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aktueller Gebrauch
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LEXIKA GEOGRAPHIE/ATLANTEN
Meyers Neues Lexikon in 10 Bänden Meyers Großer Weltatlas
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'
Meyers Neuer Weltailas
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Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden nahmen sowie 146 Seiten geographische und
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gebunden mit farbigem Schutzumschlag.
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MEYERS FORUM Christian-Dietrich Schönwiese
Klima
Meyers Forum stellt Themen aus Geschichte,
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nik prägnant und verständlich dar. Jeder Band Werner Pascha
wurde von einem anerkannten Wissenschaftler
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Ozonloch
Eine Auswahl: Ozonsmog
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JUGENDBÜCHER
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Fortpflanzung und Sexualität der Tiere Ein Lexikon, das auf keinem Schülerschreibtisch
fehlen sollte. 672 Seilen, rund 7500 Stichwörter,
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Das Wissensbuch lür Vor- und Grundschul¬
Geld und Währung
kinder. 323 Seiten mit 1200 Artikeln,
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Mannheim - Leipzig Wien ■ Zürich
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Kahle/Austin Foundation
https://archive.org/details/dudenzitateundauOOOOunse
DUDEN
Band 12
Der Duden in 12 Bänden
Das Standardwerk zur deutschen Sprache
1. Rechtschreibung
2. Stilwörterbuch
3. Bildwörterbuch
4. Grammatik
5. Fremdwörterbuch
6. Aussprachewörterbuch
7. Herkunftswörterbuch
10. Bedeutungswörterbuch
DUDEN BAND 12
DUDENVERLAG
Mannheim • Leipzig ■ Wien- Zürich
\ Kt
Pt i C« . K.vrT-
rv*4>'
PH6CA&<3>~$Lf y<^q 3
Einleitung . 9
C Literaturverzeichnis . 16
Quellenverzeichnis . 795
Register . 807
1. Die Bibel . 807
2. Personenregister . 808
Einleitung
A. Das Zitat in der deutschen Sprache
Wenn man einen Text zu verfassen oder eine Rede zu halten hat, steht
man vor der Aufgabe, Lesern oder Zuhörern seine Gedanken zu einem
bestimmten Thema in verständlicher und einprägsamer Form zu übermit¬
teln. Dabei wird man feststellen, daß es oftmals sehr nützlich ist, das, was
man ausdrücken will, mit den Worten anderer Menschen wiederzugeben.
Dies kann zum Beispiel notwendig sein, um der eigenen Aussage durch
die Berufung auf eine Autorität größeres Gewicht zu verleihen. In vielen
Fällen hat man aber auch den Wunsch, bereits Gesagtes noch einmal
pointiert zusammenzufassen, eine längere Ausführung mit einem schlag¬
lichtartigen Satz abzuschließen. Oder man will eigenen Worten eine ge¬
wisse Würze verleihen und dem Leser- oder Hörerpublikum etwas mit¬
geben, das sich spontan einprägt, das noch lange im Ohr nachklingt. Als
Schreiber oder Redner greift man dann gerne auf eine Äußerung zurück,
in der eine allgemein bekannte Persönlichkeit, ein klassischer oder mo¬
derner Schriftsteller, ein Prominenter aus Politik, Wirtschaft oder Kultur
bereits einen ähnlichen oder sogar den gleichen Gedankengang prägnant
zugespitzt vorformuliert hat.
Wenn man sich dieses stilistischen Kunstgriffs bedient, wendet man eine
Technik an, die bei allen Autoren und Vortragenden von der Antike bis
hin zur Gegenwart immer wieder herangezogen wurde: man zitiert.
Schlägt man im Wörterbuch nach, so findet man zitieren definiert mit
>eine Stelle aus einem gesprochenen oder geschriebenen Text unter Beru¬
fung auf die Quelle wörtlich wiedergeben<. Das Wort geht zurück auf
lateinisch citare, das >herbeirufen<, auch >anrufen, erwähnen, nennen<
bedeutet und in der römischen Rechtssprache die Bedeutung >vorladen<
und >sich auf jemandes Zeugenaussage berufen< erhalten hat. Mit der
Übernahme des römischen Rechts wurde es im 15. Jahrhundert ins Deut¬
sche als juristischer Fachausdruck entlehnt. Seit dem frühen 18. Jahr¬
hundert wurde es, ausgehend von der lateinischen Bedeutung >erwähnen,
nennen< dann auch im Sinne von >einen Autor, eine Schriftfstelle] als
Zeugen heranziehen< verwendet. Ebenfalls im 18. Jahrhundert entstand
aus lateinisch citatum, >das [namentlich] Angeführte, Erwähnte< (substan¬
tiviertes Partizip Perfekt von citare), die gelehrte Bildung Zitat im Sinne
von >wörtlich angeführte Stelle (aus einer Schrift oder Rede)<.
Für die Autoren der Antike war das Zitat in erster Linie ein rhetorischer
Schmuck, mit dem sie ihre Ausführungen versahen. Zitiert wurde haupt¬
sächlich aus der >Ilias< und der >Odyssee< des altgriechischen Dichters
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Homer (2. Hälfte des 8.Jh. v.Chr.), aus den Werken der altgriechischen
Dichter Pindar (5-/4. Jh. v. Chr.) und Hesiod (um 700 v. Chr.), später auch
aus der >Äneis< des römischen Dichters Vergil (70-19 v.Chr.). Man
schrieb die Zitate aus dem Gedächtnis nieder, eine wörtliche Wiedergabe
war selten. Die spätantiken Kirchenväter und die frühen christlichen
Schriftsteller setzten diese rhetorische Tradition fort. Zitiert wurden jetzt
aber vor allem Stellen aus der Bibel. Da diese Zitate im Disput mit Nicht¬
christen und Häretikern die nicht anzweifelbare Wahrheit in eindeutiger
Weise dokumentieren sollten, wurde dabei jetzt auch auf größere Wört¬
lichkeit geachtet. Auf Zitate aus sogenannten heidnischen Schriftstellern
griff man nur dann zurück, wenn man einen Vorbildcharakter von Perso¬
nen und Ereignissen im Hinblick auf die Botschaft des Neuen Testaments
zu erkennen glaubte. So wurde z. B. die 4. Ekloge von Vergils >Bucolica<,
einem Zyklus von zehn Hirtengedichten (Eklogen), in der ein neues Zeit¬
alter des Friedens verheißen wird, als Ankündigung Christi, des Heilan¬
des, gedeutet.
Für das Schrifttum im Mittelalter schien auf Grund der Materialfülle der
zur Verfügung stehenden neueren Handbücher und wissenschaftlichen
Lehrwerke ein Rückgriff auf die frühen Quellen nicht mehr nötig. Namen
von antiken Autoren wurden zwar noch genannt, aber ihr Gedankengut
wurde nicht mehr wörtlich angeführt, sondern im Sinne der christlichen
Heilslehre umgedeutet und idealisiert. Allenfalls besonders einprägsame
Aussprüche, Sinn- und Denksprüche, Sentenzen also, die herausgelöst
aus dem Textzusammenhang für sich alleine stehen konnten, zitierte man
noch wörtlich. Daraus bildeten sich dann in vielen Fällen allgemein ver¬
wendete Sprichwörter, die in Sammlungen aufgenommen wurden und
von hier aus wiederum in die Literatur Eingang fanden.
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man schmückte das eigene Werk damit, um Eindruck zu machen. War im
Mittelalter der Umgang mit Texten der Antike, also mit >heidnischem<
Schrifttum, eine heikle Sache, so wurde jetzt der Erfahrungsschatz der
alten Autoren zur Dokumentation der eigenen Lebensnähe verwendet.
Diese psychologisch geschickte Anwendungsweise von Zitaten aus dem
antiken Schrifttum führte auch dazu, daß man deutschen (oder einge¬
deutschten) Sprichwörtern und Redensarten eine ebensogroße Bedeu¬
tung zumaß und sie in gleicher Weise einsetzte.
In der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts diente das Zitat fast nur
noch als Stilmittel, um letztlich die poetische Wahrheit zu legitimieren
und ihren Wert zu steigern. Diese Entwicklung verstärkte sich noch im
Barock. Am Ende des 17. Jahrhunderts jedoch, schon an der Wende zur
Aufklärung, wurde das Zitat auch als Mittel der ironischen Charakterisie¬
rung verwendet, zum Beispiel im > Bäuerischen Machiavellus< von Chri¬
stian Weise (1642-1708), wo ein Schulmeister im Bewußtsein seiner
Überlegenheit seine Mitmenschen mit lateinischen Zitaten überhäuft.
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(1749-1832) und Friedrich Schiller (1759-1805), auf die dieser literatur¬
geschichtliche Terminus bald eingeengt wurde. Zum Kanon der klassi¬
schen Autoren zählen weiter vor allem Gotthold Ephraim Lessing
(1729-1781), Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), Christoph Mar¬
tin Wieland (1733-1813), Johann Heinrich Voß (1751-1826), Johann
Gottfried Herder (1744-1803), Friedrich Hölderlin (1770-1843), Jean
Paul (1763-1825), Heinrich von Kleist (1777-1811).
Ursprünglich kam es beim Zitieren auf die Wiedergabe des genauen
Wortlautes an, denn nur so konnte man seine Bildung unter Beweis stel¬
len. Die sich immer mehr auf breiteste Kreise ausweitende Verwendung
von Zitaten führte jedoch dazu, daß sie häufig nicht mehr in ihrem ur¬
sprünglichen Sinne gebraucht wurden, sondern in übertragener Bedeu¬
tung in den alltäglichen Sprachgebrauch eingingen, sozusagen zur sprich¬
wörtlichen Redensart wurden. Das hatte zur Folge, daß beim Gebrauch
eines Zitats in der gesprochenen Sprache kleine Veränderungen vorge¬
nommen wurden, entweder bedingt durch die Sprechsituation oder zur
Vereinfachung des Zitatgebrauchs. Ein Beispiel dafür ist das auf eine
Stelle in Schillers >Verschwörung des Fiesco zu Genua< zurückgehende
>Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan<, das im Original lautet: >Der
Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen<. Nach dem bei He-
siod zu lesenden >Vor den Verdienst setzten den Schweiß die Götter, die
unsterblichem zitierte und zitiert man noch heute >Vor den Erfolg haben
die Götter den Schweiß gesetzri.
- Das Zitat muß sowohl allgemein bekannt sein als auch auf Grund
seines Inhaltes eine gewisse Aktualität haben.
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- Das Zitat muß auf eine literarische Quelle oder eine historisch beleg¬
bare Person - zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit - zurückzuführen
sein.
Im Laufe der Zeit und bis hin zur Gegenwart hat sich der Zitatgebrauch
jedoch entscheidend verändert. War das Anbringen von Zitaten bis weit
in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein eine Sache des Bildungs¬
und damit des Sozialprestiges, so steht dies bei der heutigen Art des Zi-
tierens nicht mehr im Vordergrund. Flocht man früher ein Zitat in seine
Rede oder seinen Text ein, so wollte man seine Belesenheit, sein Bildungs¬
niveau unter Beweis stellen. Schüler mußten zeigen, daß sie die Werke
der großen Dichter und Denker >intus< hatten und durften sich nicht bei
einem falsch wiedergegebenen Zitat ertappen lassen. Vor allem seit dem
Ende des 2. Weltkriegs trat hier aber eine Zäsur ein. Das Zitat aus dem
tradierten Literaturkanon und seine korrekte Anwendung galt nicht mehr
unbedingt als Bildungsnachweis.
Das wird gerade heute besonders daran deutlich, was man in Rede und
Schrift für zitierwürdig hält. Natürlich sind immer noch die Bibel, die
klassische deutsche Literatur und die Weltliteratur gern benutzte Zitaten-
spender. Aber es zeigt sich eine deutliche Verschiebung hin zu aktuellen
Schlagwörtern oder Slogans aus den Bereichen Politik und Werbung. Die
Rolle der Literatur als Zitatenlieferant ist in der 2. Hälfte des 20. Jahrhun¬
derts fast zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken, sieht man einmal von
den Werken Bertolt Brechts mit ihrer politisch eindeutig ausgerichteten
Botschaft ab. Man zitiert heute weniger aus Werken, sondern es sind sehr
häufig die Titel der Werke, die das Zitat liefern: Die Plebejer proben den
Aufstand (Schauspiel von Günter Grass, 1966), Der Stoff, aus dem die
Träume sind (Roman von Johannes Mario Simmel, 1971), Gruppenbild mit
Dame (Roman von Heinrich Böll, 1971), Die unerträgliche Leichtigkeit des
Seins (Roman von Milan Kundera, 1984). In gleicher Weise sind Titel
von Spielfilmen und Fernsehserien die Lieferanten moderner Zitate:
Lohn der Angst (Spielfilm, 1952), Morgens um sieben ist die Welt noch in
Ordnung (Spielfilm, 1968), Das große Fressen (Spielfilm, 1973), Hätten
Sie’s gewußt (Fernsehquiz Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre), Mit
Schirm, Charme und Melone (Fernsehserie in den 60er Jahren), Acht Stun¬
den sind kein Tag (Femsehserie in den 70er Jahren). Auch Schlager- und
Songtitel werden häufig geflügelt, wie z. B. Mein Gott, Walter! oder Neue
Männer braucht das Land. Sehr groß ist ebenfalls die Zahl von Werbe¬
slogans, die in den letzten Jahrzehnten den modernen Zitatenschatz
bereichert haben, angefangen beim Duft der großen weiten Welt (Ziga¬
rettenwerbung) über Und läuft und läuft und läuft... (Autowerbung) bis
hin zur Feststellung Man gönnt sich ja sonst nichts (Spirituosen werbung).
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Ein weiterer grundlegender Unterschied zur früheren Zitierweise ist der
jetzt übliche Umgang mit dem geflügelten Wort: Legte man früher aus
Gründen des Bildungsprestiges Wert auf exakte wörtliche Wiedergabe, so
ist man heute viel unbekümmerter im Umgang mit dem Zitierten. Es wird,
je nach dem aktuellen Anlaß, abgewandelt oder völlig verfremdet. Nicht
mehr Textgenauigkeit und Kontextgebundenheit machen den Wert des
Zitats aus, sondern vielmehr eine durch witzig-freche Veränderung ge¬
schaffene, nur noch assoziative Verbindung zum originalen Zusammen¬
hang, die ihrerseits wiederum beim Leser oder Hörer eine besondere Wir¬
kung erzielt. Diese neue Art des Zitatgebrauchs findet sich besonders in
den Schlagzeilen der Presse. So trug z. B. ein feministischer Artikel im
Feuilleton einer großen deutschen Tageszeitung die Überschrift >In den
Staub mit allen Feinden der Frau<. Hier wurde das als bekannt vorausge¬
setzte Zitat >In Staub mit allen Feinden Brandenburgs< aus Kleists >Prinz
von Homburg< verfremdet und in Bezug auf ein aktuelles Geschehen ge¬
setzt. Oft findet man aber auch das Original ohne Abwandlung zitiert,
z. B. >Szenen einer Ehe< (Überschrift eines Zeitungsartikels über eine
Bankenfusion; Titel eines Films von Ingmar Bergman) oder die Beschrei¬
bung der Hauptdarstellerin eines Fernsehfilms als >obskures Objekt der
Begierde< (>Dieses obskure Objekt der Begierden Titel eines Filmes von
Louis Bunuel). Diese Beispiele zeigen deutlich, daß heute häufig unkon¬
ventionell zitiert wird, da eben nicht mehr, wie zuvor gesagt, angelesenes
Wissen dokumentiert werden soll, sondern man mit einer schnell hinge¬
worfenen sprachlichen Chiffre bei anderen bestimmte Assoziationen her-
vorrufen will.
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tion und die Sprachkompetenz ihrer Mitarbeiter. Ausschlaggebendes
Kriterium sollte die allgemeine Gebräuchlichkeit des Zitats sein, im
Zweifelsfall wurden eher solche Texte weggelassen, deren Herkunft
nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt ist.
Der Zitatenschatz der deutschen Sprache ist ebensowenig wie ihr Wort¬
schatz frei von Einflüssen aus anderen Sprachen geblieben. Vor allem aus
dem Lateinischen, aber auch aus modernen Sprachen wie Englisch und
Französisch, haben Zitate ihren festen Platz im deutschen Sprachge¬
brauch gefunden. Sie werden in diesem Wörterbuch selbstverständlich
ebenfalls berücksichtigt.
15
C. Literaturverzeichnis (Auswahl)
1. Quellen
Die in Teil I des Wörterbuchs angeführten Zitate wurden nicht nur auf
der Grundlage der unter 2. angeführten Literatur dargestellt, sondern
auch anhand der Originaltexte überprüft, soweit diese zugänglich waren.
Bei Zitaten aus der Bibel stützt sich der Text, sofern nicht anders angege¬
ben, auf die nach der Übersetzung Martin Luthers herausgegebene
>Konkordanzbibel< der Privilegierten Württembergischen Bibelanstalt,
Stuttgart.
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Teil I: Herkunft und Verwendung der im Deutschen
gebräuchlichen Zitate
Die Erläuterungen zum Zitat beziehen sich in der Regel zunächst einmal
auf die Herkunft des Zitats, soweit es sich auf einen Autor, eine Text¬
stelle, einen Ausspruch oder auf eine bestimmte geschichtliche oder poli¬
tische Situation, Bewegung, Vereinigung o. ä. zurückführen läßt. Ist der
>eigentliche< Ursprung des Zitats dunkel, so erfolgt ein Hinweis auf die
literarische Quelle, die vermutlich zur Verbreitung des Zitats entscheidend
beigetragen hat. Über die reine Stellenangabe hinaus sollen zusätzliche
Informationen über die Quelle und den näheren Kontext zeigen, in wel¬
chem Zusammenhang das Zitat ursprünglich zu sehen ist; in vielen Fällen
hat sich der Gebrauch später von der Ausgangssituation mehr oder weni¬
ger weit entfernt. Die Beschreibung von typischen oder möglichen späte¬
ren Verwendungsweisen, vor allem im heutigen Sprachgebrauch, macht
diese sprach- und kulturgeschichtlich interessanten Veränderungen deut¬
lich. Auch besonders geläufige Varianten oder bewußte Abwandlungen
des Zitats werden in den Erläuterungen erwähnt.
Hinweise für die Benutzung des zweiten Teils dieses Wörterbuchs finden
sich auf S. 531.
17
A
Das A und O schen Gedichts zu gestalten sei. Homer
Diese Wendung geht zurück auf eine führt den Leser nämlich rasch mitten in
Stelle aus der Offenbarung des Johan¬ das Geschehen hinein (vergleiche auch
nes (1,8) mit dem Wortlaut: „Ich bin „In medias res“) und „beginnt den Tro¬
das A und das O, der Anfang und das janischen Krieg nicht mit dem doppel¬
Ende, spricht Gott der Herr..." Das „A“ ten Ei“ (nee gemino bellum Troianum or-
entspricht dabei dem ersten (Alpha), ditur ab ovo). Damit bezieht sich Horaz
das „O“ dem letzten Buchstaben des auf die Sage von Leda und dem
griechischen Alphabets (Omega). „Das Schwan; nach ihrer Verbindung mit
A und das O“ als das alles Umfassende Zeus in der Gestalt des Schwans gebar
ist eine Metapher für Gott. - Die Wen¬ Leda ein Ei (gelegentlich auch als dop¬
dung hat für uns die Bedeutung „das peltes Ei beschrieben), aus dem Helena
Wesentliche, die Hauptsache, der Kern¬ und Polydeukes hervorgingen. Die Ent¬
punkt“. führung Helenas war später der Anlaß
für die Kämpfe um Troja. - Auch heute
A Star is born wird „ab ovo“ noch im Sinne von „sehr
weitschweifig, von den allerersten An¬
Dies ist der Titel eines amerikanischen
fängen an“ gebraucht.
Films, dessen erste Fassung aus dem
Jahr 1937 stammt (deutscher Titel: „Ein
Ab urbe condita
Stern geht auf“) und in dem ein Mäd¬
Der römische Geschichtsschreiber Livi-
chen vom Lande in Hollywood zum
us (59 v. Chr.- 17 n. Chr.) hat seiner Dar¬
Filmstar aufgebaut wird. Populär wurde
stellung der römischen Geschichte die¬
eine Neuverfilmung des Stoffes unter
sen Titel gegeben. „Ab urbe condita“
der Regie von George Cukor aus dem
bedeutet dabei soviel wie „Von der
Jahre 1954 (deutscher Titel: „Ein neuer
Gründung der Stadt Rom an“, deren
Stern am Himmel“). Mit dem Zitat
Zeitpunkt Livius mit dem Jahr 753
kommentiert man den Beginn einer stei¬
v. Chr. angibt. - Man charakterisiert mit
len und in der Öffentlichkeit sehr be¬
dem Zitat heute (in eher bildungs¬
achteten Karriere.
sprachlichen Texten) eine sehr weit zu¬
rückgreifende, von den ersten Anfängen
Ä la recherche du temps perdu
ausgehende Abhandlung oder Erzäh¬
t Auf der Suche nach der verlorenen lung.
Zeit
Wo ist dein Bruder Abel?
Ä trompeur - trompeur et demi!
tSoll ich meines Bruders Hüter sein?
TAuf einen Schelmen anderthalben!
Es will Abend werden, und der
t Wo aber ein Aas ist, da sammeln Tag hat sich geneigt
sich die Geier Dieses Zitat stammt aus dem Lukas¬
evangelium (24,29) im Neuen Testa¬
Ab ovo ment. Dort begegnet zwei Jüngern auf
Der römische Dichter Horaz (65-8 dem Weg nach Emmaus der auferstan¬
v. Chr.) lobt in seiner „Ars poetica“ dene Jesus, der sich ihnen anschließt,
(Vers 147) Homers „Ilias“ als gutes Bei¬ ohne daß sie ihn erkennen. Als sie kurz
spiel dafür, wie der Anfang eines epi¬ vor ihrem Ziel sind und er sich an-
19
Abend Teil I
20
Teil I Absicht
21
Abwesenheit Teil I
Ach, ich hab’ sie ja nur auf die Ach, spricht er, die größte Freud’
Schulter geküßt ist doch die Zufriedenheit
Diese Liedzeile stammt aus Karl Mil¬ Diese Verse stammen aus Wilhelm
löckers Operette „Der Bettelstudent“ Büschs „Max und Moritz“ (1865). Den
(1882), deren Textbuch von F. Zell und „Vierten Streich“ spielen die beiden
R. Genee verfaßt wurde. Das Lied ent¬ Knaben ihrem Lehrer, dessen Pfeife sie
hält die Klage des Gouverneurs Oberst mit Schießpulver stopfen. Kurz bevor
22
Teil I Achillesferse
ihn das Unglück ereilt, gibt der Lehrer märchen (1812-1815) der Brüder
Lämpel seinem Behagen mit den obigen Grimm enthalten ist. Das Männlein mit
Worten Ausdruck. - Man verwendet dem Namen Rumpelstilzchen hilft der
das Zitat, um anzudeuten, daß man sehr Müllerstochter, Stroh zu Gold zu spin¬
zufrieden ist und sich behaglich fühlt, nen, und fordert von ihr ihr erstes Kind,
gelegentlich auch als leise Kritik an all¬ wenn sie erst Königin geworden ist. Sie
zu großer Selbstzufriedenheit. soll ihr Kind aber behalten dürfen,
wenn sie seinen Namen errät, eine Auf¬
Ach, wie bald schwindet Schönheit gabe, die das Rumpelstilzchen für un¬
und Gestalt! lösbar hält. - Der Reim, zumeist nur die
So beginnt die dritte Strophe des zum erste Hälfte „Ach, wie gut, daß niemand
Volkslied gewordenen Gedichts „Rei¬ weiß“, wird oft scherzhaft von jeman¬
ters Morgengesang“ von Wilhelm Hauff dem zitiert, der froh ist, daß etwas ihn
(1802-1827). Das Gedicht greift das Betreffendes nicht bekannt ist. - Ga¬
Thema der Vergänglichkeit auf, indem briele Wohmann hat dieses Zitatstück
es in der ersten Strophe die Frage auf¬ zum Titel eines ihrer Romane (1980) ge¬
wirft: „Morgenrot,/Leuchtest mir zum macht.
frühen Tod?“ - Das Zitat ist eine Klage
über die Vergänglichkeit alles Irdischen, Ach, wie ist’s möglich dann, daß
die im Dahinschwinden der äußeren ich dich lassen kann
Schönheit ihren sichtbaren Ausdruck
Die heute weniger bekannte Schriftstel¬
findet. Heute wird es meist scherzhaft
lerin Helmina de Chezy (1783-1856),
gebraucht, um in einem eher vorder¬
von der unter anderem das Libretto zu
gründigen Sinn die Vergänglichkeit von
Carl Maria von Webers Oper „Euryan-
Dingen zu kommentieren, die ihre
the“ stammt, bearbeitete 1824 ein Volks¬
Schönheit allzu rasch einbüßen. (Ver¬
lied aus dem Thüringer Wald, das mit
gleiche auch „Gestern noch auf stolzen
den Worten „Ach, wie ist’s möglich
Rossen“).
dann,/daß ich dich lassen kann!“ be¬
ginnt. Der sehr romantische Grundton
Ach, wie bald vergehn die schönen
dieses Liebesliedes kommt besonders in
Stunden
der letzten Strophe zum Ausdruck, in
t So ein Tag, so wunderschön wie heute der es heißt: „Wär ich ein Vögelein,/
wollt’ ich bald bei dir sein,/... schoss’
Ach! Wie gebrechlich ist der mich ein Jäger tot,/fiel’ ich in deinen
Mensch, ihr Götter Schoß ;/sähst du mich traurig an,/gern
Dieser Vers steht in der Schlußszene der stürb’ ich dann.“ - Heute zitiert man
Kleistschen Tragödie „Penthesilea“ den Anfang des Gedichts nur noch
(1808). Die Amazonenkönigin Penthesi¬ scherzhaft als Ausdruck des Bedauerns,
lea, die Heldin des Stücks, hat Achill, daß man jemanden verlassen, einen Be¬
den sie liebt, im Kampf getötet. Sie such beenden muß.
stirbt unmittelbar danach; die Über¬
macht des widerstreitenden Gefühls zer¬ Achillesferse
bricht sie. - Als Zitat gibt der Vers der
Als Achillesferse bezeichnet man die
Einsicht in die Unvollkommenheit und
verwundbare, empfindliche Stelle eines
Fehlbarkeit der Menschen Ausdruck.
Menschen. - Der Ausdruck entstammt
der griechischen Mythologie. Thetis, die
Ach, wie gut, daß niemand weiß, Mutter Achills, hatte das Kind in den
daß ich Rumpelstilzchen heiß’! Styx, einen Fluß in der Unterwelt, ge¬
Dieser Reim (ursprünglich in der Form: taucht, um es unverwundbarzu machen.
„Ach, wie gut ist, daß niemand Die Ferse, an der sie es gehalten hatte,
weiß, ...“) stammt aus dem Märchen war ihm dabei als einzige verwundbare
„Rumpelstilzchen“, das in der Mär¬ Stelle seines Körpers verblieben. So
chensammlung der Kinder- und Haus¬ konnte es geschehen, daß Achill, als ihn
23
acht Teil I
ein Pfeil des Paris an der Ferse traf, töd¬ Rom als Zahltage galten, bei den Grie¬
lich verletzt wurde. chen nicht gab.
24
Teil I all
t Nicht für einen Wald voll Affen All mein Hoffen, all mein Sehnen
In Wilhelm Büschs (1832-1908) wohl
Eine ägyptische Finsternis bekanntester Bildergeschichte „Max
Man spricht - meist scherzhaft - von ei¬ und Moritz“ wird im „Ersten Streich“
ner „ägyptischen Finsternis“, wenn es geschildert, wie die beiden Knaben den
an irgendeinem Ort sehr dunkel ist. Der Hühnern der Witwe Bolte ein qualvolles
Ausdruck geht auf das Alte Testament Ende bereiten, indem sie ihnen an
(2. Moses 10,22-23) zurück. Hier wird Schnüre gebundene Brotstücke zu fres¬
von einer großen Finsternis berichtet, sen geben. Die Tiere bleiben mit diesen
von der Ägypten während drei Tagen Schnüren an einem Baumast hängen.
25
all Teil I
Beim Anblick ihres elend zu Tode ge¬ sich besonders in Szene zu setzen. In
kommenen Federviehs ruft die Witwe diesem Sinne wird das Zitat noch heute
verzweifelt aus: „Fließet aus dem Aug’, gebraucht, gelegentlich auch scherzhaft
ihr Tränen 1/All mein Floffen, all mein in selbstironischer Abwehr von zu gro¬
Sehnen,/Meines Lebens schönster ßem Lob.
Traum/Hängt an diesem Apfelbaum!“
Besonders der zweite Vers „All mein t Raum für alle hat die Erde
Floffen, all mein Sehnen“ wird heute
noch scherzhaft zitiert, wenn man auf Alle Herrlichkeit auf Erden
etwas anspielen will, worauf man sein Den Stoff für den 1955 in Amerika ge¬
ganzes inniges Verlangen gerichtet, wor¬ drehten Film mit dem englischen Titel
in man alle seine Hoffnung gesetzt hat. „Love is a many splendored thing“,
Auch der Vers „Meines Lebens schön¬ deutsch: „Alle Herrlichkeit auf Erden“,
ster Traum hängt an diesem Apfel¬ lieferte ein Roman von Han Suyin, der
baum“ ist ein populäres Zitat geworden, die Liebesgeschichte einer jungen Ärz¬
mit dem beispielsweise jemand eine ent¬ tin und eines amerikanischen Korre¬
täuschte Hoffnung scherzhaft kommen¬ spondenten während des Koreakrieges
tiert. - Daß die Witwe Bolte sich mit erzählt. Das Zitat wird im allgemeinen
den Worten „meines Lebens schönster auf irdisches Glück bezogen, meist ver¬
Traum“ auf ihre Hühner bezieht, die so¬ bunden mit dem unausgesprochenen
zusagen ihr höchstes Lebensglück dar¬ Gedanken der Vergänglichkeit. Es erin¬
stellten, ist charakteristisch für Wilhelm nert an eine Stelle im Neuen Testament
Büschs immer auch ironisch-distanzier¬ (1. Petrus 1, 24), wo „alle Herrlichkeit
te Haltung gegenüber den oft spießigen des Menschen“ mit „des Grases Blume“
Bürgeridealen seiner Zeit. verglichen wird, die nach kurzer Zeit
verblüht.
All you need is love
Dieser Titel eines Liedes der Beatles Alle Jahre wieder
(komponiert und getextet von John Len- Dies ist die erste Zeile des Weihnachts¬
non und Paul McCartney), das 1967 im liedes „Alle Jahre wieder/Kommt das
Rahmen einer weltweit ausgestrahlten Christuskind ...“. Das Lied findet sich
Fernsehsendung der Öffentlichkeit vor¬ unter den volkstümlichen Gedichten,
gestellt wurde, könnte als Motto der gesammelt von Wilhelm Hey (1789 bis
Flower-Power-Bewegung der 60er Jahre 1854), die er seiner zweiten Sammlung
angesehen werden. Der Titel (auf von „Fünfzig Fabeln für Kinder“ (Ham¬
deutsch etwa: „Alles, was man braucht, burg 1837) beigab. Das Zitat bringt zum
ist Liebe“) wird gelegentlich zitiert, Ausdruck, daß sich etwas mit schöner
wenn man eine allgemeine Ablehnung oder auch als lästig oder ärgerlich emp¬
von Haß und Gewalt zum Ausdruck fundener Regelmäßigkeit wiederholt.
bringen möchte oder auch wenn Geld 1967 drehte Peter Schamoni einen Spiel¬
und Reichtum jemandes Leben zu sehr film mit dem Zitat als Titel.
beherrschen.
Alle Jubeljahre einmal
Alle großen Männer sind beschei¬ Diese Fügung drückt aus, daß etwas
den „sehr selten“, nach Meinung des Spre¬
Das Zitat stammt aus Lessings „Briefen, chers häufig „viel zu selten“ geschieht.
die neueste Literatur betreffend“ (65. Der Name „Jubeljahr“, eine Lehnüber¬
Brief vom 2. November 1759). Hierin setzung des lateinischen „annus iubi-
äußert sich Lessing über den Literatur¬ laeus“, geht zurück auf eine Stelle des
theoretiker und Kritiker Johann Chri¬ Alten Testamentes (3. Moses 25,8 ff.),
stoph Gottsched, dessen Eitelkeit ihn nach der die Kinder Israel alle fünfzig
stört. Er setzt dagegen seine Überzeu¬ Jahre ein heiliges Jahr, ein sogenanntes
gung, daß wirkliche Größe bei einem „Halljahr“, zu begehen hatten mit
Menschen nicht das Bedürfnis weckt, Schuldenerlaß, Freilassung der israeliti-
26
Teil I
alle
sehen Sklaven und Rückgabe von ver¬ rechte“) aus dem Revolutionsjahr 1789
kauftem Boden. Ein solches Jahr wurde steht im Artikel 1: „Die Menschen wer¬
mit dem Blasen des Widderhorns eröff¬ den frei und gleich an Rechten geboren
net, dessen hebräischer Name „yövel" und bleiben es“ (Les hommes naissent et
in „Jubeljahr“ erhalten blieb. Im Mittel- demeurent libres et egaux en droits).
alter wurde das Wort zur Bezeichnung
eines besonderen Ablaßjahres der ka¬ Alle Menschen werden Brüder
tholischen Kirche übernommen, das zu¬
Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬
nächst alle hundert Jahre, später alle
dicht „An die Freude“, das durch seine
fünfzig Jahre und von 1500 an alle fünf¬
Vertonung als Schluß der 9. Sinfonie
undzwanzig Jahre wiederkehrte.
von Beethoven (1823) sehr bekannt wur¬
Alle Macht den Räten! de. Es verkündet hymnisch die Verbrü¬
derung aller Menschen in Momenten
Das von Lenin geprägte Schlagwort der
der Freude, der Begeisterung, die alle
russischen Oktoberrevolution (1917)
Mauern der Fremdheit einreißt. „Alle
„Alle Macht den Sowjets!“ wurde 1918
Menschen werden Brüder“ ist auch der
von der deutschen Spartakusgruppe
Titel eines 1967 erschienenen Romans
übernommen und zu „Alle Macht den
von Johannes Mario Simmel. Die Ver¬
Räten!“ abgewandelt (russisch „So¬
treterin einer feministischen Sprachwis¬
wjet“ = Rat). Die Gruppe, die später
senschaft, Luise F. Pusch (geb. 1944),
Spartakusbund hieß, war aus dem äu¬
gab einer ihrer Aufsatzsammlungen aus
ßersten linken Flügel der damaligen
dem Jahr 1990 den Titel „Alle Men¬
SPD hervorgegangen und forderte ein schen werden Schwestern“.
Rätesystem als Regierungsform für
Deutschland. - Das Zitat läßt sich heute
Alle menschlichen Gebrechen süh¬
auch - vielfach scherzhaft - in Zusam¬
net reine Menschlichkeit
menhängen verwenden, in denen „Rä¬
te“ in ganz anderer Bedeutung eine Rol¬ Das Zitat stammt aus einem Widmungs¬
le spielen, auf deren „Macht“ man hin- gedicht, das Goethe 1827 dem Schau¬
weisen möchte. „Alle Macht den ..." spieler Wilhelm Krüger zueignete, der
kann jedoch auch anderen Personen die Rolle des Orest in dem Drama
oder Sachen zugesprochen werden, so „Iphigenie auf Tauris“ gespielt hatte.
daß ein „werbewirksamer“ Slogan ent¬ Der Satz enthält die Grundidee des
steht, z. B.: Alle Macht den Frauen, den Goetheschen Stücks. Er gibt der Über¬
Kindern o. ä. zeugung Ausdruck, daß „reine Mensch¬
lichkeit“ die menschlichen Schwächen
Alle Menschen sind von Geburt zu überwinden vermag, daß Mensch¬
aus gleich lichkeit, Humanität als die höchste
menschliche Tugend anzusehen ist.
Dieser Grundsatz, der als eine der
Grundlagen demokratischer rechtlich-
politischer Systeme angesehen werden Alle Räder stehen still, wenn dein
kann, findet sich zum Beispiel in der starker Arm es will
amerikanischen Unabhängigkeitserklä¬ Dieses Zitat stammt aus einem Lied, das
rung. Sie wurde von Thomas Jefferson, Georg Herwegh 1863 für den „Allge¬
dem späteren dritten Präsidenten der meinen Deutschen Arbeiterverein“ als
USA, verfaßt, und mit ihr sagten sich Bundeslied geschrieben hat. Die zehnte
1776 die englischen Kolonien vom eng¬ Strophe dieser Hymne lautet: „Mann
lischen Mutterland los. Bereits im ersten der Arbeit, aufgewacht!/Und erkenne
Satz des zweiten Absatzes heißt es: deine Macht !/Alle Räder stehen
„... daß alle Menschen gleich geschaffen still,/Wenn dein starker Arm es will.“ -
sind“ (... that all Men are created equal). Man verwendet das Zitat gelegentlich
Auch in der französischen „Declaration noch heute im Zusammenhang mit ge¬
des droits de l’homme et du citoyen“ werkschaftlichen Aktionen bei Arbeits¬
(„Erklärung der Menschen- und Bürger¬ kämpfen.
27
alle Teil I
Alle reden vom Wetter, wir nicht! Form des menschlichen Zusammenle¬
bens zu verwirklichen sei.
Dieser eingängige Werbeslogan der
Deutschen Bundesbahn aus der zweiten
Hälfte der sechziger Jahre wird vielfach T Wenn alle untreu werden
scherzhaft oder auch ironisch abgewan¬
delt und ist so zum geflügelten Wort ge¬
worden. „Alle reden von läßt sich Alle Vögel sind schon da
verwenden, wenn man darauf hinweisen Der Titel dieses bekannten Kinderlie¬
möchte, daß man selbst etwas anders des, das das Kommen des Frühlings be¬
macht oder als geringeres Problem an¬ singt, wird gelegentlich in scherzhafter
sieht als andere, wobei meist der Gedan¬ Abwandlung zitiert. So könnte zum Bei¬
ke des Wettbewerbs im Vordergrund spiel der Beginn der Ferienzeit mit „Alle
steht. Auch die einen Überraschungs¬ Touristen sind schon da“ kommentiert
effekt enthaltende Abwandlung „Alle werden. Der Text des Liedes, das auf ei¬
reden von..., wir auch!“ ist gebräuchlich ne Melodie aus dem 18. Jahrhundert ge¬
geworden. sungen wird, wurde 1847 von Hoffmann
von Fallersleben geschrieben.
Alle Regeln der Kunst
t Nach allen Regeln der Kunst Alle Wasser laufen ins Meer
Dieses Zitat stammt aus dem Alten Te¬
Alle Tage ist kein Sonntag
stament (Prediger Salomo 1,7). Es ge¬
Die sprichwörtliche Redensart beruht hört in einen Zusammenhang, in dem
auf der Erkenntnis, daß das menschli¬ von der „Eitelkeit ( = Vergeblichkeit,
che Leben mehr aus mühevollem und Nichtigkeit) aller irdischen Dinge“, be¬
arbeitsreichem Alltag besteht als aus sonders aller menschlichen Bemühun¬
Feier- und Ruhetagen. Als Titel eines gen, gesprochen wird. Es resümiert, daß
Volksstücks von Carl Clewing (1884 bis alles, was geschieht, einem ewigen Ge¬
1954) und als Anfangszeile des Gedichts setz folgt, das unwandelbar den ständig
„Liebeslied“ von Carl Ferdinand (geb. gleichen Gang der Welt bestimmt. (Ver¬
1874, Todesjahr nicht ermittelt) ist die gleiche auch „Alles ist eitel“.)
Redensart literarisch genutzt worden.
28
Teil I aller
T Ich bin allein auf weiter Flur Allen Gewalten zum Trutz sich er¬
halten
Das Gedicht, dem diese Zeile entnom¬
Allein der Vortrag macht des Red¬
men ist, stammt aus Goethes Singspiel
ners Glück
„Lila“ aus dem Jahr 1777. Es bringt in
Wagner, der Famulus Fausts, beklagt zwei daktylischen Strophen die Über¬
(in Goethes Faust I, erste Nachtszene), zeugung zum Ausdruck, daß es nötig ist,
daß es ihm an der Kunst der Deklamati¬ „feige Gedanken“ und Verzagtheit ab¬
on und freien Rede mangele. Während zuschütteln, um im Lebenskampf zu be¬
Faust ihm zu erklären versucht, daß der¬ stehen. Man zitiert es noch heute gele¬
jenige, der wirklich etwas zu sagen hat, gentlich in bezug auf jemandes Stand¬
dafür auch leicht die richtigen Worte haftigkeit und Ausdauer in schwierigen
findet, beharrt Wagner mit obigen Wor¬ Lebenslagen.
ten darauf, daß es vor allem auf den ge¬
konnten Vortrag ankomme, wenn man
als Redner Erfolg haben will. - Der Aller Augen warten auf dich
heutige Gebrauch des Zitats ignoriert Dieses Zitat findet sich im Alten Testa¬
die Darlegungen Fausts und hebt - wie ment (145. Psalm, Vers 15), wo die Gna¬
Wagner - die Wichtigkeit der rhetori¬ de und Gerechtigkeit Gottes gepriesen
schen Begabung des Redners hervor. werden: „Aller Augen warten auf dich,
Man kommentiert mit dem Zitat entwe¬ und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner
der ihr Fehlen oder ihre Beispielhaftig- Zeit.“ Der vollständige Vers ist (auch in
keit in einem speziellen Fall. der leicht abgewandelten Form „Aller
Augen warten auf dich, o Herr, du gibst
ihnen Speise zur rechten Zeit“) als
Allein es steht in einem andern Tischgebet gebräuchlich geworden. -
Buch Als Zitat gebraucht man den ersten Teil
Das Zitat stammt aus der Flexenküchen¬ scherzhaft, etwa um jemanden zu begrü¬
szene im ersten Teil von Goethes Faust ßen, der verspätet in einer Runde er¬
(1808). Faust möchte verjüngt werden, scheint.
aber die Hexenküche, in der dies be¬
werkstelligt werden soll, behagt ihm
nicht. Mephisto sagt darauf: „Dich zu
Es ist noch nicht aller Tage Abend
verjüngen gibt’s auch ein natürlich Mit¬ Diese sprichwörtliche Redensart findet
tel ;/Allein es steht in einem andern sich bereits in dem Werk des römischen
Buch/Und ist ein wunderlich Kapitel.“ Schriftstellers Titus Livius (59 v. Chr. bis
Mit dem „natürlichen Mittel“ meint 17 n. Chr.) mit dem Titel „Ab urbe con-
Mephisto eine gesunde, einfache, mit dita“. Darin legt er dem Makedonenkö-
körperlicher Arbeit verbundene Lebens¬ nig Philipp V. diesen Ausspruch in den
weise. Das Zitat kann verwendet wer¬ Mund: nondum omnium dievum solem
den, um auszudrücken, daß etwas in ei¬ occidisse („noch sei nicht die Sonne
nen ganz anderen Zusammenhang ge¬ aller Tage untergegangen“). Der Satz
hört, daß es eine ganz andere Sache ist. verleiht der Gewißheit Ausdruck, daß
etwas Bestimmtes durchaus noch nicht
entschieden ist, daß sich nach der Mei¬
Es ist nicht t gut, daß der Mensch nung des Zitierenden noch manches än¬
allein sei dern kann oder daß der Adressat dieses
Ausspruchs seiner Sache noch nicht so
sicher sein kann. „Aller Tage Morgen“
t Jeder stirbt für sich allein nannte in Abwandlung der Redensart
der schwäbische Schriftsteller Josef
Eberle (1901-1986; Pseudonym: Seba¬
t Ich kann allem widerstehen, nur stian Blau) seine Lebenserinnerungen,
nicht der Versuchung die 1974 erschienen.
29
alles Teil I
t Nun muß sich alles, alles wenden gegen den Vorwurf des Plagiats mit den
Worten wehrt: Denique nullum est iam
Es würde alles besser gehen, wenn dictum, quod non dictum sit prius
man mehr ginge („Schließlich gibt es ja nichts mehr zu
sagen, was nicht früher schon gesagt
Dieses Zitat geht zurück auf Johann
worden wäre.“)
Gottfried Seumes Reisebericht aus dem
Jahre 1806 („Mein Sommer 1805“), in
Alles Getrennte findet sich wieder
dem es an einer Stelle heißt: „Ich halte
den Gang für das Ehrenvollste und Der Ausspruch stammt aus Friedrich
Selbständigste in dem Manne und bin Hölderlins Briefroman „Hyperion“
der Meinung, daß alles besser gehen (1797-1799), er steht am Schluß des
würde, wenn man mehr ginge.“ Man zweiten Bandes. Hyperion spricht hier
verwendet das Zitat, wenn man aus- die Überzeugung aus: „Wie der Zwist
drücken will, daß es nicht nur für den der Liebenden sind die Dissonanzen der
Körper gesünder ist, häufiger zu Fuß zu Welt. Versöhnung ist mitten im Streit,
gehen, sondern daß man auch das, was und alles Getrennte findet sich wieder.“
man sieht und erlebt, geistig besser auf¬ Man verwendet das Zitat meist als
nehmen und verarbeiten kann als beim scherzhaften Kommentar, wenn verlo¬
Fahren. Nicht zuletzt kann man sich rene oder vermißte Dinge sich wieder¬
damit heute auch sehr treffend auf die finden, oder auch wenn Menschen nach
Verkehrsprobleme durch den modernen einer Trennung oder nachdem sie sich
Individualverkehr beziehen. verloren hatten, wieder Zusammentref¬
fen.
Alles Ding währt seine Zeit
Alles Glück dieser Erde liegt auf
Diese Zeile stammt aus dem vielstrophi-
gen Lied „Sollt’ ich meinem Gott nicht
dem Rücken der Pferde
singen“ des Kirchenliederdichters Paul Das t Paradies der Erde liegt auf dem
Gerhardt (1607-1676). Die Verse „Alles Rücken der Pferde
Ding währt seine Zeit,/Gottes Lieb in
Ewigkeit“ bilden den Refrain der zehn Alles in der Welt läßt sich ertragen,
ersten Strophen des Liedes. Als Zitat nur nicht eine Reihe von schönen
spielt der Text auf die Endlichkeit und Tagen
Vergänglichkeit alles Irdischen an oder
Dieser Spruch findet sich bei Goethe in
auch, vordergründiger, darauf, daß et¬
der Abteilung „Sprichwörtlich“ der Ge¬
was Bestimmtes einmal ein Ende hat
dichtsammlung von 1815. (Für den hier
oder haben muß.
ausgesprochenen Gedanken gibt es be¬
reits mehrere Vorformen im Werk Mar¬
Alles fließt tin Luthers.) Die heutige Zitierweise
t Panta rhei lautet etwas abgewandelt: „Nichts ist
schwerer zu ertragen als eine Reihe von
Alles Gescheite ist schon gedacht guten Tagen.“ Man bezieht den Spruch
worden dabei zumeist auf eine Aufeinanderfol¬
Diesen Gedanken spricht Goethe in den ge von Feiertagen, die mit zu vielem Es¬
„Betrachtungen im Sinne der Wande¬ sen und Trinken und Müßiggang ein¬
rer“ am Ende des 2. Buches der Wan¬ hergehen, so daß man schließlich träge
derjahre aus. Und Mephisto (in Faust und verdrießlich oder übermütig wird.
11,2) läßt er sagen: „Wer kann was
Dummes, wer was Kluges denken,/Das t Und alles ist Dressur
nicht die Vorwelt schon gedacht?“
Schon in der Antike findet man diese Alles ist eitel
Feststellung bei verschiedenen Autoren, Dieses Zitat geht auf das Alte Testament
so bei dem römischen Komödiendichter zurück (Prediger Salomo 1,2 u. 12,8):
Terenz (um 185-159 v.Chr.), der sich „Es ist alles ganz eitel, sprach der Predi-
30
Teil I alles
ger, es ist alles ganz eitel.“ Der lateini¬ auf den Schneider mit dem Namen
sche Text der Vulgata lautet: Vanitas va- Böck abgesehen, den sie mit ihren Ru¬
nitatum, et omnia vanitas, in wörtlicher fen „Schneider, Schneider, meck, meck,
Übersetzung: „Eitelkeit der Eitelkeiten, meck“ in Zorn versetzten. So heißt es im
und alles ist Eitelkeit.“ Der Prediger folgenden: „Aber, wenn er dies er¬
will sagen, daß die Welt und alles fuhr,/ging’s ihm wider die Natur.“ -
menschliche Tun nichtig sind und ohne Das Zitat drückt aus, daß jemand im all¬
Bestand. - Für die Barockzeit war diese gemeinen sehr geduldig ist, daß aber in
Weitsicht besonders charakteristisch. So einer bestimmten Situation die Grenzen
findet man ein Gedicht von Andreas der Gutmütigkeit erreicht sind.
Gryphius (1616-1664) mit dem Titel
„Vanitas! Vanitatum vanitas!“. Auch Alles mit deine Hände
der dem Prediger Salomo entnommene Dies ist der dreimal wiederkehrende
Text der „Vier ernsten Gesänge“ (1896)
Refrain eines leicht sentimentalen Ge¬
von Johannes Brahms nimmt Bezug auf dichts in Berliner Mundart von Kurt Tu¬
diese Thematik. Goethe verwendete die¬ cholsky (1890-1935). Sein Titel lautet:
selbe Überschrift wie Gryphius für ein „Mutterns Hände“. Es zählt auf, was
Gedicht, das er in der Gedichtsamm¬ die Mutter an Arbeit für ihre Familie
lung von 1806 in der Abteilung „Geselli¬ mit ihren Händen verrichtet hat. - Als
ge Lieder“ veröffentlichte. Das Gedicht meist ironisch-scherzhaftes Zitat ver¬
stellt eine Parodie auf das Kirchenlied wendet man die Worte gelegentlich in
„Ich hab’ mein Sach’ Gott heimgestellt“ bezug auf etwas, was jemand eigenhän¬
von Johannes Pappus (1549-1610) dar. dig in mühevoller Arbeit geschaffen hat.
Bei Goethe wurde daraus: „Ich hab’
mein Sach’ auf nichts gestellt. Juch¬
Alles neu macht der Mai
he!“ - Der heutige Sprecher kann mit
Dies ist der Anfang des dreistrophigen
dem Zitat seiner Überzeugung Aus¬
Gedichts „Der Mai“ von Hermann
druck geben, daß vieles Weltliche nicht
Adam von Kamp (1796-1867), zuerst
die Bedeutung hat oder das Gewicht,
erschienen in der Liedersammlung
das man ihm beimißt.
„Lautenklänge“, Krefeld 1829. Als
Wanderlied besingt es die Freude an der
Alles ist verloren, nur die Ehre neu erwachten Natur. Mit „Alles neu
nicht macht der Mai“ kommentiert man
Diese Feststellung traf der französische scherzhaft eine augenfällige Verände¬
König Franz I. in einem Brief an seine rung, die an jemandem oder an einer
Mutter, nachdem er in der Schlacht von Sache zu erkennen ist.
Pavia (1525) eine Niederlage erlitten
hatte und in Gefangenschaft geraten Alles rennet, rettet, flüchtet
war: Tout estperdu, fors l’honneur. Diese Der Satz stammt aus Schillers „Lied von
überlieferte Kurzform, von der zunächst der Glocke“ (1799). Schiller beschreibt
behauptet wurde, daß aus ihr allein der damit das Verhalten von Menschen bei
lakonische Brieftext bestanden habe, einer in der Stadt wütenden Feuers¬
stellt jedoch nur die Quintessenz des brunst. Das Zitat wird heute nur scherz¬
später aufgefundenen, längeren Briefes haft gebraucht und auf eine drängende,
dar. - Mit dem Zitat kann man eine hastende Menge bezogen.
zwar entscheidende, aber letztlich eh¬
renvolle Niederlage kommentieren. Alles schon dagewesen
Dem Trauerspiel „Uriel Acosta“ (1846)
Alles konnte Bock ertragen, ohne von Karl Gutzkow entstammt der dort
nur ein Wort zu sagen in mehrfach abgewandelter Form vor¬
Die Verse stammen aus „Max und Mo¬ kommende Ausspruch „Und alles ist
ritz“ (1865) von Wilhelm Busch. Im schon einmal dagewesen“, eine Varian¬
„Dritten Streich“ haben es die beiden te der alttestamentlichen Erkenntnis
31
alles Teil I
„und geschieht nichts Neues unter der l'Italie der Madame de Stael (1766 bis
Sonne“ (Prediger Salomo 1,9). Er ist zu 1817) zurück, wo es heißt: Tout com¬
einer Floskel der heutigen Alltagsspra¬ prendre rend tres indulgent (Alles verste¬
che geworden, mit der man zum Beispiel hen macht sehr nachsichtig). Auch bei
ausdrückt, daß einen ein Ereignis oder Goethe findet man diese Überzeugung
eine Veränderung nicht überrascht. in verschiedener Ausprägung. So heißt
es zum Beispiel im Tasso (2,1): „Was
Alles über Eva wir verstehn, das können wir nicht ta¬
deln“. - Man kommentiert mit diesem
So lautet der deutsche Titel eines in
Satz eine oft allzu nachsichtige Einstel¬
Amerika entstandenen tragikomischen
lung gegenüber Personen oder Ge¬
Films mit Bette Davis, Anne Baxter und
schehnissen.
Marilyn Monroe aus dem Jahr 1950
(Originaltitel: All about Eve). Der Film,
dessen Dialoge Erich Kästner ins Deut¬ Alles, was entsteht, ist wert, daß es
sche übertrug, schildert die Karriere ei¬ zugrunde geht
ner skrupellosen jungen Schauspielerin, Mit den Worten „Ich bin der Geist, der
die zunächst von einer alternden Diva stets verneint!/Und das mit Recht; denn
gefördert wird, diese aber dann fast aus alles, was entsteht,/Ist wert, daß es zu¬
dem Filmgeschäft verdrängt. - Als Zitat grunde geht“ beschreibt Mephisto sich
verwendet man „Alles über ...“ in ent¬ selbst in der Studierzimmerszene in
sprechender Abwandlung, wenn man Goethes Faust I (1808). Zerstörung als
erschöpfende Mitteilungen, Daten o. ä. eine Erscheinungsform des Bösen ist
über eine Person oder auch eine Sache sein, des Teufels, Element. - Das Zitat
ankündigen will. dient zum Ausdruck oder zur Charak¬
terisierung einer pessimistischen oder
Alles Vergängliche ist nur ein zynischen Weitsicht.
Gleichnis
Der zweite Teil von Goethes Faust Alles wiederholt sich nur im Leben
(1824/31) endet mit einem „Chorus my- Der Gedanke der Wiederkehr des im¬
sticus“, dessen erste beiden Zeilen cha¬ mer Gleichen findet sich in vielen Varia¬
rakteristisch für des Dichters Auffas¬ tionen in der Literatur aller Zeiten. Das
sung von der menschlichen Erkenntnis¬ Zitat aus Schillers Gedicht „An die
fähigkeit sind. In seinem „Versuch über Freunde“ (1802) setzt diesen Tatbestand
die Witterungslehre“ (1825) schreibt in Gegensatz zu dem, was die Phantasie
Goethe: „Das Wahre, mit dem Gött¬ im Kunstwerk schafft. Die Fortführung
lichen identisch, läßt sich niemals von im Gedicht lautet dann: „Ewig jung ist
uns direkt erkennen, wir schauen es nur nur die Phantasie;/Was sich nie und nir¬
im Abglanz, im Beispiel, im Symbol..." gends hat begeben,/Das allein veraltet
Die irdische Welt in ihrer Vergänglich¬ nie“. Man kommentiert mit dem Zitat -
keit, die wir mit unseren Sinnesorganen oft mit resignierendem Unterton - das
wahrnehmen können, ist also nur als ein Wiederauftreten bestimmter Entwick¬
Gleichnis der ewigen, göttlichen Wahr¬ lungen oder die Wiederkehr bestimmter
heit anzusehen. - Das Zitat wird auch Ereignisse.
heute noch gelegentlich verwendet, um
auf die Vordergründigkeit des nur auf Alles zu seiner Zeit
das Materielle, Irdische gerichteten Er-
Diese Redewendung findet sich in ähn¬
kenntnisstrebens hinzuweisen.
licher Form schon im Alten Testament
(Prediger Salomo 3,1). Hier heißt es:
Alles verstehen heißt alles verzei¬ „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles
hen Vornehmen unter dem Himmel hat sei¬
Der Ausspruch tout comprendre c’est ne Stunde“. Man gebraucht die Wen¬
tout pardonner geht möglicherweise auf dung, um darauf hinzuweisen, daß et¬
eine Stelle in dem Roman Corinne ou was zum richtigen Zeitpunkt getan wer-
32
Teil I
als
den muß oder sich ereignen wird, daß zerbrechen“. Es geht zurück bis in die
Ungeduld und überstürztes Handeln Dichtung der griechischen Antike (He-
nicht zum Ziel führen. Goethe beginnt rodot, Sophokles und Phädrus verwen¬
seine „Noten und Abhandlungen zu den es). Noch geläufiger als das Zitat ist
besserem Verständnis des Westöstlichen heute die Redewendung „den Bogen
Diwans“ mit den Worten: „Alles hat überspannen“ mit der Bedeutung „et¬
seine Zeit! - Ein Spruch, dessen Bedeu¬ was auf die Spitze treiben, zu hohe For¬
tung man bei längerem Leben immer derungen stellen“.
mehr anerkennen lernt; diesem nach
gibt es eine Zeit zu schweigen, eine an¬
Allzufrüh und fern der Heimat
dere zu sprechen“. Ein bekanntes Lied
des amerikanischen Folksängers Pete In seiner Ballade „Das Grab im Busen-
Seeger (geb. 1919) mit dem Titel „Tum, to“ beschreibt August Graf von Platen
turn, turn (To everything there is a sea- (1796-1835), wie der Gotenkönig Ala-
son)“ greift ebenfalls diesen Gedanken rich, der auf einem Feldzug in Kala¬
auf. Der Text des Liedes lehnt sich sehr brien gestorben ist, von seinen Leuten
eng an den Bibeltext (Vers 1-8) an. Eine bestattet wird. Um die Leiche vor
deutsche Fassung (Text von Max Col- Schändung zu schützen, begruben die
pet) mit dem Titel „Für alles kommt die Goten den König im Flußbett des Bu-
Zeit“ wurde von Marlene Dietrich ge¬ sento, dessen Wasser sie vorher abgelei¬
sungen. tet hatten und nach der Bestattung wie¬
der zurückfließen ließen. Dazu heißt es
t Über die allmähliche Verferti¬ in der Ballade: „Allzufrüh und fern der
gung der Gedanken beim Reden Heimat/mußten hier sie ihn begraben“.
Ist jemand in jungen Jahren in der
Allwissend bin ich nicht; doch ist Fremde gestorben, kann das Zitat heute
mir viel bewußt noch herangezogen werden. Als Anspie¬
lung darauf, daß jemand ohne den ge¬
Der Ausspruch stammt aus Goethes
wohnten Komfort weit weg von zu Hau¬
Faust (Teil I, Studierzimmer). Es han¬
se ist, wird die scherzhafte Abwandlung
delt sich um eine ironische Bemerkung,
„unrasiert und fern der Heimat“ ver¬
die Mephisto, des Nachspionierens be¬
wendet.
schuldigt, Faust gegenüber in einer Art
gespielter Bescheidenheit macht. Heute
wird der Ausspruch meist in ähnlich iro¬ t Menschliches, Allzumenschli¬
nischer Weise oder auch nur scherzhaft ches
zitiert.
Als Büblein klein an der Mutter¬
Allzu straff gespannt, zerspringt
brust
der Bogen
Dies ist der Anfang des bekannten
In Schillers Drama „Wilhelm Teil“ Trinkliedes des Falstaff aus dem 2. Akt
(III, 3) geht diesem bekannten Bild vom der Oper „Die lustigen Weiber von
allzu straff gespannten Bogen eine di¬ Windsor“ von Otto Nicolai (1810 bis
rekte, gewissermaßen interpretierende 1849), deren Libretto (von Hermann
Aussage voraus, die aber im allgemei¬ Mosenthal) sich an das gleichnamige
nen nicht mitzitiert wird. Die Stelle lau¬ Lustspiel von Shakespeare anlehnt. Die
tet: „Zu weit getrieben/Verfehlt die erste Verszeile des Trinklieds wird heute
Strenge ihres weisen Zwecks,/Und allzu scherzhaft etwa im Sinne von „als ich
straff gespannt, zerspringt der Bogen“. noch klein war“ zitiert.
Das Motiv des zu stark oder auch zu
lange gespannten Bogens taucht vor
Schiller in der Literatur häufiger auf, so
Als das Wünschen noch geholfen
bei Grimmelshausen, wo es im „Simpli- hat
zissimus“ (1669) heißt: „Wenn man den Diese Formulierung ist Teil verschiede¬
Bogen überspannt, so muß er endlich ner Märchenanfänge. Das bekannte
33
als Teil I
Märchen der Brüder Grimm „Der Als die Bilder laufen lernten“ und war
Froschkönig oder Der eiserne Hein¬ die deutsche Fassung der englischen
rich“ beispielsweise beginnt mit den Serie „Mad Movies“ von Bob Monk-
Worten: „In den alten Zeiten, wo das house, einem Kenner und Sammler von
Wünschen noch geholfen hat, lebte ein Stummfilmen.
König..." Ähnlich der Anfang des weni¬
ger populären Märchens „Der Eisen¬ Als die Römer frech geworden
ofen“: „Zur Zeit, wo das Wünschen Dies ist die Anfangszeile des Scherzge¬
noch geholfen hat, ward ein Königs¬ dichtes „Die Teutoburger Schlacht“ von
sohn von einer alten Hexe ver¬ Joseph Victor von Scheffel (1826-1886),
wünscht Beim heutigen Gebrauch das besonders als Kommerslied in stu¬
dieser Floskel wird der Märchenton be¬ dentischen Verbindungen bekannt ge¬
wußt eingesetzt. Mit einer gewissen worden ist. Gelegentlich wird die For¬
Wehmut weist man auf andere Zeiten mulierung „Als die ... frech geworden“
und Zustände hin, in denen noch Dinge mit der Bezeichnung für eine andere
geschahen oder möglich waren, die heu¬ Personen- oder Volksgruppe abgewan¬
te undenkbar wären. delt und scherzhaft oder abwertend auf
Menschen bezogen, die bestimmte An¬
Als der Großvater die Großmutter sprüche gestellt oder Forderungen erho¬
ben haben.
nahm
Dies ist die Anfangszeile des Gedichts Als Mensch und Christ
„Das Großvaterlied“ (1812) von August
Mit dieser Floskel kann jemand seinen
Friedrich Ernst Langbein (1757-1835),
Worten eine Art scherzhaften Nach¬
einem zu seiner Zeit bekannten Berliner
druck verleihen, er kann damit auf seine
Schriftsteller. Er bezieht sich damit
Aussage in nicht allzu ernst gemeinter,
möglicherweise auf die gleichlautende
vielleicht auch spöttischer Weise auf¬
Zeile in dem Lied „Der Großvater-
merksam machen. Sie stammt aus der
Tanz“ seines Zeitgenossen Karl
Bildergeschichte „Die fromme Helene“
Schmidt (1746-1824), das schon 1794
von Wilhelm Busch (1832-1908). Zu
geschrieben wurde. Zusätzliche Verbrei¬
Beginn der Geschichte richtet der Onkel
tung fand das Zitat als Titel einer von
mahnende Worte an seine Nichte, die
Gustav Wustmann 1886 herausgegebe¬
einige Zeit bei Onkel und Tante auf dem
nen sehr populären Liedersammlung (in
Land verbringen soll: „Helene!“ -
der auch Langbeins Verse enthalten
sprach der Onkel Nolte -/„Was ich
sind). Heute wird die Gedichtzeile gele¬
schon immer sagen wollte !/Ich warne
gentlich noch dazu benutzt, frühere Zei¬
dich als Mensch und Christ:/Oh, hüte
ten anzusprechen, die „gute alte Zeit“
dich vor allem Bösen!/Es macht Pläsier,
heraufzubeschwören. Eine misanthro-
wenn man es ist,/Es macht Verdruß,
pisch gefärbte Abwandlung des Zitats
wenn man’s gewesen!“
verwendete der Zeichner und Karikatu¬
rist Paul Flora als Titel für einen 1971
Als wär’s ein Stück von mir
erschienenen Auswahlband seiner
Zeichnungen: „Als der Großvater auf Der Schlußvers der zweiten Strophe des
die Großmutter schoß“. bekannten Liedes „Ich hatt' einen Ka¬
meraden“ von Ludwig Uhland (1787 bis
1862) wurde in neuerer Zeit besonders
Als die Bilder laufen lernten dadurch populär, daß ihn Carl Zuck¬
Die frühen Jahre der Filmgeschichte mayer als Titel für seine Lebenserinne¬
werden häufig mit dieser Wendung apo¬ rungen (erschienen 1966) verwendete.
strophiert. Sie wurde populär als Titel Zitiert wird die Zeile heute häufig in we¬
einer Fernsehserie über Filme und mit niger ernsthaft gemeinter Weise, etwa
Filmen aus der Stummfilmzeit, die Ende wenn jemand das eigene enge Verhält¬
der 60er Jahre im deutschen Fernsehen nis zu einer bestimmten Person oder
lief. Die Serie hieß „Mad Movies oder Sache charakterisieren will.
34
Teil I
alte
35
Alte Teil I
Der Alte hat’s gerufen, der Him¬ Varianten auch bei den griechischen
Philosophen und Schriftstellern Aristo¬
mel hat’s gehört
teles (384-322 v.Chr.), Zenon (etwa
Das Zitat stammt aus dem Gedicht „Des
335-263 v. Chr.), Plutarch (etwa 46-125
Sängers Fluch“ von Ludwig Uhland
n.Chr.) sowie den römischen Philoso¬
(1787-1862). Nachdem der Fluch des
phen und Staatsmännern Cicero
alten Sängers gegen den König, den
(106-43 v.Chr.) und Seneca (4 v.Chr.
„verruchten Mörder“, ausgesprochen
bis 65 n.Chr.).
ist, wird mit der Verszeile „Der Alte
hat’s gerufen, der Himmel hat’s gehört“
t Was man in der Jugend wünscht,
die Erfüllung des Fluches angekündigt.
hat man im Alter die Fülle
Wenn man die Verszeile heute zitiert,
gibt man gewöhnlich seiner Freude, Er¬
Alter schützt vor Torheit nicht
leichterung o. ä. darüber Ausdruck, daß
etwas Erhofftes glücklicherweise einge¬ Mit dieser sprichwörtlichen Redensart
kommentiert man kritisch oder auch in
troffen ist.
scherzhafter Absicht die Handlungs¬
Das Alte stürzt, es ändert sich die oder Verhaltensweise eines älteren
Menschen, tut man kund, daß man be¬
Zeit
stimmte Handlungs- oder Verhaltens¬
Zur Kennzeichnung einer Lage, in der weisen von Leuten in vorgerücktem Al¬
sich große Veränderungen vollziehen, ter für unpassend hält. Die Redensart
neue Ideen entstehen, neue Impulse ge¬ geht zurück auf eine Stelle in Shake¬
geben werden und in der nach Verlust speares Drama „Antonius und Cleopa¬
und Niedergang ein Neubeginn folgt, tra“ (1,3), wo Cleopatra in abwehrender
dient oft dieses Zitat aus Schillers Dra¬ Haltung und ungläubig die Worte
ma „Wilhelm Teil“ (IV, 2). Es lautet spricht: „Wenn mich das Alter auch
vollständig: „Das Alte stürzt, es ändert nicht schützt vor Torheit,/Doch wohl
sich die Zeit,/Und neues Leben blüht
vor Kindischsein“, im englischen Wort¬
aus den Ruinen“. Der zweite, wohl et¬
laut: ,,Though age from folly could not
was bekanntere Teil des Zitats wird oft
give me freedom,/It does from childish-
auch selbständig angeführt; er betont
ness." Die Redensart wurde dann im
besonders den Aspekt des hoffnungs¬
Laufe der Jahre in mancherlei mehr
vollen Wiederbeginns. (Vergleiche auch
oder weniger gelungener Weise abge¬
„Ein andersdenkendes Geschlecht“.)
wandelt, verballhornt, verdreht, wie et¬
wa: „Die Alte schützt vor Torheit
Den alten Adam ausziehen nicht“, „Torheiten schützen nicht vor
Der t alte Adam dem Altern“ oder auch: „Das ist das
Deprimierende am Alter: Es schützt vor
t Nehm’n Se ’n Alten! Torheit.“
36
Teil I
am
Version stammt der Ausdruck aus der nach der verlorenen, oft zur romanti¬
baltischen Studentensprache und diente schen Idylle verklärten Heimat ausge¬
zur Bezeichnung älterer, besonders dem drückt. In solchem gedanklichen Zu¬
fröhlichen Studentenleben zugewandter sammenhang ist auch die Verwendung
Studenten. gerade des „Lindenbaumliedes“ in dem
Roman „Der Zauberberg“ von Thomas
Altes Herz wird wieder jung Mann zu verstehen, der seinen Helden
Dies ist der Titel einer 1943 unter der Hans Castorp mit einzelnen Zeilen aus
Regie von Erich Engel entstandenen diesem Lied auf den Lippen in die
Filmkomödie, die sich um einen 70jäh- Schrecknisse des Krieges entschwinden
läßt.
rigen Junggesellen dreht. Emil Jannings
spielte hier seine letzte Filmrolle; in
weiteren Rollen sind Viktor de Kowa Am deutschen Wesen soll die Welt
und Elisabeth Flickenschildt zu sehen. genesen
Der Filmtitel wird, anerkennend oder
Ein großes Anliegen des deutsch-natio¬
auch anzüglich, im Hinblick auf neu¬
nal gesinnten Dichters Emanuel Geibel
erwachte Aktivitäten eines älteren Men¬
(1815-1884) war die deutsche Einigung
schen zitiert.
unter der Führung Preußens. Diese Idee
spielte in vielen seiner Gedichte eine
Alt-Heidelberg, du feine große Rolle. Besonderen Einfluß hatte
So lautet die Anfangszeile eines Liedes das Gedicht „Deutschlands Beruf1, das
von Joseph Victor von Scheffel mit den Versen endet; „Und es mag am
(1826-1886), das besonders als Kom¬ deutschen Wesen/Einmal noch die Welt
merslied studentischer Verbindungen genesen.“ Der Schlußgedanke dieses
bekannt geworden ist. Die Zeile wird Gedichts, bei Geibel noch als Wunsch
auch heute noch im Zusammenhang mit formuliert, wurde in der Folgezeit in
der Heidelberg-Romantik zitiert. verhängnisvoller Weise zur Forderung
erhoben und bis in den Nationalsozia¬
Am Anfang war das Wort lismus hinein als Schlagwort genutzt. In
Anspielung auf diese Zeit zitiert man
t Im Anfang war das Wort
den Satz heute gelegentlich als Mah¬
nung vor übertriebenem deutschen Na¬
Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr tionalismus oder als Kritik an zu un¬
nur einen hört und auf des Mei¬ nachgiebigem, zu egoistischem oder zu
sters Worte schwört rechthaberischem Verhalten Deutsch¬
t Jurare in verba magistri lands bei Zwistigkeiten und Meinungs¬
verschiedenheiten mit anderen Staaten.
37
am Teil I
38
Teil I
an
39
an Teil I
40
Teil I andre
41
Anfang Teil I
Mädchen, andre Städtchen,/O wie ger¬ spiel der Urlaubsort so gewählt wird,
ne kehrt’ ich um!“. daß man zugleich Geschäfte abwickeln
kann).
Der Anfang vom Ende
Die Redensart „Das ist der Anfang vom
Die Angst des Tormanns beim Elf¬
Ende“ mit der Bedeutung „der Unter¬ meter
gang, der Ruin o. ä. ist nicht mehr fern“ Dies ist der Titel einer 1970 veröffent¬
beruht auf einem stark abgewandelten lichten Erzählung von Peter Handke
Zitat aus Shakespeares „Ein Sommer¬ (geboren 1942). Die Situation des Tor¬
nachtstraum“ (V, 1). Dort heißt es im warts, der abzuschätzen versucht, wohin
englischen Originaltext: Thal is the true der Schütze den Ball schießen wird,
beginning of our end, also etwa „das ist steht hier symbolisch für die Schwierig¬
der wahre Beginn unseres Endes“. Bei keiten eines Menschen, andere zu ver¬
Shakespeare ist dies im Textzusammen¬ stehen und sich selbst verständlich zu
hang eine scherzhafte Verdrehung der machen. Jede Fehleinschätzung des
eigentlich gemeinten Aussage „Das ist Torwarts kann zum Tor für die gegneri¬
das wahre Ende unseres Beginnens“, sche Mannschaft führen; in der Erzäh¬
wobei „Ende“ in der älteren Bedeutung lung führen die Verständigungsschwie¬
von „Ziel“ zu verstehen ist. rigkeiten des Protagonisten bis zum
Mord an einer Kinokassiererin. Der
t Im Anfang war das Wort Buchtitel wird oft als distanzierter, gele¬
gentlich auch scherzhafter Kommentar
t Im Anfang war die Tat zu jemandes Angst in einer bestimmten,
vielleicht entscheidenden Situation zi¬
t Und jedem Anfang wohnt ein tiert.
Zauberinne
Angst essen Seele auf
Die t Furcht des Herrn ist der
Dies ist der Titel eines Films von Rainer
Weisheit Anfang
Werner Fassbinder aus dem Jahr 1973,
in dem eine ältere Frau einen sehr viel
t Wehret den Anfängen
jüngeren marokkanischen Gastarbeiter
heiratet. Beide müssen sich gegen eine
Der angeborenen Farbe der Ent¬
intolerante und feindselige Haltung ih¬
schließung wird des Gedankens
rer Mitmenschen behaupten. Der Titel
Blässe angekränkelt
wird zitiert, wenn man ausdrücken will,
t Von des Gedankens Blässe angekrän¬ daß sich Angst auf einen Menschen, auf
kelt seine Persönlichkeit, seine Gefühle zer¬
störerisch auswirkt.
Die t Welt aus den Angeln heben
t Keine Angst vor großen Tieren
Das Angenehme mit dem Nütz¬
lichen verbinden t Wer hat Angst vor Virginia
Diese Redewendung geht auf Vers 343 Woolf?
der „Ars poetica“ (= Dichtkunst) des
Horaz (65-8 v. Chr.) zurück: Omne tulit T Begnadete Angst
punctum, qui miscuit utile dulci („Den
Beifall aller hat erhalten, wer mit dem Anklagen ist mein Amt und meine
Angenehmen das Nützliche vermischt Sendung
hat“). Während Horaz von den Dich¬ Mit diesem Satz kann man sich für eine
tern und ihren Werken spricht, wird die Kritik entschuldigen, die man pflichtge¬
Redewendung heute ganz allgemein in mäß vorzutragen hat, auch wenn einem
bezug auf angenehme Dinge gebraucht, das nicht sehr angenehm ist. So versucht
die zugleich einen Nützlichkeitsaspekt es jedenfalls Kriegsrat von Questenberg
für jemanden haben (indem zum Bei¬ als Abgesandter des Kaisers gegenüber
42
Teil I
Appetit
43
apres Teil I
44
Teil I Ariadnefaden
45
Arkadien Teil I
46
Teil I
auch
Wortes „Knauserigkeit, Knickrigkeit, machen. Wichtig ist für ihn, daß das Er¬
Schäbigkeit“ bei Reuter eine Rolle ge¬ kennen der schlichten, wenn oft auch
spielt haben könnte, so daß der Satz schmerzlichen Wahrheit die Vorausset¬
vielleicht gar nicht so dümmlich ist, wie zung für richtiges und gutes Handeln ist.
er auf den ersten Blick aussieht. Das heute wohl seltener gebrauchte
Zitat kann zum Beispiel eine unange¬
t In dieser Armut welche Fülle! nehme, aber heilsame Zurechtweisung
kommentieren.
Die Art, wie man gibt, gilt mehr,
als was man gibt Die T Gesunden bedürfen des Arz¬
Mit dieser sprichwörtlichen Redensart tes nicht
wird ausgedrückt, daß es sehr entschei¬
dend ist, in welcher Art und Weise und
As You Like It
aus welchen Motiven heraus jemand et¬ t Wie es euch gefällt
was schenkt oder spendet. Sie stammt
aus der Komödie „Le menteur“ tSich Asche aufs Haupt streuen
(deutsch: „Der Lügner“) des französi¬
schen Dramatikers Pierre Corneille Asphaltliterat
(1606-1684) und lautet im Original: La In der Sprache der Nationalsozialisten
facon de donner vaut mieux que ce qu’on wurde das Wort „Asphalt“ zur Meta¬
donne. pher für alles (besonders im großstädti¬
schen Bereich angesiedelte) vermeint¬
t Unheimliche Begegnung der drit¬ lich Dekadente, Verdorbene. Das Wort
ten Art taucht in vielen Zusammensetzungen in
der nationalsozialistischen Presse und
Die t Presse ist die Artillerie der Literatur immer wieder auf. Der gesam¬
Freiheit te fortschrittliche, nicht auf die natio¬
nalsozialistische Ideologie ausgerichte¬
Die Artisten in der Zirkuskuppel: te Bereich von Kunst, Kultur und Zivili¬
sation wurde mit Wörtern wie „Asphalt¬
ratlos
mensch“, „Asphaltpresse“, „Asphalt¬
Häufig, wenn von der Ratlosigkeit, der blatt“, „Asphaltdemokratie“, „Asphalt¬
Hilflosigkeit von Personen, auch dem kultur“ diskriminiert. Der Begriff
Versagen von Institutionen die Rede ist, „Asphaltliterat“ zum Beispiel wird von
wird der Ausspruch von den Artisten in Goebbels in einer Rede vom 6. 4. 1933
dieser oder auch in abgewandelter Form folgendermaßen eingesetzt: „... jene
zitiert. Es handelt sich dabei um den Ti¬ wurzel- und artlosen Asphaltliteraten,
tel eines 1968 nach dem Buch und unter die meistenfalls nicht aus unserem eige¬
der Regie von Alexander Kluge gedreh¬ nen Volkstum hervorgegangen sind“.
ten Films, der die Schwierigkeiten einer
Zirkusdirektorin bei der Durchsetzung T Eulen nach Athen tragen
eines neuartigen Zirkusprojekts schil¬
dert, mit dem sie schließlich an immer Solange ich atme, hoffe ich
neuen Widerständen scheitert. t Dum spiro, spero
Es ist Arznei, nicht Gift, was ich T Wie atmet rings Gefühl der Stille
dir reiche
Das Zitat stammt aus „Nathan der Wei¬ Auch das Schöne muß sterben
se“ (1,2) von Gotthold Ephraim Lessing In Zusammenhängen, in denen von der
(1729-1781). Nathan spricht dort die Vergänglichkeit aller Dinge, dem Verge¬
Worte zu Recha, seiner angenommenen hen des Irdischen gesprochen wird,
Tochter. Er will deren hingebungsvoller wird dieses Zitat, wenn auch nicht im¬
Schwärmerei durch die Konfrontation mer in sehr ernsthafter Weise, noch ge¬
mit der nüchternen Realität ein Ende braucht. Es sind die Anfangsworte des
47
auch Teil I
Gedichtes „Nänie“ von Schiller. (Eine auch einer von denen“. - Möglicherwei¬
„Nänie“ ist eine altrömische Totenkla¬ se hat sich aus diesen Worten auch die
ge.) umgangssprachliche Formulierung „das
ist auch so einer“ entwickelt. - Beein¬
Auch diese, schon geborsten, kann flußt von dem Bibelwort ist der Titel des
weitgehend autobiographischen Ro¬
stürzen über Nacht
mans „Auch einer“ von Friedrich Theo¬
tNoch eine hohe Säule zeugt von ver-
dor Vischer (1807-1887).
schwund’ner Pracht
Auch ich war ein Jüngling mit lok-
Auch du, mein Sohn Brutus? kigem Haar
In dieser Form wird der heute oft als Mit dieser Zeile beginnt das Lied des al¬
scherzhafte, als nicht ganz ernst gemein¬ ten Waffenschmieds, ein wehmütiger
te Floskel dienende Ausruf gebraucht. Rückblick in die schöne alte Zeit, aus
Man bringt damit sein gespieltes oder der Oper „Der Waffenschmied“ von
tatsächliches Erstaunen darüber zum Albert Lortzing (1801-1851), die nach
Ausdruck, daß jemand zur Gegenpartei dem Lustspiel „Liebhaber und Neben¬
übergelaufen ist und einen im Stich läßt. buhler in einer Person“ von Friedrich
Überliefert wurden sowohl von dem rö¬ Wilhelm Ziegler (1760-1827) entstand.
mischen Schriftsteller Sueton (um Gelegentlich wird diese Zeile auch heu¬
70-um 140 n. Chr.) in seinem Buch über te noch zitiert, um die „schöne Jugend¬
das Leben der Cäsaren als auch von zeit“ mit all ihren Freuden heraufzube¬
dem griechischen Geschichtsschreiber schwören, oder auch, um eine Aussage
Cassius Dio (um 155-um 235 n.Chr.) in wie „auch ich war schließlich einmal
seiner Geschichte Roms die Worte jung und weiß also Bescheid“ zu um¬
„Auch du, mein Sohn?“ Cäsar soll sie schreiben. Auch in scherzhafter An¬
bei seiner Ermordung (44 v.Chr.) dem spielung auf jemandes nicht mehr allzu
von ihm väterlich geförderten Brutus üppigen Haarwuchs wird dieses Zitat
zugerufen haben. Beide Autoren be¬ gelegentlich verwendet.
streiten allerdings auch die Authentizi¬
tät dieser Worte. Shakespeare, dem das Auch ich war in Arkadien
Zitat in irgendeiner Form wohl bekannt
Die altgriechische Landschaft Arkadien
war, läßt in seinem Drama „Julius Cä¬
gilt seit dem römischen Dichter Vergil
sar“ (III, 1) den sterbenden Cäsar die la¬
(70-19 v. Chr.) in der Hirten- und Schä¬
teinischen Worte Et tu. Brüte? („Auch
ferdichtung als Schauplatz glückseligen,
du, Brutus?“) ausrufen. Ähnlich auch
idyllischen Lebens. Das Zitat, mit dem
Schiller im Drama „Die Räuber“
man darauf hinweist, daß man auch ein¬
(IV,5): „Auch du - Brutus - du?“ - In
mal in einem solchen Land des Glücks
scherzhafter Abwandlung dieses Zitats
gelebt hat, taucht zunächst in lateini¬
sagt man gelegentlich von seinem [zu ge¬
scher Version - Et in Arcadia ego - als
ringen] Lohn oder Gehalt: „Auch du,
Bildinschrift im 17. Jh. auf. Ins Deut¬
mein Lohn brutto“.
sche übersetzt Findet sich der Ausspruch
in der Form „Auch ich war in Arka¬
Auch einer von denen sein dien“ (bei Herder, E. T. A. Hoffmann
Diese Worte, mit denen man jemanden und Eichendorff). Bei Schiller („Resi¬
einer Kategorie von Menschen zuord¬ gnation“, 1786) erscheint er in der Form
net, denen man bestimmte Dinge zu¬ „Auch ich war in Arkadien geboren“
traut, sind dem Matthäusevangelium und bei Goethe in der Form „Auch ich
entnommen. Sie stammen aus der Ver¬ in Arkadien“ als Motto der beiden
leugnungsszene im Hof des Hohenprie¬ 1816/17 erschienenen Bände der „Italie¬
sterpalastes. Einige Anwesende spre¬ nischen Reise“. Der Formulierung Wie¬
chen zu Petrus, der schon zweimal seine lands - „Auch ich lebt’ in Arkadia“
Zugehörigkeit zu Jesus geleugnet hat („Pervonte“, 1778) - ähnelt Ingeborg
(Matthäus 26,73): „Wahrlich, du bist Bachmanns „Auch ich habe in Arkadien
48
Teil I auf
gelebt“ als Titel und zugleich Anfang eine abschließende Meinung erst dann
einer Kurzerzählung (1952 für die Wie¬ bilden sollte, wenn man die Darstellung
ner Monatsschrift „Morgen“). aller Beteiligten kennt.
Auch Patroklus ist gestorben und Auf, auf zum fröhlichen Jagen
war mehr als du Als ermunternde Aufforderung, mit et¬
Der altgriechische Dichter Homer (2. was zu beginnen, sich ans Werk zu ma¬
Hälfte des 8.Jh.s v. Chr.) läßt in seiner chen, werden diese Worte gelegentlich
„Ilias“ Achilles zu Lyakon, dem ihn um zitiert. Es sind die Anfangsworte eines
sein Leben anflehenden Sohn des Troja¬ alten Jagdliedes aus dem 18. Jahrhun¬
nerkönigs Priamos, sagen: „Starb doch dert, dessen Dichter Gottfried Benjamin
auch Patroklos, der dir gegenüber Haneke (auch: Hanke; gestorben um
durchaus viel Bessere“ (Ilias XXI, Vers 1750) heute nicht mehr sehr bekannt ist.
107). Schiller übersetzte den Vers in sei¬
nem Trauerspiel „Die Verschwörung Auf beiden Seiten hinken
des Fiesko zu Genua“ mit den Worten: Die Redewendung, auch in der Form
„Auch Patroklus ist gestorben/Und war „auf beiden Füßen“ oder „Beinen hin¬
mehr als du“ (III, 5). Man zitiert die ken“, wird heute im allgemeinen auf ei¬
Schillersche Version heute, wenn man nen nicht geglückten, einen unpassen¬
jemandem deutlich machen will, daß er den Vergleich o. ä. angewandt. Sie geht
durchaus keine bevorzugte Behandlung zurück auf eine Stelle im Alten Testa¬
verdient, auch wenn er sich für etwas ment, wo der Prophet Elia (1. Könige
Besonderes hält und glaubt, für ihn hät¬ 18,21) zu dem von falschen Propheten
ten andere Maßstäbe zu gelten. verwirrten Volk Israel spricht: „Wie lan¬
ge hinket ihr auf beiden Seiten? Ist der
Auch was Geschriebnes forderst der Herr Gott, so wandelt ihm nach;
du, Pedant? ist’s aber Baal, so wandelt ihm nach.“
Diese Frage stammt aus der Studierzim¬
merszene in Goethes Faust I. Faust rich¬ Auf daß das Haus voll werde
tet sie beim Teufelspakt an Mephisto, Mit dieser freundlich-scherzhaften
bevor er schließlich mit seinem Blut un¬ Floskel wird schon mancher Gastgeber
terschreibt. Sie wird gelegentlich zitiert, seine Gäste, besonders wenn sie uner¬
um bei entsprechender Gelegenheit in wartet zahlreich waren, empfangen ha¬
scherzhafter Mißbilligung auf jemandes ben, ohne zu wissen, daß es sich dabei
Pedanterie oder sein mangelndes Ver¬ um ein Wort aus dem Neuen Testament
trauen auf mündliche Abmachungen handelt. Im „Gleichnis vom großen
hinzuweisen. Abendmahl“ (Lukas 14,23) befiehlt der
Hausherr seinem Diener, die Bettler,
Audiatur et altera pars Blinden und Lahmen von der Straße in
sein Haus zu holen, nachdem die eigent¬
Der alte lateinische, heute immer noch
lich zum Mahl Geladenen mit den un¬
gültige Grundsatz des Prozeßrechts be¬
terschiedlichsten Entschuldigungen ab¬
deutet übersetzt „Man muß auch die
gesagt hatten. Er tut dies mit den Wor¬
Gegenpartei anhören“ (wörtlich: „Auch
ten: „Gehe aus auf die Landstraßen und
der andere Teil möge gehört werden“).
an die Zäune, und nötige sie herein¬
Er geht in seiner lateinischen Form zu¬
zukommen, auf daß mein Haus voll
rück auf eine Stelle in der Tragödie
werde.“
„Medea“ des römischen Dichters, Phi¬
losophen und Politikers Seneca (um
4v. Chr.-65 n.Chr.). Heute gebraucht Auf den Bergen ist Freiheit
man den lateinischen Spruch ganz allge¬ Das Wort von der Freiheit auf den Ber¬
mein, um vor voreiligen Schlüssen, vor gen, oft nur vor dem Hintergrund von
einem allzu raschen Urteil zu warnen Bergromantik und Naturliebe im wörtli¬
und um auszudrücken, daß man sich chen Sinne verstanden und zitiert,
49
2 Duden 12 EDC
auf Teil I
50
Teil I auf
51
2*
auf Teil I
Grund mit freiem Volke stehn./Zum Auf Herz und Nieren prüfen
Augenblicke dürft’ ich sagen :/Verweile In dieser Redewendung mit der Bedeu¬
doch, du bist so schön!“ Vergleiche da¬ tung Jemanden oder etwas sehr gründ¬
zu auch die Artikel „Werd’ ich zum Au¬ lich, eingehend prüfen oder untersu¬
genblicke sagen: Verweile doch, du bist chen“ steht die Formel „Herz und Nie¬
so schön!“ und „Das ist der Weisheit ren“ für das Innere des Menschen.
letzter Schluß“. Bei sehr feierlichen Volkstümlich wurde sie durch die Bibel,
Anlässen könnte das Zitat auch heute wo das Bild der Prüfung von Herz und
noch zum Ausdruck des menschlichen Nieren mehrfach auftaucht. Zum ersten
Freiheitsstrebens, der Ablehnung jeder Mal erscheint es in Psalm 7,10. Es heißt
territorialen Unterdrückung verwendet dort: „Laß der Gottlosen Bosheit ein
werden. Ende werden und fördere die Gerech¬
ten; denn du gerechter Gott, prüfst Her¬
Auf fruchtbaren Boden fallen zen und Nieren.“
52
Teil I aufgelöst
53
aufgeräumten Teil I
54
Teil I Augen
Das Auge des Gesetzes Die Augen der Welt sind auf euch
Mit diesem idiomatischen Ausdruck be¬ gerichtet
zeichnet man heute in scherzhaftem Dies ist die deutsche Fassung des engli¬
Sprachgebrauch die Polizei. In Schillers schen Zitats The eyes of Ihe World are
„Lied von der Glocke“ steht die Rede¬ upon you aus dem Befehl General
wendung in folgendem Textzusammen¬ Dwight D. Eisenhowers vom 6. Juni
hang: „Schwarz bedecket/Sich die Er¬ 1944 zur Landung in der Normandie.
de ;/Doch den sichern Bürger schrecket/ Eisenhower könnte damit an einen an¬
Nicht die Nacht,/Die den Bösen grä߬ geblichen Ausspruch Napoleons vom
lich wecket ;/Denn das Auge des Geset¬ 21. Juli 1798 vor der Schlacht bei den
zes wacht.“ Die Metapher vom Auge Pyramiden angeknüpft haben: „Von
des Gesetzes ist als „Auge der (strafen¬ diesen Pyramiden schauen vierzig Jahr¬
den) Gerechtigkeit“ bei antiken Auto¬ hunderte auf euch herab“ - Du haut de
ren wie dem römischen Geschichts¬ ces pyramides quarante siecles vous con-
schreiber Ammianus Marcellinus (um templent, nach späterer Version ... ont
300-um 395) und dem griechischen leurs yeux fixes sur vous. Vor allem in
Tragiker Sophokles (um 496-um 406 Abwandlungen wie „Die Augen der
v. Chr.) vorgeprägt. Modewelt sind wieder einmal auf Paris
gerichtet“ oder „Die Augen der dritten
t Im düstern Auge keine Träne Welt sind auf die internationale Wäh¬
rungskonferenz gerichtet“ kann das Zi¬
tat heute zum Ausdruck des starken In¬
Das Auge sieht den Himmel offen teresses einer breiteren, weltweiten Öf¬
Den t Himmel offen sehen fentlichkeit an einem Ereignis verwen¬
det werden, von dem man sich etwas
Neues, eine wichtige Entscheidung oder
t Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,
ähnliches erwartet oder erhofft.
die Sonne könnt’ es nie erblicken
Die Augen gehen ... über
t Da bleibt kein Auge trocken Die Redewendung hat zwei Bedeutun¬
gen; zum einen in der Umgangssprache:
Auge um Auge, Zahn um Zahn Jemand ist durch einen Anblick über¬
wältigt“ und zum andern in gehobener
Die aus dem Alten Testament (zum Bei¬
Sprache: Jemand beginnt zu weinen“.
spiel 3. Moses 24,19-20) stammende
Die zweite Verwendung findet sich be¬
Redewendung besagt, daß bei erlitte¬
reits im Johannesevangelium (11,35),
nem Schaden Gleiches mit Gleichem
wo es von Jesus beim Anblick des toten
vergolten werden soll: „Und wer seinen
Lazarus heißt: „Und Jesu gingen die
Nächsten verletzt, dem soll man tun, wie
Augen über“. Goethe benutzt den Aus¬
er getan hat, Schade um Schade, Auge
druck in der in Faust I eingegangenen
um Auge, Zahn um Zahn; wie er hat ei¬
Ballade „Der König von Thule“ (1774):
nen Menschen verletzt, so soll man ihm
„Die Augen gingen ihm über,/So oft er
wieder tun.“ Heute wird der Satz meist
trank daraus“ - aus dem „goldnen Be¬
als Rechtfertigung für Racheakte ver¬
cher“, den ihm „sterbend seine Buhle“
wendet. Jesus dagegen hat im Neuen
gegeben hatte.
Testament den alten Rechtsgrundsatz
aufgegriffen und eine neue Lehre dage¬
gengesetzt: „Ihr habt gehört, daß da ge¬
Augen haben und nicht sehen;
sagt ist: ,Auge um Auge, Zahn um Ohren haben und nicht hören
Zahn.‘ Ich aber sage euch, daß ihr nicht Mit den einzeln oder zusammen ver¬
widerstreben sollt dem Übel; sondern, wendeten Redewendungen macht man
so dir jemand einen Streich gibt auf dei¬ jemandem zum Vorwurf, daß er etwas
nen rechten Backen, dem biete den an¬ offen zutage Liegendes nicht wahrneh¬
dern auch dar“ (Matthäus 5,38 und 39). men will. Sie gehen auf den 115. Psalm
55
Augen Teil I
56
Teil I
aus
Opfertieren weissagte) bei der Begeg¬ war!“ Das Zitat bezieht sich heute gele¬
nung mit einem anderen Vertreter seiner gentlich scherzhaft, meist aber mit nost¬
Zunft nicht unwillkürlich lächeln oder algischem Unterton auf Ereignisse, Er¬
lachen müsse. Offensichtlich war Cato lebnisse aus jemandes Jugend, die in der
der Meinung, daß ein Haruspex selbst Erinnerung wieder lebendig werden.
nicht an seine Weissagungen glaubte,
sondern seinen Kunden etwas vormach¬ Aus der Not eine Tugend machen
te. Der Augur, der aus der Beobachtung Die Redewendung mit der Bedeutung
des Vogelflugs weissagte, war im anti¬ „einer unangenehmen Sache noch etwas
ken Rom das, was den Etruskern der Gutes abgewinnen, eine eigentlich
Haruspex war. schlechte Situation für sich zum Vorteil
wenden“ geht wohl auf einen Rat zu¬
t O du lieber Augustin! rück, den der Kirchenvater Hieronymus
(etwa 331-420) in einem Brief erteilt:
Aurea mediocritas Fac de necessitate virtutem! (auf
t Die goldene Mitte deutsch: „Mach aus der Not eine Tu¬
gend!“). In diesem Fall wird eine solche
Aus allen Himmeln fallen Handlungsweise als anerkennenswert
TAus allen Wolken fallen betrachtet, während Hieronymus’ Äu¬
ßerung im 3. Buch seiner „Apologien
Aus allen Wolken fallen gegen die Bücher des Rufinus“ eine ge¬
wisse Abwertung enthält: Facis necessi¬
Die umgangssprachliche Redewendung
tate virtutem (auf deutsch: „Du machst
bedeutet „sehr überrascht sein“. Sie
[ja nur] aus der Not eine Tugend“). Bei¬
könnte zusammen mit „aus allen Him¬
de Nuancierungen sind auch im heuti¬
meln fallen“ (im Sinne von „tief ent¬
gen Sprachgebrauch noch lebendig.
täuscht, ernüchtert, desillusioniert wer¬
den“) auf Jesaja 14,12 im Alten Testa¬
Aus der Tiefe des Gemüts
ment zurückgehen. Dort heißt es: „Wie
Dieses Zitat stammt aus Heinrich Hei¬
bist du vom Himmel gefallen, du schö¬
nes Sammlung „Lutetia. Berichte über
ner Morgenstern! Wie bist du zur Erde
Politik, Kunst und Volksleben“. In ei¬
gefällt, der du die Heiden schwächtest!“
nem Artikel vom 7. 5. 1843 beschreibt
Die Feststellung bezieht sich auf den
Heine ein Bild zu einem biblischen The¬
gestürzten König von Babylon, nach
ma, das er auf einer Pariser Gemälde¬
Auslegung durch die Kirchenväter auf
ausstellung gesehen hat: „Dem Kamele,
Luzifer.
welches sich auf dem Gemälde des Ho-
race Vernet befindet, sieht man es wohl
Aus dem Strom des Vergessens
an, daß der Maler es unmittelbar nach
trinken
der Natur kopiert und nicht, wie ein
t Lethe trinken deutscher Maler, aus der Tiefe seines
Gemüts geschöpft hat.“ Das Zitat wird
t Und aus den Wiesen steiget der auch heute in scherzhafter und ironisch¬
weiße Nebel wunderbar distanzierter Ausdrucksweise ge¬
braucht, wenn man sich auf etwas tat¬
Aus der Jugendzeit sächlich oder vermeintlich tief Empfun¬
Dies sind die Anfangsworte des bekann¬ denes bezieht.
ten Liedes von Robert Radecke
(1830-1911), einer Vertonung von Aus einem kühlen Grunde
Friedrich Rückerts (1788-1866) gleich¬ Die umgangssprachliche Wendung, die
namigem Gedicht elegischen Inhalts. auch in der Form „aus diesem kühlen
Die erste Strophe lautet: „Aus der Ju¬ Grunde“ gebräuchlich ist, hat die Be¬
gendzeit, aus der Jugendzeit/Klingt ein deutung „aus einem/diesem ganz einfa¬
Lied mir immerdar;/0 wie liegt so weit, chen bestimmten Grund“. Sie ist eine
o wie liegt so weit,/Was mein einst scherzhafte Umbildung des Anfangsver-
57
aus Teil I
ses „In einem kühlen Grunde“ des Ge¬ teln. Das Zitat geht auf den französi¬
dichts „Das zerbrochene Ringlein“ von schen Sozialtheoretiker C. H. de Saint-
Joseph von Eichendorff (1788-1857) Simon (1760-1825) zurück (im Franzö¬
aus dem Roman „Ahnung und Gegen¬ sischen: l'exploitation de l’homme par
wart“ (1811). Populär geworden ist das l’homme). Über das Scheitern sozialisti¬
Gedicht durch die Vertonung von Fried¬ scher Gesellschaftsformen spottet das
rich Glück aus dem Jahr 1814, beson¬ bekannte Scherzwort, nach dem der Ka¬
ders in der Fassung für Männerchor von pitalismus durch die Ausbeutung des
Friedrich Silcher. Menschen durch den Menschen ge¬
kennzeichnet sei, während es sich im
Aus nichts wird nichts Sozialismus genau umgekehrt verhalte.
t Von nichts kommt nichts
t Wir wollen niemals auseinan¬
Aus seinem Herzen keine Mörder¬ dergehn
grube machen
t Letzte Ausfahrt Brooklyn
Diese Redewendung hat die Bedeutung
„freiheraus sagen, was man denkt; et¬ TO, du Ausgeburt der Hölle!
was nicht verhehlen“. Sie ist eine freie
Verwendung der Lutherschen Überset¬ Ausgelitten hast du - ausgerungen
zung von Matthäus 21,13 im Neuen Te¬
So lautet der Anfangsvers des Gedichtes
stament: „Es steht geschrieben: ,Mein
„Lotte bei Werthers Grabe“ von Johann
Haus soll ein Bethaus heißen1; ihr aber
Heinrich von Reitzenstein (1722-1780).
habt eine Mördergrube daraus ge¬
Das Zitat wird heute gelegentlich als
macht.“ Durch das Zurückhalten
Grabspruch oder in Traueranzeigen ver¬
schlimmer, furchtbarer Gedanken wur¬
wendet. Die Redewendung „ausgelitten
de das Herz, das in der Metaphorik u. a.
haben“ hat in gehobenem Sprachge¬
als Tempel Gottes gilt, bildlich zur Mör¬
brauch die Bedeutung „(nach schwerem
dergrube, zu einem unterirdischen
Leiden) gestorben sein“; daneben gibt
Schlupfwinkel für Mörder.
es eine umgangssprachlich-scherzhafte
Verwendung im Sinne von „entzwei sein
Aus Spöttern werden oft Prophe¬
und deshalb ausgedient haben“.
ten
Das Zitat Findet sich in Shakespeares Ausgerechnet Bananen!
„König Lear“ (V,3). Im Original erwi¬
Dieser Ausruf des Unmuts, der Enttäu¬
dert die Königstochter Regan auf die
schung über ein unerwünschtes Ereignis
nicht ernstgemeinte Anspielung auf die
stammt aus dem Kehrreim eines nach
Vermählung Edmunds mit ihr: Jesters
dem 1. Weltkrieg entstandenen Schla¬
do oft prove prophets („Spaßmacher er¬
gers: „Ausgerechnet Bananen verlangt
weisen sich oft als Propheten“). Man
sie von mir!“ Im amerikanischen Origi¬
weist mit dem Zitat daraufhin, daß sich
nal von F. Silver heißt es 1923: Yes, we
eine bloß witzelnde Bemerkung später
have no bananas. Den deutschen Text
bewahrheiten und im nachhinein als
schrieb der österreichische Operetten¬
Prophezeiung heraussteilen kann.
librettist und Schlagertexter Beda, mit
bürgerlichem Namen Fritz Löhner
Aus tiefer Not schrei’ ich zu dir
(1883-1942).
t De profundis
Ausgestritten, ausgerungen ist der
Die Ausbeutung des Menschen lange, schwere Streit
durch den Menschen
Das Zitat aus Schillers Gedicht „Das
Der marxistische Begriff bezieht sich Siegesfest“ von 1803 greift vermutlich
auf die Aneignung des von den Arbei¬ den Gedichtanfang „Ausgelitten hast
tern erzeugten Arbeitsprodukts durch du - ausgerungen“ von Johann Hein¬
den Eigentümer von Produktionsmit¬ rich von Reitzensteins (1722-1780)
58
Teil I
Axt
59
Babel Teil I
Babylonische Sprachverwirrung
t Babel
60
Teil 1 Bäume
Wenn man heute jemanden als barm¬ sion in Berlin gewesen und schilderte
herzigen Samariter bezeichnet, so meint nun sein Erschrecken über den Anblick,
man einen selbstlos helfenden Men¬ den ihm die Berliner Bevölkerung in
schen, der sich mitfühlend, mildtätig ge¬ den Straßen der Stadt geboten hatte:
genüber Notleidenden verhält, Ver¬ „Ich sah hier Gestalten die Straße be¬
ständnis für die Not anderer zeigt. In völkern, die ich nicht schildern will.“
diesem Zusammenhang spricht man
auch vom „Samariterdienst“. Des Basses Grundgewalt
Dieser Ausdruck stammt aus Faust I
Basiliskenblick (Auerbachs Keller), wo Siebei, einer der
Der Basilisk ist ein Fabelwesen des Al¬ lustigen Zecher, feststellt: „Wenn das
tertums, ein Mischwesen aus Schlange, Gewölbe widerschallt,/Fühlt man erst
Drache und Hahn mit giftigem Atem recht des Basses Grundgewalt.“ Er gibt
und tödlichem Blick (Basiliskenblick), damit dem Vergnügen Ausdruck, das es
von einer Schlange oder Kröte aus ei¬ einem Sänger bereiten kann, wenn die
nem Hühnerei ausgebrütet und meist als Akustik eines Gewölbes seine tragende
Hahn mit einem Schlangenschwanz Baßstimme durch den Widerhall beson¬
dargestellt. Diese phantastische Dar¬ ders eindrucksvoll zur Geltung bringt. -
stellung findet sich zuerst im Alten Das Goethe-Zitat wird meist scherzhaft
Orient, später gelangte sie über spätanti¬ verwendet, zum Beispiel wenn eine tiefe
ke Schriftsteller und Kirchenväter in die Männerstimme alle anderen Stimmen
Tierbücher des hohen Mittelalters und übertönt oder wenn sie mit großer Laut¬
hielt sich bis ins 17. Jahrhundert. Im Al¬ stärke eingesetzt wird.
ten Testament ist bei Jesaja (11,8) von
der Höhle des Basilisken die Rede. Heu¬ t Leute vom Bau
te wird von einem Basiliskenblick ge¬
sprochen, wenn jemand einen stechen¬ Der Bauer ist kein Spielzeug
den, bösen oder unheimlichen Blick hat, Das Zitat stammt aus der Ballade „Das
der Furcht einflößt oder Schlimmes von Riesenspielzeug“ von Adelbert von
der betreffenden Person erwarten läßt. Chamisso (1781-1838). Das Motiv geht
auf eine Volkssage zurück, in der ein
Basiliskeneier ausbrüten Riesenritter seine Tochter ermahnt,
Diese Redewendung wird gebraucht, nicht mit einem Bauern zu spielen. Bei
wenn sich jemand Böses ausdenkt oder Chamisso heißt es: „Sollst gleich und
etwas Schlimmes im Schilde führt. Un¬ ohne Murren erfüllen mein Ge-
ter einem Basiliskenei versteht man bot;/Denn wäre nicht der Bauer, so hät¬
auch ein Geschenk, das in böser Absicht test du kein Brot;/Es sprießt der Stamm
gegeben wird. Im Alten Testament heißt der Riesen aus Bauernmark her-
es bei Jesaja (59,5), auf sündige Juden vor;/Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei
bezogen: „Sie brüten Basiliskeneier und uns Gott davor!“ Mit dem Zitat „Der
wirken Spinnwebe. Ißt man von ihren Bauer ist kein Spielzeug“ wird die Be¬
Eiern, so muß man sterben; zertritt deutung des Bauern für die Ernährung
man’s aber, so fährt eine Otter heraus.“ des Menschen unterstrichen; gelegent¬
(Vergleiche auch den Artikel „Basilis¬ lich wird damit zum Ausdruck gebracht,
kenblick“.) daß man den Bauernstand (die Land¬
wirte) nicht von oben herab behandeln
Bassermannsche Gestalten und mit ihm nach Belieben umspringen
Der heute seltener gebrauchte Ausdruck kann.
mit der Bedeutung „verdächtige, frag¬
würdige Individuen“ geht auf einen Be¬
TVom Baum der Erkenntnis essen
richt zurück, den der Abgeordnete
Bäume sterben aufrecht
Friedrich Daniel Bassermann am 18. 11.
1848 der Frankfurter Nationalversamm¬ Der Titel der Komödie von Alejandro
lung vortrug. Er war in politischer Mis¬ Casona (eigentlich A. Rodriguez Älva-
61
Bäumlein Teil I
62
Teil I bei
ist.“ - In Situationen, in denen sich je¬ so schön gewesen“ geläufig) stammt aus
mandes Angst auf wunderbare Weise in dem Versepos „Der Trompeter von Säk-
übernatürliche Stärke wandelt, spricht kingen, ein Sang vom Oberrhein“ von
man auch heute noch gelegentlich von Joseph Viktor von Scheffel (1826 bis
einer „begnadeten Angst“. 1886), wo es im 2. Stück heißt: „Behüt’
dich Gott, es wär' zu schön gewe-
Begräbnis erster Klasse sen,/Behüt’ dich Gott, es hat nicht sol¬
t Leichenbegängnis erster Klasse len sein!“ Auch die zweite Zeile wird in
vergleichbaren Situationen zitiert.
t Das begreife ein andrer als ich
Bei Anruf Mord
t Denn eben, wo Begriffe fehlen, In dem amerikanischen Spielfilm „Bei
da stellt ein Wort zur rechten Zeit Anruf Mord“ (Originaltitel Dial ,,M" for
sich ein Murder) aus dem Jahre 1953 (Regie:
Alfred Hitchcock) wird durch das klin¬
t Mich ergreift himmlisches Beha¬ gelnde Telefon ein Mord angekündigt;
gen zugleich gehört es zum Ablauf eines raf¬
finierten Plans, der zu einem anderen
Behandelt jeden Menschen nach Mord mit Hilfe der Justiz führen soll. -
seinem Verdienst Heute werden, besonders in kurzgefa߬
ten Inseraten, oft Serviceleistungen mit
Mit diesem Zitat aus Shakespeares Tra¬
der einleitenden Fügung „Bei Anruf...“
gödie „Hamlet“ (11,2) wird heute meist
angeboten (z. B.: „Bei Anruf Babysit¬
zum Ausdruck gebracht, daß man die
ting“ oder „... Pizza ins Haus“).
Leistungen eines Menschen als Ma߬
stab für seine Beurteilung zugrunde le¬
gen soll. Im Original sagt Hamlet, ange¬ Bei einem Wirte wundermild
tan von Darbietungen einiger Schau¬ Mit dieser Zeile beginnt Ludwig Uh-
spieler am Hof, zu seinem Oberkämme¬ lands (1787-1862) Wanderlied „Ein¬
rer Polonius: Use every man after his de- kehr“, in dem von einer Rast unter ei¬
sert, and who should scape whipping? nem Apfelbaum erzählt wird. Dieser
(„Behandelt jeden Menschen nach sei¬ Apfelbaum, der wie ein Gasthaus An¬
nem Verdienst, und wer ist vor Schlägen nehmlichkeiten bietet, nämlich die „sü¬
sicher?“). Hamlet setzt dagegen einen ße Kost“ seiner Früchte, den Gesang
Umgang mit den Menschen, der sich der Vögel und den „kühlen Schatten“,
ungeachtet ihres Verdienstes auf die ei¬ wird dort als Wirt bezeichnet. Die erste
gene Vornehmheit gründet: Use them af¬ Strophe des Liedes lautet: „Bei einem
ter your own honour and dignity - the less Wirte wundermild,/Da war ich jüngst zu
they deserve, the more merit is in your Gaste;/Ein goldner Apfel war sein
bounty („Behandelt sie nach Eurer eig¬ Schild/An einem langen Aste.“ Das Zi¬
nen Ehre und Würdigkeit: je weniger sie tat wird heute gelegentlich noch ver¬
verdienen, desto mehr Verdienst hat wendet, um auszudrücken, daß man ei¬
Eure Güte“). nen schönen Aufenthalt im Freien hatte
oder irgendwo gastlich aufgenommen
Beharrlichkeit führt zum Ziel worden ist.
TNur Beharrung führt zum Ziel
Bei genauerer Betrachtung steigt
Behüt’ dich Gott, es wär’ zu schön mit dem Preise auch die Achtung
gewesen! In seiner Bildergeschichte „Maler
Mit diesem Stoßseufzer verleiht man Klecksei“ übt Wilhelm Busch (1832 bis
seiner Enttäuschung Ausdruck, wenn 1908) satirische Kritik an der Bildungs¬
etwas nicht so gekommen ist, wie man philisterei seiner Zeit. Besonders kenn¬
es sich gewünscht oder vorgestellt hat. zeichnend ist dafür, wie der Ich-Erzäh¬
Das Zitat (auch in der Form „... es wär’ ler im 1. Kapitel sein Verhalten als Mit-
63
bei Teil I
glied eines Kunstzirkels bei der Beurtei¬ und Tod die Ermordung Cäsars gerächt.
lung eines Gemäldes beschreibt: „Mit Shakespeare hat sich hier vermutlich
scharfem Blick, nach Kennerweise/Seh’ auf eine Stelle in der Cäsarbiographie
ich zunächst mal nach dem Preise,/Und des griechischen Schriftstellers Plutarch
bei genauerer Betrachtung/Steigt mit bezogen, wo die Ankündigung in der
dem Preise auch die Achtung.“ Man Form „Bei Philippi wirst du mich se¬
verwendet die beiden letzten Verse, um hen“ zu finden ist. Heute wird die Re¬
ironisch auszudrücken, daß manche densart als - gelegentlich auch scherz¬
Leute vieles nur deshalb besonders gut hafte - Drohung verwendet, mit der
finden oder für wertvoll halten, weil es man ausdrückt, daß man mit jemandem
teuer ist. noch eine Rechnung zu begleichen hat.
64
Teil I
bella
der Faszination Ausdruck, die die Prin¬ Bekränzt mit Laub den lieben vol¬
zessin von Eboli, in die er sich gerade len Becher
verliebt, auf ihn ausübt. Das Zitat
Dieses Zitat stammt aus dem Gedicht
wird - auch in der verkürzten Form
„Rheinweinlied“ von Matthias Claudi¬
„Bei Gott, das Weib ist schön!“ - heute
us (1740-1815), das von Johann Andre
noch gelegentlich scherzhaft verwendet,
vertont wurde. Das Gedicht zum Lobe
wenn man die Schönheit einer Frau her¬
vorheben will. des rheinischen Weines beginnt mit den
Zeilen: „Bekränzt mit Laub den lieben
vollen Becher/Und trinkt ihn fröhlich
Bein von meinem Bein und Fleisch leer!/In ganz Europia, ihr Herren Ze¬
cher,/Ist solch ein Wein nicht mehr!“
von meinem Fleisch
Die erste Zeile wird heute noch als
So bezeichnet in der Schöpfungsge¬ Trinkspruch in geselliger Runde von
schichte des Alten Testaments der erste Weintrinkern verwendet.
Mensch Adam seine Frau, die von Gott
Jahwe aus seiner Rippe geschaffen wor¬
den war (1. Moses 2, 23). „Bein“ steht
Belami
hier in der veralteten Bedeutung „Kno¬
chen“. Wie den Ausdruck „eigen Das Wort mit der Bedeutung „Frauen¬
Fleisch und Blut“ (siehe dort) verwen¬ liebling“ geht zurück auf die Titelgestalt
det man diese Bibelworte zur Bezeich¬ des Romans Bel ami (in wörtlicher
nung des eigenen Kindes oder der eige¬ Übersetzung: „schöner Freund“) von
nen Kinder, wobei mit Nachdruck auf Guy de Maupassant (1850-1893). Der
die enge, direkte verwandtschaftliche Roman schildert den beruflichen Auf¬
Beziehung hingewiesen wird. stieg eines Abenteurers, der sich seines
Charmes und seiner Wirkung auf Frau¬
en zur Förderung seiner journalisti¬
Bekenntnisse einer schönen Seele schen Karriere bedient. Zusätzliche Ver¬
breitung erlangte die Bezeichnung
Das Zitat ist der Titel des 6. Buchs von
durch den gleichnamigen Film von Willi
Goethes Roman „Wilhelm Meisters
Forst aus dem Jahr 1939 mit dem lang¬
Lehrjahre“ (1795/96). Goethe verarbei¬
samen Foxtrott „Du hast Glück bei den
tete in der mit der Romanhandlung ver¬
Frau’n, Bel ami“ von Theo Mackeben.
knüpften Lebensbeichte einer Stiftsda¬
me seine Erinnerungen an die pietisti-
sche Schriftstellerin Susanne Katharina
von Klettenberg (1723-1774), Mitglied Bella gerant alii, tu, felix Austria,
der Herrnhuter Brüdergemeinde und nube
Freundin seiner Mutter. Sie hatte ihn Das Zitat Bella gerant alii, tu, felix Au¬
während seiner Krankheit im Jahre stria, nube!/Nam quae Mars aliis, dat tibi
1768 fürsorglich gepflegt. - Die „schöne regna Venus! („Kriegführen lasse die
Seele“ - der Begriff ist seit der mittelal¬ anderen, du, glückliches Österreich, hei¬
terlichen Mystik bekannt und kommt rate !/Reiche schenkt dir Venus wie an¬
auch bei Wieland und in Schillers Ab¬ deren Gott Mars!“) stellt eine Anspie¬
handlung „Über Anmut und Würde“ lung auf die Habsburger dar, die oft,
(1793) vor - ist im Einklang mit sich und statt Krieg zu führen, ihr Reich und
der Welt. Das Hauptanliegen ihrer „Be¬ ihren politischen Einfluß durch eine
kenntnisse“ stellt die pietistisch-mysti- geschickte Heiratspolitik vergrößern
sche Begegnung mit Gott dar. Heute konnten. Der Anfang des Zitats stammt
bringt man mit den Worten „Bekennt¬ wohl aus den „Heroides“ (13,84) des rö¬
nisse einer schönen Seele“ meist iro¬ mischen Dichters Ovid (43 v. Chr.-17
nisch zum Ausdruck, daß man jemandes oder 18 n.Chr.). Dort heißt es: Bella
Vorstellungen oder Äußerungen für et¬ gerant alii! Protesilaus amet! („Mögen
was naiv und weltfremd oder für zu andere Kriege führen, Protesilaus soll
idealistisch hält. lieben!“).
65
beneidenswert Teil I
66
Teil I Bessere
phen Voltaire (1696-1778; im französi¬ ferkeit ist Vorsicht, und mittels dieses
schen Original: II vaut mieux hasarder besseren Teils habe ich mein Leben ge¬
de sauver un coupable que de condamner rettet“ (im englischen Original: The bet¬
un irmocent) zeigt dessen unerbittliche ter part of valour is discretion V,4).
Haltung Justizverbrechen gegenüber, Heute wird die Redensart meist in der
die ihm schon zu Lebzeiten den Beina¬ Form „Vorsicht ist die Mutter der Tap¬
men eines Freundes der Unglücklichen ferkeit“ verwendet oder in der scherz¬
einbrachte. Der Ausspruch wird zitiert, haften Abwandlung „Vorsicht ist die
wenn gesagt werden soll, daß Zweifel an Mutter der Porzellankiste.“
der Schuld eines Angeklagten nicht zu
beheben sind und es deswegen besser Das bessere Teil erwählt haben
ist, ihn freizusprechen. Mit dieser Redewendung will man aus-
drücken, daß sich jemand mit seiner
Besser spät als gar nicht Entscheidung die Voraussetzungen ge¬
Die sprichwörtliche Redensart, bei der schaffen hat, es besser zu haben als an¬
„besser“ auch durch „lieber“ und „gar dere. Zugrunde liegt vermutlich eine
nicht“ durch „nie“ oder „niemals“ er¬ Episode im Lukasevangelium (Lukas
setzt werden kann, ist schon bei Titus 10, 38-42), die Jesus im Hause von Mar¬
Livius (59 v. Chr.-17 n. Chr.) in seiner tha und Maria, den Schwestern des La¬
römischen Geschichte „Ab urbe condita zarus, zeigt. Martha beschwert sich dar¬
libri“ (IV,2,11) belegt: Potius sero quam über, daß sie die ganze Hausarbeit allei¬
numquam. Bekannt sind auch die fran¬ ne machen müsse, während Maria nur
zösische und die englische Variante: dasitze und ihm zuhöre. Jesus gibt ihr
Mieux vaut tard que jamais und Better daraufhin zur Antwort: „Martha, Mar¬
late than never. tha, du hast viel Sorge und Mühe; eins
aber ist not. Maria hat das gute Teil er¬
wählt; das soll nicht von ihr genommen
Bessere Hälfte
werden“ (10, 41 -42). Die Redewendung
Diese scherzhafte Bezeichnung für wird gelegentlich auch in der Form „den
„Ehefrau“ - seltener auch für „Ehe¬ besseren Teil erwählt (oder: gewählt)
mann“ - stammt aus dem Schäferroman haben“ gebraucht.
„The countess of Pembroke’s Arcadia“
des englischen Dichters Philip Sydney Das Bessere ist der Feind des Gu¬
(1554-1586), ins Deutsche übersetzt ten
1629/1638 unter dem Titel „Das Arka¬
Wer diese Worte (auch in der Variante
dien der Gräfin von Pembroke“. Der
„... des Guten Feind“) aus dem „Philo¬
englische Dichter John Milton (1608 bis
sophischen Wörterbuch“ des französi¬
1674) griff sie in seinem Epos „Paradise
schen Dichters und Philosophen Vol¬
lost“ auf, wo Adam seine Frau Eva als
taire (1696-1778) zitiert, will damit sa¬
dearer half, als „teurere Hälfte“ bezeich¬
gen, daß etwas, mag es noch so gut sein,
net.
weichen muß, wenn Besseres, Vollkom¬
meneres an seine Stelle treten kann. Ei¬
Der bessere Teil der Tapferkeit ist nen stetigen Fortschritt kann es nämlich
Vorsicht nur geben, wenn das Überkommene -
Shakespeare läßt im 1. Teil seines histo¬ zum richtigen Zeitpunkt - durch Ver¬
rischen Dramas „König Heinrich IV.“ bessertes und Weiterentwickeltes ersetzt
(uraufgeführt 1597) den komischen Hel¬ wird. Das Zitat kann aber auch gele¬
den Falstaff, einen beleibten, immer gentlich als Warnung verstanden wer¬
trinkenden und doch nie betrunkenen den, etwas, was allen Ansprüchen ge¬
Prahlhans und Feigling, einen Zwei¬ nügt und ohne Mängel ist, nicht noch
kampf dadurch überleben, daß dieser weiter perfektionieren zu wollen und es
sich totstellt. Der „Held“ kommentiert dadurch eher schlechter zu machen. -
dann seine taktische Meisterleistung mit Das französische Original lautet: Le
den Worten: „Das bessere Teil der Tap¬ mieux est Pennemi du bien.
67
Besseres Teil I
t Etwas Besseres als den Tod fin¬ zeigt das tägliche Leben mit seinen zahl¬
reichen Widrigkeiten, daß „die Welt“
dest du überall
nur das sein kann, was der in ihr leben¬
de Mensch daraus macht.
Das Beste ist gerade gut genug
Wo höchsten Ansprüchen Genüge getan Bestgehaßter Mann
werden muß, wo nur Ausgesuchtes die
Der Ausdruck mit der eigenwilligen ad¬
geforderte Qualität bieten kann, da ist
jektivischen Zusammensetzung geht
eben das Beste gerade gut genug. Dieser
wohl auf Otto von Bismarck (Reichs¬
Ansicht war schon Goethe, wie in einem
kanzler von 1871-1890) zurück. In einer
Brief nachzulesen ist, der im ersten Teil
Rede im preußischen Landtag während
seiner „Italienischen Reise“ abgedruckt
der Zeit der Auseinandersetzung der
ist. Goethe spricht hier seine Neubear¬
protestantisch-preußischen Staatsmacht
beitung der „Iphigenie“ an, der er sich
mit der katholischen Kirche (des soge¬
in den ersten Monaten seines Italienauf¬
nannten „Kulturkampfes“ von etwa
enthaltes intensiv gewidmet hatte und
1871-1878) rief der Reichskanzler aus,
die er für sehr gelungen hielt: „Ich weiß,
daß er wohl - mit Stolz - von sich be¬
was ich daran getan habe schreibt
haupten könne, „die am besten gehaßte
er. „Wenn es eine Freude ist, das Gute
Persönlichkeit“ im Deutschen Reich zu
zu genießen, so ist es eine größere, das
sein.
Bessere zu empfinden, und in der Kunst
ist das Beste gut genug“ (Brief aus Nea¬
pel vom 3. 3. 1787). Die Bestie im Menschen
t La bete humaine
Die beste aller möglichen Welten
Es ist bestimmt in Gottes Rat
In seinen „Abhandlungen zur Rechtfer¬
tigung Gottes, über die Güte Gottes, die T Wenn Menschen auseinandergehn, so
Freiheit des Menschen und den Ur¬ sagen sie: auf Wiedersehn, ja, Wieder¬
sprung des Übels“ (1710 in französi¬ sehn!
scher Sprache veröffentlicht unter dem
Titel „Essais de theodicee sur la bonte Bete und arbeite!
de dieu, la liberte de l’homme et l’ori- t Ora et labora!
gine du mal“) versucht der deutsche
Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz
t Bei genauerer Betrachtung steigt
(1646 bis 1716) den Vorwurf, Gott hätte
mit dem Preise auch die Achtung
in seiner Allmacht eine bessere Welt
schaffen müssen, zu widerlegen. Da
Gott wirklich allmächtig sei, so argu¬ Betrogener Betrüger
mentiert Leibniz dabei, hätte er natür¬ So nennt man jemanden, der andere
lich eine andere, bessere Welt schaffen hintergehen wollte, aber dann selbst
können. Und eben darum hätte Gott arglistig getäuscht worden ist. Die Be¬
nicht diese Welt erschaffen, so wie sie zeichnung geht auf die sogenannte
ist, „wenn sie nicht unter allen mögli¬ Ringparabel in Gotthold Ephraim Les-
chen die beste wäre“ (1,8). Diese „Be¬ sings (1729-1781) Versdrama „Nathan
weisführung“ reizte den französischen der Weise“ (III, 7) zurück. Hier treten
Philosophen Voltaire zum Spott, und er drei Söhne eines Mannes vor den Rich¬
karikierte sie in seinem Roman „Candi- ter und behaupten, ein jeder habe vom
de“ (1759). Dort versucht der stets opti¬ Vater einen Ring mit besonderen Kräf¬
mistische Erzieher und Philosoph Mai- ten geerbt, aber nur einer könne der ech¬
tre Pangloss zu beweisen, daß alles aufs te sein. Der weise Richter schlichtet den
beste geregelt sei „in der besten der Streit, indem er eine salomonisch-prag¬
möglichen Welten“ (im französischen matische Entscheidung fällt: „Oh, so
Original: dans le meilleur des mondes seid ihr alle drei/Betrogene Betrüger!
possibles). In Voltaires Roman aber Eure Ringe/sind alle drei nicht echt.“
68
Teil I
big
Der t wahre Bettler ist der wahre t Mit dem Bezahlen wird man das
König meiste Geld los
Bewaffneter Friede
Der deutsche Epigrammatiker Friedrich Biedermann und die Brandstifter
von Logau (1604-1655) betitelte zwei In diesem Theaterstück, das im März
seiner Sinngedichte „Gewaffneter Frie¬ 1953 als Hörspiel unter dem Titel „Herr
de“ und „Der geharnischte Friede“. Er Biedermann und die Brandstifter“ im
nahm damit Bezug auf die Zeit nach Bayerischen Rundfunk gesendet und im
dem 30jährigen Krieg in Deutschland. März 1958 in Zürich auf der Bühne ur-
Die deutschen Fürsten hatten im West¬ aufgeführt wurde, veranschaulicht Max
fälischen Frieden von 1648 das Bewaff¬ Frisch (1911-1991) typische Verhaltens¬
nungsrecht und das Recht der Entschei¬ weisen des Spießers und saturierten
dung über Krieg und Frieden zugespro¬ Bürgers. Feiges konformistisches Den¬
chen bekommen. Der Kaiser konnte al¬ ken führt dazu, daß dem Verbrechen
so im Reich nicht einfach mehr einen kein Widerstand entgegengesetzt wird
Krieg befehlen, andrerseits fand sich und „Brandstifter“ ungehindert zu Wer¬
bald in jedem Kleinstaat ein stehendes ke gehen können. Der Titel dieses
Heer. Allerdings sah Logau auch einen Stücks wird dementsprechend dann zi¬
möglichen Vorteil in der Entwicklung, tiert, wenn Konformismus und überstei¬
wie es das Sinngedicht zeigt: „Der Frie¬ gertes Sicherheitsdenken angeprangert
de geht im Harnisch her;/wie ist es so werden sollen, wenn das Sankt-Flori-
bestellt?/Es steht dahin; er ist vielleicht ans-Prinzip so weit getrieben wird, daß
die Pallas unsrer Welt.“ Beide Titel dem Brandstifter die Streichhölzer in
führten wohl zur Bildung des Ausdrucks die Hand gegeben werden, in der Hoff¬
„bewaffneter Friede[n]“, der vor allem nung, er möge das Nachbarhaus anzün¬
durch das Gedicht von Wilhelm Busch den.
über Fuchs und Igel allgemein bekannt
wurde.
Big Brother is watching you
TUnd sie bewegt sich doch! In seinem Roman „1984“ zeichnet der
englische Schriftsteller George Orwell
Bewundert viel und viel geschol¬
(1903-1950) das Schreckensbild eines
ten menschenverachtenden totalitären
„Bewundert viel und viel gescholten, Staates, in dem das Individuum totaler
Helena,/Vom Strande komm’ ich, wo Überwachung unterliegt und selbst bis
wir erst gelandet sind“. Mit diesen Wor¬ in intimste Bereiche verwaltet und be¬
ten betritt im sogenannten Helena-Akt herrscht wird. (Die Jahreszahl „1984“
im 2. Teil von Goethes „Faust“ die schö¬ wurde zu einer Art Symbolzahl für das
ne Helena die Bühne (Faust II, 3, Vers 8 Schreckensbild eines solchen Staates.)
488 f.). Treffend charakterisiert sie so ih¬ An der Spitze des Staatsapparates steht
re Lebensgeschichte. Ihre verführeri¬ ein fiktiver Parteiführer, der „Große
sche Schönheit wurde in der Antike ge¬ Bruder“ (englisch: Big Brother), dessen
rühmt. Aber ihre Treulosigkeit dem Bild allgegenwärtig ist und mit seinen
Gatten gegenüber brachte schließlich Augen jedem überallhin zu folgen
das Leid eines langen Krieges über scheint („Der Große Bruder beobachtet
Griechen und Trojaner. Was Helena im dich“, englisch: Big Brother is watching
Faust von sich sagt, kann auch heute you). Der Ausdruck „der große Bruder“
noch auf viele Menschen bezogen wer¬ ist dann zur Metapher für eine allmäch¬
den ; wohl niemand vermag die ungeteil¬ tige, alle und alles überwachende
te Zustimmung aller zu erreichen. Fast Staatsgewalt geworden. Er wird gele¬
immer gehen Bewunderung und Kritik gentlich aber auch scherzhaft verwen¬
Hand in Hand, zumal wenn jemand im det, wenn man ausdrücken will, daß
Rampenlicht der Öffentlichkeit steht. eine höhere Stelle, ein größerer, mächti-
69
Bild Teil I
gerer Partner seine Augen überall hat man heute aus, daß ein Mensch nur zu
und man stets unter Beobachtung ist. einer wirklichen Persönlichkeit werden
kann, wenn er sich auch gesellschaftli¬
Ein Bild für die Götter chen Aufgaben stellt und im Leben be¬
währt. Der Anfang des Zitates wird
So - oder auch als „Anblick“ oder
auch gebraucht, wenn - gelegentlich
„Schauspiel für die Götter“ - beschreibt
scherzhaft - gesagt werden soll, daß je¬
man scherzhaft einen grotesken, komi¬
mand, ohne daß es bemerkt worden ist,
schen Anblick, den jemand oder etwas
Qualitäten entwickelt hat.
bietet. Eine solche Wendung findet sich
schon in Goethes Singspiel „Erwin und
T Dies Bildnis ist bezaubernd schön
Elmire“ (1775), wo es heißt: „Ein
Schauspiel für Götter/Zwei Liebende zu Bildung macht frei
sehn!/Das schönste Frühlingswetter/Ist
Dieses Motto hatte der deutsche Ver¬
nicht so warm, so schön“ (1,1). Bei Goe¬
lagsbuchhändler Joseph Meyer (1796
the wird also das „Schauspiel für Göt¬
bis 1856), der Gründer des „Bibliogra¬
ter“ noch als etwas sehr Schönes, kei¬
phischen Instituts“, seiner „Groschen-
neswegs als etwas Lächerliches angese¬
Bibliothek der deutschen Klassiker für
hen.
alle Stände“ (1850 ff.) vorangestellt. Es
wurde bald zum Schlagwort für die An¬
Bilde, Künstler! Rede nicht!
hänger einer liberalen Schulpolitik. Im
Dies ist der erste Teil des Mottos, das „Schlußwort des Herausgebers“ seines
Goethe der Abteilung „Kunst“ seiner 52bändigen „Großen Conversations-
1815 erschienenen Gedichtsammlung Lexikons“ (erschienen 1855) hat er die¬
vorangestellt hat. Es lautet vollständig: sen Gedanken noch einmal formuliert:
„Bilde, Künstler! Rede nicht!/Nur ein „Die Intelligenz aller ist der stärkste
Hauch sei dein Gedicht.“ Die Worte Hort der Humanität und Freiheit.“
sind als Aufforderung an den schreiben¬ Meyers Worte haben ihre Bedeutung
den Künstler zu verstehen, keine „Wör¬ bewahrt und bringen auch heute noch
termuseen“ zu schaffen, sondern seinen zum Ausdruck, daß die Unfreiheit der
Stoff mit sparsamen Mitteln und künst¬ Unwissenheit nur durch die Durchset¬
lerischer Leichtigkeit möglichst bildhaft zung des Rechtes aller auf Wissensver¬
und anschaulich zu gestalten. Auf das mittlung und Information beseitigt wer¬
Zitat kann sich literarische Kritik auch den kann.
heute noch berufen, wenn die farblose
Geschwätzigkeit eines Werkes ange¬ Bin weder Fräulein, weder schön,
prangert werden soll. kann ungeleitet nach Hause gehen
In der Szene „Straße“ im ersten Teil von
t Wie sich die Bilder gleichen
Goethes „Faust“ weist Gretchen mit
diesen Worten kurz angebunden Faust
Es bildet ein Talent sich in der Stil¬ ab, der sie schmeichelnd zuvor gefragt
le, sich ein Charakter in dem Strom hatte: „Mein schönes Fräulein, darf ich
der Welt wagen,/Meinen Arm und Geleit Ihr an¬
Leonore Santivale, die Freundin der zutragen?“ Mit dem Zitat wehrt man,
Prinzessin Leonore von Este richtet die¬ meist in gewollt schnippisch-scherzhaf¬
se Worte an deren Bruder Alfons II., tem Ton, übertriebene Komplimente
den Herzog von Ferrara, den Mäzen des und Schmeicheleien ab. - „Fräulein“
Dichters Torquato Tasso in Goethes wird von Goethe im „Faust“ noch im al¬
gleichnamigem Schauspiel (1790). Der ten Sinne von „junge Frau des vorneh¬
Herzog wartet ungeduldig auf die Voll¬ men Standes, aus dem Adel“ gebraucht.
endung eines Werkes des Dichters und
übt Kritik an dessen Art, menschen¬ Bis aufs Blut
scheu und zurückgezogen über seiner Wir kennen heute die Wendungen je¬
Arbeit zu sitzen. Mit dem Zitat drückt manden bis aufs Blut peinigen, quälen
70
Teil I bittere
oder reizen“. Der bildhafte Ausdruck oder ironisch, wenn man sich an einem
„bis aufs Blut“ findet sich bereits im Ort oder in einer Situation befindet, die
Neuen Testament. Hier heißt es im „He¬ man nicht als positiv ansieht.
bräerbrief“ (12,4): „Denn ihr habt noch
nicht bis aufs Blut widerstanden in dem Bis hierher und nicht weiter
Kämpfen wider die Sünde.“ „Bis aufs
Mit dieser Redewendung drückt man
Blut“ meint eigentlich „bis hin zum
aus, daß etwas die Grenze des Tolerier¬
Blutvergießen“, im übertragenen Sinne
baren erreicht hat. Sie geht vermutlich
bedeutet es „bis zum äußersten“.
zurück auf das Buch Hiob im Alten Te¬
Bis aufs Messer stament. Jahwe stellt darin die Frage:
„Wer hat das Meer mit Türen verschlos¬
Als nach der französischen Intervention sen, da es herausbrach wie aus Mutter¬
in Portugal im Jahre 1807 die napoleo- leib“ (38,8) und zitiert dann seine eige¬
nischen Truppen Spanien besetzten, nen Worte, mit denen er das Meer bei
kam es 1808/1809 zur Belagerung von der Erschaffung der Welt in seine Gren¬
Saragossa. Die Aufforderung zur Kapi¬ zen verwiesen hat: „Bis hierher sollst du
tulation der Stadt soll der spanische Ge¬ kommen und nicht weiter; hier sollen
neral Jose de Palafox y Melci (1776 bis sich legen deine stolzen Wellen!“
1847) mit den Worten „Krieg bis aufs (38,11).
Messer“ (also unter Einsatz auch der
letzten und primitivsten Waffen) abge¬
t Und bist du nicht willig, so
lehnt haben. Die Fügung „bis aufs Mes¬
brauch’ ich Gewalt
ser“ wird heute mit wechselndem Be¬
zugswort (häufig mit „Kampf* oder
„Streit“) verwendet, um auszudrücken, Bist du’s, Hermann, mein Rabe?
daß bei einer Auseinandersetzung alle Die Frage stellt der alte Graf Moor in
Mittel von den Kontrahenten eingesetzt Schillers „Räubern“ (1781) an den zu
werden und auch vor Anwendung von ihm haltenden Untergebenen, der dem
Gewalt nicht zurückgeschreckt wird. im Schloß gefangengehaltenen Grafen
heimlich etwas zu essen bringt. Die An¬
Bis dat, qui cito dat rede „mein Rabe“ ist eine Anspielung
t Doppelt gibt, wer gleich gibt auf die Raben im 1. Buch von den Köni¬
gen (17,4 u. 6) im Alten Testament, wo
Bis hieher hat mich Gott gebracht es Raben sind, die während einer Dürre
Elia mit Nahrung versorgen: „Und die
So beginnt ein unter den Liedern zum
Raben brachten ihm Brot und Fleisch
Jahreswechsel eingeordnetes Kirchen¬
des Morgens und des Abends.“ - Heute
lied von Ämilie Juliane Gräfin von
wird das Zitat gelegentlich als scherz¬
Schwarzburg-Rudolstadt (1637-1706).
hafte Anrede an jemanden gebraucht,
„Bis hieher hat mich Gott gebracht/
den man nicht gleich erkennt oder über
durch seine große Güte./Bis hieher hat
dessen Erscheinen man sehr erstaunt ist.
er Tag und Nacht/bewahrt Herz und
Gemüte.“ Der Text geht von einer Bi¬
belstelle aus (1. Samuel 7,12), die sich Das bittere Brot der Verbannung
auf den Sieg der Israeliten über die Phi¬ essen
lister mit Gottes Hilfe bezieht und fol¬ Die Redewendung geht auf Shake¬
genden Wortlaut hat: „Bis hieher hat speares Drama „Richard II.“ zurück.
uns der Herr geholfen.“ - Carl Zuck¬ Darin klagt Herzog Bolingbroke: „Ich
mayer läßt in seinem Stück „Der Haupt¬ selbst, ein Prinz durch Rechte und Ge¬
mann von Köpenick“ (2,8) die Gefan¬ burt,/... Mußt’ eurem Unrecht meinen
genen in der Zuchthauskapelle diesen Nacken beugen,/... Und essen der Ver¬
Choral (in leicht abgewandelter Form) bannung bittres Brot.“ Die Verban¬
anstimmen: „Bis hierher hat uns Gott nung aus der Heimat wurde als Strafe
geführt./In seiner großen Güte - für einen in Ungnade Gefallenen im
Man verwendet das Zitat scherzhaft Altertum und im Mittelalter häufig ver-
71
bittet Teil I
hängt. Sie traf auch Dante (1265-1321), Blamier mich nicht, mein schönes
in dessen „Göttlicher Komödie“ sich Kind
eine ähnlich formulierte Klage findet: Mit diesem Vers beginnt ein Vierzeiler
„Verlassen wirst du alles, was am mei- von Heinrich Heine aus dem Jahr 1824.
sten/Du je geliebt: das ist der erste Man findet ihn unter der Nummer 17 in
Pfeil,/Der dich ereilt vom Bogen der der „Nachlese zu den Gedichten“. Voll¬
Verbannung./Du wirst erfahren, wie ständig lautet das Gedicht: „Blamier
nach Salze schmecket/Das Brot der mich nicht, mein schönes Kind,/Und
Fremde“ (Das Paradies, 17. Gesang, grüß mich nicht unter den Lin¬
Vers 55 ff.). Noch heute kann man diese den ;/Wenn wir nachher zu Hause
Redewendung gebrauchen, wenn von
sind,/Wird sich schon alles finden.“ Der
einem Menschen die Rede ist, der seine
zitierte Vers und das ganze Gedicht
Heimat verlassen mußte und in einem
drücken keine besondere Achtung vor
fremden Land zu leben gezwungen ist.
der Frau aus, an die sie gerichtet sind. -
Als Zitat kann der Vers als scherzhafte
Warnung dienen. Mit der zweiten Zeile
Bittet, so wird euch gegeben
drückt man aus, daß man selbst oder
t Suchet, so werdet ihr finden auch ein anderer nicht mit jemandem
oder einer Sache in Beziehung gebracht
werden möchte.
Black is beautiful
Dieses Schlagwort (auf deutsch:
t Du bist so blaß, Luise
„Schwarz ist schön“) ist aus der gegen
die Rassendiskriminierung gerichteten
amerikanischen Black-Power-Bewe- Die blaue Blume
gung der sechziger Jahre unsres Jahr¬ Als geheimnisvolles Symbol erscheint
hunderts hervorgegangen. Es ist Aus¬ die „blaue Blume“ in dem Romanfrag¬
druck des gewachsenen Selbstbewußt¬ ment „Heinrich von Ofterdingen“
seins der Menschen schwarzer Hautfar¬ (1802) des Dichters Friedrich von Har¬
be in Amerika. - „Black is beautiful“ denberg (Novalis). Zu Beginn des Ro¬
wurde in den siebziger Jahren gelegent¬ mans erfährt der junge Dichter Heinrich
lich von der CDU in der Wahlwerbung von Ofterdingen durch einen fremden
verwendet und bezog sich hier scherz¬ Reisenden von der wunderbaren Blume.
haft auf die umgangssprachliche Be¬ Sein ganzes Verlangen richtet sich von
zeichnung der CDU/CSU-Politiker als diesem Augenblick an darauf, sie zu fin¬
„die Schwarzen“. Als Zitat kann es auch den: „die blaue Blume sehn’ ich mich zu
ganz vordergründig auf die Farbe erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im
Schwarz (zum Beispiel von jemandes Sinn, und ich kann nichts anderes dich¬
Kleidung) bezogen oder entsprechend ten und denken.“ Heinrich Heine
abgewandelt werden. nimmt darauf in seiner Prosaschrift
„Geständnisse“ Bezug: „Die blaue Blu¬
me als das Symbol der romantischen
Black Power Sehnsucht hat Novalis in seinem Ro¬
Dieses Schlagwort des radikaleren Teils man .Heinrich von Ofterdingen' erfun¬
der Bürgerrechtsbewegung in den USA den und gefeiert.“ In Wirklichkeit ist
bedeutet soviel wie „schwarze Macht“. die „blaue Blume“ schon vor der Zeit
Es geht zurück auf den 1954 erschiene¬ der Romantik zu finden. Sie gehört in
nen gleichnamigen Roman des amerika¬ die Volkssage, in der vielfach von einer
nischen Schriftstellers Richard Wright blauen Wunderblume berichtet wird,
(1908-1960) und bezieht sich auf den die einer zufällig findet und die ihm den
Versuch der amerikanischen Schwar¬ Zugang zu verborgenen Schätzen eröff¬
zen, Macht und Einfluß in der politi¬ net. - Wenn man heute von jemandem
schen, sozialen und kulturellen Sphäre sagt, er suche nach der „blauen Blume“,
zu gewinnen und auszuüben. so bringt man damit meist zum Aus-
72
Teil I
Blick
druck, daß man ihn für einen Träumer Verleumdung mit einer Bißwunde ver¬
hält, für jemanden, der sich nicht auf glichen wird, von der immer eine Narbe
dem Boden der Realität bewegt. zurückbleibt.
