und druck wird - besonders im Jargon der
Vergehen in der Welt auf den immer¬ Nationalsozialisten - das in der Nacht
währenden Kampf entgegengesetzter vom 9. zum 10. 11. 1938 von den Natio¬
Kräfte zurück, auf den ewigen Wechsel nalsozialisten organisierte Pogrom ge¬
und die stete Bewegung der Dinge (sie¬ gen die jüdischen Bürger Deutschlands
he auch „Panta rhei“) und kommt zu bezeichnet, bei dem viele Synagogen,
dem Schluß: „Der Krieg ist der Vater al¬ Wohnungen und Geschäfte durch An¬
ler Dinge, der König aller Dinge“ (grie¬ gehörige der SA verwüstet wurden.
chisch UöXefiog nävrcov fiev narrjo „Kristall“ spielt wohl auf die unzähli¬
ean, nävrcov de ßaaiÄevg). Das Zitat ist gen Fensterscheiben und auf die großen
später als eine grundsätzlich positive Leuchter in zahlreichen Geschäften an,
Bewertung des Krieges mißdeutet wor¬ die in dieser Nacht zerschlagen wurden.
den; man brachte damit die Überzeu¬ Es ist nicht geklärt, wann genau vor
gung zum Ausdruck, daß militärische 1945 diese Bezeichnung entstanden ist.
Auseinandersetzungen entscheidend „Kristallnacht“ und die entsprechende
zum allgemeinen technischen und poli¬ Zusammensetzung „Reichskristall¬
tisch-gesellschaftlichen Fortschritt der nacht“ werden im heutigen Sprachge¬
Menschheit beigetragen hätten. brauch oft distanzierend in Anführungs¬
zeichen gesetzt oder mit dem Attribut
Der Krieg ist die Fortsetzung der „sogenannte“ versehen, um sie als be¬
Politik mit anderen Mitteln schönigende, verhüllende Ausdrücke zu
kennzeichnen.
Diese ebenso bekannte wie fragwürdige
Definition von „Krieg“ ist die Umfor¬
Kritik des Herzens
mulierung einer Aussage des preußi¬
schen Generals und Militärtheoretikers So hat Wilhelm Busch (1832-1908) sei¬
Carl von Clausewitz (1780-1831). In ne 1874 erschienene Gedichtsammlung
seinem postum erschienenen Haupt¬ betitelt. Sie sollte „ein Zeugnis meines
werk „Vom Krieg“ (Hinterlassene Wer¬ und unseres bösen Herzens ablegen“,
ke über Krieg und Kriegführung, 10 wie er in der Vorrede formuliert hat. In
Bde„ herausgegeben 1832-37; Bd. 1-3: den einzelnen Gedichten („Variationen
Vom Kriege) führt er aus, daß der Krieg über ein bedeutendes Thema“ nennt
nur ein Teil des politischen Verkehrs sei, Busch sie) werden trocken und oft mit
nichts Selbständiges, „nichts als eine lakonischer Kürze bürgerliche Moral¬
Fortsetzung des politischen Verkehrs vorstellungen und unkritisch aufrecht¬
mit Einmischung anderer Mittel.“ erhaltene Konventionen bloßgestellt.
Als „Kritik des Herzens“ werden heute
gelegentlich Ermahnungen und Vorhal¬
TNach’m Krieg, um sechs Uhr
tungen bezeichnet, mit denen man je¬
manden in ethisch-moralischen Dingen
tJa, der Krieg verschlingt die Be¬ zur Einsicht und Umkehr bewegen will.
sten!
Krone des Lebens
Der t kalte Krieg TSei getreu bis an den Tod, so will ich
dir die Krone des Lebens geben
Des Krieges Stürme schweigen
Die t Waffen ruh’n, des Krieges Stürme Kühl bis ans Herz hinan
schweigen Von einem Menschen, der sich abwei¬
send zeigt und auf andere distanziert
TZum Kriegführen sind drei Dinge wirkt, sagen wir, er sei „kühl bis ans
nötig: Geld, Geld und nochmals Herz“. Diese Redewendung stammt aus
Geld Goethes Ballade „Der Fischer“, die mit

267
Teil I
kühlen

den Versen beginnt: „Das Wasser Die Kunst geht nach Brot
rauscht, das Wasser schwoll,/Ein Fi¬ Diese Worte sind in Gotthold Ephraim
scher saß daran,/Sah nach dem Angel Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“
ruhevoll,/Kühl bis ans Herz hinan.“ (1772) die Antwort des Malers Conti auf
die Frage von Prinz Hettore, was die
Kunst denn mache (1,2). Lessing ver¬
t Aus einem kühlen Grunde
wendet hier ein schon für das 16. Jahr¬
hundert bezeugtes Sprichwort. Das Zi¬
t Im kühlen Keller sitz’ ich hier tat wird heute noch gebraucht, wenn
man andeuten will, daß oftmals Kunst
und Kommerz nicht zu trennen sind
TVon der Kultur beleckt
und manches Kunstwerk seine Entste¬
hung viel mehr der Aussicht auf das
Die Kultur eines Volkes richtet sich schnelle und große Geld verdankt als
nach dem Verbrauch von Seife der „reinen“ künstlerischen Absicht.
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, ei¬
ner Zeit, in der auf naturwissenschaft¬
Die Kunst ist lang! Und kurz ist
lich-technischem Gebiet bedeutende
unser Leben
Fortschritte erzielt wurden, die sich
auch im Bereich der allgemeinen Hygie¬ Mit diesen Worten stellt im ersten Teil
ne niederschlugen, war dieser damals von Goethes Faust dessen Famulus
durchaus ernst gemeinte Satz weit ver¬ Wagner resigniert fest, daß Medizin und
breitet. Er ist die Abwandlung eines Ge¬ Naturwissenschaften einen Wissensbe¬
dankens, den der deutsche Chemiker reich darstellen, den ganz zu erfassen
Justus von Liebig (1803-1873) in seinen ein Menschenleben nicht ausreicht
„Chemischen Briefen“ (1844) so formu¬ („Kunst“ ist hier in der älteren Bedeu¬
liert hatte: „Die Seife ist ein Maßstab tung „Wissenschaft“ gebraucht). Goe¬
für den Wohlstand und die Kultur der the greift dabei zurück auf die lateini¬
Staaten.“ sche Sentenz Vita brevis. ars longa („Das
Leben ist kurz, die Kunst ist lang“). Sie
ist die lateinische Wiedergabe eines
Kunst am Bau Aphorismus, der dem altgriechischen
Anfang der 50er Jahre wurde für Gro߬ Arzt Hippokrates (4./3.Jh. v.Chr.), der
bauten der öffentlichen Hand gesetzlich als Begründer der Medizin als Erfah¬
vorgeschrieben, daß ein prozentualer rungswissenschaft gilt, zugeschrieben
Anteil (meist 2%) der Bausumme zur wird. Vollständig soll dieser Aphoris¬
Anschaffung von Kunstobjekten zu ver¬ mus gelautet haben: 'O ßiog ßpaxvg, rj
wenden sei. Die Koordination von 8s texvt] uaxgß, ö 8s Kcupdg ögüg, 77 8s
Kunstschaffen und Verwaltungsvor¬ nelpa otpatepr], 77 8i xpioig xa^£Jl1i
schriften führte allerdings zunehmend („Das Leben ist kurz, die Kunst lang,
zu Kontroversen über die „Kunst im öf¬ die Gelegenheit flüchtig, der Versuch
fentlichen Raum“ (wie es jetzt in amtli¬ gefährlich, die Entscheidung schwer“).
chen Verlautbarungen heißt). Immer Die lateinische Sentenz geht wohl auf
häufiger zeigte sich Ablehnung bei den den römischen Politiker, Philosophen
Künstlern, die ihre Arbeit nicht den und Dichter Seneca (um 4v.Chr.-65
Zwängen und Bedürfnissen von Zweck¬ n. Chr.) zurück, der in seinem Dialog
bauten und schon gar nicht dem Kunst¬ „Über die Kürze des Lebens“ (latei¬
verständnis von Behörden unterwerfen nisch: „De brevitate vitae“; 1,1) dar¬
wollten. - Gelegentlich bezeichnet man über schreibt: ... illa maximi medicorum
heute mit diesem Begriff in scherzhaft¬ exclamatio ... vitam brevem esse, longam
ironischer Ausdrucksweise funktions¬ artem ... („...jener Ausspruch des Grö߬
loses Beiwerk an einem Gebrauchsge¬ ten unter den Ärzten ..., das Leben sei
genstand, das man schlichtweg als kurz, die Kunst lang ...“). - Zitiert wer¬
„Schnickschnack“ empfindet. den heute - im anfangs genannten

268
Teil I la

Sinn - sowohl die Faust-Verse als auch zweiten Aktes heißt es: „Einen Kuß in
der lateinische Ausspruch. Ehren/Kann niemand wehren.“

Das kunstseidene Mädchen Küssen ist keine Sünd’ mit einem


schönen Kind
Das kunstseidene Mädchen, das ist im
1932 erschienenen gleichnamigen Ro¬ So beginnt ein Lied im 2. Akt der Ope¬
man der deutschen Schriftstellerin Irm¬ rette „Bruder Straubinger“ von Ed¬
gard Keun (1910-1982) die gutmütig¬ mund Eysler (1874-1949; Text von Mo¬
sentimentale, immer verliebte und leicht ritz West und Ignaz Schnitzer; Liedtext
verlotterte Stenotypistin Doris. Und in von Schnitzer). Die Anfangsworte
der Tat, Doris erinnert manchmal ein sind - ebenso wie die Walzermelodie -
bißchen an Kunstseide, von der sie bis heute populär geblieben. Man zitiert
selbst sagt: „Man sollte nie Kunstseide sie, wenn man entschuldigend, sozusa¬
tragen mit einem Mann, die zer¬ gen mit einem Augenzwinkern, zum
knautscht dann so schnell, und wie sieht Ausdruck bringen will, daß nichts
man aus dann nach sieben reellen Küs¬ Schlimmes dabei ist, wenn man jeman¬
sen und Gegenküssen?“ Mit dem Ro¬ dem, der einem durch sein ansprechen¬
mantitel wird heute gelegentlich der des Äußeres sehr sympathisch ist, dies
Typ einer jungen Frau charakterisiert, durch eine entsprechende zärtliche Ge¬
die - wie Doris - einerseits Selbstbe¬ ste zeigt.
wußtsein und Unabhängigkeitswillen,
andererseits aber auch Naivität und tSie küßten und sie schlugen ihn
kindliche Hilflosigkeit ausstrahlt.

Kurz ist der Schmerz


Die auch mit der Fortsetzung „und ewig
ist die Freude“ sprichwörtlich ge¬
brauchte Aufforderung, sich einer un¬
angenehmen Sache zu unterziehen und
schnell damit fertig zu werden, ist ein
Zitat aus Schillers romantischer Tragö¬
L
die „Die Jungfrau von Orleans“. Mit
diesem Schlußvers stirbt die tödlich ver¬ La belle et la bete
wundete Titelheldin. Das klassische Märchenmotiv vom
schönen Mädchen, das durch seine Lie¬
Es Tist nicht wahr, daß die kürze¬ be einen in ein Ungeheuer oder zumin¬
dest in ein nicht gerade ansehnliches
ste Linie immer die gerade ist
Tier verwandelten anderen Menschen -
meist einen Prinzen - erlösen soll,
Ein Küßchen in Ehren kann nie¬ taucht auch in dem französischen Mär¬
mand verwehren chen La belle et la bete (übersetzt: „Die
Mit dieser scherzhaften sprichwörtli¬ Schöne und das Tier“) auf. In dieser im
chen Redensart kommentiert man einen 18. Jahrhundert zuerst in einer Samm¬
unverbindlichen, rein freundschaftli¬ lung erschienenen Märchenerzählung
chen Kuß. Sie ist schon in Sprichwort¬ begibt sich die Schöne in die Gewalt ei¬
sammlungen des frühen 17. Jahrhun¬ nes gräßlichen Untiers, um so ihren Va¬
derts zu finden und hat wohl durch Al¬ ter zu retten. Der französische Regisseur
bert Lortzings (1801-1851) Oper „Der und Schriftsteller Jean Cocteau
Waffenschmied“ nach Friedrich Wil¬ (1889-1963) hat diese Erzählung als li¬
helm Zieglers (1760-1827) Lustspiel terarische Vorlage für seinen 1946 ge¬
„Liebhaber und Nebenbuhler in einer drehten Film gleichen Titels genommen
Person“ noch zusätzliche Verbreitung (deutscher Titel: „Es war einmal“).
gefunden. In der zweiten Szene des Auch ein Zeichentrickfilm aus den

269
la Teil I

Walt-Disney-Studios, der 1992 mit dem als Bühnenstück charakterisiert werden


Titel „Die Schöne und das Biest“ in die soll, in dem die menschlichen Schwä¬
deutschen Kinos kam, geht auf das chen deutlich zutage treten.
Märchen zurück. „Die Schöne und das
Tier“ (auch: und die Bestie“) ist ein La donna e mobile
auch heute noch verwendetes Bild der t O wie so trügerisch sind Weiberherzen
Klatschkolumnisten für eine als Mesal¬
liance empfundene Beziehung einer Das Labyrinth der Brust
schönen Frau zu einem Mann mit wenig
Das Zitat, das im Sinne von „verschlun¬
anziehendem Äußeren und von eher
gene Pfade des Innern“ gebraucht wird,
schwerfälliger Wesensart.
stammt aus Goethes Gedicht „An den
Mond“. Darin wird glücklich gepriesen,
La bete humaine
wer zurückgezogen mit einem Freund
Diesen Titel (wörtlich übersetzt: „Das genießt, „Was, von Menschen nicht ge-
menschliche Tier“) gab der französische wußt/Oder nicht bedacht,/Durch das
Schriftsteller Emile Zola (1840-1902) Labyrinth der Brust/Wandelt in der
einem 1890 erschienenen Roman, der Nacht.“ Das Gedicht wurde zusätzlich
der 17. Band seines 20bändigen Roman¬ durch die Vertonung von Schubert,
zyklus „Les Rougon-Macquart“ war. In Pfitzner und Zelter bekannt.
diesem Roman wird der Mensch als ein
Wesen dargestellt, das allein nach dem
Lache, Bajazzo!
ihm vererbten Gesetz seiner Triebe und
Anlagen lebt und handelt und, wenn Soeben hat der Komödiant Canio, der
„Bajazzo“ in Ruggiero Leoncavallos
nicht von außen steuernd eingewirkt
gleichnamiger Oper (1892, deutscher
wird, zum wütenden, schließlich selbst¬
zerstörerischen Tier wird. Die erste Text von Ludwig Hartmann), erfahren,
deutsche Übersetzung erschien 1890 un¬ daß seine Frau Nedda einen Geliebten
ter dem Titel „Die Bestie im Men¬ hat. Schmerz zerreißt ihn, er denkt an
schen“. Der 1939 von Jean Renoir nach Rache, aber er muß auf die Bühne, muß
Zolas Roman gedrehte Film trägt in der spielen: „Hüll’ dich in Tand und
deutschen Fassung den Titel „Bestie schminke dein Antlitz, man hat bezahlt
Mensch“. Vom „Tier im Menschen“ ja, will lachen für sein Geld.“ Und ver¬
oder eben der „Bestie im Menschen“ zweifelt befiehlt er sich selbst: „Lache,
spricht man, wenn Roheit und Tierisch- Bajazzo!“ Man zitiert diesen Ausruf
Triebhaftes als menschlicher Charakter¬ als - oft auch an sich selbst gerichtete -
zug bezeichnet werden sollen. Aufforderung, einer unangenehmen
oder verzweifelten Lage mit vorge¬
La comedie humaine täuschter Heiterkeit, mit gespieltem
Humor zu begegnen und so den eigenen
Unter diesem Titel faßte der französi¬
Kummer zu überspielen.
sche Schriftsteller Honore de Balzac
(1799-1850) sein Romanwerk, fast hun¬
t Daß einer lächeln kann und im¬
dert Bände, zusammen (Übersetzung:
„Die menschliche Komödie“). Er stellte
mer lächeln und doch ein Schurke
dabei sein Werk bewußt in einen Ge¬ sein
gensatz zur „Göttlichen Komödie“ von
Dante Alighieri (1265-1321), bei dem Lächeln trotz Weh und tausend
„Komödie“, dem Sprachgebrauch sei¬ Schmerzen
ner Zeit entsprechend, eine Dichtung Diese Devise, mit der man seine inneren
mit glücklichem Ausgang bedeutete, Schwierigkeiten zudeckt, ist mit der
während das französische comedie hier Fortsetzung „Doch niemals zeigen sein
im Sinne von „Theaterstück]“ verwen¬ wahres Gesicht“ Teil der Arie „Immer
det ist. Von der „menschlichen Komö¬ nur lächeln!“ des chinesischen Prinzen
die“ oder der comedie humaine spricht Sou-Chong aus der Operette „Das
man auch heute noch, wenn das Leben Land des Lächelns“ von Franz Lehar

270
Teil I Land

(1870-1948) mit dem Text von Ludwig zu müssen, festgehalten in einem Land,
Herzer und Fritz Löhner. (Siehe auch das ihr fremd geblieben ist. Von ihrer
„Doch wie’s da drin aussieht“.) Klage „Denn ach, mich trennt das Meer
von den Geliebten,/Und an dem Ufer
Das Lächeln einer Sommernacht steh’ ich lange Tage,/Das Land der
Dies ist der deutsche Titel von Ingmar Griechen mit der Seele suchend“ wurde
Bergmans 1955 gedrehtem Film Som- die letzte Zeile zum geflügelten Wort.
marnattens leende, einer melancholi¬ Sie wurde zu einer Art Formel, die häu¬
schen Komödie über wechselnde Lie¬ fig zitiert wurde (besonders als im 18.
besbeziehungen. Man zitiert ihn im Jahrhundert das Interesse von der römi¬
Zusammenhang mit Ereignissen oder schen auf die griechische Antike gelenkt
Erlebnissen in milden, sommerlichen wurde) und die auch heute noch zitiert
Nächten, um eine besondere Atmosphä¬ wird, wenn es darum geht, das Interesse
re oder Stimmung zu charakterisieren. an der Kultur des griechischen Alter¬
tums zu benennen.
Es lächelt der See, er ladet zum
Bade Das Land der unbegrenzten Mög¬
lichkeiten
Mit diesen Sätzen beginnt Schillers
Schauspiel „Wilhelm Teil“ (1,1, „Lied Das Synonym für „Amerika“ ist eine
des Fischerknaben“). Heute werden Prägung des Schriftstellers Ludwig Max
diese Worte auch im übertragenen Sin¬ Goldberger, der 1902 nach einer Stu¬
ne zitiert, wenn von besonderen Stim¬ dienreise durch das Land in einem In¬
mungen oder Situationen eine gewisse terview Associated Press gegenüber sag¬
Verlockung ausgeht, etwas Bestimmtes te : „Europa muß wach bleiben. Die Ver¬
zu tun, sich einem persönlichen Vergnü¬ einigten Staaten sind das Land der un¬
gen hinzugeben. begrenzten Möglichkeiten.“ In späteren
Publikationen wies er in diesem Zusam¬
T Mit einem lachenden und einem menhang auf den „wirtschaftlichen Rie¬
sen Amerika“ hin. In dem zur festste¬
weinenden Auge
henden Wendung gewordenen Aus¬
druck scheint eine Formulierung aus
Laissez faire, laissez aller
Schillers Gedicht „Poesie des Lebens“
So lautete ein französisches Schlagwort anzuklingen: „Soll gleich den freien
(wörtlich übersetzt: „Laßt machen, laßt Geist, den der erhabne Flug/Ins gren¬
gehen“) des wirtschaftlichen Liberalis¬ zenlose Reich der Möglichkeiten
mus im 18. und 19. Jahrhundert, der die trug,/Die Gegenwart mit strengen Fes¬
Theorie vertrat, daß die von staatlichen seln binden: ..." In J. G. Seumes
Eingriffen freie Wirtschaft sich am be¬ (1763-1810) „Leben und Charakter der
sten entwickle. Die Parole lautete ur¬ Kaiserin Katharina II.“ findet sich ein
sprünglich Laissez faire, laissez passer entsprechendes französisches Zitat in
(passer = durchgehen). Heute wird der bezug auf Rußland: La Russie est le pays
Ausdruck allgemein für ein Gewähren¬ des possibilites („Rußland ist das Land
lassen, für eine weitestgehende Liberali¬ der Möglichkeiten“).
tät (z. B. in der Erziehung) verwendet.
Das Land des Lächelns
t Sich wie ein Lamm zur Schlacht¬ So lautet der Titel einer romantischen
bank führen lassen Operette von Franz Lehar (uraufgeführt
1929; Text von Ludwig Herzen und
Das Land der Griechen mit der Fritz Löhner). Die Handlung spielt
Seele suchend im 2. und 3. Akt in China, einem Land,
Im Anfangsmonolog des Schauspiels in dem es für Europäer den Anschein
„Iphigenie auf Tauris“ von Goethe be¬ hat, daß alle Menschen hier ihre wah¬
klagt die Titelheldin ihr Schicksal, fern ren Gefühle hinter der Maske eines
von ihrer Heimat Griechenland weilen undurchdringlichen Lächelns verbergen.

271
Land Teil I

Der Titel wird heute noch als Bezeich¬ Lang, lang ist’s her
nung für China, gelegentlich auch für Der floskelhafte Ausspruch, meist ver¬
den gesamten Fernen Osten gebraucht. wendet, um Erinnerungen an lange Zu¬
rückliegendes einzuleiten oder abzu¬
Das Land, wo Milch und Honig schließen, ist ursprünglich der Titel ei¬
fließt nes Liedes mit der Anfangszeile „Sag
mir das Wort, das so gern ich gehört“.
Mit diesem Bild wird meist scherzhaft
Die Zeile, die den Titel des volkstümlich
ein Ort bezeichnet, wo alles im Überfluß
gewordenen Liedes bildet, kehrt im Lied
vorhanden ist. Es stammt aus dem Alten
selbst refrainartig immer wieder. Es
Testament, wo Gott Jahwe mit Bezug
stammt aus dem Englischen, wo es den
auf die Israeliten zu Moses sagt: „... und
Titel Long, long ago trägt. Text und
bin herniedergefahren, daß ich sie erret¬
Melodie hat der Engländer Thomas
te von der Ägypter Hand und sie aus¬
Haynes Bayly (1797-1839) geschrieben.
führe aus diesem Lande in ein gutes und
weites Land, in ein Land, darin Milch
Der lange Marsch durch die Insti¬
und Honig fließt“ (2. Moses 3,8).
tutionen
Dieser Ausdruck spielt auf den (als
t In diesem unserem Lande
Symbol für den Sieg der Revolution gel¬
tenden) historischen „Langen Marsch“
t Das ist des Landes nicht der an, bei dem Mao Tse-tung 1934/35 die
Brauch kommunistischen Truppen der chinesi¬
schen Roten Armee über rund 12 000
Kilometer von Kiangsi nach Schensi
Landgraf, werde hart!
führte. Der Studentenführer Rudi
Diese Aufforderung, die man heute Dutschke (1940-1979) verwendete die¬
meist scherzhaft gebraucht, um jeman¬
sen Ausdruck bei seiner Forderung an
den zu Entschlossenheit und Standhaf¬
die Sozialrevolutionären Kräfte des
tigkeit zu ermuntern, geht auf eine Sage
Landes, das seiner Meinung nach re¬
aus der „Düringischen Chronik“ von
pressive und manipulative gesellschaft¬
Johannes Rothe (1350 oder 1360-1434)
liche und politische System durch die
zurück. Nach dieser Sage herrschte der
berufliche Praxis in Behörden, Schulen
Landgraf Ludwig von Thüringen so
und anderen Institutionen zu verän¬
nachsichtig, daß die Adligen und Mäch¬
dern.
tigen das Volk hemmungslos ausbeuten
konnten. Der Landgraf verirrte sich ei¬
Einen langen Arm haben
nes Tages auf der Jagd und gelangte
schließlich zum Schmied von Ruhla im Die Redewendung mit der Bedeutung
Thüringer Wald, der ihn beherbergte. „weitreichenden Einfluß besitzen“ geht
Bei der Arbeit am Amboß schimpfte der möglicherweise auf eine Stelle in einem
Schmied, der seinen Gast nicht erkannt Werk des römischen Dichters Ovid (43
hatte, über die Zustände im Lande und v.Chr.-17 oder 18 n.Chr.) zurück, den
die zu große Milde des Landesfürsten. „Heroides“ (einer Sammlung fiktiver
Beim Schlagen auf den Amboß rief er Liebesbriefe berühmter Frauen der my¬
aus: „Nun werde hart!“ Der Landgraf thischen Vorzeit an ihre geliebten Hel¬
besann sich daraufhin auf seine Pflich¬ den). Helena stellt dort an Paris die war¬
ten als Herrscher und sorgte für gesittete nende Frage, ob er nicht wisse, „daß
Verhältnisse in seinem Land, worauf Könige lange Arme haben“.
vielleicht sein Beiname „der Eiserne“
zurückzuführen ist. - In seinem Gedicht Des langen Haders müde
„Der Acker der Edlen“ prägte Wilhelm Der etwas altmodisch klingende Aus¬
Gerhard (1780-1858) die heute geläu¬ druck mit der Bedeutung „des langen
fige Formulierung „Landgraf, werde Streitens überdrüssig“ wird heute meist
hart!“ scherzhaft noch verwendet, wenn man

272
Teil I laß

ausdrücken will, daß jemand genug Kunstauffassung, die damit eine der
von einer Auseinandersetzung, einem Wirklichkeit total entfremdete Kunst
fruchtlosen Bemühen o. ä. hat und sich anprangerten. Heute wird der Ausdruck
lieber einer anderen Sache zuwenden im Deutschen oft auch allgemeiner ge¬
möchte. Er stammt aus der berühmten, braucht und nicht nur auf die Kunst be¬
früher viel gelesenen und deklamierten zogen. Er dient dann beispielsweise da¬
Ballade „Lenore“ des Dichters Gott¬ zu, jemandes intensive, aber nutzlose
fried August Bürger (1747-1794). In der Beschäftigung mit etwas abwertend als
2. Strophe des langen Gedichtes geht es Selbstzweck, als reine Spielerei zu be¬
um den Entschluß, einen Krieg zu been¬ zeichnen.
den. Es heißt dort: „Der König und die
Kaiserin,/Des langen Haders müde,/Er- t Unter Larven die einzige fühlen¬
weichten ihren harten Sinn,/Und mach¬ de Brust
ten endlich Friede...“
Laß deine linke Hand nicht wissen,
Der langen Rede kurzer Sinn was die rechte tut
Mit der Frage „Was ist der langen Rede Dieses Bibelwort aus der Bergpredigt
kurzer Sinn?“ schneidet in Schillers Tri¬ (Matthäus 6,3 f.) bezieht sich ursprüng¬
logie „Wallenstein“ (Die Piccolomini lich auf das richtige Verhalten beim Ge¬
1,2) der vom Kaiser gesandte Kriegsrat ben von Almosen: Man soll es unauffäl¬
von Questenberg dem Chef des Drago¬ lig tun, nicht damit prahlen. Die Stelle
nerregiments Butler das Wort ab. Dieser lautet: „Wenn du aber Almosen gibst, so
hatte sich zuvor in einer längeren Lobes¬ laß deine linke Hand nicht wissen, was
hymne über Wallenstein geäußert. Aus die rechte tut, auf daß dein Almosen
der Frage Questenbergs ist die heute üb¬ verborgen sei; und dein Vater, der in das
liche Fügung „der langen Rede kurzer Verborgene sieht, wird dir’s vergelten
Sinn“ entstanden. Sie hat die Bedeu¬ öffentlich.“ Das Bibelzitat wird heute
tung „um es kurz zu machen, um es auf häufig völlig losgelöst von seiner eigent¬
eine knappe Formel zu bringen, kurz¬ lichen Bedeutung gebraucht. Man ver¬
um“. wendet es beispielsweise, um zu ver¬
deutlichen, daß bei einer bestimmten
t Viel Lärm um nichts Angelegenheit Verschwiegenheit, Dis¬
kretion notwendig ist und gibt dann et¬
L’art pour l’art wa die Empfehlung, die linke Hand
Der französische Philosoph und Politi¬ nicht wissen zu lassen, was die rechte
ker Victor Cousin (1792-1867) ist der tut. In anderen Fällen wiederum wird
Urheber dieses französischen Schlag¬ das Zitat benutzt, um damit einen Vor¬
wortes (wörtlich übersetzt „die Kunst wurf zu formulieren, der dahin geht,
für die Kunst“), das immer umstritten mangelnde Koordination bei einer Sa¬
blieb. In einer seiner an der Sorbonne che zu tadeln, für deren Gelingen gute
gehaltenen Vorlesungen verkündete Zusammenarbeit nötig wäre. Der Vor¬
Cousin, daß ebenso, wie die Religion wurf lautet dann, daß bei denen, die mit
für die Religion, die Moral für die Mo¬ der betreffenden Sache befaßt sind,
ral, so auch die Kunst nur für die Kunst nicht einmal die linke Hand wisse, was
da sei. Es entwickelte sich aus dieser die rechte tut.
Ansicht eine Kunsttheorie, die in Frank¬
Laß die Toten ihre Toten begra¬
reich längere Zeit verbreitet war, nach
der die Kunst nur Selbstzweck sei, abge¬ ben!
löst von allen ihr fremden Zielen, und Einer der Anhänger Jesu, der mit Jesus
daß künstlerische Wirkung nur der gehen, ihm nachfolgen will, bittet dar¬
ästhetischen Gestaltung zuzuschreiben um, zuvor noch seinen Vater begraben
sei. Aus dem Schlagwort L’art pour Varl zu dürfen. Die Antwort Jesu besteht aus
wurde dann aber in der Folgezeit immer einer rigorosen Aufforderung (Mat¬
mehr eine Art Losung der Gegner dieser thäus 8,22): „Folge du mir, und laß die

273
laß Teil I

Toten ihre Toten begraben!“ Dieses Je¬ Lasset die Kindlein zu mir kom¬
suswort weist auf die Unbedingtheit des men
Anspruchs hin, der die wirkliche Nach¬ Im Matthäusevangelium des Neuen Te¬
folge Christi kennzeichnet. Als Zitat
staments wird berichtet, daß die Men¬
wird dieses Wort aus der Bibel meist auf
schen ihre Kinder zu Jesus brachten, da¬
eine allgemeinere Ebene gehoben. Es
mit er ihnen die Hand auflegte. Als die
dient gewissermaßen als Aufruf, sich
Jünger dies unterbinden wollten, sprach
dem Wesentlichen, den wichtigen Auf¬
Jesus: „Lasset die Kindlein und wehret
gaben im Leben zuzuwenden, alles
ihnen nicht, zu mir zu kommen; denn
Hemmende, Überflüssige, sinnlos Ge¬
solcher ist das Himmelreich“ (Matth.
wordene hinter sich zu lassen.
19,14). In leicht abgewandelter Form
wird diese Bibelstelle scherzhaft zitiert,
Laß dir dein Lehrgeld zurückgeben wenn jemand zum Beispiel sagen will,
Diese Redensart wird verwendet, wenn daß er jetzt bereit ist, sich einer warten¬
man jemandem klarmachen will, daß den Kinderschar zu widmen, oder wenn
man mit seinen Leistungen nicht zufrie¬ jemand zum Ausdruck bringen möchte,
den ist, daß er nicht das zustande bringt, daß er sich durch die Kinder seiner Gä¬
was man von ihm erwarten könnte. Sie ste oder Gastgeber nicht gestört fühlt.
geht möglicherweise auf eine Stelle in
dem Roman „Satiricon“ des römischen Lasset uns essen und fröhlich sein!
Schriftstellers C. Petronius (t66 n. Chr.)
Diese Aufforderung zum gemeinsamen
zurück. Dort heißt es: Iam scies, patrem
Essen und Feiern ist ein Bibelzitat. Es
tuum mercedes perdidisse (auf deutsch:
stammt aus dem bekannten Gleichnis
„Du wirst schon merken, daß dein Vater
vom verlorenen Sohn im Lukasevangeli¬
das Lehrgeld umsonst ausgegeben
um (15,23). Der Vater, der seinem in der
hat“). Die Redensart ist auch in der
Fremde gescheiterten und reumütig zu¬
Form „Laß dir dein Schulgeld zurück¬
rückgekehrten Sohn verziehen hat, ruft
geben“ üblich.
diese Worte aus und läßt „ein gemästet
Kalb“ schlachten, um mit seinem gan¬
Laß fahren dahin!
zen Haus die Rückkehr des Sohnes zu
Diese Aufforderung findet sich in der feiern.
vierten Strophe des in der Zeit der Bau¬
ernkriege entstandenen Lutherliedes
Laßt dicke Männer um mich sein
„Ein feste Burg ist unser Gott“ (um
1529). Hier heißt es: „Nehmen sie den Als Trost für manchen Übergewichtigen
Leib,/Gut, Ehr, Kind und Weib, -/laß oder auch der scherzhaften Abwehr
fahren dahin!“ Schiller nahm diese For¬ boshafter Anspielungen mag dieses Zi¬
mulierung in seinem Reiterlied in „Wal¬ tat häufig schon gedient haben. Es
lensteins Lager“ (1798/99) auf: „Warum stammt aus der (vermutlich um 1599
weint die Dirn’ und zergrämt sich entstandenen) Tragödie „Julius Cäsar“
schier?/Laß fahren dahin, laß fah¬ (1,2) von Shakespeare. Mit berechtig¬
ren!“ - Das Zitat ist Ausdruck von Resi¬ tem Mißtrauen gegenüber „diesem ha¬
gnation, eine Aufforderung an sich geren Cassius“, einem seiner späteren
selbst oder an andere, etwas Bestimmtes Mörder, äußert sich Cäsar in dieser
aufzugeben, nicht länger sein Herz dar¬ Weise (im englischen Original: Let me
an zu hängen. have men about me that arefat) und fügt
im Hinblick auf Cassius hinzu: „Er
denkt zuviel: die Leute sind gefährlich.“
TSo laß ihm doch das kindliche
(Vergleiche auch diesen Artikel.) Der
Vergnügen
Ausspruch Cäsars über die dicken oder
wohlbeleibten Männer bei Shakespeare
Laß, o Welt, o laß mich sein! geht zurück auf eine von Plutarch (um
T Laßt dies Herz alleine haben seine 46-um 125) in seiner Cäsarbiographie
Wonne, seine Pein überlieferte Äußerung des historischen

274
Teil I ie

Cäsar, er fürchte nicht die dicken Her¬ Last, not least


ren, sondern eher die mageren, blassen.
Das Shakespeare-Zitat wird im Sinne
von „zwar in der Reihenfolge zuletzt,
Laßt dies Herz alleine haben seine aber durchaus nicht der Bedeutung
Wonne, seine Pein nach; nicht zu vergessen“ gebraucht. In
Das Gedicht „Verborgenheit“ von Edu¬ „Julius Caesar“ (III, 1) sagt Mark Anto¬
ard Mörike (1804-1875) zeigt deutlich nius zu Trebonius: Though last, not least
die Abwehrhaltung des Dichters gegen¬ in love („Zuletzt, doch nicht der Letzte
über dem Getriebe der „großen Welt“ meinem Herzen“), ähnlich in „King
und seinen Wunsch nach Abgeschie¬ Lear“ (1,1) der König zu seiner jüngsten
denheit und Stille. Die erste und letzte Tochter: Although our last, not least
Strophe lauten: „Laß, o Welt, o laß („Obwohl unsere letzte, nicht die Ge¬
mich seinl/Locket nicht mit Liebesga- ringste“).
ben,/Laßt dies Herz alleine haben/Seine
Wonne, seine Pein!“ Die Schlußverse Es war einmal ein Lattenzaun, mit
werden zitiert, wenn man andeuten will, Zwischenraum, hindurchzuschaun
daß man auf die Anteilnahme anderer
Bei diesem Zitat handelt es sich um die
keinen Wert legt und man mit seinen
Anfangszeilen des Gedichts „Der Lat¬
Gedanken und Gefühlen allein gelassen
tenzaun“ aus den „Galgenliedern“
werden möchte.
(1905) von Christian Morgenstern. Die¬
ses humoristisch-groteske Gedicht skiz¬
Laßt jede Hoffnung fahren ziert, wie ein Architekt durch einen
In Dante Alighieris „Göttlicher Komö¬ Zaun sieht und sich dadurch Anregun¬
die“ (um 1311) stehen über der Ein¬ gen holt. In unterschiedlichen Situatio¬
gangspforte zur Hölle die Worte: „Laßt, nen wird das Zitat heute als scherzhafter
die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren“ Kommentar verwendet, wenn jemand
(Die Hölle, 3. Gesang, Vers 9; italie¬ eine spitzbübische Freude daran hat,
nisch: Lasciate ogni speranza, voi ch’en- andere aus dem Verborgenen heraus -
trate). Sie werden heute in der gekürz¬ wie durch den Spalt eines Lattenzau¬
ten Form zitiert, wenn man jemandem - nes - zu beobachten.
allerdings meist im Scherz - sagen will,
daß es für etwas Bestimmtes zu spät ist Laue Luft kommt blau geflossen,
und man nichts mehr ändern kann. Frühling, Frühling soll es sein!
Auch die leicht abgewandelte Form
Zu den häufig zitierten Gedichtanfän¬
„Laßt alle Hoffnung fahren!“ ist ge¬
gen, mit denen auf den Einzug des
bräuchlich.
Frühlings verwiesen wird, gehören auch
diese beiden Zeilen aus dem Gedicht
Der t Worte sind genug gewechselt,
„Frische Fahrt“ von Joseph von Eichen¬
laßt mich auch endlich Taten se¬ dorff (1788-1857). Bei „Frische Fahrt“
hen handelt es sich um eines der Gedichte
aus dem autobiographischen Roman
Laßt sie betteln gehen, wenn sie „Ahnung und Gegenwart“, wo es (noch
hungrig sind ohne Titel) im 12. Kapitel erscheint.
t Was schert mich Weib, was schert mich
Kind T Das ist der Lauf der Welt

Laßt, Vater, genug sein das grau¬ tUnd läuft und läuft und läuft ...
same Spiel
t Genug des grausamen Spiels t Armer Lazarus

Last Exit to Brooklyn Le malade imaginaire


t Letzte Ausfahrt Brooklyn Der teingebildete Kranke

275
le Teil I

Le style, c’est l’homme Fürchtegott Geliert (1715-1769) gehört


das Lied „Vom Tode“ (das nach der
Die Sentenz - auf deutsch „Der Stil, das
Melodie des Gesangbuchliedes „Jesus,
ist der Mensch“ - stammt von dem fran¬
meine Zuversicht“ zu singen ist). Die 2.
zösischen Naturforscher Georges Louis
Strophe dieses Liedes beginnt mit den
Leclerc de Buffon (1707-1788), der in
als Lebensregel formulierten Zeilen, die
seiner Antrittsrede in der Academie
dann als eine Art selbständige Maxime
franfaise am 25. 8. 1753 sagte: Le style
zum geflügelten Wort wurden. Der dar¬
est l’homme meme („Der Stil ist der
in ausgesprochene Gedanke ist bereits
Mensch selbst“). Das Zitat bringt zum
in den „Selbstbetrachtungen“ des römi¬
Ausdruck, daß im Stil eines Menschen
schen Kaisers Mark Aurel (121-180
und besonders eines Künstlers dessen
n.Chr.) enthalten, der ihn ungefähr so
Individualität deutlich wird.
formulierte: „Wie du beim Dahinschei¬
den gelebt zu haben wünschst, so kannst
Le temps des cerises
du jetzt bereits leben.“
Dies ist der Titel eines besonders in
Frankreich sehr populären Liedes (auf
deutsch: „Die Zeit der Kirschen“). Es Lebe wohl, und wenn für immer, ja
stammt von dem Volksdichter Jean- für immer lebe wohl!
Baptiste Clement (1837-1903), der es
Mit diesen beiden Zeilen beginnt das
1866 schrieb (Musik von Antoine Re-
Gedicht „Lebe wohl“ des englischen
nard). Clement war Sozialist, und „Le
Dichters Lord Byron (1788-1824), im
temps des cerises“ wurde damals sehr
englischen Original Fare thee well!and if
schnell zum Lied der Pariser Kommune.
for ever,/Then for ever, fare thee well!
Es ist bis heute eine Art Erkennungslied
Diese Zeilen Byrons wurden zu einer
sozialistischer, linksorientierter Grup¬
Art Abschiedsgruß, den man bei ent¬
pen geblieben. Der Schriftsteller und
sprechenden Gelegenheiten zitieren
Liedermacher Wolf Biermann erwähnt
es beispielsweise in seinem „Kaminfeu¬ konnte. Das Gedicht ist ein Abschieds¬
er in Paris“. Dessen erste Strophe lau¬ gedicht, das Byron an seine Frau nach
tet: „Mit neuen Freunden saß ich die der Trennung von ihr richtete und das er
Nacht/am Kaminfeuer in Paris./Wir nach eigenem Bekunden eines Abends
tranken vom Beaujolais Nouveau/und unter Tränen niedergeschrieben hat.
sangen ,Le temps des cerises'.“

T Wir leben nicht, um zu essen,


Es lebe der kleine Unterschied!
sondern wir essen, um zu leben
Dieser Ausruf, der auf die Unterschied¬
lichkeit von Mann und Frau anspielt,
stammt aus Erich Kästners Roman „Fa¬ Leben und leben lassen
bian“ (1931). Wenn man heute scherz¬
Mit dem Anspruch, tolerant zu sein, ha¬
haft von dem kleinen Unterschied
ben viele schon diese sprichwörtliche
spricht, so meint man damit oft nur
Redensart zu ihrem Wahlspruch, ihrer
noch den Penis als Symbol des Unter¬
Lebensregel gemacht. Sie besagt etwa,
schieds zwischen Mann und Frau. Be¬
daß man durchaus sich selbst, aber in
kannt wurde auch der Buchtitel der fe¬
gleicher Weise auch den andern etwas
ministischen Journalistin Alice Schwar¬
gönnen beziehungsweise jedem seine ei¬
zer „Der kleine Unterschied und seine
gene Lebensart zugestehen soll. Litera¬
großen Folgen“ (1975).
rische Verwendung fand die Redensart
in Schillers Trilogie „Wallenstein“, wo
Lebe, wie du, wenn du stirbst, wün¬
sich in „Wallensteins Lager“ (6. Auf¬
schen wirst, gelebt zu haben
tritt) der erste Jäger über den Feldherm
Zu den „Geistlichen Oden und Lie¬ Tilly in folgender Weise äußert: „Und
dern“ des pietistisch orientierten ging’s nur nicht aus seiner Kassen,/Sein
Schriftstellers der Aufklärung Christian Spruch war: leben und leben lassen.“

276
Teil I Lebens

Das Leben ein Traum zum Beispiel bei dem römischen Philo¬
Der Gedanke, das Leben mit einem sophen Seneca (um 55 v.Chr.-um 40
Traum zu vergleichen oder auch gleich¬ n.Chr.) im 96. Brief an Lucilius: Vivere,
zusetzen, ist vielfach und in verschiede¬ Lucili. militare est, was wörtlich über¬
ner Weise literarisch ausgedrückt wor¬ setzt lautet: „Leben, Lucilius, heißt
den. Am bekanntesten ist er sicherlich Kriegsdienst tun.“ Der Text der Vulga¬
als Titel eines Stückes des spanischen ta, Fliob 7,1, lautet: Militia est vita homi¬
Dramatikers Calderön de la Barca nis, von Luther übersetzt mit: „Muß
(1600-1681), der im spanischen Origi¬ nicht der Mensch immer im Streit sein
nal La vida es suefio („Das Leben ist auf Erden?“ In Voltaires Tragödie „Ma-
Traum“) lautet. homet“ (1743) sagt der Titelheld: Ma vie
est un combat, auf deutsch: „Mein Le¬
Das Leben gab den Sterblichen ben ist ein Kampf.“ Schließlich findet
sich in Goethes Gedicht „Einlaß“ im
nichts ohne große Arbeit
„Buch des Paradieses“ des „Westöstli¬
Diese Lebensweisheit, die sich verkürzt chen Diwans“ die Bitte des Dichters:
auch in dem Sprichwort „Ohne Fleiß „Laßt mich immer nur herein :/Denn ich
kein Preis“ ausdrückt, stammt aus den bin ein Mensch gewesen,/Und das heißt
Satiren (I, 9,59 f.) des römischen Dich¬ ein Kämpfer sein.“
ters Horaz (65-8 v.Chr.).
t Mitten im Leben sind wir vom
Es gibt kein t richtiges Leben im Tod umfangen
falschen
Es t gibt ein Leben vor dem Tod
Das Leben ist der Güter höchstes
nicht, der Übel größtes aber ist die t Unser Leben währet siebzig Jahre
Schuld
Die beiden Schlußverse von Schillers
Ein Leben wie im Paradies
Trauerspiel „Die Braut von Messina“ Das zu einer feststehenden Redewen¬
spricht der Chor angesichts des Selbst¬ dung gewordene Zitat, mit dem man ei¬
mords von Don Cesar, der damit die Tö¬ ne Situation des Wohllebens charakteri¬
tung seines Bruders sühnen will. Das siert, ist der erste Vers eines „Trink¬
höchste Gut wird in diesem Zusammen¬ liedes“ von Ludwig Hölty (1748-1776)
hang nicht genannt, sondern nur das mit dem Beginn: „Ein Leben wie im
größte Übel, von dem das Leben be¬ Paradies/Gewährt uns Vater Rhein.“
herrscht wird. Der letzte Vers greift ein
Zitat des römischen Schriftstellers und TVon des Lebens Gütern allen ist
Staatsmannes Cicero (106-43 v. Chr.) der Ruhm das höchste doch
auf, wo es in einem Brief an die Freunde
(„Ad familiäres“ VI, 4,2) heißt: Nec esse Des Lebens Mai blüht einmal und
ullum magnum malum praeter culpam nicht wieder
(„Es gibt kein größeres Übel neben der Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht
Schuld“). Mit dem Zitat, von dem oft „Resignation“ (1784), das mit dem be¬
auch nur der erste Teil angeführt wird, kannten Vers „Auch ich war in Arka¬
weist man darauf hin, daß der Einsatz dien geboren“ beginnt. Der Dichter be¬
oder Verlust des Lebens in bestimmten klagt darin seine betrogene Hoffnung.
Situationen gerechtfertigt sein kann, vor Das Leben hat nicht gehalten, was es
allem dann, wenn man andernfalls Ge¬ versprochen hat. „Ich weiß nichts von
fahr läuft, große Schuld auf sich zu la¬ Glückseligkeit“ lautet sein Fazit, der
den. letzte Vers der dritten Strophe. - Das Zi¬
tat kann - ähnlich wie der lateinische
Das Leben ist ein Kampf Spruch „carpe diem“ („Nutze den
Diese Erkenntnis findet man in der Lite¬ Tag“) - darauf verweisen, daß es gilt,
ratur in vielerlei Variationen. So steht die rasch verfliegende Zeit zu nutzen.

277
Lebens Teil I

Meines Lebens schönster Traum Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten
hängt an diesem Apfelbaum Triften
t All mein Hoffen, all mein Sehnen Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬
ma „Die Jungfrau von Orleans“. Im
Prolog (4. Auftritt) beginnt Johanna, die
Des Lebens ungemischte Freude
ihre Heimat verlassen will, ihren Mono¬
Diese Gedichtzeile stammt aus Schillers log mit den Worten: „Lebt wohl ihr Ber¬
Ballade „Der Ring des Polykrates“ ge, ihr geliebten Triften.“ Man zitiert
(1797). Polykrates, Herrscher von Sa¬ diese Zeilen - meist eher scherzhaft -,
mos, ist vom Glück begünstigt. Sein wenn es einem schwerfällt, aufzubre¬
Gastfreund, der ägyptische König, ver¬ chen, seine gewohnte Umgebung zu ver¬
nimmt die Glücksbotschaften mit zu¬ lassen, vielleicht auch einmal mit kon¬
nehmendem Entsetzen und kommen¬ kreterem Bezug, wenn ein schöner Ur¬
tiert sie schließlich mit dem Ausruf: laub im Gebirge zu Ende geht.
„Mir grauet vor der Götter Neide;/Des
Lebens ungemischte Freude/Ward kei¬
t Manche meinen, lechts und rinks
nem Irdischen zuteil.“ Nach seiner Er¬
kann man nicht velwechsem
fahrung gilt: „Noch keinen sah ich fröh¬
lich enden,/Auf den mit immer vollen
Leck mich am Arsch!
Händen/Die Götter ihre Gaben
streun.“ - Das Zitat faßt in Worte, was Das berühmte sogenannte „Götzzitat“,
den Menschen nicht beschieden ist: ein ein drastischer Ausdruck der Abwei¬
immer ungetrübtes Glück. Es wird aber sung, lautet bei Goethe etwas anders. In
häufig gerade dazu verwendet, einen - der Urfassung des Schauspiels „Götz
wenigstens vorübergehenden - Zustand von Berlichingen“, in einer Szene (im
reiner Glückseligkeit zu charakterisie¬ III. Akt), in der Götz dem Hauptmann
ren. des Reichsheers durch einen Trompeter
voller Wut etwas bestellen läßt, heißt es
wörtlich: „Vor Ihro Kaiserliche Maje¬
t Mein idealer Lebenszweck ist
stät hab’ ich, wie immer, schuldigen Re¬
Borstenvieh und Schweinespeck spekt. Er aber, sag’s ihm, er kann mich
im Arsch lecken“. Die Redensart als sol¬
t Denn das ist sein Lebenszweck che stammt indes nicht von Goethe, sie
war bereits seit etwa 1500 bekannt. All¬
gemeine Verbreitung gefunden hat sie
Es lebt ein T andersdenkendes Ge¬ allerdings möglicherweise durch den
schlecht „Götz“.

Es lebt ein Gott, zu strafen und zu Leergebrannt ist die Stätte


rächen Das Zitat stammt aus Schillers „Lied
Wenn man auf Grund eines ungesühn- von der Glocke“ (1799). Es folgt auf die
ten Unrechts, das einem widerfahren ist, Schilderung der alles verheerenden
dennoch die Hoffnung auf eine ausglei¬ Feuersbrunst. Der Dichter hält hier zu
chende Gerechtigkeit nicht verloren hat, einer allgemeinen Betrachtung inne:
dann werden diese Worte aus Schillers „Leergebrannt/Ist die Stätte,/Wilder
Schauspiel „Wilhelm Teil“ zitiert (IV, 3; Stürme rauhes Bette./In den öden Fen¬
Teils Monolog vor der „hohlen Gasse sterhöhlen/Wohnt das Grauen,/Und
von Küßnacht“). Teil bezieht sich hier des Himmels Wolken schauen/Hoch
auf die Greueltaten des Reichsvogts hinein.“ - Man gebraucht das Zitat heu¬
Geßler, den er wenig später erschießen te - abgelöst von seinem Textzusam¬
wird. menhang - häufig als scherzhaften
Kommentar, wenn man zum Beispiel ei¬
nen Raum völlig menschenleer antrifft
T Man lebt nur einmal in der Welt oder wenn man alle Vorräte aufgezehrt

278
Teil I leide

findet. Gebräuchlich ist auch die erwei¬ kanzlers durch Kaiser Wilhelm II. im
terte Variante „Leergebrannt ist die Jahr 1890. In der Darstellung der turbu¬
Stätte der Verwüstung“. lenten und aus der Sicht Bismarcks
höchst unerfreulichen Ereignisse heißt
t Gib mir meine Legionen wieder! es: „...am 29. März verließ ich Berlin un¬
ter diesem Zwange übereilter Räumung
t Jedes legt noch schnell ein Ei meiner Wohnung und unter den vom
Kaiser im Bahnhof angeordneten mili¬
Lehre du mich meine Leute kennen tärischen Ehrenbezeigungen, die ich ein
In den „Piccolomini“, also im zweiten Leichenbegängnis erster Klasse mit
Teil von Schillers Wallenstein-Trilogie, Recht nennen konnte.“ - Seither ge¬
warnt Graf Terzky seinen Schwager braucht man diese Redefloskel - auch
Wallenstein davor, dem Generalleut¬ in der Form „Begräbnis erster Klasse“ -
nant Oktavio Piccolomini allzusehr zu zum einen zur Charakterisierung von
vertrauen. Dem entgegnet Wallenstein Vorgängen, bei denen jemandem übel
(11,6): „Lehre du/Mich meine Leute mitgespielt wird, zum andern als ironi¬
kennen! Sechzehnmal/Bin ich zu Feld schen Kommentar bei dem spektakulä¬
gezogen mit dem Alten“. Diese Zurück¬ ren Abbruch eines Unternehmens oder
weisung von Terzkys Warnung wird ähnlichem.
heute meist zitiert, wenn man zum Aus¬
druck bringen will, daß man seine Mit¬
arbeiter, Familienangehörigen o. ä. bes¬ Leicht beieinander wohnen die Ge¬
ser kennt als jeder andere und daß man
danken, doch hart im Raume sto¬
sie im Hinblick auf bestimmte Verhal¬
ßen sich die Sachen
tensweisen am genauesten einschätzen
kann. Auch Abwandlungen des Zitats Das Zitat stammt aus Schillers Tragödie
wie „Lehre du mich mein Handwerk „Wallensteins Tod“ (11,2) und ist Teil
kennen“ oder „Lehrt ihr mich meinen von Wallensteins Entgegnung auf Max
Goethe kennen“ sind gebräuchlich. Piccolominis jugendlich-rasche Verur¬
teilung von Wallensteins Haltung ge¬
t Laß dir dein Lehrgeld zurückge¬ genüber dem Kaiser. Der Gegensatz
zwischen großen, idealistischen Vorstel¬
ben
lungen und der nüchternen, engen Rea¬
Lehrjahre des Gefühls lität wird mit diesen Zeilen ausgedrückt.
Man verwendet das Zitat in diesem Sin¬
Dies ist der frei ins Deutsche übertrage¬
ne, um zum Beispiel auf die Weltfremd¬
ne Titel von Gustave Flauberts Roman
heit einer Theorie, einer Meinung hin¬
„L’Education sentimentale. Histoire
zuweisen.
d’un jeune homme“ aus dem Jahr
1869. - Das Zitat kann als Metapher für
die innere Entwicklung eines Menschen
gelten, der in einer bestimmten Lebens¬ Leide und meide
zeit, durch die Begegnung mit bestimm¬ Die in griechischer und in lateinischer
ten Menschen oder durch prägende Er¬ Form existierende, von dem römischen
lebnisse eine Bereicherung seiner Ge¬ Schriftsteller Aulus Gellius in seiner Es¬
fühlswelt erfährt oder erfahren hat. saysammlung „Noctes Atticae“ („Atti¬
sche Nächte“) überlieferte Maxime
t Nur über meine Leiche stammt von dem griechischen, der Stoa
zugerechneten Philosophen Epiktet (um
Leichenbegängnis erster Klasse 50-um 138 n. Chr.). Er lebte nach den
Diesen Vergleich wählte Bismarck Maximen der Genügsamkeit und der
(1815-1898) in seiner Autobiographie geistigen Unabhängigkeit von äußeren
„Gedanken und Erinnerungen“ im Zu¬ Schwierigkeiten. Dieser Grundgedanke
sammenhang mit der Schilderung seiner ist auch in dem vorliegenden Spruch er¬
Entlassung aus dem Amt des Reichs¬ kennbar.

279
Leiden Teil I

Die Leiden des jungen Weither Leise, leise, fromme Weise


Der Briefroman Goethes, der diesen Ti¬ Mit diesem Vers beginnt eine Arie der
tel trägt, erschien 1774. Er war aus Goe¬ Agathe, der Tochter des Erbförsters, in
thes Erlebnissen in der Zeit seines Auf¬ der Oper „Der Freischütz“ (1821) von
enthaltes am Kammergericht in Wetzlar Carl Maria von Weber. „Leise, leise,
hervorgegangen. Der Roman spiegelt fromme Weise/Schwing dich auf zum
die innere Entwicklung des Helden bis Sternenkreise.“ Das Libretto zu dieser
zu seinem Selbstmord. Als Ausdruck Oper schrieb Johann Friedrich Kind
des Geistes der Empfindsamkeit wurde (1768-1843) nach einem Stoff aus dem
er sehr schnell zu einem „Kultbuch“ sei¬ 1810 erschienenen „Gespensterbuch“
ner Zeit. Wenig später, 1775, erschien von Johann August Apel und Friedrich
bereits eine Parodie von Friedrich Nico¬ Laun.
lai mit dem Titel „Die Freuden des jun¬
gen Werthers“. 1972 griff Ulrich Plenz- Leise rieselt der Schnee
dorf mit seiner Erzählung „Die neuen Ein bekanntes Weihnachtslied von Edu¬
Leiden des jungen W.“ den Titel auf ard Ebel (1839-1905) beginnt mit die¬
und glich den Stoff den Verhältnissen sem Vers: „Leise rieselt der Schnee,/
der damaligen DDR an. 1975/76 wurde Still und starr ruht der See./Weihnacht-
der Goethesche „Weither“ in den lich glänzet der Wald./Freue dich, ’s
DEFA-Studios (mit Katharina Thal¬ Christkind kommt bald.“ Eine scherz¬
bach als „Lotte“) verfilmt. - 1974 er¬ haft-ironische Abwandlung der ersten
schien ein Buch des österreichischen Zeile lautet „Leise rieselt der Kalk“, wo¬
Schriftstellers Hans Weigel mit dem Ti¬ mit jemand von sich selbst oder einem
tel „Die Leiden der jungen Wörter. Ein
anderen feststellt, daß er zu altern be¬
Antiwörterbuch“, geschrieben „In me- ginnt.
moriam Karl Kraus“.
Leise zieht durch mein Gemüt
Leiden sind Lehren Bei diesem Zitat handelt es sich um die
Diese Sentenz geht auf die Fabel „Der erste Zeile des Lieds Nr. 6 aus Heinrich
Hund und der Koch“ des griechischen Heines Zyklus „Neuer Frühling“
Fabeldichters Äsop (um die Mitte des (1831), das auch durch die Vertonung
ö.Jh.s v. Chr.) zurück. Die Nutzanwen¬ von Felix Mendelssohn Bartholdy be¬
dung dieser Fabel besagt, „daß den kannt wurde. Die erste Strophe lautet:
Menschen Leiden oft zu Lehren wer¬ „Leise zieht durch mein Gemüt/Liebli¬
den". Den dieser Erkenntnis zugrunde¬ ches Geläute./Klinge kleines Frühlings¬
liegenden Gedanken spricht in ähnli¬ lied,/Kling hinaus ins Weite.“ Als Aus¬
cher Form der altgriechische Dichter druck dafür, daß man das Frühlingwer¬
Äschylus (525-456 v. Chr.) in seinem den in seinen zarten Anfängen verspürt,
Stück „Agamemnon“ aus. wird das Zitat heute noch verwendet. -
Eine scherzhafte Abwandlung des Ge¬
Leise flehen meine Lieder durch dichts lautet: „Leise zieht durch mein
die Nacht zu dir Gemüt/Eine Miezekatze :/Wenn man
sie am Schwänze zieht,/macht sie eine
So beginnt das Lied mit dem Titel
Fratze.“
„Ständchen“ von Ludwig Rellstab
(1799-1860), das durch Franz Schuberts
L’enfer, c’est les autres
Vertonung in seinem Liederzyklus
„Schwanengesang“ (1828) sehr bekannt Die t Hölle, das sind die anderen
wurde. Die häufiger zitierte kürzere
Form des Zitats („Leise flehen meine Lenore fuhr ums Morgenrot empor
Lieder“) wurde auch als Titel eines aus schweren Träumen
österreichisch-deutschen Spielfilms aus Von Gottfried August Bürger (1748
dem Jahre 1933 über einen Lebensab¬ bis 1794), dem zum Göttinger Hain¬
schnitt Schuberts verwendet. bund gehörenden Dichter, stammt die

280
Teil I letzte

schaurige Ballade „Lenore“, 1774 er¬ L’Etat c’est moi


schienen im Göttinger Musenalmanach.
Diesen Ausspruch - auf deutsch „Der
Sie beginnt mit diesen Versen. Erzählt
Staat bin ich“ - soll Ludwig XIV. am
wird darin die Geschichte von Lenore,
13.4. 1655 vor dem Parlament getan ha¬
die von ihrem toten Bräutigam zu einem
ben. Die Gleichsetzung von Staat und
wilden nächtlichen Ritt auf seinem Rap¬
Herrscher bezeichnet die Regierungs¬
pen abgeholt wird. Schließlich verwan¬
praxis Ludwigs XIV. im Kampf mit
delt sich auf einem Friedhof der Tote in
ständisch-partikularistischen Kräften.
ein Totengerippe zurück.
Man kann das Zitat auch in bezug auf
jemanden verwenden, der z. B. selbst¬
Leporello herrlich von sich sagt: „Was Recht ist,
bestimme ich.“
Leporello ist der Diener Don Giovan¬
nis, des Titelhelden von Mozarts gleich¬
namiger Oper, die 1787 in Prag uraufge-
Lethe trinken
führt wurde. Leporello hat in einer lan¬
gen Liste die Liebschaften seines Herrn Statt dieser dichterischen Redewendung
mit der Bedeutung „das Vergangene
„registriert“. Im ersten Akt der Oper
völlig vergessen“ sagt man auch „Aus
singt er die als „Registerarie“ bezeich-
nete Arie mit dem berühmten Höhe¬ dem Strom des Vergessens bzw. der Ver¬
punkt in der Aufzählung „aber in Spa¬ gessenheit trinken“. Lethe ist in der
griechischen Mythologie ein Strom der
nien tausendunddrei“ (siehe auch die¬
Unterwelt, einer der fünf Flüsse des Ha¬
sen Artikel). - Unter einem „Leporello“
des. Er umfließt Elysion, die Gefilde der
versteht man heute einen harmonikaar¬
Seligen. Von seinem Wasser trinken die
tig gefalteten Papier- oder Pappstreifen
Verstorbenen, um ihr irdisches Dasein
als Bilderbuch, Prospekt oder ähnliches.
zu vergessen. Dieser Strom ist in der
In scherzhafter Übertragung verwendet
„Theogonie“ des griechischen Dichters
man das Wort beispielsweise im Sinne
Hesiod (um 700 v. Chr.) nach Lethe, der
einer langen Liste von Wünschen, die je¬
Tochter der Eris, der Göttin der Zwie¬
mand hat oder vorbringt.
tracht, benannt.

Lerne leiden, ohne zu klagen


Letzte Ausfahrt Brooklyn
Der Ausspruch wird dem nach kurzer
Regierungszeit verstorbenen deutschen Das Zitat ist der deutsche Titel des Ro¬
Kaiser Friedrich III. (1831-1888) zuge¬ mans Last Exit to Brooklyn (1957,
schrieben. Er soll - nach der Biographie deutsch 1968) des amerikanischen
„Kaiser Friedrich III.“ von Werner Schriftstellers Hubert Selby und zu¬
Richter - seinem Sohn diese Lehre mit¬ gleich Titel der Verfilmung von 1989
gegeben haben: „Lerne leiden, ohne zu durch Uli Edel. Bereits im Roman ist
klagen, das ist das einzige, was ich Dich der Ausdruck doppeldeutig: Er bezieht
lehren kann.“ Das Zitat wird oft ge¬ sich sowohl auf eine Straßenabzwei¬
braucht, um auszudrücken, daß jemand gung als auch auf die ausweglose Exi¬
sein Leid tapfer erträgt, ohne großes stenz der von der Gesellschaft Gezeich¬
Aufhebens davon zu machen. In der neten in den Slums von Brooklyn. In
scherzhaften Abwandlung „Lerne kla¬ übertragener Bedeutung wird der Titel
gen, ohne zu leiden“ charakterisiert es mit Ersetzung des Namens „Brooklyn“
einen hypochondrisch veranlagten durch einen jeweils anderen verwendet,
Menschen. z. B. bei der Formulierung in einem Zei¬
tungsartikel: „Letzte Ausfahrt Wimble¬
don für McEnroe.“ Der Zeichner
Lernen, lernen und nochmals ler¬ Chlodwig Poth variierte den englischen
nen! Titel und nannte eine Serie von Car¬
tZum Kriegführen sind drei Dinge toons über einen Frankfurter Stadtteil:
nötig „Last Exit Sossenheim“.

281
letzte Teil I

t Ich bin der letzte meines Stam¬ vom kaum spürbaren Lufthauch eines
mes vorüberfliegenden Schmetterlings.

Der letzte Tango in Paris


Der letzte Mohikaner Dies ist der deutsche Titel von Bernardo
Die umgangssprachlich scherzhafte Re¬ Bertoluccis italienisch-französischem
dewendung - auch in der Form „der Film aus dem Jahr 1972 (italienisch:
Letzte der Mohikaner“ - im Sinne von L’ultimo tango a Parigi, französisch: Le
„der oder das allein noch Übriggeblie¬ dernier tango ä Paris). Der Film be¬
bene“ leitet sich von dem gleichlauten¬ schreibt die letzte Auflehnung eines al¬
den Buchtitel - im Original: The Last of ternden Mannes gegen die Trostlosig¬
the Mohicans - her. Der Roman bildet keit seiner Lebenssituation (nach dem
den zweiten Band des sogenannten „Le¬ Selbstmord seiner Frau) in einer vorwie¬
derstrumpfs“, einer Serie von Indianer¬ gend sexuell ausgerichteten Liebesbe¬
romanen des amerikanischen Schrift¬ ziehung zu einem jungen Mädchen. Die
stellers James Fenimore Cooper Hauptrollen spielen Marlon Brando
(1789-1851). Mit dem Mohikaner Un- und Maria Schneider. Als Zitat wird
cas, dem Sohn des Häuptlings Chin- „Der letzte Tango in Paris“ (gelegent¬
gachgook, wird der letzte Angehörige lich auch nur: „Der letzte Tango“) ver¬
des Delawarenstammes getötet. wendet, wenn man ein ähnliches letztes
Aufbegehren zum Beispiel gegen das
Altwerden oder den nahenden Tod
Die letzte Rose kommentieren will.
Das Bild der letzten Rose, die das Ende
des Sommers verkündet, ist ein häufig t Auf zum letzten Gefecht
zitiertes literarisches Motiv, mit dem
Die letzten Tage der Menschheit
sich bestimmte Gedanken und Gefühle
verbinden: wehmütige Erinnerung an Das Zitat, das im Zusammenhang
das Gewesene, letztes Aufglühen vor mit Weltuntergangsvisionen verwendet
dem Vergehen, Mahnung an die Ver¬ wird, ist der Titel von Karl Kraus’
gänglichkeit und die Flüchtigkeit des (1874-1936) Tragödie über die Schrek-
Schönen. Der irische Dichter Thomas ken des Ersten Weltkriegs, die mosaik¬
Moore (1779-1852) verwendete dieses artig in 220 dokumentarischen Szenen
Motiv in einem seiner bekanntesten Ge¬ mit 500 Figuren dargestellt werden.
dichte aus der Sammlung „Irish Melo-
dies“, Gedichte, deren Texte alten iri¬ Die t Ersten werden die Letzten
schen Melodien angeglichen sind. Das und die Letzten werden die Ersten
Lied von der letzten Rose (englischer Ti¬ sein
tel T is the last rose of summer) wurde
besonders populär durch seine Verwen¬ Letztes Jahr in Marienbad
dung in der Oper „Martha“ von Fried¬ So lautet der deutsche Titel von Alain
rich von Flotow (1812-1883). In ganz Resnais’ französisch-italienischem Film
ähnlicher Weise wie Thomas Moore L'annee demiere ä Marienbad aus dem
verwendet der deutsche Dichter Fried¬ Jahr 1960. In diesem Film behauptet ein
rich Hebbel (1813-1863) das Rosenmo¬ Mann in den labyrinthischen Gängen
tiv in einem seiner bekannteren Gedich¬ eines Schlosses einer Frau gegenüber,
te, dem „Sommerbild“. Es beginnt mit ihr vor einem Jahr in dem böhmischen
der Zeile „Ich sah des Sommers letzte Marienbad begegnet zu sein, was er mit
Rose stehn“. Der Anblick dieser Rose vielleicht nur fiktiven oder geträumten
veranlaßt den betrachtenden Dichter zu Erinnerungsbruchstücken zu belegen
den Worten der letzten Zeile in der er¬ meint. Man gebraucht das Zitat gele¬
sten Strophe: „So weit im Leben ist zu gentlich als Kommentar zu einer nur
nah’ am Tod!“ Das Gedicht endet da¬ bruchstückhaften Erinnerung, als Hin¬
mit, daß die Rose zerfällt, angerührt weis auf etwas Vergangenes, das einem

282
Teil I liebe

nur noch verschwommen gegenwärtig (1862-1933) zurück. Beim Ausbruch


ist. Häufig wird aber nur allgemein auf des Ersten Weltkriegs sagte dieser - so
etwas Bezug genommen, das sich im schreibt er in seiner Autobiographie
vergangenen Jahr, in der jüngeren Ver¬ (1925)- die folgenden Worte: The lamps
gangenheit ereignet hat. are going out all over Europe; we shall not
see them lit again in our lifetime („ln
Leute vom Bau ganz Europa gehen die Lichter aus; zu
unseren Lebzeiten werden wir sie nicht
Diese Wendung findet sich in dem 1828
wieder angehen sehen“).
in Berlin uraufgeführten Stück „Das
Fest der Handwerker. Komisches Ge¬
mälde aus dem Volksleben in 1 Akt. Als
TO lieb, solang du lieben kannst!
Vaudeville behandelt von Louis Ange-
ly“. Heute werden gewöhnlich Fach¬ Lieb Vaterland, magst ruhig sein
handwerker (auf einer Baustelle), aber Der Vers bildet mit der folgenden Zeile
auch Spezialisten allgemein als „Leute „Fest steht und treu die Wacht am
vom Bau“ bezeichnet. Rhein“ den Kehrreim von Max Schnek-
kenburgers (1819-1849) patriotischem
Lewwer duad üs slaav Gedicht „Die Wacht am Rhein“, das
1840 von J. Mendel und 1854 von Carl
Der Refrain aus Detlev von Liliencrons
Wilhelm vertont wurde. In dieser Verto¬
(1844-1909) Gedicht „Pidder Lüng“
nung war es als Nationalgesang, beson¬
zitiert den Wahlspruch der Friesen:
ders seit dem Krieg 1870/71, verbreitet.
„Lewer duad üs Slaaw“ („Lieber tot als
1965 wählte Johannes Mario Simmel
Sklave“). Niederdeutsch heißt es allge¬
die erste Zeile des Refrains als Titel
mein: „Lever dood as Slaav“.
eines seiner Romane.

Es tgeht mir ein Licht auf TDen lieb’ ich, der Unmögliches
begehrt
TWo viel Licht ist, ist auch viel
Schatten tWer ein Liebchen hat gefunden

t Mehr Licht! TMein Liebchen, was willst du


mehr?
Es T werde Licht
Liebe deinen Nächsten wie dich
Lichter der Großstadt selbst
Dies ist der deutsche Titel des ameri¬ Das Gebot der christlichen Nächstenlie¬
kanischen Chaplin-Stummfilms City be, wie es Paulus im Brief an die Galater
Lights aus dem Jahr 1931. Besonders in (5,14) formuliert, geht auf das Alte Te¬
bezug auf die nächtlich erleuchtete stament zurück, wo es in der Auslegung
Großstadt und die damit verbundene der zehn Gebote heißt: „Und der Herr
Vorstellung des verlockenden Angebots redete mit Mose und sprach:... Du sollst
an Kultur und Nachtleben wird der nicht rachgierig sein noch Zorn halten
Filmtitel häufig zitiert. gegen die Kinder deines Volkes. Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich
Die Lichter gehen aus selbst; denn ich bin der Herr“ (3. Moses
19,18). Der Nächste ist im Alten Testa¬
Die Redewendung „in einem Land, an
ment noch der Angehörige desselben
einem Ort gehen die Lichter aus“ im
Volkes, im Neuen Testament aber der
Sinne von „dort sieht es düster aus, dort
Mitmensch ganz allgemein.
verschlechtert sich drastisch die (wirt¬
schaftliche) Lage“ geht möglicherweise
TWenn ich dich liebe, was geht’s
auf einen Ausspruch des englischen
Politikers Lord Grey of Fallodon dich an?

283
Liebe Teil I

T Hab’ ich nur deine Liebe, die Liebe macht blind


Treue brauch’ ich nicht Diese Formulierung gebraucht man im
allgemeinen, wenn jemand in seiner
Verliebtheit Schwächen des geliebten
Die Liebe ist der Liebe Preis
Wesens nicht wahrnimmt. Sie geht auf
Diese bündige Aussage macht die Prin¬ Platons (428 oder 427-348/347 v. Chr.)
zessin von Eboli gegenüber der Titelge¬ Dialog „Nomoi“ („Über die Gesetze“)
stalt aus Schillers „Don Kariös“ (11,8). zurück, wo sich die Stelle „Der Lieben¬
Sie entzieht sich der Meinung des Mon¬ de wird blind gegenüber dem Gegen¬
archen, sie an einen Günstling verkau¬ stand seiner Liebe“ allerdings auf die
fen zu können: „Wie schwach/Von die¬ übermäßige Selbstliebe bezieht.
sen starken Geistern! Weibergunst,/Der
Liebe Glück der Ware gleich zu ach¬
Die Liebe von Zigeunern stammt
ten,/Worauf geboten werden kann! Sie
ist/Das Einzige auf diesem Rund der Der Vers - auch in der Form „... vom Zi¬
Erde,/Was keinen Käufer leidet als sich geuner ..." zitiert - gehört mit dem fol¬
selbst./Die Liebe ist der Liebe Preis.“ genden „Fragt nach Rechten nicht, Ge¬
setz und Macht“ zum Refrain der Haba¬
nera aus dem 1. Akt der Oper „Carmen“
Die Liebe ist eine Himmelsmacht von Georges Bizet (1838- 1875). Das Li¬
Dieser Überzeugung ist das glücklich bretto schrieben H. Meilhac und L. Ha-
vereinte Paar am Ende der Operette levy (deutsch von Julius Hopp) nach der
„Der Zigeunerbaron“ (1885 uraufge- gleichnamigen Novelle von Prosper
führt) von Johann Strauß. Das Textbuch Merimee (1803-1870). Die Zigeunerin
verfaßte Ignaz Schnitzer nach einer Er¬ Carmen besingt in der Habanera mit
zählung von M6r Jökai. „Die Liebe, die dem Anfang „Ja, die Liebe hat bunte
Liebe/Ist eine Himmelsmacht!“ heißt Flügel,/Solch einen Vogel zähmt man
der Schlußvers des sehr bekannten schwer“ die zigeunerische Freiheit und
Liedes „Wer hat uns getraut?“ - Man Ungebundenheit der Liebe.
verwendet das Zitat als scherzhaft¬
ironischen Kommentar zum Beispiel T Nur nicht aus Liebe weinen
in Zusammenhang mit jemandes
„romantischer“ Liebesgeschichte.
t Zur Liebe will ich dich nicht
zwingen
Liebe ist nur ein Wort
Das Zitat ist der Titel eines Films von T Das eben ist der Liebe Zauber¬
Alfred Vohrer aus dem Jahr 1971 nach macht
einem Roman von Johannes Mario Sim¬
mel. Die tragisch endende Liebesge¬
Lieben Freunde, es gab schön’re
schichte zwischen einem 21jährigen
Zeiten
Schüler und einer verheirateten Frau
bestätigt die Gültigkeit der sarkasti¬ Die Zeile bildet mit der folgenden „Als
schen Sentenz in einer durch Wohl¬ die unsern - das ist nicht zu streiten“
standsdenken und Scheinmoral gekenn¬ den Anfang von Schillers Gedicht „An
zeichneten Gesellschaft. die Freunde“ aus dem Jahr 1802. In
heutiger Verwendung sind ganz allge¬
mein schönere frühere Zeiten gemeint,
t Mit gleicher Liebe lieb’ ich meine während Schiller auf die Antike an¬
Kinder! spielt, worauf die Fortsetzung hindeu¬
tet: „Und ein edler Volk hat einst ge-
lebt./Könnte die Geschichte davon
t In der ersten Liebe lieben die
schweigen,/Tausend Steine würden re¬
Frauen den Geliebten, in der späte¬ dend davon zeugen,/Die man aus dem
ren die Liebe Schoß der Erde gräbt.“

284
Teil I Lied

Den lieben langen Tag Lieber spät als gar nicht


Der formelhafte Ausdruck, der in der t Besser spät als gar nicht
Umgangssprache im Sinne von „den
ganzen Tag“ in bezug auf etwas Uner¬ Liebesgrüße aus Moskau
wünschtes gebraucht wird, findet sich Schon vor dem James-Bond-Film (Ori¬
am Anfang von Philipp Jacob Düringers ginaltitel: From Russia with Love) aus
(1807-1870) Gedicht „Des Mädchens dem Jahr 1963, der 1964 unter dem Titel
Klage“: „Den lieben langen Tag/Hab’ „Liebesgrüße aus Moskau“ seine deut¬
ich nur Schmerz und Plag“. Im folgen¬ sche Erstaufführung hatte, gab es die
den schildert das Mädchen seinen Kum¬ umgangssprachlich ironische Verwen¬
mer um den verstorbenen Geliebten. dung der Formulierung „Liebesgrüße
aus ...“, wie seit 1950 zum Beispiel „Lie¬
besgrüße aus Solingen“ im Sinne von
Lieber der Erste hier als der Zweite
„Dolch-, Messerstiche“. In dem engli¬
in Rom
schen Film werden britischer und so¬
Der griechische Schriftsteller Plutarch wjetischer Geheimdienst durch die
(um 46-um 125) berichtet in seiner Cä¬ Spionageorganisation „Phantom“ ge¬
sar-Biographie, Cäsar habe beim An¬ geneinander ausgespielt.
blick einer kleinen Stadt in den Alpen
ausgerufen: „Ich möchte lieber der Er¬ Lieblich war die Maiennacht
ste hier als der Zweite in Rom sein.“
Dies ist die Anfangszeile des Gedichtes
Nach dem Muster dieses Zitats ist der
„Der Postillon“ von Nikolaus Lenau
Gedanke, lieber die wichtigste Funktion
(1802-1850) mit der Schilderung einer
in einem kleinen Rahmen zu haben, als
Mainacht in den ersten vier Strophen.
eine untergeordnete Rolle in einem gro¬
Das Zitat wird scherzhaft gebraucht, um
ßen zu spielen, immer wieder und in un¬
einen angenehmen Abend bei milder
terschiedlicher Weise formuliert wor¬
Witterung zu beschreiben oder in Erin¬
den, z. B.: „Lieber der Erste bei den
nerung zu rufen.
Kleinen als der Zweite bei den Gro¬
ßen.“ Zu hören sind auch Umkehrun¬ Es liebt die Welt, das Strahlende
gen wie: „Er ist lieber ein kleiner Abge¬
zu schwärzen
ordneter in der Hauptstadt als Landrat
in der Provinz.“ Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬
dicht „Das Mädchen von Orleans“
(1801). Die dritte Strophe beginnt mit
Lieber ein Ende mit Schrecken als den Versen: „Es liebt die Welt, das
ein Schrecken ohne Ende Strahlende zu schwärzen/Und das Er-
hab’ne in den Staub zu ziehn“. In An¬
Der preußische Offizier Ferdinand von
spielung darauf, daß das Positive oft
Schill (1776-1809) versuchte 1809 mit
schlechtgemacht wird, die Leute dazu
seinem Husarenregiment eine allgemei¬
neigen, aus Mißgunst nur Nachteiliges
ne Erhebung gegen Napoleon I. auszu¬
hervorzuheben, wird das Zitat heute
lösen. Einer Schar, die ihm gefolgt war,
verwendet.
um sich mit seiner Truppe zu vereini¬
gen, rief er - gleichsam als Losung - die
t Jeder liebt sich selber nur am
zitierten Worte zu. Mit diesem Aus¬
spruch gibt man heute seiner Entschlos¬ meisten
senheit Ausdruck, ein schnelles Ende in
einer Sache herbeizuführen, auch wenn
Ein Lied geht um die Welt!
man dabei größere Nachteile in Kauf Mit dieser Zeile beginnt der Refrain des
nehmen muß. Wichtig ist nur, daß man Titelschlagers eines Films von Richard
die Angelegenheit schnell hinter sich Oswald über das Leben des Sängers Jo¬
bringt und dann wieder frei von allen sef Schmidt aus dem Jahr 1933. 1958
Unannehmlichkeiten oder Zwängen ist gab es eine Neufassung des Films von
(siehe auch „Ein Ende mit Schrecken“). Geza von Bolvary. Der Text des Schla-

285
Lied Teil I

gers stammt von Emst Neubach, die Liliput


Musik von Hans May. Mit dem Zitat
Der irisch-englische Schriftsteller Jona¬
kann man zum Ausdruck bringen, daß
than Swift (1667-1745) beschreibt im
ein Lied, ein Schlager oder eine Melodie ersten Teil seines satirischen Romans
zu einem Welterfolg geworden ist.
„Gullivers sämtliche Reisen“ ein Phan¬
tasieland mit winzigen Menschen. Die¬
t Schläft ein Lied in allen Dingen sem Land gab er den Namen „Liliput“
(englisch Lilliput). Eine Welt im klei¬
T Hoch klingt das Lied vom braven nen, etwa das Modell eines Dorfes,
Mann einer Landschaft o. ä., wird gelegentlich
als „Liliput“ bezeichnet. Der Ausdruck
Liederliches Kleeblatt „Liliputaner“ für „Mensch mit zwer¬
Der Ausdruck stammt aus dem Titel ei¬ genhaftem Wuchs“ ist (wohl unter dem
ner Zauberposse von Johann Nestroy Einfluß des englischen lilliputian) von
(1801-1862): „Derböse Geist Lumpazi¬ diesem Namen abgeleitet.
vagabundus oder Das liederliche Klee¬
blatt“. Das Kleeblatt sind dort die
Handwerksgesellen Knieriem, Zwirn Die Limonade ist matt wie deine
und Leim. In der Umgangssprache be¬ Seele
zeichnet man drei befreundete oder zu¬
In der vorletzten Szene von „Kabale
sammengehörende Menschen als „lie¬
und Liebe“, Schillers „bürgerlichem
derliches Kleeblatt“, wenn man zum
Trauerspiel“, trinkt das unglückliche
Beispiel ihren lockeren Lebenswandel
Liebespaar von der Limonade, die Fer¬
oder ihre schlampige Arbeit mißbilligt.
dinand mit Arsen vergiftet hat, weil er
Luise für untreu hält. Ferdinand selbst
Liegt dir Gestern klar und offen,
nimmt zuerst einen Schluck und reicht
wirkst du heute kräftig frei
dann der ahnungslosen Luise das Glas
Dies sind die ersten beiden Verse eines mit den Worten: „Die Limonade ist
vierzeiligen Sinnspruchs von Goethe, matt wie deine Seele. - Versuche!“
der meist als ganzes zitiert wird: „Liegt (V,7). - Das Zitat wird (auch in der ab¬
dir Gestern klar und offen,/Wirkst du gewandelten Form „Die Limonade ist
heute kräftig frei,/Kannst auch auf ein matt, Luise“) scherzhaft verwendet,
Morgen hoffen,/Das nicht minder wenn man etwas, besonders ein Ge¬
glücklich sei.“ Der Sinnspruch verweist tränk, als zu schal, zu geschmacksarm
auf die Abhängigkeit des in der Gegen¬ bezeichnen will.
wart handelnden Menschen von seiner
Handlungsweise in der Vergangenheit
und das daraus erwachsende Wirken in
der Zukunft. Die Kontinuität im Über¬ Die linden Lüfte sind erwacht
gang der Zeiten wird verknüpft mit dem Zu den am häufigsten zitierten Gedicht¬
Ineinandergreifen des Tuns und Han¬ anfängen, mit denen auf das Spürbar¬
delns des Menschen. Der Sinnspruch werden des anbrechenden Frühlings
gehört zu den besinnlichen Spruchdich¬ verwiesen wird, gehört diese Anfangs¬
tungen, die ab 1820 entstanden sind und zeile des Gedichts „Frühlingsglaube“
die Goethe ausdrücklich als „zahme“ von Ludwig Uhland (1787-1862). Das
Xenien bezeichnete im Unterschied zu Gedicht wurde besonders durch die
den polemischen und aggressiven Epi¬ Vertonung von Franz Schubert sehr be¬
grammen und Sinnsprüchen früherer kannt. Es ist zu einem der populärsten
Jahre. Es ist der letzte Spruch aus dem Schubertlieder überhaupt geworden.
4. Buch der „Zahmen Xenien“.

Schauet die Lilien auf dem Felde T Laß deine linke Hand nicht wis¬
T Sie säen nicht, sie ernten nicht sen, was die rechte tut

286
Teil I Logik

Links müßt ihr steuern! an der Macht des Klerus und am Reli¬
Dieser Ausruf stammt aus der Ballade quienkult. Die ironische Distanz, die
„Der Lotse“ des heute weitgehend ver¬ sich Erasmus durch die als Person auf¬
gessenen Dichters Ludwig Giesebrecht tretende Torheit schafft, erlaubt ihm da¬
(1792-1873), die frühere Schülergenera¬ bei die gewagtesten Seitenhiebe auf Kir¬
tionen häufig auswendig lernen mußten. che und Klerus und freche Scherze auf
Es ist eine jener Balladen, in denen der Kosten von Bischöfen und anderen
Held sein Leben opfert, um dadurch das Würdenträgern. Zitiert wird der Titel
Leben anderer zu retten. Der Ausruf der kleinen Satire meist in etwas ande¬
ren Zusammenhängen. Wenn man bei¬
„Links müßt ihr steuern!“ in der letzten
Strophe des Gedichts, durch den „ein spielsweise findet, daß jemand etwas
ganz Unsinniges oder Törichtes vertei¬
ganzes Schiff voll jungen Lebens“ geret¬
tet wird, ist später oft zitiert worden und digt oder gar anpreist, so kann man ihm
das als „Lob der Torheit“ ankreiden.
wurde dabei häufig in scherzhafter
Übertragung ins Politische gewendet.
Locker vom Hocker
Wenn man in etwas salopperer Weise
Links, wo das Herz ist
ausdrücken möchte, daß jemand ganz
Diesen Titel gab der deutsche Schrift¬
unbeschwert, ungezwungen und ohne
steller Leonhard Frank (1882-1961) sei¬
Hemmungen mit etwas umzugehen ver¬
ner 1952 in Romanform erschienenen
steht oder etwas leicht und ohne jede
Autobiographie. Er bringt darin am En¬
Schwierigkeit meistert, dann verwendet
de seinen Glauben an die neue Genera¬
man gelegentlich diese Fügung. Beson¬
tion und ein Bekenntnis zu einem ge¬ dere Verbreitung fand sie, als sie zum
fühlsmäßig fundierten Sozialismus zum Titel einer Reihe von Episodensendun¬
Ausdruck. In diesem Sinne ist dann
gen des Fernsehens mit dem Schauspie¬
auch der Titel des Werks zum geflügel¬ ler Walter Giller gemacht wurde. Die
ten Wort geworden. Reihe lief Ende der 70er und Anfang
der 80er Jahre. Die Fügung geht mögli¬
Es tist keine List über Frauenlist cherweise auf die heute weniger geläufi¬
ge Form „locker vom Bock“ zurück -
Lob der Torheit wohl eine Anspielung auf die Leichtig¬
Der niederländische Humanist, Philolo¬ keit und Behendigkeit eines Kutschers,
ge und Theologe Erasmus von Rotter¬ der von seinem Kutschbock herunter¬
dam (1466 oder 1469-1536) war einer¬ steigt.
seits ein scharfer Kritiker der weltlichen
und geistlichen Mächte seiner Zeit, be¬
Logik des Herzens
sonders auch der erstarrten Scholastik, Der französische Philosoph, Mathema¬
andererseits war er Wahrer und Fort¬ tiker und Physiker Blaise Pascal
führer der antiken und der mittelalterli¬ (1623-1662) gelangt in seinen 1669 ver¬
chen humanistischen Tradition im Zeit¬ öffentlichten „Gedanken von Pascal
alter der neu entstehenden kirchlichen über die Religion und einige andere Ge¬
Konfessionen. Am bekanntesten wurde genstände. Gefunden nach seinem Tod
einer breiteren Allgemeinheit vielleicht unter seinen Aufzeichnungen“ (deutsch
seine kleine satirische Schrift „Lob der 1701 unter diesem Titel) zu der Erkennt¬
Torheit“. In ihr läßt er „Stultitia“, die nis, daß die Vernunft dem Menschen
Torheit selbst, auftreten, die sich zu¬ bewiesen habe, daß der Glaube an Gott
nächst lange über die These verbreitet, notwendig sei. Das durch den Glauben
wie sehr die Torheit das Lob aller ver¬ erlangte Wissen von der Existenz Gottes
dient, bevor sie dann die Menschlich¬ muß aber durch die aus dem Gefühl
keit und das natürliche Selbstgefühl kommende Liebe zu Gott gestützt wer¬
preist und anhebt zur heftigen Kritik an den, denn „das Herz hat seine Gründe,
Adel, Kaufleuten und kriegführenden die die Vernunft nicht kennt“. Dieses
Fürsten, an Mönchen und Professoren, Paradoxon wird dann als „Logik des

287
Lohn Teil I

Herzens“ bezeichnet. - Wenn man sich Laster walten frei.“ - Bezogen auf Si¬
in einer bestimmten Situation nach der tuationen, in denen sich die Stimmung
Stimme seines Herzens richtet, sich nur lockert, Ängstlichkeiten und Hemmun¬
vom Gefühl leiten läßt, dann sagt man gen verschwinden, man sich über die
auch heute noch - oft allerdings mit Schranken der Vernunft hinwegsetzt,
leichter Selbstironie daß man der wird das Zitat heute gebraucht.
Logik seines Herzens folgt.
Lost Generation
Lohn der Angst
Bei diesem Ausdruck handelt es sich um
Dieser Ausdruck geht auf den Filmtitel eine von der amerikanischen Schriftstel¬
Le salaire de la peur zurück (Regie:
lerin Gertrude Stein (1874-1946) ge¬
Henri-Georges Clouzot; 1951/52), in prägte Bezeichnung für eine Gruppe
der deutschen Version von 1953 wört¬
junger, durch das Erlebnis des Ersten
lich übersetzt mit „Lohn der Angst“. In
Weltkriegs desillusionierter und pessi¬
dem französischen Film geht es darum,
mistisch gestimmter amerikanischer
daß vier Männer für eine gute Bezah¬
Schriftsteller der zwanziger Jahre. Er-
lung den Transport von Nitroglyzerin
nest Hemingway greift den Ausdruck im
übernehmen und dabei ihr Leben ein-
Motto der Erstausgabe seines Romans
setzen. Mit „Lohn der Angst“ wird in
„A Farewell to Arms“ auf (1929; deut¬
der Soldatensprache scherzhaft auch
scher Titel „In einem anderen Land“):
der Wehrsold oder eine Gefahrenzulage
We are all a lost generation („Wir sind
für Fallschirmspringer und Flieger be¬
alle eine verlorene Generation“). Als
zeichnet.
Bezeichnung für die junge amerikani¬
sche und europäische Generation nach
tJede Arbeit ist ihres Lohnes wert
dem Ersten Weltkrieg wurde „Lost Ge¬
Der Lord läßt sich entschuldigen, neration“ auch durch eine gleichnamige
soziologisch-literaturhistorische Unter¬
er ist zu Schiff nach Frankreich
suchung von Malcolm Cowley aus dem
Wenn jemand für einen andern nicht er¬ Jahr 1931 bekannt.
reichbar ist, sich verleugnen läßt oder
sich heimlich entfernt hat, dann werden
Es löst der Mensch nicht, was der
diese Worte (meist als scherzhafter
Himmel bindet
Kommentar) zitiert. Sie stammen aus
dem Trauerspiel „Maria Stuart“ von Der Vers stammt aus Schillers Trauer¬
Schiller. Mit diesen Worten endet das spiel „Die Braut von Messina“ (1803).
Drama, und durch sie erfährt Elisabeth, Er kommt aus dem Mund von Don Ma¬
die Königin von England, daß nach der nuel, der mit diesen Worten seinem Bru¬
Hinrichtung Maria Stuarts nun auch der der Don Cesar beipflichtet, als dieser
letzte ihrer Vertrauten und Berater, ihr sich zu seiner Liebe bekennt. Beide ah¬
Günstling Lord Leicester, sie verlassen nen nicht, daß es die Schwester ist, die
hat. sie in Beatrice, der Unbekannten, lie¬
ben. - Das Zitat spricht als Faktum aus,
T Das ist das Los des Schönen auf was im Matthäusevangelium (19,6) als
der Erde Forderung formuliert ist: „Was nun
Gott zusammengefügt hat, das soll der
Es lösen sich alle Bande frommer Mensch nicht scheiden.“
Scheu
Das Zitat aus Schillers „Lied von der Love-Story
Glocke“ (1799) steht in einem Abschnitt Der Ausdruck „Love-Story“ für „[senti¬
des Gedichts, der auf die Französische mentale, leidenschaftliche] Liebesge¬
Revolution anspielt. Es heißt dort: schichte“, nach englisch love story, hat
„Nichts Heiliges ist mehr, es lösen/Sich sich nach dem großen Erfolg des (1969
alle Bande frommer Scheu ;/Der Gute gedrehten) amerikanischen Films „Love
räumt den Platz dem Bösen,/Und alle Story“ im Deutschen eingebürgert. Der

288
Teil I lustige

Film, der in unverhüllter Sentimentali¬ Lupus in fabula


tät die tragische Liebesgeschichte zwei¬
Mit diesem lateinischen Ausdruck, in
er junger Menschen erzählt, entstand
wörtlicher Übersetzung „[wie] der Wolf
nach dem gleichnamigen Roman des
in der Fabel, im Märchen“, drückt man
amerikanischen Schriftstellers Erich Se-
sein Erstaunen darüber aus, daß jemand
gal (* 1937).
gerade dann erscheint, wenn man von
ihm spricht oder gesprochen hat. Mögli¬
t Daniel in der Löwengrube cherweise liegt diesem Wort die aber¬
gläubische Vorstellung zugrunde, daß
Luft! Luft! Clavigo! man jemanden, den man fürchtet, durch
Aussprechen seines Namens ungewollt
Dieser Ausruf, mit dem jemand auf
herbeilockt. Im Deutschen entsprechen
scherzhafte Weise zum Ausdruck brin¬
dem lateinischen Ausdruck Redensar¬
gen kann, daß er frische Luft braucht
ten wie: „Wenn man vom Teufel spricht,
oder daß man ihm im Gedränge ein we¬
ist er nicht weit“ oder scherzhafter
nig Raum zum Atmen lassen möge,
auch: „Wenn man den Teufel nennt,
stammt aus Goethes Trauerspiel „Clavi¬
kommt er gerennt“ o.ä. Der lateinische
go“. Dort allerdings erfolgt dieser Aus¬
Ausdruck kommt in ähnlichen Formu¬
ruf keineswegs aus einer fröhlichen
lierungen bei verschiedenen römischen
Laune heraus. Es sind die letzten Worte
Schriftstellern vor. Als eigentliche Quel¬
der sterbenden Marie Beaumarchais,
le gilt das Stück „Adelphoe“ („Die Brü¬
die den erneuten Treuebruch Clavigos
der“) des römischen Komödiendichters
nicht überlebt. Die ganze Zeile gegen
Terenz (2.Jh. v. Chr.).
Ende des 4. Aktes (Guilberts Wohnung)
lautet mit der Regieanweisung: „Ach!
t O welche Lust, in freier Luft den
Luft! Luft! (fällt zurück) Clavigo!“
Atem leicht zu heben!

t Wir spinnen Luftgespinste und Lust und Liebe sind die Fittiche zu
suchen viele Künste großen Taten
Mit diesen Worten versucht Pylades im
Ein Lügner muß ein gutes Ge¬ 1. Auftritt des 2. Aufzugs von Goethes
dächtnis haben Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ den
Das sentenzhafte Zitat geht wohl auf ei¬ Freund Orest aufzumuntern. Auf Orest
ne Stelle aus dem Lustspiel „Le Men- lastet schwer der Fluch des Muttermor¬
teur“ (IV, 5) von Pierre Corneille des, der ihm alle Unbeschwertheit und
(1606-1684) zurück: II faut bonne allen Tatendrang genommen hat. Mit
memoire apres qu’on a menti („Man muß diesem Zitat bringt man heute zum Aus¬
ein gutes Gedächtnis haben, nachdem druck, daß nur dann ein Handeln mit
man gelogen hat“). Eine frühere Formu¬ Erfolg abgeschlossen werden kann, eine
lierung gibt es bei dem römischen Rhe¬ wirklich „große Tat“ wird, wenn die
tor Quintilian (um 35-um 96). In der entsprechende Motivation gegeben ist.
„Institutio oratoria“ IV, 2,91 heißt es:
Mendacem memorem esse oportet („Der Lust zu fabulieren
Lügner muß sich gut erinnern können“). t Vom Vater hab ich die Statur
Das Zitat spielt darauf an, daß jemand,
der lügt, sich häufig später in Wider¬ Die lustige Witwe
sprüche verwickelt, weil ihm seine frü¬ Die Operette „Die lustige Witwe“ nach
heren falschen Behauptungen nicht einem Lustspiel des französischen Dra¬
mehr gegenwärtig sind. Dadurch verrät matikers Henri Meilhac (1831-1897),
sich der Lügner mit schlechtem Ge¬ die 1905 uraufgeführt wurde, machte ih¬
dächtnis meist selbst. ren Komponisten Franz Lehar (1870 bis
1948) mit einem Schlag berühmt. Die
TNur die Lumpe sind bescheiden Operette mit ihrer Geschichte um die

289
7 Duden 12
Lützows Teil I

junge, steinreiche Witwe Hanna Glawa- 294) beginnt mit den Worten: „Mach
ri und den lebenslustigen Grafen Danilo End’, o Herr, mach Ende/mit aller uns¬
Danilowitsch ist auch bis heute eine der rer Not“. Das Lied stammt von dem
bekanntesten und meistgespielten ge¬ evangelischen Theologen und Kirchen¬
blieben. Ihr Titel hat sich verselbstän¬ lieddichter Paul Gerhardt (1607-1676),
digt und wurde zu einer scherzhaften dessen Schaffen den Höhepunkt der
Bezeichnung für eine Frau, der man au¬ evangelischen Kirchenlieddichtung
genzwinkernd nachsagt, daß sie die neu¬ nach Luther bildete. Die Anfangsworte
gewonnene Unabhängigkeit nach dem der Strophe werden zitiert, wenn man -
Tod ihres Mannes mit einer gewissen gleichsam mit einem Stoßseufzer - aus-
Freizügigkeit zu nutzen weiß. drücken will, daß man das Ende einer
langen Rede oder den längst fälligen
T Das ist Lützows wilde, verwegene Abschluß einer Sache herbeisehnt.
Jagd
Mach mal Pause!
Luxus der eigenen Meinung Die allgemein gebräuchliche Aufforde¬
Mit diesem Ausdruck wird in leicht iro¬ rung wurde seit Mitte der 50er Jahre als
nischer Weise der Tatbestand umschrie¬ Werbespruch für Coca-Cola so bekannt
ben, daß sich jemand eine eigene, unab¬ und verfestigt, daß diese Formulierung
hängige Meinung leistet. Der Ausdruck inzwischen Zitatcharakter erhalten hat.
wird dem Reichskanzler Otto von Bis¬ Man verwendet den Spruch nicht nur'
marck (1815-1898) zugeschrieben. In als Aufforderung an den Angesproche¬
verschiedenen Reden hat sich Bismarck nen, sich irgendeine Form der Erholung
ganz ähnlicher Formulierungen bedient, zu gönnen, sondern auch ironisch, um
wobei er den Personen, die sich den Lu¬ jemandes Redefluß zu unterbrechen.
xus erlaubten, „eine Meinung streng für
sich“ zu haben und sie öffentlich zu ver¬ t Ja, mach nur einen Plan
treten, eher kritisch gegenüberstand.
Machen wir’s den Schwalben
nach, bau’n wir uns ein Nest
Die beiden Verse bilden den Anfang ei¬
nes bekannten Walzerliedes aus Emme¬
rich Kalmans (1882-1953) Operette

M „Die Csardäsfürstin“ mit dem Text von


Leo Stein und Bela Jenbach. Das Zitat
läßt sich scherzhaft auf den Plan eines
Paares, einen gemeinsamen Hausstand
zu gründen, anwenden.
Mach deine Rechnung mit dem
Himmel, Vogt! Mach’s noch einmal, Sam
Diese Worte, heute noch als eine Art Das Zitat ist der deutsche Titel eines
scherzhafte Drohung zitiert, stammen amerikanischen Films von Woody Allen
aus Schillers Drama „Wilhelm Teil“ aus dem Jahr 1971. Der Originaltitel
(IV, 3). Sie stehen im ersten Abschnitt Play it again, Sam (wörtlich übersetzt:
des berühmten Teil-Monologs vor der „Spiel es noch einmal, Sam“) macht die
„hohlen Gasse von Küßnacht“, in dem Anspielung auf den amerikanischen
Teil seine Absicht, den Reichsvogt Geß- Film „Casablanca“ aus dem Jahr 1942
ler zu erschießen, in einer Art Rechtfer¬ deutlich. Der Held des Films, ein linki¬
tigung des Tyrannenmords reflektiert. scher Filmjournalist, träumt davon, so
wie Humphrey Bogart zu sein. In „Ca¬
Mach End’, o Herr, mach Ende!
sablanca“ richtet sich die Aufforderung
Die 12. Strophe des evangelischen Kir¬ an einen Barpianisten, ein Lied aus ver¬
chenliedes „Befiehl du deine Wege“ gangenen Tagen („As time goes by“)
(Evangelisches Kirchengesangbuch Nr. noch einmal zu spielen. - Das Zitat wird

290
Teil I Macht

(auch in der englischen Form) gelegent¬ dem Lukasevangelium, wo Jesus bei sei¬
lich scherzhaft als Aufforderung ver¬ ner Gefangennahme zu den Soldaten
wendet, etwas zu wiederholen, womit sagt: „... aber dies ist eure Stunde und
man schon einmal erfolgreich war oder die Macht der Finsternis“ (Lukas
bei anderen Beifall gefunden hat. 22,53).

t Das macht die Berliner Luft Die Macht der Verhältnisse


Dies ist der Titel eines Schauspiels von
Macht kaputt, was euch kaputt¬ Ludwig Robert (1778-1832), mit dem
ein Versuch zur Erneuerung des bürger¬
macht!
lichen Trauerspiels als sozialkritisches
Der Slogan stammt aus der Zeit der Stu¬ Drama unternommen wurde. Man zi¬
dentenbewegung der sechziger Jahre tiert den Ausdruck oft resignierend,
unseres Jahrhunderts. Er bringt in extre¬ wenn man zum Beispiel sein Handeln
mer Form das Lebensgefühl der damali¬ dem Zwang der wirtschaftlichen, politi¬
gen Studentengeneration zum Aus¬ schen oder gesellschaftlichen Gegeben¬
druck: ihre Unzufriedenheit mit ihren heiten unterordnen muß, wenn eine gu¬
Lebensverhältnissen und mit dem an te Idee auf Grund der bestehenden
den Universitäten und in der Politik Strukturen nicht verwirklicht werden
herrschenden Geist. Die radikale Auf¬ kann.
forderung wurde häufig auf Wände ge¬
sprüht und diente auch als Rechtferti¬
Die Macht des Schicksals
gung für den Wandalismus einzelner
Gruppen. - Der Slogan wird heute eher Die Formulierung, die auf das Ausgelie¬
in ironischer Distanz zitiert, zum Bei¬ fertsein des Menschen an das Schicksal
spiel als Kommentar zu Zerstörungen in hindeutet, zitiert die deutsche Überset¬
Wohnvierteln oder in öffentlichen Ein¬ zung des Titels von Giuseppe Verdis
richtungen, deren Architektur heute als (1813-1901) Oper La forza del destino.
unwirtlich und menschenfeindlich an¬ Das Libretto stammt von Francesco
gesehen wird. Maria Piave, der sich seinerseits an das
spanische Drama Don Alvaro o la fuerza
del sino von Angelo Perez de Saavedra
Macht mir den rechten Flügel angelehnt hat. Die Handlung der Oper
stark! demonstriert in der Trennung und Zu¬
Dieser Ausspruch wird dem preußi¬ sammenführung der Figuren ein un¬
schen Generalfeldmarschall Alfred von schuldig-schicksalhaftes Schuldigwer¬
Schlieffen (1833-1913) zugeschrieben. den.
Er soll diese Aufforderung in Fieber¬
phantasien kurz vor seinem Tode geäu¬ Macht geht vor Recht
ßert haben. Schlieffen hatte sich als Ge¬
Der Satz, den Maximilian Graf von
neralstabsoffizier besonders mit takti¬
Schwerin Bismarck in bezug auf dessen
schen Fragen der Kriegführung zu be¬
Rede vom 27. 1. 1863 im preußischen
fassen. Mit dem rechten Flügel war ein
Abgeordnetenhaus in den Mund legte,
Flügel des aufmarschierenden Heeres
hat sprichwörtlichen Charakter. So
gemeint, der in bestimmter Weise zu
heißt es im Alten Testament beim Pro¬
agieren hatte. - Das Zitat kann heute in
pheten Habakuk (1,3): „Es geht Gewalt
vielerlei Beziehung verwendet werden,
über Recht“, in der Sprichwörtersamm¬
zum Beispiel als politischer Wunsch
lung von Johann Agricola (1494-1566):
oder hinsichtlich der Mannschaftsauf¬
„Gewalt geht für (= vor) Recht“, in Ba-
stellung beim Fußballspiel.
ruch de Spinozas (1632-1677) „Tracta-
tus politicus“ (Kapitel 2, §8) in deut¬
Die Macht der Finsternis scher Übersetzung: „... weil jeder soviel
Diese Metapher für die Kräfte der Höl¬ Recht hat, als er Macht hat“, in Goethes
le, für das Böse schlechthin, stammt aus Faust II (V, Palast): „Man hat Gewalt,

291
7*
Macht Teil I

so hat man Recht“, in Schillers Gedicht eigener Glockenspielbegleitung. Die


„Die Weltweisen“: „Im Leben gilt der ihm bestimmte Papagena enthüllt sich
Stärke Recht“, in Adelbert von Chamis- allerdings erst aus einem alten Weib,
sos (1781-1838) Gedicht „Die Giftmi¬ nachdem er selbst diesem die Hand zum
scherin „Hast du die Macht, du hast Ehebund gereicht hat. Das als scherz¬
das Recht auf Erden“. hafte Anspielung verwendbare Zitat
wurde musikalisch auch von Beethoven
t Mit unsrer Macht ist nichts getan als Thema seiner 12 Variationen für Vio¬
loncello und Klavier op. 66 (1798) auf¬
Die Macht und ihr Preis gegriffen.
Bei dem Zitat, das auf den Verlust an In¬
t Vom Mädchen reißt sich stolz der
tegrität in Verbindung mit Machtposi¬
tionen hindeutet, handelt es sich um den
Knabe
Titel - im Original: The Power and the
tMit Mädeln sich vertragen, mit
Prize - eines amerikanischen Films von
Henry Koster aus dem Jahr 1956. Die
Männern rumgeschlagen und mehr
Handlung des Films ist eingebettet in ei¬ Kredit als Geld, so kommt man
ne Kritik an kapitalistischen Praktiken durch die Welt
in einem amerikanischen Stahlkonzern.
T Fern von Madrid
Madame Sans-Gene
Magere Jahre
Diese (heute weniger gebräuchliche)
t Fette Jahre
Bezeichnung für eine Frau von unge¬
niertem Auftreten geht zurück auf den
Magus im Norden
gleichlautenden Titel einer Komödie
von Victorien Sardou (1831-1908) und Dieser Beiname für den Philosophen
Emile Moreau (1852-1922). Sie bezieht Johann Georg Hamann (1730-1788)
sich dort auf die historische Figur der rührt von dem Aufsatz her, den der Poli¬
elsässischen Wäscherin Catherine Hub¬ tiker und Schriftsteller Friedrich Karl
scher, die während der Französischen von Moser (1723-1798) unter dem Titel
Revolution und während der Herrschaft „Treuherziges Schreiben eines Laien¬
Napoleons dem österreichischen Gra¬ bruders im Reich an den Magum im
fen Neipperg die Flucht ermöglicht. Norden oder doch in Europa“ 1762 ver¬
faßte. Er ließ sich dazu vielleicht von
Das Mädchen aus der Fremde Hamanns 1760 erschienener Schrift
„Die Magi (= Weisen) aus Morgenland
Das in bezug auf ein Mädchen rätsel¬
zu Bethlehem“ anregen. Goethe nannte
hafter Herkunft verwendete Zitat ist der
Hamann im 12. Buch von „Dichtung
Titel eines Gedichts aus Schillers „Mu¬
und Wahrheit“ entsprechend „Magus
senalmanach für das Jahr 1797“. Bei
aus Norden“. In Anspielung auf die
Schiller tritt in dieser allegorischen Ge¬
schon von Hamanns Zeitgenossen als
stalt die Poesie auf, die in jedem Früh¬
schwer verständlich empfundene dun¬
ling erscheint und wieder verschwindet:
kel-prophetische Schreibweise dieses
„Sie war nicht in dem Tal geboren,/Man
Philosophen wird das Zitat gelegentlich
wußte nicht, woher sie kam,/Und
verwendet, wenn man jemandes unkla¬
schnell war ihre Spur verloren,/Sobald
re, geheimnisvolle Ausdrucksweise
das Mädchen Abschied nahm“ (2. Stro¬
scherzhaft kritisieren möchte.
phe).
Der Mai ist gekommen
Ein Mädchen oder Weibchen
Das Zitat mit der Fortsetzung „die Bäu¬
wünscht Papageno sich
me schlagen aus“ ist die erste Zeile des
Im zweiten Akt von Mozarts (1756 bis Gedichtes „Wanderlust“ von Emanuel
1791) Oper „Die Zauberflöte“ singt der Geibel (1815-1884), das in der Verto¬
Vogelfänger Papageno dieses Lied mit nung von Justus W. Lyra zu einem der

292
Teil I man

bekanntesten Mai- und Wanderlieder Günter Strack gesagt, dessen Leibesfül¬


wurde. Der Wanderliedcharakter drückt le ebenso wie das opulente kalte Büfett
sich sogleich in den anschließenden im Hintergrund deutlich die Ironie in
Versen aus: „Da bleibe, wer Lust hat, der Textaussage hervortreten lassen.
mit Sorgen zu Haus./Wie die Wolken Auch in der allgemeinen Verwendung
dort wandern am himmlischen Zelt,/So ist diese Entschuldigung für eine kleine
steht auch mir der Sinn in die weite, wei¬ Annehmlichkeit, die man sich gestattet,
te Welt.“ Als Hindeutung auf Frühlings¬ meist nicht ganz wörtlich zu verstehen.
anfang und Winterende wurde das Zitat
bereits in Wilhelm Müllers (1794-1827) Man hat’s, oder man hat’s nicht
Gedicht „Trockne Blumen“ aus dem Die umgangssprachliche Formulierung
von Franz Schubert vertonten Zyklus in bezug auf etwas, was man nicht er¬
„Die schöne Müllerin“ verwendet, dort werben oder erlernen kann, was man al¬
aber bildlich gemeint im Zusammen¬ so - z. B. als Begabung - mitbringen
hang mit dem Vorüberwandeln der Ge¬ muß, ist bereits bei Theodor Fontane
liebten am Grabhügel des Müllerbur¬ (1819-1898)zu Finden. Eines seiner Ge¬
schen: „Der Mai ist kommen, der Win¬ dichte trägt den Titel „Man hat es oder
ter ist aus.“ hat es nicht“, und jede seiner drei Stro¬
phen endet mit eben dieser Zeile. Das
t Alles neu macht der Mai Thema des Gedichts ist die Vergeblich¬
keit des Wollens, wenn man nach Glück
T Wie einst im Mai und Erfüllung strebt: Letztlich erreicht
man nur, was einem vorbestimmt ist.
t Komm, lieber Mai
Man kann mit einer Wohnung ei¬
Im wunderschönen Monat Mai
nen Menschen genauso töten wie
t Da ist meinem Herzen die Liebe aufge¬
mit einer Axt
gangen
Der Berliner Zeichner Heinrich Zille
Tin seiner Sünden Maienblüte (1858-1929) hat sich auf seine Weise in
seinen Bildern (mit Sinn für Situations¬
Mais oü sont les neiges d’antan? komik und oft auch bissiger Ironie) mit
den Problemen der proletarischen Vier¬
t Schnee von gestern
tel Berlins in der Zeit um die Jahrhun¬
dertwende auseinandergesetzt. Das
Make love not war
Wohnungselend jener Zeit war eines
Die Graffitiparole (übersetzt: „Macht
seiner Themen. Ihm wird dieser dra¬
keinen Krieg, sondern Liebe“) wurde
stisch anklagende Satz zugeschrieben,
für den Titel des Films „Make Love Not
der an Aktualität im Grunde nie etwas
War - Die Liebesgeschichte unserer
verloren hat.
Zeit“ von Werner Klett aus dem Jahr
1967 verwendet. Der Film handelt von
Man kehrt immer zu seiner ersten
einem in Berlin wegen des Vietnam¬
Liebe zurück
kriegs desertierenden amerikanischen
Soldaten, der von einem deutschen TOn revient toujours ä ses premiers
Mädchen versteckt, dann aber auf amours
Grund einer Verwechslung von der Mi¬
litärpolizei erschossen wird. Man lebt nur einmal in der Welt
Diese Redensart, üblicher geworden in
Man gönnt sich ja sonst nichts der kürzeren Form „Man lebt nur ein¬
Diese Redefloskel wurde in jüngerer mal“, enthält indirekt die Aufforderung,
Zeit als Werbespruch für einen Aquavit die Zeit zu nutzen, eine gute Gelegen¬
besonders populär. In dem entspre¬ heit beim Schopf zu packen oder ganz
chenden Fernsehspot werden diese allgemein, sich das Leben nicht zu
Worte von dem beliebten Schauspieler schwer zu machen. In Goethes Trauer-

293
man Teil I

spiel „Clavigo“ verwendet Carlos diese verborgene - meist persönliche - Inter¬


Worte im Dialog mit seinem Freund essen deutlich erkennt.
Clavigo (1,1), indem er ihm vorhält:
„Mich dünkt doch, man lebt nur einmal
Man muß die Feste feiern, wie sie
in der Welt, hat nur einmal diese Kräfte,
fallen
diese Aussichten, und wer sie nicht zum
besten braucht,... ist ein Tor.“ Bekannt Mit dieser Redensart ermuntert man
wurde die Redensart dann auch durch sich selbst und andere dazu, sich eine
ihre Verwendung in der Arie „Man wird gute Gelegenheit nicht entgehen zu las¬
ja einmal nur geboren“ des Schmiede¬ sen, besonders dann, wenn es gilt, fröh¬
gesellen Georg in der Oper „Der Waf¬ lich zu feiern. Sie wurde durch die Berli¬
fenschmied“ (1. Akt) von Albert Lort- ner Posse „Graupenmüller“ von Her¬
zing (1801-1851), Libretto Friedrich mann Salingre (1833-1879) weiter ver¬
Wilhelm Ziegler (1760-1827). Eine breitet. Heute sind auch zahlreiche
scherzhaft-ironische Abwandlung der scherzhafte Abwandlungen geläufig, so
Redensart gibt es in der Form „Man lebt z. B. „Man soll nicht fallen, wenn man
nur zweimal“, die als deutscher Titel feste feiert“ oder „Mann muß die Frau¬
eines James-Bond-Films von 1966 be¬ en feiern, wie sie fallen.“
kannt wurde (mit Sean Connery in der
Hauptrolle; englischer Originaltitel Man muß Gott mehr gehorchen als
„You only live twice“).
den Menschen
Auf den Vorwurf der Hohenpriester,
Man lebt nur zweimal
das Verbot, öffentlich im Namen Jesu
t Man lebt nur einmal in der Welt zu lehren, mißachtet zu haben, entgeg¬
nen nach der Apostelgeschichte des
Man liebt den Käse wohl Neuen Testaments Petrus und die Apo¬
1904 veröffentlichte Wilhelm Busch den stel: „Man muß Gott mehr gehorchen
Gedichtband „Zu guter Letzt“. Das dar¬ denn den Menschen“ (Apostelgeschich¬
in enthaltene, „Pst“ überschriebene Ge¬ te 5,29). Nach dieser Maxime hat eine
dicht schließt mit der Aufforderung: große Zahl gläubiger Menschen gelebt
„Bedenk: Man liebt den Käse wohl - in- und dabei schwerste Benachteiligungen
dessen,/Man deckt ihn zu.“ Das Ge¬ auf sich genommen, oft sogar den Mär-
dicht handelt kurz und prägnant von der tyrertod. Auch heute noch ist sie für vie¬
Diskretion. - Man verwendet das Zitat le religiöse Menschen (und besonders
als scherzhafte Anspielung beispiels¬ für Fundamentalisten) Richtschnur für
weise auf etwas, was jemand tut, weil ihr Handeln.
es ihm Vergnügen macht, von dem er
jedoch nicht gerne möchte, daß es Man schlägt den Sack und meint
bekannt wird.
den Esel
Diese sprichwörtliche Redensart wird
Man merkt die Absicht, und man
verwendet, wenn jemand getadelt, be¬
ist verstimmt schuldigt oder beschimpft wird, in
Dies ist die leicht abgewandelte Form Wirklichkeit aber ein anderer gemeint
einer Äußerung Tassos in Goethes Dra¬ ist. Sie findet sich schon im Roman „Sa¬
ma „Torquato Tasso“ (II, 1), mit der er tyricon“ des römischen Schriftstellers
sein Mißfallen an dem Verhalten der C. Petronius (t 66 n. Chr.), wo es in der
Leonore Sanvitale ausdrückt: „... und parodistischen Einlage „Das Gastmahl
wenn sie auch/Die Absicht hat, den des Trimalchion“ heißt: Qui asinum non
Freunden wohlzutun,/So fühlt man Ab¬ potest, stratum caedit („Wer den Esel
sicht, und man ist verstimmt.“ Man ver¬ nicht [schlagen] kann, schlägt den Pack¬
wendet das Zitat als Kommentar zu je¬ sattel“). Die Redensart ist auch in der
mandes allzu durchsichtigem Tun oder Form „Den Sack schlägt man, den Esel
Reden, in dem man dessen nur schlecht meint man“ üblich.

294
Teil I manche

Man sieht nur die im Lichte Thoas auf Iphigenies Worte, mit denen
t Die im Dunkeln sieht man nicht sie seinem Werben ausweicht. Das Zitat
weist daraufhin, daß man oft viele Wor¬
te macht, um nur seine Ablehnung nicht
Man sieht nur mit dem Herzen gut offen auszusprechen, und daß auch die
Diese Erkenntnis findet sich in dem wortreiche Einkleidung mit vielen Er¬
Märchen „Der kleine Prinz“ des franzö¬ klärungen und Begründungen nichts
sischen Schriftstellers Antoine de Saint- daran ändert, daß der andere in erster
Exupery (1900-1944; französischer Ti¬ Linie die Ablehnung wahrnimmt (und
tel „Le petit prince“; deutsch 1950). Ein entsprechend gekränkt oder enttäuscht
Fuchs übermittelt sie dem kleinen Prin¬ ist).
zen, der von einem fernen Planeten auf
die Erde gekommen ist. Der Autor setzt
Man spricht vom vielen Trinken
mit diesem Bild der rationalen Sehweise
stets, doch nie vom vielen Durste!
der Erwachsenen die unvoreingenom¬
mene Sehweise des Kindes entgegen, Die beiden Verszeilen, mit denen je¬
das mit dem Gefühl das Wesen der Din¬ mand seinen von anderen als übermäßig
ge erfaßt, ohne sich dabei von äußeren empfundenen Alkoholkonsum ent¬
Erscheinungen beirren zu lassen. Denn: schuldigen kann, stammen aus dem Ge¬
„Man sieht nur mit den Augen des Her¬ dicht „Die drei Dörfer“ aus Viktor von
zens gut. Das Wesentliche ist für die Scheffels (1826-1886) „Liedern vom
Augen unsichtbar“ (französisch: On ne Rodenstein“ in der Gedichtsammlung
voit bien qu' avec le coeur. L’essentiel est „Gaudeamus, Lieder aus dem Engeren
invisible pour les yeux; Kapitel XXI). und Weiteren“.

Man soll die Stimmen wägen und tAch, man will auch hier schon
wieder nicht so wie die Geistlich¬
nicht zählen
keit!!
Das Zitat, mit dem der Sinn der bloßen
Stimmenmehrheit angezweifelt wird,
steht in Schillers Dramenfragment „De¬ Manche meinen, lechts und rinks
metrius“ (I). In der Szene „Der Reichs¬ kann man nicht velwechsern
tag zu Krakau“ entgegnet Fürst Sapieha Dies sind die ersten drei Zeilen von
auf die Mitteilung, der falsche Demetri¬ Ernst Jandls Gedicht „lichtung“, das in
us sei mit Stimmenmehrheit als legiti¬ dem 1966 erschienenen Band experi¬
mer Zar anerkannt worden: „Man soll menteller Gedichte mit dem Titel „Laut
die Stimmen wägen und nicht zäh- und Luise“ veröffentlicht wurde. Die
len;/Der Staat muß untergehn, früh vierte und letzte Zeile lautet: „werch ein
oder spät,/Wo Mehrheit siegt und Un¬ illtum!“ Das Zitat wird (auch in der kür¬
verstand entscheidet.“ Etwas gemäßig¬ zeren Form „Lechts und rinks kann man
ter formuliert Georg Christoph Lichten¬ nicht velwechsern“) als scherzhafter
berg 1777 in den „Vermischten Schrif¬ oder ironischer Kommentar gebraucht,
ten“ (Bd. 2) als bedauernde Feststel¬ wenn jemandem eine Verwechslung un¬
lung, „daß wir so oft die Stimmen nur terläuft und er dies nicht gleich bemerkt
zählen. Wo man sie wägen kann, soll oder nicht wahrhaben will.
man es nie versäumen“. Der Gedanke
selbst findet sich bereits in der Antike
Manche mögen’s heiß
bei Cicero und Plinius dem Jüngeren.
So lautet der deutsche Titel der ameri¬
kanischen Filmkomödie Some like it hot
Man spricht vergebens viel, um zu von Billy Wilder aus dem Jahre 1959 mit
versagen; der andre hört von allem Marilyn Monroe, Tony Curtis und Jack
nur das Nein Lemmon in den Hauptrollen. Er wird
Dies ist in Goethes „Iphigenie auf Tau¬ häufig zitiert, um anzudeuten, daß je¬
ris“ (1,3) die Entgegnung des Königs mand heikle, konfliktgeladene Situatio-

295
Mann Teil I

nen geradezu heraufbeschwört, Gefahr Ein Mann in den besten Jahren


oder Gefährliches als prickelnden Sin¬ Mit diesem Ausdruck beschreibt man
nesreiz empfindet. einen Mann in einem Lebensabschnitt,
in dem er seine höchste körperliche und
t Ach, sie haben einen guten Mann geistige Leistungsfähigkeit erreicht hat.
begraben Oft bezieht man sich dabei allerdings
(leicht scherzhaft) auf jemanden, der die
Mann der Arbeit, aufgewacht! Lebensmitte bereits überschritten hat.
Diesen Aufruf findet man in dem Lied, Der Ausdruck wurde populär durch ein
das der Schriftsteller und Lyriker Georg Gedicht Heinrich Heines (1797-1856)
Herwegh (1817-1875), der mit seinen aus der Gedichtsammlung „Die Heim¬
Gedichten als Wegbereiter der Revolu¬ kehr“ mit der Anfangszeile „Ich rief den
tion von 1848 gilt, im Jahr 1863 als Bun¬ Teufel und er kam“. Darin heißt es im
deslied für den „Allgemeinen Deut¬ Hinblick auf den Teufel: „Er ist nicht
schen Arbeiterverein“ geschrieben hat. häßlich und ist nicht lahm,/Er ist ein
Die zehnte Strophe dieser ersten Hymne lieber, scharmanter Mann,/Ein Mann in
der deutschen Arbeiterbewegung lautet: seinen besten Jahren.“
„Mann der Arbeit, aufgewacht!/Und er¬
kenne deine Macht!/Alle Räder stehen
still,/Wenn dein starker Arm es will.“ t Unser Mann in Havanna

t Jedem Mann ein Ei


Mann ist Mann
Ein Mann für gewisse Stunden So lautet der Titel eines frühen Lust¬
spiels von Bertolt Brecht (1898-1956),
Unter diesem Titel lief die deutsche Fas¬ in dem es um die Geschichte eines Man¬
sung des amerikanischen Spielfilms nes geht, „der nicht nein sagen kann“. -
„American Gigolo“ in den Kinos. Der Titel und Zitat bedeuten gleichermaßen
Film, der 1979 mit Richard Gere in der soviel wie „Einer ist wie der andere“.
Hauptrolle gedreht wurde, handelt von
einem Mann, der seinen Lebensunter¬
halt durch eine Tätigkeit als Gigolo in t Ihr Mann ist tot und läßt sie grü¬
den besseren Kreisen von Los Angeles ßen
verdient. Man zitiert den Titel des Films
oft als Anspielung auf jemandes Rolle
als Liebhaber, aber auch in scherzhaften Der Mann mit dem goldenen Arm
Abwandlungen. Wenn man zum Bei¬
Mit diesem Ausdruck zitiert man den
spiel jemanden ironisch charakterisie¬
deutschen Titel eines sozialkritischen
ren möchte, der bestimmte, im Verbor¬
Romans des amerikanischen Schriftstel¬
genen abzuwickelnde Geschäfte für an¬
lers Nelson Algren (1909-1981). The
dere tätigt, so könnte man ihn als
man with the golden arm (so der Origi¬
„Mann für gewisse Kunden“ oder als
naltitel) ist ein morphiumsüchtiger
„Mann für inoffizielle Überstunden“
Falschspieler; sein „goldener Arm“ ist
o.ä. bezeichnen.
der Arm, mit dem er die Karten (zu sei¬
nen Gunsten) austeilt. Das Buch wurde
Mann Gottes! 1955 unter der Regie von Otto Premin-
Die umgangssprachliche, meist Ärger ger mit Frank Sinatra in der Hauptrolle
oder eine Warnung, Ermahnung aus¬ verfilmt. - Im heutigen Sprachgebrauch
drückende Anrede ist an mehreren Stel¬ wird der Ausdruck gelegentlich in der
len in der Bibel zu finden (zum Beispiel Sportberichterstattung verwendet, zum
im 5. Buch Moses, Kapitel 33,1). Dort Beispiel als Bezeichnung für einen Tor¬
bezeichnet sie, im Unterschied zum heu¬ wart, der gut gehalten hat, oder für
tigen Gebrauch, den an Gott glauben¬ einen Handballstürmer, der viele Tore
den und Gott wohlgefälligen Menschen. geworfen hat.

296
Teil I Männer

Mann mit zugeknöpften Taschen, einer bestimmten Situation mit großer


dir tut niemand was zulieb' Aggressivität agiert beziehungsweise
reagiert.
Bei den Gedichten, die Goethe unter
der Überschrift „Epigrammatisch“ ver¬
öffentlichte, findet sich der Vierzeiler t Mit Mann und Roß und Wagen,
mit dem Titel „Wie du mir, so ich dir“: so hat sie Gott geschlagen
„Mann mit zugeknöpften Taschen,/Dir
tut keiner was zulieb’: Hand wird nur t Er war ein Mann, wir werden
von Hand gewaschen ;/Wenn du neh¬ nimmer seinesgleichen sehn
men willst, so gib!“ Der erste Vers kann
als Metapher für einen geizigen Men¬ t Wie ein Mann
schen gelten bzw. für jemanden, dem es
an Hilfsbereitschaft mangelt. In der Dem Manne kann geholfen wer¬
zweiten Hälfte des Gedichts verwendet
den
Goethe das Sprichwort „eine Hand
Mit dieser Feststellung endet Schillers
wäscht die andere“ im positiven Sinn
Drama „Die Räuber“ (1781). Karl
und gibt zu bedenken, daß man selbst
Moor, der zum Mordbrenner geworde¬
bereit sein muß zu geben, wenn man von
ne Rebell gegen die ungerechte Gesell¬
anderen etwas empfangen möchte.
schaftsordnung, erkennt am Schluß des
Stücks „daß zwei Menschen wie ich den
Der Mann muß hinaus ins feind¬
ganzen Bau der sittlichen Welt zu
liche Leben Grund richten würden“. Darum will er
Dies ist ein Vers aus Schillers „Lied von sich stellen und, da auf seine Ergreifung
der Glocke“ (1799). Ihm folgen eine „tausend Louisdore geboten“ werden,
Reihe weiterer Verse, die die Tätigkei¬ will er einem armen Tagelöhner die
ten des Mannes als des Ernährers der Möglichkeit geben, ihn auszuliefern. -
Familie aufzählen: „Muß wirken und Man verwendet das Zitat - meist scherz¬
streben/Und pflanzen und schaffen,/Er- haft -, um auszudrücken, daß man je¬
listen, erraffen,/Muß wetten und wa¬ mandem aus einer Verlegenheit helfen
gen, /Das Glück zu erjagen.“ In vor- kann.
emanzipatorischen Zeiten galt, daß der
Mann alleine „hinausging“, um einen Männer machen die Geschichte
Beruf auszuüben, während die Frau als
Dieses Zitat bringt die Überzeugung
„züchtige Hausfrau“ „im häuslichen
zum Ausdruck, daß der Gang der Ge¬
Kreise“ blieb. - Man zitiert diesen Vers
schichte entscheidend durch das Han¬
heute (angesichts der veränderten ge¬
deln von Individuen, von bedeutenden
sellschaftlichen Verhältnisse) nur noch
Persönlichkeiten gelenkt und beeinflußt
scherzhaft mit ironischem Unterton,
wird. Es geht auf den Historiker Hein¬
wenn man betonen möchte, daß der rich von Treitscke zurück, der 1879 in
Zwang zum Geldverdienen einen Mann
seinem Buch „Deutsche Geschichte im
immer wieder aus seiner häuslichen 19. Jahrhundert“, wohl auf Bismarck
Umgebung herausreißt. bezogen, den Satz geschrieben hat:
„Männer machen Geschichte“. Eine
Ein Mann sieht rot ähnliche Sehweise findet sich auch bei
Dies ist der deutsche Titel des 1974 ent¬ dem englischen Historiker Thomas Car-
standenen amerikanischen Films lyle (1795-1881): „Die Weltgeschichte
„Death Wish“ mit Charles Bronson in ist nichts als die Biographie großer
der Hauptrolle. Ein Architekt, dessen Männer.“ - Im Zeitalter der Frauen¬
Familie einem brutalen Überfall zum emanzipation wird das Zitat auch mit
Opfer gefallen ist, übt erbarmungslos negativer Bedeutung als Anklage ver¬
Selbstjustiz und tötet systematisch ag¬ wendet, die die Männer vor allem für
gressive Jugendliche. - Mit dem Zitat das Schlechte in der Menschheitsge¬
charakterisiert man jemanden, der in schichte verantwortlich macht.

297
Männer Teil I

Die Männer sind alle Verbrecher TSie sehen den Marmor nicht
Das so beginnende bekannte Lied
Marmor, Stein und Eisen bricht
stammt aus der 1913 entstandenen Ber¬
liner Posse „Wie einst im Mai“. Das Dies ist der Titel und die erste Zeile des
Textbuch schrieben Rudolf Bernauer Refrains eines sehr erfolgreichen, 1965
und Rudolph Schanzer, die Musik Wal¬ von Drafi Deutscher, Christian Bruhn
ter Kollo und Willy Bredschneider. Der und Günter Loose geschriebenen Schla¬
vollständige Text des Liedes lautet: gers, der mit den Zeilen „Weine nicht,
„Die Männer sind alle Verbrecher,/Ihr wenn der Regen fällt,/Es gibt einen, der
Herz ist ein finsteres Loch,/Hat tausend zu dir hält“ beginnt. Das scherzhaft ver¬
verschied’ne Gemächer,/Aber lieb, aber wendete Zitat kann auf etwas, was man
lieb sind sie doch.“ - Der Vers wird für unverbrüchlich hält, auf unerschüt¬
scherzhaft von Frauen zitiert, wenn sie terliche Treue oder Standhaftigkeit be¬
pauschal männliches Verhalten kritisie¬ zogen werden.
ren wollen.
Mars regiert die Stunde
Das Trauerspiel „Wallensteins Tod“
T O diese Männer
von Schiller beginnt (1,1) mit einem
Dialog zwischen Wallenstein und sei¬
t Bei Männern, welche Liebe füh¬ nem Astrologen Seni, der damit be¬
len schäftigt ist, die Sterne zu beobachten.
Wallenstein sagt darin zu Seni: „Laß es
Männerstolz vor Königsthronen gut sein, Seni. Komm herab./Der Tag
bricht an, und Mars regiert die Stunde.“
Dem t Verdienste seine Kronen
Der stemengläubige Wallenstein zögert
in seinem Handeln. Er möchte warten,
t Wenn der Mantel fällt, muß der bis eine glückhaftere Sternenkonstellati-
Herzog nach on sich einstellt, bei der die „Segensster¬
ne“ Jupiter und Venus „den verderbli¬
Manus manum lavat chen, den tück’schen Mars in ihrer Mit¬
te“ haben und seinen Einfluß mildern. -
Eine t Hand wäscht die andere
Mit dem Zitat umschreibt man Krieg
oder drohenden Krieg.
Ein Märchen aus alten Zeiten
Das Zitat - oft mit der Variante „aus Den Marschallstab im Tornister
uralten Zeiten“ - ist die dritte Zeile aus tragen
dem zweiten Gedicht des Abschnitts Diese Redewendung mit der Bedeutung
„Die Heimkehr“ in Heinrich Heines „die Möglichkeit haben, noch sehr viel
(1797-1856) „Buch der Lieder“: „Ich im Leben zu erreichen“ geht auf einen
weiß nicht, was soll es bedeuten,/Daß französischen Ausspruch aus der napo-
ich so traurig bin;/Ein Märchen aus al¬ leonischen Zeit zurück. Häufig wird
ten Zeiten,/Das kommt mir nicht aus er Napoleon Bonaparte (1769-1821)
dem Sinn.“ Mit dem Märchen ist in dem selbst zugeschrieben. Die früheste gesi¬
durch Friedrich Silchers Vertonung cherte Quelle ist eine Ansprache Lud¬
(1838) volkstümlich gewordenen Ge¬ wigs XVIII. vor der Ecole des Saint-Cyr
dicht die Sage von der Loreley gemeint. am 8. 8. 1819. Darin sagte der König:
Clemens Brentano hatte in seiner Balla¬ Rappelez-vous qu’il n’est aucun de vous
de „Lore Lay“ (1799) die rheinische Sa¬ qui n’ait dans sa gibeme le bäton de ma-
gengestalt erfunden, die vom Rheinfel¬ rechal („Denkt daran, daß keiner unter
sen aus die Schiffer ins Verderben euch ist, der nicht den Marschallstab in
lockt. - Losgelöst von diesem Zusam¬ seiner Patronentasche hat“). Populär
menhang kommentiert man mit dem Zi¬ wurde der Ausspruch im Deutschen in
tat jemandes Worte, denen man keinen der Form: „Jeder Soldat trägt den Mar¬
Glauben schenken will. schallstab im Tornister.“

298
Teil I Maul

Martha! Martha! Du entschwan¬ des Matthäusevangeliums“. Dieses


dest Evangelium schließt mit den Worten
„bis an der Welt Ende“; die Redewen¬
Mit diesem Ausruf wird gelegentlich
dung spielt also indirekt auf den Welt¬
noch scherzhaft das überraschende Ver¬
untergang, auf das Ende aller Dinge an.
schwinden, die nicht erwartete Abwe¬
senheit eines andern kommentiert. Er
stammt aus der romantisch-komischen
Eine Mauer um uns baue
Oper „Martha oder Der Markt von
Richmond“ von Friedrich von Flotow Diese Zeile stammt aus einem Gedicht
(1812-1883), Librettist W. Friedrich, von Clemens Brentano (1778- 1842), ei¬
und zwar aus der Arie des Lionel („Ach, nem Dichter der Romantik. Der Titel
so fromm, ach, so traut“) im 3. Akt, wo ist: „Die Gottesmauer“, und das Ge¬
es am Ende heißt: „Martha! Martha! dicht beschreibt, wie eine alte Frau sich
Du entschwandest,/Und mein Glück weigert, vor den herannahenden Fein¬
nahmst du mit dir.“ Diese letzte Zeile den zu fliehen, und statt dessen Gott an¬
wurde scherzhaft oft abgewandelt in fleht, ihr Schutz zu geben. Die mehr¬
„Und mit dir mein Portemonnaie“. mals wiederholte Bitte „Eine Mauer um
uns baue“ wird erhört: Einsetzender
Schneefall bildet einen natürlichen Wall
Maß für Maß um das Haus der Frau, das so von den
Soldaten verschont bleibt. Das Zitat
„Maß für Maß“ (englisch: Measure for
enthält die Bitte um Schutz vor den
Measure) ist der Titel einer um 1603 ent¬
äußeren Feinden, ein Verlangen nach
standenen Komödie von Shakespeare,
Geborgenheit.
in der es am Ende um das Verzeihen an
Stelle des Richtens geht. Zuvor heißt es
aber noch aus dem Munde des Herzogs
Die Mauern stehn sprachlos und
im Sinne waltender Gerechtigkeit: „Lie¬
kalt
be für Liebe, bittern Haß für Haß,/Glei¬
ches mit Gleichem zahl’ ich, Maß für „Die Mauern stehn sprachlos und kalt,
Maß.“ Entsprechend kann das Zitat mit im Winde/Klirren die Fahnen.“ Mit die¬
der Bedeutung „Wie du mir, so ich dir“ sen ein Schaudern hervorrufenden Ver¬
verwendet werden; gelegentlich tritt sen endet das Gedicht „Hälfte des Le¬
aber auch der Bezug zum Ursprungstext bens“ von Friedrich Hölderlin (1770 bis
völlig zurück, und man charakterisiert 1843). Sie drücken in einem Bild Höl¬
mit „Maß für Maß“ ein langsames, „ge¬ derlins Lebensgefühl, die Erfahrung
messenes“ Vorgehen oder die „maßge¬ von Kälte und Sprachlosigkeit in sei¬
naue“ Erfüllung bestimmter Vorgaben. nem Lebenskreis aus. - Das Zitat gibt
dem Abweisenden, Fremden Ausdruck,
das jemandem in einer bestimmten Si¬
t Sein Maß ist voll tuation oder Umgebung begegnen kann.

Matthäi am letzten Das Maul stopfen


Die umgangssprachliche Redewendung Die Redewendung „jemandem das
„bei jemandem ist Matthäi am letzten“ Maul stopfen“ im Sinne von Jemanden
hat die Bedeutung Jemand hat das durch etwas zum Schweigen bringen“
Schlimmste zu erwarten, ist (finanziell) findet sich bereits in der Bibel. Im 107.
am Ende“. Der Ausdruck „Matthäi am Psalm, einem „Danklied der Erlösten,
letzten“ findet sich im 4. Hauptstück die zum Herrn riefen in ihrer Not“,
von Luthers Katechismus, wo es heißt: heißt es (in bezug auf die Bestrafungen
„Da unser Herr Jesus Christus spricht und Wohltaten Gottes) in Vers 42: „Sol¬
Matthäi am letzten: Geht hin in alle ches werden die Frommen sehen und
Welt...“ Der Ausdruck bedeutet also in sich freuen; und aller Bosheit wird das
Luthers Text soviel wie „am Ende Maul gestopft werden.“

299
Maultier Teil I

Das Maultier sucht im Nebel sei¬ Mea culpa


nen Weg Das am Beginn der katholischen Messe
Die Gedichtzeile stammt aus dem „Mi¬ stehende sogenannte „Confiteor“, ein
gnon“ überschriebenen Lied, das Goe¬ allgemeines und öffentliches Sündenbe¬
the zuerst in dem Roman „Wilhelm kenntnis, enthält den Ausruf: Mea cul¬
Meisters Lehrjahre“ (1795/96) veröf¬ pa, mea culpa, mea maxima culpa. (Mei¬
fentlichte. Es ist Ausdruck der Sehn¬ ne Schuld, meine Schuld, meine über¬
sucht des von einem Geheimnis umge¬ große Schuld.) - Man verwendet das
benen Kindes „Mignon“ nach seiner Zitat, um jemandem sein Bedauern aus¬
Heimat Italien. Die dritte Strophe des zudrücken über etwas, was man ver¬
mit der Frage „Kennst du das Land, wo schuldet hat.
die Zitronen blühn“ beginnenden Ge¬
dichts fragt „Kennst du den Berg und
Des Meeres und der Liebe Wellen
seinen Wolkensteg?“ und fährt fort mit
der Feststellung „Das Maultier sucht im Dies ist der Titel eines Trauerspiels von
Nebel seinen Weg“. - Als Zitat drückt Franz Grillparzer (1791-1872) mit den
dies die Überzeugung aus, daß jemand antiken Gestalten Hero und Leander,
mit sicherem Instinkt seinen Weg sucht für die das Meer schicksalhafte Bedeu¬
und findet. tung hat. Das Zitat wird als scherzhafte
Anspielung auf die mit einer Liebesbe¬
ziehung verbundenen Turbulenzen und
Max, bleibe bei mir Gefühlsstürme verwendet.
Die flehentliche Bitte kommt aus dem
Munde von Wallenstein in Schillers Mehr als befreundet, weniger als
Drama „Wallensteins Tod“ (1798). Wal¬ Freund
lenstein beabsichtigt, sich mit den
Dieses Zitat stammt aus der Schlegel-
Schweden zu verbünden, den Kaiser zu
Tieckschen Ausgabe von Shakespeares
verraten. Diesen Verrat wollen weder
Tragödie „Hamlet“ (1,2). König Claudi¬
Octavio noch Max Piccolomini, zwei
us wendet sich mit den Worten „But
seiner Offiziere, decken. Im dritten Auf¬
now, my cousin Hamlet, and my son...“
zug trifft Max Piccolomini auf Wallen¬
(wörtlich übersetzt: „Aber nun, mein
stein, der erkennt, daß er auch diesen
Neffe Hamlet und mein Sohn ...“) an
Getreuen verlieren wird. Er reagiert mit
den Prinzen. Dieser unterbricht hier sei¬
den beschwörenden Worten: „Max!
nen Onkel und Stiefvater und sagt, sich
bleibe bei mir! - Geh nicht von mir,
Max!“ auf das angesprochene Verwandt¬
schaftsverhältnis beziehend: A little
more than kin and less than kind (wört¬
Max und Moritz ihrerseits fanden lich: „Etwas mehr als [nur] Verwandter
darin keinen Reiz und weniger als [eng] Verwandter“). Die
Mehrdeutigkeit des englischen Wortes
Den fünften Streich spielen „Max und
„kind“, das sowohl „Verwandter“ als
Moritz“ in Wilhelm Büschs Bilderge¬
auch „wohlmeinend, freundlich“ hei¬
schichte „Max und Moritz. Eine Buben¬
ßen kann, ist wohl die Grundlage für die
geschichte in sieben Streichen“ (1865)
Schlegel-Tiecksche Übersetzung.
ihrem Onkel namens Fritz. Statt ihm
Heute werden diese Worte gelegentlich
höflich und freundlich zu begegnen,
zitiert, wenn man das persönliche Ver¬
worin sie „keinen Reiz“ finden, setzen
hältnis zu jemandem charakterisieren
sie Maikäfer in sein Bett und beschwö¬
will, mit dem man zwar verwandtschaft¬
ren damit für den Onkel eine turbulente
lich verbunden, dem man aber nicht un¬
Nacht herauf. - Wenn man ausdrücken
bedingt freundlich gesinnt ist.
will, daß einen zum Beispiel eine be¬
stimmte Tätigkeit überhaupt nicht inter¬
essiert, so kann man es mit diesem Zitat t Das ist mehr als ein Verbrechen,
tun. das ist ein Fehler

300
Teil I mein

Mehr Demokratie wagen Generalstabsoffizieren als Wahlspruch.


In Willy Brandts Regierungserklärung Der in dem Wort enthaltene Aufruf zu
vom 28. 10. 1969 findet sich der pro¬ größerer Bescheidenheit ist in ähnlichen
grammatische Satz „Wir wollen mehr Formulierungen bereits im Schrifttum
Demokratie wagen“. Der darin enthal¬ der Antike (z. B. bei Platon, Äschylus,
tene Gedanke, daß Demokratie keine Xenophon) belegt und taucht auch spä¬
gegebene Einrichtung ist, sondern ein ter (beispielsweise als Wahlspruch deut¬
Ideal, dessen Verwirklichung auch im¬ scher Adelsgeschlechter) immer wieder
mer ein Wagnis darstellt und Mut und auf.
Entschlossenheit von den Regierten
ebenso wie von den Regierenden ver¬
Mehrheit ist der Unsinn
langt, hat viele Menschen so fasziniert,
daß die Formulierung „Mehr Demokra¬ t Verstand ist stets bei wen’gen nur ge¬
tie wagen“ zum häufig verwendeten ge¬ wesen
sellschaftspolitischen Schlagwort wur¬
de. Auch Abwandlungen wie „Mehr
Mein Freund kannst du nicht län¬
Freiheit wagen“ oder „Mehr Bürger¬
nähe wagen“ sind geläufig geworden.
ger sein
Mit diesem Ausspruch kann man
Mehr Licht! scherzhaft seine Mißbilligung gegen¬
über jemandem ausdrücken, von dessen
In seinen letzten Worten am 22. 3. 1832
Handlungsweise man enttäuscht ist, die
soll Goethe laut Kanzler Friedrich von
man nicht akzeptieren kann. Es handelt
Müller (1779-1849) diesen Wunsch ge¬
sich bei dem Zitat um eine - leicht ver¬
äußert haben: „Macht doch den zweiten
änderte - Zeile aus der Schlußstrophe
Fensterladen auf, damit mehr Licht her¬
von Schillers Ballade „Der Ring des Po-
einkomme!“ Der Ausruf „Mehr Licht!“
lykrates“, die auf einer Erzählung des
wird heute meist scherzhaft zitiert, wenn
griechischen Dichters Herodot beruht.
es in einem Zimmer zu dunkel wird oder
In der Ballade ist es allerdings weniger
wenn man etwas nicht richtig sehen
Mißbilligung als vielmehr große Angst,
kann, weil es zu dunkel ist.
die aus diesen Worten spricht. Es sind
die Worte des Königs von Ägypten, der
Mehr Schulden als Haare auf dem
als Gast bei Polykrates, dem Tyrannen
Kopf haben von Samos, weilt. Polykrates hat einen
Die umgangssprachliche Redensart, mit Ring, sein „höchstes Gut“, in die Flut
der man jemandes hohe Verschuldung geworfen, um die Mißgunst der Götter,
ausdrückt, leitet sich von einem Bibelzi¬ ihren Neid auf sein übergroßes Glück,
tat her. In Psalm 40,13 vergleicht König abzuwenden. Als der Ring (im Magen
David die Anzahl seiner Sünden mit den eines Fisches) wieder auftaucht, ist dies
Haaren auf seinem Haupt: „Denn es hat für den Gast ein untrügliches Zeichen
mich umgeben Leiden ohne Zahl; es ha¬ des Unheils, das dem Gastgeber droht.
ben mich meine Sünden ergriffen, daß Er spricht, von Grauen gepackt, die
ich nicht sehen kann; ihrer ist mehr Worte: „So kann ich hier nicht ferner
denn Haare auf meinem Haupt, und hausen,/Mein Freund kannst du nicht
mein Herz hat mich verlassen.“ In der weiter sein./Die Götter wollen dein Ver¬
Redensart ist die biblische „Sünden¬ derben,/Fort eil’ ich, nicht mit dir zu
schuld“ zu weltlichen, finanziellen sterben.“ (Polykrates wurde 522 von
Schulden umgedeutet worden. dem persischen Satrapen Oroites nach
Magnesia gelockt und hingerichtet.)
Mehr sein als scheinen
Der preußische Generalfeldmarschall
Mein ganzer Reichtum ist mein
Graf Alfred von Schlieffen (1833-1913)
empfahl in einer Rede anläßlich seines
Lied
Dienstjubiläums (1903) dieses Wort den tlch bin ein freier Mann und singe

301
mein Teil I

Mein Gehirn treibt wunderbare Grad’ wie es ist im Bienenhaus.“ Diese


Blasen auf Zeilen, die der Freude des Mannes an
häufigem Verliebtsein und Liebeleien
Don Kariös, der spanische Kronprinz,
Ausdruck geben, gehen auf ein Lied des
versucht in Schillers gleichnamigem
deutschen Germanisten und Schriftstel¬
Versdrama (uraufgeführt 1787) der Prin¬
lers Karl Simrock (1802-1876) zurück.
zessin Eboli sein merkwürdiges Verhal¬
Der vielgesungene Text wurde häufig
ten zu erklären, das sie als Ausdruck sei¬
verändert; er lautete ursprünglich:
ner Liebe zu ihr mißdeutet. Er spricht
„Mein Herz war wie ein Bienenhaus,/Es
im achten Auftritt des zweiten Akts die
flogen Mädchen ein und aus;/Doch
Worte: „Poesie! - Nichts weiter. - Mein
endlich kam die Königin,/Die bleibt
Gehirn/treibt öfters wunderbare Blasen
und herrscht nun ewig drin.“
auf,/Die schnell, wie sie entstanden
sind, zerspringen.“ Diese Worte werden
in verkürzter Form zitiert, wenn man ei¬ Mein idealer Lebenszweck ist Bor¬
nen wunderlichen Einfall zu entschuldi¬ stenvieh und Schweinespeck
gen versucht. Man kann damit aber
Diese Verse singt der reiche Schweine¬
auch - ein wenig selbstironisch - an¬
züchter Zsupän in der 3. Szene von
deuten, daß einem ein ganz neuartiger
Johann Strauß’ Operette „Der Zigeu¬
Gedanke gekommen ist, daß man eine
nerbaron“ (uraufgeführt 1885). Das
ungewöhnliche Idee hat.
Textbuch schrieb J. Schnitzer nach einer
Erzählung von M. Jökai. - Das Zitat
Mein geliebtes Deutsch kann zum Beispiel als scherzhafte An¬
Im 1. Teil von Goethes Faust (Studier¬ spielung auf jemandes Vorliebe für def¬
zimmer) sucht Faust innere Befriedi¬ tiges Essen gebraucht werden.
gung, indem er sich der Bibel zuwendet
und darangeht, das Neue Testament zu
Mein ist der Helm, und mir gehört
übersetzen oder, wie er es ausdrückt,
„das heilige Original/In mein geliebtes
er zu
Deutsch zu übertragen.“ Die deutsche Mit diesem Zitat kann jemand in litera¬
Sprache wird heute wohl nur noch in rischer Form und besonders nachdrück¬
scherzhaftem Ton oder in sehr emphati¬ lich zum Ausdruck bringen, daß er An¬
scher Ausdrucksweise als jemandes „ge¬ spruch auf etwas erhebt, ja daß er allein
liebtes Deutsch“ bezeichnet. berechtigt ist, einen solchen Anspruch
zu erheben. Der Satz stammt aus Schil¬
Mein Gott, Walter! lers Drama „Die Jungfrau von Orleans“
(Prolog, 3. Auftritt) und bezieht sich auf
Einer der ersten Schallplattenerfolge
einen Helm, „würdig eines ritterlichen
des Unterhaltungskünstlers und „Blö¬
Haupts“, der auf seltsame Weise durch
delbarden“ Mike Krüger (*1951) war
das Lied von Walter, der oftmals mit eine Zigeunerin zu Johanna, der späte¬
den Tücken des Alltags zu kämpfen hat¬ ren „Jungfrau von Orleans“, gelangt ist.
te. Seine eigene Art, Probleme zu lösen, Die Bestimmtheit, mit der Johanna die
entlockte seiner Ehefrau und denen, die Worte ausspricht, indem sie den Helm
mit ihm zu tun hatten, häufig den Sto߬ an sich reißt, setzt die Anwesenden in
seufzer „Mein Gott, Walter!“ Dieser Erstaunen. Der Vorfall mit dem Helm
Kehrreim des Liedes wurde bald allge¬ und die Worte Johannas deuten an, wo¬
mein verbreitet als Ausruf der Verwun¬ hin ihr Weg gehen wird und welcher Art
derung, des Staunens oder des Unver¬ der Auftrag ist, den sie zu erfüllen hat.
ständnisses.
Mein Liebchen, was willst du
Mein Herz ist wie ein Bienenhaus mehr?
„Mein Herz, das ist ein Bienen- Dies ist der Kehrreim von Heinrich
haus,/Die Mädchen sind darin die Bie¬ Heines (1797-1856) Gedicht „Du hast
nen./Sie Biegen ein, sie fliegen aus,/ Diamanten und Perlen“, Nr. 62 der

302
Teil I mein

Gedichtsammlung „Die Heimkehr“ aus Aussage des Jurastudenten Victor von


dem „Buch der Lieder“. Diese Zeile Hase vor dem Heidelberger Universi¬
greift den Kehrreim „Schlafe! Was tätsgericht im Jahre 1854 zurück. Wie
willst du mehr?“ aus Goethes „Nacht¬ sein Bruder, der Theologe Karl Alfred
gesang“ auf. Goethe übersetzte dabei von Hase, berichtet („Unsere Hauschro¬
seinerseits den Kehrreim eines von Jo¬ nik“, 1898), verhalf Victor einem Kom¬
hann Friedrich Reichardt (1752-1814) militonen, der einen andern im Duell er¬
vertonten italienischen Volksliedes: schossen hatte, durch absichtliches Ver¬
Dormi, che vuoi dipiü? Das Zitat bringt lieren seines Studentenausweises zur
scherzhaft zum Ausdruck, daß man von Flucht nach Frankreich. Nach geglück¬
einem geliebten Wesen glaubt, es müsse ter Flucht wurde der Ausweis, der nicht
nun mit dem zufrieden sein, was ihm zu¬ verliehen werden durfte, gefunden und
teil wurde. dem Universitätsgericht zugestellt. Zu
Beginn der Verhandlung, in der sich
Mein lieber Freund und Kupfer¬ Victor zu verantworten hatte, sagte er:
stecher „Mein Name ist Hase, ich verneine die
Generalfragen, ich weiß von nichts.“
Die heute meist scherzhaft-drohend
Heute wird mit dem Zitat „mein Name
oder mahnend geäußerte, oft auch Er¬
ist Hase“ umgangssprachlich-scherz¬
staunen oder Verwunderung ausdrük-
haft zum Ausdruck gebracht, daß man
kende Anrede könnte auf den Titel „An
von einer Sache nichts weiß, nichts da¬
den Gevatter Kupferstecher Barth“ ei¬
mit zu tun haben will.
nes Gedichts von Friedrich Rückert
(1788-1866) zurückgehen. Dieser Titel
bezieht sich auf den Kupferstecher Karl Mein Name sei Gantenbein
Barth des Bibliographischen Instituts, Dies ist der Titel eines 1964 erschiene¬
der Rückert mehrmals porträtierte. Da nen Romans des Schweizer Schriftstel¬
das Gedicht jedoch wohl nicht allzu be¬ lers Max Frisch (1911-1991). In dem
kannt geworden ist, kann die Herkunft Roman entwirft der Held und Ich-Er-
des Ausdrucks nicht als endgültig ge¬ zähler, von seiner Frau verlassen, immer
klärt angesehen werden. neue Rollen und Gegenspieler für sich.
Auf die erzählerische Grundintention,
Mein Milljöh das Sichbewegen im Fiktiven Raum, das
Verarbeiten der Wirklichkeit durch Dar¬
Dies ist der Titel eines der Bildbände
stellung fingierter Ereignisse und Episo¬
des Berliner Zeichners Heinrich Zille
den, weist der Konjunktiv im Titel des
(1858-1929), der in seinen Bildern mit
Romans bereits hin. Entsprechend auch
ausgeprägtem Sinn für Situationskomik
ist die Verwendung des Titels als Zitat.
und oft mit bissiger Ironie besonders
So dient er beispielsweise als auswei¬
das Berliner Milieu der proletarischen
chende Antwort auf eine Frage, die man
Viertel schilderte. Der Titel wurde zum
nicht beantworten kann oder will. Da¬
geflügelten Ausdruck, der in unter¬
bei wird der Name „Gantenbein“ oft er¬
schiedlicher Verwendung gebraucht
setzt durch andere Namen oder auch
wird. Der Titel oder auch das Wort
Begriffe, die in dem betreffenden Zu¬
„Milljöh“ allein (in seiner charakteristi¬
sammenhang eine Rolle spielen und die
schen Schreibung) tauchen beispiels¬
man auf diese vage Weise ins Gespräch
weise in Texten auf, die sich mit ent¬
bringt, um es den andern zu überlassen,
sprechenden Themen befassen, in Lie¬
damit zu spekulieren.
dern oder auch als Name von Lokalen,
die damit das Vorhandensein eines be¬
stimmten Ambiente vermitteln wollen. Mein schönes Fräulein, darf ich
wagen, meinen Arm und Geleit Ihr
Mein Name ist Hase anzutragen?
Die Redensart „mein Name ist Hase, Die Szene „Straße“ im ersten Teil von
ich weiß von nichts“ geht wohl auf eine Goethes Faust (1808) beginnt mit der

303
mein Teil I

Begegnung von Faust und Gretchen. Meine Stunde ist noch nicht ge¬
Mephisto hatte Faust am Ende der vor¬ kommen
ausgehenden Flexenküchenszene ange¬ Bei der „Hochzeit zu Kana“, von der
kündigt: „Du sollst das Muster aller das Johannesevangelium berichtet, wird
Frauen/Nun bald leibhaftig vor dir Jesus von seiner Mutter darauf auf¬
sehn.“ Faust, vom Anblick Gretchens merksam gemacht, daß dem Gastgeber
entzückt, spricht sie mit folgenden Wor¬ der Wein ausgegangen ist. Die Antwort
ten an: „Mein schönes Fräulein, darf Jesu lautet zunächst (Kapitel 2, Vers 4):
ich wagen/Meinen Arm und Geleit Ihr „Weib, was habe ich mit dir zu schaf¬
anzutragen?“ - Das Zitat und auch sein fen? Meine Stunde ist noch nicht ge¬
erster Teil allein (oft leicht abgewandelt kommen.“ Danach erst macht sich Jesus
zu „Schönes Fräulein, darf ich’s wa¬ daran, sein „erstes Zeichen“ zu tun, in¬
gen?“) kann als scherzhafte Floskel bei dem er Wasser in Wein verwandelt. Der
verschiedenen Gelegenheiten verwen¬
erste, sehr hart klingende Teil der Ant¬
det werden. Die Worte können das
wort Jesu an seine Mutter wird heute ge¬
Überreichen eines kleinen Geschenks,
legentlich als eine Art scherzhafter Zu¬
einer Blume o.ä. an eine junge Frau
rückweisung verwendet. Der zweite Teil
oder ein Mädchen begleiten, sie können
wird öfter zitiert oder auch in freierer
als Aufforderung zum Tanz oder beim
Verwendungsweise gebraucht, um da¬
Anbieten einer Hilfeleistung ausgespro¬
mit anzudeuten, daß bestimmte Bedin¬
chen werden.
gungen erfüllt sein müssen, ein be¬
stimmter Zeitpunkt abzuwarten ist, bis
Mein Verstand steht still
man mit etwas (in möglichst wirkungs¬
Wenn wir umgangssprachlich von je¬ voller Weise) beginnen kann.
mandem sagen, ihm stehe der Verstand
still, so meinen wir damit, daß etwas für Meinerseits möcht’ ich’s damit
ihn völlig unbegreiflich ist. Eine ähn¬ halten
liche Ausdrucksweise begegnet uns in
t Unverständlich sind mir die Alten
Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Ka¬
bale und Liebe“ (III,2), wo der Hofmar¬
Meines Lebens schönster Traum
schall von Kalb auf die Mitteilung des
Präsidenten von Walter, sein Sohn wolle
hängt an diesem Apfelbaum
sie beide „ans Messer liefern“, entgeg¬ T All mein Hoffen, all mein Sehnen
net: „Mein Verstand steht still.“ Und
schon in Christian Fürchtegott Gellerts t Verachtet mir die Meister nicht
(1715-1769) Weihnachtslied „Dies ist
der Tag, den Gott gemacht“ Findet sich Auf des Meisters Worte schwören
in der 3. Strophe die Formulierung: TJurare in verba magistri
„Wenn ich dies Wunder fassen will,/So
steht mein Geist in Ehrfurcht still.“ T O du zertrümmert Meisterstück
der Schöpfung
Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist
schwer Menetekel
Wenn jemand voll innerer Unruhe ist, Ein geheimnisvolles Anzeichen eines
Sorgen und trübe Gedanken ihn be¬ drohenden Unheils, ein ernster Warnruf
drängen, dann charakterisieren diese vor einem drohenden Unglück wird
Worte treffend seine Stimmungslage. nach einer Stelle in der Bibel als „Mene¬
Gretchen spricht sie im 1. Teil von Goe¬ tekel“ bezeichnet. Beim Propheten Da¬
thes Faust (Gretchens Stube) in der er¬ niel wird im 5. Kapitel die Geschichte
sten, vierten und achten Strophe ihres des babylonischen Königs Belsazar er¬
liedartigen Monologs, in welchem sie zählt, der sich „wider den Herrn des
im Selbstgespräch ihren Seelenzustand Himmels erhoben“ hatte. Bei einem Ge¬
nach der Begegnung mit Faust be¬ lage erschien dem König eine Schrift an
schreibt. der Wand, es waren „Finger wie einer

304
Teil I Mensch

Menschenhand, die schrieben“. Die ge¬ Mensch, bezahle deine Schulden


heimnisvolle Schrift lautete: „Mene,
Diese Aufforderung in der 2. Strophe
Mene, Tekel, Upharsin“ (Daniel 5,23).
von Heinrich Heines (1797-1856) Ge¬
Als niemand die Schrift zu entziffern
dicht „Mensch, verspotte nicht den Teu¬
wußte, wurde der Prophet Daniel her¬
fel“ (1825 veröffentlicht) könnte man an
beigerufen, der die Worte als „gezählt“
jemanden richten, dem man Geld gelie¬
(bezogen auf die Tage der Regentschaft
hen hat, - und auch gleich die restlichen
Belsazars), „gewogen“ (aber zu leicht
Zeilen der Strophe zitieren: „Lang ist ja
befunden) und „zerteilt“ (in Anspielung
die Lebensbahn,/Und du mußt noch
auf die kommende Teilung des Reiches)
manchmal borgen,/Wie du es so oft ge¬
deutete. Der Belsazarstoff wurde öfter
tan.“
literarisch bearbeitet. Besonders be¬
kannt ist das Gedicht „Belsazer“ von
Heinrich Heine (1797-1856). Der deut¬ Der Mensch denkt, Gott lenkt
sche Dramatiker Friedrich Wolf Diese Redensart besagt, daß wir zwar
(1888-1953) gab einer Erzählung den alle möglichen Pläne machen können,
Titel „Menetekel“. Ins Scherzhafte ge¬ letztlich aber eine höhere Macht unse¬
wendet erscheint das Thema in dem ren Lebensweg bestimmt. Zugrunde
Vierzeiler „Zwei Schweinekarbonaden“ liegt der Vulgatatext einer Stelle in den
von Joachim Ringelnatz (1883-1934). Sprüchen Salomos im Alten Testament:
Das Gedicht lautet: „Es waren zwei „Cor hominis disponit viam suam, sed
Schweinekarbonaden (= Schweineko- domini est dirigere gressus eius“ (Über¬
teletts),/Die kehrten zurück in den Flei¬ setzung: „Das Herz des Menschen
scherladen/Und sagten, so ganz von denkt sich seinen Weg aus, aber es ist
oben hin:/,Meneh tekel üpharsin.1“ Sache des Herrn, seinen Schritt zu len¬
ken“; Sprüche Salomos 16,9). Sie findet
sich in fast allen europäischen Sprachen
Die Menge tut’s und geht in der vorliegenden Kurzform
Mit dieser Aussage drückt man aus, daß wohl auf das gleichbedeutende mittella¬
weniger die richtige Menge oder die teinische Homo proponit, sed deus dispo¬
Qualität, sondern einfach nur die große nit zurück. - Ein ähnlicher Gedanke
Anzahl oder Menge für etwas Bestimm¬ findet sich schon in Homers „Ilias“, wo
tes ausschlaggebend ist. Der Ausspruch, es heißt: „Aber der Mensch entwirft,
dessen heutiger Gebrauch wohl von und Zeus vollendet es anders“ (18,328).
gängigen Redensarten wie „Die Menge
muß es bringen“ oder „Die Masse T Und weil der Mensch ein Mensch
macht’s“ beeinflußt ist, wird dem Arzt ist, drum will er was zu essen, bitte
und Naturforscher Paracelsus, eigent¬ sehr!
lich Theophrastus Bombastus von Ho¬
henheim (1493-1541), zugeschrieben.
Bei ihm allerdings (dem Wegbereiter Der Mensch erfährt, er sei auch,
der Medizin am Beginn der Neuzeit) wer er mag, ein letztes Glück und
hatte der Satz die Bedeutung, daß für ei¬ einen letzten Tag
ne erfolgreiche Behandlung gerade die Der Zweizeiler findet sich in Goethes
richtige Dosis eines Mittels entschei¬ Sammlung „Sprichwörtlich“ (1815).
dend ist. Der Dichter entnahm ihn seinem 1813
geschriebenen Epilog zum Trauerspiel
„Der Graf von Essex“, der deutschen
Mens sana in corpore sano Ausgabe von John Banks’ „The Un-
t Gesunder Geist in gesundem Körper happy Favourite“ (1682). Das Zitat
kann als eine Art Memento mori in ent¬
sprechenden Zusammenhängen, z. B.
t Denn der Mensch als Kreatur hat als Ermahnung zur Selbstbesinnung,
von Rücksicht keine Spur verwendet werden.

305
Mensch Teil I

t Denn ich bin ein Mensch gewe¬ TUnd wenn der Mensch in seiner
sen, und das heißt ein Kämpfer Qual verstummt, gab mir ein Gott
sein zu sagen, was ich leide

t Was ist der Mensch? Halb Tier, Der Mensch ist aber ein Gott, so¬
halb Engel bald er Mensch ist. Und ist er ein
Gott, so ist er schön
Das Zitat mit der zunächst etwas wider¬
t Jeder Mensch hat seinen Preis
sprüchlich klingenden Aussage wird
von jemandem gebraucht, der ausdrük-
T Hier bin ich Mensch, hier darf ken will, daß es dem Menschen aufgege¬
ich’s sein ben ist, ein richtiger Mensch erst zu wer¬
den, und daß er stets bestrebt sein sollte,
dieses Ziel zu erreichen. Es handelt sich
Der Mensch im Futteral
dabei um ein Zitat aus dem Briefroman
Das Zitat ist der Titel einer Erzählung „Hyperion“ (Bd. 1, 2. Buch, letzter
von Anton Tschechow (1860-1904; rus¬ Brief) von Friedrich Hölderlin (1770 bis
sisch; tschelowek w futljare). Die Titel¬ 1843), in dem der Dichter das Hauptthe¬
figur ist ein Griechischlehrer, der, inner¬ ma seines gesamten Dichtens, nämlich
lich völlig unfrei und allem Neuen ab¬ die Berufung zum prophetischen Dich¬
hold, nur nach obrigkeitlichen Verboten tertum, erstmals in umfassender Weise
und Anordnungen lebt und auch seine
darstellt. Das Zitat steht im Zusammen¬
Umgebung in entsprechende „Futtera¬ hang einer Reflexion über die Kultur
le“ zu zwängen versucht. Dementspre¬
des alten Athen und ist insbesondere
chend wird das Zitat verwendet, um ei¬
vor diesem Hintergrund zu verstehen.
nen übervorsichtigen, engstirnigen und
Dem Menschen als einem Wesen, das
(durch eigene Schuld) von Zwang und
nur im Augenblick lebt, bleibt es ver¬
Unfreiheit beherrschten Menschenty¬
sagt, sein eigentliches Ziel zu erreichen,
pus zu charakterisieren.
nämlich das Einssein mit der Natur,
„mit allem, was lebt“, die Teilnahme am
Ein Mensch in seinem Wider¬ Leben der Gottheit. Nur die Schönheit
spruch als Lebensprinzip im Sinne des bei den
Griechen vorgebildeten Ideals vermag
Zur Kennzeichnung der Komplexität
es, diese Diskrepanz aufzulösen. Der
und Vielschichtigkeit einer Persönlich¬
Brief, der das Zitat enthält, endet
keit verwendet man diese Formulierung,
schließlich mit den hoffnungsfrohen
die dem 26. Gedicht „Homo sum“ aus
Worten Hyperions im Anblick der
dem Zyklus „Huttens letzte Tage“ von
Trümmer Athens: „Es wird nur eine
Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)
Schönheit sein; und Menschheit und
entlehnt ist. Huttens Monolog schließt
Natur wird sich vereinen in eine allum¬
dort mit den Zeilen, die der Dichter dem
fassende Gottheit.“
Buch seit der 3. Auflage auch als Motto
voranstellte: „Das heißt: ich bin kein
ausgeklügelt Buch,/Ich bin ein Mensch Der Mensch ist das Maß aller Din¬
mit seinem Widerspruch.“ Der Huma¬ ge
nist und Publizist Ulrich Reichsritter Dieser von dem griechischen Philoso¬
von Hutten (1488-1523) zog sich nach phen Platon (427-347 v. Chr.) an ver¬
dem Scheitern seiner Pläne für ein star¬ schiedenen Stellen - unter anderen in
kes, auf die Reichsritterschaft gestütztes seinem Dialog „Theaitetos“ - überlie¬
Kaisertum vor der Verfolgung auf die ferte sogenannte Homo-mensura-Satz
Insel Ufenau im Zürichsee zurück. In stammt von dem zu den Sophisten gehö¬
Meyers Gedicht läßt er sein bewegtes renden griechischen Philosophen Prot-
Leben an seinem inneren Auge vorüber¬ agoras (um 481-411 v.Chr.). Er fand
ziehen. sich in dessen verlorener Schrift mit

306
Teil I Mensch

dem Titel „Die Wahrheit“. Bei Platon der Befreiung des Menschen aus seinem
äußert sich Sokrates in dem genannten jetzigen beklagenswert unvollkomme¬
Dialog über Protagoras in folgender nen Zustand. Im einzelnen wird dieses
Weise: „Denn irgendwo sagt er, der Thema dann im späteren Kapitel „Vom
Mensch sei das Maß aller Dinge, der höheren Menschen“ weiter ausgeführt,
seienden, daß sie sind, der nichtseien- wo es zu Beginn des Abschnitts 3 heißt:
den, daß sie nicht sind“. Man verwendet „Die Sorglichen fragen heute: ,Wie
das Zitat heute entweder negativ zur bleibt der Mensch erhalten?' Zarathu¬
Charakterisierung menschlicher Hybris stra aber fragt als der einzige und erste:
oder seltener auch positiv als Forde¬ ,Wie wird der Mensch überwunden?' -
rung, sich bei politischen und gesell¬ Der Übermensch liegt mir am Herzen,
schaftlichen Entscheidungen an den der ist mein erstes und einziges - und
wirklichen Bedürfnissen des Menschen nicht der Mensch: nicht der Nächste,
zu orientieren. nicht der Ärmste, nicht der Leidendste,
nicht der Beste. -“
t Jeder Mensch ist ein Abgrund
Der Mensch ist frei geboren und
Der Mensch ist ein auf Hoffnung doch überall in Ketten
gestelltes Wesen t Der Mensch ist frei geschaffen
t Noch am Grabe pflanzt er die Hoff¬
nung auf Der Mensch ist frei geschaffen
Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht
Der Mensch ist ein Gewohnheits¬ „Die Worte des Glaubens“ (1797). Von
tier den in dem Gedicht angesprochenen
Wenn man ausdrücken will, daß der „drei Worten des Glaubens“ lautet das
Mensch sich nicht so ohne weiteres von erste: „Der Mensch ist frei geschaffen,
seinen Gewohnheiten lösen kann, sich ist frei,/Und würd’ er in Ketten gebo¬
in manchen Situationen von ihnen zu ei¬ ren.“ Schiller postuliert hier, daß die
nem unpassenden Verhalten, einer fal¬ menschliche Freiheit nicht von äußeren
schen Reaktion verleiten läßt, so ge¬ Umständen abhängt. Der Mensch ist
braucht man sehr häufig diese sprich¬ auch „in Ketten“ frei, weil die Freiheit
wörtliche Redensart. Sie soll in der von ein innerer Zustand ist, der den Men¬
Gustav Freytag (1816-1895) und ande¬ schen über die äußeren Verhältnisse
ren geleiteten Wochenschrift „Die und auch über seine Triebnatur trium¬
Grenzboten, Zeitschrift für Politik, Lite¬ phieren läßt. (Vergleiche auch „Die Tu¬
ratur und Kunst“, Leipzig 1847, als gend, sie ist kein leerer Schall“.) Die
witzige Sentenz erstmals aufgeführt Worte Schillers stellen eine Abwand¬
worden sein. lung dessen dar, was Jean-Jacques
Rousseau (1712-1778) in seiner 1762 er¬
Der Mensch ist etwas, das über¬ schienenen Schrift „Du contrat social
ou principes du droit politique“ entwik-
wunden werden soll
kelt hatte. Diese Schrift beginnt mit den
Dieser Ausspruch, gelegentlich zitiert,
Worten: „Der Mensch ist frei geboren
wenn vom Menschen mit all seinen Feh¬ und doch überall in Ketten“ (franzö¬
lern und Unzulänglichkeiten die Rede
sisch: L’homme est ne libre, et partout il
ist, stammt von Friedrich Nietzsche
est dans les fers).
(1844-1900). ln der philosophischen
Dichtung „Also sprach Zarathustra“
Der Mensch ist nicht geboren, frei
stehen diese Worte (im vierten Teil am
Ende des Kapitels „Der häßliche
zu sein
Mensch“) in einem Zusammenhang, in Der Ausspruch wird meist zitiert, wenn
dem Nietzsche von der Notwendigkeit von den Zwängen die Rede ist, denen
einer Höherentwicklung des Menschen der Mensch im Leben unterworfen ist,
zu einem idealeren Wesen spricht, von von den Bindungen und Verpflichtun-

307
Mensch Teil I

gen, die er als soziales Wesen eingehen cher Form bereits im 5. Buch Moses
muß. Das Zitat stammt aus dem Schau¬ (8,3), sie beziehen sich also auf diese
spiel „Torquato Tasso“ von Goethe, in Stelle im Alten Testament. Man verwen¬
dem das problematische Verhältnis des det das Zitat heute, wenn man darauf
Dichters zur Gesellschaft behandelt hinweisen will, daß es für den Men¬
wird. Im Dialog mit der Prinzessin Leo- schen über das Materielle hinaus noch
nore von Este (II, 1) spricht der Dichter andere, wichtige Dinge gibt.
Tasso die Worte: „Der Mensch ist nicht
geboren, frei zu sein,/Und für den Edlen t Kein Mensch muß müssen
ist kein schöner Glück,/Als einem Für¬
sten, den er ehrt, zu dienen.“ Es klingt t Als Mensch und Christ
hier das Thema der Abhängigkeit des
Dichters vom politischen Mäzen an, das Mensch unter Menschen sein
mit bestimmend ist für die problemati¬ Diese Redewendung findet sich in dem
schen Zuspitzungen im weiteren Hand¬ kurzen Stück „Semele“ von Schiller aus
lungsverlauf des Dramas. dem Jahr 1782. Es handelt von Zeus’
(Jupiters) Liebe zu Semele, einer Prin¬
Der Mensch ist von Natur ein ge¬ zessin von Theben. Die eifersüchtige Ju¬
selliges Wesen no hat Semele in Gestalt ihrer alten Am¬
T Zoon politikon me Beroe aufgesucht und ihr Zweifel an
der wahren Identität des schönen Jüng¬
lings eingepflanzt, in dessen Gestalt sich
Der Mensch ist, was er ißt
Zeus ihr genähert hatte. Um Zeus auf
Mit diesen Worten kündigte der Philo¬ die Probe zu stellen, fragt Semele, Junos
soph Ludwig Feuerbach (1804-1872) in verderblichem Rat folgend, ob er sie als
den „Blättern für literarische Unterhal¬ Gott überhaupt lieben könne. Zeus ent¬
tung“ Jakob Moleschotts „Lehre der gegnet, daß er auf ihren Wunsch seine
Nahrungsmittel für das Volk“ (Erlan¬ Gottheit ablegen und sterblich werden
gen 1850) an. Gegen Mißinterpretatio¬ würde. Er bekräftigt dies mit den Wor¬
nen versuchte er sich durch Herausgabe ten: „Apollo selbst gestand, es sei Ent¬
der Schrift „Das Geheimnis des Opfers zücken,/Mensch unter Menschen sein -
oder Der Mensch ist, was er ißt“ zu ein Wink von dir - ich bin’s!“ Sie aber
schützen, wo der Mensch auf Grund sei¬ verlangt, daß er sie in seiner göttlichen
ner irdischen Nahrung als Sterblicher Gestalt lieben soll, und besiegelt damit
eingestuft wird. Die heute noch vertrete¬ ihr Verderben. - Man gebraucht die Re¬
ne Anschauung von der Wichtigkeit der dewendung etwa in der Bedeutung „sich
gewählten Nahrung formulierte schon an einem Ort keinen Zwängen ausge¬
der Gastronom Jean-Anthelme Brillat- setzt fühlen“.
Savarin (1756-1826) am Anfang seiner
„Physiologie du goüt“: Dis-moi ce que tu Der Mensch versuche die Götter
manges, je te dirai ce que tu es („Sage nicht
mir, was du ißt, und ich sage dir, was du
bist“). Als eine Art beschwörende Formel bei
gefährlichen Experimenten, halsbreche¬
rischen Unternehmungen o.ä. wird die¬
Der Mensch lebt nicht vom Brot
ses Zitat meist gebraucht. Es stammt aus
allein
Schillers Ballade „Der Taucher“ und
Das Zitat geht auf die Bibel zurück. Im gehört zu den Worten, mit denen der
Matthäusevangelium 4,4 spricht Jesus Taucher zu erzählen beginnt, welche
zu Satan, dem Versucher, der ihn veran¬ Schrecknisse ihm in der Tiefe des Mee¬
lassen will, Steine in Brot zu verwan¬ res begegnet sind, in die er nach dem
deln, die Worte: „Der Mensch lebt nicht Becher des Königs getaucht ist: „Da un¬
vom Brot allein, sondern von einem jeg¬ ten aber ist’s fürchterlich,/Und der
lichen Wort, das durch den Mund Got¬ Mensch versuche die Götter nicht/Und
tes geht.“ Diese Worte stehen in ähnli¬ begehre nimmer und nimmer zu schau-

308
Teil I Menschen

en,/Was sie gnädig bedecken mit Nacht mordung Wallensteins durch den Ober¬
und Grauen.“ sten Buttler - beklagt, daß diese unwi¬
derrufliche Tat zu rasch erfolgt sei. Er
Mensch, werde wesentlich! hält Buttler vor: „Mußt’ es so rasch ge¬
Von dem schlesischen Mystiker Angelus horcht sein? Konntest du/Dem Gnädi¬
Silesius (1624-1677) stammt die Samm¬ gen nicht Zeit zur Gnade gönnen?/Des
lung „Geistliche Sinn- und Schlußrei¬ Menschen Engel ist die Zeit - die ra¬
me“ mit dem Titel „Der cherubinische sche/Vollstreckung an das Urteil anzu¬
Wandersmann“. Sie umkreist in Epi¬ heften,/Ziemt nur dem unveränderli¬
grammen das mystische Verhältnis von chen Gott.“
Gott und menschlicher Seele. Im zwei¬
ten Buch des „Cherubinischen Wan¬ Des Menschen Hörigkeit
dersmanns“ findet man den Sinnspruch Unter diesem Titel wurde 1939 die erste
„Mensch, werde wesentlich! Denn deutsche Übersetzung von William So¬
wann die Welt vergeht,/So fällt der Zu¬ merset Maughams Roman Of Human
fall weg, das Wesen, das besteht“. Für Bondage (erschienen 1915) veröffent¬
den Mystiker ist damit die Wendung licht. In dem mit autobiographischen
nach innen gemeint, die Abkehr von der Elementen durchsetzten Werk wird die
zerstreuenden Außenwelt. - Der ex¬ Gebundenheit und Unfreiheit des Men¬
pressionistische Dichter Ernst Stadler schen auf Grund seiner Illusionen und
(1883-1914) griff dieses Epigramm in seiner triebhaften Affekte dargestellt.
seinem Gedicht „Der Spruch“ auf: „In Der Titel spielt auf Spinozas „Ethik“
einem alten Buche stieß ich auf ein an, deren vierter Teil von der „menschli¬
Wort,/Das traf mich wie ein Schlag und chen Knechtschaft“ handelt. - Man ver¬
brennt durch meine Tage fort:/Und wendet das Zitat auch heute mit Bezug
wenn ich mich an trübe Lust verge¬ auf die Schwäche des Menschen, seine
be,/Schein, Lug und Spiel zu mir anstatt Abhängigkeit von seinen Wunschvor¬
des Wesens hebe,/Wenn ich gefällig stellungen und Trieben.
mich mit raschem Sinn belüge,/... Wenn
mich willkommner Traum mit Sammet¬ Menschen im Hotel
händen streicht,/Und Tag und Wirk¬ Dem Drehbuch zu dem berühmt gewor¬
lichkeit von mir entweicht,/Der Welt denen amerikanischen Film aus dem
entfremdet, fremd dem tiefsten Jahr 1932 liegt der 1929 erschienene
Ich,/Dann steht das Wort mir auf: gleichnamige Roman der österreichi¬
Mensch, werde wesentlich!“ Das Zitat schen Schriftstellerin Vicki Baum zu¬
wird heute eher als scherzhaft-saloppe grunde. (Der amerikanische Titel des
Aufforderung gebraucht, zur Sache zu Films ist: „Grandhotel“.) Die Hauptrol¬
kommen, nicht zu weitschweifig zu sein. le in der ersten Verfilmung spielte Greta
Garbo. Eine deutsch-französische Neu¬
Des Menschen Engel ist die Zeit verfilmung erlebte der Stoff 1959. - Der
Dieser Ausspruch wird gelegentlich Titel kann gelegentlich als Metapher für
noch verwendet, wenn man jemanden Menschen gebraucht werden, die bezie¬
darauf hinweisen will, daß es notwendig hungslos nebeneinanderher leben.
ist, sich besonders vor wichtigen Ent¬
scheidungen Zeit zu lassen, nichts zu t Alle Menschen werden Brüder
überstürzen. Er dient aber auch als Hin¬
weis darauf, daß schlimmen Ereignissen
Menschen wie du und ich
im Dahingehen der Zeit ihr Schrecken So lautet die Überschrift einer regelmä¬
genommen wird. Es handelt sich dabei ßig in der Zeitschrift „Das Beste aus
um ein Zitat aus Schillers Drama „Wal¬ Reader’s Digest“ erscheinenden Ru¬
lenstein“. Es sind Worte des General¬ brik. - Mit dieser (auch in der Form
lieutenants Oktavio Piccolomini aus „Ein Mensch wie du und ich“ gebräuch¬
„Wallensteins Tod“ (V, 11), der - ob¬ lichen) Formulierung bezeichnet man
wohl selbst nicht unschuldig an der Er¬ Menschen, die man - meist trotz ihrer

309
Menschenköpfen Teil I

besonderen Position, ihrer Berühmtheit rung wahrer Freundschaft und Treue


oder ihrer Fremdheit - als völlig normal gedrungen ist.
und „menschlich“ charakterisieren will.
Menschliches, Allzumenschliches
t Anders als sonst in Menschen¬ Die beiden Worte sind der Titel einer im
köpfen malt sich in diesem Kopf Jahre 1878 erschienenen Sammlung von
die Welt Betrachtungen und Aphorismen Nietz¬
sches. Sie sind häufig als kommen¬
Es t gibt im Menschenleben Au¬ tierende Äußerung in Situationen zu
genblicke hören, in denen fehlerhafte Verhaltens¬
weisen, menschliche Schwächen o. ä.
Der Menschheit ganzer Jammer deutlich werden.
faßt mich an
Das Zitat, das jemandem in den Sinn t Ich bin ein Mensch, nichts
kommen kann, wenn er beispielsweise Menschliches ist mir fremd
einen Menschen in einem erbarmungs¬
würdigen Zustand antrifft. Findet sich in Ein Messer ohne Klinge, an wel¬
der „Kerkerszene“ im ersten Teil von chem der Stiel fehlt
Goethes Faust. Faust hat sich mit Me¬ Die scherzhafte Redewendung mit der
phistos Hilfe Zugang zu dem Kerker Bedeutung „ein Nichts“ stammt von
verschafft, in dem Gretchen, die Georg Christoph Lichtenberg (1742 bis
„Kindsmörderin“, gefangengehalten
1799). 1798 veröffentlichte er im „Göt-
wird. Ihr Anblick veranlaßt ihn zu die¬ tingenschen Taschenkalender“ ein sati¬
sem Ausruf tiefer Bestürzung. risches „Verzeichnis einer Sammlung
von Gerätschaften, welche in dem Hau¬
Der Menschheit Würde ist in eure se des Sir H. S. künftige Woche verauk¬
Hand gegeben tioniert werden sollen“. Dieses Ver¬
Gegen Ende des großen Gedichtes „Die zeichnis, so behauptet Lichtenberg,
Künstler“ von Schiller steht dieser Aus¬ habe er in einer englischen Privatbiblio¬
spruch. Es sind mahnende Worte, die thek gefunden.
der Dichter den Künstlern zuruft. Das
Zitat ist ein feierlicher Aufruf zu verant¬ T Bis aufs Messer
wortungsvollem, auf die allgemeine
Vervollkommnung des Menschen ge¬ t Auf des Messers Schneide stehen
richtetem Handeln. Die Stelle lautet im
ganzen: „Der Menschheit Würde ist in Mich ergreift, ich weiß nicht wie,
eure Hand gegeben./Bewahret sie!/Sie himmlisches Behagen
sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich
Mit den Zeilen „Mich ergreift, ich weiß
heben!“
nicht wie,/Himmlisches Behagen“ be¬
ginnt Goethes „Tischlied“ aus dem Jahr
Die menschliche Komödie
1802. Er schrieb es für die sogenannte
t La comedie humaine
„Mittwochsgesellschaft“, ein gesell¬
schaftlich-literarisches Kränzchen, zu
Ein menschliches Rühren fühlen dem sich Damen und Herren der Wei¬
Die in der Umgangssprache verwendete marer Gesellschaft zusammenfanden.
scherzhafte Wendung mit der Bedeu¬ Das Gedicht drückt eine allgemeine Da¬
tung „den Drang fühlen, seine Notdurft seinsfreude aus, läßt den König, die Ge¬
zu verrichten“ geht auf eine Stelle in liebte und die Freunde hochleben und
Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“ zu¬ endet mit den Worten: „Und das Wohl
rück. Dort allerdings kennzeichnet die der ganzen Welt/Ist’s, worauf ich zie¬
Zeile „Der fühlt ein menschliches Rüh¬ le.“ - Das Zitat wird als Ausdruck von
ren“ die Gefühlslage des Königs, zu Wohlbefinden und behaglicher Zufrie¬
dem die „Wundermär“ von der Bewäh¬ denheit noch gelegentlich verwendet.

310
Teil I Milchmädchenrechnung

Mich faßt Verzweiflung, foltert weisen, die nicht so leicht zu erschüttern


Spott ist.

In Carl Maria von Webers (1786-1862)


Mich wundert, daß ich so fröhlich
romantischer Oper „Der Freischütz“
bin
(Libretto von Johann Friedrich Kind)
sieht der Jägerbursche Max sein Le¬ Indem man diesen Spruch zitiert, bringt
bensglück gefährdet, da er die Hand sei¬ man zum Ausdruck, daß man eigentlich
ner geliebten Agathe nur erringen kann, gar keinen Grund zum Fröhlichsein hat.
wenn er beim traditionellen „Probe¬ Es handelt sich dabei um den letzten
schuß“ nicht versagt. Als Schütze aber Vers eines Vierzeilers von Martinus von
war er zuletzt nicht sehr erfolgreich, und Biberach aus dem Jahr 1498: „Ich leb
so endet seine Arie im 4. Auftritt des und weiß nit wie lang,/Ich stirb und
1. Aktes der Oper mit folgenden Zeilen: weiß nit wann,/Ich fahr und weiß nit
„Mich faßt Verzweiflung, foltert wohin,/Mich wundert, daß ich fröhlich
Spott! -/O dringt kein Strahl durch die¬ bin.“ Hans Thoma hat den Vierzeiler in
se Nächte?/Herrscht blind das Schick¬ seiner Autobiographie („Aus achtzig
sal? Lebt kein Gott?/Mich faßt Ver¬ Lebensjahren“) zitiert, der österreichi¬
zweiflung, foltert Spott!“ - Man ver¬ sche Schriftsteller Johannes Mario Sim¬
wendet das Zitat scherzhaft übertrei¬ mel (* 1924) gab seinem ersten Roman
bend, um der eigenen, meist nur gespiel¬ aus dem Jahr 1949 den Titel „Mich wun¬
ten Verzweiflung Ausdruck zu geben. dert, daß ich so fröhlich bin“.

Der t deutsche Michel


Mich fliehen alle Freuden
Die Milch der frommen Denkart
So beginnt ein Lied aus dem Singspiel
„La molinara“ (1788) von Giovanni Pai- Als Anklage gegen den Reichsvogt Geß-
siello (1740-1816). Der Text soll von ler, aber auch zur eigenen Rechtferti¬
dem deutschen Komponisten und Leh¬ gung sagt Wilhelm Teil in Schillers
rer Beethovens Christian Gottlob Neefe gleichnamigem Schauspiel (1804 urauf-
übersetzt worden sein. - Als Zitat kön¬ geführt) in seinem großen Monolog vor
nen die Worte als eine Art Stoßseufzer der „hohlen Gasse bei Küßnacht“, wo
verwendet werden, mit denen jemand er dem tyrannischen Vogt auflauert:
eine Situation beklagt, in der er keine „Meine Gedanken waren rein von
rechte Lebensfreude mehr empfinden Mord./Du hast aus meinem Frieden
kann. mich heraus/Geschreckt, in gärend Dra¬
chengift hast du/Die Milch der from¬
men Denkart mir verwandelt“ (IV, 3). -
Mich schuf aus gröberm Stoffe die Die „Milch der frommen Denkart“
Natur (häufig auch als „Denkungsart“ zitiert),
Mit diesem Bekenntnis entschuldigt der das ist die Geradlinigkeit der Gedanken
Feldherr Wallenstein in Schillers Dra¬ eines Menschen, das naiv-arglose, nicht
ma „Wallensteins Tod“ (2,2) seinen auf den eigenen Vorteil bedachte Ver¬
Verrat am Kaiser. Er stellt in seinem halten. Wenn jemand sich durch das
Dialog mit Max Piccolomini seinen Vorgehen anderer ihm gegenüber ge¬
Realismus gegen den Idealismus Picco¬ zwungen sieht, anders zu handeln, als es
lominis: „Mich schuf aus gröberm Stof¬ seiner inneren (friedlichen) Einstellung
fe die Natur,/Und zu der Erde zieht entspricht, kann diese Situation treffend
mich die Begierde.“ - Man könnte das mit Teils Worten charakterisiert werden.
Zitat verwenden, um damit ein Verhal¬
Milchmädchenrechnung
ten zu entschuldigen, das möglicherwei¬
se nach dem Urteil anderer größeres Von einer „Milchmädchenrechnung“
Feingefühl erfordert hätte. Man kann spricht man nach einer Fabel des deut¬
damit aber auch auf die eigene physi¬ schen Vertreters der Anakreontik Jo¬
sche oder psychische Robustheit hin¬ hann Wilhelm Ludwig Gleim (1719 bis

311
Milljöh Teil I

1803). Mit seinen in belehrender Ab¬ Mir fällt zu Hitler nichts ein
sicht geschriebenen Fabeln suchte er er¬ TZu Hitler fällt mir nichts ein
zieherisch zu wirken. Sein Gedicht „Die
Milchfrau“ geht auf die Fabel „La lai- Mir grauet vor der Götter Neide
tiere et le pot au lait“ von Jean de La
T Du hast der Götter Gunst erfahren!
Fontaine zurück. Darin rechnet sich ei¬
ne Milchverkäuferin aus, was sie alles Mir wird von alledem so dumm, als
mit dem Erlös für ihre Milch machen
ging mir ein Mühlrad im Kopf her¬
könnte. In ihrer Freude beginnt sie zu
um
hüpfen, wobei sie die Milch verschüttet,
so daß all ihre Träume zerrinnen. - Als In der zweiten Studierzimmerszene im
„Milchmädchenrechnung“ bezeichnet 1. Teil von Goethes Faust findet ein Ge¬
man daher eine Berechnung oder pla¬ spräch zwischen einem Schüler und Me¬
nende Überlegung, die auf Trugschlüs¬ phisto in der Maske Fausts statt. Mephi¬
sen beruht, einer realen Grundlage ent¬ sto erteilt dem unwissenden Neuling auf
behrt. seine Weise Rat, indem er den Wissen¬
schaftsbetrieb gründlich verspottet. Der
t Mein Milljöh Schüler, verwirrt von Mephistos Reden,
resigniert mit der Feststellung: „Mir
Dem Mimen flicht die Nachwelt wird von alledem so dumm,/Als ging
keine Kränze mir ein Mühlrad im Kopf herum.“ -
An den agierenden Schauspieler sind Man gebraucht das Zitat scherzhaft, um
diese mahnenden Worte in Schillers zu erkennen zu geben, daß man etwas
„Prolog zu Wallensteins Lager“ gerich¬ nicht recht versteht oder daß einem
tet (gesprochen bei der Wiedereröff¬ etwas zuviel wird.
nung der Schaubühne in Weimar 1798).
Mit Blindheit geschlagen sein
Im Augenblick seines Auftretens muß er
alles geben, nur so kann er als darstel¬ Die Redewendung - auch in der Form
lender Künstler „ein lebend Denkmal „wie mit Blindheit geschlagen sein“ -
sich erbaun“. Sein Lorbeerkranz ist das findet sich bereits im Alten Testament.
positive Echo der „Mitwelt“, nicht das Hier wird an verschiedenen Stellen
Lob der „Nachwelt“ (siehe auch „Denn, (1. Moses 19,11; 5. Moses 28,28 f.;
wer den Besten seiner Zeit genug getan, 2. Könige 6,18) davon berichtet, daß
der hat gelebt für alle Zeiten“). Menschen von Jahwe mit Blindheit ge¬
schlagen werden, d. h., daß sie vorüber¬
M inister fallen wie Butterbrote: gehend ihr Augenlicht verlieren. - Für
gewöhnlich auf die gute Seite uns hat die Redewendung die Bedeu¬
tung „etwas Wichtiges nicht sehen oder
Das Zitat stammt aus einer Aphoris¬
erkennen, wie blind für etwas sein“.
mensammlung von Ludwig Börne
(1786-1837). Es bezieht sich auf das jid¬
Mit dem Bezahlen wird man das
dische Sprichwort „Butterbrot fällt ufs
meiste Geld los
Ponim“ (= aufs Gesicht), das man im
Sinne von „wenn man schon Pech hat, In den „Aphorismen und Reimen“ Wil¬
dann gleich richtig“ interpretieren helm Büschs (1832-1908) finden wir
kann - wenn das Butterbrot zu Boden diese zwar triviale Erkenntnis, die aber
fällt, dann auch meist noch mit der ge¬ ihre Gültigkeit niemals verloren hat.
butterten Seite nach unten, so daß man
es nicht mehr essen kann. Börnes Apho¬ Mit dem Blute meines eigenen
rismus verändert diesen Aspekt und be¬ Herzens geschrieben
hauptet, daß der Sturz eines Ministers Diese Worte finden sich bei Goethe in
keine schlimmen Konsequenzen für ihn „Dichtung und Wahrheit“ in bezug auf
hat, sondern meist durch einen guten seinen 1774 erschienenen Briefroman
neuen Posten oder eine andere wirt¬ „Die Leiden des jungen Werthers“.
schaftliche Absicherung gemildert wird. Goethe hatte den „Weither“ im An-

312
Teil I mit

Schluß an seinen Aufenthalt am Kam¬ nung besonderer weiblicher Taktik, die


mergericht in Wetzlar geschrieben und Frauen möglicherweise zur Erreichung
seine Begegnung mit Charlotte Buff bestimmter Ziele Männern gegenüber
darin verarbeitet. - Die Goethesche anwenden.
Formulierung ist der heute gebräuchli¬
chen Redewendung „etwas mit seinem
Mit der Bombe leben
Herzblut schreiben“ sehr ähnlich, die
wir mit der Bedeutung „etwas mit gro¬ Dieser Ausspruch stammt von dem Phy¬
ßem inneren Engagement schreiben“ siker und Philosophen Carl Friedrich
gebrauchen. von Weizsäcker(* 1912). Erbezieht sich
auf die Möglichkeiten des Menschen,
im Zeitalter der Atombombe zu überle¬
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
ben, mit der Gefahr umzugehen. In ei¬
reißt der schöne Wahn entzwei
ner Reihe von Aufsätzen hat sich Weiz¬
Die beiden Verse stammen aus dem Ab¬ säcker 1958 zu diesem Thema geäußert.
schnitt von Schillers „Lied von der Die Formulierung des Ausspruchs
Glocke“, wo der Übergang von der „mit ... leben“ wurde danach allgemein
Brautzeit in die Ehe geschildert wird: gebräuchlich, und sie wird auch heute
„Ach, des Lebens schönste Feier/Endigt noch im Zusammenhang mit bestimm¬
auch den Lebensmai,/Mit dem Gürtel, ten negativen Umständen, Gefahren
mit dem Schleier/Reißt der schöne o. ä. bei unterschiedlichen Gelegen¬
Wahn entzwei./Die Leidenschaft flieht,/ heiten verwendet: „mit der Krankheit
Die Liebe muß bleiben.“ Die Zeilen leben“, „mit dem Rollstuhl leben“, „mit
werden gelegentlich ermahnend im der Arbeitslosigkeit leben“ usw.
Rahmen von Hochzeitsreden zitiert. Ein
boshafter Spötter könnte mit ihnen auch
zum Ausdruck bringen, daß sich hinter Mit der Dummheit kämpfen Göt¬
äußerer Schönheit, hinter äußerem ter selbst vergebens
Glanz oft nur eine sehr viel weniger Dieses Zitat stammt aus dem Drama
glanzvolle Wirklichkeit verbirgt. „Die Jungfrau von Orleans“ (III, 6) von
Schiller. Talbot, der im Sterben liegende
Mit dem Wissen wächst der Zwei¬ Feldherr der Engländer, spricht diese
fel Worte angesichts der Niederlage, die
die Engländer durch das französische
Die Sentenz Findet sich im ersten Teil
Heer unter der Führung der Jungfrau
von Goethes „Maximen und Reflexio¬
von Orleans erlitten haben. Das Zitat ist
nen“ unter der Nummer 410. Sie lautet
auch in der Form „Gegen Dummheit
vollständig: „Eigentlich weiß man nur,
kämpfen Götter selbst vergebens“ ge¬
wenn man wenig weiß; mit dem Wissen
bräuchlich. Es drückt aus, daß man ge¬
wächst der Zweifel.“ Dieser Satz reflek¬
gen Dummheit nicht ankommen kann.
tiert die Erfahrung, daß der Umfang
und die Abgründe eines Wissensbe¬
reichs sich vergrößern für den, der in Mit der Muttermilch eingesaugt
ihn eindringt, und daß die offenen Fra¬ haben
gen sich vermehren, statt sich zu vermin¬ Die Redewendung mit der Bedeutung
dern. „von frühester Jugend an gelernt, sich
zu eigen gemacht haben“ findet sich
Mit den Waffen einer Frau schon bei dem lateinischen Kirchenleh¬
So lautet der deutsche Titel des franzö¬ rer Augustinus (354-430). Er schrieb in
sischen Films „En cas de malheur“ aus seiner Autobiographie, den „Confessio¬
dem Jahr 1959. Dem Drehbuch liegt ein nes“ (III, 4): Nomen Salvatoris mei... in
Roman von Georges Simenon zugrun¬ ipso adhuc lade matris cor meum praebi-
de. Hauptdarsteller sind Jean Gabin berat (wörtlich übersetzt: „Den Namen
und Brigitte Bardot. - Man gebraucht meines Erlösers ... hat mein Herz zu¬
diese Redewendung zur Kennzeich¬ gleich mit der Muttermilch getrunken“).

313
mit Teil I

Mit der Seele baumeln Mit Engelszungen


Als „Schnipsel“ bezeichnete Kurt Tu¬ Wenn man mit größter Beredsamkeit
cholsky (1890-1935) kleinere Texte, mit und Eindringlichkeit jemanden von et¬
denen er in seinem Notizbuch skizzier¬ was zu überzeugen versucht, sagt man
te, was er in seiner Umwelt - oft im Cafe häufig, daß man mit „Engelszungen“
oder in der U-Bahn oder auch auf Rei¬ auf ihn einredet. Diese Wendung geht
sen - beobachtete, ln einer 1973 heraus¬ auf eine Stelle im 1. Korintherbrief im
gegebenen Sammlung solcher Aphoris¬ Neuen Testament zurück, wo es heißt
men und Gedankenblitze findet sich im (13,1): „Wenn ich mit Menschen- und
Abschnitt „Na, was haben Sie denn so mit Engelzungen redete und hätte der
für Billetts -?“ der Satz „Wir lagen auf Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz
der Wiese und baumelten mit der See¬ oder eine klingende Schelle.“
le.“ Den zweiten Teil dieses Satzes, der
das Bild eines müßig mit den Beinen Mit Euch, Herr Doktor, zu spazie¬
baumelnden Menschen auf die Seele ren, ist ehrenvoll und ist Gewinn
überträgt, zitiert man scherzhaft, wenn
In der Szene „Vor dem Tor“, am Beginn
man eine gelöste, ungezwungene Ge¬
des ersten Teils von Goethes Faust, sind
mütslage charakterisieren will.
Faust und sein Famulus Wagner unter¬
wegs bei ihrem sogenannten Osterspa¬
ziergang. Der Famulus, immer begierig,
Mit einem lachenden und einem von seinem Lehrer zu profitieren, gibt
weinenden Auge diesem Bestreben mit den obigen Wor¬
Diese Redewendung lehnt sich wohl an ten Ausdruck. - Man verwendet das
die Worte des Königs in Shakespeares Zitat beispielsweise als scherzhafte
„Hamlet“ (1,2) an, mit denen er dem Schmeichelei.
Hof seine Heirat mit der Witwe seines
von ihm ermordeten Bruders mitteilt: Mit fremden Schätzen reich bela¬
„Wir haben also unsre weiland Schwe¬ den
ster/... Mit einem heitern, einem nassen Die Verszeile stammt aus Schillers Bal¬
Aug’/... Zur Eh’ genommen“ (im engli¬ lade „Der Ring des Polykrates“ (1797).
schen Original: Therefore our sometime „Reich beladen“ kehren die Handels¬
sister .../Have we .../Wilh one auspicious schiffe des vom Glück begünstigten Ty¬
and one dropping eye,/.../Taken to wife). rannen von Samos von ihrer Reise zu¬
Man gebraucht die Wendung, um aus¬ rück: „Mit fremden Schätzen reich
zudrücken, daß man etwas Unangeneh¬ beladen,/Kehrt zu den heimischen
mes erlebt oder tut, mit dem aber auch Gestaden/Der Schiffe mastenreicher
etwas Angenehmes, Tröstliches verbun¬ Wald.“ - Man kann das Zitat scherzhaft
den ist, oder daß man etwas zwar gern verwenden, wenn beispielsweise je¬
tut oder als angenehm empfindet, aber mand schwer beladen von einem Ein¬
damit auch etwas Unangenehmes in kauf zurückkehrt oder sich von einer
Kauf nehmen muß. Reise zahlreiche Souvenirs mitgebracht
hat.

Mit eisernem Zepter Mit frommem Schauder


Wer „mit eisernem Zepter regiert“, der Die heute veraltet wirkende und des¬
führt ein sehr strenges, unnachsichtiges halb nur noch scherzhaft verwendete
Regiment. Das Zitat geht auf das Alte Fügung „mit frommem Schauder“, etwa
Testament zurück, wo im 2. Psalm von im Sinne von „ehrfurchtsvoll, in stiller
dem Sieg des Gottessohnes über seine Ehrfurcht“, stammt aus Schillers Balla¬
Feinde die Rede ist. Es heißt dort (Vers de „Die Kraniche des Ibykus“. ln dem
9): „Du sollst sie mit einem eisernen Gedicht wird mit dieser Fügung das Ge¬
Zepter zerschlagen; wie Töpfe sollst du fühl beschrieben, das den Dichter Iby¬
sie zerschmeißen.“ kus befällt, als er auf seinem Weg zu den

314
Teil I mit

„Isthmischen Spielen“ in Korinth einen zwei Dingen den Vorzug vor der bzw.
einsamen Wald, „Poseidons Fichten¬ dem anderen zu geben.
hain“, betritt (wo er dann kurz danach
von zwei Mördern überfallen und getö¬ Mit Gott für König und Vaterland
tet wird). Die Stelle lautet: „Und in Po¬ Am 17. 3. 1813 erließ der preußische
seidons Fichtenhain/Tritt er mit from¬ König Friedrich Wilhelm III. den Auf¬
mem Schauder ein.“ ruf „An mein Volk“, mit dem er sich -
nach langem Zögern - an die Spitze der
Mit fünf Mark sind Sie dabei patriotischen, gegen Napoleon gerichte¬
Seit 1960 wirbt die Fernsehlotterie „Ein ten Strömung im Volke setzte. Er Unter¬
Platz an der Sonne“ mit diesem Slogan, zeichnete dann auch die von General
der in der Zwischenzeit zum geflügelten Scharnhorst entworfene Verordnung
Wort wurde. Man verwendet es heute über die Organisation der Landwehr, in
scherzhaft in den verschiedensten Zu¬ der es hieß: „Jeder Landwehrmann wird
sammenhängen, in denen man jeman¬ als solcher durch ein Kreuz von weißem
den für etwas interessieren oder zu et¬ Blech mit der Inschrift ,mit Gott für Kö¬
was überreden möchte. nig und Vaterland' bezeichnet, welches
vorn an der Mütze angeheftet wird.“
Schon unter Friedrich I., König in Preu¬
Mit Getöse, schrecklich groß
ßen seit 1701, trugen die Fahnen ver¬
Lehrer Lämpels Pfeife, von Max und schiedener von ihm aufgestellter Land¬
Moritz - in Wilhelm Büschs gleichna¬ milizen die lateinische Aufschrift Pro
miger Bildergeschichte (erschienen deo, rege etpatria „Für Gott, König und
1865) - mit Schießpulver gestopft, ex¬ Vaterland“.
plodiert „mit Getöse, schrecklich
groß“. - Einen Vorgang begleitendes Mit Hangen und Bangen
„Getöse“ verschiedenster Art läßt sich Diese Fügung mit der Bedeutung „mit
scherzhaft mit diesem Vers aus dem großer Angst, voller Sorge, Sehnsucht“
„Vierten Streich“ der bekannten „Bu¬ lautet ursprünglich „mit Langen und
bengeschichte“ kommentieren. Bangen“, wobei unter dem Verb „lan¬
gen“ ein „verlangen, ersehnen“ zu ver¬
Mit gleicher Liebe lieb’ ich meine stehen ist. Die Formulierung geht auf ei¬
Kinder! ne Stelle in einem Gedicht von Goethe
Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬ zurück, dem Lied Klärchens aus dem
dicht „Resignation“ von 1784. Darin be¬ Trauerspiel „Egmont“ (III, Klärchens
klagt sich ein verstorbener Dichter bei Wohnung; vergleiche auch den Artikel
der Ewigkeit darüber, daß sein Leben „Glücklich allein ist die Seele, die
nur aus unerfüllter Hoffnung bestanden liebt“). Die Passage lautet: „Langen/
habe, daß aller Verzicht auf irdische Und bangen/ln schwebender Pein ..."
Freuden ihm nicht gelohnt wurde. Der Das mehrfach vertonte Lied ist beson¬
Genius der Ewigkeit antwortet ihm, daß ders durch die Bühnenmusik Beetho¬
es dem Menschen beschieden sei, sich vens zum „Egmont“ bekannt geworden.
zwischen Hoffnung und Genuß zu ent¬ Im Text zu dieser Musik ist aus „lan¬
scheiden - habe er das eine gewählt, gen“ bereits „hangen“ geworden. Diese
könne ihm das andere nicht mehr be¬ Form hat sich dann allgemein durchge¬
schieden sein: „Mit gleicher Liebe lieb’ setzt.
ich meine Kinder!“ heißt es in der 16.
Strophe, und die 17. beginnt mit den
Mit heißem Bemühn
Zeilen „Wer dieser Blumen eine brach, Dieser Ausdruck im Sinne von „sehr en¬
begehre/Die andre Schwester nicht!“ - gagiert, leidenschaftlich, unter Aufbie¬
Mit dem Zitat kann man mit einem ge¬ tung aller Kräfte“ stammt aus Goethes
wissen Pathos oder scherzhaft zum Aus¬ Faust (I. Teil, „Nacht“). Über sich selbst
druck bringen, daß man es ablehnt, ei¬ reflektierend, beginnt Faust seinen in¬
ner von zwei Personen oder einem von neren Monolog mit den Worten: „Habe

315
mit Teil I

nun, ach! Philosophie,/Juristerei und diesen Artikel). - Man verwendet das


Medizin,/Und leider auch Theolo¬ Zitat scherzhaft, wenn jemand sich
gie !/Durchaus studiert, mit heißem Be- besonders genau nach dem Preis eines
mühn.“ Gegenstands erkundigt.

Mit Mädeln sich vertragen, mit Mit Schirm, Charme und Melone
Männern rumgeschlagen und mehr Dies war der deutsche Titel einer engli¬
Kredit als Geld, so kommt man schen Fernsehserie (Originaltitel: „The
durch die Welt Avengers“ [= „Die Rächer“]), die in
Der Vierzeiler stammt aus einem weni¬ den sechziger Jahren vom deutschen
ger bekannten Singspiel Goethes, der Fernsehen ausgestrahlt wurde und die
„Claudine von Villa Bella“ (1776, zwei¬ sich großer Beliebtheit erfreute. Die bei¬
te Fassung 1788). Im ersten Aufzug singt den Hauptdarsteller, Diana Rigg und
Rugantino, eine der beiden männlichen Patrick McNee, hatten als Agenten Fäl¬
Hauptfiguren des Stücks, mit einer le ungewöhnlicher Art aufzuklären. Der
Schar Vagabunden ein Lied über das, männliche Hauptdarsteller trat dabei
was sein jüngerer Bruder „ein töricht als Gentleman mit Schirm und Melone
Leben“ nennt, über das Vagabundenle¬ auf. - Der Titel der Serie wird scherz¬
ben. Die erste Strophe dieses Liedes haft zitiert, wenn man (besonders briti¬
wird gelegentlich zitiert, um einen sehr sche) Eleganz, gepaart mit charmantem,
lockeren, unseriösen Lebensstil ironisch gewinnendem Auftreten, charakterisie¬
zu charakterisieren. ren will.

Mit Mann und Roß und Wagen, so Mit sehenden Augen nicht sehen
hat sie Gott geschlagen t Augen haben und nicht sehen; Ohren
Dies sind die Anfangszeilen eines Lie¬ haben und nicht hören
des, das der Berliner Ernst Ferdinand
August (1795-1870) nach der Niederla¬ Mit seinem Pfund wuchern
ge Napoleons in seinem Rußlandfeld¬ Die Redewendung leitet sich her aus
zug verfaßt haben und das zuerst in Ri¬ dem Gleichnis von den anvertrauten
ga 1813 erschienen sein soll. - Das Zitat, Pfunden im Lukasevangelium des Neu¬
das auch in der Variante „... hat sie der en Testaments (Kapitel 19, 12-28), wo
Herr geschlagen“ verwendet wird, kom¬ es darauf ankommt, daß die Knechte
mentiert eine vollständige Niederlage, mit dem ihnen von ihrem Herrn jeweils
die jemandem oder einer Gruppe in anvertrauten Pfund wuchern. Mit
einem bestimmten Zusammenhang be- „Pfund“ ist hier eine Münzwertsumme
schieden war. gemeint, „wuchern“ bedeutet „Gewinn
erzielen“ ohne negative Bewertung. Un¬
Mit scharfem Blick, nach Kenner¬ ter den anvertrauten Pfunden versteht
weise, seh’ ich zunächst mal nach man in der Redewendung jemandes Ta¬
dem Preise lente, Begabungen, Fähigkeiten. Die in
Diese beiden Verse stammen aus dem diesem Zusammenhang ebenfalls übli¬
ersten Kapitel von Wilhelm Büschs Bil¬ che gegensätzliche Ausdrucksweise
dergeschichte „Maler Klecksel“ aus „sein Pfund vergraben“ geht auf das
dem Jahr 1884. Busch verspottet darin entsprechende Gleichnis im Matthäus¬
den Kunstbetrieb seiner Zeit und die evangelium (Kapitel 25, 14-30) zurück,
darin agierenden Figuren. Die Verse des wo einer der Knechte seinen Zentner
Zitats sind auf die Kunstwerke und ih¬ Silber vergräbt, statt ihn Zinsen bringen
ren Wert bezogen, der mit ihrem Preis zu lassen.
auf merkwürdige Weise korrespondiert,
denn, so fährt die Textstelle fort „bei ge¬ Mit unsrer Macht ist nichts getan
nauerer Betrachtung steigt mit dem Mit diesen Worten beginnt die zweite
Preise auch die Achtung“ (siehe auch Strophe des Kirchenliedes „Ein feste

316
Teil I mitten

Burg ist unser Gott“ von Martin Luther „Behagen“ charakteristischer ist als
(1483-1546), das besonders am Refor¬ Verstand oder das Streben nach Er¬
mationsfest gesungen wird. Das Zitat kenntnis.
wird als Hinweis auf die engen Grenzen
des Menschen verwendet, auf seine Mit Windmühlen kämpfen
Ohnmacht gegenüber den höheren Die Redewendung mit der Bedeutung
Mächten, die sein Leben bestimmen. „einen aussichtslosen Kampf führen“
geht auf den Roman des spanischen
Mit verhärtetem Gemüte
Dichters Miguel de Cervantes Saavedra
Wenn jemand keine Rücksicht auf an¬ (1547- 1616) mit dem Titel „El ingenio-
dere und ihre Gefühle nimmt, sich hart¬ so hidalgo Don Quixote de la Mancha“
herzig, mitleidslos und undankbar zeigt, (deutsch: „Der sinnreiche Junker Don
so handelt er „mit verhärtetem Gemü¬ Quijote von la Mancha“) zurück. Cer¬
te“. Das Zitat stammt aus Christian vantes erzählt darin die Abenteuer sei¬
Fürchtegott Gellerts (1715-69) Lied nes tragikomischen Helden, der nach
„Die Güte Gottes“, das mit den Versen der Lektüre von allzu vielen Ritterroma¬
beginnt: „Wie groß ist des Allmächt’gen nen dem Wahn erliegt, für die Ideale des
Güte!/Ist der ein Mensch, den sie nicht überlebten Rittertums streiten zu müs¬
rührt?/Der mit verhärtetem Gemüte/ sen. So führt er im 8. Kapitel einen gro¬
Den Dank erstickt, der ihm gebührt?“ tesken Kampf gegen Windmühlen, die
er für feindliche Ritter ansieht.
Mit Verlaub, ich bin so frei
Mit diesem Busch-Zitat versucht man Mit Worten läßt sich trefflich strei¬
scherzhaft zu entschuldigen, daß man ten
ohne Aufforderung etwas tut oder
In der zweiten Studierzimmerszene im
nimmt. In Wilhelm Büschs (1832-1908)
ersten Teil von Goethes Faust äußert
„Knopp-Trilogie“, 1. Teil „Abenteuer
Mephisto (der hier für Faust gehalten
eines Junggesellen“, Abschnitt „Ab¬
wird) gegenüber dem unbedarften Schü¬
schreckendes Beispiel“ begegnet der Ti¬
ler: „Mit Worten läßt sich trefflich strei-
telheld einem Klausner, der gleich nach
ten,/Mit Worten ein System berei¬
Knopps „Wanderflasche“ greift und ten,/An Worte läßt sich trefflich glau¬
sich mit dem Kehrreim „Mir ist alles
ben,/Von einem Wort läßt sich kein Jota
einerlei./Mit Verlaub, ich bin so frei“ rauben.“ - Man verwendet das Zitat,
großzügig daraus bedient, während er um einen belanglosen Disput zu charak¬
im übrigen seiner Weltverachtung Aus¬ terisieren, der sich nur im Theoretischen
druck gibt. bewegt, bei dem nur leeres Wortgeklin¬
gel produziert wird. (Vergleiche auch
Mit wenig Witz und viel Behagen
„Denn eben, wo Begriffe fehlen, da
Diese Worte fallen in der Szene „Auer¬ stellt ein Wort zur rechten Zeit sich
bachs Keller“ im ersten Teil von Goe¬ ein“.)
thes Faust. Mephisto hat den seines Le¬
bens müden Faust aus seinem Studier¬ Mit zween Herrn ist schlecht zu
zimmer in die ganz andere Umgebung kramen
entführt. Er kommentiert dies in folgen¬
t Niemand kann zwei Herren dienen
der Weise: „Ich muß dich nun vor allen
Dingen/In lustige Gesellschaft brin¬
Mitten im Leben sind wir vom Tod
gen,/Damit du siehst, wie leicht sich’s
leben läßt./Dem Volke wird hier jeder umfangen
Tag ein Fest./Mit wenig Witz und viel Dies ist die leicht abgewandelte erste
Behagen/Dreht jeder sich im engen Zir¬ Zeile des alten Kirchenliedes „Mitten in
keltanz,/Wie junge Katzen mit dem dem Leben“. Im Lied lautet der Text
Schwanz.“ - In dem Zitat ist mit weni¬ „Mitten in dem Leben sind wir vom Tod
gen Worten die Atmosphäre der klein¬ umfangen“, in älterer Version . mit
bürgerlichen Welt eingefangen, für die dem Tod umfangen“. Es geht wohl zu-

317
mitten Teil I

rück auf die lateinische Sequenz „Me¬ Mögen hätt’ ich schon wollen,
dia vita“ des mittelalterlichen Dichters aber dürfen hab’ ich mich nicht ge¬
Notker Balbulus (Notker „der Stamm¬ traut
ler“; um 840-912). Zur deutschen Fas¬
Wer einer Versuchung aus Angst vor
sung, die schon um 1300 oder früher
Sanktionen nicht nachgegeben hat,
entstanden sein dürfte, hat Martin Lu¬
kann dies scherzhaft mit dem bekannten
ther 1524 die zweite und dritte Strophe
Karl-Valentin-Zitat zum Audruck brin¬
und eine neue Melodie geschrieben.
gen. Es stammt aus dem Stück „Das Ok¬
Das Lied fleht um den Schutz und die
toberfest“, das wahrscheinlich Ende der
Gnade Gottes und bringt die Todes¬
zwanziger Jahre in das Repertoire von
furcht und das Bewußtsein der Vergäng¬
Karl Valentin (1882-1948) und seiner
lichkeit des Menschen zum Ausdruck.
Partnerin Liesl Karlstadt aufgenommen
An letzteres erinnert auch die gelegentli¬
wurde. In dem Stück besucht ein Ehe¬
che Verwendung des Zitats als Inschrift
paar das Münchner Oktoberfest. Im
auf Grabsteinen.
Biergarten erzählt die Frau einem Tisch¬
nachbarn vom Hippodrom, in dem
Es T ist nicht gut, mitten im Strom leichtgeschürzte Reiterinnen zu sehen
die Pferde zu wechseln waren. Ihr empörter Kommentar „... de
Weibsbilder sitzen ja halbert nackert auf
t In der Mitten liegt holdes Be¬ de Gäul droben, i bin ganz rot wordn,
mein Mann hat auch nicht hinschaun
scheiden
mögn“ wird vom Ehemann mit obigen
Worten präzisiert.
Die Mitternacht zog näher schon
Dies ist der Anfang des Gedichts „Bel- Mögen sie mich hassen, wenn sie
sazer“ von Heinrich Heine (1797 bis mich nur fürchten
1856): „Die Mitternacht zog näher Dieser Ausspruch, der auf den römi¬
schon ;/In stiller Ruh’ lag Babylon.“ schen Tragödiendichter Lucius Accius
Das Gedicht handelt von dem schlim¬ (170-um 86 v. Chr.) zurückgeht, wurde
men Ende des Babylonierkönigs Belsa- von dem römischen Staatsmann und
zer und von der Flammenschrift, die an Philosophen Marcus Tullius Cicero
der Wand auftaucht, nachdem der Kö¬ (106-43 v. Chr.) überliefert und durch
nig gegen Jehova gefrevelt hat. - Man ihn zum geflügelten Wort in der Form:
verwendet das Zitat gelegentlich - ohne Oderint, dum metuant. Nach Suetons
Zusammenhang mit dem Inhalt des Ge¬ Biographie über den römischen Kaiser
dichts - in der abgewandelten Form Caligula soll dieser den Ausspruch häu¬
„die Mitternacht rückt näher schon“, fig im Munde geführt haben.
um - pathetisch oder auch scherzhaft -
darauf hinzuweisen, daß es schon spät t Ach, wie ist’s möglich dann, daß
am Abend ist.
ich dich lassen kann

Es möchte kein Hund so länger t Wär’s möglich? Könnt’ ich nicht


leben mehr, wie ich wollte?
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust
(1. Teil). Bereits im ersten Abschnitt sei¬ Der t letzte Mohikaner
nes Eingangsmonologs sagt Faust im
Zusammenhang: „Auch hab’ ich weder Der Mohr hat seine Schuldigkeit
Gut noch Geld,/Noch Ehr’ und Herr¬ getan
lichkeit der Welt;/Es möchte kein Hund Das Zitat stammt aus Schillers Trauer¬
so länger leben!“ Man zitiert die letzte spiel „Die Verschwörung des Fiesko zu
Zeile im Hinblick auf Lebensumstände, Genua“, seinem zweiten dramatischen
die unerträglich sind oder als solche Werk aus dem Jahr 1783. Der „Mohr
empfunden werden. von Tunis“, Zuträger für Fiesko bei der

318
Teil I Moorsoldaten

Verschwörung gegen den Dogen Andre¬ den Titel „Abendlied“ und ist zuerst in
as Doria, tritt im 3. Aufzug (4. Szene) Johann Heinrich Voß’ „Musenalma¬
mit diesen Worten von der Bühne ab: nach auf das Jahr 1779“ erschienen. Die
„Der Mohr hat seine Arbeit getan, der erste Strophe beginnt mit den Versen:
Mohr kann gehen.“ - Man verwendet „Der Mond ist aufgegangen,/Die gold-
das Zitat in der abgewandelten Form nen Sternlein prangen/Am Himmel hell
(„... hat seine Schuldigkeit getan“), um und klar.“ Sie werden heute noch gele¬
seiner Enttäuschung in einer Situation gentlich zitiert, um die romantische
Ausdruck zu geben, in der man für et¬ Stimmung einer stillen, klaren Mond¬
was Bestimmtes Dank erwarten konnte, nacht mit ihrem Sternenhimmel wieder¬
der einem nicht zuteil wurde. - Theodor zugeben. Manchmal wird der erste Vers
Fontane hat den zweiten Teil des Zitats allerdings auch scherzhaft - und dann
in seinem Gedicht „Die Alten und die gar nicht mehr lyrisch-stimmungsvoll -
Jungen“ verwendet. Die Schlußverse verwendet, um auf jemandes überdeut¬
dieses Gedichts lauten: „Der Mohr lich sichtbare Vollglatze anzuspielen. -
kann gehn, neu Spiel hebt an,/Sie be¬ In ähnlicher Weise wird auch die erste
herrschen die Szene, sie sind dran!“ - Hälfte der dritten Gedichtstrophe zi¬
Als scherzhafte Abwandlung ist auch tiert: „Seht ihr den Mond dort ste-
„Der Mohr hat seine Schuldigkeit ge¬ hen?/Er ist nur halb zu sehen/Und ist
tan, der Mohr kann kaum noch gehen“ doch rund und schön!“
gebräuchlich, mit der man auf die kör¬
perliche Anstrengung hinweist, die mit Mondbeglänzte Zaubernacht
einer Betätigung verbunden war. Der frühromantische Schriftsteller Lud¬
wig Tieck (1773-1853) stellte ans Ende
Einen Mohren weiß waschen wol¬ des „Der Aufzug der Romanze“ betitel¬
len ten Prologs zu seinem Lustspiel „Kaiser
Die Redewendung mit der Bedeutung Octavianus“ (1804) die Verse: „Mond¬
„Unmögliches, Widersprüchliches ver¬ beglänzte Zaubernacht,/Die den Sinn
suchen, besonders einen offensichtlich gefangen hält,/Wundervolle Märchen¬
Schuldigen durch Scheinbeweise als welt,/Steig auf in der alten Pracht!“ Mit
Unschuldigen hinstellen wollen“ hat dem von ihm geprägten Wort „Waldein¬
möglicherweise ihren Ursprung im Al¬ samkeit“ (im Kunstmärchen „Der blon¬
ten Testament, wo es im Buch des Pro¬ de Eckbert“, 1797) wurde die „mondbe¬
pheten Jeremia heißt (13,23): „Kann glänzte Zaubernacht“ zum zweiten cha¬
auch ein Mohr seine Haut wandeln oder rakteristischen Begriff für die Naturauf¬
ein Parder seine Flecken?“ Damit be¬ fassung und die symbolische Poetik der
kräftigt der Prophet, daß Gott das sün¬ Romantik. - Ludwig Uhland (1787 bis
dige Volk streng bestrafen wird, denn es 1862) griff diese Verse in seinem Ge¬
kann sich nicht einfach vom Makel des dicht „Der Romantiker und der Rezen¬
Bösen befreien. - Den gleichen Ur¬ sent“ auf und karikierte darin - unter
sprung hat wohl auch der Ausdruck Anspielung auf Gestalten aus dem
„Mohrenwäsche“, mit dem der Versuch „Octavianus“ - Tiecks Auffassung der
gemeint ist, einen offensichtlich Schul¬ Romantik.
digen durch Scheinbeweise reinzuwa¬
schen. Die Moorsoldaten
Der deutsche Schauspieler und Regis¬
Mohrenwäsche seur Wolfgang Langhoff (1901-1966)
Einen t Mohren weiß waschen wollen wurde 1933 verhaftet und ins KZ Bör¬
germoor eingeliefert. Nach seiner Ent¬
T Guter Mond, du gehst so stille lassung gelang ihm die Flucht in die
Schweiz, wo bereits 1935 ein Verlag sei¬
Der Mond ist aufgegangen nen Erlebnisbericht „Die Moorsolda¬
Das wohl bekannteste Gedicht von ten. 13 Monate Konzentrationslager“
Matthias Claudius (1740-1815) trägt veröffentlichte. Diese „Moorsoldaten“

319
Moral Teil I

waren in der Mehrzahl kommunistische gezweifelt werden dürfen, als absolut


und sozialdemokratische Häftlinge, die gelten und ein Hinterfragen hier nicht
im Moor zum Torfstechen eingesetzt nur unerwünscht ist, sondern auch fast
waren. Das Buch schildert ihr Lagerda¬ schon für „unmoralisch“ gehalten wird.
sein und ihre Art des Widerstandes, den
sie trotz der unmenschlichen Existenz¬ Ein Mord, den jeder begeht
bedingungen im KZ durchorganisierten
Unter diesem Titel erschien 1938 ein
und aufrechterhielten. In den Jahren
Roman des österreichischen Schriftstel¬
der nationalsozialistischen Diktatur war
lers Heimito von Doderer (1896-1966).
in antifaschistischen Widerstandskrei¬
Ein erfolgreicher junger Mann, der den
sen die Bezeichnung „Moorsoldaten“
Mörder seiner Schwägerin gefunden zu
ein Synonym für die Repräsentanten
haben glaubt, muß schließlich erken¬
des „besseren Deutschlands“, wie es in
nen, daß er selbst durch eigenen Leicht¬
dem Buch heißt, die „hinter Stachel¬
sinn mitschuldig an ihrem Tod ist. Dies
draht im eigenen Land gefangen“ wa¬
führt ihn zu der Einsicht, daß er sein Le¬
ren. - Besonders bekannt wurde auch
ben nicht wie bisher weiterführen kann.
das in dem Buch veröffentlichte „Bör¬
Der Titel wird manchmal zitiert, wenn
germoorlied“ mit seinem eindringlichen
man ausdrücken will, daß jeder auf ir¬
Refrain „Wir sind die Moorsoldaten/
gendeine Weise für das Schicksal seiner
Und ziehen mit dem Spaten/Ins
Mitmenschen mitverantwortlich ist.
Moor..."

t Und die Moral von der Ge¬ t Nicht der Mörder, der Ermordete
schieht’ ist schuldig

Moralische Aufrüstung Die Mörder sind unter uns


Der Ausdruck „moralische Aufrüstung“ Im Mai 1946 begannen in den DEFA-
wird heute gewöhnlich im Sinne von Studios die Dreharbeiten zum ersten
„Stärkung, Festigung der inneren Hal¬ deutschen Nachkriegsfilm, zu dem der
tung, der Disziplin, des Selbstvertrau¬ Regisseur Wolfgang Staudte (1906 bis
ens“ gebraucht. Er geht jedoch auf die 1984) auch das Drehbuch geschrieben
Bezeichnung einer Vereinigung zurück, hatte. Erzählt wird, wie ein junger Arzt
die 1921 von dem amerikanischen luthe¬
unter der Erinnerung an Kriegsverbre¬
rischen Theologen deutsch-schweizeri¬ chen, die er als Soldat miterlebt hat, lei¬
scher Herkunft, Frank Buchman
det. Nach Kriegsende heimgekehrt, er¬
(1878-1961), gegründet wurde und seit
kennt er dann in einem angesehenen Fa¬
1938 den Namen „Moralische Aufrü¬
brikanten einen Offizier wieder, der Un¬
stung“ (englisch Moral Rearmament)
schuldige hat ermorden lassen. Der Arzt
trägt. Ziel der Bewegung ist es, aus
will ihn erschießen, doch einer jungen
christlichem Geist einen sittlichen Wan¬
Frau, selbst vordem von den National¬
del der Menschheit herbeizuführen.
sozialisten verfolgt (gespielt von Hilde¬
gard Knef), gelingt es, ihn davon abzu¬
Das Moralische versteht sich im¬
bringen. Der Film wirft die Frage nach
mer von selbst
der Verantwortung des einzelnen in der
Dieser Ausspruch ist eine der Lieblings¬ unseligen jüngsten Vergangenheit auf
wendungen des skurrilen „A. E.“, der und versucht eine ernsthafte Auseinan¬
Hauptfigur in dem weitgehend autobio¬ dersetzung mit dem Problem von allge¬
graphischen Roman „Auch einer“ des meinem politischen Versagen und indi¬
deutschen Schriftstellers und Philoso¬ vidueller Schuld daran. Der Filmtitel
phen Friedrich Theodor Vischer wurde besonders in den 50er Jahren
(1807-1887). Das Zitat wird gelegent¬ zitiert, um warnend darauf hinzuweisen,
lich noch verwendet, wenn mit Ironie daß es noch immer ungesühnte Schuld
angedeutet werden soll, daß die Nor¬ gebe und daß faktisch jeder Anteil an
men der herrschenden Moral nicht an- dieser Schuld habe.

320
Teil I mors

Morgen, Kinder, wird’s was geben 1967 unter diesem Titel ins Deutsche
Mit diesen Worten beginnt ein noch übersetzt. Der gleichnamige deutsche
heute in der Vorweihnachtszeit gesun¬ Spielfilm von 1968 über das im Roman
genes Lied, dessen Text und Melodie in geschilderte heiter-komische Alltagsle¬
einer Liedersammlung vom Ende des ben einer Schriftstellerfamilie sorgte
18.Jh.s stehen. Der Liedanfang wird dann für sein rasches Bekanntwerden.
häufig zitiert, wenn auf ein unmittelbar Man zitiert den Titel (auch mit wech¬
bevorstehendes Ereignis hingewiesen selnder Uhrzeitangabe), um die frühe
werden soll. Was da auf jemanden zu¬ Morgenzeit als letzte Phase der Ruhe
kommt, muß allerdings durchaus nichts und Besinnung vor der dann hereinbre¬
Angenehmes sein, wie es der Liedtext chenden Hektik des Alltags mit all sei¬
verheißt. nen kleinen und großen Problemen zu
kennzeichnen (vergleiche auch „Wenn
süß das Mondlicht auf den Hügeln
Morgen können wir’s nicht mehr, schläft“).
darum laßt uns heute leben!
Diese Verse beschließen Schillers Ge¬
dicht „Das Siegesfest“ (1803). Man zi¬ Morituri te salutant!
tiert sie als aufmuntemden Zuruf, oft in Im 21. Kapitel seiner Biographie des
froher Runde, nicht an das Morgen zu Kaisers Claudius schreibt der römische
denken, dem Heute zu leben und den Schriftsteller Sueton (um 70-um 140),
Augenblick zu genießen. daß der Kaiser zur Volksbelustigung auf
einem See eine Seeschlacht von Gladia¬
Morgen, morgen, nur nicht heute toren ausfechten ließ. Die Kämpfer be¬
grüßten ihn vor Beginn des Schauspiels
So beginnt das Lied „Der Aufschub“,
mit den Worten A ve, imperator, morituri
das in den „Kleinen Liedern für Kin¬
te salutant! („Heil dir, Kaiser, die Tod¬
der“ des deutschen Schriftstellers Chri¬
geweihten grüßen dich!“). Als scherz¬
stian Felix Weiße (1726-1804) enthal¬
haftes Zitat wird diese Grußformel -
ten ist. Vollständig lauten die ersten bei¬
meist ohne die Anrede oder in der Ab¬
den Zeilen: „Morgen, morgen, nur nicht
wandlung Ave, Caesar, morituri te salu¬
heute 1/Sprechen immer träge Leute“.
tant - verwendet, wenn eine Gruppe
Man zitiert diese Worte (heute in der
von Menschen (zum Beispiel eine
Form „Morgen, morgen, nur nicht heu¬
Schulklasse oder eine Sportmannschaft)
te, sagen alle faulen Leute“), wenn je¬
sich einem drohenden Unheil (wie etwa
mand etwas, was eigentlich gleich getan
einer schwierigen Klassenarbeit oder
werden müßte, aus Bequemlichkeit lie¬
einem übermächtigen Gegner) gegen¬
ber später erledigen will und sich damit
übersieht.
herausredet, morgen sei ja auch noch
ein Tag.
Mors certa, hora incerta
t Ich wittre Morgenluft Diese lateinische Inschrift ist gelegent¬
lich auf Uhren, aber auch auf Grab¬
Morgenrot, leuchtest mir zum frü¬ denkmälern zu findep. Sie bedeutet
hen Tod übersetzt: „Der Tod ist gewiß, die Stun¬
TAch, wie bald schwindet Schönheit de ungewiß.“ Ihr Ursprung ist nicht
nachgewiesen. Den Gedanken, daß
und Gestalt!
zwar das Ende eines jeden Menschen
vorbestimmt, der Zeitpunkt jedoch
Morgens um sieben ist die Welt nicht vorhersehbar ist, findet sich auch
noch in Ordnung im Matthäusevangelium, wo es heißt:
Der 1965 erschienene Roman Morning’s „Darum wachet; denn ihr wisset weder
at seven des englischen Schriftstellers Tag noch Stunde, in welcher des Men¬
Eric Lawson Malpass (* 1910) wurde schen Sohn kommen wird“ (Matthäus

321
Moselfahrt Teil I

25,13). - Eine früher bei Schülern be¬ Mücken seihen und Kamele ver¬
liebte scherzhafte „Übersetzung“ des schlucken
lateinischen Spruches war: „Todsicher
Im Matthäusevangelium ruft Jesus über
geht die Uhr falsch“ (lateinisch „horae“
die Schriftgelehrten und Pharisäer aus:
[Plural] = Uhr).
„Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mük-
ken seihet und Kamele verschluckt!“
Moselfahrt aus Liebeskummer (Matthäus 23,24). Mit der aus dieser Bi¬
Dies ist der Titel einer Erzählung mit belstelle entstandenen Wendung bringt
dem Untertitel „Novelle in einer Land¬ man tadelnd zum Ausdruck, daß es je¬
schaft“ von Rudolf G. Binding, die 1932 mand mit unbedeutenden Kleinigkeiten
veröffentlicht wurde. Darin wird eine äußerst genau nimmt, sich aber um die
junge Frau beschrieben, die den Zweck wirklich wichtigen Dinge viel zu wenig
ihrer Reise durch die Mosellandschaft kümmert.
mit den Worten „Ich fahre eigentlich -
aus Liebeskummer an die Mosel!“ er¬ Müde bin ich, geh’ zur Ruh’
läutert. Der 1953 von Kurt Hoffmann Die deutsche Lyrikerin Luise Hensel
unter dem gleichen Titel gedrehte Spiel¬ (1798-1876), eine Pfarrerstochter, die
film beruht auf Motiven aus Bindings zum Katholizismus konvertierte und
Novelle. - Das Zitat lebt vor allem in später auch ins Kloster ging, wurde be¬
scherzhaften Abwandlungen weiter (wie kannt als Dichterin gemütvoller geistli¬
zum Beispiel „Moselfahrt nicht ohne cher Gedichte und Lieder. Eine weite
Kummer“, womit in einer Zeitungs¬ Verbreitung fand ihr Abendgebet, das
überschrift auf Probleme der Mosel¬ mit dem zitierten Vers beginnt. Man ver¬
schiffahrt hingewiesen werden könnte). wendet ihn heute meist scherzhaft,
wenn man ermüdet ist und sich deshalb
t Wenn sich der Most auch ganz aus einer geselligen Runde verabschie¬
absurd gebärdet, es gibt zuletzt den will, um zu Bett zu gehen. Gelegent¬
doch noch ’nen Wein lich kommentiert man mit diesen Wor¬
ten auch das unverhohlene herzhafte
Gähnen eines anderen. - Eine scherz¬
t Was die Motten und der Rost hafte Abwandlung des Liedanfangs lau¬
nicht fressen, das holen die Diebe tet: „Müde bin ich Känguruh, decke
des Nachts meinen Bierbauch zu.“

Die Möwen sehen alle aus, als ob Der Muff von tausend Jahren
sie Emma hießen Der Ausdruck, mit dem man etwas als
Mit diesen Versen beginnt das „Möwen¬ abgestanden, verstaubt oder veraltet
lied“ von Christian Morgenstern charakterisiert, geht auf einen Slogan
(1871-1914). Es stammt aus der Ge¬ der Studentenbewegung der sechziger
dichtsammlung, der Morgenstern den Jahre zurück. Die Verhältnisse an den
Titel „Galgenlieder“ gab . Die „Galgen¬ Universitäten mit ihren autoritären
lieder“ wie die Gedichte der später fol¬ Strukturen hatten den Spottvers „Unter
genden Sammlungen „Palmström“, den Talaren Muff von tausend Jahren“
„Palma Kunkel“ und „Der Gingganz“ hervorgebracht.
sind aus der Freude an Sprachspielen
hervorgegangen. Morgenstern widmete Die Müh’ ist klein, der Spaß ist
die „Galgenlieder“ dem „Kind im Men¬ groß
schen“, von dem er sagte: „Das will Im 1. Teil von Goethes Faust führt Me¬
auch in der Kunst mit-spielen, mit¬ phisto Faust auf den Blocksberg, damit
schaffen dürfen und nicht so sehr bloß dieser hier im wilden Treiben der Wal¬
bewundernder Zuschauer sein. Denn purgisnacht Gretchen vergesse (Szene
dieses ,Kind im Menschen' ist der un¬ „Walpurgisnacht“). Dort angelangt, bit¬
sterbliche Schöpfer in ihm ..." tet Mephisto die Hexen mit folgenden

322
Teil I Münchhauseniade

Worten, ihm gefällig zu sein: „Seid aber nicht vielerlei“), die auch in der ab¬
freundlich nur um meinetwillen ;/Die gewandelten Form Non multa, sed mul¬
Müh’ ist klein, der Spaß ist groß.“ Heu¬ tum („Nicht vielerlei, sondern viel“) ge¬
te wird der 2. Vers dieses Zitats ganz all¬ bräuchlich wurde. Beide werden heute
gemein verwendet, um auszudrücken, zitiert, um allgemein auszudrücken, daß
daß es sich in einer bestimmten Angele¬ es besser ist, weniges mit der gebotenen
genheit durchaus lohnt, sich ein wenig Gründlichkeit zu tun, als vieles nur
anzustrengen, da das dadurch Erreichte oberflächlich zu behandeln. (Vergleiche
für alle Mühen entschädigt. auch „Weniger wäre mehr gewesen“.)