73
Blick Teil I
Titel „Mit einem gemalten Band“, das blick macht mein Herz erglüh’n!“ -
Goethe 1771 Friederike Brion zugeeig¬ Man kann das Zitat verwenden, um -
net hat. Ein Blick (in einer anderen Fas¬ meist im Scherz - eine Gesellschaft,
sung des Gedichts ein Kuß) ist Lohn ge¬ eine Gruppe von Personen mit einer
nug für ein mit Rosen bemaltes Band, gewissen Grandezza zu begrüßen oder
das der Geliebten zum Geschenk ge¬ sich mit einer Ansprache an sie zu wen¬
macht wird. Mit dem Zitat kann man in den.
scherzhafter Übertreibung ein bewun¬
dertes oder geliebtes Wesen darum bit¬ t Mit Blindheit geschlagen sein
ten, einen wenigstens einmal (oder nach
einem Streit wieder) anzusehen. t Was? Der Blitz! Das ist ja die Gu-
stel aus Blasewitz
T Ich kann den Blick nicht von euch
wenden Blonde Bestie
In seiner Streitschrift „Zur Genealogie
Blick zurück im Zorn der Moral“ (1887) erklärt der deutsche
Im Jahr 1956 erschien das Schauspiel Philosoph Friedrich Nietzsche (1844 bis
Look back in Anger des Engländers John 1900), daß es gerade die Angehörigen
Osborne. Der deutsche Titel lautet der „vornehmen Rasse“ sind, „welche
„Blick zurück im Zorn“. Der große Er¬ durch gegenseitige Bewachung, durch
folg dieses Stücks, das 1959 mit Richard Eifersucht inter pares in Schranken ge¬
Burton verfilmt wurde, war der Figur halten sind“, und daß eben diese das
seines Helden zu verdanken. Dieser war Bedürfnis haben, von Zeit zu Zeit aus
der Prototyp des „zornigen jungen sich herauszugehen, die Enge der Zivili¬
Mannes“, der gegen die bestehende Ge¬ sation zu verlassen. Die Freiheit von al¬
sellschaftsordnung, in der er keinen len sozialen Zwängen genießend, wird
Platz zu finden glaubte, rebellierte. In so der Vertreter der Nietzscheschen
ihm erkannte sich eine ganze Generati¬ Herrenmoral eine „nach Beute und Sieg
on wieder. - Das Zitat nimmt Bezug auf lüstern schweifende blonde Bestie“.
jemandes Zorn über etwas in der Ver¬ Nietzsche stellt im weiteren klar, daß
gangenheit Liegendes, das er noch nicht zwischen „der blonden germanischen
vergessen oder noch nicht verarbeitet Bestie“, die im Europa der Völkerwan¬
hat. - Das formelhaft gewordene „Blick derung und der Wikingerzüge die
zurück ..." ermöglicht auch andere Ver¬ „Kühnheit einer vornehmen Rasse“ ver¬
knüpfungen, zum Beispiel „Blick zu¬ körperte, und den Deutschen „kaum ei¬
rück nach Woodstock“ oder „Blick zu¬ ne Begriffs-, geschweige eine Blutsver¬
rück nach Godesberg“, mit denen man wandtschaft besteht“. Dennoch wurde
auf zurückliegende Ereignisse verweist, gerade das Bild der „blonden Herren¬
die einer Epoche ihren Stempel aufge¬ rasse“ von der nationalsozialistischen
drückt haben. Ideologie begierig übernommen. - Als
„blonde Bestie“ wird heute noch gele¬
Blick’ ich umher in diesem edlen gentlich in emphatischer Ausdruckswei¬
Kreise se ein blonder, durch besondere Grau¬
samkeit oder Wildheit charakterisierter
Das Zitat stammt aus der Oper „Tann¬
Mensch bezeichnet.
häuser“ (1845) von Richard Wagner.
Der Titelheld befindet sich auf der
Wartburg, am Hof des Landgrafen von
Der t große Blonde mit dem
Thüringen, wo ein Sängerwettstreit schwarzen Schuh
stattfinden soll. Als erster Sänger tritt
Wolfram von Eschenbach auf. Er be¬ Blondinen bevorzugt
grüßt die festliche Runde der Zuhörer Dies ist der deutsche Titel einer ameri¬
mit den Worten: „Blick’ ich umher in kanischen Filmkomödie mit Marilyn
diesem edlen Kreise,/welch hoher An¬ Monroe und Jane Rüssel aus dem Jahr
74
Teil I Blut
1953. Der amerikanische Titel lautet: zum Ausdruck gebracht werden, daß für
Gentlemen Prefer Blondes. Die Haupt¬ beide Völker ihre Stammesverwandt¬
darstellerinnen spielen zwei Tingeltan¬ schaft ihren Zusammenhalt bedinge,
gelsängerinnen, von denen die eine eine der durch die geographische Trennung
Vorliebe für Diamanten und die andere durch Nordsee und Ärmelkanal nicht
ein Faible für Männer hat (welche sich beeinträchtigt werden könne. - Die Re¬
angeblich in blonde Frauen besonders densart betont die besondere Bedeutung
leicht verlieben). - Die prägnante For¬ von Blutsverwandtschaft, deren Bin¬
mulierung „... bevorzugt“ findet sich in dungen stärker als alles andere sind.
den verschiedensten Kontexten, vor
allem auch in Inseraten, wo man zum Blut ist ein ganz besondrer Saft
Beispiel „Nichtraucher bevorzugt“ Faust - in Goethes Drama „Faust, der
oder „Wochenendheimfahrer bevor¬ Tragödie erster Teil“ - hat mit Mephi¬
zugt“ lesen kann. sto einen Pakt geschlossen, den dieser
besiegelt haben möchte. Faust soll den
Blühen und grünen Vertrag „mit einem Tröpfchen Blut“ un¬
Die häufig verwendete Zwillingsformel, terzeichnen. In diesem Zusammenhang
mit der man Frühlingswachstum, fri¬ vermerkt Mephisto (2. Studierzimmer¬
sches Grün, Blüten und auch gutes Ge¬ szene): „Blut ist ein ganz besondrer
deihen der Saat assoziiert, findet sich Saft“. Die Unterschrift mit Blut gehört
bereits im Alten Testament. Bei Jesaja zu einem Bündnis mit dem Teufel; in äl¬
heißt es (27,6): „Es wird ... dazu kom¬ terer Mythologie gilt Blut als der Sitz
men, daß Jakob wurzeln und Israel blü¬ der Seele und des Lebens. - Als Zitat
hen und grünen wird, daß sie den Erd¬ dient der Ausspruch zum Beispiel dazu,
boden mit Früchten erfüllen.“ - ln dem die besonderen Bindungen, die durch
1810 entstandenen „Mailied“ von Goe¬ Blutsverwandtschaft gegeben sind, her¬
the erscheint die Formel in den Versen: vorzuheben, die in bestimmten Zusam¬
„Grünt und blühet/Schön der Mai“ in menhängen wirksam werden.
umgekehrter Reihenfolge.
Blut, Schweiß und Tränen
Blühender Unsinn Im Original lautet der Kontext des Zi¬
Dies ist der zum geflügelten Wort ge¬ tats : I would say to the House, as I said to
wordene Titel eines Gedichtes von Jo¬ those who have joined this Government, 7
hann Georg Friedrich Messerschmidt, have nothing to offer but blood, toil, tears
der von 1776 bis 1831 lebte und Lehrer and sweat'. („Ich möchte dem Haus sa¬
an der Fürstenschule Schulpforta war. gen, was ich zu denjenigen sagte, die
Auch in der stabreimenden Abwand¬ sich dieser Regierung angeschlossen ha¬
lung „blühender Blödsinn“ wird der ben: Ich habe nichts anzubieten als
Ausdruck häufig als Steigerung der Blut, Mühe, Tränen und Schweiß.“) Es
Wörter „Unsinn“ bzw. „Blödsinn“ ver¬ stammt aus einer Rede, die Winston
wendet. Churchill als englischer Premiermini¬
ster am 13. Mai 1940 vor dem Unterhaus
Die t blaue Blume gehalten hat. - Zum geflügelten Wort
wurde der Ausspruch in verkürzter
TSag mir, wo die Blumen sind Form. Er wird in Zusammenhängen ge¬
braucht, in denen von einer Aufgabe die
Blut ist dicker als Wasser Rede ist, die einem einzelnen oder einer
Der Ausspruch - eine auch in anderen Gruppe den größten Einsatz abverlangt.
Sprachen zu findende Redensart - wur¬
de durch den deutschen Kaiser Wil¬ Blut und Boden
helm II. (Regierungszeit 1888-1918) be¬ Dieser Ausdruck war einer der Schlüs¬
sonders populär. Der Kaiser bezog sie selbegriffe der nationalsozialistischen
auf das Verhältnis von Deutschen und Ideologie. Er findet sich jedoch schon
Engländern zueinander. Es sollte damit vor der Zeit des Dritten Reichs. So zum
75
Blut Teil I
76
Teil I Botschaft
77
Braten Teil I
Es wird mit t Recht ein guter Bra¬ Schiller. Es wird bereits in der 1. Szene
des 1. Akts von Wilhelm Teil selbst ge¬
ten gerechnet zu den guten Taten
sprochen und bestimmt als eine Art
Grundmotiv das gesamte Schauspiel.
Es ist ein Brauch von alters her:
Der „brave Mann“ ist nach älterem
Wer Sorgen hat, hat auch Likör!
Sprachverständnis ein Mensch, der sich
Die beiden bekannten Verse werden durch Rechtschaffenheit und Mut aus¬
sehr häufig zusammen, aber auch ein¬ zeichnet. Ein solcher Mensch ist auch
zeln zitiert. Es sind die Eingangsverse fähig, seine eigene Person, seine Interes¬
zum vorletzten Kapitel („Versuchung sen in selbstloser Weise zurückzustellen,
mit Ende“) der Bildergeschichte „Die sich opferbereit für andere einzusetzen.
fromme Helene“ von Wilhelm Busch Dieses Schillerzitat wird, auch wenn es
(1832-1908), in dem von dem schlim¬ Generationen von Schülern als Aufsatz¬
men Ende berichtet wird, das Helene thema gestellt worden ist, heute nur sel¬
genommen hat. Wenn der zweite Vers ten noch in seinem eigentlichen Sinn zi¬
allein oder auch zusammen mit dem er¬ tiert. Sehr viel häufiger ist der scherz¬
sten zitiert wird, so wird damit in scherz¬ hafte oder auch respektlos ironische
hafter Weise stets auf Alkoholkonsum Gebrauch, der bis zur unverhohlenen
in irgendeiner Form angespielt. Der er¬ Abwandlung zu „Der brave Mann denkt
ste Vers dagegen kann ganz unabhängig an sich selbst zuerst“ geht.
von diesem Thema bei allen möglichen
Gelegenheiten angeführt werden, wenn
Ein braves Pferd stirbt in den Sie¬
beispielsweise von einer alten Sitte die
len
Rede ist, die weitergeführt werden soll,
oder auch von einem alten Recht, das t In den Sielen sterben
man beibehalten sehen möchte.
Brechen Sie dies rätselhafte
Es braust ein Ruf wie Donnerhall Schweigen
In der nachnapoleonischen Zeit ent¬ Dieses Zitat, mit dem man jemanden in
standen nach der preußischen Niederla¬ scherzhafter Weise auffordern kann,
ge in Deutschland eine Reihe patrioti¬ endlich von etwas zu berichten, etwas
scher Lieder. Aus Max Schneckenbur¬ mitzuteilen, was man dringendst zu er¬
gers (1819-1849) „Die Wacht am fahren wünscht, stammt aus Schillers
Rhein“ wurde nicht nur die hier ge¬ „Don Kariös“ (1,1). Es gehört zu den
nannte erste Zeile allgemein bekannt; Anfangsworten des Dramas, die von Pa¬
siehe auch die Artikel „Lieb Vaterland, ter Domingo, dem Beichtvater Phil¬
magst ruhig sein“ und „Die Wacht am ipps II., gesprochen werden. Sie sind als
Rhein“. In der Vertonung von Carl eindringliche Mahnung an Don Kariös,
Wilhelm (1854) wuchs die Popularität den Sohn Philipps II., gerichtet, sich sei¬
des Liedes, das man besonders in den nem Vater anzuvertrauen.
Jahren 1870/71 als antifranzösisches
Kampflied auffaßte und einsetzte. - Die Bretter, die die Welt bedeuten
Heute verwendet man das Zitat nur
Diese Umschreibung für „Theaterbüh¬
noch scherzhaft, etwa in einem Kontext
ne“ geht auf Schillers Gedicht „An die
wie: „Es braust ein Ruf wie Donner¬
Freunde“ (1803) zurück. Dort heißt es
hall - das kalte Büfett ist eröffnet!“
in der letzten Strophe: „Sehn wir doch
das Große aller Zeiten/Auf den Bret¬
Die t gute Ehe ist ein ew’ger Braut¬
tern, die die Welt bedeuten,/Sinnvoll
stand still an uns vorübergehn.“ Das Gedicht
setzt gegen die große geschichtliche Ver¬
Der brave Mann denkt an sich gangenheit, gegen die Vorzüge anderer
selbst zuletzt Landschaften und Orte das Recht des
Das Wort vom „braven Mann“ stammt Gegenwärtigen, das Hier und Jetzt, das
aus dem Schauspiel „Wilhelm Teil“ von durch Menschlichkeit, Lebendigkeit
78
Teil 1 Brüder
und Phantasie gegenüber dem histo¬ „Der Bauer und sein Sohn“ versucht ein
risch Vergänglichen und dem fernen Vater, seinem Jungen das Lügen und
Weltgeschehen seine eigene Qualität ge¬ Aufschneiden auszutreiben, indem er
winnt. ihn mit einer Geschichte von einem
Stein auf einer bestimmten Brücke er¬
Brosamen, die von des Reichen schreckt. An diesem Stein soll jeder, der
Tisch fallen die Brücke überquert und an diesem Ta¬
Von jemandem, der in Armut lebt und ge schon gelogen hat, zu Fall kommen
der daher von anderen abhängig ist, und sich ein Bein brechen. Es wird nun
kann man sagen, er sei auf die Brosa¬ erzählt, wie sich Vater und Sohn bei ei¬
men angewiesen oder esse von den Bro¬ nem Spaziergang dieser Brücke nähern,
samen, die von des Reichen oder von und an dieser Stelle des Gedichts steht
des Herrn Tisch fallen. Diese Aus¬ der warnende Ausruf „Die Brücke
drucksweise geht zurück auf zwei Bibel¬ kömmt. Fritz, Fritz! wie wird dir’s
stellen. Bei Matthäus (15,27) heißt es: gehn!“ Der Knabe, der behauptet hatte,
„... aber doch essen die Hündlein von er habe einen Hund von der Größe ei¬
den Brosamen, die von ihrer Herren nes Pferdes gesehen, gesteht schließlich
Tisch fallen.“ Bei Lukas (16,21) wird seine Aufschneiderei ein. - Auf diese
vom armen Lazarus berichtet, daß er Fabel geht auch die heute noch geläufi¬
„begehrte sich zu sättigen von den Bro¬ ge Redewendung „über diese Brücke
samen, die von des Reichen Tische möchte ich nicht gehen“ im Sinne von
fielen“. „das erscheint mir wenig glaubhaft“ zu¬
rück.
Das Brot der frühen Jahre
Bruder Lustig
Dieser Titel einer 1955 erschienenen Er¬
Die scherzhafte, heute etwas antiquiert
zählung von Heinrich Böll (1917-1985)
wirkende Bezeichnung „Bruder Lustig“
wird zitiert, wenn die noch nicht allzu
für einen lebenslustigen, etwas leicht¬
günstigen Lebensumstände und Schwie¬
sinnigen und sorglosen Menschen geht
rigkeiten eines Menschen in jungen Jah¬
auf ein Märchen der Brüder Grimm zu¬
ren umschrieben werden sollen. In der
rück, dessen Titelheld diesen Namen
Erzählung selbst (die 1962 unter dem
trägt. Es handelt sich dabei um einen
gleichen Titel auch verfilmt wurde) ist
Soldaten, der sich nach seiner Entlas¬
dem Helden, der seine Jugend mit Hun¬
sung aus dem Kriegsdienst mit großer
ger und Entbehrung in der Nachkriegs¬
Unbekümmertheit und einer gewissen
zeit verlebte, das Brot zum Symbol ge¬
Pfiffigkeit durchs Leben schlägt, am En¬
worden; er beurteilt seine Mitmenschen
de mit einer List sogar den „heiligen Pe¬
danach, ob sie fähig sind, ihr Brot mit
trus“ hereinlegt und sich so Einlaß in
anderen zu teilen.
den Himmel verschafft.
T Wenn sie kein Brot haben, sollen t Und willst du nicht mein Bruder
sie doch Kuchen essen sein, so schlag’ ich dir den Schädel
ein
t Wer nie sein Brot mit Tränen aß
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!
Brot und Spiele
Mit den Zeilen „Brüder, zur Sonne, zur
t Panem et circenses Freiheit, Brüder zum Lichte em-
por!/Hell aus dem dunklen Vergang¬
Die Brücke kömmt. Fritz, Fritz! nen leuchtet die Zukunft hervor“ be¬
Der heute sicherlich nicht mehr allzu ginnt das Lied der internationalen Ge¬
häufig gebrauchte scherzhafte Warnruf werkschaftsbewegung. Zu einer Melo¬
stammt aus einem Gedicht des Dichters die aus dem 19. Jahrhundert schrieb
Christian Fürchtegott Geliert (1715 bis Leonid P. Radin 1896 den russischen
1769). In der moralisierenden Fabel Text; die deutsche Fassung stammt von
79
Brüderlein Teil I
Hermann Scherchen. Man zitiert den T Als Büblein klein an der Mutter¬
Beginn der ersten Zeile häufig im Zu¬ brust
sammenhang mit Berichten über Ge¬
werkschaften und deren Aktionen, oft
aber auch unabhängig davon als scherz¬ Buch des Lebens
hafte Aufforderung, bei sonnigem Wet¬ Das Bild vom „Buch des Lebens“ eines
ter nach draußen zu gehen oder zum Ur¬ Menschen als dessen Schicksalsbuch,
laub in den sonnigen Süden aufzubre¬ als Zusammenfassung gewissermaßen
chen. seines Lebens und Wirkens, geht auf die
Bibel zurück. In das bereits im Alten Te¬
Brüderlein fein, Brüderlein fein stament (2. Moses 32, 32) erwähnte
Als eine Art scherzhafte Beschwichti¬ Buch werden nach jüdischer Überliefe¬
gungsformel haben sich die Zeilen rung die Gerechten von Gott eingetra¬
„Brüderlein fein, Brüderlein fein,/Mußt gen, während die Sünder daraus getilgt
mir ja nicht böse sein!“ erhalten. Sie werden. Das Buch wird mehrfach in der
entstammen dem „Lied der Jugend“ aus Bibel genannt, so im Psalm 69, 29, wo
der Bühnendichtung „Das Mädchen vom „Buch der Lebendigen“ die Rede
aus der Feenwelt oder Der Bauer als ist, im Brief des Paulus an die Philipper
Millionär“, einem „Romantischen Ori¬ 4,3 und an verschiedenen anderen Stel¬
ginal-Zaubermärchen mit Gesang“ des len. Besonders bekannt geworden ist es
österreichischen Dramatikers Ferdi¬ aber durch die häufige Erwähnung in
nand Raimund (1790-1836), Musik von der Offenbarung des Johannes, wo es zu
Joseph Drechsler (1782-1852). Beginn des 5. Kapitels als „ein Buch ...
versiegelt mit sieben Siegeln“ bezeich¬
net wird (vergleiche auch den Artikel
tSoll ich meines Bruders Hüter
„Ein Buch mit sieben Siegeln“).
sein?
80
Teil I Butzenscheibenlyrik
Zeiten der Vergangenheit/Sind uns ein Der Bürokrat tut seine Pflicht von
Buch mit sieben Siegeln
neun bis eins! Mehr tut er nicht!
Das Zitat stammt aus dem 2. Akt der
Bücher haben ihre Schicksale Operette „Der Obersteiger“ von Carl
t Habent sua fata libelli Zeller (1842-1898) mit dem Text von
Moritz West und Ludwig Held. Es bil¬
Des t vielen Büchermachens ist det den Refrain eines Couplets des
kein Ende Bergdirektors Zwack und beschreibt das
Ideal des kaiserlich-österreichischen
Beamten, der in bestimmten Positionen
Die Büchse der Pandora
nur vormittags Dienst hatte. Heute gibt
Der aus der griechischen Mythologie das meist scherzhaft gebrauchte Zitat
stammende Ausdruck wird in der Be¬ dem verbreiteten Vorurteil vom Beam¬
deutung „etwas Unheilbringendes“ ge¬ ten Ausdruck, der ohnehin nur wenig
braucht. Nach dem griechischen Dich¬ arbeitet und außerdem noch auf die ge¬
ter Hesiod (um 700 v. Chr.) war Pandora naue Einhaltung seiner Dienstzeit
eine von Hephaistos aus Erde geformte, pocht.
von den Göttern mit allen Vorzügen
ausgestattete Frau, die Zeus mit einem
Tonkrug, der alle Übel enthielt, auf die
TO alte Burschenherrlichkeit!
Erde sandte, um die Menschen für den
Raub des Feuers durch Prometheus zu Business as usual
strafen.
Dieser englische Ausdruck wurde durch
Winston Churchill populär, der in einer
t Denn der Buchstabe tötet, aber Rede anläßlich eines Banketts in der
der Geist macht lebendig Londoner „Guildhall“ am 9. November
1914 sagte: The maxim of the British
t Und noch zehn Minuten bis Buf¬ people is ,Business as usuaT („Die Maxi¬
me des britischen Volkes ist ,Die Ge¬
falo
schäfte gehen ihren normalen Gang' “).
Der damalige Marineminister Churchill
Die t ganze Welt ist Bühne bezog sich damit auf die Ereignisse des
Ersten Weltkriegs und deren Einfluß
Der bunte Rock auf das britische Wirtschafts- und Ge¬
Der veraltete Ausdruck für „Soldaten¬ schäftsleben. Man verwendet den Aus¬
rock, Uniformrock“ ist biblischen Ur¬ druck heute ganz allgemein zur Charak¬
sprungs. Im 1. Buch Moses 37,3 heißt es terisierung einer Lage, in der entweder
von Joseph, daß sein Vater ihm als dem nichts Besonderes zu vermelden ist,
Lieblingssohn einen bunten Rock oder in der irgendwelche Geschehnisse
machte. Entsprechend ausgezeichnet ohne Auswirkung auf den üblichen Ver¬
und herausgehoben waren die Soldaten lauf der Dinge geblieben sind.
durch ihren bunten, erst in späterer Zeit
feldgrauen Uniformrock. In diesen Butzenscheibenlyrik
sprachlichen Zusammenhang gehört die
Die abwertende Bezeichnung wurde
ebenfalls veraltete Redewendung „den
von Paul Heyse (1830-1914) in einer
bunten Rock anziehen bzw. ausziehen“
Versepistel vom 7. April 1884 an Ema-
im Sinne von „zum Militärdienst gehen
nuel Geibel geprägt. Sie bezog sich auf
bzw. vom Militärdienst zurückkom¬
episch-lyrische Dichtungen in der
men“.
Nachfolge Viktor von Scheffels, deren
Thema eine verklärte mittelalterliche
tln bunten Bildern wenig Klarheit Welt der Kaiserherrlichkeit, des Ritter¬
wesens, des Minnesangs, der Wein- und
t Dastehen wie Buridans Esel Burgenromantik und des freien Vagan-
81
Capuo Teil I
tentums ist. Solche Lyrik hat sich bis Frankreich. Dort hatte Frampois Gayot
heute vor allem in den studentischen de Pitaval 1734 damit begonnen, seine
Kommersbüchern erhalten. Causes celebres et interessantes avec les
jugements qui les ont decidees („Berühm¬
te und interessante Rechtsfälle mit den
entsprechenden Urteilen“) zu veröffent¬
lichen. Daher rührt der noch heute bil¬
dungssprachlich für einen berühmten
Cave canem!
Capua der Geister Dieser lateinische Spruch wird heute in
So nennt Franz Grillparzer (1791-1872) zwei Bedeutungen verwendet: „Vor¬
in seinem Gedicht „Abschied von sicht, der Hund ist bissig!“ und ganz all¬
Wien“ die „stolze Kaiserstadt“. Das üp¬ gemein „Nimm dich in acht! Sieh dich
pige Wohlleben im reichen antiken vor!“ In alten römischen Villen findet er
Capua nahm Hannibals Kriegern die sich (mit der ersten Bedeutung) als In¬
Lust zum Kämpfen. In ähnlicher Weise schrift auf Tür oder Schwelle. Eine ent¬
läßt das Wien von 1843 die künstleri¬ sprechende Schilderung gibt der römi¬
schen Kräfte des Dichters erschlaffen, sche Schriftsteller Petronius Arbiter (ge¬
der nur noch mit der passiven Aufnah¬ storben 66 n. Chr.) im „Gastmahl des
me des Schönen um ihn herum beschäf¬ Trimalchio“, einer Einlage seines Ro¬
tigt ist: „Schön bist du, doch gefährlich mans „Satyricon“.
auch/Dem Schüler wie dem Mei-
ster,/Entnervend weht dein Sommer¬ Ceterum censeo
hauch,/Du Capua der Geister!“ Das Zitat wird als Ausdruck einer hart¬
näckig wiederholten Forderung, einer
Carpe diem! festen Überzeugung gebraucht. Mit dem
Diese Lebensregel findet sich in den Satz Ceterum censeo Carthaginem esse
„Oden“ (1,11,8) des römischen Dichters delendam - „Im übrigen bin ich der
Horaz (65-8 v.Chr.), wo es heißt: Carpe Meinung, daß Karthago zerstört werden
diem quam minimum credula postero muß“ - soll der römische Staatsmann
(„Greif diesen Tag, nimmer traue dem und Schriftsteller Cato der Ältere
nächsten“). Sie läßt sich auch mit „Nut¬ (234-149 v.Chr.) jede seiner Reden im
ze den Tag!“ oder „Genieße den Augen¬ römischen Senat abgeschlossen haben.
blick!“ wiedergeben und wird dement¬ Cato sah in Karthago einen gefährli¬
sprechend entweder als Aufforderung chen Handelskonkurrenten der Römer,
zitiert, seine Zeit nicht mit nutzlosen den es seiner Meinung nach unbedingt
Dingen zu vertun, oder als Rechtferti¬ auszuschalten galt.
gung für eine auf Genuß und diesseitige
Lebensfreude ausgerichtete Einstellung, Chacun ä son goüt
die wenig Sinn im ängstlich-vorsorgen- Die Redensart mit der Bedeutung, jeder
den Sparen und Planen für die Zukunft nach seinem Geschmack; jeder, wie’s
sieht. beliebt“ wurde vor allem durch das
Couplet des Prinzen Orlowsky aus der
Cause celebre Operette „Die Fledermaus“ (II) von Jo¬
Die in Deutschland von 1842 an erschie¬ hann Strauß (1825-1899) bekannt. Der
nene Sammlung von Kriminalfällen, die von C. Haffner und R. Genee verfaßte
unter dem Titel „Der neue Pitaval“ von Text stützt sich auf das Vaudevillestück
Julius Eduard Hitzig und Willibald Ale¬ „Reveillon“ von Henri Meilhac und Lu-
xis herausgegeben wurde, hatte als Vor¬ dovic Halevy. Der Refrain des Couplets
bild eine entsprechende Publikation aus lautet: „’s ist mal bei mir so Sitte,/Cha-
82
Teil I
cogito
83
coincidentia Teil I
nis: ich denke, also bin ich, ist von allen tragener Bedeutung gebraucht. Der la¬
die erste und zuverlässigste“). Bereits teinische Ausdruck geht auf den römi¬
1637 hatte er diesen Satz in seinem an¬ schen Rechtswissenschaftler Prosper
onym erschienenen „Discours de la Farinacius (1544-1613) zurück, der in
methode“ kurz und prägnant franzö¬ seinen „Variae Quaestiones“ damit den
sisch formuliert: Je pense, donc je suis. Gesamttatbestand eines Vergehens be-
Populär wurde die lateinische verkürzte zeichnete.
Form Cogito, ergo sum und die Überset¬
zung „Ich denke, also bin ich.“ Beson¬ Corriger la fortune
ders die Jugend- und Spontisprache hat Die Redensart wurde besonders durch
zahlreiche scherzhafte Abwandlungen die Figur des Riccaut de la Marliniere
des Zitats hervorgebracht, etwa „Ich aus Gotthold Ephraim Lessings
denke, also bin ich hier falsch.“ Auch (1729-1781) Komödie „Minna von
die lateinische Form wird gelegentlich Barnhelm“ (IV, 2) bekannt. Der prahle¬
unter Anlehnung an „Koitus“ scherz¬ rische französische Leutnant mokiert
haft entstellt zu „Coito, ergo sum“. Wei¬ sich über das plumpe deutsche Wort
tere Varianten finden sich in Sätzen wie „betrügen“; für seine nicht ganz ehrli¬
„Ich schreibe, also bin ich“ oder gar che Art des Kartenspiels erscheint ihm
„Ich jogge, also bin ich“, mit denen man der französische Ausdruck (deutsch et¬
zum Ausdruck bringt, daß eine be¬ wa „dem Glück nachhelfen“) als sehr
stimmte Tätigkeit entweder im Zentrum viel angemessener. Dieser findet sich
des eigenen Lebens steht oder so etwas
schon bei dem französischen Schriftstel¬
wie den eigenen gesellschaftlichen
ler Nicolas Boileau-Despreaux (1636
„Stellenwert“ bestimmt. bis 1711) in seinen „Satiren“ (Nr. 5), wo
von einem verarmten Adligen, der die
Coincidentia oppositorum
Bilder seiner Ahnen verkaufen will, ge¬
Der philosophische Fachausdruck (auf sagt wird: Et corrigeant ainsi la fortune
deutsch „Zusammenfall der Gegensät¬ ennemie/Retablit son honneur d force
ze“) ist ein zentraler Begriff im Denken d’infamie („Und indem er so das widri¬
des Kirchenrechtlers und Philosophen ge Schicksal korrigierte, stellte er seine
Nikolaus von Kues (1401-1464). Am Ehre durch Gemeinheit wieder her“). -
Beispiel der Kreislinie, die bei einem Heute verwenden wir die Redensart,
unendlich großen Radius des Kreises wie sie bei Lessing gebraucht wird, als
mit ihrem „Gegensatz“, der Geraden, beschönigende Umschreibung für
zusammenfällt, verdeutlicht der huma¬ „falsch spielen, betrügen“.
nistische Gelehrte seine Vorstellung von
Gott als einem allumfassenden Wesen,
Cosi fan tutte
in das alle, auch die gegensätzlichsten
Dinge eingebettet sind. - Der Ausdruck Der als Anspielung auf weibliche Un¬
treue gemeinte italienische Satz stammt
wird bildungssprachlich gelegentlich zi¬
tiert, wenn man sich auf das gleichzeiti¬ aus der 1790 uraufgeführten gleichna¬
ge Auftreten zweier einander eigentlich migen komischen Oper von Wolfgang
ausschließender Ereignisse bezieht Amadeus Mozart mit dem Text von Lo-
oder - vordergründiger - wenn zwei renzo da Ponte. Im 2. Akt verwünschen
sehr gegensätzliche Meinungen, Stand¬ die beiden Offiziere Fernando und Gu-
punkte, Charaktere aufeinandertreffen. glielmo ihre ungetreuen Bräute, worauf
der Marchese Don Alfonso ihnen aus
Corpus delicti männlicher Sicht nur bestätigen kann:
Cosi fan tutte - „So machen’s alle.“
In der juristischen Fachsprache versteht
man unter „Corpus delicti“ den Gegen¬
stand, mit dem eine Straftat begangen Courage ist gut, aber Ausdauer ist
worden ist und der dem Gericht als Be¬ besser
weisstück dient. In der Allgemeinspra¬ Diese sentenzhafte Ansicht äußert im 4.
che wird „Corpus delicti“ auch in über¬ Kapitel von Theodor Fontanes (1819 bis
84
Teil I
cum
1898) Roman „Der Stechlin“ die Haupt¬ sei, wobei der Glaube aber der Aus¬
figur Dubslav von Stechlin gegenüber gangspunkt der Erkenntnis bleibt. Der
Czako, dem Regimentskameraden sei¬ Ausdruck ist außerhalb der theologisch¬
nes Sohnes. Er bezieht sich damit auf philosophischen Fachsprache kaum ge¬
die große Zeit der Heiligen Allianz von bräuchlich. Denkbar wäre er als Kom¬
1813: „Große Zeit ist es immer nur, mentar zu einer eher unglaubwürdigen
wenn’s beinah schiefgeht, wenn man je¬ Darstellung, die man aber dennoch zu¬
den Augenblick fürchten muß: >Jetzt ist nächst einmal als wahr ansieht, weil sie
alles vorbei.< Da zeigt sich’s. Courage ist hilft, eine damit zusammenhängende
gut, aber Ausdauer ist besser. Ausdauer, Handlungsweise oder ein entsprechen¬
das ist die Hauptsache.“ Mit dem Zitat des Ereignis zu verstehen.
bekräftigt man seine Absicht, ein Ziel
durch Geduld und zähes Beharren zu Creme de la creme
erreichen und auf riskante Aktionen zu
Der häufig ironisch gebrauchte franzö-
verzichten.
sisierende Ausdruck findet sich zum er¬
sten Mal in der Nummer 1 (S.338) der
Credo, quia absurdum
Leipziger kulturpolitischen Zeitschrift
Dieser Satz - „Ich glaube, weil es der „Die Grenzboten“ von 1842. Er wird
Vernunft zuwiderläuft“ - geht mögli¬ auch heute noch im Sinne von „die vor¬
cherweise auf den lateinischen Kirchen¬ nehmsten, bedeutendsten Vertreter (be¬
schriftsteller Tertullian (160-nach 220) sonders der gesellschaftlichen Ober¬
zurück. In seiner Schrift „De carne schicht)“ gebraucht.
Christi“ heißt es: Et mortuus est Dei Fili¬
us; prorsus credibile, quia ineptum est - Cui bono
„Daß Gottes Sohn gestorben ist, ist ge¬
Diese Kernfrage der Kriminalistik nach
radezu eine Sache für den Glauben, weil
dem Tatmotiv bei der Aufklärung eines
es ungereimt ist (und sich nicht begrei¬
Verbrechens - auf deutsch „Wem nützt
fen läßt).“ Außerhalb des theologisch¬
es, wer hat einen Vorteil davon?“ - ist
philosophischen Bereichs wird der Aus¬
ein Zitat, das Marcus Tullius Cicero
druck wohl nur selten verwendet; er wä¬
(106-43 v. Chr.) in seinen Reden „Pro
re zum Beispiel als Kommentar zu einer
Milone“ und „Pro Roscio Amerino“ als
Geschichte denkbar, die zu unwahr¬
einen Ausspruch von Lucius Cassius
scheinlich klingt, als daß sie sich je¬
Longinus Ravilla (Konsul 127 v. Chr.)
mand ausgedacht haben könnte.
anführt.
Credo, ut intellegam
Cuius regio, eius religio
Dieser Satz - „Ich glaube, damit ich er¬
kenne“ - stammt von dem Philosophen Das auch im etwas erweiterten Sinne
und Theologen Anselm von Canterbury von „Wer die Macht ausübt, bestimmt
(1033-1109), der sich damit auf den in seinem Bereich die Weltanschauung“
Propheten Jesaja im Alten Testament anwendbare Zitat bedeutete eigentlich
(7,9 in der Septuagintaübersetzung: „Wes das Land, des der Glaube“. Es
„Glaubt ihr nicht, so werdet ihr nicht war ein wichtiger Grundsatz des Augs¬
verstehen“) und den Kirchenvater Au¬ burger Religionsfriedens von 1555, nach
dem der Landesfürst die Konfession der
gustinus (354-430) bezieht. Augustinus
Untertanen bestimmte. Geprägt wurde
formulierte im „Tractatus in Sanctum
diese Formel von dem Greifswalder Ka-
Joannem“: Credimus ut cognoscamus,
nonisten J. Stephani (1544-1623).
non cognoscimus ut credamus - „Wir
glauben, damit wir erkennen; wir erken¬
nen nicht, damit wir glauben.“ Anselm Cum grano salis
von Canterbury vertrat die Ansicht, daß Dieser lateinische Ausdruck geht auf ei¬
auch der Glaube mit philosophischen ne Stelle in der „Naturalis historia“
Mitteln, mit der Sprache der philosophi¬ (= „Naturgeschichte“) von Plinius d.Ä.
schen Argumentation zu interpretieren (23-79 n.Chr.) zurück, wo er schreibt,
85
cum Teil I
daß die Wirkung eines bestimmten Ge¬ Da geht er hin und singt nicht
gengiftes nur durch die Beigabe von mehr!
einem Körnchen Salz gewährleistet sei.
Das Zitat stammt aus der 1866 veröf¬
Im heutigen Sprachgebrauch hat das Zi¬
fentlichten 2. Auflage des Liederspiels
tat die Bedeutung von „mit Einschrän¬
„Die Kunst, geliebt zu werden“ von
kungen, nicht ganz wörtlich zu neh¬
Ferdinand Gumbert (1818-1896). Es
men“.
wird als scherzhafter Kommentar ge¬
braucht, wenn jemand nach einem Mi߬
Cum tacent, clamant erfolg enttäuscht und niedergeschlagen
In seiner ersten Rede „In L. Catilinam“ fortgeht.
(= „Gegen Catilina“) fordert Marcus
Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) den Po¬ Da hört sich doch alles auf!
litiker Catilina auf, Rom zu verlassen,
Die auch ohne „sich“ gebräuchliche
da Catilina erneut eine Verschwörung
umgangssprachliche Redewendung mit
geplant hatte. Dabei ist Cicero sich,
der Bedeutung „Nun ist es aber genug,
trotz ihres Schweigens, der Zustimmung
das ist ja unerhört!“ könnte durch Louis
der Senatoren sicher, denn: „Cum ta¬
Angelys (1787-1835) Posse „Die Reise
cent, clamant“ („Indem sie schweigen,
auf gemeinschaftliche Kosten“ populär
rufen sie laut“). Das Zitat wird bil¬
geworden sein. Dort heißt es im zweiten
dungssprachlich gelegentlich im Sinne
Akt in der ersten Szene: „Da hört allens
von „es herrscht stillschweigendes Ein¬
auf.“ Heute ist auch die Abwandlung
verständnis“ verwendet, wenn eine Zu¬
„Da hört sich doch verschiedenes auf!“
stimmung nicht ausdrücklich gegeben
geläufig.
wird, aber wohl vorausgesetzt werden
kann. (Siehe auch „Quousque tan-
dem?“) Da ist in meinem Herzen die Liebe
aufgegangen
Das Zitat stammt aus Heinrich Heines
(1797-1857) Anfangsgedicht des „Lyri¬
schen Intermezzos“, des zweiten Zyklus
aus dem „Buch der Lieder“: „Im wun¬
derschönen Monat Mai,/Als alle Knos¬
86
Teil I da
Kunde“. Mit den „andern“ sind fünfzig des Volkes seinen Lohn von dreißig Sil¬
türkische Reiter gemeint, die die Flucht berlingen zurück. Sie weisen ihn aber
ergreifen, nachdem einer der Ihren von ab: „Was geht uns das an? Da siehe du
einem Schwaben aus Kaiser Barbaros¬ zu!" Die Aufforderung wird auch heute
sas Kreuzzug förmlich gespalten wor¬ in Situationen gebraucht, in denen man
den ist: „Zur Rechten sieht man wie zur ausdrücken will, daß man einem ande¬
Linken/Einen halben Türken herunter¬ ren in dessen schwieriger Lage nicht
sinken.“ Die Ausdrucksweise „jeman¬ helfen kann oder will.
den packt das kalte Grausen“ könnte
durch dieses Zitat allgemein geläufig ge¬ Da sitzt er nu mit das Talent
worden sein.
Das berlinisch-umgangssprachliche Zi¬
tat stammt aus der Posse „Berlin bei
Da rast der See und will sein Opfer Nacht“ von David Kalisch (1820 bis
haben 1872). Üblich sind Abwandlungen wie
z. B. „Da stehen bzw. sitzen wir nun mit
Das Zitat stammt aus Schillers „Wil¬
unserem Talent“ in der Bedeutung
helm Teil“ (1,1), wo der Fischer Ruodi
„Hier kommen wir mit unserem Wissen
sich weigert, wegen des stürmischen
nicht weiter; jetzt wissen wir nicht, was
Wetters am 28. Oktober als Fährmann
wir machen sollen, obwohl wir es doch
den verfolgten Baumgarten ans andere
eigentlich wissen müßten.“
Ufer zu bringen: „Es kann nicht sein; ’s
ist heut Simon und Judä,/Da rast der
See und will sein Opfer haben.“ Man Da speit das doppelt geöffnete
zitiert diese Zeile heute wohl nur selten, Haus zwei Leoparden auf einmal
etwa beim Anblick eines sturmge¬ aus
peitschten Gewässers. Das Zitat findet sich in Schillers Ballade
„Der Handschuh“, erschienen 1797 im
Da schweigt des Sängers Höflich¬ „Musenalmanach für das Jahr 1798“,
keit und berichtet vom Einlaß der Leopar¬
den zum Kampfspiel mit Tiger und Lö¬
Für diese Redensart gibt es verschiede¬
we. In ironisch übertreibender Aus¬
ne Quellen. Man findet sie in der Form
drucksweise lassen sich die Verse auf
„Das verschweigt des Sängers Höflich¬
zwei zugleich auftretende bedrohliche
keit“ als Kehrreim eines um 1800 in Ber¬
menschliche Gestalten beziehen.
lin erschienenen Liedes eines unbe¬
kannten Verfassers. Einen ähnlichen
Wortlaut hat ein 1812 entstandenes Ge¬ Da steh’ ich, ein entlaubter Stamm!
dicht von August Friedrich Langbein Diese Worte stammen aus Wallensteins
mit dem Titel „Die Weissagung“. Es be¬ Monolog in Schillers Tragödie „Wallen¬
ginnt mit den Zeilen „In einem Städt- steins Tod“ (III, 13). Der Titelheld stellt
lein, dessen Namen/des Dichters Höf¬ damit fest, daß er von fast allen verlas¬
lichkeit verschweigt.“ - Man verwendet sen und nur noch auf sich selbst gestellt
die Redensart, um auszudrücken, daß ist. Der Ausspruch läßt sich in entspre¬
man sich über eine bestimmte heikle Sa¬ chender Situation auf die eigene oder
che nicht äußern möchte. Sie kann je¬ eine andere Person beziehen.
doch auch der leicht vorwurfsvolle
Kommentar zu jemandes Schweigen auf Da steh’ ich nun, ich armer Tor!
eine bestimmte Frage sein. Und bin so klug als wie zuvor
Am Anfang von Goethes Faust I spricht
Da siehe du zu! Faust in der Szene „Nacht“ diese Worte
Das Bibelzitat steht im Evangelium des nach dem Hinweis auf alle seine bisheri¬
Matthäus (27,5). Der Jünger Judas, der gen, von ihm offensichtlich als nutzlos
Jesus verraten hat, bereut seine Tat und angesehenen Studien. Der heutige Ge¬
bringt den Hohepriestern und Ältesten brauch hat eher scherzhaften Charakter
87
da Teil I
und bezieht sich auf alltägliche Situatio¬ heit!’ hört man schallen;/Der ruh’ge
nen, in denen man immer noch nicht Bürger greift zur Wehr,/Die Straßen fül¬
weiß, wie man etwas zu verstehen hat len sich, die Hallen,/Und Würgerban¬
oder wie man sich verhalten soll. den ziehn umher.“ Die entfesselten
Volksmassen wüten in den Straßen. In
Da streiten sich die Leut’ herum oft diesen Zusammenhang gehören die Zei¬
um den Wert des Glücks len: „Da werden Weiber zu Hyänen/
Und treiben mit Entsetzen Scherz“. -
Das Zitat stammt aus Ferdinand Rai¬
Das Zitat wird heute oft in abschätzi¬
munds (1790-1836) „Original-Zauber¬
gem Sinn von Männern auf Frauen be¬
märchen“ „Der Verschwender“. Das
zogen, die sich sehr ungestüm für etwas
berühmte „Hobellied“ des Tischlers Va¬
einsetzen oder auf etwas reagieren.
lentin beginnt mit diesen Zeilen; das
Lied handelt von der Veränderlichkeit
des Glücks und von der Zufriedenheit Da, wo du nicht bist, blüht das
dessen, der sich einen - wenn auch be¬
Glück!
scheidenen - Wohlstand selbst erarbei¬
Von Georg Philipp Schmidt von Lübeck
tet hat.
(1766-1849) stammt das Lied „Des
Fremdlings Abendlied“. Der Wanderer
Da unten aber ist’s fürchterlich
in diesem Lied ist auf der vergeblichen
Das Zitat stammt aus Schillers Ballade Suche nach dem Glück. „Ich wandle
„Der Taucher“, erschienen 1797 im
still, bin wenig froh,/Und immer fragt
„Musenalmanach für das Jahr 1798“.
der Seufzer: wo?/Immer wo?“ Am Ende
Der Taucher spricht die Worte, nach¬ steht die resignative Einsicht: „Da, wo
dem er zum erstenmal erfolgreich in die
du nicht bist, blüht das Glück!“ Das
Tiefe des Meeres nach dem Becher des
Lied wurde von Carl Friedrich Zelter
Königs getaucht ist. Man gebraucht das
(1758-1832) und von Franz Schubert
Zitat meist scherzhaft, wenn man zum
(1797-1828) vertont. Schubert hat ihm
Beispiel seinen Abscheu vor einem
den Titel „Der Wanderer“ gegeben und
dunklen, unheimlichen Keller oder ei¬
den Text an mehreren Stellen verändert;
ner tief in die Erde führenden, stickigen
die zitierte Zeile lautet hier: „Dort, wo
Höhle ausdrücken will.
du nicht bist, dort ist das Glück!“
88
Teil 1
Danaergeschenk
man gern mit einem geliebten Men¬ gott Geliert (1715- 1769) gab dieser Ge¬
schen sein möchte. schichte die Form einer Fabel. Hierin
heißt es zu Beginn: „Glaubt nicht, daß
tSein Damaskus erleben bei dem größten Glücke/Ein Wütrich je¬
mals glücklich ist;/Er zittert in dem Au-
Die Dame ist nicht fürs Feuer genblicke,/Da er der Hoheit Frucht ge-
Dies ist der deutsche Titel der engli¬ nießt./Bei aller Herrlichkeit stört ihn
schen Verskomödie The Lady’s not for des Todes Schrecken,/Und läßt ihn
Burning (1948) von Christopher Fry nichts als teures Elend schmecken.“
(geh. 1907). Das Stück spielt um das
Jahr 1400 und erzählt von einer jungen
Frau, die als Hexe verbrannt werden Dämon, den Dolch im Gewände
soll. - Man kann das Zitat verwenden, Die Ballade „Die Bürgschaft“ (1798)
um auszudrücken, daß jemand oder von Schiller beginnt mit den Versen:
auch eine Sache für etwas zu schade ist „Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich/
oder mit größerer Vorsicht oder Rück¬ Dämon, den Dolch im Gewände“. -
sicht behandelt werden sollte. Man zitiert diese Stelle, mit der im Ge¬
dicht der Versuch eines Tyrannenmor¬
Die Damen in schönem Kranz des angesprochen wird, meist scherzhaft
Man findet diese Zeile in Schillers Bal¬ als Hinweis auf jemandes üble Absich¬
lade „Der Handschuh“, erschienen ten, die man zu durchschauen glaubt.
1797 im „Musenalmanach für das Jahr
1798“. In der ersten Strophe wird die
Arena beschrieben, in der eine königli¬ Danaergeschenk
che Gesellschaft versammelt ist, um ei¬ Als „Danaergeschenk“ bezeichnen wir
nem „Kampfspiel“ wilder Tiere zuzu¬ ein Geschenk, das für den Empfänger
schauen. „Vor seinem Löwengar¬ zunächst etwas Erwünschtes darstellt,
ten,/Das Kampfspiel zu erwarten,/Saß sich dann aber als fragwürdig oder gar
König Franz,/Und um ihn die Großen unheilvoll erweist. Der Ausdruck geht
der Krone/Und rings auf hohem Balko- auf eine Stelle im 2. Gesang der „Änei's“
ne/Die Damen in schönem Kranz.“ - von Vergil (70 v.Chr.-19 v.Chr.) zu¬
Man verwendet das Zitat scherzhaft - rück: Quidquid id est, timeo Danaos et
oder auch als Kompliment - beim An¬ dona ferentes. („Was es auch sei: ich
blick einer Gruppe an einem bestimm¬ fürchte die Danaer, auch wenn sie Ge¬
ten Ort versammelter weiblicher Perso¬ schenke machen.“) In der Tragödie
nen. „Agamemnon“ von Seneca (4 v. Chr. bis
65 n. Chr.), in der ebenfalls der Kampf
Damoklesschwert um Troja geschildert wird, findet sich
Die Metapher, Sinnbild für eine dro¬ die Formulierung: Danaum fatale mu-
hende Gefahr, der sich jemand ausge¬ nus („verhängnisvolles Geschenk der
setzt sieht, geht zurück auf eine schon Danaer“). Die Danaer (= die Grie¬
von verschiedenen Autoren der Anti¬ chen), die Troja belagert hatten, waren
ke - zum Beispiel von Cicero und Ho- zum Schein abgezogen und hatten am
raz - erzählte Geschichte. Sie berichtet Strand vor der Stadt ein hölzernes Pferd
von einem Höfling des Tyrannen Dio¬ zurückgelassen. Vergebens versuchte
nys I. von Syrakus (404-367 v. Chr.) mit der Priester Laokoon die Trojaner vor
Namen Damokles. Damokles beneidete diesem „Geschenk der Danaer“ zu war¬
den Tyrannen um das Glück, mit allen nen. Man schaffte es in die Stadt, und
Gütern der Erde gesegnet zu sein. Dio¬ aus seinem Bauch kam eine Schar Krie¬
nys erteilte ihm eine drastische Lehre. ger der Danaer hervor, die die Stadt zu
Er überließ Damokles seinen Platz an Fall brachten. - Auch der Ausdruck
der fürstlichen Tafel. Aber gleichzeitig „Trojanisches Pferd“ wird in der oben
ließ er ein Schwert an einem Pferdehaar angegebenen Bedeutung als Zitat ver¬
über ihm aufhängen. Christian Fürchte¬ wendet.
89
Danaidenfaß Teil I
90
Teil I das
„Daran erkenn’ ich den gelehrten Gelehrten“ ist in dieser Bedeutung ge¬
Herrn!/Was ihr nicht tastet, steht euch bräuchlich.
meilenfern,/Was ihr nicht faßt, das fehlt
euch ganz und gar,/Was ihr nicht rech¬ Das also war des Pudels Kern
net, glaubt ihr, sei nicht wahr,/Was ihr
Der Ausspruch stammt aus Goethes
nicht wägt, hat für euch kein Ge-
Faust I (Studierzimmerszene). Während
wicht,/Was ihr nicht münzt, das, meint
des „Osterspaziergangs“ gesellt sich zu
ihr, gelte nicht.“ - Man verwendet die
Faust und Wagner ein schwarzer Pudel,
Zeile auch heute spottend, um jemandes
dessen seltsames Gebaren Faust auf¬
gelehrtenhaftes Gebaren zu kritisieren.
fällt: „Bemerkst du, wie in weitem
Schneckenkreise/Er um uns her und im¬
Daran erkenn’ ich meine Pappen¬ mer näher jagt?/Und irr’ ich nicht, so
heimer zieht ein Feuerstrudel/Auf seinen Pfa¬
Die Redewendung „seine Pappenhei¬ den hinterdrein.“ Der Pudel begleitet
mer kennen“ hat die Bedeutung „wis¬ Faust in sein Studierzimmer und ver¬
sen, woran man mit bestimmten Leuten wandelt sich vor seinen Augen: „Das ist
ist, ihre Eigenheiten, besonders ihre nicht eines Hundes Gestalt!/Welch ein
Schwächen kennen“. Sie geht auf das Gespenst bracht’ ich ins Haus!/Schon
Lob zurück, das Wallenstein in Schillers sieht er wie ein Nilpferd aus ...” Schlie߬
Drama (Wallensteins Tod, 3. Aufzug, lich nimmt das Tier menschliche Gestalt
15. Auftritt) den Männern des Küras¬ an, Mephisto tritt im Kostüm eines fah¬
sierregiments des Grafen von Pappen¬ renden Scholaren hervor. Darauf folgt
heim ausspricht. Sie hatten ihm die Fausts überraschter Ausruf. - Man ver¬
Treue bewahrt, während sich andere wendet das Zitat auch heute, um seiner
Regimenter auf kaiserlichen Befehl be¬ Überraschung über etwas, das sich lan¬
reits von Wallenstein als einem Landes¬ ge nicht recht erkennen oder durch¬
verräter abgewendet hatten. Die „Pap¬ schauen ließ, Ausdruck zu geben.
penheimer“ wollen von Wallenstein
selbst hören, was er vorhat: „Kein frem¬ Das begreife ein andrer als ich
der Mund soll zwischen uns sich schie¬ Dieses Zitat stammt aus der Oper „Zar
ben,/Den guten Feldherrn und die gu¬ und Zimmermann“ von Albert Lortzing
ten Truppen.“ Wallenstein antwortet (1801-1851). Im Finale des 2. Aufzugs
darauf: „Daran erkenn’ ich meine Pap¬ (10. Auftritt) muß der wichtigtuerische
penheimer.“ Bürgermeister van Bett erfahren, daß er
unter anderem auch den russischen Ge¬
Darüber sind sich die Gelehrten sandten fälschlich als „Staatsverräter“
noch nicht einig verdächtigt hat. Seine Überraschung
drückt er mit folgenden Worten aus: „O
Dieser Ausspruch geht wohl auf eine
Donnerwetter! Was soll das sein?/Das
Äußerung des römischen Dichters Ho-
begreife ein andrer als ich.“ Das Zitat
raz (65-8 v. Chr.) im Vers 78 seiner „Ars
wird in Situationen verwendet, die ei¬
poetica“ (= „Dichtkunst“) zurück. Er
nem völlig unverständlich sind, oder auf
sagt hier mit Bezug auf das elegische
Vorgänge, Entscheidungen bezogen, die
Versmaß der Distichen, von dem man
man nach eigenen Maßstäben oder Vor¬
nicht wisse, wer es zuerst verwendet hat:
stellungen nicht nachvollziehen kann
Grammatici certant, et adhuc sub iudice
oder will.
lis est. („Die Grammatiker streiten, und
noch ist der Rechtsstreit nicht entschie¬
den.“) - Man verwendet das Zitat, um
Das eben ist der Fluch der bösen
auszudrücken, daß die Ursache von et¬ Tat
was noch nicht bekannt ist, daß man Dieses Wort fällt im Gespräch zwischen
über etwas Bestimmtes noch nichts Ge¬ Max und Oktavio Piccolomini in Schil¬
naues weiß. Auch die abgewandelte lers Drama „Wallenstein“ (Die Piccolo¬
Formulierung „Darüber streiten sich die mini 5,1): „Das eben ist der Fluch der
91
das Teil I
bösen Tat,/Daß sie, fortzeugend, immer keit eines Vorgangs, eines Erlebnisses
Böses muß gebären.“ Oktavio Piccolo¬ o.ä. scherzhaft zu kommentieren.
mini bezieht sich dabei auf sein Verhält¬
nis zu Wallenstein, das nach Wallen¬ Das halte fest mit deinem ganzen
steins Vorhaben, sich mit den Schweden Herzen
zu verbinden, schwierig geworden ist: TAns Vaterland, ans teure, schließ dich
meinen Abscheu, meine innerste/
an.
Gesinnung hab’ ich tief versteckt.“ Er
erkennt: „In steter Notwehr gegen arge
Das ist das Los des Schönen auf
List/Bleibt auch das redliche Gemüt
der Erde!
nicht wahr.“ Man verwendet das Zitat,
um die negativen oder schlimmen Fol¬ Mit dieser Zeile endet die Klage The¬
gen einer Handlungsweise zu kommen¬ klas um den Tod des Freundes Max Pic¬
tieren. colomini in Schillers Drama „Wallen¬
stein“ („Wallensteins Tod“; 4, 12).
„- Da kommt das Schicksal - roh und
Das eben ist der Liebe Zauber¬
kalt/Faßt es des Freundes zärtliche Ge¬
macht stalt/Und wirft ihn unter den Hufschlag
Das Zitat stammt aus Franz Grillparzers seiner Pferde -/Das ist das Los des
(1791-1872) Trauerspiel „Sappho“. Die Schönen auf der Erde!“ Die Vorstel¬
Dichterin bringt von ihrem Sieg in der lung, daß besonders das Schöne und
Dichtkunst, den sie in Olympia errang, Edle schutzlos dem Tod und der Zerstö¬
diese Erkenntnis mit: „Das eben ist der rung ausgeliefert ist, findet hier wie an
Liebe Zaubermacht,/Daß sie veredelt, anderen Stellen bei Schiller Ausdruck.
was ihr Hauch berührt,/Der Sonne ähn¬ So zum Beispiel auch in dem Gedicht
lich, deren goldner Strahl/Gewitterwol¬ „Nänie“ (= Totenklage), das mit den
ken selbst in Gold verwandelt.“ Sappho Worten: „Auch das Schöne muß ster¬
spricht hier zu ihrer Dienerin Melitta ben! Das Menschen und Götter bezwin¬
von sich selbst, aus der Erfahrung ihrer get“ beginnt. - Mit dem Zitat kommen¬
Liebe zu Phaon; als Zitat bezieht man tiert man resignierend die Beobachtung
die Feststellung meist auf andere, deren oder Erfahrung, daß etwas Schönes sich
auffälliges oder unerwartetes, auf Liebe als vergänglich erwiesen hat oder in den
oder Verliebtheit zurückzuführendes Schmutz gezogen wurde.
Verhalten man damit kommentiert.
Das ist das Unglück der Könige,
Das gibt’s nur einmal, das kommt daß sie die Wahrheit nicht hören
nie wieder wollen
So beginnt der Refrain eines Schlagers Diese Erkenntnis stammt aus dem Mun¬
von Werner Richard Heymann (Musik) de des Politikers Johann Jacoby (1805—
und Robert Gilbert (Text) aus dem Film 1877). Er äußerte sich als Mitglied einer
„Der Kongreß tanzt“ (1931). Am be¬ am 2. 11. 1848 zu König Friedrich Wil¬
kanntesten sind die beiden ersten und helm IV. entsandten Deputation der
die beiden letzten Zeilen des Kehr¬ preußischen Nationalversammlung.
reims: „Das gibt’s nur einmal, das Der gleiche Gedanke findet sich schon
kommt nie wieder,/das ist zu schön, um früher in der Nachdichtung „Der Cid“
wahr zu sein!... Das kann das Leben nur (1803/04) von Johann Gottfried Herder:
einmal geben,/denn jeder Frühling hat „Ach, der Kön’ge hartes Schick¬
nur einen Mai!“ Gesungen wurde das sal,/Daß, wenn man sie nicht mehr
Lied von Lilian Harvey, in der Rolle ei¬ fürchtet,/Dann nur ihnen die Wahrheit
ner jungen Wiener Handschuhmache¬ spricht!“ - „Auch zu andern, andern
rin, die während des Wiener Kongresses Zeiten/Sagt man ihnen wohl die Wahr¬
(1814/15) eine Romanze mit dem russi¬ heit,/ Aber sie, sie hören nicht.“ - Man
schen Zaren Alexander I. erlebte. - Man bezieht das Zitat auf Menschen in einer
verwendet das Zitat, um die Einmalig¬ Machtposition, die den Realitäten nicht
92
Teil I
das
ins Auge sehen wollen oder vor kriti¬ Das ist des Landes nicht der
schen Worten ihre Ohren verschließen. Brauch
Mit diesen Worten läßt Goethe (in
Das ist der Beginn einer wunderba¬ Faust I, der Nachbarin Haus) Gretchen
ren Freundschaft die Annäherungsversuche Mephistos
und sein Angebot, sich ihr als „Galan“
Mit den Worten „Louis, ich glaube, das zur Verfügung zu stellen, abweisen.
ist der Beginn einer wunderbaren
Heute dienen diese Worte meist als
Freundschaft“, die der Barbesitzer Rick
scherzhafte Ablehnung. Sie werden zi¬
an den französischen Offizier Louis tiert, etwa wenn ein Vorschlag, ein An¬
richtet, endet der berühmte, zum Kult¬
sinnen als nicht zumutbar zurückgewie¬
film und Evergreen gewordene amerika¬ sen werden soll.
nische Film „Casablanca“, der 1942 mit
den Hauptdarstellern Ingrid Bergman
und Humphrey Bogart gedreht wurde.
Das ist des Sängers Fluch
Der Satz (im englischen Originaltext:
Louis, I think this is the beginning of a Mit diesen Worten endet die Ballade
beautiful friendship) wird meist scherz¬ „Des Sängers Fluch“ von Ludwig Uh-
haft oder auch ironisch zitiert, etwa land (1787-1862). Ein „Sängerpaar“,
wenn sich irgendwo eine menschliche ein alter Harfner und sein junger Beglei¬
Beziehung abzeichnet, die man alles an¬ ter, hatten im Schloß eines düsteren Kö¬
dere als freundschaftlich nennen möch¬ nigs die versammelte Runde der Höflin¬
te. ge mit ihrem Gesang begeistert. Der Kö¬
nig sah sein Volk „verführt“ und warf
voll Wut sein Schwert nach dem jungen
Das ist der Lauf der Welt Sänger, den er tödlich traf. Darauf ver¬
fluchte der alte Sänger das Schloß und
Mit diesem Ausspruch reagiert jemand
seine Bewohner. Das Gedicht endet:
auf bestimmte Vorgänge meist negativer
„Des Königs Namen meldet kein Lied,
Art, auf Ungerechtigkeiten, Verluste
kein Heldenbuch:/Versunken und ver¬
o. ä., die er damit seufzend oder auch
gessen. Das ist des Sängers Fluch.“ -
nur achselzuckend zu Kenntnis nimmt
Man verwendet den Ausspruch etwa im
und kommentiert - etwa im Sinne von
Sinne von „so rächt sich etwas immer
„So ist es nun einmal“ oder „So geht es
wieder, das kommt davon“.
eben zu in dieser Welt“. In einem ähnli¬
chen Sinn auch gebraucht Mephisto in
Goethes Faust I den Ausspruch. Er
kommentiert damit am Ende der Szene Das ist die Sonne von Austerlitz!
in Marthes Garten das sich anbahnende Diesen Ausspruch - im französischen
verhängnisvolle Liebesverhältnis zwi¬ Original: Voilä le soleil dAusterlitz! -
schen Faust und Gretchen. Seinen Ur¬ soll Napoleon Bonaparte (1769-1821)
sprung hat der Ausspruch in der Bibel. beim Sonnenaufgang vor der Schlacht
Im „Brief des Paulus an die Epheser“ von Borodino (7. September 1812) sei¬
werden zu Beginn des 2. Kapitels „des nen Offizieren in ermunternder Erinne¬
Menschen Elend außer Christo“ und rung an die Dreikaiserschlacht von Au¬
„der Gläubigen seliger Zustand in der sterlitz (2. Dezember 1805) zugerufen
Gemeinde Christi“ einander gegenüber¬ haben. Dort hatte die schließlich durch
gestellt. Mit der Fügung „nach dem die Wolken brechende Sonne, die einen
Lauf dieser Welt“ werden dabei die Ge¬ genauen Überblick über die Kampf¬
setzlichkeiten der von der Sünde be¬ handlungen ermöglichte, entscheidend
herrschten Welt umschrieben. Es heißt zum Sieg des französischen Kaisers bei¬
an der Stelle: „... da ihr tot wäret durch getragen. - In ähnlich aufmunternder
Übertretungen und Sünden, in welchen Absicht angesichts einer schwierigen Si¬
ihr weiland gewandelt nach dem Lauf tuation wird der Ausruf heute noch ge¬
dieser Welt..." (Epheser 2, 1 f.). legentlich zitiert.
93
das Teil I
Das ist ein weites Feld d’Enghien gesagt haben, der gegen die
Republik gekämpft hatte. - Mit diesen
Es gibt zwei Quellen für diese Redens¬
zynisch klingenden Worten drückt man
art. Man findet sie zum einen in dem
aus, daß man eine Handlung für un¬
Roman „Der Nachsommer“ (1857) von
überlegt und sehr töricht hält.
Adalbert Stifter. Dort heißt es: „Das ist
ein weites Feld, von dem ihr da redet“.
In Theodor Fontanes Roman „Effi
Das ist Teils Geschoß
Briest“ (1895) verwendet der Vater der Dies sind die letzten Worte des Land¬
Titelheldin mehrfach diese Floskel. Am vogts Geßler in Schillers Drama „Wil¬
Ende des Romans beschließt er ein Ge¬ helm Teil“ (1804). Geßler weiß, daß nur
spräch mit seiner Frau über das Schick¬ Teil es gewagt haben konnte, ihn zu tö¬
sal der Tochter Effi mit den Worten: ten. - Mit dem Zitat - auch in der Form
„Ach, Luise, laß ... das ist ein zu weites „Das war Teils Geschoß“ oder „Hic fuit
Feld.“ - Man zitiert - wohl nach Fonta¬ [Teil]“ -, gibt man zu erkennen, daß
ne -: „Das ist ein weites Feld“ bzw. man den Urheber einer bestimmten
„Das ist ein weites Feld, Luise“, womit Handlung kennt.
man zum Ausdruck bringt, daß ein The¬
ma zu weitläufig ist, als daß man es - im Das kann doch einen Seemann
Gespräch - erschöpfen könnte, oder nicht erschüttern
daß eine Frage nicht leicht zu beantwor¬ Der Schlager, dessen Refrain sehr popu¬
ten ist, daß es viel dazu zu sagen gäbe. lär wurde, stammt aus dem 1939 gedreh¬
ten Film „Paradies der Junggesellen“
Das ist Lützows wilde, verwegene mit Heinz Rühmann. (Der Textdichter
Jagd ist Bruno Balz, die Vertonung als
Das Zitat stammt aus dem Lied „Lüt¬ Marschfox stammt von Michael Jary.)
zows wilde Jagd“, das der Dichter der Der Film handelt von drei trinkfesten
Befreiungskriege, Theodor Körner, Männern - zwei davon Angehörige der
1813 schrieb und dessen sechs Strophen Marine -, die zeitweise ohne Frauen in
jeweils mit dieser Zeile enden. Das Lied einer gemeinsamen Wohnung leben.
beginnt mit dem Vers „Was glänzt dort Der Schlager beginnt mit den Worten:
im Walde im Sonnenschein?“ und be¬ „Es weht der Wind mit Stärke zehn“. -
singt das Freikorps des Freiherrn Lud¬ Der Refrain wird heute noch als Aus¬
wig Adolf Wilhelm von Lützow (1782 druck eines unerschütterlichen Optimis¬
bis 1834), das sich in den Befreiungs¬ mus zitiert.
kriegen besonders hervortat. In der Ver¬
tonung von Carl Maria von Weber ge¬ Das kommt nicht wieder
hört es noch heute zum Repertoire von t Das gibt’s nur einmal
Männerchören. - Man gebraucht das
Zitat scherzhaft, um eine Gruppe von Das macht die Berliner Luft
vorbeistürmenden Menschen oder ähn¬
Der Kehrreim „Das macht die Berliner
liches zu charakterisieren.
Luft, Luft, Luft,/So mit ihrem holden
Duft, Duft, Duft“ stammt aus der Ope¬
Das ist mehr als ein Verbrechen, rette „Frau Luna“ von Paul Lincke
das ist ein Fehler (1866-1946). Die auf dem Mond gelan¬
Der Ausspruch C’est pire qu'un crime, deten, zunächst von den Mondschutz¬
c’est une faute, häufig Napoleons Poli¬ männern verhafteten Berliner erinnern
zeiminister Fouche oder auch dem Di¬ sich am Ende des ersten Aktes an ihre
plomaten Talleyrand zugeschrieben, heimatliche „Berliner Luft“. - Heute zi¬
stammt nach anderen Quellen von dem tiert man die erste Zeile des Kehrreims
französischen Politiker Antoine Boulay gelegentlich noch, um Besonderheiten
de la Meurthe (1761-1840). Er soll dies des Berliner Lebens, der Verhaltenswei¬
im Zusammenhang mit der von Napole¬ se der Berliner Bevölkerung in scherz¬
on befohlenen Hinrichtung des Duc haft-ironischer Weise zu erklären oder
94
Teil I
das
Das übet in Einfalt ein kindlich Das war kein Heldenstück, Okta-
Gemüt vio!
Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬ Mit diesen Verbitterung ausdrückenden
dicht „Die Worte des Glaubens“ (1797). Worten reagiert Wallenstein in Schillers
Am Ende der dritten Strophe, in der die gleichnamigem Drama („Wallensteins
Tugend als etwas durchaus Erstrebens¬ Tod“ 3, 9) auf Oktavio Piccolominis
wertes und trotz mancher Unzulänglich¬ Verrat an ihm. Wallenstein hatte auf
keiten im Leben Erreichbares darge¬ ihn als Freund vertraut. Aber in dem
stellt wird, heißt es im Zusammenhang: Augenblick, als Wallenstein sich auf die
„Er kann nach der göttlichen stre- Seite der Schweden schlug, fiel Oktavio
ben,/Und was kein Verstand der Ver¬ Piccolomini von ihm ab. - Man verwen¬
ständigen sieht,/Das übet in Einfalt ein det das Zitat, um auszudrücken, daß
kindlich Gemüt.“ Der letzte Vers wird man mit Entschiedenheit nicht billigt,
heute auf Menschen bezogen zitiert, die was jemand getan hat, daß der Betref¬
sich in ihrer Schlichtheit und Unerfah¬ fende sich dafür schämen sollte.
95
daß Teil I
Daß das weiche Wasser in Bewe¬ über die Eingeschränktheit seines Wis¬
gung mit der Zeit den mächtigen sens. Er hat sich darum „der Magie er¬
geben“ und hofft, mit ihrer Hilfe weiter
Stein besiegt
in die Geheimnisse der Natur einzu¬
Diese Verszeilen stammen aus einem dringen: „Daß ich erkenne, was die
der „Svendborger Gedichte“ (1939) von Welt/Im Innersten zusammenhält,
Bertolt Brecht. Es hat den Titel „Legen¬ /Schau’ alle Wirkenskraft und Sa¬
de von der Entstehung des Buches Tao- men,/Und tu’ nicht mehr in Worten kra¬
teking auf dem Weg des Laotse in die men.“ - Das Zitat bringt jemandes
Emigration“. Laotse trifft einen Zöllner, Wunsch zum Ausdruck, tiefer in ein
der von dem Weisen wissen möchte, ob Problem einzudringen, grundlegendere
sein Nachdenken über die Welt zu Er¬ Erkenntnisse über ein Sachgebiet oder
kenntnissen geführt habe. Auf seine
komplexere Vorgänge zu gewinnen.
Frage „Hat er was rausgekriegt?“ wird
ihm die Antwort zuteil: „Daß das wei¬
che Wasser in Bewegung/Mit der Zeit
Daß man vom Liebsten, was man
den mächtigen Stein besiegt./Du ver¬ hat, muß scheiden
stehst, das Harte unterliegt.“ - Die Na¬ t Wenn Menschen auseinandergehn, so
tur liefert ein Beispiel dafür, daß - auf sagen sie: auf Wiedersehn, ja Wieder¬
die Dauer gesehen - nicht Härte oder sehn!
Gewalt obsiegen. - Der Zukunftsfor¬
scher Robert Jungk (* 1913) gab einem Dastehen wie Buridans Esel
Essayband aus dem Jahr 1986 den Titel: Die Formulierung mit der Bedeutung
„Und Wasser bricht den Stein.“
„sich zwischen zwei gleichwertigen Din¬
gen nicht entscheiden können“ bezieht
Daß einer lächeln kann und immer sich auf eine dem französischen Philo¬
lächeln und doch ein Schurke sein sophen Johannes Buridan (1300-1358)
Das Zitat stammt aus Shakespeares Tra¬ zugeschriebene Parabel, nach der ein
gödie „Hamlet“ (1604). Im ersten Akt, hungriger Esel aus Unentschlossenheit
in der fünften Szene, begegnet Hamlet vor zwei gleichen Bündeln Heu verhun¬
dem Geist seines Vaters und erfährt, gern würde; sie ist in dieser Form aber
daß der Vater von seinem Bruder, Ham¬ in seinen Schriften nicht nachzuweisen.
lets Onkel, ermordet wurde, der jetzt als Der Grundgedanke stammt aus Aristo¬
König herrscht. Hamlets Entrüstung teles’ (384-322 v. Chr.) „De caelo“
über den Mörder äußert sich in den (= „Über den Himmel“; 11,13) und
Worten: „O Schurke! lächelnder, ver¬ wird in Buridans Kommentar zu diesem
dammter Schurke!/.../Daß einer lächeln Werk am Beispiel des Hundes aufge¬
kann und immer lächeln/Und doch ein nommen. Der Esel ist möglicherweise
Schurke sein; zum wenigsten/Weiß ich eine von Gegnern Buridans erfundene
gewiß, in Dänmark kann’s so sein.“ (Im Abwandlung.
englischen Originaltext: O villain, vil¬
lain, smiling, damned villain!/.../That Davon geht die Welt nicht unter
one may smile and smile and be a villain./
Der mit diesen Worten beginnende
At least I’m sure it may be so in Den-
Schlager (Text: Michael Jary, Musik:
mark.) - Das sehr literarische Zitat
Bruno Balz), zuerst gesungen von Zarah
bringt jemandes Erschütterung über die
Leander, stammt aus dem 1942 gedreh¬
Unwahrhaftigkeit eines Menschen zum
ten Film „Die große Liebe“. Der Film
Ausdruck.
erzählt die Liebesgeschichte zwischen
einem Luftwaffenoffizier und einer be¬
Daß ich erkenne, was die Welt im rühmten Varietesängerin. Er gehörte zu
Innersten zusammenhält den sogenannten „Durchhaltefilmen“,
Am Beginn des ersten Teils von Goethes mit denen die Menschen von den Ereig¬
Faust, in der Szene „Nacht“, erhebt nissen des Krieges abgelenkt werden
Faust in einem Selbstgespräch Klage sollten. - Das Zitat bekundet in salop-
96
Teil I deines
per Form, daß doch alles nicht so historischen Drama (uraufgeführt 1598)
schlimm ist, daß man einen Mißerfolg, seinen Sohn Heinrich, den Prinzen von
eine Widrigkeit nicht so schwernehmen, Wales (IV, 4). Der Prinz hatte den auf
nicht dramatisieren soll. dem Krankenlager in tiefem, ohnmacht¬
ähnlichem Schlaf liegenden Vater für
De profundis tot gehalten und dessen Krone an sich
Nach diesen Anfangsworten wird der genommen, bereit, sie als legitimer
130., in der lateinischen Bibelüberset¬ Nachfolger würdig zu tragen. Im engli¬
zung Vulgata der 129. Psalm, der 6. schen Original sagt der König: Thy wish
Bußpsalm, benannt. Der ganze Satz lau¬ was father, Harry, to that thought. Hein¬
tet: De profundis clamavi ad te. Domine. richs Ausspruch wird heute in der abge¬
Luther übersetzt den Vers mit „Aus der wandelten Form „Der Wunsch ist/war
Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ und verwen¬ [hier] Vater des Gedankens“ zitiert,
det den Psalm als Grundlage seines Kir¬ wenn man verdeutlichen will, daß das,
chenliedes „Aus tiefer Not schrei’ ich zu wovon jemand spricht, nur auf Wunsch¬
dir“. Der Psalm ist Bestandteil beson¬ denken beruht.
ders des katholischen Trauergottesdien¬
stes. „De profundis“ im Sinne von Deine Uhr ist abgelaufen
„Klagegesang“ wurde auch vom späte¬ In dieser Form erscheint die Redewen¬
ren Herausgeber als Titel für das letzte dung Jemandes Uhr ist abgelaufen“
Prosawerk Oscar Wildes (1854-1900) mit der Bedeutung Jemand wird bald
verwendet, für einen langen, im Zucht¬ sterben oder ist gerade gestorben“ in
haus von Reading geschriebenen, an Schillers Schauspiel „Wilhelm Teil“
Lord Alfred Douglas gerichteten Brief. (IV, 3): „Mach deine Rechnung mit dem
Himmel, Vogt,/Fort mußt du, deine Uhr
Dei gratia ist abgelaufen.“ Der Titelheld faßt hier
den Entschluß, die Ermordung des ty¬
t Von Gottes Gnaden
rannischen Reichsvogts Geßler zu voll¬
ziehen. Das Bild von der ablaufenden
Dein Schicksal ruht in deiner eig¬
Uhr bzw. auslaufenden Sanduhr für ein
nen Brust
zu Ende gehendes Leben benutzt vor
Dieser Ausspruch stammt aus Schillers Schiller Goethe in seinem Briefroman
Drama „Die Jungfrau von Orleans“ „Die Leiden des jungen Werthers“
(III,4). Agnes Sorel, die Geliebte König (1774; 2. Buch, 12. Dezember): „Meine
Karls VII., bittet Johanna, die Jungfrau Uhr ist noch nicht ausgelaufen, ich füh¬
von Orleans, um ein „erfreuliches Ora¬ le es.“ Bereits in Jakob Ayrers (um
kel“ für sich, nachdem sich Johanna 1543-1605) „Tragedia vom reichen
weitläufig über zukünftiges Geschehen Mann und armen Lazarus“ heißt es: „Er
in der „großen Weltgeschichte“ geäu¬ hat eine kleine Zeit,/So ist ihm die Uhr
ßert hat. Mit den Worten vom Schicksal, ausgeloffen.“
das in der eigenen Brust ruht, gibt Jo¬
hanna aber der fragenden Agnes Sorel Deines Geistes hab’ ich einen
zu verstehen, daß es einzig von ihr selbst Hauch verspürt
abhänge, wie sie ihr Schicksal gestalte.
Mit diesen Worten endet die Ballade
In diesem Sinne wird das Zitat auch
„Bertran de Born“ von Ludwig Uhland
heute gebraucht. - Vergleiche auch den
(1787-1862). Der Troubadour Bertran
Artikel „In deiner Brust sind deines
de Born hatte einen Sohn des Königs
Schicksals Sterne“.
Heinrich II. von England gegen seinen
Vater aufgehetzt. Zur Strafe wurde sein
Dein Wunsch war des Gedankens Schloß zerstört und er selbst gefangen¬
Vater genommen. Als der Gefangene, Freund
Mit diesen Worten empfängt ziemlich des im Kampf gefallenen Königssohns,
ungehalten König Heinrich IV. im 2. vor den König tritt, rührt er ihn mit sei¬
Teil von Shakespeares gleichnamigem ner Klage um den toten Freund. Der
97
3 Duden 12
Demokraten Teil I
König gibt ihm die Freiheit mit den Tod. „Ein Tännlein grünet wo,/Wer
Worten wieder: „Meinen Sohn hast du weiß im Walde,/Ein Rosenstrauch, wer
verführt,/Hast der Tochter Herz ver- sagt,/In welchem Garten?/Sie sind erle¬
zaubert,/Hast auch meines nun ge¬ sen schon,/Denk es, o Seele!/Auf dei¬
rührt :/Nimm die Hand, du Freund des nem Grab zu wurzeln/Und zu wach¬
Toten,/Die, verzeihend, ihm gebührt!/ sen.“ - Wir verwenden das Zitat meist
Weg die Fesseln! Deines Geistes/Hab’ in weniger düsterem Zusammenhang,
ich einen Hauch verspürt.“ (Ich ahne et¬ um jemandem etwas ins Bewußtsein zu
was von deinen dichterischen Fähigkei¬ rufen, ihn dazu zu ermuntern, sich etwas
ten, erklärt damit der König.) - Das sehr vorzustellen, sich auf eine Vision einzu¬
literarische Zitat kann in einem Zusam¬ lassen.
menhang verwendet werden, in dem je¬
mand andeuten will, daß er etwas von Denk’ ich an Deutschland in der
der Ausstrahlung einer bestimmten Per¬ Nacht, dann bin ich um den Schlaf
son oder Sache wahrgenommen hat.
gebracht
t Gegen Demokraten helfen nur Der freiwillige Entschluß Heinrich Hei¬
Soldaten nes, 1831 nach Paris überzusiedeln, er-
öffnete ihm zwar neue politische und
t Mehr Demokratie wagen kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten,
seine Liebe zum „wirklichen Deutsch¬
Den lieb’ ich, der Unmögliches be¬ land“ - wie er es formulierte -, wo seine
gehrt Schriften seit 1835 verboten waren, kam
aber immer wieder in seiner lyrischen
Im 2. Teil von Goethes Faust geleitet
Dichtung der Folgezeit zum Ausdruck.
der Zentaur Chiron den in Liebe zu He¬
Eines seiner meistzitierten Gedichte aus
lena entbrannten Faust zur Sibylle Man-
dieser Zeit sind die „Nachtgedanken“
to (2. Akt, Klassische Walpurgisnacht;
(1843), deren erste Strophe lautet:
Peneios). Sie ist sofort bereit, ihn zu Per¬
„Denk’ ich an Deutschland in der
sephone, der Gemahlin des Unterwelt¬
Nacht,/Dann bin ich um den Schlaf ge-
gottes Pluto, zu geleiten, um mit deren
bracht,/Ich kann nicht mehr die Augen
Hilfe die Freigabe Helenas aus dem To¬
schließen,/Und meine heißen Tränen
tenreich zu erwirken. Ihre Hilfsbereit¬
fließen.“ Die Anfangsverse werden heu¬
schaft begründet sie kurz und bündig
te noch zitiert, wenn auf ein mit großer
mit den zitierten Worten. Wir verwen¬
Skepsis beobachtetes Geschehen Bezug
den das Zitat heute gelegentlich, wenn
genommen wird, das in irgendeiner
wir anerkennend von jemandem spre¬
Form mit Deutschland oder den Deut¬
chen, der sich ein hohes, fast unerreich¬
schen in Zusammenhang steht.
bares Ziel gesetzt hat. Meistens jedoch
sind diese Worte eine ironische Entgeg¬
nung darauf, daß jemand Unmögliches TEr denkt zuviel: die Leute sind
wünscht oder unzumutbare Forderun¬ gefährlich
gen stellt.
Denn alle Schuld rächt sich auf
Denk es, o Seele Erden
Die Ermahnung „Denk es, o Seele!“ Im 13. Kapitel des zweiten Buches von
stammt aus Eduard Mörikes gleichna¬ Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjah¬
migem Gedicht aus dem Jahr 1852. Mö- ren“ (1782) lauscht die Titelgestalt dem
rike hat das Gedicht später - als „böh¬ Lied eines Harfenspielers - einer mit
misches Volksliedchen“ - an den geheimnisvoller Schuld beladenen Ge¬
Schluß seiner Novelle „Mozart auf der stalt -, in dem dieser die „himmlischen
Reise nach Prag“ gesetzt. Ein „Tänn¬ Mächte“ anklagend für sein Schicksal
lein“, ein Rosenstrauch, zwei schwarze verantwortlich macht. Die zweite Stro¬
Pferde, die vor seinem inneren Auge phe des Liedes lautet: „Ihr führt ins
vorüberziehen, assoziiert er mit seinem Leben uns hinein,/Ihr laßt den Armen
98
Teil I denn
schuldig werden,/Dann überlaßt ihr ihn gen den Kaiser zu stellen, jetzt sieht er
der Pein;/Denn alle Schuld rächt sich sich durch die Eigendynamik der Ent¬
auf Erden.“ Der letzte Vers wird zitiert, wicklung zum Handeln gezwungen, oh¬
wenn - in Abwandlung des eigentlichen ne es wirklich zu wollen. Stellt er sich
Sinngehalts - ausgedrückt werden soll, gegen den Kaiser, so stellt er sich mit
daß es doch eine Gerechtigkeit gibt und seinem ungewöhnlichen Schritt gegen
daß jeder für alle seine schuldhaften das traditionsgeheiligte „Gewohnte“
Verfehlungen letztlich seiner gerechten und steht dann außerhalb der geltenden
Strafe zugeführt wird. Ordnung („gemein“ steht hier im Sinne
von „gewöhnlich, gewohnt“). Mit dem
Denn an sich ist nichts weder gut Zitat will man in bestimmten Situatio¬
noch böse, das Denken macht es nen darauf hinweisen, daß es schwer ist.
erst dazu Neues gegen Altgewohntes durchzuset¬
zen, aus eingefahrenen Gleisen auszu¬
Diesen Gedanken spricht Hamlet in
scheren und gegen Dinge anzugehen,
Shakespeares gleichnamigem Trauer¬
die einem selbst oder anderen durch ste¬
spiel (entstanden um 1600) aus. Hamlet
te Gewohnheit liebgeworden sind.
nennt den beiden Hofleuten Rosen¬
kranz und Güldenstern gegenüber seine
Heimat Dänemark einen Kerker. Seinen
Denn bei der Post geht’s nicht so
Gesprächspartnern, die dies zurückwei¬ schnell
sen, antwortet er (11,2): „Nun, so ist es Die t Christel von der Post
keines für euch, denn an sich ist nichts
weder gut noch böse; das Denken ... denn bei mir liegen Sie richtig!
macht es erst dazu. Für mich ist es ein
Der Hauptverband der gewerblichen
Gefängnis.“ Im Original lautet die Stel¬
Berufsgenossenschaften produzierte in
le: 147)1', then ’tis none to you,for there is
den Jahren 1964, 1965 und 1967 eine Se¬
nothing either good or bad but thinking
rie von Kurzfilmen, in denen mit
makes it so. To me it is a prison. - Wir schwarzem Humor vor den Unfallge¬
kritisieren heute mit diesem Zitat das
fahren des Alltags- und Berufslebens
Verhalten eines Menschen, der jeman¬ gewarnt wurde. Die Kurzszenen liefen
des Äußerung einen anzüglichen Ne¬ vor oder nach den Wochenschauen in
bensinn unterstellt, weil er selbst so den Kinos. Der Hauptdarsteller Gün¬
denkt. Ganz allgemein kann man damit ther Jerschke spielte jeweils einen Chir¬
auch zum Ausdruck bringen, daß jedes urgen oder einen Bestattungsunterneh¬
Urteil subjektiv ist und von der Ein¬ mer und sagte zum Schluß jeder Szene
schätzung, der Denkweise des einzelnen (auf den Operationstisch oder den Sarg
abhängt. bezogen): „... denn bei mir liegen Sie
richtig!“ Mit dem umgangssprachlich
Denn aufgelöst in diesem Augen¬ gebräuchlichen Zitat (meist in der Form
blick sind aller Ordnung, aller „Bei mir liegen Sie richtig“) kann man
Pflichten Bande scherzhaft zum Ausdruck bringen, daß
t Aufgelöst sind aller Ordnung Bande man für jemandes Anliegen genau der
richtige Ansprechpartner ist.
Denn aus Gemeinem ist der
Mensch gemacht, und die Ge¬ Denn Brutus ist ein ehrenwerter
wohnheit nennt er seine Amme Mann
Der große Monolog Wallensteins im In der berühmten Rede des Antonius in
dritten Teil von Schillers Wallenstein- Shakespeares Drama „Julius Cäsar“
Trilogie („Wallensteins Tod“; 1,4) zeigt (1599) wird dieser Satz - jeweils leicht
den Feldherrn im Zwiespalt zwischen abgewandelt - mehrfach wiederholt. Im
Wollen und Müssen. Eben noch hatte er englischen Original lautet die erste Stel¬
nur mit dem Gedanken gespielt, die le: For Brutus is an honourable man,/So
Gunst der Stunde zu nutzen und sich ge¬ are they all, all honourable men. Antoni-
99
3*
denn Teil I
us, der die Ermordung Cäsars rächen ken/Mancher heitern Blumen Zier;/Sei-
möchte, widerlegt Schritt für Schritt alle denfäden, Seidenflocken,/Spielen ihre
Argumente, die Brutus und seine Mit¬ Rolle hier.“ Der Gesang endet mit der
verschworenen zugunsten ihrer Tat an¬ Strophe: „Niedlich sind wir anzuschau¬
führen könnten, so daß die Bezeichnung en,/Gärtnerinnen und galant ;/Denn das
„ehrenwerter Mann“ schließlich als pu¬ Naturell der Frauen/Ist so nah mit
re Ironie erscheint. Entsprechend wird Kunst verwandt.“ - Das Zitat schreibt
mit dem Zitat auch heute meist zum den Frauen eine unmittelbare Bezie¬
Ausdruck gebracht, daß man jemanden hung zu allem Schönen zu, was sich zum
gerade nicht für besonders ehrenhaft Beispiel auch in ihrem Schmuckbedürf¬
hält. nis äußert.
Denn das Gemeine geht klanglos Denn dem Glück, geliebt zu wer¬
zum Orkus hinab den, gleicht kein ander Glück auf
Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht Erden
„Nänie“ (= „Totenklage“; entstanden Diese Verse aus der 27. Romanze von
1799), in dem es in den beiden letzten
Johann Gottfried Herders (1744-1803)
Zeilen heißt: „Auch ein Klaglied zu sein
„Der Cid“, einer freien Nachdichtung
im Mund der Geliebten, ist herr-
einer französischen Prosafassung, wer¬
lich,/Denn das Gemeine geht klanglos
den heute noch gerne ins Poesiealbum
zum Orkus hinab.“ Das Gedicht reflek¬
geschrieben. Sie bilden die erste Hälfte
tiert die Vergänglichkeit auch des Schö¬
eines Vierzeilers, der vollständig lautet:
nen, des Vollkommenen, führt aber als
„Denn dem Glück, geliebt zu wer¬
Trost an, daß die Klage um das Verlore¬
den, /Gleicht kein ander Glück auf Er¬
ne dieses noch einmal hervorhebt und
den ;/Die geliebte Schäferin,/Sie allein
würdigt, während das Unvollkommene,
ist Königin.“
Alltägliche nahezu unbeachtet ver¬
geht. - Mit dem Zitat kann man - meist
scherzhaft - den Verlust einer Sache Denn der Buchstabe tötet, aber der
kommentieren, um die es nicht schade Geist macht lebendig
ist, der man keine Träne nachweint. Bei dem Zitat handelt es sich um eine
Stelle aus dem 2. Brief des Apostels
Denn das ist sein Lebenszweck Paulus an die Korinther (Kapitel 3, Vers
Mit diesen Worten kennzeichnet Wil¬ 6). Mit dem Buchstaben ist das Mosai¬
helm Busch (1832-1908) im „Dritten sche Gesetz als Ausdruck des Alten
Streich“ von „Max und Moritz“ die für Bundes gemeint. Paulus versteht sich als
alle äußerst nützliche Tätigkeit des Diener des Neuen Bundes, nicht des
Schneidermeisters Böck. Man zitiert sie, Buchstabens, sondern des in Christus
wenn man scherzhaft ausdrücken will, Gerechtigkeit und Leben bringenden
daß sich jemand ganz und gar einer be¬ Geistes. Im heutigen Sprachgebrauch
stimmten Sache verschrieben hat, die wirkt diese antithetische Bibelstelle in
sein ganzer Lebensinhalt geworden ist. folgenden metaphorischen Ausdrucks¬
weisen nach: „toter Buchstabe, nach
Denn das Naturell der Frauen ist dem Buchstaben des Gesetzes handeln,
am Buchstaben kleben, sich an den
so nah mit Kunst verwandt
Buchstaben klammern, etwas nach
Die Verse stammen aus dem ersten Akt Geist und Buchstaben erfüllen.“
des zweiten Teils von Goethes Faust. In
der „Kaiserlichen Pfalz“ findet ein
Maskenfest statt, das mit einem Mas¬ Denn der Mensch als Kreatur hat
kenzug beginnt. Dieser wird von jungen von Rücksicht keine Spur
florentinischen Gärtnerinnen angeführt, Am Anfang des „Julchen“ überschrie-
die künstliche Blumen im Haar tragen. benen dritten Teils der „Knopp-Trilo¬
Sie singen: „Tragen wir in braunen Lok- gie“ (1875/77) von Wilhelm Busch fln-
100
Teil I denn
det man diese Feststellung. Hier ist sie turkatastrophe wieder einmal gezeigt
auf das eben geborene Julchen bezogen, hat, daß allem technischen Fortschritt
das als schreiender Säugling, als zum Trotz der Mensch die Natur und ih¬
Mensch im unverständigen, „kreatürli- re elementaren Kräfte nicht vollständig
chen“ Zustand, keine Rücksichtnahme beherrschen kann. In demselben ge¬
auf andere kennt. Man bezieht das Zitat danklichen Zusammenhang stehen die
heute vor allem auf erwachsene Men¬ Zeilen auch in Schillers Gedicht, wo der
schen, die sich besonders rücksichtslos Anblick des glühenden Metalls beim
verhalten. Glockenguß den Ausgangspunkt für
eine sehr bildhafte Darstellung der Ur¬
gewalt des Feuers bildet.
Denn der Regen, der regnet jegli¬
chen Tag
Wenn am Ende von Shakespeares Ko¬
Denn die Natur läßt sich nicht
mödie „Was ihr wollt“ (gedruckt 1623)
zwingen
der Narr, der im Grunde weiser ist als
die gescheiten Leute, das Schlußlied In Christian Fürchtegott Gellerts
singt, dessen vier erste Strophen mit die¬ (1715-1769) Fabel „Die Nachtigall und
ser Zeile enden (englisch: For the rain it die Lerche“ wird der Nachtigall von der
raineth every day), dann führt er mit sei¬ Lerche vorgehalten, daß sie zwar schö¬
ner pessimistisch-resignativen Sicht der ner singe als andere Vögel, aber nur
Dinge die Zuschauer aus der Illusionen¬ während weniger Wochen im Jahr. Dar¬
welt des Theaters langsam wieder zu¬ auf erwidert die Nachtigall, daß sie nur
rück in die Wirklichkeit. Auch im „Kö¬ kurze Zeit singe, um eben einen so schö¬
nig Lear“ (III, 2) singt der Narr ein Lied nen Gesang hervorzubringen, und gibt
(allerdings nur eine Strophe) mit dem¬ als weitere Begründung an: „Ich folg’
selben Strophenmuster. - Der Vers wird im Singen der Natur;/so lange sie ge¬
als Zitat verwendet, wenn man etwas beut (= gebietet), so lange sing’ ich
durch seine gleichförmige stete Wieder¬ nur,/Sobald sie nicht gebeut, so hör’ ich
holung als monoton oder sogar als de¬ auf zu singen ;/Denn die Natur läßt sich
primierend empfindet. Er ist aber auch nicht zwingen.“ Losgelöst vom Inhalt
als Stoßseufzer zu hören, mit dem das in der Fabel zitieren wir heute diesen Vers,
unseren Breiten häufig schlechte Som¬ um auszudrücken, daß das Naturge¬
merwetter kommentiert wird. schehen sich letztlich nicht vollständig
vom Menschen beeinflussen läßt und
die Naturgewalten nicht völlig be¬
... denn der Wind kann nicht lesen herrschbar sind. Auch in bezug auf die
So lautet der Titel eines Romans des menschliche Natur, die physischen Be¬
englischen Schriftstellers Richard Ma- dürfnisse und Unzulänglichkeiten des
son (englischer Titel: The Wind cannot Menschen, die er bei aller Willensstärke
read; erschienen 1946, deutsch 1948; nicht unterdrücken oder überwinden
verfilmt 1958), in dem die Liebesge¬ kann, wird das Zitat gelegentlich ver¬
schichte eines englischen Offiziers und wendet.
einer Japanerin in Indien erzählt wird.
Man zitiert ihn, wenn man andeuten
will, daß das, was man tut oder sagt, Denn dieser letzten Tage Qual war
wohl kaum zur Kenntnis genommen
groß
wird oder in seiner Auswirkung unge¬
Mit diesem Zitat aus Schillers „Wallen¬
wiß bleibt.
steins Tod“ will man zum Ausdruck
bringen, daß eine Zeit quälender Unge¬
Denn die Elemente hassen das Ge- wißheit oder großer seelischer und kör¬
bild von Menschenhand perlicher Anspannung hinter einem
Dieses Zitat aus Schillers „Lied von der liegt. Vollständig lautet das Zitat: „Ich
Glocke“ wird verwendet, wenn eine Na¬ denke einen langen Schlaf zu tun,/Denn
101
denn Teil I
102
Teil I denn
kann ein schlichter Geist auf Grund des Denn ihre Werke folgen ihnen
fehlenden Intellekts nur als Wahrheit nach
akzeptieren, aber auch der Intellektuelle
Im 14. Kapitel der Offenbarung des Jo¬
kommt hier mit seiner Ratio nicht wei¬
hannes wird von den im Glauben an
ter. So wird das Zitat dann verwendet,
Gott Verstorbenen gesagt, daß sie nun¬
wenn man darlegen will, daß etwas ei¬
mehr von ihrer Arbeit ausruhen können,
gentlich Unmögliches oder Unwahr¬
da alles, was sie im irdischen Leben ge¬
scheinliches durch seine Absurdität
leistet haben, nachwirke und ihnen an¬
schon fast wieder glaubhaft ist oder daß
gerechnet werde. In Vers 13 heißt es:
man etwas nur verworren und wider¬
„Selig sind die Toten, die in dem Herrn
sprüchlich genug formulieren muß, da¬
sterben von nun an. Ja, der Geist
mit andere dahinter eine tiefe, geheim¬
spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit;
nisvolle Wahrheit vermuten.
denn ihre Werke folgen ihnen nach.“
Diese Bibelstelle wird heute bei entspre¬
Denn er war unser! chendem Anlaß in diesem Sinne zitiert.
Man gebraucht diese Worte aber auch,
Goethes „Epilog zu Schillers ,Glocke“',
um auszudrücken, daß jeder im Leben
der bei Schillers Totenfeier am 10. Au¬
früher oder später an dem gemessen
gust 1805 in Bad Lauchstädt, dem Mo¬
werden wird, was er vollbracht hat und
debad der Goethezeit, gesprochen wur¬
jeder sich einmal den Folgen seines frü¬
de, liefert uns dieses Zitat. Es wird ver¬
heren Handelns stellen muß.
wendet, wenn man von jemandem
spricht, mit dem man längere Zeit in ei¬
Denn kein größeres Verbrechen
ner engen Gemeinschaft verbunden
gibt es, als nicht kämpfen wollen,
war, der aber weggegangen oder ver¬
storben ist. Stolz auf das frühere Ver¬ wo man kämpfen muß
hältnis und ein noch immer vorhan¬ Mit diesen Worten verurteilt der jüdi¬
denes Zusammengehörigkeitsgefühl sche Arzt und Klinikleiter Professor
klingen dabei an. Mamlock im 4. Akt des gleichnamigen
Dramas von Friedrich Wolf (1888 bis
1953; erschienen 1935) die Tatenlosig¬
Denn ich bin ein Mensch gewesen, keit dem nationalsozialistischen Terror
und das heißt ein Kämpfer sein gegenüber. Er setzt seinen Namen selbst
auf die Liste der aus „rassischen Grün¬
In dem Gedicht „Einlaß“, das im „Buch
den“ zu entlassenden Mitarbeiter und
des Paradieses“ von Goethes „Westöst¬
weist damit das Angebot der Regierung
lichem Diwan“ steht, fragt die den Para¬
zurück, formell sein Krankenhaus wei¬
dieseingang bewachende Huri einen vor
terzuleiten. Er ist nicht bereit, seine
dem Paradiestor stehenden Dichter, ob
Überzeugung zu verraten und sich zu
er im Leben ein mutiger Kämpfer und
unterwerfen.
ein Held gewesen sei; sie bittet ihn, sei¬
ne Wunden zu zeigen und so sein Ein¬
laßbegehren zu rechtfertigen. Darauf Denn nichts ist groß, was nicht
antwortet der Dichter: „Nicht so vieles wahr ist
Federlesen !/Laß mich immer nur her¬ Das Zitat ist der Schlußsatz aus Gott¬
ein :/Denn ich bin ein Mensch gewe¬ hold Ephraim Lessings (1729-1781) 30.
sen, /Und das heißt ein Kämpfer sein.“ Stück der „Hamburgischen Dramatur¬
Damit ist gemeint, daß der tägliche gie“ vom 11. August 1767. Der Autor
Kampf mit den großen und kleinen wertet damit am Beispiel der Kleopatra
Schwierigkeiten des Lebens dem Men¬ die Helden der Corneilleschen Tragödie
schen alles abverlangt. Wer in diesem ab. „Nicht wahr“ bedeutet bei Lessing
Daseinskampf besteht, ist ein Kämpfer „unnatürlich, gekünstelt“; er bezieht
und ein wahrer Held. Zum Ausdruck sein Diktum auf den Stolz als Motivati¬
dieses Gedankens werden die Zeilen on der Corneilleschen Kleopatra, wo
auch heute zitiert. Eifersucht seiner Ansicht nach natürli-
103
denn Teil I
eher, „wahrer“ gewesen wäre. Das Zitat größeres Leid kommen als das, was ihm
wird heute im allgemeineren Sinne ver¬ jetzt zugefügt würde. Dies verdeutlichte
wendet; man drückt damit aus, daß er dann mit einem Bild: Wer achtlos
wahre Größe nicht auf Lüge, auf fal¬ und ohne Rücksicht grünes Holz
schen Schein gegründet sein kann. (= Gottes Sohn) abbricht und so den
„lebendigen“ Baum zerstört, wie wird
Denn sie hat viel geliebt der erst mit dürrem, wertlosem Holz
(= mit den Menschen) umgehen? Wir
Dieser Vers aus dem Lukasevangelium
verwenden das Bibelwort, um auszu¬
(7,47) lautet vollständig; „Ihr sind viele
drücken, daß dort, wo auf das gesunde,
Sünden vergeben, denn sie hat viel ge¬
junge, noch im Wachstum befindliche
liebt (revidierte Fassung von 1964; dar¬
Leben keine Rücksicht genommen wird.
um hat sie mir viel Liebe erzeigt).“ Die
Alte, Kranke und Bedürftige erst recht
Worte beziehen sich auf eine „büßende
keine Rücksichtnahme und Hilfe erwar¬
Sünderin“, die Jesus die Füße wäscht
ten können. Man kann mit diesen Wor¬
und salbt, während er zu Tische sitzt.
ten jedoch auch zum Ausdruck bringen,
Heute werden sie meist auf eine Frau
daß es verhängnisvoll wäre, an eine pri¬
bezogen, die auf ein aufopferungsvolles
vilegierte Gruppe (z. B. Politiker) ande¬
Leben zurückblicken kann. Sie können
re Maßstäbe anzulegen als an andere
aber auch gebraucht werden, wenn auf
Menschen. Zitiert wird auch in der
eine Frau angespielt werden soll, die
Form: „So das geschieht am grünen
zahlreiche Liebschaften hatte.
Holz
104
Teil I
denn
mand etwas im Schilde führt und man sich zur Höchstleistung aufzuschwin¬
dadurch große Unannehmlichkeiten auf gen, denn nur so kann er „ein lebend
sich zukommen sieht. Denkmal sich erbaun“. Schiller greift in
diesem Prolog das Wort des römischen
Denn was man schwarz auf weiß Dichters Horaz (65-8 v.Chr.) auf, der in
besitzt, kann man getrost nach seinen „Satiren“ sagt: „Den hervorra¬
Hause tragen gendsten Männern gefallen zu haben ist
Dies sind die Worte des Schülers in der nicht das geringste Lob“ (I, 17,35; latei¬
sogenannten „Schülerszene“ in Goethes nisch : principibus placuisse viris non ulti¬
Faust (1. Teil, Studierzimmer 2). Der ma laus est). - Mit dem heute seltener
gebrauchten Zitat wird zum Ausdruck
Schüler hält es für nützlich. Gehörtes
schriftlich festzuhalten, um es dann im¬ gebracht, daß nicht unbedingt die Popu¬
mer parat zu haben. Heute werden diese larität bei der breiten Masse dauerhaf¬
Worte - oft ironisch - zitiert, wenn es ten Ruhm gewährleistet, sondern daß
diesen nur die Anerkennung durch her¬
darum geht, eine Unterlage über eine
Aussage, Vereinbarung o. ä. zu haben. ausragende Persönlichkeiten bringen
kann.
105
denn Teil I
106
Teil I deutsche
wird davon berichtet, daß Pharisäer und bringenden Götter auf die Bühne
Schriftgelehrte eine „Ehebrecherin“ zu schweben ließ.
Jesus brachten und ihn (um ihn zu einer
falschen Reaktion zu verleiten) fragten: Deutsch sein heißt eine Sache um
„Mose ... hat uns im Gesetz geboten, ihrer selbst willen tun
solche zu steinigen; was sagst du?“ Die
Die heute meist spöttisch oder zynisch
entwaffnende Antwort Jesu lautete
gebrauchte Redensart wird auf jeman¬
(8,7): „Wer unter euch ohne Sünde ist,
des Handeln bezogen, der nicht gewillt
der werfe den ersten Stein auf sie.“
ist, selbstkritisch nach dem Sinn und
Zweck seines Tuns zu fragen. Die Sen¬
Derjenige, welcher tenz ist auf eine ähnliche (andersge¬
meinte) Äußerung Richard Wagners in
Dieser umgangssprachliche Ausdruck,
seinem 1867 veröffentlichten Aufsatz
der im Sinne von „der, auf den es an¬
„Deutsche Kunst und deutsche Politik“
kommt, von dem die Rede ist“ verwen¬
zurückzuführen, wo es im Zusammen¬
det wird, stammt aus dem Einakter
hang heißt: „Hier kam es zum Bewußt¬
„Das Fest der Handwerker“ von Louis
sein und erhielt seinen bestimmten Aus¬
Angely (1787-1835), dem Schöpfer der
druck, was deutsch sei, nämlich: die Sa¬
frühen Berliner Lokalposse. Im Stück
che, die man treibt, um ihrer selbst und
selbst heißt es „allemal derjenige, wel¬
der Freude an ihr willen treiben“.
cher“.
107
deutsche Teil I
108
Teil I Dichtung
109
die Teil I
Die ich rief, die Geister nehmen will und von der er noch nicht
weiß, daß sie seine Schwester ist. - Das
Gegen Ende von Goethes Ballade „Der
Zitat wird - häufig in der verkürzten
Zauberlehrling“ wird eben diesem Zau¬
Form „Die oder keine!“ - auch heute
berlehrling klar, daß sich die von ihm
meist auf die Frau bezogen, in der man
herbeigezauberten dienstbaren Geister
seine ideale Lebensgefährtin sieht.
nicht mehr unter Kontrolle bringen las¬
sen und mehr tun, als sie eigentlich soll¬
Die mit Tränen säen, werden mit
ten. Da ihm die Zauberformel zur Been¬
Freuden ernten
digung dieses Treibens nicht einfällt,
seufzt er verzweifelt: „Die ich rief, die Bei diesen Worten handelt es sich um
Geister,/Werd’ ich nun nicht los.“ - Das den 5. Vers im 126. Psalm des Alten Te¬
Zitat wird heute (auch in der Form „die staments. In Situationen der Not und
Geister, die ich rief1) gebraucht, wenn Verzweiflung, die kaum noch Zukunfts¬
eine Entwicklung, die man selbst mit in hoffnungen aufkommen lassen, soll mit
Gang gebracht hat, außer Kontrolle ge¬ diesem Zitat Trost im Hinblick auf bes¬
rät und nicht mehr aufgehalten werden sere Zeiten gespendet werden. Gleich¬
kann. zeitig wird damit angesprochen, daß
man sich erst über etwas wirklich freuen
kann, den Wert einer glücklichen Phase
Die im Dunkeln sieht man nicht
nur dann richtig zu schätzen weiß, wenn
Am 31. 8. 1928 wurde in Berlin „Die
man auch schlimme Zeiten durchge¬
Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht
macht hat.
(1898-1956), zu der Kurt Weill (1900-
1950) die Musik schrieb, uraufgeführt. Die spinnen, die Römer!
Der populärste Song aus diesem Werk
Dies ist eine stehende Redewendung
ist die „Moritat von Mackie Messer“,
von Obelix, einem der Helden der in
mit der die Oper beginnt. Zu diesem
viele Sprachen übersetzten französi¬
Song hat Brecht nachträglich einige
schen Comicserie „Asterix“. Die von
Strophen geschrieben, von denen be¬
dem Kinderbuchautor Rene Goscinny
sonders die letzte sehr bekannt ist und
und dem Zeichner Albert Uderzo ge¬
oft zitiert wird. Sie greift unter gesell¬
schaffene Serie erschien zuerst 1959 in
schaftskritischem Aspekt das von
der Comiczeitschrift „Pilote“. Die
Brecht in vielen Variationen behandelte
durch einen Zaubertrank unbesiegbaren
Thema der sozialen Ungerechtigkeit er¬
Gallier stehen in ständiger Auseinan¬
neut auf und weist mit dem Bild von
dersetzung mit den Römern, deren Ver¬
Licht und Dunkel eindringlich auf die
halten dem etwas einfältigen Obelix oft
unterschiedliche Lebenssituation der
unverständlich erscheint. Sein Kom¬
vom Schicksal Begünstigten und der Be¬
mentar (französisch: Ils sont fous, les
nachteiligten hin. Die Strophe lautet:
Romains!) wird - häufig auch in Ab¬
„Denn die einen sind im Dunkeln/Und
wandlungen wie „Die spinnen, die Poli¬
die andern sind im Licht./Und man sie-
tiker!“ oder „Die spinnen, die Leh¬
het die im Lichte./Die im Dunkeln sieht
rer!“ - umgangssprachlich zitiert, wenn
man nicht.“ Die vorletzte Zeile wird,
man eine Handlungsweise oder Einstel¬
ebenso wie die letzte, häufig auch allein
lung als unsinnig und unakzeptabel cha¬
zitiert, meist in der Form: „Man sieht
rakterisieren will.
nur die im Lichte“.
110
Teil I dies
er an diesem Tage noch niemandem ei¬ auf dem Dach seines Palastes und sagt,
nen Wunsch erfüllt habe, gesagt haben zufrieden auf das von ihm beherrschte
soll: Amici, diem perdidi („Freunde, ich Inselreich Samos schauend, zu dem
habe einen Tag verloren“). Man ge¬ ägyptischen König: „Dies alles ist mir
braucht den bildungssprachlichen Aus¬ untertänig.“ Heute werden diese Worte
druck als Kommentar zu einem Tag, an meist scherzhaft, aber nicht ohne Stolz
dem man nichts Positives geleistet oder zitiert, wenn jemand die Machtposition,
erreicht hat, an dem man vielleicht so¬ die er innehat, kommentieren will.
gar eine günstige Gelegenheit nicht
wahrnehmen konnte. Dies Bildnis ist bezaubernd schön
So äußert im 1. Akt von Mozarts Oper
Der Diener zweier Herren „Die Zauberflöte“ Prinz Tamino sein
t Niemand kann zwei Herren dienen Entzücken, als er zum ersten Male das
Bildnis Prinzessin Paminas sieht. Der
Text des 1791 in Wien uraufgeführten
Dienstbare Geister
Musikwerks stammt von dem Bühnen¬
Im Brief an die Hebräer (1,14) aus dem dichter Emanuel Schikaneder (1751 bis
Neuen Testament wird zur Stellung der
1812). - Das heute wohl nur noch
Engel (im Verhältnis zu Christus) die scherzhaft oder ironisch gebrauchte Zi¬
rhetorische Frage gestellt: „Sind sie
tat kommentiert die Abbildung eines
nicht allzumal dienstbare Geister, aus¬ schön anzusehenden Menschen oder
gesandt zum Dienst um derer willen, die
eines schönen Gegenstandes. Oft
ererben sollen die Seligkeit?“ Heute schwingt dabei ein leiser Zweifel mit, ob
spricht man verhüllend oder anerken¬ das Bild auch tatsächlich dem Abgebil¬
nend von dienstbaren Geistern, wenn deten entspricht.
man Dienstpersonal besonders im
Haushalt oder im Hotel meint, das,
Dies irae, dies illa
meist im Hintergrund arbeitend, not¬
wendige, aber oft unzureichend gewür¬ Der Franziskaner Thomas von Celano
digte Aufgaben übernimmt. (um 1190-1260) soll die ergreifende
Hymne „Dies irae, dies illa“ verfaßt ha¬
ben, die auch als Sequenz in die katholi¬
Des Dienstes immer gleich gestell¬
sche Totenmesse aufgenommen wurde.
te Uhr Der lateinische Text beginnt mit den
Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬ Versen: Dies irae, dies illa/Solvet sae-
ma „Die Piccolomini“ (1,4). Dort sagt clum in favilla (in freier deutscher Nach¬
Max Piccolomini, als er voll Sehnsucht dichtung: „Tag der Rache, Tag der Zäh-
nach dem Frieden gegenüber seinem ren,/Wird die Welt in Asche kehren“).
Bruder Octavio über das eintönige und Mit diesem lateinischen Text wird auch
unbefriedigende Soldatenleben klagt: Gretchen in Goethes Faust (I, „Dom¬
„Denn dieses Lagers lärmendes Ge¬ szene“) in Anspielung auf das Jüngste
wühl,/Der Pferde Wiehern, der Trompe¬ Gericht konfrontiert. Heute wird das Zi¬
te Schmettern,/Des Dienstes immer tat „Dies irae, dies illa“ (wörtlich: „Tag
gleichgestellte Uhr,/Die Waffenübung, des Zornes, jener Tag“) in gebildeter
das Kommandowort -/Dem Herzen Ausdrucksweise auf einen Tag bezogen,
gibt es nichts, dem lechzenden.“ Heute an dem man heftige Vorwürfe, laute
wird das Zitat oft resignierend auf die Auseinandersetzungen befürchtet oder
Monotonie des Alltags, besonders auf diese über sich ergehen lassen muß.
sich immer wiederholende Tagesabläu¬
fe im Berufsleben bezogen. Dies ist die Zeit der Könige nicht
mehr
Dies alles ist mir untertänig Dieses Zitat stammt aus Hölderlins in
Zu Beginn von Schillers Ballade „Der den Jahren 1797 bis 1800 entstandenen
Ring des Polykrates“ steht Polykrates ersten Fassung des Dramas „Der Tod
111
dies Teil I
des Empedokles“ (11,4). Dort antwortet one giant leap for mankind („Dies ist ein
Empedokles, der sich innerlich längst kleiner Schritt für einen Menschen, ein
für den Freitod entschieden hat, einem riesiger Sprung für die Menschheit“).
Bürger von Akragas auf dessen im Na¬ Man kommentiert mit diesem Zitat Ak¬
men des Volkes vorgetragenen Wunsch, tionen oder Leistungen, die für sich ge¬
er möge doch ihr König werden: „Dies nommen eher unbedeutend erscheinen,
ist die Zeit der Könige nicht mehr.“ Mit aber im Zusammenhang mit großen,
dem ebenfalls populär gewordenen umwälzenden Veränderungen in der
Ausspruch „Euch ist nicht zu helfen, Gesellschaft oder in einem Fachbereich
wenn ihr selber euch nicht helft“ ver¬ stehen.
deutlicht Empedokles seine Überzeu¬
gung, daß das Volk nur durch eine De¬
Dies Kind, kein Engel ist so rein
mokratie, nicht aber durch die Einset¬
zung eines Herrschers seine Probleme Dieses Zitat stammt aus Schillers Balla¬
lösen kann. Wenn man heute eine mon¬ de „Der Gang nach dem Eisenham¬
archistische oder diktatorische Staats¬ mer“, erschienen 1797 im „Musenalma¬
form für nicht mehr zeitgemäß hält oder nach für das Jahr 1798“; darin wird von
wenn man die unumschränkte Herr¬ dem jungen Diener Fridolin berichtet,
schaft eines einzelnen in einem be¬ der die Frau des Grafen von Savern sehr
stimmten Bereich kritisieren will, kann verehrt und verdächtigt wird, ein Ver¬
man zitierend sagen: „Dies ist die Zeit hältnis mit der Gräfin zu haben. Am En¬
der Könige nicht mehr.“ Außerdem de, als sich dieser Verdacht nicht bestä¬
wird das Zitat auch gelegentlich in ei¬ tigt hat, nimmt der Graf den Diener bei
nem allgemeineren Sinne gebraucht, um der Hand und sagt zu seiner Frau: „Dies
auszudrücken, daß eine Epoche vorüber Kind, kein Engel ist so rein,/Laßt’s Eu¬
ist, daß es eine Einrichtung nicht mehr rer Huld empfohlen sein!“ Wenn man
gibt, weil sie sich überlebt hat. zum Ausdruck bringen will, daß je¬
mand, besonders eine jüngere Person,
wirklich unschuldig ist oder eine makel¬
Dies ist ein Herbsttag, wie ich kei¬ lose Vergangenheit hat, zitiert man heu¬
nen sah te noch gelegentlich: „Dies Kind, kein
Mit diesen Worten beginnt die erste Engel ist so rein.“
Strophe von Christian Friedrich Heb¬
bels (1813-1863) Gedicht „Herbstbild“,
Dieselbe Hand gibt Heilung mir
in dem er beschreibt, wie trotz Windstil¬
und Wunden
le die reifen Früchte von den Bäumen
fallen. - Heute wird das Zitat in unter¬ Das vielleicht bekannteste Werk des ita¬
schiedlichen Abwandlungen verwendet, lienischen Dichters Francesco Petrarca
wenn man auf dem Hintergrund persön¬ (1304-1374) ist die unter dem Titel „II
licher Vergleichsmöglichkeiten etwas canzoniere“ („Liederbuch“) zusam¬
für besonders schön oder einzigartig mengefaßte Sammlung der Gedichte an
hält, zum Beispiel „Dies ist ein Festtag, Laura. Petrarca ließ darin das Bild einer
wie ich keinen sah“ oder „Dies ist ein Frau entstehen, die, anders als die ganz
Schauspiel, wie ich keines sah“. entrückte, engelhafte Frau des Minne¬
sangs, irdischere, individuelle Züge
trägt. In der Zeile „Dieselbe Hand gibt
Dies ist ein kleiner Schritt für einen
Heilung mir und Wunden“ aus dem
Menschen
131. Sonett klingt ein Motiv an, das spä¬
Dieses Zitat geht auf den amerikani¬ ter häufig aufgegriffen und in vielfälti¬
schen Astronauten Neil Armstrong zu¬ ger Weise formuliert wurde und bis ins
rück. Als er am 20.7. 1969 die Mondfäh¬ Volkslied hinein wirksam blieb: die
re verließ und als erster Mensch seinen Macht der Geliebten über den Lieben¬
Fuß auf den Mond setzte, sprach er die den, ihm Leiden zu bereiten und sie von
über die Medien weltweit verbreiteten ihm zu nehmen, ihn zu verwunden und
Worte: That's one small step for a man, zu heilen.
112
Teil I Ding
Diesem System keinen Mann und war, einfach weitergereicht wurde, ohne
keinen Groschen daß aus ihm getrunken wurde. Wenn
man heute zitiert „Dieser Kelch möge
Vorwiegend in Auseinandersetzungen
an mir vorübergehen“, dann verleiht
und Debatten, die im deutschen Reichs¬
man mit einer Art Stoßseufzer seiner
tag Ende des letzten Jahrhunderts statt¬
Hoffnung Ausdruck, daß einem ein
fanden, aber auch in Reden, Kundge¬
drohendes Ungemach erspart bleiben
bungen und Wahlaufrufen jener Jahre
möge.
wurde diese Devise als Formulierung ei¬
nes Grundsatzes sozialdemokratischer
Politik häufig gebraucht. Sie richtete Dieses war der erste Streich
sich vor allem gegen die Militäretats, die In der Bildgeschichte „Max und Mo¬
die Sozialdemokraten strikt ablehnten, ritz“ von Wilhelm Busch (1832-1908)
und wurde, auch in Abwandlungen, be¬ wird der zweite Streich der beiden Laus¬
sonders von dem Begründer und Führer buben im Text mit folgenden Worten
der deutschen Sozialdemokratie August angekündigt: „Dieses war der erste
Bebel (1840-1913) und dem Mitbegrün¬ Streich,/Doch der zweite folgt so¬
der Wilhelm Liebknecht (1826-1900), gleich.“ In entsprechender Weise wer¬
dem Vater von Karl Liebknecht, immer den auch alle folgenden Streiche mitein¬
wieder verwendet. ander verbunden. - Mit dem Zitat kom¬
mentiert man heute befriedigt oder hoff¬
Dieser Erdenkreis gewährt noch nungsvoll eine gelungene Aktion, die als
Raum zu großen Taten Beginn einer fest geplanten Abfolge
weiterer Aktionen angesehen wird.
Bei Themen, die die heute der Mensch¬
heit gestellten Aufgaben bei der Bewäl¬
Ding an sich
tigung der Probleme auf der Erde an¬
sprechen, könnte dieses Zitat herange¬ Dieser philosophische Ausdruck Findet
zogen werden. In Goethes Faust (Faust sich in Immanuel Kants „Kritik der rei¬
II, Hochgebirge, starre, zackige Felsen¬ nen Vernunft“ (1781), wo es im Zusam¬
gipfel) ist es die Antwort Fausts auf eine menhang heißt: „... folglich wir von kei¬
ironische Bemerkung Mephistos. Dieser nem Gegenstände als Ding an sich
hatte auf das unermüdlich suchende selbst, sondern nur sofern es Objekt der
Streben Fausts angespielt und dabei den sinnlichen Anschauung ist, ... Erkennt¬
Mond als mögliches Ziel dieses Stre- nis haben können.“ Und an anderer
bens genannt. Nach dem Hinweis auf Stelle schreibt Kant: „Was es für eine
den „Erdenkreis“ als sein zukünftiges Bewandtnis mit den Gegenständen an
Betätigungsfeld entwirft Faust seinen sich und abgesondert von aller dieser
Plan zu einem Projekt der Landgewin¬ Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben
nung. Er ist nun beherrscht von dem möge, bleibt uns gänzlich unbekannt.“
Gedanken „Das herrische Meer vom Außerhalb der philosophischen Fach¬
Ufer auszuschließen,/Der feuchten sprache sprechen wir von einem „Ding
Breite Grenzen zu verengen ..." an sich“ (meist in Abwandlungen wie
„die Idee an sich“ oder „der Sport an
Dieser Kelch möge an mir vorüber¬ sich“), wenn wir uns auf das Eigentli¬
che, Wesentliche einer Sache beziehen
gehen
wollen. Dabei bleibt Kants Reflexion
Im Matthäusevangelium (26,39) des über die begrenzte Erkenntnisfähigkeit
Neuen Testaments betet Jesus in Todes¬ des Menschen unbeachtet.
angst: „Mein Vater, ist’s möglich, so ge¬
he dieser Kelch von mir.“ Die bildhafte
Es gibt mehr Ding’ im Himmel und
Ausdrucksweise geht darauf zurück,
auf Erden, als eure Schulweisheit
daß es bereits in der Antike bei einem
Gastmahl üblich war, einen gemeinsa¬
sich träumt, Horatio
men Trinkkelch umgehen zu lassen, der, Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
wenn er mit schlechtem Wein gefüllt Tragödie „Hamlet“ (1,5). Im Original
113
Ding Teil I
sagt Hamlet, erschüttert von der Begeg¬ Dir wird gewiß einmal bei deiner
nung mit dem Geist seines Vaters, zu Gottähnlichkeit bange!
seinem Freund Horatio: There are more
In Goethes Faust (Faust I, Studierzim¬
things in heaven and earth, Horatio, then
mer, 2) schreibt Mephisto dem Schüler,
are dreamt of in your philosophy. Heute
der in seinem wissenschaftlichen Stre¬
wird dieser Satz gewöhnlich in der Form
ben nach einem geeigneten Weg sucht,
„Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel
das Richtige zu erkennen, einen Leitsatz
und Erde, als unsere Schulweisheit sich
in sein Stammbuch: „Eritis sicut Deus,
träumen läßt“ zitiert. Man kommentiert
scientes bonum et malum“ (nach 1. Mo¬
damit Erfahrungen, die uns die Be¬
ses 3,5: „... und werdet sein wie Gott
grenztheit unseres Wissens deutlich ma¬
und wissen, was gut und böse ist“). Dar¬
chen.
auf verläßt der Schüler ihn, und Mephi¬
sto fügt hinzu: „Folg’ nur dem alten
t Alles Ding währt seine Zeit Spruch und meiner Muhme, der Schlan-
ge,/Dir wird gewiß einmal bei deiner
Der Dinge harren, die da kommen Gottähnlichkeit bange!“ Vor diesem
sollen Hintergrund kann man das Zitat ver¬
wenden, um auszudrücken, daß es
Diese Redewendung gebraucht man,
manchmal besser ist, nicht alles zu wis¬
um auszudrücken, daß es für jemanden
sen, wenn man seine innere Ruhe be¬
gilt abzuwarten und zu sehen, wie sich
wahren will. Unabhängig vom Kontext
die Dinge entwickeln, was auf ihn zu¬
des Stückes gebraucht man das Zitat
kommt. Sie geht auf eine Stelle im Neu¬
aber auch, um einen sehr eingebildeten
en Testament zurück. Im 21. Kapitel des
Menschen spöttisch zurechtzuweisen.
Lukasevangeliums spricht Jesus von der
Zerstörung Jerusalems und von seiner
Zukunft. In diesem Zusammenhang Der diskrete Charme der Bour¬
heißt es in Vers 26: „... und die Men¬ geoisie
schen werden verschmachten vor Dies ist der Titel eines Films von Luis
Furcht und vor Warten der Dinge, die Bunuel aus dem Jahr 1972 (im französi¬
kommen sollen auf Erden ...“ schen Original: Le charme discret de la
bourgeoisie). In Anlehnung an diesen
Diogenes in der Tonne Film, der die bürgerliche Gesellschaft
In seinem Werk „Über Leben und Mei¬ als dekadent und zerrüttet darstellt,
nungen berühmter Philosophen“ be¬ wird auch das Zitat meist als Anspie¬
richtet der griechische Philosoph Dioge¬ lung auf unlautere Machenschaften der
nes Laertios (um 220 v. Chr.) auch über „besseren Kreise“ verwendet. In iro¬
Diogenes von Sinope (400-ca. 328 nisch abgemilderter Form kann es auch
v. Chr.), der nach einer Anekdote im auf übertriebene Verfeinerungen des
Metroon, dem Tempel der Göttermutter bürgerlichen Lebensstils bezogen wer¬
Kybele, in einem Faß gewohnt haben den. Scherzhafte Abwandlungen wie
soll. Er zählt zu den Kynikern, den An¬ „der diskrete Charme des Kasernen¬
gehörigen einer antiken Philosophen¬ hofs“ sind ebenfalls gebräuchlich.
schule, die Bedürfnislosigkeit und
Selbstgenügsamkeit forderten, und lebte Divide et impera!
diesen Grundsätzen entsprechend be¬ Dieses Zitat („Teile und herrsche!“)
wußt anders, als es Konventionen oder geht wahrscheinlich nicht, wie man mei¬
gesellschaftlichen Zwängen entspro¬ nen könnte, auf die römische Antike zu¬
chen hätte. In Anspielung auf jemandes rück. Im Sinne von „Entzweie, um zu
selbstzufriedene, gesellschaftsferne, de¬ gebieten!“ soll die lateinische Form
monstrativ einfache, asketische oder nach einem Leitsatz König Ludwigs XI.
auch alternative Art zu leben kann ge¬ von Frankreich (1423-83) gebildet wor¬
sagt werden: Er lebt wie „Diogenes in den sein (diviser pour regner). Zur Siche¬
der Tonne“. rung ihrer Macht haben sich in der Ge-
114
Teil I doch
schichte immer wieder Herrscher von nen kann :/Doch der den Augenblick er¬
diesem Gedanken leiten lassen. Goethe greift,/Das ist der rechte Mann.“ Beson¬
stellt dazu in seiner Sammlung „Sprich¬ ders bei den weiblichen Patienten gelte
wörtliches“ eine Antithese auf: „Ent¬ es, sie durch entschlossenes Auftreten
zwei’ und gebiete! Tüchtig Wort ^Ver¬ zu beeindrucken: mit feurigen Blicken
ein’ und leite! Beßrer Hort.“ und wohldosierten Vertraulichkeiten
seien ihre Leiden leicht zu kurieren.
Do ut des
Diese altrömische Rechtsformel, die bei Doch der Mensch hofft immer Ver¬
Vertragsabschlüssen oder Tauschge¬ besserung
schäften gebraucht wurde, bedeutet
t Noch am Grabe pflanzt er die Hoff¬
übersetzt: „Ich gebe, damit du gibst.“
nung auf
Sie findet sich in dem Hauptwerk des
niederländischen Rechtsgelehrten Hu¬
go Grotius (1583-1645), das unter dem Doch der Segen kommt von oben
Titel „De jure belli ac pacis libri tres“ Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬
(„Drei Bücher über das Recht des Krie¬ dicht „Das Lied von der Glocke“. Mit
ges und des Friedens“) im Jahre 1625 den Zeilen „Von der Stirne heiß/Rinnen
veröffentlicht wurde. Heute wird sie ge¬ muß der Schweiß,/Soll das Werk den
braucht, um anzudeuten, daß man mit Meister loben ;/Doch der Segen kommt
einer Gegengabe oder einem Gegen¬ von oben“ endet die erste Strophe. Die
dienst rechnet. Anstrengung des Menschen ist für das
Gelingen einer Arbeit wichtig, aber Got¬
Doch, ach! schon auf des Weges tes Segen ist ebenso unerläßlich. - Heu¬
Mitte te wird die letzte Zeile fast nur noch vor¬
Wenn man erschrocken feststellt, daß dergründig-scherzhaft zitiert, wenn zum
man womöglich schon die Hälfte seines Beispiel etwas von oben auf jemanden
Lebens hinter sich hat und die im Rück¬ fällt oder wenn jemand von einem Re¬
blick schöne Zeit der Jugend unwieder¬ genguß durchnäßt wird.
bringlich vorbei ist, zitiert man aus
Schillers „Die Ideale“ den Vers: „Doch, Doch die Verhältnisse, sie sind
ach! schon auf des Weges Mitte“. In
nicht so
diesem Gedicht wird beklagt, daß die
Dieses Zitat stammt aus der 1928 ent¬
Begleiter der Jugend, nämlich die Ideale
standenen Dreigroschenoper von Ber¬
Liebe, Glück, Ruhm und Wahrheit,
tolt Brecht. Im „Ersten Dreigroschen-
keinen dauerhaften Bestand haben:
Finale“ stellt der den Armen wohlge¬
„Doch, ach! schon auf des Weges Mitte/
sinnte Geschäftsmann Peachum mit der
Verloren die Begleiter sich,/Sie wandten
Bibel in den Händen fest: „Doch leider
treulos ihre Schritte,/Und einer nach
hat man bisher nie vernommen/Daß ei¬
dem andern wich.“
ner auch sein Recht bekam - ach
wo!/Wer hätte nicht gern einmal Recht
Doch der den Augenblick ergreift,
bekommen/Doch die Verhältnisse, sie
das ist der rechte Mann sind nicht so.“ Man zitiert die letzte Zei¬
Mit diesem Zitat aus der Schülerszene le, wenn äußere Umstände ein Vorha¬
in Goethes Faust I weist man darauf ben vereiteln oder um bestehende Unge¬
hin, daß es im Leben darauf ankommt, rechtigkeiten oder Unzulänglichkeiten
zur rechten Zeit zu handeln, seine Chan¬ zu kritisieren.
ce zu nutzen. Im Stück versucht Mephi¬
sto, dem Schüler einzureden, daß ein er¬
Doch eine Würde, eine Höhe ent¬
folgreicher Arzt sich nicht mit allzulan¬
gem Studium aufhalten solle: „Verge¬ fernte die Vertraulichkeit
bens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich Das Zitat, mit dem man jemandes (oft
schweift,/Ein jeder lernt nur, was er ler¬ auf Grund seiner Stellung) distanzierte.
115
doch Teil I
116
Teil I Don
Dolce vita
Doch wie’s da drin aussieht Diese Bezeichnung für ein Leben im Lu¬
xus, das nur aus Müßiggang und Ver¬
Dieses Zitat stammt aus der 1929 urauf-
gnügen besteht, stammt aus dem Italie¬
geführten romantischen Operette „Das
nischen und bedeutet „süßes Leben“.
Land des Lächelns“ (Musik: Franz Le¬
Sie wurde durch den 1959 gedrehten
har; Text: Ludwig Herzer und Fritz
Film La dolce vita des italienischen Re¬
Löhner). Es ist Teil einer Arie des chine¬
gisseurs Federico Fellini populär, in
sischen Prinzen Sou-Chong, der Lisa,
dem das Leben und Treiben der römi¬
die Tochter des Grafen Lichtenfels liebt,
schen High-Society Ende der fünfziger
diese Liebe zu einer Europäerin aber für
Jahre kritisch beleuchtet wird. - Sowohl
hoffnungslos hält und sich nach dem
„das süße Leben“ als auch „Dolce vita“
Grundsatz „Immer nur lächeln“ nach
sind heute als bildlich gebrauchte Aus¬
außen hin nichts anmerken läßt: „Doch
drücke üblich.
wie’s da drin aussieht,/geht niemand
was an!“ Auch heute kommentieren wir
mit dem Zitat Situationen, in denen die Don Camillo und Peppone
nach außen hin gezeigte heitere Gelas¬ Der deutsche Titel dieses französisch¬
senheit eines Menschen offensichtlich italienischen Spielfilms von 1952
im Widerspruch zu seinen wahren Emp¬ (Hauptdarsteller: Fernandel und Gino
findungen steht. In einer ebenfalls häu¬ Cervi; italienischer Titel: 11 Piccolo mon-
figer zitierten Zeile aus derselben Arie do di Don Camillo) wird heute noch ge¬
wird der gleiche Gedanke noch einmal legentlich auf eine letztlich doch
in anderer Form ausgedrückt. Sie lautet: freundschaftliche Konkurrenzbezie¬
„Lächeln trotz Weh und tausend hung zwischen einem Ortspfarrer und
Schmerzen, doch niemals zeigen sein dem weltlichen Bürgermeister bezogen,
wahres Gesicht.“ wie sie hin und wieder in ländlichen Ge¬
meinden anzutreffen ist. Der Film wur¬
de nach dem gleichnamigen Roman von
t Sollen dich die Dohlen nicht um- Giovanni Guareschi (1908-1968) ge¬
schrein, mußt nicht Knopf auf dem dreht und handelt von dem listigen
Kirchenturm sein Dorfgeistlichen Don Camillo und sei-
117
Donner Teil I
Doppelt gibt, wer gleich gibt Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Dieses Zitat geht auf einen Spruch des Dies ist der Titel eines 1931 gedrehten
römischen Dichters Publilius Syrus klassischen Horrorfilms, der ersten Ver¬
(l.Jh. v.Chr.) zurück, der im Original filmung der Erzählung „Der seltsame
lautet: Inopi beneficium bis dat, qui dat Fall des Doctor Jekyll und des Herrn
celeriter („Dem Armen gibt eine doppel¬ Hyde“ (englisch: The Strange Case of
te Gabe, wer schnell gibt“). In Anleh¬ Dr. Jekyll and Mr. Hyde) von Robert
nung an die bekanntere gekürzte Form Louis Stevenson (1850-1894). Thema
Bis dat, qui cito dat („Doppelt gibt, wer ist das Problem der Persönlichkeitsspal¬
schnell gibt“) heißt es bei Goethe (Ge¬ tung. Es wird an einem Arzt aufgezeigt.
118
Teil I Dreiecksverhältnis
der seine Theorie der Trennungsmög¬ wie es in einer Vorbemerkung des Stük-
lichkeit von Gut und Böse im Menschen kes heißt. Der Titel wird heute zitiert,
an sich selbst mit Hilfe eines von ihm um Situationen zu kennzeichnen, in de¬
entdeckten Elixiers praktiziert. Durch nen jemand von etwas ausgeschlossen
die von ihm herbeigeführte Aufspaltung oder an etwas nicht beteiligt wird.
seiner Person in ein gutes und ein böses
Ich, in ein Tag- und ein Nachtwesen, ge¬ Die drei Grazien
rät er schließlich ins Verderben, da er
Die drei Grazien waren im römischen
den Wechsel zwischen beiden auf die
Altertum als göttliche Gestalten Sinn¬
Dauer nicht mehr kontrollieren kann.
bilderjugendlicher Anmut und Lebens¬
Der Titel des Films wird gelegentlich
freude. Sie entsprechen den Chariten
herangezogen, wenn man die extremen,
der griechischen Mythologie, die bei
unverständlich erscheinenden Verhal¬
dem altgriechischen Dichter Hesiod
tensweisen eines Menschen kennzeich¬
(um 700 v. Chr.) als Dreiheit auftreten
nen will.
und sich häufig im Gefolge von Hermes,
Drachensaat Aphrodite und Apoll finden. Heute be¬
zeichnet man so - scherzhaft, oft auch
Gedanken oder Äußerungen, die Zwie¬ ironisch - drei weibliche Personen, die
tracht säen oder anderen Schaden an-
gemeinsam in Erscheinung treten.
richten, werden nach einer Fabel des rö¬
mischen Schriftstellers Hyginus (t um
Drei Wochen war der Frosch so
10 n. Chr.) in gehobener Sprache häufig
krank!
mit dieser Metapher bezeichnet. In der
Fabel wird erzählt, wie Kadmos, der Dieser Ausspruch wird gerne als scherz¬
Ahnherr des thebanischen Königshau¬ hafter Kommentar zu jemandes Gene¬
ses, in der griechischen Mythologie ei¬ sung gebraucht, oft ergänzt durch den
nen dem Gott Ares heiligen Drachen er¬ Satz: „Nun raucht er wieder, Gott sei
schlägt. Auf den Rat der Göttin Athene Dank!“ Die beiden Sätze zusammen bil¬
sät er dessen Zähne in die Erde. Aus den den Schluß einer kleinen Bilderge¬
dieser „Drachensaat“ erwachsen dann schichte von Wilhelm Busch (1832 bis
gewaltige Krieger, die sich gegenseitig 1908) mit dem Titel „Die beiden Enten
erschlagen. und der Frosch“. In dieser Geschichte
wird erzählt, wie ein Frosch nach turbu¬
t Von drauß’ vom Walde komm ich lenter und aufregender Verfolgungsjagd
her zwei jungen Enten entkommen kann,
die ihrerseits einem Koch zum Opfer
Draußen vor der Tür fallen.
119
dreifach Teil I
Dreifach ist der Schritt der Zeit lution (1789) erschienene einflußreiche
Mit diesen Worten werden die drei Zeit¬ Schrift Qu'est-ce que le Tiers Etat?
(„Was ist der dritte Stand?“) von Em¬
stufen „Zukunft“, „Gegenwart“ und
„Vergangenheit“ angesprochen, die der manuel-Joseph Sieyes. Darin heißt es:
Mensch ganz unterschiedlich empfin¬ Qu’est-ce que le Tiers Etat? Tout.
det. Es handelt sich dabei um die erste Qu'a-t-il ete jusqu’ä present dans l’ordre
Zeile des 1795 entstandenen Gedichts politique? Rien. Que demande-t-il? A y
„Spruch des Konfuzius“ von Schiller. devenir quelque chose. („Was ist der drit¬
In den drei folgenden Zeilen des Ge¬ te Stand? Alles. Was war er bis heute in
dichts wird das dreifache Verhältnis des der politischen Ordnung? Nichts. Was
Menschen zur Zeit näher erläutert: „Zö¬ fordert er? Dort etwas zu werden.“)
gernd kommt die Zukunft hergegan-
gen,/Pfeilschnell ist das Jetzt entflo- Der Dritte im Bunde
gen,/Ewig still steht die Vergangenheit.“ Diese Wendung im Sinne von „der drit¬
te Teilnehmer“ wurde durch Schillers
Dreimal umgezogen ist so gut wie Ballade „Die Bürgschaft“ (1797 im
einmal abgebrannt „Musenalmanach für das Jahr 1798“ er¬
schienen) im Deutschen gebräuchlich.
Diese Redensart geht auf das englische
Nachdem der Tyrann von Syrakus Zeu¬
Three removals are as bad as a fire zu¬
ge unverbrüchlicher Freundestreue ge¬
rück, das sich schon bei Benjamin
worden ist, empfindet er „ein menschli¬
Franklin (1706-1790) im Vorwort seines
ches Rühren“ und bittet mit folgenden
„Poor Richard’s Almanack“ findet: I
Worten darum, in diesen Freund¬
never saw an oft removed Tree,/Nor yet
schaftsbund aufgenommen zu werden:
an oft removed Family,/That throve so
„Ich sei, gewährt mir die Bitte,/In eurem
well, as those that settled be. And
Bunde der Dritte.“ - Der Ausdruck
again,/Three Removes are as bad as a
kommt bereits bei den Autoren der An¬
Fire. („Ich sah nie einen oft umgepflanz¬
tike in verschiedenen Quellen vor, zum
ten Baum, noch eine Familie, die oft
Beispiel im „Leben des Pythagoras“ von
umgezogen war, die so gut gediehen wie
Aristoxenos von Tarent (um 350-300
die, die ihren festen Platz hatten. Und
v. Chr.) und in Ciceros (106-43 v.Chr.)
noch einmal: Drei Umzüge sind so
„Tusculanae disputationes“ (= „Ge¬
schlimm wie ein Feuer.“) Mit der Re¬
spräche in Tusculum“) und „De offici-
densart bringt man auch heute noch
is“ (= „Vom pflichtgemäßen Han¬
zum Ausdruck, daß beim Wohnungs¬
deln“).
wechsel immer etwas zu Bruch geht
oder ganz und gar abhanden kommt.
t Nach drüben ist die Aussicht uns
verrannt
Für dreißig Silberlinge verraten
t Judas
Druckerschwärze auf Papier
Die t Presse - Druckerschwärze auf Pa¬
t Und alles ist Dressur pier
t Und drinnen waltet die züchtige Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Hausfrau ob sich das Herz zum Herzen fin¬
det!
Der dritte Stand
Diese Zeilen stammen aus Schillers
Der historische Begriff mit der Bedeu¬ „Lied von der Glocke“; sie raten zur Be¬
tung „das Bürgertum neben Adel und sonnenheit bei der Wahl des Lebensge¬
Geistlichkeit“ ist nach dem französi¬ fährten oder der Lebensgefährtin. Wie
schen le tiers etat gebildet. Besonders viele Verse dieses Gedichts werden sie
verbreitet wurde er wohl durch die vor heute fast nur noch in scherzhaft abge¬
dem Ausbruch der Französischen Revo¬ wandelter Form gebraucht, etwa mit fol-
120
Teil I du
gendem zweiten Teil: ob sich nicht spricht diese Worte. Er richtet sie an
noch was Beßres findet“. Faust, den er durch die „Geister“ in
Schlaf versenken ließ, weil dieser ihn
Drum soll der Sänger mit dem Kö¬ zuvor mit den Worten „Den Teufe! hal¬
nig gehen te, wer ihn hält!“ nicht so schnell Wegge¬
Im zweiten Auftritt des ersten Aufzugs hen lassen wollte. Man zitiert diese Äu¬
von Schillers romantischer Tragödie ßerung des Mephisto, wenn man jeman¬
„Die Jungfrau von Orleans“ (1801) sagt dem etwas zu verstehen geben will wie:
der König, Karl VII. von Frankreich, „Wenn du mich hereinlegen willst, mußt
über die an seinem Hof weilenden Sän¬ du dir schon etwas mehr einfallen las¬
ger und ihre Kunst: „Sie machen uns sen“ oder allgemeiner auch: „Das
den dürren Zepter blühn,/Sie flechten schaffst du nicht, dieser Aufgabe bist du
noch nicht gewachsen.“
den unsterblich grünen Zweig/Des Le¬
bens in die unfruchtbare Krone,/Sie
Du bist Orplid, mein Land!
stellen herrschend sich den Herrschern
gleich,/Aus leichten Wünschen bauen Mit diesen Worten beginnt Eduard Mö-
sie sich Throne,/Und nicht im Raume rikes Gedicht „Gesang Weylas“ (1838).
liegt ihr harmlos Reich.“ Ihnen verbin¬ Zu den Namen „Orplid“ und „Weyla“
det sich der König mit den Worten: erfährt man Näheres in Mörikes Novel¬
„Drum soll der Sänger mit dem König le „Maler Nolten“, in deren erstem Teil
gehen,/Sie beide wohnen auf der der Schauspieler Larkens erzählt, daß er
Menschheit Höhen!“ - Mit dem wohl sich als Schüler mit einem Freund eine
nicht mehr sehr häufig gebrauchten Zi¬ eigene poetische Welt ausdachte: „Wir
tat läßt sich zum einen eine Verbindung erfanden für unsere Dichtung einen au¬
von Poesie und weltlicher Macht be¬ ßerhalb der bekannten Welt gelegenen
schwören, zum anderen stellt man damit Boden... Die Insel hieß Orplid, und ihre
die Dichtkunst auf eine sehr hohe ge¬ Lage dachte man sich in dem Stillen
sellschaftliche Stufe, betont ihr soziales Ozean zwischen Neuseeland und Süd¬
und damit auch politisches Gewicht. amerika. Orplid hieß vorzugsweise die
Stadt des bedeutendsten Königreichs:
sie soll von göttlicher Gründung gewe¬
Du ahnungsvoller Engel du!
sen sein, und die Göttin Weyla... war ih¬
Der Ausruf stammt aus dem ersten Teil re Beschützerin.“ Das Gedicht wurde
von Goethes Faust (1806). Faust rea¬ 1888 von Hugo Wolf vertont und hat da¬
giert mit diesen Worten auf Gretchens durch noch größere Bekanntheit gewon¬
Ablehnung Mephistos, der ihr gefühls¬ nen. - Das Zitat kann in gehobener
mäßig zuwider ist („Der Mensch, den Sprache die Sehnsucht nach einem be¬
du da bei dir hast,/Ist mir in tiefer innrer stimmten Ort oder das Glücksgefühl,
Seele verhaßt“). Das Zitat wird meist in dort angekommen zu sein, zum Aus¬
einer Situation gebraucht, in der jemand druck bringen.
instinktiv etwas Ungutes oder Negatives
richtig erkennt oder einschätzt. Häufig Du bist so blaß, Luise
wird allerdings auch falsch zitiert: „Du
Das gelegentlich scherzhaft gebrauchte
ahnungsloser Engel du!“, womit man
Zitat, mit dem man auf jemandes blas¬
den Sinn des Goetheschen Zitats in sein
ses Aussehen anspielt, stammt aus
Gegenteil verkehrt; mit dem abgewan¬
Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Ka¬
delten Zitat wird jemand leicht mitleidig
bale und Liebe“ (1784). Ferdinand von
oder spöttisch als ahnungslos oder naiv
Walter, der Luise, die Tochter des Musi¬
hingestellt.
kers Miller, liebt, richtet diese Worte an
sie: „Du bist blaß, Luise?“ Er forscht
Du bist noch nicht der Mann, den nach dem Grund für ihr blasses Ausse¬
Teufel festzuhalten hen und erfährt, daß sie die Hoffnungs¬
Der Teufel selbst, Mephisto nämlich in losigkeit ihrer Liebe bekümmert. Die ge¬
Goethes Faust (Faust I, Studierzimmer), sellschaftliche Kluft zwischen der Bür-
121
du Teil I
gerlichen und dem Adligen läßt für die ein von einer anderen Kraft An- oder
Gesellschaft ihrer Zeit keine Verbin¬ Vorangetriebener. Das in diesem Sinne
dung zwischen beiden zu. gebrauchte Zitat stammt aus Goethes
Faust (Teil I, Walpurgisnacht), wo Me¬
phisto mit diesen Worten das Gedränge
Du bist wie eine Blume
der Geister, Teufel und Hexen auf dem
In dem „Die Heimkehr“ überschriebe- nächtlichen Wege zum Blocksberg be¬
nen Zyklus von 88 Gedichten Heinrich
schreibt.