Die Mühen der Gebirge liegen hin¬ München leuchtet


ter uns, vor uns liegen die Mühen Thomas Manns Novelle „Gladius Dei“
der Ebenen (1903) beginnt mit den Worten „Mün¬
Diese Verse sind der Schluß des 1949 chen leuchtete“, in denen sich die Sze¬
gedichteten Epigramms „Wahrneh¬ nerie einer lebensfrohen, dem Sinnli¬
mung“ von Bertolt Brecht (1898-1956). chen zugewandten Stadt bereits andeu¬
Er drückt darin seine Empfindung aus, tet, vor deren Hintergrund der asketi¬
daß der neuen politischen Idee, für die sche Eiferer Hieronimus vergeblich ver¬
gekämpft worden ist, nun trotz aller blu¬ sucht, dem Kunsthändler Blüthenzweig
tigen Unterdrückungsversuche der Sieg die Verwerflichkeit eines ausgestellten
über alte Denkweisen gelungen ist. Al¬ lasziven Madonnenbildes deutlich zu
lerdings werden sich jetzt aber verstärkt machen. Der heutige Gebrauch des Zi¬
tats, bei dem gelegentlich auch der Na¬
Probleme da zeigen, wo das Neue im
Alltag umgesetzt werden muß und sich me einer anderen Stadt eingesetzt wird,
betont kritisch eine übertriebene, über¬
bei den kleinen, jedoch manchmal un¬
kommerzialisierte Geschäftigkeit, eine
überwindlich scheinenden Schwierig¬
urbane Gesellschaft, die nur Geld und
keiten des täglichen Lebens zu bewäh¬
Glamour als Wertmaßstäbe anerkennt.
ren hat. Brechts Worte werden heute
noch zitiert, wenn allgemein ausge¬
Münchhaus[en]iade
drückt werden soll, daß ein Durchbruch
zwar erreicht ist, die Praxis aber jetzt zur Der deutsche Offizier Karl Friedrich
eigentlichen Bewährungsprobe wird. Hieronymus Freiherr von Münchhau¬
sen (1720-1797) erzählte nach einem
f Mir wird von alledem so dumm, abenteuerlichen Leben in fremden Län¬
als ging mir ein Mühlrad im Kopf dern und der Teilnahme an zwei Tür¬
kenkriegen die unglaublichsten Kriegs-,
herum
Jagd- und Reiseabenteuer. Eine große
Zahl Schwankerzählungen, die angeb¬
Mulier taceat in ecclesia
lich von ihm stammten, erschien
Die TFrau schweige in der Gemeinde 1781-83 im „Vademecum für lustige
Leute“. Sie wurden 1785 von dem deut¬
Multum, non multa schen Schriftsteller Rudolf Erich Raspe
Der römische Politiker und Schriftstel¬ (1737-1794) erweitert und unter dem
ler Plinius der Jüngere (61/62-um 113) Titel „Baron Munchhausen’s narrative
legte in einem Brief an einen Freund of his marvellous travels and campaigns
dar, daß für ihn die Kunst des richtigen in Russia“ ins Englische übertragen.
Lesens darin bestehe, viel und gründlich Gottfried August Bürger (1747-1794)
zu lesen, aber mit Bedacht und Sorgfalt übersetzte die 2. englische Auflage wie¬
in der Auswahl des Lesestoffes: Aiunt der ins Deutsche, erweiterte sie und gab
multum legendum esse, non multa („Man ihr ihre volkstümliche Form. Es folgten
sagt, es müsse viel, aber nicht vielerlei zahlreiche literarische Bearbeitungen
gelesen werden“; Epistolae VII, 9,15). und 1943 auch eine Verfilmung (Dreh¬
Daraus entwickelte sich die lateinische buch von Erich Kästner). - Nach diesen
Sentenz Multum, non multa („Vieles, „Lügengeschichten“ bezeichnet man

323
mundus Teil I

seit der 2. Hälfte des 18.Jh.s eine spe¬ mel. In Anspielung darauf, daß nicht
zielle Form der sogenannten Lügen¬ nur das Beste, Feinste erstrebenswert
dichtungen und später auch allgemein ist. Einfacheres entsprechend auch oft
unglaublich klingende Erzählungen als genügen kann, wird dieses Zitat heute in
„Münchhaus[en]iaden“. unterschiedlichen Zusammenhängen
mit wechselndem Objekt herangezogen.
Mundus vult decipi Ein Artikel über das Radwandern in
Die t Welt will betrogen sein einer Zeitschrift stand beispielsweise
unter dem Motto „Es muß nicht immer
t Und munter fördert er die Schrit¬ Auto sein“.
te
Es muß was Wunderbares sein,
Musik wird oft nicht schön gefun¬ von dir geliebt zu werden
den, weil sie stets mit Geräusch
Bei diesem Zitat aus dem 1930 in Berlin
verbunden
uraufgeführten Singspiel „Im weißen
Dies stellt Herr Knoll in der Bilderge¬ Rößl“ (Text: Robert Gilbert) handelt es
schichte „Der Maulwurf“ von Wilhelm sich um den Anfang eines Liedes, mit
Busch (1832-1908) fest (in: „Didel- dem der Zählkellner Leopold seine ihm
dum“, 1874), als ein Bettelmusikanten¬ nicht zugeneigte Chefin, die Wirtin Jo-
chor ihn mit Blasmusik bei der Maul¬ sepha Vogelhuber, umschwärmt. Der
wurfsjagd stört. Auch heute gibt es häu¬ zweite Teil des oft auch scherzhaft ge¬
fig Anlaß, diesen Vers zu zitieren, der brauchten Zitats kann auf vielfältige
auch in der Abwandlung „Musik wird Weise abgewandelt werden.
störend oft empfunden, weil sie mit Ge¬
räusch verbunden“ gebräuchlich ist.
Mut zeiget auch der Mameluck,
Es muß auch solche Käuze geben Gehorsam ist des Christen
Schmuck
Mit diesen Worten aus Goethes Tragö¬
die Faust (Teil I, Marthens Garten) ver¬ Das Zitat stammt aus Schillers Ballade
sucht Faust Gretchen die Angst vor dem „Der Kampf mit dem Drachen“, er¬
ihr unheimlichen Mephisto zu nehmen. schienen 1798 im „Musenalmanach für
Heute wird mit dem Zitat beiläufig-be- das Jahr 1799“. Mit diesen Worten rügt
schwichtigend zum Ausdruck gebracht, der Großmeister des Johanniterordens
daß, bezogen auf sonderbare, eigenbröt¬ den Ordensritter, der den Drachen auf
lerische Männer, nun einmal nicht alle der Insel Rhodos getötet, aber das Ge¬
gleich angenehm oder sympathisch sein horsamsgelübde verletzt hat, das den
können. Kampf verbietet. Man zitiert vor allem
die erste der beiden Verszeilen (auch in
Es muß doch Frühling werden der Abwandlung „Mut zeigt auch der
Mit diesem Stoßseufzer wird bei einem lahme Muck“) scherzhaft als Aufforde¬
nicht enden wollenden Winter der Hoff¬ rung an sich selbst oder andere, nicht
nung Ausdruck verliehen, daß der er¬ zaghaft zu sein, etwas zu riskieren.
sehnte Frühling sehr bald kommen
wird. Das Zitat stammt aus Emanuel Dem Mutigen hilft Gott
Geibels (1815-1884) Gedicht „Hoff¬
In der 2. Szene des 1. Auftritts von
nung“.
Schillers Schauspiel „Wilhelm Teil“
fordert mit diesen Worten Getrud Stauf¬
t Und muß ich dich so wiederfin¬
facher ihren Gatten Werner auf, ohne
den?
Rücksicht auf beider Schicksal der Ty¬
rannei der Reichsvögte Widerstand ent¬
Es muß nicht immer Kaviar sein
gegenzusetzen. Einen ähnlichen Gedan¬
Dies ist der Titel eines 1960 erschiene¬ ken enthält schon die bei den römischen
nen Romans von Johannes Mario Sim¬ Autoren Terenz (185/195-159 v. Chr.)

324
Teil I nach

und Cicero (106-43 v. Chr.) überlieferte 73). Der Satz wurde in der Form An
lateinische Sentenz Fortes fortuna adiu- Englishman’s home is his castle bald im
vat, deutsch: „Den Mutigen hilft das Englischen populär und fand vor allem
Glück.“ Auch im Deutschen findet man in der Abwandlung My home is my
diese Erkenntnis schon früh. So schreibt castle dann auch im Deutschen Verbrei¬
der Grammatiker und Schriftsteller tung. Man zitiert ihn heute, um zum
Justus Georg Schottel (1612-1676): Ausdruck zu bringen, daß alles, was in
„Mensch, hilf dir selbst, so hilfet Gott den eigenen vier Wänden geschieht, nie¬
mit.“ Und der Volksmund kennt seit manden etwas angeht und diese Privat¬
dem Mittelalter das Sprichwort: „Hilf sphäre für alle anderen tabu ist.
dir selbst, so hilft dir Gott.“
Myne Fru de Ilsebill will nich so,
t Und die Mutter blicket stumm as ik wol will
auf dem ganzen Tisch herum Dieses Zitat stammt aus dem nieder¬
deutschen Märchen „Von dem Fischer
Mutter Courage un syner Fru“ aus der Sammlung der
Der Name der Titelgestalt aus Bertolt Brüder Jakob und Wilhelm Grimm
Brechts Bühnenstück „Mutter Courage (1785-1863 bzw. 1786-1859). Ein Fi¬
und ihre Kinder“ (1939 geschrieben, scher gibt einem Butt, den er geangelt
1941 uraufgeführt) wird als Bezeich¬ hat, seine Freiheit wieder, weil dieser
nung für eine Frau verwendet, die sich vorgibt, ein verwunschener Prinz zu
trotz Niederlagen in ihrer Umgebung sein. Seine Frau bedrängt ihn daraufhin
durch ihre Vitalität und zupackende Art immer wieder, er möge von dem Butt
behauptet. Im Theaterstück, das im verlangen, dieser solle aus Dankbarkeit
Dreißigjährigen Krieg spielt, zieht die ihre von Mal zu Mal anspruchsvolleren
Marketenderin Anna Fierling, genannt Wünsche erfüllen. Gegen seine innere
Mutter Courage, durch die Kriegsgebie¬ Überzeugung geht der Fischer jedesmal
te, um Geschäfte zu machen und sich zum See und ruft den Butt mit den Wor¬
und ihren drei Kindern ein Auskommen ten: „Manntje, Manntje, Timpe Te,/
zu sichern. Durch den Krieg, an dem sie Buttje, Buttje in der See,/myne Fru de
verdient, verliert sie alle ihre Kinder. Ilsebill/will nicht so, as ik wol will.“
Heute wird das Zitat scherzhaft ge¬
TVon Mutterleib und Kindesbei¬ braucht, wenn ein Mann resignierend
nen an zum Ausdruck bringen will, daß seine
Frau einen sehr eigenen Kopf hat, und
TMit der Muttermilch eingesaugt er bestimmte Dinge nicht tun würde,
haben wenn er nicht mit ihr verheiratet wäre.

My home is my castle
Diese englische Maxime (übersetzt
„Mein Heim ist meine Burg“) geht auf
den englischen Juristen und Politiker
Sir Edward Coke (1552-1634) zurück.
Im 3. Band seiner Sammlung und In¬
terpretation alter englischer Gesetze
und Gerichtsbeschlüsse („Institutes“)
N
schrieb er, daß es einem Hausherrn sehr
wohl gestattet sein müsse, sich gegen
Nach Adam Riese
Diebe, Räuber und Angreifer zur Wehr Dieser Ausdruck bezieht sich auf den
zu setzen und zusammen mit Freunden „Rechenmeister“ Adam Ries[e] (um
und Nachbarn seinen Besitz mit Waf¬ 1492-1559), der mehrere in deutscher
fengewalt zu verteidigen, for a man’s Sprache geschriebene Lehrbücher ver¬
house is his castle („denn eines Mannes faßte, die in seiner Zeit weite Verbrei¬
Haus ist seine Burg“; 3rd Institute, cap. tung fanden. Vor diesem Hintergrund

325
nach Teil I

entstand die Redensart „nach Adam men die Worte vom „Gesetz, wonach du
Riesens Rechenbuch“, die heute in der angetreten“. Mit diesem Gesetz bezieht
verkürzten Form „nach Adam Riese“ sich Goethe auf die in den „orphischen
gebraucht wird. Sie bedeutet - in Ver¬ Lehren“ überlieferte älteste griechische
bindung mit einer Zahlenangabe - so¬ Naturanschauung und Mythologie, wo¬
viel wie „richtig gerechnet“. nach der Mensch von seiner Geburt an
unter der Einwirkung der Himmelskör¬
Nach allen Regeln der Kunst per als Person von begrenzter, unzer¬
störbarer Individualität festgelegt ist
Die Redewendung geht wahrscheinlich
und sich danach in ganz bestimmter ge¬
auf den Meistergesang zurück, in dessen
setzmäßiger Weise entwickeln muß. Die
sogenannter „Tabulatur“ die Regeln
ersten vier Zeilen der Stanze lauten:
und Konventionen der Kunst des Mei¬
„Wie an dem Tag, der dich der Welt ver-
stergesangs niedergelegt waren. Mögli¬
liehen,/Die Sonne stand zum Gruße der
cherweise ist der Ursprung der Wen¬
Planeten,/Bist alsobald und fort und
dung aber auch in einer Äußerung des
fort gediehen/Nach dem Gesetz, wo¬
Preußenkönigs Friedrich II. zu sehen.
nach du angetreten.“ Wenn heute von
Er soll während des Siebenjährigen
dem Gesetz gesprochen wird, nach dem
Krieges am Vorabend der Schlacht bei
jemand angetreten ist, so geschieht dies
Leuthen (1757) gesagt haben, er werde
oft unter ganz anderen Gesichtspunk¬
„gegen alle Regeln der Kunst“ den viel
ten. Es handelt sich dann meist um die
stärkeren Feind angreifen. - Heute wird
(selbstgesetzten) Maximen, die jeman¬
die Redewendung zum einen im Sinne
des Tun bestimmen, oder um die äuße¬
von „ganz vorschriftsmäßig; in jeder
ren Gegebenheiten, nach denen er sich
Hinsicht so, wie es sein sollte“ ge¬
richten muß.
braucht, zum andern gibt es auch eine
umgangssprachliche Verwendung mit
der Bedeutung „gründlich, gehörig“. Nach drüben ist die Aussicht uns
verrannt
Nach Canossa gehen wir nicht Die Erkenntnis, nicht über die Grenzen
Diesen Ausspruch tat Otto von Bis¬ unserer Welt hinausblicken zu können,
marck auf dem Höhepunkt des Kultur¬ klingt in Goethes Faust II weniger resi-
kampfes am 14. 5. 1872 im Deutschen gnativ. Im 5. Akt beschränkt Faust ge¬
Reichstag anläßlich der Ablehnung des genüber der Gestalt der Sorge die
Kardinals Hohenlohe als deutschen menschliche Erkenntnis und Aktivität
Botschafters durch Papst Pius IX. Er bewußt auf das Diesseits: „Nach drü¬
spielte damit auf den Büßgang Kaiser ben ist die Aussicht uns verrannt ;/Tor,
Heinrichs IV. im Jahr 1077 zu Papst wer dorthin die Augen blinzelnd rich¬
Gregor VII. an, mit dem der Kaiser die tet,/... Er stehe fest und sehe hier sich
Aufhebung des Kirchenbanns erreichen um;/Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht
wollte. Ein Gang nach Canossa oder stumm ;/Was braucht er in die Ewigkeit
nach Canossa zu gehen bedeutet, eine zu schweifen!“
tiefe Selbsterniedrigung auf sich zu neh¬
men, die einem äußerst schwerfällt, ob¬ Nach Golde drängt, am Golde
wohl sie von der Situation her gefordert
hängt doch alles
ist.
Das Zitat stammt aus Goethes Faust I
(Szene „Abend“). Margarete stellt diese
Nach dem Gesetz, wonach du an¬
Betrachtung an, als sie den von Mephi¬
getreten
sto in ihr Zimmer geschmuggelten
Unter der Überschrift „Urworte. Or- Schmuck entdeckt. In Vergils (70-19
phisch“ hat Goethe fünf Gedichte in v. Chr.) „Äneis“ (III, 57) wird schon mit
Stanzenform zusammengefaßt. Aus Auri sacra fames! die verwünschte Gold¬
dem ersten dieser Gedichte, das den Ti¬ gier beklagt. „Hat man nicht auch Gold
tel „AAIMON“ („Dämon“) trägt, stam¬ beineben ..." ist auch der Stoßseufzer in

326
Teil I Nachbarin

der sogenannten Gold-Arie des Kerker¬ schen Fabeldichters Äsop beigetragen


meisters Rocco im 1. Akt von Ludwig haben. Darin gelingt es dem Flötenspie¬
van Beethovens (1770-1827) Oper „Fi- ler mit seinem Spiel nicht, die Fische an
delio“ (Text von Joseph Sonnleithner Land zu locken. Schließlich fängt er sie
und Georg Friedrich Treitschke nach mit einem Netz und sagt zu den darin
Jean Nicolas Bouilly). Zappelnden: „Ihr schlimmen Tiere, als
ich flötete, wolltet ihr nicht tanzen; wo
Nach innen geht der geheimnis¬ ich aber aufgehört habe, tut ihr’s.“
volle Weg
„Nach innen geht der geheimnisvolle Nach mir die Sintflut!
Weg. In uns oder nirgends ist die Ewig¬ Die Redensart, auch in der Abwandlung
keit mit ihren Welten, die Vergangenheit „Nach uns die Sintflut!“ gebräuchlich,
und Zukunft.“ Mit diesen Worten cha¬ bedeutet soviel wie: „Was danach
rakterisiert Novalis (eigentlich Georg kommt, wie es hinterher aussieht, ist mir
Friedrich von Hardenberg; 1772-1801) gleichgültig.“ Sie ist aus dem Ausspruch
den Unterschied in der Konzeption der Marquise de Pompadour (1721 bis
seines Bildungsromans „Heinrich von 1764), der Mätresse Ludwigs XV., ange¬
Ofterdingen“ etwa zu Wielands „Aga- sichts der verlorenen Schlacht bei Ro߬
thon“ oder Goethes „Wilhelm Meister“. bach 1757 entstanden: Apres nous le
Die Welterfahrung, die sein Held sam¬ deluge! Im Jahr darauf gebraucht der
melt, ist nicht nur ein Anhäufen stets Abbe de Mably (1709 bis 1785) dieses
neuer, äußerer Eindrücke. Was er sich Zitat im 6. Brief seiner „Droits et de-
an Bildung erwirbt, ist vor allem ein In¬ voirs du citoyen“ („Rechte und Pflich¬
newerden von etwas lange Vergesse¬ ten des Bürgers“) in bezug auf das fran¬
nem, ein Auffinden von etwas im eige¬ zösische Parlament: L’avenir les inquiete
nen Inneren „Verschütteten“. Novalis peu: apres eux le deluge („Die Zukunft
will damit sagen, daß der Mensch alles, beunruhigt sie wenig: nach ihnen die
was er in der Welt vorfindet, nur dann Sintflut“).
als „Bildungsgut“ in sich aufnehmen
kann, wenn bereits in seinem Inneren Nach’m Krieg, um sechs Uhr
der Boden dafür bereitet ist und so Diese bei einer Verabschiedung oder
die äußeren Reize die inneren Anlagen Verabredung gelegentlich zu hörende
zum Leben erwecken. - Hermann Hesse scherzhafte Bemerkung geht zurück auf
vereinigte 1931 seine Dichtungen eine berühmt gewordene Abschiedszene
„Siddharta“, „Klingsors letzter Som¬ in dem satirischen Roman „Die Aben¬
mer“, „Klein und Wagner“ und „Kin¬ teuer des braven Soldaten Schwejk wäh¬
derseele“ zu dem Sammelband „Der rend des Weltkrieges“ des tschechi¬
Weg nach innen“. Er reflektiert hierin schen Schriftstellers Jaroslav Hasek
die Erlebnisse seiner Indienreise (1910) (1883-1923): An der Front verabschie¬
und spricht sich für Verzicht und Kon¬ det sich der Freund von Schwejk und
templation an Stelle von gesellschaftli¬ verabredet das nächste Zusammentref¬
cher Aktivität aus. fen mit den Worten: „Also, nach'm
Krieg, um sechs Uhr abend!“
Nach jemandes Pfeife tanzen
Diese Redewendung mit der Bedeutung Nachbarin! Euer Fläschchen!
„gezwungenermaßen oder willenlos al¬ Gerade noch diese Bitte um das Riech¬
les tun, was jemand von einem verlangt“ fläschchen der Banknachbarin in der
geht davon aus, daß sich die Tänzer im Kirche kann Gretchen am Ende der Sze¬
allgemeinen nach der Musik richten. ne „Dom“ im 1. Teil von Goethes Faust
Die Pfeife (= Flöte) war früher ein bei stammeln, dann fällt sie in Ohnmacht.
Tanzmusik sehr häufig verwendetes In¬ Sie hat den Tod ihrer Mutter verschul¬
strument. Zur allgemeinen Verbreitung det, ihr Bruder wurde ermordet, und sie
der Wendung mag auch die Fabel vom muß jetzt am Trauergottesdienst teil¬
Flöte blasenden Fischer des griechi¬ nehmen, von Faust erwartet sie ein

327
nächste Teil I

Kind - das ist zuviel für Gretchen. - sons die Pariser Julirevolution von 1830
Wer heute diese Worte zitiert, denkt ausgelöst haben soll.
wohl kaum an die Tragik dieser Situati¬
on, sondern will scherzhaft zum Aus¬ Nacht muß es sein, wo Friedlands
druck bringen, daß ihn etwas fast aus Sterne strahlen
der seelischen Fassung bringt. Auch Ab¬
Die Worte, mit denen man sich in einer
wandlungen des Zitats sind üblich, wo¬
Situation, in der sich alles gegen einen
bei die verschiedensten Gegenstände
zu verschwören scheint, halb ironisch
erbeten oder aber einem anderen ange-
Mut zusprechen kann, sagt Wallenstein,
boten werden können.
Herzog von Friedland, in Schillers Tra¬
gödie „Wallensteins Tod“ (III, 10). Als
Der nächste Winter kommt be¬
ihn fast alle Anhänger verlassen und die
stimmt meisten Regimenter dem Kaiser neu ge¬
Mit dem scherzhaften oder leicht ironi¬ huldigt haben, fühlt er sich endlich frei,
schen Satz, in dem „Winter“ auch durch weil für ihn die Notwendigkeit entschei¬
etwas anderes ersetzt werden kann, wird det: „Die Brust ist wieder frei, der Geist
eine sehr frühe Vorsorge für etwas kom¬ ist hell,/Nacht muß es sein, wo Fried¬
mentiert. Ursprünglich handelt es sich lands Sterne strahlen./Mit zögerndem
bei dem Zitat um einen Werbeslogan Entschluß .../Zog ich das Schwert, .../Da
der Firma Rheinischer Braunkohlenbri¬ es in meine Wahl noch war gegeben./
kett-Verkauf GmbH. Notwendigkeit ist da, der Zweifel
flieht,/Jetzt fecht’ ich für mein Haupt
Nacht fiel über Gotenhafen und für mein Leben.“
Bei dem Zitat handelt es sich um den Ti¬
tel eines Films von Frank Wisbar aus t Wenn es Nacht wird in Paris
dem Jahr 1959. Der Film schildert den
Untergang der mit 6000 Flüchtlingen Nachtigall, ick hör’ dir trapsen
überladenen „Wilhelm Gustloff“, die Die saloppe Redensart, mit der man
im Januar 1945 vor Gotenhafen in der kundtut, daß man jemandes Absicht
Ostsee von einem sowjetischen U-Boot merkt, könnte auf ein Lied aus der
versenkt wurde. Scherzhaft wird das Zi¬ Sammlung „Des Knaben Wunderhom“
tat verwendet, um auszudrücken, daß (herausgegeben von Achim von Arnim
etwas dem Vergessen anheimgefallen ist und Clemens Brentano 1806-1808) zu¬
oder jemanden der Schlaf übermannt rückgehen. Der berlinischen Abwand¬
hat.
lung liegt vermutlich eine volkstümliche
Kontamination (Zusammenziehung)
t In der Nacht ist der Mensch nicht aus den Anfangszeilen der ersten und
gern alleine zweiten Strophe („Nachtigall, ich hör’
dich singen“ und „Nachtigall, ich seh’
Die Nacht ist nicht allein zum dich laufen“) zugrunde.
Schlafen da
Das Zitat mit der Fortsetzung „Die Es war die Nachtigall und nicht
Nacht ist da, daß was gescheh’“ ist Titel die Lerche
und Refrain des von Gustaf Gründgens Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
vorgetragenen Schlagers, den Theo „Romeo und Julia“ (III, 5). Seit dem
Mackeben auf einen Text von O. E. Hes¬ englischen Dichter Geoffrey Chaucer
se und Fritz Beckmann für den Film (1340-1400) galt die Nachtigall als Lie-
„Tanz auf dem Vulkan“ von Hans besvogel und die Lerche als Verkünde¬
Steinhoff aus dem Jahr 1938 kompo¬ rin des Morgens. Auf dem Hintergrund
nierte. Attacken gegen die zeitgenössi¬ dieser Zuordnung sagt Julia beim Ruf
sche Diktatur im eigenen Land verbar¬ eines Vogels zu Romeo, den sie nach ge¬
gen sich hinter der Maske des Schau¬ meinsamer Nacht noch nicht gehen las¬
spielers Debureau, der mit seinen Chan¬ sen will: It was the nightingale, and not

328
Teil I Name

the lark,/That pierced the fear-full hollow den Niederlanden) „ins Reich über¬
of thine ear („Es war die Nachtigall und führt“ und ohne jede Mitteilung hinge¬
nicht die Lerche,/Die eben jetzt dein richtet oder in Konzentrationslager ein¬
banges Ohr durchdrang“). Wenn man gewiesen wurden. Der Ausdruck Nacht-
heute in unterschiedlichen Situationen und-Nebel-Aktion spielt auf die Heim¬
zum Ausdruck bringen möchte, daß die lichkeit einer Aktion an, bei der meist
Zeit nicht drängt, positive Signale wahr¬ bestimmte Vorschriften oder Gesetze
genommen werden und Schlimmeres umgangen werden.
sich noch nicht ankündigt, werden Juli¬
as Worte zitiert. Aber auch die Umkeh¬ Nackt unter Wölfen
rung des Satzes „Die Lerche war’s und Die Formulierung, mit der sich ähnlich
nicht die Nachtigall“ hat - wohl in wie mit der Redewendung „Unter die
Anlehnung an den Anfangsvers des Wölfe geraten sein“ eine Situation des
Gedichts „Morgenruf' von Georg Ausgeliefertseins bezeichnen läßt, ist
Herwegh (1817 bis 1875) - Verbreitung der Titel eines Romans von Bruno Apitz
gefunden. (1900- 1979). Darin werden die dramati¬
schen Ereignisse gegen Ende des Krie¬
Das Nachtlager von Granada ges im Konzentrationslager Buchen¬
Der Titel der Oper „Das Nachtlager in wald geschildert, als ein Waisenkind aus
Granada“ von Konradin Kreutzer Auschwitz im Koffer eines Juden ins
(1780-1849) mit dem Text von Karl Jo¬ Lager geschmuggelt und von den Häft¬
hann Braun, Ritter von Braunthal, nach lingen unter Todesgefahren als Symbol
Friedrich Kinds gleichnamigem Schau¬ ihrer Widerstandskraft verborgen gehal¬
spiel lieferte den scherzhaften, leicht ab¬ ten wird.
gewandelten Ausdruck für ein improvi¬
siertes Nachtlager. Auch eine malerisch Die nackte Wahrheit
hingelagerte Personengruppe wird gele¬ Der Ausdruck, mit dem man gern eine
gentlich so bezeichnet. In der Oper ist wahrheitsgemäße Schilderung bekräf¬
damit ein Maurenschloß gemeint, in tigt, geht wohl auf den römischen Dich¬
dem ein als fremder Jäger auftretender ter Horaz (65-8 v. Chr.) zurück. In einer
Prinzregent ein Nachtlager erhält, von seiner Oden (1,24, 5-8) heißt es in der
feindlichen Hirten bedroht, aber durch Totenklage um den ihm befreundeten
ein Hirtenmädchen gerettet wird. Dichter Quintilius Varus: Cui Pudor et
Iustitiae soror./Incorrupta Fides, nuda-
Nachts, wenn der Teufel kam que Veritas/Quando ullum inveniet pa-
Das Zitat, mit dem sich der von nächtli¬ rem? („Wann wird je die Züchtigkeit
cher Bedrohung ausgelöste Schauer und die Schwester der Gerechtigkeit,
ausdrücken läßt, ist der Titel eines Kri¬ die unverbrüchliche Treue, und die
minalfilms von Robert Siodmak aus nackte Wahrheit irgendeinen ihm Glei¬
dem Jahr 1957. Darin bringt der auf An¬ chen finden?“)
ordnung vertuschte Fall eines geistesge¬
störten Massenmörders im Dritten tlhr naht euch wieder, schwan¬
Reich den zuständigen Kriminalkom¬ kende Gestalten
missar in Schwierigkeiten mit der SS.
t Jetzt aber naht sich das Malheur
Nacht-und-Nebel-Erlaß
Der nationalsozialistische Ausdruck,
Name ist Schall und Rauch
der heute noch in „Nacht-und-Nebel- Diese Redensart stammt aus Goethes
Aktion“ anklingt, bezieht sich auf einen Faust I (Marthens Garten). Auf Marga¬
Erlaß des Oberkommandos der Wehr¬ retes Frage „Nun sag, wie hast du’s mit
macht vom 12. 12. 1941, nach dem auf der Religion?“ gipfelt Fausts pantheisti-
Hitlers Weisung vom 7. 12. 1941 Wider¬ sches Glaubensbekenntnis in dem Satz
standskämpfer in besetzten Gebieten „Gefühl ist alles ;/Name ist Schall und
(besonders in Frankreich, Belgien und Rauch,/Umnebelnd Himmelsglut.“ -

329
Teil I
nannten

Man betont mit dem Zitat, daß ein Na¬ Navigare necesse est
me allein noch nichts über eine Person t Seefahrt ist not
oder Sache aussagt, daß Namen ver¬
gänglich sind. Gelegentlich überdeckt Ne bis in idem
man damit auch scherzhaft, daß man
Die Maxime des Strafprozeßrechts,
selbst oder ein anderer einen Namen
nach der niemand wegen derselben Tat
oder eine genaue Bezeichnung im Ge¬
mehrmals verurteilt werden darf, ist in
spräch nicht parat hat.
dieser kurzen Form - in wörtlicher
Übersetzung „nicht zweimal in dersel¬
t Sie nannten ihn ... ben Sache“ - nicht aus der Antike über¬
liefert, obwohl sie im römischen wie im
Der Narben lacht, wer Wunden attischen Recht Gültigkeit hatte. Bei
dem attischen Rhetor und Staatsmann
nie gefühlt
Demosthenes (384-322 v. Chr.) heißt es
Das Zitat - im Original: He jests at in der „Rede gegen Leptines“ (§147):
scars, that neverfeit a wound („Er spottet „Die Gesetze lassen es nicht zu, daß
über Narben, der nie eine Wunde fühl¬ zweimal gegen denselben über dasselbe
te“) - beleuchtet das Unverständnis für
ein gerichtliches Verfahren oder sonst
die Leiden anderer auf Grund mangeln¬
eine Untersuchung eingeleitet wird.“
der Erfahrung. In Shakespeares Tragö¬
Über den juristischen Fachbereich hin¬
die „Romeo und Julia“ (II, 2) wird diese
aus wird das Zitat gelegentlich auch an¬
Lebensweisheit dem jungen Liebhaber
gewendet, um jemanden oder sich selbst
Romeo in den Mund gelegt, als Entgeg¬
in irgendeiner Sache vor unnötiger Wie¬
nung auf die Bespöttelung durch seine
derholung zu warnen.
Freunde Benvolio und Mercutio in der
vorausgehenden Szene.
Neckermann macht’s möglich
Der Werbeslogan, mit dem das Ver¬
Narr in Christo sandhausunternehmen Neckermann
So kann man einen weltfremden, christ¬ viele Jahre geworben hat, wurde im Jahr
lichen Idealisten in Anspielung auf den 1960 geprägt. Er wurde bald zum geflü¬
Titel des Romans „Der Narr in Christo gelten Wort, das man scherzhaft-kom-
Emanuel Quint“ von Gerhart Haupt¬ mentierend verwendet, um seinem Er¬
mann (1862-1946) nennen. In mysti¬ staunen über das Gelingen von etwas
schen Wahnvorstellungen erlebt die Ro¬ Ausdruck zu geben. Der Slogan wird
mangestalt eines Bußpredigers ihre Ver¬ heute auch in vielfachen Abwandlungen
einigung mit Christus. Der Romantitel gebraucht, wobei „... macht’s möglich“
knüpft seinerseits an eine Stelle im Neu¬ mit jeweils anderen Namen oder Begrif¬
en Testament an. Im 1. Brief an die Ko¬ fen verbunden wird.
rinther (4,10) vergleicht Paulus sich und
den Apostel Apollos mit den überhebli¬ Nehm’n Se ’n Alten
chen Korinthern: „Wir sind Narren um
Diese scherzhaft-ironische Empfeh¬
Christi willen, ihr aber seid klug in Chri¬
lung, einen älteren Herrn als Ehepartner
sto; wir schwach, ihr aber stark; ihr
zu wählen, entstammt einem Couplet
herrlich, wir aber verachtet.“
des Kabarettisten Otto Reutter (1870 bis
1931). Das Lied beginnt mit der Fest¬
t Und ein Narr wartet auf Antwort stellung „Die Statistik zeigt’s dem Ken¬
nen/’s gibt mehr Frauen als wie Män¬
t Denn die Natur läßt sich nicht ner.“ Folglich kann nicht jede Frau ei¬
nen schönen jungen Mann bekommen;
zwingen
die in folgenden aufgeführten „Vortei¬
le“ älterer Männer lassen dies als gar
t Denn das Naturell der Frauen ist nicht so schlimm erscheinen. So heißt es
so nah mit Kunst verwandt z. B. am Ende des Couplets: „Nehm’n

330
Teil I Nibelungentreue

Se ’n Alten, nehm’n Se 'n Alten!/Der chons „Auf mehrere Bücher. Nach


küßt voller Liebesqual,/denn er denkt Lessing“ von Johann Heinrich Voß
bei jedem Kusse:/,’s ist vielleicht das (1751-1826) in seinem Musenalmanach
letzte Mal!‘ “ Das Zitat wird auch in ab¬ von 1792: „Dein redseliges Buch lehrt
gewandelter Form - zum Beispiel mancherlei Neues und Wahres,/Wäre
„Nehmen wir den alten“ - verwendet das Wahre nur neu, wäre das Neue nur
und auf Dinge des Alltags, etwa ältere wahr!“ Das Distichon bezieht sich auf
Gebrauchsgegenstände bezogen. Lessings „Briefe, die neueste Literatur
betreffend“. Im 111. Brief vom 12. 6.
Nehmt alles nur in allem 1760 heißt es: „Wenn es erlaubt ist, allen
T Er war ein Mann, wir werden nimmer Worten einen andern Verstand zu ge¬
seinesgleichen sehen ben, als sie in der üblichen Sprache der
Weltweisen haben, so kann man leicht
etwas Neues Vorbringen. Nur muß man
Neid ist des Ruhmes Geleit
mir auch erlauben, dieses Neue nicht
T Invidia gloriae comes immer für wahr zu halten.“

Nessushemd Das Neue dringt herein mit Macht


Eine verderbenbringende Gabe, ein Ge¬ Ein t andersdenkendes Geschlecht
schenk, das jemandem in verhängnis¬
voller Weise zum Unheil wird, oder Neue Männer braucht das Land
auch ganz allgemein etwas, was jeman¬
Dies ist der Titel eines Songs der Berli¬
den sehr peinigt, ihm große Qual berei¬
ner Rocksängerin Ina Deter (*1947),
tet, bezeichnet man nach einer alten Sa¬
mit dem sie zu Beginn der achtziger Jah¬
ge um den Tod des Herakles mit der
re großen Erfolg hatte. Wie viele Lieder
Metapher „Nessushemd“ oder „Nes-
der Sängerin ist auch dieser Song ge¬
susgewand“. In der Tragödie „Die Tra-
prägt von der Problematik der Frauen¬
chinierinnen“ des griechischen Dichters
emanzipation. Der Titel wurde so popu¬
Sophokles (um 496-um 406 v.Chr.)
lär, daß er heute als geflügeltes Wort mit
werden die Ereignisse, die zum Tode austauschbarem Objekt in den unter¬
des Herakles führten, dargestellt. Der
schiedlichsten Zusammenhängen ver¬
Zentaur Nessus hatte die Gattin des He¬
wendet wird, so etwa in Schlagzeilen
rakles verführen wollen und wurde des¬
wie: „Neue Politiker braucht das
halb von Herakles mit einem Giftpfeil
Land“, „Neue Wälder braucht das
getötet. Um sich zu rächen, riet der ster¬ Land“ bis hin zu Abwandlungen wie:
bende Zentaur der Gattin des Herakles, „Neue Tapeten braucht die Wand“ o. ä.
sie solle sein vergiftetes Blut als Liebes¬
zaubermittel verwenden und ein Unter¬ Neuer Wein in alten Schläuchen
gewand des Herakles damit tränken, um
t Junger Wein in alten Schläuchen
diesen für immer an sich zu fesseln. Die
eifersüchtige Gattin befolgte diesen Rat
Neues Leben blüht aus den Rui¬
und schenkte Herakles das vergiftete
Gewand. Als nun Herakles das Gewand
nen
anlegte, peinigten ihn so rasende Das t Alte stürzt, es ändert sich die Zeit
Schmerzen, daß er sich, um die Qualen
abzukürzen, auf dem Scheiterhaufen Es t geschieht nichts Neues unter
verbrennen ließ. der Sonne

t Alles neu macht der Mai Neunzehnhundertvierundachtzig


t Big Brother is watching you
Das Neue daran ist nicht gut, und
das Gute daran ist nicht neu Nibelungentreue
Diese äußerst kritische Stellungnahme Große, durch nichts zu erschütternde
ist die leichte Veränderung des Disti¬ Loyalität, besonders die unbedingte

331
nicht Teil I

Bündnis- oder Gefolgschaftstreue be¬ vermitteln, daß der Unterricht kein


zeichnet man häufig als „Nibelungen¬ Selbstzweck sei, sondern auf das spätere
treue“. Allerdings verwendet man den [Berufsleben vorbereiten solle: Non
Ausdruck heute gerne dann, wenn man scholae, sed vitae discimus. Er geht auf
diese Art von Treue als zu kritiklos, zu eine ironische Feststellung zurück, die
willfährig und angepaßt empfindet. Der der lateinische Schriftsteller Seneca
deutsche Reichskanzler Bernhard von (4 v. Chr.-65 n. Chr.) im 106. Brief an
Bülow (1849-1929) gebrauchte das seinen Freund Lucilius traf. Hier lautete
Wort in einer Reichstagsrede (1909) der Satz allerdings Non vitae, sed scholae
während der Bosnienkrise, um damit discimus („Nicht für das Leben, für die
die unbedingte Bündnistreue des Deut¬ Schule lernen wir“) und stellte eine Kri¬
schen Reichs zu Österreich-Ungarn zu tik an den Philosophenschulen seiner
charakterisieren, die von andern zuvor Zeit dar, die nach Senecas Meinung
als „Vasallenschaft“ verurteilt worden „Schulweisheit“ statt „Lebensweisheit“
war. Er bezog sich dabei auf die im „Ni¬ lehrten.
belungenlied“, dem um 1200 entstande¬
nen, mittelhochdeutschen Heldenepos,
Nicht für einen Wald voll Affen
besungene „heldische Treue“. Vom da¬
mals recht verbreiteten politischen Die Redewendung, mit der man ein An¬
Schlagwort wurde der Ausdruck dann sinnen weit von sich weist, stammt aus
zu einem Wort des allgemeinen Sprach¬ Shakespeares „Kaufmann von Vene¬
gebrauchs. dig“ (entstanden um 1595), wo Shylock
mit diesen Worten den Verlust eines für
ihn als Erinnerungsstück wertvollen
Nicht an die Güter hänge dein
Ringes beklagt, den seine Tochter Por-
Herz, die das Leben vergänglich zia für einen Affen eingetauscht hatte: I
zieren would not have given it for a wilderness of
t Wer besitzt, der lerne verlieren monkeys („Ich hätte ihn nicht für einen
Wald von Affen hergegeben“). Das
Wort „Wald“ in der deutschen Überset¬
Nicht der Mörder, der Ermordete
zung ist dabei nicht wörtlich zu verste¬
ist schuldig
hen, sondern bedeutet (wie auch das
Dies ist der Titel einer 1920 erschiene¬ englische „wilderness“ im gegebenen
nen Novelle von Franz Werfel (1890 bis Kontext) lediglich „eine große Men¬
1945). Anlaß für die Entstehung der frü¬ ge“ - in der modernen Umgangssprache
hen Novelle war ein Mordfall in Wien, würde man eher „nicht für einen ganzen
bei dem der Sohn eines Schaubudenbe¬ Stall voll Affen“ sagen.
sitzers seinen Vater ermordet hatte.
Werfel stellte mit seiner Novelle die Be¬
hauptung auf, daß der Vater Schuld Nicht gesellschaftsfähig
trägt an dem, was ihm der Sohn zu¬ Dies ist der deutsche Titel des letzten
fügt. - Man kann mit dem Zitat - oft Films mit Marilyn Monroe (Originalti¬
auch mit kritischer Ironie - andeuten, tel: „The Misfits“; 1960) nach einer Er¬
wie man in einem bestimmten Fall die zählung von Arthur Miller (* 1915), der
wahre Schuld oder Unschuld der Betei¬ auch das Drehbuch zu diesem Film
ligten verteilt sieht. schrieb. Er handelt von gesellschaftli¬
chen Außenseitern, die in einem letzten
Abenteuer wie in vergangenen Zeiten
Nicht für die Schule, sondern für
Selbstbestätigung suchen und dabei
das Leben lernen wir
scheitern. Das Zitat des Filmtitels wirkt
Dieser Spruch, der in früherer Zeit - wie eine Art Etikett, mit dem man je¬
meist in seiner lateinischen Form - über manden oder jemandes Handlungswei¬
dem Portal von Gymnasien zu lesen se versieht, der sich nicht in Überein¬
stand, sollte den Schülern sogleich beim stimmung mit den gesellschaftlichen
Betreten des Gebäudes die Erkenntnis Normen verhält.

332
Teil I nicht

Nicht immer, aber immer öfter Verbot der Bestattung ihres Bruders, des
Diese Worte wurden durch die Wer¬ Staatsfeindes Polyneikes.
bung für ein alkoholfreies Bier der Mar¬
Nicht nur zur Sommerzeit
ke Clausthaler in jüngerer Zeit beson¬
ders gebräuchlich. Man verwendet sie In einem der bekanntesten Weihnachts¬
scherzhaft, um auf eine Entwicklung lieder, dem Lied „O Tannenbaum“,
hinzuweisen, durch die sich etwas heißt es in der 1. Strophe: „Du grünst
(meist etwas Positives) langsam, aber si¬ nicht nur zur Sommerzeit,/Nein, auch
cher etabliert. In der leicht abgewan¬ im Winter, wenn es schneit.“ Verfasser
delten Form „Nicht immer, aber bitte der Verse ist Ernst Anschütz (1780 bis
immer öfter“ kann man dem Wunsch 1861), der die erste Strophe wohl (mit
Ausdruck verleihen, daß etwas allmäh¬ geringfügigen Veränderungen) von ei¬
lich zur Regel, zur Gewohnheit werden nem anderen Tannenbaumlied, verfaßt
möge. von August Zarnack (1777-1827), über¬
nommen hat. Letzteres ist aber kein
Weihnachtslied, sondern es geht darin
Nicht loben werd’ ich’s, doch ich
um eine untreue Geliebte. Zarnack hatte
kann’s verzeihn für seine Dichtung alte Volksliedele¬
Wenn man jemandem zu verstehen ge¬ mente verwendet. - Die zeitliche Anga¬
ben will, daß man mit etwas zwar nicht be „nicht nur zur Sommerzeit“ hat sich
einverstanden ist, aber ein gewisses Ver¬ als Zitat verselbständigt und wird meist
ständnis dafür aufbringen kann, oder scherzhaft verwendet, wenn jemand
auch, daß man in etwas einwilligt, was ausdrücken will, daß bestimmte Dinge
man eigentlich nicht billigen kann, dann nicht an eine bestimmte Zeit gebunden
mag man auf dieses Zitat zurückgreifen. sein müssen, auch außerhalb der übli¬
Es stammt aus Schillers Trilogie „Wal¬ chen Saison stattfinden können. Hein¬
lenstein“ („Wallensteins Tod“, 11,2). Es rich Böll hat das Zitat dem Titel einer
sind Worte des Max Piccolomini, der Erzählung zugrunde gelegt, wobei er die
Wallenstein davor warnt, sich dem Kai¬ jahreszeitliche Bestimmung änderte.
ser zu widersetzen und sich mit den Die skurrile Geschichte, in der ein
Schweden zu verbünden. Sein wider¬ Weihnachtsbaum, der das ganze Jahr
strebendes Verständnis für Wallensteins über immer wieder in Funktion treten
Handlungsweise, so äußert er sich dann muß, eine große Rolle spielt, trägt den
weiter, werde allerdings enden, wenn Titel: „Nicht nur zur Weihnachtszeit“.
Wallenstein zum Verräter werde.
Nicht Stimmenmehrheit ist des
Nicht mit Gold aufzuwiegen sein Rechtes Probe
Wenn sich jemand mit seiner Meinung
Die Redewendung im Sinne von „uner¬
bei andern nicht durchsetzen kann, sich
setzlich sein“ geht vermutlich auf eine
im Gegenteil von ihnen überstimmen
Stelle aus Plautus’ (um 250-um 184
lassen muß, so wird er gerne diesen Aus¬
v. Chr.) Komödie „Bacchides“ (Vers
spruch zitieren. Er stammt aus dem
640) zurück: Hunc hominem decet auro
Trauerspiel „Maria Stuart“ (11,3) von
expendi („Diesen Menschen sollte man
Schiller. Talbot, Graf von Shrewsbury,
mit Gold aufwiegen“).
warnt Elisabeth, die Königin von Eng¬
land, davor, ihre Gegenspielerin Maria
Nicht mitzuhassen, mitzulieben Stuart hinrichten zu lassen, da diese ihr
bin ich da „nicht untertänig“ sei. Auf die Einlas¬
Das Zitat als Ausdruck abendländischer sung Elisabeths „So irrt/Mein Staatsrat
Humanität stammt aus der „Antigone“ und mein Parlament, im Irrtum/Sind al¬
des griechischen Tragikers Sophokles le Richterhöfe dieses Landes,/Die mir
(um 496-um 406 v.Chr.). Im 6. Auftritt dies Recht einstimmig zuerkannt -“ ent¬
begründet damit Antigone vor König gegnet Talbot: „Nicht Stimmenmehr¬
Kreon ihre Widersetzlichkeit gegen sein heit ist des Rechtes Probe,/England ist

333
Teil I
nicht

nicht die Welt, dein Parlament/Nicht nach Zusammenhang die hohe Bedeut¬
der Verein der menschlichen Ge¬ samkeit und Wichtigkeit der einen
schlechter.“ Person oder, häufiger wohl, die Nichts¬
würdigkeit und Bedeutungslosigkeit der
Nicht von dieser Welt sein andern umschrieben werden.
Wenn man heute von jemandem be¬
hauptet, er sei nicht von dieser Welt, so Nicht wissen, was rechts oder links
will man zum Ausdruck bringen, daß ist
man den Betreffenden für einen Träu¬ Die auch in der leicht abgewandelten
mer und Phantasten hält, für jemanden, Form „nicht mehr wissen, was rechts
der die Dinge nicht realistisch beurtei¬ und was links ist“ übliche Redewen¬
len kann und deswegen auch öfter den dung geht auf die Bibel zurück. Beim
kürzeren zieht. Die Redewendung ist bi¬ Propheten Jona spricht am Ende des 4.
blischen Ursprungs. Im Johannesevan¬ Kapitels der Herr zu Jona, der zornig
gelium (8,23) spricht Jesus, im Dialog darüber war, daß die sündhafte Stadt
mit Schriftgelehrten und Pharisäern, die Ninive verschont wurde: „... mich sollte
gewichtigen, sein Gottsein betonenden nicht jammern Ninives, solcher großen
Worte, mit denen er sich in aller Deut¬ Stadt, in welcher sind mehr denn hun-
lichkeit von seinen Gesprächspartnern dertundzwanzigtausend Menschen, die
abhebt: „Ihr seid von untenher, ich bin nicht wissen Unterschied, was rechts
von obenher; ihr seid von dieser Welt, oder links ist, dazu auch viele Tiere?“ In
ich bin nicht von dieser Welt.“ Und spä¬ der zurechtweisenden Frage des Herrn
ter nach der Gefangennahme spricht Je¬ wird hinsichtlich der Bewohner Ninives
sus im Verhör vor Pilatus (18,36) noch auf deren Unwissenheit, ihr Nichtwis¬
einmal in ähnlicherWeise: „Mein Reich sen um Recht und Unrecht abgehoben.
ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Die heute übliche Redewendung wird
Reich von dieser Welt, meine Diener eher gebraucht, um zu verdeutlichen,
würden kämpfen, daß ich den Juden daß jemand völlig verwirrt ist, sich über¬
nicht überantwortet würde; aber nun ist haupt nicht mehr auskennt, sich irgend¬
mein Reich nicht von dannen.“ wo nicht zurechtfinden kann.

Nicht wert sein, jemandem die


Nichts Bessers weiß ich mir an
Schuhriemen zu lösen
Sonn- und Feiertagen, als ein Ge¬
Johannes der Täufer, der prophetische
spräch von Krieg und Kriegsge¬
Bußprediger und „Vorläufer“ Jesu
schrei, wenn hinten weit in der
Christi, charakterisiert in seiner Ankün¬
digung des öffentlichen Wirkens Jesu
Türkei die Völker aufeinander
im Markusevangelium (1,7) das Ver¬ schlagen
hältnis der Bedeutsamkeit seiner eige¬ Diese vier Zeilen aus Goethes Faust
nen Person zu der Person Jesu mit den werden gerne als Kritik an Menschen zi¬
Worten: „Es kommt einer nach mir, der tiert, die dazu neigen, unverbindlich zu
ist stärker denn ich, dem ich nicht ge¬ politisieren und sich über Dinge zu erre¬
nügsam bin, daß ich mich vor ihm bücke gen, von denen sie selbst nicht betroffen
und die Riemen seiner Schuhe auflöse.“ sind. Goethe hat in der Szene „Vor dem
Im Johannesevangelium lautet die Par¬ Tor“ in Faust I, die auch den berühmten
allelstelle (1,27): „Der ist’s, der nach „Osterspaziergang“ enthält, „Spazier¬
mir kommen wird, welcher vor mir ge¬ gänger aller Art“ zu Wort kommen las¬
wesen ist, des ich nicht wert bin, daß ich sen. Mit den kurzen Äußerungen von
seine Schuhriemen auflöse.“ In der Art Handwerksburschen, Dienstmädchen,
der Formulierung schließt sich die heute Schülern, Bürgern, Soldaten usw. wer¬
in emphatischer Redeweise noch ge¬ den in knapper Typisierung die unter¬
brauchte Wendung an die zuletzt zitierte schiedlichsten „Stimmen des Volkes“
Stelle aus dem jüngeren Johannesevan¬ vorgeführt. Die zitierten Zeilen des „an¬
gelium an. Mit der Wendung kann je deren Bürgers“ charakterisieren den

334
Teil I nie

typischen Spießbürgerund Stammtisch¬ t Wie weit er auch die Stimme


politiker.
schickt, nichts Lebendes wird hier
erblickt
Nichts halb zu tun ist edler Geister
Art t Ich bin ein Mensch, nichts
Menschliches ist mir fremd
Mit dieser Zeile beginnt die 30. Strophe
im 5. Gesang der Verserzählung „Obe¬
Nichts von Verträgen! Nichts von
ron“ von Christoph Martin Wieland
Übergabe!
(1733-1813). Ritter Huon ist vom Elfen¬
könig Oberon mit prachtvollen orienta¬ Wenn jemand eine Verpflichtung, die er
lischen Gewändern ausgestattet wor¬ keinesfalls eingehen möchte, mit Nach¬
den, damit er leichter zum Kalifen von druck zurückweisen will, so kann er die¬
Bagdad Vordringen kann. Dazu wird sen Ausruf zitieren. Er stammt aus
dem Ritter, da der „edle Geist“ - wie Schillers Drama „Die Jungfrau von Or¬
man heute sagen würde - keine halben leans“ (Prolog, 3. Auftritt). Johanna, die
Sachen macht, auch noch ein passendes spätere Jungfrau von Orleans, ruft „in
Pferd nebst zwei Pagen zur Verfügung Begeisterung“ diese Worte aus. Sie
gestellt. - Mit dem Zitat deutet man hatte (zur großen Verwunderung ihres
scherzhaft an, daß man es - zumindest Vaters) den Bericht Bertrands über
für die eigene Person - für selbstver¬ den Kriegsverlauf und die verlorenen
ständlich hält, alles so zu erledigen, daß Schlachten der Franzosen verfolgt und
nichts zu beanstanden bleibt, nichts an¬ beginnt nun mit diesen Worten eine
zufangen, ohne es richtig zu Ende zu Rede, in der sie dazu aufruft, nicht zu
führen. verzagen, sondern voller Zuversicht zu
sein, denn: „Der Retter naht, er rüstet
sich zum Kampf.“
Nichts ist dauernd als der Wechsel
Diese Erkenntnis, daß nur der Wechsel Aus nichts wird nichts
Bestand hat, findet man in vielen Spra¬ t Von nichts kommt nichts
chen formuliert. Bekannt ist das dem
griechischen Philosophen Heraklit Nie sollst du mich befragen
(675. Jh. v. Chr.) zugeschriebene Wort Diese Worte spricht in Richard Wag¬
Panta rhei (deutsch: „Alles fließt“). Die ners (1813-1873) Oper „Lohengrin“ der
vorliegende Formulierung stammt von Titelheld Lohengrin zu Elsa von Bra¬
Ludwig Börne aus seiner am 2. 12. 1825 bant (1,3). Er verbietet ihr damit mah¬
gehaltenen „Denkrede auf Jean Paul“. nend, jemals nach seinem Namen und
Heinrich Heine machte sie zum Motto seiner Herkunft zu fragen, bevor er sich
seiner Dichtung „Die Harzreise“. Bei dem König gegenüber bereit erklärt, mit
Goethe findet sich der gleiche Gedanke dem Schwert für Elsas Unschuld zu zeu¬
im Titel des Gedichtes „Dauer im gen. Heute bringt man mit diesem Zitat
Wechsel“. ausweichend zum Ausdruck, daß man
eine Frage nicht beantworten darf oder
keine Auskunft geben will.
t Denn nichts ist groß, was nicht
wahr ist
Nie war er so wertvoll wie heute
Seit vielen Jahren wird für den Heil¬
Nichts ist schwerer zu ertragen als trank „Klosterfrau Melissengeist“ mit
eine Reihe von schönen Tagen diesem Spruch geworben. Er suggeriert
dem Verbraucher eine immerfort stei¬
t Alles in der Welt läßt sich ertragen, nur
gende Qualität des Produkts und zu¬
nicht eine Reihe von schönen Tagen
gleich eine stets größer werdende Not¬
wendigkeit seiner Anwendung. Der
t Von nichts kommt nichts Spruch wurde durch die intensive Wer-

335
niedriger Teil I

bung sehr populär und wird seither bei entweder er wird den einen hassen und
allen möglichen Gelegenheiten als eine den andern lieben, oder er wird dem ei¬
Art scherzhafte Beurteilung einer Sache nen anhangen und den andern verach¬
oder auch einer Person zitiert. ten“ (Matthäus 6,24). Man zitiert diese
Bibelworte, wenn man jemandem zu
Niedriger hängen verstehen geben will, daß er sich klar
entscheiden muß, wessen Interessen er
Die Wendung „etwas niedriger hän¬
vertritt oder wofür er sich engagieren
gen“, mit der zum Ausdruck gebracht
will. Der italienische Dramatiker Carlo
wird, daß etwas (durch das Niedriger¬
Goldoni (1707-1793) hat auf dieses Bi¬
hängen) allen sichtbar, leichter zugäng¬
belzitat im Titel seiner Komödie „Der
lich gemacht werden soll, geht wohl auf
Diener zweier Herren“ zurückgegrif¬
eine Anekdote über König Friedrich II.,
fen. - Im 8. Kapitel seiner Bilderge¬
den Großen (1712-1786) zurück. Der
schichte „Maler Klecksei“ hat Wilhelm
König sei eines Tages bei einem Ausritt
Busch (1832-1908) die biblische Weis¬
zu einem Platz gekommen, so heißt es,
heit in folgende Worte gefaßt: „Mit
an dem, von Leuten dicht umdrängt, ei¬
zween Herrn ist schlecht zu kramen.“
ne nicht sehr schmeichelhafte Karikatur
Und eine ebenso profunde Erkenntnis
von ihm aufgehängt worden war. Bei ih¬
fügt er dann noch hinzu: „Noch
rem Anblick soll er gerufen haben, man
schlechter, fürcht’ ich, mit zwo Damen.“
solle sie doch niedriger hängen, damit
sie alle besser sehen könnten. Die heute
t Wie Nikodemus in der Nacht
wieder häufiger gebrauchte Wendung
„etwas niedriger hängen“ hat eine ande¬
Nimm dein Bett und gehe heim!
re Bedeutung. Sie wird meist als Auffor¬
derung verwendet, etwas weniger wich¬ Das Bibelzitat steht im Markusevangeli¬
tig zu nehmen, nicht so aufzubauschen um (2,11), wo Jesus diese Worte bei der
oder überhaupt jede Übertreibung zu Heilung eines Gichtbrüchigen spricht:
vermeiden. „Ich sage dir, stehe auf, nimm dein Bett
und gehe heim!“ Heute verwendet man
das Zitat scherzhaft, um auszudrücken,
Niemand ist eine Insel
daß es in einer abendlichen Runde
Die sentenzhafte Feststellung, daß nie¬ schon spät geworden ist und es Zeit ist,
mand für sich existiert, geht auf den
ins Bett zu gehen. Man richtet dabei das
englischen Dichter und Geistlichen
Zitat als Aufforderung an seine Beglei¬
John Donne (1572-1631) zurück. In der
tung oder an sich selbst.
Meditation der 17. Andacht seiner „De¬
votions upon Emergent Occasions“ Nimm und lies!
heißt es: No man is an Island, entire of it
Die Aufforderung, mit der man jeman¬
seif („Kein Mensch ist eine Insel, ganz
dem eine bestimmte Lektüre nahelegen
für sich“; vergleiche auch „Wem die
möchte, ist ein Zitat - im lateinischen
Stunde schlägt“). Das Zitat wurde häu¬
Original Tolle, lege! - aus den „Be¬
fig als Titel verwandt: Thomas Merton:
kenntnissen“ („Confessiones“) VIII, 12
„No Man is an Island“ (1955) - auf
deutsch: „Keiner ist eine Insel“ (1956), des Kirchenvaters Augustinus (354 bis
430). Er schildert dort, wie er beim Me¬
Honor Arundel: „Kein Mensch ist eine
ditieren im Garten seines Hauses in
Insel“ (1972) als Titel der deutschen
Übersetzung von „The Terrible Tempta- Mailand die Stimme eines Kindes hörte
tion“, Johannes Mario Simmel: „Nie¬ und die Worte Tolle, lege! als göttliche
mand ist eine Insel“ (1976). Aufforderung zur Bibellektüre verstand.
Beim Aufschlagen der Bibel stieß er auf
folgende Stelle im Brief des Apostels
Niemand kann zwei Herren die¬
Paulus an die Römer (13,13 f.): „Lasset
nen
uns ehrbar wandeln als am Tage, nicht
Im Matthäusevangelium sagt Jesus: in Fressen und Saufen, nicht in Kam¬
„Niemand kann zwei Herren dienen: mern und Unzucht, nicht in Hader und

336
Teil I noch

Neid; sondern ziehet an den Herrn Je¬ sich wieder in der „Philosophie des Le¬
sus Christus und wartet des Leibes, bens“ (Vorlesungen, 1828) des Ästheti¬
doch also, daß er nicht geil werde.“ Die¬ kers und Dichters Friedrich Schlegel
ser Gartenszene verdankte Augustinus (1772-1829): „Der Mensch ist vor allen
seine Bekehrung und endgültige Ent¬ anderen Geschöpfen ein auf Hoffnung
scheidung für die Kirche. gestelltes Wesen.“

No pasarän
Noch eine hohe Säule zeugt von
Als im Frühsommer 1936 der Kampf der verschwund’ner Pracht: Auch die¬
falangistisch-faschistischen Kräfte ge¬ se, schon geborsten, kann stürzen
gen die zweite spanische Republik be¬
über Nacht
gann, setzte sich die Bürgerkriegsheldin
und spätere Vorsitzende der Kommuni¬ Dies ist ein Zitat aus dem Gedicht „Des
stischen Partei Spaniens, Dolores Ibär- Sängers Fluch“ von Ludwig Uhland
ruri Gömez (1895-1989), bekannt auch (1787-1862). Nachdem der Fluch des
unter ihrem Beinamen „La pasionaria“ alten Sängers gegen den König, den
„die Leidenschaftliche“, in glühenden „verruchten Mörder“, ausgesprochen
Rundfunkreden für die Republik ein. ist, wird in den letzten beiden Strophen
Sie prägte dabei den republikanischen des Gedichts die Erfüllung dieses Flu¬
Kampfruf No pasarän „Sie (= die Fa¬ ches, der Niedergang des Königreichs
schisten) kommen nicht durch“. Die Pa¬ und der Zerfall des Schlosses, geschil¬
role lebte in Gedichten und Liedern des dert. Das aus der vorletzten Strophe
stammende Zitat wird meist auch in ent¬
spanischen Bürgerkriegs weiter als Aus¬
sprechendem Sinn verwendet, etwa
druck des Durchhaltewillens der repu¬
beim Anblick von Zerfall oder Zerstö¬
blikanisch-fortschrittlichen Kräfte.
rung einstiger Werte, auch im Hinblick
auf morbide Zustände oder auch ein¬
Noblesse oblige fach beim Rückblick auf dahingegange¬
t Adel verpflichtet ne glanzvolle Zeiten, an die nur weniges
noch erinnert. Der zweite Teil des Zitats
wird (wie auch der erste) gelegentlich al¬
Noch am Grabe pflanzt er die lein zitiert, und zwar meist im Hinblick
Hoffnung auf auf etwas, was stark gefährdet, im Grun¬
In seinem Gedicht „Hoffnung“ (1797) de schon dem Untergang geweiht ist.
schildert Schiller das Leben des Men¬
schen als von stetem Hoffen auf Besse¬
res geprägt; „Die Welt wird alt und wird Noch einmal mit Gefühl
wieder jung,/Doch der Mensch hofft So lautet der deutsche Titel einer 1959
immer Verbesserung.“ Diese Hoffnung entstandenen amerikanischen Filmko¬
begleitet ihn bis an sein Lebensende: mödie um einen Dirigenten (Hauptrol¬
„Sie wird mit dem Greis nicht begra¬ le: Yul Brynner, englischer Titel: Once
ben ;/Denn beschließt er im Grabe den more with feeling), sicherlich eine An¬
müden Lauf,/Noch am Grabe pflanzt spielung auf die entsprechende musika¬
er - die Hoffnung auf.“ Daß man trotz lische Vortrags- oder Interpretationsan¬
aller Enttäuschungen, die das Leben be¬ weisung. Das Zitat wird meist als Auf¬
reitet, beständig hofft, ist für den Dich¬ forderung verwendet, etwas zu wieder¬
ter der Beweis, daß der Mensch „zu et¬ holen und es dann womöglich besser,
was Besserem“ geboren ist. Dieses genauer auszuführen als zuvor. Es kann
„Bessere“ lebt unverlierbar in ihm, al¬ ebenso Ermunterung sein, etwas, was
lem Schicksal und selbst dem Tode zum nicht gleich geglückt ist, noch einmal,
Trotz, und wirkt als treibende innere nun aber vorsichtiger, umsichtiger o.ä.,
Kraft: „Und was die innere Stimme zu versuchen. Auch mehr oder weniger
spricht,/Das täuscht die hoffende Seele scherzhaft gemeinte Abwandlungen
nicht.“ - Der gleiche Gedanke findet sind üblich geworden, beispielsweise:

337
8 Duden 12
noch Teil I

„Noch einmal mit Verstand“, „Noch Schriftsteller Otto Roquette (1824 bis
einmal mit Gewalt“ o.ä. 1896) verwendete die Zeile als Kehrreim
eines Liedes in seiner lyrisch-epischen
Noch ist die blühende, goldene Dichtung „Waldmeisters Brautfahrt“,
Zeit einem sentimentalen Jugendwerk, das
damals ein großer Publikumserfolg war,
t Noch sind die Tage der Rosen
heute aber weitgehend vergessen ist.
Aus diesem Werk wurde auch eine an¬
Noch ist Polen nicht verloren
dere Zeile mit ähnlicher Aussage popu¬
Mit dieser Redensart möchte man zum lär, die meist auch in ganz ähnlichen
Ausdruck bringen, daß man eine be¬ Zusammenhängen zitiert wurde. Diese
stimmte unangenehme Lage für noch Zeile lautet: „Noch ist die blühende,
nicht ganz aussichtslos hält, daß durch¬ goldene Zeit.“
aus noch nicht alles verloren ist. Die oft
etwas scherzhaft gebrauchte Redensart Noch so einen Sieg, und ich bin
hat sich aus den Anfangsworten der pol¬
verloren!
nischen Nationalhymne entwickelt, im
polnischen Original: Jeszcze Polska nie t Pyrrhussieg
zginpta. Der polnische Politiker und
Schriftsteller Jözef Wybicki (1747 bis t Und noch zehn Minuten bis Buf¬
1822) schrieb 1797 dieses von einem un¬ falo
bekannten Komponisten vertonte Lied,
das seit 1918 offizielle polnische Natio¬ Noli me tangere!
nalhymne ist. Populär geworden war Im 20. Kapitel des Johannesevangeli¬
das Lied zunächst als Marschlied einer ums wird berichtet, daß Jesus nach der
polnischen Legion, die der General Jan Auferstehung der weinenden Maria
Henryk Dabrowski als Hilfstruppe Na¬ Magdalena am leeren Grab erschienen
poleons in Oberitalien aufgestellt hatte,
ist. Er, den sie zunächst für einen Gärt¬
und zwar unter dem Namen „D^-
ner gehalten hatte, spricht sie mit den
browskimarsch“.
Worten an: „Rühre mich nicht an! Denn
ich bin noch nicht aufgefahren zu mei¬
Noch keinen sah ich fröhlich en¬ nem Vater“ (20,7). Die Worte des Be¬
den rührungsverbots wurden in der lateini¬
t Wer besitzt, der lerne verlieren schen Form der Vulgata (noli me tange¬
re) populär. In der bildenden Kunst (be¬
Noch sind die Tage der Rosen sonders in der Malerei des 14. bis 17.
Von den Werken des deutschen Dich¬ Jahrhunderts) versteht man unter einem
ters und Publizisten Siegfried August „Nolimetangere“ die Darstellung der
Mahlmann (1771-1826) sind nur einige Erscheinung des auferstandenen Chri¬
seiner mehrfach vertonten und volks¬ stus mit Maria Magdalena vor dem lee¬
tümlich gewordenen Gedichte bekannt ren Grab. Auch eine Pflanze verdankt
geblieben. Dazu gehört das Gedicht ihren Namen den an Maria Magdalena
„Aufmunterung zur Freude“ (mit der gerichteten Christusworten: Eine Art
Anfangszeile „Weg mit den Grillen und des „Springkrauts“ wird auch „Nolime¬
Sorgen!“, die früher auch häufig zitiert tangere“ oder „Rührmichnichtan“ ge¬
wurde). Populär geblieben ist die Zeile nannt, weil ihre Kapselfrüchte bei Be¬
„Noch sind die Tage der Rosen“, die rührung aufspringen (und die Samen
mit Vorliebe dann herangezogen wird, ausschleudern).
wenn man deutlich machen möchte, daß
es jetzt gilt, die noch verbleibende schö¬ Nomen est omen
ne oder auch für bestimmte Dinge gün¬ Der römische Komödiendichter Plautus
stige Zeit zu nutzen. Die Bekanntheit (um 250-184 v. Chr.) verwendet in sei¬
des Zitats wurde auch noch durch ein nem Stück „Persa“ die Formulierung
anderes Werk gefördert. Der deutsche nomen atque omen, auf deutsch „Name

338
Teil I Not

und zugleich auch Vorbedeutung“. Auf schen Mythologie, aufgebaut worden


sie ist die gängige lateinische Redensart, als Zeugen seiner weitesten Fahrt. Be¬
in der heute üblichen Form nomen est kannt waren sie in der Antike als die
omen, zurückzuführen. Man wendet sie „Säulen des Herakles“. Es wird weiter
meist scherzhaft im Hinblick auf Perso¬ berichtet, Herakles habe diese „Säulen“
nen oder auch Sachen an, von denen mit der Inschrift Non plus ultra, wörtlich
man glaubt, daß allein ihr Name schon „nicht noch weiter“, versehen, mit ei¬
bezeichnend ist oder auf etwas ganz Be¬ nem Hinweis darauf also, daß man bis
stimmtes hinweist. hierher, an die Grenzen der Welt, gelan¬
gen könne und nicht weiter.
Non liquet
Diese altrömische Rechtsformel ist un¬
ter anderem in „Pro Cluentio“, einer Nordlichter
Rede des römischen Schriftstellers und Als von Beginn des 19. Jahrhunderts an
Politikers Cicero (106-43 v. Chr.), be¬ von den bayrischen Königen Maximili¬
legt. Sie bedeutet übersetzt „es ist nicht an I., Ludwig I. und Maximilian II. viele
klar“ und war die Formel der altrömi¬ Wissenschaftler und Künstler zur He¬
schen Geschworenen oder des Richters, bung des kulturellen Niveaus aus dem
mit der zum Ausdruck gebracht wurde, Norden nach Bayern und besonders
daß nicht entschieden werden kann, ob nach München geholt wurden, geschah
Schuld oder Nichtschuld vorliegt. Auch dies nicht immer zur Freude der Bayern,
im heutigen Zivilrecht hat non liquet die die sich durch diese Maßnahme häufig
Bedeutung einer Feststellung darüber, zurückgesetzt fühlten. Schon damals
daß ein Sachverhalt unklar geblieben entstand die Bezeichnung „Nordlich¬
ist, besonders daß für eine Behauptung ter“, zwar scherzhaft gebraucht, aber
weder Beweis noch Gegenbeweis ge¬ nicht immer sehr freundlich gemeint,
führt worden ist. für Persönlichkeiten, damals besonders
Gelehrte und Dichter, die aus dem Nor¬
Non multa, sed multum den stammten. Der Begriff lebte Mitte
t Multum, non multa der siebziger Jahre wieder auf, als der
bayrische Politiker Franz Josef Strauß
(1915-1988) von seinen Kollegen aus
Non ölet
der Schwesterpartei in den nördlichen
T Geld stinkt nicht
Ländern Schleswig-Holstein und Nie¬
dersachsen wegen ihrer Wahlniederla¬
Non scholae, sed vitae discimus gen ironisch als den „Nordlichtern“
t Nicht für die Schule, sondern für das sprach.
Leben lernen wir

Nonplusultra Der Not gehorchend, nicht dem


Als „Nonplusultra“ bezeichnet man ge¬ eignen Trieb
wöhnlich eine Sache, die man für un¬ Schillers Trauerspiel „Die Braut von
übertrefflich hält, also für etwas, was Messina“ beginnt mit diesen Worten
nicht besser sein könnte. Häufig ist die¬ der Donna Isabella, der Fürstin von
se Kennzeichnung allerdings auch nur Messina. Sie eröffnet damit ihren Ein¬
scherzhaft gemeint, oder man gebraucht gangsmonolog, in welchem sie zunächst
sie verneinend, indem man von etwas die Notwendigkeit ihres Auftretens vor
behauptet, es sei nicht gerade das Non¬ den Ältesten von Messina erläutert. Die
plusultra. Der Ausdruck hat seine Wur¬ Worte wurden zu einem häufig ge¬
zeln in der Antike: Nach altgriechischer brauchten Zitat, das gerne als erläutern¬
Auffassung galten die Bergfelsen bei¬ de oder auch entschuldigende Floskel
derseits der Straße von Gibraltar als das eingeflochten wird, wenn jemand die
Ende der Welt. Sie seien, so heißt es, Unumgänglichkeit einer bestimmten
von Herakles, dem Helden der griechi¬ Handlungsweise zu rechtfertigen sucht.

339
st«
Not Teil I

Die Not lehrt beten und eine schnodderige Ausdrucksweise


für Komik und Unterhaltung sorgt.
Dieses alte Sprichwort, nach dem die
Menschen sich in der Not auf Gott be¬
sinnen und um Hilfe beten, wurde von Nullachtfünfzehn
Adelbert von Chamisso als Kehrreim Die als geflügeltes Wort (auch in der
seines Gedichtes „Das Gebet einer Wit¬ Form „Nullachtfuffzehn“) in die Um¬
we“ verwendet. Darin betet eine alte gangssprache eingegangene Zahlen¬
Frau um ein langes Leben ihres „gnädi¬ kombination ist zu einem Begriff gewor¬
gen Herrn“ - nicht etwa, weil sie ihn für den, mit dem man etwas als „alltäglich“
einen guten Herrn hält, sondern weil sie und „gänzlich unoriginell“ charakteri¬
mit dem Verfluchen seiner habgierigen siert. Sie kam durch den deutschen
Vorfahren schlechte Erfahrungen ge¬ Schriftsteller Hans Helmut Kirst
sammelt hat. Der Großvater, der ihr (1914-1989) ins allgemeine Bewußtsein,
eine von ihren acht Kühen genommen nachdem dieser seiner sehr bekannt ge¬
hatte, starb früh; dessen Sohn aber wordenen Romantrilogie aus den Jah¬
nahm ihr gleich zwei Kühe ab, und als ren 1954/55 den Titel „08/15“ gegeben
auch der sich den Hals brach, verlor sie hatte. Zugrunde liegt die militärische
sogar vier Kühe an den jetzigen Herrn. Bezeichnung für ein Maschinengewehr
Nun kann sie sich ausrechnen: „Kommt aus dem Jahr 1908, das 1915 technisch
Dero Sohn noch erst dazu,/Nimmt der verändert wurde und die Bezeichnung
gewiß mir die letzte Kuh“ - und ihre LMG 08/15 bekam. Die Zahlen wurden
Not hat sie gelehrt, für ihren Herrn trotz dann zunächst zu einer Metapher für
seiner Unbarmherzigkeit zu beten. den geistlosen militärischen Drill.

Ein notwendiges Übel Nun danket alle Gott


Mit diesem Ausdruck werden Angele¬ In den apokryphen Schriften des Alten
genheiten, Ereignisse, Vorgänge ge¬ Testamentes findet sich (Sirach 50,24)
kennzeichnet, die man als unangenehm, der Vers; „Nun danket alle Gott, der
lästig, störend empfindet, von denen große Dinge tut an allen Enden, der uns
man aber weiß, daß sie unvermeidlich von Mutterleib an lebendig erhält und
und oft genug unerläßlich sind. Der tut uns alles Gute.“ Diese Worte ver¬
Ausdruck geht auf den griechischen wendet der Dichter Martin Rinckart
Dichter Menander (um 342-um 291 (1586-1649) in seinem Kirchenlied
v. Chr.) zurück. In einem der von ihm er¬ „Nun danket alle Gott“ aus der Samm¬
haltenen Fragmente spricht er davon, lung „Jesu-Hertz-Büchlein in geistli¬
daß das Heiraten genau betrachtet zwar chen Oden“ (1636). Populär wurden die
ein Übel, aber ein „notwendiges Übel“ beiden ersten Zeilen: „Nun danket alle
(griechisch ävayxalovxaxöv) sei. In ei¬ Gott,/Mit Herzen, Mund und Händen“.
nem andern Fragment taucht der Aus¬ Der Choral wurde in früheren Zeiten
druck in anderem Zusammenhang noch häufig als Ausdruck des Dankes bei öf¬
einmal auf. Es heißt dort, der Arzt für fentlichen Anlässen gesungen.
alle notwendigen Übel sei die Zeit.
Nun hast du mir den ersten
Null Problemo Schmerz getan
Dieser besonders in der Jugendsprache Mit diesem Vers beginnt das achte von
verwendete Ausdruck hat die Bedeu¬ neun Gedichten des Zyklus „Frauenlie¬
tung von „kein Problem“. Er stammt be und -leben“ des Dichters Adelbert
aus der deutschen Synchronisation der von Chamisso (1781-1838). Der Mann
amerikanischen Fernsehserie „A1P‘, in der von tiefer Liebe ergriffenen Frau ist
der ein Wesen von einem anderen Stern gestorben. Sie beginnt ihre Klage mit
bei einer amerikanischen Familie lebt dem Vers: „Nun hast du mir den ersten
und durch eigenwilliges Verhalten, sei¬ Schmerz getan,/Der aber traf./Du
ne Vorliebe für Katzen als Hauptgericht schläfst, du harter, unbarmherz’ger

340
Teil I nun

Mann,/Den Todesschlaf.“ Acht Lieder eingebunden in die Natur, die sich zur
des Zyklus wurden von Robert Schu¬ Ruhe begeben hat: „Nun ruhen alle
mann 1840 vertont und dadurch beson¬ Wälder,/Vieh, Menschen, Städt und
ders bekannt. Felder;/Es schläft die ganze Welt ..."
Mit dem Zitat kann man eine friedliche
Nun hat die liebe Seele Ruh’ Abendstimmung vor allem in naturna¬
Die Redewendung geht auf ein Gleich¬ her Umgebung charakterisieren.
nis des Lukasevangeliums (12,18 ff) zu¬
rück. Darin ist die Rede von einem rei¬ Nun sei bedankt, mein lieber
chen Mann, der seine Scheunen füllt mit Schwan!
seinen Gütern und dann zu sich sagt:
Mit diesen Worten entläßt Lohengrin,
„Liebe Seele, du hast einen großen Vor¬
der Held der gleichnamigen Oper von
rat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß,
Richard Wagner (1813-1873), den
trink und habe guten Mut!“ - Man ge¬
Schwan, der ihn - seinen Nachen zie¬
braucht die Redewendung - auch in der
hend - an den Hof König Heinrichs ge¬
Form „Nun hat die arme Seele Ruh’ “ -,
bracht hat. Lohengrin war von Elsa von
um damit scherzhaft zu erklären, daß
Brabant herbeigerufen worden, um für
beispielsweise von etwas Begehrtem
die Unschuld der des Brudermords an-
nun nichts mehr da ist, so daß alles
geklagten Tochter des verstorbenen
Drängen und Bitten - besonders von
Herzogs von Brabant zu zeugen. - Man
Kindern - nun ein Ende finden kann.
verwendet das Zitat als scherzhafte
Dankesformel.
TGott sei Dank! Nun ist’s vorbei
mit der Übeltäterei
Nun siegt mal schön!
Die als Scherz gemeinte Aufforderung
T Wohl, nun kann der Guß begin¬
richtete Bundespräsident Theodor
nen
Heuss (1884-1963) an die Teilnehmer
eines Bundeswehrmanövers im Jahr
Nun muß sich alles, alles wenden
1958. Sie wurde - von Journalisten ver¬
Mit diesem Vers enden die beiden Stro¬ breitet - rasch zum geflügelten Wort.
phen des Gedichts „Frühlingsglaube“ Man verwendet sie bis heute vielfach
von Ludwig Uhland (1787-1862). Das abgewandelt als scherzhafte Ermunte¬
Gedicht, das mit dem ebenso bekannten rung.
Vers „Die linden Lüfte sind erwacht“
beginnt, wurde von Mendelssohn und
Nun singen sie wieder
Franz Schubert vertont und besonders
durch Schuberts Vertonung sehr be¬ Dies ist der Titel eines 1945 entstande¬
kannt. - Mit dem Zitat gibt man seiner nen Stücks von Max Frisch. Frisch be¬
Überzeugung Ausdruck, daß sich etwas handelt darin das Thema der Schuld,
Bestimmtes nun zum Besseren wenden die ein Mensch nicht abschütteln
wird, daß man deutliche Anzeichen für kann. - Der Soldat Karl, der die Geiseln
eine positive Entwicklung sieht. erschossen hat, die singend in den Tod
gingen, hört immer wieder ihr Singen.
Im Gespräch mit seinem Vater bekennt
Nun raucht er wieder, Gott sei
er: „Nichts befreit uns von der Verant¬
Dank!
wortung, nichts, sie ist uns gegeben, je¬
t Drei Wochen war der Frosch so krank! dem von uns, jedem die seine; man
kann nicht seine Verantwortung einem
Nun ruhen alle Wälder andern geben, damit er sie verwalte.
So beginnt ein Abendlied des evangeli¬ Man kann die Last der persönlichen
schen Theologen und Dichters vieler be¬ Freiheit nicht abtreten - und eben das
kannter Kirchenlieder der Barockzeit haben wir versucht, und eben das ist un¬
Paul Gerhardt (1607-1676). Die erste sere Schuld.“ Man verwendet das Zitat
Strophe des Liedes sieht den Menschen heute - meist ohne Bezug auf das düste-

341
nur Teil I

re Thema des Stücks und häufig in Ab¬ alte, erblindete Faust, daß sein Bemü¬
wandlung um auszudrücken, daß et¬ hen um die Landgewinnung nun von
was Bestimmtes sich wiederholt, erneut Erfolg gekrönt sei. Er zieht die Summe
einsetzt, wieder auftaucht o. ä. seiner Erfahrung mit den obigen Wor¬
ten. - Man verwendet das Zitat, um sei¬
Nur Beharrung führt zum Ziel ner Überzeugung Ausdruck zu geben,
daß das Leben in einem steten Bemühen
Dieses Zitat, das auch in der abgewan¬
delten Form „Beharrlichkeit führt zum besteht bzw. bestehen muß.
Ziel“ geläufig ist und ähnlichen älte¬
ren Sprichwörtern wie „Beharrlichkeit Nur die größten Kälber wählen
überwindet alles“ entspricht, stammt ihre Metzger selber
aus dem 2. „Spruch des Konfuzius“, er¬ Mit diesem Spruch wird eindringlich
schienen in Schillers Musenalmanach davor gewarnt, bei politischen Wahlen
für das Jahr 1800. Es wird zur Ermunte¬ die falschen Volksvertreter zu wählen.
rung angeführt, wenn jemand zu resi¬ Er könnte auf einer Wahlveranstaltung
gnieren droht, nicht mehr unbeirrt und in Niederschlesien am 1. 10. 1876 ge¬
ausdauernd sein Ziel verfolgt. prägt worden sein, die sich gegen die
Wahl liberaler Abgeordneter richtete
Nur der Irrtum ist das Leben, und und von einem Pfarrer mit eben diesen
das Wissen ist der Tod Worten abgeschlossen worden sein soll.
In diesen beiden Zeilen aus dem Ge¬
dicht „Kassandra“ von Schiller ist ein
Nur die Lumpe sind bescheiden,
zentraler Gedanke dieses Gedichtes for¬ Brave freuen sich der Tat
muliert. In zwölf von sechzehn Stro¬ Dieser Spruch, nicht gerade ein Aufruf
phen enthält das Gedicht die große Kla¬ zur Bescheidenheit, sondern vielmehr
ge der trojanischen Königstochter Kas¬ eine Aufforderung, stolz zu sein auf er¬
sandra über ihr Schicksal als Seherin folgreiche Taten, stammt aus einem Ge¬
(vergleiche die Artikel „Frommt’s, den dicht von Goethe. Es ist das gesellige
Schleier aufzuheben?“ und „Kassan¬ Lied „Rechenschaft“, eine Art Trinklied
dra“). Im Zentrum steht der Gedanke, mit verteilten Rollen und Chor, das von
daß dem Menschen der Blick in die Zu¬ dem mit Goethe befreundeten Kompo¬
kunft und so die Erkenntnis verborge¬ nisten Carl Friedrich Zelter (1758 bis
ner Dinge nicht zusteht. Der Gedanke 1832) vertont wurde.
an die biblische Geschichte vom Baum
der Erkenntnis und der Vertreibung aus Nur ein toter Indianer ist ein guter
dem Paradies liegt nahe (1. Moses 2,16: Indianer
„... von dem Baum der Erkenntnis des
Das Zitat - im Original: The only good
Guten und Bösen sollst du nicht essen,
Indian is a dead Indian - wird dem
denn welches Tages du davon issest,
nordamerikanischen General Philip
wirst du des Todes sterben“). In den
Henry Sheridan (1831-1888) zuge¬
Zeilen „Nur der Irrtum ist das Le¬
schrieben; es diente als Motto für die
ben,/Und das Wissen ist der Tod“ wird
Unterwerfung der Kiowa 1869. Beim
die Schlußfolgerung gezogen, daß das
heutigen Gebrauch wird das Wort „In¬
Irren des Menschen, das aus dem Nicht¬
dianer“ häufig durch eine andere Grup¬
wissen um alles Zukünftige erwächst,
penbezeichnung ersetzt.
das Leben des Menschen erst möglich
macht.
Nur einen Sommer gönnt, ihr Ge¬
waltigen!
Nur der verdient sich Freiheit wie
Friedrich Hölderlin (1770-1843) dichte¬
das Leben, der täglich sie erobern
te in seiner Ode „An die Parzen“ (1798)
muß
wie in einer Vorahnung seiner früh ver¬
Am Ende von Goethes Faust II (5. Akt, löschenden dichterischen Existenz:
Großer Vorhof des Palastes) glaubt der „Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewalti-

342
Teil I nur

gen!/Und einen Herbst zu reifem Ge¬ bereits der Knoten der Handlung: Wal¬
sänge mir,/Daß williger mein Herz, vom lenstein kann von dem zunächst nur als
süßen/Spiele gesättigt, dann mir ster¬ Gedankenspiel existierenden Verrat am
be!“ - Das heute wohl nur noch scherz¬ Kaiser nicht mehr zurücktreten. Er er¬
haft gebrauchte Zitat kann als Bitte um kennt nun die ganze Tragweite seines
genügend Zeit zur Ausführung eines Vorhabens, sich mit den Schweden zu
Vorhabens verwendet werden. verbünden. Im sechsten Auftritt reflek¬
tiert er im Gespräch mit den Generalen
Nur nicht aus Liebe weinen Terzky und Illo über die Treue und ih¬
ren Gegenbegriff, den Verrat. In diesen
In dem deutschen Spielfilm „Es war ei¬
Zusammenhang gehört eine Äußerung
ne rauschende Ballnacht“ aus dem Jah¬
Terzkys, in der er darauf hinweist, daß
re 1939 singt Zarah Leander dieses Lied,
seinerzeit die Dienste des als Verräter
dessen Titel auch Teil des Refrains ist:
vielgeschmähten französischen Gene¬
„Nur nicht aus Liebe weinen,/es gibt
ralkommandeurs Charlos de Bourbon-
auf Erden nicht nur den einen./Es gibt
Montensier vom spanischen Kaiser
so viele auf dieser Welt,/ich liebe jeden,
Karl V. gern angenommen wurden:
der mir gefällt!..." Der Text stammt von
„Der nahm den Bourbon auf mit offnen
Fritz Beckmannn, die Musik schrieb
Armen,/Denn nur vom Nutzen wird die
Theo Mackeben. Mit dem Zitat versucht
Welt regiert.“ - Das Zitat kann beim
man sich selbst oder andere bei Liebes¬
Scheitern eines idealistischen Vorha¬
kummer zu trösten.
bens als resignierender Kommentar
gebraucht werden oder Ausdruck allge¬
Nur nicht gleich, nicht auf der meiner pessimistischer Lebensweisheit
Stell’ sein.
Die t Christel von der Post

Nur wer die Sehnsucht kennt,


Nur über meine Leiche! weiß, was ich leide!
Dieser Ausruf fand vielleicht durch Im 11. Kapitel des 4. Buchs von Goethes
Theodor Körners Drama „Hedwig“ Dichtung „Wilhelm Meisters Lehrjah¬
(1812) allgemeine Verbreitung. Mit den re“ (1796) singen die beiden geheimnis¬
Worten „Nur über meine Leiche geht vollen Gestalten Mignon und der Harf¬
der Weg“ stellt sich die Titelheldin dem ner „ein unregelmäßiges Duett mit dem
verräterischen Schurken Rudolf entge¬ herrlichsten Ausdruck“. Es beginnt und
gen. Vorläufer finden sich sowohl in endet mit den Versen: „Nur wer die
dem Gedicht „Der Gastfreund“ von Sehnsucht kennt,/Weiß, was ich lei¬
Gottfried Herder (1744-1803) als in de!“ - Man verwendet das Zitat scherz¬
Schillers „Wallenstein“ (Wallensteins haft oder mit Selbstironie, um zum Aus¬
Tod 5,7). Hier wirft sich Gordon, der druck zu bringen, daß man sich sehr
Kommandant von Eger, vor die zu Wal¬ nach jemandem oder nach einem Ort,
lenstein vordringenden Mörder und Ereignis o. ä. sehnt.
sagt: „Erst über meinen Leichnam sollst
du hingehn,/Denn nicht will ich das
Gräßliche erleben.“ - Man verwendet Nur wer im Wohlstand lebt, lebt
die umgangssprachliche Redensart, um angenehm!
seiner entschiedenen Ablehnung eines
Die drei Strophen von Bertolt Brechts
Ansinnens oder eines Vorhabens ande¬
„Ballade vom angenehmen Leben“ aus
rer Ausdruck zu geben.
der 1928 uraufgeführten „Dreigroschen¬
oper“ haben diesen Vers als Refrain.
Nur vom Nutzen wird die Welt Man unterstreicht mit ihm oft ironisch
regiert den Tatbestand, daß viele Annehmlich¬
Im ersten Akt von Schillers Trauerspiel keiten des Lebens nur für den erreichbar
„Wallensteins Tod“ (1798) schürzt sich sind, der über genügend Geld verfügt.

343
Nürnberger Teil I

Nürnberger Trichter Rolle traditioneller Studentenverbin¬


dungen diskutiert wird.
Als „Nürnberger Trichter“ bezeichnet
man eine Lernmethode, bei der sich der
O daß sie ewig grünen bliebe, die
Lernende nicht anzustrengen braucht,
bei der ihm der Lernstoff mehr oder we¬ schöne Zeit der jungen Liebe!
niger mechanisch „eingetrichtert“ wird. Mit den beiden Versen schließt in Schil¬
Der Ausdruck geht auf den Nürnberger lers „Lied von der Glocke“ der Ab¬
Schriftsteller Georg Philipp Harsdörffer schnitt über Kindheit und Jugend. Der
(1607-1658) zurück, der als Gründer Wunsch, daß der Lebensabschnitt, in
des „Löbl. Hirten- und Blumenordens dem man die erste Verliebtheit erlebt,
an der Pegnitz“ eine im Jahr 1648 er¬ niemals vorübergehen möge, wird heute
schienene Poetik mit dem Titel „Poeti¬ oft im Rückblick auf die eigene Erfah¬
scher Trichter. Die Teutsche Dicht- und rung oder als etwas wehmütiger Kom¬
Reimkunst, ohne Behuf der lateinischen mentar zu verliebtem Verhalten junger
Sprache, in VI Stunden einzugießen“ Menschen zitiert.
herausgab. Das Bild von einem Trichter,
mit dem man einem Menschen etwas O Deutschland, bleiche Mutter!
„eingießen“ kann, findet man jedoch
Diese Zeile stammt aus dem Gedicht
schon früher, so in der Sprichwörter¬
„Deutschland“ von Bertolt Brecht, der
sammlung von Sebastian Franck aus
1933 aus dem nationalsozialistischen
dem Jahr 1541. Auch bei zeitgenössi¬
Deutschland auswanderte und seine
schen Autoren fand Harsdörffer dieses
Heimat mit den Worten beschrieb: „O
Bild bereits vor und nahm in der Vor¬
Deutschland, bleiche Mutter!/Wie sit¬
rede zu seiner Poetik Bezug darauf.
zest du besudelt/Unter den Völkern.“ In
Anlehnung an das Zitat entstand 1979
t Nur vom Nutzen wird die Welt der deutsche Spielfilm „Deutschland
regiert bleiche Mutter“ (Regie Helma Sanders-
Brahms), der von dem Schicksal einer
Das t Angenehme mit dem Nütz¬ jungen Frau handelt, die in der Nazizeit
lichen verbinden heiratet und sich im Krieg ohne ihren
Mann mit ihrem kleinen Kind durch¬
schlagen muß.

O diese Männer!
Das Zitat ist der Titel eines Lustspiels
des in Prag geborenen Autors Julius Ro¬

o sen (1833-1892). Der Autor greift damit


möglicherweise Desdemonas Ausruf O.
these men, these men! aus Shakespeares
„Othello“ (IV, 3) auf. Rosens Theater¬
stücke, von denen ungefähr 50 aufge¬
O alte Burschenherrlichkeit! führt wurden, lebten von oft sehr zeitbe¬
Es handelt sich hier um den Anfang des zogener Situationskomik; sie sind heute
1825 anonym erschienenen Studenten¬ weitgehend unbekannt. - Der Ausruf
liedes „Rückblicke eines alten Bur¬ „O diese Männer!“ begleitet meist ein
schen“, dessen Autorschaft 1877 Eugen resignierendes weibliches Kopfschüt¬
Höfling (1808-1880) für sich reklamier¬ teln über die Eigenheiten männlichen
te. ln diesem Lied wird beklagt, daß die Charakters oder Verhaltens.
alte Studentenzeit, das ungebundene
Studentenleben dahingegangen ist. Das O du Ausgeburt der Hölle!
Zitat wird heute meist in Zusammen¬ Das Zitat stammt aus Goethes Ballade
hängen gebraucht, in denen das Selbst¬ „Der Zauberlehrling“ aus dem Jahr
verständnis oder die gesellschaftliche 1797. Mit diesem Ausdruck belegt der

344
Teil I o

Zauberlehrling den Wasserträger, den (IV, 5). Es ist der Ausruf des durch Blen¬
er in der Abwesenheit des Hexenmei¬ dung blind gewordenen Grafen von
sters aus einem Besen geschaffen hat Gloster bei seiner Begegnung mit dem
und dann ohne das rechte Zauberwort „mit Blumen und Kränzen“ seltsam ge¬
nicht zum Stillstand bringen kann. Un¬ schmückten, dem Wahnsinn entgegen¬
ter „Ausgeburt“ versteht man allgemein treibenden König Lear in der öden
jemanden, der etwas Negatives in be¬ Landschaft der Kreidefelsen bei Dover.
sonders ausgeprägter Form verkörpert. Im englischen Original lautet die zitierte
Stelle: O ruinedpiece of nature!
O du Falada, da du hangest
Das Zitat stammt aus dem Grimmschen
O ein Gott ist der Mensch, wenn er
Märchen „Die Gänsemagd“. Die Kö¬ träumt, ein Bettler, wenn er nach¬
nigstochter, die als Gänsemagd in der denkt
Fremde leiden muß, und der unter ei¬ Mit diesem Ausruf beklagt Hyperion in
nem Finsteren Tor hängende Kopf ihres Hölderlins (1770-1843) gleichnamigem
getöteten Pferdes beklagen das harte Briefroman (Bd. 1,1. Buch, 2. Brief an
Schicksal, unter dem jeweils der andere Bellarmin) die Unmöglichkeit, „mit al¬
zu leiden hat. Auf ihre Worte „O du lem, was lebt“ eins zu sein und sich
Falada, da du hangest“ antwortet der gleichzeitig der Wissenschaft zu ver¬
Kopf: „O du Jungfer Königin, da du schreiben. Wer diese Worte zitiert, will
gangest,/Wenn das deine Mutter wüß- ausdrücken, daß der Mensch nur im
te,/Ihr Herz tät’ ihr zerspringen.“ - Reich der Phantasie und der Träume
Heute wird das Zitat wohl nur noch grenzenlos frei ist und alles beherrscht.
scherzhaft gebraucht, z. B. als Kommen¬ Sobald aber Realitätssinn, Verstand und
tar, wenn jemand ungeschickt an etwas Logik gefordert sind, sobald das Gefühl
hängengeblieben ist. der Sachlichkeit weichen muß, wird er
wieder in die „ärmere“ Vernunftwelt zu¬
O du lieber Augustin! rückgeholt.
Dies sind die Anfangsworte eines Lie¬
des, das der Wiener Volkssänger Augu¬ O Ewigkeit, du Donnerwort
stin 1679 gesungen haben soll, als er Wenn etwas übermäßig lange dauert,
nach einem Alkoholrausch in einer nicht enden will, die eigene Ungeduld
Pestgrube aufwachte. In einer Erzäh¬ ein Zuwarten aber sehr schwer macht,
lung des Predigers Abraham a Sancta dann wird gelegentlich scherzhaft der
Clara (1644-1709) wird dagegen nur erste Vers aus dem Lied „Ernstliche Be¬
von einem Wiener Dudelsackpfeifer be¬ trachtung der unendlichen Ewigkeit“
richtet, der durch sein Spiel entdeckt des deutschen Pfarrers und Dichters Jo¬
und wieder aus der Grube heraufgezo¬ hann Rist (1607-1667) zitiert. Es be¬
gen wird. Das Zitat wird heute oft mit ginnt mit den Zeilen: „O Ewigkeit, du
seiner Fortsetzung „Alles ist hin“ bzw. Donnerwort,/O Schwert, das durch die
„... hin, hin, hin“ verwendet, wenn man Seele bohrt,/0 Anfang sonder Ende!“
heiter resignierend einen Verlust fest¬ In diesen Zeilen kommt ein tiefes, inner¬
stellt. lich erschütterndes Berührtsein bei der
Betrachtung der Unendlichkeit der Zeit
O du zertrümmert Meisterstück zum Ausdruck, die dem Zitat im heuti¬
gen Gebrauch nicht mehr anhaftet.
der Schöpfung!
Der Anlaß dazu, sich (meist wohl in
O flaumenleichte Zeit der dunklen
eher scherzhafter Weise) dieses Zitats zu
bedienen, ist der beklagenswerte Zu¬
Frühe
stand einer Sache (seltener auch einer Mit diesem Bild bezeichnet Eduard
Person), mit dem man unversehens kon¬ Mörike am Anfang seines 1825 entstan¬
frontiert wird. Das Zitat stammt aus denen Gedichts „An einem Wintermor¬
Shakespeares Drama „König Lear“ gen, vor Sonnenaufgang“ die noch

345
Teil I
o

dunkle Morgenstunde eines Wintertags. (1770-1843) Ode „Gesang des Deut¬


Er beschreibt so eine Art zeitliches Nie¬ schen“ aus dem Jahre 1799. Heute wird
mandsland, es ist nicht mehr Nacht, das Zitat wohl eher ironisch-spöttisch
aber auch noch nicht heller Tag. Das als Ausdruck einer kritischen Haltung
schützende Dunkel trennt die unbe¬ gegenüber übersteigertem Patriotismus
schwerten Träume noch von den Sorgen verwendet.
und Lasten des Alltags wie ein Schleier.
Das wohl eher selten gebrauchte Zitat O heilige Einfalt!
könnte auch heute noch auf die etwas TO sancta simplicitas!
unwirkliche Atmosphäre einer frühen
Morgenstunde bezogen werden, in der O Herr, er will mich fressen!
man noch ein wenig Ruhe hat, bevor das
Im alttestamentlichen (apokryphen)
geschäftige Treiben des Tages beginnt.
Buch des Tobias wird berichtet, wie der
junge Tobias auf seiner Reise am Fluß
O Freund, das wahre Glück ist die
Tigris anlangt, wo ihn ein großer Fisch
Genügsamkeit erschreckt und er ängstlich ausruft: „O
TO, Weisheit! Du redst wie eine Taube! Herr, er will mich fressen!“ (Tobias
6,3). Man zitiert den Vers scherzhaft -
O Freunde, nicht diese Töne! oder einfach nur die Stellenangabe „To¬
Dies sind die Überleitungsworte zum bias sechs, Vers drei“ -, wenn jemand in
berühmten Schlußchor im letzten Satz Gesellschaft mit weit offenem Mund
der 9. Symphonie von Ludwig van Beet¬ gähnt.
hoven (1770-1827), dem „Lied an die
Freude“ von Schiller (vergleiche den O lieb, solang du lieben kannst!
Artikel „Freude, schöner Götterfun¬ Diese Zeile bildet zusammen mit den
ken“). Die Worte werden - meist folgenden Versen „O lieb, solang du lie¬
scherzhaft - beispielsweise als eine Art ben magst!/Die Stunde kommt, die
Appell zur Mäßigung bei einem Streit Stunde kommt,/Wo du an Gräbern
zitiert, bei einer allzu emotional geführ¬ stehst und klagst!“ die Anfangs-, Mittel¬
ten Diskussion o. ä. Hermann Hesse und Schlußstrophe des Gedichts „Der
(1877-1962) hat 1914 einen Aufsatz mit Liebe Dauer“ von Ferdinand Freilig-
diesen Worten überschrieben. rath (1810-1876). Der Dichter hat hier
eine besondere Art des Memento mori
O hätt’ ich nimmer diesen Tag ge¬ verfaßt, das den Leser nicht auf dessen
sehen! eigene Sterblichkeit hinweist, sondern
Im 2. Auftritt des 4. Aufzugs von Schil¬ auf die Sterblichkeit seiner Mitmen¬
lers Drama „Wallensteins Tod“ (1798) schen. Wer in der Liebe zu seinem
findet man Buttler, den als Mörder Wal¬ Nächsten nachläßt, ihn vielleicht durch
lensteins gedungenen Offizier, mit Gor- ein unbedachtes Wort kränkt, dem kann
don, dem Kommandanten von Eger, im durch den Tod des andern die Gelegen¬
Gespräch. Gordon beklagt das Schick¬ heit auf ewig verwehrt bleiben, diese
sal Wallensteins und sein eigenes, das Kränkung wiedergutzumachen. - Das
ihn dazu zwingt, an der Gefangennah¬ Zitat wird heute wohl weitgehend losge¬
me Wallensteins mitzuwirken. Er be¬ löst von seinem ursprünglichen Kontext
ginnt seine Klage, die man auch heute gebraucht, zum Beispiel als eine etwas
im gleichen Sinn gebraucht, mit den überschwengliche Ermunterung, sich
Worten: „O hätt’ ich nimmer diesen Tag auch im fortgeschrittenen Alter das Ver¬
gesehn!“ liebtsein und die Liebe nicht zu versa¬
gen.
O heilig Flerz der Völker, o Vater¬
land! O mein prophetisches Gemüt!
Mit diesen Worten beginnt die erste Der Ausruf, mit dem man zu erkennen
Strophe von Friedrich Hölderlins gibt, daß man etwas Bestimmtes, meist

346
Teil I o

etwas Negatives, geahnt hat, findet sich vous. - Man verwendet das Zitat scherz¬
in Shakespeares Tragödie „Hamlet“ haft in Situationen, in denen man un¬
(1,5; entstanden um 1600). Die engli¬ geduldig, sehnsüchtig auf jemanden
sche Form lautet: O my prophetic soul! wartet.
Hamlet reagiert mit diesen Worten, als
der Geist seines Vaters ihm enthüllt, daß
dieser von Hamlets Onkel Claudius er¬
O schmölze doch dies allzu feste
mordet wurde. Fleisch
Abscheu erfüllt Hamlet, den Prinzen
O rühret, rühret nicht daran! von Dänemark, in Shakespeares gleich¬
namiger Tragödie, als er nach seiner
Der Ausruf stammt aus einem Gedicht
Rückkehr noch keine zwei Monate nach
von Emanuel Geibel (1815-1884) mit
des Vaters Tod die Mutter mit dem On¬
dem Titel „Rühret nicht daran!“. Es be¬
kel vermählt sieht. Er wünschte, er wäre
ginnt mit den Zeilen „Wo still ein Herz
tot: „O schmölze doch dies allzu feste
von Liebe glüht,/O rühret, rühret nicht
Fleisch,/Zerging’ und löst’ in einen Tau
daran“ und warnt davor, jemandes Lie¬
sich auf!“ (1,2; englisch: O! that this too
be zu unterdrücken oder zu zerstören.
too solid flesh would melt,/Thaw, and re-
Zu groß ist die Gefahr, daß ein so ver¬
solve itself into a dew). - Das Zitat wird
letzter Mensch in den Haß und in die
heute selten und wohl nur noch scherz¬
Gottlosigkeit getrieben wird. - Man ge¬
haft angeführt; denkbar wäre es als An¬
braucht das Zitat heute als dringliche
spielung auf die Mühsal einer Abmage¬
Mahnung, ein Thema nicht anzuspre¬
rungskur oder auf ein Messer und Gabel
chen, eine Sache besser auf sich beru¬
hartnäckigen Widerstand leistendes,
hen zu lassen.
zähes Steak.

O sancta simplicitas!
O selig, o selig, ein Kind noch zu
„O heilige Einfalt!“ (so lautet die deut¬
sein!
sche Übersetzung dieser lateinischen
Fügung) rufen wir aus, wenn wir unsere Der Vers bildet den Refrain der ersten
Betroffenheit oder unser Erstaunen beiden Strophen des sogenannten „Za¬
über jemandes Naivität oder Unbeküm¬ renliedes“ aus der komischen Oper
mertheit ausdrücken wollen. Dies soll „Zar und Zimmermann“ (1837) von Al¬
auch der zum Tode verurteilte tschechi¬ bert Lortzing. Dem von Lortzing selbst
sche Reformator Jan Hus (1371-1415) geschriebenen Libretto liegt ein franzö¬
auf dem Scheiterhaufen ausgerufen ha¬ sisches Lustspiel mit dem Titel „Le
ben, als er sah, wie in blindem Glau¬ bourgmestre de Saardam“ zugrunde. -
benseifer noch weiteres Holz auf das Das Zitat beschwört die wehmütige Er¬
Feuer geworfen wurde. Allerdings sind innerung an die Kindheit, in die sich der
diese Worte bereits in spätlateinischen Sprecher gerne zurückversetzen möchte.
Quellen zur Kirchengeschichte überlie¬
fert. O stört sie nicht, die Feier der Na¬
tur!
O säume länger nicht, geliebte Das Zitat, mit dem man seiner Überwäl¬
Seele! tigung durch Natureindrücke oder Na¬
Im 4. Akt der im Jahr 1786 in Wien ur- turvorgänge Ausdruck geben kann, ist
aufgeführten Oper „Figaros Hochzeit“ die 1. Zeile der 2. Strophe von Friedrich
von Mozart singt Susanna, die Zofe der Hebbels (1813-1863) Gedicht „Herbst¬
Gräfin, die so beginnende Arie. Sie will bild“. In dem Herbstgedicht wird die
mit ihr dem eifersüchtigen Figaro, dem Feier der Natur in den anschließenden
ihr gerade angetrauten Kammerdiener Versen geschildert: „Dies ist die Lese,
des Grafen, einen Denkzettel verpassen, die sie selber hält;/Denn heute löst sich
indem sie sich so verhält, als gäbe sie von den Zweigen nur,/Was vor dem mil¬
dem Grafen das geforderte Rendez¬ den Strahl der Sonne fällt.“

347
o Teil I

O Täler weit, o Höhen auch unter den „Balladen“ mit dem Ti¬
Das 10. Kapitel von Joseph von Eichen¬ tel „Der Sänger“. Hier heißt es dann „O
dorffs Roman „Ahnung und Gegen¬ Trank von süßer Labe!“ - Eine ganz
wart“ (1815) schließt mit dem vierstro- ähnliche Formulierung verwendet
phigen Lied, das der Figur des Dichters, Schiller in seinem Gedicht „Das Sieges¬
Graf Friedrich, aus der Feder fließt, be¬ fest“. Nestor, der greise Berater der
vor er zu einer Reise aufbricht. Das Lied siegreichen Griechen, gibt am Ende des
ist Ausdruck seiner Natur- und Heimat¬ Trojanischen Krieges der gefangenen
liebe. „Friedrich machte noch eilig ei¬ Troerin Hekuba folgenden Rat, indem
nen Streifzug durch den Garten und sah er ihr einen Becher Wein reicht: „Trink
noch einmal von dem Berge in die herr¬ ihn aus, den Trank der Labe,/Und ver¬
lichen Täler hinaus ... Wie im Fluge giß den großen Schmerz!/Wundervoll
schrieb er dort folgende Verse in seine ist Bacchus’ Gabe,/Balsam fürs zer-
Schreibtafel:...“ Es folgt das vielgesun¬ riss’ne Herz.“
gene, von Mendelssohn vertonte Lied,
das mit folgenden Zeilen beginnt: „O O wackrer Apotheker, dein Trank
Täler weit, o Höhen,/O schöner, grüner wirkt schnell
Wald,/Du meiner Lust und Wehen/An-
Dies sind die letzten Worte Romeos in
dächt’ger Aufenthalt!“ Man zitiert die
Shakespeares Tragödie „Romeo und Ju¬
erste Zeile beim Blick über ein schönes
lia“ (auf englisch: O true apothecary!/
Landschaftspanorama, um - in leicht
Thy drugs are quick.) Romeo, der Ju¬
pathetischer Form - seiner Begeiste¬
lia vermeintlich tot vorfindet, will ihr in
rung oder Ergriffenheit Ausdruck zu
den Tod folgen. - Man gebraucht das
verleihen.
Zitat gelegentlich scherzhaft, um die ra¬
sche physiologische Wirkung eines Ge¬
O tempora, o mores! tränks, eines Medikaments o. ä. zu beto¬
Dieser Ausruf der Verzweiflung über nen.
die damaligen Verhältnisse in Rom
(deutsch: „O diese Zeiten, o diese Sit¬
O wär’ ich nie geboren!
ten!“) findet sich an mehreren Stellen in
den Werken des römischen Staatsmanns Zur Selbstverwünschung der Titelge¬
und Philosophen Cicero (106 bis 43 stalt aus Goethes Faust I kommt es in
v. Chr.). Er wird auch heute noch als der Kerkerszene am Schluß der Tragö¬
Ausdruck der - oftmals nur gespielten - die, als die wegen Faust zur Kindesmör¬
Entrüstung über den Zeitgeist, die mo¬ derin gewordene Margarete sich in ihrer
derne Lebensart, den vermeintlichen Sinnverwirrung nicht von ihm aus dem
oder tatsächlichen Verfall der Sitten ver¬ Kerker befreien lassen will. Max Kal¬
wendet. beck (1850-1921) verwendet dieselbe
Formulierung in der deutschen Überset¬
zung von Willibald Glucks Oper „Or¬
O Trank der süßen Labe!
pheus und Eurydike“, wo sich Orpheus
Diese Worte stammen aus einem Lied, in seiner Arie „Ach, ich habe sie verlo¬
das Goethe im 11. Kapitel des 2. Buchs ren“ wegen seiner Schuld an Eurydikes
von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ den zweitem Tod ebenfalls selbst verflucht:
geheimnisvollen Harfenspieler singen „Wär’, o wär’ ich nie geboren,/Weh, daß
läßt. In diesem Lied bezeichnet so ein ich auf Erden bin!“ Dieser Text löst sich
fahrender Sänger das Glas Wein, das völlig vom Original der italienischen
ihm zum Lohne für seinen Vortrag ge¬ und der französischen Fassung. Die Zi¬
reicht worden ist. Auch heute noch wird tate aus Faust I und der deutsch gesun¬
gelegentlich mit diesem Zitat scherzhaft genen Orpheus-Arie könnten beide von
ein höchst willkommenes Erfrischungs¬ einer Stelle aus dem Neuen Testament
getränk begrüßt oder ein besonders geprägt sein, wo Jesus in Matthäus
wohlschmeckendes Getränk, das ser¬ 26,24 von Judas sagt: „... weh dem Men¬
viert wird. Das Lied erschien später schen, durch welchen des Menschen

348
Teil I
o

Sohn verraten wird! Es wäre ihm besser, ginnt: „O welche Lust, in freier Luft/
daß er nie geboren wäre.“ Den Atem leicht zu heben!/Nur hier,
nur hier ist Leben,/Der Kerker eine
O Weisheit! Du redst wie eine Gruft.“ Das Libretto der 1805 uraufge-
Taube! führten Oper stammt von Joseph Sonn¬
Das zuerst im Göttinger Musenalma¬ leithner und Georg Friedrich Treitschke
nach 1774 erschienene Gedicht „Adler und beruht auf einer Vorlage von Jean
und Taube“ von Goethe endet mit die¬ Nicolas Bouilly. - Das Zitat wird
sem Vers. Die Feststellung trifft der ver¬ scherzhaft verwendet, wenn man bei¬
letzte und flugunfähig gewordene Ad¬ spielsweise aus einem stickigen Raum
ler, nachdem eine Taube seinem Kum¬ ins Freie kommt oder wenn man die ver¬
pestete Stadtluft hinter sich gelassen hat
mer ihre Lebensweisheit entgegenge¬
und die frische Luft in freier Natur ge¬
setzt hat: „O Freund, das wahre Glück/
nießt.
Ist die Genügsamkeit,/Und die Genüg¬
samkeit/Hat überall genug.“ Genüg¬
samkeit ist aber die „Weisheit der Tau¬ O wer weiß, was in der Zeiten Hin¬
be“, nicht die des Adlers. Sein Leben ist tergründe schlummert
nicht auf das Erlangen von „Weisheit“, Das Zitat stammt aus dem ersten Auf¬
sondern von „Größe“ angelegt. - Man tritt des ersten Aktes von Schillers Trau¬
gebraucht das Zitat, um ein Ansinnen erspiel „Don Kariös“ (1787). Der Titel¬
von Selbstbescheidung von sich zu wei¬ held stellt die rhetorische Frage im Ge¬
sen oder um jemandem zu verstehen zu spräch mit Domingo, dem Beichtvater
geben, daß man anders denkt als er. - des Königs, der sich besorgt über Don
Die Worte der Taube werden dagegen Kariös’ rätselvolle Bedrücktheit äußert
zitiert, wenn man zum Ausdruck brin¬ (1. Akt, 1. Auftritt). - Man verwendet
gen will, daß Glück und Zufriedenheit das Zitat, um damit seinem Gefühl der
am ehesten zu erreichen sind, wenn man Unsicherheit in bezug auf Zukünftiges
in seinen Bedürfnissen bescheiden Ausdruck zu geben.
bleibt.
O wie ist es kalt geworden
O welch ein edler Geist ist hier zer¬ Mit dieser Klage beginnt ein bekanntes
stört Lied von Hoffmann von Fallersleben
Erschüttert stellt Ophelia in Shake¬ (1798-1874) mit dem Titel „Sehnsucht
speares „Hamlet“ mit diesen Worten nach dem Frühling“. Die erste Strophe
(im Original: O what a noble mind is here lautet: „O wie ist es kalt geworden/Und
o'erthrown!) fest, welche tiefgreifende so traurig, öd’ und leer!/Rauhe Winde
Veränderung sich in dem von ihr gelieb¬ wehn von Norden,/Und die Sonne
ten Prinzen vollzogen hat (III, 1). Die scheint nicht mehr.“
psychische Belastung, den ermordeten
Vater rächen zu müssen, scheint ihn in O wie so trügerisch sind Weiber¬
den Wahnsinn getrieben zu haben. Das herzen
Zitat wird meist scherzhaft verwendet,
Zu dieser Erkenntnis gelangt im 4. Akt
wenn jemand einen konfusen oder ver¬
von Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“
störten Eindruck macht.
(1851) der Herzog von Mantua. Im ita¬
lienischen Original singt er: La donna e
O welche Lust, in freier Luft den mobile/Qual piuma al vento („Die Frau
Atem leicht zu heben! ist leicht beweglich/wie eine Feder im
Im ersten Akt von Beethovens Oper „Fi- Wind“; italienischer Text von F. M. Pia¬
delio“ erreicht Leonore, daß der Ker¬ ve; deutscher Text von J. Chr. Grün¬
kermeister die leichteren Gefängnisse baum). Auch heute noch stößt mancher
öffnet. Die Eingekerkerten begrüßen Mann, der unter den Launen einer Frau
das Sonnenlicht mit dem bekannten zu leiden hat, diesen Seufzer aus. - Die
Chor, der mit den folgenden Worten be¬ literarische Vorlage für Verdis Oper

349
o Teil I

bildet das Versdrama „Le roi s’ amuse“ abwandelte: „Ob blond, ob braun, ob
(„Der König amüsiert sich“) des franzö¬ Henna, ich liebe alle Männer“.
sischen Schriftstellers Victor Hugo
(1802-1885).
Die oberen Zehntausend
O wunderschön ist Gottes Erde Dem Begriff, mit dem die „Ober¬
und wert, darauf vergnügt zu sein! schicht“, die gesellschaftliche „Ober¬
klasse“ gemeint ist, liegt das englische
Dieser freudige Ausruf eines sich in sei¬
the upper ten thousand oder the upper ten
ner Umgebung wohlfühlenden, frohge¬
zugrunde. Die Formulierung stammt
stimmten Menschen stammt aus der
von dem amerikanischen Journalisten
letzten Strophe des Gedichts „Aufmun¬
Nathaniel Parker Willis (1806-1867),
terung zur Freude“ von Ludwig Hein¬
der sie in einem Artikel der New Yorker
rich Christoph Hölty (1748-1776). Der
Zeitung „Evening Mirror“ vom 11. 11.
Dichter, dessen Gedichte besonders
1844 verwendete, bezogen auf die begü¬
durch starkes Naturempfinden und gro¬
terte Schicht der Stadt. - „Die oberen
ße Harmonie der Sprache gekennzeich¬
Zehntausend“ ist auch der deutsche
net sind, gilt heute als Begründer der
Titel des amerikanischen Films „High
neueren deutschen Balladendichtung.
Society“ aus dem Jahr 1957. Er erzählt
eine in der gehobenen amerikanischen
O wüßt’ ich doch den Weg zurück! Gesellschaft spielende Dreiecksge¬
Der Sehnsuchtsseufzer, der zeitlich und schichte mit den Hauptdarstellern Bing
(scherzhaft) auch räumlich gemeint sein Crosby, Grace Kelly und Frank Sinatra.
kann, ist die Anfangszeile des Gedichts Die Musik des nach einem Theaterstück
„Kinderland“ von Klaus Groth von Philip Barry gedrehten Films
(1819-1899): „O wüßt’ ich doch den schrieb Cole Porter.
Weg zurück,/Den lieben Weg zum Kin¬
derland!“ Die letzte Strophe nimmt die
Zeile in leicht abgewandelter Form wie¬ Oblomowerei
der auf: „O zeigt mir doch den Weg zu¬ Mit diesem Ausdruck, der aus dem Rus¬
rück ...“ Johannes Brahms wählte 1874 sischen stammt (russisch: oblomowsch-
das Zitat als Titel für seine Vertonung, tschina), bezeichnet man eine Haltung,
die dem Gedicht eine noch größere Be¬ die von körperlicher und geistiger Träg¬
kanntheit sicherte. heit zeugt, eine lethargische, tatenlose
Tagträumerei. Er geht zurück auf den
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen völlig passiven, nur seinen Gedanken
t Errötend folgt er ihren Spuren nachhängenden adligen Gutsbesitzer
Oblomow im gleichnamigen Roman des
russischen Schriftstellers Iwan Aleksan-
Ob blond, ob braun, ich liebe alle
drowitsch Gontscharow (1812-1891). -
Frau’n Das literarische Vorbild dieses Typus ist
Diese Bekundung einer allgemeinen die in der russischen Literatur der
und umfassenden Begeisterung für das 1. Hälfte des 19. Jh.s geschaffene Figur
weibliche Geschlecht stammt aus dem des „überflüssigen Menschen“ (rus¬
Filmlustspiel „Ich liebe alle Frauen“ sisch: lischni tschelowek). Sie erhielt in
aus dem Jahre 1935, das den Schlager der frühen Erzählung „Tagebuch eines
„Ob blond, ob braun, ich liebe alle überflüssigen Menschen“ des russi¬
Frau’n“ populär machte. Der Text schen Schriftstellers Iwan S. Turgenjew
stammt von Ernst Marischka, die Musik (1818-1883) durch die Figur des
von dem erfolgreichen Operetten- und Tschulkaturin, der von sich selbst sagt,
Schlagerkomponisten Robert Stolz er sei „ein überflüssiger Mensch und
(1880-1975). Die deutsche Rockgruppe weiter nichts“, ihre später zum literatur-
„Ina Deter Band“ nahm 1982 einen geschichtlichen Terminus gewordene
Titel auf, der die Schlagerzeile wie folgt Bezeichnung.

350
Teil I
ohne

Dieses obskure Objekt der Be¬ Oft wird es einem sehr verdacht,
gierde wenn er Geräusch nach Noten
Dies ist der deutsche Titel des französi¬ macht
schen Films Cet obscur objet du desir, Dieses Zitat gilt häufig den Bemühun¬
1978 gedreht von Luis Bunuel nach dem gen von Personen, die sich mit einem In¬
1898 erschienenen Roman „La femme strument musikalisch betätigen, beson¬
et le pantin“ von Pierre Louys. Gegen¬ ders wenn ihnen dies nicht recht glük-
stand des Films ist die unerfüllte Lei¬ ken will. Oft dient es auch als Kommen¬
denschaft eines älteren Mannes, der sei¬ tar zu Musikdarbietungen überhaupt,
ne Geschichte der zufällig anwesenden die als störend oder lästig empfunden
Gesellschaft von Mitreisenden auf einer werden. Das Zitat stammt aus dem 9.
Eisenbahnfahrt von Sevilla nach Paris Kapitel der turbulenten Bildergeschich¬
erzählt. Hauptdarsteller sind Fernando te „Fipps, der Affe“ von Wilhelm Busch
Rey und Carole Bouquet. - Man zitiert (1832-1908). Die Worte gelten dort dem
den Titel zur Charakterisierung von et¬ Affen, der „vierhändig“ ein Klavier
was Fragwürdigem oder eigentlich Un¬ traktiert und dabei durch den „Gesang“
würdigem, das jedoch sehr begehrt ist. von Hund und Katze kräftig unterstützt
wird.
t Du sollst dem Ochsen, der da
drischt, nicht das Maul verbinden Oh, das war mal eine schöne rüh¬
rende Familienszene
Oderint, dum metuant Das Zitat stammt aus „Julchen“, dem 3.
t Mögen sie mich hassen, wenn sie mich Teil der „Knopp-Trilogie“ von Wilhelm
nur fürchten Busch (1832-1908). Der Zweizeiler be¬
schließt den Abschnitt „Das Garten¬
Odi profanum vulgus et arceo haus“, als Julchen mit ihrem Liebhaber
So beginnt die erste der sogenannten vom Vater im Gartenhaus entdeckt wird
„Römeroden“ des römischen Dichters und er in Anwesenheit von Mutter und
Horaz (65-8 v.Chr.). Die deutsche Tante dem Liebespaar seinen Segen
Übersetzung lautet: „Ich hasse das ge¬ gibt. Man zitiert den Satz meist scherz¬
meine Volk und halte es mir fern.“ Mit haft als Kommentar zu ähnlichen oder
dem - oft auch verkürzt (Odi profanum vergleichbaren zu Herzen gehenden
vulgus) gebrauchten - Zitat bringt man, Familienszenen.
meist scherzhaft, seine Ablehnung von
etwas zu Volkstümlichem, zu Grobem Oh, ich bin klug und weise, und
zum Ausdruck. mich betrügt man nicht
Das scherzhaft-ironisch gebrauchte Zi¬
Offener Brief tat stammt aus der Auftrittsarie („O
Die Bezeichnung „offener Brief' be¬ sancta justitia, ich möchte rasen“) des
deutet „an eine prominente Persönlich¬ Bürgermeisters van Bett aus dem 1. Akt
keit oder eine Institution gerichteter, in von Albert Lortzings (1801-1851) komi¬
der Presse veröffentlichter Brief, in dem scher Oper „Zar und Zimmermann“.
Kritik geübt oder ein die Allgemeinheit Die Arie charakterisiert den Bürgermei¬
interessierendes Problem o.ä. aufge¬ ster als lächerlichen Aufschneider, der
worfen wird“. Sie geht auf Christi¬ alles andere als klug und weise ist.
an VIII. (1786-1848), König von Däne¬
mark und Herzog von Schleswig und Oh ne Ansehen der Person
Holstein, zurück. Er erklärte in seinem Im 1. Petrusbrief (1,17) des Neuen Te¬
berühmt gewordenen „Offenen Brief' staments heißt es: „Und sintemal ihr
vom 8. 7. 1846, dem ersten Brief dieser den zum Vater anrufet, der ohne Anse¬
Art unter dieser Bezeichnung, daß die hen der Person richtet nach eines jegli¬
Erbfolge in Schleswig dem dänischen chen Werk“. Schon im Alten Testament
Königsgesetz von 1665 unterliege. gebietet Moses dem Volk Israel: „Keine

351
ohne Teil I

Person sollt ihr im Gericht ansehen, kommt zurück“ stammt aus Schillers
sondern sollt den Kleinen hören wie Gedicht „Das Siegesfest“, das sich auf
den Großen“ (5. Moses 1,17). Die heuti¬ das Ende des Trojanischen Krieges be¬
ge Formulierung wird üblicherweise in zieht. Als Beispiel für die Wahllosigkeit
bezug auf Rechtsprechung und die Wir¬ und Ungerechtigkeit des Glücks führt
kung der Gesetze gebraucht. Man sagt der Dichter den von Hektor getöteten
aber zum Beispiel auch „ohne Ansehen Patroklus, den Helden und Freund
von Rang und Namen, des Vermögens, Achills an, dem er den schmäh- und
der Parteizugehörigkeit“. streitsüchtigen „Antihelden“ Thersites
im griechischen Lager vor Troja gegen¬
Ohne Fleiß kein Preis überstellt. Man zitiert die beiden Zeilen
auch heute noch, um (resignierend) auf
In seinem Lehrgedicht „Werke und Ta¬
die Blindheit des Schicksals hinzuwei¬
ge“ erklärt der altgriechische Dichter
sen, das irdisches Glück ohne Ansehen
Hesiod (um 700 v.Chr.) seinem arbeits¬
der einzelnen Person und ihrer Verdien¬
scheuen Bruder Peres, dem Adressaten
ste verteilt.
des Werkes, daß dem Göttervater Zeus
nichts vom Handeln der Menschen ent¬
tAugen haben und nicht sehen;
geht und daß entsprechend die Bösen
Ohren haben und nicht hören
bestraft werden, den Rechtschaffenen
aber Segen zuteil wird. Das Rechte zu
t Wer Ohren hat zu hören, der
tun bedeutet allerdings Arbeit und Mü¬
he, denn: „Vor den Verdienst setzten
höre!
den Schweiß die Götter,/die unsterbli¬
Olle Kamellen
chen, lang aber und steil ist der Weg zu
ihm hin“ (Vers 286 f.). Daraus hat sich Unter diesem Sammeltitel veröffentlich¬
das auch heute noch zitierte Wort „Vor te 1859 Fritz Reuter (1810-1874) seine
den Erfolg haben die Götter den beiden in niederdeutscher Sprache ge¬
Schweiß gesetzt“ entwickelt. Dies wie¬ schriebenen Geschichten „Woans ick
derum wurde dann zur sprichwörtlichen tau ’ne Fru kam“ und „Ut de Franzo-
Redensart „Ohne Fleiß kein Preis“ ver¬ sentid“. Wörtlich übersetzt bedeutet der
kürzt, mit der ganz allgemein ausge¬ Titel „alte Kamillen“, und man bezeich¬
drückt wird, daß sich nur bei entspre¬ net damit (auch in der Form „alte
chendem Bemühen der Erfolg einstellt. Kamellen“) hinlänglich Bekanntes,
eben „alte Geschichten“, die wie zu lan¬
Ohne Gnade und Barmherzigkeit ge liegende Kamillenblüten Aroma und
Kraft verloren haben.
Die Redewendung im Sinne von „gna¬
denlos, erbarmungslos“ hat ihren Ur¬ Omnia mea mecum porto
sprung vermutlich im Alten Testament
Der altgriechische Staatsmann und Phi¬
beim Propheten Jeremia. In Kapitel
losoph Bias (6. Jh. v. Chr.), einer der Sie¬
16,5 heißt es: „... denn ich habe meinen
ben Weisen Griechenlands, soll bei der
Frieden von diesem Volk weggenom¬
Flucht aus seiner Heimatstadt Priene
men, spricht der Herr, samt meiner
von einem anderen Flüchtling aufgefor¬
Gnade und Barmherzigkeit“, und in
dert worden sein, doch wie alle anderen
Kapitel 21, wo der Prophet die Zerstö¬
rung Jerusalems ankündigt, findet sich soviel wie möglich mit sich zu nehmen.
Die Antwort des Weisen überliefert der
eine ähnliche Formulierung: „... daß
kein Schonen noch Gnade noch Barm¬ römische Staatsmann und Politiker Ci¬
herzigkeit da sei“ (Jeremia 21,7). cero (106-43 v.Chr.) in seinen „Parado¬
xa Stoicorum“: Ego vero ...facio: Omnia
mea porto mecum („Aber das ... tue ich
Ohne Wahl verteilt die Gaben, oh¬
ja: Alles, was mir gehört, trage ich bei
ne Billigkeit das Glück mir“; I, 1,8). Damit sollte gesagt wer¬
Das Zitat mit der Fortsetzung „Denn den, daß das Leben selbst und das gei¬
Patroklus liegt begraben,/Und Thersites stige Vermögen die höchsten Güter des

352
Teil I
Ozean

Menschen sind. Der Ausspruch ist in Geschenk für das Kind oder die Kinder
der zitierten Form populär geworden. mitgebracht hat.
Er wird heute meist scherzhaft verwen¬
det, wenn man ausdrücken will, daß Onkel Sam
man kein großes Gepäck benötigt und t Uncle Sam
man alles Wichtige bei sich trägt.
Ora et labora!
Omnia vincit amor Diese alte lateinische Maxime, beson¬
Im Schlußgedicht seiner „Bucolica“ ders der mittelalterlichen christlichen
(später „Eclogae“ genannt) legt der rö¬ Mönche, die übersetzt „Bete und arbei¬
mische Dichter Vergil (70-19 v. Chr.) te!“ lautet, geht zurück auf die von Be¬
seinem Freund C. Cornelius Gallus, ei¬ nedikt von Nursia (um 480-547 [?]) ver¬
nem Politiker und Schriftsteller, der als faßte sogenannte Benediktinerregel (la¬
Schöpfer der römischen Elegie gilt, die¬ teinisch Regula Benedicti). Diese Regel
se Worte in den Mund. Sie bedeuten verpflichtete die Mönche zu Eigentums¬
übersetzt „Alles besiegt die Liebe“. Der losigkeit und Keuschheit, Gehorsam
Ausspruch wurde schon in der Antike und Seßhaftigkeit in einem Kloster.
sprichwörtlich und wird auch heute
noch gelegentlich in der lateinischen t Wie die Orgelpfeifen
Form zitiert.
Orlando furioso
Der t rasende Roland
On revient toujours ä ses premiers
amours t Du bist Orplid, mein Land!
Das Zitat stammt aus der komischen
Oper „Joconde ou les Coureurs d’aven- Du, glückliches Österreich, heira¬
tures“ von Niccolo Isouard (1775 bis te!
1818) mit dem Text von Charles Guil-
t Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube
laume Etienne (1777 oder 1778 bis
1845). Dort heißt es im 3. Akt, 1. Szene: Otto Normalverbraucher
On devient infidele;/On court de belle en
So bezeichnet man in der Umgangsspra¬
belle;/Mais on revient toujours/A ses Pre¬
che den statistischen Durchschnitts¬
miers amours („Man wird untreu, man
menschen, vor allem den Durchschnitts¬
läuft von einer Schönen zur andern,
konsumenten. Die Bezeichnung wurde
aber man kehrt immer wieder zu seiner
durch die gleichnamige Hauptfigur des
ersten Liebe zurück“). Man zitiert die
Films „Berliner Ballade“ aus dem Jahre
letzten beiden Zeilen heute auch häufig
1948 bekannt und gebräuchlich. Der
in bezug auf alte Vorlieben oder Ge¬
von Gert Fröbe gespielte Durchschnitts¬
wohnheiten, zu denen man nach Erfah¬
bürger erlebt in dem satirischen, auf ein
rungen mit neuen Dingen und Situatio¬
Kabarettprogramm zurückgehenden
nen stets wieder zurückfindet.
Film die Nachkriegswirklichkeit in
Deutschland.
Ein Onkel, der Gutes mitbringt, ist
besser als eine Tante, die bloß Kla¬ Mais oü sont les neiges d’antan?
vier spielt t Schnee von gestern
Diesen kinderfreundlichen Spruch ver¬
danken wir der aus dem Nachlaß her¬ Ozean, du Ungeheuer
ausgegebenen Sammlung „Aphorismen Mit diesen Worten bezeichnet in Carl
und Reime“ von Wilhelm Busch Maria von Webers romantischer Oper
(1832-1908). Er wird gelegentlich zi¬ „Oberon“ (deutsche Erstaufführung
tiert, wenn Eltern ernsthaft oder auch 1826) Rezia, die Tochter Harun al Ra¬
nur aus Höflichkeit Einwände dagegen schids, in ihrer Arie im 2. Akt das sturm¬
erheben, daß ein Besucher ein kleines bewegte Meer. Man verwendet das Zitat

353
Ozean Teil I

heute auch zur allgemeinen Charakteri¬ senen Verträgen und Vereinbarungen


sierung der See als grausame Macht, die Stellung.
immer wieder neue Opfer fordert.
Pädagogische Provinz
t In den Ozean schifft mit tausend Das Bild einer erzieherischen Gemein¬
Masten der Jüngling schaft, in der das Erlernen handwerkli¬
cher Tätigkeiten als Grundlage und
Ausgang der Bildung betrachtet wird
und die Schüler angeleitet werden, Ehr¬
furcht vor Gott, vor den Mitmenschen,
vor Leiden und Tod und damit schlie߬
lich vor sich selbst zu haben, zeichnet

P
Goethe als Utopie in seinem Bildungs¬
roman „Wilhelm Meisters Wanderjah¬
re“ (1829). Im ersten Kapitel des zwei¬
ten Buches überschreiten Wilhelm und
sein Begleiter Felix „die Grenze der
Pack die Badehose ein
Provinz, in der sie so manches Merk¬
Mit diesem Schlagertitel debütierte 1950 würdige erfahren sollten“. In der Se¬
die deutsche Schlagersängerin und kundärliteratur zu Goethe hat man in
Schauspielerin Cornelia Froboess bezug auf diesen Abschnitt schon früh
(* 1943) als Kinderstar in einer Rund¬ von der „pädagogischen Provinz“ ge¬
funksendung. Der Schlager, den Corne¬ sprochen. Über den Roman hinaus wur¬
lias Vater Gerhard Froboess kompo¬ de der Begriff dann als Bezeichnung
niert hatte und dessen Text von Hans pädagogischer Idealentwürfe gebräuch¬
Bradtke stammt, wurde schnell populär lich.
und sein Titel als bildlicher Ausdruck
dafür gebräuchlich, daß strahlend schö¬ Die t Büchse der Pandora
nes Sommerwetter herrscht oder zu er¬
warten ist. Panem et circenses
„Brot und Spiele“, mehr braucht man
Packen wir’s an! nicht, um das Volk zufriedenzustellen.
Zusammen mit dem voranstehenden Dieses wenig günstige Urteil über seine
Satz „Es gibt viel zu tun“ erlangte diese Mitbürger fällte der römische Satiriker
Aufforderung als Werbeslogan der Esso Juvenal (fnach 127 n. Chr.) in seinen
AG 1974 über das Fernsehen weite Ver¬ „Satiren“ (X, 81). Diesen Leitsatz haben
breitung. Sie ist nicht zuletzt auch in Staatsmänner immer wieder zur Grund¬
scherzhaften Abwandlungen wie „Es lage ihrer Politik gemacht.
gibt viel zu tun. Fangt schon mal an“ all¬
gemein gebräuchlich geworden. Panta rhei
Der philosophische Gedanke vom ewi¬
t Da packt die andern kalter gen Wechsel der Dinge, von der unauf¬
Graus, sie fliehen in alle Welt hin¬ hörlichen Bewegung, vom steten Wer¬
aus den (griechisch nävm pet „alles
fließt“) wird dem altgriechischen Philo¬
Pacta sunt servanda sophen Heraklit (6./5.Jh. v. Chr.) zuge¬
Dieser auch heute noch häufig zitierte schrieben.
lateinische Rechtsgrundsatz, der über¬
setzt „Verträge müssen eingehalten wer¬ Papiertiger
den“ bedeutet, geht vielleicht auf den Der chinesische Politiker und Vorsit¬
römischen Juristen Ulpianus (um zende der Kommunistischen Partei
170-223) zurück. In verschiedenen Chinas Mao Tse-tung (Mao Zedong;
Rechtskommentaren nimmt er in die¬ 1893-1976) erklärte 1946 in einem In¬
sem Sinne zur Rechtskraft von geschlos¬ terview der amerikanischen Korrespon-

354
Teil I Partei

dentin Anna Louise Strong gegenüber: Boxeraufstandes nach China entsandt


„Alle Reaktionäre sind Papiertiger. wurden, so oder in ähnlicher Form ge¬
Sieht man sie sich an, scheinen sie äußert haben. Der genaue Text ist aller¬
schrecklich zu sein, aber in Wirklichkeit dings umstritten. Der Ausspruch findet
haben sie keineswegs besondere Kräf¬ sich wieder als Titel eines 1935 erschie¬
te.“ Mao gebrauchte diesen Ausdruck nenen psychologisch-gesellschaftskriti¬
(chinesisch zhilaohu. englisch paper ti- schen Romans von Alfred Döblin, in
ger) später noch öfter, und er wurde dem der Kampf ums Überleben in der
bald als Bezeichnung für eine nur dem kapitalistischen Geschäftswelt darge¬
Schein nach starke, gefährliche Person, stellt wird.
Macht oder Sache allgemein gebräuch¬
lich. Paris ist eine Messe wert
Dieser Ausspruch wird dem französi¬
t Daran erkenn’ ich meine Pap¬ schen König Heinrich IV. (1553-1610)
penheimer zugeschrieben. Bei seiner Thronbestei¬
gung trat er, der Kalvinist und Führer
Päpstlicher sein als der Papst der Hugenotten gewesen war, zum ka¬
tholischen Glauben über. Dieses Ver¬
Um scherzhaft auszudrücken, daß je¬
halten soll er mit dem Satz Paris vaut
mand allzu kleinlich und pedantisch ist,
bien une messe kommentiert haben. -
benutzt man häufig diese Redensart. Sie
Man verwendet den Ausspruch heute
geht vielleicht auf den französischen
gelegentlich in abgewandelter Form
König Ludwig XVI. (1754-1793) zu¬
zum Beispiel als Werbeslogan, um eine
rück, der gesagt haben soll II ne faut pas
Empfehlung für einen bestimmten Ort
etre plus royaliste que le roi („Man muß
auszusprechen (etwa „Paris ist eine
nicht königlicher gesinnt sein als der
Reise wert“).
König“). Bismarck hat die Redensart in
der Form „katholischer sein als der
Parisurteil
Papst“ verwendet.
t Zankapfel

Das Paradies der Erde liegt auf


Parkinsonsche Gesetze
dem Rücken der Pferde
Der britische Historiker und Publizist
Diese besonders bei Pferdefreunden be¬
Cyril Northcote Parkinson (1909-1993)
liebten Verse stammen aus Friedrich
hat diese „Gesetze“ in seinem Buch
von Bodenstedts (1819-1892) Gedicht-
„Parkinsons Gesetz und andere Unter¬
und Spruchsammlung „Die Lieder des
suchungen über die Verwaltung“ (engli¬
Mirza Schaffy“ (1851). Darin findet sich
scher Originaltitel: Parkinsons law, the
unter der Überschrift „Arabisches
pursuit of progress) entwickelt. Es han¬
Sprichwort“ der folgende Vierzeiler:
delt sich dabei um ironisch formulierte
„Das Paradies der Erde/Liegt auf dem
Regeln über die Entwicklung bürokrati¬
Rücken der Pferde,/In der Gesundheit
scher Verwaltungen in Behörden und
des Leibes/Und am Herzen des Wei¬
Unternehmen, die die Gefahren des
bes.“ - Verbreitet ist auch die jüngere
Leerlaufs und des Zusammenbrechens
Abwandlung „Alles Glück dieser Erde
großer und komplizierter Verwaltungs¬
liegt auf dem Rücken der Pferde“.
apparate beschreiben. Die Hauptregel
besagt, die bürokratische Arbeit werde
Paradise Lost so lange ausgeweitet, bis sie die zur Ver¬
Das t verlorene Paradies fügung stehende Zeit ausfülle.

Pardon wird nicht gegeben Partei ist organisierte Meinung


Diese Worte soll Kaiser Wilhelm II. am Der britische Staatsmann Benjamin
27.7. 1900 in Bremerhaven vor Truppen, Disraeli (1804-1881) gab diese „Defini¬
die zur Niederwerfung des sogenannten tion“ in einer am 21. 7. 1857 gehaltenen

355
Parteien Teil I

Unterhausrede. Sie lautet im Englischen TWer Pech angreift, besudelt sich


Party is organized opinion und zeigt Dis-
raeli bereits als den Wegbereiter der so¬ Pecunia non ölet
genannten „Tory Democracy“, des Re¬ TGeld stinkt nicht
formprogramms der englischen Konser¬
vativen, das in der Wahlrechtsauswei¬
Den Pegasus besteigen
tung von 1867 seinen Höhepunkt fand
(Verwirklichung des allgemeinen glei¬ t Pegasus im Joche
chen Männerstimmrechts).
Pegasus im Joche
t Ich kenne keine Parteien mehr Pegasus ist eine Figur aus der griechi¬
schen Mythologie, ein geflügeltes Pferd.
Es entsprang der Sage nach dem Rumpf
Passiver Widerstand
der von Perseus getöteten Medusa, die
Als König Friedrich Wilhelm IV. von von Poseidon schwanger war. Unter sei¬
Preußen im November 1848 seine Trup¬ nem harten Hufschlag entstand auf dem
pen zur Einschüchterung der National¬ Berg Helikon, einem Kultort der Mu¬
versammlung in Berlin einmarschieren sen, eine Quelle. Wer aus ihr trank, wur¬
ließ, wies der damalige Präsident der de zum Dichter. Das geflügelte Pferd
Versammlung, Hans Victor von Unruh wurde deshalb später zum „Dichter¬
(1806-1886), den angebotenen bewaff¬ roß“, zum Sinnbild der Dichtkunst, des
neten Schutz der Bürgerwehr mit den Dichtergenies. (So kann man von je¬
Worten zurück: „Ich wäre entschieden mandem, der sich als Dichter versucht,
der Meinung, daß hier nur passiver Wi¬ scherzhaft sagen, er „besteigt den Pega¬
derstand geleistet werden könne.“ Der sus“ oder „reitet den Pegasus“.) Bei
Ausdruck ist schon älter, wurde aber dem Ausdruck „Pegasus im Joche“ han¬
erst durch Unruhs Ausspruch weiter delt es sich um die Überschrift eines Ge¬
verbreitet. dichtes von Schiller. In diesem Gedicht
wird am Bild des zu falschen, unwürdi¬
Pater, peccavi gen Diensten gezwungenen Pegasus de¬
Mit diesen (lateinischen) Worten, die monstriert, wie das Genie verkümmern
übersetzt „Vater, ich habe gesündigt“ muß, wenn es der Dichter, der Not
lauten, kehrt im Neuen Testament nach des Lebens gehorchend, in den Dienst
Lukas 15,18 der verlorene Sohn reumü¬ unangemessen kunstfremder Zwecke
tig ins Haus seines Vaters zurück. Diese stellt.
Bibelstelle liegt auch unserer Redewen¬
dung „,Pater, peccavi1 sagen“ zugrun¬ Penelopearbeit
de, die im Sinne von „seine Schuld ein¬ Der altgriechische Dichter Homer (2.
gestehen und demütig um Verzeihung Hälfte des 8.Jh.s v.Chr.) erzählt in sei¬
bitten“ verwendet wird. ner „Odyssee“, wie sich Penelope, die
Gattin des Odysseus, während der
t Auch Patroklus ist gestorben und 20jährigen Abwesenheit ihres (schlie߬
war mehr als du lich totgeglaubten) Gatten einem immer
zudringlicheren Werben zahlreicher
Freier ausgesetzt sieht. Um Zeit zu ge¬
Paulus, du rasest! winnen, gibt sie vor, zuerst das Leichen¬
Diese Worte spricht der römische Pro¬ tuch für ihren Schwiegervater Laertes
konsul Festus nach dem Bericht der fertigstellen zu müssen, bevor sie sich
Apostelgeschichte (26,24) zu Paulus, als entscheide. Sie zieht jedoch nachts im¬
dieser, von heiligem Eifer erfüllt, sein mer wieder auf, was sie am Tage gewebt
Bekenntnis zu Christus ablegt. Man zi¬ hat (Odyssee II, Vers 94-106). Danach
tiert sie heute noch gelegentlich, meist bezeichnet man heute noch gelegentlich
in scherzhafter Absicht, wenn sich je¬ eine immer wieder von neuem begonne¬
mand sehr ereifert. ne Arbeit, die aber niemals zur Voll-

356
Teil I Pfahl

endung gebracht wird, als „Penelope¬ und Leid in der Zukunft bedeuten, fin¬
arbeit“. det sich schon in mittelalterlichen
Traumbüchern, ln der englischen und
Per aspera ad astra französischen Literatur besonders des
Dieses lateinische Zitat, das in der 17. Jahrhunderts taucht dieses Motiv
Übersetzung „auf rauhen Wegen zu den ebenfalls auf.
Sternen" lautet, wird im Sinne von
„nach vielen Mühen zum Erfolg (gelan¬ Perlen vor die Säue werfen
gen)“ verwendet. Es ist eine Abwand¬
Wird etwas Wertvolles Leuten gegeben,
lung einer Stelle aus der Tragödie „Der
die es nicht zu schätzen wissen, so be¬
rasende Herkules“ des römischen Dich¬
zeichnet man dies gerne mit diesem dra¬
ters Seneca (etwa 55 v. Chr. bis etwa 40
stischen Bild aus dem Matthäusevange¬
n.Chr.). Das Original lautet Non est ad
lium (Matthäus 7,6), wo es heißt: „Ihr
astra mollis e terris via („Es ist kein be¬
sollt das Heiligtum nicht den Hunden
quemer Weg von der Erde zu den Ster¬
geben, und eure Perlen sollt ihr nicht
nen“).
vor die Säue werfen, auf daß sie diesel¬
ben nicht zertreten mit ihren Füßen und
Perfides Albion
sich wenden und euch zerreißen.“
Albion, der besonders dichterisch ge¬
brauchte Name für England, wurde -
obwohl keltischen Ursprungs - mit la¬ Peter-Prinzip
teinisch albus „weiß“ in Verbindung ge¬ Der in Kanada geborene amerikanische
bracht und auf die Kreidefelsen bei Do¬ Pädagoge und Buchautor Laurence
ver bezogen. Das Schlagwort vom „per¬ J. Peter (1919-1990) formulierte in sei¬
fiden Albion“ (= niederträchtiges Eng¬ nem 1969 erschienenen Buch The Peter
land) kam 1793 in Frankreich auf (fran¬ Principle das Prinzip von der „Hierar¬
zösisch la perfide Albion). Es war Aus¬ chie der Unfähigkeit“ (so der Untertitel
druck der Verbitterung über den Beitritt der 1970 erschienenen deutschen Über¬
Englands zur europäischen Koalition setzung), die in vielen Betrieben und In¬
gegen das revolutionäre Frankreich. In stitutionen herrscht. Bei seinen büroso¬
der Folgezeit wurde das Wort immer ziologischen Untersuchungen war er zu
wieder neu belebt, wenn es zu Konflik¬ einer Erkenntnis gelangt, die er im nach
ten zwischen Frankreich und England, ihm benannten „Peter-Prinzip“ zusam¬
dann auch zwischen Deutschland und menfaßt: „In a hierarchy every em-
England kam. ployee tends to rise to his level of in-
competence“ („In einer [Bürojhierar-
Periculum in mora chie besteht die Tendenz, daß jeder An¬
gestellte so lange aufsteigt, bis er eine
t Gefahr im Verzüge
Stufe erreicht hat, für die er nicht mehr
kompetent ist“).
Perlen bedeuten Tränen
In Gotthold Ephraim Lessings Trauer¬
spiel „Emilia Galotti“ (1772) erzählt die Pfahl im Fleisch
Titelgestalt Emilia am Morgen vor der Dieser Ausdruck für etwas, was jeman¬
geplanten Trauung mit dem Grafen Ap- den seelisch peinigt, jemanden innerlich
piani von einem Traum, der schon drei¬ nicht zur Ruhe kommen läßt, stammt
mal wiedergekehrt sei und in dem die aus dem neutestamentlichen 2. Brief des
Edelsteine eines Schmuckstücks, das ihr Paulus an die Korinther. Hier sagt der
zukünftiger Gemahl ihr geschenkt hatte, Apostel von sich selbst: „Und auf daß
sich in Perlen verwandelten. „Perlen ich mich nicht der hohen Offenbarun¬
aber“, so sagt sie zu ihrer Mutter, „Per¬ gen überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl
len aber bedeuten Tränen.“ Diese Vor¬ ins Fleisch, nämlich des Satans Engel,
stellung des Volksglaubens, daß Perlen, der mich mit Fäusten schlage, auf daß
die man geschenkt bekommt, Sorgen ich mich nicht überhebe“ (12,7).

357
Pfeife Teil I

T Nach jemandes Pfeife tanzen Philippika


Mit diesem Ausdruck bezeichnet man
Ein Pferd! Ein Pferd! Mein König¬ eine voller Leidenschaft und mit Heftig¬
keit gehaltene [Straf|rede. Er geht zu¬
reich für’n Pferd
rück auf die Kampfreden des altgriechi¬
A horse! A horse! My kingdom for a
schen Rhetors und Staatsmannes De¬
horse! ruft (im englischen Original) die
mosthenes (384-322 v. Chr.) gegen Kö¬
Titelfigur in Shakespeares Tragödie
nig Philipp von Makedonien (griechisch
„König Richard III.“, als er, von den
tä (PiXinniKä = die Philippischen [Re¬
Truppen seiner Gegner geschlagen,
den]). Der römische Staatsmann und
über das Schlachtfeld irrt. Heute wird
Philosoph Cicero (104-43 v. Chr.)
meist „ein Königreich“ statt „mein Kö¬
wandte sich in 14 Reden, den sogenann¬
nigreich“ zitiert. Das Zitat hat im Laufe
ten „Philippicae“, gegen Marcus Anto¬
der Zeit viele Abwandlungen erfahren,
nius, der in Caesars Nachfolge die Er¬
wovon „Ein Bier! Ein Königreich für
richtung einer Diktatur anstrebte. Es
ein Bier!“ wohl eine der geläufigsten
war dann der Kirchenvater und -lehrer
sein dürfte.
Hieronymus (um 347-419/420), der
erstmals diesen Begriff im Sinne von
Die Pferde sind gesattelt „Strafrede“ verwendete.
In Theodor Körners Drama „Hedwig“,
das 1813 in Wien uraufgeführt wurde, Die Philosophen haben die Welt
hat ein Bedienter im ganzen Stück nur nur verschieden interpretiert; es
einen Satz zu sagen, nämlich im zehnten kommt aber darauf an, sie zu ver¬
Auftritt des zweiten Aufzugs die Worte: ändern
„Die Pferde sind gesattelt, gnäd’ger
So lautet die elfte der von Karl Marx
Herr“. Während das Theaterstück heute
1845 niedergeschriebenen „Thesen über
kaum noch bekannt ist, wird das Zitat
Feuerbach“, einer ersten Dokumentati¬
häufig in Zusammenhängen angeführt,
on der von ihm später entworfenen neu¬
in denen ein Schauspieler nur eine sehr
en Weltanschauung. Diese „These“ ent¬
kleine Nebenrolle fast ohne Text spie¬
hält den gleichsam missionarischen
len darf. Losgelöst von seinem Ur¬
Auftrag, die Gesellschaft im Sinne der
sprung wird das Zitat auch gelegentlich
Marxschen Weltanschauung zu organi¬
scherzhaft als Hinweis darauf verwen¬
sieren. Friedrich Engels hat in der von
det, daß alles zum Aufbruch vorbereitet
ist. ihm 1888 veröffentlichten Version den
Marxschen Originaltext „es kömmt
drauf an“ in die heute geläufige Form
Pfingsten, das liebliche Fest verändert. Der Satz steht in englischer
Mit diesen Anfangsworten aus Goethes Sprache auf Marx’ Grabdenkmal auf
Versepos „Reineke Fuchs“ (erschienen dem Londoner Friedhof Highgate: The
1794) bezeichnet man scherzhaft die philosophers have only interpreted the
entsprechenden Festtage. Der vollstän¬ world in various ways. The point, how-
dige Vers „Pfingsten, das liebliche Fest, ever, is to change it.
war gekommen“ wird auch als Bezeich¬
nung für die Übergangszeit vom Früh¬ Das Phlegma ist geblieben
ling zum Sommer verwendet.
Dieses Zitat aus Schillers Gedicht „Ka¬
straten und Männer“ (später als „Män¬
Pflücket die Rose, eh’ sie verblüht nerwürde“ neu betitelt; erschienen in
T Freut euch des Lebens der „Anthologie auf das Jahr 1782“)
lautet vollständig: „Zum Teufel ist der
Spiritus, das Phlegma ist geblieben.“
t Mit seinem Pfund wuchern
Die Metaphern beziehen sich auf die
Alkoholdestillation, bei der nach der
t Bei Philippi sehen wir uns wieder! Herstellung des Alkohols, des „Spiri-

358
Teil I Plebejer

tus“ (= Branntwein), eine wäßrige, fade dümmster Weise kläfft“ (Der Spiegel
schmeckende Flüssigkeit zurückbleibt, 21.7. 65, S. 18).
die in der älteren Chemie als „Phlegma“
bezeichnet wurde. Mit dem Zitat kom¬ Platonische Liebe
mentiert man eine Situation, in der der Der griechische Philosoph Platon
anfängliche Schwung und die Begeiste¬ (473. Jh. v. Chr.), acht Jahre lang selbst
rung nachgelassen haben und eine eher Schüler Sokrates’, kennzeichnet in sei¬
resigniert-phlegmatische Einstellung nem Dialog „Symposion“ („Das Gast¬
sich breitgemacht hat. mahl“) dessen Verhältnis zu seinen
Schülern als rein geistig-seelische Liebe.
Phönix aus der Asche Heute werden die Fügung und das Ad¬
Wenn gesagt wird, daß sich jemand jektiv „platonisch“ verwendet, wenn ei¬
oder etwas wie ein Phönix aus der ne nicht sinnliche, eine nicht auf Sexua¬
Asche erhebe oder daraus aufsteige, lität, sondern nur auf die geistig-psychi¬
dann wird durch dieses Bild ausge¬ sche Ebene gerichtete Liebesbeziehung
drückt, daß nach scheinbarer Vernich¬ gekennzeichnet werden soll. Wilhelm
tung, nach völligem Zusammenbruch ei¬ Busch hat auf seine Art eine treffende
ne kaum erwartete Wiedererstehung Definition gegeben: „Platonische Liebe
oder Neubelebung stattgefunden hat. kommt mir vor wie ein ewiges Zielen
Der Phönix war ein Fabelwesen der An¬ und Niemalslosdrücken.“
tike. Die Ägypter verehrten ihn als Ver¬
Platz an der Sonne
körperung des Sonnengottes; bei den
Griechen war er Sinnbild des Lebens, Das Motto einer bekannten deutschen
das nach dem Tod neu entsteht. Nach Fernsehlotterie, das auch bildlich im
der römischen Sage verbrennt sich der Sinne von „Glück und Erfolg im Le¬
Phönix in gewissen Abständen immer ben“ verwendet wird, geht auf einen
wieder selbst und steigt dann aus der Ausspruch des Reichskanzlers Fürst
Asche wieder auf. Das Motiv der Selbst¬ Bernhard von Bülow (1849-1929) zu¬
verbrennung wurde schon von den Kir¬ rück. Im Hinblick auf die Besetzung der
chenvätern und frühchristlichen Dich¬ chinesischen Küstenstadt Kiaotschou
tern auf Christus übertragen und mit (Jiaozhou) rechtfertigte er vor dem
dessen Tod und Auferstehung in Ver¬ Reichstag am 6. 12. 1897 die kolonialen
bindung gebracht. Zu nennen ist hier Ansprüche des Deutschen Reiches mit
Lactantius, ein lateinischer Schriftstel¬ den Worten: „Wir sind gern bereit, in
ler des 3. Jahrhunderts und das ihm zu¬ Ostasien den Interessen anderer Gro߬
geschriebene „Carmen de ave Phonice“ mächte Rechnung zu tragen ... Wir wol¬
(„Lied vom Vogel Phönix“). len niemand in den Schatten stellen,
aber wir verlangen auch unseren Platz
an der Sonne.“ Seinen Ursprung hat
Pia fraus
dieser bildliche Ausdruck möglicher¬
t Frommer Betrug weise bereits im 17. Jahrhundert im
Französischen.
Pinscher
Den umgangssprachlich abwertenden t Kein Platz für wilde Tiere
Ausdruck im Sinne von „unbedeutender
Play it again, Sam
Mensch“ gebrauchte Bundeskanzler
Ludwig Erhard in bezug auf den t Mach’s noch einmal, Sam
Schriftsteller Rolf Hochhuth, der in ei¬
ner Wahlbroschüre geschrieben hatte: Die Plebejer proben den Aufstand
„Der Klassenkampf ist nicht zu Ende.“ Dies ist der Titel eines Theaterstücks
Erhard attestierte Hochhuth Unfähig¬ von Günter Grass. Der Autor hat sein
keit auf einem ihm fremden Sektor: „Da 1966 erschienenes Stück selbst vielsa¬
hört bei mir der Dichter auf, und es gend als „deutsches Trauerspiel“ be¬
fängt der ganz kleine Pinscher an, der in zeichnet. Er setzt sich darin nicht nur

359
Teil I
Pleiten

mit der Haltung Bertolt Brechts zu den Poeta laureatus


Geschehnissen in Berlin am 17. 6. 1953 Die Krönung eines besonders angesehe¬
auseinander, sondern stellt die politi¬ nen Dichters zum Poeta laureatus (latei¬
schen Möglichkeiten überhaupt zur nisch laureatus bedeutet „mit Lorbeer
Diskussion. Der Titel wird meist mit bekränzt“, poeta bedeutet „Dichter“),
scherzhaftem Unterton zitiert, wenn hat ihren Ursprung wohl in der Antike;
sich eine Gruppe oder eine Einzelper¬ im Mittelalter war sie ein häufig geübter
son mit heftiger Kritik oder dringlichen Brauch. Sie gewann im Italien des 14.
Forderungen zu Wort meldet. Häufig Jahrhunderts als symbolische Zeremo¬
wird dabei das Subjekt des Satzes abge¬ nie Bedeutung. Die Krönung Petrarcas
wandelt, z. B. zu „Die Parteibasis probt 1341 durch einen römischen Senator
den Aufstand“ oder „Die Naturschützer knüpfte programmatisch an die Antike
proben den Aufstand“. an und machte die Dichterkrönungen,
die zunächst nur vom Papst oder Kaiser
vorgenommen wurden, zu einer Institu¬
Pleiten, Pech und Pannen tion der Zeit des Humanismus. Der
So lautet der Titel einer seit 1986 laufen¬ Brauch wurde auch in Deutschland hei¬
den Fernsehsendung, in der zur Erheite¬ misch, verlor aber seit der Mitte des 16.
rung des Publikums Filmisch oder mit Jahrhunderts an Bedeutung. Am engli¬
der Videokamera dokumentierte Mi߬ schen Hof besteht die Institution des
geschicke vorgeführt werden. Das Zitat Poet laureate bis heute fort. - Als meist
wird verwendet, wenn das Mißlingen leicht ironische Bezeichnung für einen
einer Veranstaltung, eines Vorhabens berühmten Dichter oder Schriftsteller
geschildert werden soll. ist der lateinische Ausdruck in der geho¬
benen Gegenwartssprache noch ge¬
bräuchlich.
Poesie ist die Muttersprache des
menschlichen Geschlechts Polen aus der Polackei
Diesen Satz prägte der deutsche Philo¬ Die zitierte Verszeile steht in Heinrich
soph und Schriftsteller Johann Georg Heines (1797- 1856) Gedicht „Zwei Rit¬
Hamann (1730- 1788) in seiner „Aesthe- ter“ aus den „Historien“, dem 1. Buch
tica in nuce. Eine Rhapsodie in kabbali¬
des „Romanzero“. Mit den durch die
stischer Prose“ (enthalten in der Samm¬
Tautologie ironisierten „Polen aus der
lung „Kreuzzüge des Philologen“, Polackei“ - die Zeile wird kehrreimartig
1762). Er griff dabei auf einen Gedan¬ noch zweimal im Gedicht verwendet -
ken des italienischen Geschichts- und sind zwei Adelige mit ebenfalls scherz¬
Rechtsphilosophen Giovanni Battista haft gebildeten Namen gemeint: „Cra-
(Giambattista) Vico (1668-1744) zu¬
pülinski und Waschlapski,/Polen aus
rück. Die Poesie ist danach für ihn die
der Polackei,/Fochten für die Freiheit,
dem Menschen ureigene Form des Aus¬
gegen/Moskowiter-Tyrannei.“ Das Zi¬
drucks: „Ein tieferer Schlaf war die Ru¬
tat sollte wegen des stark abwertenden
he unserer Urahnen; und ihre Bewe¬
Ausdrucks „Polackei“ heute nur in sol¬
gung ein taumelnder Tanz. Sieben Tage
chen Situationen verwendet werden, in
im Stillschweigen des Nachsinns oder
denen eine Kränkung polnischer Bürger
Erstaunens saßen sie; — und taten ih¬
ausgeschlossen ist.
ren Mund auf - zu geflügelten Sprü¬
chen.“ - Der chilenische Lyriker Pablo
t Noch ist Polen nicht verloren
Neruda (1904-1973) hat dies in seinen
Lebenserinnerungen „Ich bekenne, ich
habe gelebt“ ähnlich formuliert: „Die Politik der offenen Tür
Urneigung des Menschen ist die Poesie, Dieser Ausdruck erfuhr seit dem Ende
aus ihr ist die Liturgie, sind die Psalmen des 19. Jahrhunderts weite Verbreitung
entstanden und auch der Inhalt der Re¬ als politisches Schlagwort für die von
ligionen.“ China geforderte Öffnung seiner Märk-

360
Teil I post

te für den Welthandel. Es waren in er¬ Umgang mit dem politischen Gegner
ster Linie Briten und Amerikaner, die nicht zimperlich. Dies zeigte seine Re¬
vom Reich der Mitte the open doorfor all aktion auf die entstellende Wiedergabe
nations’ trade („die offene Tür für den seiner Äußerungen im Wahlkampf, die
Handel aller Nationen“) verlangten, wie er in einer Reichstagsrede im Januar
es der britische Admiral Charles Wil¬ 1882 als „politische Brunnenvergif¬
liam de la Poer, erster Baron Beresford tung“ bezeichnete.
(1846-1919) formulierte. Heute wird
das Schlagwort losgelöst vom histori¬ Die Polizei - dein Freund und
schen Hintergrund allgemein für das Helfer
Offenlegen, für Transparenz in bezug Dieser Slogan, der dazu dient, der Poli¬
auf die Zielsetzungen einer Regierung zei ein besseres, ein freundliches Image
oder auch eines Unternehmens verwen¬ zu verschaffen, geht vermutlich auf ein
det. Wort des Politikers Albert Grzesinski
(1879-1947) zurück. Dieser bemühte
Politik ist die Kunst des Möglichen sich als zeitweiliger Chef des preußi¬
Bei verschiedenen Gelegenheiten hat schen Landespolizeiamtes, als Polizei¬
Fürst Otto von Bismarck (deutscher präsident von Berlin und als preußi¬
Reichskanzler von 1871-1890) sich all¬ scher Innenminister (1926-1930) in be¬
gemein über die Politik geäußert, die sonderer Weise um eine Demokratisie¬
Politik von der Wissenschaft abge¬ rung von Verwaltung und Polizei. Im
grenzt, sie auch mit der Kunst vergli¬ Vorwort zu einem Buch anläßlich einer
chen. So entstand wohl auf dem Hinter¬ Polizeiausstellung in Berlin 1926 spricht
grund seiner Äußerungen im Laufe der er von der Devise der Polizei, „Freund,
Zeit diese populär gewordene Definiti¬ Helfer und Kamerad der Bevölkerung
on, die dann dem Staatsmann häufig zu¬ zu sein“.
geschrieben wurde, deren eigentliche
Herkunft aber nicht zu ermitteln ist. t Von Pontius zu Pilatus laufen

Die Politik verdirbt den Charakter TVom sichern Port läßt sich’s ge¬
Mit diesem Satz leitete 1882 der spätere mächlich raten
Chefredakteur der „Braunschweigi¬
schen Landeszeitung“, Eugen Sierke, ei¬
Ein Porträt des Künstlers als eines
nen Prospekttext ein, der für das „Blatt jungen Mannes
für die Gebildeten aller Stände“ (Unter¬ Diese wörtliche Übersetzung des Titels
titel: „Eine Zeitung für Nichtpolitiker“) eines Romans von James Joyce
warb. Im zweiten Satz des Werbetextes (1882-1941) wird - oft in Abwandlun¬
weist der Autor dann daraufhin, daß es gen - meist als Überschrift von biogra¬
sich hier um den Ausspruch eines be¬ phisch angelegten Zeitungsartikeln über
rühmten Staatsmannes handle. Als Ur¬ einen Künstler oder eine andere be¬
heber sollen der französische Politiker kannte Persönlichkeit verwendet. Der
Talleyrand (1754-1838), Fürst Metter¬ englische Originaltitel des Joyceschen
nich (1773-1859) aus Österreich, der Entwicklungsromans lautet A Portrait of
deutsche Publizist und Politiker Hofrat the Artist as a Young Man: die deut¬
Gentz oder ein anderer Diplomat des schen Ausgaben tragen die Titel „Ju¬
Wiener Kongresses (1814/1815) in Fra¬ gendbildnis“ oder „Jugendbildnis des
ge kommen. Dichters“.

Ein tgarstig’ Lied! Pfui! Ein poli¬ t Wo bleibt das Positive?


tisch’ Lied
Post festum
Politische Brunnenvergiftung Dieser lateinische Ausdruck bedeutet
Fürst Otto von Bismarck (deutscher wörtlich übersetzt „nach dem Fest“ und
Reichskanzler von 1871-1890) war im wird im Sinne von „hinterher, im nach-

361
Post Teil I

hinein; zu einem Zeitpunkt, wo es ei¬ die zwar nicht kausal aufeinander bezo¬
gentlich zu spät ist“ verwendet. Er gen, aber so aufeinander abgestimmt
stammt aus späteren lateinischen Über¬ sind, daß sie sich von Anfang an in
setzungen des philosophischen Dialogs Übereinstimmung befinden und ein
„Gorgias“ von Platon (427-347 v. Chr.). paralleles Geschehen zustande kommt
Hier wird zu Anfang geschildert, wie wie bei Uhren, die genau gleich reguliert
Sokrates zu einem Fest im Hause des sind. Diese Vorstellung führt in der Mo¬
reichen Kallikles unterwegs ist, wo auch nadologie von Leibniz mit zu der These
der berühmte Redner Gorgias zu Gast von der „besten aller möglichen Wel¬
ist. Sokrates, unterwegs aufgehalten, ten“ (vergleiche diesen Artikel).
trifft erst ein, als Gorgias schon einige
Redebeiträge zum besten gegeben hat, Prediger in der Wüste
und fragt daher, ob er und sein Gefährte
Einen Mahner, dessen Warnungen stän¬
zu spät gekommen seien, eben „nach
dig ungehört verhallen, bezeichnen wir
dem Fest“ (griechisch kcctötuv Eoprqg).
mit diesen Worten der Lutherüberset¬
Diese Wendung ist schon im Griechi¬
zung einer Stelle beim Propheten Jesaja
schen bekannt gewesen, wurde aber erst
(40,3). Es heißt hier: „Es ist eine Stim¬
in der lateinischen Form allgemein ver¬
me eines Predigers in der Wüste: Berei¬
breitet.
tet dem Herrn den Weg“. Im Matthäus¬
evangelium (Matthäus 3,3) werden die¬
Denn bei der Post geht’s nicht so se Worte wiederholt und auf Johannes
schnell den Täufer bezogen.
Die t Christel von der Post
Preisend mit viel schönen Reden
Potemkinsche Dörfer Die 1. Strophe des Gedichts „Der reich¬
Fürst Grigorij Aleksandrowitsch Potem- ste Fürst“ von Justinus Kerner
kin (russische Aussprache: pa'tjomkin; (1786-1862) lautet: „Preisend mit viel
1739-1791) war seit 1774 Günstling und schönen Reden/Ihrer Länder Wert und
engster Berater der russischen Kaiserin Zahl./Saßen viele deutsche Fürsten/
Katharina II. Er annektierte 1783 die Einst zu Worms im Kaisersaal.“ Man zi¬
Halbinsel Krim und forcierte die Kolo¬ tiert daraus manchmal noch den ersten
nisation in Südrußland. Als Katharina Vers, wenn man ausdrücken will, daß je¬
1787 die neugewonnenen Gebiete berei¬ mand äußerst wortreich und in wohlge¬
ste, soll er durch die Errichtung von setzter Rede - allerdings auch meist mit
Fassaden aufgebaute Dörfer vorge¬ wenig Wahrheitsgehalt - einen Sachver¬
täuscht haben, um so den Wohlstand halt in einem günstigen Licht darstellen
des Landes zu demonstrieren. Danach will.
steht die Wendung „Potemkinsche Dör¬
fer“ sprichwörtlich für Vorspiegelun¬ Die Presse - Druckerschwärze auf
gen, für in Wirklichkeit nicht Existieren¬ Papier
des.
In einer 1888 gehaltenen Reichstagsrede
äußerte sich Bismarck über die Einflu߬
Prästabilierte Harmonie
nahme der Presse in Frankreich und in
Dieser Ausdruck ist ein von dem deut¬ Rußland auf die jeweilige Regierung. Er
schen Philosophen Gottfried Wilhelm fügte dann hinzu, daß in beiden Fällen
Leibniz (1646-1716) geprägter philoso¬ die Presse für ihn „Druckerschwärze auf
phischer Begriff, der eine zentrale Stel¬ Papier“, also bedeutungslos, unwichtig
lung in der Philosophie, besonders der sei. Diese Äußerung wird mit wechseln¬
Monadenlehre von Leibniz einnimmt. dem Subjekt als abwertendes Urteil
Er bezeichnet damit das von Gott im über Druck-Erzeugnisse verschieden¬
voraus festgelegte harmonische Verhält¬ ster Art bis heute zitiert, etwa in der
nis aller Dinge im All, besonders das Form: „Dieses Buch ist für mich nichts
von Körper und Seele des Menschen, weiter als Druckerschwärze auf Papier.“

362
Teil I Proletarier

Die Presse ist die Artillerie der sondern als bewußt planendes und aktiv
Freiheit veränderndes Einwirken auf die Ent¬
Diesen Satz formulierte 1989 Hans- wicklung von Natur, Mensch und Ge¬
Dietrich Genscher (* 1927), der damali¬ sellschaft, als konkrete Utopie.
ge Außenminister der Bundesrepublik
Deutschland. Er nahm damit Bezug auf Prinzipienreiter
die Rolle der Presse in den sozialisti¬ f Auf einem Prinzip herumreiten
schen Staaten Osteuropas und die Be¬
deutung ihrer Berichterstattung über die Pro domo
hier stattfindenden gesellschaftspoliti¬ Die wörtliche Übersetzung dieses latei¬
schen Veränderungen für die weitere
nischen Ausdrucks lautet „für das
Entwicklung in diesen Ländern. Der Haus“. Meist tritt er in der Verbindung
Ausspruch ist eine Abwandlung des „pro domo reden“ auf, die „in eigener
Wortes „Kirchenglocken sind die Artil¬ Sache, zum eigenen Nutzen sprechen“
lerie der Geistlichkeit“, das dem öster¬ bedeutet. Es handelt sich hier um den
reichischen Kaiser Joseph II. (Regie¬ älteren Titel der Rede Oratio de domo
rungszeit 1765-1790) zugeschrieben sua („Rede für sein Haus“) des römi¬
wird.
schen Staatsmannes und Philosophen
Cicero (106-43 v. Chr.), die er nach der
Principiis obsta Zerstörung seines Hauses während sei¬
t Wehre den Anfängen ner Verbannung geschrieben hat.

Die Prinzessin auf der Erbse Prokrustesbett


Der Titel dieses Märchens des däni¬ Der griechische Geschichtsschreiber
schen Schriftstellers Hans Christian Diodor (1. Jh. v. Chr.) berichtet in seiner
Andersen (1805-1875) wird gerne zur 40 Bücher umfassenden Weltgeschichte
Kennzeichnung eines überempfindli¬ von Prokrustes, einem riesenhaften Un¬
chen, verzärtelten Menschen verwendet. hold und Wegelagerer in der griechi¬
Das Märchen erzählt von einer Prinzes¬ schen Mythologie. Dieser nahm Vorbei¬
sin, die so empfindlich war, daß sie im ziehende gefangen und streckte ihre
Bett eine Erbse noch spürte, die tief un¬ Körper (griechisch ngoKgovGvrig —
ter mehreren übereinandergeschichte¬ Strecker), bis sie in sein großes Bett pa߬
ten Matratzen lag. So bewies sie, daß sie ten, oder er verstümmelte sie, bis sie für
wirklich äußerst feinempfindend und sein kleines Bett die richtige Größe
damit eine echte Prinzessin war, eben hatten. Danach wird „Prokrustesbett“
eine würdige Gemahlin für den Königs¬ übertragen gebraucht für eine unange¬
sohn. nehme Lage, in die jemand mit Gewalt
gezwungen wird, oder für ein Schema,
t Auf einem Prinzip herumreiten in das etwas gewaltsam hineingezwängt
wird.
Das Prinzip Hoffnung
Diesen Titel gab der deutsche Philosoph
Proletarier aller Länder, vereinigt
Ernst Bloch (1885-1977) seinem Haupt¬ euch!
werk (erschienen 1954-1959 in drei 1848 veröffentlichten Karl Marx und
Bänden). Heute wird dieser Titel meist Friedrich Engels in London das „Mani¬
dann zitiert, wenn ausgedrückt werden fest der Kommunistischen Partei“, ihr
soll, daß man in einer bestimmten Situa¬ wohl berühmtestes Gemeinschaftswerk.
tion nichts mehr tun kann, als nur noch Die als „Kommunistisches Manifest“
zu hoffen. Das steht allerdings ganz im bekanntgewordene Programmschrift
Gegensatz zu den Gedanken Blochs, der faßte erstmals die marxistische Theorie
seine „Hoffnung“ nicht als Warten auf zusammen. Sie schließt mit den Worten
seinen zufällig glücklichen Ausgang „Proletarier aller Länder, vereinigt
oder eine günstige Wendung verstand, euch!“, die in der englischen Form

363
Proletarier Teil I

Workers of all lands, unite auch auf dem nen Blick für das Nützliche oder Ange¬
Grabstein von Karl Marx auf dem Lon¬ nehme haben, beeinflussen läßt.
doner Friedhof Highgate stehen.
tO mein prophetisches Gemüt!
Die Proletarier haben nichts zu
verlieren als ihre Ketten
Proselytenmacherei
Diese Feststellung Findet sich am
Wenn jemand sehr schnell und meist
Schluß des sogenannten „Kommunisti¬
mit aufdringlichen Methoden als An¬
schen Manifests“, das Karl Marx und
hänger einer Religion, als Befürworter
Friedrich Engels im Jahr 1848 in Lon¬
don veröffentlichten: „Die Proletarier einer Ideologie gewonnen wird, ohne
daß der Betreffende jedoch wirklich
haben in ihr (gemeint ist die bisherige
Gesellschaftsordnung) nichts zu verlie¬ überzeugt ist, so bezeichnet man dies als
ren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt „Proselytenmacherei“. Der Ausdruck
zu gewinnen.“ (Es folgt der Aufruf geht auf eine Stelle im Matthäusevange¬
„Proletarier aller Länder, vereinigt lium zurück, in der Jesus warnt: „Weh
euch!“; vergleiche auch diesen Artikel.) euch. Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr
Heuchler, die ihr Land und Wasser um¬
ziehet, daß ihr einen Judengenossen
Der Prophet gilt nichts in seinem
machet“ (Matthäus 23,15). Im griechi¬
Vaterland
schen Text lautet der letzte Teil des
Dieser etwas abgewandelte Vers aus Satzes ... noujoai eva npocrqXvrov,
dem Matthäusevangelium (Matthäus deutsch: „... daß ihr einen Proselyten
13,57: „Ein Prophet gilt nirgend weni¬ macht“ (griechisch npocrfiXvTog = zum
ger denn in seinem Vaterland und in sei¬ Judentum Bekehrter).
nem Hause“) wird auf jemanden bezo¬
gen, dessen Fähigkeiten oder intellektu¬
elle Gaben von seiner näheren Umge¬ Prüfe die Rechnung, du mußt sie
bung nicht erkannt oder nicht gewürdigt bezahlen
werden. Häufig wird auch beim Zitieren Dieser Satz stammt aus dem Lied „Lob
variiert: „Der Prophet gilt wenig in sei¬ des Lernens“ in Bertolt Brechts Stück
nem Vaterland“ oder „Der Prophet gilt „Die Mutter“ (nach dem gleichnamigen
nichts/wenig im eigenen Land.“ Roman von Maxim Gorki; uraufgeführt
1932). Es heißt dort in der letzten Stro¬
Prophete rechts, Prophete links, phe: „Laß dir nichts einreden!/Sieh
das Weltkind in der Mitten selber nach!/Was du nicht selber
So lauten die Schlußverse von Goethes weißt,/Weißt du nicht. Prüfe die Rech¬
Gedicht „Diner zu Coblenz im Sommer nung. Du mußt sie bezahlen“ (Szene
1774“, das 1815 erstmals vollständig ab¬ 6 c). Das Zitat kann als ernsthafte Er¬
gedruckt worden ist. Auf einer Rhein¬ mahnung gebraucht werden, nichts un¬
fahrt saß Goethe mit dem Popularphilo- reflektiert und ungeprüft von anderen
sophen Johann Bernhard Basedow zu übernehmen, oder als scherzhafter
(1724-1790) und dem Schweizer evan¬ Kommentar, wenn man es einem ande¬
gelischen Theologen Johann Kaspar ren überläßt, eine Rechnung im Restau¬
Lavater (1741-1801) beim Essen. Wäh¬ rant o. ä. zu begleichen.
rend diese beiden mit ihren Gesprächs¬
partnern eine hochgelehrte Unterhal¬ T Drum prüfe, wer sich ewig bin¬
tung führten, widmete Goethe sich aus¬ det, ob sich das Herz zum Herzen
schließlich kulinarischen Genüssen.
Findet!
Das Zitat wird heute in der Regel auf je¬
manden bezogen, der - heiter und in
sich ruhend - sich nicht um die Meinun¬ Prüfet alles, und behaltet das Beste
gen anderer kümmert, sich nicht von Dieses Zitat ist die Umformung einer
den ihn umgebenden Eiferern, die kei¬ Stelle im ersten Paulusbrief an die Thes-

364
Teil I qui

salonicher (5,21). Das Original lautet: Von diesen Pyramiden schauen


„Prüfet aber alles, und das Gute behal¬ vierzig Jahrhunderte auf euch her¬
tet.“ Die allgemeine Ermahnung kann
ab
auch als scherzhaft-kritischer Hinweis
darauf verwendet werden, daß jemand Die t Augen der Welt sind auf euch ge¬
richtet
egoistisch darauf bedacht ist, das Beste
stets für sich selbst zu behalten.
Pyrrhussieg
t Das also war des Pudels Kern Einen Erfolg, der mit so hohem Einsatz,
mit so vielen Opfern verbunden ist, daß
er im Grunde eher einem Fehlschlag
Punctum saliens
gleichkommt, bezeichnet man nach den
Der t springende Punkt verlustreichen Siegen des Königs Pyr-
rhus von Epirus über die Römer 280/
TGib mir einen Punkt, wo ich hin¬ 279 v. Chr. als „Pyrrhussieg“. Der grie¬
treten kann, und ich bewege die chische Schriftsteller Plutarch (um
Erde 46-um 125) läßt in seinen Parallelbio¬
graphien ausgewählter Griechen und
Römer König Pyrrhus ausrufen: „Wenn
Pünktlichkeit ist der Dieb der Zeit wir noch eine Schlacht gegen die Römer
„Er kam prinzipiell zu spät, weil es einer gewinnen, werden wir ganz und gar ver¬
seiner Grundsätze war, daß Pünktlich¬ loren sein!“ Danach sagt man gelegent¬
keit die Zeit stehle.“ Mit diesen Worten lich auch: „Noch so ein Sieg, und ich
charakterisiert Oscar Wilde in seinem bin verloren!“
Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“
(1891) den geistreich-zynischen Dandy
Lord Henry Wotton, der den Roman¬
helden zum rücksichtslosen Ausleben
seiner Jugend verführt. Die deutsche
Übersetzung des englischen Original¬
textes He was always late on principle, his
principle being that punctuality is the thief
of time ist in der genannten Kurzform
zum geläufigen Zitat geworden.
0
t In jeden Quark begräbt er seine
Pünktlichkeit ist die Höflichkeit Nase
der Könige
Mit diesem Ausspruch, im französi¬ t Getretner Quark wird breit, nicht
schen Original L'exactitude est la poli- stark
tessedesrois, wird der französische König
Ludwig XVIII. (1755-1824) in den Le¬ t An der Quelle saß der Knabe
benserinnerungen des Bankiers Jacques
Laffitte zitiert. Man bringt mit dem Zitat
Qui s’excuse, s’accuse
indirekt einen Tadel an jemandes Un¬
pünktlichkeit zum Ausdruck, indem Diese sprichwörtliche Redensart, auf
man ihm vor Augen stellt, daß Pünkt¬ deutsch: „Wer sich entschuldigt, klagt
sich an“, ist in der französischen Versi¬
lichkeit eine - selbst von Königen geüb¬
on geläufiger als in der deutschen, wohl
te - Form von Höflichkeit ist.
weil sie im Französischen in ein Wort¬
spiel gekleidet ist. Der Grundgedanke
Nun, wenn der Purpur fällt, muß der Redensart, daß jemand, der sich ent¬
auch der Herzog nach! schuldigt, den Grund für diese Ent¬
TWenn der Mantel fällt, muß der Her¬ schuldigung als eine gewisse eigene
zog nach Schuld anerkennt, sich also indirekt

365
qui Teil I

selbst beschuldigt, ist auch in dem latei¬ Quod erat demonstrandum


nischen Wortspiel Dum excusare credis, In den „Elementa“ des griechischen
accusas enthalten. Es heißt auf deutsch: Mathematikers Euklid (4.Jh. v. Chr.),
„Während du dich zu entschuldigen einer neuartigen systematischen Zusam¬
glaubst, klagst du dich an“ und findet menfassung und Umformung der ge¬
sich schon in den Schriften des lateini¬ samten mathematischen Kenntnisse vor
schen Kirchenvaters Hieronymus (um seiner Zeit, enden die Beweisführungen
347-419 oder 420). mit der Feststellung „was zu beweisen
war“ (griechisch öjieq eSei öel^ai). In
Qui tacet, consentire videtur einer lateinischen Übersetzung des frü¬
hen 16. Jahrhunderts findet sich dafür
Dieser lateinische Satz (übersetzt: „Wer
zum ersten Male das auch heute noch
schweigt, scheint zuzustimmen“) findet
zitierte Quod erat demonstrandum.
sich im Corpus Iuris Canonici, und
zwar im sogenannten Liber Sextus. Die¬
se Sammlung von Konzilsbeschlüssen Quod scripsi, scripsi
und päpstlichen Erlassen ist von Papst t Was ich geschrieben habe, habe ich ge¬
Bonifatius VIII. (Amtszeit von 1294 bis schrieben
1303) angelegt worden. Schon in der
Rechtsprechung der Griechen und Rö¬ Quousque tandem?
mer hatte der Grundsatz Geltung, wie „Wie lange noch, Catilina, willst du un¬
ähnliche Formulierungen bei Sopho¬ sere Geduld mißbrauchen?“ Mit diesen
kles, Platon und Cicero zeigen. Auch
Worten (lateinisch: Quousque tandem
heute noch wird er im gleichen Sinne
abutere, Catilina, patientia nostra) be¬
(lateinisch und deutsch) zitiert. ginnt der römische Staatsmann und Phi¬
losoph Cicero (106-43 v. Chr.) seine er¬
Quo vadis? ste Rede gegen den Verschwörer Catili¬
Mit diesem Titel erschien 1895/1896 ein na. Er fordert ihn darin auf, Rom zu ver¬
Roman des polnischen Schriftstellers lassen. Man zitiert heute meist nur den
Henryk Sienkiewicz (1846-1916). Er Satzanfang „Quousque tandem“ („Wie
spielt in der Zeit der ersten Christenver¬ lange noch?“), um Ungeduld oder ein
folgungen unter dem römischen Kaiser Ungehaltensein über etwas, was als zu
Nero. Der lateinische Romantitel (über¬ lange dauernd empfunden wird, auszu¬
setzt „Wohin gehst du?“) geht auf eine drücken.
nachbiblische Legende aus dem Leben
des Apostels Petrus zurück, die in den
Roman eingebaut worden ist. Dem vor
der Verfolgung aus Rom Fliehenden er¬
scheint Christus. Auf die Frage des Pe¬
trus Quo vadis, Domine? („Wohin gehst
du, Herr?“) antwortete dieser ihm, er
ginge nach Rom, um sich ein zweites
Mal kreuzigen zu lassen. Petrus kehrt
R
daraufhin in die Stadt zurück und erlei¬
det hier den Märtyrertod. Der Roman Rache für Sadowa!
wurde in 30 Sprachen übersetzt und Die berühmte Schlacht von Königgrätz
mehrmals verfilmt (zuletzt 1951 mit (tschechisch: Hradec Krälove) wird in
Peter Ustinov als Nero). - Man zitiert Frankreich und Großbritannien nach
den Titel heute (häufig mit einer Anrede dem nahegelegenen Ort Sadowa be¬
wie in „Quo vadis, Hollywood?“ oder nannt. In dieser Schlacht wurde am
„Quo vadis, Europarat?“ verbunden), 3. 7. 1866 die österreichisch-sächsische
wenn man äußerst skeptisch fragen will: Armee von den preußischen Truppen
„Wohin wird das führen?“ oder „Wer vernichtend geschlagen. Frankreich, das
weiß, wie das noch enden wird?“ aus dem Machtkampf zwischen Preu-

366
Teil I raffinierte

ßen und Österreich Nutzen ziehen woll¬ nicht rückgängig gemacht werden kön¬
te und seine Hoffnung auf eine Nieder¬ nen.
lage Preußens gesetzt hatte, war zutiefst
enttäuscht. Das Vergeltungsstreben der t Alle Räder stehen still, wenn dein
Franzosen nach diesem Sieg Preußens
starker Arm es will
fand Ausdruck in dem Schlachtruf „Ra¬
che für Sadowa!“ (französisch Revanche
Raffael wäre ein großer Maler ge¬
de Sadowa), der damals und in der Fol¬
gezeit überall bekannt war. Auch heute worden, selbst wenn er ohne Hän¬
noch ist er gelegentlich zu hören, aller¬ de auf die Welt gekommen wäre
dings im harmloseren Zusammenhang Das Zitat geht auf Gotthold Ephraim
von Spiel oder Sport als scherzhafte An¬ Lessings (1729-1781) „Emilia Galotti“
drohung einer Revanche beispielsweise (1,4) zurück. Der Maler Conti sagt dort
für die Schmach einer Niederlage o.ä. zum Prinzen von Guastalla: „Oder mei¬
nen Sie, Prinz, daß Raffael nicht das
Die Rache ist mein größte malerische Genie gewesen wäre,
Dieses (auch in der Form „Mein ist die wenn er unglücklicherweise ohne Hän¬
Rache“ gebräuchliche) Bibelzitat Findet de wäre geboren worden?“ Er stellt da¬
sich im Alten Testament, wo es heißt mit die Konzeption über die handwerk¬
(5. Moses 32,35): „Die Rache ist mein; liche Ausführung eines Kunstwerks, um
ich will vergelten.“ Im Römerbrief des zugleich seine Unzufriedenheit mit der
Neuen Testaments wird diese Stelle (mit eigenen Malerei zu rechtfertigen, die er
dem Zusatz „... spricht der Herr“) wie¬ zuvor so beschrieben hat: „Auf dem lan¬
der aufgenommen (Römer, 12,19). Au¬ gen Wege, aus dem Auge durch den
ßerhalb des biblischen Kontexts wird Arm in den Pinsel, wieviel geht da verlo¬
das Zitat oft scherzhaft zur Ankündi¬ ren! - Aber ... daß ich es weiß, was hier
gung einer Revanche verwendet. verlorengegangen und wie es verloren¬
gegangen und warum es verlorengehen
Das Rad der Geschichte zurück¬ müssen: darauf bin ich ebenso stolz und
drehen stolzer, als ich auf alles das bin, was ich
nicht verlorengehen lassen. Denn aus je¬
Das „Rad der Zeit“ oder das „Rad der
nem erkenne ich mehr als aus diesem,
Geschichte“ sind seit dem 18. Jahrhun¬
daß ich wirklich ein großer Maler bin,
dert im Deutschen gebräuchliche Bilder
daß es aber meine Hand nur nicht im¬
für den Wechsel durch die Zeitläufte
mer ist.“
und den Fortgang der geschichtlichen
Entwicklung. Eine daran angelehnte
Formulierung ist möglicherweise durch Das raffinierte Tier tat’s um des
das „Kommunistische Manifest“ (1848) Reimes willen
von Karl Marx und Friedrich Engels be¬ Dies ist die letzte Zeile eines zu den
kannt und gebräuchlich geworden. Dort „Galgenliedern“ gehörenden kleinen
heißt es im Abschnitt I („Bourgeois und Nonsensgedichts von Christian Mor¬
Proletarier“): „Die Mittelstände, der genstern (1871-1914), dem Dichter, der
kleine Industrielle, der kleine Kauf¬ besonders durch seine witzigen, oft
mann, der Handwerker, der Bauer, sie skurrilen sprachlichen Grotesken be¬
alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre kannt und beliebt geworden ist. Das Zi¬
Existenz als Mittelstände vor dem Un¬ tat dient meist dazu, jemandes Hand¬
tergang zu sichern. Sie sind also nicht lungsweise, die man nicht nachvollzie¬
revolutionär, sondern konservativ. hen, nicht verstehen kann oder will, zu
Noch mehr, sie sind reaktionär, sie su¬ kommentieren, oder auch einfach dazu,
chen das Rad der Geschichte zurückzu¬ sich eine Antwort zu ersparen. Das Ge¬
drehen.“ - Wenn heute gesagt wird, daß dicht „Das ästhetische Wiesel“ lautet im
das Rad der Geschichte sich nicht zu¬ ganzen: „Ein Wiesel saß auf einem Kie¬
rückdrehen läßt, so drückt man damit sel inmitten Bachgeriesel/Wißt ihr wes-
aus, daß historische Entwicklungen halb?/Das Mondkalb verriet es mir im

367
Teil I
Ränzlein

Stillen :/Das raffinierte Tier tat’s um des Rasender Reporter


Reimes willen.“ Der tschechische Journalist und Schrift¬
steller Egon Erwin Kisch (1885-1948),
dessen ausgedehnte Reisen in alle Kon¬
t Hatte sich ein Ränzlein ange- tinente ihren Niederschlag in abenteu¬
mäst’t als wie der Doktor Luther erlich anmutenden Berichten und Bü¬
chern fanden, veröffentlichte 1925 eine
Sammlung von Reportagen unter dem
Rasch tritt der Tod den Menschen Titel „Der rasende Reporter“. Dieser
an Titel wurde bald zur Bezeichnung für
Gedanken über die Möglichkeit ab¬ Kisch selbst. Auch heute noch ist diese
rupter schicksalhafter Veränderungen Bezeichnung üblich, besonders für agi¬
durch den Tod, über die Endlichkeit al¬ le, mitunter auch für aufdringliche Jour¬
les Lebenden und die Flüchtigkeit des nalisten und Berichterstatter, die immer
Daseins überhaupt werden oft in diesem schnell am Ort des Geschehens sind.
Zitat zusammengefaßt. Es stammt aus
Schillers Schauspiel „Wilhelm Teil“
T Da rast der See und will sein
und ist die Anfangszeile des Gesangs
der „barmherzigen Brüder“, mit wel¬ Opfer haben
chem die berühmte 3. Szene des 4. Auf¬
zugs, „Die hohle Gasse bei Küßnacht“, Rattenfänger
abschließt. Der tyrannische Reichsvogt
Einen Demagogen und Volksverführer,
Geßler ist von Wilhelm Teil mit dem
aber auch einfach einen Menschen, der
Pfeil getötet worden, die „barmherzigen
andere zu übertölpeln sucht, bezeichnet
Brüder“ stehen im Halbkreis um den
man häufig als „Rattenfänger“. Die Be¬
Leichnam und singen: „Rasch tritt der
zeichnung geht auf die mittelalterliche
Tod den Menschen an,/Es ist ihm keine
Sage vom „Rattenfänger von Hameln“
Frist gegeben,/Es stürzt ihn mitten in
zurück. Die Sage berichtet von einem
der Bahn,/Es reißt ihn fort vom vollen
Pfeifer oder Flötenspieler, der die Stadt
Leben.“
Hameln von einer Rattenplage erlöste
und danach um seinen Lohn geprellt
Der rasende Roland wurde. Dafür rächte er sich auf unheim¬
liche Weise, indem er die Kinder der
Im Jahre 1532 veröffentlichte der italie¬
Hamelner mit seinem Flötenspiel aus
nische Dichter Ludovico Ariosto
der Stadt lockte und für immer ver¬
(Ariost; 1474-1533) die endgültige Fas¬
schwinden ließ.
sung seiner epischen Dichtung Orlando
furioso (auf deutsch 1631-36 unter dem
Titel „Die Historie vom rasenden Ro¬ T Unter die Räuber gefallen sein
land“ erschienen). Darin wird die bis
zum Wahn gesteigerte Liebe Orlandos,
eines Paladins Karls des Großen, zu der Rauch ist alles ird’sche Wesen
morgenländischen Prinzessin Angelica Dieses Zitat von der Vergänglichkeit
geschildert. Man bezeichnet heute mit alles Irdischen stammt aus Schillers Ge¬
diesem Ausdruck - ohne jeden Bezug dicht „Das Siegesfest“, in dem der Ge¬
auf Ariosts Werk - einen wütenden, wie gensatz zwischen Siegen und Unterlie¬
eine Furie rasenden Menschen. Gele¬ gen am Beispiel der Griechen und Troer
gentlich wird auch jemand, der mit nach dem Untergang Trojas dargestellt
übersteigerter Betriebsamkeit, in fieber¬ wird. Die Klage über die Vergänglich¬
hafter Eile agiert, so genannt. Eine iro¬ keit wird der gefangenen Seherin Kas¬
nische Verwendung fand „Der rasende sandra in den Mund gelegt: „Rauch ist
Roland“ als Name eines langsamen Ei¬ alles ird’sche Wesen;/Wie des Dampfes
senbahnzuges, der auf der Insel Rügen Säule weht,/Schwinden alle Erdengrö¬
auf einer Schmalspurstrecke verkehrt. ßen,/Nur die Götter bleiben stet.“

368
Teil I reden

Rauhe Winde wehn von Norden rier (1792-1837), und zwar aus seinem
Zu den oft zitierten Gedichtzeilen, die 1808 erschienenen Werk „Theorie des
den Einzug des Winters mit all seinen quatre mouvements et des destinees
Widrigkeiten beklagen, gehört diese generales“, einem umfassenden System
Zeile aus der ersten Strophe des Ge¬ des utopischen Sozialismus. Das Verur¬
dichts „Sehnsucht nach dem Frühling“, teiltsein des Menschen zur Arbeit seit
dessen erste Zeile, „O wie ist es kalt ge¬ dem Sündenfall wird hier als Men¬
worden“, bereits mit dieser Klage ein¬ schenrecht umgedeutet.
setzt. Das Gedicht gehört zu einer Reihe
sehr populär gewordener Kinderlieder Es wird mit Recht ein guter Braten
von Hoffmann von Fallersleben (1798 gerechnet zu den guten Taten
bis 1874). Mit diesen Zeilen beginnt ein Gedicht
aus Wilhelm Büschs Sammlung „Kritik
Raum für alle hat die Erde des Herzens“ (1874). Man bringt mit
Diese Feststellung werden heute viele - dem Zitat anerkennend-scherzhaft zum
angesichts der Bevölkerungsexplosion Ausdruck, daß man gekonnt zubereite¬
auf der Erde - nicht mehr für zutreffend tes, gutes Essen sehr wohl zu schätzen
halten. Zur Zeit Schillers jedenfalls war weiß. Das Gedicht vertritt die These,
sie noch unbezweifelbar richtig. Sie daß die sachkundige Zubereitung eines
stammt aus seinem 1804 entstandenen, Bratens positive Charaktereigenschaf¬
von Franz Schubert später vertonten ten der Köchin voraussetzt; es endet mit
Gedicht „Der Alpenjäger“ und stellt den Zeilen: „Wer einen guten Braten
dort einen Teil der Belehrung dar, die macht,/Hat auch ein gutes Herz.“
der Berggeist am Ende dem Jäger erteilt.
Dieser hat eine Gazelle bis auf den Recht muß Recht bleiben
höchsten Berggrat getrieben, um sie dort Im 94. Psalm des Alten Testaments ist
zu erlegen. Das Gedicht endet mit den davon die Rede, daß das Volk Gottes
Zeilen: „,Mußt du Tod und Jammer von den Gottlosen unterdrückt wird,
senden1,/Ruft er, ,bis herauf zu mir?/ daß Gott ihm aber beistehen wird:
Raum für alle hat die Erde,/Was ver¬ „Denn der Herr wird sein Volk nicht
folgst du meine Herde?1“ verstoßen noch sein Erbe verlassen.
Denn Recht muß doch Recht bleiben,
Raum ist in der kleinsten Hütte und dem werden alle frommen Herzen
Die 4. Strophe von Schillers Gedicht zufallen.11 Das verkürzte Zitat ist auch
„Der Jüngling am Bache“ (1803; die 3. in der abgewandelten Form „Was Recht
und 4. Strophe sind später in das Lust¬ ist, muß Recht bleiben“ sprichwörtlich
spiel „Der Parasit“ eingebaut worden) geworden; man verwendet es als bekräf¬
endet mit dem Vers: „Raum ist in der tigenden Kommentar, wenn man sich
kleinsten Hütte/Für ein glücklich lie¬ selbst im Recht fühlt oder als emphati¬
bend Paar.“ Man kommentiert damit sche Ablehnung einer Ungerechtigkeit.
heute - meist nur mit dem vorletzten
Vers - beengte räumliche Verhältnisse, TZur Rechten sieht man wie zur
die aber gerne in Kauf genommen wer¬ Linken einen halben Türken her¬
den. untersinken

tWie er sich räuspert und wie er t Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein.
spuckt, das hat er ihm glücklich ab¬ Was darüber ist, das ist vom Übel
geguckt
Es reden und träumen die Men¬
Das Recht auf Arbeit schen viel
Das politische Schlagwort vom Recht Mit den Versen „Es reden und träumen
auf Arbeit stammt von dem französi¬ die Menschen viel/Von bessern künfti¬
schen Sozialphilosophen Charles Fou¬ gen Tagen,/Nach einem glücklichen.

369
red’st Teil I

goldenen Ziel/Sieht man sie rennen und zitierten Zeile eine solche Geisterer¬
jagen“ beginnt Schillers Gedicht „Hoff¬ scheinung an; „Der Rodenstein, der Ro¬
nung“ (1797). Der Dichter spricht in sei¬ denstein, der Rodenstein zieht um!“ -
nen Versen die Überzeugung aus, daß Das Zitat wird umgangssprachlich ver¬
die Menschen zu Recht auf Verbesse¬ wendet, um auf erste Anzeichen einer
rung hoffen; mit dem Zitat wird aller¬ Veränderung oder Bewegung aufmerk¬
dings heute eher eine skeptische Hal¬ sam zu machen.
tung gegenüber jemandes hochfliegen¬
den Plänen und Wünschen zum Aus¬ Reich mir die Hand, mein Leben
druck gebracht. Diese oft zitierten Worte sind die An¬
fangszeile eines sehr populär geworde¬
t Du red’st, wie du’s verstehst nen Duetts aus dem 1. Akt der Oper
„Don Giovanni“ von Mozart (1756 bis
Eine Reformation an Haupt und 1791), italienisches Libretto von Loren-
Gliedern zo da Ponte (1749-1838), deutscher
So bezeichnet man eine grundlegende, Text der letzten Fassung von Hermann
völlige, in jeder Hinsicht durchzufüh¬ Levi (1839-1900). Das Duett bildet den
rende Umgestaltung einer Organisation. Höhepunkt einer Szene, in der Don
Die Forderung wurde ursprünglich in Giovanni, der Verführer, Zerlina, die
bezug auf die katholische Kirche aufge¬ Braut des Bauern Masetto, für sich ge¬
stellt, und sie ist in ihrer frühesten nach¬ winnt, indem er ihr einredet, ein Mäd¬
weisbaren Form wohl von dem Bischof chen wie sie dürfe nicht einem Bauern
Guilelmus Durandus formuliert wor¬ gehören.
den. In einem Text zur Vorbereitung des
Konzils von Vienne (1311) heißt es: t In meinem Reich geht die Sonne
... quod ante omnia corrigerentur et refor- nicht unter
marentur illa quae sunt in ecclesia Dei
corrigenda et reformanda, tarn in capite Reichskristallnacht
quam in membris („... daß vor allem das,
t Kristallnacht
was in der Kirche Gottes zu verbessern
und zu reformieren ist, verbessert und
reformiert werden möge, und zwar an
Reif für die Insel
Haupt und Gliedern“). So lautet der Titel eines 1982 von dem
österreichischen Liedermacher Peter
t Nach allen Regeln der Kunst Cornelius (* 1951) geschriebenen Schla¬
gers. Der Ausdruck, mit dem man deut¬
t Denn der Regen, der regnet jeg¬ lich machen möchte, daß man eine Er¬
lichen Tag holung dringend nötig hat, „urlaubs¬
reif* ist, hat sich in der Umgangsspra¬
t Auf Regen folgt Sonne che allgemein durchgesetzt.

Es regt sich was im Odenwald Reim dich, oder ich fress’ dich
Mit dieser Zeile beginnt das Gedicht Unter dem Pseudonym Hartmann Rein¬
„Rodensteins Auszug“ von Joseph Vic¬ hold veröffentlichte Gottfried Wilhelm
tor von Scheffel (1826-1886), das wohl Sacer (1635-1699) eine Satire über
zusammen mit anderen „Liedern vom Schwächen zeitgenössischer Dicht¬
Rodenstein“ nach einer Wanderung auf kunst. Der zeittypische Titel der Satire
die Ruine des Schlosses Rodenstein im lautete; „Reime dich, oder ich fresse
winterlichen Odenwald entstanden ist. dich, das ist, deutlicher zu geben, [...]
Um dieses Schloß ranken sich die Sagen schellen- und scheltenswürdige Thor-
vom „Herrn von Rodenstein“, der in be¬ heit boeotischer (= bäurischer) Poeten
stimmten Nächten mit einem „wilden in Deutschland“. Die verkürzte Form
Heer“ durch die Lüfte zieht; und in dieses Titels wird scherzhaft zitiert, um
Scheffels Gedicht kündigt sich mit der mißglückte, sozusagen gewaltsam zum

370
Teil I Reporter

Reim gezwungene Verse zu charakteri¬ Religion ist Opium für das Volk
sieren.
In seiner Abhandlung „Zur Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie. Einlei¬
Das t raffinierte Tier tat’s um des tung“ (1844) versucht Karl Marx
Reimes willen (1818-1883), die Kritik an der Religion
zu einer Gesellschaftskritik auf materia¬
Dem Reinen ist alles rein listischer Grundlage weiterzuentwik-
keln. Ausgehend von seiner Erkenntnis
Dieses Zitat, mit dem man jemandes „Der Mensch macht die Religion, die
vermeintliche Naivität oder Gutgläubig¬ Religion macht nicht den Menschen“,
keit - meist spöttisch - kommentiert, ist stellt er dann fest: „Das religiöse Elend
dem Brief des Paulus an Titus aus dem ist in einem der Ausdruck des wirkli¬
Neuen Testament entnommen. Hier chen Elends und in einem die Protestati¬
heißt es (1,15): „Den Reinen ist alles on gegen das wirkliche Elend. Die Reli¬
rein; den Unreinen aber und Ungläubi¬ gion ist der Seufzer der bedrängten
gen ist nichts rein, sondern unrein ist ihr Kreatur, das Gemüt einer herzlosen
Sinn sowohl als ihr Gewissen.“ - Fried¬ Welt, wie sie der Geist geistloser Zu¬
rich Nietzsche (1844-1900) hat dieses stände ist. Sie ist das Opium des Volks.“
Zitat im 14. Buch des 3. Teils seiner Die Religion stellt sich ihm also als das
Schrift „Also sprach Zarathustra“ auf¬ letzte Zufluchtsmittel eines unterdrück¬
gegriffen und abgewandelt: „,Dem Rei¬ ten und ausgebeuteten Volks dar, als ei¬
nen ist alles rein1 - so spricht das Volk. ne Droge, mit der es sich selbst die
Ich aber sage euch: den Schweinen wird Hoffnung auf eine bessere Welt vorgau¬
alles Schwein!“ kelt. Die Marxsche Aussage ist in der
Folgezeit auf die mißverständliche
t Wenn einer eine Reise tut, so Form „Religion ist Opium für das Volk“
kann er was erzählen verkürzt worden.

... reitet für Deutschland Wie hältst du’s mit der Religion?
Dies ist der Titel eines deutschen Films t Gretchenfrage
aus dem Jahr 1941. Sein Thema ist die
Geschichte des Rittmeisters von Lan¬
gen, eines deutschen Offiziers, der im t Alles rennet, rettet, flüchtet
Ersten Weltkrieg nach einer Verwun¬
dung gelähmt wurde, seine Krankheit
aber besiegte und schließlich als Spring¬ Reporter des Satans
reiter siegreich aus einem Europaturnier Dies ist der deutsche Titel des amerika¬
hervorging. Die Hauptrolle spielte Wil¬ nischen Films „Ace in the Hole (Big
ly Birgel. - Der Titel wird häufiger auch Carnival)“ - wörtlich übersetzt etwa:
in Abwandlungen gebraucht. Man weist „As im Ärmel (Großer Rummel)“ - aus
mit ihm scherzhaft oder auch spöttisch dem Jahr 1951. Er behandelt die Ge¬
auf jemanden hin, der zum Beispiel in schichte eines skrupellosen Reporters,
der Öffentlichkeit eine bestimmte Auf¬ der einem Sensationsbericht zuliebe
gabe erfüllt und sich dabei sehr wichtig Rettungsaktionen bei einem Minenun¬
vorkommt. glück behindert. Der Regisseur des
Films war Billy Wilder, der Hauptdar¬
t Wer reifet so spät durch Nacht steller Kirk Douglas. - Man kann dieses
und Wind? Zitat auch heute auf einen Reporter be¬
ziehen, dessen Methoden skrupellos er¬
scheinen; gelegentlich wird damit auch
Die Religion ist der Seufzer der be¬ scherzhaft-ironisch ein allzu biederer
drängten Kreatur und langweiliger Berichterstatter cha¬
t Religion ist Opium für das Volk rakterisiert.

371
Reptilienfonds Teil I

Reptilienfonds Rest, z. B. den letzten Tropfen aus einer


Flasche, erhält.
Mit diesem Ausdruck bezeichnet man
den geheimen Dispositionsfonds einer
Regierung, über den im Haushalt keine Der Rest ist Schweigen
Rechnung gelegt wird. Die Bezeichnung
Dies sind die letzten Worte Hamlets im
geht auf Otto von Bismarck, den preußi¬
gleichnamigen, um 1600 entstandenen
schen Reichskanzler, zurück, der 1869
Trauerspiel von Shakespeare (auf eng¬
einen solchen Fonds bildete, um daraus
lisch lautet das Zitat: The rest is silence).
Aktivitäten gegen - nach Bismarcks
Das Stück endet mit einem „Schlacht¬
Worten - „bösartige Reptilien“ zu fi¬
feld“ von Toten; Hamlet stirbt von der
nanzieren. Gemeint war die Bekämp¬
Hand des Laertes, des Bruders der
fung oppositioneller Strömungen mit
Ophelia. Ein Film von Helmut Käutner
publizistischen Mitteln. - Man verwen¬
aus dem Jahr 1959, der diesen Titel
det den Ausdruck gelegentlich auch
trägt, transponiert das Hamletmotiv des
scherzhaft in bezug auf jemandes gehei¬
Brudermordes in die Gegenwart. - Das
me Kasse.
Zitat kann die Ratlosigkeit zum Aus¬
druck bringen, mit der jemand vor ei¬
Requiescat in pace! nem Ereignis steht, das er nicht begreift;
Die Formel - häufiger in der deutschen es kann auch als resignierende Feststel¬
Form „Er/Sie ruhe in Frieden!“, dane¬ lung dienen, daß zu einem unerfreuli¬
ben als Imperativ „Ruhe in Frieden!“ - chen Thema nun nichts mehr zu sagen
findet man in Todesanzeigen oder ein¬ ist.
gemeißelt auf Grabsteinen, hier auch als
Abkürzung RIP. Sie geht auf Psalm 4,9
der Bibel zurück, wo es in Luthers Über¬ Retour ä la nature!
setzung der Vulgata - jedoch ohne Be¬ tZurück zur Natur!
zug auf den Tod - heißt: „Ich liege und
schlafe ganz mit Frieden“ (In pace in
idipsum dormiam et requiescam). Die tZurück! Du rettest den Freund
Stelle ist Ausdruck großen Gottvertrau¬ nicht mehr
ens des Psalmisten, der mit folgenden
Worten fortfährt: „... denn allein du,
Es rettet uns kein höh’res Wesen
Herr, hilfst mir, daß ich sicher woh¬
ne.“ - Man verwendet die Formel auch Wenn man in einer schlimmen, fast aus¬
scherzhaft mit Bezug auf ein Projekt weglosen Situation zum Ausdruck brin¬
oder ein Unternehmen, das aufgegeben gen will, daß man auf sich selbst ange¬
wurde. wiesen ist und sich nicht falsche Hoff¬
nungen auf Hilfe anderer machen soll,
gebraucht man dieses Zitat. Es stammt
Respice finem
aus dem als „Die Internationale“ be¬
T Was du tust, bedenke das Ende
kannten Kampflied der sozialistischen
Arbeiterbewegung (französischer Text:
Der Rest ist für die Gottlosen Eugene Pottier, 1871; deutsche Überset¬
In den Psalmen des Alten Testaments zung: Emil Luckardt), dessen zweite
wird von Jahwe als Richter gesagt: Strophe lautet: „Es rettet uns kein
„Denn der Herr hat einen Becher in der höhVes Wesen,/kein Gott, kein Kaiser
Hand und mit starkem Wein voll einge¬ und Tribun,/Uns aus dem Elend zu er-
schenkt und schenkt aus demselben; lösen,/können wir nur selber tun!“
aber die Gottlosen müssen alle trinken
und die Hefen aussaufen“ (Psalm 75,9).
Auf diesen Trinkrest bezogen, ist wohl Die Revolution entläßt ihre Kin¬
die genannte Redensart entstanden. Sie der
wird scherzhaft gebraucht, wenn je¬ Die T Revolution frißt ihre eigenen
mand bei der Verteilung von etwas den Kinder

372
Teil I Revolutionäre

Die Revolution frißt ihre eigenen retiker der Frühromantik Friedrich


Kinder Schlegel (1772-1829) zurück, der sie in
Vollständig lautet die Textstelle in seiner Abhandlung „Signatur des Zeit¬
Georg Büchners Drama „Dantons Tod“ alters“ (erschienen in der von ihm in Wien
(1835): „Ich weiß wohl - die Revolution von 1820 bis 1823 herausgegebenen
ist wie Saturn, sie frißt ihre eigenen Kin¬ Zeitschrift „Concordia“) verwendete.
der“ (1. Akt, 5. Szene). Danton äußert Die „Revolution von oben“ führt er auf
diesen Gedanken wie in Vorahnung sei¬ die „Anhänger der aus der Revolution
nes eigenen gewaltsamen Endes. - Das hervorgegangenen neuen Despotie“ zu¬
Zitat sagt aus, daß im Gang der Ereig¬ rück, womit die Regierung Napoleons I.
nisse ihre Initiatoren leicht auf der gemeint ist. Er führt dann weiter aus:
Strecke bleiben oder - ins Abstrakte ge¬ „So ist es denn endlich dahin gekom¬
men, daß nachdem erst die Revolution
wendet - daß etwas nach positiven An¬
von unten, dann die Revolution von
sätzen schließlich ins Negative um¬
schlägt und sich selbst wieder aufhebt oben ihre volle Zeitperiode hindurch
gewütet hatten, nun noch ein neues poli¬
oder zerstört. - Von dem politischen
tisches Unheilsphänomen, als erstes ei¬
Schriftsteller Wolfgang Leonhard, der
gentümliches Kennzeichen der neue¬
seine Jugend in der UdSSR verbrachte,
sten, eben jetzt beginnenden Epoche
erschien 1955 ein Buch mit dem Titel:
hervorbricht. Ich möchte es die Revolu¬
„Die Revolution entläßt ihre Kinder“.
tion aus der Mitte heraus nennen.“ -
Diese Abwandlung des Zitats wird zi¬
Man verwendet die entsprechenden
tiert, wenn davon die Rede ist, daß sich
Formulierungen vielfach für Bewegun¬
die Anhänger einer Idee oder Ideologie
gen im politischen Bereich, die entwe¬
ernüchtert von ihr abwenden.
der „von oben“, d. h. von der Regierung
bzw. „von unten“, also von der Basis,
Die t deutsche Revolution hat im von den sich einmischenden Bürgern
Saale stattgefunden. ausgehen.

Die Revolution ist die Notwehr Revolutionäre in Schlafrock und


des Volkes Pantoffeln
Dieser Ausspruch, meist zitiert als eine In seinen „Briefen aus Paris“ schrieb
Art Rechtfertigung der Revolution, lau¬ der deutsche Schriftsteller Ludwig Bör¬
tet vollständig: „Die Revolution ist die ne (1786-1837) über einen Karlisten
Notwehr des Volkes, das in seinen hei¬ (= Anhänger des spanischen Thronprä¬
ligsten Rechten gekränkt ist.“ Er tendenten und zeitweiligen Gegenkö¬
stammt von dem Publizisten und Diplo¬ nigs Don Carlos [1818-1861]), er sei ei¬
maten Lothar Bücher (1817-1892). Bü¬ ner von denen, „die in Pantoffeln und
cher wurde 1848 Abgeordneter der Schlafrock die Rückkehr Heinrichs V.
preußischen Nationalversammlung und abwarten“. Der preußische Minister
gehörte dort zur äußersten Linken. Spä¬ Otto Theodor Freiherr von Manteuffel
ter trat er ins Ministerium für auswärti¬ (1805-1882) griff diese Worte auf, als er
ge Angelegenheiten ein und wurde zum vor einer möglichen Beamtenrevolution
engen Mitarbeiter Bismarcks. in der ersten Kammer warnte. Seiner
Meinung nach sei eine solche Revoluti¬
t Wir haben nicht die Revolution, on sehr gefährlich, „gerade weil man
sondern die Revolution hat uns ge¬ sich dabei im Schlafrock und Pantoffeln
beteiligen kann, während der Barrika¬
macht
denkämpfer wenigstens den Mut haben
muß, sich zu exponieren.“ Man bezeich¬
Revolution von oben - Revolution net auch heute mit diesem Ausdruck
von unten Personen, die auf Grund ihrer Position,
Die Ausdrücke gehen auf den deut¬ ihres politischen oder wirtschaftlichen
schen Schriftsteller, Kritiker und Theo¬ Einflusses eine mehr oder weniger ge-

373
Teil I
Rezensent

waltsame Veränderung bestehender t Hic Rhodus, hic salta!


Verhältnisse betreiben können, ohne
sich selbst groß in Szene setzen zu müs¬ Richtet nicht, auf daß ihr nicht ge¬
sen. Gelegentlich wird die Bezeichnung
richtet werdet
aber auch abwertend auf Politiker bezo¬
Diese Anweisung der Bibel steht am An¬
gen, die von sich behaupten, eine fort¬
fang des 7. Kapitels des Matthäusevan¬
schrittliche Richtung zu vertreten, sich
geliums. Sie gehört in den Zusammen¬
in der Realität aber als Anpasser und
hang der Bergpredigt Jesu. Jesus will die
Zögerer erweisen.
Menschen von selbstgerechtem Be- und
Verurteilen ihrer Mitmenschen zurück¬
Ein Rezensent, das ist ein Mann, halten. Es geht darum, Selbsterkenntnis
der alles weiß, und gar nichts kann! zu üben, den „Balken im eigenen Auge“
Der Ausspruch geht auf ein Trauerspiel zu sehen, statt sich ohne Hemmung in
des deutschen Dramatikers Ernst von Urteilen über andere zu ergehen.
Wildenbruch (1845-1905) mit dem Titel
„Christoph Marlow“ (1884) zurück. Es gibt kein richtiges Leben im
Dort heißt es: „Ein Rezensent, siehst falschen
du, das ist der Mann,/Der alles weiß,
Dieser Aphorismus stammt aus Theo¬
siehst du, und gar nichts kann!“ - In
dor W. Adornos „Minima Moralia. Re¬
verkürzter und leicht veränderter Form
flexionen aus dem beschädigten Leben“
werden diese Zeilen - oft scherzhaft -
(1951). Er ist eine radikale Absage an
in Diskussionen über Kritik und Kriti¬
den faulen Lebenskompromiß, an das
ker zitiert.
Sicheinrichten in ungerechten und un¬
menschlichen gesellschaftlichen Ver¬
TSchlagt ihn tot, den Hund! Es ist hältnissen. Man versteht das Zitat häu¬
ein Rezensent fig als eine Art Kernsatz oder Motto der
philosophisch-soziologischen Richtung,
die als „Frankfurter Schule“ bezeichnet
Der Rhein - Deutschlands Strom, wird. Der Zeichner und Schriftsteller
nicht Deutschlands Grenze Robert Gernhardt veröffentlichte 1987
Dieser patriotische Spruch ist der leicht einen Band Humoresken unter dem
geänderte Titel von Ernst Moritz Arndts Titel „Es gibt kein richtiges Leben im
(1769-1860) Flugschrift „Der Rhein, valschen“, der das Adorno-Zitat durch
Teutschlands Strom, aber nicht einen absichtlichen Rechtschreibfehler
Teutschlands Grenze“ aus dem Jahr banalisiert und ironisiert.
1813, in der der Dichter leidenschaftlich
Partei für die nationale Sache ergriff. Zu Die t ganze Richtung paßt uns
dieser Zeit bildete der Rhein zwischen
nicht
Basel und Wesel die Grenze zwischen
Frankreich und den bis zum Oktober
1813 unter französischem Protektorat Das Riesenspielzeug
stehenden, vom „Heiligen Römischen Dies ist der Titel eines Gedichts von
Reich deutscher Nation“ abgespaltenen Adelbert von Chamisso (1781-1838), ei¬
sogenannten „Rheinbundstaaten“. Erst nes Dichters der deutschen Romantik,
nach den Befreiungskriegen wurden dessen Familie während der Revolu¬
Gebiete wie das heutige Rheinland- tionswirren aus Frankreich nach
Pfalz oder der Westteil des heutigen Deutschland geflohen war. Das Gedicht
Nordrhein-Westfalen wieder von beginnt: „Burg Niedeck ist im Elsaß der
Frankreich abgetrennt. Im Hinblick auf Sage wohl bekannt,/Die Höhe, wo vor
die europäische Einigung könnte man Zeiten die Burg der Riesen stand“. Es
das Zitat heute zu „Der Rhein - Euro¬ erzählt von dem „Riesenfräulein“, das
pas Strom, nicht Grenze in Europa“ ab¬ sich im Spiel aus der Burg entfernt und
wandeln. bald winzig klein zu seinen Füßen einen

374
Teil I Ritter

pflügenden Bauern erspäht und ihn als Ein Ritt über den Bodensee
„ein Spielding wunderschön“ mit¬
Der Ballade „Der Reiter und der Bo¬
nimmt. - Man verwendet den Ausdruck
densee“ von Gustav Schwab (1792 bis
für etwas, das sich dem Auge als über¬
1850) liegt eine schwäbische Sage zu¬
mäßig groß oder auch auf große Entfer¬
grunde. Danach hatte ein Reiter den
nung als besonders klein darbietet, bei¬
zugefrorenen und schneebedeckten
spielsweise Häuser oder Menschen in
Bodensee überquert, ohne zu wissen, wo
der Landschaft. (Siehe auch „Der Bauer
und in welcher Gefahr er sich befand.
ist kein Spielzeug“.)
Am Ufer angekommen, erfuhr er, daß er
über den See geritten war. Der Schock,
den er in diesem Augenblick erlitt, ließ
Rififi in ... ihn tot zu Boden stürzen. - Man spricht
Der französische Film Du Rififi chez les danach von einem „Ritt über den Bo¬
Hommes (deutsch: „Rififi“) stammt aus densee“, wenn man ein Unternehmen
dem Jahr 1955. Dem Drehbuch liegt ein für zu riskant oder unkalkulierbar hält
Roman gleichen Titels von Auguste le oder um etwas im nachhinein als beson¬
Breton zugrunde. Rififi, ein Ausdruck ders risikoreich oder gefährlich zu cha¬
aus der französischen Szenesprache der rakterisieren.
Unterwelt, bedeutet dabei soviel wie
„Rauferei, Prügelei“. Der Film des ame¬ Ritter ohne Furcht und Tadel
rikanisch-französischen Regisseurs Ju¬ Der oft ironisch verwendete Ausdruck
les Dassin, der von einem Diamanten¬ bedeutet heute „mutiger und sich vor¬
raub an der Place Vendöme in Paris bildlich benehmender Mann“. Er geht
handelt, wurde sehr bekannt. In seinem auf das französische Chevalier sans peur
Gefolge entstanden in den fünfziger et sans reproche zurück, auf den Beina¬
und sechziger Jahren weitere Gangster¬ men des Ritters Pierre Terrail, Seigneur
filme, die diese Bezeichnung im Titel de Bayard (1476-1524). Dessen 1527
führen. - „Rififi in ..." wurde zum ge¬ veröffentlichte und dem Notar Jacques
bräuchlichen Ausdruck besonders in de Mailles zugeschriebene panegyrische
Verbindung mit Ortsangaben, wobei der Lebensgeschichte trägt den Titel La
genannte Ort als Schauplatz eines spek¬ tres-joyeuse, plaisante et recreative histoi-
takulären Gangsterstücks zu denken ist. re du bon Chevalier sans paour et sans re¬
proche, gentil seigneur de Bayard („Die
sehr erfreuliche, kurzweilige und ergötz¬
Right or wrong - my country! liche Geschichte des braven Ritters oh¬
ne Furcht und ohne Tadel, des edlen
Als Urheber des Wahlspruchs „Recht
Herrn von Bayard“).
oder Unrecht - es ist mein Vaterland!“
wird der amerikanische Admiral Ste¬
phen Decatur (1779-1820) angesehen. Ritter von der traurigen Gestalt
Er hatte nach der Rückkehr von einem Mit diesem Ausdruck wird in meist
Flotteneinsatz im Jahr 1816 geäußert: scherzhafter, gelegentlich auch abwer¬
Our country! In her intercourse with for- tender Weise ein hagerer Mensch mit
eign nations, may she always be in the schlechter Haltung bezeichnet, der dazu
right, but our country, right or wrong! noch einen heruntergekommenen Ein¬
(„Unser Vaterland! In seinem Umgang druck macht. Die Bezeichnung stammt
mit fremden Nationen möge es immer aus dem berühmten Roman mit dem
im Recht sein, aber [es ist] unser Vater¬ Titelhelden Don Quichotte des spani¬
land, [ob im] Recht oder Unrecht.“) - schen Dichters Cervantes (1547-1616).
Der in dem Wahlspruch zum Ausdruck Sancho Pansa, der Begleiter und Knap¬
kommende bedingungslose Patriotis¬ pe des Don Quichotte, charakterisiert
mus wird heute meist kritisch betrachtet seinen Herrn mit diesem Ausdruck. Er
und das Zitat dementsprechend distan¬ lautet im spanischen Original: el Cabal¬
ziert verwendet. lero de la triste figura.

375
Robinsonade Teil I

Robinsonade verwendet das Zitat, bei dem in Ab¬


wandlung das Substantiv auch durch
Unter einer „Robinsonade“ versteht
ein anderes ausgetauscht sein kann, um
man zum einen einen Abenteuerroman
von etwas mit Nachdruck zu sagen, daß
in der Art des „Robinson Crusoe“, zum
es ganz mit sich selbst identisch ist.
anderen eine abenteuerliche Unterneh¬
mung. Zugrunde liegt der Name des Ti¬
TWenn du eine Rose schaust, sag,
telhelden eines berühmten Abenteuer¬
romans des englischen Schriftstellers ich lass’ sie grüßen
Daniel Defoe (um 1660-1731). Der
vollständige Originaltitel des Buches t Wenn die Rose selbst sich
lautet: „The life and stränge surprising schmückt, schmückt sie auch den
adventures of Robinson Crusoe“. Der Garten
Robinson des Romans - der in den nach
ihm benannten Robinsonaden eine gro¬ Eine Rose unter Dornen
ße Zahl von Nachfolgern fand - wird Im 2. Kapitel des „Hohenliedes“ im Al¬
auf eine unbewohnte Insel in der Orino- ten Testament findet sich der Vers (2,2):
comündung verschlagen, wo er 28 Jahre „Wie eine Rose unter Dornen, so ist
zubringen und seine Existenz sichern meine Freundin unter den Töchtern.“
muß. - ln der Fußballsprache kennt Der Freund preist damit die Schönheit
man noch eine andere „Robinsonade“, der Freundin. - Mit dem Zitat um¬
eine nach dem englischen Torwart John schreibt man in ähnlicher Weise eine
Robinson (1878-1949) benannte Tor¬ Person oder auch eine Sache, die sich
wartparade. durch ihre Besonderheit oder ihre
Schönheit vor anderen auszeichnet.
t Als die Römer frech geworden
Rosen auf den Weg gestreut, und
Eine Rose gebrochen, ehe der des Harms vergessen!
Sturm sie entblättert Mit diesen Versen beginnt das Gedicht
Mit diesem Bild umschreibt die sterben¬ mit dem Titel „Lebenspflichten“ von
de Emilia Galotti in Lessings gleich¬ Ludwig Heinrich Christoph Hölty
namigem, 1772 uraufgeführten Trauer¬ (1748- 1776), das er in seinem Todesjahr
spiel ihr Geschick (V, 7). Sie hatte ihren dichtete. Es ist eine Aufforderung, das
Tod von der Hand des Vaters gefordert, Leben, den Tag zu nutzen, der Traurig¬
um dem Prinzen, der sich ihrer auf skru¬ keit keinen Raum zu geben in der kur¬
pelloser Weise zu bemächtigen sucht, zu zen Lebensspanne. Die erste Strophe
entgehen. - Man bezieht das Zitat auf des Gedichts lautet: „Rosen auf den
einen jungen Menschen, dessen trauri¬ Weg gestreut,/Und des Harms verges¬
ges Geschick einen bekümmert. sen !/Eine kurze Spanne Zeit/Ward uns
zugemessen./Heute hüpft im Frühlings¬
Rose is a rose, is a rose, is a rose tanz/Noch der frohe Knabe:/Morgen
weht der Totenkranz/Schon auf seinem
Dieser Satz (auf deutsch: Eine Rose ist
Grabe.“
eine Rose, ist eine Rose, ist eine Rose)
stammt von der amerikanischen Schrift¬
stellerin Gertrude Stein (1874-1946), t Und der wilde Knabe brach’s
die vornehmlich in Paris lebte und dort Röslein auf der Heiden
Mittelpunkt eines Kreises von Malern
und Schriftstellern war, für den sie den Roß und Reiter sah ich niemals
Begriff der „Lost generation" geprägt wieder
hatte. Der von ihr hervorgebrachte Pro¬ Mit diesem Vers endet ein Monolog
sastil der assoziativen Reihung und Wallensteins im 3. Auftritt des 2. Auf¬
scheinbar sinnlosen Wiederholung von zugs von Schillers Trauerspiel „Wallen¬
Gleichem in der Sprache sollte Aus¬ steins Tod“ (1798). Wallenstein spricht
druck der fließenden Zeit sein. - Man darin gegenüber den Generälen Terzky

376
Teil I Ruhe

und Illo von einem schicksalhaften Vor¬ Teil I: Abenteuer eines Junggesellen. In
gang. Vor einer Schlacht hatte er auf der Episode „Rektor Debisch“ wird To¬
Anraten Oktavio Piccolominis seinen bias Knopp mit einer Flasche Rotwein
Schecken gegen ein anderes Pferd aus¬ bewirtet, die allerdings von des Rektors
getauscht, was ihm das Leben gerettet Sohn heimlich mit Wasser aus der Re¬
hatte. „Dieses Tieres Schnelligkeit ent- genrinne aufgefüllt worden ist. Die Vor¬
riß/Mich Banniers verfolgenden Drago¬ freude der nichtsahnenden Herren De¬
nern./Mein Vetter ritt den Schecken an bisch und Knopp kommt in dem zitier¬
dem Tag,/Und Roß und Reiter sah ich ten Vers zum Ausdruck. Er wird heute
niemals wieder.“ - Man gebraucht das meist scherzhaft (aber ohne den Gedan¬
Zitat, um auszudrücken, daß man eine ken an eine Verfälschung des Getränks)
bestimmte Person völlig aus den Augen als Kommentar beim Kredenzen eines
verloren hat. guten Rotweins gebraucht.

Roter Faden Den Rubikon überschreiten


Die Redewendung im Sinne von „leiten¬ Die Wendung hat die Bedeutung „eine
der, verbindender Grundgedanke; folgenschwere Entscheidung treffen; et¬
Grundmotiv“ geht auf Goethes Roman was tun, was sich nicht mehr rückgängig
„Die Wahlverwandtschaften“ (2,2 und machen läßt“. Ihr liegt ein historischer
2,4) zurück, wo die alles verbindende Vorgang zugrunde. Der römische Kon¬
Hauptidee im Tagebuch Ottiliens mit sul Julius Cäsar hatte im Jahr 49 v. Chr.,
dem durchlaufenden roten Faden im um seine Stellung gegenüber Pompejus
Tauwerk der englischen Marine vergli¬ zu behaupten, mit seinem Heer den
chen wird: „Sämtliche Tauwerke der Fluß Rubikon überschritten, der Italien
königlichen Flotte ... sind dergestalt ge¬ von der Provinz Gallia Cisalpina trenn¬
sponnen, daß ein roter Faden durch das te. Er hatte damit einen Bürgerkrieg her¬
Ganze durchgeht, den man nicht her¬ aufbeschworen, der ihm die Macht im
auswinden kann, ohne alles aufzulö¬ Staat sicherte. (Siehe auch „Die Würfel
sen ... Ebenso zieht sich durch Ottiliens sind gefallen!“)
Tagebuch ein Faden der Neigung und
Anhänglichkeit, der alles verbindet und
das Ganze bezeichnet... Manches Eige¬
Rufer in der Wüste
ne von innigerem Bezug wird an dem t Prediger in der Wüste
roten Faden wohl zu erkennen sein.“
t Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist
Rotte Korah schwer
Von einer „Rotte Korah“ spricht man in
scherzhafter Ausdrucksweise, wenn
Ruhe in Frieden!
man eine große Anzahl von (lärmenden)
Menschen meint. Der Ausdruck geht t Requiescat in pace
auf das Alte Testament zurück, wo im 4.
Buch Moses im 16. Kapitel geschildert Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
wird, wie ein Mann namens Korah sich
Das Zitat geht auf eine Aufforderung
mit zweihundertfünfzig anderen gegen
zurück, die Minister F. W. Graf von der
Moses auflehnt und wie diese dafür von Schulenburg-Kehnert nach der Schlacht
Gott durch Feuer getötet werden. Der
von Jena und Auerstedt 1806 in einem
Ausdruck „Korah und seine ganze Rot¬
öffentlichen Anschlag an die Einwoh¬
te“ findet sich in den Versen 5,6 und 16.
ner Berlins richtete: „Der König hat
eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die
Rotwein ist für alte Knaben eine erste Bürgerpflicht. Ich fordere die Ein¬
von den besten Gaben wohner Berlins dazu auf. Der König
Der Zweizeiler stammt aus Wilhelm und seine Brüder leben! Berlin, den
Büschs (1832-1908) Knopp-Trilogie, 17. Okt. 1806. Graf v. d. Schulenburg.“

377
Teil I
ruhende

Man zitiert den zweiten Satz dieses Tex¬ 1748) ein Lied eingearbeitet, das bald
tes in leicht abgewandelter Form, um in sehr populär wurde und dessen Refrain
Situationen allgemeiner Aufregung be¬ es bis heute geblieben ist. So ist er bei¬
schwichtigend auf andere einzu wirken. spielsweise in dem Miß-Marple-Film
„Mörder ahoi“ (1964) zu hören. Der
Der ruhende Pol Refrain lautet im englischen Original:
Rule, Britannia, rule the waves,/Britons
Aus Schillers Gedicht „Der Spazier¬
never will be slaves! (Zu deutsch etwa:
gang“, das die Gegensätzlichkeit von
„Herrsche Britannia, herrsche über die
Natur und Kultur durch die wechseln¬
Wogen, Briten werden niemals Sklaven
den Bilder eines Spaziergangs veran¬
sein!“)
schaulicht, stammt der Vers: „Sucht den
ruhenden Pol in der Erscheinungen
t Ach, wie gut, daß niemand weiß,
Flucht.“ Die festgewordene sprachliche
Fügung „der ruhende Pol“ geht wohl daß ich Rumpelstilzchen heiß’!
auf diesen Vers zurück. Fleute verstehen
wir darunter einen Menschen, der bei
Unruhe und Aufregung die Übersicht
behält, selbst Ruhe ausstrahlt und
Orientierungspunkt für andere sein

s
kann.

So vergeht der Ruhm der Welt


tSic transit gloria mundi

Rüh re nimmer an den Schlaf der Die t deutsche Revolution hat im


Welt Saale stattgefunden
Diesen Rat gibt Kandaules, der König
von Lydien, seinem Freund in der Tra¬ Die Saat der Gewalt
gödie „Gyges und sein Ring“ (1856) von Dies ist der deutsche Titel des amerika¬
Friedrich Hebbel. Er weiß, daß er selbst nischen Spielfilms „The Blackbord
gegen dieses Prinzip verstoßen hat, was Jungle“ aus dem Jahr 1955. Der Film
ihm endlich zum Verhängnis wird. handelt von den Problemen eines Leh¬
„Hab’ ich den Grund gelockert, der rers mit seinen Schülern in den Slums
mich trug,/Und dieser knirscht nun von New York. Die Musik stammt von
rächend mich hinab.“ Der „Schlaf der Bill Haley, dessen Titel „Rock Around
Welt“ ist ein Bild für die geltende Ord¬ the Clock“ wesentlich zur Popularisie¬
nung, in die die Menschen eingebunden rung der Rockmusik beitrug. - Man ver¬
sind. Sie darf nicht leichtfertig mißach¬ wendet das Zitat im Zusammenhang mit
tet, aus den Fugen gebracht werden. Der Ereignissen, die Ursachen oder Folgen
kommunistische Schriftsteller Johannes von Gewalt in der Gesellschaft darstel¬
R. Becher (1891-1958) griff in einem len.
Gedicht diese Metaphorik auf und wen¬
dete den von Hebbel ausgesprochenen tZur Sache, Schätzchen!
Gedanken in sein Gegenteil. Es gilt „an
den Schlaf der Welt zu rühren“, Verän¬ Sachsen, wo die schönen Mäd¬
derung herbeizuführen. Der Titel des chen auf den Bäumen wachsen
Gedichts lautet: „Der an den Schlaf der
Der Reim stammt aus der Sage vom Ur¬
Welt rührt - Lenin“.
sprung der Sachsen, wonach er ur¬
sprünglich unter Handwerksburschen
Rule, Britannia, rule the waves verbreitet war: „Darauf so bin ich ge¬
In das Drama „Alfred: a Masque“ („Al¬ gangen nach Sachsen,/Wo die schönen
fred: ein Maskenspiel“) hat der schotti¬ Mägdlein auf den Bäumen wach¬
sche Dichter James Thomson (1700 bis sen ;/Hätt’ ich daran gedacht,/So hätf

378
Teil I salomonisches

ich mir eins davon mitgebracht.“ Der dem Jahr 1936. (Den Text schrieben
Spruch wird heute auch ohne die Anga¬ Harry Hilm und Hans Lengsfelder.) Sie
be „auf den Bäumen“ zitiert. wird heute noch scherzhaft von jeman¬
dem zitiert, der sich verabschiedet oder
t In Sack und Asche gehen von einem Menschen trennt.

t Man schlägt den Sack und meint Sag mir das Wort, das so gern ich
den Esel gehört
So beginnt ein sehr volkstümlich gewor¬
Sacrificium intellectus
denes Lied mit dem Titel „Lang, lang
Der lateinische Begriff, in wörtlicher ist’s her“. Text und Melodie des aus
Übersetzung: „Opfer des Verstandes“, dem Englischen stammenden Liedes
entstammt der katholischen Glaubens¬ („Long, long ago“) wurden von Thomas
lehre, nach der die Gläubigen ihre eige¬ Haynes Bayly (1797-1839) geschrieben.
nen Überzeugungen in Glaubensdingen Beim Zitieren der Anfangszeile (im eng¬
den Lehrmeinungen der Kirche zu un¬ lischen Original: Tel! me the tales that to
terwerfen haben. Man führt den Aus¬ me were so dear) geht es wohl in den
druck auf eine Textstelle der Vulgata (2. meisten Fällen um früher gern Gehör¬
Korintherbrief 10,5) zurück. Luther tes, doch man verwendet sie gelegent¬
übersetzte sie mit den Worten: „Wir ... lich auch scherzhaft als Hinweis darauf,
nehmen gefangen alle Vernunft unter daß einem ein Wort, eine Bezeichnung
den Gehorsam Christi“. - Man verwen¬ entfallen ist.
det den Ausdruck, um ein Verhalten zu
umschreiben, das durch ein Aufgeben, Sag mir, wo die Blumen sind
ein Verleugnen der eigenen Überzeu¬ Mit diesen Worten beginnt ein Lied des
gung oder durch Autoritätsgläubigkeit amerikanischen Folksängers Pete See-
gekennzeichnet ist. ger aus dem Jahr 1961. Der englische
Text (Where have all the ßowers gone)
Sacro egoismo wurde von Max Colpet ins Deutsche
Diesen Ausdruck (deutsch: heiliger übertragen. Das gegen die Zerstörung
Egoismus) prägte der italienische Politi¬ des Lebens, gegen den Krieg gerichtete
ker Antonio Salandra (1853-1931) im Lied wiederholt als Refrain die melan¬
Jahr 1914 in einer Ansprache vor Beam¬ cholische Frage nach der Einsichtsfä¬
ten des italienischen Außenministeri¬ higkeit der Menschen: „Wann wird man
ums. Er forderte darin eine „unbegrenz¬ je verstehn, wann wird man je ver¬
te und ausschließliche Hingabe an das stehn?“ Der deutsche Text wurde be¬
Vaterland, einen geheiligten Egoismus sonders durch die Interpretation von
für Italien“ (della esclusiva ed illimiiata Marlene Dietrich bekannt. - „Sag mir,
devozione alla patria nostra, del sacro wo ... sind“ hat sich als floskelhafte
egoismo per iltalia). „Sacro egoismo“ Frage verselbständigt und läßt sich auf
galt danach als Schlagwort für die Ten¬ Personen oder Sachen beziehen, deren
denz der italienischen Außenpolitik in Fehlen oder Verschwundensein man
und nach dem Ersten Weltkrieg, sich beklagt.
nur von nationalen Interessen leiten zu
lassen. - Man verwendet den Ausdruck t Und sagte kein einziges Wort
häufiger mit kritischem Unterton, um
jemandes ausgeprägten Egoismus zu Salomonisches Urteil
kennzeichnen. Unter einem „salomonischen Urteil“
versteht man ein kluges, von viel Ein¬
TSie säen nicht, sie ernten nicht sicht zeugendes, durch seine Ausgewo¬
genheit verblüffendes Urteil. Der Aus¬
Sag beim Abschied leise Servus druck geht auf die alttestamentliche
Dies ist die Anfangszeile eines von Peter Gestalt Salomos (etwa 965-926 v. Chr.)
Kreuder komponierten Schlagers aus zurück, des Königs von Israel und Juda,

379
Salz Teil I

der wegen seiner Weisheit gerühmt wur¬ Stifter hat seine Ansichten zu diesem
de. Im ersten Buch der Könige Begriff programmatisch und in konzen¬
(3,16-28) wird von dem Streit zweier trierter Form in der Vorrede zu den Er¬
Mütter um ein Kind berichtet, von de¬ zählungen des Bandes „Bunte Steine“
nen jede behauptet, es handele sich um dargelegt. Für ihn ist nach diesem Ge¬
ihr eigenes. König Salomo schlichtet setz das „Wehen der Luft, das Rieseln
den Streit, indem er das Kind der Frau des Wassers, das Wachsen der Getreide,
zuspricht, die es lieber der anderen zu das Wogen des Meeres, das Grünen der
überlassen bereit ist, als es in zwei Stük- Erde, das Glänzen des Himmels“ grö¬
ke zerteilen zu lassen. In Vers 28 heißt es ßer als „das prächtig einherziehende
dann: „Und das Urteil, das der König Gewitter“, der „Blitz, welcher Häuser
gefällt hatte, erscholl vor dem ganzen Is¬ spaltet“, der „Sturm, der die Brandung
rael und ... sie sahen, daß die Weisheit treibt“, der „feuerspeiende Berg“, denn
Gottes in ihm war, Gericht zu halten.“ auch sie sind nur „Wirkungen viel höhe¬
rer Gesetze“. Dabei ist nicht der
Das Salz der Erde Mensch das Maß aller Dinge, sondern
In früheren Zeiten kam dem Salz wegen auch für ihn gilt die Notwendigkeit der
seiner lebenswichtigen Funktion und Einordnung in das „sanfte Gesetz“ des
seiner Seltenheit eine besondere Bedeu¬ Naturnotwendigen, „wodurch das
tung zu. Man maß ihm läuternde und menschliche Geschlecht geleitet wird“.
reinigende Kräfte bei und betrachtete es
als Symbol der Lebenskraft. Oft auch
t Das ist des Sängers Fluch
wurden ihm moralische und spirituelle
Kräfte zugeordnet. Vor diesem Hinter¬
grund ist das Wort zu verstehen, das Je¬ Sapere aude!
sus in der Bergpredigt nach den Selig¬ Diese Aufforderung, auf deutsch: „Wa¬
preisungen an seine Jünger richtet (Mat¬ ge es, weise zu sein!“, findet sich in
thäus 5,13): „Ihr seid das Salz der Er¬ einer der „Episteln“ (1,2,40) des römi¬
de.“ Das Bild vom „Salz der Erde“ wird schen Dichters Horaz (65-8 v.Chr.).
meist in religiösen Bereichen zitiert, Der deutsche Philosoph Immanuel
aber auch in weltlichen Zusammenhän¬ Kant griff dieses Diktum in seinem be¬
gen, wo es in der Regel auf arbeitende, rühmten Aufsatz „Beantwortung der
im praktischen Leben stehende vorbild¬ Frage: Was ist Aufklärung?“ aus dem
liche Menschen bezogen wird. Jahr 1784 auf und lieferte darin eine
Übersetzung des Horazwortes, die er
t Zur Salzsäule erstarren zum Wahlspruch der Aufklärung erhob.
Hier heißt es: „Sapere aude! Habe Mut,
Ein t barmherziger Samariter dich deines eigenen Verstandes zu be¬
dienen! ist also der Wahlspruch der
t Hilf, Samiel!
Aufklärung ... Zu dieser Aufklärung
aber wird nichts erfordert als Freiheit,
TO sancta simplicitas!
und zwar die unschädlichste unter al¬
lem, was nur Freiheit heißen mag, näm¬
t Wie Sand am Meer
lich die, von seiner Vernunft in allen
Stücken öffentlichen Gebrauch zu ma¬
t Auf Sand gebaut haben
chen.“ Schiller bemerkte dazu im 8.
Brief seiner Schrift „Über die ästheti¬
Das sanfte Gesetz
sche Erziehung des Menschen, in einer
Ein wesentlicher Begriff im Werk des Reihe von Briefen“ (1794): „... woran
Dichters Adalbert Stifter (1805-1868) liegt es, daß wir noch immer Barbaren
ist der des „sanften Gesetzes“, der im sind? ... Ein alter Weiser hat es empfun¬
Zusammenhang mit der Beurteilung be¬ den, und es liegt in dem vielbedeuten¬
stimmter Weltbetrachtungen, Naturauf¬ den Ausdruck versteckt: sapere aude.
fassungen o. ä. gelegentlich zitiert wird. Erkühne dich, weise zu sein.“

380
Teil I Schale

Sapienti sat ihrem Vater als Köder benutzt wird,


In dem Stück „Persa“ (4,7) des römi¬ spielen Sophia Loren, Vittorio de Sica
schen Komödiendichters Plautus und Marcello Mastroianni die Haupt¬
(250-184 v. Chr.) findet sich die - später rollen. Der Titel des Films wird als Aus¬
auch von dem römischen Dichter druck widerstrebender Anerkennung
Terenz (um 185-159 v.Chr.) in seinem oder Bewunderung zitiert.
Stück „Phormio“ (3,5) zitierte - Fest¬
stellung: Dictum sapienti sat est! („Die¬ Die Schafe von den Böcken tren¬
ses Wort genügt dem Verständigen!“), nen
was soviel bedeutet wie: Der Wissende Diese Redewendung (auch in der Form
oder der, der die Zusammenhänge oder „die Schafe von den Böcken scheiden“)
die Hintergründe kennt, braucht keine geht, ebenso wie der Ausdruck „die
weitere Erklärung. Schafe zur Rechten und die Böcke zur
Linken“, auf die Bibel zurück. Jesus ver¬
Es wird einem sauer gemacht, das deutlicht in seiner „Rede vom Jüngsten
bißchen Leben und Freiheit Gericht“ bei Matthäus 25 mit dem Bild
Gleich zu Beginn von Goethes Schau¬ eines alten Schäferbrauchs, wie dereinst
spiel „Götz von Berlichingen mit der die „Gesegneten“ und die „Verfluch¬
eisernen Hand“ (1773), in der zweiten ten“ voneinander geschieden werden.
Szene des ersten Aktes („Herberge im In Vers 31 bis 35 heißt es: „Wenn aber
Wald“), hören wir diesen Stoßseufzer des Menschen Sohn kommen wird in
des Titelhelden. Seit fünf Tagen und seiner Herrlichkeit... werden vor ihm al¬
Nächten lauert er seinem Gegenspieler le Völker versammelt werden. Und er
Weislingen auf, darf sich aber noch kei¬ wird sie voneinander scheiden gleich als
nen Schlaf gönnen. Das weitere Schick¬ ein Hirte die Schafe von den Böcken
sal des Götz, das im Verlauf des Stückes scheidet, und wird die Schafe zu seiner
dargestellt wird, bestätigt seine Worte Rechten stellen und die Böcke zur Lin¬
als prophetisch; zum Schluß verliert er ken.“ Auch heute noch bemüht man das
gar die Freiheit und das Leben. - Das Bild von den Schafen und den Böcken,
Zitat steht auch im heutigen Gebrauch wenn Gute und Böse, Unschuldige und
für die Erkenntnis, daß man sich auf Übeltäter voneinander abgegrenzt oder
dieser Welt alles mühsam erarbeiten Dinge nach ihrer Qualität voneinander
oder erkämpfen muß. getrennt werden sollen.

t Wie kommt Saul unter die Pro¬ Die Schafe zur Rechten und die
pheten? Böcke zur Linken
Die t Schafe von den Böcken trennen
Von einem Saulus zu einem Paulus
werden Die Schale des Zorns über jeman¬
TSein Damaskus erleben den ausgießen
Mit dieser Redewendung wird zum Aus¬
Saure Wochen! Frohe Feste!
druck gebracht, daß jemand einen an¬
tTages Arbeit! Abends Gäste! dern recht spürbar seinen Zorn, seinen
Unmut fühlen läßt. Die Wendung ist bi¬
Schade, daß du eine Kanaille bist! blischen Ursprungs. Von den Schalen
Dies ist der deutsche Titel eines 1955 des Zorns ist am Ende des 15. und am
nach einer Geschichte des italienischen Anfang des 16. Kapitels der „Offenba¬
Schriftstellers Alberto Moravia (1907 rung des Johannes“ die Rede. In 15,7
bis 1990) entstandenen Films mit dem heißt es: „Und eines der vier Tiere gab
italienischen Originaltitel Peccato que den sieben Engeln sieben goldene Scha¬
sia una canaglia. ln dem Film, einer im len voll Zorns Gottes ..." und 16,1:
römischen Milieu spielenden Liebesko- „Und ich hörte eine große Stimme aus
mödie, in der eine schöne Diebin von dem Tempel, die sprach zu den sieben

381
Teil I
scharfem

Engeln: Gehet hin und gießet aus die Schauet die Lilien auf dem Felde
Schalen des Zorns Gottes auf die Erde!“ t Sie säen nicht, sie ernten nicht
Die meist in gehobener oder auch spöt¬
tischer Redeweise gebrauchte Wendung TKomm auf die Schaukel, Luise!
wird gelegentlich abgewandelt, so daß
es z. B. heißt, daß jemand die Schale t Welch Schauspiel! Aber ach! Ein
seines Unmuts oder des Hohns und Schauspiel nur!
Spottes über einen andern ausgießt.
Ein Schauspiel für Götter
t Mit scharfem Blick, nach Ken¬ Ein t Bild für die Götter
nerweise, seh’ ich zunächst mal
nach dem Preise TWer das Scheiden hat erfunden

t Unter dem Schatten deiner Flü¬ Scheiden tut weh


gel Dieser floskelhafte Ausspruch über den
Abschiedsschmerz findet sich im „Ma¬
trosenlied“ von Wilhelm Gerhard (1780
Ein Schatten seiner selbst sein
bis 1858), das mit der Zeile „Auf, Matro¬
Die Redewendung, mit der man um¬ sen! Die Anker gelichtet!“ beginnt. Es
schreibt, daß jemand nur noch ein blas¬ heißt im Text weiter: „Liebchen,
ses Abbild seiner früheren lebensvollen ade!/Scheiden tut weh!/Morgen geht’s
Persönlichkeit ist, besonders auch, daß in die wogende See.“ - In dem Kinder¬
er äußerlich erkennbar krank und elend lied „Winters Abschied“ von Hoffmann
ist, geht auf die Antike zurück. Der rö¬ von Fallersleben (1798-1874) tauchen
mische Dichter Lukan (39-65 n. Chr.) die beiden kurzen Zeilen in abgewan¬
nannte in seinem Epos „Pharsalia“ delter Form wieder auf. Dort heißt es:
(oder „Bellum civile“) über den Bürger¬ „Winter ade!/Scheiden tut weh!“ Mög¬
krieg zwischen Cäsar und Pompejus den licherweise hat Fallersleben die Zeilen
unterlegenen Pompejus magni nominis aus dem früher entstandenen „Matro¬
umbra, auf deutsch: „Schatten seines senlied“ übernommen, sie aber dazu
großen Namens“. Aus dieser Kenn¬ verwendet, deutlich zum Ausdruck zu
zeichnung hat sich wohl die heute ge¬ bringen, daß der Abschied vom Winter
bräuchliche Redewendung entwickelt. nun gerade kein Grund ist, traurig zu
sein: „Aber dein Scheiden macht/Daß
Schau heimwärts, Engel! mir das Herze lacht“. Bekannt gewor¬
Der amerikanische Schriftsteller Tho¬ den ist der Ausspruch, der in dieser oder
mas Wolfe (1900-1938) gab seinem ganz ähnlicher Form schon in früheren,
stark autobiographisch geprägten Ro¬ auch bereits mittelalterlichen Texten
man über die Jugend des Steinmetzsoh¬ vorkommt, wohl vor allem durch das
nes Eugene Gant den Titel Look Home- Kinderlied von Hoffmann von Fallers¬
ward, Angel, dessen deutsche Überset¬ leben.
zung gelegentlich als Aufruf zur Rück¬
besinnung auf die eigene Herkunft, zur Scheidung auf italienisch
Erinnerung an die Heimat zitiert wird. Unter diesem Titel kam der italienische
Der Originaltitel ist selbst ein Zitat aus Spielfilm Divorzio all'italiana (in der
der elegischen Dichtung „Lycidas“ des Hauptrolle: Marcello Mastroianni)
englischen Dichters John Milton 1962 in die deutschen Kinos. Die Hand¬
(1608-1674), die dieser 1637 für seinen lung der Komödie basiert auf der Eigen¬
ertrunkenen Schulfreund schrieb. Darin tümlichkeit des italienischen Strafge¬
heißt es: Look homewardAngel now, and setzbuches, das früher keine Eheschei¬
mell with rulh („Schau jetzt heimwärts, dung erlaubte, aber einen Ehemann, der
Engel, und laß dich von Mitleid erwei¬ seine Frau beim Ehebruch überraschte
chen“). und sie aus verletztem Ehrgefühl tötete.

382
Teil I Schicksal

nur sehr milde bestrafte. Das Zitat wird vorchristlichen Jahrhunderts vorgesehe¬
zum einen als scherzhafte Umschrei¬ ne Möglichkeit, durch geheime Volks¬
bung des Gattenmordes verwendet, zum abstimmung einen unliebsamen Politi¬
anderen wird es gelegentlich abgewan¬ ker für eine bestimmte Zeit in die Ver¬
delt und auf die auffällige Besonderheit bannung zu schicken. Der Name des
einer Ehescheidung oder einer anderen Betroffenen wurde dabei auf als Stimm¬
Art von Trennung, von Aufhebung einer zettel dienende Tonscherben (griechisch
Gemeinschaft bezogen. Ostraka) geschrieben. Aristoteles hat
darüber in seiner „Staatsverfassung
t Auf seinem Schein bestehen Athens“ berichtet. - Man spricht von
einem Scherbengericht, das man über
Der Schein soll nie die Wirklich¬ jemanden oder etwas abhält, wenn man
keit erreichen, und siegt Natur, so zum Ausdruck bringen will, daß man
muß die Kunst entweichen mit jemandem oder einer Sache über¬
mäßig hart ins Gericht geht.
Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht
„An Goethe, als er den ,Mahomet‘ von TSein Scherflein beitragen
Voltaire auf die Bühne brachte“, ent¬
standen im Jahr 1800. Der Vers ist pro¬ t Was schert mich Weib, was schert
grammatischer Ausdruck der Schiller- mich Kind
schen idealistischen Kunstauffassung,
nach der das Kunstwerk seine Wahrheit Scherz, Satire, Ironie und tiefere
nicht durch bedingungslose Nachah¬ Bedeutung
mung der Natur, der Wirklichkeit errei¬
Dies ist der Titel eines Theaterstücks
chen kann.
von Christian Dietrich Grabbe (1801 bis
1836). In diesem Lustspiel setzt sich der
Scheint die Sonne noch so schön,
Autor ironisch mit der Literatur und
einmal muß sie untergehn dem Geistesleben seiner Zeit auseinan¬
Diese beiden Verse stammen aus dem der. Heute wird der Titel gewöhnlich zi¬
sehr bekannt gewordenen Lied „Brüder¬ tiert, wenn ausgedrückt werden soll, daß
lein fein“ aus Ferdinand Raimunds auch das Komische, das Absurde einen
(1790-1836) märchenhaftem Singspiel ernsten Hintergrund oder eine tiefere
„Das Mädchen aus der Feenwelt oder Bedeutung haben können.
Der Bauer als Millionär“ aus dem Jahr
1826. Die Musik für das Stück des öster¬ Das Schicksal des Menschen ist
reichischen Dramatikers schrieb Joseph der Mensch
Drechsler (1782-1852). Das Lied be¬ Diese Worte spricht in Bertolt Brechts
ginnt mit der Strophe: „Brüderlein fein, Stück „Die Mutter“ (nach dem gleich¬
Brüderlein fein,/Mußt mir ja nicht böse namigen Roman von Maxim Gorki; ur-
sein [/Scheint die Sonne noch so aufgeführt 1932) Pelagea Wlassowa, die
schön,/Einmal muß sie untergehn./Brü- Mutter eines getöteten jungen Kommu¬
derlein fein, Brüderlein fein,/Mußt nisten. Man will ihr, die nie ein Hehl
nicht böse sein!“ - Das Zitat umschreibt daraus gemacht hat, nicht gläubig zu
die Erkenntnis, daß auch die schönste sein und alles nur mit dem Maßstab der
Zeit einmal zu Ende gehen muß. Vernunft zu messen, erklären, daß der
Mensch gerade im Leid nicht ohne
TAuf einen Schelmen anderthal- Gott auskommt: „Frau Wlassowa, der
ben! Mensch braucht Gott. Er ist machtlos
gegen das Schicksal.“ Worauf sie ant¬
Scherbengericht wortet: „Wir sagen: Das Schicksal des
Der Ausdruck ist die deutsche Entspre¬ Menschen ist der Mensch“ (10. Szene).
chung des griechischen Begriffs „Ostra- Brecht hat hier einen Gedanken von
kismos“. Man bezeichnete damit eine Karl Marx umformuliert, der in der Ein¬
von der athenischen Verfassung des 5. leitung zu seiner „Kritik der Hegelschen

383
Schicksal Teil I

Rechtsphilosophie“ schrieb, daß der Charles Aznavour als Musiker, der -


Mensch das höchste Wesen für den vom Klaviervirtuosen zum Barpianisten
Menschen sei. - Wer das Zitat verwen¬ heruntergekommen - in eine Kriminal-
det, will ausdrücken, daß es nicht ir¬ geschichte verwickelt wird. - Man ver¬
gendwelche höheren Mächte sind, die in wendet das Zitat gelegentlich scherzhaft
unser Leben gestaltend eingreifen, son¬ als Ermahnung, eine bestimmte Person
dern daß der Mensch selbst und die von in Ruhe zu lassen, sie nicht zu attackie¬
ihm geprägte Gesellschaft die allein be¬ ren.
stimmenden Faktoren für alles sind, was
die menschliche Existenz ausmacht. Schild des Glaubens
Der metaphorische Ausdruck stammt
T Dein Schicksal ruht in deiner eig¬ aus dem Neuen Testament. Im Brief des
nen Brust Paulus an die Epheser (6,16) heißt es:
„Vor allen Dingen aber ergreifet den
TSein Schicksal schafft sich selbst Schild des Glaubens, mit welchem ihr
der Mann auslöschen könnt alle feurigen Pfeile
des Bösewichtes.“ Das Bild gehört zu
Das Schicksal setzt den Hobel an der in Vers 10-17 beschriebenen geistli¬
In dem „Original-Zaubermärchen mit chen Waffenrüstung. Die „feurigen
Gesang“ mit dem Titel „Der Ver¬ Pfeile des Bösewichtes“ stehen in Ana¬
schwender“ (1834) von Ferdinand Rai¬ logie zu den „listigen Anläufen des
mund singt der Tischlermeister Valentin Teufels“ aus Vers 11, die der Glaube ab-
das berühmt gewordene „Hobellied“. wehren kann.
Darin heißt es im Hinblick auf den Un¬
terschied zwischen Arm und Reich am t Mit Schirm, Charme und Melone
Ende der ersten Strophe: „Das Schick¬
sal setzt den Hobel an/Und hobelt alles Die Schlacht am kalten Buffet
gleich.“ Daß bei Empfängen und anderen Feier¬
lichkeiten das kalte Büfett meist mehr
T Du glaubst zu schieben, und du im Mittelpunkt des Interesses der An¬
wirst geschoben wesenden steht als der eigentliche An¬
laß der Veranstaltung, mag ein Vorurteil
Schier dreißig Jahre bist du alt sein. Die Beobachtung, daß Menschen
Dies ist die Anfangszeile des „Mantel¬ in dem Bestreben, sich keine der ange¬
liedes“ aus dem Schauspiel „Lenore“ botenen Delikatessen entgehen zu las¬
von Karl von Holtei (1798-1880), einem sen, bisweilen bei der Selbstbedienung
Schriftsteller, der zu seiner Zeit mit ihre gute Erziehung vergessen, hat je¬
seinen Bühnenstücken, besonders Sing¬ denfalls den Sänger und Liedermacher
spielen, und mit Romanen aus dem Reinhard Mey dazu angeregt, den satiri¬
Theatermilieu Erfolg hatte. Diese Zeile schen Song „Die heiße Schlacht am kal¬
wird, oft auch in Verbindung mit der ten Buffet“ (1971) zu schreiben. Der
folgenden „Hast manchen Sturm er¬ Titel wird (meist in leicht verkürzter
lebt“, gerne verwendet, wenn es gilt, Form) seither häufig bei der Beschrei¬
Geburtstagsgrüße in Versform zu ver¬ bung oder Ankündigung entsprechen¬
fassen. der Feierlichkeiten zitiert.

Schießen Sie nicht auf den Piani¬ Ein Schlachten war’s, nicht eine
sten Schlacht zu nennen!
Diesem Zitat liegt der Filmtitel „Schie¬ Im 9. Auftritt des 1. Akts von Schillers
ßen Sie auf den Pianisten“ zugrunde. romantischer Tragödie „Die Jungfrau
Der französische Film Tirez sur le piani- von Orleans“ (1801) berichtet der Ritter
ste wurde im Jahr 1959 von Franfois Raoul dem König von der Schlacht, in
Truffaut nach einem Roman von David der die Jungfrau zum ersten Mal auftritt
Goodis gedreht. Die Hauptrolle spielt „wie eine Kriegesgöttin, schön zugleich

384
Teil I Schlaraffenland

und schrecklich anzusehn“. Unter ihrer anonym und ohne Titel veröffentlicht
Führung schlägt das Heer des Königs wurde. Dieses Gedicht, das später den
die Feinde in einem Kampf, dessen Bi¬ Titel „Rezensent“ bekam, gilt als Ant¬
lanz lautete: „Ein Schlachten war's, wort auf eine Rezension von Goethes
nicht eine Schlacht zu nennen 1/Zwei¬ Dichtung „Götz von Berlichingen“ aus
tausend Feinde deckten das Gefild,/Die dem Jahr 1773. Es handelt von einem
nicht gerechnet, die der Fluß ver¬ Gast, der sich beim Dichter sattgegessen
schlang,/Und von den Unsern ward hat und danach bei einem anderen an
kein Mann vermißt.“ - Man verwendet der genossenen Mahlzeit herummäkelt:
das Zitat gelegentlich - losgelöst von „Und kaum ist mir der Kerl so satt,/Tut
seinem Zusammenhang um eine Aus¬ ihn der Teufel zum Nachbar füh¬
einandersetzung zu charakterisieren, die ren,/Über mein Essen zu räsonnie-
in ihrer Heftigkeit und Rücksichtslosig¬ ren:/,Die Supp’ hätt’ können gewürzter
keit das vertretbare Maß überschritten sein,/Der Braten brauner, firner der
hat. Wein.‘/Der Tausendsakerment 1/Schlagt
ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezen¬
t Ich denke einen langen Schlaf zu sent.“ - Auch heute noch wird das Zitat
tun scherzhaft auf einen unerwünschten,
kritischen Rezensenten bezogen.

Schläft ein Lied in allen Dingen


Das so beginnende vierzeilige Gedicht, Eine Schlange am Busen nähren
das als programmatisch für die Literatur Die gehobene Redewendung mit der
der Romantik angesehen werden kann, Bedeutung „jemandem, in dessen hin¬
stammt von Joseph Freiherr von terlistigem, heimtückischem Wesen man
Eichendorff (1788-1857). Der Vorstel¬ sich täuscht, vertrauen und Gutes erwei¬
lung, daß die Welt durch Sprache zu sen“ hat ihren Ursprung in der Fabel
„erlösen“ sei, hat der Dichter die fol¬ vom Bauern und der Schlange des grie¬
gende lyrische Form gegeben: „Schläft chischen Fabeldichters Äsop (6.Jh.
ein Lied in allen Dingen,/Die da träu¬ v. Chr.). Darin wärmt ein Bauer eine
men fort und fort,/Und die Welt hebt an Schlange unter seinem Hemd und wird
zu singen,/Triffst du nur das Zauber¬ später von ihr gebissen. In älterem
wort.“ Deutsch ist „Busen“ auch als Bezeich¬
nung für die männliche Brust gebräuch¬
Schlage die Trommel und fürchte lich; das Verb „nähren“ könnte später
dich nicht durch die Vorstellung von der Milch ge¬
benden weiblichen Brust hinzugetreten
Mit diesem Vers beginnt das erste der
sein.
„Zeitgedichte“ Heinrich Heines
(1797-1856) mit dem Titel „Doktrin“.
Es enthält als Lebensregel die Aufforde¬
Schlaraffenland
rung zu Furchtlosigkeit und zupacken¬
dem Handeln: „Schlage die Trommel Als „Schlaraffenland“ bezeichnet man
und fürchte dich nicht,/Und küsse die ein märchenhaftes Land, in dem keiner
zu arbeiten braucht und wo alles, wo¬
Marketenderin !/Das ist die ganze Wis-
nach die Menschen verlangen, im Über¬
senschaft,/Das ist der Bücher tiefster
fluß vorhanden ist, ein Land der
Sinn.“ - Maria Gräfin von Malzan ver¬
Schlemmer und Faulenzer. Der Name
wendete die Gedichtzeile als Titel für
entstand in mittelhochdeutscher Zeit.
ihre Lebenserinnerungen.
Das mittelhochdeutsche Wort „sluraf-
fe“ bedeutet soviel wie „Faulpelz“. Se¬
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist bastian Brant (1457- 1521) schildert das
ein Rezensent „Schlaraffenland“ in seiner Verssatire
Der Ausruf ist die Schlußzeile eines „Das NarrenschifP' (1494). Von Hans
Goetheschen Gedichts, das 1774 zuerst Sachs, dem Meistersinger von Nürnberg

385
9 Duden 12
schlechtesten Teil I

(1494-1576), gibt es eine Fabel „Das de liegen“ spricht man in ähnlicher


Schlaraffenland“ aus dem Jahr 1530. Weise wie von Luftschlössern, um un¬
realistische Pläne, bloße Wunschvor¬
Die schlechtesten Früchte sind es stellungen zu umschreiben.
nicht, woran die Wespen nagen
tO schmölze doch dies allzu feste
Als eine Art Trost ist diese sprichwörtli¬
che Redensart (üblich auch in der Form
Fleisch
„Es sind die schlechtesten Früchte
nicht ...“) schon manchem gesagt wor¬
Schmutziger Lorbeer
den, der sich verleumdet, zu Unrecht Der deutsche Titel des amerikanischen
kritisiert, getadelt, gemaßregelt fühlte. Films „The harder they fall“ von Mark
Es handelt sich dabei um den zweiten Robson aus dem Jahr 1956 weist auf ei¬
Teil eines vierzeiligen Gedichts des nen mit unlauteren Mitteln erworbenen
Dichters Gottfried August Bürger Ruhm hin. Der Film (mit Humphrey
(1747-1794) mit dem Titel „Trost“, das Bogart in seiner letzten Rolle) zeigt die
oft auch ganz zitiert wird und häufig als Tragödie eines Boxers, der von seinen
Poesiealbumvers verwendet wurde. Es Managern über manipulierte Siege in
lautet: „Wenn dich die Lästerzunge einen aussichtslosen Kampf um die
sticht,/So laß dir dies zum Tröste sa¬ Weltmeisterschaft getrieben wird.
gen :/Die schlechtsten Früchte sind es
nicht,/Woran die Wespen nagen.“ t Und wenn der ganze Schnee ver¬
brennt
Schleswig-Holstein, meerum¬
schlungen Schnee von gestern
Bei diesem Ausdruck handelt es sich um Der umgangssprachliche Ausdruck, der
den Anfang eines schleswig-holsteini¬ auch als „Schnee von vorgestern“ oder
schen Heimatliedes, das im Jahr 1844 „... vom letzten Jahr“ oder „... vom ver¬
von Matthäus Friedrich Chemnitz gangenen Jahr“ vorkommt, wird in be¬
(1815-1870) gedichtet und von Karl zug auf Dinge oder Tatsachen, die nie¬
Gottlieb Bellmann vertont wurde. Das manden mehr interessieren, gebraucht.
Lied ist eine Umdichtung des kurze Zeit Die Formulierung geht wahrscheinlich
zuvor von Karl Friedrich Strass auf die als Refrain wiederkehrende rhe¬
(1803-1864) verfaßten Liedes mit dem torische Frage Mais oü sonl les neiges
Anfang „Schleswig-Holstein, schöne d'antan? („Aber wo ist der Schnee vom
Lande,/Wo mein Fuß die Welt betrat“. vergangenen Jahr?“) aus der „Ballade
Das Zitat wird in Zusammenhängen des dames du temps jadis“ des französi¬
verwendet, in denen von Schleswig- schen Renaissancedichters Francois
Holsteins besonderer geographischer Villon (um 1431-nach 1463) zurück.
Lage, seiner Landschaft, seiner Ge¬ Villon wendet das Bild demonstrativ auf
schichte die Rede ist. historische und mythologische weibli¬
che Berühmtheiten und ihre längst ver¬
Schlösser, die im Monde liegen gangene Schönheit an.
Mit diesem Vers beginnt die Schlußarie
der Operette „Frau Luna“ des Berliner Schnell fertig ist die Jugend mit
Komponisten Paul Lincke, uraufgeführt dem Wort
in Berlin im Jahr 1899. Das Libretto Diese Worte entgegnet Wallenstein in
schrieb Heinrich Bolten-Baeckers. Der Schillers gleichnamiger Trilogie Max
vollständige Text des als Walzer kom¬ Piccolomini auf dessen eindringlichen
ponierten Liedes lautet: „Schlösser, die Appell, nicht zum Verräter am Kaiser zu
im Monde liegen,/Sind wohl herrlich, werden („Wallensteins Tod“; 11,2).
lieber Schatz,/Doch um sich im Glück Man verwendet das Zitat, um auszu¬
zu wiegen,/Baut das Herz den schönsten drücken, daß junge Menschen in be¬
Platz.“ - Von „Schlössern, die im Mon¬ stimmten Situationen oftmals zu impul-

386
Teil I Schönen

siv reagieren und vorschnell ihr Urteil Schauspiel „The Tempest“ („Der
fällen. Sturm“) entlehnt (V, 1), wo die mit ih¬
rem Vater Prospero auf eine einsame In¬
Schön ist die Jugendzeit] sel verschlagene Miranda beim Anblick
Ein Thüringer Volkslied, dessen Verse des Königs von Neapel und seines Ge¬
von einem Arth. Heinlein stammen, be¬ folges begeistert ausruft: O wonder!/
singt die Vorzüge des Jungseins und die How many goodlv crealures are there
Vergänglichkeit der Jugend. Der Re¬ herel/How beauteous mankind isl/O
frain beginnt mit den Worten: „Drum brave new world,/Thathas suchpeople in ’t!
sag’ ich’s noch einmal: Schön ist die (in August Wilhelm von Schlegels Über¬
Jugendzeitl/Schön ist die Jugend, sie setzung: „O Wunder!/Was gibt’s für
kommt nicht mehr“. Man zitiert eine der herrliche Geschöpfe hier!/Wie schön
beiden Halbzeilen als Ausdruck weh¬ der Mensch ist! Wackre neue Welt,/Die
mütiger Erinnerung oder als wohlwol¬ solche Bürger trägt!“). Da der König
lende Ermahnung an junge Menschen, von Neapel an der Vertreibung ihres Va¬
ihre Jugend zu genießen. ters, des Herzogs von Mailand, durch
dessen Bruder beteiligt war, enthält die
Schön ist, Mutter Natur, deiner Er¬ Textstelle bei Shakespeare bereits einen
(der Gestalt der Miranda nicht bewu߬
findung Pracht
ten) ironischen Charakter.
Das Zitat, mit dem sich Ergriffenheit
angesichts großartiger Natureindrücke
wiedergeben läßt, ist die Anfangszeile Die Schöne und das Tier
von Friedrich Gottlieb Klopstocks t La belle et la bete
(1724-1803) Ode „Der Zürchersee“.
Der ganze Satz lautet: „Schön ist, Mut¬
ter Natur, deiner Erfindung Pracht/Auf t Das war in Schöneberg im Mo¬
die Fluren verstreut, schöner ein froh nat Mai
Gesicht,/Das den großen Gedanken/
Deiner Schöpfung noch einmal denkt.“
Die schönen Tage in Aranjuez
sind nun zu Ende
Eine schöne Menschenseele fin¬
den ist Gewinn Bei diesem, oft auch in der Form „Die
schönen Tage von Aranjuez sind nun
Das Zitat, mit dem man auf einen edlen
vorbei“ angeführten Zitat handelt es
oder wahrhaften Menschen hinweist,
sich um die Anfangszeilen von Schillers
stammt aus Johann Gottfried Herders
„Don Kariös“, die Pater Domingo, der
(1744-1803) Gedicht „Der gerettete
Beichtvater König Philipps, an dessen
Jüngling“, wo die Sentenz noch weitere
Sohn Kariös richtet. Aranjuez war
Steigerungen erfährt: „Eine schöne
schon vor Philipp II. beliebter Sommer¬
Menschenseele finden/Ist Gewinn; ein
aufenthalt von Isabella der Katholi¬
schönerer Gewinn ist,/Sie erhalten, und
schen und Karl V.; Philipp erhob die
der schönst’ und schwerste,/Sie, die
Domäne des Ritterordens von Santiago
schon verloren war, zu retten.“ zu seiner Sommerresidenz (mit berühm¬
ten Parkanlagen). Im Theaterstück wird
Schöne neue Welt die Rückkehr des Hofes nach Madrid
Der Ausdruck als ironische Bezeich¬ angesprochen. Das Zitat verwendet
nung für eine zukünftige automatisierte man, um anzudeuten, daß ein schöner
und aller natürlichen Impulse beraubte Aufenthalt, eine glückliche Zeit für je¬
Welt ist der Titel der deutschen Überset¬ manden zu Ende geht.
zung (1953) eines satirischen Romans
von Aldous Huxley (1894-1963). Der
Originaltitel dieser negativen Utopie
Die Schönen der Nacht
aus dem „7. Jahrhundert nach Ford“, Unter diesem Titel kam der französisch-
Brave New World, ist aus Shakespeares italienische Spielfilm von 1952 mit Ge-

387
9*
schönes Teil I

rard Philipe und Gina Lollobrigida (Re¬ Annexion Österreichs. Der Epilog, der
gie: Rene Clair, französischer Titel: Les am Ende des Stückes als Schrift auf dem
Beiles de nuit) in die deutschen Kinos. sich schließenden Vorhang erscheint,
Er zeigt die Wunschträume eines jungen drückt neben der Warnung auch Hoff¬
Musiklehrers aus der Provinz, in denen nung aus. Er endet mit den Worten:
dieser sich in der Rolle erfolgreicher, in¬ „So was hätt’ einmal fast die Welt
teressanter Männer sieht, die wunder¬ regiert!/Die Völker wurden seiner Herr,
schöne Frauen lieben. Das Zitat wird jedoch/Daß keiner uns zu früh da tri¬
heute gewöhnlich auf Frauen bezogen, umphiert -/Der Schoß ist fruchtbar
die nachts als Bardamen, Stripteasetän¬ noch, aus dem das kroch!“
zerinnen oder Prostituierte tätig sind.
TJedoch der schrecklichste der
t Mein schönes Fräulein, darf ich Schrecken, das ist der Mensch in
wagen, meinen Arm und Geleit Ihr seinem Wahn
anzutragen?
Schrei, wenn du kannst!
Das Zitat, mit dem man eine ausweglo¬
t In Schönheit sterben
se, verzweifelte Situation charakterisie¬
ren kann, ist der deutsche Titel des fran¬
Das Schönste sucht er auf den Flu¬ zösischen Films „Les Cousins“ von
ren, womit er seine Liebe schmückt Claude Chabrol aus dem Jahr 1958.
Die beiden Zeilen aus Schillers „Lied Darin wird eine Pariser Clique von ge¬
von der Glocke“ stehen in dem Ab¬ langweilten, neurotischen Studenten
schnitt über Kindheit und Jugend, wo es aus wohlhabenden Kreisen porträtiert.
vom Jüngling heißt: „Errötend folgt er
ihren Spuren/Und ist von ihrem Gruß t Ich kann schreiben links, ich
beglückt,/Das Schönste sucht er auf kann schreiben rechts
den Fluren,/Womit er seine Liebe
schmückt.“ Das Zitat kann auch heute, t In gleichem Schritt und Tritt
allerdings eher scherzhaft, auf ein Ge¬
schenk bezogen werden, das jemand ei¬ Ein Schuft, wer Arges dabei denkt
nem geliebten Wesen macht. Dabei muß T Honi soit qui mal y pense
die Gabe nicht unbedingt nur aus einem
Feldblumenstrauß bestehen. t Wissen, wo der Schuh drückt

t Nicht wert sein, jemandem die


T Was kann der Schöpfer lieber se¬
hen als ein fröhliches Geschöpf! Schuhriemen zu lösen

Schuld und Sühne


Der Schoß ist fruchtbar noch, aus
Diese Formulierung kann ein Kommen¬
dem dies kroch!
tar zu einem Verbrechen oder Vergehen
Diese Worte werden als Warnung vor sein, das gesühnt werden muß oder sei¬
einer zunächst zwar gebannten, aber ne Sühne findet. Das Zitat ist der deut¬
doch immer noch und immer wieder sche Titel von Fjodor Michailowitsch
drohenden Gefahr zitiert. Es sind die Dostojewskis (1821-1881) Roman, der
Schlußworte des Epilogs zu dem Para¬ nach dem russischen Original eigentlich
belstück „Der aufhaltsame Aufstieg des „Verbrechen und Strafe“ oder „Über¬
Arturo Ui“ von Bertolt Brecht (1898 bis tretung und Zurechtweisung“ heißen
1956). Das im Gangstermilieu von Chi¬ müßte. Thema des Romans ist ein Mord
cago angesiedelte Stück schildert para¬ aus rationalen Gründen, der dennoch
belhaft und durch Übersteigerung ver¬ den Zusammenbruch des Mörders zur
fremdet das Emporkommen und die Folge hat. Aus seiner absoluten Isolie¬
Karriere Hitlers und seiner Gefolgsleute rung kann er sich nur durch Geständnis
in der Weimarer Republik bis hin zur und Sühne befreien.

388
Teil I Schwanengesang

T Mehr Schulden als Haare auf Die Formulierung des Zitats ist Shake¬
dem Kopf haben speares Tragödie „Hamlet“ (1,2) ent¬
nommen, wo der Titelheld die Charak¬
t Nicht für die Schule, sondern für terlosigkeit seiner Mutter nicht fassen
das Leben lernen wir kann, die wenige Wochen nach dem
Tod ihres Mannes dessen Mörder gehei¬
Laß dir dein Schulgeld zurückge¬ ratet hat: „Schwachheit, dein Nam’ ist
ben Weib!“ (im Original: Frailty, thy name is
woman!).
t Laß dir dein Lehrgeld zurückgeben

Eine Schwalbe macht noch keinen


t Ach, ich hab’ sie ja nur auf die
Sommer
Schulter geküßt
Die auch im Englischen und Französi¬
Es gibt mehr T Ding’ im Himmel schen sprichwörtliche Redensart findet
und auf Erden, als eure Schul¬ sich in der Formulierung „Eine Schwal¬
be macht noch keinen Frühling“ bereits
weisheit sich träumt, Horatio
in der Nikomachischen Ethik (1,6) des
griechischen Philosophen Aristoteles
t Wie Schuppen von den Augen
(384-322 v. Chr.) und basiert vermutlich
fallen
auf der Fabel vom verschwenderischen
Jüngling und der Schwalbe des griechi¬
Schuster, bleib bei deinem Lei¬
schen Fabeldichters Äsop (um die Mitte
sten!
des 6.Jh. v. Chr.). Dort versetzt der jun¬
Der römische Historiker und Schrift¬ ge Mann seinen Mantel, als er im Früh¬
steller Plinius der Ältere (um 23-79 jahr die erste Schwalbe sieht, und fühlt
n. Chr.) erzählt eine Anekdote über den sich von der inzwischen erfrorenen
Maler Apelles am Hof des Makedonier¬ Schwalbe betrogen, weil es weiterhin
königs Alexanders des Großen. Er be¬ winterlich kalt bleibt. Man verwendet
richtet, der Maler sei von einem Schuh¬ das Zitat, um auszudrücken, daß ein
macher darauf hingewiesen worden, einzelnes positives Anzeichen, ein hoff¬
daß er auf einem seiner Bilder den nungsvoller Einzelfall noch nicht auf
Schuh einer dargestellten Figur nicht eine endgültige Besserung der Situation
korrekt gemalt habe. Der Maler nahm schließen läßt.
die Kritik an und korrigierte sein Bild.
Als der Kritiker noch mehr an seinem t Holder Schwan vom Avon
Bild auszusetzen gehabt habe, sei er je¬
doch böse geworden und habe ausgeru¬ T Nun sei bedankt, mein lieber
fen: Ne sutor supra crepidam! (wörtlich Schwan!
übersetzt: „Nicht, Schuster, über die
Sandale hinaus!“) - Man verwendet die Schwanengesang
sprichwörtlich gewordene Zurechtwei¬ Als Schwanengesang bezeichnet man
sung, um jemanden davon zurückzuhal¬ das letzte, meist auch bedeutsame Werk
ten, sich auf einem Gebiet zu betätigen, eines Menschen, besonders eines Kom¬
auf dem es ihm an entsprechenden ponisten oder Schriftstellers, oft auch
Kenntnissen oder Fertigkeiten fehlt. einer Epoche oder einer Ideologie. Die
Bezeichnung leitet sich von einem be¬
Der t wackre Schwabe forcht’ sich reits in der Antike (z. B. bei Äschylus
nit und Cicero) belegten Mythos her, wo¬
nach Singschwäne vor dem Sterben
Schwachheit, dein Name ist Weib! noch einmal ein letztes Klagelied an-
Der männliche Stoßseufzer über die stimmen. Seit dem 16. Jahrhundert be-
weibliche Anfälligkeit für Versuchun¬ zeichnete man zunächst das letzte Werk
gen ist sicher vor dem Hintergrund des eines Dichters als Schwanengesang.
biblischen Sündenfalls zu verstehen. Später wurde der Begriff dann weiter

389
schwanken Teil I

gefaßt. So wurden die letzten dreizehn der Frühe wir trinken sie abends/Wir
hinterlassenen Lieder von Franz Schu¬ trinken sie mittags und morgens wir
bert (1797-1828) mit Texten von Lud¬ trinken sie nachts ...“ Das Gedicht
wig Reilstab, Heinrich Heine und Ga¬ über die unmenschliche Verfolgung
briel Seidl beispielsweise von dem Mu¬ und grausame Tötung der Juden im
sikverleger Tobias Haslinger zu einem Deutschland des Nationalsozialismus
Zyklus zusammengefaßt und unter dem ist Klage und Anklage zugleich. Die
Titel „Schwanengesang“ herausge¬ Auflösung der sittlichen Ordnung, die
bracht. Der Schriftsteller Klaus Mann sich in dem grausigen Geschehen mani¬
(1906-1949) bezeichnet in seinem Le¬ festiert, wird in unterschiedlichen Bil¬
bensbericht „Der Wendepunkt“ den be¬ dern und Vorgängen sichtbar. Die para¬
rühmten Roman seines Vaters Thomas dox formulierte Metapher gleich zu
Mann „Buddenbrooks“ (1901) als den Beginn des Gedichts ist dafür ein
epischen „Schwanengesang des deut¬ eindrucksvolles Beispiel. Sie wurde zu
schen Bürgertums“. einer Art Chiffre für das durch Perver¬
tierung menschlicher Ordnungen ent¬
standene Leid.
Schwanken wie ein Rohr im Wind
Die Redewendung - auch in der Form
„ein schwankendes Rohr im Wind Die schwarzen und die heitern
sein“ - hat die Bedeutung „in seinen
Lose
Entschlüssen unsicher, schwankend
sein“. Sie geht zurück auf zwei fast Als Beschreibung des unbeschwerten
gleichlautende Stellen im Neuen Testa¬ Daseins eines Kindes, das noch frei von
ment (Lukas 7,24 und Matthäus 11,7), den Sorgen des Alltags aufwächst und
die Licht- und Schattenseiten des Le¬
wo Jesus mit Bezug auf Johannes den
Täufer fragt: „Was seid ihr hinausge¬ bens erst später zu spüren bekommt,
gangen in die Wüste zu sehen? Wolltet heißt es in Schillers „Lied von der Glok-
ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin ke“ zu Beginn der 6. Strophe: „Ihm ru¬
und her bewegt?“ Ein „schwankendes“ hen noch im Zeitenschoße/Die schwar¬
oder auch „schwankes Rohr“ ist danach zen und die heitern Lose.“ Mit dem Zi¬
auch Sinnbild für einen schwachen, tat verbindet sich heute die Feststellung,
nicht in sich gefestigten Menschen. daß es neben Positivem auch Negatives
gibt und das Schicksal außer Pechsträh¬
nen auch glückliche Zeiten kennt.
t Auf schwanker Leiter der Ge¬
fühle
Schweig stille, mein Herze!
t Denn was man schwarz auf weiß So lautet der Kehrreim der vier Stro¬
besitzt, kann man getrost nach phen von Eduard Mörikes Gedicht
Hause tragen „Schön-Rohtraut“ (1838). Darin wird
einem Jüngling das Glück zuteil, die von
ihm angebetete - aber wegen des Stan¬
Schwarze Milch der Frühe
desunterschiedes im Grunde unerreich¬
Die expressionistische Sprache des Ly¬ bare - Königstochter küssen zu dürfen.
rikers Paul Celan (1920-1970) mit ihrer Darüber muß er aber selbstverständlich
eigenen Welt von Bildern, Farben, Mo¬ Stillschweigen bewahren, er darf dem
tiven und Symbolen (beeinflußt von Drängen seines Herzens, seiner Liebe
Symbolismus und Surrealismus) ist nicht weiter nachgeben. Das Gedicht
nicht leicht zu verstehen, die Gedichte wurde von Schumann, Hugo Wolf und
sind logisch oft nur schwer erfaßbar. anderen vertont. - Wenn man über et¬
Ein einzelnes Beispiel dafür ist die in ih¬ was sehr Schönes oder auch über etwas
rer Kühnheit bekannt gewordene Meta¬ sehr Enttäuschendes nicht sprechen
pher, mit der das berühmte Gedicht will, dann werden diese Worte gelegent¬
„Todesfuge“ einsetzt: „Schwarze Milch lich zitiert.

390
Teil I Seefahrt

t Wenn diese schweigen, werden Es schwelgt das Herz in Seligkeit


die Steine schreien Dieses Zitat stammt aus Schillers „Lied
von der Glocke“ (1799), wo an einer
Das Schweigen im Walde Stelle das Glück der ersten Liebe mit
den euphorischen Worten beschrieben
Einer der vielen früher oft gelesenen,
wird: „O, zarte Sehnsucht, süßes Hof-
meist von Liebes- und Gebirgsromantik
fen,/Der ersten Liebe goldne Zeit,/Das
bestimmten Romane des bayrischen
Auge sieht den Himmel offen,/Es
Schriftstellers Ludwig Ganghofer
schwelgt das Herz in Seligkeit ;/0, daß
(1855-1920) trägt diesen Titel. Der Ro¬
sie ewig grünen bliebe,/Die schöne Zeit
man wurde, wie auch viele andere
der jungen Liebe!“ Das heute meist
Ganghoferromane, mehrfach verfilmt.
scherzhaft gebrauchte Zitat wird nicht
Der Titel hat sich verselbständigt und ist
nur auf jemanden bezogen, der schwär¬
in den allgemeinen Sprachgebrauch ein¬
merisch verliebt ist und daher voll Über¬
gegangen. Wenn jemand sagt, es herr¬
schwang, über die Maßen glücklich ist,
sche das Schweigen im Walde, so drückt
sondern allgemein auch auf Menschen,
er damit aus, daß irgendwo eine Situati¬
die man auf Grund überaus großer Zu¬
on entstanden ist, in der aus Verlegen¬
friedenheit mit sich und der Welt in
heit, Angst o. ä. niemand etwas zu sagen
einer Hochstimmung sieht.
wagt, oder auch, daß jemand einfach
um eine Antwort verlegen ist.
tSein Schwert in die Waagschale
werfen
t Da schweigt des Sängers Höf¬
lichkeit
Schwerter zu Pflugscharen
Das Leitwort der in den 80er Jahren des
Den Schweinen wird alles 20. Jahrhunderts in der früheren DDR
Schwein entstandenen friedenspolitischen Initia¬
t Dem Reinen ist alles rein tiven ist aus dem alttestamentlichen
Propheten Jesaja entnommen. Dort
heißt es: „Da werden sie ihre Schwerter
t Im Schweiße seines Angesichts
zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Si¬
cheln machen. Denn es wird kein Volk
Des Schweißes der Edlen wert wider das andere das Schwert erheben,
sein und sie werden hinfort nicht mehr ler¬
nen, Krieg zu führen“ (Jesaja 2,4).
Wenn jemand mit Nachdruck feststel¬
len will, daß eine bestimmte Sache Ein¬
satz und Anstrengung verdient, daß ein Seefahrt ist not
bestimmtes Ziel wirklich erstrebenswert Mit diesem Ausspruch wird heute vor
ist und das Erreichen dieses Ziels sich in allem die handeis-, aber auch die rü¬
der Zukunft mit Sicherheit auszahlen stungspolitische Bedeutung der See¬
wird, dann kann er sich dieser Rede¬ fahrt umschrieben. Er wurde besonders
wendung bedienen. Sie ist ein Zitat aus populär durch einen Roman des nord¬
einem der berühmtesten Gedichte des deutschen Schriftstellers Gorch Fock
deutschen Dichters Friedrich Gottlieb (1880-1916; eigentlich Johann Kinau),
Klopstock (1724-1803), der Ode „Der der diesen Titel trägt. Der Ausspruch
Zürchersee“ mit der bekannten An¬ hat allerdings seine Wurzeln in der Anti¬
fangszeile „Schön ist, Mutter Natur, ke. Der griechische Schriftsteller Plut-
deiner Erfindung Pracht“. Am Ende der arch (um 46-um 125 n. Chr.) berichtet
zehnten Strophe dieses Gedichts, in der über den Feldherrn Pompeius (106-48
vom Ruhm des Dichters gesprochen v. Chr.), der als Verantwortlicher für die
wird, heißt es: „... und die Unsterblich¬ Getreideversorgung Roms von vielen
keit/Ist ein großer Gedanke,/Ist des Gegenden des Mittelmeerraums Getrei¬
Schweißes der Edlen wert!“ de herbeiführen ließ, er habe vor einer

391
Seele Teil I

dieser Fahrten, als ein Unwetter aufkam in Bildern wie dem des im ewigen
und die Seeleute nicht abfahren wollten, Wechsel zur Erde niedergehenden und
ausgerufen: Navigare necesse est, vivere zum Himmel wieder aufsteigenden
non est necesse. So die lateinische Über¬ Wassers, des zunächst „lieblich stäu¬
setzung des von Plutarch griechisch benden“, dann „unmutig schäumen¬
überlieferten Ausspruchs. Auf deutsch den“, schließlich im „flachen Bette hin¬
bedeutet er: „Abfahren ist notwendig, schleichenden“ Wasserlaufs oder dem
leben ist nicht notwendig.“ Der lateini¬ des Windes, der die „vom Grund aus
sche Spruch ziert noch heute als In¬ schäumenden Wogen“ mischt.
schrift das Portal des Hauses der See¬
fahrt in Bremen und hat dort die allge¬ T Nun hat die liebe Seele Ruh’
meinere Bedeutung „Es ist notwendig,
Schiffahrt zu treiben, es ist nicht not¬
(Zwei Seelen und ein Gedanke,
wendig zu leben“. Üblicher geworden
zwei Herzen und ein Schlag
ist die kurze Form Navigare necesse est
oder „Seefahrt ist not“.
t Zwei Seelen wohnen, ach, in
meiner Brust
T Mit der Seele baumeln

t Das kann doch einen Seemann


Seele, bück dich, jetzt kommt ein
nicht erschüttern
Platzregen
Der Satiriker und Publizist Johann
t Doch der Segen kommt von oben
Fischart (um 1546-um 1590) läßt in sei¬
nem Hauptwerk (vergleiche den Artikel
Sehe jeder, wo er bleibe!
„Geschichtsklitterung“) im Kapitel von
der „Trunckenen Litanei“ einen Zecher Diese Zeile, die dem einzelnen die Ver¬
ausrufen: „Duck dich Seel, es kompt ein antwortung für sein Leben zuweist,
Platzregen: den wird dir das Höllisch stammt aus Goethes Gedicht „Beherzi¬
Fewr wol legen.“ Dieser Satz taucht gung“. Dieses Gedicht beginnt fragend:
dann in der oben zitierten Form im 19. „Ach, was soll der Mensch verlan¬
Jahrhundert auf einer Bierwerbung in gen?/^ es besser, ruhig blei-
Berlin auf. Man verwendet ihn auch ben?/Klammernd fest sich anzuhan¬
heute noch gelegentlich scherzhaft, gen ?/Ist es besser, sich zu treiben?“ Sein
wenn man dabei ist, einen kräftigen Resümee in der letzten Strophe - häufig
Schluck Alkohol zu sich zu nehmen, in Poesiealben geschrieben - lautet:
manchmal auch in der abgewandelten „Eines schickt sich nicht für alle!/Sehe
Form: „Leber, bück dich,...“. jeder, wie er’s treibe,/Sehe jeder, wo er
bleibe,/Und wer steht, daß er nicht fal¬
Seele des Menschen, wie gleichst le!“ - Das Zitat kann auch als saloppe
Zurückweisung der Verantwortung für
du dem Wasser! Schicksal des
andere verstanden werden, als Auffor¬
Menschen, wie gleichst du dem
derung, daß jeder doch für sich selber
Wind!
sorgen solle.
Dies ist die letzte, gewissermaßen ein
Fazit ziehende Strophe des Gedichtes T Zum Sehen geboren, zum Schau¬
„Gesang der Geister über den Wassern“
en bestellt
von Goethe, das er im Oktober 1779 am
Staubbach bei Lauterbrunn geschrieben
hat. Die Strophe wird oft als eine allge¬
Sehet die Vögel unter dem Him¬
mel an
meine Aussage über das Wesen und die
Bestimmung des Menschen und die t Sie säen nicht, sie ernten nicht
Wechselhaftigkeit seines Wandels auf
der Erde zitiert. Das Gedicht beschreibt t Nur wer die Sehnsucht kennt,
Menschenseele und Menschenschicksal weiß, was ich leide!

392
Teil I seid

O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen lektal gefärbte Wunschformel auch heu¬


t Errötend folgt er ihren Spuren te gelegentlich gebraucht werden, viel¬
leicht anläßlich einer Verabschiedung,
Seht, da ist die Witwe Bolte die ein wenig zu feierlich oder zu senti¬
mental zu werden droht.
Die einleitenden Verse zum „Ersten
Streich“ der Bildergeschichte „Max und
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind
Moritz“ von Wilhelm Busch (1832 bis
1908) beschreiben den Nutzen der Hüh¬ Dieser Vers stammt aus Goethes Balla¬
nerhaltung. Unter anderem verwendet de „Erlkönig“ aus dem Jahr 1782. Der
man auch die Federn dieser Tiere, man Vater, der mit dem von Fieberphanta¬
stopft sie „In die Kissen und die Pfüh¬ sien geängstigten Kind durch die Nacht
le, /Denn man liegt nicht gerne kühle.“ nach Hause reitet, sucht es mit diesen
Und nun wird das erste Opfer der bösen Worten zu beruhigen. Die Ballade wur¬
Buben vorgestellt: „Seht, da ist die Wit¬ de besonders bekannt durch die Ver¬
we Bolte,/Die das auch nicht gerne tonungen von Franz Schubert (1815)
wollte.“ - Mit dem Zitat kann man und Carl Loewe (1818).
scherzhaft die Ankunft eines Menschen
kommentieren, mit dem man etwas Be¬ Es sei, wie es wolle, es war doch so
stimmtes vorhat, auf den etwas Unange¬ schön
nehmes zukommen wird. Dieses Zitat stammt aus dem zweiten
Teil von Goethes Faust (5. Akt, „Tiefe
Seht ihr den Mond dort stehen? Nacht“). Zu Beginn singt Lynceus, der
Der t Mond ist aufgegangen Türmer, auf der Schloßwarte stehend,
ein Lied, in dem er zunächst über seine
Sei getreu bis an den Tod, so will Aufgabe reflektiert und zu dem Resü¬
ich dir die Krone des Lebens geben mee kommt „Ihr glücklichen Au¬
gen,/Was je ihr gesehn,/Es sei, wie es
In der „Offenbarung des Johannes“,
wolle,/Es war doch so schön!“ Wenn
dem letzten Buch des Neuen Testa¬
man unabhängig davon, daß manches
ments, das Sendschreiben an sieben
auch hätte besser gewesen sein können,
kleinasiatische Gemeinden enthält, ste¬
rückblickend alles in allem doch zu ei¬
hen (im 2. Kapitel, Vers 10) diese Worte
ner positiven Bewertung einer früheren
als Mahnung an die Gemeinde in Smyr¬
Zeit kommt, zitiert man auch heute
na. Sie wurden zu einem bekannten
noch: „Es sei, wie es wolle, es war doch
christlichen Sinnspruch, besonders zum
so schön!“
beliebten Konfirmationsspruch. Die
Ausdrücke „getreu bis an (häufig auch:
in) den Tod“ und „Krone des Lebens“
Seid einig, einig, einig!
werden zuweilen auch selbständig ge¬ Dies sind die letzten Worte des sterben¬
braucht als gehobene Umschreibungen den Freiherrn Attinghausen in Schillers
für unverbrüchliche Treue beziehungs¬ „Wilhelm Teil“ (IV, 2). Sie sind seine
weise für die höchste denkbare Stufe, Mahnung an alle Schweizer zur Einig¬
die Vollendung des Lebensglücks. keit und zum festen Zusammenstehen
im Kampf gegen die Reichsvögte. Als
Sei glücklich, du gutes Kind! Aufforderung zu einträchtigem Han¬
deln und solidarischem Verhalten wird
Mit diesen Worten und einem Kuß auf
der Ausspruch heute noch gelegentlich
die Stirn beglückwünscht die Leiterin
verwendet.
des Mädchenpensionats, Sesemi Weich-
brodt, ihre ehemalige Schülerin Tony
Buddenbrook zu deren Hochzeit. Die Seid fruchtbar und mehret euch
Szene wird im dritten Teil von Thomas Diese Aufforderung, häufig als Scherz¬
Manns berühmtem Roman „Budden¬ wort gebraucht, ist der Befehl, den Gott
brooks“ im 14. Kapitel geschildert. Als im Alten Testament den ersten Men¬
scherzhaftes Zitat kann diese leicht dia¬ schen erteilt. Er ist verbunden mit der

393
seid Teil I

Weisung, sich die Erde untertan zu ma¬ das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr ge¬
chen (1. Moses 1,28). Einige Verse zuvor sellschaftliches Sein, das ihr Bewußt¬
(Vers 22) ergeht der gleiche Befehl be¬ sein bestimmt.“
reits an die Tiere im Wasser und in der
Luft. Es heißt dort: „Und Gott segnete Sein Damaskus erleben
sie und sprach: Seid fruchtbar und meh¬ Die Redewendung wird gebraucht, um
ret euch und erfüllet das Wasser im auszudrücken, daß sich jemand von
Meer; und das Gefieder mehre sich auf Grund auf gewandelt hat, im Wesep
Erden.“ Das Bibelwort wird oft auch in oder in seiner Erscheinung völlig anders
scherzhaft abgewandelter Form ge¬ geworden ist. Man verwendet sie häufig
braucht und lautet dann: „Seid furcht¬ auch in der Form „Seinen Tag von Da¬
bar und wehret euch!“ maskus erleben“. Sie bezieht sich auf
das 9. Kapitel der Apostelgeschichte im
Seid klug wie die Schlangen Neuen Testament. Hier wird erzählt,
Diesen Rat gibt Jesus nach Matthäus wie Jesus vor den Toren von Damaskus
10,16 den Jüngern, bevor er sie aussen¬ dem Christenverfolger Saulus erscheint,
det, in seinem Namen zu wirken: „Sie¬ ihn bekehrt und zu seinem Jünger
he, ich sende euch wie Schafe mitten un¬ macht. Saulus wird fortan in der Bibel
ter die Wölfe; darum seid klug, wie die nur noch mit dem griechisch-lateini¬
Schlangen und ohne Falsch wie die schen Namen Paulus genannt, worauf
Tauben.“ - Das Zitat ist eine Ermah¬ sich auch die gleichbedeutende Rede¬
nung, sich in einer bestimmten Situation wendung „Von einem Saulus zu einem
besonders klug zu verhalten. Paulus werden“ gründet.

Seid umschlungen, Millionen! Sein greises Haupt schütteln


Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht Die umgangssprachliche, oft scherzhaft
„An die Freude“, das durch seine Verto¬ gebrauchte Formulierung im Sinne von
nung am Schluß der 9. Sinfonie von „seiner Verwunderung Ausdruck ge¬
Beethoven (entstanden 1823) sehr be¬ ben; einer Sache verständnislos gegen¬
kannt wurde. Die Freude, von Schiller überstehen“ geht auf Adelbert von Cha-
als „schöner Götterfunken“ und als missos (1781-1838) Gedicht „Das
„Tochter aus Elysium“ angesprochen, Schloß Boncourt“ zurück, in dem ein
versetzt die Menschen in einen Verbrü¬ fahrender Sänger sich voll Wehmut an
derungstaumel, der sich in diesem Aus¬ das Schloß erinnert, in dem er aufge¬
ruf ausdrückt. - Heute wird das Zitat wachsen ist und das nun längst dem
gelegentlich scherzhaft abgewandelt Erdboden gleich gemacht wurde. Die
und in der Form „Seid verschlungen, erste Strophe lautet: „Ich träum’ als
Millionen!“ mit Bezug auf große aufzu¬ Kind mich zurücke/Und schüttle mein
wendende Geldsummen gebraucht. greises Haupt;/Wie sucht ihr mich
heim, ihr Bilder,/Die lang ich vergessen
Das Sein bestimmt das Bewußtsein geglaubt?“
Diese geläufige Verkürzung eines Zitats
von Karl Marx wird oft so verstanden, Sein Maß ist voll
daß das individuelle Bewußtsein von Im Prolog von Schillers Tragödie „Die
äußeren Lebensumständen des einzel¬ Jungfrau von Orleans“ (3. Auftritt) sagt
nen geprägt sei. Marx spricht hingegen Johanna von dem Feind, den zu besie¬
in dem Vorwort seiner Schrift „Zur Kri¬ gen sie angetreten ist: „Vor Orleans soll
tik der politischen Ökonomie“ (1859) das Glück des Feindes scheitern,/Sein
davon, daß die gesellschaftlichen Le¬ Maß ist voll, es ist zur Ernte reif.“ Schil¬
bensumstände, besonders die Produkti¬ ler bedient sich damit eines Bildes, das
onsbedingungen zur Sicherung der ma¬ in der Form der Redensart „das Maß ist
teriellen Existenz, ein bestimmtes Be¬ voll“ mit der Bedeutung „nun reicht es,
wußtsein zur Folge haben. Er sagt: „Es nun ist meine Geduld zu Ende“ ge¬
ist nicht das Bewußtsein der Menschen, bräuchlich ist.

394
Teil I seine

Sein oder Nichtsein, das ist hier römischen Historiker Livius (59
die Frage v.Chr.-17 n.Chr.) geschilderte Bege¬
Mit diesen Worten beginnt Hamlet, benheit zurück. Nach dem Sieg der Kel¬
Prinz von Dänemark, in Shakespeares ten über die Römer an der Allia 387
gleichnamiger Tragödie (III, 1) seinen v. Chr. wurde die Stadt Rom eingenom¬
Monolog, in dem er über die Scheu vor men. Als die zu zahlende Summe für
den Abzug der Feinde in Gold aufgewo¬
entschlossenem Handeln, die er in der
gen wurde, protestierten die Besiegten
Furcht vor dem Tod begründet sieht,
gegen die falschen Gewichte der Sieger,
nachdenkt. Im englischen Original lau¬
worauf der keltische Heerführer mit den
ten seine Worte: To be, or not to be, that
Worten „Wehe den Besiegten!“ auch
is the question. Das Zitat wird in Situa¬
noch sein Schwert auf die Waagschale
tionen gebraucht, die für jemanden oder
geworfen haben soll (Livius, Ab urbe
etwas von existentieller Bedeutung sind.
condita V, 48,9). (Vergleiche auch „Vae
victis!“)
Sein Scherflein beitragen
Die Redewendung mit der Bedeutung
„seinen kleinen Beitrag zu etwas lei¬
Seine Hände in Unschuld waschen
sten“ geht auf das Neue Testament zu¬
rück, wo sowohl im Markusevangelium Diese Redewendung verwendet jemand,
(12, 42) als auch im Lukasevangelium der beteuern will, daß er an einer Sache
(21, 2) vom „Scherflein der Witwe“ be¬ nicht beteiligt war und darum nicht zur
richtet wird. (Das Wort „Scherflein“ ist Verantwortung gezogen werden kann,
die Verkleinerung zu der im Spätmittel¬ daß er mit bestimmten Vorgängen
hochdeutschen gebräuchlichen Be¬ nichts zu tun hat. Die Wendung geht auf
zeichnung „scherf“ für eine Scheide¬ mehrere Stellen in der Bibel zurück. Die
münze.) Jesus beobachtete die Men¬ bekannteste ist sicherlich die bei Mat¬
schen, die ihre Opfer in den Opferstock thäus 27,24, wo es von dem römischen
legten. (Markus 12,42): „Und des kam Statthalter Pilatus, der seine Unschuld
eine arme Witwe und legte zwei Scherf¬ am Tod Jesu beteuert, heißt: „Da ...
lein ein.“ Dazu bemerkte er dann gegen¬ nahm er Wasser und wusch die Hände
über seinen Jüngern: „Wahrlich ich sage vor dem Volk und sprach: Ich bin un¬
euch: Diese arme Witwe hat mehr in schuldig an dem Blut dieses Gerechten;
den Gotteskasten gelegt denn alle, die sehet ihr zu!“ Auch in Psalm 26, einem
eingelegt haben.“ „Gebet zur Rettung der Unschuld“
heißt es in Vers 6: „Ich wasche meine
Sein Schicksal schafft sich selbst Hände in Unschuld und halte mich,
Herr, zu deinem Altar...“. Die an beiden
der Mann
Stellen verwendete Beteuerungsformel
Bei diesem Ausspruch handelt es sich hat ihren Ursprung in einer alttesta-
um den Schlußvers der romantisieren¬ mentlichen Vorschrift, von der im 5.
den Verserzählung „Otto der Schütz“
Buch Moses, 21,1-9 die Rede ist. Es
des deutschen Schriftstellers Gottfried wird dort angeordnet, daß die Ältesten
Kinkel (1815-1882). - Das Zitat bringt einer Stadt zu der Leiche eines von un¬
zum Ausdruck, daß der Mensch für sich bekannter Hand Erschlagenen eine jun¬
und sein Schicksal selbst verantwortlich ge Kuh bringen sollen, die sie zuvor ge¬
ist. tötet haben, und daß sie im Beisein der
Priester zum Zeichen ihrer Unschuld
Sein Schwert in die Waagschale über der Kuh ihre Hände waschen
werfen sollen mit den Worten: „Unsre Hände
Diese Redewendung, mit der ausge¬ haben dies Blut nicht vergossen, so
drückt wird, daß eine Entscheidung haben’s auch unsre Augen nicht gese¬
durch den Einsatz der eigenen Macht¬ hen. Sei gnädig deinem Volk Israel, das
mittel erzwungen oder zumindest stark du, Herr, erlöst hast; lege nicht das un¬
beeinflußt wird, geht auf eine beim schuldige Blut auf dein Volk Israel!“

395
Seinen Teil I

Den Seinen gibt’s der Herr im Äußerungen eines Kritikers mit diesem
Schlaf Zitat relativieren.
Im Alten Testament heißt es im 127.
Psalm von der Fürsorge des Herrn für Selbst ist der Mann!
die Gottesfürchtigen: „Es ist umsonst, Die sprichwörtliche Redewendung, die
daß ihr früh aufstehet und hernach lan¬ soviel besagt wie „man muß sich selbst
ge sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; helfen“, findet sich im zweiten Teil von
denn seinen Freunden gibt er’s schla¬ Goethes Faust (4. Akt. Auf dem Vorge-
fend“ (Psalm 127,2). Darauf beruht die birg). Hier gebraucht sie der Kaiser ge¬
mit ironischem Unterton gebrauchte genüber Faust: „Selbst ist der Mann!
Redensart, die soviel wie „Manche Wer Thron und Krön’ begehrt,/Persön¬
Leute haben so viel Glück, daß sie ohne lich sei er solcher Ehren wert.“ - Man
Anstrengung viel erreichen“ bedeutet. richtet den Ausspruch als Aufforderung
an sich selbst oder an einen anderen,
oder man kommentiert damit mit Ge¬
Seiner Majestät getreue Oppositi¬ nugtuung eine selbständig gemeisterte
on Aufgabe. Heute gibt es daneben auch
Der rechte Flügel der Deutschen Fort¬ die Form „Selbst ist die Frau!“
schrittspartei im preußischen Abgeord¬
netenhaus, der sich nach 1866 abspalte¬ Selig lächelnd wie ein satter Säug¬
te und den Kern der damals neugegrün¬ ling
deten Nationalliberalen Partei bildete,
Zu Christian Morgensterns (1871-1914)
zeigte sich schon früh gegenüber Bis¬
Palmström-Gedichten gehört „Korf er¬
marck kompromißbereit und war ge¬
findet eine Art von Witzen Das Zitat
willt, die Politik des preußischen Kö¬
ist der letzte Vers des zweistrophigen
nigs mitzutragen. Diese Haltung kenn¬
Gedichts über „eine Art von Witzen, die
zeichnete ein liberaler Abgeordneter
erst viele Stunden später wirken“, so
treffend, als er diese Gruppierung des
daß sie den Hörer eines solchen aus
Titels „Seiner Majestät getreue (auch zi¬
dem Schlaf aufwecken und ihn „selig
tiert: getreueste) Opposition“ für wür¬
lächeln“ lassen. „... als hätt ein Zunder
dig hielt. Man verwendet ihn noch heute
still geglommen,/wird man nachts im
gelegentlich, um eine parlamentarische
Opposition oder allgemein eine Grup¬ Bette plötzlich munter,/selig lächelnd
wie ein satter Säugling.“ - Man verwen¬
pe, die ein Gegengewicht zu einer herr¬
schenden Instanz darstellen soll, als zu det das Zitat, um jemandes entsprechen¬
nachgiebig zu charakterisieren. den Gesichtsausdruck, ein Zufrieden¬
heit ausdrückendes Lächeln, scherzhaft
zu kommentieren.
Seines Bellens lauter Schall be¬
weist nur, daß wir reiten TO selig, o selig, ein Kind noch zu
In einer Reihung parabolischer Gedich¬ sein!
te befaßt sich Goethe mit Rezensenten,
Dilettanten und Kritikern, Neologen, Selig sind ...
Krittlern und auch „Kläffern“, also Kri¬ Die im 5. Kapitel des Matthäusevangeli¬
tikern auf sehr niedrigem Niveau. Das ums, in der Bergpredigt, mehrfach wie¬
Gedicht „Kläffer“ endet mit den Zeilen: derholte Formel der Seligpreisung wird
„So will der Spitz aus unserm Stall/Uns vor allem in der Umgangssprache
immerfort begleiten,/Und seines Bel¬ scherzhaft oder spöttisch zitiert. Man
lens lauter Schall/Beweist nur, daß wir kommentiert damit Schwächen seiner
reiten.“ Ist jemand ständig lauter Kritik Mitmenschen, die man für hoffnungslo¬
ausgesetzt, so vermittelt ihm das auch se Fälle hält; besonders häufig sind For¬
das Gefühl, daß er etwas leistet und sein mulierungen wie „Selig sind die Doo¬
Schaffen Beachtung findet. In diesem fen“ oder „Selig sind die Bekloppten“
Bewußtsein kann er die ausfälligen (in Anlehnung an den mißverstandenen

396
Teil I setzet

Bibelvers „Selig sind, die da geistlich Man zitiert ihn häufig (auch in abge¬
arm sind“). wandelter Form), um auf die Gefähr¬
dung einer erhaltenswerten Institution,
Selig, wer sich vor der Welt ohne einer ökologischen oder kulturellen
Haß verschließt Besonderheit hinzuweisen und zu ihrer
Erhaltung aufzurufen.
Diese Verse stammen aus dem Frau von
Stein gewidmeten Gedicht Goethes mit
dem Titel „An den Mond“, dessen 2. Sesam, öffne dich!
Fassung auf das Jahr 1789 zurückgeht. Eine der Geschichten aus der orientali¬
Sie postulieren im Zusammenhang mit schen Märchensammlung „Tausend¬
den folgenden Versen das Beglückende undeine Nacht“ trägt den Titel „Ali Ba¬
einer Freundschaft, die - im Gleich¬ ba und die vierzig Räuber“. In ihrem
klang des Denkens und Fühlens - sich Mittelpunkt steht eine Höhle, angefüllt
selbst genügt: „Selig, wer sich vor der mit Gold und Schätzen, deren Tür sich
Welt/Ohne Haß verschließt,/Einen allein auf das Zauberwort „Sesam, öffne
Freund am Busen hält/Und mit dem ge- dich!“ auftut. Ali Baba, der durch einen
nießt,/Was von Menschen nicht ge- Zufall die Räuber vor der Höhle be¬
wußt,/Oder nicht bedacht,/Durch das lauscht, kann sich danach Zugang zu
Labyrinth der Brust/Wandelt in der den Schätzen verschaffen. - Man ge¬
Nacht.“ - Das Zitat läßt sich auf einen braucht das Zitat als scherzhaften Aus¬
Menschen beziehen, der sich dem Tru¬ ruf bei dem Versuch, etwas zu öffnen,
bel der Welt entzieht, um zu sich selbst ein Hindernis zu überwinden oder auch
zu finden. eine Lösung für ein bestimmtes „sperri¬
ges“ Problem zu finden. Als „Sesam“
Semper aliquid haeret bezeichnet man auch einen Ort, zu dem
man nicht ohne weiteres Zugang hat. -
Es t bleibt immer etwas hängen
Das gleiche Motiv behandelt ein Mär¬
chen der Brüder Grimm mit dem Titel
Semper idem
„Simeliberg“.
Das Zitat stammt aus den „Gesprächen
in Tuskulum“ (III, 15,31) des römi¬
Setzen wir Deutschland in den
schen Schriftstellers und Staatsmannes
Cicero (106-43 v. Chr.). Cicero spricht
Sattel
davon, daß Xanthippe an ihrem Gatten Mit der Metapher „Setzen wir Deutsch¬
Sokrates den bei seinem Weggehen und land, sozusagen, in den Sattel! Reiten
Wiederkommen gleichen Gesichtsaus¬ wird es schon können“, die Bismarck
druck gerühmt habe, und fügt erläu¬ am 11. 3. 1867 in einer Rede vor dem
ternd hinzu, daß der ihn prägende Geist Norddeutschen Reichstag gebrauchte,
keiner Veränderung unterworfen sei. wollte Bismarck Bedenken darüber
Die Formel „Semper idem“ oder „Im¬ zerstreuen, daß Deutschland nach der
mer derselbe“ dient als Wahlspruch für nationalstaatlichen Vereinigung unter
Gleichmut und Beständigkeit. Preußens Führung als Staat nicht funk¬
tionsfähig sei. „Setzen wir... in den Sat¬
Serengeti darf nicht sterben tel“ wird heute mit wechselndem Objekt
zitiert, wenn man aus einem sicheren
Der Zoologe Bernhard Grzimek
Gefühl heraus von jemandes Erfolg,
(1909-1987) veröffentlichte im Jahr
dem Gelingen einer Sache überzeugt ist
1959 ein Buch über seinen Forschungs¬
und andere dazu ermuntern will, nicht
aufenthalt in der afrikanischen Serenge-
länger zu zögern, sich vor dem Risiko
tisteppe, dem er diesen Titel gab. Der im
eines Fehlschlags nicht zu fürchten.
gleichen Jahr gedrehte Dokumentar¬
film, der ebenfalls „Serengeti darf nicht
sterben“ hieß, machte den beschwören¬
tUnd setzet ihr nicht das Leben
den Appell zur Erhaltung der afrikani¬ ein, nie wird euch das Leben ge¬
schen Tierwelt noch zusätzlich bekannt. wonnen sein

397
Teil I
SIC

Geist der Zeiten heißt,/Das ist im


Sic transit gloria mundi
Grund der Herren eigner Geist“, hält
Wenn ein neugewählter Papst in der Pe¬
dann auch Faust entgegen. Wir gebrau¬
terskirche gekrönt wird, spricht der Ze-
chen die zitierte Wendung heute, wenn
remoniar dreimal die lateinischen Wor¬
wir den Versuch machen, uns gedank¬
te „Sic transit gloria mundi“ („So ver¬
lich in eine bestimmte Epoche der Ver¬
geht der Ruhm der Welt“), während
gangenheit zurückzuversetzen und die
dreimal ein Bündel Werg verbrannt
für diese Zeit charakteristischen Denk¬
wird. Diese mahnende Erinnerung an
weisen nachzuempfinden. - Für den
die irdische Vergänglichkeit wird schon
„Geist der Zeiten“ ist schon seit etwa
in einem Buch über die kirchlichen Ri¬
der Mitte des 18. Jahrhunderts die heute
ten aus dem Jahre 1516 beschrieben, das
übliche Zusammensetzung „Zeitgeist“
Augustinus Patricius, Bischof von Pien-
gebräuchlich (1769 bei Herder).
za, verfaßt hat. Das Zitat wird im allge¬
meinen Sprachgebrauch meist als Kom¬
mentar zu jemandes rasch verblassender
Sich in die Höhle des Löwen wa¬
Berühmtheit verwendet. gen
Wenn man jemanden, vor dem man
Sich Asche aufs Haupt streuen Angst hat, von dem man nichts Gutes
erwartet, beherzt mit einem Anliegen
Die heute meist scherzhaft gebrauchte
o.ä. aufsucht, so verwendet man häufig
Redewendung mit der Bedeutung „de¬
diese Redensart. Sie geht zurück auf die
mütig bereuen“ geht auf die Bibel zu¬
Fabel „Der Löwe und der Fuchs“ des
rück. Sowohl im Alten als auch im Neu¬
altgriechischen Fabeldichters Äsop (ins
en Testament wird die „Asche“ als Zei¬
6. Jh. n. Chr. datiert). Dort wagt sich der
chen der Buße, des Schmerzes und der
schlaue Fuchs nicht in die Höhle des
Trauer genannt. So heißt es im 2. Buch
Löwen, denn er sieht, daß zwar viele
Samuel (13,18-19) über die von ihrem
Tierspuren hineinführen, keine aber
Bruder Ammon verstoßene Thamas:
wieder hinaus.
„Und da sie sein Diener hinausgetrie¬
ben und die Tür hinter ihr zugeschlos¬
sen hatte, warf Thamas Asche auf ihr Sich mit fremden Federn schmük-
Haupt und zerriß den bunten Rock, den ken
sie anhatte, und legte ihre Hand auf ihr Die Redewendung ist im Sinne von
Haupt und ging daher und schrie.“ Eine „Verdienste anderer als die eigenen aus¬
andere Stelle findet sich in den apokry¬ geben“ sehr gebräuchlich. Sie geht auf
phen Schriften, im 1. Buch der Makka¬ eine der Äsopischen Fabeln (Die Krähe
bäer (3,47): „An diesem Ort kamen sie und die Pfauen) zurück, in der eine Krä¬
jetzt auch zusammen, fasteten da und he sich mit ausgefallenen Pfauenfedern
zogen Säcke an, streuten Asche auf ihre schmückt.
Häupter und zerrissen ihre Kleider“.
Sich seitwärts in die Büsche schla¬
Sich in den Geist der Zeiten verset¬ gen
zen Die umgangssprachliche Redewen¬
„Verzeiht! Es ist ein groß Ergetzen,/Sich dung, die auch ohne „seitwärts“ ge¬
in den Geist der Zeiten zu versetzen,/Zu bräuchlich ist, bedeutet „heimlich ver¬
schauen, wie vor uns ein weiser Mann schwinden“. Sie geht wohl auf das Ge¬
gedacht,/Und wie wir’s dann zuletzt so dicht „Der Wilde“ von Johann Gott¬
herrlich weit gebracht.“ Mit diesen fried Seume (1763-1810) zurück, wo es
Worten des Famulus Wagner karikiert von dem „wilden“ Huronen nach seinen
Goethe im ersten Teil des Faust Schlußworten „Seht, wir Wilden sind
(Nachtszene) die Tendenz besonders doch beßre Menschen!“ heißt: „Und er
des 18. Jahrhunderts, nach den eigenen schlug sich seitwärts ins Gebüsche.“
Maßstäben vergangene Zeiten und Ver¬ (Vergleiche auch „Wir Wilden sind
hältnisse zu beurteilen. „Was Ihr den doch beßre Menschen“.)

398
Teil I sie

Sich wie ein Lamm zur Schlacht¬ t Denn sie hat viel geliebt
bank führen lassen
Diese Redewendung mit der Bedeutung Sie ist die erste nicht
„sich gottergeben seinem Schicksal fü¬ In Goethes Faust I (Trüber Tag. Feld)
gen, etwas geduldig, ohne Gegenwehr spricht Mephisto diese Worte. Es ist
hinnehmen“ ist biblischen Ursprungs. sein herzlos-zynischer Kommentar zu
Von der Gestalt des Gottesknechtes (ei¬ dem tragischen Geschehen um die Ge¬
ner alttestamentlichen Gestalt, die nicht stalt Gretchens. Dieser Kommentar
klar zu deuten ist, mit der sich jedoch wird oft (auch in abgewandelter Form)
messianische Weissagungen verknüp¬ zitiert und dabei auf die unterschied¬
fen) heißt es in Jesaja 53,7: „Da er ge¬ lichsten Vorkommnisse bezogen, die für
straft und gemartert ward, tat er seinen jemanden unerfreulich und schmerzhaft
Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur sind, die aber immer wieder Vorkom¬
Schlachtbank geführt wird ..." Zu den¬ men, im Grunde nichts Besonderes sind.
ken ist dabei an das Lamm, das als Op¬
fertier im Alten Testament eine große Sie küßten und sie schlugen ihn
Rolle spielt, bis es im Neuen Testament Der deutsche Titel des französischen
in der Funktion des Opferlamms als Films (Originaltitel: „Les quatre Cent
Sinnbild für das Selbstopfer Christi neu coups“) von Francois Truffaut aus dem
gesehen wird.
Jahr 1959 wird zitiert, um jemanden zu
charakterisieren, der im Leben herum¬
tUnd sie bewegt sich doch! gestoßen wird und dabei unter vielfälti¬
gen Schwierigkeiten seine Lebensziele
Sie haben schrecklich viel gelesen verfolgt. Im Film handelt es sich um ei¬
Das Zitat, das sowohl Belesenheit als nen unbequemen Jungen, der durch das
auch Buchgelehrsamkeit kennzeichnen Unverständnis seiner Eltern und Lehrer
kann, findet sich in Goethes Faust I, wo schließlich in einem Erziehungsheim
im Vorspiel auf dem Theater der Direk¬ landet, aus dem er ans Meer flieht.
tor dem Dichter gegenüber das Publi¬
kum charakterisiert: „Zwar sind sie an Sie liegen auf Bärenhäuten und
das Beste nicht gewöhnt,/Allein sie ha¬ trinken immer noch eins
ben schrecklich viel gelesen“, weshalb t Auf der Bärenhaut liegen
ihm an einem publikumswirksamen
Stück gelegen ist: „Wie machen wir’s, Sie nannten ihn ...
daß alles frisch und neu/Und mit Be¬
So beginnen die Titel einiger Abenteu¬
deutung auch gefällig sei?“
er-, Kriminal- und anderer Filme mit
den verschiedensten Helden und The¬
Sie hat die Treu’ gebrochen men. Den Anfang machte wohl der Wi¬
Das Zitat findet sich in Joseph Freiherr derstandsfilm „Sie nannten ihn Amigo“
von Eichendorffs (1788-1857) Gedicht von Heiner Carow aus dem Jahr 1958.
„Das zerbrochene Ringlein“, dessen 2. Darauf folgten die deutschen Originalti¬
Strophe lautet: „Sie hat mir Treu’ ver- tel „Sie nannten ihn Gringo“ und „Sie
sprochen,/Gab mir ein’n Ring da¬ nannten ihn Krambambuli“ sowie deut¬
bei,/Sie hat die Treu’ gebrochen,/Mein sche Verleihtitel wie „Sie nannten ihn
Ringlein sprang entzwei.“ Populär ge¬ Plattfuß“, „Sie nannten ihn King“, „Sie
worden ist das aus dem Roman „Ah¬ nannten ihn Mücke“ u. a. In allen Fäl¬
nung und Gegenwart“ (1811) stammen¬ len erhält der Held einen ihn charakteri¬
de Gedicht mit dem Anfang „In einem sierenden zusätzlichen Namen, unter
kühlen Grunde,/Da geht ein Mühlen¬ dem er dem Publikum mit der Floskel
rad“ durch die Vertonung von Fr. Glück „Sie nannten ihn“ vorgestellt wird. Das
aus dem Jahr 1814, besonders in der Zitat wird scherzhaft-ironisch abgewan¬
Fassung für Männerchor von Friedrich delt, um jemanden mit einer besonders
Silcher. treffenden Bezeichnung zu charakteri-

399
sie Teil I

sieren - so zum Beispiel in dem Scherz¬ Sie sehen den Marmor nicht
wort über einen Mann von geringer So lautet der Titel eines 1949 erschiene¬
Körpergröße: „Ein Kerl wie ein Baum. nen Erzählungsbandes des deutschen
Sie nannten ihn Bonsai.“ Schriftstellers Ernst Schnabel (1913 bis
1986). Den gleichen Titel trägt eine der
Sie säen nicht, sie ernten nicht in diesem Band enthaltenen kurzen Ge¬
schichten. Sie beginnt mit dem Satz:
Diese Worte, mit denen Jesus als Fort¬
„Die Straßenjungen in Rom und Carra¬
setzung der Bergpredigt vor allzu großer
ra sehen den Marmor nicht.“ - Das
Sorge um Nahrung und Kleidung
Zitat läßt sich auf Menschen beziehen,
warnt, stehen im Matthäusevangelium
die - eingeschlossen in die Enge ihrer
(6,26, 28 f.): „Sehet die Vögel unter dem
geistigen Welt - vieles aus ihrer unmit¬
Himmel an: sie säen nicht, sie ernten
telbaren Umgebung nicht wahrnehmen,
nicht, sie sammeln nicht in die Scheu¬
weil ihnen Kenntnisse oder Empfin¬
nen; und euer himmlischer Vater nährt
dungsfähigkeit dafür fehlen.
sie doch ... Schauet die Lilien auf dem
Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten
nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage Sie sollen ihn nicht haben
euch, daß auch Salomo in aller seiner So beginnt das 1840 von dem Schrift¬
Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist steller Nikolaus Becker (1809-1845)
wie derselben eins.“ Das Bibelzitat, aus veröffentlichte Lied „Der deutsche
dem auch die Stellen „Und euer himmli¬ Rhein“, das neben anderen bekannten
scher Vater nährt sie doch“ und „Schau¬ Rheinliedern Ausdruck des deutschen
et die Lilien auf dem Felde“ häufig an¬ Patriotismus dieser Zeit war. Es richtete
geführt werden, dient auch heute meist sich gegen französische Ansprüche auf
als Ermutigung zu größerem Gottver¬ das linke Rheinufer. „Sie sollen ihn
trauen. Gelegentlich bezieht man es nicht haben,/Den freien deutschen
auch mit einem gewissen Vorwurf auf Rhein,/Ob sie wie gierige Raben/Sich
Menschen, die auf Kosten anderer le¬ heiser danach schreien.“ - Man verwen¬
ben. det das Zitat heute meist scherzhaft als
Abwehr eines Besitzanspruchs.
Sie sagen Christus und meinen
Kattun Sie tanzte nur einen Sommer
So äußert sich in Theodor Fontanes Der Titel des schwedischen Films von
(1819-1898) Roman „Der Stechlin“ Pa¬ Arne Mattsson aus dem Jahr 1951 be¬
stor Lorenzen gegenüber dem alten zieht sich auf die nur einen Sommer
Dubslav von Stechlin in bezug auf die währende Liebe eines Mädchens vom
Engländer: „Sie sind drüben schreck¬ Dorf zu einem Studenten. Bei einem
lich runtergekommen, weil der Kult vor Autounfall kommt das Mädchen ums
dem Goldenen Kalbe beständig wächst; Leben. Das Zitat verwendet man scherz¬
lauter Jobber, und die vornehmen Leute haft oder ironisch in bezug auf eine
obenan. Und dabei so heuchlerisch; sie weibliche Person, die aus einem Tätig¬
sagen Christus und meinen Kattun.“ keitsbereich nach kurzer Zeit wieder
„Jobber“ wird hier umgangssprachlich verschwunden ist oder deren Ruhm nur
abwertend im Sinne von „skrupelloser von kurzer Dauer war.
Geschäftemacher“ gebraucht. „Kattun“
ist eine Anspielung auf die Baumwollfa- Sie tranken heimlich Wein und
briken im England des 18. Jahrhunderts.
predigten öffentlich Wasser
Von dem Fontane-Zitat leiten sich mög¬
licherweise die Ausdrücke „Kattun¬ t Ich kenne die Weise, ich kenne den
Text
christ“ und „Kattunchristentum“ unter
Anspielung auf jemandes religiöses
Heuchlertum aus Geschäftsgründen t... denn sie wissen nicht, was sie
her. tun

400
Teil I siehste

Sieben auf einen Streich mitzitiert: „Sieh da, sieh da, Timothe-
Die veraltende Redewendung „auf ei¬ us,/Die Kraniche des Ibykus!“ - Im Ge¬
nen Streich“ (= mit einem Schlag) wird dicht verraten sich mit diesem Ausruf
in dem Märchen der Brüder Grimm die beiden Mörder des Dichters Ibykus,
vom „Tapferen Schneiderlein“ beson¬ den sie auf seinem Weg zu den Isthmi-
ders anschaulich dargestellt. Der schen Spielen in Korinth umgebracht
Schneider stickt sich seine Heldentat, haben. Als er zu Tode getroffen zu Bo¬
sieben lästige Fliegen gleichzeitig mit ei¬ den sank, rauschte ein Zug Kraniche
nem Tuchlappen getroffen zu haben, vorüber, die der Sterbende als seine
auf den Gürtel. Alle fürchten ihn, weil Zeugen anrief: „,Von euch, ihr Krani¬
sie hinter der stolzen Formulierung von che dort oben,/Wenn keine andre Stim¬
ihm getötete Menschen vermuten. Auf me spricht,/Sei meines Mordes Klag’ er¬
Grund ihrer Furcht gelingt es ihm hoben !7Er ruft es, und sein Auge
schließlich, König zu werden und zu bricht.“
bleiben.
Sieh nach den Sternen! Gib acht
Sieben fette Jahre auf die Gassen!
T Fette Jahre Das oft als Spruch fürs Poesiealbum
verwendete Zitat stammt aus Wilhelm
Sieben magere Jahre Raabes (1831 - 1910) Roman „Die Leute
T Fette Jahre aus dem Walde“, aus dem Ende des 13.
Kapitels. Man wird durch diesen Dop¬
t In sieben Sprachen schweigen pelspruch zugleich ermahnt, seinen
Blick auf das Ewige zu richten, aber
t Im siebten Himmel sein dabei die alltägliche Wirklichkeit nicht
außer acht zu lassen.
Der Siege göttlichster ist das Ver¬
geben t Da siehe du zu!
Mit diesem sentenzhaften Ausspruch
versucht in Schillers Trauerspiel „Die Siehst du den Hut dort auf der
Braut von Messina“ (1,4) Donna Isabel-
Stange?
la, die Fürstin von Messina, ihre verfein¬
Ein Hut auf einer Stange - das ist das
deten Söhne, Don Manuel und Don Ce-
Symbol der kaiserlichen Gewalt in Alt¬
sar, zur Versöhnung zu bewegen. Ob¬
wohl in einem solchen Falle sogar beide dorf, dem Hauptort des Kantons Uri,
dem in Schillers „Wilhelm Teil“ die Be¬
Seiten in gewisser Weise siegen, scheint
völkerung mit entblößtem Haupt und
der „göttlichste“ Sieg nicht auf den
Beugen der Knie Reverenz erweisen
Menschen zugeschnitten zu sein; in
muß. Als Teil mit seinem Sohn achtlos
Schillers Theaterstück kommt es jeden¬
an diesem Symbol vorübergeht, macht
falls nur vorübergehend zur Aussöh¬
ihn sein Sohn darauf aufmerksam und
nung der beiden Brüder.
sagt: „Ei, Vater, sieh den Hut dort auf
der Stange!“ (III,3). Diese Worte wer¬
t Nun siegt mal schön!
den heute - völlig losgelöst vom ur¬
sprünglichen Bezug - noch scherzhaft
Sieh da, sieh da, Timotheus
zitiert, wenn man jemandes Aufmerk¬
Das Zitat stammt aus Schillers Ballade
samkeit auf etwas, was durch seine Ab¬
„Die Kraniche des Ibykus“ (1797). Man sonderlichkeit auffällt, lenken will.
gebraucht es scherzhaft oder ironisch,
um seiner Überraschung über jemanden
oder etwas Ausdruck zu geben. (Grund Siehste woll, da kimmt er
der „Überraschung“ ist dabei meist eine Mit diesem mundartlich gefärbten Vers,
etwas zweifelhafte Angelegenheit.) Ge¬ mit dem man jemandes Herannahen
legentlich wird auch die folgende Zeile scherzhaft kommentieren kann, beginnt

401
sieht Teil I

der Refrain eines bekannten Berliner Gewalt vor Recht geht und die Gesetze
Liedes mit dem Titel „Der geliebte des Krieges alle anderen Rechtsnormen
Schwiegersohn“ aus der Sammlung außer Kraft setzen.
„Berlinisches Liederbuch“ (1891). Die
erste Strophe lautet: „Lerche hat zwei Singe, wem Gesang gegeben
Töchter,/’n Schwiegersohn, den möcht
Mit den Versen „Singe, wem Gesang ge-
er./Er erwählt zum Schwiegersöhne/
geben,/In dem deutschen Dichter¬
Einen Schneider, der nicht ohne./Tritt
wald!“ beginnt Ludwig Uhlands
der Schneider in das Haus,/Ruft die
(1787-1862) Gedicht „Freie Kunst“,
Schwiegermutter aus:/,Siehste woll, da
das die Dichtung nicht nur an „stolze
kimmt er,/Jroße Schritte nimmt
Namen“ gebunden sehen will und die
er,/Jraue Haare hat er schon,/Der je¬
Dichter auffordert, sich aus dem Bann¬
liebte Schwiegersohn.' “ Der Refrain ist
bekannter in der salopp abgewandelten kreis der alten Meister zu befreien und
eine eigene, neue, freie Kunst zu schaf¬
Form: „... Siehste woll, da kimmt er
schon, der versoffne Schwiegersohn.“ fen. Die erste Zeile des Gedichts ist
schon zu Uhlands Lebzeiten als Frei¬
TUnd sieht sich stumm rings um brief für Dilettantismus mißverstanden
worden, so daß der heutige (von der
Tin den Sielen sterben Dichtkunst losgelöste) Gebrauch des
Zitats nicht immer nur der scherzhaften
Silberstreifen am Horizont Ermunterung singender Menschen gilt,
sondern bisweilen eher die Einschrän¬
Mit dieser häufig verwendeten Meta¬
kung ausdrückt, daß nur der singen mö¬
pher wird eine sich andeutungsweise
ge, dem eine entsprechende Begabung
abzeichnende positive Entwicklung, ein
auch tatsächlich gegeben ist.
Anlaß zur Hoffnung bezeichnet. Sie
geht auf eine 1924 gehaltene Rede des
Außenministers und früheren Reichs¬ t Und das hat mit ihrem Singen die
kanzlers Gustav Stresemann (1878 bis Lorelei getan
1929) zurück. Darin nahm er auf die Si¬
tuation der deutschen Wirtschaft Bezug
Sirenengesang
und zitierte einen Wirtschaftsfachmann,
der geäußert haben soll, er sehe - nach Der gehobene Ausdruck für verlocken¬
der zweiten Londoner Konferenz über de, verführerische Worte oder Ausfüh¬
die Reparationen des Deutschen Rei¬ rungen ist nach dem Gesang weiblicher
ches - „zum erstenmal einen Silberstrei¬ Fabelwesen der griechischen Mytholo¬
fen an dem sonst düsteren Horizont.“ gie gebildet. Mit ihrem unwidersteh¬
lichen, betörenden Gesang locken die
Silent leges inter arma Sirenen an ihrer Insel vorüberfahrende
Seeleute an, um sie zu töten. In Homers
Im Jahre 52 v. Chr. verteidigte der römi¬
(2. Hälfte des 8.Jh.s v. Chr.) „Odyssee“
sche Staatsmann, Philosoph und Red¬
ner Cicero den Volkstribun Milo, der (XII, 39-54) warnt die Zauberin Circe
Odysseus, der der Gefahr entgeht, in¬
wegen Mordes an seinem Gegenspieler,
dem Volkstribun Clodius, angeklagt dem er seinen Gefährten die Ohren mit
worden war. Aus dem Plädoyer für Milo Wachs verklebt und sich selbst an den
Schiffsmast fesseln läßt.
(Pro Milone 4,10 f.), das Cicero nach¬
träglich überarbeitet hat, wurde der Satz
Silent (enim) leges inter arma („Wenn ’s ist mal bei mir so Sitte
die Waffen sprechen, schweigen die Ge¬
t Chacun ä son goüt
setze“) bald allgemein verbreitet. Er
wird noch heute - meist in der lateini¬
schen Form - zitiert, wenn man zu der Sisyphusarbeit
bitteren Erkenntnis gelangen muß, daß Der Ausdruck ist nach einer Gestalt der
in kriegerischen Auseinandersetzungen griechischen Mythologie gebildet. Der

402
Teil I so

Gründer und erste König Korinths ist Zusammenhangs, in den es gehört. Es


das Urbild des Frevlers, dem es mehr¬ handelt sich um zwei Zeilen aus der
fach gelingt, den Tod zu überlisten, bis Bildergeschichte „Maler Klecksei“ von
ihn die Strafe ereilt. In Homers (2. Hälf¬ Wilhelm Busch (1832-1908), die den
te des 8.Jh.s v. Chr.) „Odyssee“ (XI, Begleittext zu einem Bild darstellen.
593-600) muß er in alle Ewigkeit einen Dieses Bild ist eine Kinderzeichnung,
Felsblock einen steilen Berg hinaufwäl¬ die der Held der Geschichte als kleiner
zen. Bevor er den Gipfel erreicht, rollt Knabe angefertigt hat. Sie zeigt ein Ha¬
der Stein wieder ins Tal, und Sisyphus fergrütze essendes Männchen, bei dem
beginnt seine sprichwörtlich gewordene das „innere Walten der Natur“ so sicht¬
Arbeit von neuem. Der Mythos des Sisy¬ bar gemacht ist, daß man erkennen
phus verdeutlicht in Albert Camus’ kann, wie sich die Hafergrütze im Leib
(1913-1960) gleichnamigem philoso¬ des Männchens ansammelt: „Sie rinnt
phischem Essay („Mythe de Sisyphe“) und rieselt durch den Schlund,/Sie wird,
die absurde Situation des Menschen in indem sie weiterläuft,/Sichtbar im
seinem täglichen aussichtslosen Streben Bäuchlein angehäuft.“
nach Überwindung der gegebenen Welt.
So das geschieht am grünen Holz,
Sitzen, wo die Spötter sitzen was will am dürren werden?
T Auf der Bank der Spötter sitzen T Denn so man das tut am grünen Holz,
was will am dürren werden?

t Da sitzt er nu mit das Talent


So ein Tag, so wunderschön wie
heute
t Herrenmoral und Sklavenmoral Das bekannte Auf- und Abtrittslied (Ti¬
tel : „So ein Tag“) der „Mainzer Hofsän¬
So bist du des Kaisers Freund ger“ wurde von Lotar Olias (Musik) und
Walter Rothenburg (Text) für die Fast¬
nicht
nachtskampagne 1952 geschrieben. In
Dieses Bibelzitat wird gerne benutzt,
dem 1954 gedrehten Unterhaltungsfilm
wenn man jemandem deutlich machen
„Geld aus der Luft“ mit Grethe Weiser,
will, daß er sich mit Sicherheit bei einem
Josef Meinrad und Rudolf Platte wird
andern, dem Vorgesetzten o.ä., unbe¬
das Lied von Lonny Kellner gesun¬
liebt macht, wenn er etwas Bestimmtes
gen. - Der Refrain „So ein Tag, so wun¬
tut. Das Zitat stammt aus dem 19. Kapi¬ derschön wie heute, so ein Tag, der
tel des Johannesevangeliums, in wel¬ dürfte nie vergehn“ gehört in Deutsch¬
chem von der immer drohender werden¬
land zu den beliebtesten Gesängen bei
den Forderung des Volkes nach der freudigen Anlässen aller Art. Er wird
Kreuzigung Jesu berichtet wird. Nach zum Beispiel gelegentlich bei Sportver¬
einem kurzen, den zögernden Pilatus anstaltungen von den Anhängern der
beeindruckenden Gespräch mit Jesus siegreichen Mannschaft angestimmt.
heißt es dann in Vers 12: „Von dem an Auch die Zeile „Ach, wie bald vergehn
trachtete Pilatus, wie er ihn losließe. Die die schönen Stunden“ aus demselben
Juden aber schrien und sprachen: Läßt Lied wird hin und wieder zitiert oder ge¬
du diesen los, so bist du des Kaisers sungen, wenn etwa ein schönes Fest zu
Freund nicht; denn wer sich zum König Ende geht oder wenn man von jeman¬
macht, der ist wider den Kaiser.“ dem Abschied nehmen muß.

So blickt man klar, wie selten nur, So ernst mein Freund? Ich kenne
ins innre Walten der Natur dich nicht mehr
Das zunächst recht tiefsinnig wirkende In Schillers Drama „Wilhelm Teil“ (1,2)
Zitat bekommt seine eigentliche humo¬ wird (der zu den „Landleuten aus
ristische Wirkung erst bei Kenntnis des Schwyz“ gehörende) Werner Stauffa-

403
so Teil I

eher von seiner Frau Gertrud mit diesen TUnd so kommt zum guten Ende
Worten angesprochen, als sie ihn „kum¬ alles unter einen Hut
mervoll auf einer Bank unter der Linde“
sitzend antrifft. Heute werden diese So laßt ihm doch das kindliche
Worte als scherzhaft ermunternde Anre¬ Vergnügen
de noch zitiert.
Das Zitat stammt aus der Posse „Na¬
menlos“ von Emil Pohl (1824-1901)
und David Kalisch (1820-1872). Man
So jung kommen wir nicht mehr
verwendet es in meist herablassendem
zusammen
Ton, wenn man zum Ausdruck bringen
In dem Chorlied „Dem Gott der Reben will, daß es sich im Grunde nicht lohnt,
vertrau’ ich mein Glück“ aus der Oper jemandem etwas zu verwehren oder zu
„Hokus Pokus“, zu der der deutsche verbieten, da dessen Wünsche oder
Schriftsteller (und Schwager Goethes) Handlungen nicht weiter ernst zu neh¬
Christian August Vulpius (1762-1827) men sind.
den Text schrieb, lautet eine Zeile: „Wir
kommen doch morgen so jung nicht zu¬ So leb denn wohl, du stilles Haus
sammen.“ Daraus entstand vermutlich
Dieses Zitat stammt aus dem roman¬
die zitierte Redensart. Sie wird als er¬
tisch-komischen Märchenstück „Der
munternde Aufforderung verwendet,
Alpenkönig und der Menschenfeind“
bei einem geselligen Beisammensein
des österreichischen Dramatikers Ferdi¬
doch noch nicht wegzugehen, noch et¬
nand Raimund (1790-1836). Im Finale
was zu trinken und die [feuchtjfröhliche
des ersten Akts singt eine von dem
Feier zu genießen.
eigensinnigen Schloßherrn Rappelkopf
vertriebene Köhlerfamilie: „So leb denn
wohl, du stilles Haus !/Wir ziehn betrübt
So knüpfen ans fröhliche Ende den
von dir hinaus.“ Als Ausdruck eines
fröhlichen Anfang wir an
wehmütigen Abschieds von einem fried¬
Das Lied „Trost beim Scheiden“ (das lichen Platz, den man sehr geschätzt hat,
auch unter Titeln wie „Gesellschafts¬ werden diese Worte gelegentlich zitiert.
lied“ oder „Frohsinn“ zu Finden ist) des
deutschen Dramatikers August von So taumT ich von Begierde zu Ge¬
Kotzebue (1761-1819), das von Fried¬ nuß
rich Heinrich Himmel vertont wurde,
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust I
thematisiert die Vergänglichkeit und
(Wald und Höhle). Am Anfang dieser
Unbeständigkeit des menschlichen Le¬
Szene schließt Faust seinen nachdenkli¬
bens („Es kann ja nicht immer so blei¬
ben“). Die jetzt fröhlich miteinander chen Monolog über die Vergeblichkeit
feiern, werden vielleicht bald in alle seines Strebens nach Vollkommenem
Winde zerstreut sein. Aber - und darin mit den Worten: „So tauml’ ich von Be¬
liegt der Trost, den das Lied geben gierde zu Genuß,/Und im Genuß ver-
mpchte - es besteht auch die Möglich¬ schmachf ich nach Begierde.“ Heute
keit, daß man sich später einmal wieder¬ werden diese Worte meist zur Charakte¬
sieht, und wenn man fröhlich auseinan¬ risierung rücksichtslos ausgelebter, aber
dergegangen ist und sich die gemeinsa¬ letztlich unerfüllter Begierden zitiert.
me Freude im Herzen bewahrt hat, dann
tritt ein, was die letzte Strophe als Aus¬
So vergeht der Ruhm der Welt
blick bietet: „Und kommen wir wieder t Sic transit gloria mundi
zusammen/auf wechselnder Lebens-
bahn,/so knüpfen ans fröhliche Ende/ So weit die Füße tragen
den fröhlichen Anfang wir an.“ In die¬ Die Geschichte eines Mannes, der aus
sem Sinne wird das Zitat gelegentlich einem Gefangenenlager in Sibirien
heute noch als Ermunterung beim Ab¬ flüchtet und - meist zu Fuß - die un¬
schiednehmen gebraucht. glaublich lange Strecke bis nach Persien

404
Teil I soll

und damit in die Freiheit bewältigt, wur¬ Gomorrha und ihren gottlosen Bewoh¬
de von dem deutschen Schriftsteller Jo¬ nern berichtet und von der Vernichtung
sef Martin Bauer (1901 - 1970) geschrie¬ dieser Städte, auf die „der Herr Schwe¬
ben und 1955 mit dem Titel „So weit die fel und Feuer regnen“ ließ. Die beiden
Füße tragen“ veröffentlicht. Besonders Städtenamen wurden zusammen zu ei¬
bekannt wurde der Roman durch eine ner Bezeichnung für den Zustand der
mehrteilige, spannend inszenierte Fern- Lasterhaftigkeit und Verworfenheit, für
sehverfilmung. Das Zitat kann auf einen Ausschweifung und Sittenlosigkeit, ge¬
langen, mühevollen Weg bezogen wer¬ legentlich auch für großes Durcheinan¬
den, den jemand zu Fuß zurücklegen der, große Unordnung und Verwüstung.
muß, es kann aber auch in abgewandel¬ Darüber hinaus leitet sich die Bezeich¬
ter Form (z. B. „So weit die Kompromis¬ nung „Sodomie“ für den Geschlechts¬
se tragen“) verwendet werden. verkehr von Menschen mit Tieren (über
spätlateinisch sodomia) von dem Städ¬
So willst du treulos von mir schei¬ tenamen Sodom her.
den
Mit diesen Worten wendet sich am An¬ Sodomie
fang des Schillerschen Gedichtes „Die t Sodom und Gomorrha
Ideale“ der Dichter an seines „Lebens
goldne Zeit“. Er beklagt, daß mit der
Solange ich atme, hoffe ich
dahingegangenen Jugend auch die da¬
mals vorhandenen idealen Vorstellun¬ t Dum spiro, spero
gen von der Welt und seine eigenen küh¬
nen Gedanken, „der süße Glaube“, „der Soll das Werk den Meister loben
Entwürfe Flug“ geschwunden seien. Man kann dieses Zitat als Imperativ ver¬
Das Zitat wird heute wohl nur noch stehen, bezogen auf ein gelungenes
als scherzhafte Floskel beim Weggehen „Werk“, das für denjenigen spricht oder
eines andern gebraucht. sprechen kann, der es hervorgebracht
hat. - Es stammt aus Schillers Gedicht
Sobald das Geld im Kasten klingt „Das Lied von der Glocke“ (1799). Der
Das vollständige Zitat „Sobald das Geld Textzusammenhang, in dem die Vers-
im Kasten klingt,/Die Seele aus dem zeile steht, nennt die Bedingungen für
Fegfeuer springt“ soll auf den Abla߬ ein gelingendes Werk: „Von der Stirne
prediger Johann Tetzel (1455-1519) zu¬ heiß/Rinnen muß der Schweiß“.
rückgehen, der für die katholische Kir¬
che einen Ablaßhandel betrieb, bei dem Soll ich meines Bruders Hüter
durch Zahlen von Geldbußen Sünden
sein?
erlassen wurden. Mit dem Zitat wird
Mit diesem Zitat aus der Bibel will man
heute meist scherzhaft daraufhingewie¬
ausdrücken, daß man es ablehnt, die
sen, daß geleistete Zahlungen den Fort¬
Verantwortung für die Handlungsweise
gang von Auftragsarbeiten beschleuni¬
eines andern zu übernehmen oder sich
gen oder Geldzuwendungen jemandes
um dessen Verbleib zu kümmern. Im Al¬
Entscheidungen, Meinungen, Stand¬
ten Testament (1. Moses 4), wo die Ge¬
punkte beeinflussen können.
schichte von Kains Brudermord berich¬
tet wird, ist die rhetorische Frage „Soll
Sobald der Schnee schmilzt, wird
ich meines Bruders Hüter sein?“ die
sich’s finden ausweichende Antwort des Brudermör¬
TWer will denn alles gleich ergründen ders Kain auf die Frage des Herrn „Wo
ist dein Bruder Abel?“ Diese Frage
Sodom und Gomorrha nach dem Bruder Abel wiederum wird
Im Alten Testament (1. Moses 18 und gelegentlich scherzhaft zitiert, wenn
19) wird von den Sünden und der La¬ sich jemand nach dem Verbleib eines
sterhaftigkeit der Städte Sodom und andern erkundigen will.

405
Soll Teil I

Soll und Haben Grundgedanke wird bereits in einigen


Dies ist der Titel eines (1855 erschiene¬ Sentenzen der Antike und auch in der
nen) in seiner Zeit viel gelesenen und Bibel geäußert (z. B. im Lukasevangeli¬
auch später noch in hohen Auflagen um, 12,2 und 3). Die Formulierung, in
verbreiteten Kaufmannsromans des der die Redensart heute üblicherweise
deutschen Schriftstellers Gustav Frey¬ gebraucht wird, stammt von dem deut¬
tag (1816-1895). In dem Roman wird schen Dichter Adelbert von Chamisso
der deutsche Kaufmann als Hauptver¬ (1781-1838), der unter anderem als
treter solider Tüchtigkeit dargestellt. volkstümlicher Balladendichter bekannt
Wenn in irgendeinem Bereich auf das wurde. „Die Sonne bringt es an den
Verhältnis zwischen Fehlendem und Tag“ ist Titel und mehrfach variierter
Vorhandenem oder darüber hinaus Kehrreim der vierzehn Strophen einer
auch auf das Verhältnis zwischen An¬ seiner Balladen. In ihr wird von einem
spruch und Wirklichkeit hingewiesen heimlich begangenen Mord berichtet,
werden soll, so kann dabei dieser Ro¬ der über Jahre hinweg verborgen bleibt,
mantitel zitiert werden. bis sich der Täter, der sich längst sicher
wähnte, am Ende selbst verrät. Als
Sollen dich die Dohlen nicht um- Quelle benutzte Chamisso dabei ein
schrein, mußt nicht Knopf auf dem Märchen der Brüder Grimm mit dem
Kirchenturm sein Titel „Die klare Sonne bringt’s an den
Tag“, in dem diese Mordgeschichte be¬
Der Zweizeiler Findet sich im 5. Buch
reits erzählt wird.
von Goethes „Zahmen Xenien“ und
drückt aus, daß man in einer exponier¬
ten Stellung mit Kritik leben, Kritik er¬ Die Sonne geht in meinem Staat
tragen können muß. nicht unter
t In meinem Reich geht die Sonne nicht
Es hat nicht sollen sein!
unter
t Behüt’ dich Gott, es wär’ zu schön ge¬
wesen!
TUnd die Sonne Homers, siehe!
Some like it hot Sie lächelt auch uns
t Manche mögen’s heiß

t Nur einen Sommer gönnt, ihr Ge¬ t Hab Sonne im Herzen


waltigen!
Die Sonne scheint über Gerechte
t Unser Sommer ist nur ein grün
und Ungerechte
angestrichener Winter
Mit diesen Worten wird meist der Auf¬
Ich sah des Sommers letzte Rose fassung Ausdruck verliehen, daß das
stehn Schicksal sich gegenüber menschlichen
Verfehlungen gleichgültig verhält oder
Die t letzte Rose
daß man selbst sich nicht zum Richter
über das Fehlverhalten eines anderen
Die Sonne bringt es an den Tag
machen möchte. Man zitiert dabei die
Mit dieser sprichwörtlichen Redensart verkürzte Form einer Stelle aus der
bringt man die Gewißheit zum Aus¬ Bergpredigt im Neuen Testament. Dort
druck, daß auf die Dauer etwas nicht zu heißt es: „... denn er (= Gott) läßt seine
verheimlichen ist, auch wenn es noch so Sonne aufgehen über die Bösen und
sehr verborgen gehalten wird. Sie wird über die Guten und läßt regnen über
oft mit einer gewissen Genugtuung als Gerechte und Ungerechte“ (Matthäus
Feststellung gebraucht, wenn etwas 5,45). Die Bibelstelle steht im Zusam¬
schließlich doch noch offenbar gewor¬ menhang mit Jesu Gebot, daß man auch
den ist. Der in der Redensart enthaltene seine Feinde lieben soll.

406
Teil I spanisch

Die Sonne schien ihm aufs Gehirn, t Für Sorgen sorgt das liebe Leben
da nahm er einen Sonnenschirm
Die beiden Zeilen werden in entspre¬
Sorgenbrecher sind die Reben
chenden Situationen, beispielsweise T Für Sorgen sorgt das liebe Leben
wenn jemand der prallen Sonne ent¬
flieht oder ihr gern entfliehen möchte, Soviel Köpfe, soviel Sinne
im Scherz zitiert. Es sind zwei Zeilen aus Diese sprichwörtliche Redensart hat
der Anfangspassage der „Geschichte mehrere lateinische Vorlagen. So findet
von den schwarzen Buben“ aus dem man bei dem römischen Komödien¬
Kinderbuch „Struwwelpeter“ des dichter Terenz (um 185-159 v.Chr.) in
Frankfurter Arztes und Schriftstellers seinem Stück „Phormio“ die Feststel¬
Heinrich Hoffmann (1809-1894). lung: Quot homines, tot senlentiae („Wie
viele Menschen, so viele Meinungen“).
T Das ist die Sonne von Austerlitz! In den Satiren des Horaz (65-8 v.Chr.)
findet sich die Aussage: Quot capitum vi¬
vant, totidem studiorum mitia („Wie vie¬
Sonntags nie le Köpfe es gibt, so viele tausend Bestre¬
Diese Floskel wird gerne scherzhaft zur bungen gibt es“). In eine Kurzform ist
Ablehnung eines Ansinnens verwendet, diese Erkenntnis in dem lateinischen
auf das man nicht eingehen möchte. Sie Sprichwort: Quot capita, tot sensus
geht zurück auf den deutschen Titel („Soviel Köpfe, soviel Sinne“) ge¬
„Sonntags ... nie!“ eines griechischen bracht. - Man verwendet die Worte resi¬
Films mit Melina Mercouri in der gniert feststellend in einer Situation, in
Hauptrolle. Sie spielte in dieser Filmko¬ der über etwas Bestimmtes keine Eini¬
mödie von 1959 (Regie: Jules Dassin) gung zustande kommt, weil jeder der
eine lebenslustige Dirne von vitaler Beteiligten oder Befragten eine andere
Sinnlichkeit, die sich den Luxus leistet, Meinung vertritt und auf ihr beharrt.
sonntags nicht ihrer Arbeit nachzuge¬
hen. T Aber in Spanien tausendunddrei

Spanisch Vorkommen
Sorge macht alt vor der Zeit
Diese Redewendung besagt, daß jeman¬
Das alttestamentliche, zu den apokry¬
dem etwas sehr merkwürdig erscheint,
phen Schriften gehörende „Buch Jesus
ihn seltsam anmutet, so daß er es kaum
Sirach“ enthält eine Fülle von Weishei¬
glauben kann. Sie stammt wahrschein¬
ten und Lebensregeln. Zu ihnen gehört
lich aus der Zeit, als der aus Spanien
auch dieses Zitat, das mit seinem indi¬
stammende Karl V. (1500-1558) deut¬
rekten Appell zu einer bejahenden Le¬
scher Kaiser war. Viele bis dahin in
benseinstellung gerne als Aufruf zu po¬
Deutschland unbekannte und zum Teil
sitiverem Denken verwendet wird. Der
auch als unerhört empfundene Sitten,
Zusammenhang, aus dem das Zitat her¬
Bräuche und Moden fanden Eingang
ausgelöst ist, verdeutlicht seinen positi¬
und wurden mit Mißtrauen betrachtet.
ven Charakter. In Sirach 30,23-26 heißt
Der mit Hilfe und mit den Mitteln der
es: „Denn ein fröhlich Herz ist des Men¬
spanischen Inquisition gegen die Refor¬
schen Leben, und seine Freude ist sein
mation geführte Kampf Karls V. spielte
langes Leben. Tue dir Gutes, und tröste
bei der Ablehnung alles Spanischen
dein Herz, und treibe Traurigkeit fern
ebenfalls eine große Rolle. Die Spanier
von dir. Denn Traurigkeit tötet viele
wurden als Handlanger der Inquisition
Leute und dient doch zu nichts. Eifer
betrachtet und galten, was im Dreißig¬
und Zorn verkürzen das Leben, und
jährigen Krieg besonders deutlich wur¬
Sorge macht alt vor der Zeit.“
de, vielfach als ehrgeizig, feige und
heuchlerisch. Ein literarischer Beleg aus
Es ist ein TBrauch von alters her: jener Zeit findet sich bei Grimmelshau¬
Wer Sorgen hat, hat auch Likör! sen (um 1622-1676) im „Simplicissi-

407
spät Teil I

mus“, dem bedeutendsten deutschen Claudia Cardinale, Henry Fonda und


Roman des 17. Jahrhunderts. Im 15. Ka¬ Charles Bronson die Hauptrollen. Das
pitel des 2. Buches äußert sich der zu „Lied vom Tod“ wurde nicht zuletzt
den Kroaten verschleppte Simplicius durch die eindringliche Filmmusik von
über seinen neuen Herrn, den Kroaten- Ennio Morricone bekannt. Die Mund¬
obristen Cordes in folgender Weise: harmonikaklänge werden als musikali¬
„Bei diesem Herrn kam mir alles wider¬ sches Zitat fast ebenso häufig verwen¬
wärtig und fast spanisch vor ..." det, wie der Filmtitel in seiner sprachli¬
chen Form zitiert wird. In beiden Fällen
t Besser spät als gar nicht soll - meist scherzhaft - eine bedrohli¬
che, tödliche Situation charakterisiert
t Wer zu spät kommt, den bestraft werden.
das Leben
Spiel nicht mit den Schmuddelkin¬
Spät kommt Ihr - doch Ihr dern
kommt!
Mit den folgenden Zeilen beginnt ein
Das Zitat stammt aus Schillers Drama Lied des Musikers, Sängers und Schrift¬
„Wallenstein“ (Die Piccolomini 1,1). stellers Franz Josef Degenhardt
Feldmarschall Illo empfängt mit diesen (* 1931), der besonders durch seine poli¬
Worten den Grafen Isolani, General der tischen Chansons bekannt wurde:
Kroaten. Er setzt verständnisvoll hinzu: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern,
„Der weite Weg,/Graf Isolan, entschul¬ sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die
digt Euer Säumen.“ - Mit diesem Zitat Oberstadt, mach’s wie deine Brüder.“
übt man Kritik an einem Zuspätkom¬ Dieser Anfang des 1964 geschriebenen
menden, drückt aber gleichzeitig seine Liedes ist gleichzeitig der Refrain der
Erleichterung aus, daß er überhaupt ge¬ weiteren 3 Strophen. - Man verwendet
kommen ist. das Zitat scherzhaft oder ironisch als
Empfehlung, sich von bestimmten Per¬
t Da speit das doppelt geöffnete
sonen fernzuhalten.
Haus zwei Leoparden auf einmal
aus Das Spiel ist aus
Die Redensart mit der Bedeutung „Die
Spieglein, Spieglein an der Wand
Sache ist verloren, vorbei“ wurde als
In „Schneewittchen“, dem bekannten deutscher Titel des französischen Spiel¬
Märchen der Brüder Grimm, stellt die films Les jeux sont faits aus dem Jahr
Königin und böse Stiefmutter der Titel- 1947 verwendet. Der Originaltitel des
Figur ihrem Zauberspiegel öfter die Films, der nach einem Drehbuch Jean-
Frage: „Spieglein, Spieglein an der Paul Sartres (1905-1980) entstand, zi¬
Wand,/Wer ist die Schönste im ganzen tiert die Ansage „Les jeux sont faits, rien
Land?“ Sie ist zufrieden, wenn der Spie¬ ne va plus“ des Croupiers beim Rou¬
gel sie als die Schönste bestätigt, und lette. - Für die beiden Hauptpersonen
aufgebracht, wenn er von der größeren aus dem Totenreich ist eine dauerhafte
Schönheit Schneewittchens spricht. Das Rückkehr ins Leben nicht möglich, weil
Zitat läßt sich verwenden, wenn jemand ihnen die bedingungslose Verwirkli¬
in seiner Eitelkeit zu oft oder zu lange chung ihrer Liebe dort nicht an einem
im Spiegel sein Aussehen kontrolliert. Tag gelingt.

Spiel mir das Lied vom Tod T Die spinnen, die Römer!
Der deutsche Titel des Italowesterns
„C’era una volta il west“ von Sergio Der Spion, der aus der Kälte kam
Leone aus dem Jahr 1968 spielt auf den So lautet der deutsche Titel eines 1963
Mundharmonikaspieler an, der sich erschienenen Spionageromans des eng¬
nach langer Zeit für den Mord an sei¬ lischen Schriftstellers John le Carre
nem Bruder rächt. In dem Film spielten (* 1931; englischer Titel: The Spy Who

408
Teil I sprich

Came In Front The Cold; deutsch 1964). t Du Spottgeburt von Dreck und
Erzählt wird das Schicksal eines briti¬ Feuer
schen Agenten im damaligen Ost-Ber¬
lin. Der Roman wurde 1965 verfilmt.
Die Sprache ist dem Menschen ge¬
Roman- und Filmtitel wurden sehr
populär und in den verschiedensten geben, um seine Gedanken zu ver¬
Abwandlungen von Journalisten und bergen
Werbeleuten verwendet. Das sentenzhafte Zitat (im Original: La
parole a ete donnee d l’homme pour
Splendid isolation deguiser sa pensee) ist ein Ausspruch
von Napoleons Minister Talleyrand aus
Mit diesem englischen Ausdruck wird
dem Jahr 1807 gegenüber dem spani¬
die freiwillige Bündnislosigkeit eines
schen Gesandten Izquiero, als dieser
Staates, einer Partei o. ä. bezeichnet.
ihn an seine Versprechungen erinnerte.
Auch ein völliges Sichzurückziehen von
Heinrich Heine legt in „Ideen. Das
den alltäglichen Dingen, die einem auf
Buch Le Grand“ 1826 eine abgewandel¬
Grund einer gewissen Selbstüberhe¬
te Formulierung dem Polizeiminister
bung zu trivial erscheinen, wird gele¬
Joseph Fouche in den Mund: Les pa-
gentlich so benannt. Der Ausdruck ist
roles sont faites pour cacher nos pensees
ursprünglich ein Schlagwort für die bri¬
(„Die Worte sind dazu da, unsere Ge¬
tische Außenpolitik im 19. Jh., die
danken zu verbergen“). In einem sehr
Bündnisse vermied, um die politische
ähnlichen Zitat, das Talleyrand benutzt
Handlungsfreiheit zu bewahren. Der
haben könnte, sagt Voltaire (1696 bis
britische Politiker George Joachim,
1778) in seinem „Dialogue du Chapon
1. Viscount Goschen of Hawkhurst,
et de la Poularde“ von den Menschen:
sprach am 26. Februar 1896 von „our
„Sie gebrauchen ihren Verstand nur, um
splendid isolation, as one of our colo¬
ihr Unrecht zu rechtfertigen, und ihre
nial friends was good enough to call it“.
Sprache allein, um ihre Gedanken zu
Er bezog sich damit auf eine Äußerung
verbergen“ (im Original: Ils neseservent
des kanadischen Politikers Sir George
de la pensee que pour autoriser leurs in-
Foster vor dem kanadischen Unterhaus
justices, et n'emploient les paroles que
vom 16. Januar 1896, in der es hieß: „In
pour deguiser leurs pensees).
these somewhat troublesome days when
the great Mother Empire Stands splen-
didly isolated in Europe“ („In diesen t Wie Spreu im Winde
einigermaßen schwierigen Tagen, in de¬
nen die große Mutter Empire in Europa Die Spreu vom Weizen sondern
so großartig allein steht“). Die Redewendung mit der Bedeutung
„das Wertlose vom Wertvollen trennen“
Den Splitter im fremden Auge, ist nach einer Bibelstelle gebildet. Im
aber nicht den Balken im eigenen Neuen Testament, Matthäus 3,12 weist
sehen Johannes der Täufer in seiner Büßpre¬
digt auf Jesus mit folgendem Bild hin:
Diese Redewendung mit der Bedeutung
„Und er hat seine Wurfschaufel in der
„Kleine Fehler bei anderen kritisieren,
Hand; er wird seine Tenne fegen und
die eigenen größeren aber übersehen“
den Weizen in seine Scheune sammeln;
ist biblischen Ursprungs. Am Schluß
aber die Spreu wird er verbrennen mit
der Bergpredigt spricht Jesus vom lieb¬
ewigem Feuer.“
losen Richter und sagt (Matthäus 7,3):
„Was siehest du aber den Splitter in dei¬
nes Bruders Auge und wirst nicht ge¬ Sprich mir von allen Schrecken des
wahr des Balkens in deinem Auge?“ Gewissens, von meinem Vater
sprich mir nicht
t Aus Spöttern werden oft Prophe¬ In Schillers Drama „Don Kariös“ be¬
ten stimmt ein schwerer Konflikt zwischen

409
spricht Teil I

Vater und Sohn, zwischen König Phil¬ loslöst, ist vermutlich in der Zeit der
ipp dem Zweiten und dem Kronprinzen Hugenottenkriege (1562-1598) entstan¬
Don Kariös, weitgehend den Hand¬ den und zuerst bei dem französischen
lungsablauf. Die Schwere und Tragwei¬ Schriftsteller Theodore Agrippa d’Aubi-
te des Konflikts wird deutlich in dieser gne (1552-1630) belegt. In seiner Schrift
Äußerung des Don Kariös gleich in der „Du debvoir des roys et des subjects“
2. Szene des 1. Aktes. Es ist die Antwort, gibt er die Anklagen gegen die Hugenot¬
die Kariös seinem Freund, dem Mar¬ ten wieder. Von ihren Forderungen
quis von Posa, gibt, als dieser den Vater nach Gleichberechtigung in Garnisonen
erwähnt. Als Zitat gebraucht, weisen und Ständevertretungen sagen die Ka¬
diese Worte auf Konflikte ähnlicher Art tholiken: ... que tout cela sepeut appeler:
hin. Gelegentlich sind sie aber auch Fair un Estat dans l’Estat („... daß man
Umschreibung für eine viel einfachere das alles einen Staat im Staate nennen
Aussage, nämlich: „Mit allem kannst du kann“).
mir kommen, nur damit nicht.“
t Wider den Stachel locken
t Man spricht vergebens viel, um zu
versagen; der andre hört von allem t Andere Städtchen, andre Mäd¬
nur das Nein chen

Der springende Punkt Stadtluft macht frei


Der griechische Philosoph Aristoteles Hierbei handelt es sich um einen
(384-322 v. Chr.) schildert in seinem Rechtsgrundsatz des Mittelalters. Er be¬
großen Werk der Tiergeschichte (ffepi zog sich auf vom Land in die Stadt abge¬
tä tya iamoiai, 8 echte und 2 hinzuge¬ wanderte Bauern, die sich als Unfreie
fügte Bände) das sich im Ei entwickeln¬ auf diese Weise ihren Grundherren ent¬
de Herz des Vogels, das sich im Eiweiß zogen. Ihre Leibeigenschaft wurde hin¬
(ev T(p Xevkö>) als „Blutfleck“ (ariypi) fällig, wenn sie ein Jahr lang in der Stadt
aipanvr/) darstellt. Und dieser Blut¬ gelebt hatten, ohne daß sie von ihrem
fleck bewege sich hin und her wie im Le¬ Grundherren zurückgeholt wurden. Sie
bewesen (Kivsnai (öajiEO cutpuxov). In wurden damit Freie. - Man verwendet
mittellateinischen Übersetzungen des den Satz heute gelegentlich, um auszu¬
griechischen Textes wurde daraus ein drücken, daß das Leben in der Stadt
Punkt, der springt. Seit dem 16./17. freier und ungebundener ist gegenüber
Jahrhundert kam dann die neulateini¬ dem Leben auf dem Land.
sche Fügung punctum saliens auf, deren
Übersetzung „springender Punkt“ in t Ins große Stammbuch der Natur
unserem Sprachgebrauch eine Sache be¬
zeichnet, auf die es ankommt, von der
alles abhängt. t Vom Stamme Nimm sein

Der standhafte Zinnsoldat


Es t kann die Spur von meinen Er¬
dentagen nicht in Äonen unter¬ Der Titelheld aus Hans Christian An¬
gehn dersens (1805-1875) Märchen ist zur
Symbolfigur für ein Ausharren auf ver¬
lorenem Posten geworden. Die Stand¬
Der Staat bin ich haftigkeit des Zinnsoldaten besteht zu¬
T L’Etat c’est moi nächst in seiner Standfestigkeit auf nur
einem Bein - das Zinn hatte für ein
zweites Bein nicht ausgereicht dann
Ein Staat im Staate
aber auch im standhaften Aushalten in
Der Ausdruck für ein Gebilde, das sich allen Gefahren, bis er im Ofen zu einem
auf dem Boden eines Staates vom Staat Zinnherzen schmilzt.

410
Teil I Stein

t Der starb Euch sehr gelegen eine Stelle im Matthäusevangelium


(10,14) zurück, wo Jesus die zwölf Apo¬
Stark am Geist, am Leibe schwach stel zur Mission unter den Juden aus¬
Dieser Vers stammt aus der ersten Stro¬ sendet: „Und wo euch jemand nicht an¬
phe des Gedichts „Kaiser Rudolfs Ritt nehmen wird noch eure Rede hören, so
zum Grabe“ von Justinus Kerner geht heraus aus demselben Hause oder
(1786-1862), einem bedeutenden Ver¬ der Stadt und schüttelt den Staub von
treter der spätromantischen schwäbi¬ euren Füßen.“
schen Dichterschule. Das Gedicht er¬
zählt, wie der vom Tode gezeichnete
t Da steh’ ich, ein entlaubter
König Rudolf 1., Graf von Habsburg Stamm!
(deutscher König 1273-1291; die Kai¬
Steh’ ich in finsterer Mitternacht
serwürde zu erlangen ist ihm nie gelun¬
gen) nach Speyer reitet, um dort im Kai¬ So beginnt das Gedicht „Soldatenliebe“
serdom seine letzte Ruhe zu finden. Die des schwäbischen Dichters Wilhelm
Worte werden heute gelegentlich noch Hauff (1802-1827), in dem ein Soldat
zitiert, wenn man scherzhaft andeuten auf nächtlicher Wache an sein Mädchen
will, daß zwar im Prinzip der gute Wille, daheim denkt. - Man verwendet das
etwas zu tun, vorhanden ist, die Ausfüh¬ Zitat aus dem heute nicht mehr sehr
rung aber an der menschlichen Schwä¬ bekannten Gedicht noch gelegentlich
che scheitert. scherzhaft bei einem nächtlichen Auf¬
enthalt im Freien.
Der Starke ist am mächtigsten al¬
t Da steh’ ich nun, ich armer Tor!
lein
Und bin so klug als wie zuvor
Dieses Zitat stammt aus der dritten Sze¬
ne des ersten Aufzugs von Schillers t Hier stehe ich, ich kann nicht
„Wilhelm Teil“ (1804). Teil und Stauffa¬
anders
cher reden über die Möglichkeit des Wi¬
derstandes gegen den Fronvogt. Wäh¬ Es wird nicht ein Stein auf dem
rend Stauffacher für ein gemeinsames andern bleiben
Handeln plädiert („Wir könnten viel,
Das Ende des von König Herodes mit
wenn wir zusammenstünden“), möchte
viel Gold und Marmor erbauten Jerusa¬
Teil lieber allein, als Einzelkämpfer
lemer Tempels prophezeit Jesus seinen
handeln. Seine Meinung ist: „Der Star¬
Jüngern mit den Worten: „Wahrlich ich
ke ist am mächtigsten allein.“ Wer sich
sage euch: Es wird hier nicht ein Stein
stark fühlt, genug Kraft in sich selber
auf dem andern bleiben, der nicht zer¬
hat, ist nicht auf das Eingebundensein
brochen werde“ (Matthäus 24,2). Man
in eine Gruppe angewiesen. Er fühlt
zitiert die Bibelstelle heute nicht nur auf
sich eher durch sie behindert.
die Zukunft bezogen (also auch: „Da
bleibt/blieb kein Stein auf dem an¬
TDenn wo das Strenge mit dem
dern“), um eine völlige Zerstörung oder
Zarten, wo Starkes sich und Mil¬
Umgestaltung zu umschreiben.
des paarten, da gibt es einen guten
Klang Der Stein des Anstoßes
Der Ausdruck wird im Sinne von „die
tln Staub mit allen Feinden Bran¬ Ursache eines Ärgernisses“ gebraucht.
denburgs Er stammt aus dem Alten Testament, wo
es im Buch Jesaja (8,12-14) heißt:
Den Staub von den Füßen schüt¬ „Fürchtet ihr euch nicht also, wie sie
teln tun, und lasset euch nicht grauen; son¬
Die stilistisch gehobene Redewendung dern heiliget den Herrn Zebaoth. Den
im Sinne von „einen Ort, ein Land ver¬ lasset eure Furcht und Schrecken sein,
lassen; für immer fortgehen“ geht auf so wird er ein Heiligtum sein, aber ein

411
Stein Teil I

Stein des Anstoßes und ein Fels des Är¬ Stell dir vor, es ist Krieg, und kei¬
gernisses den beiden Häusern Israel, ner geht hin
zum Strick und Fall den Bürgern zu Als wahrscheinlichste Quelle für diesen
Jerusalem.“ in Graffitisammlungen, auf Postkarten
und Aufklebern zu findenden Spruch
TViel Steine gab’s und wenig Brot
kann wohl das Buch „The People, Yes“
(deutsch: „Das Volk, jawohl“) angese¬
Steine geben statt Brot
hen werden, das der amerikanische
Die stilistisch gehobene Wendung „je¬ Dichter Carl Sandburg 1936 veröffent¬
mandem Steine geben statt Brot“ hat die lichte. Dann wird ein Dialog wiederge¬
Bedeutung „jemanden mit leeren Wor¬ geben, in dem ein kleines Mädchen da¬
ten abspeisen statt ihm wirklich zu hel¬
nach fragt, was Soldaten sind und was
fen“. Sie geht auf eine Stelle in der Bibel sie tun. Am Ende sagt das Mädchen:
zurück. Im 7. Kapitel des Matthäus¬
Sometime they’ll give a war and nobody
evangeliums, das das Ende der Bergpre¬
will come („Einmal wird es einen Krieg
digt enthält, heißt es in Vers 9: „Welcher
geben, und niemand wird hinkommen“).
ist unter euch Menschen, so ihn sein
Stellvertretend für die zahlreichen Ab¬
Sohn bittet ums Brot, der ihm einen
wandlungen, die der Spruch inzwischen
Stein biete?“
erfahren hat, sei nur die genannt, die
der Kabarettist Wolfgang Neuss
Der steinerne Gast
(1924-1989) geprägt hat: „Stell dir vor,
Mit dieser Gestalt ist in Mozarts es geht, und keiner kriegt’s hin.“
(1756-1791) Oper „Don Giovanni“ (auf
deutsch „Don Juan oder Der steinerne
Gast“) das Standbild des von Don Juan t Wärst du an meiner Stelle, du
erstochenen Komturs gemeint, das zu würdest anders denken
Don Juans Gastmahl erscheint, um ihn
den Flammen der Hölle zu überliefern.
t Hier ist die Stelle, wo ich sterb¬
Es handelt sich hier um das in spani¬
schen Romanzen auftauchende volks¬
lich bin
tümliche Sagenmotiv, nach dem ein stei¬
nernes Standbild einem lebenden Rä¬ Stellenweise Glatteis
cher gleich eine Freveltat bestraft. Da¬
Diese aus dem Wetterbericht geläufige
von leitet sich die Redewendung „dasit¬
Formulierung wählte Max von der Grün
zen wie der steinerne Gast“ ab, die so¬
1973 als Romantitel. Er nutzte dabei
viel bedeutet wie „in einer Gesellschaft
den seit dem 19. Jahrhundert belegten
sitzen, ohne sich am Gespräch zu betei¬
übertragenen Gebrauch des Wortes
ligen; stumm dasitzen“.
„Glatteis“ zur Charakterisierung der
Gefahren, in die man sich durch sein
Stell auf den Tisch die duftenden
Handeln in der Gesellschaft begibt. Das
Reseden
Zitat wird meist als Warnung vor heik¬
Das Gedicht „Allerseelen“, in dem sich len Situationen, in denen man sich
der österreichische Dichter Hermann leicht falsch verhalten kann, verwendet.
von Gilm zu Rosenegg (1812-1864) ei¬
ner geliebten Toten erinnert, beginnt mit
diesem Vers, der wie die folgenden Ver¬ Die Sterne, die begehrt man nicht
se eine längst dahingegangene Atmo¬ Das Zitat, mit dem man daraufhinweist,
sphäre zu beschwören sucht: „Stell auf daß man sein Streben vernünftigerweise
den Tisch die duftenden Reseden,/Die nicht auf etwas Unerreichbares richtet,
letzten roten Astern trag herbei,/Und stammt aus Goethes Gedicht „Trost in
laß uns wieder von der Liebe re¬ Tränen“ (1804). Einem traurigen Men¬
den,/Wie einst im Mai.“ Das Gedicht schen versuchen seine fröhlich ge¬
wurde besonders durch die Vertonung stimmten Freunde Mut zu machen: Er
von Richard Strauss bekannt. solle sich bemühen, das zu erwerben.

412
Teil I stille

wonach er sich so sehr sehnt. Er aber ten im Laufe der Geschichte.“ Dann
gibt ihnen zu verstehen, daß er das Ziel heißt es von den „Sternstunden“: „Ich
seiner Sehnsucht nicht erlangen kann: habe sie so genannt, weil sie leuchtend
„Es steht mir gar zu fern./Es weilt so und unwandelbar wie Sterne die Nacht
hoch, es blinkt so schön,/Wie droben je¬ der Vergänglichkeit überglänzen“. -
ner Stern.“ Darauf antwortet man ihm: Man verwendet das Zitat - ähnlich wie
„Die Sterne, die begehrt man nicht,/ Stefan Zweig - zur Charakterisierung
Man freut sich ihrer Pracht,/Und mit von Taten oder Ereignissen, die für die
Entzücken blickt man auf/ln jeder hei¬ Menschheit von großer Bedeutung sind.
tern Nacht.“ Seine Sehnsucht jedoch ist
zu stark, sein Herz muß sich in Tränen Steter Tropfen höhlt den Stein
erleichtern: „Und mit Entzücken blick’ Die sprichwörtliche Redensart mit der
ich auf/So manchen lieben Tag;/Ver- Bedeutung „durch ständige Wiederho¬
weinen laßt die Nächte mich,/So lang lung einer Bitte, einer Forderung o.ä.
ich weinen mag.“ - Das Gedicht hat erreicht man schließlich bei jemandem
durch mehrere Vertonungen (unter an¬ sein Ziel“ geht auf den griechischen
derem von Franz Schubert und Johan¬ Epiker Choirilos von Samos (2. Hälfte
nes Brahms) zusätzliche Bekanntheit des 5.Jh.s v. Chr.) zurück. In seinem
gewonnen. fragmentarischen Gedicht über die Per¬
serkriege heißt es: „Der Tropfen höhlt
Die Sterne lügen nicht den Stein durch Beharrlichkeit.“ Die la¬
Bei dieser zum Schlagwort der Astrolo¬ teinische Form Gutta cavat lapidem
gie gewordenen Meinung bleibt Wallen¬ („Der Tropfen höhlt den Stein“), der die
stein in Schillers Tragödie „Wallen¬ deutsche Redensart nachgebildet ist,
steins Tod“ (III, 9) auch angesichts der findet sich bei dem römischen Dichter
Tatsache, daß der ihm von den Sternen Ovid (43 v. Chr.-17 oder 18 n. Chr.) in
vorherbestimmte Freund Octavio Picco¬ den „Epistulae ex Ponto“ (IV, 10,5).
lomini sich gegen ihn gewandt hat: „Die Später erhielt die Redensart noch die
Sterne lügen nicht, das aber ist/Gesche- Ergänzung: Non vi, sed saepe cadendo
hen wider Sternenlauf und Schicksal./ („Nicht durch Gewalt, sondern durch
Die Kunst ist redlich; doch dies falsche häufiges Niederfallen“).
Herz/Bringt Lug und Trug in den wahr-
haft’gen Himmel.“ Der Stil, das ist der Mensch
t Le style, c’est l’homme
TSieh nach den Sternen! Gib acht
auf die Gassen! t In den Ozean schifft mit tausend
Masten der Jüngling; still auf ge¬
t Überm Sternenzelt muß ein lie¬
rettetem Boot treibt in den Hafen
ber Vater wohnen
der Greis
Sternstunden der Menschheit
Der österreichische Schriftsteller Stefan
Stille Tage in Clichy
Zweig (1881-1942) gab diesen Titel ei¬ Der Ausdruck für Tage der Muße, auch
nem 1927 zuerst veröffentlichten, später sexueller Vergnügungen zitiert den
erweiterten Essayband, in dem er einzel¬ deutschen Titel von Henry Millers
ne Beispiele solcher „Sternstunden“ aus (1891-1980) autobiographischem Ro¬
der Geschichte darstellt. In seinem Vor¬ man Quiet Days in Clichy, der sein aus¬
wort sagt er dazu: „Solche dramatisch schweifendes Leben in der Pariser Bo¬
geballten, solche schicksalsträchtigen heme der dreißiger Jahre schildert. Der
Stunden, in denen eine zeitüberdauern¬ Roman erhielt zusätzliche Popularität
de Entscheidung auf ein einziges Da¬ durch die dänische Verfilmung von Jens
tum, eine einzige Stunde und oft nur ei¬ Jörgen Thorsen (1969) und durch die
ne Minute zusammengedrängt ist, sind französische von Claude Chabrol
selten im Leben eines einzelnen und sel¬ (1990).

413
Stillen Teil I

Die Stillen im Lande Blutsverwandten bestehen, zu bezeich¬


nen.
Im Psalm 35 des Alten Testaments, ei¬
nem „Gebet um Errettung von boshaf¬
Die Stimme seines Herrn
ten Feinden“, heißt es im Vers 20:
„Denn sie trachten Schaden zu tun und Die Redensart wird scherzhaft-ironisch
suchen falsche Anklagen wider die Stil¬ gebraucht, wenn man aus jemandes
len im Lande ..." Dieser Ausdruck wur¬ Worten deutlich die Ansicht eines ande¬
de später zu einer Bezeichnung für reli¬ ren heraushört, von dem er in bestimm¬
giöse Gemeinschaften, besonders im 18. ter Weise abhängig ist. Das Zitat ist die
Jahrhundert für die Pietisten und die Übersetzung von His Master's Voice, ei¬
aus dem Pietismus hervorgegangenen nem Werbeslogan für die Klangtreue
Herrnhuter. Das Wort „still“ hat dabei der Schallplattenaufnahmen auf dem
(unter dem Einfluß Luthers und dem Label der Schallplattenfirma EMI. Der
Gebrauch des Wortes im Kirchenlied) Spruch steht unter einem Trichter, vor
die Bedeutung „ruhig, friedlich, gelas¬ dem ein Hund sitzt. Der Maler Francis
sen und sich dabei in Gott geborgen Barraud hat hier 1899 den Hund seines
fühlend“ entwickelt. Heute wird der verstorbenen Bruders, eines Phonogra¬
Ausdruck „die Stillen im Lande“ allge¬ phenbastlers, dargestellt, da der Hund
mein zur Kennzeichnung von Men¬ beim Spielen des Phonographen der
schen verwendet, die still und zurückge¬ Stimme seines Herrn zu lauschen
zogen leben, sich nicht zu Wort melden, schien.
sich nicht zur Wehr setzen.
t Man soll die Stimmen wägen und
nicht zählen
Die Stimme der Natur
Die Floskel, die ähnlich wie „Die Stim¬ t Nicht Stimmenmehrheit ist des
me des Blutes“ das instinkthafte Sich- Rechtes Probe
hingezogenfühlen zwischen Blutsver¬
wandten charakterisiert, kommt bei Les¬ Stirb und werde!
sing („Nathan der Weise“ III, 10) und Die Einsicht in die Notwendigkeit der
Schiller („Don Kariös“ 1,7; IV, 9; V, 10) Selbstaufgabe, des Sterbens im Leben
in Äußerungen über die Beziehung des selbst, um wieder zu erstehen, formu¬
Vaters zum Kind oder des Kindes zum liert Goethe in der Schlußstrophe des
Vater vor. Ins Scherzhafte gewendet Gedichts „Selige Sehnsucht“ aus dem
erscheint sie bei Albert Lortzing „Westöstlichen Diwan“: „Und solang’
(1801 - 1851) in seiner Oper „Der Wild¬ du das nicht hast,/Dieses: Stirb und
schütz oder Die Stimme der Natur“. Am werde!/Bist du nur ein trüber Gast/Auf
Schluß des 3. Aktes erkennen sich die der dunklen Erde.“ Unter dem an orien¬
beiden Liebespaare als Geschwister und talische Vorstellungen von der Seele
singen im Quartett: „Sie hat mich nicht und ihrem mystischen Tod angelehnten
getäuscht, die Stimme der Natur.“ Bild des Schmetterlings, der sich „des
Lichts begierig“ an der Kerzenflamme
verbrennt, preist der Dichter (in der
Die Stimme des Blutes ersten Strophe) „das Lebendige .../Das
Der Ausdruck geht auf das Alte Testa¬ nach Flammentod sich sehnet.“
ment zurück. Das 4. Kapitel des 1.
Buchs Moses berichtet von dem Mord, t Jeder stirbt für sich allein
den Kain an seinem Bruder Abel be¬
geht. Nach der Tat fragt der Herr den Die Stirn haben
Mörder: „Was hast du getan? Die Stim¬ Heute bedeutet diese Wendung „die
me des Bluts deines Bruders schreit zu Dreistigkeit, Unverfrorenheit besitzen“;
mir von der Erde“ (4,10). - Man ver¬ wir gebrauchen sie als eine verkürzte
wendet das Zitat, um die besonderen, und in der Bedeutung abgewandelte
instinkthaften Bindungen, die zwischen Form von „eine eherne Stirn haben“

414
Teil I Stunde

( = unbeugsam sein). Diese ältere Wen¬ Störe meine Kreise nicht!


dung geht auf die Bibel zurück, wo es
Der Ausruf wird dem griechischen
beim Propheten Jesaja (48,4) heißt:
Naturwissenschaftler und Mathematiker
„Denn ich weiß, daß du hart bist und
Archimedes (285-212 v.Chr.) zuge¬
dein Nacken ist eine eiserne Ader, und
schrieben, der bei der Eroberung von
deine Stirn ist ehern“. Angesprochen ist
Syrakus während des 2. Punischen Krie¬
hier das Volk Israel, das von Gott aufge¬
ges von römischen Soldaten, die in sein
fordert wird, seine Halsstarrigkeit auf¬
Haus eindrangen, getötet wurde. Mit
zugeben und an ihn zu glauben.
dem Ausruf: Noli turbare circulos meos
(deutsch: „Zerstöre meine Kreise
TVon der Stirne heiß rinnen muß
nicht“) wollte der von seiner Arbeit
der Schweiß
ganz Absorbierte verhindern, daß von
ihm auf den Boden gezeichnete mathe¬
Der Stoff, aus dem die Träume
matische Figuren zerstört würden. -
sind
Man verwendet das Zitat, um auszu¬
Der Titel von Johannes Mario Simmels drücken, daß man bei seiner Tätigkeit
(geboren 1924) Roman geht auf ein Zitat oder auch in seinem persönlichen Be¬
aus Shakespeares Komödie „The Tem- reich nicht gestört werden möchte.
pest“ („Der Sturm“) zurück. Darin sagt
der Zauberer Prospero zu Ferdinand,
dem Bräutigam seiner Tochter Miranda,
t O stört sie nicht, die Feier der Na¬
im Rückblick auf sein Zauberspiel, daß tur!
ebenso wie dieses der ganze Erdball sich
auflösen und spurlos verschwinden wer¬ t Allzu straff gespannt, zerspringt
de (IV, 1): We are such stuff/As dreams der Bogen
are made on, and our little life/Is rounded
with a sleep („Wir sind solcher Stoff, aus
dem Träume gemacht sind, und unser t Da streiten sich die Leut’ herum
kleines Leben umgibt ein Schlaf*). Hu¬ oft um den Wert des Glücks
go von Hofmannsthal (1874-1929) ver¬
wendet das Zitat in Anlehnung an die t Denn wo das Strenge mit dem
Schlegelsche Übersetzung („Wir sind Zarten, wo Starkes sich und Mildes
solcher Zeug,/Wie der zu Träumen“) in
paarten, da gibt es einen guten
der Anfangszeile seines Gedichts „Ter¬
Klang
zinen“: „Wir sind aus solchem Zeug,
wie das zu Träumen.“
Es t ist nicht gut, mitten im Strom
Stolz will ich den Spanier die Pferde zu wechseln
Dieses Zugeständnis macht in Schillers
„Don Kariös“ (III, 10) Philipp II. an das t Als wär’s ein Stück von mir
Unabhängigkeitsbedürfnis des Marquis
Posa, der sich aus den königlichen
Diensten zurückziehen will: „Viel Die Stunde der Abrechnung ist da
Selbstgefühl und kühner Mut, bei Hier handelt es sich um einen Aus¬
Gott!/Doch das war zu erwarten. - Stolz spruch des französischen Ministerpräsi¬
will ich/Den Spanier. Ich mag es gerne denten Georges Clemenceau (1841 bis
leiden,/Wenn auch der Becher über¬ 1929), mit dem er im Mai 1919 die Über¬
schäumt.“ Der seit dem 18. Jahrhundert gabe der Friedensbedingungen an die
übliche umgangssprachliche Vergleich deutsche Delegation einleitete. Er
„stolz wie ein Spanier“ wird heute nicht bringt als Zitat die Genugtuung eines
mehr ausschließlich auf den Charakter, Menschen darüber zum Ausdruck, daß
sondern auch auf eine äußere Haltung endlich der Zeitpunkt gekommen ist,
bezogen, die Selbstsicherheit und Hoch- der ihm die Möglichkeit gibt, seinem
gestimmtheit ausdrückt. Bedürfnis nach Revanche nachzugeben.

415
Stunde Teil I

t Meine Stunde ist noch nicht ge¬ risierung einer Entwicklungsphase eines
jungen Menschen, in der Ungestüm und
kommen
jugendlicher Überschwang vorherr¬
TWem die Stunde schlägt schen, Rationalität und Abgeklärtheit
noch fehlen und auch nicht erstrebens¬
Sturm im Wasserglas wert erscheinen.
Dieser Ausdruck als Umschreibung für
eine große Aufregung um eine ganz
Die Stützen der Gesellschaft
nichtige Sache wurde besonders durch
eine Komödie des Schriftstellers Bruno Der norwegische Dichter Henrik Ibsen
Frank (1887-1945) verbreitet, die die¬ (1828-1906) schuf mit dem Schauspiel,
sen Titel trägt. Die Formulierung selbst das diesen Titel trägt, die neue Gattung
jedoch wird dem französischen Staats¬ des „Gesellschaftsstücks“. In ihm ent¬
theoretiker Montesquieu (1689-1755) hüllt er mit radikaler Kritik an den ge¬
zugeschrieben. Er soll Unruhen in der sellschaftlichen Verhältnissen die bis
kleinen Republik San Marino tempete dahin verdeckte Brüchigkeit der Moral
dans un verre d'eau genannt haben. Die¬ und der durch sie bestimmten zwischen¬
se Ausdrucksweise hat Vorbilder in der menschlichen Beziehungen. Diejenigen,
Antike. Zur Zeit des römischen Politi¬ die in dem Stück wegen ihrer vermeintli¬
kers und Schriftstellers Cicero (im er¬ chen moralischen Integrität und ihrer
sten Jahrhundert v. Chr.) gab es bei¬ zur Schau getragenen Sorge für das
spielsweise die Redewendung: excitare Wohlergehen der Gesellschaft als „Stüt¬
fluctus in simpulo, auf deutsch: „Stürme zen der Gesellschaft“ gelten, erweisen
in der Schöpfkelle erregen“. sich als korrupte Heuchler. Der Titel
des Stückes wurde zu einem ironischen
Sturm und Drang Ausdruck zur Kennzeichnung von Poli¬
Diese schlagwortartige Bezeichnung für tikern, Wirtschaftsführern o.ä., an de¬
eine geistige Bewegung, besonders eine ren Glaubwürdigkeit und Integrität
Literaturperiode in Deutschland von gezweifelt wird.
der Mitte der 60er Jahre bis Ende der
80er Jahre des 18. Jahrhunderts, die
auch als „Geniezeit“ bezeichnet wird, Sub specie aeternitatis
geht auf den Titel eines Schauspiels des Der niederländische Philosoph Baruch
Dramatikers Friedrich Maximilian de Spinoza (1632-1677) vertrat die Leh¬
Klinger (1752-1831) zurück. Dieses re, daß Gott und die Natur ein und das¬
Schauspiel, das ursprünglich „Wirr¬ selbe seien, daß alles Existierende aus
warr“ hieß, wurde auf Vorschlag des dieser einzigen, unteilbaren, unendli¬
Schweizer Satirikers und Abenteurers chen und ewigen Substanz abgeleitet
Christoph Kaufmann (1753-1795), sei. In seinem Hauptwerk „Ethik. Nach
eines typischen Vertreters der „Genie¬ geometrischer Methode dargestellt“ Fin¬
zeit“, in „Sturm und Drang“ umbe¬ det sich mehrfach die Aussage, das
nannt. Die Bezeichnung wurde schlie߬ menschliche Denken solle die Erschei¬
lich auf die ganze damalige Bewegung nungen der Welt „sub specie aeternita¬
übertragen. Der Ausgangspunkt dieser tis“ („unter dem Gesichtspunkt der
Bewegung war eine jugendliche Revol¬ Ewigkeit“) betrachten. Dieser Ausdruck
te, die besonders gegen die Einseitigkei¬ wird zitiert, wenn man eine Distanz zu
ten der Aufklärung und die herrschende eher unbedeutenden Alltagsproblemen
Gesellschaftsordnung mit ihren erstarr¬ schaffen möchte, wenn man auf die
ten Konventionen gerichtet war. Die langfristige Bedeutung einer Sache hin-
Bezeichnung „Sturm und Drang“ wird weisen will.
heute auch übertragen gebraucht, dabei
aber weniger zur Kennzeichnung einer
ganzen Gruppe oder einer Bewegung t Auf der Suche nach der verlore¬
verwendet, sondern eher zur Charakte¬ nen Zeit

416
Teil I Sünder

Suchet, so werdet ihr finden mentare inhaltliche Grundsätze. Er ist


Dieser Aufruf Jesu steht in der Mitte auch in den Varianten „eine Sünde ge¬
seiner dreifachen Aufforderung, sich im gen den Geist“ oder „eine Sünde wider
Gebet vertrauensvoll an Gott zu wen¬ den Geist“ bzw. „wider den Heiligen
den, und findet sich in dieser Form beim Geist“ üblich. Es gibt in der Bibel meh¬
Evangelisten Matthäus 7,7. Auf diese rere Parallelstellen in den ersten drei
Stelle im Neuen Testament deutet be¬ Evangelien, auf die der Ausdruck zu¬
reits eine Parallelstelle im Alten Testa¬ rückgeht. Bei Matthäus 12,31 und 32
ment beim Propheten Jeremia voraus: z. B. richtet Jesus folgende Worte an die
„Ihr werdet mich anrufen und hingehen Pharisäer: „Alle Sünde und Lästerung
und mich bitten, und ich will euch erhö¬ wird den Menschen vergeben; aber die
ren. Ihr werdet mich suchen und finden, Lästerung wider den Geist wird den
denn wenn ihr mich von ganzem Herzen Menschen nicht vergeben. Und wer et¬
suchen werdet, so will ich mich finden was redet wider des Menschen Sohn,
lassen, spricht der Herr“ (Jeremia dem wird es vergeben; aber wer etwas
29,12-14). Am häufigsten wird aus dem redet wider den Heiligen Geist, dem
Textabschnitt „suchet, so werdet ihr fin¬ wird’s nicht vergeben, weder in dieser
den“ zitiert, um auszudrücken, daß man noch in jener Welt.“ Diese theologisch
schließlich etwas gefunden oder wieder¬ gewichtige, rigoros formulierte Aussage
gefunden hat. In diesem Sinne, aber besagt, daß die Sünde des Abfallens
ebenso als ablehnenden Kommentar zu vom Glauben und des bewußten Sich-
jemandes unnötiger, als zu kleinlich dagegenstellens demjenigen nicht ver¬
empfundener Kritik gebraucht man au¬ geben werden kann, der bereits durch
ßerdem die Redensart: „Wer sucht, der den Geist erleuchtet und in die Gemein¬
findet“, die in Matthäus 7,8 entspre¬ de Jesu eingegliedert war.
chend formuliert ist: „Denn wer da bit¬
tet, der empfängt; und wer da sucht, der Wer unter euch ohne Sünde ist,
findet; und wer da anklopft, dem wird t der werfe den ersten Stein
aufgetan.“
Sündenbock
Der umgangssprachliche Ausdruck lei¬
Sucht nur die Menschen zu verwir¬ tet sich zusammen mit der emotionalen
ren, sie zu befriedigen ist schwer Redewendung „jemanden in die Wüste
Im „Vorspiel auf dem Theater“ am Be¬ schicken“ aus dem Alten Testament her
ginn des ersten Teils von Goethes Faust (3. Moses 16,21 f.): „Da soll denn Aaron
rät der Theaterdirektor dem Dichter, seine beiden Hände auf sein Haupt le¬
wie er schreiben soll. Er kennt das Pu¬ gen und bekennen auf ihn alle Missetat
blikum und schätzt dessen Bildungsbe¬ der Kinder Israel und solle ihre Über¬
dürfnis als nicht sehr groß ein. Die tretung in allen ihren Sünden und soll
Handlung ist wichtig, von der die Zu¬ sie dem Bock auf das Haupt legen und
schauer gepackt werden. Daß hohe ihn durch einen Mann, der bereit ist, in
Kunst als solche erkannt wird, darf der die Wüste laufen lassen, daß also der
Dichter nicht hoffen. - Mit dem Zitat Bock alle ihre Missetat auf sich in eine
zieht man sich resignierend auf die Er¬ Wildnis trage; und er lasse ihn in die
kenntnis zurück, daß es sehr schwer ist, Wüste.“ Danach spricht man von einem
Menschen zufriedenzustellen, und daß „Sündenbock“ in bezug auf jemanden,
deshalb die Versuchung sehr groß ist, auf den man seine Schuld abwälzt, dem
ihnen etwas vorzumachen. man die Schuld an etwas zuschiebt, den
man für etwas verantwortlich macht.
Wenn man jemanden, mit dem man un¬
Eine Sünde gegen den Heiligen zufrieden ist, entläßt, so „schickt man
Geist ihn in die Wüste“.
Mit diesem Ausdruck umschreibt man
einen gravierenden Verstoß gegen ele¬ t Wir sind allzumal Sünder

417
Suppe Teil I

Die Suppe auslöffeln, die man sich t Diesem System keinen Mann
eingebrockt hat und keinen Groschen
T Auslöffeln müssen, was man sich ein¬
Die Szene wird zum Tribunal
gebrockt hat
Dieses Zitat stammt aus der letzten Stro¬
phe der Ballade „Die Kraniche des Iby-
Süß und ehrenvoll ist es, fürs kus“ von Schiller. Die Zeile kennzeich¬
Vaterland zu sterben net die Situation, in der sich die beiden
t Dulce et decorum est pro patria mori Mörder des Dichters Ibykus befinden,
als plötzlich im weiten Rund des Thea¬
ters in Korinth, wo man zu den „Isthmi-
Das süße Leben
schen Spielen“ zusammengekommen
t Dolce vita ist, allen klar wird, wer den Dichter in
„Poseidons Fichtenhain“ überfallen
Das süße Nichtstun und umgebracht hat. Das Gedicht endet
mit den Worten: „Die Szene wird zum
t II dolce far niente
Tribunal,/Und es gestehn die Bösewich-
ter,/Getroffen von der Rache Strahl.“
Ein süßer Trost ist ihm geblieben Die erste dieser Zeilen wird zitiert, wenn
Dies ist eine Zeile aus Schillers Gedicht sich jemand unversehens vielerlei Vor¬
„Das Lied von der Glocke“. Sie steht in würfen, heftiger Kritik von allen Seiten
dem Abschnitt, der von einer Brandka¬ ausgesetzt sieht.
tastrophe berichtet, und leitet die Schil¬
derung der Situation ein, in der sich der Szenen einer Ehe
Familienvater befindet, der zwar große Dieser Film von Ingmar Bergman aus
Verluste erlitten hat, aber beglückt fest¬ dem Jahr 1973, der die Entwicklung ei¬
stellen kann, daß keines der Familien¬ ner Ehe bis zur Scheidung und die Be¬
mitglieder zu Schaden gekommen ist. ziehung danach in mehreren Stationen
Die Stelle lautet: „Ein süßer Trost ist zeigt, wurde zunächst als sechsteilige
ihm geblieben:/Er zählt die Häupter sei¬ Fernsehserie gesendet und kam dann in
ner Lieben,/Und sieh!/Ihm fehlt kein einer gekürzten Version in die Kinos.
teures Haupt.“ Das Zitat wird in Situa¬ Der Titel des stark von Dialogen ge¬
tionen gebraucht, in denen man fest¬ prägten Problemfilms wird oft auch iro¬
stellt, daß doch nicht alles mißglückt, nisch zitiert und auf Beziehungen und
verloren o.ä. ist. Partnerschaften der verschiedensten Art
übertragen.

Süßer Vogel Jugend


t Zwischen Szylla und Charybdis
Nach einem Bühnenstück des amerika¬
nischen Dramatikers Tennessee Wil¬
liams (1911-1983) mit dem englischen
Originaltitel Sweet Bird of Youth ent¬
stand 1961 ein Film (mit Geraldine Page
und Paul Newman in den Hauptrollen),
dessen deutscher Titel „Süßer Vogel
Jugend“ häufiger zitiert wird. Man
umschreibt damit, oft in nostalgischer
Betrachtung, die Art unbeschwerten
T
Glücks, die es nur in der Jugend gibt, wo
so vieles noch möglich war. Im Mittel¬ Tabula rasa
punkt des Films steht die Figur einer al¬ Die lateinische Form des bereits in der
ternden Schauspielerin, die in eine tiefe griechischen Antike mehrfach belegten
Krise gerät, als die Angst vor dem Ausdrucks mit der Bedeutung „unbe¬
Altern von ihr Besitz ergreift. schriebenes Blatt“ (wörtlich: „glattge-

418
Teil I Tand

schabte [Wachsjtafel“) läßt sich zuerst t Jeder Tag hat seine Plage
im Mittelalter nachweisen, und zwar in
der Schrift „Über die Seele“ des Theo¬ TSo ein Tag, so wunderschön wie
logen, Philosophen und Naturforschers heute
Albertus Magnus (um 1200-1280).
Auch sein berühmter Schüler Thomas t An einem Tag wie jeder andere
von Aquin hat den Ausdruck verwendet
(mit deutlichem Bezug auf Aristoteles; t An diesem Tage hätte die Weltge¬
vergleiche dazu den Artikel „Ein unbe¬ schichte ihren Sinn verloren
schriebenes Blatt“). Neben der oben an¬
geführten Bedeutung hat sich in der Re¬ Tages Arbeit! Abends Gäste!
dewendung „tabula rasa machen“ eine Dieser Ratschlag für eine sinnvolle Zeit¬
zweite entwickelt. Man gebraucht diese einteilung und Lebensgestaltung wird
Wendung im Sinne von „reinen Tisch am Schluß von Goethes Ballade „Der
machen, klare Verhältnisse schaffen“. Schatzgräber“ erteilt. Eine vernünftige
Lebensweise, in der Arbeit und Muße
Tadeln können zwar die Toren, ihren festen Platz haben, ist ein besserer
aber besser machen nicht Weg zum Glück als die Suche nach ver¬
grabenen Schätzen und die Anrufung
Der Berliner Schriftsteller August
finsterer Mächte. Das Gedicht erschien
Friedrich Ernst Langbein (1757-1835)
mit anderen Balladen Goethes und
war ein zu seiner Zeit bekannter Autor.
Schillers 1797 in Schillers „Musenalma¬
Eines seiner damals populären Gedich¬
nach für das Jahr 1798“. Das Zitat wird
te, „Die neue Eva“, endet mit den Zei¬
oft im Wortlaut des Originals ergänzt:
len: „Tadeln können alle Toren,/Aber
„Saure Wochen! Frohe Feste!/Sei dein
klüger handeln nicht.“ Mit dem in etwas
künftig Zauberwort.“
abgewandelter Form üblich geworde¬
nen Zitat drückt man aus, daß viele be¬ Taghell ist die Nacht gelichtet
reit sind, unverbindliche Kritik zu üben,
Der Satz steht in Schillers „Lied von der
ohne fähig oder in der Lage zu sein,
Glocke“ in dem Abschnitt, in dem eine
selbst etwas zur Veränderung, Umge¬
nächtliche Feuersbrunst beschrieben
staltung, Verbesserung beizutragen.
wird. Man verwendet das Zitat (auch
Man drückt also indirekt auch aus, daß
scherzhaft), um seine Verwunderung
Kritik nur sinnvoll sein kann, wenn sie
auszudrücken, daß an einem bestimm¬
konstruktiv ist.
ten Ort oder zu einem bestimmten Zeit¬
punkt unerwartete und ungewöhnliche
t Am Tag, als der Regen kam Helligkeit herrscht.

t Kein Talent, doch ein Charakter


Der Tag bricht an, und t Mars
regiert die Stunde Es t bildet ein Talent sich in der
Stille
Der Tag des Herrn
Dieser Ausdruck mit der Bedeutung t O Täler weit, o Höhen
„Sonntag“ ist heute veraltet. Er ist die
Tand, Tand ist das Gebilde von
Übersetzung der lateinischen Bezeich¬
nung dominica dies, die im 4. Jahrhun¬ Menschenhand
dert an die Stelle des heidnischen Na¬ In seinem 1879 geschriebenen Gedicht
mens für den Sonntag dies Solis getreten „Die Brück’ am Tay“ schildert Theodor
war. Bei Ludwig Uhland (1787-1862) Fontane den Einsturz einer Eisenbahn¬
findet sich der Ausdruck in seinem Ge¬ brücke über dem schottischen Fluß Tay.
dicht „Schäfers Sonntagslied“, das mit Die Naturgewalten, die diese Katastro¬
dem Vers „Das ist der Tag des Herrn“ phe verursachen, sprechen am Anfang
beginnt und endet. und Ende des Gedichts miteinander,

419
tandaradei Teil I

und Fontane hat diese Abschnitte so ge¬ Tantalusqualen


staltet, daß sie an das Hexengespräch zu Der Ausdruck geht auf die griechische
Beginn des „Macbeth“ von Shake¬ Mythologie zurück. Tantalus, ein Sohn
speare erinnern. (Vergleiche auch des Zeus und mächtiger König von
„Wann treffen wir drei wieder zu- Phrygien, hatte die Götter an seine Tafel
samm’?“) Beide Abschnitte enden mit geladen und, um ihre Allwissenheit zu
der Zeile „Tand, Tand/Ist das Gebilde prüfen, ihnen das Fleisch seines getöte¬
von Menschenhand“, die heute meist ten Sohnes Pelops als Speise vorgesetzt.
scherzhaft zitiert wird, wenn sich etwas Die Götter bestraften ihn damit, daß er
von Menschen Geschaffenes als nicht ewige Qualen von Hunger und Durst
dauerhaft erweist, wenn etwas entzwei¬ leiden mußte. In einem See stehend, er¬
geht. reichte er nicht das Wasser zum Trin¬
ken, und die über seinem Haupt hän¬
genden Früchte wehte der Wind aus sei¬
Tandaradei! ner Reichweite, sobald er nach ihnen
Dieser aus dem Mittelhochdeutschen greifen wollte. - Man spricht scherzhaft
und übertreibend von Tantalusqualen,
stammende Ausruf der Freude ist laut¬
malend für einen Vogelruf. Er findet wenn man sehr großen Durst leidet.
sich in Walther von der Vogelweides Aber ebenso, wenn man etwas Ersehn¬
(1170-1230) bekanntem Gedicht mit tes in greifbarer Nähe sieht, ohne es
der Überschrift „Under der linden“. Bei doch erreichen zu können.
allen vier Strophen des Gedichts wird
die zweitletzte Zeile von diesem Ausruf t Ich hab’ meine Tante geschlach¬
gebildet. Die erste Strophe endet mit tet
den Versen: „Vor dem walde in einem
tal,/Tandaradei,/Schone sanc diu nah¬ Ein Tanz auf dem Vulkan
tegal.“ - Man bedient sich heute gele¬ Die Redewendung mit der Bedeutung
gentlich dieses Wortes, um etwas zu „ausgelassene Lustigkeit in einer ge¬
kommentieren, das einem gekünstelt, fahrvollen Zeit oder Situation“ ist fran¬
überspannt und lächerlich vorkommt.
zösischen Ursprungs. Nach eigener
Aussage hat der französische Gesandte,
Graf Narcisse Achille Salvandy
Tant de bruit pour une Omelette (1795-1856) auf einem Fest, das der
Der Ausspruch (deutsch: „Soviel Lärm Herzog von Orleans am 31. 5. 1883 zu
um einen Eierkuchen“) wird dem fran¬ Ehren des Königs von Neapel gab, ge¬
zösischen Schriftsteller Jacques Vallee äußert: Nous dansons sur un volcan
des Barreaux (1625-1673) zugeschrie¬ („Wir tanzen auf einem Vulkan“). Man
ben. Um diesen Ausspruch rankt sich ei¬ deutete dies als eine Vorahnung der Re¬
ne Geschichte, nach der des Barreaux volution von 1880. Ein im Paris des Jah¬
an einem Fasttag in einem Wirtshaus ei¬ res 1830 spielender deutscher Film mit
nen Eierkuchen mit Speck bestellt habe, Gustaf Gründgens in der Hauptrolle,
den ihm der Wirt des Fasttages wegen gedreht 1938, trägt den Titel „Tanz auf
nur ungern serviert habe. Als er dem dem Vulkan“.
Gast das Gericht auftischte, habe es ei¬
nen heftigen Donner gegeben, für den Tanz der Vampire
Wirt ein Zeichen des himmlischen Der berühmt gewordene englische Film
Zorns. Des Barreaux habe daraufhin - mit dem Originaltitel „The Vampire Kil¬
um den Wirt zu beruhigen - den Eierku¬ lers“ stammt aus dem Jahr 1966. Er wur¬
chen mit obigen Worten zum Fenster de von dem Regisseur, Drehbuchautor
hinausgeworfen. - Man gebraucht das und Schauspieler Roman Polanski ge¬
Zitat heute, um auszudrücken, daß man dreht. Der Film erzählt von einem alten
die Aufregung um eine im Grunde un¬ Professor, der zusammen mit seinem
wichtige Sache für übertrieben hält. Gehilfen Jagd auf Vampire macht und

420
Teil I Tauwetter

dabei in einem Schloß in den Karpaten t Denn tausend Jahre sind vor dir
in eine Versammlung von Untoten ge¬ wie der Tag, der gestern vergangen
rät. - Man verwendet den Titel als ist
scherzhaften oder ironischen Kommen¬
tar zum Beispiel zur Charakterisierung
in größerer Zahl auftretender und agie¬ Tausendundeine Nacht
render skrupelloser Geschäftemacher. „Tausendundeine Nacht“, arabisch
„Alf Laila Wa Laila“ (wörtlich: „Tau¬
send Nächte und eine Nacht“), heißt ei¬
tSie tanzte nur einen Sommer ne berühmte arabische Märchensamm¬
lung. Sie umfaßt mehr als 300 Geschich¬
Die Tat ist alles, nichts der Ruhm ten verschiedener Art, die von einer
Rahmenhandlung zusammengehalten
Im 4. Akt des 2. Teils von Goethes werden und die aus verschiedenen Zei¬
Faust, in der Szene „Hochgebirg“, fragt ten und von verschiedenen Völkern des
Mephisto Faust: „Und also willst du Orients stammen. Seit dem 14. Jahrhun¬
Ruhm verdienen?“ Faust, der Tat¬ dert waren Teile des Werks in Italien be¬
mensch, antwortet darauf mit dem Dik¬ kannt, im 18. Jahrhundert entstand eine
tum: „Die Tat ist alles, nichts der französische Übersetzung, der erst im
Ruhm.“ Das Tätigsein hat für ihn seinen 19. Jahrhundert eine deutsche Überset¬
Lohn in sich. - Man verwendet das zung folgte. - Wenn man von „Tausend¬
Zitat, um unterstellte Ruhmsucht oder undeiner Nacht“ oder einem „Märchen
Eitelkeit zurückzuweisen. aus Tausendundeiner Nacht“ spricht,
spielt man auf das Phantastische, ganz
Tatarennachricht Unalltägliche oder Märchenhafte eines
Vorgangs an.
Als „Tatarennachricht“ bezeichnet man
noch gelegentlich eine nicht sehr glaub¬
hafte Nachricht, besonders eine Schrek- Tauwetter
kensnachricht. Der Ausdruck geht zu¬ Das Wort hat eine übertragene Bedeu¬
rück auf die von einem tatarischen Rei¬ tung, die sich auf den russischen Schrift¬
ter in osmanischen Diensten im Jahr steller Ilja Ehrenburg (1891-1967) zu¬
1854 nach Bukarest gebrachte unzutref¬ rückführen läßt. Im zweiten Band seiner
fende Nachricht von der Einnahme Se- Erinnerungen aus dem Jahr 1961 mit
bastopols. Berichtet hat diesen Vorgang dem deutschen Titel „Menschen, Jahre,
Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen Leben“ schreibt Ehrenburg mit Bezug
(1827-1892) in seinen Lebenserinne¬ auf die sehr schnell nach Stalins Tod
rungen „Aus meinem Leben“, die zwi¬ einsetzende Entstalinisierung: „Seit Sta¬
schen 1897 und 1908 erschienen sind. lins Tod (5. 3. 1953) war erst ein Monat
vergangen, aber irgend etwas auf der
Welt hatte sich verändert... Jener April,
Tatenarm und gedankenvoll von dem ich berichte, war ein ganz be¬
So charakterisiert der Dichter Friedrich sonderer April ... Wahrscheinlich hatte
Hölderlin (1770-1843) die Deutschen in ich diesen April im Sinn, als ich im
der Ode mit dem Titel „An die Deut¬ Herbst den Entschluß faßte, einen klei¬
schen“. Die erste Strophe (der ersten nen Roman zu schreiben, und als erstes
Fassung) des Gedichts lautet: „Spottet den Titel aufs Papier malte.“ Dieser Ti¬
ja nicht des Kinds, wenn es mit Peitsch’ tel lautete auf deutsch: „Tauwetter“.
und Sporn/Auf dem Rosse von Holz Der Begriff aus der Meteorologie wird
mutig und stolz sich dünkt,/Denn, ihr in diesem Roman bereits als Metapher
Deutschen, auch ihr seid/Tatenarm und für die Veränderungen der politischen
gedankenvoll.“ - Mit dem Zitat um¬ Verhältnisse gebraucht. Er wurde dann
schreibt man - meist leicht spöttisch allgemein auf die politische Entspan¬
oder tadelnd - jemandes Mangel an nung im Bereich kommunistischer Ideo¬
Tatkraft. logie bezogen.

421
10 Duden 12
Teil Teil I

Ein Teil von jener Kraft, die stets wir ändern uns mit ihnen“) auf den
das Böse will und stets das Gute deutschen Kaiser Lothar I. (795-855)
schafft zurückgehen. Er soll sie in der Form
„Omnia mutantur, nos et mutamur in
Diese Antwort gibt Mephisto auf die
illis“ („Alles ändert sich ...“) geäußert
Frage Fausts (Goethe, Faust I, Studier¬
haben.
zimmerszene): wer bist du denn?“
Faust nennt die Antwort ein „Rätsel¬ TO tempora, o mores!
wort“. - Das Zitat bringt die Dialektik
von Gut und Böse zum Ausdruck. Es Den Teufel mit Beelzebub austrei-
drückt aus, daß auch etwas, was in böser ben
Absicht geschieht, in etwas Gutes Um¬
Die Redewendung mit der Bedeutung
schlagen oder eine gute Seite haben
„ein Übel durch ein schlimmeres be¬
kann.
kämpfen“ geht auf eine Stelle des Neu¬
en Testaments zurück. Im 12. Kapitel
Teils dieserhalb, teils außerdem
des Matthäusevangeliums wird davon
Diese Erklärung findet man in der 1872
berichtet, daß Jesus einen Besessenen
erschienenen Bildergeschichte „Die
heilt. Die Pharisäer sagten dazu (12,24):
fromme Helene“ von Wilhelm Busch.
„Er treibt die Teufel nicht anders aus
Sie steht in dem „Der Frosch“ über-
denn durch Beelzebub, der Teufel Ober¬
schriebenen Kapitel, in dem der Vetter
sten.“ Sie meinten damit, Jesus bediene
Franz zuerst auftritt und beginnt, sich
sich der Macht des Bösen.
um die Kusine Helene zu bemühen.
„Und Franz war wirklich ange¬ Den Teufel spürt das Völkchen nie
nehm,/Teils dieserhalb, teils außer¬
In der Szene „Auerbachs Keller“ im er¬
dem.“ - Man verwendet das Zitat als
sten Teil von Goethes Faust äußert Me¬
scherzhafte, sich im Allgemeinen hal¬
phisto gegenüber Faust: „Den Teufel
tende Antwort auf die Frage: Warum?
spürt das Völkchen nie,/Und wenn er
sie beim Kragen hätte.“ Die Aussage be¬
t Das ist Teils Geschoß
zieht sich auf die zechenden Studenten,
die Faust und Mephisto in „Auerbachs
TZum Tempel hinausjagen
Keller“ antreffen, die „lustige Gesell¬
schaft“, in die Mephisto Faust zu brin¬
Tempi passati!
gen versprach. - Man bezieht das Zitat
Das Zitat bedeutet soviel wie „das sind scherzhaft oder spottend auf Menschen,
vergangene Zeiten“ oder „die Zeiten die eine bestimmte Situation, zum Bei¬
sind vorbei“ und kann sowohl Bedau¬ spiel das üble Spiel, das man mit ihnen
ern als auch Erleichterung ausdrük- treibt, nicht durchschauen.
ken. - Mit diesen Worten soll Kaiser Jo¬
seph II. von Österreich (1741-1790) ein Es T war schon immer etwas teurer,
Gemälde des italienischen Malers Fede- einen besonderen Geschmack zu
rigo Zuccaro kommentiert haben, das er haben
im Dogenpalast in Venedig sah. Auf
dem Bild war Kaiser Friedrich Barba¬ Thalatta, thalatta!
rossa dargestellt, vor dem Papst auf den
Der griechische Schriftsteller Xeno-
Knien liegend, um vom Bann losgespro¬
phon (430-um 354 v. Chr.) nahm an ei¬
chen zu werden.
nem Feldzug teil, den der Perser Kyros
gegen seinen Bruder, den Perserkönig
Tempora mutantur, nos et muta-
Artaxerxes, führte, in der Absicht, ihn
mur in illis
zu stürzen. Über das schließlich geschei¬
Nach der Überlieferung von Jan Gruter terte Unternehmen berichtet Xenophon
(1560-1627) in seinen „Deliciae poeta- in seinem Werk „Anabasis“. Nach dem
rum Germanorum“ soll diese Sentenz Tod von Kyros hatte Xenophon die
(deutsch: „Die Zeiten ändern sich, und 10000 griechischen Söldner in die Hei-

422
Teil I Tiere

mat zurückgeführt. Er berichtet von etwas zu kommentieren, was immer in


dem Freudenruf „Thalatta, thalatta!“ der gleichen Weise abläuft.
(= „Das Meer, das Meer!“; griechisch
0äXazra, SaXarm), den die Griechen The Taming of the Shrew
ausstießen, als sie der Küste des Der t Widerspenstigen Zähmung
Schwarzen Meeres ansichtig wurden.
Der deutsche Dichter Heinrich Heine The winter of our discontent
(1797-1856) hat in einem Gedicht mit
Der t Winter unseres Mißvergnügens
dem Titel „Meergruß“ auf dieses Ereig¬
nis Bezug genommen und es zu seinem
Thespiskarren
eigenen Schicksal des in der Fremde
sich nach der Heimat Sehnenden in Be¬ Die bildungssprachliche Bezeichnung
ziehung gesetzt. Die erste Strophe des für ein Tourneetheater geht auf eine Be¬
Gedichts lautet: „Thalatta! Thalatta!/ merkung zurück, die der römische Dich¬
Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!/ ter Horaz (65-8 v. Chr.) in seiner „Ars
Sei mir gegrüßt zehntausendmal/Aus poetica“ in bezug auf Thespis, den älte¬
jauchzendem Herzen,/Wie einst dich sten bekannten Tragödiendichter der
begrüßten/Zehntausend Griechenher- Griechen gemacht hat. Dieser soll nach
zen,/Unglückbekämpfende, heimatver- Horaz mit einem Wagen umhergezogen
langende,/Weltberühmte Griechen¬ sein.
herzen.“
t Aus der Tiefe des Gemüts
The Germans to the front!
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir
Dieser Ausruf, der in jüngerer Zeit vor
allem im Zusammenhang mit der Frage t De profundis
der Beteiligung deutscher Soldaten an
UNO-Einsätzen zitiert wird, stammt Im tiefen Keller sitz’ ich hier
von Sir Edward Hobart Seymour tim kühlen Keller sitz’ ich hier
(1840-1929). Der britische Admiral war
während des Boxeraufstands in China Tiefer Sinn liegt oft im kind’schen
der Oberbefehlshaber des europäischen Spiel
Expeditionskorps. Er schickte am 22. 6.
T Hoher Sinn liegt oft im kind’schen
1900 mit diesen Worten eine deutsche
Spiel.
Abteilung des Korps an die Spitze der
Truppen.
T Der ist in tiefster Seele treu, wer
The same procedure as every year die Heimat liebt wie du

Diese Anweisung (deutsch: „Dieselbe


Das Tier im Menschen
Prozedur wie jedes Jahr“) taucht in dem
englischen Fernsehsketch „Dinner for t La bete humaine
one“ wiederholt auf. Die alte Miss So¬
T Jedem Tierchen sein Pläsierchen
phie feiert ihren Geburtstag, alleine am
Tisch sitzend, nach demselben Ritual
wie jedes Jahr. So ist für fünf längst ver¬
Tiere sehen dich an
storbene Gäste der Tisch gedeckt. Der Dies ist der Titel eines 1928 erschiene¬
Butler James, dargestellt von Freddy nen Fotobandes des Malers und Schrift¬
Frinton, schlüpft jeweils in die Rolle des stellers Paul Eipper, der vor allem durch
Gastes, dem Miss Sophie zutrinkt, was Bücher über Tiere bekannt wurde. Das
zur Folge hat, daß er immer betrunkener Zitat wird heute in vielfältig abgewan¬
wird. Der Sketch wird seit Jahren regel¬ delter Form verwendet, vor allem, wenn
mäßig am Silvesterabend in verschiede¬ man sich mit anderen Lebewesen kon¬
nen dritten Programmen des deutschen frontiert sieht, durch deren Blicke man
Fernsehens gesendet. - Man verwendet sich in bestimmter Weise angesprochen
das Zitat scherzhaft oder ironisch, um oder berührt fühlt.

423
10*
time Teil 1

Time is money Mädchen in einer bestimmten Gegend“


bezeichnet, stammt aus der Bibel. Er
TZeit ist Geld
wird meist in Zusammenhängen ge¬
Timeo Danaos et dona ferentes braucht, in denen davon die Rede ist,
daß sich ein Mann mit Heiratsabsichten
t Danaergeschenk
trägt und sich „unter den Töchtern des
Landes umsieht“, ln der Bibel steht
Tintenklecksendes Säkulum
der Ausdruck nicht in einem solchen
Der Räuber Karl Moor - in Schillers Zusammenhang. Im 1. Buch Moses
Schauspiel „Die Räuber“ (1781) - sagt, 33 '7 20 wird berichtet, daß sich Jakob
von einer Lektüre aufblickend (1. Akt, 2. mit seiner Familie eine neue Wohnstatt
Szene): „Mir ekelt vor diesem tinten¬ im Lande Kanaan gesucht und sich da
klecksenden Säkulum, wenn ich in mei¬ niedergelassen hat, und im Kapitel 34,1
nem Plutarch lese von großen Men¬ heißt es dann: „Dina aber, Leas Toch¬
schen.“ Er ist der Meinung, daß die ter, die sie Jakob geboren hatte, ging
Menschen seiner Gegenwart keine heraus, die Töchter des Landes zu se¬
Menschen der Tat mehr sind, sie sind hen.“
schlapp und kraftlos. So höhnt er:
„... ein schwindsüchtiger Professor hält
sich bei jedem Wort ein Fläschchen Sal¬ t Rasch tritt der Tod den Menschen
miakgeist vor die Nase und liest ein an
Kollegium über die Kraft.“ Man zitiert
den Ausdruck „tintenklecksendes Säku¬
Der Tod ist ein Meister aus
lum“ gelegentlich, wenn man (ähnlich
Deutschland
wie Karl Moor) bei seinen Zeitgenossen
Mut zur Größe, Tatkraft und Begeiste¬ In seinem berühmten Gedicht „Todes¬
rung vermißt. fuge“ erhebt der Lyriker Paul Celan
(1920-1970) eine Klage über die un¬
t Vor Tische las man’s anders menschliche Verfolgung und die grausa¬
me Tötung der Juden im Deutschland
Tischleindeckdich des Nationalsozialismus, die sich im
Der scherzhafte Ausdruck mit der Be¬ Verlauf des Gedichts immer mehr zur
deutung „Möglichkeit, gut und sorglos Anklage verdichtet. In kanonartig, wie
zu leben, ohne eigenes Bemühen gut Themen einer Fuge nacheinander ge¬
versorgt zu werden“ geht auf das setzten Bildern, Motiven, Andeutungen
Grimmsche Märchen „Tischchen deck von Vorgängen, die auftauchen, ver¬
dich, Goldesel und Knüppel aus dem schwinden, wieder aufgegriffen, leicht
Sack“ zurück. Darin wird ein Tischler¬ variiert und miteinander verknüpft wer¬
geselle nach abgeschlossener Lehrzeit den, entsteht ein eigentümliches Ge¬
von seinem Meister mit einem Tisch be¬ flecht von Aussagen, die das grausame
lohnt, der sich auf Geheiß mit den köst¬ Geschehen zunächst erahnen und dann
lichsten Speisen und Getränken deckt. in der eindrucksvollsten Weise deutlich
werden lassen. Im letzten Drittel des
To be or not to be, that is the ques- Gedichts dann taucht erst diese unver¬
tion hüllte, mehrmals wiederholte Aussage
„der Tod ist ein Meister aus Deutsch¬
TSein oder Nichtsein, das ist hier die
land“ auf, die nun den Verursacher, den
Frage
Schuldigen nennt und anklagt. - Eine
mehrteilige Fernsehdokumentation von
Tobias sechs, Vers drei
der Journalistin Lea Rosh und dem Hi¬
fO Herr, er will mich fressen!
storiker Eberhard Jäckel über die Ju¬
denverfolgung zur Zeit des Nationalso¬
Die Töchter des Landes
zialismus, die 1990 ausgestrahlt wurde,
Dieser Ausdruck, mit dem man heute trug den Titel: „Der Tod ist ein Meister
nur noch in scherzhafter Weise „die aus Deutschland“.

424
Teil I Tor

Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo meint, auf denen man keine Melodie
ist dein Sieg? spielen kann. Im übertragenen Sinne
Die beiden oft als Motto verwendeten, wird das Zitat heute auf jemanden bezo¬
christlichen Trost enthaltenden rhetori¬ gen, der zwar schön formulierte oder
schen Fragen sind Teil eines Bibelver- großsprecherische, aber nichtssagende
ses. Im 1. Brief an die Korinther (15,55) Reden führt.
schreibt der Apostel Paulus der dortigen
Gemeinde: „Der Tod ist verschlungen Ein Tor find’t allemal noch einen
in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? großem Toren, der seinen Wert zu
Hölle, wo ist dein Sieg?“ Der Stachel ist schätzen weiß
dem Tod genommen durch den stellver¬
Dieses eigentlich für sich selbst spre¬
tretenden Tod Jesu für die Sünden der
chende Zitat wird auch in etwas erwei¬
Menschen. So heißt es Vers 56 f.: „Aber
tertem, allgemeinerem Sinn gebraucht,
der Stachel des Todes ist die Sünde; die
wenn etwa ausgedrückt werden soll, daß
Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.
wohl keine Idee so töricht, abge¬
Gott aber sei Dank, der uns den Sieg ge¬
schmackt oder abseitig sein kann, als
geben hat durch unsern Herrn Jesus
daß sie nicht doch irgendwelche Anhän¬
Christus!“
ger findet. Es handelt sich dabei um die
beiden abschließenden Zeilen des Ge¬
Die Todgeweihten grüßen dich!
dichtes „Cotill“ des pietistisch orien¬
t Morituri te salutant! tierten Schriftstellers der Aufklärung
Christian Fürchtegott Geliert (1715 bis
Tohuwabohu 1769). In dem moralisierenden Gedicht
Dieser Ausdruck, mit dem man einen wird beschrieben, wie einer, der zu¬
großen Wirrwarr, ein völliges Durchein¬ nächst von allen für einen Narren gehal¬
ander und Chaos bezeichnet, geht auf ten wird, weil er „im Gehen oft ein Rad“
die Bibel zurück. Am Anfang des schlägt, bei seinem seltsamen Tun im¬
Schöpfungsberichtes (1. Moses 1,2) mer mehr Nachahmer findet, bis er
heißt es: „Und die Erde war wüst und schließlich als Erfinder dieser Fortbe¬
leer“. Der hebräische Ausdruck für wegungsweise öffentlich gelobt wird.
„wüst und leer“ lautet tohü wa vohü (ei¬ Als Quelle für die in den letzten beiden
gentlich: Wüste und Öde). Das Wort Zeilen formulierte Moral des Gedichts
„Tohuwabohu“ wurde also aus dem kann ein Vers des französischen Schrift¬
hebräischen Urtext dieser Bibelstelle stellers Nicolas Boileau-Despreaux
übernommen. (1636- 1711) gelten. In seinem wohl be¬
kanntesten Werk „L’art poetique“ fin¬
Tolle, lege! det sich am Ende des 2. Gesangs der
t Nimm und lies! Vers: Un sot trouve toujours un plus sot
qui l’admire, auf deutsch: „Ein Dumm¬
t Ist dies schon Tollheit, hat es kopf findet immer einen noch Dümme¬
ren, der ihn bewundert.“
doch Methode

Ein tönend Erz oder eine klingen¬ Ein Tor ist immer willig, wenn eine
de Schelle Törin will
Dieses Zitat stammt aus dem ersten Dieses Zitat, das meist wohl als scherz¬
Brief an die Korinther (13,1) im Neuen haft anzügliche Bemerkung bei entspre¬
Testament, in dem es heißt: „Wenn ich chender Gelegenheit verwendet wird,
mit Menschen- und mit Engelszungen stammt aus einem Gedicht des deut¬
redete und hätte die Liebe nicht, so wäre schen Dichters Heinrich Heine
ich ein tönendes Erz oder eine klingen¬ (1797-1856). Es ist eigentlich Teil eines
de Schelle.“ Mit dem Bild „ein tönend Wortspiels, das allerdings erst zu verste¬
Erz oder eine klingende Schelle“ sind hen ist, wenn man das ganze Gedicht
wohl Schlag- oder Lärminstrumente ge¬ kennt. Es handelt sich um das Gedicht

425
Torero Teil I

Nr. 17 aus dem Zyklus „Die Heimkehr“ Zweiten Weltkriegs chronikartig darzu¬
mit den Anfangszeilen „Sei mir gegrüßt, stellen und letztlich dann einen Aus¬
du große,/Geheimnisvolle Stadt“. Die blick auf die alternativen Möglichkeiten
Stadt mit ihren „Türmen und Toren“ zu geben, die im Vergleich dazu eine
muß sich vom Dichter den Vorwurf ge¬ konkret sich verändernde, wirklich so¬
fallen lassen, daß sie die Liebste mit all zialistische Demokratie haben könnte.
ihren „Koffern und Schachteln“ hat da¬ Der Titel bringt die dem Roman imma¬
vonziehen lassen. Dabei werden die nente Vorstellung zum Ausdruck, daß
Türme für „unschuldig“ befunden, weil das Vermächtnis aller, die für die Idee
sie sich nicht bewegen können. Von den einer humanistisch-sozialistischen Ge¬
Stadttoren aber heißt es in der letzten sellschaft gekämpft haben und gestor¬
Strophe: „Die Tore jedoch, die ließen/ ben sind, von denen, die ihnen nachfol-
Mein Liebchen entwischen gar still“, gen, verwirklicht wird. In diesem Sinne,
und hieran schließen sich in scherzhaf¬ aber auch ganz allgemein als Mahnung
ter Wortspielerei die letzten beiden Zei¬ an die Lebenden, das Opfer aller
len an: „Ein Tor ist immer willig,/Wenn Kriegstoten als nie verstummende For¬
eine Törin will.“ Der eigentlich traurige derung nach einer besseren Welt in Frie¬
Sachverhalt wird durch das Wortspiel den und Freiheit zu verstehen, wird der
ironisch verfremdet, gewissermaßen auf Titel zitiert.
Distanz gebracht.
t Laß die Toten ihre Toten begra¬
t Auf in den Kampf, Torero! ben

Der totale Staat t Nur ein toter Indianer ist ein


Dieser Ausdruck geht auf den wegen guter Indianer
seiner positiven Haltung gegenüber Fa¬
schismus und Nationalsozialismus um¬ Die Trägheit des Herzens
strittenen Staatsrechtler Carl Schmitt Diese poetische Umschreibung für die
(1888-1985) zurück, der ihn in seiner Gleichgültigkeit eines Menschen gegen¬
Schrift „Der Begriff des Politischen“ über seinen Mitmenschen, für den Man¬
(1932) propagierte. Der „totale Staat“ gel an Mitgefühl oder Anteilnahme ge¬
steht für ein totalitäres, antiparlamenta¬ hört zum Titel eines Romans des deut¬
risches und antiliberales Staatsmodell. schen Schriftstellers Jakob Wassermann
Er wird heute oft warnend zitiert, wenn (1873- 1934). Der Titel des 1909 erschie¬
Regierung und Verwaltung eines Staates
nenen Romans lautet vollständig: „Cas¬
die individuellen Freiheiten der Bürger
par Hauser oder Die Trägheit des Her¬
zu stark einschränken, wenn ein Über¬
zens“. Wassermann, einer der meistge¬
maß an staatlichen Regelungen und
lesenen Autoren Deutschlands der 20er
Kontrollen befürchtet wird.
und 30er Jahre, hat damals mit diesem
Roman die Forschungen über die Her¬
Die Toten bleiben jung
kunft des Findlings Kaspar Hauser, ei¬
So lautet der Titel eines 1949 erschiene¬ nes etwa sechzehnjährigen Jungen, der
nen Romans der deutschen Schriftstel¬ im Jahre 1828 plötzlich in Nürnberg
lerin Anna Seghers (1900-1983). Darin aufgetaucht war, neu belebt und die
wird die Erschießung eines jungen, we¬ Phantasien, die sich bis zum heutigen
gen kommunistischer Propaganda zum Tag um diese Gestalt ranken, angeregt.
Tode verurteilten Soldaten der deut¬ Mit großer Anteilnahme schildert er die
schen Wehrmacht durch eben denjeni¬ Geschichte des unbekannten (1833 von
gen befohlen, der nach dem Ersten einem nie entdeckten Täter ermordeten)
Weltkrieg an der Ermordung des Vaters Jungen, dessen Schicksal in der kurzen
dieses jungen Mannes beteiligt war. Zeitspanne seiner bekannten Existenz
Diese thematische Klammer dient der von der Lieblosigkeit und dem Egois¬
Autorin dazu, die Entwicklung in mus der ihn umgebenden Menschen be¬
Deutschland von 1918 bis zum Ende des stimmt wurde und der an der in Selbst-

426
Teil I Trauben

gerechtigkeit erstarrten Umwelt, an der sten Teil des Faust ein, wo sie von Gret-
„Trägheit des Herzens“ seiner Mitmen¬ chen gesungen wird. Das Gedicht wur¬
schen zugrunde ging. de mehrfach vertont, zum Beispiel von
Franz Liszt und Franz Schubert. - Mit
Es trägt Verstand und rechter Sinn dem Zitat läßt sich scherzhaft feststel¬
mit wenig Kunst sich selber vor len, daß jemand von einem bestimmten
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust Zeitpunkt an aufgehört hat, Alkohol zu
(I. Teil; „Nacht“). In einem Dialog mit trinken.
dem wißbegierigen, aber wenig kreati¬
ven Magister Wagner, der die Kunst der t O Trank der süßen Labe
Rhetorik unbedingt erlernen möchte,
Trau keinem über dreißig
sagt Faust an einer Stelle: „Es trägt Ver¬
stand und rechter Sinn/Mit wenig Kunst Aus der Protestbewegung der Studenten
sich selber vor;/Und wenn’s Euch ernst in den sechziger Jahren ging eine sozial
ist, was zu sagen,/Ist’s nötig, Worten tiefer greifende antiautoritäre Bewe¬
nachzujagen?“ Wenn man zum Aus¬ gung mit gelegentlich auch anarchi¬
druck bringen möchte, daß es keiner be¬ schen Zügen hervor. Sie äußerte sich
sonderen Formulierungskunst bedarf, unter anderem in mancherlei oft witzi¬
sich anderen mitzuteilen, solange man gen Parolen und Sprüchen, die beson¬
etwas Vernünftiges zu sagen hat, wird ders gegen das Establishment und seine
das Zitat gelegentlich noch verwendet. festgefahrenen gesellschaftlichen Struk¬
turen gerichtet waren. Typisch dafür ist
Die Träne quillt dieser Spruch, der neben jugendlicher
Selbstüberschätzung in aller Deutlich¬
Die t Erde hat mich wieder
keit und ohne Rücksichtnahme die be¬
rechtigte Abwehr gegen alles offenbart,
t Die mit Tränen säen, werden mit
was als überholt, als rückschrittlich und
Freuden ernten damit allem fortschrittlichen Denken
hinderlich empfunden wurde. Die
Die Tränen und die Seufzer, die Übertreibung, die darin liegt, daß man
kamen hintennach diese Denkstrukturen und die daraus
Das Zitat stammt aus Heinrich Heines folgenden Handlungsweisen kurzer¬
(1797-1856) 49. Gedicht aus der Samm¬ hand mit dem Alter von Menschen jen¬
lung „Lyrisches Intermezzo“. Zwei vier¬ seits der Dreißig verknüpfte, machte
zeilige Strophen beschreiben hier zwei den Spruch aggressiv und herausfor¬
unterschiedliche Erfahrungen des Tren¬ dernd und damit auch populär.
nungsschmerzes: „Wenn zwei vonein¬
ander scheiden,/So geben sie sich die Die Trauben hängen zu hoch
Händ’/Und fangen an zu weinen/Und Diese Redensart ist auch in der Form
seufzen ohne End’./Wir haben nicht ge- „Die Trauben sind zu sauer“ gebräuch¬
weinet,/Wir seufzten nicht Weh und lich. Man wendet sie auf jemanden an,
Ach!/Die Tränen und die Seufzer,/Die der so tut, als wollte er etwas eigentlich
kamen hintennach.“ Die letzten beiden sehr Begehrenswertes gar nicht haben,
Zeilen werden gelegentlich zitiert, wenn nur um nicht zugeben zu müssen, daß er
jemandem erst spät die Folgen seines gar nicht in der Lage ist, es zu erreichen.
Tuns oder die Schwere eines Verlusts Zugrunde liegt der Redensart die Fabel
schmerzhaft bewußt werden. „Der Fuchs und die Trauben“. Darin
wird von einem Fuchs erzählt, der sich
Trank nie einen Tropfen mehr Trauben holen will und der sich, als er
Mit diesem Vers endet die Goethesche merkt, daß sie für ihn zu hoch hängen,
Ballade „Der König in Thule“. Sie er¬ mit der Bemerkung davonmacht, die
schien zuerst in der Sammlung „Volks¬ Trauben seien ja noch unreif und gar
und andere Lieder“. Später fügte sie nicht süß. Die Fabel, die durch den
Goethe in die Szene „Abend“ in den er¬ französischen Dichter Jean de La Fon-

427
Teil I
Trauer

taine (1621 bis 1695) bekannt wurde Titel wurde zu einem Ausdruck, mit
(französischer Titel „Le renard et les dem man in unterschiedlichen Abwand¬
raisins“) gehört zu den „Äsopischen lungen die verschiedenartigsten Asso¬
Fabeln“. Dies sind Tierfabeln, die dem ziationen erwecken kann, beispielsweise
legendären griechischen Fabeldichter in Formulierungen wie: „Träumereien
Äsop zugeschrieben werden, der angeb¬ an finnischen Seen“, „Träumereien in
lich um die Mitte des 6. Jahrhunderts deutschen Betten“, „Träumereien in luf¬
v.Chr. lebte. tigen Höhen“ o.ä. Er wird auch gele¬
gentlich unverändert als leicht spötti¬
Trauer muß Elektra tragen sche Beurteilung von unrealistischen,
Dies ist der deutsche Titel einer Dra¬ märchenhaften Vorstellungen zitiert.
mentrilogie in 13 Akten des amerikani¬
Und treiben mit Entsetzen Scherz
schen Dramatikers Eugene O’Neill
(1888-1953). In dieser Tragödie (engli¬ t Da werden Weiber zu Hyänen
scher Originaltitel: Mourning becomes
Electra), die als sein bedeutendstes TAch, ich bin des Treibens müde!
Werk gilt, hat der Dichter den in der
griechischen Tragödie mehrfach behan¬ Treppenwitz der Weltgeschichte
delten Mythos um die Gestalt der Elek¬ Mit diesem Ausdruck kennzeichnet man
tra, Tochter des Agamemnon und der eine ziemlich absurd, wie ein schlechter
Klytämnestra, Schwester des Orest und Scherz wirkende Begebenheit, die zu ei¬
der Iphigenie, in die Wirklichkeit einer nem sie begleitenden historisch bedeut¬
Epoche der amerikanischen Geschichte samen Vorgang in keinem angemesse¬
des 19. Jahrhunderts transportiert. Er nen Verhältnis steht, ihn aber gelegent¬
hat das antike Thema des schicksalhaf¬ lich in nicht unerheblichem Maß beein¬
ten Gefangenseins des Menschen in sei¬ flußt. Dem Ausdruck liegt der Titel
nen eigenen Leidenschaften, bei dem „Der Treppenwitz der Weltgeschichte“
der schuldverhaftete und in seiner eines 1882 erschienenen, damals noch
Schuld hilflos unterlegene Mensch im häufig aufgelegten Buches von William
Mittelpunkt steht, im Gewand der mo¬ Lewis Hertslet (1839-1898) zugrunde,
dernen Zeit dargestellt. Der Titel dieses in welchem der Autor „geschichtliche
Werks wurde zum oft verwendeten Zi¬ Irrtümer, Entstellungen und Erfindun¬
tat, mit dem, häufig in einer der jeweili¬ gen“ (so der Untertitel) zusammenge¬
gen Situation angepaßten Abwandlung, stellt hat. Das Wort „Treppenwitz“ geht
jemandes mißliche Lage o.ä. kommen¬ zurück auf französisch esprit d’escalier,
tiert wird. So könnte beispielsweise ein ein Ausdruck, der eine versäumte Gele¬
Fußballkommentator die prekäre Situa¬ genheit bezeichnet, einen Einfall, der
tion eines Fußballvereins mit dem Aus¬ einem zu spät kommt, gewissermaßen
spruch „Trauer muß Borussia tragen“ wenn man nach einem Besuch o.ä.
kommentieren. schon wieder auf der Treppe ist.

Träumereien an französischen Ka¬ Tres faciunt Collegium


minen Der oströmische Kaiser Justinian
Der deutsche Arzt und Schriftsteller Ri¬ (482-565) veranlaßte eine Sammlung
chard von Volkmann (1830-1889) ver¬ der zu seiner Zeit geltenden Rechtsvor¬
faßte unter anderem Märchen, in denen schriften, die später (ab 1583) das „Cor¬
er Elemente des Volks- und Kunstmär¬ pus Juris Civilis“ genannt wurde. Im
chens miteinander verband. Besonders zweiten Buch, den sogenannten „Dige-
bekannt geworden ist eine während des sten“, des vier Bücher umfassenden
Krieges 1870/71 in Frankreich entstan¬ Werks findet sich eine Stelle, an der es
dene Märchensammlung, die er unter heißt: Neratius Priscus tres faciunt existi-
dem Pseudonym Richard von Leander mat collegium, auf deutsch: „Neratius
mit dem Titel „Träumereien an französi¬ Priscus erklärt, daß drei ein Kollegium
schen Kaminen“ veröffentlichte. Der ausmachen.“ (Neratius Priscus war ein

428
Teil I Trio

Jurist, der um 100 n. Chr. lebte.) Mit die¬ war. Heute bezeichnet man jemanden
sem Rechtsspruch wird ausgedrückt, ironisch als „treuen Diener seines
daß es mindestens dreier Personen als Herrn“, den man als unkritischen, fast
Grundlage zur Bildung eines Vereins, unterwürfigen Untergebenen charakte¬
einer Gesellschaft o.ä. bedarf. Dieser risieren will, der alles tut, was ihm von
Rechtsgrundsatz spielte später in ver¬ seinem Vorgesetzten aufgetragen wird.
schiedenen Lebensbereichen eine Rolle.
So galt seit dem Mittelalter beispiels¬ Treulich geführt
weise an den Universitäten die Regel, Mit diesem Ausdruck spielt man scherz¬
daß außer dem Dozenten mindestens haft auf eine (meist bevorstehende oder
noch zwei Studenten anwesend sein zu erwartende) Hochzeit an. Das Zitat
mußten, wenn eine Vorlesung gehalten stammt aus Richard Wagners Oper Lo-
werden sollte. Heute wird der Spruch hengrin (1850 uraufgeführt), deren drit¬
gelegentlich noch als scherzhafte Flos¬ ter Akt mit dem sogenannten „Braut¬
kel gebraucht, wenn jemand mit zwei lied“ beginnt. Die ersten Zeilen lauten:
anderen Personen irgendwo zusammen¬ „Treulich geführt ziehet dahin,/wo euch
trifft, oder auch wenn er drei andere der Segen der Liebe bewahr’!“
Personen irgendwo beieinander vorfin¬
det. Trink ihn aus, den Trank der Labe
TO Trank der süßen Labe!
TSie hat die Treu’ gebrochen

Die Treue, sie ist doch kein leerer t Zuviel kann man wohl trinken,
Wahn doch nie trinkt man genug
In der Ballade „Die Bürgschaft“ von
Trinkt, o Augen, was die Wimper
Schiller zeigt der Dichter an einem in
hält, von dem goldnen Überfluß
dramatischen Geschehnissen dargestell¬
ten Beispiel die Bewährung wahrer
der Welt!
Freundschaft und Treue. Gerührt von Bei dem Ausspruch, den man angesichts
einem solchen Nachweis echter Freun¬ eines überwältigend schönen visuellen
destreue, die sich darin zeigt, daß einer Eindrucks zitieren kann, handelt es sich
für den andern das Leben einsetzt, um die beiden Schlußverse des „Abend¬
spricht der Tyrann von Syrakus am En¬ liedes“ von Gottfried Keller (1819 bis
de die Worte: „Es ist euch gelungen,/Ihr 1890). Mit dem Titel ist ein Lied am
habt das Herz mir bezwungen;/Und die Abend des Lebens gemeint, wie schon
Treue, sie ist doch kein leerer Wahn“ der ebenfalls bekannte Anfang erken¬
und bittet danach noch um Aufnahme nen läßt: „Augen, meine lieben Fenster-
in diesen Freundschaftsbund. Das Wort lein,/Gebt mir schon so lange holden
von der Treue, die kein leerer Wahn ist, Schein,/... Einmal werdet ihr verdunkelt
wurde zum geflügelten Wort, das mit sein!“
wechselndem Subjekt in unterschiedli¬
chen Zusammenhängen verwendet Trio infernal
wird. So kann man von etwas, was man „Le Trio infernal“ ist der Titel eines
zuvor in Zweifel gezogen hatte und was 1974 in Frankreich gedrehten Films mit
sich dann als nicht trügerisch, nicht irrig Romy Schneider und Michel Piccoli in
herausgestellt hat, sagen, es sei doch den Hauptrollen. Dem Drehbuch liegt
„kein leerer Wahn“ gewesen. ein Roman von Solange Fasquelle zu¬
grunde. Das „teuflische Trio“ des Films
Ein treuer Diener seines Herrn besteht aus einem französischen Anwalt
Dieser Titel eines historischen Dramas und zwei deutschen Schwestern, die
von Franz Grillparzer (1791-1872) be¬ Versicherungsbetrug großen Stils bege¬
zieht sich auf die Hauptfigur des Stücks, hen, indem der Anwalt den beiden
den Paladin Bancbanus, der seinem Kö¬ Frauen Ehemänner verschafft, die er
nig, Andreas von Ungarn, treu ergeben dann umbringen läßt. - Man verwendet

429
trocknen Teil I

das Zitat meist scherzhaft zur Charakte¬ Dichter Horaz (65-8 v. Chr.) in seinen
risierung von drei Personen, die zusam¬ „Epistulae“ (1,18) getroffen hat. Er rät
mengehören und wegen ihrer auffälli¬ dem Adressaten: Tua res agitur, paries
gen Aktivitäten gefürchtet (oder auch cum proximus ardet. (In wörtlicher
bewundert) werden. Übersetzung: „Deine Sache wird abge¬
handelt, wenn die Wand des Nachbarn
tlch bin des trocknen Tons nun brennt“.) Mit diesem Bild wollte Horaz
satt dem Briefempfänger sagen, daß man je¬
mandem, der in Schwierigkeiten geraten
Trojanisches Pferd ist, helfen sollte, weil man selbst in die
t Danaergeschenk gleiche Lage kommen könnte. - Man
weist mit dem Zitat jemanden darauf
t Steter Tropfen höhlt den Stein hin, daß etwas Bestimmtes in seinem In¬
teresse liegt, daß er seine Aufmerksam¬
tO wie so trügerisch sind Weiber¬ keit darauf richten sollte.
herzen
Die Tücke des Objekts
t Bella gerant alii, tu, felix Austria, Mit dieser Redewendung kommentiert
nube man häufig ein Mißgeschick, das man
beispielsweise bei der Handhabung
Tu Geld in deinen Beutel eines Gegenstandes, eines Werkzeugs
Das Zitat stammt aus Shakespeares Tra¬ oder ähnlichem erlebt. Man bedient sich
dann eines Ausdrucks, der dem Roman
gödie „Othello“ (1,3). Im Original for¬
dert Jago Rodrigo wiederholt mit den „Auch einer“ des Philosophen Fried¬
Worten Put money in thy purse! dazu rich Theodor Vischer (1807-1887) ent¬
auf, sich mit Geld auszustatten und lie¬ nommen ist. Von solcher „Tücke“ ist in
ber mit ihm zusammen den Kampf um dem Roman die Reisebekanntschaft des
Desdemona aufzunehmen, als sich aus Erzählers betroffen. Der skurrile Frem¬
Liebeskummer das Leben zu nehmen, de „A. E.“ befindet sich in einem ständi¬
weil sich die von ihm umworbene Des¬ gen Kleinkrieg mit allen möglichen Ge¬
demona für Othello entschieden hat. - genständen des Alltags, mit denen er in
Bei Unternehmungen unterschiedlicher Berührung kommt. Er beschreibt seine
Art, die nur mit einem gewissen finan¬ Nöte an einer Stelle so: „Von Tagesan¬
ziellen Polster möglich sind, wird heute bruch bis in die späte Nacht, solang ir¬
diese Aufforderung zitiert. gendein Mensch um den Weg ist, denkt
das Objekt auf Unarten, auf Tücke ... So
Tu nur das Rechte in deinen Sa¬ lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tin¬
chen; das andre wird sich von tenfaß, Papier, Zigarre, Glas, Lampe -
alles, alles auf den Augenblick, wo man
selber machen
nicht acht gibt.“
Diesen Spruch findet man bei Goethe in
der Abteilung „Sprichwörtlich“ der Ge¬ Die Tugend, sie ist kein leerer
dichtsammlung von 1815. Er enthält als Schall
Lebensregel den Rat, „recht“ zu han¬
Dies ist ein Zitat aus dem Gedicht „Die
deln und das übrige seinen Gang gehen
zu lassen. Worte des Glaubens“ von Schiller. In
der dritten Strophe heißt es: „Und die
Tu, was du nicht lassen kannst Tugend, sie ist kein leerer Schall,/Der
Mensch kann sie üben im Leben...“ Da¬
t Ich hab’ getan, was ich nicht lassen
bei ist die Möglichkeit des Menschen,
konnte
Tugend „zu üben“, abhängig davon, ob
es ihm gelingt, seine innere Freiheit zu
Tua res agitur
bewahren (vergleiche dazu auch den Ar¬
Bei diesem Ausspruch handelt es sich tikel „Der Mensch ist frei geschaffen“).
um eine Feststellung, die der römische Das Zitat von der Tugend, das heute

430
Teil I Übel

meist in weniger ernsthaften Zusam¬ Kind bei sich aufgenommen und im jü¬
menhängen gebraucht wird, erscheint dischen Glauben erzogen hat (es aber so
wohl in Anlehnung an das bekanntere davor bewahrt hat, möglicherweise im
Schillerzitat „Und die Treue, sie ist Elend umzukommen). Das Zitat, mit
doch kein leerer Wahn“ aus dem Ge¬ dem man ironisch auf jemandes Unbe-
dicht „Die Bürgschaft“, oft auch in der irrbarkeit oder Starrköpfigkeit hinwei-
Form „Die Tugend, sie ist kein leerer sen kann, wird heute nur selten und nur
Wahn“. in Situationen verwendet, in denen es
nicht als Ausdruck antisemitischer Res¬
Tumber Tor sentiments mißverstanden werden kann.
Der Held des mittelalterlichen Versepos
„Parzival“ von Wolfram von Eschen¬
bach (um 1170-1220) ist „Parzival der
tumbe“. Nach dem Tod seines Vaters
hatte seine Mutter Herzeloyde den Kna¬
ben fern von der ritterlichen Welt in der
Abgeschiedenheit aufgezogen. Die zu¬

u
fällige Begegnung mit einer Ritterschar
lockt ihn hinaus in die Welt, in der er
sich dann als der „tumbe tor“ erweist,
der Unerfahrene, Unverständige, der
nichts von der Welt weiß und versteht. -
Als „tumben Toren“ bezeichnet man je¬ Üb immer Treu und Redlichkeit
manden, häufiger mit leicht abschätzi¬ Diese vielzitierte Aufforderung, in sei¬
gem Unterton, den man für allzu naiv, nem Handeln stets zuverlässig und ehr¬
zu wenig clever, zu wenig auf seinen lich zu bleiben, bildet die Anfangszeile
Vorteil bedacht hält. des Gedichts „Der alte Landmann an
seinen Sohn“ von Ludwig Heinrich
Das t eine tun und das andere nicht
Christoph Hölty (1748-1776), einem
lassen Dichter, der als Begründer der neueren
deutschen Balladendichtung gilt. Von
Der Turmbau zu t Babel
dem Gedicht, das als ganzes sicherlich
nicht mehr als sehr zeitgemäß empfun¬
Es tut mir lang schon weh, daß ich
den wird, sind die ersten vier Zeilen der
dich in der Gesellschaft seh’
ersten Strophe, die in der letzten Stro¬
Sein Mißfallen an jemandes Umgang phe noch einmal wiederholt werden, be¬
kann man mit den beiden Versen aus kannt geblieben. Sie sind unter anderem
Goethes Faust I (Marthens Garten) zu zu einem beliebten Poesiealbumspruch
erkennen geben. Gegenüber Fausts Be¬ geworden: „Üb immer Treu und Red¬
gleiter Mephisto empfindet Margarete lichkeit/Bis an dein kühles Grab,/Und
eine instinktive Abneigung, der sie mit weiche keinen Finger breit/Von Gottes
den zitierten Zeilen Ausdruck verleiht. Wegen ab.“ Zum Bekanntwerden dieser
Zeilen hat besonders auch die Melodie
Tut nichts! Der Jude wird ver¬ beigetragen, nach der sie gewöhnlich
brannt! gesungen werden. Es handelt sich um
Dreimal wiederholt in Lessings drama¬ eine Melodie von Mozart, das Lied des
tischem Gedicht „Nathan der Weise“ Papageno „Ein Mädchen oder Weib¬
(1779) der Patriarch von Jerusalem diese chen“ aus dem 2. Akt der Oper „Die
Worte. Sie sind seine stereotype Ant¬ Zauberflöte“ (Uraufführung 1791).
wort auf alle Einwände des jungen Tem¬
pelherrn gegen die Verurteilung eines
Juden zum Tode auf dem Scheiterhau¬
Das t Leben ist der Güter höchstes
fen, nur weil er - gegen päpstliches und nicht, der Übel größtes aber ist die
kaiserliches Gebot - ein christliches Schuld

431
Teil I
über

Über allen Gipfeln ist Ruh’ ihm - ebenso wie dem Zitat - zu weite¬
rer Bekanntheit verholfen.
Dies ist der Anfang eines der bekannte¬
sten und berühmtesten Gedichte von
Goethe, das von manchen auch als das Über ein kleines
vollkommenste betrachtet wird. Es trägt Die heute kaum noch gebräuchliche Re¬
den Titel „Wandrers Nachtlied“ und dewendung mit der Bedeutung „bald, in
wurde von Goethe (im Hinblick auf ein kurzer Zeit“ findet man in der Bibel im
anderes Gedicht mit gleichem Titel) mit Johannesevangelium (16,16 f.), wo Je¬
„Ein Gleiches“ überschrieben. Populär sus den Jüngern seinen „Weggang“ an¬
wurde es auch durch vielfache Verto¬ kündigt: „Über ein kleines, so werdet
nung, besonders durch die von Franz ihr mich nicht sehen; und aber über ein
Schubert. Der Gedichtanfang, wie auch kleines, so werdet ihr mich sehen, denn
das ganze Gedicht, wurde im Laufe der ich gehe zum Vater. Da sprachen sie:
Jahre in mancherlei scherzhaft gemein¬ Was ist das, was er sagt: Über ein klei¬
ter, oft kalauernder Weise abgewandelt nes? Wir wissen nicht, was er redet.“
und verballhornt. Die Anfangszeile
wird oft dann zitiert, wenn scherzhaft
Über Zwirnsfäden stolpern
ausgedrückt werden soll, daß es irgend¬
wo sehr langweilig ist, sich nichts Auf¬ Die heute nur noch selten gebrauchte
regendes, Interessantes ereignet. Redewendung mit der Bedeutung „über
Nichtigkeiten zu Fall kommen, an etwas
Belanglosem scheitern“ geht zurück auf
Über die allmähliche Verfertigung
eine Äußerung des Fiesko in Schillers
der Gedanken beim Reden
Trauerspiel „Die Verschwörung des
Das Zitat ist der Titel eines Aufsatzes Fiesko zu Genua“ aus dem Jahr 1783.
von Heinrich von Kleist (1777-1811). Im 5. Auftritt des 2. Aufzugs fragt er
Er wird dort auf die Gewinnung von Er¬ rhetorisch voll Verachtung für das Volk,
kenntnis durch diskursives Meditieren dem er nichts wirklich zutraut: „Der
bezogen, was bedeutet, daß man sich blinde, unbeholfene Koloß, der mit
über seine zunächst noch verworrenen plumpen Knochen anfangs Gepolter
Vorstellungen klar werden soll, indem macht. Hohes und Niedres, Nahes und
man sie jemandem vorträgt. Heute ver¬ Fernes mit gähnendem Rachen zu ver¬
wendet man das Zitat, um ganz allge¬ schlingen droht, und zuletzt - über
mein auszudrücken, daß man oft erst Zwirnsfäden stolpert?“
beim Reden seine Gedanken entwickelt.

Überall ist Wunderland


Über diese Antwort des Kandida¬
ten Jobses geschah allgemeines Diese Feststellung trifft der Schriftstel¬
ler Joachim Ringelnatz (1883-1934) in
Schütteln des Kopfes
einem seiner skurrilen Gedichte mit
Wenn jemandes Äußerung bei andern
dem Titel „Überall“. Es beginnt: „Über¬
auf Unverständnis stößt, lassen sich die¬ all ist Wunderland./Überall ist Leben./
se kehrreimartig wiederkehrenden Ver¬
Bei meiner Tante im Strumpfenband/
se (in Teil I, Kapitel 19) aus dem komi¬
Wie irgendwo daneben.“ - Das Zitat
schen Heldengedicht „Leben, Meinun¬
kann als Aufforderung verstanden wer¬
gen und Thaten des Kandidaten Hiero¬
den, auch in alltäglichen Dingen das Be¬
nymus Jobs“ (1784) von Karl Arnold
sondere zu erkennen, das Staunen über
Kartum (1745-1824) zitieren. In der Sa¬
die uns umgebende Welt nicht zu verler¬
tire lösen die seltsamen Antworten des
nen.
Kandidaten der Theologie das Kopf¬
schütteln seiner Prüfer aus. Wilhelm
Busch hat das Werk 1872 unter dem Ti¬ Überlebensgroß Herr Krott
tel „Bilder zur Jobsiade“ in einer ge¬ Dies ist der Titel eines dramatischen
kürzten, teilweise neu gedichteten und Werks des deutschen Schriftstellers
illustrierten Fassung veröffentlicht und Martin Walser (* 1927). Der sehr popu-

432
Teil I um

lär gewordene Titel läßt sich, auch in Ubi bene, ibi patria
Abwandlung des Namens, auf einen Der lateinische Vers (deutsch: „Wo es
Menschen beziehen, der durch sein mit gutgeht, da ist mein Vaterland“) ist
übermäßig ausgeprägtes Selbstbewußt¬ nach einer Stelle aus Marcus Tullius Ci-
sein eine kritische Einstellung seiner ceros (106-43 v. Chr.) „Gesprächen in
Mitmenschen herausfordert. Tusculum" (V,37) gebildet: Patria est,
ubicumque est bene. Cicero übernahm
das Zitat aus dem Drama „Teucer“ des
Überm Sternenzelt muß ein lieber
römischen Tragikers Marcus Pacuvius
Vater wohnen (220-um 130 v. Chr.). Letztlich geht die
Die freudige Gewißheit, daß es einen sprichwörtliche Redensart auf den grie¬
Gott, einen Vater im Himmel gibt, hat chischen Komödiendichter Aristopha-
auch in Schillers Ode „An die Freude“ nes (vor 445-um 385 v.Chr.) zurück. In
ihren Grund in einer Hochgestimmt- „Plutos“ (1151) bittet der Götterbote
heit: in der Freude, die alle Menschen Hermes die reichgewordenen Armen,
zu Brüdern macht. Ludwig van Beetho¬ die nun nicht mehr den Göttern opfern,
ven (1770-1827) sicherte dem Gedicht um Aufnahme und benutzt dabei die
besondere Popularität, indem er etwa Sentenz als Argument. - Der heute
ein Drittel des Schillerschen Gedichtes kaum noch bekannte Dichter Friedrich
(hauptsächlich Verse aus der ersten Hückstädt (1781-1823) gab einem kos¬
Hälfte) für den Schlußchor der neunten mopolitischen Gedicht den Titel „Ubi
Sinfonie verwendete. Die erste Chor¬ bene, ibi patria“ und ließ darin auch
strophe lautet: „Seid umschlungen, Mil- jede Strophe mit dieser Zeile enden.
lionenl/Diesen Kuß der ganzen Welt!/
Brüder - überm Sternenzelt/Muß ein t Deine Uhr ist abgelaufen
lieber Vater wohnen.“
Die Uhr schlägt keinem Glückli¬
chen
Übermensch
Dem t Glücklichen schlägt keine Stunde
Dieser Begriff - obgleich schon sehr
viel früher existierend - wurde durch Ultima ratio
den deutschen Philosophen Friedrich
Der lateinische Ausdruck mit der Be¬
Nietzsche (1844-1900) zu einem
deutung „letztes, äußerstes Mittel“ wur¬
Schlagwort. Der „Übermensch“ als ein
de häufig für militärische Auseinander¬
den Durchschnittsmenschen weit über¬
setzungen nach ergebnislosen Verhand¬
ragender Menschentypus erscheint in
lungen verwendet. Die Wendung Ultima
Nietzsches Schrift „Also sprach Zara¬
ratio regum - „letztes Mittel der Köni¬
thustra“ aus dem Jahr 1883/85. Nietz¬
ge“ - geht auf den spanischen Dichter
sche postuliert darin, daß der Mensch
P. Calderön de la Barca zurück. In sei¬
etwas sei, „das überwunden werden
nem Drama „In diesem Leben ist alles
soll“. Der irische Dramatiker George
wahr und alles Lüge“ (vor 1644) ist von
Bernard Shaw (1856- 1950) hat das The¬
Pulver und Blei als Ultima razon de
ma des Übermenschen in einem Stück
reyes die Rede. Im 17. Jahrhundert war
mit dem Titel „Man and Superman“
die Wendung eine häufige Inschrift auf
(deutsch: „Mensch und Übermensch“)
französischen Kanonen. In Preußen
behandelt. Der „Superman“ als Comic¬
verwendete man sie in der abgewandel¬
figur stellt schließlich eine ins Triviale
ten Form Ultima ratio regis seit 1742.
abgewandelte Form des Übermenschen
dar. Im heutigen Sprachgebrauch ver¬
Um auf besagten Hammel zurück¬
wendet man das Wort häufiger in leicht
zukommen
abschätzigem Sinn, wenn man beispiels¬
weise angesichts eines unzumutbaren Mit dieser heute nicht mehr allzu ge¬
Ansinnens von sich sagt, man sei doch bräuchlichen Floskel fordert man dazu
kein Übermensch. auf, zum Ausgangspunkt eines Ge-

433
um Teil I

sprächs, zu einem bereits angesproche¬ les“ (1659; Szene 15: pour leurs beaux
nen Thema zurückzukehren. Die Flos¬ yeux) und im „Misanthrope“ (1666;
kel stammt aus dem Französischen, ln III,4: pour nos beaux yeux). In beiden
der berühmtesten französischen Farce Fällen wird bezweifelt, daß jemand ei¬
des Mittelalters „Maitre Pierre Patelin“ nen andern nur um seiner schönen Au¬
(entstanden etwa 1465, Verfasser unbe¬ gen willen liebt oder ihm etwas zuliebe
kannt) ist der Held ein betrügerischer tut. Die häufigste Formulierung im
Advokat, der am Ende selbst betrogen Deutschen ist: „etwas nicht um jeman¬
wird. Dabei spielen gestohlene Hammel des schöner blauer Augen willen tun“,
eine wichtige Rolle. Der Ausruf des was bedeutet: „etwas nicht aus reiner
Richters Revenons ä ces moutons!, auf Gefälligkeit tun“.
deutsch: „Kommen wir auf diese Ham¬
mel zurück!“, wurde in Frankreich in Umgang mit Menschen
der Form Revenons ä nos moutons! Die Redefloskel geht auf die 1788 er¬
(deutsch etwa: „Zurück zu unseren schienene, berühmte Schrift „Über den
Hammeln!“) zum geflügelten Wort, aus Umgang mit Menschen“ des deutschen
dem im Deutschen dann die obenge¬ Schriftstellers Freiherr Adolph von
nannte Floskel wurde. Knigge (1752-1796) zurück. Der Ver¬
fasser gab in dieser dem Geist der Auf¬
Um des Kaisers Bart streiten klärung verpflichteten Schrift seinen
Diese Redewendung wird gebraucht, Zeitgenossen Regeln für den richtigen
um auszudrücken, daß sich jemand um Umgang miteinander. Als „Knigge“ be¬
Dinge streitet, die des Streitens nicht zeichnet man danach heute ein Buch
wert sind, die sich vielleicht auch gar mit Verhaltensregeln in einem bestimm¬
nicht entscheiden lassen. Des „Kaisers ten Bereich (zum Beispiel „Knigge für
Bart“ ist vermutlich entstellt und umge¬ Autofahrer“ oder „Knigge für Woh¬
deutet aus „Geißenhaar“ (= Ziegen¬ nungssuchende“), und vom „Umgang
haar), was an die lateinische Wendung mit Menschen“ ist meist die Rede, wenn
de lana caprina rixari („um Ziegenwolle es um das angemessene Verhalten ge¬
[also eigentlich um nichts] streiten“) genüber den Mitmenschen geht.
denken läßt. Die Wendung wurde dann
auf die Streitereien von Gelehrten bezo¬ Umhergehen wie ein brüllender
gen, in denen es darum ging, ob be¬ Löwe
stimmte deutsche Kaiser einen Bart ge¬ Diese Redewendung gebraucht man,
tragen hätten. Auf diesem Hintergrund um auszudrücken, daß jemand mit gro¬
ist auch das Gedicht Emanuel Geibels ßer Lautstärke, mit Schreien und
(1815-1884) „Von des Kaisers Bart“ Schimpfen auf etwas reagiert oder auch
entstanden, in dem drei Burschen im nur, um deutlich zu machen, daß je¬
Wirtshaus darüber in Streit geraten, wel¬ mand zuviel Aufhebens von etwas
che Farbe der Bart des Kaisers Rotbart macht. Sie geht auf eine Stelle in der Bi¬
habe. Da der eine den Kaiser mit einem bel zurück. Im 1. Brief des Petrus, Kapi¬
braunen, der zweite ihn mit einem tel 5, Vers 8 heißt es bei der Ermahnung
schwarzen und der dritte ihn mit einem zur Wachsamkeit: „Seid nüchtern und
weißen Kinnschmuck gesehen haben wachet; denn euer Widersacher, der
will, wird heftig gezankt, schließlich Teufel, geht umher wie ein brüllender
zieht man sogar die Degen, und am En¬ Löwe und sucht, welchen er verschlin¬
de geht man im Zorn auseinander. Das
ge.“
Gedicht endet mit der Ermahnung:
„Zankt, wenn ihr sitzt beim Wei- TSeid umschlungen, Millionen!
ne,/Nicht um des Kaisers Bart!“
Umwertung aller Werte
Um ihrer schöner Augen willen
Der Ausdruck für eine neue, gegensätz¬
Das Zitat findet sich bei Moliere liche Bewertung bisheriger Wertvorstel¬
(1622-1673) in den „Precieuses ridicu- lungen stammt aus der Philosophie

434
Teil 1 unbewältigte

Friedrich Nietzsches (1844-1900) und und Ruh’,/Der wie ein Wassersturz von
bezieht sich dort auf die geforderte Fels zu Felsen brauste,/Begierig wütend
Ersetzung christlich-abendländischer nach dem Abgrund zu?“
Werte durch vorchristlich-archaische
Tugenden. Damit sollte in einem „Akt ... das unbekannte Wesen
höchster Selbstbesinnung der Mensch¬ Der Titel des Hauptwerkes des französi¬
heit“ der Nihilismus aus der Einsicht in schen Chirurgen, Physiologen und No¬
die mangelnde Objektivität aller bishe¬ belpreisträgers Alexis Carrel (1873 bis
rigen Sinngebung überwunden werden. 1944) L’homme, cet inconnu (deutsch
Das geplante Werk „Der Wille zur „Der Mensch, das unbekannte Wesen“)
Macht“ sollte den Untertitel „Versuch wurde in Titeln einer Aufklärungsserie
einer Umwertung aller Werte“ tragen. in den 60er Jahren des 20. Jh.s abgewan¬
delt in „Dein Kind, das unbekannte We¬
Das Unbehagen in der Kultur sen“ mit den Fortsetzungen „Deine
Diesen Titel gab der österreichische Be¬ Frau ...“ und „Dein Mann ...“ Heute
gründer der modernen Psychoanalyse, wird er mit wechselndem Subjekt in un¬
Sigmund Freud (1856-1939), einer 1930 terschiedlichen Zusammenhängen ver¬
veröffentlichten gesellschaftstheoreti¬ wendet.
schen Schrift. Er gelangt darin zur Er¬
kenntnis, daß immer mehr Menschen Ein unbeschriebenes Blatt
durch gesellschaftliche Zwänge (so ist Der Ausdruck findet sich schon bei den
„Kultur“ hier zu verstehen) daran ge¬ verschiedensten Schriftstellern der An¬
hindert werden, sich ihrem Triebleben tike und des Mittelalters. Zunächst war
ungehemmt hinzugeben und deshalb jedoch nicht von einem „unbeschriebe¬
immer mehr Aggressionen verdrängt nen Blatt“, sondern von einer „unbe¬
werden müssen. Das führt letztlich zu schriebenen Tafel“ die Rede. Gemeint
einem ständig wachsenden Schuldge¬ war eine Wachstafel, auf der durch Ein¬
fühl gegenüber der Gesellschaft, eben ritzen mit einem Stift etwas schriftlich
zum „Unbehagen in der Kultur“. Heute festgehalten werden konnte. Die Seele
wird der Titel - losgelöst von der Freud- des Menschen in ihrem ursprünglichen
schen Vorstellung - gelegentlich zitiert, Zustand wurde mit einer solchen noch
um das Gefühl der Unbehaglichkeit zu unbeschriebenen Tafel verglichen. So
bezeichnen, das sich bei vielen ange¬ beispielsweise bei Aristoteles (384-322
sichts der Folgeerscheinungen der zeit¬ v. Chr.) in seiner Schrift „Über die See¬
genössischen Kultur einstellt. le“ (111,4). Hier findet man die Erläute¬
rung: „Man muß sich das vorstellen wie
Der unbehauste Mensch bei einer Tafel, auf der noch nichts wirk¬
Dieser Ausdruck wurde in den fünfziger lich geschrieben steht.“ Plutarch (50 bis
Jahren zu einer Art Schlagwort, das den 125 n. Chr.) soll das Bild der „unbe¬
modernen Menschen in seinem Entwur¬ schriebenen Tafel“ durch das eines „un¬
zeltsein, seinem Umgetriebensein, sei¬ beschriebenen Blattes“ ersetzt haben. -
ner inneren Unausgerichtetheit charak¬ Man bezeichnet mit dem Ausdruck ei¬
terisiert. Es handelt sich dabei um den nen noch unerfahrenen Menschen oder
Titel eines 1951 erschienenen Essays des jemanden, der noch unbekannt ist, von
Schriftstellers Hans Egon Holthusen dem man nicht viel weiß. (Vergleiche
(* 1913), der als Vertreter eines christli¬ auch „Tabula rasa“.)
chen Existentialismus gilt. Es ist sicher
nicht falsch, bei der Formulierung einen
Unbewältigte Vergangenheit
Rückgriff auf Goethes Faust zu vermu¬ Der Ausdruck wurde 1955 auf einer
ten. Faust charakterisiert sich an einer Einladung zu einer Tagung der Evange¬
Stelle im Dialog mit Mephisto (Faust I, lischen Akademie Berlin (West) geprägt.
Wald und Höhle) selbst mit der Frage: Er wurde in der Folgezeit sehr häufig im
„Bin ich der Flüchtling nicht? Der Un¬ Zusammenhang mit Veranstaltungen
behauste ?/Der Unmensch ohne Zweck und Diskussionen zum Thema „Natio-

435
Teil I
Uncle

nalsozialismus“ verwendet. Heute ver¬ in, daß der Unabhängige, selbständig


steht man unter dem Ausdruck neben Denkende nach den Konsequenzen sei¬
den von einem Teil des deutschen Vol¬ nes Handelns fragt. Im Unterschied da¬
kes verdrängten Verbrechen des Natio¬ zu führt der Abhängige nur aus, was
nalsozialismus auch ganz allgemein zu¬ man von ihm verlangt, ohne nach den
rückliegende Ereignisse, die man unbe¬ Folgen zu fragen oder sich um das Gan¬
wußt seelisch verdrängt, an die man sich ze zu kümmern. In diesem Sinne werden
nicht mehr erinnern möchte. die beiden letzten Zeilen des Spruchs
auch heute zitiert.