Heines (1797-1856) beginnt die Nr. 47
mit den Worten: „Du bist wie eine Blu¬
me/So hold und schön und rein“. Es ist Du gleichst dem Geist, den du be¬
eines der schönsten Liebesgedichte des greifst
Dichters, das von Franz Liszt, Robert Diese Worte stammen aus Goethes
Schumann und Hugo Wolf vertont wur¬ Faust (Teil I, Nacht). Faust hat den Erd¬
de. - Von einem eher romantisch veran¬ geist beschworen. Dieser erscheint ihm,
lagten Menschen könnte das Zitat auch spricht zu ihm und beschreibt sein eige¬
heute noch als Kompliment an eine ge¬ nes Wesen und Wirken: „Geburt und
liebte Frau gerichtet werden. Grab,/Ein ewiges Meer,/Ein wechselnd
Weben,/Ein glühend Leben,/So schaff
Du bleibst doch immer, was du bist ich am sausenden Webstuhl der
Mephisto belehrt Faust in der Studier¬ Zeit,/Und wirke der Gottheit lebendiges
zimmerszene im ersten Teil von Goethes Kleid.“ Faust ist von diesen Worten be¬
Faust, daß ihm all sein Streben nichts geistert, glaubt sich dem Wesen des Erd¬
nützt, weil er doch immer der gleiche geistes ganz nah, glaubt ihm zu gleichen.
bleiben wird: „Du bist am Ende - was Der Erdgeist aber gibt ihm schonungs¬
du bist./Setz’ dir Perücken auf von Mil¬ los und ohne Umschweife zu verstehen,
lionen Locken,/Setz’ deinen Fuß auf el¬ daß Faust nicht diesem Wesen, sondern
lenhohe Socken,/Du bleibst doch im¬ nur seiner eigenen unvollkommenen
mer, was du bist.“ - Das Zitat verweist Vorstellung davon gleicht. Er weist ihn
darauf, daß der Versuch, sich anders mit den Worten ab: „Du gleichst dem
darzustellen als man ist, letztlich erfolg¬ Geist, den du begreifst,/Nicht mir!“ und
los bleiben muß. verschwindet. Mit diesem Zitat gibt man
jemandem zu verstehen, daß er in ande¬
ren Bahnen denkt, daß er etwas nicht
Du fragst nach Dingen, Mädchen,
begriffen hat, es vielleicht gar nicht be¬
die dir nicht geziemen greifen kann.
Dieser Satz, der gewissermaßen mit ei¬
nem Augenzwinkern zitiert werden
kann, um einer Frage auszuweichen,
Du, glückliches Österreich, heirate!
stammt aus Schillers Drama „Die Jung¬ T Bella gerant alii, tu felix Austria, nube
frau von Orleans“ (Prolog, 3. Auftritt).
Thibaut d’Arc, der Vater von Johanna,
Du hast der Götter Gunst erfahren!
der späteren „Jungfrau von Orleans“,
spricht diese Worte. Sie bringen seine Es handelt sich bei dem Zitat um die
große Verwunderung darüber zum Aus¬ Anfangszeile der 2. Strophe von Schil¬
druck, daß seine Tochter mit so reger lers Ballade „Der Ring des Polykrates“,
Anteilnahme einem Bericht über den die auf einer Erzählung des griechi¬
Kriegsverlauf und die verlorenen schen Dichters Herodot beruht. Der
Schlachten der Franzosen folgt. König von Ägypten als Gast des Poly¬
krates, des Tyrannen von Samos, be¬
ginnt mit diesen Worten die Schilderung
Du glaubst zu schieben, und du des Glücks, das die Götter Polykrates
wirst geschoben gewährt haben. Die weiteren Glücks¬
Oftmals ist derjenige, der von sich botschaften flößen dem Gast jedoch
glaubt, die treibende Kraft zu sein, nur Entsetzen ein: „Mir grauet vor der Göt-
122
Teil I
du
ter Neide;/Des Lebens ungemischte das Verhalten eines Menschen aus, dem
Freude/Ward keinem Irdischen zuteil.“ man zu Unrecht vertraut hatte.
Mit dem oben genannten Zitat geben
wir auch heute unserer Meinung Aus¬ T Halte fest: Du hast vom Leben
druck, daß jemandem ein besonderes doch am Ende nur dich selber
Glück zuteil wurde. Und ebenso zitieren
wir „Mir grauet vor der Götter Neide“ Du liebes Kind, komm, geh mit
voller Unbehagen, wenn uns bei einer mir!
Aufeinanderfolge glücklicher Ereignis¬
se das Gefühl überkommt, ein Umschla¬ Diese heute nur noch als scherzhafte
Aufforderung gebrauchten Worte stam¬
gen ins Negative sei auf die Dauer un¬
ausweichlich. men aus einer der bekanntesten Balla¬
den von Goethe, aus dem „Erlkönig“.
Es sind die ersten Verführungsworte des
Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Erlkönigs, die der phantasierende Kna¬
ami be in den Armen seines durch die Nacht
t Belami reitenden Vaters zu hören glaubt: „Du
liebes Kind, komm, geh mit mir!/Gar
schöne Spiele spiel’ ich mit dir..."
Du hast mich heimgesucht bei
Nacht Du mußt dein Leben ändern!
Dies ist der Titel eines Buches, das 1954 Diese Forderung nach Selbstbesinnung
von Helmut Gollwitzer u. a. herausgege¬ und Veränderung, die sicherlich viele
ben wurde und „Abschiedsbriefe und schon einmal in irgendeiner Situation
Aufzeichnungen des Widerstandes ihres Lebens an sich selbst gestellt
1933-1945“ enthält. Der Titel geht auf haben, ist in dieser Weise in einem
eine Bibelstelle zurück. Im 17. Psalm, Gedicht von Rainer Maria Rilke
Vers 3 heißt es: „Du prüfst mein Herz (1875-1926) formuliert. Es ist das So¬
und siehst nach ihm des Nachts...“ bzw. nett „Archäischer Torso Apollos“ aus
in der revidierten Fassung der Luther- der Sammlung „Der neuen Gedichte an¬
Bibel: „Du prüfst mein Herz und suchst derer Teil“ von 1908. Am Ende dieses
es heim bei Nacht..." - Mit dem Zitat Gedichtes, das sich mit der Wirkung der
kann man zum Ausdruck bringen, daß Kunst auf den Menschen befaßt, steht
man von jemandem geträumt hat oder als Fazit diese zum geflügelten Wort ge¬
daß man sich mit jemandem in schlaflo¬ wordene Forderung an den Menschen.
ser Nacht in Gedanken beschäftigt hat.
Du red’st, wie du’s verstehst
Du hast’s erreicht, Oktavio! Mit diesem Zitat gibt man jemandem zu
Im 13. Auftritt des 3. Aktes von Schillers verstehen, daß er von einer Sache keine
Trauerspiel „Wallensteins Tod“ (1798/ Ahnung hat, nichts versteht. Es stammt
99) hält Wallenstein einen langen Mo¬ aus Schillers Drama „Wallenstein“ (Die
nolog, der mit diesen Worten beginnt. Piccolomini 11,6), wo der „kaiserliche
Er ist sich bewußt, daß nun fast alle sei¬ Generalissimus“ Wallenstein die Vor¬
haltungen des Feldmarschalls Illo auf
ne Soldaten und Offiziere ihn verlassen
diese Weise abtut. Dabei erkennt Illo
haben, weil sie den Verrat am Kaiser
die wirklichen Gegebenheiten, während
nicht mitmachen wollen. Oktavio Picco¬
Wallenstein in seinem Sternenglauben
lomini, einer seiner Generale, dem er bis
befangen ist.
zuletzt vertraut hatte, hat längst seinen
Mörder gedungen. Im Kontext des Mo¬
nologs heißt es: „Du hast’s erreicht, Ok¬
Du siehst mich lächelnd an, Eleo¬
tavio! - Fast bin ich/Jetzt so verlassen nore
wieder, als ich einst/Vom Regensburger Diesen Satz kann man jemandem ge¬
Fürstentage ging.“ - Mit dem Zitat genüber im Scherz zitieren, wenn man
drückt man seine Enttäuschung über ihn eigentlich fragen will: „Was hast
123
du Teil I
du? Was gibt es? Ist irgend etwas nicht verhält und keinerlei Konkurrenz neben
in Ordnung?“ Es ist der Satz, mit dem sich duldet.
das Schauspiel „Torquato Tasso“ von
Goethe beginnt, und er steht dort in ei¬ Du Spottgeburt von Dreck und
ner ganz ähnlichen Funktion. Die Prin¬ Feuer
zessin Leonore von Este spricht ihn zu
Diese derbe Beschimpfung stammt aus
ihrer Freundin Leonore Sanvitale und
Goethes Faust (Teil I, Marthens Gar¬
fährt entsprechend fort: „Was hast du?
ten). Sie ist gegen Mephisto gerichtet.
Laß es eine Freundin wissen!“
Faust reagiert damit heftig auf die zyni¬
schen Bemerkungen, die Mephisto über
Du siehst, mit diesem Trank im Gretchen und ihr Verhältnis zu Faust
Leibe, bald Helenen in jedem Wei¬ gemacht hat. Im Scherz ist die negative
be Kennzeichnung „Spottgeburt von
Dreck und Feuer“ von Personen oder
Dieser Ausspruch stammt aus Goethes
auch von Sachen, die man als besonders
Faust (Teil I, Hexenküche). Faust hat
häßlich oder mißlungen betrachtet,
den Trank der Hexe zu sich genommen
auch heute noch zu hören.
und möchte, bevor er mit Mephisto die
Hexenküche verläßt, noch einmal das
Du sprichst ein großes Wort gelas¬
Bild der schönen Helena sehen, das ihn
zuvor beim Blick in einen Spiegel schon
sen aus
entzückt hatte. Mephisto jedoch kom¬ Mit diesen Worten reagiert König Tho-
plimentiert ihn hinaus mit den Worten, as in Goethes „Iphigenie auf Taurus“
die die Wirkung des Trankes dahinge¬ (1,3) auf die Enthüllung der Heldin, sie
hend beschreiben, daß nun jede Frau sei aus dem verfluchten Geschlecht des
begehrenswert wie Helena für ihn sein Tantalus. Heute wird in diesem Zitat oft
wird. In ähnlichem Sinne können diese „großes Wort“ durch „wahres Wort“ er¬
Worte des Mephisto auch heute noch zi¬ setzt.
tiert werden, wenn von der Wirkung des
Alkohols bei Männern die Rede ist. Du sprichst von Zeiten, die vergan¬
gen sind
Du sollst dem Ochsen, der da In Schillers Drama „Don Kariös“ (1,2)
drischt, nicht das Maul verbinden hält Kariös diesen Satz seinem Jugend¬
freund, dem Marquis von Posa, entge¬
Diese sprichwörtliche Redensart ist ein
gen. Dieser hatte von Zeiten gespro¬
unverändert aus der Bibel übernomme¬
chen, als Don Kariös noch ein „löwen¬
nes Zitat. Es findet sich im 5. Buch Mo¬
kühner Jüngling“ war mit Träumen von
ses 25,4 und besagt, daß man jemanden,
Freiheit und einem „neuen goldnen Al¬
der schwer arbeitet, auch entsprechend
ter in Spanien“. Der niedergeschlagene
entlohnen, ihn in angemessener Weise
und völlig verunsicherte Kariös jedoch
an den Früchten seiner Arbeit teilhaben
möchte daran im Augenblick nicht erin¬
lassen soll. Das Bild des dreschenden
nert werden. Die Worte des Don Kariös
Ochsen bezieht sich auf die früher geüb¬
werden heute zitiert, wenn man jeman¬
te Technik des Dreschens, bei der man
dem klarmachen möchte, daß sich die
Ochsen in einem Rundlauf gehen und
Zeiten geändert haben, daß es nutzlos
die Ähren mit den Hufen zertreten ließ.
ist, sich ans Vergangene zu klammern.
Du sollst keine anderen Götter ne¬ Du trägst den Cäsar und sein
ben mir haben Glück
Dieser Teil aus dem ersten der Zehn Ge¬ Diese Worte, mit denen man jeman¬
bote (2. Moses 20,3) wird oft auch in den - oft scherzhaft - auf dessen beson¬
übertragenem Sinn verwendet. Man zi¬ ders hohe Verantwortung angesichts der
tiert ihn beispielsweise als Hinweis dar¬ Bedeutung der eigenen Person hinweist,
auf, daß sich jemand sehr selbstherrlich soll Cäsar während eines Sturmes an
124
Teil I Dunkelmann
der Küste Illyriens an den Kapitän des t Mir wird von alledem so dumm,
Schiffes gerichtet haben. Cäsar appel¬
als ging mir ein Mühlrad im Kopf
lierte damit an den Kapitän, nicht den
herum
Mut zu verlieren. Die Begebenheit wird
in Plutarchs oft sehr anekdotisch gehal
tenen Biographien berühmter Griechen t Wer kann was Dummes, wer was
und Römer beschrieben. Kluges denken, das nicht die Vor¬
welt schon gedacht
Du weißt wohl nicht, mein Freund, t Mit der Dummheit kämpfen Göt¬
wie grob du bist? ter selbst vergebens
Mit dieser Frage kritisiert man meist
scherzhaft jemanden, dessen Verhalten t Wenn Dummheit weh täte
oder Äußerungen man nicht gerade als
sehr zart und zurückhaltend empfindet.
Ein Dummkopf Findet immer ei¬
Sie stammt aus Goethes Faust (Faust II,
2. Akt, Hochgewölbtes, enges gotisches
nen noch Dümmeren, der ihn be¬
Zimmer). Dort stellt Mephisto diese wundert
Frage an den „Baccalaureus“ (eine Per¬ Ein TTor find’t allemal noch einen grö¬
son, die mit dem „Schüler“ aus Faust I ßeren Toren, der seinen Wert zu schät¬
identisch ist). Dieser hatte ihn zuvor mit zen weiß
den groben Worten beleidigt: „Gesteht
nur, Euer Schädel, Eure Glatze/Ist nicht t Herr, dunkel war der Rede Sinn
mehr wert, als jene hohlen dort?“
125
dunkeln Teil I
zung für das lateinische vir obscurus ins Vorstellung des Unbekannten, Un¬
Deutsche. Die „Epistolae obscurorum durchschaubaren, noch nicht Erforsch¬
virorum“ - d.h. „Briefe unberühmter ten mit der des von dunkelhäutigen
Männer“, die sogenannten „Dunkel¬ Menschen bewohnten Gebiets. - Ein
männerbriefe“ - waren eine 1516 von Gedicht von Ingeborg Bachmann
deutschen Humanisten um Ulrich von (1926-1973) trägt den Titel „Liebe:
Hutten verfaßte satirische Streitschrift. Dunkler Erdteil“, ebenso ein kleiner
Sie war so formuliert, als ob sie von Gedichtband derselben Autorin.
scholastischen Theologen gegen die er¬
starrte spätmittelalterliche Wissenschaft Durch Abwesenheit glänzen
geschrieben worden sei, und sie persi¬ Diese Redewendung ist eine Überset¬
flierte die dünkelhafte Unwissenheit, zung des französischen briller par son
Heuchelei und Unmoral der fiktiven absence, das der französische Dichter
Schreiber. Marie-Joseph de Chenier (1764-1811)
in seiner Tragödie „Tibere“ (1,1) ver¬
t Im dunkeln tappen wendete. Zugrunde liegt eine Stelle aus
den „Annalen“ des römischen Histori¬
t Die im Dunkeln sieht man nicht kers Tacitus, die von der Bestattung Ju-
nias, der Frau des Cassius und Schwe¬
Dunkler Ehrenmann ster des Brutus, berichtet. Die Bildnisse
Mit diesem Ausdruck bezeichnet man dieser zu den Mördern Julius Cäsars ge¬
einen allgemein für ehrenhaft gehalte¬ hörenden und mit der Verstorbenen ver¬
nen Mann, der es in Wahrheit gar nicht wandten Männer wurden nicht, wie es
ist, dessen Machenschaften jedoch nicht eigentlich römischer Sitte entsprach, vor
recht nachweisbar sind. Der Ausdruck dem Leichenzug hergetragen. Sie fielen
geht auf eine Stelle in Goethes Faust also dadurch auf, daß sie nicht da wa¬
(Faust I, Vor dem Tor) zurück, wo Faust ren. „Sie leuchteten dadurch hervor,
beim sogenannten „Osterspaziergang“ daß man ihre Bildnisse nicht sah“, wie
zum Schüler Wagner von seinem Vater die Übersetzung des lateinischen Origi¬
und von dessen Alchimistenkünsten nals lautet.
spricht. Bei Goethe hat die Kennzeich¬
nung „dunkler Ehrenmann“ noch nicht Durch böser Buben Hand verder¬
die negative Bedeutung von heute. ben
„Dunkel“ wird der Ehrenmann deswe¬ Dies ist ein Vers aus der 1797 entstande¬
gen genannt, weil seine Tätigkeit für den nen Ballade „Die Kraniche des Ibykus“
Uneingeweihten nicht durchschaubar von Friedrich Schiller. Das viele Stro¬
ist, ihm etwas absonderlich erscheinen phen umfassende Gedicht erzählt von
muß. Faust sagt über seinen Vater: dem (im 6. vorchristlichen Jahrhundert
„Mein Vater war ein dunkler Ehren- in Unteritalien lebenden) Dichter Iby¬
mann,/Der über die Natur und ihre kus, der auszieht, um an den zu Ehren
heil'gen Kreise/In Redlichkeit, jedoch Poseidons in Korinth stattfindenden
auf seine Weise,/Mit grillenhafter Mühe Isthmischen Spielen, dem „Kampf der
sann.“ Wagen und Gesänge“, teilzunehmen.
Unterwegs wird er von zwei Mördern
Dunkler Erdteil überfallen und getötet. Als kein Mensch
Im Jahr 1878 veröffentlichte Henry in der Nähe ist, der ihm zu Hilfe eilen
Morton Stanley (1841 -1904) seinen Be¬ könnte, klagt er: „So muß ich hier ver¬
richt über eine Afrikareise unter dem Ti¬ lassen sterben,/Auf fremdem Boden,
tel Through ihe Dark Continent. Im glei¬ unbeweint,/Durch böser Buben Hand
chen Jahr erschien auch die deutsche verderben,/Wo auch kein Rächer mir er¬
Übersetzung „Durch den dunkeln Welt¬ scheint.“ - Das nur noch selten verwen¬
teil“. Bei der Kennzeichnung Afrikas dete Zitat läßt sich heute eher auf Dinge
als des „dunkeln Erdteils“, die danach beziehen, die von Menschen mutwillig
üblich wurde, mischte sich wohl die oder gedankenlos zerstört werden.
126
Teil I ecce
Durch die Wälder, durch die Auen Durch zweier Zeugen Mund wird
Dies ist der Beginn der Arie des Jäger¬ allerwegs die Wahrheit kund
burschen Max aus Carl Maria von Diese Sentenz findet sich in Goethes
Webers (1786-1826) Oper „Der Frei¬ Faust I (Der Nachbarin Haus). Mephi¬
schütz“ mit dem Text von Johann Fried¬ sto will gemeinsam mit Faust den Tod
rich Kind (1768-1843): „Durch die des Mannes der Marthe Schwerdtlein
Wälder, durch die Auen/Zog ich leich¬ bezeugen. Er nimmt damit eine Stelle
ten Muts dahin“ (1,4). Die erste Zeile aus dem Johannesevangelium (8,17)
wird - meist scherzhaft - zitiert, wenn auf: „Auch steht in eurem Gesetz ge¬
man zum Beispiel einen Ausflug in die schrieben, daß zweier Menschen Zeug¬
Natur plant oder von solch einem Aus¬ nis wahr sei.“ Johannes weist damit auf
flug erzählt. das fünfte Buch Moses (19,15) hin, wo
es heißt: „Es soll kein einzelner Zeuge
wider jemand auftreten über irgendeine
Missetat oder Sünde,... sondern in dem
Durch diese hohle Gasse muß er
Mund zweier oder dreier Zeugen soll
kommen
die Sache bestehen.“ Mit dem heute sel¬
Das Zitat stammt aus Teils Monolog in tener gebrauchten Zitat betont man
Schillers Drama „Wilhelm Teil“ (IV, 3), nachdrücklich die Richtigkeit einer
wo die Titelgestalt den Reichsvogt Geß- Aussage, die von zwei Personen über¬
ler erwartet, um ihn zu töten: „Es führt einstimmend bestätigt wird.
kein andrer Weg nach Küßnacht. -
Hier/Vollend ich’s. - Die Gelegenheit
Eine durstige Seele
ist günstig.“ Mit „hohler Gasse“ ist ein
Hohlweg gemeint. Heute wird der Satz Mit dem Ausdruck bezeichnet man je¬
scherzhaft zitiert, wenn man jemandem manden, der immer Durst hat, oder
auflauert oder ihn aus einer bestimmten auch jemanden, der dem Alkohol zu¬
Richtung erwartet. Auch ein übertrage¬ neigt. Es handelt sich ursprünglich um
ner Gebrauch im Sinne von „ein ande¬ ein Bibelzitat aus Psalm 107,8 f., wo von
rer Ausweg, eine andere Handlungswei¬ denen die Rede ist, die sich in der Wüste
se bleibt ihm nicht übrig“ ist denkbar. verirrten, Hunger und Durst litten, und
dann von Gott wieder auf den richtigen
Weg geführt wurden: „... die sollen dem
Herrn danken für seine Güte und für
Durch Heftigkeit ersetzt der Irren¬ seine Wunder, die er an den Menschen¬
de, was ihm an Wahrheit und an kindern tut, daß er sättigt die durstige
Kräften fehlt Seele und füllt die hungrige Seele mit
Gutem.“
Diese sentenzhafte Lebensweisheit
spricht in Goethes Schauspiel „Torqua¬
to Tasso“ (IV, 4) der Staatssekretär An¬
tonio gegenüber dem Dichter Tasso aus.
Er will ihm seinen Wunsch, den Hof des
Fürsten zu verlassen, versagen, da es
Tasso an wirklicher Einsicht und echter
Willenskraft mangele: „Du scheinest
mir in diesem Augenblick/Für gut zu
E
halten, was du eifrig wünschest,/Und
willst im Augenblick, was du begehrst./
Durch Heftigkeit ersetzt der Irren- Ecce, homo!
de,/Was ihm an Wahrheit und an Kräf¬ Dies ist die lateinische Übersetzung ei¬
ten fehlt.“ Das Zitat wird noch gelegent¬ ner Stelle aus dem Johannesevangelium
lich gebraucht, um jemanden zurechtzu¬ (19,5). Ihr entspricht in der Lutherbibel
weisen, der ungestüm und aufbrausend der Ausruf: „Sehet, welch ein Mensch!“
auf einem falschen Standpunkt beharrt. Mit diesen Worten führte Pilatus den
127
Echte Teil I
Ecrasez l’infäme!
Das Schlagwort des französischen Phi¬ Ein edler Mann wird durch ein gu¬
losophen Voltaire (1696-1778) gegen tes Wort der Frauen weit geführt
die katholische Kirche - „Rottet den Arkas, der Vertraute des Königs Thoas,
niederträchtigen Aberglauben aus!“ (im gibt in Goethes „Iphigenie auf Tauris“
Original ist am Schluß Superstition zu er¬ (1,2) der Titelheldin den lebensklugen
gänzen) - taucht besonders in den Jah¬ Rat, dem König „freundlich und ver¬
ren 1759- 1768 in seiner Korrespondenz traulich zu begegnen“, denn „Ein edler
mit d’Alembert, Damilaville und Fried¬ Mann wird durch ein gutes Wort/Der
rich dem Großen auf. Voltaire verwen¬ Frauen weit geführt.“ - Das heute eher
det es häufig auch abgekürzt (z. B. in der selten gebrauchte Zitat betont den be¬
Form „Ecrlinf“) statt seiner Unter¬ sänftigenden und lenkenden Einfluß,
128
Teil I ehret
den eine Frau durch Lob und Freund¬ und dein Nacken ist eine eiserne Ader,
lichkeit auf einen Mann ausüben kann. und deine Stirn ist ehern.“
129
Ehrfurcht Teil I
130
Teil I eine
fährdung dieser Beziehung die Rede ist Eilende Wolken, Segler der Lüfte!
oder von einem Verstoß gegen die „Hei¬
Der Vers wird meist zusammen mit dem
ligkeit“ der Familienbande.
folgenden zitiert: „Wer mit euch wan-
derte, mit euch schiffte!“ und drückt ein
unbestimmtes, oft durch den Anblick
Das eigentliche Studium der
der am Himmel ziehenden Wolken aus¬
Menschheit ist der Mensch
gelöstes Fernweh aus. In Schillers Dra¬
Die Formulierung dieser Erkenntnis ma „Maria Stuart“ (II1,1) gibt die Titel¬
legt Goethe in dem Roman „Die Wahl¬ heldin auf diese Weise ihrer Sehnsucht
verwandtschaften“ der Gestalt der Otti¬ nach Freiheit Ausdruck. Die freien Wol¬
lie in den Mund (2. Teil, VII): „Dem ken sind für sie die einzigen Gesandten,
einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit denen sie Grüße an ihr „Jugendland“
dem zu beschäftigen, was ihn anzieht; Frankreich auftragen kann.
aber ... das eigentliche Studium der
Menschheit ist der Mensch.“ Das be¬ Der eine fragt: Was kommt da¬
deutet, daß dem Menschen keine Mög¬
nach? Der andere fragt nur: Ist es
lichkeit der Erkenntnis über sich hinaus
recht?
gegeben ist, daß diese Erkenntnismög¬
lichkeit aber zugleich seine Aufgabe So beginnt ein Vierzeiler Theodor
und für ihn von größtem Interesse ist, Storms (1817-1888), der dann fortge¬
wie es schon in dem Roman „Wilhelm führt wird: „Und also unterscheidet
Meisters Lehrjahre“ (11,4) heißt: „Der sich/Der Freie von dem Knecht.“ Nach
Mensch ist dem Menschen das Interes¬ dem Ende des 1. Deutsch-Dänischen
santeste und sollte ihn vielleicht allein Krieges war Storms Heimatstadt Hu¬
interessieren.“ - Das Zitat findet sich sum am 1. 8. 1850 von den Dänen be¬
schon in Alexander Popes (1688-1744) setzt worden, die dort ein strenges Regi¬
Lehrgedicht „An Essay on Man“: The ment führten. Storm leistete den däni¬
proper study of mankind is man und da¬ schen Behörden Widerstand, so daß
vor in der Vorrede zum „Traite de la sa¬ ihm seine Bestallung als Rechtsanwalt
gesse“ des französischen Philosophen schließlich entzogen wurde. Auch heute
und Theologen Pierre Charron (1541 bis noch widmen wir diese Verse gerne je¬
1603): La vraie Science et le vrai etude de mandem, der nicht unterwürfig am
l’homme c’est l’homme - „Die wahre Buchstaben von Vorschriften klebt, für
Wissenschaft und das wahre Studium den die Folgen seines Handelns, soweit
des Menschen ist der Mensch.“ Das Zi¬ er sie als mündiges Mitglied eines Ge¬
tat läßt sich heute als Mahnung gegen¬ meinwesens einschätzen kann, viel
über einer Wissenschaft verwenden, die wichtiger sind als die Anpassung an die
in ihrem Forschungsdrang die Bedürf¬ herrschenden Verhältnisse.
nisse und Nöte des Menschen zu sehr
aus den Augen verliert. Das eine tun und das andere nicht
lassen
Die beiden Verben „tun“ und „lassen“
Eigentum ist Diebstahl werden in den verschiedensten Wen¬
Die These, die als radikalsozialistischer dungen in Opposition zueinander ge¬
Slogan auch heute noch verwendet setzt: „tun, was man nicht lassen kann;
wird, findet sich in der Abhandlung tun und lassen können, was man will;
„Qu’est-ce que la propriete?“ („Was ist jemandes Tun und Lassen“. Hierher ge¬
Eigentum?“) des französischen Früh¬ hört auch die Wendung: „das eine tun
sozialisten und Schriftstellers Pierre und das andere nicht lassen“ mit der Be¬
Joseph Proudhon (1809-1865). Damit deutung „beides tun (weil man beides
griff er die bestehende Eigentumsord¬ für gleichermaßen wichtig hält)“. Diese
nung an, wobei er nicht das Prinzip des Wendung läßt sich auf einen Vers des
Privateigentums, sondern dessen unglei¬ Matthäusevangeliums (23,23) zurück¬
che und ungerechte Verteilung meinte. führen. Er lautet: Weh euch, Schriftge-
131
einem Teil I
132
Teil I
eins
wird dieser Titel noch zitiert, wenn man Wir benutzen ihn zur scherzhaft-spötti¬
beispielsweise jemandem zu verstehen schen Bezeichnung eines Menschen, der
geben will, daß er überflüssig ist, daß er seinen Gesundheitszustand fortwäh¬
augenblicklich stört. rend ängstlich beobachtet und schon ge¬
ringfügige Beschwerden als ernste
Eines schickt sich nicht für alle! Krankheitssymptome deutet.
Die Redensart ist der Schlußstrophe
von Goethes Gedicht „Beherzigung“ Einigkeit und Recht und Freiheit
entnommen, die gelegentlich in Poesie¬
Der Sorge über die Zersplitterung
alben zitiert wird: „Eines schickt sich
Deutschlands in viele Kleinstaaten gab
nicht für alle!/Sehe jeder, wie er’s trei¬
der Germanist und Lyriker August
be,/Sehe jeder, wo er bleibe,/Und wer
Heinrich Hoffmann von Fallersleben
steht, daß er nicht falle.“ Die erste Zeile
(1798-1874) in seinem am 26. 8. 1841
könnte auf Marcus Tullius Ciceros
auf Helgoland verfaßten Gedicht „Das
(106-43 v. Chr.) Rede „Pro Roscio
Lied der Deutschen“ Ausdruck. Der zi¬
Amerino“ (42,122) zurückgehen, in der
tierte Vers ist der Anfang der 3. Strophe,
er sagt: Non in omnes arbitror omnia con-
er wird dann noch einmal wiederholt.
venire („Ich finde nicht, daß sich alles
Seit 1952 wird in der Bundesrepublik
für alle schickt“). Der letzten Zeile liegt
Deutschland diese 3. Strophe als offi¬
ein Bibelzitat zugrunde. Im 1. Brief an
zielle Hymne gesungen. Vergleiche dazu
die Korinther (10,12) schreibt Paulus
auch „Deutschland, Deutschland über
die warnenden Worte: „Darum, wer
alles“.
sich läßt dünken, er stehe, mag wohl Zu¬
sehen, daß er nicht falle.“ - Heute wird
Eins ist not, ach Herr, dies eine
„Eines schickt sich nicht für alle“ noch
gebraucht, wenn man unterschiedliche Im 10. Kapitel des Lukasevangeliums
Verhaltensweisen von Menschen apo¬ wird erzählt, daß Jesus bei Martha zu
strophiert, die nicht alle nach demsel¬ Gast ist. Diese beschwert sich, daß sie
ben Schema zu beurteilen sind. alle Arbeit alleine machen müsse, wäh¬
rend ihre Schwester Maria nur dasitze
Einesteils der Eier wegen und ihm zuhöre. Jesus weist sie mit den
Das Zitat stammt aus Wilhelm Büschs Worten zurecht: „Martha, Martha, du
(1832-1908) „Max und Moritz. Eine hast viel Sorge und Mühe; eins aber ist
Bubengeschichte in sieben Streichen.“ not. Maria hat das gute Teil erwählt“
Die Zeile steht zu Beginn des „Ersten (Lukas 10,41-42). Nach dieser Bibel¬
Streichs“ in folgendem Kontext: „Man¬ stelle dichtete Johann Heinrich Schrö¬
der (1666-1699) den Text zu einem Kir¬
cher gibt sich viele Müh’/Mit dem lie¬
chenlied, der beginnt: „Eins ist not, ach
ben Federvieh ;/Einesteils der Eier we¬
Herr, dies eine,/lehre mich erkennen
gen, /Welche diese Vögel legen“, woran
dich!“ Der erste Vers des Liedes wird
anschließend weitere Gründe für die
manchmal zitiert, wenn man scherzhaft
Hühnerhaltung folgen. Als scherzhaft
andeuten will, daß etwas Bestimmtes
ausweichende Antwort auf die Frage,
unbedingt getan werden muß oder eine
warum man etwas tut oder wünscht, ist
bestimmte Sache dringend benötigt
das Zitat gebräuchlich geworden. Man
wird. Im gleichen Sinne wird auch der
deutet damit zum einen an, daß es eine
Anfang des Evangeliumverses („Eins
ganze Reihe von guten Gründen gibt,
aber ist not“) verwendet.
und zum andern, daß diese Gründe et¬
was mit einem materiellen Nutzen zu
tun haben. Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt
läuft die Zeit; wir laufen mit
Der eingebildete Kranke Das muß Tobias Knopp im letzten Teil
So lautet der deutsche Titel der Komö¬ der Knopp-Trilogie von Wilhelm Busch
die Le malade imaginaire des französi¬ (1832-1908) feststellen, wenn er seine
schen Dichters Moliere (1622-1673). Tochter Julchen betrachtet, die - eben
133
einsam Teil I
noch ein wohlgenährter Säugling - zum dem Versanfang angedeutet, daß der
pausbackigen Kleinkind herangewach¬ Zeitpunkt kommen wird, an dem etwas
sen ist. Mit diesem Zitat deutet man an, Entscheidendes geschieht.
wie schnell die Zeit vergeht und wie
rasch wir uns verändern. Ein einz’ger Augenblick kann alles
umgestalten
Einsam bin ich, nicht alleine
Diese Erfahrung hat Christoph Martin
Die Verszeile stammt aus dem Drama
Wieland (1733-1813) in seinem roman¬
„Preciosa“, das Pius Alexander Wolff tischen Epos „Oberon“ im 7. Gesang,
(1782-1828) nach der Novelle „Das Zi¬
Stanze 75 (der Fassung von 1784 in 12
geunermädchen von Madrid“ von Cer¬
Gesängen) sentenzhaft formuliert. Die
vantes verfaßte und zu dem Carl Maria
mit ihrem Geliebten Hüon auf eine ein¬
von Weber die Musik schrieb. Als Zitat
same Insel verschlagene Rezia - Aman¬
bekundet es eine positive Einstellung
da, wie sie nach ihrer Taufe heißt -
zur Einsamkeit, die nicht Verlassenheit
wehrt mit diesem Ausspruch Hüons
und Unglücklichsein bedeuten muß. -
Klagen über ihr Elend ab, weil sie nicht
Den gleichen Gedanken findet man in
an die Sinnlosigkeit alles bisher Ertrage¬
dem Lied des Harfenspielers in Goethes
nen glauben kann. Man zitiert die Zeile
„Wilhelm Meister“. Dort heißt es: „Und
heute sowohl als Ausdruck der Hoff¬
kann ich nur einmal/Recht einsam
nung in schwieriger Lage als auch als
sein,/Dann bin ich nicht allein.“
Warnung in einer zwar günstigen, aber
noch nicht gesicherten Situation.
T Freiheit ist Einsicht in die Not¬
wendigkeit
t Vom Eise befreit sind Strom und
Einst haben die Kerls auf den Bäu¬ Bäche
men gehockt
Mit den Zeilen „Einst haben die Kerls Die t höchste Eisenbahn
auf den Bäumen gehockt,/behaart und
mit böser Visage“ beginnt das Gedicht Der Eiserne Vorhang
„Die Entwicklung der Menschheit“ von
Mit diesem Ausdruck bezeichnete man
Erich Kästner (1899-1974). Es spielt
nach dem Ende des 2. Weltkriegs aus
auf die stammesgeschichtliche Ver¬
westlicher Sicht die Grenze zu den am
wandtschaft des Menschen mit dem
politischen und wirtschaftlichen System
Affen an und wird bei einer eher skep¬
der Sowjetunion orientierten osteuro¬
tischen Betrachtung der menschlichen
päischen Staaten, - eine Grenze, die die
Entwicklung zitiert.
Einblicknahme in die östlichen Verhält¬
nisse verhinderte. Es handelt sich dabei
Einst wird kommen der Tag um die bildliche Verwendung der Be¬
An zwei verschiedenen Stellen der zeichnung für den feuersicheren Ab¬
„Ilias“, dem Epos des altgriechischen schluß der Theaterbühne gegen den Zu¬
Dichters Homer (wohl 8.Jh. v. Chr.) schauerraum, der „eiserner Vorhang“
über die 51 entscheidenden Tage des genannt wird (wohl eine Lehnüberset¬
Trojanischen Krieges, finden wir die zung des englischen iron curtain). Durch
Verse: „Einst wird kommen der Tag, da die Reden des britischen Politikers Win-
die heilige Ilios (= Troja) hin¬ ston Churchill in den Jahren 1945 und
sinkt,/Priamos selbst und das Volk des 1946 fand der Ausdruck bald weite Ver¬
lanzenkundigen Königs!“ Einmal breitung.
spricht sie Agamemnon, der König von
Mykene, zu seinem Bruder Menelaos
T Mit eisernem Zepter
(IV, 164f.), das zweite Mal kommen sie
aus dem Munde des trojanischen Hel¬
den Hektor (VI, 448 f.). Heute wird mit t Wie eiskalt ist dies Händchen
134
Teil I Endstation
135
Engelszungen Teil I
136
Teil I Erde
Er soll dein Herr sein berichtet, wird die Situation des Famili¬
Mit diesem Bibelwort aus der Geschich¬ envaters geschildert, der bei allen Verlu¬
te der Verfluchung des ersten Men¬ sten, die er erlitten hat, beglückt fest¬
schenpaares nach dem Sündenfall stellt, daß keines der Familienmitglieder
(1. Moses 3,16), das etwas über das Ver¬ zu Schaden gekommen ist. Die Stelle
hältnis von Mann und Frau aussagt, ist lautet: „Ein süßer Trost ist ihm geblie¬
immer wieder gegen eine gleichberech¬ ben :/Er zählt die Häupter seiner Lie¬
tigte Stellung der Frauen argumentiert ben, /Und sieh! Ihm fehlt kein teures
worden. Es wird heute aber wohl eher Haupt.“ Heute wird die Zeile meist in
scherzhaft zum Thema Gleichberechti¬ weniger ernsten Zusammenhängen zi¬
gung von Mann und Frau zitiert. tiert, etwa wenn jemand überprüft, ob
eine Gruppe vollzählig ist o.ä. Scherz¬
Er war ein Mann, wir werden nim¬ haft übertragen gebraucht wird das Zi¬
tat auch bei der Überprüfung des In¬
mer seinesgleichen sehen
halts einer Geldbörse, wobei damit an¬
Dieses Zitat stammt aus Shakespeares gedeutet werden soll, daß diese nicht
Drama „Hamlet“ (1,2). Hamlet spricht sonderlich gut bestückt ist. Eine scherz¬
zu seinem Freund Horatio voller Hoch¬ hafte Abwandlung des Zitats lautet: „Er
achtung über seinen ermordeten Vater zählt die Häupter seiner Lieben, und
und charakterisiert ihn mit den Worten: sieh! Es waren acht statt sieben.“
„Er war ein Mann; nehmt alles nur in
allem ;/Ich werde nimmer seinesglei¬
Es erben sich Gesetz’ und Rechte
chen sehn.“ Im englischen Original: He
wie eine ew’ge Krankheit fort
was a man, take him for all in alljl shall
not look upon his like again. Mit dem ver¬ Mit diesen Worten kommentiert in Goe¬
kürzten Zitat bekundet man seine be¬ thes Faust (Teil I, Studierzimmer) der
sondere Anerkennung oder Bewunde¬ als Faust verkleidete Mephisto auf seine
rung gegenüber einem Verstorbenen. Weise das Thema Rechtsgelehrsamkeit,
Die zweite Hälfte der ersten Zeile nachdem der eifrig beflissene Schüler
(„Nehmt alles nur in allem“) wird unab¬ Wagner geäußert hatte, daß er zu dieser
hängig vom Textzusammenhang zitiert, Fakultät sich „nicht bequemen“ könne.
um ein - meist positives - Urteil einzu¬ Die im Zusammenhang mit juristischen
leiten, zu dem man nach sorgfältiger Fragen, der Juristerei als Lehrfach oder
Überlegung und nach Abwägung aller ausgeübter Tätigkeit gerne scherzhaft-
Fakten und Umstände gekommen ist. spöttisch zitierten Worte lauten im Zu¬
sammenhang: „Ich weiß, wie es um die¬
Er war von je ein Bösewicht se Lehre steht./Es erben sich Gesetz’
und Rechte/Wie eine ew’ge Krankheit
Die Aussage über den Bösewicht, die
fort;/Sie schleppen von Geschlecht sich
man wohl nur im Scherz noch auf je¬
zu Geschlechte/Und rücken sacht von
manden anwendet, lautet vollständig:
Ort zu Ort./Vernunft wird Unsinn,
„Er war von je ein Bösewicht;/Ihn traf
Wohltat Plage...“
des Himmels Strafgericht!“ Sie stammt
aus der Oper „Der Freischütz“ (III,6)
von Carl Maria von Weber (1786-1826) t Wieviel Erde braucht der
mit dem Text von Johann Friedrich Mensch?
Kind (1768-1843) und bezieht sich dort
auf den Jägerburschen Kaspar, dem Der Erde Gott, das Geld
sein Pakt mit dem Teufel letztlich zum Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬
Verhängnis wird. dicht „An die Freunde“ (1802). In der
dritten Strophe heißt es, bezogen auf
Er zählt die Häupter seiner Lieben das rege Handels- und Geschäftsleben
Dies ist eine Zeile aus Schillers Gedicht in London: „Und es herrscht der Erde
„Das Lied von der Glocke“. In dem Ab¬ Gott, das Geld.“ Mit dem Zitat wird
schnitt, der von einer Brandkatastrophe heute kritisch zum Ausdruck gebracht,
137
Erde Teil I
daß das Geld im Leben oft eine zentrale, tGroße Ereignisse werfen ihre
allzu wichtige Rolle spielt. Schatten voraus
138
Teil I erlaubt
tus für Stammbücher“ von Jean Paul nes; er weiß nicht, daß der Schuldige,
(1763-1825). Die vollständige Sentenz Hugo von Oerindur, in Wahrheit sein
lautet im Original: „Die Erinnerung ist Sohn ist, verspürt aber dennoch einen
das einzige Paradies, aus welchem wir Widerstreit seiner Gefühle: „Und - er¬
nicht getrieben werden können. Sogar klärt mir, Oerindur,/Diesen Zwiespalt
die ersten Eltern waren nicht daraus zu der Natur!/Bald möchf im Blut sein Le¬
bringen.“ ben/Schwinden sehn, bald ihm verge¬
ben.“
Erisapfel
t Zankapfel Erlaubt ist, was gefällt
Dieser Ausspruch, meist mit leichter
Erkenne dich selbst Ironie oder als Ausdruck der Resignati¬
Im 6.Jh. v. Chr. gab es in Griechenland on gegenüber dem Zeitgeschmack zi¬
eine Reihe von Staatsmännern und Phi¬ tiert, stammt aus dem Schauspiel „Tor¬
losophen, die später (zum ersten Mal im quato Tasso“ (11,1) von Goethe. Mit
4. Jh. v. Chr. von Platon) als die „Sieben ihm korrespondiert ein zweiter, der den
ersten variiert, ihn einschränkt und
Weisen“ bezeichnet wurden. Einem die¬
ser Sieben Weisen (genannt werden u. a. meist auch als eine Art Antwort auf den
Chilon von Sparta, Solon von Athen, ersten zitiert wird. Er hat auch im Dra¬
ma, wo er in der gleichen Szene vor¬
Thaies von Milet) wird der Aufruf „Er¬
kommt, eine ähnliche Funktion. Er lau¬
kenne dich selbst“ (griechisch rvmdi
tet: „Erlaubt ist, was sich ziemt.“ In ei¬
aeavröv, lateinisch Nosce te ipsum) zu¬
nem längeren Dialog zwischen Tasso
geschrieben. Er stand als Inschrift über
und der Prinzessin Leonore von Este ge¬
dem Eingang des heute zerstörten Apol¬
rät Tasso ins Schwärmen von einer ver¬
lotempels in Delphi. Die Erkenntnis,
gangenen „goldenen Zeit“, wo Mensch
nur ein Mensch zu sein, sollte die Ehr¬
und Tier in einer Art paradiesischem
furcht vor der Gottheit steigern. Platon
Urzustand noch in uneingeschränkter
(etwa 428-347 v. Chr.) läßt später in sei¬
Freiheit leben und wirken konnten und
nem Dialog „Hipparchos“ Sokrates die¬
wo Jedes Tier, durch Berg und Täler
sen Sinnspruch zitieren. Er wird nun in
schweifend,/Zum Menschen sprach:
erweitertem Sinn verstanden. Selbster¬
Erlaubt ist, was gefällt.“ Die Prinzessin
kenntnis wird als Vorbedingung gese¬
holt den begeisterten Tasso mit dem
hen, als Ausgangspunkt aller mensch¬
Hinweis auf die für den Menschen not¬
lichen Weisheit.
wendige Gesittung auf den Boden der
Realität zurück: „Nur in dem Wahl¬
Erkläret mir, Graf Oerindur, die¬ spruch ändert sich, mein Freund,/Ein
sen Zwiespalt der Natur einzig Wort: Erlaubt ist, was sich
Diese gelegentlich noch als scherzhafte ziemt.“ Auf einen Einwand Tassos hin
Floskel verwendete Bitte um Aufklä¬ erläutert sie ihm schließlich auch, wer
rung eines widersprüchlichen Sachver¬ dabei das Maß setzt, wer die richtige
haltes geht auf eines der heute nicht Entscheidung fällt, wenn es um Sitte
mehr gespielten Schicksalsdramen des und Gesittung geht: „Willst du genau
Schriftstellers Adolf Müllner (1774 bis erfahren, was sich ziemt,/So frage nur
1829) zurück. Das Stück mit dem Titel bei edlen Frauen an.“ Auch dieser Aus¬
„Die Schuld“, das 1813 uraufgeführt spruch wurde zum geflügelten Wort, das
wurde und damals häufig auf den Spiel¬ heute allerdings wohl vorwiegend in
plänen der deutschen Theater stand, scherzhafter Weise zitiert wird und da¬
spielt an der Küste der skandinavischen bei als charakteristischer Hinweis auf
Halbinsel auf der Stammburg des Ge¬ die Stellung der Frau in der Goethezeit
schlechts der Grafen Oerindur. Das Zi¬ und die ihr zugedachte Rolle dienen
tat stammt aus der fünften Szene im kann. Die Prinzessin beendet ihre Aus¬
2. Akt des Dramas. Don Valeros sucht führung mit dem Satz: „Nach Freiheit
den Mörder seines vermeintlichen Soh¬ strebt der Mann, das Weib nach Sitte.“
139
erlaubt Teil I
140
Teil I es
141
es Teil I
nen viele Märchen, und die Floskel „Es sen mit den Worten begründet: „... Daß
war einmal“ gilt deshalb als die „klassi¬ er die Schwere des Daseins ertrage/Und
sche“ Märcheneinleitung. Sie wird nicht das ermüdende Gleichmaß der Tage/
nur in der Literatur zitiert, um zum Bei¬ Und mit erfrischendem Windesweben/
spiel eine Erzählung als märchenhaft zu Kräuselnd bewege das stockende Le¬
charakterisieren, sondern sie wird auch ben.“ Zu dieser Reflexion kommt der
alltagssprachlich verwendet und dort - Chor als Begleiter des Geschehens, weil
meist bedauernd oder wehmütig - auf er an der Stelle des Dramas gerade eine
etwas Vergangenes, nicht mehr Wieder¬ Ruhepause hat: „Sage, was werden wir
kehrendes bezogen. jetzt beginnen,/Da die Fürsten ruhen
vom Streit,/Auszufüllen die Leere der
Es wär’ so schön gewesen! Stunden/Und die lange, unendliche
Zeit?“ Das Zitat wird auch heute noch
t Behüt’ dich Gott, es war’ zu schön ge¬
gelegentlich angeführt, um darauf hin¬
wesen!
zuweisen, daß der Mensch den Blick
nach vorn, in die Zukunft richten muß
Etwas außerhalb der Legalität
und sich nicht mit Stillstand oder stän¬
Dieser Formulierung verhalf in der Fra¬
diger Wiederholung des immer Glei¬
gestunde des Deutschen Bundestages
chen zufriedengeben darf.
am 8. 11. 1962 der damalige Innenmini¬
ster Fiermann Höcherl zur Popularität,
indem er die Verhaftung des Redakteurs Etwas ist faul im Staate Dänemark
Ahlers im Zusammenhang mit der Spie¬ Dieser Satz steht in der vierten Szene
gel-Affäre so bezeichnete. Der Schrift¬ des ersten Aktes von Shakespeares
steller Max von der Grün wählte den Trauerspiel „Hamlet“ (entstanden um
Ausdruck als Titel für einen Erzäh¬ 1600). Die englische Form lautet: Some-
lungsband (1980). Mit dem Zitat kom¬ thing is rotten in the state of Denmark. Er
mentiert man ironisch eine Handlungs¬ wird von Marcellus, einem der Begleiter
weise, die man im Grunde als illegal an- Hamlets, auf der Terrasse des Schlosses
sehen müßte. gesprochen. Dort erwartet man um Mit¬
ternacht den Geist von Hamlets Vater.
Etwas Besseres als den Tod findest Die Äußerung steht in Zusammenhang
du überall mit den Vorgängen am dänischen Kö¬
In dem Grimmschen Märchen von den nigshof, wo der König von seinem Bru¬
„Bremer Stadtmusikanten“ wird der der ermordet wurde und seine Witwe
vom Kochtopf bedrohte Hahn mit die¬ sich mit dem Mörder verbunden hat. -
sen Worten aufgefordert, sich Esel, Der Satz wurde zu einem häufig ver¬
Hund und Katze anzuschließen: „...zieh wendeten geflügelten Wort. Man ge¬
lieber mit uns fort, wir gehen nach Bre¬ braucht es (auch in der Form „Es ist et¬
men, etwas Besseres als den Tod Findest was faul im Staate Dänemark“), um den
du überall; du hast eine gute Stimme, Verdacht auszusprechen, daß in einem
und wenn wir zusammen musizieren, so bestimmten Bereich etwas - noch nicht
muß es eine Art haben.“ Das Zitat dient genauer zu Fassendes - nicht in Ord¬
gelegentlich als scherzhafte Ermunte¬ nung ist.
rung, sich einer mißlichen Lage zu ent¬
ziehen und an einem neuen Lebens- und Die Eule der Minerva beginnt erst
Wirkungsort etwas Neues zu beginnen. mit der einbrechenden Dämme¬
rung ihren Flug
Etwas fürchten und hoffen und
Die „Eule der Minerva“ ist als bildliche
sorgen muß der Mensch für den
Umschreibung der Philosophie oder der
kommenden Morgen Weisheit zu verstehen. „Minerva“, eine
Dieser sentenzhafte Ausspruch des altitalische Gottheit war ursprünglich
Chors in Schillers „Braut von Messina“ die Beschützerin des Handwerks, sie
(Vers 866 f.) wird in den folgenden Ver¬ wurde aber später mit Athene, der grie-
142
Teil I ewig
chischen Göttin der Weisheit, gleichge¬ Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein,
setzt. Die Eule gehört zu den bekannte¬
nein. Was darüber ist, das ist vom
sten Attributen bei der Darstellung
Übel
Athenes. Das Zitat, mit dem man zum
Ausdruck bringt, daß wahre Erkenntnis Das Bibelzitat aus dem Matthäusevan¬
erst aus einem gewissen zeitlichen (hi¬ gelium (5,37) gehört zur Fortsetzung der
storischen) Abstand möglich ist, stammt Bergpredigt und spricht von der rechten
aus Georg Wilhelm Friedrich Hegels Gesetzeserfüllung. Es steht in dem Text¬
Vorrede zu seinen „Grundlinien der zusammenhang, wo es heißt, daß man
Philosophie des Rechts“ (1821). Es nicht nur keinen Falscheid, sondern
heißt dort: „Wenn die Philosophie ihr überhaupt nicht schwören solle. Das Zi¬
Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt tat wird häufig gebraucht, um jemanden
des Lebens alt geworden, und mit Grau zu einer klaren, unzweideutigen und
in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, wahren Aussage aufzufordern, und
sondern nur erkennen; die Eule der Mi¬ auch, um jemandes Weitschweifigkeit
und Vagheit zu kritisieren.
nerva beginnt erst mit der einbrechen¬
den Dämmerung ihren Flug.“
Das europäische Haus
Das t gemeinsame Haus Europa
Eulen nach Athen tragen
Die Redensart im Sinne von „etwas Europens übertünchte Höflichkeit
Überflüssiges tun, einen überflüssigen
Die Formulierung findet sich in Johann
Beitrag zu etwas leisten“, die meist in
Gottfried Seumes (1763-1810) Gedicht
der Formulierung „das hieße Eulen
„Der Wilde“, dessen Anfangszeilen (in
nach Athen tragen“ gebraucht wird, ist
der Fassung von 1793) lauten; „Ein
griechisch-lateinischen Ursprungs; sie
Amerikaner, der Europens/Übertünchte
geht auf den Ausspruch „Wer hat die
Höflichkeit nicht kannte,/Und ein Herz,
Eule nach Athen getragen?“ in Aristo-
wie Gott es ihm gegeben,/Von Kultur
phanes’ (um 445-386 v. Chr.) Komödie
noch frei im Busen trug..." Die Höflich¬
„Die Vögel“ zurück. Die Eule war kon¬
keit, durch die sich die Europäer auszu¬
kret wie auch als Sinnbild der Weisheit
zeichnen meinen, ist nach dieser Auffas¬
(wegen ihrer Nachtsichtigkeit) und als
sung nur Tünche, etwas nur Oberflächli¬
Attribut der weisen Stadtgöttin Athene
ches. Das Zitat wird vor diesem Hinter¬
schon längst in Athen heimisch.
grund auch heute noch gelegentlich ver¬
wendet, um eine künstliche, im Grunde
Eulenspiegelei heuchlerische formelle Höflichkeit zu
Der Ausdruck im Sinne von „Schelmen- kritisieren, hinter der jemand seinen
stück; Streich, mit dem man jemanden wahren Charakter verbirgt.
zum Narren hält“ bezieht sich ursprüng¬
lich auf Till Eulenspiegel, einen Das ewig Gestrige
Schalksnarren, der um 1350 in Mölln an Das Zitat steht in Schillers Tragödie
der Pest gestorben ist und unter dem „Wallensteins Tod“ (1,4). In seinem
ihm später gegebenen Namen zum Hel¬ Monolog zögert Wallenstein, den Abfall
den eines ursprünglich niederdeutschen vom Kaiser zu vollziehen, weil er er¬
Volksbuches (Lübeck 1478) wurde. In kennt: „Ein unsichtbarer Feind ist’s,
der in eine Rahmenhandlung kom¬ den ich fürchte,/Der in der Menschen
ponierten Schwanksammlung bleibt Brust mir widersteht,/Durch feige
Eulenspiegel in allen Situationen durch Furcht allein mir fürchterlich./Nicht,
bäuerlichen Mutterwitz überlegen; sei¬ was lebendig, kraftvoll sich verkün¬
ne Streiche, deren Witz oft auf dem digt,/Ist das gefährlich Furchtbare. Das
Wörtlichnehmen einer bildhaften Aus¬ ganz/Gemeine ist’s, das ewig Gestri¬
sage beruht, treffen Bauern und Bürger, ge,/Was immer war und immer wieder-
aber auch weltliche und geistliche Her¬ kehrt/Und morgen gilt, weil’s heute hat
ren. gegolten!“ „Das ewig Gestrige“ meint
143
ewig Teil I
hier die alltäglichen, festen Gewohnhei¬ für die Menschheit“ stammt aus Goe¬
ten und Vorstellungen, an denen die thes Faust II, den der Chorus mysticus
Menschen oft ängstlich festhalten. im Hinblick auf Fausts Erlösung mit
Wenn wir heute jemanden als einen den Worten beschließt: „Alles Vergäng¬
„Ewiggestrigen“ bezeichnen, kritisieren liche/Ist nur ein Gleichnis ;/Das Unzu¬
wir damit seine Rückständigkeit, seine längliche,/Hier wird’s Ereignis ;/Das
Unfähigkeit, sich neuen Gedanken zu Unbeschreibliche,/Hier ist’s getan ;/Das
öffnen, und sein stures Festhalten an Ewig-Weibliche/Zieht uns hinan.“ Die
längst Überlebtem. Bezeichnung „das Ewig-Weibliche“
knüpft an die unmittelbar vorhergehen¬
Ewig ist die Freude de Anrede des Doctor Marianus an die
t Kurz ist der Schmerz Mater gloriosa an: „Jungfrau, Mutter,
Königin,/Göttin“. Heute wird oft der
Ewig jung ist nur die Phantasie weitere Kontext „Das Ewigweibliche
t Alles wiederholt sich nur im Leben zieht uns hinan“ zitiert, wobei meist
sehr vordergründig die Anziehungskraft
t Und ewig singen die Wälder der Frauen angesprochen wird, die die
Männer zum Streben nach Höherem an¬
Der ewige Friede ist ein Traum spornt. Geläufig ist auch die antitheti¬
Die Fortsetzung des Zitats lautet „und sche Abwandlung „Das Ewigweibliche
nicht einmal ein schöner“. Es stammt zieht uns hinab“, mit der dieselbe An¬
aus einem Brief des Generalfeldmar¬ ziehungskraft nun so dargestellt wird,
schalls Helmuth von Moltke vom 11.12. als führe sie zu Sündhaftigkeit und Ver¬
1880 an den Heidelberger Rechtsgelehr¬ kommenheit.
ten Johann Kaspar Bluntschli. Die Idee
Ex nihilo nihil Fit
des ewigen Friedens war als spätantikes
Erbe mittelalterlicher Endzeiterwartun¬ t Von nichts kommt nichts
gen lebendig. Durch die neuzeitliche
Ablösung vom theologischen Ge¬ Ex Oriente lux
schichtsbild erhielten die Projekte ewi¬ Der lateinische Satz - auf deutsch „Aus
gen Friedens den Charakter von Uto¬ dem Osten kommt das Licht“ - bezog
pien. Immanuel Kant hielt 1795 mit sei¬ sich zuerst auf die Sonne, dann in über¬
ner Schrift „Zum ewigen Frieden“ an tragenem Gebrauch auf Christentum
dessen Ideal fest. Darauf könnte sich und Kultur. Im Alten Testament be¬
Moltkes Briefstelle ablehnend beziehen. schreibt bereits der Prophet Hesekiel
(43,2) das Licht Gottes als von Osten
t Ahasver, der Ewige Jude kommend: „Und siehe, die Herrlichkeit
des Gottes Israels kam von Morgen und
Die Ewige Stadt brauste, wie ein großes Wasser braust;
Die Stadt Rom verdankt diesen Beina¬ und es ward sehr licht auf der Erde von
men - im lateinischen Original: urbi ae- seiner Herrlichkeit.“ Eine scherzhafte
terna - einer Stelle in den Elegien (II, Erweiterung des Satzes spielt auf die
5,23) des römischen Dichters Tibull westliche Dekadenz an: „Ex Oriente lux,
(um 50-um 17 v.Chr.). Dank ihrer gro¬ ex occidente luxus“.
ßen Geschichte und ihrer noch immer
bedeutenden kirchlichen und politi¬ Die Extreme berühren sich
schen Rolle hat die Stadt den alten Bei¬ Die Sentenz bedeutet „die Extreme sind
namen bis heute behalten. in gewisser Hinsicht verwandt, führen
zu denselben Folgerungen“ und ist die
TO Ewigkeit, du Donnerwort Übersetzung der Überschrift Les ex¬
tremesse touchent des Kapitels 348 im 4.
Das Ewigweibliche
Band des kulturhistorischen Werks „Ta¬
Der Ausdruck im Sinne von „das Weib¬ bleau de Paris“ („Paris, ein Gemälde“;
liche in seiner bleibenden Bedeutung von Louis Sebastien Mercier (1740
144
Teil I falscher
bis 1814). Vorformen dieses Apho¬ genehmen Besprechung oder einer Prü¬
rismus finden sich in Aristoteles’ fung o.ä. bringen soll.
(384-322 v.Chr.) „Eudemischer Ethik“
(III,7) und Montaignes (1533-1592) TO du Falada, da du hangest
„Essais“ (I, 54). Das Zitat wird heute
auch gelegentlich verwendet, wenn sich Den Fall setzen
zwei sehr gegensätzliche Positionen in Die Redewendung bedeutet „als gege¬
einem Punkt oder in einigen Punkten ben annehmen“. Sie wird häufig auch in
aneinander angenähert haben. der Form „gesetzt den Fall“ gebraucht.
Popularität erlangte sie durch Johann
Gottwerth Müllers (1743-1828) Roman
„Die Herren von Waldheim“ in der
Form „Posito, ich setz’ den Fall“ und
durch Louis Angelys (1787-1835) Berli¬
ner Lokalposse „Das Fest der Handwer¬
145
4 Duden 12
Falschheit Teil I
evangelium (13,22 f.): „Denn es werden beiters, der sich gegen den Terror der
sich erheben falsche Christi und falsche Bandenkämpfe des Hafenviertels be¬
Propheten, die Zeichen und Wunder hauptet. Besonders geläufig ist die Re¬
tun, daß sie auch die Auserwählten ver¬ dewendung „die Faust im Nacken spü¬
führen, so es möglich wäre. Ihr aber ren“, die soviel bedeutet wie „sich sehr
sehet euch vor!“ stark unterdrückt fühlen; unter Zwang
handeln müssen“.
Die Falschheit herrschet, die Hin¬
terlist
Fehlt, leider, nur das geistige Band
Das Zitat stammt aus dem Chorlied
„Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Das Zitat stammt aus der Schülerszene
Pferd!“ am Schluß des 11. Auftritts von von Goethes Faust I. Mephisto attak-
„Wallensteins Lager“ von Schiller. In kiert in seiner Satire auf die Hochschul¬
der Strophe des Dragoners heißt es: fakultäten die Logik: „Wer will was
„Die Falschheit herrschet, die Hinter¬ Lebendigs erkennen und beschrei¬
list/Bei dem ganzen Menschenge- ben,/Sucht erst den Geist herauszutrei¬
schlechte./Der dem Tod ins Angesicht ben,/Dann hat er die Teile in seiner
schauen kann,/Der Soldat allein ist der Hand,/Fehlt, leider! nur das geistige
freie Mann.“ Die Sentenz, daß die Band./Encheiresin naturae nennt’s die
Falschheit die Welt regiert, findet sich Chemie“ (Vers 1936-1940). Durch die
auch schon in dem satirischen Tierepos Gleichsetzung mit letzterem Begriff ist
„Froschmeuseler“ (1,1, Kapitel 6) von mit dem geistigen Band die durch die
Georg Rollenhagen (1542-1609): Natur bewirkte Verknüpfung aller Teile
„Falschheit regiert die ganze Welt.“ Als zu einem Ganzen gemeint, zu der der
allgemeine Klage eines Menschen, den Mensch nicht fähig ist. - Man kann das
man betrogen hat oder der das Opfer Zitat zur Charakterisierung von etwas
einer Intrige wurde, ist das Zitat noch Unzusammenhängendem verwenden,
gebräuchlich. zum Beispiel den unkoordinierten Ak¬
tionen der einzelnen Mitglieder einer
t Vom Fanatismus zur Barbarei ist Gruppe, die nicht von einer gemeinsa¬
es nur ein Schritt men Grundidee gesteuert werden.
146
Teil I feurige
147
4»
fiat Teil I
148
Teil I Frau
149
Frau Teil I
Frauen kommen langsam, aber ge¬ Es sind nicht alle frei, die ihrer
waltig Ketten spotten
Dies ist der Titel eines Liedes der Rock¬ Dieses Zitat stammt aus Lessings dra¬
gruppe „Ina Deter Band“ aus dem Jahr matischem Gedicht „Nathan der Wei¬
1986. Der Satz ist auf die Emanzipati¬ se“ (IV, 4). In einem Gespräch zwischen
onsbewegung der Frauen zu beziehen, Saladin und dem Tempelherrn kommt
die danach zwar zunächst nur langsam die Frage auf, ob Nathan seine Tochter
Fortschritte erzielt, letztlich aber zu dem Tempelherrn erst nach dessen
150
Teil I
Freiheit
Übertritt zum jüdischen Glauben zur Entfaltung seiner Kräfte wünscht. Man¬
Frau geben wolle. Zu diesem Gedanken che werden in dem Zitat aber eher
merkt der Tempelherr an: „Der Aber- eine Parole der nur erfolgsorientierten
glaub\ in dem wir aufgewachsen,/Ver- „Ellenbogengesellschaft“ sehen und es
liert, auch wenn wir ihn erkennen, dar- höchstens spöttisch oder ironisch ge¬
um/Doch seine Macht nicht über uns. - brauchen.
Es sind/Nicht alle frei, die ihrer Ketten
spotten.“ Wir zitieren die letzte Zeile ge¬ Das freie Spiel der Kräfte
legentlich als Ausdruck der Skepsis,
Das Schlagwort hat seinen Ursprung im
wenn jemand sich zu sehr rühmt, sich
18. Jh. Man führt es sowohl auf den eng¬
aus seinen alten Bindungen und Zwän¬
lischen Nationalökonomen und Philo¬
gen befreit zu haben.
sophen Adam Smith (1723-1790) als
Frei will ich sein im Denken und auch auf die sogenannten Physiokraten,
eine Gruppe französischer Wirtschafts¬
im Dichten
wissenschaftler des 18. Jh.s, zurück. Als
Mit den folgenden Worten weigert sich Grundprinzip ihrer Lehren galt die Not¬
der junge Dichter Torquato Tasso in wendigkeit einer freien Entfaltung der
Goethes gleichnamigem Schauspiel (er¬ wirtschaftlichen Kräfte. Bei Schelling
schienen 1790, uraufgeführt 1807), sein taucht die Formel in seiner naturphilo¬
dichterisches Schaffen irgendwelchen sophischen Schrift „Von der Weltseele“
äußeren Zwängen zu unterwerfen auf. Hier heißt es: „Das Wesen des Le¬
(IV, 2): „Einen Herm/Erkenn’ ich nur, bens aber besteht überhaupt nicht in ei¬
den Herrn, der mich ernährt,/Dem folg’ ner Kraft, sondern in einem freien Spiel
ich gern, sonst will ich keinen Meister./ von Kräften, das durch einen äußern
Frei will ich sein im Denken und im Einfluß kontinuierlich unterhalten
Dichten;/Im Handeln schränkt die Welt wird.“ - Man gebraucht die Wendung,
genug uns ein.“ Er richtet sie an Leono- um einen Vorgang oder ähnliches, das
re, die Schwester des Herzogs Alfons II., ohne Lenkung oder Steuerung von au¬
und spricht damit seinen Konflikt mit ßen in eine Balance kommt, zu charak¬
dem herzoglichen Staatssekretär Anto¬ terisieren.
nio an. Dieser weltmännische Politiker
ist Tassos Komplementärfigur, und sei¬
t Und also unterscheidet sich der
ne Auseinandersetzung mit Tasso sym¬
Freie von dem Knecht
bolisiert das Spannungsverhältnis zwi¬
schen der Außenwelt, der gesellschaftli¬
chen Realität, und der Innenwelt, der t Auf freiem Grund mit freiem
Welt des schöpferischen Menschen. Volke stehn
Das Zitat soll bekräftigen, daß man es
sich nicht nehmen lassen wird, zu den¬ Freiheit der Meere
ken, was man will, und seine Meinung Bei diesem Zitat handelt es sich um den
frei zu äußern. übersetzten Titel einer Schrift des hol¬
ländischen Rechtsgelehrten Hugo Gro-
Freie Bahn dem Tüchtigen tius (1583-1645). Der Originaltitel lau¬
In einer Sitzung des Reichstags am 28.9. tet Mare liberum. Grotius verfocht darin
1916 prägte der damalige Reichskanzler den Anspruch Hollands auf freien Han¬
Theobald von Bethmann-Hollweg del mit Indien, der ihm von den Portu¬
(1856-1921) den Satz „freie Bahn für al¬ giesen streitig gemacht wurde. - Von
le Tüchtigen“, der zu einem geflügelten der „Freiheit der Meere“ kann man im
Wort wurde. - Man kann den Aus¬ Zusammenhang mit dem Gefühl von
spruch (in der Form „freie Bahn dem Freiheit und Uneingeengtheit sprechen,
Tüchtigen“) in einem Zusammenhang das sich dem Menschen angesichts der
verwenden, in dem man einem Men¬ Weite des Meeres - wie er sie beispiels¬
schen, der sich als tüchtig und befähigt weise auf einer Seereise erlebt - auf¬
erwiesen hat, die Möglichkeit zur freien drängt.
151
Freiheit Teil I
152
Teil I
Freuden
Freiheit ist nur in dem Reich der Freude dieser Stadt bedeute,
Träume t Friede sei ihr erst Geläute
Schillers Gedicht „Der Antritt des neu¬
en Jahrhunderts“ (1801) beklagt den
Zustand der Welt am Anfang des neuen, Freude, schöner Götterfunken
19. Jahrhunderts. Es beginnt: „Edler Mit diesem Vers beginnt Schillers Ge¬
Freund! Wo öffnet sich dem Frie- dicht „An die Freude“ (1785), das durch
den,/Wo der Freiheit sich ein Zufluchts¬ seine Vertonung als Schluß der 9. Sinfo¬
ort?“ ln der letzten Strophe des Ge¬ nie (1823) von Beethoven besonders be¬
dichts gibt Schiller der Überzeugung kannt wurde. Die Freude wird als „Göt¬
Ausdruck, daß die Freiheit nur „im terfunken“ und als „Tochter aus Elysi¬
Reich der Träume“ existiert. „Ach, um¬ um“ gleichsam als Göttin angespro¬
sonst auf allen Länderkarten/Spähst du chen. Der Dichter preist ihren Zauber,
nach dem seligen Gebiet,/Wo der Frei¬ der die Menschen vereint. - Als „Song
heit ewig grüner Garten,/Wo der of Joy“ wurde die Beethovensche Melo¬
Menschheit schöne Jugend blüht.“ - die in einen Popsong verwandelt. Im
Das Zitat gibt der realistischen Einsicht Jahr 1986 haben die EG-Außenminister
Raum, daß völlige Unabhängigkeit oder die Melodie des Liedes „An die Freu¬
Freiheit von allen Zwängen illusionär de“ zur Europahymne erhoben.
ist.
153
freuet Teil I
Freuet euch mit den Fröhlichen kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen.
und weinet mit den Weinenden Die als „Chorstrophe“ immer wieder¬
kehrenden Anfangszeilen lauten:
Das 12. Kapitel des Römerbriefes ent¬
„Freut euch des Lebens,/Weil noch das
hält eine Reihe christlicher Lebensre¬
Lämpchen glüht;/Pflücket die Ro-
geln. Es sind Aufforderungen und Mah¬
se,/Eh’ sie verblüht!“ Auf diese Verse
nungen des Apostels Paulus, gerichtet
gibt es eine ebenso bekannte Parodie:
an die Gemeinde in Rom. Römer 12,
„Freut euch des Lebens,/Großmutter
Vers 15 enthält eine der bekanntesten
wird mit der Sense rasiert,/Alles verge¬
dieser Regeln: die Ermahnung, am Le¬
bens !/Sie war nicht eingeschmiert.“ -
ben und Schicksal anderer teilzuneh¬
Das Zitat ist eine Aufforderung zu ei¬
men, sich ihrer anzunehmen nicht nur in
nem unbeschwerten Genießen der Freu¬
guten, sondern auch in bösen Zeiten.
den, die sich bieten.
Die erste Hälfte dieses Bibelwortes wird
auch allein zitiert, oft in weniger ernst¬
TDes freut sich das entmenschte
haften Zusammenhängen.
Paar mit roher Henkerslust
T O Freund, das wahre Glück ist die
Friede den Hütten! Krieg den
Genügsamkeit
Palästen!
T Mein Freund kannst du nicht län¬ Diese in erster Linie als Kampfansage
gegen die Reichen zu verstehende Paro¬
ger sein
le stellte der sozial engagierte Dichter
Georg Büchner (1813-1837) als Motto
t Mein lieber Freund und Kupfer¬
seiner radikaldemokratischen Kampf¬
stecher
schrift „Hessischer Landbote“ voran,
die er 1834 herausgab. Er übernahm da¬
t Lieben Freunde, es gab schön’re
mit eine Losung aus der Französischen
Zeiten
Revolution von 1789, änderte aber die
Reihenfolge der beiden Aussagen dieser
t O Freunde, nicht diese Töne!
Losung. Sie lautet im französischen Ori¬
ginal: Guerre aux chäteaux! Paix aux
Freunde, vernehmet die Geschich¬
chaumieres! und wird dem französi¬
te schen Schriftsteller Sebastien Roch Ni¬
Als Ankündigung beim Erzählen einer colas Chamfort (1741-1794) zuge¬
Neuigkeit, auch eines Witzes o.ä. wird schrieben. Er soll sie als Schlachtruf für
dieser Ausspruch gelegentlich scherz¬ die französischen Revolutionstruppen
haft zitiert. Es ist der Beginn einer be¬ vorgeschlagen haben.
rühmten Tenorarie, des Postillionlieds,
aus dem ersten Akt der komischen Oper Friede sei ihr erst Geläute
„Der Postillion von Lonjumeau“ von Mit diesem Friedenswunsch endet
Adolphe Charles Adam (1803-1856). Schillers vielleicht bekanntestes Ge¬
Die deutsche Übersetzung des französi¬ dicht „Das Lied von der Glocke“. In
schen Librettos stammt von M. G. diesem Gedicht werden die Vorgänge
Friedrich. beim Gießen einer Glocke geschildert
und symbolisch verbunden mit den Er¬
Freut euch des Lebens eignissen, die im Ablauf des menschli¬
So beginnt ein bekanntes Lied des chen Lebens auftreten. Nach der Schil¬
Schweizer Dichters und Malers Johann derung der letzten dramatischen Ereig¬
Martin Usteri (1763-1827) aus dem Jahr nisse und der Fertigstellung der Glocke,
1793. Die Melodie stammt von Hans die auf den Namen „Concordia“ ge¬
Georg Nägeli. Das Lied ist Ausdruck tauft wird, stehen am Ende des langen
naiver Lebensfreude, die sich auf Be¬ Gedichts die beiden oft zusammen zi¬
scheidenheit und Genügsamkeit grün¬ tierten Zeilen: „Freude dieser Stadt be-
det und auf die Bereitschaft, sich an den deute,/Friede sei ihr erst Geläute.“
154
Teil I
frommer
Frommer Betrug
Frohen Herzens genießen Wenn man jemanden in guter Absicht
Zur Einführung der Zigarettenmarke täuscht oder ihm etwas verschweigt,
„HB“ wurde dieser Slogan 1955 kreiert. so wird dieses Vorgehen als „frommer
155
frommer Teil I
156
Teil I fünfte
Früh übt sich, was ein Meister wer¬ derie erstarrten konventionellen Moral
den will von Schule und Elternhaus. Der Titel
Das auch heute noch oft zitierte Sprich¬ des Stücks wird seither als Umschrei¬
wort findet sich in Schillers Schauspiel bung der beginnenden Sexualität bei
„Wilhelm Teil“ (III, 1). Es ist die Ant¬ Jugendlichen verwendet.
wort, die Wilhelm Teil seiner Frau Hed¬
t Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr wer-
wig gibt, die im Hinblick auf ihre beiden
mit einer Armbrust beschäftigten Kin¬
det’s nicht erjagen
der vorwurfsvoll geäußert hatte: „Die
t Und führe uns nicht in Versu¬
Knaben fangen zeitig an zu schießen.“
chung
Und ihre Antwort auf Teils Äußerung
lautet dann: „Ach, wollte Gott, sie lern-
t Und führen, wohin du nicht
ten’s nie!“ Mit dem Zitat, das manchmal
willst
auch nur in der Verkürzung „Früh übt
sich“ verwendet wird, kommentiert
Es führt kein Weg zurück
man - meist ironisch - das Verhalten
von Kindern oder Jugendlichen, aus de¬ Die resignative Erkenntnis, daß es in
nen man auf die späteren Fertigkeiten einer bestimmten Situation keinen Weg
des Erwachsenen schließen zu können zurück gibt und das Vergangene unwie¬
glaubt. derbringlich verloren ist, formuliert der
deutsche Titel von Thomas Wolfes
Frühling, ja du bist’s! Dich hab’ (1900-1938) Roman You can’t go home
again. Die Hauptfigur, der junge Ro¬
ich vernommen!
mancier George Webber, macht diese
t Frühling läßt sein blaues Band wieder
Erfahrung in verschiedenen Lebensbe¬
flattern durch die Füfte
reichen. Es gibt für ihn keine Rückkehr
in seine amerikanische Heimatstadt, zu
Frühling läßt sein blaues Band seiner romantischen Liebe, zum literari¬
wieder flattern durch die Lüfte schen Ruhm, zu seiner zweiten geistigen
Bei dem Zitat handelt es sich um die Heimat im Deutschland der dreißiger
beiden ersten Verszeilen von Eduard Jahre, zur Vaterfigur, die er in seinem
Mörikes (1804-1875) populärem, u. a. Lektor und literarischen Berater sieht.
von Robert Schumann und Hugo Wolf
vertontem Frühlingsgedicht „Er ist’s“. Fülle der Gesichte
Fast ebenso bekannt wie die beiden er¬ Als gehobene Umschreibung einer
sten sind auch die beiden letzten Zeilen „Vielzahl von Eindrücken“ oder auch
dieses Gedichts. Sie lauten: „Frühling, für Ausdrücke wie „Ideen-, Einfalls¬
ja du bist’s!/Dich hab’ ich vernom¬ reichtum, Phantasie, Kreativität“ o.ä.
men!“ Mit beiden Zitaten werden heute wird diese Fügung noch gebraucht. Sie
meist scherzhaft die ersten Anzeichen stammt aus Goethes Faust (Teil I,
des Frühlings in der Natur begrüßt. Nacht) und ist Teil einer ärgerlichen
Äußerung Fausts über seinen Schüler
Es tmuß doch Frühling werden Wagner. Faust, noch ganz aufgewühlt
durch die Begegnung mit dem Erdgeist,
Frühlings Erwachen fühlt sich gestört und belästigt durch
Das Drama „Frühlings Erwachen. Eine den an der Tür klopfenden Famulus.
Kindertragödie“ von Frank Wedekind Seine unwilligen Worte lauten: „Es wird
(1864-1918) ist das erste große Bühnen¬ mein schönstes Glück zunichte!/Daß
werk des Dichters, mit dem er schlagar¬ diese Fülle der Gesichte/Der trockne
tig bekannt wurde. Nach der Urauffüh¬ Schleicher stören muß!“
rung 1906 in Berlin blieb es bis 1912 ver¬
boten. Wedekind schildert in diesem Die fünfte Kolonne
Drama die Nöte dreier Jugendlicher in Eine politische Gruppe, die im Krieg
der Pubertät im Konflikt mit der in Prü¬ oder bei internationalen politischen
157
für Teil I
Konflikten mit dem Gegner des eigenen nen 1819), der Sammlung von Gedich¬
Landes aus ideologischen Gründen zu¬ ten, die besonders aus Goethes Beschäf¬
sammenarbeitet, z. B. eine im Unter¬ tigung mit der Dichtung des persischen
grund tätige Spionagegruppe, wird mit Dichters Hafis hervorging, findet man
dem Ausdruck „fünfte Kolonne“ be¬ die Verse „Für Sorgen sorgt das liebe
zeichnet. Er stammt aus der Zeit des Leben,/Und Sorgenbrecher sind die Re¬
Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) ben.“ Mit ihnen spricht der Dichter den
und wurde 1936 von dem spanischen Freunden des Weins aus dem Herzen.
General Emilio Mola, einem der militä¬ Wir zitieren die erste Zeile, um dem
rischen Führer des Aufstandes gegen Vorwurf der Sorglosigkeit und Leichtle¬
die Republik, geprägt. Er sagte, er wer¬ bigkeit mit dem Hinweis zu begegnen,
de vier Kolonnen gegen Madrid führen, daß das Leben schwer genug sei und
aber die fünfte Kolonne, nämlich die in man gelegentlich einfach alle Alltags¬
Madrid tätigen Anhänger des Aufstan¬ sorgen hinter sich lassen müsse.
des, werde mit der Offensive beginnen.
Der amerikanische Schriftsteller Ernest
Die Furcht des Herrn ist der Weis¬
Hemingway, der sich im Spanischen
heit Anfang
Bürgerkrieg auf der Seite der Republi¬
kaner engagierte, gab einem (1938 er¬ Das Zitat findet sich im Alten Testa¬
schienenen) Theaterstück den Titel The ment (in Psalm 111,10) mit der Fortset¬
fifth column. Später wurden dann fa¬ zung: „Das ist eine feine Klugheit, wer
schistische Gruppen in westeuropäi¬ darnach tut; des Lob bleibt ewiglich.“
schen Ländern als fünfte Kolonne des Mit „Furcht des Herrn“ ist in veralten¬
nationalsozialistischen Deutschland, dem Sprachgebrauch „Ehrfurcht vor
noch später die kommunistischen Par¬ Gott, Gottesfurcht“ gemeint, wie man
teien als fünfte Kolonne der Sowjetuni¬ auch sagen kann „in der Furcht des
on bezeichnet. Herrn (= gottesfürchtig) leben“. Das
Zitat warnt vor menschlicher Überheb¬
lichkeit und betont den Anspruch der
Für dreißig Silberlinge verraten
Religion, daß Forschung und Wissen¬
t Judas
schaft ihr letztlich unterzuordnen seien.
158
Teil I futsch
159
Futteral Teil I
Baumbach (1840-1905) zurück. Der Die ganze Richtung paßt uns nicht
Kehrreim „Lustig Blut und leichter Dieser Satz mit der Bedeutung „diese
Sinn,/Hin ist hin, hin ist hin“ wurde Ausformung, Entwicklung lehnen wir
schon bald auch in der abgewandelten grundsätzlich ab“ geht auf den Berliner
Form zitiert. Man drückt damit - ein Polizeipräsidenten Bernhard Freiherr
wenig leichthin - die Einsicht aus, daß von Richthofen zurück. Er beantwortete
etwas unwiederbringlich verloren ist. damit am 23. 10. 1890 eine Frage des
Direktors des Lessing-Theaters, Oskar
Der t Mensch im Futteral Blumenthal, nach dem Grund für das
Verbot des Theaterstücks „Sodoms En¬
de“ von Hermann Sudermann. Das Zi¬
tat wird oft so gebraucht, daß man es je¬
manden, z. B. einem politischen Gegner,
in den Mund legt, um dessen Borniert¬
heit und Arroganz und vor allem dessen
Unfähigkeit zur Differenzierung und ra¬
160
Teil I
gebet
Die Garde stirbt und ergibt sich t Ach, die Gattin ist’s, die teure
nicht
Nantes in Frankreich ist die Geburts¬
stadt des Generals Pierre Cambronne
Gaudeamus igitur, iuvenes dum
(1770-1842). Dort hat man dem Gene¬ sumus
ral eine Statue errichtet mit der Auf¬ Das Zitat - auf deutsch: „Freuen wir
schrift La garde meurt ei ne se rend pas uns also, solange wir jung sind“ - ist der
(„Die Garde stirbt und ergibt sich Anfang des Studentenliedes „De brevi-
nicht“), ein Ausspruch, den der General tate vitae“ („Über die Kürze des Le¬
während der Schlacht von Waterloo ge¬ bens“) in der Fassung Chr. Wilhelm
braucht haben soll. Dieser hat aber öfter Kindlebens von 1781. Josef Victor von
bestritten, sich je in dieser Weise geäu¬ Scheffel nannte 1868 seine Sammlung
ßert zu haben. von Studentenliedern „Gaudeamus“. In
der Akademischen Festouvertüre von
Johannes Brahms aus dem Jahr 1880
Ein garstig’ Lied! Pfui! Ein poli¬ wird das Lied zitiert und verarbeitet.
tisch’ Lied
Das Zitat findet sich in Goethes Faust I,
in der Szene „Auerbachs Keller in Leip¬ Geben ist seliger denn Nehmen
zig“, wo Brander das vom Zechgesellen Dieser Spruch geht auf das Neue Testa¬
Frosch angestimmte Lied - „Das liebe ment (Apostelgeschichte 20,35) zurück,
Heil'ge Röm’sche Reich,/Wie hält’s nur wo Paulus ihn als Jesu Wort an die Älte¬
noch zusammen?“ - mit den Worten sten der Gemeinde von Ephesus weiter¬
unterbricht: „Ein garstig’ Lied! Pfui! gibt. Als Aufforderung, nicht egoistisch
Ein politisch’ Lied,/Ein leidig’ Lied! zu sein, anderen großzügig zu helfen,
Dankt Gott mit jedem Morgen,/Daß Ihr wird er auch heute noch häufig zitiert.
nicht braucht fürs Röm’sche Reich zu Mit der Umkehrung „Nehmen ist seli¬
sorgen!“ Man zitiert den Anfang dieser ger denn geben“ kommentiert man iro¬
Äußerung meist spöttisch-ironisch, um nisch jemandes allzugroßen Egoismus.
jemandes apolitische Haltung zu cha¬
rakterisieren.
Geben Sie Gedankenfreiheit
Das Zitat stammt aus Schillers Drama
Gast auf Erden „Don Kariös“ (111,10), wo der Malte¬
Die Erkenntnis, nur Gast auf Erden serritter Marquis Posa die Forderung
(und damit sterblich) zu sein, geht auf nach Gedankenfreiheit gegenüber Phil¬
Psalm 119,19 im Alten Testament zu¬ ipp II., dem König von Spanien, aus¬
rück: „Ich bin ein Gast auf Erden.“ Der spricht. Gemeint ist damit die Freiheit,
dichterische Ausdruck „Erdengast“ in weltanschaulicher und politischer
wird gelegentlich mit „Erdenpilger“ Hinsicht zu denken, was man will, und
synonym gebraucht. Das Psalmwort hat diese Gedanken auch zu äußern.
der Dichter und evanglisch-lutherische
Pfarrer Paul Gerhardt (1607-1676) als
Anfang eines Kirchenliedes gewählt: Gebet, so wird euch gegeben
„Ich bin ein Gast auf Erden/Und hab’ Das Bibelzitat stammt aus der Bergpre¬
hier keinen Stand,/Der Himmel soll mir digt im Lukasevangelium (6,38), wo die
werden,/Da ist mein Vaterland.“ Auch Worte ursprünglich eschatologischen
Goethe greift das Bild vom Gast auf Er¬ Bezug auf das Reich Gottes haben: Wer
den in seinem Gedicht „Selige Sehn¬ mildtätig ist, wird leichter die ewige Se¬
sucht“ aus dem „Westöstlichen Diwan“ ligkeit erlangen. Dieser Bezug fehlt oft
auf: „Und solang du das nicht in der heutigen Verwendung des Zitats;
hast,/Dieses: Stirb und werde!/Bist du man versteht es dann eher im Sinne des
nur ein trüber Gast/Auf der dunklen lateinischen „Do ut des“ (vergleiche
Erde.“ diesen Artikel).
161
gebeugt Teil I
Gebeugt erst zeigt der Bogen seine Wechselspiel von Leben und Tod in der
Kraft Natur verwendet.
162
Teil I
gefallener
163
Gefilde Teil I
chen geworden ist, findet man manch¬ überholten politischen und gesellschaft¬
mal so gekennzeichnet. lichen Verhältnissen. Die liberale und
demokratische Bewegung war mit der
Beseitigung der Frankfurter Reichsver¬
Gefilde der Seligen
fassung mundtot gemacht worden, und
Der altgriechische Dichter Hesiod (um jeder wurde verfolgt, der auch nur im
700 v. Chr.) erzählt in seiner Dichtung mindesten revolutionärer Umtriebe ver¬
„Werke und Tage“ (171 ff.) von den „In¬ dächtig war. Den Geist der Zeit erhellen
seln der Seligen“, wo die Heroen am schlaglichtartig diese Schlußworte eines
Rande der Welt, fern von den Göttern Gedichts von Wilhelm von Merckel
und den Menschen, ein Leben im Zu¬ (1803-1861) mit dem Titel „Die fünfte
stand völligen Glücks führen. Er lehnt Zunft“ (erstmals veröffentlicht 1848).
sich dabei an die bei Homer geschilder¬ Daß solche Gedanken aber nicht der
ten „Elysischen Gefilde“ an (griech. Vergangenheit angehören, führen uns
’HXvaiov neSiov, lateinisch Elysium), immer wieder die täglichen Nachrichten
„wo ... ruhiges Leben die Menschen im¬ aus aller Welt vor Augen.
mer beseligt“ (Odyssee IV, 564 f.). Da¬
nach bezeichnet man auch heute noch
einen weltabgeschiedenen Ort, an dem
ein glückliches und friedliches Dasein
Geh aus mein Herz und suche
möglich scheint, als „Elysium“ oder als Freud’
„Gefilde der Seligen“. „Geh aus mein Herz und suche
Freud’/In dieser lieben Sommerzeit/An
deines Gottes Gaben.“ So beginnt der
Geflügelte Worte
bald zum Volkslied gewordene „Som¬
Diese Bezeichnung für bekannte, vielzi¬ mergesang“ des evangelischen Theolo¬
tierte Aussprüche - meist Zitate aus lite¬ gen und Kirchenlieddichters Paul Ger¬
rarischen Werken oder Aussprüche hi¬ hardt (1607-1676). Besonders der An¬
storischer Personen -, deren Herkunft fang des Liedes wird auch heute noch
im allgemeinen eindeutig nachgewiesen gelegentlich als scherzhafte Aufforde¬
werden kann, geht auf den altgriechi¬ rung zitiert, auszugehen und aus dem
schen Dichter Homer (2. Hälfte des Alltagstrott einmal auszubrechen.
8. Jh.s v. Chr.) zurück. In seinen Werken
„Ilias“ und „Odyssee“ gebraucht er den
Ausdruck an zahlreichen Stellen (grie¬
chisch : ensa TiTegöevra). Er bezeichnet Geh mir ein wenig aus der Sonne
damit Worte, die vom Mund des Red¬ Diese Worte soll der altgriechische ky-
ners zum Ohr des Angesprochenen nische Philosoph Diogenes von Sinope
„fliegen“. Schon vor der Homerüberset¬ (4.Jh. v. Chr.) zu Alexander dem Gro¬
zung von Johann Heinrich Voß (1781 ßen gesagt haben, als dieser ihn auf¬
und 1793) verwendete Friedrich Gott¬ suchte und ihm einen Wunsch freistell¬
lieb Klopstock (1724-1803) in seinem te. Verschiedene antike Autoren überlie¬
Epos „Der Messias“ diesen Ausdruck. ferten sie als Musterbeispiel für die Be¬
Populär wurde die Bezeichnung durch dürfnislosigkeit, wie sie demonstrativ
August Georg Büchmanns (1822-1884) von den Anhängern der philosophi¬
Sammlung „Geflügelte Worte. Der Ci- schen Richtung der Kyniker vorgelebt
tatenschatz des Deutschen Volkes“ von wurde. Wir zitieren den Ausspruch heu¬
1864. te, wenn wir jemandem zu verstehen ge¬
ben wollen, daß er stört und sich doch
entfernen sollte. Gelegentlich benutzt
Gegen Demokraten helfen nur
man die Worte auch als ganz konkret
Soldaten
gemeinten scherzhaften Hinweis dar¬
Die Jahre nach dem Scheitern der Revo¬ auf, daß jemand sich ungünstig plaziert
lution von 1848 in Deutschland waren hat und einem die Sonne oder das Licht
geprägt durch starres Festhalten an nimmt.
164
Teil I geht
Gehabte Schmerzen, die hab’ ich ne“, der heute noch gelegentlich scherz¬
gern haft übertragen für „Mund“ verwendet
wird.
Dies sagt im ersten Teil von Wilhelm
Büschs (1832-1908) Knopp-Trilogie
Knopps alter Freund Sauerbrot. Er Es würde t alles besser gehen,
glaubt nämlich, allem Eheungemach wenn man mehr ginge
entronnen zu sein, da seine Frau gestor¬
ben ist und aufgebahrt im Nebenzim¬ Gehorcht der Zeit und dem Gebot
mer liegt. Wir zitieren diese Worte heute der Stunde
zum Ausdruck der Erleichterung, wenn
Mit diesen Worten versucht in Schillers
wir etwas Unangenehmes hinter uns ge¬
Trauerspiel „Maria Stuart“ (uraufge-
bracht haben.
führt 1800) der Graf von Shrewsbury die
schottische Königin im Gefängnis vor
Gehe hin und tue desgleichen der Begegnung mit ihrer Rivalin Elisa¬
Das Gleichnis vom Barmherzigen Sa¬ beth zu einer demutsvollen Haltung zu
mariter im Lukasevangelium (10,30 bis bewegen. Losgelöst von diesem Bezug,
37), das Jesus einem Schriftgelehrten werden diese Worte heute verwendet,
vorträgt, endet mit der Aufforderung an wenn man mit Nachdruck sagen will,
diesen, sich in entsprechenden Situatio¬ daß die unmittelbaren Umstände ein be¬
nen ebenso zu verhalten: „So gehe hin stimmtes Handeln, eine bestimmte Ver¬
und tue desgleichen!“ Man zitiert diese haltensweise verlangen.
Bibelworte, wenn man jemandem nahe¬
legen will, sich nach dem lobenswerten Es geht alles vorüber
Vorbild eines anderen zu verhalten oder
Mit dieser Zeile beginnt der Refrain des
danach zu handeln.
gleichnamigen Schlagers von 1942, in
dem einem auf Wachposten stehenden
Gehe nie zu deinem Ferscht, wenn Soldaten verheißen wird, daß auch er
du nicht gerufen werscht einmal wieder in die Heimat zurückkeh¬
Dieser scherzhafte, mundartlich gefärb¬ ren kann. Der Text stammt von Kurt
te Vers wird (gelegentlich durchaus Feltz, die Musik schrieb Fred Raymond.
selbstironisch) auch heute noch als Die erste Hälfte des Refrains, die meist
Mahnung zitiert, nicht unaufgefordert verkürzt, gelegentlich aber auch ganz zi¬
seinen Vorgesetzten aufzusuchen, son¬ tiert wird, lautet: „Es geht alles vor-
dern seine Nähe lieber zu meiden. In über,/es geht alles vorbei,/auf jeden De¬
der Form „Gehe nicht zu einem zember/folgt wieder ein Mai.“ Das Zitat
Ferscht,/Wenn du nicht gerufen wird vor allem als Trost und Ermun¬
werscht“ stand dieser Vers in der Berli¬ terung für jemanden gebraucht, der in
ner Zeitschrift „Ulk“ (1898, Nr. 31), einer traurigen oder verzweifelten Lage
einem „illustrierten Wochenblatt für ist.
Humor und Satire“, Supplement zum
„Berliner Tageblatt“. Es geht mir ein Licht auf
Diese Redensart geht auf verschiedene
Gehege der Zähne Bibelstellen zurück, z. B. Hiob 25,3 und
Der altgriechische Dichter Homer (2. Psalm 97,11. Im Neuen Testament
Hälfte des 8.Jh.s v. Chr.) läßt in seinen (Matthäus 4,16) heißt es: „... das Volk,
Werken „Ilias“ und „Odyssee“ an meh¬ das in der Finsternis saß, hat ein großes
reren Stellen einen Gesprächspartner Licht gesehen; und die da saßen am Ort
auf eine bestimmte Äußerung hin entrü¬ und Schatten des Todes, denen ist ein
stet oder erstaunt mit dem Satz reagie¬ Licht aufgegangen.“ Im Unterschied
ren : „Welches Wort ist dem Zaun deiner zum bildlichen Gebrauch in der Bibel,
Zähne entflohen?“ (griechisch: flolöv der die Erhellung des menschlichen
as enog cpvyev epKog öSövzcov). Daher Geistes durch das Licht des Glaubens
rührt der Ausdruck „Gehege der Zäh¬ meint, wird mit dem Zitat heute ausge-
165
Geist Teil I
drückt, daß man plötzlich etwas versteht tierend und sich selbst Mut machend, in
oder durchschaut, was einem zunächst seinem Monolog an einer Stelle: „Noch
völlig unklar war. Auch scherzhafte Ab¬ fühl’ ich mich denselben, der ich
wandlungen sind üblich geworden, wie war!/Es ist der Geist, der sich den Kör¬
z. B. „Es geht mir ein Kronleuchter per baut“. Heute wird mit dem Zitat
auf'. zum Ausdruck gebracht, daß man einen
Gegenstand oder eine Person oft nicht
Den Geist aufgeben konkret wahrnimmt, sondern eher seine
eigene [Wunschjvorstellung davon als
Die Redewendung mit der ursprüngli¬
Realität ansieht. Auch als Ermutigung
chen Bedeutung „sterben“ wird heute
zum Mobilisieren psychischer Kraft¬
auch umgangssprachlich-scherzhaft im
reserven werden die Worte gebraucht.
Sinne von „entzweigehen, nicht mehr
funktionieren“ verwendet. Sie findet
sich - in der alten Bedeutung, in der Der Geist, der stets verneint
„Geist“ als „Lebenshauch“ oder „Le¬ „Ich bin der Geist, der stets ver-
ben“ zu verstehen ist - schon in der Bi¬ neintl/Und das mit Recht; denn alles,
bel. In den Klageliedern des Jeremia was entsteht,/Ist wert, daß es zugrunde
2,11 und 12 heißt es: „Ich habe schier geht.“ Mit diesen Worten stellt sich Me¬
meine Augen ausgeweint... da die Säug¬ phisto im ersten Teil von Goethes Faust
linge und Unmündigen auf den Gassen (Studierzimmer 1) selbst vor. Als einen
in der Stadt verschmachteten ... und in solchen „Geist“ bezeichnet man danach
den Armen ihrer Mütter den Geist auf- einen Menschen, dessen Äußerungen
gaben.“ Und in der Apostelgeschichte von einer negativen Einstellung geprägt
lesen wir (5,5): „Da Ananias aber diese sind und der eine nihilistische Haltung
Worte hörte, fiel er nieder und gab den zeigt.
Geist auf.“
t Sich in den Geist der Zeiten ver¬
Der Geist der Medizin ist leicht zu setzen
fassen
In der sogenannten Schülerszene im er¬ Der Geist ist willig, aber das
sten Teil von Goethes Faust (Studier¬ Fleisch ist schwach
zimmer 2) stellt Mephisto mit beißen¬ Wenn bei jemandem zwar ein guter Vor¬
dem Spott einem studierwilligen Schü¬ satz vorhanden ist, die Ausführung
ler zuerst die Hochschulfakultäten Jura dann aber an einer menschlichen
und Theologie vor. Dann beschreibt er Schwäche scheitert, zitiert man diese Bi¬
die Medizin mit folgenden zynischen belworte. Jesus spricht sie im Matthäus¬
Worten: „Der Geist der Medizin ist evangelium zu seinen Jüngern, die im
leicht zu fassen;/Ihr durchstudiert die Garten Gethsemane mit ihm wachen
groß’ und kleine Welt,/Um es am Ende und beten sollten, aber einfach einge¬
gehn zu lassen,/Wie’s Gott gefällt.“ Das schlafen waren (Matthäus 26,41). Das
seltener gebrauchte Zitat betont nicht Zitat hat auch einige zweideutig-hämi¬
nur die Begrenztheit der ärztlichen sche Abwandlungen erfahren. Dazu ge¬
Kunst, sondern läßt auch anklingen, hört z. B. die Behauptung, in der Liebe
was Mephisto noch weiterhin ausführt sei schon einmal bei der einen oder dem
und den Ärzten unterstellt, nämlich, anderen der Geist zwar schwach, dafür
daß sie ihren Beruf aus eher niedrigen aber das Fleisch sehr willig. Und schon
Motiven gewählt hätten. mancher mußte sich bei einer Diät ein¬
gestehen: Der Geist ist willig, aber das
Es ist der Geist, der sich den Kör¬ Fleisch schmeckt zu gut.
per baut
Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬ Der Geist weht, wo er will
ma „Wallensteins Tod“ (111,13). Dort Im Johannesevangelium veranschau¬
sagt Wallenstein, über sich selbst reflek¬ licht Jesus das Wirken Gottes und des-
166
Teil I Geld
167
Geld Teil I
verzeichnet ist. Sie findet sich in ähnli¬ Politiker Francis Bacon (1561-1626) in
cher Form in der Oper „Margarete“ von einem Brief an den Earl of Essex ver¬
Charles Gounod (1818-1893), wo es im wendete. In Goethes „Westöstlichem
„Rondo vom goldenen Kalb“ heißt: Diwan“ (Buch Suleika) beginnt Hatems
„Ja, das Gold regiert die Welt.“ Liebeswerbung um Suleika mit den
Worten: „Nicht Gelegenheit macht Die-
Geld stinkt nicht be,/Sie selbst ist der größte Dieb;/Denn
Von dem römischen Kaiser Vespasian sie stahl den Rest der Liebe,/Die mir
(9-79 n.Chr.) wird überliefert, daß er noch im Herzen blieb.“ Wenn eine gün¬
von seinem Sohn getadelt worden sei, stige Gelegenheit jemanden dazu ver¬
weil er die römischen Bedürfnisanstal¬ führt, sich etwas, was ihm nicht gehört,
ten mit einer Steuer belegt hatte. Darauf was er aber gerne hätte, einfach zu neh¬
habe der Kaiser seinem Sohn das so ein¬ men, dann sagt man heute „Gelegenheit
genommene Geld unter die Nase gehal¬ macht Diebe“.
ten und ihn gefragt, ob es streng rieche.
Die lateinische Feststellung non ölet (es t Darüber sind sich die Gelehrten
stinkt nicht) ist der Ausgangspunkt der noch nicht einig
uns heute geläufigen Redensart, mit der
man ausdrückt, daß auch unrechtmäßig Gelehrtenrepublik
oder auf unmoralischem Wege erworbe¬ Dieses Wort geht auf Friedrich Gottlieb
nes Geld seinen Zweck erfüllt, daß man Klopstocks nicht abgeschlossene Prosa¬
dem Geld letztlich nicht ansehen kann, schrift „Die deutsche Gelehrtenrepu¬
woher es stammt. blik“ (1774) zurück, in der das Prinzip
der Freiheit vom Regelzwang in der
t Ist das nötige Geld vorhanden Dichtung entwickelt und ein Zusam¬
menschluß aller deutschen Schriftsteller
t Wer will kommen zu Geld angestrebt wird mit dem Ziel, der deut¬
schen Kultur eine überlegene Stellung
t In Geldsachen hört die Gemüt¬ zu verschaffen. Arno Schmidt greift den
lichkeit auf Begriff in seiner utopischen Satire „Die
Gelehrtenrepublik. Kurzroman aus den
Die Gelegenheit beim Schopf Roßbreiten“ (1957) auf. Heute wird da¬
fassen mit gelegentlich eher kritisch die Zu¬
Diese verbreitete Redewendung ist wohl sammensetzung von Parlamenten oder
nach dem Bild des in der griechischen anderen Entscheidungsgremien ange¬
Mythologie seit dem 5.Jh. v. Chr. ver¬ sprochen, in denen Angehörige der ge¬
ehrten Kairos, des Gottes der „günsti¬ bildeten Schichten, vor allem Lehrer
gen Gelegenheiten“ entstanden. Der und Hochschullehrer, überrepräsentiert
griechische Bildhauer Lysippos hat die¬ sind.
sen Gott der Überlieferung nach mit
kahlem Hinterkopf, aber einem locki¬ Gelobt sei, was hart macht
gen Haarschopf über der Stirn darge¬ Diese Redensart stammt aus Friedrich
stellt. Mit der Redewendung wird das Nietzsches (1844-1900) „Zarathustra“
rasch entschlossene Nutzen einer gün¬ (3. Teil, „Der Wanderer“). Bei einem
stigen Gelegenheit, eines günstigen Au¬ beschwerlichen Aufstieg zu einem Gip¬
genblicks ausgedrückt. Gebräuchliche fel macht sich Zarathustra an einer Stel¬
Abwandlungen sind: „Die Gelegenheit le mit folgenden Worten Mut, nicht auf¬
beim Schopf oder Schopfe ergreifen, zugeben: „Wer sich stets viel geschont
packen, nehmen“. hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen
Schonung. Gelobt sei, was hart macht.“
Gelegenheit macht Diebe Wenn man zum Ausdruck bringen will,
Dieses Sprichwort entspricht dem engli¬ daß es letztlich von Vorteil ist, sich
schen opportunity makes a thief das der immer wieder belastenden Situationen
englische Philosoph, Schriftsteller und auszusetzen, ohne sich durch Mißerfolg
168
Teil I Genie
oder Kritik aus dem seelischen Gleich¬ (wörtlich übersetzt: „Das Wohl des ein¬
gewicht bringen zu lassen, greift man zelnen muß dem öffentlichen Wohl wei¬
auf dieses Zitat zurück. In derb-scherz¬ chen“). Der Grundsatz „Gemeinnutz
hafter Anspielung auf die männliche geht vor Eigennutz“ ist auch heute - mit
Potenz ist auch die abgewandelte Form Einschränkungen - die Grundlage vie¬
„Gelobt sei, was hart wird“ im Kneipen- ler Gesetze und Bestimmungen.
und Stammtischmilieu geläufig.
169
genieße Teil I
170
Teil I geschenkten
verkannt werden, es im Leben nicht im¬ deutscher Zeit, wird diese sprachliche
mer leicht haben. Verbindung (oft auch in der umgekehr¬
ten Form „Wunder und Zeichen“) im¬
TThe Germans to the front! mer wieder verwendet. Dem heute ge¬
bräuchlichen Ausruf des Erstaunens am
t In keinem guten Geruch stehen nächsten kommt, weniger inhaltlich als
formal, eine Stelle aus Schillers Wallen¬
Gesammeltes Schweigen stein (Wallensteins Lager, 8. Auftritt),
Dieses Zitat geht auf den Titel einer wo es in der sogenannten Kapuziner¬
1958 erschienenen Satire von Heinrich predigt heißt: „Es ist eine Zeit der Trä¬
Böll zurück: „Doktor Murkes gesam¬ nen und Not,/Am Himmel geschehen
meltes Schweigen“. Die Titelfigur, ein Zeichen und Wunder.“
Redakteur beim Hörfunk, hat die Ei¬
genart, die aus den Programmen heraus¬ Geschehenes läßt sich nicht unge¬
geschnittenen Tonbandabschnitte zu schehen machen
sammeln, auf denen nichts zu hören ist, Dieses Zitat geht zurück auf die Komö¬
weil der Sprechende gerade eine Pause die „Aulularia“ (= „Topfkomödie“,
macht, die also sein Schweigen doku¬ nach dem Geldtopf des Geizigen) des
mentieren. In scherzhafter Anspielung römischen Dichters Titus Maccius Plau-
auf diesen Böll-Titel kann man von je¬ tus (250-184 v. Chr.). Euclio, der geizige
mandem, der sich zum Beispiel an einer Alte, interessiert sich vor allem für sei¬
Diskussion nicht beteiligt oder sich zu nen Goldschatz und mißversteht das
etwas nicht äußert, obgleich man das Geständnis des Jünglings Lyconides,
von ihm erwartet hätte, scherzhaft sa¬ der ihm sein Verhältnis mit Euclios
gen, er fiele durch sein „gesammeltes Tochter mit folgenden Worten beichtet:
Schweigen“ auf. Factum illud; fieri infectum non potest
(„Es ist geschehen und nicht ungesche¬
Es geschah am hellichten Tag hen zu machen“). Aussprüche ver¬
Nach einem Drehbuch von Friedrich gleichbaren Inhalts sind bei einer Reihe
Dürrenmatt, das später zur Grundlage von Dichtern der Antike belegt. Heute
seines Romans „Der Verdacht“ wurde, wird mit dem Zitat zum Ausdruck ge¬
entstand 1958 ein Schweizer Spielfilm bracht, daß es wenig Sinn hat, über et¬
über einen Kindermörder (gespielt von was, was nun einmal passiert ist, zu kla¬
Gert Fröbe) und den Polizeibeamten, gen. Oft verbindet sich mit dieser Fest¬
der ihn schließlich faßt (gespielt von stellung der Gedanke, aus negativen Er¬
Heinz Rühmann). Der Titel dieses Films fahrungen zu lernen und es in Zukunft
wird zitiert, um Verbrechen oder andere besser zu machen.
Gewaltakte als ganz unerwartet oder als
besonders dreist zu charakterisieren. t Alles Gescheite ist schon gedacht
worden
t Ach, es geschehen keine Wunder
mehr! Einem geschenkten Gaul sieht
man nicht ins Maul
Es geschehen noch Zeichen und Das Sprichwort mit der Bedeutung „mit
Wunder einem Geschenk soll man, so wie es ist,
Die in diesem Ausruf des Erstaunens, zufrieden sein“ geht über den Kirchen¬
der Überraschung über ein nicht mehr vater Hieronymus (um 347-420 oder
für möglich gehaltenes Geschehen ent¬ 419) in seinem Kommentar zum Ephe-
haltene Zwillingsformel „Zeichen und serbrief auf ein römisches Sprichwort
Wunder“ taucht mehrfach bereits in der zurück: Noli equi dentes inspicere donati
Bibel auf, etwa im 2. Buch Moses 7,3, („Prüfe nicht die Zähne eines geschenk¬
wo es heißt: „... daß ich meiner Zeichen ten Pferdes“). - Alter und Wert eines
und Wunder viel tue in Ägyptenland.“ Pferdes stellt der Käufer beim Pferde¬
In der Literatur, besonders in neuhoch¬ handel unter anderem dadurch fest, daß
171
Geschichte Teil I
er ihm ins Maul sieht und den Zustand lich Naupengeheuerliche (Naupen =
seines Gebisses prüft. Hildegard Knef Schrullen) Geschichtklitterung von
verwendete den Ausdruck „Der ge¬ Thaten und Rhaten der ... Helden und
schenkte Gaul“ als Titel ihrer Me¬ Herren Grandgusier, Gargantoa und
moiren. Pantagruel/Königen inn Utopien ..."
Das dem Wort „Klitterung“ zugrunde
Die Geschichte aller bisherigen liegende Verb „klittern“ ist heute nur
Gesellschaft ist die Geschichte von noch mundartlich gebräuchlich; es be¬
Klassenkämpfen deutet ursprünglich soviel wie „schmie¬
ren, klecksen“.
Mit dieser These beginnt das erste, mit
„Bourgois und Proletarier“ überschrie- t Ade nun, ihr Lieben! Geschieden
bene Kapitel des 1848 veröffentlichten
muß sein
„Manifests der Kommunistischen Par¬
tei“ von Karl Marx und Friedrich En¬ Es geschieht nichts Neues unter
gels. Das Zitat wird herangezogen,
der Sonne
wenn man als Hauptursache für gesell¬
Dieses Zitat wird (auch in der Form „Es
schaftliche Veränderungen die Ausein¬
gibt nichts ...“) gebraucht, um auszu¬
andersetzung zwischen den gegensätzli¬
drücken, daß bestimmte Abläufe oder
chen Klassen um die Entscheidungsge¬
walt in der Gesellschaft ansieht. Ereignisse immer wiederkehren und da¬
her nicht überraschen müssen. Es geht
auf eine Erkenntnis im Alten Testament
Es ist eine t alte Geschichte
zurück: „... und geschieht nichts Neues
unter der Sonne“, heißt es im Prediger
Geschichten aus dem Wienerwald
Salomo (1,9), wo auf die Eitelkeit und
Diesen Titel (auch in der mundartnahen Nichtigkeit alles Irdischen hingewiesen
Form: „G’schichten aus dem Wiener¬ wird. Der folgende Vers lautet: „Ge¬
wald“ zu finden) gab der „Walzerkö¬ schieht auch etwas, davon man sagen
nig“ Johann Strauß einer seiner Kom¬ möchte: Siehe das ist neu? Es ist zuvor
positionen aus dem Jahr 1868. Erneut auch geschehen in den langen Zeiten,
verwendet hat ihn der österreichische die vor uns gewesen sind.“
Schriftsteller Ödön von Horvath als Ti¬
tel seines 1931 uraufgeführten sozialkri¬ Geschlechter kommen, Ge¬
tischen Volksstücks, in dem unter ande¬ schlechter vergehen, hirschlederne
rem auch ein Picknick im Wienerwald, Reithosen bleiben bestehen
dem beliebten Ausflugsziel der Wiener,
Wenn man auf scherzhafte Weise die
vorkommt. Als Zitat könnte der Aus¬
besondere Haltbarkeit oder Beständig¬
druck heute leicht scherzhaft auf Be¬
keit einer Sache hervorheben will, kann
richte über österreichische, besonders
man dieses Zitat verwenden. Es handelt
Wiener Verhältnisse oder Ereignisse be¬
sich dabei um die beiden letzten Zeilen
zogen werden.
eines Gedichts des Lyrikers Börries von
Münchhausen (1874-1945), der „Leder¬
Geschichtsklitterung
hosensaga“, in der eine durch Genera¬
Eine in bestimmter Absicht verfälschte tionen weitervererbte Reithose besun¬
Darstellung oder Deutung geschichtli¬ gen wird.
cher Ereignisse oder Zusammenhänge,
die durch Auslassung oder einseitige t Auch was Geschriebnes forderst
Betonung bestimmter Fakten verzerrt du, Pedant?
werden, wird als Geschichtsklitterung
bezeichnet. Der Ausdruck geht auf den t Nicht gesellschaftsfähig
Titel von Johann Fischarts freier Bear¬
beitung des Romanzyklus „Gargantua“ Das Gesetz des Dschungels
von Franfois Rabelais zurück, der in der Der englische Schriftsteller Rudyard
2. Auflage von 1582 lautet: „Affentheur- Kipling (1865-1936) wurde in Deutsch-
172
Teil I gestrenge
land besonders durch seine spannenden erste Teil des Zitats wird - mit oder oh¬
Tiergeschichten unter dem Titel „Im ne Ironie - gelegentlich auch auf andere
Dschungel“, allgemein bekannt als Gebiete übertragen gebraucht.
„Das Dschungelbuch“, populär, ln die¬
sem Buch verwendet der Autor den t Wo das gesteckt hat, liegt noch
Ausdruck „das Gesetz des Dschungels“ mehr
(englisch: the law of the jungte), der auch
im Deutschen zu einer feststehenden t Liegt dir Gestern klar und offen,
Fügung wurde. Sie dient zur Charakteri¬ wirkst du heute kräftig frei
sierung einer Verhaltensweise, für die
jedes Mittel erlaubt scheint, zur Um¬ Gestern noch auf stolzen Rossen
schreibung von Gesetz- und Rechtlosig¬ In dem Gedicht „Reiters Morgenge¬
keit. sang“, das mit den bekannten Zeilen
„Morgenrot,/Leuchtest mir zum frühen
Gesetz ist mächtig, mächtiger ist
Tod?“ beginnt, greift der Schriftsteller
die Not Wilhelm Hauff (1802-1827) das Thema
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust der Vergänglichkeit auf. An der Gestalt
(Teil II, 1. Akt, Weitläufiger Saal) und des in der Schlacht zu jeder Stunde vom
ist ein Ausspruch des Plutus, des Gottes Tode bedrohten Reiters zeigt er in teil¬
des Reichtums, im karnevalistischen weise krassen Bildern die Endlichkeit
Maskenspiel. Gebraucht wird es in ähn¬ alles Lebenden und die Flüchtigkeit des
lichem Sinne wie die allgemein bekann¬ Daseins auf. Besonders deutlich wird
tere sprichwörtliche Redensart „Not dies in der lapidaren Formulierung der
kennt kein Gebot“. Man drückt damit populär gewordenen Zeilen in der 2.
also aus, daß man in einer Notlage eher Strophe „Gestern noch auf stolzen Ros¬
dazu geneigt ist, sich über Gesetz und sen,/Heute durch die Brust geschos¬
Moral hinwegzusetzen, daß dies dann sen“. Herausgelöst aus ihrem Kontext
auch unter Umständen durchaus zu werden die beiden Zeilen häufig zitiert,
rechtfertigen sei. meist aber in weniger dramatischen Zu¬
sammenhängen. Jemandes Entlassung
Es t erben sich Gesetz’ und Rechte aus einem hohen Amt beispielsweise ist
wie eine ew’ge Krankheit fort sicherlich schon öfter und nicht ohne
Schadenfreude mit diesem Zitat kom¬
t Nach dem Gesetz, wonach du mentiert worden.
angetreten
T Von gestern sein
t In jedes Menschen Gesichte steht
seine Geschichte Gestrenge Herren regieren nicht
lange
Ein Gespenst geht um in Europa - Der in dieser sprichwörtlichen Redens¬
das Gespenst des Kommunismus art enthaltene Gedanke, daß allzu stren¬
Im Jahre 1848 wurde in London das von ges und furchtgebietendes Herrschafts¬
Karl Marx und Friedrich Engels im gebaren sich auf Dauer nicht halten
Auftrag des Bundes der Kommunisten kann, ist ähnlich bereits in einem Vers
verfaßte Kommunistische Manifest un¬ aus der Antike formuliert. In der Tragö¬
ter dem Titel „Manifest der Kommuni¬ die „Medea“ des römischen Dichters,
stischen Partei“ veröffentlicht. Es be¬ Philosophen und Politikers Seneca (um
ginnt mit dem Satz vom Gespenst des 4v.Chr.-65 n.Chr.) heißt es: Iniqua
Kommunismus in Europa, der bald da¬ numquam regna perpetuo manent, auf
nach zum geflügelten Wort wurde. Er deutsch etwa: „Ungerechte [Ge¬
ironisiert aus der Sicht der Autoren die waltherrschaft ist nicht von ewiger
Furcht vor den Kommunisten in Europa Dauer“. Möglicherweise geht die heute
und die falschen Vorstellungen, die man gebräuchliche Redensart auf diesen
sich vom Kommunismus machte. Der Vers zurück.
173
Gestrige Teil I
174
Teil I gewaltloser
nen es sinnvoll erscheint, ein gemeinsa¬ es Herz“ erhielt. Zitiert wurde oft nur
mes Ziel zunächst unabhängig vonein¬ der erste Teil dieses Gedichtanfangs, als
ander auf unterschiedlichen Wegen an¬ Ganzes war er sicher häufig in Poesie¬
zustreben. alben zu finden.
t Alles Getrennte findet sich wie¬ t Von der Gewalt, die alle Men¬
der schen bindet, befreit der Mensch
sich, der sich überwindet
Getretner Quark wird breit, nicht
stark Gewalt geht vor Recht
Dieser Vers stammt aus dem „Buch der Der Ausspruch geht auf eine Stelle im
Sprüche“ in Goethes Gedichtsammlung Alten Testament zurück, wo er, in etwas
„Westöstlicher Diwan“. Ihm liegt wohl anderer Form, als Anklage vorgebracht
das tartarische Sprichwort „Wenn der wird. Der Prophet Habakuk wendet sich
Dreck getreten wird, verbreitet er sich“ an Gott mit der Klage (Habakuk 1,3):
zugrunde, das Goethe aus der orientali- „Warum lassest du mich Mühsal sehen
stischen Literatur bekannt gewesen sein und siehest dem Jammer zu? Raub und
dürfte. Mit dem Zitat soll ausgedrückt Frevel sind vor mir. Es geht Gewalt über
werden, daß etwas, dem die inhaltliche Recht.“ Anklage und Vorwurf enthält
Tiefe fehlt, auch durch noch so unver¬ der Ausspruch auch heute noch.
hältnismäßig großen Aufwand nicht auf
ein höheres Niveau gebracht werden t Allen Gewalten zum Trutz sich
kann. erhalten
t Sei getreu bis an den Tod, so will Ein gewaltiger Jäger vor dem
ich dir die Krone des Lebens geben Herrn
Mit dieser scherzhaften Umschreibung
Getreuer Eckart kennzeichnet man jemanden als einen
Die Symbolfigur für einen treuen Helfer begeisterten, passionierten Jäger. Der
erscheint in der germanischen Helden¬ Ausdruck wird häufig auch auf andere
sage als Beschirmer der gotischen Har- Bereiche übertragen, so daß man etwa
lungen vor ihrem Onkel Ermanarich. Im von einem gewaltigen (gelegentlich
Nibelungenlied warnt er an der Grenze auch: großen) Redner oder Esser vor
von Rüdegers Mark die Nibelungen vor dem Herrn sprechen kann. Die Aus¬
den ihnen im Hunnenland drohenden drucksweise geht auf eine Stelle in der
Gefahren. In der Tannhäusersage ver¬ Bibel zurück. Im l.Buch Moses (10,9)
wehrt er jedem den Eintritt in den ver¬ heißt es von Nimrod, einem Nachkom¬
derbenbringenden Venusberg. In Goe¬ men von Noah: „... und war ein gewalti¬
thes Ballade „Der getreue Eckart“ tritt ger Jäger vor dem Herrn. Daher spricht
er als Warner und freundlicher Helfer man: Das ist ein gewaltiger Jäger vor
der Kinder auf, die beim abendlichen dem Herrn wie Nimrod.“
Bierholen der „Wilden Jagd“ begegnen.
t Viel Gewaltiges lebt, doch ge¬
Ein getreues Herze wissen hat des waltiger nichts als der Mensch
höchsten Schatzes Preis
Das Zitat, ein Lobpreis echter, verläßli¬ Gewaltloser Widerstand
cher Liebe und Freundschaft, ist der Be¬ Dieser Begriff (auch in der Form „ge¬
ginn eines Gedichtes von Paul Fleming waltfreier Widerstand“) spielt in der
(1609-1640), einem Dichter des Barock. modernen Friedens- und Konfliktfor¬
Die Anfangsbuchstaben der sechs Stro¬ schung und auch in der Ökologiebewe¬
phen ergeben das Akrostichon „Eis¬ gung eine wichtige Rolle. Er dient als
gen“, weshalb das Gedicht wohl in spä¬ Bezeichnung für Aktionen unterschied¬
teren Ausgaben den Titel „Eisgens treu¬ lichster Art, wie Demonstrationszüge,
175
Gewehr Teil I
176
Teil I gibt
Es gibt ein Leben vor dem Tod Es gibt nichts Gutes außer: Man
Mit dem Zitat wird auf eindringliche tut es
Weise das Anrecht des Menschen, ein Das Zitat ist eines der kürzesten Epi¬
gutes, menschenwürdiges Leben zu füh¬ gramme aus der 1950 veröffentlichten
ren, angesprochen. Bei dem Ausspruch Sammlung „Kurz und bündig“ von
handelt es sich um den Titel eines Lie¬ Erich Kästner. Es trägt die Überschrift
des des Schriftstellers und Liederma¬ „Moral“ und betont die Notwendigkeit
chers Wolf Biermann (einen Titel, der des Handelns, wenn man etwas Gutes
besonders als Motto einer 1976 erschie¬ erreichen will.
nenen Langspielplatte mit Liedern von
Wolf Biermann populär wurde). In dem
Gedicht selbst wird zunächst eine Art Es gibt noch Richter in Berlin
Gegenposition zu der in der Überschrift Dieser Ausspruch stammt aus einer
gemachten Aussage bezogen. Refrain¬ Verserzählung des französischen
artig schließt jede Strophe mit der dem Schriftstellers Franfois Andrieux
religiösen Bereich entnommenen, eine (1759-1833) mit dem Titel „Meunier
Vertröstung auf das Jenseits enthalten¬ sans-souci“ aus dem Jahr 1797. Es geht
den Aussage „Es gibt ein Leben nach dem darin um den Rechtsstreit zwischen dem
177
gibt Teil I
„Müller von Sanssouci“ und Friedrich Gla nz und Elend der Kurtisanen
dem Großen, den die Mühle in der Nä¬ So hat der französische Schriftsteller
he seines Schlosses störte. Das Berliner Honore de Balzac (1799-1850) einen
Kammergericht hatte zugunsten des 1838-1847 in vier Teilen erschienenen
Müllers entschieden. Sowohl in der Roman betitelt (französisch: Splendeurs
französischen - //y a des juges ä Berlin - ei miseres des courtisanes). In einem
wie in der deutschen Form wurde der breit angelegten Querschnitt durch die
Ausspruch allgemein bekannt. - Man zeitgenössische Gesellschaft wird die
kann damit seiner Genugtuung über den vernichtende Gewalt der Leidenschaft
Ausgang einer strittigen Angelegenheit dargestellt. Der Titel wird heute in den
Ausdruck geben, von der man denkt, verschiedensten Variationen zitiert,
daß sie ordnungsgemäß und unpartei¬ wenn man das Nebeneinander von gro¬
isch entschieden wurde. ßem Erfolg und Niedergang ansprechen
will, zum Beispiel in Fügungen wie
Es gibt sone und solche „Glanz und Elend Hollywoods“ oder
„Glanz und Elend des römischen Kai¬
Die umgangssprachliche Redensart mit
serreiches“. Er ist auch Vorbild für Ber¬
der Bedeutung „es ist nun einmal so,
tolt Brechts Szenenfolge „Furcht und
daß die Menschen unterschiedlich sind,
Elend des Dritten Reiches“ (uraufge-
daß nicht alle gleich angenehm sind“
führt 1938). In dieser Aufreihung cha¬
geht wohl zurück auf ein Zitat aus der
rakteristischer Situationsbilder veran¬
Berliner Lokalposse „Graupenmüller“
schaulicht Brecht den unerträglichen
von Hermann Salingre (1833-1879).
und verabscheuungswürdigen Zwang,
Dort heißt es: „Et jibt sonne, und et jibt
unter dem man in Deuschland während
solche,/Denn jibt’s ooch noch an¬
des nationalsozialistischen Regimes le¬
dre -/Und det sind de Schlimmsten.“
ben mußte.
178
Teil I Glück
179
Glück Teil I
Glück hat auf die Dauer nur der thes Trauerspiel „Egmont“ (III, 2). Ob¬
Tüchtige wohl in diesem Lied nur widerstreitende
Empfindungen der liebenden Seele ge¬
Das in der Originalfassung weniger
schildert werden, kommt Klärchen doch
apodiktisch klingende Zitat findet sich
zu dem Schluß: „Glücklich allein/Ist
in Helmuth Graf von Moltkes (1800 bis
die Seele, die liebt.“ Zitat und Lied sind
1891) „Abhandlung über Strategie“:
durch die Bühnenmusik Beethovens
„Über den Ruf eines Feldherrn freilich
und durch weitere Vertonungen von
entscheidet vor allem der Erfolg. Wie¬
Schubert, Liszt und Reichardt zusätz¬
viel daran sein wirkliches Verdienst ist,
lich bekannt geworden.
ist außerordentlich schwer zu bestim¬
men. An der unwiderstehlichen Gewalt
der Verhältnisse scheitert selbst der be¬ Glücklich ist, wer vergißt, was
ste Mann, und von ihr wird ebensooft nicht mehr zu ändern ist
der mittelmäßige getragen. Aber Glück
Das Zitat stammt aus der Operette „Die
hat auf die Dauer doch zumeist wohl
Fledermaus“ von Johann Strauß (1825
nur der Tüchtige.“ Das Zitat ist inzwi¬
bis 1899) mit dem Libretto von C. Haff-
schen aus seinem militärischen Zusam¬
ner und R. Genee nach dem Vaudeville
menhang gelöst; man verwendet es häu¬
„Reveillon“ von Meilhac und Halevy.
fig, wenn jemandes Erfolg von Neidern
Im 1. Akt zerstreut damit der verliebte
als reine Glückssache dargestellt wird
Alfred, einstiger Gesangslehrer der Ro¬
oder wenn jemand das eigene Versagen
salinde von Eisenstein, ihre Bedenken
als reines Pech verteidigt.
wegen ihres abwesenden Gatten, so daß
sie schließlich in den Refrain einstimmt.
Glück im Winkel Man verwendet das Zitat zum Beispiel
Mit diesem Ausdruck charakterisiert als Aufforderung, sich mit Unabänderli¬
man oft mit nachsichtigem Schmunzeln chem abzufinden, oder als Ausdruck
oder einer gewissen Kritik ein Leben in der Resignation, mit dem man ein nicht
Zurückgezogenheit und das Sichbe- wiedergutzumachendes Versäumnis
scheiden mit häuslichem Glück. Die an¬ kommentiert. Auch scherzhafte Ab¬
schauliche Bezeichnung wurde viel¬ wandlungen wie „Glücklich ist, wer ver¬
leicht durch Hermann Sudermanns gißt, daß ihm nicht zu helfen ist“ treten
(1857-1928) Schauspiel „Das Glück im gelegentlich auf.
Winkel“ verbreitet.
180
Teil I goldene
181
goldene Teil I
Die goldene Mitte zweite Sohn des Schneiders, der bei ei¬
nem Müller in die Lehre gegangen war,
Dieser Ausdruck könnte (ebenso wie die
erhielt von diesem am Ende der Lehrzeit
Variante „der goldene Mittelweg“) auf
einen Esel „von einer besonderen Art“.
die aurea mediocritas in den „Oden“ (II,
Der Müller beschrieb die ungewöhnli¬
10,5) des römischen Dichters Horaz
che Fähigkeit dieses Tieres so: „... wenn
(65-8 v.Chr.) zurückgehen, der damit
du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst:
zu - bei aller Lebensfreude - maßvol¬
,Bricklebrit‘, so speit dir das gute Tier
lem Genuß ermahnt. Man bezeichnet
Goldstücke aus, hinten und vorn.“
damit einen angemessenen, zwischen
den Extremen liegenden Standpunkt
Goldne Abendsonne
oder eine solche Entscheidung.
Die beiden Worte bilden den Anfang
Der t Mann mit dem goldenen des Gedichtes „An die Abendsonne“
der Schweizer Dichterin Anna Barbara
Arm
Urner (1760-1803). Das Gedicht wurde
1815 von Hans Georg Nägeli vertont.
Goldenes Kalb
Im Lied sind die zweite und vierte Zeile
Die stilistisch gehobenen Redewendun¬ leicht verändert: „Goldne Abendson-
gen „das Goldene Kalb anbeten“ und
ne,/Wie bist du so (im Original: O wie
„um das Goldene Kalb tanzen“ im Sin¬ bist du) schön !/Nie kann ohne Wonne/
ne von „geldgierig sein; den Wert, die
Deinen Glanz (im Original: Blick) ich
Macht des Geldes sehr hoch schätzen“
sehn.“
gehen auf das Alte Testament zurück.
Im 2. Buch Moses, 32 wird berichtet, Goldne Rücksichtslosigkeiten
daß Aaron, der ältere Bruder des Moses,
Das Zitat stammt aus Theodor Storms
auf Drängen der Volksmenge aus ihrem
(1817-1888) Gedicht „Für meine Söh¬
Schmuck am Sinai das Goldene Kalb
ne“, wo es in der 2. Strophe heißt: „Blü¬
gießen läßt, dem das Volk opfert.
te edelsten Gemütes/Ist die Rücksicht;
doch zu Zeiten/Sind erfrischend wie
Goldenes Zeitalter
Gewitter/Goldne Rücksichtslosigkei¬
Mit dem „Goldenen (auch: Saturni- ten.“ Den Ausdruck „goldne Rück¬
schen) Zeitalter“ war ursprünglich die sichtslosigkeit“ verwandte Storm schon
ideale Vorzeit der antiken Sage gemeint. vier Jahre vor Entstehen des Gedichtes
Der griechische Dichter Hesiod (um 700 in einem Brief an Eduard Mörike vom
v.Chr.) schildert sie in „Werke und Ta¬ 20. 11. 1850. Wenn man zum Ausdruck
ge“ (109-120) als paradiesischen Allge¬ bringen möchte, daß falsch verstandene
meinzustand ohne politische oder sozia¬ Rücksichtnahme sich in einer bestimm¬
le Probleme. Der Prozeß weiterer ten Situation nachteilig auswirken wür¬
Menschheitsentwicklung stellt sich von de, kann man „goldene Rücksichtslosig¬
hier aus als Verschlechterung dar. Im keiten“ empfehlen, die zur wohltuenden
übertragenen Sinne wird heute auch all¬ Klärung eines Sachverhaltes beitragen
gemein eine Blütezeit oder eine Zeit gro¬ dürften.
ßer wirtschaftlicher Erfolge auf einem
Gebiet als „goldenes Zeitalter“ bezeich¬ Die goldnen Sternlein prangen
net, z. B. „das goldene Zeitalter der
Das Zitat kommt sowohl in Matthias
Schwarzweißfotografie“ oder „das gol¬
Claudius’ (1740-1815) Abendlied „Der
dene Zeitalter des Ostasienhandels“.
Mond ist aufgegangen“ als auch in Paul
Gerhardts (1607-1676) „Nun ruhen alle
Goldesel
Wälder“ vor. Bei Claudius hat es die
Der umgangssprachliche Ausdruck mit Fortsetzung: „Am Himmel hell und
der Bedeutung „unerschöpfliche Geld¬ klar“; bei Gerhardt heißt es dagegen:
quelle“ geht zurück auf das Grimmsche „Die güldnen Sternlein prangen/Am
Märchen „Tischchen deck dich, Gold¬ blauen Himmelssaal“. Auch wegen
esel und Knüppel aus dem Sack“. Der ihrer Vertonungen - „Nun ruhen alle
182
Teil I Gott
Wälder“ auf eine Melodie des 15.Jh.s, als pathetischer Kommentar zu histori¬
„Der Mond ist aufgegangen“ von schen Befreiungskämpfen gebraucht.
J. A. P. Schulz, Franz Schubert, J. F. Rei-
chardt und Othmar Schoeck - sind Gott der Herr hat sie gezählet
beide Lieder sehr populär.
Dieser Vers stammt aus dem Kinderlied
„Weißt du, wieviel Sterne (häufig:
t Trinkt, o Augen, was die Wimper Sternlein) stehen“, das der Superinten¬
hält, von dem goldnen Überfluß dent und Dichter Wilhelm Hey
der Welt! (1789-1854) im Anhang seiner Fabel¬
sammlungen veröffentlicht hat. Mit die¬
t Wenn die Gondeln Trauer tragen sen Worten bringt man gelegentlich
scherzhaft zum Ausdruck, daß man
t Man gönnt sich ja sonst nichts nicht weiß, wie zahlreich etwas vorhan¬
den ist, daß man keine genaue Angabe
Den gordischen Knoten durch- über Anzahl oder Umfang von etwas
hauen machen kann. Auch die Anfangszeile
des Liedes „Weißt du, wieviel Sterne
Die Redewendung im Sinne von „eine
stehen“ wird im gleichen Sinne als Zitat
Schwierigkeit auf verblüffend einfache
gebraucht.
Weise lösen“ leitet sich von dem Gordi¬
schen Knoten aus der griechischen Sage
t Mit Gott für König und Vater¬
her, einer kunstvollen Verknotung von
land
Stricken am Wagen des sagenhaften
phrygischen Königs Gordios. Nach ei¬
Gott grüß Euch, Alter! Schmeckt
nem Orakel sollte derjenige, der den
Knoten löste, die Herrschaft über Klein¬
das Pfeifchen?
asien erlangen. Wie der römische Ge¬ Mit diesen Worten begrüßt am Anfang
schichtsschreiber der Kaiserzeit, Curti- des Gedichts „Die Tobakspfeife“ von
us Rufus, in seiner „Geschichte Alexan¬ Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809)
ders des Großen“ überliefert, soll dieser ein junger Adliger einen Kriegsvetera¬
den Knoten mit dem Schwert durch¬ nen. Der auffällige Kopf der Tabaks¬
trennt und damit das Orakel erfüllt pfeife des Alten hat seine Aufmerksam¬
haben. keit erregt, und er möchte ihn gerne kau¬
fen. Der Vers wird gelegentlich noch als
Der Gott der Eisen wachsen ließ, scherzhafter Gruß verwendet, wenn
der wollte keine Knechte man auf jemanden trifft, der gerade da¬
bei ist zu rauchen.
In seinem 1813 erschienenen „Vater¬
landslied“ bringt Ernst Moritz Arndt
t O, ein Gott ist der Mensch, wenn
(1769-1860) die herrschende Stimmung
er träumt, ein Bettler, wenn er
im Volk gegenüber der napoleonischen
Fremdherrschaft in Deutschland zum
nachdenkt
Ausdruck. Die erste Strophe beginnt:
„Der Gott der Eisen wachsen ließ,/Der Gott ist immer mit den stärksten
wollte keine Knechte,/Drum gab er Sä¬ Bataillonen
bel, Schwert und Spieß/Dem Mann in Diese Redensart stammt wahrscheinlich
seine Rechte.“ Wenn sich schon die aus dem Französischen, wo der zugrun¬
Fürsten der deutschen Staaten nicht von deliegende Gedanke bereits im 17. Jahr¬
Napoleon lossagen, so sollen doch die hundert zu finden ist. So schrieb der
deutschen Männer „nimmer im Tyran¬ Comte de Bussy-Rabutin am 18. 10.
nensold/Die Menschenschädel spal¬ 1677 in einem Brief an den Comte de Li¬
ten“, sondern für die Befreiung des Vol¬ moges: Comme vous savez, Dieu est d'or-
kes kämpfen; denn nur „das ist die gro¬ dinaire pour les gros escadrons contre les
ße Sache“ (5. Strophe). Das martiali¬ petits („Wie Sie wissen, hilft Gott nor¬
sche Zitat wird heute noch gelegentlich malerweise den großen Eskadronen
183
Gott Teil I
[= Schwadronen] gegen die kleinen“). als Zeichen der Errettung gegeben wird.
Und in einem Brief der Marquise von Im 30jährigen Krieg gab der schwedi¬
Sevigne an ihre Tochter vom 22.12.1673 sche König Gustav II. Adolf vor der
heißt es: La fortune est toujours pour les Schlacht bei Breitenfeld 1631 die Worte
gros bataillons („Das Glück ist immer „Gott mit uns“ als Parole aus. Seit dem
auf der Seite der großen Bataillone“). 18. Jahrhundert waren sie der Wahl¬
Auch bei Friedrich dem Großen (der ja spruch der preußischen Könige und
französisch schrieb) und Voltaire finden standen dann auch auf dem Koppel¬
sich ähnliche Belegstellen, die sicher zur schloß deutscher Soldaten.
Verbreitung der Redensart beigetragen
haben. Heute wird sie vor allem ge¬ t Gäbe es Gott nicht, so müßte man
braucht, wenn kritisch-resignativ der ihn erfinden
Erfolg der Mächtigen kommentiert wird
und man selbst eher der Position eines Gott schuf ihn, also laßt ihn für
Schwächeren oder einer weniger ein¬ einen Menschen gelten
flußreichen Gruppierung zuneigt. Dieses nicht gerade schmeichelhafte
Urteil fällt in Shakespeares Schauspiel
T Bei Gott ist kein Ding unmöglich „Ein Sommemachtstraum“ (1,2) die rei¬
che Portia über einen Herrn aus dem
Gott ist tot Kreise ihrer Freier. Im englischen Origi¬
„Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir nal sagt sie God made him, and therefore
haben ihn getötet!“ So ruft der „tolle lei him pass for a man. Mit diesem Zitat
Mensch“ im 125. Stück von Nietzsches bringt man scherzhaft zum Ausdruck,
„Fröhlicher Wissenschaft“ (1882) aus. daß man jemanden, der eigentlich be¬
Christentum und christlich-jüdisch- kannt sein müßte, nicht näher kennt,
abendländische Werte werden dort als daß man noch nicht viel oder gar nichts
Merkmale einer „Sklavenmoral“ ange¬ von ihm gehört hat. Gelegentlich wird
sehen, die es zu überwinden gilt. Der mit dem Zitat angedeutet, daß auch je¬
„tolle Mensch“ hat diesen Schritt für mand, der sich durch eine verbrecheri¬
sich vollzogen und ist auf dem Wege sche Tat außerhalb der menschlichen
zum „Übermenschen“. Und dieser „An¬ Gesellschaft gestellt hat, dennoch eine
tichrist und Antinihilist, dieser Besieger der Würde des Menschen angemessene
Gottes und des Nichts“ ist für Nietzsche Behandlung erfahren muß.
der Mensch der Zukunft. - Als scherz¬
hafte Antwort auf das Motto „Gott ist Gott schütze mich vor meinen
tot. (Nietzsche)“ findet man gelegent¬ Freunden
lich die Formulierung „Nietzsche ist tot. Mit dieser zunächst paradox klingenden
(Gott)“. Aussage wird ausgedrückt, daß man
Freunden gegenüber in gewisser Weise
T Wer nur den lieben Gott läßt wal¬ wehrloser ist als gegenüber Feinden, ge¬
ten gen die man ja mit geringeren Hemmun¬
gen vorzugehen weiß, gegenüber denen
Gott mit uns! man auch sehr viel wachsamer und mi߬
Im 1. Kapitel des Matthäusevangeliums trauischer ist. In eher scherzhafter Wei¬
wird berichtet, daß Joseph im Traum die se bringt man damit gelegentlich auch
Geburt Jesu mit den Worten verkündet zum Ausdruck, daß allzu viel freund¬
wurde: „Siehe, eine Jungfrau wird schaftliche Zuwendung, sei sie auch
schwanger sein und einen Sohn gebä¬ noch so gut gemeint, recht lästig werden
ren, und sie werden seinen Namen Im¬ kann. Der Ausspruch geht wohl auf eine
manuel heißen, das ist verdolmetscht: lateinische Sprichwörtersammlung des
Gott mit uns“ (Matthäus 1,23). Diese 16. Jahrhunderts zurück, wo von König
Prophezeiung geht auf den Propheten Antigonos berichtet wird, der ein Opfer
Jesaja im Alten Testament zurück (Jesa¬ darbringen läßt, damit Gott ihn vor
ja 7,14), wo sie dem Hause Davids seinen Freunden behüte. Auf Befragen
184
Teil I Grabe
erklärt er dazu, vor seinen Feinden kön¬ t Wen die Götter lieben, der stirbt
ne er sich selbst schützen, vor seinen jung
Freunden aber nicht.