Uncle Sam
Und aus den Wiesen steiget der
Diese scherzhafte Bezeichnung für die
weiße Nebel wunderbar
USA oder auch für „die Amerikaner“
soll auf einen Samuel Wilson aus New Diese Verse stehen am Ende der ersten
York zurückgehen. Im 2. englisch-ame¬ Strophe von Matthias Claudius’ Ge¬
rikanischen Krieg von 1812-1814 mit dicht „Abendlied“ (vergleiche auch
der Kontrolle von Fleischlieferungen an „Der Mond ist aufgegangen“). Man zi¬
die US-Armee betraut, soll er die von tiert sie gelegentlich, wenn man das ro¬
ihm geprüften Sendungen mit den mantisch-geheimnisvolle Bild von dich¬
Buchstaben U.S. (= United States) ge¬ tem Bodennebel, der sich im Herbst
kennzeichnet haben. Dies wurde dann abends über feuchten Wiesen bildet, mit
in Anlehnung an seinen Vornamen lyrischen, aber dennoch einfachen und
Samuel (Koseform Sam) als Abkürzung deshalb ergreifenden Worten beschrei¬
von Uncle Sam „Onkel Sam“ gedeutet. ben will.
Historisch belegt ist diese Entstehungs¬
geschichte allerdings nicht. Und bist du nicht willig, so brauch’
ich Gewalt
Und alles ist Dressur Das Zitat ist der 2. Vers der vorletzten
Das Zitat stammt aus der Szene „Vor Strophe aus Goethes Ballade „Erlkö¬
dem Tor“ in Goethes Faust I (1808). nig“, die zuerst in Goethes Singspiel
Faust kommt zu dem Schluß, daß der „Die Fischerin“ (1782) erschien und
ihm und Wagner folgende Pudel doch dort von der Titelheldin (Dortchen) ge¬
kein Geistwesen sei, wie er zunächst sungen wurde. Zusammen mit der vor¬
vermutet hatte, sondern nur ein ge¬ hergehenden Zeile „Ich liebe dich, mich
wöhnliches Tier: „Du hast wohl recht; reizt deine schöne Gestalt“ ist der Vers
ich finde nicht die Spur/Von einem die letzte Aufforderung des Erlkönigs
Geist, und alles ist Dressur“. Man kann an den Knaben im Arm des Vaters, mit
sich mit dem Zitat abwertend auf ein ihm zu gehen. Die Ballade wurde von
Verhalten beziehen, das man als nur an¬ Franz Schubert und Carl Loewe ver¬
dressiert und deshalb als unecht, gekün¬ tont. - Scherzhaft wird das Zitat ver¬
stelt ansieht. Auch das reine Auswen¬ wendet, wenn man Schwierigkeiten bei
diglernen von Lehrstoff ohne echtes bestimmten Handgriffen hat, sich z. B.
Verständnis für die Inhalte kann so cha¬ etwas nicht öffnen oder schließen lassen
rakterisiert werden. will.

Und also unterscheidet sich der Und dann schleich’ ich still und
Freie von dem Knecht leise immer an der Wand lang
Unter der Überschrift „Sprüche“ findet So beginnt der Kehrreim eines populä¬
sich im ersten Band von Theodor ren Liedes aus dem Jahr 1907, dessen
Storms (1817-1888) Werken als erster Text von Hermann Frey (1876-1950)
Spruch: „Der eine fragt: Was kommt stammt und dessen Melodie von Walter
danach?/Der andre fragt nur: Ist es Kollo (1878-1940) geschrieben wurde.
recht?/Und also unterscheidet sich/Der Der Refrain beschreibt, wie der betrun¬
Freie von dem Knecht.“ Er bezeugt dar¬ kene Zecher seinen Heimweg findet:

436
Teil I und

„Und dann schleich’ ich still und leise/ Und der Himmel hängt voller Gei¬
Immer an der Wand lang,/Immer an der gen
Wand lang,/Immer an der Wand,/An
Mit diesen Worten schwärmt im 2. Akt
der Wand entlang." Vor allem der Aus¬
der Operette „Der liebe Augustin“ von
druck „Immer an der Wand lang“ wird
Leo Fall (1873-1925; Text: Rudolf Ber-
umgangssprachlich-scherzhaft zitiert,
nauer und Ernst Welisch) der Klavier¬
wenn man sich möglichst unauffällig
lehrer Augustin Hofer von einem Lokal,
durch eine Straße, einen Korridor o. ä.
das er in Wien zusammen mit seiner von
bewegen will.
ihm angebeteten Schülerin Prinzessin
Helene eröffnen will. Zugrunde liegt
Und das hat mit ihrem Singen die eine schon seit dem 16. Jahrhundert
Lorelei getan verbreitete Redensart, mit der zum Aus¬
druck gebracht wird, daß jemand sich
Das Zitat, mit dem man scherzhaft oder
ironisch auf die männliche Verführbar¬ äußerst glücklich fühlt und die Zukunft
durch nichts Unerfreuliches getrübt
keit anspielt, ist der Schluß des zweiten
sieht. Die Vorstellung geht wahrschein¬
Gedichts im Abschnitt „Die Heimkehr"
lich auf Gemälde der späten Gotik oder
aus Heinrich Heines (1797-1856)
der Frührenaissance zurück, auf denen
„Buch der Lieder“. Das Gedicht be¬
der Himmel mit musizierenden Engeln
ginnt mit den bekannten Versen „Ich
belebt dargestellt war.
weiß nicht, was soll es bedeuten,/Daß
ich so traurig bin;/Ein Märchen aus
alten Zeiten,/Das kommt mir nicht aus Und der wilde Knabe brach ’s Rös-
dem Sinn.“ Die Verse, die sich auf das lein auf der Heiden
Märchen von der Lorelei beziehen, sind
So lauten die ersten beiden Zeilen der
durch Friedrich Silchers Vertonung
Schlußstrophe von Goethes Gedicht
(1838) volkstümlich geworden. Clemens
„Heidenröslein“, das 1771 in Straßburg
Brentano hatte in seiner Ballade „Lore
in der Zeit seiner Liebe zu Friederike
Lay“ (1799) die rheinische Sagengestalt
Brion entstand und mehrfach vertont
erfunden, die vom Rheinfelsen aus die
wurde; 1809 von Johann Friedrich Rei-
Schiffer ins Verderben'lockt.
chardt, 1815 von Franz Schubert, 1849
von Robert Schumann. Volksliedcha¬
Und das Unglück schreitet schnell rakter erhielt es durch die Vertonung
1 Doch mit des Geschickes Mächten ist von H. Werner aus dem Jahr 1827. Die
kein ew’ger Bund zu flechten zitierten Verse beleuchten wie das ganze
Gedicht die Liebe aus der Sicht des ver¬
lassenen Mädchens. Zugrunde liegt ein
Und der Haifisch, der hat Zähne neunstrophiges Volkslied des 16. Jahr¬
Mit dieser Zeile beginnt die „Moritat hunderts, das Goethe in der Sammlung
von Mackie Messer“, der populärste des Paul von der Beist (1602) bei Herder
Song aus der 1928 in Berlin uraufge- kennengelernt hatte und aus dem er ein¬
führten „Dreigroschenoper“ von Ber¬ zelne Verszeilen benutzte.
tolt Brecht (1898-1956), Musik von
Kurt Weill (1900-1950). Diese Moritat
Und die Größe ist gefährlich und
ist der Eröffnungssong, und so klingt
gleich mit den ersten Worten der Oper der Ruhm ein leeres Spiel
im Bild vom Haifisch eines der Haupt¬ Das Zitat stammt aus dem 1834 uraufge-
themen des ganzen Werks an, nämlich führten dramatischen Märchen „Der
das der skrupellosen Geschäftemache¬ Traum ein Leben“ von Franz Grillpar¬
rei und der rücksichtslosen Machtaus¬ zer (1791-1872). Im 4. Akt erkennt Ru-
übung. Die Zeile ist, wie manche andere stan, der Held des Stücks, die Gefahren
aus den Songs der „Dreigroschenoper“, und Verstrickungen eines Strebens nach
in den allgemeinen Sprachgebrauch Ruhm und Größe, die er in seinem
übergegangen. Traum durchlebt hat. Dankbar wendet

437
Teil I
und

er sich jetzt seiner Welt zu, aus der er Und die Sonne Homers, siehe! Sie
hatte ausbrechen wollen: „Eines nur ist lächelt auch uns
Glück hienieden,/Eins: des Innern stil¬ So lautet der Schlußvers von Schillers
ler Frieden/Und die schuldbefreite Gedicht „Der Spaziergang“, das 1795
Brustl/Und die Größe ist gefährlich/ unter dem Titel „Elegie“ in den „Ho¬
Und der Ruhm ein leeres Spiel ;/Was er ren“ erschien. Der erste Teil schildert
gibt, sind nicht’ge Schatten,/Was er die Schönheit der einfachen, unver¬
nimmt, es ist so viel!“ - Man verwendet fälschten Natur während eines Morgen¬
das Zitat als warnenden Hinweis dar¬ spaziergangs; im zweiten Teil wird - in
auf, daß Ruhm und Popularität oft teuer der Phantasie des Dichters - die Ent¬
mit dem Verlust des wirklichen Lebens¬ wicklung des Menschen zu immer höhe¬
glücks und der inneren Zufriedenheit rer Kultur beschrieben, was letztlich
bezahlt werden müssen. aber zu sittlichem Verfall und Revoluti¬
on führt. Der dritte Teil kehrt zur wirkli¬
chen Umgebung zurück, und am Ende
Und die Moral von der Geschieht’ wird dann die Kontinuität und die Grö¬
Allzu wild gebärden sich die Brüder ße der Natur dem Wechsel der Genera¬
Franz und Fritz beim gemeinsamen Bad tionen und Kulturen als ruhender Pol
in der Wanne in der Bildergeschichte gegenübergestellt: „Unter demselben
„Das Bad am Samstagabend“ von Wil¬ Blau, über dem nämlichen Grün/Wan¬
helm Busch (1832-1908). Schließlich deln die nahen und wandeln vereint die
kippt die Wanne samt Wasser und Kin¬ fernen Geschlechter,/Und die Sonne
dern um, so daß dem zu spät herbeiei¬ Homers, siehe! Sie lächelt auch uns.“
lenden Kindermädchen, der „alten, bra¬
ven Lene“, nur die Erkenntnis bleibt:
„Und die Moral von der Ge¬ Und doch, welch Glück, geliebt zu
schieht’:/Bad zwei in einer Wanne
werden!
nicht!“ Die erste Hälfte dieses Schluß-
verses wird häufig zitiert, wenn man - Diese Zeile bildet mit der folgenden
oftmals mit Schadenfreude - auf die „Und lieben, Götter, welch ein Glück!“
Lehre hinweisen will, die jemand aus et¬ den Schluß des an Friederike Brion ge¬
was ziehen mußte. Der Vers wird dabei richteten Gedichtes „Willkommen und
dann meist mehr oder weniger holprig Abschied“ aus Goethes Straßburger
in Schüttelreimart entsprechend der je¬ Zeit. Trotz des aufwühlenden Ab¬
weiligen Situation ergänzt. schiedsschmerzes, wie er in der letzten
Strophe geschildert wird, setzt der Lob¬
preis der Liebe - ähnlich wie in dem
Und die Mutter blicket stumm auf späteren Gedicht „Rastlose Liebe“ und
dem ganzen Tisch herum in Klärchens Lied „Freudvoll und leid¬
voll“ aus „Egmont“ - den markanten
Diese Verse stammen aus der Geschich¬
Schlußpunkt.
te vom „Zappelphilipp“ in dem bekann¬
ten Kinderbuch des Frankfurter Arztes
und Schriftstellers Heinrich Hoffmann
(1809-1894). Sie schildern die fassungs¬
Und drinnen waltet die züchtige
los auf den leeren Tisch blickende Mut¬ Hausfrau
ter, nachdem der hin und her zappelnde Mit diesem heute nur noch scherzhaft
Philipp mit seinem Stuhl umgekippt ist oder ironisch (gelegentlich auch in der
und dabei das Tischtuch mit Geschirr abgewandelten Form „Und drinnen
und Speisen heruntergerissen hat. Man waltet der züchtige Hausmann“) ge¬
verwendet das Zitat heute allgemein, brauchten Zitat aus Schillers „Lied von
wenn man jemanden charakterisieren der Glocke“ wird die traditionelle Rol¬
will, dem etwas die Sprache verschlagen lenverteilung in der Ehe angesprochen.
hat und der konsterniert dasteht und um (Vergleiche auch „Der Mann muß hin¬
sich schaut. aus ins feindliche Leben“.)

438
Teil I und

Und ein Narr wartet auf Antwort Und führe uns nicht in Versuchung
Dies ist die Schlußzeile des Gedichts Das Zitat ist die 6. Bitte des Vaterunsers.
„Fragen“ aus dem 2. Zyklus der „Nord¬ Es wird - oft auch scherzhaft - verwen¬
see“ (1825/26) von Heinrich Heine det, wenn jemand in einer bestimmten
(1797-1856). Sie drückt zusammen mit Situation in Versuchung geraten könnte,
den drei vorhergehenden Versen - „Es etwas Unrechtes oder Unerlaubtes zu
murmeln die Wogen ihr ew’ges Gemur¬ tun. Unter diesem Titel wurde 1957
mel,/Es wehet der Wind, es fliehen die Ödön von Horvaths Bühnenstück „Der
Wolken,/Es blinken die Sterne gleich¬ jüngste Tag“ von Rolf Hansen verfilmt.
gültig und kalt“ - die Gleichgültigkeit Eine in der Umgangssprache gebräuch¬
der Natur gegenüber den Sinnfragen liche scherzhafte Abwandlung des Zi¬
des „Jüngling-Mannes“ an die Meeres¬ tats lautet: „Und suche uns nicht in der
wogen aus. Man kann das Zitat zum Unterführung“.
Beispiel in Situationen verwenden, in
denen es auf eine Frage keine Antwort
geben kann oder in denen die Antwort Und führen, wohin du nicht willst
so selbstverständlich ist, daß nur ein Im Johannesevangelium (21,18) spricht
Narr noch darauf wartet, sie ausdrück¬ der auferstandene Jesus zu Petrus diese
lich gesagt zu bekommen. Worte. Es heißt an der Stelle: „... wenn
du aber alt wirst, wirst du deine Hände
ausstrecken, und ein anderer wird dich
Und es wallet und siedet und brau¬
gürten und führen, wohin du nicht
set und zischt
willst.“ Das Bibelwort wurde besonders
Das scherzhaft zur Beschreibung von dadurch populär, daß es der evangeli¬
sehr stark kochendem Wasser verwen¬ sche Theologe Helmut Gollwitzer
dete Zitat ist die 1. Zeile der 6. Strophe (* 1908) zum Titel eines seiner Bücher
aus Schillers Ballade „Der Taucher“. In machte, eines Berichts über seine russi¬
diesem und den anschließenden Versen sche Gefangenschaft (1951). Es wird
wird das Meer geschildert, in dem ein seither immer wieder und durchaus
Wagemutiger nach dem vom König hin¬ auch in profanen Zusammenhängen zi¬
abgeworfenen goldenen Becher tauchen tiert, wenn jemand gezwungen ist, etwas
soll: „Und es wallet und siedet und zu tun, was ihm widerstrebt.
brauset und zischt,/Wie wenn Wasser
mit Feuer sich mengt,/Bis zum Himmel
spritzet der dampfende Gischt,/Und Und hinter ihm, in wesenlosem
Flut auf Flut ohn’ Ende sich Scheine, lag, was uns alle bändigt,
drängt,/Und will sich nimmer schöpfen das Gemeine
und leeren,/Als wollte das Meer noch Diese Verse bilden den Schluß der 4.
ein Meer gebären.“ Strophe des Goetheschen Gedichts
„Epilog auf Schillers ,Glocke'", das bei
Und euer himmlischer Vater nährt der Gedenkfeier für Schiller am 10. 8.
sie doch 1805 in Bad Lauchstädt bei Weimar vor¬
getragen wurde. Goethe beschwört dar¬
t Sie säen nicht, sie ernten nicht
in das Bild des verstorbenen Freundes.
Die Strophe beginnt mit dem Ausruf:
Und ewig singen die Wälder „Denn er war unser!“ und fährt fort:
Das seit dem Waldsterben eher ironisch „Mag das stolze Wort/Den lauten
verwendete Zitat ist der Titel - im nor¬ Schmerz gewaltig übertönen!“ Das Zi¬
wegischen Original Og bakom synger tat, am Schluß der Strophe, charakteri¬
skogene - eines Romans von Trygve siert Schiller als den Idealisten, den sein
Gulbranssen (1894-1962) nach der Art freier Geist über das „Alltägliche“, das
der isländischen Familiensagas. 1959 „Gemeine“ hinaushob. - Das Zitat läßt
entstand die österreichische Verfilmung sich auch heute in ähnlicher Weise auf
von Paul May. einen Menschen beziehen.

439
und Teil I

Und immer lockt das Weib fer“, eingesetzt. Der Slogan wurde da¬
mals schnell populär, die Art seiner For¬
Dieser emotionale Hinweis auf stets
mulierung hat sich bis heute gehalten
wirksame weibliche Verführungskünste
und wird in Übertragungen unter¬
zitiert den deutschen Titel des französi¬
schiedlichster Art immer wieder ange¬
schen Films Et Dieu crea la femme -
wandt. Scherzhaft könnte so beispiels¬
eigentlich „Und Gott schuf das Weib“ -
weise jemand im Hinblick auf einen
von Roger Vadim aus dem Jahr 1956.
reichlich Alkohol konsumierenden
Und jedem Anfang wohnt ein Zau¬ Menschen, aber auch auf einen viel
ber inne Kraftstoff verbrauchenden Motor sa¬
gen: „Er säuft und säuft und säuft.“
Das Zitat, das dem sprichwörtlichen
„Aller Anfang ist schwer“ gegenüberge¬
stellt werden kann, bildet zusammen mit
Und munter fördert er die Schritte
der anschließenden Zeile „Der uns be¬
Das Zitat ist die erste Zeile der vierten
schützt und der uns hilft zu leben“ den
Schluß des ersten Strophengebildes von Strophe von Schillers Ballade „Die Kra¬
Hermann Hesses (1877-1962) Gedicht niche des Ibykus“. Die Zeile bezieht
„Stufen“. Dessen Thema ist der zweifa¬ sich auf den Dichter Ibykus, der zu den
che Inhalt jeder Lebensstufe: Abschied Isthmischen Spielen eilt, die im antiken
und Neubeginn in einem. Griechenland auf der Landenge von
Korinth alle zwei Jahre zu Ehren des
... und kein bißchen weise Gottes Poseidon gefeiert wurden. Man
Mit der durch eine Altersangabe ergänz¬ zitiert den Vers - meist scherzhaft
ten Formulierung weist man scherzhaft wenn man jemandes zielgerichtetes,
auf jemandes reifere Jahre hin, denen rasches (oder sich beschleunigendes)
zum Trotz die betreffende Person immer Gehen beschreiben möchte.
noch nicht weise geworden ist, sich zu¬
gleich aber auch ihre Jugendlichkeit er¬
Und muß ich so dich wiederfin¬
halten hat. Das Zitat geht auf das Chan¬
den?
son „60 Jahre und kein bißchen weise“
zurück, das der Schauspieler Curd Diese Worte ruft in Schillers Ballade
Jürgens (1915-1982) 1975 sang; 1976 „Die Kraniche des Ibykus“ (7. Strophe)
erschienen seine Memoiren unter dem entsetzt der Gastfreund des auf der Rei¬
Titel „Und kein bißchen weise“. Den se ermordeten Dichters Ibykus aus:
Text des Liedes schrieb M. Frances; die „Und muß ich so dich wiederfin¬
Melodie stammt von H. Hammer- den,/Und hoffte mit der Fichte Kranz/
schmid. Des Sängers Schläfe zu umwinden,/Be-
strahlt von seines Ruhmes Glanz!“ In
... und kein Ende scherzhaftem Ton gibt man mit dem Zi¬
Die Formulierung drückt im Zusam¬ tat seiner Verwunderung über jemandes
menhang mit einem voranstehenden Be¬ Veränderung Ausdruck.
griff aus, daß es in der betreffenden Sa¬
che kein Ende gibt, daß es damit nicht
aufhören will. Der bereits früher, u.a. Und noch zehn Minuten bis Buffa¬
bei Lessing gebräuchliche Ausdruck er¬ lo
langte vielleicht durch Goethes Aufsatz Die Zeitangabe bezieht sich in Theodor
„Shakespeare und kein Ende“ aus dem Fontanes (1819-1898) Ballade „John
Jahr 1815 weitere Verbreitung. Maynard“ auf das brennende Schiff,
das schließlich noch zehn Minuten bis
Und läuft und läuft und läuft...
zum rettenden Strand von Buffalo
Im Jahr 1962 wurde dieser Werbeslogan braucht. Das Zitat wird heute leicht
geprägt und von dem Automobilunter¬ scherzhaft verwendet, und zwar im Sin¬
nehmen Volkswagenwerk für das Volks¬ ne von „nur noch wenige Minuten, dann
wagenmodell, den sogenannten „Kä¬ ist es geschafft“.

440
Teil I und

Und sagte kein einziges Wort tet“ wird, ln eher scherzhafter Aus¬
Dieser scherzhaft-ironische Kommen¬ drucksweise kann das Zitat auch die Be¬
tar, wenn jemand sich nicht zu etwas äu¬ obachtung kommentieren, daß jemand
oder eine Institution überraschender¬
ßert oder überhaupt nicht reden will, zi¬
tiert den Titel eines Romans von Hein¬ weise aktiv wird, einen bisher unnach¬
giebig vertretenen Standpunkt aufgibt.
rich Böll (1917-1985). Der Romantitel
mit seiner Wiederaufnahme im 4. Kapi¬
tel - und er sagte kein einziges Und sieht sich stumm rings um
Wort“ - gilt der männlichen Hauptfigur Diese Zeile stammt aus Schillers Balla¬
Fred Bogner. Am Schluß des Romans de „Der Handschuh“ (1797). Man kom¬
erkennt er die Notwendigkeit, zu seiner mentiert damit scherzhaft Situationen,
Familie zurückzukehren und seine bis¬ in denen jemand - verblüfft oder leicht
herige Haltung aufzugeben, indem er verwirrt, desorientiert - wortlos umher¬
gelobt: „... eines Tages werde ich spre¬ blickt, ohne das wahrzunehmen, was er
chen.“ sucht oder was er eigentlich wahrneh¬
men sollte. Im Gedicht wird so das Ver¬
Und setzet ihr nicht das Leben ein, halten des Löwen beschrieben, der aus
nie wird euch das Leben gewonnen dem Zwinger in die Arena tritt: „Auf tut
sich der weite Zwinger,/Und hinein mit
sein
bedächtigem Schritt/Ein Löwe tritt;/
Das Zitat steht am Schluß des Chorlie¬
Und sieht sich stumm/Rings um/Mit
des „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd,
langem Gähnen/Und schüttelt die Mäh¬
aufs Pferd“, mit dem der erste Teil des
nen/Und streckt die Glieder/Und legt
Schillerschen Dramas „Wallenstein“,
sich nieder.“
„Wallensteins Lager“, endet. Die Verse
bringen dort das Lebensgefühl der Sol¬
Und so kommt zum guten Ende
daten zum Ausdruck, die für das wahre,
das freie Leben Todesgefahren in Kauf
alles unter einen Hut
nehmen. Man zitiert sie heute auch als Dieser Vers ist der Anfang der ersten
Aufforderung zur Zivilcourage, zur ge¬ von drei Strophen, die Bertolt Brecht
waltlosen Auflehnung gegen Unrecht 1930 dem Drehbuch für die Filmfassung
oder Unterdrückung. seiner „Dreigroschenoper“ (uraufge-
führt 1928) hinzufügte. Im „Dreigro¬
schenfilm“ erkennen Polizeichef
Und sie bewegt sich doch!
Brown, der Bettlerkönig Peachum und
Der italienische Mathematiker, Philo¬
der zum Bankier avancierte Macheath
soph und Physiker Galileo Galilei
ihren gemeinsamen Feind - die aufge¬
(1564-1642) hatte 1632 ein Werk veröf¬
wiegelte Masse, die soziale Gerechtig¬
fentlicht, in dem er sich für die koperni- keit fordert und damit die einträglichen
kanische Lehre aussprach, die die Son¬
Geschäfte der drei gefährdet - und
ne und nicht die Erde als Mittelpunkt
kommen ganz schnell „unter einen
der Welt ansah. Das Buch wurde auf
Hut“. Wie es auch heute noch zu so
kirchlichen Befehl eingezogen, Galilei manchem überraschenden guten Ende
vor die Inquisition zitiert. Am 22.6. 1633 kommen kann, erklären die letzten Ver¬
schwor er seinem „Irrtum“ ab. Legende
se der ersten Strophe: „Ist das nötige
ist aber der Ausspruch „Und sie (= die Geld vorhanden,/Ist das Ende meistens
Erde) bewegt sich doch!“ (italienisch
gut.“
Eppur si muove), von dem in einer fran¬
zösischen Quelle des 18. Jahrhunderts
Und unsern kranken Nachbar
berichtet wird. Zitiert wird das Wort,
wenn nachdrücklich festgestellt werden
auch!
soll, daß etwas in Wirklichkeit in völli¬ So lautet die letzte Zeile aus dem Ge¬
gem Gegensatz zu dem steht, was als dicht „Abendlied“ von Matthias Clau¬
Norm zu gelten hat und aus Opportuni¬ dius (1740-1815), mit der ein Mit¬
tätsgründen von manchen „nachgebe¬ mensch, dem es nicht gutgeht, in das

441
und Teil I

Gebet „Verschon uns, Gott, mit Strafen/ Und wenn der ganze Schnee ver¬
Und laß uns ruhig schlafen“ einbezogen brennt
wird. Das Zitat wird heute scherzhaft
Diese Redensart ist durch die letzten
gebraucht, wenn jemand in irgendeiner
Worte des alten Hilse am Ende des
Weise bei etwas mit bedacht werden 5. Aktes von Gerhart Hauptmanns
soll. (1862-1946) Drama „Die Weber“ be¬
sonders bekannt geworden. Der über
Und ward nicht mehr gesehn den Aufstand entsetzte einarmige We¬
Diese letzte Zeile aus Goethes Ballade bermeister arbeitet weiter an dem Platz,
„Der Fischer“ gebraucht man scherz¬ an den er sich von Gott gestellt fühlt:
haft, um das Verschwundensein eines „Hie bleiben mer sitzen und tun, was
Gegenstands oder einer Person zu kom¬ mer schuldig sein, und wenn d’r ganze
mentieren. Das Gedicht wurde unter an¬ Schnee verbrennt“. Daraus wurde eine
derem durch seine Vertonung von Franz umgangssprachlich scherzhafte Redens¬
Schubert aus dem Jahr 1815 bekannt. art im Sinne von „Wir lassen uns nicht
(Siehe auch „Halb zog sie ihn, halb sank entmutigen, was immer auch geschehen
er hin“.) mag“. Im Hinblick auf das Ende des Al¬
ten, der am Webstuhl von einer verirrten
Und was die innere Stimme Kugel getroffen wird, ergänzt man das
spricht, das täuscht die hoffende Zitat öfter volkstümlich-parodistisch
Seele nicht durch „Die Asche bleibt uns doch.“
Die beiden Schlußverse aus Schillers
Gedicht „Hoffnung“ ziehen das Resü¬ Und wenn der Mensch in seiner
mee, daß die Hoffnung, selbst am Grabe Qual verstummt, gab mir ein Gott
noch, „kein leerer, schmeichelnder zu sagen, was ich leide
Wahn“ ist, denn „Im Herzen kündet es
Die beiden Verse aus dem Munde Tas-
laut sich an:/Zu was Besserm sind wir
sos im fünften Akt des gleichnamigen
geboren.“ In weniger gewichtigem Zu¬
Goetheschen Dramas setzte Goethe
sammenhang läßt sich das Zitat verwen¬
auch als Motto über seine sogenannte
den, wenn man seiner inneren Stimme
„Marienbader Elegie“. Dieses Gedicht
gefolgt ist und einen seine Hoffnung
entstand 1823 unmittelbar nach der
nicht getrogen hat.
Trennung des Dichters von Ulrike von
Levetzow. Goethe verarbeitete in dem
Und was kein Verstand der Ver¬
Gedicht seinen Schmerz über die uner¬
ständigen sieht füllt gebliebene Liebe zu der sehr viel
t Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt jüngeren Frau, die ihm bei seinem Auf¬
enthalt in Marienbad begegnet war. In
Und weil der Mensch ein Mensch dem Motto drückt sich aus, was sein
ist, drum will er was zu essen, bitte Künstlertum dem Dichter ermöglicht,
sehr! daß er nämlich seinem Schmerz in ei¬
Die beiden Verse stehen am Anfang des nem Kunstwerk Gestalt geben und ihn
„Einheitsfrontlied“ überschriebenen so überwinden kann.
Gedichts von Bertolt Brecht (1898 bis
1956), das zu den sogenannten „Svend- Und wenn die Welt voll Teufel wär
borger Gedichten“ aus dem Jahr 1939 So beginnt die dritte Strophe von Mar¬
gehört. - In scherzhafter Weise kann tin Luthers (1483-1546) bekanntem
man mit dem Zitat zum Ausdruck brin¬ Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser
gen, daß man hungrig ist. Eine ernsthaf¬ Gott“: „Und wenn die Welt voll Teufel
tere Verwendung, bei der auch nur die wär/und wollt uns gar verschlingen,/so
erste der beiden Zeilen zitiert werden fürchten wir uns nicht so sehr, -/es soll
kann, weist mahnend auf die Grundbe¬ uns doch gelingen.“ Das Lied, als Aus¬
dürfnisse des Menschen hin, die ihm druck unerschütterlicher Glaubensge¬
nicht verweigert werden dürfen. wißheit, wird besonders am Reforma-

442
Teil I Unfähigkeit

tionsfest gesungen. - Als Zitat ist die Die Geschichte spielt im Land „Phan¬
Liedzeile Ausdruck der Unerschrocken¬ tasien“, das der kindliche Held durch
heit, mit der man sich einer schwierigen die Lektüre eines gestohlenen Buches
Situation zu stellen bereit ist. betritt und mit seAen Vorstellungen
und Wünschen neu erschafft. Dieser
Und wenn sie nicht gestorben sind, Vorgang ist die „Unendliche Geschich¬
so leben sie noch heute te“, die ein Leser durch seine handelnde
Phantasie jeweils wieder bis zu einem
Diese Worte gelten als die klassische
Buch erweitern könnte, so daß die Ge¬
Schlußformel von Märchen. Sie findet
schichte sich letztlich ohne Ende fort¬
sich zum Beispiel im „Fundevogel“ in
setzt.
der Grimmschen Märchensammlung.
Von den glücklich der Hexe entronne¬
t Willst du ins Unendliche schrei¬
nen Kindern heißt es dort: „Da gingen
ten, geh nur im Endlichen nach
die Kinder zusammen nach Haus und
waren herzlich froh; und wenn sie nicht
allen Seiten
gestorben sind, leben sie noch.“ Die
Die unerträgliche Leichtigkeit des
Formel zitiert man z. B., um scherzhaft
Seins
oder sarkastisch darauf hinzuweisen,
daß man etwas gerade Gehörtes oder Bei dieser Formulierung handelt es sich
Gelesenes für äußerst unwahrscheinlich um den deutschen Titel (1984) eines Lie¬
oder für frei erfunden hält. besromans des tschechischen Schrift¬
stellers Milan Kundera. Das Buch er¬
Und willst du nicht mein Bruder schien 1984 zuerst auf französisch -
L'insoutenable legerele de l’etre -, 1985
sein, so schlag’ ich dir den Schädel
auch auf tschechisch - Nesnesitelnä leh-
ein
kosl byti. Unerträglich ist die Leichtig¬
Dieser im Revolutionsjahr 1848 im keit des menschlichen Seins, weil ein
Volksmund oft gebrauchte Spottvers ist Menschenleben kein Gewicht hat und
angelehnt an das in der Französischen wie Staub verfliegt. Der Roman erlangte
Revolution entstandene, den Jakobi¬ zusätzliche Popularität durch den
nern zugeschriebene Wort La fraternite gleichnamigen Film - im amerikani¬
ou la mort!, zu deutsch „Brüderlichkeit schen Original The Unbearable Light-
oder Tod!“ Fürst Bernhard von Bülow ness of Being - von Ph. Kaufman aus
(1849-1929), Reichskanzler unter Wil¬ dem Jahr 1987. Bei der Verwendung des
helm II., hat den Vers 1903 in einer Rede Zitats bleibt das Moment des Unerträg¬
während einer Auseinandersetzung im lichen eher außer acht; im Vordergrund
Reichstag verwendet und ihm dadurch steht die leichte Lebensart.
zu neuer Popularität verholfen. Er wur¬
de in der Folgezeit immer wieder zur Die Unfähigkeit zu trauern
Kennzeichnung von Situationen zitiert, Die Psychoanalytiker Alexander und
in denen nicht Argumentation und Margarete Mitscherlich veröffentlich¬
Überzeugungskraft, sondern Indoktri¬ ten 1967 eine Sammlung gesellschafts¬
nation und Gewalt eingesetzt wurden, analytischer Arbeiten unter dem Titel
um jemanden auf die eigene Seite zu „Die Unfähigkeit zu trauern. Grundla¬
ziehen. gen des kollektiven Verhaltens“. Sie set¬
zen sich darin mit dem Befund ausein¬
Unendliche Geschichte ander, daß ein Teil der deutschen Bevöl¬
Der umgangssprachliche Ausdruck für kerung nach dem Zweiten Weltkrieg die
etwas nicht enden Wollendes, sich un¬ Verbrechen des Nationalsozialismus
endlich in die Länge Ziehendes nimmt verdrängt hat, sich mit dem Unrecht aus
den Titel „Die unendliche Geschichte“ der jüngsten Vergangenheit nicht aus¬
eines Jugendromans von Michael Ende einandersetzen wollte. Das Zitat wird
auf. Das 1979 erschienene Buch wurde heute meist in vergleichbaren Zusam¬
1983 von Wolfgang Petersen verfilmt. menhängen verwendet, es konstatiert

443
ungeschriebenes Teil I

fehlendes Unrechtsbewußtsein, falsche Ein Unglück kommt selten allein


Vergangenheitsbewältigung. Die Beobachtung, die diese sprichwört¬
liche Redensart zum Ausdruck bringt,
daß Unglück oft in vielerlei Gestalt
Ungeschriebenes Gesetz
gleichzeitig über einen Menschen
Etwas Verbindliches, als Richtschnur kommt, findet man in ähnlicher Form
Geltendes, was sich eingebürgert hat, im Alten Testament ausgesprochen. So
ohne daß es je schriftlich fixiert wurde, heißt es beim Propheten Hesekiel (7,5):
bezeichnet man allgemein als „unge¬ „So spricht der Herr Herr: Siehe, es
schriebenes Gesetz“. Der Ausdruck kommt ein Unglück über das andere!“ -
kommt zum ersten Mal in einem der Ge¬ Man verwendet die Redensart auch in
setze des athenischen Staatsmannes und scherzhaft abgewandelter Form, indem
Dichters Solon (um 640-um 560 v. Chr.) man für das Wort Unglück ein anderes
vor. Der Begriff wurde von den Grie¬ beziehungsreiches Wort einsetzt.
chen in der Antike oft angeführt, so bei
Platon, Thukydides und Aristoteles.
Und das Unglück schreitet schnell
t Doch mit des Geschickes Mächten ist
Ein ungläubiger Thomas kein ew’ger Bund zu flechten
Man nennt jemanden einen „ungläubi¬
gen Thomas“, der grundsätzlich oder Unglücklich das Land, das Helden
auch nur in einer bestimmten Situation nötig hat!
etwas nicht glauben will, der hartnäckig
Dieser Satz stammt aus Bertolt Brechts
bei seinem Zweifel bleibt, der schwer zu
(1898-1956) Theaterstück „Leben des
überzeugen ist. - Der Ausdruck hat sei¬
Galilei“ (13. Szene). Nachdem sich Ga¬
nen Ursprung im Johannesevangelium
lilei der Inquisition gebeugt und seine
des Neuen Testaments. Hier wird (Jo¬
Antithese zum aristotelischen Weltbild
hannes 20,24-27) von der Erscheinung
widerrufen hat, kann sein Schüler An¬
Jesu im Kreis der Jünger berichtet:
drea Sarti seine Erschütterung nicht ver¬
„Thomas aber... war nicht bei ihnen, als
bergen und sagt: „Unglücklich das
Jesus kam. Da sagten die anderen Jün¬
Land, das keine Helden hat!“ Dem hält
ger zu ihm: Wir haben den Herrn gese¬
Galilei seine Überzeugung entgegen:
hen. Er aber sprach zu ihnen: Es sei
„Nein. Unglücklich das Land, das Hel¬
denn, daß ich in seinen Händen sehe die
den nötig hat.“ Mit dem Zitat wird zum
Nägelmale und lege meine Hand in
Ausdruck gebracht, daß die Menschen
seine Seite, will ich’s nicht glauben.“
in einem freiheitlichen und demokrati¬
schen Land nicht auf das Heldentum
Ungleich verteilt sind des Lebens einzelner angewiesen sind, um ihre Pro¬
Güter bleme zu lösen. Es kann aber auch im
Hinblick darauf verwendet werden, daß
Das Zitat, mit dem man auf Ungerech¬
unfreie, totalitäre Staaten häufig einen
tigkeiten im Leben hinweist, entstammt
übertriebenen Heldenkult betreiben.
Schillers Trauerspiel „Die Braut von
Messina“ (1,3), wo der erste Chor die
Gerechtigkeit der Menschen und der Unheimliche Begegnung der drit¬
Natur gegenüberstellt: „Ungleich ver¬ ten Art
teilt sind des Lebens Güter/Unter der Der amerikanische Spielfilm „Unheim¬
Menschen flücht’gem Geschlecht,/Aber liche Begegnung der dritten Art“ (Origi¬
die Natur, sie ist ewig gerecht.“ naltitel: Close Encounters of the Third
Kind) von 1977 (Regie: Steven Spiel¬
berg) handelt von der Landung außer¬
t Das ist das Unglück der Könige, irdischer Wesen auf der Erde. Die frem¬
daß sie die Wahrheit nicht hören den Wesen vermitteln einigen Bürgern
wollen den Eindruck, das Leben fern der Erde

444
Teil I Unrecht

verliefe in völliger Glückseligkeit und Unordnung und frühes Leid


Harmonie. Der Filmtitel geht auf einen
Dies ist der Titel einer Erzählung von
amerikanischen Forscher zurück, der
Thomas Mann aus dem Jahr 1925. Sie
Berichte über Begegnungen mit Ufos
hat die sich in der Familie eines Ge¬
nach den darin beschriebenen Details
schichtsprofessors abspielenden Verän¬
kategorisiert hat. Bei Begegnungen der
derungen zum Gegenstand, die nur ei¬
„ersten Art“ wurden zum Beispiel elek¬
nen Reflex der Veränderungen darstel¬
tromagnetische Störungen wahrgenom¬ len, die im Zeitgeschehen ablaufen und
men, bei denen der „zweiten Art“ deute¬
die die bürgerliche Gesellschaft und ih¬
te man Flecken auf dem Erdboden als re Ordnung bedrohen. - Man verwendet
Beweise für das Erscheinen eines Ufos, das Zitat zur Charakterisierung eines
und bei Begegnungen der „dritten Art“ Leid verursachenden Zustandes von äu¬
wollen die Beobachter humanoide, also ßerer und innerer „Unordnung“, in die
menschenähnliche Wesen gesehen ha¬ besonders ein junger Mensch in seiner
ben. - Das Zitat wird meist scherzhaft Beziehung zu seiner Umwelt hineinge¬
verwendet, wenn es irgendwo zu einer raten ist.
unerwarteten Begegnung kommt oder
wenn einem etwas nicht geheuer ist.
Unrasiert und fern der Heimat
t Allzufrüh und fern der Heimat

Es ist unmöglich, von ... nicht ge¬ Unrecht Gut gedeihet nicht
fesselt zu sein
Diese sprichwörtliche Redensart hat ih¬
Diese Behauptung wird - gelegentlich ren Ursprung vermutlich in der Bibel. In
auch ironisch oder scherzhaft - aufge¬ den Sprüchen Salomos (10,2) heißt es:
stellt, wenn man fest davon überzeugt „Unrecht Gut hilft nicht; aber Gerech¬
ist, daß einfach jeder von einer be¬ tigkeit errettet vom Tode.“ Bekannt ist
stimmten Person oder Sache in Bann ge¬ die Redensart auch in der Form: „Un¬
halten, fasziniert sein muß. Sie geht auf recht Gut tut selten gut.“ Der Gedanke,
einen Werbeslogan des Goldmann-Ver¬ daß sich die unrechtmäßige Aneignung
lages (etwa 1929) zurück: „Es ist un¬ von Dingen für jemanden nicht aus¬
möglich, von Edgar Wallace nicht gefes¬ zahlt, nicht positiv auswirken kann,
selt zu sein.“ Der englische Verleger der wurde in mancherlei Abwandlungen
Kriminalromane von Edgar Wallace, der Redensart variiert, z. B.: „Unrecht
Hodden & Stoughton in London, hatte Gut hält nicht vor“, „Unrecht Gut hat
bereits nach dem Ersten Weltkrieg mit Adlersfedern“, „Unrecht Gut dauert
dem Slogan It is impossible not to be wie Butter an der Sonne“ oder auch
thrilled by Edgar Wallace geworben. „Unrecht Gut macht nicht reich“ u.ä.

Unrecht leiden schmeichelt großen


Ein unnütz Leben ist ein früher Seelen
Tod In Schillers Drama „Don Kariös“
Dieses sprichwörtlich gebrauchte Zitat (11,15) versucht der Marquis von Posa
stammt aus Goethes Schauspiel „Iphi¬ seinem Jugendfreund Kariös unter an¬
genie auf Tauris“ (1787). In der zweiten derem mit diesen Worten klarzuma¬
Szene des ersten Akts spricht Iphigenie chen, daß Kariös sich im Irrtum befun¬
diese Überzeugung gegenüber Arkas, den habe, als er glaubte, man habe ihn
dem Boten des Königs, aus. Ihr für sie beleidigt und es sei ihm großes Unrecht
„tatenloses“ Leben in der Fremde als widerfahren. Er hält ihm außerdem vor,
Priesterin der Diana erscheint ihr „nutz¬ daß er sich womöglich in der Rolle des
los“. - Das Zitat enthält den Gedanken, Beleidigten und Gekränkten gefallen
daß dem Leben, das jemandem sinnent¬ habe. Die Stelle lautet: „Du jauchztest,
leert erscheint, der lebensnotwendige der Beleidigte zu sein;/Denn Unrecht
und lebenserhaltende Antrieb fehlt. leiden schmeichelt großen Seelen.“ Das

445
uns Teil I

Zitat wird heute eher als ironisches der Rückschau auf ihr Leben angeführt.
Apercu auf jemanden gemünzt, der sich Eine verkürzende, scherzhaft-umgangs¬
und seine Fähigkeiten zu hoch ein¬ sprachliche Abwandlung des Textzu¬
schätzt und sich bei der Beurteilung sei¬ sammenhangs lautet: „Wenn’s hoch¬
ner Person durch andere nicht bestätigt kommt, ist’s köstlich gewesen“; sie wird
sieht oder sich auch von andern immer¬ meist als Kommentar eines Aufstoßens
zu angegriffen fühlt. nach reichlicher Mahlzeit verwendet.

Uns ist ganz kannibalisch wohl Unser Mann in Havanna


„Uns ist ganz kannibalisch wohl,/Als Dies ist der deutsche Titel des 1959 ge¬
wie fünfhundert Säuen!“ singt die Ge¬ drehten englischen Films Our Man in
sellschaft in Auerbachs Keller (Goethe, Havana. Das Drehbuch verfaßte Gra¬
Faust I, Auerbachs Keller), nachdem ham Greene nach seinem gleichnami¬
Mephisto ihnen durch Zauber Wein ver¬ gen satirischen Roman, dessen Held,
schafft hat. - Man zitiert gewöhnlich ein Staubsaugerhändler, als britischer
nur den ersten Vers, um seinem Wohlbe¬ Agent in Kuba agiert und von erfunde¬
hagen in einer bestimmten Situation nen Wunderwaffen zu berichten weiß.
scherzhaft Ausdruck zu geben. Die Hauptrollen spielten Alec Guinness
und Maureen O’Hara. - Man verweist
t Doch uns ist gegeben, auf keiner mit dem Zitat - auch abgewandelt mit
Stätte zu ruhn einem anderen Ortsnamen - auf jeman¬
den, der beispielsweise als Kontaktper¬
Unschuld vom Lande son oder in ähnlicher Funktion an be¬
Als „Unschuld vom Lande“ bezeichnet stimmter Stelle tätig ist.
man eine junge Frau, gelegentlich auch
einen Mann, die oder der als besonders Unser Sommer ist nur ein grün an¬
naiv, gutgläubig oder unerfahren er¬ gestrichener Winter
scheint. Man sagt auch von jemandem,
Besonders wenn ein Sommer zu regen¬
er „spiele“ die Unschuld vom Lande,
womit man umschreibt, daß er sich naiv reich oder zu sonnenarm ausgefallen ist,
oder unwissend gibt, ohne es zu sein. wird dieser Ausspruch immer wieder zi¬
Der Ausdruck, den man schon bei Goe¬ tiert. Er stammt von Heinrich Heine
the und Wieland in ähnlicher Form an¬ (1797-1856). Im dritten Teil der „Reise¬
trifft, fand durch Johann Strauß’ Ope¬ bilder“ („Reise von München nach Ge¬
rette „Die Fledermaus“ (uraufgeführt nua“) schildert Heine im Kapitel XVI
1874) weite Verbreitung. In der Operet¬ eine Szene auf dem Marktplatz von
te, deren Libretto von Carl Haffner und Trient, wo er angesichts der Fülle südli¬
Richard Genee stammt, singt Adele, das cher Früchte im Gespräch mit einer
Kammermädchen, die Ariette „Spiel ich Marktfrau die Bemerkung macht und
die Unschuld vom Lande“. hinzufügt; „... sogar die Sonne muß bei
uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn
Unser Leben währet siebzig Jahre sie sich nicht erkälten will; bei diesem
gelben Flanellsonnenschein können un¬
Im 90. Psalm, der die Überschrift „Got¬
sere Früchte nimmermehr gedeihen, sie
tes Ewigkeit, der sündigen Menschen
sehen verdrießlich und grün aus ..."
Vergänglichkeit“ trägt, trifft der Psal¬
mist die Feststellung „Unser Leben
währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch¬ t Und unsern kranken Nachbar
kommt, so sind’s achtzig Jahre, und auch
wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es
Mühe und Arbeit gewesen; denn es füh¬ Unsinn, du siegst, und ich muß
ret schnell dahin, als flögen wir da¬ untergehn!
von.“ - Das Zitat verweist auf die End¬ Dieser Stoßseufzer, der sich einem an¬
lichkeit des menschlichen Lebens. Es gesichts von Unverstand und Widersin¬
wird häufiger von alten Menschen in nigkeit im Handeln anderer entringen

446
Teil I unter

mag, gibt die Worte des sterbenden Tal¬ Neuen Testaments der Lutherbibel von
bot wieder, des Feldherrn der Englän¬ 1956 ist das Wort „Mörder“ durch
der in Schillers Tragödie „Die Jungfrau „Räuber" ersetzt worden, das sich in an¬
von Orleans“ (111,6). Er kann es nicht deren Bibelübersetzungen schon früher
als Schicksal akzeptieren, daß sich die Findet.
Engländer vom „Gaukelspiel“ der
Jungfrau besiegen lassen.
Unter Kameraden ist das ja ganz
Unsre Fahne flattert uns voran egal
Die Textzeile aus einem Lied der Hitler¬ Dieser Ausspruch stammt aus dem
Lustspiel „Krieg im Frieden“ (1881),
jugend von Baldur von Schirach wird in
das der deutsche Schriftsteller Gustav
der Umgangssprache noch gelegentlich
zitiert und spöttisch abgewandelt, um von Moser (1825-1903) zusammen mit
dem österreichischen Bühnenautor
jemandes Alkoholfahne zu beschreiben.
Franz von Schönthan (d. i. Franz
t Da unten aber ist’s fürchterlich Schönthan, Edler von Pernwald,
1849-1913) verfaßt hat. Man zitiert ihn
Unter dem Schatten deiner Flügel (gelegentlich auch mit der dem Berliner
Dialekt entnommenen Variante „... janz
Das gleichnishaft gebrauchte Bild der
ejal“), wenn man in einer bestimmten
Schutz gewährenden Flügel tritt in der
Situation andeuten will, daß man sich
Bibel mehrfach auf. In der Form dieses
unter Gleichgesinnten befindet und Be¬
Zitats wird es erstmals in Psalm 17,8
rufs- oder Standesgenossen nun einmal
verwendet. Dort heißt es: „Behüte mich
Zusammenhalten und alles sozusagen
wie einen Augapfel im Auge, beschirme
„unter sich“ ausmachen.
mich unter dem Schatten deiner Flü¬
gel.“ Das Zitat mit dem friedvolle Zu¬
versicht vermittelnden Bild wurde zum Unter Larven die einzige fühlende
Titel eines erschütternden Zeitdoku¬ Brust
ments, nämlich der 1956 veröffentlich¬ In Schillers Ballade „Der Taucher" be¬
ten Tagebuchaufzeichnungen des deut¬ schreibt der aus dem tobenden Meer
schen Schriftstellers Jochen Klepper wieder aufgetauchte Knappe seinen
(1903-1942). Klepper beging unter dem Aufenthalt in der gräßlichen Tiefe bei
Druck der nationalsozialistischen Herr¬ „den Ungeheuern der traurigen Öde“.
schaft mit seiner jüdischen Frau und Dort, so berichtet er, war er „unter Lar¬
seiner Stieftochter Selbstmord. ven die einzige fühlende Brust“. Beim
Zitieren dieser Gedichtzeile möchte je¬
Unter die Räuber gefallen sein mand gewöhnlich eine Situation kenn¬
Mit dieser Redewendung kann zweierlei zeichnen, in der beim Zusammensein
ausgedrückt werden. Einmal dient sie mit mehreren Menschen die Begegnung,
der Umschreibung dafür, daß jemand das Zusammensein mit nur einem einzi¬
von andern unerwartet ausgenutzt, total gen lohnenswert erschien.
ausgebeutet wird. Zum andern wird sie
auf jemanden angewendet, der sehr un¬
Unter seine Fittiche nehmen
gepflegt, abgerissen daherkommt. Die
Wendung ist wohl biblischen Ursprungs Wer jemanden unter seine Fittiche
und geht auf eine Formulierung im nimmt, kümmert sich um ihn, betreut
Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ihn und hilft ihm, wo es nötig ist. Diese
(Lukas 10,30 f.) zurück. Das Gleichnis Redewendung Findet sich schon in der
beginnt mit den Worten: „Es war ein Bibel, wo es an zwei Stellen in den Psal¬
Mensch, der ging von Jerusalem hinab men des Alten Testaments heißt: „Laß
gen Jericho und Fiel unter die Mörder; mich wohnen in deiner Hütte ewiglich
die zogen ihn aus und schlugen ihn und und Zuflucht haben unter deinen Fitti¬
gingen davon und ließen ihn halbtot lie¬ chen“ (Psalm 61,5) und „Er wird dich
gen.“ In der revidierten Fassung des mit seinen Fittichen decken, und deine

447
Untergang Teil I

Zuversicht wird sein unter seinen Flü¬ spruch mit den Worten „Unvorbereitet,
geln“ (Psalm 91,5). wie ich bin“ begonnen. Als er nicht über
diese Worte hinauskam, zog er sein Ma¬
Der Untergang des Abendlandes nuskript hervor, von dem er seine sehr
wohl vorbereitete Rede ablas. Heute
So lautet der Titel des von dem Ge¬
wird die Floskel gern als ironische Ein¬
schichtsphilosophen Oswald Spengler
leitung zu einer Rede oder einem Vor¬
zwischen 1918 und 1922 veröffentlich¬
trag gebraucht, um eine aufgelockertere
ten Werkes, in dem die einzelnen Kultu¬
Atmosphäre zu schaffen und keine un¬
ren als überindividuelle Wesenheiten
angebrachte Feierlichkeit oder Förm¬
aufgefaßt werden, die jeweils einen Zy¬
lichkeit aufkommen zu lassen.
klus von Blütezeit, Reife und Verfall
durchlaufen. Gelegentlich wird dieser
Titel als ironische Bemerkung bei einem Das Unzulängliche, hier wird’s
allzu wichtig genommenen Vorfall zi¬ Ereignis
tiert. Mit Sarkasmus oder recht bissigem
Spott lassen sich diese Worte auf grobes
Das Unvermeidliche mit Würde Versagen in den verschiedensten Berei¬
tragen chen beziehen. Sie stammen aus dem
zweiten Teil von Goethes Faust („Berg¬
Diese Empfehlung einer stoischen Le¬
benshaltung findet man in einem Ge¬ schluchten“), wo der Chorus mysticus
dicht mit dem Titel „Denkspruch“ des mit Versen, die noch einmal das Thema
Vergänglichkeit und Erlösung in sehr
deutschen Dichters und Übersetzers
Karl Streckfuß (1778-1844). Der voll¬ gedrängter Form abschließend darstel¬
ständige Text lautet: „Im Glück nicht len, das Schauspiel beschließt. (Verglei¬
jubeln und im Sturm nicht zagen,/Das che auch „Alles Vergängliche ist nur ein
Unvermeidliche mit Würde tragen,/Das Gleichnis“.)
Rechte tun, am Schönen sich erfreu¬
en,/Das Leben lieben und den Tod nicht Up ewig ungedeelt
scheuen/Und fest an Gott und beßre Der Wahlspruch Schleswig-Holsteins
Zukunft glauben/Heißt leben, heißt geht auf König Christian I. von Däne¬
dem Tod sein Bittres rauben.“ mark (1448-1481) zurück, der nach Er¬
löschen des holsteinischen Grafenhau¬
Unverständlich sind mir die Alten ses der Schauenburger Schleswig und
Bei Auseinandersetzungen zwischen Ju¬ Holstein in Personalunion mit Däne¬
gend und Alter wird die Schlußzeile der mark verband und in den Verträgen von
ersten Strophe des Gedichtes „Die Al¬ Ripen und Kiel 1460 die Zusicherung
ten und die Jungen“ von Theodor Fon¬ gab, daß Schleswig und Holstein ewig
tane (1819-1898) von denjenigen zitiert, ungeteilt zusammenbleiben sollten.
die um Verständnis für die Jugend und 1844 verfochten die Schleswig-Holstei¬
ihre Bestrebungen bemüht sind. Die ner auf dem deutschen Schleswiger Sän¬
Strophe im ganzen verdeutlicht das An¬ gerfest unter Berufung auf die Verträge
liegen Fontanes: „.Unverständlich sind von 1460 die Einheit und Eigenständig¬
uns die Jungen1,/Wird von den Alten be¬ keit der Herzogtümer und erstrebten
ständig gesungen ;/Meinerseits möcht’ den Anschluß an das Deutsche Reich.
ich’s damit halten:/,Unverständlich
sind mir die Alten1 “. Upper ten
Die t oberen Zehntausend
Unvorbereitet, wie ich mich habe
Zu dieser scherzhaften Redensart, ei¬ Urahne, Großmutter, Mutter und
nem Freudschen Versprecher, gibt es Kind
eine Anekdote aus dem Jahr 1834. Da¬ Diesen Vers, mit dem das Gedicht „Das
nach hatte ein Baurat Matthias in Halle Gewitter“ des schwäbischen Dichters
bei seiner Antwort auf einen Trink¬ Gustav Schwab (1792-1850) beginnt.

448
Teil 1 variatio

zitiert man häufig, wenn man die weibli¬


chen Mitglieder mehrerer Generationen
einer Familie zusammen sieht. Das be¬
kannte Gedicht beschreibt eine kurze
Zeitspanne während eines Gewitters, in
der die vier Menschen „in dumpfer Stu¬
be beisammen sind“. Sie denken an den
kommenden Tag, der ein Feiertag sein
wird. Jede einzelne der vier Personen
V
sieht dem Tag in bestimmter Weise ent¬
gegen. Doch das Unglück nimmt seinen Vae victis!
Lauf, und am Ende tötet ein Blitz sie
Im Jahre 387 v. Chr. besiegten die von
alle: „Urahne, Großmutter, Mutter
Norden her nach Italien eingedrunge¬
und Kind/Vom Strahl miteinander ge¬
nen Kelten die Römer an der Allia, nah¬
troffen sind,/Vier Leben endet ein
men die Stadt Rom ein und belagerten
Schlag -/Und morgen ist’s Feiertag.“
das Kapitol. Mit einer hohen Lösegeld¬
zahlung, so berichtet der römische Hi¬
Uralt Lavendel storiker Livius (59 v. Chr.-17 n.Chr.),
Der umgangssprachliche Ausdruck, mit erkauften die Römer den Abzug des
dem man etwas als völlig veraltet oder Feindes. Als die in Gold zu zahlende
als längst bekannt charakterisiert, stellt Summe abgewogen wurde und ein römi¬
die scherzhafte Verwendung des Na¬ scher Offizier gegen die zu schweren
mens eines Eau de Cologne mit Laven¬ Gewichte der Sieger protestierte, habe
delduft dar, das früher sehr bekannt dann der keltische Heerführer auch
war. noch sein Schwert auf die Waagschale
geworfen und höhnend gerufen Vae
victis [esse] („Wehe den Besiegten!“;
Ein Märchen aus uralten Zeiten Livius, Ab urbe condita, V, 48,9). Der
Ein t Märchen aus alten Zeiten römische Geschichtsschreiber Florus
(Anfang des 2.Jh.s n.Chr.) bezeichnete
diesen Ausruf bereits als sprichwörtlich.
Uriasbrief
Auch heute noch wird er verwendet,
Dieser Ausdruck, mit dem man einen wenn man ausdrücken will, daß jemand,
Brief bezeichnet, der seinem Überbrin¬ der eine vernichtende Niederlage hat
ger Unglück bringt, geht auf das Alte hinnehmen müssen, völlig der Willkür
Testament zurück. Im 2. Buch Samuel, des Siegers ausgeliefert ist. Vergleiche
im 11. Kapitel, berichtet der Prophet auch „Sein Schwert in die Waagschale
von dem Ehebruch, den König David werfen“.
mit Bathseba, der Frau des Urias, eines
seiner Offiziere, begeht. David schickt
Vanitas vanitatum
Urias mit einem Brief an den Heerfüh¬
rer Joab aus, der einen Feldzug gegen t Alles ist eitel
die Ammoniter anführte. Er forderte Jo¬
ab darin auf, Urias an einer Stelle in den Vanity fair
Kampf zu schicken, wo er den sicheren t Jahrmarkt der Eitelkeit
Tod fände.
Variatio delectat
Das Urteil des Paris Der hierin ausgedrückte Gedanke, daß
„Abwechslung erfreut“, findet sich
t Zankapfel
schon bei dem griechischen Dramatiker
Euripides (um 480-406 v.Chr.) in des¬
Ut desint vires, tarnen est laudanda sen Tragödie „Orest“. Darin rät Elektra
voluntas ihrem kranken Bruder Orest, das Kran¬
Den t guten Willen für die Tat nehmen kenlager zu verlassen mit dem Hinweis:

449
Varus Teil I

MemßoXi) nüv rcov yXvxv (in wörtli¬ Vater werden ist nicht schwer
cher Übersetzung: „Die Veränderung Diese Feststellung trifft Wilhelm Busch
aller Dinge ist süß“). - Später zitiert (1832-1908) im dritten Teil der Knopp-
Aristoteles diese bereits im Griechi¬ Trilogie mit der Überschrift „Julchen“.
schen als „geflügelt“ geltende Stelle. In Der „Vorbemerk“ dieses Teils beginnt
lateinischer Form taucht sie unter ande¬ mit den Versen: „Vater werden ist nicht
rem bei Cicero in dem Wortlaut „Varie- schwer,/Vater sein dagegen sehr.“ Beide
tas delectat“ auf. Verse werden - zusammen oder auch
jeder einzelne für sich - häufig scherz¬
Varus, gib mir meine Legionen haft, spottend oder auch ironisch ge¬
wieder! braucht, um die Situation eines frisch¬
gebackenen oder eines leidgeprüften
TGib mir meine Legionen wieder!
Vaters zu kommentieren.

Der Vater bist du aller Hindernisse T Ans Vaterland, ans teure, schließ
Im zweiten Teil von Goethes Faust (Er¬ dich an
ster Akt. Finstere Galerie) verlangt der
Kaiser von Faust, ihm durch Zauber¬ Vaterlandslose Gesellen
kunst Helena und Paris herbeizuzitie¬ Die abwertende Bezeichnung „vater¬
ren. Faust gibt das Ansinnen an Mephi¬ landslose Gesellen“ für die Sozialdemo¬
sto weiter, der jedoch die Aufgabe für kraten wurde im wilhelminischen Kai¬
sehr schwierig hält und zu lamentieren serreich geprägt. Sie wird oft Kaiser
beginnt. Darauf beschimpft ihn Faust Wilhelm II. (1859-1941) selbst zuge¬
mit den Worten: „Da haben wir den al¬ schrieben und bezieht sich wahrschein¬
ten Leierton !/Bei dir gerät man stets ins lich auf den Satz „Die Arbeiter haben
Ungewisse./Der Vater bist du aller Hin¬ kein Vaterland“ aus dem 2. Kapitel,
dernisse“. - Der Vorwurf könnte sich an „Proletarier und Kommunisten“, des
jemanden richten, der häufig zum Ärger 1848 von Karl Marx und Friedrich En¬
anderer Dinge blockiert oder verhin¬ gels verfaßten „Manifests der Kommu¬
dert. nistischen Partei“. Es heißt dort: „Den
Kommunisten ist ferner vorgeworfen
Vater, ich habe gesündigt worden, sie wollten das Vaterland, die
Nationalität abschaffen. - Die Arbeiter
t Pater, peccavi
haben kein Vaterland. Man kann ihnen
nicht nehmen, was sie nicht haben.“ -
t Wenn der Vater mit dem Sohne In seinem 1927 erschienenen Roman
„Der Steppenwolf1 hat Hermann Hesse
(1877-1962) den Begriff mehrfach ver¬
Vater, unser bestes Stück
wendet, und der Schriftsteller Adam
Dies ist der Titel eines Romans von Scharrer (1889-1948) machte ihn (1930)
Hans Nicklisch (*1912) aus dem Jahr zum Titel eines Romans.
1955, der 1957 unter dem gleichen Titel
mit Ewald Baiser in der Titelrolle ver¬ t Zu seinen Vätern versammelt
filmt wurde. - Die Redewendung Je¬ werden
mandes bestes Stück“ verwendet man in
scherzhafter Weise als Kompliment für
Des Vaters Segen baut den Kin¬
jemanden, den man - innerhalb einer
dern Häuser; aber der Mutter
Gruppe, der Familie o. ä. - am meisten
schätzt, der von allen geliebt wird, auf
Fluch reißt sie nieder
den sich alle verlassen können. Im Alten Testament bedeutet der Segen
Gottes, der durch den Vater an die Kin¬
der weitergegeben wird, Glück und
Vater, vergib ihnen
Wohlergehen auf der Erde; die Verflu¬
t... denn sie wissen nicht, was sie tun chung dagegen führt zum Verlust des ir-

450
Teil I verachtet

dischen Glücks, zu Not und Elend. Ein¬ Lebensfreude ist, endet mit den Zeilen:
fluß nehmen kann der Mensch dabei „Man schafft so gern sich Sorg’ und
durch sein eigenes Verhalten gegenüber Müh’,/Sucht Dornen auf und findet sie/
seinen Eltern. Das „Buch Jesus Sirach“, Und läßt das Veilchen unbemerkt,/Das
eine zu den Apokryphen des Alten Te¬ uns am Wege blüht.“
staments gehörende Schrift, befaßt sich
unter anderem mit dieser Thematik. Das
dritte Kapitel handelt „Vom Gehorsam Veni, vidi, vici
gegen die Eltern und von wahrer De¬
t Ich kam, ich sah, ich siegte
mut“. In den Versen 9-11 heißt es dort:
„Ehre Vater und Mutter mit der Tat, mit
Worten und Geduld, auf daß ihr Segen
über dich komme. Denn des Vaters Se¬ Verachte nur Vernunft und Wis¬
gen baut den Kindern Häuser; aber der senschaft
Mutter Fluch reißt sie nieder.“ Beim Diese Worte ruft Mephisto in Goethes
Gebrauch dieses Bibelzitats (es wird Faust I (Studierzimmer 2) schon sieges¬
häufig auch nur zur Hälfte zitiert) wird sicher seinem Vertragspartner Faust
oft übersehen, daß Segen und Fluch nach, mit dem er auf Reisen gehen will:
nicht als Willkürakte der Eltern, son¬ „Verachte nur Vernunft und Wissen¬
dern als Reflexe, als Antwort gewisser¬ schaft,/Des Menschen allerhöchste
maßen auf das Verhalten der Kinder zu Kraft,/Laß nur in Blend- und Zauber¬
werten sind. Wer sich durch sein richti¬ werken/Dich von dem Lügengeist be-
ges Verhalten gegenüber beiden Eltern stärken,/So hab’ ich dich schon unbe¬
den Segen verdient, dem wird es Wohler¬ dingt Mit dem zunächst befremdlich
gehen, wer sich aber durch Verfehlung klingenden Zitat will man eigentlich ei¬
an auch nur einem Eltemteil der Verflu¬ ne Warnung aussprechen und im Grun¬
chung aussetzt, der wird Not leiden. Ge¬ de die Überlegenheit der menschlichen
legentlich führt auch eine Fehlinterpre¬ Vernunft und der wissenschaftlichen
tation und die falsche Gewichtung der Erkenntnis über Magie und Aberglau¬
Rollenverteilung der Eltern im Hinblick ben betonen.
auf die Zuordnung von Segen und
Fluch zu einer Anwendung des Zitats an
der falschen Stelle. Es ist nicht aus¬ Verachtet mir die Meister nicht
schlaggebend, von wem der Segen und
Am Ende des 3. Aktes der Oper „Die
von wem die Verfluchung ausgeht. Ent¬
Meistersinger von Nürnberg“ von Ri¬
scheidend ist das richtige oder das
chard Wagner (1813-1883) klärt der
falsche Verhalten der Kinder.
Meister Hans Sachs den jungen Walter
von Stolzing, der als Sieger aus dem
Ein Veilchen, das am Wege blüht Sängerwettstreit hervorgegangen ist,
Mit diesem Ausdruck charakterisiert darüber auf, was das wahre Wesen der
man jemanden, der irgendwo zurückge¬ Meister und ihrer Kunst ist. Stolzing,
zogen lebt, unauffällig wirkt und oft der es zuvor abgelehnt hatte, sich mit
die eigentlich verdiente Aufmerksam¬ dem Symbol der Meisterwürde schmük-
keit oder Achtung nicht findet. Er ken zu lassen, läßt sich durch die Worte
stammt aus dem bekannten Lied „Freut des Hans Sachs in der Arie „Verachtet
euch des Lebens“ des Schweizer Dich¬ mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre
ters und Malers Johann Martin Usteri Kunst“ überzeugen und nimmt das
(1763-1827), das 1793 erschien und das Wahrzeichen der Zunft an. Die Mah¬
durch die 1795 erfolgte Vertonung von nung des Hans Sachs wird heute zitiert,
Hans Georg Nägeli, einem Schweizer wenn man zum Beispiel jemandem
Komponisten, seine große Popularität sagen möchte, daß er die vernünftigen,
erlangte. Die erste Strophe des Liedes, fachmännischen Ratschläge erfahrener
das ganz Ausdruck naiver, auf Beschei¬ Menschen nicht gleich in den Wind
denheit und Genügsamkeit gegründeter schlagen soll.

451
Teil I
verbiete

Verbiete du dem Seidenwurm zu auf Pearl Harbour) das sich widerset¬


zende Individuum durch die militäri¬
spinnen
sche Hierarchie auf grausame Weise
Mit diesem Bild verteidigt der Dichter
unterdrückt wird. Der Titel wird gelegent¬
Tasso in Goethes 1789 vollendetem
lich im Hinblick auf die völlig hoff¬
Schauspiel „Torquato Tasso“ (V, 2) sein
nungslose Situation von Menschen ver¬
Dichtertum gegenüber dem Herzog. Der
wendet, die sich trotz aller Bemühungen
schwierige, überempfindliche Tasso
nicht aus ihrer Misere befreien können.
drückt damit aus, daß er dem Rat seines
Gönners, sich nicht immer mehr in sich Verderben, gehe deinen Gang!
zu verstricken, nicht folgen kann: „Ver¬
In Schillers Trauerspiel „Die Verschwö¬
biete du dem Seidenwurm zu spin¬
rung des Fiesko zu Genua“ (seinem
nen,/Wenn er sich schon dem Tode nä¬
zweiten Drama nach den „Räubern“)
her spinnt./Das köstliche Geweb’ ent¬
kommt es zu Beginn des 5. Aufzugs zu
wickelt er/Aus seinem Innersten, und
einem Dialog zwischen Andreas Doria,
läßt nicht ab,/Bis er in seinen Sarg sich
dem tyrannischen Dogen von Genua,
eingeschlossen.“ - Man verwendet das
Zitat, um auszudrücken, daß man selbst und dem Verschwörer Fiesko, der den
oder ein anderer gar nicht anders han¬ Tyrannen stürzen will. Am Ende dieser
deln kann, als es geschieht, weil es so Szene bleibt ein etwas nachdenklich ge¬
dem innersten Wesen entspricht. wordener Fiesko zurück, der, wie es in
der Regieanweisung heißt, „einige
Schritte tiefsinnig auf und nieder“ geht
t Was nicht verboten ist, ist erlaubt
und sich dann selbst zuredet, sein be¬
gonnenes Werk fortzuführen: „Nun, ich
Verbunden werden auch die
machte Größe mit Größe wett - wir sind
Schwachen mächtig fertig, Andreas! Und nun, Verderben,
Diese Überzeugung, auf der Organisa¬ gehe deinen Gang!“ - Mit dieser zuletzt
tionen oder Zusammenschlüsse basie¬ zitierten Aufforderung kommentiert
ren, spricht in Schillers Schauspiel man, sicherlich in nicht ganz so ernst¬
„Wilhelm Teil“ (1,3) Werner Stauffa¬ hafter Weise, eher mit einer Spur Gal¬
cher, Vertreter des Kantons Schwyz, genhumor, den unaufhaltsamen Fort¬
aus, als er sich Gedanken über die Erhe¬ gang eines Geschehens, das man als un¬
bung der Schweizer gegen den tyranni¬ angenehm empfindet, nicht gutheißen
schen Reichsvogt macht. Wilhelm Teil kann.
aus Uri setzt dagegen seine Meinung
„Der Starke ist am mächtigsten allein“, Dem Verdienste seine Kronen
weil er glaubt, sich mit dieser Einstel¬
„Männerstolz vor Königsthronen/Brü¬
lung seine Freiheit des Handelns am be¬
der, gält' es Gut und Blut,/Dem Ver¬
sten erhalten zu können.
dienste seine Kronen, Untergang der
Fügenbrut!“ So fordert Schiller am En¬
Verdammt in alle Ewigkeit de seines Gedichts „An die Freude“
Das Zitat ist der deutsche Titel eines (1786) den hier angesprochenen Freun¬
1951 erschienenen und 1953 von Fred deskreis auf, ohne Furcht gegen Un¬
Zinnemann in Hollywood verfilmten recht und Lüge in der Welt anzugehen.
Romans von James Jones. Der englische Denn nur dem mutigen Eintreten für die
Titel Front Here to Eternity ist seinerseits gerechte Sache und dem Verdienst, das
ein Zitat aus dem Gedicht „Gentleman der einzelne sich in diesem Kampf red¬
Rankers“ („Gemeine Soldaten aus gu¬ lich erworben hat, gebühren in Wahr¬
tem Haus“) von Rudyard Kipling heit Anerkennung und Ehre, ln diesem
(1865-1936). Im Roman wird am Bei¬ Sinne werden die Verse auch heute zi¬
spiel des Soldaten Prewitt geschildert, tiert, meist jedoch nur der erste Vers und
wie in einer Garnison des amerikani¬ der Anfang des letzten Verses (dieser oft
schen Heeres (Ort der Handlung ist Ha¬ in der Form „Dem Verdienste seine
waii kurz vor dem japanischen Angriff Krone“).

452
Teil I
verlorene

t Alles Vergängliche ist nur ein durch eine Stimme ermahnt: „Vergiß
Gleichnis das Beste nicht!“ Gemeint ist natürlich
die wegbahnende, türöffnende Blume,
die nicht im Berg Zurückbleiben darf.
Vergeben, aber nicht vergessen
Wird sie dort aber vergessen, so fährt
Mit den beiden ähnlich klingenden
der Berg krachend zu, und der Schatz ist
Wörtern „vergeben“ und „vergessen“ für alle Zeit verloren.
wurden schon in früher Zeit gedankli¬
che Verbindungen in unterschiedlichen Vergiß den großen Schmerz!
Äußerungen und Wortspielen herge¬
Diesen Rat gibt in Schillers Gedicht
stellt. Die in der vorliegenden Formulie¬
„Das Siegesfest“ Nestor, der greise Be¬
rung enthaltene strenge Trennung zwi¬
rater der siegreichen Griechen, am Ende
schen beiden Begriffen bewirkt, daß
des Trojanischen Krieges der gefange¬
man bei dem Ausspruch (anders als et¬
nen Troerin Hekuba, Gemahlin des Kö¬
wa bei einer Äußerung wie „vergeben
nigs Priamos. Er reicht ihr einen Becher
und vergessen“) weniger an ein Wort
Wein und sagt: „Trink ihn aus, den
der Vergebung denkt als an eine Mah¬
Trank der Labe,/Und vergiß den großen
nung, eine Aufforderung, gerade nicht
Schmerzl/Wundervoll ist Bacchus’ Ga¬
zu vergessen, den Gegenstand der Ver¬
be,/Balsam fürs zerriss’ne Herz.“ Die
gebung vielmehr im Gedächtnis zu be¬
Verwendung als Zitat hat einen leicht
halten. Die so formulierte Äußerung
ironischen oder scherzhaften Beiklang.
wird auf eine Anekdote des Staatsman¬
nes Otto von Bismarck (1815-1898) zu¬ TSo laßt ihm doch das kindliche
rückgeführt, der sie in seinem Buch
Vergnügen
„Gedanken und Erinnerungen“ selbst
erzählt. Es geht dabei um die Beziehun¬ t Doch die Verhältnisse, sie sind
gen Bismarcks zu seinem alten Freund,
nicht so
dem Feldmarschall Wrangel. Ein im
Sinne des Ausspruchs geführtes Ge¬ t Mit verhärtetem Gemüte
spräch zwischen beiden beendete nach
dieser Anekdote ein langjähriges Zer¬ t Mit Verlaub, ich bin so frei
würfnis zwischen den Freunden.
Verlorene Generation
Vergiß das Beste nicht! t Lost Generation
Die Mahnung, die man mit dieser Auf¬
forderung ausspricht, ist meist scherz¬
Verlorene Liebesmüh
haft gemeint. Sie soll einen andern dar¬ Der Ausdruck ist eine Lehnübersetzung
an erinnern, auf etwas Bestimmtes zu des englischen Love’s labour’s lost, des
achten, eine Sache, die in bestimmtem Titels eines Lustspiels von Shakespeare.
Zusammenhang gerade von Bedeutung Die Redewendung „verlorene (oder
ist, nicht aus dem Auge zu verlieren. auch: vergebliche) Liebesmüh sein“ be¬
Man zitiert dabei eine in zahlreichen deutet „keiner Anstrengung wert, ver¬
deutschen Volkssagen immer wieder¬ geblich sein“.
kehrende Formel. Bei diesen Sagen geht
es immer um einen in einem Berg ver¬ Das verlorene Paradies
borgenen Schatz, zu dessen Hebung es In seinem 1663 vollendeten Epos Para-
eines wunderkräftigen Mittels bedarf. dise Lost (so der Titel des englischen
Dies ist meist eine schöne (oft blaue) Originals) stellt der englische Dichter
Wunderblume (auch eine Wurzel oder John Milton (1608-1674) das biblische
eine Wünschelrute). Derjenige, der die Thema des Sündenfalls und den Heils¬
Blume entdeckt hat (oft ein Hirtenkna¬ plan Gottes für die schuldig gewordene
be, der sie zufällig findet), mit ihrer Hil¬ Menschheit dar. Das Werk, das zu den
fe in den Berg eingedrungen ist und sich bedeutendsten englischen Dichtungen
von den Schätzen genommen hat, wird gehört, hatte im 18. und 19. Jahrhundert

453
verlorene Teil I

großen Einfluß auf die europäischen terisieren, dem die innere Ausgeglichen¬
Dichter, in Deutschland z. B. auf Klop- heit fehlt, es kann aber auch auf die
stock und sein Epos „Der Messias“ politische „Mitte“, die Position zwi¬
(Entstehungszeit 1748-1773). Heute be¬ schen den Extremen, bezogen werden.
zeichnen wir als „verlorene Paradiese“
Gebiete, die einmal die notwendigen tEr nennt’s Vernunft und
Lebensbedingungen für eine bestimmte braucht’s allein, nur tierischer als
Tier- und Pflanzenwelt boten, die durch jedes Tier zu sein
rücksichtsloses menschliches Vorgehen
aber vernichtet wurden. Vernunft wird Unsinn, Wohltat
Plage
Der verlorene Sohn
T Weh dir, daß du ein Enkel bist!
In dem bekannten Gleichnis vom „ver¬
lorenen Sohn“, Lukas 15,11-32 wird
Veronika, der Lenz ist da
von einem der beiden Söhne eines wohl¬
habenden Vaters erzählt, der sich sein Mit diesem 1930 entstandenen Schlager
hatte das Vokalensemble „Comedian
Erbteil auszahlen läßt, davonzieht, sein
Geld verpraßt und in Not gerät, reumü¬ Harmonists“ in Deutschland großen Er¬
tig zum Vater zurückkehrt und von die¬ folg. Die Melodie stammt von dem
sem mit großer Freude und ohne jeden österreichischen Schlagerkomponisten
Vorwurf wieder aufgenommen wird. Walter Jurmann, den Text schrieb sein
Der großmütige Vater spricht die Worte Landsmann Fritz Rotter. Das Zitat (Ti¬
(in Vers 23 und 24): „... lasset uns essen tel und zugleich erste und letzte Zeile
und fröhlich sein! Denn dieser mein des Refrains des Liedes) kann scherz¬
Sohn ... war verloren und ist gefunden haft den Beginn des Frühlings kommen¬
worden.“ Die Bezeichnung „verlorener tieren.
Sohn“ wird heute in zweierlei Bedeu¬
tung gebraucht. Einmal kennzeichnet Das verschleierte Bildnis zu Sais
man damit jemanden, der in seinen An¬ So ist ein Gedicht von Friedrich Schiller
schauungen und in seinem Handeln betitelt, in dem ein Wissensdurstiger
nicht den Vorstellungen seiner Eltern trotz göttlichen Verbots es wagt, die als
entspricht und deshalb für diese eine verschleiertes Standbild dargestellte
große Enttäuschung bedeutet, zum an¬ Wahrheit zu schauen. Der zitierte Ge¬
dern wird damit eher scherzhaft auch je¬ dichttitel soll bildhaft ausdrücken, daß
mand angesprochen, von dem lange kei¬ unserem Wissen Schranken gesetzt sind,
ne Nachricht mehr kam, der sich lange die wir nicht ungestraft überschreiten
nicht mehr hat blicken lassen. dürfen.

Verlust der Mitte Der Verstand der Verständigen


So lautet der Titel einer die Kunst des Diese Formulierung findet man im 1.
19. und 20. Jahrhunderts behandelnden Korintherbrief (1,19) des Neuen Testa¬
Schrift des österreichischen Kunsthisto¬ ments. Paulus macht in diesem ersten
rikers Hans Sedlmayr (1896-1984), die Kapitel den Korinthern klar, daß das
1948 erschien und viel diskutiert wurde. Wort Gottes nicht mit Menschenweis¬
Sedlmayr sah in der Kunst dieser Zeit heit und -verstand zu erfassen ist, son¬
die geistige Verfassung der Menschen dern nur durch den Glauben. „Denn es
widergespiegelt, die er als von einem steht geschrieben: ,Ich will zunichte ma¬
Verlust der inneren Mitte gekennzeich¬ chen die Weisheit der Weisen, und den
net umschrieb. Dem Buch ist als Motto Verstand der Verständigen will ich ver¬
ein Satz von Blaise Pascal vorangestellt: werfen.* “ Schiller verwendet in seinem
„Die Mitte verlassen, heißt die Mensch¬ Gedicht „Die Worte des Glaubens“
lichkeit verlassen.“ - Das Zitat kann (1797) die gleiche Formulierung. Die
heute dazu dienen, den seelisch-geisti¬ dritte Strophe des Gedichts endet mit
gen Zustand eines Menschen zu charak¬ den Zeilen: „Und was kein Verstand der

454
Teil I verzeihen

Verständigen sieht,/Das übet in Einfalt Verwirrung der Gefühle


ein kindlich Gemüt.“
Eine 1927 unter diesem Titel erschiene¬
ne Novelle des österreichischen Schrift¬
Verstand ist stets bei wen'gen nur stellers Stefan Zweig (1881-1942) schil¬
gewesen dert die seelischen Konflikte, die sich
Das Zitat steht in Schillers Dramenfrag¬ daraus ergeben, daß in das Haus eines
ment „Demetrius“ (I). In der Szene verheirateten homosexuell veranlagten
„Der Reichstag zu Krakau“ widersetzt Professors ein Student einzieht, der den
sich Fürst Sapieha der Forderung, sich Professor als Wissenschaftler verehrt.
der Stimmenmehrheit für den Krieg mit Mit diesem Titel spielt man auf eine Si¬
Moskau anzuschließen und den Reichs¬ tuation an, in der jemand einem Wech¬
tag nicht zu spalten: „Die Mehr- selbad der Gefühle ausgesetzt ist und
heit?/Was ist die Mehrheit? Mehrheit sein seelisches Gleichgewicht zu verlie¬
ist der Unsinn,/Verstand ist stets bei ren droht.
wen'gen nur gewesen.“ Man zitiert die
Zeile, wenn man das Verhalten einer Verzage nicht, du Häuflein klein
Mehrheit oder einer großen Zahl von
Das scherzhaft verwendete Zitat, mit
Menschen als unklug charakterisieren
dem man sich über die zu kleine Anzahl
oder jemanden vor dem Unverstand der der eigenen Gruppe hinwegzutrösten
Menge warnen will.
sucht, ist der Anfang eines evangeli¬
schen Kirchenliedes von Jakob Fabrici-
t Mein Verstand steht still us (1593-1654). Dieser war 1630 bis
1632 Hof- und Feldprediger im Heer
t Ich verstehe die Welt nicht mehr Gustav Adolfs von Schweden; er soll
das Lied 1632 auf Anregung des Königs
T Alles verstehen heißt alles ver¬ gedichtet haben: „Verzage nicht, du
zeihen Häuflein klein,/Obschon die Feinde
willens sein,/Dich gänzlich zu verstö-
ren ..." Die Art der Anrede erinnert an
t Ich kann allem widerstehen, nur
einen Bibelvers (Lukas 12,32): „Fürchte
nicht der Versuchung dich nicht, du kleine Herde! Denn es ist
eures Vaters Wohlgefallen, euch das
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist Reich zu geben.“
besser!
Dieser Satz (auch mit der Variante Verzeihen Sie das harte Wort!
„Vorsicht ist besser“) wird häufig dem
Diese Floskel, mit der man den Ge¬
russisch-sowjetischen Politiker Wladi¬ brauch eines sehr deutlichen, vielleicht
mir I. Lenin zugeschrieben, obwohl er in
kränkenden Ausdrucks abzumildern
dieser Form in keiner seiner Reden und versucht, ist wohl durch die Berichte
Schriften belegt ist. Allerdings benutzte des Fiktiven Zeitungskorrespondenten
Lenin sehr häufig das russische Sprich¬ Wippchen besonders populär gewor¬
wort Dowerjai, no prowerjai („Vertraue, den. Dessen Erfinder, Julius Stetten¬
aber prüfe nach“). Es ist anzunehmen, heim (1831-1916), ließ seine Kunstfigur
daß dieses Sprichwort in Übersetzungen in einer fast nur aus Bildbrüchen, ver¬
seiner Texte gelegentlich abgewandelt fälschten Zitaten und falsch verwende¬
(russisch „prowerit“ kann auch mit ten Redensarten bestehenden Prosa
„kontrollieren“ wiedergegeben werden) über Kriegsschauplätze berichten, die
und dann die neue Formulierung als Wippchen niemals aufgesucht hat. Die
Leninsche Prägung angesehen wurde. obengenannte Floskel erscheint mehr¬
fach in diesen Berichten, auch in Ab¬
t Werd’ ich zum Augenblicke sa¬ wandlungen wie „Entschuldigen Sie
gen: Verweile doch, du bist so dieses herbe Wort!“ oder „Verzeihen
schön! Sie, wenn meine Worte überkochen!“

455
Verzweiflung Teil I

TMich faßt Verzweiflung, foltert „Arion“ am Schluß der 2. Strophe. Peri¬


ander, der Herrscher von Korinth,
Spott
spricht diese Worte, als ihn sein Freund,
der Dichter und Sänger Arion, verläßt,
Der Vetter aus Dingsda
um in der Fremde noch mehr Reichtum
In Anlehnung an die Titelfigur aus Edu¬
und Ruhm zu erwerben. Auf der
ard Künnekes (1885-1953) Operette, Schiffsreise wird Arion von Matrosen
deren Libretto von H. Haller und Ridea-
beraubt und nach einem Sturz ins Meer
mus (Fritz Oliven) nach einem Lustspiel
von einem Delphin gerettet. - Man ver¬
von M. Kempner-Hochstädt geschrie¬
wendet das Zitat als Warnung vor zu
ben wurde, verwendet man diesen Aus¬
großem Gewinnstreben.
druck umgangssprachlich für einen
überraschend auftauchenden Vetter
oder anderen Verwandten. In der Ope¬
rette täuscht man sich allerdings über Viel Lärm um nichts
die Identität des vor sieben Jahren nach Dieser Titel einer Komödie von Shake¬
„Dingsda“, irgendeiner indischen Stadt, speare (englischer Originaltitel: Much
ausgewanderten Vetters Roderich, dem ado about nothing; entstanden etwa
die weibliche Hauptgestalt Julia de 1598) wurde im Deutschen zu einer Re¬
Weert ewige Treue geschworen hatte densart. Mit ihr kann man zum Aus¬
und den sie in dem ihr bislang unbe¬ druck bringen, daß einer unbedeuten¬
kannten Vetter August wiederzuerken¬ den Sache viel zuviel Beachtung ge¬
nen meint. schenkt wurde und man sie völlig unbe¬
gründet aufgebauscht hat. Bei der Ko¬
V!“l Gewaltiges lebt, doch gewalti¬ mödie handelt es sich um ein Stück vol¬
ger nichts als der Mensch ler Intrigen, Verleumdungen und Ver¬
Zu den bekanntesten Werken des grie¬ wechslungen, bei dem aber die Liebe
chischen Dichters Sophokles (um der beiden im Mittelpunkt stehenden
496-um 406 v. Chr.) gehört die Tragödie Paare am Ende triumphiert und die
„Antigone“. Sie behandelt den griechi¬ Wahrheit über Täuschung und Falsch¬
schen Mythos von Antigone, der Toch¬ heit siegt.
ter des Ödipus, die das Verbot Kreons,
des tyrannischen Königs von Theben,
durchbricht und ihren im Kampf gegen Viel Steine gab’s und wenig Brot
Theben gefallenen Bruder bestattet.
Mit dieser Zeile wird in dem derbkomi¬
Von Kreon lebendig eingemauert, er¬
schen Gedicht „Schwäbische Kunde“
hängt sie sich in ihrer Gruft. An dem
von Ludwig Uhland (1787-1862) - es
Punkt der Handlung, da der erzürnte
beginnt mit den Zeilen „Als Kaiser Rot¬
Kreon erfährt, daß jemand gegen sein
bart lobesam/Zum heil’gen Land gezo¬
Verbot den Toten bestattet habe, besingt
gen kam“ - die Situation beschrieben,
der Chor die Größe des Menschen, der
in der sich Kaiser Barbarossa mit sei¬
aber mit seiner Erfindungskraft und sei¬
nem Heer auf einem Kreuzzug im
nem Wagemut „bald zum Argen und
„heil’gen Land“ befand. Es heißt dort:
bald zum Guten“ neigt. Die berühmten
„Daselbst erhob sich große Not,/Viel
Anfangszeilen dieses Liedes, „Viel Ge¬
Steine gab’s und wenig Brot“. Mit die¬
waltiges lebt,/Doch gewaltiger nichts als
ser Formulierung bezieht sich Uhland
der Mensch“, können dementsprechend
auf eine Bibelstelle (Matthäus 7,9; ver¬
sowohl angesichts bewundernswerter
gleiche dazu den Artikel „Steine geben
Werke als auch angesichts inhumaner
statt Brot“). Die Gedichtzeile wird heu¬
Taten des Menschen zitiert werden.
te zitiert, wenn jemand beispielsweise
deutlich machen will, daß er das, was
Viel kann verlieren, wer gewinnt ihm bei einer bestimmten Gelegenheit
Die Sentenz findet sich in August Wil¬ geboten wurde, als höchst unzureichend
helm Schlegels (1767-1845) Romanze empfunden hat.

456
Teil I Vogel

Vielbeweinter Schatten Des vielen Büchermachens ist kein


Im Jahre 1824 erschien eine Jubiläums¬ Ende
ausgabe des Briefromans „Die Leiden Diese Feststellung findet sich bereits im
des jungen Weither“, des Werkes, das Alten Testament beim Prediger Salomo
den jungen Goethe fünfzig Jahre zuvor 12,12 und wird dort als Warnung ausge¬
mit einem Mal berühmt gemacht hatte. sprochen: „Und über dem allen, mein
Für diese Jubiläumsausgabe schrieb Sohn, laß dich warnen; denn des vielen
Goethe als Vorwort das Gedicht „An Büchermachens ist kein Ende, und viel
Weither“, in dem er sich, seine letzte Studieren macht den Leib müde. Laßt
große Liebe zu Ulrike von Levetzow uns die Hauptsumme aller Lehre hören:
und seine Trennung von ihr mit dem ,Fürchte Gott und halte seine Gebote*“
Schicksal Werthers und dessen „grä߬ (Prediger 12,12 f.). Man zitiert die Bibel¬
lich Scheiden“ (der Roman endet mit stelle gelegentlich scherzhaft angesichts
dem Selbstmord Werthers) vergleicht. der großen Zahl von Büchern, die jedes
Dieses Gedicht (das erste der sogenann¬ Jahr veröffentlicht werden.
ten „Trilogie der Leidenschaft“) beginnt
mit den Versen: „Noch einmal wagst Vielen gefallen ist schlimm
du, vielbeweinter Schatten,/Hervor dich
Mit diesen Worten endet Schillers Disti¬
an das Tageslicht,/Begegnest mir auf
chon „Wahl“ aus den „Votivtafeln“
neu beblümten Matten,/Und meinen (1796). Sie dienen auch heute noch als
Anblick scheust du nicht.“ Der Aus¬
Warnung davor, breiteste Zustimmung
druck „vielbeweinter Schatten“, mit als Zeichen dafür anzusehen, daß man
dem Goethe die Gestalt Werthers apo¬
Hervorragendes geleistet habe.
strophiert, wurde danach öfter verwen¬
det, wenn es darum ging, Erinnerungen
t Wer vieles bringt, wird manchem
an frühere Leidenschaften, an leidvolle,
etwas bringen
mit einer bestimmten Person verbunde¬
ne Erfahrungen heraufzubeschwören,
Vita brevis, ars longa
zu beschreiben. Heute wird das Zitat
wohl eher ironisch oder mit einem ge¬ Die t Kunst ist lang! Und kurz ist unser
wissen Spott gebraucht, etwa im Hin¬ Leben
blick auf eine einst berühmte, gefeierte
Person, deren Glanz inzwischen verbli¬ Der Vogel, scheint mir, hat Humor
chen ist. In seinem Gedicht „Es sitzt ein Vogel
auf dem Leim“ (Kritik des Herzens,
1874) erzählt Wilhelm Busch (1832 bis
1908) von einem Vogel, der an einer
Viele sind berufen, aber wenige Leimrute hängengeblieben ist. Im Ange¬
sind auserwählt sicht des nahen Todes in Gestalt eines
Im älteren Deutsch bedeutete „berufen“ sich heranpirschenden Katers denkt der
einfach „herbeirufen, zu etwas rufen“, Vogel bei sich: „So will ich keine Zeit
und in diesem Sinne verwendet auch verlieren,/Will noch ein wenig quinqui-
Luther das Wort in seiner Übersetzung lieren/Und lustig pfeifen wie zuvor.“
des Gleichnisses vom Weinberg im Mat¬ Busch kommentiert dies: „Der Vogel,
thäusevangelium (Matthäus 20,16): scheint mir, hat Humor.“ Diesen letzten
„Also werden die Letzten die Ersten Vers des Gedichts zitiert man, wenn
und die Ersten die Letzten sein. Denn man - mit einer gewissen Anerken¬
viele sind berufen, aber wenige sind aus¬ nung - feststellt, daß jemand einer
erwählt.“ Man zitiert das Bibelwort, Schwierigkeit oder einem Mißgeschick
wenn man zum Beispiel sagen will, daß des Alltags mit heiterer Gelassenheit be¬
aus einem größeren Personenkreis im¬ gegnet. Gelegentlich wird das Zitat aber
mer nur einige wenige für etwas Be¬ auch als leicht unwilliger Ausruf im Sin¬
stimmtes in besonderem Maße geeignet, ne von „Was denkt der/die sich eigent¬
befähigt oder begabt sind. lich“ verwendet.

457
11 Duden 12
Vöglein Teil I

t Wenn ich ein Vöglein wär’ t Jedes Volk hat die Regierung, die
es verdient
Dem Volk aufs Maul schauen
Volk ohne Raum
Die Wendung mit der Bedeutung „be¬
Dies ist der Titel eines zweibändigen
obachten, wie sich die einfachen Leute
Romans des Schriftstellers Hans Grimm
ausdrücken, und von ihnen lernen“ geht
(1875-1959) aus dem Jahre 1926. Der
auf eine Stelle in Martin Luthers
Titel dieses tendenziösen Kolonialro¬
(1483-1546) „Sendbrief vom Dolmet¬
mans, der die deutsche Expansionspoli¬
schen“ zurück, in dem er die Sprache
tik rechtfertigte und gerne als „deut¬
seiner Bibelübersetzung rechtfertigt:
scher Schicksalsroman“ gepriesen wur¬
man muß die Mutter im Haus, die
de, ist damals zum nationalsozialisti¬
Kinder auf den Gassen, den gemeinen
schen Schlagwort geworden.
Mann auf dem Markt drum fragen und
denselben auf das Maul sehen, wie sie
reden, und danach dolmetschen; so ver¬ Das Volk steht auf, der Sturm
stehen sie es denn und merken, daß man bricht los
deutsch mit ihn’ redet.“ Der deutsche Schriftsteller Theodor
Körner (1791-1813), der besonders
durch seine patriotischen Kampflieder
Das Volk der Dichter und Denker
bekannt wurde, gilt als einer der bedeu¬
Urheber dieser oft zitierten Bezeich¬ tendsten Dichter der Befreiungskriege.
nung für die Deutschen ist wohl der Diese erste Zeile des Gedichtes „Män¬
Schriftsteller Johann Karl August Mu- ner und Buben“, das er noch einige Ta¬
säus (1735- 1787), der in Weimar als Pa¬ ge vor seinem Tod schrieb, wurde in pa¬
genhofmeister und Gymnasiallehrer tä¬ triotisch gesinnten Kreisen immer gerne
tig war. In dem seine „Volksmärchen zitiert, und der chauvinistische Mi߬
der Deutschen“ (5 Bände, 1782-86) ein¬ brauch, besonders in der Zeit des Natio¬
leitenden „Vorbericht an Herrn David nalsozialismus, konnte nicht ausblei-
Runkel, Denker und Küster..." heißt es: ben.
„Was wäre das enthusiastische Volk un¬
serer Denker, Dichter, Schweber, Seher Völker, hört die Signale!
ohne die glücklichen Einflüsse der
Das Zitat bildet mit den anschließenden
Phantasie?“ Ohne nationalen Bezug
Zeilen „Auf zum letzten Gefecht !/Die
verwendete Musäus die Zwillingsformel
Internationale/Erkämpft das Men¬
„Denker und Dichter“ bereits in seinen
schenrecht!“ den Refrain des Kampflie¬
„Physiognomischen Reisen“ (1779).
Jean Paul (1763-1825) hat dann die des der internationalen Arbeiterbewe¬
heute geläufige Umstellung „Dichter gung („Wacht auf, Verdammte dieser
Erde“). Der Text wurde von dem Pari¬
und Denker“ geprägt, allerdings eben¬
falls ohne Bezug auf Deutschland. - ser Kommunarden E. Pottier (1871) ver¬
Gelegentlich ist mit dieser Bezeichnung faßt, die Melodie schrieb P. Degeyter
auch gemeint worden, daß die Einheit, (1888). Die deutsche Übersetzung
der Zusammenhalt der Deutschen in stammt von E. Luckhardt. Man zitiert
einem politisch zersplitterten Deutsch¬ den Aufruf meist im Kontext von Ar¬
land nur in der Dichtung, in der Kultur beitskämpfen, aber gelegentlich auch
besteht. - Der österreichische Schrift¬ scherzhaft, um andere auf ein akusti¬
steller Karl Kraus (1874-1936) bildete sches Signal (zum Beispiel die Pausen¬
1908 die Formel in seiner Zeitschrift glocke) aufmerksam zu machen.
„Die Fackel“ um zum „Volk der Richter
und Henker“. Volkes Stimme ist Gottes Stimme
In seiner Dichtung „Werke und Tage“
warnt der altgriechische Dichter Hesiod
Das Volk der Richter und Henker
(um 700 v.Chr.) vor dem Gerede der
Das t Volk der Dichter und Denker Leute: „Ein Gerücht verstummt nie völ-

458
Teil I vom

lig, wenn viele/Leute es weiterverbrei¬ Erkenntnis gegessen hat, meint man,


ten; eine Gottheit ist es dann selbst“ daß er nicht klug, nicht begabt sei.
(763 f.). Im Mittelalter findet sich dafür
dann in verschiedenen Quellen die kür¬ Vom Bäumlein, das andere Blätter
zere mittellateinische Version Voxpopuli hat gewollt
vox Del („Volkes Stimme (ist] Gottes
Der Titel des Gedichtes von Friedrich
Stimme“). Sowohl die mittellateinische
Rückert (1788-1866) aus den „Fünf
Form als auch deren deutsche Überset¬
Märlein zum Einschläfern für mein
zung werden häufig dann zitiert, wenn
Schwesterlein“ wird zitiert, wenn sich
zum Ausdruck gebracht werden soll,
jemand zu Unrecht benachteiligt fühlt
daß die „Stimme des Volkes“, also die
und immer neue Wünsche erfüllt haben
öffentliche Meinung, ein großes Ge¬
möchte, bis er endlich glücklich sei¬
wicht hat und entsprechend berücksich¬
nen Ausgangszustand wiederhergestellt
tigt werden muß.
sieht.

T Hier ist des Volkes wahrer Him¬


Vom Eise befreit sind Strom und
mel
Bäche
Voll des süßen Weins sein Beim sogenannten „Osterspaziergang“
im 1. Teil von Goethes Tragödie spricht
Diese meist scherzhaft gebrauchte Re¬
Faust zu seinem Famulus Wagner die
dewendung, mit der man jemandes Be¬
Worte: „Vom Eise befreit sind Strom
trunkenheit konstatiert, ist biblischen
und Bäche/Durch des Frühlings holden,
Ursprungs. Im 2. Kapitel der Apostelge¬
belebenden Blick“ (Faust I, Vor dem
schichte wird von der Ausgießung des
Tor). Nach einem langen, kalten Winter
Heiligen Geistes an Pfingsten berichtet
begrüßt mancher mit diesen Worten den
und darüber, daß die Jünger anfingen
Anbruch des Frühlings. Aber auch als
„zu predigen mit andern Zungen“, so
Ausdruck der Erleichterung darüber,
daß alle Anwesenden der unterschied¬
daß eine Erstarrung überwunden ist und
lichsten Nationalität sie verstehen
eine neue Entwicklung einsetzt, wird
konnten. Dieses Pfingstwunder rief zu¬
das Zitat heute vielfach verwendet.
nächst verschiedenartige Reaktionen
hervor. Die meisten waren verwundert
Vom Erhabenen zum Lächerlichen
und entsetzten sich. Von einigen aber
ist nur ein Schritt
heißt es, sie „hatten ’s ihren Spott und
sprachen: Sie sind voll süßen Weins.“ Der Gedanke, daß Erhabenes und Lä¬
cherliches oft nahe beieinanderliegen,
Es t ist vollbracht daß allzu feierliche Würde leicht gro¬
tesk wirken, allzu würdevoll Erhabenes
t Denn ein vollkomm’ner Wider¬ leicht ins Komische Umschlägen kann,
spruch bleibt gleich geheimnisvoll war bereits öfter formuliert und ausge¬
für Kluge wie für Toren sprochen worden, bevor ihm schließlich
Napoleon Bonaparte die heute bekann¬
Vom Baum der Erkenntnis essen te Form gab. Napoleon soll den Aus¬
spruch - im französischen Original: Du
Diese Wendung geht auf das 1. Buch
sublime au ridicule iln'yaqu unpas- auf
Moses (2,9) im Alten Testament zurück,
seiner Flucht aus Rußland (Dezember
wo der „Baum der Erkenntnis des Gu¬
1812) mehrmals getan haben.
ten und des Bösen“ im Garten Eden er¬
wähnt wird. Trotz eines Verbots Gottes
Vom Fanatismus zur Barbarei ist
ißt Adam eine Frucht dieses Baums, was
die Vertreibung aus dem Paradies zur
es nur ein Schritt
Folge hat. Heute wird die Wendung im Das Zitat stammt aus der Abhandlung
Sinne von „durch Erfahrung klug, wis¬ „Principes de la Philosophie morale ou
send werden“ gebraucht. Wenn man Essai sur la morale et la vertu“ von
sagt, daß jemand nicht vom Baum der Denis Diderot (1713-1784), der hier von

459
11
Teil I
vom

dem Begriff des Moral sense - dem na¬ nimmt, was er bekommen kann, ist mög¬
türlichen Gefühl für das Schickliche - licherweise eine Verballhornung des is¬
des englischen Philosophen der Aufklä¬ raelischen Stammnamens Benjamin im
rung, des Earl of Shaftesbury, beein¬ Alten Testament. Auf göttlichen Befehl
flußt ist. sendet Moses je einen vornehmen Mann
aus den Stämmen Israels als Kund¬
Vom Mädchen reißt sich stolz der schafter ins Land Kanaan. Aus dem
Stamm Benjamin wird Palti, der Sohn
Knabe
Raphus, entsandt (4. Moses 13,9).
Das Zitat stammt aus Schillers „Lied
von der Glocke“, aus dem Abschnitt
Vom Vater hab’ ich die Statur
über Kindheit und Jugend. Dieser Vers
und die folgenden - „Er stürmt ins Le¬ Mit dieser Zeile beginnt das vorletzte
ben wild hinaus,/Durchmißt die Welt Gedicht von Goethes „Zahmen Xe-
am Wanderstabe“ - bilden gewisserma¬ nien“ (Buch VI), wo es im folgenden
ßen die Vorform zu den späteren: „Der heißt: „... /Des Lebens ernstes Füh-
Mann muß hinaus ins feindliche Le¬ ren,/Von Mütterchen die Frohnatur/
ben,/Muß wirken und streben .../Und Und Lust zu fabulieren.“ Nachdem der
drinnen waltet/Die züchtige Hausfrau.“ Dichter noch weitere Erbspuren festge¬
Spätestens nach der Kindheit beginnt stellt hat und die Elemente aus dem
nach dieser Auffassung die traditionelle Komplex nicht trennen kann, fragt er:
männliche und weibliche Rollenvertei¬ „Was ist denn an dem ganzen Wicht/
lung. Die Zeile wird heute wohl eher sel¬ Original zu nennen?“
tener zitiert; sie könnte die Beobach¬
tung kommentieren, daß ein Junge in Vom Winde verweht
einem bestimmten Alter nicht mehr mit Die amerikanische Schriftstellerin Mar¬
Mädchen spielen möchte. garet Mitchell (1900-1945) schrieb ein
einziges Buch, das allerdings ein Welt¬
Vom sichern Port läßt sich’s ge¬ erfolg wurde. Der Roman „Vom Winde
mächlich raten verweht“ (englischer Originaltitel: Gone
Diese Worte spricht in Schillers „Wil¬ with the wind) wurde zu einem der
helm Teil“ (1,1) Ruodi, der Fischer, zu meistgelesenen Bücher überhaupt. Er
Teil als Erwiderung auf dessen Auffor¬ beschreibt Schicksale vor dem Hinter¬
derung, doch den von den Häschern des grund der Wirren des amerikanischen
Landvogts verfolgten Konrad Baumgar¬ Bürgerkriegs (1861-1865) vom Stand¬
ten über den sturmbewegten See zu fah¬ punkt des Südstaatlers aus. Der bei¬
ren: „Vertrau auf Gott, und rette den spiellose Erfolg der Verfilmung des Ro¬
Bedrängten!“ Sie werden zitiert, wenn mans (1939) mit Vivian Leigh, Clark Ga¬
man ausdrücken will, daß jemand leicht ble und Olivia de Havilland in den
gute Ratschläge geben kann, da er sich Hauptrollen machte den Titel noch po¬
schließlich nicht in der gleichen prekä¬ pulärer. Er wird häufig im Zusammen¬
ren Situation befindet wie man selbst hang mit Personen oder Dingen zitiert,
und daher die Schwierigkeiten auch gar die in alle Richtungen zerstreut oder
nicht richtig beurteilen kann. - „Port“ ganz und gar verschwunden, nicht mehr
ist eine veraltete Bezeichnung für „Ha¬ auffindbar sind.
fen“ (lateinisch portus), die dichterisch
auch im Sinne von „Ort der Sicherheit, Von allen Geistern, die verneinen,
Geborgenheit“ verwendet wird. ist mir der Schalk am wenigsten zur
Last
Vom Stamme Nimm sein Diese Worte läßt Goethe im „Prolog im
Die umgangssprachlich scherzhafte Re¬ Himmel“, der dem ersten Teil der
dewendung, mit der man jemanden cha¬ Faust-Tragödie vorangestellt ist, Gott
rakterisiert, der stets auf seinen Vorteil zu Mephisto sprechen. Als „Geist, der
und Gewinn bedacht ist und immer alles stets verneint“ (siehe auch diesen Arti-

460
Teil I von

kel) stellt Mephisto sich ja später auch schen Gedicht „Wallenstein“ voran¬
selbst vor. Gott hat nichts dagegen, daß steht.
der Geist des Widerspruchs, die perso¬
nifizierte Negation der positiven Schaf¬ Von der Stirne heiß rinnen muß
fenskraft, den Menschen in Versuchung der Schweiß
führt und so aus seiner „unbedingten
Schillers Gedicht „Das Lied von der
Ruh’“ herauszulocken versucht. Die
Glocke“ ist zur Quelle vieler Zitate ge¬
Verse werden heute gelegentlich noch
worden, die heute allerdings meist in
zitiert, wenn ausgedrückt werden soll,
mehr oder weniger scherzhaftem Zu¬
daß man jemandes ironisch-schalkhaf¬
sammenhang gebraucht werden. So ver¬
tes Gebaren wohl einzuordnen weiß
hält es sich auch mit diesen beiden oft
und darin nichts Schlimmes oder Ab¬
zitierten Zeilen aus dem ersten Ab¬
schätziges sieht.
schnitt der Ballade, in dem der Meister
seine Gesellen zur fleißigen, angestreng¬
Von der Gewalt, die alle Menschen ten Arbeit ermuntert, damit der bevor¬
bindet, befreit der Mensch sich, stehende Glockenguß mit dem „Segen
der sich überwindet von oben“ zu einem guten Ende ge¬
Mit diesen sentenzhaften Versen bracht wird.
schließt die 24. Strophe des 1789 veröf¬
fentlichten, Fragment gebliebenen Ge¬ Von des Gedankens Blässe ange¬
dichts „Die Geheimnisse“ von Goethe. kränkelt
Kernpunkt der Aussage ist hier, wie
In dieser Form wird eine Stelle aus
auch in manchen andern Sinnsprüchen,
Shakespeares „Hamlet“ (erschienen
Sentenzen oder Sprichwörtern der Hin¬
1603) zitiert. Hamlet sinniert in seinem
weis auf die dem Menschen immer wie¬
berühmten, mit den Worten „Sein oder
der gestellte schwierige Aufgabe der Nichtsein“ beginnenden Monolog (drit¬
Selbstüberwindung, des Sieges über sich
ter Akt, erste Szene) über Sterben und
selbst, über seine eigenen Fehler und Tod und die Möglichkeit, sich durch
Schwächen und die von außen andrin¬
Freitod der Mühsal des Daseins zu ent¬
genden Anfechtungen. ziehen. Wäre da nicht „die Furcht vor
etwas nach dem Tod -I... Daß wir die
Von der Kultur beleckt Übel, die wir haben, lieber/Ertragen als
Diese scherzhafte Wendung, die im Sin¬ zu unbekannten fliehn“. Diese Furcht
ne von „zivilisiert, kulturell entwickelt“ läßt die meisten Menschen vor dem Äu¬
verwendet wird, hat Goethe schon ge¬ ßersten zurückschrecken. Hamlet fährt
kannt. Im ersten Teil seines Faust er¬ daher fort: „Der angebornen Farbe der
klärt Mephisto in der Szene „Hexenkü¬ Entschließung/wird des Gedankens
che“ der Hexe, die ihn wegen seines ele¬ Blässe angekränkelt“ (im Original: And
ganten Äußeren nicht sofort erkennt: thus the native hue of resolution/Is sick-
„Auch die Kultur, die alle Welt be- lied o er with the pale cast of thought). -
leckt,/Hat auf den Teufel sich er¬ Das Zitat wird als spöttischer Hinweis
streckt.“ auf jemandes Nachdenklichkeit ver¬
wendet, oft aber auch in der verneinten
Von der Parteien Gunst und Haß Form gebraucht, um jemandes Gedan¬
verwirrt, schwankt sein Charakter¬ kenlosigkeit zu kritisieren.
bild in der Geschichte
Von des Lebens Gütern allen ist
Das auf eine umstrittene herausragende
Persönlichkeit allgemein anwendbare
der Ruhm das höchste doch
Zitat steht im Prolog, den Schiller an¬ Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht
läßlich der Wiedereröffnung der Schau¬ „Das Siegesfest“, in dem der Gegensatz
bühne in Weimar im Oktober 1798 zu zwischen Siegern und Besiegten am Bei¬
„Wallensteins Lager“ verfaßte und der spiel der Griechen und Troer nach dem
seit 1800 dem vollständigen dramati¬ Trojanischen Krieg dargestellt wird.

461
von Teil I

Der Sohn Achills bringt an dieser Stelle Entschluß zu einer absehbar riskanten
dem toten Vater ein Trankopfer dar: Unternehmung die Rede ist oder von ei¬
„Unter allen ird’schen Losen,/Hoher nem unerfreulichen, erschreckenden Er¬
Vater, preis’ ich deins./Von des Lebens lebnis, das jemand hat, einer schlimmen
Gütern allen/Ist der Ruhm das höchste Erfahrung, die jemand gemacht hat o.ä.
doch;/Wenn der Leib in Staub zerfal- Verwendet hat den Märchentitel auch
len,/Lebt der große Name noch.“ Außer der Schriftsteller Günter Wallraff für
vielleicht in feierlichen Grabreden auf das 1970 erschienene Buch „Von einem
bedeutende Persönlichkeiten werden der auszog und das Fürchten lernte“.
diese Zeilen wohl kaum noch zitiert. Ein Sammelband des Autors Rainer
Kirsch aus dem Jahr 1978 trägt den Ti¬
tel: „Auszog, das Fürchten zu lernen“.
Von drauß’ vom Walde komm’ ich
her
Dieses Zitat wird gerne als scherzhaft Von gestern sein
abweisende Antwort auf die Frage be¬ Wenn man von jemandem sagt, er sei
nutzt, woher man denn komme, oder von gestern, so will man ausdrücken,
auch als kommentierende Äußerung daß man ihn für unerfahren, naiv,
beim Anblick einer in entsprechendem dumm oder auch für rückständig, alt¬
Aufzug daherkommenden Person. Es modisch hält. Die Redewendung geht
handelt sich dabei um die Eingangszeile auf ein Bibelwort im Alten Testament
des bekannten Weihnachtsgedichts zurück. Bei Hiob 8,9 heißt es: „... denn
„Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm wir sind von gestern hier und wissen
(1817-1888). Der Gedichtanfang wird nichts; unser Leben ist ein Schatten auf
häufig auch noch mit weiteren Zeilen Erden.“ Sehr häufig wird heute die
zitiert: „Von drauß’ vom Walde komm’ Wendung auch verneint gebraucht. Sie
ich her;/Ich muß euch sagen, es weih¬ wird dann mit einer gewissen Anerken¬
nachtet sehrl/Überall auf den Tannen¬ nung auf jemanden angewendet, dem
spitzen/Sah ich goldene Lichtlein sit¬ man Schlauheit, Pfiffigkeit, Geschäfts¬
zen ...“ tüchtigkeit attestieren will. Eine ameri¬
kanische Filmkomödie von 1950, in der
eine Frau sich vom unterdrückten
Von einem, der auszog, das Fürch¬
Dummchen zur überlegenen Frau
ten zu lernen
emanzipiert, trägt im Deutschen den
Das „Märchen von einem, der auszog, Titel „Die ist nicht von gestern“ (eng¬
das Fürchten zu lernen“ der Brüder lischer Originaltitel „Born yesterday“).
Grimm erzählt die Geschichte von ei¬
nem jungen Burschen, dessen größter
Wunsch es ist, „das Gruseln zu lernen“. Von Gottes Gnaden
Nach einer ganzen Reihe von Abenteu¬ Im 1. Korintherbrief (15,10) bezeugt
ern und Erlebnissen der schauerlichsten Paulus, daß er das, was er ist, göttlicher
Art hat er zwar nicht das Fürchten ge¬ Gnade verdankt: „Aber von Gottes
lernt, aber Reichtum und eine Königs¬ Gnade bin ich, was ich bin.“ Die Ab¬
tochter, „die schönste Jungfrau, welche hängigkeit des Menschen von der Gna¬
die Sonne beschien“, errungen. Das de Gottes wird damit zum Ausdruck ge¬
Gruseln aber lernt er erst, als seine Ge¬ bracht. Seit dem frühen Mittelalter leg¬
mahlin nächstens einen Eimer voller Fi¬ ten geistliche und weltliche Herrscher
sche in kaltem Wasser über ihn schüttet, ihrem Titel eine Formel bei, die den
und so kann er am Ende schließlich aus- Herrschaftsanspruch auf die Teilhabe
rufen: „Ach, was gruselt mir ... liebe an der göttlichen Gnade, das sogenann¬
Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln te Gottesgnadentum, begründete. Sie
ist.“ Der Titel dieses humoristisch-gro¬ lautete bei den geistlichen Herrschern
tesken Märchens wird bei unterschiedli¬ „Dei gratia“, bei den weltlichen Herr¬
chen Gelegenheiten immer wieder zi¬ schern seit der Zeit der Karolinger „von
tiert, beispielsweise, wenn von jemandes Gottes Gnaden“.

462
Teil I von

Von hier und heute geht eine neue viel zugut und noch jetzund getan.“
Epoche der Weltgeschichte aus, Man verwendet das Zitat im Sinne von
und ihr könnt sagen, ihr seid dabei¬ „von der allerfrühsten Jugend an“.
gewesen
Bei einem berühmt gewordenen Artille¬
Von nichts kommt nichts
rieduell, der sogenannten Kanonade Diese Redensart mit der Variante „Aus
von Valmy am 20. 9. 1792, zwangen die nichts wird nichts“ geht zurück auf die
französischen Revolutionstruppen die philosophische These ex nihilo nihil fit
preußisch-österreichischen Truppen („aus nichts entsteht nichts“) bei Aristo¬
zum Rückzug und begannen danach ih¬ teles, Lukrez, Thomas von Aquin u. a. In
ren siegreichen Vormarsch zum Rhein. seinem philosophischen Lehrgedicht
Goethe, der die Kanonade von Valmy „De rerum natura“ (Buch I, 150, 250
im Gefolge des Herzogs von Weimar und II, 287) behandelte der römische
miterlebte, berichtet in seiner dreißig Dichter Lukrez (um 95-55 v. Chr.) die¬
Jahre später niedergeschriebenen sen Satz, der meist zur Begründung der
„Kampagne in Frankreich“ unter der These von der Ewigkeit der Welt im Ge¬
Eintragung vom 19. 9. 1792 von dieser gensatz zur biblischen Lehre von der
Schlacht. Am Abend der Niederlage, so Schöpfung herangezogen wurde. „Von
berichtet Goethe, habe er, von den be¬ nichts kommt nichts“ sagt man heute
drückten und niedergeschlagenen Leu¬ einerseits im Wissen, daß es notwendig
ten nach seiner Meinung befragt, den ist, sich anzustrengen. Andrerseits hat
Ausspruch von der neuen Epoche der man mit dieser Redensart eine Erklä¬
Weltgeschichte getan. Dieser Ausspruch rung für etwas eher Unangenehmes
wird heute je nach Anlaß vollständig parat im Sinne von „es hat alles seine
oder auch in Teilen zitiert. Ursache, so daß man sich nicht zu wun¬
dern braucht.“

Von Humanität durch Nationalität


Von Pontius zu Pilatus laufen
zur Bestialität
Diese Redewendung wird häufig be¬
Der österreichische Dramatiker Franz nutzt, um auszudrücken, daß man in ei¬
Grillparzer (1791-1872) sah im Hause ner bestimmten Angelegenheit viele
Habsburg und in der österreichischen Wege machen, von einer Stelle zur an¬
Monarchie die Garanten für die politi¬ deren gehen muß, damit man die ge¬
sche Stabilität im Europa des 19. Jahr¬ wünschte Auskunft oder das Gesuchte
hunderts. Er sah aber die Auflösung der erhält. Sie geht auf die Stelle im Lukas¬
alten Ordnungen drohend am europäi¬ evangelium zurück, wo berichtet wird,
schen Horizont aufsteigen und betrach¬ wie Christus vom römischen Statthalter
tete mit Mißtrauen die allenthalben in Pontius Pilatus zu König Herodes und
Europa, besonders im Habsburgerreich von diesem wieder zu Pilatus geschickt
aufkommenden nationalen Bestrebun¬ wird (Lukas 23,7 ff.). Der Volksmund
gen. Wie er diese Entwicklung beurteil¬ hat das eigentlich korrekte „Von Hero¬
te, formulierte er 1849 bissig-sarkastisch des zu Pontius Pilatus laufen“ dann spä¬
in einem Epigramm: „Der Weg der ter alliterierend mit den Namensbe¬
neueren Bildung geht/Von Humanität/ standteilen des römischen Prokurators
Durch Nationalität/Zur Bestialität“. umgestaltet. Üblich ist auch „Von Ponti¬
us zu Pilatus geschickt werden.“
Von Mutterleib und Kindesbeinen
an Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten
Diese Formulierung findet sich in dem gern
Kirchenlied „Nun danket alle Gott“ Am Ende des „Prologs im Himmel“
von Martin Rinckart (1586-1649). Es (Goethe, Faust I) spricht Mephisto die¬
heißt dort von Gott: „Der uns von Mut¬ se Worte in bezug auf „den Herrn“.
terleib und Kindesbeinen an/Unzählig Heute wird die Zeile häufig mit iro-

463
vor Teil I

nisch-scherzhaftem Bezug auf einen Zitat am Ende. In anspruchsvollerem


Chef oder den Vater zitiert, gelegentlich Rahmen wird es auch vollständiger zi¬
auch mit der im Text folgenden Zeile: tiert und lautet dann: „Wir stehen selbst
.../Und hüte mich, mit ihm zu brechen“. enttäuscht und sehn betroffen/Den Vor¬
hang zu und alle Fragen offen.“ Es han¬
... vor dem Herrn delt sich dabei um zwei Zeilen aus dem
Epilog zu dem Parabelstück „Der gute
Ein t gewaltiger Jäger vor dem Herrn
Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht
(1898-1956). Die Heldin des Stücks,
Vor den Erfolg haben die Götter
Shen Te, kann der Forderung der drei
den Schweiß gesetzt
Götter, nämlich „gut zu sein und doch
T Ohne Fleiß kein Preis zu leben“, nicht entsprechen und bittet
diese am Ende um ihre Hilfe. Die Götter
Vor Tische las man’s anders aber verweigern jede verbindliche Ant¬
Dieser Ausspruch stammt aus Schillers wort und entschwinden „lächelnd und
Drama „Wallenstein“ (Die Piccolomini winkend“ auf einer rosa Wolke. Das un¬
IV, 7). Der „kaiserliche Generalissimus“ befriedigende Ende wird im Epilog
Wallenstein möchte sich der bedin¬ kommentiert. Die Bühnenanweisung
gungslosen Parteinahme seiner Generä¬ dazu heißt: „Vor den Vorhang tritt ein
le schriftlich versichern und läßt dazu Spieler und wendet sich entschuldigend
ein entsprechendes Schriftstück verfas¬ an das Publikum ...“ Nachdem dieser
sen. Bei einem Bankett sollen alle unter¬ Spieler dann konstatiert hat, daß „alle
schreiben. Die Bankettszenen füllen den Fragen offen“ sind, empfiehlt er dem
gesamten 4. Akt. Zu Beginn wird das Publikum, selbst nachzudenken und
Schriftstück verlesen. Es enthält eine nach einer Lösung zu suchen. Der Epi¬
wichtige Vorbehaltsklausel („soweit log endet schließlich mit den Worten:
nämlich unser dem Kaiser geleisteter „Verehrtes Publikum, los, such dir
Eid es erlauben wird“), die in einer selbst den Schluß!/Es muß ein guter da
zweiten, den Generälen gegen Ende des sein, muß, muß, muß!“
Banketts schließlich zur Unterschrift
vorgelegten Version fehlt. Für die mei¬
Vorschußlorbeeren
sten der mittlerweile mehr oder weniger
betrunkenen Generäle ist dies ohne Be¬ Ein im voraus gespendetes, meist mit
lang. Einer aber, General Tiefenbach, hohen Erwartungen verbundenes Lob
ist mißtrauisch geworden, er vermißt die wird oft mit diesem Ausdruck bezeich¬
Klausel und sagt: „Ich merkt’ es wohl, net. Er geht zurück auf eine Formulie¬
vor Tische las man’s anders.“ Später rung in einem Gedicht von Heinrich
fügt er noch hinzu: „Vor Tisch war ein Heine (1797-1856) mit dem Titel „Pla-
gewisser Vorbehalt/Und eine Klausel teniden“ (bezogen auf den Dichter Au¬
drin von Kaisers Dienst.“ Der Aus¬ gust von Platen) aus dem 2. Buch der
spruch „Vor Tische las man’s anders“ Lyriksammlung „Romanzero“. In der 4.
wurde zum geflügelten Wort, das aber Strophe sagt Heine von Schiller, Goe¬
wohl weniger im Zusammenhang mit ei¬ the, Lessing und Wieland, den „wahren
nem geänderten Schriftstück zitiert wird Prinzen aus Genieland“, sie „haben nie
als eher in Fällen eines auffallenden Kredit begehrt“ und fügt dann in der 5.
Sinneswandels oder einer nicht einge¬ Strophe hinzu: „Wollten keine Ovatio¬
haltenen Abmachung. nen/Von dem Publiko auf Pump,/Keine
Vorschußlorbeerkronen,/Rühmten sich
Den Vorhang zu und alle Fragen nicht keck und plump.“
offen
Wenn ein Gespräch, eine Diskussion Vorsicht ist die Mutter der Porzel¬
o.ä. ohne eindeutiges Ergebnis bleibt lankiste
oder sonst irgendwie unbefriedigend Der t bessere Teil der Tapferkeit ist Vor¬
verläuft, dann steht gelegentlich dieses sicht

464
Teil I Wacht

Vorsicht ist die Mutter der Tapfer¬ anspruchsvolleren, über seinen be¬
keit schränkteren Bereich hinausführenden
Der t bessere Teil der Tapferkeit ist Vor¬ Aufgaben wächst und dadurch an inne¬
sicht rer Stärke und Größe gewinnt, wird mit
diesem Zitat zum Ausdruck gebracht.
Es stammt aus dem Prolog zu Schillers
t Allein der Vortrag macht des
Drama „Wallensteins Lager“, der bei
Redners Glück
der Wiedereröffnung der Schaubühne
in Weimar im Oktober 1798 gesprochen
Vorwärts und nicht vergessen
wurde. Die vierte Strophe des Prologs
Mit diesem Aufruf beginnt das „Solida¬ schließt mit den Worten: „Denn nur der
ritätslied“ von Bertolt Brecht, zu dem große Gegenstand vermag/Den tiefen
Hanns Eisler die Musik schrieb. Was Grund der Menschen aufzuregen,/Im
nicht vergessen werden soll, ist die Stär¬ engen Kreis verengert sich der Sinn,/Es
ke der Ausgebeuteten: die Fähigkeit zu wächst der Mensch mit seinen großem
solidarischem Handeln, die Solidarität. Zwecken.“
Dementsprechend wird das Zitat auch
heute meist in Zusammenhängen ver¬ Es wächst hienieden Brot genug
wendet, in denen man - mit deutlichem
für alle Menschenkinder
Anklang an klassenkämpferische Vor¬
stellungen - zu solidarischem Zusam¬ Diese Worte werden zitiert, wenn es um
menstehen aufrufen will. die ungleiche Verteilung materieller Gü¬
ter und die Benachteiligung bestimmter
sozialer Gruppen oder auch um die
Vox populi vox Dei
Hungersnöte auf der Erde geht. Sie
t Volkes Stimme ist Gottes Stimme
stammen aus dem ersten Gedicht der
zeitkritischen Verssatire „Deutschland.
Ein Wintermärchen“ von Heinrich Hei¬
ne (1797-1856). In dem Werk schildert
Heine seine Eindrücke von einer Reise
durch Deutschland, die er 1843 nach

w
über zwölfjährigem Aufenthalt in
Frankreich unternommen hatte, und
verbindet sie mit satirischen Angriffen
auf die politischen Zustände in seinem
Heimatland.
Wach auf, mein Herz, und singe
Wächst mir ein Kornfeld in der
„Wach auf, mein Herz, und singe/dem
flachen Hand?
Schöpfer aller Dinge,/dem Geber aller
Güter,/dem frommen Menschenhüter.“ t Kann ich Armeen aus der Erde stamp¬
So beginnt das „Morgenlied“ des evan¬ fen?
gelischen Theologen und Kirchenlied¬
dichters Paul Gerhardt (1607-1676; t Jetzt wächst zusammen, was zu¬
Evangelisches Kirchengesangbuch Nr. sammengehört
348). Der erste Vers wird heute gelegent¬
lich noch scherzhaft zitiert, wenn man Die Wacht am Rhein
jemanden am Morgen aufweckt und ihn Dies ist der Titel eines 1840/41 entstan¬
für die Arbeit des bevorstehenden Tages denen patriotischen Gedichts von Max
ermuntern will. Schneckenburger (1819-1849), einem
Dichter, der besonders durch seine va¬
Es wächst der Mensch mit seinen terländischen Lieder bekannt wurde.
großem Zwecken Der Titel des Gedichts ist auch ein Teil
Die Erfahrung, daß mancher, dem man des Kehrreims: „Lieb Vaterland, magst
eigentlich viel weniger zutraut, erst mit ruhig sein:/Fest steht und treu die

465
wacht Teil I

Wacht am Rhein.“ Das Gedicht erlang¬ T Mit den Waffen einer Frau
te in der 1854 entstandenen Vertonung
von Carl Wilhelm volkstümliche Be¬
Die Waffen nieder
liebtheit und erhielt durch seinen die re¬
ligiösen und nationalen Affekte mobili¬ Im Jahr 1889 veröffentlichte die öster¬
sierenden Charakter besondere Aktuali¬ reichische Schriftstellerin Bertha von
tät im Deutsch-Französischen Krieg Suttner (1843-1914) den Roman „Die
1870/71. Der Liedtitel wird heute meist Waffen nieder!“, mit dem sie Weltruhm
ironisch gebraucht, beispielsweise in errang. Sie kämpfte damit für den Ge¬
Wendungen wie „dastehen wie die danken des Friedens und gegen die Vor¬
Wacht am Rhein“ oder in scherzhaften stellung, der Krieg könne ein legitimes
Abwandlungen wie „die Wucht am Mittel zur Lösung von Konflikten zwi¬
Rhein“. schen den Staaten sein. - Man verwen¬
det das Zitat auch heute noch im Sinne
Bertha von Suttners. Es kann jedoch
Wacht auf, Verdammte dieser auch scherzhaft in weniger ernsten Zu¬
Erde sammenhängen gebraucht werden.

Mit diesem kämpferischen Aufruf be¬


ginnt die heute übliche deutsche Fas¬ Die Waffen ruh’n, des Krieges
sung des Kampflieds der internationa¬ Stürme schweigen
len sozialistischen Arbeiterbewegung, Mit diesen Worten beginnt Johanna in
„Die Internationale“. Der ursprünglich Schillers „Jungfrau von Orleans“ (1801)
sechsstrophige Text des französischen ihren großen Monolog am Anfang des
Kommunarden Eugene Pottier von 1871 4. Auftritts (IV, 1). Man zitiert diesen
wurde 1888 von dem französischen
Vers heute zum Beispiel, wenn nach ei¬
Chorleiter Pierre Degeyter vertont. Ab ner Zeit angestrengter Arbeit, nach gro¬
1900 erschienen in Deutschland und an¬ ßer Hektik endlich eine Phase der Ruhe
deren Nachbarländern verschiedene
eintritt, Druck und Anspannung wei¬
Übersetzungen. Die heute übliche deut¬
chen und man sich wieder erleichtert
sche Fassung von 1910 stammt von Emil
und entspannt fühlen kann.
Luckhardt. Sie wurde häufig im Rah¬
men von Gewerkschaftsveranstaltun¬
gen, besonders bei Feiern zum 1. Mai TOhne Wahl verteilt die Gaben,
gesungen. Die Internationale war bis ohne Billigkeit das Glück
1943 Nationalhymne der Sowjetunion.
Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist
lang
Der wackre Schwabe forcht’ sich
nit Dies gibt Schiller in seinem Gedicht
„Das Lied von der Glocke“ (1799) in
Das Zitat von der Unerschrockenheit
einem Zusammenhang zu bedenken, in
und Unerschütterlichkeit der Schwaben
dem von der Verbindung zweier Men¬
hat seinen Ursprung in Ludwig Uhlands
schen die Rede ist. Dem zitierten Vers
(1787-1862) Romanze „Schwäbische
geht der Rat voraus: „Drum prüfe, wer
Kunde“. Sie berichtet von Kaiser Bar¬
sich ewig bindet,/Ob sich das Herz zum
barossas Kreuzzug, auf dem sich „ein
Herzen findet.“ - Das Zitat ist eine
Herr aus Schwabenland“ durch die
Warnung vor einer zu schnellen, nicht
zahlreichen türkischen Pfeile in seinem
genügend überlegten und in euphori¬
Schild gar nicht beeindrucken läßt, bis
scher Stimmung getroffenen Entschei¬
er selbst mit dem Säbel bedroht wird:
dung, deren unangenehme Folgen nicht
„Der wackre Schwabe forcht’ sich
ausbleiben.
nit,/Ging seines Weges Schritt vor
Schritt,/Ließ sich den Schild mit Pfeilen
spicken/Und tät nur spöttisch um sich t Wenn es nicht wahr ist, ist es sehr
blicken ..." gut erfunden

466
Teil I Wald

Der wahre Bettler ist der wahre Das Wahre ist das Ganze
König In der Vorrede zu Georg Wilhelm Fried¬
Die Worte „Der wahre Bettler ist/Doch rich Hegels „Phänomenologie des Gei¬
einzig und allein der wahre König!“ stes“ findet sich diese Aussage, die mit
ruft in Gotthold Ephraim Lessings dem Satz „Das Ganze ist aber nur das
(1729-1781) Versdrama „Nathan der durch seine Entwicklung sich vollen¬
Weise“ der reiche Jude Nathan dem dende Wesen“ weiter ausgeführt wird.
zum Schatzmeister des Sultans Saladin Mit dem Zitat weist man daraufhin, daß
ernannten Derwisch Al-Hafi nach, der unvollständige Erkenntnisse leicht zu
zum Ganges aufbricht. Der Derwisch falschen Beurteilungen führen können,
will nämlich wieder der unabhängige daß eine unvollständige Darstellung
Bettler sein, der er war, und nicht mehr keinen Anspruch auf Wahrheit haben
der Geldbeschaffer des Sultans. Na¬ kann.
thans Worte werden zitiert, wenn man
auf die Freiheit hinweisen will, mit der Die Wahrheit ist immer konkret
der Verzicht auf materielle Güter ver¬ Dieser Satz über die Wahrheit in ihrem
bunden sein kann. Bezug zur Wirklichkeit ist zusammen
mit dem vorangehenden „Eine abstrak¬
Der wahre Jakob te Wahrheit gibt es nicht“ ein Zitat aus
Die Herkunft dieses Ausdrucks ist nicht Lenins (1870-1924) Schrift von 1904:
ganz gesichert. Meist führt man ihn auf „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zu¬
den Apostel Jakobus d.Ä. zurück, den rück (Die Krise in unserer Partei)“.
Schutzpatron Spaniens, dessen Grab
sich der Legende nach in dem spani¬ t Wenn’s der Wahrheitsfindung
schen Wallfahrtsort Santiago de Com- dient
postela befinden soll, dessen Gebeine
aber oft auch in andern, „falschen“ Der Wald steht schwarz und
Gräbern vermutet wurden. Bei anderen schweiget
Erklärungsversuchen wird auf den bi¬ ln Matthias Claudius’ „Abendlied“
blischen Jakob (1. Moses, 27) hingewie¬ (vergleiche den Artikel „Der Mond ist
sen, der seinen Bruder Esau um das aufgegangen“) lautet die zweite Hälfte
Erstgeburtsrecht und den Segen des Va¬ der ersten Strophe: „Der Wald steht
ters betrog. Der Ausdruck wird meist in schwarz und schweiget,/Und aus den
dem umgangssprachlichen Ausspruch Wiesen steiget/der weiße Nebel wun¬
„Das ist [auch] nicht der wahre Jakob“ derbar.“ Man verwendet das Zitat gele¬
mit der Bedeutung „Das ist auch nicht gentlich beim Anblick eines dunklen
gerade das Richtige“ verwendet. Waldrandes als Ausdruck einer entspre¬
chenden Ergriffenheit, einer von ro¬
Wahre Prinzen aus Genieland mantischer Naturerfahrung geprägten
Stimmung.
Mit diesen Worten charakterisiert Hein¬
rich Heine in seinem Gedicht „Plateni-
den“ aus dem 2. Buch der Sammlung
t Nicht für einen Wald voll Affen
„Romanzero“ die Klassiker Schiller,
Den Wald vor lauter Bäumen nicht
Goethe, Lessing und Wieland (im Un¬
terschied zu dem Dichter August Graf sehen
von Platen, den er für einen Epigonen Die Redewendung hat zweierlei Bedeu¬
hält) als die wirklich schöpferischen Re¬ tung. Man gebraucht sie einmal im Sin¬
präsentanten deutscher Dichtkunst. ne von „etwas, was man sucht, nicht se¬
Menschen mit überragender schöpferi¬ hen, obwohl es in unmittelbarer Nähe
scher Begabung können auch heute, liegt“, zum anderen in der Bedeutung
wenn auch eher scherzhaft, als wahre „über zu vielen Einzelheiten das größe¬
Prinzen aus Genieland bezeichnet wer¬ re Ganze nicht erfassen“. Sie ist durch
den. Christoph Martin Wieland (1733-1813)

467
Walde Teil I

populär geworden, der sich in verschie¬ die Sichtweise der angestammten Um¬
denen seiner Werke dieser Ausdrucks¬ gebung bleiben, gebraucht man dieses
weise bediente. So zum Beispiel in sei¬ Zitat aus Goethes Roman „Wahlver¬
ner Versdichtung „Musarion“. Hier wandtschaften“ (11,7). Im Original
heißt es im 2. Buch: „Die Herren dieser schreibt Ottilie nach einem Gespräch
Art blend’t oft zu vieles Licht;/Sie sehn mit dem „Gehülfen“ in ihr Tagebuch
den Wald vor lauter Bäumen nicht.“ Ein kritische Gedanken über die Wechsel¬
Zeitgenosse Wielands, der österreichi¬ beziehung von Mensch und Lebensum¬
sche Schriftsteller Johannes Aloys Blu- feld und faßt diese in die Worte: „Es
mauer (1755-1798), dichtete in seiner wandelt niemand ungestraft unter Pal¬
Äneis-Travestie „Er sieht oft, wie Herr men, und die Gesinnungen ändern sich
Wieland spricht,/Den Wald vor lauter gewiß in einem Lande, wo Elefanten
Bäumen nicht.“ und Tiger zu Hause sind.“

t Von drauß’ vom Walde komm’


ich her Wanderer, kommst du nach Spar¬
ta
Waldeinsamkeit Im Jahr 480 v. Chr. verteidigte der Spar¬
t Mondbeglänzte Zaubernacht tanerkönig Leonidas die Thermopylen,
einen schmalen Küstenstreifen zwi¬
t Durch die Wälder, durch die schen Meer und Gebirge, gegen die vor¬
Auen dringenden Perser. Zum Gedenken an
die Gefallenen der Schlacht bei den
Thermopylen verfaßte - nach der Über¬
T In des Waldes düstern Gründen
lieferung des griechischen Geschichts¬
schreibers Herodot (um 490-um 430
t Und es wallet und siedet und v.Chr.) - der griechische Lyriker Simo-
brauset und zischt nides von Keos (um 556-um 467
v.Chr.) das Distichon: „”Q £ew’, äy-
t... an die Wand drücken, daß sie yeketv Aaxe5aijj.oui.oic;, öxt xfjSe/
quietschen xeipeüa, T0I5 xeivcov pf)paoi Jtei0ö(xe-
voi“, das Cicero in seinen Tusculanae
Ein wandelndes Konversations¬ Disputationes (1,42,101) ins Lateini¬
lexikon sche übertrug: Disc, hospes, Spartae nos
te hic vidisse iacentes,/Dum sanctis pa¬
Die Bezeichnung für einen Menschen
triae legibus obsequimur. Schiller nahm
mit umfassenden Kenntnissen wurde
darauf in seiner Elegie „Der Spazier¬
durch den Dichter, Komponisten und
gang“ (1795) Bezug und übersetzte es in
Zeichner E. T. A. Hoffmann (1776 bis
der Form: „Wanderer, kommst du nach
1823) bekannt und populär. In seinem
Sparta, verkündige dorten, du/habest/
Erzählzyklus „Die Serapionsbrüder“ (3.
Band) wird der Sekretär Tusmann „ein Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz
es befahl.“ - Heinrich Böll gab einem
lebendiges Konversationslexikon“ ge¬
1950 erschienenen Band mit Erzählun¬
nannt, „das man aufschlug, wenn es auf
irgendeine historische oder wissen¬ gen den Titel „Wanderer, kommst du
schaftliche Notiz ankam.“ nach Spa und bei Günter Grass fin¬
det man eine Bildunterschrift in seinem
Band „Totes Holz“, in dem er den ge¬
Es wandelt niemand ungestraft
schädigten Wald mit seinen umgestürz¬
unter Palmen
ten Bäumen zeichnete: „Wanderer, du
Wenn man andeuten will, daß die Ein¬ hast sie liegen sehn, wie das Gesetz es
drücke und Erfahrungen, die man in ei¬ befahl.“ - Man kann das Zitat als Auf¬
nem unbekannten, fern der Heimat lie¬ forderung verwenden, zu etwas Be¬
genden Land gesammelt hat, nicht ohne stimmtem, Anzuklagendem nicht zu
Auswirkung auf das eigene Denken und schweigen.

468
Teil I war’

Wandererzwischen zwei Welten manden, der besonders wanderbegei¬


Mit diesem Zitat charakterisiert man stert ist.
einen Menschen, der versucht, in zwei
verschiedenen Lebenswelten zu Hause Wann treffen wir drei wieder zu-
zu sein, sie mit seinem Leben und Han¬ samm’?
deln in Einklang zu bringen, vielleicht Mit dieser Zeile beginnen die erste und
auch einen Menschen, der nicht weiß, die letzte Strophe der Ballade „Die
wohin er wirklich gehört. - Die Formu¬ Brück’ am Tay“ (1879) von Theodor
lierung geht auf den Titel des Buchs Fontane, der hier den Beginn des
„Der Wanderer zwischen beiden Wel¬ Shakespeareschen Dramas „Macbeth“
ten“ zurück, das der im Ersten Welt¬ zitiert. Der englische Text When shall we
krieg gefallene Schriftsteller Walter Ihree meel again? ist dem Gedicht wie
Flex (1887-1917) in Erinnerung an ei¬ ein Motto vorangestellt. Bei Shake¬
nen bereits vor ihm im Krieg gefallenen speare verabreden sich drei Hexen für
Freund schrieb. Die idealisierte Gestalt ein späteres Treffen mit Macbeth, bei
des jungen, vom Geist des Wandervo¬ Fontane sind es personifizierte Natur¬
gels geprägten Theologiestudenten wur¬ gewalten, die eine Zusammenkunft „um
de in der Folgezeit zu einem Idealbild die siebente Stund’, am Brückendamm“
für viele junge Menschen. planen, um die Eisenbahnbrücke über
den schottischen Fluß Tay zum Einsturz
Das Wandern ist des Müllers Lust zu bringen. - Man verwendet das Zitat
Mit diesen Worten beginnt das bekann¬ scherzhaft, wenn man (zu dritt) ein Wie¬
te Volkslied „Wanderschaft“ aus dem dersehen verabreden möchte.
Liederzyklus „Die schöne Müllerin“
(vertont von Franz Schubert) des deut¬ Wann wird der Retter kommen
schen Dichters Wilhelm Müller diesem Lande?
(1794-1827; auch „Griechen-Müller“ Die erste Szene des ersten Aufzugs von
genannt). Der Anfang dieses auch heute Schillers Schauspiel „Wilhelm Teil“
noch oft gesungenen Liedes wird als (1804) endet mit dieser Frage. Die Men¬
Ausdruck der Freude am Wandern zi¬ schen in den schweizerischen Urkanto-
tiert. Man verwendet ihn aber auch zur nen fürchten den Landvogt Geßler und
scherzhaften Anspielung auf jemanden, sein Regiment, das sich wieder einmal
der es nicht lange in einer Stellung aus¬ in seiner Willkür gezeigt hat. - Das Zitat
hält und der häufig seinen Arbeitsplatz ist ein Stoßseufzer, der in verschiede¬
wechselt. nen - auch unpolitischen - Zusammen¬
hängen verwendet werden kann.
Wandervogel
Dies ist der Name der zu Beginn des 20. T Es war einmal
Jahrhunderts entstandenen Jugendbe¬
wegung, in der gemeinsames Wandern, Es war schon immer etwas teurer,
Volkstanz, das Singen von Volksliedern, einen besonderen Geschmack zu
das Erleben von Natur und von Freund¬ haben
schaft besonders gepflegt wurden. Der
Dieser Werbespruch für die Zigaretten¬
Name war im Jahr 1901 bei der Grün¬
marke „Atika“ (1967 neu eingeführt) ist
dungssitzung in Berlin-Steglitz geprägt
zu einer allgemein gebräuchlichen Re¬
worden. Von dem deutschen Schriftstel¬
densart geworden. Man kommentiert
ler Hans Blüher (1888-1955) wurde die
beziehungsweise entschuldigt damit
Geschichte dieses Jugendbundes in ei¬
scherzhaft den Kauf oder Besitz von et¬
nem 1912 erschienenen zweibändigen
was Teurem, Ausgefallenem.
Werk mit dem Titel „Wandervogel. Ge¬
schichte einer Jugendbewegung“ darge¬
stellt. - Als „Wandervogel“ bezeichnet War’ der Gedank’ nicht so ver¬
man heute mit freundlichem Spott je¬ wünscht gescheit, man wär’ ver-

469
war’ Teil I

sucht, ihn herzlich dumm zu nen¬ nen. Es stammt aus einem wohl im
nen 19. Jh. entstandenen Volkslied, das die
traurige Geschichte von den durch ein
Mit diesen Worten kommentiert Wal¬
„tiefes Wasser“ getrennten Königskin¬
lenstein im zweiten Teil von Schillers
dern erzählt. Der Königssohn ertrinkt
Wallenstein-Trilogie („Die Piccolomi¬
bei dem Versuch, nachts über das Meer
ni“, 11,7) die Absicht des Kaisers, ihm
zu schwimmen, weil ein „falsches
acht Regimenter als Eskorte für den
Nönnchen“ die Kerzen ausgeblasen
Bruder des spanischen Königs zu ent¬
hat, die ihm zur Orientierung am Ufer
ziehen. Er erkennt sofort, daß unter die¬
leuchten sollten. Das Grundmotiv des
sem Vorwand seine Armee gespalten
Liedes geht auf die antike Sage von
werden soll. Das Zitat wird heute ver¬
Hero und Leander zurück.
wendet, wenn man selbst ein Vorhaben
durchschaut, gleichwohl aber weiß, daß
es auf andere seine Wirkung nicht ver¬ Wär’s möglich? Könnt’ ich nicht
fehlen wird. mehr, wie ich wollte?
Das Zitat steht in Schillers Tragödie
War’ nicht das Auge sonnenhaft, „Wallensteins Tod“ (1,4) am Anfang
die Sonne könnt’ es nie erblicken von Wallensteins Monolog, in dem er
noch nicht erkennen will, daß er den
Diese Verse aus dem 3. Buch von Goe¬
thes „Zahmen Xenien“ (1824) werden Abfall vom Kaiser vollziehen muß, ob¬
wohl er nur mit dem Gedanken gespielt
oft auch zusammen mit der Fortsetzung
hatte: „Wär’s möglich? Könnt’ ich nicht
„Läg’ nicht in uns des Gottes eigne
mehr, wie ich wollte?/Nicht mehr zu¬
Kraft,/Wie könnt’ uns Göttliches ent¬
rück, wie mir’s beliebt? Ich müßte/Die
zücken?“ zitiert. Eine nur in den mittle¬
Tat vollbringen, weil ich sie gedacht...?“
ren Versen leicht abweichende Fassung
stand bereits in der Einleitung der 1810 Geläufig ist die Formulierung „auch
veröffentlichten Abhandlung „Zur Far¬ nicht immer können, wie man will“, mit
benlehre“. Goethes Auffassung, daß Er¬ der man seine Abhängigkeit von äuße¬
kenntnis nur durch das Angelegtsein ren Umständen, seine Verpflichtungen
des Erkennenden auf das zu Erkennen¬ gegenüber anderen zum Ausdruck brin¬
gen kann.
de möglich ist, basiert auf dem griechi¬
schen Philosophen Plotin (um
205-270), bei dem es in den „Ennea- Wärst du an meiner Stelle, du wür¬
den“ (1,6,9) heißt: „Nie hätte das Auge dest anders denken
die Sonne gesehen, wäre es nicht selbst Diese oder eine ähnliche Formulierung,
sonnenhafter Natur“, und auf einem Zi¬ mit der man sich in einer schwierigen Si¬
tat aus dem Lehrgedicht „Astronomica“ tuation mehr Verständnis von seinem
(II, 115 f.) des römischen Astronomen Gegenüber erhofft, geht auf den römi¬
Marcus Manilius (1. Hälfte des l.Jh.s), schen Komödiendichter Terenz (um
das Goethe am 4. 9. 1784 im „Brocken¬ 190-159 v. Chr.) zurück. In „Andria“
buch“ notiert hatte: „Wer erkennte den (II, 1,10 und 14) heißt es: Tu si hic sis,
Himmel, verlieh’ nicht der Himmel es aliter sentias.
selbst ihm?/Und wer fände den Gott,
der nicht selbst ein Teil ist der Götter?“
Warte nur, balde
Mit diesem Zitat, das sowohl tröstlich
t Und ward nicht mehr gesehn
als drohend klingen kann, kündigt man
jemandem etwas Bestimmtes für die na¬
Es waren zwei Königskinder
he Zukunft an. Es stammt aus Goethes
Mit diesem Zitat bezeichnet man - bekanntem Gedicht „Über allen Gip¬
meist scherzhaft - zwei Personen oder feln ist Ruh’ “. Goethe hatte dieses Ge¬
Institutionen, die durch widrige Um¬ dicht in der Nacht vom 6. auf den 7. 9.
stände nicht zueinander (oder auch 1780 auf dem Gickelhahn, einem Berg
nicht zu einer Einigung) kommen kön¬ im Thüringer Wald nahe bei Ilmenau,

470
Teil I was

gedichtet und auf die Wand des dort ste¬ auf unmittelbare Lösungsmöglichkeiten
henden Bretterhäuschens geschrieben: für ein Problem zurückzugreifen, bloß
„Über allen Gipfeln/Ist Ruh’,/ln allen weil diese vielleicht zu wenig spektaku¬
Wipfeln/Spürest du/Kaum einen lär erscheinen, können sie scherzhaft¬
Hauch ;/Die Vögelein schweigen im mahnend entgegengehalten werden. Zu¬
Walde./Warte nur, balde/Ruhest du grunde liegen die - leicht umgestalte¬
auch.“ Mehrere Vertonungen (u.a. von ten - Anfangsverse von Goethes Vier¬
Carl Friedrich Zelter, Franz Schubert, zeiler „Erinnerung“ (im Sinne von „Er¬
Robert Schumann und Franz Liszt) mahnung“): „Willst du immer weiter
machten die Verse zusätzlich bekannt. schweifen?/Sieh, das Gute liegt so nah./
Lerne nur das Glück ergreifen,/Denn
Warte, warte nur ein Weilchen das Glück ist immer da.“
Von Walter Kollo (1878-1940), einem
der volkstümlichsten Berliner Kompo¬ Was aber ist deine Pflicht? - Die
nisten, stammt das mit diesen Versen be¬ t Forderung des Tages
ginnende Lied: „Warte, warte nur ein
Weilchen/Bald kommt auch das Glück Was aber schön ist, selig scheint es
zu dir“. Das Lied wurde von den Berli¬ in ihm selbst
nern parodiert und der Massenmörder Das Zitat ist die Schlußzeile des Ge¬
Haarmann darin verewigt: „Warte, war¬ dichts „Auf eine Lampe“ von Eduard
te nur ein Weilchen,/Bald kommt Haar¬ Mörike (1804-1875). Der schöne Ge¬
mann auch zu dir./Mit dem kleinen genstand schmückt die Decke eines
Hackebeilchen/Macht er Hackfleisch „fast vergeßnen Lustgemachs“. Als
auch aus dir.“ „Kunstgebild der echten Art“ scheint er
auch unbeachtet für sich selbst zu beste¬
Warten auf... hen: „Wer achtet sein?/Was aber schön
Dies ist der verkürzte und in vielfachen ist, selig scheint es in ihm selbst.“ Über
Abwandlungen gebrauchte Titel eines den Rahmen des Gedichts hinaus
Theaterstücks des irischen Schriftstel¬ spricht die sentenzhafte Aussage von
lers Samuel Beckett (1906-1989). Der der Selbstgenügsamkeit des Schönen, in
Originaltitel des zuerst französisch ge¬ sich Vollkommenen.
schriebenen, später vom Autor selbst ins
Englische übertragenen Stücks aus dem Was bleibet aber, stiften die Dich¬
Jahr 1953 ist En attendant Godot ter
(deutsch: „Warten auf Godot“). Die Wenn man zum Ausdruck bringen will,
zwei Hauptpersonen des Stücks, die daß bleibende Erinnerungen an vergan¬
Tramps Estragon und Wladimir führen gene Zeiten und Epochen letztlich nur
einen absurden Dialog, während sie auf durch Literatur vermittelt werden kön¬
einen Unbekannten mit Namen Godot nen, die nicht nur das Vordergründige,
warten, mit dem sie sich verabredet ha¬ vielmehr das Wesentliche festhält, zi¬
ben, von dem aber keiner weiß, ob er je tiert man den letzten Vers aus Hölder¬
kommt. - Man verwendet das Zitat lins (1770-1843) Gedicht „Andenken“,
meist scherzhaft oder auch als Ausdruck in dem die Erinnerung an Freunde dar¬
von Ungeduld beim langen oder vergeb¬ gestellt wird, die zu einer weiten See¬
lichen Warten auf jemanden oder etwas. reise aufgebrochen sind. Es schließt mit
den Zeilen: „Es nehmet aber/Und gibt
Warum in die Ferne schweifen? Gedächtnis die See,/Und die Lieb’ auch
Sieh, das Gute liegt so nah heftet fleißig die Augen,/Was bleibet
aber, stiften die Dichter.“
Diese Worte sagt man oftmals zu jeman¬
dem, der nicht einsehen will, daß die nä¬
here Umgebung, die Heimat genauso
Was da kreucht und fleucht
schön sein kann wie Ziele in fernen Län¬ Der 3. Aufzug von Schillers Drama
dern. Auch demjenigen, der sich scheut, „Wilhelm Teil“ (1804) beginnt mit dem

471
was Teil I

Gesang des Knaben Walter „Mit dem Was die Motten und der Rost nicht
Pfeil, dem Bogen“. Die letzte Strophe fressen, das holen die Diebe des
dieses Liedes lautet: „Ihm (= dem Nachts
Schützen) gehört das Weite,/Was sein
Als Ermahnung, sich nicht mit irdischen
Pfeil erreicht;/Das ist seine Beute,/Was
Gütern zu belasten, wird dieses Bibelzi¬
da kreucht und fleugt.“ Eine ähnliche
tat gelegentlich verwendet. Es geht auf
Umschreibung für alle Arten von Tieren
das 6. Kapitel des Matthäusevangeli¬
findet sich schon im Alten Testament
ums zurück und lautet dort (Vers 19):
(1. Moses 7,14), wo von den Tieren ge¬
„Ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Er¬
sprochen wird, die Noah in die Arche
den, da sie die Motten und der Rost
aufnimmt: „allerlei Getier nach seiner
fressen und da die Diebe nachgraben
Art ..., allerlei Gewürm, das auf Erden
und stehlen.“
kriecht... und allerlei Vögel... alles, was
fliegen konnte“. - Man verwendet die
Was du ererbt von deinen Vätern
Formel, um damit alle Lebewesen, be¬
hast, erwirb es, um es zu besitzen
sonders aber alles Getier zu bezeichnen.
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust
(Teil I, Nacht). In seinem zweiten gro¬
Was deines Amtes nicht ist, da laß ßen Monolog, der mit dem Entschluß
deinen Vorwitz zum Selbstmord endet, spricht Faust an¬
Das dritte Kapitel des zu den Apokry¬ gesichts des vom Vater hinterlassenen
phen des Alten Testaments zählenden „alt Geräte, das ich nicht gebraucht“,
„Buchs Jesus Sirach“ handelt „Vom Ge¬ diese berühmten Worte. Es sind Worte
horsam gegen die Eltern und von wah¬ über die Aneignung überlieferter Dinge
rer Demut“. Der 24. Vers gibt die als durch eigenen Einsatz, eigene Verdien¬
Zitat geläufige Anweisung, sich nur um ste, Worte über die Möglichkeit, die der
die Dinge zu kümmern, für die man Mensch hat, sich ererbte Güter zu eigen
auch zuständig ist, die einen etwas an- zu machen, indem er sie richtig nutzt.
gehen. Es heißt dort im Kontext Die dem bekannten Zitat unmittelbar
(3,23-25): „Denn es frommt dir nicht, folgende Zeile, „Was man nicht nützt,
daß du gaffst nach dem, was dir nicht ist eine schwere Last“, ein gelegentlich
befohlen ist. Und was deines Amtes auch allein zitiertes Wort, bringt die
nicht ist, da laß deinen Vorwitz; denn Weiterführung des Gedankens, daß nur
dir ist schon mehr befohlen, als du wirklich Angeeignetes und Genutztes
kannst ausrichten.“ Nützliches bewirkt, das Ungenutzte hin¬
gegen nur zum überflüssigen Ballast
werden kann.
Was? Der Blitz! Das ist ja die Gu-
stel aus Blasewitz
Was du nicht selber weißt, weißt
Der Ausruf stammt aus dem 5. Auftritt du nicht
von „Wallensteins Lager“ (1798) von
t Prüfe die Rechnung, du mußt sie be¬
Schiller, wo einer der Soldaten in der
zahlen
Marketenderin eine alte Bekannte wie¬
dererkennt und sie mit diesen Worten
Was du tun willst, das tue bald!
begrüßt. - Man verwendet heute das Zi¬
tat scherzhaft - meist in der Form „Potz Das 13. Kapitel des Johannesevangeli¬
Blitz! Das ist ja die Gustel aus Blase¬ ums berichtet von dem letzten Mahl, das
witz“ -, wenn man unvermutet einen Jesus mit seinen Jüngern einnahm.
Bekannten trifft, mit dem man nicht ge¬ Ostern war herangekommen, und Jesus
rechnet hat. wußte, daß die Zeit seines Leidens be¬
vorstand. Er wußte auch, daß Judas ihn
verraten würde, und sprach davon zu
t Und was die innere Stimme den Jüngern (13,21): „Wahrlich, wahr¬
spricht, das täuscht die hoffende lich, ich sage euch: Einer unter euch
Seele nicht wird mich verraten.“ Nachdem Jesus zu

472
Teil I was

verstehen gegeben hatte, daß Judas der reift. In den beiden vorhergehenden
Verräter sein werde, sagte er zu ihm Versen heißt es entsprechend: „Oft,
(13,27): „Was du tust, das tue bald!“ - wenn es erst durch Jahre durchgedrun¬
Das - leicht abgewandelte - Zitat ist ei¬ gen,/Erscheint es in vollendeter Ge¬
ne Aufforderung, bei etwas, wozu man stalt.“
sich entschlossen hat, nicht zu zaudern.
Was Gott tut, das ist wohl getan
Was du tust, bedenke das Ende Ein Kirchenlied von Samuel Rodigast
Im alttestamentlichen apokryphen Buch (1649-1708; Evangelisches Kirchenge¬
Jesus Sirach stehen die Worte: „Was im¬ sangbuch Nr. 299) beginnt mit diesem
mer du tust, so bedenke das Ende; so Vers, der schon früh zum geflügelten
wirst du nimmermehr Übles tun" (7,40). Wort wurde. Zur weiteren Verbreitung
Sie sind als Mahnung gedacht, stets die hat auch beigetragen, daß Gottfried Au¬
Konsequenzen des eigenen Handelns zu gust Bürger (1747-1794) ihn in seiner
bedenken. Diese Maxime findet sich in bekannten Ballade „Lenore“ verwende¬
ähnlicher Form schon bei dem altgrie¬ te. Man drückt mit dem Zitat eine gewis¬
chischen Fabeldichter Äsop (6.Jh. se Ergebenheit in sein Schicksal aus, be¬
v.Chr.) und bei dem altgriechischen ruhigt zum Beispiel sich selbst oder an¬
Geschichtsschreiber Herodot (5. Jh. dere mit dem Gedanken, daß uns auch
v.Chr.). Auf die Bibelstelle geht wohl das Unangenehme und Schmerzhafte
auch der in einer mittelalterlichen nicht ohne Gottes Willen widerfährt
Sammlung von Erzählungen zu finden¬ oder daß Ereignisse, die wir nicht ver¬
de lateinische Spruch zurück: Quidquid stehen, nach der göttlichen Vorsehung
agis, prudenter agas et respice finem durchaus ihren Sinn haben. So versucht
(„Was du tust, tue vorsichtig und beden¬ auch in Bürgers Gedicht in der sechsten
ke das Ende“). Diese lateinische Sen¬ Strophe Lenores Mutter ihre verzweifel¬
tenz wird häufig auch verkürzt zitiert: te Tochter zu trösten, deren Geliebter
Respice finem („Bedenke das Endel“). nicht aus dem Krieg zurückkehrt.

T Denn was er sinnt, ist Schrecken Was hat man dir, du armes Kind,
getan?
Was frag’ ich viel nach Geld und Der heute als scherzhafte Aufforderung,
Gut sich seinen Ärger über andere von der
Mit den Versen „Was frag ich viel nach Seele zu reden, zitierte Vers, stammt aus
Geld und Gut,/wenn ich zufrieden bin“ dem Gedicht „Mignon“ aus Goethes
beginnt das Lied „Zufriedenheit“ von Roman „Wilhelm Meister“ („Lehrjah¬
Johann Martin Miller (1750-1814), das re“ 3. Buch, „Theatralische Sendung“ 4.
von Christian Gottlob Neefe vertont Buch). Die Verse wurden von Zelter,
wurde. Man verwendet das Zitat, um Reichardt, Beethoven, Schubert, Liszt,
seine Unabhängigkeit von materiellen Schumann und Wolf vertont. Die Titel¬
Gütern zum Ausdruck zu bringen. gestalt singt von ihrer Sehnsucht nach
Italien und entwirft in der 2. Strophe das
Was glänzt, ist für den Augenblick Bild eines Palastes, in dem die Statuen
geboren; das Echte bleibt der sie fragend anblicken: „Und Marmor¬
bilder stehn und sehn mich an:/Was hat
Nachwelt unverloren
man dir, du armes Kind, getan?“
Diese Ansicht wird sentenzhaft vom
Dichter im „Vorspiel auf dem Theater“
Was ich geschrieben habe, das
zu Goethes Faust I vertreten. Was er
habe ich geschrieben
von der Dichtung sagt, gilt ganz allge¬
mein. Der Glanz, der einer Sache anhaf¬ Das meist in leicht scherzhaftem Ton
tet, hat oft nur Augenblickscharakter, verwendete Zitat, mit dem sich jemand
während Echtes dauerhaft ist und sogar weigert, an einem von ihm verfaßten
erst im Laufe der Jahre zur Vollendung Text etwas zu ändern, steht im Neuen

473
was Teil I

Testament (Johannes 19,22). Bei der der schweizerische Arzt, Naturforscher


Kreuzigung Jesu weigert sich der römi¬ und Dichter Albrecht von Haller
sche Statthalter Pilatus, die Kreuzesin¬ (1708-1777), hatte den gleichen Gedan¬
schrift „Jesus von Nazareth, der Juden ken schon in dem Gedicht „Gedanken
König“ auf Wunsch der jüdischen Ho¬ über Vernunft, Aberglauben und Un¬
henpriester - „Schreibe..., daß er gesagt glauben“ ausgesprochen. Er nannte hier
habe: Ich bin der Juden König“ - abzu¬ den Menschen ein „unselig Mittelding
ändern: „Was ich geschrieben habe, das von Engeln und von Vieh“ und fährt
habe ich geschrieben.“ - Das Wort wird fort „Du prahlst mit der Vernunft, und
gelegentlich auch in lateinischer (Quod du gebrauchst sie nie“. - Mit dem Zitat
scripsi, scripsi) oder in griechischer zieht man ein Fazit aus unbegreiflichem
Form ("O ysypacpa, yeygacpd) zitiert. menschlichem Verhalten, betont den
Charakter des Menschen, der sowohl zu
Was ihr den Geist der Zeiten heißt triebhaftem als auch zu sittlichem Han¬
t Sich in den Geist der Zeiten versetzen deln fähig ist.

Was ist das, was in uns lügt, mor¬ Was ist des Deutschen Vaterland?
det, stiehlt? Die patriotischen Lieder Ernst Moritz
Arndts (1769-1860) sind geprägt von
Diese klagende und zugleich anklagen¬
leidenschaftlichem Widerstand gegen
de Frage, die angesichts von Unrecht
die napoleonische Fremdherrschaft und
und Gewalt auf der Erde auch heute im¬
von der Parteinahme für die nationale
mer wieder gestellt werden kann, ist ei¬
Sache der Deutschen. 1813 veröffent¬
ne Äußerung des Dichters Georg Büch¬
lichte er seine „Lieder für die Teut-
ner (1813-1837) in einem Brief an seine
schen“, darunter das Gedicht „Des
Braut (wahrscheinlich vom November
Teutschen Vaterland“, dessen sechs er¬
1833). Er spricht darin vom „gräßlichen
ste Strophen jeweils mit dem Vers be¬
Fatalismus der Geschichte“; seine Kla¬
ginnen „Was ist des Teutschen Vater¬
ge gilt der Unfreiheit des Menschen, der
land?“ Diese rhetorische Frage und der
Unvollkommenheit seiner Natur und
Schlußvers der beiden letzten Strophen
der Determiniertheit seiner Handlungs¬
„Das ganze Teutschland soll es sein“
weise. Dem öfter zitierten Ausspruch
dienten in der Folgezeit häufig dazu, mit
geht der Satz voraus: „Das Muß ist eins
stark nationalistisch gefärbtem Unter¬
von den Verdammungsworten, womit
der Mensch getauft worden.“ In seinem ton eine Standortbestimmung Deutsch¬
lands und der Deutschen vorzunehmen.
Drama „Dantons Tod“ legt Büchner
So nahm zum Beispiel Ferdinand Frei-
dem französischen Revolutionär ganz
ähnliche Worte in den Mund (2. Akt, 5. ligrath (1810-1876) das Zitat in seinem
Szene): „Wer will der Hand fluchen, auf 1870 geschriebenen Gedicht „Hurra,
die der Fluch des Muß gefallen? Wer Germania!“ in der fünften Strophe auf:
hat das Muß gesprochen, wer? Was ist „Was ist des Deutschen Vater¬
das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und land -/Wir fragen’s heut nicht
mordet?“ mehr!/Ein Geist, ein Arm, ein einz’ger
Leib,/Ein Wille sind wir heut!“
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Was ist des Lebens höchste Lust?
Original zu nennen?
Die Liebe und der Wein
t Vom Vater hab’ ich die Statur
Das als Rätselfrage gestaltete Loblied
auf Liebe und Wein stammt aus Wenzel
Was ist der Mensch? Halb Tier,
Müllers Singspiel „Die Schwestern von
halb Engel
Prag“ mit dem Text von Joachim Peri¬
Mit diesem Vers beginnt das „Men¬ net (1765-1816) nach dem Lustspiel
schenbestimmung“ überschriebene Ge¬ „Die reisenden Komödianten“ von
dicht von Joachim Lorenz Evers Philipp Hafner. Die beiden Verse wur¬
(1758-1807). Sein älterer Zeitgenosse, den in das Studentenlied „Ich hab’ den

474
Teil I was

ganzen Vormittag auf meiner Kneip' Gotthold Ephraim Lessings (1729 bis
studiert“ übernommen. 1781) Lustspiel „Minna von Barnhelm“
(11,7). Dort spricht die Titelheldin aller¬
Was ist ihm Hekuba dings von sich selbst, als sie ihren verlo¬
rengeglaubten Verlobten, den Major
Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
von Tellheim, nach dem Ende des Sie¬
„Hamlet“ (11,2), wo Hamlet in einem
benjährigen Krieges plötzlich in ihrem
Monolog über die bewegende Darbie¬
Gasthof wiedergefunden hat.
tung eines Schauspielers reflektiert, der
das Leid der trojanischen Königin He¬
kuba mit einem hohem Maß eigener Be¬ Was kann von Nazareth Gutes
troffenheit darstellt. Bei dieser Vorfüh¬ kommen?
rung wird auf eine Stelle bei Homer an¬ Diese Frage stellt im Neuen Testament
gespielt, wo Hektor zu seiner Gattin An- (Johannes 1,46) Nathanael dem Jünger
dromache sagt, ihn bekümmere das Philippus, der ihn mit dem Hinweis auf
Leid seiner Mutter Hekuba weniger als den von den Propheten Verheißenen als
das ihre. Im Original fragt sich Hamlet: Jünger Jesu werben möchte. Nathanael
What's Hecuba to him, or he to Hecu- kann nicht glauben, daß sich die alt-
ba,/That he should weep for her? („Was testamentlichen Prophezeiungen auf
ist ihm Hecuba, was ist er ihr,/Daß er jemand aus Nazareth beziehen sollen.
um sie soll weinen?“). Aus Verwunde¬ Der kleine Ort liegt in Galiläa, dessen
rung darüber, daß jemand an einer Sa¬ Bewohner im Neuen Testament als Ju¬
che Interesse hat oder eine Person ihm den minderen Ranges gelten. Das Zitat
offensichtlich viel bedeutet, wird das Zi¬ wird auch abgewandelt zu „Was kann
tat heute noch herangezogen. Auch die von da schon Gutes kommen?“, wenn
bildungssprachliche Wendung „jeman¬ man auf eine Ankündigung skeptisch
dem Hekuba sein“ im Sinne von Je¬ reagiert.
mandem gleichgültig sein, jemanden
nicht mehr interessieren“ geht auf die¬ Was machst du mit dem Knie, lie¬
ses Zitat zurück. ber Hans?
Das Zitat ist der Titel eines Schlagers
Was ist Wahrheit? von Beda (Fritz Löhner) mit der Musik
Das 18. Kapitel des Johannesevangeli¬ von Richard Fall aus dem Jahr 1925.
ums berichtet über das Verhör, dem Je¬ Mit dem folgenden Vers gehört die Zeile
sus durch Pilatus unterzogen wurde. zum Refrain: „Was machst du mit dem
Auf Pilatus’ Frage (18,37): „So bist du Knie, lieber Hans,/Mit dem Knie, lieber
dennoch ein König?“ antwortet Jesus: Hans, beim Tanz?“ Dem angesproche¬
„Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin nen Hans wird im Text des Schlagers
dazu geboren und in die Welt gekom¬ vorgeworfen, daß er sich beim Tanzen
men, daß ich für die Wahrheit zeugen (und auch sonst) unmöglich aufführe
soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret („Und glaubst du, daß du nobel tanzt,
meine Stimme.“ Auf diese Mitteilung wenn du den Pasodoble tanzt?“). Ent¬
Jesu reagiert Pilatus mit der Frage, die sprechend wird der Titel zitiert, wenn
er gleichsam an sich selbst richtet: „Was man scherzhaft jemandes ungeschicktes
ist Wahrheit?“ - Man verwendet das Zi¬ Verhalten ansprechen will, besonders
tat als Ausdruck des Zweifels in entspre¬ wenn der Betreffende mit dem Knie an
chenden Zusammenhängen oder auch etwas stößt oder etwas umstößt.
in dem Bewußtsein der beschränkten
menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Was macht die Kunst?
„Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie?
Was kann der Schöpfer lieber se¬ Was macht die Kunst?“ So begrüßt Het-
hen als ein fröhliches Geschöpf! tore Gonzaga, der Prinz von Guastalla,
Das meist als Ermunterung zur Fröh¬ in Gotthold Ephraim Lessings Trauer¬
lichkeit verwendete Zitat stammt aus spiel „Emilia Galotti“ (1772) den Hof-

475
was Teil I

maler Conti. Das Stück hat diese Gru߬ Besitz betrachtet, was/Mir die Natur,
formel populär gemacht, mit der man was mir das Glück verlieh.“
sich heute in der Umgangssprache -
meist scherzhaft - erkundigt, wie es Was man nicht aufgibt, hat man
jemandem bei seiner Tätigkeit, seiner nie verloren
Arbeit ergeht. Bei dieser als Mahnung zur Beharrlich¬
keit bei der Verfolgung eines Ziels die¬
Was man in der Jugend wünscht, nenden sprichwörtlichen Redensart
hat man im Alter die Fülle handelt es sich um ein Zitat aus Schil¬
lers Drama „Maria Stuart“ (11,5). Es ist
Dieses Motto hat Goethe dem zweiten
Elisabeth, die Königin von England, die
Teil seines autobiographischen Werks
diese Worte spricht. Sie bezieht sich da¬
„Aus meinem Leben. Dichtung und
bei auf ihr großes Ziel, die Vernichtung
Wahrheit“ vorangestellt (erschienen
ihrer Konkurrentin Maria Stuart, der
1812). Er hat dabei das alte Sprichwort
Königin von Schottland.
„Was man in der Jugend wünscht, hat
man im Alter genug“ aufgegriffen. Im 9.
Was man nicht nützt, ist eine
Buch führt Goethe dazu aus, er wisse
schwere Last
wohl, daß manch umgekehrte Erfah¬
rung gegen dieses Sprichwort anzufüh¬ t Was du ererbt von deinen Vätern hast,
ren sei, aber auch viel Günstiges dafür erwirb es, um es zu besitzen
spreche, und er sagt weiter: „Unsere
Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkei¬ Was man nicht weiß, das eben
ten, die in uns liegen, Vorboten desjeni¬ brauchte man
gen, was wir zu leisten imstande sein Dieser Vers wird oft zusammen mit dem
werden.“ Goethe schränkt hier also folgenden „Und was man weiß, kann
„wünschen“ nicht auf das sehnliche Er¬ man nicht brauchen“ als Stoßseufzer
hoffen von etwas ein, sondern versteht über Wissensballast und Wissensman¬
darunter das zielbewußte, tätige Stre¬ gel in einer bestimmten Situation zitiert.
ben, das zu erreichen, worauf der In Goethes Faust I (Vor dem Tor) emp¬
Wunsch gerichtet ist. In diesem Sinne findet der Titelheld auf dem Osterspa¬
wird das Motto heute noch zitiert. - Ge¬ ziergang im Gegensatz zu seinem Famu¬
legentlich soll mit dem Zitat aber auch - lus Wagner die Unzulänglichkeit der
mit einer gewissen Resignation - ausge¬ Wissenschaft: „O glücklich, wer noch
drückt werden, daß viele Wünsche, die hoffen kann,/Aus diesem Meer des Irr¬
man in jungen Jahren hegt, erst zu ei¬ tums aufzutauchen !/Was man nicht
nem Zeitpunkt in Erfüllung gehen, wo weiß, das eben brauchte man,/Und was
man eigentlich nichts mehr davon hat, man weiß, kann man nicht brauchen.“
weil das vorangeschrittene Alter für be¬
stimmte Dinge Grenzen setzt. T Denn was man schwarz auf weiß
besitzt, kann man getrost nach
Was man ist, das blieb man andern Hause tragen
schuldig
Diese sentenzhaften Worte spricht in
TJa, was man so erkennen heißt!
Goethes Schauspiel „Torquato Tasso“
Was man von der Minute ausge¬
(1,1) die Prinzessin Leonore von Este zu
ihrer Freundin Leonore Sanvitale, die schlagen, gibt keine Ewigkeit zu¬
ihren Ruhm in aller Welt herausstellt: rück
„Mich kann das, Leonore, wenig rüh- Das Zitat gibt die beiden letzten Verse
ren,/Wenn ich bedenke, wie man wenig aus Schillers Gedicht „Resignation“
ist,/Und was man ist, das blieb man an¬ wieder. Der Dichter stellt sich vor, er sei
dern schuldig.“ Sie erklärt, daß sie ihre gestorben und verlange von der Ewig¬
Bildung ihrer Mutter verdanke; zu¬ keit einen Ersatz für irdisches Glück,
gleich habe sie „nie/Als Rang und als das er der Dichtung geopfert habe. Ein

476
Teil I was

Genius entgegnet ihm aber, daß in sei¬ aus Schillers Trilogie „Wallenstein“, ln
ner Hoffnung sein Lohn bestand: „Ge¬ „Wallensteins Lager“ (6. Auftritt) macht
nieße, wer nicht glauben kann! Die Leh¬ der erste Jäger diese leichtfertige Äuße¬
re/Ist ewig wie die Welt. Wer glauben rung in einem Zusammenhang, in dem
kann, entbehre !/Die Weltgeschichte ist er seine Auffassung über das richtige
das Weltgericht.“ Man verwendet das Verhalten des Soldaten kundtut: „Da
Zitat als resignierenden Kommentar zu gibt’s nur ein Vergehn und Verbre-
einer verpaßten Gelegenheit oder als chen:/Der Order fürwitzig widerspre¬
Ermahnung, seine Zeit und seine Mög¬ chen !/Was nicht verboten ist, ist er¬
lichkeiten gut zu nutzen. laubt ;/Da fragt niemand, was einer
glaubt.“
Was man weiß, was man wissen
sollte Was nun Gott zusammengefügt
In dem Anfang der 60er Jahre populä¬ hat, das soll der Mensch nicht
ren Fernsehquiz „Hätten Sie’s gewußt?“ scheiden
(vergleiche auch diesen Artikel) mußten Mit diesem Zitat aus dem Matthäus¬
die Kandidaten Fragen aus unterschied¬ evangelium (19,6) wird häufig die Un¬
lichen Fachgebieten beantworten. Für auflöslichkeit der Ehe begründet. Jesus
Fragen der Allgemeinbildung, die kei¬ diskutiert mit den Pharisäern über die
ner bestimmten Sparte zuzuordnen wa¬ Ehescheidung und distanziert sich da¬
ren, gab es die Rubrik „Was man weiß, bei von alttestamentlichen Regelungen:
was man wissen sollte“, deren Bezeich¬ „Mose hat euch erlaubt, zu scheiden
nung auch heute noch gelegentlich zi¬ von euren Weibern, wegen eures Her¬
tiert wird, wenn von allgemeinen Kennt¬ zens Härtigkeit; von Anbeginn aber ist’s
nissen oder von allgemein interessieren¬ nicht also gewesen“ (Matthäus 19,8).
den Fakten, Nachrichten o. ä. die Rede
ist. Was rennt das Volk?
Mit dieser Frage beginnt die Ballade
Was mich nicht umbringt, macht „Der Kampf mit dem Drachen“ von
mich stärker Schiller. Sie wird heute noch scherzhaft
Der erste Abschnitt von Friedrich zitiert und dabei auf eine sich heftig be¬
Nietzsches „Götzen-Dämmerung oder wegende Menschenmenge, auf sich gaf¬
Wie man mit dem Hammer philoso¬ fend drängende Zuschauer o.ä. bezo¬
phiert“ (1888) versammelt unter dem Ti¬ gen. Gelegentlich werden auch die er¬
tel „Sprüche und Pfeile“ 44 aphoristi¬ sten beiden Zeilen des Gedichts ganz
sche Gedankensplitter. Der achte dieser zitiert: „Was rennt das Volk, was wälzt
„Sprüche“ lautet: „Aus der Kriegsschu¬ sich dort/Die langen Gassen brausend
le des Lebens. - Was mich nicht um¬ fort?“ In dem Gedicht selbst wird be¬
bringt, macht mich stärker.“ Man zitiert schrieben, wie ein junger Ordensritter in
den zweiten Teil als Ausdruck der Be¬ einem langen, schweren Kampf einen
reitschaft, etwas auszuhalten, eine Bela¬ Drachen bezwingt und so das Land von
stung oder schwere Probe auf sich zu diesem Ungeheuer befreit.
nehmen.
Was schert mich Weib, was schert
Was nicht verboten ist, ist erlaubt mich Kind
Diese etwas kühne Behauptung hat si¬ In seinem Gedicht „Die Grenadiere“
cher schon vielen, denen eine unscharfe schildert Heinrich Heine (1797-1856)
Grenzziehung zwischen rechtmäßigem den Rückweg zweier Soldaten der Ar¬
und unrechtmäßigem Handeln minde¬ mee Napoleons I., die in Rußland in
stens zeitweise opportun erschienen ist, Gefangenschaft geraten waren. Unter¬
zur Rechtfertigung gewisser Handlungs¬ wegs erfahren sie von der Niederlage
weisen gedient oder ist ihnen überhaupt Frankreichs und der Verbannung Napo¬
zum Wahlspruch geworden. Sie stammt leons. Für den einen der beiden hat das

477
was Teil I

Leben nunmehr jeden Sinn verloren. Bei der Aufteilung der Erde unter die
Daran ändert auch nichts, daß er eine Menschen droht der Dichter schon leer
Familie hat, für die er sorgen müßte: auszugehen, als Zeus ihm im weiteren
„Was schert mich Weib, was schert mich Text der Strophe folgendes Angebot
Kind/Ich trage weit beßres Verlan¬ macht: „Die Welt ist weggegeben,/Der
gen ;/Laß sie betteln gehn, wenn sie Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht
hungrig sind -/Mein Kaiser, mein Kai¬ mehr mein./Willst du in meinem Him¬
ser gefangen.“ Besonders die erste Zeile mel mit mir leben,/Sooft du kommst, er
dieser Strophe wird - meist scherzhaft - soll dir offen sein.“ In der salopperen
zitiert, wenn man sagen will, daß man in Umgangssprache wird das Zitat gele¬
einer bestimmten Angelegenheit seine gentlich respektlos zu „.Was tun?'
persönlichen Interessen in den Vorder¬ spricht Zeus, ,die Götter sind besof¬
grund stellt und keinerlei Rücksicht auf fen' “ erweitert.
die Belange der Menschen nehmen will,
die einem am nächsten stehen. Was vergangen, kehrt nicht wieder
Dies ist die Anfangszeile des Gedichtes
Was sind Hoffnungen, was sind „Erinnerung und Hoffnung“ von Karl
Entwürfe August Förster (1784-1841), einem
„Was sind Hoffnungen, was sind Ent- deutschen Schriftsteller, der zu seiner
würfe,/Die der Mensch, der vergängli¬ Zeit auch als Übersetzer besonders ita¬
che, baut?“ Diese Worte läßt Schiller in lienischer Literatur eine gewisse Bedeu¬
seinem Trauerspiel „Die Braut von tung hatte. Die Gedichtzeile wird oft als
Messina“ (uraufgeführt 1803) ein Mit¬ floskelhafte Bemerkung nach einer als
glied des Chores sprechen (III, 5). Man endgültig abgeschlossen betrachteten
zitiert den ersten Vers, wenn man - mit Zeit zitiert, gelegentlich aber auch als
einem Anflug von Resignation - aus- eher wehmütig klingendes Wort der
drücken will, daß oft alles Planen für die Rückerinnerung an etwas, was unwie¬
Zukunft vergeblich ist und sich alle derbringlich verloren ist. Ein weiterer,
Träume und Pläne häufig in ein Nichts der eigentlichen Intention des Gedich¬
auflösen. tes entsprechender Sinn erschließt sich,
wenn man die beiden folgenden Zeilen
Was tun? mitzitiert: „Was vergangen, kehrt nicht
wieder;/Aber ging es leuchtend nie¬
Das fragt man sich schon einmal, wenn
der,/Leuchtet’s lange noch zurück!“
man angesichts eines Problems völlig
Was einmal bedeutsam war, fällt weni¬
ratlos dasteht. So lautet auch der deut¬
ger rasch dem Vergessen anheim und
sche Titel eines seinerzeit vielgelesenen wirkt noch lange nach.
dreiteiligen Romans des russischen Pu¬
blizisten Nikolai Gawrilowitsch Tscher- Was von mir ein Esel spricht
nyschewski (1828-1889), in dem die ge¬
Dieses Zitat stammt aus der Fabel „Der
stellte Frage sich darauf bezieht, wie die
Löwe und der Fuchs“ von Johann Wil¬
gesellschaftlichen Verhältnisse im zari¬
helm Ludwig Gleim (1719-1803). Der
stischen Rußland geändert werden kön¬
Fuchs berichtet dem Löwen davon, daß
nen. Besonders verbreitet wurde die
der Esel sich hinter dem Rücken des Lö¬
Formulierung, da sie auch von Lenin als
wen geringschätzig über diesen äußert,
Titel einer 1902 erschienenen Schrift
worauf dieser schließlich abfällig be¬
(mit dem Untertitel „Brennende Fragen
merkt: „Fuchs! Er spreche was er
unserer Bewegung“) verwendet wurde.
will;/Denn, was von mir ein Esel
spricht,/Das acht’ ich nicht!“ Will man
„Was tun?“ spricht Zeus
zum Ausdruck bringen, daß einem kriti¬
Das scherzhaft in einer Situation der sche Äußerungen oder Beleidigungen
Ratlosigkeit gebrauchte Zitat ist der An¬ von Leuten, die man auf Grund ihrer
fang der letzten Strophe aus Schillers geistigen Beschränktheit geringachtet,
Gedicht „Die Teilung der Erde“ (1795). innerlich unberührt, unbeeindruckt las-

478
Teil I Weg

sen, zitiert man die vorletzte oder die We are not amused
beiden letzten dieser Zeilen.
Dieser Ausspruch (deutsch etwa: „Wir
finden das gar nicht lustig“) wird der
Was wolltest du mit dem Dolche, englischen Königin Viktoria (1819
sprich! bis 1901) zugeschrieben. Sie soll sich
Wenn man jemandes übles Vorhaben in dieser Weise geäußert haben, als
durchschaut hat, dann zitiert man viel¬ einer ihrer Kammerherren, Alexander
leicht noch gelegentlich diese Worte aus Grantham Yorke, sie zu parodieren ver¬
Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“. In suchte. Nach einer anderen Quelle soll
der ersten Strophe fordert der Tyrann eine leicht anstößige Geschichte, die
Dionys den festgenommenen Moros zu einer der Bediensteten beim Dinner in
einem Geständnis auf: „,Was wolltest Schloß Windsor erzählt hatte, der Anlaß
du mit dem Dolche, sprichIVEntgegnet für die königliche Zurechtweisung ge¬
ihm finster der Wüterich.“ Zu diesen wesen sein. Der Ausspruch wird gele¬
Zeilen gibt es die parodistisch-scherz- gentlich als Ausdruck der Mißbilligung
hafte Abwandlung: „Was willst du mit zitiert, vor allem wenn man einen Scherz
dem Dolche, sprich! - Kartoffeln schä¬ als nicht gelungen betrachtet.
len, verstehst du mich?“
We shall overcome
Was zu beweisen war Das Zitat - auf deutsch „Wir werden
t Quod erat demonstrandum siegen“ - stammt aus einem amerikani¬
schen Lied, dessen Ursprung auf die
Das Wasser rauscht’, das Wasser Zeit vor dem Bürgerkrieg zurückgeht.
Es wurde um 1900 von C. Albert Hind-
schwoll
ley zu einem Kirchenlied der Baptisten
Hier handelt es sich um den Gedichtan¬ mit dem Titel „TU Overcome Some
fang und die Anfangszeile der letzten Day“ umgearbeitet. Allgemeine Be¬
Strophe von Goethes Ballade „Der Fi¬ kanntheit erlangte es 1946, als es von
scher“. Am Anfang kündigt sich darin schwarzen Arbeitern auf Streikposten in
das „feuchte Weib“ an, während gegen South Carolina gesungen wurde. In den
den Schluß das Wasser bereits von dem frühen sechziger Jahren wurde das Zitat
Fischer Besitz ergreift. Das Gedicht er¬ zum Schlagwort der afroamerikani¬
hielt zusätzliche Popularität durch die schen Bürgerrechtsbewegung.
Vertonungen von Reichardt, Schubert
und Richard Strauss. Das Zitat wird t Am sausenden Webstuhl der Zeit
meist als scherzhafter Kommentar ver¬
wendet, wenn sich zum Beispiel ein Ein Tjeder Wechsel schreckt den
größeres Behältnis oder ein Raum Glücklichen
geräuschvoll mit Wasser füllt.
Weg mit den Grillen und Sorgen
TKein Wässerchen trüben können TNoch sind die Tage der Rosen

Waterloo Den Weg allen Fleisches gehen


Der bildungssprachliche Ausdruck für Diese Redewendung bedeutet „sterb¬
eine katastrophale Niederlage geht auf lich, vergänglich sein; sterben“. Sie geht
die Schlacht bei Waterloo in Belgien zu¬ wohl auf eine Stelle im Alten Testament
rück, wo Napoleon am 18. 6. 1815 von zurück, wo Gott Jahwe sagt: „Alles Flei¬
den Alliierten unter Wellington und sches Ende ist vor mich gekommen;
Blücher im letzten Feldzug der Befrei¬ denn die Erde ist voll Frevels von ihnen;
ungskriege vernichtend geschlagen wur¬ und siehe da, ich will sie verderben mit
de. Im heutigen Sprachgebrauch kann der Erde“ (1. Moses 6,13; vergleiche
man sagen, daß jemand sein Waterloo auch das 1. Buch von den Königen 2,2:
erlebt oder daß etwas ein Waterloo für „Ich gehe hin den Weg aller Welt“). Die
jemanden bedeutet. Wendung „den Weg alles Irdischen ge-

479
Teil I
Weg

hen“, die im Sinne von „sich abnutzen, heißt es im Buch Jesus Sirach: „Die
defekt und unbrauchbar werden“ ver¬ Gottlosen gehen zwar auf einem feinen
wendet wird, dürfte eine später entstan¬ Pflaster; aber sein Ende ist der Hölle
dene Variante hierzu sein. Der englische Abgrund“ (Jesus Sirach 21,11).
Schriftsteller Samuel Butler (1835 bis
1902) gab seinem 1903 erschienenen au¬ Der Weg zurück zum Kinderland
tobiographischen Roman den Titel The TO wüßt’ ich doch den Weg zurück
Way of All Flesh (deutsche Übersetzung
1929 unter dem Titel „Der Weg allen Es t führt kein Weg zurück
Fleisches“).
Wege zu Kraft und Schönheit
Den Weg alles Irdischen gehen Das heute scherzhaft oder ironisch ge¬
brauchte Zitat ist der Titel eines Kultur¬
Den tWeg allen Fleisches gehen
films von Dr. Kaufmann und Wilhelm
Prager aus dem Jahr 1925 über Körper-
Den Weg gehen, den man nicht
und Nacktkultur. Die Verbindung
wiederkommt „Kraft und Schönheit“ gab es bereits
Die verhüllende Umschreibung für seit 1919 im Namen eines Berlin-Steglit-
„sterben“ Findet sich im Alten Testa¬ zer Verlages und in der dort erscheinen¬
ment, wo die Titelfigur des Buches Hiob den Monatsschrift für moderne Körper¬
(16,20) Gott bittet, ihm gegen seine kultur.
spottenden Freunde Recht zu verschaf¬
fen: „Denn die bestimmten Jahre sind Weh dem, der lügt!
gekommen, und ich gehe hin des Weges, Die meist scherzhaft gebrauchte Dro¬
den ich nicht wiederkommen werde.“ In hung ist der Titel eines Lustspiels von
Franz Schuberts Zyklus „Die Winterrei¬ Franz Grillparzer (1791-1872) und dar¬
se“ (1827; auf Texte von Wilhelm Mül¬ in zugleich die mehrmals wiederholte
ler) enthält die letzte Strophe des Liedes Mahnung des Bischofs Gregor von Chä-
„Der Wegweiser“ eine analoge Aussa¬ lons an seinen Küchenjungen Leon, die
ge: „Einen Weiser seh’ ich stehen/Un- er ihm für die Befreiung seines Neffen
verrückt vor meinem Blick ;/Eine Straße aus heidnischer Gefangenschaft als
muß ich gehen,/Die noch keiner ging Richtschnur mit auf den Weg gibt. Der
zurück.“ Dramatiker und Hörspielautor Richard
Hey verfaßte 1962 eine Komödie mit
Der Weg zur Hölle ist mit guten dem kontrastiven Titel „Weh dem, der
Vorsätzen gepflastert nicht lügt“.
Diese sprichwörtliche Redensart besagt,
daß es schwer ist, einer Versuchung zu Weh dir, daß du ein Enkel bist!
widerstehen, auch dann, wenn man sich „Es erben sich Gesetz’ und Rechte/Wie
vorgenommen hat, sich zu bessern. Sie eine ew’ge Krankheit fort.“ So kom¬
wird dem englischen Schriftsteller und mentiert Mephisto im 1. Teil von Goe¬
Lexikographen Samuel Johnson (1709 thes Faust (Studierzimmer 2) die Tradi¬
bis 1784) zugeschrieben und von seinem tion des positiven Rechts. Gesetze be¬
Biographen James Boswell überliefert halten oft noch ihre Geltung, obwohl
(englisch: Hell is paved with good inten- sich die historischen und sozialen Vor¬
tions, deutsch: „Die Hölle ist mit guten aussetzungen dafür längst geändert ha¬
Vorsätzen gepflastert“; in: „The Life of ben. Dann allerdings können sie mehr
Samuel Johnson“). In ähnlicher Form schaden als nützen, und der „Enkel“
ist die Redensart auch bei dem schotti¬ muß als Unsinn empfinden, was von
schen Dichter Sir Walter Scott den Vorfahren sinnvoll erdacht wurde:
(1771-1832) zu Finden, der sie auf einen „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Pla¬
englischen Theologen des 17. Jahrhun¬ ge;/Weh dir, daß du ein Enkel bist!“
derts zurückführt. Aber auch schon in Losgelöst vom ursprünglichen Bezug
den Apokryphen des Alten Testaments wird das Zitat heute jemandem entge-

480
Teil I weil

gengehalten, dem man verdeutlichen Weib, was habe ich mit dir zu
will, daß er sich der „Erblast“ aus vor¬ schaffen?
angegangener Zeit stammender Tatbe¬
t Meine Stunde ist noch nicht gekom¬
stände nicht einfach entziehen kann.
men
Für die Sünden der Großväter müssen
häufig die Enkel büßen.
t Wenn du zum Weibe gehst, ver¬
giß die Peitsche nicht!
Wehe den Besiegten!
t Vae victis! t Da werden Weiber zu Hyänen

Wehe, wenn sie losgelassen! t Daß das weiche Wasser in Bewe¬


gung mit der Zeit den mächtigen
Dieser Ausruf, der sich auf eine oder
mehrere Personen beziehen kann, kün¬
Stein besiegt
digt Schlimmes, Unheilvolles an. Er
Es weihnachtet sehr
wird allerdings meist in nicht allzu
ernsthaften Zusammenhängen ge¬ Das Zitat stammt aus dem Weihnachts¬
braucht und soll andeuten, daß von der gedicht „Knecht Ruprecht“ von Theo¬
betreffenden Person (oder den Perso¬ dor Storm (1817-1888). Das Gedicht
nen) einiges an Mißlichkeiten, unerfreu¬ beginnt mit den Worten: „Von drauß’
lichen, heftigen Reaktionen o. ä. zu er¬ vom Walde komm’ ich her;/Ich muß
warten ist, wenn dazu Gelegenheit gege¬ euch sagen, es weihnachtet sehr!“ Das
ben ist. Es handelt sich bei dem Ausruf Zitat wird - manchmal auch ironisch -
um eine Stelle aus Schillers Ballade zur Charakterisierung einer sich mehr
„Das Lied von der Glocke“. Dort be¬ und mehr ausbreitenden vorweihnacht¬
zieht sich die Aussage allerdings nicht lichen Stimmung verwendet. Gelegent¬
auf Personen, sondern auf die „Him¬ lich ist es auch außerhalb der Weih¬
melskraft“ des Feuers, die eine Kata¬ nachtszeit als scherzhafter Kommentar
strophe auslöst, wenn sie „der Fessel zu einem sich ankündigenden positiven
sich entrafft“. Die Stelle lautet: „Wehe, Ereignis zu hören.
wenn sie losgelassen,/Wachsend ohne
Widerstand,/Durch die volkbelebten t Und weil der Mensch ein Mensch
Gassen/Wälzt den ungeheuren Brand!“ ist, drum will er was zu essen, bitte
sehr!
Wehre den Anfängen
Weil du arm bist, mußt du früher
Es gibt kaum einen Satz aus klassisch-
sterben
antiker Dichtung, der so aktuell geblie¬
ben ist, wie die Warnung Principiis ob- Dieses Zitat spielt ironisch-resignierend
sta!, die der römische Dichter Ovid (43 auf die schlechtere Lage der Kassenpa¬
tienten gegenüber den Privatpatienten
v.Chr.-17/18 n.Chr.) in seinen „Reme-
an. Es ist der Titel eines Romans des
dia amoris“ („Heilmittel gegen die Lie¬
österreichischen Autors Hans Gustl
be“) ausspricht. Was der Dichter noch
als Warnung vor dem Sichverlieben for¬ Kernmayer (1900-1977); der Roman
wurde 1965 mit Bernhard Wicki in der
mulierte, läßt sich leicht auf alle Berei¬
che unseres Lebens ausweiten, beson¬ Hauptrolle verfilmt.
ders auf gefährliche politische Entwick¬
Weil nicht alle Blütenträume reif¬
lungen, die es rechtzeitig zu stoppen gilt.
Denn besonders in der Politik hat sich ten
schon oft bewahrheitet, was Ovid weiter Die Zeile stammt aus Goethes Gedicht
ausführt: „Zu spät wird das Heilmittel „Prometheus“ (entstanden um 1774).
zubereitet, wenn erst das Übel durch zu Das Gedicht in freien Rhythmen hat die
langes Zuwarten stark geworden ist (se- Form eines Monologs, in dem der zu
ro medicina paratur, cum mala per lon- den Titanen gehörende Prometheus mit
gas invaluere moras).“ Jupiter rechtet. Er hält die Götter des

481
weil Teil I

Danks der Menschen für unwürdig. wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz
Denn die Menschen verdankten alles des Menschen, daß du Brot aus der Er¬
sich selbst, nicht den Göttern. Im Ver¬ de bringst,/und daß der Wein erfreue
lauf dieser „Abrechnung“ stellt Prome¬ des Menschen Herz“ (Psalm 104, 14 f.).
theus die Frage: „Wähntest du etwa,/
Ich sollte das Leben hassen,/.../ t Junger Wein in alten Schläuchen
Weil nicht alle Blütenträume reiften?“ -
Das Zitat ist in die Redewendung „nicht Im Wein liegt Wahrheit
alle Blütenträume reifen“ ( = nicht alles, t In vino veritas
was man erstrebt, läßt sich verwirkli¬
chen) eingegangen.
Sie tranken heimlich Wein und
predigten öffentlich Wasser
Weil, so schließt er messerscharf,
T Ich kenne die Weise, ich kenne den
nicht sein kann, was nicht sein darf
Text
Das bekannte Zitat, das sich immer
dann scherzhaft anwenden läßt, wenn t Jedermann gibt zuerst den guten
jemand etwas leugnet, nicht wahrhaben Wein
oder beiseite schieben will, stammt aus
der letzten Strophe eines Gedichtes von
t Arbeiter im Weinberg des Herrn
Christian Morgenstern (1871-1914) mit
dem Titel „Die unmögliche Tatsache“.
t Zunehmen an Weisheit, Alter
Palmström, sein Held, ist von einem Au¬
und Gnade
to überfahren worden und beschäftigt
sich nun mit der Frage: „... war vielmehr
TO Weisheit! Du redst wie eine
verboten,/hier Lebendige zu Toten/um¬
Taube!
zuwandeln, - kurz und schlicht :/Durfte
hier der Kutscher nicht - ?/Eingehüllt in
feuchte Tücher,/prüft er die Gesetzes¬
Der Weisheit letzter Schluß
bücher/und ist alsobald im klaren:/Wa- Am Ende seines Lebens hat der erblin¬
gen durften dort nicht fahren !/Und er dete Faust (Goethe, Faust II, 5. Akt,
kommt zu dem Ergebnis :/,Nur ein Großer Vorhof des Palasts) die Vision
Traum war das Erlebnis./Weil’, so eines paradiesischen Landes, das dem
schließt er messerscharf,/.nicht sein Meer abgerungen wurde, wenngleich es
kann, was nicht sein darf.' “ immer gegen die andringende Flut ver¬
teidigt werden muß. In diesem Bewußt¬
Weil’s aber nicht kann sein sein resümiert er: „Das ist der Weisheit
letzter Schluß :/Nur der verdient sich
Dies ist eine Zeile aus der 1. Strophe des
Freiheit wie das Leben,/Der täglich sie
bekannten Volksliedes „Wenn ich ein
erobern muß.“ - Man verwendet das Zi¬
Vöglein wär“ (vergleiche auch diesen
tat heute mit der Bedeutung „höchste
Artikel). Der Text des Liedes wurde
Weisheit“ bzw. in umgangssprachlicher
zum ersten Mal von Johann Gottfried
Verwendung im Sinne von „ideale Lö¬
von Herder 1778 in seiner Sammlung
sung“. In dieser Bedeutung wird der
„Volkslieder“ veröffentlicht. Die Zeile
Ausdruck häufiger verneint und mit
aus diesem Lied wird zitiert, wenn man
leicht ironischem Unterton gebraucht
ausdrücken will, daß man sich wohl
(„Das ist noch nicht der Weisheit letzter
oder übel in etwas, was man doch nicht
Schluß“). Man gibt damit zu erkennen,
ändern kann, fügen muß.
daß man etwas durchaus noch nicht für
die beste aller Möglichkeiten hält.
Der Wein erfreut des Menschen
Herz
T Ich weiß, daß ich nichts weiß
Diese Erkenntnis findet sich schon im
Alten Testament, wo es im 104. Psalm T Zwar weiß ich viel, doch möcht’
von Gott Jahwe heißt: „Du lässest Gras ich alles wissen

482
Teil I Welt

Weißer Rabe Welch Schauspiel! Aber ach! Ein


Von einem Menschen, der sich unab¬ Schauspiel nur!
hängig von der Meinung anderer zeigt, Im großen Eingangsmonolog des ersten
der sich durch seine Art von den ande¬ Teils von Goethes Faust (Nacht) mar¬
ren abhebt, sagt man, er sei ein „weißer kiert dieser Ausruf Fausts einen Halte¬
Rabe“. Auch wird so allgemein etwas, punkt, ein Innehalten im Fluß der Ge¬
was eine Ausnahme, eine große Selten¬ danken und Vorstellungen, die Fausts
heit darstellt, bezeichnet. Der Ausdruck Erkenntnisstreben aufzeigen. Zunächst
stammt aus dem Lateinischen (corvus al¬ beseelt von dem Hochgefühl, im Zei¬
bus) und geht zurück auf eine Stelle in chen des Makrokosmos das gesamte
den „Satiren“ des römischen Schriftstel¬ Weltgeschehen erfassen zu können, be¬
lers Juvenal (tnach 127 n.Chr.). Dieser merkt Faust mit einem Mal, daß er in
beklagt hier das geringe Ansehen der seinem Streben nach der wahren Er¬
geistigen Berufe und die mühsame kenntnis hier keinen wirklichen Ansatz¬
Paukarbeit der Lehrer und kommt zu punkt finden kann. Die grandiose Welt¬
dem Schluß, daß es nur wenigen besser vorstellung erkennt er plötzlich als ein
gehe, .jedoch ein solcher Glückspilz bloßes Schauspiel, an dem er nicht be¬
seltener als ein weißer Rabe“ sei (latei¬ teiligt ist. Er wendet sich ab und glaubt
nisch : felix ille tarnen corvo quoque rarior nun (ebenfalls vergebens) im Zeichen
albo; Satiren VII, 2). des Erdgeistes einen neuen Weg, den
wahren Zugang zur höheren Erkenntnis
gefunden zu haben. Zitiert wird der
Weißt du denn nicht, mein Sohn,
Ausruf Fausts heute gewöhnlich losge¬
mit wie wenig Verstand die Welt
löst vom eigentlichen Zusammenhang,
regiert wird? etwa als Hinweis auf ein zunächst zwar
Mit dieser Frage oder einer ähnlich for¬ eindrucksvolles, die eigentliche Wirk¬
mulierten Äußerung soll Papst Juli¬ lichkeit aber kaum tangierendes Ge¬
us III. (1487-1555) geantwortet haben, schehen oder auch auf etwas, was sich
als ihn ein Mönch darum bemitleidete, schlicht als reines Blendwerk erweist.
daß er die Last der Herrschaft über die
ganze Welt zu tragen habe. Die Äuße¬ Well roared, lion!
rung des Papstes wurde in dieser Frage¬
TGut gebrüllt, Löwe!
form zum geflügelten Wort. Es ist sicher
schon von manchem benutzt worden,
der mit kritischem Blick den Zustand Welt am Draht
der Welt betrachtet und diesen Zustand Dies ist der Titel eines zweiteiligen
im Zusammenhang mit der Unfähigkeit Fernsehfilms des deutschen Theater-,
und Ignoranz mancher Politiker sieht. Film- und Fernsehregisseurs Rainer
Werner Fassbinder (1945-1982) aus
dem Jahr 1973. Der Film basiert auf ei¬
Weißt du, wieviel Sterne stehen
nem Science-fiction-Roman des ameri¬
t Gott der Herr hat sie gezählet kanischen Autors Daniel F. Galouye
(1920-1976) mit dem englischen Origi¬
naltitel „Simulacron-3“. Der Held der
Der weite Weg entschuldigt Euer
Geschichte, der Wissenschaftler Fred
Säumen
Stiller, der in einem „Institut für Kyber¬
TSpät kommt Ihr - doch Ihr kommt! netik und Zukunftsforschung“ arbeitet,
kommt im Laufe der Zeit zu der Er¬
t Das ist ein weites Feld kenntnis, daß er nur Teil einer künstli¬
chen, elektronischen „Welt am Draht“
ist, also nur die Simulation, die Projekti¬
Welch Glanz in meiner Hütte! on einer realen Welt darstellt. Der Titel
t Wie kommt mir solcher Glanz in meine wird zitiert, wenn von Abhängigkeiten,
Hütte? von Bevormundung und Fremdbestim-

483
Welt Teil I

mung die Rede ist, besonders von der der Welt gelangt sei und gesehen habe,
Abhängigkeit des heutigen Menschen in daß die Welt „mit Brettern daselbst sei
der durch moderne Kommunikations¬ unterschlagen“ (= abgeteilt).
mittel universell vernetzten Welt, in der
er nicht selten zur Marionette wird. Die Welt ist vollkommen überall,
wo der Mensch nicht hinkommt
Die Welt aus den Angeln heben mit seiner Qual
Diese Redewendung bedeutet heute so¬ Diese Sentenz stammt aus Schillers
viel wie „alles aus dem Gleichgewicht Trauerspiel „Die Braut von Messina“
bringen, alles grundlegend ändern“. Sie (1803). Der das Geschehen begleitende
geht nach einem Aristoteles-Kommen¬ Chor kommentiert mit allgemeinen Ge¬
tar des Philosophen Simplikios (6. Jh. danken die tragische Verstrickung der
n. Chr.) auf einen Ausspruch des Archi- beiden Brüder in die Liebe zu Beatrice,
medes (um 285-212 v. Chr.) zurück von der sie nicht wissen, daß es ihre
(„Ich werde die Welt aus den Angeln Schwester ist. - Man verwendet das Zi¬
heben“). Vergleiche hierzu auch das tat häufig um auszudrücken, daß über¬
Zitat „Gib mir einen Punkt, wo ich hin¬ all, wo Menschen sind, auch ihre
treten kann, und ich bewege die Erde“. menschliche Unvollkommenheit und
ihre unselige Neigung zum Zerstören
Die Welt, in der wir leben anwesend sind.
Dies ist der deutsche Titel einer Artikel¬
serie aus der amerikanischen illustrier¬ Die Welt liegt im argen
ten Zeitschrift „Life“ über die Naturge¬ Der Ausspruch, mit dem man die Unzu¬
schichte der Erde (englischer Originalti¬ länglichkeit und Unvollkommenheit der
tel: The world we live in). Sie erschien im Welt oder auch die gerade herrschenden
Deutschen 1956 in Buchform. Der Titel üblen Zustände beklagt, geht auf die Bi¬
wurde zu einem festen, frei verwendba¬ bel zurück. Das 5. Kapitel des ersten Jo¬
ren Ausdruck, der beispielsweise im Zu¬ hannesbriefs handelt vom „Glauben,
sammenhang mit der Umweltproblema¬ der die Welt überwindet“. In diesem
tik gebraucht wird, aber auch ganz all¬ Zusammenhang heißt es in Vers 19:
gemein als Hinweis auf die nun einmal „Wir wissen, daß wir von Gott sind und
vorgegebenen Bedingungen in unserer die ganze Welt im Argen liegt.“ Die For¬
Welt.
mulierung, die Luther dem griechischen
Text entsprechend bei dieser Stelle ver¬
Die t ganze Welt ist Bühne
wendet hat, um auszudrücken, daß die
Welt im Bösen verhaftet ist (und der Er¬
Die Welt ist mit Brettern vernagelt
lösung durch Gott und des Glaubens an
Wenn man behauptet, daß irgendwo die ihn bedarf), ist bis heute erhalten geblie¬
Welt mit Brettern vernagelt (oder auch ben in der Wendung „etwas liegt im ar¬
zugenagelt) sei, so will man damit aus- gen“. Man verwendet sie, wenn man
drücken, daß es dort nicht weitergeht, zum Ausdruck bringen will, daß etwas
daß man vor einem großen Hindernis in Unordnung ist, sich in einer verwor¬
steht, daß man das Ende erreicht hat renen, ungeordneten Lage befindet.
o. ä. Bei einem Ort, wo die Welt mit
Brettern vernagelt ist, kann es sich aller¬ t Ich verstehe die Welt nicht mehr
dings auch um einen ganz abseits lie¬
genden, einsamen Ort handeln, wo man t Nicht von dieser Welt sein
noch sehr rückständig ist, wo es sehr
langweilig zugeht. Die Redensart geht Die Welt will betrogen sein
zurück auf eine Lügengeschichte in der Diese Redensart wird gerne entschuldi¬
„Ethographia mundi“ (1608) des Erzäh¬ gend in Fällen zitiert, in denen jemand
lers Johannes Olorinus Variscus (eigent¬ mit Versprechungen, die er nicht halten
lich: Johann Sommer; 1559-1622). Dort kann, falsche Hoffnungen erweckt oder
wird berichtet, daß jemand bis ans Ende in denen sich jemand Vorteile verschafft

484
Teil I wem

und es dabei mit der Ehrlichkeit nicht so sich selbst vorwegnimmt. Was auch im¬
genau nimmt o. ä. Zum erstenmal belegt mer ein am Zeitenende über das Weltge¬
ist die Redensart in der Verssatire „Das schehen urteilendes Jüngstes Gericht
Narrenschiff“ (1494) des Dichters (und befinden wird, der Urteilsspruch ist
Juristen) Sebastian Brant (1457-1521), durch die jeweiligen historischen Ab¬
in der Laster und Torheiten von Perso¬ läufe präjudiziert.
nen, Berufen und Ständen in Gestalt
von Narren dargestellt sind. Die lateini¬ t Prophete rechts, Prophete links,
sche Form Mundus vult decipi taucht das Weltkind in der Mitten
dann etwas später (1533) in der Schrift
„Paradoxa“ des Dichters (und Predi¬ Das t große Welttheater
gers) Sebastian Franck (1499- 1542 oder
1543) auf und wird später oft durch ei¬ Wem der große Wurf gelungen
nen Zusatz erweitert: Mundus vult deci¬ Die Fügung „großer Wurf“, die „Erfolg,
pi, ergo decipiatur, auf deutsch: „Die gelungenes [künstlerisches] Werk“ be¬
Welt will betrogen sein, also soll sie deutet, hat durch die Verse „Wem der
auch betrogen werden“.
große Wurf gelungen,/Eines Freundes
Freund zu sein“ aus Schillers Gedicht
Die Welt wird alt und wird wieder „An die Freude“ (1786) seit dem Ende
jung, doch der Mensch hofft im¬ des 18. Jahrhunderts weitere Verbrei¬
mer Verbesserung tung erfahren. Der erste Vers - oft auch
t Noch am Grabe pflanzt er die Hoff¬ mit variierter Ergänzung - wird auch
nung auf heute noch im Sinne von „Wer das gro¬
ße Glück hat,..." verwendet.
Die Welt wird schöner mit jedem
Wem die Stunde schlägt
Tag
Der größte Roman des amerikanischen
„Die Welt wird schöner mit jedem
Schriftstellers Ernest Hemingway (1899
Tag,/Man weiß nicht, was noch werden
bis 1961), der 1940 erschien, trägt im
mag“. Mit diesen Versen beginnt die
Deutschen diesen Titel. Man zitiert ihn,
zweite Strophe von Ludwig Uhlands
wenn man umschreiben will, daß je¬
Gedicht „Frühlingsglaube“ (vergleiche
mand einer lebensbedrohenden Gefahr,
auch: „Nun muß sich alles, alles wen¬
einer sehr schwierigen Aufgabe nicht
den“). Man zitiert den ersten Vers als
entrinnen kann, daß für jemand das En¬
Ausdruck ungetrübter Daseinsfreude
de eines Lebensabschnitts oder das En¬
und optimistischer Lebenseinstellung.
de überhaupt gekommen ist. In dem Ro¬
man, der den Kampf gegen den Faschis¬
Die Weltgeschichte ist das Welt¬ mus im spanischen Bürgerkrieg zum
gericht Thema hat, steht die tragisch endende
Mit diesem Vers endet die vorletzte Liebe zwischen einer Spanierin und ei¬
Strophe von Schillers Gedicht „Resi¬ nem Amerikaner, der für die antifaschi¬
gnation“ (1784). Subjekt in diesem Satz stische Sache kämpft, im Mittelpunkt.
ist bei Schiller „Weltgericht“, und unter Der Roman wurde 1943 mit Ingrid
„Weltgeschichte“ versteht er alles das, Bergman und Gary Cooper in den
was ein Mensch erlebt und was ihn und Hauptrollen verfilmt. Der erfolgreiche
sein Handeln beeinflußt und prägt. Das Film machte den Titel (im englischen
bedeutet, daß jeder für sein Schicksal Original For Whom the Bell tolls) noch
verantwortlich ist und mit dem, was er populärer. Hemingway hat diesen Titel
aus seinem Leben macht, selbst die im übrigen den „Meditationen“ des
Maßstäbe für das darüber am Lebens¬ englischen Lyrikers John Donne (1572
ende zu fällende Urteil setzt. - Heute od. 1573-1631) entnommen. Dort wird
wird der Vers allerdings in dem Sinne der Gedanke, daß der Mensch immer
zitiert, daß das weltgeschichtliche Ge¬ auch ein Teil der Menschheit ist (ver¬
schehen bereits das spätere Urteil über gleiche auch „Niemand ist eine Insel“),

485
wem Teil I

mit folgender Sentenz beendet: „And des“ (IV, 7,18): Quem di diligunt, ado-
therefore never send to know for whom lescens morilur. In Emanuel Geibels
the bell tolls; It tolls for thee“ („Und laß (1815-1884) Gedicht „Verlorene Liebe“
deshalb niemals nachfragen, für wen die heißt es in der 6. Strophe: „Es stirbt als
[Toten]glocke läutet; sie läutet für Knabe, wen die Götter lieben.“ Ein
dich“). Film über Mozart von Karl Hartl aus
dem Jahr 1942 hat den Titel „Wen die
Götter lieben“.
Wem Gott will rechte Gunst erwei¬
sen, den schickt er in die weite
Welt Wen Gott vernichten will, den
schlägt er mit Blindheit
Mit diesen Worten beginnt Eichen¬
dorffs Gedicht „Der frohe Wanders¬ In einem Scholion - einer erklärenden
mann“, das zum erstenmal gedruckt in Randbemerkung - zu einer Stelle in der
seiner Novelle „Aus dem Leben eines Tragödie „Antigone“ des altgriechi¬
Taugenichts“ (1826) erschien. Durch schen Dichters Sophokles (um 496 bis
die Vertonung von F. Th. Fröhlich um 406 v. Chr.) finden sich die folgen¬
(1833) wurde es zum Volkslied. Mit den Verse eines unbekannten Dichters:
„Wem Gott will rechte Gunst erwei¬ „Immer wenn die Gottheit einem Men¬
sen ...“ kommentiert man gewöhnlich schen Böses antun will,/so fügt sie zu¬
scherzhaft jemandes Reiseabsichten. - erst seinem Verstand Schaden zu, mit
Häufig hört man auch die scherzhafte dem er plant“. Daraus ergab sich, wohl
Abwandlung der ersten Strophe: „Wem über das gleichbedeutend mittellateini¬
Gott will rechte Gunst erweisen, den sche Quos deus perdere vult, dementat
schickt er in die Wurstfabrik. Er läßt ihn prius, im Deutschen: „Wen Gott verder¬
in die Knackwurst (auch: Blutwurst) ben will, den verblendet er.“ Hieraus
beißen und gibt ihm noch ein Stückchen wiederum entwickelte sich wahrschein¬
mit.“ lich unter Einfluß der aus dem Alten Te¬
stament stammenden Wendung „Mit
Blindheit schlagen“ die Form „Wen
Wem sonst als dir Gott vernichten will, den schlägt er mit
Mit diesen Worten widmete Friedrich Blindheit“.
Hölderlin (1770-1843) den 2. Band sei¬
nes Romans „Hyperion“ Susanne (Su-
t Hier wendet sich der Gast mit
sette) Gontard, der Frau des Frankfurter
Grausen
Bankiers Jakob Friedrich Gontard, in
dessen Haus er die Hofmeisterstelle ver¬
sah. Man sagt sie heute noch gelegent¬ Weniger wäre mehr gewesen
lich zu jemandem, zu dem man in einem In der von ihm herausgegebenen litera¬
engeren Verhältnis steht, wenn man ihm rischen Zeitschrift „Der Teutsche Mer¬
durch eine Geste, ein Geschenk o. ä. kur“ schrieb Christoph Martin Wieland
zeigt, wie sehr man ihn schätzt oder ihm 1774 in einem Neujahrsglückwunsch:
vertraut. „Und minder ist oft mehr, wie Lessings
Prinz uns lehrt.“ Er nahm damit Bezug
auf eine Stelle in Gotthold Ephraim
Wen die Götter lieben, der stirbt
Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“
jung
(1772), wo Hettore Gonzaga, der Prinz
Das Zitat, das der griechische Schrift¬ von Guastalla, dem Maler Conti entge¬
steller Plutarch (um 46-um 125) im 34. genhält, daß auf dem Porträt der Gräfin
Kapitel der „Trostrede an Apollonius“ Orsina das Charakterliche zu stark ge¬
überliefert, geht auf den griechischen schönt sei und dazu meint: „Nicht so
Dichter Menander (342/341-291/290 redlich wäre redlicher“ (1,4). Aus Wie¬
v. Chr.) zurück. Der römische Komö¬ lands Umformung dieser Textstelle ist
diendichter Plautus (um 250-um 184 dann wohl die heute übliche Redensart
v. Chr.) übersetzt es in seinen „Bacchi- entstanden. Man drückt damit aus, daß

486
Teil I wenn

ein Weniger an Übertreibung, ein gerin¬ daß mit dem Fall eines Mächtigen oft
gerer Aufwand mehr Wirkung erzielt viele andere unverschuldet mit betrof¬
und einer Sache mehr Qualität gegeben fen werden, nur weil sie vorher von die¬
hätte. - In einem im März 1923 veröf¬ sem abhängig waren. Denn, wie der
fentlichten Artikel in der „Prawda“ hat Sänger weiter ausführt, „Die das Glück
W. I. Lenin vor überstürztem Vorgehen der Mächtigen nicht teilten,/Teilen oft
beim Aufbau des neuen sowjetischen ihr Unglück. Der stürzende Wagen/
Staatsapparats gewarnt und dem Bei¬ Reißt die schwitzenden Zugtiere/Mit in
trag die ähnlich formulierte Mahnung den Abgrund“ (2. Bild).
„Lieber weniger, aber besser“ als Titel
gegeben. - Einen ähnlichen Gedanken t Und wenn der ganze Schnee ver¬
finden wir auch bei dem römischen Po¬ brennt
litiker und Schriftsteller Plinius dem
Jüngeren (vergleiche das Zitat „Mul- Wenn der Leib in Staub zerfallen,
tum, non multa“). lebt der große Name noch
tVon des Lebens Gütern allen ist der
Wenn alle untreu werden Ruhm das höchste doch
So beginnt das sechste der 15 „Geistli¬
chen Lieder“ von Novalis (1772-1802), Wenn der Mantel fällt, muß der
einem Dichter der deutschen Romantik. Herzog nach
Die Lieder erschienen zuerst in dem von Das Zitat geht auf eine Stelle in Schil¬
August Wilhelm Schlegel und Ludwig lers „republikanischem Trauerspiel“
Tieck herausgegebenen „Musenalma¬ „Die Verschwörung des Fiesko zu Ge¬
nach auf das Jahr 1802“. Sechs dieser nua“ zurück, das Schiller 1782 für die
Lieder, darunter das genannte, fanden Mannheimer Bühne geschrieben hat.
Eingang in evangelische Gesangbücher. Fiesko, der Anführer der Verschwörung
Der Dichter wendet sich in diesem Lied gegen den tyrannischen Dogen von Ge¬
an Christus. Der Beginn der ersten Stro¬ nua, Andreas Doria, wird von dem Re¬
phe lautet: „Wenn alle untreu wer¬ publikaner Verrina, der in Fiesko einen
den,/So bleib ich dir doch treu,/Daß neuen Tyrannen heraufkommen sieht,
Dankbarkeit auf Erden/Nicht ausge¬ ins Meer gestoßen. Die letzten Worte,
storben sei.“ Zu diesem geistlichen Lied die Fiesko (5,16) an Verrina richtet,
gibt es eine weltliche Umdichtung von sind: „Was zerrst du mich so am Man¬
dem Lyriker Max von Schenkendorf tel? - er fällt!“ Verrina, indem er Fiesko
(1783-1817) mit dem Titel „Erneuerter ins Meer stößt, antwortet: „Nun, wenn
Schwur. Junius 1814. An Friedrich Lud¬ der Purpur fällt, muß auch der Herzog
wig Jahn“: „Wenn alle untreu wer- nach!“ - Mit dem Zitat kann man z. B.
den,/So bleib ich euch doch treu,/Daß der Beobachtung oder Befürchtung
immer noch auf Erden/Für euch ein Ausdruck verleihen, daß ein eher ge¬
Streiter sei.“ - Man verwendet das Zitat ringfügiges Mißgeschick großes Unge¬
scherzhaft, um jemanden seiner Treue mach nach sich zu ziehen vermag oder
zu versichern. daß jemand, der die Insignien seiner
Macht verliert, auch selbst dem Unter¬
Wenn das Haus eines Großen zu¬ gang geweiht ist.
sammenbricht, werden viele Klei¬
ne erschlagen TUnd wenn der Mensch in seiner
Qual verstummt, gab mir ein Gott
In seinem Drama in sechs Bildern „Der
kaukasische Kreidekreis“ (Erstdruck
zu sagen, was ich leide
1949) läßt Bertolt Brecht die Figur des
Wenn der Vater mit dem Sohne
Sängers, der alles Geschehen kommen¬
tiert, diese Worte zu Entmachtung und Dies ist der Titel eines deutschen Films
Sturz des Gouverneurs Abaschwili sa¬ aus dem Jahr 1955. Heinz Rühmann
gen. Man zitiert sie, um auszudrücken. spielt darin die Rolle eines Musik-

487
wenn Teil I

clowns, der mit seinem kleinen Pflege¬ so viele Bettler in Nahrung/Setzt! Wenn
sohn ins Ausland flüchtet, als die Mut¬ die Könige baun, haben die Kärrner zu
ter das Kind wieder zu sich nehmen tun“ (betitelt: „Kant und seine Ausle¬
möchte. Das Drehbuch verfaßten Gu¬ ger“). Der Schlußvers des Epigramms
stav Kampendonk und Eckart Hach- wird heute gelegentlich zitiert, wenn
feld. Der Filmtitel zitiert die erste Zeile man daraufhinweisen will, daß bei Plä¬
eines um 1840 entstandenen Nonsens¬ nen und Entscheidungen von einflu߬
gedichts, dessen erste Strophe wie folgt reichen Persönlichkeiten häufig ande¬
beginnt: „Wenn der Vater mit dem Soh¬ ren die arbeitsreiche und mühevolle
ne/Auf dem Zündloch der Kanone/Oh¬ Ausführung überlassen bleibt.
ne Sekundanten paukt - Man ver¬
wendet das Zitat scherzhaft, um gemein¬ Wenn die Rose selbst sich
same Aktionen von Vater und Sohn zu schmückt, schmückt sie auch den
kommentieren. Garten
Dies sind die beiden letzten Verse aus
Wenn dich die bösen Buben lok-
Friedrich Rückerts (1788-1866) Ge¬
ken dicht „Welt und ich“. Es erschien zuerst
Die Warnung vor den „bösen Buben“ in Chamissos und Schwabs „Deutschem
stammt aus der Bibel. In den Sprüchen Musenalmanach“ von 1834 und be¬
Salomos (1,10) heißt es: „Mein Kind, leuchtet Rückerts passive Haltung ge¬
wenn dich die bösen Buben locken, so genüber den Reform- und Freiheitsbe¬
folge nicht.“ Das Wort „Bube“ steht strebungen zu Anfang der dreißiger Jah¬
hier im veralteten Sinne für „gemeiner, re. Der Dichter glaubt, trotz seines
niederträchtiger Mensch“; gewarnt Rückzugs auf sich selbst der Welt auch
wird in der Bibelstelle vor der Gefahr, durch seine apolitischen Gedichte die¬
sich zu Raub und Mord verleiten zu las¬ nen zu können: „Ich will meines Her¬
sen. Die Gründe zur Warnung beim zens Schlag/Für mein Leben brauchen./
Zitieren dieses Bibelwortes sind heute Möge jeder still beglückt/Seiner Freu¬
meist harmloserer Art. den warten!/Wenn die Rose selbst sich
schmückt/Schmückt sie auch den Gar¬
Wenn die Gondeln Trauer tragen ten.“
Das Zitat ist der deutsche Titel des eng¬
lischen Thrillers „Don’t look now“, der Wenn die Waffen sprechen,
nach einer Erzählung von Daphne du schweigen die Gesetze
Maurier im Jahr 1973 mit Julie Christie t Silent Ieges inter arma
und Donald Sutherland in den Haupt¬
rollen gedreht wurde. Darin wird ein T Und wenn die Welt voll Teufel
Ehepaar, das den Tod seiner Tochter wär
psychisch nicht zu bewältigen vermag,
in Venedig in seltsame und bedrohliche Wenn diese schweigen, werden die
Vorgänge verwickelt. Man zitiert den
Steine schreien
Titel meist in Abwandlungen, bei denen
statt „Gondeln“ Personen oder Dinge Beim Einzug Jesu in Jerusalem (Lukas
eingesetzt werden, und weist damit auf 19,29-40) rufen die jubelnden Jünger,
eine schwierige Situation, einen Verlust die Jesus als den kommenden König „in
hin. dem Namen des Herrn“ preisen, den
Unmut einiger Pharisäer hervor. Sie for¬
dern Jesus auf, seine Jünger deswegen
Wenn die Könige bauen, haben
zurechtzuweisen. Jesus gibt den Phari¬
die Kärrner zu tun
säern jedoch zu verstehen, daß die Jün¬
In den im „Musenalmanach für das Jahr ger das Richtige tun und daß die Wahr¬
1797“ abgedruckten „Xenien“ schreibt heit über seine eigene Person und sein
Schiller über den Philosophen Immanu¬ Wirken in jedem Falle geoffenbart wür¬
el Kant: „Wie doch ein einziger Reicher de, auch wenn man den Jüngern ver-

488
Teil I wenn

wehren würde, darüber zu reden. Er tut hat: „Du gehst zu Frauen? Vergiß die
dies mit den Worten in Vers 40: „Wo Peitsche nicht!“
diese werden schweigen, so werden die
Steine schreien.“ Das Jesuswort wird zi¬ Wenn Dummheit weh täte
tiert, wenn mit Nachdruck festgestellt
Wenn sich jemand mit einem abfälligen
werden soll, daß beispielsweise ein Un¬
Kommentar zu törichten oder unge¬
recht so himmelschreiend ist, daß es
reimten Handlungs- und Verhaltenswei¬
entdeckt werden muß, auch wenn dies
sen eines andern äußern möchte, so ge¬
die Verantwortlichen um jeden Preis
schieht dies oft mit diesen Worten. Voll¬
verhindern wollen.
ständig lautet die Redensart: „Wenn
Dummheit weh täte, würde (oder auch
Wenn du eine Rose schaust, sag,
müßte) er den ganzen Tag schreien“.
ich lass’ sie grüßen Die Redensart ist wohl nach dem Sinn¬
Unter der Nummer 6 der Lieder, die gedicht „Torheit“ von Friedrich Frei¬
Heinrich Heine (1797-1856) mit dem herr von Logau (1604-1655), dem be¬
Titel „Neuer Frühling“ im Jahr 1831 deutendsten Epigrammatiker des Ba¬
veröffentlichte, findet sich das zweistro¬ rock, gebildet. Das Sinngedicht lautet:
phige Frühlingsgedicht mit dem Beginn „Wenn Torheit täte weh, o welch er¬
„Leise zieht durch mein Gemüt/Liebli¬ bärmlich Schrei’n/würd’ in der ganzen
ches Geläute“. Die zweite Strophe en¬ Welt in allen Häusern sein!“ Nach dem
det mit den Versen „Wenn du eine Rose Muster dieser Redensart wurden dann
schaust,/Sag, ich lass’ sie grüßen.“ Die noch mehrere ähnlicher Art gebildet,
Mendelssohnsche Vertonung machte z. B.: „Wenn Dummheit klein machen
das Gedicht besonders bekannt. würde, könnte er unter dem Teppich
Rollschuh laufen“.
Wenn du nehmen willst, so gib!
T Mann mit zugeknöpften Taschen Wenn einer eine Reise tut, so kann
er was erzählen
Wenn du zum Weibe gehst, vergiß Das bekannte Zitat steht am Anfang von
die Peitsche nicht! Matthias Claudius’ Gedicht „Urians
Reise um die Welt“ aus dem Jahr 1786.
Dieser von manchen Männern gern zi¬
Der genaue Wortlaut im Gedicht ist:
tierte Ausspruch geht auf Friedrich
„Wenn jemand eine Reise tut,/So kann
Nietzsche(1844-1900)zurück. In seiner
er was verzählen.“ - Man verwendet das
philosophischen Dichtung „Also sprach
Zitat im Zusammenhang mit jemandes
Zarathustra“ wird im Kapitel „Von al¬
Erlebnissen auf einer Reise oder einer
ten und jungen Weiblein“ von der Be¬
ähnlichen Unternehmung.
gegnung Zarathustras mit einem „alten
Weiblein“ berichtet. Dieses fordert den
Weisen auf, auch einmal etwas über die Wenn es Nacht wird in Paris
Frauen zu sagen, und er beginnt seine Das Zitat, das als Anspielung sowohl
Ausführungen mit den Worten „Alles auf das Pariser Nachtleben wie auch auf
am Weibe ist ein Rätsel, und alles am die nächtliche Kriminalität verwendet
Weibe hat eine Lösung: sie heißt wird, ist der Titel eines Schlagers von
Schwangerschaft.“ Im folgenden wird Caterina Valente und zugleich der deut¬
mehrfach auf die Gefährlichkeit der sche Titel des französisch-italienischen
Frau für den Mann hingewiesen („Der Films „Touchez pas au grisbi!“ (eigent¬
Mann fürchte sich vor dem Weibe“) und lich: „Hände weg von den Moneten!“)
darauf, daß die Frau sich unterzuord¬ von Jacques Becker aus dem Jahr 1954.
nen habe („Und gehorchen muß das Das Zitat erfuhr mehrere Abwandlun¬
Weib“). Das „alte Weiblein“ dankt Za¬ gen, z. B. in den Filmtiteln „Wenn es
rathustra für seine Darlegungen und be¬ Nacht wird auf der Reeperbahn“ (1967)
stätigt sie ihm mit einer „kleinen Wahr¬ und „Wenn es Nacht wird in Manhat¬
heit“, die im Original diesen Wortlaut tan“ (1969).

489
wenn Teil I

Wenn es nicht wahr ist, ist es sehr dich liebhabe, was geht’s dich an?“
Goethe gibt in „Dichtung und Wahr¬
gut erfunden
heit“ als Quelle für diese Auffassung
Dieser sentenzhafte Ausspruch drückt
von Liebe Spinozas (1632-1677)
Skepsis und Anerkennung zugleich aus.
„Ethik“ an, wo es heißt: „Wer Gott
Er wird meist dann zitiert, wenn berech¬
recht liebt, muß nicht verlangen, daß
tigter Zweifel am Wahrheitsgehalt einer
Gott ihn wiederliebe“ (4,19).
immerhin wahrscheinlich klingenden,
geschickt vorgetragenen Aussage eines
andern geboten ist. Er stammt aus dem Wenn ich dies Wunder fassen will,
Italienischen und wurde durch das so steht mein Geist vor Ehrfurcht
Werk „Gli eroici furori“ (auf deutsch: still
„Heroische Leidenschaften“) des italie¬
t Mein Verstand steht still
nischen Philosophen Giordano Bruno
(1548-1600) besonders verbreitet
(2. Teil, 3. Dialog). Es lautet auf italie¬ Wenn ich ein Vöglein wär’
nisch: Si non e vero, e molto ben trovato. „Wenn ich ein Vöglein wär/Und auch
zwei Flügel hätt’,/Flög ich zu dir.“ So
Wenn gute Reden sie begleiten, beginnt ein altes Volkslied, dessen Text
dann fließt die Arbeit munter fort Johann Gottfried von Herder erstmals
1778 in seiner Volksliedersammlung
Gemeinschaftliches Arbeiten, das von
veröffentlicht hat. Man zitiert den ersten
einer angeregten Unterhaltung begleitet
Vers gelegentlich, um scherzhaft auszu¬
und sogar dadurch beflügelt werden
drücken, daß man zwar gerne zu jeman¬
kann, wird gelegentlich mit diesem Zitat
dem oder an einen bestimmten Ort ge¬
kommentiert. Es handelt sich dabei um
hen möchte, dies aber auf Grund der
Verse aus Schillers „Lied von der Glok-
sehr großen Entfernung kaum möglich
ke“, das 1799 in Schillers „Musenalma¬
ist.
nach für das Jahr 1800“ erschien. Bei
Schiller ist mit der Arbeit der Glocken¬
guß gemeint: „Zum Werke, das wir Wenn ich nicht Alexander wäre,
ernst bereiten,/Geziemt sich wohl ein möchte ich wohl Diogenes sein
ernstes Wort“. Dieser von dem griechischen Philoso¬
phen Diogenes Laertius überlieferte
t Nichts Bessers weiß ich mir an Ausspruch wird dem Makedonierkönig
Sonn- und Feiertagen, als ein Ge¬ Alexander dem Großen (356-323
spräch von Krieg und Kriegsge¬ v. Chr.) zugeschrieben, dem durch sei¬
schrei, wenn hinten weit in der nen Lehrer Aristoteles eine umfassende
Türkei die Völker aufeinander Bildung zuteil geworden war. Die von
Plutarch überlieferte Form des Aus¬
schlagen
spruchs lautet noch entschiedener:
„Wenn ich nicht Alexander wäre, so
Wenn ich dich liebe, was geht’s würde ich Diogenes sein.“ Mit dem Zi¬
dich an? tat kann zum Beispiel jemand, der viele
In dieser geläufig gewordenen Form zi¬ verantwortungsvolle Ämter bekleidet
tiert Goethe im 14. Buch von „Dichtung oder eine wichtige Stellung im öffentli¬
und Wahrheit“ Philines Worte aus dem chen Leben innehat, zum Ausdruck
Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ bringen, daß er im Grunde auch genau¬
(IV, 9). Auf Wilhelms Aufforderung, ihn sogut ein bedürfnisloses, zurückgezoge¬
zu verlassen, um ihn nicht zu noch mehr nes, kontemplatives Leben führen könn¬
Dank zu verpflichten, entgegnet sie: te. Den beiden Positionen ist gemein¬
„Ich weiß besser, was dir gut ist; ich sam, daß sie in bestimmter Weise den
werde bleiben ... Auf den Dank der gesellschaftlichen Zwängen enthoben
Männer habe ich niemals gerechnet, al¬ sind: auf der einen Seite durch Macht,
so auch auf deinen nicht; und wenn ich Entscheidungsgewalt, auf der anderen

490
Teil I wenn

Seite durch Verzicht auf materielle Din¬ die er glaubt. Faust fertigt seinen Schü¬
ge und Abkehr von der Gesellschaft. ler einmal mehr in diesem Dialog zu¬
rechtweisend ab, indem er ihm bedeutet,
Wenn ich um jedes Ei so kakelte daß die von innen kommende Überzeu¬
Als spöttische, ablehnende Reaktion gungskraft mehr bewirkt als jede äußer¬
auf jemandes übertriebenes Eigenlob liche Redekunst. Zitiert werden die
wird das Zitat aus Heinrich Seidels Worte Fausts meist in einem etwas
(1842-1906) Gedicht „Das Huhn und allgemeineren Sinne, daß nämlich in
der Karpfen“ gelegentlich verwendet: vielen Dingen nicht Berechnung und
„Wenn ich um jedes Ei/So kakelte,/Mi- Verstand entscheidend sind, sondern
rakelte,/Spektakelte,/Was gäb's für ein Gefühl und intuitives Erfassen.
Geschrei!“
Wenn Katelbach kommt
Wenn ich wüßte, daß morgen die
Mit diesem deutschen Titel kam 1966
Welt untergeht, würde ich heute ein im Jahre 1965 gedrehter Film des
noch ein Apfelbäumchen pflanzen polnischen Regisseurs Roman Polanski
Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchten (* 1933) in unsere Kinos. Darin wird ge¬
diese Zeilen als angeblicher Ausspruch schildert, wie ein entflohener Verbre¬
Luthers auf, ohne daß man sie irgendwo cher in ein englisches Inselschloß ein¬
bei ihm belegt gefunden hat. Gottfried dringt und dort auf das Eintreffen des
Benn schrieb 1956 ein Gedicht mit dem Gangsterbosses Katelbach wartet. Und
Titel „Was meinte Luther mit dem erst, „wenn Katelbach kommt“, würde
Apfelbaum?“, und Hoimar von Ditfurth er das Schloß wieder verlassen und auf¬
spielte in einem Buchtitel von 1985 auf hören, die Besitzer zu terrorisieren. Man
den Spruch an: „So laßt uns denn ein zitiert den Filmtitel gelegentlich, wenn
Apfelbäumchen pflanzen!“ man auf ein Ereignis anspielen will, des¬
sen Eintreffen zwar erwartet wird, von
Wenn ihr nicht werdet wie die Kin¬ dem man aber annehmen kann, daß es
der wohl niemals eintritt.
Der Satz stammt aus dem Neuen Testa¬
ment. Darin entgegnet Jesus auf die Fra¬ Wenn man’s so hört, möcht’s leid¬
ge seiner Jünger: „Wer ist doch der lich scheinen
Größte im Himmelreich?“ (Matthäus
Die Antwort, die Faust im 1. Teil der
18,1) mit den Worten: „Wahrlich, ich
Goetheschen Tragödie auf Gretchens
sage euch: Es sei denn, daß ihr euch um¬
Frage gibt, ob er denn an Gott glaube,
kehret und werdet wie die Kinder, so
entspricht nicht ganz deren Vorstellung.
werdet ihr nicht ins Himmelreich kom¬
Und das läßt sie in ihrer Erwiderung
men“ (Matthäus 18,3). - Mit dem Zitat
auch anklingen: „Wenn man’s so hört,
kann man zum Ausdruck bringen, daß
möcht’s leidlich scheinen,/Steht aber
man in bestimmten Situationen versu¬
doch immer schief darum“ (Marthens
chen sollte, sich eine gewisse „kindli¬
Garten). Mit diesem Zitat deutet man
che“ Unbefangenheit oder auch die Be¬
an, daß gegen jemandes Ausführungen
reitschaft zum Staunen und Träumen zu
zwar grundsätzlich nichts einzuwenden
eigen zu machen.
ist, dem eigenen Empfinden nach aber
das Wesentliche, der Kern nicht getrof¬
Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr wer-
fen worden ist.
det’s nicht erjagen
Diese Worte aus Goethes Faust (Teil I,
Wenn Menschen auseinander¬
Nacht) sind an Wagner, den Famulus
gehn, so sagen sie: auf Wiedersehn,
Fausts, gerichtet. Der hat sich im Dialog
mit seinem Lehrer über die Möglichkei¬
ja Wiedersehn!
ten rhetorischer Überredungskunst ge¬ Diese Verse bilden den Schluß des Ge¬
äußert, die er sehr hoch einschätzt, an dichts „Nach altdeutscher Weise“ von

491
wenn Teil I

Ernst Freiherr von Feuchtersieben des weiß sehr wohl, wie er dieses Unge¬
(1806-1849) mit den Anfangsversen: stüm zu bewerten hat: „Wenn sich der
„Es ist bestimmt in Gottes Rat,/Daß Most auch ganz absurd gebärdet,/Es
man, was man am liebsten hat,/Muß gibt zuletzt doch noch ’nen Wein.“ Heu¬
meiden“, bekannter mit der Textände¬ te wird das Zitat verwendet, wenn man
rung in Felix Mendelssohns Vertonung: ausdrücken will, daß die Vehemenz, mit
Daß man vom Liebsten, was man der jemand zunächst auftritt, im Laufe
hat,/Muß scheiden“. Der Melancholie der Zeit an Kraft und Schwung verliert
des Abschieds mit den Gedanken an und dann leichter zu kanalisieren ist.
Vergänglichkeit und Tod in den Mittel¬
strophen wird plötzlich Einhalt gebo¬ Wenn sie kein Brot haben, sollen
ten: „Nur mußt du mich auch recht ver¬ sie doch Kuchen essen
stehn!“, und es schließt sich der tröstli¬
Königin Marie Antoinette (1755-1793),
che Hinweis auf das Wiedersehen an.
die Frau König Ludwigs XVI., war beim
französischen Volk wegen ihrer Ver¬
schwendungssucht und ihres Standes¬
Wenn mir was Menschliches be¬ dünkels verhaßt. Ihr wird dieser Aus¬
gegnet spruch zugeschrieben. Es soll ihre Reak¬
Als Wilhelm Teil sich in der ersten Sze¬ tion auf die Nachricht gewesen sein,
ne von Schillers Schauspiel anschickt, daß beim Volk Brotmangel herrsche.
den verfolgten Baumgarten trotz Sturm Die zynischen Worte, im französischen
und Wellengang über den Vierwaldstät¬ Original: S’ils n'ont pas de pain, qu’ils
ter See zu rudern, bittet er den Hirten mangent de la brioche, werden auch heu¬
Kuoni: „Landsmann, tröstet ihr/Mein te noch zitiert, um z. B. ironisch auf so¬
Weib, wenn mir was Menschliches be¬ ziale Mißstände hinzuweisen oder um
gegnet.“ Teil meint damit, daß er in den die Entfremdung der Herrschenden
Wellen des Sees den Tod finden könnte; vom Volk zu charakterisieren.
das Zitat wird dagegen scherzhaft auf
wesentlich Harmloseres bezogen: Man t Und wenn sie nicht gestorben
sagt, daß jemandem „etwas Menschli¬ sind, so leben sie noch heute
ches begegnet“ sei, wenn jemand (be¬
sonders ein Kind) ungewollt eine Blä¬
Wenn süß das Mondlicht auf den
hung hat abgehen lassen oder sich die
Hügeln schläft
Hosen vollgemacht hat.
Der deutsche Spielfilm „Morgens um
sieben ist die Welt noch in Ordnung“
(siehe diesen Artikel) über das heiter¬
Wenn sich der Most auch ganz ab¬
komische Alltagsleben der Schriftstel¬
surd gebärdet, es gibt zuletzt doch lerfamilie Pentecost erhielt eine Fortset¬
noch ’nen Wein zung, die 1969 unter diesem Titel in die
Zu Beginn des 2. Aktes im 2. Teil von Kinos kam. Zugrunde lag wieder ein
Goethes Faust trifft Mephisto, als Pro¬ Roman von Eric L. Malpass (englischer
fessor verkleidet, in der Szene „Hochge¬ Originaltitel: „At the height of noon“;
wölbtes, enges gotisches Zimmer“ wie¬ 1967). Der Filmtitel geht auf Shake¬
der auf den Schüler aus der Studierzim¬ speares „Kaufmann von Venedig“ zu¬
merszene. Dieser hat jetzt den untersten rück, wo Lorenzo im 5. Akt sagt: „Wie
akademischen Grad des Bakkalaureus süß das Mondlicht auf den Hügeln
erlangt. Ungehalten läßt er eine schläft!“ (im englischen Original: How
Schimpfkanonade auf Lehrer und uni¬ sweet the moonlight sleeps upon this
versitären Lehrbetrieb los (vergleiche bank!). Man zitiert ihn, wenn man in
dazu „Im Deutschen lügt man, wenn einem poetischen Bilde andeuten will,
man höflich ist“) und geht dann im daß etwas während der ruhigsten Stun¬
Vollbewußtsein seiner jugendlichen den der Nacht geschieht oder geschehen
Himmelsstürmerkraft ab. Mephisto in¬ ist.

492
Teil I wer

Wenn wir alle Engel wären t Doch wer bei schöner Schnitt’rin
Dieser Titel eines 1936 erschienenen steht, dem mag man lange winken
Romans von Heinrich Spoerl (1887 bis
1955), der im gleichen Jahr auch mit
Heinz Rühmann verfilmt wurde, wird Wer besitzt, der lerne verlieren
noch heute gerne zitiert, wenn es gilt, In Schillers Trauerspiel „Die Braut von
unsere menschlichen Schwächen zu ent¬ Messina“ (Uraufführung 1803) kündigt
schuldigen. der Chor mit den Worten „Nicht an die
Güter hänge dein Herz,/Die das Leben
Wenn zwei dasselbe tun, so ist es vergänglich zieren!/Wer besitzt, der ler¬
ne verlieren,/Wer im Glück ist, der lerne
nicht dasselbe
den Schmerz.“ kommendes Unglück
Quelle für diese Redensart ist ein Stück
und Leid an (IV, 4). Auf solche Schick¬
des römischen Komödiendichters Te-
salsschläge aber sind die Handelnden
renz (190-159 v. Chr.) mit dem Titel
auf der Bühne innerlich nicht vorberei¬
„Adelphoe“ (deutsch: „Die Brüder“). tet, und die meisten Menschen im wirk¬
Der lateinische Wortlaut ist: Duo cum lichen Leben sind es auch nicht. Daher
faciunt idem, non est idem. Das Zitat ist die Mahnung, daß man sich gerade
eine Verkürzung des in dem Terenz- dann, wenn man sich sorgenfrei und un¬
stück ausgedrückten Gedankens. Dort beschwert glaubt, daran erinnern soll,
heißt es: Duo, cum idem faciunt, .../Hoc wie schnell das Glück zerstört werden
licet impune facere huic, illi non licet kann. Diesen Gedanken hatte Schiller
(deutsch: „Wenn zwei dasselbe tun,... so schon früher in seiner Ballade „Der
darf der eine es ungestraft tun, der ande¬ Ring des Polykrates“ (1797) in ähnli¬
re nicht“). - Die Redensart besagt, daß cher Form formuliert: „Drum, willst du
es nicht auf die Handlung allein an¬ dich vor Leid bewahren,/So flehe zu
kommt, sondern auch darauf, wer sie den Unsichtbaren,/Daß sie zum Glück
aus welchen Motiven ausführt. den Schmerz verleihn./Noch keinen sah
ich fröhlich enden,/Auf den mit immer
Wenn’s der Wahrheitsfindung vollen Händen/Die Götter ihre Gaben
dient streun.“

Der zur Zeit der Studenten- und APO-


Bewegung Ende der 60er Jahre populär
Wer betrügt hier wen?
gewordene Kommunarde Fritz Teufel
mußte sich 1967 vor dem Berliner Land¬ So fragt jemand empört zurück, der des
gericht in Moabit wegen verschiedener Betruges beschuldigt wird, obgleich er
sich selbst als den Betrogenen ansieht.
Anschuldigungen im Zusammenhang
mit den Protestkundgebungen gegen Die Worte sind wohl eine Abwandlung
den Schahbesuch in Berlin verantwor¬ eines Zitats aus dem Lustspiel „Der Bar¬
bier von Sevilla“ des französischen Dra¬
ten. Der Aufforderung, Teufel möge
matikers Pierre-Augustin Caron de
sich beim Eintreten des Hohen Gerichts
Beaumarchais (1732-1799). „Wer, zum
von seinem Platz erheben, kam dieser
Teufel, soll denn hier betrogen wer¬
nur zögernd und mit dem spöttischen
den?“ (französisch: Qui diable est-ce
Kommentar „Naja, wenn’s der Wahr¬
donc qu ’on trompe ici?) fragt im 11. Auf¬
heitsfindung dient“ nach. Man zitiert
zug des 3. Akts der Gesangslehrer Don
diese Worte zum Beispiel, wenn man et¬
Basilio, ein armer Teufel, der jeder Be¬
was nur sehr widerstrebend tut, da man
stechung zugänglich ist, als er sich in die
es für völlig überflüssig, für einen reinen
Intrigen des Lustspiels einbezogen
Formalismus hält.
sieht.

Wenn’s hochkommt, so sind’s


achtzig Jahre t Denn wer da hat, dem wird gege¬
t Unser Leben währet siebzig Jahre ben

493
wer Teil I

Wer darf ihn nennen? Wer die Wahrheit kennet und saget
Dieses kurze Zitat dient gelegentlich als sie nicht, der bleibt ein ehrlos er¬
ausweichende Antwort auf eine Frage bärmlicher Wicht
nach einer Person oder einem bestimm¬ Die beiden Verse stammen aus einem
ten Sachverhalt, die man nicht beant¬ Lied mit der Überschrift „Zum Wart¬
worten möchte. Das Zitat stammt aus burgfest 1817“, das man heute noch in
dem ersten Teil von Goethes Faust studentischen Kommersbüchern findet.
(Marthens Garten) und ist Teil der Ant¬ Der Verfasser des Liedes ist der Schrift¬
wort, die Faust im Gespräch mit Gret- steller Daniel August von Binzer
chen auf die berühmte Frage nach sei¬ (1793-1868). Die sechste Strophe lau¬
nem Verhältnis zur Religion („Gret¬ tet: „Stoßt an! Freies Wort lebe! Hurra
chenfrage“) gibt: „Wer darf ihn nen¬ hoch! Wer die Wahrheit kennet und sa¬
nen ?/Und wer bekennen :/Ich glaub get sie nicht, der bleibt ein ehrlos er¬
ihn?/Wer empfinden/Und sich unter¬ bärmlicher Wicht.“ Eine ähnliche Text¬
winden,/Zu sagen: Ich glaub ihn stelle wird auch gelegentlich aus Bertolt
nicht?“ Brechts „Leben des Galilei“ zitiert, wo
es heißt „Wer die Wahrheit nicht weiß,
Wer das Scheiden hat erfunden, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer
sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist
hat an Lieben nicht gedacht
ein Verbrecher!“
Das Thema des Scheidens, Abschied¬
nehmens, Sichtrennenmüssens ist ein
Wer ein holdes Weib errungen,
immer wiederkehrendes, oft variiertes
mische seinen Jubel ein!
Motiv im Volkslied. Der Trennungs¬
schmerz der Liebenden spielt dabei Bei Hochzeits- oder Verlobungsfeiern
natürlich eine besondere Rolle. Ein o. ä. ist dieses Zitat in scherzhafter Ab¬
Beispiel dafür sind diese ersten beiden sicht sicherlich schon oft verwendet
Zeilen eines sehr populär gewordenen worden. Es handelt sich dabei um zwei
Liedes vom Ende des 19. Jahrhunderts, Zeilen aus dem berühmten Gedicht „An
dessen Verfasser unbekannt ist. die Freude“ von Schiller (1785). Das
Gedicht wurde mehrfach vertont. Be¬
sonders bekannt aber wurde es dadurch,
t Denn wer den Besten seiner Zeit daß es Ludwig van Beethoven im Finale
genug getan, der hat gelebt für alle des letzten Satzes seiner 9. Symphonie
Zeiten (1823) verwendet hat. In der leicht ver¬
änderten Form „Wer ein solches Weib
errungen/Stimm’ in unsern Jubel ein“
Wer den Dichter will verstehen
tauchen die Verse auch in dem hymni¬
Goethes „Noten zum Westöstlichen Di¬
schen Lobpreis treuer Liebe am Ende
wan“ beginnen mit dem Motto: „Wer
von Beethovens Oper „Fidelio“ auf.
das Dichten will verstehen,/Muß ins
Land der Dichtung gehen ;/Wer den
Wer ein Liebchen hat gefunden
Dichter will verstehen,/Muß in Dichters
Lande gehen.“ Das Zitat „Wer den Dieser Vers bildet mit der folgenden
Dichter will verstehen“ wird gebraucht, Zeile „Die es treu und redlich meint“
wenn die Bedeutung des persönlichen den Anfang des Auftrittsliedes des Auf¬
Umfelds eines Dichters für sein Werk sehers Osmin aus Mozarts (1756-1791)
hervorgehoben werden soll. Allgemein Singspiel „Die Entführung aus dem Se¬
wird damit auch zum Ausdruck ge¬ rail“ (Text von Christoph Friedrich
bracht, daß sich manches aus der Ferne Bretzner). Osmin reflektiert über die
oft nur unvollkommen beurteilen läßt. Schwierigkeit, eine treue Geliebte zu
finden (und besonders sich zu erhalten),
und in entsprechenden Zusammenhän¬
T Der ist in tiefster Seele treu, wer gen wird der Vers noch gelegentlich
die Heimat liebt wie du zitiert.

494
Teil I wer

Wer einmal aus dem Blechnapf eingesetzt zu haben, ohne an seine eige¬
frißt ne Familie zu denken. Heute wird dieses
Zitat als Aufforderung verwendet, not¬
Der 1934 erschienene Roman von Hans
wendige Arbeiten oder Entscheidungen
Fallada mit diesem Titel erzählt die Ge¬
nicht durch allzu langes Überlegen hin¬
schichte eines entlassenen Strafgefange¬
auszuzögern.
nen, dem es nicht gelingt, sich wieder in
die Gesellschaft einzugliedern. - Das
Zitat gibt der Überzeugung Ausdruck,
Wer Gott, dem Allerhöchsten,
daß ein Mensch, der einmal aus der bür¬ traut, der hat auf keinen Sand ge¬
gerlichen Ordnung herausgefallen ist, es baut
sehr schwer hat, sich von diesem Makel t Wer nur den lieben Gott läßt walten
zu befreien, daß er nur schwer in der
Gesellschaft wieder Fuß fassen kann. Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
Bei diesem Zitat handelt es sich um die
Wer es fassen kann, der fasse es! wörtliche Übersetzung des Titels eines
Das als Kommentar zu etwas schwer Schauspiels von Edward Albee (* 1928)
Begreiflichem verwendete Zitat steht im aus dem Jahr 1962, das im Original
Neuen Testament, wo Jesus zu seinen Who's Afraid of Virginia Woolf? lautet
Jüngern über die Ehelosigkeit spricht: und unter dem gleichen Titel 1965 ver¬
„Denn es sind etliche verschnitten, die filmt wurde. Der Name der Schriftstel¬
sind aus Mutterleibe also geboren; und lerin steht für die emanzipierte Frau und
sind etliche verschnitten, die von Men¬ für die literarische Technik des inneren
schen verschnitten sind; und sind etli¬ Monologs; der Titel ist aber zugleich ei¬
che verschnitten, die sich selbst ver¬ ne Parodie auf das Kinderlied Who is
schnitten haben um des Himmelreichs afraid of the big bad wolf? („Wer hat
willen. Wer es fassen kann, der fasse Angst vor dem bösen Wolf?“). So wird
es!“ (Matthäus 19,12). der Titel des Stücks im Sinne der rheto¬
rischen Frage des Kinderspiels „Wer
Wer fertig ist, dem ist nichts recht fürchtet sich vorm schwarzen Mann?“
zu machen zitiert.
Dieser Vers stammt aus dem „Vorspiel
auf dem Theater“ im ersten Teil von
Wer hat denn den Käse zum Bahn¬
Goethes Faust. Man hält ihn gerne ei¬ hof gerollt?
nem Menschen entgegen, der eine große Mit dieser umgangssprachlich scherz¬
Lebens- oder Berufserfahrung erlangt haften Frage will man wissen, wer etwas
hat und anderen gegenüber nur noch getan oder verursacht hat. Sie ist der
kritisch eingestellt ist. Aber nur dem, Titel eines Schlagers von F. Strassmann
der sich selbst kritisch einzuschätzen aus dem Jahre 1926.
weiß, dem wohnt auch die Fähigkeit in-
ne, noch hinzuzulernen. Das drückt Wer hat dich, du schöner Wald
dann auch der unmittelbar folgende Mit den Zeilen „Wer hat dich du schö¬
Vers aus: „Ein Werdender wird immer ner Wald,/Aufgebaut so hoch da dro¬
dankbar sein.“ Oder wie es Friedrich ben?“ beginnt Joseph von Eichendorffs
Hebbel (1813-1863) ausgedrückt hat: Gedicht „Der Jäger Abschied“ aus sei¬
„Das Leben ist ein ewiges Werden. Sich nem Roman „Ahnung und Gegenwart“.
für geworden halten heißt sich töten.“ Felix Mendelssohn Bartholdy hat das
Gedicht vertont und ihm damit zusätz¬
Wer gar zu viel bedenkt, wird we¬ lich Popularität verliehen. Man zitiert
nig leisten die beiden Zeilen (oft auch nur die er¬
Mit diesen Worten aus Schillers „Wil¬ ste) als Ausdruck der Ergriffenheit oder
helm Teil“ (III, 1) begegnet Teil seiner der Freude bei einem entsprechenden
Frau Hedwig, die ihm vorhält, bei einer Natur- bzw. Landschaftserlebnis. Im
riskanten Rettungsaktion sein Leben Zeitalter des Waldsterbens kann das

495
wer Teil I

Zitat auch ironisch oder als Anklage ken,/Das nicht die Vorwelt schon ge¬
verwendet werden. dacht?“ - Mit dem Zitat bringt man
resignierend zum Ausdruck, daß man
Wer im Glück ist, der lerne den etwas irrtümlich für originell gehalten
Schmerz hat, daß es kaum noch etwas Originelles
gibt.
tWer besitzt, der lerne verlieren
Wer mit dem Leben spielt, kommt
Wer immer strebend sich bemüht
nie zurecht
ln Goethes Faust II (V, Bergschluchten,
Wald, Fels, Einöde) verkünden Engel t Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt
die Erlösungsformel für Fausts Un¬ immer Knecht
sterbliches, das sie schwebend in der hö¬
heren Atmosphäre tragen: „Wer immer Wer nicht arbeitet, soll auch nicht
strebend sich bemüht,/Den können wir essen
erlösen.“ Hinzu kommt hier allerdings Es handelt sich hier um die sprichwört¬
noch die göttliche Liebe: „Und hat an lich gewordene Form eines Bibelzitats
ihm die Liebe gar/Von oben teilgenom¬ aus dem Neuen Testament. Im 2. Brief
men,/Begegnet ihm die selige Schar/Mit an die Thessalonicher (Kapitel 3, Vers
herzlichem Willkommen.“ Der erste 10) hält der Apostel Paulus die Gemein¬
Vers des Zitats wird leicht scherzhaft de zur Arbeit an: „... wenn jemand nicht
oder ironisch für jemandes stetes, aber will arbeiten, der soll auch nicht essen“,
vielleicht nicht von Erfolg gekröntes Be¬ womit auch er schon meint, daß man
mühen verwendet. selbst für sich sorgen und andern nicht
zur Last fallen solle. Gelegentlich
Wer jetzt kein Flaus hat, baut sich kommt es auch zu der scherzhaften Ab¬
keines mehr wandlung: „Wer nicht arbeitet, soll we¬
Dies ist eine Zeile aus Rainer Maria Ril¬ nigstens gut essen“, wenn man sich an
kes (1875-1926) Gedicht „Herbsttag“. den gedeckten Tisch setzt.
Man zitiert sie, wenn eine Frist verstri¬
chen ist, wenn jemand etwas nicht er¬ Wer nicht liebt Wein, Weib und
reicht hat, was jetzt nicht mehr zu errei¬ Gesang
chen ist. Seit alters her gelten Wein, Weib und
Gesang als Symbole des Vergnügens,
Wer kann was Dummes, wer was der Freude am Leben. Entsprechend
Kluges denken, das nicht die Vor¬ wird mit dem Zitat ein gewisses Unver¬
welt schon gedacht? ständnis und Bedauern darüber zum
Diese Einsicht verkündet Mephisto im Ausdruck gebracht, daß manche die an¬
zweiten Teil von Goethes Faust (2. Akt, genehmen Seiten des weltlichen Lebens
Hochgewölbtes, enges gotisches Zim¬ nicht zu schätzen und zu genießen wis¬
mer). Er äußert sie in ironischem Ton sen. Das Zitat soll von Johann Heinrich
nach seiner Begegnung mit dem Bacca- Voß (1751-1826) stammen. In Matthias
laureus, dem „Schüler“ aus der Studier¬ Claudius’ Wandsbecker Boten (1775)
zimmerszene des ersten Teils der Dich¬ wird es Martin Luther zugeschrieben:
tung, der ihm erfüllt von jugendlichem „Wer nicht liebt Wein, Weib und Ge¬
Tatendrang entgegengetreten war. Mit sang/Der bleibt ein Narr sein Leben
den folgenden Worten beendet der Bac- lang./Sagt Doktor Martin Luther.“
calaureus seinen Auftritt: „Ich ... wand-
le rasch, im eigensten Entzücken,/Das Wer nicht mit mir ist, der ist wider
Helle vor mir, Finsternis im Rücken.“ mich
Mephisto spricht darauf: „Original, Dieses Diktum aus dem Munde Jesu
fahr’ hin in deiner Pracht! -/Wie würde findet man im Neuen Testament bei
dich die Einsicht kränken:/Wer kann Matthäus (12,30) und Lukas (11,23). -
was Dummes, wer was Kluges den¬ Man verwendet es, um ganz entschieden

496
Teil I wer

Freund und Feind gegeneinander abzu¬ warnender Hinweis darauf verstanden


grenzen. werden, daß man in bestimmten Fällen
mit entsprechender Aufmerksamkeit
Wer nie sein Brot mit Tränen aß aus jemandes Worten etwas heraushö¬
Dies ist die Anfangszeile eines sehr be¬ ren kann, was der Betreffende nicht
kannten Gedichts von Goethe aus dem direkt, nur verhüllt ausspricht.
Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“
(2. Buch, 13. Kapitel). Es handelt sich Wer Pech angreift, besudelt sich
um eines der Lieder, das der geheimnis¬ Diese Erkenntnis stammt aus dem altte-
volle Harfenspieler singt. Zitiert wird stamentlichen apokryphen Buch Jesus
oft die ganze erste Strophe des Ge¬ Sirach, wo es heißt: „Wer Pech angreift,
dichts: „Wer nie sein Brot mit Tränen der besudelt sich damit“ (13,1). Damit
aß,/Wer nie die kummervollen Nächte/ soll gesagt werden, daß schlechter Um¬
Auf seinem Bette weinend saß,/Der gang einen schlechten Einfluß ausübt.
kennt euch nicht, ihr himmlischen
Mächte.“ Auch der Volksmund hat sich Wer reitet so spät durch Nacht und
dieses Gedichts bemächtigt und ver¬ Wind?
schiedene scherzhafte Abwandlungen
Mit dieser Frage beginnt Goethes Balla¬
hervorgebracht, beispielsweise: „Wer de „Erlkönig“ aus dem Jahr 1782. Ihr
nie sein Brot im Bette aß, weiß nicht, Motiv stammt aus einer dänischen Bal¬
wie Krümel piken“. Im übrigen wurde lade mit dem Titel „Erlkönigs Tochter“,
das Gedicht, wie die andern sogenann¬ das der Dichter in der Volkslieder¬
ten „Gesänge des Harfners“ aus dem sammlung Johann Gottfried von Her¬
„Wilhelm Meister“, auch durch die ver¬ ders fand. Die Frage leitet den Bericht
schiedenen Vertonungen von Franz über einen Vater ein, der mit seinem
Schubert, Robert Schumann, Hugo todkranken Kind durch die Nacht reitet
Wolf u. a. bekannt. und seinem Hof zustrebt (vergleiche
auch: „Willst, feiner Knabe, du mit mir
Wer nur den lieben Gott läßt wal¬ gehn?“). - Man verwendet das Zitat
ten scherzhaft als Frage zum Beispiel nach
So beginnt ein Kirchenlied des Dichters jemandem, den man unvermutet zu spä¬
Georg Neumark (1621-1681; Evangeli¬ ter Stunde daherkommen sieht.
sches Kirchengesangbuch Nr. 298). Der
Liedanfang sowie die Schlußverse der Wer ruft mir?
ersten Strophe „Wer Gott, dem Aller¬ In der Szene ,Nacht1, am Beginn des er¬
höchsten, traut,/der hat auf keinen Sand sten Teils von Goethes Faust, beschwört
gebaut“ sind als Kennzeichnung eines der seines Lebens müde Faust den Erd¬
festen Gottvertrauens und einer uner¬ geist. Der erscheint in einer rötlichen
schütterlichen Gottergebenheit allge¬ Flamme und stellt die Frage: „Wer ruft
mein gebräuchlich geworden. mir?“ - Das heute wegen des nicht
mehr gebräuchlichen Dativs „mir“
Wer Ohren hat zu hören, der höre! altertümlich klingende Zitat wird als
scherzhafte Antwort von demjenigen
Mit dieser Mahnung will Jesus im Mat¬
verwendet, nach dem ein anderer geru¬
thäusevangelium seine Zuhörer darauf
fen hat.
hinweisen, daß sie aus seinen Gleichnis¬
sen durchaus die richtigen Lehren zie¬
Wer schaffen will, muß fröhlich
hen können, wenn sie nur bemüht sind,
genau hinzuhören (Matthäus 11,15). sein
Auch heute will man mit diesem Bibelzi¬ Die alte Weisheit, daß eine heitere Ge¬
tat ausdrücken, daß mit der nötigen gei¬ mütsverfassung, daß gute Laune und
stigen Anstrengung jemand sehr wohl Frohsinn die Freude und das Vergnügen
den Sinn einer Mitteilung o. ä. verstehen an der Arbeit fördern, daß also eine gute
kann. Die Worte können aber auch als Atmosphäre, ein gutes Betriebsklima

497
wer Teil I

die Schaffenskraft steigert, ist in diesem Wer sich entschuldigt, klagt sich
sentenzhaften Ausspruch zusammenge¬ an
faßt. Es handelt sich dabei um eine Zei¬
t Qui s’excuse, s’accuse
le aus einem zweistrophigen Spruchge¬
dicht von Theodor Fontane (1819 bis
Wer sich in Gefahr begibt, kommt
1898). Diese Zeile schließt die erste
Strophe als eine Art Fazit in folgender
darin um
Weise ab: „Du wirst es nie zu Tüchtgem Diese sprichwörtliche Redensart Findet
bringen/Bei deines Grames Träumerei¬ sich in ähnlicher Form auch an einer
en/Die Tränen lassen nichts gelingen: Stelle im alttestamentlichen apokry¬
Wer schaffen will, muß fröhlich sein.“ phen Buch Jesus Sirach, wo vor Anma¬
ßung und Vermessenheit gewarnt wird.
Es heißt dort (3,27-28): „Denn wer sich
Wer schmeißt denn da mit Lehm? gern in Gefahr gibt, der verdirbt darin;
Diese Frage stellt Claire Waldoff und einem vermessenen Menschen
(1884-1957), die bekannte Berliner Ka¬ geht’s endlich übel aus.“
barettistin, in einem von ihr selbst getex¬
teten und komponierten Lied. „Wer Wer sich nicht selbst befiehlt,
schmeißt denn da mit Lehm?/Der bleibt immer Knecht
sollte sich was schäm’n,/Der sollte doch Dieses Zitat stammt aus Goethes „Zah¬
was anders nehm’n/Als ausgerechnet men Xenien“ (VIII). Dort heißt es
Lehm“ ist der Refrain des Liedes, in vollständig: „Wer mit dem Leben
dem sie sich gegen die Unfreundlichkeit spielt,/Kommt nie zurecht;/Wer sich
und Gereiztheit der Menschen im Um¬ nicht selbst befiehlt,/Bleibt immer
gang miteinander wendet. Die erste Knecht“. Damit ist gemeint, daß man
Strophe des Liedes lautet: „Die Men¬ Abhängigkeiten überwinden und sein
schen heutzutage, die sind alle so ner¬
Schicksal besser gestalten kann, wenn
vös./Über jede kleine Kleinigkeit da man sich selbst in die Pflicht nimmt und
werden se giftig bös./Schimpft einer
bereit ist, Verantwortung zu tragen.
auf den andern, dann sing’ ich voll
Humor,/damit er nicht mehr schimpfen
Wer sich nicht selbst zum besten
soll, mein kleines Liedchen vor: ..." -
haben kann, der ist gewiß nicht von
Mit dem Zitat fragt man scherzhaft nach
jemandem, der sich in irgendeiner Wei¬ den Besten
se unangenehm bemerkbar gemacht hat. Wer von seiner eigenen Unfehlbarkeit
überzeugt und zu keiner Selbstkritik fä¬
hig ist, wie sollte der gar über sich selbst
Wer schweigt, scheint zuzustim¬ lachen können? Von einem solchen
men Menschen ist auch kaum Nachsicht den
t Qui tacet, consentire videtur Fehlern andrer gegenüber zu erwarten,
und man kritisiert ihn zu Recht mit die¬
sen Zeilen, die aus Goethes epigramma¬
Wer sich der Einsamkeit ergibt, tischem Gedicht „Meine Wahl“ stam¬
ach, der ist bald allein men.
Im 13. Kapitel des 2. Buches von Goe¬
thes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ Wer sich selbst erhöht, der wird er¬
singt der Harfenspieler - eine mit ge¬ niedrigt
heimnisvoller Schuld beladene Ge¬ Oft schon ist jemandem, der durch
stalt - auf Wilhelms Bitte hin ein Lied, selbstgefällige Reden, durch allzu ehr¬
das mit diesen Worten beginnt. Sie wer¬ geizige Pläne o. ä. auf sich aufmerksam
den gewöhnlich als Mahnung zitiert, gemacht hat, diese Mahnung zuteil ge¬
sich nicht abzukapseln, sich um Kon¬ worden. Sie ist biblischen Ursprungs
takte mit anderen Menschen zu bemü¬ und findet sich in unterschiedlicher
hen. Form an verschiedenen Stellen der Bi-

498
Teil I wer

bei. Die bekanntesten sind sicher die bei Wer wagt es, Rittersmann oder
Matthäus 23,12, wo Jesus diese warnen¬ Knapp’?
den Worte in einer Strafpredigt gegen
Diese Frage stellt der König am Beginn
die Pharisäer und Schriftgelehrten aus¬
von Schillers Ballade „Der Taucher“
spricht, und die bei Lukas 18,14, wo die
aus dem Jahr 1797. „Wer wagt es, Rit¬
Warnung in derselben Formulierung im
tersmann oder Knapp’,/zu tauchen in
Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöll¬
diesen Schlund?/Einen goldnen Becher
ner vorkommt, ln etwas anderer Formu¬
werf ich hinab,/Verschlungen schon
lierung wird derselbe Gedanke bereits
hat ihn der schwarze Mund./Wer mir
im Alten Testament ausgesprochen. Bei
den Becher kann wieder zeigen,/Er mag
Hesekiel 21,31 verkündet „der Herr“
ihn behalten, er ist sein eigen.“ ln dem
dem „König in Israel“: „Tue weg den
vielstrophigen Gedicht wird erzählt, wie
Hut und hebe ab die Krone! Denn es
es einer aus der Schar der Knappen
wird weder der Hut noch die Krone
wagt, in den Strudel zu tauchen. Als er
bleiben; sondern der sich erhöht hat,
den Becher aus der Tiefe zurückbringt
soll erniedrigt werden und der sich er¬
und auf des Königs Geheiß ein zweites
niedrigt, soll erhöht werden.“
Mal nach ihm taucht mit dem Verspre¬
chen, als Lohn die Königstochter zur
Wer soll das bezahlen? Gemahlin zu bekommen, kehrt er nicht
Dieser Stoßseufzer angesichts hoher mehr zurück. - Man verwendet das Zi¬
Rechnungen oder Schulden, der wohl tat meist scherzhaft (auch in der abge¬
nie an Aktualität verlieren wird, geht wandelten Nonsensform „Wer wagt es,
auf einen rheinischen Karnevalsschla¬ Knappersmann oder Ritt?“), um einen
ger aus dem Jahre 1949 (Text: K. Feltz Freiwilligen für eine bestimmte, viel¬
und W. Stein, Musik: J. Schmitz) zurück. leicht nicht ganz ungefährliche Aufgabe
Die Stelle lautet vollständig: „Wer soll zu finden.
das bezahlen, wer hat das bestellt, wer
hat soviel Pinkepinke, wer hat soviel
Geld?“ Wer weiß, wie nahe mir mein Ende
Ein evangelisches Kirchenlied (Evange¬
Es ist ein t Brauch von alters her: lisches Kirchengesangbuch Nr. 331),
das der thüringischen Reichsgräfin
Wer Sorgen hat, hat auch Likör!
Ämilie Juliane von Schwarzburg-Ru-
dolstadt (1637-1706) zugeschrieben
Wer vieles bringt, wird manchem wird, beginnt mit den Worten: „Wer
etwas bringen weiß, wie nahe mir mein Ende!/Hin
Im „Vorspiel auf dem Theater“ zu Goe¬ geht die Zeit, her kommt der Tod." Der
thes Faust spricht der „Direktor“ diese Liedanfang wird gewöhnlich zitiert,
Worte zum „Theaterkritiker“. Er will wenn man darauf hinweisen will, daß
diesem klarmachen, daß es bei Dichtun¬ das Leben nicht ewig währt, daß nie¬
gen für das Theater in erster Linie auf mand den Zeitpunkt seines Todes
die Publikumswirksamkeit ankommt, kennt.
eine Meinung, die der Dichter natürlich
keineswegs teilen kann. Der Ausspruch
des Theaterdirektors wird meist zitiert,
Wer will denn alles gleich ergrün¬
um darauf hinzuweisen, daß bei einem den!
reichen, vielfältigen Angebot jeder et¬ Dieser an einen Ungeduldigen gerichte¬
was Finden kann, was ihm zusagt. Gele¬ te beschwichtigende Ausruf ist die erste
gentlich wird er aber auch als ironische Zeile eines epigrammatischen Spruchs
Anspielung verwendet, wenn man ei¬ von Goethe. Der Spruch trägt den Titel
gentlich ausdrücken will, daß die Masse „Kommt Zeit, kommt Rat“ und lautet:
allein nicht ausschlaggebend sein darf, „Wer will denn alles gleich ergründen!
sondern daß die Qualität eine wichtige Sobald der Schnee schmilzt, wird sich’s
Rolle spielt. finden.“

499
wer Teil I

Wer will kommen zu Geld Schlagertext folgende Zeile mit berück¬


sichtigt: „Wer wird denn weinen, wenn
Mit diesem Zitat wird zum Ausdruck ge¬
man auseinandergeht,/Wenn an der
bracht, daß es besonderer Anstrengung
nächsten Ecke schon ein andrer steht.“
und Rührigkeit bedarf, wenn man dar¬
auf aus ist, reich zu werden. Der sprich¬
Wer wird nicht einen Klopstock lo¬
wörtliche Zweizeiler „Wer will kommen
zu Geld,/Muß sich tummeln in der ben?
Welt“ stammt aus der Sammlung „Et¬ „Wer wird nicht einen Klopstock lo-
was für alle“ von Abraham a Sancta ben?/Doch wird ihn jeder lesen? -
Clara (1644-1709), einem volkstümli¬ Nein./Wir wollen weniger erhoben/Und
chen und sprachgewaltigen Prediger fleißiger gelesen sein.“ Dieser Vierzeiler
deutscher Sprache im 17. Jahrhundert. ist das erste der „Sinngedichte an den
Leser“ aus Gotthold Ephraim Lessings
Wer Wind sät, wird Sturm ernten (1729-1781) Sammlung von Sinnge¬
dichten. Lessing stellt sein auf Wirkung
Der Gedanke, daß etwas Böses womög¬
in der Gesellschaft zielendes schriftstel¬
lich mit einem noch größeren Übel ver¬
lerisches Werk der erhabenen, schon
golten wird, daß jemand, der andere an¬
durch eine gesonderte Sprache vom All¬
greift, mit heftigen Gegenreaktionen
tag abgehobenen Dichtung Klopstocks
rechnen muß, hat in vielen Sprichwör¬
gegenüber. Er greift hier eine Stelle aus
tern und Redensarten Ausdruck gefun¬
den Epigrammen (IV, 49) des römischen
den. Selten aber ist er in ein so plasti¬
Dichters Martial (um 40-um 103) auf:
sches Bild gekleidet wie in diesem Fall,
Laudant illa, sed ista legunt („Jenes
und man vermutet nicht zu Unrecht,
loben sie, aber dieses lesen sie“).
daß es aus der Bibel stammt. Beim Pro¬
pheten Hosea, wo im 8. Kapitel das auf
Irrwegen wandelnde „götzendieneri¬ Wer wollte sich mit Grillen plagen
sche Volk“ getadelt und aufgerüttelt Das Zitat mit der Fortsetzung „Solang
wird, heißt es in Vers 7: „Denn sie säen uns Lenz und Jugend blühn?“ ist der
Wind und werden Ungewitter einern¬ Anfang des Gedichts „Aufmunterung
ten; ihre Saat soll nicht aufkommen und zur Freude“ von L. C. H. Hölty
ihr Gewächs kein Mehl geben ...“ (1748-1776), durch das sich bis zur
Schlußstrophe hin zugleich ein leises
Wer wird denn weinen, wenn man Memento mori zieht: „O wunderschön
ist Gottes Erde/Und wert, darauf ver¬
auseinandergeht
gnügt zu seinl/Drum will ich, bis ich
Weniger als ernstgemeinter Trost, son¬
Asche werde,/Mich dieser schönen Er¬
dern eher als leicht dahingesagte Flos¬
de freun!“ Das Gedicht erreichte zu¬
kel beim Abschiednehmen wird dieses
sätzliche Bekanntheit durch die Ver¬
Zitat gebraucht. Es handelt sich dabei
tonung von J. F. Reichardt (1752-1814).
um den Titel eines Anfang der zwanzi¬
ger Jahre populären Schlagers. Dieser
Wer zählt die Völker, nennt die
wiederum stammt aus der Operette „Die
Scheidungsreise“ (1918) von Hugo
Namen, die gastlich hier zusam¬
Hirsch (1884-1961), einem Komponi¬ menkamen?
sten, der besonders mit Operetten, Re¬ Das Zitat, mit dem man sein Erstaunen
vuen und Schlagern sehr erfolgreich über eine übergroße Anzahl von Gästen
war. Mit dem Zitat wird gerne auch ein oder ein aus feierlichem Anlaß in großer
Scherz gemacht, indem man es gewis¬ Zahl erschienenes illustres Publikum
sermaßen umfunktioniert zu einer trö¬ ausdrückt, ist der Beginn der 12. Stro¬
stenden Antwort auf jemandes Klage phe aus Schillers Ballade „Die Kraniche
über die ungewollt hinzugewonnene des Ibykus“. Dort sind die Isthmischen
Körperfülle. Der eigentliche, leicht fri¬ Spiele zu Ehren des Poseidon der An¬
vole Sinn der Worte des Zitats aber wird laß, wie es am Gedichtanfang heißt:
im Grunde erst klar, wenn man die im „Zum Kampf der Wagen und Gesän-

500
Teil I wer’s

ge,/Der auf Korinthus’ Landesenge/Der Werd’ ich zum Augenblicke sagen:


Griechen Stämme froh vereint“. Verweile doch, du bist so schön!
Die beiden Verszeilen aus Goethes
Wer zu spät kommt, den bestraft Faust I (Studierzimmer) enthalten die
das Leben Bedingung, unter der Faust sich Mephi¬
sto verschreibt: „Dann magst du mich in
Mit diesen Worten zitiert man den
Fesseln schlagen,/Dann will ich gern
Staatspräsidenten der ehemaligen
zugrunde gehn!“ Im 5. Akt von Faust II
UdSSR, Michail Gorbatschow (* 1931).
(Großer Vorhof des Palasts) nimmt er
Die Sentenz stammt aus der deutschen
seine Worte im Vorgefühl des höchsten
Übersetzung seiner Rede zum 40. Jah¬
Glücks - der Vollendung seines Werks,
restag der Gründung der DDR am 7.10.
der Landgewinnung - wieder auf. Zi¬
1989. Im russischen Original heißt es bei
tiert wird heute beim Anblick oder Ge¬
wörtlicherer Übertragung, daß es „ge¬
nuß von etwas Schönem meist nur die
fährlich für denjenigen wird, der nicht
Zeile „Verweile doch, du bist so schön.“
auf das Leben reagiert“. Die populär ge¬
wordene Fassung dieses Gedankens hat
Es werde Licht
inzwischen schon vielerlei Abwandlun¬
gen erfahren. Dabei wird entweder der Dieser Satz stammt aus der biblischen
erste oder der zweite Teil des Zitats mit Schöpfungsgeschichte („Genesis“) des
Alten Testaments (1. Moses 1,3). Es
Bezug auf die jeweilige Situation in der
heißt dort: „Und Gott sprach: Es werde
Weise abgewandelt, daß die im ersten
Licht! Und es ward Licht.“ Gebräuch¬
Teil genannte Handlung zu der negati¬
lich wurde auch die lateinische Form
ven Konsequenz einer „Bestrafung“
führt. des Zitats Fiat lux! Heute wird mit dem
Zitat gelegentlich scherzhaft-auffor-
dernd der Wunsch geäußert, daß je¬
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst mand das elektrische Licht einschalten
möge, weil es zu dunkel ist.
Bei dem heute als Redensart geltenden
Spruch handelt es sich um einen mittel¬
Ein Werdender wird immer dank¬
alterlichen Rechtsgrundsatz, den man in
Eike von Repgows „Sachsenspiegel“
bar sein
(um 1224), einem frühen deutschen t Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu
Rechtsbuch, aufgezeichnet findet. Das machen
in lateinischer Sprache geschriebene
Werk wurde ins Niederdeutsche über¬ t Der werfe den ersten Stein
tragen. Hier heißt es entsprechend:
„Die ok irst to der molen kumt, die sal t Denn ihre Werke folgen ihnen
erst malen.“ Der Spruch besagt, daß der nach
Zeitvorsprung maßgebend sein soll für
die Reihenfolge. Privilegien irgendwel¬ Wer’s glaubt, wird selig
cher Art wurden damit ausgeschlossen. Die umgangssprachlich scherzhafte Re¬
Auch heute verleiht man mit der Re¬ densart - mit der gelegentlichen Fort¬
densart diesem Grundsatz Nachdruck. setzung „..., und wer’s nicht glaubt,
kommt auch in den Himmel“ - geht auf
eine Stelle im Markusevangelium
Wer zwei Paar Hosen hat, mache
(16,16) zurück, wo der auferstandene
eins zu Geld und schaffe sich die¬ Jesus zu den Jüngern sagt: „Wer da
ses Buch an glaubet und getauft wird, der wird selig
Diese Aufforderung aus dem Notizbuch werden; wer aber nicht glaubet, der
E von Georg Christoph Lichtenberg wird verdammt werden.“ Die Redensart
(1742-1799) wird gelegentlich in positi¬ wird im Sinne von „das glaube ich nie¬
ven Buchbesprechungen oder in der mals“ verwendet. Dagegen kann man
Werbung für ein Buch zitiert. mit dem ebenfalls auf diese Bibelstelle

501
wes Teil I

verweisenden Satz „Der Glaube macht und gebräuchlich. In der Apostelge¬


selig“ resignierend zum Ausdruck brin¬ schichte, Kapitel 26 rechtfertigt sich der
gen, daß es sinnlos ist, jemandem des¬ Apostel Paulus (ursprünglich Saulus)
sen irrige Ansicht ausreden zu wollen, vor dem jüdischen König Agrippa. Er
da der Betreffende sich fest an seine berichtet von seiner Bekehrung (26,14),
Vorstellungen klammert und die Wahr¬ wie er auf dem Weg nach Damaskus ei¬
heit gar nicht wissen will. ne Lichterscheinung hatte und eine
Stimme zu ihm sprach: „Saul, Saul, was
Wes das Herz voll ist, des geht der verfolgst du mich? Es wird dir schwer
Mund über sein, wider den Stachel zu locken.“ Das
Mit diesem in vielen Sprachen bekann¬ sprachliche Bild ist vom Ochsen genom¬
ten Sprichwort verdeutschte Luther die men, der gegen den Stachelstock des
Bibelstelle Matthäus 12,34, die im La¬ Viehtreibers „lockt“ (ein veraltetes Wort
teinischen ex abundantia cordis os loqui- für „ausschlägt“).
tur lautet. Wörtlich übersetzt würde es
heißen: „Aus dem Überfluß des Her¬ Der Widerspenstigen Zähmung
zens spricht der Mund“. In seinem Auch dieser deutsche Titel einer Shake¬
„Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530) speare-Komödie (englisch The Taming
gab Luther unter anderem diese Stelle of the Shrew; entstanden um 1593) ist
als Beispiel für sein Bemühen um eine wie viele andere zu einem populären Zi¬
volkstümliche Übersetzung der Bibel tat geworden. Er wird als meist scherz¬
an. Er verwendete ein dem Volk geläufi¬ hafter, gelegentlich auch schadenfroher
ges Sprichwort, das den Sinngehalt des Kommentar verwendet, wenn jemand
Ausgangstextes wiedergibt. - Mit dem dazu gebracht worden ist, sich nach län¬
Sprichwort kommentiert man jemandes gerem Widerstand bestimmten Zwän¬
Äußerungen, die erkennen lassen, daß gen schließlich doch zu unterwerfen.
ihn etwas so sehr begeistert oder bewegt
hat, daß er einfach darüber sprechen Wie atmet rings Gefühl der Stille
mußte. Mit den Worten „Wie atmet rings Ge¬
fühl der Stille,/Der Ordnung, der Zu¬
Wes Geistes Kind friedenheit!“ gibt Faust seinen Ein¬
Im 9. Kapitel des Lukasevangeliums druck von Margaretes „kleinem, reinli¬
wird berichtet, daß Jesus ein in seinen chen Zimmer“ wieder, in das er mit Me¬
Augen tadelnswertes Verhalten seiner phisto nach der ersten Begegnung mit
Jünger mit den Worten „Wisset ihr dem „schönen Fräulein“ eingedrungen
nicht, welches Geistes Kinder ihr seid?“ ist (Faust I, Abend). Das Goethezitat
kritisiert. Wenn man heute sagt, daß wird gelegentlich verwendet, wenn sich
man gleich oder deutlich sieht, „wes nach großer Hektik oder in sonst lärm¬
Geistes Kind jemand ist“, dann drückt erfüllter Umgebung wohltuende Ruhe
man damit aus, daß bestimmte Verhal¬ einstellt.
tensweisen, Äußerungen o.ä. dieses
Menschen uns zeigen, welcher Art sein Wie der Herr, so’s Gescherr
Denken, seine Gesinnung in Wirklich¬ Mit dieser Redensart will man gewöhn¬
keit ist. lich sagen, daß sich die negativen Eigen¬
schaften, die schlechten Angewohnhei¬
t Im Westen nichts Neues ten eines Menschen auch an seinen Un¬
tergebenen, an seinem Eigentum o. ä.
Wider den Stachel locken
feststellen lassen. „Gescherr“ ist eine
Die bereits in der Antike (in den Dra¬ landschaftliche Form von „Geschirr“,
men von Äschylus, Euripides, Terenz) das früher ganz allgemein „Werkzeug,
geläufige Redewendung im Sinne von Gerät“ bedeutete. Gemeint war also ur¬
„Sich einer Einschränkung der persönli¬ sprünglich, daß man vom ungepflegten
chen Freiheit widersetzen“ wurde ver¬ Äußeren eines Menschen auf den mise¬
mutlich durch einen Bibeltext verbreitet rablen Zustand seiner Geräte (und um-

502
Teil I wie

gekehrt) schließen kann. Die Redensart Tag des Herrn wird kommen, wie ein
findet sich in ähnlicher Form schon im Dieb in der Nacht." Damit soll ausge¬
Roman „Satyricon“ des römischen drückt werden, daß dieses unvorherseh¬
Schriftstellers Petronius (+66 n. Chr.), bare Ereignis im stillen und unverhofft
wo es in der parodistischen Einlage eintreten wird. Wenn jemand in ähnli¬
„Das Gastmahl des Trimalchion“ heißt: cher Weise, also unbemerkt, überra¬
Qualis dominus, talis et servus („Wie der schend, unvorhergesehen, gehandelt
Herr, so [ist] auch der Knecht“). hat, wird kommentierend das Zitat „wie
ein Dieb in der Nacht“ verwendet.
Wie der Hirsch schreit nach fri¬
schem Wasser Wie ein Mann
Der Vergleich stammt aus dem 42. Die Redewendung mit der Bedeutung
Psalm der Bibel, der das heftige Verlan¬ „ganz spontan, einmütig, geschlossen“
gen des Menschen nach Gott zum Inhalt kommt besonders häufig im alttesta-
hat. „Wie der Hirsch schreit nach fri¬ mentlichen Buch der Richter, Kapitel 20
schem Wasser, so schreit meine Seele, vor. Es heißt dort in Vers 1: „Da zogen
Gott, zu dir“ (Psalm 42,2). - Man ver¬ die Kinder Israel aus und versammelten
wendet das Zitat scherzhaft, um jeman¬ sich zuhauf wie ein Mann“, Vers 8: „Da
des starkes Verlangen nach etwas zu machte sich alles Volk auf wie ein
charakterisieren. Mann“, Vers 11: „Also versammelten
sich zu der Stadt alle Männer Israels,
wie ein Mann verbunden.“
Wie die Orgelpfeifen
Wenn mehrere Personen sich der Größe Wie eine Träne im Ozean
nach nebeneinander oder hintereinan¬
Die unter diesem Titel 1961 als deutsche
der aufgestellt haben, so sagt man, daß
Gesamtausgabe herausgegebene biogra¬
sie dastehen „wie die Orgelpfeifen“.
phisch-politische Romantrilogie ist
Auch über eine kinderreiche Familie wohl das bekannteste Werk des franzö¬
mit Nachkömmlingen in jeder Größe
sischen Schriftstellers österreichischer
kann man die Bemerkung hören, sie Herkunft Manes Sperber (1905-1984).
habe Kinder „wie die Orgelpfeifen“. Der Autor greift damit das häufig be¬
Zugrunde liegt hier die Vorstellung nutzte Bild vom Tropfen im Meer auf,
eines Orgelprospektes, also der Schau¬ eine Metapher für das Sichverlieren und
seite einer Orgel, der dem Betrachter die Untergehen von etwas Kleinem, zu we¬
Orgelpfeifen in der Größe abgestuft ne¬ nig Macht Besitzendem in einer stärke¬
beneinander und hintereinander ange¬ ren, aber konturlosen Masse. In diesem
ordnet zeigt. Dieses Bild verwendet Sinne wird der Titel als Zitat, besonders
schon der Satiriker und Publizist Jo¬ auf den aussichtslosen Kampf eines ein¬
hann Fischart (um 1546-um 1590) in zelnen gegen eine übermächtig schei¬
seinem Hautpwerk (vergleiche den Arti¬ nende Ideologie bezogen, verwendet.
kel „Geschichtsklitterung“). Dort heißt
es im 5. Kapitel, das von Ehe und Fami¬ Wie einst im Mai
liengründung handelt, von den Müt¬
Die Redewendung mit der Bedeutung
tern: „Da stellen sie jre zucht umb den
„wie früher, wie einst in glücklicheren
Tisch staffeis weiß wie die Orgelpfeif-
Tagen“ stammt aus dem Gedicht „Aller¬
fen, die kann der Vatter mit der Ruten
seelen“ von Hermann von Gilm
pfeiffen machen wann er will, on blas¬
(1812-1864), das besonders durch die
bälg tretten.“
Vertonung von Richard Strauss bekannt
wurde. Der Kehrreim des dreistrophi-
Wie ein Dieb in der Nacht gen Liedes ist Ausdruck der Sehnsucht,
Dieser Vergleich stammt aus Paulus’ 1. eine Liebe wieder zum Leben zu erwek-
Brief an die Thessalonicher (5, 2) im ken. - Eine weitere Popularisierung er¬
Neuen Testament, in dem es heißt: fuhr das Zitat als Titel einer 1913 ent¬
„Denn ihr selbst wisset gewiß, daß der standenen „Posse mit Gesang“, deren

503
wie Teil I

Text Rudolf Bernauer und Rudolph Wie es euch gefällt


Schanzer verfaßten; die Komponisten Shakespeares Komödie mit diesem
waren Walter Kollo und Willy Bred- deutschen Titel ist um 1599 entstanden.
schneider. 1943 wurde das Stück zu ei¬ Im Englischen lautet der Titel As You
ner Operette umgearbeitet, für die Willi Like It. Er wird, wie die deutsche Über¬
Kollo, der Sohn Walter Kollos, zwanzig setzung, häufig zitiert, um jemandem zu
neue Musikstücke schrieb. sagen, daß er sich ganz so verhalten
kann, wie es seinen Vorstellungen ent¬
spricht, wie er gerade Lust hat, oder daß
Wie eiskalt ist dies Händchen man sich ganz nach jemandes Wün¬
schen richten wird.
Die scherzhafte Redensart, mit der man
die Berührung einer kalten Hand kom¬
Wie fruchtbar ist der kleinste
mentiert, geht auf Giacomo Puccinis
Oper „Die Boheme“ (deutscher Text Kreis, wenn man ihn wohl zu pfle¬
von L. Hartmann, neue Übersetzung gen weiß
von H. Swarowsky) zurück, die 1896 ur- Der Zweizeiler stammt aus dem 6. Buch
aufgeführt wurde. Im 1. Bild wird die der „Zahmen Xenien“ von Goethe aus
Liebesszene zwischen Mimi und Rudolf dem Jahr 1827. Er hebt die Bedeutsam¬
damit eingeleitet, daß die Kerzen verlö¬ keit gemeinsamen Tuns für Menschen
schen und bei der Suche im Dunkeln mit gleichen Interessen hervor.
sich beider Hände berühren. Das ist der
Anlaß für Rudolfs Arie „Wie kalt ist Wie gemalt!
dieses Händchen“. Der Ausruf, mit dem man etwas naiv¬
ernsthaft oder spöttisch-ironisch kom¬
mentiert, das sehr schön anzusehen ist,
Wie er sich räuspert und wie er findet sich im zweiten Teil von Goethes
spuckt, das hat er ihm glücklich ab¬ Faust. In der Szene „Rittersaal“ im er¬
geguckt sten Akt läßt Faust vor Kaiser und Hof¬
staat Paris und Helena erscheinen. Als
Mit diesem Ausspruch wird jemand in
die schöne Helena sich über den schla¬
nicht gerade schmeichelhafter Weise
fenden Paris beugt, um ihn zu küssen,
charakterisiert, dem man vorwirft, daß
sagt eine von diesem Anblick entzückte
er sich, ohne eigene Qualitäten zu zei¬
Hofdame: „Endymion und Luna! Wie
gen, mit eifriger Dienstfertigkeit nach
gemalt!“
seinem Vorgesetzten o. ä. richtet und in
seinem Bestreben, sich einzuschmei¬
Wie hältst du’s mit der Religion?
cheln, so weit geht, sich diesem in Geha¬
be, Äußerungsweise usw. anzugleichen. t Gretchenfrage
Der Ausspruch ist ein leicht abgewan¬
deltes Zitat aus Schillers Trilogie „Wal¬ Wie in Abrahams Schoß
lenstein“ („Wallensteins Lager“, 6. Auf¬ Der Vergleich geht auf Lukas (16, 22)
tritt). In einem Wortgefecht zwischen zurück, wo berichtet wird, daß der „ar¬
dem „Wachtmeister von einem Terzky- me Lazarus“ bei seinem Tod von En¬
schen Karabinerregiment“ und zwei geln in Abrahams Schoß gebracht wird:
„Holkischen Jägern“ wirft einer der Jä¬ „Es begab sich aber, daß der Arme starb
ger dem Wachtmeister, der sich etwas und ward getragen von den Engeln in
darauf zugute hält, in der unmittelbaren Abrahams Schoß.“ Abraham war einer
Umgebung des Feldherrn Wallenstein der Erzväter des Volkes Israel. „Abra¬
das feinere Leben zu haben, folgendes hams Schoß“ ist bereits im Neuen Te¬
vor: „Wie er räuspert und wie er stament eine Metapher für das Para¬
spuckt,/Das habt Ihr ihm glücklich ab¬ dies. - Wer „wie in Abrahams Schoß“
geguckt;/ Aber sein Schenie, ich meine: sitzt, fühlt sich sicher und geborgen,
sein Geist,/Sich nicht auf der Wach¬ oder auch in einer nur äußerlichen Wei¬
parade weist.“ se in einer besonders bequemen oder

504
Teil I wie

angenehmen Lage. Eine Weiterführung unter den Propheten?“ (1. Samuel


des Bildes von Abrahams Schoß ist die 10,12). Das daraus entstandene „Wie
(ihrer Herkunft nach etwas unklare) Fü¬ kommt Saul unter die Propheten“ ver¬
gung „Abrahams Wurstkessel“, mit der wendet man, um seinem Erstaunen dar¬
in scherzhafter Weise das Jenseits um¬ über Ausdruck zu geben, daß man einen
schrieben wird, und zwar in zweierlei völlig unerwarteten Sinneswandel bei
Hinsicht. Wenn man von jemandem jemandem, eine plötzliche Veränderung
sagt, er sei zu einer bestimmten Zeit im Wesen oder der äußeren Erschei¬
noch in Abrahams Wurstkessel gewe¬ nung von jemandem beobachten kann.
sen, so drückt man damit aus, daß er da¬
mals noch nicht geboren, noch im Jen¬ Die t Art, wie man gibt, gilt mehr,
seits war. Sagt man aber von jemandem, als was man gibt
er komme bald in Abrahams Wurstkes¬
sel, so heißt das, daß er bald sterben, ins
Wie Nikodemus in der Nacht
Jenseits kommen wird.
Der formelhafte Vergleich, mit dem um¬
schrieben wird, daß jemand etwas ganz
Wie kommt mir solcher Glanz in
heimlich und unbemerkt tut, geht auf
meine Hütte? die Bibel zurück. Im Johannesevangeli¬
Diese Frage (oft auch in der Form des um (3,1-21) wird berichtet, daß der bei
Ausrufs „[O] welch Glanz in meiner den Juden sehr angesehene Pharisäer
Hütte!“) wird häufig zitiert, um freudi¬ Nikodemus das Gespräch mit Jesus
ges Erstaunen beim Erscheinen uner¬ suchte und deswegen zu ihm ging. Da er
warteter Gäste auszudrücken, denen dies nicht öffentlich tun wollte, suchte
man damit in scherzhafter Übertreibung er den Schutz der Dunkelheit. In Vers 2
schmeichelt. Die Frage stammt aus heißt es: „Der kam zu Jesu bei der
Schillers Drama „Die Jungfrau von Nacht und sprach zu ihm ..."
Orleans“ (Prolog, 2. Auftritt). Thibaut
d’Arc, der Vater von Johanna, der Jung¬ Wie sag’ ich’s meinem Kinde?
frau von Orleans, gibt mit dieser Frage
So lautete der Titel eines deutschen
seiner ängstlichen Verwunderung über
Aufklärungsfilms aus dem Jahre 1970,
seine Träume Ausdruck, in denen er die
der diese bekannte, wohl auf frühe Auf¬
Erhöhung Johannas erlebt. Er sieht sie
klärungsschriften zurückgehende Frage
„zu Reims auf unserer Könige Stuhle
noch zusätzlich populär machte. Sie
sitzen“, ausgestattet mit Diadem und
wird häufig zitiert, wenn man sich ge¬
Szepter, und er fürchtet, dies „bedeutet zwungen sieht, jemandem einen unan¬
einen tiefen Fall“.
genehmen Sachverhalt möglichst ge¬
schickt oder schonend beizubringen.
Wie kommt Saul unter die Prophe¬
ten? Wie Sand am Meer
Im alttestamentlichen Buch Samuel Wenn zählbare Dinge im Überfluß, in
wird geschildert, wie der vom Propheten großer Zahl vorhanden sind, dann kann
Samuel zum König Israels gesalbte Saul man sagen, es gebe sie „wie Sand am
auf eine Prophetenschar trifft, mit ihr in Meer“. Dieser Vergleich ist besonders
Verzückung gerät und zu weissagen be¬ durch die Bibel verbreitet worden, wo er
ginnt. Alle, die ihn von früher kannten, mehrfach vorkommt. So heißt es zum
wundern sich hierüber und fragen er¬ Beispiel im Alten Testament (Jesaja
staunt: „Was ist dem Sohn des Kis ge¬ 10,22): „Denn ob dein Volk, o Israel, ist
schehen? Ist Saul auch unter den Pro¬ wie Sand am Meer, sollen doch nur sei¬
pheten?“ (1. Samuel 10,11). Diese Frage ne Übriggebliebenen bekehrt werden“
ist damals schon, also etwa 1000 v. Chr., und an anderer Stelle, in der Josephsge¬
zum geläufigen Sprichwort geworden, schichte (1. Moses 41,49): „Also schüt¬
denn es heißt hier weiter: „Daher ist das tete Joseph das Getreide auf, über die
Sprichwort gekommen: Ist Saul auch Maßen viel wie Sand am Meer, also daß

505
12 Duden 12
wie Teil I

er aufhörte zu zählen; denn man konnte bringen will, daß sich bestimmte Vor¬
es nicht zählen.“ gänge oder Situationen ähnlich sind,
daß Parallelen unverkennbar sind.
Wie Schuppen von den Augen
fallen
Wie sich Verdienst und Glück ver¬
Die Redewendung, mit der man eine ketten, das fällt den Toren niemals
plötzliche Erkenntnis umschreibt, geht
ein
auf eine Stelle im Neuen Testament
(Apostelgeschichte 9,18) zurück. Nach Das Zitat, das das Glück zu einem Teil
der Erscheinung von Damaskus war als Verdienst erklärt, findet sich in Goe¬
Paulus drei Tage blind; über seine Hei¬ thes Faust II, in einer der Szenen der
lung durch Ananias heißt es: „Und also- „Kaiserlichen Pfalz“ aus dem 1. Akt.
bald fiel es von seinen Augen wie Die Verse sind Mephistos Kommentar
Schuppen, und er ward wieder sehend.“ zu dem Wahn des Hofes, sich ohne eige¬
Bestimmte Augenkrankheiten wurden ne Arbeit durch das Finden von Schät¬
früher mit Schuppen verglichen, die die zen sanieren zu können. Schon in Ari¬
Augen bedecken. stoteles’ (384-322 v. Chr.) „Nikomachi-
scher Ethik“ (VT, 4,5) heißt es, daß
Können das Glück und Glück das Kön¬
Wie seinen Augapfel hüten
nen begleite.
Die Redewendung „jemanden oder et¬
was wie seinen Augapfel hüten“ mit der
Bedeutung „jemanden oder etwas be¬ Wie Spreu im Winde
sonders sorgsam behüten, schützen“ ist Diesen Vergleich wendet man auf etwas
biblischen Ursprungs. Im Alten Testa¬ Vergängliches, auf menschliche Äuße¬
ment heißt es im „Lied Moses“: „Er rungen oder Verhaltensweisen oder auf
(= Gott) umfing ihn ( = Jakob, den Erz¬ den Menschen selbst an. Er hat seinen
vater der Stämme Israels) und hatte acht Ursprung im Alten Testament. Darin
auf ihn; er behütete ihn wie seinen Aug¬ setzt sich Hiob mit seinen Freunden
apfel“ (5. Moses 32,10). Im Psalm 17 be¬ über die Frage nach Gottes ausgleichen¬
tet König David: „Behüte mich wie ei¬
der Gerechtigkeit gegenüber den Gott¬
nen Augapfel im Auge, beschirme mich
losen auseinander. Dort heißt es; „Wie
unter dem Schatten deiner Flügel vor
oft geschieht’s denn, daß die Leuchte
den Gottlosen, die mich verstören, vor
der Gottlosen verlischt und ihr Unglück
meinen Feinden, die um und um nach
über sie kommt, daß er Herzeleid über
meiner Seele stehen“ (Vers 8 und 9).
sie austeilt in seinem Zorn, daß sie wer¬
den wie Stoppeln vor dem Winde und
Wie sich die Bilder gleichen wie Spreu, die der Sturmwind weg¬
Mit diesen Worten beginnt im 1. Akt führt?“ (Hiob 21,17 f.). Der Vergleich
von Giacomo Puccinis (1858-1924) findet sich auch im ersten Psalm Da¬
Oper „Tosca“ (deutsche Uraufführung vids, Vers 4: „Aber so sind die Gottlosen
1902 in Dresden) die Arie des Mario Ca- nicht, sondern wie Spreu, die der Wind
varadossi. Dieser arbeitet als Maler in verstreut“ und im Psalm 35, Vers 5, wo
einer Kirche an einem Bild der büßen¬ es von den Feinden König Davids heißt:
den Magdalena. Erstaunt weist ihn der „Sie müssen werden wie Spreu vor dem
Kirchendiener darauf hin, daß diese Winde, und der Engel des Herrn stoße
Magdalena die Züge einer Schönen tra¬ sie weg.“
ge, die regelmäßig in der Seitenkapelle
bete. Cavaradossi versucht nun, dem
Bild auch Ähnlichkeit mit seiner Ge¬ Wie weit er auch die Stimme
liebten Floria Tosca zu verleihen. Der schickt, nichts Lebendes wird hier
Arienanfang wird als Zitat verwendet, erblickt
wenn man - oft mit dem Unterton leich¬ Aus Schillers Ballade „Die Kraniche
ter Verwunderung - zum Ausdruck des Ibykus“ (1797) stammen diese bei-

506
Teil I Wiesen

den Zeilen, die angesichts einer verlas¬ Wie wird mir? - Leichte Wolken
senen Gegend, einer verwüsteten Land¬ heben mich
schaft, auch eines verfallenden Gebäu¬
Diese Worte spricht in Schillers roman¬
des o. ä. gelegentlich noch angeführt
tischer Tragödie „Die Jungfrau von Or¬
werden (wobei die zweite Zeile, „Nichts
leans“ (1801) die sterbende Johanna
Lebendes wird hier erblickt“, auch al¬
(V, 14). Sie werden heute noch als Zitat
lein zitiert wird). In der Ballade gehören
verwendet - meist jedoch nur der An¬
die beiden Zeilen zur Beschreibung der
fang -, wenn einem seltsam zumute
Szene, in der Ibykus (ein im 6. Jahrhun¬
wird oder man sich plötzlich benom¬
dert v. Chr. in Unteritalien lebender
men, berauscht, unwohl o.ä. fühlt.
Dichter) auf dem Wege zu den „Isthmi-
schen Spielen“ in Korinth von zwei
Mördern in einem einsamen Wald, „in Wie wir’s dann zuletzt so herrlich
Poseidons Fichtenhain“, überfallen und weit gebracht
getötet wird. T Sich in den Geist der Zeiten versetzen

Wie wenn Wasser mit Feuer sich Wie wohl ist dem, der dann und
mengt wann sich etwas Schönes dichten
kann!
„Und es wallet und siedet und brauset
und zischt,/Wie wenn Wasser mit Feuer Mit diesen Versen beginnt Wilhelm
sich mengt,/Bis zum Himmel spritzet Busch (1832-1908) seine Geschichte
der dampfende Gischt,/Und Flut auf von „Balduin Bählamm“, dem verhin¬
Flut sich ohn’ Ende drängt.“ So be¬ derten Dichter. Sie werden auch heute
schreibt Schiller in seiner Ballade „Der noch gerne auf manchen Verseschmied
Taucher“ die wilde, tosende Brandung, und seine poetischen Ergüsse angewen¬
in die der wagemutige Knappe sich det.
stürzt, um des Königs Becher vom Mee¬
resgrund zurückzuholen. Der zweite Wie Zieten aus dem Busch
Vers wird heute - losgelöst vom eigent¬ Der preußische Reitergeneral Hans Joa¬
lichen Zusammenhang - gelegentlich chim von Zieten (1699-1786) war be¬
als Bild dafür zitiert, daß sich zwei Ge¬ kannt für seine strategische Taktik, im
gensätze, besonders zwei Charaktere, Kampf überraschend an entscheidender
schroff und unvereinbar gegenüberste¬ Stelle aufzutauchen und so das Kriegs¬
hen, daß ein harmonischer Ausgleich glück zu wenden. Auf diese Eigenschaft
völlig ausgeschlossen erscheint. nimmt der seit dem 18. Jahrhundert be¬
kannte Ausspruch „[Wie] Zieten aus
Wie willst du weiße Lilien zu roten dem Busch“ Bezug. Besondere Verbrei¬
Rosen machen? Küß eine weiße tung fand er durch eine Ballade Theo¬
dor Fontanes mit dem Titel „Der alte
Galathee: sie wird errötend lachen
Zieten“ (1846), in die dieser Ausspruch
Diesen Spruch des deutschen Epigram¬
eingegangen ist. - Man verwendet das
matikers Friedrich von Logau (1604 bis
Zitat noch gelegentlich scherzhaft, um
1655) hat Gottfried Keller als Leitmotiv
seiner Überraschung über das unvermu¬
für seinen Novellenzyklus „Das Sinnge¬
tete Auftreten von jemandem oder einer
dicht“ (1881) gewählt. Reinhart, ein der
Sache Ausdruck zu geben.
trockenen Arbeit müde gewordener Na¬
turwissenschaftler, will darin dieses
t Alles wiederholt sich nur im
Epigramm in der Wirklichkeit erproben
Leben
und macht sich auf den Weg, die Frau
zu Finden, die beim Kusse zugleich lacht
und errötet, für ihn ein „köstliches Ex¬ t Doch wie’s da drin aussieht
periment“ (1. Kapitel). Das Logausche
Original „errötet“ hat Keller in „errö¬ t Und aus den Wiesen steiget der
tend“ umgewandelt. weiße Nebel wunderbar

507
12*
wieviel Teil I

Wieviel Erde braucht der Mensch? ihres Mannes von einer kriegerischen
Dies ist der Titel einer Erzählung von Auseinandersetzung mit den Griechen
Leo Tolstoi (1828-1910), deren Thema vor Troja, Hektor inständig bittet, doch
die Besitzgier eines Menschen ist. Er bei ihr zu bleiben. Mit dem eher selten
wird als Zitat in Zusammenhängen ge¬ gebrauchten Zitat gibt man der Befürch¬
braucht, in denen von der Vergänglich¬ tung Ausdruck, daß jemand sich auf
keit der Welt, der irdischen Güter ge¬ Dauer von einem abwendet, daß man
sprochen wird, und dient dann als eine jemandem gleichgültig geworden sein
Art Mahnung, als ein Hinweis darauf, könnte.
daß jeder Anspruch des Menschen sich
am Ende auf die Menge an Erde redu¬ Der Wille zur Macht
ziert, deren es bedarf, um ein Grab da¬ Mit diesem Ausdruck wird gelegentlich
mit zu füllen. Das Zitat wird gerne auch das Streben eines Menschen nach
abgewandelt und variiert, um beispiels¬ Macht und Einfluß bezeichnet. Man zi¬
weise bestimmte, oft überzogene An¬ tiert damit den Titel einer Sammlung
sprüche in Frage zu stellen oder umge¬ von Texten Friedrich Nietzsches, die
kehrt auf bestimmte Mängel aufmerk¬ 1901 postum veröffentlicht wurde. Der
sam zu machen (z. B. „Wieviel Auto „Wille zur Macht“ leitet nach Nietzsche
braucht der Mensch?“ oder „Wieviel das Handeln des starken, moralisch un¬
Grün braucht die Stadt?“). gebundenen „Übermenschen“.

t Wir Wilden sind doch beßre Den T guten Willen für die Tat neh¬
Menschen men

Will der Herr Graf den Tanz mit t Und bist du nicht willig, so
mir wagen, mag er’s nur sagen, ich brauch’ ich Gewalt
spiel’ ihm auf
Diese drohende Äußerung kommt aus Willst du, daß wir mit hinein in das
dem Munde Figaros, des Titelhelden Haus dich bauen
der Mozartoper „Figaros Hochzeit“ (ur- Dieses Zitat stammt aus dem Gedichtzy¬
aufgeführt in Wien im Jahr 1786). Das klus „Vierzeilen“ von Friedrich Rückert
Textbuch der Oper, das der Italiener (1788-1866), wo es vollständig heißt:
Lorenzo da Ponte verfaßte, folgt der „Willst du, daß wir mit hinein in das
französischen Komödie „Le mariage de Haus dich bauen,/Laß es dir gefallen,
Figaro“ (1784) von Beaumarchais. Die¬ Stein, daß wir dich behauen.“ Diese
ses Stück mit seinem politischen Hinter¬ Worte werden heute noch gelegentlich
grund gilt als Vorbote der Französi¬ bei der Grundsteinlegung eines Hauses
schen Revolution. In der Oper zeigt sich zitiert, gewöhnlich aber im übertrage¬
der Kammerdiener Figaro aufsässig ge¬ nen Sinne, wenn jemand in eine Ge¬
genüber seinem Herrn, der glaubt,
meinschaft oder Gesellschaft aufge¬
Susanna, die Figaro gerade angetraute nommen werden will und er auf diese
Kammerzofe der Gräfin, auch für sich Weise auf die Erwartung hingewiesen
beanspruchen zu können. - Man ver¬ werden soll, daß er sich bis zu einem ge¬
wendet das Zitat meist scherzhaft, um wissen Grade den anderen anzupassen
jemandem mit diesen Worten den Feh¬ hat.
dehandschuh hinzuwerfen.

Willst du dich selber erkennen, so


Will sich Hektor ewig von mir wen¬ sieh, wie die andern es treiben
den
Mehrere Sinngedichte, Distichen und
Mit diesen Worten beginnt Schillers Ge¬ Xenien, die Schiller für den „Musen¬
dicht „Hektors Abschied“, in dem An- almanach für das Jahr 1797“ verfaßte,
dromache, besorgt um die Rückkehr entstanden in Zusammenarbeit mit

508
Teil I Wind

Goethe. Dazu gehören auch die Sinnge¬ che im Endlichen finden läßt, wenn
dichte, die unter dem Titel „Votivta¬ man letzteres nur gründlich genug er¬
feln“ zusammengefaßt sind. Eines da¬ forscht.
von mit dem Titel „Der Schlüssel“ lau¬
tet: „Willst du dich selber erkennen, so
sieh, wie die andern es treiben;/Willst Willst du mit den Kinderhänden in
du die andern verstehn, blick in dein ei¬ des Schicksals Speichen greifen?
genes Herz.“ Diese Zeilen sind zu einem Das Zitat stammt aus Franz Grillparzers
beliebten Poesiealbumsspruch gewor¬ (1791-1872) Trauerspiel „Die Ahn¬
den. frau“. Im 4. Akt richtet der alte Graf
Zdenko von Borotin, der letzte männli¬
Willst du die andern verstehn, che Sproß seines Geschlechts, die Frage
blick in dein eigenes Herz an seine verzweifelte Tochter, als er sein
Ende nahen fühlt. Das Bild vom Schick¬
t Willst du dich selber erkennen, so sieh,
salswagen setzen die beiden folgenden
wie die andern es treiben
Verse fort: „Seines Donnerwagens
Lauf/Hält kein sterblich Wesen auf.“ Es
Willst du genau erfahren, was sich
klingen hier Egmonts Worte vom
ziemt, so frage nur bei edlen Frau¬ Schicksalswagen aus Goethes gleichna¬
en an migem Trauerspiel (II, Egmonts Woh¬
T Erlaubt ist, was gefällt nung) an: „Wie von unsichtbaren Gei¬
stern gepeitscht, gehen die Sonnenpfer¬
Willst du immer weiter schweifen de der Zeit mit unsers Schicksals leich¬
tem Wagen durch; und uns bleibt
t Warum in die Feme schweifen
nichts, als, mutig gefaßt, die Zügel fest¬
zuhalten und bald rechts, bald links,
Willst du in meinem Himmel mit
vom Steine hier, vom Sturze da die
mir leben: So oft du kommst, er
Räder wegzulenken.“
soll dir offen sein
Diese beiden Verse, die am Schluß von
Schillers Gedicht „Die Teilung der Er¬
t Und willst du nicht mein Bruder
de“ (1795) stehen, wenden sich an den sein, so schlag’ ich dir den Schädel
Dichter, der bei der Verteilung der Gü¬ ein
ter zu spät gekommen war. „Wo warst
du denn, als man die Welt geteilet?“ Willst, feiner Knabe, du mit mir
fragt ihn Zeus. Die Antwort des Dich¬
gehn?
ters ist: „Mein Auge hing an deinem An¬
gesichte,/An deines Himmels Harmonie Die heute scherzhaft gebrauchte Einla¬
mein Ohr;/Verzeih’ dem Geiste, der, dung, sich an etwas zu beteiligen, ist ein
von deinem Lichte/Berauscht, das Irdi¬ Zitat aus Goethes Ballade „Erlkönig“
sche verlor!“ - Das Zitat kann als (ursprünglich in seinem Singspiel „Die
scherzhafte Einladung an jemanden, Fischerin“ von 1782). In der 5. Strophe
dem man sein Haus öffnet, gelten. erneuert der Erlkönig sein verführeri¬
sches Anerbieten gegenüber dem Kna¬
ben, der im Arm seines Vaters durch die
Willst du ins Unendliche schreiten,
Nacht reitet: „Meine Töchter sollen
geh nur im Endlichen nach allen
dich warten schön ;/Meine Töchter füh¬
Seiten ren den nächtlichen Reihn/Und wiegen
Das Verspaar findet sich in der Abtei¬ und tanzen und singen dich ein.“ (Ver¬
lung „Gott, Gemüt und Welt“ aus Goe¬ gleiche auch „Wer reitet so spät durch
thes Gedichtsammlung von 1815, die Nacht und Wind“.)
seine Spruchdichtung von 1812 bis 1814
umfaßt. Der Spruch drückt mit einer ge¬
wissen Gelassenheit aus, daß sich das Der Wind bläst, wo er will
von den Menschen erstrebte Unendli¬ Der t Geist weht, wo er will

509
Wind Teil I

Der Wind, der Wind, das himmli¬ t Vom Winde verweht


sche Kind
Als Hänsel und Gretel in dem gleichna¬ t Mit Windmühlen kämpfen
migen Märchen der Brüder Grimm an
das Häuschen der Hexe kamen, stellten Winter ade!
sie fest, daß es aus Brot und Kuchen be¬
So lautet der Refrain des Liedes „Win¬
stand und Fenster aus Zucker hatte.
ters Abschied“, das Heinrich Hoffmann
Und sie begannen, davon zu essen. Da
von Fallersleben 1847 geschrieben hat.
rief die Hexe von drinnen: „Knusper,
Das Zitat kann zum Beispiel als Bild¬
knusper Knäuschen,/Wer knuspert an
unterschrift eines Fotos der ersten Früh¬
meinem Häuschen?“ Die Kinder ant¬
lingsblüten verwendet werden.
worteten: „Der Wind, der Wind,/Das
himmlische Kind.“ - Man verwendet
dieses Zitat scherzhaft, wenn man auf Der Winter unseres Mißvergnü¬
die Frage, wer etwas Bestimmtes getan gens
hat, keine oder keine konkrete Antwort „Nun ward der Winter unsers Mißver¬
geben will.
gnügens/Glorreicher Sommer durch die
Sonne Yorks.“ Mit diesen Worten be¬
Der Wind hat mir ein Lied erzählt ginnt Richard, Herzog von Gloster, in
In dem Ufa-Film „La Habanera“ aus Shakespeares Drama „Richard III.“ sei¬
dem Jahr 1937 singt Zarah Leander die¬ nen Auftrittsmonolog. Im englischen
ses Schlagerlied, dessen Text von Bruno Original lauten sie: Now is the Winter of
Balz stammt; die Musik schrieb Lothar our discontent/Made glorious summer by
Brühne. Das Lied gibt der Sehnsucht this sun of York. Richard knüpft damit
nach einem fernen, vergangenen Glück an das Geschehen im Drama „Hein¬
Ausdruck. Man zitiert den Titel, der rich VI.“ an, in dem Eduard IV. aus dem
auch die erste und vorletzte Zeile des Hause York in der Familienfehde mit
Refrains bildet, heute eher im Sinne von dem Hause Lancaster obsiegt hat und
„Man hat mir etwas zugetragen, ich sich danach drei Sonnen als Wappen¬
habe etwas (aus nicht näher genannter zeichen wählt. Die Fügung „Winter un¬
Quelle) erfahren“. seres Mißvergnügens“ wurde als Aus¬
druck für eine Begebenheit gebräuch¬
lich, an die man sich nur ungern zurück¬
t... denn der Wind kann nicht lesen
erinnert, oder ganz allgemein für ein
Geschehen, das Ärger und Unzufrie¬
Wind, Sand und Sterne denheit bereitet. Gelegentlich wird mit
So lautet der Titel einer Sammlung von der Fügung aber auch ganz konkret ein
Erlebnisberichten des französischen Winter bezeichnet, der als Winter mit
Schriftstellers Antoine de Saint-Exu- zuviel Schnee oder als „grüner“ Winter
pery (1900-1944; französischer Titel nicht den jeweiligen Erwartungen ent¬
„Terre des hommes“). In lose aneinan¬ spricht.
dergereihten Kapiteln erzählt er von
Abenteuern und Begegnungen auf sei¬ Winterstürme wichen dem Won¬
nen Flügen in den Jahren 1926-1935. nemond
Der Titel wird heute gelegentlich - ohne
Mit dieser Arie sinken sich Sieglinde
Bezug auf die symbolische Bedeutung
und Siegmund gegen Ende des 1. Aktes
von Nacht, Wüste, Wind, Sand und
von Richard Wagners Oper „Die Wal¬
Sternen bei Saint-Exupery - als Fern¬
küre“ (1870 in München uraufgeführt)
weh und Reiselust wachrufende Meta¬
in die Arme, sich als Liebende und zu¬
pher für Urlaubsnächte an südlichen
Stränden zitiert. gleich als Zwillingsgeschwister erken¬
nend. Den sehnlichst erwarteten Früh¬
ling nach einem langen, kalten Winter
t Wer Wind sät, wird Sturm ernten begrüßt mancher heute mit diesen -

510
Teil I wir

nicht zuletzt wegen ihres Stabreims ein¬ letztlich hiervor bewahrt, sagt Hölderlin
prägsamen - Worten. Sie werden gele¬ dann in den beiden Schlußsätzen, deren
gentlich aber auch zitiert, wenn man er¬ erster auch heute noch gelegentlich zi¬
leichtert feststellen kann, daß eine Pha¬ tiert wird: „Aber wir haben in uns ein
se der Erstarrung überwunden ist und Urbild alles Schönen, dem kein einzel¬
eine neue, positive Entwicklung ein¬ ner gleicht. Vor diesem wird der echt
setzt. vortreffliche Mensch sich beugen und
die Demut lernen, die er in der Welt ver¬
Wir bringen unsre Jahre zu wie ein lernt.“
Geschwätz
Der 90. Psalm, der die Ewigkeit Gottes Wir haben nicht die Revolution,
und die Vergänglichkeit des sündigen sondern die Revolution hat uns ge¬
Menschen einander gegenüberstellt, macht
enthält im 9. Vers diese Aussage. Zitiert
Im 2. Akt seines Dramas „Dantons
wird sie meist als eine Art Klage über
Tod" zeigt Georg Büchner (1813-1847)
die Vergänglichkeit des menschlichen
einen völlig desillusionierten Revolu¬
Daseins beim Rückblick auf sinnlos ver¬
tionsführer Danton, der alle politische
tane Zeit, auf Jahre, die ohne Sinn¬
Aktivität aufgegeben hat. Er ist nicht
erfüllung dahingegangen sind. Der
mehr Leitfigur der revolutionären Be¬
deutsche Schriftsteller Ernst Wiechert
wegung, bestimmt sie nicht mehr, er ist
(1887-1950) hat dieses Bibelwort sei¬
nur noch „ein toter Heiliger“, wie er
nem Roman „Die Jerominkinder“ (er¬
selbst sagt, und „Reliquien wirft man
schienen 1945-1947) als Motto voran¬
auf die Gasse“. Er muß erkennen: „Wir
gestellt.
haben nicht die Revolution, die Revolu¬
tion hat uns gemacht“ (II, 1). Man zitiert
Wir Deutsche fürchten Gott, aber diese Worte in bezug auf eine Situation,
sonst nichts in der Welt in der man feststellen muß, daß man
Diese Worte sprach Reichskanzler Otto keinen Einfluß mehr auf die Dinge hat,
von Bismarck (1815-1898) in einer die man einmal in Bewegung setzte, und
Reichstagsrede im Februar 1888. Er jetzt von der Entwicklung selbst getrie¬
fuhr dann fort: „Und die Gottesfurcht ben und im Handeln bestimmt wird.
ist es schon, die uns den Frieden lieben
und pflegen läßt.“ Bezeichnenderweise
Wir heißen euch hoffen
wurde aber nur der erste Teil zum geläu¬
figen Zitat, das in entsprechenden Kon¬ Bei diesem Zitat handelt es sich um den
texten häufig als Ausdruck nationalen letzten Vers von Goethes Gedicht „Sym-
Hochmuts zu finden war. bolum“, dessen Schlußstrophe lautet:
„Hier winden sich Kronen/In ewiger
Stille,/Die sollen mit Fülle/Die Tätigen
Wir haben in uns ein Urbild alles
lohnen!/Wir heißen euch hoffen.“ In
Schönen
schwierigen, von Mutlosigkeit gepräg¬
In einer 1798 niedergeschriebenen ten Zeiten will man mit diesem Zitat sei¬
aphoristischen Bemerkung spricht nen niedergeschlagenen Mitmenschen
Friedrich Hölderlin (1770-1843) sich neue Zuversicht geben.
gegen eine zu große Bescheidenheit aus:
„Vortreffliche Menschen müssen auch
wissen, daß sie es sind, und sich wohl Wir kommen doch morgen so jung
unterscheiden von allen, die unter ihnen nicht zusammen
sind.“ Er sieht aber auch die Gefahr, die tSo jung kommen wir nicht mehr zu¬
aus einer solchen Haltung erwachsen sammen
kann: „Freilich wird man auf der ande¬
ren Seite leicht zu stolz und hart und
hält zuviel von sich und von den andern TDenn wir können die Kinder
zuwenig.“ Was den Menschen jedoch nach unserem Sinne nicht formen

511
Teil I
wir

Wir leben nicht, um zu essen, son¬ spiel einer amerikanischen Durch¬


schnittsfamilie mit dem beziehungsrei¬
dern wir essen, um zu leben
chen Namen „Antrobus“ eine zeitlose
Die Sentenz geht angeblich auf eine Äu¬
menschliche Problematik dar. Als das
ßerung des griechischen Philosophen
Stück nach dem Ende des Zweiten Welt¬
Sokrates (469-399 v. Chr.) zurück, der
kriegs auf den deutschen Bühnen ge¬
gesagt haben soll, daß andere lebten,
spielt wurde, fand es großen Widerhall.
um zu essen, während er esse, um zu le¬
Sein Titel wurde zum geflügelten Wort,
ben. Man verwendet den Ausspruch,
mit dem man erleichtert feststellt, daß
wenn man kritisieren will, daß jemand
man einer drohenden Gefahr - mit
sein Leben zu sehr vom Streben nach
knapper Not - entronnen ist.
leiblichen Genüssen bestimmen läßt.

Wir sitzen so fröhlich beisammen


Wir sind allzumal Sünder
Das auf eine fröhliche Runde - auch
Diese Erkenntnis der menschlichen Un¬
ironisch - zu münzende Zitat mit der
zulänglichkeit, die auch zur Rechtferti¬
Fortsetzung „Wir haben uns alle so
gung persönlicher Verfehlungen zitiert
lieb“ bildet die erste Hälfte der 4. Stro¬
wird, geht auf das Neue Testament zu¬
phe von August von Kotzebues
rück. Im Brief des Paulus an die Römer
(1761-1819) Lied „Trost beim Schei¬
heißt es im dritten Kapitel, in dem es um
den“ (ursprünglich „Gesellschafts¬
das Verhältnis von Gesetz und Glauben,
lied“), das im Februarheft des „Freimü¬
Verdienst und Gnade geht, über die
tigen“ 1803 erschien. Wie der Anfang
Menschen: „Denn es ist hier kein Un¬
des von Friedrich Heinrich Himmel ver¬
terschied: sie sind allzumal Sünder und
tonten Liedes („Es kann ja nicht immer
mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott
so bleiben/Hier unter dem wechselnden
haben sollten“ (Vers 23).
Mond“) bereits vermuten läßt, wird der
fröhliche Kreis nur als etwas Vergäng¬
Wir sind nicht mehr am ersten Glas liches betrachtet.
Mit dieser Feststellung beginnt ein
„Trinklied“ überschriebenes Gedicht
des der schwäbischen Romantik zuge¬
Wir spinnen Luftgespinste und
rechneten Dichters Ludwig Uhland suchen viele Künste
(1787-1862): „Wir sind nicht mehr am Das bekannteste Gedicht des Dichters
ersten Glas,/Drum denken wir gern an Matthias Claudius (1740-1815) ist das
dies und das,/Was rauschet und was „Abendlied“ mit der Anfangszeile „Der
brauset.“ Diese drei Zeilen wiederholen Mond ist aufgegangen“. Das mehrfach
sich sechsmal. Sie rahmen die längeren, (unter anderem auch von Franz Schu¬
zwischen sie eingeschobenen Strophen bert) vertonte Gedicht wurde mit der
ein, in denen jeweils präzisiert wird, Melodie von Johann Abraham Peter
woran die Runde der Trinkenden Schulz (1747- 1800) fast zum Volkslied.
denkt. - Das Zitat tut ohne Umschweife Die häufig zitierten Zeilen aus der 4.
kund, daß diejenigen, von denen die Strophe des Liedes „Wir spinnen Luft¬
Rede ist, schon einiges Alkoholische gespinste/Und suchen viele Künste/
getrunken haben. Und kommen weiter von dem Ziel“ ha¬
ben vermutlich sprachliche Wurzeln in
der Bibel. Bei Jesaja (59,5) heißt es vom
Wir sind noch einmal davonge¬ „gottlosen Volk“: „Sie brüten Basilis¬
kommen keneier und wirken Spinnwebe.“ Im
So lautet der deutsche Titel von Thorn- „Prediger Salomo“ wird im letzten Vers
ton Wilders Stück „The Skin of our des 7. Kapitels vom Menschen gesagt:
Teeth“ (übersetzt: „Mit knapper Not“), „... ich habe gefunden, daß Gott den
das 1942 entstand und 1944 ins Deut¬ Menschen hat aufrichtig gemacht; aber
sche übertragen wurde. Es stellt am Bei¬ sie suchen viele Künste.“

512
Teil I wird

Wir stehen selbst enttäuscht und Vorsatz, niemals seine schlanke Figur zu
sehn betroffen den t Vorhang zu verlieren.
und alle Fragen offen
Wir wollen sein ein einzig Volk von
Wir Wilden sind doch beßre Men¬ Brüdern, in keiner Not uns trennen
schen! und Gefahr
Das Zitat stammt aus Johann Gottfried Mit diesen beiden Zeilen beginnt der
Seumes 1793 in der von Schiller heraus¬ berühmte Rütlischwur aus Schillers
gegebenen Zeitschrift „Neue Thalia“ er¬ Schauspiel „Wilhelm Teil“. In der 2.
schienenem Gedicht „Der Wilde“. Ein Szene des 2. Aktes haben sich die Eidge¬
nordamerikanischer Indianer, ein Hu- nossen aus Schwyz, Uri und Unterwal¬
rone, macht darin schlechte Erfahrun¬ den auf einer Bergwiese, dem Rütli, ver¬
gen mit einem der angeblich so zivili¬ sammelt. Alle sprechen sie am Ende des
sierten Einwanderer aus Europa. Das Aktes die Worte des Schwurs, die ihnen
Gedicht schließt mit den Worten: „Ru¬ der Pfarrer Rösselmann aus Uri vor¬
hig ernsthaft sagte der Hurone:/Seht, spricht. Die bei entsprechenden feierli¬
ihr fremden, klugen, weisen Leu¬ chen Anlässen zitierten Worte werden
te/Seht, wir Wilden sind doch beßre heute sicherlich häufig als zu pathetisch
Menschen;/Und er schlug sich seitwärts empfunden.
ins Gebüsche.“ - Man gebraucht das
Zitat gelegentlich noch scherzhaft, um Wir wollen uns den grauen Tag
auszudrücken, daß man sich selbst ge¬ vergolden, ja vergolden
genüber anderen in einem positiveren Die Gedichtzeile stammt aus dem „Ok¬
Licht sieht. toberlied“ überschriebenen Herbstge¬
dicht von Theodor Storm (1817-1888).
Wir winden dir den Jungfemkranz Das Gedicht beginnt mit der Strophe:
In Carl Maria von Webers Oper „Der „Der Nebel steigt, es fällt das
Freischütz“ (1821; Text von Johann Laub;/Schenk ein den Wein, den hol¬
Friedrich Kind) singt im 3. Akt der Chor den !/Wir wollen uns den grauen Tag
der Brautjungfern: „Wir winden dir den vergolden, ja vergolden!“ - Man ver¬
Jungfernkranz mit (meist zitiert: aus) wendet das Zitat gelegentlich als scherz¬
veilchenblauer Seide;/Wir führen dich hafte Rechtfertigung für etwas, was man
zu Spiel und Tanz, zu Glück und Liebes- sich gönnt.
freude!“ Der Text und die Melodie er¬
langten bald Volksliedcharakter. Man Wir wollen weniger erhoben und
zitiert den Liedanfang (auch gesungen) fleißiger gelesen sein
heute noch gelegentlich, um scherzhaft T Wer wird nicht einen Klopstock lo¬
auf jemandes bevorstehende Eheschlie¬ ben?
ßung anzuspielen.
Wird dem Huhn man nichts tun?
Wir wollen niemals auseinander¬ Christian Morgenstern (1871-1914) er¬
gehn zählt in seinem Gedicht „Das Huhn“
Mit diesem Schlager aus dem Jahr 1960 von einem solchen Federvieh, das sich
ersang sich die Schauspielerin und Sän¬ in eine Bahnhofshalle verirrt hat und
gerin Heidi Brühl (1942-1991) ihre erste dort für Aufregung sorgt. Das Auftreten
goldene Schallplatte. Die Melodie der zuständigen Autorität, des Stations¬
schrieb Michael Jary, einer der erfolg¬ vorstehers, läßt den Dichter die bange
reichsten deutschen Schlagerkomponi¬ Frage stellen: „Wird dem Huhn/man
sten, der Text stammt von B. Balz und nichts tun?“ Man zitiert diesen Vers
G. de Vos. Man zitiert den Titel oft iro¬ scherzhaft, wenn sich jemand in einer
nisch, zum Beispiel als Kommentar zu mißlichen oder schwierigen Situation
einer verzweifelt aufrechterhaltenen befindet und man besorgt ist, ob er heil
Partnerschaft, oder scherzhaft als festen herauskommt.

513
wird Teil I

Es wird mit t Recht ein guter Bra¬ der Spekulation. Beobachtung und Ex¬
ten gerechnet zu den guten Taten periment waren für ihn die Grundlagen
und die Quelle des Wissens. Er wurde so
Es wird nicht ein t Stein auf dem zum Wegbereiter der Naturwissen¬
andern bleiben schaft. Das Zitat Findet sich in seinem
literarischen Werk, den „Essays“, die er
t Bei einem Wirte wundermild nach dem Vorbild des französischen
Philosophen und Moralisten Michel de
Wissen, was die Glocke geschla¬ Montaigne (1533-1592) verfaßte. Es
gen hat existiert sowohl in lateinischer als auch
Für die umgangssprachliche Redewen¬ in englischer Sprache: Ipsa scientiapote-
dung im Sinne von „über etwas Unange¬ stas est und Knowledge itself is power.
nehmes, was einem bevorsteht, schon
Bescheid wissen“ finden sich bereits bei T Mit dem Wissen wächst der
Johann Jakob Christoffel von Grim¬ Zweifel
melshausen (um 1622-1676) und in
Thomas Murners (1475-1537) „Narren¬ t Mit wenig Witz und viel Behagen
beschwörung“ (53,60) Belege. In Adel-
bert von Chamissos (1781-1838) Wo aber ein Aas ist, da sammeln
„Nachtwächterlied“ klingt die Rede¬ sich die Geier
wendung ebenfalls in den Eingangszei¬
Dieses Zitat geht auf zwei Bibelstellen
len an: „Hört, ihr Herrn, und laßt euch
zurück. Es heißt im Matthäusevangeli¬
sagen,/Was die Glocke hat geschla¬
um „Wo aber ein Aas ist, da sammeln
gen:
sich die Adler“ (24,28) und im Lukas¬
evangelium „Wo das Aas ist, da sam¬
Wissen, wo der Schuh drückt
meln sich auch die Adler“ (17,37). Es
Die Wendung, mit der man umschreibt,
steht beide Male in einem Zusammen¬
daß jemand das heimliche Übel, die ge¬
hang, in dem von der Zerstörung Jerusa¬
heimen Sorgen eines anderen kennt,
lems, der Wiederkunft Christi und dem
daß er weiß, was diesen bedrückt, geht
Ende der Welt die Rede ist. Man kann
auf den griechischen Schriftsteller Plut-
mit dem Zitat - mit einem Unterton von
arch (um 46-um 125 n. Chr.) zurück.
Kritik - zum Ausdruck bringen, daß
Dieser erzählt in der Schrift „Coniuga-
sich viele von etwas angezogen fühlen,
lia praecepta“ von einem Römer, der
von dem sie sich Vorteile versprechen.
sich von seiner schönen, reichen, offen¬
bar untadeligen Frau habe scheiden las¬
Wo aber Gefahr ist, wächst das
sen und sich deswegen Fragen und Vor¬
Rettende auch
würfe seiner Freunde habe gefallen las¬
sen müssen. Er habe daraufhin seinen Dieser Vers findet sich in der 1. Strophe
Schuh vorgestreckt und gesagt: „Dieser der Hymne „Patmos“ von Friedrich
Schuh ist auch schön und neu, niemand Hölderlin (1770-1843). Er enthält eine
aber weiß, wo er mich drückt.“ alte Volksweisheit, die in ähnlicher
Form sprichwörtlich geworden ist: „Wo
t Wo das Wissen aufhört, fängt der (auch: Wenn) die Not am größten, ist
Glaube an (die) Hilf am nächsten.“

Wissen ist Macht Wo alles liebt, kann Karl allein


Dieses Schlagwort, das bezeugt, daß nicht hassen
derjenige, der Wissen besitzt, zugleich Das Zitat stammt aus Schillers „Don
eine bestimmte Macht hat, gegenüber Kariös“ (1,1). Domingo, der Beichtvater
anderen im Vorteil ist, geht auf den eng¬ König Philipps, versucht mit diesen
lischen Philosophen Francis Bacon Worten die Einstellung des Prinzen
(1561- 1626) zurück. Bacon gründet sei¬ Kariös zur Königin, seiner Stiefmutter
ne Philosophie auf Erfahrung an Stelle und ehemaligen Braut, zu erfahren.

514
Teil I wo

Man zitiert den Satz, um auszudrücken, t Denn wo das Strenge mit dem
daß man selbst oder eine andere Person Zarten, wo Starkes sich und Mildes
nicht umhinkann, sich der ausschlie߬
paarten, da gibt es einen guten
lich positiven Meinung der Mehrheit
Klang
anzuschließen.
Wo das Wissen aufhört, fängt der
Glaube an
Wo bleibt das Positive?
Das Zitat hat seinen Ursprung in einer
In Erich Kästners drittem Gedichtband
Predigt des Kirchenvaters Augustinus
„Ein Mann gibt Auskunft“ (1930) findet
(354-430) über einen Text aus dem Jo¬
sich ein Gedicht mit dem Titel „Und wo
hannesevangelium (20, 19-31), wo der
bleibt das Positive, Herr Kästner?“ Die
auferstandene Jesus den Jüngern und
erste Strophe lautet: „Und immer wie¬
danach dem zunächst ungläubigen Tho¬
der schickt ihr mir Briefe,/in denen ihr,
mas erscheint. In der 247. Predigt des
dick unterstrichen, schreibt:/,Herr Käst¬
Augustinus heißt es im Original: Ubi de-
ner, wo bleibt das Positive ?7Ja, weiß
fecerit ratio, ibi estfidei aedißcatio („Wo
der Teufel, wo das bleibt.“ Der kultur-
die Erkenntnis aufhört, da baut sich der
und gesellschaftskritische Dichter er¬
Glaube auf1).
läutert im folgenden seinen Lesern, daß
er es für unangemessen hält, angesichts
t Da, wo du nicht bist, blüht das
des traurigen Zustandes der Welt heiter¬
Glück!
fröhliche Lyrik zu verfassen: „Die Spe¬
zies Mensch ging aus dem Leime/und
Wo du nicht bist, Herr Organist, da
mit ihr Haus und Staat und Welt./Ihr
schweigen alle Flöten
wünscht, daß ich’s hübsch zusammen¬
reime/und denkt, daß es dann zusam¬ Die dritte Strophe eines Kirchenliedes
menhält?“ (5. Strophe). Die letzte Stro¬ des evangelischen Pfarrers und Kir¬
phe schließt mit der drastischen Ableh¬ chenlieddichters Erdmann Neumeister
nung dieses Ansinnens: „Ihr möchtet (1671-1756; seit 1715 Hauptpastor an
gern euren Spaß dran haben ...?/Ein St. Jacobi, Hamburg) endet mit den Zei¬
Friedhof ist kein Lunapark.“ - Der ver¬ len: „Herr Jesu Christ! Wo du nicht
kürzte Titel des Gedichts wird teils vor¬ bist,/ist nichts, das mir erfreulich ist.“
dergründig zitiert, wenn jemand aus¬ Das genannte Zitat soll eine scherzhafte
schließlich Negatives berichtet oder Umdichtung dieser Verse sein. Es
vorgetragen hat, teils wird er auch noch wird - oft mit der entsprechenden Be¬
im Sinne Kästners als bissige Ableh¬ wegung von Daumen und Zeigefinger -
nung von Harmonisierungswünschen dann verwendet, wenn man andeuten
will, daß einem das „nötige Kleingeld“
verwendet. Ebenso zitiert man die
Schlußzeile des Gedichts gelegentlich, fehlt. Statt „Herr Organist“, heißt es
auch häufig: „Wo du nicht bist, Herr
um auszudrücken, daß man Fröhlich¬
Jesus Christ...“
keit und Optimismus in einer gegebenen
Situation für unpassend hält.
Wo ist dein Bruder Abel?
tSoll ich meines Bruders Hüter sein?
Wo das gesteckt hat, liegt noch
mehr Wo ist der Schnee vom vergange¬
nen Jahr?
Diese Formulierung gebraucht in Schil¬
lers Tragödie „Maria Stuart“ (1,1) Ami- T Schnee von gestern
as Paulet, der Kerkermeister der Titel¬
heldin, als er in ihrem Schrank weiteren Wo laufen sie denn?
Schmuck für Bestechungen vermuten In einem Sketch von Wilhelm Bendow
muß. In einer ähnlichen Situation sagt (1884-1950) wird diese Frage von ei¬
man heute üblicherweise: „Wo das ist, nem Neuling auf der Pferderennbahn
da ist auch noch mehr.“ mehrmals aufgeregt gestellt - er ver-

515
wo Teil I

sucht, zunächst vergeblich, das Rennen he Kräfte sinnlos walten,/Da kann sich
mit seinem Fernglas zu verfolgen. Be¬ kein Gebild gestalten“. Schiller nahm
sondere Popularität erhielt dieser Renn¬ mit dieser Feststellung auch Bezug auf
bahnsketch durch eine Zeichentrickver¬ die Französische Revolution, deren blu¬
sion von Loriot (= Vicco von Bülow), tige Auswüchse er verurteilte. - Man
bei der die Schallplatten-Originalauf- verwendet das Zitat als scherzhaften
nahme mit den Stimmen von Wilhelm Kommentar, wenn jemand vergeblich
Bendow und Franz-Otto Krüger zu¬ versucht, etwas mit Gewaltanwendung
grunde gelegt wurde. - Das Zitat wird zu erreichen und dabei nur Schaden
scherzhaft verwendet, wenn jemand ein anrichtet. Es kann jedoch auch Ärger
Geschehen verfolgen möchte, aber nicht angesichts sinnloser Zerstörungen aus-
gleich erkennt, wo es sich abspielt. drücken. Eine umgangssprachliche Er¬
weiterung des Zitats lautet: „Wo rohe
Wo man singt, da laß dich ruhig Kräfte sinnlos walten, da kann kein
nieder Knopf die Hose halten“.
Die zum geflügelten Wort gewordene
Zeile stammt aus einem Gedicht mit Wo stehet das geschrieben?
dem Titel „Die Gesänge“ von Johann Mit dieser Frage leitet Martin Luther
Gottfried Seume (1763-1810). Seine er¬ (1483-1546) im „Kleinen Katechismus“
ste Strophe lautet: „Wo man singet, laß im 4. und 5. Hauptstück und im „Lehr¬
dich ruhig nieder,/Ohne Furcht, was stück vom Amt der Schlüssel“ die je¬
man im Lande glaubt;/Wo man singet, weils folgende biblische Begründung
wird kein Mensch beraubt;/Bösewich- für seine vorher gegebenen Erklärungen
ter haben keine Lieder.“ Meist werden zu Taufe, Abendmahl und Sündenver¬
die erste und die letzte Zeile zusammen gebung ein. Heute verwendet man die
in abgewandelter Form zitiert: „Wo Frage nur rhetorisch („Wo steht denn
man singt, da laß dich ruhig nieder; bö¬ das geschrieben?“), um auszudrücken,
se Menschen haben keine Lieder.“ Der daß es keine Vorschrift gibt, die dem
hier ausgesprochene Gedanke ist bei eigenen Handeln entgegenstünde.
den verschiedensten Dichtern bereits
vor Seume zu finden. Bei Martin Luther
Wo viel Licht ist, ist auch viel
(1483-1546) heißt es zum Beispiel in ei¬
Schatten
nem Lied mit dem Titel „Frau Musica“:
„Hie kann nicht sein ein böser Mut,/Wo Der sprichwörtlich gebrauchte Satz im
da singen Gesellen gut.“ - Als Zitat ist Sinne von „wo es viel Positives gibt, gibt
das geflügelte Wort ein Lob des Ge¬ es auch viel Negatives“ findet sich in
sangs und seiner positiven Wirkung auf ähnlicher Form auch in Goethes Drama
die Menschen. Es bedeutet auch: Hier, „Götz von Berlichingen“. Im 1. Akt ent¬
unter Menschen, die gern singen, ist gut gegnet Götz auf Weislingens Wunsch,
sein. Gott möge ihn viel Freude an seinem
Sohn erleben lassen, mit gefaßter
Wo rohe Kräfte sinnlos walten Skepsis: „Wo viel Licht ist, ist starker
Der Vers stammt aus Schillers „Lied Schatten - doch wär’ mir’s willkommen.
von der Glocke“ (1799). Der Meister hat Wollen sehen, was es gibt.“
von dem Guß der Glocke berichtet.
Nachdem die Form erkaltet ist, kann er Wo warst du, Adam?
sie zerbrechen und die Glocke aus ih¬ Dies ist der Titel eines Romans von
rem Mantel herausschälen, ln der fol¬ Heinrich Böll aus dem Jahr 1951, der im
genden Betrachtung wird diese Phase letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs
des Glockengusses auf die allgemein spielt und dem ein Motto aus den „Tag-
menschliche Entwicklung übertragen. und Nachtbüchern“ von Theodor Haek-
Nur wenn „mit weiser Hand zur rechten ker mit folgendem Wortlaut vorange¬
Zeit“ gehandelt wird, entwickelt sich et¬ stellt ist: „Eine Weltkatastrophe kann
was zum Guten. Dagegen steht: „Wo ro¬ zu manchem dienen. Auch dazu, ein

516
Teil I wohl

Alibi zu finden vor Gott. Wo warst du, erzwingen ;/Wo Worte selten, haben sie
Adam?, Ich war im Weltkrieg!“ Die Gewicht :/Denn Wahrheit atmet, wer
Frage an Adam geht auf eine Stelle im schwer atmend spricht,/Nicht der, aus
Alten Testament (1. Moses 3,9) zurück, welchem Lust und Jugend schwätzt.“
wo Gott nach Adam ruft, der sich nach
dem Genuß des Apfels im Paradies vor Wo zwei oder drei in meinem Na¬
Gott verborgen hat. Als Zitat wird es men versammelt sind
scherzhaft als Frage nach jemandes Ver¬
T Denn wo zwei oder drei versammelt
bleib gebraucht.
sind in meinem Namen, da bin ich mit¬
ten unter ihnen
Wo weder Mond noch Sonne dich
bescheint Wofür sie besonders schwärmt,
Im 3. Akt von Schillers Schauspiel „Wil¬ wenn er wieder aufgewärmt
helm Teil“ wagt der Held den Apfel¬ Das Zitat stammt aus dem „Zweiten
schuß und trifft sicher. Vom Landvogt Streich“ von Wilhelm Büschs (1832 bis
Geßler gefragt, weshalb er einen zwei¬ 1908) „Max und Moritz. Eine Bubenge¬
ten Pfeil eingesteckt habe, gesteht Teil, schichte in sieben Streichen“ und steht
daß dieser für ihn, Geßler, bestimmt in folgendem Textzusammenhang:
war, wäre beim ersten Schuß Teils Sohn „Eben geht mit einem Teller/Witwe Bol-
verletzt worden. Darauf entgegnet der te in den Keller,/Daß sie von dem Sau¬
Landvogt, daß er ihm zwar sein Leben erkohle/Eine Portion sich hole,/Wofür
zugesichert habe, „Doch weil ich deinen sie besonders schwärmt,/Wenn er wie¬
bösen Sinn erkannt,/Will ich dich füh¬ der aufgewärmt.“ Die beiden Zeilen
ren lassen und verwahren,/Wo weder werden als Kommentar zu aufgewärm¬
Mond noch Sonne dich bescheint,/Da¬ tem Essen verwendet; sie können gele¬
mit ich sicher sei vor deinen Pfeilen“ gentlich auch im übertragenen Sinne
(III, 3). Danach bezeichnet man heute einer Kritik an einer überflüssigen
eine entlegene, weltabgeschiedene Ge¬ Wiederholung, an dem unerwünschten
gend als einen Ort, „wo weder Mond Wiederaufleben von etwas Vergange¬
noch Sonne dich bescheint (auch: be¬ nem Ausdruck geben.
scheinen).“
Wohl dem, der frei von Schuld und
Wo Worte selten, haben sie Ge¬ Fehle bewahrt die kindlich reine
wicht Seele
Wenn man jemanden darauf aufmerk¬ Diese Zeilen aus Schillers Ballade „Die
sam machen möchte, daß er zu viel und Kraniche des Ibykus“ (dort gesprochen
vom Chor der Eumeniden, der Rache¬
zu lange redet, von etwas zu weitschwei¬
göttinnen, im Theater) werden zitiert,
fig berichtet, etwas zu umständlich dar¬
legt o. ä., könnte man diesen Ausspruch wenn man jemandes Verhalten als ziem¬
lich naiv und unbedarft bezeichnen will.
zitieren. Er stammt aus Shakespeares
Das Zitat kann aber auch lobend aner¬
Drama „König Richard der Zweite“
kennen, daß jemand sich einen kind¬
(II, 1) und lautet im englischen Original:
lich-unverdorbenen Charakter bewahrt
Where words are scarce, they are seldom
hat und ohne Falsch ist.
spent in vain. Gesprochen werden sie
von dem im Sterben liegenden Johann
Wohl dem, der jetzt noch Heimat
von Gaunt, einem Oheim König Ri¬
chards. Gaunt glaubt, daß seine war¬ hat
nenden Worte von König Richard um Diese Worte stammen aus der ersten
so eher gehört und befolgt werden mü߬ Strophe des Gedichts „Vereinsamt“ von
ten, als sie von einem Sterbenden ge¬ Friedrich Nietzsche (1844-1900): „Die
sprochen werden. Die Stelle lautet im Krähen schrein/Und ziehen schwir¬
ganzen: „O, sagt man doch, daß Zungen ren Flugs zur Stadt :/Bald wird es
Sterbender/Wie tiefe Harmonie Gehör schnein, -/Wohl dem, der jetzt noch -

517
wohl Teil I

Heimat hat!“ Mit dem Zitat wird zum Wohlauf, noch getrunken den fun¬
Ausdruck gebracht, daß derjenige sich kelnden Wein
glücklich schätzen darf, der in schlim¬
t Ade nun, ihr Lieben! Geschieden muß
men Zeiten weiß, wo er hingehört, und
sein
die Geborgenheit eines Zuhause findet.
Diese Feststellung wird noch verstärkt
Laßt wohlbeleibte Männer um
durch die letzte Zeile des Gedichts
mich sein
„Weh dem, der keine Heimat hat!“, mit
der im übertragenen Sinne auch ausge¬ t Laßt dicke Männer um mich sein
drückt werden kann, daß man ohne eine
geistige oder politische Heimat einsam t Alle Wohlgerüche Arabiens
und verloren ist.
t Nur wer im Wohlstand lebt, lebt
angenehm!
Wohl, nun kann der Guß beginnen
Das Zitat stammt aus dem Abschnitt
Wohltätig ist des Feuers Macht
von Schillers „Lied von der Glocke“, in Das mag mancher beim Anblick eines
dem der Glockenguß geschildert wird. prasselnden Feuers oder eines Brandes
Der Spruch bildet oft den Auftakt zu denken. Die Worte stammen aus Schil¬
einer Arbeit, nachdem die nötigen Vor¬ lers „Lied von der Glocke“. Dort heißt
arbeiten ausgeführt sind. es weiter: „Wenn sie der Mensch be¬
zähmt, bewacht.“

Wohlauf, die Luft geht frisch und t Man kann mit einer Wohnung
rein einen Menschen genauso töten wie
Mit diesem Ausruf beginnt das vielstro- mit einer Axt
phige „Wanderlied“ von Joseph Victor
von Scheffel (1826-1886), das in der Ein Wolf im Schafspelz sein
Sammlung „Gaudeamus, Lieder des Die Redewendung mit der Bedeutung
Engeren und Weiteren“, enthalten ist: „sich harmlos geben, freundlich tun, da¬
„Wohlauf, die Luft geht frisch und bei aber heimtückisch sein oder böse
rein,/Wer lange sitzt muß rosten !/Den Absichten haben“ geht auf das Neue
allerschönsten Sonnenschein/Läßt uns Testament zurück. Hier findet man im
der Himmel kosten.“ - Das Zitat kann Matthäusevangelium (7,15) die War¬
als Aufforderung dazu dienen, sich zu nung: „Sehet euch vor vor den falschen
einer Unternehmung aufzuschwingen. Propheten, die in Schafskleidern zu
euch kommen, inwendig aber sind sie
reißende Wölfe.“
Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd,
aufs Pferd! t Eilende Wolken, Segler der Lüf¬
Mit diesem Vers beginnt im ersten Teil te!
von Schillers Wallenstein-Trilogie das
vom Soldatenchor gesungene „Reiter¬ Wölkenkuckucksheim
lied“ („Wallensteins Lager“, 11. Auf¬ Wenn man von jemandem sagt, daß er
tritt; die ersten 6 Strophen sind bereits in einem Wölkenkuckucksheim lebt, so
1798 erschienen). Man zitiert diese Wor¬ drückt man damit aus, daß er sich in ei¬
te gelegentlich noch als scherzhaft ge¬ ne Phantasiewelt von völliger Realitäts¬
meinte Aufforderung, sich in Bewegung ferne eingesponnen hat, daß der man¬
zu setzen, mit etwas zu beginnen. gelnde Bezug zum wirklichen Leben fal¬
Manchmal wird auch noch der folgende sche Vorstellungen von der Realität bei
Vers hinzugefügt, das Zitat lautet dann: ihm entstehen läßt. Der Ausdruck ist
„Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs eine Übersetzung des griechischen Wor¬
Pferd !/Ins Feld, in die Freiheit gezo¬ tes vecpeXoKOKKüyia, das der griechi¬
gen!“ sche Komödiendichter Aristophanes

518
Teil I Worts

(445-385 v. Chr.) in der Komödie „Die t Wo Worte selten, haben sie Ge¬
Vögel“ als Bezeichnung für eine von wicht
Vögeln in der Luft gebaute Stadt prägte.

Wollen habe ich wohl Der Worte sind genug gewechselt,


laßt mich auch endlich Taten se¬
Wenn jemand etwas nicht zustande ge¬
hen
bracht hat, sich zur Durchführung eines
Vorhabens nicht entschließen konnte, Im „Vorspiel auf dem Theater“ zu Goe¬
wenn ihm etwas mißglückt ist o. ä., dann thes Faust, einem Gespräch zwischen
werden gelegentlich diese Worte als ei¬ „Direktor“, „Theaterdichter“ und „lu¬
ne nicht allzu ernst gemeinte entschuldi¬ stiger Person“, vertritt der Direktor zum
gende Floskel vorgebracht. Es handelt Leidwesen des Theaterdichters die Mei¬
sich dabei um den Anfang eines Bibel¬ nung, daß es bei Dichtungen für das
wortes, das auch häufiger ganz zitiert Theater in erster Linie auf die Publi¬
wird: „Wollen habe ich wohl, aber voll¬ kumswirksamkeit ankomme. Er läßt die
bringen das Gute finde ich nicht.“ Es Einwände des gekränkten Dichters
steht in der Bibel (Römer 7,18) in einem nicht gelten und beendet schließlich den
Zusammenhang, wo von der den Men¬ Disput. Er beginnt sein Schlußwort mit
schen beherrschenden doppelten Ge¬ der zum häufig gebrauchten Zitat ge¬
setzmäßigkeit die Rede ist, die ihm auf¬ wordenen Aufforderung, das lange Re¬
erlegt, fähig zu sein, das Gute zu wollen den nun zu lassen und dafür lieber ent¬
und ihn zugleich unfähig sein läßt, das schlossen zu handeln. Die beiden Aus¬
Gewollte zu vollbringen. Mit dem Ver¬ sagen des Zitats werden heute in ganz
stand kann er Gottes Gesetz voll zustim¬ ähnlicher Funktion bei entsprechenden
men, aber in seiner ganzen Lebensfüh¬ Gelegenheiten entweder je einzeln oder
rung handelt er gegen dieses Gesetz und als Ganzes zitiert.
tut das, was Gott zuwider ist. Der fol¬
gende, ebenfalls sehr bekannte Vers lau¬ t Mit Worten läßt sich trefflich
tet: „Denn das Gute, das ich will, das streiten
tue ich nicht; sondern das Böse, das ich
nicht will, das tue ich.“
Wörter haben ihre Schicksale
t Ist das Wort der Lipp’ entflohen, t Habent sua fata libelli
du ergreifst es nimmermehr
Wörterbuch des Unmenschen
tDu sprichst ein großes Wort ge¬ Wenn man bestimmte Ausdrücke als in¬
lassen aus human kennzeichnen will, verweist man
mit diesem Zitat (etwas stammt „aus
Ein Wort, geredet zu seiner Zeit dem Wörterbuch des Unmenschen“,
t Goldene Äpfel auf silbernen Schalen könnte „im Wörterbuch des Unmen¬
schen“ stehen) auf Beiträge von Dolf
Das Wort zum Sonntag Sternberger, Gerhard Storz und W. E.
Süskind, die nach dem Krieg in der Mo¬
Eine der ältesten Sendungen im Fernse¬
natszeitschrift „Die Wandlung“ erschie¬
hen der ARD bringt jeweils am Sams¬
nen sind. Sie wurden 1957 auch in
tagabend kurze kirchliche Betrachtun¬
Buchform unter dem Titel „Aus dem
gen, die meist von einem Vertreter einer
Wörterbuch des Unmenschen“ veröf¬
der beiden großen christlichen Konfes¬
fentlicht und setzen sich besonders mit
sionen vorgetragen werden. Der Titel
der Sprache des Nationalsozialismus
„Das Wort zum Sonntag“ ist in den all¬
kritisch auseinander.
gemeinen Sprachgebrauch im Sinne von
„eine eindringliche Ermahnung, ernst¬
hafte Vorhaltungen“ übernommen wor¬ t In des Worts verwegenster Be¬
den. deutung

519
wozu Teil I

Wozu der Lärm? hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glau¬
be“). Faust ist in seinem Erkenntnisstre¬
Mit dieser Frage betritt Mephisto in
ben an einem Punkt angelangt, wo er
Goethes Faust (Teil I, Studierzimmer)
zum ersten Mal die Szene. Er kommt verzweifelt zur Giftphiole greift, nach¬
hinter dem Ofen anstelle des schwarzen dem er zuvor vergebens das Zeichen des
Pudels hervor, den Faust zuvor von sei¬ Makrokosmos geschaut hat und vom
nem Spaziergang mit seinem Famulus Erdgeist zurückgewiesen worden ist. Bei
Wagner („Osterspaziergang“) mitge¬ dem Versuch, das Gift zu nehmen, wird
bracht hat. Die Frage bezieht sich auf er unterbrochen durch „Glockenklang
den Aufwand an Beschwörungsformeln und Chorgesang“. Der Chor der Engel
und -ritualen, mit deren Hilfe Faust das verkündet die Auferstehung Christi.
Erscheinen Mephistos bewirkt hatte. Was ihn davon abhält, sein Vorhaben
Wird die Frage heute zitiert, so steht sie auszuführen, ist jedoch nicht sein christ¬
anstelle von Fragen wie „Was soll licher Glaube, sondern die durch den
das?“, „Warum dieser Aufwand?“ o.ä. Gesang ausgelöste Erinnerung an die
Wenn es der Situation entspricht, wird Jugend und die Ungebrochenheit des
gelegentlich die im Text unmittelbar an¬ Wunderglaubens in jener glücklichen
schließende Frage Mephistos an Faust Zeit.
mitzitiert: „Wozu der Lärm? Was steht
dem Herrn zu Diensten?“ Das Ganze t Das ist der Beginn einer wunder¬
bedeutet dann etwa soviel wie: „Was baren Freundschaft
willst du eigentlich? Was soll ich denn
machen, was kann ich für dich tun?“ t Beim wunderbaren Gott - das
Weib ist schön!
Wozu Dichter in dürftiger Zeit
Mit diesem Zitat aus der siebten Stro¬ Es tmuß was Wunderbares sein,
phe von Hölderlins (1770-1843) Elegie von dir geliebt zu werden
„Brot und Wein“ könnte indirekt zum
Ausdruck gebracht werden, daß der Li¬ Wunderlicher Heiliger
teratur besonders in einer vorwiegend Dieser Ausdruck geht auf Psalm 4,4 im
auf materielle Dinge ausgerichteten Ge¬ Alten Testament zurück, der nach der
sellschaft oft nicht die Anerkennung zu¬ Lutherübersetzung lautet: „Erkennet
teil wird, nicht der Stellenwert beige¬ doch, daß der Herr seine Heiligen wun¬
messen wird, der ihr eigentlich zukom¬ derlich führet.“ In der Sprache Luthers
men müßte. Bei Hölderlin steht hinter war „wunderlich“ gleichbedeutend mit
dieser Frage die resignierende Ansicht, „wunderbar“, wie es auch in der revi¬
daß es in Zeiten, in denen keine Helden¬ dierten Fassung heißt. Danach war „ein
taten vollbracht werden, in denen die wunderlicher Heiliger“ eigentlich ein
Götter uns fern sind, für einen Dichter „wunderbarer, Wunder wirkender Hei¬
nichts zu besingen gebe. liger“. Wenn man heute von einem wun¬
derlichen, sonderbaren oder komischen
t Ich weiß, es wird einmal ein Heiligen spricht, so meint man damit
Wunder geschehn einen seltsamen Menschen, einen Son¬
derling.
Das Wunder ist des Glaubens lieb¬
stes Kind TO wunderschön ist Gottes Erde
Dieses Wort der Skepsis gegenüber dem und wert, darauf vergnügt zu sein!
christlichen Glauben, das diesen zum
Wunderglauben degradiert, ist ein Zitat t Mich wundert, daß ich fröhlich
aus Goethes Faust (Teil I, Nacht). Es bin
schließt sich unmittelbar an die Worte
an, in denen die Titelfigur ihren Glau¬ t Dein Wunsch war des Gedankens
bensverlust konstatiert („Die Botschaft Vater

520
Teil I Zahn

t Als das Wünschen noch geholfen Presse geprägt. Er hat seinen Ursprung
hat in einer bei den Lesern einer New Yor¬
ker Zeitung sehr beliebten Comiczeich¬
tDoch eine Würde, eine Höhe ent¬ nung, die ein mit einem gelben Hemd
fernte die Vertraulichkeit bekleidetes Kind zeigte (genannt Yellow
Kid „gelbes Kind“), dem flotte Sprüche
Die Würfel sind gefallen! in den Mund gelegt wurden. Als nun ei¬
Die Redensart geht auf einen Julius Cä¬ ne andere New Yorker Zeitung für sich
sar (100-44 v. Chr.) zugeschriebenen beanspruchte, diese Zeichnungen zuerst
Ausspruch zurück, den er nach dem gebracht zu haben, entbrannte zwischen
Überschreiten des Rubikons getan ha¬ beiden Blättern ein Pressekrieg. In ei¬
ben soll. Er lautet nach der Überliefe¬ nem Bericht hierüber wurden dann bei¬
rung des lateinischen Schriftstellers de Sensationsblätter als Yellow Press (in
Sueton in dessen Cäsarbiographie Alea Anlehnung an die gelb gekleidete Kin¬
iacta est beziehungsweise lacta alea est dergestalt) bezeichnet.
(„Der Würfel ist gefallen“). Er wird
heute in der Form „die Würfel sind ge¬
fallen“ zitiert, womit zum Ausdruck ge¬
bracht wird, daß eine bestimmte
schwerwiegende Entscheidung gefallen
ist. Historisch plausibler ist allerdings,
was schon Erasmus von Rotterdam ver¬
mutete, daß Cäsar seinerseits ein grie¬
chisches Sprichwort (ävsggltpda Kvßog,
auf deutsch „Hochgeworfen sei der
z
Würfel“) zitiert habe, daß er also eher
von einer bevorstehenden als von einer
t Ihre Zahl ist Legion
bereits gefallenen Entscheidung gespro¬
chen habe.
t Er zählt die Häupter seiner Lie¬
ben
Abrahams Wurstkessel
T Wie in Abrahams Schoß Der Zahn der Zeit
Diese besonders im 18. Jahrhundert
TO wüßt’ ich doch den Weg zu¬ häufig gebrauchte Metapher, mit der die
rück zerstörende, den Verfall bewirkende
Kraft der Zeit angesprochen wird, fin¬
In die Wüste schicken det sich schon bei antiken Autoren in
t Sündenbock ähnlicher Form. Verbreitung fand sie
durch Shakespeares Stück „Maß für
Maß“ (im englischen Original: the tooth
of time). Die Textstelle lautet: „O! Solch
Verdienst spricht laut; ich tät’ ihm Un-
recht,/Schlöss’ ich’s in meiner Brust ver¬
schwiegne Haft,/Da es verdient, mit erz-
ner Schrift bewahrt/Unwandelbar dem

Y Zahn der Zeit zu trotzen.“ - In dem fol¬


genden, scherzhaft gebildeten Beispiel¬
satz für den Begriff der Katachrese (des
Bildbruchs, des unpassenden Ge¬
Yellow Press brauchs von Metaphern) wurde das Zi¬
Dieser englische Ausdruck für „Sensati¬ tat als Ausgangspunkt verwendet: „Mö¬
onspresse“ (deutsche Übersetzung: ge der Zahn der Zeit, der schon manche
„gelbe Presse“) wurde zu Ende des 19. Träne getrocknet hat, auch über diese
Jahrhunderts in der amerikanischen Wunde Gras wachsen lassen.“

521
Zankapfel Teil I

Zankapfel Himmel ist rot; und des Morgens


sprecht ihr: Es wird heute Ungewitter
Unter einem Zankapfel, auch Erisapfel
oder Apfel der Zwietracht genannt, ver¬ sein, denn der Himmel ist rot und trübe.
steht man einen Gegenstand des Strei¬ Ihr Heuchler! Über des Himmels Ge¬
tes, Zankes. Der Apfel wurde nach Eris, stalt könnt ihr urteilen; könnt ihr denn
der Göttin der Zwietracht benannt. nicht auch über die Zeichen dieser Zeit
Nach der griechischen Sage warf die urteilen?“ (Matthäus 16,2 f.).
nicht zur Hochzeit der Thetis mit Peleus
Es t geschehen noch Zeichen und
geladene Göttin einen Apfel mit der
Aufschrift „der Schönsten“ unter die
Wunder
Hochzeitsgäste, wodurch es zum Streit
t Dies ist die Zeit der Könige nicht
zwischen Hera, Athene und Aphrodite
kam. Paris erkannte ihn Aphrodite zu mehr
und beschwor so den Trojanischen
Die Zeit ist aus den Fugen
Krieg herauf. - Dieses „Urteil des Pa¬
ris“ erwähnt der altgriechische Dichter Diese Worte spricht Hamlet in Shake¬
Homer (2. Hälfte des 8.Jh.s v. Chr.) am speares gleichnamigem Trauerspiel
Anfang des 24. Gesanges seiner „Ilias“ (1,5) naeh der nächtlichen Begegnung
(„Der [= Paris] damals, da zu seinem mit dem Geist seines ermordeten Vaters,
Gehöft die Göttinnen,/Beide gekränkt, der ihn aufforderte, die an ihm verübte
die preisend, die üppige Lust ihm gebo¬ Bluttat zu rächen: „Die Zeit ist aus den
ten“, Ilias XXIV, Vers 29 f.). Es war in Fugen; Schmach und Gram,/Daß ich
der Antike und auch noch in späterer zur Welt, sie einzurichten, kam.“ - Das
Zeit ein beliebtes Motiv der bildenden Zitat (im englischen Original: The time
Kunst, so z. B. bei Albrecht Dürer, Paul is out of joint) gibt jemandes pessimisti¬
Cezanne und Lovis Corinth. scher Überzeugung Ausdruck, daß die
Gegenwart, in der er lebt, von ihm als
t Also sprach Zarathustra Zeit ohne ordnende Kraft gesehen wird,
als Zeit, in der der Geist des Chaos, der
inneren und äußeren Instabilität
Das Zebra trifft man stellenweise
herrscht.
Den letzten Buchstaben des Alphabets
stellt Wilhelm Busch (1832-1908) in sei¬ Zeit ist Geld
nem „Naturwissenschaftlichen Alpha¬
Aussagen darüber, daß Zeit wertvoll ist
bet für größere Kinder und solche, die
und genutzt werden sollte, gehen bis in
es werden wollen“ (in den „Fliegenden
die Antike zurück. Geläufig ist vor allem
Blättern“) so vor: „Die Zwiebel ist der
auch der sprichwörtliche englische Aus¬
Juden Speise,/Das Zebra trifft man stel¬
druck Time is money, der wohl durch
lenweise.“ Den zweiten Teil des Verses
Benjamin Franklins 1748 erschienene
zitiert man heute noch gelegentlich
Schrift „Advice to Young Tradesmen“
scherzhaft mit wechselndem Subjekt,
(„Ratschläge für junge Kaufleute“) be¬
wenn man sagen will, daß etwas Be¬
sondere Verbreitung fand. Dort findet
stimmtes - oft etwas Kurioses - schon
sich die Ermahnung Remember, that
hier und da anzutreffen, vorzufinden ist.
time is money („Denkt daran, daß Zeit
Geld ist“).
Die Zeichen der Zeit
Dieser Ausdruck mit der Bedeutung t Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten
„erkennbare Anzeichen einer sich an¬ gern
bahnenden Entwicklung“ geht auf das
Neue Testament zurück. Hier sagt Jesus Ein Zeitalter wird besichtigt
zu den Pharisäern und Sadduzäern, die So nannte der deutsche Schriftsteller
von ihm „ein Zeichen vom Himmel“ Heinrich Mann (1871-1950) seine im
forderten: „Des Abends sprecht ihr: Es Jahr 1945 erschienenen politisch-bio¬
wird ein schöner Tag werden, denn der graphischen Aufzeichnungen. Er ließ

522
Teil I Ziel

darin die Zeit vom Beginn der europäi¬ sawerks des deutschen Schriftstellers
schen Aufklärung bis zum Ende des Arno Schmidt (1914-1979). Schmidt,
Zweiten Weltkriegs in historischen Re¬ der umfangreiche Zettelkästen als Ar¬
flexionen Revue passieren. - Man kann beitsgrundlage für seine Werke anlegte,
das Zitat dort verwenden, wo eine be¬ spielt mit dem Titel auch auf Shake¬
stimmte Epoche in ihrem zeitlichen Ab¬ speares Komödie „Ein Sommernachts¬
lauf kritisch betrachtet wird. traum“ an, in der der Weber Zettel in
einen Esel verwandelt wird, in den sich
Die Zeiten ändern sich, und wir die Elfenkönigin Titania verliebt. Nach
ändern uns mit ihnen seiner Rückverwandlung (vierter Akt,
erste Szene) glaubte er, er habe ge¬
t Tempora mutantur, nos et mutamur in
träumt, und er sagt (in der Übersetzung
illis
von Schlegel): „Ich will den Peter
Squenz dazu bringen, mir von diesem
Die Zeiten der Vergangenheit sind
Traum eine Ballade zu schreiben; sie
uns ein Buch mit sieben Siegeln
soll Zettels Traum heißen, weil sie so
Ein t Buch mit sieben Siegeln seltsam angezettelt ist...“

T Du sprichst von Zeiten, die ver¬


Ein Ziel, aufs innigste zu wün¬
gangen sind
schen
Zeitgeist Dieses Zitat stammt aus dem berühm¬
ten, mit den Worten „Sein oder Nicht¬
Mit diesem Wort bezeichnet man die für
sein“ beginnenden Monolog Hamlets in
eine bestimmte geschichtliche Zeit cha¬
Shakespeares gleichnamigem Trauer¬
rakteristische allgemeine geistige Hal¬
spiel (3. Aufzug, 1. Szene). Der engli¬
tung, vorherrschende Gesinnung; es
sche Wortlaut ist: A consummation
wird heute überwiegend auf die Gegen¬
(= ein Abschluß, eine Vollendung) de-
wart bezogen. Schon Herder hat das
voutly to be wished. Das „Ziel“, von dem
Wort in seinen „Betrachtungen, die
Hamlet hier spricht, ist das „Nichtsein“,
Wissenschaft und Kunst des Schönen
die Befreiung von der Mühsal und den
betreffend“ verwendet, die er 1769 unter
„Plagen“ des Daseins: „Sterben - schla¬
dem Haupttitel „Kritische Wälder“ ver¬
fen -/Nichts weiter! - und zu wissen,
öffentlichte. Zur weiteren Verbreitung
daß ein Schlaf/Das Herzweh und die
hat wohl auch Goethes Faust beigetra¬
tausend Stöße endet,/Dies ist unser Erb¬
gen, wo es in der Form „Geist der Zei¬
teil - ’s ist ein Ziel,/Aufs innigste zu
ten“ sowohl von Faust selbst als auch
wünschen.“ - Man verwendet das Zitat,
von seinem Famulus Wagner in deren
um (oft auch ironisch) auf ein Ziel hin¬
Gespräch über Kathedergelehrsamkeit
zuweisen, das einem im höchsten Maß
und die Grenzen der menschlichen
erstrebenswert erscheint.
Erkenntnis gebraucht wird (Faust I,
Nacht).
Das Ziel ist nichts, die Bewegung
Zettels Traum alles
Ein für Außenstehende chaotisch wir¬ Diese Maxime derjenigen Richtung in
kende Ansammlung von Papieren und der Arbeiterbewegung, die den Sozialis¬
Notizzetteln, beispielsweise auf einem mus nicht durch Revolution und Dikta¬
Schreibtisch, in einem Arbeitszimmer tur des Proletariats, sondern ausschlie߬
o.ä., deren dennoch vorhandene gehei¬ lich durch eine Politik der sozialen Re¬
me Ordnung sich nur dem Eingeweih¬ formen innerhalb einer parlamentari¬
ten, meist dem Verursacher dieses Zu¬ schen Demokratie erreichen wollte,
standes erschließt, wird gelegentlich mit wurde so erstmals von dem deutschen
diesem Ausdruck gekennzeichnet. Da¬ Politiker und sozialdemokratischen
bei handelt es sich um den Titel eines Theoretiker Eduard Bernstein (1850 bis
großangelegten, sehr eigenwilligen Pro¬ 1932) in der Zeitschrift „Die Neue Zeit“

523
Zieten Teil I

(I, 1897/98, S. 556) formuliert. Für ihn tiköv) sei. In dieser Gemeinschaft - da¬
war die Reform der kapitalistischen von geht Aristoteles aus - wird das sitt¬
Verhältnisse das naheliegende Ziel der lich Gute realisiert; sie stellt den geisti¬
Sozialdemokratie, statt Revolution gen und rechtlichen Rahmen dar, in
wollte er ein friedliches Hineinwachsen dem der Mensch lebt und handelt, in
in den Sozialismus. Heute werden diese dem er zur Selbstverwirklichung Findet.
Worte - losgelöst von ihrem ursprüngli¬ Die griechischen Worte des Aristoteles
chen Sinngehalt - als tadelnder Kom¬ werden häufig auch in der etwas volks¬
mentar verwendet, wenn Richtungs¬ tümlicheren Übersetzung „der Mensch
streit und Strategiediskussion in einer ist von Natur ein geselliges Wesen“
politischen Gruppierung wichtiger ge¬ zitiert.
worden sind als die Erreichung des ge¬
setzten Zieles und so statt Progression Zornige junge Männer
Stagnation eingetreten ist. Das Zitat, das auf eine unangepaßte, ge¬
gen bestimmte gesellschaftliche Zustän¬
t Wie Zieten aus dem Busch de rebellierende junge Generation bezo¬
gen wird, ist die Übersetzung der engli¬
Ziviler Ungehorsam
schen Bezeichnung Angry young men
Der Begriff des nicht strafbaren, soweit für eine Gruppe englischer Schriftsteller
nicht mit Widerstand gegen die Staats¬ der zweiten Hälfte der 50er Jahre (be¬
gewalt verbundenen Ungehorsams sonders John Osborne, Kingslay Amis,
taucht bereits 1849 bei dem amerikani¬ Alan Sillitoe, John Braine und John
schen Schriftsteller Henry David Tho- Wain). Der Name wurde vermutlich von
reau in seinem Essay On Civil Disobedi- Angry young man, dem Titel der Auto¬
ence auf (1967 unter dem deutschen Ti¬ biographie von Leslie Allen Paul
tel „Über die Pflicht zum Ungehorsam (1905-1985), abgeleitet und gewann im
gegen den Staat“). Darin bringt der Zusammenhang mit John Osbornes
Nonkonformist seine Ablehnung gegen 1956 uraufgeführtem Schauspiel „Look
den Staat und gewissenlose Politik zum back in Anger“ weitere Popularität.
Ausdruck. (Vergleiche auch „Blick zurück im
Zorn“.)
Es zogen drei Burschen wohl über
den Rhein Zu Hitler fällt mir nichts ein
Bei Ludwig Uhland (1787-1862) lautet Der österreichische Schriftsteller Karl
die zitierte erste Strophe von „Der Wir¬ Kraus (1874-1936) begann in seiner
tin Töchterlein“: „Es zogen drei Bur¬ Zeitschrift „Die Fackel“ einen Artikel
schen wohl über den Rhein,/Bei einer über die Entwicklung in Deutschland
Frau Wirtin, da kehrten sie ein.“ Das nach der Machtübernahme durch die
Gedicht ist vor allem als Lied populär Nationalsozialisten mit den Worten:
geworden. Die vom Inhalt losgelöste, „Mir fällt zu Hitler nichts ein... Ich füh¬
scherzhafte Verwendung des Zitats be¬ le mich wie vor den Kopf geschlagen..."
zieht sich auf drei männliche Personen (Die Fackel Nr. 890-905, Ende Juli
auf dem Weg zu gemeinsamer Unter¬ 1934, S. 153). Der erste Satz wurde in der
nehmung. zitierten Umformung bald populär. Er
wird heute noch gelegentlich zitiert,
t Jeder Zoll ein König wenn jemand etwas Unerhörtem
sprachlos gegenübersteht, obgleich er
Zoon politikon sonst um treffende Bemerkungen nicht
Der griechische Philosoph Aristoteles verlegen ist.
(384-322 v. Chr.) schreibt in seinem
Werk „Politika“, daß der Mensch ein Zu neuen Ufern
„von Natur aus auf staatsbürgerliche Der übertragen im Sinne von „Neuen
Gemeinschaft angewiesenes Wesen“ Zielen, einem neuen Leben entgegen“
(griechisch: (pvasi uev eanv fröov noXi- gebrauchte Ausdruck beruht auf einer

524
Teil I zum

Stelle aus Goethes Faust I (Nacht), wo kunftsforscher Robert Jungk (*1913)


Faust beim Anblick der Phiole seinen kritisch mit den Einflüssen der hochent¬
Freitod ins Auge faßt und sich seine Be¬ wickelten Technik auf das Leben der
freiung von aller Erdenlast ausmalt: modernen Gesellschaft auseinander.
„Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewie¬ Der Titel wird heute - losgelöst von der
sen,/Die Spiegelflut erglänzt zu meinen im Buch dargestellten Problematik - zi¬
Füßen,/Zu neuen Ufern lockt ein neuer tiert, um auszudrücken, daß in einem
Tag.“ „Zu neuen Ufern“ ist auch der bestimmten Bereich die Entwicklung
ironisch klingende Titel eines Films von der Gegenwart vorausgeeilt ist, also ei¬
Detlef Sierck aus dem Jahr 1937, worin nen [scheinbaren] zeitlichen Vorsprung
eine Londoner Varietesängerin um 1840 hat. Gelegentlich verwendet man den
wegen einer (uneigennützigen) Scheck¬ Buchtitel aber auch als warnenden Hin¬
fälschung nach Australien deportiert weis darauf - und dann im Jungkschen
wird. Sinne -, daß man sich schon jetzt unan¬
genehmen Dingen gegenübergestellt
Zu seinen Vätern versammelt wer¬ sieht, mit deren Eintritt man erst in der
den Zukunft gerechnet und gegen die man
deshalb keine rechtzeitigen Gegenma߬
Diese veraltete, gelegentlich noch in ge¬
nahmen ergriffen hat.
hobener Ausdrucksweise gebrauchte
Redewendung hat die Bedeutung „ster¬
ben“. Sie Findet sich bereits in der Bibel, Zukunftsmusik
wo es im Alten Testament zum Beispiel Diese - manchmal auch abwertend ge¬
heißt: „Da auch alle, die zu der Zeit ge¬ brauchte - Bezeichnung für etwas, des¬
lebt hatten, zu ihren Vätern versammelt sen Realisierung noch in einer fernen
wurden, kam nach ihnen ein anderes Zukunft liegt und das daher noch als
Geschlecht auf, das den Herrn nicht utopisch angesehen werden muß, geht
kannte noch die Worte, die er an Israel letztlich auf Richard Wagners Schrift
getan hatte“ (Richter 2,10). „Das Kunstwerk der Zukunft“ (1850)
zurück. Sie diente lange im Streit um die
TWer zuerst kommt, mahlt zuerst Bewertung seiner Musik als ironisch¬
polemisches Schlagwort. Geprägt hat
Der Zug des Herzens ist des sie der deutsche Komponist, Violinist
Schicksals Stimme und Dirigent Louis (Ludewig) Spohr
(1784-1859) in einem 1854 geschriebe¬
Diese Worte sagt in den „Piccolomini“,
nen Brief, in dem sie allerdings nicht ge¬
dem 2. Teil von Schillers Wallenstein-
gen Wagner gerichtet ist.
Trilogie, Wallensteins Tochter Thekla
zu ihrer Tante, der Gräfin Terzky. Sie
widerspricht damit deren Auffassung, Zuletzt, doch nicht der Letzte mei¬
als Wallensteins Tochter sei es ihre - nem Herzen
Theklas - Bestimmung, sich den weit¬
t Last, not least
reichenden politischen Plänen des Va¬
ters zu fügen und auf ihre Liebe zu Max
Piccolomini zu verzichten. Mit diesem Zum Kampf der Wagen und Ge¬
Zitat drückt man aus, daß man sich bei sänge
einer Entscheidung nur nach dem Ge¬ Mit diesem ersten Vers aus Schillers
fühl richtet, nur der Stimme des Herzens Ballade „Die Kraniche des Ibykus“
folgen will und dies auch für den allein wird der Reiseanlaß des Ibykus, ein
richtigen Weg hält. Sängerwettstreit auf Korinth, angege¬
ben. Losgelöst vom ursprünglichen Zu¬
Die Zukunft hat schon begonnen sammenhang, wird das Zitat heute gele¬
In seinem 1952 mit diesem Titel erschie¬ gentlich als aufmunternde Aufforde¬
nenen Buch setzt sich der österreichi¬ rung, zu einer größeren, lebhaften Ver¬
sche Wissenschaftspublizist und Zu¬ anstaltung mitzukommen, verwendet:

525
zum Teil I

„Auf zum Kampf der Wagen und Ge¬ verschüttete den Wechslern das Geld
sänge!“ und stieß die Tische um.“ Heute ge¬
bräuchliche umgangssprachliche Rede¬
Zum Kriegführen sind drei Dinge wendungen wie „jemanden zum Tempel
nötig: Geld, Geld und nochmals hinausjagen“ (= jemanden hinauswer-
Geld fen, davonjagen) oder „zum Tempel
hinausfliegen“ (= hinausgeworfen, da¬
Als der französische König Ludwig XII.
vongejagt werden) gehen auf diesen
(König seit 1498) sich anschickte, das
biblischen Bericht zurück.
Herzogtum Mailand zu erobern, soll er
seinen Marschall Gian Giacomo Trivul-
Zum Teufel ist der Spiritus
zio (um 1441-1518) gefragt haben, was
für dieses Unternehmen benötigt werde, Das t Phlegma ist geblieben
worauf dieser antwortete: Tre cose, Sire,
ci bisognano preparare, danari, danari e Zunehmen an Weisheit, Alter und
poi danari („Drei Dinge, Majestät, muß Gnade
man bereitstellen, Geld, Geld und au¬ Die heute meist eher scherzhaft verwen¬
ßerdem Geld“). - Möglicherweise hat dete Redewendung, die man zum Bei¬
Lenin in seinem Prawdaartikel „Lieber spiel mit Geburtstagsglückwünschen
weniger, aber besser“ (vergleiche auch verbinden kann, ist ein verkürztes Bibel¬
„Weniger wäre mehr gewesen“) auf die¬ zitat. Bei Lukas 2,52 heißt es nach der
se „Dreiheit“ angespielt, als er formu¬ Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im
lierte, daß es für die Erneuerung des Tempel: „Und Jesus nahm zu an Weis¬
Staatsapparates unbedingt nötig sei „er¬ heit, Alter und Gnade bei Gott und den
stens zu lernen, zweitens zu lernen und Menschen“.
drittens zu lernen“. Im Deutschen ist
dies verkürzt worden zu „Lernen, lernen t In Zungen reden
und nochmals lernen!“
Zur Liebe will ich dich nicht zwin¬
Zum Sehen geboren, zum Schauen gen
bestellt Das Zitat stammt aus Mozarts (1756 bis
Im fünften Akt des zweiten Teils von 1791) Oper „Die Zauberflöte“ mit dem
Goethes Faust tritt der Türmer Lynceus Text von Emanuel Schikaneder. Gegen
auf. Er beginnt einen Gesang, in dem er Ende des 1. Akts (18. Auftritt) reagiert
sein Türmeramt preist, das darin be¬ Sarastro damit auf Paminas, der Tochter
steht, als Wächter Ausschau zu halten, der Königin der Nacht, versuchte
seine Blicke beobachtend und betrach¬ Flucht aus seinem Sonnenheiligtum. Er
tend schweifen zu lassen. Sein Lied verzeiht ihr, verwehrt ihr jedoch die
beginnt: „Zum Sehen geboren,/Zum Freiheit.
Schauen bestellt,/Dem Turme geschwo¬
ren,/Gefällt mir die Welt.“ - Man ver¬ Zur Rechten sieht man wie zur Lin¬
wendet das Zitat, um als „Augen¬ ken einen halben Türken herunter¬
mensch“ seine Lust am Schauen zu be¬ sinken
kunden.
Diese beiden häufig zitierten Zeilen
stammen aus dem Gedicht „Schwäbi¬
Zum Tempel hinausjagen
sche Kunde“ von Ludwig Uhland
Bei allen vier Evangelisten des Neuen (1787-1862). Sie bilden sozusagen den
Testaments wird berichtet, wie Jesus die Höhepunkt der derbkomischen Ballade,
Händler und Geldwechsler aus dem die davon berichtet, daß bei einem
Tempel trieb. Im Johannesevangelium Kreuzzug König Barbarossas ins
lautet die entsprechende Stelle (2,15): „heil’ge Land“ ein „wack’rer Schwabe“
„Und er machte eine Geißel aus Strüc¬ fünfzig türkische Reiter in die Flucht
ken und trieb sie alle zum Tempel hin¬ schlägt, indem er einen von ihnen mit
aus samt den Schafen und Ochsen und einem Säbelhieb geradezu in zwei Teile

526
Teil I zwar

spaltet. - Das Zitat erfährt gelegentlich wie versprochen, dem Tyrannen von Sy¬
scherzhafte Abwandlungen. So etwa, rakus auszuliefern.
wenn jemand beim Anblick einer über¬
gewichtigen Person auf einem Fahrrad
Zurück zur Natur!
bemerkt: „Zur Rechten sieht man wie
zur Linken einen halben Schinken her¬ Das Schlagwort, mit dem die Rückkehr
untersinken.“ zu einer natürlichen Lebensform gefor¬
dert wird, ist die deutsche Entsprechung
von Retour ä la nature und wurde nach
Zur Sache, Schätzchen!
Sinn und Tendenz der Werke des fran¬
Diese umgangssprachlich häufig ver¬ zösischen Moralphilosophen J. J. Rous¬
wendete Aufforderung, unverzüglich
seau (1712-1778) geprägt. Im Zuge der
mit einer bestimmten Tätigkeit zu begin¬ Sorge für die bedrohte Umwelt ist es
nen oder ohne Umschweife sich dem ei¬ wieder sehr in Mode, was auch die iro¬
gentlichen Thema, der eigentlichen An¬ nische Sentenz „Alle wollen zurück zur
gelegenheit zuzuwenden, bezieht sich Natur, aber keiner zu Fuß“ belegt. Oft
auf den gleichlautenden Titel eines ist das eigentliche Schlagwort haupt¬
deutschen Spielfilms, der Anfang 1968 sächlich durch die Aufforderung „Zu¬
in die Kinos kam (Regie: May Spills). rück ...“ erkennbar. Entsprechende Ab¬
wandlungen sind z. B. „Zurück aufs
Zur Salzsäule erstarren Rad“ oder „Zurück zum Regenfaß“.
Diese Redewendung wird gebraucht,
wenn man ausdrücken will, daß jemand Zuviel kann man wohl trinken,
vor Schreck, Fassungslosigkeit, Überra¬
doch nie trinkt man genug
schung wie starr ist, entsetzt, sprachlos
innehält und stehenbleibt oder auch, Mit diesen beiden Versen endet das kur¬
daß jemand sehr überrascht tut. Sie geht ze Gedicht „Antwort eines trunkenen
auf die Geschichte der Bestrafung von Dichters“ von Gotthold Ephraim Les¬
„Lots Weib“ im Alten Testament sing (1729-1781): „Ein trunkner Dich¬
(1. Moses 19) zurück. Vor der Vernich¬ ter leerte/Sein Glas auf jeden Zug;/Ihn
tung von Sodom und Gomorrha mit warnte sein Gefährte:/Hör’ auf! Du hast
„Schwefel und Feuer“ hatte der Herr genug./Bereit, vom Stuhl zu sinken,/
durch zwei Engel Lot und seine Familie Sprach der: Du bist nicht klug;/Zuviel
aus der Stadt Sodom herausführen las¬ kann man wohl trinken,/Doch nie trinkt
man genug.“ - Das Zitat wird gelegent¬
sen, um sie zu retten, und hatte ihnen
lich als Rechtfertigung von unmäßigem
befohlen, sich nicht nach dem Inferno
Alkoholgenuß angeführt, besonders
umzusehen. Aber nicht alle folgten der
wenn jemand Kummer, Ärger o. ä. im
göttlichen Anweisung. Es heißt dann in
Alkohol zu ertränken versucht.
Vers 26: „Und sein Weib sah hinter sich
und ward zur Salzsäule.“
Zwar weiß ich viel, doch möcht’
Zurück! Du rettest den Freund ich alles wissen
nicht mehr „Mit Eifer hab’ ich mich der Studien be¬
Bei diesem Ausruf handelt es sich um flissen ;/Zwar weiß ich viel, doch möcht’
ein Zitat aus dem Gedicht „Die Bürg¬ ich alles wissen.“ Dessen rühmt sich
schaft“ von Schiller. Er wird meist als Wagner, der Famulus Fausts, in der Sze¬
eine Art Warnruf ganz allgemeiner Art ne „Nacht“ im ersten Teil von Goethes
zitiert, der allerdings nicht allzu ernst Faust, als er den am Sinn seines Lebens
gemeint ist. In dem Gedicht selbst gilt zweifelnden Faust mit seinen Fragen
dieser Zuruf dem nach mancherlei ge¬ bedrängt und von ihm, als seinem Leh¬
fahrvollen Ereignissen verspätet zu¬ rer, zu profitieren trachtet. - Man ver¬
rückkehrenden Moros, der seinen für wendet das Zitat beispielsweise scherz¬
ihn bürgenden Freund auslösen und vor haft, um seinem Wissensdrang Aus¬
dem Tode bewahren will, um sich selbst, druck zu geben oder um seine Neugier

527
Zweck Teil I

in einem bestimmten Zusammenhang 2. Akt des Stücks rezitiert die weibliche


mit einem Klassikerwort zu verbrämen. Hauptfigur Parthenia für den Horden¬
führer Ingomar ein altes Lied, dessen er¬
Der Zweck heiligt die Mittel ste Strophe so lautet; „Mein Herz, ich
will dich fragen:/Was ist denn Liebe?
Die oft ohne Skrupel angewandten Me¬
thoden des streng hierarchisch geglie¬ Sag!-/,Zwei Seelen und ein Gedan-
ke,/Zwei Herzen und ein Schlag!1 “ Man
derten Jesuitenordens, die sich beson¬
ders in der Inquisition und in Eingriffen zitiert die beiden letzten Zeilen, wenn
in die Politik verschiedener Staaten man feststellt, daß die Gedanken, Mei¬
zeigten, trugen sicherlich mit dazu bei, nungen oder Absichten zweier Men¬
daß dieser Satz den Jesuiten als Quint¬ schen völlig übereinstimmen, ohne daß
essenz ihrer Moral zugeschrieben wor¬ vorher darüber gesprochen worden ist.
den ist. In der „Moraltheologie“ des Je¬
Zwei Seelen wohnen, ach, in
suitenpaters Busenbaum von 1652 ist
der Grundsatz aber mit deutlichen Ein¬ meiner Brust
schränkungen versehen. Es dürfte sich Dies ist eines der bekanntesten Zitate
in der vorliegenden, uneingeschränkten aus Goethes Faust. In einem Dialog
Form um ein altes Prinzip der Machtpo¬ zwischen Faust und seinem Famulus
litik handeln, das sinngemäß schon bei Wagner, der sich an den berühmten
Niccolö Machiavelli (1469-1527) zu „Osterspaziergang“ (Faust I, Vor dem
finden ist, der zur Erreichung politi¬ Tor) anschließt, äußert sich Wagner en¬
scher Ziele, die letztlich dem Allgemein¬ thusiastisch darüber, welche Seligkeit er
wohl dienten, jedes Mittel für erlaubt empfindet, wenn er sich von den „Gei¬
hielt. - Wie viele andere sprichwörtliche stesfreuden“ getragen fühlt „von Buch
Redensarten wird auch diese gerne zu Buch, von Blatt zu Blatt“. Faust aber
scherzhaft abgewandelt, z. B. zu „Der hält dagegen, daß er wohl jenen andern
Scheck heiligt die Mittel“. „Trieb“ nicht kenne, der den Menschen
dazu bringt, „in derber Liebeslust sich
t Wenn zwei dasselbe tun, so ist es an die Welt mit klammernden Organen“
nicht dasselbe zu halten, und bekennt dann von sich
selbst: „Zwei Seelen wohnen, ach, in
Zwei Knaben, jung und heiter meiner Brust,/Die eine will sich von der
andern trennen ...“ Zitiert werden die
Den vergeblichen Versuch zweier Kna¬
Worte Fausts zumeist, wenn jemand vor
ben, mit einer langen Leiter ein Raben¬
einer für ihn schwierigen Entscheidung
nest auszuheben, schildert Wilhelm
steht, wenn er hin- und hergerissen ist
Busch (1832-1908) in einer seiner in
und sich nicht entschließen kann, eine
den „Münchner Bilderbogen“ erschie¬
von zwei ihm akzeptabel erscheinenden,
nenen Bildergeschichten. Diese Ge¬
aber sehr gegensätzlichen Möglichkei¬
schichte beginnt mit dem Vers „Zwei
ten zu wählen.
Knaben, jung und heiter,/Die tragen ei¬
ne Leiter“. Die erste Zeile wird gele¬
t Durch zweier Zeugen Mund wird
gentlich scherzhaft zitiert, wenn zwei
allerwegs die Wahrheit kund
männliche Wesen den Eindruck erwek-
ken, daß sie mit Eifer dabei sind, ein
Ein zweischneidiges Schwert
bestimmtes Vorhaben auszuführen.
Sowohl im Alten als auch im Neuen Te¬
stament wird dieser Ausdruck an ver¬
Zwei Seelen und ein Gedanke,
schiedenen Stellen in unterschiedlich¬
zwei Herzen und ein Schlag
sten Zusammenhängen gebraucht. In
Diese Worte stammen aus dem Drama den „Sprüchen Salomos“ 5, 3 f. heißt es
„Der Sohn der Wildnis“ des österreichi¬ beispielsweise: „Denn die Lippen der
schen Schriftstellers Friedrich Halm Hure sind süß wie Honigseim, und ihre
(= Eligius Franz-Joseph Freiherr von Kehle ist glätter als Öl, aber hernach bit¬
Münch-Bellinhausen; 1806-1871). Im ter wie Wermut und scharf wie ein zwei-

528
Teil I zwischen

schneidiges Schwert.“ Im „Brief an die die Goethe unter der Überschrift


Hebräer“ 4,12 dagegen heißt es: „Denn „Sprichwörtlich“ veröffentlichte. Sie
das Wort Gottes ist lebendig und kräftig waren aus seiner Beschäftigung mit
und schärfer denn kein zweischneidig Sprichwörtersammlungen in den Jahren
SchwertIn beiden Fällen aber wird 1812 bis 1814 hervorgegangen. - Man
mit dem Wort „zweischneidig“ die verwendete diesen Spruch in seinem
Schärfe der Waffe hervorgehoben. Das ganzen Wortlaut häufig als Poesie-
ist beim heutigen Gebrauch dieses Aus¬ albumvers: „Zwischen heut und mor-
drucks nicht mehr der Fall. Man ver¬ gen/Liegt eine lange Frist ;/Lerne
wendet ihn vielmehr dann, wenn man schnell besorgen,/Da du noch munter
ausdrücken will, daß etwas nicht nur bist.“ Das Zitat gibt zu bedenken, daß in
Nutzen, sondern auch Schaden bringen der relativ kurzen Zeitspanne zwischen
kann oder daß etwas, was Vorteile hat, zwei Tagen vieles geschehen kann oder
auch Gegenteiliges bewirken kann. auch getan werden kann.

Das Zweite Gesicht


Zwischen Himmel und Erde
Diese Bezeichnung für die vermeintli¬
schweben
che Fähigkeit, Zukünftiges vorherzuse¬
hen, stammt aus dem Englischen und Die Redewendung ist wohl durch das
lautet dort second sight. In Nachahmung Alte Testament gebräuchlich geworden.
dieses englischen Ausdrucks wurde im Dort wird von dem Tod Absaloms be¬
Deutschen daraus das „Zweite Ge¬ richtet, des dritten Sohnes von König
sicht“, wobei „Gesicht“ hier in der David. Absalom „ritt auf einem Maul¬
übertragenen Bedeutung „geistiges tier. Und da das Maultier unter eine gro¬
Schauen“ gebraucht wird. Zur allgemei¬ ße Eiche mit dichten Zweigen kam,
nen Verbreitung des Ausdrucks im blieb sein Haupt an der Eiche hangen,
Deutschen mag der Schriftsteller Her¬ und er schwebte zwischen Himmel und
mann Löns (1866-1914) beigetragen ha¬ Erde; aber sein Maultier lief unter ihm
ben, denn er gab einem seiner volkstüm¬ weg“ (2. Samuel 18,9). - Man gebraucht
lichen Romane den Titel „Das Zweite die Redewendung sowohl im konkreten
Gesicht“ (1912). Sinne, etwa im Zusammenhang von ge¬
fährlichen Situationen beim Arbeiten in
luftiger Höhe, als auch in bildlicher
Zwischen Furcht und Hoffnung
Ausdrucksweise, um die emotionale Si¬
schwebend
tuation eines Menschen zu beschreiben.
Diese Formulierung - im lateinischen
Original Spemque metumque inter du-
bii - kommt im 1. Buch von Vergib Zwischen Szylla und Charybdis
(70-19 v.Chr.) Epos „Äneis“ vor, wo Die Redewendung im Sinne von „in ei¬
nach einem Seesturm die Flotte des ner Situation, in der nur zwischen zwei
Äneas die libysche Küste erreicht und Übeln zu wählen ist, in der man von
die Troer angstvoll an ihre verlorenen zwei gleich großen Gefahren bedroht
Gefährten denken, von denen sie nicht ist“ beruht auf einer Stelle im 12. Ge¬
wissen, ob sie noch leben. Die Rede¬ sang der „Odyssee“ des griechischen
wendung beschreibt einen Zustand ban¬ Dichters Homer (zwischen 750 und 650
ger Ungewißheit, in dem schlimme v.Chr.), wo Odysseus vor dem sechs-
Befürchtungen und die Hoffnung auf köpfigen Seeungeheuer Szylla gewarnt
einen glücklichen Ausgang einander die wird, das in einem Felsenriff in der Stra¬
Waage halten. ße von Messina gegenüber der Charyb¬
dis, einem gefährlichen Meeresstrudel,
Zwischen heut und morgen liegt auf vorbeifahrende Seeleute lauert.
eine lange Frist Während er der Charybdis entkommt,
Der so beginnende Vers gehört zu einer verliert er doch sechs Gefährten an die
Gruppe von sentenzhaften Sprüchen, Szylla.

529
zwischen Teil I

Zwischen uns sei Wahrheit einem falschen Wort betrogen werdest./


Diese Forderung erhebt Orest, der Bru¬ Ein lügenhaft Gewebe knüpf ein Frem¬
der Iphigenies, mit Bezug auf die der/Dem Fremden, sinnreich und der
Schwester in Goethes Schauspiel „Iphi¬ List gewohnt,/Zur Falle vor die Füße,
genie auf Tauris“ (1787). Im ersten Auf¬ zwischen uns/Sei Wahrheit!“ - Man
tritt des dritten Aufzugs begegnen sich verwendet das Zitat auch heute in die¬
die Geschwister Iphigenie und Orest. sem Sinne als Bekenntnis und Aufforde¬
Im Verlauf des Gesprächs beschließt rung zu Offenheit und Wahrhaftigkeit.
Orest, sich der teilnehmenden Schwe¬
ster zu erkennen zu geben: „Ich kann Zwölf Uhr mittags
nicht leiden, daß du, große Seele,/Mit T High-noon

530
Teil II: Thematische Sammlung von
Zitaten, Sentenzen, Bonmots und Aphorismen

Hinweise für die Benutzung

Die Zitattexte sind Oberbegriffen - Leitgedanken - zugeordnet, die nach


dem Alphabet geordnet sind. (In einigen Fällen erschien es sinnvoll, den¬
selben Text bei mehr als einem Oberbegriff anzuführen.) Unter dem
jeweiligen Leitgedanken sind die Einträge nach der alphabetischen Rei¬
henfolge der Namen ihrer Autoren aufgeführt. Der Autorenname steht
unter dem Text, durch das Schriftbild deutlich davon abgehoben.
Wird aus mehreren Werken eines Autors zitiert, dann folgt dem Autoren¬
namen der entsprechende Werktitel in Kurzform, z. B.

Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt;


die Natur kennt keine Katastrophen.
Max Frisch, Holozän

Die vollständigen Angaben sind im Quellenverzeichnis (S. 795) nach¬


zuschlagen.

Wird aus nur einem Werk eines Autors zitiert, dann folgt dem Autoren¬
namen keine weitere Angabe, z. B.

Ohne Achtung gibt es keine wahre Liebe.


Immanuel Kant

Der Werktitel ist dem Quellenverzeichnis zu entnehmen.

Bei Texten von Autoren, deren Werke nicht systematisch ausgewertet


wurden oder deren Äußerungen z. B. aus Fernseh-, Rundfunk- oder Presse¬
interviews stammen, stehen weitere Angaben zur Person unmittelbar
nach dem Autorennamen, z. B.

Moralisten sind Menschen, die sich dort kratzen, wo es andere


juckt.
Samuel Beckett [1906-1989]; irischer Schriftsteller

Es gibt hierzu keine Einträge im Quellenverzeichnis.

Mit einem * gekennzeichnete Einträge sind im vorangehenden Teil des


Buches ausführlich unter sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten
(Herkunft, heutige Verwendungsweise im geschriebenen oder gesproche¬
nen Text) dargestellt.

531
A
_Abendland 17er Aberglauben schlimmster ist,
(auch t Europa) den seinen für den erträglichem zu
halten.
Nach der Aufklärung ist das Gotthold Ephraim Lessing,
Abendland wissenschaftlich /war Nathan
ein Riese geworden, aber seelisch
Mit dem Aberglauben ist es auch
und religiös ein Baby geblieben.
so eine Sache. Ich habe noch kei¬
Franz Alt
nen Menschen getroffen, der sein
13. Monatsgehalt zurückgegeben
Unsere abendländische Kultur, auf
Altertum und Renaissance beru¬ hat.
hend, ist im härtesten Kampf ge¬ Fritz Muliar [* 1919];
gen die ausgesprochen kulturhem¬ österr. Schauspieler
menden Kräfte des Christentums
Aberglaube ist die Freigeisterei
entstanden!
zweiten Ranges.
Arno Schmidt [1914 1979];
Friedrich Nietzsche,
dt. Schriftsteller
Fröhliche Wissenschaft

Je weniger Aberglaube, desto we¬


_Aberglaube niger Fanatismus, und je weniger
Das einzige Mittel gegen den Aber¬ Fanatismus, desto weniger Unheil.
glauben ist Wissenschaft. Voltaire,
Henry Thomas Buckle Philosophisches Wörterbuch

Eigentlich ergreift der Aberglaube


nur falsche Mittel, um ein wahres _Abgeordnete
Bedürfnis zu befriedigen. Die Abgeordneten glauben, ihre
Goethe, Farbenlehre Pflicht schon dann erfüllt zu
haben, wenn sie sich gewählt aus-
Der Aberglaube ist die Poesie des
drücken.
Lebens; deswegen schadet’s dem
Bert Berkensträter
Dichter nicht, abergläubisch zu
sein. In der Fraktion verliert der Volks¬
Goethe, Maximen und vertreter den Blick für das Allge¬
Reflexionen meine.
Otto von Bismarck [1815-1898];
Der Aberglaub’, in dem wir aufge¬
dt. Reichskanzler 1871-1890
wachsen, verliert, auch wenn wir
ihn erkennen, darum doch seine
Macht nicht über uns.
_Abhängigkeit
Gotthold Ephraim Lessing,
Nathan Man ist nur Herr, sich den ersten

533
Ablehnung Teil II

Becher zu versagen, nicht den _Abmagerungskur


zweiten.
Das erste, was man bei einer Ab¬
Ludwig Börne
magerungskur verliert, ist die gute
Laune.
Die glücklichen Sklaven sind die
Gert Fröbe [1913-1988];
erbittertsten Feinde der Freiheit.
dt. Schauspieler
Marie von Ebner-Eschenbach

Morgen nennt man den Tag, an


Gerade das, was wir am sehnlich¬
dem die meisten Fastenkuren be¬
sten gewünscht haben, muß uns
ginnen.
schließlich versklaven.
Gustav Knuth [1901-1987];
John Galsworthy [1867-1933];
dt. Schauspieler
engl. Schriftsteller

* Das erste steht uns frei, beim


_Abneigung
zweiten sind wir Knechte
Goethe, Faust I Abneigung - das Gefühl, das man
für einen Teller empfindet, nach¬
Die sogenannte Freiheit des Men¬ dem man ihn geleert hat, Madame.
schen läuft darauf hinaus, daß er Ambrose Bierce
seine Abhängigkeit von den allge¬
meinen Gesetzen nicht kennt. Alles, was wir denken, ist entweder
Friedrich Hebbel Zuneigung oder Abneigung.
Robert Musil
Marionetten lassen sich sehr leicht
in Gehenkte verwandeln. Die Strik-
ke sind schon da. _Abrüstung
Stanislaw Jerzy Lec
Der einzige Gewaltverzicht sind
Das Geld, das man besitzt, ist das leere Kasernen.
Sigmund Graff
Mittel zur Freiheit, dasjenige, dem
man nachjagt, das Mittel zur
Die Abrüstung der Geister muß
Knechtschaft.
der Abrüstung der Waffen voraus¬
Jean-Jacques Rousseau,
gehen.
Bekenntnisse
Robert Schuman [1886-1963];
franz. Politiker

_Ablehnung

Ablehnung ist eine Antwort; sie ist _Abschied


möglicherweise oft eine ehrlichere Man muß manchmal von einem
Antwort als der Beifall, der rein Menschen fortgehen, um ihn zu
ästhetisch wertet und Vogel- Finden.
Strauß-Politik treibt. Heimito von Doderer
Alfred Döblin
Abschied nehmen bedeutet immer
* Man spricht vergebens viel, um ein wenig sterben.
zu versagen; der andre hört von al¬ Französisches Sprichwort
lem nur das Nein. (französisch: Partir, c’est mourir
Goethe, Iphigenie un peu)

534
Teil II Aids

Abschied ist die innigste Form _Abwarten


menschlichen Zusammenseins.
Zu dem, der immer wartet, kommt
Hans Kudszus
gewöhnlich alles zu spät.
Emil Oesch, Zeit
Ein Abschied schmerzt immer,
auch wenn man sich schon lange
darauf freut.
Arthur Schnitzler _Achtung

Wertschätzung - Grad freundli¬


Kein Abschied auf der Welt fällt cher Achtung, den einer verdient,
schwerer als der Abschied von der der uns einen Dienst erweisen
Macht. könnte und sich noch nicht gewei¬
Charles Maurice de Talleyrand gert hat.
[1754-1838]; franz. Staatsmann Ambrose Bierce

Ohne Achtung gibt es keine wahre


Liebe.
_Abstinenz Immanuel Kant

* Enthaltsamkeit ist das Vergnügen


Es ist viel mehr wert, jederzeit die
an Sachen, welche wir nicht krie¬
Achtung der Menschen zu haben
gen.
als gelegentlich ihre Bewunderung.
Wilhelm Busch, Der Haarbeutel
Jean-Jacques Rousseau, Emile

Enthaltsamkeit rächt sich immer.


Bei dem einen erzeugt sie Pusteln,
_Agitator
beim andern Sexualgesetze.
Karl Kraus (auch t Demagoge)

Für die Toten Wein, für die Leben¬ Das Geheimnis des Agitators ist,
den Wasser; das ist eine Vorschrift sich so dumm zu machen, wie seine
für Fische. Zuhörer sind, damit sie glauben,
Martin Luther sie seien so gescheit wie er.
Karl Kraus

_Absurdität _Aids
Wer sich an das Absurde gewöhnt Aids macht uns bewußt, daß wir
hat, findet sich in unserer Zeit gut nicht unsterblich sind. Aids ent¬
zurecht. larvt den Jugendkult, der nur ge¬
Eugene Ionesco [* 1909]; franz. sunde, produktive und kräftige
Dramatiker rumän. Herkunft Menschen zuließ, als Absurdität.
Rosa von Praunheim [* 1942];
Als absurd bezeichnen wir, was dt. Filmregisseur
nicht möglich ist und trotzdem pas¬
siert; was möglich ist, aber nicht Alle Menschen, die sonst nichts
passiert, bezeichnen wir als ty¬ verhindern, wollen nun Aids ver¬
pisch. hindern.
Gabriel Laub Werner Schneyder

535
Alkohol Teil II

_Alkohol Die Welt ist ein Gefängnis, in dem


Einzelhaft vorzuziehen ist.
Alkohol löst Zungen, aber keine
Karl Kraus
Probleme.
Werner Mitsch
Allein ist der Mensch ein unvoll¬
kommenes Ding; er muß einen
Sorgen ertrinken nicht in Alkohol.
zweiten finden, um glücklich zu
Sie können schwimmen.
sein.
Heinz Rühmann [* 1902];
Blaise Pascal
dt. Schauspieler
Viele Frauen heiraten, weil sie des
Alkohol zieht den Horizont auf
Alleinseins müde sind. Und viele
den Umfang eines Bierdeckels zu¬
Frauen lassen sich scheiden, weil
sammen.
sie des Alleinseins müde sind.
Peter Tille
Hanne Wieder [1929-1990];
dt. Schauspielerin

_Allegorie

Die Allegorie ist die Armatur der _Alltag


Moderne.
Geben wir zu, wir sind auf jede
Walter Benjamin
Überraschung vorbereitet, nur die
alltäglichen Dinge brechen über
Allegorie entsteht, wenn der Ver¬
uns herein wie Katastrophen.
stand sich vorlügt, er habe Phan¬
Stanislaw Jerzy Lec
tasie.
Friedrich Hebbel
Die kleinen Alltagsleistungen set¬
zen viel mehr Energie in die Welt
als die seltenen heroischen Taten.
_Alleinsein Robert Musil

Ich sehne mich immer nach dem


Alleinsein, aber bin ich allein, bin
ich der unglücklichste Mensch. _Alter
Thomas Bernhard [1931-1989]; Alte Leute haben keinen Respekt
österr. Schriftsteller andern gegenüber, sie kennen das
Leben.
* Wer sich der Einsamkeit ergibt, Johannes Bobrowski, Idylle
ach, der ist bald allein.
Goethe, Wilhelm Meisters Alt sein ist eine herrliche Sache,
Lehrjahre wenn man nicht verlernt hat, was
anfangen heißt.
Der Mensch für sich allein, über¬ Martin Buber
haupt jedes Wesen abgesondert, ist
unglücklich. Alter schützt vor Liebe nicht, aber
Wilhelm Heinse Liebe vor dem Altern.
Coco Chanel [1883-1971];
Allein sein müssen ist das Schwer¬ franz. Modeschöpferin
ste, allein sein können das Schön¬
ste. Man leidet im Alter weniger an Er¬
Hans Krailsheimer fahrungen, die man macht, als an

536
Teil II Alter

denen, die man nicht mehr machen Solange man neugierig ist, kann
kann. einem das Alter nichts anhaben.
Karlheinz Deschner Burt Lancaster [* 1913]; amerik.
Schauspieler; Interview 1989
Das Alter verklärt oder versteinert.
Marie von Ebner-Eschenbach Nichts macht schneller alt als der
immer vorschwebende Gedanke,
Unser Respekt gilt in Wahrheit nie daß man älter wird.
dem Alter, sondern ausdrücklich Georg Christoph Lichtenberg
dem Gegenteil: daß jemand trotz
seiner Jahre noch nicht senil sei. Das Alter ist beschwerlich: noch
Max Frisch, Tagebuch 1966-1971 mehr für die Jüngeren, die mit ihm
zu tun bekommen.
Heinrich Mann [1871-1950];
Das Alter als Abstieg betrachten ist
dt. Schriftsteller
genauso ungehörig, wie in der Ju¬
gend nur ein Versprechen sehen.
Im Alter versteht man besser, die
Jedes Alter ist einer besonderen
Unglücksfälle zu verhüten, in der
Vollkommenheit fähig.
Jugend, sie zu ertragen.
Andre Gide, Tagebuch
Arthur Schopenhauer

Keine Kunst ist’s, alt zu werden, es In der Jugend herrscht die An¬
ist Kunst, es zu ertragen. schauung, im Alter das Denken
Goethe, Zahme Xenien I vor. Daher ist jene die Zeit für Poe¬
sie, dieses mehr für Philosophie.
Es gehört zu den vielen Merkwür¬ Arthur Schopenhauer
digkeiten des Lebens, daß der
Mensch um so bissiger wird, je we¬ * Alter schützt vor Torheit nicht.
niger Zähne er hat. Nach Shakespeare, Antonius und
Stefan Heym [*1913]; Cleopatra
dt. Schriftsteller
Kein kluger Mensch hat jemals ge¬
Ein alter Mann, eine alte Frau soll¬ wünscht, jünger zu sein.
Jonathan Swift
ten uns verehrungswürdig sein wie
Kathedralen. Wo keine Ehrfurcht
Das Leben wird gegen Abend, wie
vor dem Alter ist, ist überhaupt kei¬
die Träume gegen Morgen, immer
ne Religion.
klarer.
Friedrich Georg Jünger
Karl Julius Weber

Das Alter ist ein Aussichtsturm. Die Tragödie des Alters beruht
Hans Kasper, Revolutionäre nicht darin, daß man alt ist, son¬
dern daß man jung ist.
Ans Altsein gewöhnt man sich Oscar Wilde
rasch, viel langsamer ans Nicht¬
mehrjungsein. Man sollte nie einer Frau trauen,
Hans Krailsheimer die einem ihr wirkliches Alter
verrät. Eine Frau, die einem das
Keine Grenze verlockt mehr zum erzählt, würde einem auch alles
Schmuggeln als die Altersgrenze. andere erzählen.
Karl Kraus Oscar Wilde

537
Altern Teil II

_Altern Altern ist eine schlechte Gewohn¬


heit, die ein beschäftigter Mann
Es ist ein Vorteil des Altwerdens,
gar nicht erst aufkommen läßt.
daß man gegen Haß, Beleidigun¬
Andre Maurois [1885-1967];
gen, Verleumdungen gleichgültig
franz. Schriftsteller
wird, während die Empfänglich¬
keit für Liebe und Wohlwollen
Altwerden ist das Geschenk der
stärker wird.
Möglichkeit zu späten Einsichten.
Otto von Bismarck [1815-1898];
Max Mell [1882-1971];
dt. Reichskanzler 1871-1890
österr. Schriftsteller

Altwerden bezeichnet also nicht


Viele möchten leben, ohne zu al¬
nur eine wünschenswerte Zeitstrek-
tern, und sie altern in Wirklichkeit,
ke, auf der möglichst viel erlebt
ohne zu leben.
worden ist, möglichst viel in sei¬
Alexander Mitscherlich
nem Ausgang erfahren werden
kann. Altwerden kann auch ein
Alternde Menschen sind wie Mu¬
Wunschbild dem Zustand nach be¬
seen: nicht auf die Fassade kommt
zeichnen: das Wunschbild Über¬
es an, sondern auf die Schätze im
blick, gegebenenfalls Ernte. Innern.
Ernst Bloch
Jeanne Moreau [* 1928];
franz. Schauspielerin
Um alt zu werden, darf man keine
Grundsätze haben. Lang leben will halt alles, aber alt
Ludwig Börne
werden will kein Mensch.
Johann Nestroy,
Einen Menschen zu lieben heißt Die Anverwandten
einzuwilligen, mit ihm alt zu wer¬
den. Vergessenkönnen ist das Geheim¬
Albert Camus [1913-1960]; nis ewiger Jugend. Wir werden alt
franz. Schriftsteller durch Erinnerung.
Erich Maria Remarque
Alt werden heißt-sehend werden. [1898-1970]; dt. Schriftsteller
Marie von Ebner-Eschenbach
Wie man, auf einem Schiffe be¬
Frauen altern besser. findlich, sein Vorwärtskommen
Max Frisch, Tagebuch 1966-1971 nur am Zurückweichen und dem¬
nach Kleinerwerden der Gegen¬
* Sorge macht alt vor der Zeit. stände auf dem Ufer bemerkt, so
Jesus Sirach 30, 26 wird man sein Alt- und Älter¬
werden daran inne, daß Leute von
Alt werden heißt sich selbst ertra¬ immer hohem Jahren einem jung
gen lernen. Vorkommen.
Hans Kudszus Arthur Schopenhauer

Altwerden ist für einen Schönen Wir werden alt, wenn die Erinne¬
oft ein Unglück, ein schöner Häßli¬ rung uns zu freuen beginnt. Wir
cher ist vielleicht eher in der Lage, sind alt, wenn sie uns schmerzt.
mit Anstand zu altern. Peter Sirius [1858-1913];
Jürgen Lemke dt. Schriftsteller

538
Teil II Amt

Jeder möchte lange leben, aber Ich bin in meiner Jugend mit alten
keiner will alt werden. Leuten umgegangen und gehe in
Jonathan Swift meinem Alter mit jungen um. Das
ist die Weise, wie der Mensch mög¬
lichst behaglich durch die Welt
-Altersstufen kommen mag.
Wilhelm Raabe
Wie alt man gerade geworden ist,
sieht man an den Gesichtern derer,
die man jung gekannt hat.
Heinrich Böll _Altruismus

* Der brave Mann denkt an sich


Im zwanzigsten Lebensjahr regiert
selbst zuletzt.
der Wille, im dreißigsten das Wis¬
Schiller, Wilhelm Teil
sen, im vierzigsten das Urteil.
Benjamin Franklin, Vernünftiger Altruismus hat größe¬
Autobiographie ren Wert als verrückte Selbstaufop¬
ferung.
Jedes Jahrzehnt des Menschen hat
ALEKSANDER SwifTOCHOWSKI
sein eigenes Glück, seine eigenen
Hoffnungen und Aussichten. Selbstaufopferung ist etwas, das
Goethe, Wahlverwandtschaften II durch ein Gesetz abgeschafft wer¬
den sollte. Sie ist so demoralisie¬
Die Jugend ist trotz ihrer Frechhei¬
rend für die Leute, für die man sich
ten schüchterner, das Greisenalter
aufopfert.
trotz seiner Würde frecher, als man
Oscar Wilde
glaubt.
Sigmund Graff

Vierzig Jahre sind das Alter der Ju¬ _Amnestie


gend, fünfzig die Jugend des Al¬ Amnestie - die Großmut des Staats
ters. jenen Übeltätern gegenüber, deren
Victor Hugo [1802-1885]; Bestrafung zu kostspielig wäre.
franz. Schriftsteller Ambrose Bierce

In jedes Lebensalter treten wir als * Besser, man riskiert, einen Schul¬
Neulinge und ermangeln darin der digen zu retten, als einen Unschul¬
Erfahrung. digen zu verurteilen.
Francois de La Rochefoucauld Voltaire, Zadig

Jede Generation lächelt über die


Väter, lacht über die Großväter
_Amt
und bewundert die Urgroßväter.
William Somerset Maugham Es ist leichter, der Ämter würdig zu
[1874-1965]; engl. Schriftsteller erscheinen, die man nicht besitzt,
als derer, die man bekleidet.
Um so alt zu werden, wie heute die Francois De La Rochefoucauld
20jährigen sind, hätte ein Mensch
früher dreihundert Jahre ge¬ * Ich hab’ hier bloß ein Amt und
braucht. keine Meinung.
Wolfgang Pohrt Schiller, Wallensteins Tod

539
Analphabet Teil II

* Was deines Amtes nicht ist, da _Anekdote


laß deinen Vorwitz; denn dir ist
Eine Sammlung von Anekdoten
schon mehr befohlen, als du kannst
und Maximen ist für den Welt¬
ausrichten.
mann der größte Schatz, wenn er
Jesus Sirach 3, 24-25
die ersten an schicklichen Orten
ins Gespräch einzustreuen, der
letzten im treffenden Falle sich zu
_Analphabet erinnern weiß.
Goethe, Maximen und
Wir haben das, was ich eine Anal-
Reflexionen
phabeten-Demokratie nenne. Die
meisten Menschen begnügen sich
damit, ein Kreuzchen auf den
_Anerkennung
Stimmzettel zu machen. Genau das
ist das Verhalten von Analphabe¬ (auch T Lob)
ten.
Robert Jungk [*1913]; Anerkennung ist eine Pflanze, die
österr. Wissenschaftspublizist vorwiegend auf Gräbern wächst.
und Zukunftsforscher Robert Lembke

Analphabeten müssen diktieren. Der Tadel des Feindes ist das


Stanislaw Jerzy Lec schönste Lob, die Verleumdungen
des Feindes die schmeichelhafteste
Anerkennung.
Wilhelm Liebknecht [1826-1900];
-Andersdenkende
dt. Journalist und Politiker
Wer anders denkt als seine Zeit,
muß nicht von gestern sein; wer Es ist besser, Ehrungen zu verdie¬
denkt wie sie, ist es. nen und nicht geehrt zu sein, als ge¬
Karlheinz Deschner ehrt zu sein und es nicht zu verdie¬
nen.
Bisweilen macht es Freude, einen Mark Twain
Menschen dadurch in Erstaunen
zu setzen, daß man ihm nicht äh¬ Um fremden Wert willig und frei
nelt und anders denkt als er. anzuerkennen und gelten zu las¬
Maxim Gorki [1868-1936]; sen, muß man eigenen haben.
russ.-sowjet. Schriftsteller Arthur Schopenhauer

* Freiheit ist immer Freiheit der


Andersdenkenden. _Anfang
Rosa Luxemburg Man darf niemals „zu spät“ sagen.
Auch in der Politik ist es niemals
In schlimmen Zeiten sind Denken¬ zu spät. Es ist immer Zeit für einen
de Andersdenkende. neuen Anfang.
Werner Mitsch Konrad Adenauer [1876-1967];
dt. Politiker
♦Anders als sonst in Menschen¬
köpfen malt sich in diesem Kopf Und doch ist der Anfang von etwas
die Welt. seit je dazu geeignet, zu verführen
Schiller, Don Kariös wie nichts sonst. Er ist das Verspre-

540
Teil II
Angst

chen schlechthin und der Trost ge¬ _Angabe


gen das Abgestandene, daß es
nicht bleiben muß. Menschen, die nicht groß sind,
Ernst Bloch machen sich gerne breit.
Friedl Beutelrock
Mit sich beginnen, aber nicht bei
sich enden, bei sich anfangen, aber Manche Menschen wollen immer
sich nicht selbst zum Ziel haben. glänzen, obwohl sie keinen Schim¬
Martin Buber
mer haben.
Heinz Erhardt [1909-1979];
♦Jedem Anfang wohnt ein Zauber dt. Schauspielerund Humorist
inne, der uns beschützt und der uns
hilft zu leben. Um in der Gesellschaft etwas zu
Hermann Hesse gelten, setzt man alles daran, so zu
tun, als gelte man dort schon etwas.
Wer begonnen hat, der hat schon Francois de La Rochefoucauld
halb vollendet.
Horaz [65-8 v. Chr.]; röm. Angeber sind Sprachriesen, in de¬
Dichter nen sich Denkzwerge verstecken.
Werner Mitsch
Das letzte, was man findet, wenn
man ein Werk schreibt, ist, zu wis¬ Viele Menschen benutzen das
sen, was man an den Anfang stel¬ Geld, das sie nicht haben, für den
len soll. Einkauf von Dingen, die sie nicht
Blaise Pascal
brauchen, um damit Leuten zu im¬
ponieren, die sie nicht mögen.
Alle Dinge enden, wenn ihre An¬ Walter Slezak [1902-1983];
fänge nicht intakt gehalten werden. amerik. Schauspieler, Sänger und
Laßt uns nicht Blumen züchten, Schriftsteller österr. Herkunft
sondern Knospen.
Mit dem Wind, den man selber
Charlotte Wolff [1900-1986];
macht, lassen sich die Segel nicht
dt. Psychologin und
füllen.
Schriftstellerin
Karl Heinrich Waggerl

_Anfechtung
_Angst
Gott zieht an einer Hand, der Teu¬
fel an beiden Beinen. Nachdem er die Angst erfuhr, hatte
Wilhelm Busch, Aphorismen
er nur mehr Angst vor der Angst.
Hans Arndt
Nach dem Zeugnis und der Erfah¬
rung aller Frommen ist die größte Es gibt keine Grenzen. Nicht für
Anfechtung, keine Anfechtung zu den Gedanken, nicht für die Ge¬
haben. fühle. Die Angst setzt die Grenzen.
Ingmar Bergman [* 1918];
Martin Luther
schwed. Film- u. Theaterregisseur

Es ist nichts zu fürchten als die


_Anführer
Furcht.
t Führer Ludwig Börne

541
Anklage Teil II

Wenn das Leben beginnt, hätte Keine durch Furcht veranlaßte


man Grund genug zur Angst, hat Einrichtung kann auf die Dauer le¬
aber keine; wenn es endet, hat man ben. Hoffnung, nicht Furcht, ist
Angst genug, aber keinen Grund. das schöpferische Prinzip in
Karlheinz Deschner menschlichen Dingen.
Bertrand Russell, Schriften
Wir sind voller Angst - allerdings
vor den falschen Problemen. Wer nichts fürchtet, kann leicht ein
Hoimar von Ditfurth Bösewicht werden, aber wer zuviel
fürchtet, wird sicher ein Sklave.
Es gehört Mut dazu, sich einer Johann Gottfried Seume,

Angst zu stellen und sie auszuhal¬ Apokryphen


ten.
Hoimar von Ditfurth Die Welt nötigt uns zur Angst.
Angst ist nicht eine Schwäche des
Urteils, sondern sie ist eine zutref¬
Furcht besiegt mehr Menschen als
fende Erkenntnis.
irgend etwas anderes auf der Welt.
Carl Friedrich von Weizsäcker,
Ralph Waldo Emerson
Geschichte
[1803-1882]; amerik. Philosoph
und Schriftsteller

Fürchtet einer das Feuer, so riecht _Anklage


er allenthalben Rauch.
Beschuldigen - die Schuld oder
Jeremias Gotthelf [1797-1854];
Schweiz. Erzähler
Minderwertigkeit eines anderen
behaupten; gewöhnlich als Recht¬
fertigung dafür, daß wir ihm Un¬
Man hat nur Angst, wenn man mit
recht zugefügt haben.
sich selber nicht einig ist.
Ambrose Bierce
Hermann Hesse

* Wer sich entschuldigt, klagt sich


Ein bißchen Furcht vor etwas Be¬ an.
stimmtem ist gut. Sie dämpft die Nach Hieronymus
viel größere Furcht vor etwas Un¬ [um 347-419/420];
bestimmtem. lateinischer Kirchenlehrer
Robert Musil

Der Grad der Furchtsamkeit ist ein


Gradmesser der Intelligenz. _Anlage
Friedrich Nietzsche, Morgenröte t Talent

*Die Furcht des Herrn ist der


Weisheit Anfang.
Psalm 111, 10 -Anmaßung

Bei manchen Leuten muß Anma¬


Angst ist die Hauptquelle des ßung die Größe, Unmenschlichkeit
Aberglaubens und eine der Haupt¬ die Festigkeit des Charakters, Arg¬
quellen der Grausamkeit. list den Geist ersetzen.
Bertrand Russell, Schriften Jean De La Bruyere

542
Teil II Anständigkeit

Die Forderung, geliebt zu werden, lernt er dann, still zu sitzen und


ist die größte der Anmaßungen. den Mund zu halten.
Friedrich Nietzsche, Nachlaß Marcel Pagnol [1895-1974];
franz. Schriftsteller

_Anmut Der vernünftige Mensch paßt sich


(auch t Charme) der Welt an, der Unvernünftige
versucht beharrlich, die Welt sich
Anmut ist ein Ausströmen der in¬ anzupassen. Deshalb hängt aller
neren Harmonie. Fortschritt vom Unvernünftigen
Marie von Ebner-Eschenbach ab.
George Bernard Shaw
Das Gefühl eigener Anmut macht
anmutig. Wer mit dem Strom schwimmt, er¬
Goethe, Wilhelm Meisters reicht die Quelle nie.
Wanderjahre Peter Tille

_Anpassung _ Ansehen

Eine Meinung braucht, um origi¬ Manche Menschen gelten nur des¬


nell zu sein, nicht unbedingt vom halb etwas in der Welt, weil ihre
allgemein Anerkannten abzuwei¬ Fehler die Fehler der Gesellschaft
chen: wichtig ist nur, daß sie sich sind.
ihm nicht anpaßt. Francois de La Rochefoucauld
Andre Gide, Tagebuch
Es ist viel mehr wert, jederzeit die
Es ist fast immer klüger, sich den Achtung der Menschen zu haben
Vorstellungen anzupassen, welche als gelegentlich ihre Bewunderung.
die Menschen von uns haben, als Jean-Jacques Rousseau, Emile
ihnen ihre Illusionen zu nehmen.
Sigmund Graff
_Anspruchslosigkeit
Ich war gesellschaftsunfähig, weil Schrecklich sind die Anspruchslo¬
ich wütend war; ich wurde gesell¬ sen. Die nichts fordern, gewähren
schaftsfähig, als ich traurig wurde. auch nichts.
Peter Handke Peter Hille [1854-1904];
dt. Schriftsteller
Anpassung ist die Stärke der
Schwachen.
Wolfgang Herbst _Anständigkeit

Wer sich gezwungen sieht, mit den Von allen Lastern ist Anstand das
Wölfen zu heulen, mag sich in rein¬ kostspieligste.
ster Notwehr befinden. Aber ist Lion Feuchtwanger [1884-1958];
das ein Grund, hinterher auch mit dt. Schriftsteller
den Schafen zu blöken?
Martin Kessel, Gegengabe Anständigkeit ist die Verschwö¬
rung der Unanständigkeit mit dem
Im Leben lernt der Mensch zuerst Schweigen.
das Gehen und Sprechen. Später George Bernard Shaw

543
Anstrengung Teil II

Der Gehorsam heuchelt Unterord¬ _Antike


nung, so wie die Angst vor der Poli¬
Die Geisteswelt der griechischen
zei Anständigkeit heuchelt.
Antike und des Roms der klassi¬
George Bernard Shaw
schen Epoche bildet die vielzitierte
Wurzel unserer Kultur. Wer davon
_Anstrengung nie etwas hörte, ist ärmer dran.
Hoimar von Ditfurth
Frag nicht, was das Leben dir gibt,
frag, was du gibst. Die alten Sprachen sind die Schei¬
Alfred Adler [1870-1937]; den, darin das Messer des Geistes
österr. Arzt und Tiefenpsychologe steckt.
Goethe, Zahme Xenien
Es gibt kein Bergab, ohne daß vor
ihm ein Bergan ist.
Arabisches Sprichwort _Antipathie

Wer nicht über den Bergkamm t Abneigung


steigt, gelangt nicht in die Ebene.
Chinesisches Sprichwort
_Antisemitismus
* Vor den Erfolg haben die Götter
Ich habe... nicht vergessen, daß die
den Schweiß gesetzt.
Menschen eine Menge verschiede¬
Nach Hesiod [um 700 v. Chr.];
ne Gemeinheiten begehen. Den
griech. Dichter
Antisemitismus halte ich trotzdem
für eine der niederträchtigsten.
* Das Leben gab den Sterblichen
Maxim Gorki [1868-1936];
nichts ohne große Arbeit.
russ.-sowjet. Schriftsteller
Horaz [65-8 v. Chr.];
röm. Dichter
Der Antisemitismus ist dem Natio¬
nalismus blutsverwandt und des¬
* Wer den Besten seiner Zeit genug
sen bester Alliierter.
getan, der hat gelebt für alle Zeiten.
Carl von Ossietzky
Schiller, Wallensteins Lager

Die meisten Antisemiten sagen viel


mehr über sich selbst aus als über
-Anteilnahme
ihren Gegner, den sie nicht ken¬
Je mehr man in sich erlebt hat, de¬ nen.
sto mehr Teil nimmt man an an¬ Kurt Tucholsky
dern und weniger an sich selbst.
Ernst von Feuchtersleben
_Antlitz
Anteilnahme: das ist die gesell¬
t Aussehen
schaftliche Form der Zudringlich¬
keit.
Hans Lohberger
_Antwort
Der beste Weg, andere an uns zu Die Welt ist für uns stets eine Ant¬
interessieren, ist der, an ihnen in¬ wort, die von der Frage abhängt,
teressiert zu sein. die wir an sie stellen.
Emil Oesch, Menschen Stanislaw Brzozowski

544
Teil II
Aphorismus

Erlebend sind wir Angeredete; halbe Wahrheit oder anderthalb.


denkend, sagend, handelnd, her¬ Karl Kraus
vorbringend, einwirkend vermögen
wir Antwortende zu werden. Ein Aphorismus braucht nicht
Martin Buber wahr zu sein, aber er soll die Wahr¬
heit überflügeln. Er muß mit einem
Die eigentliche Antwort ist immer Satz über sie hinauskommen.
der Tod. Karl Kraus
Günter Eich
Jeder Aphorismus ist das Amen
Man hört in der Welt leichter ein einer Erfahrung.
Echo als eine Antwort. Hans Kudszus
Jean Paul

Aphorismen entstehen nach dem


gleichen Rezept wie Statuen: Man
_Aphorismus nehme ein Stück Marmor und
Es gibt zweierlei Aphorismen. Die schlage alles ab, was man nicht un¬
einen entsprechen dem Bedürfnis bedingt braucht.
Gabriel Laub
nach geistiger Verkürzung, die an¬
dern dem nach unendlicher Per¬
Aphorismen: Gedankensplitter,
spektive.
die ins Auge gehen.
Hans Urs von Balthasar
Gabriel Laub

Der Aphorismus ist ein Einfall zu


etwas Größerem, durch keine Aus¬ Der Aphorismus hat vor jeder an¬
deren Literaturgattung den Vorteil,
führung verdorben.
Wieslaw Brudzinski
daß man ihn nicht weglegt, bevor
man ihn zu Ende gelesen hat.
Aphorismus: ein Handstreich mit Gabriel Laub
dem Kopf.
Karlheinz Deschner Die Zukunft der Literatur liegt im
Aphorismus. Den kann man nicht
Ein Aphorismus ist der letzte Ring verfilmen.
einer langen Gedankenkette. Gabriel Laub
Marie von Ebner-Eschenbach
Ist der Aphorismus ein Urteil? Ja,
Der Aphorismus ist so etwas wie entweder für oder gegen seinen
der Hofnarr der Poesie. Er nähert Autor.
sich der Wahrheit gern durch Stanislaw Jerzy Lec
Sprünge und Kapriolen.
Sigmund Graff Alle Aphorismen über Frauen sind
notgedrungen boshaft. Um das
Ein guter Aphorismus ist ein Ge¬ Gute an den Frauen zu schildern,
danke, der fast jedem von uns benötigt man viele Seiten.
schon einmal untergelaufen ist: er Andre Maurois [1885-1967];
hat nur versäumt, ihn festzuhalten. franz. Schriftsteller
Sigmund Graff
Aphorismus: das kleinste mögliche
Der Aphorismus deckt sich nie mit Ganze.
der Wahrheit; er ist entweder eine Robert Musil

545
Aphoristiker Teil II

Nicht jeder Gedanke, der weder zu _Appetit


Ende geführt noch begründet wird,
Der Appetit hat die Eigentümlich¬
ist deshalb ein Aphorismus.
keit, anzustecken.
Manfred Rommel
Martin Andersen-Nexo
Ein Aphorismus kann töten; ein
Der Appetit kommt mit dem Essen,
Gedicht das Grauen nur rhythmi¬
aber noch häufiger mit dem Fa¬
sieren.
sten.
Wolfdietrich Schnurre,
Willy Millowitsch [* 1909];
Schattenfotograf
dt. Schauspieler und Theaterleiter
Vom Aphorismus Lebenshilfe zu
* Der Appetit kommt beim Essen.
erwarten heißt den Skorpion um
Francois Rabelais
eine Blutspende bitten.
[um 1494-1553]; franz. Dichter
Wolfdietrich Schnurre,
Schattenfotograf
_Arbeit
Einen Aphorismus, der schmeckt,
statt zu ätzen, nennt man Bonmot. Arbeit heißt Steigerung zu geisti¬
Wolfdietrich Schnurre, gen Formen.
Schattenfotograf Gottfried Benn,
Provoziertes Leben
Ein Aphorismus, der mehr als drei
Sätze enthält, ist bereits zur Refle¬ Meine Arbeit ist meine eigene Psy¬
xion entartet. chotherapie, für die ich obendrein
Wolfdietrich Schnurre, noch Geld bekomme.
Schattenfotograf Paul Flora [* 1922]; österr.
Graphiker und Karikaturist
Der vollkommene Aphorismus ist
nicht Glied, sondern Endprodukt Zwanghaftes Arbeiten allein würde
eines Denkprozesses. die Menschen ebenso verrückt ma¬
Wolfdietrich Schnurre, chen wie absolutes Nichtstun. Erst
Schattenfotograf durch die Kombination beider
Komponenten wird das Leben er¬
Der Aphorismus ist ein Waffen¬ träglich.
stillstand zwischen zwei Wahrhei¬ Erich Fromm [1900-1980];
ten, die sich gegenseitig der Lüge amerik. Psychoanalytiker
zeihen. dt. Elerkunft
Peter Tille
* Arbeit schändet nicht.
EIesiod [um 700 v. Chr.];
_Aphoristiker griech. Dichter
Nicht sehr heilige Sebastiane sind Das Arbeiten ist meinem Gefühl
Aphoristiker meist: Sie ziehen die nach dem Menschen so gut ein Be¬
Pfeile aus ihrem Fleisch und dürfnis als Essen und Schlafen.
schleudern sie in dasjenige der Wilhelm von Humboldt,
Schützen zurück. Verwundet ver¬ Sentenzen
wunden sie ihre Verwunder, ster¬
ben jedoch länger. Die Arbeit, die tüchtige, intensive
Kurt Marti Arbeit, die einen ganz in Anspruch

546
Teil II Architektur

nimmt mit Hirn und Nerven, ist -Archäologie


doch der größte Genuß im Leben.
Rosa Luxemburg Archäologie - das heißt, sich der
Gefahr aussetzen, Zeit zu verlieren
Arbeit bloß um der „Beschäfti¬ mit einer Zeit, die man schon ein¬
gung“ willen wäre Arbeit um ihrer mal verlor.
selbst willen. Zur Arbeit gehört ein Erhärt Kästner
Sinn oder Ziel, um dessentwillen
man arbeitet. Andernfalls ist es kei¬
ne Arbeit. _Architekt
Oswald von Nell-Breuning Als Philosophen die Zukunft ent¬
warfen, sollte es auf ein Paradies
Alles gackert, aber wer will noch
hinauslaufen. Wenn große Archi¬
still auf dem Nest sitzen und Eier
tekten Zukunft entwerfen, wie Le
brüten?
Corbusier oder Niemeyer, zeigt
Friedrich Nietzsche, Zarathustra
sich gleich die antizipierte Hölle.
Es gibt nichts, was die Arbeit mehr Johannes Gross

entwertet als an den Erfolg denken.


Wer sein Haus vom Architekten
Hans Erich Nossack, Spirale
einrichten läßt, wundere sich nicht,
Arbeit bedeutet atmen für mich; wenn’s nachher aussieht, als woh¬
wenn ich nicht arbeiten kann, kann ne er gar nicht drin.
ich nicht atmen! Oliver Hassencamp
Pablo Picasso [1881-1973]; span.
Maler, Graphiker und Bildhauer
_Architektur
Arbeiten ist demzufolge eine uner¬
Architektur ist das Alphabet von
läßliche Pflicht des sich in der Ge¬
Giganten. Sie ist das größte System
sellschaft bewegenden Menschen.
von Symbolen, das je für die Au¬
Ob reich oder arm, ob mächtig
gen von Menschen gemacht wurde.
oder schwach, jeder müßige Bürger
Gilbert K. Chesterton
ist ein Spitzbube.
Jean-Jacques Rousseau, Emile Die Krankheit unserer heutigen
Städte und Siedlungen ist das trau¬
rige Resultat unseres Versagens,
_Arbeitslosigkeit
menschliche Grundbedürfnisse
Wirksam kann man die Arbeitslo¬ über wirtschaftliche und industri¬
sigkeit nur dann bekämpfen, wenn elle Forderungen zu stellen.
diejenigen, die Arbeit haben, bereit Walter Gropius [1883-1969];
sind, etwas von ihrer Arbeit abzu¬ amerik. Architekt dt. Herkunft
geben - und auch die dazugehöri¬
gen Einkünfte. Moderne Architektur ist das aus
Oswald von Nell-Breuning der richtigen Erkenntnis einer feh¬
lenden Notwendigkeit erschaffene
Eine der schauerlichsten Folgen Überflüssige.
der Arbeitslosigkeit ist wohl die, Karl Kraus
daß Arbeit als Gnade vergeben
wird. Es ist wie im Kriege; wer die Zeige mir, wie du baust, und ich
Butter hat, wird frech. sage dir, wer du bist.
Kurt Tucholsky Christian Morgenstern

547
Ärger Teil II

* Architektur ist erstarrte Musik. _Armee


Nach Friedrich Wilhelm Joseph
Eine Armee ohne Kultur ist eine
von Schelling [1775-1854];
stumpfsinnige Armee, und eine
dt. Philosoph
stumpfsinnige Armee ist unfähig,
den Feind zu besiegen.
Mao Tse-tung
_Ärger

Ärger ist die Unfähigkeit, Wut in


Aktion umzusetzen. _Armut
Wolfgang Herbst
Es werden so viele schöne Worte
über Freiheit geredet, aber nichts
* Es kann der Frömmste nicht in
in der Welt macht so unfrei wie Ar¬
Frieden leben, wenn es dem bösen
mut.
Nachbarn nicht gefällt.
Martin Andersen-Nexo
Schiller, Wilhelm Teil

Wie der Mensch sich ärgert, so ist In der Armut liegt ein Glanz ver¬
er. borgen, der Glanz des Authenti¬
Arthur Schnitzler schen.
Ernesto Cardenal

Für einen leeren Sack ist es schwer,


_Argument aufrecht zu stehen.
Benjamin Franklin,
Du sollst nicht vor einem Argu¬ Autobiographie
ment in die Knie brechen. Viel¬
leicht überzeugt es nur, beweist
Das ist das Verdammte an den
aber nichts.
kleinen Verhältnissen, daß sie die
Ludwig Marcuse
Seele kleinmachen.
Henrik Ibsen [1828-1906];
Argumente nützen gegen Vorurtei¬
norweg. Schriftsteller
le so wenig wie Schokoladeplätz¬
chen gegen Stuhlverstopfung.
Max Pallenberg [1877-1934]; Wenn eine freie Gesellschaft den
österr. Schauspieler vielen, die arm sind, nicht helfen
kann, kann sie auch die wenigen
Beleidigungen sind die Argumente nicht retten, die reich sind.
jener, die über keine Argumente John F. Kennedy [1917-1963];
verfügen. amerik. Politiker
Jean-Jacques Rousseau
[1712-1778], franz. Schriftsteller Man kann den Armen nicht helfen,
und Kulturphilosoph indem man die Reichen vernichtet.
Abraham Lincoln [1809-1865];
Es ist sehr gefährlich, zuzuhören. amerik. Politiker
Hört man zu, kann man überzeugt
werden, und wer sich durch ein Ar¬ Es gibt nur eine Gesellschaftsklas¬
gument überzeugen läßt, ist ein von se, die mehr an Geld denkt, als die
Grund auf unvernünftiger Mensch. Reichen, und das sind die Armen.
Oscar Wilde Oscar Wilde

548
Teil II
Atom

-Arroganz _ Askese
Arroganz ist die Karikatur des Radikale Askese, das bedeutet im¬
Stolzes. mer und überall nur Charakter¬
Ernst von Feuchtersleben schwäche.
Thomas Mann
Wer ist so gebildet, daß er nicht sei¬
ne Vorzüge gegen andre manchmal
auf eine grausame Weise geltend
machte? -Atheismus
Goethe, Wahlverwandtschaften I
Einen Gottlosen habe ich noch nie
gesehen; nur Ruhelose sind mir be¬
gegnet.
Fjodor M. Dostojewski,
_Arzt Der Jüngling

Ein Arzt kann die Krankheit, nicht


Solange es Atheisten gibt, hat Gott
jedoch das Schicksal bessern.
die Chance, erwähnt zu werden.
Chinesisches Sprichwort
Hans Kasper, Revolutionäre

Die Ärzte verzeihen uns jeden Le¬ Der Atheismus ist ein grausames
benswandel, der in ihr Wartezim¬ und langwieriges Unterfangen, ich
mer führt. glaube ihn bis zum Ende betrieben
Sigmund Graff zu haben.
Jean Paul Sartre
Unter den mutmaßlichen Todesur¬
sachen unserer Verstorbenen sollte Wer Gott definiert, ist schon Athe¬
auf den amtlichen Papieren vor¬ ist.
sorglich immer auch der Name des Oswald Spengler, Gedanken
behandelnden Arztes mit aufge¬
führt werden.
Sigmund Graff
_Atom
Ein guter Arzt ist derjenige, wel¬ Das Atom ist unser kleinstes Por¬
cher gegen die betreffenden trät; es enthüllt unsere Kraft als
Krankheiten bestimmt wirkende Schrecken.
Mittel hat, oder, wenn ihm diese Max Rychner [1897-1965];
abgehen, denen, welche sie haben, Schweiz. Schriftsteller und
gestattet, seine Kranken zu heilen. Literaturhistoriker
Jean de La Bruyere

Erst haben die Menschen das


Ein armer Mensch ist, wer von der Atom gespalten, jetzt spaltet das
Hilfe der Ärzte abhängig ist. Atom die Menschen.
Martin Luther Gerd Uhlenbruck

Was bringt den Doktor um sein Das Verhalten des Atoms ist ge¬
Brot?: a) die Gesundheit, b) der setzmäßig. Seine Anwendung ge¬
Tod. setzlos.
Eugen Roth Heinrich Wiesner

549
Atombombe Teil II

__Atombombe kann, ist im tiefsten Grunde


Dienst.
Eine Politik ohne atomare Bedro¬
Emil Oesch, Menschen
hung wäre nicht der Himmel auf
Erden, aber der Hölle auf Erden
Der Begriff der Aufgabe ist ein
könnten wir wahrscheinlich ent¬
Wesensbestandteil des Mensch¬
kommen.
seins: Den Menschen gibt es nicht
Franz Alt
ohne die Aufgabe.
Jose Ortega y Gasset, Aufgabe
Es gibt nichts, kein Recht und
keine Sache in der Welt, die die Eine Daueraufgabe ist in der Pra¬
Anwendung der Atombombe xis eine Aufgabe, die dauernd
rechtfertigen könnte. nicht erledigt wird.
Heinrich Böll Manfred Rommel

Der Mensch hat die Atombombe Wer sich zu groß fühlt, um kleine
erfunden. Keine Maus der Welt kä¬ Aufgaben zu erfüllen, ist zu klein,
me auf die Idee, eine Mausefalle zu um mit großen Aufgaben betraut
konstruieren. zu werden.
Werner Mitsch Jacques Tati [1907-1982];
franz. Schauspieler und Regisseur
Skeptiker sind jene Menschen, die
einfach nicht an die friedliche Nut¬
zung der Atombombe glauben wol¬ _Aufklärung
len.
Werner Mitsch Aufklärung ist Ärgernis; wer die
Welt erhellt, macht ihren Dreck
Wir haben nur die Wahl, im näch¬ deutlicher.
sten Krieg als Mitschuldige oder Karlheinz Deschner
als Unschuldige umzukommen.
Wem da die Wahl schwerfällt, der * Aufklärung ist der Ausgang des
mag seine dumme Hoffnung auf Menschen aus seiner selbstver¬
Atomwaffen bauen. schuldeten Unmündigkeit. Un¬
Martin Walser [* 1927]; mündigkeit ist das Unvermögen,
dt. Schriftsteller sich seines Verstandes ohne Lei¬
tung eines anderen zu bedienen.
Immanuel Kant

_Aufgabe Die Maxime, jederzeit selbst zu


denken, ist die Aufklärung.
Jeder ist berufen, etwas in der Welt
Immanuel Kant
zur Vollendung zu bringen.
Martin Buber

-Aufrichtigkeit
Wenn man das Dasein als eine
Aufgabe betrachtet, dann vermag Niemand hat mehr Feinde in der
man es immer zu ertragen. Welt als ein aufrechter, stolzer, ge¬
Marie von Ebner-Eschenbach fühlvoller Mann, der Personen und
Dinge nimmt, wie sie sind, und
Jede Aufgabe, die ein Mensch im nicht, wie sie sein wollen.
Rahmen der Gemeinschaft haben Chamfort

550
Teil II Ausdauer

Aufrichtig zu sein kann ich ver¬ wehmütige Punkt zwischen Verlan¬


sprechen, unparteiisch zu sein aber gen und Erinnern.
nicht. Robert Musil
Goethe, Eigenes und
Angeeignetes Bereit sein ist viel, warten können
ist mehr, doch erst den rechten
Aufrichtigkeit ist wahrscheinlich Augenblick nützen ist alles.
die verwegenste Form der Tapfer¬ Arthur Schnitzler
keit.
William Somerset Maugham * Ein einz’ger Augenblick kann
[1874-1965]; brit. Schriftsteller alles umgestalten.
Christoph Martin Wieland
Keinen Anlaß zur Lüge haben [1733-1813]; dt. Schriftsteller
heißt noch nicht: aufrichtig sein.
Arthur Schnitzler
_Ausbeutung
Es ist gefährlich, aufrichtig zu sein,
außer wenn man auch dumm ist. Der Hinweis auf Ausbeutung und
George Bernard Shaw
Unterdrückung in einem Teil der
Welt rechtfertigt nicht Ausbeutung
und Unterdrückung in einem ande¬
ren Teil der Welt.
_Auge
Hans Christoph Buch
* Trinkt, o Augen, was die Wimper
hält, von dem goldnen Überfluß Unbestreitbar ist, daß wir ... auf
der Welt! Kosten der unterentwickelten Völ¬
Gottfried Keller [1819-1890]; ker leben, daß unser Überver¬
Schweiz. Schriftsteller brauch ihre Verbrauchsmöglich¬
keiten schmälert, weil sich so viel,
* Man sieht nur mit den Augen des wie wir für uns allein in Anspruch
Herzens gut. Das Wesentliche ist nehmen, für alle nicht verfügbar
für die Augen unsichtbar. machen läßt.
Antoine De Saint-Exupery Oswald von Nell-Breuning
[1900-1944]; franz. Schriftsteller

Es gibt Männer, welche die Bered¬ _Ausbildung


samkeit weiblicher Zungen über¬
treffen. Aber kein Mann übertrifft Am gefährlichsten ist die Dumm¬
die Beredsamkeit weiblicher Au¬ heit, die nicht der Ausdruck von
Unbildung, sondern von Ausbil¬
gen.
Karl Julius Weber dung ist.
Helmut Arntzen

_Augenblick
_Ausdauer
* Was glänzt, ist für den Augen¬
blick geboren; das Echte bleibt der Ausdauer ist eine Tochter der
Nachwelt unverloren. Kraft, Hartnäckigkeit eine Tochter
der Schwäche, nämlich - der Ver¬
Goethe, Faust I
standesschwäche.
Der Augenblick ist nichts als der Marie von Ebner-Eschenbach

551
Ausländerfeindlichkeit Teil II

* Courage ist gut. Ausdauer ist bes¬ Wer überlegt, der sucht Bewe¬
ser. gungsgründe, nicht zu dürfen.
Theodor Fontane [1819-1898]; Gotthold Ephraim Lessing,
dt. Schriftsteller Nathan

* Nur Beharrung führt zum Ziel. Nichtwollen ist der Grund, Nicht¬
Schiller, 2. Spruch des Konfuzius können der Vorwand.
Seneca [um 4 v. Chr.-65 n. Chr.];
röm. Politiker, Philosoph und
Dichter
_Ausländerfeindlichkeit
Besser als durch ihre Reden lernt
Jede Nation ist im Ausland haupt¬
man die Menschen durch ihre Aus¬
sächlich durch ihre Untugenden
reden kennen.
bekannt.
Peter Tille
Joseph Conrad [1857-1924];
engl. Schriftsteller poln. Herkunft
Ausflüchte sind schlimmer als
Zweifel.
Wenn heute die Ausländer Ursa¬
Thornton Wilder
che sind für die Ausländerfeind¬
lichkeit der Deutschen, dann wa¬
ren damals an Auschwitz die Juden
_Aussehen
selber schuld.
Wolfgang Pohrt * In jedes Menschen Gesichte steht
seine Geschichte.
In Deutschland wählte der Patrio¬ Friedrich von Bodenstedt
tismus die aggressive Form. Die [1819-1892]; dt. Schriftsteller
Liebe zum Heimischen kleidete
sich in den Haß gegen Fremdes. Die verbitterten Gesichtszüge eines
Walther Rathenau Mannes sind oft nur die festgefro¬
rene Verwirrung eines Knaben.
Franz Kafka [1883-1924];
österr. Schriftsteller
-Ausnahme
Der Körper ist der Übersetzer der
Ausnahmen sind nicht immer Be¬
Seele ins Sichtbare.
stätigung der alten Regel. Sie kön¬
Christian Morgenstern
nen auch Vorboten einer neuen
Regel sein.
Durch Nachteile seiner äußeren
Marie von Ebner-Eschenbach
Erscheinung darf man sich nicht
beirren lassen.
Aristoteles Onassis
_Ausrede [1906(?)—1975]; griech. Reeder

Ich habe festgestellt, daß die Ein¬ Mit zwanzig Jahren hat jeder das
schränkung „soweit wie möglich“ Gesicht, das Gott ihm gegeben hat,
eine fatale Ausweichmöglichkeit mit vierzig das Gesicht, das ihm
gibt. Etwas „soweit wie möglich“ das Leben gegeben hat, und mit
tun heißt, der ersten Versuchung zu sechzig das Gesicht, das er ver¬
erliegen. dient.
Mahatma Gandhi Albert Schweitzer

552
Teil II Autorität

-Äußerlichkeit kommen die Leute im Auto und


meistens zu spät.
Die Fassung der Edelsteine erhöht
Kurt Marti
ihren Preis, nicht ihren Wert.
Ludwig Börne, Denkrede auf
Die schwächste Stelle am Auto ist
Jean Paul
oft der Fahrer.
Werner Mitsch
Die Form ist die Physiognomie des
Gehaltes.
Das Auto ist ein Gerät, das es dem
Martin Kessel, Ehrfurcht
Menschen ermöglicht, rascher zur
Laßt euch nicht vom Glanz blen¬ Arbeit zu kommen, deren Ertrag
den. Flat jemals eine Perle eine ihm ermöglicht, sich ein Auto zu
Muschel hervorgebracht? kaufen.
Werner Mitsch Werner Schneyder

Ein Auto ist an und für sich schon


_Ausweglosigkeit ein Delikt.
Werner Schneyder
Zur Summe meines Lebens gehört
im übrigen, daß es Ausweglosigkeit Schnellfahren kann zwar schön
nicht gibt. sein, aber Rasen geht auf Kosten
Willy Brandt, Erinnerungen der Nerven, der Gesundheit, der
Seele und der mitmenschlichen
Vernunft.
_Auszeichnung Richard von Weizsäcker

Sie steinigten ihn mit einem Denk¬


mal.
_Autobahn
Stanislaw Jerzy Lec
Autobahn - Deutschlands größte
Psychiatrie.
_Auto Henning Venske
Am Auto kann man beobachten,
wie für jeden skandalösen Zustand
ein Beschönigungswort gefunden _Autobiographie
wird: die Blechlawine, die unsere T Memoiren
Städte zerfrißt und unsere Straßen
zu Todesbahnen macht, heißt ,In¬
dividualverkehr*. _Autorität
Sigmund Graff
Der springende Punkt ist, ob man
Mit dem Auto ist ja die Kunst des Autorität hat oder eine Autorität
Ankommens verlorengegangen. ist.
Erhärt Kästner Erich Fromm [1900-1980];
amerik. Psychoanalytiker
Die größte Gefahr im Straßenver¬ dt. Herkunft
kehr sind Autos, die schneller fah¬
ren, als ihr Fahrer denken kann. Wer wirklich Autorität hat, wird
Robert Lembke sich nicht scheuen, Fehler zuzuge¬
ben.
Früher war man pünktlich. Heute Bertrand Russell, Schriften

553
13 Duden 12
Avantgarde Teil II

_Avantgarde _Barbarei

Was man Avantgarde nennt, ist nur ♦Vorn Fanatismus zur Barbarei ist
insofern interessant, als es ein Zu¬ es nur ein Schritt.
rück zu den Quellen ist. Es muß Denis Diderot, Schriften
durch einen verkalkten Traditiona-
lismus, durch widerlegte Akade¬ Die Kultur der Häßlichkeit heißt
mismen hindurch eine lebendige Barbarei.
Tradition wieder aufnehmen. Hans Lohberger
Eugene Ionesco [* 1909];
franz. Dramatiker rumän.
Herkunft _Baum

Es fällt immer eine erste Schnee¬ Bäume - natürliche Feinde der


flocke, was für ein Gewimmel Autos
nachher kommen mag. Henning Venske
Wilhelm Raabe

_Beamte

Mit schlechten Gesetzen und guten


Beamten läßt sich immer noch re¬
gieren. Bei schlechten Beamten
aber helfen uns die besten Gesetze

B nichts.
Otto von Bismarck [1815-1898];
dt. Reichskanzler 1871-1890

_Bankgeheimnis Beamte sind ein wunderbares Bei¬


spiel für die Vermehrung der Men¬
Der einzige Zweck des Bankge¬
schen auf ungeschlechtliche Weise.
heimnisses besteht darin, nach Be¬
Ursula Noack [1918-1988];
lieben lügen zu können.
dt. Kabarettistin
Hans A. Pestalozzi, Zukunft

Je zahlreicher also die Beamten


sind, desto schwächer ist die Regie¬
_Bankier rung.
Jean-Jacques Rousseau,
Wenn ein Bankier auf einen Vor¬
Gesellschaftsvertrag
schlag „nein“ sagt, meint er „viel¬
leicht“, sagt er „vielleicht“, meint
er „ja“, sagt er aber spontan „ja“,
_ Befehl
dann ist er kein guter Bankier.
Andre Kostolany Jeder Befehl besteht aus einem An¬
trieb und einem Stachel. Der An¬
Ein Bankier ist ein Bursche, der Ih¬ trieb zwingt den Empfänger zur
nen seinen Schirm leiht, wenn die Ausführung, und zwar so, wie es
Sonne scheint, und ihn in der Mi¬ dem Inhalt des Befehls gemäß ist.
nute zurückverlangt, wo es zu reg¬ Der Stachel bleibt in dem zurück,
nen beginnt. der den Befehl ausführt.
Mark Twain Elias Canetti

554
Teil II Beherrschtheit

-Begegnung Enthusiasmus ist das schönste


Wort der Erde.
Alles wirkliche Leben ist Begeg¬
nung. Christian Morgenstern

Martin Buber
Keine Begeisterung sollte größer
Es sind die Begegnungen mit Men¬ sein als die nüchterne Leidenschaft
schen, die das Leben lebenswert zur praktischen Vernunft.
machen. Helmut Schmidt [* 1918];

Guy de Maupassant [1850-1893];


dt. Politiker
franz. Schriftsteller
Ohne Enthusiasmus wird nichts
Rechtes in der Kunst zuwege ge¬
_ Begehren bracht.
Robert Schumann
Genieße den Reiz, ohne ihn zu be¬
gehren, dann bleibst du sein Mei¬
ster.
_Begräbnis
Hans Arndt
Der Prunk der Begräbnisse betrifft
Wer weniger hat, als er begehrt, mehr die Eitelkeit der Lebenden
muß wissen, daß er mehr hat, als er als die Ehre der Toten.
wert ist. Francois de La Rochefoucauld
Georg Christoph Lichtenberg

Die Tugend besteht nicht im Ver¬


zicht auf das Laster, sondern darin, _Begriff
daß man es nicht begehrt. * Denn eben wo Begriffe fehlen, da
George Bernard Shaw stellt ein Wort zur rechten Zeit sich
ein.
Goethe, Faust I
_Begeisterung

DieBegeisterung ist das tägliche Die Begriffe der Menschen von


Brot der Jugend, die Skepsis ist der den Dingen sind meistens nur ihre
tägliche Wein des Alters. Urteile über die Dinge.
Pearl S. Buck [1892-1973]; Friedrich Hebbel
amerik. Schriftstellerin
Ein Begriff entsteht, indem eine
Ehrliche, herzliche Begeisterung produktive Kraft Reize gestaltet.
ist einer der wirksamsten Erfolgs¬ Friedrich Nietzsche,
faktoren. Nachlaß
Dale Carnegie

* Begeist’rung ist keine Herings¬ _Beherrschtheit


ware, die man einpökelt auf einige
Jahre. Wenn du im Recht bist, kannst du
Goethe, Frisches Ei dir leisten, die Ruhe zu bewahren,
und wenn du im Unrecht bist,
Begeisterung aber ist die Mutter kannst du dir nicht leisten, sie zu
alles Großen. verlieren.
Franz Grillparzer Mahatma Gandhi

555
13*
Beifall Teil II

_Beifall _Beredsamkeit

t Anerkennung, Lob Beredsamkeit ist Macht, denn sie


ist anscheinende Klugheit.
Thomas Hobbes [1588-1679];
engl. Philosoph
_Beleidigung

Wir sagen und ich meinen ist eine Die wahre Beredsamkeit besteht
von den ausgesuchtesten Kränkun¬ darin, das zu sagen, was zur Sache
gen. gehört, und eben nur das.
Theodor W. Adorno Francois de La Rochefoucauld

Eine Wunde, von Worten geschla¬


_ Beruf
gen, ist schlimmer als eine Wunde,
die das Schwert schlägt. Ein Beruf ist das Rückgrat des
Arabisches Sprichwort Lebens.
Friedrich Nietzsche,
Die grausigste Beleidigung, die Menschliches I
man einem Menschen zufügen
kann, ist die, ihm abzusprechen, Die Größe eines Berufes besteht
daß er leide. vielleicht vor allem darin, daß er
Cesare Pavese Menschen zusammenbringt.
Antoine De Saint-Exupery
Beleidigungen sind die Argumente [1900-1944]; franz. Schriftsteller
jener, die über keine Argumente
verfügen. Man kann seinen Beruf auch ver¬
Jean-Jacques Rousseau fehlen, indem man ihn ausübt.
[1712-1778]; franz. Schriftsteller Karl Heinrich Waggerl
u. Kulturphilosoph

Auch Kränkungen wollen gelernt _ Berufung


sein. Je freundlicher, desto tiefer Jeder ist dazu berufen, etwas in der
trifft’s. Welt zur Vollendung zu bringen.
Martin Walser [* 1927]; Martin Buber
dt. Schriftsteller
* Viele sind berufen, aber wenige
sind auserwählt.
Matthäus 20,16
-Bequemlichkeit

Wer sich auf seinen Lorbeeren aus¬


ruht, trägt sie an der falschen Kör¬ -Berühmtheit
perstelle. Berühmt - bestens erreichbar für
Heiner Geissler [* 1930];
die Pfeile der Boshaftigkeit, des
dt. Politiker Neides und der Verleumdung.
Ambrose Bierce
Jedermann schneidet gern die
Bretter da, wo sie am dünnsten Berühmtheit: der Vorteil, denen
sind; man bohrt nicht gern durch bekannt zu sein, die einen nicht
dicke Bretter. kennen.
Martin Luther Chamfort

556
Teil II Beschränktheit

Mit der Berühmtheit ist es wie mit Die falsche Bescheidenheit ist der
einer Lawine, die bekommt der am letzte Kunstgriff der Eitelkeit.
heftigsten zu spüren, der drunter¬ Jean de La Bruyere
gerät.
Hermann Hesse Bescheiden können nur die Men¬
schen sein, die genug Selbstbe¬
Wenn man erst einmal einen Na¬ wußtsein haben.
men hat, ist es ganz egal, wie man Gabriel Laub
heißt.
Werner Mitsch * Alle großen Männer sind be¬
scheiden.
Es gibt zwei von Grund aus ver¬ Gotthold Ephraim Lessing,
schiedene Arten berühmter Leute: Briefe
solche, die man kennt, und solche,
die man kennen soll. Bescheidenheit ist mehr eine Kon¬
Robert Musil
sequenz des Denkens als des guten
Willens.
Ludwig Marcuse

_Bescheidenheit Bescheidenheit ist weniger Unter¬


schätzung unserer selbst als Hoch¬
Bescheidenheit ist der Anfang aller
schätzung anderer.
Vernunft.
Hans Margolius
Ludwig Anzengruber
[1839-1889]; österr. Dramatiker
Bescheidenheit bei mittelmäßigen
und Erzähler
Fähigkeiten ist bloße Ehrlichkeit;
bei großen Talenten ist sie Heuche¬
Die Bescheidenheit ist eine Eigen¬
lei.
schaft, die vom Bewußtsein der
Arthur Schopenhauer
eigenen Macht herrührt.
Paul Cezanne [1839-1906];
Wenn alle erste Violine spielen
franz. Maler wollen, würden wir kein Orchester
zusammenbekommen.
Falsche Bescheidenheit ist die
Robert Schumann
schicklichste aller Lügen.
Chamfort Bescheidenheit ist die ungesünde¬
ste Form der Selbstbewertung.
* Nur die Lumpe sind bescheiden, Peter Ustinov
Brave freuen sich der Tat.
Goethe, Rechenschaft

_Beschränktheit
Unter den nützlichen Tugenden
steht die falsche Bescheidenheit Jeder Mensch hat ein Brett vor
obenan. dem Kopf - es kommt nur auf die
Johannes Gross Entfernung an.
Marie von Ebner-Eschenbach
Die Rühmlosen haben gewiß recht,
wenn sie von Bescheidenheit pre¬ Auch die Bretter, die man vor dem
digen. Es wird ihnen so leicht, die¬ Kopf hat, können die Welt bedeu¬
se Tugend auszuüben. ten.
Heinrich Heine, Gedanken Werner Finck

557
Beschuldigung Teil II

Die Menschheit würde unbe¬ Wir haben nur, was wir nicht hal¬
schränkte Möglichkeiten haben, ten.
wenn sie die Möglichkeit hätte, die Thornton Wilder
Macht der Beschränkten zu be¬
schränken.
Gabriel Laub
_Besonnenheit

Sage nicht alles, was du weißt, aber


_Beschuldigung wisse immer, was du sagst!
Matthias Claudius [1740-1815];
t Anklage
dt. Dichter

_Besitz Man muß wissen, wie weit man zu


weit gehen kann.
Sich mit wenigem begnügen ist Jean Cocteau [1889-1963]; franz.
schwer, sich mit vielem begnügen Schriftsteller, Filmregisseur und
ist noch schwerer. Graphiker
Marie von Ebner-Eschenbach
Siege, aber triumphiere nicht!
* Was du ererbt von deinen Vätern
Marie von Ebner-Eschenbach
hast, erwirb es, um es zu besitzen.
Goethe, Faust I
*Was du tust, bedenke das Ende.
Jesus Sirach 7,40
Der Besitz besitzt, er macht die
Menschen kaum unabhängiger.
Es ist besser, ein Problem zu erör¬
Friedrich Nietzsche,
tern, ohne es zu entscheiden, als zu
Menschliches II
entscheiden, ohne es erörtert zu ha¬
ben.
Die Sehnsucht läßt alle Dinge blü¬
Joseph Joubert
hen, der Besitz zieht alle Dinge in
den Staub.
Marcel Proust
Ein volles Herz kann die Worte
nicht wägen.
Das Privateigentum wurde erfun¬ Gotthold Ephraim Lessing,
den, um die Unterordnung unter Minna von Bamhelm
das Gesetz etwas schmackhafter zu
machen. Der Geist der Mäßigung muß der
Bertrand Russell, Moral Geist des Gesetzgebers sein.
Montesquieu, Geist der Gesetze
*Wer besitzt, der lerne verlieren.
Schiller, Braut von Messina

-Besserung
Besitzender ist jeder, der abends
beim Zubettgehen etwas für den Wer sich gar zu leicht bereit findet,
nächsten Tag übrigbehalten hat. seine Fehler einzusehen, ist selten
Albert Schweitzer der Besserung fähig.
Marie von Ebner-Eschenbach
Aller Besitz ist vom Schicksal ge¬
borgt. Umändern kann sich niemand,
Seneca [um 4 v. Chr.-65 n. Chr.]; bessern jeder.
röm. Dichter und Philosoph Ernst von Feuchtersleben

558
Teil II Bewunderung

Wer einen Menschen bessern will, Die Menschen sind so einfältig


muß ihn erst einmal respektieren. und hängen so sehr vom Eindrücke
Romano Guardini [1885-1968]; des Augenblickes ab, daß einer,
dt. kath. Religionsphilosoph und der sie täuschen will, stets jeman¬
Theologe ital. Herkunft den findet, der sich täuschen läßt.
Niccolö Machiavelli
Der Mensch, der es unternimmt, [1469-1527]; ital. Politiker,
andere zu bessern, verschwendet Schriftsteller und
seine Zeit, wenn er nicht bei sich Geschichtsschreiber
selbst beginnt.
Ignatius von Loyola
[1491-1556]; span. Ordensstifter _Bewährung

* Doch der Mensch hofft immer Je schlimmer seine Lage ist, desto
Verbesserung. besser zeigt sich der gute Mensch.
Schiller, Hoffnung Bertolt Brecht, Der gute
Mensch
Die Leute zu kränken ist leicht, sie
zu bessern schwer, wo nicht un¬ * Die Mühen der Gebirge liegen
möglich. hinter uns. Vor uns liegen die Mü¬
Arthur Schopenhauer hen der Ebenen.
Bertolt Brecht, Wahrnehmung

* Nur der verdient sich Freiheit wie


_Beten
das Leben, der täglich sie erobern
Das Gebet ist der Schlüssel für den muß.
Morgen und der Türriegel für den Goethe, Faust II
Abend.
Mahatma Gandhi * Es wächst der Mensch mit seinen
großem Zwecken.
Beten können heißt zuerst danken Schiller, Wallensteins Lager
können.
Albert Schweitzer
_Bewunderung
Sage mir, zu wem du betest, wenn
Bewunderung ist glückliche Selbst¬
es dir gut geht, und ich will dir sa¬
verlorenheit, Neid unglückliche
gen, wie fromm du bist.
Selbstbehauptung.
Kurt Tucholsky
Sören Kierkegaard
Erbitte Gottes Segen für deine Ar¬
Einem bei Lebzeiten ein Monu¬
beit, aber verlange nicht auch
ment setzen, heißt die Erklärung
noch, daß er sie tut.
ablegen, daß hinsichtlich seiner
Karl Heinrich Waggerl
der Nachwelt nicht zu trauen sei.
Arthur Schopenhauer

_Betrug Es ist immer bezeichnend, was ei¬


Man wird nie betrogen, man be¬ ner bewundert: das, was er kann,
trügt sich selbst. oder das, was er nicht kann.
Goethe, Wilhelm Meisters Heinrich Seidel [1842-1906];
Wanderjahre dt. Schriftsteller

559
Bezahlung Teil II

_Bezahlung Kultur einer Stadt und überhaupt


den Geist ihres herrschenden Ge¬
Gehalt erhalten heißt gehalten
schmacks schneller und doch zu¬
werden.
gleich richtiger kennenlernen, als -
Bert Berkensträter
in den Lesebibliotheken.
Wenn man von den Leuten Pflich¬ Heinrich von Kleist [1777-1811];
ten fordert und ihnen keine Rechte dt. Dramatiker und Erzähler
zugestehen will, muß man sie gut
bezahlen. Die Unsterblichkeit der Literatu¬
Goethe, Maximen und ren ist abstrakt und heißt Biblio¬
Reflexionen thek.
Octavio Paz, Essays II

_Beziehungen

Zu guten Beziehungen gelangt man __ Bild


am schnellsten, wenn man den Ein¬ Das Bild ist der Leib des Wahren,
druck erweckt, sie zu besitzen. der die Wahrheit enthält und ver¬
Sigmund Graff hüllt.
Erhärt Kästner
Es ist häufig nützlicher, viele zu
kennen, als viel zu wissen.
Das Bild ist ein Modell der Wirk¬
Robert Lembke
lichkeit.
In jeder Beziehung sind heute Be¬ Ludwig Wittgenstein
ziehungen und Beziehungen zu Be¬ [1889-1951]; österr. Philosoph
ziehungen die wichtigsten Bezugs¬
punkte unseres Lebens.
Gerd Uhlenbruck _Bildung

Es ist ein Beweis hoher Bildung,


_Bibel die größten Dinge auf die einfach¬
ste Art zu sagen.
Das gefährlichste aller Bücher in Ralph Waldo Emerson
weltgeschichtlicher Hinsicht, wenn [1803-1882]; amerik. Philosoph
durchaus einmal von Gefährlich¬ und Schriftsteller
keit die Rede sein sollte, ist doch
wohl unstreitig die Bibel, weil wohl Die beste Bildung findet ein ge¬
leicht kein anderes Buch so viel scheiter Mensch auf Reisen.
Gutes und Böses im Menschenge¬ Goethe, Wilhelm Meisters
schlecht zur Entwicklung gebracht Lehrjahre
hat.
Goethe, zu Johann Daniel Falk Gebildet ist, wer Parallelen zu se¬
hen vermag. Dummköpfe sehen
Die Schrift hat Stellen genug, um
immer wieder etwas ganz Neues.
alle Stände zu trösten und alle
Sigmund Graff
Stände zu erschrecken.
Blaise Pascal
Der Ungebildete sieht überall nur
einzelnes, der Halbgebildete die
_Bibliothek Regel, der Gebildete die Ausnah¬
me.
Nirgends kann man den Grad der Franz Grillparzer

560
Teil II Biographie

Bildung ist ein durchaus relativer Die Schulbildung sollte nicht nach
Begriff. Gebildet ist jeder, der das einer passiven Kenntnisnahme to¬
hat, was er für seinen Lebenskreis ter Ereignisse streben, sondern
braucht. Was darüber, das ist vom nach einer Aktivität, gerichtet auf
Übel. die Welt, die unsre Bemühungen
Friedrich Hebbel schaffen sollen.
Bertrand Russell, Schriften
Der Mensch ist, was er als Mensch
sein soll, erst durch Bildung. Vermöge seiner Bildung sagt der
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Mensch nicht, was er denkt, son¬
[1770-1831]; dt. Philosoph dern was andere gedacht haben
und was er gelernt hat.
So ein bißchen Bildung ziert den Arthur Schopenhauer
ganzen Menschen.
Heinrich Heine, Reisebilder Bildung ist etwas Wunderbares.
Doch sollte man sich von Zeit zu
Bildung kommt von Bildschirm Zeit daran erinnern, daß wirklich
Wissenswertes nicht gelehrt wer¬
und nicht von Buch, sonst hieße es
den kann.
ja Buchung.
Oscar Wilde
Dieter Hildebrandt [* 1927];
dt. Kabarettist

Es gibt nur eins, was auf Dauer _Bildungschance


teurer ist als Bildung: keine Bil¬
Ohne Gleichheit der Bildungs¬
dung.
chancen ist die soziale Rolle des
John F. Kennedy [1917-1963];
Staatsbürgers nicht durchgesetzt.
amerik. Politiker
Ralf Dahrendorf

Bildung ist nicht Wissen, sondern Der isolierte Mensch vermag sich
Interesse am Wissen. ebensowenig zu bilden als der
Hans Margolius in seiner Freiheit gewaltsam ge¬
hemmte.
* Bildung macht frei. Wilhelm von Humboldt,
Joseph Meyer [1796-1856]; an Förster
dt. Verlagsbuchhändler

Nichts macht durchschnittlicher


_Biographie
als eine gute Allgemeinbildung.
Werner Mitsch Ein gut beschriebenes Leben ist
beinahe so selten wie ein gut geleb¬
Jede Stufe der Bildung fängt mit tes.
Kindheit an. Daher ist der am mei¬ Thomas Carlyle
sten gebildete, irdische Mensch
dem Kinde so ähnlich. Man wird nicht müde, Biographien
Novalis, Blütenstaub zu lesen so wenig als Reisebe¬
schreibungen: denn man lebt mit
Erst durch lesen lernt man, wieviel Lebendigen.
man ungelesen lassen kann. Goethe, Aus meinem Leben.
Wilhelm Raabe Paralipomena

561
Blut Teil II

_Blut Die Liebe ist ein Wunder, das im¬


mer wieder möglich, das Böse eine
* Blut ist ein ganz besonderer Saft.
Tatsache, die immer vorhanden ist.
Goethe, Faust I
Friedrich Dürrenmatt

* Blut ist dicker als Wasser. [1921-1990]; Schweiz. Dramatiker


Durch Wilhelm II., dt. Kaiser von
1888-1918, bekannt geworden Das Böse wird am unauffälligsten
und häufigsten durch die Sanftmü¬
tigen gefördert, die sich dagegen
_Bombe blind und taub stellen.
Sigmund Graff
Wer auf Bomben vertraut, dessen
Vertrauen zu Menschen wird
Es gibt Leute, denen man nichts
schwinden.
Böses zutraut, wenn man es nicht
Franz Alt
erlebt hat; aber es gibt niemanden,
bei dem es uns überraschen sollte,
_Borgen wenn er Böses tut.
Francois de La Rochefoucauld
Wenn du den Wert des Geldes ken¬
nenlernen willst, versuche, dir wel¬ Das Böse hat wirklich keine andere
ches zu borgen! Macht als die Ohnmacht des Gu¬
Benjamin Franklin, Reichtum ten.
Gertrud von Le Fort

_Borniertheit
Niemals tut man so vollständig
t Beschränktheit, Dummheit und so gut das Böse, als wenn man
es mit gutem Gewissen tut.
Blaise Pascal
_Börse

An der Börse finden wir immer die * Das eben ist der Fluch der bösen
erste Generation einer sich Reich¬ Tat, daß sie, fortzeugend, immer
tum verschaffenden Familie. Die Böses muß gebären.
zweite genießt ihn, und die dritte Schiller, Piccolomini
Generation verliert oder verplem¬
pert ihn wieder. Das Böse ist das Fehlen des Guten.
Andre Kostolany Leo Tolstoi [1828-1910];
russ. Schriftsteller

_Das Böse Wer nichts Böses tut, hat damit


Die schönste List des Teufels ist es, noch nichts Gutes getan.
Karl Heinrich Waggerl
uns zu überzeugen, daß es ihn
nicht gibt.
Charles Baudelaire [1821-1867];
franz. Dichter
-Bosheit
* Das Gute - dieser Satz steht Man muß in den Dreck hineinge¬
fest - ist stets das Böse, was man schlagen haben, um zu wissen, wie
läßt. weit er spritzt.
Wilhelm Busch, Helene Wilhelm Raabe

562
Teil II Buch

Die Bosheit wird durch Tat erst aus lerne, sondern damit man wis¬
ganz gestaltet. se, daß der Verfasser etwas gewußt
Shakespeare, Othello hat.
Goethe, Maximen und
Reflexionen
_Brauchtum
Ein Buch will seine Zeit. Alle
(auch t Tradition)
schnell in wenigen Wochen ge¬
schriebenen Bücher erregen bei
Das sicherste Zeichen dafür, daß
mir ein gewisses Vorurteil gegen
mit einem Volksgebrauch etwas
den Verfasser.
nicht in Ordnung ist, sind Lehrer¬
Heinrich Heine, Gedanken
und Pfarrervereinigungen zu seiner
Konservierung.
Dort, wo man Bücher verbrennt,
Kurt Tucholsky
verbrennt man am Ende auch
Menschen.
Heinrich Heine, Almansor
_Brief

Wie kann man nur auf den Gedan¬ Warum soll man sich nicht mit Bü¬
chern unterhalten? Sie sind oft
ken kommen, daß Menschen durch
Briefe miteinander verkehren kön¬ ebenso klug wie Menschen und oft
ebenso spaßhaft, und sie drängen
nen! Man kann an einen fernen
sich weniger auf.
Menschen denken, und man kann
Hermann Hesse
einen nahen Menschen fassen,
alles andere geht über Menschen¬
Jedes gute Buch schreibt sich von
kraft.
selbst, man darf es nur nicht dabei
Franz Kafka, Briefe an Milena
stören.
Patricia Highsmith [* 1921];
Briefe sind Stimmungskinder.
Christian Morgenstern
amerik. Schriftstellerin

Ein Buch muß die Axt sein für das


gefrorene Meer in uns.
__ Buch
Franz Kafka
Ein Buch ist wie ein Garten, den
man in der Tasche trägt. Das Buch, das in der Welt am er¬
Arabisches Sprichwort sten verboten zu werden verdiente,
wäre ein Katalogus von verbotenen
Hungriger, greif nach dem Buch: Büchern.
Es ist eine Waffe. Georg Christoph Lichtenberg
Bertolt Brecht, Die Mutter
Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein
Bücher haben Ehrgefühl. Wenn Affe hineinsieht, so kann kein
man sie verleiht, kommen sie nicht Apostel herausgucken.
mehr zurück. Georg Christoph Lichtenberg
Theodor Fontane [1819-1898];
dt. Schriftsteller Wenn ein Kopf und ein Buch Zu¬
sammenstößen und es klingt hohl,
Gewisse Bücher scheinen geschrie¬ ist das allemal im Buch?
ben zu sein, nicht damit man dar¬ Georg Christoph Lichtenberg

563
Buchdruck Teil II

Der Mensch begreift Bücher erst, das zu tun, wofür wir sie brauchen.
wenn ihm ein gewisses Maß an Le¬ Ralf Dahrendorf
ben zuteil wurde.
Ezra Pound Das Formular ist, neben dem
Schalter, das wirksamste Mittel,
Die Bekanntschaft mit einem einzi¬ dem Bürger Respekt abzunötigen.
gen guten Buch kann ein Leben än¬ Werner Finck
dern.
Marcel Prevost [1862-1941];
franz. Schriftsteller

Ein Buch ist für mich eine Art


Schaufel, mit der ich mich umgra¬
be.
Martin Walser [* 1927];
dt. Schriftsteller

Einst war die Seltenheit der Bücher


c
den Fortschritten der Wissenschaft
_Chance
nachteilig. Jetzt ist es deren Über¬
zahl, die verwirrt und eigenes Den¬ Das „Zu spät“ ist die große Toten¬
ken verhindert. glocke der Geschichte.
Karl Julius Weber Rudolf Augstein [* 1923];
dt. Publizist
So etwas wie moralische oder un¬
moralische Bücher gibt es nicht. * Doch der den Augenblick er¬
Bücher sind gut oder schlecht ge¬ greift, das ist der rechte Mann.
schrieben. Weiter nichts. Goethe, Faust I
Oscar Wilde
* Wer zu spät kommt, den bestraft
das Leben.
_Buchdruck Michail Gorbatschow [* 1931];
Mehr als das Gold hat das Blei in Sowjet. Politiker
der Welt verändert. Und mehr als
das Blei in der Flinte das im Setz¬ An einem offenen Paradiesgärt¬
kasten. chen geht der Mensch gleichgültig
Georg Christoph Lichtenberg vorbei und wird erst traurig, wenn
es verschlossen ist.
Gottfried Keller [1819-1890];
-Bürgerrecht Schweiz. Schriftsteller
Bürgerrechte sind Teilnahmechan¬
*Was man von der Minute ausge¬
cen.
schlagen, gibt keine Ewigkeit zu¬
Ralf Dahrendorf
rück.
Schiller, Resignation

-Bürokratie
Bereit sein ist viel, warten können
Wir brauchen Bürokratien, um un¬ ist mehr, doch erst den rechten
sere Probleme zu lösen. Aber wenn Augenblick nützen ist alles.
wir sie erst haben, hindern sie uns, Arthur Schnitzler

564
Teil II Chef

_Charakter zen, nur wenige sind Prägestöcke.