Götterdämmerung
Gott sei Dank! Nun ist’s vorbei mit
Der auf die nordische Mythologie zu¬
der Übeltäterei
rückgehende Ausdruck mit der Bedeu¬
Am Ende von „Max und Moritz“ läßt tung „der Untergang der Götter in Ver¬
Wilhelm Busch (1832-1908) das ganze bindung mit dem Weltbrand vor dem
Dorf mit diesen Worten aufatmen. Man Anbruch eines neuen Weltzeitalters“
verwendet sie heute meist als mehr wurde durch Richard Wagners (1813 bis
scherzhaft gemeinten Seufzer der Er¬ 1883) „Götterdämmerung“, den Schlu߬
leichterung, wenn die Urheber von teil des „Rings des Nibelungen“, popu¬
Dummejungenstreichen ausfindig ge¬ larisiert; er ist aber schon im 18. Jahr¬
macht worden sind und ihrem Treiben hundert in der deutschen Literatur be¬
ein Ende gesetzt worden ist, allgemeiner legt. Es handelt sich bei dem Wort um
auch, wenn etwas als unangenehm, lä¬ eine falsche Lehnübersetzung von altis¬
stig Empfundenes abgestellt worden ist. ländisch ragna rökkr = Götterverfinste¬
rung, das mit ragna rök = Götterschick¬
Gott, sei mir Sünder gnädig! sal vermischt wurde. In übertragenem
So spricht der Zöllner im Gleichnis vom Gebrauch wird der Ausdruck ganz all¬
gemein auf den Beginn einer neuen
betenden Pharisäer und Zöllner, das im
Lukasevangelium erzählt wird (Lukas Epoche, auf eine grundlegende Umwäl¬
zung und Veränderung der bisher gel¬
18,13). Diese Worte stehen in deutli¬
tenden Werte in einem bestimmten
chem Kontrast zu denen des selbstge¬
Bereich bezogen.
rechten Pharisäers (vergleiche das Zitat
„Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin
wie die anderen Leute“). Der Aus¬ t Von Gottes Gnaden
spruch des Zöllners wurde zum geflü¬
gelten Wort und wird insbesondere als
Gottes Mühlen mahlen langsam
Stoßseufzer oder Gebet von jemandem
zitiert, der sich all seiner menschlichen Dieses Sprichwort ist der Anfang des er¬
Schwächen und der Unzulänglichkeit sten Verses des Sinngedichtes „Gött¬
liche Rache“ von Friedrich von Logau
seines Handelns voll bewußt ist und
(1604-1655). Es besagt, daß jeder für
sich entsprechend demutsvoll und be¬
sein Unrechtes Tun die gerechte Strafe
scheiden gibt.
erhält, auch wenn dies nicht immer
gleich geschieht. Gottes Gerechtigkeit
TWas Gott tut, das ist wohl getan entgeht niemand. Der vollständige Ge¬
dichttext lautet: „Gottes Mühlen mah¬
TWen Gott vernichten will, den len langsam, mahlen aber trefflich
schlägt er mit Blindheit klein,/Ob aus Langmut er sich säumet,
bringt mit Schärf er alles ein.“ Logau
hat den Grundgedanken dieses Epi¬
tWem Gott will rechte Gunst er¬
gramms wohl von Sextus Empiricus, ei¬
weisen, den schickt er in die weite
nem altgriechischen Arzt und Philoso¬
Welt phen um 200 n.Chr., übernommen; bei
ihm heißt es: „Erst lange Zeit nachher
TWas nun Gott zusammengefügt mahlen der Götter Mühlen, doch mah¬
hat, das soll der Mensch nicht len sie Feines“ (griechisch: öige 8eäv
scheiden äXeovai ßvXoi, äXeovai 8s Xemä).
T Dir wird gewiß einmal bei deiner TNoch am Grabe pflanzt er die
Gottähnlichkeit bange! Hoffnung auf
185
Gradus Teil I
186
Teil I Gretchenfrage
heute leicht abgewandelt zitiert werden, mit Göttern soll sich nicht messen/ir¬
ist gemeint, daß man eine heikle oder gendein Mensch .../Was unterscheidet/
gefährliche Angelegenheit besser auf Götter von Menschen?/... Uns hebt die
sich beruhen lassen soll; wenn man aber Welle,/Verschlingt die Welle,/Und wir
schon etwas unternimmt, dann soll man versinken./Ein kleiner Ring/Begrenzt
es konsequent und gründlich tun. unser Leben ...“ Das berühmte Gedicht
wurde von Franz Schubert (1797-1828)
Greift nur hinein ins volle Men¬ und Hugo Wolf (1860-1903) vertont.
schenleben!
Das Zitat stammt aus Goethes Faust I. Die Grenzen des Wachstums
Im „Vorspiel auf dem Theater“ beginnt Unter dem Titel The limit to growth
damit der Ratschlag der „Lustigen Per¬ („Die Grenze des Wachstums“) wurde
son“ für den Dichter, der ein Stück lie¬ 1972 eine Untersuchung von Dennis
fern soll: „Greift nur hinein ins volle Meadows u. a. veröffentlicht. Die Studie
Menschenleben !/Ein jeder lebt’s, nicht erschien in den „Berichten an den Club
vielen ist's bekannt,/Und wo ihr’s packt, of Rome“, eine informelle Vereinigung
da ist’s interessant.“ Möglicherweise von Wirtschaftsführern, Politikern und
hat Goethes Formulierung zur Verbrei¬ Wissenschaftlern aus über 30 Ländern,
tung der ebenfalls im späten 18. Jh. zu¬ die sich die Erforschung von Ursachen
erst belegten Redewendung „aus dem und inneren Zusammenhängen der all¬
Leben gegriffen sein“ beigetragen (oder gemeinen Menschheitsprobleme beson¬
ist von ihr beeinflußt worden). Mit die¬ ders im wirtschaftlichen und sozialen
ser Wendung bezeichnet man eine sehr Bereich zur Aufgabe gemacht hat. Das
realistische, wirklichkeitsnahe Darstel¬ Zitat ist vor allem im Hinblick auf die
lung oder Schilderung, während das immer größer werdenden Umweltschä¬
Goethe-Zitat darauf hinweist, daß man digungen durch wirtschaftliches Wachs¬
aus der lebendigen Vielfalt des mensch¬ tum ein aktuelles Schlagwort geblieben.
lichen Lebens reichlich Anschauungs¬
material für die verschiedensten Er¬ Ins grenzenlose Reich der Mög¬
kenntnisse gewinnen kann. lichkeiten
t Sein greises Haupt schütteln Das t Land der unbegrenzten Möglich¬
keiten
Eine Grenze hat Tyrannenmacht
Grenzsituation
In Schillers „Wilhelm Teil“ (11,2) sagt
Werner Stauffacher in seiner Rede vor Das Wort im Sinne von „ungewöhnliche
dem Rütlischwur: „... und der fremde Situation, in der nicht die üblichen Mit¬
Herrenknecht/Soll kommen dürfen und tel, Maßnahmen zu ihrer Bewältigung
uns Ketten schmieden,/Und Schmach Anwendung finden können“ ist eine
antun auf unsrer eignen Erde?/Ist keine Prägung des Philosophen Karl Jaspers
Hülfe gegen solchen Drang? .../Nein, ei¬ (1887-1969). In der „Psychologie der
ne Grenze hat Tyrannenmacht.“ Das Zi¬ Weltanschauungen“ aus dem Jahr 1919
tat steht für die Überzeugung, daß ein heißt es in bezug auf Erfahrungen wie
Volk sich seine Rechte auf die Dauer die Situationsgebundenheit des Men¬
nicht vorenthalten läßt oder daß es kei¬ schen, seine Herkunft, Kampf, Leiden,
ne alles umfassende Unterdrückung ge¬ Schuld, Tod: „Diese Situationen, die an
ben kann, daß Widerstand möglich und der Grenze unseres Daseins überall ge¬
geboten ist. fühlt, erfahren, gedacht werden, nennen
wir darum ,Grenzsituationen’.“
Grenzen der Menschheit
Das Zitat ist der Titel eines Gedichts Gretchenfrage
von Goethe. Das Wort „Menschheit“ ist Mit diesem Ausdruck bezeichnet man
wohl zugleich als „Menschsein“ und eine unangenehme, oft peinliche und
„die Menschen“ zu verstehen: „Denn zugleich für eine bestimmte Entschei-
187
Grieche Teil I
düng wesentliche Frage in einer schwie¬ Mann, wobei die verschiedensten Ab¬
rigen Situation. Es kann auch die Frage wandlungen der zweiten Hälfte des
nach jemandes Religion oder politi¬ Zitats möglich sind.
scher Überzeugung gemeint sein. Das
Wort ist in Anlehnung an die von Gret- Der große Bruder
chen an Faust gerichtete Frage „Nun t Big brother is watching you
sag, wie hast du’s mit der Religion?“
entstanden (Goethe, Faust I, Marthens Eine große Epoche hat das Jahr¬
Garten). Auch diese Frage selbst wird - hundert geboren; aber der große
meist in der leicht abgewandelten Form
Moment findet ein kleines Ge¬
„Wie hältst du’s mit der Religion?“ -
schlecht
zitiert, um auf ein wesentliches, ent¬
scheidendes, oft heikles Problem hin¬ Im „Musenalmanach für das Jahr 1797“
zuweisen und jemanden zu einer klaren veröffentlichte Schiller eine größere An¬
Stellungnahme in der betreffenden Sa¬ zahl von Sinngedichten, Distichen und
che aufzufordern. Xenien, von denen mehrere in Zusam¬
menarbeit mit Goethe entstanden. Zu
Grieche sucht Griechin ihnen ist auch dieser Sinnspruch mit
Dies ist der Titel einer 1966 mit Heinz dem Titel „Der Zeitpunkt“ zu zählen. Er
Rühmann in der Hauptrolle verfilmten wird oft herangezogen, um-zu konstatie¬
Erzählung von Friedrich Dürrenmatt ren, die meisten Menschen seien unfä¬
aus dem Jahr 1955. Darin erkennt der hig, große Ereignisse und Momente gei¬
biedere Grieche Archilochos erst bei der stesgeschichtlicher, künstlerischer oder
Trauung, daß es sich bei seiner Braut, historischer Art in ihrer vollen Tragwei¬
die er über ein Zeitungsinserat kennen¬ te zu erfassen und zu würdigen. Je nach
gelernt hat, um eine stadtbekannte Pro¬ Situation wird das zweizeilige Sinnge¬
stituierte handelt. Das Zitat wird - auch dicht als Ganzes oder auch in seinen
in Abwandlungen wie „Bayer sucht beiden Teilen einzeln zitiert. Dabei wird
Bayerin“ - gelegentlich scherzhaft im der zweite Teil gelegentlich auch zu
Anzeigenteil von Zeitungen unter der scherzhaften Zweideutigkeiten mi߬
Rubrik „Bekanntschaften“ oder in Hei¬ braucht.
ratsannoncen verwendet.
Große Ereignisse werfen ihre
t Wer wollte sich mit Grillen pla¬ Schatten voraus
gen Diese sprichwörtliche Redensart kommt
aus dem Englischen; sie stammt aus
Der große Blonde mit dem dem Gedicht „Lochiel’s Waming“
schwarzen Schuh (deutsch: „Lochiels Warnung“) des
So lautet der Titel der deutschen Versi¬ schottischen Dichters Thomas Camp¬
on des französischen Films Le grand bell (1777-1844). Dort heißt es in einem
blond avec une chaussure noire aus dem poetischen Bild, daß die tief stehende
Jahr 1972, der die Verwicklungen um ei¬ Sonne des Lebensabends eine Art sehe¬
nen vermeintlichen Topagenten in einer rische Kraft verleiht: And coming events
Parodie auf die Arbeit der Geheimdien¬ cast their shadows before („Und kom¬
ste schildert. Der „große Blonde“ ist ein mende Ereignisse werfen ihre Schatten
tolpatschiger Musiker, der versehentlich voraus“). Das leicht abgewandelte Zitat
einen braunen und einen schwarzen kommentiert die ersten wahrnehmbaren
Schuh angezogen hat. Da er so sehr Anzeichen einer bevorstehenden, be¬
leicht zu beschreiben und in der Menge sonderen Veranstaltung, Festlichkeit
zu erkennen ist, wird er zum ahnungslo¬ o.ä.
sen Lockvogel in einer Agentenintrige.
Man verwendet das Zitat meist scherz¬ Große Freiheit Nr. 7
haft in bezug auf einen durch Körper¬ Der Titel des Films von Helmut Käut-
größe und blonde Haare auffälligen ner bezieht sich auf eine Straße im
188
Teil I große
Hamburger Stadtteil St. Pauli. In dem gentlich scherzhaft als Bezeichnung für
1943/44 gedrehten Film spielt Hans Al- einen hochgewachsenen Norddeut¬
bers einen Seemann, den Lebensgefähr¬ schen verwendet. Besonders Gerhard
ten einer Nachtlokalbesitzerin, der als Stoltenberg, der ehemalige Ministerprä¬
Stimmungssänger auftritt. Er verliebt sident von Schleswig-Holstein und
sich in ein junges Mädchen, das sich spätere Bundesminister, wurde in den
aber für einen anderen entscheidet; der Medien des öfteren so genannt.
Seemann sucht danach seine „große
Freiheit“ wieder auf dem Meer und Große Seelen dulden still
heuert auf einem Schiff an. Das Zitat Diese Worte spricht in Schillers „Don
kommentiert meist ironisch jemandes Kariös“ (1,4) Marquis Posa zur Königin
Bestreben, sich aus seinen gesellschaft¬ gewandt, wenn auch vordergründig mit
lichen Bindungen zu befreien und in Bezug auf die Heldin der von ihm er¬
einem neuen Leben die wahre Freiheit zählten Geschichte, die sich in einer
zu finden. ähnlichen Situation wie Elisabeth von
Valois zwischen dem König und seinem
Das große Fressen Sohn befindet. Einen verwandten Ge¬
Der französische Spielfilm La grande danken spricht Mathilde Wesendonck
bouffe (deutscher Titel: „Das große (1828-1902) in dem von Richard Wag¬
Fressen“) von 1973, für den sich die ner vertonten Gedicht „Im Treibhaus“
weibliche Hauptdarstellerin Andrea aus: „Und wie froh die Sonne scheidet/
Ferreol eine Rubensfigur anessen mu߬ Von des Tages leerem Schein,/Hüllet
te, erregte wegen seiner schockierenden der, der wahrhaft leidet,/Sich in Schwei¬
Schilderung einer selbstmörderischen gens Dunkel ein.“ Heute kann das Zitat
„Freßorgie“ großes Aufsehen. Sein Ti¬ auch scherzhaft oder selbstironisch ver¬
tel wurde bald als salopp-scherzhafte wendet werden, wenn jemand ein - im
Bezeichnung für Veranstaltungen ge¬ Grunde geringfügiges - Unrecht oder
bräuchlich, bei denen kalte Büfetts und Leid klaglos hinnimmt.
kulinarische Genüsse im Mittelpunkt
stehen. Der große Unbekannte
Mit dem Ausdruck wird in der Krimi¬
Große Gedanken kommen aus nalliteratur ironisch auf einen verbor¬
dem Herzen gen bleibenden Täter hingewiesen, den
Das Zitat - im Original: Les grandes es vielleicht gar nicht gibt, dessen sich
pensees viennent du cosur - stammt von jemand möglicherweise nur zu seiner ei¬
Luc de Clapier, Marquis de Vauvenar- genen Entlastung bedient. Letztlich geht
gues (1715-1747). Es ist die 87. Maxime die Formulierung wahrscheinlich auf ei¬
aus seinem Hauptwerk „Introduction ä ne Stelle im Alten Testament zurück, wo
la connaissance de l’esprit humain, sui- es im Buch Hiob (36,26) heißt: „Siehe,
vie de reflexions et de maximes“ („Ein¬ Gott ist groß und unbekannt“. Mit the
leitung zur Kenntnis des menschlichen great Unknown wurde Walter Scott, der
Geistes, gefolgt von Betrachtungen und zunächst anonyme Verfasser des histori¬
Maximen“). Es drückt aus, daß erhabe¬ schen Romans „Waverly“ (1814) von
ne Gedanken nicht auf bloßem Verstan¬ dem zeitgenössischen Kritiker James
desdenken beruhen, sondern daß an Ballantyne bezeichnet. Auch Nikolaus
ihrem Zustandekommen letztlich das Lenau verwendet in der 7. Strophe sei¬
Gefühl beteiligt ist. nes Gedichts „Der Hagestolz“ (1837/38)
den Ausdruck „der große Unbekannte“
t An die große Glocke hängen in bezug auf den göttlichen Lebensgeist,
der einen Totenschädel einst beseelte.
Der große Klare aus dem Norden
Der seit 1967 verwendete Werbespruch
Das große Welttheater
für die Kornmarke Bommerlunder aus Das Zitat - im spanischen Original El
Flensburg wurde sehr populär und gele¬ gran teatro del mundo - ist der Titel
189
große Teil I
eines Auto sacramental, eines spätmit¬ haben. Wir zitieren den Satz - oft in
telalterlichen spanischen Fronleich¬ scherzhaft-pathetischer Ausdruckswei¬
namsspiels, von Calderon de la Barca se - im Sinne von „aller Aufwand war
(1600-1681). Das Schauspiel wurde umsonst“.
1846 von Joseph von Eichendorff ins
Deutsche übersetzt. Hugo von Hof¬ Der größte Lump im ganzen Land,
mannsthals Nachdichtung „Das große das ist und bleibt der Denunziant
Salzburger Welttheater“ erschien 1922.
Bis zum heutigen Tag hat dieses ver¬
Der bis in die Barockzeit weitverbreitete
nichtende Urteil des Germanisten und
literarische Topos vom Welttheater,
Lyrikers August Heinrich Hoffmann
dem Theatrum mundi, der Vorstellung
von Fallersleben (1798-1874), das er in
der Welt als eines Theaters, auf dem die
seinen „Politischen Gedichten aus der
Menschen (vor Gott) ihre Rollen spie¬
Vorzeit Deutschlands“ (1843) fällte, sei¬
len, erscheint als Vergleich oder Meta¬
ne Gültigkeit bewahrt. Der Dichter des
pher bereits in der Antike bei Platon,
„Deutschlandliedes“ war 1842 wegen
Horaz, Seneca und im Urchristentum
seiner nationalliberalen Haltung seines
bei Augustinus.
Professorenamtes enthoben und des
Der große Zampano Landes verwiesen worden.
t Und die Größe ist gefährlich und Grün ist die Heide
der Ruhm ein leeres Spiel
Dieser banale Satz geht zurück auf den
Kehrreim aus Hermann Löns’ Heide¬
t Alle großen Männer sind be¬
lied „Geheimnis“, das 1911 in der
scheiden
Sammlung „Der kleine Rosengarten“
erschienen ist. „Ja, grün ist die Heide,
Ein großer Aufwand schmählich
die Heide ist grün,/Aber rot sind die Ro¬
ist vertan
sen, wenn sie da blühn.“ Inhaltlich wur¬
Das Zitat (im Original: „Ein großer de das Zitat auch durch einen bekann¬
Aufwand, schmählich! ist vertan“) ten deutschen Heimatfilm mit gleichlau¬
stammt aus Goethes Faust II, aus dem tendem Titel aus dem Jahr 1951 (Regie:
fünften Akt. In der Szene der Grable¬ Hans Deppe) geprägt, dessen Trivialität
gung muß Mephisto erkennen, daß alle durch romantisch verschönte Zeitpro¬
seine Anstrengung, Fausts Seele zu ge¬ blematik, verklärende Landschaftsbil¬
winnen, umsonst war, daß er seine Wet¬ der, sentimentale Liebesgeschichten
te mit Gott verloren hat, nachdem die und Klamottenkomik zum Ausdruck
Engel Fausts unsterbliche Seele entführt kommt.
190
Teil I gut
Die Gründe kenne ich nicht, aber t O daß sie ewig grünen bliebe, die
ich muß sie mißbilligen schöne Zeit der jungen Liebe
Dies ist ein Ausspruch des Abgeordne¬
ten Julius Keil, der im Februar 1849 Grünen und blühen
während einer Sitzung der 2. Kammer I Blühen und Grünen
des ordentlichen Landtags im König¬
reich Sachsen sagte: „Das halte ich eben Gruppenbild mit Dame
für ein Unheil, daß die Staatsregierung Dies ist der Titel eines 1971 erschie¬
solche Erklärungen allein abgibt, und nenen Romans von Heinrich Böll. Als
vielleicht eben weil sie keinen Hinter¬ verstärkt Frauen in die Länderkabinette
halt an der Volksvertretung hat, sich berufen wurden, griffen Journalisten
nicht entschließen kann, bindende und diesen Titel auf und präsentierten die
definitive Erklärungen abzugeben. Die posierenden neuen Regierungen in der
Gründe kenne ich nicht, aber ich muß Bildunterschrift als „Gruppenbild mit
sie mißbilligen.“ Das Zitat wird gele¬ Dame[n]“.
gentlich gebraucht, um auszudrücken,
daß man eine Handlungs- oder Verhal¬ G’schichten aus dem Wienerwald
tensweise in jedem Fall verurteilt, auch t Geschichten aus dem Wienerwald
wenn einem die jeweiligen Beweggrün¬
de nicht bekannt sind. Die güldnen Sternlein prangen
Die t goldnen Sternlein prangen
191
gut Teil I
1971. Sie bedeutet dort soviel wie „gut, wurde damit weniger unter dem Aspekt
in Ordnung“ und wird auch als Zitat in der Macht und Autorität gesehen als im
diesem Sinne verwendet. Hinblick auf seine Bereitschaft zur Für¬
sorge. Verstärkt erscheint dann gerade
Gut gebrüllt, Löwe! dieser Gedanke, gesteigert bis zur Hin¬
Dieses Zitat aus Shakespeares „Ein gabe des Lebens, im Neuen Testamen
Sommernachtstraum“ (V, 1) gebraucht bei der Übertragung des Bildes vom
man, wenn etwas treffend, schlagfertig Hirten auf Christus. Die Bezeichnung
bemerkt oder kommentiert wurde. Im „der Gute Hirte“ für Jesus geht auf das
Original sagt im sogenannten Rüpel¬ Jesuswort bei Johannes (10,12) zurück:
spiel Demetrius, als das Brüllen des „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte
„Löwen“ die arme Thisbe erschreckt: läßt sein Leben für die Schafe.“ Die Be¬
Well roared, Hon! zeichnung wurde später oft auf den ver¬
antwortungsvoll in seiner Gemeinde
t Jenseits von Gut und Böse wirkenden Pfarrer übertragen.
Die gute Ehe ist ein ew’ger Braut¬ Der gute Mensch von ...
stand Der Titel von Bertolt Brechts
Das sentenzhafte Zitat stammt aus (1898-1956) Parabelstück „Der gute
Theodor Körners (1791-1813) Trauer¬ Mensch von Sezuan“ ist mit beliebiger
spiel „Die Sühne“ (6. Auftritt). Es Abwandlung der Ortsangabe zum Zitat
bringt - in heute eher altmodisch anmu¬ geworden. Es wird nach der Heldin
tender Form - zum Ausdruck, daß es in Shen Te meist zur Charakterisierung ei¬
einer guten Ehe keine Abstumpfung, nes gutmütigen, hilfsbereiten Menschen
keine Routine geben darf, sondern daß gebraucht, an den man sich immer wen¬
die Partner sich stets so umeinander be¬ den kann, gelegentlich auch ironisch auf
mühen, einander so liebevoll zugetan jemanden bezogen, der sich zu selbstge¬
sein sollten wie in der Zeit ihres Verlobt¬ fällig als Wohltäter feiern läßt.
seins. Eine so geführte Ehe bewahrt
dann auch auf Dauer das Glück, das mit Das Gute - dieser Satz steht fest -
den ersten Tagen des Zusammenseins ist stets das Böse, was man läßt
verbunden ist. Das Zitat ist ein Ausspruch von Onkel
Nolte im Epilog zu Wilhelm Büschs
Eine gute Gabe Gottes (1832-1908) Bildergeschichte „Die
Eine t Gabe Gottes fromme Helene“, nachdem Helene
durch Alkoholgenuß ihren tödlichen
Der Gute Hirte Unglücksfall ausgelöst hat. Schon bei
dem römischen Dichter Horaz (65-8
Das Bild des Hirten wird in der Bibel,
v. Chr.) heißt es in den „Epistulae“ (I,
besonders im Alten Testament, sehr
1,41): Virtus est vitium fugere („Tugend
häufig gebraucht. Es ist durchaus nicht
ist, das Laster zu fliehen“). Man ver¬
als Idylle gedacht (zu der es auf bildli¬
chen Darstellungen späterer Zeiten häu¬ wendet das Busch-Zitat gelegentlich,
fig wurde), sondern ist zu verstehen aus wenn jemand ein verwerfliches Vorha¬
der damaligen Kenntnis des Hirtenbe¬ ben aufgegeben, einer Versuchung nicht
nachgegeben hat.
rufs als einer schweren, oft gefahrvollen
Tätigkeit voller Verantwortung. Ohne
Hirte war eine Herde verloren. So ver¬ Die guten ins Töpfchen, die
band sich mit dem Bild des Hirten die schlechten ins Kröpfchen
Vorstellung von der gerechten, fürsorg¬ Das Zitat stammt aus Grimms Märchen
lichen Herrschaft. „Hirte“ konnte Eh¬ „Aschenputtel“. Aschenputtel bittet mit
rentitel für Könige und Gottheiten sein. diesen Worten die Tauben, beim mühsa¬
Im Alten Testament wird dieser Titel men Verlesen der Linsen zu helfen. Man
vorwiegend auf Gott angewendet. Gott verwendet das Zitat scherzhaft in bezug
192
Teil I Gutes
auf Dinge, die man nach ihrer Qualität und Retter wirkenden Menschen als
sortiert. „guten Engel“.
193
5 Duden 12
hab Teil I
194
Teil I haben*
kannter Erzähler, Dramatiker und Lyri¬ ist. So kann beispielsweise jemand, der
ker. Aus seinem damals viel gelesenen gerade zu Geld gekommen ist, ausrufen:
Buch „Aus den Lehr- und Wanderjah¬ Habemus pecuniam!
ren des Lebens“ stammt das Gedicht
„Hab Sonne (nach der Melodie von Haben ein Gewehr!
„Der Mai ist gekommen“ zu singen), Dies ist eine in der Umgangssprache als
dessen Anfangszeilen als Ermunterung Antwort auf ein bestimmtes Anliegen
zu positiver Lebenseinstellung auch meist scherzhaft verwendete Floskel.
heute noch zitiert werden: „Hab Sonne Sie bedeutet etwa soviel wie: „Das ist
im Herzen/ob’s stürmt oder schneit,/ob leider nicht möglich, dazu bin ich nicht
der Himmel voll Wolken,/die Erde voll in der Lage“. Sie stammt aus einem Kin¬
Streit!“ Die erste Zeile wurde auch zum derlied von Friedrich Wilhelm Güll
Titel eines Spielfilms (1952) mit Lise¬ (1812-1879), der als Erneuerer des Kin¬
lotte Pulver. dergedichts im 19. Jahrhundert gilt. Das
Lied beginnt mit den Zeilen: „Wer will
Habe nun, ach! Philosophie unter die Soldaten,/Der muß haben ein
Mit diesen berühmten Worten beginnt Gewehr...“
der Auftrittsmonolog Fausts in Goethes
Drama (Faust I, Nacht). Sie werden Haben und Nichthaben
meist zitiert, um damit eine gewisse Rat¬ Dies ist der Titel eines 1937 erschiene¬
losigkeit zu signalisieren, um anzudeu¬ nen Romans von Ernest Hemingway
ten, daß man bereits alles mögliche un¬ (1899-1961; englischer Originaltitel: To
ternommen hat, aber immer noch nicht have and have not). Möglicherweise be¬
weiß, wie es weitergehen soll, wie man zog sich Hemingway damit auf eine
sich verhalten soll, woran man ist. Der Stelle in Miguel de Cervantes’ „Don
Anfang des Monologs wird dabei mehr Quichotte“, wo es (im 20. Kapitel)
oder weniger vollständig oder auch nur heißt: Dos linages sölos hay en el mundo,
bruchstückhaft zitiert. Gelegentlich ge¬ como decia una abuela mia, que son el te-
nügt auch schon der Stoßseufzer „Habe niry el no tenir („Es gibt nur zwei Fami¬
nun, ach!“ Die Stelle lautet im ganzen: lien auf der Welt, wie eine meiner Gro߬
„Habe nun, ach! Philosophie,/Juristerei mütter sagte, die Habenden und die
und Medizin,/Und leider auch Theolo¬ Nichthabenden“). Das Zitat wird oft
gie !/Durchaus studiert, mit heißem Be- dann benutzt, wenn man die Gegensätz¬
mühn.“ lichkeit von Reichtum und Armut, von
Besitzenden und Besitzlosen anspre¬
Habemus Papam chen will. Der Roman, in dem ein
Einem kirchlichen Ritus entsprechend Bootsverleiher, ein Habenichts, mit
wird nach einer Papstwahl mit dieser la¬ denselben skrupellosen Methoden wie
teinischen Formel auch heute noch der die Reichen sein Geld zu verdienen
neue Papst der Öffentlichkeit präsen¬ sucht und schließlich in einer Schießerei
tiert. Die vollständige, seit dem 15. Jahr¬ zu Tode kommt, wurde mehrfach ver¬
hundert schriftlich überlieferte Formel filmt. Besonders erfolgreich war der
lautet: Annuntio vobis magnum gaudi- 1944 nach Motiven des Hemingwayro¬
um: Papam habemus, auf deutsch: „Ich mans gedrehte Film gleichen Titels mit
verkündige euch eine große Freude: Wir Humphrey Bogart und Laureen Bacall.
haben einen Papst.“ Heute wird mit
dem Ruf „Habemus Papam“ vor der
Haben* sua fata libelli
Außenloggia der Peterskirche in Rom Das Zitat stammt aus dem Lehrgedicht
den Wartenden die vollzogene Papst¬ „De litteris“ („Über die Artikulation der
wahl bekanntgegeben. - In scherzhafter Buchstaben“) des afrikanischen Gram¬
Übertragung wird die lateinische For¬ matikers Terentianus Maurus (Ende des
mel gelegentlich benutzt, um jemandem 3. Jahrhunderts). Der ganze Vers 258
mitzuteilen, daß man gerade in den Be¬ lautet: Pro captu lectoris habent sua fata
sitz von etwas Erstrebenswertem gelangt libelli („Je nach der Aufnahme durch
195
5*
Haie Teil I
den Leser haben die kleinen Büchlein des lautet: „Und der wilde Knabe
ihre Schicksale“). Mit diesem Satz wird brach/’s Röslein auf der Heiden ;/Rös-
auf die bisweilen sehr bewegte Rezepti¬ lein wehrte sich und stach,/Half ihm
onsgeschichte literarischer Werke hin¬ doch kein Weh und Ach,/Mußt es eben
gedeutet. In Abwandlung zitiert man leiden./Röslein, Röslein, Röslein rot,/
auch gelegentlich „Wörter haben ihre Röslein auf der Heiden.“
Schicksale“, wenn es um die Etymolo¬
gie oder Geschichte eines Wortes geht. Die Hälfte ist mehr als das Ganze
Das Zitat findet sich im Lehrgedicht
Haie und kleine Fische „Werke und Tage“ (40 f.) des griechi¬
Dies ist der Titel eines 1956 erschiene¬ schen Dichters Hesiod (um 700 v. Chr.)
nen Romans von Wolfgang Ott (* 1923), und bezieht sich auf die von Hesiods
in dem realistisch-anklagend der U- Bruder Perses erneut erzwungene Tei¬
Boot-Krieg dargestellt wird. Der damals lung des väterlichen Erbes, nach der
vielgelesene Roman wurde unter dem Hesiod mit dem ihm verbliebenen klei¬
gleichen Titel 1957 auch verfilmt (Re¬ nen Teil mehr als Perses erwirtschaftete.
gie: Frank Wisbar). Der durch Buch Es heißt daher von den ungerechten
und Film sehr populär gewordene pla¬ Richtern: „Toren! Sie wissen ja nicht,
stisch-bildhafte Titel wurde bald dazu wie Halbes mehr als ein Ganzes gilt!“
verwendet, Verhältnisse zu kennzeich¬
nen, wie sie sich zwischen Herrschen¬ Halte fest: du hast vom Leben
den und Beherrschten, Mächtigen und doch am Ende nur dich selber
Unterdrückten, Betrügern und Betroge¬
Die Erkenntnis, daß nicht der äußere
nen ergeben.
Glanz, nicht der vergängliche Ruhm am
Ende des Lebens zählt, spricht Theodor
t Und der Haifisch, der hat Zähne
Storm in der letzten Strophe seines Ge¬
Halb zog sie ihn, halb sank er hin dichts „Für meine Söhne“ (1854) aus.
Diese Verse gibt man auch heute noch
Wenn sich jemand nur zögernd dazu
jüngeren Menschen als Motto mit auf
entschließt, eine bestimmte Beziehung
ihren Lebensweg.
zu jemandem einzugehen, dabei weni¬
ger aus eigener Initiative handelt, weni¬ Haltet euch an Worte
ger einem inneren Drang folgt als äuße¬
rem Druck oder äußerer Verlockung, so t Jurare in verba magistri
wird eine solche Unentschlossenheit oft
scherzhaft mit diesem Zitat kommen¬ t Um auf besagten Hammel zu¬
tiert. Es handelt sich dabei um die vor¬ rückzukommen
letzte Zeile der Ballade „Der Fischer“
(1779) von Goethe. Darin wird von ei¬ Hammer und Amboß
nem Fischer erzählt, der sich von den T Amboß oder Hammer sein
Worten und Gesängen einer aus dem
Wasser auftauchenden Nixe so betören t Dieselbe Hand gibt Heilung mir
läßt, daß er ihr am Ende in die Fluten und Wunden
folgen muß: „Halb zog sie ihn, halb
sank er hin,/Und ward nicht mehr ge- Eine Hand wäscht die andere
sehn.“
Die sprichwörtliche Redensart geht auf
die lateinische Formel manus manum la-
Half ihm doch kein Weh und Ach vat zurück. Diese ist sowohl bei dem rö¬
In Anspielung auf schmerzliche, unan¬ mischen Philosophen und Dichter Sene-
genehme Situationen, die jemand trotz ca (um 4v.Chr.-65 n. Chr.) in der Satire
Jammerns und Klagens durchzustehen „Apocolocyntosis“ belegt als auch bei
hatte, wird dieses Zitat aus Goethes dem römischen Schriftsteller Petronius
Volkslied „Heidenröslein“ verwendet. (t66 n.Chr.) in dem Schelmenroman
Die dritte Strophe dieses bekannten Lie¬ „Satiricon“. Mit der Redensart wird ei-
196
Teil I Hans
197
Hans Teil I
und seinem Tun macht. - Einen ersten t Leicht beieinander wohnen die
Beleg für diesen Ausdruck liefert die Gedanken, doch hart im Raume
Sprichwörtersammlung von Johann stoßen sich die Sachen
Agricola (um 1494-1566), Pfarrer und
Leiter der Lateinschule in Eisleben.
Hier wird allerdings nur von einem Hart in der Sache
„Hans in allen Gassen“ gesprochen. Das Motto „Hart in der Sache, milde in
„Hans Dampf in allen Gassen“ ist dann der Form“ (lateinisch Fortiter in re, sua-
der Titel einer Erzählung von Johann viter in modo) geht wohl auf den jesuiti¬
Heinrich Daniel Zschokke (1771-1848). schen Ordensgeneral Claudio Acquavi-
Eine stadtbekannte Figur dieses Na¬ va (1543-1615) zurück, der in seinem
mens soll es in Gotha gegeben haben. Werk Industriae ad curandos animae
Dort erschien 1846 das Versepos eines morbos („Bemühungen, die Krankhei¬
Unbekannten, in dem eine Figur „Hans ten der Seele zu heilen“) zu der Metho¬
George, genannt Hans Dampf' auftrat. de, einen Standpunkt zu verteidigen, ein
Ziel anzustreben, anmerkt: Fortes in fine
Hans im Glück consequendo et suaves in modo ac ratione
Als einen „Hans im Glück“ bezeichnet assequendi simus („Laßt uns stark sein
man einen unbekümmerten, sorglosen in der Verfolgung des Ziels und milde in
Menschen, von dem man glaubt, er habe der Art und Weise, es zu erreichen“).
bei allen Unternehmungen Glück, es
fiele ihm alles von selbst zu. Die Be¬
Das Harte unterliegt
zeichnung geht auf ein Märchen der
t Daß das weiche Wasser in Bewegung
Brüder Grimm mit diesem Titel zurück.
mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt
Es handelt von einem gutmütigen Bur¬
schen, der in seiner Einfalt einen Gold¬
klumpen, seinen Lohn von sieben Jah¬ Häßliches Entlein
ren, in einem Tauschhandel weggibt
In seinem Märchen „Das häßliche jun¬
und nach einer Reihe von schlechten
ge Entlein“ erzählt der dänische Schrift¬
Tauschgeschäften nichts mehr besitzt
steller Hans Christian Andersen (1805
als einen Schleifstein, der ihm schlie߬
bis 1875), wie ein Schwanenküken aus
lich auch noch in einen Brunnen fällt.
Versehen in einem Entennest ausgebrü¬
Der Bursche aber fühlt sich von einer
tet wird. Als es aus dem Ei schlüpft, ist
Last befreit, er ist mit sich und der Welt
es größer und häßlicher als die Enten¬
zufrieden und kann so am Ende aus-
küken und wird von allen gehänselt und
rufen: „So glücklich wie ich ... gibt es
schikaniert. Es läuft davon und findet
keinen Menschen unter der Sonne.“
dann später, als es zu einem stolzen, jun¬
gen Schwan herangewachsen ist, end¬
Happy few
lich zu seinen Artgenossen, die neidlos
Den Ausdruck bezieht Heinrich V. in seine Schönheit anerkennen. Der Mär¬
Shakespeares gleichnamigem Königs¬ chentitel wird oft als wenig wohlwollen¬
drama (IV, 3) auf die kleine Schar seiner de Bezeichnung für eine nicht sonder¬
Kampfgefährten, die auf Grund ihrer lich hübsche junge Frau verwendet.
Teilnahme an der bevorstehenden Häufig dient er aber auch allgemein als
Schlacht von Azincourt mit ihm bis ans Metapher für eine äußerlich wenig
Ende der Welt unvergessen sein werden, attraktive, unscheinbare Person oder
die er sogar seine Brüder nennen wird: Sache, deren lange verkannte Vorzüge
We few, we happy few, we band of sich unerwartet zeigen.
brothers („Wir wenigen, wir wenigen
Glücklichen, wir Schar von Brüdern“).
Der Ausdruck wird heute ganz allge¬ Hast du noch keinen Mann, nicht
mein auf eine kleine Schar von Auser¬ Manneswort gekannt?
wählten, auf einen erlesenen Kreis be¬ In der Studierzimmerszene im ersten
zogen. Teil von Goethes Faust schließt Faust
198
Teil I Haus
seinen Pakt mit Mephisto. Darüber ver¬ he Einschaltquoten, und ihr Titel wurde
langt Mephisto von Faust etwas bald zum geflügelten Wort. Man bringt
„Schriftliches“, worauf Faust unwillig damit zum Ausdruck, daß jemand das,
antwortet: „Auch was Geschriebnes for¬ was man ihm gerade als Information ge¬
derst du, Pedant?/Hast du noch keinen geben hat, bestimmt nicht gewußt hätte,
Mann, nicht Manneswort gekannt?“ - wenn man ihm die entsprechende Frage
Man verwendet das Zitat, um mit dieser gestellt hätte.
rhetorischen Frage seine Zuverlässig¬
keit zu unterstreichen und zu betonen, Ein Hauch von Nerz
daß man zu einem gegebenen Wort
Der deutsche Titel dieses amerikani¬
auch stehen wird.
schen Spielfilms von 1961 mit Doris
Day und Cary Grant (englischer Titel:
Hast du zur Nacht gebetet, Desde- That Touch of Mink) wird häufig ver¬
mona? wendet, um anzudeuten, daß eine be¬
Diese Worte richtet Othello in Shake¬ stimmte Umgebung oder Situation an
speares gleichnamiger Tragödie an sei¬ Reichtum und Luxus denken läßt. Als
ne Gemahlin Desdemona (V, 2; englisch Ausdruck für eine besondere Atmo¬
Haveyouprayed to-night, Desdemona?). sphäre, für einen entstehenden, sich
Er ist soeben in ihr Schlafgemach getre¬ ausbreitenden Eindruck wird das Zitat
ten, nur noch von dem einen Gedanken oft auch abgewandelt, z. B. zu „Ein
erfüllt, sein untreues Weib zu töten und Hauch von Abenteuer“ oder „Ein
so seine gekränkte Ehre wiederherzu¬ Hauch von Weltoffenheit“.
stellen. Verwendet wird das Zitat - mit
scherzhaftem Unterton - zum Beispiel Eine t Reformation an Haupt und
als drohende Ankündigung, daß man Gliedern
jetzt von dem oder der Angesprochenen
Rechenschaft über etwas verlangen Haupt- und Staatsaktion
wird, oder auch als allgemeine Dro¬
Dieser Ausdruck geht auf die Reper¬
hung, der gleich eine Bestrafung oder
toirestücke der deutschen Wanderbüh¬
etwas Ähnliches folgen wird.
ne des 17. und frühen 18. Jahrhunderts
zurück. In den Aufführungen wurde ein
Hast manchen Sturm erlebt
Hauptstück (die „Hauptaktion“) von
T Schier dreißig Jahre bist du alt komischen Zwischen- und Nachspielen
umrahmt. Inhaltlich befaßten sich diese
Hatte sich ein Ränzlein angemäst’t Stücke, die oft lediglich auf den Ge¬
als wie der Doktor Luther schmack des breiten Publikums zuge¬
Mit diesem Spottvers wurden sicher schnittene Bearbeitungen älterer Dra¬
schon viele wohlbeleibte Menschen ver¬ men und Opern waren und in höfischen
höhnt oder geneckt. Er stammt aus Goe¬ Kreisen spielten, meist mit pseudo-hi¬
thes Faust (Teil I, Auerbachs Keller). storisch-politischen Stoffen („Staatsak¬
Einer der „lustigen Gesellen“, nämlich tionen“). Die polemische Bezeichnung
„Brander“, singt ein Lied von einer „Haupt- und Staatsaktionen“ für diese
„Ratf im Kellernest“, in dem diese Ver¬ Stücke wurde als kritischer Terminus
se Vorkommen. Das Lied handelt von ei¬ von Gottsched geprägt. Mit der heute
ner feisten Ratte, die von der Köchin verbreiteten Wendung „eine Haupt-
vergiftet wird und ein klägliches Ende und Staatsaktion aus etwas machen“
findet. wird ausgedrückt, daß etwas mit zu gro¬
ßem Aufwand betrieben, in Szene ge¬
Hätten Sie’s gewußt? setzt wird.
199
Teil I
Haus
t Wer jetzt kein Haus hat, baut sich schen auf jeweils des anderen Fahrgast
ein. Mit den Worten „Du sollst meinen
keines mehr
Passagier nicht hauen; er ist mir anver¬
traut und zahlt honett, oder ich hau’ den
Haus ohne Hüter
deinen auch“ wird den Geschäftsleuten
Dies ist der Titel eines 1954 erschiene¬ klar gemacht, wie sehr sich die Kutscher
nen Romans von Heinrich Böll, in dem um ihr Wohlergehen kümmern und daß
besonders das Schicksal von zwei Frau¬ diese Fürsorge eine bessere Entlohnung
en dargestellt wird, die ohne ihre im verdient. Zuvor hatte einer der Passagie¬
Krieg gefallenen Ehemänner weiterle¬ re sich über den Aufenthalt mit der Fra¬
ben und deren Söhne ohne Vater auf¬ ge, ob sie denn nochmals vierzig Jahre
wachsen müssen. In Situationen, in de¬ warten sollten, beschwert. Wegen dieser
nen eine schützende und ordnende Anspielung auf die im Alten Testament
Hand fehlt und entsprechend der innere beschriebene vierzigjährige Wanderung
Zusammenhang verlorengeht, weil der aus Ägypten geflohenen Israeliten
manches planlos und ohne Führung wurde wahrscheinlich die Formulierung
verläuft, wird dieses Zitat herangezo¬ „Haust du meinen Juden, hau’ ich dei¬
gen. nen Juden“ im 19. Jahrhundert zur ge¬
flügelten Redensart, die im Sinne von
Des Hauses redlicher Hüter „Wie du mir, so ich dir“ gebraucht wur¬
Wenn man jemanden als absolut zuver¬ de. Eine weitere Quelle ist das Gedicht
lässig einschätzt und ihm zutraut, einen „Die beiden Juden“, das Karl Simrock
ihm übertragenen Bereich so zu beauf¬ 1831 schrieb. Darin wird ein Streit dar¬
sichtigen und zu führen, wie man es über geschildert, ob ein gläubiger oder
selbst tun würde, wird oft scherzhaft ein aufgeklärter Jude sich besser zum
dieses Zitat aus Schillers Gedicht „Die Pächter eines Landgutes eigne. Eine
Bürgschaft“ herangezogen. Dort wird Zeile des Gedichts lautet: „Freund,
eine Nebenfigur namens Philostratus so schlägst du meinen Juden, schlag’ ich
charakterisiert; es ist ein Bediensteter deinen“. - Die Verwendung des Zitats
des Moros, der seinen Herrn mit den kann heute, nach der Massenvernich¬
noch bekannteren Worten „Zurück! Du tung der Juden im Dritten Reich, als an¬
rettest den Freund nicht mehr“ (verglei¬ stößig empfunden werden.
che diesen Artikel) dazu bewegen will,
wenigstens das eigene Leben zu retten. Hebe dich weg von mir, Satan!
t Apage Satana
Haust du meinen Juden, hau’ ich
deinen Juden Hecht im Karpfenteich
Diese Redensart findet sich in dem In der Natur jagt der Hecht die trägen
Lustspiel „Der Datterich“ des hessi¬ Karpfen hin und her und läßt sie nicht
schen Mundartdichters Ernst Elias Nie¬ zur Ruhe kommen. Mit einem Hecht
bergall (1815-1843), wo es in der 1. Sze¬ verglich der deutsche Historiker Hein¬
ne des 6. Bildes heißt: „Haagste mein rich Leo (1799-1878) in einem Aufsatz
Judd, da haag ich Dein aach.“ Sie geht den französischen Kaiser Napoleon III.,
wohl auf die Erzählung „Die zwei Po¬ den er als politischen Störenfried im
stillone“ aus Johann Peter Hebels Gleichgewicht der europäischen Kräfte
„Schatzkästlein des rheinischen Haus¬ sah. In einer Reichstagsrede am 6. 2.
freundes“ (1811) zurück. Darin „erzie¬ 1888 griff Bismarck dieses Bild auf und
hen“ zwei Kutscher ihre Passagiere, charakterisierte die Stellung Deutsch¬
zwei Geschäftsleute, auf grobe Weise zu lands zwischen den beiden kriegerisch
weniger Knausrigkeit beim Trinkgeld¬ gesinnten Nachbarstaaten Frankreich
geben; An einer engen Straßenstelle und Rußland mit den Worten: „Die
kommen die Kutschen nicht aneinander Hechte im europäischen Karpfenteich
vorbei, die Kutscher tun so, als gerieten hindern uns, Karpfen zu werden.“ Heu¬
sie in Streit und schlagen mit ihren Peit¬ te wird jemand, der durch seine Anwe-
200
Teil I Heimchen
senheit, besonders in einer langweili¬ alle angesehen wird. Der Anfang des Zi¬
gen, nicht sehr aktiven Umgebung, Un¬ tats kann auch allgemeiner in bezug auf
ruhe schafft, als Hecht im Karpfenteich einen ersehnten Zeitpunkt verwendet
bezeichnet. werden, zum Beispiel in einem Sto߬
seufzer wie „Heil sei dem Tag, an dem
Die Hefe des Volkes ich diesen Menschen nicht mehr sehen
Der gehoben abwertende Ausdruck muß!“
„Hefe“ bedeutet „übler, verkommener
Heile Welt
Teil einer Bevölkerungsschicht; Ab¬
schaum“. Meist wird er mit einem ab¬ Oft wird bei der Bewertung von Fern¬
hängigen Genitiv, besonders als „Hefe sehserien, Filmen o.ä. kritisch ange¬
des Volkes“, gebraucht. Diese Aus¬ merkt, sie zeigten nur eine heile Welt.
drucksweise geht auf lateinisch Faex ci¬ Die Kritik richtet sich dann dagegen,
vitatis zurück und findet sich in Marcus daß eine illusionäre Intaktheit der Welt
Tullius Ciceros (106-43 v. Chr.) Vertei¬ oder eines bestimmten Bereichs frei von
digungsrede „Pro Flacco“ (8,18). Konflikten und ohne Bezug zur Realität
des Lebens vorgegaukelt wird. Das Zitat
t Durch Heftigkeit ersetzt der Ir¬ selbst geht wohl zurück auf den Titel
einer 1950 erschienenen Gedichtsamm¬
rende, was ihm an Wahrheit und
lung von Werner Bergengruen, „Die
an Kräften fehlt
heile Welt“.
201
Heinrich Teil I
Heute verbindet sich mit dem abwer¬ „Knopp-Trilogie“ von Wilhelm Busch
tend gebrauchten Ausdruck die Vorstel¬ (1832-1908). Als Junggeselle unter¬
lung von einer naiven, nicht emanzipier¬ wegs, trifft Knopp auf einen gewissen
ten Frau, die nur die Erfüllung ihrer Sauerbrot, der mit diesen Worten seiner
häuslichen Pflichten kennt. diebischen Freude darüber Ausdruck
verleiht, durch den Tod seiner Frau dem
Martyrium der Ehe entronnen und wie¬
Heinrich, der Wagen bricht
der frei zu sein. Mit dem Zitat wird heu¬
Wenn man befürchtet, daß ein Fahrzeug te auf jemanden angespielt, dem man
wegen Überladung oder zu schneller innerlich eine ähnliche Reaktion unter¬
Fahrt über eine holprige Wegstrecke die stellt, weil für ihn durch den Tod der
Belastung nicht aushält, und man auch Frau eine unglückliche Ehe zu Ende
schon entsprechende knackende Geräu¬ geht oder er nach einer Zweckheirat sei¬
sche feststellt, versucht man mit der ne Frau beerben kann. Losgelöst von
nicht ganz ernst gemeinten Bemerkung diesem Zusammenhang, wird das Zitat
„Heinrich, der Wagen bricht“ den Fah¬ oft nur als Verstärkung von „heißa!“ als
rer zu veranlassen, vorsichtiger zu fah¬ Ausruf der Freude und Ermunterung
ren. Das Zitat stammt aus dem Märchen gebraucht.
„Der Froschkönig oder der eiserne
Heinrich“ aus der Sammlung der Brü¬
t Mit heißem Bemühn
der Jacob und Wilhelm Grimm
(1785-1863 bzw. 1786-1859). Als der
junge König bei einem Krachen wäh¬ t Was ist ihm Hekuba
rend einer Kutschfahrt gegenüber sei¬
nem treuen Diener Heinrich meint, daß Der Held der westlichen Welt
der Wagen breche, antwortet dieser Dies ist der deutsche Titel des 1907 ur-
ihm: „Nein, Herr, der Wagen nicht,/es aufgeführten Theaterstücks The Playboy
ist ein Band von meinem Herzen,/das of the Western World von John Milling-
da lag in großen Schmerzen,/als ihr in ton Synge, einem irischen Dramatiker.
dem Brunnen saßt,/als ihr ein Fretsche Im Mittelpunkt der Handlung steht ein
(Frosch) wast (wart).“ gewisser Christie Mahon, der in der An¬
nahme, aus Zorn seinen Vater erschla¬
Heinrich! Mir graut’s vor dir gen zu haben, an die Westküste Irlands
(Synges westem world, die abgelegene,
Dieses Zitat stammt aus Goethes Tragö¬
hinterwäldlerische Züge trägt) flieht, wo
die Faust, 1. Teil. In der Kerkerszene wi¬
ihm aber in Kenntnis seiner Tat Ver¬
dersteht Gretchen der Versuchung, mit
ständnis entgegengebracht wird. Dies
Fausts und Mephistos Hilfe zu entflie¬
ermöglicht es ihm, als vermeintlicher
hen und damit ihrer Hinrichtung zu ent¬
Held ein unbeschwertes Leben wie ein
gehen. Sie will so ihre Schuld büßen
„Playboy“ zu führen. Heute verbindet
und wendet sich von Faust mit den Wor¬
sich mit dem eher ironisch gebrauchten
ten ab: „Heinrich! Mir graut’s vor dir.“
Zitat meist die Vorstellung eines Män¬
Diese Worte werden (auch abgewandelt
nertyps, der die westliche Lebensart und
mit anderen Namen) zitiert, wenn einem
westliche Ideologie verkörpert und sich
jemand drohend oder unheimlich er¬
auch kämpferisch dafür einsetzt (wie
scheint, besonders auch, wenn einen je¬
zum Beispiel die Filmfigur James
mand mit Verlockungen zur Teilnahme
Bond).
an seinem unheilvollen Vorhaben bewe¬
gen will.
Die Helden sind müde
Dies ist der deutsche Titel eines franzö¬
„Heißa!" rufet Sauerbrot. „Heißa!
sischen Spielfilms von 1954 (Regie Yves
Meine Frau ist tot!“
Ciampi, französischer Titel: Les heros
Das Zitat findet sich in den „Abenteu¬ sont fatigues). Er wird als scherzhafte
ern eines Junggesellen“, dem 1. Teil der oder spöttische Feststellung verwendet,
202
Teil I Herr
wenn bei jemandem - meist bei mehre¬ zählung ist auch in den Äsopischen Fa¬
ren Personen - der Schwung, die Kraft, beln enthalten. In der bildenden Kunst
der Eifer bei der Bewältigung einer Auf¬ hat sie der italienische Maler Agostino
gabe nachlassen. Carracci (1557-1602) als Thema für ein
Gemälde gewählt.
t Das war kein Heldenstück, Okta-
vio! Hermann heeßt er!
Mit diesem Vers beginnen und enden
t Mein ist der Helm und mir gehört die fünf Strophen eines Liedes, das mit
er zu dem Namen seiner Interpretin, Claire
Waldoff (1884-1957), fest verbunden
Das Hemd ist näher als der Rock ist. Das sentimentale Lied über einen
Wenn man ausdrücken will, daß jeman¬ geliebten Mann namens Hermann hatte
dem der eigene Vorteil wichtiger ist als der Komponist Ludwig Mendelssohn
die ebenso berechtigten Interessen an¬ für sie geschrieben und vertont. Es wur¬
derer, so sagt man oft „Ihm ist das de eines ihrer meistgesungenen und po¬
Hemd näher als der Rock“. Diese Re¬ pulärsten Lieder, mit dem sie zuerst im
densart geht wohl auf eine der Komö¬ Jahr 1914 auftrat. Während der Zeit der
dien des römischen Dichters Plautus Naziherrschaft war dieses Lied von ei¬
(um 250-184 v. Chr.) zurück. In dem nem unbekannten Verfasser um einen
Stück „Trinummus“ („Das Dreidrach¬ Spottvers vermehrt worden, der sich auf
menstück“) heißt es: Tunica proprior den damaligen Reichsmarschall Her¬
palliost, wobei das römische Unterge¬ mann Göring bezog. Dieser Vers lautet:
wand, die Tunika, im Deutschen mit „Rechts Lametta, links Lametta,/Und
„Hemd“ wiedergegeben wird, während der Bauch wird imma fetta,/Und in
das griechische Obergewand Pallium Preußen ist er Meester -/Hermann
(entspricht der römischen Toga) mit heeßt er!“ - Man führt das Zitat gele¬
„Rock“ übersetzt wurde. gentlich scherzhaft mit Bezug auf eine
Person mit dem Namen Hermann an.
t Dies ist ein Herbsttag, wie ich
keinen sah t Bist du’s, Hermann, mein Rabe?
203
Herr Teil I
nen. Besonders verbreitet wurde die Be¬ Herrn sei gelobt!“ Damit beweist Hiob
zeichnung in jüngerer Zeit durch Wil¬ angesichts all der Unglücksbotschaften,
liam Goldings Roman Lord of the Flies die er zuvor vernommen hat, eine gott¬
(1954), in dem geschildert wird, wie eine gefällige Gelassenheit; sein Unglück
Gruppe von Schuljungen auf einer un¬ läßt ihn nicht an seinem Glauben irre
bewohnten Insel zu überleben versucht werden.
und dabei immer stärker verwildert. Der
englische Regisseur Peter Brook hat den Der Herr ist mein getreuer Hirt
Roman in den Jahren 1961-63 verfilmt. Mit diesen Worten beginnt der sehr be¬
kannte 23. Psalm, der die Überschrift
Herr, dunkel war der Rede Sinn „Der gute Hirte“ trägt. Dieser Psalm ist
Diese Worte stammen aus Schillers Bal¬ Ausdruck unerschütterlicher Glaubens¬
lade „Der Gang nach dem Eisenham¬ gewißheit, der Gewißheit eines Gebor¬
mer“ (1797). Der Knecht Fridolin gibt genseins, wie es das Bild des guten Hir¬
sie seinem Herrn zur Antwort auf die ten vermittelt. Der Text liegt in einer
Frage, was man zu ihm in der Eisen¬ Nachdichtung auch einer Bachkantate
schmelze gesagt habe. Man zitiert den (BWV 112) mit der Überschrift „Der
Vers (heute meist ohne „Herr“), wenn Herr ist mein getreuer Hirt“ zugrunde.
man andeuten will, daß man den Sinn Vergleiche auch den Artikel „Der Gute
einer Aussage nicht verstanden hat. Hirte“.
„Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr Herrenmoral und Sklavenmoral
groß./Leg deinen Schatten auf die Son¬
Im 260. Stück seiner Abhandlung „Jen¬
nenuhren,/Und auf den Fluren laß die
seits von Gut und Böse“ schreibt Fried¬
Winde los.“ So beginnt Rainer Maria
rich Nietzsche (1844-1900), daß sich
Rilkes (1875-1926) Gedicht „Herbst¬
ihm zwei „Grundtypen“ von Moral mit
tag“. Mit dem Anfangsvers bringt man
einem signifikanten „Grundunter¬
gewöhnlich zum Ausdruck, daß es nach
schied“ gezeigt hätten: „Es gibt eine
einer langen Entwicklung an der Zeit
Herrenmoral und eine Sklavenmoral“.
ist, einen Abschluß zu finden, besonders
Die „Herrenmoral“ geht aus der Selbst¬
dann, wenn man in seinem Leben genug
bejahung und dem Selbstbewußtsein
geleistet hat und nunmehr die Früchte
seiner Arbeit genießen kann. der Angehörigen der Herrenschicht her¬
vor. „Verachtet wird der Feige, der
Ängstliche, der Kleinliche, der an die
Der Herr hat’s gegeben, der Herr
enge Nützlichkeit Denkende.“ Im Ge¬
hat’s genommen
gensatz dazu steht die „Sklavenmoral“,
Diese Worte, die zum einen zum Be¬ deren Träger die zur Tat unfähigen
gräbnisritual christlicher Kirchen gehö¬ Menschen sind, die ihre Identität durch
ren, zum anderen aber auch allgemein die bloß negierende Reaktion auf die
als Ausdruck der Schicksalsergebenheit Reize der Außenwelt zu finden suchen.
oder als Trost für Menschen zitiert wer¬ Für Nietzsche ist aber die wirkliche
den, die einen schweren Verlust erlitten Freiheit des einzelnen nur dadurch zu
haben, gehen auf das Alte Testament zu¬ erreichen, daß Moral einzig und allein
rück. Im 1. Kapitel des Buches Hiob nach ihrem Wert für das Leben zu beur¬
heißt es in Vers 21: „... und sprach: Ich teilen ist. „Herrenmoral“ ist daher das,
bin nackt von meiner Mutter Leibe ge¬ was das Handeln des „Übermenschen“
kommen, nackt werde ich wieder dahin¬ bestimmt, „Sklavenmoral“ hingegen ist
fahren. Der Herr hat’s gegeben, der die Moralvorstellung der nach Nietz¬
Herr hat’s genommen; der Name des sche abzulehnenden und abzulösenden
204
Teil I Heulen
Herrlich! Etwas dunkel zwar 1 Mein Herz ist wie ein Bienenhaus
Das Zitat mit der Fortsetzung „Aber’s
klingt recht wunderbar“ stammt aus Pi¬ Herz, mein Herz, was soll das ge¬
us Alexander Wolffs (1782-1828) Sing¬ ben?
spiel „Preciosa“ (1,5) mit der Musik von So beginnt Goethes Gedicht „Neue Lie¬
Carl Maria von Weber. Den Stoff für be, neues Leben“ (1775), in dem die
sein Stück fand Wolff in der Novelle Beunruhigung und veränderte Lebens¬
„La gitanilla de Madrid“ („Das Zigeu¬ haltung geschildert wird, die ein Ver¬
nermädchen von Madrid“) von Cervan¬ liebter im Banne seiner Angebeteten an
tes. Man gebraucht das Zitat meist iro¬ sich beobachtet. Man zitiert diesen
nisch, um etwas, was man nicht ganz Vers - oftmals mit leichter Selbstiro¬
verstanden hat, zunächst einmal nie -, wenn man sich ganz von der Emp¬
(scheinbar) zu loben. findung geleitet sieht, wo eigentlich bes¬
ser der kühle Verstand gefordert wäre.
Herrlich und in Freuden leben
Ein Herz und eine Seele
Diese Redewendung, mit der ausge¬
drückt wird, daß es jemandem sehr gut Will man sagen, daß zwischen zwei
geht, daß er sorgenfrei lebt, stammt aus Menschen große Einmütigkeit besteht,
dem Gleichnis vom reichen Mann und daß sie nahezu unzertrennlich sind, so
dem armen Lazarus im Lukasevangeli¬ gebraucht man diese Redewendung, die
um. Dort heißt es: „Es war aber ein rei¬ sich schon in der Apostelgeschichte im
cher Mann, der kleidete sich mit Purpur Neuen Testament findet. Dort heißt es,
und köstlicher Leinwand und lebte alle die innige Gemeinschaft der Gläubigen
Tage herrlich und in Freuden“ (Lukas betonend: „Die Menge aber der Gläubi¬
16,19). gen war ein Herz und eine Seele; auch
keiner sagte von seinen Gütern, daß sie
Herrlichen Tagen führe ich euch sein wären, sondern es war ihnen alles
gemein“ (Apostelgeschichte 4,32). Der
entgegen
Fernsehautor Wolfgang Menge verwen¬
Diese etwas vollmundige Versprechung dete „Ein Herz und eine Seele“ als iro¬
gab Kaiser Wilhelm II. (deutscher Kai¬ nischen Titel einer Femsehserie.
ser von 1888-1918) im Februar 1892 in
einer Rede vor dem Brandenburgischen t Auf Herz und Nieren prüfen
Provinziallandtag. Man zitiert seine
Worte gelegentlich scherzhaft, wenn t Wes das Herz voll ist, des geht der
man jemandem angenehme, erfreuliche Mund über
Erlebnisse oder ganz allgemein bessere
Tage in Aussicht stellen will. t Da ist in meinem Herzen die
Liebe aufgegangen
Es ist das Herz ein trotzig und ver¬
zagt Ding Heulen und Zähneklappern
Dieses Zitat stammt aus dem Buch des Mit „Heulen und Zähneklappen“ be¬
Propheten Jeremia (17,9) im Alten Te¬ schreibt das Neue Testament an mehre¬
stament. Dort wird die Unberechenbar¬ ren Stellen das Verhalten derjenigen,
keit, auch Widersprüchlichkeit im Emp¬ die dem „Letzten Gericht“ verfallen. So
finden und Handeln des Menschen an¬ heißt es beispielsweise im Matthäus¬
gesprochen und betont, daß nur Gott evangelium (13,49 f.): „Also wird es
„das Herz ergründen und die Nieren auch am Ende der Welt gehen: die En¬
prüfen“ kann (17,16). Man zitiert die gel werden ausgehen und die Bösen von
Bibelstelle auch heute als Hinweis auf den Gerechten scheiden und werden sie
jemandes innere Zerrissenheit, auf die in den Feuerofen werfen; da wird Heu-
205
heureka Teil I
len und Zähneklappen sein.“ - Das Zi¬ Hic Rhodus, hic salta!
tat, heute meist in den Formen „Heulen Diese lateinische Redensart wird in ge¬
und Zähneklappern“ und „Heulen und hobenem Sprachgebrauch im Sinne von
Zähneknirschen“ gebraucht, dient zur „Hier gilt es, hier mußt du dich ent¬
meist scherzhaften Charakterisierung scheiden, dich beweisen“ gebraucht. Sie
von großer, übertriebener Furcht. geht auf eine lateinische Übersetzung
der Fabeln des Äsop zurück. Eine der
Heureka! Fabeln handelt von einem Prahler, der
erzählt, er habe in Rhodos einmal einen
Diesen freudigen Ausruf (griechisch:
sehr weiten Sprung getan. Daraufhin
eupr/Ka = „ich habe [es] gefunden“)
fordert man ihn mit den Worten „Hier
soll - nach der Darstellung des römi¬
ist Rhodos, hier springe!“ auf, an Ort
schen Baumeisters und Architekten
und Stelle zu beweisen, wie gut er sprin¬
Vitruv (l.Jh. v.Chr.) - der griechische
gen kann.
Mathematiker und Physiker Archime-
des (3. Jh. v. Chr.) bei seiner Entdeckung
des hydrostatischen Auftriebs getan ha¬ Hie Welf, hie Waiblingen!
ben. (Nach diesem auch „Archimedi¬ Dieser Schlachtruf soll - was aber histo¬
sches Prinzip“ genannten physikali¬ risch nicht eindeutig nachgewiesen ist -
schen Gesetz ist der statische Auftrieb zuerst bei der Schlacht um Weinsberg
eines Körpers gleich dem Gewicht der im Jahr 1140 gebraucht worden sein.
von ihm verdrängten Flüssigkeits- oder Die nach der staufischen Burg Waiblin¬
Gasmenge.) - Auch heute noch wird gen benannte Partei des Stauferkönigs
eine - oftmals überraschend einfache - Konrad III. besiegte dort die Gegenpar¬
Lösung eines schwierigen Problems mit tei der Welfen, eines fränkischen Adels¬
diesem Ausruf erleichtert kommentiert. geschlechts, das durch die Wahl Kon-
rads zum König seine Machtansprüche
verletzt sah. - Man gebraucht die For¬
t Zwischen heut und morgen liegt
mel (gelegentlich auch in der Form „Hie
eine lange Frist Welf, hie Waibling!“) meist scherzhaft,
um zwei sich feindselig gegenüberste¬
Der heutige Tag ist ein Resultat hende Personen oder Gruppen zu cha¬
des gestrigen. Was dieser gewollt rakterisieren.
hat, müssen wir erforschen, wenn
wir zu wissen wünschen, was jener Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s
will sein!
Der sentenzhafte Ausspruch stammt aus Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust
Heinrich Heines Zusammenstellung po¬ (Teil I, Vor dem Tor). Faust und sein Fa¬
litischer Berichte, die er in den Jahren mulus Wagner bewegen sich bei ihrem
1831/32 von Paris aus für die Augsbur¬ „Osterspaziergang“ in einem bunten
ger „Allgemeine Zeitung“ geschrieben Volksgewimmel. Die Menschen freuen
hatte. Sie trägt den Titel „Französische sich an der wiedererwachten Natur.
Zustände“. Hier Findet sich der genann¬ Faust fühlt sich nicht fremd unter dem
te Ausspruch im Artikel VI vom 19. 4. einfachen Volk. Sein Monolog, der mit
1832. - Heine postuliert damit den inne¬ dem Vers „Vom Eise befreit sind Strom
ren Zusammenhang nicht nur der ge¬ und Bäche“ beginnt, endet mit den Ver¬
schichtlichen Ereignisse, die sich folge¬ sen „Ich höre schon des Dorfs Getüm-
richtig auseinander entwickeln. Auch mel,/Hier ist des Volkes wahrer Him-
für das Leben des einzelnen gilt die mel,/Zufrieden jauchzet groß und
Wahrheit dieses Satzes. klein:/,Hier bin ich Mensch, hier darf
ich’s sein!“1 - Man zitiert die letzte Zei¬
le, um auszudrücken, daß man sich in
Hic fuit [Teil] einer bestimmten Umgebung frei von
t Das ist Teils Geschoß Zwängen fühlt und sich so geben kann.
206
Teil I hier
wie man ist. Auch die drittletzte Zeile ist gut sein! Willst du, so wollen wir hier
zu einem gebräuchlichen Zitat gewor¬ drei Hütten machen: dir eine, Mose eine
den, mit dem man Veranstaltungen oder und Elia eine“ (Matthäus 17,4). - Man
Einrichtungen charakterisiert, die den trifft diese Feststellung - von der häufig
Menschen ein unbeschwertes - meist auch nur der zweite Teil „Hier laßt uns
nicht sehr anspruchsvolles - Vergnügen Hütten bauen“ zitiert wird -, um auszu¬
bieten. drücken, daß man einen bestimmten Ort
besonders schön findet, daß man sich
Hier endigt meine Vollmacht gern dort niederlassen oder dort verwei¬
len möchte.
Im ersten Aufzug (5. Auftritt) von Schil¬
lers Drama „Wallensteins Tod" verhan¬
delt der schwedische Unterhändler Hier ist Rhodos, hier springe!
Wrangel mit Wallenstein, der die Ab¬ THic Rhodus, hic salta!
sicht hat, sich vom Kaiser abzuwenden
und sich mit den Schweden zu verbün¬
den. Diese verlangen von ihm die Über¬ Hier sind wir versammelt zu löbli¬
gabe von Prag, wozu sich Wallenstein chem Tun
nicht bereit erklären kann. Darauf wird Mit dieser Zeile beginnt ein von Goethe
ihm von Wrangel die kühle Antwort zu¬ 1810 gedichtetes Trinklied mit dem Titel
teil: „Hier endigt meine Vollmacht.“ - „Ergo bibamus!“ Friedrich Zelter hat es
Man verwendet das Zitat, um etwas, unmittelbar nach seiner Entstehung ver¬
wozu man sich nicht berechtigt fühlt, tont. Noch heute ist das Lied in den
zurückzuweisen. Kommersbüchern der studentischen
Verbindungen enthalten. - Mit dem
Hier ist des Volkes wahrer Himmel Zitat kann man (in scherzhafter Aus¬
drucksweise) ein gemeinsames Vorha¬
t Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s
ben, zu dem sich Menschen versammelt
sein!
haben, einleiten.
207
hier Teil I
208
Teil I hippokratischer
209
Hirsch Teil I
(um 460-um 370 v. Chr.) zugeschriebe¬ wodurch die Engel fielen,/Woran der
ne, aber höchstens dem Sinne nach auf Höllengeist den Menschen faßt.“ -
ihn zurückgehende, aus der Antike „Hochmut“ im profanen Sinne - so wie
überlieferte Gelöbnis der Ärzte, das die man ihn heute versteht - ist eine Form
ethischen Leitsätze ärztlichen Handelns von Stolz und Überheblichkeit anderen
enthält. Dazu gehört zum Beispiel, nie¬ Menschen gegenüber, die sich ebenso
mals zum Nachteil und Unrecht eines verderblich auswirken kann.
Kranken tätig zu werden oder grund¬
sätzlich die Verabreichung tödlicher Das höchste der Gefühle
Gifte zu verweigern. Es ist das Vorbild
Mit diesen Worten wird umgangs¬
des heutigen Ärztegelöbnisses.
sprachlich das Äußerste, was in einer
bestimmten Situation möglich ist oder
t Wie der Hirsch schreit nach fri¬
sich tun läßt, bezeichnet. Sie stammen
schem Wasser
aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ (2.
Akt, Duett Papageno/Papagena), wo sie
t Zu Hitler fällt mir nichts ein
aber im Sinne von „das schönste Ge¬
Hoch klingt das Lied vom braven fühl“ zu verstehen sind. Papageno und
Papagena geben damit ihrer Vorfreude
Mann
auf reichen Kindersegen Ausdruck.
Mit diesen Worten beginnt die Ballade
„Das Lied vom braven Mann“ von
Die höchste Eisenbahn
Gottfried August Bürger (1747-1794).
Nach dem sprachlichen Verständnis sei¬ Diese scherzhaft-umgangssprachliche
ner Zeit ist unter dem „braven Mann“ Wendung bedeutet „höchste Zeit“. Sie
ein Mensch zu verstehen, der sich durch geht auf Adolf Glaßbrenner (1810 bis
Rechtschaffenheit und Mut auszeich¬ 1876) zurück, den Begründer der humo¬
net. Das Gedicht handelt denn auch von ristisch-satirischen Berliner Volkslitera¬
einem armen, aber rechtschaffenen tur. In seiner humoristischen Szene
„Bauersmann“, der unter Einsatz seines „Ein Heiratsantrag in der Niederwald¬
Lebens eine heldenhafte Rettungstat straße“ läßt er einen zerstreuten Men¬
vollbringt, das als Preis ausgesetzte schen, der ständig Begriffe vertauscht,
Gold jedoch den von ihm geretteten Op¬ sagen: „Es ist die allerhöchste Eisen¬
fern überläßt. Die Verszeile aus dem bahn, die Zeit is schon vor drei Stunden
„Lied vom braven Mann“ wird heute anjekommen.“ Üblich sind heute die
meistens dann zitiert, wenn ein scherz¬ Versionen (ohne Artikel) „höchste/al¬
haft oder auch ironisch gemeintes Lob lerhöchste Eisenbahn“.
ausgesprochen werden soll.
Höchstes Glück der Erdenkinder
Hochmut kommt vor dem Fall ist nur die Persönlichkeit
Die auch in anderen Sprachen verbrei¬ Aus Goethes 1819 erstmals erschiene¬
tete sprichwörtliche Redensart hat ihre nem Gedichtzyklus „Westöstlicher Di¬
Wurzeln im Alten Testament. So liest wan“ stammt dieser Satz. Allerdings ist
man in den Sprüchen Salomos (16,18): er dort nicht als die allgemeingültige Be¬
„Wer zugrunde gehen soll, der wird zu¬ hauptung formuliert, die man beim Zi¬
vor stolz; und Hochmut kommt vor dem tieren meist zugrunde legt, sondern als
Fall.“ Eine Stelle im apokryphen Buch eine widerlegbare Meinung. In dem
Jesus Sirach (3,30) lautet: „Denn Hoch¬ „Buch Suleika“, einem Dialog in Ge¬
mut tut nimmer gut, und kann nichts dichten zwischen den Liebenden „Sulei¬
denn Arges daraus erwachsen.“ „Hoch¬ ka“ und „Hatem“, gibt Suleika die all¬
mut“ im biblischen Sinne war die Hy¬ gemein geltende Meinung über den
bris gegenüber Gott, die als Frevel galt Wert der Persönlichkeit wieder mit den
und Verderben nach sich zog. Im Prolog Worten: „Volk und Knecht und Über¬
von Schillers „Jungfrau von Orleans“ winder,/Sie gestehn zu jeder Zeit,/
finden sich die Verse „Hochmut ist’s, Höchstes Glück der Erdenkinder/Sei
210
Teil I höherer
nur die Persönlichkeit.“ Hatem aber bei manchen nur eine Höflichkeit des
setzt dieser allgemeinen Meinung seine Herzens - und gerade das Gegenstück
eigene entgegen, daß nämlich der einer Eitelkeit des Geistes.“ - Gemeint
Mensch nicht in der Persönlichkeit als ist mit dieser Formulierung eine Höf¬
solcher, nicht im „werten Ich“ das lichkeit, die von innen, von Herzen
höchste Glück findet, sondern im ande¬ kommt im Gegensatz zu einer nur auf¬
ren Menschen, im geliebten Du, und so gesetzten, leeren Förmlichkeit, die ohne
antwortet er: „Kann wohl sein! so wird Wert ist.
gemeinet;/Doch ich bin auf andrer
Spur:/Alles Erdenglück vereinet/Find’ Das Hohelied
ich in Suleika nur.“
Das „Hohelied“ (auch „Das Hohelied
Salomos“) ist eine Sammlung volkstüm¬
Hoff, o du arme Seele
licher Liebes- und Hochzeitslieder im
„Hoff, o du arme Seele,/hoff und sei un¬ Alten Testament. Die deutsche Überset¬
verzagt!“ So beginnt die 6. Strophe des zung steht für hebräisch sir ha-sirim
Kirchenliedes „Befiehl du deine Wege“ bzw. lateinisch canticum canticorum
des evangelischen Theologen und Kir¬ („Lied der Lieder“, d. h. „schönstes,
chenlieddichters Paul Gerhardt (1607 herrlichstes Lied“). Der Überlieferung
bis 1676; Evangelisches Kirchengesang¬ nach ist König Salomo (9.Jh. v.Chr.)
buch Nr. 294). Man zitiert diesen Vers der Autor, doch sind die meisten Lieder
gelegentlich - meist nur die Anfangs¬ möglicherweise erst in späterer Zeit ent¬
worte -, wenn man jemandem Mut ma¬ standen. Heute verwendet man diesen
chen und ihn darin bestärken will, auf Titel (mit unterschiedlichem Genitivat¬
Besserung zu hoffen. tribut), um in gehobener Sprache eine
Haltung oder Tat zu kennzeichnen, die
t All mein Hoffen, all mein Sehnen symbolisch ein Loblied auf etwas dar¬
stellt (z. B. das Hohelied der Arbeit).
Hoffnung läßt nicht zuschanden
werden
Hoher Sinn liegt oft in kind’schem
Im 5. Kapitel seines Briefes an die Rö¬
Spiel
mer schreibt Paulus: „Geduld aber
bringt Erfahrung; Erfahrung aber bringt Mit diesem Vers endet Schillers Gedicht
„Thekla. Eine Geisterstimme“ (1802).
Hoffnung; Hoffnung aber läßt nicht zu¬
schanden werden“ (Römer 5,4-5). Den Der Dichter bezieht sich darin auf die
Figur der Thekla in seinem Drama
Anfang des 5. Verses zitiert man gele¬
„Wallenstein“ und auf Wallenstein, den
gentlich, wenn man jemanden ermun¬
Sternengläubigen. Dem Schlußwort
tern will, nicht die Hoffnung aufzuge¬
geht die Aufforderung voraus „Wage
ben, mit Zuversicht in die Zukunft zu
du, zu irren und zu träumen“. In den
blicken.
von der Realität abgehobenen „Träu¬
tWas sind Hoffnungen, was sind men“ liegt für den Dichter eine tiefe Be¬
deutung, vergleichbar dem tieferen
Entwürfe
Sinn, der dem unreflektierten Spiel der
Höflichkeit des Herzens Kinder zugrunde liegen kann. - Man
verwendet das Zitat - häufiger in der
Von der „Höflichkeit des Herzens“
Form - „Tiefer Sinn liegt oft in
spricht Ottilie in ihrem Tagebuch im 5.
kind’schem Spiel“ bei der Betrachtung
Kapitel des 2. Teils von Goethes „Wahl¬
von Kindern, die ganz in sich versunken
verwandtschaften“ (1809). Hier heißt
ihren Spielen hingegeben sind.
es: „Es gibt eine Höflichkeit des Her¬
zens; sie ist der Liebe verwandt.“ Auch
bei Nietzsche findet man diese Formu¬
Höherer Blödsinn
lierung in der Schrift „Jenseits von Gut Der Ausdruck wurde um 1850 mutma߬
und Böse“ (1886). Im 4. Hauptstück lich von Otto Wigand, dem Herausgeber
steht hier: „Sich über ein Lob freuen ist der „Jahrbücher für Wissenschaft und
211
hohle Teil I
Kunst“ geprägt. Er ist ein Ausdruck des dem Titel „Die Hölle auf Erden, oder
Ärgers: „Wir meinen die Gesellschafts¬ Geschichte der Familie Fredini“.
schwindel im lieben deutschen Vater¬
land ... Geblütswallungen, die ... auf
dem Niveau des höheren Blödsinns ste¬ Die Hölle, das sind die anderen
hen.“ Die satirische Zeitschrift „Klad¬ In Jean-Paul Sartres Einakter „Bei ge¬
deradatsch“ spricht dagegen 1856 von schlossenen Türen“ (auch unter dem Ti¬
einem „Styl des höheren Blödsinns“ tel „Geschlossene Gesellschaft“ aufge¬
und meint damit eine bestimmte Art des führt; französischer Titel: „Huis clos“;
Ulks, die sie besonders für sich in An¬ uraufgeführt 1944; deutsch 1949) finden
spruch nimmt. Im heutigen Sprachge¬ sich zwei Frauen und ein Mann - alle
brauch sind beide Bedeutungen enthal¬ drei jüngst verstorben - in einem Salon
ten. „Höherer Blödsinn“ kann sowohl wieder. Dieser Salon ist Sartres subtil
„Unsinn, ärgerliches törichtes Gerede“ und äußerst beklemmend dargestellte
als auch „Nonsens, Ulk, Spaß“ bedeu¬ Hölle. Die drei können den Raum nicht
ten. verlassen, sind also bedingungslos auf¬
einander angewiesen. Wie in ihrem ge¬
t Durch diese hohle Gasse muß er lebten Leben müssen sie auch hier er¬
kommen kennen, daß die persönliche Freiheit am
Freiheitsanspruch des anderen ihre
Grenze findet. Das Dasein des Mitmen¬
TSich in die Höhle des Löwen schen ist nichts anderes als eine tödliche
wagen Bedrohung der eigenen Selbstverwirkli¬
chung. Doch nicht einmal umbringen
Holder Schwan vom Avon können sie sich gegenseitig, sie sind ja
bereits tot. Garcin, der Mann, kommt
Sweet swan of Avon („Holder Schwan
dann zur fürchterlichen Erkenntnis:
vom Avon“) nennt der englische Dich¬
„Also dies ist die Hölle. Niemals hätte
ter Ben Johnson (1572-1637) in einem
ich geglaubt ... Ihr entsinnt euch:
Gedicht seinen heute berühmteren Zeit¬
Schwefel, Scheiterhaufen, Bratrost. ...
genossen William Shakespeare (1564 bis
Ach, ein Witz! Kein Rost erforderlich,
1616). Abgedruckt ist dieses Gedicht in
die Hölle, das sind die andern.“ (Fran¬
der ersten Folioausgabe der Dramen
zösisch: Alors, c’est ca l'enfer. Je n'aurais
Shakespeares, die 1623 in London her¬
jamais cru ... Vous vous rappelez: le sou-
ausgegeben wurde. Johnson spielt dabei
fre. le bücher, le gril... ah! quelle plaisan-
auf den Fluß Avon an, an dem Shake¬
terie. Pas besoin de gril, l'enfer, c’est les
speares Heimatstadt Stratford-upon-
Avon liegt. autres). Mit dem Zitat kann man zum
Ausdruck bringen, daß die Schwierig¬
keiten, mit anderen Menschen auszu¬
Die Hölle auf Erden kommen, oft unüberwindlich sind.
Verhältnisse, die jemandem das Leben
unerträglich erscheinen lassen, bezeich¬
net man häufig als „Hölle auf Erden“. Homerisches Gelächter
Dieser Ausdruck geht wohl letztlich auf Nach Stellen in der „Ilias“ und der
die zu den Apokryphen zählende „Odyssee“ des altgriechischen Dichters
„Weisheit Salomos“ im Alten Testa¬ Homer (2. Hälfte des 8.Jh.s v.Chr.), wo
ment zurück. Dort heißt es: „... und was das Lachen der Götter als „unauslösch¬
in der Welt geschaffen wird, das ist gut, lich“ oder „unermeßlich“ beschrieben
und ist nichts Schädliches darin. Dazu wird, bezeichnet man ein schallendes,
ist der Hölle Reich nicht auf Erden“ nicht enden wollendes Gelächter in ge¬
(Weisheit Salomos 1,14). - Der deut¬ hobener Ausdrucksweise häufig als
sche Literaturhistoriker und Schriftstel¬ „homerisches Gelächter“ (bereits im
ler Johann Gottfried Gruber (1774 bis 18. Jh. im Französischen als rire home-
1851) veröffentlichte 1800 ein Buch mit rique).
212
Teil I honigsüße
213
hoppla Teil I
214
Teil I Hydra
T Keinen Hund mehr hinter dem deutsch „Der Hunger ist der beste
Ofen hervorlocken Koch, den es je gab oder noch geben
wird“). Auch in der Antike findet sich
Es t möchte kein Hund so länger dieser Gedanke schon. So sagt der alt¬
leben griechische Philosoph Sokrates (um
470-399 v.Chr.) bei Xenophon (pare
tn)v sjtiQvßiav roü airou öl//ov avrcp
Hunde, wollt ihr ewig leben?
eivai („so daß das Verlangen nach Nah¬
Dies ist der Titel eines deutschen Films rung ihm zur Würze wird“). Bei dem rö¬
über die Schlacht von Stalingrad 1942/ mischen Staatsmann, Redner und Philo¬
43, der 1958 in die Kinos kam. Man zi¬ sophen Cicero (106-43 v.Chr.) heißt es
tiert den Filmtitel heute als scherzhafte in seinem philosophischen Dialog
Entgegnung auf jemandes Einwand hin, „Über das höchste Gut und das höchste
eine bestimmte Sache, ein bestimmtes Übel“ (lateinisch „De finibus bonorum
Vorgehen sei zu gefährlich und sollte et malorum“): Cibi condumentum est Ja¬
deswegen unterbleiben. - Vom preußi¬ mes „Der Speise Würze ist der Hunger“
schen König Friedrich II. (Regierungs¬ (II, 28,90).
zeit 1740-1786) wird anekdotenhaft
überliefert, er habe einmal Soldaten, die
Hurrapatriotismus
bei einer Schlacht flohen, zugerufen:
„Ihr verfluchten Kerls, wollt ihr denn Diese abwertende Bezeichnung für ei¬
nen übertrieben begeisterten Patriotis¬
ewig leben?“
mus kam Ende des 19. Jh.s auf. Nach
Otto Ladendorfs „Historischem Schlag¬
Hundertfältig Frucht tragen
wörterbuch“ (Straßburg/Berlin 1906,
Wenn man von etwas sagt, daß es hun¬ S. 130/131) ist es erstmals in dieser Form
dertfältig (oder hundertfältige) Frucht im März 1900 in einem Zeitschriftenbei¬
trägt, so drückt man damit aus, daß sich trag belegt.
die betreffende Sache sehr gelohnt hat
oder auch, daß etwas, besonders eine
Hüte deine Seele vor dem Karrie¬
mühevolle Sache, reichlich belohnt wur¬
remachen
de. Die Redewendung geht auf eine
Stelle im Neuen Testament (Matthäus In seinem Gedicht „Für meine Söhne“
13,8 bzw. Markus 4,8) zurück. Es wird (1854) spricht Theodor Storm in der 5.
dort im Gleichnis vom Sämann von den Strophe die mahnenden Worte: „Was
Saatkörnern gesprochen, die auf unter¬ du immer kannst, zu werden,/Arbeit
schiedlichen Boden fallen und somit scheue nicht und Wachen; Aber hüte
unterschiedliche Wachstumsbedingun¬ deine Seele/Vor dem Karrieremachen.“
gen haben. Es heißt dann bei Matthäus: Man zitiert die beiden letzten Verszei-
„Etliches fiel auf ein gutes Land und len, wenn man jemanden davor warnen
trug Frucht, etliches hundertfältig, etli¬ will, seinen Aufstieg rücksichtslos zu er¬
ches sechzigfältig, etliches dreißigfäl- kämpfen, dem Gedanken an die Karrie¬
re alles andere unterzuordnen.
tig.“
Hunger ist der beste Koch t Hier ist gut sein, hier laßt uns
Hütten bauen
Diese sprichwörtliche Redensart ver¬
wendet man, wenn großer Hunger einen
Menschen, der sonst sehr wählerisch im Hydra
Essen ist, dazu bringt, auch weniger gu¬ In der „Theogonie“ des altgriechischen
tes Essen mit Appetit zu verzehren. Sie Dichters Hesiod (um 700 v.Chr.) findet
findet sich in dieser Form erstmals bei sich erstmals dieser Name für das
dem mittelhochdeutschen Spruchdich¬ schlangenähnliche neunköpfige Unge¬
ter Freidank (1. Hälfte des 13. Jh.s), wo heuer in den Sümpfen von Lerna in der
es heißt: Der hunger ist der beste koch/ Argolis. Es zu töten war eine der zwölf
der ie wart oder wirdet noch (neuhoch¬ schweren Arbeiten, die der Sagenheld
215
I Teil I
Herakles auf Geheiß des delphischen 5. Strophe von Goethes Gedicht „An
Orakels zu verrichten hatte. Die’nach je¬ den Mond“ (2. Fassung 1789). Es ist an
dem Schwertstreich doppelt nachwach¬ Charlotte von Stein gerichtet, mit der
senden Köpfe der Hydra brannte er Goethe ein sehr enges Freundschafts¬
schließlich - unterstützt von seinem Ge¬ verhältnis verband. Das Motiv des
fährten Jolaos - mit glühenden Baum¬ Rückblicks auf eine verlorene Liebe,
stämmen ab (Theogonie 313 ff.). Noch das die Zeilen erkennen lassen, fand erst
heute wird der Name dieses Sagenunge¬ in der zweiten Fassung Eingang in das
heuers als Sinnbild für ein scheinbar un¬ Gedicht. Die Strophe lautet vollständig:
ausrottbar wucherndes Übel, für das „Ich besaß es doch einmal,/Was so köst¬
sich immer wieder erhebende Böse ver¬ lich ist!/Daß man doch zu seiner Qual/
wendet. Nimmer es vergißt!“
216
Teil I ich
Ich bin ein Berliner Ich bin ein Gast auf Erden
Bei einem Besuch des nach dem Mauer¬
t Gast auf Erden
bau geteilten Berlins am 26. 6. 1963 be¬
kannte sich der amerikanische Präsident
t Denn ich bin ein Mensch gewe¬
John F. Kennedy (1917-1963) in einer
sen, und das heißt ein Kämpfer
Rede vor dem Schöneberger Rathaus
zur Freiheit Berlins mit den Worten:
sein
„Der stolzeste Satz, den man heute in
der freien Welt sagen kann, heißt: ,Ich Ich bin ein Mensch, nichts
bin ein Berliner.“ Deshalb bin ich als Menschliches ist mir fremd
freier Mensch stolz darauf, sagen zu Diese Sentenz lautet in ihrer ursprüng¬
dürfen: Auch ich bin ein Berliner.“ Die¬ lich lateinischen Form: Homo sum,
ser Ausspruch, den Kennedy in deutsch humani nil a me alienum puto. Sie
vortrug, spielt auf das lateinische Civis stammt aus der Komödie „Heautonti-
Romanus sum („Ich bin ein römischer morumenos“ („Der Selbstquäler“) des
Bürger“) an. Man zitiert ihn, wenn man lateinischen Komödiendichters Terenz
sich als Nichtberliner mit Berlin verbun¬ (um 190-159 v. Chr.). Hier wird dem
den fühlt, am Schicksal dieser Stadt An¬ Helden des Stücks auf die an seinen
teil nimmt. Nachbarn gerichtete Frage, ob er denn
soviel Zeit habe, sich um die Probleme
Ich bin ein Elefant, Madame anderer Menschen zu kümmern, dies als
Dies ist der Titel eines deutschen Spiel¬ Antwort zuteil. Das Stück des Terenz
films aus dem Jahre 1968 (Regie: Peter geht auf eine verlorengegangene Komö¬
Zadek), der die Schlagerzeilen „Ich küs¬ die des griechischen Komödiendichters
se Ihre Hand, Madame, ... ich bin ja so Menander (um 342-290 v. Chr.) zurück,
217
ich Teil I
dessen Titel Terenz für sein Stück über¬ ner-Hochstädt. Der Fremde, der ins
nommen hat. Der Ausspruch war schon Schloß de Weert kommt, versteckt sich
in der Antike zum geflügelten Wort ge¬ zunächst hinter der Mitteilung, „nur ein
worden. Man findet ihn u. a. im Werk armer Wandergesell“ zu sein: „Ich bin
von Cicero und Seneca zitiert. - Mit nur ein armer Wandergesell,/Gute
dem Zitat deutet man jemandem an, Nacht, liebes Mädel, gut’ Nacht.“ - Das
daß man Verständnis für seine Schwä¬ Zitat kann dazu dienen, sich der Frage
chen hat, oder man gibt damit eigene nach der eigenen Identität scherzhaft zu
Schwächen zu. entziehen oder darauf hinzuweisen, daß
man sich nur vorübergehend an einem
Ich bin es müde, über Sklaven zu Ort aufzuhalten gedenkt.
herrschen
t Mit Verlaub, ich bin so frei
Diesen Satz soll Friedrich der Große
(Regierungszeit 1740-1786) in einer An¬
Ich bin so satt, ich mag kein Blatt
weisung an sein Kabinett kurz vor sei¬
nem Tode geschrieben haben. Er ist Dieses Zitat stammt aus dem Märchen
charakteristisch für diesen Monarchen, „Tischchen deck dich, Goldesel und
der für die geistigen Strömungen seiner Knüppel aus dem Sack“ der Brüder
Zeit durchaus aufgeschlossen war, was Grimm. Die Ziege eines Schneiders, die
seine Reformansätze im Heer-, Rechts¬ von seinen Söhnen auf die Weide ge¬
und Verwaltungswesen belegen (1777 führt wird, antwortet abends auf die
Aufhebung der Leibeigenschaft). Ande¬ Frage, ob sie auch satt geworden sei, mit
rerseits kann diese Äußerung aber auch den Worten: „Ich bin so satt, ich mag
als bezeichnend für seine im Alter im¬ kein Blatt, meh, meh!“ Zu Hause im
mer stärker zutage tretende negative Be¬ Stall dagegen sagt sie zu dem Schneider:
urteilung der menschlichen Natur ange¬ „Wovon sollt’ ich satt sein? Ich sprang
sehen werden. nur über Gräbelein und fand kein einzig
Blättelein, meh, meh!“ Heute wird das
Ich bin kein ausgeklügelt Buch Zitat gebraucht, wenn man aufgefordert
wird, doch noch etwas zu essen, und
Ein t Mensch in seinem Widerspruch
zum Ausdruck bringen will, daß man
wirklich satt ist.
Ich bin nicht in der Gebelaune heut
Das Zitat - im Original I am not in the Ich bin so wild nach deinem Erd¬
giving vein to-day - stammt aus Shake¬ beermund
speares Tragödie „Richard III.“ (IV, 2).
Die Werke des französischen Dichters
Es ist dort des Königs Entgegnung, als
Francois Villon (um 1431-um 1463) ha¬
ihn der Herzog von Buckingham mehr¬
ben den deutschen Schriftsteller und
mals an sein Versprechen erinnert,
Übersetzer Paul Zech (1881-1946) zu
Buckingham die Grafschaft Hereford
freien Nachdichtungen angeregt, die
dafür zu geben, daß er Richard auf den
unter dem Titel „Die lasterhaften Balla¬
Thron half. Üblich ist heute die Aus¬
den und Lieder des Franz Villon“ veröf¬
drucksweise „in Geberlaune sein“, wo¬
fentlicht wurden. Dabei geht nur ein
mit man eine (momentane) Neigung zur
Teil der Texte tatsächlich auf Villon zu¬
Großzügigkeit anspricht.
rück, die anderen hat Zech - ohne sie zu
kennzeichnen - „hinzugedichtet“. Zu
Ich bin nur ein armer Wandergesell
letzteren gehört auch das Gedicht „Ich
Das so beginnende, bekannte Lied bin so wild nach deinem Erdbeer-
stammt aus der Operette „Der Vetter mund“, das durch die Rezitationsauf¬
aus Dingsda“ von Eduard Künneke tritte des Schauspielers Klaus Kinski
(1885-1953). Das Textbuch der 1920 sehr bekannt wurde. Kinski übernahm
uraufgeführten Operette schrieben Her¬ den Titel des vermeintlichen Villon-Ge-
mann Haller und (Rideamus) Fritz Oli¬ dichts für seine 1975 erschienene Auto¬
ven nach einem Lustspiel von M. Kemp- biographie, in der er sein exzentrisches
218
Teil I ich
Leben und seine sexuellen Erlebnisse in nem Gespräch mit dem Fernsehjourna¬
unverhüllter Sprache beschreibt. listen Friedrich Nowottny für die ARD-
Tagesschau seine Reaktion auf die für
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe ihn unvorhergesehene negative Wende
eingestellt in der Diskussion um die Steuerreform
Mit diesem Chanson aus dem 1930 ent¬ mit den Worten beschrieb: „Ich dacht’,
standenen Film „Der blaue Engel“ wur¬ mich tritt ein Pferd.“ In dem 1973 er¬
de Marlene Dietrich in der Rolle einer schienenen Buch „Die neuen Leiden
des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf
lasziven Barsängerin berühmt. Es
stammt aus der Feder von Friedrich heißt es: „Ich dachte, mich tritt ein
Pferd und streift ein Bus und alles zu¬
Hollaender, der die Filmmusik zu die¬
sem Kinoklassiker schrieb. Wenn je¬ sammen.“ Es existieren zahlreiche Ab¬
wandlungen wie „ich denk’, mich küßt
mand sich ganz und gar einer Sache ver¬
ein Elch“ oder „ich denk’, ich steh’ im
schrieben hat, wird das Zitat heute auch
Wald“, mit denen man in salopper Re¬
mit wechselnder Ergänzung gebraucht,
deweise zum Ausdruck bringt, daß man
indem der Betroffene sagt: „Ich bin von
über etwas äußerst überrascht ist, etwas
Kopf bis Fuß auf... eingestellt.“
so nicht für möglich gehalten hat.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu
jung, um ohne Wunsch zu sein Ich denke, also bin ich
t Cogito, ergo sum
Mit diesen Worten beklagt der alte
Faust (Goethe, Faust I, Studierzimmer)
aus einer resignativen Haltung heraus Ich denke einen langen Schlaf zu
seine Lebenssituation, bevor er den Pakt tun
mit dem Teufel eingeht. Diese Worte Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬
sind auch in der heutigen Zeit geeignet, ma „Wallensteins Tod“ (V, 5). Erschöpft
die Lebenskrise vieler Menschen zu wünscht Wallenstein seinem Kammer¬
charakterisieren. diener sowie Seni und Gordon, die ihn
verzweifelt bedrängt haben, sich nicht
Ich danke dir, Gott, daß ich nicht mit den Schweden einzulassen, eine gu¬
bin wie die andern Leute te Nacht und zieht sich mit den Worten
Der Vers aus dem Lukasevangelium zurück: „Ich denke einen langen Schlaf
(Lukas 18,11) lautet vollständig: „Ich zu tun,/Denn dieser letzten Tage Qual
danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie war groß,/Sorgt, daß sie nicht zu zeitig
die andern Leute, Räuber, Ungerechte, mich erwecken.“ In Situationen starker
Ehebrecher oder auch wie dieser Zöll¬ Ermüdung, in denen man das Bedürfnis
ner.“ Im Unterschied zum Zöllner, der hat, sich durch einen längeren Schlaf zu
sich seiner Fehler bewußt ist, ist der regenerieren, wird das Zitat heute noch
Pharisäer voll Selbstgerechtigkeit und verwendet.
Selbstüberhebung. Seine Worte werden
oft zur Kennzeichnung eines allzu sehr Ich erwachte eines Morgens und
von sich überzeugten Menschen ver¬ fand, daß ich berühmt war
wendet, der sich urteilend über andere In den Jahren 1812 bis 1818 erschien
erhebt. Sie bringen meist Spott oder das Versepos „Childe Harold’s Pilgri-
auch Unwillen des Sprechers zum Aus¬ mage“ des englischen Dichters Lord
druck (siehe auch den Artikel „Gott, sei George Gordon Noel Byron (1788 bis
mir Sünder gnädig!“). 1824). (Eine deutsche Übersetzung wur¬
de 1836 unter dem Titel „Ritter Harolds
Ich denk’, mich tritt ein Pferd Pilgerfahrt“ herausgegeben.) Die Veröf¬
Diese umgangssprachliche Redensart fentlichung der ersten beiden Gesänge
wurde durch eine Äußerung des frühe¬ („Cantos“) machten den Autor über
ren Finanzministers Hans Apel beson¬ Nacht berühmt. Dies behauptet zumin¬
ders populär, der im Jahre 1975 in ei¬ dest sein enger Freund und Biograph,
219
ich Teil I
der irische Dichter Thomas Moore Ich grüße dich, du einzige Phiole
(1779-1852), der in seinem „Life of
Mit diesen Worten bezieht sich Faust in
Byron“ die Worte Byrons I awoke one Goethes gleichnamigem Drama (Teil I,
morning and found myself famous über¬
Nacht) auf eine bauchige Giftflasche in
liefert. Das Zitat wird gelegentlich seinem Arbeitszimmer. Beim Anblick
verwendet, wenn eine berühmte Persön¬
einer Trinkschale, in die er den Inhalt
lichkeit im Nachhinein mit - oft gespiel¬
dieser Phiole entleeren will, sinniert er
ter - Verwunderung feststellt, wie rasch
in einem Monolog über die vielfältige
sie ihre Berühmtheit erlangt hat.
Wirkung des Alkohols und über geselli¬
ge Trinkrunden von früher. Wenn man
Ich fühle eine Armee in meiner Lust verspürt, ein alkoholisches Ge¬
Faust tränk zu sich zu nehmen, und erst nach
längerem Suchen gerade noch eine
Bei diesem der Demonstration eigener
Flasche findet, kann man gelegentlich
Macht und Stärke dienenden Zitat han¬
scherzhaft diese Worte zitieren.
delt es sich um die freudig ausgerufenen
Worte des Karl Moor in Schillers
Schauspiel „Die Räuber“ am Ende des Ich hab’ es getragen sieben Jahr
zweiten Aktes. Der Hauptmann und sei¬
Mit den Versen „Ich hab’ es getragen
ne „Räuber“ haben sich wieder zusam¬
sieben Jahr/Und ich kann es nicht tra¬
mengeschlossen und brechen auf zu
gen mehr!“ beginnt Theodor Fontanes
neuen Taten.
(1819-1898) Ballade „Archibald Dou¬
glas“. Graf Archibald spricht damit sei¬
Ich geh’ aus, und du bleibst da ne für ihn unerträglich gewordene, be¬
t Konrad, sprach die Frau Mama reits sieben Jahre währende Verban¬
nung aus seiner Heimat und vom Hofe
des schottischen Königs Jakob an. Man
Ich ging im Walde so für mich hin zitiert die Anfangszeile meist scherzhaft,
Dieses Zitat stammt aus Goethes Ge¬ wenn man seinem Herzen nach einer
dicht „Gefunden“ aus dem Jahre 1813, langen Zeit, in der man etwas still¬
das er seiner Frau Christiane gewidmet schweigend ertragen hat, endlich einmal
hat. Die erste Strophe lautet: „Ich ging Luft machen möchte.
im Walde/So für mich hin,/Und nichts
zu suchen,/Das war mein Sinn.“ Gele¬
gentlich zitiert man diese Worte als Ich hab’ getan, was ich nicht lassen
scherzhafte Einleitung, wenn man über konnte
eine unverhoffte Begegnung oder Ent¬ In der ersten Szene von Schillers „Wil¬
deckung bei einem [Wald]spaziergang helm Teil“ entschließt sich Teil, Baum¬
berichten will. garten vor den Reitern des Landvogts zu
schützen, indem er ihn trotz eines dro¬
henden Unwetters mit einem Kahn zum
Ich grolle nicht, und wenn das Herz
rettenden anderen Ufer des Vierwald¬
auch bricht
stätter Sees bringt. Sollte er von der
Das Zitat ist der Anfang eines Gedichtes Fahrt nicht lebend zurückkehren, so soll
aus Heinrich Heines (1797-1856) „Lyri¬ man seine Frau trösten; er kommentiert
schem Intermezzo“, dem 2. Zyklus des sein Handeln in einer vorweggenomme¬
„Buches der Lieder“. Größere Bekannt¬ nen Rückschau mit den Worten „Ich
heit hat das Gedicht als siebentes Lied hab' getan, was ich nicht lassen konn¬
von Robert Schumanns (1810-1856) te“. Zur Rechtfertigung einer umstritte¬
Zyklus „Dichterliebe“ erlangt. Man ge¬ nen Handlungsweise wird das Zitat
braucht das Zitat meist scherzhaft-iro¬ auch heute noch verwendet. Sehr häufig
nisch, um auszudrücken, daß man trotz ist auch die an einen anderen gerichtete
einiger Berechtigung keinen Groll ge¬ resignierende Aufforderung „Tu, was
gen jemanden hegen will. du nicht lassen kannst“.
220
Teil I ich
Ich hab’ hier bloß ein Amt und auf die Frage antworten, woher man das
keine Meinung Geld für eine größere Neuanschaffung
o.ä. genommen habe.
Der Satz stammt aus Schillers „Wallen¬
stein“ (Wallensteins Tod, 1,5). Es ist die
Antwort, mit der sich der als schwedi¬
t Ach, ich hab’ sie ja nur auf die
scher Unterhändler auftretende Oberst Schulter geküßt
Wrangel, von Wallenstein nach seiner
Meinung befragt, einer persönlichen Ich habe das Meinige getan
Stellungnahme entzieht. Das Zitat dient Schillers Drama „Don Kariös“ (1787)
gelegentlich auch heute noch als aus¬ endet mit diesen Worten. Damit über¬
weichende Antwort auf eine Frage, antwortet der König seinen Sohn, der
die jemand nicht mit einer persönli¬ zweifach Verrat an ihm geübt hat, dem
chen Meinungsäußerung beantworten Großinquisitor: „Kardinal, ich habe das
möchte. Meinige getan. Tun Sie das Ihre.“ -
Man verwendet das Zitat, um auszu¬
Ich hab’ mein Herz in Heidelberg drücken, daß man in einem bestimmten
verloren Zusammenhang getan hat, was man tun
konnte oder was man zu tun für nötig
Dies ist der Titel eines sehr bekannten
hielt (und daß man weiteres nicht zu tun
Schlagers von Fred Raymond aus dem
gedenkt).
Jahre 1925, zu dem Raymond zwei Jahre
später auch eine Operette (mit demsel¬
Ich habe einen Traum
ben Titel) schrieb. Ein Unterhaitungs-
film aus dem Jahre 1952, für den Schla¬ 11 have a dream
ger und Titel ebenfalls verwendet wur¬
den, sorgte für eine weitere Verbreitung Ich habe gelebt und geliebet
dieser Worte, die man - auch mit ande¬ t Ich habe genossen das irdische Glück
rem Ortsnamen - zitieren kann, wenn
man an eine Stadt, einen Ort erinnern Ich habe genossen das irdische
will, wo man sich in jemanden verliebt Glück, ich habe gelebt und geliebet
hat. Mit diesen Zeilen zitieren wir die beiden
letzten Verse der 2. Strophe von Fried¬
Ich hab’ mein Sach’ auf nichts ge¬ rich Schillers Gedicht „Des Mädchens
stellt Klage“, das gekürzt auch in die „Picco¬
Bei diesem Zitat handelt es sich um den lomini“ (III, 7) als „Theklas Lied“ auf¬
ersten Vers des Liedes „Vanitas! Vanita- genommen wurde. Das Mädchen sehnt
tum vanitas!“, mit dem Goethe das Kir¬ sich (nach dem Tod des Geliebten) aus
chenlied „Ich hab’ mein Sach’ Gott dem Leben fort - „Du Heilige, rufe dein
heimgestellt“ von Johannes Pappus Kind zurück ...!“ -, da mit der Liebe
(1549-1610) parodiert. Wenn man sich auch das Leben für sie zu Ende ist und
nur auf sich selbst angewiesen fühlt und nur in der Einheit von Leben und Liebe
losgelöst von jeglichen Bindungen sich das irdische Glück bestand. Durch
selbst genug ist, kann man dies mit dem Franz Schuberts Vertonung von 1816
Zitat zum Ausdruck bringen. hat das Gedicht zusätzliche Popularität
erlangt. Das Zitat könnte als Motto
Ich hab’ meine Tante geschlachtet einer Autobiographie vorangestellt wer¬
den oder jemandes wehmütige Erinne¬
Mit dieser Zeile beginnen die erste und
rung an vergangene glückliche Tage
die letzte Strophe des Bänkelliedes „Der
zum Ausdruck bringen.
Tantenmörder“ von Frank Wedekind
(1864-1918). Wedekind trat mit solchen
Ich habe jetzt keine Zeit, müde zu
Liedern, der er zur Laute vortrug, in den
Münchner Cabarets „Elf Scharfrichter“ sein
und „Simplicissimus“ auf. - Mit dem Dies sollen die letzten zusammenhän¬
Zitat kann man zum Beispiel scherzhaft genden Worte gewesen sein, die Kaiser
221
ich Teil I
Wilhelm I. (1797-1888) vor seinem To¬ wird heute noch gebraucht, wenn man
de geäußert hat. In Situationen der An¬ ein Ziel verfehlt hat und dennoch stolz
spannung, in denen man glaubt, trotz darauf ist, alles versucht zu haben, wenn
Erschöpfung noch wichtige Dinge erle¬ man ein hohes Risiko eingegangen ist,
digen zu müssen, die keinen Aufschub ohne Gefahren zu scheuen.
dulden und daher den Gedanken an ei¬
ne Ruhepause nicht aufkommen lassen, Ich hatt’ einen Kameraden
wird dieses Zitat heute gebraucht. Mit diesen Worten beginnt das später
nach einer Volksweise vertonte Gedicht
Ich habe nur ein Vaterland, das „Der gute Kamerad“ von Ludwig Uh-
heißt Deutschland land (1787-1862). Das Lied wird heute
Als überzeugter Gegner eines Partikula¬ noch bei Gedenkfeiern für Kriegstote,
rismus in Deutschland schrieb der preu¬ aber auch häufig bei feierlichen Begräb¬
ßische Reformer Heinrich Friedrich nissen gespielt, bei denen die kamerad¬
Karl vom und zum Stein dem hannover¬ schaftliche Verbundenheit mit dem
schen Reichsgrafen Ernst zu Münster Toten besonders hervorgehoben werden
im Jahre 1812 einen Brief, aus dem die¬ soll (siehe auch „Als wär’s ein Stück von
ses Zitat stammt. Wenn man heute (mit mir“).
einem gewissen Pathos) darauf abheben
will, daß man in Deutschland und nicht Ich hatte einst ein schönes Vater¬
nur in der Region Deutschlands, wo land
man geboren wurde, seine Heimat sieht, Dieses Zitat stammt aus Heinrich Hei¬
zitiert man diese Worte. nes (1797-1856) dreiteiligem Gedicht
„In der Fremde“, in dem er sich in sei¬
Ich habe schon so viel für dich ge¬ nem Pariser Exil wehmütig an sein
tan Deutschland erinnert. Wenn man sich
Mit diesen Worten reagiert Margarete in erst fern der Heimat der Vorzüge seines
Goethes Faust (Teil I, Marthens Garten) Herkunftlandes bewußt wird oder sei¬
resignierend auf den von Faust geäußer¬ nem Land, wie es früher einmal war,
ten Wunsch, sie möge ihrer Mutter ein nachtrauert, verwendet man dieses
Schlafmittel verabreichen, damit er sie Heine-Zitat.
in der Nacht unauffällig besuchen kann.
Wenn man sich nach Kräften bemüht Ich kam, ich sah, ich siegte
hat, jemandem behilflich zu sein, ihm Dieser Ausspruch im Sinne von „das
schon manchen Gefallen getan hat, war ein überaus rascher Erfolg; kaum
bringt man mit diesem Zitat zum Aus¬ angekommen, schon erfolgreich“ geht
druck, daß man innerlich kaum noch nach der Cäsarbiographie, Kapitel 50,
bereit ist, sich ein weiteres Mal für ihn von Plutarch (46-125) auf Gajus Julius
einzusetzen. Cäsar zurück. Dieser soll seinem
Freund Amicitius in Rom seinen Blitz¬
Ich hab’s gewagt sieg über Pharnakes II. bei Zela im Jah¬
Dieser Satz gilt als Wahlspruch des re 47 v. Chr. mit den entsprechenden
deutschen Humanisten und politischen lateinischen Worten Veni, vidi, vici mit¬
Publizisten Ulrich von Hutten (1488 bis geteilt haben.
1523), der ihn im Sinne von Cäsars „Die
Würfel sind gefallen“ mehrfach in sei¬ Ich kann allem widerstehen, nur
nen Schriften und Gedichten verwende¬ nicht der Versuchung
te. Dabei greift von Hutten möglicher¬ In Oscar Wildes Komödie „Lady Win-
weise auf den griechischen Dichter dermeres Fächer“ (englischer Titel:
Äschylus zurück, der dem Titelhelden „Lady Windermere’s Fan“; Urauffüh¬
seiner Tragödie „Der gefesselte Prome¬ rung 1892) beginnt der erste Akt mit
theus“ die Worte „Ich aber hab’s ge¬ einem kleinen Streitgespräch zwischen
wagt“ in den Mund legt. Das Zitat Lady Windermere und Lord Darling-
222
Teil I ich
ton. Sie bittet ihn, sie mit seinen Kom¬ Ich kann schreiben links, ich kann
plimenten zu verschonen, und als er sie schreiben rechts
dennoch „eine ganz bezaubernde Puri¬
Diese Kritik an einem Journalisten, der
tanerin“ nennt, antwortet sie streng:
konträre politische Richtungen unter¬
„Das Eigenschaftswort war überflüssig,
stützt, hat ihren Ursprung in Gustav
Lord Darlington.“ Zu seiner Entschul¬
Freytags (1816-1895) Lustspiel „Die
digung sagt er: „Ich kann nichts dafür.
Journalisten“ (II, 2). Darin sagt die Ge¬
Ich kann allem widerstehen, nur nicht
stalt des Schmock von sich selbst: „Ich
der Versuchung.“ - Man zitiert diese
habe geschrieben links und wieder
Worte meist als scherzhaften Kommen¬
rechts. Ich kann schreiben nach jeder
tar, wenn man zum Beispiel ein angebo¬
Richtung.“
tenes Getränk, eine Leckerei oder ähnli¬
ches annimmt.
Ich kann’s nicht fassen
Ich kann den Blick nicht von euch In Situationen positiver oder negativer
Überraschungen wird mit diesen Wor¬
wenden
ten ausgedrückt, daß man ein Ereignis
Mit dieser Zeile beginnt ein Gedicht oder einen Umstand in all seinen Aus¬
von Ferdinand Freiligrath mit dem Titel
wirkungen noch gar nicht richtig begrei¬
„Die Auswanderer“. Es entstand 1832 fen kann. Sie finden sich in den Versen
in Amsterdam, wo Freiligrath zeitweise „Ich kann’s nicht fassen, nicht glau-
lebte und wo er deutsche Auswanderer, ben,/Es hat ein Traum mich berückt“,
die sich nach Amerika einschifften, be¬ mit denen das dritte Gedicht aus „Frau-
obachtet hatte. - Das Zitat drückt die en-Liebe und -Leben“ von Adelbert von
Faszination aus, mit der der Sprecher Chamisso (1781-1838) beginnt, das
ihn interessierende oder seine Teilnah¬ auch in der Vertonung von Robert Schu¬
me erweckende Personen betrachtet mann bekannt wurde.
oder auch seine Bewunderung für je¬
mandes blendende Erscheinung.
Ich kenne die Weise, ich kenne den
Text
Ich kann gar nicht so viel fressen,
In Heinrich Heines (1797-1856) Ge¬
wie ich kotzen möchte
dichtzyklus „Deutschland. Ein Winter¬
Dieser drastische Ausdruck des Mißfal¬ märchen“ (Kaput I, 8. Strophe) finden
lens geht auf den im nationalsozialisti¬ sich die Zeilen „Ich kenne die Weise,
schen Deutschland verfemten Maler ich kenne den Text,/Ich kenn’ auch die
Max Liebermann (1847-1935) zurück. Herren Verfasser;/Ich weiß, sie tranken
Von ihm wird diese Äußerung in der heimlich Wein/Und predigten öffent¬
Form „Ich kann gar nicht so viel essen, lich Wasser.“ Die „Herren Verfasser“
wie ich kotzen möchte“ überliefert. Sie sind die Verfasser des „Entsagungslie¬
bezog sich auf seinen Abscheu vor den des“, das der Dichter bei seiner Rück¬
Nationalsozialisten und ihren Taten. kehr nach Deutschland ein „kleines
Harfenmädchen“ singen hört. Mit die¬
Ich kann nicht Fürstendiener sein sem Lied vom irdischen Jammertal lullt
Diese stolzen Worte spricht der Marquis man das Volk ein. Die Herrschenden in
von Posa in Schillers Drama „Don Kar- Staat und Kirche predigen dem Volk
los“ (III, 10). Er lehnt es als freier Mal¬ „Wasser“, während sie sich den „Wein“
teserritter dem spanischen König Phil¬ Vorbehalten. Die Diskrepanz zwischen
ipp II. gegenüber gleich zweimal ab, in dem, was man andern abverlangt, und
dessen Dienste zu treten. Heute bringt dem, was man sich selber zubilligt, läßt
man mit dem Zitat zum Ausdruck, daß sich mit diesem Zitat in vielfältigem Zu¬
man lieber auf Vorteile und Annehm¬ sammenhang veranschaulichen. Der
lichkeiten verzichtet, als seine persönli¬ Anfang wird auch gelegentlich allein zi¬
che Unabhängigkeit aufgeben zu müs¬ tiert, wenn man zum Beispiel jemandes
sen. allzu bekannten (und längst durch-
223
ich Teil I
schauten) Standpunkt ablehnend kom¬ dichts in die Drohung um: „Und bist du
mentieren möchte. nicht willig, so brauch’ ich Gewalt!“ -
Der heute wohl nur noch scherzhaft zi¬
Ich kenne keine Parteien mehr tierte Vers kann die starke Anziehungs¬
Dieses Zitat stammt von Kaiser Wil¬ kraft verdeutlichen, die jemand auf
helm II., der angesichts des bevorste¬ einen anderen durch sein attraktives
henden Kriegsbeginns am 4. 8. 1914 bei Äußeres ausübt.
der außerordentlichen Sitzung des
Reichstages in Berlin gesagt hat: „Ich Ich liebe dir, ich liebe dich
kenne keine Parteien mehr, ich kenne In Anspielung darauf, daß im Berlini¬
nur Deutsche.“ Drei Tage zuvor hatte er schen oft der Akkusativ mit dem Dativ
diesen Gedanken in einer Ansprache an verwechselt wird, zitiert man häufig die
das Volk vor dem Königlichen Schloß folgenden Zeilen aus dem Gedicht „Mir
schon einmal geäußert: „In dem bevor¬ und mich“: „Ich liebe dir, ich liebe
stehenden Kampfe kenne ich in meinem dich!/Wie’s richtig ist, das weeß ich
Volke keine Parteien mehr. Es gibt unter nich/Un is mich ooch Pomade/.../Ich
uns nur noch Deutsche.“ In Situatio¬ lieb’ nich uffn dritten Fall,/Ich lieb’
nen, in denen man eine Gruppe von nich uffn vierten Fall,/Ich lieb’ uf alle
Leuten mit den verschiedensten Interes¬ Fälle!“ Das Gedicht soll von dem Berli¬
sen anspricht, die man für eine wichtige ner Hofschauspieler Johann Ferdinand
gemeinsame Sache zu gewinnen sucht, Rüthling (1793-1849) verfaßt worden
soll mit dem Zitat zum Ausdruck ge¬ sein.
bracht werden, daß man nur mit verein¬
ten Kräften (und unter Hintanstellung Ich liebe eine gesinnungsvolle Op¬
persönlicher Ziele) Erfolg haben kann. position
Mit diesen Worten versuchte der preu¬
Ich klage an!
ßische König Friedrich Wilhelm IV. an¬
In dem berühmten Dreyfus-Prozeß En¬ läßlich einer Audienz am 19. 11. 1842
de des 19. Jahrhunderts ergriff der fran¬ dem Lyriker Georg Herwegh, der wegen
zösische Schriftsteller Emile Zola seiner „Gedichte eines Lebendigen“ als
(1840-1902) die Partei des angeklagten Idol des jungen revolutionären
jüdischen Generalstabsoffiziers Alfred Deutschlands galt, ein Kompliment zu
Dreyfus. In einem offenen Brief an den machen. Heute noch bringt man mit
französischen Präsidenten beschuldigte dem Zitat in bezug auf Andersdenkende
er das Kriegsgericht, ein Fehlurteil auf seinen Respekt zum Ausdruck, wenn
Grund von Vorurteilen gefällt zu haben. man deren Haltung auf Grund ihrer gei¬
Dem in der Zeitschrift „Aurore“ am stigen und sittlichen Grundeinstellung
13. 1. 1898 publizierten Brief gab er die zu schätzen weiß.
Überschrift J’accuse! („Ich klage
an!“). - Man zitiert diesen emphati¬ Ich muß euch sagen, es weihnach¬
schen Ausruf, um einer Kritik, einem tet sehr
Anprangern von Mißständen ein beson¬
t Von drauß’ vom Walde komm' ich her
deres [moralisches] Gewicht zu geben.
Ich küsse Ihre Hand, Madame ... Ich sage wenig, denke desto mehr
Wenn man ausdrücken will, daß man
t Ich bin ein Elefant, Madame
sich seine eigenen Gedanken zu etwas
macht, ohne sie jedoch als Kritik laut
Ich liebe dich, mich reizt deine
werden zu lassen, zitiert man diese Wor¬
schöne Gestalt
te, die Lord Gloucester (Gloster) im
Mit diesen Worten finden die Lockun¬ dritten Teil von Shakespeares histori¬
gen des „Erlkönigs“ in Goethes gleich¬ schem Drama „Heinrich VI.“ spricht
namiger Ballade ihren Höhepunkt; sie (IV, 1; im vollständigen englischen Ori¬
schlagen in der folgenden Zeile des Ge¬ ginal I hear, yet say not much, but think
224
Teil I ich
the more). Er kommentiert damit - für Ich schnitt es gern in alle Rinden
die Umstehenden nicht hörbar - die ein
Ankündigung König Eduards, seines
Dieses Zitat stammt aus Wilhelm Mül¬
Bruders, mit Gewalt gegen die vorzuge¬
lers (1794-1827) Gedichtzyklus „Die
hen, die seiner Gemahlin, Lady Grey,
schöne Müllerin“, dessen mit „Unge¬
den ihr zustehenden Respekt verweiger¬
ten. duld“ überschriebenes siebtes Gedicht
in der Vertonung von Franz Schubert
bekannt wurde. Die erste Strophe be¬
Ich sah des Sommers letzte Rose
ginnt mit „Ich schnitt es gern in alle Rin¬
stehn den ein“ und endet wie alle anderen
Die t letzte Rose Strophen auch mit der Botschaft „Dein
ist mein Herz und soll es ewig bleiben!“
Ich saz üf eine steine Heute wird mit dem Zitat (meist in der
ersten euphorischen Phase des Verliebt¬
Mit diesem Vers beginnt das wohl be¬
seins) gelegentlich noch zum Ausdruck
kannteste Gedicht des mittelalterlichen
gebracht, daß man aller Welt mitteilen
Dichters Walther von der Vogelweide
möchte, den richtigen Partner fürs Le¬
(1170-1230). Er wird heute noch gele¬
ben gefunden zu haben.
gentlich zitiert, um eine besinnliche Si¬
tuation zu beschreiben, in der man allei¬
Ich sei, gewährt mir die Bitte, in
ne irgendwo in Ruhe gesessen hat, um
über sich selbst nachzudenken oder um
eurem Bunde der Dritte
sich Gedanken über Dinge zu machen, Der t Dritte im Bunde
die einen innerlich bewegen.
Ich singe, wie der Vogel singt
Ich seh’ dir in die Augen, Kleines Dieses Zitat stammt aus dem 11. Kapitel
Kaum ein Film verdient die Bezeich¬ des 2. Buches von Goethes „Wilhelm
nung „Kultfilm“ so sehr wie „Casablan¬ Meisters Lehrjahre“. In der vorletzten
ca“, der 1942 mit Humphrey Bogart und Strophe seines Liedes bringt ein Harfen¬
Ingrid Bergman in den Hauptrollen ge¬ spieler, den Wilhelm für sein schönes
dreht wurde. In der deutschen Syn¬ Spiel belohnen möchte, zum Ausdruck,
chronfassung von 1975 sagt die Hauptfi¬ daß es ihm keineswegs um materiellen
gur Rick (Bogart) mehrfach zu der von Dank zu tun ist: „Ich singe, wie der Vo¬
ihm geliebten Ilsa (Bergman) „Ich seh’ gel singt,/Der in den Zweigen wohnet./
dir in die Augen, Kleines“ - eine For¬ Das Lied, das aus der Kehle dringt,/Ist
mulierung, die mit dem englischen Ori¬ Lohn der reichlich lohnet.“ Heute wird
ginaltext Here’s looking atyou, kid kaum mit dem Zitat ausgedrückt, daß man un¬
etwas zu tun hat, denn das heißt auf beschwert Freude am Gesang hat oder
deutsch soviel wie „Hoch die Tassen, daß man dazu neigt, unbekümmert, frei¬
Kleines“ oder einfach „Prost, Kleines“. heraus und ohne Ziererei zu sprechen
(vergleiche auch „Ich bin ein freier
Die „falsche“ Übersetzung paßte nach
Mann und singe“).
Ansicht des Synchronregisseurs gut zur
Situation und zum Bildausschnitt; er
ahnte wohl nicht, daß er damit einen der
Ich tanze mit dir in den Himmel
in Deutschland meistzitierten Filmtexte hinein
geschaffen hatte. Sowohl die Werbung Mit dem Satz „Ich tanze mit dir in den
als auch der allgemeine Sprachgebrauch Himmel hinein, in den siebenten Him¬
verwenden den Satz - oft auch abge¬ mel der Liebe“ beginnt die Refrainstro¬
wandelt, zum Beispiel zu „Schau mir in phe eines immer noch bekannten Schla¬
die Augen, Kleines“ -, um mehr oder gers (Text: Fritz Beckmann, Musik:
weniger bedeutungsvolle Situationen zu Friedrich Schröder), der in dem Film
kommentieren, in denen man jemanden „Sieben Ohrfeigen“ (1937) von Lilian
oder etwas mehr oder weniger bedeu¬ Harvey und Willy Fritsch gesungen
tungsvoll ansieht. wurde. Als Motto einer fröhlichen
225
ich Teil I
Tanzveranstaltung oder als scherzhafter Schlußsatz „Ich verstehe die Welt nicht
Ausdruck der Freude am Tanzen mit ei¬ mehr“ zum Ausdruck.
nem bestimmten Partner wird das Zitat
noch gelegentlich gebraucht. Ich war ein Jüngling noch an Jah¬
ren
Ich träum’ als Kind mich zurücke Mit diesem Satz wird auf die Zeit der
Jugend angespielt, an die man sich als
Wenn man besonders als älterer
älterer Mann im Zusammenhang eines
Mensch Erinnerungen an die eigene
weit zurückliegenden Ereignisses oder
Kindheit sucht und diese noch einmal
Vorfalls erinnert, als man noch ganz an¬
nacherleben möchte, kann das mit die¬
dere Vorstellungen oder Möglichkeiten
sem Zitat kommentiert werden. Es
hatte. Bei dem Zitat handelt es sich um
stammt aus Adelbert von Chamissos
die freie Übersetzung des französischen
(1781-1838) Gedicht „Das Schloß Bon¬
A peine au sortir de l’enfance quatorze
court“, dessen erste Strophe lautet: „Ich
ans au plus je comptais (wörtlich: „Noch
träum’ als Kind mich zurücke,/Und
kaum der Kindheit entwachsen, zählte
schüttle mein greises Haupt;/Wie sucht
ich höchstens vierzehn Jahre“) aus der
ihr mich heim, ihr Bilder,/Die lang ich
Oper „Joseph von Ägypten“ (1807) von
vergessen geglaubt?“
Etienne Mehul (1763-1817) und Alex-
andre Duval (1767-1842).
Ich und mein Haus wollen dem
Herrn dienen Ich wasche meine Hände in Un¬
Im Alten Testament wird berichtet, daß schuld
Josua, der Nachfolger Moses, die Stäm¬ t Seine Hände in Unschuld waschen
me Israels vor die Wahl stellte, den alten
oder auch fremden Göttern zu dienen Ich weiß, daß ich nichts weiß
oder aber allein Gott Jahwe. Für sich Wenn man sich selbst als jemanden cha¬
selbst und die Seinen hatte er bereits ei¬ rakterisieren will, der eher einmal eine
ne Entscheidung getroffen: „Ich aber Antwort auf eine grundsätzliche Frage
und mein Haus wollen dem Herrn die¬ schuldig bleibt, als vorschnell trotz in¬
nen“ (Josua 24,15). Man zitiert diese Bi¬ nerer Zweifel Stellung zu nehmen, ge¬
belworte gelegentlich, wenn man an¬ braucht man diesen Grundsatz des
deuten will, daß man vorbehaltlos je¬ griechischen Philosophen Sokrates
mandes Führungsanspruch anerkennt
(470-399 v. Chr.). Das Zitat geht wohl
und sich ihm unterordnen will. Mit dem
auf die durch den griechischen Philoso¬
Zitat kann aber auch scherzhaft ausge¬
phen Platon überlieferte „Verteidi¬
drückt werden, daß man ohne Ein¬
gungsrede“ des Sokrates zurück, wo es
schränkung jemandem seine Hilfe an¬
an einer Stelle auf griechisch heißt: ov-
bietet.
rog psv oi'sTal n eiSevai ovx eiScög, eycb
8s, coonep ovv ovx oi'Sa, ovös ol'ouai
Ich verstehe die Welt nicht mehr („Jener glaubt etwas zu wissen, weiß
aber nichts; ich weiß zwar auch nichts,
Dieses Zitat im Sinne von „ich verstehe
glaube aber auch nichts zu wissen“).
nicht, daß so etwas geschehen kann, daß
es so etwas geben kann“ hat wohl seinen
Ursprung in Friedrich Hebbels
Ich weiß, es wird einmal ein Wun¬
(1813-1863) Trauerspiel „Maria Mag- der geschehn
dalene“. Am Ende des Dramas sieht Dies ist der Titel eines immer noch be¬
sich der Tischlermeister Anton in sei¬ kannten Schlagers (Text: Bruno Balz,
nem Glauben an bestimmte ideelle Wer¬ Musik: Michael Jary), den Zarah Lean¬
te schwer enttäuscht, als er von dem der in dem 1942 entstandenen deut¬
Selbstmord seiner Tochter Klara er¬ schen Spielfilm „Die große Liebe“ sang.
fährt. Seine Fassungslosigkeit und sein Als Ausdruck eines unverbesserlichen
Unverständnis kommt in seinem Optimismus, der auch die Realisierung
226
Teil I ich
227
ich Teil I
Ich würde dir ohne Bedenken eine dem Jahre 1973, in dem die Autoren
Kachel aus meinem Ofen schenken sich kritisch mit den führenden Schich¬
ten der bundesrepublikanischen Indu¬
Als scherzhafter Ausdruck grenzenlosen
striegesellschaft auseinandersetzen.
Vertrauens einer einem sehr naheste¬
Wenn man sich und andere in einer Po¬
henden Person gegenüber wird dieses
sition der Schwächeren sieht und die
Zitat gelegentlich verwendet. Es stammt
Ursache dafür in einem starken sozialen
aus der ersten Strophe des heiter-melan¬
Gefälle in der Gesellschaft vermutet,
cholischen Gedichts „Ich habe dich so
kann man die Vorstellung von einer pri¬
lieb!“ von Joachim Ringelnatz (1883 bis
vilegierten gegenüber einer unterprivile¬
1934).
gierten Schicht mit diesem Zitat zum
Ausdruck bringen.
Ick bün all hier
Dieses Zitat stammt aus dem bekann¬
Ihr Mann ist tot und läßt sie grüßen
ten, in niederdeutscher Mundart ge¬
Mit diesen Worten teilt Mephisto in
schriebenen Märchen „Der Hase und
Goethes Faust (Teil I, Der Nachbarin
der Igel“ aus der Sammlung der Brüder
Haus) Frau Marthe ziemlich unvermit¬
Grimm. Darin wettet ein Igel mit einem
telt und wenig einfühlsam mit, daß ihr
Hasen, daß er schneller laufen könne als
vermißter Mann gestorben sei, und gibt
der Hase. Am Ziel der Laufstrecke wird
der verblüffte Hase von der Frau des vor, Näheres über seinen Tod zu wissen.
Igels, die er für den Igel selbst hält, mit Das Zitat wird heute als - meist recht
den Worten „Ick bün all hier“ (Ich bin bissiger - Kommentar in anderen Situa¬
schon hier) empfangen. Wenn andere tionen verwendet, in denen sich jemand
darüber erstaunt sind, einen früher als besonders taktlos geäußert oder verhal¬
erwartet irgendwo anzutreffen, macht ten hat.
man mit diesem Zitat auf sich aufmerk¬
sam und versucht gleichzeitig, die über¬ Ihr naht euch wieder, schwankende
raschende Situation scherzhaft zu über¬ Gestalten
spielen. Mit diesen Worten beginnt die an den
Leser gerichtete „Zueignung“, die Goe¬
Ick sitze da und esse Klops the 1797 nach mehrjähriger Unterbre¬
Mit diesem Satz beginnt ein Gedicht ei¬ chung vor Wiederaufnahme seiner Ar¬
nes unbekannten Verfassers in Berliner beiten am Faust dem Gesamtwerk als
Mundart, dem der deutsche Schriftstel¬ Einleitung voranstellte. Goethe ver¬
ler Hartmann Goertz (1907-1991) den sucht mit diesen niedergeschriebenen
Titel „Tiefsinn“ gegeben hat. Bezogen Eindrücken zu vermitteln, wie die Per¬
auf Situationen, in denen einem aus hei¬ sonen des Stücks in ihrem Zusammen¬
terem Himmel etwas sehr Merkwürdi¬ spiel auf ihn einwirken, sich wie
ges widerfährt, wird dieses Zitat heute „schwankende“ (also nur schwer faßba¬
scherzhaft angeführt, manchmal auch re) Gestalten in seine Gedanken drän¬
das ganze Gedicht zitiert: „Ick sitze da gen. Heute wird das Zitat meist scherz¬
und esse Klops./Uff eenmal kloppts./ haft gebraucht, zum Beispiel auf leicht
Ick jeh’ zur Tür und denk’ nanu,/Erst angetrunkene Personen bezogen, die
war se uff, jetz isse zu./Ick mache uff mit ein wenig unsicheren Schritten auf
und kieke,/Und wer steht draußen: einen zukommen.
Icke!“
Ihr werdet sein wie Gott und wis¬
Ihn traf des Himmels Strafgericht sen, was gut und böse ist
T Er war von je ein Bösewicht In der Schöpfungsgeschichte des Alten
Testaments sagt die Schlange zu Adam
Ihr da oben, wir hier unten und Eva: „... welches Tages ihr davon
Dies ist der Titel eines Buches von Gün¬ esset, so werden eure Augen aufgetan,
ter Wallraff und Bernt Engelmann aus und werdet sein wie Gott und wissen,
228
Teil I im
was gut und böse ist“ (1. Moses 3,5). Sie Im Anfang war das Wort
verführt damit die ersten Menschen, die
Mit diesem Satz beginnt das Evangeli¬
verbotene Frucht vom Baum der Er¬
um des Johannes im Neuen Testament.
kenntnis zu essen. Goethe greift diese
In der nicht leicht zu verstehenden Text¬
Bibelstelle im 1. Teil des Faust auf, wo
stelle könnte das „Wort“ soviel wie
Mephisto sie in der lateinischen Form
„göttliches Prinzip“ bedeuten; bei der
Eritis sicut Deus, scientes bonuw et ma-
Verwendung als Zitat (oft auch ungenau
lum dem Schüler ins Stammbuch
als „Am Anfang war das Wort“) wird
schreibt (Studierzimmer 2). In der Ge¬
der Text im allgemeinen ganz konkret
schichte vom Sündenfall wird das von
verstanden. Man kann damit zum Bei¬
Gott erschaffene Wesen durch das ver¬
spiel zum Ausdruck bringen, daß ein be¬
botene Wissen gottgleich und verliert
stimmtes Wort zum Ausgangspunkt ei¬
damit seine paradiesische Unschuld.
ner Debatte, einer Entwicklung wurde
Der nach Erkenntnis strebende Wissen¬
oder daß eine theoretische Erörterung
schaftler wird - das ist Mephistos „teuf¬
einer Handlung, einem Unternehmen
lischer“ Hintergedanke - das gleiche
vorausgehen sollte. (Siehe dazu auch
Schicksal erleiden.
„Im Anfang war die Tat“.) Der Aphori¬
stiker Stanislaw Jerzy Lee (1909-1966)
Ihr wisset weder Tag noch Stunde hat das Zitat so „vervollständigt“: „Im
t Mors certa, hora incerta Anfang war das Wort - am Ende die
Phrase.“
229
im Teil I
bedachtsamkeit bei der Auslegung von ben hat. Die erste Strophe lautet: „Im
Texten, denen oft nur irgendeine Be¬ düstern Auge keine Träne,/Sie sitzen am
deutung untergelegt wird, in die etwas Webstuhl und fletschen die Zäh¬
hineininterpretiert wird. ne:/,Deutschland, wir weben dein Lei¬
chentuch,/Wir weben hinein den dreifa¬
Im Deutschen lügt man, wenn man chen Fluch -/Wir weben, wir weben!“1
höflich ist
Im echten Manne ist ein Kind ver¬
In der Szene „Hochgewölbtes, enges go¬
steckt
tisches Zimmer“ zu Beginn des 2. Aktes
im 2. Teil von Goethes Faust trifft Me¬ Das t Kind im Manne
phisto, als Professor verkleidet, wieder
auf den Schüler aus der Studierzimmer¬ Im edlen Herzen nur wohnt wahre
szene des 1. Teils. Dieser hat jetzt zum Liebe
untersten akademischen Grad des Bak¬ Dies ist der Titel einer Kanzone des ita¬
kalaureus promoviert. Ungehalten läßt lienischen Dichters Guido Guinizelli
er jetzt eine Schimpfkanonade auf Leh¬ (zwischen 1230 und 1240 - um 1276),
rer und universitären Lehrbetrieb los. der als Haupt der Bologneser Dichter¬
Auf Mephistos Frage, ob er sich denn schule gilt (italienischer Titel Al cor gen-
nicht seiner Grobheit bewußt sei, til rempaira sempre amore). Mit dem Zi¬
kommt die Rechtfertigung: „Im Deut¬ tat soll ausgedrückt werden, daß tiefe
schen lügt man, wenn man höflich ist.“ Zuneigung zu jemandem nur dann ehr¬
Zitiert werden diese Worte heute auch lich und nicht nur oberflächlich ist,
dann, wenn man eine Äußerung zurück¬ wenn sie auf einem tiefen, inneren Ge¬
weisen will, die man nicht mehr als Zu¬ fühl beruht, das sich nur bei Menschen
vorkommenheit auffaßt, sondern als mit einem guten Charakter einstellen
übertriebene und deplazierte Schmei¬ kann.
chelei empfindet.
Im engen Kreis verengert sich der
Im dunkeln tappen Sinn
Der Redewendung im Sinne von „in ei¬ Es t wächst der Mensch mit seinen
ner aufzuklärenden Sache noch keinen großem Zwecken
Anhaltspunkt haben“ liegt ein Bibelzi¬
tat aus dem 5. Buch Moses, 28,28f. zu¬ Im Kleinen wie im Großen treu
grunde, wo der Prophet dem Gott nicht sein
Gehorchenden flucht: „Der Herr wird
Diese Formulierung geht auf eine Bibel¬
dich schlagen mit Wahnsinn, Blindheit
stelle im Lukasevangelium (16,10) zu¬
und Rasen des Herzens; und wirst tap¬
rück: „Wer im Geringsten treu ist, der
pen am Mittag, wie ein Blinder tappt im
ist auch im Großen treu ...“ Während in
Dunkeln; und wirst auf deinem Wege
der Bibel jemandes Verhalten in bezug
kein Glück haben..."
auf Kleinigkeiten, scheinbar Unwichti¬
ges als kennzeichnend für sein Verhal¬
Im düstern Auge keine Träne ten ganz allgemein angesehen wird, be¬
Wenn man den Eindruck gewinnt, daß inhaltet das abgewandelte Zitat die all¬
jemand verbittert ein schweres Schick¬ gemeine Forderung, daß man in allen
sal erträgt und gleichzeitig versucht, sei¬ Dingen gleichermaßen zuverlässig sein
ne Gefühle trotz großer Verzweiflung zu soll.
verbergen, läßt sich ein solcher Zustand
mit diesem Zitat beschreiben. Es Im kühlen Keller sitz’ ich hier
stammt aus dem Gedicht „Die schlesi¬ Das Zitat, das oft auch in der Variante
schen Weber“, das Heinrich Heine „im tiefen Keller“ gebraucht wird, ist
(1797-1856) anläßlich eines Aufstandes der Anfang des Liedes „Der Rheinwein¬
der zu Hungerlöhnen arbeitenden schle¬ zecher“ von Karl Müchler (1763- 1857).
sischen Weber im Jahre 1844 geschrie¬ Die Vertonung von Ludwig Fischer
230
Teil I immer
stammt aus dem Jahr 1802. Die Liedzei¬ Lilian Harvey und Willy Fritsch 1937
le wird - gelegentlich auch zusammen sangen, beginnt und endet mit den Zei¬
mit der folgenden Zeile „Auf einem Faß len: „Ich tanze mit dir in den Himmel
von Reben“ - scherzhaft bei entspre¬ hinein,/in den siebenten Himmel der
chenden konkreten Anlässen zitiert, Liebe.“
zum Beispiel bei einer Weinprobe im
Winzerkeller. Im tiefen Keller sitz’ ich hier
t Im kühlen Keller sitz’ ich hier
Im Leben geht alles vorüber
Das Zitat ist der Titel eines Schlagers,
Im Wald und auf der Heide
den Peter Kreuder 1940 komponierte
und der durch Ilse Werners Interpretati¬ Dieses Zitat geht zurück auf die An-
on populär wurde. Man zitiert den Satz fangsverse von Johann Wilhelm Jakob
sowohl als Trost für jemanden, der gera¬ Bornemanns (1767-1851) „Jägerlied“
de eine schmerzhafte oder unangeneh¬ (1816), die ursprünglich so lauteten: „In
me Erfahrung bewältigen muß, als auch grünbelaubter Heide,/Da such ich mei¬
zum Ausdruck wehmütig-resignativen ne Freude,/Ich bin ein Jägersmann!“
Bedauerns darüber, daß etwas Schönes Bekannt wurde das auf eine Volksweise
zu Ende geht. gesungene Lied jedoch mit dem geän¬
derten ersten Vers. Heute wird das Zitat
Im Schweiße seines Angesichts meist als scherzhafte Metapher für die
freie, durch Bebauung und Verkehr un¬
Dieser Ausdruck geht auf das 1. Buch
beeinträchtigte Natur gebraucht.
Moses (3,19) zurück, wo nach dem Sün¬
denfall Adam von Gott bestimmt wird:
„Im Schweiße deines Angesichts sollst Im Wein liegt Wahrheit
du dein Brot essen“. Die ersten Worte tln vino veritas
dieser Bibelstelle, die dem Menschen
verkündet, daß er sich seinen Lebensun¬ Im Westen nichts Neues
terhalt durch harte Arbeit verdienen
Diese scherzhaft umgangssprachliche
muß, werden heute ganz allgemein auf
Redensart wird im Sinne von „es gibt
ein anstrengendes, mühevolles Tun be¬
nichts Neues zu berichten“ gebraucht.
zogen.
Sie greift den Titel eines in den USA
Im siebten Himmel sein und in Großbritannien verfilmten Ro¬
mans von Erich Maria Remarque
Diese umgangssprachliche Redewen¬
(1898-1970) auf. Der Titel seinerseits
dung, die auch in der Form „sich wie im
nimmt Bezug auf Formulierungen in
siebten Himmel fühlen“ gebräuchlich
amtlichen Heeresberichten des Ersten
ist, bedeutet soviel wie „überglücklich
Weltkriegs wie etwa „Von der Westfront
sein“. Sie geht auf die Bibel zurück, in
ist nichts Neues zu melden“ oder „Auf
der die Schilderung des Himmels zum
dem westlichen Kriegsschauplatz nichts
Teil von alten morgenländischen Vor¬
Neues.“
stellungen geprägt ist, wonach es für die
Seligen mehrere Himmel gibt, die über¬
Im wunderschönen Monat Mai
einander angeordnet sind. So heißt es
zum Beispiel im 2. Korintherbrief t Da ist in meinem Herzen die Liebe auf¬
(12,2): „Ich kenne einen Menschen in. gegangen
Christo; vor vierzehn Jahren (...) ward
derselbe entzückt bis in den dritten Immer an der Wand lang
Himmel.“ In frühchristlichen apokry¬ TUnd dann schleich’ ich still und leise
phen Schriften wird der siebte Himmel immer an der Wand lang
als der höchste bezeichnet, in dem Gott
selbst mit den Engeln wohnt. - Der Re¬
Immer derselbe
frain des bekannten Schlagers „Ich tan¬
ze mit dir in den Himmel hinein“, den t Semper idem
231
immer Teil I
232
Teil I in
gebraut,/Der alle Welt erquickt und auf¬ heute zitiert man die beiden Verszeilen
erbaut./.../Dann sauget jedes zärtliche angesichts zerstörter Häuser in von
Gemüte/Aus Eurem Werk sich melan- Krieg, Feuer oder Naturkatastrophen
chol’sche Nahrung,/Dann wird bald heimgesuchten Straßenzügen.
dies, bald jenes aufgeregt,/Ein jeder
sieht, was er im Herzen trägt.“ - Die er¬ In den Ozean schifft mit tausend
ste Zeile wird heute gelegentlich zitiert, Masten der Jüngling; still auf ge¬
wenn man eine sehr farbige, ausge¬ rettetem Boot treibt in den Hafen
schmückte Darstellung wegen ihres
der Greis
Mangels an klarer Aussage kritisiert.