Wilhelm Raabe
(auch T Persönlichkeit)

Eine Kleinigkeit verrät oft mehr Stärke des Charakters ist oft nichts
von dem Charakter eines Men¬ anderes als eine Schwäche des Ge¬
schen als eine große Tat. fühls.
Friedl Beutelrock Arthur Schnitzler

* Bäume sterben aufrecht. Charakter ist in der moralischen


Alejandro Casona Welt, was in der physischen das
[1903-1965]; span. Dramatiker Knochengebäude.
(Titel einer Komödie) Karl Julius Weber

Durch nichts bezeichnen die Men¬


schen mehr ihren Charakter als _- Charme
durch das, was sie lächerlich fin¬
den. Charme - das ist die Eigenschaft
Goethe, Wahlverwandtschaften II bei anderen, die uns zufriedener
mit uns selbst macht.
Auf der Rückseite unserer positi¬ Henri Frederic Amiel
ven Eigenschaften klebt ein Preis¬ [1821-1881]; Schweiz. Schrift¬
zettelchen. Darauf steht, mit wel¬ steller
chen negativen wir sie bezahlt ha¬
ben. Charme; die Art, wie ein Mensch
Sigmund Graff „ja“ sagt, ohne daß ihm eine be¬
stimmte Frage gestellt worden war.
„Vor seinem Tode“, sagt Solon, Albert Camus [ 1913 -1960];
„ist niemand glücklich zu schät¬ franz. Schriftsteller
zen.“ Wir dürfen auch sagen: Vor
seinem Tode ist niemand als Cha¬ Die Schönheit hat etwas Statisches.
rakter zu preisen. Der Charme leuchtet am ein¬
Heinrich Heine, Gedanken drucksvollsten in der flüchtigen
Bewegung auf.
Ein Talent können wir nach einer Sigmund Graff
einzigen Manifestation anerken¬
nen. Für die Anerkennung eines Charme ist der „unsichtbare“ Teil
Charakters bedürfen wir eines lan¬ der Schönheit, ohne den niemand
gen Zeitraumes. wirklich schön sein kann.
Heinrich Heine, Gedanken Sophia Loren [* 1934];
ital. Schauspielerin
Charaktere sind unzerbrechlich -
aber dehnbar.
Stanislaw Jerzy Lec
_Chauvinismus

Es gibt Leute, die als charaktervoll t Nationalismus


gelten, nur weil sie zu bequem sind,
ihre Ansichten zu ändern.
Robert Lembke
_Chef

Die meisten Menschen sind Mün¬ t Vorgesetzter

565
Christentum Teil II

_Christentum einander zu lieben, erregte er eine


solche Empörung, daß die Menge
Das Schönste am Christentum ist
schrie: „Kreuzige ihn!“ Von jeher
es aber, daß der steilsten Sehnsucht
sind die Christen eher der Masse
der Prüfstein beigesellt wird: im
gefolgt als dem Stifter ihrer Reli¬
Geringen das Hohe zu finden.
gion.
Hans Urs von Balthasar
Bertrand Russell, Moral

Der große Einwand, der gegen die


Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil
christliche Religion erhoben wer¬
er die Kirche besucht, irrt sich.
den kann, ist der, daß sie die Star¬
Man wird ja auch kein Auto, wenn
ken den Schwachen opfert. Wie
man in eine Garage geht.
sollte man aber nicht damit einver¬
Albert Schweitzer
standen sein, daß die Stärke be¬
nützt wird, um den Schwachen zu
Es ziemt dem Christen, der kom¬
helfen?
promißlos an der Vervollkomm¬
Andre Gide, Tagebuch
nung seines Christentums arbeitet,
in keiner Weise, sich der Pflicht
Das Christentum ist die Religion
zum Widerstand gegen das Übel zu
der tiefsten Beunruhigung.
entziehen.
Gerhart Hauptmann
Pierre Teilhard De Chardin
Christentum ist nicht Kultur, aber [1881-1955]; franz. Paläontologe,
Christentum ohne Kultur ist un¬ Anthropologe und Philosoph
denkbar.
Hans Egon Holthusen,
Das Christentum ist eine gewaltige
Verstehen Macht. Daß zum Beispiel prote¬
stantische Missionare aus Asien
Es sind nicht die Gottlosen, es sind unbekehrt wieder nach Hause
die Frommen seiner Zeit gewesen, kommen das ist eine große Lei¬
die Christus ans Kreuz schlugen. stung.
Gertrud von Le Fort Kurt Tucholsky

Was wäre aus dem Christentum als


Religion der Liebe geworden - wir _Clown
wissen es nicht. Es ist in institutio¬
Jeder Mensch ist ein Clown, aber
nalisierter Form als die Religion
nur wenige haben den Mut, es zu
des Schwertes und des Hasses alt
zeigen.
geworden.
Charlie Rivel [1896-1983];
Alexander Mitscherlich
span. Akrobat und Clown
Die Christen lieben ihre Nächsten
nicht. Und sie lieben sie nicht, weil
_Computer
sie an den anderen nie wirklich ge¬
glaubt haben. Die Geschichte lehrt Das Unsympathische an Compu¬
uns, daß sie ihn, wo sie ihm begeg¬ tern ist, daß sie nur ja oder nein sa¬
net sind, bekehrt oder vernichtet gen können, aber nicht vielleicht.
haben. Brigitte Bardot [* 1934];
Octavio Paz, Essays I franz. Filmschauspielerin

Als Christus die Menschen lehrte, Eines Tages werden Maschinen

566
Teil II Dementi

vielleicht denken können, aber sie Der Wechsel allein ist das Bestän¬
werden niemals Phantasie haben. dige.
Theodor Heuss [1884-1963]; Arthur Schopenhauer
dt. Politiker

Der Computer ist ein Rechner, _Definition


kein Denker.
Die meisten Definitionen sind
Werner Mitsch
Konfessionen.
Ludwig Marcuse
Der Computer ist die logische Wei¬
terentwicklung des Menschen: In¬ Den Inhalt eines Begriffes allge¬
telligenz ohne Moral.
meingültig definieren, also endgül¬
John Osborne [* 1929];
tig festlegen zu wollen, ist an sich
engl. Dramatiker schon wahrheitswidrig.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft

_Demagoge

Das Geheimnis des Agitators ist,


sich so dumm zu machen, wie seine

D Zuhörer sind, damit sie glauben,


sie seien so gescheit wie er.
Karl Kraus

_Dank, Dankbarkeit Demagogen sind Leute, die in den


Wind sprechen, den sie selbst ge¬
Wir sind für nichts so dankbar wie
macht haben.
für Dankbarkeit.
Helmut Qualtinger [1928-1986];
Marie von Ebner-Eschenbach
österr. Schriftsteller, Kabarettist
und Schauspieler
Dankbarkeit ist eine gar wunderli¬
che Pflanze; sobald man ihr
Wachstum erzwingen will, verdorrt _Demagogie
sie.
Jeremias Gotthelf [1797-1854]; Demagogie ist die Fähigkeit, Mas¬
Schweiz. Erzähler sen in Bewegung zu schieben, und
die Unfähigkeit, sie wieder zu
Dankbarkeit ist bei den meisten bremsen.
nichts als ein geheimes Verlangen, Wolfgang Herbst
noch größere Wohltaten zu emp¬
fangen.
Francois de La Rochefoucauld _Dementi

Unter einem Dementi versteht man


in der Diplomatie die verneinende
Bestätigung einer Nachricht, die
_Dauer
bisher lediglich ein Gerücht gewe¬
Nichts ist dauernd als der Wechsel. sen ist.
Ludwig Börne, Denkrede auf John B. Priestley [1894-1984];
Jean Paul engl. Schriftsteller

567
Demokratie Teil II

_Demokratie Jede demokratische Gesellschaft,


die ihre Konflikte nicht austrägt,
So, wie die Freiheit eine Vorausset¬
sondern durch Verbotserlasse kon¬
zung für die Demokratie ist, so
serviert, hört auf, demokratisch zu
schafft mehr Demokratie erst den
sein, bevor sie beginnt, Demokratie
Raum, in dem Freiheit praktiziert
zu begreifen.
werden kann.
Günter Grass [* 1927];
Willy Brandt, Briefe
dt. Schriftsteller
Die Demokratie ist keine Frage der
Demokratie: Herrschaft des Vol¬
Zweckmäßigkeit, sondern der Sitt¬
kes, das den von Minderheiten be¬
lichkeit.
stimmten Mehrheitsentscheidun¬
Willy Brandt, Erinnerungen
gen gehorcht.
Den zwangsläufigen und den gera¬ Rolf Haller
den Weg zu rationalem Handeln
und humanem Fortschritt gibt es Demokratie heißt; die Spielregeln
nicht. Ihm nahezukommen bleibt einhalten, auch wenn kein Schieds¬
die der Demokratie innewohnende richter zusieht.
Möglichkeit. Manfred Hausmann [1898-1986];
Willy Brandt, Erinnerungen dt. Schriftsteller

Demokratie ist die Verzweiflung Ohne Unterschied macht Gleich¬


darüber, daß es keine Helden gibt, heit keinen Spaß.
die dich regieren; und Befriedigt¬ Dieter Hildebrandt [* 1927];
sein darüber, daß man sich mit dt. Kabarettist
ihrem Fehlen abfinden muß.
Thomas Carlyle Die Demokratie setzt die Vernunft
im Volk voraus, die sie erst hervor¬
Eine Schule wird nicht dadurch de¬ bringen muß!
mokratisch, daß sie der politischen Karl Jaspers
Erziehung zwölf oder gar vierund¬
zwanzig Wochenstunden widmet. Eine ernsthafte Schwäche der De¬
Ralf Dahrendorf mokratie ist, daß sie sich ziemlich
danach richten muß, was der Bür¬
Demokratie ist die Kunst, dem ger denkt, ehe die Gewißheit be¬
Volk im Namen des Volkes feier¬ steht, ob er es überhaupt tut.
lich das Fell über die Ohren zu Hans Kasper, Revolutionäre
ziehn.
Karlheinz Deschner Demokratie ist im Grunde die An¬
erkennung, daß wir, sozial genom¬
Die Demokratie ... muß dem men, alle füreinander verantwort¬
Schwächsten die gleichen Chancen lich sind.
zusichern wie dem Stärksten. Heinrich Mann [1871-1950];
Mahatma Gandhi dt. Schriftsteller

Die Gefahr der Demokratie sind Demokratie, das bedeutet Herr¬


weniger die Ordnungsstörer als al¬ schaft der Politik; Politik, das be¬
le, die die Ordnungsliebe übertrei¬ deutet ein Minimum von Sachlich¬
ben. keit.
Sigmund Graff Thomas Mann

568
Teil II Denken

Demokratie beruht auf drei Prinzi¬ das garantiert, daß wir nicht besser
pien: auf der Freiheit des Gewis¬ regiert werden als wir es verdienen.
sens, auf der Freiheit der Rede und George Bernard Shaw
auf der Klugheit, keine der beiden
in Anspruch zu nehmen. Demokratie ist nichts als das Nie¬
Mark Twain derknüppeln des Volkes durch das
Volk für das Volk.
Wenn Freiheit und Demokratie Oscar Wilde
auch keine äquivalenten Begriffe
sind, so sind sie doch komplemen¬
tär: Ohne Freiheit ist die Demokra¬ _Demut
tie Despotie, ohne Demokratie ist Demut ist schließlich nichts als
die Freiheit eine Schimäre. Einsicht.
Octavio Paz, Essays II Hermann Bahr [1863-1934];
österr. Schriftsteller
Demokratie ist gewiß ein preisens-
wertes Gut, Rechtsstaat ist aber Demut ist Unverwundbarkeit.
wie das tägliche Brot, wie Wasser Marie von Ebner-Eschenbach
zum Trinken und wie Luft zum At¬
men, und das Beste an der Demo¬ Gewaltlosigkeit ist unmöglich oh¬
kratie gerade dieses, daß nur sie ne Demut.
geeignet ist, den Rechtsstaat zu Mahatma Gandhi
sichern.
Gustav Radbruch
Es gibt eine besonders unsympa¬
thische Art von Hochmut; sie heißt
Demut.
Demokratie ist Volksherrschaft
Hans Krailsheimer
nur in den Händen eines politi¬
schen Volkes, in den Händen eines
Demut soll nie etwas anderes sein
unerzogenen und unpolitischen
als die Verneinung von Hochmut.
Volkes ist sie Vereinsmeierei und
Sonst wird sie Kleinmut.
kleinbürgerlicher Stammtisch¬
Ludwig Marcuse
kram.
Walther Rathenau
_ Denken
Wenn die Demokratie arbeitsfähig
(auch t Nachdenken)
sein soll, muß die Bevölkerung
soweit wie möglich frei von Haß
Überlegende Arbeit trieb erst den
und Zerstörungslust und ebenso
Menschenstamm geschichtlich
von Furcht und Unterwürfigkeit
hoch, ließ ihn das Nötige sich pro¬
sein.
bend zurechtlegen; Not lehrte zu¬
Bertrand Russell, Schriften
erst das Denken.
Ernst Bloch
Die Verdienste der Demokratie
sind negativer Natur: Sie sichert Das Denken gehört zu den größten
keine gute Regierung, sondern ver¬ Vergnügungen der menschlichen
hindert bestimmte Übel. Rasse.
Bertrand Russell, Schriften Bertolt Brecht, Galilei

Die Demokratie ist ein Verfahren, Das Denken ist ein Laster, das man

569
Denken Teil II

schwerlich mit administrativen Das logische Denken ist das Mu¬


Mitteln heilen kann. ster einer vollständigen Fiktion.
Wieslaw Brudzinski Friedrich Nietzsche,
Nachlaß
Es liegt in der menschlichen Natur,
vernünftig zu denken und unver¬ Offenbar ist der Mensch zum Den¬
nünftig zu handeln. ken bestimmt - das ist seine Würde
Anatole France [1844-1924]; und Größe, seine Pflicht aber ist es,
franz. Schriftsteller richtig zu denken.
Blaise Pascal
Es gibt keinen schlimmeren Feind
des Denkens als den Dämon der Denken heißt vergleichen.
Analogie. Walther Rathenau
Andre Gide, Tagebuch
Der Mensch beginnt nicht leicht zu
Man muß nicht denken, damit denken. Sobald er aber erst einmal
etwas dabei herauskommt. Es ge¬ den Anfang damit gemacht hat,
nügt, wenn etwas drinnen bleibt. hört er nicht mehr auf.
Oliver Hassencamp Jean-Jacques Rousseau, Emile

Denken ist die Arbeit des Intel¬ Die Menschen fürchten das Den¬
lekts, Träumen sein Vergnügen. ken wie nichts anderes in der Welt.
Victor Hugo [1802-1885]; Denken ist umstürzlerisch und
franz. Schriftsteller revolutionär, zerstörend und er¬
schreckend, erbarmungslos gegen
Wer nur denkt, was er weiß, der Privilegien, festgesetzte Institutio¬
denkt noch gar nicht. nen und bequeme Gebräuche.
Friedrich Georg Jünger Bertrand Russell, Schriften

Denken ist reden mit sich selbst. Das Denken ist groß, kühn und
Immanuel Kant frei, das Licht der Welt und der
höchste Ruhm des Menschen.
Stellt einer die Behauptung auf, die Bertrand Russell, Schriften
Erde sei ein Würfel, so denkt er oh¬
ne Zweifel unabhängig. Allerdings Man muß denken wie die wenig¬
auch falsch. sten und reden wie die meisten.
Hans Kasper, Abel Arthur Schopenhauer

Jeder neue Gedanke ist ein Wider¬ Verzicht auf Denken ist geistige
spruch. Denken heißt widerspre¬ Bankrotterklärung.
chen können. Albert Schweitzer
Hans Lohberger
* An sich ist nichts weder gut noch
Es gibt keinen Boden, auf dem böse, das Denken macht es erst da¬
Theorie und Praxis, Denken und zu.
Handeln Zusammenkommen. Shakespeare, Hamlet
Herbert Marcuse
Innerhalb eines von Mechanismus
Denken ist eine Anstrengung, und Zufall beherrschten Kosmos
Glauben ein Komfort. hat das Denken, dieses furchtbare
Ludwig Marcuse Phänomen, welches die Erde von

570
Teil II Dichten

Grund auf verändert hat und sich Mann nicht das gleiche sind. Die¬
mit dem Weltall mißt, immer den sen Satz übersetzen.
Charakter einer unerklärlichen Wolfgang Hildesheimer
Anomalie. [1916-1991]; dt. Schriftsteller
Pierre Teilhard De Chardin
[1881-1955]; franz. Paläontologe,
Anthropologe und Philosoph _Deutschland
Es gibt auch eine Befriedigung, die Deutsch sein, das heißt sein Den¬
sich im Kopf abspielt: Denken. ken und Leben sich selbst schwer
Gabriele Wohmann [* 1932]; machen; sein Denken durchs Le¬
dt. Schriftstellerin ben und sein Leben durchs Den¬
ken.
Hans Lohberger
_Denkmal
Gutmütig und tückisch - ein sol¬
Sie steinigten ihn mit einem Denk¬
ches Nebeneinander, widersinnig
mal.
in bezug auf jedes andere Volk,
Stanislaw Jerzy Lec
rechtfertigt sich leider zu oft in
Viele Denkmäler sind steingewor¬ Deutschland: Man lebe nur eine
dene Geschichtsfälschungen. Zeitlang unter Schwaben!
Werner Mitsch Friedrich Nietzsche, Jenseits

Was nützen Denkmäler des unbe¬ Die deutsche Geschichte hat noch
kannten Soldaten den Gefallenen? nie den Deutschen allein gehört.
Erst muß der Mensch leben, dann Mehr als andere haben wir erfah¬
kann seine Ehre geschützt werden! ren, daß Geschichte Wandel ist.
Carl von Ossietzky Richard von Weizsäcker

Einem bei Lebzeiten ein Monu¬


ment setzen, heißt die Erklärung _Dialektik
ablegen, daß hinsichtlich seiner Dialektik ist die Kunst (oder der
der Nachwelt nicht zu trauen sei. Trick), zu zwei Seiten das Ding zu
Arthur Schopenhauer erdenken, das sie hat.
Hans Kudszus
_Deutsch (das)
In der Natur ist alles mit allem ver¬
* Im Deutschen lügt man, wenn bunden; alles durchkreuzt sich,
man höflich ist. alles wechselt mit allem, alles ver¬
Goethe, Faust II ändert sich eines in das andere.
Gotthold Ephraim Lessing,
Die deutsche Sprache ist an sich Hamburgische Dramaturgie
reich, aber in der deutschen Kon¬
versation gebrauchen wir nur den
zehnten Teil dieses Reichtums; _Dichten
faktisch sind wir also spracharm.
Heinrich Heine, Gedanken Dichten bedeutet: Nichts mit Si¬
cherheit wissen - und alles wissen
Deutsch ist schon deshalb eine gu¬ wollen!
te Sprache, weil in ihr Mensch und Martin Andersen-Nexo

571
Dichter Teil II

Stückeschreiben ist wie Schach: ben, und sowie er dieses tut, ist er
Bei der Eröffnung ist man frei; als Poet verloren.
dann bekommt die Partie ihre eige¬ Goethe, zu Eckermann
ne Logik.
Friedrich Dürrenmatt Die einzige Ehrung, die die Welt
[1921-1990]; dem Dichter erweist, besteht darin,
Schweiz. Dramatiker daß seine Armut nicht als beschä¬
mend gilt.
Dichten heißt: Abspiegeln der Sigmund Graff
Welt auf individuellem Grunde.
Friedrich Hebbel
Ein Journalist wird man um so
leichter, je leichter man schreibt,
Dichten ist ein Brückenschlägen
ein Dichter, je schwerer man
von dem, der schreibt, zu dem, der
schreibt.
liest.
Sigmund Graff
Hermann Kasack [1896-1966];
dt. Schriftsteller
Das Amt des Dichters ist nicht das
Dichten ist keine Tätigkeit, son¬ Zeigen der Wege, sondern vor al¬
dern ein Zustand. lem das Wecken der Sehnsucht.
Robert Musil Hermann Hesse

Im Grunde ist das Dichten eine im¬ * Was bleibet aber, stiften die
mer offene Wunde, wodurch die Dichter.
richtige Gesundheit des Körpers Friedrich Hölderlin, Andenken
den Eiter ausstößt.
Cesare Pavese Der Dichter ist das Sprachrohr der
Ratlosigkeit seiner Zeit.
Marie Luise Kaschnitz
_Dichter [1901 -1974]; dt. Schriftstellerin

Der Dichter ist das Auge der


Unsere besten intuitiven Diagno¬
Menschheit bei der Betrachtung
stiker - die Dichter - haben immer
des Kleinen.
wieder darauf hingewiesen, daß
Martin Andersen-Nexb
der Mensch geisteskrank ist und es
von jeher war, doch Anthropolo¬
Das Wort des Lyrikers vertritt kei¬
ne Idee, vertritt keinen Gedanken gen, Psychiater und Evolutionsfor¬
und kein Ideal, es ist Existenz an scher nehmen Dichter nicht ernst
sich, Ausdruck, Miene, Hauch. und ignorieren weiterhin die Indi¬
Gottfried Benn, Marginalien
zien, die ihnen ins Gesicht starren.
Arthur Koestler, Mensch

* Der Dichter steht auf einer ho¬


hem Warte als auf den Zinnen der Die meisten Poeten kommen erst
Partei. nach ihrem Tode zur Welt.
Ferdinand Freiligrath Georg Christoph Lichtenberg
[1810-1876]; dt. Schriftsteller
Wer ist ein Dichter? Der, dessen
Sowie ein Dichter politisch wirken Leben symbolisch ist.
will, muß er sich einer Partei hinge¬ Thomas Mann

572
Teil II Dichtung

Vielleicht hält Gott sich einige -Dichtung


Dichter (ich sage mit Bedacht:
(auch t Poesie)
Dichter!), damit das Reden von
ihm jene heilige Unberechenbar¬
Die Dichtung bessert nicht, aber
keit bewahre, die den Priestern und
sie tut etwas viel Entscheidende¬
Theologen abhanden gekommen
res: sie verändert.
ist.
Gottfried Benn, Dichtung
Kurt Marti

Das eigentliche Ergebnis aller


Ein Dichter muß 77mal als Mensch
Dichtung: daß keine Zeit existiert.
gestorben sein, ehe er als Dichter
Günter Eich
etwas wert ist.
Christian Morgenstern
Die Dichtung schafft einen magi¬
Viel von sich selbst zu reden gilt als schen Raum, in dem das sonst Un¬
dumm. Dieses Verbot wird von der vereinbare vereinbar, das sonst
Menschheit auf eigentümliche Unmögliche wirklich wird.
Hermann Hesse
Weise umgangen: durch den Dich¬
ter!
Dichtung ist immer nur eine Expe¬
Robert Musil
dition nach der Wahrheit.
Natürlich wird der Beruf des Dich¬ Franz Kafka [1883-1924];
ters mißbraucht. Es treten so viele österr. Schriftsteller
neue Dichter und Nachwuchsdich¬
terinnen auf den Plan, daß wir bald Es sind nicht die Probleme, es ist
alle Dichter sind und die Leser der durch die Probleme geförderte
aussterben. oder behinderte Lebensprozeß,
was an der Dichtung auch später
Pablo Neruda
noch interessiert.
Dichter: Seher, die uns etwas von Martin Kessel, Ehrfurcht
dem Möglichen erzählen.
Friedrich Nietzsche, Morgenröte Die Dichtkunst ist die Erinnerung
und die Ahnung der Dinge: Was
Viel mehr Dichter versagen aus sie feiert, ist noch nicht tot. Was sie
Mangel an Charakterfestigkeit als besingt, lebt schon.
aus Mangel an Intelligenz. Alphonse de Lamartine
Ezra Pound [1790-1869]; franz. Dichter

Es gibt eine Eigenschaft, die alle Dichtung ist eine Form der Liebe.
großen, bleibenden Dichter ge¬ Gertrud von Le Fort
meinsam haben: Man braucht kei¬
ne Schulen und Hochschulen, um Dichtung ist keine Arbeit neben
sie am Leben zu erhalten. dem Leben, sondern eine Form des
Ezra Pound Lebens.
Gertrud von Le Fort
Alle Dichter haben einen Sinn für
das Unendliche, in irgendeiner Alle große Dichtung ist eine Frucht
Weise, aber ihr wacher Sinn für das des Leidens.
Begrenzte verleiht ihren Werken Adolf Muschg [* 1934];
die individuelle Eigenart. Schweiz. Schriftsteller und
Rabindranath Tagore Literaturwissenschaftler

573
Dienst Teil II

Dichtung ist stets ein Akt des Frie¬ _Dienst


dens.
Wer sein Leben auf Dienst auf¬
Pablo Neruda
baut, hat nie umsonst gelebt.
Emil Oesch, Menschen
Der Dichtung am ähnlichsten ist
ein Laib Brot oder ein Tonteller Jede Aufgabe, die ein Mensch im
oder ein wenn auch von unge¬ Rahmen der Gemeinschaft haben
schickter Hand liebevoll bearbeite¬ kann, ist im tiefsten Grunde
tes Stück Holz. Dienst.
Pablo Neruda Emil Oesch, Menschen

Liebe und Dichtung sind eigentlich


dasselbe: der Wunsch, sich zu äu¬ _ Diktatur
ßern. Niemand vermag sich zum Dikta¬
Cesare Pavese
tor aufzuschwingen, wenn die
Menschen nicht verängstigte, ver¬
Es ist das Eigentümliche der Dich¬ schüchterte Feiglinge sind.
tung, daß sie eine ständige Schöp¬ Oriana Fallaci [* 1930];
fung ist und uns so aus uns selbst ital. Journalistin und
heraustreibt, uns aus uns vertreibt Schriftstellerin
und uns zu unseren äußersten
Möglichkeiten führt. Zu den wenigen Vorzügen der
Octavio Paz, Essays II Diktatur gehört es, daß sie den
Freiheitssinn lebendig erhält.
Sigmund Graff
Sobald es um Dichtung geht, wol¬
len eine Menge Leute nicht einmal Das öffentliche Leben der Staaten
zur Kenntnis nehmen, daß ihr eige¬ mit beschränkter Freiheit ist eben
nes Land nicht die ganze verfügba¬ deshalb so dürftig, so armselig, so
re Oberfläche des Planeten ein¬ schematisch, so unfruchtbar, weil
nimmt. Die Vorstellung scheint sie es sich durch Ausschließung der
irgendwie zu kränken.
Demokratie die lebendigen Quel¬
Ezra Pound
len allen geistigen Reichtums und
Fortschritts absperrt.
Ein Text ist nicht dann vollkom¬ Rosa Luxemburg
men, wenn man nichts mehr hinzu¬
fügen, sondern nichts mehr weglas¬ Eine Diktatur ist ein Staat, in dem
sen kann! sich alle vor einem fürchten und
Antoine de Saint-Exupery einer vor allen.
[1900-1944]; franz. Schriftsteller Alberto Moravia [1907-1990];
ital. Schriftsteller

Die alten Geschichtsschreiber hin¬


terließen uns wundervolle Dich¬
-Dilettant
tungen in der Form von Tatsachen;
der moderne Romanschriftsteller Der Dilettant wird am schwersten
langweilt uns mit Tatsachen, die er erkannt, wenn er es gleichmäßig
als Dichtung ausgibt. auf vielen Gebieten ist.
Oscar Wilde Sigmund Graff

574
Teil II Diskussion

Dilettanten kommen am häufig¬ gen beschwert, beschwert sich über


sten durch den Beifall der Laien, sein Metier.
Künstler gegen den Widerspruch Hans Kasper, Abel
der Fachleute hoch.
Sigmund Graff Ein Diplomat ist ein Mann, der die
Paukenschläge der Staatsmänner
Dilettant sein, das heißt: seiner ei¬ in Harfenklänge verwandeln soll.
genen Einfälle nicht wert, aber auf Eugene O’Neill [1888-1953];
sie stolz sein. amerik. Dramatiker
Arthur Schnitzler

_Diplomatie
_Dilettantismus Diplomatie - die patriotische
Genialität, die von etwas anderem Kunst, gegen Bezahlung für sein
ausgeht als den Mitteln, die ihr sich Vaterland zu lügen.
Ambrose Bierce
auszudrücken zur Verfügung ste¬
hen, ist Dilettantismus.
Diplomatie ist ein Schachspiel, bei
Gottfried Benn, Marginalien
dem die Völker matt gesetzt wer¬
den.
Karl Kraus
_Diplomat
Unter einem Dementi versteht man
Wenn man sagt, daß man einer in der Diplomatie die verneinende
Sache grundsätzlich zustimmt, so Bestätigung einer Nachricht, die
bedeutet dies, daß man nicht die bisher lediglich ein Gerücht gewe¬
geringste Absicht hat, sie in der sen ist.
Praxis durchzuführen. John B. Priestley [1894-1984];
Otto von Bismarck [1815-1898]; engl. Schriftsteller
dt. Reichskanzler 1871-1890
Diplomatie ist die Kunst, mit hun¬
Ein wahrer Diplomat ist ein Mann, dert Worten zu verschweigen, was
der zweimal nachdenkt, bevor er man mit einem Wort sagen könnte.
nichts sagt. Saint-John Perse [1887-1975];
Winston Churchill [1874-1965]; franz. Lyriker
brit. Staatsmann

Männer sind in fremder, Frauen in


_Diskussion
eigener Sache die besseren Diplo¬
maten. Nicht Sieg sollte der Zweck der
Sigmund Graff Diskussion sein, sondern Gewinn.
Joseph Joubert
Ein Diplomat ist ein Mensch, der
offen ausspricht, was er nicht Das Schwierigste am Diskutieren
denkt. ist nicht, den eigenen Standpunkt
Giovanni Guareschi [1908-1968]; zu verteidigen, sondern ihn zu ken¬
ital. Schriftsteller nen.
Andre Maurois [1885-1967];
Ein Diplomat, der sich über Intri¬ franz. Schriftsteller

575
Distanz Teil II

Eine Diskussion ist unmöglich mit Trost, daß er ihn gleichfalls wahrt.
jemandem, der vorgibt, die Wahr¬ Jonathan Swift
heit nicht zu suchen, sondern
schon zu besitzen. Alles Große vermögen wir nur aus
Romain Rolland [1866-1944]; einem gehörigen Abstand zu ihm
franz. Schriftsteller zu erkennen. Wer an einen Berg
mit der Lupe geht, bemerkt nur
Sandkörner und Insekten.
_Distanz Frank Thiess

Für den, der nicht mitmacht, be¬ Was mich betrifft: Je weiter der
steht die Gefahr, daß er sich für Nächste von mir entfernt ist, desto
besser hält als die anderen und lieber liebe ich ihn.
seine Kritik der Gesellschaft Karl Heinrich Waggerl
mißbraucht als Ideologie für sein
privates Interesse.
Theodor W. Adorno _Dogma

Dogma: der Versuch, einen Stock


Um etwas richtig zu beurteilen,
mit nur einem Ende zu erzeugen.
muß man ein wenig Abstand davon
Gabriel Laub
nehmen, nachdem man es geliebt
hat. Das gilt für Länder, für Lebe¬
Die Gefahr der Welt in ethnischen
wesen und für uns selbst.
Dingen ist die Gleichgültigkeit.
Andre Gide, Tagebuch
Die Gefahr der Kirche ist die Ge¬
setzlichkeit.
Die Freundschaft ist eine Kunst
Carl Friedrich von Weizsäcker,
der Distanz, so wie die Liebe eine
Geschichte
Kunst der Nähe ist.
Sigmund Graff

-Don Juan
Trost und Rat sind oft die Abwehr
eines Nichtbetroffenen gegen das Don Juan ist nicht der Mann, der
Leid eines Betroffenen. Trost und die Frauen liebt, sondern der
Rat sind, neben anderem, auch Mann, den die Frauen lieben.
eine Maske der Distanz. Jose Ortega y Gasset, Liebe
Ludwig Marcuse
Die wahre Tragödie des Don Juan
Wir verlieren Zeit und Kraft, wenn liegt darin, daß er nur Beute, nie¬
wir alles, was passiert, alles, was mals Jäger war.
man an uns heranträgt, bis auf die George Bernard Shaw
nackte Haut, ja bis auf die Seele [1856-1950]; ir. Schriftsteller
kommen lassen.
Emil Oesch, Zeit
_Doping
Wer keinen Zaun um seinen inne¬ Das Doping der Erfolgreichen ist
ren Garten hat, bei dem trampeln das Risiko.
alle herein. Sigmund Graff
Emil Oesch, Zeit
Doping ist der Kunstdünger der
Wenn mich jemand zwingt, Ab¬ menschlichen Leistungskraft.
stand zu wahren, habe ich den Werner Schneyder

576
Teil II Dummheit

_Droge Dummheit. Aber bei dem Univer¬


Die beste Droge ist ein klarer sum bin ich mir noch nicht ganz
Kopf. sicher.
Albert Einstein [1879-1955];
Herbert Hegenbarth [* 1944];
amerik. Physiker dt. Herkunft
Autor des Buches „Durststrecke“

Auch die Bretter, die man vor dem


Kopf hat, können die Welt bedeu¬
_ Drohung
ten.
Man erschrickt nur vor Drohun¬ Werner Finck
gen; mit vollendeten Tatsachen
findet sich der Mensch schnell ab. Wenn fünfzig Millionen Menschen
Oswald Spengler, Gedanken etwas Dummes sagen, bleibt es
trotzdem eine Dummheit.
Anatole France [1844-1924];

_Dummheit franz. Schriftsteller

Am gefährlichsten ist die Dumm¬ Einen Gescheiten kann man über¬


heit, die nicht der Ausdruck von zeugen, einen Dummen muß man
Unbildung, sondern von Ausbil¬ überreden.
dung ist. Curt Goetz
Helmut Arntzen

Dummheit nützt häufiger als sie


Wenn einer noch so klug ist, so ist schadet. Darum pflegen sich die
er oft doch nicht klug genug, um Allerschlauesten dumm zu stellen.
den Dummen zu begreifen. Sigmund Graff
Friedl Beutelrock

Ein Kluger bemerkt alles. Ein


Dummheit, die man bei andern
Dummer macht über alles eine Be¬
sieht, wirkt meist erhebend aufs
merkung.
Gemüt.
Heinrich Heine, Gedanken
Wilhelm Busch, Sprikker

Der Mensch bringt sogar die


Grausamkeit empört, Dummheit
Wüsten zum Blühen. Die einzige
entmutigt.
Wüste, die ihm noch Widerstand
Albert Camus [1913-1960];
bietet, befindet sich in seinem
franz. Schriftsteller
Kopf.
Ephraim Kishon [* 1924];
Der Gescheitere gibt nach! Ein un¬
israel. Schriftsteller und Journalist
sterbliches Wort. Es begründet die
Weltherrschaft der Dummheit.
Marie von Ebner-Eschenbach Das Schlimme ist, daß die Unfä¬
higkeit zu denken so oft mit der
Geduld mit der Streitsucht der Ein¬ Unfähigkeit zu schweigen Hand in
fältigen! Es ist nicht leicht zu be¬ Hand geht.
greifen, daß man nicht begreift. Hans Krailsheimer
Marie von Ebner-Eschenbach
In einen hohlen Kopf geht viel
Zwei Dinge sind unendlich: das Wissen.
Universum und die menschliche Karl Kraus

577
Dünkel Teil II

Es gibt keine lästigeren Dumm¬ Wenn ein wirklich großer Geist in


köpfe als die witzigen. der Welt erscheint, kann man ihn
Francois de La Rochefoucauld untrüglich daran erkennen, daß
sich alle Dummköpfe gegen ihn
Der Wunsch, klug zu erscheinen, verbünden.
verhindert oft, es zu werden. Jonathan Swift
Francois de La Rochefoucauld

Am auffälligsten unterscheiden
Ein gebildeter Dummkopf ist noch
sich die Leute darin, daß die Tö¬
unerträglicher als ein ungebildeter.
richten immer wieder dieselben
Robert Lembke
Fehler machen, die Gescheiten im¬
mer wieder neue.
Die große Mehrzahl der Dummen
Karl Heinrich Waggerl
wird von denen gebildet, die durch
die böse Gewohnheit, ihr Denkver¬
mögen niemals anzustrengen, die Es gibt keine Sünde außer der
Fähigkeit dazu verloren haben. Dummheit.
John Locke [1632-1704]; Oscar Wilde
engl. Philosoph

Das Recht auf Dummheit gehört


zur Garantie der freien Entfaltung
der Persönlichkeit. _Dünkel
Mark Twain
Menschen, die nicht groß sind, ma¬
An die dumme Stirne gehört als chen sich gerne breit.
Argument von Rechts wegen die Friedl Beutelrock
geballte Faust.
Friedrich Nietzsche, Manche Menschen wollen immer
Menschliches I glänzen, obwohl sie keinen Schim¬
mer haben.
Die, die sich dumm stellen, sind ge¬ Heinz Erhardt [1909-1979];
fährlicher als die, die dumm sind. dt. Schauspieler und Humorist
Manfred Rommel

Manche Hähne glauben, daß die


Man soll keine Dummheit zweimal
Sonne ihretwegen aufgeht.
begehen, die Auswahl ist schlie߬
Theodor Fontane [1819-1898];
lich groß genug.
dt. Schriftsteller
Jean-Paul Sartre

* Mit der Dummheit kämpfen Göt¬ Erfolg steigt nur zu Kopf, wenn
ter selbst vergebens. dort der erforderliche Hohlraum
Schiller, Jungfrau von Orleans vorhanden ist.
Manfred Hinrich
Die Dummheit ist die sonderbarste
aller Krankheiten. Der Kranke lei¬ Für nichts lernt ein Mensch sich
det niemals unter ihr. Aber die an¬ leichter halten als für einen Gro¬
deren leiden. ßen, sobald er die erforderlichen
Paul-Henri Spaak [1899-1972]; Leute dafür um sich hat.
belg. Politiker Jean Paul

578
Teil II Ehe

Statt „Unser Vater“ sagen die


Egoisten „Mein Gott“.
Werner Mitsch

E _Ehe

(auch t Heirat)
_Egoismus
Die Ehe ist der Versuch, zu zweit
Es gibt eine schöne Form der Ver¬ mit den Problemen fertig zu wer¬
stellung, die Selbstüberwindung, den, die man alleine niemals ge¬
und eine schöne Form des Egois¬ habt hätte.
mus, die Liebe. Woody Allen [* 1935];
Marie von Ebner-Eschenbach amerik. Filmregisseur und
Schauspieler
Egoistisches Leben erntet, was es
vermeiden will: Einsamkeit und Die Ehe ist die exemplarische Bin¬
Leere. dung, sie trägt uns in die große Ge¬
Helmut Gollwitzer bundenheit, und nur als Gebunde¬
ne können wir in die Freiheit der
Nur an sich und an das Gegenwär¬ Kinder Gottes gelangen.
tige denken ist die Quelle der Fehl¬ Martin Buber
griffe in der Staatskunst.
Jean de La Bruyere
Ehe: Erst kommt man nicht ohne,
dann nicht miteinander aus; erst
teilt man die Einsamkeit, dann ver¬
Zum Thema Egoismus: Wir lieben
doppelt man sie.
nur die Bilder von allem als etwas
Karlheinz Deschner
in uns selbst, nie das andere selbst.
Christian Morgenstern
Ehen werden im Himmel geschlos¬
sen, aber daß sie gut geraten, dar¬
Unsere Kulturen sind noch vorwie¬
auf wird dort nicht gesehen.
gend egoistisch, darum ist auch so
Marie von Ebner-Eschenbach
wenig Segen in ihnen.
Christian Morgenstern
Die meisten Differenzen in der
Ehe beginnen damit, daß eine Frau
Egoismus besteht nicht darin, daß zuviel redet und ein Mann zuwenig
man sein Leben nach seinen Wün¬ zuhört.
schen lebt, sondern darin, daß man Curt Goetz
von anderen verlangt, daß sie so le¬
ben, wie man es wünscht. Manche Ehen gehen an der beider¬
Oscar Wilde seitigen Unfähigkeit zugrunde,
sich auszusprechen. Sie schweigen
sich tot.
Sigmund Graff
_Egoist

Egoist - Person minderen Ge¬ Gewisse Ehen halten nur in der


schmacks; mehr an sich interessiert Weise zusammen wie ineinander
als an mir. verbissene Tiere.
Ambrose Bierce Gerhart Hauptmann

579
Ehe Teil II

Richtig verheiratet ist der Mann, schenfall als Unglücksfall zu be¬


der jedes Wort versteht, das seine handeln.
Frau nicht gesagt hat. Harold George Nicolson
Alfred Hitchcock [1899-1980]; [1886-1968]; brit. Diplomat und
brit. Filmregisseur und -produzent Schriftsteller

Heute ist eine Ehe schon glücklich, Eine gute Ehe beruht auf dem Ta¬
wenn man dreimal die Scheidung lent zur Freundschaft.
verschiebt. Friedrich Nietzsche,
Danny Kaye [1913-1987]; Menschliches I
amerik. Schauspieler
Gute Ehen wären häufiger, wenn
Hinter einer langen Ehe steht im¬ die Ehegatten nicht immer beisam¬
mer eine sehr kluge Frau. men wären.
Ephraim Kishon [* 1924]; Friedrich Nietzsche,
israel. Schriftsteller und Journalist Menschliches I

Manche Frau weint, weil sie den Wollen wir das Licht in der Ehe be¬
Mann ihrer Träume nicht bekom¬ wahren, so müssen wir auch den
men hat, und manche weint, weil Schatten akzeptieren.
sie ihn bekommen hat. Emil Oesch, Zeit

Annette Kolb [1870-1967];


dt. Schriftstellerin Es ist das Geheimnis einer guten
Ehe, daß einer Serienaufführung
*Die gute Ehe ist wie ein ew’ger immer wieder Premierenstimmung
gegeben wird.
Brautstand.
Max Ophüls [1902-1957];
Theodor Körner [1791-1813];
dt. Schriftsteller franz. Regisseur dt. Herkunft

Viele, von denen man glaubt, sie


Die Ehe ist der Sonderfall eines
seien gestorben, sind bloß verhei¬
Abonnements, das mehr Geld ko¬
ratet.
stet, als wenn man einzeln zahlen
Franchise Sagan [* 1935];
müßte.
franz. Schriftstellerin
Gabriel Laub

Die Ehe ist die Schule der Einsam¬


Der einzige Geschäftszweig, bei
keit. Aber man lernt nicht genug in
dem die Mehrzahl der leitenden ihr.
Positionen von Frauen besetzt ist,
Arthur Schnitzler
ist die Ehe.
Robert Lembke
Die Ehe bleibt deshalb so beliebt,
weil sie das Maximum an Versu¬
Die Ehe ist ein Bauwerk, das jeden chung mit dem Maximum an Gele¬
Tag neu errichtet werden muß. genheit verbindet.
Andre Maurois [1885-1967]; George Bernard Shaw
franz. Schriftsteller
Manche Ehe ist ein Todesurteil,
Das große Geheimnis jeder guten das jahrelang vollstreckt wird.
Ehe ist, jeden Unglücksfall als August Strindberg [1849-1912];
Zwischenfall und keinen Zwi¬ schwed. Dramatiker

580
Teil II Ehrfurcht

Die Ehe ist der Kompromiß der Männer, die behaupten, sie seien
Liebe mit der Gesellschaft. die uneingeschränkten Herren im
Peter Tille Haus, lügen auch bei anderer Gele¬
genheit.
Wer die Einsamkeit fürchtet, sollte Mark Twain
nicht heiraten.
Anton Tschechow [1860-1904]; Ein heiteres Ehepaar ist das Beste,
russ. Schriftsteller was sich in der Liebe erreichen
läßt.
Thomas Niederreuther
Drum binde sich, wer nicht ewig
prüfen will.
Gerd Uhlenbruck
_Ehre
Das Drama einer Ehe, das ist nicht
Ehre und Konvention sind die
die ganz große Erschütterung - das
Bausteine der Gesellschaft, die Lü¬
sind die vielen kleinen Irritationen,
ge ist der Kitt.
die sich summieren.
Hans Kasper, Abel
Liv Ullmann [* 1938];
norweg. Schauspielerin Es ist besser, Ehrungen zu verdie¬
nen und nicht geehrt zu sein, als ge¬
Für eine gute Ehe gibt es einen sehr ehrt zu sein und es nicht zu verdie¬
einfachen Maßstab: Man ist dann nen.
glücklich verheiratet, wenn man Mark Twain
lieber heimkommt als fortfährt.
Luise Ullrich [1910-1985]; Es ist leichter, ein Held zu sein als
dt. Schauspielerin ein Ehrenmann. Ein Held muß
man nur einmal sein, ein Ehren¬
mann immer.
Luigi Pirandello [1867-1936];
_Eheleute ital. Schriftsteller

Es ist schlimm, wenn zwei Eheleu¬ Die Ehre eines Mannes beruht
te einander langweilen. Viel nicht auf dem, was er tut, sondern
schlimmer jedoch ist es, wenn nur auf dem, was er leidet, was ihm wi¬
einer von ihnen den andern lang¬ derfährt.
weilt. Arthur Schopenhauer
Marie von Ebner-Eschenbach
Die Ehre ist, objektiv, die Meinung
Teller werden heute meistens von anderer von unserem Wert und,
der Maschine gewaschen und ab¬ subjektiv, unsere Furcht vor dieser
getrocknet - wie kann man jetzt Meinung.
beweisen, daß man ein guter Ehe¬ Arthur Schopenhauer
mann ist?
Gabriel Laub

_Ehrfurcht
Der Mann erträgt die Ehe aus Lie¬
be zur Frau. Die Frau erträgt den Die wahre Ehrfurcht geht niemals
Mann aus Liebe zur Ehe. aus der Furcht hervor.
Marie von Ebner-Eschenbach
Gabriel Laub

581
Ehrgeiz Teil II

Bescheidenheit ist weniger Unter¬ Eifersucht ist Angst vor dem Ver¬
schätzung unserer selbst als Hoch¬ gleich
schätzung anderer. Der Bescheide¬ Max Frisch, Tagebuch 1946-1949
ne ist der Ehrfürchtige.
Hans Margolius Liebe ist bewußt gewordene Eifer¬
sucht.
Die Ehrfurcht vor dem Leben ist Sigmund Graff
die höchste Instanz. Was sie gebie¬
tet, hat seine Bedeutung auch Man ist nie eifersüchtiger, als wenn
dann, wenn es töricht oder vergeb¬ man in der Liebe anfängt zu erkal¬
lich scheint. ten. Man traut dann der Geliebten
Albert Schweitzer nicht mehr, weil man dunkel fühlt,
wie wenig einem selbst mehr zu
trauen ist.
_Ehrgeiz
Franz Grillparzer
Ehrgeiz - überwältigende Sehn¬
sucht danach, im Leben von Fein¬ Eifersucht ist ein Hundegebell, das
den verleumdet und im Tod von die Diebe anlockt.
Freunden verhöhnt zu werden. Karl Kraus
Ambrose Bierce
Eifersüchtige sind Wucherer, die
Ehrgeiz fängt die kleinen Seelen vom eigenen Pfund die höchsten
leichter als die großen, wie Stroh Zinsen nehmen.
und Hütten leichter Feuer fangen Karl Kraus
als Paläste.
Chamfort Eifersucht enthält mehr Eigenliebe
als Liebe.
Der Ehrgeiz treibt die Menschen
Francois de La Rochefoucauld
oft, die niedrigsten Dienste zu tun;
so geschieht das Klettern in dersel¬
Die Eifersucht ist die geistreichste
ben Haltung wie das Kriechen.
Leidenschaft und trotzdem noch
Jonathan Swift
die größte Torheit.
Friedrich Nietzsche,
Nachlaß
_Ehrlichkeit

(auch t Aufrichtigkeit) * Eifersucht ist eine Leidenschaft,


die mit Eifer sucht, was Leiden
Die Liebe zur Ehrlichkeit ist die schafft.
Tugend des Zuschauers, nicht die Nach Miguel Cervantes
der handelnden Personen. Saavedra [1547-1610];
George Bernard Shaw span. Dichter

_Eifersucht

Eifersüchtig - unziemlich besorgt -Eigeninitiative


über die Bewahrung von etwas, das (auch t Engagement)
man nur verlieren kann, wenn es
das Behalten nicht lohnt. Es wird einem nichts erlaubt. Man
Ambrose Bierce muß es nur sich selber erlauben.

582
Teil II Eitelkeit

Dann lassen sich’s die andern ge¬ _Einfall


fallen oder nicht.
Der Einfall ist ein Schritt mit Sie¬
Goethe, zu Riemer
benmeilenstiefeln, die Ausführung
der Weg zurück zu Fuß.
Ein gutes Mittel, daß etwas ohne
Peter Tille
Zögern aus Liebe und ohne ein
Wort der Widerrede geschehe, ist, Ein guter Einfall ist wie ein Hahn
daß man es - selber macht. am Morgen. Gleich krähen andere
Jean Paul Hähne mit.
Karl Heinrich Waggerl
Wo kämen wir hin, wenn alle sag¬
ten, wo kämen wir hin, und nie¬
mand ginge, um einmal zu schau¬ _Einfalt
en, wohin man käme, wenn man
Nichts ist so vielfältig wie das Ein¬
ginge.
fältige.
Kurt Marti
Werner Mitsch

*Und was kein Verstand der Ver¬


_Eigenlob ständigen sieht, das übet in Einfalt
ein kindlich Gemüt.
Mit dem Wind, den man selber Schiller, Worte des Glaubens
macht, lassen sich die Segel nicht
füllen.
Karl Heinrich Waggerl _Einigkeit

Einigkeit macht stark, aber mei¬


stens auch blind.
_Eigensinn Sigmund Graff

Die Willenskraft der Schwachen * Verbunden werden auch die


heißt Eigensinn. Schwachen mächtig.
Marie von Ebner-Eschenbach Schiller, Wilhelm Teil

_Einsamkeit
_Eigentum
t Alleinsein
(auch t Besitz)

Was der Sozialismus will, ist nicht _Einsicht


Eigentum aufheben, sondern im
t Vernunft
Gegenteil individuelles Eigentum,
auf Arbeit gegründetes Eigentum
erst einführen. _Eitelkeit
Ferdinand Lassalle [1825-1864];
dt. Politiker und Publizist Die meisten Menschen hassen die
Eitelkeit an anderen, so sehr sie
* Eigentum ist Diebstahl. auch selbst damit behaftet sein
Pierre Joseph Proudhon mögen.
[1809-1865]; franz. Frühsozialist Benjamin Franklin,
und Schriftsteller Autobiographie

583
Ekel Teil II

Wir sind so eitel, daß uns sogar an Auslese kann nur wirken, wenn sie
der Meinung der Leute, an denen von unten herauf beginnt.
uns nichts liegt, etwas gelegen ist. Walther Rathenau
Marie von Ebner-Eschenbach
Eine Bildungsschicht ist aber nur
Wer Eitelkeit zum Mittagsbrot hat, dort wirkliche Elite, wo sie sich
bekommt Verachtung zum Abend¬ nicht außerhalb stellt und wo sie
brot. nicht glaubt, sich oberhalb stellen
Benjamin Franklin, Reichtum zu müssen, sondern wo sie sich als
Mitgestalter der Leitbilder und der
Manche Menschen glauben, daß Ordnungen eingliedert und sich
sie sich weiter entwickelt haben, dabei trotz ihrer numerischen Un¬
und von allen ihren Eigenschaften terlegenheit als wirksamer Faktor
ist es nur die Eitelkeit, auf die ihre bewährt.
Einbildung zutrifft. Carlo Schmid
Arthur Schnitzler

Im Menschen sitzt ein Verräter, der


„Eitelkeit“ heißt und die Geheim¬ _Eltern
nisse gegen Schmeichelei preisgibt. * Des Vaters Segen baut den Kin¬
Paul Valery [1871-1945]; dern Häuser; aber der Mutter
franz. Schriftsteller Fluch reißt sie nieder.
Jesus Sirach 3,11
Die Eitelkeit ist der Stolz des
Schwachen. Jeder junge Mensch macht früher
Karl Julius Weber oder später die verblüffende Ent¬
deckung, daß auch Eltern gelegent¬
lich recht haben könnten.
Andre Malraux [1901-1976];
_Ekel franz. Politiker und Schriftsteller
Der Haß der Größe gegen die
Kleinheit ist der Ekel; der Haß der Es gibt kein problematisches Kind,
Kleinheit gegen die Größe der es gibt nur problematische Eltern.
Neid. Alexander S. Neill
Arthur Schnitzler
Welches Kind hätte nicht Grund,
Angst ist noch tierisch, Ekel schon über seine Eltern zu weinen?
Zivilisationsprodukt. Friedrich Nietzsche, Zarathustra

Wolfdietrich Schnurre,
Schattenfotograf Eltern, die Respekt verlangen, ha¬
ben auch nicht mehr verdient.
Peter Tille

_Elite Zuerst lieben die Kinder ihre


Eltern. Nach einer gewissen Zeit
Die Gesellschaft ist immer eine dy¬ fällen sie ihr Urteil über sie. Und
namische Einheit zweier Faktoren, selten, wenn überhaupt je, verzei¬
der Eliten und der Massen. hen sie ihnen.
Jose Ortega y Gasset, Aufstand Oscar Wilde

584
Teil II Engagement

__ Emanzipation wie verdorbener Zement, der nicht


bindet.
Die pseudomoderne Frau mit ihrer
Mahatma Gandhi
quälenden Tüchtigkeit und Ener¬
gie ist für mich immer höchst selt¬
Einer, der sich heute nur betrach¬
sam und unverständlich gewesen.
tend verhielte, bewiese eine un¬
Ingeborg Bachmann [1903-1976];
menschliche Philosophie oder eine
österr. Schriftstellerin
ungeheuerliche Blindheit.
Andre Gide, Tagebuch
Früher haben die Frauen auf ihrem
eigenen Boden gekämpft. Da war
jede Niederlage ein Sieg. Fleute Alles Große in unserer Welt ge¬
kämpfen sie auf dem Boden der schieht nur, weil jemand mehr tut,
Männer. Da ist jeder Sieg eine Nie¬ als er muß.
Hermann Gmeiner [1919-1986];
derlage.
Coco Chanel [1883-1971]; österr. Sozialpädagoge
franz. Modeschöpferin
Damit das Mögliche entsteht, muß
Viele haben sich vorgestellt, von immer wieder das Unmögliche ver¬
Frauen gemachte Politik sei ledig¬ sucht werden.
lich pazifistisch oder humanitär Hermann Hesse

oder sentimental. Die wirkliche


Gefahr femininer Politik ist: zu viel Nur wer sich seiner Zeit widmet,
Liebe zu maskuliner Politik. der gehört auch den späteren Zei¬
GlLBERG K. CHESTERTON ten an.
Karl Gutzkow
Militante Emanzen gehen wie Mi¬
litärs vor. Sie stellen schwer be¬ Es hilft nichts, das Unvollkomme¬
waffnete Wachen vor Objekten ne heutiger Wirklichkeit zu höhnen
auf, die niemand stürmen will. oder das Absolute als Tagespro¬
Gabriel Laub gramm zu predigen. Laßt uns statt
dessen durch Kritik und Mitarbeit
Wenn die Frau heute nur die die Verhältnisse Schritt für Schritt
Gleichberechtigung anstrebt und ändern.
nichts weiter, ist das ein Zeichen, Gustav Heinemann [1899-1976];
daß sie dem Mann seine jahrhun¬ dt. Politiker
dertelange Vorherrschaft verziehen
hat. Jeder Vorgesetzte, der etwas taugt,
Henry Miller [1891-1980]; hat es lieber mit Leuten zu tun, die
amerik. Schriftsteller sich zuviel zumuten, als mit sol¬
chen, die zuwenig in Angriff neh¬
Frauen, die die gleichen Rechte men.
wie Männer fordern, sind auf jeden Lee Iacocca
Fall bemerkenswert genügsam.
Henning Venske Jeder Mensch, der sich für etwas
engagiert, hat eine bessere Lebens¬
qualität als andere, die nur so da¬
hinvegetieren.
_Engagement Bruno Kreisky [1911-1990];
Eine bedingte Unterstützung ist österr. Politiker

585
Entdeckung Teil II

Wichtige Dinge nur halb zu tun, ist Moralische Entrüstung ist der Hei¬
nahezu wertlos; denn meistens ist ligenschein der Scheinheiligen.
es die andere Hälfte, die zählt. Helmut Qualtinger [1928-1986];
Emil Oesch, Menschen österr. Schriftsteller, Kabarettist
und Schauspieler
* Nichts halb zu tun ist edler Gei¬
ster Art. Entrüstung ist Bekenntnis der Hilf¬
Christoph Martin Wieland losigkeit.
[1733-1813]; dt. Schriftsteller Walther Rathenau

Man muß Partei ergreifen. Neutra¬


lität hilft dem Unterdrücker, nie¬
mals dem Opfer, Stillschweigen be¬ _Entsagung
stärkt den Peiniger, niemals den Auch die Kunst ist Entsagung, aber
Gepeinigten. eine Entsagung, die alles emp¬
Elie Wiesel [* 1928]; fängt.
jüdischer Schriftsteller Gottfried Benn, Marginalien

Das Geheimnis eines glücklichen


_Entdeckung Lebens liegt in der Entsagung.
So ist es in allen Fällen naturwis¬ Mahatma Gandhi

senschaftlicher Entdeckungen: Sie


verändern die Art und Weise, in
der die Welt sich in unseren Köp¬ _Entscheidung
fen spiegelt.
Hoimar von Ditfurth Du kannst nicht zwei Pferde mit
einem Hintern reiten.
Jeder subtile Witz ist eine boshafte Woody Allen [* 1935]; amerik.
Entdeckung, und viele große Ent¬ Filmregisseur und Schauspieler
deckungen der Wissenschaft sind
umgekehrt mit brüllendem Geläch¬ Es ist besser, ein Problem zu erör¬
ter begrüßt worden. tern, ohne es zu entscheiden, als zu
Arthur Koestler, Mensch entscheiden, ohne es erörtert zu ha¬
ben.
Joseph Joubert
-Enthaltsamkeit
Alles ist richtig, auch das Gegen¬
t Abstinenz teil. Nur: „Zwar ... aber“ - das ist
nie richtig.
Kurt Tucholsky
-Enthusiasmus

t Begeisterung
-Entschlossenheit

_Entrüstung * Greife nicht in ein Wespennest,


doch wenn du greifst, so greife fest.
Entrüstung ist ein erregter Zustand Nach Matthias Claudius
der Seele, der meist dann eintritt, [1740-1815]; dt. Schriftsteller
wenn man erwischt wird.
Wilhelm Busch * Doch der den Augenblick er-

586
Teil II Erfahrung

greift, das ist der rechte Mann. _Erbarmen


Goethe, Faust I
(auch t Mitleid)
Ein entschlossener Mensch wird
Erbarmen kann Grausamkeit sein.
mit einem Schraubenschlüssel
Jüdisches Sprichwort
mehr anzufangen wissen als ein
unentschlossener mit einem Werk¬
zeugladen.
_Erfahrung
Emil Oesch, Menschen
Die Maske des Erwachsenen heißt
Ob wir erreichen, was wir uns vor¬ „Erfahrung“.
nehmen, hängt vom Glücke ab, Walter Benjamin
aber das Wollen ist einzig Sache
unseres Herzens. Erfahrung ist der beste Lehrmei¬
Jose Ortega y Gasset, Liebe ster, aber das Schulgeld ist hoch.
Thomas Carlyle
Entschlossenheit im Unglück ist
immer der halbe Weg zur Rettung. Man leidet im Alter weniger an Er¬
Johann Heinrich Pestalozzi, fahrungen, die man macht, als an
Schriften denen, die man nicht mehr machen
kann.
Karlheinz Deschner
_Entschlußkraft
Vieles erfahren haben heißt noch
Keinen Augenblick ist es unserer
nicht Erfahrung besitzen.
Entschlußkraft gegönnt zu ruhen.
Marie von Ebner-Eschenbach
Selbst wenn wir verzweifelt gesche¬
hen lassen, was geschieht, haben
Intellektuelle Erkenntnisse sind
wir beschlossen, nicht zu beschlie¬
Papier. Vertrauen hat immer nur
ßen. der, der von Erfahrenem redet.
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Hermann Hesse

Erfahrung ist nicht das, was einem


_Epigone, Epigonentum
zustößt. Erfahrung ist das, was
Wie viele Nachtigallen muß eine man aus dem macht, was einem zu¬
Bestie fressen, um selbst zu singen? stößt.
Stanislaw Jerzy Lec Aldous Huxley [1894-1963];
brit. Schriftsteller
Es war seit jeher den Epigonen
Vorbehalten, befruchtende Hypo¬ Wir glauben, Erfahrungen zu ma¬
thesen des Meisters in starres Dog¬ chen, aber die Erfahrungen ma¬
ma zu verwandeln und satte Be¬ chen uns.
ruhigung zu Finden, wo ein bahn¬ Eugene Ionesco [* 1909]; franz.
brechender Geist schöpferische Dramatiker rumän. Herkunft
Zweifel empfand.
Rosa Luxemburg Die Erfahrung läuft dem Men¬
schen nach - vergebens er ist
Man kann niemanden überholen, schneller.
wenn man in seine Fußstapfen tritt. Robert Lembke
Francois Truffaut [1932-1984];
franz. Filmregisseur Wenn man genug Erfahrung ge-

587
Erfindung Teil II

sammelt hat, ist man zu alt, um sie Alle großen Erfindungen, alle gro¬
auszunutzen. ßen Werke sind das Resultat einer
William Somerset Maugham Befreiung, der Befreiung von der
[1874-1965]; brit. Schriftsteller Routine des Denkens und Tuns.
Arthur Koestler [1905-1983];
Kein Geld ist vorteilhafter ange¬ brit. Schriftsteller ungar. Herkunft
wandt als das, um welches wir uns
haben prellen lassen; denn wir ha¬
ben dafür unmittelbar Klugheit
eingehandelt. _Erfolg
Arthur Schopenhauer Der Erfolg ist keiner der Namen
Gottes.
Wenn die Geschichte sich wieder¬ Martin Buber
holt und immer das Unerwartete
geschieht, wie unfähig muß der Das Geheimnis des Erfolges ist die
Mensch sein, durch Erfahrung Beständigkeit des Ziels.
klug zu werden. Benjamin Disraeli [1804-1881];
George Bernard Shaw brit. Politiker

Erfahrung bedeutet ursprünglich Die Höhe eines Lebens wird nicht


immer schlechte Erfahrung. erreicht, damit man sich hinauf¬
Oswald Spengler, Gedanken setzt, sondern damit man in besse¬
rer Luft weitergeht.
Es gibt keine unnützen Erfahrun¬ Heimito von Doderer
gen, nur ungenutzte.
Peter Tille Erfolg ist die beste Rache.
Michael Douglas [* 1944];
Erfahrung heißt gar nichts. Man amerik. Schauspieler, Film- und
kann eine Sache auch 35 Jahre Fernsehproduzent
schlecht machen.
Kurt Tucholsky Ein Geheimnis des Erfolgs ist, den
Standpunkt des anderen zu verste¬
Erfahrungen wären nur dann von hen.
Wert, wenn man sie hätte, ehe man Henry FordI. [1863-1947];
sie machen muß. amerik. Industrieller
Karl Heinrich Waggerl
Erfolg verändert den Menschen
Erfahrung ist der Name, den die nicht. Er entlarvt ihn.
Menschen ihren Irrtümern geben. Max Frisch [1911-1991];
Oscar Wilde Schweiz. Schriftsteller

Das Doping der Erfolgreichen ist


das Risiko.
Sigmund Graff
-Erfindung

Nichts, was die Menschen erfin¬ * Vor den Erfolg haben die Götter
den, ist schlecht: nur das, was sie den Schweiß gesetzt.
daraus machen. Nach Hesiod [um 700 v.Chr.];
Sigmund Graff griech. Dichter

588
Teil II Erfüllung

Erfolg steigt nur zu Kopf, wenn Der Erfolg hat viele Väter. Der
dort der erforderliche Hohlraum Mißerfolg ist ein Waisenkind.
vorhanden ist. Sprichwort
Manfred Hinrich
Erfolge sind schwerer zu überwin¬
Um in der Welt Erfolg zu haben, den als Niederlagen.
braucht man Tugenden, die be¬ Peter Tille
liebt, und Fehler, die gefürchtet
machen. Vom Erfolg hängt so vieles ab, und
Joseph Joubert so werden viele vom Erfolg abhän¬
gig-
Sicher verdanken einige Millionäre Gerd Uhlenbruck
ihren Erfolg ihren Frauen. Aber
die meisten verdanken ihre Frauen Auch Erfolg wird bestraft. Die
dem Erfolg. Strafe liegt darin, daß man mit
Danny Kaye [1913-1987]; Leuten zusammenkommt, die man
amerik. Schauspieler früher meiden durfte.
John Updike [* 1932];
Alle Kunst praktischer Erfolge be¬ amerik. Schriftsteller
steht darin, alle Kraft zu jeder Zeit
Das größte Verbrechen in der Welt
auf einen Punkt - auf den wichtig¬
ist - keinen Erfolg zu haben.
sten Punkt - zu konzentrieren und
Friedrich Wolf [1888-1953];
nicht nach rechts noch links zu se¬
dt. Dramatiker
hen.
Ferdinand Lassalle [1825-1864];
dt. Politiker und Publizist
_Erfüllung
Es gibt keinen wirklichen Erfolg * Was man in der Jugend wünscht,
ohne eine auf das Gemeinschafts¬ hat man im Alter die Fülle.
wohl gerichtete Gesinnung. Goethe, Dichtung und Wahrheit I
Emil Oesch, Menschen
Gäbe es Wesen, die den Menschen
Nichts ist überzeugender als Er¬ alle Wünsche erfüllen, so wären
folg. das keine Götter, sondern Dämo¬
Leopold von Ranke [1795-1886]; nen.
dt. Historiker Friedrich Georg Jünger

Siege werden bald erfochten; ihre Unsere Zeit ist eine Zeit der Erfül¬
Erfolge befestigen, das ist schwer. lung, und Erfüllungen sind immer
Leopold von Ranke [1795-1886]; Enttäuschungen.
dt. Historiker Robert Musil

„Er hat großen Erfolg.“ Für einen Der Wunsch nach etwas ist letzten
Schriftsteller eine niederschmet¬ Endes ein Streben danach, es zu
ternde Feststellung. Besagt sie besitzen. Darum stirbt der Wunsch
doch, er hat auch nur zu beantwor¬ von selbst, wenn er erfüllt ist.
ten gewußt, was ohnehin schon ge¬ Jose Ortega y Gasset, Liebe
fragt war.
Wolfdietrich Schnurre, Ein Zeitalter, das so einseitig auf
Schattenfotograf die Erhaltung des Daseins aus ist

589
Erholung Teil II

wie das unsere, vermag nicht ein¬ Erinnerungen sind Wirklichkeit im


mal mehr von Erfüllung zu träu¬ Sonntagsanzug.
men. Oliver Hassencamp
Hans Erich Nossack, November
* Die Erinnerung ist das einzige
Erfüllung ist der Feind der Sehn¬
Paradies, woraus wir nicht vertrie¬
sucht.
ben werden können.
Erich Maria Remarque
Jean Paul
[1898-1970]; dt. Schriftsteller

Das Vergnügen, das sich bei der Das Vergessenwollen verlängert


Erreichung eines begehrten Ziels das Exil, und das Geheimnis der
einstellt, ist ein doppeltes: Es ent¬ Erlösung heißt Erinnerung.
springt zum einen aus der Errei¬ Jüdische Weisheit; zitiert von
chung des Gewünschten und zum Bundespräsident Richard von
andern aus dem gewünschten Ge¬ Weizsäcker in seiner Ansprache
genstand selbst. zum 40. Jahrestag der Beendigung
Bertrand Russell, Moral des 2. Weltkriegs am 8. Mai 1985
In dieser Welt gibt es nur zwei Tra¬
gödien. Die eine ist, nicht zu be¬ Vor der Wirklichkeit kann man sei¬
kommen, was man möchte, und die ne Augen verschließen, aber nicht
andere ist, es zu bekommen. vor der Erinnerung.
Oscar Wilde Stanislaw Jerzy Lec

Auf Erinnerung zu bestehen kann


_Erholung mitunter schon Widerstand sein -
zumindest dann, wenn Vergeßlich¬
Die Natur des Geistes ist so gear¬ keit großgeschrieben oder aber de¬
tet, daß uns der Wechsel meist kretiert wird.
mehr Erholung schafft als die Ru¬ Siegfried Lenz [* 1926];
he. dt. Schriftsteller
Ernst von Feuchtersleben

Nirgends strapaziert sich der Jedesmal, wenn die Romantik sich


Mensch mehr als bei der Jagd nach einer Sache bemächtigt und Glo¬
Erholung. riolen um sie webt, dann ist deren
Laurence Sterne [1713-1768]; Zeit schon vorüber, und die Sehn¬
engl. Schriftsteller sucht nur macht aus der Erinne¬
rung einen wünschenswerten Zu¬
Erholung besteht weder in Untätig¬ kunftstraum.
keit noch in bloßem Sinnengenuß, Carl von Ossietzky
sondern im Wechselgebrauch un¬
serer Körper- und Geisteskräfte.
Es kommt eine Zeit, in der man
Karl Julius Weber
sich Rechenschaft ablegt, daß al¬
les, was wir tun, zu seiner Zeit Er¬
_Erinnerung innerung werden wird. Das ist die
Reife. Um dahin zu gelangen, muß
Erinnern heißt auswählen. man eben schon Erinnerungen ha¬
Günter Grass [* 1927]; ben.
dt. Schriftsteller Cesare Pavese

590
Teil II Erotik

Vergessenkönnen ist das Geheim¬ Der wirklichen Erkenntnis ist Na¬


nis ewiger Jugend. Wir werden alt turforschung der Weg zum Geist
durch Erinnerung. und Geistesforschung die Augen¬
Erich Maria Remarque öffnung für die Naturgeheimnisse.
[1898-1970]; dt. Schriftsteller Rudolf Steiner

Erinnerungen sind ein goldener


Rahmen, der jedes Bild freundli¬
_Erlebnis
cher macht.
Carl Zuckmayer [1896-1977]; Niemand ist so beflissen, immer
dt. Schriftsteller neue Eindrücke zu sammeln wie
der, der die alten nicht zu verarbei¬
ten versteht.
Marie von Ebner-Eschenbach
_Erkenntnis

Es gibt keinen erkennbaren Weg Es gibt keine Leute, die nichts erle¬
vor uns, sondern nur hinter uns. ben, es gibt nur Leute, die nichts
Waldemar Bonsels [1880-1952]; davon merken.
dt. Schriftsteller Curt Goetz

Wer A sagt, der muß nicht B sagen. Die täglichen Menschenerlebnisse


Er kann auch erkennen, daß A sind die tiefsten, wenn man sie von
falsch war. der Gewohnheit befreit.
Bertolt Brecht, Neinsager Robert Musil

Eigentlich sehen wir nur das, wor¬ Denken ist wundervoll, aber noch
an wir zu glauben fähig sind, allein wundervoller ist das Erlebnis.
das, was nicht allzusehr die Gren¬ Oscar Wilde
zen unserer eigenen Natur über¬
schreitet.
Stanislaw Brzozowski
_Erlösung

Wir haben verlernt, die Augen auf Wenn die Welt erlöst werden soll,
etwas ruhen zu lassen. Deshalb er¬ müssen die Menschen edel sein,
kennen wir so wenig. ohne Grausamkeit, voller Glauben
Jean Giono [1895-1970]; und für die Wahrheit empfänglich,
franz. Schriftsteller Begeisterung für große Ziele füh¬
len, ohne die zu hassen, die ihnen
Wer nicht weiß, was ist, wie will er darin Widerstand leisten.
Voraussagen, was werden soll, oder Bertrand Russell, Schriften
erkennen, was einmal gewesen ist?
Gerhart Hauptmann Es ist ein Fluch, Erlöser zu sein, die
Welt ist zu böse, ihre Erlöser kön¬
Es gibt zwei Möglichkeiten, zur Er¬ nen nicht gut sein.
kenntnis zu gelangen, die meditati¬ Manes Sperber
ve, worauf wohl weitgehend die
frühen Kulturen beruht haben, und
die empirische, in der Europa es _Erotik
bis zur Atombombe gebracht hat.
Jürgen Lemke
Sexuelle Erotik ist in allen Fällen

591
Erwachsensein Teil II

unsere intensivste Form der Ap¬ _Erziehung


perzeption; nicht aber soll sie eine
Der modische Irrtum ist, daß wir
Haut sein, die wir uns selbst über
durch Erziehung jemand etwas ge¬
die Ohren ziehen und am Ende gar
ben können, das wir nicht haben.
als Kapuze über den ganzen Kopf,
Gilbert K. Chesterton
wie ein praeputium capitis, worin
dann das caput gänzlich ver¬
Erziehung: einen Kopf drehen, bis
schwindet.
er verdreht ist - natürlich auf den
Heimito von Doderer
neuesten Stand.
Karlheinz Deschner
Der Egoismus - ich brauche den
anderen für mich, für mein Glück -
Eine großzügige Erziehung sollte
ist die Kraft des Eros; die Erkennt¬
ein ehrfürchtiges Studium aller Re¬
nis, ich werde nur glücklich durch
ligionen mit einschließen.
das Glück des anderen, ist die
Mahatma Gandhi
Weisheit des Eros.
Helmut Gollwitzer
* Denn wir können die Kinder
nach unserm Sinne nicht formen.
Erotik ist Überwindung von Hin¬
Goethe, Hermann und Dorothea
dernissen. Das verlockendste und
populärste Hindernis ist die Moral. Das wichtigste Zimmer im Leben
Karl Kraus
läßt sich weder verleugnen noch
Vortäuschen - die Kinderstube.
Die Erotik ist sozialisierte Sexuali¬ Oliver Hassencamp
tät.
Octavio Paz, Essays I Es ist die Strafe unserer eignen Ju¬
gendsünden, daß wir gegen die un¬
Die Erotik ist die soziale Form der serer Kinder nachsichtig sein müs¬
Triebbeherrschung, und so ähnelt sen.
sie der Magie und der Technik. Friedrich Hebbel, Agnes
Octavio Paz, Essays I Bernauer

Kinder und Uhren dürfen nicht be¬


-Erwachsensein ständig aufgezogen werden. Man
muß sie auch gehenlassen.
Erwachsen sein heißt: vergessen, Jean Paul
wie untröstlich wir als Kinder oft
gewesen sind.
Auf Kinder wirkt nichts so
Heinrich Böll
schwach als eine Drohung und
Hoffnung, die nicht noch vor
Die Melancholie des Erwachsen¬ abends in Erfüllung geht.
seins entsteht aus dem zwiespälti¬ Jean Paul
gen Erlebnis, daß das absolute, ju¬
gendliche Vertrauen auf die innere Der Mensch ist das einzige Ge¬
Stimme des Berufenseins aufhört schöpf, das erzogen werden muß.
oder abnimmt, daß es aber unmög¬ Immanuel Kant
lich ist, der Außenwelt eine eindeu¬
tig wegweisende und zielbestim¬ Wenn Großeltern es für nötig hal¬
mende Stimme abzulauschen. ten, sich in die Erziehung ihrer En¬
Georg Lukäcs kel einzumischen, zeigt das nur,

592
Teil II Erziehung

daß sie bei der Erziehung ihrer Freies Fragen wird verhindert wer¬
Kinder nicht sehr erfolgreich wa¬ den, solange es Ziel der Erziehung
ren. ist, Überzeugung statt Denken her¬
Robert Lembke vorzubringen.
Bertrand Russell, Schriften
Erziehung ist organisierte Verteidi¬
gung der Erwachsenen gegen die
Weil moderne Erziehung so selten
Jugend.
von großer Hoffnung beseelt ist,
Mark Twain
wird so selten ein großes Resultat
erreicht.
Alle Erziehung, ja alle geistige Be¬
Bertrand Russell, Schriften
einflussung beruht vornehmlich
auf Bestärken und Schwächen.
Man kann niemanden zu etwas Manche Eltern und Schulen begin¬
bringen, der nicht schon dunkel nen mit dem Versuch, den Kindern
auf dem Wege dahin ist, und nie¬ völligen Gehorsam beizubringen,
manden von etwas abbringen, der ein Versuch, der entweder einen
nicht schon geneigt ist, sich ihm zu Sklaven oder einen Empörer her¬
entfremden. vorbringen muß.
Christian Morgenstern Bertrand Russell, Schriften

Erziehung: wesentlich das Mittel, Viele Kinder sind deshalb so ver¬


die Ausnahme zu ruinieren zugun¬ zogen, weil man Großmütter nicht
sten der Regel. übers Knie legen kann.
Friedrich Nietzsche, Wille zur Adele Sandrock [1864-1937];
Macht dt. Schauspielerin

Erst wenn man genau weiß, wie die


Ein Kind zu erziehen ist leicht.
Enkel ausgefallen sind, kann man
Schwer ist nur, das Ergebnis zu lie¬
beurteilen, ob man seine Kinder
ben.
gut erzogen hat.
Werner Schneyder
Erich Maria Remarque
[1898-1970]; dt. Schriftsteller
Die besterzogenen Kinder sind je¬
In dem ersten Weinen der Kinder ne, die gelernt haben, ihre Eltern
liegt eine Bitte; sowie man aber die zu sehen, wie sie wirklich sind;
Vorsicht außer acht läßt, verwan¬ Heuchelei ist nicht die erste Pflicht
delt sie sich in einen Befehl. der Eltern.
Jean-Jacques Rousseau, Emile George Bernard Shaw

Kindererziehung ist ein Beruf, wo


Zum Erzieher muß man eigentlich
man Zeit zu verlieren verstehen
geboren sein wie zum Künstler.
muß, um Zeit zu gewinnen.
Karl Julius Weber
Jean-Jacques Rousseau, Emile

Eine einzige offenkundige Lüge Erziehung ist eine wunderbare Sa¬


des Lehrers gegen seinen Zögling che, doch muß man sich von Zeit
kann den ganzen Ertrag der Erzie¬ zu Zeit besinnen, daß nichts, was
hung zunichte machen. von Wert ist, gelehrt werden kann.
Jean-Jacques Rousseau, Emile Oscar Wilde

593
Eselsbrücke Teil II

_Eselsbrücke sondern ein kultureller Weltteil.


Oskar Kokoschka [1886-1980];
Die Eselsbrücke ist die ideale Ver¬
österr. Maler und Schriftsteller
bindung zwischen zwei Gedächt¬
nislücken.
Einzig der Entschluß, aus den Völ¬
Werner Mitsch
kergruppen des Erdteils eine große
Nation zu errichten, könnte den
_Essen
Puls Europas wieder befeuern.
Man kann einen Menschen mit gu¬ Jose Ortega y Gasset, Aufstand
ten Saucen ebenso unter die Erde
bringen wie mit Strychnin, bloß
dauert es länger. _Ewigkeit
Christiaan Barnard [* 1922];
Nur durch die Tiefen unserer Erde,
südafrikan. Herzchirurg
nur durch die Stürme eines Men¬
schengewissens hindurch eröffnet
* Und weil der Mensch ein Mensch
sich der Blick auf die Ewigkeit.
ist, drum will er was zu essen, bitte
Dietrich Bonhoeffer
sehr!
Bertolt Brecht, Einheitsfrontlied
Das Bleibende zu kennen bedeutet
Einsicht. Das Ewige zu erkennen
* Der Mensch ist, was er ißt.
klärt den Sinn.
Ludwig Feuerbach [1804-1872];
Laotse
dt. Philosoph
Nichts Irdisches ist ewig, aber alles
Essen ist für mich ein Naturtrieb,
Irdische kann Sinnbild des Ewigen
und ich finde es schön, wenn erzu¬
werden.
schlägt, dieser Trieb. Hunger in
Gertrud von Le Fort
seiner kleinen Form, in der des Ap¬
petits, ist mir fremd.
Peter Rühmkorf [* 1929];
dt. Schriftsteller

_ Ethik

Ethik ist ins Grenzenlose erweiter¬


te Verantwortung gegen alles, was
F
lebt.
Albert Schweitzer -Fachmann

t Spezialist
In Wahrheit nützt mir nicht, was
mir allein nützt, sondern was dem
Mitmenschen, der Gemeinschaft,
-Falschheit
der Gesellschaft nützt.
Carl Friedrich von Weizsäcker, Armut ist auch Wahrheit, während
Geschichte Reichtum alle Arten von Verklei¬
dung bedeuten kann. Falschheit
und Reichtum sind Synonyme.
-Europa Ernesto Cardenal

Europa ist kein geographischer. Der Falschheit ohne List zu begeg-

594
Teil II Fanatismus

nen ist nicht ehrenhaft, sondern _Fanatiker


leichtsinnig.
Hans Kasper, Abel
Geistlose kann man nicht begei¬
stern, aber fanatisieren kann man
Das einzig Echte an manchen sie.
Menschen ist ihre Falschheit. Marie von Ebner-Eschenbach
Werner Mitsch
Mit Fanatikern zu diskutieren
heißt mit einer gegnerischen
_Fälschung Mannschaft Tauziehen spielen, die
Die Fälschung unterscheidet sich ihr Seilende um einen dicken
vom Original dadurch, daß sie ech¬ Baum geschlungen hat.
ter aussieht. Hans Kasper, Revolutionäre

Ernst Bloch [1885-1977];


dt. Philosoph Die Verbrecherregime wurden
nicht von Verbrechern, sondern
von Fanatikern geschaffen, die
_Familie überzeugt waren, den einzigen
Weg zum Paradies gefunden zu ha¬
Im Namen der Familie verübt man
ben.
die meisten Gemeinheiten. Sie lie¬
Milan Kundera [* 1929];
fert Rechtfertigungen en masse.
tschech. Schriftsteller
Stanislaw Brzozowski

Von all den großen Begrenzungen


und Rahmenbedingungen, welche
die Poesie und Vielfalt des Lebens _Fanatismus
bilden und schaffen, ist die ent¬
schiedenste und wichtigste die Fa¬ *Vom Fanatismus zur Barbarei ist
milie. es nur ein Schritt.
Gilbert K. Chesterton Denis Diderot, Schriften

Ganz aufgehen in der Familie Fanatismus findet sich nur bei sol¬
heißt ganz untergehen. chen, die einen inneren Zweifel zu
Marie von Ebner-Eschenbach übertönen suchen.
Carl Gustav Jung [1875-1961];
Das Familienleben ist ein Eingriff Schweiz. Psychoanalytiker
in das Privatleben.
Karl Kraus
Wo Fanatismus ist, ist keine Hei¬
Die Familie ist es, die unsern Zei¬ terkeit. Gelächter vielleicht, der ge¬
ten not tut, sie tut mehr not als meine Lärm des Zynismus, aber
Kunst und Wissenschaft, als Ver¬ kein Lachen.
kehr, Handel, Aufschwung, Fort¬ Hans Kasper, Verlust

schritt, oder wie alles heißt, was be¬


gehrungswert erscheint. Auf der Fanatismus besteht im Verdoppeln
Familie ruht die Kunst, die Wis¬ der Anstrengung, wenn das Ziel
senschaft, der menschliche Fort¬ vergessen ist.
schritt, der Staat. George Santayana [1863-1952];
Adalbert Stifter [1805-1868]; amerik. Philosoph und Dichter
österr. Schriftsteller span. Herkunft

595
Fasching Teil II

_Fasching kämpfen, ist schlimm. Schlimm ist,


sie zu verstecken.
t Karneval
Bertolt Brecht, Buch der
Erfahrung
_Fasten
Es ist von großem Vorteil, die Feh¬
Lediglich mit dem Essen aufhören ler, aus denen man lernen kann,
heißt noch nicht fasten. recht frühzeitig zu machen.
Mahatma Gandhi Winston Churchill [1874-1965];
brit. Staatsmann
Der Appetit kommt mit dem Essen,
aber noch häufiger mit dem Fa¬
Der kluge Mann macht nicht alle
sten.
Fehler selber. Er gibt anderen auch
Willy Millowitsch [1909];
eine Chance!
dt. Schauspieler und Theaterleiter
Winston Churchill [1874-1965];
brit. Staatsmann
_Faulheit
Viele Leute glauben, wenn sie ei¬
Der größte Feind des Fortschritts nen Fehler erst eingestanden ha¬
ist nicht der Irrtum, sondern die ben, brauchen sie ihn nicht mehr
Trägheit. abzulegen.
Henry Thomas Buckle Marie von Ebner-Eschenbach
Ohne Faulheit kein Fortschritt!
Weil der Mensch zu faul war zu ru¬ Wer sich gar zu leicht bereit findet,
dern, erfand er das Dampfschiff; seine Fehler einzusehen, ist selten
weil er zu faul war, zu Fuß zu ge¬ der Besserung fähig.
hen, erfand er das Auto; weil er zu Marie von Ebner-Eschenbach
faul war, abends die Augen zuzu¬
Wir sind gegen keine Fehler an an¬
machen, erfand er das Fernsehen.
dern intoleranter, als welche die
Manfred Hausmann [1898-1986];
dt. Schriftsteller Karikatur unserer eigenen sind.
Franz Grillparzer
Die Faulheit ist der heimliche
Vater des Fortschritts. Die meisten unserer Fehler erken¬
Gabriel Laub nen und legen wir erst dann ab,
wenn wir sie an anderen entdeckt
Die Faulheit ist der Fleiß der Träu¬ haben.
mer. Karl Gutzkow
Werner Schneyder
Verlaß dich nicht auf andere.
Mach deine eigenen Fehler.
_Fehler
Manfred Hinrich
Fehler - eines meiner Vergehen, im
Unterschied zu einem von deinen, Die schlimmsten Fehler werden
bei dem es sich um ein Verbrechen gemacht in der Absicht, einen be¬
handelt. gangenen Fehler wieder gutzuma¬
Ambrose Bierce chen.
Jean Paul
Das Schlimmste ist nicht: Fehler
haben, nicht einmal sie nicht be¬ Kleine Fehler geben wir gern zu.

596
Teil II Feind

um den Eindruck zu erwecken, wir Feigheit ist der wirksamste Schutz


hätten keine großen. gegen die Versuchung.
Francois de La Rochefoucauld Mark Twain

Jeder Fehler erscheint unglaublich * Kein größeres Verbrechen gibt es


dumm, wenn andre ihn begehen. als nicht kämpfen wollen, wo man
Georg Christoph Lichtenberg kämpfen muß.
Friedrich Wolf [1888-1953];
Wer in der falschen Richtung geht, deutscher Dramatiker
dem hilft auch Galoppieren nichts.
Emil Oesch, Zeit

_Feind
Man muß die Fehler, die man nicht
ablegen kann, in Tugenden ver¬ Die Feinde meines Feindes sind
wandeln. meine Freunde.
Cesare Pavese Arabisches Sprichwort

Man fällt nicht über seine Fehler. Ein schwacher Feind in der Fe¬
Man fällt immer über seine Feinde, stung ist fürchterlicher als der
die diese Fehler ausnützen. stärkste von außen.
Kurt Tucholsky Wilhelm Heinse

Lieber aus ganzem Holz eine


Am auffälligsten unterscheiden
Feindschaft als eine geleimte
sich die Leute darin, daß die Tö¬
Freundschaft.
richten immer wieder dieselben
Friedrich Nietzsche, Scherz
Fehler machen, die Gescheiten im¬
mer wieder neue.
Gegen Feinde schützt man sich am
Karl Heinrich Waggerl
besten dadurch, daß man sie nicht
als Menschen betrachtet, die uns
schaden, sondern als solche, die
_Feigheit uns nützen können.
Emil Oesch, Menschen
Feigling - einer, der in gefährli¬
chen Notlagen mit den Beinen Nur der Gesinnungslose hat auf
denkt. dieser Welt keine Feinde. Es sind
Ambrose Bierce geradezu die Besten, die zu Lebzei¬
ten am meisten gehaßt werden.
Feig, wirklich feig ist nur, wer Emil Oesch, Menschen
sich vor seinen Erinnerungen fürch¬
tet. Man kann sich keine „Feinde ma¬
Elias Canetti chen“. Sie sind immer schon da.
Werner Schneyder
Es gibt Fälle, in denen vernünftig
sein feige sein heißt. Die Freunde nennen sich aufrich¬
Marie von Ebner-Eschenbach tig. Die Feinde sind es.
Arthur Schopenhauer
Die Feigheit tarnt sich am liebsten
als Vorsicht oder Rücksicht. Der besiegte Feind gleicht selten
Sigmund Graff jenem, den es zu besiegen galt. Er

597
Feindesliebe Teil II

erinnert einen an das Elend, das gäste vor die Wahl stellt, sich ihm
man selber erlitten hat. unterzuordnen oder wegzubleiben.
Manes Sperber Sigmund Graff

Mache dir niemanden zum Feind, Weil der Mensch zu faul war zu ru¬
wenn er nicht würdig wäre, dein dern, erfand er das Dampfschiff;
Freund zu sein. weil er zu faul war, zu Fuß zu ge¬
Karl Heinrich Waggerl hen, erfand er das Auto; weil er zu
faul war, abends die Augen zuzu¬
Ein Mann kann nie zu vorsichtig in machen, erfand er das Fernsehen.
der Wahl seiner Feinde sein. Manfred Hausmann [1898-1986];
Oscar Wilde
dt. Schriftsteller

Das Fernsehen ist eine Einrich¬


_Feindesliebe
tung, die uns Filme, deretwegen
Intelligente Feindesliebe geht da¬ wir nicht ins Kino gegangen sind,
von aus, daß der Friede nur zusam¬ ins Haus bringt.
men mit dem Gegner erhalten wer¬ Robert Lembke
den kann.
Carl Friedrich von Weizsäcker, Dem Fernsehen verdanken wir das
Geschichte Phänomen, daß jeden Abend un¬
zählige Menschen aufwachen, be¬
vor sie ins Bett gehen.
_Fernsehen Robert Lembke

Das Heimtückische am Fernsehen


ist: Es unterdrückt die Einsamkeit. Solange man mit einem Fernsehap¬
Woody Allen [* 1935]: amerik.
parat keine Mücke totschlagen
Regisseur und Schauspieler kann, solange kann er die Zeitung
nicht ersetzen.
Ein Mensch, der einen Berg be¬ Manfred Rommel
steigt, um den Sonnenuntergang zu
sehen, sieht etwas ganz anderes als Fernsehprogramm: Die Mündig¬
das, was einem Menschen, der in keit des Bürgers hat einen freien
einem Sessel sitzt, in einem Flim¬ Abend.
merkasten gezeigt wird. Werner Schneyder
Gilbert K. Chesterton

Fernsehen ist das einzige Schlaf¬ _Fest


mittel, das mit den Augen einge¬
nommen wird. Ein Leben ohne Feste ist eine weite
Vittorio De Sica [1902-1974]; Reise ohne Gasthaus
ital. Schauspieler und Regisseur Demokrit [um 460-370 v.Chr.];
griech. Philosoph
Das Fernsehen unterhält die Leute,
indem es verhindert, daß sie sich
miteinander unterhalten.
-Figurprobleme
Sigmund Graff
Die Fetten leben kürzer. Aber sie
Das Fernsehen ist ein Hausgast ge¬ essen länger.
worden, der alle anderen Haus¬ Stanislaw Jerzy Lec

598
Teil II Fortschritt

Dicksein ist keine physiologische Flirts sind Spinnweben zwischen


Eigenschaft - das ist eine Weltan¬ einem Maskulinum und einem Fe¬
schauung. mininum, auf denen ein Sonnen¬
Kurt Tucholsky strahl tanzt.
Thaddäus Troll [1914-1980];
dt. Schriftsteller
_Film

Früher zeigte man im Film die Da¬


_Fortschritt
me ohne Unterleib. Heute zeigt
man den Unterleib der Dame. Der Begriff des Fortschritts ist in
Ida Ehre [1900-1989]; der Idee der Katastrophe zu fun¬
dt. Schauspielerin, Regisseurin dieren. Daß es „so weiter“ geht, ist
und Theaterleiterin die Katastrophe. Sie ist nicht das
jeweils Bevorstehende, sondern
Der Film ist vielleicht die einzige das jeweils Gegebene.
Branche, in der sich mancher als Walter Benjamin
Meister fühlt, bevor seine Lehrzeit
überhaupt begonnen hat. Den zwangsläufigen und den gera¬
Alfred Hitchcock [1899-1980]; den Weg zu rationalem Handeln
brit Filmregisseur und -produzent und humanem Fortschritt gibt es
nicht. Ihm nahezukommen bleibt
Wenn ein Film Erfolg hat, ist er ein die der Demokratie innewohnende
Geschäft. Wenn er keinen Erfolg Möglichkeit.
hat, ist er Kunst. Willy Brandt, Erinnerungen
Carlo Ponti [*1913];
ital. Filmproduzent Der größte Feind des Fortschritts
ist nicht der Irrtum, sondern die
Trägheit.
_ Fleiß Henry Thomas Buckle

* Genie ist Fleiß. Fortschritt sollte bedeuten, daß wir


Nach Theodor Fontane ständig die Welt ändern, um sie der
[1819-1898]; dt. Schriftsteller Vision anzupassen; Fortschritt be¬
deutet in Wirklichkeit (jetzt eben),
*Ohne Fleiß kein Preis.
daß wir die Vision ändern.
Nach Hesiod [um 700 v. Chr.];
Gilbert K. Chesterton
griech. Dichter.
Fortschritt besteht nicht darin, daß
Ihre Entstehung verdanken die
wir in einer bestimmten Richtung
Meisterwerke dem Genie, ihre
unendlich weiterlaufen, sondern
Vollendung dem Fleiß.
daß wir einen Platz finden, auf
Joseph Joubert
dem wir wieder eine Zeitlang ste¬
henbleiben können.
Gilbert K. Chesterton
_Flirt

Der Flirt ist die Kunst, einer Frau Die Grundvoraussetzung jeden
in die Arme zu sinken, ohne ihr in Fortschritts ist die Überzeugung,
die Hände zu fallen. daß das Nötige möglich ist.
Sacha Guitry [1885-1957]; Norman Cousins [* 1915];
franz. Schriftsteller amerik. Schriftsteller

599
Fortschritt Teil II

Alles Alte, soweit es Anspruch dar¬ Wenn geschrien wird: „Es lebe der
auf hat, sollen wir lieben, aber für Fortschritt!“ frage stets; „Fort¬
das Neue sollen wir recht eigent¬ schritt wessen?“
lich leben. Stanislaw Jerzy Lec
Theodor Fontane [1819-1898];
dt. Schriftsteller Fortschritt bedeutet, daß wir im¬
mer mehr wissen und immer weni¬
Jedem Fortschritt der beherrschten ger davon haben.
Klassen entspricht eine Wiederher¬ Josef Meinrad [* 1913];
stellung der Privilegien auf höherer österr. Schauspieler
Stufe sowie die entsprechende Ab¬
wertung der Errungenschaften der Wir dürfen uns von einem erfin¬
Masse. dungswütigen Zeitalter nicht einre-
Andre Gorz den lassen, es gebe nur eine Art des
Fortschritts, nämlich den techni¬
Die Menschheit verzichtet auf kei¬ schen.
nen Fortschritt, der ihr schadet. Alexander Mitscherlich
Sigmund Graff
Aus dem Wort „Fortschritt“ hören
Wie groß sind die Fortschritte der die meisten Menschen „weniger
Menschheit, wenn wir auf den Arbeit“ heraus.
Punkt sehen, von dem sie ausging; Thomas Niederreuther
und wie klein, betrachten wir den
Punkt, wo sie hin will. Jetzt ist es der Mensch, der schei¬
Franz Grillparzer tert, weil er mit dem Fortschritt sei¬
ner eigenen Zivilisation nicht
Ohne Faulheit kein Fortschritt! Schritt halten kann.
Weil der Mensch zu faul war zu ru¬ Jose Ortega y Gasset, Aufstand
dern, erfand er das Dampfschiff;
weil er zu faul war, zu Fuß zu ge¬ Gesellschaftlicher Fortschritt ist
hen, erfand er das Auto; weil er zu nur über Minderheiten möglich,
faul war, abends die Augen zuzu¬ Mehrheiten zementieren das Beste¬
machen, erfand er das Fernsehen. hende.
Manfred Hausmann [1898-1986]; Bertrand Russell, Schriften
dt. Schriftsteller
Der letzte Tod wird der Tod des
An Fortschritt glauben heißt nicht Fortschritts sein.
glauben, daß ein Fortschritt schon Aleksander Swietochowski
geschehen ist. Das wäre kein Glau¬
ben. Die großen Fortschritte in der Wis¬
Franz Kafka, Chinesische Mauer senschaft beruhen oft, vielleicht
stets, darauf, daß man eine zuvor
Die menschliche Misere ist selten nicht gestellte Frage doch, und
so genüßlich kultiviert worden wie zwar mit Erfolg, stellt.
jetzt, da uns der Fortschritt genü¬ Carl Friedrich von Weizsäcker,
gend Freizeit beschert, ihn ausgie¬ Einheit
big zu bejammern.
Hans Kasper, Verlust Tradition ist bewahrter Fortschritt,

600
Teil II Frau

Fortschritt ist weitergeführte Tra¬ * Frauen kommen langsam, aber


dition. gewaltig.
Carl Friedrich von Weizsäcker, Ina Deter [* 1947];
Einheit dt.Rocksängerin

Fortschritt ist die Verwirklichung Eine gescheite Frau hat Millionen


von Utopien. geborener Feinde: alle dummen
Oscar Wilde Männer.
Marie von Ebner-Eschenbach

_Fragen Für viele Frauen ist der Geliebte


ein Spiegel, in dem sie sich selbst
Wer fragt, ist ein Narr für fünf Mi¬
bewundern.
nuten. Wer nicht fragt, bleibt ein
Fernandel [= Fernand
Narr für immer.
Contandin, 1903-1971];
Chinesisches Sprichwort
franz. Schauspieler
Wer noch fragen kann, dem kann
Frauen altern besser.
nichts geschehen. Der fragende
Max Frisch, Tagebuch 1966-1971
Mensch hat nichts Tragisches.
Peter Handke
Ich mache keinen Unterschied zwi¬
schen Mann und Frau. Die Frau
Das Fragezeichen ist der Ausweis
soll sich genauso unabhängig füh¬
der Gebildeten, wie der Punkt der
len wie der Mann.
des Halbgebildeten.
Mahatma Gandhi
Hans Kudszus

Die Welt ist voller Fragen. Aber je¬ Die Frau ist die Gefährtin des
Mannes, mit den gleichen geistigen
de Frage schließt eine Hoffnung in
Fähigkeiten begabt.
sich ein.
Mahatma Gandhi
Hans Margolius

Fragen sind nie indiskret. Antwor¬ * Das Naturell der Frauen ist so
ten bisweilen. nah mit Kunst verwandt.
Goethe, Faust II
Oscar Wilde

Männer sind in fremder, Frauen in


_Frau eigener Sache die besseren Diplo¬
maten.
Die pseudomoderne Frau mit ihrer Sigmund Graff
quälenden Tüchtigkeit und Ener¬
gie ist für mich immer höchst selt¬ Der Spiegel, dem die Frauen am
sam und unverständlich gewesen. meisten glauben, sind die Augen
Ingeborg Bachmann [1926-1973]; der Männer.
österr. Schriftstellerin Sigmund Graff

Die Männer, die mit den Frauen Man sagt fast jeder Frau etwas
am besten auskommen, sind diesel¬ Hübsches, wenn man eine andere
ben, die wissen, wie man ohne sie Frau kritisiert.
auskommt. Sigmund Graff
Charles Baudelaire [1821-1867];
franz. Schriftsteller Nur die sogenannten unauffälligen

601
14 Duden 12
Frau Teil II

Frauen erleben die wahre Liebe. Alle Aphorismen über Frauen sind
Auffällige Schönheiten sind meist notgedrungen boshaft. Um das
zu stark mit ihrem eigenen Sex-Ap¬ Gute an den Frauen zu schildern,
peal beschäftigt. benötigt man viele Seiten.
Katherine Hepburn [* 1909]; Andre Maurois [1885-1967];
amerik. Schauspielerin franz. Schriftsteller

Der Mann ist leicht zu erforschen, Eine Frau kann jederzeit hundert
die Frau verrät ihr Geheimnis Männer täuschen, aber nicht eine
nicht. einzige Frau.
Immanuel Kant Michele Morgan [* 1920];
franz. Schauspielerin
Sicher verdanken einige Millionäre
ihren Erfolg ihren Frauen. Aber Keine Frau trägt gerne ein Kleid,
die meisten verdanken ihre Frauen das eine andere abgelegt hat. Mit
dem Erfolg. Männern ist sie nicht so wähle¬
Danny Kaye [1913-1987]; risch.
amerik. Schauspieler Francoise Sagan [* 1935];
franz. Schriftstellerin
Es ist nicht wahr, daß man ohne
eine Frau nicht leben kann. Man Es gibt ja den schönen Spruch:
kann bloß ohne eine Frau nicht ge¬ Hinter jedem Mann, der erfolg¬
lebt haben. reich ist, steht eine Frau, die ihn
Karl Kraus stützt. Und hinter jeder Frau, die
erfolgreich ist, stehen drei Männer,
Die Welt kann zwar durch die die sie zurückhalten wollen.
Kraft des Mannes bewegt werden, Waltraud Schoppe [* 1942];
gesegnet aber im eigentlichen Sin¬ dt. Politikerin
ne des Wortes wird sie immer nur
im Zeichen der Frau. Die Schuhfabrikanten machen
Gertrud von Le Fort Frauenschuhe zum Stehenbleiben.
Dabei brauchen wir eher Schuhe
Im Leben jeder Frau gibt es zwei zum Davonlaufen.
Männer: den, den sie geheiratet, Alice Schwarzer [* 1942];
und den, den sie nicht geheiratet dt. Publizistin
hat.
Robert Lembke Ob die Weiber soviel Vernunft ha¬
ben wie die Männer, mag ich nicht
Eine Frau ist der beste Gefährte entscheiden, aber sie haben ganz
fürs Leben. gewiß nicht soviel Unvernunft.
Martin Luther Johann Gottfried Seume,
Apokryphen
Der vielgerühmte weibliche In¬
stinkt gleicht einem Seismogra¬ Daß die Frauen das letzte Wort ha¬
phen, der den Sturz eines Blumen¬ ben, beruht hauptsächlich darauf,
topfs anzeigt, aber beim Ausbruch daß den Männern nichts mehr ein¬
des Ätna versagt. fällt.
Anna Magnani [1910-1973]; Hanne Wieder [1929-1990];
ital. Filmschauspielerin dt. Schauspielerin

602
Teil II Freiheit

Frauen sind ein faszinierend eigen¬ Freiheit - eines der kostbarsten


williges Geschlecht. Jede Frau ist Güter der Einbildungskraft.
eine Rebellin und gewöhnlich in Ambrose Bierce
wildem Aufruhr gegen sich selbst.
Oscar Wilde Das Reich der Freiheit kommt
auch nicht mit stufenweiser Ver¬
Frauen sind Gemälde. Männer besserung von Gefängnisbetten.
sind Probleme. Wenn Sie wissen Ernst Bloch
wollen, was eine Frau wirklich
meint - was übrigens immer ein ge¬ Das Freisein von etwas erfährt sei¬
fährliches Unternehmen ist se¬ ne Erfüllung erst in dem Freisein
hen Sie sie an, und hören Sie ihr für etwas. Freisein allein um des
nicht zu. Freiseins willen aber führt zur An¬
Oscar Wilde archie.
Dietrich Bonhoeffer
Man sollte nie einer Frau trauen,
die einem ihr wirkliches Alter ver¬ So, wie die Freiheit eine Vorausset¬
rät. Eine Frau, die einem das er¬ zung für die Demokratie ist, so
zählt, würde einem auch alles an¬ schafft mehr Demokratie erst den
dere erzählen. Raum, in dem Freiheit praktiziert
Oscar Wilde werden kann.
Willy Brandt, Briefe
Frauen lieben die Besiegten, aber
sie betrügen sie mit den Siegern. Wo die Freiheit nicht beizeiten ver¬
Tennessee Williams teidigt wird, ist sie nur um den
[1911-1983]; Preis schrecklich großer Opfer zu¬
amerik. Schriftsteller rückzugewinnen. Hierin liegt die
Lehre des Jahrhunderts.
Willy Brandt, Erinnerungen

_Freigebigkeit Satte Menschen sind nicht notwen¬


digerweise frei, hungernde Völker
Die sogenannte Freigebigkeit ist sind es in jedem Falle nicht.
meistens nur die Eitelkeit des
Willy Brandt, Erinnerungen
Schenkens.
Francois de La Rochefoucauld Viele denken, sie sind frei, weil sie
machen können, was sie wollen,
und merken doch nicht, daß sie
ihre Diktatur in sich tragen.
_Freiheit
Ernesto Cardenal
Das eigentümliche an dem Wort
Freiheit ist, daß es nur dann zuver¬ Niemand ist frei, der nicht über
lässig klingt, wenn es in Gesell¬ sich selbst Herr ist.
schaft mit dem Wort teuer erkauft Matthias Claudius [1740-1815];
auftritt. dt. Schriftsteller
Martin Andersen-Nexo
Wer an die Freiheit des menschli¬
Freiheit ohne Gerechtigkeit ist chen Willens glaubt, hat nie geliebt
Willkür. und nie gehaßt.
Jean Anouilh Marie von Ebner-Eschenbach

603
14*
Freiheit Teil II

So weit deine Selbstbeherrschung Freiheit ist ein Gut, dessen Dasein


geht, so weit geht deine Freiheit. weniger Vergnügen bringt als seine
Marie von Ebner-Eschenbach Abwesenheit Schmerzen.
Jean Paul
* Freiheit ist Einsicht in die Not¬
wendigkeit. Die Freiheit eines jeden hat als lo¬
Friedrich Engels, Anti-Dühring gische Grenzen die Freiheit der an¬
deren.
Es geht uns mit der Freiheit wie mit Alphonse Karr [1808-1890];
der Gesundheit: Erst wenn man sie franz. Schriftsteller
nicht mehr hat, weiß man, was man
an ihr hatte. Man darf nicht warten, bis der
Werner Finck Freiheitskampf Landesverrat ge¬
nannt wird.
Da, wo’s zu weit geht, fängt die
Erich Kästner [1899-1974];
Freiheit erst an.
dt. Schriftsteller
Werner Finck

Ein freier Mensch ist einer, der sich


Der Wert eines Menschen be¬
wenigstens seiner Unfreiheit be¬
stimmt sich nach seiner Freiheit -
wußt geworden ist.
nach der, die er hat, und nach der,
Gabriel Laub
die er bewilligt.
Otto Flake
Die Grenze der Freiheit bestimmen
* Nur der verdient sich Freiheit wie die Anrainer.
das Leben, der täglich sie erobern Stanislaw Jerzy Lec
muß.
Goethe, Faust II
* Es sind nicht alle frei, die ihrer
Ketten spotten.
Nicht alle, die die Freiheit zu Gotthold Ephraim Lessing
schätzen behaupten, schätzen auch
den Widerspruch, obwohl er nichts * Freiheit ist immer Freiheit der
anderes als die erste und natürlich¬ Andersdenkenden.
ste Folge der Freiheit ist. Rosa Luxemburg
Sigmund Graff
Die Ungeübten sind gar nicht fä¬
Die sogenannte Freiheit des Men¬ hig, frei zu sein; aber das berech¬
schen läuft darauf hinaus, daß er tigt niemand, ihnen Freiheit vorzu¬
seine Abhängigkeit von den allge¬ enthalten. Man wird frei im Ge¬
meinen Gesetzen nicht kennt. brauch der Freiheit.
Friedrich Hebbel Ludwig Marcuse

Die Nöte des Menschen sind ohne Je weniger ich benötige, um frei zu
Zahl. Und doch kann ihm nichts sein, um so freier bin ich.
Schlimmeres zustoßen als der Ver¬ Werner Mitsch
lust der Freiheit.
Ho Chi Minh Die Freiheit ist nicht in die Welt
gekommen, um dem gesunden
Es darf keine Freiheit geben zur Menschenverstand den Garaus zu
Zerstörung der Freiheit. machen.
Karl Jaspers Jose Ortega y Gasset, Aufgabe

604
Teil II Freiheit

Negative Freiheit ist das Gegenein¬ Wer politische Freiheit mit persön¬
ander. Ich werde letztlich von der licher Freiheit verwechselt und po¬
Rücksichtslosigkeit des anderen litische Gleichheit mit persönlicher
beherrscht. Eine solche Feiheit ist Gleichheit, hat niemals auch nur
fremdbestimmt. Positive Freiheit fünf Minuten lang über Freiheit
ist das Miteinander und erfordert und Gleichheit nachgedacht.
meine volle Zustimmung. George Bernard Shaw
Hans A. Pestalozzi, Auf die
Bäume Unsere Taten müssen vor allem ein
Ausdruck der Freiheit sein, sonst
Wer Lust hat, über Sklaven zu herr¬ gleichen wir Rädern, die sich dre¬
schen, ist selbst ein entlaufener hen, weil sie von außen dazu ge¬
Sklave. Frei ist, wem Freie willig zwungen werden.
folgen und wer Freien willig dient. Rabindranath Tagore
Walther Rathenau
Wer die Freiheit nicht im Blut hat,
* Der Mensch ist frei geboren, und wer nicht fühlt, was das ist: Frei¬
dennoch ist er überall in Ketten. heit - der wird sie nie erringen.
Kurt Tucholsky
Jean-Jacques Rousseau,
Gesellschaftsvertrag
Nichts, nicht einmal die modernste
Waffe, nicht einmal die auf brutal¬
Mir ist die gefährliche Freiheit lie¬
ste Weise schlagkräftige Polizei,
ber als eine ruhige Knechtschaft.
nein, überhaupt gar nichts wird die
Jean-Jacques Rousseau,
Menschen auftialten können, wenn
Gesellschaftsvertrag
sie erst einmal entschlossen sind,
ihre Freiheit und ihr Menschen¬
* Der Mensch ist frei geschaffen,
recht zu erringen.
ist frei, und würd’ er in Ketten ge¬
Desmond Tutu
boren.
Schiller, Worte des Glaubens Die Freiheit ist nicht die Willkür,
beliebig zu handeln, sondern die
Freiheit ist nur möglich, wenn man Fähigkeit, vernünftig zu handeln.
bereit ist, ein Risiko einzugehen, Rudolf Virchow [1821-1902]; dt.
und ohne dieses Risiko der Frei¬ Pathologe
heit gibt es keine lebendige Demo¬
kratie. Freiheit ist ein Zwang, den wir als
Carlo Schmid Zwang nicht erkennen.
Karl Heinrich Waggerl
Wo keine Gerechtigkeit ist, ist kei¬
ne Freiheit, und wo keine Freiheit Freiheit ist ein Gut, das durch Ge¬
ist, ist keine Gerechtigkeit. brauch wächst, durch Nichtge¬
Johann Gottfried Seume, brauch dahinschwindet.
Spaziergang Carl Friedrich von Weizsäcker,
Einheit
Freiheit bedeutet Verantwortlich¬
keit; das ist der Grund, weshalb die Die Geschichte der Freiheit ist die
meisten Menschen sich vor ihr Geschichte des Widerspruches.
fürchten. Thomas Woodrow Wilson
George Bernard Shaw [1856-1924]; amerik. Politiker

605
Freizeit Teil II

_Freizeit Es gibt wenig aufrichtige Freunde.


Die Nachfrage ist auch gering.
Früher sind die Menschen für die
Marie von Ebner-Eschenbach
Freiheit auf die Barrikaden gestie¬
gen. Jetzt tun sie es für die Freizeit.
Der Freund braucht kein guter Ge¬
Werner Finck
sellschafter zu sein. Man erkennt
ihn daran, daß es auch schön ist,
Viel Freizeit kann ermüdend wir¬
mit ihm zu schweigen.
ken, wenn die Menschen sich nicht
Sigmund Graff
vernünftig und interessant beschäf¬
tigen können.
Mein Vater sagte immer, wenn
Bertrand Russell, Schriften
man bei seinem Tod fünf echte
Freunde hat, dann kann man mit
seinem Leben zufrieden sein.
_Freude
Lee Iacocca
An eine ungetrübte Freude glaubt
nur der Neider. Was unsere Freunde uns antun,
Hans Arndt das auszuhalten und zu verzeihen
kostet oft mehr an Kraft als jeder
Und ich habe mich so gefreut!, Kampf mit unversöhnlichen Geg¬
sagst du vorwurfsvoll, wenn dir ei¬ nern.
ne Hoffnung zerstört wurde. Du Martin Kessel, Gegengabe
hast dich gefreut - ist das nichts?
Marie von Ebner-Eschenbach Ehe man anfängt, seine Feinde zu
lieben, sollte man seine Freunde
Der beste Weg, sich selbst eine besser behandeln.
Freude zu machen, ist: zu versu¬ Mark Twain
chen, einem andern eine Freude zu
bereiten.
Am leichtesten fällt es einem, des
Mark Twain
anderen Herr oder Diener zu sein,
am schwersten - dessen Bruder
Hast du eine große Freude an et¬
oder Freund.
was gehabt, so nimm Abschied!
ALEKSANDER SwifTOCHOWSKI
Nie kommt es zum zweiten Male.
Friedrich Nietzsche, Nachlaß
Der Ausdruck „gute Freunde“ sagt
alles: daß es auch schlechte gibt.
* Geteilte Freude ist doppelte
Gerd Uhlenbruck
Freude.
Nach Christoph August Tiedge
[1752-1841]; dt. Dichter
-Freundlichkeit

Gesegnet, wer etwas Freundliches


_Freund
sagt, dreimal gesegnet, wer es wie¬
Die Feinde meines Feindes sind derholt.
meine Freunde. Arabisches Sprichwort
Arabisches Sprichwort
Ein freundlich Wort findet immer
Freund: ein Mensch, der dir völlig guten Boden.
selbstlos schadet. Jeremias Gotthelf [1797-1854];
Wieslaw Brudzinski Schweiz. Erzähler

606
Teil II Frömmigkeit

_Freundschaft * Es kann der Frömmste nicht in


Frieden leben, wenn es dem bösen
Die Freundschaft ist eine Kunst
Nachbarn nicht gefällt.
der Distanz, so wie die Liebe eine
Schiller, Wilhelm Teil
Kunst der Nähe ist.
Sigmund Graff Frieden ist die Fortsetzung des
Krieges mit anderen Mitteln.
Bei der Freundschaft fängt’s erst
Oswald Spengler [1880-1936];
an, interessant zu werden. Sich
dt. Kultur- und
paaren können auch Flunde.
Geschichtsphilosoph
Hildegard Knef [* 1925];
dt. Schauspielerin
_Frohsinn
Liebe und Freundschaft schließen
*Wer schaffen will, muß fröhlich
einander aus.
sein.
Jean de La Bruyere
Theodor Fontane [1819-1898];
dt. Schriftsteller
Wie zartempfindend man auch in
der Liebe sei, so verzeiht man bei * O wunderschön ist Gottes Erde
ihr doch leichter Fehler als bei der und wert, darauf vergnügt zu sein.
Freundschaft. Ludwig Heinrich Christoph
Jean de La Bruyere
Hölty [1748-1776];
dt. Schriftsteller
Die meisten Freunde verleiden ei¬
nem die Freundschaft, die meisten Ein fröhlich Herz ist des Menschen
Frommen die Frömmigkeit. Leben, und seine Freude ist ein
Francois de La Rochefoucauld langes Leben.
Jesus Sirach 30,23

* Was kann der Schöpfer lieber


_Frieden
sehen als ein fröhliches Geschöpf.
Nur Menschen, die selbst friedlich Gotthold Ephraim Lessing,
sind, können auch politischen Minna von Barnhelm
Frieden bewirken.
Franz Alt
_Frömmigkeit
Wenn du Frieden willst, bereite Die meisten Freunde verleiden ei¬
den Frieden vor; wer Krieg vorbe¬ nem die Freundschaft, die meisten
reitet, wird Krieg bekommen. Frommen die Frömmigkeit.
Franz Alt Francois de La Rochefoucauld

Mit dem Frieden ist es wie mit der Frömmigkeit ist eine Art der Klug¬
Freiheit: So wie Freiheit immer heit, sie ist Gottesklugheit.
auch die Freiheit des anderen ist, Thomas Mann
so ist Frieden immer auch der Frie¬
den des anderen. Wenn ich von jemand höre, er sei
Franz Alt sehr fromm, so nehme ich mich so¬
gleich sehr vor seiner Gottlosigkeit
Wer einen Sieg verewigen will, in acht.
muß ihn vergessen machen. Johann Gottfried Seume,
Hans Kasper, Abel Apokryphen

607
Führer Teil II

_ Führer Jugendlichen wieder zurückzuho¬


len.
Wer die Laterne trägt, stolpert
Werner Schneyder
leichter, als wer ihr folgt.
Jean Paul

Ein Führer entsteht nur, wenn eine _Futurismus


Gefolgschaft bereits da ist.
Ludwig Marcuse Der reaktionäre Versuch, technisch
bedingte Formen, das heißt abhän¬
Ein Führer, das ist einer, der die gige Variable zu Konstanten zu
anderen unendlich nötig hat. machen, tritt ähnlich wie im Ju¬
Antoine de Saint-Exupery gendstil im Futurismus auf.
[1900-1944]; franz. Schriftsteller Walter Benjamin

Zu den Pflichten der Anführer ge¬


hört nicht nur, ihre Befehlsgewalt
gewissenhaft auszuüben, sondern
auch, rechtzeitig abzutreten.
ALEKSANDER SwigTOCHOWSKI

Sklaven können ohne Führer kei¬


nen Aufstand unternehmen, aber
Sklaverei ist eine schlechte Schule
G
für Führertum.
Thornton Wilder _Galgenhumor

Galgenhumor gibt es nicht. Wer


ihn zu haben glaubt, hängt schon.
_Furcht Wolfdietrich Schnurre,
Schattenfotograf
T Angst

_Fußball _Geburt

Wenn es die Ballkunst wäre, was * Geburt und Grab, ein ewiges
die Fußballanhänger begeistert, Meer.
müßte jedes Trainingsspiel über¬ Goethe, Faust I
laufen und manches Meister¬
schaftsspiel uninteressant, wenn Nichts zu machen: Man muß sich
nicht abstoßend sein. durchsetzen können, von Geburt
Sigmund Graff an. Die Geburt selbst ist ein Akt
der Durchsetzung, der erste und
Der Fußballfanatismus ist eine eu¬ folgenreichste von vielen.
ropäische und sogar weltumspan¬ Kurt Marti
nende Geisteskrankheit.
Dieter Hildebrandt [* 1927]; Das größte, wenn auch alltägliche
dt. Kabarettist Ereignis in der Geschichte ist die
Geburt oder der Tod eines Men¬
Fußball ist die beliebteste Metho¬ schen.
de, sich das Arbeitslosengeld der ALEKSANDER SwifTOCHOWSK.1

608
Teil II Gedicht

-Gedächtnis Der Gedanke ist unsterblich, vor¬


ausgesetzt, daß er stets neu gebo¬
Das Gedächtnis ist ein sonderbares
ren wird.
Sieb: Es behält alles Gute von uns
Stanislaw Jerzy Lec
und alles Üble von den anderen.
Wieslaw Brudzinski
Ein wirklich eigener Gedanke ist
immer noch so selten wie ein Gold¬
* Ein Lügner muß ein gutes Ge¬
stück im Rinnstein.
dächtnis haben.
Christian Morgenstern
Pierre Corneille, Der Lügner

Ein neuer Gedanke - das ist meist


Wer immer die Wahrheit sagt,
eine uralte Banalität in dem Au¬
kann sich ein schlechtes Gedächt¬
genblick, da wir ihre Wahrheit an
nis leisten.
uns selbst erfahren.
Theodor Heuss [1884-1963];
Arthur Schnitzler
dt. Politiker

* Große Gedanken kommen aus


* Jedermann klagt über sein Ge¬
dem Herzen.
dächtnis, niemand über seinen Ver¬
Vauvenargues [1715-1747];
stand.
franz. Schriftsteller
Francois de La Rochefoucauld

Ein gutes Gedächtnis ist ein Fluch,


der einem Segen ähnlich sieht. _Gedankenfreiheit
Harold Pinter [* 1930]; Gedankenfreiheit bei unfreier Ar¬
engl. Dramatiker beit macht die Freiheit zum Para¬
dox.
Man hat es so leicht, seine Erinne¬ Stanislaw Brzozowski
rungen zu schreiben, wenn man ein
schlechtes Gedächtnis hat. Es ist ein Mißverständnis, die Ge¬
Arthur Schnitzler dankenfreiheit bis zur Unabhän¬
gigkeit vom Verstände voranzutrei¬
Das Gedächtnis ist der Diener un¬ ben.
serer Interessen. Hans Kasper, Abel
Thornton Wilder

_Gedankenlosigkeit
_Gedanke
Nichts ist gefährlicher als der Ge¬
Wahr sind nur die Gedanken, die danke - ausgenommen Gedanken¬
sich selber nicht verstehen. losigkeit.
Theodor W. Adorno Karlheinz Deschner

Gedanken sind nicht stets parat, Gedankenlosigkeit tötet. Andere.


man schreibt auch, wenn man kei¬ Stanislaw Jerzy Lec
ne hat.
Wilhelm Busch, Sprikker

_Gedicht
Weise erdenken die neuen Gedan¬
ken, und Narren verbreiten sie. Im Gedicht ist die Sprache zur Ru¬
Heinrich Heine, Gedanken he gebracht, und der Mensch lebt,

609
Geduld Teil II

gestillt, für einen Augenblick im Auf dieser Welt muß entweder


Schweigen. bald gestorben oder geduldig ge¬
Gottfried Benn, Krise der lebt werden.
Sprache Martin Luther

Ein Gedicht ist immer die Frage Geduld ist die Tugend der Revolu¬
nach dem Ich. tionäre.
Gottfried Benn, Marginalien Rosa Luxemburg

Ein neues Gedicht heißt für den Man braucht viel Geduld, ehe man
Autor immer wieder einen Löwen Geduld mit sich hat.
bändigen und für den Kritiker ei¬ Wolfdietrich Schnurre,
nem Löwen ins Auge sehen, wo er Schattenfotograf
vielleicht lieber einen Esel träfe.
Gottfried Benn, Probleme der Predigt nur immer brav Geduld, so
Lyrik ist die Sklaverei fertig! Denn von
der Geduld zum Beweise, daß Ihr
Oft bleibt vom Gedicht in der alles dulden müßt, hat die Gaune¬
Deutschstunde weniger als von der rei einen leichten Übergang.
Linde im Tee. Johann Gottfried Seume,
Karlheinz Deschner
Apokryphen

Das Gedicht ist nicht das Echo der


Gesellschaft, sondern es ist ihr Ge¬
schöpf und ihr Schöpfer zugleich. _Gefahr
Octavio Paz, Essays II
Gefahren warten nur auf jene, die
nicht auf das Leben reagieren.
Die Krise der Lyrik hängt auch da¬
Michail Gorbatschow [* 1931];
mit zusammen, daß man sie nicht
Sowjet. Politiker
verfilmen kann.
Peter Rühmkorf [* 1929];
* Wo aber Gefahr ist, da wächst
dt. Schriftsteller
das Rettende auch.
Friedrich Hölderlin, Patmos

_Geduld
Der Furchtsame erschrickt vor der
Geduld ist die halbe Liebe schon, Gefahr, der Feige in ihr, der Muti¬
und manchmal denke ich, sie sei ge nach ihr.
die ganze. Jean Paul
Otto Flake
* Wer sich in Gefahr begibt,
Es gibt keine einfachen Lösungen kommt darin um.
für sehr komplizierte Probleme. Nach Jesus Sirach 3,27
Man muß den Faden geduldig ent¬
wirren, damit er nicht reißt.
Michail Gorbatschow [* 1931];
-Gefängnis
Sowjet. Politiker
Mich interessiert am meisten die ...
Es bedarf großer Geduld, um sie zu Daseinslage der Menschen in den
lernen. Gefängnissen. Nirgendwo anders
Stanislaw Jerzy Lec läßt sich der Grad der gesellschaft-

610
Teil II Gegner

liehen Entwicklung eindeutiger Nicht wenig Männer haben kein


fassen. anderes Innenleben als das ihrer
Rudolf (Rudi) Dutschke Worte, und ihre Gefühle beschrän¬
ken sich auf eine rein verbale Exi¬
Um einen Staat zu beurteilen, muß stenz.
man sich seine Gefängnisse von in¬ Jose Ortega y Gasset, Liebe
nen ansehen.
Leo Tolstoi [ 1828 -1910];
russ. Schriftsteller
_Gegenwart

_Gefühl Literatur und das Leben kennen im


Grunde nur das Heute.
Verstand ohne Gefühl ist un¬
Heinrich Mann [1871-1950];
menschlich, Gefühl ohne Verstand
dt. Schriftsteller
ist Dummheit.
Egon Bahr [* 1922]; dt. Politiker
Alle Zauber der Vergangenheit
können nicht eine Berührung mit
Wenn ein Mensch unter der Wir¬
der Gegenwart ersetzen.
kung seiner Gefühle steht, kommt
Romain Rolland [1866-1944];
sein wirkliches Selbst zum Vor¬
franz. Schriftsteller
schein.
Dale Carnegie
Das Merkwürdigste an der Zu¬
Der Schriftsteller scheut sich vor kunft ist wohl die Vorstellung, daß
Gefühlen, die sich zur Veröffentli¬ man unsere Zeit später die gute alte
chung nicht eignen; er wartet dann Zeit nennen wird.
auf seine Ironie. John Steinbeck [1902-1968];
Max Frisch, Montauk amerik. Schriftsteller

Das Herz gibt allem, was der Erwarte nichts. Heute: Das ist das
Mensch sieht und hört und weiß, Leben.
die Farbe. Kurt Tucholsky
Johann Heinrich Pestalozzi,
Lienhard und Gertrud

Die Vernunft formt den Menschen, _Gegner


das Gefühl leitet ihn.
Jean-Jacques Rousseau, (auch t Feind)
Bekenntnisse
Auch in der Kunst, immer mehr
Gegner zu gewinnen, kann man es
_Gefühlsarmut zur Virtuosität bringen.
Adolf Nowaczynski
* Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr wer-
det’s nicht erjagen.
Sage mir, wie ein Land mit seinen
Goethe, Faust I
schlimmsten politischen Gegnern
Was nicht im Menschen ist, kommt umgeht, und ich will dir sagen,
auch nicht von außen in ihn hinein. was es für einen Kulturstandard
Wilhelm von Humboldt, hat.
Sentenzen Kurt Tucholsky

611
Gehalt Teil II

_Gehalt (das) __ Geist

t Bezahlung Die Tradition, die die Schöpfung


dem Menschen zu tragen übergab,
heißt: Geist.
_Geheimnis Gottfried Benn, Sein

Wer den kleinsten Teil seines Ge¬ Geist ist nicht eine späte Blüte am
heimnisses hingibt, hat den ande¬ Baume Mensch, sondern er ist das,
ren nicht mehr in seiner Gewalt. was den Menschen als solchen
Jean Paul konstituiert.
Martin Buber
Es gibt Geheimnisse, von denen
man nicht wüßte, wenn sie keine Um Großes zu vollbringen, muß
Geheimnisse wären. der Geist weit und gelassen sein.
Jüdisches Sprichwort Ho Chi Minh

Auch Frauen können Geheimnisse Der Geist muß als ganzes durch
verschweigen. Aber sie können das Reduktionsventil des Gehirns
nicht verschweigen, daß sie Ge¬ hindurchfließen. Was übrigbleibt,
heimnisse verschweigen. ist ein spärliches Rinnsal von Be¬
William Somerset Maugham wußtsein.
[1874-1965]; brit. Schriftsteller Aldous Huxley [1894-1963];
brit. Schriftsteller

Geist und Talent verhalten sich zu¬


-Gehorsam
einander wie das Ganze zu seinem
Wenn nur noch Gehorsam gefragt Teile.
ist und nicht mehr Charakter, dann Jean de La Bruyere
geht die Wahrheit, und die Lüge
kommt. * Es ist der Geist, der sich den Kör¬
Ödön von Horvath [1901-1938]; per baut.
österr. Schriftsteller Schiller, Wallensteins Tod

Unbedingter Gehorsam setzt bei Der Stil ist die Physiognomie des
den Gehorchenden Unwissenheit Geistes.
voraus. Arthur Schopenhauer
Montesquieu, Geist der Gesetze
Der Geist ist demselben Gesetz un¬
Manche Eltern und Schulen begin¬ terworfen wie der Körper: Beide
nen mit dem Versuch, den Kindern können sich nur durch beständige
völligen Gehorsam beizubringen, Nahrung erhalten.
ein Versuch, der entweder einen Vauvenargues [1715-1747];
Sklaven oder einen Empörer her¬ franz. Schriftsteller
vorbringen muß.
Bertrand Russell, Schriften
-Geiz
Der Gehorsam heuchelt Unterord¬ Geiz ist Grausamkeit gegen die
nung, so wie die Angst vor der Poli¬ Dürftigen, und die Verschwendung
zei Anständigkeit heuchelt. ist es nicht weniger.
George Bernard Shaw Christian Fürchtegott Gellert

612
Teil II Geld

Der Geizige macht zahllose Testa¬ Die meisten tragen ihr Geld zur
mente. Sie haben für ihn den Reiz Bank, um es vor sich selbst in Si¬
einer Geldausgabe, von der er cherheit zu bringen.
weiß, daß er sie nie erlebt. Sigmund Graff
Sigmund Graff
Das Geld ist notwendig, aber nicht
Geiz ist die Armut der Reichen. ausreichend. Es ist aber notwen¬
Werner Mitsch dig, daß es ausreichend ist, damit
es nicht mehr notwendig ist.
Manfred Hinrich
_Gelassenheit
Wenn man das Geld richtig behan¬
Die Gelassenheit ist eine anmutige
delt, ist es wie ein folgsamer Hund,
Form des Selbstbewußtseins.
der einem nachläuft.
Marie von Ebner-Eschenbach
Howard R. Hughes [1905-1976];

Gib mir die Gelassenheit, Dinge amerik. Industrieller


hinzunehmen, die ich nicht ändern
Wer Geld liebhat, der bleibt nicht
kann. Gib mir den Mut, Dinge zu
ohne Sünde.
ändern, die ich ändern kann. Und
Jesus Sirach 31,5
gib mir die Weisheit, das eine vom
anderen zu unterscheiden. Wenn’s um Geld geht, gibt’s nur
Friedrich Christoph Oetinger
ein Schlagwort: „Mehr!“
[1702-1782]; dt. evangelischer Andre Kostolany
Theologe
Das Geld ist ganz bestimmt kein
Übel. Sonst könnten wir es ja nicht
_ Geld so leicht loswerden.
Die Fähigkeit, auf welche die Men¬ Alex Möller [1903-1985];
schen den meisten Wert legen, ist dt. Politiker
die Zahlungsfähigkeit.
Oskar Blumenthal [1852-1917];
Alles, was uns wirklich nützt, ist für
wenig Geld zu haben. Nur das
dt. Schriftsteller
Überflüssige kostet viel.
* Ist das nötige Geld vorhanden, ist Axel Munthe
das Ende meistens gut.
Das Brecheisen der Macht, viel
Bertolt Brecht,
Dreigroschenoper Geld.
Friedrich Nietzsche, Zarathustra
* Mit dem Bezahlen wird man das
Dem Geld darf man nicht nachlau¬
meiste Geld los.
fen. Man muß ihm entgegengehen.
Wilhelm Busch, Aphorismen
Aristoteles Onassis
Wenn du den Wert des Geldes ken¬ [1906(?>—1975]; griech. Reeder
nenlernen willst, versuche, dir wel¬
Das Geld, das man besitzt, ist das
ches zu borgen!
Mittel zur Freiheit, dasjenige, dem
Benjamin Franklin, Reichtum
man nachjagt, das Mittel zur
Wer Geld schenkt, schenkt immer Knechtschaft.
ein bißchen Freiheit mit. Jean-Jacques Rousseau,
Sigmund Graff Bekenntnisse

613
Gelübde Teil II

Viele Menschen benutzen das päck kommen wir von den meisten
Geld, das sie nicht haben, für den Reisen arm zurück.
Einkauf von Dingen, die sie nicht Sigmund Graff
brauchen, um damit Leuten zu im¬
ponieren, die sie nicht mögen. Ich bin nur mit dem anderen, allein
Walter Slezak [1902-1983]; bin ich nichts.
amerik. Schauspieler, Sänger und Karl Jaspers
Schriftsteller österr. Herkunft

* Geld stinkt nicht. _Gemeinschaft


Nach Vespasian [9-79 n.Chr.];
röm. Kaiser Wer in einem Restaurant die Paare
beobachtet, kann aus der Länge
der Gespräche Schlüsse auf die
_Gelübde Dauer der gemeinsam verlebten
Zeit ziehen. Je kürzer die Konver¬
Ein Leben ohne Gelübde ist wie sation, desto länger die Gemein¬
ein Schiff ohne Anker oder wie ein schaft.
Gebäude, das auf Sand gebaut ist Andre Maurois [1885-1967];
anstatt auf festen Felsen. franz. Schriftsteller
Mahatma Gandhi
Der Mensch für sich allein vermag
gar wenig und ist ein verlassener
-Gemeinnutz Robinson; nur in der Gemein¬
* Gemeinnutz geht vor Eigennutz. schaft mit den andern ist und ver¬
Montesquieu, Geist der Gesetze
mag er viel.
Arthur Schopenhauer

_Gemeinplatz
_Gemeinwohl
Respekt vor dem Gemeinplatz! Er
ist seit Jahrhunderten aufgespei¬ Das Wohl des Ganzen ist das erste
cherte Weisheit. Gesetz, wie bei jedem lebendigen
Marie von Ebner-Eschenbach Dinge; und jede Staatsverfassung,
wo nur ein Teil sich wohlbefindet
oder gar abgesondert wäre, ist ein
-Gemeinsamkeit Ungeheuer, eine Mißgeburt.
Wilhelm Heinse
Nichts bist du, nichts ohne die an¬
dern. Der verbissenste Misanthrop Die Summe der Einzelinteressen
braucht die Menschen doch, wenn ergibt nicht Gemeinwohl, sondern
auch nur, um sie zu verachten. Chaos.
Marie von Ebner-Eschenbach Manfred Rommel

Nur andere Menschen können un¬


ser Leben erfüllen. Hat es nur uns
-Gemüt
selbst zum Inhalt, so bleibt es leer.
Helmut Gollwitzer Wer glaubt, aus dem Gemüt zu
schöpfen, schöpft gelegentlich aus
Schönes, allein gekostet, tut weh. der trüben Quelle des Vorurteils.
Ohne das ,Weißt du noch?4 im Ge¬ Manfred Rommel

614
Teil II Gerechtigkeit

_Generation Augen hat für das, was ihm vor den


Füßen liegt.
Die Probleme, die die eine Gene¬
Johann Jakob Mohr [1824-1886];
ration erregen, erlöschen für die
dt. Schriftsteller
folgende Generation nicht, weil sie
gelöst wären, sondern weil die
Ein Gelehrter ist, wer viel gelernt
allgemeine Gleichgültigkeit von
hat; ein Genie der, von dem die
ihnen absieht.
Menschheit lernt, was er von kei¬
Cesare Pavese
nem gelernt hat.
Arthur Schopenhauer

Zwischen dem Genie und dem


_Genialität
Wahnsinnigen ist die Ähnlichkeit,
Genialität, die von etwas anderem daß sie in einer andern Welt leben
ausgeht als den Mitteln, die ihr sich als der für alle vorhandenen.
auszudrücken zur Verfügung ste¬ Arthur Schopenhauer
hen, ist Dilettantismus.
Gottfried Benn, Marginalien Wenn ein wirklich großer Geist in
der Welt erscheint, kann man ihn
untrüglich daran erkennen, daß
sich alle Dummköpfe gegen ihn
_Genie verbünden.
Jonathan Swift
Genie ist ein Prozent Inspiration
und neunundneunzig Prozent
Transpiration.
Thomas Alva Edison _Genuß
[1847-1931]; amerik. Erfinder
Zu allem Genuß sind zwei Herzen
notwendig, die sich lieben.
* Genie ist Fleiß.
Wilhelm Heinse
Nach Theodor Fontane
[1819-1898]; dt. Schriftsteller Genuß kann unmöglich das Ziel
des Lebens sein. Genuß ohne et¬
Ohne den Staub, worin er auf¬ was darüber ist etwas Gemeines.
leuchtet, wäre der Strahl nicht Christian Morgenstern
sichtbar.
Andre Gide, Tagebuch Wer nicht genießt, wird ungenie߬
bar.
Ihre Entstehung verdanken die Konstantin Wecker [* 1947]; dt.
Meisterwerke dem Genie, ihre Liedermacher
Vollendung dem Fleiß.
Joseph Joubert

_Gerechtigkeit
* Raffael wäre ein großer Maler ge¬
worden, selbst wenn er ohne Hän¬ Gerechtigkeit ohne Gnade ist nicht
de auf die Welt gekommen wäre. viel mehr als Unmenschlichkeit.
Nach Gotthold Ephraim Albert Camus [1913-1960];
Lessing, Emilia Galotti franz. Schriftsteller

Der geniale Mensch ist der, der Von allen Tugenden die schwerste

615
Gerücht Teil II

und seltenste ist die Gerechtigkeit. darf die Portionen bestimmen, und
Man findet zehn Großmütige ge¬ der andere hat die Wahl.
gen einen Gerechten. Gustav Stresemann [1878-1929];
Franz Grillparzer dt. Politiker

Eine Welt, worin ein Hund auch


nur ein einziges Mal Prügel be¬ _Gerücht
kommen kann, ohne sie verdient zu
Gerücht - Lieblingswaffe des Ruf¬
haben, kann keine vollkommene
mörders.
Welt sein.
Ambrose Bierce
Friedrich Hebbel

Wo Nachrichten fehlen, wachsen


Bei der Gerechtigkeit, die wir an¬
die Gerüchte.
deren schuldig sind, besteht ein
Alberto Moravia [1907-1990];
wesentlicher Umstand darin, daß
ital. Schriftsteller
wir sie schnell und ohne Verzug
ausüben; wenn man darauf warten
läßt, so ist dies schon Ungerechtig¬
_Gesang
keit.
Jean de La Bruyere Es gibt kein Leben ohne Gesang,
wie es kein Leben ohne Sonne gibt.
Man sagt oft, daß es wichtiger sei, Julius Fucik
den Unschuldigen freizusprechen
als den Schuldigen zu verurteilen, Der Mensch ... kann ohne Gesang
aber überall obliegt es der Polizei, ebensowenig auskommen wie ohne
den Beweis für die Schuld, nicht Brot.
für die Unschuld zu finden. Romain Rolland [1866-1944];
Bertrand Russell, Schriften franz. Schriftsteller

Wenn der Haß feige wird, geht er


maskiert in Gesellschaft und nennt _Geschäfte
sich Gerechtigkeit.
Arthur Schnitzler
Geschäft ist mehr als Geld. Ein Ge¬
schäft, das nichts als Geld verdient,
Wer den ersten Gedanken der Ge¬ ist kein gutes Geschäft.
rechtigkeit hatte, war ein göttlicher Henry FordI. [1863-1947];
Mensch; aber noch göttlicher wird amerik. Industrieller
der sein, der ihn wirklich ausführt.
Johann Gottfried Seume,
Wenn die eine Hand die andere
Apokryphen wäscht, pflegen beide schmutzig zu
werden.
Sigmund Graff
Wo keine Gerechtigkeit ist, ist kei¬
ne Freiheit, und wo keine Freiheit
ist, ist keine Gerechtigkeit.
Johann Gottfried Seume, -Geschenke
Spaziergang (auch t Schenken)

Es gibt ein unfehlbares Rezept, ei¬ * Die Art, wie man gibt, gilt mehr,
ne Sache gerecht unter zwei Men¬ als was man gibt.
schen aufzuteilen: Einer von ihnen Pierre Corneille, Der Lügner

616
Teil II
Geschichte

Wie wir von manchen Menschen gen sollten, unsere Feinde „zu
verkannt werden, beweisen uns lieben“ - was wir angesichts
nicht selten ihre Geschenke. der Werkzeuge, deren sich die
Sigmund Graff Schlächter heutzutage bedienen
können, nicht mehr allzulange wer¬
Das Rechte nach Bedarf zu schen¬ den hinausschieben dürfen.
ken macht immer nötig, scharf zu Hoimar von Ditfurth
denken.
Eugen Roth Geschichte ist machbar.
Rudolf (Rudi) Dutschke
Ein Geschenk von zwei bis drei
Blumen sagt mehr als ein ganzer Heute muß man Geschichte mit
Tragkorb. dem Bleistift schreiben; es läßt sich
Robert Schumann leichter radieren.
Pierre Gaxotte [1895-1982];
franz. Historiker und Publizist
_Geschichte
Geschichte schreiben ist eine Art,
Der Ausdruck des Geschichtlichen
sich das Vergangene vom Halse zu
an Dingen ist nichts anderes als der
schaffen.
vergangener Qual.
Goethe, Maximen und
Theodor W. Adorno
Reflexionen
Das „Zu spät“ ist die große Toten¬
Geschichte ist irreparable Politik.
glocke der Geschichte.
Politik manipulierbare Geschichte.
Rudolf Augstein [* 1923];
Sigmund Graff
dt. Publizist

Geschichte schreiben heißt Jahres¬ Die Weltgeschichte ist der Fort¬


zahlen ihre Physiognomie geben. schritt im Bewußtsein der Freiheit.
Georg Wilhelm Friedrich
Walter Benjamin
Hegel, Philosophie der
Die Geschichte kennt kein letztes Geschichte
Wort.
Willy Brandt, Erinnerungen * Der heutige Tag ist ein Resultat
des gestrigen. Was dieser gewollt
Aus der Geschichte lernen? So ein hat, müssen wir erforschen, wenn
Volk es tut, geht es ohne Schmerz wir zu wissen wünschen, was jener
nicht ab. will.
Willy Brandt, Erinnerungen Heinrich Heine, Französische
Zustände
Nicht selten wird die Geschichte
gleich von denen gefälscht, die sie Daher sind die Tatsachen der Ge¬
machen. schichte in ihren einzelnen ver¬
Wieslaw Brudzinski knüpfenden Umständen wenig
mehr als die Resultate der Überlie¬
Ich wüßte nicht, wie wir jemals ferung und Forschung, die man
Aussicht darauf haben könnten, übereingekommen ist, für wahr an¬
unserer Historie den Charakter zunehmen.
einer Schlachthauschronik zu neh¬ Wilhelm v. Humboldt, Schriften
men, wenn wir es nicht fertigbrin¬ zur Anthropologie und Geschichte

617
Geschmack Teil II

Die Geschichte belehrt fast nie¬ holt und immer das Unerwartete
mand als die Gelehrten, die sie leh¬ geschieht, wie unfähig muß der
ren, selten die Gewaltigen, welche Mensch sein, durch Erfahrung
die Geschichte selber regieren und klug zu werden.
erzeugen helfen. George Bernard Shaw
Jean Paul
Wer die Enge seiner Heimat ermes¬
Geschichte: Sammlung von Tatsa¬ sen will, reise. Wer die Enge seiner
chen, die vermeidbar gewesen wä¬ Zeit ermessen will, studiere Ge¬
ren. schichte.
Stanislaw Jerzy Lec Kurt Tucholsky

Die Geschichte lehrt, wie man sie Die Geschichte ist die Wissen¬
fälscht. schaft von den Dingen, die sich
Stanislaw Jerzy Lec nicht wiederholen.
Paul Valery [1871-1945];
Nicht die Gewehrkugeln und Ge¬ franz. Schriftsteller
neräle machen Geschichte, son¬
dern die Massen. Was den Menschen auszeichnet, ist
Nelson R. Mandela [*1918]; nicht, daß er Geschichte hat, son¬
südafrikan. Politiker dern daß er etwas von seiner Ge¬
schichte begreift.
Die Geschichte ist das Reich der Carl Friedrich von Weizsäcker,
Notwendigkeit. Geschichte
Herbert Marcuse

* Die Geschichte aller bisherigen


-Geschmack
Gesellschaft ist die Geschichte von
Klassenkämpfen. Der einzige Geschmack, der einem
Karl Marx Menschen wirkliche Befriedigung
geben kann, ist sein eigener.
Viele Denkmäler sind steingewor¬ Philip Rosenthal [*1916];
dene Geschichtsfälschungen. dt. Industrieller
Werner Mitsch
Der Geschmack ist die Kunst, sich
Historisches Wissen ist eine Tech¬ auf Kleinigkeiten zu verstehen.
nik ersten Ranges zur Erhaltung Jean Jacques Rousseau, Emile
und Fortsetzung einer gereiften Zi¬
vilisation. Mit dem guten Geschmack ist es
Jose Ortega y Gasset, Aufstand ganz einfach: Man nehme von al¬
lem nur das Beste.
Ich weiß nicht, ob die Geschichte Oscar Wilde
sich wiederholt: Ich weiß nur, daß
die Menschen sich wenig ändern.
Octavio Paz, Essays I
-Geschwätzigkeit

Die Geschichte wiederholt sich Geschwätzigkeit - krankhafte Stö¬


nicht. Sie bleibt nur gleich. rung, die den Befallenen unfähig
Werner Schneyder macht, die Klappe zu halten, wenn
du reden willst.
Wenn die Geschichte sich wieder¬ Ambrose Bierce

618
Teil II Gespräch

Es gibt Menschen, die heiser wer¬ Die Gesellschaft ist immer eine dy¬
den, wenn sie ununterbrochen acht namische Einheit zweier Faktoren,
Tage lang mit keinem ein Wort ge¬ der Eliten und der Massen.
sprochen haben. Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Karl Kraus

Man bereut es selten, wenn man zu


_Gesetz
wenig spricht, aber sehr oft, wenn
man zu viel spricht: eine ver¬ Wer Gesetze schafft, muß streng,
brauchte und alltägliche Lebens¬ wer Gesetze handhabt, milde sein.
regel, die jedermann kennt, aber Chinesisches Sprichwort
niemand befolgt.
Jean de La Bruyere Wenn man alle Gesetze studieren
sollte, so hätte man gar keine Zeit,
sie zu übertreten.
Goethe, Maximen und
_Gesellschaft
Reflexionen
Nur dort, wo das Privateste und
das Gesellschaftliche sich lebendig Die Unkenntnis des Gesetzes be¬
und schmerzhaft überschneiden, freit nicht von der Verantwortung.
kann ein Mensch politisch produk¬ Aber die Kenntnis oft.
tiv werden. Stanislaw Jerzy Lec
Wolf Biermann, Affenfels

Gesellschaften unterscheiden sich


_Gesicht
nicht darin, daß es in einigen Kon¬
flikte gibt und in anderen nicht; t Aussehen
Gesellschaften unterscheiden sich
in der Gewaltsamkeit und der In¬
tensität von Konflikten.
_Gespräch
Ralf Dahrendorf
Was sind das für Zeiten, wo ein
Aus der absoluten Utopie der gu¬ Gespräch über Bäume fast ein Ver¬
ten Gesellschaft des Reiches Got¬ brechen ist, weil es ein Schweigen
tes folgt die relative Utopie einer über so viele Untaten einschließt.
besseren Gesellschaft, für die wir Bertolt Brecht, An die
arbeiten sollen. Nachgeborenen I
Helmut Gollwitzer
Die Debatten der Staatenvertreter
Ehre und Konvention sind die von heute haben mit einem Men¬
Bausteine der Gesellschaft, die Lü¬ schengespräch nichts mehr ge¬
ge der Kitt. meinsam : man redet nicht zueinan¬
Hans Kasper, Revolutionäre der.
Martin Buber
Man kann nicht zugleich in der Ge¬
sellschaft leben und frei von ihr Das echte Gespräch bedeutet: aus
sein. dem Ich heraustreten und an die
Wladimir Iuitsch Lenin Türe des Du klopfen.
[1870-1924]; Albert Camus [1913—1960];
russ.-Sowjet. Politiker franz. Schriftsteller

619
Gestalten Teil II

Ich spreche nicht gern mit Leuten, wie mit der des Körpers. Ohne Ge¬
die stets meiner Meinung sind. sundheit keine ersprießliche Tätig¬
Eine Zeitlang macht es Spaß, mit keit; aber die Erhaltung der Ge¬
dem Echo zu spielen, auf die Dau¬ sundheit zum Geschäfte seines Le¬
er aber ermüdet es. bens zu machen, ist die Sache der
Thomas Carlyle müßigen Toren und Hypochondri-
sten.
Ein gutes Gespräch ist ein Kom¬ Franz Grillparzer
promiß zwischen Reden und Zu¬
hören. Überhaupt aber beruhen neun
Ernst Jünger [* 1895]; Zehntel unseres Glückes allein auf
dt. Schriftsteller der Gesundheit. Mit ihr wird alles
eine Quelle des Genusses, hinge¬
Groß betrachtet ist alles Gespräch gen ist ohne sie kein äußeres Gut,
nur - Selbstgespräch. welcher Art es auch sei, genießbar.
Christian Morgenstern Arthur Schopenhauer

Die Leute wünschen nicht, daß Eine gesunde Lebensweise ist am


man zu ihnen redet. Sie wünschen, Anfang zwar unbequem, am Ende
daß man mit ihnen redet. aber bequem. Bei der ungesunden
Emil Oesch, Menschen
Lebensweise ist es umgekehrt.
Gerd Uhlenbruck

_Gestalten

Werden bedeutet immer, daß ein _Gewalt


Etwas wird, gestaltet wird. Und
Was mit Gewalt erlangt worden ist,
Gestalten: Es bedeutet schon
kann man nur mit Gewalt behal¬
sprachlich das Zeitwort von Ge¬
ten.
stalt, sachgemäß ihr formendes
Mahatma Gandhi
Geschehen.
Ernst Bloch
*Von der Gewalt, die alle Men¬
schen bindet, befreit der Mensch
sich, der sich überwindet.
_Geständnis
Goethe, Die Geheimnisse
Der Wunsch nach dem Geständnis
war die Grundlage für die Foltern Der Gewalt auszuweichen ist Stär¬
der Inquisition. ke.
Bertrand Russell, Schriften Laotse

Was ist Gewalt anderes als Ver¬


-Gesundheit nunft, die verzweifelt; als Ultima
ratio?
Wenn wir uns über unsere Gesund¬
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
heit nur halb so freuen könnten,
wie wir uns über jede Krankheit
grämen und Sorgen machen, wären
-Gewaltlosigkeit
wir maßlos glücklich.
Sigmund Graff Ausübung von Gewaltlosigkeit er¬
fordert weit größeren Mut als den
Mit der Gesundheit der Seele ist es des Kämpfers. Feigheit und Ge-

620
Teil II Gewissen

waltlosigkeit passen nicht zusam¬ Ich bin für die Aufteilung der Ge¬
men. winne - solange ein Unternehmen
Mahatma Gandhi Gewinne macht.
LeeIacocca
Gewaltlosigkeit ist unmöglich oh¬
ne Demut. Wer nur um Gewinn kämpft, erntet
Mahatma Gandhi nichts, wofür es sich lohnt zu
leben.
Die Demokratie, wie ich sie verste¬ Antoine de Saint-Exupery
he, muß dem Schwächsten die glei¬ [1900-1944]; franz. Schriftsteller
chen Chancen zusichern wie dem
Stärksten. Nur Gewaltlosigkeit * Viel kann verlieren, wer gewinnt.
kann zu diesem Ziele führen. August Wilhelm Schlegel, Arion
Mahatma Gandhi

Wir haben nicht mehr die Wahl


zwischen Gewalt und Nichtgewalt. _Gewissen
Wir haben nur die Wahl zwischen Die innere Stimme muß schon vor¬
Nichtgewalt und Nichtsein. laut werden, damit wir ihr folgen.
Martin Luther King Hans Arndt
[1929-1968];
amerik. Bürgerrechtler und * Der Handelnde ist immer gewis¬
Baptistenpfarrer senlos; es hat niemand Gewissen
als der Betrachtende.
Nie kommt man durch Gewalt zur Goethe, Maximen und
Gewaltlosigkeit. Reflexionen
Gustav Landauer [1870-1919];
dt. Schriftsteller und Politiker Der Gerechte lebt durch den Glau¬
ben - aber es ist gut, wenn er das
Gewissen hinzufügt.
Romano Guardini
_Gewinn [1885-1968];
Gewinn ist so notwendig wie die dt. kath. Religionsphilosoph und
Luft zum Atmen, aber es wäre Theologe ital. Herkunft
schlimm, wenn wir nur wirtschaf¬
ten würden, um Gewinne zu ma¬ Gewissenlosigkeit ist nicht Mangel
chen, wie es schlimm wäre, wenn des Gewissens, sondern der Hang,
wir nur leben würden, um zu at¬ sich an dessen Urteil nicht zu keh¬
men. ren.
Hermann Josef Abs [* 1901]; Immanuel Kant
dt. Bankfachmann
Sein Gewissen war rein. Er benutz¬
Nach Meinung der Sozialisten ist te es nie.
es ein Laster, Gewinne zu erzielen. Stanislaw Jerzy Lec
Ich bin dagegen der Ansicht, daß
es ein Laster ist, Verluste zu ma¬ Gewissen: die innere Stimme, die
chen. uns warnt, weil jemand zuschauen
Winston Churchill [1874-1965]; könnte.
brit. Staatsmann Henry Louis Mencken

621
Gewohnheit Teil II

Wer kein schlechtes Gewissen hat, mal sogar die Verachtung.


hat überhaupt keins. Marie von Ebner-Eschenbach
Thomas Niederreuther
Immer wieder behauptete Un¬
Wenn man nicht froh ist, dann des¬ wahrheiten werden nicht zu Wahr¬
halb, weil mit dem Gewissen etwas heiten, sondern, was schlimmer ist,
nicht in Ordnung ist. zu Gewohnheiten.
Henrik Pontoppidan [1857-1943]; Oliver Hassencamp
dän. Schriftsteller
Gewohnheit ist eine schreckliche
Kein Gebot, das Gehorsam gegen¬ Tyrannin.
über einer irdischen Autorität an¬ Wilhelm Heinse
befiehlt, ist absolut oder bindend,
wenn das Gewissen es nicht gut¬ Große Dinge setzen in Erstaunen,
heißt. der kleinen wird man überdrüssig;
Bertrand Russell, Moral durch die Gewohnheit werden wir
mit beiden vertraut.
Unter einem schöpferischen Ge¬ Jean de La Bruyere
wissen verstehe ich die Fähigkeit,
ein gutes Gedächtnis zu haben, ge¬ Für zwei einander ganz entgegen-
koppelt mit dem Bedürfnis nach gesetze Dinge sind wir gleich sehr
Wahrheit und, daraus erwachsend, eingenommen: für die Gewohnheit
die sich selbst auferlegte Forde¬ und das Neue.
rung, der Gerechtigkeit so nahe Jean de La Bruyere
wie möglich zu kommen.
Wolfdietrich Schnurre, Die Macht, unter der sich Men¬
Schreibtisch schen am wohlsten fühlen, ist die
Macht der Gewohnheit.
Die beste Voraussetzung für eine Robert Lembke
gute Tat ist ein schlechtes Gewis¬
sen Die Gewohnheit ist ein Seil. Wir
Gerd Uhlenbruck weben jeden Tag einen Faden, und
schließlich können wir es nicht
Die meisten guten Werke tut das mehr zerreißen.
schlechte Gewissen der Sündigen, Heinrich Mann [1871-1950];
nicht das unbefleckte der Gerech¬ dt. Schriftsteller
ten.
Karl Heinrich Waggerl Die Gewohnheit ist eine zweite
Natur; sie hindert uns, die erste
kennenzulemen, deren Grausam¬
_Gewohnheit keiten und deren Zauber sie nicht
hat.
(auch t Routine) Marcel Proust

Wer von all seinen Gewohnheiten * Denn aus Gemeinem ist der
Kenntnis nähme, wüßte nicht Mensch gemacht, und die Ge¬
mehr, wer er ist. wohnheit nennt er seine Amme.
Elias Canetti Schiller, Wallensteins Tod

Die Gewohnheit ist langlebiger als Oft brüllen wir, man habe uns un¬
die Liebe und überwindet manch¬ sere Rechte genommen, dabei hat

622
Teil II Glaube

man uns nur von unseren üblen Alles Wissen geht aus einem Zwei¬
Gewohnheiten befreit. fel hervor und endigt in einem
ÄLEKSANDER SWIETOCHOWSKI Glauben.
Marie von Ebner-Eschenbach

-Gewöhnung Alle Wissenschaft hat als Aus¬


Niemand ist so sehr in Gefahr, gangspunkt ein Zweifeln, gegen
stumpf zu werden, als der höchst das der Glaube sich auflehnt.
Reizbare. Andre Gide, Tagebuch
Franz Grillparzer
Der Glaube geht nicht durch den
Verstand, so wenig wie die Liebe.
_Glaube Hermann Hesse

Glaube ist Gewißheit ohne Bewei¬ Glaube und Zweifel verhalten sich
se.
zueinander wie Regierung und Op¬
Henri Frederic Amiel
position in einem parlamentari¬
[1821-1881]; schen Gemeinwesen.
Schweiz. Schriftsteller
Hans Egon Holthusen,
Verstehen
* Wo das Wissen aufhört, fängt der
Glaube an.
Den Glauben an den Schöpfer auf¬
Aurelius Augustinus [354-430];
geben, das hieße, den Urgrund des
abendländischer Kirchenvater
Lebens verlassen - es hieße das Le¬
ben selbst aufgeben.
Es wachsen Glaube und Unschuld
Gertrud von Le Fort
nur am Baume der Kindheit noch;
jedoch sie währen nicht.
Wo der Glaube ist, da ist auch
Dante Alighieri
Lachen.
Martin Luther
Hat eigentlich die Skepsis auf die
Schlachtfelder geführt oder der
Es ist aber das Herz, das Gott
Glaube?
spürt, und nicht die Vernunft. Das
Karlheinz Deschner
aber ist der Glaube: Gott im Her¬
Religiöser Glaube ist nicht gleich¬ zen spüren und nicht in der Ver¬
bedeutend mit dem Für-wahr-Hal- nunft.
ten von Absurditäten, sondern Blaise Pascal
Ausdruck einer bestimmten Le¬
benshaltung. Der Glaube eines Menschen kann
Hoimar von Ditfurth
durch kein Glaubensbekenntnis,
sondern nur durch die Beweggrün¬
Glaube ist der Motor des Wissens. de seiner gewöhnlichen Handlun¬
Friedrich Dürrenmatt gen festgestellt werden.
[1921-1990]; George Bernard Shaw
Schweiz. Dramatiker
Wenn der Glaube stark ist, kann er
Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen. Aber ist er auch
Berge versetzen kann, so ist es der noch blind, dann begräbt er das
Glaube an die eigene Kraft. Beste darunter.
Marie von Ebner-Eschenbach Karl Heinrich Waggerl

623
Glauben Teil II

Glaube ist ein sich stets erweitern¬ Mensch zum Erkennen, den Glau¬
der Teich von Klarheit, von Quel¬ ben zum Handeln.
len gespeist, die jenseits des Be¬ Max Planck [1858-1947];
wußtseinsrands entspringen. Wir dt. Physiker
alle wissen mehr als das, wovon wir
wissen, daß wir es wissen. Es kommt nicht darauf an, was
Thornton Wilder man glaubt, sondern wie man es
glaubt.
Bertrand Russell, Moral
_Glauben
Ein Schisma findet immer dann
Glauben ist die Fähigkeit, in Got¬ statt, wenn pures Glauben entwe¬
tes Tempo zu gehen. der zu unglaubwürdig oder zu an¬
Martin Buber strengend wird.
Wolfdietrich Schnurre,
Wer glaubt, der flieht nicht aus sei¬ Schattenfotograf
ner Mitverantwortung an den Ent¬
scheidungen des Tages, aus der Glauben und Wissen verhalten
Mitsorge um den Frieden der Welt. sich wie die zwei Schalen einer
Albrecht Goes [* 1908]; Waage: in dem Maße, als die eine
dt. Schriftsteller steigt, sinkt die andere.
Arthur Schopenhauer
Unmöglich ist’s, drum eben glau¬
benswert. Es ist selten, daß ein Mensch weiß,
Goethe, Faust II was er eigentlich glaubt.
Oswald Spengler, Gedanken
Nur was wir selber glauben, glaubt
man uns
Karl Gutzkow _Gläubiger

Glauben ist Vertrauen, nicht Wis¬ Gläubiger haben ein besseres Ge¬
senwollen. dächtnis als Schuldner.
Hermann Hesse Benjamin Franklin, Reichtum

Denken ist eine Anstrengung, Es gibt bestimmt Menschen, die


Glauben ein Komfort. froh darüber sind, nicht ihre eige¬
Ludwig Marcuse nen Gläubiger zu sein.
Andre Kostolany
Wissenschaft ist nur eine Hälfte.
Glauben ist die andere.
Novalis, Fragmente -Gleichgültigkeit

Gleichgültigkeit jeder Art ist ver¬


An die Dinge glauben heißt: etwas
werflich, sogar die Gleichgültigkeit
bestehen lassen nach dem eigenen gegen uns selbst.
Tode, und im Leben die Befriedi¬
Marie von Ebner-Eschenbach
gung haben, in Berührung zu kom¬
men mit dem, was noch nach uns Gleichgültigkeit ist die mildeste
bestehen wird. Form der Intoleranz.
Cesare Pavese Karl Jaspers

Die Naturwissenschaft braucht der Wie glücklich viele Menschen wä-

624
Teil II Glück

ren, wenn sie sich genau so wenig _Glück


um die Angelegenheiten anderer
bekümmerten wie um ihre eigenen! Das Glück besteht darin, zu leben
wie alle Welt und doch wie kein
Georg Christoph Lichtenberg
anderer zu sein.
Das größte Übel, das wir unseren Simone de Beauvoir [1908-1986];
Mitmenschen antun können, ist franz. Schriftstellerin
nicht, sie zu hassen, sondern ihnen
gegenüber gleichgültig zu sein. Das Glücklich sein heißt ohne Schrek-
ist absolute Unmenschlichkeit. ken seiner selbst innewerden kön¬
nen.
George Bernard Shaw
Walter Benjamin
Gleichgültigkeit ist die sicherste
Stütze aller Gewaltherrschaft. An einer unglücklichen Liebe
Manes Sperber [1905-1984]; scheitert man zuweilen weniger als
franz. Schriftsteller österr. an einer glücklichen.
Friedl Beutelrock
Herkunft

Die Gleichgültigkeit gegenüber Sich glücklich fühlen zu können,


dem anderen ist der Anfang allen auch ohne Glück - das ist Glück.
Marie von Ebner-Eschenbach
Übels.
Erika Weinzierl [* 1925];
Glücklich machen ist das höchste
österr. Historikerin
Glück
Theodor Fontane [1819-1898];
dt. Schriftsteller
_Gleichheit

Ich kann mir nichts Besseres den¬ Das Geheimnis eines glücklichen
ken als ein bescheidenes, einfaches Lebens liegt in der Entsagung.
und freies Leben in einer egalitären Mahatma Gandhi
Gesellschaft.
Karl R. Popper In den meisten Fällen ist Glück
kein Geschenk, sondern ein Darle¬
Gleichheit ist immer der Probe¬ hen.
stein der Gerechtigkeit, und beide Albrecht Goes [* 1908];
machen das Wesen der Freiheit. dt. Schriftsteller
Johann Gottfried Seume,
Apokryphen * Das wahre Glück ist die Genüg¬
samkeit.
Wer politische Freiheit mit persön¬ Goethe, Adler und Taube
licher Freiheit verwechselt und po¬
litische Gleichheit mit persönlicher * Glücklich allein ist die Seele, die
Gleichheit, hat niemals auch nur liebt.
fünf Minuten lang über Freiheit Goethe, Egmont
und Gleichheit nachgedacht.
George Bernard Shaw Der ist der glücklichste Mensch,
der das Ende seines Lebens mit
Wo die Gleichheit unangefochten dem Anfang in Verbindung setzen
bleibt, dort bleibt die Unterord¬ kann.
nung auch unangefochten. Goethe, Maximen und
George Bernard Shaw Reflexionen

625
Glück Teil II

Ein ganzes Unglück verdrießt uns fel. Das Glück, das hinter der Not
nicht so sehr wie ein nur zur Hälfte kommt, ist ein tröstender Engel.
eingetroffenes Glück. Johann Heinrich Pestalozzi,
Karl Gutzkow Kinderlehre

Glücklich und zufrieden ist, wer Das höchste Glück des Menschen
weiß, was er nicht braucht. ist die Befreiung von der Furcht.
Wolfgang Herbst Walther Rathenau

Sich wegwerfen können für einen Glück heißt seine Grenzen kennen
Augenblick, Jahre opfern können und sie lieben.
für das Lächeln einer Frau, das ist Romain Rolland [1866-1944];
Glück. franz. Schriftsteller
Hermann Hesse
Wenn ich mit intellektuellen
Großes Glück ist die Feuerprobe Freunden spreche, festigt sich in
des Menschen, großes Unglück nur mir die Überzeugung, vollkomme¬
die Wasserprobe. nes Glück sei ein unerreichbarer
Jean Paul Wunschtraum. Spreche ich dage¬
gen mit meinem Gärtner, bin ich
Die meisten Menschen sind, um vom Gegenteil überzeugt.
glücklich zu sein, entweder nicht Bertrand Russell, Schriften
gescheit oder nicht dumm genug.
Hans Krailsheimer Glück ist das Wissen darum, daß
du nicht notwendigerweise Glück
Es bedarf größerer Tugenden, das brauchst.
Glück zu ertragen als das Unglück. William Saroyan [1908-1981];
Francois de La Rochefoucauld amerik. Schriftsteller

Es gibt kein Licht, das nur sich sel¬ Schlimmer betrogen, wer aus
ber leuchtet. Ein jedes Glück er¬ Angst vor Enttäuschung immer
hellt die Welt. wieder sein Glück versäumte, als
Hans Margolius wer jede Möglichkeit eines Glücks
ergriff, selbst auf die Gefahr hin, es
Das Glück im Leben hängt von den könnte wieder nicht das wahre ge¬
guten Gedanken ab, die man hat. wesen sein.
Mark Aurel [121-180]; Arthur Schnitzler
röm. Kaiser
Das Glück ist das einzige, was sich
Glück kann man nur festhalten, in¬ verdoppelt, wenn man es teilt.
dem man es weitergibt. Albert Schweitzer
Werner Mitsch
Nicht alles, was glücklich macht,
* Glück hat auf die Dauer nur der ist gesund, aber alles, was unglück¬
Tüchtige. lich macht, ist ungesund.
Helmuth Graf von Moltke Gerd Uhlenbruck
[1800-1891]; preußischer
Generalfeldmarschall Glück ist das Maß für die kleinste
Zeiteinheit im Leben eines Men¬
Das Glück, das vor der Not schen.
kommt, ist ein verführender Teu¬ Gerd Uhlenbruck

626
Teil II
Gott

_Gnade men, wie er ist. Er will verändert


Die Aufklärung ist immer im Un¬ werden.
Günter Eich
recht, denn ihr letzter Wille geht
auf Enthüllung. Die Gnade dage¬
gen setzt Wahrheit, indem sie der Ob es Gott gibt, wenn es einmal
Sünden Menge bedeckt. Was aber kein menschliches Hirn mehr gibt,
ein für alle Male Gott nicht wissen das sich eine Schöpfung ohne
will, soll auch nicht Gegenstand Schöpfer nicht denken kann?
menschlichen Wissens und For- Max Frisch, Holozän
schens sein.
Hans Urs von Balthasar Es gibt unzählige Definitionen von
Gott. Doch ich bete Gott nur als
Gnade, und käme sie von Gott, ist Wahrheit an.
die feinere Art der Beschimpfung. Mahatma Gandhi
Rudolf Leonhard [1889-1953];
dt. Schriftsteller Gott? Jener Große, Verrückte, der
noch immer an Menschen glaubt.
Kurt Marti

_Gold
Gott ist überall. Ist er deshalb so
* Nach Golde drängt, am Golde schwer zu finden?
hängt doch alles. Werner Mitsch
Goethe, Faust I
Wer Gott aufgibt, der löscht die
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Sonne aus, um mit einer Laterne
Aber es glänzt auch nicht alles, weiterzuwandeln.
was Gold ist. Christian Morgenstern
Friedrich Hebbel
Gott stirbt im Schoß der christli¬
chen Gesellschaft, und er stirbt
eben deshalb, weil diese Gesell¬
_Gott schaft ihrem Wesen nach nicht
Alle Menschen haben Zugang zu christlich war.
Gott, aber jeder einen andern. Octavio Paz, Essays I
Martin Buber
Wer Gott definiert, ist schon Athe¬
Gott ist der einzige Herr der Welt, ist.
der weniger zu sagen hat als seine Oswald Spengler, Gedanken
Diener.
Karlheinz Deschner Der Gott, den Jesu zu verkünden
kam, war alles andere als neutral.
Der Mensch verlangt nicht so sehr Er ergriff die Partei der Unter¬
nach Gott als nach dem Wunder. drückten, der Armen, der Ausge¬
Fjodor M. Dostojewski, Die beuteten, nicht weil sie heiliger
Brüder Karamasow oder moralisch besser waren als ih¬
re Unterdrücker. Nein, er stand
Vermutlich gibt es Sünden, die einzig und allein auf ihrer Seite,
nicht als Sünden erkannt sind. weil sie unterdrückt waren.
Zum Beispiel die, Gott anzuneh¬ Desmond tutu

627
Gottesdienst Teil II

* Gäbe es Gott nicht, so müßte _Grobheit


man ihn erfinden.
So wie es selten Komplimente gibt
Voltaire, Epistel an den Verfasser
ohne alle Lügen, so finden sich
auch selten Grobheiten ohne alle
Der donnernde Gott, der zürnende
Wahrheit.
Gott, der rächende Gott. Was für
Gotthold Ephraim Lessing,
ein Choleriker.
Hamburgische Dramaturgie
Heinrich Wiesner

Nicht wir leben unser Leben: Gott


lebt uns. _Größe
Thornton Wilder
Macht besitzen und nicht ausüben
ist wahre Größe.
Friedl Beutelrock
_Gottesdienst
Groß ist nicht alles, was ein großer
Ein Gottesdienst macht jeden nur Mann tut.
so fromm, wie er schon zu ihm her¬ Bertolt Brecht, Galilei
gekommen ist.
Sigmund Graff Der Preis der Größe heißt Verant¬
wortung.
Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil Winston Churchill [1874-1965];
er die Kirche besucht, irrt sich. brit. Staatsmann
Man wird ja auch kein Auto, wenn
man in eine Garage geht. Merkmal großer Menschen ist, daß
Albert Schweitzer sie an andere weit geringere Anfor¬
derungen stellen als an sich selbst.
Marie von Ebner-Eschenbach
-Grausamkeit
Größe besitzt, wer uns nie an ande¬
Erbarmen kann Grausamkeit sein. re erinnert.
Jüdisches Sprichwort Ralph Waldo Emerson
[1803-1882]; amerik. Philosoph
Kein grausames Tier oder grausa¬ und Schriftsteller
mer Mensch verkörpert in sich alle
Grausamkeit, die der Mensch Die Größe ist des Großen
kennt. Schmuck. Nur Kleines putzt sich
Herbert Marcuse gern.
Franz Grillparzer
Mehr oder weniger sind wir alle
verführbar, den Mitmenschen zu Alles Große braucht einen Dol¬
quälen. Auch die sind es, die sol¬ metscher bei der Menge; die Mit¬
ches weit von sich weisen. Sie wis¬ telmäßigkeit wird gleich verstan¬
sen nur nicht, was sie tun. den.
Alexander Mitscherlich Isolde Kurz

Grausamkeit entsteht durch Do¬ Das deutlichste Kennzeichen an¬


mestikation. Der Trieb dient nicht geborener Größe ist angeborene
mehr seinem naiven Zweck. Neidlosigkeit.
Robert Musil Francois de La Rochefoucauld

628
Teil II Das Gute

* Denn nichts ist groß, was nicht die Maske eines Menschen, der an
wahr ist. sich verzweifelt.
Gotthold Ephraim Lessing, Arthur Schnitzler
Hamburgische Dramaturgie

*Alle großen Männer sind be¬ _Großmut


scheiden.
Wenn die Großmut vollkommen
Gotthold Ephraim Lessing,
sein soll, muß sie eine kleine Dosis
Briefe
Leichtsinn enthalten.
Marie von Ebner-Eschenbach
Die Größe eines Menschen muß
man nicht nach seinen außerge¬ Großmut findet immer Bewunde¬
wöhnlichen Bemühungen, sondern rer, selten Nachahmer, denn sie ist
nach seinem alltäglichen Beneh¬ eine zu kostspielige Tugend.
men bemessen. Johann Nestroy, Der Schützling
Blaise Pascal

* Große Seelen dulden still. _Grundsatz


Schiller, Don Kariös
t Prinzip
Niemand ist vor den anderen aus¬
gezeichnet groß, wo die andern
_Das Gute
nicht sehr klein sind.
Johann Gottfried Seume, * Das Gute - dieser Satz steht
Apokryphen fest - ist stets das Böse, was man
läßt.
Alles Große vermögen wir nur aus Wilhelm Busch, Die fromme
einem gehörigen Abstand zu ihm Helene
zu erkennen. Wer an einen Berg
mit der Lupe geht, bemerkt nur * Es gibt nichts Gutes außer: Man
Sandkörner und Insekten. tut es.
Lrank Thiess Erich Kästner [1899-1974];
dt. Schriftsteller
Groß ist ein Mensch, der nach sei¬
Der Himmel scheint uns schön,
nem Tod die anderen in Verlegen¬
weil es Häßliches gibt. Das Gute
heit läßt!
scheint uns gut, weil es Böses gibt.
Paul Valery [1871-1945];
Laotse
franz. Schriftsteller
Gut sein ist edel. Andere lehren,
gut zu sein, ist noch edler. Und
leichter.
_Größenwahn
Mark Twain
Größenwahnsinn: Kinderkrank¬
heit der Zwerge. Alles, was den Menschen groß ge¬
Stanislaw Jerzy Lec macht hat, ist aus dem Versuch ent¬
standen, das Gute zu festigen, und
Was uns als Größenwahn er¬ nicht aus dem Kampf, das Schlech¬
scheint, ist nicht immer eine Gei¬ te zu verhüten.
steskrankheit. Oft genug ist es nur Bertrand Russell, Schriften

629
Güte Teil II

Wer sich vornimmt, Gutes zu wir¬


ken, darf nicht erwarten, daß die
Menschen ihm deswegen Steine
aus dem Wege räumen, sondern
muß auf das Schicksalhafte gefaßt
sein, daß sie ihm welche daraufrol¬
len.
H
Albert Schweitzer
_Halbbildung
Die allerwichtigste Sache ist: Gu¬
Halbgebildete sind Menschen, die
tes tun, weil nur dafür der Mensch
von immer mehr Sachen nichts ver¬
lebt.
stehen.
Leo Tolstoi [1828-1910];
Robert Lembke
russ. Schriftsteller
Erkenntnis macht frei, Bildung fes¬
Wenn wir einmal nicht grausam
selt, Halbbildung stürzt in Sklave¬
sind, dann glauben wir gleich, wir
rei.
seien gut.
Wilhelm Raabe
Kurt Tucholsky

* Das Bessere ist der Feind des Gu¬


_Halbwahrheit
ten.
Voltaire, Philosophisches Das Halbwahre ist verderblicher
Wörterbuch als das Falsche.
Ernst von Feuchtersleben
Das Böse, das wir tun, wird uns
vielleicht verziehen werden. Aber Das Gefährlichste an den Halb¬
unverziehen bleibt das Gute, das wahrheiten ist, daß fast immer die
wir nicht getan haben. falsche Hälfte geglaubt wird.
Karl Heinrich Waggerl Hans Krailsheimer

Die gefährlichsten Unwahrheiten


sind die Wahrheiten, mäßig ent¬
_Güte stellt.
Güte ist, wenn man das leise tut, Georg Christoph Lichtenberg
was die anderen laut sagen.
Friedl Beutelrock Halb richtig ist meistens ganz
falsch.
Ein Tropfen Güte ist mehr als ein Manfred Rommel
Faß Wissen.
Eine halbe Wahrheit ist nie die
Friedrich Georg Jünger
Hälfte einer ganzen.
Karl Heinrich Waggerl
Nichts ist seltener als wahre Güte.
Zumeist wird sie mit Gutmütigkeit
oder Gefälligkeit verwechselt.
_Handeln
Francois de La Rochefoucauld
Um sich selbst zu erkennen, muß
Gutmütigkeit hat ihre Grenzen, man handeln.
das unterscheidet sie von der Güte. Albert Camus [1913-1960];
Karl Heinrich Waggerl franz. Schriftsteller

630
Teil II Haß

Für das Können gibt es nur einen vergehen. Er vergeht mit der Zeit,
Beweis, das Tun. begleitet unser Leben, nutzt sich
Marie von Ebner-Eschenbach allmählich ab, sucht nicht den Tod,
aber negiert ihn auch nicht: er
* Der Handelnde ist immer gewis¬ nimmt ihn hin. Das Werk des
senlos; es hat niemand Gewissen Handwerkers lehrt uns zu sterben
als der Betrachtende. und somit zu leben.
Goethe, Maximen und Octavio Paz, Essay II
Reflexionen

Es ist nicht genug zu wissen, man


muß auch anwenden; es ist nicht _Haß
genug zu wollen, man muß auch
tun. In der Zeitung steht alles. Man
muß sie nur mit genug Haß lesen.
Goethe, Maximen und
Elias Canetti
Reflexionen

Nicht was der Mensch ist, nur was Die euch Haß predigen, erlösen
er tut, ist sein unverlierbares Eigen¬ euch nicht.
tum. Marie von Ebner-Eschenbach
Friedrich Hebbel
Es ist ein glückliches Gefühl, für
Handle so, daß die Maxime deines einen Haß, den wir bis dahin nur
Willens jederzeit zugleich als Prin¬ instinktmäßig nährten, plötzlich ei¬
zip einer allgemeinen Gesetzge¬ nen triftigen Grund zu erhalten.
bung gelten kann. Karl Gutzkow
Immanuel Kant
Wenn man etwas recht gründlich
Handeln. Dem Schicksal eine haßt, ohne zu wissen, warum, so
Richtung geben. kann man überzeugt sein, daß man
Werner Mitsch davon einen Zug in seiner eigenen
Natur hat.
Sicherlich ist es leichter zu schrei¬ Friedrich Hebbel
en, daß das Feld vom Unkraut be¬
wachsen ist; konsequenter ist es, Der Haß ist die Liebe, die geschei¬
das Feld umzupflügen und mit tert ist.
nützlichem Korn zu bebauen. Sören Kierkegaard
ALEKSANDER SwigTOCHOWSKI
Jeden Ort, welchen die Liebe ver¬
* Nichts halb zu tun ist edler Gei¬ läßt, den gewinnt der Haß.
ster Art. Gertrud von Le Fort
Christoph Martin Wieland
[1733-1813];
Haß ist Liebe, die sich erschöpft
dt. Schriftsteller hat.
Hans Lohberger

_Handwerk
Wenn der Haß feige wird, geht er
Der Gegenstand des Handwerks maskiert in Gesellschaft und nennt
will weder Jahrtausende dauern, sich Gerechtigkeit.
noch ist er davon besessen, bald zu Arthur Schnitzler

631
Heilige Teil II

_Heilige _Heirat

Die Heiligen: postume Karrieri¬ Hochzeit - Zeremonie; hierbei


sten. werden zwei Personen zu einer, ei¬
Gabriel Laub ne zu nichts, und nichts erträglich.
Ambrose Bierce
Der einzige Unterschied zwischen
dem Heiligen und dem Sünder ist, Ob zwei Leute gut getan haben,
daß jeder Heilige eine Vergangen¬ einander zu heiraten, kann man bei
heit hat und jeder Sünder eine Zu¬ ihrer silbernen Hochzeit noch
kunft. nicht wissen.
Oscar Wilde Marie von Ebner-Eschenbach

_Heimat Die Heirat ist die einzige lebens¬


längliche Verurteilung, bei der man
Es hat auch der Verdienstvollste auf Grund schlechter Führung be¬
der Heimat mehr zu danken als gnadigt werden kann.
diese ihm. Alfred Hitchcock [1899-1980];
Jacob Burckhardt brit. Filmregisseur und -produzent

Heimat ist nicht dort, wo man


In unserem monogamischen Welt¬
wohnt, sondern wo man liebt und
teile heißt heiraten seine Rechte
geliebt wird.
halbieren und seine Pflichten ver¬
Karlheinz Deschner
doppeln.
Arthur Schopenhauer
* Der ist in tiefster Seele treu, wer
die Heimat liebt wie du.
* Drum prüfe, wer sich ewig bin¬
Theodor Fontane [1819-1898];
dt. Schriftsteller det, ob sich das Herz zum Herzen
findet.
Man muß viel Ferne getrunken ha¬ Schiller, Lied von der Glocke
ben, um den Zauber des Nächsten
zu fassen.
Martin Kessel, Gegengabe
_Heiterkeit
Nicht da ist man daheim, wo man Heiterkeit und Lachen sind un¬
seinen Wohnsitz hat, sondern wo trügliche Zeichen, die nur die
man verstanden wird. Menschlichkeit setzt.
Cristian Morgenstern Hans Kasper, Verlust

_Heimweh Wie viele Vorteile hat die Heiter¬


keit. Wie federleicht entbindet sie
Da reist man und reist man und uns, wo es not tut, von der Logik
wird sich eines Tages bewußt, daß und ihren Kriechwahrheiten.
man auf Reisen ununterbrochen Hans Kasper, Verlust
Heimweh aussteht. Gibt man das
zu, so ist man vielleicht auch zu Der Heiterkeit sollen wir, wann im¬
dem Eingeständnis bereit, daß es mer sie sich einstellt, Tür und Tor
überhaupt der verborgene Sinn al¬ öffnen; denn sie kommt nie zur un-
len Reisens ist, Heimweh zu haben. rechten Zeit.
Erhärt Kästner Arthur Schopenhauer

632
Teil II
Herz

_Held -Heldentum
Die wahren Helden der Geschichte Historiker wissen, wie viele Hel¬
sind nicht die großen Eroberer ge¬ dentaten auf einen Mangel an Al¬
wesen, sondern jene, die im Kampf ternativen zurückzuführen sind.
gegen das Unrecht führten. Robert Lembke
Martin Andersen-Nex0
Welch ein tragischer Irrtum, für ei¬
* Unglücklich das Land, das Hel¬ ne Sache zu sterben, statt für sie zu
den nötig hat! leben!
Bertolt Brecht, Galilei Karl Heinrich Waggerl

Jedes Regime benötigt Helden. Am


-Herausforderung
angenehmsten sind ihm tote.
Sigmund Graff * Gebeugt erst zeigt der Bogen sei¬
ne Kraft.
Was wäre der Held ohne den Feig¬ Franz Grillparzer, Sappho
ling?
Es gibt Menschen, die sich immer
Werner Mitsch
angegriffen fühlen, wenn jemand
eine Meinung ausspricht.
Die toten Soldaten derer, die den Christian Morgenstern
Krieg gewonnen haben, nennt man
Helden.
Werner Mitsch
_Herrschaft

Wo Herrschaft ist, da ist auch Un¬


Die Einsicht in das Mögliche und
behagen.
Unmögliche ist es, die den Helden
Theodor Eschenburg [* 1904];
vom Abenteurer scheidet.
dt. Politologe
Theodor Mommsen [1817-1903];
dt. Historiker
Kein Mensch ist gut genug, einen
anderen Menschen ohne dessen
Der Held braucht Verhängnis und Zustimmung zu regieren.
Unglück, um sich beweisen zu kön¬ Abraham Lincoln [1809-1865];
nen. Not und Held gehören zusam¬ 16. Präsident der USA
men wie Krankheit und Fieber.
Robert Musil
_Herz
Es ist leichter, ein Held zu sein, als Der Verstand kann uns sagen, was
ein Ehrenmann. Ein Held muß wir unterlassen sollen. Aber das
man nur einmal sein, ein Ehren¬ Herz kann uns sagen, was wir tun
mann immer. müssen.
Luigi Pirandello [1867-1936]; Joseph Joubert
ital. Schriftsteller
Das Herz gibt allem, was der
Ein Held ist jemand, der tut, was er Mensch sieht und hört und weiß,
kann! Die anderen tun dies nicht. die Farbe.
Romain Rolland [1866-1944]; Johann Heinrich Pestalozzi,
franz. Schriftsteller Lienhard und Gertrud

633
Heuchelei Teil II

* Man sieht nur mit den Augen des _Hierarchie


Herzens gut. Das Wesentliche ist
Oben wird immer geleitet, aber un¬
für die Augen unsichtbar.
ten wird meistens gelitten.
Antoine de Saint-Exupery
Martin Kessel, Gegengabe
[1900-1944];
franz. Schriftsteller
Der Gegensatz zur Hierarchie ist
nicht das Chaos, sondern die Auto¬
Wir müssen den Versuch machen,
nomie.
bei allem Wissen um die Fragwür¬
Hans A. Pestalozzi, Auf die
digkeit der Dinge, in die wir hin¬
Bäume
eingestellt sind, eine sachgerechte
Entscheidung zu treffen - aber wir In hierarchischen Strukturen
sollten uns bewußt sein, daß man kommt das Gute nie von oben.
auch sachgerechte Entscheidungen Obenauf schwimmt der Abschaum.
nur treffen kann, wenn man dabei Das Wertvolle ist der Bodensatz.
nicht nur mit kalter Berechnung Hans A. Pestalozzi, Auf die
vorgeht, sondern wenn man dabei Bäume
wagt, sich auch seinem Herzen an¬
zuvertrauen.
Carlo Schmid _Hilfe

Der Hunger läßt sich beseitigen,


wenn wir den armen Völkern hel¬
_Heuchelei
fen, sich selbst zu helfen.
Die Welt ist voll von Leuten, die Andre Gorz
Wasser predigen und Wein trin¬
ken. Die großen Flüsse brauchen die
Giovanni Guareschi kleinen Wässer.
[1908-1968]; Albert Schweitzer
ital. Schriftsteller
Gott will nicht, daß du ihn für den
Heuchelei ist das schwierigste und Nächsten um Hilfe anflehst, son¬
anstrengendste aller Laster. Man dern daß du hingehst und hilfst.
kann ihr, wie dem Ehebruch oder Karl Heinrich Waggerl
der Freßsucht, nicht nur gelegent¬
lich frönen, es ist eine Aufgabe
rund um die Uhr. _Hingabe
William Somerset Maugham Man sagt gewöhnlich, die schönste
[1874-1965]; Frau der Welt kann nicht mehr ge¬
brit. Schriftsteller ben, als sie hat; das ist ganz falsch.
Sie gibt gerade soviel, als man zu
Gar nicht von sich reden ist eine empfangen glaubt, denn hier be¬
sehr vornehme Heuchelei. stimmt die Phantasie den Wert der
Friedrich Nietzsche, Gabe.
Menschliches I Chamfort

Ich kann mir nicht helfen: Apoka- Wo in irgendeiner Weise mein Le¬
lyptiker mit Bäuchen sind nicht ben sich an Leben hingibt, erlebt
überzeugend! mein endlicher Wille zum Leben
Michael Schneider das Einswerden mit dem unendli-

634
Teil II
Hoffnung

chen, in dem alles Leben eins ist. Manche Menschen machen sich
Albert Schweitzer vor anderen so klein wie möglich,
um größer als diese zu bleiben.
Christian Morgenstern
-Historiker

Historiker sind unter den Akade¬ * Hochmut kommt vor dem Fall.
mikern die Krebse. Sie schreiten Sprüche Salomos 16,18
rückwärts vorwärts.
Oliver Hassencamp
_Hochzeit
Der Historiker ist oft nur ein rück¬ t Heirat
wärts gekehrter Journalist.
Karl Kraus
_Hoffnung
Der Historiker ist ein rückwärts ge¬
kehrter Prophet. Wer heut’ noch hoffen macht, der
Friedrich Schlegel [1772-1829];
lügt! Doch wer die Hoffnung tötet,
ist ein Schweinehund.
dt. Ästhetiker und Dichter
Wolf Biermann, Affenfels

Es kommt darauf an, das Hoffen


_Hochmut
zu lernen.
Keiner will mehr Pferd sein, jeder Ernst Bloch
Reiter.
Bertolt Brecht, Rundköpfe Ohne die Kälte und Trostlosigkeit
des Winters gäbe es die Wärme
Ein stolzer Mensch verlangt von und die Pracht des Frühlings nicht.
sich das Außerordentliche, ein Ho Chi Minh
hochmütiger schreibt es sich zu.
Marie von Ebner-Eschenbach Die größten Menschen sind jene,
die anderen Hoffnung geben kön¬
Der Hochmut ist ein Ansinnen an nen.
andere, sich selbst im Vergleich mit Jean Jaures [1859-1914];
uns gering zu schätzen. franz. Philosoph und Politiker
Immanuel Kant
Der Himmel hat den Menschen als
Es gibt eine besonders unsympa¬ Gegengewicht zu den vielen Müh¬
thische Art von Hochmut; sie heißt seligkeiten des Lebens drei Dinge
Demut. gegeben: die Hoffnung, den Schlaf
Hans Krailsheimer und das Lachen.
Immanuel Kant
Hochmut ist oft nur die Weige¬
rung, sich unter sein eigenes Ni¬ Hoffen heißt: die Möglichkeit des
veau hinabdrücken zu lassen. Guten erwarten; die Möglichkeit
Dann gilt: Hochmut schützt vor des Guten ist das Ewige.
dem Fall. Sören Kierkegaard
Hans Kudszus
Die Hoffnung ist der Streit zwi¬
Herrenmenschen sind in der Regel schen der Lebenslust und den Er¬
weder Herren noch Menschen. fahrungen.
Werner Mitsch Gabriel Laub

635
Hoffnungslosigkeit Teil II

Die Hoffnung ist ein umgekehrter Situationen kaum gibt, solange


Don Quichotte, der feindliche man sie nicht als solche akzeptiert.
Schwerbewaffnete zu Windmühlen Willy Brandt, Erinnerungen
erklärt.
Gabriel Laub Freiheit von allen Illusionen ist das
Glück der Hoffnungslosen.
Vielleicht ist die Hoffnung die letz¬ Ludwig Marcuse
te Weisheit der Narben.
Siegfried Lenz [* 1926]; Mit der Hoffnungslosigkeit be¬
dt. Schriftsteller ginnt der wahre Optimismus.
Jean-Paul Sartre
Hoffnung ist der krankhafte Glau¬
be an den Eintritt des Unmögli¬
chen.
Henry Louis Mencken _Höflichkeit

* Im Deutschen lügt man, wenn


Die Hoffnung ist der Regenbogen man höflich ist.
über den herabstürzenden Bach Goethe, Faust II
des Lebens.
Friedrich Nietzsche, Nachlaß Es gibt ein Minimum von Unauf¬
richtigkeit, das von jedem verlangt
Hoffnung, nicht Furcht, ist das werden kann: Höflichkeit.
schöpferische Prinzip in menschli¬ Hans Krailsheimer
chen Dingen.
Bertrand Russell, Schriften Die wahre Höflichkeit besteht dar¬
in, daß man einander mit Wohl¬
* Doch der Mensch hofft immer wollen entgegenkommt. Sobald es
Verbesserung. uns an diesem nicht gebricht, tritt
Schiller, Hoffnung sie ohne Mühe hervor.
Jean-Jacques Rousseau, Emile
Der Mensch ist vor allen anderen
Geschöpfen ein auf Hoffnung ge¬ Eine schwere Aufgabe ist freilich
stelltes Wesen. die Höflichkeit insofern, daß sie
Friedrich Schlegel verlangt, daß wir allen Leuten die
[1772-1829]; größte Achtung bezeugen, wäh¬
dt. Ästhetiker und Dichter rend die allermeisten keine verdie¬
nen.
Wir stärken, solange wir jung sind, Arthur Schopenhauer
unsere Seelen mit Hoffnung; die
Stärke, die wir so erwerben, be¬
fähigt uns später, Verzweiflung zu
ertragen. _Hölle
Thornton Wilder
Hölle ist eine Welt, in der nie ver¬
ziehen wird.
Milan Kundera [* 1929];
tschech. Schriftsteller
-Hoffnungslosigkeit

Ich habe auch die Erfahrung bestä¬ * Die Hölle, das sind die anderen.
tigt gesehen, daß es hoffnungslose Jean Paul Sartre

636
Teil II
Humor

-Humanität Gibt es schließlich eine bessere


Eine weise Humanität erwächst Form, mit dem Leben fertig zu wer¬
nur aus der Besinnung darauf, daß den, als mit Liebe und Humor?
selbst die größten Gruppen aus Charles Dickens [1812-1870];

einzelnen bestehen, daß der einzel¬ engl. Schriftsteller


ne glücklich oder traurig sein kann
An dem Punkt, wo der Spaß auf¬
und daß jedes leidende Individu¬
hört, beginnt der Humor.
um ein Zeuge für das Versagen
Werner Finck
menschlicher Weisheit und allge¬
meiner Menschlichkeit ist.
Die schwierigste Turnübung ist im¬
Bertrand Russell, Moral
mer noch, sich selbst auf den Arm
zu nehmen.
Humanität besteht darin, daß nie¬
Werner Finck
mals ein Mensch einem Zweck ge¬
opfert wird.
* Wer sich nicht selbst zum besten
Albert Schweitzer
haben kann, der ist gewiß nicht von
den Besten.
Goethe, Meine Wahl
_Humor
Humor erfordert Distanz zu uns
Humor ist: mit einer Träne im Au¬ selbst. Wenn der Egoist Humor
ge lächelnd dem Leben beipflich¬ entwickeln will, wird er sarka¬
ten. stisch.
Friedl Beutelrock Sigmund Graff

* Humor ist, wenn man trotzdem Humor ist die Kunst, sich ohne
lacht. Spiegel selber ins Gesicht zu la¬
Otto Julius Bierbaum chen.
[1865-1910]; Paul Hörbiger [1894-1981];
dt. Schriftsteller österr. Schauspieler

Humor ist keine Gabe des Geistes, Humor ist überwundenes Leiden
er ist eine Gabe des Herzens. an der Welt.
Ludwig Börne, Denkrede auf Jean Paul
Jean Paul
Der Humor ist das einzige Gebiet
Es ist schlimm, in einem Lande zu des Schöpferischen, das einen phy¬
leben, in dem es keinen Humor sikalischen Reflex auslöst - das
gibt. Aber noch schlimmer ist es, in Lachen.
einem Lande zu leben, in dem man Arthur Koestler, Funke
Humor braucht.
Bertolt Brecht Der englische Humor macht Spaß.
Der deutsche Humor aber dient
Die Phantasie tröstet die Men¬ dem Zwecke der Erheiterung.
schen über das hinweg, was sie Werner Mitsch
nicht sein können, und der Humor
über das, was sie tatsächlich sind. Humor ist der Schwimmgürtel auf
Albert Camus [1913-1960]; dem Strome des Lebens.
franz. Schriftsteller Wilhelm Raabe

637
Hunger Teil II

Humor ist der Knopf, der verhin¬ Wie sollte ich vor den Millionen,
dert, daß uns der Kragen platzt. die keine zwei Mahlzeiten am Tage
Joachim Ringelnatz haben, über Gott sprechen? Ihnen
[1883-1934]; kann Gott nur als Brot und Butter
dt. Schriftsteller erscheinen.
Mahatma Gandhi
Ein ernster Mensch sein und kei¬
nen Humor haben, das ist zweier¬ Der Hunger der Menschen in ver¬
lei. schiedenen Teilen der Welt rührt
Arthur Schnitzler daher, daß viele von uns viel mehr
nehmen als sie brauchen.
Das ist Humor: durch die Dinge Mahatma Gandhi
durchsehen, wie wenn sie aus Glas
wären.
Kurt Tucholsky _ Hypochonder

Jeder Mensch weiß, daß er sterben


Humor - eine Göttergabe, doch
muß, nur der Hypochonder denkt
was der eine zuviel hat, hat der an¬
täglich darüber nach, woran.
dere zuwenig.
Gerd Uhlenbruck
Carl Zuckmayer
[1896-1977];
dt. Schriftsteller

_Hunger

Der menschliche Hunger ist selten


einstöckig, wie der der Tiere, und
I
was er ißt, schmeckt nach mehr.
Ernst Bloch _Ich

Wo Hunger herrscht, kann Friede Wir sagen und ich meinen ist eine
nicht Bestand haben. von den ausgesuchtesten Kränkun¬
gen.
Willy Brandt, Erinnerungen
Theodor W. Adorno

Satte Menschen sind nicht notwen¬


Bei vielen Menschen ist es bereits
digerweise frei, hungernde Völker
eine Unverschämtheit, wenn sie ich
sind es in jedem Falle nicht.
sagen.
Willy Brandt, Erinnerungen
Theodor W. Adorno

Wo der Hunger anfängt, hört der


Der Mensch wird am Du zum Ich.
Verstand auf.
Martin Buber
Theodor Eschenburg [* 1904];
dt. Politologe Die Konjugation hat recht: ohne
Ich kein Du, kein Er, keine Sie
Für einen leeren Sack ist es schwer, usw. Nichts ist, wo nicht Ichs sind.
aufrecht zu stehen. Kurt Marti
Benjamin Franklin,
Autobiographie Schließlich ist der einzige Grund,

638
Teil II
Idee

warum man immer ans eigene Ich Zusammenbrechen der eigenen


denkt, der, daß wir mit unserm Ich Ideale: daß wir sie erreicht haben.
weit beständiger Zusammensein Cesare Pavese
müssen als mit jedem beliebigen
andern.
Cesare Pavese
_Idealismus
Das „Ich“ wird vom gewöhnlichen Idealismus ist die Fähigkeit, die
Bewußtsein in der Sphäre der Be¬ Menschen so zu sehen, wie sie sein
gehrungen erlebt. Es ist daher auf könnten, wenn sie nicht so wären,
dieser Stufe ein Verlangen nach Er¬ wie sie sind.
füllung, ein Quell der Selbstsucht. Curt Goetz
Rudolf Steiner

_Idealist
_Ichsucht
„Idealisten“ nennt man die, wel¬
t Egoismus
che erst der Macht weichen - aber
noch nicht der Logik.
Ludwig Marcuse
_Ideal

Die großen Ideale der Vergangen¬ Wenn man im Leben keinen Erfolg
heit haben sich nicht überlebt; sie hat, braucht man sich deshalb
wurden nicht genug gelebt. Keines¬ nicht ohne weiteres für einen Idea¬
wegs wurde das christliche Ideal listen zu halten.
erprobt und als unzulänglich er¬ Henry Miller [1891-1980];
kannt; man fand es schwierig und amerik. Schriftsteller
ließ es unerprobt.
Gilbert K. Chesterton Der Satiriker ist ein gekränkter
Idealist.
Ideale haben merkwürdige Eigen¬ Kurt Tucholsky
schaften, unter anderem die, daß
sie in ihr Gegenteil Umschlägen,
sobald man sie verwirklicht. _Idee
Robert Musil
Ich bin ein guter Schwamm, denn
Alles Leben, zumindest alles ich sauge Ideen auf und mache sie
menschliche, ist unmöglich ohne dann nutzbar. Die meisten meiner
Ideal, oder, anders gesagt, das Ideen gehörten ursprünglich ande¬
Ideal ist ein organischer Bestand¬ ren Leuten, die sich nicht die Mühe
teil des Lebens. gemacht haben, sie weiterzuent¬
Jose Ortega y Gasset, Liebe wickeln.
Thomas Alva Edison
Die Ideale sind das, was unsere vi¬ [1847-1931]; amerik. Erfinder
talen Geisteskräfte anregt, biologi¬
sche Sprungfedern, Zündstoff für Jede neue Idee, die man vorbringt,
explosive Energieentladungen. muß auf Widerstand stoßen. Der
Jose Ortega y Gasset, Liebe Widerstand beweist übrigens nicht,
daß die Idee richtig ist.
Es gibt etwas Traurigeres als das Andre Gide, Tagebuch

639
Ideologie Teil II

Eine Idee ist das, was noch nicht Wenn eine neue Idee geboren wird,
genügt. so ist auch hier nur die Mutter si¬
Manfred Hinrich cher, nämlich der eigene Kopf. Der
geistige Vater wird selten angege¬
Nichts auf der Welt ist so mächtig ben.
wie eine Idee, deren Zeit gekom¬ Gerd Uhlenbruck
men ist.
Victor Hugo [1802-1885]; Neue Ideen begeistern jene am
franz. Schriftsteller meisten, die auch mit den alten
nichts anzufangen wußten.
Der Sinn einer Idee ist ihre Ver¬ Karl Heinrich Waggerl
wirklichung, und taugt die Ver¬
wirklichung nichts, war die Idee Eine Idee, die nicht gefährlich ist,
für die Katz. verdient es nicht, überhaupt eine
Hans Kasper, Verlust Idee genannt zu werden.
Oscar Wilde
Die herrschenden Ideen einer Zeit
waren stets nur die Ideen der herr¬
schenden Klasse. __ Ideologie
Karl Marx, Kommunistisches
Manifest Ideologie ist Ordnung auf Kosten
des Weiterdenkens.
Ein gut Teil der beängstigenden Friedrich Dürrenmatt
Probleme, die heutzutage auftre- [1921-1990]; Schweiz. Dramatiker
ten, rührt daher, daß die Durch¬
schnittsgehirne vollgesogen sind Ideologien sind Monokulturen -
mit passiv aufgenommenen, halb¬ marktbeherrschend auf Zeit, ver¬
verstandenen, ihrer Wirksamkeit kümmern sie mit dem ermüdenden
verlustig gegangenen Ideen, also Boden.
mit Pseudoideen. Hans Kasper, Revolutionäre

Jose Ortega y Gasset, Aufgabe

Ideen sind keine Schmetterlinge, _Idol


sie sind Fazit einer Schwerarbeit.
Alle Idole werden früher oder spä¬
Rudolf Rolfs
ter zum Moloch, der nach Men¬
schenopfer schreit.
Jeder Versuch, eine Idee praktisch
Aldous Huxley
bis in ihre letzte Konsequenz
durchzuführen, ist ein Beweis, daß
man sie selber nicht ganz verstan¬
den hat. _Ignoranz
Arthur Schnitzler Die Ignoranz bleibt nicht hinter
der Wissenschaft zurück. Sie
Nichts auf der Welt ist so unmög¬ wächst genauso atemberaubend
lich aufzuhalten wie das Vordrin¬ wie diese.
gen einer Idee. Stanislaw Jerzy Lec
Pierre Teilhard de Chardin
[1881-1955]; Ignorieren ist der Königsweg des
franz. Paläontologe, Anthropologe Tabuierens.
und Philosoph Ludwig Marcuse

640
Teil II Information

-Illusion Etwas zu sein als ein rundes


Nichts.
Wer keine Illusion hat - hat diese.
Friedrich Hebbel
Karlheinz Deschner

Die Menschen verlieren zuerst ihre Die Menschen aber, die ihren eige¬
Illusionen, dann ihre Zähne und nen Weg zu gehen fähig sind, sind
ganz zuletzt ihre Laster. selten. Die große Zahl will nur in
Hans Moser [1880-1964]; der Herde gehen, und sie weigert
österr. Schauspieler die Anerkennung denen, die ihre
eigenen Wege gehen wollen.
Blaise Pascal
_Image
Individualismus ohne Solidarität
Image - Persönlichkeit in Pulver¬
ist Feigheit. Individualismus ohne
form (instant personality). Sofort
Engagement ist Flucht.
fertig, sofort vergessen.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Oliver Hassencamp

Gegen den Strom der Zeit kann


Image ist eine maßgeschneiderte
zwar der einzelne nicht schwim¬
Zwangsjacke.
men, aber wer Kraft hat, hält sich
Robert Lembke
und läßt sich von demselben nicht
mit fortreißen.
Angeblich bestimmt der Mensch
Johann Gottfried Seume,
sein Image. In Wirklichkeit trifft
Spaziergang
das Gegenteil zu: Die meisten
Menschen werden von ihrem
In dieser kollektivistischen Zeit so
Image beherrscht, um nicht zu sa¬
individualistisch wie möglich zu le¬
gen, tyrannisiert.
ben ist der einzig echte Luxus, den
George Mikes [* 1912]; brit.
es noch gibt.
Schriftsteller ungar. Herkunft
Orson Welles [1915-1985];
amerik. Schauspieler u. Regisseur
_Imponiergehabe

Imponiergehabe ist die Kosmetik


_Inflation
des Mannes.
Gerd Uhlenbruck Wenn die Regierung das Geld ver¬
schlechtert, um alle Gläubiger zu
betrügen, so gibt man diesem Ver¬
_Individualität fahren den höflichen Namen Infla¬
In jedermann ist etwas Kostbares, tion.
das in keinem anderen ist. George Bernard Shaw
Martin Buber

Jeder sollte Schrullen haben. _Information


Schrullen sind ein hervorragender
Schutz gegen Vermassung. Exklusive Informationen für Jour¬
Salvador Dali [1904-1989]; nalisten sind die vornehmste Art
span. Maler und Graphiker der Bestechung.
Conrad Ahlers [* 1922];
Jedenfalls ist es besser, ein eckiges dt. Publizist und Politiker

641
Innenpolitik Teil II

Alle Information dient gegenwär¬ _Intelligenz


tig dazu, Antwort auf nicht gestell¬
Intelligenz ist die Fähigkeit, seine
te Fragen zu geben und Angst zu
Umgebung zu akzeptieren.
machen vor zu stellenden.
William Faulkner [1897-1962];
Helmut Arntzen
amerik. Schriftsteller
Wo Nachrichten fehlen, wachsen
die Gerüchte. Die Delphine haben mindestens
Alberto Moravia [1907-1990]; die Intelligenz der Menschen, doch
ital. Schriftsteller keine Arme und Hände, deswegen
haben sie die Welt nie erobert, und
Mut ist oft Mangel an Einsicht, deswegen zerstören sie die Welt
während Feigheit nicht selten auf nicht.
guten Informationen beruht. Max Frisch, Montauk
Peter Ustinov
Je größer die Intelligenz, desto ver¬
heerender kann ihre Dummheit ins
_Innenpolitik Kraut schießen.
Günter Grass [* 1927];
Innenpolitik ist Diplomatie gegen dt. Schriftsteller
das eigene Volk.
Sigmund Graff
Der Grad der Furchtsamkeit ist ein
Gradmesser der Intelligenz.
Friedrich Nietzsche, Morgenröte
_Intellektuelle

Der intellektuell Erzogene scheint Unter sozialen Randschichten


mir in allzu hohem Maße von dem kann man auch die Intelligenz ver¬
Buch und dem, was ihm vorgetra¬ stehen.
gen wurde, abhängig zu sein, er ist Werner Schneyder
also zu passiv.
Martin Andersen-Nexo Der Nachteil der Intelligenz be¬
steht darin, daß man ununterbro¬
Intellektualismus heißt keinen an¬ chen gezwungen ist, dazuzulernen.
deren Ausweg aus der Welt finden, George Bernard Shaw
als sie in Begriffe zu bringen.
Gottfried Benn, Lebensweg

Der kritische Intellektuelle steht


_Interpretation
am Rande seiner Gesellschaft, aber
er bleibt in ihr. Angelpunkt seiner Geistvolle Aussprüche kommentie¬
Kritik ist seine Zugehörigkeit, in ren hieße Schmetterlinge mit Huf¬
der auch die Hoffnung beschlossen eisen beschweren.
liegt, durch die Kritik etwas auszu¬ Martin Kessel, Gegengabe
richten.
Ralf Dahrendorf * Die Philosophen haben die Welt
nur verschieden interpretiert; es
Intellektuelle sind seltener wohl¬ kommt aber darauf an, sie zu ver¬
wollend gegeneinander als Einhei¬ ändern.
mische gegen Gastarbeiter. Karl Marx, Thesen über
Ludwig Marcuse Feuerbach

642
Teil II
Irrtum

_Intoleranz ben: was wiegt das gegen die Aus¬


Manche meinen, sie seien liberal zeichnung, die darin besteht, daß
geworden, nur weil sie die Rich¬ einer nicht dem verhärteten Zu¬
tung ihrer Intoleranz geändert ha¬ schluß erliegt, daß er Einströme
ben. kennt, die nicht sein Verdienst
Wieslaw Brudzinski
sind, nicht Leistung, reines Ge¬
schenk.
Erhärt Kästner
Das Laster, mit dem wir selbst lieb¬
äugeln, pflegen wir am unnach¬
sichtigsten zu verurteilen.
Sigmund Graff _Ironie

Ironie ist unglückliche Liebe zum


Wir sind gegen keine Fehler an an¬
Leben; der Versuch des Kopfes,
deren intoleranter, als welche die
sich des Herzens zu erwehren.
Karikatur unserer eigenen sind.
Karlheinz Deschner
Franz Grillparzer

Ironie ist keine Waffe, eher ein


Hätten wir selbst keine Fehler,
Trost der Ohnmächtigen.
machte es uns nicht so viel Vergnü¬
Ludwig Marcuse
gen, bei anderen solche zu bemer¬
ken.
Francois de La Rochefoucauld
_Irrtum
Wir lieben Menschen, die frisch Eine Hauptursache der Armut in
heraus sagen, was sie denken. Vor¬
den Wissenschaften ist meist einge¬
ausgesetzt, sie denken dasselbe wie bildeter Reichtum. Es ist nicht ihr
wir.
Ziel, der unendlichen Weisheit ei¬
Mark Twain
ne Tür zu öffnen, sondern eine
Grenze zu setzen dem unendlichen
Irrtum.
_Intrige Bertolt Brecht, Galilei

Intrigen sind das Nebengeräusch So manche Wahrheit ging von ei¬


der Politik. nem Irrtum aus.
Kurt H. Biedenkopf [* 1930]; Marie von Ebner-Eschenbach
dt. Politiker
Erst wenn wir unsere Irrtümer
nicht mehr brauchen, wenn sie
wirklich „aufgetragen“ sind, ent¬
_Intuition
steht in uns die Kraft, sie abzule¬
Unter Intuition versteht man die gen.
Fähigkeit gewisser Leute, eine La¬ Egon Friedell
ge in Sekundenschnelle falsch zu
beurteilen. Unverzeihlicher, als einen politi¬
Friedrich Dürrenmatt schen Irrtum zu begehen, ist es,
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker keine Konsequenzen aus ihm zu
ziehen.
So anerkennenswert es sein mag, Ralph Giordano [* 1924];
sich dies und jenes ergrübelt zu ha¬ dt. Schriftsteller

643
Journalist Teil II

Wenn weise Männer nicht irrten, Journalisten klopfen einem ständig


müßten die Narren verzweifeln. auf die Schulter - auf der Suche
Goethe, Maximen und nach der Stelle, wo das Messer am
Reflexionen leichtesten eindringt.
Robert Lembke
Wer tiefer irrt, der wird auch tiefer
weise. Jeder Politiker kennt einen Journa¬
Gerhart Hauptmann listen, auf dessen Indiskretion er
sich verlassen kann.
Die Menschheit läßt sich keinen Robert Lembke
Irrtum nehmen, der ihr nützt. Sie
würde an Unsterblichkeit glauben,
und wenn sie das Gegenteil wüßte.
Friedrich Hebbel _Jugend

Was für eine lasterhafte Jugend!


Die Stärke des Irrtums und der Lü¬ Statt auf die Alten zu hören, ahmt
ge liegt gerade darin, daß sie eben¬ sie die Alten nach!
so klar sein können wie Wahrhei¬ Wieslaw Brudzinski
ten; weshalb das Falsche ebenso
einleuchtend sein mag wie das Jeden Menschen rührt einmal,
Richtige. noch so kurz, noch so dämmerhaft,
Ludwig Marcuse das Wirken des Unbedingten an;
die Zeit des Lebens, in der dies an
Das einzige Mittel, den Irrtum zu
allen geschieht, nennen wir die Ju¬
vermeiden, ist die Unwissenheit.
gend.
Jean-Jacques Rousseau, Emile
Martin Buber

* Nur der Irrtum ist das Leben, und


Was bei der Jugend wie Grausam¬
das Wissen ist der Tod.
keit aussieht, ist meistens Ehrlich¬
Schiller, Kassandra
keit.
Jean Cocteau [1889-1963];
franz. Schriftsteller, Filmregisseur
und Graphiker

Man predigt Mitleid mit den Alten


und schimpft auf die Jugend, die

J lebt, wie sie lebt, weil sie ahnt, daß


sie nicht alt werden wird.
Karlheinz Deschner

_Journalist
♦Jugend ist Trunkenheit ohne
Ein Journalist wird man um so Wein.
leichter, je leichter man schreibt, Goethe, Das Schenkenbuch
ein Dichter, je schwerer man
schreibt. Der Jugend wird oft der Vorwurf
Sigmund Graff gemacht, sie glaube, daß die Welt
mit ihr erst anfange. Aber das Alter
Der Journalist ist immer einer, der glaubt noch öfter, daß mit ihm die
nachher alles vorher gewußt hat. Welt aufhöre.
Karl Kraus Friedrich Hebbel

644
Teil II Jurist

Die Jugend verachtet die Folgen; damit verbundenen amoralischen


darauf beruht ihre Stärke. Gleichgültigkeit kuriert wird.
Martin Kessel, Gegengabe Alexander S. Neill

Jugend ist etwas sehr Wertvolles,


nur weiß man es nicht, wenn man
_Jung
jung ist.
Andre Maurois [1885-1967]; Man bleibt jung, solange man noch
franz. Schriftsteller lernen, neue Gewohnheiten anneh¬
men und Widerspruch ertragen
Die Jugend überschätzt das Neue¬ kann.
ste, weil sie sich mit ihm gleich¬ Marie von Ebner-Eschenbach
altrig fühlt. Darum ist es ein zwei¬
faches Unglück, wenn das Neueste Die Jungen haben nicht die Aufga¬
zu ihrer Zeit schlecht ist. be, uns Vorgänger zu rechtfertigen,
Robert Musil sondern sich selber durchzusetzen
und sich von allem zu befreien, was
Die Jugend will, daß man ihr be¬ Altes, Faules, Hemmendes da war.
fiehlt, damit sie die Möglichkeit Hermann Hesse
hat, nicht zu gehorchen.
Jean-Paul Sartre

_Junggeselle
* Schnell fertig ist die Jugend mit
dem Wort. Junggesellen wissen mehr über
Schiller, Wallensteins Tod Frauen als Ehemänner. Wenn das
nicht so wäre, wären sie auch ver¬
In der Jugend herrscht die An¬ heiratet.
schauung, im Alter das Denken Robert Lembke
vor. Daher ist jene die Zeit für Poe¬
sie, dieses mehr für Philosophie. Eine Junggesellin ist eine Frau, die
Arthur Schopenhauer einmal zu oft nein gesagt hat.
Inge Meysel [*1910];
Die Jugend ist etwas Wundervol¬ dt. Schauspielerin
les. Es ist eine Schande, daß man
sie an die Kinder vergeudet. Die Ehe nehmen die Junggesellen
George Bernard Shaw ernster als die Verheirateten.
Cesare Pavese
Junge Leute leiden weniger unter
eigenen Fehlern als unter der Weis¬
heit der Alten.
_Jurist
Vauvenargues [1715-1747];
franz. Schriftsteller Es ist nicht einzusehen, weshalb es
neben den Rechtsanwälten, die un¬
ser Recht durchsetzen wollen,
nicht auch Versöhnungsanwälte
_Jugendkriminalität
gibt, die uns Rechtsstreitigkeiten
Die Jugendkriminalität läßt sich ersparen möchten.
schließlich nur beseitigen, wenn Sigmund Graff
die Gesellschaft von ihrer morali¬
schen Pflichtvergessenheit und der Juristen sind Leute, die die Ge-

645
Justiz Teil II

rechtigkeit mit dem Recht betrü¬ Kein größeres Verbrechen gibt es


gen. als nicht kämpfen wollen, wo man
Harold Pinter [* 1930]; kämpfen muß.
engl. Dramatiker Friedrich Wolf [1888-1953];
dt. Dramatiker

_Justiz
__Kapitalismus
Das Paragraphenzeichen allein
sieht aus wie ein Folterwerkzeug. Der Kapitalismus kann nicht
Stanislaw Jerzy Lec „human“ sein. Alles Menschli¬
che - außer dem Viehischen im
Das Strafrecht beruht auf der irri¬ Menschen - ist ihm fremd.
gen Annahme, daß jeder Mensch Maxim Gorki [1868-1936];
verantwortlich und fähig ist, das russ.-sowjet. Schriftsteller
Schlechte oder das Gute zu wollen.
Alexander S. Neill Es ist ein Schönheitsfehler des Ka¬
pitalismus, daß er zwar allen die
Wenn der Rechtsprecher nur end¬ gleiche Chance gibt, geschäftstüch¬
lich einmal mit dem Geheimnis der tig zu sein, es aber unterlassen hat,
Zellenhaft vertraut würde, wie an¬ dafür zu sorgen, daß alle auch die
ders müßten selbst die Urteile der gleiche Geschäftstüchtigkeit besit¬
bürgerlichen Justiz aussehen! zen, um sie wahrzunehmen.
Carl von Ossietzky Sigmund Graff

Das hatten Kapitalisten und Kom¬


munisten immer gemein: die vor¬
beugende Verdammung eines drit¬
ten Weges.
Günter Grass [* 1927];
dt. Schriftsteller

K _Karikatur

-Kabarett Eine Karikatur ist immer bloß


einen Augenblick wahr.
Das Kabarett ist wie ein Streich¬
Christian Morgenstern
holz: Es zündet nicht, wenn es sich
nicht an etwas reiben kann. Die Karikatur muß ähnlich wer¬
Werner Finck
den, nicht das Porträt.
Peter Tille

_Kampf
_ Karneval
Das, was die Menschen den
Kampf ums Dasein nennen, ist Das Mißliche am Karneval ist, daß
nichts anderes als der Kampf um er im Kalender steht, d. h., abgeju-
den Aufstieg. belt werden muß.
Bertrand Russell, Schriften Sigmund Graff

646
Teil II Kind

-Karriere Wenn Karrieren schwindelnde Hö¬


Der Gipfel zwingt erst zur Bewäh¬ hen erreichen, ist der Schwindel
rung beim Blick in die Tiefe. häufig nicht mehr nachzuweisen.
Hans Arndt Werner Schneyder

* Hüte deine Seele vor dem Karrie¬


Formel für Karriere: die rechte
remachen.
Phrase am rechten Platz.
Theodor Storm, Für meine Söhne
Wieslaw Brudzinski

Die Menschen haben eine Barriere


* Was man ist, das blieb man ande¬
zwischen sich aufgebaut. Ihr Na¬
ren schuldig.
me: Karriere.
Goethe, Tasso
Gerd Uhlenbruck

Unentbehrlich für den Karriere-


Mann: sich den richtigen Vorgän¬
-Katastrophe
ger zu suchen.
Johannes Gross Der Begriff des Fortschritts ist in
der Idee der Katastrophe zu fun¬
Beim gesellschaftlichen Aufstieg dieren. Daß es „so weiter“ geht, ist
empfiehlt es sich, freundlich zu die Katastrophe. Sie ist nicht das
den Überholten zu sein. Man be¬ jeweils Bevorstehende, sondern
gegnet ihnen beim Abstieg wieder. das jeweils Gegebene.
Jo Herbst [1928-1980]; Walter Benjamin
dt. Kabarettist und Schauspieler
Die großen Naturkatastrophen, die
Es gibt zwei Möglichkeiten, Kar¬ im Handumdrehen die Arbeit vie¬
riere zu machen: Entweder man ler Generationen des menschlichen
leistet wirklich etwas oder man be¬ Ameisenhaufens vernichten, kann
hauptet, etwas zu leisten. Ich rate man als eine Art kosmischer Kritik
zu der ersten Methode, denn hier an unserer Kultur betrachten.
ist die Konkurrenz bei weitem Stanislaw Brzozowski
nicht so groß!
Danny Kaye [1913-1987]; Katastrophen kennt allein der
amerik. Schauspieler Mensch, sofern er sie überlebt; die
Natur kennt keine Katastrophen.
Karriere ist ein Pferd, das ohne Max Frisch, Holozän
Reiter vor dem Tor der Ewigkeit
anlangt. Es gibt für Unzählige nur ein Heil¬
Karl Kraus mittel - die Katastrophe.
Christian Morgenstern
Am sichersten macht man Karrie¬
re, wenn man anderen den Ein¬
_Kind
druck vermittelt, es sei für sie von
Nutzen, einem zu helfen. Die Zweige geben Kunde von der
Jean de La Bruyere Wurzel.
Arabisches Sprichwort
Es gibt hohe Stellungen, die man
am leichtesten in gebückter Hal¬ Wir müssen wie die Kinder reden,
tung erreicht. wenn wir überleben wollen. Die
Robert Lembke Blauäugigen waren es seit je, die

647
Kindererziehung Teil II

neue Wege fanden, nicht die Ver¬ Glücklicher Säugling! Dir ist ein
blendeten. unendlicher Raum noch die Wiege.
Wolf Biermann, Welt Werde Mann, und dir wird eng die
unendliche Welt!
Kinder, die man nicht liebt, wer¬ Schiller, Das Kind in der Wiege
den Erwachsene, die nicht lieben.
PearlS. Buck [1892-1973]; Zuerst lieben die Kinder ihre El¬
amerik. Schriftstellerin tern. Nach einer gewissen Zeit fäl¬
len sie ihr Urteil über sie. Und sel¬
Kinder sind Hoffnungen, die man ten, wenn überhaupt je, verzeihen
verliert, und Ängste, die man nie sie ihnen.
los wird. Oscar Wilde
Karlheinz Deschner

* Denn wir können die Kinder _Kindererziehung


nach unserem Sinne nicht formen.
Goethe, Hermann und Dorothea t Erziehung

Wer nicht einmal ein vollkomme¬


nes Kind war, der wird schwerlich _Kindheit
ein vollkommener Mann.
Mit einer Kindheit voll Liebe aber
Friedrich Hölderlin, Hyperion
kann man ein halbes Leben hin¬
durch für die kalte Welt haushal-
Erst bei den Enkeln ist man dann
ten.
soweit, daß man die Kinder unge¬
Jean Paul
fähr verstehen kann.
Erich Kästner [1899-1974];
Die meisten Menschen legen ihre
dt. Schriftsteller
Kindheit ab wie einen alten Hut.
Sie vergessen sie wie eine Telefon¬
Es gibt kein problematisches Kind,
nummer, die nicht mehr gilt.
es gibt nur problematische Eltern.
Erich Kästner [1899-1974];
Alexander S. Neill
dt. Schriftsteller

Wer die Lebenslaufbahn seiner


Jede Stufe der Bildung fängt mit
Kinder zu verpfuschen gedenkt, Kindheit an. Daher ist der am mei¬
der räume ihnen alle Hindernisse
sten gebildete, irdische Mensch
weg.
dem Kinde so ähnlich.
Emil Oesch, Menschen
Novalis, Blütenstaub

Kinder sind Menschen, die mit Lü¬


gen erzogen werden, die Wahrheit
zu sagen. _Kirche
Rudolf Rolfs
Da Gott verschiedene Kostgänger
hat, mußte er auch Diätkoch wer¬
Ein Kind ist ein Buch, aus dem wir den. Seine Schonkost wird vor¬
lesen und in das wir schreiben sol¬ nehmlich in Kirchen serviert.
len. Kurt Marti
Peter Rosegger [1843-1918];
österr. Schriftsteller Die Kirche ist noch zu sehr eine

648
Teil II Kleingeist

Konserve von gestern und vorge¬ Definitionen stimmt (von denen


stern. Ihre konservativen Führer sein Autor höchstwahrscheinlich
merken nicht, daß das Verfallsda¬ nie gehört hat). Es ist klassisch
tum längst überschritten ist. kraft einer gewissen ewigen und
Uta Ranke-Heinemann [* 1927]; nicht kleinzukriegenden Frische.
dt. kath. Theologin Ezra Pound

Die Kirche ist ständig in Versu¬


chung, sich an die Welt anzupas¬ _ Klatsch
sen, nach Einfluß zu streben, der
Die beste Informationsquelle sind
aus der Macht, dem Privileg und
Leute, die versprochen haben,
dem Prestige erwächst, und sie ver¬
nichts weiterzuerzählen.
gißt unterdessen, daß ihr Herr und
Axel von Ambesser [1910-1988];
Meister in einem Stall zur Welt
kam. dt. Schauspieler, Regisseur und
Schriftsteller
Desmond Tutu

Was zwischen zwei Zungen gerät,


Die Kirche hat nicht den Auftrag,
gerät zwischen tausend.
die Welt zu verändern. Wenn sie
Arabisches Sprichwort
aber ihren Auftrag erfüllt, verän¬
dert sich die Welt.
Klatschen heißt: anderer Leute
Carl Friedrich von Weizsäcker
Sünden beichten.
[* 1912]; dt. Physiker und
Wilhelm Busch, Aphorismen
Philosoph
Als Vorspeise bei Gesellschaften,
die rasch in Stimmung kommen
_Klassiker sollen, hat sich ein auflockernder
Ein großer Klassiker ist heutzutage kleiner Klatsch bewährt. Er sichert
ein Mann, den man loben kann, im Handumdrehen die Solidarität
ohne ihn gelesen zu haben. der Anwesenden.
Gilbert K. Chesterton Sigmund Graff

Klassiker: einer, der uns nicht Geht man unter die Leute, erfährt
mehr davon in Kenntnis setzen man was sich zu Hause tut.
kann, daß er die Ansichten, auf die Jüdisches Sprichwort
wir uns berufen, längst geändert
Ich verzeihe meinen Freunden, die
hat.
Schlechtes über mich sagen, aber
Gabriel Laub
nicht denen, die es mir überbrin¬
* Wer wird nicht einen Klopstock gen.
loben? Andre Malraux [1901-1976];
Doch wird ihn jeder lesen? - Nein. franz. Politiker und Schriftsteller
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein.
_Kleingeist
Gotthold Ephraim Lessing, An
den Leser Die gefährlichste Waffe sind die
Menschen kleinen Kalibers.
Ein klassisches Werk ist klassisch, Wieslaw Brudzinski
nicht weil es sich gewissen Regeln
des Aufbaus fügt oder zu gewissen Aber was kommt schon dabei her-

649
15 Duden 12
Klugheit Teil II

aus, wenn sie alle in fremde Länder _Komik


zu reisen anfangen! Nichts; sie tra¬
Komik entsteht, wenn sich unser
gen ja doch wie die Zinnsoldaten
Verstand durch die unbegrenzten
ihr bißchen Standort mit sich her¬
Möglichkeiten der Erscheinungs¬
um.
welt blamiert sieht, also durch die
Erhärt Kästner
Aufdeckung einer Erfahrungslük-
Wer sich zu viel mit Kleinem ab¬ ke.
gibt, wird gewöhnlich unfähig zum Sigmund Graff

Großen.
Francois de La Rochefoucauld
_Komiker
_Klugheit Ein Komiker ist ein Mensch, der
nichts ernst nimmt außer sich
Wenn einer noch so klug ist, so ist
selbst.
er oft doch nicht klug genug, um
Danny Kaye [1913-1987];
den Dummen zu begreifen.
amerik. Schauspieler
Friedl Beutelrock

Es ist ein Zeichen von Klugheit, Jeder Mensch ist ein Clown, aber
wenn man verhandelt, statt zu nur wenige haben den Mut, es zu
kämpfen. zeigen.
Ho Chi Minh Charlie Rivel [1896-1983];
span. Akrobat und Clown
Kein Geld ist vorteilhafter ange¬
wandt als das, um welches wir uns
haben prellen lassen; denn wir ha¬
_Kommunikation
ben dafür unmittelbar Klugheit
eingehandelt. Es gibt lediglich vier Möglichkei¬
Arthur Schopenhauer ten des Kontakts mit unserer Um¬
welt. Man schätzt uns danach ein,
Der Vorteil der Klugheit besteht wie wir diese vier Kontaktmöglich¬
darin, daß man sich dumm stellen keiten nutzen: was wir tun, wie wir
kann. Das Gegenteil ist schon aussehen, was wir sagen und wie
schwerer. wir es sagen.
Kurt Tucholsky Dale Carnegie

Zu viele Menschen machen sich


_Koalition
nicht klar, daß wirkliche Kommu¬
Koalitionen sind meistens zu kleb¬ nikation eine wechselseitige Sache
rig, um aus dem Leim zu gehen. ist.
Bert Berkensträter LeeIacocca

In einer Koalition ist es ganz natür¬ Erster Schritt der Kommunikation


lich, daß der Schwanz mit dem ist die Auseinandersetzung. Kon¬
Hund zu wedeln versucht. Es frontation im Sinne der Auseinan¬
kommt nur darauf an, ob der Hund dersetzung wird damit zu einem
sich das gefallen läßt. wesentlichen Bestandteil des Stre-
Amintore Fanfani [* 1908]; bens nach Wahrheit.
ital. Politiker Hans A. Pestalozzi, Zukunft

650
Teil II
Konservativismus

-Kommunismus raubt worden zu sein, worauf er


Daß der Kommunismus überwun¬ billigerweise Anspruch hatte.
Ambrose Bierce
den werden muß, mag wohl sein.
Zuerst muß er aber erreicht wer¬
den. Ein Kompromiß, das ist die Kunst,
einen Kuchen so zu teilen, daß je¬
Andre Gide, Tagebuch
der meint, er habe das größte Stück
Das hatten Kapitalisten und Kom¬ bekommen.
munisten immer gemein: die vor¬ Ludwig Erhard [1897-1977];
beugende Verdammung eines drit¬ dt. Politiker
ten Weges.
Kompromiß - die einzigen zwei
Günter Grass [* 1927];
dt. Schriftsteller Halbheiten, die nicht ein Ganzes
ergeben. Mathematisch unmög¬
lich, aber demokratisch.
Oliver Hassencamp
_Kompetenz

*Was deines Amtes nicht ist, da * In Gefahr und großer Not bringt
laß deinen Vorwitz; denn es ist dir der Mittelweg den Tod.
schon mehr befohlen, als du kannst Friedrich von Logau
ausrichten. [1604-1655]; dt. Dichter
Jesus Sirach 3, 24-25

_Konferenz
_Kompliment
Eine Konferenz ist eine Sitzung,
Ein Kompliment unterscheidet bei der viele hineingehen und we¬
sich von einer Schmeichelei durch nig herauskommt.
den größeren Wahrheitsgehalt. Werner Finck
Und je weniger man persönlich an
einer Dame interessiert ist, desto
aufrichtiger sind Komplimente. _Können
Vadim Glowna [* 1942];
dt. Regisseur und Schauspieler Für das Können gibt es nur einen
Beweis, das Tun.
So wie es selten Komplimente gibt Marie von Ebner-Eschenbach
ohne alle Lügen, so finden sich
auch selten Grobheiten ohne alle Man muß schon sehr viel können,
Wahrheit. um nur zu merken, wie wenig man
Gotthold Ephraim Lessing, kann.
Hamburgische Dramaturgie Karl Heinrich Waggerl

_Kompromiß _Konservativismus

Kompromiß - Regelung wider¬ Konservativer - Staatsmann, der in


sprüchlicher Interessen in der Wei¬ existierende Mißstände vernarrt
se, daß jedem der Kontrahenten ist; im Gegensatz zum Liberalen,
die Befriedigung zuteil wird, das der sie durch neue ersetzen möch¬
bekommen zu haben, was ihm te.
nicht zusteht, und nur dessen be¬ Ambrose Bierce

651
15*
Konsumgesellschaft Teil II

Wer will, daß die Welt so bleibt, _Kopf


wie sie ist, der will nicht, daß sie
Das gefährlichste Organ am Men¬
bleibt.
schen ist der Kopf.
Erich Fried [1921-1988];
Alfred Döblin
österr. Schriftsteller

Liberalismus ist durch Vorsicht ge¬ Der Kopf ist jener Teil unseres
mäßigtes Vertrauen, Konservatis¬ Körpers, der uns am häufigsten im
mus ist durch Furcht gemildertes Wege steht.
Gabriel Laub
Mißtrauen der Menschen.
William Gladstone [1809-1898];
brit. Politiker
_ Körper
Wer nichts verändern will, wird
Der Körper ist der Übersetzer der
auch das verlieren, was er bewah¬
Seele ins Sichtbare.
ren möchte.
Christian Morgenstern
Gustav Heinemann [1899-1976];
dt. Politiker
Der Körper ist ohne den Geist
nicht denkbar, denn er ist nur die
Seltsam, wie konservativ die Men¬
Offenbarung des Verlangens nach
schen werden, wenn sie das Ge¬
dem Geist.
ringste zu verlieren haben!
Rudolf Steiner
Thomas Niederreuther

Konservatismus: Kinder an den Leib und Seele sind nicht zwei


Fehlern ihrer Eltern teilhaftig wer¬ Substanzen, sondern eine. Sie sind
den lassen. der Mensch, der sich selbst in ver¬
Rudolf Rolfs schiedener Weise kennenlernt.
Carl Friedrich von Weizsäcker,
Der Wunsch, die Vergangenheit Geschichte
festzuhalten, beherrscht diejeni¬
gen, die die Erziehung der Jugend
leiten, mehr als die Hoffnung, die _Körpersprache
Zukunft zu schaffen.
Nichts gibt mehr Ausdruck und
Bertrand Russell, Schriften
Leben als die Bewegung der Hän¬
de; im Affekt besonders ist das
-Konsumgesellschaft sprechendste Gesicht ohne sie un¬
bedeutend.
Unbestreitbar ist, daß wir ... auf
Gotthold Ephraim Lessing,
Kosten der unterentwickelten Völ¬
Laokoon
ker leben, daß unser Überver¬
brauch ihre Verbrauchsmöglich¬
keiten schmälert, weil sich so viel,
_Kraft
wie wir für uns allein in Anspruch
nehmen, für alle nicht verfügbar Kraft kommt nicht aus körperli¬
machen läßt. chen Fähigkeiten. Sie entspringt
Oswald von Nell-Breuning einem unbeugsamen Willen.
Mahatma Gandhi
Konsumgesellschaft: der Verzicht
auf den Verzicht. Unvergleichlich nachhaltiger als
Gerd Uhlenbruck Gewalt und Abgefeimtheit ist die

652
Teil II Krieg

echte Kraft. Die echte Kraft aber Ganz neue Zusammenhänge ent¬
reift im Kampf. deckt nicht das Auge, das über ein
Heinrich Mann [1871-1950]; Werkstück gebeugt ist, sondern das
dt. Schriftsteller Auge, das in Muße den Horizont
absucht.
Carl Friedrich von Weizsäcker,
_Krankheit Geschichte

Alles Pathologische beruht auf ei¬


ner zu weit gehenden Intimität mit _Kredit
sich selbst, also dem Gegenteil der
(auch t Borgen)
Selbstverleugnung.
Heimito von Doderer
Kredite wirken wie Drogen. Die
Dosen erhöhen sich, die Wirkung
Von Leiden einmal abgesehen,
läßt nach. Man kommt schwer da¬
sind Krankheiten als Wegweiser
von los. Die Entziehungskur ist
durchaus gesund.
schmerzlich.
Oliver Hassencamp
Hartmut Perschau [* 1942];
dt. Politiker
Eine der verbreitetsten Krankhei¬
ten ist die Diagnose. Jede Wirtschaft beruht auf dem
Karl Kraus Kreditsystem, das heißt auf der irr¬
tümlichen Annahme, der andre
Eine Gesellschaft, in der das Ge¬ werde gepumptes Geld zurückzah¬
schäft mit der Krankheit zu einem len.
der volkswirtschaftlich aufwendig¬ Kurt Tucholsky
sten und individuell einträglich¬
sten hat werden können, ist selber
krank. _Kreuz
Kurt Marti
Das Kreuz ist nicht Sinnbild einer
Gelobt sei die Krankheit, denn die Allerweltsideologie der Mitte, es
Kranken sind ihrer Seele näher als ist ein Galgen, bestimmt für Ab¬
die Gesunden. weichler und Aufrührer, für Staats¬
Marcel Proust feinde und Gotteslästerer.
Kurt Marti

_Kränkung _Krieg
t Beleidigung Geschichtsbildend sind nicht die
Kriege, sondern die Kunst.
Gottfried Benn, Marginalien

_Kreativität
Das große Karthago führte drei
Wer zu spät an die Kosten denkt, Kriege. Es war noch mächtig nach
ruiniert sein Unternehmen. Wer dem ersten, noch bewohnbar nach
immer zu früh an die Kosten denkt, dem zweiten. Es war nicht mehr
tötet die Kreativität. auffindbar nach dem dritten.
Philip Rosenthal [*1916]; Bertolt Brecht, Offener Brief
dt. Politiker und Industrieller 1951

653
Kriminalität Teil II

Kriege werden um ihrer selbst wil¬ Einen Krieg beginnen heißt nichts
len geführt. Solange man sich das weiter als einen Knoten zerhauen,
nicht zugibt, werden sie nie wirk¬ statt ihn auflösen.
lich zu bekämpfen sein. Christian Morgenstern
Elias Canetti
Kriege sind Rückfälle ins Kanni-
* Der Krieg ist die Fortsetzung der balentum.
Politik mit anderen Mitteln. Rudolf Rolfs
Nach Carl von Clausewitz
[1780-1831]; preuß. General und Wenn die Welt ein paar Generatio¬
Militärtheoretiker nen lang ohne Krieg auskommen
könnte, würde ihr schließlich der
Was zuerst geächtet werden muß, Krieg genauso absurd erscheinen,
sind die gerechten Kriege; Es gibt wie das Duell uns heute erscheint.
zwar keine, aber dennoch sind sie Bertrand Russell, Schriften
der Grund, aus dem es immer wie¬
der andere gibt. Wir haben nur die Wahl, im näch¬
Sigmund Graff sten Krieg als Mitschuldige oder
als Unschuldige umzukommen.
Erkennt den Krieg nicht als von Wem da die Wahl schwerfällt, der
außen, sondern von euch selbst ge¬
mag seine dumme Hoffnung auf
schaffen und gewollt, so habt ihr Atomwaffen bauen.
den Weg zum Frieden vor euch.
Martin Walser [* 1927];
Hermann Hesse
dt. Schriftsteller

Nicht der Krieg ist revolutionär,


Militärisches Gleichgewicht ist
der Friede ist revolutionär.
keine Friedensgarantie, sondern
Jean Jaures
eher eine Herausforderung zu krie¬
[1859-1914];
gerischem Kräftemessen.
franz. Philosoph und Politiker
Carl Friedrich von Weizsäcker,
Geschichte
Wer seine Schwiegermutter tot¬
schlägt, wird geköpft. Das ist ein
Solange man den Krieg als etwas
uralter verständlicher Brauch. Wer
Böses ansieht, wird er seine Anzie¬
aber Hunderttausende umbringt,
erhält ein Denkmal. hungskraft behalten. Erst wenn
Erich Kästner [1899-1974];
man ihn als Niedertracht erkennt,
dt. Schriftsteller wird er seine Popularität verlieren.
Oscar Wilde

Der Klang, der am nachhaltigsten


durch die Geschichte der Mensch¬
heit hallt, ist der von Kriegstrom¬
-Kriminalität
meln.
Arthur Koestler, Mensch Seit dreißig Jahren versuche ich
nachzuweisen, daß es keine Krimi¬
Man kann den Krieg nur durch nellen gibt, sondern normale Men¬
den Krieg abschaffen; wer das Ge¬ schen, die kriminell werden.
wehr nicht will, der muß zum Ge¬ Georges Simenon
wehr greifen. [1903-1989];
Mao Tse-tung belg. Schriftsteller

654
Teil II
Kritiker

_Kritik Eine Rezension wird geschrieben,


Daß so vielen Kritik als Mäkelei damit ein Buch Leser findet, die
erscheint, ist verständlich: sie hal¬ gescheiter sind als der Rezensent.
Oswald Spengler, Gedanken
ten ihre Mäkelei für Kritik.
Helmut Arntzen
Manche Menschen lesen über¬
haupt keine Bücher, sondern kriti¬
Darf man die Oberen unter der
sieren sie.
Gürtellinie treffen? Die Oberen
Kurt Tucholsky
stehen eben zu weit oben auf dem
Sockel, und da kriegt man eben zu
Nur wenige Menschen sind be¬
weit unten was ab.
scheiden genug, um zu ertragen,
Wolf Biermann, Welt
daß man sie richtig einschätzt.
Vauvenargues [1715-1747];
Jedes Kunstwerk enthält das Ge¬ franz. Schriftsteller
setz in sich, dessen lebendiger Aus¬
druck es ist. Dieses Gesetz zu fin¬
den und in Worte zu bringen ist die
Aufgabe der echten Kunstkritik.
_Kritiker
Ernst von Feuchtersleben
Kritiker: ein Mensch, der zuerst
das Unkraut jätet, um danach um
Ich kann mir nicht vorstellen, wie
so ungehinderter die Blumen zer¬
es ohne Kritik Demokratie geben
treten zu können.
kann. Damit fängt sie an.
Wieslaw Brudzinski
Michail Gorbatschow [*1931];
Sowjet. Politiker
Nichts Ärgerlicheres als jene Kriti¬
ker, die beweisen wollen, daß das,
Kritikerlob ist ein Kredit, den der was man geschrieben hat, nicht das
Künstler nicht mit Leistung abzah¬ ist, was man schreiben wollte.
len muß. Wer einmal einhellig ge¬ Andre Gide, Tagebuch
lobt wurde - auch zu Unrecht -,
kann lange versagen.
Ein Kritiker ist eine Henne, die
Oliver Hassencamp
gackert, wenn andere legen.
Giovanni Guareschi [1908-1968];
Kritik ist die Kunst, auf fremde ital. Schriftsteller
Kosten geistreich zu sein, ohne daß
jemand den Diebstahl merkt. Es gibt Leute, die vom Weihrauch¬
Wolfgang Herbst streuen, und andre, die vom Nie¬
derreißen von Denkmälern leben.
Schlechte Kritik ist gar nicht so Wir sollen beide Arten des Typus
schädlich, wie oft behauptet wird. Gernegroß nicht ernst nehmen.
Sie ist sogar sehr verkaufsfördemd, Hermann Hesse
wenn ein anderer Kritiker dage¬
genhält und damit die sogenannte Ein qualifizierter Kritiker kann
Plus-Minus-Spannung entsteht. sich qualifizierter irren.
Marcel Reich-Ranicki [* 1920]; Manfred Hinrich
dt. Literaturkritiker poln.
Herkunft Es gibt Theaterkritiker, die unter-

655
Kultur Teil II

scheiden sich nur darin vom Publi¬ mit Kultur Politik machen.
kum, daß sie das, was auch sie Theodor Heuss [1884-1963];
nicht sehen,ausdrücken können. dt. Politiker
Ludwig Marcuse
Auch die Kultur hat ihre konzes¬
Der Kritiker, der keine persönliche sionierte Prostitution: die Festspie¬
Feststellung trifft über seine eige¬ le.
nen Maßstäbe, ist einfach ein un¬ Martin Kessel, Gegengabe
zuverlässiger Kritiker. Er ist kein
Maßgebender, sonder einer, der Im besten Fall ist Kultur Anwei¬
die Resultate anderer wiederholt. sung zur Harmonisierung unserer
Ezra pound Bedürfnisse.
Alexander Mitscherlich
Zum Beruf des Kritikers gehört
Mut, vor allem Mut zum Irrtum. Die Innigkeit einer Riemenschnei¬
Wer keinen Mut hat, soll Buchhal¬ derschen Madonna und der totge¬
ter oder Steuerberater werden. prügelte Jude sind nicht zwei Wel¬
Marcel Reich-Ranicki [* 1920]; ten, die nichts miteinander zu tun
dt. Literaturkritiker poln. hätten, sondern zwei Seiten ein
Herkunft und derselben Kultur, zwei Ant¬
worten auf die gleiche Repression,
Man soll die Kritiker nicht für der ins Übermenschliche, Überir¬
Mörder halten; sie stellen nur den dische, Idealisierte und der ins Un¬
Totenschein aus. menschliche ausgewichen wird.
Marcel Reich-Ranicki [* 1920]; Alexander Mitscherlich
dt. Literaturkritiker poln.
Herkunft Unsere abendländische Kultur, auf
Altertum und Renaissance beru¬
Im übrigen gilt ja hier derjenige, hend, ist im härtesten Kampf ge¬
der auf den Schmutz hinweist, für gen die ausgesprochen kulturhem¬
viel gefährlicher als der, der den menden Kräfte des Christentums
Schmutz macht. entstanden!
Kurt Tucholsky Arno Schmidt [1914-1979];
dt. Schriftsteller
* Ein Rezensent, das ist ein Mann,
der alles weiß und gar nichts kann! Der Endzweck aller Kultur ist es,
Ernst von Wildenbruch das, was wir „Politik“ nennen,
[1845-1905]; dt. Dramatiker überflüssig, jedoch Wissenschaft
und Kunst der Menschheit unent¬
behrlich zu machen.
_Kultur Arthur Schnitzler

Die Geisteswelt der griechischen Kultur ist etwas wie die Verabre¬
Antike und des Roms der klassi¬ dung der Beteiligten zu verschwei¬
schen Epoche bildet die vielzitierte gen, daß sie keine ist.
Wurzel unserer Kultur. Wer davon Hermann Schweppenhäuser
nie etwas hörte, ist ärmer dran.
Hoimar von Ditfurth Kultur, verstanden als Lebenswei¬
se, ist vielleicht die glaubwürdigste
Mit Politik kann man keine Kultur Politik.
machen, aber vielleicht kann man Richard von Weizsäcker

656
Teil II
Kunst

_Kunst Die Kunst ist zwar nicht das Brot,


Kunst ist Magie, befreit von der wohl aber der Wein des Lebens.
Jean Paul
Lüge, Wahrheit zu sein.
Theodor W. Adorno
Die Kunst gibt nicht das Sichtbare
Große Kunst wird zwar immer aus wieder, sondern macht sichtbar.
sich alleine entstehen, aber ein Paul Klee [1879-1940]; dt. Maler
Volk für sie fähig zu erhalten, dazu und Graphiker Schweiz. Herkunft
bedarf es einer gewissen Pflege von
Wissen und einer Erziehung zu ge¬
Die Weigerung, an die Endgültig¬
danklicher Aufmerksamkeit.
keit des Todes zu glauben, ließ Py¬
Gottfried Benn, Ausdruckswelt
ramiden im Wüstensand entstehen,
führte zu festgefügten ethischen
Kunst ist, was übrigbleibt, ohne zu
Grundsätzen und wurde zum wich¬
altern.
tigsten Inspirationsquell künstleri¬
Karlheinz Deschner
scher Schöpfungen.
Arthur Koestler, Mensch
Kunst ist Weglassen.
Leonhard Frank [1882-1961];
dt. Schriftsteller Liebe und Kunst umarmen nicht
was schön ist, sondern was eben
Die Kunst ist eine Vermittlerin des dadurch schön wird.
Unaussprechlichen. Karl Kraus
Goethe, Maximen und
Reflexionen Kunst ist tätiges Meditieren, eine
andere Form der Wissensfindung,
Die Kunst setzt sich überall selbst
und mit Ratio allein ist dem Wesen
Schranken, wenn sie das Gefühl
der Kunst nun mal nicht beizu¬
der Freiheit hat. Kein echter kommen.
Künstler geht weiter, als sein Wert Jürgen Lemke
reicht.
Sigmund Graff
Die Kunst ist - im Verhältnis zum
Die Kunst ist das Gewissen der Leben - immer ein Trotzdem.
Menschheit. Georg Lukäcs
Friedrich Hebbel
Kunst ist, wenn man’s nicht kann,
In der Kunst ist die Form alles, der denn wenn man’s kann, ist’s keine
Stoff gilt nichts. Kunst.
Heinrich Heine, Gedanken Johann Nestroy

Wo große Kräfte reifen und in ih¬


Kunst ist ein Werturteil, das sich
rer höchsten Gewalt sich äußern,
durchgesetzt hat.
da sind die Zeiten der Kunst.
Thomas Niederreuther
Wilhelm Heinse

Die Kunst ist der Übergang aus der Kunst wäscht den Staub des All¬
Natur zur Bildung und aus der Bil¬ tags von der Seele.
dung zur Natur. Pablo Picasso [1881-1973]; span.
Friedrich Hölderlin Maler, Graphiker und Bildhauer

657
Künstler Teil II

Kunst ist eine Lüge, die uns die Tradition besteht darin, sie zu ne¬
Wahrheit erkennen läßt. gieren.
Pablo Picasso [1881-1973]; span. Octavio Paz, Essays II
Maler, Graphiker und Bildhauer
Licht senden in die Tiefe des
* Ernst ist das Leben, heiter ist die menschlichen Herzens - des
Kunst. Künstlers Beruf!
Schiller, Wallensteins Lager Robert Schumann
(Prolog)
Die Kunst ist das einzig Ernsthafte
Kunst ist schön, macht aber viel auf der Welt. Und der Künstler ist
Arbeit. der einzige Mensch, der nie ernst¬
Karl Valentin [1882-1948]; dt. haft ist.
Komiker und Schriftsteller Oscar Wilde

Religion ist das unaufhörliche


_Kunststoff
Zwiegespräch der Menschheit mit
Gott. Kunst ist ihr Selbstgespräch. Kunststoff herzustellen ist keine
Franz Werfel [1890-1945]; Kunst mehr, aber diesen Stoff zu
österr. Schriftsteller beseitigen, ist eine Kunst, denn
Kunststoff ist nicht von Pappe.
Gerd Uhlenbruck

_Künstler

Der Künstler war immer vollkom¬ _Kunstwerk


men in die Gesellschaft integriert,
Kunstwerke sind phänomenal,
aber nicht in die Gesellschaft sei¬
historisch unwirksam, praktisch
ner Zeit, sondern in jene der Zu¬
folgenlos. Das ist ihre Größe.
kunft.
Gottfried Benn, Dichter
Ernesto Cardenal

Jedes Kunstwerk ist eigentlich eine


Uneinig sein mit seiner Zeit - das
Skizze, die erst durch unsere Phan¬
gibt dem Künstler seine Daseins¬
tasie vollendet wird.
berechtigung.
Sigmund Graff
Andre Gide, Tagebuch
Ihre Entstehung verdanken die
Was der Künstler sich wünscht, ist Meisterwerke dem Genie, ihre
ja nicht Lob, sondern Verständnis Vollendung dem Fleiß.
für das, was er angestrebt hat, ei¬ Joseph Joubert
nerlei, wieweit sein Versuch gelun¬
gen sei. Das Kunstwerk ist eine imaginäre
Hermann Hesse Insel, die rings von Wirklichkeit
umbrandet ist.
Jeder große Künstler hat auch et¬ Jose Ortega y Gasset, Liebe
was von einem Forscher an sich.
Arthur Koestler, Mensch Das Kunstwerk ist als Ding nicht
ewig. Doch die Künstler vergessen
Der moderne Künstler will sich oft, daß ihr Werk im Besitz des Ge¬
von seinen Vorgängern unterschei¬ heimnisses der wahren Zeit ist:
den, und seine Huldigung an die nicht der leeren Ewigkeit, sondern

658
Teil II
Langeweile

der Lebendigkeit des Augenblicks. Nirgendwo fällt Humorlosigkeit


Octavio Paz, Essays II mehr auf als beim Lachen.
Oliver Hassencamp
Es gibt Kunstwerke, zu denen die
Fehler als ihre liebenswürdigsten Der Himmel hat den Menschen als
Ingredienzien gehören. Gegengewicht zu den vielen Müh¬
Wilhelm Raabe seligkeiten des Lebens drei Dinge
gegeben: die Hoffnung, den Schlaf
und das Lachen.
Immanuel Kant
_Kuß

Zehn Küsse werden leichter ver¬ Heiterkeit und Lachen sind un¬
gessen als ein Kuß. trügliche Zeichen, die nur die
Jean Paul Menschlichkeit setzt.
Hans Kasper, Verlust
Ein Kuß ist eine Sache, für die man
beide Hände braucht. Lachen ist insofern ein einzigarti¬
Mark Twain ger Reflex, als er keinen augen¬
scheinlichen biologischen Nutzen
hat.
Arthur Koestler, Mensch

Wo der Glaube ist, da ist auch La¬


chen.
Martin Luther

L _Langeweile

_Lächeln Im Gähnen tut sich der Mensch


selber als Abgrund auf; er macht
Lächeln ist die eleganteste Art, sei¬ sich der langen Weile ähnlich, die
nen Gegnern die Zähne zu zeigen. ihn umgibt.
Werner Finck Walter Benjamin

Langweiler - einer der redet, wenn


_Lachen er dir zuhören sollte.
Ambrose Bierce
In seinem Lachen liegt der Schlüs¬
sel, mit dem wir den ganzen Men¬ Steril ist der, dem nichts einfällt.
schen entziffern. Langweilig ist, wer ein paar alte
Thomas Carlyle Gedanken hat, die ihm alle Tage
neu einfallen.
Der verlorenste aller Tage ist der, Marie von Ebner-Eschenbach
an dem man nicht gelacht hat.
Chamfort Menschen, an denen nichts auszu¬
setzen ist, haben nur einen, aller¬
Nichts in der Welt wirkt so anstek- dings entscheidenden Fehler: Sie
kend wie Lachen und gute Laune. sind uninteressant.
Charles Dickens [1812-1870]; Zsa Zsa Gabor [* 1919 od. 1920],
engl. Schriftsteller amerik. Filmschauspielerin

659
Lärm Teil II

Nicht Mangel an Ideen - denn _Leben


man hat immer welche -, sondern
Man lebt nicht, um zu leben. Son¬
an neuen macht Langeweile.
dern weil man lebt und hat sich
Jean Paul
dies Weil nicht ausgesucht.
Ernst Bloch
Wir verzeihen oft Leuten, die uns
langweilen, aber nicht denen, die Alles wirkliche Leben ist Begeg¬
wir langweilen. nung.
Francois de La Rochefoucauld
Martin Buber

Was Rednern an Tiefe fehlt, erset¬ Jeder Augenblick im Leben ist ein
zen sie durch Länge. Schritt zum Tode hin.
Montesquieu, Gedanken Pierre Corneille, Titus und
Berenice
Wenn einem Autor der Atem aus¬
geht, werden seine Sätze nicht kür¬ Das Leben ist für den Alltagsmen¬
zer, sondern länger. schen ein wissenschaftliches Pro¬
John Steinbeck [1902-1968]; blem, für das Talent ein künstleri¬
amerik. Schriftsteller sches und für das Genie ein religiö¬
ses.
Das Geheimnis zu langweilen be¬ Egon Friedell
steht darin, alles zu sagen.
Voltaire, Wesen des Menschen Die Menschen werden nicht an
dem Tag geboren, an dem ihre
Mutter sie zur Welt bringt, sondern
wenn das Leben sie zwingt, sich
_Lärm selbst zur Welt zu bringen.
Gabriel Garcia Märquez
Der eigene Hund macht keinen [* 1928]; kolumbianischer
Lärm - er bellt nur. Schriftsteller
Kurt Tucholsky
* Lebe, wie du, wenn du stirbst,
wünschen wirst, gelebt zu haben.
Christian Fürchtegott Gellert
_Laster
*Grau, teurer Freund, ist alle
Der Mensch möchte vor den Fol¬
Theorie und grün des Lebens gold-
gen seiner Laster bewahrt werden,
ner Baum.
aber nicht vor den Lastern selbst.
Goethe, Faust I
Ralph Waldo Emerson
[1803-1882]; amerik. Philosoph
Das Leben ist ein ewiges Werden.
und Schriftsteller
Sich für geworden halten heißt sich
töten.
Der Mensch pflegt die Laster, die Friedrich Hebbel
einträglich für ihn sind; aber er hat
das Bedürfnis, sie zu rechtfertigen; Wir verlangen, das Leben müsse ei¬
er will sie nicht opfern: also muß er nen Sinn haben - aber es hat nur
sie idealisieren. ganz genau so viel Sinn, als wir sel¬
Romain Rolland [1866-1944]; ber ihm zu geben imstande sind.
franz. Schriftsteller Hermann Hesse

660
Teil II Leben

Wie wenig ist am Ende der Lebens¬ wirklichen Leben entfernt sind als
bahn daran gelegen, was wir erleb¬ Eingeborene im afrikanischen
ten, und wie unendlich viel, was Busch.
wir daraus machten. Alexander S. Neill
Wilhelm von Humboldt
Leben ist der Anfang des Todes.
Das Leben gleicht einem Buche. Novalis, Blütenstaub
Toren durchblättern es flüchtig;
der Weise liest es mit Bedacht, weil Das Leben soll kein uns gegebener,
er weiß, daß er es nur einmal lesen sondern ein von uns gemachter Ro¬
kann. man sein.
Jean Paul Novalis, Logologische Fragmente

Am Schluß ist das Leben nur eine Leben ist nichts anderes als der
Summe aus wenigen Stunden, auf Umgang mit der Welt.
die man zulebte. Sie sind; alles an¬ Jose Ortega y Gasset, Aufstand
dere ist nur ein langes Warten ge¬
wesen. Das Leben ist nicht allein der An¬
Erhärt Kästner fang. Der Anfang ist nur das Jetzt,
und das Leben ist Dauer, Fortbe¬
Das Leben kann nur in der Schau stehen im nächsten Augenblick,
nach rückwärts verstanden, aber der auf das Jetzt folgt.
nur in der Schau nach vorwärts ge¬ Jose Ortega y Gasset, Goethe
lebt werden.
Sören Kierkegaard Für den Optimisten ist das Leben
kein Problem, sondern bereits die
Das Leben ist ein Zeichnen ohne Lösung.
die Korrekturmöglichkeiten des Marcel Pagnol [1895-1974];
Radiergummis. franz. Schriftsteller
Oskar Kokoschka [1886-1980];
österr. Maler und Schriftsteller Leben ist so etwas wie eine lange
Addition machen, in der man nur
Wenn das Leben elend ist, so ist es die Summe der ersten beiden Zah¬
beschwerlich, es zu ertragen; ist es lenreihen falsch zusammengezählt
glücklich, so ist es schrecklich, es zu haben braucht, um nicht mehr
zu verlieren: beides kommt auf zurechtzukommen.
eins hinaus. Cesare Pavese
Jean de La Bruyere
Die Politik ist die Kunst des Mögli¬
Das Leben ist wie ein Schulaufsatz. chen. Das ganze Leben ist Politik.
Meist wird das Thema verfehlt. Cesare Pavese
Werner Mitsch
Man kann und darf wohl sein eige¬
Das Leben ist die Suche des Nichts nes Leben für eine Sache riskieren,
nach dem Etwas. aber nie das Leben eines anderen.
Christian Morgenstern Karl R. Popper

Es ist eine einfache Wahrheit, daß Es tötet nichts so sicher als das
wir mit unseren Fernsehgeräten Leben.
und Düsenflugzeugen weiter vom Wilhelm Raabe

661
Lebensbejahung Teil II

Das Leben ist kurz, weniger wegen den Toten mit ins Grab geben,
der kurzen Zeit, die es dauert, son¬ nicht den Lebenden entziehen.
dern weil uns von dieser kurzen Wilhelm Raabe
Zeit fast keine bleibt, es zu genie¬
ßen. Wir sind in diese Welt gekommen
Jean-Jacques Rousseau, Emile nicht nur, daß wir sie kennen, son¬
dern daß wir sie bejahen.
* Das Leben ist der Güter höchstes Rabindranath Tagore
nicht.
Schiller, Braut von Messina

Tätigkeit ist der wahre Genuß des


Lebens, ja das Leben selbst. __Lebenserfahrung
August Wilhelm Schlegel, Über Die Welt ist die wahre Schule,
dramatische Kunst denn da lernt man alles von selbst.
Johann Nestroy, Die schlimmen
Am Ende gilt doch nur, was wir ge¬
Buben
tan und gelebt - und nicht, was wir
ersehnt haben.
Die meisten Menschen brauchen
Arthur Schnitzler
sehr lang, um jung zu werden.
Das Leben ist ein Pensum zum Ab¬ Pablo Picasso[1881-1973]; span.
arbeiten. Maler, Graphiker und Bildhauer
Arthur Schopenhauer
Wir brauchen in der Landschaft
Kein Zeitalter hat das Überleben unseres Lebens Höhen und Tiefen,
mit infamerer Ruhe für das Leben damit unsere Gedanken und Kräf¬
ausgegeben als dieses. te tätig strömen können.
Hermann Schweppenhäuser Rabindranath Tagore

* Halte fest: Du hast vom Leben Nur wer Helles und Dunkles, Auf¬
doch am Ende nur dich selber. stieg und Niedergang erfahren, nur
Theodor Storm, Für meine Söhne der hat wahrhaft gelebt.
Stefan Zweig [1881-1942];
Daß ich bin, erfüllt mich mit immer
österr. Schriftsteller
neuem Staunen. Und dies bedeutet
Leben.
Rabindranath Tagore

Wer nur mit dem Verstand lebt, hat _Lebensfreude


das Leben nicht verstanden!
Ein Leben ohne Feste ist eine weite
Gerd Uhlenbruck
Reise ohne Gasthaus.
Demokrit [um 460-370 v. Chr.];
Nicht wir leben unser Leben: Gott
griech. Philosoph
lebt uns.
Thornton Wilder
Das Behagen am Dasein verdirbt
sich der Mensch sehr häufig durch
-Lebensbejahung seine sogenannten „starken Sei¬
ten“.
Wir sollen die Liebe, welche wir Wilhelm Raabe

662
Teil II
Lebensweise

Wer nicht genießt, wird ungenie߬ Lebenskünstler verstehen es, um


bar. Dinge gebeten zu werden, die sie
Konstantin Wecker [* 1947]; gerne machen.
dt. Liedermacher Robert Lembke

-Lebensklugheit
-Lebenslüge
Lieber ein Narr und glücklich, als
ein weiser Mann und unglücklich. Wer eine Hintertür in sein Leben
Horst Wolfram Geissler einbaut, gebraucht sie eines Tages
[1893-1983]; dt. Schriftsteller als Hauptportal.
Hans Arndt
Lebensklugheit bedeutet: alle Din¬
ge möglichst wichtig, aber keines Nach und nach summieren sich al¬
völlig ernst nehmen. le diese Freundlichkeitslügen, die
Arthur Schnitzler das Leben angenehmer machen,
zur Lebenslüge, die das Leben
nicht nur unangenehm, sondern
_Lebenskunst unerträglich machen kann.
Kurt Marti
Die wahren Lebenskünstler sind
bereits glücklich, wenn sie nicht Eine Lebenswahrheit lautet, daß
unglücklich sind.
wir ohne Lebenslüge nicht aus-
Jean Anouilh
kommen.
Gerd Uhlenbruck
Es ist Lebenskunst, die schönen
Dinge im Leben nicht aufhören,
sondern ausklingen zu lassen.
Elisabeth Bergner [1897-1986]; _Lebensweise
österr. Schauspielerin
Das ganze Geheimnis, sein Leben
Wir alle müssen das Leben mei¬ zu verlängern, besteht darin, es
stern. Aber die einzige Art, es zu nicht zu verkürzen.
meistern, besteht darin, es zu lie¬ Ernst von Feuchtersleben
ben.
Georges Bernanos [1888-1948]; Wenn dem Menschen am Ende sei¬
franz. Schriftsteller nes Lebens ein Lächeln übrig¬
bleibt, so ist das ein anständiger
Die wahre Lebenskunst besteht Reingewinn.
darin, im Alltäglichen das Wunder¬ Horst Wolfram Geissler
bare zu sehen. [1893-1983];
PearlS. Buck [1892-1973]; dt. Schriftsteller
amerik. Schriftstellerin
Leben funktioniert nach dem Lust¬
Lebenskunst besteht zu neunzig prinzip. Allein der Mensch schafft
Prozent aus der Fähigkeit, mit es, nach dem Unlustprinzip zu ve¬
Menschen auszukommen, die man getieren. Für Lohn und Pension.
nicht leiden kann. Oliver Hassencamp
Samuel Goldwyn [1884-1974];
amerik. Filmproduzent Die meisten Menschen wären

663
Lebensweisheit Teil II

glücklich, wenn sie sich das Leben _Legende


leisten könnten, das sie sich leisten.
Legenden sind Lügen mit Heili¬
Danny Kaye [1913-1987];
genschein.
amerik. Schauspieler
Karlheinz Deschner

Nicht der Mensch hat am meisten


gelebt, welcher die höchsten Jahre
zählt, sondern der, welcher sein Le¬ __Lehren
ben am meisten empfunden hat.
Langweilig zu sein ist die ärgste
Jean-Jaques Rousseau, Emile
Sünde des Unterrichts.
Johann Friedrich Herbart
Genaugenommen leben nur weni¬
[1776-1841]; dt. Philosoph,
ge Menschen wirklich in der Ge¬
Psychologe und Pädagoge
genwart, die meisten haben nur
vor, einmal richtig zu leben.
Lehren heißt: die Dinge zweimal
Jonathan Swift
lernen.
Joseph Joubert

_Lebensweisheit
Man lernt am schnellsten und am
Die Dinge sind nie so, wie sie sind. besten, indem man andere lehrt.
Sie sind immer das, was man aus Rosa Luxemburg
ihnen macht.
Jean Anouilh Der Wille zu lehren ist ein Wille zu
schenken.
Man fängt nicht sein Leben mit gu¬ Hans Margolius
ten Worten und Vorsätzen an, mit
Erkennen und Verstehen fängt Der wahre Unterricht beschränkt
man es an und mit dem richtigen sich letztlich auf diejenigen, die
Nebenmann. darauf bestehen, etwas zu lernen;
Alfred Döblin, Berlin das übrige ist bloßes Viehtreiben.
Alexanderplatz Ezra Pound

Auch in den Tümpeln, den Lachen, Wer fähig ist, schafft, wer unfähig
den Mistpfützen spiegeln sich Ster¬ ist, lehrt.
ne. Vergiß das nicht! George Bernard Shaw
Friedrich Georg Jünger
Erziehung ist eine wunderbare Sa¬
* Es ist nicht wahr, daß die kürze¬ che, doch muß man sich von Zeit
ste Linie immer die gerade ist. zu Zeit besinnen, daß nichts, was
Gotthold Ephraim Lessing, von Wert ist, gelehrt werden kann.
Erziehung des Oscar Wilde
Menschengeschlechts

* Wer im Glück ist, der lerne den


_Lehrer
Schmerz.
Schiller, Braut von Messina Jeder Lehrer muß lernen, mit dem
Lehren aufzuhören, wenn es Zeit
Die goldene Regel ist, daß es keine ist. Das ist eine schwere Kunst.
goldenen Regeln gibt. Bertolt Brecht, Buch der
George Bernard Shaw Erfahrung

664
Teil II
Leistung

Es kann nicht früh genug darauf _Leidenschaft


hingewiesen werden, daß man die
Kinder nur dann vernünftig erzie¬ Alle Leidenschaften übertreiben
hen kann, wenn man zuvor die und wären keine Leidenschaften,
Lehrer vernünftig erzieht. wenn sie nicht übertrieben.
Chamfort
Erich Kästner [1899-1974];
dt. Schriftsteller
Feuer läutert, verdeckte Glut frißt
an.
Ein rechter Meister zieht keine
Marie von Ebner-Eschenbach
Schüler, sondern eben wiederum
Meister.
Kein Toter ist so gut begraben wie
Robert Schumann
eine erloschene Leidenschaft.
Marie von Ebner-Eschenbach
Ein Lehrer, der nicht von seinen
Schülern lernt, versagt in seinem Wer die Leidenschaft als Jugend¬
Beruf. sünde abtut, degradiert die Ver¬
Charlotte Wolff [1900-1986]; nunft zur Alterserscheinung.
dt. Psychologin und Hans Kasper, Abel
Schriftstellerin
Das Gewissen ist die Stimme der
Seele. Die Leidenschaften sind die
_Leib Stimme des Körpers.
Jean-Jacques Rousseau, Emile
t Körper
Unser praktisches, reales Leben
nämlich ist, wenn nicht die Leiden¬
_Leid schaften es bewegen, langweilig
und fade, wenn sie aber es bewe¬
* Leiden sind Lehren. gen, wird es bald schmerzlich.
Nach Äsop [6. Jh. v. Chr.(?)]; Arthur Schopenhauer
legendärer griech. Fabeldichter
Leidenschaften sind die Pferde am
Nicht nur die Tat, auch das Leiden Wagen des Lebens; aber wir fahren
ist ein Weg zur Freiheit. nur gut, wenn der Fuhrmann Ver¬
Dietrich Bonhoeffer nunft die Zügel lenkt.
Karl Julius Weber
Ein Mensch kann viel ertragen, so¬
lange er sich selbst ertragen kann.
Axel Munthe _Leihen

Wer nicht ein kleines Leid zu ertra¬ (auch T Kredit)


gen versteht, muß sich darauf ge¬
Wenn du den Wert des Geldes ken¬
faßt machen, viele Leiden über
nenlernen willst, versuche, dir wel¬
sich ergehen zu lassen.
ches zu borgen!
Jean-Jacques Rousseau, Emile
Benjamin Franklin, Reichtum

Leiden ist wie Geld. Es kursiert


von Hand zu Hand. Wir geben wei¬
_Leistung
ter, was wir empfangen.
Thornton Wilder Wenn der Mensch alles leisten soll,

665
Leistungsgesellschaft Teil II

was man von ihm fordert, so muß Der Mensch soll lernen. Nur die
er sich für mehr halten, als er ist. Ochsen büffeln.
Goethe, Maximen und Erich Kästner [1899-1974];
Reflexionen dt. Schriftsteller

Es kommt viel weniger darauf an, Man lernt am schnellsten und am


was man leistet, als vielmehr dar¬ besten, indem man andere lehrt.
auf, wo man es leistet. Rosa Luxemburg
Johann Nestroy, Frühere
Verhältnisse Es ist des Lernens kein Ende.
Robert Schumann
Man muß von jedem fordern, was
er leisten kann.
Antoine de Saint-Exupery _Lesen
[1900-1944]; franz. Schriftsteller Lesen, ein Buch lesen - für mich ist
das das Erforschen eines Univer¬
sums.
_Leistungsgesellschaft Marguerite Duras [* 1914];
franz. Schriftstellerin
Unsere Leistungsgesellschaft ist
nicht eine Gesellschaft, in der nur Ich lösche das Licht selten aus, oh¬
Leistung gilt, sondern eine, welche ne vorher gelesen zu haben. Indem
bestimmt, was Leistung ist und wer man das Geistige zwischen das
sie leisten darf. Sinnliche des Tages und den Schlaf
Gerd Uhlenbruck legt, reinigt man sich.
Otto Flake

_Lernen Wer zu lesen versteht, besitzt den


Schlüssel zu großen Taten, zu un-
Lernen ist wie Rudern gegen den geträumten Möglichkeiten, zu ei¬
Strom. Sobald man aufhört, treibt nem berauschend schönen, sinner¬
man zurück. füllten und glücklichen Leben.
Benjamin Britten [1913-1976]; Aldous Huxley
brit. Komponist, Dirigent und
Pianist Man sollte niemals ein Buch lesen,
bloß weil es auf irgendeiner Best¬
Bis ins späteste Alter lernen (nicht sellerliste steht oder weil es einem
auswendig, sondern inwendig), das zeitgenössischen Trend entspricht.
ist Genießen, das ist Leben. Da Richtiges Lesen ist Bürsten gegen
wächst die Seele, in konzentrischen den Strich.
Kreisen, göttlichen Sphären zu. Doris Lessing [*1919];
Ernst von Feuchtersleben engl. Schriftstellerin

Jeder, der aufhört zu lernen, ist alt, * Wer wird nicht einen Klopstock
mag er zwanzig oder achtzig Jahre loben?
zählen. Jeder, der weiterlernt, ist Doch wird ihn jeder lesen? - Nein.
jung, mag er zwanzig oder achtzig Wir wollen weniger erhoben
Jahre zählen. und fleißiger gelesen sein.
Henry FordI. [1803-1947]; Gotthold Ephraim Lessing,
amerik. Industrieller An den Leser

666
Teil II Liebe

Erst durch lesen lernt man, wieviel _Liebe


man ungelesen lassen kann.
Wilhelm Raabe Liebe ist die Lähigkeit, Ähnliches
an Unähnlichem wahrzunehmen.
Theodor W. Adorno

_Leser An einer unglücklichen Liebe


scheitert man zuweilen weniger als
Der „einzelne Leser“ ist meistens
an einer glücklichen.
wortärmer, aber viel gescheiter als
Lriedl Beutelrock
jene öffentliche Meinung, die von
einer Schicht substanzloser Intel-
Liebe ist der Wunsch, etwas zu ge¬
lektualität gebildet wird und zum
ben, nicht zu erhalten.
Glück nicht so mächtig ist, wie sie
Bertolt Brecht, Prosa 2
zu sein glaubt.
Hermann Hesse
Wenn Liebe das Schulmeistern an¬
fängt, hat sie bald Lerien.
Der Leser hat’s gut: Er kann sich
Pearl S. Buck [1892-1973];
seine Schriftsteller aussuchen.
amerik. Schriftstellerin
Kurt Tucholsky

Einen Menschen zu lieben heißt


Bei jeder Lektüre antwortet der Le¬
einzuwilligen, mit ihm alt zu wer¬
sende mit seiner bewußten oder den.
unbewußten Biographie auf das, Albert Camus [1913-1960];
was er liest
franz. Schriftsteller
Martin Walser [* 1927];
dt. Schriftsteller Liebe ist stets der Anfang des Wis¬
sens, so wie Peuer der Anfang des
Lichts ist.
_Leserlichkeit Thomas Carlyle

Leserlichkeit ist die Höflichkeit Liebe ist kein Solo. Liebe ist ein
der Handschriften. Duett. Schwindet sie bei einem,
Lriedrich Dürrenmatt verstummt das Lied.
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker Adelbert von Chamisso
[1781-1838]; dt. Schriftsteller

_Liberalismus Alter schützt vor Liebe nicht, aber


Liebe vor dem Altern.
Manche meinen, sie seien liberal Coco Chanel [1883-1971];
geworden, nur weil sie die Rich¬ franz. Modeschöpferin
tung ihrer Intoleranz geändert ha¬
ben. Liebe: an jemand denken, ohne
Wieslaw Brudzinski nachzudenken.
Karlheinz Deschner
Liberalismus ist durch Vorsicht ge¬
mäßigtes Vertrauen, Konservatis¬ Gibt es schließlich eine bessere
mus ist durch Lurcht gemildertes Porm, mit dem Leben fertig zu wer¬
Mißtrauen der Menschen. den als mit Liebe und Humor?
William Gladstone [1809-1898]; Charles Dickens [1812-1870];
brit. Politiker engl. Schriftsteller

667
Liebe Teil II

Die Liebe ist ein Wunder, das im¬ Die Liebe ist so unproblematisch
mer wieder möglich, das Böse eine wie ein Fahrzeug. Problematisch
Tatsache, die immer vorhanden ist. sindnur die Lenker, die Fahrgäste
Friedrich Dürrenmatt und die Straße.
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker Franz Kafka, Tagebücher

Liebe ist der Entschluß, das Ganze Liebe ist ganz aus Freiheit ge¬
eines Menschen zu bejahen, die macht, kein Muß richtet da etwas
Einzelheiten mögen sein, wie sie aus.
wollen. Hans Kasper, Verlust
Otto Flake
Ewige Liebe: die Ewigkeit in ihrer
Eben darin besteht ja die Liebe, vergänglichsten Form.
daß sie uns in der Schwebe des Le¬ Hans Krailsheimer
bendigen hält, in der Bereitschaft,
einem Menschen zu folgen in allen In der Liebe kommt es nur darauf
seinen möglichen Entfaltungen. an, daß man nicht dümmer er¬
Max Frisch, Tagebuch 1946-1949 scheint, als man gemacht wird.
Karl Kraus

Das ist das Eigentümliche an der


Liebe ist gemeinsame Freude an
Liebe, daß sie sich niemals gleich
der wechselseitigen Unvollkom¬
bleiben kann; sie muß unaufhör¬
menheit.
lich wachsen, wenn sie nicht ab¬
Hans Kudszus
nehmen soll.
Andre Gide, Falschmünzer
Liebe und Freundschaft schließen
einander aus.
Die Liebe ist eine Gemütskrank¬
Jean de La Bruyere
heit, die durch die Ehe oft schnell
geheilt werden kann.
Wie zartempfindend man auch in
Sacha Guitry [1885-1957];
der Liebe sei, so verzeiht man bei
franz. Schriftsteller
ihr doch leichter Fehler als bei der
Freundschaft.
Weich ist stärker als hart, Wasser
Jean de la Bruyere
stärker als Fels, Liebe stärker als
Gewalt.
Das Zeichen der wahren Liebe ist,
Hermann Hesse
daß sie vergeht. Unvergänglich ist
nur die Illusion der Liebe.
Liebe ist das einzige, was nicht we¬ Gabriel Laub
niger wird, wenn wir es verschwen¬
den. Wenn die Menschen sagen, sie hät¬
Ricarda Huch [1864-1947]; ten ihr Herz verloren, ist es mei¬
dt. Schriftstellerin stens nur der Verstand.
Robert Lembke
Auch ist das vielleicht nicht eigent¬
lich Liebe, wenn ich sage, daß Du Liebe, die nicht den Segen der Um¬
mir das Liebste bist; Liebe ist, daß welt hat, geht schnell kaputt oder
Du mir das Messer bist, mit dem steigert sich in seltene Leiden¬
ich in mir wühle. schaft.
Franz Kafka, Briefe Jürgen Lemke

668
Teil II Lieben

Die Liebe ist das einzige Märchen, zwischen einer Person und allen
das mit keinem „es war einmal“ anderen.
beginnt - aber schließt. George Bernard Shaw
Hans Lohberger
Der Mensch ist sich tief bewußt,
Liebe ist dann da, wenn wir andern daß im Grunde seines Wesens ein
dienen wollen. Zwiespalt ist, er sehnt sich, ihn zu
Martin Luther überbrücken, und irgendetwas sagt
ihm, daß es die Liebe ist, die ihn
Die Liebe ist der Triumph der Ein¬ zur endgültigen Versöhnung füh¬
bildungskraft über die Intelligenz. ren kann.
Henry Louis Mencken Rabindranath Tagore

Lieben bedeutet, zu einem Men¬ Macht können wir durch Wissen


schen zu halten. Liebe ist Anerken¬ erlangen, aber zur Vollendung ge¬
nung. langen wir nur durch die Liebe.
Rabindranath Tagore
Alexander S. Neill

Aus Liebe lernt man alles, aus der


Die Liebe ist der Versuch der Na¬
Liebe lernt man nichts.
tur, den Verstand aus dem Weg zu
Gerd Uhlenbruck
räumen.
Thomas Niederreuther
Die Liebe hat eine mörderische
Kraft: Sie kann sogar die Liebe
Das Verlangen nach Gegenliebe ist töten!
nicht das Verlangen der Liebe, son¬ Gerd Uhlenbruck
dern der Eitelkeit.
Friedrich Nietzsche, Nachlaß Die Liebe besiegt alles.
Vergil [70-19 v.Chr.];
Die Liebe ist vielleicht der höchste röm. Dichter
Versuch, den die Natur macht, um
das Individuum aus sich heraus Wir alle benutzen einander und
und zu dem anderen hinzuführen. nennen es Liebe, und wenn wir ein¬
Jose Ortega y Gasset, Liebe ander nicht benutzen können, nen¬
nen wir es - Haß.
Liebe und Dichtung sind eigentlich Tennessee Williams [1911-1983];
dasselbe: der Wunsch, sich zu äu¬ amerik. Dramatiker
ßern.
Cesare Pavese
_Lieben
* Die Liebe ist der Liebe Preis. Geliebt wirst du einzig, wo du
Schiller, Don Kariös schwach dich zeigen darfst, ohne
Stärke zu provozieren.
Liebe auf den ersten Blick ist unge¬ Theodor W. Adorno
fähr so zuverlässig wie Diagnose
auf den ersten Händedruck. Einen Menschen zu lieben heißt
George Bernard Shaw einzuwilligen, mit ihm alt zu wer¬
den.
Die Liebe beruht auf einer starken Albert Camus [1913-1960];
Übertreibung des Unterschiedes franz. Schriftsteller

669
Liebende Teil II

Wer sein Herz verliert, ohne den Grund der Liebe. Lieben heißt je¬
Kopf zu verlieren, hat entweder mandem Gutes tun wollen.
kein Herz zu verlieren oder keinen Thomas von Aquin
Kopf. [1225/26-1274]; scholastischer
Karlheinz Deschner Theologe und Philosoph

Man liebt einen Menschen nicht


wegen seiner Stärke, sondern we¬ _Liebende
gen seiner Schwächen.
Tilla Durieux [1880-1971]; Betrüger legen andere rein. Ver¬
dt. Schauspielerin liebte sich selbst.
Oliver Hassencamp
* Glücklich allein ist die Seele, die
Alle großen Liebespaare der Men¬
liebt.
Goethe, Egmont
schengeschichte sind im Sinne der
Welt gescheitert, womit die Welt
Wer liebt, hat ein großes Geschenk sich trösten mag.
zu verwalten. Hans Erich Nossack, November

Martin Kessel, Gegengabe

Man liebt wohl nur ein einziges _Liebesentzug


Mal wahrhaft, und zwar das erste
„Liebesentzug“: als ob es so etwas
Mal. Die Zuneigungen, die später
gäbe; wenn Liebe da ist, wie ist
folgen, sind weniger unfreiwillig.
dann Entzug möglich?
Jean de La Bruyere
Peter Handke

Geliebt zu werden kann eine Strafe


sein. Nicht wissen, ob man geliebt
_Liebhaber
wird, ist Folter.
Robert Lembke Wenn man einen Liebhaber hat,
dann hat man auch mehrere.
Jemanden lieben heißt als einziger Marguerite Duras [* 1914];
ein für die anderen unsichtbares franz. Schriftstellerin
Wunder sehen.
Francois Mauriac Die meisten Männer, die Kluges
[1885-1970]; über Frauen gesagt haben, waren
franz. Schriftsteller schlechte Liebhaber. Die großen
Praktiker reden nicht, sondern
Es gibt vielleicht auf der ganzen handeln.
Welt kein anderes Mittel, ein Ding Jeanne Moreau [* 1928];
oder Wesen schön zu machen, als franz. Schauspielerin
es zu lieben.
Robert Musil Ein Mann kann nur eine Frau in
seinem Leben haben und trotzdem
Die Forderung, geliebt zu werden, ein großer Liebhaber sein. Ich nen¬
ist die größte der Anmaßungen. ne diese Art von Liebe die letzte
Friedrich Nietzsche, Nachlaß Spur Göttlichkeit im Menschli¬
chen.
Die Liebe ist das Wohlgefallen am Isaac B. Singer [1904-1991];
Guten; das Gute ist der einzige jiddischer Schriftsteller (USA)

670
Teil II Lob

-Lieblosigkeit licht, wird dieses im Prinzip zu et¬


Liebe ist Qual, Lieblosigkeit ist was Unbegrenztem, und die Aussa¬
Tod. gen der Jahrhunderte stehen jeder¬
Marie von Ebner-Eschenbach mann zur Verfügung.
Jose Ortega y Gasset, Aufgabe
Der wildeste Haß ist noch lange
nicht so häßlich wie Lieblosigkeit. Die Unsterblichkeit der Literatu¬
Isolde Kurz ren ist abstrakt und heißt Biblio¬
thek.
Oktavio Paz, Essays II
_Liedermacher
Es ist das Schicksal aller Literatu¬
Liedermacher, das wurde für die ren, eines Tages in toten Sprachen
Kulturschickeria einer, der zwar geschriebene lebendige Werke zu
schlecht Gitarre spielt, aber dafür sein.
auch keine Stimme hat. Octavio Paz, Essays II
Wolf Biermann, Affenfels
Große Literatur ist einfach Spra¬
che, die bis zur Grenze des Mögli¬
_Literatur chen mit Sinn geladen ist.
Nie kann die Literatur Ruhe ge¬ Ezra Pound
ben, da sie funktionierende oder
gar funktionalisierte Freiheiten nie
als solche anerkennt, und mit der _Lob
religiösen Freiheit ist es ebenso wie
mit der sogenannten sexuellen. (auch t Anerkennung)
Heinrich Böll, Dritte
Wuppertaler Rede Lobt dich der Gegner, dann ist das
bedenklich; schimpft er, dann bist
Die Literatur muß neue Mittel ein- du in der Regel auf dem richtigen
setzen, erlaubte und unerlaubte, Weg.
wenn sie vernehmlich bleiben will August Bebel [1840-1913];
in dem Lärm, der um uns herum dt. Politiker
ständig anschwillt.
Hans Christoph Buch Was unsere Epoche kennzeichnet,
ist die Angst, für dumm zu gelten,
Es gibt keine alte und moderne Li¬ wenn man etwas lobt, und die Ge¬
teratur, sondern nur eine ewige wißheit, für gescheit zu gelten,
und eine vergängliche. wenn man etwas tadelt.
Ernst von Feuchtersleben Jean Cocteau [1889-1963];
franz. Schriftsteller, Filmregisseur
Bei jeder Literatur muß man sich und Graphiker
als erste die Frage stellen: Was
wird darin vom Menschen verbor¬ Irren ist menschlich. Nur wer uns
gen? (Die Frage: Was wird ge¬ lobt, ist unfehlbar.
zeigt? ist relativ weniger wichtig.) Oliver Hassencamp
Andre Gide, Tagebuch
Wer ein Lob zurückweist, will
Dadurch, daß das Buch das Ge¬ nochmals gelobt werden.
dächtnis objektiviert und verstoff- Francois de La Rochefoucauld

671
Losung Teil II

Im Lobe ist mehr Zudringlichkeit Daß Papageien sprechen können,


als im Tadel. macht sie noch nicht menschen¬
Friedrich Nietzsche, Jenseits ähnlich; sie müssen erst einmal ler¬
nen zu lügen.
Die einen werden durch großes Robert Lembke
Lob schamhaft, die anderen frech.
Friedrich Nietzsche, Morgenröte Eine Lüge ist wie ein Schneeball;
je länger man ihn wälzt, je größer
Den Tadel der Menschen nahm ich wird er.
solange gerne an, bis ich einmal Martin Luther
darauf achtete, wen sie lobten.
Walther Rathenau Die Stärke des Irrtums und der Lü¬
ge liegt gerade darin, daß sie eben¬
Es kann einem nichts Schlimmeres
so klar sein können wie Wahrhei¬
passieren, als von einem Halunken
ten; weshalb das Falsche ebenso
gelobt zu werden.
einleuchtend sein mag wie das
Robert Schumann
Richtige.
Ludwig Marcuse

_Losung
Das Kind lügt selten früher, als bis
Losungen sind das Gegenteil von es bei anderen die Lüge entdeckt
Lösungen. hat.
Gabriel Laub Peter Rosegger
[1843-1918];
österr. Schriftsteller
— Lüge
Eine einzige offenkundige Lüge
Die hinterhältigste Lüge ist die des Lehrers gegen seinen Zögling
Auslassung. kann den ganzen Ertrag der Erzie¬
Simone de Beauvoir
hung zunichtemachen.
[1908-1986]; Jean-Jacques Rousseau, Emile
franz. Schriftstellerin
Auch das ist Lüge und oft die kläg¬
Ein halbleeres Glas Wein ist zwar
lichste von allen: sich anzustellen,
auch ein halbvolles, aber eine hal¬
als wenn man einem Lügner seine
be Lüge ist mitnichten eine halbe
Lüge glaubte.
Wahrheit..
Arthur Schnitzler
Jean Cocteau [1889-1963];
franz. Schriftsteller, Filmregisseur
Das Lügen läßt sich überhaupt
und Graphiker
nicht vermeiden, am ehesten noch
Aus Lügen, die wir glauben, wer¬ die Gelegenheit dazu.
Karl Heinrich Waggerl
den Wahrheiten, mit denen wir
leben.
Oliver Hassencamp

_Lügner
Ehre und Konvention sind die
Bausteine der Gesellschaft, die Lü¬ * Ein Lügner muß ein gutes Ge¬
ge ist der Kitt. dächtnis haben.
Hans Kasper, Abel Pierre Corneille, Der Lügner

672
Teil II Machtausübung

Die Strafe für den Lügner besteht Dienst der Vernunft. Allein von
nicht darin, daß man ihm nicht hier bezieht sie ihren Sinn. An sich
glaubt, sondern darin, daß er sel¬ ist sie böse.
ber niemandem mehr glauben Karl Jaspers
kann.
George Bernard Shaw Die Macht ist böse, schrieb ein Phi¬
losoph, und die Tugend Fiel gläu¬
big in Ohnmacht, statt Gedanken
_Lust gegen die Gewalt zu mobilisieren.
Hans Kasper, Revolutionäre
Jedem Vorhaben ist ein Stück krea-
türlicher Lust eingegeben, ohne die Indem der Revolutionär die Macht
dem Willen keine Flügel wachsen. übernimmt, übernimmt er die Un¬
Hans Kasper, Verlust gerechtigkeit der Macht.
Octavio Paz, Essays I
Lust steigert sich an Lust.
Kurt Tucholsky Wie sehr Macht der Wahrheit im
Wege steht, ergibt sich schon dar¬
aus, daß zur Macht die Angst ge¬
hört.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft

* Der hat die Macht, an den die


Menge glaubt.

M Ernst Raupach [1784-1852];


dt. Dramatiker

Ich glaube nicht, daß Männer von


_Macht Natur aus aggressiv sind. Was sie
Unsere Macht ist zerstörerisch. Wir aggressiv werden läßt, ist Macht,
zuviel Macht. Diese Macht kor¬
können zwar die Schöpfung been¬
rumpiert, nicht das Geschlecht.
den und alle Menschen töten, aber
Alice Schwarzer [* 1942];
wir können keinen einzigen Men¬
dt. Publizistin
schen erschaffen.
Franz Alt
Kein Abschied auf der Welt fällt
schwerer als der Abschied von der
Macht besitzen und nicht ausüben
Macht.
ist wahre Größe.
Charles Maurice de Talleyrand
Friedl Beutelrock
[1754-1838]; franz. Staatsmann
Das Geheimnis jeder Macht be¬
steht darin, zu wissen, daß andere
_Machtausübung
noch feiger sind als wir.
Ludwig Börne Kein Mensch ist gut genug, einen
anderen Menschen ohne dessen
Keiner weiß, was in ihm steckt, be¬ Zustimmung zu regieren.
vor er von der Macht gekostet hat. Abraham Lincoln [1809-1865];
Otto Flake 16. Präsident der USA

Macht hat ihre Legitimität nur im Es ist eine ewige Erfahrung, daß je-

673
Malerei Teil II

der Mensch, der Macht in Händen _Manager


hat, geneigt ist, sie zu mißbrau¬
Manchmal gleicht selbst der beste
chen. Er geht soweit, bis er Schran¬
Manager einem kleinen Jungen,
ken findet.
der einen großen Hund an der Lei¬
Montesquieu, Geist der Gesetze
ne hat und darauf wartet, wo der
Hund hin will, damit er ihn dorthin
Machtausübung ist ja ein direkter
führen kann.
Gegensatz zur Wahrheitsfindung.
Lee Iacocca
Hans A. Pestalozzi, Zukunft

Das Ideal eines Managers ist der


Mann, der genau weiß, was er nicht
kann, und der sich dafür die richti¬
_Malerei gen Leute sucht.
Malen ist nicht schwierig, solange Philip Rosenthal [*1916];
man nichts davon versteht. Wenn dt. Politiker und Industrieller
man diese Kunst aber begriffen
hat, dann wird man gefordert.
Edgar Degas [1834-1917]; _Manieren
franz. Maler
t Umgangsformen

Es gibt Maler, die die Sonne in ei¬


nen gelben Fleck verwandeln. Es
_Mann
gibt aber andere, die dank ihrer
Kunst und Intelligenz einen gelben Die Behauptung, ein Mann könne
Fleck in die Sonne verwandeln. nicht immer die gleiche Frau lie¬
Pablo Picasso [1881-1973]; span. ben, ist so unsinnig wie die Be¬
Maler, Graphiker und Bildhauer hauptung, ein Geigenspieler brau¬
che für dasselbe Musikstück meh¬
Jedes Porträt, das mit Gefühl ge¬ rere Violinen.
malt wurde, ist ein Porträt des Honore de Balzac [1799-1850];
Künstlers, nicht dessen, der ihm franz. Schriftsteller
dafür gesessen hat.
Oscar Wilde Die Männer, die mit den Frauen
am besten auskommen, sind diesel¬
ben, die wissen, wie man ohne sie
auskommt.
_Management Charles Baudelaire [1821-1867];
franz. Schriftsteller
Management ist nichts anderes als
die Kunst, andere Menschen zu Die Frauen machen sich nur des¬
motivieren. halb schön, weil das Auge des
LeeIacocca
Mannes besser entwickelt ist als
sein Verstand.
Wer zu spät an die Kosten denkt, Doris Day [* 1924];
ruiniert sein Unternehmen. Wer amerik. Filmschauspielerin
immerzu früh an die Kosten denkt,
tötet die Kreativität. Die moderne Frau kennt den Un¬
Philip Rosenthal [* 1916]; terschied zwischen einem Auto¬
dt. Politiker und Industrieller reifen und einem Mann: Ein Auto-

674
Teil II Marxismus

reifen muß mindestens einen Milli¬ Alle Männer sind ichbezogene


meter Profil haben. Kinder.
Lisa Fitz [* 1951]; Christa Wolf
dt. Kabarettistin und
Schauspielerin
-Marktwirtschaft
Es gibt Männer mit dem Sex-Blick
Eine reine Marktgesellschaft, in
und Männer mit dem Drink-Blick.
der einzig die ökonomische Posi¬
Die einen schauen offen auf die
tion des Menschen über seinen
Hausfrau, die anderen verstohlen
Zugang zu Erziehung, Arbeit, Frei¬
auf die Hausbar.
zeit, Anerkennung und sozialer
Beate Hasenau [* 1936]; dt.
Sicherheit entscheidet, ist ebenso
Schauspielerin und Kabarettistin
Tyrannei wie die Herrschaft einer
bürokratischen Nomenklatura.
Deutsch ist schon deshalb eine gu¬
Peter Glotz [* 1939];
te Sprache, weil in ihr Mensch und
dt. Politiker
Mann nicht das gleiche sind.
Wolfgang Hildesheimer
Mit der Marktwirtschaft ist es wie
[1916-1991]; dt. Schriftsteller
mit dem Schwimmen. Ohne Was¬
ser kann man es nicht lernen.
Der Mann ist leicht zu erforschen,
Otto Graf Lambsdorff [* 1926];
die Frau verrät ihr Geheimnis
dt. Politiker
nicht.
Immanuel Kant
Das wichtigste Produkt einer jeden
Marktwirtschaft ist der Konsu¬
Nicht wenig Männer haben kein ment.
anderes Innenleben als das ihrer Werner Mitsch
Worte, und ihre Gefühle beschrän¬
ken sich auf eine rein verbale Exi¬
stenz. _Märtyrer
Jose Ortega y Gasset, Liebe
Das Menschengeschlecht erkennt
Ich glaube nicht, daß Männer von seine Propheten nicht und tötet sie,
Natur aus aggressiv sind. Was sie doch es liebt seine Märtyrer.
aggressiv werden läßt, ist Macht, Fjodor M. Dostojewski, Die
zuviel Macht. Diese Macht kor¬ Brüder Karamasow
rumpiert, nicht das Geschlecht.
Alice Schwarzer [* 1942];
_Marxismus
dt. Publizistin
Der Marxismus ist weder etwas
Männer sind Mai, wenn sie freien, Endgültiges noch etwas Unantast¬
und Dezember in der Ehe. bares.
Shakespeare, Wie es euch gefällt Michail Gorbatschow [* 1931];
sowjet. Politiker
Männer brauchen Frauen um sich,
sonst verfallen sie unaufhaltsam Die Kritik am Marxismus als Ideo¬
der Barbarei. logie ist die unerläßliche Voraus¬
Orson Welles [1915-1985]; setzung für die Wiedergeburt des
amerik. Schauspieler und marxistischen Denkens.
Regisseur Octavio Paz, Essays I

675
Maske Teil II

Aus allen großen Ideen machen Masse. Der Menschen meinende,


wir das Falsche, alles pervertieren menschenfeindlichste Begriff, den
wir, das Christentum wie den Mar¬ ich kenne.
xismus Wolfdietrich Schnurre,
Luise Rinser Schattenfotograf

___ Maske __Materialismus

In allem brauchen wir Masken. In der Zeit der Romantiker liebte


Die eigene Physiognomie des Jahr¬ man in der Blume nur den Duft -
hunderts ist etwas Unvorzeigbares. in unserer Zeit liebt man in ihr die
Ein menschliches Gesicht zu sehen keimende Frucht.
oder zu zeigen ist unanständig. Heinrich Heine, Gedanken
Stanislaw Brzozowski
Es ist die Aufgabe des historischen
Wer nicht weiß, daß er eine Maske Materialismus zu zeigen, wie alles
trägt, trägt sie am vollkommensten. kommen muß - und wenn es nicht
Theodor Fontane so kommt, zu zeigen, warum es
[1819-1898]; nicht so kommen konnte.
dt. Schriftsteller Kurt Tucholsky

Maske: der einzige Teil des Ge¬


sichts, den sich der Mensch selber _Mathematik
aussucht.
Gabriel Laub Die Mathematik gehört zu jenen
Äußerungen menschlichen Ver¬
Die raffinierteste Maske ist das standes, die am wenigsten von Kli¬
nackte Gesicht. ma, Sprache oder Traditionen ab-
Peter Tille hängen.
Iua Ehrenburg
[1891-1967];
_Masse russ.-Sowjet. Schriftsteller

Jeder sollte Schrullen haben. Rechnen ist das Band der Natur,
Schrullen sind ein hervorragender das uns im Forschen nach Wahr¬
Schutz gegen Vermassung. heit vor Irrtum bewahrt, und die
Salvador Dali [1904-1989]; Grundsäule der Ruhe und des
span. Maler und Graphiker Wohlstands, den nur ein bedächtli-
ches und sorgfältiges Berufsleben
Masse ist eine Gesellschaft mit den Kindern der Menschen be¬
recht beschränkter Haftung. schert.
Hans Kasper, Revolutionäre
Johann Heinrich Pestalozzi,
Lienhard und Gertrud
Die Menschen aber, die ihren eige¬
nen Weg zu gehen fähig sind, sind
selten. Die große Zahl will nur in
_Medizin
der Herde gehen, und sie weigert
die Anerkennung denen, die ihre Es ist die Medizin für den, der ihrer
eigenen Wege gehen wollen. bedarf, eine heimliche, fast zaube¬
Blaise Pascal rische Kunst. Auf dem Glauben

676
Teil II Memoiren

beruht immer ein guter Teil ihrer Jeder hat das Recht auf seine eige¬
Kraft. ne Meinung, aber er hat keinen
Adelbert von Chamisso Anspruch darauf, daß andere sie
[1781-1838]; dt. Schriftsteller teilen.
Manfred Rommel
Drei Zehntel heilt Medizin, sieben
Zehntel heilt Diät. Auch wenn alle einer Meinung
Chinesisches Sprichwort sind, können alle unrecht haben.
Bertrand Russell, Schriften

_Mehrheit Man bestreite keines Menschen


Meinung, sondern bedenke, daß,
Gesellschaftlicher Fortschritt ist
wenn man alle Absurditäten, die er
nur über Minderheiten möglich,
glaubt, ihm ausreden wollte, man
Mehrheiten zementieren das Beste¬
Methusalems Alter erreichen
hende.
könnte, ohne damit fertig zu wer¬
Bertrand Russell, Schriften
den.
Arthur Schopenhauer
Die Mehrheit? Was ist die Mehr¬
heit? Mehrheit ist der Unsinn, Ver¬ Die meisten Menschen haben
stand ist stets bei wen’gen nur ge¬ überhaupt gar keine Meinung, viel
wesen.
weniger eine eigene, viel weniger
Schiller, Demetrius
eine geprüfte, viel weniger ver¬
nünftige Grundsätze.
Wer das Mehrheitsprinzip auflö-
Johann Gottfried Seume,
sen und durch die Herrschaft der
Apokryphen
absoluten Wahrheit ersetzen will,
der löst die freiheitliche Demokra¬ Wieviel Leute, soviel Meinungen.
tie auf. Terenz [190-159 v. Chr.];
Richard von Weizsäcker röm. Dichter

Es kann standhafter sein, seine


_Meinung Meinung zu ändern, als sie beizu¬
behalten.
Nie tritt man andern so auf die Fü¬
Peter Tille
ße, wie wenn man den eignen
Standpunkt vertritt.
Um populär zu werden, kann man
Karlheinz Deschner
seine eigene Meinung behalten.
Um populär zu bleiben, weniger.
Eine Meinung braucht, um origi¬
Kurt Tucholsky
nell zu sein, nicht unbedingt vom
allgemein Anerkannten abzuwei¬
Man sollte nicht nur zu wissen mei¬
chen; wichtig ist nur, daß sie sich
nen, sondern auch zu meinen wis¬
ihm nicht anpaßt.
sen.
Andre Gide, Tagebuch
Karl Heinrich Waggerl

Die öffentliche Meinung gleicht ei¬


nem Schloßgespenst: Niemand hat
_Memoiren
es gesehen, aber alle lassen sich
von ihm tyrannisieren. Memoirenschreiber, die ihre Epo¬
Sigmund Graff che unvoreingenommen zu schil-

677
Mensch Teil II

dern meinen, schildern fast immer Bestätigung, weil der Mensch als
sich selbst. Mensch ihrer bedarf.
Ilja Ehrenburg [1891-1967]; Martin Buber
russ.-Sowjet. Schriftsteller
* Jeder Mensch ist ein Abgrund.
Durch eine Autobiographie ver¬ Georg Büchner [1813-1837];
liert man gewöhnlich den Rest sei¬ dt. Dramatiker
ner Freunde.
Robert Neumann [1897-1975]; Das menschliche Wesen ist dem
österr. Schriftsteller menschlichen Tun davongelaufen,
das ist unsere Tragik. Trotz aller
Man hat es so leicht, seine Erinne¬ unserer Kenntnisse verhalten wir
rungen zu schreiben, wenn man ein uns immer noch wie die Höhlen¬
schlechtes Gedächtnis hat. menschen von einst.
Arthur Schnitzler Friedrich Dürrenmatt
[1921-1990];
Schweiz. Dramatiker
_Mensch Es gab einmal ein Zeitalter - es
Jeder Mensch trägt in sich die An¬ war das griechische -, da war der
lagen zu beidem: zum Spießer (das Mensch das Maß aller Dinge. Heu¬
ist er als Mensch der verdorbenen te sind die Dinge das Maß aller
Natur) und zum Heiligen (dazu be¬ Menschen.
stimmt ihn die Gnade). Werner Finck
Hans Urs von Balthasar
Je höher der Mensch steht, um so
stärkere Schranken hat er nötig,
Der Mensch ist ein Wesen, dessen
Schöpfung nur ein halber Erfolg welche die Willkür seines Wesens
bändigen.
war. Er ist nur ein Entwurf von et¬
Gustav Freytag [1816-1895];
was.
dt. Schriftsteller
Gottfried Benn, Krise der
Sprache
Der Mensch ist Mensch, weil er
Selbstbeherrschung üben kann,
Die Welt ist voller Rätsel, für diese
und nur insoweit, als er Selbstbe¬
Rätsel aber ist der Mensch die Lö¬
herrschung übt.
sung.
Mahatma Gandhi
Joseph Beuys [1921-1985];
dt. Objektkünstler, Aktionist und Der Mensch ist im Gegensatz zu al¬
Zeichner
len höheren Säugern hauptsächlich
durch Mängel bestimmt.
Ich bin nicht so verrückt, an Gott
Arnold Gehlen [1904-1976];
zu glauben: Ich bin verrückter,
dt. Philosoph und Soziologe
denn ich glaub’ an sein Geschöpf.
Wolf Biermann, Affenfels * Das eigentliche Studium der
Menschheit ist der Mensch.
* Das Schicksal des Menschen ist Goethe, Wahlverwandtschaften II
der Mensch.
Bertolt Brecht, Die Mutter Ich glaube an den Menschen als ei¬
ne wunderbare Möglichkeit, die
Die menschliche Person bedarf der auch im größten Dreck nicht er-

678
Teil II Mensch

lischt und ihm aus der größten Ent¬ Der Übergang vom Affen zum
artung zurückzuhelfen vermag, Menschen sind wir.
und ich glaube, diese Möglichkeit Konrad Lorenz [1903-1989];
ist so stark und so verlockend, daß österr. Verhaltensforscher
sie immer wieder als Hoffnung und
als Forderung spürbar wird. Gott hat den Menschen erschaffen,
Hermann Hesse weil er vom Affen enttäuscht war.
Danach hat er auf weitere Experi¬
* Der Mensch ist aber ein Gott, so¬ mente verzichtet.
bald er Mensch ist. Und ist er ein Mark Twain
Gott, so ist er schön.
Friedrich Hölderlin, Hyperion Wer am Menschen nicht scheitern
will, trage den unerschütterlichen
Fetzten Endes kann man alle wirt¬ Entschluß des Durch-ihn-lernen-
schaftlichen Vorgänge auf drei Wollens wie einen Schild vor sich
Worte reduzieren: Menschen, Pro¬ her.
dukte und Profite. Die Menschen Christian Morgenstern
stehen an erster Stelle. Wenn man
kein gutes Team hat, kann man mit Beim Menschen ist kein Ding un¬
den beiden anderen nicht viel an¬ möglich, im Schlimmen wie im Gu¬
fangen. ten.
Lee Iacocca Christian Morgenstern

Der Mensch ist ein zeitliches We¬ * Der Mensch ist das Maß aller
sen, das nur lebt, indem es seine Dinge.
Welt um sich wandelt. Nach Protagoras [um 481-411
Karl Jaspers v. Chr.]; griech. Philosoph

Nur wer erwachsen wird und ein


Den Menschen als Doppelwesen
Kind bleibt, ist ein Mensch!
aus Gott und Tier zu beschreiben
Erich Kästner [1899-1974];
ist nicht sehr fair gegenüber den
dt. Schriftsteller Tieren. Eher ist er ein Doppelwe¬
sen aus Gott und Teufel.
Der Mensch: Ein durch die Zensur
Bertrand Russell, Moral
gerutschter Affe.
Gabriel Laub
Der Mensch ist ein Teil der Natur
Der Homo sapiens ist kein Tier und nicht etwas, das zu ihr im Wi¬
mehr. Er ist schon fähig, sich selbst derspruch steht.
Bertrand Russell, Schriften
als Gattung zu vernichten.
Gabriel Laub
Der Mensch ist im Grunde Begier¬
Der Mensch ist die Krone der de, Gott zu sein.
Schöpfung. Wie schade, daß es ei¬ Jean Paul Sartre
ne Dornenkrone ist.
Stanislaw Jerzy Lec Der Mensch ist nichts anderes als
sein Entwurf; er existiert nur in
Menschen sind nur selten besser dem Maße, als er sich entfaltet.
als die Umstände, in denen sie le¬ Jean Paul Sartre
ben.
Jürgen Lemke Wie leicht wäre die Welt zu regie-

679
Menschenbehandlung Teil II

ren, wenn sie nicht aus Menschen ihm selbst nicht. Er verstünde es
bestünde. nicht. Ihm muß man sagen, was er
Friedrich Sieburg [1893-1964]; will, daß man ihm über ihn sage.
dt. Schriftsteller und Publizist Nur das versteht er.
Martin Walser [* 1927];
* Viel Gewaltiges lebt, doch gewal¬ dt. Schriftsteller
tiger nichts als der Mensch.
Sophokles [um 496-um 406
v.Chr.]; griech. Dichter
_Menschenbeurteilung
Gerade durch das, was an ihm ty¬ Erst wenn man das Schlimmste
pisch menschlich ist, bleibt der über einen Menschen kennt, kennt
Mensch eine zwar wohlgelungene, man auch sein Bestes.
aber monströse und störende Gilbert K. Chesterton
Schöpfung.
Pierre Teilhard de Chardin Schon mancher ist von den großen
[1881- 1955]; Stücken, die man auf ihn gehalten
franz. Paläontologe, Anthropologe hat, erschlagen worden.
und Philosoph Gabriel Laub

Gott schuf den Menschen aus Er¬ Die Fähigkeiten eines Chefs er¬
de. Dann sagte er, der Mensch sol¬ kennt man an seiner Fähigkeit, die
le sich die Erde untertan machen. Fähigkeiten seiner Mitarbeiter zu
Seitdem macht der Mensch sich erkennen.
den Menschen untertan. Robert Lembke
Gerd Uhlenbruck
Über Personen urteilen heißt gro¬
Jeder Mensch ist eine Melodie. Ich
teske Bilder von ihnen zeichnen.
bin für dich, du bist für mich ein
Cesare Pavese
Lied.
Franz Werfel [1890-1945];
* Willst du die anderen verstehn,
österr. Schriftsteller blick in dein eigenes Herz.
Schiller, Der Schlüssel

__Menschenbehandlung
Im schlechtesten der Menschen
Milde erreicht mehr als Heftigkeit. steckt noch so viel Gutes und im
August Heinrich Julius besten noch so viel Böses, daß kei¬
Lafontaine [1758-1831]; ner befugt ist, zu urteilen und zu
dt. Schriftsteller verurteilen.
Robert Louis Stevenson
Die Mehrzahl der Menschen ist so: [1850-1894]; schott. Schriftsteller
Macht man ihnen bescheiden
Platz, so werden sie unverschämt. Wenn man einen Menschen richtig
Versetzt man ihnen aber Ellen¬ beurteilen will, so frage man sich
bogenstöße und tritt ihnen auf die immer: „Möchtest du den zum
Füße, so ziehen sie den Hut. Vorgesetzten haben -?“
Johann Nestroy, Aphorismen Kurt Tucholsky

Was man über einen Menschen Niemand lernt jemals jemanden


denkt, kann man allen sagen, nur kennen. Wir sind alle zu lebens-

680
Teil II
Menschenwürde

länglicher Einzelhaft in unserer Menschen aufhalten können, wenn


Haut verurteilt. sie erst einmal entschlossen sind,
Tennessee Williams [1911-1983]; ihre Freiheit und ihr Menschen¬
amerik. Schriftsteller recht zu erringen.
Desmond Tutu
Das Unglück ist, daß jeder denkt,
der andere ist wie er, und dabei
übersieht, daß es auch anständige
-Menschenverachtung
Menschen gibt.
Heinrich Zille [1858-1929]; Menschenverachtung ist die
dt. Zeichner schlimmste Form der Gottesläste¬
rung.
Werner Mitsch
-Menschenführung

Menschen, die Einfluß auf andere


ausüben wollen, müssen dafür sor¬ -Menschenverstand
gen, daß sie nicht zu oft zu sehen Nur wer gesunden Menschenver¬
sind. stand hat, wird verrückt.
Ricarda Huch [1864-1947]; Stanislaw Jerzy Lec
dt. Schriftstellerin
Der gesunde Menschenverstand ist
Um jemanden lange Zeit und un¬ oft eine der ungesundesten Ver¬
bedingt zu beherrschen, muß man ständnislosigkeiten.
ihn mit leichter Hand lenken und Ludwig Marcuse
ihn so wenig als möglich seine Ab¬
hängigkeit fühlen lassen.
Jean de La Bruyere
_Menschenwürde

Nur der Mensch, der sich verstan¬ Die Würde des Menschen besteht
den fühlt, ist bereit, sich verstehen in der Wahl.
und führen zu lassen. Max Frisch, Tagebuch 1946-1949
Emil Oesch, Menschen
Getötet zu werden (auch durch die
Die Welt ist voll brauchbarer Men¬ Atombombe) ist bloß Verletzung
schen, aber leer an Leuten, die den eines allerdings elementaren Men¬
brauchbaren Mann anstellen. schenrechts; manipuliert zu wer¬
Johann Heinrich Pestalozzi, Wie den in dem, was für unsere Persön¬
Gertrud lichkeit konstitutiv ist, bedeutet die
denkbar schwerste Verletzung, um
nicht zu sagen, die völlige Vernei¬
__ Menschenkenntnis nung und Vernichtung unserer
Menschenwürde.
t Menschenbeurteilung
Oswald von Nell-Breuning

Vielleicht besteht die einzige Wür¬


_Menschenrechte
de des Menschen in seiner Fähig¬
Nichts, nicht einmal die modernste keit, sich achten zu können.
Waffe, nicht einmal die auf brutal¬ George Santayana [1863-1952];
ste Weise schlagkräftige Polizei, amerik. Philosoph und Dichter
nein, überhaupt gar nichts wird die span. Herkunft

681
Menschheit Teil II

_Menschheit über einen Gegenstand mitteilen,


jeder in der Absicht, seinen Partner
Das, was die Menschheit ist, be¬
von der Richtigkeit der eigenen Be¬
greifst du am besten an dir.
trachtungsweise zu überzeugen,
Wolf Biermann, Welt
kommt im Sinne des Menschseins
alles darauf an, ob jeder den an¬
Prüfe dich an der Menschheit. Den
dern als den meint, der er ist, bei al¬
Zweifelnden macht sie zweifeln,
lem Einflußwillen also ihn doch in
den Glaubenden glauben.
Franz Kafka, Chinesische Mauer
seinem Dieser-Mensch-Sein, in sei¬
nem So-beschaffen-Sein rückhalt¬
los annimmt und bestätigt.
_Das Menschliche Martin Buber

Nichts fällt uns Menschen so Mensch sein ist vor allem die
schwer, wie uns Dinge bewußt zu Hauptsache. Und das heißt: fest
machen, die uns daran hindern, und klar und heiter sein, ja heiter
menschlicher zu werden. trotz alledem, denn das Heulen ist
Franz Alt Geschäft der Schwäche.
Rosa Luxemburg
Nur das Menschliche ist es, darin
der Mensch das Göttliche fassen Mensch werden ist eine Kunst.
kann. Novalis, Fragmente
Gerhart Hauptmann
Der Begriff der Aufgabe ist ein
Der Kampf um das Menschliche Wesensbestandteil des Mensch¬
ist nie vergeblich, auch wenn ihm seins: Den Menschen gibt es nicht
äußerlich kein Sieg beschieden ist. ohne die Aufgabe.
Gertrud von Le Fort Jose Ortega y Gasset,
Aufgabe

_Menschlichkeit Mensch sein heißt Verantwortung


Wenn die Menschlichkeit zerstört fühlen: sich schämen beim Anblick
wird, gibt es keine Kunst mehr. einer Not, auch wenn man offen¬
Bertolt Brecht, Kunst oder bar keine Mitschuld an ihr hat;
Politik? stolz sein über den Erfolg der Ka¬
meraden; seinen Stein beitragen im
* Alle menschlichen Gebrechen Bewußtsein, mitzuwirken am Bau
sühnet reine Menschlichkeit. der Welt.
Goethe, Dem Schauspieler Krüger Antoine de Saint-Exupery
[1900-1944]; franz. Schriftsteller

_Menschsein
_Militär
Wer das Menschsein eines anderen
Menschen ignoriert, verneint das Die Soldaten müssen für die Fehler
eigene. der Politiker geradestehen.
Breyten Breytenbach [* 1939]; Bert Berkensträter
südafrikan. Schriftsteller
Solange es keine Granaten gibt, die
Wenn zwei Menschen einander ih¬ nur über dem eignen Land plat¬
re grundverschiedenen Meinungen zen, ist der Soldat der Garant der

682
Teil II Mitläufer

Sicherheit wie der Unsicherheit. -Mißtrauen


Sigmund Graff
Wer allen Menschen mißtraut,
pflegt am wenigsten vor sich selbst
-Minderwertigkeitskomplex auf der Hut zu sein.
Sigmund Graff
Minderwertigkeitskomplexe sind
häufig mit Überheblichkeitskom¬ Was uns hindert, unsere Freunde
plexen gekoppelt. Ein Mensch, der auf den Grund unseres Herzens
sich seiner nicht sicher ist, gibt sich blicken zu lassen, ist gewöhnlich
meist überlegen. nicht so sehr Mißtrauen gegen sie
Iua Ehrenburg [1891-1967]; als gegen uns.
russ.-Sowjet. Schriftsteller Francois de La Rochefoucauld

Extravaganzen sind gewendete Vorsicht und Mißtrauen sind gute


Minderwertigkeitskomplexe. Dinge, nur sind auch ihnen gegen¬
Oliver Hassencamp über Vorsicht und Mißtrauen nö¬
tig-
Hält man sich für zu klein, wird Christian Morgenstern
man auf den Kopf getreten.
Jüdisches Sprichwort Mißtrauisch bist du? Ich verstehe
dich: Du willst dir die Mühe erspa¬
Das schlechte an den Minderwer¬ ren, die Menschen kennenzuler¬
tigkeitskomplexen ist, daß die fal¬ nen.
schen Leute sie haben. Arthur Schnitzler
Jacques Tati [1907-1982]; franz.
Schauspieler und Regisseur Mißtrauen kommt nie zu früh, aber
oft zu spät.
Johann Gottfried Seume,
_Mißerfolg Apokryphen

Eine stolz getragene Niederlage ist Allzu großes Mißtrauen ist ebenso
auch ein Sieg. schädlich wie allzu großes Vertrau¬
Marie von Ebner-Eschenbach en. Wer das Risiko, hintergangen
zu werden, nicht auf sich nehmen
Nichts schmerzt so sehr wie fehlge¬ will, wird es im Leben nicht allzu
schlagene Erwartungen, aber ge¬ weit bringen.
wiß wird auch durch nichts ein Vauvenargues [1715-1747];
zum Nachdenken fähiger Geist so franz. Schriftsteller
lebhaft wie durch sie erweckt.
Benjamin Franklin,
Autobiographie _Mitläufer

Dasjenige, was im Schwange ist,


Mißerfolge stellen sich am leichte¬
findet seine Mitläufer nicht so
sten ein, wenn man seinem Erfolg
sehr, weil es modisch als weil es
treu bleiben will, anstatt seiner Art.
vorteilhaft ist.
Sigmund Graff
Ernst Bloch

Aus einer Reihe von Nullen macht


_Mißgunst
man leicht eine Kette.
t Neid Stanislaw Jerzy Lec

683
Mitleid Teil II

_Mitleid Wenn gelegentlich etwas Altmodi¬


sches wieder Mode wird, merken
Respekt vor dem Alter ist die zivili¬
wir, wie bezaubernd unsere Gro߬
sierte Form des Mitleids der Ju¬
mütter gewesen sein müssen.
gend, die ihren Sieg in der Tasche
Sigmund Graff
hat.
Hans Kasper, Revolutionäre Mode ist Regeneration durch Ab¬
wechslung.
Mitleid bekommt man geschenkt,
Sigmund Graff
Neid muß man sich verdienen.
Robert Lembke Mode ist die Nachahmung derer,
die sich unterscheiden wollen, von
Die großartigste Schwäche des
denen, die sich nicht unterschei¬
Menschen ist sein Mitleid.
den.
Thomas Niederreuther
Karl Lagerfeld [* 1938];
dt. Modeschöpfer

_Mittelmäßigkeit Geh mit der Zeit, aber komme von


Es erfordert mehr Demut, seine Zeit zu Zeit zurück.
hoffnungslose Mittelmäßigkeit an¬ Stanislaw Jerzy Leg
zuerkennen, denn als großer Sün¬
Man kann mit der Mode gehen
der sich zu gebärden.
oder mit der Mode laufen. Letzte¬
Hans Urs von Balthasar
res sollte man aber nur dann, wenn
Es gibt keinen großem Trost für man noch jung genug dazu ist.
die Mittelmäßigkeit, als daß das Jeanne Moreau [* 1928];
Genie nicht unsterblich sei. frz. Schauspielerin
Goethe, Wahlverwandtschaften II
Alles Modische wird wieder unmo¬
Alles Große braucht einen Dol¬ disch, und treibst du’s bis in das
metscher bei der Menge; die Mit¬ Alter, so wirst du ein Geck, den
telmäßigkeit wird gleich verstan¬ niemand achtet.
den. Robert Schumann
Isolde Kurz
Die Schuhfabrikanten machen
Nichts macht durchschnittlicher Frauenschuhe zum Stehenbleiben.
als eine gute Allgemeinbildung. Dabei brauchen wir eher Schuhe
Werner Mitsch zum Davonlaufen.
Alice Schwarzer [* 1942];
Vor Mittelmaß ist keine Größe dt. Publizistin
sicher.
Peter Tille
_Monument

t Denkmal
_Modeerscheinung

Je mehr du auf der Höhe der dies¬


_Moral
jährigen Mode stehst, desto mehr
bist du bereits hinter der nächstjäh¬ Moral ist die Grammatik der Reli¬
rigen Mode zurück. gion.
Gilbert K. Chesterton Ludwig Börne

684
Teil II
Motivation

Sie wollten aus der Not eine Tu¬ Der Moralist pflegt gern die An¬
gend machen. Und so entstand die sprüche der menschlichen Natur
Moral. zu übersehen; in solchen Fällen
Werner Mitsch wird aber wahrscheinlich die Na¬
tur des Menschen von den Ansprü¬
Soll Moral im Zeitalter perfekter chen des Moralisten keine Notiz
Vernichtungsmittel nicht zur priva¬ nehmen.
ten Kuriosität absinken, zum Bertrand Russell, Moral
Deckmantel für Taten, die es zu
verschleiern gilt, dann kann die
Funktion der Moral nur darin be¬
_Motiv
stehen, uns sanft, aber beharrlich
zur Erweiterung unserer Selbst¬ Wir würden uns oft unserer schön¬
wahrnehmung anzuhalten. sten Taten schämen, wenn die Welt
Alexander Mitscherlich alle Beweggründe sähe, aus denen
sie hervorgehen.
Moral predigen ist leicht, Moral Francois de La Rochefoucauld
begründen schwer.
Arthur Schopenhauer,
Grundlage der Moral
_Motivation
Moral ist einfach die Haltung, die Was wir am nötigsten brauchen, ist
wir gegen Leute einnehmen, von ein Mensch, der uns zwingt, das zu
denen wir persönlich nicht erbaut tun, was wir können.
sind. Ralph Waldo Emerson
Oscar Wilde [1803-1882]; amerik. Philosoph
und Schriftsteller

_Moralist * Lust und Liebe sind die Fittiche


zu großen Taten.
Moralisten sind Menschen, die Goethe, Iphigenie
sich dort kratzen, wo es andere
juckt. Wie oft verglimmen die gewaltig¬
Samuel Beckett [1906-1989]; sten Kräfte, weil kein Wind sie an¬
irischer Schriftsteller bläst!
Jeremias Gotthelf [1797-1854];
Moral ist in erster Linie eine Folge Schweiz. Erzähler
der Heuchelei. Darum kann es sich
kein Moralist leisten, auf grobe Wenn man die Mitarbeiter am Pro¬
Worte zu verzichten. fit teilhaben läßt, sind sie motivier¬
Wolfgang Herbst ter, gute Arbeit zu leisten.
Lee Iacocca
Moralisten, die etwas taugen, sind
es mit Unlust, denn Moralist sein Die meisten Lührungskräfte zö¬
verdirbt den Charakter. Noch gern, ihre Leute mit dem Ball lau¬
mehr freilich wird dieser geschä¬ fen zu lassen. Aber es ist erstaun¬
digt durch eine Moral, deren Ver¬ lich, wie schnell ein informierter
logenheit zu entlarven die Aufgabe und motivierter Mensch laufen
von Moralisten bleibt. kann.
Kurt Marti Lee Iacocca

685
Musik Teil II

Viele tun etwas nur deshalb nicht, _Mut


weil keiner es ihnen verbietet.
Um eine Sache bis auf den Grund
Helmut Qualtinger [1928-1986];
durchzudenken, bedarf es oft mehr
österr. Schriftsteller, Kabarettist
des Mutes als des Verstandes.
und Schauspieler
Hans Arndt

Es gehört Mut dazu, sich einer


_Musik
Angst zu stellen und sie auszuhal¬
Musik ist höhere Offenbarung als ten.
alle Weisheit und Philosophie. Hoimar von Ditfurth
Ludwig van Beethoven
[1770-1827]; dt. Komponist ♦Courage ist gut, aber Ausdauer
ist besser.
* Musik wird oft nicht schön ge¬ Theodor Fontane [1819-1898];
funden, weil sie stets mit Geräusch dt. Schriftsteller
verbunden.
Wilhelm Busch, Der Maulwurf Mut besteht nicht darin, daß man
die Gefahr blind übersieht, son¬
Für jedes Instrument finden sich dern daß man sie sehend überwin¬
Musiker, die keine Kinder mögen det.
und Etüden schreiben. Jean Paul
Manfred Hinrich
Mut beweist man nicht mit der
Die Musik drückt das aus, was
Faust allein, man braucht den
nicht gesagt werden kann und wor¬
Kopf dazu.
über zu schweigen unmöglich ist. Erich Kästner [1899-1974];
Victor Hugo [1802-1885];
dt. Schriftsteller
franz. Schriftsteller
Erst wenn die Mutigen klug und
Die Musik spricht nicht die Lei¬
die Klugen mutig geworden sind,
denschaft, die Liebe, die Sehnsucht
wird das zu spüren sein, was irr¬
dieses oder jenes Individuums in
tümlicherweise schon oft festge¬
dieser oder jener Lage aus, sondern
stellt wurde: ein Fortschritt der
die Leidenschaft, die Liebe, die
Menschheit.
Sehnsucht selbst.
Erich Kästner [1899-1974];
Richard Wagner [1813-1883];
dt. Schriftsteller
dt. Komponist
Wenn alle mutig sind, ist das
Grund genug, Angst zu haben.
_Muße
Gabriel Laub
Nicht von Vermehrung der Freude
an der Arbeit, sondern von der Ver¬ Wie mutig man ist, weiß man im¬
mehrung der Muße verspreche ich mer erst nachher.
mir einen Fortschritt. Ludwig Marcuse
Bertrand Russell, Schriften
Ich kann nur mutig sein, wenn ich
Muße ist das Kunststück, sich mich dem vorgeschriebenen muti¬
selbst ein angenehmer Gesellschaf¬ gen Verhalten entziehen kann.
ter zu sein. Hans A. Pestalozzi, Auf die
Karl Heinrich Waggerl Bäume

686
Teil II Nachfahren

__Mutter Nachahmung ist die aufrichtigste


Form der Schmeichelei.
Ich glaube, eine Mutter wird zur
Charles Caleb Colton
tragischen Figur, wenn ihr Ver¬
[1780(?)-1832]; engl. Pfarrerund
stand ihr rät, ihrem Kind die Zu¬
Aphoristiker
neigung zu entziehen. Da spricht
die Umwelt, nicht die Mutter.
Nachahmung ist wahrscheinlich
Jürgen Lemke
das ehrlichste Kompliment.
LeeIacocca
Der einzige - kleine! - Unter¬
schied zwischen den Geschlech¬
Ein guter Einfall ist wie ein Hahn
tern ist die biologische Fähigkeit
am Morgen. Gleich krähen andere
der Frau zur Mutterschaft. Das
Hähne mit.
rechtfertigt aber keineswegs ihre
Karl Heinrich Waggerl
vorrangige soziale Zuständigkeit
für die Kinder.
Alice Schwarzer [* 1942];
dt. Publizistin _ Nachdenken

Es gibt nichts Wichtigeres auf der


Welt, als die Menschen zum Nach¬
_Mysterium denken zu bringen.
Der Tiefenpsychologie verdanken Sigmund Graff
wir die Einsicht, daß die wahren
Mysterien weder eleusisch noch ti¬ Wer so tut, als bringe er die Men¬
betanisch, weder transzendent schen zum Nachdenken, den lie¬
noch okkult, sondern alltäglich ben sie. Wer sie wirklich zum
Nachdenken bringt, den hassen
sind.
Kurt Marti
sie.
Aldous Huxley
[1894-1963];
brit. Schriftsteller
_Mythos
Mythen entstehen. Sagen wurden Man sollte viel öfter nachdenken;
gelebt. Märchen werden gemacht. und zwar vorher.
Wolfdietrich Schnurre, Werner Mitsch
Schattenfotograf
Manche Menschen würden eher
sterben als nachdenken. Und sie
tun es auch.
Bertrand Russell, Schriften

N Viele denken nach, wenige vor.


Peter Tille

_Nachahmung
_Nachfahren
Was für eine lasterhafte Jugend!
Statt auf die Alten zu hören, ahmt Die Zweige zeugen von der Wur¬
sie die Alten nach! zel.
Wieslaw Brudzinski Arabisches Sprichwort

687
Nachgiebigkeit Teil II

Unsere Nachfahren werden nicht Ich verzeihe meinen Freunden, die


fragen, welche Zukunftsvisionen Schlechtes über mich sagen, aber
wir für sie bereithielten; sie werden nicht denen, die es mir überbrin¬
wissen wollen, nach welchen Ma߬ gen.
stäben wir unsere eigene Welt ein¬ Andre Malraux
gerichtet haben, die wir ihnen hin¬ [1901-1976];
terlassen haben. franz. Politiker und Schriftsteller
Richard von Weizsäcker

_Nachrichten
_Nachgiebigkeit
Das Studium der bürgerlichen
Der Gescheitere gibt nach! Eine Presse ist lehrreich in zweierlei
traurige Wahrheit. Sie begründet Hinsicht: Es zeigt erstens, wie aus
die Weltherrschaft der Dummheit. Nachrichten Meinungen gemacht
Marie von Ebner-Eschenbach
werden, und zweitens, wie aus
Meinungen Nachrichten gemacht
Die Leute, denen man nie wider¬
werden.
spricht, sind entweder die, welche
Hans Christoph Buch
man am meisten liebt, oder die,
welche man am geringsten achtet.
Marie von Ebner-Eschenbach
_Nachruf
Unbewegliche Armee kann nie die Beim Lesen der Todesanzeigen
Schlacht gewinnen. Unbiegsamer
wird man belehrt, daß nur engels¬
Baum zerbricht im Sturm.
gleiche Wesen diese Welt verlas¬
Laotse
sen.
Hans Arndt

_Nachlaß

Sorgt doch, daß ihr, die Welt ver¬ _Nachsicht


lassend, nicht nur gut wart, son¬
dern verlaßt eine gute Welt! Die meiste Nachsicht übt der, der
Bertolt Brecht, Johanna die wenigste braucht.
Marie von Ebner-Eschenbach

_Nachrede
_Nächstenliebe
Nichts gegen üble Nachrede! Sie
macht viele interessanter, als sie Man sollte die Menschen lehren,
sind. nicht von Gerechtigkeit zu spre¬
Oliver Hassencamp chen, sondern von Nächstenliebe.
Eugene Ionesco [* 1909];
Sprich nie Böses von einem Men¬ franz. Dramatiker rumän.
schen, wenn du es nicht gewiß Herkunft
weißt! Und wenn du es gewiß
weißt, so frage dich: Warum erzäh¬ So wenig interessiert sich ein
le ich es? Mensch für den andern, daß sogar
Johann Kaspar Lavater das Christentum empfiehlt, das
[1741-1801]; Schweiz. Philosoph, Gute zu tun aus Liebe zu Gott.
Theologe und Schriftsteller Cesare Pavese

688
Teil II Natur

Die Christen lieben ihre Nächsten tion nicht mehr das höchste aller
nicht. Und sie lieben sie nicht, weil Güter.
sie an den anderen nie wirklich ge¬ Willy Brandt
glaubt haben. Die Geschichte lehrt
uns, daß sie ihn, wo sie ihm begeg¬ Von allen Ursachen des National¬
net sind, bekehrt oder vernichtet hasses ist die Unwissenheit die
haben. mächtigste. Wenn der Verkehr zu¬
Octavio Paz, Essays I nimmt, nimmt die Unwissenheit
ab, und so vermindert sich der
Es ist leichter, alle zu lieben als ei¬ Haß.
nen. Die Liebe zur ganzen Mensch¬ Henry Thomas Buckle
heit kostet gewöhnlich nichts als
eine Phrase; die Liebe zum Näch¬ Patriotismus ist die Liebe zu den
sten fordert Opfer. Seinen. Nationalismus ist der Haß
Peter Rosegger [1843-1918];
auf die anderen.
österr. Schriftsteller Romain Gary [1914-1980];
franz. Schriftsteller
Das Übel ist nicht, ein paar Feinde
zu hassen, sondern unseren Näch¬
sten nicht genug zu lieben. Jedes Volk hat die naive Auffas¬
Anton Tschechow [1860-1904]; sung, Gottes bester Einfall zu sein.
Theodor Heuss [1884-1963];
russ. Schriftsteller
dt. Politiker

_Name Der Nationalismus ist ein Sprudel,


in dem jeder andere Gedanke ver-
Für jeden Menschen ist sein Name
sintert.
das schönste und bedeutungsvoll¬
Karl Kraus
ste Wort in seinem Sprachschatz.
Dale Carnegie
Am Chauvinismus ist nicht so sehr
Der Name ist ein Stück des Seins die Abneigung gegen die fremden
und der Seele. Nationen als die Liebe zur eigenen
Thomas Mann unsympathisch.
Karl Kraus
Leute, die einen Namen haben,
müssen gefaßt sein auf Zuschrif¬ Alle Nationalismen sind Sackgas¬
ten, die keinen haben. sen. Man versuche, sie in die Zu¬
Peter Rosegger [1843-1918]; kunft zu projizieren, und man spürt
österr. Schriftsteller den Widerstand. Sie führen nir¬
gendwohin.
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
_Narrheit

Wer ein Narr ist, fragt für fünf Mi¬


nuten. Wer nicht fragt, bleibt ein
_Natur
Narr für immer.
Chinesisches Sprichwort Natur wiederholt ewig in weiterer
Ausdehnung denselben Gedanken.
Darum ist der Tropfen ein Bild des
_Nationalismus
Meeres.
Gemessen am Frieden ist die Na¬ Friedrich Hebbel

689
Natürlichkeit Teil II

Unkraut ist die Opposition der Na¬ __Naturwissenschaft


tur gegen die Regierung der Gärt¬
Die Naturwissenschaft ohne Reli¬
ner.
gion ist lahm, die Religion ohne
Oskar Kokoschka
Naturwissenschaft ist blind.
[1886-1980];
Albert Einstein [1879-1955];
österr. Maler und Schriftsteller
amerik. Physiker dt. Herkunft

Es gibt keinen schöneren Tempel, Jedes Naturgesetz, das sich dem


wo man die Opfer seines Dankes Beobachter offenbart, läßt auf ein
darbringt, als die freie Natur. Und höheres, noch unerkanntes schlie¬
es gibt kein größeres Frevlertum, ßen.
als sich an ihr zu versündigen. Alexander von Humboldt
August Heinrich Hoffmann von
[1769-1859]; dt. Naturforscher
Fallersleben [1798-1874];
dt. Germanist und Lyriker Die Naturwissenschaft braucht der
Mensch zum Erkennen, den Glau¬
Die Natur hat Vollkommenheit, ben zum Handeln.
um zu zeigen, daß sie das Abbild Max Planck [1858-1947];
Gottes ist, und Mängel, um zu zei¬ dt. Physiker
gen, daß sie nur das Abbild ist.
Blaise Pascal
_Neid
Die Natur ist ein unendlich geteil¬
Wie gern wir uns beneiden lassen,
ter Gott.
beweist fast jede Ansichtskarte, die
Schiller, Theosophie des Julius
wir schreiben.
Sigmund Graff
Keine Gesetze sind unabänderlich
als die Gesetze der ewigen Natur; Neid schmälert nicht die Freude
und dieser sind wenige, und sie des Beneideten, nur die des Nei¬
sind deutlich. ders.
Johann Gottfried Seume Oliver Hassencamp

Alles, was wir unter Natur verste¬ Bewunderung ist glückliche Selbst¬
hen, ist die Großaufnahme eines verlorenheit, Neid unglückliche
Gänseblümchens. Selbstbehauptung.
Frank Thiess Sören Kierkegaard

Wir meinen die Natur zu beherr¬ Viele, die in der Politik die Gerech¬
schen, aber wahrscheinlich hat sie tigkeit beschwören, sprechen in
sich nur an uns gewöhnt. Wahrheit aus Neid.
Karl Heinrich Waggerl Andre Kostolany

Mitleid bekommt man geschenkt.


Neid muß man sich verdienen.
-Natürlichkeit Robert Lembke

Nichts hindert uns mehr, natürlich * Neid ist des Ruhmes Geleit.
zu sein, als das Bestreben, so zu er¬ Cornelius Nepos [um 100-um 25
scheinen. v.Chr.];
Francois de La Rochefoucauld röm. Geschichtsschreiber

690
Teil II Nonkonformismus

Aus Mißgunst verzichten wir selbst Neugierde und Eitelkeit sind


auf den eigenen Vorteil - sind wir Schwestern, weil den Menschen al¬
uns nur des Schadens unseres les, was sie mehr als andere wissen,
Nächsten gewiß. ein Überlegenheitsgefühl verleiht,
Adolf Nowaczynski das sie bei jeder Gelegenheit aus¬
zukosten pflegen.
Der Haß der Größe gegen die Sigmund Graff
Kleinheit ist Ekel, der Haß der
Kleinheit gegen die Größe Neid.
Arthur Schnitzler _Niederlage

Niederlagen stählen, aber eben


Jeder Erfolg, den wir erzielen, ver¬
nur, wenn es nicht zu viele werden.
schafft uns einen Feind. Um be¬
Willy Brandt, Erinnerungen
liebt zu sein, muß man ein unbe¬
deutender Mensch sein.
Eine stolz getragene Niederlage ist
Oscar Wilde
auch ein Sieg.
Marie von Ebner-Eschenbach

_Nestbeschmutzung Ohne das Salz der Niederlage sind


Siege ungenießbar.
Das Nest muß beschmutzt werden!
Peter Tille
Damit es sauber bleibt.
Oliver Hassencamp
Eigene Niederlagen lassen sich auf
die Dauer nur vermeiden, indem
man sich immer wieder selbst be¬
_Neu siegt.
Für zwei einander ganz entgegen¬ Gerd Uhlenbruck
gesetzte Dinge sind wir gleich sehr
eingenommen: für die Gewohnheit
_Nihilismus
und das Neue.
Jean de La Bruyere Nihilismus als Verneinung von Ge¬
schichte, Wirklichkeit, Lebensbeja¬
Neu - das ist in der Regel nur, was hung ist eine große Qualität, als
einer Generation neu vorkommt. Realitätsleugnung schlechthin be¬
Ludwig Marcuse deutet er eine Verringerung des
Ichs.
Die Jugend überschätzt das Neue¬ Gottfried Benn, Ausdruckswelt
ste, weil sie sich mit ihm gleich¬
altrig fühlt. Darum ist es ein zwei¬ Wer nichts im Leben liebt, weil er
faches Unglück, wenn das Neueste die Wahrheit des Lebens ver¬
zu ihrer Zeit schlecht ist. schmäht, schüttet die Quelle seines
Robert Musil Schaffens mit Sand zu.
Stanislaw Brzozowski

_Neugierde
_Nonkonformismus
Wenn die Neugier sich auf ernst¬
hafte Dinge richtet, dann nennt Nur Lebendiges schwimmt gegen
man sie Wissensdrang. den Strom.
Marie von Ebner-Eschenbach Karlheinz Deschner

691
Nörgler Teil II

Es ist ganz natürlich, daß man an¬ alte Zeit verantwortlich wie das
stößt, sobald man der Strömung schlechte Gedächtnis.
nicht mehr folgt. Anatole France [1844-1924];
Andre Gide, Tagebuch franz. Schriftsteller

Nichts ärgert die Menge mehr, als Nostalgie ist die Fähigkeit, darüber
wenn einer sie nötigt, ihre Mei¬ zu trauern, daß es nicht mehr so ist,
nung von ihm zu ändern. wie es früher nicht gewesen ist.
Hermann Hesse Manfred Rommel

Nonkonformismus ist die maulen¬


de Abhängigkeit von der herr¬ _Null
schenden These.
Die Nullen, folgen sie der Eins,
Hans Kasper, Abel
wird eine große Zahl daraus!
Friedrich Martin von
Nichts ist schwerer und nichts er¬
Bodenstedt [1819-1892];
fordert mehr Charakter, als sich in
dt. Schriftsteller
offenem Gegensatz zu seiner Zeit
zu befinden und laut zu sagen:
Ich stimme mit der Mathematik
Nein.
nicht überein. Ich meine, daß die
Kurt Tucholsky
Summe von Nullen eine gefähr¬
liche Zahl ist.
Der Weg zu den Quellen geht ge¬
Stanislaw Jerzy Lec
gen den Strom.
Fritz von Unruh [1885-1970];
„Einwandfrei“ muß der Mensch
dt. Schriftsteller
sein und die Sache „tadellos“. Ein¬
wandfrei aber ist nur die klare, run¬
de, tadellose Null.
_Nörgler Walther Rathenau
Wer Freude hat am Klagen, wird
immer was zum Klagen finden.
_Nutzen
Jeremias Gotthelf [1797-1854];
Schweiz. Erzähler * Nur vom Nutzen wird die Welt
regiert.
Es gibt Leute, die nur aus dem Schiller, Wallensteins Tod
Grunde in jeder Suppe ein Haar
finden, weil sie, wenn sie davor sit¬
zen, so lange den Kopf schütteln,
bis eins hineinfällt.
Friedrich Hebbel

Leute, die mit ihrer Unzufrieden¬


heit zufrieden sind, nennt man
Nörgler.
Werner Mitsch
o
-Oberflächlichkeit

-Nostalgie Wer schöne Aussichten braucht,


darf keine tiefen Einsichten haben.
Nichts ist so sehr für die gute Karlheinz Deschner

692
Teil II
Opposition

-Objektivität Vergiß nicht, daß es besser ist,


Opfer zu sein als Henker.
Objektivität ist das, wovon wir uns
Anton Tschechow [1860-1904];
wünschen, daß andere Leute es an¬
russ. Schriftsteller
deren Leuten gegenüber an den
Tag legen.
Gabriel Laub
-Opportunismus
Mancher meint, er wäre objektiv,
Wer sich gezwungen sieht, mit den
weil er mit seinem rechten und lin¬
Wölfen zu heulen, mag sich in rein¬
ken Auge dasselbe sieht.
ster Notwehr befinden. Aber ist
Stanislaw Jerzy Lec
das ein Grund, hinterher auch mit
den Schafen zu blöken?
Martin Kessel, Gegengabe
_Obrigkeit
Wer aus purer Berechnung sich
Die Herrschenden müssen be¬
windet und dreht, um es allen Leu¬
wacht werden, nicht die Beherrsch¬
ten recht zu machen, kann viel¬
ten.
leicht im Glauben sein, nach einem
Friedrich Dürrenmatt
gewinnbringenden Rezept zu han¬
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker
deln, in Wirklichkeit erniedrigt er
sich nur.
Zum Umgang von Obrigkeit und
Emil Oesch, Menschen
rebellierender Jugend: Der Dialog
der Sprachlosen ist die Prügelei.
Johannes Gross
__ Opportunist

Erfahrene Opportunisten schwim¬


_Offenheit men so mit dem Strom, daß sie spä¬
ter behaupten können, sie wären
Der Hang, von uns selbst zu spre¬ abgetrieben worden.
chen und unsere Fehler in einem Oliver Hassencamp
Licht zu zeigen, das wir für wün¬
schenswert halten, macht einen Opportunisten: Raubvögel, die
Teil unserer Offenherzigkeit aus. kriechen.
Francois de La Rochefoucauld Rudolf Rolfs

_Opfer _Opposition

Niemand wird so gestreichelt wie Es ist bezeichnend, daß in der Poli¬


das Opferlamm auf dem Weg zur tik die Regierung handeln, die Op¬
Schlachtbank. position aber reden muß, das heißt,
Johannes Gross die Regierung wenig reden und die
Opposition wenig handeln darf.
Hinter jedem einzelnen, der sich Ralf Dahrendorf
opfert, stehen andere, die opfert er
mit - ohne sie zu fragen, ob sie es Man sollte der Opposition stets ei¬
wollen. nen Knochen zum Nagen lassen.
Manes Sperber Joseph Joubert

693
Optimismus Teil II

Opposition ist die Kunst, etwas zu _Ordnung


versprechen, was die Regierung
* In einem aufgeräumten Zimmer
nicht halten kann.
ist auch die Seele aufgeräumt.
Harold George Nicolson
Ernst von Feuchtersleben
[1886-1968]; brit. Diplomat und
Schriftsteller Aus aller Ordnung entsteht zuletzt
Pedanterie; um diese loszuwerden,
zerstört man jene, und es geht eine
__ Optimismus
Zeit hin, bis man gewahr wird,
Optimismus soll und darf nicht daß man wieder Ordnung machen
durch Lüge genährt werden, son¬ müsse.
dern durch die Wahrheit, durch Goethe, Maximen und
Siegesgewißheit, die über jeden Reflexionen
Zweifel erhaben ist.
Julius Fucik Denn alles menschliche Leben,
weil zeitlich und gesellschaftlich,
kann nur in und durch Institutio¬
_Optimist nen gelebt werden, durch Ordnun¬
Der Optimist erklärt, daß wir in der gen und Regelungen, die ihm Dau¬
besten aller möglichen Welten le¬ er geben und die es auf dauerhafte
ben, und der Pessimist fürchtet, und übersichtliche Weise verbin¬
daß dies wahr ist. den mit dem Leben der anderen
James Branch Cabell Menschen.
[1879-1958]; amerik. Schriftsteller Helmut Gollwitzer

Sobald ein Optimist ein Licht er¬ Ordnung ist ein Durcheinander, an
blickt, das es gar nicht gibt, findet das man sich gewöhnt hat.
sich ein Pessimist, der es wieder Robert Lembke
ausbläst.
Giovanni Guareschi [1908-1968]; Vom höchsten Ordnungssinn ist
ital. Schriftsteller nur ein Schritt zur Pedanterie.
Christian Morgenstern
Für den Optimisten ist das Leben
kein Problem, sondern bereits die Eine vollkommene Ordnung wäre
Lösung. der Ruin allen Fortschritts und
Marcel Pagnol [1895-1974]; Vergnügens.
franz. Schriftsteller Robert Musil

Ein Optimist ist jemand, der genau Ordnung um der Ordnung willen
weiß, wie traurig die Welt sein beraubt den Menschen seiner we¬
kann, während ein Pessimist täg¬ sentlichen Kräfte.
lich neu zu dieser Erkenntnis ge¬ Antoine de Saint-Exupery
langt. [1900-1944]; franz. Schriftsteller
Peter Ustinov
Die Gerechtigkeit bringt reine Ord¬
Optimist: ein Mensch, der die Din¬ nung, aber man möchte uns gar zu
ge nicht so tragisch nimmt, wie sie gern jede dumme Ordnung für Ge¬
sind. rechtigkeit verkaufen.
Karl Valentin [1882-1948]; Johann Gottfried Seume,
dt. Komiker und Schriftsteller Apokryphen

694
Teil II Parteiprogramm

Die Seele jeder Ordnung ist ein das man nicht berühren darf. Das
großer Papierkorb. ist das Geheimnis, wie man auf im¬
Kurt Tucholsky mer jung und glücklich bleibt.
Gilbert K. Chesterton

_Originalität Das Paradies pflegt sich erst dann


als Paradies zu erkennen zu geben,
Eine Meinung braucht, um origi¬ wenn wir aus ihm vertrieben sind.
nell zu sein, nicht unbedingt vom Hermann Hesse
allgemein Anerkannten abzuwei¬
chen: Wichtig ist nur, daß sie sich
ihm nicht anpaßt.
_Partei
Andre Gide, Tagebuch
* Partei ist organisierte Meinung.
Benjamin Disraeli [1804-1881];
Die ewig Originellen sind die
Todfeinde der Originalität. brit. Politiker
Hans Kasper, Abel
Ich bin grundsätzlich gegen alle
Unter den Menschen gibt es viel Parteien. Als Demokrat wähle ich
mehr Kopien als Originale. natürlich eine, aber nur im Sinne
Pablo Picasso [1881-1973]; span.
vom kleineren Übel.
Werner Finck
Maler, Graphiker und Bildhauer

Auch im Praktischen ist Originali¬ Wer sich nicht mit Politik befaßt,
tät unerläßlich; sonst paßt, was hat die politische Parteinahme, die
man tut, nicht zu dem, was man ist. er sich sparen möchte, bereits voll¬
Arthur Schopenhauer
zogen: Er dient der herrschenden
Partei.
Wer viel Angst hat, seine Originali¬ Max Frisch, Tagebuch 1946-1949
tät zu bewahren, ist allerdings im
Begriff sie zu verlieren. Die Parteien, gleich welcher Art,
Robert Schumann
haben heute die Funktion, den
Bürgern den Willen des Staates zu
Was glänzt, hat kein eigenes Licht. übermitteln und nicht umgekehrt.
Karl Heinrich Waggerl Andre Gorz

_Parteiprogramm

Die Vorstellung, daß ein politi¬


sches Programm als Religionser¬
satz diene, war mir allerdings eben¬

P so fremd wie die Unterstellung, ei¬


ne Partei könne als ganze christlich
sein.
Willy Brandt, Erinnerungen
_Paradies
Man muß in seinem Garten einen Wenn alte Parteien von Zeit zu Zeit
verbotenen Baum haben. Man ihr Programm revidieren, erinnern
muß in seinem Leben etwas haben, sie an Greise, die von Zeit zu Zeit

695
Pathos Teil II

den Friseur aufsuchen und von _Pedanterie


ihm modern zugeschnitten zurück¬ Das Kleine in einem großen Sinne
kehren. behandeln, ist Hoheit des Geistes;
Sigmund Graff das Kleine für groß und wichtig
halten, ist Pedantismus.
Ernst von Feuchtersleben
_Pathos
Aus aller Ordnung entsteht zuletzt
Warum ein Greis, der sich das re¬ Pedanterie; um diese loszuwerden,
volutionäre Pathos erhalten hat, zerstört man jene, und es geht eine
bestenfalls liebenswert erscheint, Zeit hin, bis man gewahr wird, daß
aber nicht überzeugt: Die Jüngeren man wieder Ordnung machen müs¬
rechnen nicht damit, daß ihre se.
Sprechweise sich einmal, gemessen Goethe, Maximen und
an ihrer Geschichte, als Pathos ent¬ Reflexionen
larvt.
Max Frisch, Tagebuch 1966-1971
Vom höchsten Ordnungssinn ist
nur ein Schritt zur Pedanterie.
Christian Morgenstern
_Patriotismus

Der beste Untertan ist nicht der be¬


ste Patriot. Wir sind Patrioten, __ Persönlichkeit
wenn wir in unserem Lande die
Freiheit des einzelnen sichern, Es gibt Menschen, die ihre Persön¬
wenn wir die Demokratie auch im lichkeit aufgeben, damit ihre Per¬
Wirtschaftlichen und Sozialen son zur Geltung kommt.
durchsetzen helfen. Friedl Beutelrock
Willy Brandt
Als das eigentlich Wertvolle im
Patriotismus ist die Liebe zu den menschlichen Getriebe empfinde
Seinen. Nationalismus ist der Haß ich nicht den Staat, sondern das
auf die anderen. schöpferische und fühlende Indivi¬
Romain Gary [1914-1980]; duum, die Persönlichkeit: Sie al¬
franz. Schriftsteller lein schafft das Edle und Sublime.
Albert Einstein
Der Patriotismus in Deutschland [1879-1955];
ist so furchtbar, weil er grundlos amerik. Physiker dt. Herkunft
ist.
Max Horkheimer [1895-1973]; Eine Sache gewinnt oder verliert
dt. Soziologe und Philosoph durch den Mann, der sich für sie
einsetzt, auch ein Gedanke und ei¬
ne Meinung.
Gerhart Hauptmann
_Pedant

Nichts ist imstande, ein derartiges Persönlichkeit ist, was übrigbleibt,


Chaos hervorzurufen wie eine wenn man Ämter, Orden und Titel
Gruppe von Pedanten. von einer Person abzieht.
Wieslaw Brudzinski Wolfgang Herbst

696
Teil II Pfeife

Für seine Handlungen sich allein _Pessimist


verantwortlich fühlen und allein
Der Optimist erklärt, daß wir in der
ihre Folgen, auch die schwersten,
besten aller möglichen Welten le¬
tragen, das macht die Persönlich¬
ben, und der Pessimist fürchtet,
keit aus.
daß dies wahr ist.
Ricarda Huch [1864-1947];
James Branch Cabell
dt. Schriftstellerin
[1879-1958]; amerik. Schriftsteller

Das Große ist nicht, dies oder das Sobald ein Optimist ein Licht er¬
zu sein, sondern man selbst zu sein. blickt, das es gar nicht gibt, findet
Sören Kierkegaard sich ein Pessimist, der es wieder
ausbläst.
Viele Menschen hinterlassen Spu¬ Giovanni Guareschi [1908-1968];
ren; nur wenige hinterlassen Ein¬ ital. Schriftsteller
drücke.
Werner Mitsch Pessimisten haben den Vorteil, daß
sie seltener enttäuscht werden.
Stehenbleiben; es wäre der Tod; Robert Lembke
nachahmen: es ist schon eine Art
von Knechtschaft; eigene Ausbil¬ Pessimisten sind die wahren Le¬
dung und Entwicklung: das ist Le¬ benskünstler, denn nur sie erleben
ben und Freiheit. angenehme Überraschungen.
Leopold von Ranke [1795-1886]; Marcel Proust [1871-1922];

dt. Historiker franz. Schriftsteller

Ein Mensch wird „Pessimist“ ge¬


Die Welt in ihrer lebendigen Wirk¬
schmäht,
lichkeit ist das Reich der menschli¬
der düster in die Zukunft späht.
chen Persönlichkeit und nicht des
Doch scheint dies Urteil wohl zu
Verstandes, der, mag er noch so
hart:
nützlich und groß sein, doch nicht
Die Zukunft ist’s, die düster starrt.
der Mensch selbst ist.
Eugen Roth
Rabindranath Tagore

Ein Pessimist ist ein Mensch, der


sich über schlechte Erfahrungen
freut, weil sie ihm recht geben!
_Pessimismus Heinz Rühmann [* 1902];
dt. Schauspieler
An den Pessimismus gewöhnt man
sich zuletzt wie an ein zu enges Ein Optimist ist jemand, der genau
Sakko, das sich nicht mehr ändern weiß, wie traurig die Welt sein
läßt. kann, während ein Pessimist täg¬
Andre Gide [1869-1951]; lich neu zu dieser Erkenntnis ge¬
franz. Schriftsteller
langt.
Peter Ustinov
Pessimismus hat auf der Erde kein
Recht. Wer freiwillig am Leben
bleibt, erklärt sich einverstanden,
_Pfeife
zufrieden, mitschuldig.
Walther Rathenau Eine Zigarette ist wie ein rascher

697
16 Duden 12
Pflicht Teil II

Flirt, eine Zigarre wie eine an¬ aber werden sie niemals Phantasie
spruchsvolle Geliebte, die Pfeife haben.
aber ist wie eine Ehefau. Theodor Heuss [1884-1963];
Michael Ende [* 1929]; dt. Politiker
dt. Schriftsteller
Phantasie ist etwas, was sich man¬
che Leute gar nicht vorstellen kön¬
nen.
_Pflicht Gabriel Laub

Man tut nie, was man will, sondern


was man muß. Wollen ist ein Eu¬ Phantasie ist jene Kunst, die den
phemismus für müssen. Gedanken Körper schafft.
Hans Lohberger
Karlheinz Deschner

Phantasie haben heißt nicht, sich


Alles Große in unserer Welt ge¬
etwas ausdenken; es heißt, sich aus
schieht nur, weil jemand mehr tut,
den Dingen etwas machen.
als er muß.
Thomas Mann
Hermann Gmeiner [1919-1986];
österr. Sozialpädagoge
Phantasie ist das eigentlich Schöp¬
ferische im Menschen, der Über¬
*Was aber ist deine Pflicht? Die
fluß, der die Schönheit des Lebens
Forderung des Tages.
ausmacht.
Goethe, Maximen und
Walter Muschg [1898-1965];
Reflexionen
Schweiz. Literarhistoriker
Pflichten entstehen daraus, daß
Sich etwas ausdenken, ausdenken
man nicht beizeiten nein sagt.
können; bedeutet in der Volksspra¬
Wolfgang Herbst
che Phantasie, Phantasie haben
und wird hochgeschätzt. Erst der
Unser Recht ist ein Recht auf die
Gebildete trennt zwischen Denken
Möglichkeit der Pflichterfüllung,
und Leben, und der Halbgebildete
ein Recht, unsere Pflicht zu tun -
hat die Diskriminierung des Den¬
und deshalb ist es umgekehrt
kens aufgebracht.
Pflicht, unser Recht zu wahren.
Robert Musil
Gustav Radbruch

Es ist lange her, daß sich die


menschliche Phantasie die Hölle
_Phantasie ausgemalt hat, aber erst durch ihre
jüngst erworbenen Fertigkeiten ist
Die Phantasie tröstet die Men¬ sie in die Lage versetzt worden, ih¬
schen über das hinweg, was sie re einstigen Vorstellungen zu ver¬
nicht sein können, und der Humor wirklichen.
über das, was sie tatsächlich sind. Bertrand Russell, Moral
Albert Camus [1913-1960];
franz. Schriftsteller Die Phantasie ist die schönste
Tochter der Wahrheit, nur etwas
Eines Tages werden Maschinen lebhafter als die Mama.
vielleicht nicht nur rechnen, son¬ Carl Spitteler [1845-1924];
dern auch denken. Mit Sicherheit Schweiz. Schriftsteller

698
Teil II Phrase

_Philosoph der Mut, in einen Irrgarten einzu¬


treten. Wer aber dann auch die
So ist der Satz Thomas Manns, daß
Eingangspforte vergißt, kann leicht
Schriftsteller Leute seien, denen
in den Ruf eines selbständigen
das Schreiben schwerer fällt als an¬
Denkers kommen.
deren, auch dahin variierbar, daß
Karl Kraus
Philosophen das Denken schwerer
fällt als anderen.
Ernst Bloch
Alle Spekulation, vielleicht alles
Philosophieren ist nur ein Denken
in Spiralen; wir kommen wohl hö¬
Philosophen sind, entgegen einem
her, aber nicht eigentlich weiter,
weitverbreiteten Urteil, nicht Feu¬
und dem Zentrum der Welt bleiben
erwehrleute zur Löschung „bren¬
wir immer gleich fern.
nender“ Probleme, sondern Brand¬
Arthur Schnitzler
stifter.
Hans Kudszus
In der Jugend herrscht die An¬
schauung, im Alter das Denken
Ein Philosoph ist, unter anderem,
vor. Daher ist jene die Zeit für Poe¬
auch ein Mann, der nie um Argu¬
sie, dieses mehr für Philosophie.
mente verlegen ist.
Arthur Schopenhauer
Ludwig Marcuse

Die Philosophen haben die Welt Die Philosophie hat sich als der
nur verschieden interpretiert; es Weg erwiesen, sehr nahe mit der
kommt aber darauf an, sie zu ver¬ Wahrheit zu verkehren, ohne mit
ändern. ihr sich einzulassen.
Hermann Schweppenhäuser
Karl Marx

Philosophie ist die Wissenschaft,


über die man nicht reden kann,
_Philosophie ohne sie selbst zu betreiben.
Carl Friedrich von Weizsäcker,
Gewißheit gibt allein die Mathe¬
Einheit
matik. Aber leider streift sie nur
den Oberrock der Dinge. Wer je
ein gründliches Erstaunen über die
Welt empfunden, will mehr. Er __ Phrase
philosophiert.
Wilhelm Busch, An Marie * Getretener Quark wird breit,
Anderson nicht stark.
Goethe, Buch der Sprüche
Die Philosophie schweigt, wo die
Gerechtigkeit den Verstand ver¬ Das Schlagwort ist eine Idee auf
liert. dem Wege zur Phrase.
Denis Diderot, Gespräche Rolf Haller

Wer meint alles zu durchschauen, Die großen Dinge haben einen töd¬
philosophiert nicht mehr. lichen Feind: die großen Worte.
Karl Jaspers Hans Krailsheimer

Philosophie ist oft nicht mehr als Wenn die Menschheit keine Phra-

699
16*
Plagiat Teil II

sen hätte, brauchte sie keine Waf¬ _Platitüde


fen.
Wer dauernd Endgültiges zu sagen
Karl Kraus
bemüht ist, der kommt über Plati¬
tuden nicht hinaus.
Am Anfang war das Wort - am
Günter Grass [* 1927];
Ende die Phrase.
dt. Schriftsteller
Stanislaw Jerzy Lec

Manche Wahrheiten liegen unter


falschen Beweisen, sogar unter _Platonische Liebe
Phrasen begraben. Platonische Liebe kommt mir vor
Ludwig Marcuse wie ein ewiges Zielen und Nie-
mals-Losdrücken.
Wilhelm Busch, Sprikker

_Plagiat

Über Plagiate sollte man sich nicht _Poesie


ärgern. Sie sind wahrscheinlich die
aufrichtigsten aller Komplimente. Poesie ist Dynamit für alle Ord¬
Theodor Fontane nungen dieser Welt.
[1819-1898]; Heinrich Böll, Dritte
dt. Schriftsteller Wuppertaler Rede

* Poesie ist die Muttersprache des


menschlichen Geschlechts.
_Plan Johann Georg Hamann,
Kreuzzüge
Je planmäßiger die Menschen Vor¬
gehen, desto wirksamer vermag sie
Die Umeigung des Menschen ist
der Zufall zu treffen.
die Poesie, aus ihr ist die Liturgie,
Friedrich Dürrenmatt
sind die Psalmen entstanden, und
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker
auch der Inhalt der Religionen.
Pablo Neruda
Man sollte die Dinge so nehmen,
wie sie kommen. Aber man sollte
Die Poesie heilt die Wunden, die
dafür sorgen, daß die Dinge so
der Verstand schlägt.
kommen, wie man sie nehmen
Novalis, Schriften
möchte.
Curt Goetz [1888-1960];
Die Poesie ist Enthüllung, weil sie
dt. Schriftsteller
Kritik ist: Sie schließt auf, deckt
auf, bringt das Verborgene zum
Vorschein - die geheimen Leiden¬
-Planwirtschaft schaften, die nächtliche Seite der
Dinge, die Kehrseite der Zeichen.
Staatliche Planwirtschaft ist wie Octavio Paz, Essays I
ein prachtvoller Baum mit weit
ausladender Krone. Aber in sei¬ Das Poetische ist nicht etwas Gege¬
nem Schatten wächst nichts. benes, das sich von seiner Geburt
Harold Macmillan [1894-1986]; an im Menschen befindet, sondern
brit. Politiker etwas, das der Mensch schafft und

700
Teil II Politik

das umgekehrt den Menschen chenden Politik zu realisieren, also


schafft. der, der an der Macht ist.
Octavio Paz, Essays II Heinrich Böll

Die Poesie der Alten war die des Staaten führen nun einmal Politik
Besitzes, die unsrige ist die der auf Grund ihrer Interessen, selbst
Sehnsucht. wenn sie diese nicht immer richtig
August Wilhelm Schlegel, Über beurteilen.
dramatische Kunst und Literatur Willy Brandt, Frieden

Poesie ist zur Rarität verpflichtet; Politik: es gibt keine Hoffnung, an


Sachlichkeit kann sich Wieder¬ die wir uns schließlich nicht doch
holungen leisten. gewöhnen können.
Wolfdietrich Schnurre, Wieslaw Brudzinski
Schattenfotograf
Politik ist die Kunst, für viele mög¬
lichst wenig und für wenige mög¬
lichst viel zu tun.
_Politik Karlheinz Deschner

Wenn man in der Politik Erfolg ha¬


Wer sich nicht mit Politik befaßt,
ben will, muß man ganz genau wis¬
hat die politische Parteinahme, die
sen, welche Dinge man im Ge¬
er sich sparen möchte, bereits voll¬
dächtnis behalten und welche man zogen: Er dient der herrschenden
vergessen muß.
Partei.
Hans Apel [* 1932]; dt. Politiker
Max Frisch, Tagebuch 1946-1949

Die Politik ist keine Wissenschaft, Die Planierraupe der Politik ist die
wie viele der Herren Professoren Vereinfachung. Man vereinfacht
sich einbilden, sondern eine Kunst. die Dinge, um sie zu verdeutlichen
Otto von Bismarck [1815-1898]; oder zu verdunkeln.
dt. Reichskanzler 1871-1890 Sigmund Graff

* Politik ist die Kunst des Mögli¬ Politik sollte Sache der Besten sein.
chen. Schon die zweite Garnitur ist ihr
Otto von Bismarck [1815-1898]; nicht mehr gewachsen.
dt. Reichskanzler 1871-1890 Oliver Hassencamp

Politik ist weder eine Wissenschaft Aus meiner Erfahrung kann ich
noch eine Kunst, sie ist nicht ein¬ nur sagen: Politik ist nicht die
mal ein Handwerk, sie ist ein von Kunst des Möglichen, sondern des
Tag zu Tag sich neu orientierender Unmöglichen.
Pragmatismus, der bemüht sein Vaclav Havel [* 1936];
muß, die Macht und deren Mög¬ tschechoslowak. Schriftsteller u.
lichkeiten übereinanderzubringen. Politiker
Heinrich Böll
Politik ist die Kunst, die Menge zu
Von Politik versteht nur der etwas, leiten: nicht wohin sie gehen will,
der jeweils die Möglichkeit hat, sondern wohin sie gehen soll.
seine Vorstellungen von der zu ma¬ Joseph Joubert

701
Politik Teil II

Das Recht muß nie der Politik, Der Endzweck aller Kultur ist es,
wohl aber die Politik jederzeit dem das, was wir „Politik“ nennen,
Recht angepaßt werden. überflüssig, jedoch Wissenschaft
Immanuel Kant und Kunst der Menschheit unent¬
behrlich zu machen.
Nur an sich und an das Gegenwär¬ Arthur Schnitzler
tige denken ist die Quelle der Fehl¬
griffe in der Staatskunst. „Realpolitik“ besagt, daß Politik
Jean de La Bruyere nicht real ist.
Wulfdietrich Schnurre,
Demokratie, das bedeutet Herr¬ Schattenfotograf
schaft der Politik; Politik, das be¬
deutet ein Minimum von Sachlich¬
Politik: das einzige Gebiet, auf
keit.
dem der Charakter eines Men¬
Thomas Mann
schen dessen Karriere nicht im
Wege steht.
Politik ist unblutiger Krieg, und
Henning Venske
Krieg ist blutige Politik.
Mao Tse-tung
Jeder von uns hätte etwas anderes
zu tun. Das Leben hat Konjunktur.
Tatsächlich und normalerweise
Die Politik ist eine schon fast
gelten neun Zehntel der politi¬
schmerzliche Einschränkung auf
schen Tätigkeit den wirtschaftli¬
einen Ausschnitt. Aber was in die¬
chen Aufgaben des Augenblicks,
sem Ausschnitt passiert, ist leider
der Rest den wirtschaftlichen Auf¬
gaben der Zukunft. das Wichtigste.
Martin Walser [* 1927];
Walther Rathenau
dt. Schriftsteller
Die Kunst der Politik besteht häu¬
fig darin, heiße Eisen mit fremden Politik bedeutet ein starkes, langsa¬
Fingern anzufassen. mes Durchbohren von harten Bret¬
Manfred Rommel tern mit Leidenschaft und Augen¬
maß zugleich.
Politik ist die Bestimmung des Ver¬ Max Weber
hältnisses der Menschen zum
Staat. Politik ist aber auch der rich¬ Nur wer sicher ist, daß er daran
tige, vom erkennenden Verstände nicht zerbricht, wenn die Welt, von
und der Sorge um die anvertrauten seinem Standpunkt aus gesehen, zu
Menschen inspirierte Umgang mit dumm oder zu gemein ist für das,
der Macht. was er ihr bieten will, daß er all
Carlo Schmid dem gegenüber; „dennoch!“ zu sa¬
gen vermag, nur der hat den „Be¬
Wissenschaft von der Politik ist ei¬ ruf* zur Politik.
ne Kulturwissenschaft und keine Max Weber
Naturwissenschaft, denn alle poli¬
tische Wirklichkeit ist nur als Wer Politik treibt, erstrebt Macht:
menschliche Wirksamkeit zu erklä¬ Macht entweder als Mittel im
ren, zu verstehen und zu rechtferti¬ Dienst anderer Ziele (idealer oder
gen. egoistischer) - oder Macht „um ih¬
Carlo Schmid rer selbst willen“: um das Prestige-

702
Teil II Politisches Bewußtsein

gefühl, das sie gibt, zu genießen. Politiker nicht einfach sind, sehen
Max Weber sie das Problem nicht, oder sie ha¬
ben alles absichtlich kompliziert
Der Politik ist eine bestimmte gemacht.
Form der Lüge fast zwangsläufig Hans A. Pestalozzi,
zugeordnet: das Ausgeben des für Auf die Bäume
eine Partei Nützlichen als das Ge¬
rechte. Es gibt Politiker, die das, was sie
Carl Friedrich von Weizsäcker, sagen, glauben. Und es gibt solche,
Einheit die das, was sie sagen, nicht glau¬
ben. Erstere sind gefährlich.
Wer nicht diese Anstrengung Manfred Rommel
macht, gleichzeitig die Sicherheit
im Handeln zu zeigen und die Un¬ Die meisten Politiker kommen zu
sicherheit im Denken als die wahre ihrer Führerstellung, weil sie den
Sicherheit des bewußten Men¬ Leuten weismachen, Führer seien
schen zu praktizieren, der wird von uneigennützigen Wünschen
nicht sinnvoll Politik treiben kön¬ beseelt.
nen. Bertrand Russell, Moral
Carl Friedrich von Weizsäcker,
Einheit Als ich jung war, glaubte ich, ein
Politiker müsse intelligent sein.
Wahrhaftigkeit und Politik woh¬
Jetzt weiß ich, daß Intelligenz we¬
nen selten unter einem Dach.
nigstens nicht schadet.
Stefan Zweig [1881-1942];
Carlo Schmid
österr. Schriftsteller

Politiker rechnen so sehr mit der


Stimme des Wählers, daß sie nicht
_Politiker
dazukommen, sie zu hören.
Das Charakteristische des Politi¬ Werner Schneyder
kers ist nicht, daß er für eine Partei
agitiert, sondern daß er für jede
agitieren könnte.
Karlheinz Deschner _Politisches Bewußtsein

In zahlreichen Fällen hat das poli¬


Realpolitiker nennt sich ein Politi¬
tische Befinden sich ergeben aus
ker, der sich anschickt, von ande¬
der natürlichen Revolte gegen die
ren etwas zu verlangen, dessen er
Vater-Macht; ist der Vater begra¬
sich insgeheim schämt.
ben, so zeigt sich erst, wieweit die¬
Rolf Haller
ses politische Befinden tatsächlich
Die größte Spekulation der Welt der eignen Konstitution entspricht,
wäre es, einen Politiker zu dem d.h., wieweit es je ein politisches
Wert einzukaufen, den er hat und Befinden gewesen ist.
ihn zu dem Wert zu verkaufen, den
Max Frisch, Tagebuch 1966-1971
er sich selbst einräumt.
Andre Kostolany
Nicht die richtige politische Ein¬
stellung zu haben, ist das gleiche,
Die entscheidenden Fragen sind als habe man keine Seele.
alle ganz einfach. Wenn sie für die Mao Tse-tung

703
Popularität Teil II

_Popularität * Die Presse ist die Artillerie der


Freiheit.
Wer in die Öffentlichkeit tritt, hat
Hans-Dietrich Genscher
keine Nachsicht zu erwarten und
[* 1927]; dt. Politiker
keine zu fordern.
Marie von Ebner-Eschenbach Die Presse muß die Freiheit haben,
alles zu sagen, damit gewisse Leute
nicht die Freiheit haben, alles zu
_Populismus tun.
Alain Peyrefitte [* 1925];
Die Planierraupe der Politik ist die
franz. Politiker
Vereinfachung. Man vereinfacht
die Dinge, um sie zu verdeutlichen Presse: die Möglichkeit, Dinge zu
oder zu verdunkeln. verschweigen, indem man andere
Sigmund Graff
druckt.
Rudolf Rolfs

_Positiv Die Presse hat nur einen absolut


einwandfrei ehrlichen Teil: den In¬
Positiv nennt man hier den, der
seratenteil.
richtige Fragen mit falschen Ant¬
Kurt Tucholsky
worten zudeckt.
Helmut Arntzen Presse - psychopathische Papier¬
verschwendung, in der es darauf
ankommt, Gott wenigstens zu in¬
_Praxis terviewen, wenn man schon nicht
weiß, wo er wohnt.
Es ist nicht genug zu wissen, man
Henning Venske
muß auch anwenden.
Goethe, Wilhelm Meisters In früheren Zeiten bediente man
Wanderjahre III sich der Folter. Heutzutage bedient
man sich der Presse.
Der Einfall ist ein Schritt mit dem
Oscar Wilde
Siebenmeilenstiefel, die Ausfüh¬
rung der Weg zurück zu Fuß.
Peter Tille _Pressefreiheit

Freiheit des Wortes: Ihr sagt, was


ihr wollt - wir machen, was wir
_Predigt wollen.
Der Prediger steige auf die Kanzel, Gabriel laub
öffne seinen Mund, höre aber auch
Die gefährlichsten Feinde der
wieder auf.
Pressefreiheit sind Journalisten,
Martin Luther
die sie mißbrauchen.
Robert Lembke

_Presse
Pressefreiheit: Jeder Journalist
* Die Presse - Druckerschwärze darf schreiben, was er will. Das
auf Papier. heißt noch nicht, daß es gedruckt
Otto von Bismarck [1815-1898]; wird.
dt. Reichskanzler 1871-1890 Rudolf Rolfs

704
Teil II Propaganda

_Priester Privilegien aller Art sind das Grab


der Freiheit und Gerechtigkeit.
Ich höre so viel Gutes von Euch,
Johann Gottfried Seume,
als man von einem Geistlichen sa¬
Spaziergang
gen kann, das heißt: Ihr treibt Euer
Amt still und mit nicht mehr Eifer,
Wer das erste Privilegium erfunden
als nötig ist, und seid ein Feind von
hat, verdient vorzugsweise so lange
Controversen.
im Fegefeuer in Öl gesotten oder
Goethe, Brief des Pastors
mit Nesseln gepeitscht zu werden,
bis das letzte Privilegium vertilgt
Nicht Gott streitet, nur die Priester.
ist.
Thomas Niederreuther
Johann Gottfried Seume,
Apokryphen
Der Arzt sieht den Menschen in
seiner ganzen Schwäche, der Ad¬
vokat in seiner ganzen Schlechtig¬
__ Probleme
keit und der Priester in seiner gan¬
zen Dummheit. Menschen tragen mehr oder weni¬
Arthur Schopenhauer, ger Konfliktstoff mit sich. Wer
Psychologische Bemerkungen Schwierigkeiten macht, hat sie
auch.
Emil Oesch, Menschen
_Prinzip
Es ist weniger schwierig, Probleme
Wer Grundsätze hat, darf auch ein¬ zu lösen, als mit ihnen zu leben.
mal einen fallen lassen. Pierre Teilhard de Chardin
Otto Flake [1881-1955]; franz. Paläontologe,
Anthropologe und Philosoph
Man kann Prinzipien aufstellen
wie Wegweiser. Oder wie Galgen.
Hans Kasper, Abel _Prominente

Prinzipien haben ist gut, Prinzipien Prominente sind Menschen, die


beachten ist besser. sich sehr bemühen, ihr Inkognito
Manfred Rommel zu wahren, und die sehr enttäuscht
sind, wenn das gelingt.
Mir sind Menschen lieber als Prin¬ Victor de Kowa [1904-1973];
zipien, und Menschen ohne Prinzi¬ dt. Schauspieler
pien sind mir lieber als sonst etwas
auf der Welt.
Oscar Wilde _Propaganda

Die Behauptung, der volle Bauch


studiere nicht gern, ist durchsichti¬
_Privileg ge Propaganda für den leeren Ma¬
Der größte Feind des Rechtes ist gen.
das Vorrecht. Helmut Arntzen
Marie von Ebner-Eschenbach
Ein guter Propagandist kann sogar
Auf Rechte ist niemand stolz, son¬ mit Hilfe der Wahrheit überzeu¬
dern auf Vorrechte. gen.
Jean Paul Wieslaw Brudzinski

705
Prophet Teil II

Propaganda ist die Kunst, den _Psychoanalyse


Teufel mit zwei gesunden Füßen zu
Psychoanalyse ist jene Geistes¬
fotografieren.
krankheit, für deren Therapie sie
Hans Kasper, Revolutionäre
sich hält.
Karl Kraus
Das Geheimnis des Agitators ist,
sich so dumm zu machen, wie seine
Psychoanalyse: Man versteht sich
Zuhörer sind, damit sie glauben,
hinterher nicht besser, aber man
sie seien so gescheit wie er.
weiß warum.
Karl Kraus
Werner Mitsch

_Prophet
_Publikum
Wer prophezeien will, braucht nur
zurückzuschauen. Unsere Zuschauer müssen nicht
Karlheinz Deschner nur hören, wie man den gefesselten
Prometheus befreit, sondern auch
Ein Prophet ist ein solcher Kran¬ sich in der Lust schulen, ihn zu be¬
ker, dem der gesunde, gute, wohl¬ freien.
tätige Sinn für die Selbsterhaltung, Bertolt Brecht, Politik auf dem
der Inbegriff aller bürgerlichen Tu¬ Theater
genden, verlorengegangen ist.
Hermann Hesse Wenn ich so die kleinen Dampfer
die riesigen Kähne vorüberschlep¬
pen sehe, muß ich immer an den
_ Provinz
Dichter und das Publikum denken.
Provinz ist keine Landschaft, son¬ Christian Morgenstern
dern ein Zustand.
Manfred Rommel Die Entscheidung darüber, was ge¬
nial und was nicht, hat natürlich
Eine Kleinstadt ist eine Stadt, in nicht der Betreffende, nicht der
der die wichtigsten Lokalnachrich¬ Künstler, sondern der Beschauer
ten nicht gedruckt, sondern ge¬ des Kunstwerks.
sprochen werden. Oskar Panizza
Jacques Tati [1907-1982]; franz.
Schauspieler und Regisseur Jeder einzelne im Publikum mag
ein Depp sein, zusammen sind die¬
se Leute aber ein Genie.
_Prüderie Volker Schlöndorff [* 1939];
Prüde Leute haben eine schmutzi¬ dt. Filmregisseur
ge Phantasie.
Jonathan Swift
_Pünktlichkeit

-Prüfung * Pünktlichkeit ist die Höflichkeit


der Könige.
In Prüfungen stellen Narren Fra¬ Ludwig XVIII., König von
gen, die Weise nicht beantworten Frankreich [1814-1824]
können.
Oscar Wilde Er kam prinzipiell zu spät, da sein

706
Teil II
Ratschlag

Grundsatz lautete, Pünktlichkeit _Radikal


stehle einem die Zeit.
Oscar Wilde Radikal sein ist die Sache an der
Wurzel fassen.
Karl Marx

-Ratschlag

Q
So gut es ist, sich den guten Rat¬
schlägen zu unterwerfen, so ge¬
fährlich ist es, sich den guten Rat¬
gebern zu unterwerfen.
_Qual Bertolt Brecht, Buch der großen
Methode
Die unerträglichste Qual wird
durch die Verlängerung des grö߬
Bisweilen gehört nicht weniger
ten Vergnügens hervorgerufen.
Klugheit dazu, auf einen guten Rat
George Bernard Shaw
zu hören, als sich selbst einen sol¬
chen zu geben.
Francois de La Rochefoucauld
_Qualität
Mit nichts ist man so freigebig wie
Lieber weniger, aber besser.
mit seinen Ratschlägen.
Wladimir Iuitsch Lenin
Francois de La Rochefoucauld
[1870-1924]; russ.-sowjet.
Politiker
Anderen etwas Unbequemes zu
Qualität ist kein Zufall. Es gehören empfehlen ist immer wesentlich
Intelligenz und Wille dazu, um ein leichter, als es selber zu tun. Des¬
Ding besser zu machen. halb ist unsere Welt zwar reich an
John Ruskin [1819-1900]; guten Ratschlägen, aber wesentlich
brit. Schriftsteller, Kunstkritiker ärmer an denen, die sie befolgen.
Manfred Rommel
und Sozialphilosoph

Wie kann man erwarten, daß die


Menschheit guten Rat annimmt,
wenn sie nicht einmal auf Warnun¬
gen hört?
Jonathan Swift

R Kein Mensch nimmt guten Rat an,


aber jeder nimmt gern Geld; also
ist Geld besser als guter Rat.
Jonathan Swift
_Rache

Die Strafe, die züchtigt, ohne zu Ratschläge sind wie abgetragene


verhüten, heißt Rache. Kleider: Man benützt sie ungern,
Albert Camus [1913-1960]; auch wenn sie passen.
franz. Schriftsteller Thornton Wilder

707
Raucher Teil II

_Raucher Das Recht ist angewandte Macht.


Hans Lohberger
Toleranz kann man von den Rau¬
chern lernen. Noch nie hat sich ein Unser Recht ist ein Recht auf die
Raucher über einen Nichtraucher Möglichkeit der Pflichterfüllung,
beschwert. ein Recht, unsere Pflicht zu tun -
Sandro Pertini [1896-1990];
und deshalb ist es umgekehrt
ital. Politiker
Pflicht, unser Recht zu wahren.
Gustav Radbruch

__Raumfahrt Recht ist das Ergebnis von Pflich¬


Wir sind Zeugen des Mondfluges. ten. Pflicht ist das Recht anderer
Hätte es nichts gegeben als dies: auf uns.
unsere Generation wäre ausge¬ Oswald Spengler, Gedanken

zeichnet vor allen anderen Genera¬


tionen.
_Rechthaberei
Hans Kasper, Verlust
Je höher die Rechthaberei in einem
Menschen steigt, desto seltener hat
_Realist er recht, das heißt, desto seltener
stimmen seine Aussagen und Be¬
Der „Realist“ ist insofern naiv, als
hauptungen mit der Wahrheit
er nicht zur Kenntnis nimmt, daß
überein.
wir alle nicht „in der Welt“ leben,
Johann Heinrich Pestalozzi,
sondern nur in dem Bild, das wir
Schriften
uns von der Welt machen.
Hoimar von Ditfurth

_Rechtsstaat

_ Recht Demokratie ist gewiß ein preisens-


wertes Gut, Rechtsstaat ist aber
Recht ist, was der Freiheit dient.
wie das tägliche Brot, wie Wasser
Thomas Dehler [1897-1967];
zum Trinken und wie Luft zum At¬
dt. Politiker
men, und das Beste an der Demo¬
kratie gerade dieses, daß nur sie
Das Recht des Stärkeren ist das
geeignet ist, den Rechtsstaat zu
stärkste Unrecht.
sichern.
Marie von Ebner-Eschenbach
Gustav Radbruch

Es gibt ein Recht des Weiseren,


nicht ein Recht des Stärkeren.
_Rede
Joseph Joubert
Besonders wenn wir durch unsere
Das Recht muß nie der Politik, Rede überzeugen wollen, ist es un¬
wohl aber die Politik jederzeit dem umgänglich, daß wir unsere Mei¬
Recht angepaßt werden. nung mit der inneren Glut vortra¬
Immanuel Kant gen, die von echter Überzeugung
gespeist wird.
Das Recht ist eine Gewalt, die der Dale Carnegie
Gewalt das Recht streitig macht.
Hans Kudszus Am meisten Vorbereitung kosten

708
Teil II Reformer

mich immer meine spontan gehal¬ _Redner


tenen, improvisierten Reden.
Ein guter Redner muß etwas vom
Winston Churchill [1874-1965];
Dichter haben, darf es also mit der
brit. Staatsmann
Wahrheit nicht ganz mathematisch
genau nehmen.
Eine gute Rede soll das Thema er¬
Otto von Bismarck
schöpfen, nicht die Zuhörer.
[1815-1898];
Winston Churchill [1874-1965];
dt. Reichskanzler 1871-1890
brit. Staatsmann
Menschen durch das gesprochene
Was fängt man mit den zu Tode ge¬ Wort zu fesseln, gibt ein Gefühl der
redeten Worten an? Es bleibt wohl Stärke, der Macht.
nur eines: immer einfacher zu spre¬ Dale Carnegie
chen, denn die Einfachheit wider¬
steht der Zerstörung. * Allein der Vortrag macht des
Romano Guardini [1885-1968]; Redners Glück.
dt. kath. Religionsphilosoph und Goethe, Faust I
Theologe ital. Herkunft
Es gibt Festredner, Anklageredner,
Es genügt nicht, daß man zur Sa¬ Entschuldigungsredner, Hetzred¬
che spricht: man muß zu den Men¬ ner und Besänftigungsredner. Am
schen sprechen. häufigsten sind die Drumherum¬
Stanislaw Jerzy Lec redner.
Sigmund Graff
Eine gute Rede hat einen guten
Anfang und ein gutes Ende - und Ob sich Redner darüber klar sind,
beide sollten möglichst dicht bei¬ daß 90 Prozent des Beifalls, den sie
einander liegen. beim Zusammenfalten des Manu¬
Mark Twain skripts entgegennehmen, ein Aus¬
druck der Erleichterung ist?
Das menschliche Gehirn ist eine Robert Lembke

großartige Sache. Es funktioniert


Eines guten Redners Amt oder Zei¬
bis zu dem Zeitpunkt, wo du auf¬
chen ist, daß er aufhöre, wenn man
stehst, um eine Rede zu halten.
ihn am liebsten höret.
Mark Twain
Martin Luther

Die Rede ist eine Zwiesprache, bei


Was Rednern an Tiefe fehlt, erset¬
der einer spricht und die anderen
zen sie durch Länge.
hörend mitreden. Wer dieses hö¬
Montesquieu, Gedanken
rende Mitreden nicht begreift, ist
nicht rednerisch veranlagt. Ein Redner sei kein Lexikon. Das
Friedrich Naumann [1860-1919];
haben die Leute zu Hause.
ev. Pfarrer, Publizist und Politiker Kurt Tucholsky

Nichts ist einfacher als sich


schwierig auszudrücken, und
_Reformer
nichts ist schwieriger als sich ein¬
fach auszudrücken. Wer Sümpfe trockenlegen will,
Karl Heinrich Waggerl fragt nicht unbedingt die Frösche,

709
Regierung Teil II

nicht einmal die mächtigsten, ob sind hartherzig, die der Demokra¬


sie es erlauben. tie harthörig.
Adolf Nowaczynski Sigmund Graff

Die besten Reformer, die die Welt ♦Jedes Volk hat die Regierung, die
je gesehen hat, sind die, die bei sich es verdient.
selbst anfangen. Joseph de Maistre [1753-1821];
George Bernard Shaw franz. Geschichtsphilosoph

Regieren ist die Kunst, Probleme


zu schaffen, mit deren Lösung man
_Regierung
das Volk in Atem hält.
Der Weg, auf dem eine Regierung Ezra Pound
zugrunde geht, ist der, wenn sie
bald dies, bald jenes tut, wenn sie Die größte Regierungskunst ist
heute etwas zusagt und dies mor¬ neben dem Unterscheidungsver¬
gen nicht mehr befolgt. mögen die Gabe der rationalen
Otto von Bismarck [1815-1898]; Voraussicht.
dt. Reichskanzler 1871-1890 Carlo Schmid

Die Demokratie ist ein Verfahren,


Regierungen sind Segel, das Volk
das garantiert, daß wir nicht besser
ist Wind, der Staat ist Schiff, die
regiert werden, als wir verdienen.
Zeit ist See.
George Bernard Shaw
Ludwig Börne

Es ist bezeichnend, daß in der Poli¬ -Regierungserklärung


tik die Regierung handeln, die Op¬
position aber reden muß, das heißt, In alten Märchen steckt oft mehr
die Regierung wenig reden und die Wahrheit als in neuen Regierungs¬
Opposition wenig handeln darf. erklärungen.
Ralf Dahrendorf Werner Mitsch

Regieren heißt, mit den Stimmen


der Armen und dem Geld der Rei¬ _Reichtum
chen, diesen noch mehr, jenen Sinnlos, einem Kapitalisten Vor¬
noch weniger geben.
würfe zu machen; er ist das Ein¬
Karlheinz Deschner
stecken gewöhnt.
Bert Berkensträter
Ich stehe hinter jeder Regierung,
bei der ich nicht sitzen muß, wenn Nicht wer viel besitzt, ist reich,
ich nicht hinter ihr stehe. sondern wer viel gibt.
Werner Finck
Erich Fromm [1900-1980];
dt. Psychoanalytiker und
Welche Regierung die beste sei? Schriftsteller
Diejenige, die uns lehrt, uns selbst
zu regieren. Man schmeichelt nicht dem Rei¬
Goethe, Maximen und chen, nur seinem Geld.
Reflexionen Jüdisches Sprichwort

Die Verantwortlichen der Diktatur Über einen reichen Dummkopf

710
Teil II Religion

wird man immer wie über einen wunderbaren Doppelsinn dieses


Reichen sprechen, über einen ar¬ Wortes, der im Wort Leidenschaft
men jedoch wie über einen Dumm¬ vollkommen nachgeformt ist: eine
kopf. Passion, kein Vergnügen.
Andre Kostolany Erhärt Kästner

Ein reicher Mann ist oft nur ein ar¬ Aber was kommt schon dabei her¬
mer Mann mit sehr viel Geld. aus, wenn sie alle in fremde Länder
Aristoteles Onassis zu reisen anfangen! Nichts; sie tra¬
[1906(?)—1975]; griech. Reeder gen ja doch wie die Zinnsoldaten
ihr bißchen Standort mit sich her¬
Der Mensch darf nicht zu reich um.
sein. Hat er zwischen einer Über¬ Erhärt Kästner
zahl von Möglichkeiten die Wahl,
so leidet er Schiffbruch und ver¬ Der Zauber des Reisens besteht
liert den Sinn für das Notwendige. darin: unzählig reiche Szenen strei¬
Jose Ortega y Gasset, Aufgabe fen und wissen, daß eine jede unser
sein könnte, und weitergehen, wie
Der Reichtum gleicht dem Seewas¬ ein großer Herr.
ser: Je mehr man davon trinkt, de¬ Cesare Pavese
sto durstiger wird man.
Arthur Schopenhauer Die besten Reisen, das steht fest,
sind die oft, die man unterläßt!
Eugen Roth
_Reife

Reif ist, wer auf sich selbst nicht Reisen sind das beste Mittel zur
mehr hereinfällt. Selbstbildung.
Heimito von Doderer Karl Julius Weber

Es kommt eine Zeit, in der man


sich Rechenschaft ablegt, daß al¬ _Reiten
les, was wir tun, zu seiner Zeit Er¬
* Das Paradies der Erde liegt auf
innerung werden wird. Das ist die
dem Rücken der Pferde.
Reife. Um dahin zu gelangen, muß
Friedrich von Bodenstedt
man eben schon Erinnerungen ha¬
[1819-1892];
ben.
dt. Schriftsteller
Cesare Pavese

_Reisen _Reiz

Die beste Bildung findet ein ge¬ Genieße den Reiz, ohne ihn zu be¬
scheiter Mensch auf Reisen. gehren, dann bleibst du sein Mei¬
Goethe, Wilhelm Meisters ster.
Lehrjahre Hans Arndt

Nur Reisen ist Leben, wie umge¬


kehrt das Leben Reisen ist. _Religion
Jean Paul
Nicht der Sozialismus ist heute
Das Reisen ist eine Passion, in dem eine Gefahr für die Religion, son-

711
Religion Teil II

dern häufig ihre eigene Phantasie- Eine Religion, die den Menschen
und Utopielosigkeit. Finster macht, ist falsch; denn er
Franz Alt muß Gott mit frohem Herzen und
nicht aus Zwang dienen.
Moral ist die Grammatik der Reli¬ Immanuel Kant
gion.
Ludwig Börne Eine Religion, die der Vernunft un¬
bedenklich den Krieg ankündigt,
Die Religionen sind der Ausdruck wird es auf die Dauer gegen sie
des ewigen und unzerstörbaren nicht aushalten.
metaphysischen Bedürfnisses der Immanuel Kant
Menschennatur.
Jacob Burckhardt Die sogenannten Religionsstreitig¬
keiten, welche die Welt so oft er¬
Religionen sind Fertighäuser für schüttert und mit Blut bespritzt ha¬
arme Seelen. ben, sind nie etwas anderes als
Karlheinz Deschner Zänkereien um den Kirchenglau¬
ben gewesen.
Der Mensch kann nicht bestehen, Immanuel Kant
ohne etwas anzubeten.
Fjodor M. Dostojewski, Ist es nicht seltsam, daß die Men¬
Der Jüngling schen so gern für ihre Religion
fechten und so ungern nach ihren
Die Naturwissenschaft ohne Reli¬ Vorschriften leben?
gion ist lahm, die Religion ohne Georg Christoph Lichtenberg
Naturwissenschaft ist blind.
Die Religionen sind die ausge¬
Albert Einstein [1879-1955];
amerik. Physiker dt. Herkunft dehntesten Sozialtheorien, die es
bisher gegeben hat.
Hans Lohberger
Ich bin zu dem Schluß gekommen,
daß, wer die Lehren anderer Reli¬
Religionen sind die ethischen Ar¬
gionen ehrfürchtig studiert - ganz
beitshypothesen der Menschheit.
gleich, zu welchem Glauben er sich
Hans Lohberger
selbst bekennt -, sein Herz weitet
und nicht verengt. Religion ist Ehrfurcht - die Ehr¬
Mahatma Gandhi
furcht zuerst vor dem Geheimnis,
das der Mensch ist.
Eine großzügige Erziehung sollte Thomas Mann
ein ehrfürchtiges Studium aller Re¬
ligionen miteinschließen. Wie der Mensch ist auch Gott zur
Mahatma Gandhi Ware geworden: Religion ist die
Branche, die sie umsetzt.
Religion ist die Poesie der unpoeti¬ Kurt Marti
schen Menschen.
Franz Grillparzer * Die Religion ist der Seufzer der
bedrängten Kreatur, das Gemüt ei¬
Religion ist die Erkenntnis aller ner herzlosen Welt, wie sie der
unserer Pflichten als göttliche Ge¬ Geist geistloser Zustände ist. Sie ist
bote. das Opium des Volkes.
Immanuel Kant Karl Marx

712
Teil II Religion

Es gibt mehr Religionen, als es Religion ist für die meisten etwas,
Wahrheiten geben kann. woran man glaubt, weil man
Werner Mitsch glaubt, daß der andere daran
glaubt.
Religionen sind genausowenig Hjalmar Söderberg [1869-1941];
ewig wie Völker. Eine Religion - schwed. Schriftsteller
jede Religion - hat Geburt, Ju¬
gend, Alter und Tod. Wir haben gerade Religion genug,
Alexander S. Neill um einander zu hassen, aber nicht
genug, um einander zu lieben.
Dogmen sind immer schon eine Jonathan Swift
Verkrustung dessen, was man Reli¬
gion nennen kann. Religion defi¬ Wie die Gesundheit eine Lebens¬
nieren wollen ist bereits ein Zei¬ bedingung des menschlichen Kör¬
chen von mangelnder Religiosität. pers ist, so ist es die Religion für
Hans Erich Nossack, Mensch sein ganzes Wesen.
Rabindranath Tagore
Faktisch ist die Religion nur ein
Auskunftsmittel, weil keiner soviel Eine Menschheit ohne Wissen¬
Zeit hat, sich seine eigene Moral zu schaft ist nicht mehr denkbar. Aber
machen und sich mit dem Trans¬ es ist auch keine Wissenschaft
zendentalen, was er gewisserma¬ mehr möglich ohne eine Religion,
ßen ahnt, auseinanderzusetzen. die beseelt.
Oskar Panizza Pierre Teilhard de Chardin
[1881-1955]; franz. Paläontologe,
Die Religion kann erst dann wie¬ Anthropologe und Philosoph
der zur Kulturmacht werden, wenn
sie sich von aller Zweckhaftigkeit Der Mensch hat zwei Beine und
frei macht. Zu dieser gehören zwei Überzeugungen: eine, wenn’s
Glaube und Erlösung. ihm gut geht, und eine, wenn’s ihm
Walther Rathenau schlecht geht. Die letztere heißt
Religion.
Wenn die Menschen zivilisierter Kurt Tucholsky
werden, begnügen sie sich nicht
mehr mit bloßen Tabus, sondern Wenn wir sagen, daß Religion
ersetzen sie durch göttliche Gebote nichts mit Politik zu tun haben soll,
und Verbote. dann sagen wir in Wirklichkeit,
Bertrand Russell, Moral daß für einen erheblichen Teil un¬
seres menschlichen Lebens Gottes
Religionen sind oft Kinder der Un¬ Heilige Schrift keine Bedeutung
wissenheit, die ihre Mutter nicht hat.
lange überleben. Desmond Tutu
Arthur Schopenhauer
Religion ist ein Prisma, von dessen
Immer mehr muß Religion auf die sieben Farben sich jeder seine
Fixierung der Sinnlosigkeit hinaus¬ Lieblingsfarbe wählen mag; alle
laufen, die erlaubt, an der Religion aber rühren nur von einem Son¬
festzuhalten. nenstrahl.
Hermann Schweppenhäuser Karl Julius Weber

713
Religiosität Teil II

Religion ist das unaufhörliche _Respekt


Zwiegespräch der Menschheit mit
Alte Leute sind ohne Respekt, an¬
Gott. Kunst ist ihr Selbstgespräch.
dern gegenüber, sie kennen das Le¬
Franz Werfel
ben.
Johannes Bobrowski

__Religiosität
_Reue
Die Irreligiösen sind religiöser, als
sie selbst wissen, und die Religiö¬ Nichts bereuen ist aller Weisheit
sen sind es weniger, als sie meinen. Anfang.
Franz Grillparzer Ludwig Börne

Religiös wäre einer, der versucht, Nur wer bereut, dem wird verzie¬
das Nachleben nach dem Tod vor hen.
dem Tod vorzuleben. Dante Alighieri
Werner Schneyder
Reue ist Verstand, der zu spät
Der religiöse Mensch liebt es, für kommt.
sein religiöses Brauchtum zu Ernst von Feuchtersleben

kämpfen, aber er haßt es, nach des¬


Unsere Reue ist nicht so sehr ein
sen ursprünglichem Sinngehalt zu
Bedauern des Bösen, das wir getan
leben.
haben, als eine Furcht vor den Fol¬
Henning Venske
gen, die uns daraus entstehen
könnten.
Francois de La Rochefoucauld
_Resignation
Wer bereut, hat die Chance, daß er
Resignation ist kein Nihilismus;
eine Gegenwart haben wird, deren
Resignation führt ihre Perspekti¬
er sich in Zukunft nicht zu schä¬
ven bis an den Rand des Dunkels,
men braucht.
aber sie bewahrt Haltung auch vor
Ludwig Marcuse
diesem Dunkel.
Gottfried Benn, Marginalien Die Reue ist das Bedauern dar¬
über, daß man so lange gewartet
Nichts ist erbärmlicher als die Re¬ hat, es zu tun.
signation, die zu früh kommt. Henry Louis Mencken
Marie von Ebner-Eschenbach
Bedauernswert die Frau, die nichts
Wer aufgibt, wird aufgegeben. zu bereuen hat.
Emil Oesch, Menschen Jeanne Moreau [* 1928];
franz. Schauspielerin
Zufriedene sind Resignierende,
ohne es zu wissen. Die Gesellschaft hat die Strafe er¬
Rudolf Rolfs funden, die Theologie die Hölle,
und für die Fälle, in denen die irdi¬
Ein guter Vorrat an Resignation ist sche Sühne ausbleibt und der
überaus wichtig als Wegzehrung Glaube ans Jenseits versagt, hat
für die Lebensreise. unsere Feigheit die Reue erfunden.
Arthur Schopenhauer Arthur Schnitzler

714
Teil II
Revolutionär

-Revolution gegen die bestehende Ordnung,


Nicht am Reißbrett gewinnen Re¬ sondern Aufrichtung einer neuen,
volutionen Gestalt, sondern in den welche die überlieferte stürzt.
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Herzen und Hirnen widerspruchs¬
voller Menschen.
Alles in der Geschichte ist Revolu¬
Willy Brandt, Erinnerungen
tion; auch eine Erneuerung, eine
*Wir haben nicht die Revolution, Entdeckung, die gar nicht wahr¬
sondern die Revolution hat uns ge¬ nehmbar und friedlich ist.
macht. Cesare Pavese

Georg Büchner [1813-1837];


dt. Dramatiker Revolutionen kommen oft auf lei¬
sen Sohlen daher, und das Neue
Jede Revolution ist viel weniger tritt nicht überall mit gleicher Stär¬
Bauplatz der Zukunft als Auktion ke und in gleicher Sichtbarkeit auf.
der Vergangenheit. Carlo Schmid
Heimito von Doderer

Eine gewaltsame und blutige Re¬ _Revolutionär


volution ist unvermeidlich, wenn
nicht der Reichtum und die Macht, Dubiose Tugend aller Revolutio¬
die der Reichtum gibt, freiwillig näre: so viel Gefühle für die
abgegeben und um des gemeinsa¬ Menschheit, daß keins mehr bleibt
men Gutes willen geteilt werden. für den Menschen.
Mahatma Gandhi Hans Kasper, Revolutionäre

Wer eine friedliche Revolution ver¬ Indem der Revolutionär die Macht
hindert, macht eine gewaltsame übernimmt, übernimmt er die Un¬
Revolution unausweichlich. gerechtigkeit der Macht.
John F. Kennedy [1917-1963]; Octavio Paz, Essays I
amerik. Politiker
Die politische Strategie junger Re¬
Revolutionen sind jene skandalö¬ volutionäre deckt sich häufig mit
sen Zeitabschnitte, in denen die dem olympischen Gedanken: Die
Wahrheit nackt über die Straße Teilnahme ist wichtiger als der
geht, ohne daß die Polizei einzu¬ Sieg.
schreiten wagt. Werner Schneyder
Gabriel Laub
Die sich anschicken, der barbari¬
In allen Revolutionen war die Uto¬ schen Vorgeschichte der Mensch¬
pie, die Phantasie von einer glück¬ heit ein Ende zu bereiten, sind
lichen Gesellschaft, immer die selbst Menschen dieser Vorge¬
stärkste Kraft. schichte. Sie gehen in den Kampf
Ludwig Marcuse gegen Götzen mit der Seele von
Götzendienern.
Die Revolutionen sind die Loko¬ Manes Sperber
motiven der Geschichte.
Karl Marx Verärgerte Bürgerliche sind noch
keine Revolutionäre.
Revolution ist nicht Auflehnung Kurt Tucholsky

715
Rezensent Teil II

_Rezensent mantik liegt im Auge des Beschau¬


ers.
t Kritiker
Kurt Tucholsky

_Rezension _Routine
t Kritik (auch t Gewohnheit)

Routine ist gefährlich. Weil sie da¬


_Rhetorik zu führt, die Gefahr zu unterschät¬
zen.
Rhetorik ist die Kunst, Unver¬
Heinrich Harrer [* 1921];
ständliches so feierlich vortragen
österr. Naturforscher
zu können, daß jeder einzelne Zu¬
hörer meint, der Nachbar verstehe Wenn du etwas so machst, wie du
alles, bloß er selber sei zu dumm, es seit zehn Jahren gemacht hast,
und damit dies die anderen nicht dann sind die Chancen groß, daß
merken, tue er am besten so, als
du es falsch machst.
habe auch er alles verstanden. Charles Kettering [1876-1958];
Manfred Rommel
amerik. Ingenieur

Manche leben mit einer so erstaun¬


_Richter lichen Routine, daß es schwerfällt
Wenn der Rechtsprecher nur end¬ zu glauben, sie lebten zum ersten
Mal.
lich einmal mit dem Geheimnis der
Stanislaw Jerzy Lec
Zellenhaft vertraut würde, wie an¬
ders müßten selbst die Urteile der
Alles, was man regelmäßig und be¬
bürgerlichen Justiz aussehen!
rufsmäßig tut, versteinert.
Carl von Ossietzky
Kurt Tucholsky

Wer sich zum Richter macht, der


beherrsche nicht nur das Strafge¬
_Ruhe
setzbuch, sondern auch die Psy¬
chologie. Ruhe und Ordnung; ist dies Glück¬
Aleksander Swietochowski seligkeit? Im Kerker ist auch Ruhe
und Ordnung.
Wilhelm Heinse
_Romantik
Wenn man seine Ruhe nicht in sich
Jedesmal, wenn die Romantik sich findet, ist es zwecklos, sie andern¬
einer Sache bemächtigt und Glo¬ orts zu suchen.
riolen um sie webt, dann ist deren Francois de La Rochefoucauld
Zeit schon vorüber, und die Sehn¬
sucht nur macht aus der Erinne¬ Nur in ruhigem Gewässer spiegeln
rung einen wünschenswerten Zu¬ sich die Dinge unverzerrt. Nur in
kunftstraum. ruhigem Gemüt gibt es ein adäqua¬
Carl von Ossietzky tes Erkennen der Welt.
Hans Margolius
Menschen sind romantisch. Ge¬
genstände sind es nicht. Die Ro¬ Man strebt danach, eine Arbeit zu

716
Teil II
Satire

haben, um das Recht zu haben, wir sind schon am Sterben an der


sich auszuruhen. Rüstung.
Cesare Pavese Helmut Gollwitzer

_Ruhm
-Rüstungswettlauf
Ruhm bewirkt nicht Einstellung Auch beim Rüstungswettlauf wer¬
der Kritik, nur wird erwartet, daß den die Sieger durch Kränze ge¬
Kritik nicht mehr persönlich treffe, ehrt.
und das zu Recht, denn es wird Gerd Uhlenbruck
Kritik nicht an einer Person und
ihrer Arbeit, sondern am Ruhm.
Max Frisch, Montauk

Vielleicht der größte Vorteil des


Ruhmes besteht darin, daß man
ungestraft die größten
Dummheiten sagen darf.
Andre Gide, Tagebuch
s
Und die Größe ist gefährlich. _Sammler
Und der Ruhm ein leeres Spiel.
Was er gibt, sind nicht’ge Schatten, Sammler sind Feute, die Seltenes
Was er nimmt, es ist so viel. Zusammentragen in der Hoffnung,
Franz Grillparzer
daß es noch seltener wird.
Sigismund von Radecki
Man muß den Ruhm der Men¬ [1891-1970]; dt. Schriftsteller
schen nach den Mitteln messen,
deren sie sich bedient haben, um
ihn zu erwerben. _Satire
Francois de Fa Rochefoucauld
Die Satire wählt und kennt keine
Objekte. Sie entsteht so, daß sie vor
Ruhm und Ruhe sind Dinge, die
ihnen flieht und sie sich ihr auf¬
nicht zusammen wohnen können.
drängen.
Georg Christoph Fichtenberg
Karl Kraus

Die feinste Satire ist unstreitig die,


_Rüstung
deren Spott mit so weniger Bosheit
Keine Rüstung aus der Absicht, und so vieler Überzeugung verbun¬
Krieg zu führen, hat jemals soviel den ist, daß er selbst diejenigen
gekostet wie die wachsende Rü¬ zum Fächeln nötigt, die er trifft.
stung zur Vermeidung eines Krie¬ Georg Christoph Fichtenberg
ges, den unsere Großmächte sich
nicht mehr leisten können. Satire ist die Kunst, einem anderen
Max Frisch, Montauk so auf den Fuß zu treten, daß er es
merkt, aber nicht aufschreit.
Entweder wir schaffen die Rüstung Helmut Qualtinger [1928-1986];
ab, oder die Rüstung schafft uns österr. Schriftsteller, Kabarettist
ab. Wir sterben nicht erst am Krieg, und Schauspieler

717
Satiriker Teil II

Satire ist nicht der Feind der „hei¬ Griechen war er ein geehrter. Wie
len Welt“, sondern die Forderung steht es damit bei uns? Man denkt
danach. von ihnen wie die Römer und ver¬
Werner Schneyder kehrt mit ihnen wie die Griechen.
Jean de La Bruyere

_Satiriker Der wahre Schauspieler ist von der


unbändigen Lust getrieben, sich
Der Satiriker ist ein gekränkter unaufhörlich in andere Menschen
Idealist: er will die Welt gut haben, zu verwandeln, um in den anderen
sie ist schlecht, und nun rennt er am Ende sich selbst zu entdecken.
gegen das Schlechte an. Max Reinhardt [1873-1943];
Kurt Tucholsky österr. Schauspieler, Regisseur
und Theaterleiter

_Satz * Dem Mimen flicht die Nachwelt


keine Kränze.
Kein Satz ohne die eigene Stel¬
Schiller, Wallenstein
lungnahme.
Günter Eich

_Scheidung
Der Satz ist ein Auswuchs der Idee.
Andre Gide, Tagebuch Ehescheidung: Man braucht Ab¬
wechslung im Unverstandensein.
Ein guter Satz hat viele Fenster. Werner Schneyder
Friedrich Georg Jünger

-Scheinheiligkeit
_Schaden
Der schlimmste und gefährlichste
Wer möchte nicht lieber durch Scheinheilige ist nicht jener, der
Glück dümmer als durch Schaden unbeliebte Tugend heuchelt, son¬
klug werden? dern jener, der beliebte Laster heu¬
Salvador Dali [1904-1989]; span. chelt.
Maler und Graphiker Gilbert K. Chesterton

Ich kann mir nicht helfen: Apoka-


_Schadenfreude lyptiker mit Bäuchen sind einfach
nicht überzeugend!
Wer sich freut, wenn wer betrübt, Michael Schneider
macht sich meistens unbeliebt.
Wilhelm Busch, Plisch und Plum
_Schenken
Schadenfreude: Ansatzpunkt für
eigenes Wohlbehagen. (auch t Geschenke)
Rudolf Rolfs
Wenn die Menschen sagen, sie
wollen nichts geschenkt haben, so
-Schauspieler ist es gemeiniglich ein Zeichen,
daß sie etwas geschenkt haben
Der Stand der Schauspieler galt bei wollen.
den Römern für ehrlos, bei den Georg Christoph Lichtenberg

718
Teil II
Schlager

Das Geben ist eine Leidenschaft, _Schisma


fast ein Laster. Die Person, der wir
geben, wird uns notwendig. Ein Schisma findet immer dann
Cesare Pavese statt, wenn pures Glauben entwe¬
der zu unglaubwürdig oder zu an¬
strengend wird.
Schenken ist ein Brückenschlag
Wolfdietrich Schnurre,
über den Abgrund deiner Einsam¬
keit. Schattenfotograf
Antoine de Saint-Exupery
[1900-1944]; franz. Schriftsteller
_Schlaf

Früh zu Bett und früh aufstehen


macht gesund, reich und klug.
_Schicksal
Benjamin Franklin,
Schicksal: eines Tyrannen Er¬ Reichtum
mächtigung zu Verbrechen, eines
Narren Ausrede für Versagen. Der Schlaf ist die Nabelschnur,
Ambrose Bierce durch die das Individuum mit dem
Weltall zusammenhängt.
* Das Schicksal des Menschen ist Friedrich Hebbel
der Mensch.
Bertolt Brecht, Die Mutter Der Schlaf ist für den ganzen Men¬
schen, was das Aufziehen für die
Uhr.
Wir werden vom Schicksal hart
Arthur Schopenhauer
oder weich geklopft. Es kommt auf
das Material an.
Marie von Ebner-Eschenbach
_Schlaflosigkeit
* Willst du mit den Kinderhänden Schlaflosigkeit - Krankheit einer
In des Schicksals Speichen grei¬ Epoche, in der man den Menschen
fen? befiehlt, vor vielen Tatsachen die
Seines Donnerwagens Lauf Augen zu schließen.
Hält kein sterblich Wesen auf. Stanislaw Jerzy Lec
Franz Grillparzer, Ahnfrau

Bei furchtbaren Schicksalsschlä¬


_Schlager
gen das ganz Gewöhnliche tun, das
hilft uns über den Abgrund. Anrufer bei Rundfunkanstalten be¬
Martin Kessel, Gegengabe schweren sich oft, daß so viele
Schlager in Fremdsprachen gesun¬
Schicksal ist das, was der Mensch gen werden. Sie sollten froh sein,
selber verfuhrwerkt hat - Bestim¬ daß sie den Text nicht verstehen.
mung ist das, was er hätte tun sol¬ Robert Lembke
len.
Emil Oesch, Menschen Wenn Glück sich nicht auf „zu¬
rück“ reimen würde, müßten 50
* Dein Schicksal ruht in deiner eig¬ Prozent der deutschen Schlager¬
nen Brust. texter den Beruf wechseln.
Schiller, Jungfrau von Orleans Werner Schneyder

719
Schlagfertigkeit Teil II

_Schlagfertigkeit _Schmerz

Schlagfertigkeit ist die schnellste Es gibt keinen Schmerz, der nicht


Bestätigung des Selbstgefühls. zu übertreffen wäre, das einzig Un¬
Hans Arndt endliche ist der Schmerz.
Elias Canetti

Kein Schmerz ist größer, als sich


_Schlagwort der Zeit des Glückes zu erinnern,
Das Schlagwort ist eine Idee auf wenn man im Elend ist.
dem Weg zur Phrase. Dante Alighieri
Rolf Haller
Das ist meine allerschlimmste Er¬
Was ist das Bleibende der großen fahrung: Der Schmerz macht die
Denker von heute? Die Schlagwor¬ meisten Menschen nicht groß, son¬
te von morgen. dern klein.
Hans Krailsheimer Christian Morgenstern

Mit keinem Köder fischt Mephisto


so glücklich als mit allem, was im
Engeren und Weiteren unter den
_Schönheit
Begriff des Schlagworts fällt.
Christian Morgenstern Schönen Mädchen ist es erlaubt,
auf ihre Gabe stolz zu sein.
Martin Luther

_Schmeichelei „Schönheit“ - ist weder eine ge¬


Wenn wir auch der Schmeichelei heimnisvolle Wesenheit noch ein
keinen Glauben schenken, der geheimnisvolles Wort. Im Gegen¬
Schmeichler gewinnt uns doch. teil, nichts wird vielleicht unmittel¬
Marie von Ebner-Eschenbach
barer und klarer erfahren als die
Erscheinung der „Schönheit“ in
Was deinen Gegnern nicht gelingt, verschiedenen schönen Objekten.
Herbert Marcuse
werden deine Schulterklopfer voll¬
bringen.
Rudolf Hagelstange Schön ist eigentlich alles, was man
[1912-1984]; dt. Schriftsteller mit Liebe betrachtet.
Christian Morgenstern
Manchmal meint man, die Schmei¬
chelei zu hassen, während man nur Es gibt vielleicht auf der ganzen
die Art des Schmeichelns haßt. Welt kein anderes Mittel, ein Ding
Francois de La Rochefoucauld oder Wesen schön zu machen, als
es zu lieben.
Empfindsame Gemüter trifft kein Robert Musil
Tadel härter als falsches Lob, und
unerbetener Zuspruch bewegt sie Was schön klingt, spottet aller
mit größerer Gewißheit als ätzende Grammatik, was schön ist, aller
Kritik zur Einkehr. Ästhetik.
Wolfgang Pohrt Robert Schumann

720
Teil II Schriftsteller

-Schöpfung leg für die eigene Flucht aus der


Zeitlichkeit handelt.
Die ganze Schöpfung ist die
Wolfdietrich Schnurre,
Schönschrift Gottes, und in seiner
Schreibtisch
Schrift gibt es nicht ein sinnloses
Zeichen.
Moralisch gesehen ist Schreiben
Ernesto Cardenal
nichts als eine Frage des Umschal¬
Wenn das ein Mensch vermöchte, tenkönnens: von asozialer Egozen¬
daß er eine einzige Rose machen trik auf sühnende Kommunikati¬
könnte, so sollte man ihm ein Kai¬ on.
sertum schenken! Wolfdietrich Schnurre,
Martin Luther Schattenfotograf

Jeder dumme Junge kann einen Das leicht Hingeschriebene zur


Käfer zertreten. Aber alle Profes¬ Kunst gerinnen zu lassen ist eine
soren der Welt können keinen her¬ Schufterei.
steilen. Brigitte Schwaiger [* 1949];
Arthur Schopenhauer österr. Schriftstellerin

Schreiben ist organisierte Sponta¬


_ Schreiben nität.
Martin Walser [* 1927];
Wenn ich nicht schriebe, würde ich dt. Schriftsteller
die andern noch mehr verletzen.
Peter Handke
_Schrift
Aber Bücherschreiben ist nicht viel
besser als Baumwolle spinnen, und Das Wort ist der Blitz, aber die
Spinnen ist das nächste am Betteln. Schrift ist der Einschlag, die Spur.
Jean Paul Die Spur bloß, der Blitz eben nicht.
Erhärt Kästner
Bücherschreiben ist das einzige
Verbrechen, bei dem sich der Täter
bemüht, Spuren zu hinterlassen. _Schriftsteller
Gabriel Laub
Ich glaube, daß der Schriftsteller,
Es ist schön, zu schreiben, weil das der sogenannte freie Schriftsteller,
die beiden Lreuden in sich vereint: eine der letzten Bastionen der Frei¬
allein reden und zu einer Menge heit ist.
reden. Heinrich Böll
Cesare Pavese
Anscheinend muß noch einige Zeit
Schreiben heißt preisgeben. Jedes vergehen, damit die Schriftsteller
Erlebnis. Jede Erfahrung. Jegliches wieder lernen, auf eigenen Füßen
Bündnis. zu gehen, und Literatur produzie¬
Wolfdietrich Schnurre, ren, die Spaß macht, auch ohne
Schattenfotograf von den Soziologen die Genehmi¬
gung dafür bekommen zu haben.
Schreiben heißt registrieren; selbst Hans Christoph Buch
dann noch, wenn es sich um nichts
anderes als den unfreiwilligen Be¬ Darüber hinaus ist der Narzißmus

721
Schuld Teil II

sozusagen die Berufskrankheit des Staat und Behörden zu entkom¬


Schriftstellers, denn wer sich selbst men. Heute hätten gewisse Schrift¬
und seine echten und eingebildeten steller allen Grund, das gleiche
Leiden nicht ständig übermäßig Asyl aufzusuchen, um dem rasan¬
wichtig nimmt, bringt keine Zeile ten Gebrauchswertschwund ihrer
zu Papier. Produkte durch eine zügellose Ver¬
Hans Christoph Buch marktung zu entkommen.
Michael Schneider
Die Schriftsteller entwickeln meist
viel mehr Verstand, wenn sie die Der engagierte Schriftsteller
Gedanken ihrer Gegner, als wenn glaubt, wenn es überhaupt noch
sie ihre eigenen analysieren. ein wehrhaftes Refugium gibt für
Ernst von Feuchtersleben den Menschen, dann ist es die Lite¬
ratur.
Die echten Schriftsteller sind die Wolfdietrich Schnurre,
Gewissensbisse der Menschheit. Schreibtisch
Ludwig Feuerbach [1804-1872];
dt. Philosoph
_Schuld
Ein Schriftsteller ist arriviert, wenn
alles, was er schreibt, gedruckt Die große Schuld des Menschen
wird. Ein Schriftsteller ist berühmt, ist, daß er in jedem Augenblick die
wenn alles, was von ihm gedruckt Umkehr tun kann und nicht tut.
wird, gelobt wird. Martin Buber
Gabriel Laub
Seid gerecht. Sucht nicht Schuldi¬
Das erste, was ein wahrhafter ge, sondern Ursachen.
Schriftsteller tut, ist an seiner eige¬ Werner Mitsch
nen Existenz zweifeln.
Octavio Paz, Essays I * Das Leben ist der Güter höchstes
nicht, der Übel größtes aber ist die
Die Literatur existiert nicht im luft¬ Schuld.
leeren Raum. Der Schriftsteller übt Schiller, Braut von Messina
als solcher eine bestimmte soziale
Funktion aus, die genau im Ver¬ Schuld wird nicht getilgt, wenn
hältnis zu seiner Fähigkeit als man sich nicht zu ihr als der eige¬
Schriftsteller steht. nen Schuld bekennt.
Ezra Pound Carl Friedrich von Weizsäcker,
Einheit
Von einigen Greisen, die ihre Fe¬
der in Kölnischwasser tauchen, Was ist Schuld? Schuld ist zu¬
und von kleinen Dandies abgese¬ nächst, was Leiden hervorbringt.
hen, die wie Metzger schreiben, Schuld ist, was wir uns im Kampf
gibt es gar keinen Schriftsteller, der ums Dasein täglich gegenseitig an¬
Fleißübungen macht. tun.
Jean-Paul Sartre Carl Friedrich von Weizsäcker,
Geschichte
In früheren Zeiten flüchteten die
Schriftsteller häufig ins Pseud¬ Schuld oder Unschuld eines gan¬
onym, um der Verfolgung durch zen Volkes gibt es nicht. Schuld ist.

722
Teil II Schwäche

wie Unschuld, nicht kollektiv, son¬ sucht haben, als an denen, die es
dern persönlich. nicht besucht haben.
Richard von Weizsäcker Egon Friedell

Die Wettbewerbsfähigkeit eines


_Schulden Landes beginnt nicht in der Fa¬
brikhalle oder im Forschungsla¬
Es wäre der größte Leichtsinn, bor. Sie beginnt im Klassenzim¬
Schulden zu machen, wenn man mer.
die Absicht hätte, sie zu bezahlen. Lee Iacocca
Egon Friedell
Und deshalb meine ich, daß unsere
Das einzige, was man ohne Geld jungen Leute in den Schulen ganz
machen kann, sind Schulden. und gar verdummt werden. Von
Heinz Schenk [* 1924]; der Wirklichkeit hören und sehen
dt. Schauspieler und Conferencier sie dort nichts.
Gaius Petronius [t66n.Chr.];
Schuld kann nicht getilgt, aber römischer Schriftsteller
Schuldgefühl kann verarbeitet wer¬
den. Man erstickt den Verstand der
Wolfdietrich Schnurre, Kinder unter einem Ballast unnüt¬
Schattenfotograf zer Kenntnisse.
Voltaire, Jeannot und Colin

_Schuldlos
_Schwäche
Unschuldig kann auch ein Tot¬
schläger sein. Schuldlos ist nie¬ Geliebt wirst du einzig, wo du
mand. schwach dich zeigen darfst, ohne
Wolfdietrich Schnurre, Stärke zu provozieren.
Schattenfotograf Theodor W. Adorno

Man kann aus einem Wischlappen


keinen Funken schlagen.
_Schuldner
Egon Friedell
Der ehrliche Schuldner ist einer,
der seine Erben enttäuscht, nie je¬ Ich habe festgestellt, daß die Ein¬
doch seine Gläubiger. schränkung „soweit wie möglich“
Andre Kostolany eine fatale Ausweichmöglichkeit
gibt. Etwas „soweit wie möglich“
tun heißt, der ersten Versuchung zu
erliegen.
_Schule
Mahatma Gandhi
Eine Schule wird nicht dadurch de¬
mokratisch, daß sie der politischen Der gefährlichste Gegner der Kraft
Erziehung zwölf oder gar vierund¬ ist die Schwäche.
zwanzig Wochenstunden widmet. Hugo von Hofmannsthal
Ralf Dahrendorf [1874-1929];
österr. Schriftsteller
Was das Gymnasium wert ist, sieht
man weniger an denen, die es be¬ Die stärkste Kraft reicht nicht an

723
Schweigen Teil II

die Energie heran, mit der manch Wenn man einmal weiß, worauf
einer seine Schwäche verteidigt. alles ankommt, hört man auf, ge¬
Karl Kraus sprächig zu sein.
Goethe, Wilhelm Meisters
Die großartigste Schwäche des Wanderjahre
Menschen ist sein Mitleid.
Thomas Niederreuther Richtiges Schweigen ist das leben¬
dige Gegenspiel des rechten Re¬
Das schlimmste Übel, an dem die dens. Es gehört dazu, wie Einat¬
Welt leidet, ist nicht die Stärke der men und Ausatmen.
Bösen, sondern die Schwäche der Romano Guardini
Guten. [1885-1968];
Romain Rolland [1866-1944]; dt. kath. Religionsphilosoph und
franz. Schriftsteller Theologe ital. Herkunft

Der Schwächling hat keine Schwä¬ Schweigen - mit arrogantem Un¬


chen. Schwächen sind Züge des terton - schlägt das schlagendste
Starken. Argument.
Peter Tille Oliver Hassencamp

Man braucht zwei Jahre, um spre¬


_Schweigen chen zu lernen, und fünfzig, um
schweigen zu lernen.
Schweigen ist ein Argument, das Ernest Hemingway [1899-1961];
kaum zu widerlegen ist. amerik. Schriftsteller
Heinrich Böll
Schweigen ist der sicherste Weg für
*Wer schweigt, scheint zuzustim¬ den, der seiner selbst unsicher ist.
men. Francois de La Rochefoucauld
Bonifatius VIII.,
Papst von 1294-1303 Nicht jeder, der schweigt, denkt
sich etwas dabei.
Ein talentiertes Schweigen kann Werner Mitsch
beredter sein als die beredteste Ak¬
tivität. Schweigen heißt: nicht sagen, was
Stanislaw Brzozowski man sagen kann. Und nur das ist
die fruchtbare Stille.
Schweigen ist die unerträglichste Jose Ortega y Gasset, Liebe
Erwiderung.
Gilbert K. Chesterton Die Funktion des Schweigens ist
„nichts zu sagen“, was nicht das¬
Wer unter Toren schweigt, läßt selbe ist wie „etwas nicht zu sa¬
Vernunft, wer unter Vernünftigen gen“.
schweigt, Torheit vermuten. Octavio Paz, Essays II
Ernst von Feuchtersleben
Wer schweigt, verrät nichts, außer
Nicht immer sind die Stillen auch sich selbst.
die Weisen. Es gibt verschlossene Werner Schneyder
Truhen, die leer sind.
Jean Giono [1895-1970]; Überhaupt ist es geratener, seinen
franz. Schriftsteller Verstand durch das, was man ver-

724
Teil II Sehnsucht

schweigt, an den Tag zu legen, als Die Schranken und Schwierigkei¬


durch das, was man sagt. ten unseres äußeren Lebens sind
Arthur Schopenhauer nur da, damit unsere Seele ihre
Kraft beweisen könne, und indem
Schweigen kann die grausamste sie die Hemmnisse überwindet,
Lüge sein. verwirklicht sie ihr wahres Wesen.
Robert Louis Stevenson Rabindranath Tagore
[1850-1894]; schott. Schriftsteller

Wer schweigt, ohne daß er etwas zu _Seele


sagen hätte, heuchelt.
Jedes Bruchstück der menschli¬
Peter Tille
chen Seele ist ein Monument der
Geschichte des Volkes, in dem die¬
Es ist schön, mit jemand schweigen
se Seele zur Welt kam.
zu können.
Stanislaw Brzozowski
Kurt Tucholsky

Den überkonfessionellen Teil der


Schweigen über einen Menschen
Seele nennt man Gemüt.
legt ein beredtes Zeugnis ab. Werner Mitsch
Gerd Uhlenbruck
Leib und Seele sind nicht zwei
Schweigen ist ein köstlicher Ge¬ Substanzen, sondern eine. Sie sind
nuß, aber um ihn ganz auszuschöp¬ der Mensch, der sich selbst in ver¬
fen, muß man einen Gefährten ha¬ schiedener Weise kennenlernt.
ben. Allein ist man nur stumm. Carl Friedrich von Weizsäcker,
Karl Heinrich Waggerl Geschichte

Wovon man nicht sprechen kann,


darüber muß man schweigen. _Sehnsucht
Ludwig Wittgenstein
[1889-1951]; österr. Philosoph Jedesmal, wenn die Romantik sich
einer Sache bemächtigt und Glo¬
riolen um sie webt, dann ist deren
Zeit schon vorüber, und die Sehn¬
_Schwierigkeiten sucht nur macht aus der Erinne¬
Die Schwierigkeiten wachsen, je rung einen wünschenswerten Zu¬
näher man dem Ziele kommt. kunftstraum.
Goethe, Wahlverwandschaften II Carl von Ossietzky

Diejenigen Berge, über die man im Die Sehnsucht läßt alle Dinge
Leben am schwersten hinweg¬ blühen, der Besitz zieht alle Dinge
kommt, häufen sich immer aus in den Staub.
Sandkörnchen auf. Marcel Proust
Friedrich Hebbel
Erfüllung ist der Feind der Sehn¬
Die Schwierigkeiten, die einer sucht.
macht, sind meistens nichts ande¬ Erich Maria Remarque
res als Ausdruck seiner eigenen [1898-1970]; dt. Schriftsteller
Schwierigkeiten.
Emil Oesch, Menschen Der sensible Mensch leidet nicht

725
Selbstachtung Teil II

aus diesem oder jenem Grunde, sen, denen du dich aufgeopfert


sondern ganz allein, weil nichts auf hast.
dieser Erde seine Sehnsucht stillen George Bernard Shaw
kann.
Jean-Paul Sartre

_Selbstbeherrschung
Bisweilen glauben wir, uns nach ei¬
nem fernen Orte zurückzusehnen, Niemand ist frei, der nicht über
während wir eigentlich uns nur sich selbst Herr ist.
nach der Zeit zurücksehnen, die Matthias Claudius [1740-1815];
wir dort verlebt haben, da wir jün¬ dt. Schriftsteller
ger und frischer waren.
Arthur Schopenhauer Wer sich keine Annehmlichkeiten
versagen kann, wird sich nie ein
Glück erobern.
_Selbstachtung Marie von Ebner-Eschenbach

Wer nicht zu sich selbst steht, ver¬


liert sich am Beispiel anderer. Der Mensch ist Mensch, weil er
Hans Arndt Selbstbeherrschung üben kann,
und nur insoweit, als er Selbstbe¬
Der Weise weiß, aber nicht, um zu herrschung übt.
glänzen. Selbstachtung hat er, doch Mahatma Gandhi
nicht Arroganz.
Laotse * Wer sich nicht selbst befiehlt,
bleibt immer Knecht.
Ein Mensch kann viel ertragen, so¬ Goethe, Zahme Xenien
lange er sich selbst ertragen kann.
Axel Munthe Andere beherrschen erfordert
Kraft. Sich selbst beherrschen for¬
Vielleicht besteht die einzige Wür¬ dert Stärke.
de des Menschen in seiner Fähig¬ Laotse
keit, sich achten zu können.
George Santayana [1863-1952]; Fahre nicht aus der Haut, wenn du
amerikan. Philosoph und Dichter kein Rückgrat hast.
span. Herkunft Stanislaw Jerzy Lec

Dem wird befohlen, der sich nicht


-Selbstanklage selber gehorchen kann.
Friedrich Nietzsche, Zarathustra
Selbstanklagen machen nichts bes¬
ser. Je tiefer sie greifen, um so ver¬
Das Festhalten und Befolgen der
läßlicher enden sie in Selbstzufrie¬
denheit. Grundsätze, den ihnen entgegen¬
Elias Canetti
wirkenden Motiven zum Trotz, ist
Selbstbeherrschung.
Arthur Schopenhauer
-Selbstaufopferung

Wenn du damit beginnst, dich de¬


nen aufzuopfern, die du liebst, -Selbstbetrug
wirst du damit enden, die zu has¬ t Selbsttäuschung

726
Teil II Selbsterkenntnis

-Selbstbewußtsein Jeder Mensch glaubt, er sei unter


Bescheiden können nur die Men¬ allen der wichtigste, der beste; aber
schen sein, die genug Selbstbe¬ nur der Narr und der Dummkopf
wußtsein haben. haben den Mut, es zu sagen.
Jean Paul
Gabriel Laub

Jeder Mensch wird als Zwilling ge¬


boren: als der, der er ist, und als
-Selbstdarstellung
der, für den er sich hält.
Er hatte so eine Art sich in den Martin Kessel, Gegengabe
Hintergrund zu drängen, daß es
allgemein Ärgernis erregte. Wer glaubt, etwas zu sein, hat auf¬
Karl Kraus gehört, etwas zu werden.
Philip Rosenthal [*1916];
Kleine Fehler geben wir gern zu, dt. Politiker und Industrieller
um den Eindruck zu erwecken, wir
hätten keine großen. Bescheidenheit ist die ungesünde¬
Francois de La Rochefoucauld ste Form der Selbstbewertung.
Peter Ustinov
Viel von sich reden, kann auch ein
Mittel sein, sich zu verbergen. Man urteilt über andere nicht so
Friedrich Nietzsche, Jenseits falsch wie über sich selbst.
Vauvenargues
Man lobt oder tadelt, je nachdem [1715-1747];
das eine oder das andere mehr Ge¬ franz. Schriftsteller
legenheit gibt, unsere Urteilskraft
leuchten zu lassen.
Friedrich Nietzsche, _Selbsterkenntnis
Menschliches I
Um sich selbst zu erkennen, muß
man handeln.
Wer aus sich kein Hehl macht,
Albert Camus
empört.
[1913-1960];
Friedrich Nietzsche, Zarathustra
franz. Schriftsteller
Um sich selbst ins richtige Licht
Mit sechzig Jahren noch zu glau¬
setzen zu können, muß man die an¬
ben, man kenne sich, ist chimä¬
deren in den Schatten stellen.
risch; mit zwanzig Jahren ist der
Gerd Uhlenbruck
Versuch, sich kennenzulernen, ge¬
fährlich.
Andre Gide, Tagebuch
_Selbsteinschätzung

Wir unterschätzen das, was wir ha¬ Man kann die Erfahrung nicht früh
ben, und überschätzen das, was wir genug machen, wie entbehrlich
sind. man in der Welt ist.
Marie von Ebner-Eschenbach Goethe, Wilhelm Meisters
Lehrjahre
Selbst der bescheidenste Mensch
hält mehr von sich, als sein bester Wie kann man sich selbst kennen¬
Freund von ihm hält. lernen? Durch Betrachten niemals,
Marie von Ebner-Eschenbach wohl aber durch Handeln. Versu-

727
Selbstfindung Teil II

che, deine Pflicht zu tun, und du der Weise weiß, daß er ein Narr ist.
weißt gleich, was an dir ist! Shakespeare, Wie es euch gefällt
Goethe, Wilhelm Meisters
Wanderjahre II Die besten Reformer, die die Welt
je gesehen hat, sind die, die bei sich
Sich selbst kennen ist bei einem selbst anfangen.
selbst mittelmäßigen Verstände George Bernard Shaw
nicht so schwer, als manche Leute
sagen; aber im Leben dem gemäß Es gibt keine bessere Art, die
handeln, was man von sich erkannt Menschheit zu beglücken, als die,
hat, ist ebenso schwer, als die Pra¬ sich selbst zu bessern.
xis in allen Dingen, gegen die Aleksander Swietochowski
Theorie betrachtet.
Franz Grillparzer Jeder möchte die Welt verbessern
und jeder könnte es auch, wenn er
Was deprimierend ist: Du bist wie nur bei sich selber anfangen wollte.
alle anderen. Was tröstlich ist: Alle Karl Heinrich Waggerl
anderen sind wie du.
Johannes Gross
Unter zwanzig Leuten, die ich am
Morgen nach ihrer Gesundheit fra¬
Seine eigene Dummheit zu erken¬ ge, sind meistens zehn, denen ich
nen mag schmerzlich sein. Keines¬ lieber eine Ohrfeige gäbe. Was
falls aber eine Dummheit. mich unter anderem hindert, ist der
Oliver Hassencamp lästige Umstand, daß ich bei mir
selber beginnen müßte.
Nichts bewahrt uns so gründlich Karl Heinrich Waggerl
vor Illusionen wie ein Blick in den
Spiegel. Nur die Oberflächlichen kennen
Aldous Huxley
sich selbst.
Oscar Wilde

Alles, was uns an anderen mißfällt,


kann uns zu besserer Selbster¬
kenntnis führen. _Selbstfindung
Carl Gustav Jung [1875-1961]; Es kommt einzig darauf an, bei
Schweiz. Psychiater sich zu beginnen, und in diesem
Augenblick habe ich mich um
Im Spiegel sind die Seiten ver¬ nichts andres in der Welt als um
tauscht, so auch Selbsterkenntnis diesen Beginn zu bekümmern.
und Selbstverliebtheit. Martin Buber
Martin Kessel, Gegengabe
Wie leicht sich das sagt: sich selber
Andere erkennen ist weise. Sich finden! Wie man erschrickt, wenn
selbst erkennen ist Erleuchtung. es wirklich geschieht!
Laotse Elias Canetti

* Willst du dich selber erkennen, so Auf der Suche nach Selbstfindung


sieh, wie die andern es treiben. wird das Tor zur Selbstverherrli¬
Schiller, Der Schlüssel chung aufgestoßen.
Alfred Hrdlicka [* 1928];
Der Narr hält sich für weise, aber österr. Bildhauer

728
Teil II Selbstkontrolle

Es ist leichter, zum Mars vorzu¬ man wieder sehr viel Haß gegen
dringen, als zu sich selbst. andere, um den Selbsthaß auszu¬
Carl Gustav Jung [1875-1961]; gleichen.
Schweiz. Psychiater Elias Canetti

Die Menschen von heute ver¬ Die für ihre Mitwelt gefährlichsten
schwenden zuviel Zeit, auf Reden Egoisten sind jene, die nicht ein¬
und Gedanken anderer Menschen mal sich selbst zu achten, ge¬
zu horchen. Es wäre viel besser, schweige denn zu lieben vermögen.
wenn sie sich mehr Ruhe gönnten, Kurt Marti
ihren eigenen Gedanken zu lau¬
schen. Man haßt das, was man fürchtet,
Axel Munthe das also, was man sein kann, was
man, wie man fühlt, ein wenig ist.
Man haßt sich selbst.
_Selbstgerechtigkeit Cesare Pavese

Nichts Lästigeres als ein Sünder,


der Buße getan hat - selbstgerech¬ _Selbsthilfe
ter als alle Gerechten.
Man hilft den Menschen nicht,
Johannes Gross
wenn man für sie tut, was sie selbst
Jeder will lieber einen Weltteil als tun können.
sich bekehren. Abraham Lincoln [1809-1865];

Jean Paul
amerik. Politiker

Wer sich nicht selbst helfen will,


dem kann niemand helfen.
_Selbstgespräch Hans A. Pestalozzi [* 1929];
Man führt nicht mehr genug Schweiz. Publizist
Selbstgespräche heutzutage. Man
Der Mensch mag die Göttlichen
hat wohl Angst, sich selbst die Mei¬
verehren, aber Hilfe verlangen
nung zu sagen.
Jean Giraudoux [1882-1944];
kann man nur von sich selbst.
Peter Rosegger [1843-1918];
franz. Schriftsteller
österr. Schriftsteller
Die fruchtbarste Diskussion ist
doch das Selbstgespräch. - Will je¬
_Selbstironie
mand, der sich ernst nimmt, seine
Meinung austauschen? Die schwierigste Turnübung ist im¬
Johannes Gross mer noch, sich selbst auf den Arm
zu nehmen.
Groß betrachtet ist alles Gespräch Werner Finck
nur - Selbstgespräch.
Christian Morgenstern
_Selbstkontrolle

Höher als alles Vielwissen stelle


_Selbsthaß ich die stete Selbstkontrolle, die
Es ist nur gut, sich manchmal zu absolute Skepsis gegen sich selbst.
hassen, nicht zu oft; sonst braucht Christian Morgenstern

729
Selbstkritik Teil II

_Selbstkritik Was willst du, sagt einer, der sein


Kind verprügelt, zu einem andern,
Ehe man kritisiert, sollte man seine
der ihm in den Arm fällt: ich übe
Kritik kritisieren.
doch nur Selbstkritik.
Jean Anouilh
Hermann Schweppenhäuser

Nur wer sich ändert, bleibt sich


treu.
_Selbstlosigkeit
Wolf Biermann, Affenfels
(auch T Altruismus)
Gehe in dich, das ist leicht gesagt.
Doch es zu tun, ist schon deshalb Bis zu einem gewissen Grade
schwerer, weil da wenig Auslauf selbstlos sollte man schon aus
ist. Selbstsucht sein.
Ernst Bloch Marie von Ebner-Eschenbach

Kommst du vom Vorgesetzten, Selbstlosigkeit ist Eigenliebe, die


überprüf deine Identität. sich schämt.
Wieslaw Brudzinski Hans Lohberger

Fragwürdig wie alles, was wir trei¬


_Selbstsucht
ben, ist auch die Selbstkritik. Ihre
Wonne besteht darin, daß ich mich Selbstsüchtig - ohne Rücksicht auf
scheinbar über meine Mängel erhe¬ die Selbstsucht anderer.
be, indem ich sie ausspreche und Ambrose Bierce
ihnen dadurch das Entsetzliche
nehme, das zur Veränderung zwin¬ Je mehr du dich selbst liebst, desto
gen würde. mehr bist du dein eigener Feind.
Max Frisch [1911-1991]; Schweiz. Marie von Ebner-Eschenbach
Schriftsteller

In dem Maße, wie der Wille und -Selbsttäuschung


die Fähigkeit zur Selbstkritik stei¬
Wer eine Hintertür in sein Leben
gen, hebt sich auch das Niveau der
einbaut, gebraucht sie eines Tages
Kritik am andern.
als Hauptportal.
Christian Morgenstern
Hans Arndt

Ich glaube von jedem Menschen Wer glaubt, über der Situation zu
das Schlechteste, selbst von mir, stehen, steht in Wirklichkeit oft nur
und ich habe mich noch selten ge¬ daneben.
täuscht. Friedl Beutelrock
Johann Nestroy
Selbsttäuschung - Mutter einer eh¬
Selbstkritik ist Voraussetzung des renwerten Familie, in der sich ne¬
Selbstvertrauens. Sie verhindert ben vielen anderen wohlgeratenen
aber Einbildung, Überheblichkeit, Söhnen und Töchtern finden: En¬
Dünkel - die Merkmale des thusiasmus, Zärtlichkeit, Selbstver¬
Machtmenschen. leugnung, Glaube, Hoffnung,
Hans A. Pestalozzi, Auf die Nächstenliebe.
Bäume Ambrose Bierce

730
Teil II Selbstverwirklichung

Wer von uns weiß, kann wirklich aber man hat sich nur an seine Art
unterscheiden, wann er tatsächlich gewöhnt.
denkt und wann er sich nur selber Upton Sinclair [1878-1968];
etwas Vormacht? amerik. Schriftsteller
Stanislaw Brzozowski
Was manche Leute sich selbst vor¬
Es ist gefährlich, anderen etwas machen, das macht ihnen so
vorzumachen; denn es endet da¬ schnell keiner nach.
mit, daß man sich selbst etwas Vor¬ Gerd Uhlenbruck
macht.
Eleonora Düse [1858-1924];
italien. Schauspielerin
-Selbstüberwindung
* Du glaubst zu schieben, und du *Von der Gewalt, die alle Men¬
wirst geschoben. schen bindet, befreit der Mensch
Goethe, Faust I sich, der sich überwindet.
Goethe, Die Geheimnisse
Man wird nie betrogen, man be¬
trügt sich selbst.
Goethe, Maximen und
Reflexionen _Selbstvertrauen

Nur wieder empor nach jedem


Der Machtlose entschädigt sich
Sturz aus der Höhe! Entweder
gern durch die Überzeugung, ein
fällst du dich tot, oder es wachsen
besserer Mensch zu sein.
dir Flügel.
Johannes Gross
Marie von Ebner-Eschenbach

Es ist die gewöhnlichste und


Wenn es einen Glauben gibt, der
schädlichste Täuschung, daß man
Berge versetzen kann, so ist es der
sich allzeit für den einzigen hält,
Glaube an die eigene Kraft.
der gewisse Dinge bemerkt.
Marie von Ebner-Eschenbach
Jean Paul

Selbstvertrauen ist die Quelle des


Es ist ebenso leicht, sich selbst zu
Vertrauens zu anderen.
täuschen, ohne es zu merken, wie
Francois de La Rochefoucauld
es schwer ist, die andern zu täu¬
schen, ohne daß sie es bemerken.
Francois de La Rochefoucauld
_Selbstverwirklichung
Wer ohne die Welt auszukommen
glaubt, irrt sich. Wer aber glaubt, Das einzige Drama, das mich wirk¬
daß die Welt nicht ohne ihn aus- lich interessiert und das ich immer
kommen könne, irrt sich noch viel von neuem erzählen möchte, ist die
mehr. Auseinandersetzung jedes Wesens
Francois de La Rochefoucauld
mit dem, was es hindert, echt zu
sein, was sich seiner Unversehrt¬
* Es sind nicht alle frei, die ihrer heit, seiner Selbstverwirklichung
Ketten spotten. entgegenstellt. Das Hindernis liegt
Lessing, Nathan meistens in ihm selbst. Und alles
übrige ist nur Zufall.
Mancher glaubt, beliebt zu sein, Andre Gide, Tagebuch

731
Sentimentalität Teil II

Man sollte nicht auf Selbstverwirk¬ zu stark mit ihrem eigenen Sex-Ap¬
lichung hoffen, sondern Hoffnung peal beschäftigt.
selbst verwirklichen. Katherine Hepburn [* 1909];
Gerd Uhlenbruck amerik. Schauspielerin

Der Irrtum mancher Frauen liegt


_Sentimentalität darin, daß sie ihren völligen Man¬
gel an Sex-Appeal mit Tugendhaf¬
Die Sentimentalität ist das Alibi tigkeit verwechseln.
der Hartherzigen. Raquel Welch [* 1940];
Arthur Schnitzler amerik. Schauspielerin

_Sex _Sexualethik
Sex ist die Liebesform einer Zeit, Erster und einziger Grundsatz der
die für die Liebe keine Zeit mehr Sexualethik: der Ankläger hat im¬
hat. mer unrecht.
Sigmund Graff Theodor W. Adorno

Sex in längerer Verbindung ist die


Kunst, Reprisen immer wieder wie _Sexualität
Premieren erscheinen zu lassen.
Jeanne Moreau [* 1928]; Sexualität als zwischenmenschli¬
franz. Schauspielerin che Beziehung bringt Menschen
als Menschen zusammen und nicht
Sex ist sehr unkompliziert, wenn nur als Dinge. Dasein für den an¬
man von keinem Komplex, son¬ deren wird hier zur Bedingung ei¬
dern von einem Bedürfnis geleitet genen Glücks.
wird. Helmut Gollwitzer
Georges Simenon [1903-1989];
belg. Schriftsteller Die Sexualität ist in uns hineinge¬
legt, nicht damit wir sie in Respekt
Sex ist die Reibfläche, an der wir vor dem unerforschlichen, aber un¬
versuchen, das Feuer der Liebe zu erfreulichen Ratschluß des Schöp¬
entzünden. fers ertragen, sondern damit wir sie
Gerd Uhlenbruck als einen herrlichen und spezifisch
menschlichen Reichtum unseres
Sex ist der Leim, der das Gefüge Lebens erkennen.
der menschlichen Beziehungen zu¬ Helmut Gollwitzer
sammenhält; er bringt Familien
und Romanzen hervor. Es gibt keine frigiden Frauen. Es
John Updike [* 1932]; gibt nur schlechte Liebhaber oder
amerik. Schriftsteller Frauen, die durch häßliche Erleb¬
nisse in ihren Empfindungen blok-
kiert sind.
-Sex-Appeal Manfred Köhnlechner [* 1925];
dt. Heilpraktiker
Nur die sogenannten unauffälligen
Frauen erleben die wahre Liebe. Es ist ein Glück, daß das Bestehen
Auffällige Schönheiten sind meist der Menschenrasse ans sexuelle

732
Teil II
Solidarität

Vergnügen gefesselt ist; man hätte Brot der Jugend, die Skepsis ist der
es sonst längst aus der Welt hinaus¬ tägliche Wein des Alters.
manipuliert. PearlS. Buck [1892-1973];
Ludwig Marcuse amerik. Schriftstellerin

Die Erotik ist sozialisierte Sexuali¬ Hat eigentlich die Skepsis auf die
tät. Schlachtfelder geführt oder der
Octavio Paz, Essays I Glaube?
Karlheinz Deschner

Der Skeptizismus ist der Beginn


_Sicherheit
des Glaubens.
Wer sich gegen alles sichern will, Oscar Wilde
vermehrt die Gefängnisse.
Friedrich Georg Jünger
_Skeptiker
Sicher ist, daß nichts sicher ist.
Karl Valentin [1882-1948]; Skeptiker sind jene Menschen, die
dt. Komiker und Schriftsteller einfach nicht an die friedliche Nut¬
zung der Atombombe glauben wol¬
Unsere Sicherheiten dürfen nichts len.
Starres werden, sonst brechen sie. Werner Mitsch
Robert Walser [1878-1956];
Schweiz. Schriftsteller
_Soldat

t Militär
-Sieg

Nur ein Sieg, für den es keine Be¬ _Solidarität


siegten gibt, ist wirklich ein Sieg.
Solidarität ist die bewußte Bereit¬
Hans Margolius
schaft, durch Selbstbeschränkung
Die Teilnahme ist wichtiger als der die Freiheit aller zu mehren; sie
Sieg. Aber der Sieg ist wichtig für kann nicht verordnet, wohl aber
die Teilnahme. muß sie geweckt und motiviert
Werner Schneyder
werden.
Willy Brandt, Briefe
Ohne das Salz der Niederlage sind
Solidarität ist das Bindeglied zwi¬
Siege ungenießbar.
schen Freiheit und Gerechtigkeit,
Peter Tille
denn nur durch solidarisches Ver¬
halten kann das Streben nach mög¬
lichst viel Gerechtigkeit in unserer
_Skandal
Gesellschaft in Einklang gebracht
Der Skandal fängt an, wenn die werden mit dem Bedürfnis nach
Polizei ihm ein Ende macht. möglichst viel individueller Frei¬
Karl Kraus heit.
Willy Brandt, Briefe

Solidarität ist die Zärtlichkeit der


_Skepsis
Völker.
Die Begeisterung ist das tägliche Ernesto Cardenal

733
Sommer Teil II

* Verbunden werden auch die _Sozialismus


Schwachen mächtig.
Sozialismus ohne Demokratie ist
Schiller, Wilhelm Teil
widersinnig und funktioniert nicht
einmal.
Willy Brandt, Erinnerungen
_Sommer

* Unser Sommer ist nur ein grün Was die Lreiheit uns gibt, stiehlt sie
angestrichener Winter. dem Sozialismus, und was der So¬
Heinrich Heine, Reisebilder 3
zialismus uns gibt, stiehlt er der
Lreiheit.
Werner Linck

_Sonderling Der SoziaYismus der Zukunft wird


Es gibt kaum einen Sonderling, der postindustrialistisch und antipro-
sich nicht für einen Individualisten duktivistisch sein, oder er wird
hielte. nicht sein.
Werner Mitsch Andre Gorz

Sozialismus und Lreiheit schließen


einander definitionsgemäß aus.
_Sorge
Lriedrich August von Hayek
* Sorge macht alt vor der Zeit.
Jesus Sirach 30,26 Beim heutigen Stand der Dinge ist
eben doch der Sozialismus die ein¬
Sorgen ertrinken nicht in Alkohol. zige Lehre, die an den Grundlagen
Sie können schwimmen. unserer falschen Gesellschaft und
Heinz Rühmann [* 1902]; Lebensweise wenigstens ernstlich
dt. Schauspieler Kritik übt.
Hermann Hesse
Wie einfach wäre das Leben, wenn
sich die unnötigen Sorgen von den Was der Sozialismus will, ist nicht
echten unterscheiden ließen! Eigentum aufheben, sondern im
Karl Heinrich Waggerl Gegenteil individuelles Eigentum,
auf Arbeit gegründetes Eigentum
erst einführen.
-Soziale Gerechtigkeit Lerdinand Lassalle [1825-1864];
dt. Politiker und Publizist
Ich war immer der Meinung, daß
soziale Gerechtigkeit, bis hinab Sozialismus ist nichts anderes als
zum Letzten und Niedrigsten, der pflichtgemäße Entschluß, den
durch Gewaltanwendung unmög¬ Kopf nicht mehr in den Sand
lich erreicht werden kann. himmlischer Dinge zu stecken,
Mahatma Gandhi sondern sich auf die Seite derer zu
schlagen, die der Erde einen Sinn
Der Staat sollte vorzüglich nur für geben. Menschensinn.
die Ärmeren sorgen. Die Reichen Thomas Mann
sorgen leider nur zu sehr für sich
selbst. Sozialismus meint nicht mehr Ver¬
Johann Gottfried Seume, änderung der menschlichen Ver¬
Apokryphen hältnisse, sondern wirtschaftliche

734
Teil II
Spiel

Entwicklung, Erhöhung des Le¬ Der Spezialist ist in seinem winzi¬


bensstandards und Benutzung der gen Weltwinkel vortrefflich zu
Arbeitskraft als Hebel im Kampf Hause; aber er hat keine Ahnung
um die Autarkie und die Weltherr¬ von dem Rest.
schaft. Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Octavio Paz, Essays I
Die direkte Folge des einseitigen
Spezialistentums ist es, daß heute,
_Soziologie obwohl es mehr „Gelehrte“ gibt als
je, die Anzahl der „Gebildeten“
viel kleiner ist als zum Beispiel
Soziologie ist der Mißbrauch einer
1750.
zu diesem Zweck erfundenen Ter¬
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
minologie.
Kurt Tucholsky
Der Spezialist will auf seinem Ge¬
biet eine fehlerfreie Welt. Aber die
Addition der Einzelmeinungen der
_Spaß
Spezialisten ist keine Politik, je¬
Es gibt keine Pflicht, sich selbst denfalls keine vernünftige und kei¬
den Spaß zu verderben und ande¬ ne gute.
ren vorzugaukeln, als mache Spaß, Manfred Rommel
was nur noch Gewohnheit ist.
Willy Brandt, Erinnerungen Die Fachleute sind immer böse,
wenn einem Laien etwas einfällt,
was ihnen nicht eingefallen ist.
_Spezialist John Steinbeck [1902-1968];
amerik. Schriftsteller
Ein Fachmann ist ein Mensch, der
zu reden anfängt, wenn er zu den¬
Die Menschheit ist zum Speziali¬
ken aufhört - und umgekehrt.
stentum in Wissenschaft und Ar¬
Umberto Eco [* 1932];
beit gelangt; heute verlangen die
ital. Schriftsteller
Teile zu ihrem eigenen Heil die
Vereinigung zu einem Ganzen.
Ich habe nichts gegen Fachleute.
Rudolf Steiner
Es wird immer welche geben. Es
wird zum Beispiel immer Chirur¬
gen geben. Man soll nur verhin¬
dern, daß sie eine Klasse oder eine
_Spiel
Kaste bilden, das heißt, nichts an¬
deres tun, als ihre Kompetenzen zu Spielen ist das dem Menschen in¬
pflegen und zu monopolisieren, newohnende Prinzip.
eine Quelle der Macht aus ihnen zu Edmund Burke [1729-1797];
machen. brit. Publizist und Politiker
Andre Gorz
Ernst ist Nichtspiel und nichts an¬
Man sollte die Spezialisierung deres. Der Bedeutungsinhalt von
nicht übertreiben, denn wenn man Spiel dagegen ist mit Nichternst
zu weit damit geht, wird man nie keineswegs definiert oder er¬
Generaldirektoren bekommen. schöpft erläutert.
Lee Iacocca Werner Finck

735
Sport Teil II

* Hoher Sinn liegt oft im kind’- weitergereichtes Gedicht kostbarer


schen Spiel. sein kann als Brot, nach dem in
Schiller, Thekla allen Revolutionen die Aufständi¬
schen geschrien haben.
Der Mensch spielt nur, wo er in Heinrich Böll
voller Bedeutung des Wortes
Mensch ist, und er ist nur da ganz Die Fähigkeit, sich klar auszudrük-
Mensch, wo er spielt. ken, ist die Voraussetzung dafür,
Schiller, Über die ästhetische andere zu beeinflussen.
Erziehung des Menschen Dale Carnegie

Aus der Art, wie das Kind spielt, Der Geist einer Sprache offenbart
kann man erahnen, wie es als Er¬ sich am deutlichsten in ihren un-
wachsener seine Lebensaufgabe er¬ übersetzlichen Worten.
greifen wird. Marie von Ebner-Eschenbach
Rudolf Steiner
Wer fremde Sprachen nicht kennt,
weiß nichts von seiner eigenen.
Goethe, Eigenes und
_Sport
Angeeignetes
Wer Sport treibt, erträgt sogar das
Kulturleben. Die alten Sprachen sind die Schei¬
Oliver Hassencamp den, darin das Messer des Geistes
steckt.
Einer Gesellschaft, die man damit Goethe, Zahme Xenien
unterhalten kann, daß zwei Men¬
schen einen Ball hin und her schla¬ Manche Pluralbildung bereichert
gen, ist alles zuzutrauen. die Sprache, schenkt ihr neue Nu¬
Manfred Rommel ancen - Ängste sind nicht so arg
wie Angst; eines Menschen
Ein gesunder Geist in einem gesun¬ Dummheiten müssen nicht auf ge¬
den Körper ist die Volksausgabe nereller Dummheit beruhen, von
einer verkörperten Vergeistigung. seinen Weisheiten läßt sich nicht
Werner Schneyder auf Weisheit schließen.
Johannes Gross

Die Sprache ist das Haus des Seins.


_Spott
Martin Heidegger
Wer den Schaden hat, darf für den [1889-1976];
Spott nicht sorgen. dt. Philosoph
Johann Jakob Wilhelm Heinse
Deutsch ist schon deshalb eine gu¬
Spott ist oft Geistesarmut. te Sprache, weil in ihr Mensch und
Jean de La Bruyere Mann nicht das gleiche sind. Die¬
sen Satz übersetzen.
Wolfgang Hildesheimer
-Sprache [1916-1991]; dt. Schriftsteller

Die Sprache kann der letzte Hort Wer die Sprache reinigt, ohne sie
der Freiheit sein. Wir wissen, daß zu bereichern, der schwächt sie.
ein Gespräch, daß ein heimlich Friedrich Georg Jünger

736
Teil II
Staat

Das ist das Fatalste an der Schrift¬ Sprache. Dumme wegen der Spra¬
stellerei, wenn einer sich einbildet, che nicht.
das Höchste des Dichtens bestehe Werner Schneyder
nicht im Dichten, sondern im Be¬
wußtsein, Sprache zu schreiben. * Die Sprache ist dem Menschen
Martin Kessel, Gegengabe gegeben, um seine Gedanken zu
verbergen.
Die Menschen haben, wie es Charles Maurice de Talleyrand
scheint, die Sprache nicht empfan¬ [1754-1838]; franz. Staatsmann
gen, um die Gedanken zu verber¬
gen, sondern um zu verbergen, daß Eine fremde Sprache kann man in
sie keine Gedanken haben. sechs Wochen erlernen, für die eig¬
Sören Kierkegaard ne reicht das Leben nicht.
Peter Tille

Die tödlichste Waffe des Men¬


schen ist die Sprache. Er ist für die Die Grenzen der Sprache sind die
Grenzen der Welt.
hypnotische Wirkung von Schlag¬
Ludwig Wittgenstein
worten ebenso anfällig wie für an¬
[1889-1951]; österr. Philosoph
steckende Krankheiten.
Arthur Koestler, Mensch

_Sprichwort
Die Sprache ist die Mutter, nicht
die Magd des Gedankens. Ein Sprichwort ist eine allgemein
Karl Kraus bekannte Weisheit, an die sich nie¬
mand hält.
Die Sprache ist der große Kanal, Wolfgang Herbst
durch den die Menschen einander
ihre Entdeckungen, Folgerungen Sprichwörter sind oft Dummhei¬
und Erkenntnisse vermitteln. ten, die im Laufe der Jahrhunderte
John Locke [1632-1704]; weise geworden sind.
engl. Philosoph Peter Tille

Ich sehe nicht ein, weshalb Spra¬


che Zwiesprache sein muß. Spra¬ __ Staat
che ist unter anderem auch Expres¬
Der Staat ist eine Notordnung ge¬
sion, durchaus nicht immer Kom¬
gen das Chaos.
munikation.
Gustav Heinemann [1899-1976];
Ludwig Marcuse
dt. Politiker

Die unmittelbare Wirklichkeit des Ein Staat ist die Vereinigung einer
Gedankens ist die Sprache. Menge von Menschen unter
Karl Marx Rechtsgesetzen.
Immanuel Kant
Mit jeder Sprache, die ausstirbt,
wird ein Bild des Menschen ausge¬ Der Staat ist eben auch nur ein
löscht. Menschengebilde - und kann ver¬
Octavio Paz, Essays II langen, daß wir ein bißchen nach¬
sichtig mit ihm sind.
Kluge verständigen sich mittels der Ludwig Marcuse

737
Staatsmann Teil II

Wenn die Repräsentanten dieses keit gestütztes Herrschaftsverhält¬


Staates etwas Dummes tun und ich nis von Menschen über Menschen.
mich als Bürger nicht davon be¬ Max Weber
troffen fühle, dann lebe ich in kei¬
nem demokratischen Staat.
Alexander Mitscherlich _Staatsmann

Der Staat ist eine kluge Veranstal¬ Ein Politiker denkt an die nächste
tung zum Schutze der Individuen Wahl; ein Staatsmann an die näch¬
gegeneinander. ste Generation.
Friedrich Nietzsche, James Freeman Clarke
Menschliches I [1810-1888];
amerik. Geistlicher
Sobald einer über die Staatsangele¬
genheiten sagt „Was geht’s mich Staatsmänner schweben mit beiden
an?“, muß man damit rechnen, daß Beinen fest über den Tatsachen.
der Staat verloren ist. Oliver Hassencamp
Jean-Jacques Rousseau,
Gesellschaftsvertrag
_Stadt
Wer sich in schlechten Zeiten den
Großstädter sind Leute, die vom
Staat ins Boot holt, wird ihn in gu¬
Land in die Stadt gezogen sind, um
ten Zeiten kaum mehr vom Steuer
hier so hart zu arbeiten, daß sie aus
verdrängen können.
der Stadt aufs Land ziehen kön¬
Walter Scheel [*1919];
nen.
dt. Politiker
George Mikes [* 1912];
brit. Schriftsteller ungar. Herkunft
Ein Staat kann nur dauern, wenn er
aus sich selber heraus Lebenskräfte
zu entwickeln vermag. Solche
Kräfte entstehen aber nur aus der _Standpunkt
Spannung widerstreitender Gewal¬ Ein Standpunkt sollte nicht nur
ten, und nur in dieser Spannung ist das sein, worauf man ständig ste¬
Freiheit möglich, und nur, wo Frei¬ hen bleibt.
heit ist, kann ein Volk gesund und Friedl Beutelrock
der Staat von Dauer sein.
Carlo Schmid
Nie tritt man anderen so auf die
Füße, wie wenn man den eignen
Wo ein einziger Mann den Staat er¬ Standpunkt vertritt.
halten kann, ist der Staat in seiner Karlheinz Deschner
Fäulnis kaum der Erhaltung wert.
Johann Gottfried Seume,
Apokryphen
_ Stärke

Der Staat ist, ebenso wie die ihm (auch T Schwäche)


geschichtlich vorausgehenden po¬
litischen Verbände, ein auf das * Der Starke ist am mächtigsten
Mittel der legitimen (das heißt: als allein.
legitim angesehenen) Gewaltsam¬ Schiller, Wilhelm Teil

738
Teil II
Stiftung

- Sterben Sein halbes Leben hatte er damit


Sorgt doch, daß ihr, die Welt ver¬ zugebracht, über das Sterben zu
lassend, nicht nur gut wart, son¬ philosophieren. Schließlich war er
dern verlaßt eine gute Welt! in der Theorie derart beschlagen,
Bertolt Brecht, Johanna daß er seine ganze zweite Lebens¬
hälfte lang hoffte, in der Praxis gar
Der Mensch ist das einzige Lebe¬ nicht erst geprüft werden zu müs¬
sen.
wesen, das weiß, daß es sterben
Wolfdietrich Schnurre,
wird. Die Verdrängung dieses Wis¬
sens ist das einzige Drama des Schattenfotograf
Menschen.
Friedrich Dürrenmatt
Wenn ich täglich befürchte, die um
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker mich sind, morgen nicht Wiederse¬
hen zu können, habe ich anders
Umgang mit ihnen, als wenn ich zu
Das Bewußtsein unserer Sterblich¬
wissen glaube, mich morgen schon
keit ist ein köstliches Geschenk,
wieder über sie ärgern zu müssen.
nicht die Sterblichkeit allein, die
Wolfdietrich Schnurre,
wir mit den Molchen teilen, son¬
Schattenfotograf
dern unser Bewußtsein davon. Das
macht unser Dasein erst mensch¬
lich. Sterben ist das Auslöschen der
Lampe im Morgenlicht, nicht das
Max Frisch, Tagebuch 1946-1949
Auslöschen der Sonne.
Rabindranath Tagore
Wenn dem Menschen am Ende sei¬
nes Lebens ein Lächeln übrig¬
Wir kümmern uns nicht, daß wir
bleibt, so ist das ein sehr anständi¬
nicht dagewesen sind, ehe wir ge¬
ger Reingewinn.
boren wurden. Warum uns küm¬
Horst Wolfram Geissler
mern, nicht mehr da zu sein, wenn
[1893-1983];
wir gestorben sind?
dt. Schriftsteller
Karl Julius Weber

Es ist eine der Unsinnigkeiten, aus


denen wir leben, daß wir Zeit zwar
mit Lust tilgen, wenn es aber daran _ Stern
geht, das Zeitliche ganz zu verlas¬
sen, und das ist doch die größte * Die Sterne, die begehrt man
Chance zum Löschen von Zeit, ge¬ nicht.
bärden wir uns wie die Kinder, die Goethe, Trost in Tränen
nicht zu Bett gehen wollen.
Erhärt Kästner * Die Sterne lügen nicht.
Schiller, Wallensteins Tod
Man stirbt, wie man lebte; das
Sterben gehört zum Leben, nicht
zum Tod.
_Stiftung
Ludwig Marcuse
Stiftungen sind Schweigegelder für
Sterben allein genügt nicht; man das Gewissen.
muß rechtzeitig sterben. Upton Sinclair [1878-1968];
Jean-Paul Sartre amerik. Schriftsteller

739
Stil Teil II

_Stil Wird Stolz sich seiner bewußt, so


ist er Eitelkeit.
Je höher die Stellung eines Vorge¬
Walther Rathenau
setzten, desto mehr Fehler darf er
machen. Und wenn er nur noch
Fehler macht, dann ist das sein Stil.
_Strafe
Fred Astaire [1899-1987];
amerik. Tänzer und Die Strafe, die züchtigt, ohne zu
Filmschauspieler verhüten, heißt Rache.
Albert Camus [1913-1960];
* Der Stil, das ist der Mensch. franz. Schriftsteller
Georges Louis Leclerc de
Buffon [1707-1788]; Alles wird uns heimgezahlt, wenn
franz. Naturforscher auch nicht von denen, welchen wir
geborgt haben.
Unter Stil verstehe ich die Fähig¬ Marie von Ebner-Eschenbach
keit, komplizierte Dinge einfach zu
sagen - nicht umgekehrt. An der Härte der Strafen erkennt
Jean Cocteau [1889-1963]; man die Schwäche des Regimes.
franz. Schriftsteller, Filmregisseur Martin Kessel, Gegengabe
und Graphiker
Keiner, der für eine Lüge geschla¬
Stil ist richtiges Weglassen des Un¬ gen wurde, hat dadurch die Wahr¬
wesentlichen. heit lieben gelernt.
Anselm Feuerbach Ellen Key [1849-1926]; schwed.
[1829-1880]; Pädagogin und Schriftstellerin
dt. Maler
Die Gesellschaft hat die Strafe er¬
Jedes Wort hat fließende Grenzen; funden, die Theologie die Hölle,
die Tatsache zu ästhetischer Wir¬ und für die Fälle, in denen die irdi¬
kung auszunützen ist das Geheim¬ sche Sühne ausbleibt und der
nis des Stils. Glaube ans Jenseits versagt, hat
Arthur Schnitzler unsere Feigheit die Reue erfunden.
Arthur Schnitzler
Der Stil ist die Physiognomie des
Geistes. Die christliche Lehre von der
Arthur Schopenhauer Nutzlosigkeit der Strafe und der
Gottlosigkeit der Rache hat trotz
Wenn einem Autor der Atem aus¬ ihrer einfachen Vernünftigkeit
geht, werden die Sätze nicht kür¬ nicht einen einzigen Menschen un¬
zer, sondern länger. ter allen Nationen bekehrt.
John Steinbeck [1902-1968]; George Bernard Shaw
amerik. Schriftsteller

_Strafrecht
_Stolz t Justiz
Ein stolzer Mensch verlangt von
sich das Außerordentliche, ein
_Streben
hochmütiger schreibt es sich zu.
Marie von Ebner-Eschenbach Die das Dunkel nicht fühlen, wer-

740
Teil II Sünde

den sich nie nach dem Lichte Um¬ cheren in leitenden Stellungen auf
sehen. die Mitarbeiter übertragen wird.
Henry Thomas Buckle Oliver Hassencamp

Wir sind nichts. Was wir suchen, ist Streß - das sind die Handschellen,
alles. die man ums Herz trägt.
Friedrich Hölderlin Helmut Qualtinger [1928-1986];
österr. Schriftsteller, Kabarettist
Sei mit dir nie zufrieden, außer et¬ und Schauspieler
wa episodisch, so daß deine Zu¬
friedenheit nur dazu dient, dich zu Die gewöhnliche Überbeschäfti¬
neuer Unzufriedenheit zu stärken. gung des modernen Menschen in
Christian Morgenstern allen Gesellschaftskreisen hat zur
Folge, daß das Geistige in ihm ver¬
kümmert.
_Streit Albert Schweitzer

Wenn zwei sich streiten, lächelt die


Nirgends strapaziert sich der
Wahrheit.
Mensch mehr als bei der Jagd nach
Hans Arndt
Erholung.
Laurence Sterne [1713-1768];
Nicht jene, die streiten, sind zu
engl. Schriftsteller
fürchten, sondern jene, die auswei-
chen.
Marie von Ebner-Eschenbach
_Sünde
Es hat keinen Sinn, mit Männern
Vermutlich gibt es Sünden, die
zu streiten, sie haben ja doch im¬
nicht als Sünden erkannt sind.
mer unrecht.
Zum Beispiel die, Gott anzuneh¬
Zsa Zsa Gabor [* 1919 oder 1920];
men, wie er ist. Er will verändert
amerik. Filmschauspielerin ungar.
werden.
Herkunft
Günter Eich

Wer streiten will, muß sich hüten,


bei dieser Gelegenheit Sachen zu Nicht die Sünde ist die Mutter der
sagen, die ihm niemand streitig Beichte, sondern umgekehrt.
Oliver Hassencamp
macht.
Goethe, Maximen und
Die Sünden sind die Pfeiler der Re¬
Reflexionen
ligion.
Nichts macht den Menschen so un¬ Hans Lohberger

verträglich wie das Bewußtsein, ge¬


nug Geld für einen guten Rechts¬ Im Alter bereut man vor allem die
Sünden, die man nicht begangen
anwalt zu haben.
Richard Widmark [*1914];
hat.
William Somerset Maugham
amerik. Filmschauspieler
[1874-1965]; brit. Schriftsteller

Sünde ist Gegenverkehr auf mora¬


_Streß
lischer Einbahnstraße.
Streß ist ein Bazillus, der von Unsi¬ Rudolf Rolfs

741
Sünder Teil II

_Sünder meinen, man könne dasselbe Tabu


immer wieder zertrümmern.
Es gibt zwei Arten von Menschen:
Jean Genet [1910-1986];
Gerechte, die sich für Sünder hal¬
franz. Schriftsteller
ten, und die andern Sünder, die
sich für Gerechte halten.
Die Tabuierung von Antworten ist
Blaise Pascal
nie so schlimm wie die Tabuierung
von Fragen.
Der einzige Unterschied zwischen
Ludwig Marcuse
dem Heiligen und dem Sünder ist,
daß jeder Heilige eine Vergangen¬
heit hat und jeder Sünder eine Zu¬
kunft. _Tadel
Oscar Wilde
Der herbste Tadel läßt sich ertra¬
gen, wenn man fühlt, daß derjeni¬
ge, der tadelt, lieber loben würde.
_Sympathie Marie von Ebner-Eschenbach

Nichts macht uns feiger und gewis¬ * Tadeln können zwar die Toren,
senloser als der Wusch, von allen aber besser machen nicht.
Menschen geliebt zu werden. Nach August Friedrich Ernst
Marie von Ebner-Eschenbach
Langbein [1757-1835];
dt. Schriftsteller
Was man Zuneigung nennt, ist in
Wirklichkeit nichts anderes als Ge¬ Der Tadel des Feindes ist das
wohnheit gewordene Sympathie. schönste Lob, die Verleumdungen
Jonathan Swift
des Feindes die schmeichelhafteste
Anerkennung.
Wilhelm Liebknecht [1826-1900];
_Sympathisant dt. Journalist und Politiker

Sympathisant: Wenn einer sagt, Tadle nichts Menschliches! Alles


das Volk hat ein Recht auf Braten, ist gut, nur nicht überall, nur nicht
dann ist er schuld an allen Einbrü¬ immer, nur nicht für alle.
chen bei den Metzgern. Novalis
Werner Schneyder
Für jeden berechtigten Tadel am
andern sollte man gleichzeitig eine
Eigenschaft suchen, um derentwil¬
len man ihn loben kann.
Frank Thiess

T -Tagebuch

Tagebuch - tägliche Aufzeichnung


_Tabu jener Teile eines Lebens, die man
sich selbst ohne zu erröten anver¬
Ein zerschlagenes Tabu ist kein Ta¬ trauen kann.
bu mehr. Es gibt aber Leute, die Ambrose Bierce

742
Teil II
Talent

_Takt Ein durchdachter Angriffsplan


Takt besteht darin, daß man weiß, schließt die Rückzugsmöglichkeit
ein.
wieweit man zu weit gehen darf.
Hans Kasper, Abel
Jean Cocteau [1889-1963];
franz. Schriftsteller, Filmregisseur
Taktik ist ein Modewort für Hin¬
und Graphiker
terlist.
Rudolf Rolfs
Takt ist die Fähigkeit, einem ande¬
ren auf die Beine zu helfen, ohne
ihm dabei auf die Zehen zu treten. _Taktlosigkeit
Curt Goetz
Taktlosigkeit ist der lästigste und
Takt ist der Verstand des Herzens. widerwärtigste der menschlichen
Karl Gutzkow Fehler; denn du kannst dich nicht
verteidigen, nicht einmal durch
Takt erfordert vor allem Phantasie. Grobheit.
Man muß viele Möglichkeiten der Anselm Feuerbach [1829-1880];
fremden Seele überschauen, viele dt. Maler
Empfangsmöglichkeiten, und da¬
nach, was man geben kann, ein¬
richten. _Talent
Christian Morgenstern Mit fünfundzwanzig Jahren kann
jeder Talent haben. Mit fünfzig
Toleranz heißt: die Fehler der an¬
Jahren Talent zu haben, darauf
deren entschuldigen. Takt heißt:
kommt es an.
sie nicht bemerken.
Edgar Degas [1834-1917];
Arthur Schnitzler
franz. Maler

Heucheln, das Wort klingt Der Genius weist den Weg, das
schlecht, drum nennt man’s Takt. Talent geht ihn.
Carl Spitteler [1845-1924]; Marie von Ebner-Eschenbach
Schweiz. Schriftsteller
Der beste Teil des Talentes ist viel¬
leicht das Glück, mit den Großen
_Taktik/Strategie aller Zeiten in den stillen Geheim¬
bund getreten zu sein.
Angesichts von Hindernissen mag
Gerhart Hauptmann
die kürzeste Linie zwischen zwei
Punkten die krumme sein. Talent ist oft ein Charakterfehler.
Bertolt Brecht, Galilei Karl Kraus

Das Geheimnis auch der großen Talent haben - Talent sein: das
und umwälzenden Aktionen be¬ wird immer verwechselt.
steht darin, den kleinen Schritt her¬ Karl Kraus
auszufinden, der zugleich auch ein
strategischer Schritt ist, indem er Mir tut es allemal weh, wenn ein
weitere Schritte einer bessern Mann von Talent stirbt, denn die
Wirklichkeit nach sich zieht. Welt hat dergleichen nötiger als
Gustav Heinemann [1899-1976]; der Himmel.
dt. Politiker Georg Christoph Lichtenberg

743
Tanz Teil II

Talente sind Genies, die von außen _Tätigkeit


her befruchtet werden, Genies Ta¬
* Die Tat ist alles, nichts der Ruhm.
lente, die aus sich selbst Früchte
Goethe, Faust II
tragen.
Hans Lohberger
Taten lehren den Menschen, und
Taten trösten ihn.
Mit einem Talent ist man auch das
Johann Heinrich Pestalozzi,
Opfer seines Talents.
Schriften
Friedrich Nietzsche,
Nachlaß Tätigkeit ist der wahre Genuß des
Lebens, ja das Leben selbst.
Das Talent arbeitet, das Genie August Wilhelm Schlegel
schafft.
Robert Schumann Der einzige Weg, der zum Wissen
führt, ist Tätigkeit.
Das Genie entdeckt die Frage. Das George Bernard Shaw
Talent beantwortet sie.
Karl Heinrich Waggerl
_Täuschung

* Sucht nur die Menschen zu ver¬


_Tanz wirren, sie zu befriedigen ist
Tanzen ist die Poesie des Fußes. schwer.
John Dryden Goethe, Faust I
[1631-1700];
Man kann alle Leute einige Zeit
engl. Dichter und Literaturkritiker
zum Narren halten und einige Leu¬
Tänze: die Kunst, wo die Beine te allezeit; aber alle Leute allezeit
denken, sie seien der Kopf. zum Narren halten kann man
Stanislaw Jerzy Lec
nicht.
Abraham Lincoln [1809-1865];
Der Tanz ist das stärkste Aus¬ 16. Präsident der USA
drucksmittel der menschlichen
Die Menschen sind so einfältig
Seele.
und hängen so sehr vom Eindrücke
Thomas Niederreuther
des Augenblickes ab, daß einer,
der sie täuschen will, stets jeman¬
den Findet, der sich täuschen läßt.
_Tapferkeit Niccolö Machiavelli

Vollendete Tapferkeit besteht dar¬ [1469-1527]; italien. Politiker,


in, ohne Zeugen zu tun, was man Schriftsteller und
vor aller Welt zu tun vermöchte. Geschichtsschreiber
Francois de La Rochefoucauld

_Technik
Aufrichtigkeit ist wahrscheinlich
die verwegenste Form der Tapfer¬ Technik ist wie ein Messer. Man
keit. kann damit morden oder damit
William Somerset Maugham Brot schneiden.
[1874-1965]; Norbert Blüm [* 1935];
brit. Schriftsteller dt. Politiker

744
Teil II Teufel

Ich bin überzeugt, daß die Men¬ licher Arbeit zu befreien. Heute ha¬
schen von den Ergebnissen ihrer ben wir uns das Leben derart er¬
Leistungsfähigkeit überfordert leichtert und uns derart „befreit“,
werden. daß wir an der Erleichterung ster¬
Günter Grass [* 1927]; ben. Herzinfarkt wegen mangeln¬
dt. Schriftsteller der körperlicher Betätigung.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Die Entwicklung der Technik ist
bei der Wehrlosigkeit vor der Tech¬
nik angelangt. _Technologie
Karl Kraus
Haben wir denn derart jeden Ma߬
Der Mensch muß versuchen, die stab verloren, daß wir glauben, der
Entwicklung der Technik geistig zu Mensch müsse sich neuen Techno¬
beherrschen. Nur der Einsatz logien anpassen, statt daß wir als
höchster Menschlichkeit könnte Vorbedingung jeder neuen Tech¬
die Gefahr der Technik bannen. nologie fordern, daß sie dem Men¬
Gertrud von Le Fort schen angepaßt sein müsse?
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Der Mensch hat angesichts der ge¬
waltigen technischen Umwälzun¬
gen mit seiner inneren Entwick¬ _Terror
lung nicht Schritt gehalten, und da¬
In allen Staaten, in denen Terror
her verfehlt er, sie geistig zu mei¬
herrscht, ist das Wort fast noch
stern.
mehr gefürchtet als bewaffneter
Emil Oesch, Menschen
Widerstand, und oft ist das letzte
die Folge des ersten.
Jeder Zuwachs an Technik be¬
Heinrich Böll
dingt, wenn damit ein Zuwachs
und nicht eine Schmälerung des
Der Terror braucht drei Verbünde¬
menschlichen Glücks verbunden
te, um mächtig zu werden: Die
sein soll, einen entsprechenden Zu¬
Allesversteher, die Drumherumste¬
wachs an Weisheit.
her, die Zuspätweiner.
Bertrand Russell, Moral
Hans Kasper, Revolutionäre

Jeder Terror rechtfertigt sich mit


_Techniker objektiven Notwendigkeiten. Um
so mehr gilt es, unbeirrt subjektiv
Menschen, die von einer neuen Er¬ zu sein.
findung nur die guten Seiten sehen Kurt Marti
wollen, nennt man Techniker.
Werner Mitsch

_Teufel
Um den Teufel zu beweisen, haben
_Technikfolgen sie ihn in den Hexen und Ketzern
Die Technik soll dazu dienen, dem verfolgt und damit in sich bewie¬
Menschen das Leben zu erleich¬ sen.
tern und ihn von schwerer körper¬ Hermann Schweppenhäuser

745
17 Duden 12
Theologen Teil II

_Theater ne Vermutungen, Hypothesen; von


uns gemachte Netze, mit denen wir
Das Theater darf nicht danach be¬
die wirkliche Welt einzufangen
urteilt werden, ob es die Gewohn¬
versuchen.
heiten seines Publikums befriedigt,
Karl R. Popper
sondern danach, ob es sie zu än¬
dern vermag.
Bertolt Brecht, Politik auf dem
Theater _Tiefe

Ein Theater ist ein Unternehmen, Die Tiefe der Dinge ist ihre Ober¬
das Abendunterhaltung verkauft. fläche.
Bertolt Brecht, Weniger Gips Günter Eich

Der eigentliche Skandal unseres Was Rednern an Tiefe fehlt, erset¬


hochsubventionierten Theatersy¬ zen sie durch Länge.
stems besteht darin, daß es von den Montesquieu, Gedanken
Steuermillionen der Kommunen
und Länder zwar lebt, d. h. von al¬ Wer unter die Oberfläche dringt,
len Bürgern mitfinanziert wird, tut es auf eigene Gefahr.
letztlich aber zur ästhetischen Be¬ Oscar Wilde
dürfnisanstalt einer minoritären
Bevölkerungsschicht degeneriert
ist.
Michael Schneider _Tier

Tiere sind schon darum merkwür¬


diger als wir, weil sie ebensoviel er¬
_Theologen lebt haben, es aber nicht sagen
Theologen lassen oft die Wahrheit können. Ein sprechendes Tier wäre
nicht mehr als ein Mensch.
verdorren. Sie haben die Wahrheit
Elias Canetti
im Kopf, aber sie erreichen die
Herzen nicht, weil sie zu wenig die
Wirklichkeit suchen. Kein Zweifel, der Hund ist treu.
Franz Alt Aber sollen wir uns deshalb ein
Beispiel an ihm nehmen? Er ist
doch dem Menschen treu und
nicht dem Hund.
_Theorie
Karl Kraus
* Grau, teurer Freund, ist alle
Theorie und grün des Lebens gold- Eine der größten Unverfrorenhei¬
ner Baum. ten des Menschen ist, dies oder je¬
Goethe, Faust I nes Tier mit Emphase falsch zu
nennen, als ob es ein noch falsche¬
Die Theorie sollte nie vergessen, res Wesen gäbe in seinem Verhält¬
daß sie nichts weiter ist als ange¬ nis zu den anderen Wesen als der
wandte Praxis. Mensch.
Gabriel Laub Christian Morgenstern

Unsere Theorien sind unsere Erfin¬ Daß uns der Anblick der Tiere so
dungen. Sie sind nie mehr als küh¬ ergötzt, beruht hauptsächlich dar-

746
Teil II
Tod

auf, daß es uns freut, unser eigenes Seite Auferstehung heißt.