Schillers Distichon „Erwartung und Er¬
füllung“ stammt aus dem Musenalma¬
In deiner Brust sind deines Schick¬
nach für das Jahr 1797. Es beschreibt
sals Sterne
mit dem Bild des Lebensschiffes die
Dieser Ausspruch stammt aus Schillers großartige Ausfahrt auf das Meer des
Drama „Wallenstein“ („Die Piccolomi¬ Lebens. Im Kontrast dazu läßt sich der
ni“ 11,6). Der stemengläubige „kaiserli¬ Mensch am Ende seines Lebens still in
che Generalissimus“ Wallenstein steht den Hafen treiben. Die Erfüllung ist
unentschlossen vor einer wichtigen Ent¬ nicht die Erfüllung des Erwarteten; das
scheidung. Sein Feldmarschall Illo rät Zitat kann in der Rückschau auf jeman¬
ihm, sofort zu handeln, nicht zaudernd des Leben deutlich machen, wie sehr die
auf die „Sternenstunde“ zu warten, und Vorstellungen und Absichten, die man
hält ihn zu größerem Selbstvertrauen an als junger Mensch hat, durch die Wech¬
mit den Worten: „Glaub’ mir,/In deiner selfälle des Schicksals relativiert und
Brust sind deines Schicksals Sterne./ verändert werden.
Vertrauen zu dir selbst, Entschlossen-
heit/Ist deine Venus!“ Nicht die Sterne In den Sielen sterben
also sind es, die jemandes Geschick be¬
Diese Redewendung mit der Bedeutung
stimmen, sondern der Mensch selbst be¬
„bis zuletzt arbeitend, mitten in der Ar¬
stimmt es durch sein Handeln, so lautet
beit sterben“ wurde durch einen Aus¬
die Mahnung Illos. Vergleiche dazu
spruch Bismarcks besonders verbreitet.
auch den Artikel „Dein Schicksal ruht
In einer Rede vor dem Preußischen Ab¬
in deiner eignen Brust“.
geordnetenhaus (1881) wies Bismarck
Forderungen nach seinem Rücktritt un¬
In den Armen liegen sich beide und ter anderem mit den Worten zurück:
weinen vor Schmerzen und Freude „Ein braves Pferd stirbt in den Sielen.“
Wie einige andere Stellen aus der Balla¬ Das Wort „Siele“ bezeichnet im Nord¬
de „Die Bürgschaft“ von Schiller wer¬ deutschen das Geschirr für Arbeitstiere
den auch diese Zeilen heute noch zitiert, wie Ochsen oder Pferde.
wenn auch nur aus scherzhaft kommen¬
tierender Distanz oder in scherzhafter In der Beschränkung zeigt sich erst
Übertreibung. Im Gedicht selbst leiten der Meister
die Zeilen die Schlußszene ein, wo sich
Am 26. Juni 1802 wurde in der kleinen
die Spannung nach den dramatischen
Kurstadt Bad Lauchstätt, dem Mode¬
Geschehnissen auflöst, in denen die Be¬
bad der Goethezeit und der Sommerre¬
währung von Freundschaft und Treue
sidenz des Weimarer Hofes, mit der Mo¬
dargestellt ist. zartoper „Titus“ das neue Schauspiel¬
haus eröffnet. Voraus ging das von Goe¬
In den öden Fensterhöhlen wohnt the verfaßte Vorspiel „Was wir brin¬
das Grauen gen“. Der 19. Auftritt endet mit einem
Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬ Sonett, in dem das Verhältnis von Natur
dicht „Das Lied von der Glocke“, wo an und Kunst sowie die Abhängigkeit des
einer Stelle die Zerstörungen nach einer Künstlers von dem durch ihn zu gestal¬
Feuersbrunst beschrieben werden. Auch tenden „Material“ angesprochen wird.
233
in Teil I
Aus dem Schlußterzett fand der zweite Sinne von „bevorzugt behandelt, sehr
Vers schnell als geflügeltes Wort Ver¬ gut bedient oder versorgt werden“ ver¬
breitung: „Wer Großes will, muß sich wendet werden kann.
zusammenraffen./In der Beschränkung
zeigt sich erst der Meister,/Und das Ge¬ In der Mitten liegt holdes Beschei¬
setz nur kann uns Freiheit geben.“ - den
Das Zitat kann heute als Ermahnung Diese Schlußverse von Eduard Mörikes
dienen, sich nicht zu verzetteln und sich (1804-1875) Gedicht „Gebet“ sollen sa¬
auf weniges, aber Wichtiges zu konzen¬ gen, daß das, was zwischen zwei Extre¬
trieren. Es wird aber auch oft ironisch¬ men liegt, das Angemessene und Erstre¬
scherzhaft zur Rechtfertigung von zu ge¬ benswerte ist. Man kommentiert damit
ringer eigener Leistung, von mangeln¬ entweder die eigene Handlungsweise
dem Ehrgeiz gebraucht. Die verball¬
oder ermahnt einen anderen zu etwas
hornte Form „In der Beschränktheit mehr Bescheidenheit. Meist wird diesen
zeigt sich erst der Meister“ drückt bos¬ Versen noch ein „doch“ vorangestellt.
haften Spott über die Kurzsichtigkeit,
Ignoranz oder Fehlleistung eines Vorge¬
In der Nacht ist der Mensch nicht
setzten aus.
gern alleine
Dieser von Franz Grothe komponierte
In der ersten Liebe lieben die Frau¬
Schlager wurde von Marika Rökk in
en den Geliebten, in der späteren dem 1944 gedrehten Spielfilm „Die
die Liebe Frau meiner Träume“ (siehe auch dort)
Das Zitat ist die 471. von La Rochefou- gesungen. Man zitiert den Titel gele¬
caulds (1613-1680) „Maximen und Re¬ gentlich scherzhaft, wenn ein geselliges
flexionen“ („Reflexions ou Sentences et Beisammensein sich bis in die späten
maximes morales“) und lautet im Origi¬ Nachtstunden ausdehnt, oder in ver¬
nal: Dans les premieres passions les ständnisvoller Anspielung auf ein Lie¬
femmes aiment l’amant, et dans les autres bespaar, das eine Nacht miteinander
elles aiment l'amour. Als reine Feststel¬ verbracht hat.
lung wird hiermit ausgedrückt, daß es
der Frau in ihren ersten Leidenschaften In des Schicksals Speichen greifen
um den Geliebten und in den späteren t Willst du mit den Kinderhänden in des
um die Liebe selbst geht. Dementspre¬ Schicksals Speichen greifen?
chend kann das Zitat auf eine Frau be¬
zogen werden, die sich in reiferen Jah¬
In des Waldes düstern Gründen
ren mit einem Mann verbindet, von dem
man glaubt, daß sie an seiner Person Das Zitat ist der Anfang eines Gedichts,
eigentlich nicht viel finden könne. Eine das zusammen mit anderen Romanzen
andere Möglichkeit wäre der Bezug auf und Liedern über Rinaldo Rinaldini
eine Frau, die sich nach der ersten Lei¬ von Christian August Vulpius
denschaft ihre späteren Partner eher (1762-1827), dem Verfasser des gleich¬
wahllos und ohne einem einzelnen treu namigen Schauerromans über den Räu¬
zu bleiben aussucht. berhauptmann, in der Zeitschrift „Ja¬
nus“ veröffentlicht wurde. Das volks¬
tümliche Lied wird auch in abgewandel¬
In der ersten Reihe sitzen ter Form als „In des Waldes finstern
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkan¬ Gründen“ oder „In des Waldes tiefsten
stalten ARD und ZDF werben mit dem Gründen“ zitiert. Letzteres wohl in An¬
Slogan „Bei ARD und ZDF sitzen Sie in lehnung an Schillers Gedicht „Kassan¬
der ersten Reihe“ für die Aktualität und dra“, wo es in der dritten Strophe heißt:
Attraktivität ihrer Fernsehprogramme. „In des Waldes tiefste Gründe/Flüchte¬
Der Werbespruch hat bereits den allge¬ te die Seherin." Man benennt mit dem
meinen Sprachgebrauch beeinflußt, so Zitat scherzhaft einen Ort, der sich sehr
daß „in der ersten Reihe sitzen“ auch im abgelegen mitten im Wald befindet.
234
Teil I in
235
in Teil I
hatte. Sie steht im 4. Kapitel seiner wohl (1870-1931), in dem jede Strophe mit
bekanntesten Schrift „Zur Diätetik der dieser Lebensweisheit endet.
Seele“, einer Lehre zur Erhaltung der
Gesundheit durch Kräftigung von Geist In Geberlaune sein
und Willen. Mit der Äußerung über die t Ich bin nicht in der Gebelaune heut
„Aufgeräumtheit“ der Seele stellt der
Autor die These auf, daß sich innere
In Gefahr und großer Not bringt
und äußere Ordnung bei einem Men¬
der Mittelweg den Tod
schen entsprechen, daß die äußerlich
bei jemandem herrschende Ordnung ge¬ Dieser Sinnspruch stammt von Fried¬
wissermaßen als das Spiegelbild seines rich von Logau (1604-1655), einem der
inneren Zustandes anzusehen ist. bedeutendsten Epigrammatiker des Ba¬
rocks. Er bringt zum Ausdruck, daß es
In flagranti bedrohliche Situationen im Leben gibt,
wo man keinen Kompromiß eingehen
Der bildungssprachliche Ausdruck mit
darf. Die Regisseure Alexander Kluge
der Bedeutung „auf frischer Tat“
stammt aus dem Codex Justinianus, ei¬ und Edgar Reitz verwendeten ihn als Ti¬
tel ihres 1974 gedrehten Films über die
nem Teil des Corpus Juris Civilis. Der
gesellschaftliche und politische Situati¬
oströmische Kaiser Justinian (527-565)
ließ diese Sammlung von Gesetzestex¬ on in Deutschland Anfang der siebziger
Jahre.
ten durch seinen Justizminister Tribo-
nianus vornehmen. Im Codex Justinia¬
nus XIII, 9,1) heißt es: In ipsa rapina et In Geldsachen hört die Gemütlich¬
adhuc flagrante crimine comprehensi keit auf
(„Sie sind direkt beim Raub und noch Dieses Zitat geht auf einen Ausspruch
auf frischer [wörtlich: „brennender“] des rheinischen Abgeordneten David
Tat ertappt worden“). Hansemann zurück, der im ersten Verei¬
nigten Preußischen Landtag 1847 gegen
In Fleisch und Blut übergehen das preußische Junkertum gerichtet sag¬
Diese Redewendung könnte auf die in te: „Bei Geldsachen hört die Gemüt¬
der Bibel vielfach vorkommende Ver¬ lichkeit auf.“ Heute wird mit dem Zitat
bindung „Fleisch und Blut“ mit der Be¬ zum Ausdruck gebracht, daß die Tole¬
deutung „(menschlicher) Körper, Kör¬ ranzschwelle in finanziellen Angelegen¬
perlichkeit, Mensch“ zurückgehen. So heiten weit niedriger ist als in anderen
heißt es zum Beispiel im Paulusbrief an Bereichen. Verbreitet ist auch die abge¬
die Epheser (6,12): „Denn wir haben wandelte Form „In Geldsachen hört die
nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, Freundschaft auf‘, die die Empfehlung
sondern mit... den bösen Geistern unter nahelegt, daß man mit Freunden keine
dem Himmel“ und im 1. Korintherbrief Geschäfte machen soll.
(15,50): „Das sage ich aber, liebe Brü¬
der, daß Fleisch und Blut nicht können In gleichem Schritt und Tritt
das Reich Gottes ererben“. - Die Rede¬ Die Formulierung stammt aus Ludwig
wendung drückt aus, daß jemandem et¬ Uhlands (1787-1862) Lied „Der gute
was, bes. eine Verhaltensweise, so Kamerad“, das auf eine Volksweise ge¬
selbstverständlich wird, daß sie schlie߬ sungen und Bestandteil des militäri¬
lich gewissermaßen Teil von ihm selber schen Trauerzeremoniells wurde. In der
ist.
1. Strophe heißt es von dem Kamera¬
den: „Die Trommel schlug zum Strei¬
In fünfzig Jahren ist alles vorbei
te,/Er ging an meiner Seite/In gleichem
Mit dieser umgangssprachlich-scherz¬ Schritt und Tritt.“ In übertragener An¬
haften Redensart versucht man, sich wendung bedeutet die zitierte Zeile so¬
oder jemand anders über etwas hinweg¬ viel wie der ebenfalls übertragen ge¬
zutrösten. Sie entstammt dem gleichna¬ brauchte Ausdruck „im Gleichschritt“.
migen Couplet von Otto Reutter Man sagt z. B. „im Gleichschritt mar-
236
Teil I in
schieren“ oder „im gleichen Schritt und Wort „Geruch“ hat hier nichts mit „rie¬
Tritt marschieren“ im Sinne von „etwas chen“ zu tun, sondern es gehört seiner
gemeinsam betreiben“. Herkunft nach zu „Gerücht“, das sei¬
nerseits auf ein älteres „Gerüchte“ mit
In hoc signo vinces der Bedeutung „Gerufe, Geschrei“ zu¬
Der lateinische Spruch (deutsch: „In rückgeht, also zur Wortfamilie von „ru¬
diesem Zeichen wirst du siegen“) ist die fen“ gehört. In der Lutherübersetzung
inkorrekte Übersetzung der Inschrift ei¬ des 2. Buchs Moses findet sich eine Stel¬
nes Kreuzes, das nach der Legende le, die zeigt, daß schon Luther die ei¬
Konstantin dem Großen vor der Ent¬ gentliche Herkunft des Wortes nicht be¬
scheidungsschlacht gegen Maxentius im achtete. Dort kommt das Mißtrauen des
Jahr 312 erschien. Die griechische Fas¬ israelitischen Volkes gegenüber Moses
sung wäre im Lateinischen wörtlich mit und seinem Bruder Aaron in den Wor¬
in hoc vince! („In diesem [= in diesem ten zum Ausdruck (5,21): „Der Herr ...
Zeichen] siege!“) wiederzugeben. Das richte es, daß ihr unseren Geruch habt
Zitat ist auch heute meist im religiösen stinkend gemacht vor Pharao und sei¬
Bereich gebräuchlich, wo es dem Glau¬ nen Knechten.“ (Im revidierten Bibel¬
ben Ausdruck verleiht, daß man im Zei¬ text heißt diese Stelle: „Der Herr... stra¬
fe es, daß ihr uns in Verruf gebracht
chen des Kreuzes unter dem besonderen
habt vor dem Pharao und seinen Gro¬
Schutz Gottes steht.
ßen.“)
In jeden Quark begräbt er seine
In medias res
Nase
Der bildungssprachliche Ausdruck
Das Zitat stammt aus Goethes Faust I
kommt in Redewendungen wie „in me¬
(Prolog im Himmel). Mephisto macht
dias res gehen“ im Sinne von „unmittel¬
zum Herrn hin diese wegwerfende Be¬
bar und ohne Umschweife zur Sache
merkung über den Menschen. Heute
kommen“ vor. Er geht auf die „Ars poe-
sagt man umgangssprachlich abwertend
tica“ (Vers 148) des römischen Dichters
meist „seine Nase in jeden Quark stek-
Horaz (65-8 v.Chr.) zurück. Horaz lobt
ken“ im Sinne von „sich mit jedweder den griechischen Dichter Homer, weil
Belanglosigkeit befassen“ oder auch
er in der „Ilias“ bei der Erzählung des
„sich um Dinge kümmern, die einen
Trojanischen Krieges in medias res
nichts angehen“. („mitten in die Dinge“) hineinführe.
237
in Teil I
In meines Vaters Hause sind viele schöner Weise“ ausführen. - Der Aus¬
Wohnungen druck wird in seiner heute geläufigen
Form auch umgangssprachlich übertra¬
Diese Worte richtet Jesus in seiner Ab¬
gen gebraucht im Sinne von „sich trotz
schiedsrede an seine Jünger (Evangeli¬
seiner Qualität nicht durchsetzen und
um des Johannes, 14,2). Er will damit
wieder aus einem Bereich verschwin¬
sagen, daß im Reich Gottes Platz für
den“. Im Sportjargon kann die Formu¬
Menschen ganz unterschiedlicher Art
lierung auf eine Mannschaft angewandt
ist. Man verwendet das Zitat als Aus¬
werden, deren Spiel zwar schön anzuse¬
druck allgemeiner Toleranz und großzü¬
hen ist, die aber ohne die nötige Härte
giger Gastfreundschaft.
spielt und deshalb verliert.
238
Teil I ins
schung, als scherzhafte Drohung ge¬ meint (Glossolalie). Heute wird der
braucht. Ausdruck gelegentlich scherzhaft auf je¬
manden angewendet, der im Über¬
In Tyrannos! schwang seiner Gefühle einen sich über¬
Die zweite Auflage (1782) von Schillers stürzenden Schwall von Worten von
zur Periode des Sturm und Drang gehö¬ sich gibt, die für den Zuhörer zunächst
rendem Drama „Die Räuber“ trug als akustisch wie inhaltlich unverständlich
Titelvignette einen aufgerichteten Lö¬ sind.
wen mit diesem lateinischen Wahl-
T Nur ein toter Indianer ist ein
spruch (deutsch: „Gegen die Tyran¬
nen“). Dies konnte als Anspielung auf
guter Indianer
Herzog Karl Eugen von Württemberg
Ingenieure der menschlichen See¬
verstanden werden, der Schiller zum
len
Medizinstudium an seiner Militäraka¬
demie zwang. Mit dem Motto wurde der Diese besonders in der marxistisch
Titel einer verlorengegangenen Streit¬ orientierten Literaturwissenschaft ver¬
schrift von Ulrich von Hutten (1488 bis breitete Metapher für die Schriftsteller
1523) aufgenommen. und ihre Aufgabe in der Gesellschaft ist
eine Prägung von J. W. Stalin (1879 bis
In usum Delphini 1953). Bei einer Begegnung mit dem
Schriftsteller Maxim Gorki im Jahre
t Ad usum Delphini
1932 bezeichnete er so die sowjetischen
Schriftsteller.
In vino veritas
Das lateinische Sprichwort (auf deutsch TNach innen geht der geheimnis¬
„im Wein ist bzw. liegt Wahrheit“) geht volle Weg
über die griechische Entsprechung in
der Sammlung des Zenobios auf den Innere Emigration
griechischen Dichter Alkaios (um Diese Bezeichnung für die Abkehr von
620-um 580 v. Chr.) zurück, der in ei¬ den Auseinandersetzungen mit den ak¬
nem seiner Fragmente sagt, daß Wein tuellen politischen Vorgängen als Aus¬
auch Wahrheit sei. Im heutigen Sprach¬ druck der Opposition ist 1945 zum
gebrauch wird weniger darauf Bezug ge¬ Schlagwort geworden. Es bestimmte ei¬
nommen, daß Alkoholgenuß ein Weg ne Kontroverse zwischen dem 1933 aus
zur Erkenntnis von Wahrheit sei, son¬ dem nationalsozialistischen Deutsch¬
dern man spielt eher darauf an, daß der land emigrierten Thomas Mann und an¬
Alkoholisierte zur Gesprächigkeit neigt deren Schriftstellern, die im Lande ge¬
und leicht Dinge ausplaudert, die er im blieben waren. Nicht ins Exil gegangene
nüchternen Zustand verschwiegen oder Autoren wie Frank Thieß (1890-1972),
bestritten oder weitaus weniger unver¬ Manfred Hausmann (1898-1986) und
blümt geäußert hätte. Walter von Molo (1880-1958) wollten
dabei ihre „innere Emigration“ höher
In Zungen reden bewertet sehen als das Zusehen von au¬
Mit diesem Ausdruck wird im Neuen ßen in den „bequemen Logen des Aus¬
Testament an verschiedenen Stellen das lands“. Es existieren aber auch Belege
ekstatische Reden besonders in den Ver¬ für diesen Ausdruck aus den 30er Jah¬
sammlungen der christlichen Urgemein- ren.
de bezeichnet (Markus 16,17; Apostel¬
geschichte 2,4; 10,46; 19,6; 1. Korin¬
tlns Innre der Natur dringt kein
ther 14,2ff.; im griechischen Urtext: erschaffner Geist
■yXäaoaig XaXelv). Dabei ist sowohl das
Ins große Stammbuch der Natur
Reden in fremden Sprachen als auch
das Hervorbringen unverständlicher Das Bild ist der 1. Strophe von Heinrich
Laute im Zustand religiöser Ekstase ge¬ Heines (1797-1856) Gedicht „Das Ho-
239
ins Teil I
240
Teil I ist
241
6 Duden 12
ist Teil I
Es ist nicht gut, mitten im Strom worden ist. Sie geht auf eine Stelle in der
die Pferde zu wechseln Apostelgeschichte des Neuen Testa¬
ments zurück. Hier wird berichtet, daß
Oft ist es mit Gefahren, zumindest aber
der Schriftgelehrte Gamaliel vor Über¬
mit Reibungsverlusten verbunden,
griffen auf die Apostel mit den Worten
wenn man ein eingespieltes Team durch
warnte: „Lasset ab von diesen Men¬
ein anderes ersetzt, bevor ein angestreb¬
schen und lasset sie fahren! Ist der Rat
tes Ziel erreicht ist. Als Warnung vor
oder das Werk aus den Menschen, so
diesen Risiken dient dieses Zitat, das
wird’s untergehen; ist’s aber aus Gott,
aus einer Rede des amerikanischen Prä¬
so könnet ihr’s nicht dämpfen“ (Apo¬
sidenten Abraham Lincoln vor dem
stelgeschichte 5,38-39).
Kongreß (1864) stammt: 1t is not best to
swap horses while Crossing the river („Es
ist nicht das beste, die Pferde zu wech¬
seln, solange man den Fluß überquert“).
242
Teil I Jahres
nige ist, für den sie ihn hält, und in der erkennen.“ Faust aber antwortet zu¬
er sich ihr als Mitglied einer Räuberban¬ rechtweisend und mit leichtem Hohn
de zu erkennen gibt. Gelegentlich wird „Ja, was man so erkennen heißt!“ Heute
das Zitat noch um eine später folgende wird der Ausruf in dieser oder in viel¬
Zeile erweitert (drei Zeilen des Textes fach abgewandelter Form in unter¬
werden dabei übersprungen): „Ja, ich schiedlichen Zusammenhängen verwen¬
bin’s, du Unglücksel’ge, bin der Räuber det, z. B.: „Ja, was man so Liebe heißt!
Jaromir!“ Was man so Volksmusik heißt! Was
man so Staat heißt!“ usw.
Ja, ja, Prozesse müssen sein
Dieses Zitat benutzt jemand beispiels¬ J’accuse!
weise, wenn er jemandes Neigung, bei t Ich klage an!
jeder Gelegenheit zu prozessieren,
scherzhaft oder auch mit Spott kom¬ Jagdszenen aus Niederbayern
mentieren will. Es ist die Anfangszeile
Dies ist der Titel eines Theaterstücks
des Gedichtes „Der Prozess“ von Chri¬
des Dramatikers und Schauspielers
stian Fürchtegott Geliert (1715-1769).
Martin Sperr (* 1944), das besonders
In dem Gedicht wird beschrieben, wie
durch die Verfilmung (1968, Regie: Pe¬
jemand, der allzusehr auf seinem Recht
ter Fleischmann) unter dem gleichen Ti¬
beharrt, in einem langen Prozeß zwar
tel berühmt und allgemein bekannt wur¬
sein Anrecht auf einen schmalen Feld¬
de. Geschildert wird im Milieu dumpfer
rain verteidigt, am Ende aber beinahe
bayerischer Provinzialität die Verfol¬
Haus und Hof verloren hat.
gung eines homosexuellen Außensei¬
ters, der fälschlicherweise eines Mordes
Ja, mach nur einen Plan
verdächtigt und von den fanatisierten
Seine Skepsis, sein Mißtrauen gegen¬ Dorfbewohnern zu Tode gebracht wird.
über allzu genauer Planung, allzu sehr Der Titel des Stücks wurde zum Syn¬
durchorganisierten Vorhaben kann man onym für eine systematische Hetz- und
mit diesem Zitat zum Ausdruck bringen, Verleumdungskampagne.
besonders wenn man davon überzeugt
ist, daß das Geschehen letztlich von un¬ Die Jahre fliehen pfeilgeschwind
vorhergesehenen, fremden Einflüssen
Wenn jemand erstaunt oder auch er¬
bestimmt werden wird. Es stammt aus
schreckt konstatiert, wie schnell doch
der 1928 in Berlin uraufgeführten
die Zeit vergangen ist, wieviele Jahre ein
„Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht
bestimmtes Ereignis schon wieder zu¬
(1898-1956), Musik von Kurt Weill
rückliegt, so bedient er sich gelegentlich
(1900-1950). Im 3. Akt teilt der Bettler¬
dieses Zitats. Es ist eine Zeile aus Schil¬
könig Peachum dem Polizeichef von
lers Ballade „Das Lied von der Glocke“.
London seine Ansichten in dem „Lied
In der Passage des Gedichts, die dem
von der Unzulänglichkeit menschlichen
Heranwachsen eines Kindes gilt, wird
Strebens“ mit und äußert sich in der 2.
durch diese Zeile die Zeit des „goldnen
Strophe im Hinblick auf das Planen in
Morgens“ der Kindheit von der Jugend¬
folgender Weise: „Ja, mach nur einen
phase des „ins Leben wild“ hinausstür¬
Plan,/Sei nur ein großes Licht!/Und
menden Knaben getrennt.
mach dann noch ’nen zweiten
Plan,/Gehn tun sie beide nicht."
TWir bringen unsre Jahre zu wie
Ja, was man so erkennen heißt! ein Geschwätz
Dieser Ausruf stammt aus Goethes
Des Jahres letzte Stunde ertönt mit
Faust (Teil I, Nacht). Der Famulus
Wagner spricht im Dialog mit Faust vol¬
ernstem Schlag
ler Emphase die Worte: „Allein, die Selbstbesinnung, Gedanken und Refle¬
Welt! Des Menschen Herz und xionen über Vergangenes und Zukünfti¬
Geist !/Möcht’jegliches doch was davon ges sind kennzeichnend für viele litera-
243
6*
Jahrhundert Teil I
rische Äußerungen, die sich auf das Jah¬ sei, stammt aus einer Bildergeschichte
resende, den Jahreswechsel beziehen. von Wilhelm Busch (1832-1908) mit
Entsprechend verhält es sich auch mit dem Titel „Diogenes und die bösen Bu¬
diesem Zitat. Es sind die ersten beiden ben von Korinth“. In der Geschichte
Zeilen eines Gedichtes mit dem Titel wird erzählt, wie zwei „böse Buben“
„Neujahrslied“ von Johann Heinrich dem Philosophen Diogenes in seiner
Voß (1751-1826), einem vom aufgeklär¬ Tonne mit Streichen so lange zusetzen,
ten Geist seiner Zeit geprägten Dichter, bis sie schließlich selbst unter die Tonne
der besonders als Mitherausgeber des geraten und am Ende „platt gewalzt, wie
„Göttinger Musenalmanachs“ und als Kuchen sind“. Die Geschichte endet
Übersetzer der bedeutendsten Dichtun¬ mit den Zeilen: „Diogenes der Weise
gen der Antike bekannt wurde. Das Ge¬ kroch ins Faß/Und sprach: Jaja! Das
dicht wurde von Johann Abraham Peter kommt von das!““
Schulz (1747- 1800) vertont, dem Kom¬
ponisten vieler volkstümlich geworde¬
ner Lieder. Je mehr er hat, je mehr er will
Dieses Zitat wird häufig dazu benutzt,
t Arm in Arm mit dir, so fordr’ ich um jemandes Unersättlichkeit, Maßlo¬
mein Jahrhundert in die Schran¬ sigkeit zu charakterisieren und zu ta¬
ken deln. Es handelt sich dabei um eine Zei¬
le aus dem Gedicht „Zufriedenheit“
Jahrmarkt der Eitelkeit (mit der ebenfalls häufig zitierten An¬
So lautet der deutsche Titel eines fangszeile „Was frag’ ich viel nach Geld
Gesellschaftsromans des englischen und Gut“) von Johann Martin Miller
Schriftstellers William Makepeace (1750-1814), einem Vertreter der Dich¬
Thackeray (1811-1863; englischer Ti¬ tung der Empfindsamkeit im 18. Jahr¬
tel: Vanity Fair, Or, A Novel wilhout a hundert. Das Gedicht wurde auch be¬
Hero). Das Ziel des Autors ist es, kannt durch die Vertonung von Christi¬
menschliche Schwächen zu entlarven an Gottlob Neefe (1748-1798), der ein
und das Befangensein der Repräsentan¬ Lehrer Beethovens war. Gelegentlich
ten der Gesellschaft in Egoismus, wird das Zitat auch in erweiterter Form
Dummheit und Bosheit bloßzustellen. gebraucht. Zitiert werden dann die bei¬
Den Titel übernahm Thackeray aus dem den letzten Zeilen der zweiten Strophe
Erbauungsbuch „The Pilgrim’s Pro¬ des Gedichts: „Je mehr er hat, je mehr
gress“ (deutsch 1685 unter dem Titel er will,/Nie schweigen seine Klagen
„Eines Christen Reise nach der Seeligen still.“
Ewigkeit“). Dort heißt es vom himmli¬
schen Jerusalem, daß der Name der
Stadt „Eitelkeit“ sei und daß es hier Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert
einen „Jahrmarkt der Eitelkeit“ gebe - Diese Redensart ist eine Abwandlung
die Verkörperung weltlicher Hoffart so¬ des Bibelverses „... denn ein Arbeiter ist
zusagen. Wir bezeichnen heute als Jahr¬ seines Lohnes wert“, wie es im Neuen
markt der Eitelkeit alle die Anlässe, bei Testament beim Evangelisten Lukas
denen es für die Schickeria gilt, sich zur (10,7) heißt. Eine ähnliche Aussage fin¬
Schau zu stellen, getreu der Devise „se¬ det sich bei Matthäus (10,10): „Denn
hen und gesehen werden“.
ein Arbeiter ist seiner Speise wert“. Bei¬
de Stellen beziehen sich auf die Jünger
Jaja! Das kommt von das!
als Arbeiter im Dienst der Verkündi¬
Diese (um des Reimes willen) scherz¬ gung. Das leicht abgewandelte Zitat
haft in grammatikalischer Eigenwillig¬ kann heute einer Forderung nach ge¬
keit formulierte Äußerung, die jemand rechter Entlohnung Ausdruck verleihen
triumphierend machen kann, wenn er oder die (vielleicht nur widerstrebend
ausdrücken will, daß er es ja gleich ge¬ angenommene) Entlohnung eines ein¬
wußt habe, und daß dies nun die Folge zelnen Hilfsdienstes rechtfertigen.
244
Teil I jeder
245
jeder Teil I
dal venalis qui volt extrudere mercis. merkung Friedrichs des Großen zurück,
(Wörtlich übersetzt: „Es lobt derjenige, die sich auf die Toleranz den Religionen
der seine Ware losschlagen will.“) - Es gegenüber bezieht. Als er am 22. 6. 1740
drückt sich darin die begründete Skep¬ eine Anfrage des Staatsministers von
sis gegenüber allem aus, was zu sehr an¬ Brand und des Konsistorialpräsidenten
gepriesen wird. von Reichenbach erhielt, ob die rö¬
misch-katholischen Schulen wegen ih¬
Jeder liebt sich selber nur am mei¬ rer Unzuträglichkeit wieder abgeschafft
sten werden sollten, schrieb er diese Antwort
Dieser Ausspruch stammt aus „Nathan an den Rand des Schriftstücks und fügte
der Weise“ (III, 7) von Gotthold Ephra¬ hinzu, daß keine Religion der anderen
im Lessing (1727-1781), und zwar aus Abbruch tun dürfe.
der berühmten „Ringparabel“, mit der
Nathan dem Sultan Saladin dessen Fra¬
Jeder stirbt für sich allein
ge nach der wahren Religion beantwor¬ Diese pessimistisch klingende Aussage
tet. Als Zitat dient der Ausspruch meist über die Einsamkeit des menschlichen
als Tadel angesichts eines allzu deutlich Individuums, sein Eingeschlossensein
werdenden Egoismus, einer übertriebe¬ in sein Dasein als Einzelwesen und das
nen Ichbezogenheit. Zurückgeworfensein auf sich selbst in
den Grenzsituationen des Lebens wird
Jeder Mensch hat seinen Preis in etwas erweitertem Sinn auch zitiert,
wenn ausgedrückt werden soll, daß in
Der britische Staatsmann Sir Robert
Walpole (1676-1745) war der erste Pre¬ entscheidenden Situationen jeder in er¬
mierminister der britischen Geschichte. ster Linie auf sich selbst angewiesen ist,
Auf ihn wird dieser Ausspruch zurück¬ seine Entscheidungen selbst treffen
geführt. Im Hinblick auf bestimmte an¬ muß und nicht auf die Hilfe anderer
geblich uneigennützig handelnde Perso¬ zählen kann. Es handelt sich dabei um
nen soll er gesagt haben: All those men den Titel eines Romans des deutschen
have theirprice, auf deutsch: „Alle diese Schriftstellers Hans Fallada (1893 bis
Leute haben ihren Preis.“ Es ist der zy¬ 1947). Der Roman schildert die Ge¬
nische Hinweis auf die Bestechlichkeit schichte eines Arbeiterehepaares, das
des Menschen, darauf also, daß letztlich einen aussichtslosen Kampf gegen den
jeder Mensch käuflich ist. In diesem Totalitarismus des Naziregimes führt,
Sinne wird das Zitat in seiner abgewan¬ bis es schließlich von diesem vernichtet
wird.
delten Form auch heute noch ge¬
braucht.
Jeder Tag hat seine Plage
Jeder Mensch ist ein Abgrund Bei diesem als eine Art Stoßseufzer an¬
gesichts täglich erneut auftretender Un¬
Dieses Zitat aus Georg Büchners „Woy-
annehmlichkeiten gebräuchlichen Aus¬
zeck“ (1836) ist charakteristisch für die
spruch handelt es sich um ein abgewan¬
pessimistische Weitsicht dieses Dich¬
ters, die den Menschen dunklen Gewal¬ deltes Bibelwort. Das 6. Kapitel des
ten in seinem Innern ausgeliefert sieht. Matthäusevangeliums, das den Mittel¬
teil der Bergpredigt enthält, endet mit
Woyzeck selbst sagt die Worte in der
siebten Szene: „Jeder Mensch ist ein den Worten: „Es ist genug, daß ein jegli¬
cher Tag seine eigene Plage habe.“ Die
Abgrund; es schwindelt einem, wenn
man hinabsieht.“ Form, in der das Wort heute zitiert wird,
wurde von Goethe geprägt. Das Lied
der Philine, „Singet nicht mit Trauertö¬
Jeder muß nach seiner Fasson
nen“, aus „Wilhelm Meisters Lehrjah¬
selig werden
re“ endet mit den eher schelmischen
Die Redensart im Sinne von „Jeder soll Versen: „Jeder Tag hat seine Pla¬
nach seiner eigenen Auffassung leben, ge/Und die Nacht hat ihre Lust.“ Das
sein Leben gestalten“ geht auf eine Be¬ Lied wurde besonders bekannt durch
246
Teil I jedes
die Vertonungen von Robert Schumann worden sind, alsdann den geringem; du
(1841) und Hugo Wolf (1888). hast den guten Wein bisher behalten“
(Johannes 2,10). Damit wird auf Jesu
Ein jeder Wechsel schreckt den Verwandlung von Wasser in Wein hin¬
Glücklichen gewiesen, aber zugleich die übliche Auf¬
fassung von der Reihenfolge der servier¬
Diese Worte spricht in Schillers Tragö¬
ten Weinqualitäten bestätigt. Man
die „Die Braut von Messina“ (1,7) der
bringt diesen Sachverhalt auch häufig
eine der feindlichen Brüder, Don Ma¬
mit den Worten: „Wenn die Gäste trun¬
nuel, der keine Nachforschungen über
ken sind, kommt der schlechtere Wein“
die Herkunft seiner Geliebten anstellen
zum Ausdruck.
möchte. So sagt er zunächst: „Nie wagt'
ich’s, einer Neugier nachzugeben,/Die
mein verschwiegnes Glück gefährden Jedermann klagt über sein Ge¬
konnte.“ Wenig später wird diese Aus¬ dächtnis, niemand über seinen Ver¬
sage durch eine allgemeine Feststellung stand
erläutert und bekräftigt: „Ein jeder Das Zitat ist die 89. von La Rochefou-
Wechsel schreckt den Glücklichen;/Wo caulds (1613-1680) „Maximen und Re¬
kein Gewinn zu hoffen, droht Verlust.“ flexionen“ („Reflexions ou Sentences et
Wer glücklich und zufrieden ist, kann maximes morales“) und lautet im Origi¬
von jeder Veränderung seiner Lebenssi¬ nal: Tout le monde se plaint de sa
tuation nur eine Verschlechterung er¬ memoire, et personne ne se plaint de son
warten; in diesem Sinne wird das Zitat jugement. Es ist zwar Mode, über sein
auch heute noch gelegentlich verwen¬ schlechtes Gedächtnis zu klagen - hier
det. gibt man eine Schwäche bereitwillig zu,
da die Gedächtnisleistung als etwas
Jeder Zoll ein König eher Mechanisches, von der allgemei¬
Der Ausspruch stammt aus Shake¬ nen Intelligenz Unabhängiges angese¬
speares Drama „König Lear“ (IV, 6). ln hen wird. Dagegen will niemand gern
der öden Landschaft der Kreidefelsen zugeben, daß der eigene Verstand für
bei Dover begegnen sich der „mit Blu¬ etwas nicht ausreicht.
men und Kränzen“ seltsam geschmück¬
te, dem Wahnsinn entgegentreibende Jedes legt noch schnell ein Ei
König Lear und der durch Blendung Im „Ersten Streich“ der Bildergeschich¬
blind gewordene Graf von Gloster. Auf te „Max und Moritz“ von Wilhelm
die Frage Glosters „Ist’s nicht der Kö¬ Busch (1832-1908) wird geschildert,
nig?“ antwortet Lear voller Ironie und wie die beiden Knaben Max und Moritz
Bitterkeit: „Ja, jeder Zoll ein König“ die Hühner der Witwe Bolte auf grotes¬
(im englischen Original: Ay, every inch a ke Weise zu Tode bringen. Von den an
king). Der Ausspruch hat sich verselb¬ einem langen Ast in einer Reihe hän¬
ständigt und wird mit unterschiedlichen genden Tieren heißt es dann: „Jedes legt
Übertragungen in verschiedenen Zu¬ noch schnell ein Ei,/Und dann kommt
sammenhängen verwendet, wobei heute der Tod herbei.“ Das Zitat besonders
oft auch eine gewisse Ironie, ein leichter der ersten dieser Zeilen dient als scherz¬
Spott mitschwingt, so beispielsweise in hafter Kommentar zu Situationen, in
Äußerungen, wie: jeder Zoll ein Gene¬ denen in letzter Minute und in aller Eile
ral, jeder Zoll eine Dame. noch bestimmte Maßnahmen getroffen,
diese oder jene Dinge erledigt werden.
Jedermann gibt zuerst den guten
Wein Jedes Volk hat die Regierung, die
Im Neuen Testament sagt auf der Hoch¬ es verdient
zeit zu Kana der Speisemeister zum Mit diesem etwas süffisant klingenden
Bräutigam: „Jedermann gibt zum ersten Bonmot schmückt auch heute noch
guten Wein, und wenn sie trunken ge¬ mancher politische Kommentator seine
247
jedoch Teil I
248
Teil I Judaskuß
249
Judaslohn Teil I
250
Teil I Käfig
Kadavergehorsam
Jurare in verba magistri
Dieser im 19. Jahrhundert gebräuchlich
Diese lateinische Redewendung aus den
gewordene Ausdruck leitet sich von
„Epistulae“ des römischen Dichters
einer Vorschrift aus den jesuitischen Or¬
Horaz (65-8 v. Chr.) bedeutet übersetzt
densregeln des Ignatius von Loyola
„auf des Meisters Worte schwören“, ist
(1491-1556) ab. In den „Constitutio-
im heutigen Gebrauch aber ironisch ge¬
nes“ (4,1) heißt es, die Ordensmitglie¬
meint und hat den Sinn „die Meinung,
der sollen sich von Gott und den Vorge¬
das Urteil eines anderen, besonders ei¬
setzten leiten lassen perinde ac si cadaver
nes Höhergestellten kritiklos überneh¬
essent („als seien sie ein Leichnam“ [der
men“. Goethe hat die deutsche Entspre¬
alles mit sich machen läßt]). Dement¬
chung der Redewendung im Faust ver¬
sprechend wird das Wort „Kadaverge¬
wendet. In der Schülerszene (Faust I,
horsam“ heute (meist abwertend) im
Studierzimmer) gibt Mephisto dem
Sinne von „blinder, willenloser Gehor¬
Schüler hinterhältig den falschen Rat:
sam unter Aufgabe der eigenen Persön¬
„Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr nur
lichkeit“ gebraucht.
einen hört,/Und auf des Meisters Worte
schwört“, um dann auch noch fortzu¬
fahren: „Im ganzen - haltet euch an Kaffeehausliterat
Worte!/Dann geht Ihr durch die sichre Mit diesem abwertenden Ausdruck be¬
Pforte/Zum Tempel der Gewißheit ein.“ zeichnet man einen Schriftsteller, der
sich häufig im Kaffeehaus aufhält und
Einen Jux will er sich machen dort auch seine Werke verfaßt (und dem
So lautet der Titel einer 1842 uraufge- man deshalb eine gewisse Oberfläch¬
führten Posse mit Gesang des österrei¬ lichkeit und literarische Leichtgewich¬
chischen Schriftstellers und Schauspie¬ tigkeit unterstellt). Er geht auf den
lers Johann Nestroy (1801-1862). Er, österreichischen Politiker Georg Ritter
das ist der ansonsten grundsolide Kauf¬ von Schönerer (1842-1921) zurück, der
mannsgehilfe Weinberl, der zusammen sich mit zunehmender antisemitischer
mit dem Lehrjungen Christopherl unbe¬ Haltung der deutschnationalen Bewe¬
dingt auf Abenteuer ausgehen will, statt gung anschloß und ihn in deren Linzer
im Laden die Geschäfte zu führen, wie Programm von 1882 verwendete.
es ihm sein Chef für die Zeit seiner Ab¬
wesenheit aufgetragen hat. Man zitiert
Ein Käfig voller Narren
den Titel heute gelegentlich, wenn man
zu verstehen geben will, daß man etwas Dies ist der Titel eines im Transvestiten¬
gerade Gehörtes nicht für wahr hält, milieu spielenden französischen Films
oder nicht glaubt, daß es jemandem mit aus dem Jahr 1978. Der Originaltitel
etwas Ernst sein kann. lautet La Cage aux Folles (wörtlich:
„Der Narrenkäfig“). Dem Drehbuch
liegt ein Bühnenstück von Jean Poiret
mit dem Titel „Männer sind doch besse¬
re Frauen“ zugrunde. - Das Zitat ist
beispielsweise zur Charakterisierung
einer Ansammlung von Menschen an
einem bestimmten Ort verwendbar, die
251
Kainsmal Teil I
252
Teil I kann
253
kann Teil I
sprechenden Gedanken findet man in zweite folgt: „Wächst mir ein Kornfeld
Lessings 1755 entstandenem Trauer¬ in der flachen Hand?“) stammt aus der
spiel „Miß Sara Sampson“ (4,8), in dem Tragödie „Die Jungfrau von Orleans“
Lady Marwood sagt: „Es ist kein Ver¬ (1,2) von Schiller. Sie ist die hilflose
brechen, geliebt haben; noch viel weni¬ Antwort des Königs Karl auf das Ver¬
ger ist es eines, geliebt worden sein.“ langen seiner Untertanen nach Hilfe.
Ein bereits im 19. Jahrhundert bekann¬ Die heute übliche Redewendung „etwas
tes Lied eines unbekannten Verfassers aus dem Boden stampfen [können]“ im
beginnt mit der Frage: Ist denn Lieben Sinne von „etwas aus dem Nichts her¬
ein Verbrechen? vorbringen [können]“ könnte durch das
Schiller-Zitat zusätzliche Verbreitung
gefunden haben. Schon der römische
Es kann der Frömmste nicht in Feldherr und Politiker Pompeius soll
Frieden leben, wenn es dem bösen (nach Plutarch) damit geprahlt haben,
Nachbarn nicht gefällt es würden Soldaten aus dem Erdboden
Dieses Zitat stammt aus Schillers „Wil¬ steigen, wenn er auf den Boden Italiens
helm Teil“ (IV,3). Darin antwortet Teil stampfe.
dem Feldschützen Stüssi, der in unruhi¬
gen Zeiten diejenigen beneidet, die zu
Es kann ja nicht immer so bleiben
Hause in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen
dürfen: „Es kann der Frömmste nicht Wenn man zum Ausdruck bringen will,
im Frieden bleiben,/Wenn es dem bösen daß eine Pechsträhne oder eine glückli¬
Nachbar nicht gefällt.“ Mit dem in che, unbeschwerte Phase im Wechsel¬
leicht abgewandelter Form gebräuch¬ spiel des Lebens irgendwann einmal zu
lichen Zitat wird heute zum Ausdruck Ende gehen muß, wird dieses Zitat ver¬
gebracht, daß auch friedfertige Men¬ wendet. Es stammt aus August von Kot-
schen durch ihre Umwelt in Streit und zebues Lied „Trost beim Scheiden“
Auseinandersetzungen hineingezogen (1802; Vertonung von Friedrich Hein¬
werden können. rich Himmel), dessen erste Strophe lau¬
tet: „Es kann ja nicht immer so bleiben/
hier unter dem wechselnden Mond,/es
Es kann die Spur von meinen blüht eine Zeit und verschwindet,/was
Erdentagen nicht in Äonen unter¬ mit uns die Erde bewohnt.“ (Vergleiche
gehn auch das Zitat „So knüpfen ans fröhli¬
Diese Worte stehen am Ende des che Ende den fröhlichen Anfang wir
an“.)
Schlußmonologs Fausts (Goethe, Faust
II, 5. Akt, Großer Vorhof des Palasts).
Der erblindete Faust hat eine Vision von Kannegießer
seinem sich vollendenden Lebenswerk,
„Kannegießer“ ist die heute nicht mehr
einem dem Meer abgerungenen frucht¬
sehr gebräuchliche Bezeichnung für ei¬
baren Land für Millionen. So kann er in
nen Stammtischpolitiker. Der Ausdruck
dem Glauben sterben, er habe durch
leitet sich von der Figur des ohne Sach¬
sein Wirken etwas Dauerhaftes für die
verstand politisierenden Zinngießers
Menschheit geschaffen. Zitiert werden
her, der in der Komödie „Den politiske
die Worte Fausts meist als Anerken¬
Kandestober“ (1822; deutsch: „Der po¬
nung großer Leistungen anderer, aber
litische Kannegießer“) des dänischen
auch als ironisch-scherzhafter Kom¬
Dichters Ludwig Holberg auftritt. Als
mentar zu eigenen Anstrengungen.
Ableitungen von „Kannegießer“ kamen
im 18. Jahrhundert „Kannegießerei“
Kann ich Armeen aus der Erde und das Verb „kannegießern“ in Ge¬
stampfen? brauch.
254
Teil I Kastanien
255
Kasus Teil I
sen möchte, die Katze, sie für ihn aus Schritten neigenden Menschen, der
der glühenden Asche herauszuholen. nichts zu verlieren hat.
Kaudinisches Joch
Der Kasus macht mich lachen
Dieser bildungssprachliche Ausdruck
Der Pudel, der sich in Goethes Faust
für eine schimpfliche Demütigung geht
(Erster Teil, Vor dem Tor) dem Gelehr¬
auf die römische Geschichte zurück.
ten und seinem Famulus Wagner beim
Der Geschichtsschreiber Livius (um 59
Spaziergang angeschlossen hatte, ver¬
v. Chr. -17 n. Chr.) berichtet, daß das rö¬
wandelt sich in der folgenden Szene in
mische Heer 321 v. Chr. nach seiner
Fausts Studierzimmer in die Gestalt des
Niederlage an den Kaudinischen Päs¬
Mephisto, der im Kostüm eines fahren¬
sen (bei der Stadt Caudium) waffenlos
den Scholaren erscheint. Faust reizt
durch ein aus den Speeren der siegrei¬
diese überraschende Veränderung zum
chen Samniten gebildetes Spalier hin¬
Lachen. - Man verwendet das Zitat in
durchgehen mußte. Jeweils zwei Speere
etwas altertümelnder Ausdrucksweise,
waren oben durch einen (wie ein Joch)
um etwas als lächerlich oder unsinnig
querliegenden dritten miteinander ver¬
darzustellen und abzutun.
bunden.
256
Teil I keine
19. Jahrhunderts weitverbreitetes Volks¬ stellungen wie „Kein Platz für Grün¬
lied. Die erste Strophe lautet vollstän¬ anlagen“ vielfältig abgewandelt.
dig: „Kein Feuer, keine Kohle/kann
brennen so heiß/als heimliche Lie- Kein Talent, doch ein Charakter
be,/von der niemand nichts weiß.“ Man
Das Zitat stammt aus Heinrich Heines
verwendet das Zitat - meist scherz¬
(1797-1856) satirischem Versepos „Atta
haft um auf ein verborgenes Liebes¬
Troll“ und gehört dort zum Grabspruch
verhältnis anzuspielen.
des Titelhelden, des deutschen Bären
Atta Troll: „Sehr schlecht tanzend, doch
t Denn kein größeres Verbrechen
Gesinnung/Tragend in der zott’gen
gibt es, als nicht kämpfen wollen, Hochbrust;/Manchmal auch gestunken
wo man kämpfen muß habend ;/Kein Talent, doch ein Charak¬
ter!“ (Kaput XXIV, 12. Strophe). Heine
Kein Klang der aufgeregten Zeit kehrt hier den ihm von der Kritik ge¬
drang noch in diese Einsamkeit machten Vorwurf des Talents ohne Cha¬
Mit diesen Versen endet das Gedicht rakter um. Man verwendet das Zitat
„Abseits“ von Theodor Storm auch heute eher abwertend, um jeman¬
(1817-1888). Das Gedicht gehört zu den zu charakterisieren, der mangelnde
Storms Naturlyrik. Es beschreibt die Fähigkeiten durch stramme Gesinnung
Stille eines Sommernachmittags in der auszugleichen sucht.
Weltabgeschiedenheit eines Heide¬
dorfs. Das Zitat wird gelegentlich ge¬ Kein Wässerchen trüben können
braucht, um - auch ironisch - die Idylle Die umgangssprachliche Redewendung
und Weltferne eines Ortes zu charakteri¬ mit der Bedeutung „völlig harmlos sein;
sieren. nichts Böses oder Unrechtes tun kön¬
nen“ hat ihren Ursprung in einer „Äso¬
Kein Mensch muß müssen pischen Fabel“ des römischen Fabel¬
Dieses zur Redensart gewordene Zitat dichters Phädrus (tum 50 n.Chr.). Dar¬
hat seinen Ursprung wahrscheinlich in in wirft ein Wolf, der an einem Bach
Lessings Drama „Nathan der Weise“ trinkt, einem weiter unterhalb aus dem
(1779). Im 3. Auftritt des 1. Aufzugs äu¬ gleichen Bach trinkenden Lamm vor, es
ßert Nathan im Gespräch mit dem Der¬ habe sein Wasser trübe gemacht. Das
wisch: „Kein Mensch muß müssen, und Lamm verteidigt sich mit dem Hinweis,
ein Derwisch müßte ?/Was müßt’ er daß es sein Wasser nicht habe trüben
denn?“ Die Antwort lautet: „Warum können, weil der Bach doch nicht berg¬
man recht ihn bittet,/Und er für gut er¬ auf fließe. Für den Wolf war die Be¬
kennt, das muß ein Derwisch.“ - Man schuldigung aber nur ein Vorwand. Er
verwendet das Zitat, um ein Ansinnen fraß das Lamm „zur Strafe“ auf. - Man
zurückzuweisen, das jemand an einen gebraucht die Wendung häufig auch in
stellt, oder um einen anderen darin zu der Form „aussehen, als könnte man
bestärken, daß er etwas Bestimmtes kein Wässerchen trüben“, was soviel be¬
auch lassen oder verweigern kann. deutet wie „harmlos aussehen, ohne es
zu sein“.
Kein Platz für wilde Tiere
Im Jahr 1954 erschien das (1956 verfilm¬
Keine Angst vor großen Tieren
te) Buch „Kein Platz für wilde Tiere“ Die Aufforderung, „keine Angst vor
des Zoologen Bernhard Grzimek großen Tieren“ zu haben, mit denen in
(1909-1987), in dem es um die bedrohte umgangssprachlicher Ausdrucksweise
Tierwelt Afrikas geht. Der Titel wurde Personen von großem Ansehen, hohem
im Zusammenhang mit Tierschutzaktio¬ Rang gemeint sind, ist zugleich der Titel
nen häufig zitiert, und er wird heute zur eines heiteren Spielfilms aus dem Jahr
Bildung von Slogans wie „Kein Platz für 1953 mit Heinz Rühmann in der Haupt¬
Drückeberger“ oder anklagende Fest¬ rolle. In diesem Film spielen zwei Lö-
257
keine Teil I
wen als ganz konkrete „große Tiere“ Gesellen“ (1878) des Schriftstellers
mit. Rudolf Baumbach (1840-1905) findet.
Keine Ruh’ bei Tag und Nacht Keiner weiß vom andern
So beginnt die Arie des Leporello am Die erste Strophe des Gedichts „Nie¬
Anfang von Mozarts Oper „Don Gio¬ mals wieder“ von Hoffmann von Fal¬
vanni“, die 1787 in Prag uraufgeführt lersleben (1798-1874) endet mit den
wurde. Das italienische Libretto stammt Versen: „Und wir müssen wandern,
von Lorenzo da Ponte. Leporello führt wandern,/Keiner weiß vom andern.“ -
in der Arie Klage über seinen Dienst: Man kann das Zitat verwenden, um dem
„Keine Ruh’ bei Tag und Nacht,/ Bewußtsein von der Isoliertheit der
Nichts, was mir Vergnügen macht,/ Menschen, von ihrem letztlichen Allein¬
Schmale Kost und wenig Geld,/Das er¬ sein Ausdruck zu geben. In Hermann
trage, wem’s gefällt.“ Er möchte „nicht Hesses Gedicht „Im Nebel“ kommt ein
länger Diener sein“. Die ähnliche For¬ ähnlicher Gedanke in den Schlußversen
mulierung „keine Ruhe Tag und Nacht“ zum Ausdruck: „Kein Mensch kennt
findet sich schon in der Offenbarung den andem,/Jeder ist allein.“
des Johannes (4,8 u. 14,11) im Neuen
Testament. Das Zitat ist auch heute
t Dieser Kelch möge an mir vor¬
noch gebräuchlich als Klage eines Men¬ übergehen
schen, der unablässig von etwas oder je¬
mandem geplagt wird oder so beschäf¬
t Im kühlen Keller sitz’ ich hier
tigt ist, daß er keine Ruhe finden kann.
Kennst du das Land, wo die Kano¬
nen blühn?
Keinen Hund mehr hinter dem
T Kennst du das Land, wo die Zitronen
Ofen hervorlocken
blühn?
Mit dieser seit dem 17. Jahrhundert be¬
legten umgangssprachlichen Redewen¬ Kennst du das Land, wo die Zitro¬
dung wird zum Ausdruck gebracht, daß nen blühn?
man mit einer Sache niemandes Interes¬
Das mit diesem Vers beginnende, be¬
se mehr wecken kann, daß etwas nie¬
rühmte Lied der Mignon steht am An¬
mandem mehr einen Anreiz bietet. Zu
fang des 3. Buches von Goethes Roman
ihrer Verbreitung trug vielleicht auch
„Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795/
die Ballade „Der Kaiser und der Abt“
96). Mignon, das von einem Geheimnis
von Gottfried August Bürger (1747 bis
umgebene Kind in der Begleitung Wil¬
1797) bei. Dort charakterisiert sich der
helm Meisters, drückt mit seinem Ge¬
pfiffige Schäfer Hans Bendix selbst mit
sang das Verlangen nach seiner Heimat
den Worten „Versteh’ ich gleich nichts
Italien aus. - Das Lied wurde besonders
von lateinischen Brocken,/So weiß ich
durch seine verschiedenen Vertonungen
den Hund doch vom Ofen zu locken.“
unter anderem von Beethoven, Schu¬
Mit seiner Bauernschläue und seinem
bert, Schumann, Liszt und Hugo Wolf
Mutterwitz will er dem Abt von St. Gal¬
bekannt. - „Das Land, wo die Zitronen
len, seinem Herrn, helfen, drei sehr
blühn“ wurde vor allem für Bildungsrei¬
schwierige Rätsel zu lösen, die diesem
sende zum Synonym für Italien. - Erich
vom Kaiser aufgegeben worden sind.
Kästner (1899-1974) hat diesen Vers in
einem 1928 entstandenen Gedicht abge¬
Keinen Tropfen im Becher mehr
wandelt, in dem er ein negatives Bild
Mit diesem Vers, der das Bedauern über von Deutschland entwirft. Es beginnt
einen geleerten Becher zum Ausdruck und endet mit der Frage: „Kennst du
bringt, beginnt das Gedicht „Die Lin¬ das Land, wo die Kanonen blühn?“ Die
denwirtin“, das sich in einer Sammlung letzte Strophe lautet: „Dort reift die
volksliedartiger Wander- und Studen¬ Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün./Was
tenlieder, den „Liedern eines fahrenden man auch baut - es werden stets Kaser-
258
Teil I Kindesbeinen
259
Kindlein Teil I
t Lasset die Kindlein zu mir kom¬ rung in einem seiner Sinngedichte (III.
Tausend, 5. Hundert, Nr. 35), und in la¬
men
teinischer Form findet sie sich bereits
t Das übet in Einfalt ein kindlich bei dem römischen Rhetoriker Quintili-
an (um 35-um 100) in seiner „Institutio
Gemüt
oratoria“ (8,5): Vestis virum reddit
Die Kirche hat einen guten Magen („Das Kleid macht den Mann“).
Das Zitat aus Goethes Faust I (Spazier¬
tim Kleinen wie im Großen treu
gang) spielt auf die Bedenkenlosigkeit
der katholischen Kirche an, sich irdi¬
sein
sche Reichtümer einzuverleiben: „Hat
Kleiner Mann ganz groß
ganze Länder aufgefressen/Und doch
noch nie sich übergessen.“ Mephisto Das Zitat geht vielleicht ursprünglich
berichtet Faust davon, daß sein auf den Titel eines Theaterstücks von
Schmuckkästchen für Margarete von ih¬ Edgar Kahn (1903-1955) und Ludwig
rer Mutter dem Pfarrer übergeben wor¬ Bender (1908-1973) zurück. 1956 ent¬
den sei, der dazu gemeint habe: „Die stand unter dem gleichen Titel ein Film
Kirch’ allein, meine lieben Frauen,/ von Hans Grimm. Der Film handelt von
Kann ungerechtes Gut verdauen.“ einem kleinen Jungen, der, als sein
Pferd verkauft werden soll, sich nicht
Der T große Klare aus dem Norden von ihm trennen läßt, sondern heimlich
mit ihm von zu Hause fortgeht und eine
Klassischer Boden ganze Weile selbst für es sorgt. Zum
Die Bezeichnung für die Landschaft der Schluß gewinnt das Pferd für seinen
griechisch-römischen Antike ist eine kleinen Besitzer ein großes Rennen. -
Übersetzung von englisch classic Man gebraucht das Zitat als scherzhaft¬
ground, das von dem englischen Schrift¬ anerkennenden Kommentar, wenn ei¬
steller Joseph Addison (1672-1719) ge¬ nem kleinen Jungen eine besondere
prägt wurde. Addison war Herausgeber Ehrung widerfährt oder wenn er etwas
der Zeitschrift „The Spectator“. Er war Besonderes geleistet hat.
berühmt für seinen an klassischen Vor¬
bildern geschulten Stil. Als erster lenkte Kleiner Mann - was nun?
er den Blick seiner Zeitgenossen auf die So lautet der Titel eines Romans von
Schönheiten der Natur, die ihm auf aus¬ Hans Fallada (1893-1947) aus dem
gedehnten Reisen begegneten. Die Be¬ Kleine-Leute-Milieu zur Zeit der Wirt¬
zeichnung classic ground entstammt Ad¬ schaftskrise. Er wird in umgangssprach¬
disons „Letter from Italy to the Right licher und gelegentlich scherzhafter
Honorable Charles Lord Halifax“ aus Redeweise zitiert, um jemandes Ratlo¬
dem Jahr 1701. Hier heißt es: „Poetic sigkeit angesichts übergroßer Schwie¬
fields encompass me around,/And still I rigkeiten auszudrücken.
seem to tread on classic ground.“ („Poe¬
tische Gefilde umgeben mich, und ich T Dies ist ein kleiner Schritt für ei¬
scheine noch jetzt auf klassischen Bo¬ nen Menschen
den zu treten.“)
Das kleinere Übel
Kleider machen Leute Der Ausdruck geht auf den griechischen
Diese sprichwörtliche Redensart mit der Philosophen Platon (427-347 v. Chr.)
Bedeutung „gepflegte, gute Kleidung zurück, der in seinem Dialog „Protago-
fördert das Ansehen“ erlangte zusätzli¬ ras“ Sokrates die Worte in den Mund
che Bekanntheit als Titel von Gottfried legt: „Von zwei Übeln wird niemand
Kellers (1819- 1890) gleichnamiger No¬ das größere wählen, wenn er das kleine¬
velle aus dem Zyklus „Die Leute von re wählen kann.“ Diese Erkenntnis fin¬
Seldwyla“. Friedrich von Logau det sich in ähnlicher Form noch bei wei¬
(1604-1655) verwandte die Formulie¬ teren Autoren der Antike, so bei Aristo-
260
Teil 1 Köhlerglaube
teles und Cicero. Man bezeichnet mit schreibt die Besonderheit des Ge¬
dem Ausdruck auch heute noch etwas, schenks mit folgenden Worten: „... hat
was man notgedrungen akzeptiert, weil dir jemand etwas zu leid getan, so sprich
die vorhandene Alternative als etwas nur .Knüppel aus dem Sack1, so springt
noch Schlimmeres angesehen wird. dir der Knüppel heraus unter die Leute
und tanzt ihnen so lustig auf dem Rük-
Klopfet an, so wird euch aufgetan ken herum, daß sie sich acht Tage lang
T Suchet, so werdet ihr finden nicht regen und bewegen können“. Man
verwendet den Ausdruck heute um¬
t Wer wird nicht einen Klopstock gangssprachlich als Umschreibung für
eine unangemessen grobe und rück¬
loben?
sichtslose Bestrafung oder Zurechtwei¬
sung.
TOh, ich bin klug und weise, und
mich betrügt man nicht
Knurre nicht, Pudel!
Der kluge Mann baut vor Das scherzhaft gebrauchte Zitat, mit
Das sprichwörtlich gebrauchte Zitat im dem man unerwünschte Zwischenbe¬
Sinne von „es ist klug, Vorsorge zu tref¬ merkungen unterbinden will, stammt
fen“ stammt aus Schillers Drama „Wil¬ aus Goethes Faust I (Studierzimmer 1).
helm Teil“. In der 2. Szene des 1. Aktes Faust richtet diese Aufforderung an den
rät Gertrud Stauffacher ihrem Mann, ihm zugelaufenen Pudel, in dem sich
sich mit Landsleuten zu beraten und Mephisto verbirgt und der ihn bei seiner
sich gegen den Druck des Reichsvogts Übersetzung des Johannesevangeliums
Geßler zur Wehr zu setzen: „Noch stört.
stehst du unversehrt - willst du erwar-
ten,/Bis er die böse Lust an*dir gebüßt
T Feurige Kohlen auf jemandes
(= befriedigt)?/Der kluge Mann baut
vor.“ Flaupt sammeln
261
Koloß Teil I
262
Teil I König
und man seine Chance nutzen soll, et¬ re im Mittelpunkt, die zahllosen Ver¬
was zu leisten, bevor es Nacht wird, der wechslungen ausgesetzt sind. - Man
Tod eintritt. In Abwandlung steht in verwendet das Zitat zur Charakterisie¬
Goethes „Gedichten“ (Abschnitt „Sprü¬ rung von verworrenen menschlichen
che“) und auch im „Buch der Sprüche“ Verhältnissen oder Beziehungen.
des „Westöstlichen Diwans“: „Noch ist
es Tag, da rühre sich der Mann!/Die Der Kongreß tanzt
Nacht tritt ein, wo niemand wirken Die spottenden Worte, bezogen auf die
kann.“ geringe Effektivität des Wiener Kon¬
gresses (1814/15) werden dem österrei¬
Kommt dir ein schönes Kind ent¬ chischen Feldmarschall und Diploma¬
gegen, laß es nicht ungeküßt vor¬ ten Charles Josef von Ligne (1735 bis
bei! 1814) zugeschrieben. Sie sind in der
Die beiden Verse stehen am Schluß des Form Le congres ne marche pas, il danse
Studentenliedes „Ich lobe mir das Bur¬ (deutsch: „Der Kongreß macht keine
schenleben“. Die zehnte Strophe darin Fortschritte, er tanzt“) überliefert. In
beginnt mit zwei Versen, die - leicht ab¬ gleicher Weise spottet auch ein Gedicht
gewandelt - der letzten Strophe des Kir¬ von Friedrich Rückert, das sich unter
chenliedes „Wer nur den lieben Gott seinen „Kriegerischen Spott- und Eh¬
läßt walten“ von Georg Neumark renliedern“ findet. Es trägt den Titel
(1621-1681) entstammen. Das Studen¬ „Herr Kongreß“ (1814) und beginnt mit
tenlied von einem unbekannten Verfas¬ den Versen: „Was hat Herr Kongreß in
ser endet so mit der Strophe: „Sing, bet Wien getan?/Er hat sich hingepflanzt/
und geh auf rechten Wegen/und tu das Und hat nach einem schönen Plan,/An¬
Deine nur getreu ;/kommt dir ein schö¬ statt zu gehn, getanzt“. Im Jahr 1931
nes Kind entgegen,/laß es nicht unge¬ entstand der wegen seiner Kamerafüh¬
rung, seiner Stars und seiner beliebten
küßt vorbei.“
Melodien berühmt gewordene deutsche
Film „Der Kongreß tanzt“. Die Haupt¬
T Aber hier, wie überhaupt, kommt
rollen spielten Lilian Harvey, Willy
es anders, als man glaubt
Fritsch und Carl Heinz Schroth. - Man
verwendet das Zitat, um seiner Überra¬
Das kommt nicht wieder
schung oder Kritik an der mangelnden
T Das gibt’s nur einmal Ernsthaftigkeit oder Sachbezogenheit
besonders einer politischen Veranstal¬
Ein Komödiant könnt’ einen Pfar¬ tung Ausdruck zu geben.
rer lehren
Das Zitat stammt aus Goethes Faust I Der König herrscht, aber er regiert
(Nachtszene). Es kommt aus dem Mund nicht
von Wagner, dem Famulus Fausts. Der Diesen Ausspruch formulierte 1830 der
möchte von den rhetorischen Gaben sei¬ französische Politiker Adolphe Thiers
nes Lehrers profitieren. „Denn heutzu¬ (1797-1877) in der oppositionellen libe¬
tage wirkt das viel./Ich hab' es öfters ralen Zeitung „Le National“ (franzö¬
rühmen hören,/Ein Komödiant könnt’ sisch : Le roi regne et ne gouvernepas). Er
einen Pfarrer lehren.“ - Man verwendet richtete sich vor allem gegen die seit
das Zitat eher ironisch und kritisch mit 1814 geltende „Charte constitutionelle“,
Bezug auf einen Geistlichen in seinem eine Verfassung, die die Mehrheit der
Amt. Bevölkerung von der Teilnahme an der
politischen Macht ausschloß. Die libe¬
Eine Komödie der Irrungen rale Mehrheit in der französischen De¬
Das Zitat ist der deutsche Titel einer putiertenkammer versuchte, eine Mon¬
Komödie von Shakespeare. Die engli¬ archie zu schaffen, in der der König sei¬
sche Form lautet The Comedy of Errors. ne Herrschaft auf den Willen der Nati¬
In dem Stück stehen zwei Zwillingspaa¬ on gründen sollte. Thiers’ Worte werden
263
König Teil I
Köpenickiade
t Wenn die Könige bauen, haben
Die Bezeichnung für einen Gauner¬
die Kärrner zu tun
streich oder ein Täuschungsmanöver,
das durch das Obrigkeitsdenken der
Es t waren zwei Königskinder
Menschen ermöglicht wird, geht zurück
auf die Besetzung des Rathauses in Ber¬
t Wär’s möglich? Könnt’ ich nicht
lin-Köpenick 1906 durch den Schuhma¬
mehr, wie ich wollte?
cher Wilhelm Voigt, der in Haupt¬
mannsuniform mit Hilfe einiger Solda¬
Konrad, sprach die Frau Mama
ten, die ihm zufällig begegneten, den
Der Frankfurter Arzt und Schriftsteller Bürgermeister verhaftete und die Stadt¬
Heinrich Hoffmann (1809-1894) kasse beschlagnahmte. Die Geschichte
schrieb das sehr bekannte Kinderbuch wurde 1926, 1931 und 1956 verfilmt, von
264
Teil I kreuzige
265
Krieg Teil I
derum und sprach zu ihnen: Was wollt schonen.“ Eine ähnliche Aussage über
ihr denn, daß ich tue dem, den ihr be¬ den Krieg findet sich auch in Schillers
schuldigt, er sei König der Juden? Sie „Wilhelm Teil“ (1,2): „Ein furchtbar
schrieen abermals: Kreuzige ihn!“ wütend Schrecknis ist/Der Krieg, die
(Markus 15,12 f.). - Man charakterisiert Herde schlägt er und den/Hirten.“ Als
mit dem Zitat das Verhalten der Öffent¬ Ausdruck der Ablehnung von Kriegen
lichkeit, die einer Person des öffentli¬ mit all ihren Grausamkeiten und der da¬
chen Lebens, beispielsweise einem Poli¬ mit verbundenen Anwendung von Ge¬
tiker, mit diesem Verdikt ihre Gunst ent¬ walt wird das Zitat auch heute noch ge¬
zieht und ihre Absetzung oder ähnliches legentlich gebraucht.
verlangt. In der Redensart: „Heute
heißt es hosianna und morgen kreuzige
ihn“ drückt sich diese rasche Wandel¬ Der Krieg ernährt den Krieg
barkeit der menschlichen Urteile beson¬ „Der Krieg ernährt den Krieg. Gehn
ders kraß aus. (Auch der erste Teil die¬ Bauern drauf,/Ei, so gewinnt der Kaiser
ser letztgenannten Redensart geht auf mehr Soldaten.“ Diese zynische Bemer¬
die Bibel zurück, wo bei Matthäus 21,9 kung macht in den „Piccolomini“, dem
zu lesen ist: „Das Volk aber, das vorging 2. Teil von Schillers Wallenstein-Trilo¬
und nachfolgte, schrie und sprach: gie, der General der kroatischen Trup¬
Hosianna dem Sohn Davids!“) pen, Isolani (1,2). Ihm ist es nur recht,
wenn für den Krieg verstärkt Bauern
Krieg bis aufs Messer eingezogen werden. Die Versorgung der
t Bis aufs Messer Bevölkerung leidet zwar darunter, aber
der Kaiser und seine Feldherren haben
mehr Soldaten zur Verfügung. Man ver¬
Krieg der Sterne
wendet das Zitat heute, wenn man dar¬
Das durch Weltraumsatelliten gestützte auf anspielen will, daß es immer wieder
Raketenabwehrsystem SDI (Abkürzung
Menschen gibt, die auch aus einem
für das englische „Strategie Defense In¬
Krieg noch Vorteile für sich selbst zie¬
itiative“, übersetzt „Strategische Vertei¬
hen und aus dem Leid anderer Kapital
digungsinitiative“) stellte 1983 der da¬
schlagen. - Der Gedanke findet sich
malige US-Präsident Ronald Reagan
schon bei dem römischen Geschichts¬
unter der englischen Bezeichnung star
schreiber Livius (59 v. Chr.-17 n.Chr.),
wars („Sternenkriege“) der Öffentlich¬
bei dem es heißt: „Der Krieg ernährt
keit vor. Er griff dabei auf den Titel ei¬
sich selbst“ (lateinisch: bellum se ipsum
nes 1977 entstandenen amerikanischen
alit; Ab urbe condita XXXIV, 9).
Science-fiction-Films zurück, in dem
mit aufwendiger Trickfilmtechnik mär¬
chenhafte Weltraumabenteuer gezeigt Krieg, Handel und Piraterie, drei¬
werden. - Die Fortsetzung des Films
einig sind sie
kam in Deutschland 1980 unter dem
Titel „Das Imperium schlägt zurück“ in „Ich müßte keine Schiffahrt ken-
die Kinos (vergleiche diesen Artikel). nen:/Krieg, Handel und Piraterie,/Drei¬
einig sind sie, nicht zu trennen.“ Diese
Worte, die Mephisto im 2. Teil des Faust
Es ist der Krieg ein roh, gewaltsam
spricht (5. Akt, Szene „Palast“), sind
Handwerk
wohl als satirischer Kommentar Goe¬
Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬ thes auf das Gebaren der damaligen
ma „Die Piccolomini“ (1,2). Dort sagt Seemacht Großbritannien zu verstehen.
Feldmarschall Illo in einem Gespräch Das Zitat wird in der kürzeren Form
über Kriegsvorbereitungen zu dem kai¬ heute noch verwendet, wenn man aus-
serlichen Kriegsrat von Questenberg: drücken will, daß viele Praktiken des
„Es ist der Krieg ein roh, gewaltsam Wirtschaftslebens durchaus mit kriege¬
Handwerk./Man kommt nicht aus mit rischen Auseinandersetzungen und See¬
sanften Mitteln, alles/Läßt sich nicht räuberei verglichen werden können.
266
Teil I kühl
267
Teil I
kühlen
den Versen beginnt: „Das Wasser Die Kunst geht nach Brot
rauscht, das Wasser schwoll,/Ein Fi¬ Diese Worte sind in Gotthold Ephraim
scher saß daran,/Sah nach dem Angel Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“
ruhevoll,/Kühl bis ans Herz hinan.“ (1772) die Antwort des Malers Conti auf
die Frage von Prinz Hettore, was die
Kunst denn mache (1,2). Lessing ver¬
t Aus einem kühlen Grunde
wendet hier ein schon für das 16. Jahr¬
hundert bezeugtes Sprichwort. Das Zi¬
t Im kühlen Keller sitz’ ich hier tat wird heute noch gebraucht, wenn
man andeuten will, daß oftmals Kunst
und Kommerz nicht zu trennen sind
TVon der Kultur beleckt
und manches Kunstwerk seine Entste¬
hung viel mehr der Aussicht auf das
Die Kultur eines Volkes richtet sich schnelle und große Geld verdankt als
nach dem Verbrauch von Seife der „reinen“ künstlerischen Absicht.
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, ei¬
ner Zeit, in der auf naturwissenschaft¬
Die Kunst ist lang! Und kurz ist
lich-technischem Gebiet bedeutende
unser Leben
Fortschritte erzielt wurden, die sich
auch im Bereich der allgemeinen Hygie¬ Mit diesen Worten stellt im ersten Teil
ne niederschlugen, war dieser damals von Goethes Faust dessen Famulus
durchaus ernst gemeinte Satz weit ver¬ Wagner resigniert fest, daß Medizin und
breitet. Er ist die Abwandlung eines Ge¬ Naturwissenschaften einen Wissensbe¬
dankens, den der deutsche Chemiker reich darstellen, den ganz zu erfassen
Justus von Liebig (1803-1873) in seinen ein Menschenleben nicht ausreicht
„Chemischen Briefen“ (1844) so formu¬ („Kunst“ ist hier in der älteren Bedeu¬
liert hatte: „Die Seife ist ein Maßstab tung „Wissenschaft“ gebraucht). Goe¬
für den Wohlstand und die Kultur der the greift dabei zurück auf die lateini¬
Staaten.“ sche Sentenz Vita brevis. ars longa („Das
Leben ist kurz, die Kunst ist lang“). Sie
ist die lateinische Wiedergabe eines
Kunst am Bau Aphorismus, der dem altgriechischen
Anfang der 50er Jahre wurde für Gro߬ Arzt Hippokrates (4./3.Jh. v.Chr.), der
bauten der öffentlichen Hand gesetzlich als Begründer der Medizin als Erfah¬
vorgeschrieben, daß ein prozentualer rungswissenschaft gilt, zugeschrieben
Anteil (meist 2%) der Bausumme zur wird. Vollständig soll dieser Aphoris¬
Anschaffung von Kunstobjekten zu ver¬ mus gelautet haben: 'O ßiog ßpaxvg, rj
wenden sei. Die Koordination von 8s texvt] uaxgß, ö 8s Kcupdg ögüg, 77 8s
Kunstschaffen und Verwaltungsvor¬ nelpa otpatepr], 77 8i xpioig xa^£Jl1i
schriften führte allerdings zunehmend („Das Leben ist kurz, die Kunst lang,
zu Kontroversen über die „Kunst im öf¬ die Gelegenheit flüchtig, der Versuch
fentlichen Raum“ (wie es jetzt in amtli¬ gefährlich, die Entscheidung schwer“).
chen Verlautbarungen heißt). Immer Die lateinische Sentenz geht wohl auf
häufiger zeigte sich Ablehnung bei den den römischen Politiker, Philosophen
Künstlern, die ihre Arbeit nicht den und Dichter Seneca (um 4v.Chr.-65
Zwängen und Bedürfnissen von Zweck¬ n. Chr.) zurück, der in seinem Dialog
bauten und schon gar nicht dem Kunst¬ „Über die Kürze des Lebens“ (latei¬
verständnis von Behörden unterwerfen nisch: „De brevitate vitae“; 1,1) dar¬
wollten. - Gelegentlich bezeichnet man über schreibt: ... illa maximi medicorum
heute mit diesem Begriff in scherzhaft¬ exclamatio ... vitam brevem esse, longam
ironischer Ausdrucksweise funktions¬ artem ... („...jener Ausspruch des Grö߬
loses Beiwerk an einem Gebrauchsge¬ ten unter den Ärzten ..., das Leben sei
genstand, das man schlichtweg als kurz, die Kunst lang ...“). - Zitiert wer¬
„Schnickschnack“ empfindet. den heute - im anfangs genannten
268
Teil I la
Sinn - sowohl die Faust-Verse als auch zweiten Aktes heißt es: „Einen Kuß in
der lateinische Ausspruch. Ehren/Kann niemand wehren.“
269
la Teil I
270
Teil I Land
(1870-1948) mit dem Text von Ludwig zu müssen, festgehalten in einem Land,
Herzer und Fritz Löhner. (Siehe auch das ihr fremd geblieben ist. Von ihrer
„Doch wie’s da drin aussieht“.) Klage „Denn ach, mich trennt das Meer
von den Geliebten,/Und an dem Ufer
Das Lächeln einer Sommernacht steh’ ich lange Tage,/Das Land der
Dies ist der deutsche Titel von Ingmar Griechen mit der Seele suchend“ wurde
Bergmans 1955 gedrehtem Film Som- die letzte Zeile zum geflügelten Wort.
marnattens leende, einer melancholi¬ Sie wurde zu einer Art Formel, die häu¬
schen Komödie über wechselnde Lie¬ fig zitiert wurde (besonders als im 18.
besbeziehungen. Man zitiert ihn im Jahrhundert das Interesse von der römi¬
Zusammenhang mit Ereignissen oder schen auf die griechische Antike gelenkt
Erlebnissen in milden, sommerlichen wurde) und die auch heute noch zitiert
Nächten, um eine besondere Atmosphä¬ wird, wenn es darum geht, das Interesse
re oder Stimmung zu charakterisieren. an der Kultur des griechischen Alter¬
tums zu benennen.
Es lächelt der See, er ladet zum
Bade Das Land der unbegrenzten Mög¬
lichkeiten
Mit diesen Sätzen beginnt Schillers
Schauspiel „Wilhelm Teil“ (1,1, „Lied Das Synonym für „Amerika“ ist eine
des Fischerknaben“). Heute werden Prägung des Schriftstellers Ludwig Max
diese Worte auch im übertragenen Sin¬ Goldberger, der 1902 nach einer Stu¬
ne zitiert, wenn von besonderen Stim¬ dienreise durch das Land in einem In¬
mungen oder Situationen eine gewisse terview Associated Press gegenüber sag¬
Verlockung ausgeht, etwas Bestimmtes te : „Europa muß wach bleiben. Die Ver¬
zu tun, sich einem persönlichen Vergnü¬ einigten Staaten sind das Land der un¬
gen hinzugeben. begrenzten Möglichkeiten.“ In späteren
Publikationen wies er in diesem Zusam¬
T Mit einem lachenden und einem menhang auf den „wirtschaftlichen Rie¬
sen Amerika“ hin. In dem zur festste¬
weinenden Auge
henden Wendung gewordenen Aus¬
druck scheint eine Formulierung aus
Laissez faire, laissez aller
Schillers Gedicht „Poesie des Lebens“
So lautete ein französisches Schlagwort anzuklingen: „Soll gleich den freien
(wörtlich übersetzt: „Laßt machen, laßt Geist, den der erhabne Flug/Ins gren¬
gehen“) des wirtschaftlichen Liberalis¬ zenlose Reich der Möglichkeiten
mus im 18. und 19. Jahrhundert, der die trug,/Die Gegenwart mit strengen Fes¬
Theorie vertrat, daß die von staatlichen seln binden: ..." In J. G. Seumes
Eingriffen freie Wirtschaft sich am be¬ (1763-1810) „Leben und Charakter der
sten entwickle. Die Parole lautete ur¬ Kaiserin Katharina II.“ findet sich ein
sprünglich Laissez faire, laissez passer entsprechendes französisches Zitat in
(passer = durchgehen). Heute wird der bezug auf Rußland: La Russie est le pays
Ausdruck allgemein für ein Gewähren¬ des possibilites („Rußland ist das Land
lassen, für eine weitestgehende Liberali¬ der Möglichkeiten“).
tät (z. B. in der Erziehung) verwendet.
Das Land des Lächelns
t Sich wie ein Lamm zur Schlacht¬ So lautet der Titel einer romantischen
bank führen lassen Operette von Franz Lehar (uraufgeführt
1929; Text von Ludwig Herzen und
Das Land der Griechen mit der Fritz Löhner). Die Handlung spielt
Seele suchend im 2. und 3. Akt in China, einem Land,
Im Anfangsmonolog des Schauspiels in dem es für Europäer den Anschein
„Iphigenie auf Tauris“ von Goethe be¬ hat, daß alle Menschen hier ihre wah¬
klagt die Titelheldin ihr Schicksal, fern ren Gefühle hinter der Maske eines
von ihrer Heimat Griechenland weilen undurchdringlichen Lächelns verbergen.
271
Land Teil I
Der Titel wird heute noch als Bezeich¬ Lang, lang ist’s her
nung für China, gelegentlich auch für Der floskelhafte Ausspruch, meist ver¬
den gesamten Fernen Osten gebraucht. wendet, um Erinnerungen an lange Zu¬
rückliegendes einzuleiten oder abzu¬
Das Land, wo Milch und Honig schließen, ist ursprünglich der Titel ei¬
fließt nes Liedes mit der Anfangszeile „Sag
mir das Wort, das so gern ich gehört“.
Mit diesem Bild wird meist scherzhaft
Die Zeile, die den Titel des volkstümlich
ein Ort bezeichnet, wo alles im Überfluß
gewordenen Liedes bildet, kehrt im Lied
vorhanden ist. Es stammt aus dem Alten
selbst refrainartig immer wieder. Es
Testament, wo Gott Jahwe mit Bezug
stammt aus dem Englischen, wo es den
auf die Israeliten zu Moses sagt: „... und
Titel Long, long ago trägt. Text und
bin herniedergefahren, daß ich sie erret¬
Melodie hat der Engländer Thomas
te von der Ägypter Hand und sie aus¬
Haynes Bayly (1797-1839) geschrieben.
führe aus diesem Lande in ein gutes und
weites Land, in ein Land, darin Milch
Der lange Marsch durch die Insti¬
und Honig fließt“ (2. Moses 3,8).
tutionen
Dieser Ausdruck spielt auf den (als
t In diesem unserem Lande
Symbol für den Sieg der Revolution gel¬
tenden) historischen „Langen Marsch“
t Das ist des Landes nicht der an, bei dem Mao Tse-tung 1934/35 die
Brauch kommunistischen Truppen der chinesi¬
schen Roten Armee über rund 12 000
Kilometer von Kiangsi nach Schensi
Landgraf, werde hart!
führte. Der Studentenführer Rudi
Diese Aufforderung, die man heute Dutschke (1940-1979) verwendete die¬
meist scherzhaft gebraucht, um jeman¬
sen Ausdruck bei seiner Forderung an
den zu Entschlossenheit und Standhaf¬
die Sozialrevolutionären Kräfte des
tigkeit zu ermuntern, geht auf eine Sage
Landes, das seiner Meinung nach re¬
aus der „Düringischen Chronik“ von
pressive und manipulative gesellschaft¬
Johannes Rothe (1350 oder 1360-1434)
liche und politische System durch die
zurück. Nach dieser Sage herrschte der
berufliche Praxis in Behörden, Schulen
Landgraf Ludwig von Thüringen so
und anderen Institutionen zu verän¬
nachsichtig, daß die Adligen und Mäch¬
dern.
tigen das Volk hemmungslos ausbeuten
konnten. Der Landgraf verirrte sich ei¬
Einen langen Arm haben
nes Tages auf der Jagd und gelangte
schließlich zum Schmied von Ruhla im Die Redewendung mit der Bedeutung
Thüringer Wald, der ihn beherbergte. „weitreichenden Einfluß besitzen“ geht
Bei der Arbeit am Amboß schimpfte der möglicherweise auf eine Stelle in einem
Schmied, der seinen Gast nicht erkannt Werk des römischen Dichters Ovid (43
hatte, über die Zustände im Lande und v.Chr.-17 oder 18 n.Chr.) zurück, den
die zu große Milde des Landesfürsten. „Heroides“ (einer Sammlung fiktiver
Beim Schlagen auf den Amboß rief er Liebesbriefe berühmter Frauen der my¬
aus: „Nun werde hart!“ Der Landgraf thischen Vorzeit an ihre geliebten Hel¬
besann sich daraufhin auf seine Pflich¬ den). Helena stellt dort an Paris die war¬
ten als Herrscher und sorgte für gesittete nende Frage, ob er nicht wisse, „daß
Verhältnisse in seinem Land, worauf Könige lange Arme haben“.
vielleicht sein Beiname „der Eiserne“
zurückzuführen ist. - In seinem Gedicht Des langen Haders müde
„Der Acker der Edlen“ prägte Wilhelm Der etwas altmodisch klingende Aus¬
Gerhard (1780-1858) die heute geläu¬ druck mit der Bedeutung „des langen
fige Formulierung „Landgraf, werde Streitens überdrüssig“ wird heute meist
hart!“ scherzhaft noch verwendet, wenn man
272
Teil I laß
ausdrücken will, daß jemand genug Kunstauffassung, die damit eine der
von einer Auseinandersetzung, einem Wirklichkeit total entfremdete Kunst
fruchtlosen Bemühen o. ä. hat und sich anprangerten. Heute wird der Ausdruck
lieber einer anderen Sache zuwenden im Deutschen oft auch allgemeiner ge¬
möchte. Er stammt aus der berühmten, braucht und nicht nur auf die Kunst be¬
früher viel gelesenen und deklamierten zogen. Er dient dann beispielsweise da¬
Ballade „Lenore“ des Dichters Gott¬ zu, jemandes intensive, aber nutzlose
fried August Bürger (1747-1794). In der Beschäftigung mit etwas abwertend als
2. Strophe des langen Gedichtes geht es Selbstzweck, als reine Spielerei zu be¬
um den Entschluß, einen Krieg zu been¬ zeichnen.
den. Es heißt dort: „Der König und die
Kaiserin,/Des langen Haders müde,/Er- t Unter Larven die einzige fühlen¬
weichten ihren harten Sinn,/Und mach¬ de Brust
ten endlich Friede...“
Laß deine linke Hand nicht wissen,
Der langen Rede kurzer Sinn was die rechte tut
Mit der Frage „Was ist der langen Rede Dieses Bibelwort aus der Bergpredigt
kurzer Sinn?“ schneidet in Schillers Tri¬ (Matthäus 6,3 f.) bezieht sich ursprüng¬
logie „Wallenstein“ (Die Piccolomini lich auf das richtige Verhalten beim Ge¬
1,2) der vom Kaiser gesandte Kriegsrat ben von Almosen: Man soll es unauffäl¬
von Questenberg dem Chef des Drago¬ lig tun, nicht damit prahlen. Die Stelle
nerregiments Butler das Wort ab. Dieser lautet: „Wenn du aber Almosen gibst, so
hatte sich zuvor in einer längeren Lobes¬ laß deine linke Hand nicht wissen, was
hymne über Wallenstein geäußert. Aus die rechte tut, auf daß dein Almosen
der Frage Questenbergs ist die heute üb¬ verborgen sei; und dein Vater, der in das
liche Fügung „der langen Rede kurzer Verborgene sieht, wird dir’s vergelten
Sinn“ entstanden. Sie hat die Bedeu¬ öffentlich.“ Das Bibelzitat wird heute
tung „um es kurz zu machen, um es auf häufig völlig losgelöst von seiner eigent¬
eine knappe Formel zu bringen, kurz¬ lichen Bedeutung gebraucht. Man ver¬
um“. wendet es beispielsweise, um zu ver¬
deutlichen, daß bei einer bestimmten
t Viel Lärm um nichts Angelegenheit Verschwiegenheit, Dis¬
kretion notwendig ist und gibt dann et¬
L’art pour l’art wa die Empfehlung, die linke Hand
Der französische Philosoph und Politi¬ nicht wissen zu lassen, was die rechte
ker Victor Cousin (1792-1867) ist der tut. In anderen Fällen wiederum wird
Urheber dieses französischen Schlag¬ das Zitat benutzt, um damit einen Vor¬
wortes (wörtlich übersetzt „die Kunst wurf zu formulieren, der dahin geht,
für die Kunst“), das immer umstritten mangelnde Koordination bei einer Sa¬
blieb. In einer seiner an der Sorbonne che zu tadeln, für deren Gelingen gute
gehaltenen Vorlesungen verkündete Zusammenarbeit nötig wäre. Der Vor¬
Cousin, daß ebenso, wie die Religion wurf lautet dann, daß bei denen, die mit
für die Religion, die Moral für die Mo¬ der betreffenden Sache befaßt sind,
ral, so auch die Kunst nur für die Kunst nicht einmal die linke Hand wisse, was
da sei. Es entwickelte sich aus dieser die rechte tut.
Ansicht eine Kunsttheorie, die in Frank¬
Laß die Toten ihre Toten begra¬
reich längere Zeit verbreitet war, nach
der die Kunst nur Selbstzweck sei, abge¬ ben!
löst von allen ihr fremden Zielen, und Einer der Anhänger Jesu, der mit Jesus
daß künstlerische Wirkung nur der gehen, ihm nachfolgen will, bittet dar¬
ästhetischen Gestaltung zuzuschreiben um, zuvor noch seinen Vater begraben
sei. Aus dem Schlagwort L’art pour Varl zu dürfen. Die Antwort Jesu besteht aus
wurde dann aber in der Folgezeit immer einer rigorosen Aufforderung (Mat¬
mehr eine Art Losung der Gegner dieser thäus 8,22): „Folge du mir, und laß die
273
laß Teil I
Toten ihre Toten begraben!“ Dieses Je¬ Lasset die Kindlein zu mir kom¬
suswort weist auf die Unbedingtheit des men
Anspruchs hin, der die wirkliche Nach¬ Im Matthäusevangelium des Neuen Te¬
folge Christi kennzeichnet. Als Zitat
staments wird berichtet, daß die Men¬
wird dieses Wort aus der Bibel meist auf
schen ihre Kinder zu Jesus brachten, da¬
eine allgemeinere Ebene gehoben. Es
mit er ihnen die Hand auflegte. Als die
dient gewissermaßen als Aufruf, sich
Jünger dies unterbinden wollten, sprach
dem Wesentlichen, den wichtigen Auf¬
Jesus: „Lasset die Kindlein und wehret
gaben im Leben zuzuwenden, alles
ihnen nicht, zu mir zu kommen; denn
Hemmende, Überflüssige, sinnlos Ge¬
solcher ist das Himmelreich“ (Matth.
wordene hinter sich zu lassen.
19,14). In leicht abgewandelter Form
wird diese Bibelstelle scherzhaft zitiert,
Laß dir dein Lehrgeld zurückgeben wenn jemand zum Beispiel sagen will,
Diese Redensart wird verwendet, wenn daß er jetzt bereit ist, sich einer warten¬
man jemandem klarmachen will, daß den Kinderschar zu widmen, oder wenn
man mit seinen Leistungen nicht zufrie¬ jemand zum Ausdruck bringen möchte,
den ist, daß er nicht das zustande bringt, daß er sich durch die Kinder seiner Gä¬
was man von ihm erwarten könnte. Sie ste oder Gastgeber nicht gestört fühlt.
geht möglicherweise auf eine Stelle in
dem Roman „Satiricon“ des römischen Lasset uns essen und fröhlich sein!
Schriftstellers C. Petronius (t66 n. Chr.)
Diese Aufforderung zum gemeinsamen
zurück. Dort heißt es: Iam scies, patrem
Essen und Feiern ist ein Bibelzitat. Es
tuum mercedes perdidisse (auf deutsch:
stammt aus dem bekannten Gleichnis
„Du wirst schon merken, daß dein Vater
vom verlorenen Sohn im Lukasevangeli¬
das Lehrgeld umsonst ausgegeben
um (15,23). Der Vater, der seinem in der
hat“). Die Redensart ist auch in der
Fremde gescheiterten und reumütig zu¬
Form „Laß dir dein Schulgeld zurück¬
rückgekehrten Sohn verziehen hat, ruft
geben“ üblich.
diese Worte aus und läßt „ein gemästet
Kalb“ schlachten, um mit seinem gan¬
Laß fahren dahin!
zen Haus die Rückkehr des Sohnes zu
Diese Aufforderung findet sich in der feiern.
vierten Strophe des in der Zeit der Bau¬
ernkriege entstandenen Lutherliedes
Laßt dicke Männer um mich sein
„Ein feste Burg ist unser Gott“ (um
1529). Hier heißt es: „Nehmen sie den Als Trost für manchen Übergewichtigen
Leib,/Gut, Ehr, Kind und Weib, -/laß oder auch der scherzhaften Abwehr
fahren dahin!“ Schiller nahm diese For¬ boshafter Anspielungen mag dieses Zi¬
mulierung in seinem Reiterlied in „Wal¬ tat häufig schon gedient haben. Es
lensteins Lager“ (1798/99) auf: „Warum stammt aus der (vermutlich um 1599
weint die Dirn’ und zergrämt sich entstandenen) Tragödie „Julius Cäsar“
schier?/Laß fahren dahin, laß fah¬ (1,2) von Shakespeare. Mit berechtig¬
ren!“ - Das Zitat ist Ausdruck von Resi¬ tem Mißtrauen gegenüber „diesem ha¬
gnation, eine Aufforderung an sich geren Cassius“, einem seiner späteren
selbst oder an andere, etwas Bestimmtes Mörder, äußert sich Cäsar in dieser
aufzugeben, nicht länger sein Herz dar¬ Weise (im englischen Original: Let me
an zu hängen. have men about me that arefat) und fügt
im Hinblick auf Cassius hinzu: „Er
denkt zuviel: die Leute sind gefährlich.“
TSo laß ihm doch das kindliche
(Vergleiche auch diesen Artikel.) Der
Vergnügen
Ausspruch Cäsars über die dicken oder
wohlbeleibten Männer bei Shakespeare
Laß, o Welt, o laß mich sein! geht zurück auf eine von Plutarch (um
T Laßt dies Herz alleine haben seine 46-um 125) in seiner Cäsarbiographie
Wonne, seine Pein überlieferte Äußerung des historischen
274
Teil I ie
Laßt, Vater, genug sein das grau¬ tUnd läuft und läuft und läuft ...
same Spiel
t Genug des grausamen Spiels t Armer Lazarus
275
le Teil I
276
Teil I Lebens
Das Leben ein Traum zum Beispiel bei dem römischen Philo¬
Der Gedanke, das Leben mit einem sophen Seneca (um 55 v.Chr.-um 40
Traum zu vergleichen oder auch gleich¬ n.Chr.) im 96. Brief an Lucilius: Vivere,
zusetzen, ist vielfach und in verschiede¬ Lucili. militare est, was wörtlich über¬
ner Weise literarisch ausgedrückt wor¬ setzt lautet: „Leben, Lucilius, heißt
den. Am bekanntesten ist er sicherlich Kriegsdienst tun.“ Der Text der Vulga¬
als Titel eines Stückes des spanischen ta, Fliob 7,1, lautet: Militia est vita homi¬
Dramatikers Calderön de la Barca nis, von Luther übersetzt mit: „Muß
(1600-1681), der im spanischen Origi¬ nicht der Mensch immer im Streit sein
nal La vida es suefio („Das Leben ist auf Erden?“ In Voltaires Tragödie „Ma-
Traum“) lautet. homet“ (1743) sagt der Titelheld: Ma vie
est un combat, auf deutsch: „Mein Le¬
Das Leben gab den Sterblichen ben ist ein Kampf.“ Schließlich findet
sich in Goethes Gedicht „Einlaß“ im
nichts ohne große Arbeit
„Buch des Paradieses“ des „Westöstli¬
Diese Lebensweisheit, die sich verkürzt chen Diwans“ die Bitte des Dichters:
auch in dem Sprichwort „Ohne Fleiß „Laßt mich immer nur herein :/Denn ich
kein Preis“ ausdrückt, stammt aus den bin ein Mensch gewesen,/Und das heißt
Satiren (I, 9,59 f.) des römischen Dich¬ ein Kämpfer sein.“
ters Horaz (65-8 v.Chr.).
t Mitten im Leben sind wir vom
Es gibt kein t richtiges Leben im Tod umfangen
falschen
Es t gibt ein Leben vor dem Tod
Das Leben ist der Güter höchstes
nicht, der Übel größtes aber ist die t Unser Leben währet siebzig Jahre
Schuld
Die beiden Schlußverse von Schillers
Ein Leben wie im Paradies
Trauerspiel „Die Braut von Messina“ Das zu einer feststehenden Redewen¬
spricht der Chor angesichts des Selbst¬ dung gewordene Zitat, mit dem man ei¬
mords von Don Cesar, der damit die Tö¬ ne Situation des Wohllebens charakteri¬
tung seines Bruders sühnen will. Das siert, ist der erste Vers eines „Trink¬
höchste Gut wird in diesem Zusammen¬ liedes“ von Ludwig Hölty (1748-1776)
hang nicht genannt, sondern nur das mit dem Beginn: „Ein Leben wie im
größte Übel, von dem das Leben be¬ Paradies/Gewährt uns Vater Rhein.“
herrscht wird. Der letzte Vers greift ein
Zitat des römischen Schriftstellers und TVon des Lebens Gütern allen ist
Staatsmannes Cicero (106-43 v. Chr.) der Ruhm das höchste doch
auf, wo es in einem Brief an die Freunde
(„Ad familiäres“ VI, 4,2) heißt: Nec esse Des Lebens Mai blüht einmal und
ullum magnum malum praeter culpam nicht wieder
(„Es gibt kein größeres Übel neben der Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht
Schuld“). Mit dem Zitat, von dem oft „Resignation“ (1784), das mit dem be¬
auch nur der erste Teil angeführt wird, kannten Vers „Auch ich war in Arka¬
weist man darauf hin, daß der Einsatz dien geboren“ beginnt. Der Dichter be¬
oder Verlust des Lebens in bestimmten klagt darin seine betrogene Hoffnung.
Situationen gerechtfertigt sein kann, vor Das Leben hat nicht gehalten, was es
allem dann, wenn man andernfalls Ge¬ versprochen hat. „Ich weiß nichts von
fahr läuft, große Schuld auf sich zu la¬ Glückseligkeit“ lautet sein Fazit, der
den. letzte Vers der dritten Strophe. - Das Zi¬
tat kann - ähnlich wie der lateinische
Das Leben ist ein Kampf Spruch „carpe diem“ („Nutze den
Diese Erkenntnis findet man in der Lite¬ Tag“) - darauf verweisen, daß es gilt,
ratur in vielerlei Variationen. So steht die rasch verfliegende Zeit zu nutzen.
277
Lebens Teil I
Meines Lebens schönster Traum Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten
hängt an diesem Apfelbaum Triften
t All mein Hoffen, all mein Sehnen Dieses Zitat stammt aus Schillers Dra¬
ma „Die Jungfrau von Orleans“. Im
Prolog (4. Auftritt) beginnt Johanna, die
Des Lebens ungemischte Freude
ihre Heimat verlassen will, ihren Mono¬
Diese Gedichtzeile stammt aus Schillers log mit den Worten: „Lebt wohl ihr Ber¬
Ballade „Der Ring des Polykrates“ ge, ihr geliebten Triften.“ Man zitiert
(1797). Polykrates, Herrscher von Sa¬ diese Zeilen - meist eher scherzhaft -,
mos, ist vom Glück begünstigt. Sein wenn es einem schwerfällt, aufzubre¬
Gastfreund, der ägyptische König, ver¬ chen, seine gewohnte Umgebung zu ver¬
nimmt die Glücksbotschaften mit zu¬ lassen, vielleicht auch einmal mit kon¬
nehmendem Entsetzen und kommen¬ kreterem Bezug, wenn ein schöner Ur¬
tiert sie schließlich mit dem Ausruf: laub im Gebirge zu Ende geht.
„Mir grauet vor der Götter Neide;/Des
Lebens ungemischte Freude/Ward kei¬
t Manche meinen, lechts und rinks
nem Irdischen zuteil.“ Nach seiner Er¬
kann man nicht velwechsem
fahrung gilt: „Noch keinen sah ich fröh¬
lich enden,/Auf den mit immer vollen
Leck mich am Arsch!
Händen/Die Götter ihre Gaben
streun.“ - Das Zitat faßt in Worte, was Das berühmte sogenannte „Götzzitat“,
den Menschen nicht beschieden ist: ein ein drastischer Ausdruck der Abwei¬
immer ungetrübtes Glück. Es wird aber sung, lautet bei Goethe etwas anders. In
häufig gerade dazu verwendet, einen - der Urfassung des Schauspiels „Götz
wenigstens vorübergehenden - Zustand von Berlichingen“, in einer Szene (im
reiner Glückseligkeit zu charakterisie¬ III. Akt), in der Götz dem Hauptmann
ren. des Reichsheers durch einen Trompeter
voller Wut etwas bestellen läßt, heißt es
wörtlich: „Vor Ihro Kaiserliche Maje¬
t Mein idealer Lebenszweck ist
stät hab’ ich, wie immer, schuldigen Re¬
Borstenvieh und Schweinespeck spekt. Er aber, sag’s ihm, er kann mich
im Arsch lecken“. Die Redensart als sol¬
t Denn das ist sein Lebenszweck che stammt indes nicht von Goethe, sie
war bereits seit etwa 1500 bekannt. All¬
gemeine Verbreitung gefunden hat sie
Es lebt ein T andersdenkendes Ge¬ allerdings möglicherweise durch den
schlecht „Götz“.
278
Teil I leide
findet. Gebräuchlich ist auch die erwei¬ kanzlers durch Kaiser Wilhelm II. im
terte Variante „Leergebrannt ist die Jahr 1890. In der Darstellung der turbu¬
Stätte der Verwüstung“. lenten und aus der Sicht Bismarcks
höchst unerfreulichen Ereignisse heißt
t Gib mir meine Legionen wieder! es: „...am 29. März verließ ich Berlin un¬
ter diesem Zwange übereilter Räumung
t Jedes legt noch schnell ein Ei meiner Wohnung und unter den vom
Kaiser im Bahnhof angeordneten mili¬
Lehre du mich meine Leute kennen tärischen Ehrenbezeigungen, die ich ein
In den „Piccolomini“, also im zweiten Leichenbegängnis erster Klasse mit
Teil von Schillers Wallenstein-Trilogie, Recht nennen konnte.“ - Seither ge¬
warnt Graf Terzky seinen Schwager braucht man diese Redefloskel - auch
Wallenstein davor, dem Generalleut¬ in der Form „Begräbnis erster Klasse“ -
nant Oktavio Piccolomini allzusehr zu zum einen zur Charakterisierung von
vertrauen. Dem entgegnet Wallenstein Vorgängen, bei denen jemandem übel
(11,6): „Lehre du/Mich meine Leute mitgespielt wird, zum andern als ironi¬
kennen! Sechzehnmal/Bin ich zu Feld schen Kommentar bei dem spektakulä¬
gezogen mit dem Alten“. Diese Zurück¬ ren Abbruch eines Unternehmens oder
weisung von Terzkys Warnung wird ähnlichem.
heute meist zitiert, wenn man zum Aus¬
druck bringen will, daß man seine Mit¬
arbeiter, Familienangehörigen o. ä. bes¬ Leicht beieinander wohnen die Ge¬
ser kennt als jeder andere und daß man
danken, doch hart im Raume sto¬
sie im Hinblick auf bestimmte Verhal¬
ßen sich die Sachen
tensweisen am genauesten einschätzen
kann. Auch Abwandlungen des Zitats Das Zitat stammt aus Schillers Tragödie
wie „Lehre du mich mein Handwerk „Wallensteins Tod“ (11,2) und ist Teil
kennen“ oder „Lehrt ihr mich meinen von Wallensteins Entgegnung auf Max
Goethe kennen“ sind gebräuchlich. Piccolominis jugendlich-rasche Verur¬
teilung von Wallensteins Haltung ge¬
t Laß dir dein Lehrgeld zurückge¬ genüber dem Kaiser. Der Gegensatz
zwischen großen, idealistischen Vorstel¬
ben
lungen und der nüchternen, engen Rea¬
Lehrjahre des Gefühls lität wird mit diesen Zeilen ausgedrückt.
Man verwendet das Zitat in diesem Sin¬
Dies ist der frei ins Deutsche übertrage¬
ne, um zum Beispiel auf die Weltfremd¬
ne Titel von Gustave Flauberts Roman
heit einer Theorie, einer Meinung hin¬
„L’Education sentimentale. Histoire
zuweisen.
d’un jeune homme“ aus dem Jahr
1869. - Das Zitat kann als Metapher für
die innere Entwicklung eines Menschen
gelten, der in einer bestimmten Lebens¬ Leide und meide
zeit, durch die Begegnung mit bestimm¬ Die in griechischer und in lateinischer
ten Menschen oder durch prägende Er¬ Form existierende, von dem römischen
lebnisse eine Bereicherung seiner Ge¬ Schriftsteller Aulus Gellius in seiner Es¬
fühlswelt erfährt oder erfahren hat. saysammlung „Noctes Atticae“ („Atti¬
sche Nächte“) überlieferte Maxime
t Nur über meine Leiche stammt von dem griechischen, der Stoa
zugerechneten Philosophen Epiktet (um
Leichenbegängnis erster Klasse 50-um 138 n. Chr.). Er lebte nach den
Diesen Vergleich wählte Bismarck Maximen der Genügsamkeit und der
(1815-1898) in seiner Autobiographie geistigen Unabhängigkeit von äußeren
„Gedanken und Erinnerungen“ im Zu¬ Schwierigkeiten. Dieser Grundgedanke
sammenhang mit der Schilderung seiner ist auch in dem vorliegenden Spruch er¬
Entlassung aus dem Amt des Reichs¬ kennbar.
279
Leiden Teil I
280
Teil I letzte
281
letzte Teil I
t Ich bin der letzte meines Stam¬ vom kaum spürbaren Lufthauch eines
mes vorüberfliegenden Schmetterlings.
282
Teil I liebe
Es tgeht mir ein Licht auf TDen lieb’ ich, der Unmögliches
begehrt
TWo viel Licht ist, ist auch viel
Schatten tWer ein Liebchen hat gefunden
283
Liebe Teil I
284
Teil I Lied
285
Lied Teil I
Schauet die Lilien auf dem Felde T Laß deine linke Hand nicht wis¬
T Sie säen nicht, sie ernten nicht sen, was die rechte tut
286
Teil I Logik
Links müßt ihr steuern! an der Macht des Klerus und am Reli¬
Dieser Ausruf stammt aus der Ballade quienkult. Die ironische Distanz, die
„Der Lotse“ des heute weitgehend ver¬ sich Erasmus durch die als Person auf¬
gessenen Dichters Ludwig Giesebrecht tretende Torheit schafft, erlaubt ihm da¬
(1792-1873), die frühere Schülergenera¬ bei die gewagtesten Seitenhiebe auf Kir¬
tionen häufig auswendig lernen mußten. che und Klerus und freche Scherze auf
Es ist eine jener Balladen, in denen der Kosten von Bischöfen und anderen
Held sein Leben opfert, um dadurch das Würdenträgern. Zitiert wird der Titel
Leben anderer zu retten. Der Ausruf der kleinen Satire meist in etwas ande¬
ren Zusammenhängen. Wenn man bei¬
„Links müßt ihr steuern!“ in der letzten
Strophe des Gedichts, durch den „ein spielsweise findet, daß jemand etwas
ganz Unsinniges oder Törichtes vertei¬
ganzes Schiff voll jungen Lebens“ geret¬
tet wird, ist später oft zitiert worden und digt oder gar anpreist, so kann man ihm
das als „Lob der Torheit“ ankreiden.
wurde dabei häufig in scherzhafter
Übertragung ins Politische gewendet.
Locker vom Hocker
Wenn man in etwas salopperer Weise
Links, wo das Herz ist
ausdrücken möchte, daß jemand ganz
Diesen Titel gab der deutsche Schrift¬
unbeschwert, ungezwungen und ohne
steller Leonhard Frank (1882-1961) sei¬
Hemmungen mit etwas umzugehen ver¬
ner 1952 in Romanform erschienenen
steht oder etwas leicht und ohne jede
Autobiographie. Er bringt darin am En¬
Schwierigkeit meistert, dann verwendet
de seinen Glauben an die neue Genera¬
man gelegentlich diese Fügung. Beson¬
tion und ein Bekenntnis zu einem ge¬ dere Verbreitung fand sie, als sie zum
fühlsmäßig fundierten Sozialismus zum Titel einer Reihe von Episodensendun¬
Ausdruck. In diesem Sinne ist dann
gen des Fernsehens mit dem Schauspie¬
auch der Titel des Werks zum geflügel¬ ler Walter Giller gemacht wurde. Die
ten Wort geworden. Reihe lief Ende der 70er und Anfang
der 80er Jahre. Die Fügung geht mögli¬
Es tist keine List über Frauenlist cherweise auf die heute weniger geläufi¬
ge Form „locker vom Bock“ zurück -
Lob der Torheit wohl eine Anspielung auf die Leichtig¬
Der niederländische Humanist, Philolo¬ keit und Behendigkeit eines Kutschers,
ge und Theologe Erasmus von Rotter¬ der von seinem Kutschbock herunter¬
dam (1466 oder 1469-1536) war einer¬ steigt.
seits ein scharfer Kritiker der weltlichen
und geistlichen Mächte seiner Zeit, be¬
Logik des Herzens
sonders auch der erstarrten Scholastik, Der französische Philosoph, Mathema¬
andererseits war er Wahrer und Fort¬ tiker und Physiker Blaise Pascal
führer der antiken und der mittelalterli¬ (1623-1662) gelangt in seinen 1669 ver¬
chen humanistischen Tradition im Zeit¬ öffentlichten „Gedanken von Pascal
alter der neu entstehenden kirchlichen über die Religion und einige andere Ge¬
Konfessionen. Am bekanntesten wurde genstände. Gefunden nach seinem Tod
einer breiteren Allgemeinheit vielleicht unter seinen Aufzeichnungen“ (deutsch
seine kleine satirische Schrift „Lob der 1701 unter diesem Titel) zu der Erkennt¬
Torheit“. In ihr läßt er „Stultitia“, die nis, daß die Vernunft dem Menschen
Torheit selbst, auftreten, die sich zu¬ bewiesen habe, daß der Glaube an Gott
nächst lange über die These verbreitet, notwendig sei. Das durch den Glauben
wie sehr die Torheit das Lob aller ver¬ erlangte Wissen von der Existenz Gottes
dient, bevor sie dann die Menschlich¬ muß aber durch die aus dem Gefühl
keit und das natürliche Selbstgefühl kommende Liebe zu Gott gestützt wer¬
preist und anhebt zur heftigen Kritik an den, denn „das Herz hat seine Gründe,
Adel, Kaufleuten und kriegführenden die die Vernunft nicht kennt“. Dieses
Fürsten, an Mönchen und Professoren, Paradoxon wird dann als „Logik des
287
Lohn Teil I
Herzens“ bezeichnet. - Wenn man sich Laster walten frei.“ - Bezogen auf Si¬
in einer bestimmten Situation nach der tuationen, in denen sich die Stimmung
Stimme seines Herzens richtet, sich nur lockert, Ängstlichkeiten und Hemmun¬
vom Gefühl leiten läßt, dann sagt man gen verschwinden, man sich über die
auch heute noch - oft allerdings mit Schranken der Vernunft hinwegsetzt,
leichter Selbstironie daß man der wird das Zitat heute gebraucht.
Logik seines Herzens folgt.
Lost Generation
Lohn der Angst
Bei diesem Ausdruck handelt es sich um
Dieser Ausdruck geht auf den Filmtitel eine von der amerikanischen Schriftstel¬
Le salaire de la peur zurück (Regie:
lerin Gertrude Stein (1874-1946) ge¬
Henri-Georges Clouzot; 1951/52), in prägte Bezeichnung für eine Gruppe
der deutschen Version von 1953 wört¬
junger, durch das Erlebnis des Ersten
lich übersetzt mit „Lohn der Angst“. In
Weltkriegs desillusionierter und pessi¬
dem französischen Film geht es darum,
mistisch gestimmter amerikanischer
daß vier Männer für eine gute Bezah¬
Schriftsteller der zwanziger Jahre. Er-
lung den Transport von Nitroglyzerin
nest Hemingway greift den Ausdruck im
übernehmen und dabei ihr Leben ein-
Motto der Erstausgabe seines Romans
setzen. Mit „Lohn der Angst“ wird in
„A Farewell to Arms“ auf (1929; deut¬
der Soldatensprache scherzhaft auch
scher Titel „In einem anderen Land“):
der Wehrsold oder eine Gefahrenzulage
We are all a lost generation („Wir sind
für Fallschirmspringer und Flieger be¬
alle eine verlorene Generation“). Als
zeichnet.
Bezeichnung für die junge amerikani¬
sche und europäische Generation nach
tJede Arbeit ist ihres Lohnes wert
dem Ersten Weltkrieg wurde „Lost Ge¬
Der Lord läßt sich entschuldigen, neration“ auch durch eine gleichnamige
soziologisch-literaturhistorische Unter¬
er ist zu Schiff nach Frankreich
suchung von Malcolm Cowley aus dem
Wenn jemand für einen andern nicht er¬ Jahr 1931 bekannt.
reichbar ist, sich verleugnen läßt oder
sich heimlich entfernt hat, dann werden
Es löst der Mensch nicht, was der
diese Worte (meist als scherzhafter
Himmel bindet
Kommentar) zitiert. Sie stammen aus
dem Trauerspiel „Maria Stuart“ von Der Vers stammt aus Schillers Trauer¬
Schiller. Mit diesen Worten endet das spiel „Die Braut von Messina“ (1803).
Drama, und durch sie erfährt Elisabeth, Er kommt aus dem Mund von Don Ma¬
die Königin von England, daß nach der nuel, der mit diesen Worten seinem Bru¬
Hinrichtung Maria Stuarts nun auch der der Don Cesar beipflichtet, als dieser
letzte ihrer Vertrauten und Berater, ihr sich zu seiner Liebe bekennt. Beide ah¬
Günstling Lord Leicester, sie verlassen nen nicht, daß es die Schwester ist, die
hat. sie in Beatrice, der Unbekannten, lie¬
ben. - Das Zitat spricht als Faktum aus,
T Das ist das Los des Schönen auf was im Matthäusevangelium (19,6) als
der Erde Forderung formuliert ist: „Was nun
Gott zusammengefügt hat, das soll der
Es lösen sich alle Bande frommer Mensch nicht scheiden.“
Scheu
Das Zitat aus Schillers „Lied von der Love-Story
Glocke“ (1799) steht in einem Abschnitt Der Ausdruck „Love-Story“ für „[senti¬
des Gedichts, der auf die Französische mentale, leidenschaftliche] Liebesge¬
Revolution anspielt. Es heißt dort: schichte“, nach englisch love story, hat
„Nichts Heiliges ist mehr, es lösen/Sich sich nach dem großen Erfolg des (1969
alle Bande frommer Scheu ;/Der Gute gedrehten) amerikanischen Films „Love
räumt den Platz dem Bösen,/Und alle Story“ im Deutschen eingebürgert. Der
288
Teil I lustige
t Wir spinnen Luftgespinste und Lust und Liebe sind die Fittiche zu
suchen viele Künste großen Taten
Mit diesen Worten versucht Pylades im
Ein Lügner muß ein gutes Ge¬ 1. Auftritt des 2. Aufzugs von Goethes
dächtnis haben Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ den
Das sentenzhafte Zitat geht wohl auf ei¬ Freund Orest aufzumuntern. Auf Orest
ne Stelle aus dem Lustspiel „Le Men- lastet schwer der Fluch des Muttermor¬
teur“ (IV, 5) von Pierre Corneille des, der ihm alle Unbeschwertheit und
(1606-1684) zurück: II faut bonne allen Tatendrang genommen hat. Mit
memoire apres qu’on a menti („Man muß diesem Zitat bringt man heute zum Aus¬
ein gutes Gedächtnis haben, nachdem druck, daß nur dann ein Handeln mit
man gelogen hat“). Eine frühere Formu¬ Erfolg abgeschlossen werden kann, eine
lierung gibt es bei dem römischen Rhe¬ wirklich „große Tat“ wird, wenn die
tor Quintilian (um 35-um 96). In der entsprechende Motivation gegeben ist.
„Institutio oratoria“ IV, 2,91 heißt es:
Mendacem memorem esse oportet („Der Lust zu fabulieren
Lügner muß sich gut erinnern können“). t Vom Vater hab ich die Statur
Das Zitat spielt darauf an, daß jemand,
der lügt, sich häufig später in Wider¬ Die lustige Witwe
sprüche verwickelt, weil ihm seine frü¬ Die Operette „Die lustige Witwe“ nach
heren falschen Behauptungen nicht einem Lustspiel des französischen Dra¬
mehr gegenwärtig sind. Dadurch verrät matikers Henri Meilhac (1831-1897),
sich der Lügner mit schlechtem Ge¬ die 1905 uraufgeführt wurde, machte ih¬
dächtnis meist selbst. ren Komponisten Franz Lehar (1870 bis
1948) mit einem Schlag berühmt. Die
TNur die Lumpe sind bescheiden Operette mit ihrer Geschichte um die
289
7 Duden 12
Lützows Teil I
junge, steinreiche Witwe Hanna Glawa- 294) beginnt mit den Worten: „Mach
ri und den lebenslustigen Grafen Danilo End’, o Herr, mach Ende/mit aller uns¬
Danilowitsch ist auch bis heute eine der rer Not“. Das Lied stammt von dem
bekanntesten und meistgespielten ge¬ evangelischen Theologen und Kirchen¬
blieben. Ihr Titel hat sich verselbstän¬ lieddichter Paul Gerhardt (1607-1676),
digt und wurde zu einer scherzhaften dessen Schaffen den Höhepunkt der
Bezeichnung für eine Frau, der man au¬ evangelischen Kirchenlieddichtung
genzwinkernd nachsagt, daß sie die neu¬ nach Luther bildete. Die Anfangsworte
gewonnene Unabhängigkeit nach dem der Strophe werden zitiert, wenn man -
Tod ihres Mannes mit einer gewissen gleichsam mit einem Stoßseufzer - aus-
Freizügigkeit zu nutzen weiß. drücken will, daß man das Ende einer
langen Rede oder den längst fälligen
T Das ist Lützows wilde, verwegene Abschluß einer Sache herbeisehnt.
Jagd
Mach mal Pause!
Luxus der eigenen Meinung Die allgemein gebräuchliche Aufforde¬
Mit diesem Ausdruck wird in leicht iro¬ rung wurde seit Mitte der 50er Jahre als
nischer Weise der Tatbestand umschrie¬ Werbespruch für Coca-Cola so bekannt
ben, daß sich jemand eine eigene, unab¬ und verfestigt, daß diese Formulierung
hängige Meinung leistet. Der Ausdruck inzwischen Zitatcharakter erhalten hat.
wird dem Reichskanzler Otto von Bis¬ Man verwendet den Spruch nicht nur'
marck (1815-1898) zugeschrieben. In als Aufforderung an den Angesproche¬
verschiedenen Reden hat sich Bismarck nen, sich irgendeine Form der Erholung
ganz ähnlicher Formulierungen bedient, zu gönnen, sondern auch ironisch, um
wobei er den Personen, die sich den Lu¬ jemandes Redefluß zu unterbrechen.
xus erlaubten, „eine Meinung streng für
sich“ zu haben und sie öffentlich zu ver¬ t Ja, mach nur einen Plan
treten, eher kritisch gegenüberstand.
Machen wir’s den Schwalben
nach, bau’n wir uns ein Nest
Die beiden Verse bilden den Anfang ei¬
nes bekannten Walzerliedes aus Emme¬
rich Kalmans (1882-1953) Operette
290
Teil I Macht
(auch in der englischen Form) gelegent¬ dem Lukasevangelium, wo Jesus bei sei¬
lich scherzhaft als Aufforderung ver¬ ner Gefangennahme zu den Soldaten
wendet, etwas zu wiederholen, womit sagt: „... aber dies ist eure Stunde und
man schon einmal erfolgreich war oder die Macht der Finsternis“ (Lukas
bei anderen Beifall gefunden hat. 22,53).
291
7*
Macht Teil I
292
Teil I man
293
man Teil I
294
Teil I manche
Man sieht nur die im Lichte Thoas auf Iphigenies Worte, mit denen
t Die im Dunkeln sieht man nicht sie seinem Werben ausweicht. Das Zitat
weist daraufhin, daß man oft viele Wor¬
te macht, um nur seine Ablehnung nicht
Man sieht nur mit dem Herzen gut offen auszusprechen, und daß auch die
Diese Erkenntnis findet sich in dem wortreiche Einkleidung mit vielen Er¬
Märchen „Der kleine Prinz“ des franzö¬ klärungen und Begründungen nichts
sischen Schriftstellers Antoine de Saint- daran ändert, daß der andere in erster
Exupery (1900-1944; französischer Ti¬ Linie die Ablehnung wahrnimmt (und
tel „Le petit prince“; deutsch 1950). Ein entsprechend gekränkt oder enttäuscht
Fuchs übermittelt sie dem kleinen Prin¬ ist).
zen, der von einem fernen Planeten auf
die Erde gekommen ist. Der Autor setzt
Man spricht vom vielen Trinken
mit diesem Bild der rationalen Sehweise
stets, doch nie vom vielen Durste!
der Erwachsenen die unvoreingenom¬
mene Sehweise des Kindes entgegen, Die beiden Verszeilen, mit denen je¬
das mit dem Gefühl das Wesen der Din¬ mand seinen von anderen als übermäßig
ge erfaßt, ohne sich dabei von äußeren empfundenen Alkoholkonsum ent¬
Erscheinungen beirren zu lassen. Denn: schuldigen kann, stammen aus dem Ge¬
„Man sieht nur mit den Augen des Her¬ dicht „Die drei Dörfer“ aus Viktor von
zens gut. Das Wesentliche ist für die Scheffels (1826-1886) „Liedern vom
Augen unsichtbar“ (französisch: On ne Rodenstein“ in der Gedichtsammlung
voit bien qu' avec le coeur. L’essentiel est „Gaudeamus, Lieder aus dem Engeren
invisible pour les yeux; Kapitel XXI). und Weiteren“.
Man soll die Stimmen wägen und tAch, man will auch hier schon
wieder nicht so wie die Geistlich¬
nicht zählen
keit!!
Das Zitat, mit dem der Sinn der bloßen
Stimmenmehrheit angezweifelt wird,
steht in Schillers Dramenfragment „De¬ Manche meinen, lechts und rinks
metrius“ (I). In der Szene „Der Reichs¬ kann man nicht velwechsern
tag zu Krakau“ entgegnet Fürst Sapieha Dies sind die ersten drei Zeilen von
auf die Mitteilung, der falsche Demetri¬ Ernst Jandls Gedicht „lichtung“, das in
us sei mit Stimmenmehrheit als legiti¬ dem 1966 erschienenen Band experi¬
mer Zar anerkannt worden: „Man soll menteller Gedichte mit dem Titel „Laut
die Stimmen wägen und nicht zäh- und Luise“ veröffentlicht wurde. Die
len;/Der Staat muß untergehn, früh vierte und letzte Zeile lautet: „werch ein
oder spät,/Wo Mehrheit siegt und Un¬ illtum!“ Das Zitat wird (auch in der kür¬
verstand entscheidet.“ Etwas gemäßig¬ zeren Form „Lechts und rinks kann man
ter formuliert Georg Christoph Lichten¬ nicht velwechsern“) als scherzhafter
berg 1777 in den „Vermischten Schrif¬ oder ironischer Kommentar gebraucht,
ten“ (Bd. 2) als bedauernde Feststel¬ wenn jemandem eine Verwechslung un¬
lung, „daß wir so oft die Stimmen nur terläuft und er dies nicht gleich bemerkt
zählen. Wo man sie wägen kann, soll oder nicht wahrhaben will.
man es nie versäumen“. Der Gedanke
selbst findet sich bereits in der Antike
Manche mögen’s heiß
bei Cicero und Plinius dem Jüngeren.
So lautet der deutsche Titel der ameri¬
kanischen Filmkomödie Some like it hot
Man spricht vergebens viel, um zu von Billy Wilder aus dem Jahre 1959 mit
versagen; der andre hört von allem Marilyn Monroe, Tony Curtis und Jack
nur das Nein Lemmon in den Hauptrollen. Er wird
Dies ist in Goethes „Iphigenie auf Tau¬ häufig zitiert, um anzudeuten, daß je¬
ris“ (1,3) die Entgegnung des Königs mand heikle, konfliktgeladene Situatio-
295
Mann Teil I
296
Teil I Männer
297
Männer Teil I
Die Männer sind alle Verbrecher TSie sehen den Marmor nicht
Das so beginnende bekannte Lied
Marmor, Stein und Eisen bricht
stammt aus der 1913 entstandenen Ber¬
liner Posse „Wie einst im Mai“. Das Dies ist der Titel und die erste Zeile des
Textbuch schrieben Rudolf Bernauer Refrains eines sehr erfolgreichen, 1965
und Rudolph Schanzer, die Musik Wal¬ von Drafi Deutscher, Christian Bruhn
ter Kollo und Willy Bredschneider. Der und Günter Loose geschriebenen Schla¬
vollständige Text des Liedes lautet: gers, der mit den Zeilen „Weine nicht,
„Die Männer sind alle Verbrecher,/Ihr wenn der Regen fällt,/Es gibt einen, der
Herz ist ein finsteres Loch,/Hat tausend zu dir hält“ beginnt. Das scherzhaft ver¬
verschied’ne Gemächer,/Aber lieb, aber wendete Zitat kann auf etwas, was man
lieb sind sie doch.“ - Der Vers wird für unverbrüchlich hält, auf unerschüt¬
scherzhaft von Frauen zitiert, wenn sie terliche Treue oder Standhaftigkeit be¬
pauschal männliches Verhalten kritisie¬ zogen werden.
ren wollen.
Mars regiert die Stunde
Das Trauerspiel „Wallensteins Tod“
T O diese Männer
von Schiller beginnt (1,1) mit einem
Dialog zwischen Wallenstein und sei¬
t Bei Männern, welche Liebe füh¬ nem Astrologen Seni, der damit be¬
len schäftigt ist, die Sterne zu beobachten.
Wallenstein sagt darin zu Seni: „Laß es
Männerstolz vor Königsthronen gut sein, Seni. Komm herab./Der Tag
bricht an, und Mars regiert die Stunde.“
Dem t Verdienste seine Kronen
Der stemengläubige Wallenstein zögert
in seinem Handeln. Er möchte warten,
t Wenn der Mantel fällt, muß der bis eine glückhaftere Sternenkonstellati-
Herzog nach on sich einstellt, bei der die „Segensster¬
ne“ Jupiter und Venus „den verderbli¬
Manus manum lavat chen, den tück’schen Mars in ihrer Mit¬
te“ haben und seinen Einfluß mildern. -
Eine t Hand wäscht die andere
Mit dem Zitat umschreibt man Krieg
oder drohenden Krieg.
Ein Märchen aus alten Zeiten
Das Zitat - oft mit der Variante „aus Den Marschallstab im Tornister
uralten Zeiten“ - ist die dritte Zeile aus tragen
dem zweiten Gedicht des Abschnitts Diese Redewendung mit der Bedeutung
„Die Heimkehr“ in Heinrich Heines „die Möglichkeit haben, noch sehr viel
(1797-1856) „Buch der Lieder“: „Ich im Leben zu erreichen“ geht auf einen
weiß nicht, was soll es bedeuten,/Daß französischen Ausspruch aus der napo-
ich so traurig bin;/Ein Märchen aus al¬ leonischen Zeit zurück. Häufig wird
ten Zeiten,/Das kommt mir nicht aus er Napoleon Bonaparte (1769-1821)
dem Sinn.“ Mit dem Märchen ist in dem selbst zugeschrieben. Die früheste gesi¬
durch Friedrich Silchers Vertonung cherte Quelle ist eine Ansprache Lud¬
(1838) volkstümlich gewordenen Ge¬ wigs XVIII. vor der Ecole des Saint-Cyr
dicht die Sage von der Loreley gemeint. am 8. 8. 1819. Darin sagte der König:
Clemens Brentano hatte in seiner Balla¬ Rappelez-vous qu’il n’est aucun de vous
de „Lore Lay“ (1799) die rheinische Sa¬ qui n’ait dans sa gibeme le bäton de ma-
gengestalt erfunden, die vom Rheinfel¬ rechal („Denkt daran, daß keiner unter
sen aus die Schiffer ins Verderben euch ist, der nicht den Marschallstab in
lockt. - Losgelöst von diesem Zusam¬ seiner Patronentasche hat“). Populär
menhang kommentiert man mit dem Zi¬ wurde der Ausspruch im Deutschen in
tat jemandes Worte, denen man keinen der Form: „Jeder Soldat trägt den Mar¬
Glauben schenken will. schallstab im Tornister.“
298
Teil I Maul
299
Maultier Teil I
300
Teil I mein
301
mein Teil I
302
Teil I mein
303
mein Teil I
Begegnung von Faust und Gretchen. Meine Stunde ist noch nicht ge¬
Mephisto hatte Faust am Ende der vor¬ kommen
ausgehenden Flexenküchenszene ange¬ Bei der „Hochzeit zu Kana“, von der
kündigt: „Du sollst das Muster aller das Johannesevangelium berichtet, wird
Frauen/Nun bald leibhaftig vor dir Jesus von seiner Mutter darauf auf¬
sehn.“ Faust, vom Anblick Gretchens merksam gemacht, daß dem Gastgeber
entzückt, spricht sie mit folgenden Wor¬ der Wein ausgegangen ist. Die Antwort
ten an: „Mein schönes Fräulein, darf Jesu lautet zunächst (Kapitel 2, Vers 4):
ich wagen/Meinen Arm und Geleit Ihr „Weib, was habe ich mit dir zu schaf¬
anzutragen?“ - Das Zitat und auch sein fen? Meine Stunde ist noch nicht ge¬
erster Teil allein (oft leicht abgewandelt kommen.“ Danach erst macht sich Jesus
zu „Schönes Fräulein, darf ich’s wa¬ daran, sein „erstes Zeichen“ zu tun, in¬
gen?“) kann als scherzhafte Floskel bei dem er Wasser in Wein verwandelt. Der
verschiedenen Gelegenheiten verwen¬
erste, sehr hart klingende Teil der Ant¬
det werden. Die Worte können das
wort Jesu an seine Mutter wird heute ge¬
Überreichen eines kleinen Geschenks,
legentlich als eine Art scherzhafter Zu¬
einer Blume o.ä. an eine junge Frau
rückweisung verwendet. Der zweite Teil
oder ein Mädchen begleiten, sie können
wird öfter zitiert oder auch in freierer
als Aufforderung zum Tanz oder beim
Verwendungsweise gebraucht, um da¬
Anbieten einer Hilfeleistung ausgespro¬
mit anzudeuten, daß bestimmte Bedin¬
chen werden.
gungen erfüllt sein müssen, ein be¬
stimmter Zeitpunkt abzuwarten ist, bis
Mein Verstand steht still
man mit etwas (in möglichst wirkungs¬
Wenn wir umgangssprachlich von je¬ voller Weise) beginnen kann.
mandem sagen, ihm stehe der Verstand
still, so meinen wir damit, daß etwas für Meinerseits möcht’ ich’s damit
ihn völlig unbegreiflich ist. Eine ähn¬ halten
liche Ausdrucksweise begegnet uns in
t Unverständlich sind mir die Alten
Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Ka¬
bale und Liebe“ (III,2), wo der Hofmar¬
Meines Lebens schönster Traum
schall von Kalb auf die Mitteilung des
Präsidenten von Walter, sein Sohn wolle
hängt an diesem Apfelbaum
sie beide „ans Messer liefern“, entgeg¬ T All mein Hoffen, all mein Sehnen
net: „Mein Verstand steht still.“ Und
schon in Christian Fürchtegott Gellerts t Verachtet mir die Meister nicht
(1715-1769) Weihnachtslied „Dies ist
der Tag, den Gott gemacht“ Findet sich Auf des Meisters Worte schwören
in der 3. Strophe die Formulierung: TJurare in verba magistri
„Wenn ich dies Wunder fassen will,/So
steht mein Geist in Ehrfurcht still.“ T O du zertrümmert Meisterstück
der Schöpfung
Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist
schwer Menetekel
Wenn jemand voll innerer Unruhe ist, Ein geheimnisvolles Anzeichen eines
Sorgen und trübe Gedanken ihn be¬ drohenden Unheils, ein ernster Warnruf
drängen, dann charakterisieren diese vor einem drohenden Unglück wird
Worte treffend seine Stimmungslage. nach einer Stelle in der Bibel als „Mene¬
Gretchen spricht sie im 1. Teil von Goe¬ tekel“ bezeichnet. Beim Propheten Da¬
thes Faust (Gretchens Stube) in der er¬ niel wird im 5. Kapitel die Geschichte
sten, vierten und achten Strophe ihres des babylonischen Königs Belsazar er¬
liedartigen Monologs, in welchem sie zählt, der sich „wider den Herrn des
im Selbstgespräch ihren Seelenzustand Himmels erhoben“ hatte. Bei einem Ge¬
nach der Begegnung mit Faust be¬ lage erschien dem König eine Schrift an
schreibt. der Wand, es waren „Finger wie einer
304
Teil I Mensch
305
Mensch Teil I
t Denn ich bin ein Mensch gewe¬ TUnd wenn der Mensch in seiner
sen, und das heißt ein Kämpfer Qual verstummt, gab mir ein Gott
sein zu sagen, was ich leide
t Was ist der Mensch? Halb Tier, Der Mensch ist aber ein Gott, so¬
halb Engel bald er Mensch ist. Und ist er ein
Gott, so ist er schön
Das Zitat mit der zunächst etwas wider¬
t Jeder Mensch hat seinen Preis
sprüchlich klingenden Aussage wird
von jemandem gebraucht, der ausdrük-
T Hier bin ich Mensch, hier darf ken will, daß es dem Menschen aufgege¬
ich’s sein ben ist, ein richtiger Mensch erst zu wer¬
den, und daß er stets bestrebt sein sollte,
dieses Ziel zu erreichen. Es handelt sich
Der Mensch im Futteral
dabei um ein Zitat aus dem Briefroman
Das Zitat ist der Titel einer Erzählung „Hyperion“ (Bd. 1, 2. Buch, letzter
von Anton Tschechow (1860-1904; rus¬ Brief) von Friedrich Hölderlin (1770 bis
sisch; tschelowek w futljare). Die Titel¬ 1843), in dem der Dichter das Hauptthe¬
figur ist ein Griechischlehrer, der, inner¬ ma seines gesamten Dichtens, nämlich
lich völlig unfrei und allem Neuen ab¬ die Berufung zum prophetischen Dich¬
hold, nur nach obrigkeitlichen Verboten tertum, erstmals in umfassender Weise
und Anordnungen lebt und auch seine
darstellt. Das Zitat steht im Zusammen¬
Umgebung in entsprechende „Futtera¬ hang einer Reflexion über die Kultur
le“ zu zwängen versucht. Dementspre¬
des alten Athen und ist insbesondere
chend wird das Zitat verwendet, um ei¬
vor diesem Hintergrund zu verstehen.
nen übervorsichtigen, engstirnigen und
Dem Menschen als einem Wesen, das
(durch eigene Schuld) von Zwang und
nur im Augenblick lebt, bleibt es ver¬
Unfreiheit beherrschten Menschenty¬
sagt, sein eigentliches Ziel zu erreichen,
pus zu charakterisieren.
nämlich das Einssein mit der Natur,
„mit allem, was lebt“, die Teilnahme am
Ein Mensch in seinem Wider¬ Leben der Gottheit. Nur die Schönheit
spruch als Lebensprinzip im Sinne des bei den
Griechen vorgebildeten Ideals vermag
Zur Kennzeichnung der Komplexität
es, diese Diskrepanz aufzulösen. Der
und Vielschichtigkeit einer Persönlich¬
Brief, der das Zitat enthält, endet
keit verwendet man diese Formulierung,
schließlich mit den hoffnungsfrohen
die dem 26. Gedicht „Homo sum“ aus
Worten Hyperions im Anblick der
dem Zyklus „Huttens letzte Tage“ von
Trümmer Athens: „Es wird nur eine
Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)
Schönheit sein; und Menschheit und
entlehnt ist. Huttens Monolog schließt
Natur wird sich vereinen in eine allum¬
dort mit den Zeilen, die der Dichter dem
fassende Gottheit.“
Buch seit der 3. Auflage auch als Motto
voranstellte: „Das heißt: ich bin kein
ausgeklügelt Buch,/Ich bin ein Mensch Der Mensch ist das Maß aller Din¬
mit seinem Widerspruch.“ Der Huma¬ ge
nist und Publizist Ulrich Reichsritter Dieser von dem griechischen Philoso¬
von Hutten (1488-1523) zog sich nach phen Platon (427-347 v. Chr.) an ver¬
dem Scheitern seiner Pläne für ein star¬ schiedenen Stellen - unter anderen in
kes, auf die Reichsritterschaft gestütztes seinem Dialog „Theaitetos“ - überlie¬
Kaisertum vor der Verfolgung auf die ferte sogenannte Homo-mensura-Satz
Insel Ufenau im Zürichsee zurück. In stammt von dem zu den Sophisten gehö¬
Meyers Gedicht läßt er sein bewegtes renden griechischen Philosophen Prot-
Leben an seinem inneren Auge vorüber¬ agoras (um 481-411 v.Chr.). Er fand
ziehen. sich in dessen verlorener Schrift mit
306
Teil I Mensch
dem Titel „Die Wahrheit“. Bei Platon der Befreiung des Menschen aus seinem
äußert sich Sokrates in dem genannten jetzigen beklagenswert unvollkomme¬
Dialog über Protagoras in folgender nen Zustand. Im einzelnen wird dieses
Weise: „Denn irgendwo sagt er, der Thema dann im späteren Kapitel „Vom
Mensch sei das Maß aller Dinge, der höheren Menschen“ weiter ausgeführt,
seienden, daß sie sind, der nichtseien- wo es zu Beginn des Abschnitts 3 heißt:
den, daß sie nicht sind“. Man verwendet „Die Sorglichen fragen heute: ,Wie
das Zitat heute entweder negativ zur bleibt der Mensch erhalten?' Zarathu¬
Charakterisierung menschlicher Hybris stra aber fragt als der einzige und erste:
oder seltener auch positiv als Forde¬ ,Wie wird der Mensch überwunden?' -
rung, sich bei politischen und gesell¬ Der Übermensch liegt mir am Herzen,
schaftlichen Entscheidungen an den der ist mein erstes und einziges - und
wirklichen Bedürfnissen des Menschen nicht der Mensch: nicht der Nächste,
zu orientieren. nicht der Ärmste, nicht der Leidendste,
nicht der Beste. -“
t Jeder Mensch ist ein Abgrund
Der Mensch ist frei geboren und
Der Mensch ist ein auf Hoffnung doch überall in Ketten
gestelltes Wesen t Der Mensch ist frei geschaffen
t Noch am Grabe pflanzt er die Hoff¬
nung auf Der Mensch ist frei geschaffen
Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht
Der Mensch ist ein Gewohnheits¬ „Die Worte des Glaubens“ (1797). Von
tier den in dem Gedicht angesprochenen
Wenn man ausdrücken will, daß der „drei Worten des Glaubens“ lautet das
Mensch sich nicht so ohne weiteres von erste: „Der Mensch ist frei geschaffen,
seinen Gewohnheiten lösen kann, sich ist frei,/Und würd’ er in Ketten gebo¬
in manchen Situationen von ihnen zu ei¬ ren.“ Schiller postuliert hier, daß die
nem unpassenden Verhalten, einer fal¬ menschliche Freiheit nicht von äußeren
schen Reaktion verleiten läßt, so ge¬ Umständen abhängt. Der Mensch ist
braucht man sehr häufig diese sprich¬ auch „in Ketten“ frei, weil die Freiheit
wörtliche Redensart. Sie soll in der von ein innerer Zustand ist, der den Men¬
Gustav Freytag (1816-1895) und ande¬ schen über die äußeren Verhältnisse
ren geleiteten Wochenschrift „Die und auch über seine Triebnatur trium¬
Grenzboten, Zeitschrift für Politik, Lite¬ phieren läßt. (Vergleiche auch „Die Tu¬
ratur und Kunst“, Leipzig 1847, als gend, sie ist kein leerer Schall“.) Die
witzige Sentenz erstmals aufgeführt Worte Schillers stellen eine Abwand¬
worden sein. lung dessen dar, was Jean-Jacques
Rousseau (1712-1778) in seiner 1762 er¬
Der Mensch ist etwas, das über¬ schienenen Schrift „Du contrat social
ou principes du droit politique“ entwik-
wunden werden soll
kelt hatte. Diese Schrift beginnt mit den
Dieser Ausspruch, gelegentlich zitiert,
Worten: „Der Mensch ist frei geboren
wenn vom Menschen mit all seinen Feh¬ und doch überall in Ketten“ (franzö¬
lern und Unzulänglichkeiten die Rede
sisch: L’homme est ne libre, et partout il
ist, stammt von Friedrich Nietzsche
est dans les fers).
(1844-1900). ln der philosophischen
Dichtung „Also sprach Zarathustra“
Der Mensch ist nicht geboren, frei
stehen diese Worte (im vierten Teil am
Ende des Kapitels „Der häßliche
zu sein
Mensch“) in einem Zusammenhang, in Der Ausspruch wird meist zitiert, wenn
dem Nietzsche von der Notwendigkeit von den Zwängen die Rede ist, denen
einer Höherentwicklung des Menschen der Mensch im Leben unterworfen ist,
zu einem idealeren Wesen spricht, von von den Bindungen und Verpflichtun-
307
Mensch Teil I
gen, die er als soziales Wesen eingehen cher Form bereits im 5. Buch Moses
muß. Das Zitat stammt aus dem Schau¬ (8,3), sie beziehen sich also auf diese
spiel „Torquato Tasso“ von Goethe, in Stelle im Alten Testament. Man verwen¬
dem das problematische Verhältnis des det das Zitat heute, wenn man darauf
Dichters zur Gesellschaft behandelt hinweisen will, daß es für den Men¬
wird. Im Dialog mit der Prinzessin Leo- schen über das Materielle hinaus noch
nore von Este (II, 1) spricht der Dichter andere, wichtige Dinge gibt.
Tasso die Worte: „Der Mensch ist nicht
geboren, frei zu sein,/Und für den Edlen t Kein Mensch muß müssen
ist kein schöner Glück,/Als einem Für¬
sten, den er ehrt, zu dienen.“ Es klingt t Als Mensch und Christ
hier das Thema der Abhängigkeit des
Dichters vom politischen Mäzen an, das Mensch unter Menschen sein
mit bestimmend ist für die problemati¬ Diese Redewendung findet sich in dem
schen Zuspitzungen im weiteren Hand¬ kurzen Stück „Semele“ von Schiller aus
lungsverlauf des Dramas. dem Jahr 1782. Es handelt von Zeus’
(Jupiters) Liebe zu Semele, einer Prin¬
Der Mensch ist von Natur ein ge¬ zessin von Theben. Die eifersüchtige Ju¬
selliges Wesen no hat Semele in Gestalt ihrer alten Am¬
T Zoon politikon me Beroe aufgesucht und ihr Zweifel an
der wahren Identität des schönen Jüng¬
lings eingepflanzt, in dessen Gestalt sich
Der Mensch ist, was er ißt
Zeus ihr genähert hatte. Um Zeus auf
Mit diesen Worten kündigte der Philo¬ die Probe zu stellen, fragt Semele, Junos
soph Ludwig Feuerbach (1804-1872) in verderblichem Rat folgend, ob er sie als
den „Blättern für literarische Unterhal¬ Gott überhaupt lieben könne. Zeus ent¬
tung“ Jakob Moleschotts „Lehre der gegnet, daß er auf ihren Wunsch seine
Nahrungsmittel für das Volk“ (Erlan¬ Gottheit ablegen und sterblich werden
gen 1850) an. Gegen Mißinterpretatio¬ würde. Er bekräftigt dies mit den Wor¬
nen versuchte er sich durch Herausgabe ten: „Apollo selbst gestand, es sei Ent¬
der Schrift „Das Geheimnis des Opfers zücken,/Mensch unter Menschen sein -
oder Der Mensch ist, was er ißt“ zu ein Wink von dir - ich bin’s!“ Sie aber
schützen, wo der Mensch auf Grund sei¬ verlangt, daß er sie in seiner göttlichen
ner irdischen Nahrung als Sterblicher Gestalt lieben soll, und besiegelt damit
eingestuft wird. Die heute noch vertrete¬ ihr Verderben. - Man gebraucht die Re¬
ne Anschauung von der Wichtigkeit der dewendung etwa in der Bedeutung „sich
gewählten Nahrung formulierte schon an einem Ort keinen Zwängen ausge¬
der Gastronom Jean-Anthelme Brillat- setzt fühlen“.
Savarin (1756-1826) am Anfang seiner
„Physiologie du goüt“: Dis-moi ce que tu Der Mensch versuche die Götter
manges, je te dirai ce que tu es („Sage nicht
mir, was du ißt, und ich sage dir, was du
bist“). Als eine Art beschwörende Formel bei
gefährlichen Experimenten, halsbreche¬
rischen Unternehmungen o.ä. wird die¬
Der Mensch lebt nicht vom Brot
ses Zitat meist gebraucht. Es stammt aus
allein
Schillers Ballade „Der Taucher“ und
Das Zitat geht auf die Bibel zurück. Im gehört zu den Worten, mit denen der
Matthäusevangelium 4,4 spricht Jesus Taucher zu erzählen beginnt, welche
zu Satan, dem Versucher, der ihn veran¬ Schrecknisse ihm in der Tiefe des Mee¬
lassen will, Steine in Brot zu verwan¬ res begegnet sind, in die er nach dem
deln, die Worte: „Der Mensch lebt nicht Becher des Königs getaucht ist: „Da un¬
vom Brot allein, sondern von einem jeg¬ ten aber ist’s fürchterlich,/Und der
lichen Wort, das durch den Mund Got¬ Mensch versuche die Götter nicht/Und
tes geht.“ Diese Worte stehen in ähnli¬ begehre nimmer und nimmer zu schau-
308
Teil I Menschen
en,/Was sie gnädig bedecken mit Nacht mordung Wallensteins durch den Ober¬
und Grauen.“ sten Buttler - beklagt, daß diese unwi¬
derrufliche Tat zu rasch erfolgt sei. Er
Mensch, werde wesentlich! hält Buttler vor: „Mußt’ es so rasch ge¬
Von dem schlesischen Mystiker Angelus horcht sein? Konntest du/Dem Gnädi¬
Silesius (1624-1677) stammt die Samm¬ gen nicht Zeit zur Gnade gönnen?/Des
lung „Geistliche Sinn- und Schlußrei¬ Menschen Engel ist die Zeit - die ra¬
me“ mit dem Titel „Der cherubinische sche/Vollstreckung an das Urteil anzu¬
Wandersmann“. Sie umkreist in Epi¬ heften,/Ziemt nur dem unveränderli¬
grammen das mystische Verhältnis von chen Gott.“
Gott und menschlicher Seele. Im zwei¬
ten Buch des „Cherubinischen Wan¬ Des Menschen Hörigkeit
dersmanns“ findet man den Sinnspruch Unter diesem Titel wurde 1939 die erste
„Mensch, werde wesentlich! Denn deutsche Übersetzung von William So¬
wann die Welt vergeht,/So fällt der Zu¬ merset Maughams Roman Of Human
fall weg, das Wesen, das besteht“. Für Bondage (erschienen 1915) veröffent¬
den Mystiker ist damit die Wendung licht. In dem mit autobiographischen
nach innen gemeint, die Abkehr von der Elementen durchsetzten Werk wird die
zerstreuenden Außenwelt. - Der ex¬ Gebundenheit und Unfreiheit des Men¬
pressionistische Dichter Ernst Stadler schen auf Grund seiner Illusionen und
(1883-1914) griff dieses Epigramm in seiner triebhaften Affekte dargestellt.
seinem Gedicht „Der Spruch“ auf: „In Der Titel spielt auf Spinozas „Ethik“
einem alten Buche stieß ich auf ein an, deren vierter Teil von der „menschli¬
Wort,/Das traf mich wie ein Schlag und chen Knechtschaft“ handelt. - Man ver¬
brennt durch meine Tage fort:/Und wendet das Zitat auch heute mit Bezug
wenn ich mich an trübe Lust verge¬ auf die Schwäche des Menschen, seine
be,/Schein, Lug und Spiel zu mir anstatt Abhängigkeit von seinen Wunschvor¬
des Wesens hebe,/Wenn ich gefällig stellungen und Trieben.
mich mit raschem Sinn belüge,/... Wenn
mich willkommner Traum mit Sammet¬ Menschen im Hotel
händen streicht,/Und Tag und Wirk¬ Dem Drehbuch zu dem berühmt gewor¬
lichkeit von mir entweicht,/Der Welt denen amerikanischen Film aus dem
entfremdet, fremd dem tiefsten Jahr 1932 liegt der 1929 erschienene
Ich,/Dann steht das Wort mir auf: gleichnamige Roman der österreichi¬
Mensch, werde wesentlich!“ Das Zitat schen Schriftstellerin Vicki Baum zu¬
wird heute eher als scherzhaft-saloppe grunde. (Der amerikanische Titel des
Aufforderung gebraucht, zur Sache zu Films ist: „Grandhotel“.) Die Hauptrol¬
kommen, nicht zu weitschweifig zu sein. le in der ersten Verfilmung spielte Greta
Garbo. Eine deutsch-französische Neu¬
Des Menschen Engel ist die Zeit verfilmung erlebte der Stoff 1959. - Der
Dieser Ausspruch wird gelegentlich Titel kann gelegentlich als Metapher für
noch verwendet, wenn man jemanden Menschen gebraucht werden, die bezie¬
darauf hinweisen will, daß es notwendig hungslos nebeneinanderher leben.
ist, sich besonders vor wichtigen Ent¬
scheidungen Zeit zu lassen, nichts zu t Alle Menschen werden Brüder
überstürzen. Er dient aber auch als Hin¬
weis darauf, daß schlimmen Ereignissen
Menschen wie du und ich
im Dahingehen der Zeit ihr Schrecken So lautet die Überschrift einer regelmä¬
genommen wird. Es handelt sich dabei ßig in der Zeitschrift „Das Beste aus
um ein Zitat aus Schillers Drama „Wal¬ Reader’s Digest“ erscheinenden Ru¬
lenstein“. Es sind Worte des General¬ brik. - Mit dieser (auch in der Form
lieutenants Oktavio Piccolomini aus „Ein Mensch wie du und ich“ gebräuch¬
„Wallensteins Tod“ (V, 11), der - ob¬ lichen) Formulierung bezeichnet man
wohl selbst nicht unschuldig an der Er¬ Menschen, die man - meist trotz ihrer
309
Menschenköpfen Teil I
310
Teil I Milchmädchenrechnung
311
Milljöh Teil I
1803). Mit seinen in belehrender Ab¬ Mir fällt zu Hitler nichts ein
sicht geschriebenen Fabeln suchte er er¬ TZu Hitler fällt mir nichts ein
zieherisch zu wirken. Sein Gedicht „Die
Milchfrau“ geht auf die Fabel „La lai- Mir grauet vor der Götter Neide
tiere et le pot au lait“ von Jean de La
T Du hast der Götter Gunst erfahren!
Fontaine zurück. Darin rechnet sich ei¬
ne Milchverkäuferin aus, was sie alles Mir wird von alledem so dumm, als
mit dem Erlös für ihre Milch machen
ging mir ein Mühlrad im Kopf her¬
könnte. In ihrer Freude beginnt sie zu
um
hüpfen, wobei sie die Milch verschüttet,
so daß all ihre Träume zerrinnen. - Als In der zweiten Studierzimmerszene im
„Milchmädchenrechnung“ bezeichnet 1. Teil von Goethes Faust findet ein Ge¬
man daher eine Berechnung oder pla¬ spräch zwischen einem Schüler und Me¬
nende Überlegung, die auf Trugschlüs¬ phisto in der Maske Fausts statt. Mephi¬
sen beruht, einer realen Grundlage ent¬ sto erteilt dem unwissenden Neuling auf
behrt. seine Weise Rat, indem er den Wissen¬
schaftsbetrieb gründlich verspottet. Der
t Mein Milljöh Schüler, verwirrt von Mephistos Reden,
resigniert mit der Feststellung: „Mir
Dem Mimen flicht die Nachwelt wird von alledem so dumm,/Als ging
keine Kränze mir ein Mühlrad im Kopf herum.“ -
An den agierenden Schauspieler sind Man gebraucht das Zitat scherzhaft, um
diese mahnenden Worte in Schillers zu erkennen zu geben, daß man etwas
„Prolog zu Wallensteins Lager“ gerich¬ nicht recht versteht oder daß einem
tet (gesprochen bei der Wiedereröff¬ etwas zuviel wird.
nung der Schaubühne in Weimar 1798).
Mit Blindheit geschlagen sein
Im Augenblick seines Auftretens muß er
alles geben, nur so kann er als darstel¬ Die Redewendung - auch in der Form
lender Künstler „ein lebend Denkmal „wie mit Blindheit geschlagen sein“ -
sich erbaun“. Sein Lorbeerkranz ist das findet sich bereits im Alten Testament.
positive Echo der „Mitwelt“, nicht das Hier wird an verschiedenen Stellen
Lob der „Nachwelt“ (siehe auch „Denn, (1. Moses 19,11; 5. Moses 28,28 f.;
wer den Besten seiner Zeit genug getan, 2. Könige 6,18) davon berichtet, daß
der hat gelebt für alle Zeiten“). Menschen von Jahwe mit Blindheit ge¬
schlagen werden, d. h., daß sie vorüber¬
M inister fallen wie Butterbrote: gehend ihr Augenlicht verlieren. - Für
gewöhnlich auf die gute Seite uns hat die Redewendung die Bedeu¬
tung „etwas Wichtiges nicht sehen oder
Das Zitat stammt aus einer Aphoris¬
erkennen, wie blind für etwas sein“.
mensammlung von Ludwig Börne
(1786-1837). Es bezieht sich auf das jid¬
Mit dem Bezahlen wird man das
dische Sprichwort „Butterbrot fällt ufs
meiste Geld los
Ponim“ (= aufs Gesicht), das man im
Sinne von „wenn man schon Pech hat, In den „Aphorismen und Reimen“ Wil¬
dann gleich richtig“ interpretieren helm Büschs (1832-1908) finden wir
kann - wenn das Butterbrot zu Boden diese zwar triviale Erkenntnis, die aber
fällt, dann auch meist noch mit der ge¬ ihre Gültigkeit niemals verloren hat.
butterten Seite nach unten, so daß man
es nicht mehr essen kann. Börnes Apho¬ Mit dem Blute meines eigenen
rismus verändert diesen Aspekt und be¬ Herzens geschrieben
hauptet, daß der Sturz eines Ministers Diese Worte finden sich bei Goethe in
keine schlimmen Konsequenzen für ihn „Dichtung und Wahrheit“ in bezug auf
hat, sondern meist durch einen guten seinen 1774 erschienenen Briefroman
neuen Posten oder eine andere wirt¬ „Die Leiden des jungen Werthers“.
schaftliche Absicherung gemildert wird. Goethe hatte den „Weither“ im An-
312
Teil I mit
313
mit Teil I
314
Teil I mit
„Isthmischen Spielen“ in Korinth einen zwei Dingen den Vorzug vor der bzw.
einsamen Wald, „Poseidons Fichten¬ dem anderen zu geben.
hain“, betritt (wo er dann kurz danach
von zwei Mördern überfallen und getö¬ Mit Gott für König und Vaterland
tet wird). Die Stelle lautet: „Und in Po¬ Am 17. 3. 1813 erließ der preußische
seidons Fichtenhain/Tritt er mit from¬ König Friedrich Wilhelm III. den Auf¬
mem Schauder ein.“ ruf „An mein Volk“, mit dem er sich -
nach langem Zögern - an die Spitze der
Mit fünf Mark sind Sie dabei patriotischen, gegen Napoleon gerichte¬
Seit 1960 wirbt die Fernsehlotterie „Ein ten Strömung im Volke setzte. Er Unter¬
Platz an der Sonne“ mit diesem Slogan, zeichnete dann auch die von General
der in der Zwischenzeit zum geflügelten Scharnhorst entworfene Verordnung
Wort wurde. Man verwendet es heute über die Organisation der Landwehr, in
scherzhaft in den verschiedensten Zu¬ der es hieß: „Jeder Landwehrmann wird
sammenhängen, in denen man jeman¬ als solcher durch ein Kreuz von weißem
den für etwas interessieren oder zu et¬ Blech mit der Inschrift ,mit Gott für Kö¬
was überreden möchte. nig und Vaterland' bezeichnet, welches
vorn an der Mütze angeheftet wird.“
Schon unter Friedrich I., König in Preu¬
Mit Getöse, schrecklich groß
ßen seit 1701, trugen die Fahnen ver¬
Lehrer Lämpels Pfeife, von Max und schiedener von ihm aufgestellter Land¬
Moritz - in Wilhelm Büschs gleichna¬ milizen die lateinische Aufschrift Pro
miger Bildergeschichte (erschienen deo, rege etpatria „Für Gott, König und
1865) - mit Schießpulver gestopft, ex¬ Vaterland“.
plodiert „mit Getöse, schrecklich
groß“. - Einen Vorgang begleitendes Mit Hangen und Bangen
„Getöse“ verschiedenster Art läßt sich Diese Fügung mit der Bedeutung „mit
scherzhaft mit diesem Vers aus dem großer Angst, voller Sorge, Sehnsucht“
„Vierten Streich“ der bekannten „Bu¬ lautet ursprünglich „mit Langen und
bengeschichte“ kommentieren. Bangen“, wobei unter dem Verb „lan¬
gen“ ein „verlangen, ersehnen“ zu ver¬
Mit gleicher Liebe lieb’ ich meine stehen ist. Die Formulierung geht auf ei¬
Kinder! ne Stelle in einem Gedicht von Goethe
Dieses Zitat stammt aus Schillers Ge¬ zurück, dem Lied Klärchens aus dem
dicht „Resignation“ von 1784. Darin be¬ Trauerspiel „Egmont“ (III, Klärchens
klagt sich ein verstorbener Dichter bei Wohnung; vergleiche auch den Artikel
der Ewigkeit darüber, daß sein Leben „Glücklich allein ist die Seele, die
nur aus unerfüllter Hoffnung bestanden liebt“). Die Passage lautet: „Langen/
habe, daß aller Verzicht auf irdische Und bangen/ln schwebender Pein ..."
Freuden ihm nicht gelohnt wurde. Der Das mehrfach vertonte Lied ist beson¬
Genius der Ewigkeit antwortet ihm, daß ders durch die Bühnenmusik Beetho¬
es dem Menschen beschieden sei, sich vens zum „Egmont“ bekannt geworden.
zwischen Hoffnung und Genuß zu ent¬ Im Text zu dieser Musik ist aus „lan¬
scheiden - habe er das eine gewählt, gen“ bereits „hangen“ geworden. Diese
könne ihm das andere nicht mehr be¬ Form hat sich dann allgemein durchge¬
schieden sein: „Mit gleicher Liebe lieb’ setzt.
ich meine Kinder!“ heißt es in der 16.
Strophe, und die 17. beginnt mit den
Mit heißem Bemühn
Zeilen „Wer dieser Blumen eine brach, Dieser Ausdruck im Sinne von „sehr en¬
begehre/Die andre Schwester nicht!“ - gagiert, leidenschaftlich, unter Aufbie¬
Mit dem Zitat kann man mit einem ge¬ tung aller Kräfte“ stammt aus Goethes
wissen Pathos oder scherzhaft zum Aus¬ Faust (I. Teil, „Nacht“). Über sich selbst
druck bringen, daß man es ablehnt, ei¬ reflektierend, beginnt Faust seinen in¬
ner von zwei Personen oder einem von neren Monolog mit den Worten: „Habe
315
mit Teil I
Mit Mädeln sich vertragen, mit Mit Schirm, Charme und Melone
Männern rumgeschlagen und mehr Dies war der deutsche Titel einer engli¬
Kredit als Geld, so kommt man schen Fernsehserie (Originaltitel: „The
durch die Welt Avengers“ [= „Die Rächer“]), die in
Der Vierzeiler stammt aus einem weni¬ den sechziger Jahren vom deutschen
ger bekannten Singspiel Goethes, der Fernsehen ausgestrahlt wurde und die
„Claudine von Villa Bella“ (1776, zwei¬ sich großer Beliebtheit erfreute. Die bei¬
te Fassung 1788). Im ersten Aufzug singt den Hauptdarsteller, Diana Rigg und
Rugantino, eine der beiden männlichen Patrick McNee, hatten als Agenten Fäl¬
Hauptfiguren des Stücks, mit einer le ungewöhnlicher Art aufzuklären. Der
Schar Vagabunden ein Lied über das, männliche Hauptdarsteller trat dabei
was sein jüngerer Bruder „ein töricht als Gentleman mit Schirm und Melone
Leben“ nennt, über das Vagabundenle¬ auf. - Der Titel der Serie wird scherz¬
ben. Die erste Strophe dieses Liedes haft zitiert, wenn man (besonders briti¬
wird gelegentlich zitiert, um einen sehr sche) Eleganz, gepaart mit charmantem,
lockeren, unseriösen Lebensstil ironisch gewinnendem Auftreten, charakterisie¬
zu charakterisieren. ren will.
Mit Mann und Roß und Wagen, so Mit sehenden Augen nicht sehen
hat sie Gott geschlagen t Augen haben und nicht sehen; Ohren
Dies sind die Anfangszeilen eines Lie¬ haben und nicht hören
des, das der Berliner Ernst Ferdinand
August (1795-1870) nach der Niederla¬ Mit seinem Pfund wuchern
ge Napoleons in seinem Rußlandfeld¬ Die Redewendung leitet sich her aus
zug verfaßt haben und das zuerst in Ri¬ dem Gleichnis von den anvertrauten
ga 1813 erschienen sein soll. - Das Zitat, Pfunden im Lukasevangelium des Neu¬
das auch in der Variante „... hat sie der en Testaments (Kapitel 19, 12-28), wo
Herr geschlagen“ verwendet wird, kom¬ es darauf ankommt, daß die Knechte
mentiert eine vollständige Niederlage, mit dem ihnen von ihrem Herrn jeweils
die jemandem oder einer Gruppe in anvertrauten Pfund wuchern. Mit
einem bestimmten Zusammenhang be- „Pfund“ ist hier eine Münzwertsumme
schieden war. gemeint, „wuchern“ bedeutet „Gewinn
erzielen“ ohne negative Bewertung. Un¬
Mit scharfem Blick, nach Kenner¬ ter den anvertrauten Pfunden versteht
weise, seh’ ich zunächst mal nach man in der Redewendung jemandes Ta¬
dem Preise lente, Begabungen, Fähigkeiten. Die in
Diese beiden Verse stammen aus dem diesem Zusammenhang ebenfalls übli¬
ersten Kapitel von Wilhelm Büschs Bil¬ che gegensätzliche Ausdrucksweise
dergeschichte „Maler Klecksel“ aus „sein Pfund vergraben“ geht auf das
dem Jahr 1884. Busch verspottet darin entsprechende Gleichnis im Matthäus¬
den Kunstbetrieb seiner Zeit und die evangelium (Kapitel 25, 14-30) zurück,
darin agierenden Figuren. Die Verse des wo einer der Knechte seinen Zentner
Zitats sind auf die Kunstwerke und ih¬ Silber vergräbt, statt ihn Zinsen bringen
ren Wert bezogen, der mit ihrem Preis zu lassen.
auf merkwürdige Weise korrespondiert,
denn, so fährt die Textstelle fort „bei ge¬ Mit unsrer Macht ist nichts getan
nauerer Betrachtung steigt mit dem Mit diesen Worten beginnt die zweite
Preise auch die Achtung“ (siehe auch Strophe des Kirchenliedes „Ein feste
316
Teil I mitten
Burg ist unser Gott“ von Martin Luther „Behagen“ charakteristischer ist als
(1483-1546), das besonders am Refor¬ Verstand oder das Streben nach Er¬
mationsfest gesungen wird. Das Zitat kenntnis.
wird als Hinweis auf die engen Grenzen
des Menschen verwendet, auf seine Mit Windmühlen kämpfen
Ohnmacht gegenüber den höheren Die Redewendung mit der Bedeutung
Mächten, die sein Leben bestimmen. „einen aussichtslosen Kampf führen“
geht auf den Roman des spanischen
Mit verhärtetem Gemüte
Dichters Miguel de Cervantes Saavedra
Wenn jemand keine Rücksicht auf an¬ (1547- 1616) mit dem Titel „El ingenio-
dere und ihre Gefühle nimmt, sich hart¬ so hidalgo Don Quixote de la Mancha“
herzig, mitleidslos und undankbar zeigt, (deutsch: „Der sinnreiche Junker Don
so handelt er „mit verhärtetem Gemü¬ Quijote von la Mancha“) zurück. Cer¬
te“. Das Zitat stammt aus Christian vantes erzählt darin die Abenteuer sei¬
Fürchtegott Gellerts (1715-69) Lied nes tragikomischen Helden, der nach
„Die Güte Gottes“, das mit den Versen der Lektüre von allzu vielen Ritterroma¬
beginnt: „Wie groß ist des Allmächt’gen nen dem Wahn erliegt, für die Ideale des
Güte!/Ist der ein Mensch, den sie nicht überlebten Rittertums streiten zu müs¬
rührt?/Der mit verhärtetem Gemüte/ sen. So führt er im 8. Kapitel einen gro¬
Den Dank erstickt, der ihm gebührt?“ tesken Kampf gegen Windmühlen, die
er für feindliche Ritter ansieht.
Mit Verlaub, ich bin so frei
Mit diesem Busch-Zitat versucht man Mit Worten läßt sich trefflich strei¬
scherzhaft zu entschuldigen, daß man ten
ohne Aufforderung etwas tut oder
In der zweiten Studierzimmerszene im
nimmt. In Wilhelm Büschs (1832-1908)
ersten Teil von Goethes Faust äußert
„Knopp-Trilogie“, 1. Teil „Abenteuer
Mephisto (der hier für Faust gehalten
eines Junggesellen“, Abschnitt „Ab¬
wird) gegenüber dem unbedarften Schü¬
schreckendes Beispiel“ begegnet der Ti¬
ler: „Mit Worten läßt sich trefflich strei-
telheld einem Klausner, der gleich nach
ten,/Mit Worten ein System berei¬
Knopps „Wanderflasche“ greift und ten,/An Worte läßt sich trefflich glau¬
sich mit dem Kehrreim „Mir ist alles
ben,/Von einem Wort läßt sich kein Jota
einerlei./Mit Verlaub, ich bin so frei“ rauben.“ - Man verwendet das Zitat,
großzügig daraus bedient, während er um einen belanglosen Disput zu charak¬
im übrigen seiner Weltverachtung Aus¬ terisieren, der sich nur im Theoretischen
druck gibt. bewegt, bei dem nur leeres Wortgeklin¬
gel produziert wird. (Vergleiche auch
Mit wenig Witz und viel Behagen
„Denn eben, wo Begriffe fehlen, da
Diese Worte fallen in der Szene „Auer¬ stellt ein Wort zur rechten Zeit sich
bachs Keller“ im ersten Teil von Goe¬ ein“.)
thes Faust. Mephisto hat den seines Le¬
bens müden Faust aus seinem Studier¬ Mit zween Herrn ist schlecht zu
zimmer in die ganz andere Umgebung kramen
entführt. Er kommentiert dies in folgen¬
t Niemand kann zwei Herren dienen
der Weise: „Ich muß dich nun vor allen
Dingen/In lustige Gesellschaft brin¬
Mitten im Leben sind wir vom Tod
gen,/Damit du siehst, wie leicht sich’s
leben läßt./Dem Volke wird hier jeder umfangen
Tag ein Fest./Mit wenig Witz und viel Dies ist die leicht abgewandelte erste
Behagen/Dreht jeder sich im engen Zir¬ Zeile des alten Kirchenliedes „Mitten in
keltanz,/Wie junge Katzen mit dem dem Leben“. Im Lied lautet der Text
Schwanz.“ - In dem Zitat ist mit weni¬ „Mitten in dem Leben sind wir vom Tod
gen Worten die Atmosphäre der klein¬ umfangen“, in älterer Version . mit
bürgerlichen Welt eingefangen, für die dem Tod umfangen“. Es geht wohl zu-
317
mitten Teil I
rück auf die lateinische Sequenz „Me¬ Mögen hätt’ ich schon wollen,
dia vita“ des mittelalterlichen Dichters aber dürfen hab’ ich mich nicht ge¬
Notker Balbulus (Notker „der Stamm¬ traut
ler“; um 840-912). Zur deutschen Fas¬
Wer einer Versuchung aus Angst vor
sung, die schon um 1300 oder früher
Sanktionen nicht nachgegeben hat,
entstanden sein dürfte, hat Martin Lu¬
kann dies scherzhaft mit dem bekannten
ther 1524 die zweite und dritte Strophe
Karl-Valentin-Zitat zum Audruck brin¬
und eine neue Melodie geschrieben.
gen. Es stammt aus dem Stück „Das Ok¬
Das Lied fleht um den Schutz und die
toberfest“, das wahrscheinlich Ende der
Gnade Gottes und bringt die Todes¬
zwanziger Jahre in das Repertoire von
furcht und das Bewußtsein der Vergäng¬
Karl Valentin (1882-1948) und seiner
lichkeit des Menschen zum Ausdruck.
Partnerin Liesl Karlstadt aufgenommen
An letzteres erinnert auch die gelegentli¬
wurde. In dem Stück besucht ein Ehe¬
che Verwendung des Zitats als Inschrift
paar das Münchner Oktoberfest. Im
auf Grabsteinen.
Biergarten erzählt die Frau einem Tisch¬
nachbarn vom Hippodrom, in dem
Es T ist nicht gut, mitten im Strom leichtgeschürzte Reiterinnen zu sehen
die Pferde zu wechseln waren. Ihr empörter Kommentar „... de
Weibsbilder sitzen ja halbert nackert auf
t In der Mitten liegt holdes Be¬ de Gäul droben, i bin ganz rot wordn,
mein Mann hat auch nicht hinschaun
scheiden
mögn“ wird vom Ehemann mit obigen
Worten präzisiert.
Die Mitternacht zog näher schon
Dies ist der Anfang des Gedichts „Bel- Mögen sie mich hassen, wenn sie
sazer“ von Heinrich Heine (1797 bis mich nur fürchten
1856): „Die Mitternacht zog näher Dieser Ausspruch, der auf den römi¬
schon ;/In stiller Ruh’ lag Babylon.“ schen Tragödiendichter Lucius Accius
Das Gedicht handelt von dem schlim¬ (170-um 86 v. Chr.) zurückgeht, wurde
men Ende des Babylonierkönigs Belsa- von dem römischen Staatsmann und
zer und von der Flammenschrift, die an Philosophen Marcus Tullius Cicero
der Wand auftaucht, nachdem der Kö¬ (106-43 v. Chr.) überliefert und durch
nig gegen Jehova gefrevelt hat. - Man ihn zum geflügelten Wort in der Form:
verwendet das Zitat gelegentlich - ohne Oderint, dum metuant. Nach Suetons
Zusammenhang mit dem Inhalt des Ge¬ Biographie über den römischen Kaiser
dichts - in der abgewandelten Form Caligula soll dieser den Ausspruch häu¬
„die Mitternacht rückt näher schon“, fig im Munde geführt haben.
um - pathetisch oder auch scherzhaft -
darauf hinzuweisen, daß es schon spät t Ach, wie ist’s möglich dann, daß
am Abend ist.
ich dich lassen kann
318
Teil I Moorsoldaten
Verschwörung gegen den Dogen Andre¬ den Titel „Abendlied“ und ist zuerst in
as Doria, tritt im 3. Aufzug (4. Szene) Johann Heinrich Voß’ „Musenalma¬
mit diesen Worten von der Bühne ab: nach auf das Jahr 1779“ erschienen. Die
„Der Mohr hat seine Arbeit getan, der erste Strophe beginnt mit den Versen:
Mohr kann gehen.“ - Man verwendet „Der Mond ist aufgegangen,/Die gold-
das Zitat in der abgewandelten Form nen Sternlein prangen/Am Himmel hell
(„... hat seine Schuldigkeit getan“), um und klar.“ Sie werden heute noch gele¬
seiner Enttäuschung in einer Situation gentlich zitiert, um die romantische
Ausdruck zu geben, in der man für et¬ Stimmung einer stillen, klaren Mond¬
was Bestimmtes Dank erwarten konnte, nacht mit ihrem Sternenhimmel wieder¬
der einem nicht zuteil wurde. - Theodor zugeben. Manchmal wird der erste Vers
Fontane hat den zweiten Teil des Zitats allerdings auch scherzhaft - und dann
in seinem Gedicht „Die Alten und die gar nicht mehr lyrisch-stimmungsvoll -
Jungen“ verwendet. Die Schlußverse verwendet, um auf jemandes überdeut¬
dieses Gedichts lauten: „Der Mohr lich sichtbare Vollglatze anzuspielen. -
kann gehn, neu Spiel hebt an,/Sie be¬ In ähnlicher Weise wird auch die erste
herrschen die Szene, sie sind dran!“ - Hälfte der dritten Gedichtstrophe zi¬
Als scherzhafte Abwandlung ist auch tiert: „Seht ihr den Mond dort ste-
„Der Mohr hat seine Schuldigkeit ge¬ hen?/Er ist nur halb zu sehen/Und ist
tan, der Mohr kann kaum noch gehen“ doch rund und schön!“
gebräuchlich, mit der man auf die kör¬
perliche Anstrengung hinweist, die mit Mondbeglänzte Zaubernacht
einer Betätigung verbunden war. Der frühromantische Schriftsteller Lud¬
wig Tieck (1773-1853) stellte ans Ende
Einen Mohren weiß waschen wol¬ des „Der Aufzug der Romanze“ betitel¬
len ten Prologs zu seinem Lustspiel „Kaiser
Die Redewendung mit der Bedeutung Octavianus“ (1804) die Verse: „Mond¬
„Unmögliches, Widersprüchliches ver¬ beglänzte Zaubernacht,/Die den Sinn
suchen, besonders einen offensichtlich gefangen hält,/Wundervolle Märchen¬
Schuldigen durch Scheinbeweise als welt,/Steig auf in der alten Pracht!“ Mit
Unschuldigen hinstellen wollen“ hat dem von ihm geprägten Wort „Waldein¬
möglicherweise ihren Ursprung im Al¬ samkeit“ (im Kunstmärchen „Der blon¬
ten Testament, wo es im Buch des Pro¬ de Eckbert“, 1797) wurde die „mondbe¬
pheten Jeremia heißt (13,23): „Kann glänzte Zaubernacht“ zum zweiten cha¬
auch ein Mohr seine Haut wandeln oder rakteristischen Begriff für die Naturauf¬
ein Parder seine Flecken?“ Damit be¬ fassung und die symbolische Poetik der
kräftigt der Prophet, daß Gott das sün¬ Romantik. - Ludwig Uhland (1787 bis
dige Volk streng bestrafen wird, denn es 1862) griff diese Verse in seinem Ge¬
kann sich nicht einfach vom Makel des dicht „Der Romantiker und der Rezen¬
Bösen befreien. - Den gleichen Ur¬ sent“ auf und karikierte darin - unter
sprung hat wohl auch der Ausdruck Anspielung auf Gestalten aus dem
„Mohrenwäsche“, mit dem der Versuch „Octavianus“ - Tiecks Auffassung der
gemeint ist, einen offensichtlich Schul¬ Romantik.
digen durch Scheinbeweise reinzuwa¬
schen. Die Moorsoldaten
Der deutsche Schauspieler und Regis¬
Mohrenwäsche seur Wolfgang Langhoff (1901-1966)
Einen t Mohren weiß waschen wollen wurde 1933 verhaftet und ins KZ Bör¬
germoor eingeliefert. Nach seiner Ent¬
T Guter Mond, du gehst so stille lassung gelang ihm die Flucht in die
Schweiz, wo bereits 1935 ein Verlag sei¬
Der Mond ist aufgegangen nen Erlebnisbericht „Die Moorsolda¬
Das wohl bekannteste Gedicht von ten. 13 Monate Konzentrationslager“
Matthias Claudius (1740-1815) trägt veröffentlichte. Diese „Moorsoldaten“
319
Moral Teil I
t Und die Moral von der Ge¬ t Nicht der Mörder, der Ermordete
schieht’ ist schuldig
320
Teil I mors
Morgen, Kinder, wird’s was geben 1967 unter diesem Titel ins Deutsche
Mit diesen Worten beginnt ein noch übersetzt. Der gleichnamige deutsche
heute in der Vorweihnachtszeit gesun¬ Spielfilm von 1968 über das im Roman
genes Lied, dessen Text und Melodie in geschilderte heiter-komische Alltagsle¬
einer Liedersammlung vom Ende des ben einer Schriftstellerfamilie sorgte
18.Jh.s stehen. Der Liedanfang wird dann für sein rasches Bekanntwerden.
häufig zitiert, wenn auf ein unmittelbar Man zitiert den Titel (auch mit wech¬
bevorstehendes Ereignis hingewiesen selnder Uhrzeitangabe), um die frühe
werden soll. Was da auf jemanden zu¬ Morgenzeit als letzte Phase der Ruhe
kommt, muß allerdings durchaus nichts und Besinnung vor der dann hereinbre¬
Angenehmes sein, wie es der Liedtext chenden Hektik des Alltags mit all sei¬
verheißt. nen kleinen und großen Problemen zu
kennzeichnen (vergleiche auch „Wenn
süß das Mondlicht auf den Hügeln
Morgen können wir’s nicht mehr, schläft“).
darum laßt uns heute leben!
Diese Verse beschließen Schillers Ge¬
dicht „Das Siegesfest“ (1803). Man zi¬ Morituri te salutant!
tiert sie als aufmuntemden Zuruf, oft in Im 21. Kapitel seiner Biographie des
froher Runde, nicht an das Morgen zu Kaisers Claudius schreibt der römische
denken, dem Heute zu leben und den Schriftsteller Sueton (um 70-um 140),
Augenblick zu genießen. daß der Kaiser zur Volksbelustigung auf
einem See eine Seeschlacht von Gladia¬
Morgen, morgen, nur nicht heute toren ausfechten ließ. Die Kämpfer be¬
grüßten ihn vor Beginn des Schauspiels
So beginnt das Lied „Der Aufschub“,
mit den Worten A ve, imperator, morituri
das in den „Kleinen Liedern für Kin¬
te salutant! („Heil dir, Kaiser, die Tod¬
der“ des deutschen Schriftstellers Chri¬
geweihten grüßen dich!“). Als scherz¬
stian Felix Weiße (1726-1804) enthal¬
haftes Zitat wird diese Grußformel -
ten ist. Vollständig lauten die ersten bei¬
meist ohne die Anrede oder in der Ab¬
den Zeilen: „Morgen, morgen, nur nicht
wandlung Ave, Caesar, morituri te salu¬
heute 1/Sprechen immer träge Leute“.
tant - verwendet, wenn eine Gruppe
Man zitiert diese Worte (heute in der
von Menschen (zum Beispiel eine
Form „Morgen, morgen, nur nicht heu¬
Schulklasse oder eine Sportmannschaft)
te, sagen alle faulen Leute“), wenn je¬
sich einem drohenden Unheil (wie etwa
mand etwas, was eigentlich gleich getan
einer schwierigen Klassenarbeit oder
werden müßte, aus Bequemlichkeit lie¬
einem übermächtigen Gegner) gegen¬
ber später erledigen will und sich damit
übersieht.
herausredet, morgen sei ja auch noch
ein Tag.
Mors certa, hora incerta
t Ich wittre Morgenluft Diese lateinische Inschrift ist gelegent¬
lich auf Uhren, aber auch auf Grab¬
Morgenrot, leuchtest mir zum frü¬ denkmälern zu findep. Sie bedeutet
hen Tod übersetzt: „Der Tod ist gewiß, die Stun¬
TAch, wie bald schwindet Schönheit de ungewiß.“ Ihr Ursprung ist nicht
nachgewiesen. Den Gedanken, daß
und Gestalt!
zwar das Ende eines jeden Menschen
vorbestimmt, der Zeitpunkt jedoch
Morgens um sieben ist die Welt nicht vorhersehbar ist, findet sich auch
noch in Ordnung im Matthäusevangelium, wo es heißt:
Der 1965 erschienene Roman Morning’s „Darum wachet; denn ihr wisset weder
at seven des englischen Schriftstellers Tag noch Stunde, in welcher des Men¬
Eric Lawson Malpass (* 1910) wurde schen Sohn kommen wird“ (Matthäus
321
Moselfahrt Teil I
25,13). - Eine früher bei Schülern be¬ Mücken seihen und Kamele ver¬
liebte scherzhafte „Übersetzung“ des schlucken
lateinischen Spruches war: „Todsicher
Im Matthäusevangelium ruft Jesus über
geht die Uhr falsch“ (lateinisch „horae“
die Schriftgelehrten und Pharisäer aus:
[Plural] = Uhr).
„Ihr verblendeten Leiter, die ihr Mük-
ken seihet und Kamele verschluckt!“
Moselfahrt aus Liebeskummer (Matthäus 23,24). Mit der aus dieser Bi¬
Dies ist der Titel einer Erzählung mit belstelle entstandenen Wendung bringt
dem Untertitel „Novelle in einer Land¬ man tadelnd zum Ausdruck, daß es je¬
schaft“ von Rudolf G. Binding, die 1932 mand mit unbedeutenden Kleinigkeiten
veröffentlicht wurde. Darin wird eine äußerst genau nimmt, sich aber um die
junge Frau beschrieben, die den Zweck wirklich wichtigen Dinge viel zu wenig
ihrer Reise durch die Mosellandschaft kümmert.
mit den Worten „Ich fahre eigentlich -
aus Liebeskummer an die Mosel!“ er¬ Müde bin ich, geh’ zur Ruh’
läutert. Der 1953 von Kurt Hoffmann Die deutsche Lyrikerin Luise Hensel
unter dem gleichen Titel gedrehte Spiel¬ (1798-1876), eine Pfarrerstochter, die
film beruht auf Motiven aus Bindings zum Katholizismus konvertierte und
Novelle. - Das Zitat lebt vor allem in später auch ins Kloster ging, wurde be¬
scherzhaften Abwandlungen weiter (wie kannt als Dichterin gemütvoller geistli¬
zum Beispiel „Moselfahrt nicht ohne cher Gedichte und Lieder. Eine weite
Kummer“, womit in einer Zeitungs¬ Verbreitung fand ihr Abendgebet, das
überschrift auf Probleme der Mosel¬ mit dem zitierten Vers beginnt. Man ver¬
schiffahrt hingewiesen werden könnte). wendet ihn heute meist scherzhaft,
wenn man ermüdet ist und sich deshalb
t Wenn sich der Most auch ganz aus einer geselligen Runde verabschie¬
absurd gebärdet, es gibt zuletzt den will, um zu Bett zu gehen. Gelegent¬
doch noch ’nen Wein lich kommentiert man mit diesen Wor¬
ten auch das unverhohlene herzhafte
Gähnen eines anderen. - Eine scherz¬
t Was die Motten und der Rost hafte Abwandlung des Liedanfangs lau¬
nicht fressen, das holen die Diebe tet: „Müde bin ich Känguruh, decke
des Nachts meinen Bierbauch zu.“
Die Möwen sehen alle aus, als ob Der Muff von tausend Jahren
sie Emma hießen Der Ausdruck, mit dem man etwas als
Mit diesen Versen beginnt das „Möwen¬ abgestanden, verstaubt oder veraltet
lied“ von Christian Morgenstern charakterisiert, geht auf einen Slogan
(1871-1914). Es stammt aus der Ge¬ der Studentenbewegung der sechziger
dichtsammlung, der Morgenstern den Jahre zurück. Die Verhältnisse an den
Titel „Galgenlieder“ gab . Die „Galgen¬ Universitäten mit ihren autoritären
lieder“ wie die Gedichte der später fol¬ Strukturen hatten den Spottvers „Unter
genden Sammlungen „Palmström“, den Talaren Muff von tausend Jahren“
„Palma Kunkel“ und „Der Gingganz“ hervorgebracht.
sind aus der Freude an Sprachspielen
hervorgegangen. Morgenstern widmete Die Müh’ ist klein, der Spaß ist
die „Galgenlieder“ dem „Kind im Men¬ groß
schen“, von dem er sagte: „Das will Im 1. Teil von Goethes Faust führt Me¬
auch in der Kunst mit-spielen, mit¬ phisto Faust auf den Blocksberg, damit
schaffen dürfen und nicht so sehr bloß dieser hier im wilden Treiben der Wal¬
bewundernder Zuschauer sein. Denn purgisnacht Gretchen vergesse (Szene
dieses ,Kind im Menschen' ist der un¬ „Walpurgisnacht“). Dort angelangt, bit¬
sterbliche Schöpfer in ihm ..." tet Mephisto die Hexen mit folgenden
322
Teil I Münchhauseniade
Worten, ihm gefällig zu sein: „Seid aber nicht vielerlei“), die auch in der ab¬
freundlich nur um meinetwillen ;/Die gewandelten Form Non multa, sed mul¬
Müh’ ist klein, der Spaß ist groß.“ Heu¬ tum („Nicht vielerlei, sondern viel“) ge¬
te wird der 2. Vers dieses Zitats ganz all¬ bräuchlich wurde. Beide werden heute
gemein verwendet, um auszudrücken, zitiert, um allgemein auszudrücken, daß
daß es sich in einer bestimmten Angele¬ es besser ist, weniges mit der gebotenen
genheit durchaus lohnt, sich ein wenig Gründlichkeit zu tun, als vieles nur
anzustrengen, da das dadurch Erreichte oberflächlich zu behandeln. (Vergleiche
für alle Mühen entschädigt. auch „Weniger wäre mehr gewesen“.)
323
mundus Teil I
seit der 2. Hälfte des 18.Jh.s eine spe¬ mel. In Anspielung darauf, daß nicht
zielle Form der sogenannten Lügen¬ nur das Beste, Feinste erstrebenswert
dichtungen und später auch allgemein ist. Einfacheres entsprechend auch oft
unglaublich klingende Erzählungen als genügen kann, wird dieses Zitat heute in
„Münchhaus[en]iaden“. unterschiedlichen Zusammenhängen
mit wechselndem Objekt herangezogen.
Mundus vult decipi Ein Artikel über das Radwandern in
Die t Welt will betrogen sein einer Zeitschrift stand beispielsweise
unter dem Motto „Es muß nicht immer
t Und munter fördert er die Schrit¬ Auto sein“.
te
Es muß was Wunderbares sein,
Musik wird oft nicht schön gefun¬ von dir geliebt zu werden
den, weil sie stets mit Geräusch
Bei diesem Zitat aus dem 1930 in Berlin
verbunden
uraufgeführten Singspiel „Im weißen
Dies stellt Herr Knoll in der Bilderge¬ Rößl“ (Text: Robert Gilbert) handelt es
schichte „Der Maulwurf“ von Wilhelm sich um den Anfang eines Liedes, mit
Busch (1832-1908) fest (in: „Didel- dem der Zählkellner Leopold seine ihm
dum“, 1874), als ein Bettelmusikanten¬ nicht zugeneigte Chefin, die Wirtin Jo-
chor ihn mit Blasmusik bei der Maul¬ sepha Vogelhuber, umschwärmt. Der
wurfsjagd stört. Auch heute gibt es häu¬ zweite Teil des oft auch scherzhaft ge¬
fig Anlaß, diesen Vers zu zitieren, der brauchten Zitats kann auf vielfältige
auch in der Abwandlung „Musik wird Weise abgewandelt werden.
störend oft empfunden, weil sie mit Ge¬
räusch verbunden“ gebräuchlich ist.
Mut zeiget auch der Mameluck,
Es muß auch solche Käuze geben Gehorsam ist des Christen
Schmuck
Mit diesen Worten aus Goethes Tragö¬
die Faust (Teil I, Marthens Garten) ver¬ Das Zitat stammt aus Schillers Ballade
sucht Faust Gretchen die Angst vor dem „Der Kampf mit dem Drachen“, er¬
ihr unheimlichen Mephisto zu nehmen. schienen 1798 im „Musenalmanach für
Heute wird mit dem Zitat beiläufig-be- das Jahr 1799“. Mit diesen Worten rügt
schwichtigend zum Ausdruck gebracht, der Großmeister des Johanniterordens
daß, bezogen auf sonderbare, eigenbröt¬ den Ordensritter, der den Drachen auf
lerische Männer, nun einmal nicht alle der Insel Rhodos getötet, aber das Ge¬
gleich angenehm oder sympathisch sein horsamsgelübde verletzt hat, das den
können. Kampf verbietet. Man zitiert vor allem
die erste der beiden Verszeilen (auch in
Es muß doch Frühling werden der Abwandlung „Mut zeigt auch der
Mit diesem Stoßseufzer wird bei einem lahme Muck“) scherzhaft als Aufforde¬
nicht enden wollenden Winter der Hoff¬ rung an sich selbst oder andere, nicht
nung Ausdruck verliehen, daß der er¬ zaghaft zu sein, etwas zu riskieren.
sehnte Frühling sehr bald kommen
wird. Das Zitat stammt aus Emanuel Dem Mutigen hilft Gott
Geibels (1815-1884) Gedicht „Hoff¬
In der 2. Szene des 1. Auftritts von
nung“.
Schillers Schauspiel „Wilhelm Teil“
fordert mit diesen Worten Getrud Stauf¬
t Und muß ich dich so wiederfin¬
facher ihren Gatten Werner auf, ohne
den?
Rücksicht auf beider Schicksal der Ty¬
rannei der Reichsvögte Widerstand ent¬
Es muß nicht immer Kaviar sein
gegenzusetzen. Einen ähnlichen Gedan¬
Dies ist der Titel eines 1960 erschiene¬ ken enthält schon die bei den römischen
nen Romans von Johannes Mario Sim¬ Autoren Terenz (185/195-159 v. Chr.)
324
Teil I nach
und Cicero (106-43 v. Chr.) überlieferte 73). Der Satz wurde in der Form An
lateinische Sentenz Fortes fortuna adiu- Englishman’s home is his castle bald im
vat, deutsch: „Den Mutigen hilft das Englischen populär und fand vor allem
Glück.“ Auch im Deutschen findet man in der Abwandlung My home is my
diese Erkenntnis schon früh. So schreibt castle dann auch im Deutschen Verbrei¬
der Grammatiker und Schriftsteller tung. Man zitiert ihn heute, um zum
Justus Georg Schottel (1612-1676): Ausdruck zu bringen, daß alles, was in
„Mensch, hilf dir selbst, so hilfet Gott den eigenen vier Wänden geschieht, nie¬
mit.“ Und der Volksmund kennt seit manden etwas angeht und diese Privat¬
dem Mittelalter das Sprichwort: „Hilf sphäre für alle anderen tabu ist.
dir selbst, so hilft dir Gott.“
Myne Fru de Ilsebill will nich so,
t Und die Mutter blicket stumm as ik wol will
auf dem ganzen Tisch herum Dieses Zitat stammt aus dem nieder¬
deutschen Märchen „Von dem Fischer
Mutter Courage un syner Fru“ aus der Sammlung der
Der Name der Titelgestalt aus Bertolt Brüder Jakob und Wilhelm Grimm
Brechts Bühnenstück „Mutter Courage (1785-1863 bzw. 1786-1859). Ein Fi¬
und ihre Kinder“ (1939 geschrieben, scher gibt einem Butt, den er geangelt
1941 uraufgeführt) wird als Bezeich¬ hat, seine Freiheit wieder, weil dieser
nung für eine Frau verwendet, die sich vorgibt, ein verwunschener Prinz zu
trotz Niederlagen in ihrer Umgebung sein. Seine Frau bedrängt ihn daraufhin
durch ihre Vitalität und zupackende Art immer wieder, er möge von dem Butt
behauptet. Im Theaterstück, das im verlangen, dieser solle aus Dankbarkeit
Dreißigjährigen Krieg spielt, zieht die ihre von Mal zu Mal anspruchsvolleren
Marketenderin Anna Fierling, genannt Wünsche erfüllen. Gegen seine innere
Mutter Courage, durch die Kriegsgebie¬ Überzeugung geht der Fischer jedesmal
te, um Geschäfte zu machen und sich zum See und ruft den Butt mit den Wor¬
und ihren drei Kindern ein Auskommen ten: „Manntje, Manntje, Timpe Te,/
zu sichern. Durch den Krieg, an dem sie Buttje, Buttje in der See,/myne Fru de
verdient, verliert sie alle ihre Kinder. Ilsebill/will nicht so, as ik wol will.“
Heute wird das Zitat scherzhaft ge¬
TVon Mutterleib und Kindesbei¬ braucht, wenn ein Mann resignierend
nen an zum Ausdruck bringen will, daß seine
Frau einen sehr eigenen Kopf hat, und
TMit der Muttermilch eingesaugt er bestimmte Dinge nicht tun würde,
haben wenn er nicht mit ihr verheiratet wäre.
My home is my castle
Diese englische Maxime (übersetzt
„Mein Heim ist meine Burg“) geht auf
den englischen Juristen und Politiker
Sir Edward Coke (1552-1634) zurück.
Im 3. Band seiner Sammlung und In¬
terpretation alter englischer Gesetze
und Gerichtsbeschlüsse („Institutes“)
N
schrieb er, daß es einem Hausherrn sehr
wohl gestattet sein müsse, sich gegen
Nach Adam Riese
Diebe, Räuber und Angreifer zur Wehr Dieser Ausdruck bezieht sich auf den
zu setzen und zusammen mit Freunden „Rechenmeister“ Adam Ries[e] (um
und Nachbarn seinen Besitz mit Waf¬ 1492-1559), der mehrere in deutscher
fengewalt zu verteidigen, for a man’s Sprache geschriebene Lehrbücher ver¬
house is his castle („denn eines Mannes faßte, die in seiner Zeit weite Verbrei¬
Haus ist seine Burg“; 3rd Institute, cap. tung fanden. Vor diesem Hintergrund
325
nach Teil I
entstand die Redensart „nach Adam men die Worte vom „Gesetz, wonach du
Riesens Rechenbuch“, die heute in der angetreten“. Mit diesem Gesetz bezieht
verkürzten Form „nach Adam Riese“ sich Goethe auf die in den „orphischen
gebraucht wird. Sie bedeutet - in Ver¬ Lehren“ überlieferte älteste griechische
bindung mit einer Zahlenangabe - so¬ Naturanschauung und Mythologie, wo¬
viel wie „richtig gerechnet“. nach der Mensch von seiner Geburt an
unter der Einwirkung der Himmelskör¬
Nach allen Regeln der Kunst per als Person von begrenzter, unzer¬
störbarer Individualität festgelegt ist
Die Redewendung geht wahrscheinlich
und sich danach in ganz bestimmter ge¬
auf den Meistergesang zurück, in dessen
setzmäßiger Weise entwickeln muß. Die
sogenannter „Tabulatur“ die Regeln
ersten vier Zeilen der Stanze lauten:
und Konventionen der Kunst des Mei¬
„Wie an dem Tag, der dich der Welt ver-
stergesangs niedergelegt waren. Mögli¬
liehen,/Die Sonne stand zum Gruße der
cherweise ist der Ursprung der Wen¬
Planeten,/Bist alsobald und fort und
dung aber auch in einer Äußerung des
fort gediehen/Nach dem Gesetz, wo¬
Preußenkönigs Friedrich II. zu sehen.
nach du angetreten.“ Wenn heute von
Er soll während des Siebenjährigen
dem Gesetz gesprochen wird, nach dem
Krieges am Vorabend der Schlacht bei
jemand angetreten ist, so geschieht dies
Leuthen (1757) gesagt haben, er werde
oft unter ganz anderen Gesichtspunk¬
„gegen alle Regeln der Kunst“ den viel
ten. Es handelt sich dann meist um die
stärkeren Feind angreifen. - Heute wird
(selbstgesetzten) Maximen, die jeman¬
die Redewendung zum einen im Sinne
des Tun bestimmen, oder um die äuße¬
von „ganz vorschriftsmäßig; in jeder
ren Gegebenheiten, nach denen er sich
Hinsicht so, wie es sein sollte“ ge¬
richten muß.
braucht, zum andern gibt es auch eine
umgangssprachliche Verwendung mit
der Bedeutung „gründlich, gehörig“. Nach drüben ist die Aussicht uns
verrannt
Nach Canossa gehen wir nicht Die Erkenntnis, nicht über die Grenzen
Diesen Ausspruch tat Otto von Bis¬ unserer Welt hinausblicken zu können,
marck auf dem Höhepunkt des Kultur¬ klingt in Goethes Faust II weniger resi-
kampfes am 14. 5. 1872 im Deutschen gnativ. Im 5. Akt beschränkt Faust ge¬
Reichstag anläßlich der Ablehnung des genüber der Gestalt der Sorge die
Kardinals Hohenlohe als deutschen menschliche Erkenntnis und Aktivität
Botschafters durch Papst Pius IX. Er bewußt auf das Diesseits: „Nach drü¬
spielte damit auf den Büßgang Kaiser ben ist die Aussicht uns verrannt ;/Tor,
Heinrichs IV. im Jahr 1077 zu Papst wer dorthin die Augen blinzelnd rich¬
Gregor VII. an, mit dem der Kaiser die tet,/... Er stehe fest und sehe hier sich
Aufhebung des Kirchenbanns erreichen um;/Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht
wollte. Ein Gang nach Canossa oder stumm ;/Was braucht er in die Ewigkeit
nach Canossa zu gehen bedeutet, eine zu schweifen!“
tiefe Selbsterniedrigung auf sich zu neh¬
men, die einem äußerst schwerfällt, ob¬ Nach Golde drängt, am Golde
wohl sie von der Situation her gefordert
hängt doch alles
ist.
Das Zitat stammt aus Goethes Faust I
(Szene „Abend“). Margarete stellt diese
Nach dem Gesetz, wonach du an¬
Betrachtung an, als sie den von Mephi¬
getreten
sto in ihr Zimmer geschmuggelten
Unter der Überschrift „Urworte. Or- Schmuck entdeckt. In Vergils (70-19
phisch“ hat Goethe fünf Gedichte in v. Chr.) „Äneis“ (III, 57) wird schon mit
Stanzenform zusammengefaßt. Aus Auri sacra fames! die verwünschte Gold¬
dem ersten dieser Gedichte, das den Ti¬ gier beklagt. „Hat man nicht auch Gold
tel „AAIMON“ („Dämon“) trägt, stam¬ beineben ..." ist auch der Stoßseufzer in
326
Teil I Nachbarin
327
nächste Teil I
Kind - das ist zuviel für Gretchen. - sons die Pariser Julirevolution von 1830
Wer heute diese Worte zitiert, denkt ausgelöst haben soll.
wohl kaum an die Tragik dieser Situati¬
on, sondern will scherzhaft zum Aus¬ Nacht muß es sein, wo Friedlands
druck bringen, daß ihn etwas fast aus Sterne strahlen
der seelischen Fassung bringt. Auch Ab¬
Die Worte, mit denen man sich in einer
wandlungen des Zitats sind üblich, wo¬
Situation, in der sich alles gegen einen
bei die verschiedensten Gegenstände
zu verschwören scheint, halb ironisch
erbeten oder aber einem anderen ange-
Mut zusprechen kann, sagt Wallenstein,
boten werden können.
Herzog von Friedland, in Schillers Tra¬
gödie „Wallensteins Tod“ (III, 10). Als
Der nächste Winter kommt be¬
ihn fast alle Anhänger verlassen und die
stimmt meisten Regimenter dem Kaiser neu ge¬
Mit dem scherzhaften oder leicht ironi¬ huldigt haben, fühlt er sich endlich frei,
schen Satz, in dem „Winter“ auch durch weil für ihn die Notwendigkeit entschei¬
etwas anderes ersetzt werden kann, wird det: „Die Brust ist wieder frei, der Geist
eine sehr frühe Vorsorge für etwas kom¬ ist hell,/Nacht muß es sein, wo Fried¬
mentiert. Ursprünglich handelt es sich lands Sterne strahlen./Mit zögerndem
bei dem Zitat um einen Werbeslogan Entschluß .../Zog ich das Schwert, .../Da
der Firma Rheinischer Braunkohlenbri¬ es in meine Wahl noch war gegeben./
kett-Verkauf GmbH. Notwendigkeit ist da, der Zweifel
flieht,/Jetzt fecht’ ich für mein Haupt
Nacht fiel über Gotenhafen und für mein Leben.“
Bei dem Zitat handelt es sich um den Ti¬
tel eines Films von Frank Wisbar aus t Wenn es Nacht wird in Paris
dem Jahr 1959. Der Film schildert den
Untergang der mit 6000 Flüchtlingen Nachtigall, ick hör’ dir trapsen
überladenen „Wilhelm Gustloff“, die Die saloppe Redensart, mit der man
im Januar 1945 vor Gotenhafen in der kundtut, daß man jemandes Absicht
Ostsee von einem sowjetischen U-Boot merkt, könnte auf ein Lied aus der
versenkt wurde. Scherzhaft wird das Zi¬ Sammlung „Des Knaben Wunderhom“
tat verwendet, um auszudrücken, daß (herausgegeben von Achim von Arnim
etwas dem Vergessen anheimgefallen ist und Clemens Brentano 1806-1808) zu¬
oder jemanden der Schlaf übermannt rückgehen. Der berlinischen Abwand¬
hat.
lung liegt vermutlich eine volkstümliche
Kontamination (Zusammenziehung)
t In der Nacht ist der Mensch nicht aus den Anfangszeilen der ersten und
gern alleine zweiten Strophe („Nachtigall, ich hör’
dich singen“ und „Nachtigall, ich seh’
Die Nacht ist nicht allein zum dich laufen“) zugrunde.
Schlafen da
Das Zitat mit der Fortsetzung „Die Es war die Nachtigall und nicht
Nacht ist da, daß was gescheh’“ ist Titel die Lerche
und Refrain des von Gustaf Gründgens Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
vorgetragenen Schlagers, den Theo „Romeo und Julia“ (III, 5). Seit dem
Mackeben auf einen Text von O. E. Hes¬ englischen Dichter Geoffrey Chaucer
se und Fritz Beckmann für den Film (1340-1400) galt die Nachtigall als Lie-
„Tanz auf dem Vulkan“ von Hans besvogel und die Lerche als Verkünde¬
Steinhoff aus dem Jahr 1938 kompo¬ rin des Morgens. Auf dem Hintergrund
nierte. Attacken gegen die zeitgenössi¬ dieser Zuordnung sagt Julia beim Ruf
sche Diktatur im eigenen Land verbar¬ eines Vogels zu Romeo, den sie nach ge¬
gen sich hinter der Maske des Schau¬ meinsamer Nacht noch nicht gehen las¬
spielers Debureau, der mit seinen Chan¬ sen will: It was the nightingale, and not
328
Teil I Name
the lark,/That pierced the fear-full hollow den Niederlanden) „ins Reich über¬
of thine ear („Es war die Nachtigall und führt“ und ohne jede Mitteilung hinge¬
nicht die Lerche,/Die eben jetzt dein richtet oder in Konzentrationslager ein¬
banges Ohr durchdrang“). Wenn man gewiesen wurden. Der Ausdruck Nacht-
heute in unterschiedlichen Situationen und-Nebel-Aktion spielt auf die Heim¬
zum Ausdruck bringen möchte, daß die lichkeit einer Aktion an, bei der meist
Zeit nicht drängt, positive Signale wahr¬ bestimmte Vorschriften oder Gesetze
genommen werden und Schlimmeres umgangen werden.
sich noch nicht ankündigt, werden Juli¬
as Worte zitiert. Aber auch die Umkeh¬ Nackt unter Wölfen
rung des Satzes „Die Lerche war’s und Die Formulierung, mit der sich ähnlich
nicht die Nachtigall“ hat - wohl in wie mit der Redewendung „Unter die
Anlehnung an den Anfangsvers des Wölfe geraten sein“ eine Situation des
Gedichts „Morgenruf' von Georg Ausgeliefertseins bezeichnen läßt, ist
Herwegh (1817 bis 1875) - Verbreitung der Titel eines Romans von Bruno Apitz
gefunden. (1900- 1979). Darin werden die dramati¬
schen Ereignisse gegen Ende des Krie¬
Das Nachtlager von Granada ges im Konzentrationslager Buchen¬
Der Titel der Oper „Das Nachtlager in wald geschildert, als ein Waisenkind aus
Granada“ von Konradin Kreutzer Auschwitz im Koffer eines Juden ins
(1780-1849) mit dem Text von Karl Jo¬ Lager geschmuggelt und von den Häft¬
hann Braun, Ritter von Braunthal, nach lingen unter Todesgefahren als Symbol
Friedrich Kinds gleichnamigem Schau¬ ihrer Widerstandskraft verborgen gehal¬
spiel lieferte den scherzhaften, leicht ab¬ ten wird.
gewandelten Ausdruck für ein improvi¬
siertes Nachtlager. Auch eine malerisch Die nackte Wahrheit
hingelagerte Personengruppe wird gele¬ Der Ausdruck, mit dem man gern eine
gentlich so bezeichnet. In der Oper ist wahrheitsgemäße Schilderung bekräf¬
damit ein Maurenschloß gemeint, in tigt, geht wohl auf den römischen Dich¬
dem ein als fremder Jäger auftretender ter Horaz (65-8 v. Chr.) zurück. In einer
Prinzregent ein Nachtlager erhält, von seiner Oden (1,24, 5-8) heißt es in der
feindlichen Hirten bedroht, aber durch Totenklage um den ihm befreundeten
ein Hirtenmädchen gerettet wird. Dichter Quintilius Varus: Cui Pudor et
Iustitiae soror./Incorrupta Fides, nuda-
Nachts, wenn der Teufel kam que Veritas/Quando ullum inveniet pa-
Das Zitat, mit dem sich der von nächtli¬ rem? („Wann wird je die Züchtigkeit
cher Bedrohung ausgelöste Schauer und die Schwester der Gerechtigkeit,
ausdrücken läßt, ist der Titel eines Kri¬ die unverbrüchliche Treue, und die
minalfilms von Robert Siodmak aus nackte Wahrheit irgendeinen ihm Glei¬
dem Jahr 1957. Darin bringt der auf An¬ chen finden?“)
ordnung vertuschte Fall eines geistesge¬
störten Massenmörders im Dritten tlhr naht euch wieder, schwan¬
Reich den zuständigen Kriminalkom¬ kende Gestalten
missar in Schwierigkeiten mit der SS.
t Jetzt aber naht sich das Malheur
Nacht-und-Nebel-Erlaß
Der nationalsozialistische Ausdruck,
Name ist Schall und Rauch
der heute noch in „Nacht-und-Nebel- Diese Redensart stammt aus Goethes
Aktion“ anklingt, bezieht sich auf einen Faust I (Marthens Garten). Auf Marga¬
Erlaß des Oberkommandos der Wehr¬ retes Frage „Nun sag, wie hast du’s mit
macht vom 12. 12. 1941, nach dem auf der Religion?“ gipfelt Fausts pantheisti-
Hitlers Weisung vom 7. 12. 1941 Wider¬ sches Glaubensbekenntnis in dem Satz
standskämpfer in besetzten Gebieten „Gefühl ist alles ;/Name ist Schall und
(besonders in Frankreich, Belgien und Rauch,/Umnebelnd Himmelsglut.“ -
329
Teil I
nannten
Man betont mit dem Zitat, daß ein Na¬ Navigare necesse est
me allein noch nichts über eine Person t Seefahrt ist not
oder Sache aussagt, daß Namen ver¬
gänglich sind. Gelegentlich überdeckt Ne bis in idem
man damit auch scherzhaft, daß man
Die Maxime des Strafprozeßrechts,
selbst oder ein anderer einen Namen
nach der niemand wegen derselben Tat
oder eine genaue Bezeichnung im Ge¬
mehrmals verurteilt werden darf, ist in
spräch nicht parat hat.
dieser kurzen Form - in wörtlicher
Übersetzung „nicht zweimal in dersel¬
t Sie nannten ihn ... ben Sache“ - nicht aus der Antike über¬
liefert, obwohl sie im römischen wie im
Der Narben lacht, wer Wunden attischen Recht Gültigkeit hatte. Bei
dem attischen Rhetor und Staatsmann
nie gefühlt
Demosthenes (384-322 v. Chr.) heißt es
Das Zitat - im Original: He jests at in der „Rede gegen Leptines“ (§147):
scars, that neverfeit a wound („Er spottet „Die Gesetze lassen es nicht zu, daß
über Narben, der nie eine Wunde fühl¬ zweimal gegen denselben über dasselbe
te“) - beleuchtet das Unverständnis für
ein gerichtliches Verfahren oder sonst
die Leiden anderer auf Grund mangeln¬
eine Untersuchung eingeleitet wird.“
der Erfahrung. In Shakespeares Tragö¬
Über den juristischen Fachbereich hin¬
die „Romeo und Julia“ (II, 2) wird diese
aus wird das Zitat gelegentlich auch an¬
Lebensweisheit dem jungen Liebhaber
gewendet, um jemanden oder sich selbst
Romeo in den Mund gelegt, als Entgeg¬
in irgendeiner Sache vor unnötiger Wie¬
nung auf die Bespöttelung durch seine
derholung zu warnen.
Freunde Benvolio und Mercutio in der
vorausgehenden Szene.
Neckermann macht’s möglich
Der Werbeslogan, mit dem das Ver¬
Narr in Christo sandhausunternehmen Neckermann
So kann man einen weltfremden, christ¬ viele Jahre geworben hat, wurde im Jahr
lichen Idealisten in Anspielung auf den 1960 geprägt. Er wurde bald zum geflü¬
Titel des Romans „Der Narr in Christo gelten Wort, das man scherzhaft-kom-
Emanuel Quint“ von Gerhart Haupt¬ mentierend verwendet, um seinem Er¬
mann (1862-1946) nennen. In mysti¬ staunen über das Gelingen von etwas
schen Wahnvorstellungen erlebt die Ro¬ Ausdruck zu geben. Der Slogan wird
mangestalt eines Bußpredigers ihre Ver¬ heute auch in vielfachen Abwandlungen
einigung mit Christus. Der Romantitel gebraucht, wobei „... macht’s möglich“
knüpft seinerseits an eine Stelle im Neu¬ mit jeweils anderen Namen oder Begrif¬
en Testament an. Im 1. Brief an die Ko¬ fen verbunden wird.
rinther (4,10) vergleicht Paulus sich und
den Apostel Apollos mit den überhebli¬ Nehm’n Se ’n Alten
chen Korinthern: „Wir sind Narren um
Diese scherzhaft-ironische Empfeh¬
Christi willen, ihr aber seid klug in Chri¬
lung, einen älteren Herrn als Ehepartner
sto; wir schwach, ihr aber stark; ihr
zu wählen, entstammt einem Couplet
herrlich, wir aber verachtet.“
des Kabarettisten Otto Reutter (1870 bis
1931). Das Lied beginnt mit der Fest¬
t Und ein Narr wartet auf Antwort stellung „Die Statistik zeigt’s dem Ken¬
nen/’s gibt mehr Frauen als wie Män¬
t Denn die Natur läßt sich nicht ner.“ Folglich kann nicht jede Frau ei¬
nen schönen jungen Mann bekommen;
zwingen
die in folgenden aufgeführten „Vortei¬
le“ älterer Männer lassen dies als gar
t Denn das Naturell der Frauen ist nicht so schlimm erscheinen. So heißt es
so nah mit Kunst verwandt z. B. am Ende des Couplets: „Nehm’n
330
Teil I Nibelungentreue
331
nicht Teil I
332
Teil I nicht
Nicht immer, aber immer öfter Verbot der Bestattung ihres Bruders, des
Diese Worte wurden durch die Wer¬ Staatsfeindes Polyneikes.
bung für ein alkoholfreies Bier der Mar¬
Nicht nur zur Sommerzeit
ke Clausthaler in jüngerer Zeit beson¬
ders gebräuchlich. Man verwendet sie In einem der bekanntesten Weihnachts¬
scherzhaft, um auf eine Entwicklung lieder, dem Lied „O Tannenbaum“,
hinzuweisen, durch die sich etwas heißt es in der 1. Strophe: „Du grünst
(meist etwas Positives) langsam, aber si¬ nicht nur zur Sommerzeit,/Nein, auch
cher etabliert. In der leicht abgewan¬ im Winter, wenn es schneit.“ Verfasser
delten Form „Nicht immer, aber bitte der Verse ist Ernst Anschütz (1780 bis
immer öfter“ kann man dem Wunsch 1861), der die erste Strophe wohl (mit
Ausdruck verleihen, daß etwas allmäh¬ geringfügigen Veränderungen) von ei¬
lich zur Regel, zur Gewohnheit werden nem anderen Tannenbaumlied, verfaßt
möge. von August Zarnack (1777-1827), über¬
nommen hat. Letzteres ist aber kein
Weihnachtslied, sondern es geht darin
Nicht loben werd’ ich’s, doch ich
um eine untreue Geliebte. Zarnack hatte
kann’s verzeihn für seine Dichtung alte Volksliedele¬
Wenn man jemandem zu verstehen ge¬ mente verwendet. - Die zeitliche Anga¬
ben will, daß man mit etwas zwar nicht be „nicht nur zur Sommerzeit“ hat sich
einverstanden ist, aber ein gewisses Ver¬ als Zitat verselbständigt und wird meist
ständnis dafür aufbringen kann, oder scherzhaft verwendet, wenn jemand
auch, daß man in etwas einwilligt, was ausdrücken will, daß bestimmte Dinge
man eigentlich nicht billigen kann, dann nicht an eine bestimmte Zeit gebunden
mag man auf dieses Zitat zurückgreifen. sein müssen, auch außerhalb der übli¬
Es stammt aus Schillers Trilogie „Wal¬ chen Saison stattfinden können. Hein¬
lenstein“ („Wallensteins Tod“, 11,2). Es rich Böll hat das Zitat dem Titel einer
sind Worte des Max Piccolomini, der Erzählung zugrunde gelegt, wobei er die
Wallenstein davor warnt, sich dem Kai¬ jahreszeitliche Bestimmung änderte.
ser zu widersetzen und sich mit den Die skurrile Geschichte, in der ein
Schweden zu verbünden. Sein wider¬ Weihnachtsbaum, der das ganze Jahr
strebendes Verständnis für Wallensteins über immer wieder in Funktion treten
Handlungsweise, so äußert er sich dann muß, eine große Rolle spielt, trägt den
weiter, werde allerdings enden, wenn Titel: „Nicht nur zur Weihnachtszeit“.
Wallenstein zum Verräter werde.
Nicht Stimmenmehrheit ist des
Nicht mit Gold aufzuwiegen sein Rechtes Probe
Wenn sich jemand mit seiner Meinung
Die Redewendung im Sinne von „uner¬
bei andern nicht durchsetzen kann, sich
setzlich sein“ geht vermutlich auf eine
im Gegenteil von ihnen überstimmen
Stelle aus Plautus’ (um 250-um 184
lassen muß, so wird er gerne diesen Aus¬
v. Chr.) Komödie „Bacchides“ (Vers
spruch zitieren. Er stammt aus dem
640) zurück: Hunc hominem decet auro
Trauerspiel „Maria Stuart“ (11,3) von
expendi („Diesen Menschen sollte man
Schiller. Talbot, Graf von Shrewsbury,
mit Gold aufwiegen“).
warnt Elisabeth, die Königin von Eng¬
land, davor, ihre Gegenspielerin Maria
Nicht mitzuhassen, mitzulieben Stuart hinrichten zu lassen, da diese ihr
bin ich da „nicht untertänig“ sei. Auf die Einlas¬
Das Zitat als Ausdruck abendländischer sung Elisabeths „So irrt/Mein Staatsrat
Humanität stammt aus der „Antigone“ und mein Parlament, im Irrtum/Sind al¬
des griechischen Tragikers Sophokles le Richterhöfe dieses Landes,/Die mir
(um 496-um 406 v.Chr.). Im 6. Auftritt dies Recht einstimmig zuerkannt -“ ent¬
begründet damit Antigone vor König gegnet Talbot: „Nicht Stimmenmehr¬
Kreon ihre Widersetzlichkeit gegen sein heit ist des Rechtes Probe,/England ist
333
Teil I
nicht
nicht die Welt, dein Parlament/Nicht nach Zusammenhang die hohe Bedeut¬
der Verein der menschlichen Ge¬ samkeit und Wichtigkeit der einen
schlechter.“ Person oder, häufiger wohl, die Nichts¬
würdigkeit und Bedeutungslosigkeit der
Nicht von dieser Welt sein andern umschrieben werden.
Wenn man heute von jemandem be¬
hauptet, er sei nicht von dieser Welt, so Nicht wissen, was rechts oder links
will man zum Ausdruck bringen, daß ist
man den Betreffenden für einen Träu¬ Die auch in der leicht abgewandelten
mer und Phantasten hält, für jemanden, Form „nicht mehr wissen, was rechts
der die Dinge nicht realistisch beurtei¬ und was links ist“ übliche Redewen¬
len kann und deswegen auch öfter den dung geht auf die Bibel zurück. Beim
kürzeren zieht. Die Redewendung ist bi¬ Propheten Jona spricht am Ende des 4.
blischen Ursprungs. Im Johannesevan¬ Kapitels der Herr zu Jona, der zornig
gelium (8,23) spricht Jesus, im Dialog darüber war, daß die sündhafte Stadt
mit Schriftgelehrten und Pharisäern, die Ninive verschont wurde: „... mich sollte
gewichtigen, sein Gottsein betonenden nicht jammern Ninives, solcher großen
Worte, mit denen er sich in aller Deut¬ Stadt, in welcher sind mehr denn hun-
lichkeit von seinen Gesprächspartnern dertundzwanzigtausend Menschen, die
abhebt: „Ihr seid von untenher, ich bin nicht wissen Unterschied, was rechts
von obenher; ihr seid von dieser Welt, oder links ist, dazu auch viele Tiere?“ In
ich bin nicht von dieser Welt.“ Und spä¬ der zurechtweisenden Frage des Herrn
ter nach der Gefangennahme spricht Je¬ wird hinsichtlich der Bewohner Ninives
sus im Verhör vor Pilatus (18,36) noch auf deren Unwissenheit, ihr Nichtwis¬
einmal in ähnlicherWeise: „Mein Reich sen um Recht und Unrecht abgehoben.
ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Die heute übliche Redewendung wird
Reich von dieser Welt, meine Diener eher gebraucht, um zu verdeutlichen,
würden kämpfen, daß ich den Juden daß jemand völlig verwirrt ist, sich über¬
nicht überantwortet würde; aber nun ist haupt nicht mehr auskennt, sich irgend¬
mein Reich nicht von dannen.“ wo nicht zurechtfinden kann.
334
Teil I nie
335
niedriger Teil I
bung sehr populär und wird seither bei entweder er wird den einen hassen und
allen möglichen Gelegenheiten als eine den andern lieben, oder er wird dem ei¬
Art scherzhafte Beurteilung einer Sache nen anhangen und den andern verach¬
oder auch einer Person zitiert. ten“ (Matthäus 6,24). Man zitiert diese
Bibelworte, wenn man jemandem zu
Niedriger hängen verstehen geben will, daß er sich klar
entscheiden muß, wessen Interessen er
Die Wendung „etwas niedriger hän¬
vertritt oder wofür er sich engagieren
gen“, mit der zum Ausdruck gebracht
will. Der italienische Dramatiker Carlo
wird, daß etwas (durch das Niedriger¬
Goldoni (1707-1793) hat auf dieses Bi¬
hängen) allen sichtbar, leichter zugäng¬
belzitat im Titel seiner Komödie „Der
lich gemacht werden soll, geht wohl auf
Diener zweier Herren“ zurückgegrif¬
eine Anekdote über König Friedrich II.,
fen. - Im 8. Kapitel seiner Bilderge¬
den Großen (1712-1786) zurück. Der
schichte „Maler Klecksei“ hat Wilhelm
König sei eines Tages bei einem Ausritt
Busch (1832-1908) die biblische Weis¬
zu einem Platz gekommen, so heißt es,
heit in folgende Worte gefaßt: „Mit
an dem, von Leuten dicht umdrängt, ei¬
zween Herrn ist schlecht zu kramen.“
ne nicht sehr schmeichelhafte Karikatur
Und eine ebenso profunde Erkenntnis
von ihm aufgehängt worden war. Bei ih¬
fügt er dann noch hinzu: „Noch
rem Anblick soll er gerufen haben, man
schlechter, fürcht’ ich, mit zwo Damen.“
solle sie doch niedriger hängen, damit
sie alle besser sehen könnten. Die heute
t Wie Nikodemus in der Nacht
wieder häufiger gebrauchte Wendung
„etwas niedriger hängen“ hat eine ande¬
Nimm dein Bett und gehe heim!
re Bedeutung. Sie wird meist als Auffor¬
derung verwendet, etwas weniger wich¬ Das Bibelzitat steht im Markusevangeli¬
tig zu nehmen, nicht so aufzubauschen um (2,11), wo Jesus diese Worte bei der
oder überhaupt jede Übertreibung zu Heilung eines Gichtbrüchigen spricht:
vermeiden. „Ich sage dir, stehe auf, nimm dein Bett
und gehe heim!“ Heute verwendet man
das Zitat scherzhaft, um auszudrücken,
Niemand ist eine Insel
daß es in einer abendlichen Runde
Die sentenzhafte Feststellung, daß nie¬ schon spät geworden ist und es Zeit ist,
mand für sich existiert, geht auf den
ins Bett zu gehen. Man richtet dabei das
englischen Dichter und Geistlichen
Zitat als Aufforderung an seine Beglei¬
John Donne (1572-1631) zurück. In der
tung oder an sich selbst.
Meditation der 17. Andacht seiner „De¬
votions upon Emergent Occasions“ Nimm und lies!
heißt es: No man is an Island, entire of it
Die Aufforderung, mit der man jeman¬
seif („Kein Mensch ist eine Insel, ganz
dem eine bestimmte Lektüre nahelegen
für sich“; vergleiche auch „Wem die
möchte, ist ein Zitat - im lateinischen
Stunde schlägt“). Das Zitat wurde häu¬
Original Tolle, lege! - aus den „Be¬
fig als Titel verwandt: Thomas Merton:
kenntnissen“ („Confessiones“) VIII, 12
„No Man is an Island“ (1955) - auf
deutsch: „Keiner ist eine Insel“ (1956), des Kirchenvaters Augustinus (354 bis
430). Er schildert dort, wie er beim Me¬
Honor Arundel: „Kein Mensch ist eine
ditieren im Garten seines Hauses in
Insel“ (1972) als Titel der deutschen
Übersetzung von „The Terrible Tempta- Mailand die Stimme eines Kindes hörte
tion“, Johannes Mario Simmel: „Nie¬ und die Worte Tolle, lege! als göttliche
mand ist eine Insel“ (1976). Aufforderung zur Bibellektüre verstand.
Beim Aufschlagen der Bibel stieß er auf
folgende Stelle im Brief des Apostels
Niemand kann zwei Herren die¬
Paulus an die Römer (13,13 f.): „Lasset
nen
uns ehrbar wandeln als am Tage, nicht
Im Matthäusevangelium sagt Jesus: in Fressen und Saufen, nicht in Kam¬
„Niemand kann zwei Herren dienen: mern und Unzucht, nicht in Hader und
336
Teil I noch
Neid; sondern ziehet an den Herrn Je¬ sich wieder in der „Philosophie des Le¬
sus Christus und wartet des Leibes, bens“ (Vorlesungen, 1828) des Ästheti¬
doch also, daß er nicht geil werde.“ Die¬ kers und Dichters Friedrich Schlegel
ser Gartenszene verdankte Augustinus (1772-1829): „Der Mensch ist vor allen
seine Bekehrung und endgültige Ent¬ anderen Geschöpfen ein auf Hoffnung
scheidung für die Kirche. gestelltes Wesen.“
No pasarän
Noch eine hohe Säule zeugt von
Als im Frühsommer 1936 der Kampf der verschwund’ner Pracht: Auch die¬
falangistisch-faschistischen Kräfte ge¬ se, schon geborsten, kann stürzen
gen die zweite spanische Republik be¬
über Nacht
gann, setzte sich die Bürgerkriegsheldin
und spätere Vorsitzende der Kommuni¬ Dies ist ein Zitat aus dem Gedicht „Des
stischen Partei Spaniens, Dolores Ibär- Sängers Fluch“ von Ludwig Uhland
ruri Gömez (1895-1989), bekannt auch (1787-1862). Nachdem der Fluch des
unter ihrem Beinamen „La pasionaria“ alten Sängers gegen den König, den
„die Leidenschaftliche“, in glühenden „verruchten Mörder“, ausgesprochen
Rundfunkreden für die Republik ein. ist, wird in den letzten beiden Strophen
Sie prägte dabei den republikanischen des Gedichts die Erfüllung dieses Flu¬
Kampfruf No pasarän „Sie (= die Fa¬ ches, der Niedergang des Königreichs
schisten) kommen nicht durch“. Die Pa¬ und der Zerfall des Schlosses, geschil¬
role lebte in Gedichten und Liedern des dert. Das aus der vorletzten Strophe
stammende Zitat wird meist auch in ent¬
spanischen Bürgerkriegs weiter als Aus¬
sprechendem Sinn verwendet, etwa
druck des Durchhaltewillens der repu¬
beim Anblick von Zerfall oder Zerstö¬
blikanisch-fortschrittlichen Kräfte.
rung einstiger Werte, auch im Hinblick
auf morbide Zustände oder auch ein¬
Noblesse oblige fach beim Rückblick auf dahingegange¬
t Adel verpflichtet ne glanzvolle Zeiten, an die nur weniges
noch erinnert. Der zweite Teil des Zitats
wird (wie auch der erste) gelegentlich al¬
Noch am Grabe pflanzt er die lein zitiert, und zwar meist im Hinblick
Hoffnung auf auf etwas, was stark gefährdet, im Grun¬
In seinem Gedicht „Hoffnung“ (1797) de schon dem Untergang geweiht ist.
schildert Schiller das Leben des Men¬
schen als von stetem Hoffen auf Besse¬
res geprägt; „Die Welt wird alt und wird Noch einmal mit Gefühl
wieder jung,/Doch der Mensch hofft So lautet der deutsche Titel einer 1959
immer Verbesserung.“ Diese Hoffnung entstandenen amerikanischen Filmko¬
begleitet ihn bis an sein Lebensende: mödie um einen Dirigenten (Hauptrol¬
„Sie wird mit dem Greis nicht begra¬ le: Yul Brynner, englischer Titel: Once
ben ;/Denn beschließt er im Grabe den more with feeling), sicherlich eine An¬
müden Lauf,/Noch am Grabe pflanzt spielung auf die entsprechende musika¬
er - die Hoffnung auf.“ Daß man trotz lische Vortrags- oder Interpretationsan¬
aller Enttäuschungen, die das Leben be¬ weisung. Das Zitat wird meist als Auf¬
reitet, beständig hofft, ist für den Dich¬ forderung verwendet, etwas zu wieder¬
ter der Beweis, daß der Mensch „zu et¬ holen und es dann womöglich besser,
was Besserem“ geboren ist. Dieses genauer auszuführen als zuvor. Es kann
„Bessere“ lebt unverlierbar in ihm, al¬ ebenso Ermunterung sein, etwas, was
lem Schicksal und selbst dem Tode zum nicht gleich geglückt ist, noch einmal,
Trotz, und wirkt als treibende innere nun aber vorsichtiger, umsichtiger o.ä.,
Kraft: „Und was die innere Stimme zu versuchen. Auch mehr oder weniger
spricht,/Das täuscht die hoffende Seele scherzhaft gemeinte Abwandlungen
nicht.“ - Der gleiche Gedanke findet sind üblich geworden, beispielsweise:
337
8 Duden 12
noch Teil I
„Noch einmal mit Verstand“, „Noch Schriftsteller Otto Roquette (1824 bis
einmal mit Gewalt“ o.ä. 1896) verwendete die Zeile als Kehrreim
eines Liedes in seiner lyrisch-epischen
Noch ist die blühende, goldene Dichtung „Waldmeisters Brautfahrt“,
Zeit einem sentimentalen Jugendwerk, das
damals ein großer Publikumserfolg war,
t Noch sind die Tage der Rosen
heute aber weitgehend vergessen ist.
Aus diesem Werk wurde auch eine an¬
Noch ist Polen nicht verloren
dere Zeile mit ähnlicher Aussage popu¬
Mit dieser Redensart möchte man zum lär, die meist auch in ganz ähnlichen
Ausdruck bringen, daß man eine be¬ Zusammenhängen zitiert wurde. Diese
stimmte unangenehme Lage für noch Zeile lautet: „Noch ist die blühende,
nicht ganz aussichtslos hält, daß durch¬ goldene Zeit.“
aus noch nicht alles verloren ist. Die oft
etwas scherzhaft gebrauchte Redensart Noch so einen Sieg, und ich bin
hat sich aus den Anfangsworten der pol¬
verloren!
nischen Nationalhymne entwickelt, im
polnischen Original: Jeszcze Polska nie t Pyrrhussieg
zginpta. Der polnische Politiker und
Schriftsteller Jözef Wybicki (1747 bis t Und noch zehn Minuten bis Buf¬
1822) schrieb 1797 dieses von einem un¬ falo
bekannten Komponisten vertonte Lied,
das seit 1918 offizielle polnische Natio¬ Noli me tangere!
nalhymne ist. Populär geworden war Im 20. Kapitel des Johannesevangeli¬
das Lied zunächst als Marschlied einer ums wird berichtet, daß Jesus nach der
polnischen Legion, die der General Jan Auferstehung der weinenden Maria
Henryk Dabrowski als Hilfstruppe Na¬ Magdalena am leeren Grab erschienen
poleons in Oberitalien aufgestellt hatte,
ist. Er, den sie zunächst für einen Gärt¬
und zwar unter dem Namen „D^-
ner gehalten hatte, spricht sie mit den
browskimarsch“.
Worten an: „Rühre mich nicht an! Denn
ich bin noch nicht aufgefahren zu mei¬
Noch keinen sah ich fröhlich en¬ nem Vater“ (20,7). Die Worte des Be¬
den rührungsverbots wurden in der lateini¬
t Wer besitzt, der lerne verlieren schen Form der Vulgata (noli me tange¬
re) populär. In der bildenden Kunst (be¬
Noch sind die Tage der Rosen sonders in der Malerei des 14. bis 17.
Von den Werken des deutschen Dich¬ Jahrhunderts) versteht man unter einem
ters und Publizisten Siegfried August „Nolimetangere“ die Darstellung der
Mahlmann (1771-1826) sind nur einige Erscheinung des auferstandenen Chri¬
seiner mehrfach vertonten und volks¬ stus mit Maria Magdalena vor dem lee¬
tümlich gewordenen Gedichte bekannt ren Grab. Auch eine Pflanze verdankt
geblieben. Dazu gehört das Gedicht ihren Namen den an Maria Magdalena
„Aufmunterung zur Freude“ (mit der gerichteten Christusworten: Eine Art
Anfangszeile „Weg mit den Grillen und des „Springkrauts“ wird auch „Nolime¬
Sorgen!“, die früher auch häufig zitiert tangere“ oder „Rührmichnichtan“ ge¬
wurde). Populär geblieben ist die Zeile nannt, weil ihre Kapselfrüchte bei Be¬
„Noch sind die Tage der Rosen“, die rührung aufspringen (und die Samen
mit Vorliebe dann herangezogen wird, ausschleudern).
wenn man deutlich machen möchte, daß
es jetzt gilt, die noch verbleibende schö¬ Nomen est omen
ne oder auch für bestimmte Dinge gün¬ Der römische Komödiendichter Plautus
stige Zeit zu nutzen. Die Bekanntheit (um 250-184 v. Chr.) verwendet in sei¬
des Zitats wurde auch noch durch ein nem Stück „Persa“ die Formulierung
anderes Werk gefördert. Der deutsche nomen atque omen, auf deutsch „Name
338
Teil I Not
339
st«
Not Teil I
340
Teil I nun
Mann,/Den Todesschlaf.“ Acht Lieder eingebunden in die Natur, die sich zur
des Zyklus wurden von Robert Schu¬ Ruhe begeben hat: „Nun ruhen alle
mann 1840 vertont und dadurch beson¬ Wälder,/Vieh, Menschen, Städt und
ders bekannt. Felder;/Es schläft die ganze Welt ..."
Mit dem Zitat kann man eine friedliche
Nun hat die liebe Seele Ruh’ Abendstimmung vor allem in naturna¬
Die Redewendung geht auf ein Gleich¬ her Umgebung charakterisieren.
nis des Lukasevangeliums (12,18 ff) zu¬
rück. Darin ist die Rede von einem rei¬ Nun sei bedankt, mein lieber
chen Mann, der seine Scheunen füllt mit Schwan!
seinen Gütern und dann zu sich sagt:
Mit diesen Worten entläßt Lohengrin,
„Liebe Seele, du hast einen großen Vor¬
der Held der gleichnamigen Oper von
rat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß,
Richard Wagner (1813-1873), den
trink und habe guten Mut!“ - Man ge¬
Schwan, der ihn - seinen Nachen zie¬
braucht die Redewendung - auch in der
hend - an den Hof König Heinrichs ge¬
Form „Nun hat die arme Seele Ruh’ “ -,
bracht hat. Lohengrin war von Elsa von
um damit scherzhaft zu erklären, daß
Brabant herbeigerufen worden, um für
beispielsweise von etwas Begehrtem
die Unschuld der des Brudermords an-
nun nichts mehr da ist, so daß alles
geklagten Tochter des verstorbenen
Drängen und Bitten - besonders von
Herzogs von Brabant zu zeugen. - Man
Kindern - nun ein Ende finden kann.
verwendet das Zitat als scherzhafte
Dankesformel.
TGott sei Dank! Nun ist’s vorbei
mit der Übeltäterei
Nun siegt mal schön!
Die als Scherz gemeinte Aufforderung
T Wohl, nun kann der Guß begin¬
richtete Bundespräsident Theodor
nen
Heuss (1884-1963) an die Teilnehmer
eines Bundeswehrmanövers im Jahr
Nun muß sich alles, alles wenden
1958. Sie wurde - von Journalisten ver¬
Mit diesem Vers enden die beiden Stro¬ breitet - rasch zum geflügelten Wort.
phen des Gedichts „Frühlingsglaube“ Man verwendet sie bis heute vielfach
von Ludwig Uhland (1787-1862). Das abgewandelt als scherzhafte Ermunte¬
Gedicht, das mit dem ebenso bekannten rung.
Vers „Die linden Lüfte sind erwacht“
beginnt, wurde von Mendelssohn und
Nun singen sie wieder
Franz Schubert vertont und besonders
durch Schuberts Vertonung sehr be¬ Dies ist der Titel eines 1945 entstande¬
kannt. - Mit dem Zitat gibt man seiner nen Stücks von Max Frisch. Frisch be¬
Überzeugung Ausdruck, daß sich etwas handelt darin das Thema der Schuld,
Bestimmtes nun zum Besseren wenden die ein Mensch nicht abschütteln
wird, daß man deutliche Anzeichen für kann. - Der Soldat Karl, der die Geiseln
eine positive Entwicklung sieht. erschossen hat, die singend in den Tod
gingen, hört immer wieder ihr Singen.
Im Gespräch mit seinem Vater bekennt
Nun raucht er wieder, Gott sei
er: „Nichts befreit uns von der Verant¬
Dank!
wortung, nichts, sie ist uns gegeben, je¬
t Drei Wochen war der Frosch so krank! dem von uns, jedem die seine; man
kann nicht seine Verantwortung einem
Nun ruhen alle Wälder andern geben, damit er sie verwalte.
So beginnt ein Abendlied des evangeli¬ Man kann die Last der persönlichen
schen Theologen und Dichters vieler be¬ Freiheit nicht abtreten - und eben das
kannter Kirchenlieder der Barockzeit haben wir versucht, und eben das ist un¬
Paul Gerhardt (1607-1676). Die erste sere Schuld.“ Man verwendet das Zitat
Strophe des Liedes sieht den Menschen heute - meist ohne Bezug auf das düste-
341
nur Teil I
re Thema des Stücks und häufig in Ab¬ alte, erblindete Faust, daß sein Bemü¬
wandlung um auszudrücken, daß et¬ hen um die Landgewinnung nun von
was Bestimmtes sich wiederholt, erneut Erfolg gekrönt sei. Er zieht die Summe
einsetzt, wieder auftaucht o. ä. seiner Erfahrung mit den obigen Wor¬
ten. - Man verwendet das Zitat, um sei¬
Nur Beharrung führt zum Ziel ner Überzeugung Ausdruck zu geben,
daß das Leben in einem steten Bemühen
Dieses Zitat, das auch in der abgewan¬
delten Form „Beharrlichkeit führt zum besteht bzw. bestehen muß.
Ziel“ geläufig ist und ähnlichen älte¬
ren Sprichwörtern wie „Beharrlichkeit Nur die größten Kälber wählen
überwindet alles“ entspricht, stammt ihre Metzger selber
aus dem 2. „Spruch des Konfuzius“, er¬ Mit diesem Spruch wird eindringlich
schienen in Schillers Musenalmanach davor gewarnt, bei politischen Wahlen
für das Jahr 1800. Es wird zur Ermunte¬ die falschen Volksvertreter zu wählen.
rung angeführt, wenn jemand zu resi¬ Er könnte auf einer Wahlveranstaltung
gnieren droht, nicht mehr unbeirrt und in Niederschlesien am 1. 10. 1876 ge¬
ausdauernd sein Ziel verfolgt. prägt worden sein, die sich gegen die
Wahl liberaler Abgeordneter richtete
Nur der Irrtum ist das Leben, und und von einem Pfarrer mit eben diesen
das Wissen ist der Tod Worten abgeschlossen worden sein soll.
In diesen beiden Zeilen aus dem Ge¬
dicht „Kassandra“ von Schiller ist ein
Nur die Lumpe sind bescheiden,
zentraler Gedanke dieses Gedichtes for¬ Brave freuen sich der Tat
muliert. In zwölf von sechzehn Stro¬ Dieser Spruch, nicht gerade ein Aufruf
phen enthält das Gedicht die große Kla¬ zur Bescheidenheit, sondern vielmehr
ge der trojanischen Königstochter Kas¬ eine Aufforderung, stolz zu sein auf er¬
sandra über ihr Schicksal als Seherin folgreiche Taten, stammt aus einem Ge¬
(vergleiche die Artikel „Frommt’s, den dicht von Goethe. Es ist das gesellige
Schleier aufzuheben?“ und „Kassan¬ Lied „Rechenschaft“, eine Art Trinklied
dra“). Im Zentrum steht der Gedanke, mit verteilten Rollen und Chor, das von
daß dem Menschen der Blick in die Zu¬ dem mit Goethe befreundeten Kompo¬
kunft und so die Erkenntnis verborge¬ nisten Carl Friedrich Zelter (1758 bis
ner Dinge nicht zusteht. Der Gedanke 1832) vertont wurde.
an die biblische Geschichte vom Baum
der Erkenntnis und der Vertreibung aus Nur ein toter Indianer ist ein guter
dem Paradies liegt nahe (1. Moses 2,16: Indianer
„... von dem Baum der Erkenntnis des
Das Zitat - im Original: The only good
Guten und Bösen sollst du nicht essen,
Indian is a dead Indian - wird dem
denn welches Tages du davon issest,
nordamerikanischen General Philip
wirst du des Todes sterben“). In den
Henry Sheridan (1831-1888) zuge¬
Zeilen „Nur der Irrtum ist das Le¬
schrieben; es diente als Motto für die
ben,/Und das Wissen ist der Tod“ wird
Unterwerfung der Kiowa 1869. Beim
die Schlußfolgerung gezogen, daß das
heutigen Gebrauch wird das Wort „In¬
Irren des Menschen, das aus dem Nicht¬
dianer“ häufig durch eine andere Grup¬
wissen um alles Zukünftige erwächst,
penbezeichnung ersetzt.
das Leben des Menschen erst möglich
macht.
Nur einen Sommer gönnt, ihr Ge¬
waltigen!
Nur der verdient sich Freiheit wie
Friedrich Hölderlin (1770-1843) dichte¬
das Leben, der täglich sie erobern
te in seiner Ode „An die Parzen“ (1798)
muß
wie in einer Vorahnung seiner früh ver¬
Am Ende von Goethes Faust II (5. Akt, löschenden dichterischen Existenz:
Großer Vorhof des Palastes) glaubt der „Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewalti-
342
Teil I nur
gen!/Und einen Herbst zu reifem Ge¬ bereits der Knoten der Handlung: Wal¬
sänge mir,/Daß williger mein Herz, vom lenstein kann von dem zunächst nur als
süßen/Spiele gesättigt, dann mir ster¬ Gedankenspiel existierenden Verrat am
be!“ - Das heute wohl nur noch scherz¬ Kaiser nicht mehr zurücktreten. Er er¬
haft gebrauchte Zitat kann als Bitte um kennt nun die ganze Tragweite seines
genügend Zeit zur Ausführung eines Vorhabens, sich mit den Schweden zu
Vorhabens verwendet werden. verbünden. Im sechsten Auftritt reflek¬
tiert er im Gespräch mit den Generalen
Nur nicht aus Liebe weinen Terzky und Illo über die Treue und ih¬
ren Gegenbegriff, den Verrat. In diesen
In dem deutschen Spielfilm „Es war ei¬
Zusammenhang gehört eine Äußerung
ne rauschende Ballnacht“ aus dem Jah¬
Terzkys, in der er darauf hinweist, daß
re 1939 singt Zarah Leander dieses Lied,
seinerzeit die Dienste des als Verräter
dessen Titel auch Teil des Refrains ist:
vielgeschmähten französischen Gene¬
„Nur nicht aus Liebe weinen,/es gibt
ralkommandeurs Charlos de Bourbon-
auf Erden nicht nur den einen./Es gibt
Montensier vom spanischen Kaiser
so viele auf dieser Welt,/ich liebe jeden,
Karl V. gern angenommen wurden:
der mir gefällt!..." Der Text stammt von
„Der nahm den Bourbon auf mit offnen
Fritz Beckmannn, die Musik schrieb
Armen,/Denn nur vom Nutzen wird die
Theo Mackeben. Mit dem Zitat versucht
Welt regiert.“ - Das Zitat kann beim
man sich selbst oder andere bei Liebes¬
Scheitern eines idealistischen Vorha¬
kummer zu trösten.
bens als resignierender Kommentar
gebraucht werden oder Ausdruck allge¬
Nur nicht gleich, nicht auf der meiner pessimistischer Lebensweisheit
Stell’ sein.
Die t Christel von der Post
343
Nürnberger Teil I
O diese Männer!
Das Zitat ist der Titel eines Lustspiels
des in Prag geborenen Autors Julius Ro¬
344
Teil I o
Zauberlehrling den Wasserträger, den (IV, 5). Es ist der Ausruf des durch Blen¬
er in der Abwesenheit des Hexenmei¬ dung blind gewordenen Grafen von
sters aus einem Besen geschaffen hat Gloster bei seiner Begegnung mit dem
und dann ohne das rechte Zauberwort „mit Blumen und Kränzen“ seltsam ge¬
nicht zum Stillstand bringen kann. Un¬ schmückten, dem Wahnsinn entgegen¬
ter „Ausgeburt“ versteht man allgemein treibenden König Lear in der öden
jemanden, der etwas Negatives in be¬ Landschaft der Kreidefelsen bei Dover.
sonders ausgeprägter Form verkörpert. Im englischen Original lautet die zitierte
Stelle: O ruinedpiece of nature!
O du Falada, da du hangest
Das Zitat stammt aus dem Grimmschen
O ein Gott ist der Mensch, wenn er
Märchen „Die Gänsemagd“. Die Kö¬ träumt, ein Bettler, wenn er nach¬
nigstochter, die als Gänsemagd in der denkt
Fremde leiden muß, und der unter ei¬ Mit diesem Ausruf beklagt Hyperion in
nem Finsteren Tor hängende Kopf ihres Hölderlins (1770-1843) gleichnamigem
getöteten Pferdes beklagen das harte Briefroman (Bd. 1,1. Buch, 2. Brief an
Schicksal, unter dem jeweils der andere Bellarmin) die Unmöglichkeit, „mit al¬
zu leiden hat. Auf ihre Worte „O du lem, was lebt“ eins zu sein und sich
Falada, da du hangest“ antwortet der gleichzeitig der Wissenschaft zu ver¬
Kopf: „O du Jungfer Königin, da du schreiben. Wer diese Worte zitiert, will
gangest,/Wenn das deine Mutter wüß- ausdrücken, daß der Mensch nur im
te,/Ihr Herz tät’ ihr zerspringen.“ - Reich der Phantasie und der Träume
Heute wird das Zitat wohl nur noch grenzenlos frei ist und alles beherrscht.
scherzhaft gebraucht, z. B. als Kommen¬ Sobald aber Realitätssinn, Verstand und
tar, wenn jemand ungeschickt an etwas Logik gefordert sind, sobald das Gefühl
hängengeblieben ist. der Sachlichkeit weichen muß, wird er
wieder in die „ärmere“ Vernunftwelt zu¬
O du lieber Augustin! rückgeholt.
Dies sind die Anfangsworte eines Lie¬
des, das der Wiener Volkssänger Augu¬ O Ewigkeit, du Donnerwort
stin 1679 gesungen haben soll, als er Wenn etwas übermäßig lange dauert,
nach einem Alkoholrausch in einer nicht enden will, die eigene Ungeduld
Pestgrube aufwachte. In einer Erzäh¬ ein Zuwarten aber sehr schwer macht,
lung des Predigers Abraham a Sancta dann wird gelegentlich scherzhaft der
Clara (1644-1709) wird dagegen nur erste Vers aus dem Lied „Ernstliche Be¬
von einem Wiener Dudelsackpfeifer be¬ trachtung der unendlichen Ewigkeit“
richtet, der durch sein Spiel entdeckt des deutschen Pfarrers und Dichters Jo¬
und wieder aus der Grube heraufgezo¬ hann Rist (1607-1667) zitiert. Es be¬
gen wird. Das Zitat wird heute oft mit ginnt mit den Zeilen: „O Ewigkeit, du
seiner Fortsetzung „Alles ist hin“ bzw. Donnerwort,/O Schwert, das durch die
„... hin, hin, hin“ verwendet, wenn man Seele bohrt,/0 Anfang sonder Ende!“
heiter resignierend einen Verlust fest¬ In diesen Zeilen kommt ein tiefes, inner¬
stellt. lich erschütterndes Berührtsein bei der
Betrachtung der Unendlichkeit der Zeit
O du zertrümmert Meisterstück zum Ausdruck, die dem Zitat im heuti¬
gen Gebrauch nicht mehr anhaftet.
der Schöpfung!
Der Anlaß dazu, sich (meist wohl in
O flaumenleichte Zeit der dunklen
eher scherzhafter Weise) dieses Zitats zu
bedienen, ist der beklagenswerte Zu¬
Frühe
stand einer Sache (seltener auch einer Mit diesem Bild bezeichnet Eduard
Person), mit dem man unversehens kon¬ Mörike am Anfang seines 1825 entstan¬
frontiert wird. Das Zitat stammt aus denen Gedichts „An einem Wintermor¬
Shakespeares Drama „König Lear“ gen, vor Sonnenaufgang“ die noch
345
Teil I
o
346
Teil I o
etwas Negatives, geahnt hat, findet sich vous. - Man verwendet das Zitat scherz¬
in Shakespeares Tragödie „Hamlet“ haft in Situationen, in denen man un¬
(1,5; entstanden um 1600). Die engli¬ geduldig, sehnsüchtig auf jemanden
sche Form lautet: O my prophetic soul! wartet.
Hamlet reagiert mit diesen Worten, als
der Geist seines Vaters ihm enthüllt, daß
dieser von Hamlets Onkel Claudius er¬
O schmölze doch dies allzu feste
mordet wurde. Fleisch
Abscheu erfüllt Hamlet, den Prinzen
O rühret, rühret nicht daran! von Dänemark, in Shakespeares gleich¬
namiger Tragödie, als er nach seiner
Der Ausruf stammt aus einem Gedicht
Rückkehr noch keine zwei Monate nach
von Emanuel Geibel (1815-1884) mit
des Vaters Tod die Mutter mit dem On¬
dem Titel „Rühret nicht daran!“. Es be¬
kel vermählt sieht. Er wünschte, er wäre
ginnt mit den Zeilen „Wo still ein Herz
tot: „O schmölze doch dies allzu feste
von Liebe glüht,/O rühret, rühret nicht
Fleisch,/Zerging’ und löst’ in einen Tau
daran“ und warnt davor, jemandes Lie¬
sich auf!“ (1,2; englisch: O! that this too
be zu unterdrücken oder zu zerstören.
too solid flesh would melt,/Thaw, and re-
Zu groß ist die Gefahr, daß ein so ver¬
solve itself into a dew). - Das Zitat wird
letzter Mensch in den Haß und in die
heute selten und wohl nur noch scherz¬
Gottlosigkeit getrieben wird. - Man ge¬
haft angeführt; denkbar wäre es als An¬
braucht das Zitat heute als dringliche
spielung auf die Mühsal einer Abmage¬
Mahnung, ein Thema nicht anzuspre¬
rungskur oder auf ein Messer und Gabel
chen, eine Sache besser auf sich beru¬
hartnäckigen Widerstand leistendes,
hen zu lassen.
zähes Steak.
O sancta simplicitas!
O selig, o selig, ein Kind noch zu
„O heilige Einfalt!“ (so lautet die deut¬
sein!
sche Übersetzung dieser lateinischen
Fügung) rufen wir aus, wenn wir unsere Der Vers bildet den Refrain der ersten
Betroffenheit oder unser Erstaunen beiden Strophen des sogenannten „Za¬
über jemandes Naivität oder Unbeküm¬ renliedes“ aus der komischen Oper
mertheit ausdrücken wollen. Dies soll „Zar und Zimmermann“ (1837) von Al¬
auch der zum Tode verurteilte tschechi¬ bert Lortzing. Dem von Lortzing selbst
sche Reformator Jan Hus (1371-1415) geschriebenen Libretto liegt ein franzö¬
auf dem Scheiterhaufen ausgerufen ha¬ sisches Lustspiel mit dem Titel „Le
ben, als er sah, wie in blindem Glau¬ bourgmestre de Saardam“ zugrunde. -
benseifer noch weiteres Holz auf das Das Zitat beschwört die wehmütige Er¬
Feuer geworfen wurde. Allerdings sind innerung an die Kindheit, in die sich der
diese Worte bereits in spätlateinischen Sprecher gerne zurückversetzen möchte.
Quellen zur Kirchengeschichte überlie¬
fert. O stört sie nicht, die Feier der Na¬
tur!
O säume länger nicht, geliebte Das Zitat, mit dem man seiner Überwäl¬
Seele! tigung durch Natureindrücke oder Na¬
Im 4. Akt der im Jahr 1786 in Wien ur- turvorgänge Ausdruck geben kann, ist
aufgeführten Oper „Figaros Hochzeit“ die 1. Zeile der 2. Strophe von Friedrich
von Mozart singt Susanna, die Zofe der Hebbels (1813-1863) Gedicht „Herbst¬
Gräfin, die so beginnende Arie. Sie will bild“. In dem Herbstgedicht wird die
mit ihr dem eifersüchtigen Figaro, dem Feier der Natur in den anschließenden
ihr gerade angetrauten Kammerdiener Versen geschildert: „Dies ist die Lese,
des Grafen, einen Denkzettel verpassen, die sie selber hält;/Denn heute löst sich
indem sie sich so verhält, als gäbe sie von den Zweigen nur,/Was vor dem mil¬
dem Grafen das geforderte Rendez¬ den Strahl der Sonne fällt.“
347
o Teil I
O Täler weit, o Höhen auch unter den „Balladen“ mit dem Ti¬
Das 10. Kapitel von Joseph von Eichen¬ tel „Der Sänger“. Hier heißt es dann „O
dorffs Roman „Ahnung und Gegen¬ Trank von süßer Labe!“ - Eine ganz
wart“ (1815) schließt mit dem vierstro- ähnliche Formulierung verwendet
phigen Lied, das der Figur des Dichters, Schiller in seinem Gedicht „Das Sieges¬
Graf Friedrich, aus der Feder fließt, be¬ fest“. Nestor, der greise Berater der
vor er zu einer Reise aufbricht. Das Lied siegreichen Griechen, gibt am Ende des
ist Ausdruck seiner Natur- und Heimat¬ Trojanischen Krieges der gefangenen
liebe. „Friedrich machte noch eilig ei¬ Troerin Hekuba folgenden Rat, indem
nen Streifzug durch den Garten und sah er ihr einen Becher Wein reicht: „Trink
noch einmal von dem Berge in die herr¬ ihn aus, den Trank der Labe,/Und ver¬
lichen Täler hinaus ... Wie im Fluge giß den großen Schmerz!/Wundervoll
schrieb er dort folgende Verse in seine ist Bacchus’ Gabe,/Balsam fürs zer-
Schreibtafel:...“ Es folgt das vielgesun¬ riss’ne Herz.“
gene, von Mendelssohn vertonte Lied,
das mit folgenden Zeilen beginnt: „O O wackrer Apotheker, dein Trank
Täler weit, o Höhen,/O schöner, grüner wirkt schnell
Wald,/Du meiner Lust und Wehen/An-
Dies sind die letzten Worte Romeos in
dächt’ger Aufenthalt!“ Man zitiert die
Shakespeares Tragödie „Romeo und Ju¬
erste Zeile beim Blick über ein schönes
lia“ (auf englisch: O true apothecary!/
Landschaftspanorama, um - in leicht
Thy drugs are quick.) Romeo, der Ju¬
pathetischer Form - seiner Begeiste¬
lia vermeintlich tot vorfindet, will ihr in
rung oder Ergriffenheit Ausdruck zu
den Tod folgen. - Man gebraucht das
verleihen.
Zitat gelegentlich scherzhaft, um die ra¬
sche physiologische Wirkung eines Ge¬
O tempora, o mores! tränks, eines Medikaments o. ä. zu beto¬
Dieser Ausruf der Verzweiflung über nen.
die damaligen Verhältnisse in Rom
(deutsch: „O diese Zeiten, o diese Sit¬
O wär’ ich nie geboren!
ten!“) findet sich an mehreren Stellen in
den Werken des römischen Staatsmanns Zur Selbstverwünschung der Titelge¬
und Philosophen Cicero (106 bis 43 stalt aus Goethes Faust I kommt es in
v. Chr.). Er wird auch heute noch als der Kerkerszene am Schluß der Tragö¬
Ausdruck der - oftmals nur gespielten - die, als die wegen Faust zur Kindesmör¬
Entrüstung über den Zeitgeist, die mo¬ derin gewordene Margarete sich in ihrer
derne Lebensart, den vermeintlichen Sinnverwirrung nicht von ihm aus dem
oder tatsächlichen Verfall der Sitten ver¬ Kerker befreien lassen will. Max Kal¬
wendet. beck (1850-1921) verwendet dieselbe
Formulierung in der deutschen Überset¬
zung von Willibald Glucks Oper „Or¬
O Trank der süßen Labe!
pheus und Eurydike“, wo sich Orpheus
Diese Worte stammen aus einem Lied, in seiner Arie „Ach, ich habe sie verlo¬
das Goethe im 11. Kapitel des 2. Buchs ren“ wegen seiner Schuld an Eurydikes
von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ den zweitem Tod ebenfalls selbst verflucht:
geheimnisvollen Harfenspieler singen „Wär’, o wär’ ich nie geboren,/Weh, daß
läßt. In diesem Lied bezeichnet so ein ich auf Erden bin!“ Dieser Text löst sich
fahrender Sänger das Glas Wein, das völlig vom Original der italienischen
ihm zum Lohne für seinen Vortrag ge¬ und der französischen Fassung. Die Zi¬
reicht worden ist. Auch heute noch wird tate aus Faust I und der deutsch gesun¬
gelegentlich mit diesem Zitat scherzhaft genen Orpheus-Arie könnten beide von
ein höchst willkommenes Erfrischungs¬ einer Stelle aus dem Neuen Testament
getränk begrüßt oder ein besonders geprägt sein, wo Jesus in Matthäus
wohlschmeckendes Getränk, das ser¬ 26,24 von Judas sagt: „... weh dem Men¬
viert wird. Das Lied erschien später schen, durch welchen des Menschen
348
Teil I
o
Sohn verraten wird! Es wäre ihm besser, ginnt: „O welche Lust, in freier Luft/
daß er nie geboren wäre.“ Den Atem leicht zu heben!/Nur hier,
nur hier ist Leben,/Der Kerker eine
O Weisheit! Du redst wie eine Gruft.“ Das Libretto der 1805 uraufge-
Taube! führten Oper stammt von Joseph Sonn¬
Das zuerst im Göttinger Musenalma¬ leithner und Georg Friedrich Treitschke
nach 1774 erschienene Gedicht „Adler und beruht auf einer Vorlage von Jean
und Taube“ von Goethe endet mit die¬ Nicolas Bouilly. - Das Zitat wird
sem Vers. Die Feststellung trifft der ver¬ scherzhaft verwendet, wenn man bei¬
letzte und flugunfähig gewordene Ad¬ spielsweise aus einem stickigen Raum
ler, nachdem eine Taube seinem Kum¬ ins Freie kommt oder wenn man die ver¬
pestete Stadtluft hinter sich gelassen hat
mer ihre Lebensweisheit entgegenge¬
und die frische Luft in freier Natur ge¬
setzt hat: „O Freund, das wahre Glück/
nießt.
Ist die Genügsamkeit,/Und die Genüg¬
samkeit/Hat überall genug.“ Genüg¬
samkeit ist aber die „Weisheit der Tau¬ O wer weiß, was in der Zeiten Hin¬
be“, nicht die des Adlers. Sein Leben ist tergründe schlummert
nicht auf das Erlangen von „Weisheit“, Das Zitat stammt aus dem ersten Auf¬
sondern von „Größe“ angelegt. - Man tritt des ersten Aktes von Schillers Trau¬
gebraucht das Zitat, um ein Ansinnen erspiel „Don Kariös“ (1787). Der Titel¬
von Selbstbescheidung von sich zu wei¬ held stellt die rhetorische Frage im Ge¬
sen oder um jemandem zu verstehen zu spräch mit Domingo, dem Beichtvater
geben, daß man anders denkt als er. - des Königs, der sich besorgt über Don
Die Worte der Taube werden dagegen Kariös’ rätselvolle Bedrücktheit äußert
zitiert, wenn man zum Ausdruck brin¬ (1. Akt, 1. Auftritt). - Man verwendet
gen will, daß Glück und Zufriedenheit das Zitat, um damit seinem Gefühl der
am ehesten zu erreichen sind, wenn man Unsicherheit in bezug auf Zukünftiges
in seinen Bedürfnissen bescheiden Ausdruck zu geben.
bleibt.
O wie ist es kalt geworden
O welch ein edler Geist ist hier zer¬ Mit dieser Klage beginnt ein bekanntes
stört Lied von Hoffmann von Fallersleben
Erschüttert stellt Ophelia in Shake¬ (1798-1874) mit dem Titel „Sehnsucht
speares „Hamlet“ mit diesen Worten nach dem Frühling“. Die erste Strophe
(im Original: O what a noble mind is here lautet: „O wie ist es kalt geworden/Und
o'erthrown!) fest, welche tiefgreifende so traurig, öd’ und leer!/Rauhe Winde
Veränderung sich in dem von ihr gelieb¬ wehn von Norden,/Und die Sonne
ten Prinzen vollzogen hat (III, 1). Die scheint nicht mehr.“
psychische Belastung, den ermordeten
Vater rächen zu müssen, scheint ihn in O wie so trügerisch sind Weiber¬
den Wahnsinn getrieben zu haben. Das herzen
Zitat wird meist scherzhaft verwendet,
Zu dieser Erkenntnis gelangt im 4. Akt
wenn jemand einen konfusen oder ver¬
von Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“
störten Eindruck macht.
(1851) der Herzog von Mantua. Im ita¬
lienischen Original singt er: La donna e
O welche Lust, in freier Luft den mobile/Qual piuma al vento („Die Frau
Atem leicht zu heben! ist leicht beweglich/wie eine Feder im
Im ersten Akt von Beethovens Oper „Fi- Wind“; italienischer Text von F. M. Pia¬
delio“ erreicht Leonore, daß der Ker¬ ve; deutscher Text von J. Chr. Grün¬
kermeister die leichteren Gefängnisse baum). Auch heute noch stößt mancher
öffnet. Die Eingekerkerten begrüßen Mann, der unter den Launen einer Frau
das Sonnenlicht mit dem bekannten zu leiden hat, diesen Seufzer aus. - Die
Chor, der mit den folgenden Worten be¬ literarische Vorlage für Verdis Oper
349
o Teil I
bildet das Versdrama „Le roi s’ amuse“ abwandelte: „Ob blond, ob braun, ob
(„Der König amüsiert sich“) des franzö¬ Henna, ich liebe alle Männer“.
sischen Schriftstellers Victor Hugo
(1802-1885).
Die oberen Zehntausend
O wunderschön ist Gottes Erde Dem Begriff, mit dem die „Ober¬
und wert, darauf vergnügt zu sein! schicht“, die gesellschaftliche „Ober¬
klasse“ gemeint ist, liegt das englische
Dieser freudige Ausruf eines sich in sei¬
the upper ten thousand oder the upper ten
ner Umgebung wohlfühlenden, frohge¬
zugrunde. Die Formulierung stammt
stimmten Menschen stammt aus der
von dem amerikanischen Journalisten
letzten Strophe des Gedichts „Aufmun¬
Nathaniel Parker Willis (1806-1867),
terung zur Freude“ von Ludwig Hein¬
der sie in einem Artikel der New Yorker
rich Christoph Hölty (1748-1776). Der
Zeitung „Evening Mirror“ vom 11. 11.
Dichter, dessen Gedichte besonders
1844 verwendete, bezogen auf die begü¬
durch starkes Naturempfinden und gro¬
terte Schicht der Stadt. - „Die oberen
ße Harmonie der Sprache gekennzeich¬
Zehntausend“ ist auch der deutsche
net sind, gilt heute als Begründer der
Titel des amerikanischen Films „High
neueren deutschen Balladendichtung.
Society“ aus dem Jahr 1957. Er erzählt
eine in der gehobenen amerikanischen
O wüßt’ ich doch den Weg zurück! Gesellschaft spielende Dreiecksge¬
Der Sehnsuchtsseufzer, der zeitlich und schichte mit den Hauptdarstellern Bing
(scherzhaft) auch räumlich gemeint sein Crosby, Grace Kelly und Frank Sinatra.
kann, ist die Anfangszeile des Gedichts Die Musik des nach einem Theaterstück
„Kinderland“ von Klaus Groth von Philip Barry gedrehten Films
(1819-1899): „O wüßt’ ich doch den schrieb Cole Porter.
Weg zurück,/Den lieben Weg zum Kin¬
derland!“ Die letzte Strophe nimmt die
Zeile in leicht abgewandelter Form wie¬ Oblomowerei
der auf: „O zeigt mir doch den Weg zu¬ Mit diesem Ausdruck, der aus dem Rus¬
rück ...“ Johannes Brahms wählte 1874 sischen stammt (russisch: oblomowsch-
das Zitat als Titel für seine Vertonung, tschina), bezeichnet man eine Haltung,
die dem Gedicht eine noch größere Be¬ die von körperlicher und geistiger Träg¬
kanntheit sicherte. heit zeugt, eine lethargische, tatenlose
Tagträumerei. Er geht zurück auf den
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen völlig passiven, nur seinen Gedanken
t Errötend folgt er ihren Spuren nachhängenden adligen Gutsbesitzer
Oblomow im gleichnamigen Roman des
russischen Schriftstellers Iwan Aleksan-
Ob blond, ob braun, ich liebe alle
drowitsch Gontscharow (1812-1891). -
Frau’n Das literarische Vorbild dieses Typus ist
Diese Bekundung einer allgemeinen die in der russischen Literatur der
und umfassenden Begeisterung für das 1. Hälfte des 19. Jh.s geschaffene Figur
weibliche Geschlecht stammt aus dem des „überflüssigen Menschen“ (rus¬
Filmlustspiel „Ich liebe alle Frauen“ sisch: lischni tschelowek). Sie erhielt in
aus dem Jahre 1935, das den Schlager der frühen Erzählung „Tagebuch eines
„Ob blond, ob braun, ich liebe alle überflüssigen Menschen“ des russi¬
Frau’n“ populär machte. Der Text schen Schriftstellers Iwan S. Turgenjew
stammt von Ernst Marischka, die Musik (1818-1883) durch die Figur des
von dem erfolgreichen Operetten- und Tschulkaturin, der von sich selbst sagt,
Schlagerkomponisten Robert Stolz er sei „ein überflüssiger Mensch und
(1880-1975). Die deutsche Rockgruppe weiter nichts“, ihre später zum literatur-
„Ina Deter Band“ nahm 1982 einen geschichtlichen Terminus gewordene
Titel auf, der die Schlagerzeile wie folgt Bezeichnung.
350
Teil I
ohne
Dieses obskure Objekt der Be¬ Oft wird es einem sehr verdacht,
gierde wenn er Geräusch nach Noten
Dies ist der deutsche Titel des französi¬ macht
schen Films Cet obscur objet du desir, Dieses Zitat gilt häufig den Bemühun¬
1978 gedreht von Luis Bunuel nach dem gen von Personen, die sich mit einem In¬
1898 erschienenen Roman „La femme strument musikalisch betätigen, beson¬
et le pantin“ von Pierre Louys. Gegen¬ ders wenn ihnen dies nicht recht glük-
stand des Films ist die unerfüllte Lei¬ ken will. Oft dient es auch als Kommen¬
denschaft eines älteren Mannes, der sei¬ tar zu Musikdarbietungen überhaupt,
ne Geschichte der zufällig anwesenden die als störend oder lästig empfunden
Gesellschaft von Mitreisenden auf einer werden. Das Zitat stammt aus dem 9.
Eisenbahnfahrt von Sevilla nach Paris Kapitel der turbulenten Bildergeschich¬
erzählt. Hauptdarsteller sind Fernando te „Fipps, der Affe“ von Wilhelm Busch
Rey und Carole Bouquet. - Man zitiert (1832-1908). Die Worte gelten dort dem
den Titel zur Charakterisierung von et¬ Affen, der „vierhändig“ ein Klavier
was Fragwürdigem oder eigentlich Un¬ traktiert und dabei durch den „Gesang“
würdigem, das jedoch sehr begehrt ist. von Hund und Katze kräftig unterstützt
wird.
t Du sollst dem Ochsen, der da
drischt, nicht das Maul verbinden Oh, das war mal eine schöne rüh¬
rende Familienszene
Oderint, dum metuant Das Zitat stammt aus „Julchen“, dem 3.
t Mögen sie mich hassen, wenn sie mich Teil der „Knopp-Trilogie“ von Wilhelm
nur fürchten Busch (1832-1908). Der Zweizeiler be¬
schließt den Abschnitt „Das Garten¬
Odi profanum vulgus et arceo haus“, als Julchen mit ihrem Liebhaber
So beginnt die erste der sogenannten vom Vater im Gartenhaus entdeckt wird
„Römeroden“ des römischen Dichters und er in Anwesenheit von Mutter und
Horaz (65-8 v.Chr.). Die deutsche Tante dem Liebespaar seinen Segen
Übersetzung lautet: „Ich hasse das ge¬ gibt. Man zitiert den Satz meist scherz¬
meine Volk und halte es mir fern.“ Mit haft als Kommentar zu ähnlichen oder
dem - oft auch verkürzt (Odi profanum vergleichbaren zu Herzen gehenden
vulgus) gebrauchten - Zitat bringt man, Familienszenen.
meist scherzhaft, seine Ablehnung von
etwas zu Volkstümlichem, zu Grobem Oh, ich bin klug und weise, und
zum Ausdruck. mich betrügt man nicht
Das scherzhaft-ironisch gebrauchte Zi¬
Offener Brief tat stammt aus der Auftrittsarie („O
Die Bezeichnung „offener Brief' be¬ sancta justitia, ich möchte rasen“) des
deutet „an eine prominente Persönlich¬ Bürgermeisters van Bett aus dem 1. Akt
keit oder eine Institution gerichteter, in von Albert Lortzings (1801-1851) komi¬
der Presse veröffentlichter Brief, in dem scher Oper „Zar und Zimmermann“.
Kritik geübt oder ein die Allgemeinheit Die Arie charakterisiert den Bürgermei¬
interessierendes Problem o.ä. aufge¬ ster als lächerlichen Aufschneider, der
worfen wird“. Sie geht auf Christi¬ alles andere als klug und weise ist.
an VIII. (1786-1848), König von Däne¬
mark und Herzog von Schleswig und Oh ne Ansehen der Person
Holstein, zurück. Er erklärte in seinem Im 1. Petrusbrief (1,17) des Neuen Te¬
berühmt gewordenen „Offenen Brief' staments heißt es: „Und sintemal ihr
vom 8. 7. 1846, dem ersten Brief dieser den zum Vater anrufet, der ohne Anse¬
Art unter dieser Bezeichnung, daß die hen der Person richtet nach eines jegli¬
Erbfolge in Schleswig dem dänischen chen Werk“. Schon im Alten Testament
Königsgesetz von 1665 unterliege. gebietet Moses dem Volk Israel: „Keine
351
ohne Teil I
Person sollt ihr im Gericht ansehen, kommt zurück“ stammt aus Schillers
sondern sollt den Kleinen hören wie Gedicht „Das Siegesfest“, das sich auf
den Großen“ (5. Moses 1,17). Die heuti¬ das Ende des Trojanischen Krieges be¬
ge Formulierung wird üblicherweise in zieht. Als Beispiel für die Wahllosigkeit
bezug auf Rechtsprechung und die Wir¬ und Ungerechtigkeit des Glücks führt
kung der Gesetze gebraucht. Man sagt der Dichter den von Hektor getöteten
aber zum Beispiel auch „ohne Ansehen Patroklus, den Helden und Freund
von Rang und Namen, des Vermögens, Achills an, dem er den schmäh- und
der Parteizugehörigkeit“. streitsüchtigen „Antihelden“ Thersites
im griechischen Lager vor Troja gegen¬
Ohne Fleiß kein Preis überstellt. Man zitiert die beiden Zeilen
auch heute noch, um (resignierend) auf
In seinem Lehrgedicht „Werke und Ta¬
die Blindheit des Schicksals hinzuwei¬
ge“ erklärt der altgriechische Dichter
sen, das irdisches Glück ohne Ansehen
Hesiod (um 700 v.Chr.) seinem arbeits¬
der einzelnen Person und ihrer Verdien¬
scheuen Bruder Peres, dem Adressaten
ste verteilt.
des Werkes, daß dem Göttervater Zeus
nichts vom Handeln der Menschen ent¬
tAugen haben und nicht sehen;
geht und daß entsprechend die Bösen
Ohren haben und nicht hören
bestraft werden, den Rechtschaffenen
aber Segen zuteil wird. Das Rechte zu
t Wer Ohren hat zu hören, der
tun bedeutet allerdings Arbeit und Mü¬
he, denn: „Vor den Verdienst setzten
höre!
den Schweiß die Götter,/die unsterbli¬
Olle Kamellen
chen, lang aber und steil ist der Weg zu
ihm hin“ (Vers 286 f.). Daraus hat sich Unter diesem Sammeltitel veröffentlich¬
das auch heute noch zitierte Wort „Vor te 1859 Fritz Reuter (1810-1874) seine
den Erfolg haben die Götter den beiden in niederdeutscher Sprache ge¬
Schweiß gesetzt“ entwickelt. Dies wie¬ schriebenen Geschichten „Woans ick
derum wurde dann zur sprichwörtlichen tau ’ne Fru kam“ und „Ut de Franzo-
Redensart „Ohne Fleiß kein Preis“ ver¬ sentid“. Wörtlich übersetzt bedeutet der
kürzt, mit der ganz allgemein ausge¬ Titel „alte Kamillen“, und man bezeich¬
drückt wird, daß sich nur bei entspre¬ net damit (auch in der Form „alte
chendem Bemühen der Erfolg einstellt. Kamellen“) hinlänglich Bekanntes,
eben „alte Geschichten“, die wie zu lan¬
Ohne Gnade und Barmherzigkeit ge liegende Kamillenblüten Aroma und
Kraft verloren haben.
Die Redewendung im Sinne von „gna¬
denlos, erbarmungslos“ hat ihren Ur¬ Omnia mea mecum porto
sprung vermutlich im Alten Testament
Der altgriechische Staatsmann und Phi¬
beim Propheten Jeremia. In Kapitel
losoph Bias (6. Jh. v. Chr.), einer der Sie¬
16,5 heißt es: „... denn ich habe meinen
ben Weisen Griechenlands, soll bei der
Frieden von diesem Volk weggenom¬
Flucht aus seiner Heimatstadt Priene
men, spricht der Herr, samt meiner
von einem anderen Flüchtling aufgefor¬
Gnade und Barmherzigkeit“, und in
dert worden sein, doch wie alle anderen
Kapitel 21, wo der Prophet die Zerstö¬
rung Jerusalems ankündigt, findet sich soviel wie möglich mit sich zu nehmen.
Die Antwort des Weisen überliefert der
eine ähnliche Formulierung: „... daß
kein Schonen noch Gnade noch Barm¬ römische Staatsmann und Politiker Ci¬
herzigkeit da sei“ (Jeremia 21,7). cero (106-43 v.Chr.) in seinen „Parado¬
xa Stoicorum“: Ego vero ...facio: Omnia
mea porto mecum („Aber das ... tue ich
Ohne Wahl verteilt die Gaben, oh¬
ja: Alles, was mir gehört, trage ich bei
ne Billigkeit das Glück mir“; I, 1,8). Damit sollte gesagt wer¬
Das Zitat mit der Fortsetzung „Denn den, daß das Leben selbst und das gei¬
Patroklus liegt begraben,/Und Thersites stige Vermögen die höchsten Güter des
352
Teil I
Ozean
Menschen sind. Der Ausspruch ist in Geschenk für das Kind oder die Kinder
der zitierten Form populär geworden. mitgebracht hat.
Er wird heute meist scherzhaft verwen¬
det, wenn man ausdrücken will, daß Onkel Sam
man kein großes Gepäck benötigt und t Uncle Sam
man alles Wichtige bei sich trägt.
Ora et labora!
Omnia vincit amor Diese alte lateinische Maxime, beson¬
Im Schlußgedicht seiner „Bucolica“ ders der mittelalterlichen christlichen
(später „Eclogae“ genannt) legt der rö¬ Mönche, die übersetzt „Bete und arbei¬
mische Dichter Vergil (70-19 v. Chr.) te!“ lautet, geht zurück auf die von Be¬
seinem Freund C. Cornelius Gallus, ei¬ nedikt von Nursia (um 480-547 [?]) ver¬
nem Politiker und Schriftsteller, der als faßte sogenannte Benediktinerregel (la¬
Schöpfer der römischen Elegie gilt, die¬ teinisch Regula Benedicti). Diese Regel
se Worte in den Mund. Sie bedeuten verpflichtete die Mönche zu Eigentums¬
übersetzt „Alles besiegt die Liebe“. Der losigkeit und Keuschheit, Gehorsam
Ausspruch wurde schon in der Antike und Seßhaftigkeit in einem Kloster.
sprichwörtlich und wird auch heute
noch gelegentlich in der lateinischen t Wie die Orgelpfeifen
Form zitiert.
Orlando furioso
Der t rasende Roland
On revient toujours ä ses premiers
amours t Du bist Orplid, mein Land!
Das Zitat stammt aus der komischen
Oper „Joconde ou les Coureurs d’aven- Du, glückliches Österreich, heira¬
tures“ von Niccolo Isouard (1775 bis te!
1818) mit dem Text von Charles Guil-
t Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube
laume Etienne (1777 oder 1778 bis
1845). Dort heißt es im 3. Akt, 1. Szene: Otto Normalverbraucher
On devient infidele;/On court de belle en
So bezeichnet man in der Umgangsspra¬
belle;/Mais on revient toujours/A ses Pre¬
che den statistischen Durchschnitts¬
miers amours („Man wird untreu, man
menschen, vor allem den Durchschnitts¬
läuft von einer Schönen zur andern,
konsumenten. Die Bezeichnung wurde
aber man kehrt immer wieder zu seiner
durch die gleichnamige Hauptfigur des
ersten Liebe zurück“). Man zitiert die
Films „Berliner Ballade“ aus dem Jahre
letzten beiden Zeilen heute auch häufig
1948 bekannt und gebräuchlich. Der
in bezug auf alte Vorlieben oder Ge¬
von Gert Fröbe gespielte Durchschnitts¬
wohnheiten, zu denen man nach Erfah¬
bürger erlebt in dem satirischen, auf ein
rungen mit neuen Dingen und Situatio¬
Kabarettprogramm zurückgehenden
nen stets wieder zurückfindet.
Film die Nachkriegswirklichkeit in
Deutschland.
Ein Onkel, der Gutes mitbringt, ist
besser als eine Tante, die bloß Kla¬ Mais oü sont les neiges d’antan?
vier spielt t Schnee von gestern
Diesen kinderfreundlichen Spruch ver¬
danken wir der aus dem Nachlaß her¬ Ozean, du Ungeheuer
ausgegebenen Sammlung „Aphorismen Mit diesen Worten bezeichnet in Carl
und Reime“ von Wilhelm Busch Maria von Webers romantischer Oper
(1832-1908). Er wird gelegentlich zi¬ „Oberon“ (deutsche Erstaufführung
tiert, wenn Eltern ernsthaft oder auch 1826) Rezia, die Tochter Harun al Ra¬
nur aus Höflichkeit Einwände dagegen schids, in ihrer Arie im 2. Akt das sturm¬
erheben, daß ein Besucher ein kleines bewegte Meer. Man verwendet das Zitat
353
Ozean Teil I
P
Goethe als Utopie in seinem Bildungs¬
roman „Wilhelm Meisters Wanderjah¬
re“ (1829). Im ersten Kapitel des zwei¬
ten Buches überschreiten Wilhelm und
sein Begleiter Felix „die Grenze der
Pack die Badehose ein
Provinz, in der sie so manches Merk¬
Mit diesem Schlagertitel debütierte 1950 würdige erfahren sollten“. In der Se¬
die deutsche Schlagersängerin und kundärliteratur zu Goethe hat man in
Schauspielerin Cornelia Froboess bezug auf diesen Abschnitt schon früh
(* 1943) als Kinderstar in einer Rund¬ von der „pädagogischen Provinz“ ge¬
funksendung. Der Schlager, den Corne¬ sprochen. Über den Roman hinaus wur¬
lias Vater Gerhard Froboess kompo¬ de der Begriff dann als Bezeichnung
niert hatte und dessen Text von Hans pädagogischer Idealentwürfe gebräuch¬
Bradtke stammt, wurde schnell populär lich.
und sein Titel als bildlicher Ausdruck
dafür gebräuchlich, daß strahlend schö¬ Die t Büchse der Pandora
nes Sommerwetter herrscht oder zu er¬
warten ist. Panem et circenses
„Brot und Spiele“, mehr braucht man
Packen wir’s an! nicht, um das Volk zufriedenzustellen.
Zusammen mit dem voranstehenden Dieses wenig günstige Urteil über seine
Satz „Es gibt viel zu tun“ erlangte diese Mitbürger fällte der römische Satiriker
Aufforderung als Werbeslogan der Esso Juvenal (fnach 127 n. Chr.) in seinen
AG 1974 über das Fernsehen weite Ver¬ „Satiren“ (X, 81). Diesen Leitsatz haben
breitung. Sie ist nicht zuletzt auch in Staatsmänner immer wieder zur Grund¬
scherzhaften Abwandlungen wie „Es lage ihrer Politik gemacht.
gibt viel zu tun. Fangt schon mal an“ all¬
gemein gebräuchlich geworden. Panta rhei
Der philosophische Gedanke vom ewi¬
t Da packt die andern kalter gen Wechsel der Dinge, von der unauf¬
Graus, sie fliehen in alle Welt hin¬ hörlichen Bewegung, vom steten Wer¬
aus den (griechisch nävm pet „alles
fließt“) wird dem altgriechischen Philo¬
Pacta sunt servanda sophen Heraklit (6./5.Jh. v. Chr.) zuge¬
Dieser auch heute noch häufig zitierte schrieben.
lateinische Rechtsgrundsatz, der über¬
setzt „Verträge müssen eingehalten wer¬ Papiertiger
den“ bedeutet, geht vielleicht auf den Der chinesische Politiker und Vorsit¬
römischen Juristen Ulpianus (um zende der Kommunistischen Partei
170-223) zurück. In verschiedenen Chinas Mao Tse-tung (Mao Zedong;
Rechtskommentaren nimmt er in die¬ 1893-1976) erklärte 1946 in einem In¬
sem Sinne zur Rechtskraft von geschlos¬ terview der amerikanischen Korrespon-
354
Teil I Partei
355
Parteien Teil I
356
Teil I Pfahl
endung gebracht wird, als „Penelope¬ und Leid in der Zukunft bedeuten, fin¬
arbeit“. det sich schon in mittelalterlichen
Traumbüchern, ln der englischen und
Per aspera ad astra französischen Literatur besonders des
Dieses lateinische Zitat, das in der 17. Jahrhunderts taucht dieses Motiv
Übersetzung „auf rauhen Wegen zu den ebenfalls auf.
Sternen" lautet, wird im Sinne von
„nach vielen Mühen zum Erfolg (gelan¬ Perlen vor die Säue werfen
gen)“ verwendet. Es ist eine Abwand¬
Wird etwas Wertvolles Leuten gegeben,
lung einer Stelle aus der Tragödie „Der
die es nicht zu schätzen wissen, so be¬
rasende Herkules“ des römischen Dich¬
zeichnet man dies gerne mit diesem dra¬
ters Seneca (etwa 55 v. Chr. bis etwa 40
stischen Bild aus dem Matthäusevange¬
n.Chr.). Das Original lautet Non est ad
lium (Matthäus 7,6), wo es heißt: „Ihr
astra mollis e terris via („Es ist kein be¬
sollt das Heiligtum nicht den Hunden
quemer Weg von der Erde zu den Ster¬
geben, und eure Perlen sollt ihr nicht
nen“).
vor die Säue werfen, auf daß sie diesel¬
ben nicht zertreten mit ihren Füßen und
Perfides Albion
sich wenden und euch zerreißen.“
Albion, der besonders dichterisch ge¬
brauchte Name für England, wurde -
obwohl keltischen Ursprungs - mit la¬ Peter-Prinzip
teinisch albus „weiß“ in Verbindung ge¬ Der in Kanada geborene amerikanische
bracht und auf die Kreidefelsen bei Do¬ Pädagoge und Buchautor Laurence
ver bezogen. Das Schlagwort vom „per¬ J. Peter (1919-1990) formulierte in sei¬
fiden Albion“ (= niederträchtiges Eng¬ nem 1969 erschienenen Buch The Peter
land) kam 1793 in Frankreich auf (fran¬ Principle das Prinzip von der „Hierar¬
zösisch la perfide Albion). Es war Aus¬ chie der Unfähigkeit“ (so der Untertitel
druck der Verbitterung über den Beitritt der 1970 erschienenen deutschen Über¬
Englands zur europäischen Koalition setzung), die in vielen Betrieben und In¬
gegen das revolutionäre Frankreich. In stitutionen herrscht. Bei seinen büroso¬
der Folgezeit wurde das Wort immer ziologischen Untersuchungen war er zu
wieder neu belebt, wenn es zu Konflik¬ einer Erkenntnis gelangt, die er im nach
ten zwischen Frankreich und England, ihm benannten „Peter-Prinzip“ zusam¬
dann auch zwischen Deutschland und menfaßt: „In a hierarchy every em-
England kam. ployee tends to rise to his level of in-
competence“ („In einer [Bürojhierar-
Periculum in mora chie besteht die Tendenz, daß jeder An¬
gestellte so lange aufsteigt, bis er eine
t Gefahr im Verzüge
Stufe erreicht hat, für die er nicht mehr
kompetent ist“).
Perlen bedeuten Tränen
In Gotthold Ephraim Lessings Trauer¬
spiel „Emilia Galotti“ (1772) erzählt die Pfahl im Fleisch
Titelgestalt Emilia am Morgen vor der Dieser Ausdruck für etwas, was jeman¬
geplanten Trauung mit dem Grafen Ap- den seelisch peinigt, jemanden innerlich
piani von einem Traum, der schon drei¬ nicht zur Ruhe kommen läßt, stammt
mal wiedergekehrt sei und in dem die aus dem neutestamentlichen 2. Brief des
Edelsteine eines Schmuckstücks, das ihr Paulus an die Korinther. Hier sagt der
zukünftiger Gemahl ihr geschenkt hatte, Apostel von sich selbst: „Und auf daß
sich in Perlen verwandelten. „Perlen ich mich nicht der hohen Offenbarun¬
aber“, so sagt sie zu ihrer Mutter, „Per¬ gen überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl
len aber bedeuten Tränen.“ Diese Vor¬ ins Fleisch, nämlich des Satans Engel,
stellung des Volksglaubens, daß Perlen, der mich mit Fäusten schlage, auf daß
die man geschenkt bekommt, Sorgen ich mich nicht überhebe“ (12,7).
357
Pfeife Teil I
358
Teil I Plebejer
tus“ (= Branntwein), eine wäßrige, fade dümmster Weise kläfft“ (Der Spiegel
schmeckende Flüssigkeit zurückbleibt, 21.7. 65, S. 18).
die in der älteren Chemie als „Phlegma“
bezeichnet wurde. Mit dem Zitat kom¬ Platonische Liebe
mentiert man eine Situation, in der der Der griechische Philosoph Platon
anfängliche Schwung und die Begeiste¬ (473. Jh. v. Chr.), acht Jahre lang selbst
rung nachgelassen haben und eine eher Schüler Sokrates’, kennzeichnet in sei¬
resigniert-phlegmatische Einstellung nem Dialog „Symposion“ („Das Gast¬
sich breitgemacht hat. mahl“) dessen Verhältnis zu seinen
Schülern als rein geistig-seelische Liebe.
Phönix aus der Asche Heute werden die Fügung und das Ad¬
Wenn gesagt wird, daß sich jemand jektiv „platonisch“ verwendet, wenn ei¬
oder etwas wie ein Phönix aus der ne nicht sinnliche, eine nicht auf Sexua¬
Asche erhebe oder daraus aufsteige, lität, sondern nur auf die geistig-psychi¬
dann wird durch dieses Bild ausge¬ sche Ebene gerichtete Liebesbeziehung
drückt, daß nach scheinbarer Vernich¬ gekennzeichnet werden soll. Wilhelm
tung, nach völligem Zusammenbruch ei¬ Busch hat auf seine Art eine treffende
ne kaum erwartete Wiedererstehung Definition gegeben: „Platonische Liebe
oder Neubelebung stattgefunden hat. kommt mir vor wie ein ewiges Zielen
Der Phönix war ein Fabelwesen der An¬ und Niemalslosdrücken.“
tike. Die Ägypter verehrten ihn als Ver¬
Platz an der Sonne
körperung des Sonnengottes; bei den
Griechen war er Sinnbild des Lebens, Das Motto einer bekannten deutschen
das nach dem Tod neu entsteht. Nach Fernsehlotterie, das auch bildlich im
der römischen Sage verbrennt sich der Sinne von „Glück und Erfolg im Le¬
Phönix in gewissen Abständen immer ben“ verwendet wird, geht auf einen
wieder selbst und steigt dann aus der Ausspruch des Reichskanzlers Fürst
Asche wieder auf. Das Motiv der Selbst¬ Bernhard von Bülow (1849-1929) zu¬
verbrennung wurde schon von den Kir¬ rück. Im Hinblick auf die Besetzung der
chenvätern und frühchristlichen Dich¬ chinesischen Küstenstadt Kiaotschou
tern auf Christus übertragen und mit (Jiaozhou) rechtfertigte er vor dem
dessen Tod und Auferstehung in Ver¬ Reichstag am 6. 12. 1897 die kolonialen
bindung gebracht. Zu nennen ist hier Ansprüche des Deutschen Reiches mit
Lactantius, ein lateinischer Schriftstel¬ den Worten: „Wir sind gern bereit, in
ler des 3. Jahrhunderts und das ihm zu¬ Ostasien den Interessen anderer Gro߬
geschriebene „Carmen de ave Phonice“ mächte Rechnung zu tragen ... Wir wol¬
(„Lied vom Vogel Phönix“). len niemand in den Schatten stellen,
aber wir verlangen auch unseren Platz
an der Sonne.“ Seinen Ursprung hat
Pia fraus
dieser bildliche Ausdruck möglicher¬
t Frommer Betrug weise bereits im 17. Jahrhundert im
Französischen.