Wesen so vereinfacht vor uns zu Romano Guardini [1885- 1968];
sehn. dt. kath. Religionsphilosoph und
Arthur Schopenhauer Theologe ital. Herkunft

Auf das Tier angewendet, heißt die


Am Schluß ist das Leben nur eine
Ehrfurcht vor dem Leben zu¬
Summe aus wenigen Stunden, auf
nächst : das Töten der Tiere sei kein
die man zulebte. Sie sind; alles an¬
Schauspiel und kein Sport.
dere ist nur ein langes Warten ge¬
Albert Schweitzer
wesen.
Erhärt Kästner

_Titel
Gäbe es das Wort „Tod“ in unse¬
Titel sind tiefe Gräben um die Fe¬ rem Sprachschatz nicht, wären die
stung Mensch. großen Werke der Literatur nie ge¬
Hans Arndt schrieben worden.
Arthur Koestler, Mensch
Einen Namen hat man, wenn man
seine Titel wegläßt, weil sie ihn Der Tod kommt nur einmal, und
verkleinern würden. doch macht er sich in allen Augen¬
Sigmund Graff blicken des Lebens fühlbar. Es ist
herber, ihn zu fürchten, als ihn zu
Titel zeichnen den Mittelmäßigen
erleiden.
aus, bringen den Hochstehenden
Jean de La Bruyere
in Verlegenheit und werden vom
Tiefstehenden herabgesetzt.
Wir gehören einer Zivilisation an,
George Bernard Shaw
die zwar den Tod industriell zu
produzieren, nicht aber zu integrie¬
ren versteht.
_Tod
Kurt Marti
Es gibt für die Menschen, wie sie
heute sind, nur eine radikale Der Tod geht zwei Schritte hinter
Neuigkeit - und das ist immer die dir. Nütze den Vorsprung und lebe.
gleiche: der Tod. Werner Mitsch
Walter Benjamin
Der Tod ist die Ruhe, aber der Ge¬
Das, was wir Tod nennen, ist in
danke an den Tod ist der Störer
Wahrheit der Anfang des Lebens.
jeglicher Ruhe.
Thomas Carlyle
Cesare Pavese

Jeder Augenblick im Leben ist ein


Da man in das Leben sich hat fü¬
Schritt zum Tode hin.
gen müssen, wieviel leichter sollte
Corneille, Titus und Berenice
man sich in den Tod fügen können.
Die eigentliche Antwort ist immer Wilhelm Raabe
der Tod.
Günter Eich Wer den Tod fürchtet, hat das Le¬
ben verloren.
Der Tod ist die uns zugewandte Johann Gottfried Seume,
Seite jenes Ganzen, dessen andere Apokryphen

747
17*
Todesstrafe Teil II

Das größte, wenn auch alltägliche niger bezeichnend für unsere Ge¬
Ereignis in der Geschichte ist die sittung, als daß sich Henker finden.
Geburt oder der Tod eines Men¬ Franz Werfel
schen. [1890-1945];
ALEKSANDER SwifTOCHOWSKI österr. Schriftsteller

Dies ist die wahrste aller Demokra¬


tien, die Demokratie des Todes. _Toleranz
Kurt Tucholsky
Verstand sieht jeden Unsinn, Ver¬
nunft rät, manches davon zu über¬
Wahrscheinlich ist keine Mensch¬
sehen.
heit je dem Tode gegenüber so rat¬
Wieslaw Brudzinski
los gewesen wie die heutige.
Carl Friedrich von Weizsäcker, Ignorieren ist noch keine Toleranz.
Geschichte Theodor Fontane [1819-1898];
dt. Schriftsteller

Toleranz ist immer das Zeichen,


_Todesstrafe daß sich eine Herrschaft als gesi¬
Die Menschheit verurteilt den ein¬ chert betrachtet.
zelnen zur Todesstrafe und begeht Max Frisch, Tagebuch 1946-1949
dadurch gegen ihn ein größeres
Verbrechen, als er gegen sie began¬ Toleranz ist das unbehagliche Ge¬
gen hat, indem sie ihm die Besse¬ fühl, der andere könne am Ende
rung unmöglich macht. vielleicht doch recht haben.
Friedrich Hebbel Robert Lee Frost [1874-1963];
amerik. Lyriker
Solange die Todesstrafe besteht,
Toleranz sollte eigentlich nur eine
atmet das ganze Strafrecht Blutge¬
vorübergehende Gesinnung sein:
ruch aus, trägt das ganze Strafrecht
Sie muß zur Anerkennung führen.
den Stempel der Grausamkeit, ist
Dulden heißt beleidigen.
das ganze Strafrecht mit dem Ma¬
Goethe, Maximen und
kel der rächenden Vergeltung be¬
Reflexionen, Nachlaß
haftet.
Gustav Radbruch
Toleranz der meisten: Sie haben
nichts dagegen, wenn sich ihnen ei¬
Mord und Todesstrafe sind nicht
ne Ameise in den Weg stellt.
Gegensätze, die einander aufhe-
Sigmund Graff
ben, sondern Ebenbilder, die ihre
Art fortpflanzen. Toleranz darf nicht bestehen ge¬
George Bernard Shaw
genüber der Intoleranz, wenn diese
nicht als ungefährliche, private
Der Mord auf dem Schafott ist die Verschrobenheit gleichgültig be¬
ärgste Form des Mordes, weil er handelt werden darf. Es darf keine
dort mit der Zustimmung der Ge¬ Freiheit geben zur Zerstörung der
sellschaft vollbracht wird. Freiheit.
George Bernard Shaw Karl Jaspers

Daß es die Todesstrafe gibt, ist we¬ Es kommt für uns Ältere nicht dar-

748
Teil II Tourismus

auf an, die neue Jugend zu widerle¬ Bewahre uns der Himmel vor dem
gen und irgendwie abzutun, son¬ „Verstehen“. Es nimmt unserm
dern sie zu verstehen und sie, so¬ Zorn die Kraft, unserm Haß die
weit wir irgend können, erkennend Würde, unserer Rache die Lust
lieben zu lernen. und noch unserer Erinnerung die
Hermann Hesse Seligkeit.
Arthur Schnitzler
Wenn der andre sich mit allen sei¬
nen Fehlern, die er noch besser Um sanft, tolerant, weise und ver¬
kennt als ich, erträgt, warum sollte nünftig zu sein, muß man über
ich ihn nicht ertragen? eine gehörige Portion Härte ver¬
Jean Paul fügen.
Peter Ustinov
Toleranz ist ein Beweis des Mi߬
trauens gegen ein eigenes Ideal.
Friedrich Nietzsche, Nachlaß

_Töten
Wer mit mir reden will, der darf
nicht bloß seine eigene Meinung Der Homo sapiens ist praktisch
hören wollen. einzigartig im Reich der Lebewe¬
Wilhelm Raabe sen, was das Fehlen instinktiver
Schutzvorkehrungen gegen das Tö¬
Toleranz wird oft mit Meinungslo- ten von Artgenossen betrifft.
sigkeit verwechselt. Aber nicht der Arthur Koestler, Mensch
Meinungslose ist tolerant, sondern
der, der eine Meinung hat, aber es Wenn ein Mensch einen Tiger tö¬
anderen zubilligt, eine abweichen¬ ten will, spricht er von Sport. Wenn
de Meinung zu haben und diese ein Tiger einen Menschen tötet, ist
auch zu sagen. das Grausamkeit.
Manfred Rommel George Bernard Shaw

Wenn die Welt erlöst werden soll,


müssen die Menschen edel sein,
ohne Grausamkeit, voller Glauben _Tourismus
und für die Wahrheit empfänglich,
Begeisterung für große Ziele füh¬ Wir brauchen keinen dritten Welt¬
len, ohne die zu hassen, die ihnen krieg. Wir haben Kapitalismus,
darin Widerstand leisten. Kommunismus und Tourismus.
Bertrand Russell, Schriften Oliver Hassencamp

Um einen Schmetterling lieben zu Die Deutschen werden nicht besser


können, müssen wir auch ein paar im Ausland, wie das exportierte
Raupen mögen. Bier.
Antoine de Saint-Exupery Heinrich Heine, Gedanken
[1900-1944]; franz. Schriftsteller
Man müßte in dieser Welt das
Toleranz heißt: die Fehler der an¬ Leben lang ein Tourist sein. Den
deren entschuldigen. Takt heißt: Touristen zeigt man ja nur das,
sie nicht bemerken. was sehenswürdig ist.
Arthur Schnitzler Gabriel Laub

749
Tradition Teil II

_Tradition Tradition ist nicht das Bewahren


der Asche, sondern das Schüren
Vollen Klang hat eine Wahrheit
der Flamme.
nur, wenn sie aus der Fülle der ge¬
Jean Jaures [1859-1914];
lebten und angeeigneten Tradition
franz. Philosoph und Politiker
heraus verkündet wird.
Hans Urs von Balthasar
Nicht in der Nachahmung der Tra¬
dition, in der Auseinandersetzung
Begreifen wir endlich, daß der
emotionale Kult der Tradition nur mit ihr liegt der Gewinn.
Martin Kessel, Ehrfurcht
eine Form unserer geistigen Faul¬
heit ist.
Stanislaw Brzozowski Tradition ist die Methode, die ver¬
hindern will, daß Kinder ihre El¬
Die Tradition ist eine Ausdehnung tern übertreffen.
des Wahlrechts. Tradition heißt, Ephraim Kishon [* 1924];
der unbekanntesten aller Klassen - israel. Schriftsteller
unseren Vorfahren - Stimmen zu
geben. Tradition ist die Demokra¬ Tradition ist die sublimste Form
tie der Toten. der Nekrophilie.
Gilbert K. Chesterton Hans Kudszus

Die Demokratie gebietet uns, die Der oft unüberlegten Hochachtung


Meinung eines guten Menschen gegen alte Gesetze, alte Gebräuche
nicht in den Wind zu schlagen, und alte Religion hat man alles
selbst wenn er unser Stallknecht Übel in der Welt zu verdanken.
ist. Die Tradition bittet uns, die Georg Christoph Lichtenberg
Meinung eines guten Menschen
nicht in den Wind zu schlagen,
selbst wenn es unser Vater ist. Tradition ist die Behauptung, daß
Gilbert K. Chesterton
das Gesetz bereits seit uralten Zei¬
ten bestanden habe.
Friedrich Nietzsche, Umwertung
Alles Alte, soweit es Anspruch dar¬
auf hat, sollen wir lieben, aber für
das Neue sollen wir recht eigent¬ Traditionen sind Bleisohlen.
lich leben. Rudolf Rolfs
Theodor Fontane [1819-1898];
dt. Schriftsteller Das sicherste Zeichen dafür, daß
mit einem Volksgebrauch etwas
Tradition ist die gewaltsame Fort¬ nicht in Ordnung ist, sind Lehrer¬
setzung einer abgeschlossenen Ge¬ und Pfarrervereinigungen zu seiner
schichte. Konservierung.
Wolfgang Herbst Kurt Tucholsky

Tradition ist gesiebte Vernunft des Tradition ist bewahrter Fortschritt,


gesamten Volkes aus einem Jahr¬ Fortschritt ist weitergeführte Tra¬
hundert in das andere. dition.
Ricarda Huch [1864-1947]; Carl Friedrich von Weizsäcker,
dt. Schriftstellerin Einheit

750
Teil II
Treue

-Trägheit Nenne dich nicht arm, weil deine


Die Trägheit ist das Zentralhaus im Träume nicht in Erfüllung gegan¬
weitläufigen Gebäudekomplex der gen sind; wirklich arm ist nur, der
Dummheit. nie geträumt hat.
Heimito von Doderer Marie von Ebner-Eschenbach

Der Traum ist der beste Beweis,


daß wir nicht so fest in unserer
_Tränen
Haut eingeschlossen sind, als es
Frühe Tränen machen hart. scheint.
Sigmund Graff Friedrich Hebbel

* O ein Gott ist der Mensch, wenn


_Trauer er träumt, ein Bettler, wenn er
nachdenkt.
Wie kann man einen Menschen be¬
Friedrich Hölderlin, Hyperion
klagen, der gestorben ist? - Dieje¬
nigen sind zu beklagen, die ihn ge¬ Die Träume der Welt haben zwei
liebt und verloren haben. Feinde: die Welt und die Träumer.
Helmuth Graf v. Moltke
Hans Kasper, Revolutionäre
[1800-1891]; preuß.
Generalfeldmarschall Träume sind Wirklichkeiten, die
nicht enden wollen, und Wirklich¬
keiten sind Träume, die zu Ende
_Traum, Träumen sind.
Zwischen „es träumte mir“ und Hans Lohberger

„ich träumte“ liegen die Weltalter.


Was man nicht träumen kann, hat
Aber was ist wahrer? So wenig die
keine Wirklichkeit.
Geister den Traum senden, so we¬
Hans Erich Nossak, Spirale
nig ist es das Ich, das träumt.
Theodor W. Adorno

Unsere Träume können wir erst _Trennung


dann verwirklichen, wenn wir uns (auch t Abschied)
entschließen, einmal daraus zu er¬
wachen. Es macht Liebenden nichts aus,
Josephine Baker [1906-1975]; durch Länder und Meere getrennt
franz. Tänzerin und Sängerin zu sein: unerträglich ist für sie nur
eine Wand oder eine Zimmertüre.
Umsonst fürchten wir die Träume; Sigmund Graff
der schrecklichste Traum ist nichts,
verglichen mit dem Leben. In jeder Art von Liebe sollte auch
Stanislaw Brzozowski immer ein wenig Trennung und
Absonderung sein.
Wenn einer allein träumt, dann Rabindranath Tagore
bleibt es ein Traum. Wenn aber wir
alle gemeinsam träumen, dann
wird es Wirklichkeit.
_Treue
Helder Camara [* 1909];
brasilian. kath. Theologe Eben weil Treue die schönste Ei-

751
Trinken Teil II

genschaft eines liebenden Herzens, Essen ist ein Bedürfnis des Ma¬
ein echtes Wunder, ist, kann sie nie gens, Trinken ein Bedürfnis des
zur Pflicht gemacht werden, und Geistes.
eben weil sie nicht Pflicht ist, ist sie Claude Tillier [1801-1844];
da, wo sie in ihrer Herrlichkeit er¬ franz. Schriftsteller
scheint, so verehrungswürdig.
Ernst von Feuchtersleben

_Trost
Die Treue eines Tieres würde uns
nicht rühren, wenn die Treue unter Trost - Wissen, daß ein besserer
den Menschen häufiger wäre. Mensch noch unglücklicher ist.
Sigmund Graff Ambrose Bierce

Treue ist, meist nur noch, die zur Trost und Rat sind oft die Abwehr
Moral erstarrte Liebe von gestern. eines Nichtbetroffenen gegen das
Hans Lohberger Leid eines Betroffenen.
Ludwig Marcuse
Wer sich selbst treu bleiben will,
kann nicht immer anderen treu Alles hat zwei Seiten. Das ist das
bleiben. Gute am Schlechten und das
Christian Morgenstern Schlechte am Guten.
Werner Mitsch

__ Trinken
_ Trotz
Trinke, wenn du glücklich bist, nie¬
mals wenn du unglücklich bist. Der Trotz ist die einzige Stärke des
Gilbert K. Chesterton Schwachen - und eine Schwäche
mehr.
Wenn du das Trinken aufgeben Arthur Schnitzler
willst, schau dir mit nüchternen
Augen einen Betrunkenen an.
Chinesisches Sprichwort
_Tugend
Toren besuchen im fremden Land Wir verlangen sehr oft nur deshalb
die Museen, Weise gehen in die Tugenden von anderen, damit un¬
Tavernen. sere Fehler sich bequemer breitma¬
Erhärt Kästner chen können.
Marie von Ebner-Eschenbach
* Zuviel kann man wohl trinken,
doch nie trinkt man genug. Von allen Tugenden die schwerste
Gotthold Ephraim Lessing, und seltenste ist die Gerechtigkeit.
Antwort eines trunkenen Dichters Man findet zehn Großmütige ge¬
gen einen Gerechten.
Die besten Vergrößerungsgläser Franz Grillparzer
für die Freuden der Welt sind die,
aus denen man trinkt. Unter den nützlichen Tugenden
Joachim Ringelnatz steht die falsche Bescheidenheit
[1883-1934]; obenan.
dt. Schriftsteller und Maler Johannes Gross

752
Teil II
Übertreibung

Unsere Tugenden sind meist nur Um größere Übel zu vermeiden,


verkappte Laster. muß man kleinere auf sich neh¬
Francois de La Rochefoucauld men.
Martin Luther
Man muß die Fehler, die man nicht
ablegen kann, in Tugenden ver¬
wandeln. -Überheblichkeit
Cesare Pavese
Wer sich überhebt, verrät, daß er
noch nicht genug nachgedacht hat.
Die Tugend besteht nicht im Ver¬
Christian Morgenstern
zicht auf das Laster, sondern darin,
daß man es nicht begehrt.
Wer auf andere nicht mehr ange¬
George Bernard Shaw
wiesen zu sein glaubt, wird uner¬
träglich.
Die drei größten Tugenden: Neid¬
Vauvenargues [1715-1747];
losigkeit, Furchtlosigkeit, Geduld.
franz. Schriftsteller
Wer sie besitzt, hat den ersten
Schritt zur Weisheit getan. Mit dem Wind, den man selber
Frank Thiess macht, lassen sich die Segel nicht
füllen.
Tugenden! Wer weiß, was Tugen¬ Karl Heinrich Waggerl
den sind, du nicht, ich nicht, nie¬
mand.
Oscar Wilde _Überleben

Der Wille zum Überleben ist der


Tyrann aller Tyrannen.
_Tyrann Ludwig Marcuse

Der Tyrann ist ein Gemisch aus Die Menschheit kam immer noch
Feigheit, Borniertheit, Willkür, einmal davon. Die Opfer nicht ein¬
Unverantwortlichkeit und Selbst¬ gerechnet.
gefälligkeit. Er repräsentiert also Heinrich Wiesner
wirklich die Majorität.
Gabriel Laub

_Überlegenheit

Manche anspruchsvolle Überle¬


genheit wird zunichte, wenn man
sie nicht anerkennt, manche schon
wirkungslos, wenn man sie nicht
bemerkt.

u Chamfort

_Übertreibung
_Übel
* Die Freuden, die man übertreibt,
Die kleineren Übel sind meist von verwandeln sich in Schmerzen.
längerer Dauer. Friedrich Justin Bertuch
Wieslaw Brudzinski [1747-1822]; dt. Schriftsteller

753
Überzeugung Teil II

* Allzu straff gespannt, zerspringt nommen hat, sagt er: Man ist doch
der Bogen. auch nur ein Mensch! Wenn er
Schiller, Wilhelm Teil aber wie ein Vieh behandelt wird,
sagt er: Man ist doch auch ein
Mensch!
Karl Kraus
_Überzeugung

Ehe wir uns anschicken, andere zu Höflichkeit ist Klugheit, folglich


überzeugen, müssen wir selbst ist Unhöflichkeit Dummheit.
überzeugt sein. Arthur Schopenhauer
Dale Carnegie

Besonders, wenn wir durch unsere


Rede überzeugen wollen, ist es un¬ _Umkehr
umgänglich, daß wir unsere Mei¬ Die große Schuld des Menschen
nung mit der inneren Glut vortra¬
ist, daß er in jedem Augenblick die
gen, die von echter Überzeugung
Umkehr tun kann und nicht tut.
gespeist wird.
Martin Buber
Dale Carnegie

Die wirkliche Treue, die wir unse¬


ren Überzeugungen schulden, be¬ _Umwelt
steht darin, jeden Morgen zu über¬
prüfen, ob ihre Wahrheiten andau¬ Wem lediglich ein unvollständiges,
ern. unscharfes, grundsätzlich nur am
Hans Kasper, Revolutionäre Gesichtspunkt biologischer Über¬
lebensfähigkeit unter natürlichen
Überzeugungen sind gefährlichere Umständen orientiertes Abbild der
Feinde der Wahrheit als Lügen. Welt zur Verfügung steht, sollte mit
Friedrich Nietzsche, seinen Ansprüchen viel kürzertre¬
Menschliches I ten, als wir es getan haben.
Hoimar von Ditfurth

Ich glaube, daß die anderen


_Umgangsformen
Schwierigkeiten, in denen unser
Gute Manieren bestehen aus lauter Planet steckt, so groß werden, daß
kleinen Opfern. die Atomfrage in den Hintergrund
Ralph Waldo Emerson tritt.
[1803-1882]; amerik. Philosoph Friedrich Dürrenmatt
und Schriftsteller [1921-1990]; Schweiz. Dramatiker

Umgangsformen sind Formen, die Wir alle sind Passagiere an Bord


zunehmend umgangen werden. des Schiffes Erde, und wir dürfen
Oliver Hassencamp nicht zulassen, daß es zerstört wird.
Eine zweite Arche Noah wird es
Feine Leute sind solche, die nur in nicht geben.
feiner Umgebung ordinär werden. Michail Gorbatschow [* 1931];
Wolfgang Herbst Sowjet. Politiker

Wenn einer sich wie ein Vieh be¬ In Sachen Umweltschutz sind die

754
Teil II
Unfähigkeit

meisten Regierungen kriminelle Nichts ist verächtlicher als ein


Vereinigungen. brausender Jünglingskopf mit
Oliver Hassencamp grauem Haar.
Gotthold Ephraim Lessing,
Die Menschen müssen begreifen, Emilia Galotti
daß sie das gefährlichste Ungezie¬
fer sind, das je die Erde bevölkert
hat.
Friedensreich Hundertwasser -Unbescheidenheit
[* 1928]; österr. Maler
Es ist manchmal eine Unbeschei¬
und Graphiker
denheit, nicht von sich zu spre¬
chen.
Während der Flug zu den Sternen
Robert Musil
des Alls zahlreiche begeisterte An¬
hänger findet und unglaubliche
Summen verschlingt, bereitet unse¬
re Zeit den Untergang des eigenen _Unbesonnenheit
Sternes, unserer Erde, vor.
Gertrud von Fe Fort
Unbesonnen: unempfänglich für
unseren wertvollen Rat.
Wir haben uns die Erde nicht un¬ Ambrose Bierce

terworfen. Wir haben ihr nur tiefe


Wunden geschlagen. * Schnell fertig ist die Jugend mit
Johannes Mario Simmel [* 1924]; dem Wort.
dt. Schriftsteller Schiller, Wallensteins Tod

_Unabhängigkeit _Undankbarkeit
Demokratie und Unabhängigkeit Nur bei den Tieren kann man si¬
sind komplementäre und vonein¬ cher rechnen, daß sie desto besser
ander untrennbare Wirklichkeiten: gegen mich sind, je besser ich ge¬
Die erste verlieren heißt die letzte¬ gen sie bin, bei Menschen nicht, ja
re verlieren und umgekehrt. oft umgekehrt.
Octavio Paz, Essays II Jean Paul

Die Undankbarkeit ist eine Toch¬


__Unbeherrschtheit ter des Stolzes.
Miguel Cervantes Saavedra
Es ist ein Grundirrtum, Heftigkeit
[1547-1616];
und Starrheit Stärke zu heißen.
span. Dichter
Thomas Carlyle

* Durch Heftigkeit ersetzt der Ir¬


rende, was ihm an Wahrheit und
_Unfähigkeit
an Kräften fehlt.
Goethe, Torquato Tasso Ein Talent vermag aus einem
Sandkorn einen Berg zu machen,
Fahre nicht aus der Haut, wenn du die Unfähigkeit aus einem Berg ein
kein Rückgrat hast. Sandkorn.
Stanislaw Jerzy Lec Aleksander Swietochowski

755
Unfreiheit Teil II

_Unfreiheit de nur so schwer, wie man es


nimmt.
Es werden so viele schöne Worte
Marie von Ebner-Eschenbach
über Freiheit geredet, aber nichts
in der Welt macht so unfrei wie Ar¬
Das meiste Unglück der Menschen
mut.
besteht eigentlich nur darin, daß
Martin Andersen-Nex0
sie sich mit Händen und Füßen ge¬
Bei den wenigsten Gefängnissen gen das Kreuz, das sie tragen sollen
sieht man die Gitter. und tragen müssen, stemmen und
wehren.
Oliver Hassencamp
Jeremias Gotthelf [1797-1854];
Die Nöte des Menschen sind ohne Schweiz. Erzähler
Zahl. Und doch kann ihm nichts
Schlimmeres zustoßen als der Ver¬ Unglück ist eine Probe auf die Zu¬
lust der Freiheit. verlässigkeit des Menschen.
Ho Chi Minh Ho Chi Minh

Das Fehlen der Möglichkeit per¬ Würde man Unglücke an der


sönlicher Initiative ist eine der gro¬ Wand aufhängen, so griffe doch je¬
ßen Gefahren der modernen Welt. der nach seinem, um es zu tragen.
Es führt zu Apathie, zu einem Ge¬ Jüdisches Sprichwort
fühl der Ohnmacht und von daher
zum Pessimismus. Man muß das Unglück mit Hän¬
Bertrand Russell, Schriften den und Füßen, nicht mit dem
Maul angreifen.
Johann Heinrich Pestalozzi,
_Ungeduld Schriften

Ungeduld setzt immerhin Zur¬ Es ist ein Unglück, nie Unglück ge¬
kenntnisnahme der Endlichkeit habt zu haben!
voraus: Man drängt, weil man ge¬ Karl Julius Weber
drängt wird. Unsterblich wäre ich
die Geduld in Person. Zwischen Unglück haben und un¬
Wolfdietrich Schnurre,
glücklich sein ist, Gott sei Dank,
Schattenfotograf
ein himmelweiter Unterschied.
Karl Julius Weber
Ungeduld ist die einzige Eigen¬
schaft der Jugend, deren Verlust
man im Alter nicht beklagt.
Frank Thiess _Universität

Ungeduld ist Angst, ist nicht Ver¬ Die Universität steht um so höher,
trauen. je mehr Studenten sich nicht allein
Stefan Zweig [1881-1942]; am Gängelbande der Studienord¬
österr. Schriftsteller nung führen lassen, sondern ihrem
Genius folgen, der ihnen Weisung
gibt auf ihren Weg.
Karl Jaspers
_Unglück

Im Grunde ist jedes Unglück gera¬ Universitäten sind weniger eine

756
Teil II
Unschuld

Auslese von Intelligenz als von Kein Mensch hat öfter unrecht als
Eitelkeit. der, der es nicht ertragen kann, un¬
Gerhard Zwerenz [* 1925]; recht zu haben.
dt. Schriftsteller Francois de La Rochefoucauld

Die eigentliche Aufgabe eines


Freundes ist, dir beizustehen, wenn
_Universum du im Unrecht bist. Jedermann ist
Das Universum ist vollkommen. Es auf deiner Seite, wenn du im Recht
bist.
kann nicht verbessert werden. Wer
Mark Twain
es verändern will, verdirbt es. Wer
es besitzen will, verliert es.
In den Abgründen des Unrechts
Laotse
findest du immer die größte Sorg¬
falt für den Schein des Rechts.
Zwei Dinge sind unendlich, das
Johann Heinrich Pestalozzi,
Universum und die menschliche
Kinderlehre
Dummheit, aber bei dem Univer¬
sum bin ich mir noch nicht ganz * Unrecht leiden schmeichelt gro¬
sicher. ßen Seelen.
Albert Einstein [1878-1955]; Schiller, Don Carlos
amerik. Physiker dt. Herkunft
Wer Unrecht einfach hinnimmt,
fügt ein weiteres hinzu.
Peter Tille
_Unrecht
Sie ( = die Menschen) gebrauchen
Wer nicht fähig ist, über ein priva¬
ihren Verstand nur, um ihr Unrecht
tes Unrecht, das ihm geschehen ist,
zu rechtfertigen, und ihre Sprache
zornig zu werden, der wird schwer
allein, um ihre Gedanken zu ver¬
kämpfen können. Wer nicht fähig
bergen.
ist, über andern angetanes Unrecht
Voltaire
zornig zu werden, der wird nicht
für die große Ordnung kämpfen
können. _Unschuld
Bertolt Brecht, Buch der
Es wachsen Glaube und Unschuld
Umwälzung
nur am Baume der Kindheit noch;
jedoch sie währen nicht.
Das Recht des Stärkeren ist das
Dante Alighieri
stärkste Unrecht.
Marie von Ebner-Eschenbach Wer zu handeln versäumt, ist noch
keineswegs frei von Schuld. Nie¬
Nichts lernen wir so spät und ver¬ mand erhält seine Reinheit durch
lernen wir so früh, als zugeben, daß Teilnahmslosigkeit.
wir unrecht haben. Siegfried Lenz [* 1926];
Marie von Ebner-Eschenbach dt. Schriftsteller

Das Unrecht triumphiert, sobald * Wohl dem, der frei von Schuld
die Gerechtigkeit ihren Lauf und Fehle bewahrt die kindlich
nimmt. reine Seele.
Martin Kessel, Gegengabe Schiller, Die Kraniche des Ibikus

757
Unsterblichkeit Teil II

_Unsterblichkeit der Arbeitgeber soll mehr tun als


seine Pflicht.
Niemand, der lebte, lebte nur sein
Marie von Ebner-Eschenbach
eigenes Leben. Nicht Götter gaben
dem Menschen die Unsterblich¬
Wirklich motivierend ist nur die
keit. Solange noch ein einziger
Inspiration, die vom Unternehmer
Mensch auf Erden lebte, war die
ausgeht, der sich selbst und einen
Menschheit unsterblich.
möglichst großen Teil der mit ihm
Manes Sperber
Zusammenwirkenden mit „Sinn
und Ziel“ dessen, was sie zusam¬
men unternehmen, identifiziert.
Oswald von Nell-Breuning
_Unterdrückung

Das Tier mag nicht auf den Men¬


schen treten; auf den Menschen _Unterricht
tritt nur immer der Mensch. t Lehren
Gertrud von Le Fort

Die freie Wahl der Herren schafft _Unterwürfigkeit


die Herren oder die Sklaven nicht
ab. Die glücklichen Sklaven sind die
Herbert Marcuse erbittertsten Feinde der Freiheit.
Marie von Ebner-Eschenbach
Es geht nicht darum, den techni¬
Wer sich zum Wurm macht, kann
schen Fortschritt aufzuhalten oder
nachher nicht klagen, wenn er mit
zu drosseln, sondern darum, dieje¬
Füßen getreten wird.
nigen seiner Züge zu beseitigen,
welche die Unterwerfung des Men¬
Immanuel Kant
schen unter den Apparat und die
Sklaverei ist kein Rechts-, sondern
Steigerung des Kampfes ums Da¬
ein Geisteszustand.
sein verewigen.
Gabriel Laub
Herbert Marcuse
Es gibt hohe Stellungen, die man
Der Gott, den Jesus zu verkünden am leichtesten in gebückter Hal¬
kam, war alles andere als neutral. tung erreicht.
Er ergriff die Partei der Unter¬ Robert Lembke
drückten, der Armen, der Ausge¬
beuteten, nicht weil sie heiliger Es gibt Leute, die meinen, man hul¬
oder moralisch besser waren als ih¬ dige dem Genie nicht genug, wenn
re Unterdrücker. Nein, er stand man ihm nicht den eigenen Ver¬
einzig und allein auf ihrer Seite, stand und die eigene freie Meinung
weil sie unterdrückt waren. opfert.
Desmond Tutu Aleksander Swi§tochowsk.i

_Untreue
-Unternehmer
Das Hauptmotiv für den Ehebruch
Der Arbeiter soll seine Pflicht tun; ist das Verlangen nach dem unver-

758
Teil II Unwahrheit

bindlichen, ja dem anonymen Ur- Unvernunft sprechen sie weit


erlebnis. leichter aus, weil dabei weit weni¬
Otto Flake ger Gefahr ist.
Johann Gottfried Seume,
Untreue ist oft nichts als ein Man¬ Apokryphen
gel an Phantasie.
Hans Krailsheimer

Sind wir einer Liebe überdrüssig, _Unverstand


ist es uns hochwillkommen, wenn Der Unverstand ist die unbesieg¬
man uns untreu wird, um unserer barste Macht auf der Erde.
Treuepflicht entbunden zu sein. Anselm Feuerbach [1829-1880];
Francois de La Rochefoucauld dt. Maler

Untreue: nichts dem Ehegatten zu Der Widerstand gegen Vernunft


sagen haben, weil man schon alles und Barmherzigkeit seitens jener,
jemand anderem gesagt hat. in deren Händen die Macht liegt,
Fran^oise Sagan [* 1935];
macht unglücklicherweise alle
franz. Schriftstellerin Überredung mittels üblicher Me¬
thoden schwierig und langwierig,
so daß wir vermutlich alle tot sein
_Untugend werden, bevor unser Ziel erreicht
Untugenden, die ein einzelner hat, ist.
nennt man Laster. Untugenden, Bertrand Russell, Schriften
die ein ganzes Volk hat, nennt man
Mentalität.
Werner Mitsch _Unvollkommenheit

* Wo viel Licht ist, ist auch starker


Schatten.
_Unvernunft
Goethe, Götz von Berlichingen
Zeige ihnen einen roten Kometen¬
schweif, jage ihnen eine dumpfe Auch die Sonne hat ihre Flecken.
Angst ein, und sie werden aus ih¬ Die Hauptsache ist aber schlie߬
ren Häusern laufen und sich die lich: sie strahlt.
Beine brechen. Aber sage ihnen ei¬ Martin Kessel, Ehrfurcht
nen vernünftigen Satz und beweise
ihn mit sieben Gründen, und sie
werden dich einfach auslachen. _Unwahrheit
Bertolt Brecht, Galilei
Immer wieder behauptete Un¬
Zwar hat die menschliche Unver¬ wahrheiten werden nicht zu Wahr¬
nunft nicht zugenommen. Ruinös heiten, sondern, was schlimmer ist,
angestiegen ist jedoch die Zahl der zu Gewohnheiten.
Unvernünftigen. Oliver Hassencamp
Hoimar von Ditfurth
Eines der Merkmale geistiger Mit¬
Viele Menschen haben doch wohl telmäßigkeit ist der stete Hang, un¬
in sich viel Vernunft, aber nicht wahre Dinge zu erzählen.
den Mut, sie auszusprechen; die Jean de La Bruyere

759
Unwissenheit Teil II

_Unwissenheit tes Training für den Aufenthalt in


der Hölle.
Die Unwissenheit ist eine Situati¬
George Bernard Shaw
on, die den Menschen ebenso her¬
metisch abschließt wie ein Gefäng¬
nis.
_Urteil
Simone de Beauvoir [1908-1986];
franz. Schriftstellerin Das Urteil, das man über die Dinge
fällt, ändert sich je nach der Zeit,
Es gibt mystischen Nebel, doch die man noch zu leben hat - die
ebenso gibt es einen Nebel der Un¬ man glaubt, noch zu leben zu ha¬
wissenheit, dem alles, was er nicht ben.
versteht, bereits mystisch vor¬ Andre Gide, Tagebuch
kommt und damit abgetan ist.
Ernst Bloch Nächst einem richtigen Urteile
sind die Diamanten und die Perlen
Verhältnis von Lebensalter und das Seltenste, was es auf der Welt
Unwissen: Welche mathematische gibt.
Kurve ergibt das? Trotz Zuwachs Jean de La Bruyere
an Wissen schnellt die Kurve mit
dem Lebensalter: das Unwissen Über Personen urteilen heißt gro¬
wird unendlich. teske Bilder von ihnen zeichnen.
Max Frisch, Montauk Cesare Pavese

Wir haben die Welt, das heißt den Man urteilt über andere nicht so
Kosmos einschließlich unserer ei¬ falsch wie über sich selbst.
genen Physis „entzaubert“ und da¬ Vauvenargues [1715-1747];
mit den Bereich unseres Wissens, franz. Schriftsteller
noch mehr allerdings unseres
Nicht-Wissens, unserer Unwissen¬
heit, unvorstellbar erweitert. _Utopie
Oswald von Nell-Breuning
Was man heute als Sciene-fiction
beginnt, wird man morgen viel¬
leicht als Reportage zu Ende
_Unzufriedenheit
schreiben müssen.
Aus dem Guten kommt das Besse¬ Norman Mailer [* 1923];
re, aus dem Besseren das Beste und amerik. Schriftsteller
aus dem Besten die Unzufrieden¬
heit. Es ist ein bedrohliches Zeichen,
Werner Mitsch daß alle Utopien der jüngeren Zeit
pessimistisch sind.
Wir denken selten an das, was wir Carlo Schmid
haben, aber immer an das, was uns
fehlt. Es ist ja durchaus richtig, und alle
Arthur Schopenhauer geschichtliche Erfahrung bestätigt
es, daß man das Mögliche nicht er¬
reichte, wenn nicht immer wieder
in der Welt nach dem Unmögli¬
_Urlaub
chen gegriffen worden wäre.
Urlaub ohne Unterlaß wäre ein gu¬ Max Weber

760
Teil II Veränderung

Heutzutage ist kaum etwas realisti¬ -Verachtung


scher als Utopien.
Thornton Wilder Verachtung - Gefühl eines vor¬
sichtigen Mannes für einen Geg¬
ner, der allzu mächtig ist, als daß
man ihm gefahrlos entgegentreten
_Utopist könnte.
Ambrose Bierce
Ein Utopist kann ein Mann sein,
der zu wollen wagt, was noch kei¬
Verachtung verdient nur der, der es
nen Präzedenzfall gehabt hat. Aber
besser weiß, aber schlechter tut.
auch ein Mann, der es sich leistet,
Stanislaw Brzozowski
alles auszuklammem, was der Uto¬
pie im Wege steht.
Ludwig Marcuse
-Veränderung

Alles Leben steht unter dem Para¬


dox, daß wenn es beim alten blei¬
ben soll, es nicht beim alten blei¬
ben darf.
Franz von Baader [1765-1841];

V dt. kath. Theologe u. Philosoph

Gerade wer das Bewahrenswerte


bewahren will, muß verändern,
_Vater was der Erneuerung bedarf.
Willy Brandt, Briefe
♦Vater werden ist nicht schwer,
Vater sein dagegen sehr. Man weiß nie, was daraus wird,
Wilhelm Busch, Tobias Knopp wenn die Dinge verändert werden.
Aber weiß man denn, was draus
Es gibt keine guten Väter, das ist wird, wenn sie nicht verändert wer¬
die Regel; die Schuld daran soll den?
man nicht den Menschen geben, Elias Canetti
sondern dem Band der Vaterschaft,
das faul ist. Dies ist die riesige moderne Irrleh¬
Jean-Paul Sartre re: die Menschenseele zu ändern,
um sie den Verhältnissen anzupas¬
sen, anstatt die Verhältnisse zu än¬
dern, um sie der Menschenseele
_Vaterland
anzupassen.
Vaterland nennt sich der Staat im¬ Gilbert K. Chesterton
mer dann, wenn er sich anschickt,
auf Menschenmord auszugehen. Bevor man die Welt verändert, wä¬
Friedrich Dürrenmatt re es vielleicht doch wichtiger, sie
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker nicht zugrunde zu richten.
Paul Claudel [1868-1955];
Das „Vaterland“ ist der Alpdruck franz. Dichter und Diplomat
der Heimat.
Kurt Tucholsky Wer will, daß die Welt so bleibt,

761
Veränderung Teil II

wie sie ist, der will nicht, daß sie kommt aber darauf an, sie zu ver¬
bleibt. ändern.
Erich Fried [1921-1988]; Karl Marx
österr. Schriftsteller
Es hat zu allen Zeiten mehr Welt-
Unerquicklich ist es, mit dir zu veränderer gegeben als Weltver¬
streiten, wenn du nur verteidigen besserer.
willst, was du bist, was du warst Werner Mitsch
und immer zu bleiben gedenkst.
Was soll ich streiten, wenn ich Wir brauchen nicht so fortzuleben,
nicht hoffen kann, dich zu ändern! wie wir gestern gelebt haben.
Karl Gutzkow Macht Euch nur von dieser An¬
schauung los, und tausend Mög¬
Es hilft nichts, das Unvollkomme¬ lichkeiten laden uns zu neuem
ne heutiger Wirklichkeit zu höhnen Leben ein.
oder das Absolute als Tagespro¬ Christian Morgenstern
gramm zu predigen. Laßt uns statt
dessen durch Kritik und Mitarbeit Ihr müßt die Menschen lieben,
die Verhältnisse Schritt für Schritt wenn ihr sie verändern wollt.
ändern. Johann Heinrich Pestalozzi,
Gustav Heinemann [1899-1976]; Schriften
dt. Politiker
Ich gebe zu, daß jede Gewalt von
Der Mensch ist ein zeitliches We¬ Gott kommt. Aber auch jede
sen, das nur lebt, indem es seine Krankheit kommt von ihm: Heißt
Welt um sich wandelt. das etwa, deshalb sei es verboten,
Karl Jaspers den Arzt zu rufen?
Jean-Jacques Rousseau,
Gesellschaftliche Veränderung Gesellschaftsvertrag
fängt immer mit Außenseitern an,
die spüren, was notwendig ist. * Das Alte stürzt, es ändert sich die
Robert Jungk [* 1913]; österr. Zeit, und neues Leben blüht aus
Wissenschaftspublizist und den Ruinen.
Zukunftsforscher Schiller, Wilhelm Teil

Ich kann freilich nicht sagen, ob es Die besten Reformer, die die Welt
besser wird, wenn es anders wird; je gesehen hat, sind die, die bei sich
aber soviel kann ich sagen, es muß selbst anfangen.
anders werden, wenn es gut wer¬ George Bernard Shaw
den soll.
Georg Christoph Lichtenberg Nicht der Verzicht auf wissen¬
schaftliche Entdeckungen oder auf
Die Unterbindung des sozialen ihre Veröffentlichung ist die Lö¬
Wandels ist vielleicht die hervor¬ sung, sondern die Veränderung der
stechendste Leistung der fortge¬ politischen Weltordnung, die, so
schrittenen Industriegesellschaft. wie sie heute ist, einen Mißbrauch
Herbert Marcuse wissenschaftlicher Erkenntnisse
nahezu erzwingt.
*Die Philosophen haben die Welt Carl Friedrich von Weizsäcker,
nur verschieden interpretiert; es Einheit

762
Teil II Verbrechen

-Veranlagung Wer sich von der Strömung eines


Die Menschen sind in ihren Anla¬ günstigen Laufs der Ereignisse
gen alle gleich, nur die Verhältnis¬ forttreiben läßt, unempfindlich ge¬
se machen den Unterschied. gen die Gefahr und Drohung, die
Georg Christoph Lichtenberg
noch in der heitersten Stunde lau¬
ern, versagt vor der Verantwor¬
Jedes menschliche Wesen ist schon tung, zu der er berufen ist.
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
bald nach den ersten Tagen, nach¬
dem es das Licht der Welt erblickt
Der Gegensatz zur Pflicht ist nicht
hat, das Produkt zweier Faktoren:
die Pflichtlosigkeit, sondern die
der angeborenen Veranlagung und Verantwortung.
der Einwirkung der Umwelt ein¬ Hans A. Pestalozzi, Auf die
schließlich der Erziehung. Bäume
Bertrand Russell, Moral
Freiheit bedeutet Verantwortlich¬
keit; das ist der Grund, weshalb die
meisten Menschen sich vor ihr
_Verantwortung
fürchten.
Demokratisches Bewußtsein der George Bernard Shaw
Bürger gedeiht nur in einer Gesell¬
schaft, in der freie Selbstverant¬ Hinter jedem einzelnen, der sich
wortung und gesellschaftliche Ver¬ opfert, stehen andere, die opfert er
pflichtung in allen relevanten Be¬ mit - ohne sie zu fragen, ob sie es
reichen gelten. wollen.
Manes Sperber
Willy Brandt, Briefe

Sorgt doch, daß ihr, die Welt ver¬


_Verbot
lassend, nicht nur gut wart, son¬
dern verlaßt eine gute Welt! Das Gefährliche an den Verboten:
Bertolt Brecht, Johanna daß man sich auf sie verläßt, daß
man nicht darüber nachdenkt,
Echte Verantwortung gibt es nur wann sie zu ändern wären.
da, wo es wirklich Antworten gibt. Elias Canetti
Martin Buber
Wer das Fest verbietet, bereitet die
Der Preis der Größe heißt Verant¬ Orgie vor.
wortung. Thomas Niederreuther
Winston Churchill [1874-1965];
Jedes Verbot verschlechtert den
brit. Staatsmann
Charakter bei denen, die sich ihm
nicht willentlich, sondern gezwun¬
Zur geistigen Urheberschaft. War¬
gen unterwerfen.
um, in aller Welt, sind die Richter
Friedrich Nietzsche,
angesehener als die Henker?
Nachlaß
Johannes Gross

Das Kernstück der Persönlich¬


_Verbrechen
keitsbildung ist die Erziehung des
Sinnes für Verantwortung. Jedes Verbrechen hat zwei Grund¬
Emil Oesch, Menschen lagen: die biologische Veranlagung

763
Verbrecher Teil II

eines Menschen und das soziale Wer vor seiner Vergangenheit


Milieu, in dem er lebt. flieht, verliert das Rennen.
Kurt Tucholsky T. S. Eliot [1888-1965];
amerik.-engl. Schriftsteller

_Verbrecher * Liegt dir Gestern klar und offen,


wirkst du heute kräftig frei.
Der größte Verbrecher übt immer Goethe, Zahme Xenien
einen unmeßbar kleinen Teil der
Verbrechen aus, deren er als Alles, was man gemeinhin Vergan¬
Mensch und von Natur aus fähig genheit nennt, ist im Grunde nur
ist. eine leiser und dunkler gewordene
Wilhelm Raabe Art von Gegenwart.
Gertrud von Le Fort

_Verdienen Sich seiner Vergangenheit bewußt


zu sein, heißt Zukunft haben.
Gehalt erhalten heißt gehalten
Hans Lohberger
werden.
Bert Berkensträter
Die Vergangenheit sollte ein
Sprungbrett sein, nicht ein Sofa.
Verdienen - Anspruch auf etwas
Harold Macmillan
haben, was ein anderer bekommt.
[1894-1986];
Ambrose Bierce
brit. Politiker
Wenn man von den Leuten Pflich¬
Die Vergangenheit kann uns nicht
ten fordert und ihnen keine Rechte
sagen, was wir tun, wohl aber, was
zugestehen will, muß man sie gut
bezahlen. wir lassen müssen.
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Goethe, Maximen und
Reflexionen
Wenn man sich nicht an die Ver¬
gangenheit erinnern kann, ist man
verurteilt, sie zu wiederholen.
_Verführung
George Santayana
Alle großen Verführer wissen, daß [1863-1952];
Diskretion Voraussetzung des Er¬ amerik. Philosoph und Dichter
folges ist. Die selbstauferlegte span. Herkunft
Schweigepflicht der wahren Frau¬
enhelden ist kaum weniger streng Wer vor der Vergangenheit die
als die der Ärzte. Augen verschließt, wird blind für
Andre Maurois die Gegenwart.
[1885-1967]; Richard von Weizsäcker
franz. Schriftsteller

-Vergänglichkeit
-Vergangenheit
* Ach, wie bald schwindet Schön¬
Jede Zufluchtsstätte der Vergan¬ heit und Gestalt.
genheit ist ein Gefängnis. Wilhelm Hauff [1802-1827];
Stanislaw Brzozowski dt. Schriftsteller

764
Teil II
Verleumdung

-Vergeben selten dort, wo man es sucht.


David Lloyd George
Vergeben und vergessen heißt kost¬
bare Erfahrungen zum Fenster hin¬ [1863-1945]; brit. Politiker
auswerfen.
Manches Vergnügen besteht darin,
Arthur Schopenhauer
daß man mit Vergnügen darauf
verzichtet.
Peter Rosegger [1843-1918];
-Vergessen
österr. Schriftsteller
Das Vergessen kann eine große
produktive Tat sein. Die unerträglichste Qual wird
Hans Arndt durch die Verlängerung des grö߬
ten Vergnügens hervorgerufen.
Jemanden vergessen wollen heißt George Bernard Shaw
an ihn denken.
Jean de La Bruyere
_Verleger
Erst wenn man einen Menschen
vergessen hat, ist er richtig tot. Der Verleger schielt mit einem Au¬
Werner Mitsch ge nach dem Schriftsteller, mit dem
andern nach dem Publikum. Aber
Man vergißt nur das, was man das dritte Auge, das Auge der
schon vergessen hatte, als es ge¬ Weisheit, blickt unbeirrt ins Porte¬
schah. Du erinnerst dich an nichts monnaie.
als an innere, geschlossene Zustän¬ Alfred Döblin
de.
Cesare Pavese Verleger scheinen mir auch oft wie
Fischer; unwissend, was Glück
Vergessenkönnen ist das Geheim¬ und Zufall bringen, werfen sie ihre
nis ewiger Jugend. Wir werden alt Netze aus, und es fängt sich aller¬
durch Erinnerung. hand großes und kleines Gesindel,
Erich Maria Remarque bis denn einmal das schwere Ge¬
[1898-1970]; dt. Schriftsteller wicht einen seltenen Gast verheißt
und der Fischer hocherfreut einen
Vergeben und vergessen heißt kost¬ kostbaren Schatz aus der Tiefe
bare Erfahrungen zum Fenster hin¬ zieht.
auswerfen. Robert Schumann
Arthur Schopenhauer
Als Verleger verdient man das mei¬
Eine der kostbarsten Eigenschaf¬ ste Geld mit dem Neinsagen.
ten ist das Vergessen des Gemei¬ Ralph Maria Siegel [* 1911];
nen. Wer sie nicht besitzt, trägt alle dt. Schlagerkomponist, Sänger
Taschen voller Steine. Er wird bald und Musikverleger
auch nichts Wertvolles mehr hin¬
einstecken können.
Frank Thiess _Verleumdung

Sich von einem ungerechten Ver¬


dacht reinigen wollen, ist entweder
_Vergnügen
überflüssig oder vergeblich.
Man findet das Vergnügen nur sehr Marie von Ebner-Eschenbach

765
Verlust Teil II

Laß die Menschen reden, was sie jüngst erworbene Fertigkeiten ist
wollen. Du weißt ja die Art des sie in die Lage versetzt worden,
ganzen Geschlechts, daß es lieber ihre einstigen Vorstellungen zu ver¬
beunruhigt und hetzt, als tröstet wirklichen.
und aufrichtet. Bertrand Russell, Moral
Goethe, an Christiane Vulpius

Verleumdung ist die Erleichterung __Vernunft


der Bösartigkeit.
Der Aberglaube an die automati¬
Joseph Joubert
sche Wirkung der Einsicht kommt
außerhalb der schematischen Pro¬
Wenn deine Gegenwart makellos
paganda nur noch bei alten Mathe¬
ist, so untersucht man deine Ver¬
matiklehrern vor.
gangenheit.
Ernst Bloch
Georg Christoph Lichtenberg

Verstand sieht jeden Unsinn, Ver¬


Verleumdung ist der schlechte
nunft rät, manches davon zu über¬
Atem der Feigheit. Die meisten de¬
sehen.
nunzieren nicht aus Haß, sondern
Wieslaw Brudzinski
aus Furcht, selbst denunziert zu
werden. Es gibt Fälle, in denen vernünftig
Frank Thiess
sein feige sein heißt
Marie von Ebner-Eschenbach

_Verlust Was vernünftig ist, das ist wirklich;


und was wirklich ist, das ist ver¬
* Viel kann verlieren, wer gewinnt. nünftig.
August Wilhelm Schlegel, Arion
Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Was einem genommen wird, dem Die höchste Vernunft spricht nicht
soll man nicht nachweinen, das ist nur die Sprache des bloßen Ver¬
verloren für immer. Nur was man standes, sondern sie spricht auch
gibt, bekommt man mitunter zu¬ die Sprache ihrer Mutter, der Lie¬
rück. be, welche der Anfang aller Dinge
Karl Heinrich Waggerl ist und darum auch der Anfang
aller Erkenntnis.
Gertrud von Le Fort
_Vernichtung
Wenn jedoch die Kraft, die die
Bisher mußte der Mensch mit dem menschliche Aktivität bestimmt,
Gedanken an seinen sicheren per¬ nicht die Vernunft ist, bleibt der
sönlichen Tod leben. Jetzt hat er Mensch unter dem Niveau seiner
sich auch noch mit dem Gedanken eigenen Möglichkeiten.
an den möglichen Untergang der Robert S. McNamara [* 1916];
ganzen Menschheit abzufinden. amerik. Politiker
Arthur Koestler, Mensch
Die Vernunft formt den Menschen,
Es ist lange her, daß sich die das Gefühl leitet ihn.
menschliche Phantasie die Hölle Jean-Jacques Rousseau,
ausgemalt hat, aber erst durch ihre Bekenntnisse

766
Teil II Verstand

Da die Vernunft in der richtigen entzweien, ist viel sicherer und


Anpassung der Mittel an die Zwek- leichter.
ke besteht, kann sie nur von denen Jean Paul
bekämpft werden, die es für gut be¬
finden, daß die Menschen Mittel
wählen, mit denen sich ihre Zwek-
-Versprechungen
ke nicht verwirklichen lassen.
Bertrand Russell, Moral Die Jugend ist begeistert, wenn ihr
jemand sagt, man könne die Welt
schön und gerecht einrichten. Das
_Verrat aber ist eine Illusion. Wer der Ju¬
gend sagt, er hätte die Dinge „im
Tausend Feinde außerhalb des Griff1, täuscht sie. Niemand kann
Hauses sind besser als einer drin¬ andere Menschen und deren Wün¬
nen. sche „im Griff haben“.
Arabisches Sprichwort Friedrich August von Hayek

Verrat ist schlechter Dünger. Wer Kindern was verspricht, sei es


Bertolt Brecht, Arturo Ui ein Spiel, ein Geschenk oder sei es
die Rute, der halte es wie einen
Eid.
_Verschwendung Peter Rosegger [1843-1918];
österr. Schriftsteller
Geiz ist Grausamkeit gegen die
Dürftigen, und die Verschwendung
ist es nicht weniger.
Christian Fürchtegott Gellert _Verstand

Verstand ohne Gefühl ist un¬


menschlich. Gefühl ohne Verstand
_Verschwiegenheit ist Dummheit.
Verschwiegenheit ist eine Tugend, Egon Bahr [* 1922];

Schweigsamkeit kann eine sein, dt. Politiker


Verschweigen ist keine.
Wolfdietrich Schnurre,
Verstand sieht jeden Unsinn, Ver¬
Schattenfotograf nunft rät, manches davon zu über¬
sehen.
Wieslaw Brudzinski

_Versicherung Der Verstand, der uns nicht hin¬


Für Versicherungen ist es wichtig, dert, hie und da eine großherzige
daß die Furcht vor dem Versiche¬ Dummheit zu begehen, ist ein bra¬
rungsfall größer ist als die Wahr¬ ver Verstand.
scheinlichkeit, daß er eintritt. Marie von Ebner-Eschenbach
Manfred Rommel
Der Verstand und die Fähigkeit,
ihn zu gebrauchen, sind zwei ver¬
schiedene Gaben.
_Versöhnung
Franz Grillparzer
Nichts ist gefährlicher, als zwei
Menschen auszusöhnen. Sie zu Daß der Verstand erst mit den Jah-

767
Verstehen Teil II

ren kommt, sieht man nicht eher Alles verstehen heißt alles verzei¬
ein, als bis der Verstand und die hen - das wäre sehr edel gedacht
Jahre da sind. und gesagt. Nur schade, daß das
Jean Paul Verstehen neunundneunzig Mal
unter hundert aus Bequemlichkeit
Der Verstand ist das nächstliegen- und höchstens einmal aus Güte ge¬
de Werkzeug, mit dem der Mensch schieht.
rechnen kann. Arthur Schnitzler
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Bewahre uns der Himmel vor dem
Wer über gewisse Dinge den Ver¬ „Verstehen“. Es nimmt unserm
stand nicht verliert, der hat keinen Zorn die Kraft, unserm Haß die
zu verlieren. Würde, unserer Rache die Lust
Gotthold Ephraim Lessing, und noch unserer Erinnerung die
Emilia Galotti Seligkeit.
Arthur Schnitzler
Verstand ist wie Spargel; zu groß
gewachsen, taugt er nichts.
Aleksander Swietochowski _Verstellung

Wer nur mit dem Verstand lebt, hat Die Welt ist voll von Leuten, die
das Leben nicht verstanden! Wasser predigen und Wein trin¬
Gerd Uhlenbruck
ken.
Giovanni Guareschi [1908-1968];
ital. Schriftsteller

_Verstehen Wir gewöhnen uns so sehr daran,


Wenn die Menschen nur über das uns vor den anderen zu verstellen,
sprächen, was sie begreifen, dann daß wir uns schließlich vor uns
würde es sehr still auf der Welt selbst verstellen.
sein. Francois de La Rochefoucauld

Albert Einstein [1879-1955];


Manche Menschen geben sich
amerik. Physiker dt. Herkunft
mehr Mühe, ihre Klugheit zu ver¬
bergen als ihre Torheit.
Die Ungebildeten haben das Un¬
Jonathan Swift
glück, das Schwere nicht zu verste¬
hen, dagegen verstehen die Gebil¬
Zu fürchten sind die, die nicht sa¬
deten häufig das Leichte nicht, was
gen, was sie denken, und die nicht
ein noch viel größeres Unglück ist.
denken, was sie sagen.
Franz Grillparzer
Paul Valery [1871-1945];
franz. Schriftsteller
Nicht da ist man daheim, wo man
seinen Wohnsitz hat, sondern wo
man verstanden wird.
Christian Morgenstern -Versuchung

Feigheit ist der wirksamste Schutz


Nur der Mensch, der sich verstan¬ gegen die Versuchung.
den fühlt, ist bereit, sich verstehen Mark Twain
und führen zu lassen.
Emil Oesch, Menschen Widerstehe niemals der Versu-

768
Teil II Verzeihung

chung: prüfe alles und behalte das ster geworden ist, sollte er in einer
Gute. neuen Sache Schüler werden.
George Bernard Shaw Gerhart Hauptmann

* Ich kann allem widerstehen, nur Macht können wir durch Wissen
nicht der Versuchung. erlangen, aber zur Vollendung ge¬
Oscar Wilde langen wir nur durch die Liebe.
Rabindranath Tagore

_Vertrauen
-Verwandtschaft
Der Mensch, der nicht sich meint,
dem gibt man alle Schlüssel. Ich verabscheue meine Verwand¬
Martin Buber ten. Das kommt vermutlich daher,
daß unsereins es nicht ausstehen
Vertrauen ist Mut, und Treue ist kann, wenn andere Leute dieselben
Kraft. Fehler haben wie wir.
Marie von Ebner-Eschenbach Oscar Wilde

Das Vertrauen ist etwas so Schö¬


nes, daß selbst der ärgste Betrüger __Verzeihung
sich eines gewissen Respektes
Verzeihen ist keine Narrheit, nur
nicht erwehren kann vor dem, der
ein Narr kann nicht verzeihen.
es ihm schenkt.
Chinesisches Sprichwort
Marie von Ebner-Eschenbach
Wir sollen immer verzeihen: dem
Vertrauen ist die größte Selbstauf¬ Reuigen um seinetwillen, dem
opferung. Reuelosen um unseretwillen.
Friedrich Hebbel Marie von Ebner-Eschenbach

* Vertrauen ist gut, Kontrolle ist Der Mensch ist nie so schön, als
besser! wenn er um Verzeihung bittet oder
Nach Wladimir Iuitsch Lenin selbst verzeiht.
[1870-1924]; Sowjet. Politiker Jean Paul

Vertrauen ist das Gefühl, einem Im Verzeihen des Unverzeihlichen


Menschen sogar dann glauben zu ist der Mensch der göttlichen Liebe
können, wenn man weiß, daß man am nächsten.
an seiner Stelle lügen würde. Gertrud von le Fort
Henry Louis Mencken
Der Mensch braucht nicht alles zu
Zuviel Vertrauen ist häufig eine billigen; verzeihen muß er können.
Dummheit, zuviel Mißtrauen ist Thomas Niederreuther
immer ein Unglück.
Johann Nestroy Reue ist selten mehr als die Ein¬
sicht, daß irgendein Gewinn den
Preis nicht wert war, den man da¬
für bezahlen mußte. Verzeihung in
_Vervollkommnung
den meisten Fällen nichts als der
Sobald jemand in einer Sache Mei¬ schwachmütige Versuch, einen frü-

769
Verzweiflung Teil II

heren Zustand, der bequemer oder kann und daß die Lohnarbeit nicht
genußbringender war, wiederher¬ länger der Schwerpunkt des Le¬
zustellen, und wäre es selbst auf bens, ja nicht einmal die haupt¬
Kosten der Billigkeit, der Ehre und sächliche Tätigkeit eines jeden
der Selbstachtung. bleiben kann.
Arthur Schnitzler Andre Gorz

Wer seinen nächsten verurteilt, der


kann irren. Wer ihm verzeiht, der _Vollkommenheit
irrt nie.
Karl Heinrich Waggerl Warum Stillstand schon Rück¬
schritt ist? Aus dem sehr einfachen
Grund, weil alle Vollkommenheit
_Verzweiflung im Gehen selber besteht, in der Be¬
wegung hin-zu.
Die Verzweiflung ist eine Hyäne,
Hans Urs von Balthasar
die sich von der Leiche des Glau¬
bens nährt. Das Streben nach Vollkommenheit
Frank Thiess macht manchen Menschen voll¬
kommen unerträglich.
Wenn Menschen verzweifelt sind,
PearlS. Buck [1892-1973];
werden sie zur Durchsetzung ihrer
amerik. Schriftstellerin
Ziele verzweifelte Mittel anwen¬
den.
Jedes Meisterwerk ist auf seine Art
Desmond Tutu
konventionell. Es prunkt und
protzt nicht. Es ist seiner Mittel so
sicher, als wären sie schon immer
_Volk
vorhanden gewesen.
Nur der einzelne ist naturgewach¬ Martin Kessel, Ehrfurcht
sen, nicht das Volk. Das Volk ist
ein menschlicher Organisationsbe¬ Schon mancher, der die Vollkom¬
griff. menheit suchte, landete im Perfek¬
Carl von Ossietzky tionismus.
Werner Mitsch
Demokratie ist Volksherrschaft
nur in den Händen eines politi¬
schen Volkes, in den Händen eines _Vorbild
unerzogenen und unpolitischen
In dir muß brennen, was du in an¬
Volkes ist sie Vereinsmeierei und
deren entzünden willst.
kleinbürgerlicher Stammtisch¬
Aurelius Augustinus [354-430];
kram.
Bischof und Kirchenlehrer
Walther Rathenau

Aber da ich kurz zuvor gesagt


-Vollbeschäftigung habe, unsere Vorfahren sollten uns
zum Muster dienen, so gelte als er¬
Jede Politik, auf welche Ideologie ste Ausnahme, daß man nicht ihre
sie sich sonst auch berufen mag, ist Fehler nachahmen muß.
verlogen, wenn sie die Tatsache Marcus Tullius Cicero
nicht anerkennt, daß es keine Voll¬ [106-43 v. Chr.]; röm. Staatsmann,
beschäftigung für alle mehr geben Redner und Schriftsteller

770
Teil II Vorurteil

Vor-Bild sein, heißt in erster Linie Chefs nicht nach seiner Betrieb¬
vor-leiden können. samkeit bemessen, sondern nach
Hans Kudszus dem, was er schafft.
Emil Oesch, Zeit
Auf Vorbilder wird es auch weiter¬
hin in jeder menschlichen Gesell¬
schaft ankommen; die, nach denen _Vorrecht
wir suchen, müssen Ähnlichkeit
Der größte Feind des Rechts ist das
mit uns selber haben. Sie müssen
Vorrecht.
die Spuren unserer Sorgen und
Nöte verraten. Marie von Ebner-Eschenbach
Alexander Mitscherlich Wer Vorrechte genießt, kann leicht
für die Rechte anderer streiten.
Für sein Tun und Lassen darf man
Peter Tille
keinen andern zum Muster neh¬
men, weil Lage, Umstände, Ver¬
hältnisse nie die gleichen sind und _Vorsatz
weil die Verschiedenheit des Cha¬
rakters auch der Handlung einen Gute Vorsätze ... sind Schecks, auf
verschiedenen Anstrich gibt. eine Bank gezogen, bei der man
Arthur Schopenhauer kein Konto hat.
Oscar Wilde

_Vorgesetzter
_Vorsicht
Jeder Vorgesetzte, der etwas taugt,
Vorsicht und Mißtrauen sind gute
hat es lieber mit Leuten zu tun, die
Dinge, nur sind auch ihnen gegen¬
sich zuviel zumuten, als mit sol¬
über Vorsicht und Mißtrauen nö¬
chen, die zuwenig in Angriff neh¬
tig.
men.
Christian Morgenstern
Lee Iacocca
* Der bessere Teil der Tapferkeit
Der Mensch kann nichts Schlim¬ ist Vorsicht.
meres über sich haben als einen
Shakespeare, König Heinrich IV.
Menschen.
Jüdisches Sprichwort Es bleibt der Dummheit überlas¬
sen,
Die Fähigkeiten eines Chefs er¬ ein heißes Eisen anzufassen.
kennt man an seiner Fähigkeit, die Die Klugheit (obwohl auch nicht
Fähigkeiten seiner Mitarbeiter zu bange)
erkennen. nimmt eine Zange.
Robert Lembke Karl Heinrich Waggerl

_Vornehmheit __ Vorurteil
Feine Leute sind solche, die nur in Ein Urteil läßt sich widerlegen,
feiner Umgebung ordinär werden. aber niemals ein Vorurteil.
Wolfgang Herbst Marie von Ebner-Eschenbach

Im übrigen wird der Wert eines Welch triste Epoche, in der es

771
Wahl Teil II

leichter ist, ein Atom zu zertrüm¬ Die meisten Menschen begnügen


mern als ein Vorurteil! sich damit, ein Kreuzchen auf den
Albert Einstein [1879-1955]; Stimmzettel zu machen. Genau das
amerik. Physiker dt. Herkunft ist das Verhalten von Analphabe¬
ten.
Das Vorurteil ist ein unentbehrli¬
Robert Jungk [* 1913]; österr.
cher Hausknecht, der lästige Ein¬
Wissenschaftspublizist und
drücke von der Schwelle weist.
Zukunftsforscher
Nur darf man sich von seinem
Hausknecht nicht selber hinaus¬ Das Wahlproblem: Wen soll ein
werfen lassen.
wählerischer Mensch denn wäh¬
Karl Kraus
len?
Die menschlichen Vorurteile sind Gabriel Laub
wie jene bissigen Hunde, die nur
den Furchtsamen angreifen. Es gibt dumme Politiker, die ihr
Isolde Kurz Mandat klugen Leuten verdanken,
die am Wahltag zu Hause geblie¬
Je reicher man an Urteilen ist, de¬ ben sind.
sto ärmer wird man an Vorurteilen. Robert Lembke
Henry Miller [1891-1980];
amerik. Schriftsteller Es gibt genug Politiker, die gerne
das Richtige täten, wenn sie nicht
Auf allen Feldern des Denkens
wüßten, daß sie, gerade weil sie
blühen nur zwei Kulturen: Die
das Richtige tun, die nächste Wahl
eine bewundert alte, die andere
verlieren werden. Also muß die
neue Vorurteile.
öffentliche Meinung aufgeweckt
Adolf Nowaczynski
werden.
Wer glaubt, aus dem Gemüt zu Carl Friedrich von Weizsäcker
schöpfen, schöpft gelegentlich aus
der trüben Quelle des Vorurteils.
Manfred Rommel -Wahlversprechen

Das Vorurteil ist die hochnäsige Politiker zu kaufen, ist altmodisch;


Empfangsdame im Vorzimmer der in der modernen Demokratie kauft
Vernunft. man Wähler.
Karl Heinrich Waggerl Johannes Gross

Wahlbetrug: verbotene Beeinflus¬


sung des Wahlergebnisses nach der
Wahl. Gegensatz: Wahlverspre¬
chen.
Rolf Haller

w -Wahrhaftigkeit

Wahrhaftigkeit ist nicht nur von


_Wahl Konfirmanden zu verlangen, son¬
dern erst recht von den Trägern
Wir haben das, was ich eine staatlicher Verantwortung.
Analphabeten-Demokratie nenne. Willy Brandt, Frieden

772
Teil II Wahrheit

* Wer die Wahrheit nicht weiß, der Anachronismus; sie wird erst lang¬
ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sam wahr. Es braucht immer eine
sie weiß und sie eine Lüge nennt, gewisse Zeit, bis ihre Tiefe herauf¬
der ist ein Verbrecher! steigt, nach oben kommt und sicht¬
Bertolt Brecht, Galilei bar, das heißt: oberflächlich wird.
Egon Friedell

_Wahrheit Ohne Wahrheit ist es unmöglich,


irgendwelche Prinzipien oder Re¬
Vollen Klang hat eine Wahrheit
geln im Leben zu befolgen.
nur, wenn sie aus der Fülle der ge¬
Mahatma Gandhi
lebten und angeeigneten Tradition
heraus verkündet wird. Wer immer die Wahrheit sagt,
Hans Urs von Balthasar kann sich ein schlechtes Gedächt¬
nis leisten.
Am meisten fühlt man sich von
Theodor Heuss [1884-1963];
Wahrheiten getroffen, die man sich
dt. Politiker
selbst verheimlichen wollte.
Friedl Beutelrock
Nur das ist die wahrste Wahrheit,
in der auch der Irrtum, weil sie ihn
Woher stammt nur der Aberglau¬
im Ganzen ihres Systems an seine
be, daß die Wahrheit sich selber
Zeit und seine Stelle setzt, zur
Bahn breche?
Wahrheit wird.
Ernst Bloch
Friedrich Hölderlin,
Aphorismen
Wenn die Wahrheit zu schwach ist,
sich zu verteidigen, muß sie zum
Was beim Licht der Lampe wahr
Angriff übergehen.
ist, ist noch nicht beim Licht der
Bertolt Brecht, Galilei
Sonne wahr.
Joseph Joubert
Die Wahrheit ist dadurch in Frage
gestellt, daß sie politisiert wird.
Es ist nicht die Gewohnheit des
Martin Buber
Wahren, ohne Verhüllung zu kom¬
Ein paar Wahrheiten muß man men und sich von jedem erkennen
sagen, um leben zu können; ein zu lassen.
paar verschweigen aus demselben Erhärt Kästner

Grund.
Je mehr Leute es sind, die eine
Karlheinz Deschner
Sache glauben, desto größer ist
Die Wahrheit hat Kinder, die sie die Wahrscheinlichkeit, daß die
nach einiger Zeit verleugnet: Sie Ansicht falsch ist. Menschen,
heißen Wahrheiten. die recht haben, stehen meistens
Marie von Ebner-Eschenbach allein.
Sören Kierkegaard
Wir suchen die Wahrheit, Finden
wollen wir sie aber nur dort, wo es * Die Wahrheit ist immer konkret.
uns beliebt. Wladimir Iuitsch Lenin
Marie von Ebner-Eschenbach [1870-1924]; Sowjet. Politiker

Jede neue Wahrheit beginnt als Vom Wahrsagen läßt sich’s wohl

773
Wahrheit Teil II

leben in der Welt, aber nicht vom Erziehung sollte den Wunsch nach
Wahrheitsagen. Wahrheit nähren und nicht die
Georg Christoph Lichtenberg Überzeugung, daß ein bestimmter
Glaube die Wahrheit sei.
Ich hasse die Vielredner. Die Bertrand Russell, Schriften
Wahrheit macht nicht viele Worte.
Martin Luther Wahrheit besteht nicht in Bewei¬
sen, sie besteht im Zurückführen
Wahrheiten können fast immer auf die letzte Einfachheit.
auch in den Dienst von Unwahr¬ Antoine de Saint-Exupery
heiten gestellt werden. [1900-1944]; franz. Schriftsteller
Ludwig Marcuse
Doch, weil Wahrheit eine Perle,
Eine Wahrheit kann erst wirken, wirf sie auch nicht vor die Säue.
wenn der Empfänger für sie reif ist. Theodor Storm, Für meine Söhne
Nicht an der Wahrheit liegt es da¬
her, wenn die Menschen noch so
Paradox und Wahrheit unterschei¬
voller Unweisheit sind.
den sich darin, daß das erste den
Christian Morgenstern
Gegenstand mit starkem Licht von
einer Seite beleuchtet, die zweite -
Es ist das Los des Menschen, daß
mit schwachem Licht von vielen.
die Wahrheit keiner hat. Sie haben
ALEKSANDER SwifTOCHOWSKI
sie alle, aber verteilt, und wer nur
bei einem lernt, der vernimmt nie,
Der Strom der Wahrheit fließt
was die andern wissen.
durch Kanäle von Irrtümern.
Johann Heinrich Pestalozzi,
Rabindranath Tagore
Lienhard und Gertrud

Suche nach Wahrheit ist Mut zum Die Wahrheit ist eine unzerstörba¬
Risiko, und zwar nicht nur im per¬ re Pflanze. Man kann sie ruhig un¬
sönlichen, sondern ebenso im so¬ ter einen Felsen vergraben, sie
zialen, im gesellschaftlichen Be¬ stößt trotzdem durch, wenn es an
reich. der Zeit ist.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft Frank Thiess

Erziehung zur Wahrheit heißt, die Eine Lebenswahrheit lautet, daß


Fähigkeit zu vermitteln, selbst wir ohne Lebenslüge nicht aus-
nach dem suchen zu können, was kommen.
ich persönlich als wahr empfinde, Gerd Uhlenbruck
und mir keine angebliche Wahrheit
vorschreiben zu lassen und ander¬ Nur wenige Menschen sind stark
seits dem Mitmenschen nicht mei¬ genug, um die Wahrheit zu sagen
ne Wahrheit aufzwingen zu wollen. und die Wahrheit zu hören.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft Vauvenargues [1715-1747];
franz. Schriftsteller
Wenn es nur eine Wahrheit gäbe,
könnte man nicht hundert Bilder Man erobert die Wahrheit nicht,
über dasselbe Thema malen. indem man ihr die Kleider vom
Pablo Picasso [1881-1973]; span. Leibe reißt.
Maler, Graphiker u. Bildhauer Karl Heinrich Waggerl

774
Teil II Wein

Unter allen denkbaren Irrtümern schaftlich die Position des Weibli¬


ist immer die Wahrheit am leichte¬ chen besetzen. Nun ist dies aber
sten zu widerlegen. für Feministinnen unverzeihlich.
Karl Heinrich Waggerl Denn diese Position, mit all ihrer
geträumten Feminität, die sie mit-
Die wichtigste Motivation der einbegreift, ist weiblicher, als es je
Menschen, die in die Wissenschaft die der Frauen sein wird.
gehen, war ursprünglich und ist Jean Baudrillard
wohl auch heute die Suche nach
der Wahrheit. Weiblichkeit ist die Eigenschaft,
Carl Friedrich von Weizsäcker, die ich an Frauen am meisten
Einheit schätze.
Oscar Wilde
Keiner darf für sich den Besitz der
Wahrheit beanspruchen, sonst wä¬
re er unfähig zu Kompromiß und _Weichheit
überhaupt zu Zusammenleben.
Richard von Weizsäcker Dies ist die Erkenntnis von der Na¬
tur der Dinge: Das Weiche, Schwa¬
che wird das Harte und Starke
_Warnung überdauern.
Laotse
An Zeichen war niemals ein Man¬
gel, aber an Folgern.
Erhärt Kästner _Wein

Wie kann man erwarten, daß die * Rotwein ist für alte Knaben eine
Menschheit guten Rat annimmt, von den besten Gaben.
wenn sie nicht einmal auf Warnun¬ Wilhelm Busch, Tobias Knopp
gen hört?
Jonathan Swift Der Wein ist geschaffen, daß er die
Menschen soll fröhlich machen.
Jesus Sirach 31, 34
_Wechsel
Seine Freunde und was mit der
Nichts ist dauernd als der Wechsel. Liebe zusammenhängt, muß man
Ludwig Börne, Denkrede auf im Weine anschauen; nichts taugt,
Jean Paul was nicht so angeblickt werden
kann.
Nur der Wechsel ist wohltätig. Un¬
Erhärt Kästner
aufhörliches Tageslicht ermüdet.
Wilhelm von Humboldt, Briefe * Der Wein erfreue des Menschen
an eine Freundin Herz.
Psalm 104, 15
Der Wechsel allein ist das Bestän¬
dige. Man führt gegen den Wein nur die
Arthur Schopenhauer bösen Taten an, zu denen er verlei¬
tet, allein er verleitet auch zu hun¬
dert guten, die nicht so bekannt
_Weibliches
werden.
Hier und heute muß man leiden¬ Georg Christoph Lichtenberg

775
Weisheit Teil II

_Weisheit man nicht nach seiner Erfahrung,


sondern nach seiner Fähigkeit, Er¬
Weise ist nicht, wer viele Erfahrun¬
fahrungen zu machen.
gen macht, sondern wer aus weni¬
George Bernard Shaw
gen lernt, viele nicht machen zu
müssen.
Weisheit ist jene Jugend des Gei¬
Karlheinz Deschner
stes, die uns befähigt einzusehen,
daß die Wahrheit nicht in Schatz¬
Weise sein heißt: sich nicht dar¬
kästen von Grundsätzen aufbe¬
über schämen, daß man nichts
wahrt wird, sondern frei und leben¬
weiß; sich nicht davor fürchten,
dig ist.
daß man nichts weiß und nicht dar¬
Rabindranath Tagore
auf stolz sein, daß man nichts weiß.
Hans Krailsheimer
Die drei größten Tugenden: Neid¬
losigkeit, Furchtlosigkeit, Geduld.
Der Weise lebt in der Einfalt und
Wer sie besitzt, hat den ersten
ist ein Beispiel für viele. Er will
Schritt zur Weisheit getan.
nicht selber scheinen, darum wird
Frank Thiess
er erleuchtet.
Laotse
Viele denken an nichts anderes als
an das, was andere über sie den¬
Weisheit heißt Überlegenheit über
ken. Weisheit aber ist, wenn man
den verblendenden Zwang, dem
sich selbst nichts mehr weismacht.
Verlangen nach Lust folgen zu
Gerd Uhlenbruck
müssen.
Alexander Mitscherlich

Wissen können wir von anderen


_Welt
lernen, Weisheit müssen wir uns
selber lehren. Die Welt ist für uns stets eine Ant¬
Axel Munthe wort, die von der Frage abhängt,
die wir an sie stellen.
* Die Furcht des Herrn ist der Stanislaw Brzozowski
Weisheit Anfang.
Psalm 111, 10 Die Welt ist ein Gefängnis, in dem
Einzelhaft vorzuziehen ist.
Jeder Zuwachs an Technik be¬ Karl Kraus
dingt, wenn damit ein Zuwachs
und nicht eine Schmälerung des Vielleicht muß man weltfern sein,
menschlichen Glücks verbunden um die Welt richtig zu sehen. Wer
sein soll, einen entsprechenden Zu¬ einer Sache zu nahe steht, hat ein
wachs an Weisheit. verzerrtes Bild von ihr.
Bertrand Russell, Moral Hans Margolius

Ein Weiser ist man nur unter der Wer die Welt zu sehr liebt, kommt
Bedingung, in einer Welt voll Nar¬ nicht dazu, über sie nachzuden¬
ren zu leben. ken; wer sie zuwenig liebt, kann
Arthur Schopenhauer nicht gründlich genug über sie den¬
ken.
Die Weisheit eines Menschen mißt Christian Morgenstern

776
Teil II
Werte

* Die Welt ist vollkommen überall, dessen, was vermeidbar gewesen


wo der Mensch nicht hinkommt wäre.
mit seiner Qual. Bertrand Russell, Schriften
Schiller, Braut von Messina
* Die Weltgeschichte ist das Welt¬
Wir sind in diese Welt gekommen, gericht.
nicht nur, daß wir sie kennen, son¬ Schiller, Resignation
dern daß wir sie bejahen.
Rabindranath Tagore Die Weltgeschichte ist eine Ver¬
schwörung der Diplomaten gegen
den gesunden Menschenverstand.
Arthur Schnitzler
-Weltanschauung

Weltanschauung ist nicht selten


Mangel an Anschauung.
_Werbung
Ludwig Marcuse
Werbung ist die Kunst, auf den
Kopf zu zielen und die Brieftasche
zu treffen.
_Weltgeschichte
Vance Packard [*1914];
Die Weltgeschichte ist nichts als amerik. Publizist
die Biographie großer Männer.
Thomas Carlyle Die Werbung möchte uns einre-
den, daß man ohne Kopf weiter
Man kann alles von der Weltge¬ komme als ohne Krawatte.
schichte sagen, alles, was der per¬ Rudolf Rolfs
versesten Phantasie in den Sinn
kommen mag, nur eines nicht: daß
sie vernünftig sei.
_Werke
Fjodor M. Dostojewski,
Kellerloch Wie es mit unseren Kindern geht,
so geht es auch mit unseren Theo¬
Die Weltgeschichte ist der Fort¬ rien und letztlich mit allem, was
schritt im Bewußtsein der Freiheit. wir tun: Unsere Werke werden
Georg Wilhelm Friedrich schließlich weitgehend unabhän¬
Hegel, Philosophie der gig von uns, von ihren Erzeugern.
Geschichte Karl R. Popper

Die Weltgeschichte: ein Hemd, das


nicht gewaschen wird, sondern nur
_Werte
gewendet.
Thomas Niederreuther Den wahren Wert anderer erken¬
nen heißt seinen eigenen ausspre¬
Die Weltgeschichte ist nicht das chen; denn nur der Würdige wür¬
Weltgericht, sondern ein Produkt digt.
des Zufalls und das Resultat der Ernst von Feuchtersleben
Gewalt.
Oskar Panizza In einem gewissen Alter wird ein
Überprüfen der Werte notwendig;
Die Weltgeschichte ist die Summe es bedarf aber einer besonderen

777
Wettbewerb Teil II

geistigen Freiheit, um sich vom Verlaß ist letzten Endes nur auf
Anerkannten loszumachen. den Widerspruch.
Andre Gide, Tagebuch Oliver Hassencamp

Es gibt zweierlei Arten von Wer¬ Die Geschichte der Freiheit ist die
ten: Werte, die durch das Leben, Geschichte des Widerspruches.
durch unbewußte Probleme ge¬ Thomas Woodrow Wilson
schaffen werden, und Werte, die in [1856-1924];
dem Bemühen, mehr oder weniger amerik. Politiker
gut verstandene Probleme auf der
Grundlage früherer Lösungen zu
lösen, vom menschlichen Bewußt¬ _Widerwärtig
sein geschaffen werden.
Widerwärtig nennen wir das Trau¬
Karl R. Popper
rige, dem es nicht vergönnt ist, sich
auf irgendeine Weise in Schönheit
Nichts in der Welt ist unbedeu¬
aufzulösen.
tend.
Arthur Schnitzler
Schiller, Piccolomini II

_Willen
_Wettbewerb

Die Wettbewerbsfähigkeit eines Der Mensch hat freien Willen -


Landes beginnt nicht in der Fa- das heißt, er kann einwilligen ins
brikhalle oder im Forschungs- Notwendige!
Christian Friedrich Hebbel
labor. Sie beginnt im Klassen¬
zimmer.
Jedem Vorhaben ist ein Stück krea-
LeeIacocca
türlicher Lust eingegeben, ohne die
Die Klage über die Schärfe des dem Willen keine Flügel wachsen.
Hans Kasper, Verlust
Wettbewerbs ist in Wirklichkeit
meist nur eine Klage über den
Wenn der Mensch sich etwas vor¬
Mangel an Einfällen.
nimmt, so ist ihm mehr möglich, als
Walther Rathenau
man glaubt.
Johann Heinrich Pestalozzi,
_Wetter Schriften

Es gibt kein schlechtes Wetter, es


gibt nur verschiedene Arten von _Wirklichkeit
gutem.
Die Wirklichkeit ist immer noch
John Ruskin [1819-1900];
phantastischer als alle Phantasie.
brit. Schriftsteller, Kunstkritiker
Wolf Biermann, Affenfels
und Sozialphilosoph

Die Wirklichkeit ist nur veränder¬


_Widerspruch bar, insofern sie noch nicht ist. Wir
können versuchen, die Zukunft zu
* Denn ein vollkomm’ner Wider¬ beeinflussen, das ist alles.
spruch bleibt gleich geheimnisvoll Friedrich Dürrenmatt
für Kluge wie für Toren. [1921-1990];
Goethe, Faust I Schweiz. Dramatiker

778
Teil II Wissen

Anscheinend können nur wenige Falsche nur entsteht, weil man es


Menschen mit Wirklichkeit umge¬ wissen will.
hen, die sie nicht selbst erfahren Elias Canetti
haben.
Jürgen Lemke Wenn der Mensch wissend gewor¬
den ist, steht unversehens sein En¬
Was soll der Vorwurf, daß jemand de bevor.
ein gestörtes Verhältnis zur Wirk¬ Chinesisches Sprichwort
lichkeit habe? Als wäre Wirklich¬
keit etwas anderes als auch das ge¬ Es ist eine erschütternde Vorstel¬
störte Verhältnis mancher zu ihr. lung für mich, daß Männer wie
Kurt Marti Plato, Galilei oder Kant bereit ge¬
wesen sein dürften, Lebensjahre
für das Wissen herzugeben, das je¬
_Wirtschaftskrise dem von uns heute unverdient in
den Schoß fällt und das die wenig¬
Die gegenwärtige Krise ist keine sten richtig zu würdigen wissen
vorübergehende Unterbrechung (sofern sie es überhaupt zur Kennt¬
des Wirtschaftswachstums, son¬ nis nehmen)!
dern dessen Ergebnis. Hoimar von Ditfurth
Andre Gorz

Der Wissende weiß, daß er glauben


So wie wir unsere Wirtschaft orga¬
muß.
nisiert haben, stehen wir unter dem
Friedrich Dürrenmatt
irrsinnigen Zwang, nur damit unse¬
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker
re Menschen hier Arbeit und Ver¬
dienst haben, Wirtschaftswachs¬
Das menschliche Wissen ist dem
tum zu betreiben.
menschlichen Tun davongelaufen,
Oswald von Nell-Breuning
das ist unsere Tragik. Trotz aller
unserer Kenntnisse verhalten wir
Nationalökonomen können ganz
uns immer noch wie die Höhlen¬
genau beweisen, daß die Welt plei¬
menschen von einst.
te ist. Das einzige, was sie nicht
Friedrich Dürrenmatt
wissen: ihretwegen.
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker
Werner Schneyder

Wer nichts weiß, muß alles glau¬


ben.
_Wissen Marie von Ebner-Eschenbach

Das Ende der Vergötzung von Ver¬


nunft und Wissenschaft wäre der Ein Mensch kann nicht alles wis¬
Anfang eines neuen Wissens: daß sen, aber etwas muß jeder haben,
nur die Umkehr der Herzen und ei¬ was er ordentlich versteht.
ne neue Verantwortung uns weiter¬ Gustav Freytag [1816-95];

helfen können. dt. Schriftsteller


Franz Alt
Es ist nicht genug zu wissen, man
Ein niederschmetternder Gedan¬ muß auch anwenden.
ke: daß es vielleicht überhaupt Goethe, Wilhelm Meisters
nichts zu wissen gibt; daß alles Wanderjahre

779
Wissenschaft Teil II

Eigentlich weiß man nur, wenn menschlichen Existenz zu erleich¬


man wenig weiß; mit dem Wissen tern.
wächst der Zweifel. Bertolt Brecht, Galilei
Goethe, Maximen und
Reflexionen Wissenschaft und Politik sind die
beiden Bereiche, in denen die Un¬
Alles Wissen und alle Vermehrung gewißheit menschlicher Existenz
unseres Wissens endet nicht mit handgreiflich, in deren organisato¬
einem Schlußpunkt, sondern mit rischen Formen ihre liberale Be¬
Fragezeichen. wältigung daher möglich wird.
Hermann Hesse Ralf Dahrendorf

Alle Wissenschaft hat als Aus¬


Man muß viel studiert haben, um
gangspunkt ein Zweifeln, gegen
wenig zu wissen.
das der Glaube sich auflehnt.
Montesquieu, Vermischte
Andre gide, Tagebuch
Gedanken

In den Wissenschaften ist viel Ge¬


Der Unwissende hat Mut, der Wis¬
wisses, sobald man sich von den
sende hat Furcht.
Ausnahmen nicht irre machen läßt
Alberto Moravia
und die Probleme zu ehren weiß.
[1907-1990];
Goethe, Wilhelm Meisters
ital. Schriftsteller
Wanderjahre II

Wissen können wir von anderen Wissenschaftlichkeit: das heißt zu


lernen, Weisheit müssen wir uns wissen, was man weiß und was
selber lehren. man nicht weiß. Unwissenschaft¬
Axel Munthe lich ist alles totale Wissen, als ob
man im Ganzen Bescheid wüßte.
* Nur der Irrtum ist das Feben, Karl Jaspers
und das Wissen ist der Tod.
Schiller, Kassandra Die Wissenschaft ist die Methode,
viele kleine Unklarheiten auf ein
Glauben und Wissen verhalten einziges großes Rätsel, dem man
sich wie die zwei Schalen einer einen Namen gibt, zurückzufüh¬
Waage: In dem Maße, als die eine ren.
steigt, sinkt die andere. Hans Fohberger
Arthur Schopenhauer
Wissenschaft ist ein vielseitiges
Wir alle wissen mehr als das, wo¬ Werkzeug. Sie kann auf jedem
von wir wissen, daß wir es wissen. harmlosen, freundlichen oder bö¬
Thornton Wilder sen Aberglauben das scharfsinnig¬
ste Begriffsgebäude errichten.
Ludwig Marcuse

Das Wiederfinden dessen, was der


_Wissenschaft
Mensch in die Dinge gesteckt hat,
Ich halte dafür, daß das einzige heißt sich Wissenschaft.
Ziel der Wissenschaft darin be¬ Friedrich Nietzsche,
steht, die Mühseligkeit der Nachlaß

780
Teil II Wohlstand

Die Wissenschaft nötigt uns, den soweit es ihr glückt, Wahrheit zu


Glauben an einfache Kausalitäten Finden.
aufzugeben. Carl Friedrich von Weizsäcker,
Friedrich Nietzsche, Morgenröte Einheit

Die Physiker haben erfahren, was


Sünde ist, und dieses Wissen wird -Wissensdrang
sie nie mehr ganz verlassen.
Der Mensch muß bei dem Glauben
J. Robert Oppenheimer
verharren, daß das Unbegreifliche
[1904-1967]; amerik.
begreiflich sei; er würde sonst
Atomphysiker
nicht forschen.
Goethe, Wilhelm Meisters
Wer eine neue wissenschaftliche Wanderjahre II
Wahrheit entdeckt, mußte vorher
fast alles, was er gelernt hatte, zer¬
stören. _Witz
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Der Witz ist das einzige Ding, was
Die Wissenschaft braucht Zusam¬ um so weniger gefunden wird, je
menarbeit, in der sich das Wissen eifriger man es sucht.
des einen durch die Entdeckungen Friedrich Hebbel

des andern bereichert.


Witzigkeit ist manchmal Witzar¬
Jose Ortega y Gasset, Liebe
mut, die ohne Hemmung sprudelt.
Karl Kraus
Die Wissenschaft, richtig verstan¬
den, heilt den Menschen von sei¬ Wenn einer bei uns einen guten po¬
nem Stolz; denn sie zeigt ihm seine litischen Witz macht, dann sitzt
Grenzen. halb Deutschland auf dem Sofa
Albert Schweitzer und nimmt übel.
Kurt Tucholsky
Eine Menschheit ohne Wissen¬
schaft ist nicht mehr denkbar. Aber
es ist auch keine Wissenschaft _Wohlstand
mehr möglich ohne eine Religion,
die beseelt. Früher flackerte noch im Elend der
Pierre Teilhard de Chardin
Funke Glück. Mit jenem hat der
Wohlstand auch ihn ausgeblasen.
[1881-1955]; franz. Paläontologe,
Helmut Arntzen
Anthropologe und Philosoph

* Nur wer im Wohlstand lebt, lebt


Die wichtigste Motivation der
angenehm!
Menschen, die in die Wissenschaft
Bertolt Brecht,
gehen, war ursprünglich und ist
Dreigroschenoper
wohl auch heute die Suche nach
der Wahrheit. Wohlstand ist, wenn die Menschen
Carl Friedrich von Weizsäcker, mehr Uhren haben als Zeit.
Einheit Werner Mitsch

Wissenschaft ist - im wesentlichen Wir rühmen uns unseres Wohlstan¬


wenigstens - auch nur wirksam. des. Haben wir schon einmal aus-

781
Wohnung Teil II

gerechnet, wie viele dieser „mate¬ * Mit Worten läßt sich trefflich
riellen Errungenschaften“ nichts streiten.
anderes sind als der krampfhafte Goethe, Faust I
Versuch, Dinge, die wir durch das
Streben nach Wohlstand zerstört Worte sind Gegenstände: man
oder verloren haben, wieder herzu¬ kann sich an ihnen stoßen.
stellen? Wolfgang Herbst
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Das Wort ist der Blitz, aber die
Schrift ist der Einschlag, die Spur.
Die Spur bloß, der Blitz eben nicht.
_Wohnung Erhärt Kästner

* Raum ist in der kleinsten Hütte


Je größer die Worte, um so leichter
für ein glücklich liebend Paar.
geht man durch sie hindurch.
Schiller, Der Parasit IV
Martin Kessel, Gegengabe

* Man kann mit einer Wohnung


Es gibt so große leere Worte, daß
einen Menschen genauso töten wie
man darin ganze Völker gefangen
mit einer Axt.
halten kann.
zugeschrieben Heinrich Zille
Stanislaw Jerzy Lec
[1858-1929];
dt. Zeichner
Der Unterschied zwischen dem
richtigen Wort und dem beinahe
richtigen ist derselbe wie zwischen
_Wohnungswechsel dem Blitz und dem Glühwürm¬
chen.
* Dreimal umgezogen ist so gut wie Mark Twain
einmal abgebrannt.
Benjamin Franklin, Reichtum
Unsere Worte sind untrennbar von
der Lebenslage, aus der sie hervor¬
gingen. Aus ihr herausgelöst, ent¬
_Wort behren sie des genauen Sinnes, das
heißt der Überzeugungskraft.
Eine Wunde, von Worten geschla¬ Jose Ortega y Gasset, Aufgabe
gen, ist schlimmer als eine Wunde,
die das Schwert schlägt. Jedes Wort hat fließende Grenzen.
Arabisches Sprichwort Diese Tatsache zu ästhetischer
Wirkung auszunützen ist das Ge¬
In allen Staaten, in denen Terror heimnis des Stils.
herrscht, ist das Wort fast noch Arthur Schnitzler
mehr gefürchtet als bewaffneter
Widerstand, und oft ist das letzte Wo Worte selten, haben sie Ge¬
die Folge des ersten. wicht.
Heinrich Böll Shakespeare, König Richard II.

Menschen durch das gesprochene * Ein Wort, geredet zu seiner Zeit,


Wort zu fesseln, gibt ein Gefühl der ist wie goldene Äpfel auf silbernen
Stärke, der Macht. Schalen.
Dale Carnegie Sprüche Salomos 25,11

782
Teil II Wunsch

Worte verhalten sich umgekehrt zu unterdrücken, als die folgenden


proportional zum Geld: je weniger zu erfüllen.
du ausgibst, um so höher ist ihr Benjamin Franklin,
Wert. Autobiographie
Peter Tille
Gäbe es Wesen, die den Menschen
Was nützen die besten Worte, alle Wünsche erfüllen, so wären
wenn sie über die Wirklichkeit hin¬ das keine Götter, sondern Dämo¬
wegtäuschen? nen.
Kurt Tucholsky Friedrich Georg Jünger

Wir leben in einer Zeit, in der die


__Wörterbuch
Menschen nicht wissen, was sie
Wörterbuch - bösartige literari¬ wollen, aber alles tun, um es zu be¬
sche Erfindung; dient dazu, das kommen.
Wachstum einer Sprache zu hem¬ Donald Marquis [1878-1937];
men und sie unelastisch zu ma¬ amerik. Schriftsteller
chen.
Ambrose Bierce Wie, wenn Wünsche nicht fertig
werden, wenn der Tod ihnen zu¬
Wörterbuch, Kornspeicher der vorkommt? Und doch wäre dies
Sprache. das geringere Übel. Trauriger ist’s,
Pablo Neruda, Ode an das wenn die Wünsche fertig sind, aber
Wörterbuch der Tod nicht kommen will.
Kurt Marti

_Wunder Wünschen ist ein Anzeichen von


Der Mensch verlangt nicht so sehr Genesung oder Besserung.
nach Gott als nach dem Wunder. Friedrich Nietzsche,
Fjodor M. Dostojewski, Menschliches II
Die Brüder Karamasow
Wie zauberhaft sind die Dinge, die
Es gibt kein Wunder für den, der uns nicht gehören, denn sie strah¬
sich nicht wundern kann. len so viel vom Himmel wider und
Marie von Ebner-Eschenbach landen an so vielen Gestaden.
Marcel Proust
Das Wunder ist des Glaubens lieb¬
stes Kind. Es ist wohl klar, daß wir nie auf die
Goethe, Faust I Gegenüberstellung von „gut“ und
„schlecht“ gekommen wären,
Das große unzerstörbare Wunder
wenn wir keine Wünsche hätten.
ist der Menschenglaube an Wun¬
Bertrand Russell, Moral
der.
Jean Paul
Zwei Tragödien gibt es im Leben:
Die eine, nicht zu bekommen, was
das Herz wünscht, die andre, es zu
_Wunsch bekommen.
Es ist leichter, den ersten Wunsch George Bernard Shaw

783
Würde Teil II

In dieser Welt gibt es nur zwei Tra¬ __ Zeichen


gödien. Die eine ist, nicht zu be¬
Omen - Zeichen, daß bald was
kommen, was man möchte, und die
passiert, wenn nicht bald was pas¬
andere ist, es zu bekommen.
siert.
Oscar Wilde
Ambrose Bierce

An Zeichen war niemals ein Man¬


_Würde gel, aber an Folgern.
Erhärt Kästner
t Menschenwürde

_Zeit

Wir erfanden den Raum, um die


Zeit totzuschlagen, und die Zeit,
um unsere Lebensdauer zu moti¬

Y vieren.
Gottfried Benn, Epilog

Zeit ist nur dadurch, daß etwas ge¬


_Yuppie schieht, und nur dort, wo etwas ge¬
schieht.
Eine Generation, der alles gelun¬ Ernst Bloch
gen ist, die schon alles hat, die spie¬
lerisch Solidarität praktiziert, die Was ist die Zeit? Und die lösende,
nicht mehr die Stigmata der Klas¬ nicht lösende Kinderantwort, Stau¬
senverwünschungen an sich trägt. nensantwort kommt dazu: Die Zeit
Das sind die europäischen Yup¬ ist eine Uhr ohne Ziffern.
pies. Ernst Bloch
Jean Baudrillard
Es ist nicht wahr, daß man seine
Zeit verpassen kann. Für den, der
in Wahrheit etwas zu sagen hat, ist
es immer Zeit.
Waldemar Bonsels [1880-1952];
dt. Schriftsteller

z Für die, deren Zeit gekommen ist,


ist es nie zu spät!
Bertolt Brecht, Die Mutter
_Zärtlichkeit
Ein Mensch, dem nicht jeden Tag
Zärtlichkeit ist das Ruhen der Lei¬ wenigstens eine Stunde gehört, ist
denschaft. kein Mensch.
Joseph Joubert Martin Buber

Nicht jede Zeit findet ihren großen


_Zaudern Mann, und nicht jede große Fähig¬
keit findet ihre Zeit.
T Zögern Jacob Burckhardt

784
Teil II Zeitung

Die Zeit geht hin, und der Mensch * Dreifach ist der Schritt der Zeit:
gewahrt es nicht. Zögernd kommt die Zukunft her¬
Dante Alighieri gezogen.
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ist es das Gute selbst an der Ewig still ist die Vergangenheit.
schlimmsten Zeit, daß sie vergeht, Schiller, Musenalmanach
ist eben dies das Schlimme auch an
der besten. Man verliert die meiste Zeit damit,
Karlheinz Deschner daß man Zeit gewinnen will.
John Steinbeck
Ist die Zeit das Kostbarste unter al¬ [1902-1968];
lem, so ist Zeitverschwendung die amerik. Schriftsteller
allergrößte Verschwendung.
Benjamin Franklin, Reichtum Nur dem Anschein nach ist die
Zeit ein Fluß. Sie ist eher eine gren¬
Die Zeit ist eine große Lehrerin. zenlose Landschaft, und was sich
Schade nur, daß sie ihre Schüler bewegt, ist das Auge des Betrach¬
umbringt. ters.
Curt Goetz Thornton Wilder

Auch bei uns unterschied früher


Zeithaben und Nichthaben Herren
und Knechte; jetzt hat niemand _Zeitgeist
mehr Zeit. Der Zeitgeist ist das jeweilige Ge¬
Erhärt Kästner
spenst der Gegenwart.
Werner Schneyder
Die Zeit ist die Fülle des Lebens,
wenn auch die Fülle der Zeit das
Sichaufheben des Lebens und mit
ihm der Zeit ist. _Zeitgewinn
Georg Lukäcs
Arbeit in Ruhe zu leisten ist Zeitge¬
winn.
Die Kunst, Zeit zu haben, ist auch
Emil Oesch, Zeit
die Kunst, sich die Leute vom Lei¬
be zu halten, die uns die Zeit steh¬
Man verliert die meiste Zeit damit,
len.
daß man Zeit gewinnen will.
Emil Oesch, Zeit
John Steinbeck

Menschen, die Zeit haben, sind im¬ [1902-1968];


mer auch Menschen, die nicht amerik. Schriftsteller
glauben, sie müßten alles selbst
machen.
Emil Oesch, Zeit _Zeitung

Zeit haben heißt wissen, wofür Die Zeitung ist die Konserve der
man Zeit haben will und wofür Zeit.
nicht. Karl Kraus

Emil Oesch, Zeit


Manche Zeitungen sind an und für
* Des Menschen Engel ist die Zeit. sich ein Druckfehler.
Schiller, Wallensteins Tod Werner Schneyder

785
Zensur Teil II

_Zensur _Zerstreuung

Es ist kein Zufall, daß immer da, Das fürchterlichste Mittel gegen
wo der Geist als eine Gefahr ange¬ quälende Gedanken ist die Zer¬
sehen wird, als erstes die Bücher streuung, sie führt zur Gedanken¬
verboten, die Zeitungen und Zeit¬ losigkeit.
schriften, Rundfunkmeldungen ei¬ Franz Grillparzer
ner strengen Zensur ausgeliefert
werden.
Heinrich Böll
__ Ziel
Zensur ist die geheime Empfeh¬ Der gerade Weg ist der kürzeste,
lung durch öffentliches Verbot.
aber es dauert meist am längsten,
Dieter Hildebrandt [* 1927];
bis man auf ihm zum Ziele gelangt.
dt. Kabarettist
Georg Christoph Lichtenberg

Die gefährlichste Form der Zensur


Es gibt immer mehr Straßen und
ist die Schere im eigenen Kopf.
immer weniger Ziele.
Curzio Malaparte
Werner Mitsch
[1898-1957];
ital. Schriftsteller

Man kann zugleich gegen ein Buch _Zigarette


sein und gegen sein Verbot. Der
Sexschund ödet mich an, die Ent¬ Eine Zigarette ist wie ein rascher
rüstung darüber ist mir zuwider. Flirt, eine Zigarre wie eine an¬
Ludwig Marcuse spruchsvolle Geliebte, die Pfeife
aber ist wie eine Ehefrau.
Die Zensur ist die jüngere von zwei Michael Ende [* 1929];
schändlichen Schwestern, die älte¬ dt. Schriftsteller
re heißt Inquisition.
Johann Nestroy Eine Zigarette ist das vollendete
Beispiel eines vollendeten Genus¬
Die Zensur endet in letzter Konse¬ ses. Sie ist köstlich und läßt einen
quenz damit, daß überhaupt nie¬ unbefriedigt.
mand Bücher lesen darf, ausge¬ Oscar Wilde
nommen jene Bücher, die sowieso
niemand liest.
George Bernard Shaw
_Zitat

Zitate sind entwurzelte Größen.


Martin Kessel, Ehrfurcht
_Zerstreutheit

Zerstreutheit ist ein Zeichen von Von den meisten Büchern bleiben
Klugheit und Güte. Dumme und bloß Zitate übrig. Warum nicht
boshafte Menschen sind immer gleich nur Zitate schreiben.
geistesgegenwärtig. Stanislaw Jerzy Lec
Charles Joseph Fürst von Ligne
[1735-1814]; österr. Feldmarschall Die meisten Menschen sprechen
und Diplomat nicht, zitieren nur. Man könnte ru-

786
Teil II Zufall

hig fast alles, was sie sagen, in An¬ Auch zum Zögern muß man sich
führungsstriche setzen. entschließen.
Christian Morgenstern Stanislaw Jerzy Lec

Das Zitat, vor allem das geflügelte * Wer gar zu viel bedenkt, wird we¬
Wort, hat noch andere Aufgaben: nig leisten.
Es kann als eine Art geistiger Kurz¬ Schiller, Wilhelm Teil
schrift dienen.
Ludwig Reiners [1896-1957];
dt. Schriftsteller
__ Zorn

Wer nicht fähig ist, über ein priva¬


_Zivilcourage tes Unrecht, das ihm geschehen ist,
Wo die Zivilcourage keine Heimat zornig zu werden, der wird schwer
hat, reicht die Freiheit nicht weit. kämpfen können. Wer nicht fähig
Willy Brandt, Erinnerungen
ist, über andern angetanes Unrecht
zornig zu werden, der wird nicht
für die große Ordnung kämpfen
_Zivilisation können.
Bertolt Brecht, Buch der
Was die Menschen Zivilisation Umwälzung
nennen, ist der Zustand gegenwär¬
tiger Sitten; was sie Barbarei nen¬ Zorn ist eine impulsive Form des
nen, das sind die Sitten der Vergan¬ Eigentrostes.
genheit. Hans Lohberger
Anatole France [1844-1924];
franz. Schriftsteller Der Zorn ist ein schlechter Ratge¬
ber.
Zivilisation: Die Eskimos bekom¬ Sprichwort
men warme Wohnungen und müs¬
sen arbeiten, um Geld für Kühl¬
schränke zu verdienen.
Gabriel Laub _Zote

Der Mensch schweinigelt kaum


allein. Die Zote lebt von ihrem Pu¬
_Zögern
blikum.
Wartest du auf beßre Zeiten Sigmund Graff
Wartest du mit deinem Mut
Gleich dem Tor, der Tag für Tag
An des Flusses Ufer wartet _Zufall
Bis die Wasser abgeflossen
Die doch ewig fließen Gepriesen sei der Zufall. Er ist we¬
Wolf Biermann, Drahtharfe nigstens nicht ungerecht.
Ludwig Marcuse
Kein weiser oder tapferer Mann
legt sich auf die Schienen der Ge¬ Ereignisse, die er nicht begreift,
schichte und wartet, daß der Zug nennt der Mensch Zufall.
der Zukunft ihn überfährt. Werner Mitsch
Dwight D. Eisenhower
[1890-1969]; amerik. Politiker Auch das Zufälligste ist nur ein auf

787
Zufriedenheit Teil II

entfernterem Wege herangekom¬ Die Wirklichkeit ist nur veränder¬


menes Notwendiges. bar, insofern sie noch nicht ist. Wir
Arthur Schopenhauer können versuchen, die Zukunft zu
beeinflussen, das ist alles.
Der Zufall ist das Pseudonym, das Friedrich Dürrenmatt
der liebe Gott wählt, wenn er inko¬ [1921-1990];
gnito bleiben will. Schweiz. Dramatiker
Albert Schweitzer
Die mikroelektronische Revoluti¬
on drängt uns zu neuen Visionen;
_Zufriedenheit aber die Trägheit unserer geistigen
* Ach, spricht er, die größte Freud’ Kategorien verschleiert es uns: Wir
ist doch die Zufriedenheit. warten immer noch kläglich dar¬
Wilhelm Busch, Max und Moritz auf, daß die Zukunft uns die Ver¬
gangenheit wiederbringt, daß die
Sich mit wenigem begnügen ist „Wende“ oder der wirtschaftliche
schwer, sich mit vielem begnügen „Aufschwung“ für Vollbeschäfti¬
unmöglich. gung sorgen.
Marie von Ebner-Eschenbach Andre Gorz

Wenn ein paar Menschen recht Die Zukunft hat viele Namen. Für
miteinander zufrieden sind, kann die Schwachen ist sie das Uner¬
man meistens versichert sein, daß reichbare. Für die Furchtsamen ist
sie sich irren. sie das Unbekannte. Für die Tapfe¬
Goethe, Maximen und ren ist sie die Chance.
Reflexionen Victor Hugo [1802-1885];
franz. Schriftsteller
Sei mit dir nie zufrieden, so daß
deine Zufriedenheit nur dazu Die Zukunft ist als Raum der Mög¬
dient, dich zu neuer Unzufrieden¬ lichkeiten der Raum unserer Frei¬
heit zu stärken. heit.
Christian Morgenstern Karl Jaspers

Zufriedene sind Resignierende,


Wer für die Zukunft sorgen will,
ohne es zu wissen.
muß die Vergangenheit mit Ehr¬
Rudolf Rolfs
furcht und die Gegenwart mit Mi߬
trauen aufnehmen.
Joseph Joubert
_Zukunft

Die Zukunft erkennt man nicht, Aus der Vergangenheit kann jeder
man schafft sie. lernen. Heute kommt es darauf an,
Stanislaw Brzozowski aus der Zukunft zu lernen.
Herman Kahn [1922-1983];
Wir können es uns nicht länger lei¬ amerik. Kybernetiker
sten, unsere Zukunft den Experten
zu überlassen, sonst könnten wir Wer die Zukunft nur mit Furcht er¬
im Jahre 2000 die unangenehme wartet, impft sie mit Schrecken.
Überraschung erleben, daß tat¬ Hans Kasper, Verlust
sächlich die Lichter ausgehen.
Hans Christoph Buch Das Leben kann nur in der Schau

788
Teil II Zurückhaltung

nach rückwärts verstanden, aber einzigen gewaltigen Griff zu si¬


nur in der Schau nach vorwärts ge¬ chern sucht.
lebt werden. Manes Sperber
Sören Kierkegaard
Das Merkwürdige an der Zukunft
Zukunft ist die Zeit, in der man die ist wohl die Vorstellung, daß man
ganze Vergangenheit kennen wird. unsere Zeit später die gute alte Zeit
Solange man die Vergangenheit nennen wird.
nur teilweise kennt, lebt man in der John Steinbeck
Gegenwart. [1902-1968];
Gabriel Laub amerik. Schriftsteller

Zukunft - das war oft genug schon


die Ausrede aller, die weder Ver¬ _Zurückgezogenheit
gangenheit noch Gegenwart hat¬
Wer sich verschließen gelernt hat,
ten; und auch derer, die Vergan¬
dem tut es doppelt wohl, wenn er
genheit und Gegenwart zu verber¬
sich aufschließen darf.
gen trachteten.
Ernst von Feuchtersleben
Ludwig Marcuse

Du kannst dich zurückhalten von


Die Zukunft sollen wir bauen? Vie¬
dem Leiden der Welt, das ist dir
le fordern das jetzt. Doch hierbei
freigestellt. Aber vielleicht ist gera¬
denken manche bloß an die künfti¬
de dies Zurückhalten das einzige
ge Sicherung ihrer jetzigen Privile¬
Leiden, das du vermeiden könn¬
gien. Andere, forschere, bauen, so
test.
fürchte ich, Zukunft wie einen Un¬
Franz Kafka, Chinesische Mauer
fall.
Kurt Marti

_Zurückhaltung
Die Zukunft kommt in Raten, das
ist das Erträgliche an ihr. Dumme Gedanken hat jeder, aber
Alfred Polgar der Weise verschweigt sie.
[1875-1955]; Wilhelm Busch, Aphorismen und
österr. Schriftsteller und Kritiker Reime

Die Zukunft des Menschen steht *Was deines Amtes nicht ist, da
auf dem Spiel; sie ist gesichert, so¬ laß deinen Vorwitz; denn es ist dir
bald nur genügend Menschen sich schon mehr befohlen, als du kannst
dieser Einsicht nicht verschließen. ausrichten.
Bertrand Russell, Moral Jesus Sirach 3, 24-25

Man hat Zeit genug, an die Zu¬ Lieber weniger, aber besser.
kunft zu denken, wenn man keine Wladimir Iuitsch Lenin
Zukunft mehr hat. [1870-1924];
George Bernard Shaw, russ.-sowjet. Politiker
Pygmalion
Nichts Liebenswerteres in der
Der einzige Augenblick, in dem Welt, als Dummheit, die schweigen
man nicht an die Zukunft denkt, ist kann.
jener, in dem man sie mit einem Karl Heinrich Waggerl

789
Zusammenarbeit Teil II

_Zusammenarbeit menleben der Geschlechter er¬


reicht.
Die Wissenschaft braucht Zusam¬
Alice Schwarzer [* 1942];
menarbeit, in der sich das Wissen
dt. Publizistin
des einen durch die Entdeckung
des anderen bereichert.
Eine dauernde Bindung zu einer
Jose Ortega y Gasset, Liebe
Frau ist nur möglich, wenn man im
Theater über dasselbe lacht. Wenn
Das einzige, was die Menschheit zu
man gemeinsam schweigen kann.
retten vermag, ist Zusammenar¬
Wenn man gemeinsam trauert.
beit, und der Weg zur Zusammen¬
Sonst geht es schief.
arbeit nimmt im Herzen der einzel¬
Kurt Tucholsky
nen seinen Anfang.
Bertrand Russell, Moral
_Zustimmung

Grundsätzliche Zustimmung ist die


_Zusammenleben höflichste Form der Ablehnung.
Robert Lembke
Wir haben gelernt, wie die Vögel zu
fliegen, wie die Fische zu schwim¬
Wenn Leute mit mir übereinstim¬
men; doch wir haben die einfache
men, habe ich immer das Gefühl,
Kunst verlernt, wie Brüder zu le¬
ich muß mich irren.
ben.
Oscar Wilde
Martin Luther King
[1929-1968];
amerik. Bürgerrechtler
_Zuversicht
und Baptistenpfarrer
Ohne Wenn und Aber bekenne ich
Allein ist der Mensch ein unvoll¬ mich zur Zuversicht im Denken
kommenes Ding; er muß einen und Handeln - wohl wissend, daß
zweiten finden, um glücklich zu einem dabei Irrtümer und Wider¬
sein. sprüche nicht erspart bleiben.
Blaise Pascal Willy Brandt, Erinnerungen

Nur wenn ich versuche, meine Wenn ich wüßte, daß morgen die
Partnerin oder meinen Partner Welt unterginge, würde ich heute
glücklich zu machen, auf seine noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Wünsche und seine Bedürfnisse Martin Luther
einzugehen, ihm zu seiner Lust zu
verhelfen, werde auch ich den
Rausch höchster Lust und höch¬ _Zwang
sten Glücks und tiefste Befriedi¬ Bitter ist es, das heute zu müssen,
gung und Erfüllung erleben. was man gestern noch wollen
Hans A. Pestalozzi, Auf die konnte.
Bäume Karl Gutzkow

Wenn es eines Tages keine Rolle Man kann eine widerspenstige


mehr spielt, ob ich ein Mann oder Rinderherde mit Peitschen treiben,
eine Frau bin, erst dann habe ich aber man kann sie während des
meine Zukunftsvision vom Zusam¬ Peitschens nicht an die gute Weide

790
Teil II Zwischenmenschliche Beziehungen

glauben machen, zu der man vor¬ position in einem parlamentari¬


gibt sie zu treiben. schen Gemeinwesen.
Gerhart Hauptmann Hans Egon Holthusen,
Verstehen
Das Element der großen Geister ist
die Freiheit; und wer sie unterstüt¬ Es ist Talent nötig zum Zweifeln,
zen will, muß diese ihnen erst ge¬ aber es ist schlechterdings kein
währen. Aller Zwang hemmt und Talent nötig zum Verzweifeln.
drückt die Natur, und sie kann ihre Sören Kierkegaard
Schönheit nicht in vollem Reize
zeigen. Zweifle an allem wenigstens ein¬
Wilhelm Heinse mal, und wäre es auch der Satz;
2 mal 2 ist 4.
* Kein Mensch muß müssen. Georg Christoph Lichtenberg
Gotthold Ephraim Lessing,
Nathan Jeder Zweifel ist die Forderung
nach einer Methode.
Zwang erbittert die Schwärmer im¬ Jose Ortega y Gasset, Aufstand
mer, aber er bekehrt sie nie.
Schiller, Kabale und Liebe Zweifeln ist Suchen, nicht Rat¬
losigkeit.
Durch Belohnung oder Strafe kann Hans A. Pestalozzi, Auf die
man Menschen zwingen, zu erklä¬ Bäume
ren oder zu beschwören, daß sie
glauben, und zu handeln, als ob sie Des Glaubens Sonde ist der Zwei¬
glaubten: Mehr kann man nicht er¬ fel.
reichen. Johann Gottfried Seume
Jonathan Swift
Der Glaube versetzt Berge, der
Zweifel erklettert sie.
Karl Heinrich Waggerl
_Zweifel

Irren mag menschlich sein, aber Oft spüren Häretiker zuerst die
Zweifeln ist menschlicher, indem Zeichen der Zeit, und manchmal
es gegen das Irren angeht. waren verurteilte Ketzer, die mani¬
Ernst Bloch fest unrecht hatten, die innigsten
Freunde Gottes.
Der Zweifel gehört zur echten Carl Friedrich von Weizsäcker,
Fruchtbarkeit, man muß durch ihn Geschichte
hindurch, es geht kein anderer Weg
als dieser gefahrvolle in die große
Gewißheit. _Zwischenmenschliche
Martin Buber Beziehungen

Alles Wissen geht aus einem Zwei¬ Auch im übertragenen Sinn ist der
fel hervor und endigt in einem Mensch in seiner eigenen Haut
Glauben. nackt geboren und bedarf fremder
Marie von Ebner-Eschenbach bekleidender Stoffe, um sich genau
in seiner eigenen Nähe zu wärmen,
Glaube und Zweifel verhalten sich ja zu betonen.
zueinander wie Regierung und Op¬ Ernst Bloch

791
Zyniker Teil II

Der Umgang mit Menschen ist Wenn du dich in Gefahr glaubst,


wahrer Umgang. Man geht ewig an einem Menschen zugrunde zu
umeinander herum, ohne sich nä¬ gehen, so rechne es ihm nicht
herzukommen. gleich als Schuld an, sondern frage
Ernst von Feuchtersleben dich vorerst, wie lange du schon
nach solch einem Menschen ge¬
Unerquicklich ist es, mit dir zu sucht hast.
streiten, wenn du nur verteidigen Arthur Schnitzler
willst, was du bist, was du warst
und immer zu bleiben gedenkst. Nichts erwarten; dennoch ge¬
Was soll ich streiten, wenn ich spannt sein. Humanitäres Motto,
nicht hoffen kann, dich zu ändern. um zwischenmenschlich existieren
Karl Gutzkow zu können.
Wolfdietrich Schnurre,
Es gibt nichts so Grauenvolles wie Schattenfotograf
die Fremdheit derer, die sich ken¬
nen. Man kann nur fruchtbringend Gü¬
Gerhart Hauptmann ter erzeugen, wenn man mit den
Menschen, mit denen man in der
* Eine schöne Menschenseele fin¬ Erzeugung arbeiten muß, in einer
den ist Gewinn. den menschlichen Fähigkeiten und
Johann Gottfried Herder Bedürfnissen entsprechenden Ver¬
[1744-1803]; dt. Schriftsteller bindung lebt.
Rudolf Steiner
Wir haben gelernt, wie die Vögel zu
fliegen, wie die Fische zu schwim¬
men; doch wir haben die einfache
Kunst verlernt, wie Brüder zu le¬ _Zyniker
ben.
Martin Luther King Zyniker: Schuft, dessen mangel¬
[1929-1968]; amerik. hafte Wahrnehmung Dinge sieht,
Bürgerrechtler u. Baptistenpfarrer wie sie sind, statt wie sie sein sol¬
len.
Abstand wahren ist der kürzeste Ambrose Bierce
Weg in die Nähe des anderen.
Hans Kudszus Wer die Wahrheit im falschen Mo¬
ment sagt, gilt als Zyniker.
Wir standen uns so nah, daß es Oliver Hassencamp
zwischen uns keinen Platz mehr
gab für Gefühle. Der Zyniker, der Schmarotzer der
Stanislaw Jerzy Lec Zivilisation, lebt davon, sie zu ver¬
neinen, gerade weil er überzeugt
Einander kennenlernen, heißt ler¬ ist, daß sie ihn nicht im Stich lassen
nen, wie fremd man einander ist. wird.
Christian Morgenstern Jose Ortega y Gasset, Aufstand

In einer Atmosphäre von Feind¬ „Was ist ein Zyniker?“ - „Ein


schaft läßt sich leben; Mangel an Mann, der von allem den Preis und
Wohlwollen ist schlimmere Luft. von nichts den Wert kennt.“
Arthur Schnitzler Oscar Wilde

792
Teil II Zynismus

Ich bin durchaus nicht zynisch, ich Der Zynismus der Zyniker besteht
habe nur meine Erfahrungen, was nicht darin, daß sie sagen, was sie
allerdings ungefähr auf dasselbe denken, sondern darin, daß sie
herauskommt. denken.
Oscar Wilde Gabriel Laub

Zynismus kann ein Präludium ech¬


_Zynismus ter Moral sein.
Der Zynismus, so verabscheuungs¬ Ludwig Marcuse

würdig, so unangebracht er auch in


der Gesellschaft sein mag, ist für Zynismus: die trüben Aspekte des
die Bühne hervorragend geeignet. Menschen nicht nur kennen, son¬
Denis Diderot, Schriften dern mit ihnen protzen.
Ludwig Marcuse
Zynismus ist der geglückte Ver¬
such, die Welt so zu sehen, wie sie Zynismus ist intellektuelles Stut¬
wirklich ist. zertum.
Jean Genet [1910-1986]; George Meredith [1828-1909];
franz. Schriftsteller engl. Schriftsteller

793
18 Duden 12
'
Quellenverzeichnis

A
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Gesammelte Werke I. Essays, Reden, der Politik. Frankfurt a. M. 1973
Vorträge. Stuttgart, 6. Aufl. 1987 Willy Brandt, Bruno Kreisky, Olof
Gesammelte Werke IV. Autobiogra¬ Palme. Briefe und Gespräche 1972 bis
phische und vermischte Schriften. 1975. Frankfurt a. M./Köln 1975
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795
18*
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Polnischen übertragen von K. Dede- Psychologe und Begründer einer Rhe¬
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Brzozowski, Stanislaw (1878-1911); Rede. Die Macht des gesprochenen
poln. Schriftsteller Wortes. Grünberg 1969
Taggespenster. In: Bedenke, bevor du Chamfort [= Sebastien Roch Nicolas]
denkst. Herausgegeben und aus dem (1741-1794); franz. Schriftsteller
Polnischen übertragen von K. Dede- Maximen, Charaktere, Anekdoten.
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Einsichten. Frankfurt a. M. 1953 engl. Schriftsteller
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G. Kranz. Moers 1988
Das Hervortreten des Ichs aus den
Chinesische Sprichwörter. Aus dem
Wörtern. Aufsätze zur Literatur. Mün¬
Chinesischen übertragen und heraus¬
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Buckle, Henry Thomas (1821-1862);
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Geschichte der Civilisation in Eng¬
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Ausgewählte Dramen von Pierre Cor¬
3. Aufl., Leipzig und Heidelberg 1868
neille. Berlin 1877
Burckhardt, Jacob (1818-1897);
Schweiz. Kultur- und Kunsthistoriker
Weltgeschichtliche Betrachtungen. D
Pfullingen o. J. Dahrendorf, Ralf (* 1929); dt. Soziologe
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ter, Zeichner und Maler Gesellschaft und Demokratie in
Sämtliche Werke in 2 Bänden. Mün¬ Deutschland. München 1975
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Sämtliche Briefe. Kommentierte Aus¬ Dichter
gabe. Hrsg.: F. Bohne. 2 Bde. Hanno¬ Die göttliche Komödie. Übers, von
ver, 1968-69 K. Eitner. 3 Teile. Bibliographisches
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Canetti, Elias (* 1905); Schriftsteller, Nur Lebendiges schwimmt gegen den
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1976 von G. Fieguth. Stuttgart 1985 (Re-
Cardenal, Ernesto (* 1925); nicaragua- clam Universal-Bibliothek Nr. 9889)
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796
Quellenverzeichnis

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F
Philosophische Schriften. 2 Bde. Ber¬
lin (West) 1984 Feuchtersieben, Ernst von (1806-1849);
Die ganze Welt steht auf der spitzen österr. Schriftsteller
Zunge. Jüdische Sprichwörter. Aus Zitiert nach: Deutsche Aphorismen
dem Jiddischen übertragen, herausge¬ aus drei Jahrhunderten. Auswahl von
geben und mit einem Vorwort verse¬ F. Hindermann und B. Heinser.
hen von V. Dietzel. Wiesbaden o. J. 3. Aufl., Zürich 1988
Ditfurth, Hoimar von (1921-1989); dt. Finck, Werner (1902-1978); dt. Schau¬
Wissenschaftspublizist spieler und Kabarettist
Innenansichten eines Artgenossen. Das Beste von Werner Finck. Mün¬
Düsseldorf 1989 chen 1988
Döblin, Alfred (1878-1957); dt. Schrift¬ Flake, Otto; Pseudonym Leo F. Kotta
steller (1880-1963); dt. Schriftsteller
Die Vertreibung der Gespenster. Au¬ Leo F. Kotta: Gedankengut. Dort¬
tobiographische Schriften. Betrach¬ mund 1949
tungen zur Zeit. Aufsätze zu Kunst
Franklin, Benjamin (1706-1790); ame-
und Literatur. Berlin (Ost) 1968
rik. Politiker, Schriftsteller und Phy¬
Doderer, Heimito von (1896-1966);
siker
österr. Schriftsteller
Der Weg zum Reichtum. Essay. Her¬
Repertorium. Ein Begreifbuch von hö¬
ausgegeben von R. L. Stab. Berlin 1891
heren und niederen Lebens-Sachen.
Autobiographie. Herausgegeben von
Herausgegeben von D. Weber. Mün¬
P. de Mendelssohn. Berlin (West) 1954
chen 1969
Friedell, Egon (1878-1938); österr.
Dostojewski, Fjodor (1821-1881); russ.
Journalist, Schauspieler und Schrift¬
Schriftsteller
steller
Aufzeichnungen aus einem Keller¬
Zitiert nach: Deutsche Aphorismen
loch. München 1962
aus drei Jahrhunderten. Auswahl von
Aufzeichnungen aus einem toten Hau¬
F. Hindermann und B. Heinser.
se. München 1960
3. Aufl., Zürich 1988
Aus dem Tagebuch eines Schriftstel¬
Frisch, Max (1911-1991); schweizer.
lers. Hamburg 1962
Schriftsteller
Die Brüder Karamasoff. Klagenfurth
Montauk. Frankfurt a. M. 1975
o. J.
Tagebuch 1946-1949. ln: Gesammel¬
Die Dämonen. Gütersloh 1962
te Werke in zeitlicher Folge. Bd. 11,2.
Der Jüngling. Frankfurt 1960
Frankfurt a. M. 1976
Dutschke, Rudolf (1940-1979); dt. Stu¬
Tagebuch 1966-1971. In: Gesammel¬
dentenführer, Politologe
te Werke in zeitlicher Folge. Bd. VI, 1.
Geschichte ist machbar. Berlin (West)
Frankfurt a. M. 1976
1980
Der Mensch erscheint im Holozän.
Frankfurt a. M. 1979
E Fucik, Julius (1903-1943); tschech.
Schriftsteller
Ebner-Eschenbach, M. von (1830 bis
Reportage unter dem Strang geschrie¬
1916); österr. Erzählerin
ben. Berlin (Ost) 1978
Aphorismen. Stuttgart 1988 (Reclam
Universal-Bibliothek Nr. 8455)
Eich, Günter (1907-1972); dt. Lyriker G
und Hörspielautor
Zitiert nach T Deutsche Aphorismen Gandhi, Mohandas Karamchand, ge¬
Engels, Friedrich (1820-1895); dt. Phi¬ nannt Mahatma (1869-1948); indi¬
losoph und Politiker scher Freiheitskämpfer
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797
Quellenverzeichnis

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Schriftsteller
H
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1924-1939. Deutsche Übertragung Merkur. Deutsche Zeitschrift für euro¬
von M. Schaefer-Rümelin. Stuttgart päisches Denken, Nr. 351 (1977), S.
1954 764-769
Die Falschmünzer. Roman. Deutsch Hassencamp, Oliver (1921-1987); dt.
von F. Hardekopf. Stuttgart 1964 Schriftsteller und Kabarettist
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Werke. Hrsg, von K. Heinemann. 30 Hauptmann, Gerhart (1862-1946); dt.
Bde. Bibliographisches Institut Leip¬ Schriftsteller
zig und Wien 1901-1908 Zitiert nach t Deutsche Aphorismen
Goetz, Curt (1888-1960); dt. Bühnen¬ Hayek, Friedrich August von (* 1899);
schriftsteller und Schauspieler brit. Volkswirtschaftler und Sozialphi¬
Dreimal täglich. Rezepte. Stuttgart losoph
1964 Zitiert nach: IForbes. Das Wirt¬
schaftsmagazin für Europa 3/1990,
Gollwitzer, Helmut (* 1908); dt. ev.
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Theologe
Das hohe Lied der Liebe. 7. Aufl., Hebbel, Friedrich (1813-1863); dt. Dra¬
München 1988 matiker
Tagebücher. In: Werke in 2 Bänden.
Gorz, Andre (* 1924); franz. Publizist
Bd. 2. München 1978
österr. Herkunft
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
Wege ins Paradies. Thesen zur Krise,
(1770-1831); dt. Philosoph
Automation und Zukunft der Arbeit.
Werke in 20 Bänden. Frankfurt a. M.
Aus dem Französischen von E. Mol¬
1979-1982
denhauer. Berlin (West) 1983
Heine, Heinrich (1797-1856); dt.
Graff, Sigmund (1898-1979); dt.
Schriftsteller
Schriftsteller
Heinrich Heines sämtliche Werke.
Vom Baum der Erkenntnis. Aphoris¬
7 Bde. Herausgegeben von E. Elster.
men. Krefeld 1973
Bibliographisches Institut Leipzig
Grillparzer, Franz (1791-1872); österr. 1887-1890
Dramatiker
Heinse, Johann Jakob Wilhelm (1746
Aphorismen. In: Grillparzers Werke.
bis 1803); dt. Schriftsteller
Bd. 5. Herausgegeben von R. Franz.
Aphoristisches. In: Anthologie aus
Bibliographisches Institut Leipzig und
den Werken von Wilhelm Heinse. Bi¬
Wien 1903-1904
bliographisches Institut Hildburghau¬
Gross, Johannes (* 1932); dt. Journalist sen und New York o.J. (1855/56)
und Schriftsteller Herbst, Wolfgang (* 1925); dt. Schrift¬
Notizbuch. Frankfurt a. M./Berlin steller und Aphoristiker
(West) 1988 Zitiert nach: Lothar Schmidt. Das gro¬
Gutzkow, Karl (1811-1878); dt. Schrift¬ ße Handbuch geflügelter Definitio¬
steller nen. München 1971
Anthologie aus den Werken von Karl Hesse, Hermann (1877-1962); dt.
Gutzkow. Bibliographisches Institut Schriftsteller
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798
Quellenverzeichnis

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(Ost) 1980 Gedanken und Maximen. Von
Flo Chi Minh (1890-1969); vietnamesi¬ F. Schalk. Leipzig 1940 (Sammlung
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Gefängnistagebuch. 102 chinesische Jüdische Sprichwörter, t Die ganze Welt
Gedichte. Nach der engl. Version von steht auf der spitzen Zunge
A. Palmer ins Deutsche übertragen Jünger, Friedrich Georg (1898-1977);
von A. Kirchhoff u.a. München 1970 dt. Schriftsteller
Hölderlin, Johann Christian Friedrich Gedanken und Merkzeichen. Frank¬
(1770-1843); dt. Dichter furt a. M. 1949
Werke. 2 Bde. Hrsg, von H. Branden¬
burg. Bibliographisches Institut Leip¬
K
zig 1924
Holthusen, Hans Egon (*1913); dt. Kafka, Franz (1883-1924); österr.
Schriftsteller Schriftsteller
Kritisches Verstehen. Neue Aufsätze Briefe an Milena. Frankfurt a. M. 1976
zur Literatur. München 1961 Beim Bau der Chinesischen Mauer.
Der unbehauste Mensch. Motive und In: Sämtliche Erzählungen. Frankfurt
Probleme der modernen Literatur. a.M. 1970
München 1964 Tagebücher 1910-1923. Herausgege¬
Humboldt, Wilhelm v. (1767-1835); dt. ben von M. Brod. Frankfurt a. M. 1973
Staatsmann, Philosoph und Sprach¬ Kant, Immanuel (1724-1804); dt. Philo¬
forscher soph
Werke in fünf Bänden. Hrsg, von A. Flit- Kant-Brevier. Ein philosophisches Le¬
ner und K. Giel. Stuttgart 1979-1982 sebuch für freie Minuten. Hrsg, von
Sentenzen für eine Freundin. Darm¬ W. Weischedel. Frankfurt a.M. 1974
stadt 1944 Kasper, Hans (* 1916); dt. Schriftsteller
Huxley, Aldous Leonard (1894-1963); und Journalist
brit. Schriftsteller Abel, gib acht. Aktuelle Aphorismen.
Schöne neue Welt. Roman. Frankfurt Düsseldorf/Wien 1962
a.M. 1972 Revolutionäre sind Reaktionäre. Düs¬
seldorf/Wien 1969
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Iacocca: eine amerikanische Karriere. land-Buch. Frankfurt a.M. 1974
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Übersetzt von B. Stein. Frankfurt steller
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dium für hellere Köpfe. Darmstadt
1960
J Ehrfurcht und Gelächter. Literarische
Jaspers, Karl (1883-1969); dt. Philo¬ Essays. Mainz 1974
soph Kierkegaard, Sören (1813-1855); dän.
Einführung in die Philosophie. Mün¬ Philosoph, Theologe und Schriftstel¬
chen 1957 ler
Jean Paul [ = Johann Paul Friedrich Auswahl aus dem Gesamtwerk. Wies¬
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799
Quellenverzeichnis

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Bern/München 1966 Schriftstellerin
Der Mensch - Irrläufer der Evolution. Gedichte und Aphorismen. München
Eine Anatomie der menschlichen Ver¬ 1984
nunft und Unvernunft. Bern/Mün¬ Lembke, Robert (1913-1989); dt. Jour¬
chen 1978 nalist und Fernsehmoderator
Kostolany, Andre (* 1908); amerik. Bör¬ Grüße aus dem Fettnäpfchen. Apho¬
senspekulant ungar. Herkunft rismen. 2. Aufl., München/Wien 1986
Kostolanys Notizbuch. München Lemke, Jürgen (* 1943); dt. Dozent für
1988 Ökonomie
Krailsheimer, Hans (1888-1958); dt. Ganz normal anders. Auskünfte
Aphoristiker schwuler Männer. Berlin (Ost) 1989
Kein Ausweg ist auch einer. Aphoris¬ Lessing, Gotthold Ephraim (1729 bis
men. München 1954 1781); dt. Schriftsteller, Kritiker und
Kraus, Karl (1874-1936); österr. Philosoph
Schriftsteller Werke. Herausgegeben von G. Wit-
Aphorismen (Schriften, Bd. 8). Frank¬ kowski. 7 Bde. Bibliographisches In¬
furt a. M. 1986 stitut Leipzig 1911
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steller und Journalist Physiker und Schriftsteller
Jaworte, Neinworte. Aphorismen. Aphorismen, Essays, Briefe. Heraus¬
Frankfurt a. M. 1970 gegeben von K. Batt. Bremen o.J.
Kurz, Isolde (1853-1944); dt. Schrift¬ (Sammlung Dieterich 260)
stellerin Lohberger, Hans (* 1920); österr.
Zitiert nach t Besinnung und Einsicht. Schriftsteller
Zitiert nach: Lothar Schmidt, Das gro¬
ße Handbuch geflügelter Definitio¬
L
nen. München 1971
La Bruyere, Jean de (1645-1696); franz. Lukäcs, György [Georg (von)] (1885 bis
Schriftsteller 1971); ungar. Philosoph und Litera¬
Die Charaktere, oder: Die Sitten im turwissenschaftler
Zeitalter Ludwigs XIV. Aus dem Die Theorie des Romans. Neuwied/
Französischen von K. Eitner. Biblio¬ Berlin (West) 1971
graphisches Institut Leipzig 1871 Luther, Martin (1483-1546); dt. Refor¬
Laotse [Lao Tzu] (4. oder 3. Jh. v. Chr.); mator
legendärer chines. Philosoph Richard Brüllmann. Lexikon der tref¬
Jenseits des Nennbaren. Sinnsprüche fenden Martin-Luther-Zitate. Thun
von Laotse. Herausgegeben von L. 1983
von Keyserlingk. Lreiburg/Basel/Wien Luxemburg, Rosa (1870-1919); dt. Poli¬
1979 tikerin poln. Herkunft
La Rochefoucauld, F. de (1613-1680); Rosa Luxemburg. Ein Leben für die
franz. Schriftsteller Freiheit. Reden - Schriften - Briefe.
Maximen und Reflexionen. Franzö¬ Ein Lesebuch. Frankfurt a. M. 1987
sisch und deutsch. Übersetzt von J. v.
Stackeiberg. München 1987
Laub, Gabriel (* 1928); poln.-tschech.
M
Satiriker und Aphoristiker Mann, Thomas (1875-1955); dt.
Denken verdirbt den Charakter. Alle Schriftsteller
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800
Quellenverzeichnis

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Der eindimensionale Mensch. Neu¬ sammelte Werke in einem Band. Mün¬
wied/Darmstadt 1970 chen 1965
Marcuse, Ludwig (1884-1971); dt. Lite¬ Munthe, Axel (1857-1949); schwed.
raturkritiker, Philosoph und Journa¬ Arzt und Schriftsteller
list Das Buch von San Michele. Deutsch
Denken mit Ludwig Marcuse. Ein nach der 26. engl. Auflage von G. Uex-
Wörterbuch für Zeitgenossen. Zürich küll-Schwerin. Saarbrücken/München
1973 o. J.
Margolius, Hans (* 1922); dt. Schrift¬ Musil, Robert (1880-1942); österr.
steller Schriftsteller
Zitiert nach T Besinnung und Einsicht Kleine Prosa. Aphorismen. Autobio¬
Mark Twain [= Samuel Langhorne Cle¬ graphisches (Gesammelte Werke 7).
mens] (1835-1910); amerikan. Schrift¬ Reinbek b. Hamburg 1978
steller
Aphorismen. In: Weisheiten der Welt.
N
Herausgegeben von Alfred Grunow.
Bd. 2; Europa und die Neue Welt. Ber¬ Neill, Alexander Sutherland (1883 bis
lin (West) 1966 1973); brit. Pädagoge
Marti, Kurt (* 1921); Schweiz, refor¬ Theorie und Praxis der antiautoritären
mierter Theologe und Schriftsteller Erziehung. Reinbek bei Hamburg
Zärtlichkeit und Schmerz. Notizen. 1970
6. Aufl. Darmstadt 1988 Nell-Breuning, Oswald von (1890 bis
Marx, Karl (1818-1883); dt. Philosoph 1991); dt. kath. Theologe und Soziolo¬
und Politiker ge
Karl Marx, Friedrich Engels. Ausge¬ Worauf es mir ankommt. Zur sozialen
wählte Werke in 6 Bdn. Berlin (Ost) Verantwortung. Freiburg/Basel/Wien
1988-1990 1983
Mencken, Henry Louis (1880-1956); Neruda, Pablo (1904-1973); chilen. Ly¬
amerik. Journalist und Schriftsteller riker
Zitiert nach: Schlagfertige Definitio¬ Ich bekenne, ich habe gelebt. Me¬
nen. t Schmidt, Lothar moiren. Deutsch von C. Meyer-Cla-
Mitsch, Werner (* 1936); dt. Aphoristi¬ son. Gütersloh o. J.
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Hin- und Widersprüche. Rosenheim, Schriftsteller und Schauspieler
2. Aufl. 1988 Werke, ausgewählt von O. M. Fonta¬
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dt. Mediziner und Psychologe Niederreuther, Thomas (* 1909); dt.
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menschliche Aggressivität. Frankfurt Wer hat schon Mitleid mit einem Kro¬
a. M. 1969 kodil. Aphorismen. Gauting 1967
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franz. Schriftsteller und Staatstheore¬ Werke in 3 Bänden. Herausgegeben
tiker von K. Schlechta. München 1954-56
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Vom Geist der Gesetze. Übertragen, Spirale. Roman einer schlaflosen
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Quellen Verzeichnis

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Stuttgart 1978 Ausgangspunkte: Meine intellektuelle
Über die Liebe. München 1978 Entwicklung. Hamburg 1979
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Publizist Dichter
227 Tage im Gefängnis. Briefe, Texte, ABC des Lesens. Deutsch von E. Hes¬
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Proust, Marcel (1871-1922); franz.
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P
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Panizza, Oskar (1853-1921); dt. Schrift¬ E. Weiß. Frankfurt a. M./Berlin (West)
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Die kriminelle Psychose, genannt Psi-
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Wissen des Herzens. Gedanken und Aphorismen Wilhelm Raabes. Her¬
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802
Quellenverzeichnis

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Rolfs, Rudolf (* 1922); dt. Schriftsteller ker
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Schriftsteller
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Schreibtisch unter freiem Himmel.
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Olten/Freiburg i. Br. 1964
thek Nr. 901)
Der Schattenfotograf. Aufzeichnun¬
Schriften. 2 Bde. München 1978
gen. München 1978
Russell, Bertrand (1872-1970); brit.
Mathematiker, Philosoph und Schrift¬ Schopenhauer, Arthur (1788-1860); dt.
Philosoph
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Politische Schriften I. München 1972 liche Werke. Bd. 5 und 6. Neu bearbei¬
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803
Quellenverzeichnis

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Dramatische Werke. Übersetzt von
A. W. v. Schlegel und L. Tieck. Heraus¬ Tucholsky, Kurt (1890-1935); dt. Jour¬
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Mensch und Übermensch. Eine Ko¬ ten des Friedensnobelpreisträgers.
mödie und eine Philosophie. Überset¬ Reinbek b. Hamburg 1984
zung von S. Trebitsch. Zürich 1946
Spengler, Oswald (1880-1936); dt. Kul¬
tur- und Geschichtsphilosoph U
Untergang des Abendlandes. Mün¬
Uhlenbruck, Gerd (* 1929); dt. Immun¬
chen 1950
biologe und Aphoristiker
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Sperber, Manes (1905-1984); franz.
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Wie eine Träne im Ozean. Romantri¬
Ustinov, Peter [Alexander] (*1921);
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engl. Dramatiker, Schriftsteller, Regis¬
Steiner, Rudolf (1861-1925); österr.
seur und Schauspieler russ.-franz. Ab¬
Anthroposoph
kunft
Aphorismen. Dörnach 1971
Ustinovitäten. Einfälle und Ausfälle.
Storm, Theodor (1817-1888); dt. Dich¬
Stuttgart 1977
ter
Sämtliche Werke. 3 Bde. Hamburg/
Braunschweig/Berlin 1918 V
Swiftochowski, Aleksander (1849 bis
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Paradoxa - Ketzereien. In: Bedenke, tist
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804
Quellenverzeichnis

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Politiker stitut Leipzig 1981

805
.
Register

1. Die Bibel

Die Bücher des Alten Testaments Die Bücher des Neuen Testaments

Die fünf Bücher Moses: 25, 26, 55, 60, Das Evangelium des Matthäus: 40, 43,
65, 80, 81, 95, 102, 109, 114, 118, 124, 45, 48, 52, 53, 55, 56, 58, 59, 79, 105,
127, 130, 137, 146, 147, 149, 171, 179, 106, 113, 129, 131, 141, 143, 165, 166,
180, 182, 191, 229, 230, 231, 237, 252, 174, 179, 184, 205, 207, 215, 238, 244,
272, 283, 296, 308, 312, 342, 352, 367, 246, 249, 250, 252, 266, 273, 274, 288,
377, 394, 395, 405, 414, 417, 424, 425, 308, 316, 321, 322, 336, 348, 357, 362,
459, 460, 467, 472, 479, 501, 505, 506, 364, 374, 380, 381, 390, 394, 395, 396,
517, 527 400, 406, 409, 411, 412, 417, 422, 457,
Das Buch Josua: 226 472, 477, 491, 495, 496, 497, 499, 502,
514, 518, 522
Das Buch der Richter: 503, 525
Die Bücher Samuel: 35, 71, 265, 398, Das Evangelium des Markus: 52, 87,
449, 505, 529 145, 207, 215, 229, 239, 249, 265, 334,
336, 395, 501
Die Bücher von den Königen: 49, 71,
203, 312, 380, 479 Das Evangelium des Lukas: 19, 46, 49,
Das Buch Esther: 238 52, 59, 60, 64, 67,79,104, 114, 133,161,
163, 165, 169, 185, 205, 207, 219, 230,
Das Buch Hiob: 46, 71, 158, 165, 189,
244, 249, 274, 291, 316, 341, 356, 390,
204, 209, 277, 462, 480, 506
395, 406, 447, 454, 455, 463, 488, 496,
Der Psalter: 21,29, 50, 52, 55, 73, 80, 97, 499, 502, 504, 514, 526
104, 110, 123, 127, 135, 158, 161, 165,
Das Evangelium des Johannes: 55, 106,
170, 204, 299, 301, 314, 369, 372, 395,
127, 159, 166, 192, 208, 229, 238, 242,
396, 414, 446, 447, 482, 503, 506, 511,
247, 249, 262, 304, 334, 338, 403, 432,
520
439, 444, 472, 474, 475, 505, 526
Die Sprüche Salomos: 95, 147, 181, 210,
Die Apostelgeschichte: 161, 166, 205,
305, 445, 488, 528
239, 242, 294, 356, 394, 459, 502, 506
Der Prediger Salomo: 28, 30, 32, 102,
160, 172, 457, 512 Der Römerbrief: 129, 147,154, 211, 241,
336, 367, 512, 519
Das Hohelied Salomos: 135, 211, 376
Jesaja: 44, 56, 57, 61, 75, 85, 129, 184, Die Korintherbriefe: 21, 40, 100, 132,
191, 362, 391, 399, 411, 415, 505, 512 133, 150, 155, 179, 231, 236, 239, 314,
330, 357, 379, 425, 454, 462
Jeremia: 60, 166, 194, 205, 248, 319, 352,
417 Der Galaterbrief: 40, 132, 283
Hesekiel: 144, 444, 499 Der Epheserbrief: 93, 236
Daniel: 90, 176, 262, 304 Der Philipperbrief: 80
Hosea: 500 Die Thessalonicherbriefe: 179, 365, 384,
Jona:334 496, 503
Habakuk: 175, 291 Die Timotheusbriefe: 193
Der Titusbrief: 371
Die Petrusbriefe: 194, 351, 434
Die Apokryphen Die Johannesbriefe: 484
Der Hebräerbrief: 71, 111, 529
54, 193, 210, 212, 241, 340, 346, 398,
407, 451, 472, 473, 480, 497, 498, 607, Die Offenbarung: 19, 80, 103, 163, 258,
613, 755 381, 393

807
Register

2. Personenregister

Arndt, Hans: 541, 555, 606, 621, 647,


A
663, 686, 688, 711, 720, 726, 730, 741,
Abraham a Sancta Clara: 345, 500 747, 765
Abs, Hermann Josef: 621 Arnim, Achim v.: 162, 328
Accius, Lucius: 318 Amobius d.J.: 54
Acquaviva, Claudio: 198 Arntzen, Helmut: 551, 577, 642, 655,
Adam, Adolphe Charles: 154 704, 705, 781
Addison, Joseph: 260 Arundel, Honor: 336
Adenauer, Konrad: 21, 540 Äschylus: 45, 222, 280, 301, 389, 502
Adler, Alfred: 544 Äsop: 206,280,327,385,389,398,428,473
Adorno, Theodor W.: 140, 374, 556, 576, Astaire, Fred: 740
609, 617, 638, 657, 667, 669, 723, 732, Aubigne, Theodore Agrippa d’: 410
751 Augstein, Rudolf: 564, 617
Agricola, Johann: 198, 261, 291 August, Ernst Ferdinand: 316
Ahlers, Conrad: 641 Augustinus: 85, 313, 336, 515, 623, 770
Albee, Edward: 39, 495 Augustus: 24, 177, 190
Alberti, Leon Battista: 45 Ayrer, Jakob: 97
Albertus Magnus: 419
Aler, Paul: 186
B
Alexander d.Gr.: 490
Alexis, Willibald: 82 Baader, Franz v.: 761
Algren, Nelson: 296 Bach, Johann Sebastian: 176, 204
Alkaios: 239 Bachmann, Ingeborg: 48, 126, 585, 601
Allen, Woody: 290, 579, 586, 598 Bacon, Francis: 73, 168, 514
Alt, Franz: 533, 550, 562, 607, 673, 682, Bahr, Egon: 611
712, 746, 779 Bahr, Hermann: 569, 767
Ambesser, Axel v.: 649 Baker, Josephine: 751
Amiel, Henri Frederic: 565, 623 Ballantyne, James: 189
Ammianus Marcellinus: 55 Balthasar, Hans Urs v.: 545, 566, 627,
Andersen, Hans Christian: 198, 252, 678, 684, 750, 770, 773
363, 410 Balz, Bruno: 94, 96, 226, 510, 513
Andersen-Nexa, Martin: 546, 548, 571, Balzac, Honore de: 178, 270, 674
572, 603, 633, 642, 756 Bardot, Brigitte: 566
Andre, Johann: 65 Barnard, Christiaan: 594
Andreas, Fred: 132 Barraud, Francis: 414
Andrieux, Francois: 177 Barreaux, Jacques Vallee des: 420
Angelus Silesius: 309 Barry, Philip: 350
Angely, Louis: 86, 107, 145, 283 Bassermann, Daniel: 61
Anouilh, Jean: 603, 663, 664, 730 Baudelaire, Charles: 562, 601, 674
Anschütz, Ernst: 333 Baudrillard, Jean: 775, 784
Antigonos Gonatas: 158 Bauer, Josef Martin: 405
Anzengruber, Ludwig: 557 Baum, Vicki: 309
Apel, Hans: 219, 701 Baumbach, Rudolf: 160, 258
Apitz, Bruno: 329 Bayly, Thomas Haynes: 272, 379
Archimedes: 176, 206, 415, 484 Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron
Ariosto, Ludovico: 368 de: 493, 508
Aristophanes: 143,433,518 Beauvoir, Simone de: 40, 625, 672, 760
Aristoteles: 145, 260, 389, 410, 435, 444, Bebel, August: 113, 671
450, 463, 506, 524 Becaud, Gilbert: 38
Aristoxenos von Tarent: 120 Becher, Johannes Robert: 53, 108, 378
Armstrong, Neil: 112 Becker, Jacques: 489
Arndt, Ernst Moritz: 183, 374, 474 Becker, Nikolaus: 400

808
Register

Beckett, Samuel: 471, 685 Blüher, Hans: 469


Beckmann, Fritz: 225, 328, 343 Blüm, Norbert: 744
Beda: —*■ Löhner, Fritz Blumauer, Aloys: 468
Beethoven, Ludwig van: 27, 88, 180, Blumenthal, Oskar: 613
227, 258, 292, 327, 346, 349, 394, 433, Bobrowski, Johannes: 536, 714
473, 494, 686 Bodenstedt, Friedrich v.: 237, 355, 552,
Bellmann, Karl Gottlieb: 386 692, 711
Beist, Paul von der: 437 Bogart, Humphrey: 225
Benatzky, Ralph: 324 Boileau-Despreaux, Nicolas: 84
Bender, Ludwig: 260 Böll, Heinrich: 79, 135, 171, 191, 200,
Bendow, Wilhelm: 515 333, 441, 468, 516, 539, 550, 592, 671,
Benedikt von Nursia: 353 700, 701, 721, 724, 736, 745, 782, 786
Benjamin, Walter: 536, 587, 599, 608, Bolten-Baeckers, Heinrich: 386
617, 625, 647, 659, 747 Bonhoeffer, Dietrich: 594, 603, 665
Benn, Gottfried: 491, 546, 572, 573, 575, Bonifatius VIII.: 366
586, 610, 612, 615, 642, 653, 657, 558, Bonseis, Waldemar: 591, 784
678, 691, 714, 784 Borchert, Wolfgang: 119
Benzoni, Girolamo: 130 Borgia, Cesare: 59
Bergengruen, Werner: 201 Bormann, Edwin: 245
Berger, Erna: 51 Börne, Ludwig: 312, 335, 373, 534, 538,
Bergman, Ingmar: 271, 418, 541 541, 553, 567, 637, 673, 684, 710, 712,
Bergner, Elisabeth: 663 714, 775
Berkensträter, Bert: 533, 560, 650, 682, Bornemann, Johann Wilhelm Jakob: 231
710, 764 Bossuet, Jacques Benigne: 24
Bernanos, Georges: 62, 663 Boswell, James: 480
Bernauer, Rudolf: 95, 298, 437, 504 Böttcher, Maximilian: 265
Bernhard, Thomas: 536 Boulay de la Meurthe, Antoine: 94
Bernstein, Eduard: 523 Bouilly, Jean Nicolas: 327, 349
Bertolucci, Bernardo: 282 Bradtke, Hans: 354
Bertuch, Justin: 153 Brahms, Johannes: 31, 179, 350
Bethmann-Hollweg, Theobald v.: 151 Brandt, Willy: 249, 301, 553, 568, 599,
Beutelrock, Friedl: 565, 577, 578, 625, 603, 617, 636, 638, 689, 691, 695, 696,
628, 630, 637, 650, 667, 673, 696, 730, 701, 715, 733, 734, 735, 761, 763, 772,
738 787, 790
Beuys, Joseph: 53 Brant, Sebastian: 385, 485
Bias von Priene: 352 Braun, Karl Johann: 329
Biedenkopf, Kurt Hans: 643 Brecht, Bertolt: 51, 96, 102, 110, 115,
Bierbaum, Otto Julius: 208, 214, 637 141, 179, 192, 241, 243, 262, 296, 323,
Bierce, Ambrose Gwinnett: 534, 535, 325, 343, 344, 364, 383, 388, 437, 441,
539, 542, 556, 575, 579, 582, 596, 597, 442, 444, 464, 465, 487, 559, 563, 569,
603, 616, 618, 632, 651, 659, 719, 730, 591, 596, 619, 628, 633, 635, 637, 643,
742, 752, 755, 761, 764, 783, 784, 792 653, 664, 667, 682, 688, 706, 707, 739,
Biermann, Wolf: 177, 276, 619, 635, 648, 743, 746, 757, 759, 763, 767, 773, 780,
655, 671, 678, 682, 730, 778, 787 784, 787
Binding, Rudolf Georg: 322 Bredschneider, Willy: 298, 504
Binzer, August v.: 494 Brentano, Clemens: 162, 227, 298, 299,
Bismarck, Otto v.: 40, 68, 76, 130, 200, 328, 437
233, 256, 279, 290, 291, 326, 355, 361, Bretzner, Christian Friedrich: 141, 494
362, 372, 397, 453, 511, 533, 538, 554, Breytenbach, Breyten: 682
575, 701, 709, 710 Britten, Benjamin: 666
Bizet, Georges: 52, 284 Brudzinski, Wieslaw Leon: 545, 570,
Bloch, Ernst: 363, 538, 541, 569, 595, 606, 609, 617, 643, 644, 647, 649, 655,
603, 620, 635, 638, 660, 683, 699, 730, 667, 687, 696, 701, 705, 730, 748, 753,
760, 766, 773, 784, 791 766, 767

809
Register

Brühl, Heidi: 513 Campbell, Thomas: 188


Bruhn, Christian: 298 Camus, Albert: 403, 538, 565, 577, 615,
Brühne, Lothar: 253, 510 619, 630, 637, 669, 698, 707, 727, 740
Bruno, Giordano: 490 Canetti, Elias: 554, 597, 622, 631, 654,
Brzozowski, Stanislaw: 544, 591, 595, 720, 726, 728, 729, 746, 761, 763, 779
609, 647, 676, 691, 724, 725, 731, 750, Canterbury, Anselm v.: 85
751, 761, 764, 776, 778 Cardenal, Ernesto: 548, 594, 603, 658,
Buber, Martin: 536, 541, 545, 550, 555, 721
556, 579, 588, 612, 619, 624, 627, 638, Carlyle, Thomas: 44, 297, 561, 568, 587,
641, 644, 660, 678, 682, 722, 728, 754, 620, 659, 667, 747, 755, 777
763, 769, 773, 784, 791 Carnegie, Dale: 555, 611, 650, 689, 708,
Buch, Hans Christoph: 551, 671, 688, 709, 736, 754, 782
721, 788 Carraci, Agostino: 203
Bücher, Lothar: 373 Carrel, Alexis: 435
Buchman, Frank: 320 Cäsar, Julius: 124, 222, 285, 377, 521
Büchmann, Georg: 164 Casona, Alejandro: 61
Büchner, Georg: 21, 154, 246, 373, 474, Cassius Dio: 48
511 Cassius Longinus Ravilla: 85
Buck, Pearl S.: 555, 648, 663, 667, 733, Cato: 56, 82
770 Celan, Paul: 390, 424
Buckle, Henry Thomas: 533, 596, 599, Celano, Thomas v.: 111
689, 741 Cervantes Saavedra, Miguel de: 130,
Buffon, Georges Louis Ledere de: 276, 195, 205, 317, 375, 755
740 Cezanne, Paul: 557
Bülow, Bernhard v.: 332, 359, 443 Chamfort, Sebastien Roch Nicholas:
Bülow, Vicco v. (Loriot): 197, 516 154, 550, 556, 557, 582, 634, 659, 665,
Bunuel, Luis: 114, 351 753
Burckhardt, Jacob: 632, 712, 784 Chamisso, Adelbert v.: 61, 136, 223, 226,
Bürger, Gottfried August: 210, 253, 258, 292, 340, 374, 394, 406, 514, 667, 676
273, 280, 323, 386, 473 Chanel, Coco: 536, 585, 667
Buridan, Johannes: 96 Chaplin, Charlie: 283
Burke, Edmund: 735 Charron, Pierre: 131
Burmann, Gottlob Wilhelm: 44 Chateaubriand, Francois Rene de: 264
Busch, Wilhelm: 20, 22, 25, 31, 34, 63, Chemnitz, Matthäus Friedrich: 386
69, 77, 78, 100, 113, 116, 119, 133, 136, Chenier, Marie-Joseph de: 126
165, 185, 192, 202, 244, 247, 248, 267, Chesterton, Gilbert Keith: 547, 585, 592,
294, 300, 312, 315, 316, 317, 324, 336, 595, 598, 599, 639, 649, 680, 684, 695,
351, 353, 369, 377, 393, 403, 422, 432, 718, 724, 750, 752, 761
438, 450, 457, 507, 517, 522, 528, 541, Chezy, Helmina de: 23
577, 586, 609, 649, 686, 699, 700, 718, Choirilos von Samos: 413
761, 789 Christian I.: 448
Busenbaum, Hermann: 528 Christian VIII.: 351
Bussy-Rabutin, Roger de: 183 Churchill, Winston: 75, 81, 134, 575,
Butler, Samuel: 480 596, 621, 628, 709, 763
Byron, George Gordon Noel: 219, 276 Cicero: 36, 56, 85, 86, 89, 109, 133, 140,
174, 197, 201, 215, 218, 261, 277, 295,

c 318, 325, 339, 348, 352, 358, 363, 366,


389, 397, 402, 416, 433, 450, 770
Cabell, James Branch: 694, 697 Clarke, James Freeman: 738
Calderön de la Barca, Pedro: 190, 277, Claudel, Paul: 761
433 Claudius, Matthias: 22, 39, 65, 182, 186,
Caligula: 318 319, 436, 441, 467, 489, 496, 512, 558,
Camara, Helder 751 586, 603, 726
Cambronne, Pierre: 161 Claudius Caecus, Appius: 245

810
Register

Clauren, Heinrich: 264 Diderot, Demis: 262, 459, 595, 699, 793
Clausewitz, Carl v.: 267 Didon, Henri-Martin: 83
Clemenceau, Georgen: 415 Dietrich, Marlene: 33, 219, 379
Clement, Jean-Baptiste: 276 Diodor: 56, 363
Clewing, Carl: 28 Diogenes Laertios: 114
Clouzot, Henri-Georges: 288 Diogenes von Sinope: 164
Cocteau, Jean: 269, 558, 664, 671, 672, Disraeli, Benjamin: 355, 588, 695
740, 743 Ditfurth, Hoimar v.: 491, 542, 544, 586,
Coke, Sir Edward: 325 617, 623, 656, 686, 708, 754, 759, 779
Colpet, Max: 33, 379 Döblin, Alfred: 355, 534, 652, 664, 765
Colton, Charles Caleb: 687 Doderer, Heimito v.: 320, 534, 588, 592,
Conrad, Joseph: 552 653, 711, 715, 751
Cooper, James Fenimore: 282 Domitius Ulpionus: 162
Corneille, Pierre: 47, 289, 609, 616, 660, Donne, John: 336, 485
672, 747 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch:
Cornelius, Peter: 370 388, 549, 627, 675, 712, 777, 783
Cornelius Gallus: 353 Douglas, Michael: 588
Cornelius Nepos: 240 Drechsler, Joseph: 80, 383
Coubertin, Pierre de: 83 Dryden, John: 744
Cousin, Victor: 273 Dumas d.Ä., Alexandre: 83, 132
Cousins, Norman: 600 Dunkel, Elizabeth: 150
Cowley, Malcolm: 288 Durandus, Guilelmus: 40, 370
Curtius Rufus: 183 Duras, Marguerite: 666, 670
Cziffra, Geza v.: 150 Durieux, Tilla: 670
Düringer, Philipp Jacob: 285
Dürrenmatt, Friedrich: 171, 188, 562,
D
572, 623, 640, 643, 667, 668, 678, 693,
Dahrendorf, Ralf: 561, 564, 568, 619, 700, 739, 754, 761, 778, 779, 788
642, 693, 710, 723, 780 Düse, Eleonora: 731
Dali, Salvador: 641, 676, 718 Dutschke, Rudi: 272, 611, 617
Dante Alighieri: 72, 270, 275, 623, 714, Duval, Alexandre: 226
720, 757, 785 Dylan, Bob: 43
Darre, Walter: 76
Darwin, Charles: 252
E
Day, Doris: 674
Decatur, Stephen: 375 Ebel, Eduard: 280
Defoe, Daniel: 376 Eberle, Josef: 29
Degas, Edgar: 674, 743 Ebner-Eschenbach, Marie v.: 534, 537,
Degenhardt, Franz Josef: 408 538, 543, 550, 551, 552, 557, 558, 567,
Degeyter, Pierre: 458, 466 569, 577, 579, 581, 583, 584, 587, 591,
Dehler, Thomas: 708 595, 596, 597, 601, 603, 604, 606, 613,
De Kowa, Victor: 705 614, 622, 623, 624, 625, 628, 629, 631,
Demokrit: 598, 662 632, 635, 643, 645, 651, 659, 665, 671,
Demosthenes: 330, 358 683, 688, 691, 704, 705, 708, 714, 719,
Descartes, Rene: 83 720, 726, 727, 730, 731, 736, 740, 741,
Deschner, Karlheinz: 537, 540, 542, 545, 742, 743, 751, 752, 756, 757, 758, 765,
550, 568, 579, 587, 592, 609, 610, 623, 766, 767, 769, 771, 773, 779, 783, 788,
627, 632, 641, 643, 644, 648, 657, 664, 791
667, 670, 677, 691, 692, 698, 701, 703, Eco, Umberto: 735
706, 710, 712, 733, 738, 773, 776, 785 Edison, Thomas Alva: 169, 615, 639
De Sica, Vittorio: 598 Ehre, Ida: 599
Deter, Ina: 150, 331, 350 Ehrenburg, Ilja: 421, 676, 678, 683
Deutscher, Drafi: 298 Eich, Günter: 545, 573, 627, 718, 741,
Dickens, Charles: 201, 637, 659, 667 746, 747

811
Register

Eichendorff, Joseph v.: 48, 57, 162, 190, Finck, Werner: 557, 564, 577, 604, 606,
275, 348, 385, 399, 486, 495 637, 646, 651, 659, 678, 695, 710, 729,
Einstein, Albert: 57, 690, 696, 712, 757, 734, 735
768, 772 Fischart, Johann: 172, 181, 261, 392, 503
Eipper, Paul: 423 Fischer, Ludwig: 230
Eisenbarth, Johann Andreas: 117 Fitz, Lisa: 675
Eisenhower, Dwight David: 55, 787 Flaischlen, Cäsar: 194
Eisler, Hanns: 53, 108 Flake, Otto: 604, 610, 666, 668, 673, 705,
Eliot, Thomas Stearns: 764 759
Emerson, Ralph Waldo: 542, 560, 628, Flaubert, Gustave: 279
660, 685, 754 Fleming, Paul: 175, 232
Ende, Michael: 443, 698, 786 Flex, Walter: 469
Engelmann, Bernt: 228 Flora, Paul: 34, 546
Engels, Friedrich: 152, 172, 173, 363, Flotow, Friedrich v.: 282, 299
364, 367, 371, 604 Fock, Gorch: 391
Enzensberger, Hans Magnus: 108 Fontane, Theodor: 84, 94, 106, 169, 220,
Epiktet: 279 240, 293, 319, 400, 419, 440, 448, 469,
Erasmus von Rotterdam: 287, 521 498, 507, 563, 578, 600, 625, 676, 686,
Erhard, Ludwig: 359, 651 700, 748, 750
Erhardt, Heinz: 541, 578 Ford I., Henry: 588, 616, 666
Ernst, Otto: 64, 250 Förster, Karl August: 478
Erwin, Ralph: 217 Foster, George: 409
Eschenburg, Theodor: 633, 638 Fouche, Joseph: 94
Etienne, Charles Guillaume: 353 Fourier, Charles: 369
Euklid: 366 France, Anatole: 570, 577, 692, 787
Euripides: 449, 502 Frances, M.: 440
Evers, Joachim Lorenz: 474 Franck, Sebastian: 52, 107, 344, 485
Eysler, Edmund: 269 Frank, Bruno: 416
Frank, Leonhard: 287, 657
F Franklin, Benjamin: 120, 522, 539, 548,
562, 583, 584, 613, 624, 638, 665, 683,
Fabricius, Jakob: 455 719, 783, 785
Falke, Johann Daniel: 86 Franz I.: 31
Fall, Leo: 437 Freidank: 215
Fall, Richard: 475 Freiligrath, Ferdinand: 109, 223, 346,
Fallaci, Oriana: 574 474, 572
Fallada, Hans: 246, 260, 495 Freud, Sigmund: 435
Fanfani, Amintore: 650 Frey, Hermann: 436
Farinacius, Prosper: 84 Freytag, Gustav: 223, 307, 406, 678, 779
Fasquelle, Solange: 429 Fried, Erich: 652, 762
Fassbinder, Rainer Werner: 24, 42, Frieden, Egon: 643, 660, 723, 773
483 Friedrich I.: 315
Faulkner, William: 642 Friedrich II. der Große: 51, 159, 178,
Fellini, Federico: 117, 190 184, 215, 218, 246, 326, 336
Feltz, Kurt: 165, 499 Friedrich III.: 281
Ferdinand I.: 148 Friedrich, M. G.: 154
Ferdinand, Carl: 28 Friedrich, W.: 289
Fernandel: 601 Friedrich, Wilhelm III.: 181
Feuchtersieben, Emst v.: 235, 492, 544, Friedrich, Wilhelm IV.: 224, 318
549, 558, 590, 655, 663, 666, 671, 694, Frinton, Freddy: 423
696, 714, 722, 724, 752, 777, 789, 792 Frisch, Max: 69, 213, 303, 341, 537, 538,
Feuchtwanger, Lion: 543 582, 588, 601, 611, 627, 642, 647, 668,
Feuerbach, Anselm: 740, 743, 759 681, 695, 696, 701, 703, 717, 730, 739,
Feuerbach, Ludwig: 308, 722 748, 760

812
Register

Fröbe, Gert: 534 Glowna, Vadim: 651


Froboess, Gerhard: 354 Gluck, Christoph Willibald: 22, 348
Fröhlich, F. Th.: 486 Glück, Friedrich: 58, 399
Fromm, Erich: 546, 553, 710 Gmeiner, Hermann: 585, 698
Frost, Robert Lee: 748 Godard, Jean-Luc: 155
Fry, Christophen 89 Goddis, David: 384
Fucik, Julius: 616, 694 Goebbels, Joseph: 47
Fux, Johann Joseph: 186 Goertz, Hartmann: 228
Goes, Albrecht: 624, 625
G Goethe, Johann Wolfgang: 22, 25, 27,
29, 30, 31, 32, 33, 37, 38, 39, 46, 48, 49,
Gabor, Zsa Zsa: 659, 741 51, 53, 56, 61, 62, 64, 68, 69, 70, 74, 75,
Galilei, Galileo: 441 77, 80, 87, 88, 90, 91, 93, 96, 98, 100,
Galouye, Daniel F.: 483 102, 103, 105, 109, 110, 111, 113, 114,
Galsworthy, John: 534 115, 118, 121, 122, 123, 124, 125, 126,
Gandhi, Mahatma: 176, 552, 555, 559, 127, 128, 129, 131, 133, 134, 136, 137,
568, 569, 585, 586, 592, 596, 601, 614, 138, 139, 140, 141, 144, 146, 149, 151,
620, 621, 625, 627, 638, 652, 678, 712, 153, 157, 159, 161, 162, 166, 167, 168,
715, 723, 726, 734, 773 170, 173, 175, 176, 180, 181, 186, 187,
Ganghofer, Ludwig: 391 188, 190, 193, 194, 195, 196, 197, 199,
Gansei, Norbert: 178 202, 203, 205, 206, 210, 211, 216, 217,
Garcia Märquez, Gabriel: 660 219, 220, 221, 222, 224, 225, 228, 229,
Gary, Romain: 689, 696 230, 232, 233, 235, 237, 240, 243, 245,
Gaxotte, Pierre: 617 246, 250, 251, 254, 256, 258, 259, 260,
Gehlen, Arnold: 678 261, 263, 266, 267, 268, 270, 271, 278,
Geibel, Emanuel: 37, 147, 292, 324, 347, 280, 286, 289, 291, 292, 293, 294, 295,
434, 486 297, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 308,
Geißler, Heiner: 556 310, 312, 313, 314, 315, 316, 317, 318,
Geißler, Horst Wolfram: 663, 739 322, 324, 326, 327, 329, 334, 335, 342,
Geliert, Christian Lürchtegott: 79, 89, 343, 344, 348, 349, 354, 358, 364, 377,
101, 136, 170, 243, 276, 304, 317, 425, 381, 385, 392, 393, 396, 397, 398, 399,
612, 767 404, 406, 412, 414, 417, 419, 421, 422,
Gellius, Aulus: 279 427, 430, 431, 432, 436, 437, 438, 439,
Genee, Richard: 22, 82, 180, 194, 446 440, 442, 445, 446, 448, 450, 451, 452,
Genet, Jean: 742, 793 457, 459, 460, 461, 463, 468, 470, 471,
Genscher, Hans-Dietrich: 363 472, 473, 476, 479, 480, 481, 482, 483,
Gerhard, Wilhelm: 272, 382 490, 491, 492, 494, 495, 496, 497, 498,
Gerhardt, Paul: 30, 161, 164, 176, 187, 499, 501, 502, 504, 506, 509, 511, 516,
211, 290, 341, 465 520, 523, 525, 526, 527, 528, 529, 530,
Gernhardt, Robert: 374 533, 537, 539, 540, 543, 544, 549, 551,
Gide, Andre: 537, 543, 566, 570, 576, 559, 560, 561, 563, 565, 572, 583, 617,
585, 615, 623, 639, 651, 655, 658, 668, 619, 624, 625, 631, 644, 665, 684, 694,
671, 677, 692, 695, 697, 717, 718, 727, 696, 704, 705, 710, 711, 724, 725, 727,
731, 760, 778, 780 728, 731, 736, 741, 748, 764, 766, 779,
Giesebrecht, Ludwig: 287 780, 781,783, 788
Gilbert, Robert: 92, 214, 324 Goetz, Curt: 577,579,591,639,700,743,785
Gilm zu Rosenegg, Hermann v.: 412, 503 Goldberger, Ludwig Max: 271
Giono, Jean: 591, 724 Golding, William: 204
Giordano, Ralph: 643 Goldoni, Carlo: 336
Giraudoux, Jean: 729 Goldwyn, Samuel: 663
Gladstone, William: 652, 667 Gollwitzer, Helmut: 123, 439, 579, 592,
Glaßbrenner, Adolf: 210 614, 619, 694, 717, 732
Gleim, Johann Wilhelm Ludwig: 311,478 Gontscharow, Iwan Aleksandrowitsch:
Glotz, Peter: 675 350

813
Register

Gorbatschow, Michail: 169, 501, 610, Guareschi, Giovanni: 117, 575, 634, 655,
655, 675, 754 694, 697, 768
Gorki, Maxim: 364, 383, 540, 544, 646 Guinizelli, Guido: 230
Gorz, Andre: 600, 634, 695, 734, 735, Guitry, Sascha: 599, 668
770, 779, 788 Gulbranssen, Trygve: 439
Goschen, George Joachim: 409 Güll, Wilhelm: 195
Goscinny, Rene: 110 Gumbert, Ferdinand: 86
Gotthelf, Jeremias: 542, 567, 606, 685, Günther, Agnes: 201
692, 756 Gustav II. Adolf: 184
Gottsched, Johann Christoph: 199 Gutzkow, Karl: 31, 585, 596, 624, 626,
Gounod, Charles: 168 631, 743, 762, 790, 792
Grabbe, Christian Dietrich: 383
Graff, Sigmund: 534, 539, 543, 545, 549, H
553, 560, 562, 565, 568, 572, 574, 575,
576, 577, 579, 582, 583, 588, 597, 598, Hachfeld, Eckart: 488
600, 601, 604, 606, 607, 608, 613, 614, Haecker, Theodor: 516
616, 617, 620, 628, 637, 642, 643, 644, Haffner, Carl: 82, 180, 446
645, 646, 649, 650, 654, 657, 658, 677, Hafner, Philipp: 474
683, 684, 687, 690, 691, 696, 701, 704, Hagedorn, Friedrich v.: 170, 249
709, 710, 732, 747, 748, 751, 752, 787 Hagelstange, Rudolf: 720
Grass, Günter: 359, 468, 568, 590, 642, Hälevy, Ludowic: 52, 82, 180, 284
646, 651, 700, 745 Haller, Albrecht v.: 240, 474
Greene, Graham: 446 Haller, Hermann: 218, 456
Haller, Rolf: 568, 699, 703, 720, 772
Gregor der Große: 24
Halm, Friedrich: 528
Grey of Fallodon, Lord: 283
Hamann, Johann Georg: 292, 360
Grillparzer, Franz: 82, 92, 145, 162, 242,
Hammerschmid, Hans: 440
250, 300, 429, 437, 463, 480, 509, 555,
Haneke, Gottfried Benjamin: 49
560, 582, 596, 600, 616, 620, 623, 628,
Handke, Peter: 42, 543, 601, 670,
633, 643, 712, 714, 717, 728, 752, 767,
721
768, 786
Hansemann, David: 236
Grimm, Hans: 458
Harrer, Heinrich: 716
Grimm, Jakob u. Wilhelm: 23, 34, 79,
Harries, Heinrich: 201
118, 142, 182, 192, 197, 198, 202, 218,
Harsdörffer, Georg Philipp: 344
228, 261, 325, 345, 397, 401, 406, 408,
Hartl, Karl: 486
424, 443, 462, 510
Hartmann, Ludwig: 270, 504
Grimmelshausen, Johann Jakob Chri¬
Hase, Victor v.: 303
stoffel v.: 33, 407, 514
Hasek, Jaroslav: 327
Gropius, Walter: 547
Hasenau, Beate: 675
Gross, Johannes: 547, 557,647,693,728,
Hassencamp, Oliver: 547, 570, 590, 592,
729, 731, 736, 752, 763, 772
622, 635, 641, 651, 653, 655, 659, 663,
Grosz, George: 90
670, 671, 672, 683, 688, 690, 691, 693,
Groth, Klaus: 350
701, 724, 728, 736, 738, 741, 749, 754,
Grothe, Franz: 150, 234 755, 756, 759, 778, 792
Grotius, Hugo: 115, 151 Hauff, Wilhelm: 23, 173, 764
Gruber, Johann Gottfried: 212 Hauptmann, Gerhart: 330, 442, 566,
Grün, Max von der: 142, 412 579, 591, 644, 682, 696, 743, 769, 791,
Grünbaum, J. Chr.: 349 792
Gruter, Jan: 422 Hausmann, Manfred: 239, 568, 596, 598,
Gryphius, Andreas: 31 600
Grzesinski, Albert: 361 Havel, Vaclav: 701
Grzimek, Bernhard: 257, 397 Haydn, Joseph: 108
Guardini, Romano: 135, 559, 621, 709, Hayek, Friedrich August v.: 734, 767
724, 747 Heartfield, John: 108

814
Register

Hebbel, Christian Friedrich: 112, 194, Hey, Wilhelm: 26, 183


226, 282, 347, 378, 495, 534, 536, 555, Heym, Stefan: 25, 537
561, 572, 592, 604, 616, 627, 631, 641, Heymann, Richard: 92, 214
644, 657, 660, 689, 692, 719, 725, 748, Heyse, Paul: 81
751, 769, 778, 781 Hieronymus: 57, 140, 171, 358, 366
Hebel, Johann Peter: 200 Highsmith, Patricia: 563
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: 143, Hildebrandt, Dieter: 561, 568, 608, 786
467, 561, 617, 766, 777 Hildesheimer, Wolfgang: 571, 675, 736
Hegenbarth, Herbert: 577 Hille, Peter: 543
Heidegger, Martin: 736 Hilm, Harry: 379
Heine, Heinrich: 20, 35, 51, 57, 72, 86, Himmel, Friedrich Heinrich: 254, 404,
98, 116, 122, 148, 180, 206, 209, 220, 512
222, 223, 227, 230, 239, 257, 280, 296, Hindley, C. Albert: 479
298, 302, 305, 318, 335, 360, 385, 409, Hinrich, Manfred: 578, 589, 596, 613,
423, 425, 427, 437, 439, 446, 464, 465, 640, 655, 686
467, 477, 489, 557, 561, 563, 565, 571, Hinrichs, August: 265
577, 609, 617, 657, 676, 749 Hippokrates: 210, 268
Heinemann, Gustav: 585, 652, 737, 743, Hirsch, Hugo: 500
762 Hitchcock, Alfred: 580, 599, 632
Heinlein, Arth.: 387 Hitzig, Julius Eduard: 82
Heinrich IV.: 227, 355 Hobbes, Thomas: 213, 556
Heinse, Johann Jakob Wilhelm: 536, Höcherl, Hermann: 142
597, 614, 615, 622, 657, 716, 736, 791 Ho Chi Minh: 604, 612, 635, 650, 756
Held, Ludwig: 81, 83 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus:
Hemingway, Ernest: 3-5, 158, 195, 288, 48, 468
485, 724 Hoffmann, Heinrich: 35, 155, 178, 264,
Henisch, Georg: 167 407, 438
Hensel, Luise: 322 Hoffmann von Fallersleben, August
Hepbum, Katherine: 602, 732 Heinrich: 28, 108, 133, 190, 258, 349,
Heraklit: 267, 335, 354 369,382,510, 690
Herbart, Johann Friedrich: 664 Höfling, Eugen: 344
Herbert, Hans: 262 Hofmannsthal, Hugo v.: 190, 415, 723
Herbst, Jo: 647 Hohenlohe-Ingelfingen, Kraft zu: 421
Herbst, Wolfgang: 543, 548, 567, 626, Holberg, Ludwig: 254
655, 685, 696, 698, 737, 750, 754, 771, Hölderlin, Friedrich: 30, 73, 111, 116,
782 299, 306, 342, 345, 346, 421, 471, 486,
Herczeg, F.: 253 511, 514, 520, 572, 648, 657, 679, 741,
Herder, Johann Gottfried: 48, 92, 100, 751, 773
155, 343, 387, 482, 490, 523, 792 Hollaender, Friedrich: 219
Herodot: 33, 301, 468, 473 Holtei, Karl v.: 384
Hertslet, William Lewis: 428 Holthusen, Hans Egon: 435, 566, 623,
Herwegh, Georg: 27, 66, 217, 296, 329 791
Herzer, Ludwig: 117, 232, 271 Hölty, Ludwig Heinrich Christoph: 277,
Hesiod: 44, 81, 119, 164, 182, 196, 215, 350, 376, 431, 500
281, 352, 458 Homer: 49, 51, 134, 164, 165, 212, 213,
Hesse, Hermann: 178, 327, 346, 440, 255, 305, 356, 402, 403, 522, 529
450, 542, 557, 563, 572, 573, 585, 587, Hopp, Julius: 52
623, 624, 626, 645, 654, 655, 658, 660, Horaz: 19, 42, 66, 82, 89, 91, 105, 109,
667, 668, 679, 692, 695, 706, 734, 749, 125, 182, 190, 192, 237, 245, 251, 277,
780 329, 351, 380, 407, 423, 430, 541
Hesse, O. E.: 328 Hörbiger, Paul: 637
Heuss, Theodor: 341, 567, 609, 656, 689, Horkheimer, Max: 696
698, 773 Horniman, Roy: 25
Hey, Richard: 480 Horvath, Ödön v.: 172, 439, 612

815
Register

Howe, Julia Ward: 156 Joyce, James: 361


Hrdlicka, Alfred: 728 Julius III.: 483
Huch, Ricarda: 668, 681, 697, 750 Jung, Carl Gustav: 595, 728, 729
Hückstädt, Friedrich: 433 Jünger, Ernst: 620
Hughes, Howard Robard: 613 Jünger, Friedrich Georg: 537, 570, 589,
Hugo, Victor: 350, 539, 570, 640, 686, 630, 664, 718, 733, 736, 783
788 Jungk, Robert: 96, 525, 540, 762, 772
Huizinga, Johan: 213 Jürgens, Curd: 440
Humboldt, Alexander v.: 690 Jurmann, Walter: 454
Humboldt, Wilhelm v.: 546, 561, 617, Justinian: 236
661, 775 Juvenal: 83, 174, 354, 483
Hundertwasser, Friedensreich: 755
Hus, Jan: 347
K
Hutten, Ulrich v.: 126, 222, 239
Huxley, Aldous Leonard: 387, 587, 612, Kafka, Franz: 552, 563, 600, 668, 682, 789
640, 666, 687, 728 Kahn, Edgar: 260
Hyginus: 45, 90, 119 Kahn, Herman: 788
Kalbeck, Max: 348
Kalisch, David: 87, 404
I
Kalman, Emmerich: 160, 290
Iacocca, Lee Antony: 585, 606, 621, 650, Kamp, Hermann Adam v.: 31
674, 679, 685, 687, 723, 735, 771, 778 Kampendonk, Gustav: 488
Ibärruri Gomez, Dolores: 337 Kant, Immanuel: 54, 113, 144, 256, 380,
Ibsen, Henrick: 119, 238, 416, 548 535, 550, 570, 592, 602, 621, 631, 635,
Ignatius von Loyola: 251, 559 659, 675, 702, 708, 712, 737, 758
Ionesco, Eugene: 535, 554, 587, 688 Karl V.: 237
Isouard, Niccolo: 353 Karr, Alphonse: 604
Kartum, Karl Arnold: 432
Kasack, Hermann: 572
J
Kaschnitz, Marie Luise: 572
Jäckel, Eberhard: 424 Kasper, Hans: 537, 549, 568, 570, 575,
Jacoby, Johann: 92 581, 595, 600, 607, 609, 619, 632, 640,
Jahn, Friedrich Ludwig: 155 659, 665, 668, 672, 673, 676, 684, 692,
Jandl, Emst: 295 695, 705, 706, 708, 715, 743, 745, 751,
Jary, Michael: 94, 96, 226, 513 754, 778, 788
Jaspers, Karl: 187, 568, 604, 614, 624, Kästner, Erhärt: 547, 553, 560, 604, 632,
673, 679, 699, 748, 756, 762, 780, 788 643, 650, 661, 711, 721, 739, 747, 752,
Jaures, Jean: 635, 654, 750 773, 775, 782, 784, 785
Jean Paul: 139, 149, 265, 458, 545, 578, Kästner, Erich: 32, 134, 177, 258, 276,
583, 590, 592, 596, 604, 608, 610, 612, 323, 515, 648, 654, 665, 666, 679, 686
618, 626, 637, 648, 657, 659, 660, 661, Kaufmann, Christoph : 416
686, 705, 711, 721, 727, 729, 731, 749, Käutner, Helmut: 188
755, 767, 768, 769, 783 Kaye, Danny: 580, 589,602,647,650,664
Jefferson, Thomas: 27 Kazan, Elia: 146
Jenbach, Bela: 160, 290 Keil, Julius: 191
Johnson, Ben: 212 Keller, Gottfried: 145, 245, 260, 429,
Johnson, Samuel: 480 507, 551, 564
Jökai, Mör: 284, 302 Keller, Ludwig: 159
Jones, James: 452 Keller, Paul: 147
Joseph II.: 363, 422 Kempner-Hochstätt, M.: 218, 456
Joubert, Joseph: 558, 575, 586, 589, 599, Kempowski, Walter: 191
615, 633, 658, 664, 693, 701, 708, 766, Kennedy, John Fitzgerald: 217, 548,
773, 784, 788 561, 715
Jouvenot, F. de: 148 Kerner, Justinus: 25, 362, 411

816
Register

Kernmayer, Hans Gustl: 481 Kraus, Karl: 282, 458, 524, 535, 536, 537,
Kessel, Martin: 543, 553, 573, 606, 632, 545, 547, 567, 575, 577, 582, 592, 595,
634, 642, 645, 656, 670, 693, 719, 727, 602, 619, 635, 644, 647, 653, 657, 668,
728, 737, 740, 750, 757, 759, 770, 782, 689, 699, 700, 706, 717, 724, 727, 733,
786 737, 743, 745, 746, 754, 772, 776, 781,
Kettering, Charles: 716 785
Keun, Irmgard: 269 Kreisky, Bruno: 585
Key, Ellen: 740 Kreuder, Peter: 231, 379
Kierkegaard, Soren: 158, 559, 631, 635, Kreutzer, Konradin: 329
661, 690, 697, 737, 773, 789, 791 Krüger, Mike: 302
Kind, Johann Friedrich: 127, 137, 208, Kudszus, Hans: 535, 538, 545, 571, 601,
280, 311, 329, 513 635, 668, 699, 708, 750, 771, 792
Kindleben, Chr. Wilhelm: 161 Kues, Nikolaus v.: 84
King, Martin Luther: 176, 216, 621, 790, Kundera, Milan: 443, 595, 636
792 Künneke, Eduard: 218, 456
Kinkel, Gottfried: 395 Kurz, Hermann: 130
Kinski, Klaus: 218 Kurz, Isolde: 628, 671, 684, 772
Kipling, Rudyard: 172,452 La Bruyere, Jean de: 542, 549, 557, 579,
Kirsch, Rainer: 462 607, 612, 616, 619, 622, 647, 661, 668,
Kirst, Hans Helmut: 340 670, 681, 691, 702, 718, 736, 747, 759,
Kirsch, Egon Erwin: 368 760, 765
Kishon, Ephraim: 577, 580, 750
Klee, Paul: 657
L
Kleist, Heinrich v.: 23, 39, 50, 238, 432,
560 Laclos, Pierre Ambroise Francois Cho¬
Klepper, Jochen: 447 derlos de: 163
Klett, Werner: 293 Lactantius: 359
Klinger, Friedrich Maximilian: 416 Ladendorf, Otto: 215
Klopstock, Friedrich Gottlieb: 164, 168, Laffitte, Jacques: 365
387, 391 Lafontaine, August Heinrich Julius: 680
Kluge, Alexander: 21, 47, 236 La Fontaine, Jean de: 255, 312, 427
Knef, Hildegard: 172, 607 Lagerfeld, Karl: 684
Knigge, Adolph v.: 434 Lamartine, Alphonse de: 573
Knönagel, E.: 59 Lambsdorff, Otto Graf: 675
Knuth, Gustav: 534 Lami, Heinrich: 255
Koch, Thilo: 39 Lancaster, Burt: 537
Koestler, Arthur: 572,586, 588,637,654, Landauer, Gustav: 621
657, 658, 659, 737, 747, 749, 766 Langbein: August Friedrich Ernst: 34,
Kohl, Helmut: 235 87,419
Köhnlechner, Manfred: 732 Langhoff, Wolfgang: 319
Kokoschka, Oskar: 594, 661, 690 Laotse: 594, 620, 629, 688, 726, 728, 757,
Kolb, Annette: 580 775, 776
Kollo, Walter: 95, 298, 436, 471, 504 La Rochefoucauld: 234, 247, 539, 541,
Kollo, Willi: 504 543, 555, 556, 562, 567, 578, 582, 597,
Konstantin d.Gr.: 237 603, 607, 609, 626, 628, 630, 643, 650,
Körner, Theodor: 94, 152, 192, 343, 358, 660, 671, 683, 685, 690, 693, 707, 714,
458 716, 717, 720, 724, 727, 731, 744, 753,
Kostolany, Andre: 554, 562, 613, 624, 757, 759, 768
690, 703, 711, 723 Lasalle, Ferdinand: 583, 589, 734
Kotzebue, August v.: 250, 254, 265, 404, Laub, Gabriel: 535, 545, 557, 558, 576,
512 580, 581, 585, 604, 632, 635, 636, 649,
Krailsheimer, Hans: 536, 537, 569, 577, 652, 668, 672, 676, 679, 680, 686, 693,
626, 630, 635, 636, 668, 699, 720, 759, 698, 704, 715, 721, 722, 727, 746, 749,
776 753, 758, 787, 789, 793

817
Register

Laun, Friedrich: 280 Lincoln, Abraham: 242, 548, 633, 673,


Lavater, Johann Kaspar: 688 729, 744
Leander, Zarah: 226, 253, 510 Lippmann, Walter: 253
Le Breton, Auguste: 375 Liszt, Franz: 88, 122, 180, 258, 471, 473
Lee, Stanislaw Jerzy: 534, 536, 540, 545, Livius: 19, 29, 67, 163,197, 256, 266, 395,
553, 565, 571, 587, 590, 598, 600, 604, 449
609, 610, 618, 619, 621, 629, 640, 646, Lloyd George, David: 765
663, 679, 681, 683, 684, 692, 693, 700, Locke, John: 578, 737
709, 716, 719, 726, 744, 755, 782, 786, Loewe, Carl: 393, 436
787, 792 Logau, Friedrich v.: 69, 185, 236, 260,
le Carre, John: 408 489, 507
Leenhof, Fredericus van: 208 Lohberger, Hans: 544, 554, 570, 571,
Le Fort, Gertrud v.: 562, 566, 573, 594, 631, 669, 698, 708, 712, 730, 741, 744,
602, 623, 631, 682, 745, 755, 758, 764, 751,752, 764, 780, 787
766, 769 Löhner, Fritz: 58, 117, 232, 271, 475
Lehar, Franz: 117, 232, 270, 271, Löns, Hermann: 190, 529
289 Loose, Günter: 298
Leibniz, Gottfried Wilhelm: 68, 362 Loren, Sophia: 565
Lembke, Robert: 540, 553, 560, 565, 578, Lorenz, Konrad: 679
580, 587, 593, 598, 602, 622, 630, 633, Loriot: T Bülow, Vicco v.
641, 644, 645, 647, 668, 670, 672, 680, Lortzing, Albert: 48, 51, 91, 95, 201, 269,
684, 690, 694, 697, 704, 709, 719, 758, 294, 347, 351, 414
771, 772, 790 Lothar I.: 422
Lemke, Jürgen: 538, 591, 657, 668, 679, Louys, Pierre: 351
687, 779 Loyola, Ignatius v.: t Ignatius von Loyo¬
Lenau, Nikolaus: 189, 256, 285 la
Lengsfelder, Hans: 379 Luckhardt, Emil: 53, 372, 458, 466
Lenin, Wladimir Iljitsch: 27, 445, 467, Ludwig XI.: 114
478, 487, 526, 619, 707, 769, 773, 789 Ludwig XIV.: 281
Lennon, John: 26 Ludwig XVI.: 355
Lenz, Siegfried: 590, 636, 757 Ludwig XVIII.: 298, 365, 706
Leo, Heinrich: 200 Ludwig der Bayer: 245
Leoncavallo, Ruggiero: 270 Lukäcs, Georg: 592, 657, 785
Leone, Sergio: 408 Lukan:382
Leonhard, Rudolf: 627 Lukian: 90, 109
Leonhard, Wolfgang: 373 Lukrez: 90, 463
Lessing, Doris: 666 Luther, Martin: 147, 159, 162, 207, 261,
Lessing, Gotthold Ephraim: 26, 47, 68, 274, 299, 317, 318, 442, 458, 491, 502,
84, 103, 150, 242, 246, 254, 257, 268, 516, 535, 541, 549, 556, 602, 610, 623,
331, 357, 367, 376, 414, 431, 440, 467, 659, 669, 672, 704, 709, 720, 721, 753,
475, 486, 500, 527, 533, 552, 557, 558, 774, 790
571,628, 651, 652, 755, 768 Luxemburg, Rosa: 152, 540, 547, 574,
Levi, Hermann: 20, 370 587, 610, 664, 666, 682
Levis, Duc de: 25
Lichtenberg, Georg Christoph: 295, 310,
501, 537, 555, 563, 564, 572, 597, 625,
M
630, 712, 717, 718, 744, 750, 762, 763, Mably, Abbe de: 327
766, 774, 775, 786, 791 Machiavelli, Niccolö: 528, 559, 744
Liebermann, Max: 223 Mackeben, Theo: 65, 150, 262, 328, 343
Liebknecht, Wilhelm: 113, 540, 742 Macmillan, Harold: 700, 764
Liebig, Justus v.: 268 Magnani, Anna: 602
Ligne, Charles Josef v.: 263, 786 Mahlmann, Siegfried August: 338
Liliencron, Detlev v.: 283 Mailer, Norman: 760
Lincke, Paul: 94, 386 Mailles, Jacques de: 375

818
Register

Maistre, Joseph de: 248 Mehul, Etienne: 226


Malaparte, Curzio: 786 Meilhac, Henri: 52, 82, 180, 284, 289
Malle, Louis: 145 Meinrad, Josef: 600
Malpass, Eric Lawson: 321, 492 Mell, Max: 538
Malraux, Andre: 584, 649, 688 Menander: 217, 340, 486
Mandela, Nelson R.: 618 Mencken, Henry Louis: 621, 636, 669,
Manilius, Marcus: 470 714, 769
Mann, Heinrich: 522, 537, 568, 611, 622, Mendel, J.: 283
653 Mendelssohn, Ludwig: 203
Mann, Klaus: 39, 390 Mendelssohn Bartholdy, Felix: 51, 348,
Mann, Thomas: 37, 43, 149, 239, 323, 489, 492, 495
393, 445, 549, 568, 573, 607, 689, 698, Menge, Wolfgang: 205
702, 712, 734 Mercier, Louis Sebastien: 144
Manteuffel, Otto Theodor v.: 373 Merckel, Wilhelm v.: 164
Mao Tse-tung: 354, 548, 654, 702, 703 Meredith, George: 793
Marcuse, Herbert: 570, 618, 628, 720, Merimee, Prosper: 52, 284
758, 762 Merton, Thomas: 336
Marcuse, Ludwig: 548, 557, 567, 569, Messerschmidt, Georg Friedrich: 75
570, 576, 604, 608, 624, 636, 639, 640, Metternich: 361
642, 643, 644, 656, 672, 681, 686, 691, Mey, Reinhard: 384
699, 700, 714, 715, 733, 737, 739, 742, Meyer, Conrad Ferdinand: 306
752, 753, 761, 774, 777, 780, 787, 789, Meyer, Joseph: 70
793 Meysel, Inge: 645
Margolius, Hans: 557, 561, 582, 601, Micard, H.: 148
626, 664, 716, 733, 776 Michaelis, Karin: 163
Marie Antoinette: 492 Mikes, George: 641, 738
Marischka, Ernst: 350 Miller, Arthur: 332
Mark Aurel: 276, 626 Miller, Henry: 413, 585, 639, 772
Mark Twain: 540, 554, 569, 578, 581, Miller, Johann Martin: 244, 473
593, 597, 606, 629, 643, 659, 679, 709, Milton, John: 453
757, 768, 783 Millöcker, Karl: 22
Marquis, Donald: 783 Millowitsch, Willy: 546, 596
Marti, Kurt: 546, 553, 573, 583, 608, 627, Milton, John: 67, 208, 382
638, 648, 653, 663, 685, 687, 712, 729, Mitchell, Margaret: 460
745, 747, 779, 783, 789 Mitsch, Werner: 536, 540, 541, 550, 553,
Martial: 500 557, 561, 567, 571, 579, 583, 594, 595,
Martinus von Biberach: 311 604, 613, 618, 626, 627, 631, 633, 635,
Marx, Karl: 172, 173, 358, 363, 364, 367, 637, 661, 675, 681, 684, 685, 687, 692,
371, 383, 394, 640, 642, 699, 707, 712, 697, 706, 710, 713, 722, 724, 725, 733,
715, 737, 762 734, 745, 747, 752, 759, 760, 762, 765,
Mason, Richard: 101 770, 781, 786, 787
Maßmann, Hans Ferdinand: 155 Mitscherlich, Alexander: 538, 566, 600,
Mattsson, Arne: 400 628, 656, 685, 738, 771, 776
Maugham, William Somerset: 148, 309, Mitscherlich, Alexander u. Margarete:
539, 551, 588, 612, 634, 741, 744 443
Maupassant, Guy de: 65, 555 Mohr, Johann Jakob: 615
Mauriac, Francois: 670 Mola, Emilia: 158
Maurier, Daphne du: 488 Moliere: 133, 434
Maurois, Andre: 538, 545, 575, 580, 602, Möller, Alex: 613
614, 645, 764 Monär, Fritz: 262
May, Hans: 286 Molo, Walter v.: 239
McCartney, Paul: 26 Moltke, Helmuth v.: 144, 174, 626, 751
McNamara, Robert Strange: 766 Mommsen, Theodor: 633
Meadows, Dennis: 187 Monkhouse, Bob: 34

819
Register

Monroe, James: 38 Neefe, Christian Gottlob: 244, 311, 473


Montaigne, Michel Eyquem de: 145, Neill, Alexander Sutherland: 584, 645,
514 646, 648, 661, 669, 713
Montesquieu: 169, 265, 416, 558, 612, Nell-Breuning, Oswald v.: 547, 551, 652,
614, 660, 674, 709, 746, 780 681, 758, 760, 779
Moore, Thomas: 220, 282 Nepos, Cornelius: 690
Moravia, Alberto: 381, 574, 616, 642, Neratius Priscus: 428
780 Neruda, Pablo: 360, 573, 574, 700, 783
Moreau, Emile: 292 Nestroy, Johann: 251,286, 538, 629,657,
Moreau, Jeanne: 538, 670, 684, 714, 732 662, 666, 680, 730, 769, 786
Morgan, Michele: 602 Neubach, Ernst: 286
Morgenstern, Christian: 275, 322, 367, Neumann, Robert: 678
396, 482, 513, 547, 552, 555, 563, 573, Neumark, Georg: 263, 497
579, 593, 609, 615, 620, 627, 632, 633, Neumeister, Erdmann: 515
635, 646, 647, 652, 654, 661, 679, 683, Neuss, Wolfgang: 412
694, 706, 720, 729, 730, 741, 743, 746, Nicklisch, Hans: 450
752, 753, 768, 771, 774, 776, 787, 788, Nicolai, Otto: 33
792 Nicolson, Harold George: 580, 694
Mörike, Eduard: 98, 121, 157, 167, 234, Niebergall, Ernst Elias: 200
275, 345, 390, 471 Niederreuther, Thomas: 581, 600, 622,
Morlock, Martin: 50 652, 657, 669, 684, 705, 724, 744, 763,
Mosenthal, Hermann: 33 769, 777
Moser, Friedrich Karl v.: 292 Nietzsche, Friedrich: 35, 74, 128, 155,
Moser, Gustav v.: 447 168, 184, 204, 248, 259, 307, 310, 371,
Moser, Hans: 641 433, 435, 477, 489, 508, 517, 533, 542,
Mozart, Leopold: 59, 235 543, 547, 555, 556, 558, 570, 571, 573,
Mozart, Wolfgang Amadeus: 20, 64, 84, 578, 580, 582, 584, 593, 597, 606, 613,
111, 135, 141, 210, 258, 267, 281, 292, 634, 636, 642, 669, 670, 672, 726, 727,
347, 370, 412, 494, 508, 526 738, 744, 749, 750, 754, 763, 780, 781,
Müchler, Karl: 230 783
Muliar, Fritz: 533 Nikolaus 1.: 265
Müller, Johann Gottwerth: 145 Noack, Ursula: 554
Müller, Wenzel: 474 Nossack, Hans Erich: 547, 590, 670, 713,
Müller, Wilhelm: 37, 225, 241, 293, 469, 751
480 Notker Balbulus: 318
Müllner, Adolf: 139 Novalis: 72, 327, 487, 561, 624, 648, 661,
Münchhausen, Börries v.: 172 682, 700, 742
Munthe, Axel: 613, 665, 726, 729, 776, Nowaczyriski, Adolf: 611, 691, 710,
780 772
Murner, Thomas: 514
Musäus, Johann Karl August: 458
Muschg, Adolf: 573
O
Muschg, Walter: 698 Oberländer, Adolf: 245
Musil, Robert: 534, 536, 542, 545, 551, Oesch, Emil: 535, 544, 550, 574, 576,
557, 572, 573, 589, 591, 628, 633, 639, 580, 586, 587, 589, 597, 620, 648, 681,
645, 670, 691, 694, 698, 720, 755 693, 705, 714, 719, 725, 745, 763, 768,
771, 785
N Oetinger, Friedrich Christoph: 613
Olias, Lotar: 403
Oliven, Fritz: 218, 456
Nägeli, Hans Georg: 154, 182, 451 Onassis, Aristoteles: 552, 613, 711
Napoleon Bonaparte: 93, 298, 459 O’Neill, Eugene: 428, 575
Naumann, Friedrich: 709 Ophüls, Max: 580
Neander, Joachim: 262 Oppenheimer, Julius Robert: 781

820
Register

Ortega y Gasset, Jose: 54, 550, 576, 584, Petronius Arbiter, Gajus: 45, 82, 148,
587, 589, 594, 600, 604, 611, 618, 619, 196, 274, 294, 503, 723
620, 639, 640, 658, 661, 669, 671, 675, Peyrefitte, Alain: 704
682, 689, 711, 715, 724, 735, 763, 764, Pfeffel, Gottlieb Konrad: 41, 183
768, 781, 782, 790, 791, 792 Phädrus: 33, 109, 257
Orwell, George: 28, 69 Piave, Francesco Maria: 291, 349
Osborne, John: 74, 567 Picasso, Pablo: 547, 657, 662, 674, 695,
Ossietzky, Carl v.: 544, 571, 590, 646, 774
716, 725, 770 Pinter, Harold: 609, 646
Ott, Wolfgang: 196 Pirandello, Luigi: 581, 633
Overbeck, Christian Adolf: 262 Pitaval, Franfois Gayot de: 82
Ovid: 45, 65, 66, 156, 193, 272, 413, 481 Pitt, William: 191
Planck, Max: 624, 690
Platen, August v.: 33
P
Platon: 107, 109, 139, 190, 226, 260, 284,
Packard, Vance: 777 301, 306, 359, 362, 366, 444
Pacuvius, Marcus: 433 Plautus: 90, 171, 179, 203, 213, 245, 333,
Pagnol, Marcel: 543, 661, 694 338, 486
Paisiello, Giovanni: 311 Plenzdorf, Ulrich: 219, 280
Pallenberg, Max: 548 Plinius d.Ä.: 85, 229, 238, 389
Panizza, Oskar: 706, 713, 777 Plinius d. J.: 323, 487
Pappos: 176 Plivier, Theodor: 252
Pappus, Johannes: 31, 221 Plotin: 470
Palafox y Melci, Jose de: 71 Plutarch: 36, 64, 73, 125, 158, 222, 274,
Paracelsus: 305 285, 365, 391, 435, 486, 514
Parkinson, Cyril Northcote: 355 Poer, Charles William de la: 361
Pascal, Blaise: 287, 454, 536, 541, 560, Pohl, Emil: 404
562, 570, 623, 629, 641, 676, 690, 742, Pohrt, Wolfgang: 539, 552, 720
790 Poiret, Jean: 251
Patricius, Augustinus: 398 Polanski, Roman: 420, 491
Paul, Jean: —<-Jean Paul Polgar, Alfred: 789
Paul, Leslie Allen: 524 Pompadour, Marquise de: 327
Pavese, Cesare: 556, 574, 591, 597, 615, Pompeius: 391
624, 639, 645, 661, 659, 680, 688, 711, Ponte, Lorenzo da: 84, 258, 370,
715, 717, 719, 721, 729, 747, 753, 760, 508
765 Ponti, Carlo: 599
Paz, Octavio: 560, 566, 569, 574, 592, Pontoppidan, Henrik: 622
610, 618, 627, 631, 658, 659, 671, 673, Pope, Alexander: 131, 140
675, 689, 700, 701, 715, 722, 724, 733, Popper, Karl Raimund: 625, 661, 746,
735, 737, 755 777, 778
Perez de Saavedra, Angelo: Potemkin, Grigoriji Alexandrowitsch:
291 362
Perschau, Hartmut: 653 Poth, Chlodwig: 281
Peter, Laurence J.: 357 Pottier, Eugene: 53, 372, 458, 466
Perinet, Joachim: 474 Pound, Ezra: 564, 573, 574, 649, 656,
Pertini, Sandro: 708 664, 671, 710, 722
Pestalozzi, Hans A.: 554, 567, 587, 605, Poysel, J. A.: 265
634, 641, 650, 673, 674, 686, 703, 729, Prager, Wilhelm: 480
730, 745, 763, 774, 782, 790, 791 Praunheim, Rosa v.: 535
Pestalozzi, Johann Heinrich: 611, 626, Prevost, Marcel: 564
633, 676, 681, 708, 744, 756, 757, 762, Priestley, John Boynton: 567, 575
774, 778 Protagoras: 306
Petrarca, Francesco: 112 Proudhon, Pierre Joseph: 131

821
Register

Proust, Marcel: 50, 558, 662, 653, 697, Rinckart, Martin: 340, 463
725, 783 Ringelnatz, Joachim: 228, 305, 432, 638,
Publilius Syrus: 118 752
Puccini, Giacomo: 504, 506 Rinser, Luise: 676
Pusch, Luise F.: 27 Rist, Johann: 138, 345
Pyrrhus von Epirus: 365 Rivel, Charlie: 566, 650
Pythagoras: 36 Robert, Ludwig: 291
Robson, Mark: 386
Rochow, Gustav Adolf Rochus v.: 66
Q Rodigast, Samuel: 473
Qualtinger, Helmut: 567, 586, 686, 717, Rolfs, Rudolf: 640, 648, 652, 654, 693,
741 704, 714, 718, 741, 743, 750, 777, 788
Quintilian: 260, 289 Rolland, Romain: 576, 611, 616, 626,
633, 660, 724
Rollenhagen, Georg: 146, 245
R Rommel, Manfred: 546, 550, 578, 598,
Raabe, Wilhelm: 401, 539, 554, 561, 562, 614, 630, 677, 692, 702, 703, 705, 706,
565, 630, 637, 659, 661, 662, 667, 747, 707, 716, 735, 736, 749, 767, 772
749, 764 Roquette, Otto: 338
Rabelais, Franfois: 43, 172, 214 Rosegger, Peter: 648, 672, 689, 729, 765,
Radbruch, Gustav: 569, 698, 708, 748 767
Radecke, Robert: 57 Rosen, Julius: 344
Radecki, Sigismund v.: 717 Rosenthal, Philip: 618, 653, 674, 727
Radin, Leonid P.: 79 Rosh, Lea: 424
Raimund, Ferdinand: 80, 88, 383, 384, Roth, Eugen: 549, 617, 697, 711
404 Rothe, Johannes: 272
Ranke, Leopold v.: 589, 697 Rothenburg, Walter: 403
Ranke-Heinemann, Uta: 649 Rotter, Fritz: 217, 454
Raspe, Rudolf Erich: 323 Rousseau, Jean-Jacques: 307, 527, 534,
Rathenau, Walther: 40, 552, 569, 570, 535, 543, 547, 548, 554, 556, 570, 593,
584, 586, 605, 626, 672, 692, 697, 702, 605, 611, 613, 618, 636, 644, 662, 664,
713, 740, 770, 778 665, 672, 738, 762, 767
Raupach, Ernst: 106, 673 Roye, Jean de: 83
Raymond, Fred: 165, 221 Rückert, Friedrich: 57, 263, 303, 459,
488, 508
Reagan, Roland: 266
Ruer, Wilhelm: 50
Regis, Gottlob: 43
Rühmann, Heinz: 536, 697, 734
Reichardt, Johann Friedrich: 88, 180,
Rühmkorf, Peter: 594, 610
183, 303, 437, 473,479, 500
Ruskin, John: 707, 778
Reich-Ranicki, Marcel: 655, 656
Russell, Bertrand: 542, 553, 558, 561,
Reiners, Ludwig: 787
566, 569, 570, 590, 591, 593, 600, 606,
Reihardt, Max: 718
612, 616, 620, 622, 624, 626, 629, 636,
Reitz, Edgar: 236
637, 646, 652, 654, 677, 679, 685, 686,
Reitzenstein, Johann Heinrich v.: 58
687, 698, 703, 713, 745, 749, 756, 759,
Rellstab, Ludwig: 280
763, 766, 767, 774, 776, 777, 783, 789,
Remarque, Erich Maria: 231, 538, 590, 790
591, 593, 725, 765 Rüthling, Ferdinand: 224
Renard, Antoine: 276 Rychner, Max: 549
Repgow, Eike v.: 501
Resnais, Alain: 282
Reuter, Fritz: 46, 352 S
Reutter, Otto: 236, 330 Sacer, Gottfried Wilhelm: 370
Richthofen, Bernhard v.: 160 Sachs, Hans: 162, 385
Rilke, Rainer Maria: 123, 204, 496 Sagan, Franfoise: 76, 580, 602, 759

822
Register

Sainte-Beuve, Charles-Auguste: 135 393, 394, 401, 403, 405, 408, 409, 411,
Saint-Exupery, Antoine de: 295, 510, 413, 414, 415, 418, 419, 420, 424, 429,
551, 556, 574, 608, 621, 634, 666, 682, 430, 432, 433, 438, 439, 440, 441, 442,
694, 719, 749, 774 444, 445, 447, 452, 453, 454, 455, 457,
Saint-John Perse: 575 460, 461, 464, 465, 466, 468, 469, 470,
Saint-Simon, Claude Henri de: 58 471, 472, 476, 477, 478, 479, 481, 484,
Salandra, Antonio: 379 485, 487, 488, 490, 492, 493, 494, 495,
Salingre, Hermann: 178, 294 499, 500, 504, 505, 506, 507, 508, 509,
Sallust: 245 513, 514, 515, 516, 517, 518, 525, 527,
Salvandy, Narcisse Achille: 420 648, 677, 690, 736, 778, 791
Salzmann, Christian Gotthilf: 208 Schiller, Karl: 264
Sandrock, Adele: 593 Schirach, Baldur v.: 447
Santayana, George: 595, 681, 726, 764 Schlegel, August Wilhelm v.: 255, 415,
Sardou, Victorien: 292 456, 621, 662, 701, 744, 766
Saroyan, William: 626 Schlegel, Friedrich v.: 337, 373, 635, 636
Sartre, Jean Paul: 203, 212, 408, 549, Schleiermacher, Friedrich: 238
578, 636, 645, 679, 722, 739, 761 Schlieffen, Alfred v.: 291, 301
Schadow, Gottfried: 242 Schlippenbach, Albert v.: 41
Schamoni, Peter: 26 Schlöndorff, Volker: 706
Schanzer, Rudolph: 298, 504 Schmid, Carlo: 584, 605, 634, 702, 703,
Scharnhorst, Gerhard Johann David v.: 710, 715,738, 760
174 Schmidt, Arno: 168, 523, 533, 656
Scharrer, Adam: 450 Schmidt, Helmut: 555
Scheel, Walter: 738 Schmidt, Karl: 34
Scheffel, Joseph Victor v.: 34, 37, 63, Schmidt von Lübeck, Georg Philipp: 88
117, 161, 177, 295, 370, 518 Schmitt, Carl: 426
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph v.: Schmitz, J.: 499
45, 151 Schnabel, Ernst: 400
Schenckendorf, Max v.: 152, 487 Schneckenburger, Max: 78, 283, 465
Schenk, Heinz: 723
Schneider, Michael: 634, 718, 722, 746
Scherchen, Hermann: 80
Schneyder, Werner: 535, 553, 576, 593,
Schikaneder, Emanuel: 64, 111, 235, 526
596, 597, 598, 608, 618, 642, 647, 703,
Schill, Ferdinand v.: 285
714, 715, 718, 719, 724, 733, 736, 737,
Schiller, Friedrich: 22, 27, 31, 32, 33, 36,
742, 779, 785
39, 41, 43, 46, 48, 49, 50, 51, 53, 55, 56,
Schnezler, August: 181
58, 59, 60, 64, 66, 71, 73, 78, 87, 88, 89,
Schnitzer, Ignaz: 269, 284
90, 91, 92, 94, 95, 97, 99, 100, 101, 102,
Schnitzler, Arthur: 548, 551, 564, 565,
105, 106, 107, 110, 111, 112, 115, 116,
575, 580, 584, 609, 616, 626, 629, 631,
118, 120, 121, 122, 123, 124, 126, 127,
638, 640, 656, 662, 663, 672, 678, 683,
129, 131, 132, 137, 140, 142, 143, 146,
691, 699, 702, 714, 632, 740, 743, 749,
147, 149, 153, 154, 156, 157, 158, 159,
752, 768, 770, 777, 778, 782, 792
161, 163, 165, 166, 167, 170, 171, 177,
Schnurre, Wolfdietrich: 546, 584, 589,
180, 181, 187, 188, 189, 194, 200, 204,
608, 610, 622, 624, 676, 687, 701, 702,
206, 208, 209, 210, 211, 216, 219, 220,
719, 721, 722, 723, 739, 756, 767, 792
221, 223, 232, 233, 234, 235, 237, 239,
242, 243, 247, 248, 249, 252, 253, 254, Schoeck, Othmar: 183
255, 259, 261, 266, 269, 271, 273, 274, Scholz, Hans: 38
276, 277, 278, 279, 284, 285, 286, 288, Schönerer, Georg v.: 251
290, 292, 295, 297, 298, 300, 301, 302, Schönthau, Franz v.: 447
304, 307, 308, 309, 310, 311, 312, 313, Schopenhauer, Arthur: 45, 537, 538,
314, 315, 318, 321, 324, 328, 333, 335, 540, 557, 559, 561, 567, 570, 571, 581,
337, 339, 342, 343, 344, 346, 348, 349, 588, 597, 612, 614, 615, 620, 624, 632,
352, 356, 358, 368, 369, 370, 376, 378, 636, 645, 650, 662, 665, 677, 685, 695,
380, 383, 384, 386, 387, 388, 390, 391, 699, 705, 711, 713, 714, 719, 721, 725,

823
Register

726, 740, 747, 754, 760, 765, 771, 775, 300, 314, 328, 330, 332, 344, 345, 347,
776, 780, 788 348, 349, 358, 372, 387, 389, 395, 430,
Schoppe, Waltraud: 602 453, 456, 461, 469, 475, 492, 502, 504,
Schottel, Georg: 325 510, 517, 521, 522, 523, 563, 570, 675,
Schröder, Friedrich: 225 728, 782
Schröder, Johann Heinrich: 133 Shaw, George Bernard: 433, 543, 551,
Schubert, Franz: 37, 88, 180, 183, 241, 569, 576, 580, 582, 588, 593, 605, 612,
280, 286, 293, 341, 369, 390, 393, 432, 618, 623, 625, 641, 642, 645, 664, 669,
436, 437, 442, 469, 471, 473, 479, 480, 673, 707, 710, 726, 728, 740, 744, 747,
497,512 748, 749, 753, 760, 763, 762, 763, 765,
Schulenburg-Kehnert, F. W. Graf von 769, 776, 783, 786, 789
der: 377 Sheridan, Philip Henry: 342
Schulz, Johann Abraham Peter: 183, Sidonius Apollinaris: 35
244, 512 Sieburg, Friedrich: 680
Schumacher, Balthasar Gerhard: 201 Siegel, Ralph Maria: 765
Schuman, Robert: 534, 744 Sienkiewicz, Henryk: 366
Schumann, Robert: 86, 88,122,157, 220, Sierke, Eugen: 361
223, 258, 341, 390, 437, 471, 473, 497, Sieyes, Emmanuel-Joseph: 120
555, 557, 617, 658, 665, 666, 672, 684, Silcher, Friedrich: 41, 58, 227, 298, 399,
695, 720, 765 437
Schwab, Gustav: 375, 448 Silver, F.: 58
Schwaiger, Brigitte: 721 Simenon, Georges: 313, 654, 732
Simmel, Johannes Mario: 27, 43, 283,
Schwarzburg-Rudolstadt, Ämilie Julia-
284, 311, 324, 336, 415, 755
na v.: 71, 499
Simonides von Keos: 468
Schwarzer, Alice: 276, 602, 673, 675,
Simplikios: 484
684, 687, 790
Simrock, Karl: 108, 186, 302
Schweitzer, Albert: 130, 552, 558, 559,
Sinclair, Upton: 731, 739
566, 570, 582, 594, 626, 628, 630, 634,
Singer, Isaac Bashevis: 670
637, 741, 747, 781, 788
Sirius, Peter: 538
Schweppenhäuser, Hermann: 656, 662,
Slezak, Walter: 541, 614
699,713, 730, 745
Smith, Adam: 151
Scott, Sir Walter: 480
Söderberg, Hjalmar: 713
Sedlmayer, Hans: 454
Sokrates: 139, 215, 226, 260, 362, 512
Seeger, Pete: 33, 379
Solon: 444
Segal, Erich: 289
Sommer, Johann: 77, 484
Seghers, Anna: 426 Sonnleithner, Joseph: 327, 349
Seidel, Heinrich: 491, 559 Sophokles: 33, 55, 242, 331, 333, 366,
Selby, Hubert: 281 456, 486
Seneca: 36, 49, 109, 173, 174, 190, 196, Spaak, Paul-Henri: 578
218, 268, 277, 332, 397, 552, 558 Spengler, Oswald: 76, 448, 549, 577, 607,
Seume, Johann Gottfried: 30, 143, 271, 624, 627, 655, 708
398, 513, 516, 542, 602, 605, 607, 610, Sperber, Manes: 503, 591, 598, 625, 693,
616, 625, 629, 641, 677, 683, 690, 694, 715,758, 763, 789
705, 734, 738, 747, 759, 791 Sperr, Martin: 243
Seuse, Heinrich: 235 Spielhagen, Friedrich: 38
Sevigne, Marquise de: 184 Spills, May: 527
Sextus, Empiricus: 185 Spinoza, Baruch de: 291, 309, 416, 490
Seymour, Edward Hobart: 423 Spitteier, Carl: 698, 743
Shakespeare, William: 28, 33, 36, 42, 48, Spoerl, Heinrich: 493
53, 58, 63, 64, 67, 71, 96, 97, 99, 101, Spohr, Louis: 525
113, 136, 137, 142, 160, 184, 192, 198, Stadler, Emst: 309
199, 218, 219, 224, 227, 232, 238, 241, Stael, Madame de: 32
247, 255, 256, 262, 263, 274, 275, 299, Stahl, Friedrich Julius: 59

824
Register

Stalin, Josef W.: 239 Talleyrand, Charles Maurice de: 94,


Stanley, Henry Morton: 126 361, 409, 535, 673, 737
Staudte, Wolfgang: 320 Tati, Jacques: 550, 683, 706
Stein, Gertrude: 288, 376 Teilhard de Chardin, Pierre: 566, 571,
Stein, Heinrich Friedrich Karl von und 640, 680, 705,713,781
zum: 222 Terentianus Maurus: 195
Stein, Leo: 160, 290 Terenz: 24, 59, 181, 217, 245, 289, 324,
Stein, W.: 499 381, 407, 470, 493, 502, 677
Steinbeck, John: 156, 248, 611, 660, 735, Terrail, Pierre: 375
740, 785, 789 Tertullian: 85
Steiner, Rudolf: 591, 639, 652, 735, 736, Tetzel, Johann: 405
792 Teufel, Fritz: 493
Stephani, J.: 85 Thackeray, William Makepeace: 244
Stephanie, Gottlob: 141 Thiers, Adolphe: 263
Sternberger, Dolf: 519 Thieß, Frank: 239, 576, 629, 690, 742,
Sterne, Laurence: 590, 741 753, 756, 765, 766, 770, 774, 776
Stettenheim, Julius: 455 Thoma, Hans: 311
Stevenson, Robert Louis: 118, 680, 725 Thomas von Aquin: 463, 670
Stifter, Adalbert: 94, 380, 595 Thomson, James: 378
Stolz, Robert: 350 Thoreau, Henry David: 524
Storni, Theodor: 131,182, 196, 215, 257,
Thukydides: 444
436, 462, 481, 513, 774
Thüsing, Klaus: 178
Storz, Gerhard: 519
Tibull: 138, 144
Strass, Karl Friedrich: 386
Tieck, Ludwig: 255, 319
Strassmann, F.: 495
Tiedge, Christoph August: 174
Strauß, Franz Josef: 339
Tille, Peter: 536, 543, 546, 552, 581, 583,
Strauß, Johann, 82, 118, 172, 180, 284,
584, 588, 589, 646, 676, 677, 684, 687,
302, 446
691, 704, 724, 725, 733, 737, 757, 771,
Strauss, Richard: 35, 412, 479
782
Streckfuß, Karl: 448
Tillier, Claude: 752
Stresemann, Gustav: 402, 616
Titus Flavius Vespasianus: 110
Strindberg, August: 580
Tolstoi, Leo: 508, 562, 611, 630
Sudermann, Hermann: 180
Treitschke, Georg Friedrich: 327,
Sueton: 24, 48, 110, 177, 318, 321
349
Suppe, Franz v.: 194
Treitschke, Heinrich v.: 80, 174, 297
Süskind, Wilhelm Emanuel: 519
Trivulzio, Gian Giacomo: 526
Suttner, Bertha v.: 466
Suyin, Han: 26 Troll, Thaddäus: 108, 599
Swarkowsky, H.: 504 Trotta, Margarethe v.: 73
Swiftochowski, Aleksander: 539, 600, Truffaut, Franfois: 384, 399, 587
606, 608, 623, 631, 716, 728, 748, 755, Tschechow, Anton: 306, 581, 689,
758, 768, 774 693
Swift, Jonathan: 193, 286, 537, 539, 576, Tschernyschewski, Nikolai Gawrilo-
578, 582, 615, 664, 706, 707, 713, 742, witsch: 478
768, 775, 791 Tucholsky, Kurt: 31, 108, 169, 314, 544,
Sydney, Philip: 67 547, 559, 563, 566, 586, 588, 597, 599,
Synge, John Millington: 202 605, 611, 618, 638, 639, 650, 653, 655,
656, 660, 667, 673, 676, 677, 680, 692,
695, 704, 709, 713, 715, 716, 718, 725,
T 735, 748, 750, 761, 764, 781, 783, 790
Tacitus: 45, 50, 126 Turgenjew, Iwan S.: 350
Tagore, Rabindranath: 573, 605, 662, Tutu, Desmond: 605, 627, 649, 681, 713,
669, 697, 713, 725, 739, 751, 769, 774, 758, 770
776, 777 Twain, Mark: -«-Mark Twain

825
Register

622, 623, 630, 633, 634, 640, 651, 672,


677, 686, 687, 690, 695, 709, 725, 728,
U
734, 744, 753, 766, 770, 771, 772, 774,
Uderzo, Albert: 110 789, 791
Uhland, Ludwig: 34, 36, 63, 86, 93, 97, Wagner, Richard: 62, 74, 107, 185, 189,
104, 216, 222, 236, 286, 319, 337, 341, 335, 341, 429, 451, 510, 525, 686
402, 419, 456, 466, 485, 512, 524, 526 Waldorff, Claire: 203, 498
Uhlenbruck, Gerd: 549, 560, 581, 589, Wallraff, Günter: 228, 462
606, 620, 622, 626, 638, 640, 641, 647, Walpole, Sir Robert: 246
652, 658, 662, 663, 666, 669, 680, 691, Walser, Martin: 432, 550, 556, 564, 654,
717, 725, 727, 731, 732, 768, 774, 776 667, 680, 702, 721
Ullmann, Liv: 581 Walser, Robert: 733
Ullrich, Luise: 581 Walther von der Vogel weide: 225, 420
Ulpianus: 354 Wassermann, Jakob: 426
Unruh, Fritz v.: 692 Weber, Carl Maria v.: 23, 94, 118, 127,
Unruh, Hans Victor v.: 356 134, 137, 208, 280, 311, 353, 513
Updike, John: 589, 732 Weber, Karl Julius: 149, 537, 551, 564,
Urner, Anna Barbara: 182 565, 584, 590, 593, 665, 711, 713, 739,
Usteri, Johann Martin: 154, 451 756
Ustinov, Peter: 557, 642, 694, 697, 727, Weber, Max: 702, 703, 738, 760
749
Wecker, Konstantin: 615
Wedekind, Frank: 157, 221
V Weigel, Hans: 280
Weill, Kurt: 110, 141, 243, 437
Vadim, Roger: 440
Weinzierl, Erika: 625
Valentin, Karl: 318, 658, 694, 733
Weislinger, Johann Nikolaus: 155
Valery, Paul: 584, 618, 629, 728
Vasari, Giorgio: 130 Weiße, Felix: 321
Vasary, Johann: 150 Weizsäcker, Carl Friedrich v.: 313, 542,
Vauvenargues, Marquis de: 189, 609, 576, 594, 598, 600, 601, 605, 618, 649,
612, 645, 655, 683, 727, 753, 760, 774 652, 653, 654, 699, 703, 722, 725, 748,
Venske, Henning: 553, 554, 585, 702, 750, 762, 772, 775, 781, 791
704,714 Weizsäcker, Richard v.: 553, 571, 590,
Verdi, Giuseppe: 291, 349 656, 677, 688, 723, 764, 775
Vergil: 48, 89, 132, 326, 353, 529, 669 Welch, Raquel: 732
Vespasian: 168 Welisch, Ernst: 437
Vico, Giovanni Battista: 360 Welles, Orson: 641, 675
Viktoria: 479 Wellington, Herzog v.: 227
Villon, Franfois: 66, 218, 386 Werfel, Franz: 332, 658, 680, 714,
Virchow, Rudolf: 605 748
Vischer, Theodor: 48, 320, 430 Werner, H.: 437
Vitruv: 45, 206 Wesendonck, Mathilde: 189
Volkmann, Richard v.: 428 West, Moritz: 81, 83, 269
Voltaire: 67, 68, 128, 160, 184, 277, 409, Widmark, Richard: 741
533, 539, 628, 630, 660, 723, 757 Wiechert, Ernst: 511
Vos, G. de: 513 Wieder, Hanne: 536, 602
Voß, Johann Heinrich: 164, 244, 331, Wieland, Christoph Martin: 48, 65,134,
496 335,467, 486, 586, 631
Vulpius, Christian August: 234, 404 Wiesel, Ehe: 586
Wiesner, Heinrich: 549, 628, 753
W Wigand, Otto: 211
Wilde, Oscar: 97, 222,365, 537, 539, 548,
Waggerl, Karl Heinrich: 541, 556, 559, 561, 564, 569, 574, 578, 579, 588, 590,
562, 576, 578, 583, 588, 597, 598, 605, 591, 593, 598, 601, 603, 618, 632, 640,

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648, 654, 658, 664, 674, 685, 691, 704, Wolff, Pius Alexander: 118, 134,
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769, 771, 775, 784, 786, 790, 792, 793 Wolfram von Eschenbach: 186, 431
Wildenbruch, Ernst v.: 374, 656 Weight, Richard: 72
Wilder, Billy: 295 Wustmann, Gustav: 34
Wilder, Thornton: 512, 552, 558, 608, Wybicki, Jözef: 338
609, 624, 628, 636, 662, 665, 707, 761,
780, 785
X
Wilhelm I.: 222
Wilhelm II.: 75, 109, 205, 224, 355, 450 Xenophon: 203, 215, 301, 422
Wilhelm, Carl: 78, 283, 466
Wilken, Heinrich: 38
Z
Williams, Tennessee: 60, 135, 418, 603,
669, 681 Zadek, Peter: 217
Willis, Nathaniel Parker: 350 Zamoyski, Jan: 264
Wilson, Samuel: 436 Zarnack, August: 333
Wilson, Thomas Woodrow: 605, Zech, Paul: 218
778 Zell, F.: 22, 194
Winckelmann, Johann Joachim: 128 Zeller, Carl: 81, 83
Winnig, August: 76 Zelter, Carl Friedrich: 88, 207, 238, 342,
Wittgenstein, Ludwig: 560, 725, 471, 473
737 Zenobios: 239
Wohmann, Gabriele: 571 Zenon:36
Wolf, Christa: 174, 255, 675 Ziegler, Friedrich Wilhelm: 48, 95, 269,
Wolf, Friedrich: 103, 589, 597, 294
646 Zille, Heinrich: 293, 303, 681
Wolf, Friedrich August: 238 Zola, Emile: 270
Wolf, Hugo: 121,122, 157, 258, 390, 473, Zschokke, Johann Heinrich Daniel: 198
497 Zuckmayer, Carl: 34, 71, 265, 591, 638
Wolfe, Thomas: 157, 382 Zweig, Stefan: 413, 455, 662, 703, 756
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Band 14: Fehlerfreies Deutsch
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Dieses Buch stellt die Regeln zum richtigen
DUDEN-Taschenbuch „Fehlerfreies Deutsch“
Schreiben der Wörter uiCl/'N memsowie die
in leicht lesbarer, oft humorvoller Darstellung
Regeln zum richtigen GebrauK $EFpD'iW, geantwortet. 204 Seiten.
dar. 188 Seiten £)q ~ ^C,
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DUk.ll will all Jjenen helfen, die mit den
will au
Mehr als 3000 weibliche und männliche om lf4fffhJft|chen Unt<
Unterschieden in Wort- und
namen enthält dieses Taschenbuch. Sie erfahren,
S] r u mlrontiert werden. 190 Seiten
aus welcher Sprache ein Name stammt, was er
bedeutet und welche Persönlichkeiten ihn getra¬ Band 17: Leicht verwechselbare Wörter
gen haben. 239 Seiten. Der Band enthält Gruppen von Wörtern, die auf
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wechselt werden. 334 Setten.
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len praktischen Beispielen die formalen und
Band 6: Wann schreibt man groll, wann schreibt
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eines der schwierigsten Kapitel der deutschen Band 22: Wie sagt man in der Schweiz?
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über alle sprachlichen Eigenheiten, durch die Jiddischen von A bis Z. 204 Seiten.
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in Deutschland üblichen Sprachgebrauch unter¬ Band 25: Geographische Namen in Deutschland
scheidet. 252 Seiten. In über 1200 Artikeln werden 1700 Ortsnamen,
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Band 9: Wie gebraucht man Fremdwörter richtig? und die Entstehungsgeschichte der verschieden¬
Mit 4000 Stichwörtern und über 30000 Anwen- sten geographischen Namen erläutert. 288 Seiten.

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