Pinscher
Den umgangssprachlich abwertenden t Kein Platz für wilde Tiere
Ausdruck im Sinne von „unbedeutender
Play it again, Sam
Mensch“ gebrauchte Bundeskanzler
Ludwig Erhard in bezug auf den t Mach’s noch einmal, Sam
Schriftsteller Rolf Hochhuth, der in ei¬
ner Wahlbroschüre geschrieben hatte: Die Plebejer proben den Aufstand
„Der Klassenkampf ist nicht zu Ende.“ Dies ist der Titel eines Theaterstücks
Erhard attestierte Hochhuth Unfähig¬ von Günter Grass. Der Autor hat sein
keit auf einem ihm fremden Sektor: „Da 1966 erschienenes Stück selbst vielsa¬
hört bei mir der Dichter auf, und es gend als „deutsches Trauerspiel“ be¬
fängt der ganz kleine Pinscher an, der in zeichnet. Er setzt sich darin nicht nur
359
Teil I
Pleiten
360
Teil I post
te für den Welthandel. Es waren in er¬ Umgang mit dem politischen Gegner
ster Linie Briten und Amerikaner, die nicht zimperlich. Dies zeigte seine Re¬
vom Reich der Mitte the open doorfor all aktion auf die entstellende Wiedergabe
nations’ trade („die offene Tür für den seiner Äußerungen im Wahlkampf, die
Handel aller Nationen“) verlangten, wie er in einer Reichstagsrede im Januar
es der britische Admiral Charles Wil¬ 1882 als „politische Brunnenvergif¬
liam de la Poer, erster Baron Beresford tung“ bezeichnete.
(1846-1919) formulierte. Heute wird
das Schlagwort losgelöst vom histori¬ Die Polizei - dein Freund und
schen Hintergrund allgemein für das Helfer
Offenlegen, für Transparenz in bezug Dieser Slogan, der dazu dient, der Poli¬
auf die Zielsetzungen einer Regierung zei ein besseres, ein freundliches Image
oder auch eines Unternehmens verwen¬ zu verschaffen, geht vermutlich auf ein
det. Wort des Politikers Albert Grzesinski
(1879-1947) zurück. Dieser bemühte
Politik ist die Kunst des Möglichen sich als zeitweiliger Chef des preußi¬
Bei verschiedenen Gelegenheiten hat schen Landespolizeiamtes, als Polizei¬
Fürst Otto von Bismarck (deutscher präsident von Berlin und als preußi¬
Reichskanzler von 1871-1890) sich all¬ scher Innenminister (1926-1930) in be¬
gemein über die Politik geäußert, die sonderer Weise um eine Demokratisie¬
Politik von der Wissenschaft abge¬ rung von Verwaltung und Polizei. Im
grenzt, sie auch mit der Kunst vergli¬ Vorwort zu einem Buch anläßlich einer
chen. So entstand wohl auf dem Hinter¬ Polizeiausstellung in Berlin 1926 spricht
grund seiner Äußerungen im Laufe der er von der Devise der Polizei, „Freund,
Zeit diese populär gewordene Definiti¬ Helfer und Kamerad der Bevölkerung
on, die dann dem Staatsmann häufig zu¬ zu sein“.
geschrieben wurde, deren eigentliche
Herkunft aber nicht zu ermitteln ist. t Von Pontius zu Pilatus laufen
Die Politik verdirbt den Charakter TVom sichern Port läßt sich’s ge¬
Mit diesem Satz leitete 1882 der spätere mächlich raten
Chefredakteur der „Braunschweigi¬
schen Landeszeitung“, Eugen Sierke, ei¬
Ein Porträt des Künstlers als eines
nen Prospekttext ein, der für das „Blatt jungen Mannes
für die Gebildeten aller Stände“ (Unter¬ Diese wörtliche Übersetzung des Titels
titel: „Eine Zeitung für Nichtpolitiker“) eines Romans von James Joyce
warb. Im zweiten Satz des Werbetextes (1882-1941) wird - oft in Abwandlun¬
weist der Autor dann daraufhin, daß es gen - meist als Überschrift von biogra¬
sich hier um den Ausspruch eines be¬ phisch angelegten Zeitungsartikeln über
rühmten Staatsmannes handle. Als Ur¬ einen Künstler oder eine andere be¬
heber sollen der französische Politiker kannte Persönlichkeit verwendet. Der
Talleyrand (1754-1838), Fürst Metter¬ englische Originaltitel des Joyceschen
nich (1773-1859) aus Österreich, der Entwicklungsromans lautet A Portrait of
deutsche Publizist und Politiker Hofrat the Artist as a Young Man: die deut¬
Gentz oder ein anderer Diplomat des schen Ausgaben tragen die Titel „Ju¬
Wiener Kongresses (1814/1815) in Fra¬ gendbildnis“ oder „Jugendbildnis des
ge kommen. Dichters“.
361
Post Teil I
hinein; zu einem Zeitpunkt, wo es ei¬ die zwar nicht kausal aufeinander bezo¬
gentlich zu spät ist“ verwendet. Er gen, aber so aufeinander abgestimmt
stammt aus späteren lateinischen Über¬ sind, daß sie sich von Anfang an in
setzungen des philosophischen Dialogs Übereinstimmung befinden und ein
„Gorgias“ von Platon (427-347 v. Chr.). paralleles Geschehen zustande kommt
Hier wird zu Anfang geschildert, wie wie bei Uhren, die genau gleich reguliert
Sokrates zu einem Fest im Hause des sind. Diese Vorstellung führt in der Mo¬
reichen Kallikles unterwegs ist, wo auch nadologie von Leibniz mit zu der These
der berühmte Redner Gorgias zu Gast von der „besten aller möglichen Wel¬
ist. Sokrates, unterwegs aufgehalten, ten“ (vergleiche diesen Artikel).
trifft erst ein, als Gorgias schon einige
Redebeiträge zum besten gegeben hat, Prediger in der Wüste
und fragt daher, ob er und sein Gefährte
Einen Mahner, dessen Warnungen stän¬
zu spät gekommen seien, eben „nach
dig ungehört verhallen, bezeichnen wir
dem Fest“ (griechisch kcctötuv Eoprqg).
mit diesen Worten der Lutherüberset¬
Diese Wendung ist schon im Griechi¬
zung einer Stelle beim Propheten Jesaja
schen bekannt gewesen, wurde aber erst
(40,3). Es heißt hier: „Es ist eine Stim¬
in der lateinischen Form allgemein ver¬
me eines Predigers in der Wüste: Berei¬
breitet.
tet dem Herrn den Weg“. Im Matthäus¬
evangelium (Matthäus 3,3) werden die¬
Denn bei der Post geht’s nicht so se Worte wiederholt und auf Johannes
schnell den Täufer bezogen.
Die t Christel von der Post
Preisend mit viel schönen Reden
Potemkinsche Dörfer Die 1. Strophe des Gedichts „Der reich¬
Fürst Grigorij Aleksandrowitsch Potem- ste Fürst“ von Justinus Kerner
kin (russische Aussprache: pa'tjomkin; (1786-1862) lautet: „Preisend mit viel
1739-1791) war seit 1774 Günstling und schönen Reden/Ihrer Länder Wert und
engster Berater der russischen Kaiserin Zahl./Saßen viele deutsche Fürsten/
Katharina II. Er annektierte 1783 die Einst zu Worms im Kaisersaal.“ Man zi¬
Halbinsel Krim und forcierte die Kolo¬ tiert daraus manchmal noch den ersten
nisation in Südrußland. Als Katharina Vers, wenn man ausdrücken will, daß je¬
1787 die neugewonnenen Gebiete berei¬ mand äußerst wortreich und in wohlge¬
ste, soll er durch die Errichtung von setzter Rede - allerdings auch meist mit
Fassaden aufgebaute Dörfer vorge¬ wenig Wahrheitsgehalt - einen Sachver¬
täuscht haben, um so den Wohlstand halt in einem günstigen Licht darstellen
des Landes zu demonstrieren. Danach will.
steht die Wendung „Potemkinsche Dör¬
fer“ sprichwörtlich für Vorspiegelun¬ Die Presse - Druckerschwärze auf
gen, für in Wirklichkeit nicht Existieren¬ Papier
des.
In einer 1888 gehaltenen Reichstagsrede
äußerte sich Bismarck über die Einflu߬
Prästabilierte Harmonie
nahme der Presse in Frankreich und in
Dieser Ausdruck ist ein von dem deut¬ Rußland auf die jeweilige Regierung. Er
schen Philosophen Gottfried Wilhelm fügte dann hinzu, daß in beiden Fällen
Leibniz (1646-1716) geprägter philoso¬ die Presse für ihn „Druckerschwärze auf
phischer Begriff, der eine zentrale Stel¬ Papier“, also bedeutungslos, unwichtig
lung in der Philosophie, besonders der sei. Diese Äußerung wird mit wechseln¬
Monadenlehre von Leibniz einnimmt. dem Subjekt als abwertendes Urteil
Er bezeichnet damit das von Gott im über Druck-Erzeugnisse verschieden¬
voraus festgelegte harmonische Verhält¬ ster Art bis heute zitiert, etwa in der
nis aller Dinge im All, besonders das Form: „Dieses Buch ist für mich nichts
von Körper und Seele des Menschen, weiter als Druckerschwärze auf Papier.“
362
Teil I Proletarier
Die Presse ist die Artillerie der sondern als bewußt planendes und aktiv
Freiheit veränderndes Einwirken auf die Ent¬
Diesen Satz formulierte 1989 Hans- wicklung von Natur, Mensch und Ge¬
Dietrich Genscher (* 1927), der damali¬ sellschaft, als konkrete Utopie.
ge Außenminister der Bundesrepublik
Deutschland. Er nahm damit Bezug auf Prinzipienreiter
die Rolle der Presse in den sozialisti¬ f Auf einem Prinzip herumreiten
schen Staaten Osteuropas und die Be¬
deutung ihrer Berichterstattung über die Pro domo
hier stattfindenden gesellschaftspoliti¬ Die wörtliche Übersetzung dieses latei¬
schen Veränderungen für die weitere
nischen Ausdrucks lautet „für das
Entwicklung in diesen Ländern. Der Haus“. Meist tritt er in der Verbindung
Ausspruch ist eine Abwandlung des „pro domo reden“ auf, die „in eigener
Wortes „Kirchenglocken sind die Artil¬ Sache, zum eigenen Nutzen sprechen“
lerie der Geistlichkeit“, das dem öster¬ bedeutet. Es handelt sich hier um den
reichischen Kaiser Joseph II. (Regie¬ älteren Titel der Rede Oratio de domo
rungszeit 1765-1790) zugeschrieben sua („Rede für sein Haus“) des römi¬
wird.
schen Staatsmannes und Philosophen
Cicero (106-43 v. Chr.), die er nach der
Principiis obsta Zerstörung seines Hauses während sei¬
t Wehre den Anfängen ner Verbannung geschrieben hat.
363
Proletarier Teil I
Workers of all lands, unite auch auf dem nen Blick für das Nützliche oder Ange¬
Grabstein von Karl Marx auf dem Lon¬ nehme haben, beeinflussen läßt.
doner Friedhof Highgate stehen.
tO mein prophetisches Gemüt!
Die Proletarier haben nichts zu
verlieren als ihre Ketten
Proselytenmacherei
Diese Feststellung Findet sich am
Wenn jemand sehr schnell und meist
Schluß des sogenannten „Kommunisti¬
mit aufdringlichen Methoden als An¬
schen Manifests“, das Karl Marx und
hänger einer Religion, als Befürworter
Friedrich Engels im Jahr 1848 in Lon¬
don veröffentlichten: „Die Proletarier einer Ideologie gewonnen wird, ohne
daß der Betreffende jedoch wirklich
haben in ihr (gemeint ist die bisherige
Gesellschaftsordnung) nichts zu verlie¬ überzeugt ist, so bezeichnet man dies als
ren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt „Proselytenmacherei“. Der Ausdruck
zu gewinnen.“ (Es folgt der Aufruf geht auf eine Stelle im Matthäusevange¬
„Proletarier aller Länder, vereinigt lium zurück, in der Jesus warnt: „Weh
euch!“; vergleiche auch diesen Artikel.) euch. Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr
Heuchler, die ihr Land und Wasser um¬
ziehet, daß ihr einen Judengenossen
Der Prophet gilt nichts in seinem
machet“ (Matthäus 23,15). Im griechi¬
Vaterland
schen Text lautet der letzte Teil des
Dieser etwas abgewandelte Vers aus Satzes ... noujoai eva npocrqXvrov,
dem Matthäusevangelium (Matthäus deutsch: „... daß ihr einen Proselyten
13,57: „Ein Prophet gilt nirgend weni¬ macht“ (griechisch npocrfiXvTog = zum
ger denn in seinem Vaterland und in sei¬ Judentum Bekehrter).
nem Hause“) wird auf jemanden bezo¬
gen, dessen Fähigkeiten oder intellektu¬
elle Gaben von seiner näheren Umge¬ Prüfe die Rechnung, du mußt sie
bung nicht erkannt oder nicht gewürdigt bezahlen
werden. Häufig wird auch beim Zitieren Dieser Satz stammt aus dem Lied „Lob
variiert: „Der Prophet gilt wenig in sei¬ des Lernens“ in Bertolt Brechts Stück
nem Vaterland“ oder „Der Prophet gilt „Die Mutter“ (nach dem gleichnamigen
nichts/wenig im eigenen Land.“ Roman von Maxim Gorki; uraufgeführt
1932). Es heißt dort in der letzten Stro¬
Prophete rechts, Prophete links, phe: „Laß dir nichts einreden!/Sieh
das Weltkind in der Mitten selber nach!/Was du nicht selber
So lauten die Schlußverse von Goethes weißt,/Weißt du nicht. Prüfe die Rech¬
Gedicht „Diner zu Coblenz im Sommer nung. Du mußt sie bezahlen“ (Szene
1774“, das 1815 erstmals vollständig ab¬ 6 c). Das Zitat kann als ernsthafte Er¬
gedruckt worden ist. Auf einer Rhein¬ mahnung gebraucht werden, nichts un¬
fahrt saß Goethe mit dem Popularphilo- reflektiert und ungeprüft von anderen
sophen Johann Bernhard Basedow zu übernehmen, oder als scherzhafter
(1724-1790) und dem Schweizer evan¬ Kommentar, wenn man es einem ande¬
gelischen Theologen Johann Kaspar ren überläßt, eine Rechnung im Restau¬
Lavater (1741-1801) beim Essen. Wäh¬ rant o. ä. zu begleichen.
rend diese beiden mit ihren Gesprächs¬
partnern eine hochgelehrte Unterhal¬ T Drum prüfe, wer sich ewig bin¬
tung führten, widmete Goethe sich aus¬ det, ob sich das Herz zum Herzen
schließlich kulinarischen Genüssen.
Findet!
Das Zitat wird heute in der Regel auf je¬
manden bezogen, der - heiter und in
sich ruhend - sich nicht um die Meinun¬ Prüfet alles, und behaltet das Beste
gen anderer kümmert, sich nicht von Dieses Zitat ist die Umformung einer
den ihn umgebenden Eiferern, die kei¬ Stelle im ersten Paulusbrief an die Thes-
364
Teil I qui
365
qui Teil I
366
Teil I raffinierte
ßen und Österreich Nutzen ziehen woll¬ nicht rückgängig gemacht werden kön¬
te und seine Hoffnung auf eine Nieder¬ nen.
lage Preußens gesetzt hatte, war zutiefst
enttäuscht. Das Vergeltungsstreben der t Alle Räder stehen still, wenn dein
Franzosen nach diesem Sieg Preußens
starker Arm es will
fand Ausdruck in dem Schlachtruf „Ra¬
che für Sadowa!“ (französisch Revanche
Raffael wäre ein großer Maler ge¬
de Sadowa), der damals und in der Fol¬
gezeit überall bekannt war. Auch heute worden, selbst wenn er ohne Hän¬
noch ist er gelegentlich zu hören, aller¬ de auf die Welt gekommen wäre
dings im harmloseren Zusammenhang Das Zitat geht auf Gotthold Ephraim
von Spiel oder Sport als scherzhafte An¬ Lessings (1729-1781) „Emilia Galotti“
drohung einer Revanche beispielsweise (1,4) zurück. Der Maler Conti sagt dort
für die Schmach einer Niederlage o.ä. zum Prinzen von Guastalla: „Oder mei¬
nen Sie, Prinz, daß Raffael nicht das
Die Rache ist mein größte malerische Genie gewesen wäre,
Dieses (auch in der Form „Mein ist die wenn er unglücklicherweise ohne Hän¬
Rache“ gebräuchliche) Bibelzitat Findet de wäre geboren worden?“ Er stellt da¬
sich im Alten Testament, wo es heißt mit die Konzeption über die handwerk¬
(5. Moses 32,35): „Die Rache ist mein; liche Ausführung eines Kunstwerks, um
ich will vergelten.“ Im Römerbrief des zugleich seine Unzufriedenheit mit der
Neuen Testaments wird diese Stelle (mit eigenen Malerei zu rechtfertigen, die er
dem Zusatz „... spricht der Herr“) wie¬ zuvor so beschrieben hat: „Auf dem lan¬
der aufgenommen (Römer, 12,19). Au¬ gen Wege, aus dem Auge durch den
ßerhalb des biblischen Kontexts wird Arm in den Pinsel, wieviel geht da verlo¬
das Zitat oft scherzhaft zur Ankündi¬ ren! - Aber ... daß ich es weiß, was hier
gung einer Revanche verwendet. verlorengegangen und wie es verloren¬
gegangen und warum es verlorengehen
Das Rad der Geschichte zurück¬ müssen: darauf bin ich ebenso stolz und
drehen stolzer, als ich auf alles das bin, was ich
nicht verlorengehen lassen. Denn aus je¬
Das „Rad der Zeit“ oder das „Rad der
nem erkenne ich mehr als aus diesem,
Geschichte“ sind seit dem 18. Jahrhun¬
daß ich wirklich ein großer Maler bin,
dert im Deutschen gebräuchliche Bilder
daß es aber meine Hand nur nicht im¬
für den Wechsel durch die Zeitläufte
mer ist.“
und den Fortgang der geschichtlichen
Entwicklung. Eine daran angelehnte
Formulierung ist möglicherweise durch Das raffinierte Tier tat’s um des
das „Kommunistische Manifest“ (1848) Reimes willen
von Karl Marx und Friedrich Engels be¬ Dies ist die letzte Zeile eines zu den
kannt und gebräuchlich geworden. Dort „Galgenliedern“ gehörenden kleinen
heißt es im Abschnitt I („Bourgeois und Nonsensgedichts von Christian Mor¬
Proletarier“): „Die Mittelstände, der genstern (1871-1914), dem Dichter, der
kleine Industrielle, der kleine Kauf¬ besonders durch seine witzigen, oft
mann, der Handwerker, der Bauer, sie skurrilen sprachlichen Grotesken be¬
alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre kannt und beliebt geworden ist. Das Zi¬
Existenz als Mittelstände vor dem Un¬ tat dient meist dazu, jemandes Hand¬
tergang zu sichern. Sie sind also nicht lungsweise, die man nicht nachvollzie¬
revolutionär, sondern konservativ. hen, nicht verstehen kann oder will, zu
Noch mehr, sie sind reaktionär, sie su¬ kommentieren, oder auch einfach dazu,
chen das Rad der Geschichte zurückzu¬ sich eine Antwort zu ersparen. Das Ge¬
drehen.“ - Wenn heute gesagt wird, daß dicht „Das ästhetische Wiesel“ lautet im
das Rad der Geschichte sich nicht zu¬ ganzen: „Ein Wiesel saß auf einem Kie¬
rückdrehen läßt, so drückt man damit sel inmitten Bachgeriesel/Wißt ihr wes-
aus, daß historische Entwicklungen halb?/Das Mondkalb verriet es mir im
367
Teil I
Ränzlein
368
Teil I reden
Rauhe Winde wehn von Norden rier (1792-1837), und zwar aus seinem
Zu den oft zitierten Gedichtzeilen, die 1808 erschienenen Werk „Theorie des
den Einzug des Winters mit all seinen quatre mouvements et des destinees
Widrigkeiten beklagen, gehört diese generales“, einem umfassenden System
Zeile aus der ersten Strophe des Ge¬ des utopischen Sozialismus. Das Verur¬
dichts „Sehnsucht nach dem Frühling“, teiltsein des Menschen zur Arbeit seit
dessen erste Zeile, „O wie ist es kalt ge¬ dem Sündenfall wird hier als Men¬
worden“, bereits mit dieser Klage ein¬ schenrecht umgedeutet.
setzt. Das Gedicht gehört zu einer Reihe
sehr populär gewordener Kinderlieder Es wird mit Recht ein guter Braten
von Hoffmann von Fallersleben (1798 gerechnet zu den guten Taten
bis 1874). Mit diesen Zeilen beginnt ein Gedicht
aus Wilhelm Büschs Sammlung „Kritik
Raum für alle hat die Erde des Herzens“ (1874). Man bringt mit
Diese Feststellung werden heute viele - dem Zitat anerkennend-scherzhaft zum
angesichts der Bevölkerungsexplosion Ausdruck, daß man gekonnt zubereite¬
auf der Erde - nicht mehr für zutreffend tes, gutes Essen sehr wohl zu schätzen
halten. Zur Zeit Schillers jedenfalls war weiß. Das Gedicht vertritt die These,
sie noch unbezweifelbar richtig. Sie daß die sachkundige Zubereitung eines
stammt aus seinem 1804 entstandenen, Bratens positive Charaktereigenschaf¬
von Franz Schubert später vertonten ten der Köchin voraussetzt; es endet mit
Gedicht „Der Alpenjäger“ und stellt den Zeilen: „Wer einen guten Braten
dort einen Teil der Belehrung dar, die macht,/Hat auch ein gutes Herz.“
der Berggeist am Ende dem Jäger erteilt.
Dieser hat eine Gazelle bis auf den Recht muß Recht bleiben
höchsten Berggrat getrieben, um sie dort Im 94. Psalm des Alten Testaments ist
zu erlegen. Das Gedicht endet mit den davon die Rede, daß das Volk Gottes
Zeilen: „,Mußt du Tod und Jammer von den Gottlosen unterdrückt wird,
senden1,/Ruft er, ,bis herauf zu mir?/ daß Gott ihm aber beistehen wird:
Raum für alle hat die Erde,/Was ver¬ „Denn der Herr wird sein Volk nicht
folgst du meine Herde?1“ verstoßen noch sein Erbe verlassen.
Denn Recht muß doch Recht bleiben,
Raum ist in der kleinsten Hütte und dem werden alle frommen Herzen
Die 4. Strophe von Schillers Gedicht zufallen.11 Das verkürzte Zitat ist auch
„Der Jüngling am Bache“ (1803; die 3. in der abgewandelten Form „Was Recht
und 4. Strophe sind später in das Lust¬ ist, muß Recht bleiben“ sprichwörtlich
spiel „Der Parasit“ eingebaut worden) geworden; man verwendet es als bekräf¬
endet mit dem Vers: „Raum ist in der tigenden Kommentar, wenn man sich
kleinsten Hütte/Für ein glücklich lie¬ selbst im Recht fühlt oder als emphati¬
bend Paar.“ Man kommentiert damit sche Ablehnung einer Ungerechtigkeit.
heute - meist nur mit dem vorletzten
Vers - beengte räumliche Verhältnisse, TZur Rechten sieht man wie zur
die aber gerne in Kauf genommen wer¬ Linken einen halben Türken her¬
den. untersinken
tWie er sich räuspert und wie er t Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein.
spuckt, das hat er ihm glücklich ab¬ Was darüber ist, das ist vom Übel
geguckt
Es reden und träumen die Men¬
Das Recht auf Arbeit schen viel
Das politische Schlagwort vom Recht Mit den Versen „Es reden und träumen
auf Arbeit stammt von dem französi¬ die Menschen viel/Von bessern künfti¬
schen Sozialphilosophen Charles Fou¬ gen Tagen,/Nach einem glücklichen.
369
red’st Teil I
goldenen Ziel/Sieht man sie rennen und zitierten Zeile eine solche Geisterer¬
jagen“ beginnt Schillers Gedicht „Hoff¬ scheinung an; „Der Rodenstein, der Ro¬
nung“ (1797). Der Dichter spricht in sei¬ denstein, der Rodenstein zieht um!“ -
nen Versen die Überzeugung aus, daß Das Zitat wird umgangssprachlich ver¬
die Menschen zu Recht auf Verbesse¬ wendet, um auf erste Anzeichen einer
rung hoffen; mit dem Zitat wird aller¬ Veränderung oder Bewegung aufmerk¬
dings heute eher eine skeptische Hal¬ sam zu machen.
tung gegenüber jemandes hochfliegen¬
den Plänen und Wünschen zum Aus¬ Reich mir die Hand, mein Leben
druck gebracht. Diese oft zitierten Worte sind die An¬
fangszeile eines sehr populär geworde¬
t Du red’st, wie du’s verstehst nen Duetts aus dem 1. Akt der Oper
„Don Giovanni“ von Mozart (1756 bis
Eine Reformation an Haupt und 1791), italienisches Libretto von Loren-
Gliedern zo da Ponte (1749-1838), deutscher
So bezeichnet man eine grundlegende, Text der letzten Fassung von Hermann
völlige, in jeder Hinsicht durchzufüh¬ Levi (1839-1900). Das Duett bildet den
rende Umgestaltung einer Organisation. Höhepunkt einer Szene, in der Don
Die Forderung wurde ursprünglich in Giovanni, der Verführer, Zerlina, die
bezug auf die katholische Kirche aufge¬ Braut des Bauern Masetto, für sich ge¬
stellt, und sie ist in ihrer frühesten nach¬ winnt, indem er ihr einredet, ein Mäd¬
weisbaren Form wohl von dem Bischof chen wie sie dürfe nicht einem Bauern
Guilelmus Durandus formuliert wor¬ gehören.
den. In einem Text zur Vorbereitung des
Konzils von Vienne (1311) heißt es: t In meinem Reich geht die Sonne
... quod ante omnia corrigerentur et refor- nicht unter
marentur illa quae sunt in ecclesia Dei
corrigenda et reformanda, tarn in capite Reichskristallnacht
quam in membris („... daß vor allem das,
t Kristallnacht
was in der Kirche Gottes zu verbessern
und zu reformieren ist, verbessert und
reformiert werden möge, und zwar an
Reif für die Insel
Haupt und Gliedern“). So lautet der Titel eines 1982 von dem
österreichischen Liedermacher Peter
t Nach allen Regeln der Kunst Cornelius (* 1951) geschriebenen Schla¬
gers. Der Ausdruck, mit dem man deut¬
t Denn der Regen, der regnet jeg¬ lich machen möchte, daß man eine Er¬
lichen Tag holung dringend nötig hat, „urlaubs¬
reif* ist, hat sich in der Umgangsspra¬
t Auf Regen folgt Sonne che allgemein durchgesetzt.
Es regt sich was im Odenwald Reim dich, oder ich fress’ dich
Mit dieser Zeile beginnt das Gedicht Unter dem Pseudonym Hartmann Rein¬
„Rodensteins Auszug“ von Joseph Vic¬ hold veröffentlichte Gottfried Wilhelm
tor von Scheffel (1826-1886), das wohl Sacer (1635-1699) eine Satire über
zusammen mit anderen „Liedern vom Schwächen zeitgenössischer Dicht¬
Rodenstein“ nach einer Wanderung auf kunst. Der zeittypische Titel der Satire
die Ruine des Schlosses Rodenstein im lautete; „Reime dich, oder ich fresse
winterlichen Odenwald entstanden ist. dich, das ist, deutlicher zu geben, [...]
Um dieses Schloß ranken sich die Sagen schellen- und scheltenswürdige Thor-
vom „Herrn von Rodenstein“, der in be¬ heit boeotischer (= bäurischer) Poeten
stimmten Nächten mit einem „wilden in Deutschland“. Die verkürzte Form
Heer“ durch die Lüfte zieht; und in dieses Titels wird scherzhaft zitiert, um
Scheffels Gedicht kündigt sich mit der mißglückte, sozusagen gewaltsam zum
370
Teil I Reporter
Reim gezwungene Verse zu charakteri¬ Religion ist Opium für das Volk
sieren.
In seiner Abhandlung „Zur Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie. Einlei¬
Das t raffinierte Tier tat’s um des tung“ (1844) versucht Karl Marx
Reimes willen (1818-1883), die Kritik an der Religion
zu einer Gesellschaftskritik auf materia¬
Dem Reinen ist alles rein listischer Grundlage weiterzuentwik-
keln. Ausgehend von seiner Erkenntnis
Dieses Zitat, mit dem man jemandes „Der Mensch macht die Religion, die
vermeintliche Naivität oder Gutgläubig¬ Religion macht nicht den Menschen“,
keit - meist spöttisch - kommentiert, ist stellt er dann fest: „Das religiöse Elend
dem Brief des Paulus an Titus aus dem ist in einem der Ausdruck des wirkli¬
Neuen Testament entnommen. Hier chen Elends und in einem die Protestati¬
heißt es (1,15): „Den Reinen ist alles on gegen das wirkliche Elend. Die Reli¬
rein; den Unreinen aber und Ungläubi¬ gion ist der Seufzer der bedrängten
gen ist nichts rein, sondern unrein ist ihr Kreatur, das Gemüt einer herzlosen
Sinn sowohl als ihr Gewissen.“ - Fried¬ Welt, wie sie der Geist geistloser Zu¬
rich Nietzsche (1844-1900) hat dieses stände ist. Sie ist das Opium des Volks.“
Zitat im 14. Buch des 3. Teils seiner Die Religion stellt sich ihm also als das
Schrift „Also sprach Zarathustra“ auf¬ letzte Zufluchtsmittel eines unterdrück¬
gegriffen und abgewandelt: „,Dem Rei¬ ten und ausgebeuteten Volks dar, als ei¬
nen ist alles rein1 - so spricht das Volk. ne Droge, mit der es sich selbst die
Ich aber sage euch: den Schweinen wird Hoffnung auf eine bessere Welt vorgau¬
alles Schwein!“ kelt. Die Marxsche Aussage ist in der
Folgezeit auf die mißverständliche
t Wenn einer eine Reise tut, so Form „Religion ist Opium für das Volk“
kann er was erzählen verkürzt worden.
... reitet für Deutschland Wie hältst du’s mit der Religion?
Dies ist der Titel eines deutschen Films t Gretchenfrage
aus dem Jahr 1941. Sein Thema ist die
Geschichte des Rittmeisters von Lan¬
gen, eines deutschen Offiziers, der im t Alles rennet, rettet, flüchtet
Ersten Weltkrieg nach einer Verwun¬
dung gelähmt wurde, seine Krankheit
aber besiegte und schließlich als Spring¬ Reporter des Satans
reiter siegreich aus einem Europaturnier Dies ist der deutsche Titel des amerika¬
hervorging. Die Hauptrolle spielte Wil¬ nischen Films „Ace in the Hole (Big
ly Birgel. - Der Titel wird häufiger auch Carnival)“ - wörtlich übersetzt etwa:
in Abwandlungen gebraucht. Man weist „As im Ärmel (Großer Rummel)“ - aus
mit ihm scherzhaft oder auch spöttisch dem Jahr 1951. Er behandelt die Ge¬
auf jemanden hin, der zum Beispiel in schichte eines skrupellosen Reporters,
der Öffentlichkeit eine bestimmte Auf¬ der einem Sensationsbericht zuliebe
gabe erfüllt und sich dabei sehr wichtig Rettungsaktionen bei einem Minenun¬
vorkommt. glück behindert. Der Regisseur des
Films war Billy Wilder, der Hauptdar¬
t Wer reifet so spät durch Nacht steller Kirk Douglas. - Man kann dieses
und Wind? Zitat auch heute auf einen Reporter be¬
ziehen, dessen Methoden skrupellos er¬
scheinen; gelegentlich wird damit auch
Die Religion ist der Seufzer der be¬ scherzhaft-ironisch ein allzu biederer
drängten Kreatur und langweiliger Berichterstatter cha¬
t Religion ist Opium für das Volk rakterisiert.
371
Reptilienfonds Teil I
372
Teil I Revolutionäre
373
Teil I
Rezensent
374
Teil I Ritter
pflügenden Bauern erspäht und ihn als Ein Ritt über den Bodensee
„ein Spielding wunderschön“ mit¬
Der Ballade „Der Reiter und der Bo¬
nimmt. - Man verwendet den Ausdruck
densee“ von Gustav Schwab (1792 bis
für etwas, das sich dem Auge als über¬
1850) liegt eine schwäbische Sage zu¬
mäßig groß oder auch auf große Entfer¬
grunde. Danach hatte ein Reiter den
nung als besonders klein darbietet, bei¬
zugefrorenen und schneebedeckten
spielsweise Häuser oder Menschen in
Bodensee überquert, ohne zu wissen, wo
der Landschaft. (Siehe auch „Der Bauer
und in welcher Gefahr er sich befand.
ist kein Spielzeug“.)
Am Ufer angekommen, erfuhr er, daß er
über den See geritten war. Der Schock,
den er in diesem Augenblick erlitt, ließ
Rififi in ... ihn tot zu Boden stürzen. - Man spricht
Der französische Film Du Rififi chez les danach von einem „Ritt über den Bo¬
Hommes (deutsch: „Rififi“) stammt aus densee“, wenn man ein Unternehmen
dem Jahr 1955. Dem Drehbuch liegt ein für zu riskant oder unkalkulierbar hält
Roman gleichen Titels von Auguste le oder um etwas im nachhinein als beson¬
Breton zugrunde. Rififi, ein Ausdruck ders risikoreich oder gefährlich zu cha¬
aus der französischen Szenesprache der rakterisieren.
Unterwelt, bedeutet dabei soviel wie
„Rauferei, Prügelei“. Der Film des ame¬ Ritter ohne Furcht und Tadel
rikanisch-französischen Regisseurs Ju¬ Der oft ironisch verwendete Ausdruck
les Dassin, der von einem Diamanten¬ bedeutet heute „mutiger und sich vor¬
raub an der Place Vendöme in Paris bildlich benehmender Mann“. Er geht
handelt, wurde sehr bekannt. In seinem auf das französische Chevalier sans peur
Gefolge entstanden in den fünfziger et sans reproche zurück, auf den Beina¬
und sechziger Jahren weitere Gangster¬ men des Ritters Pierre Terrail, Seigneur
filme, die diese Bezeichnung im Titel de Bayard (1476-1524). Dessen 1527
führen. - „Rififi in ..." wurde zum ge¬ veröffentlichte und dem Notar Jacques
bräuchlichen Ausdruck besonders in de Mailles zugeschriebene panegyrische
Verbindung mit Ortsangaben, wobei der Lebensgeschichte trägt den Titel La
genannte Ort als Schauplatz eines spek¬ tres-joyeuse, plaisante et recreative histoi-
takulären Gangsterstücks zu denken ist. re du bon Chevalier sans paour et sans re¬
proche, gentil seigneur de Bayard („Die
sehr erfreuliche, kurzweilige und ergötz¬
Right or wrong - my country! liche Geschichte des braven Ritters oh¬
ne Furcht und ohne Tadel, des edlen
Als Urheber des Wahlspruchs „Recht
Herrn von Bayard“).
oder Unrecht - es ist mein Vaterland!“
wird der amerikanische Admiral Ste¬
phen Decatur (1779-1820) angesehen. Ritter von der traurigen Gestalt
Er hatte nach der Rückkehr von einem Mit diesem Ausdruck wird in meist
Flotteneinsatz im Jahr 1816 geäußert: scherzhafter, gelegentlich auch abwer¬
Our country! In her intercourse with for- tender Weise ein hagerer Mensch mit
eign nations, may she always be in the schlechter Haltung bezeichnet, der dazu
right, but our country, right or wrong! noch einen heruntergekommenen Ein¬
(„Unser Vaterland! In seinem Umgang druck macht. Die Bezeichnung stammt
mit fremden Nationen möge es immer aus dem berühmten Roman mit dem
im Recht sein, aber [es ist] unser Vater¬ Titelhelden Don Quichotte des spani¬
land, [ob im] Recht oder Unrecht.“) - schen Dichters Cervantes (1547-1616).
Der in dem Wahlspruch zum Ausdruck Sancho Pansa, der Begleiter und Knap¬
kommende bedingungslose Patriotis¬ pe des Don Quichotte, charakterisiert
mus wird heute meist kritisch betrachtet seinen Herrn mit diesem Ausdruck. Er
und das Zitat dementsprechend distan¬ lautet im spanischen Original: el Cabal¬
ziert verwendet. lero de la triste figura.
375
Robinsonade Teil I
376
Teil I Ruhe
und Illo von einem schicksalhaften Vor¬ Teil I: Abenteuer eines Junggesellen. In
gang. Vor einer Schlacht hatte er auf der Episode „Rektor Debisch“ wird To¬
Anraten Oktavio Piccolominis seinen bias Knopp mit einer Flasche Rotwein
Schecken gegen ein anderes Pferd aus¬ bewirtet, die allerdings von des Rektors
getauscht, was ihm das Leben gerettet Sohn heimlich mit Wasser aus der Re¬
hatte. „Dieses Tieres Schnelligkeit ent- genrinne aufgefüllt worden ist. Die Vor¬
riß/Mich Banniers verfolgenden Drago¬ freude der nichtsahnenden Herren De¬
nern./Mein Vetter ritt den Schecken an bisch und Knopp kommt in dem zitier¬
dem Tag,/Und Roß und Reiter sah ich ten Vers zum Ausdruck. Er wird heute
niemals wieder.“ - Man gebraucht das meist scherzhaft (aber ohne den Gedan¬
Zitat, um auszudrücken, daß man eine ken an eine Verfälschung des Getränks)
bestimmte Person völlig aus den Augen als Kommentar beim Kredenzen eines
verloren hat. guten Rotweins gebraucht.
377
Teil I
ruhende
Man zitiert den zweiten Satz dieses Tex¬ 1748) ein Lied eingearbeitet, das bald
tes in leicht abgewandelter Form, um in sehr populär wurde und dessen Refrain
Situationen allgemeiner Aufregung be¬ es bis heute geblieben ist. So ist er bei¬
schwichtigend auf andere einzu wirken. spielsweise in dem Miß-Marple-Film
„Mörder ahoi“ (1964) zu hören. Der
Der ruhende Pol Refrain lautet im englischen Original:
Rule, Britannia, rule the waves,/Britons
Aus Schillers Gedicht „Der Spazier¬
never will be slaves! (Zu deutsch etwa:
gang“, das die Gegensätzlichkeit von
„Herrsche Britannia, herrsche über die
Natur und Kultur durch die wechseln¬
Wogen, Briten werden niemals Sklaven
den Bilder eines Spaziergangs veran¬
sein!“)
schaulicht, stammt der Vers: „Sucht den
ruhenden Pol in der Erscheinungen
t Ach, wie gut, daß niemand weiß,
Flucht.“ Die festgewordene sprachliche
Fügung „der ruhende Pol“ geht wohl daß ich Rumpelstilzchen heiß’!
auf diesen Vers zurück. Fleute verstehen
wir darunter einen Menschen, der bei
Unruhe und Aufregung die Übersicht
behält, selbst Ruhe ausstrahlt und
Orientierungspunkt für andere sein
s
kann.
378
Teil I salomonisches
ich mir eins davon mitgebracht.“ Der dem Jahr 1936. (Den Text schrieben
Spruch wird heute auch ohne die Anga¬ Harry Hilm und Hans Lengsfelder.) Sie
be „auf den Bäumen“ zitiert. wird heute noch scherzhaft von jeman¬
dem zitiert, der sich verabschiedet oder
t In Sack und Asche gehen von einem Menschen trennt.
t Man schlägt den Sack und meint Sag mir das Wort, das so gern ich
den Esel gehört
So beginnt ein sehr volkstümlich gewor¬
Sacrificium intellectus
denes Lied mit dem Titel „Lang, lang
Der lateinische Begriff, in wörtlicher ist’s her“. Text und Melodie des aus
Übersetzung: „Opfer des Verstandes“, dem Englischen stammenden Liedes
entstammt der katholischen Glaubens¬ („Long, long ago“) wurden von Thomas
lehre, nach der die Gläubigen ihre eige¬ Haynes Bayly (1797-1839) geschrieben.
nen Überzeugungen in Glaubensdingen Beim Zitieren der Anfangszeile (im eng¬
den Lehrmeinungen der Kirche zu un¬ lischen Original: Tel! me the tales that to
terwerfen haben. Man führt den Aus¬ me were so dear) geht es wohl in den
druck auf eine Textstelle der Vulgata (2. meisten Fällen um früher gern Gehör¬
Korintherbrief 10,5) zurück. Luther tes, doch man verwendet sie gelegent¬
übersetzte sie mit den Worten: „Wir ... lich auch scherzhaft als Hinweis darauf,
nehmen gefangen alle Vernunft unter daß einem ein Wort, eine Bezeichnung
den Gehorsam Christi“. - Man verwen¬ entfallen ist.
det den Ausdruck, um ein Verhalten zu
umschreiben, das durch ein Aufgeben, Sag mir, wo die Blumen sind
ein Verleugnen der eigenen Überzeu¬ Mit diesen Worten beginnt ein Lied des
gung oder durch Autoritätsgläubigkeit amerikanischen Folksängers Pete See-
gekennzeichnet ist. ger aus dem Jahr 1961. Der englische
Text (Where have all the ßowers gone)
Sacro egoismo wurde von Max Colpet ins Deutsche
Diesen Ausdruck (deutsch: heiliger übertragen. Das gegen die Zerstörung
Egoismus) prägte der italienische Politi¬ des Lebens, gegen den Krieg gerichtete
ker Antonio Salandra (1853-1931) im Lied wiederholt als Refrain die melan¬
Jahr 1914 in einer Ansprache vor Beam¬ cholische Frage nach der Einsichtsfä¬
ten des italienischen Außenministeri¬ higkeit der Menschen: „Wann wird man
ums. Er forderte darin eine „unbegrenz¬ je verstehn, wann wird man je ver¬
te und ausschließliche Hingabe an das stehn?“ Der deutsche Text wurde be¬
Vaterland, einen geheiligten Egoismus sonders durch die Interpretation von
für Italien“ (della esclusiva ed illimiiata Marlene Dietrich bekannt. - „Sag mir,
devozione alla patria nostra, del sacro wo ... sind“ hat sich als floskelhafte
egoismo per iltalia). „Sacro egoismo“ Frage verselbständigt und läßt sich auf
galt danach als Schlagwort für die Ten¬ Personen oder Sachen beziehen, deren
denz der italienischen Außenpolitik in Fehlen oder Verschwundensein man
und nach dem Ersten Weltkrieg, sich beklagt.
nur von nationalen Interessen leiten zu
lassen. - Man verwendet den Ausdruck t Und sagte kein einziges Wort
häufiger mit kritischem Unterton, um
jemandes ausgeprägten Egoismus zu Salomonisches Urteil
kennzeichnen. Unter einem „salomonischen Urteil“
versteht man ein kluges, von viel Ein¬
TSie säen nicht, sie ernten nicht sicht zeugendes, durch seine Ausgewo¬
genheit verblüffendes Urteil. Der Aus¬
Sag beim Abschied leise Servus druck geht auf die alttestamentliche
Dies ist die Anfangszeile eines von Peter Gestalt Salomos (etwa 965-926 v. Chr.)
Kreuder komponierten Schlagers aus zurück, des Königs von Israel und Juda,
379
Salz Teil I
der wegen seiner Weisheit gerühmt wur¬ Stifter hat seine Ansichten zu diesem
de. Im ersten Buch der Könige Begriff programmatisch und in konzen¬
(3,16-28) wird von dem Streit zweier trierter Form in der Vorrede zu den Er¬
Mütter um ein Kind berichtet, von de¬ zählungen des Bandes „Bunte Steine“
nen jede behauptet, es handele sich um dargelegt. Für ihn ist nach diesem Ge¬
ihr eigenes. König Salomo schlichtet setz das „Wehen der Luft, das Rieseln
den Streit, indem er das Kind der Frau des Wassers, das Wachsen der Getreide,
zuspricht, die es lieber der anderen zu das Wogen des Meeres, das Grünen der
überlassen bereit ist, als es in zwei Stük- Erde, das Glänzen des Himmels“ grö¬
ke zerteilen zu lassen. In Vers 28 heißt es ßer als „das prächtig einherziehende
dann: „Und das Urteil, das der König Gewitter“, der „Blitz, welcher Häuser
gefällt hatte, erscholl vor dem ganzen Is¬ spaltet“, der „Sturm, der die Brandung
rael und ... sie sahen, daß die Weisheit treibt“, der „feuerspeiende Berg“, denn
Gottes in ihm war, Gericht zu halten.“ auch sie sind nur „Wirkungen viel höhe¬
rer Gesetze“. Dabei ist nicht der
Das Salz der Erde Mensch das Maß aller Dinge, sondern
In früheren Zeiten kam dem Salz wegen auch für ihn gilt die Notwendigkeit der
seiner lebenswichtigen Funktion und Einordnung in das „sanfte Gesetz“ des
seiner Seltenheit eine besondere Bedeu¬ Naturnotwendigen, „wodurch das
tung zu. Man maß ihm läuternde und menschliche Geschlecht geleitet wird“.
reinigende Kräfte bei und betrachtete es
als Symbol der Lebenskraft. Oft auch
t Das ist des Sängers Fluch
wurden ihm moralische und spirituelle
Kräfte zugeordnet. Vor diesem Hinter¬
grund ist das Wort zu verstehen, das Je¬ Sapere aude!
sus in der Bergpredigt nach den Selig¬ Diese Aufforderung, auf deutsch: „Wa¬
preisungen an seine Jünger richtet (Mat¬ ge es, weise zu sein!“, findet sich in
thäus 5,13): „Ihr seid das Salz der Er¬ einer der „Episteln“ (1,2,40) des römi¬
de.“ Das Bild vom „Salz der Erde“ wird schen Dichters Horaz (65-8 v.Chr.).
meist in religiösen Bereichen zitiert, Der deutsche Philosoph Immanuel
aber auch in weltlichen Zusammenhän¬ Kant griff dieses Diktum in seinem be¬
gen, wo es in der Regel auf arbeitende, rühmten Aufsatz „Beantwortung der
im praktischen Leben stehende vorbild¬ Frage: Was ist Aufklärung?“ aus dem
liche Menschen bezogen wird. Jahr 1784 auf und lieferte darin eine
Übersetzung des Horazwortes, die er
t Zur Salzsäule erstarren zum Wahlspruch der Aufklärung erhob.
Hier heißt es: „Sapere aude! Habe Mut,
Ein t barmherziger Samariter dich deines eigenen Verstandes zu be¬
dienen! ist also der Wahlspruch der
t Hilf, Samiel!
Aufklärung ... Zu dieser Aufklärung
aber wird nichts erfordert als Freiheit,
TO sancta simplicitas!
und zwar die unschädlichste unter al¬
lem, was nur Freiheit heißen mag, näm¬
t Wie Sand am Meer
lich die, von seiner Vernunft in allen
Stücken öffentlichen Gebrauch zu ma¬
t Auf Sand gebaut haben
chen.“ Schiller bemerkte dazu im 8.
Brief seiner Schrift „Über die ästheti¬
Das sanfte Gesetz
sche Erziehung des Menschen, in einer
Ein wesentlicher Begriff im Werk des Reihe von Briefen“ (1794): „... woran
Dichters Adalbert Stifter (1805-1868) liegt es, daß wir noch immer Barbaren
ist der des „sanften Gesetzes“, der im sind? ... Ein alter Weiser hat es empfun¬
Zusammenhang mit der Beurteilung be¬ den, und es liegt in dem vielbedeuten¬
stimmter Weltbetrachtungen, Naturauf¬ den Ausdruck versteckt: sapere aude.
fassungen o. ä. gelegentlich zitiert wird. Erkühne dich, weise zu sein.“
380
Teil I Schale
t Wie kommt Saul unter die Pro¬ Die Schafe zur Rechten und die
pheten? Böcke zur Linken
Die t Schafe von den Böcken trennen
Von einem Saulus zu einem Paulus
werden Die Schale des Zorns über jeman¬
TSein Damaskus erleben den ausgießen
Mit dieser Redewendung wird zum Aus¬
Saure Wochen! Frohe Feste!
druck gebracht, daß jemand einen an¬
tTages Arbeit! Abends Gäste! dern recht spürbar seinen Zorn, seinen
Unmut fühlen läßt. Die Wendung ist bi¬
Schade, daß du eine Kanaille bist! blischen Ursprungs. Von den Schalen
Dies ist der deutsche Titel eines 1955 des Zorns ist am Ende des 15. und am
nach einer Geschichte des italienischen Anfang des 16. Kapitels der „Offenba¬
Schriftstellers Alberto Moravia (1907 rung des Johannes“ die Rede. In 15,7
bis 1990) entstandenen Films mit dem heißt es: „Und eines der vier Tiere gab
italienischen Originaltitel Peccato que den sieben Engeln sieben goldene Scha¬
sia una canaglia. ln dem Film, einer im len voll Zorns Gottes ..." und 16,1:
römischen Milieu spielenden Liebesko- „Und ich hörte eine große Stimme aus
mödie, in der eine schöne Diebin von dem Tempel, die sprach zu den sieben
381
Teil I
scharfem
Engeln: Gehet hin und gießet aus die Schauet die Lilien auf dem Felde
Schalen des Zorns Gottes auf die Erde!“ t Sie säen nicht, sie ernten nicht
Die meist in gehobener oder auch spöt¬
tischer Redeweise gebrauchte Wendung TKomm auf die Schaukel, Luise!
wird gelegentlich abgewandelt, so daß
es z. B. heißt, daß jemand die Schale t Welch Schauspiel! Aber ach! Ein
seines Unmuts oder des Hohns und Schauspiel nur!
Spottes über einen andern ausgießt.
Ein Schauspiel für Götter
t Mit scharfem Blick, nach Ken¬ Ein t Bild für die Götter
nerweise, seh’ ich zunächst mal
nach dem Preise TWer das Scheiden hat erfunden
382
Teil I Schicksal
nur sehr milde bestrafte. Das Zitat wird vorchristlichen Jahrhunderts vorgesehe¬
zum einen als scherzhafte Umschrei¬ ne Möglichkeit, durch geheime Volks¬
bung des Gattenmordes verwendet, zum abstimmung einen unliebsamen Politi¬
anderen wird es gelegentlich abgewan¬ ker für eine bestimmte Zeit in die Ver¬
delt und auf die auffällige Besonderheit bannung zu schicken. Der Name des
einer Ehescheidung oder einer anderen Betroffenen wurde dabei auf als Stimm¬
Art von Trennung, von Aufhebung einer zettel dienende Tonscherben (griechisch
Gemeinschaft bezogen. Ostraka) geschrieben. Aristoteles hat
darüber in seiner „Staatsverfassung
t Auf seinem Schein bestehen Athens“ berichtet. - Man spricht von
einem Scherbengericht, das man über
Der Schein soll nie die Wirklich¬ jemanden oder etwas abhält, wenn man
keit erreichen, und siegt Natur, so zum Ausdruck bringen will, daß man
muß die Kunst entweichen mit jemandem oder einer Sache über¬
mäßig hart ins Gericht geht.
Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht
„An Goethe, als er den ,Mahomet‘ von TSein Scherflein beitragen
Voltaire auf die Bühne brachte“, ent¬
standen im Jahr 1800. Der Vers ist pro¬ t Was schert mich Weib, was schert
grammatischer Ausdruck der Schiller- mich Kind
schen idealistischen Kunstauffassung,
nach der das Kunstwerk seine Wahrheit Scherz, Satire, Ironie und tiefere
nicht durch bedingungslose Nachah¬ Bedeutung
mung der Natur, der Wirklichkeit errei¬
Dies ist der Titel eines Theaterstücks
chen kann.
von Christian Dietrich Grabbe (1801 bis
1836). In diesem Lustspiel setzt sich der
Scheint die Sonne noch so schön,
Autor ironisch mit der Literatur und
einmal muß sie untergehn dem Geistesleben seiner Zeit auseinan¬
Diese beiden Verse stammen aus dem der. Heute wird der Titel gewöhnlich zi¬
sehr bekannt gewordenen Lied „Brüder¬ tiert, wenn ausgedrückt werden soll, daß
lein fein“ aus Ferdinand Raimunds auch das Komische, das Absurde einen
(1790-1836) märchenhaftem Singspiel ernsten Hintergrund oder eine tiefere
„Das Mädchen aus der Feenwelt oder Bedeutung haben können.
Der Bauer als Millionär“ aus dem Jahr
1826. Die Musik für das Stück des öster¬ Das Schicksal des Menschen ist
reichischen Dramatikers schrieb Joseph der Mensch
Drechsler (1782-1852). Das Lied be¬ Diese Worte spricht in Bertolt Brechts
ginnt mit der Strophe: „Brüderlein fein, Stück „Die Mutter“ (nach dem gleich¬
Brüderlein fein,/Mußt mir ja nicht böse namigen Roman von Maxim Gorki; ur-
sein [/Scheint die Sonne noch so aufgeführt 1932) Pelagea Wlassowa, die
schön,/Einmal muß sie untergehn./Brü- Mutter eines getöteten jungen Kommu¬
derlein fein, Brüderlein fein,/Mußt nisten. Man will ihr, die nie ein Hehl
nicht böse sein!“ - Das Zitat umschreibt daraus gemacht hat, nicht gläubig zu
die Erkenntnis, daß auch die schönste sein und alles nur mit dem Maßstab der
Zeit einmal zu Ende gehen muß. Vernunft zu messen, erklären, daß der
Mensch gerade im Leid nicht ohne
TAuf einen Schelmen anderthal- Gott auskommt: „Frau Wlassowa, der
ben! Mensch braucht Gott. Er ist machtlos
gegen das Schicksal.“ Worauf sie ant¬
Scherbengericht wortet: „Wir sagen: Das Schicksal des
Der Ausdruck ist die deutsche Entspre¬ Menschen ist der Mensch“ (10. Szene).
chung des griechischen Begriffs „Ostra- Brecht hat hier einen Gedanken von
kismos“. Man bezeichnete damit eine Karl Marx umformuliert, der in der Ein¬
von der athenischen Verfassung des 5. leitung zu seiner „Kritik der Hegelschen
383
Schicksal Teil I
Schießen Sie nicht auf den Piani¬ Ein Schlachten war’s, nicht eine
sten Schlacht zu nennen!
Diesem Zitat liegt der Filmtitel „Schie¬ Im 9. Auftritt des 1. Akts von Schillers
ßen Sie auf den Pianisten“ zugrunde. romantischer Tragödie „Die Jungfrau
Der französische Film Tirez sur le piani- von Orleans“ (1801) berichtet der Ritter
ste wurde im Jahr 1959 von Franfois Raoul dem König von der Schlacht, in
Truffaut nach einem Roman von David der die Jungfrau zum ersten Mal auftritt
Goodis gedreht. Die Hauptrolle spielt „wie eine Kriegesgöttin, schön zugleich
384
Teil I Schlaraffenland
und schrecklich anzusehn“. Unter ihrer anonym und ohne Titel veröffentlicht
Führung schlägt das Heer des Königs wurde. Dieses Gedicht, das später den
die Feinde in einem Kampf, dessen Bi¬ Titel „Rezensent“ bekam, gilt als Ant¬
lanz lautete: „Ein Schlachten war's, wort auf eine Rezension von Goethes
nicht eine Schlacht zu nennen 1/Zwei¬ Dichtung „Götz von Berlichingen“ aus
tausend Feinde deckten das Gefild,/Die dem Jahr 1773. Es handelt von einem
nicht gerechnet, die der Fluß ver¬ Gast, der sich beim Dichter sattgegessen
schlang,/Und von den Unsern ward hat und danach bei einem anderen an
kein Mann vermißt.“ - Man verwendet der genossenen Mahlzeit herummäkelt:
das Zitat gelegentlich - losgelöst von „Und kaum ist mir der Kerl so satt,/Tut
seinem Zusammenhang um eine Aus¬ ihn der Teufel zum Nachbar füh¬
einandersetzung zu charakterisieren, die ren,/Über mein Essen zu räsonnie-
in ihrer Heftigkeit und Rücksichtslosig¬ ren:/,Die Supp’ hätt’ können gewürzter
keit das vertretbare Maß überschritten sein,/Der Braten brauner, firner der
hat. Wein.‘/Der Tausendsakerment 1/Schlagt
ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezen¬
t Ich denke einen langen Schlaf zu sent.“ - Auch heute noch wird das Zitat
tun scherzhaft auf einen unerwünschten,
kritischen Rezensenten bezogen.
385
9 Duden 12
schlechtesten Teil I
386
Teil I Schönen
siv reagieren und vorschnell ihr Urteil Schauspiel „The Tempest“ („Der
fällen. Sturm“) entlehnt (V, 1), wo die mit ih¬
rem Vater Prospero auf eine einsame In¬
Schön ist die Jugendzeit] sel verschlagene Miranda beim Anblick
Ein Thüringer Volkslied, dessen Verse des Königs von Neapel und seines Ge¬
von einem Arth. Heinlein stammen, be¬ folges begeistert ausruft: O wonder!/
singt die Vorzüge des Jungseins und die How many goodlv crealures are there
Vergänglichkeit der Jugend. Der Re¬ herel/How beauteous mankind isl/O
frain beginnt mit den Worten: „Drum brave new world,/Thathas suchpeople in ’t!
sag’ ich’s noch einmal: Schön ist die (in August Wilhelm von Schlegels Über¬
Jugendzeitl/Schön ist die Jugend, sie setzung: „O Wunder!/Was gibt’s für
kommt nicht mehr“. Man zitiert eine der herrliche Geschöpfe hier!/Wie schön
beiden Halbzeilen als Ausdruck weh¬ der Mensch ist! Wackre neue Welt,/Die
mütiger Erinnerung oder als wohlwol¬ solche Bürger trägt!“). Da der König
lende Ermahnung an junge Menschen, von Neapel an der Vertreibung ihres Va¬
ihre Jugend zu genießen. ters, des Herzogs von Mailand, durch
dessen Bruder beteiligt war, enthält die
Schön ist, Mutter Natur, deiner Er¬ Textstelle bei Shakespeare bereits einen
(der Gestalt der Miranda nicht bewu߬
findung Pracht
ten) ironischen Charakter.
Das Zitat, mit dem sich Ergriffenheit
angesichts großartiger Natureindrücke
wiedergeben läßt, ist die Anfangszeile Die Schöne und das Tier
von Friedrich Gottlieb Klopstocks t La belle et la bete
(1724-1803) Ode „Der Zürchersee“.
Der ganze Satz lautet: „Schön ist, Mut¬
ter Natur, deiner Erfindung Pracht/Auf t Das war in Schöneberg im Mo¬
die Fluren verstreut, schöner ein froh nat Mai
Gesicht,/Das den großen Gedanken/
Deiner Schöpfung noch einmal denkt.“
Die schönen Tage in Aranjuez
sind nun zu Ende
Eine schöne Menschenseele fin¬
den ist Gewinn Bei diesem, oft auch in der Form „Die
schönen Tage von Aranjuez sind nun
Das Zitat, mit dem man auf einen edlen
vorbei“ angeführten Zitat handelt es
oder wahrhaften Menschen hinweist,
sich um die Anfangszeilen von Schillers
stammt aus Johann Gottfried Herders
„Don Kariös“, die Pater Domingo, der
(1744-1803) Gedicht „Der gerettete
Beichtvater König Philipps, an dessen
Jüngling“, wo die Sentenz noch weitere
Sohn Kariös richtet. Aranjuez war
Steigerungen erfährt: „Eine schöne
schon vor Philipp II. beliebter Sommer¬
Menschenseele finden/Ist Gewinn; ein
aufenthalt von Isabella der Katholi¬
schönerer Gewinn ist,/Sie erhalten, und
schen und Karl V.; Philipp erhob die
der schönst’ und schwerste,/Sie, die
Domäne des Ritterordens von Santiago
schon verloren war, zu retten.“ zu seiner Sommerresidenz (mit berühm¬
ten Parkanlagen). Im Theaterstück wird
Schöne neue Welt die Rückkehr des Hofes nach Madrid
Der Ausdruck als ironische Bezeich¬ angesprochen. Das Zitat verwendet
nung für eine zukünftige automatisierte man, um anzudeuten, daß ein schöner
und aller natürlichen Impulse beraubte Aufenthalt, eine glückliche Zeit für je¬
Welt ist der Titel der deutschen Überset¬ manden zu Ende geht.
zung (1953) eines satirischen Romans
von Aldous Huxley (1894-1963). Der
Originaltitel dieser negativen Utopie
Die Schönen der Nacht
aus dem „7. Jahrhundert nach Ford“, Unter diesem Titel kam der französisch-
Brave New World, ist aus Shakespeares italienische Spielfilm von 1952 mit Ge-
387
9*
schönes Teil I
rard Philipe und Gina Lollobrigida (Re¬ Annexion Österreichs. Der Epilog, der
gie: Rene Clair, französischer Titel: Les am Ende des Stückes als Schrift auf dem
Beiles de nuit) in die deutschen Kinos. sich schließenden Vorhang erscheint,
Er zeigt die Wunschträume eines jungen drückt neben der Warnung auch Hoff¬
Musiklehrers aus der Provinz, in denen nung aus. Er endet mit den Worten:
dieser sich in der Rolle erfolgreicher, in¬ „So was hätt’ einmal fast die Welt
teressanter Männer sieht, die wunder¬ regiert!/Die Völker wurden seiner Herr,
schöne Frauen lieben. Das Zitat wird jedoch/Daß keiner uns zu früh da tri¬
heute gewöhnlich auf Frauen bezogen, umphiert -/Der Schoß ist fruchtbar
die nachts als Bardamen, Stripteasetän¬ noch, aus dem das kroch!“
zerinnen oder Prostituierte tätig sind.
TJedoch der schrecklichste der
t Mein schönes Fräulein, darf ich Schrecken, das ist der Mensch in
wagen, meinen Arm und Geleit Ihr seinem Wahn
anzutragen?
Schrei, wenn du kannst!
Das Zitat, mit dem man eine ausweglo¬
t In Schönheit sterben
se, verzweifelte Situation charakterisie¬
ren kann, ist der deutsche Titel des fran¬
Das Schönste sucht er auf den Flu¬ zösischen Films „Les Cousins“ von
ren, womit er seine Liebe schmückt Claude Chabrol aus dem Jahr 1958.
Die beiden Zeilen aus Schillers „Lied Darin wird eine Pariser Clique von ge¬
von der Glocke“ stehen in dem Ab¬ langweilten, neurotischen Studenten
schnitt über Kindheit und Jugend, wo es aus wohlhabenden Kreisen porträtiert.
vom Jüngling heißt: „Errötend folgt er
ihren Spuren/Und ist von ihrem Gruß t Ich kann schreiben links, ich
beglückt,/Das Schönste sucht er auf kann schreiben rechts
den Fluren,/Womit er seine Liebe
schmückt.“ Das Zitat kann auch heute, t In gleichem Schritt und Tritt
allerdings eher scherzhaft, auf ein Ge¬
schenk bezogen werden, das jemand ei¬ Ein Schuft, wer Arges dabei denkt
nem geliebten Wesen macht. Dabei muß T Honi soit qui mal y pense
die Gabe nicht unbedingt nur aus einem
Feldblumenstrauß bestehen. t Wissen, wo der Schuh drückt
388
Teil I Schwanengesang
T Mehr Schulden als Haare auf Die Formulierung des Zitats ist Shake¬
dem Kopf haben speares Tragödie „Hamlet“ (1,2) ent¬
nommen, wo der Titelheld die Charak¬
t Nicht für die Schule, sondern für terlosigkeit seiner Mutter nicht fassen
das Leben lernen wir kann, die wenige Wochen nach dem
Tod ihres Mannes dessen Mörder gehei¬
Laß dir dein Schulgeld zurückge¬ ratet hat: „Schwachheit, dein Nam’ ist
ben Weib!“ (im Original: Frailty, thy name is
woman!).
t Laß dir dein Lehrgeld zurückgeben
389
schwanken Teil I
gefaßt. So wurden die letzten dreizehn der Frühe wir trinken sie abends/Wir
hinterlassenen Lieder von Franz Schu¬ trinken sie mittags und morgens wir
bert (1797-1828) mit Texten von Lud¬ trinken sie nachts ...“ Das Gedicht
wig Reilstab, Heinrich Heine und Ga¬ über die unmenschliche Verfolgung
briel Seidl beispielsweise von dem Mu¬ und grausame Tötung der Juden im
sikverleger Tobias Haslinger zu einem Deutschland des Nationalsozialismus
Zyklus zusammengefaßt und unter dem ist Klage und Anklage zugleich. Die
Titel „Schwanengesang“ herausge¬ Auflösung der sittlichen Ordnung, die
bracht. Der Schriftsteller Klaus Mann sich in dem grausigen Geschehen mani¬
(1906-1949) bezeichnet in seinem Le¬ festiert, wird in unterschiedlichen Bil¬
bensbericht „Der Wendepunkt“ den be¬ dern und Vorgängen sichtbar. Die para¬
rühmten Roman seines Vaters Thomas dox formulierte Metapher gleich zu
Mann „Buddenbrooks“ (1901) als den Beginn des Gedichts ist dafür ein
epischen „Schwanengesang des deut¬ eindrucksvolles Beispiel. Sie wurde zu
schen Bürgertums“. einer Art Chiffre für das durch Perver¬
tierung menschlicher Ordnungen ent¬
standene Leid.
Schwanken wie ein Rohr im Wind
Die Redewendung - auch in der Form
„ein schwankendes Rohr im Wind Die schwarzen und die heitern
sein“ - hat die Bedeutung „in seinen
Lose
Entschlüssen unsicher, schwankend
sein“. Sie geht zurück auf zwei fast Als Beschreibung des unbeschwerten
gleichlautende Stellen im Neuen Testa¬ Daseins eines Kindes, das noch frei von
ment (Lukas 7,24 und Matthäus 11,7), den Sorgen des Alltags aufwächst und
die Licht- und Schattenseiten des Le¬
wo Jesus mit Bezug auf Johannes den
Täufer fragt: „Was seid ihr hinausge¬ bens erst später zu spüren bekommt,
gangen in die Wüste zu sehen? Wolltet heißt es in Schillers „Lied von der Glok-
ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin ke“ zu Beginn der 6. Strophe: „Ihm ru¬
und her bewegt?“ Ein „schwankendes“ hen noch im Zeitenschoße/Die schwar¬
oder auch „schwankes Rohr“ ist danach zen und die heitern Lose.“ Mit dem Zi¬
auch Sinnbild für einen schwachen, tat verbindet sich heute die Feststellung,
nicht in sich gefestigten Menschen. daß es neben Positivem auch Negatives
gibt und das Schicksal außer Pechsträh¬
nen auch glückliche Zeiten kennt.
t Auf schwanker Leiter der Ge¬
fühle
Schweig stille, mein Herze!
t Denn was man schwarz auf weiß So lautet der Kehrreim der vier Stro¬
besitzt, kann man getrost nach phen von Eduard Mörikes Gedicht
Hause tragen „Schön-Rohtraut“ (1838). Darin wird
einem Jüngling das Glück zuteil, die von
ihm angebetete - aber wegen des Stan¬
Schwarze Milch der Frühe
desunterschiedes im Grunde unerreich¬
Die expressionistische Sprache des Ly¬ bare - Königstochter küssen zu dürfen.
rikers Paul Celan (1920-1970) mit ihrer Darüber muß er aber selbstverständlich
eigenen Welt von Bildern, Farben, Mo¬ Stillschweigen bewahren, er darf dem
tiven und Symbolen (beeinflußt von Drängen seines Herzens, seiner Liebe
Symbolismus und Surrealismus) ist nicht weiter nachgeben. Das Gedicht
nicht leicht zu verstehen, die Gedichte wurde von Schumann, Hugo Wolf und
sind logisch oft nur schwer erfaßbar. anderen vertont. - Wenn man über et¬
Ein einzelnes Beispiel dafür ist die in ih¬ was sehr Schönes oder auch über etwas
rer Kühnheit bekannt gewordene Meta¬ sehr Enttäuschendes nicht sprechen
pher, mit der das berühmte Gedicht will, dann werden diese Worte gelegent¬
„Todesfuge“ einsetzt: „Schwarze Milch lich zitiert.
390
Teil I Seefahrt
391
Seele Teil I
dieser Fahrten, als ein Unwetter aufkam in Bildern wie dem des im ewigen
und die Seeleute nicht abfahren wollten, Wechsel zur Erde niedergehenden und
ausgerufen: Navigare necesse est, vivere zum Himmel wieder aufsteigenden
non est necesse. So die lateinische Über¬ Wassers, des zunächst „lieblich stäu¬
setzung des von Plutarch griechisch benden“, dann „unmutig schäumen¬
überlieferten Ausspruchs. Auf deutsch den“, schließlich im „flachen Bette hin¬
bedeutet er: „Abfahren ist notwendig, schleichenden“ Wasserlaufs oder dem
leben ist nicht notwendig.“ Der lateini¬ des Windes, der die „vom Grund aus
sche Spruch ziert noch heute als In¬ schäumenden Wogen“ mischt.
schrift das Portal des Hauses der See¬
fahrt in Bremen und hat dort die allge¬ T Nun hat die liebe Seele Ruh’
meinere Bedeutung „Es ist notwendig,
Schiffahrt zu treiben, es ist nicht not¬
(Zwei Seelen und ein Gedanke,
wendig zu leben“. Üblicher geworden
zwei Herzen und ein Schlag
ist die kurze Form Navigare necesse est
oder „Seefahrt ist not“.
t Zwei Seelen wohnen, ach, in
meiner Brust
T Mit der Seele baumeln
392
Teil I seid
393
seid Teil I
Weisung, sich die Erde untertan zu ma¬ das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr ge¬
chen (1. Moses 1,28). Einige Verse zuvor sellschaftliches Sein, das ihr Bewußt¬
(Vers 22) ergeht der gleiche Befehl be¬ sein bestimmt.“
reits an die Tiere im Wasser und in der
Luft. Es heißt dort: „Und Gott segnete Sein Damaskus erleben
sie und sprach: Seid fruchtbar und meh¬ Die Redewendung wird gebraucht, um
ret euch und erfüllet das Wasser im auszudrücken, daß sich jemand von
Meer; und das Gefieder mehre sich auf Grund auf gewandelt hat, im Wesep
Erden.“ Das Bibelwort wird oft auch in oder in seiner Erscheinung völlig anders
scherzhaft abgewandelter Form ge¬ geworden ist. Man verwendet sie häufig
braucht und lautet dann: „Seid furcht¬ auch in der Form „Seinen Tag von Da¬
bar und wehret euch!“ maskus erleben“. Sie bezieht sich auf
das 9. Kapitel der Apostelgeschichte im
Seid klug wie die Schlangen Neuen Testament. Hier wird erzählt,
Diesen Rat gibt Jesus nach Matthäus wie Jesus vor den Toren von Damaskus
10,16 den Jüngern, bevor er sie aussen¬ dem Christenverfolger Saulus erscheint,
det, in seinem Namen zu wirken: „Sie¬ ihn bekehrt und zu seinem Jünger
he, ich sende euch wie Schafe mitten un¬ macht. Saulus wird fortan in der Bibel
ter die Wölfe; darum seid klug, wie die nur noch mit dem griechisch-lateini¬
Schlangen und ohne Falsch wie die schen Namen Paulus genannt, worauf
Tauben.“ - Das Zitat ist eine Ermah¬ sich auch die gleichbedeutende Rede¬
nung, sich in einer bestimmten Situation wendung „Von einem Saulus zu einem
besonders klug zu verhalten. Paulus werden“ gründet.
394
Teil I seine
Sein oder Nichtsein, das ist hier römischen Historiker Livius (59
die Frage v.Chr.-17 n.Chr.) geschilderte Bege¬
Mit diesen Worten beginnt Hamlet, benheit zurück. Nach dem Sieg der Kel¬
Prinz von Dänemark, in Shakespeares ten über die Römer an der Allia 387
gleichnamiger Tragödie (III, 1) seinen v. Chr. wurde die Stadt Rom eingenom¬
Monolog, in dem er über die Scheu vor men. Als die zu zahlende Summe für
den Abzug der Feinde in Gold aufgewo¬
entschlossenem Handeln, die er in der
gen wurde, protestierten die Besiegten
Furcht vor dem Tod begründet sieht,
gegen die falschen Gewichte der Sieger,
nachdenkt. Im englischen Original lau¬
worauf der keltische Heerführer mit den
ten seine Worte: To be, or not to be, that
Worten „Wehe den Besiegten!“ auch
is the question. Das Zitat wird in Situa¬
noch sein Schwert auf die Waagschale
tionen gebraucht, die für jemanden oder
geworfen haben soll (Livius, Ab urbe
etwas von existentieller Bedeutung sind.
condita V, 48,9). (Vergleiche auch „Vae
victis!“)
Sein Scherflein beitragen
Die Redewendung mit der Bedeutung
„seinen kleinen Beitrag zu etwas lei¬
Seine Hände in Unschuld waschen
sten“ geht auf das Neue Testament zu¬
rück, wo sowohl im Markusevangelium Diese Redewendung verwendet jemand,
(12, 42) als auch im Lukasevangelium der beteuern will, daß er an einer Sache
(21, 2) vom „Scherflein der Witwe“ be¬ nicht beteiligt war und darum nicht zur
richtet wird. (Das Wort „Scherflein“ ist Verantwortung gezogen werden kann,
die Verkleinerung zu der im Spätmittel¬ daß er mit bestimmten Vorgängen
hochdeutschen gebräuchlichen Be¬ nichts zu tun hat. Die Wendung geht auf
zeichnung „scherf“ für eine Scheide¬ mehrere Stellen in der Bibel zurück. Die
münze.) Jesus beobachtete die Men¬ bekannteste ist sicherlich die bei Mat¬
schen, die ihre Opfer in den Opferstock thäus 27,24, wo es von dem römischen
legten. (Markus 12,42): „Und des kam Statthalter Pilatus, der seine Unschuld
eine arme Witwe und legte zwei Scherf¬ am Tod Jesu beteuert, heißt: „Da ...
lein ein.“ Dazu bemerkte er dann gegen¬ nahm er Wasser und wusch die Hände
über seinen Jüngern: „Wahrlich ich sage vor dem Volk und sprach: Ich bin un¬
euch: Diese arme Witwe hat mehr in schuldig an dem Blut dieses Gerechten;
den Gotteskasten gelegt denn alle, die sehet ihr zu!“ Auch in Psalm 26, einem
eingelegt haben.“ „Gebet zur Rettung der Unschuld“
heißt es in Vers 6: „Ich wasche meine
Sein Schicksal schafft sich selbst Hände in Unschuld und halte mich,
Herr, zu deinem Altar...“. Die an beiden
der Mann
Stellen verwendete Beteuerungsformel
Bei diesem Ausspruch handelt es sich hat ihren Ursprung in einer alttesta-
um den Schlußvers der romantisieren¬ mentlichen Vorschrift, von der im 5.
den Verserzählung „Otto der Schütz“
Buch Moses, 21,1-9 die Rede ist. Es
des deutschen Schriftstellers Gottfried wird dort angeordnet, daß die Ältesten
Kinkel (1815-1882). - Das Zitat bringt einer Stadt zu der Leiche eines von un¬
zum Ausdruck, daß der Mensch für sich bekannter Hand Erschlagenen eine jun¬
und sein Schicksal selbst verantwortlich ge Kuh bringen sollen, die sie zuvor ge¬
ist. tötet haben, und daß sie im Beisein der
Priester zum Zeichen ihrer Unschuld
Sein Schwert in die Waagschale über der Kuh ihre Hände waschen
werfen sollen mit den Worten: „Unsre Hände
Diese Redewendung, mit der ausge¬ haben dies Blut nicht vergossen, so
drückt wird, daß eine Entscheidung haben’s auch unsre Augen nicht gese¬
durch den Einsatz der eigenen Macht¬ hen. Sei gnädig deinem Volk Israel, das
mittel erzwungen oder zumindest stark du, Herr, erlöst hast; lege nicht das un¬
beeinflußt wird, geht auf eine beim schuldige Blut auf dein Volk Israel!“
395
Seinen Teil I
Den Seinen gibt’s der Herr im Äußerungen eines Kritikers mit diesem
Schlaf Zitat relativieren.
Im Alten Testament heißt es im 127.
Psalm von der Fürsorge des Herrn für Selbst ist der Mann!
die Gottesfürchtigen: „Es ist umsonst, Die sprichwörtliche Redewendung, die
daß ihr früh aufstehet und hernach lan¬ soviel besagt wie „man muß sich selbst
ge sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; helfen“, findet sich im zweiten Teil von
denn seinen Freunden gibt er’s schla¬ Goethes Faust (4. Akt. Auf dem Vorge-
fend“ (Psalm 127,2). Darauf beruht die birg). Hier gebraucht sie der Kaiser ge¬
mit ironischem Unterton gebrauchte genüber Faust: „Selbst ist der Mann!
Redensart, die soviel wie „Manche Wer Thron und Krön’ begehrt,/Persön¬
Leute haben so viel Glück, daß sie ohne lich sei er solcher Ehren wert.“ - Man
Anstrengung viel erreichen“ bedeutet. richtet den Ausspruch als Aufforderung
an sich selbst oder an einen anderen,
oder man kommentiert damit mit Ge¬
Seiner Majestät getreue Oppositi¬ nugtuung eine selbständig gemeisterte
on Aufgabe. Heute gibt es daneben auch
Der rechte Flügel der Deutschen Fort¬ die Form „Selbst ist die Frau!“
schrittspartei im preußischen Abgeord¬
netenhaus, der sich nach 1866 abspalte¬ Selig lächelnd wie ein satter Säug¬
te und den Kern der damals neugegrün¬ ling
deten Nationalliberalen Partei bildete,
Zu Christian Morgensterns (1871-1914)
zeigte sich schon früh gegenüber Bis¬
Palmström-Gedichten gehört „Korf er¬
marck kompromißbereit und war ge¬
findet eine Art von Witzen Das Zitat
willt, die Politik des preußischen Kö¬
ist der letzte Vers des zweistrophigen
nigs mitzutragen. Diese Haltung kenn¬
Gedichts über „eine Art von Witzen, die
zeichnete ein liberaler Abgeordneter
erst viele Stunden später wirken“, so
treffend, als er diese Gruppierung des
daß sie den Hörer eines solchen aus
Titels „Seiner Majestät getreue (auch zi¬
dem Schlaf aufwecken und ihn „selig
tiert: getreueste) Opposition“ für wür¬
lächeln“ lassen. „... als hätt ein Zunder
dig hielt. Man verwendet ihn noch heute
still geglommen,/wird man nachts im
gelegentlich, um eine parlamentarische
Opposition oder allgemein eine Grup¬ Bette plötzlich munter,/selig lächelnd
wie ein satter Säugling.“ - Man verwen¬
pe, die ein Gegengewicht zu einer herr¬
schenden Instanz darstellen soll, als zu det das Zitat, um jemandes entsprechen¬
nachgiebig zu charakterisieren. den Gesichtsausdruck, ein Zufrieden¬
heit ausdrückendes Lächeln, scherzhaft
zu kommentieren.
Seines Bellens lauter Schall be¬
weist nur, daß wir reiten TO selig, o selig, ein Kind noch zu
In einer Reihung parabolischer Gedich¬ sein!
te befaßt sich Goethe mit Rezensenten,
Dilettanten und Kritikern, Neologen, Selig sind ...
Krittlern und auch „Kläffern“, also Kri¬ Die im 5. Kapitel des Matthäusevangeli¬
tikern auf sehr niedrigem Niveau. Das ums, in der Bergpredigt, mehrfach wie¬
Gedicht „Kläffer“ endet mit den Zeilen: derholte Formel der Seligpreisung wird
„So will der Spitz aus unserm Stall/Uns vor allem in der Umgangssprache
immerfort begleiten,/Und seines Bel¬ scherzhaft oder spöttisch zitiert. Man
lens lauter Schall/Beweist nur, daß wir kommentiert damit Schwächen seiner
reiten.“ Ist jemand ständig lauter Kritik Mitmenschen, die man für hoffnungslo¬
ausgesetzt, so vermittelt ihm das auch se Fälle hält; besonders häufig sind For¬
das Gefühl, daß er etwas leistet und sein mulierungen wie „Selig sind die Doo¬
Schaffen Beachtung findet. In diesem fen“ oder „Selig sind die Bekloppten“
Bewußtsein kann er die ausfälligen (in Anlehnung an den mißverstandenen
396
Teil I setzet
Bibelvers „Selig sind, die da geistlich Man zitiert ihn häufig (auch in abge¬
arm sind“). wandelter Form), um auf die Gefähr¬
dung einer erhaltenswerten Institution,
Selig, wer sich vor der Welt ohne einer ökologischen oder kulturellen
Haß verschließt Besonderheit hinzuweisen und zu ihrer
Erhaltung aufzurufen.
Diese Verse stammen aus dem Frau von
Stein gewidmeten Gedicht Goethes mit
dem Titel „An den Mond“, dessen 2. Sesam, öffne dich!
Fassung auf das Jahr 1789 zurückgeht. Eine der Geschichten aus der orientali¬
Sie postulieren im Zusammenhang mit schen Märchensammlung „Tausend¬
den folgenden Versen das Beglückende undeine Nacht“ trägt den Titel „Ali Ba¬
einer Freundschaft, die - im Gleich¬ ba und die vierzig Räuber“. In ihrem
klang des Denkens und Fühlens - sich Mittelpunkt steht eine Höhle, angefüllt
selbst genügt: „Selig, wer sich vor der mit Gold und Schätzen, deren Tür sich
Welt/Ohne Haß verschließt,/Einen allein auf das Zauberwort „Sesam, öffne
Freund am Busen hält/Und mit dem ge- dich!“ auftut. Ali Baba, der durch einen
nießt,/Was von Menschen nicht ge- Zufall die Räuber vor der Höhle be¬
wußt,/Oder nicht bedacht,/Durch das lauscht, kann sich danach Zugang zu
Labyrinth der Brust/Wandelt in der den Schätzen verschaffen. - Man ge¬
Nacht.“ - Das Zitat läßt sich auf einen braucht das Zitat als scherzhaften Aus¬
Menschen beziehen, der sich dem Tru¬ ruf bei dem Versuch, etwas zu öffnen,
bel der Welt entzieht, um zu sich selbst ein Hindernis zu überwinden oder auch
zu finden. eine Lösung für ein bestimmtes „sperri¬
ges“ Problem zu finden. Als „Sesam“
Semper aliquid haeret bezeichnet man auch einen Ort, zu dem
man nicht ohne weiteres Zugang hat. -
Es t bleibt immer etwas hängen
Das gleiche Motiv behandelt ein Mär¬
chen der Brüder Grimm mit dem Titel
Semper idem
„Simeliberg“.
Das Zitat stammt aus den „Gesprächen
in Tuskulum“ (III, 15,31) des römi¬
Setzen wir Deutschland in den
schen Schriftstellers und Staatsmannes
Cicero (106-43 v. Chr.). Cicero spricht
Sattel
davon, daß Xanthippe an ihrem Gatten Mit der Metapher „Setzen wir Deutsch¬
Sokrates den bei seinem Weggehen und land, sozusagen, in den Sattel! Reiten
Wiederkommen gleichen Gesichtsaus¬ wird es schon können“, die Bismarck
druck gerühmt habe, und fügt erläu¬ am 11. 3. 1867 in einer Rede vor dem
ternd hinzu, daß der ihn prägende Geist Norddeutschen Reichstag gebrauchte,
keiner Veränderung unterworfen sei. wollte Bismarck Bedenken darüber
Die Formel „Semper idem“ oder „Im¬ zerstreuen, daß Deutschland nach der
mer derselbe“ dient als Wahlspruch für nationalstaatlichen Vereinigung unter
Gleichmut und Beständigkeit. Preußens Führung als Staat nicht funk¬
tionsfähig sei. „Setzen wir... in den Sat¬
Serengeti darf nicht sterben tel“ wird heute mit wechselndem Objekt
zitiert, wenn man aus einem sicheren
Der Zoologe Bernhard Grzimek
Gefühl heraus von jemandes Erfolg,
(1909-1987) veröffentlichte im Jahr
dem Gelingen einer Sache überzeugt ist
1959 ein Buch über seinen Forschungs¬
und andere dazu ermuntern will, nicht
aufenthalt in der afrikanischen Serenge-
länger zu zögern, sich vor dem Risiko
tisteppe, dem er diesen Titel gab. Der im
eines Fehlschlags nicht zu fürchten.
gleichen Jahr gedrehte Dokumentar¬
film, der ebenfalls „Serengeti darf nicht
sterben“ hieß, machte den beschwören¬
tUnd setzet ihr nicht das Leben
den Appell zur Erhaltung der afrikani¬ ein, nie wird euch das Leben ge¬
schen Tierwelt noch zusätzlich bekannt. wonnen sein
397
Teil I
SIC
398
Teil I sie
Sich wie ein Lamm zur Schlacht¬ t Denn sie hat viel geliebt
bank führen lassen
Diese Redewendung mit der Bedeutung Sie ist die erste nicht
„sich gottergeben seinem Schicksal fü¬ In Goethes Faust I (Trüber Tag. Feld)
gen, etwas geduldig, ohne Gegenwehr spricht Mephisto diese Worte. Es ist
hinnehmen“ ist biblischen Ursprungs. sein herzlos-zynischer Kommentar zu
Von der Gestalt des Gottesknechtes (ei¬ dem tragischen Geschehen um die Ge¬
ner alttestamentlichen Gestalt, die nicht stalt Gretchens. Dieser Kommentar
klar zu deuten ist, mit der sich jedoch wird oft (auch in abgewandelter Form)
messianische Weissagungen verknüp¬ zitiert und dabei auf die unterschied¬
fen) heißt es in Jesaja 53,7: „Da er ge¬ lichsten Vorkommnisse bezogen, die für
straft und gemartert ward, tat er seinen jemanden unerfreulich und schmerzhaft
Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur sind, die aber immer wieder Vorkom¬
Schlachtbank geführt wird ..." Zu den¬ men, im Grunde nichts Besonderes sind.
ken ist dabei an das Lamm, das als Op¬
fertier im Alten Testament eine große Sie küßten und sie schlugen ihn
Rolle spielt, bis es im Neuen Testament Der deutsche Titel des französischen
in der Funktion des Opferlamms als Films (Originaltitel: „Les quatre Cent
Sinnbild für das Selbstopfer Christi neu coups“) von Francois Truffaut aus dem
gesehen wird.
Jahr 1959 wird zitiert, um jemanden zu
charakterisieren, der im Leben herum¬
tUnd sie bewegt sich doch! gestoßen wird und dabei unter vielfälti¬
gen Schwierigkeiten seine Lebensziele
Sie haben schrecklich viel gelesen verfolgt. Im Film handelt es sich um ei¬
Das Zitat, das sowohl Belesenheit als nen unbequemen Jungen, der durch das
auch Buchgelehrsamkeit kennzeichnen Unverständnis seiner Eltern und Lehrer
kann, findet sich in Goethes Faust I, wo schließlich in einem Erziehungsheim
im Vorspiel auf dem Theater der Direk¬ landet, aus dem er ans Meer flieht.
tor dem Dichter gegenüber das Publi¬
kum charakterisiert: „Zwar sind sie an Sie liegen auf Bärenhäuten und
das Beste nicht gewöhnt,/Allein sie ha¬ trinken immer noch eins
ben schrecklich viel gelesen“, weshalb t Auf der Bärenhaut liegen
ihm an einem publikumswirksamen
Stück gelegen ist: „Wie machen wir’s, Sie nannten ihn ...
daß alles frisch und neu/Und mit Be¬
So beginnen die Titel einiger Abenteu¬
deutung auch gefällig sei?“
er-, Kriminal- und anderer Filme mit
den verschiedensten Helden und The¬
Sie hat die Treu’ gebrochen men. Den Anfang machte wohl der Wi¬
Das Zitat findet sich in Joseph Freiherr derstandsfilm „Sie nannten ihn Amigo“
von Eichendorffs (1788-1857) Gedicht von Heiner Carow aus dem Jahr 1958.
„Das zerbrochene Ringlein“, dessen 2. Darauf folgten die deutschen Originalti¬
Strophe lautet: „Sie hat mir Treu’ ver- tel „Sie nannten ihn Gringo“ und „Sie
sprochen,/Gab mir ein’n Ring da¬ nannten ihn Krambambuli“ sowie deut¬
bei,/Sie hat die Treu’ gebrochen,/Mein sche Verleihtitel wie „Sie nannten ihn
Ringlein sprang entzwei.“ Populär ge¬ Plattfuß“, „Sie nannten ihn King“, „Sie
worden ist das aus dem Roman „Ah¬ nannten ihn Mücke“ u. a. In allen Fäl¬
nung und Gegenwart“ (1811) stammen¬ len erhält der Held einen ihn charakteri¬
de Gedicht mit dem Anfang „In einem sierenden zusätzlichen Namen, unter
kühlen Grunde,/Da geht ein Mühlen¬ dem er dem Publikum mit der Floskel
rad“ durch die Vertonung von Fr. Glück „Sie nannten ihn“ vorgestellt wird. Das
aus dem Jahr 1814, besonders in der Zitat wird scherzhaft-ironisch abgewan¬
Fassung für Männerchor von Friedrich delt, um jemanden mit einer besonders
Silcher. treffenden Bezeichnung zu charakteri-
399
sie Teil I
sieren - so zum Beispiel in dem Scherz¬ Sie sehen den Marmor nicht
wort über einen Mann von geringer So lautet der Titel eines 1949 erschiene¬
Körpergröße: „Ein Kerl wie ein Baum. nen Erzählungsbandes des deutschen
Sie nannten ihn Bonsai.“ Schriftstellers Ernst Schnabel (1913 bis
1986). Den gleichen Titel trägt eine der
Sie säen nicht, sie ernten nicht in diesem Band enthaltenen kurzen Ge¬
schichten. Sie beginnt mit dem Satz:
Diese Worte, mit denen Jesus als Fort¬
„Die Straßenjungen in Rom und Carra¬
setzung der Bergpredigt vor allzu großer
ra sehen den Marmor nicht.“ - Das
Sorge um Nahrung und Kleidung
Zitat läßt sich auf Menschen beziehen,
warnt, stehen im Matthäusevangelium
die - eingeschlossen in die Enge ihrer
(6,26, 28 f.): „Sehet die Vögel unter dem
geistigen Welt - vieles aus ihrer unmit¬
Himmel an: sie säen nicht, sie ernten
telbaren Umgebung nicht wahrnehmen,
nicht, sie sammeln nicht in die Scheu¬
weil ihnen Kenntnisse oder Empfin¬
nen; und euer himmlischer Vater nährt
dungsfähigkeit dafür fehlen.
sie doch ... Schauet die Lilien auf dem
Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten
nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage Sie sollen ihn nicht haben
euch, daß auch Salomo in aller seiner So beginnt das 1840 von dem Schrift¬
Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist steller Nikolaus Becker (1809-1845)
wie derselben eins.“ Das Bibelzitat, aus veröffentlichte Lied „Der deutsche
dem auch die Stellen „Und euer himmli¬ Rhein“, das neben anderen bekannten
scher Vater nährt sie doch“ und „Schau¬ Rheinliedern Ausdruck des deutschen
et die Lilien auf dem Felde“ häufig an¬ Patriotismus dieser Zeit war. Es richtete
geführt werden, dient auch heute meist sich gegen französische Ansprüche auf
als Ermutigung zu größerem Gottver¬ das linke Rheinufer. „Sie sollen ihn
trauen. Gelegentlich bezieht man es nicht haben,/Den freien deutschen
auch mit einem gewissen Vorwurf auf Rhein,/Ob sie wie gierige Raben/Sich
Menschen, die auf Kosten anderer le¬ heiser danach schreien.“ - Man verwen¬
ben. det das Zitat heute meist scherzhaft als
Abwehr eines Besitzanspruchs.
Sie sagen Christus und meinen
Kattun Sie tanzte nur einen Sommer
So äußert sich in Theodor Fontanes Der Titel des schwedischen Films von
(1819-1898) Roman „Der Stechlin“ Pa¬ Arne Mattsson aus dem Jahr 1951 be¬
stor Lorenzen gegenüber dem alten zieht sich auf die nur einen Sommer
Dubslav von Stechlin in bezug auf die währende Liebe eines Mädchens vom
Engländer: „Sie sind drüben schreck¬ Dorf zu einem Studenten. Bei einem
lich runtergekommen, weil der Kult vor Autounfall kommt das Mädchen ums
dem Goldenen Kalbe beständig wächst; Leben. Das Zitat verwendet man scherz¬
lauter Jobber, und die vornehmen Leute haft oder ironisch in bezug auf eine
obenan. Und dabei so heuchlerisch; sie weibliche Person, die aus einem Tätig¬
sagen Christus und meinen Kattun.“ keitsbereich nach kurzer Zeit wieder
„Jobber“ wird hier umgangssprachlich verschwunden ist oder deren Ruhm nur
abwertend im Sinne von „skrupelloser von kurzer Dauer war.
Geschäftemacher“ gebraucht. „Kattun“
ist eine Anspielung auf die Baumwollfa- Sie tranken heimlich Wein und
briken im England des 18. Jahrhunderts.
predigten öffentlich Wasser
Von dem Fontane-Zitat leiten sich mög¬
licherweise die Ausdrücke „Kattun¬ t Ich kenne die Weise, ich kenne den
Text
christ“ und „Kattunchristentum“ unter
Anspielung auf jemandes religiöses
Heuchlertum aus Geschäftsgründen t... denn sie wissen nicht, was sie
her. tun
400
Teil I siehste
Sieben auf einen Streich mitzitiert: „Sieh da, sieh da, Timothe-
Die veraltende Redewendung „auf ei¬ us,/Die Kraniche des Ibykus!“ - Im Ge¬
nen Streich“ (= mit einem Schlag) wird dicht verraten sich mit diesem Ausruf
in dem Märchen der Brüder Grimm die beiden Mörder des Dichters Ibykus,
vom „Tapferen Schneiderlein“ beson¬ den sie auf seinem Weg zu den Isthmi-
ders anschaulich dargestellt. Der schen Spielen in Korinth umgebracht
Schneider stickt sich seine Heldentat, haben. Als er zu Tode getroffen zu Bo¬
sieben lästige Fliegen gleichzeitig mit ei¬ den sank, rauschte ein Zug Kraniche
nem Tuchlappen getroffen zu haben, vorüber, die der Sterbende als seine
auf den Gürtel. Alle fürchten ihn, weil Zeugen anrief: „,Von euch, ihr Krani¬
sie hinter der stolzen Formulierung von che dort oben,/Wenn keine andre Stim¬
ihm getötete Menschen vermuten. Auf me spricht,/Sei meines Mordes Klag’ er¬
Grund ihrer Furcht gelingt es ihm hoben !7Er ruft es, und sein Auge
schließlich, König zu werden und zu bricht.“
bleiben.
Sieh nach den Sternen! Gib acht
Sieben fette Jahre auf die Gassen!
T Fette Jahre Das oft als Spruch fürs Poesiealbum
verwendete Zitat stammt aus Wilhelm
Sieben magere Jahre Raabes (1831 - 1910) Roman „Die Leute
T Fette Jahre aus dem Walde“, aus dem Ende des 13.
Kapitels. Man wird durch diesen Dop¬
t In sieben Sprachen schweigen pelspruch zugleich ermahnt, seinen
Blick auf das Ewige zu richten, aber
t Im siebten Himmel sein dabei die alltägliche Wirklichkeit nicht
außer acht zu lassen.
Der Siege göttlichster ist das Ver¬
geben t Da siehe du zu!
Mit diesem sentenzhaften Ausspruch
versucht in Schillers Trauerspiel „Die Siehst du den Hut dort auf der
Braut von Messina“ (1,4) Donna Isabel-
Stange?
la, die Fürstin von Messina, ihre verfein¬
Ein Hut auf einer Stange - das ist das
deten Söhne, Don Manuel und Don Ce-
Symbol der kaiserlichen Gewalt in Alt¬
sar, zur Versöhnung zu bewegen. Ob¬
wohl in einem solchen Falle sogar beide dorf, dem Hauptort des Kantons Uri,
dem in Schillers „Wilhelm Teil“ die Be¬
Seiten in gewisser Weise siegen, scheint
völkerung mit entblößtem Haupt und
der „göttlichste“ Sieg nicht auf den
Beugen der Knie Reverenz erweisen
Menschen zugeschnitten zu sein; in
muß. Als Teil mit seinem Sohn achtlos
Schillers Theaterstück kommt es jeden¬
an diesem Symbol vorübergeht, macht
falls nur vorübergehend zur Aussöh¬
ihn sein Sohn darauf aufmerksam und
nung der beiden Brüder.
sagt: „Ei, Vater, sieh den Hut dort auf
der Stange!“ (III,3). Diese Worte wer¬
t Nun siegt mal schön!
den heute - völlig losgelöst vom ur¬
sprünglichen Bezug - noch scherzhaft
Sieh da, sieh da, Timotheus
zitiert, wenn man jemandes Aufmerk¬
Das Zitat stammt aus Schillers Ballade
samkeit auf etwas, was durch seine Ab¬
„Die Kraniche des Ibykus“ (1797). Man sonderlichkeit auffällt, lenken will.
gebraucht es scherzhaft oder ironisch,
um seiner Überraschung über jemanden
oder etwas Ausdruck zu geben. (Grund Siehste woll, da kimmt er
der „Überraschung“ ist dabei meist eine Mit diesem mundartlich gefärbten Vers,
etwas zweifelhafte Angelegenheit.) Ge¬ mit dem man jemandes Herannahen
legentlich wird auch die folgende Zeile scherzhaft kommentieren kann, beginnt
401
sieht Teil I
der Refrain eines bekannten Berliner Gewalt vor Recht geht und die Gesetze
Liedes mit dem Titel „Der geliebte des Krieges alle anderen Rechtsnormen
Schwiegersohn“ aus der Sammlung außer Kraft setzen.
„Berlinisches Liederbuch“ (1891). Die
erste Strophe lautet: „Lerche hat zwei Singe, wem Gesang gegeben
Töchter,/’n Schwiegersohn, den möcht
Mit den Versen „Singe, wem Gesang ge-
er./Er erwählt zum Schwiegersöhne/
geben,/In dem deutschen Dichter¬
Einen Schneider, der nicht ohne./Tritt
wald!“ beginnt Ludwig Uhlands
der Schneider in das Haus,/Ruft die
(1787-1862) Gedicht „Freie Kunst“,
Schwiegermutter aus:/,Siehste woll, da
das die Dichtung nicht nur an „stolze
kimmt er,/Jroße Schritte nimmt
Namen“ gebunden sehen will und die
er,/Jraue Haare hat er schon,/Der je¬
Dichter auffordert, sich aus dem Bann¬
liebte Schwiegersohn.' “ Der Refrain ist
bekannter in der salopp abgewandelten kreis der alten Meister zu befreien und
eine eigene, neue, freie Kunst zu schaf¬
Form: „... Siehste woll, da kimmt er
schon, der versoffne Schwiegersohn.“ fen. Die erste Zeile des Gedichts ist
schon zu Uhlands Lebzeiten als Frei¬
TUnd sieht sich stumm rings um brief für Dilettantismus mißverstanden
worden, so daß der heutige (von der
Tin den Sielen sterben Dichtkunst losgelöste) Gebrauch des
Zitats nicht immer nur der scherzhaften
Silberstreifen am Horizont Ermunterung singender Menschen gilt,
sondern bisweilen eher die Einschrän¬
Mit dieser häufig verwendeten Meta¬
kung ausdrückt, daß nur der singen mö¬
pher wird eine sich andeutungsweise
ge, dem eine entsprechende Begabung
abzeichnende positive Entwicklung, ein
auch tatsächlich gegeben ist.
Anlaß zur Hoffnung bezeichnet. Sie
geht auf eine 1924 gehaltene Rede des
Außenministers und früheren Reichs¬ t Und das hat mit ihrem Singen die
kanzlers Gustav Stresemann (1878 bis Lorelei getan
1929) zurück. Darin nahm er auf die Si¬
tuation der deutschen Wirtschaft Bezug
Sirenengesang
und zitierte einen Wirtschaftsfachmann,
der geäußert haben soll, er sehe - nach Der gehobene Ausdruck für verlocken¬
der zweiten Londoner Konferenz über de, verführerische Worte oder Ausfüh¬
die Reparationen des Deutschen Rei¬ rungen ist nach dem Gesang weiblicher
ches - „zum erstenmal einen Silberstrei¬ Fabelwesen der griechischen Mytholo¬
fen an dem sonst düsteren Horizont.“ gie gebildet. Mit ihrem unwidersteh¬
lichen, betörenden Gesang locken die
Silent leges inter arma Sirenen an ihrer Insel vorüberfahrende
Seeleute an, um sie zu töten. In Homers
Im Jahre 52 v. Chr. verteidigte der römi¬
(2. Hälfte des 8.Jh.s v. Chr.) „Odyssee“
sche Staatsmann, Philosoph und Red¬
ner Cicero den Volkstribun Milo, der (XII, 39-54) warnt die Zauberin Circe
Odysseus, der der Gefahr entgeht, in¬
wegen Mordes an seinem Gegenspieler,
dem Volkstribun Clodius, angeklagt dem er seinen Gefährten die Ohren mit
worden war. Aus dem Plädoyer für Milo Wachs verklebt und sich selbst an den
Schiffsmast fesseln läßt.
(Pro Milone 4,10 f.), das Cicero nach¬
träglich überarbeitet hat, wurde der Satz
Silent (enim) leges inter arma („Wenn ’s ist mal bei mir so Sitte
die Waffen sprechen, schweigen die Ge¬
t Chacun ä son goüt
setze“) bald allgemein verbreitet. Er
wird noch heute - meist in der lateini¬
schen Form - zitiert, wenn man zu der Sisyphusarbeit
bitteren Erkenntnis gelangen muß, daß Der Ausdruck ist nach einer Gestalt der
in kriegerischen Auseinandersetzungen griechischen Mythologie gebildet. Der
402
Teil I so
So blickt man klar, wie selten nur, So ernst mein Freund? Ich kenne
ins innre Walten der Natur dich nicht mehr
Das zunächst recht tiefsinnig wirkende In Schillers Drama „Wilhelm Teil“ (1,2)
Zitat bekommt seine eigentliche humo¬ wird (der zu den „Landleuten aus
ristische Wirkung erst bei Kenntnis des Schwyz“ gehörende) Werner Stauffa-
403
so Teil I
eher von seiner Frau Gertrud mit diesen TUnd so kommt zum guten Ende
Worten angesprochen, als sie ihn „kum¬ alles unter einen Hut
mervoll auf einer Bank unter der Linde“
sitzend antrifft. Heute werden diese So laßt ihm doch das kindliche
Worte als scherzhaft ermunternde Anre¬ Vergnügen
de noch zitiert.
Das Zitat stammt aus der Posse „Na¬
menlos“ von Emil Pohl (1824-1901)
und David Kalisch (1820-1872). Man
So jung kommen wir nicht mehr
verwendet es in meist herablassendem
zusammen
Ton, wenn man zum Ausdruck bringen
In dem Chorlied „Dem Gott der Reben will, daß es sich im Grunde nicht lohnt,
vertrau’ ich mein Glück“ aus der Oper jemandem etwas zu verwehren oder zu
„Hokus Pokus“, zu der der deutsche verbieten, da dessen Wünsche oder
Schriftsteller (und Schwager Goethes) Handlungen nicht weiter ernst zu neh¬
Christian August Vulpius (1762-1827) men sind.
den Text schrieb, lautet eine Zeile: „Wir
kommen doch morgen so jung nicht zu¬ So leb denn wohl, du stilles Haus
sammen.“ Daraus entstand vermutlich
Dieses Zitat stammt aus dem roman¬
die zitierte Redensart. Sie wird als er¬
tisch-komischen Märchenstück „Der
munternde Aufforderung verwendet,
Alpenkönig und der Menschenfeind“
bei einem geselligen Beisammensein
des österreichischen Dramatikers Ferdi¬
doch noch nicht wegzugehen, noch et¬
nand Raimund (1790-1836). Im Finale
was zu trinken und die [feuchtjfröhliche
des ersten Akts singt eine von dem
Feier zu genießen.
eigensinnigen Schloßherrn Rappelkopf
vertriebene Köhlerfamilie: „So leb denn
wohl, du stilles Haus !/Wir ziehn betrübt
So knüpfen ans fröhliche Ende den
von dir hinaus.“ Als Ausdruck eines
fröhlichen Anfang wir an
wehmütigen Abschieds von einem fried¬
Das Lied „Trost beim Scheiden“ (das lichen Platz, den man sehr geschätzt hat,
auch unter Titeln wie „Gesellschafts¬ werden diese Worte gelegentlich zitiert.
lied“ oder „Frohsinn“ zu Finden ist) des
deutschen Dramatikers August von So taumT ich von Begierde zu Ge¬
Kotzebue (1761-1819), das von Fried¬ nuß
rich Heinrich Himmel vertont wurde,
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust I
thematisiert die Vergänglichkeit und
(Wald und Höhle). Am Anfang dieser
Unbeständigkeit des menschlichen Le¬
Szene schließt Faust seinen nachdenkli¬
bens („Es kann ja nicht immer so blei¬
ben“). Die jetzt fröhlich miteinander chen Monolog über die Vergeblichkeit
feiern, werden vielleicht bald in alle seines Strebens nach Vollkommenem
Winde zerstreut sein. Aber - und darin mit den Worten: „So tauml’ ich von Be¬
liegt der Trost, den das Lied geben gierde zu Genuß,/Und im Genuß ver-
mpchte - es besteht auch die Möglich¬ schmachf ich nach Begierde.“ Heute
keit, daß man sich später einmal wieder¬ werden diese Worte meist zur Charakte¬
sieht, und wenn man fröhlich auseinan¬ risierung rücksichtslos ausgelebter, aber
dergegangen ist und sich die gemeinsa¬ letztlich unerfüllter Begierden zitiert.
me Freude im Herzen bewahrt hat, dann
tritt ein, was die letzte Strophe als Aus¬
So vergeht der Ruhm der Welt
blick bietet: „Und kommen wir wieder t Sic transit gloria mundi
zusammen/auf wechselnder Lebens-
bahn,/so knüpfen ans fröhliche Ende/ So weit die Füße tragen
den fröhlichen Anfang wir an.“ In die¬ Die Geschichte eines Mannes, der aus
sem Sinne wird das Zitat gelegentlich einem Gefangenenlager in Sibirien
heute noch als Ermunterung beim Ab¬ flüchtet und - meist zu Fuß - die un¬
schiednehmen gebraucht. glaublich lange Strecke bis nach Persien
404
Teil I soll
und damit in die Freiheit bewältigt, wur¬ Gomorrha und ihren gottlosen Bewoh¬
de von dem deutschen Schriftsteller Jo¬ nern berichtet und von der Vernichtung
sef Martin Bauer (1901 - 1970) geschrie¬ dieser Städte, auf die „der Herr Schwe¬
ben und 1955 mit dem Titel „So weit die fel und Feuer regnen“ ließ. Die beiden
Füße tragen“ veröffentlicht. Besonders Städtenamen wurden zusammen zu ei¬
bekannt wurde der Roman durch eine ner Bezeichnung für den Zustand der
mehrteilige, spannend inszenierte Fern- Lasterhaftigkeit und Verworfenheit, für
sehverfilmung. Das Zitat kann auf einen Ausschweifung und Sittenlosigkeit, ge¬
langen, mühevollen Weg bezogen wer¬ legentlich auch für großes Durcheinan¬
den, den jemand zu Fuß zurücklegen der, große Unordnung und Verwüstung.
muß, es kann aber auch in abgewandel¬ Darüber hinaus leitet sich die Bezeich¬
ter Form (z. B. „So weit die Kompromis¬ nung „Sodomie“ für den Geschlechts¬
se tragen“) verwendet werden. verkehr von Menschen mit Tieren (über
spätlateinisch sodomia) von dem Städ¬
So willst du treulos von mir schei¬ tenamen Sodom her.
den
Mit diesen Worten wendet sich am An¬ Sodomie
fang des Schillerschen Gedichtes „Die t Sodom und Gomorrha
Ideale“ der Dichter an seines „Lebens
goldne Zeit“. Er beklagt, daß mit der
Solange ich atme, hoffe ich
dahingegangenen Jugend auch die da¬
mals vorhandenen idealen Vorstellun¬ t Dum spiro, spero
gen von der Welt und seine eigenen küh¬
nen Gedanken, „der süße Glaube“, „der Soll das Werk den Meister loben
Entwürfe Flug“ geschwunden seien. Man kann dieses Zitat als Imperativ ver¬
Das Zitat wird heute wohl nur noch stehen, bezogen auf ein gelungenes
als scherzhafte Floskel beim Weggehen „Werk“, das für denjenigen spricht oder
eines andern gebraucht. sprechen kann, der es hervorgebracht
hat. - Es stammt aus Schillers Gedicht
Sobald das Geld im Kasten klingt „Das Lied von der Glocke“ (1799). Der
Das vollständige Zitat „Sobald das Geld Textzusammenhang, in dem die Vers-
im Kasten klingt,/Die Seele aus dem zeile steht, nennt die Bedingungen für
Fegfeuer springt“ soll auf den Abla߬ ein gelingendes Werk: „Von der Stirne
prediger Johann Tetzel (1455-1519) zu¬ heiß/Rinnen muß der Schweiß“.
rückgehen, der für die katholische Kir¬
che einen Ablaßhandel betrieb, bei dem Soll ich meines Bruders Hüter
durch Zahlen von Geldbußen Sünden
sein?
erlassen wurden. Mit dem Zitat wird
Mit diesem Zitat aus der Bibel will man
heute meist scherzhaft daraufhingewie¬
ausdrücken, daß man es ablehnt, die
sen, daß geleistete Zahlungen den Fort¬
Verantwortung für die Handlungsweise
gang von Auftragsarbeiten beschleuni¬
eines andern zu übernehmen oder sich
gen oder Geldzuwendungen jemandes
um dessen Verbleib zu kümmern. Im Al¬
Entscheidungen, Meinungen, Stand¬
ten Testament (1. Moses 4), wo die Ge¬
punkte beeinflussen können.
schichte von Kains Brudermord berich¬
tet wird, ist die rhetorische Frage „Soll
Sobald der Schnee schmilzt, wird
ich meines Bruders Hüter sein?“ die
sich’s finden ausweichende Antwort des Brudermör¬
TWer will denn alles gleich ergründen ders Kain auf die Frage des Herrn „Wo
ist dein Bruder Abel?“ Diese Frage
Sodom und Gomorrha nach dem Bruder Abel wiederum wird
Im Alten Testament (1. Moses 18 und gelegentlich scherzhaft zitiert, wenn
19) wird von den Sünden und der La¬ sich jemand nach dem Verbleib eines
sterhaftigkeit der Städte Sodom und andern erkundigen will.
405
Soll Teil I
406
Teil I spanisch
Die Sonne schien ihm aufs Gehirn, t Für Sorgen sorgt das liebe Leben
da nahm er einen Sonnenschirm
Die beiden Zeilen werden in entspre¬
Sorgenbrecher sind die Reben
chenden Situationen, beispielsweise T Für Sorgen sorgt das liebe Leben
wenn jemand der prallen Sonne ent¬
flieht oder ihr gern entfliehen möchte, Soviel Köpfe, soviel Sinne
im Scherz zitiert. Es sind zwei Zeilen aus Diese sprichwörtliche Redensart hat
der Anfangspassage der „Geschichte mehrere lateinische Vorlagen. So findet
von den schwarzen Buben“ aus dem man bei dem römischen Komödien¬
Kinderbuch „Struwwelpeter“ des dichter Terenz (um 185-159 v.Chr.) in
Frankfurter Arztes und Schriftstellers seinem Stück „Phormio“ die Feststel¬
Heinrich Hoffmann (1809-1894). lung: Quot homines, tot senlentiae („Wie
viele Menschen, so viele Meinungen“).
T Das ist die Sonne von Austerlitz! In den Satiren des Horaz (65-8 v.Chr.)
findet sich die Aussage: Quot capitum vi¬
vant, totidem studiorum mitia („Wie vie¬
Sonntags nie le Köpfe es gibt, so viele tausend Bestre¬
Diese Floskel wird gerne scherzhaft zur bungen gibt es“). In eine Kurzform ist
Ablehnung eines Ansinnens verwendet, diese Erkenntnis in dem lateinischen
auf das man nicht eingehen möchte. Sie Sprichwort: Quot capita, tot sensus
geht zurück auf den deutschen Titel („Soviel Köpfe, soviel Sinne“) ge¬
„Sonntags ... nie!“ eines griechischen bracht. - Man verwendet die Worte resi¬
Films mit Melina Mercouri in der gniert feststellend in einer Situation, in
Hauptrolle. Sie spielte in dieser Filmko¬ der über etwas Bestimmtes keine Eini¬
mödie von 1959 (Regie: Jules Dassin) gung zustande kommt, weil jeder der
eine lebenslustige Dirne von vitaler Beteiligten oder Befragten eine andere
Sinnlichkeit, die sich den Luxus leistet, Meinung vertritt und auf ihr beharrt.
sonntags nicht ihrer Arbeit nachzuge¬
hen. T Aber in Spanien tausendunddrei
Spanisch Vorkommen
Sorge macht alt vor der Zeit
Diese Redewendung besagt, daß jeman¬
Das alttestamentliche, zu den apokry¬
dem etwas sehr merkwürdig erscheint,
phen Schriften gehörende „Buch Jesus
ihn seltsam anmutet, so daß er es kaum
Sirach“ enthält eine Fülle von Weishei¬
glauben kann. Sie stammt wahrschein¬
ten und Lebensregeln. Zu ihnen gehört
lich aus der Zeit, als der aus Spanien
auch dieses Zitat, das mit seinem indi¬
stammende Karl V. (1500-1558) deut¬
rekten Appell zu einer bejahenden Le¬
scher Kaiser war. Viele bis dahin in
benseinstellung gerne als Aufruf zu po¬
Deutschland unbekannte und zum Teil
sitiverem Denken verwendet wird. Der
auch als unerhört empfundene Sitten,
Zusammenhang, aus dem das Zitat her¬
Bräuche und Moden fanden Eingang
ausgelöst ist, verdeutlicht seinen positi¬
und wurden mit Mißtrauen betrachtet.
ven Charakter. In Sirach 30,23-26 heißt
Der mit Hilfe und mit den Mitteln der
es: „Denn ein fröhlich Herz ist des Men¬
spanischen Inquisition gegen die Refor¬
schen Leben, und seine Freude ist sein
mation geführte Kampf Karls V. spielte
langes Leben. Tue dir Gutes, und tröste
bei der Ablehnung alles Spanischen
dein Herz, und treibe Traurigkeit fern
ebenfalls eine große Rolle. Die Spanier
von dir. Denn Traurigkeit tötet viele
wurden als Handlanger der Inquisition
Leute und dient doch zu nichts. Eifer
betrachtet und galten, was im Dreißig¬
und Zorn verkürzen das Leben, und
jährigen Krieg besonders deutlich wur¬
Sorge macht alt vor der Zeit.“
de, vielfach als ehrgeizig, feige und
heuchlerisch. Ein literarischer Beleg aus
Es ist ein TBrauch von alters her: jener Zeit findet sich bei Grimmelshau¬
Wer Sorgen hat, hat auch Likör! sen (um 1622-1676) im „Simplicissi-
407
spät Teil I
Spiel mir das Lied vom Tod T Die spinnen, die Römer!
Der deutsche Titel des Italowesterns
„C’era una volta il west“ von Sergio Der Spion, der aus der Kälte kam
Leone aus dem Jahr 1968 spielt auf den So lautet der deutsche Titel eines 1963
Mundharmonikaspieler an, der sich erschienenen Spionageromans des eng¬
nach langer Zeit für den Mord an sei¬ lischen Schriftstellers John le Carre
nem Bruder rächt. In dem Film spielten (* 1931; englischer Titel: The Spy Who
408
Teil I sprich
Came In Front The Cold; deutsch 1964). t Du Spottgeburt von Dreck und
Erzählt wird das Schicksal eines briti¬ Feuer
schen Agenten im damaligen Ost-Ber¬
lin. Der Roman wurde 1965 verfilmt.
Die Sprache ist dem Menschen ge¬
Roman- und Filmtitel wurden sehr
populär und in den verschiedensten geben, um seine Gedanken zu ver¬
Abwandlungen von Journalisten und bergen
Werbeleuten verwendet. Das sentenzhafte Zitat (im Original: La
parole a ete donnee d l’homme pour
Splendid isolation deguiser sa pensee) ist ein Ausspruch
von Napoleons Minister Talleyrand aus
Mit diesem englischen Ausdruck wird
dem Jahr 1807 gegenüber dem spani¬
die freiwillige Bündnislosigkeit eines
schen Gesandten Izquiero, als dieser
Staates, einer Partei o. ä. bezeichnet.
ihn an seine Versprechungen erinnerte.
Auch ein völliges Sichzurückziehen von
Heinrich Heine legt in „Ideen. Das
den alltäglichen Dingen, die einem auf
Buch Le Grand“ 1826 eine abgewandel¬
Grund einer gewissen Selbstüberhe¬
te Formulierung dem Polizeiminister
bung zu trivial erscheinen, wird gele¬
Joseph Fouche in den Mund: Les pa-
gentlich so benannt. Der Ausdruck ist
roles sont faites pour cacher nos pensees
ursprünglich ein Schlagwort für die bri¬
(„Die Worte sind dazu da, unsere Ge¬
tische Außenpolitik im 19. Jh., die
danken zu verbergen“). In einem sehr
Bündnisse vermied, um die politische
ähnlichen Zitat, das Talleyrand benutzt
Handlungsfreiheit zu bewahren. Der
haben könnte, sagt Voltaire (1696 bis
britische Politiker George Joachim,
1778) in seinem „Dialogue du Chapon
1. Viscount Goschen of Hawkhurst,
et de la Poularde“ von den Menschen:
sprach am 26. Februar 1896 von „our
„Sie gebrauchen ihren Verstand nur, um
splendid isolation, as one of our colo¬
ihr Unrecht zu rechtfertigen, und ihre
nial friends was good enough to call it“.
Sprache allein, um ihre Gedanken zu
Er bezog sich damit auf eine Äußerung
verbergen“ (im Original: Ils neseservent
des kanadischen Politikers Sir George
de la pensee que pour autoriser leurs in-
Foster vor dem kanadischen Unterhaus
justices, et n'emploient les paroles que
vom 16. Januar 1896, in der es hieß: „In
pour deguiser leurs pensees).
these somewhat troublesome days when
the great Mother Empire Stands splen-
didly isolated in Europe“ („In diesen t Wie Spreu im Winde
einigermaßen schwierigen Tagen, in de¬
nen die große Mutter Empire in Europa Die Spreu vom Weizen sondern
so großartig allein steht“). Die Redewendung mit der Bedeutung
„das Wertlose vom Wertvollen trennen“
Den Splitter im fremden Auge, ist nach einer Bibelstelle gebildet. Im
aber nicht den Balken im eigenen Neuen Testament, Matthäus 3,12 weist
sehen Johannes der Täufer in seiner Büßpre¬
digt auf Jesus mit folgendem Bild hin:
Diese Redewendung mit der Bedeutung
„Und er hat seine Wurfschaufel in der
„Kleine Fehler bei anderen kritisieren,
Hand; er wird seine Tenne fegen und
die eigenen größeren aber übersehen“
den Weizen in seine Scheune sammeln;
ist biblischen Ursprungs. Am Schluß
aber die Spreu wird er verbrennen mit
der Bergpredigt spricht Jesus vom lieb¬
ewigem Feuer.“
losen Richter und sagt (Matthäus 7,3):
„Was siehest du aber den Splitter in dei¬
nes Bruders Auge und wirst nicht ge¬ Sprich mir von allen Schrecken des
wahr des Balkens in deinem Auge?“ Gewissens, von meinem Vater
sprich mir nicht
t Aus Spöttern werden oft Prophe¬ In Schillers Drama „Don Kariös“ be¬
ten stimmt ein schwerer Konflikt zwischen
409
spricht Teil I
Vater und Sohn, zwischen König Phil¬ loslöst, ist vermutlich in der Zeit der
ipp dem Zweiten und dem Kronprinzen Hugenottenkriege (1562-1598) entstan¬
Don Kariös, weitgehend den Hand¬ den und zuerst bei dem französischen
lungsablauf. Die Schwere und Tragwei¬ Schriftsteller Theodore Agrippa d’Aubi-
te des Konflikts wird deutlich in dieser gne (1552-1630) belegt. In seiner Schrift
Äußerung des Don Kariös gleich in der „Du debvoir des roys et des subjects“
2. Szene des 1. Aktes. Es ist die Antwort, gibt er die Anklagen gegen die Hugenot¬
die Kariös seinem Freund, dem Mar¬ ten wieder. Von ihren Forderungen
quis von Posa, gibt, als dieser den Vater nach Gleichberechtigung in Garnisonen
erwähnt. Als Zitat gebraucht, weisen und Ständevertretungen sagen die Ka¬
diese Worte auf Konflikte ähnlicher Art tholiken: ... que tout cela sepeut appeler:
hin. Gelegentlich sind sie aber auch Fair un Estat dans l’Estat („... daß man
Umschreibung für eine viel einfachere das alles einen Staat im Staate nennen
Aussage, nämlich: „Mit allem kannst du kann“).
mir kommen, nur damit nicht.“
t Wider den Stachel locken
t Man spricht vergebens viel, um zu
versagen; der andre hört von allem t Andere Städtchen, andre Mäd¬
nur das Nein chen
410
Teil I Stein
411
Stein Teil I
Stein des Anstoßes und ein Fels des Är¬ Stell dir vor, es ist Krieg, und kei¬
gernisses den beiden Häusern Israel, ner geht hin
zum Strick und Fall den Bürgern zu Als wahrscheinlichste Quelle für diesen
Jerusalem.“ in Graffitisammlungen, auf Postkarten
und Aufklebern zu findenden Spruch
TViel Steine gab’s und wenig Brot
kann wohl das Buch „The People, Yes“
(deutsch: „Das Volk, jawohl“) angese¬
Steine geben statt Brot
hen werden, das der amerikanische
Die stilistisch gehobene Wendung „je¬ Dichter Carl Sandburg 1936 veröffent¬
mandem Steine geben statt Brot“ hat die lichte. Dann wird ein Dialog wiederge¬
Bedeutung „jemanden mit leeren Wor¬ geben, in dem ein kleines Mädchen da¬
ten abspeisen statt ihm wirklich zu hel¬
nach fragt, was Soldaten sind und was
fen“. Sie geht auf eine Stelle in der Bibel sie tun. Am Ende sagt das Mädchen:
zurück. Im 7. Kapitel des Matthäus¬
Sometime they’ll give a war and nobody
evangeliums, das das Ende der Bergpre¬
will come („Einmal wird es einen Krieg
digt enthält, heißt es in Vers 9: „Welcher
geben, und niemand wird hinkommen“).
ist unter euch Menschen, so ihn sein
Stellvertretend für die zahlreichen Ab¬
Sohn bittet ums Brot, der ihm einen
wandlungen, die der Spruch inzwischen
Stein biete?“
erfahren hat, sei nur die genannt, die
der Kabarettist Wolfgang Neuss
Der steinerne Gast
(1924-1989) geprägt hat: „Stell dir vor,
Mit dieser Gestalt ist in Mozarts es geht, und keiner kriegt’s hin.“
(1756-1791) Oper „Don Giovanni“ (auf
deutsch „Don Juan oder Der steinerne
Gast“) das Standbild des von Don Juan t Wärst du an meiner Stelle, du
erstochenen Komturs gemeint, das zu würdest anders denken
Don Juans Gastmahl erscheint, um ihn
den Flammen der Hölle zu überliefern.
t Hier ist die Stelle, wo ich sterb¬
Es handelt sich hier um das in spani¬
schen Romanzen auftauchende volks¬
lich bin
tümliche Sagenmotiv, nach dem ein stei¬
nernes Standbild einem lebenden Rä¬ Stellenweise Glatteis
cher gleich eine Freveltat bestraft. Da¬
Diese aus dem Wetterbericht geläufige
von leitet sich die Redewendung „dasit¬
Formulierung wählte Max von der Grün
zen wie der steinerne Gast“ ab, die so¬
1973 als Romantitel. Er nutzte dabei
viel bedeutet wie „in einer Gesellschaft
den seit dem 19. Jahrhundert belegten
sitzen, ohne sich am Gespräch zu betei¬
übertragenen Gebrauch des Wortes
ligen; stumm dasitzen“.
„Glatteis“ zur Charakterisierung der
Gefahren, in die man sich durch sein
Stell auf den Tisch die duftenden
Handeln in der Gesellschaft begibt. Das
Reseden
Zitat wird meist als Warnung vor heik¬
Das Gedicht „Allerseelen“, in dem sich len Situationen, in denen man sich
der österreichische Dichter Hermann leicht falsch verhalten kann, verwendet.
von Gilm zu Rosenegg (1812-1864) ei¬
ner geliebten Toten erinnert, beginnt mit
diesem Vers, der wie die folgenden Ver¬ Die Sterne, die begehrt man nicht
se eine längst dahingegangene Atmo¬ Das Zitat, mit dem man daraufhinweist,
sphäre zu beschwören sucht: „Stell auf daß man sein Streben vernünftigerweise
den Tisch die duftenden Reseden,/Die nicht auf etwas Unerreichbares richtet,
letzten roten Astern trag herbei,/Und stammt aus Goethes Gedicht „Trost in
laß uns wieder von der Liebe re¬ Tränen“ (1804). Einem traurigen Men¬
den,/Wie einst im Mai.“ Das Gedicht schen versuchen seine fröhlich ge¬
wurde besonders durch die Vertonung stimmten Freunde Mut zu machen: Er
von Richard Strauss bekannt. solle sich bemühen, das zu erwerben.
412
Teil I stille
wonach er sich so sehr sehnt. Er aber ten im Laufe der Geschichte.“ Dann
gibt ihnen zu verstehen, daß er das Ziel heißt es von den „Sternstunden“: „Ich
seiner Sehnsucht nicht erlangen kann: habe sie so genannt, weil sie leuchtend
„Es steht mir gar zu fern./Es weilt so und unwandelbar wie Sterne die Nacht
hoch, es blinkt so schön,/Wie droben je¬ der Vergänglichkeit überglänzen“. -
ner Stern.“ Darauf antwortet man ihm: Man verwendet das Zitat - ähnlich wie
„Die Sterne, die begehrt man nicht,/ Stefan Zweig - zur Charakterisierung
Man freut sich ihrer Pracht,/Und mit von Taten oder Ereignissen, die für die
Entzücken blickt man auf/ln jeder hei¬ Menschheit von großer Bedeutung sind.
tern Nacht.“ Seine Sehnsucht jedoch ist
zu stark, sein Herz muß sich in Tränen Steter Tropfen höhlt den Stein
erleichtern: „Und mit Entzücken blick’ Die sprichwörtliche Redensart mit der
ich auf/So manchen lieben Tag;/Ver- Bedeutung „durch ständige Wiederho¬
weinen laßt die Nächte mich,/So lang lung einer Bitte, einer Forderung o.ä.
ich weinen mag.“ - Das Gedicht hat erreicht man schließlich bei jemandem
durch mehrere Vertonungen (unter an¬ sein Ziel“ geht auf den griechischen
derem von Franz Schubert und Johan¬ Epiker Choirilos von Samos (2. Hälfte
nes Brahms) zusätzliche Bekanntheit des 5.Jh.s v. Chr.) zurück. In seinem
gewonnen. fragmentarischen Gedicht über die Per¬
serkriege heißt es: „Der Tropfen höhlt
Die Sterne lügen nicht den Stein durch Beharrlichkeit.“ Die la¬
Bei dieser zum Schlagwort der Astrolo¬ teinische Form Gutta cavat lapidem
gie gewordenen Meinung bleibt Wallen¬ („Der Tropfen höhlt den Stein“), der die
stein in Schillers Tragödie „Wallen¬ deutsche Redensart nachgebildet ist,
steins Tod“ (III, 9) auch angesichts der findet sich bei dem römischen Dichter
Tatsache, daß der ihm von den Sternen Ovid (43 v. Chr.-17 oder 18 n. Chr.) in
vorherbestimmte Freund Octavio Picco¬ den „Epistulae ex Ponto“ (IV, 10,5).
lomini sich gegen ihn gewandt hat: „Die Später erhielt die Redensart noch die
Sterne lügen nicht, das aber ist/Gesche- Ergänzung: Non vi, sed saepe cadendo
hen wider Sternenlauf und Schicksal./ („Nicht durch Gewalt, sondern durch
Die Kunst ist redlich; doch dies falsche häufiges Niederfallen“).
Herz/Bringt Lug und Trug in den wahr-
haft’gen Himmel.“ Der Stil, das ist der Mensch
t Le style, c’est l’homme
TSieh nach den Sternen! Gib acht
auf die Gassen! t In den Ozean schifft mit tausend
Masten der Jüngling; still auf ge¬
t Überm Sternenzelt muß ein lie¬
rettetem Boot treibt in den Hafen
ber Vater wohnen
der Greis
Sternstunden der Menschheit
Der österreichische Schriftsteller Stefan
Stille Tage in Clichy
Zweig (1881-1942) gab diesen Titel ei¬ Der Ausdruck für Tage der Muße, auch
nem 1927 zuerst veröffentlichten, später sexueller Vergnügungen zitiert den
erweiterten Essayband, in dem er einzel¬ deutschen Titel von Henry Millers
ne Beispiele solcher „Sternstunden“ aus (1891-1980) autobiographischem Ro¬
der Geschichte darstellt. In seinem Vor¬ man Quiet Days in Clichy, der sein aus¬
wort sagt er dazu: „Solche dramatisch schweifendes Leben in der Pariser Bo¬
geballten, solche schicksalsträchtigen heme der dreißiger Jahre schildert. Der
Stunden, in denen eine zeitüberdauern¬ Roman erhielt zusätzliche Popularität
de Entscheidung auf ein einziges Da¬ durch die dänische Verfilmung von Jens
tum, eine einzige Stunde und oft nur ei¬ Jörgen Thorsen (1969) und durch die
ne Minute zusammengedrängt ist, sind französische von Claude Chabrol
selten im Leben eines einzelnen und sel¬ (1990).
413
Stillen Teil I
414
Teil I Stunde
415
Stunde Teil I
t Meine Stunde ist noch nicht ge¬ risierung einer Entwicklungsphase eines
jungen Menschen, in der Ungestüm und
kommen
jugendlicher Überschwang vorherr¬
TWem die Stunde schlägt schen, Rationalität und Abgeklärtheit
noch fehlen und auch nicht erstrebens¬
Sturm im Wasserglas wert erscheinen.
Dieser Ausdruck als Umschreibung für
eine große Aufregung um eine ganz
Die Stützen der Gesellschaft
nichtige Sache wurde besonders durch
eine Komödie des Schriftstellers Bruno Der norwegische Dichter Henrik Ibsen
Frank (1887-1945) verbreitet, die die¬ (1828-1906) schuf mit dem Schauspiel,
sen Titel trägt. Die Formulierung selbst das diesen Titel trägt, die neue Gattung
jedoch wird dem französischen Staats¬ des „Gesellschaftsstücks“. In ihm ent¬
theoretiker Montesquieu (1689-1755) hüllt er mit radikaler Kritik an den ge¬
zugeschrieben. Er soll Unruhen in der sellschaftlichen Verhältnissen die bis
kleinen Republik San Marino tempete dahin verdeckte Brüchigkeit der Moral
dans un verre d'eau genannt haben. Die¬ und der durch sie bestimmten zwischen¬
se Ausdrucksweise hat Vorbilder in der menschlichen Beziehungen. Diejenigen,
Antike. Zur Zeit des römischen Politi¬ die in dem Stück wegen ihrer vermeintli¬
kers und Schriftstellers Cicero (im er¬ chen moralischen Integrität und ihrer
sten Jahrhundert v. Chr.) gab es bei¬ zur Schau getragenen Sorge für das
spielsweise die Redewendung: excitare Wohlergehen der Gesellschaft als „Stüt¬
fluctus in simpulo, auf deutsch: „Stürme zen der Gesellschaft“ gelten, erweisen
in der Schöpfkelle erregen“. sich als korrupte Heuchler. Der Titel
des Stückes wurde zu einem ironischen
Sturm und Drang Ausdruck zur Kennzeichnung von Poli¬
Diese schlagwortartige Bezeichnung für tikern, Wirtschaftsführern o.ä., an de¬
eine geistige Bewegung, besonders eine ren Glaubwürdigkeit und Integrität
Literaturperiode in Deutschland von gezweifelt wird.
der Mitte der 60er Jahre bis Ende der
80er Jahre des 18. Jahrhunderts, die
auch als „Geniezeit“ bezeichnet wird, Sub specie aeternitatis
geht auf den Titel eines Schauspiels des Der niederländische Philosoph Baruch
Dramatikers Friedrich Maximilian de Spinoza (1632-1677) vertrat die Leh¬
Klinger (1752-1831) zurück. Dieses re, daß Gott und die Natur ein und das¬
Schauspiel, das ursprünglich „Wirr¬ selbe seien, daß alles Existierende aus
warr“ hieß, wurde auf Vorschlag des dieser einzigen, unteilbaren, unendli¬
Schweizer Satirikers und Abenteurers chen und ewigen Substanz abgeleitet
Christoph Kaufmann (1753-1795), sei. In seinem Hauptwerk „Ethik. Nach
eines typischen Vertreters der „Genie¬ geometrischer Methode dargestellt“ Fin¬
zeit“, in „Sturm und Drang“ umbe¬ det sich mehrfach die Aussage, das
nannt. Die Bezeichnung wurde schlie߬ menschliche Denken solle die Erschei¬
lich auf die ganze damalige Bewegung nungen der Welt „sub specie aeternita¬
übertragen. Der Ausgangspunkt dieser tis“ („unter dem Gesichtspunkt der
Bewegung war eine jugendliche Revol¬ Ewigkeit“) betrachten. Dieser Ausdruck
te, die besonders gegen die Einseitigkei¬ wird zitiert, wenn man eine Distanz zu
ten der Aufklärung und die herrschende eher unbedeutenden Alltagsproblemen
Gesellschaftsordnung mit ihren erstarr¬ schaffen möchte, wenn man auf die
ten Konventionen gerichtet war. Die langfristige Bedeutung einer Sache hin-
Bezeichnung „Sturm und Drang“ wird weisen will.
heute auch übertragen gebraucht, dabei
aber weniger zur Kennzeichnung einer
ganzen Gruppe oder einer Bewegung t Auf der Suche nach der verlore¬
verwendet, sondern eher zur Charakte¬ nen Zeit
416
Teil I Sünder
417
Suppe Teil I
Die Suppe auslöffeln, die man sich t Diesem System keinen Mann
eingebrockt hat und keinen Groschen
T Auslöffeln müssen, was man sich ein¬
Die Szene wird zum Tribunal
gebrockt hat
Dieses Zitat stammt aus der letzten Stro¬
phe der Ballade „Die Kraniche des Iby-
Süß und ehrenvoll ist es, fürs kus“ von Schiller. Die Zeile kennzeich¬
Vaterland zu sterben net die Situation, in der sich die beiden
t Dulce et decorum est pro patria mori Mörder des Dichters Ibykus befinden,
als plötzlich im weiten Rund des Thea¬
ters in Korinth, wo man zu den „Isthmi-
Das süße Leben
schen Spielen“ zusammengekommen
t Dolce vita ist, allen klar wird, wer den Dichter in
„Poseidons Fichtenhain“ überfallen
Das süße Nichtstun und umgebracht hat. Das Gedicht endet
mit den Worten: „Die Szene wird zum
t II dolce far niente
Tribunal,/Und es gestehn die Bösewich-
ter,/Getroffen von der Rache Strahl.“
Ein süßer Trost ist ihm geblieben Die erste dieser Zeilen wird zitiert, wenn
Dies ist eine Zeile aus Schillers Gedicht sich jemand unversehens vielerlei Vor¬
„Das Lied von der Glocke“. Sie steht in würfen, heftiger Kritik von allen Seiten
dem Abschnitt, der von einer Brandka¬ ausgesetzt sieht.
tastrophe berichtet, und leitet die Schil¬
derung der Situation ein, in der sich der Szenen einer Ehe
Familienvater befindet, der zwar große Dieser Film von Ingmar Bergman aus
Verluste erlitten hat, aber beglückt fest¬ dem Jahr 1973, der die Entwicklung ei¬
stellen kann, daß keines der Familien¬ ner Ehe bis zur Scheidung und die Be¬
mitglieder zu Schaden gekommen ist. ziehung danach in mehreren Stationen
Die Stelle lautet: „Ein süßer Trost ist zeigt, wurde zunächst als sechsteilige
ihm geblieben:/Er zählt die Häupter sei¬ Fernsehserie gesendet und kam dann in
ner Lieben,/Und sieh!/Ihm fehlt kein einer gekürzten Version in die Kinos.
teures Haupt.“ Das Zitat wird in Situa¬ Der Titel des stark von Dialogen ge¬
tionen gebraucht, in denen man fest¬ prägten Problemfilms wird oft auch iro¬
stellt, daß doch nicht alles mißglückt, nisch zitiert und auf Beziehungen und
verloren o.ä. ist. Partnerschaften der verschiedensten Art
übertragen.
418
Teil I Tand
schabte [Wachsjtafel“) läßt sich zuerst t Jeder Tag hat seine Plage
im Mittelalter nachweisen, und zwar in
der Schrift „Über die Seele“ des Theo¬ TSo ein Tag, so wunderschön wie
logen, Philosophen und Naturforschers heute
Albertus Magnus (um 1200-1280).
Auch sein berühmter Schüler Thomas t An einem Tag wie jeder andere
von Aquin hat den Ausdruck verwendet
(mit deutlichem Bezug auf Aristoteles; t An diesem Tage hätte die Weltge¬
vergleiche dazu den Artikel „Ein unbe¬ schichte ihren Sinn verloren
schriebenes Blatt“). Neben der oben an¬
geführten Bedeutung hat sich in der Re¬ Tages Arbeit! Abends Gäste!
dewendung „tabula rasa machen“ eine Dieser Ratschlag für eine sinnvolle Zeit¬
zweite entwickelt. Man gebraucht diese einteilung und Lebensgestaltung wird
Wendung im Sinne von „reinen Tisch am Schluß von Goethes Ballade „Der
machen, klare Verhältnisse schaffen“. Schatzgräber“ erteilt. Eine vernünftige
Lebensweise, in der Arbeit und Muße
Tadeln können zwar die Toren, ihren festen Platz haben, ist ein besserer
aber besser machen nicht Weg zum Glück als die Suche nach ver¬
grabenen Schätzen und die Anrufung
Der Berliner Schriftsteller August
finsterer Mächte. Das Gedicht erschien
Friedrich Ernst Langbein (1757-1835)
mit anderen Balladen Goethes und
war ein zu seiner Zeit bekannter Autor.
Schillers 1797 in Schillers „Musenalma¬
Eines seiner damals populären Gedich¬
nach für das Jahr 1798“. Das Zitat wird
te, „Die neue Eva“, endet mit den Zei¬
oft im Wortlaut des Originals ergänzt:
len: „Tadeln können alle Toren,/Aber
„Saure Wochen! Frohe Feste!/Sei dein
klüger handeln nicht.“ Mit dem in etwas
künftig Zauberwort.“
abgewandelter Form üblich geworde¬
nen Zitat drückt man aus, daß viele be¬ Taghell ist die Nacht gelichtet
reit sind, unverbindliche Kritik zu üben,
Der Satz steht in Schillers „Lied von der
ohne fähig oder in der Lage zu sein,
Glocke“ in dem Abschnitt, in dem eine
selbst etwas zur Veränderung, Umge¬
nächtliche Feuersbrunst beschrieben
staltung, Verbesserung beizutragen.
wird. Man verwendet das Zitat (auch
Man drückt also indirekt auch aus, daß
scherzhaft), um seine Verwunderung
Kritik nur sinnvoll sein kann, wenn sie
auszudrücken, daß an einem bestimm¬
konstruktiv ist.
ten Ort oder zu einem bestimmten Zeit¬
punkt unerwartete und ungewöhnliche
t Am Tag, als der Regen kam Helligkeit herrscht.
419
tandaradei Teil I
420
Teil I Tauwetter
dabei in einem Schloß in den Karpaten t Denn tausend Jahre sind vor dir
in eine Versammlung von Untoten ge¬ wie der Tag, der gestern vergangen
rät. - Man verwendet den Titel als ist
scherzhaften oder ironischen Kommen¬
tar zum Beispiel zur Charakterisierung
in größerer Zahl auftretender und agie¬ Tausendundeine Nacht
render skrupelloser Geschäftemacher. „Tausendundeine Nacht“, arabisch
„Alf Laila Wa Laila“ (wörtlich: „Tau¬
send Nächte und eine Nacht“), heißt ei¬
tSie tanzte nur einen Sommer ne berühmte arabische Märchensamm¬
lung. Sie umfaßt mehr als 300 Geschich¬
Die Tat ist alles, nichts der Ruhm ten verschiedener Art, die von einer
Rahmenhandlung zusammengehalten
Im 4. Akt des 2. Teils von Goethes werden und die aus verschiedenen Zei¬
Faust, in der Szene „Hochgebirg“, fragt ten und von verschiedenen Völkern des
Mephisto Faust: „Und also willst du Orients stammen. Seit dem 14. Jahrhun¬
Ruhm verdienen?“ Faust, der Tat¬ dert waren Teile des Werks in Italien be¬
mensch, antwortet darauf mit dem Dik¬ kannt, im 18. Jahrhundert entstand eine
tum: „Die Tat ist alles, nichts der französische Übersetzung, der erst im
Ruhm.“ Das Tätigsein hat für ihn seinen 19. Jahrhundert eine deutsche Überset¬
Lohn in sich. - Man verwendet das zung folgte. - Wenn man von „Tausend¬
Zitat, um unterstellte Ruhmsucht oder undeiner Nacht“ oder einem „Märchen
Eitelkeit zurückzuweisen. aus Tausendundeiner Nacht“ spricht,
spielt man auf das Phantastische, ganz
Tatarennachricht Unalltägliche oder Märchenhafte eines
Vorgangs an.
Als „Tatarennachricht“ bezeichnet man
noch gelegentlich eine nicht sehr glaub¬
hafte Nachricht, besonders eine Schrek- Tauwetter
kensnachricht. Der Ausdruck geht zu¬ Das Wort hat eine übertragene Bedeu¬
rück auf die von einem tatarischen Rei¬ tung, die sich auf den russischen Schrift¬
ter in osmanischen Diensten im Jahr steller Ilja Ehrenburg (1891-1967) zu¬
1854 nach Bukarest gebrachte unzutref¬ rückführen läßt. Im zweiten Band seiner
fende Nachricht von der Einnahme Se- Erinnerungen aus dem Jahr 1961 mit
bastopols. Berichtet hat diesen Vorgang dem deutschen Titel „Menschen, Jahre,
Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen Leben“ schreibt Ehrenburg mit Bezug
(1827-1892) in seinen Lebenserinne¬ auf die sehr schnell nach Stalins Tod
rungen „Aus meinem Leben“, die zwi¬ einsetzende Entstalinisierung: „Seit Sta¬
schen 1897 und 1908 erschienen sind. lins Tod (5. 3. 1953) war erst ein Monat
vergangen, aber irgend etwas auf der
Welt hatte sich verändert... Jener April,
Tatenarm und gedankenvoll von dem ich berichte, war ein ganz be¬
So charakterisiert der Dichter Friedrich sonderer April ... Wahrscheinlich hatte
Hölderlin (1770-1843) die Deutschen in ich diesen April im Sinn, als ich im
der Ode mit dem Titel „An die Deut¬ Herbst den Entschluß faßte, einen klei¬
schen“. Die erste Strophe (der ersten nen Roman zu schreiben, und als erstes
Fassung) des Gedichts lautet: „Spottet den Titel aufs Papier malte.“ Dieser Ti¬
ja nicht des Kinds, wenn es mit Peitsch’ tel lautete auf deutsch: „Tauwetter“.
und Sporn/Auf dem Rosse von Holz Der Begriff aus der Meteorologie wird
mutig und stolz sich dünkt,/Denn, ihr in diesem Roman bereits als Metapher
Deutschen, auch ihr seid/Tatenarm und für die Veränderungen der politischen
gedankenvoll.“ - Mit dem Zitat um¬ Verhältnisse gebraucht. Er wurde dann
schreibt man - meist leicht spöttisch allgemein auf die politische Entspan¬
oder tadelnd - jemandes Mangel an nung im Bereich kommunistischer Ideo¬
Tatkraft. logie bezogen.
421
10 Duden 12
Teil Teil I
Ein Teil von jener Kraft, die stets wir ändern uns mit ihnen“) auf den
das Böse will und stets das Gute deutschen Kaiser Lothar I. (795-855)
schafft zurückgehen. Er soll sie in der Form
„Omnia mutantur, nos et mutamur in
Diese Antwort gibt Mephisto auf die
illis“ („Alles ändert sich ...“) geäußert
Frage Fausts (Goethe, Faust I, Studier¬
haben.
zimmerszene): wer bist du denn?“
Faust nennt die Antwort ein „Rätsel¬ TO tempora, o mores!
wort“. - Das Zitat bringt die Dialektik
von Gut und Böse zum Ausdruck. Es Den Teufel mit Beelzebub austrei-
drückt aus, daß auch etwas, was in böser ben
Absicht geschieht, in etwas Gutes Um¬
Die Redewendung mit der Bedeutung
schlagen oder eine gute Seite haben
„ein Übel durch ein schlimmeres be¬
kann.
kämpfen“ geht auf eine Stelle des Neu¬
en Testaments zurück. Im 12. Kapitel
Teils dieserhalb, teils außerdem
des Matthäusevangeliums wird davon
Diese Erklärung findet man in der 1872
berichtet, daß Jesus einen Besessenen
erschienenen Bildergeschichte „Die
heilt. Die Pharisäer sagten dazu (12,24):
fromme Helene“ von Wilhelm Busch.
„Er treibt die Teufel nicht anders aus
Sie steht in dem „Der Frosch“ über-
denn durch Beelzebub, der Teufel Ober¬
schriebenen Kapitel, in dem der Vetter
sten.“ Sie meinten damit, Jesus bediene
Franz zuerst auftritt und beginnt, sich
sich der Macht des Bösen.
um die Kusine Helene zu bemühen.
„Und Franz war wirklich ange¬ Den Teufel spürt das Völkchen nie
nehm,/Teils dieserhalb, teils außer¬
In der Szene „Auerbachs Keller“ im er¬
dem.“ - Man verwendet das Zitat als
sten Teil von Goethes Faust äußert Me¬
scherzhafte, sich im Allgemeinen hal¬
phisto gegenüber Faust: „Den Teufel
tende Antwort auf die Frage: Warum?
spürt das Völkchen nie,/Und wenn er
sie beim Kragen hätte.“ Die Aussage be¬
t Das ist Teils Geschoß
zieht sich auf die zechenden Studenten,
die Faust und Mephisto in „Auerbachs
TZum Tempel hinausjagen
Keller“ antreffen, die „lustige Gesell¬
schaft“, in die Mephisto Faust zu brin¬
Tempi passati!
gen versprach. - Man bezieht das Zitat
Das Zitat bedeutet soviel wie „das sind scherzhaft oder spottend auf Menschen,
vergangene Zeiten“ oder „die Zeiten die eine bestimmte Situation, zum Bei¬
sind vorbei“ und kann sowohl Bedau¬ spiel das üble Spiel, das man mit ihnen
ern als auch Erleichterung ausdrük- treibt, nicht durchschauen.
ken. - Mit diesen Worten soll Kaiser Jo¬
seph II. von Österreich (1741-1790) ein Es T war schon immer etwas teurer,
Gemälde des italienischen Malers Fede- einen besonderen Geschmack zu
rigo Zuccaro kommentiert haben, das er haben
im Dogenpalast in Venedig sah. Auf
dem Bild war Kaiser Friedrich Barba¬ Thalatta, thalatta!
rossa dargestellt, vor dem Papst auf den
Der griechische Schriftsteller Xeno-
Knien liegend, um vom Bann losgespro¬
phon (430-um 354 v. Chr.) nahm an ei¬
chen zu werden.
nem Feldzug teil, den der Perser Kyros
gegen seinen Bruder, den Perserkönig
Tempora mutantur, nos et muta-
Artaxerxes, führte, in der Absicht, ihn
mur in illis
zu stürzen. Über das schließlich geschei¬
Nach der Überlieferung von Jan Gruter terte Unternehmen berichtet Xenophon
(1560-1627) in seinen „Deliciae poeta- in seinem Werk „Anabasis“. Nach dem
rum Germanorum“ soll diese Sentenz Tod von Kyros hatte Xenophon die
(deutsch: „Die Zeiten ändern sich, und 10000 griechischen Söldner in die Hei-
422
Teil I Tiere
423
10*
time Teil 1
424
Teil I Tor
Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo meint, auf denen man keine Melodie
ist dein Sieg? spielen kann. Im übertragenen Sinne
Die beiden oft als Motto verwendeten, wird das Zitat heute auf jemanden bezo¬
christlichen Trost enthaltenden rhetori¬ gen, der zwar schön formulierte oder
schen Fragen sind Teil eines Bibelver- großsprecherische, aber nichtssagende
ses. Im 1. Brief an die Korinther (15,55) Reden führt.
schreibt der Apostel Paulus der dortigen
Gemeinde: „Der Tod ist verschlungen Ein Tor find’t allemal noch einen
in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? großem Toren, der seinen Wert zu
Hölle, wo ist dein Sieg?“ Der Stachel ist schätzen weiß
dem Tod genommen durch den stellver¬
Dieses eigentlich für sich selbst spre¬
tretenden Tod Jesu für die Sünden der
chende Zitat wird auch in etwas erwei¬
Menschen. So heißt es Vers 56 f.: „Aber
tertem, allgemeinerem Sinn gebraucht,
der Stachel des Todes ist die Sünde; die
wenn etwa ausgedrückt werden soll, daß
Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.
wohl keine Idee so töricht, abge¬
Gott aber sei Dank, der uns den Sieg ge¬
schmackt oder abseitig sein kann, als
geben hat durch unsern Herrn Jesus
daß sie nicht doch irgendwelche Anhän¬
Christus!“
ger findet. Es handelt sich dabei um die
beiden abschließenden Zeilen des Ge¬
Die Todgeweihten grüßen dich!
dichtes „Cotill“ des pietistisch orien¬
t Morituri te salutant! tierten Schriftstellers der Aufklärung
Christian Fürchtegott Geliert (1715 bis
Tohuwabohu 1769). In dem moralisierenden Gedicht
Dieser Ausdruck, mit dem man einen wird beschrieben, wie einer, der zu¬
großen Wirrwarr, ein völliges Durchein¬ nächst von allen für einen Narren gehal¬
ander und Chaos bezeichnet, geht auf ten wird, weil er „im Gehen oft ein Rad“
die Bibel zurück. Am Anfang des schlägt, bei seinem seltsamen Tun im¬
Schöpfungsberichtes (1. Moses 1,2) mer mehr Nachahmer findet, bis er
heißt es: „Und die Erde war wüst und schließlich als Erfinder dieser Fortbe¬
leer“. Der hebräische Ausdruck für wegungsweise öffentlich gelobt wird.
„wüst und leer“ lautet tohü wa vohü (ei¬ Als Quelle für die in den letzten beiden
gentlich: Wüste und Öde). Das Wort Zeilen formulierte Moral des Gedichts
„Tohuwabohu“ wurde also aus dem kann ein Vers des französischen Schrift¬
hebräischen Urtext dieser Bibelstelle stellers Nicolas Boileau-Despreaux
übernommen. (1636- 1711) gelten. In seinem wohl be¬
kanntesten Werk „L’art poetique“ fin¬
Tolle, lege! det sich am Ende des 2. Gesangs der
t Nimm und lies! Vers: Un sot trouve toujours un plus sot
qui l’admire, auf deutsch: „Ein Dumm¬
t Ist dies schon Tollheit, hat es kopf findet immer einen noch Dümme¬
ren, der ihn bewundert.“
doch Methode
Ein tönend Erz oder eine klingen¬ Ein Tor ist immer willig, wenn eine
de Schelle Törin will
Dieses Zitat stammt aus dem ersten Dieses Zitat, das meist wohl als scherz¬
Brief an die Korinther (13,1) im Neuen haft anzügliche Bemerkung bei entspre¬
Testament, in dem es heißt: „Wenn ich chender Gelegenheit verwendet wird,
mit Menschen- und mit Engelszungen stammt aus einem Gedicht des deut¬
redete und hätte die Liebe nicht, so wäre schen Dichters Heinrich Heine
ich ein tönendes Erz oder eine klingen¬ (1797-1856). Es ist eigentlich Teil eines
de Schelle.“ Mit dem Bild „ein tönend Wortspiels, das allerdings erst zu verste¬
Erz oder eine klingende Schelle“ sind hen ist, wenn man das ganze Gedicht
wohl Schlag- oder Lärminstrumente ge¬ kennt. Es handelt sich um das Gedicht
425
Torero Teil I
Nr. 17 aus dem Zyklus „Die Heimkehr“ Zweiten Weltkriegs chronikartig darzu¬
mit den Anfangszeilen „Sei mir gegrüßt, stellen und letztlich dann einen Aus¬
du große,/Geheimnisvolle Stadt“. Die blick auf die alternativen Möglichkeiten
Stadt mit ihren „Türmen und Toren“ zu geben, die im Vergleich dazu eine
muß sich vom Dichter den Vorwurf ge¬ konkret sich verändernde, wirklich so¬
fallen lassen, daß sie die Liebste mit all zialistische Demokratie haben könnte.
ihren „Koffern und Schachteln“ hat da¬ Der Titel bringt die dem Roman imma¬
vonziehen lassen. Dabei werden die nente Vorstellung zum Ausdruck, daß
Türme für „unschuldig“ befunden, weil das Vermächtnis aller, die für die Idee
sie sich nicht bewegen können. Von den einer humanistisch-sozialistischen Ge¬
Stadttoren aber heißt es in der letzten sellschaft gekämpft haben und gestor¬
Strophe: „Die Tore jedoch, die ließen/ ben sind, von denen, die ihnen nachfol-
Mein Liebchen entwischen gar still“, gen, verwirklicht wird. In diesem Sinne,
und hieran schließen sich in scherzhaf¬ aber auch ganz allgemein als Mahnung
ter Wortspielerei die letzten beiden Zei¬ an die Lebenden, das Opfer aller
len an: „Ein Tor ist immer willig,/Wenn Kriegstoten als nie verstummende For¬
eine Törin will.“ Der eigentlich traurige derung nach einer besseren Welt in Frie¬
Sachverhalt wird durch das Wortspiel den und Freiheit zu verstehen, wird der
ironisch verfremdet, gewissermaßen auf Titel zitiert.
Distanz gebracht.
t Laß die Toten ihre Toten begra¬
t Auf in den Kampf, Torero! ben
426
Teil I Trauben
gerechtigkeit erstarrten Umwelt, an der sten Teil des Faust ein, wo sie von Gret-
„Trägheit des Herzens“ seiner Mitmen¬ chen gesungen wird. Das Gedicht wur¬
schen zugrunde ging. de mehrfach vertont, zum Beispiel von
Franz Liszt und Franz Schubert. - Mit
Es trägt Verstand und rechter Sinn dem Zitat läßt sich scherzhaft feststel¬
mit wenig Kunst sich selber vor len, daß jemand von einem bestimmten
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust Zeitpunkt an aufgehört hat, Alkohol zu
(I. Teil; „Nacht“). In einem Dialog mit trinken.
dem wißbegierigen, aber wenig kreati¬
ven Magister Wagner, der die Kunst der t O Trank der süßen Labe
Rhetorik unbedingt erlernen möchte,
Trau keinem über dreißig
sagt Faust an einer Stelle: „Es trägt Ver¬
stand und rechter Sinn/Mit wenig Kunst Aus der Protestbewegung der Studenten
sich selber vor;/Und wenn’s Euch ernst in den sechziger Jahren ging eine sozial
ist, was zu sagen,/Ist’s nötig, Worten tiefer greifende antiautoritäre Bewe¬
nachzujagen?“ Wenn man zum Aus¬ gung mit gelegentlich auch anarchi¬
druck bringen möchte, daß es keiner be¬ schen Zügen hervor. Sie äußerte sich
sonderen Formulierungskunst bedarf, unter anderem in mancherlei oft witzi¬
sich anderen mitzuteilen, solange man gen Parolen und Sprüchen, die beson¬
etwas Vernünftiges zu sagen hat, wird ders gegen das Establishment und seine
das Zitat gelegentlich noch verwendet. festgefahrenen gesellschaftlichen Struk¬
turen gerichtet waren. Typisch dafür ist
Die Träne quillt dieser Spruch, der neben jugendlicher
Selbstüberschätzung in aller Deutlich¬
Die t Erde hat mich wieder
keit und ohne Rücksichtnahme die be¬
rechtigte Abwehr gegen alles offenbart,
t Die mit Tränen säen, werden mit
was als überholt, als rückschrittlich und
Freuden ernten damit allem fortschrittlichen Denken
hinderlich empfunden wurde. Die
Die Tränen und die Seufzer, die Übertreibung, die darin liegt, daß man
kamen hintennach diese Denkstrukturen und die daraus
Das Zitat stammt aus Heinrich Heines folgenden Handlungsweisen kurzer¬
(1797-1856) 49. Gedicht aus der Samm¬ hand mit dem Alter von Menschen jen¬
lung „Lyrisches Intermezzo“. Zwei vier¬ seits der Dreißig verknüpfte, machte
zeilige Strophen beschreiben hier zwei den Spruch aggressiv und herausfor¬
unterschiedliche Erfahrungen des Tren¬ dernd und damit auch populär.
nungsschmerzes: „Wenn zwei vonein¬
ander scheiden,/So geben sie sich die Die Trauben hängen zu hoch
Händ’/Und fangen an zu weinen/Und Diese Redensart ist auch in der Form
seufzen ohne End’./Wir haben nicht ge- „Die Trauben sind zu sauer“ gebräuch¬
weinet,/Wir seufzten nicht Weh und lich. Man wendet sie auf jemanden an,
Ach!/Die Tränen und die Seufzer,/Die der so tut, als wollte er etwas eigentlich
kamen hintennach.“ Die letzten beiden sehr Begehrenswertes gar nicht haben,
Zeilen werden gelegentlich zitiert, wenn nur um nicht zugeben zu müssen, daß er
jemandem erst spät die Folgen seines gar nicht in der Lage ist, es zu erreichen.
Tuns oder die Schwere eines Verlusts Zugrunde liegt der Redensart die Fabel
schmerzhaft bewußt werden. „Der Fuchs und die Trauben“. Darin
wird von einem Fuchs erzählt, der sich
Trank nie einen Tropfen mehr Trauben holen will und der sich, als er
Mit diesem Vers endet die Goethesche merkt, daß sie für ihn zu hoch hängen,
Ballade „Der König in Thule“. Sie er¬ mit der Bemerkung davonmacht, die
schien zuerst in der Sammlung „Volks¬ Trauben seien ja noch unreif und gar
und andere Lieder“. Später fügte sie nicht süß. Die Fabel, die durch den
Goethe in die Szene „Abend“ in den er¬ französischen Dichter Jean de La Fon-
427
Teil I
Trauer
taine (1621 bis 1695) bekannt wurde Titel wurde zu einem Ausdruck, mit
(französischer Titel „Le renard et les dem man in unterschiedlichen Abwand¬
raisins“) gehört zu den „Äsopischen lungen die verschiedenartigsten Asso¬
Fabeln“. Dies sind Tierfabeln, die dem ziationen erwecken kann, beispielsweise
legendären griechischen Fabeldichter in Formulierungen wie: „Träumereien
Äsop zugeschrieben werden, der angeb¬ an finnischen Seen“, „Träumereien in
lich um die Mitte des 6. Jahrhunderts deutschen Betten“, „Träumereien in luf¬
v.Chr. lebte. tigen Höhen“ o.ä. Er wird auch gele¬
gentlich unverändert als leicht spötti¬
Trauer muß Elektra tragen sche Beurteilung von unrealistischen,
Dies ist der deutsche Titel einer Dra¬ märchenhaften Vorstellungen zitiert.
mentrilogie in 13 Akten des amerikani¬
Und treiben mit Entsetzen Scherz
schen Dramatikers Eugene O’Neill
(1888-1953). In dieser Tragödie (engli¬ t Da werden Weiber zu Hyänen
scher Originaltitel: Mourning becomes
Electra), die als sein bedeutendstes TAch, ich bin des Treibens müde!
Werk gilt, hat der Dichter den in der
griechischen Tragödie mehrfach behan¬ Treppenwitz der Weltgeschichte
delten Mythos um die Gestalt der Elek¬ Mit diesem Ausdruck kennzeichnet man
tra, Tochter des Agamemnon und der eine ziemlich absurd, wie ein schlechter
Klytämnestra, Schwester des Orest und Scherz wirkende Begebenheit, die zu ei¬
der Iphigenie, in die Wirklichkeit einer nem sie begleitenden historisch bedeut¬
Epoche der amerikanischen Geschichte samen Vorgang in keinem angemesse¬
des 19. Jahrhunderts transportiert. Er nen Verhältnis steht, ihn aber gelegent¬
hat das antike Thema des schicksalhaf¬ lich in nicht unerheblichem Maß beein¬
ten Gefangenseins des Menschen in sei¬ flußt. Dem Ausdruck liegt der Titel
nen eigenen Leidenschaften, bei dem „Der Treppenwitz der Weltgeschichte“
der schuldverhaftete und in seiner eines 1882 erschienenen, damals noch
Schuld hilflos unterlegene Mensch im häufig aufgelegten Buches von William
Mittelpunkt steht, im Gewand der mo¬ Lewis Hertslet (1839-1898) zugrunde,
dernen Zeit dargestellt. Der Titel dieses in welchem der Autor „geschichtliche
Werks wurde zum oft verwendeten Zi¬ Irrtümer, Entstellungen und Erfindun¬
tat, mit dem, häufig in einer der jeweili¬ gen“ (so der Untertitel) zusammenge¬
gen Situation angepaßten Abwandlung, stellt hat. Das Wort „Treppenwitz“ geht
jemandes mißliche Lage o.ä. kommen¬ zurück auf französisch esprit d’escalier,
tiert wird. So könnte beispielsweise ein ein Ausdruck, der eine versäumte Gele¬
Fußballkommentator die prekäre Situa¬ genheit bezeichnet, einen Einfall, der
tion eines Fußballvereins mit dem Aus¬ einem zu spät kommt, gewissermaßen
spruch „Trauer muß Borussia tragen“ wenn man nach einem Besuch o.ä.
kommentieren. schon wieder auf der Treppe ist.
428
Teil I Trio
Jurist, der um 100 n. Chr. lebte.) Mit die¬ war. Heute bezeichnet man jemanden
sem Rechtsspruch wird ausgedrückt, ironisch als „treuen Diener seines
daß es mindestens dreier Personen als Herrn“, den man als unkritischen, fast
Grundlage zur Bildung eines Vereins, unterwürfigen Untergebenen charakte¬
einer Gesellschaft o.ä. bedarf. Dieser risieren will, der alles tut, was ihm von
Rechtsgrundsatz spielte später in ver¬ seinem Vorgesetzten aufgetragen wird.
schiedenen Lebensbereichen eine Rolle.
So galt seit dem Mittelalter beispiels¬ Treulich geführt
weise an den Universitäten die Regel, Mit diesem Ausdruck spielt man scherz¬
daß außer dem Dozenten mindestens haft auf eine (meist bevorstehende oder
noch zwei Studenten anwesend sein zu erwartende) Hochzeit an. Das Zitat
mußten, wenn eine Vorlesung gehalten stammt aus Richard Wagners Oper Lo-
werden sollte. Heute wird der Spruch hengrin (1850 uraufgeführt), deren drit¬
gelegentlich noch als scherzhafte Flos¬ ter Akt mit dem sogenannten „Braut¬
kel gebraucht, wenn jemand mit zwei lied“ beginnt. Die ersten Zeilen lauten:
anderen Personen irgendwo zusammen¬ „Treulich geführt ziehet dahin,/wo euch
trifft, oder auch wenn er drei andere der Segen der Liebe bewahr’!“
Personen irgendwo beieinander vorfin¬
det. Trink ihn aus, den Trank der Labe
TO Trank der süßen Labe!
TSie hat die Treu’ gebrochen
Die Treue, sie ist doch kein leerer t Zuviel kann man wohl trinken,
Wahn doch nie trinkt man genug
In der Ballade „Die Bürgschaft“ von
Trinkt, o Augen, was die Wimper
Schiller zeigt der Dichter an einem in
hält, von dem goldnen Überfluß
dramatischen Geschehnissen dargestell¬
ten Beispiel die Bewährung wahrer
der Welt!
Freundschaft und Treue. Gerührt von Bei dem Ausspruch, den man angesichts
einem solchen Nachweis echter Freun¬ eines überwältigend schönen visuellen
destreue, die sich darin zeigt, daß einer Eindrucks zitieren kann, handelt es sich
für den andern das Leben einsetzt, um die beiden Schlußverse des „Abend¬
spricht der Tyrann von Syrakus am En¬ liedes“ von Gottfried Keller (1819 bis
de die Worte: „Es ist euch gelungen,/Ihr 1890). Mit dem Titel ist ein Lied am
habt das Herz mir bezwungen;/Und die Abend des Lebens gemeint, wie schon
Treue, sie ist doch kein leerer Wahn“ der ebenfalls bekannte Anfang erken¬
und bittet danach noch um Aufnahme nen läßt: „Augen, meine lieben Fenster-
in diesen Freundschaftsbund. Das Wort lein,/Gebt mir schon so lange holden
von der Treue, die kein leerer Wahn ist, Schein,/... Einmal werdet ihr verdunkelt
wurde zum geflügelten Wort, das mit sein!“
wechselndem Subjekt in unterschiedli¬
chen Zusammenhängen verwendet Trio infernal
wird. So kann man von etwas, was man „Le Trio infernal“ ist der Titel eines
zuvor in Zweifel gezogen hatte und was 1974 in Frankreich gedrehten Films mit
sich dann als nicht trügerisch, nicht irrig Romy Schneider und Michel Piccoli in
herausgestellt hat, sagen, es sei doch den Hauptrollen. Dem Drehbuch liegt
„kein leerer Wahn“ gewesen. ein Roman von Solange Fasquelle zu¬
grunde. Das „teuflische Trio“ des Films
Ein treuer Diener seines Herrn besteht aus einem französischen Anwalt
Dieser Titel eines historischen Dramas und zwei deutschen Schwestern, die
von Franz Grillparzer (1791-1872) be¬ Versicherungsbetrug großen Stils bege¬
zieht sich auf die Hauptfigur des Stücks, hen, indem der Anwalt den beiden
den Paladin Bancbanus, der seinem Kö¬ Frauen Ehemänner verschafft, die er
nig, Andreas von Ungarn, treu ergeben dann umbringen läßt. - Man verwendet
429
trocknen Teil I
das Zitat meist scherzhaft zur Charakte¬ Dichter Horaz (65-8 v. Chr.) in seinen
risierung von drei Personen, die zusam¬ „Epistulae“ (1,18) getroffen hat. Er rät
mengehören und wegen ihrer auffälli¬ dem Adressaten: Tua res agitur, paries
gen Aktivitäten gefürchtet (oder auch cum proximus ardet. (In wörtlicher
bewundert) werden. Übersetzung: „Deine Sache wird abge¬
handelt, wenn die Wand des Nachbarn
tlch bin des trocknen Tons nun brennt“.) Mit diesem Bild wollte Horaz
satt dem Briefempfänger sagen, daß man je¬
mandem, der in Schwierigkeiten geraten
Trojanisches Pferd ist, helfen sollte, weil man selbst in die
t Danaergeschenk gleiche Lage kommen könnte. - Man
weist mit dem Zitat jemanden darauf
t Steter Tropfen höhlt den Stein hin, daß etwas Bestimmtes in seinem In¬
teresse liegt, daß er seine Aufmerksam¬
tO wie so trügerisch sind Weiber¬ keit darauf richten sollte.
herzen
Die Tücke des Objekts
t Bella gerant alii, tu, felix Austria, Mit dieser Redewendung kommentiert
nube man häufig ein Mißgeschick, das man
beispielsweise bei der Handhabung
Tu Geld in deinen Beutel eines Gegenstandes, eines Werkzeugs
Das Zitat stammt aus Shakespeares Tra¬ oder ähnlichem erlebt. Man bedient sich
dann eines Ausdrucks, der dem Roman
gödie „Othello“ (1,3). Im Original for¬
dert Jago Rodrigo wiederholt mit den „Auch einer“ des Philosophen Fried¬
Worten Put money in thy purse! dazu rich Theodor Vischer (1807-1887) ent¬
auf, sich mit Geld auszustatten und lie¬ nommen ist. Von solcher „Tücke“ ist in
ber mit ihm zusammen den Kampf um dem Roman die Reisebekanntschaft des
Desdemona aufzunehmen, als sich aus Erzählers betroffen. Der skurrile Frem¬
Liebeskummer das Leben zu nehmen, de „A. E.“ befindet sich in einem ständi¬
weil sich die von ihm umworbene Des¬ gen Kleinkrieg mit allen möglichen Ge¬
demona für Othello entschieden hat. - genständen des Alltags, mit denen er in
Bei Unternehmungen unterschiedlicher Berührung kommt. Er beschreibt seine
Art, die nur mit einem gewissen finan¬ Nöte an einer Stelle so: „Von Tagesan¬
ziellen Polster möglich sind, wird heute bruch bis in die späte Nacht, solang ir¬
diese Aufforderung zitiert. gendein Mensch um den Weg ist, denkt
das Objekt auf Unarten, auf Tücke ... So
Tu nur das Rechte in deinen Sa¬ lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tin¬
chen; das andre wird sich von tenfaß, Papier, Zigarre, Glas, Lampe -
alles, alles auf den Augenblick, wo man
selber machen
nicht acht gibt.“
Diesen Spruch findet man bei Goethe in
der Abteilung „Sprichwörtlich“ der Ge¬ Die Tugend, sie ist kein leerer
dichtsammlung von 1815. Er enthält als Schall
Lebensregel den Rat, „recht“ zu han¬
Dies ist ein Zitat aus dem Gedicht „Die
deln und das übrige seinen Gang gehen
zu lassen. Worte des Glaubens“ von Schiller. In
der dritten Strophe heißt es: „Und die
Tu, was du nicht lassen kannst Tugend, sie ist kein leerer Schall,/Der
Mensch kann sie üben im Leben...“ Da¬
t Ich hab’ getan, was ich nicht lassen
bei ist die Möglichkeit des Menschen,
konnte
Tugend „zu üben“, abhängig davon, ob
es ihm gelingt, seine innere Freiheit zu
Tua res agitur
bewahren (vergleiche dazu auch den Ar¬
Bei diesem Ausspruch handelt es sich tikel „Der Mensch ist frei geschaffen“).
um eine Feststellung, die der römische Das Zitat von der Tugend, das heute
430
Teil I Übel
meist in weniger ernsthaften Zusam¬ Kind bei sich aufgenommen und im jü¬
menhängen gebraucht wird, erscheint dischen Glauben erzogen hat (es aber so
wohl in Anlehnung an das bekanntere davor bewahrt hat, möglicherweise im
Schillerzitat „Und die Treue, sie ist Elend umzukommen). Das Zitat, mit
doch kein leerer Wahn“ aus dem Ge¬ dem man ironisch auf jemandes Unbe-
dicht „Die Bürgschaft“, oft auch in der irrbarkeit oder Starrköpfigkeit hinwei-
Form „Die Tugend, sie ist kein leerer sen kann, wird heute nur selten und nur
Wahn“. in Situationen verwendet, in denen es
nicht als Ausdruck antisemitischer Res¬
Tumber Tor sentiments mißverstanden werden kann.
Der Held des mittelalterlichen Versepos
„Parzival“ von Wolfram von Eschen¬
bach (um 1170-1220) ist „Parzival der
tumbe“. Nach dem Tod seines Vaters
hatte seine Mutter Herzeloyde den Kna¬
ben fern von der ritterlichen Welt in der
Abgeschiedenheit aufgezogen. Die zu¬
u
fällige Begegnung mit einer Ritterschar
lockt ihn hinaus in die Welt, in der er
sich dann als der „tumbe tor“ erweist,
der Unerfahrene, Unverständige, der
nichts von der Welt weiß und versteht. -
Als „tumben Toren“ bezeichnet man je¬ Üb immer Treu und Redlichkeit
manden, häufiger mit leicht abschätzi¬ Diese vielzitierte Aufforderung, in sei¬
gem Unterton, den man für allzu naiv, nem Handeln stets zuverlässig und ehr¬
zu wenig clever, zu wenig auf seinen lich zu bleiben, bildet die Anfangszeile
Vorteil bedacht hält. des Gedichts „Der alte Landmann an
seinen Sohn“ von Ludwig Heinrich
Das t eine tun und das andere nicht
Christoph Hölty (1748-1776), einem
lassen Dichter, der als Begründer der neueren
deutschen Balladendichtung gilt. Von
Der Turmbau zu t Babel
dem Gedicht, das als ganzes sicherlich
nicht mehr als sehr zeitgemäß empfun¬
Es tut mir lang schon weh, daß ich
den wird, sind die ersten vier Zeilen der
dich in der Gesellschaft seh’
ersten Strophe, die in der letzten Stro¬
Sein Mißfallen an jemandes Umgang phe noch einmal wiederholt werden, be¬
kann man mit den beiden Versen aus kannt geblieben. Sie sind unter anderem
Goethes Faust I (Marthens Garten) zu zu einem beliebten Poesiealbumspruch
erkennen geben. Gegenüber Fausts Be¬ geworden: „Üb immer Treu und Red¬
gleiter Mephisto empfindet Margarete lichkeit/Bis an dein kühles Grab,/Und
eine instinktive Abneigung, der sie mit weiche keinen Finger breit/Von Gottes
den zitierten Zeilen Ausdruck verleiht. Wegen ab.“ Zum Bekanntwerden dieser
Zeilen hat besonders auch die Melodie
Tut nichts! Der Jude wird ver¬ beigetragen, nach der sie gewöhnlich
brannt! gesungen werden. Es handelt sich um
Dreimal wiederholt in Lessings drama¬ eine Melodie von Mozart, das Lied des
tischem Gedicht „Nathan der Weise“ Papageno „Ein Mädchen oder Weib¬
(1779) der Patriarch von Jerusalem diese chen“ aus dem 2. Akt der Oper „Die
Worte. Sie sind seine stereotype Ant¬ Zauberflöte“ (Uraufführung 1791).
wort auf alle Einwände des jungen Tem¬
pelherrn gegen die Verurteilung eines
Juden zum Tode auf dem Scheiterhau¬
Das t Leben ist der Güter höchstes
fen, nur weil er - gegen päpstliches und nicht, der Übel größtes aber ist die
kaiserliches Gebot - ein christliches Schuld
431
Teil I
über
Über allen Gipfeln ist Ruh’ ihm - ebenso wie dem Zitat - zu weite¬
rer Bekanntheit verholfen.
Dies ist der Anfang eines der bekannte¬
sten und berühmtesten Gedichte von
Goethe, das von manchen auch als das Über ein kleines
vollkommenste betrachtet wird. Es trägt Die heute kaum noch gebräuchliche Re¬
den Titel „Wandrers Nachtlied“ und dewendung mit der Bedeutung „bald, in
wurde von Goethe (im Hinblick auf ein kurzer Zeit“ findet man in der Bibel im
anderes Gedicht mit gleichem Titel) mit Johannesevangelium (16,16 f.), wo Je¬
„Ein Gleiches“ überschrieben. Populär sus den Jüngern seinen „Weggang“ an¬
wurde es auch durch vielfache Verto¬ kündigt: „Über ein kleines, so werdet
nung, besonders durch die von Franz ihr mich nicht sehen; und aber über ein
Schubert. Der Gedichtanfang, wie auch kleines, so werdet ihr mich sehen, denn
das ganze Gedicht, wurde im Laufe der ich gehe zum Vater. Da sprachen sie:
Jahre in mancherlei scherzhaft gemein¬ Was ist das, was er sagt: Über ein klei¬
ter, oft kalauernder Weise abgewandelt nes? Wir wissen nicht, was er redet.“
und verballhornt. Die Anfangszeile
wird oft dann zitiert, wenn scherzhaft
Über Zwirnsfäden stolpern
ausgedrückt werden soll, daß es irgend¬
wo sehr langweilig ist, sich nichts Auf¬ Die heute nur noch selten gebrauchte
regendes, Interessantes ereignet. Redewendung mit der Bedeutung „über
Nichtigkeiten zu Fall kommen, an etwas
Belanglosem scheitern“ geht zurück auf
Über die allmähliche Verfertigung
eine Äußerung des Fiesko in Schillers
der Gedanken beim Reden
Trauerspiel „Die Verschwörung des
Das Zitat ist der Titel eines Aufsatzes Fiesko zu Genua“ aus dem Jahr 1783.
von Heinrich von Kleist (1777-1811). Im 5. Auftritt des 2. Aufzugs fragt er
Er wird dort auf die Gewinnung von Er¬ rhetorisch voll Verachtung für das Volk,
kenntnis durch diskursives Meditieren dem er nichts wirklich zutraut: „Der
bezogen, was bedeutet, daß man sich blinde, unbeholfene Koloß, der mit
über seine zunächst noch verworrenen plumpen Knochen anfangs Gepolter
Vorstellungen klar werden soll, indem macht. Hohes und Niedres, Nahes und
man sie jemandem vorträgt. Heute ver¬ Fernes mit gähnendem Rachen zu ver¬
wendet man das Zitat, um ganz allge¬ schlingen droht, und zuletzt - über
mein auszudrücken, daß man oft erst Zwirnsfäden stolpert?“
beim Reden seine Gedanken entwickelt.
432
Teil I um
lär gewordene Titel läßt sich, auch in Ubi bene, ibi patria
Abwandlung des Namens, auf einen Der lateinische Vers (deutsch: „Wo es
Menschen beziehen, der durch sein mit gutgeht, da ist mein Vaterland“) ist
übermäßig ausgeprägtes Selbstbewußt¬ nach einer Stelle aus Marcus Tullius Ci-
sein eine kritische Einstellung seiner ceros (106-43 v. Chr.) „Gesprächen in
Mitmenschen herausfordert. Tusculum" (V,37) gebildet: Patria est,
ubicumque est bene. Cicero übernahm
das Zitat aus dem Drama „Teucer“ des
Überm Sternenzelt muß ein lieber
römischen Tragikers Marcus Pacuvius
Vater wohnen (220-um 130 v. Chr.). Letztlich geht die
Die freudige Gewißheit, daß es einen sprichwörtliche Redensart auf den grie¬
Gott, einen Vater im Himmel gibt, hat chischen Komödiendichter Aristopha-
auch in Schillers Ode „An die Freude“ nes (vor 445-um 385 v.Chr.) zurück. In
ihren Grund in einer Hochgestimmt- „Plutos“ (1151) bittet der Götterbote
heit: in der Freude, die alle Menschen Hermes die reichgewordenen Armen,
zu Brüdern macht. Ludwig van Beetho¬ die nun nicht mehr den Göttern opfern,
ven (1770-1827) sicherte dem Gedicht um Aufnahme und benutzt dabei die
besondere Popularität, indem er etwa Sentenz als Argument. - Der heute
ein Drittel des Schillerschen Gedichtes kaum noch bekannte Dichter Friedrich
(hauptsächlich Verse aus der ersten Hückstädt (1781-1823) gab einem kos¬
Hälfte) für den Schlußchor der neunten mopolitischen Gedicht den Titel „Ubi
Sinfonie verwendete. Die erste Chor¬ bene, ibi patria“ und ließ darin auch
strophe lautet: „Seid umschlungen, Mil- jede Strophe mit dieser Zeile enden.
lionenl/Diesen Kuß der ganzen Welt!/
Brüder - überm Sternenzelt/Muß ein t Deine Uhr ist abgelaufen
lieber Vater wohnen.“
Die Uhr schlägt keinem Glückli¬
chen
Übermensch
Dem t Glücklichen schlägt keine Stunde
Dieser Begriff - obgleich schon sehr
viel früher existierend - wurde durch Ultima ratio
den deutschen Philosophen Friedrich
Der lateinische Ausdruck mit der Be¬
Nietzsche (1844-1900) zu einem
deutung „letztes, äußerstes Mittel“ wur¬
Schlagwort. Der „Übermensch“ als ein
de häufig für militärische Auseinander¬
den Durchschnittsmenschen weit über¬
setzungen nach ergebnislosen Verhand¬
ragender Menschentypus erscheint in
lungen verwendet. Die Wendung Ultima
Nietzsches Schrift „Also sprach Zara¬
ratio regum - „letztes Mittel der Köni¬
thustra“ aus dem Jahr 1883/85. Nietz¬
ge“ - geht auf den spanischen Dichter
sche postuliert darin, daß der Mensch
P. Calderön de la Barca zurück. In sei¬
etwas sei, „das überwunden werden
nem Drama „In diesem Leben ist alles
soll“. Der irische Dramatiker George
wahr und alles Lüge“ (vor 1644) ist von
Bernard Shaw (1856- 1950) hat das The¬
Pulver und Blei als Ultima razon de
ma des Übermenschen in einem Stück
reyes die Rede. Im 17. Jahrhundert war
mit dem Titel „Man and Superman“
die Wendung eine häufige Inschrift auf
(deutsch: „Mensch und Übermensch“)
französischen Kanonen. In Preußen
behandelt. Der „Superman“ als Comic¬
verwendete man sie in der abgewandel¬
figur stellt schließlich eine ins Triviale
ten Form Ultima ratio regis seit 1742.
abgewandelte Form des Übermenschen
dar. Im heutigen Sprachgebrauch ver¬
Um auf besagten Hammel zurück¬
wendet man das Wort häufiger in leicht
zukommen
abschätzigem Sinn, wenn man beispiels¬
weise angesichts eines unzumutbaren Mit dieser heute nicht mehr allzu ge¬
Ansinnens von sich sagt, man sei doch bräuchlichen Floskel fordert man dazu
kein Übermensch. auf, zum Ausgangspunkt eines Ge-
433
um Teil I
sprächs, zu einem bereits angesproche¬ les“ (1659; Szene 15: pour leurs beaux
nen Thema zurückzukehren. Die Flos¬ yeux) und im „Misanthrope“ (1666;
kel stammt aus dem Französischen, ln III,4: pour nos beaux yeux). In beiden
der berühmtesten französischen Farce Fällen wird bezweifelt, daß jemand ei¬
des Mittelalters „Maitre Pierre Patelin“ nen andern nur um seiner schönen Au¬
(entstanden etwa 1465, Verfasser unbe¬ gen willen liebt oder ihm etwas zuliebe
kannt) ist der Held ein betrügerischer tut. Die häufigste Formulierung im
Advokat, der am Ende selbst betrogen Deutschen ist: „etwas nicht um jeman¬
wird. Dabei spielen gestohlene Hammel des schöner blauer Augen willen tun“,
eine wichtige Rolle. Der Ausruf des was bedeutet: „etwas nicht aus reiner
Richters Revenons ä ces moutons!, auf Gefälligkeit tun“.
deutsch: „Kommen wir auf diese Ham¬
mel zurück!“, wurde in Frankreich in Umgang mit Menschen
der Form Revenons ä nos moutons! Die Redefloskel geht auf die 1788 er¬
(deutsch etwa: „Zurück zu unseren schienene, berühmte Schrift „Über den
Hammeln!“) zum geflügelten Wort, aus Umgang mit Menschen“ des deutschen
dem im Deutschen dann die obenge¬ Schriftstellers Freiherr Adolph von
nannte Floskel wurde. Knigge (1752-1796) zurück. Der Ver¬
fasser gab in dieser dem Geist der Auf¬
Um des Kaisers Bart streiten klärung verpflichteten Schrift seinen
Diese Redewendung wird gebraucht, Zeitgenossen Regeln für den richtigen
um auszudrücken, daß sich jemand um Umgang miteinander. Als „Knigge“ be¬
Dinge streitet, die des Streitens nicht zeichnet man danach heute ein Buch
wert sind, die sich vielleicht auch gar mit Verhaltensregeln in einem bestimm¬
nicht entscheiden lassen. Des „Kaisers ten Bereich (zum Beispiel „Knigge für
Bart“ ist vermutlich entstellt und umge¬ Autofahrer“ oder „Knigge für Woh¬
deutet aus „Geißenhaar“ (= Ziegen¬ nungssuchende“), und vom „Umgang
haar), was an die lateinische Wendung mit Menschen“ ist meist die Rede, wenn
de lana caprina rixari („um Ziegenwolle es um das angemessene Verhalten ge¬
[also eigentlich um nichts] streiten“) genüber den Mitmenschen geht.
denken läßt. Die Wendung wurde dann
auf die Streitereien von Gelehrten bezo¬ Umhergehen wie ein brüllender
gen, in denen es darum ging, ob be¬ Löwe
stimmte deutsche Kaiser einen Bart ge¬ Diese Redewendung gebraucht man,
tragen hätten. Auf diesem Hintergrund um auszudrücken, daß jemand mit gro¬
ist auch das Gedicht Emanuel Geibels ßer Lautstärke, mit Schreien und
(1815-1884) „Von des Kaisers Bart“ Schimpfen auf etwas reagiert oder auch
entstanden, in dem drei Burschen im nur, um deutlich zu machen, daß je¬
Wirtshaus darüber in Streit geraten, wel¬ mand zuviel Aufhebens von etwas
che Farbe der Bart des Kaisers Rotbart macht. Sie geht auf eine Stelle in der Bi¬
habe. Da der eine den Kaiser mit einem bel zurück. Im 1. Brief des Petrus, Kapi¬
braunen, der zweite ihn mit einem tel 5, Vers 8 heißt es bei der Ermahnung
schwarzen und der dritte ihn mit einem zur Wachsamkeit: „Seid nüchtern und
weißen Kinnschmuck gesehen haben wachet; denn euer Widersacher, der
will, wird heftig gezankt, schließlich Teufel, geht umher wie ein brüllender
zieht man sogar die Degen, und am En¬ Löwe und sucht, welchen er verschlin¬
de geht man im Zorn auseinander. Das
ge.“
Gedicht endet mit der Ermahnung:
„Zankt, wenn ihr sitzt beim Wei- TSeid umschlungen, Millionen!
ne,/Nicht um des Kaisers Bart!“
Umwertung aller Werte
Um ihrer schöner Augen willen
Der Ausdruck für eine neue, gegensätz¬
Das Zitat findet sich bei Moliere liche Bewertung bisheriger Wertvorstel¬
(1622-1673) in den „Precieuses ridicu- lungen stammt aus der Philosophie
434
Teil 1 unbewältigte
Friedrich Nietzsches (1844-1900) und und Ruh’,/Der wie ein Wassersturz von
bezieht sich dort auf die geforderte Fels zu Felsen brauste,/Begierig wütend
Ersetzung christlich-abendländischer nach dem Abgrund zu?“
Werte durch vorchristlich-archaische
Tugenden. Damit sollte in einem „Akt ... das unbekannte Wesen
höchster Selbstbesinnung der Mensch¬ Der Titel des Hauptwerkes des französi¬
heit“ der Nihilismus aus der Einsicht in schen Chirurgen, Physiologen und No¬
die mangelnde Objektivität aller bishe¬ belpreisträgers Alexis Carrel (1873 bis
rigen Sinngebung überwunden werden. 1944) L’homme, cet inconnu (deutsch
Das geplante Werk „Der Wille zur „Der Mensch, das unbekannte Wesen“)
Macht“ sollte den Untertitel „Versuch wurde in Titeln einer Aufklärungsserie
einer Umwertung aller Werte“ tragen. in den 60er Jahren des 20. Jh.s abgewan¬
delt in „Dein Kind, das unbekannte We¬
Das Unbehagen in der Kultur sen“ mit den Fortsetzungen „Deine
Diesen Titel gab der österreichische Be¬ Frau ...“ und „Dein Mann ...“ Heute
gründer der modernen Psychoanalyse, wird er mit wechselndem Subjekt in un¬
Sigmund Freud (1856-1939), einer 1930 terschiedlichen Zusammenhängen ver¬
veröffentlichten gesellschaftstheoreti¬ wendet.
schen Schrift. Er gelangt darin zur Er¬
kenntnis, daß immer mehr Menschen Ein unbeschriebenes Blatt
durch gesellschaftliche Zwänge (so ist Der Ausdruck findet sich schon bei den
„Kultur“ hier zu verstehen) daran ge¬ verschiedensten Schriftstellern der An¬
hindert werden, sich ihrem Triebleben tike und des Mittelalters. Zunächst war
ungehemmt hinzugeben und deshalb jedoch nicht von einem „unbeschriebe¬
immer mehr Aggressionen verdrängt nen Blatt“, sondern von einer „unbe¬
werden müssen. Das führt letztlich zu schriebenen Tafel“ die Rede. Gemeint
einem ständig wachsenden Schuldge¬ war eine Wachstafel, auf der durch Ein¬
fühl gegenüber der Gesellschaft, eben ritzen mit einem Stift etwas schriftlich
zum „Unbehagen in der Kultur“. Heute festgehalten werden konnte. Die Seele
wird der Titel - losgelöst von der Freud- des Menschen in ihrem ursprünglichen
schen Vorstellung - gelegentlich zitiert, Zustand wurde mit einer solchen noch
um das Gefühl der Unbehaglichkeit zu unbeschriebenen Tafel verglichen. So
bezeichnen, das sich bei vielen ange¬ beispielsweise bei Aristoteles (384-322
sichts der Folgeerscheinungen der zeit¬ v. Chr.) in seiner Schrift „Über die See¬
genössischen Kultur einstellt. le“ (111,4). Hier findet man die Erläute¬
rung: „Man muß sich das vorstellen wie
Der unbehauste Mensch bei einer Tafel, auf der noch nichts wirk¬
Dieser Ausdruck wurde in den fünfziger lich geschrieben steht.“ Plutarch (50 bis
Jahren zu einer Art Schlagwort, das den 125 n. Chr.) soll das Bild der „unbe¬
modernen Menschen in seinem Entwur¬ schriebenen Tafel“ durch das eines „un¬
zeltsein, seinem Umgetriebensein, sei¬ beschriebenen Blattes“ ersetzt haben. -
ner inneren Unausgerichtetheit charak¬ Man bezeichnet mit dem Ausdruck ei¬
terisiert. Es handelt sich dabei um den nen noch unerfahrenen Menschen oder
Titel eines 1951 erschienenen Essays des jemanden, der noch unbekannt ist, von
Schriftstellers Hans Egon Holthusen dem man nicht viel weiß. (Vergleiche
(* 1913), der als Vertreter eines christli¬ auch „Tabula rasa“.)
chen Existentialismus gilt. Es ist sicher
nicht falsch, bei der Formulierung einen
Unbewältigte Vergangenheit
Rückgriff auf Goethes Faust zu vermu¬ Der Ausdruck wurde 1955 auf einer
ten. Faust charakterisiert sich an einer Einladung zu einer Tagung der Evange¬
Stelle im Dialog mit Mephisto (Faust I, lischen Akademie Berlin (West) geprägt.
Wald und Höhle) selbst mit der Frage: Er wurde in der Folgezeit sehr häufig im
„Bin ich der Flüchtling nicht? Der Un¬ Zusammenhang mit Veranstaltungen
behauste ?/Der Unmensch ohne Zweck und Diskussionen zum Thema „Natio-
435
Teil I
Uncle
Uncle Sam
Und aus den Wiesen steiget der
Diese scherzhafte Bezeichnung für die
weiße Nebel wunderbar
USA oder auch für „die Amerikaner“
soll auf einen Samuel Wilson aus New Diese Verse stehen am Ende der ersten
York zurückgehen. Im 2. englisch-ame¬ Strophe von Matthias Claudius’ Ge¬
rikanischen Krieg von 1812-1814 mit dicht „Abendlied“ (vergleiche auch
der Kontrolle von Fleischlieferungen an „Der Mond ist aufgegangen“). Man zi¬
die US-Armee betraut, soll er die von tiert sie gelegentlich, wenn man das ro¬
ihm geprüften Sendungen mit den mantisch-geheimnisvolle Bild von dich¬
Buchstaben U.S. (= United States) ge¬ tem Bodennebel, der sich im Herbst
kennzeichnet haben. Dies wurde dann abends über feuchten Wiesen bildet, mit
in Anlehnung an seinen Vornamen lyrischen, aber dennoch einfachen und
Samuel (Koseform Sam) als Abkürzung deshalb ergreifenden Worten beschrei¬
von Uncle Sam „Onkel Sam“ gedeutet. ben will.
Historisch belegt ist diese Entstehungs¬
geschichte allerdings nicht. Und bist du nicht willig, so brauch’
ich Gewalt
Und alles ist Dressur Das Zitat ist der 2. Vers der vorletzten
Das Zitat stammt aus der Szene „Vor Strophe aus Goethes Ballade „Erlkö¬
dem Tor“ in Goethes Faust I (1808). nig“, die zuerst in Goethes Singspiel
Faust kommt zu dem Schluß, daß der „Die Fischerin“ (1782) erschien und
ihm und Wagner folgende Pudel doch dort von der Titelheldin (Dortchen) ge¬
kein Geistwesen sei, wie er zunächst sungen wurde. Zusammen mit der vor¬
vermutet hatte, sondern nur ein ge¬ hergehenden Zeile „Ich liebe dich, mich
wöhnliches Tier: „Du hast wohl recht; reizt deine schöne Gestalt“ ist der Vers
ich finde nicht die Spur/Von einem die letzte Aufforderung des Erlkönigs
Geist, und alles ist Dressur“. Man kann an den Knaben im Arm des Vaters, mit
sich mit dem Zitat abwertend auf ein ihm zu gehen. Die Ballade wurde von
Verhalten beziehen, das man als nur an¬ Franz Schubert und Carl Loewe ver¬
dressiert und deshalb als unecht, gekün¬ tont. - Scherzhaft wird das Zitat ver¬
stelt ansieht. Auch das reine Auswen¬ wendet, wenn man Schwierigkeiten bei
diglernen von Lehrstoff ohne echtes bestimmten Handgriffen hat, sich z. B.
Verständnis für die Inhalte kann so cha¬ etwas nicht öffnen oder schließen lassen
rakterisiert werden. will.
Und also unterscheidet sich der Und dann schleich’ ich still und
Freie von dem Knecht leise immer an der Wand lang
Unter der Überschrift „Sprüche“ findet So beginnt der Kehrreim eines populä¬
sich im ersten Band von Theodor ren Liedes aus dem Jahr 1907, dessen
Storms (1817-1888) Werken als erster Text von Hermann Frey (1876-1950)
Spruch: „Der eine fragt: Was kommt stammt und dessen Melodie von Walter
danach?/Der andre fragt nur: Ist es Kollo (1878-1940) geschrieben wurde.
recht?/Und also unterscheidet sich/Der Der Refrain beschreibt, wie der betrun¬
Freie von dem Knecht.“ Er bezeugt dar¬ kene Zecher seinen Heimweg findet:
436
Teil I und
„Und dann schleich’ ich still und leise/ Und der Himmel hängt voller Gei¬
Immer an der Wand lang,/Immer an der gen
Wand lang,/Immer an der Wand,/An
Mit diesen Worten schwärmt im 2. Akt
der Wand entlang." Vor allem der Aus¬
der Operette „Der liebe Augustin“ von
druck „Immer an der Wand lang“ wird
Leo Fall (1873-1925; Text: Rudolf Ber-
umgangssprachlich-scherzhaft zitiert,
nauer und Ernst Welisch) der Klavier¬
wenn man sich möglichst unauffällig
lehrer Augustin Hofer von einem Lokal,
durch eine Straße, einen Korridor o. ä.
das er in Wien zusammen mit seiner von
bewegen will.
ihm angebeteten Schülerin Prinzessin
Helene eröffnen will. Zugrunde liegt
Und das hat mit ihrem Singen die eine schon seit dem 16. Jahrhundert
Lorelei getan verbreitete Redensart, mit der zum Aus¬
druck gebracht wird, daß jemand sich
Das Zitat, mit dem man scherzhaft oder
ironisch auf die männliche Verführbar¬ äußerst glücklich fühlt und die Zukunft
durch nichts Unerfreuliches getrübt
keit anspielt, ist der Schluß des zweiten
sieht. Die Vorstellung geht wahrschein¬
Gedichts im Abschnitt „Die Heimkehr"
lich auf Gemälde der späten Gotik oder
aus Heinrich Heines (1797-1856)
der Frührenaissance zurück, auf denen
„Buch der Lieder“. Das Gedicht be¬
der Himmel mit musizierenden Engeln
ginnt mit den bekannten Versen „Ich
belebt dargestellt war.
weiß nicht, was soll es bedeuten,/Daß
ich so traurig bin;/Ein Märchen aus
alten Zeiten,/Das kommt mir nicht aus Und der wilde Knabe brach ’s Rös-
dem Sinn.“ Die Verse, die sich auf das lein auf der Heiden
Märchen von der Lorelei beziehen, sind
So lauten die ersten beiden Zeilen der
durch Friedrich Silchers Vertonung
Schlußstrophe von Goethes Gedicht
(1838) volkstümlich geworden. Clemens
„Heidenröslein“, das 1771 in Straßburg
Brentano hatte in seiner Ballade „Lore
in der Zeit seiner Liebe zu Friederike
Lay“ (1799) die rheinische Sagengestalt
Brion entstand und mehrfach vertont
erfunden, die vom Rheinfelsen aus die
wurde; 1809 von Johann Friedrich Rei-
Schiffer ins Verderben'lockt.
chardt, 1815 von Franz Schubert, 1849
von Robert Schumann. Volksliedcha¬
Und das Unglück schreitet schnell rakter erhielt es durch die Vertonung
1 Doch mit des Geschickes Mächten ist von H. Werner aus dem Jahr 1827. Die
kein ew’ger Bund zu flechten zitierten Verse beleuchten wie das ganze
Gedicht die Liebe aus der Sicht des ver¬
lassenen Mädchens. Zugrunde liegt ein
Und der Haifisch, der hat Zähne neunstrophiges Volkslied des 16. Jahr¬
Mit dieser Zeile beginnt die „Moritat hunderts, das Goethe in der Sammlung
von Mackie Messer“, der populärste des Paul von der Beist (1602) bei Herder
Song aus der 1928 in Berlin uraufge- kennengelernt hatte und aus dem er ein¬
führten „Dreigroschenoper“ von Ber¬ zelne Verszeilen benutzte.
tolt Brecht (1898-1956), Musik von
Kurt Weill (1900-1950). Diese Moritat
Und die Größe ist gefährlich und
ist der Eröffnungssong, und so klingt
gleich mit den ersten Worten der Oper der Ruhm ein leeres Spiel
im Bild vom Haifisch eines der Haupt¬ Das Zitat stammt aus dem 1834 uraufge-
themen des ganzen Werks an, nämlich führten dramatischen Märchen „Der
das der skrupellosen Geschäftemache¬ Traum ein Leben“ von Franz Grillpar¬
rei und der rücksichtslosen Machtaus¬ zer (1791-1872). Im 4. Akt erkennt Ru-
übung. Die Zeile ist, wie manche andere stan, der Held des Stücks, die Gefahren
aus den Songs der „Dreigroschenoper“, und Verstrickungen eines Strebens nach
in den allgemeinen Sprachgebrauch Ruhm und Größe, die er in seinem
übergegangen. Traum durchlebt hat. Dankbar wendet
437
Teil I
und
er sich jetzt seiner Welt zu, aus der er Und die Sonne Homers, siehe! Sie
hatte ausbrechen wollen: „Eines nur ist lächelt auch uns
Glück hienieden,/Eins: des Innern stil¬ So lautet der Schlußvers von Schillers
ler Frieden/Und die schuldbefreite Gedicht „Der Spaziergang“, das 1795
Brustl/Und die Größe ist gefährlich/ unter dem Titel „Elegie“ in den „Ho¬
Und der Ruhm ein leeres Spiel ;/Was er ren“ erschien. Der erste Teil schildert
gibt, sind nicht’ge Schatten,/Was er die Schönheit der einfachen, unver¬
nimmt, es ist so viel!“ - Man verwendet fälschten Natur während eines Morgen¬
das Zitat als warnenden Hinweis dar¬ spaziergangs; im zweiten Teil wird - in
auf, daß Ruhm und Popularität oft teuer der Phantasie des Dichters - die Ent¬
mit dem Verlust des wirklichen Lebens¬ wicklung des Menschen zu immer höhe¬
glücks und der inneren Zufriedenheit rer Kultur beschrieben, was letztlich
bezahlt werden müssen. aber zu sittlichem Verfall und Revoluti¬
on führt. Der dritte Teil kehrt zur wirkli¬
chen Umgebung zurück, und am Ende
Und die Moral von der Geschieht’ wird dann die Kontinuität und die Grö¬
Allzu wild gebärden sich die Brüder ße der Natur dem Wechsel der Genera¬
Franz und Fritz beim gemeinsamen Bad tionen und Kulturen als ruhender Pol
in der Wanne in der Bildergeschichte gegenübergestellt: „Unter demselben
„Das Bad am Samstagabend“ von Wil¬ Blau, über dem nämlichen Grün/Wan¬
helm Busch (1832-1908). Schließlich deln die nahen und wandeln vereint die
kippt die Wanne samt Wasser und Kin¬ fernen Geschlechter,/Und die Sonne
dern um, so daß dem zu spät herbeiei¬ Homers, siehe! Sie lächelt auch uns.“
lenden Kindermädchen, der „alten, bra¬
ven Lene“, nur die Erkenntnis bleibt:
„Und die Moral von der Ge¬ Und doch, welch Glück, geliebt zu
schieht’:/Bad zwei in einer Wanne
werden!
nicht!“ Die erste Hälfte dieses Schluß-
verses wird häufig zitiert, wenn man - Diese Zeile bildet mit der folgenden
oftmals mit Schadenfreude - auf die „Und lieben, Götter, welch ein Glück!“
Lehre hinweisen will, die jemand aus et¬ den Schluß des an Friederike Brion ge¬
was ziehen mußte. Der Vers wird dabei richteten Gedichtes „Willkommen und
dann meist mehr oder weniger holprig Abschied“ aus Goethes Straßburger
in Schüttelreimart entsprechend der je¬ Zeit. Trotz des aufwühlenden Ab¬
weiligen Situation ergänzt. schiedsschmerzes, wie er in der letzten
Strophe geschildert wird, setzt der Lob¬
preis der Liebe - ähnlich wie in dem
Und die Mutter blicket stumm auf späteren Gedicht „Rastlose Liebe“ und
dem ganzen Tisch herum in Klärchens Lied „Freudvoll und leid¬
voll“ aus „Egmont“ - den markanten
Diese Verse stammen aus der Geschich¬
Schlußpunkt.
te vom „Zappelphilipp“ in dem bekann¬
ten Kinderbuch des Frankfurter Arztes
und Schriftstellers Heinrich Hoffmann
(1809-1894). Sie schildern die fassungs¬
Und drinnen waltet die züchtige
los auf den leeren Tisch blickende Mut¬ Hausfrau
ter, nachdem der hin und her zappelnde Mit diesem heute nur noch scherzhaft
Philipp mit seinem Stuhl umgekippt ist oder ironisch (gelegentlich auch in der
und dabei das Tischtuch mit Geschirr abgewandelten Form „Und drinnen
und Speisen heruntergerissen hat. Man waltet der züchtige Hausmann“) ge¬
verwendet das Zitat heute allgemein, brauchten Zitat aus Schillers „Lied von
wenn man jemanden charakterisieren der Glocke“ wird die traditionelle Rol¬
will, dem etwas die Sprache verschlagen lenverteilung in der Ehe angesprochen.
hat und der konsterniert dasteht und um (Vergleiche auch „Der Mann muß hin¬
sich schaut. aus ins feindliche Leben“.)
438
Teil I und
Und ein Narr wartet auf Antwort Und führe uns nicht in Versuchung
Dies ist die Schlußzeile des Gedichts Das Zitat ist die 6. Bitte des Vaterunsers.
„Fragen“ aus dem 2. Zyklus der „Nord¬ Es wird - oft auch scherzhaft - verwen¬
see“ (1825/26) von Heinrich Heine det, wenn jemand in einer bestimmten
(1797-1856). Sie drückt zusammen mit Situation in Versuchung geraten könnte,
den drei vorhergehenden Versen - „Es etwas Unrechtes oder Unerlaubtes zu
murmeln die Wogen ihr ew’ges Gemur¬ tun. Unter diesem Titel wurde 1957
mel,/Es wehet der Wind, es fliehen die Ödön von Horvaths Bühnenstück „Der
Wolken,/Es blinken die Sterne gleich¬ jüngste Tag“ von Rolf Hansen verfilmt.
gültig und kalt“ - die Gleichgültigkeit Eine in der Umgangssprache gebräuch¬
der Natur gegenüber den Sinnfragen liche scherzhafte Abwandlung des Zi¬
des „Jüngling-Mannes“ an die Meeres¬ tats lautet: „Und suche uns nicht in der
wogen aus. Man kann das Zitat zum Unterführung“.
Beispiel in Situationen verwenden, in
denen es auf eine Frage keine Antwort
geben kann oder in denen die Antwort Und führen, wohin du nicht willst
so selbstverständlich ist, daß nur ein Im Johannesevangelium (21,18) spricht
Narr noch darauf wartet, sie ausdrück¬ der auferstandene Jesus zu Petrus diese
lich gesagt zu bekommen. Worte. Es heißt an der Stelle: „... wenn
du aber alt wirst, wirst du deine Hände
ausstrecken, und ein anderer wird dich
Und es wallet und siedet und brau¬
gürten und führen, wohin du nicht
set und zischt
willst.“ Das Bibelwort wurde besonders
Das scherzhaft zur Beschreibung von dadurch populär, daß es der evangeli¬
sehr stark kochendem Wasser verwen¬ sche Theologe Helmut Gollwitzer
dete Zitat ist die 1. Zeile der 6. Strophe (* 1908) zum Titel eines seiner Bücher
aus Schillers Ballade „Der Taucher“. In machte, eines Berichts über seine russi¬
diesem und den anschließenden Versen sche Gefangenschaft (1951). Es wird
wird das Meer geschildert, in dem ein seither immer wieder und durchaus
Wagemutiger nach dem vom König hin¬ auch in profanen Zusammenhängen zi¬
abgeworfenen goldenen Becher tauchen tiert, wenn jemand gezwungen ist, etwas
soll: „Und es wallet und siedet und zu tun, was ihm widerstrebt.
brauset und zischt,/Wie wenn Wasser
mit Feuer sich mengt,/Bis zum Himmel
spritzet der dampfende Gischt,/Und Und hinter ihm, in wesenlosem
Flut auf Flut ohn’ Ende sich Scheine, lag, was uns alle bändigt,
drängt,/Und will sich nimmer schöpfen das Gemeine
und leeren,/Als wollte das Meer noch Diese Verse bilden den Schluß der 4.
ein Meer gebären.“ Strophe des Goetheschen Gedichts
„Epilog auf Schillers ,Glocke'", das bei
Und euer himmlischer Vater nährt der Gedenkfeier für Schiller am 10. 8.
sie doch 1805 in Bad Lauchstädt bei Weimar vor¬
getragen wurde. Goethe beschwört dar¬
t Sie säen nicht, sie ernten nicht
in das Bild des verstorbenen Freundes.
Die Strophe beginnt mit dem Ausruf:
Und ewig singen die Wälder „Denn er war unser!“ und fährt fort:
Das seit dem Waldsterben eher ironisch „Mag das stolze Wort/Den lauten
verwendete Zitat ist der Titel - im nor¬ Schmerz gewaltig übertönen!“ Das Zi¬
wegischen Original Og bakom synger tat, am Schluß der Strophe, charakteri¬
skogene - eines Romans von Trygve siert Schiller als den Idealisten, den sein
Gulbranssen (1894-1962) nach der Art freier Geist über das „Alltägliche“, das
der isländischen Familiensagas. 1959 „Gemeine“ hinaushob. - Das Zitat läßt
entstand die österreichische Verfilmung sich auch heute in ähnlicher Weise auf
von Paul May. einen Menschen beziehen.
439
und Teil I
Und immer lockt das Weib fer“, eingesetzt. Der Slogan wurde da¬
mals schnell populär, die Art seiner For¬
Dieser emotionale Hinweis auf stets
mulierung hat sich bis heute gehalten
wirksame weibliche Verführungskünste
und wird in Übertragungen unter¬
zitiert den deutschen Titel des französi¬
schiedlichster Art immer wieder ange¬
schen Films Et Dieu crea la femme -
wandt. Scherzhaft könnte so beispiels¬
eigentlich „Und Gott schuf das Weib“ -
weise jemand im Hinblick auf einen
von Roger Vadim aus dem Jahr 1956.
reichlich Alkohol konsumierenden
Und jedem Anfang wohnt ein Zau¬ Menschen, aber auch auf einen viel
ber inne Kraftstoff verbrauchenden Motor sa¬
gen: „Er säuft und säuft und säuft.“
Das Zitat, das dem sprichwörtlichen
„Aller Anfang ist schwer“ gegenüberge¬
stellt werden kann, bildet zusammen mit
Und munter fördert er die Schritte
der anschließenden Zeile „Der uns be¬
Das Zitat ist die erste Zeile der vierten
schützt und der uns hilft zu leben“ den
Schluß des ersten Strophengebildes von Strophe von Schillers Ballade „Die Kra¬
Hermann Hesses (1877-1962) Gedicht niche des Ibykus“. Die Zeile bezieht
„Stufen“. Dessen Thema ist der zweifa¬ sich auf den Dichter Ibykus, der zu den
che Inhalt jeder Lebensstufe: Abschied Isthmischen Spielen eilt, die im antiken
und Neubeginn in einem. Griechenland auf der Landenge von
Korinth alle zwei Jahre zu Ehren des
... und kein bißchen weise Gottes Poseidon gefeiert wurden. Man
Mit der durch eine Altersangabe ergänz¬ zitiert den Vers - meist scherzhaft
ten Formulierung weist man scherzhaft wenn man jemandes zielgerichtetes,
auf jemandes reifere Jahre hin, denen rasches (oder sich beschleunigendes)
zum Trotz die betreffende Person immer Gehen beschreiben möchte.
noch nicht weise geworden ist, sich zu¬
gleich aber auch ihre Jugendlichkeit er¬
Und muß ich so dich wiederfin¬
halten hat. Das Zitat geht auf das Chan¬
den?
son „60 Jahre und kein bißchen weise“
zurück, das der Schauspieler Curd Diese Worte ruft in Schillers Ballade
Jürgens (1915-1982) 1975 sang; 1976 „Die Kraniche des Ibykus“ (7. Strophe)
erschienen seine Memoiren unter dem entsetzt der Gastfreund des auf der Rei¬
Titel „Und kein bißchen weise“. Den se ermordeten Dichters Ibykus aus:
Text des Liedes schrieb M. Frances; die „Und muß ich so dich wiederfin¬
Melodie stammt von H. Hammer- den,/Und hoffte mit der Fichte Kranz/
schmid. Des Sängers Schläfe zu umwinden,/Be-
strahlt von seines Ruhmes Glanz!“ In
... und kein Ende scherzhaftem Ton gibt man mit dem Zi¬
Die Formulierung drückt im Zusam¬ tat seiner Verwunderung über jemandes
menhang mit einem voranstehenden Be¬ Veränderung Ausdruck.
griff aus, daß es in der betreffenden Sa¬
che kein Ende gibt, daß es damit nicht
aufhören will. Der bereits früher, u.a. Und noch zehn Minuten bis Buffa¬
bei Lessing gebräuchliche Ausdruck er¬ lo
langte vielleicht durch Goethes Aufsatz Die Zeitangabe bezieht sich in Theodor
„Shakespeare und kein Ende“ aus dem Fontanes (1819-1898) Ballade „John
Jahr 1815 weitere Verbreitung. Maynard“ auf das brennende Schiff,
das schließlich noch zehn Minuten bis
Und läuft und läuft und läuft...
zum rettenden Strand von Buffalo
Im Jahr 1962 wurde dieser Werbeslogan braucht. Das Zitat wird heute leicht
geprägt und von dem Automobilunter¬ scherzhaft verwendet, und zwar im Sin¬
nehmen Volkswagenwerk für das Volks¬ ne von „nur noch wenige Minuten, dann
wagenmodell, den sogenannten „Kä¬ ist es geschafft“.
440
Teil I und
Und sagte kein einziges Wort tet“ wird, ln eher scherzhafter Aus¬
Dieser scherzhaft-ironische Kommen¬ drucksweise kann das Zitat auch die Be¬
tar, wenn jemand sich nicht zu etwas äu¬ obachtung kommentieren, daß jemand
oder eine Institution überraschender¬
ßert oder überhaupt nicht reden will, zi¬
tiert den Titel eines Romans von Hein¬ weise aktiv wird, einen bisher unnach¬
giebig vertretenen Standpunkt aufgibt.
rich Böll (1917-1985). Der Romantitel
mit seiner Wiederaufnahme im 4. Kapi¬
tel - und er sagte kein einziges Und sieht sich stumm rings um
Wort“ - gilt der männlichen Hauptfigur Diese Zeile stammt aus Schillers Balla¬
Fred Bogner. Am Schluß des Romans de „Der Handschuh“ (1797). Man kom¬
erkennt er die Notwendigkeit, zu seiner mentiert damit scherzhaft Situationen,
Familie zurückzukehren und seine bis¬ in denen jemand - verblüfft oder leicht
herige Haltung aufzugeben, indem er verwirrt, desorientiert - wortlos umher¬
gelobt: „... eines Tages werde ich spre¬ blickt, ohne das wahrzunehmen, was er
chen.“ sucht oder was er eigentlich wahrneh¬
men sollte. Im Gedicht wird so das Ver¬
Und setzet ihr nicht das Leben ein, halten des Löwen beschrieben, der aus
nie wird euch das Leben gewonnen dem Zwinger in die Arena tritt: „Auf tut
sich der weite Zwinger,/Und hinein mit
sein
bedächtigem Schritt/Ein Löwe tritt;/
Das Zitat steht am Schluß des Chorlie¬
Und sieht sich stumm/Rings um/Mit
des „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd,
langem Gähnen/Und schüttelt die Mäh¬
aufs Pferd“, mit dem der erste Teil des
nen/Und streckt die Glieder/Und legt
Schillerschen Dramas „Wallenstein“,
sich nieder.“
„Wallensteins Lager“, endet. Die Verse
bringen dort das Lebensgefühl der Sol¬
Und so kommt zum guten Ende
daten zum Ausdruck, die für das wahre,
das freie Leben Todesgefahren in Kauf
alles unter einen Hut
nehmen. Man zitiert sie heute auch als Dieser Vers ist der Anfang der ersten
Aufforderung zur Zivilcourage, zur ge¬ von drei Strophen, die Bertolt Brecht
waltlosen Auflehnung gegen Unrecht 1930 dem Drehbuch für die Filmfassung
oder Unterdrückung. seiner „Dreigroschenoper“ (uraufge-
führt 1928) hinzufügte. Im „Dreigro¬
schenfilm“ erkennen Polizeichef
Und sie bewegt sich doch!
Brown, der Bettlerkönig Peachum und
Der italienische Mathematiker, Philo¬
der zum Bankier avancierte Macheath
soph und Physiker Galileo Galilei
ihren gemeinsamen Feind - die aufge¬
(1564-1642) hatte 1632 ein Werk veröf¬
wiegelte Masse, die soziale Gerechtig¬
fentlicht, in dem er sich für die koperni- keit fordert und damit die einträglichen
kanische Lehre aussprach, die die Son¬
Geschäfte der drei gefährdet - und
ne und nicht die Erde als Mittelpunkt
kommen ganz schnell „unter einen
der Welt ansah. Das Buch wurde auf
Hut“. Wie es auch heute noch zu so
kirchlichen Befehl eingezogen, Galilei manchem überraschenden guten Ende
vor die Inquisition zitiert. Am 22.6. 1633 kommen kann, erklären die letzten Ver¬
schwor er seinem „Irrtum“ ab. Legende
se der ersten Strophe: „Ist das nötige
ist aber der Ausspruch „Und sie (= die Geld vorhanden,/Ist das Ende meistens
Erde) bewegt sich doch!“ (italienisch
gut.“
Eppur si muove), von dem in einer fran¬
zösischen Quelle des 18. Jahrhunderts
Und unsern kranken Nachbar
berichtet wird. Zitiert wird das Wort,
wenn nachdrücklich festgestellt werden
auch!
soll, daß etwas in Wirklichkeit in völli¬ So lautet die letzte Zeile aus dem Ge¬
gem Gegensatz zu dem steht, was als dicht „Abendlied“ von Matthias Clau¬
Norm zu gelten hat und aus Opportuni¬ dius (1740-1815), mit der ein Mit¬
tätsgründen von manchen „nachgebe¬ mensch, dem es nicht gutgeht, in das
441
und Teil I
Gebet „Verschon uns, Gott, mit Strafen/ Und wenn der ganze Schnee ver¬
Und laß uns ruhig schlafen“ einbezogen brennt
wird. Das Zitat wird heute scherzhaft
Diese Redensart ist durch die letzten
gebraucht, wenn jemand in irgendeiner
Worte des alten Hilse am Ende des
Weise bei etwas mit bedacht werden 5. Aktes von Gerhart Hauptmanns
soll. (1862-1946) Drama „Die Weber“ be¬
sonders bekannt geworden. Der über
Und ward nicht mehr gesehn den Aufstand entsetzte einarmige We¬
Diese letzte Zeile aus Goethes Ballade bermeister arbeitet weiter an dem Platz,
„Der Fischer“ gebraucht man scherz¬ an den er sich von Gott gestellt fühlt:
haft, um das Verschwundensein eines „Hie bleiben mer sitzen und tun, was
Gegenstands oder einer Person zu kom¬ mer schuldig sein, und wenn d’r ganze
mentieren. Das Gedicht wurde unter an¬ Schnee verbrennt“. Daraus wurde eine
derem durch seine Vertonung von Franz umgangssprachlich scherzhafte Redens¬
Schubert aus dem Jahr 1815 bekannt. art im Sinne von „Wir lassen uns nicht
(Siehe auch „Halb zog sie ihn, halb sank entmutigen, was immer auch geschehen
er hin“.) mag“. Im Hinblick auf das Ende des Al¬
ten, der am Webstuhl von einer verirrten
Und was die innere Stimme Kugel getroffen wird, ergänzt man das
spricht, das täuscht die hoffende Zitat öfter volkstümlich-parodistisch
Seele nicht durch „Die Asche bleibt uns doch.“
Die beiden Schlußverse aus Schillers
Gedicht „Hoffnung“ ziehen das Resü¬ Und wenn der Mensch in seiner
mee, daß die Hoffnung, selbst am Grabe Qual verstummt, gab mir ein Gott
noch, „kein leerer, schmeichelnder zu sagen, was ich leide
Wahn“ ist, denn „Im Herzen kündet es
Die beiden Verse aus dem Munde Tas-
laut sich an:/Zu was Besserm sind wir
sos im fünften Akt des gleichnamigen
geboren.“ In weniger gewichtigem Zu¬
Goetheschen Dramas setzte Goethe
sammenhang läßt sich das Zitat verwen¬
auch als Motto über seine sogenannte
den, wenn man seiner inneren Stimme
„Marienbader Elegie“. Dieses Gedicht
gefolgt ist und einen seine Hoffnung
entstand 1823 unmittelbar nach der
nicht getrogen hat.
Trennung des Dichters von Ulrike von
Levetzow. Goethe verarbeitete in dem
Und was kein Verstand der Ver¬
Gedicht seinen Schmerz über die uner¬
ständigen sieht füllt gebliebene Liebe zu der sehr viel
t Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt jüngeren Frau, die ihm bei seinem Auf¬
enthalt in Marienbad begegnet war. In
Und weil der Mensch ein Mensch dem Motto drückt sich aus, was sein
ist, drum will er was zu essen, bitte Künstlertum dem Dichter ermöglicht,
sehr! daß er nämlich seinem Schmerz in ei¬
Die beiden Verse stehen am Anfang des nem Kunstwerk Gestalt geben und ihn
„Einheitsfrontlied“ überschriebenen so überwinden kann.
Gedichts von Bertolt Brecht (1898 bis
1956), das zu den sogenannten „Svend- Und wenn die Welt voll Teufel wär
borger Gedichten“ aus dem Jahr 1939 So beginnt die dritte Strophe von Mar¬
gehört. - In scherzhafter Weise kann tin Luthers (1483-1546) bekanntem
man mit dem Zitat zum Ausdruck brin¬ Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser
gen, daß man hungrig ist. Eine ernsthaf¬ Gott“: „Und wenn die Welt voll Teufel
tere Verwendung, bei der auch nur die wär/und wollt uns gar verschlingen,/so
erste der beiden Zeilen zitiert werden fürchten wir uns nicht so sehr, -/es soll
kann, weist mahnend auf die Grundbe¬ uns doch gelingen.“ Das Lied, als Aus¬
dürfnisse des Menschen hin, die ihm druck unerschütterlicher Glaubensge¬
nicht verweigert werden dürfen. wißheit, wird besonders am Reforma-
442
Teil I Unfähigkeit
tionsfest gesungen. - Als Zitat ist die Die Geschichte spielt im Land „Phan¬
Liedzeile Ausdruck der Unerschrocken¬ tasien“, das der kindliche Held durch
heit, mit der man sich einer schwierigen die Lektüre eines gestohlenen Buches
Situation zu stellen bereit ist. betritt und mit seAen Vorstellungen
und Wünschen neu erschafft. Dieser
Und wenn sie nicht gestorben sind, Vorgang ist die „Unendliche Geschich¬
so leben sie noch heute te“, die ein Leser durch seine handelnde
Phantasie jeweils wieder bis zu einem
Diese Worte gelten als die klassische
Buch erweitern könnte, so daß die Ge¬
Schlußformel von Märchen. Sie findet
schichte sich letztlich ohne Ende fort¬
sich zum Beispiel im „Fundevogel“ in
setzt.
der Grimmschen Märchensammlung.
Von den glücklich der Hexe entronne¬
t Willst du ins Unendliche schrei¬
nen Kindern heißt es dort: „Da gingen
ten, geh nur im Endlichen nach
die Kinder zusammen nach Haus und
waren herzlich froh; und wenn sie nicht
allen Seiten
gestorben sind, leben sie noch.“ Die
Die unerträgliche Leichtigkeit des
Formel zitiert man z. B., um scherzhaft
Seins
oder sarkastisch darauf hinzuweisen,
daß man etwas gerade Gehörtes oder Bei dieser Formulierung handelt es sich
Gelesenes für äußerst unwahrscheinlich um den deutschen Titel (1984) eines Lie¬
oder für frei erfunden hält. besromans des tschechischen Schrift¬
stellers Milan Kundera. Das Buch er¬
Und willst du nicht mein Bruder schien 1984 zuerst auf französisch -
L'insoutenable legerele de l’etre -, 1985
sein, so schlag’ ich dir den Schädel
auch auf tschechisch - Nesnesitelnä leh-
ein
kosl byti. Unerträglich ist die Leichtig¬
Dieser im Revolutionsjahr 1848 im keit des menschlichen Seins, weil ein
Volksmund oft gebrauchte Spottvers ist Menschenleben kein Gewicht hat und
angelehnt an das in der Französischen wie Staub verfliegt. Der Roman erlangte
Revolution entstandene, den Jakobi¬ zusätzliche Popularität durch den
nern zugeschriebene Wort La fraternite gleichnamigen Film - im amerikani¬
ou la mort!, zu deutsch „Brüderlichkeit schen Original The Unbearable Light-
oder Tod!“ Fürst Bernhard von Bülow ness of Being - von Ph. Kaufman aus
(1849-1929), Reichskanzler unter Wil¬ dem Jahr 1987. Bei der Verwendung des
helm II., hat den Vers 1903 in einer Rede Zitats bleibt das Moment des Unerträg¬
während einer Auseinandersetzung im lichen eher außer acht; im Vordergrund
Reichstag verwendet und ihm dadurch steht die leichte Lebensart.
zu neuer Popularität verholfen. Er wur¬
de in der Folgezeit immer wieder zur Die Unfähigkeit zu trauern
Kennzeichnung von Situationen zitiert, Die Psychoanalytiker Alexander und
in denen nicht Argumentation und Margarete Mitscherlich veröffentlich¬
Überzeugungskraft, sondern Indoktri¬ ten 1967 eine Sammlung gesellschafts¬
nation und Gewalt eingesetzt wurden, analytischer Arbeiten unter dem Titel
um jemanden auf die eigene Seite zu „Die Unfähigkeit zu trauern. Grundla¬
ziehen. gen des kollektiven Verhaltens“. Sie set¬
zen sich darin mit dem Befund ausein¬
Unendliche Geschichte ander, daß ein Teil der deutschen Bevöl¬
Der umgangssprachliche Ausdruck für kerung nach dem Zweiten Weltkrieg die
etwas nicht enden Wollendes, sich un¬ Verbrechen des Nationalsozialismus
endlich in die Länge Ziehendes nimmt verdrängt hat, sich mit dem Unrecht aus
den Titel „Die unendliche Geschichte“ der jüngsten Vergangenheit nicht aus¬
eines Jugendromans von Michael Ende einandersetzen wollte. Das Zitat wird
auf. Das 1979 erschienene Buch wurde heute meist in vergleichbaren Zusam¬
1983 von Wolfgang Petersen verfilmt. menhängen verwendet, es konstatiert
443
ungeschriebenes Teil I
444
Teil I Unrecht
Es ist unmöglich, von ... nicht ge¬ Unrecht Gut gedeihet nicht
fesselt zu sein
Diese sprichwörtliche Redensart hat ih¬
Diese Behauptung wird - gelegentlich ren Ursprung vermutlich in der Bibel. In
auch ironisch oder scherzhaft - aufge¬ den Sprüchen Salomos (10,2) heißt es:
stellt, wenn man fest davon überzeugt „Unrecht Gut hilft nicht; aber Gerech¬
ist, daß einfach jeder von einer be¬ tigkeit errettet vom Tode.“ Bekannt ist
stimmten Person oder Sache in Bann ge¬ die Redensart auch in der Form: „Un¬
halten, fasziniert sein muß. Sie geht auf recht Gut tut selten gut.“ Der Gedanke,
einen Werbeslogan des Goldmann-Ver¬ daß sich die unrechtmäßige Aneignung
lages (etwa 1929) zurück: „Es ist un¬ von Dingen für jemanden nicht aus¬
möglich, von Edgar Wallace nicht gefes¬ zahlt, nicht positiv auswirken kann,
selt zu sein.“ Der englische Verleger der wurde in mancherlei Abwandlungen
Kriminalromane von Edgar Wallace, der Redensart variiert, z. B.: „Unrecht
Hodden & Stoughton in London, hatte Gut hält nicht vor“, „Unrecht Gut hat
bereits nach dem Ersten Weltkrieg mit Adlersfedern“, „Unrecht Gut dauert
dem Slogan It is impossible not to be wie Butter an der Sonne“ oder auch
thrilled by Edgar Wallace geworben. „Unrecht Gut macht nicht reich“ u.ä.
445
uns Teil I
Zitat wird heute eher als ironisches der Rückschau auf ihr Leben angeführt.
Apercu auf jemanden gemünzt, der sich Eine verkürzende, scherzhaft-umgangs¬
und seine Fähigkeiten zu hoch ein¬ sprachliche Abwandlung des Textzu¬
schätzt und sich bei der Beurteilung sei¬ sammenhangs lautet: „Wenn’s hoch¬
ner Person durch andere nicht bestätigt kommt, ist’s köstlich gewesen“; sie wird
sieht oder sich auch von andern immer¬ meist als Kommentar eines Aufstoßens
zu angegriffen fühlt. nach reichlicher Mahlzeit verwendet.
446
Teil I unter
mag, gibt die Worte des sterbenden Tal¬ Neuen Testaments der Lutherbibel von
bot wieder, des Feldherrn der Englän¬ 1956 ist das Wort „Mörder“ durch
der in Schillers Tragödie „Die Jungfrau „Räuber" ersetzt worden, das sich in an¬
von Orleans“ (111,6). Er kann es nicht deren Bibelübersetzungen schon früher
als Schicksal akzeptieren, daß sich die Findet.
Engländer vom „Gaukelspiel“ der
Jungfrau besiegen lassen.
Unter Kameraden ist das ja ganz
Unsre Fahne flattert uns voran egal
Die Textzeile aus einem Lied der Hitler¬ Dieser Ausspruch stammt aus dem
Lustspiel „Krieg im Frieden“ (1881),
jugend von Baldur von Schirach wird in
das der deutsche Schriftsteller Gustav
der Umgangssprache noch gelegentlich
zitiert und spöttisch abgewandelt, um von Moser (1825-1903) zusammen mit
dem österreichischen Bühnenautor
jemandes Alkoholfahne zu beschreiben.
Franz von Schönthan (d. i. Franz
t Da unten aber ist’s fürchterlich Schönthan, Edler von Pernwald,
1849-1913) verfaßt hat. Man zitiert ihn
Unter dem Schatten deiner Flügel (gelegentlich auch mit der dem Berliner
Dialekt entnommenen Variante „... janz
Das gleichnishaft gebrauchte Bild der
ejal“), wenn man in einer bestimmten
Schutz gewährenden Flügel tritt in der
Situation andeuten will, daß man sich
Bibel mehrfach auf. In der Form dieses
unter Gleichgesinnten befindet und Be¬
Zitats wird es erstmals in Psalm 17,8
rufs- oder Standesgenossen nun einmal
verwendet. Dort heißt es: „Behüte mich
Zusammenhalten und alles sozusagen
wie einen Augapfel im Auge, beschirme
„unter sich“ ausmachen.
mich unter dem Schatten deiner Flü¬
gel.“ Das Zitat mit dem friedvolle Zu¬
versicht vermittelnden Bild wurde zum Unter Larven die einzige fühlende
Titel eines erschütternden Zeitdoku¬ Brust
ments, nämlich der 1956 veröffentlich¬ In Schillers Ballade „Der Taucher" be¬
ten Tagebuchaufzeichnungen des deut¬ schreibt der aus dem tobenden Meer
schen Schriftstellers Jochen Klepper wieder aufgetauchte Knappe seinen
(1903-1942). Klepper beging unter dem Aufenthalt in der gräßlichen Tiefe bei
Druck der nationalsozialistischen Herr¬ „den Ungeheuern der traurigen Öde“.
schaft mit seiner jüdischen Frau und Dort, so berichtet er, war er „unter Lar¬
seiner Stieftochter Selbstmord. ven die einzige fühlende Brust“. Beim
Zitieren dieser Gedichtzeile möchte je¬
Unter die Räuber gefallen sein mand gewöhnlich eine Situation kenn¬
Mit dieser Redewendung kann zweierlei zeichnen, in der beim Zusammensein
ausgedrückt werden. Einmal dient sie mit mehreren Menschen die Begegnung,
der Umschreibung dafür, daß jemand das Zusammensein mit nur einem einzi¬
von andern unerwartet ausgenutzt, total gen lohnenswert erschien.
ausgebeutet wird. Zum andern wird sie
auf jemanden angewendet, der sehr un¬
Unter seine Fittiche nehmen
gepflegt, abgerissen daherkommt. Die
Wendung ist wohl biblischen Ursprungs Wer jemanden unter seine Fittiche
und geht auf eine Formulierung im nimmt, kümmert sich um ihn, betreut
Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ihn und hilft ihm, wo es nötig ist. Diese
(Lukas 10,30 f.) zurück. Das Gleichnis Redewendung Findet sich schon in der
beginnt mit den Worten: „Es war ein Bibel, wo es an zwei Stellen in den Psal¬
Mensch, der ging von Jerusalem hinab men des Alten Testaments heißt: „Laß
gen Jericho und Fiel unter die Mörder; mich wohnen in deiner Hütte ewiglich
die zogen ihn aus und schlugen ihn und und Zuflucht haben unter deinen Fitti¬
gingen davon und ließen ihn halbtot lie¬ chen“ (Psalm 61,5) und „Er wird dich
gen.“ In der revidierten Fassung des mit seinen Fittichen decken, und deine
447
Untergang Teil I
Zuversicht wird sein unter seinen Flü¬ spruch mit den Worten „Unvorbereitet,
geln“ (Psalm 91,5). wie ich bin“ begonnen. Als er nicht über
diese Worte hinauskam, zog er sein Ma¬
Der Untergang des Abendlandes nuskript hervor, von dem er seine sehr
wohl vorbereitete Rede ablas. Heute
So lautet der Titel des von dem Ge¬
wird die Floskel gern als ironische Ein¬
schichtsphilosophen Oswald Spengler
leitung zu einer Rede oder einem Vor¬
zwischen 1918 und 1922 veröffentlich¬
trag gebraucht, um eine aufgelockertere
ten Werkes, in dem die einzelnen Kultu¬
Atmosphäre zu schaffen und keine un¬
ren als überindividuelle Wesenheiten
angebrachte Feierlichkeit oder Förm¬
aufgefaßt werden, die jeweils einen Zy¬
lichkeit aufkommen zu lassen.
klus von Blütezeit, Reife und Verfall
durchlaufen. Gelegentlich wird dieser
Titel als ironische Bemerkung bei einem Das Unzulängliche, hier wird’s
allzu wichtig genommenen Vorfall zi¬ Ereignis
tiert. Mit Sarkasmus oder recht bissigem
Spott lassen sich diese Worte auf grobes
Das Unvermeidliche mit Würde Versagen in den verschiedensten Berei¬
tragen chen beziehen. Sie stammen aus dem
zweiten Teil von Goethes Faust („Berg¬
Diese Empfehlung einer stoischen Le¬
benshaltung findet man in einem Ge¬ schluchten“), wo der Chorus mysticus
dicht mit dem Titel „Denkspruch“ des mit Versen, die noch einmal das Thema
Vergänglichkeit und Erlösung in sehr
deutschen Dichters und Übersetzers
Karl Streckfuß (1778-1844). Der voll¬ gedrängter Form abschließend darstel¬
ständige Text lautet: „Im Glück nicht len, das Schauspiel beschließt. (Verglei¬
jubeln und im Sturm nicht zagen,/Das che auch „Alles Vergängliche ist nur ein
Unvermeidliche mit Würde tragen,/Das Gleichnis“.)
Rechte tun, am Schönen sich erfreu¬
en,/Das Leben lieben und den Tod nicht Up ewig ungedeelt
scheuen/Und fest an Gott und beßre Der Wahlspruch Schleswig-Holsteins
Zukunft glauben/Heißt leben, heißt geht auf König Christian I. von Däne¬
dem Tod sein Bittres rauben.“ mark (1448-1481) zurück, der nach Er¬
löschen des holsteinischen Grafenhau¬
Unverständlich sind mir die Alten ses der Schauenburger Schleswig und
Bei Auseinandersetzungen zwischen Ju¬ Holstein in Personalunion mit Däne¬
gend und Alter wird die Schlußzeile der mark verband und in den Verträgen von
ersten Strophe des Gedichtes „Die Al¬ Ripen und Kiel 1460 die Zusicherung
ten und die Jungen“ von Theodor Fon¬ gab, daß Schleswig und Holstein ewig
tane (1819-1898) von denjenigen zitiert, ungeteilt zusammenbleiben sollten.
die um Verständnis für die Jugend und 1844 verfochten die Schleswig-Holstei¬
ihre Bestrebungen bemüht sind. Die ner auf dem deutschen Schleswiger Sän¬
Strophe im ganzen verdeutlicht das An¬ gerfest unter Berufung auf die Verträge
liegen Fontanes: „.Unverständlich sind von 1460 die Einheit und Eigenständig¬
uns die Jungen1,/Wird von den Alten be¬ keit der Herzogtümer und erstrebten
ständig gesungen ;/Meinerseits möcht’ den Anschluß an das Deutsche Reich.
ich’s damit halten:/,Unverständlich
sind mir die Alten1 “. Upper ten
Die t oberen Zehntausend
Unvorbereitet, wie ich mich habe
Zu dieser scherzhaften Redensart, ei¬ Urahne, Großmutter, Mutter und
nem Freudschen Versprecher, gibt es Kind
eine Anekdote aus dem Jahr 1834. Da¬ Diesen Vers, mit dem das Gedicht „Das
nach hatte ein Baurat Matthias in Halle Gewitter“ des schwäbischen Dichters
bei seiner Antwort auf einen Trink¬ Gustav Schwab (1792-1850) beginnt.
448
Teil 1 variatio
449
Varus Teil I
MemßoXi) nüv rcov yXvxv (in wörtli¬ Vater werden ist nicht schwer
cher Übersetzung: „Die Veränderung Diese Feststellung trifft Wilhelm Busch
aller Dinge ist süß“). - Später zitiert (1832-1908) im dritten Teil der Knopp-
Aristoteles diese bereits im Griechi¬ Trilogie mit der Überschrift „Julchen“.
schen als „geflügelt“ geltende Stelle. In Der „Vorbemerk“ dieses Teils beginnt
lateinischer Form taucht sie unter ande¬ mit den Versen: „Vater werden ist nicht
rem bei Cicero in dem Wortlaut „Varie- schwer,/Vater sein dagegen sehr.“ Beide
tas delectat“ auf. Verse werden - zusammen oder auch
jeder einzelne für sich - häufig scherz¬
Varus, gib mir meine Legionen haft, spottend oder auch ironisch ge¬
wieder! braucht, um die Situation eines frisch¬
gebackenen oder eines leidgeprüften
TGib mir meine Legionen wieder!
Vaters zu kommentieren.
Der Vater bist du aller Hindernisse T Ans Vaterland, ans teure, schließ
Im zweiten Teil von Goethes Faust (Er¬ dich an
ster Akt. Finstere Galerie) verlangt der
Kaiser von Faust, ihm durch Zauber¬ Vaterlandslose Gesellen
kunst Helena und Paris herbeizuzitie¬ Die abwertende Bezeichnung „vater¬
ren. Faust gibt das Ansinnen an Mephi¬ landslose Gesellen“ für die Sozialdemo¬
sto weiter, der jedoch die Aufgabe für kraten wurde im wilhelminischen Kai¬
sehr schwierig hält und zu lamentieren serreich geprägt. Sie wird oft Kaiser
beginnt. Darauf beschimpft ihn Faust Wilhelm II. (1859-1941) selbst zuge¬
mit den Worten: „Da haben wir den al¬ schrieben und bezieht sich wahrschein¬
ten Leierton !/Bei dir gerät man stets ins lich auf den Satz „Die Arbeiter haben
Ungewisse./Der Vater bist du aller Hin¬ kein Vaterland“ aus dem 2. Kapitel,
dernisse“. - Der Vorwurf könnte sich an „Proletarier und Kommunisten“, des
jemanden richten, der häufig zum Ärger 1848 von Karl Marx und Friedrich En¬
anderer Dinge blockiert oder verhin¬ gels verfaßten „Manifests der Kommu¬
dert. nistischen Partei“. Es heißt dort: „Den
Kommunisten ist ferner vorgeworfen
Vater, ich habe gesündigt worden, sie wollten das Vaterland, die
Nationalität abschaffen. - Die Arbeiter
t Pater, peccavi
haben kein Vaterland. Man kann ihnen
nicht nehmen, was sie nicht haben.“ -
t Wenn der Vater mit dem Sohne In seinem 1927 erschienenen Roman
„Der Steppenwolf1 hat Hermann Hesse
(1877-1962) den Begriff mehrfach ver¬
Vater, unser bestes Stück
wendet, und der Schriftsteller Adam
Dies ist der Titel eines Romans von Scharrer (1889-1948) machte ihn (1930)
Hans Nicklisch (*1912) aus dem Jahr zum Titel eines Romans.
1955, der 1957 unter dem gleichen Titel
mit Ewald Baiser in der Titelrolle ver¬ t Zu seinen Vätern versammelt
filmt wurde. - Die Redewendung Je¬ werden
mandes bestes Stück“ verwendet man in
scherzhafter Weise als Kompliment für
Des Vaters Segen baut den Kin¬
jemanden, den man - innerhalb einer
dern Häuser; aber der Mutter
Gruppe, der Familie o. ä. - am meisten
schätzt, der von allen geliebt wird, auf
Fluch reißt sie nieder
den sich alle verlassen können. Im Alten Testament bedeutet der Segen
Gottes, der durch den Vater an die Kin¬
der weitergegeben wird, Glück und
Vater, vergib ihnen
Wohlergehen auf der Erde; die Verflu¬
t... denn sie wissen nicht, was sie tun chung dagegen führt zum Verlust des ir-
450
Teil I verachtet
dischen Glücks, zu Not und Elend. Ein¬ Lebensfreude ist, endet mit den Zeilen:
fluß nehmen kann der Mensch dabei „Man schafft so gern sich Sorg’ und
durch sein eigenes Verhalten gegenüber Müh’,/Sucht Dornen auf und findet sie/
seinen Eltern. Das „Buch Jesus Sirach“, Und läßt das Veilchen unbemerkt,/Das
eine zu den Apokryphen des Alten Te¬ uns am Wege blüht.“
staments gehörende Schrift, befaßt sich
unter anderem mit dieser Thematik. Das
dritte Kapitel handelt „Vom Gehorsam Veni, vidi, vici
gegen die Eltern und von wahrer De¬
t Ich kam, ich sah, ich siegte
mut“. In den Versen 9-11 heißt es dort:
„Ehre Vater und Mutter mit der Tat, mit
Worten und Geduld, auf daß ihr Segen
über dich komme. Denn des Vaters Se¬ Verachte nur Vernunft und Wis¬
gen baut den Kindern Häuser; aber der senschaft
Mutter Fluch reißt sie nieder.“ Beim Diese Worte ruft Mephisto in Goethes
Gebrauch dieses Bibelzitats (es wird Faust I (Studierzimmer 2) schon sieges¬
häufig auch nur zur Hälfte zitiert) wird sicher seinem Vertragspartner Faust
oft übersehen, daß Segen und Fluch nach, mit dem er auf Reisen gehen will:
nicht als Willkürakte der Eltern, son¬ „Verachte nur Vernunft und Wissen¬
dern als Reflexe, als Antwort gewisser¬ schaft,/Des Menschen allerhöchste
maßen auf das Verhalten der Kinder zu Kraft,/Laß nur in Blend- und Zauber¬
werten sind. Wer sich durch sein richti¬ werken/Dich von dem Lügengeist be-
ges Verhalten gegenüber beiden Eltern stärken,/So hab’ ich dich schon unbe¬
den Segen verdient, dem wird es Wohler¬ dingt Mit dem zunächst befremdlich
gehen, wer sich aber durch Verfehlung klingenden Zitat will man eigentlich ei¬
an auch nur einem Eltemteil der Verflu¬ ne Warnung aussprechen und im Grun¬
chung aussetzt, der wird Not leiden. Ge¬ de die Überlegenheit der menschlichen
legentlich führt auch eine Fehlinterpre¬ Vernunft und der wissenschaftlichen
tation und die falsche Gewichtung der Erkenntnis über Magie und Aberglau¬
Rollenverteilung der Eltern im Hinblick ben betonen.
auf die Zuordnung von Segen und
Fluch zu einer Anwendung des Zitats an
der falschen Stelle. Es ist nicht aus¬ Verachtet mir die Meister nicht
schlaggebend, von wem der Segen und
Am Ende des 3. Aktes der Oper „Die
von wem die Verfluchung ausgeht. Ent¬
Meistersinger von Nürnberg“ von Ri¬
scheidend ist das richtige oder das
chard Wagner (1813-1883) klärt der
falsche Verhalten der Kinder.
Meister Hans Sachs den jungen Walter
von Stolzing, der als Sieger aus dem
Ein Veilchen, das am Wege blüht Sängerwettstreit hervorgegangen ist,
Mit diesem Ausdruck charakterisiert darüber auf, was das wahre Wesen der
man jemanden, der irgendwo zurückge¬ Meister und ihrer Kunst ist. Stolzing,
zogen lebt, unauffällig wirkt und oft der es zuvor abgelehnt hatte, sich mit
die eigentlich verdiente Aufmerksam¬ dem Symbol der Meisterwürde schmük-
keit oder Achtung nicht findet. Er ken zu lassen, läßt sich durch die Worte
stammt aus dem bekannten Lied „Freut des Hans Sachs in der Arie „Verachtet
euch des Lebens“ des Schweizer Dich¬ mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre
ters und Malers Johann Martin Usteri Kunst“ überzeugen und nimmt das
(1763-1827), das 1793 erschien und das Wahrzeichen der Zunft an. Die Mah¬
durch die 1795 erfolgte Vertonung von nung des Hans Sachs wird heute zitiert,
Hans Georg Nägeli, einem Schweizer wenn man zum Beispiel jemandem
Komponisten, seine große Popularität sagen möchte, daß er die vernünftigen,
erlangte. Die erste Strophe des Liedes, fachmännischen Ratschläge erfahrener
das ganz Ausdruck naiver, auf Beschei¬ Menschen nicht gleich in den Wind
denheit und Genügsamkeit gegründeter schlagen soll.
451
Teil I
verbiete
452
Teil I
verlorene
t Alles Vergängliche ist nur ein durch eine Stimme ermahnt: „Vergiß
Gleichnis das Beste nicht!“ Gemeint ist natürlich
die wegbahnende, türöffnende Blume,
die nicht im Berg Zurückbleiben darf.
Vergeben, aber nicht vergessen
Wird sie dort aber vergessen, so fährt
Mit den beiden ähnlich klingenden
der Berg krachend zu, und der Schatz ist
Wörtern „vergeben“ und „vergessen“ für alle Zeit verloren.
wurden schon in früher Zeit gedankli¬
che Verbindungen in unterschiedlichen Vergiß den großen Schmerz!
Äußerungen und Wortspielen herge¬
Diesen Rat gibt in Schillers Gedicht
stellt. Die in der vorliegenden Formulie¬
„Das Siegesfest“ Nestor, der greise Be¬
rung enthaltene strenge Trennung zwi¬
rater der siegreichen Griechen, am Ende
schen beiden Begriffen bewirkt, daß
des Trojanischen Krieges der gefange¬
man bei dem Ausspruch (anders als et¬
nen Troerin Hekuba, Gemahlin des Kö¬
wa bei einer Äußerung wie „vergeben
nigs Priamos. Er reicht ihr einen Becher
und vergessen“) weniger an ein Wort
Wein und sagt: „Trink ihn aus, den
der Vergebung denkt als an eine Mah¬
Trank der Labe,/Und vergiß den großen
nung, eine Aufforderung, gerade nicht
Schmerzl/Wundervoll ist Bacchus’ Ga¬
zu vergessen, den Gegenstand der Ver¬
be,/Balsam fürs zerriss’ne Herz.“ Die
gebung vielmehr im Gedächtnis zu be¬
Verwendung als Zitat hat einen leicht
halten. Die so formulierte Äußerung
ironischen oder scherzhaften Beiklang.
wird auf eine Anekdote des Staatsman¬
nes Otto von Bismarck (1815-1898) zu¬ TSo laßt ihm doch das kindliche
rückgeführt, der sie in seinem Buch
Vergnügen
„Gedanken und Erinnerungen“ selbst
erzählt. Es geht dabei um die Beziehun¬ t Doch die Verhältnisse, sie sind
gen Bismarcks zu seinem alten Freund,
nicht so
dem Feldmarschall Wrangel. Ein im
Sinne des Ausspruchs geführtes Ge¬ t Mit verhärtetem Gemüte
spräch zwischen beiden beendete nach
dieser Anekdote ein langjähriges Zer¬ t Mit Verlaub, ich bin so frei
würfnis zwischen den Freunden.
Verlorene Generation
Vergiß das Beste nicht! t Lost Generation
Die Mahnung, die man mit dieser Auf¬
forderung ausspricht, ist meist scherz¬
Verlorene Liebesmüh
haft gemeint. Sie soll einen andern dar¬ Der Ausdruck ist eine Lehnübersetzung
an erinnern, auf etwas Bestimmtes zu des englischen Love’s labour’s lost, des
achten, eine Sache, die in bestimmtem Titels eines Lustspiels von Shakespeare.
Zusammenhang gerade von Bedeutung Die Redewendung „verlorene (oder
ist, nicht aus dem Auge zu verlieren. auch: vergebliche) Liebesmüh sein“ be¬
Man zitiert dabei eine in zahlreichen deutet „keiner Anstrengung wert, ver¬
deutschen Volkssagen immer wieder¬ geblich sein“.
kehrende Formel. Bei diesen Sagen geht
es immer um einen in einem Berg ver¬ Das verlorene Paradies
borgenen Schatz, zu dessen Hebung es In seinem 1663 vollendeten Epos Para-
eines wunderkräftigen Mittels bedarf. dise Lost (so der Titel des englischen
Dies ist meist eine schöne (oft blaue) Originals) stellt der englische Dichter
Wunderblume (auch eine Wurzel oder John Milton (1608-1674) das biblische
eine Wünschelrute). Derjenige, der die Thema des Sündenfalls und den Heils¬
Blume entdeckt hat (oft ein Hirtenkna¬ plan Gottes für die schuldig gewordene
be, der sie zufällig findet), mit ihrer Hil¬ Menschheit dar. Das Werk, das zu den
fe in den Berg eingedrungen ist und sich bedeutendsten englischen Dichtungen
von den Schätzen genommen hat, wird gehört, hatte im 18. und 19. Jahrhundert
453
verlorene Teil I
großen Einfluß auf die europäischen terisieren, dem die innere Ausgeglichen¬
Dichter, in Deutschland z. B. auf Klop- heit fehlt, es kann aber auch auf die
stock und sein Epos „Der Messias“ politische „Mitte“, die Position zwi¬
(Entstehungszeit 1748-1773). Heute be¬ schen den Extremen, bezogen werden.
zeichnen wir als „verlorene Paradiese“
Gebiete, die einmal die notwendigen tEr nennt’s Vernunft und
Lebensbedingungen für eine bestimmte braucht’s allein, nur tierischer als
Tier- und Pflanzenwelt boten, die durch jedes Tier zu sein
rücksichtsloses menschliches Vorgehen
aber vernichtet wurden. Vernunft wird Unsinn, Wohltat
Plage
Der verlorene Sohn
T Weh dir, daß du ein Enkel bist!
In dem bekannten Gleichnis vom „ver¬
lorenen Sohn“, Lukas 15,11-32 wird
Veronika, der Lenz ist da
von einem der beiden Söhne eines wohl¬
habenden Vaters erzählt, der sich sein Mit diesem 1930 entstandenen Schlager
hatte das Vokalensemble „Comedian
Erbteil auszahlen läßt, davonzieht, sein
Geld verpraßt und in Not gerät, reumü¬ Harmonists“ in Deutschland großen Er¬
tig zum Vater zurückkehrt und von die¬ folg. Die Melodie stammt von dem
sem mit großer Freude und ohne jeden österreichischen Schlagerkomponisten
Vorwurf wieder aufgenommen wird. Walter Jurmann, den Text schrieb sein
Der großmütige Vater spricht die Worte Landsmann Fritz Rotter. Das Zitat (Ti¬
(in Vers 23 und 24): „... lasset uns essen tel und zugleich erste und letzte Zeile
und fröhlich sein! Denn dieser mein des Refrains des Liedes) kann scherz¬
Sohn ... war verloren und ist gefunden haft den Beginn des Frühlings kommen¬
worden.“ Die Bezeichnung „verlorener tieren.
Sohn“ wird heute in zweierlei Bedeu¬
tung gebraucht. Einmal kennzeichnet Das verschleierte Bildnis zu Sais
man damit jemanden, der in seinen An¬ So ist ein Gedicht von Friedrich Schiller
schauungen und in seinem Handeln betitelt, in dem ein Wissensdurstiger
nicht den Vorstellungen seiner Eltern trotz göttlichen Verbots es wagt, die als
entspricht und deshalb für diese eine verschleiertes Standbild dargestellte
große Enttäuschung bedeutet, zum an¬ Wahrheit zu schauen. Der zitierte Ge¬
dern wird damit eher scherzhaft auch je¬ dichttitel soll bildhaft ausdrücken, daß
mand angesprochen, von dem lange kei¬ unserem Wissen Schranken gesetzt sind,
ne Nachricht mehr kam, der sich lange die wir nicht ungestraft überschreiten
nicht mehr hat blicken lassen. dürfen.
454
Teil I verzeihen
455
Verzweiflung Teil I
456
Teil I Vogel
457
11 Duden 12
Vöglein Teil I
t Wenn ich ein Vöglein wär’ t Jedes Volk hat die Regierung, die
es verdient
Dem Volk aufs Maul schauen
Volk ohne Raum
Die Wendung mit der Bedeutung „be¬
Dies ist der Titel eines zweibändigen
obachten, wie sich die einfachen Leute
Romans des Schriftstellers Hans Grimm
ausdrücken, und von ihnen lernen“ geht
(1875-1959) aus dem Jahre 1926. Der
auf eine Stelle in Martin Luthers
Titel dieses tendenziösen Kolonialro¬
(1483-1546) „Sendbrief vom Dolmet¬
mans, der die deutsche Expansionspoli¬
schen“ zurück, in dem er die Sprache
tik rechtfertigte und gerne als „deut¬
seiner Bibelübersetzung rechtfertigt:
scher Schicksalsroman“ gepriesen wur¬
man muß die Mutter im Haus, die
de, ist damals zum nationalsozialisti¬
Kinder auf den Gassen, den gemeinen
schen Schlagwort geworden.
Mann auf dem Markt drum fragen und
denselben auf das Maul sehen, wie sie
reden, und danach dolmetschen; so ver¬ Das Volk steht auf, der Sturm
stehen sie es denn und merken, daß man bricht los
deutsch mit ihn’ redet.“ Der deutsche Schriftsteller Theodor
Körner (1791-1813), der besonders
durch seine patriotischen Kampflieder
Das Volk der Dichter und Denker
bekannt wurde, gilt als einer der bedeu¬
Urheber dieser oft zitierten Bezeich¬ tendsten Dichter der Befreiungskriege.
nung für die Deutschen ist wohl der Diese erste Zeile des Gedichtes „Män¬
Schriftsteller Johann Karl August Mu- ner und Buben“, das er noch einige Ta¬
säus (1735- 1787), der in Weimar als Pa¬ ge vor seinem Tod schrieb, wurde in pa¬
genhofmeister und Gymnasiallehrer tä¬ triotisch gesinnten Kreisen immer gerne
tig war. In dem seine „Volksmärchen zitiert, und der chauvinistische Mi߬
der Deutschen“ (5 Bände, 1782-86) ein¬ brauch, besonders in der Zeit des Natio¬
leitenden „Vorbericht an Herrn David nalsozialismus, konnte nicht ausblei-
Runkel, Denker und Küster..." heißt es: ben.
„Was wäre das enthusiastische Volk un¬
serer Denker, Dichter, Schweber, Seher Völker, hört die Signale!
ohne die glücklichen Einflüsse der
Das Zitat bildet mit den anschließenden
Phantasie?“ Ohne nationalen Bezug
Zeilen „Auf zum letzten Gefecht !/Die
verwendete Musäus die Zwillingsformel
Internationale/Erkämpft das Men¬
„Denker und Dichter“ bereits in seinen
schenrecht!“ den Refrain des Kampflie¬
„Physiognomischen Reisen“ (1779).
Jean Paul (1763-1825) hat dann die des der internationalen Arbeiterbewe¬
heute geläufige Umstellung „Dichter gung („Wacht auf, Verdammte dieser
Erde“). Der Text wurde von dem Pari¬
und Denker“ geprägt, allerdings eben¬
falls ohne Bezug auf Deutschland. - ser Kommunarden E. Pottier (1871) ver¬
Gelegentlich ist mit dieser Bezeichnung faßt, die Melodie schrieb P. Degeyter
auch gemeint worden, daß die Einheit, (1888). Die deutsche Übersetzung
der Zusammenhalt der Deutschen in stammt von E. Luckhardt. Man zitiert
einem politisch zersplitterten Deutsch¬ den Aufruf meist im Kontext von Ar¬
land nur in der Dichtung, in der Kultur beitskämpfen, aber gelegentlich auch
besteht. - Der österreichische Schrift¬ scherzhaft, um andere auf ein akusti¬
steller Karl Kraus (1874-1936) bildete sches Signal (zum Beispiel die Pausen¬
1908 die Formel in seiner Zeitschrift glocke) aufmerksam zu machen.
„Die Fackel“ um zum „Volk der Richter
und Henker“. Volkes Stimme ist Gottes Stimme
In seiner Dichtung „Werke und Tage“
warnt der altgriechische Dichter Hesiod
Das Volk der Richter und Henker
(um 700 v.Chr.) vor dem Gerede der
Das t Volk der Dichter und Denker Leute: „Ein Gerücht verstummt nie völ-
458
Teil I vom
459
11
Teil I
vom
dem Begriff des Moral sense - dem na¬ nimmt, was er bekommen kann, ist mög¬
türlichen Gefühl für das Schickliche - licherweise eine Verballhornung des is¬
des englischen Philosophen der Aufklä¬ raelischen Stammnamens Benjamin im
rung, des Earl of Shaftesbury, beein¬ Alten Testament. Auf göttlichen Befehl
flußt ist. sendet Moses je einen vornehmen Mann
aus den Stämmen Israels als Kund¬
Vom Mädchen reißt sich stolz der schafter ins Land Kanaan. Aus dem
Stamm Benjamin wird Palti, der Sohn
Knabe
Raphus, entsandt (4. Moses 13,9).
Das Zitat stammt aus Schillers „Lied
von der Glocke“, aus dem Abschnitt
Vom Vater hab’ ich die Statur
über Kindheit und Jugend. Dieser Vers
und die folgenden - „Er stürmt ins Le¬ Mit dieser Zeile beginnt das vorletzte
ben wild hinaus,/Durchmißt die Welt Gedicht von Goethes „Zahmen Xe-
am Wanderstabe“ - bilden gewisserma¬ nien“ (Buch VI), wo es im folgenden
ßen die Vorform zu den späteren: „Der heißt: „... /Des Lebens ernstes Füh-
Mann muß hinaus ins feindliche Le¬ ren,/Von Mütterchen die Frohnatur/
ben,/Muß wirken und streben .../Und Und Lust zu fabulieren.“ Nachdem der
drinnen waltet/Die züchtige Hausfrau.“ Dichter noch weitere Erbspuren festge¬
Spätestens nach der Kindheit beginnt stellt hat und die Elemente aus dem
nach dieser Auffassung die traditionelle Komplex nicht trennen kann, fragt er:
männliche und weibliche Rollenvertei¬ „Was ist denn an dem ganzen Wicht/
lung. Die Zeile wird heute wohl eher sel¬ Original zu nennen?“
tener zitiert; sie könnte die Beobach¬
tung kommentieren, daß ein Junge in Vom Winde verweht
einem bestimmten Alter nicht mehr mit Die amerikanische Schriftstellerin Mar¬
Mädchen spielen möchte. garet Mitchell (1900-1945) schrieb ein
einziges Buch, das allerdings ein Welt¬
Vom sichern Port läßt sich’s ge¬ erfolg wurde. Der Roman „Vom Winde
mächlich raten verweht“ (englischer Originaltitel: Gone
Diese Worte spricht in Schillers „Wil¬ with the wind) wurde zu einem der
helm Teil“ (1,1) Ruodi, der Fischer, zu meistgelesenen Bücher überhaupt. Er
Teil als Erwiderung auf dessen Auffor¬ beschreibt Schicksale vor dem Hinter¬
derung, doch den von den Häschern des grund der Wirren des amerikanischen
Landvogts verfolgten Konrad Baumgar¬ Bürgerkriegs (1861-1865) vom Stand¬
ten über den sturmbewegten See zu fah¬ punkt des Südstaatlers aus. Der bei¬
ren: „Vertrau auf Gott, und rette den spiellose Erfolg der Verfilmung des Ro¬
Bedrängten!“ Sie werden zitiert, wenn mans (1939) mit Vivian Leigh, Clark Ga¬
man ausdrücken will, daß jemand leicht ble und Olivia de Havilland in den
gute Ratschläge geben kann, da er sich Hauptrollen machte den Titel noch po¬
schließlich nicht in der gleichen prekä¬ pulärer. Er wird häufig im Zusammen¬
ren Situation befindet wie man selbst hang mit Personen oder Dingen zitiert,
und daher die Schwierigkeiten auch gar die in alle Richtungen zerstreut oder
nicht richtig beurteilen kann. - „Port“ ganz und gar verschwunden, nicht mehr
ist eine veraltete Bezeichnung für „Ha¬ auffindbar sind.
fen“ (lateinisch portus), die dichterisch
auch im Sinne von „Ort der Sicherheit, Von allen Geistern, die verneinen,
Geborgenheit“ verwendet wird. ist mir der Schalk am wenigsten zur
Last
Vom Stamme Nimm sein Diese Worte läßt Goethe im „Prolog im
Die umgangssprachlich scherzhafte Re¬ Himmel“, der dem ersten Teil der
dewendung, mit der man jemanden cha¬ Faust-Tragödie vorangestellt ist, Gott
rakterisiert, der stets auf seinen Vorteil zu Mephisto sprechen. Als „Geist, der
und Gewinn bedacht ist und immer alles stets verneint“ (siehe auch diesen Arti-
460
Teil I von
kel) stellt Mephisto sich ja später auch schen Gedicht „Wallenstein“ voran¬
selbst vor. Gott hat nichts dagegen, daß steht.
der Geist des Widerspruchs, die perso¬
nifizierte Negation der positiven Schaf¬ Von der Stirne heiß rinnen muß
fenskraft, den Menschen in Versuchung der Schweiß
führt und so aus seiner „unbedingten
Schillers Gedicht „Das Lied von der
Ruh’“ herauszulocken versucht. Die
Glocke“ ist zur Quelle vieler Zitate ge¬
Verse werden heute gelegentlich noch
worden, die heute allerdings meist in
zitiert, wenn ausgedrückt werden soll,
mehr oder weniger scherzhaftem Zu¬
daß man jemandes ironisch-schalkhaf¬
sammenhang gebraucht werden. So ver¬
tes Gebaren wohl einzuordnen weiß
hält es sich auch mit diesen beiden oft
und darin nichts Schlimmes oder Ab¬
zitierten Zeilen aus dem ersten Ab¬
schätziges sieht.
schnitt der Ballade, in dem der Meister
seine Gesellen zur fleißigen, angestreng¬
Von der Gewalt, die alle Menschen ten Arbeit ermuntert, damit der bevor¬
bindet, befreit der Mensch sich, stehende Glockenguß mit dem „Segen
der sich überwindet von oben“ zu einem guten Ende ge¬
Mit diesen sentenzhaften Versen bracht wird.
schließt die 24. Strophe des 1789 veröf¬
fentlichten, Fragment gebliebenen Ge¬ Von des Gedankens Blässe ange¬
dichts „Die Geheimnisse“ von Goethe. kränkelt
Kernpunkt der Aussage ist hier, wie
In dieser Form wird eine Stelle aus
auch in manchen andern Sinnsprüchen,
Shakespeares „Hamlet“ (erschienen
Sentenzen oder Sprichwörtern der Hin¬
1603) zitiert. Hamlet sinniert in seinem
weis auf die dem Menschen immer wie¬
berühmten, mit den Worten „Sein oder
der gestellte schwierige Aufgabe der Nichtsein“ beginnenden Monolog (drit¬
Selbstüberwindung, des Sieges über sich
ter Akt, erste Szene) über Sterben und
selbst, über seine eigenen Fehler und Tod und die Möglichkeit, sich durch
Schwächen und die von außen andrin¬
Freitod der Mühsal des Daseins zu ent¬
genden Anfechtungen. ziehen. Wäre da nicht „die Furcht vor
etwas nach dem Tod -I... Daß wir die
Von der Kultur beleckt Übel, die wir haben, lieber/Ertragen als
Diese scherzhafte Wendung, die im Sin¬ zu unbekannten fliehn“. Diese Furcht
ne von „zivilisiert, kulturell entwickelt“ läßt die meisten Menschen vor dem Äu¬
verwendet wird, hat Goethe schon ge¬ ßersten zurückschrecken. Hamlet fährt
kannt. Im ersten Teil seines Faust er¬ daher fort: „Der angebornen Farbe der
klärt Mephisto in der Szene „Hexenkü¬ Entschließung/wird des Gedankens
che“ der Hexe, die ihn wegen seines ele¬ Blässe angekränkelt“ (im Original: And
ganten Äußeren nicht sofort erkennt: thus the native hue of resolution/Is sick-
„Auch die Kultur, die alle Welt be- lied o er with the pale cast of thought). -
leckt,/Hat auf den Teufel sich er¬ Das Zitat wird als spöttischer Hinweis
streckt.“ auf jemandes Nachdenklichkeit ver¬
wendet, oft aber auch in der verneinten
Von der Parteien Gunst und Haß Form gebraucht, um jemandes Gedan¬
verwirrt, schwankt sein Charakter¬ kenlosigkeit zu kritisieren.
bild in der Geschichte
Von des Lebens Gütern allen ist
Das auf eine umstrittene herausragende
Persönlichkeit allgemein anwendbare
der Ruhm das höchste doch
Zitat steht im Prolog, den Schiller an¬ Das Zitat stammt aus Schillers Gedicht
läßlich der Wiedereröffnung der Schau¬ „Das Siegesfest“, in dem der Gegensatz
bühne in Weimar im Oktober 1798 zu zwischen Siegern und Besiegten am Bei¬
„Wallensteins Lager“ verfaßte und der spiel der Griechen und Troer nach dem
seit 1800 dem vollständigen dramati¬ Trojanischen Krieg dargestellt wird.
461
von Teil I
Der Sohn Achills bringt an dieser Stelle Entschluß zu einer absehbar riskanten
dem toten Vater ein Trankopfer dar: Unternehmung die Rede ist oder von ei¬
„Unter allen ird’schen Losen,/Hoher nem unerfreulichen, erschreckenden Er¬
Vater, preis’ ich deins./Von des Lebens lebnis, das jemand hat, einer schlimmen
Gütern allen/Ist der Ruhm das höchste Erfahrung, die jemand gemacht hat o.ä.
doch;/Wenn der Leib in Staub zerfal- Verwendet hat den Märchentitel auch
len,/Lebt der große Name noch.“ Außer der Schriftsteller Günter Wallraff für
vielleicht in feierlichen Grabreden auf das 1970 erschienene Buch „Von einem
bedeutende Persönlichkeiten werden der auszog und das Fürchten lernte“.
diese Zeilen wohl kaum noch zitiert. Ein Sammelband des Autors Rainer
Kirsch aus dem Jahr 1978 trägt den Ti¬
tel: „Auszog, das Fürchten zu lernen“.
Von drauß’ vom Walde komm’ ich
her
Dieses Zitat wird gerne als scherzhaft Von gestern sein
abweisende Antwort auf die Frage be¬ Wenn man von jemandem sagt, er sei
nutzt, woher man denn komme, oder von gestern, so will man ausdrücken,
auch als kommentierende Äußerung daß man ihn für unerfahren, naiv,
beim Anblick einer in entsprechendem dumm oder auch für rückständig, alt¬
Aufzug daherkommenden Person. Es modisch hält. Die Redewendung geht
handelt sich dabei um die Eingangszeile auf ein Bibelwort im Alten Testament
des bekannten Weihnachtsgedichts zurück. Bei Hiob 8,9 heißt es: „... denn
„Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm wir sind von gestern hier und wissen
(1817-1888). Der Gedichtanfang wird nichts; unser Leben ist ein Schatten auf
häufig auch noch mit weiteren Zeilen Erden.“ Sehr häufig wird heute die
zitiert: „Von drauß’ vom Walde komm’ Wendung auch verneint gebraucht. Sie
ich her;/Ich muß euch sagen, es weih¬ wird dann mit einer gewissen Anerken¬
nachtet sehrl/Überall auf den Tannen¬ nung auf jemanden angewendet, dem
spitzen/Sah ich goldene Lichtlein sit¬ man Schlauheit, Pfiffigkeit, Geschäfts¬
zen ...“ tüchtigkeit attestieren will. Eine ameri¬
kanische Filmkomödie von 1950, in der
eine Frau sich vom unterdrückten
Von einem, der auszog, das Fürch¬
Dummchen zur überlegenen Frau
ten zu lernen
emanzipiert, trägt im Deutschen den
Das „Märchen von einem, der auszog, Titel „Die ist nicht von gestern“ (eng¬
das Fürchten zu lernen“ der Brüder lischer Originaltitel „Born yesterday“).
Grimm erzählt die Geschichte von ei¬
nem jungen Burschen, dessen größter
Wunsch es ist, „das Gruseln zu lernen“. Von Gottes Gnaden
Nach einer ganzen Reihe von Abenteu¬ Im 1. Korintherbrief (15,10) bezeugt
ern und Erlebnissen der schauerlichsten Paulus, daß er das, was er ist, göttlicher
Art hat er zwar nicht das Fürchten ge¬ Gnade verdankt: „Aber von Gottes
lernt, aber Reichtum und eine Königs¬ Gnade bin ich, was ich bin.“ Die Ab¬
tochter, „die schönste Jungfrau, welche hängigkeit des Menschen von der Gna¬
die Sonne beschien“, errungen. Das de Gottes wird damit zum Ausdruck ge¬
Gruseln aber lernt er erst, als seine Ge¬ bracht. Seit dem frühen Mittelalter leg¬
mahlin nächstens einen Eimer voller Fi¬ ten geistliche und weltliche Herrscher
sche in kaltem Wasser über ihn schüttet, ihrem Titel eine Formel bei, die den
und so kann er am Ende schließlich aus- Herrschaftsanspruch auf die Teilhabe
rufen: „Ach, was gruselt mir ... liebe an der göttlichen Gnade, das sogenann¬
Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln te Gottesgnadentum, begründete. Sie
ist.“ Der Titel dieses humoristisch-gro¬ lautete bei den geistlichen Herrschern
tesken Märchens wird bei unterschiedli¬ „Dei gratia“, bei den weltlichen Herr¬
chen Gelegenheiten immer wieder zi¬ schern seit der Zeit der Karolinger „von
tiert, beispielsweise, wenn von jemandes Gottes Gnaden“.
462
Teil I von
Von hier und heute geht eine neue viel zugut und noch jetzund getan.“
Epoche der Weltgeschichte aus, Man verwendet das Zitat im Sinne von
und ihr könnt sagen, ihr seid dabei¬ „von der allerfrühsten Jugend an“.
gewesen
Bei einem berühmt gewordenen Artille¬
Von nichts kommt nichts
rieduell, der sogenannten Kanonade Diese Redensart mit der Variante „Aus
von Valmy am 20. 9. 1792, zwangen die nichts wird nichts“ geht zurück auf die
französischen Revolutionstruppen die philosophische These ex nihilo nihil fit
preußisch-österreichischen Truppen („aus nichts entsteht nichts“) bei Aristo¬
zum Rückzug und begannen danach ih¬ teles, Lukrez, Thomas von Aquin u. a. In
ren siegreichen Vormarsch zum Rhein. seinem philosophischen Lehrgedicht
Goethe, der die Kanonade von Valmy „De rerum natura“ (Buch I, 150, 250
im Gefolge des Herzogs von Weimar und II, 287) behandelte der römische
miterlebte, berichtet in seiner dreißig Dichter Lukrez (um 95-55 v. Chr.) die¬
Jahre später niedergeschriebenen sen Satz, der meist zur Begründung der
„Kampagne in Frankreich“ unter der These von der Ewigkeit der Welt im Ge¬
Eintragung vom 19. 9. 1792 von dieser gensatz zur biblischen Lehre von der
Schlacht. Am Abend der Niederlage, so Schöpfung herangezogen wurde. „Von
berichtet Goethe, habe er, von den be¬ nichts kommt nichts“ sagt man heute
drückten und niedergeschlagenen Leu¬ einerseits im Wissen, daß es notwendig
ten nach seiner Meinung befragt, den ist, sich anzustrengen. Andrerseits hat
Ausspruch von der neuen Epoche der man mit dieser Redensart eine Erklä¬
Weltgeschichte getan. Dieser Ausspruch rung für etwas eher Unangenehmes
wird heute je nach Anlaß vollständig parat im Sinne von „es hat alles seine
oder auch in Teilen zitiert. Ursache, so daß man sich nicht zu wun¬
dern braucht.“
463
vor Teil I
464
Teil I Wacht
Vorsicht ist die Mutter der Tapfer¬ anspruchsvolleren, über seinen be¬
keit schränkteren Bereich hinausführenden
Der t bessere Teil der Tapferkeit ist Vor¬ Aufgaben wächst und dadurch an inne¬
sicht rer Stärke und Größe gewinnt, wird mit
diesem Zitat zum Ausdruck gebracht.
Es stammt aus dem Prolog zu Schillers
t Allein der Vortrag macht des
Drama „Wallensteins Lager“, der bei
Redners Glück
der Wiedereröffnung der Schaubühne
in Weimar im Oktober 1798 gesprochen
Vorwärts und nicht vergessen
wurde. Die vierte Strophe des Prologs
Mit diesem Aufruf beginnt das „Solida¬ schließt mit den Worten: „Denn nur der
ritätslied“ von Bertolt Brecht, zu dem große Gegenstand vermag/Den tiefen
Hanns Eisler die Musik schrieb. Was Grund der Menschen aufzuregen,/Im
nicht vergessen werden soll, ist die Stär¬ engen Kreis verengert sich der Sinn,/Es
ke der Ausgebeuteten: die Fähigkeit zu wächst der Mensch mit seinen großem
solidarischem Handeln, die Solidarität. Zwecken.“
Dementsprechend wird das Zitat auch
heute meist in Zusammenhängen ver¬ Es wächst hienieden Brot genug
wendet, in denen man - mit deutlichem
für alle Menschenkinder
Anklang an klassenkämpferische Vor¬
stellungen - zu solidarischem Zusam¬ Diese Worte werden zitiert, wenn es um
menstehen aufrufen will. die ungleiche Verteilung materieller Gü¬
ter und die Benachteiligung bestimmter
sozialer Gruppen oder auch um die
Vox populi vox Dei
Hungersnöte auf der Erde geht. Sie
t Volkes Stimme ist Gottes Stimme
stammen aus dem ersten Gedicht der
zeitkritischen Verssatire „Deutschland.
Ein Wintermärchen“ von Heinrich Hei¬
ne (1797-1856). In dem Werk schildert
Heine seine Eindrücke von einer Reise
durch Deutschland, die er 1843 nach
w
über zwölfjährigem Aufenthalt in
Frankreich unternommen hatte, und
verbindet sie mit satirischen Angriffen
auf die politischen Zustände in seinem
Heimatland.
Wach auf, mein Herz, und singe
Wächst mir ein Kornfeld in der
„Wach auf, mein Herz, und singe/dem
flachen Hand?
Schöpfer aller Dinge,/dem Geber aller
Güter,/dem frommen Menschenhüter.“ t Kann ich Armeen aus der Erde stamp¬
So beginnt das „Morgenlied“ des evan¬ fen?
gelischen Theologen und Kirchenlied¬
dichters Paul Gerhardt (1607-1676; t Jetzt wächst zusammen, was zu¬
Evangelisches Kirchengesangbuch Nr. sammengehört
348). Der erste Vers wird heute gelegent¬
lich noch scherzhaft zitiert, wenn man Die Wacht am Rhein
jemanden am Morgen aufweckt und ihn Dies ist der Titel eines 1840/41 entstan¬
für die Arbeit des bevorstehenden Tages denen patriotischen Gedichts von Max
ermuntern will. Schneckenburger (1819-1849), einem
Dichter, der besonders durch seine va¬
Es wächst der Mensch mit seinen terländischen Lieder bekannt wurde.
großem Zwecken Der Titel des Gedichts ist auch ein Teil
Die Erfahrung, daß mancher, dem man des Kehrreims: „Lieb Vaterland, magst
eigentlich viel weniger zutraut, erst mit ruhig sein:/Fest steht und treu die
465
wacht Teil I
Wacht am Rhein.“ Das Gedicht erlang¬ T Mit den Waffen einer Frau
te in der 1854 entstandenen Vertonung
von Carl Wilhelm volkstümliche Be¬
Die Waffen nieder
liebtheit und erhielt durch seinen die re¬
ligiösen und nationalen Affekte mobili¬ Im Jahr 1889 veröffentlichte die öster¬
sierenden Charakter besondere Aktuali¬ reichische Schriftstellerin Bertha von
tät im Deutsch-Französischen Krieg Suttner (1843-1914) den Roman „Die
1870/71. Der Liedtitel wird heute meist Waffen nieder!“, mit dem sie Weltruhm
ironisch gebraucht, beispielsweise in errang. Sie kämpfte damit für den Ge¬
Wendungen wie „dastehen wie die danken des Friedens und gegen die Vor¬
Wacht am Rhein“ oder in scherzhaften stellung, der Krieg könne ein legitimes
Abwandlungen wie „die Wucht am Mittel zur Lösung von Konflikten zwi¬
Rhein“. schen den Staaten sein. - Man verwen¬
det das Zitat auch heute noch im Sinne
Bertha von Suttners. Es kann jedoch
Wacht auf, Verdammte dieser auch scherzhaft in weniger ernsten Zu¬
Erde sammenhängen gebraucht werden.
466
Teil I Wald
Der wahre Bettler ist der wahre Das Wahre ist das Ganze
König In der Vorrede zu Georg Wilhelm Fried¬
Die Worte „Der wahre Bettler ist/Doch rich Hegels „Phänomenologie des Gei¬
einzig und allein der wahre König!“ stes“ findet sich diese Aussage, die mit
ruft in Gotthold Ephraim Lessings dem Satz „Das Ganze ist aber nur das
(1729-1781) Versdrama „Nathan der durch seine Entwicklung sich vollen¬
Weise“ der reiche Jude Nathan dem dende Wesen“ weiter ausgeführt wird.
zum Schatzmeister des Sultans Saladin Mit dem Zitat weist man daraufhin, daß
ernannten Derwisch Al-Hafi nach, der unvollständige Erkenntnisse leicht zu
zum Ganges aufbricht. Der Derwisch falschen Beurteilungen führen können,
will nämlich wieder der unabhängige daß eine unvollständige Darstellung
Bettler sein, der er war, und nicht mehr keinen Anspruch auf Wahrheit haben
der Geldbeschaffer des Sultans. Na¬ kann.
thans Worte werden zitiert, wenn man
auf die Freiheit hinweisen will, mit der Die Wahrheit ist immer konkret
der Verzicht auf materielle Güter ver¬ Dieser Satz über die Wahrheit in ihrem
bunden sein kann. Bezug zur Wirklichkeit ist zusammen
mit dem vorangehenden „Eine abstrak¬
Der wahre Jakob te Wahrheit gibt es nicht“ ein Zitat aus
Die Herkunft dieses Ausdrucks ist nicht Lenins (1870-1924) Schrift von 1904:
ganz gesichert. Meist führt man ihn auf „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zu¬
den Apostel Jakobus d.Ä. zurück, den rück (Die Krise in unserer Partei)“.
Schutzpatron Spaniens, dessen Grab
sich der Legende nach in dem spani¬ t Wenn’s der Wahrheitsfindung
schen Wallfahrtsort Santiago de Com- dient
postela befinden soll, dessen Gebeine
aber oft auch in andern, „falschen“ Der Wald steht schwarz und
Gräbern vermutet wurden. Bei anderen schweiget
Erklärungsversuchen wird auf den bi¬ ln Matthias Claudius’ „Abendlied“
blischen Jakob (1. Moses, 27) hingewie¬ (vergleiche den Artikel „Der Mond ist
sen, der seinen Bruder Esau um das aufgegangen“) lautet die zweite Hälfte
Erstgeburtsrecht und den Segen des Va¬ der ersten Strophe: „Der Wald steht
ters betrog. Der Ausdruck wird meist in schwarz und schweiget,/Und aus den
dem umgangssprachlichen Ausspruch Wiesen steiget/der weiße Nebel wun¬
„Das ist [auch] nicht der wahre Jakob“ derbar.“ Man verwendet das Zitat gele¬
mit der Bedeutung „Das ist auch nicht gentlich beim Anblick eines dunklen
gerade das Richtige“ verwendet. Waldrandes als Ausdruck einer entspre¬
chenden Ergriffenheit, einer von ro¬
Wahre Prinzen aus Genieland mantischer Naturerfahrung geprägten
Stimmung.
Mit diesen Worten charakterisiert Hein¬
rich Heine in seinem Gedicht „Plateni-
den“ aus dem 2. Buch der Sammlung
t Nicht für einen Wald voll Affen
„Romanzero“ die Klassiker Schiller,
Den Wald vor lauter Bäumen nicht
Goethe, Lessing und Wieland (im Un¬
terschied zu dem Dichter August Graf sehen
von Platen, den er für einen Epigonen Die Redewendung hat zweierlei Bedeu¬
hält) als die wirklich schöpferischen Re¬ tung. Man gebraucht sie einmal im Sin¬
präsentanten deutscher Dichtkunst. ne von „etwas, was man sucht, nicht se¬
Menschen mit überragender schöpferi¬ hen, obwohl es in unmittelbarer Nähe
scher Begabung können auch heute, liegt“, zum anderen in der Bedeutung
wenn auch eher scherzhaft, als wahre „über zu vielen Einzelheiten das größe¬
Prinzen aus Genieland bezeichnet wer¬ re Ganze nicht erfassen“. Sie ist durch
den. Christoph Martin Wieland (1733-1813)
467
Walde Teil I
populär geworden, der sich in verschie¬ die Sichtweise der angestammten Um¬
denen seiner Werke dieser Ausdrucks¬ gebung bleiben, gebraucht man dieses
weise bediente. So zum Beispiel in sei¬ Zitat aus Goethes Roman „Wahlver¬
ner Versdichtung „Musarion“. Hier wandtschaften“ (11,7). Im Original
heißt es im 2. Buch: „Die Herren dieser schreibt Ottilie nach einem Gespräch
Art blend’t oft zu vieles Licht;/Sie sehn mit dem „Gehülfen“ in ihr Tagebuch
den Wald vor lauter Bäumen nicht.“ Ein kritische Gedanken über die Wechsel¬
Zeitgenosse Wielands, der österreichi¬ beziehung von Mensch und Lebensum¬
sche Schriftsteller Johannes Aloys Blu- feld und faßt diese in die Worte: „Es
mauer (1755-1798), dichtete in seiner wandelt niemand ungestraft unter Pal¬
Äneis-Travestie „Er sieht oft, wie Herr men, und die Gesinnungen ändern sich
Wieland spricht,/Den Wald vor lauter gewiß in einem Lande, wo Elefanten
Bäumen nicht.“ und Tiger zu Hause sind.“
468
Teil I war’
469
war’ Teil I
sucht, ihn herzlich dumm zu nen¬ nen. Es stammt aus einem wohl im
nen 19. Jh. entstandenen Volkslied, das die
traurige Geschichte von den durch ein
Mit diesen Worten kommentiert Wal¬
„tiefes Wasser“ getrennten Königskin¬
lenstein im zweiten Teil von Schillers
dern erzählt. Der Königssohn ertrinkt
Wallenstein-Trilogie („Die Piccolomi¬
bei dem Versuch, nachts über das Meer
ni“, 11,7) die Absicht des Kaisers, ihm
zu schwimmen, weil ein „falsches
acht Regimenter als Eskorte für den
Nönnchen“ die Kerzen ausgeblasen
Bruder des spanischen Königs zu ent¬
hat, die ihm zur Orientierung am Ufer
ziehen. Er erkennt sofort, daß unter die¬
leuchten sollten. Das Grundmotiv des
sem Vorwand seine Armee gespalten
Liedes geht auf die antike Sage von
werden soll. Das Zitat wird heute ver¬
Hero und Leander zurück.
wendet, wenn man selbst ein Vorhaben
durchschaut, gleichwohl aber weiß, daß
es auf andere seine Wirkung nicht ver¬ Wär’s möglich? Könnt’ ich nicht
fehlen wird. mehr, wie ich wollte?
Das Zitat steht in Schillers Tragödie
War’ nicht das Auge sonnenhaft, „Wallensteins Tod“ (1,4) am Anfang
die Sonne könnt’ es nie erblicken von Wallensteins Monolog, in dem er
noch nicht erkennen will, daß er den
Diese Verse aus dem 3. Buch von Goe¬
thes „Zahmen Xenien“ (1824) werden Abfall vom Kaiser vollziehen muß, ob¬
wohl er nur mit dem Gedanken gespielt
oft auch zusammen mit der Fortsetzung
hatte: „Wär’s möglich? Könnt’ ich nicht
„Läg’ nicht in uns des Gottes eigne
mehr, wie ich wollte?/Nicht mehr zu¬
Kraft,/Wie könnt’ uns Göttliches ent¬
rück, wie mir’s beliebt? Ich müßte/Die
zücken?“ zitiert. Eine nur in den mittle¬
Tat vollbringen, weil ich sie gedacht...?“
ren Versen leicht abweichende Fassung
stand bereits in der Einleitung der 1810 Geläufig ist die Formulierung „auch
veröffentlichten Abhandlung „Zur Far¬ nicht immer können, wie man will“, mit
benlehre“. Goethes Auffassung, daß Er¬ der man seine Abhängigkeit von äuße¬
kenntnis nur durch das Angelegtsein ren Umständen, seine Verpflichtungen
des Erkennenden auf das zu Erkennen¬ gegenüber anderen zum Ausdruck brin¬
gen kann.
de möglich ist, basiert auf dem griechi¬
schen Philosophen Plotin (um
205-270), bei dem es in den „Ennea- Wärst du an meiner Stelle, du wür¬
den“ (1,6,9) heißt: „Nie hätte das Auge dest anders denken
die Sonne gesehen, wäre es nicht selbst Diese oder eine ähnliche Formulierung,
sonnenhafter Natur“, und auf einem Zi¬ mit der man sich in einer schwierigen Si¬
tat aus dem Lehrgedicht „Astronomica“ tuation mehr Verständnis von seinem
(II, 115 f.) des römischen Astronomen Gegenüber erhofft, geht auf den römi¬
Marcus Manilius (1. Hälfte des l.Jh.s), schen Komödiendichter Terenz (um
das Goethe am 4. 9. 1784 im „Brocken¬ 190-159 v. Chr.) zurück. In „Andria“
buch“ notiert hatte: „Wer erkennte den (II, 1,10 und 14) heißt es: Tu si hic sis,
Himmel, verlieh’ nicht der Himmel es aliter sentias.
selbst ihm?/Und wer fände den Gott,
der nicht selbst ein Teil ist der Götter?“
Warte nur, balde
Mit diesem Zitat, das sowohl tröstlich
t Und ward nicht mehr gesehn
als drohend klingen kann, kündigt man
jemandem etwas Bestimmtes für die na¬
Es waren zwei Königskinder
he Zukunft an. Es stammt aus Goethes
Mit diesem Zitat bezeichnet man - bekanntem Gedicht „Über allen Gip¬
meist scherzhaft - zwei Personen oder feln ist Ruh’ “. Goethe hatte dieses Ge¬
Institutionen, die durch widrige Um¬ dicht in der Nacht vom 6. auf den 7. 9.
stände nicht zueinander (oder auch 1780 auf dem Gickelhahn, einem Berg
nicht zu einer Einigung) kommen kön¬ im Thüringer Wald nahe bei Ilmenau,
470
Teil I was
gedichtet und auf die Wand des dort ste¬ auf unmittelbare Lösungsmöglichkeiten
henden Bretterhäuschens geschrieben: für ein Problem zurückzugreifen, bloß
„Über allen Gipfeln/Ist Ruh’,/ln allen weil diese vielleicht zu wenig spektaku¬
Wipfeln/Spürest du/Kaum einen lär erscheinen, können sie scherzhaft¬
Hauch ;/Die Vögelein schweigen im mahnend entgegengehalten werden. Zu¬
Walde./Warte nur, balde/Ruhest du grunde liegen die - leicht umgestalte¬
auch.“ Mehrere Vertonungen (u.a. von ten - Anfangsverse von Goethes Vier¬
Carl Friedrich Zelter, Franz Schubert, zeiler „Erinnerung“ (im Sinne von „Er¬
Robert Schumann und Franz Liszt) mahnung“): „Willst du immer weiter
machten die Verse zusätzlich bekannt. schweifen?/Sieh, das Gute liegt so nah./
Lerne nur das Glück ergreifen,/Denn
Warte, warte nur ein Weilchen das Glück ist immer da.“
Von Walter Kollo (1878-1940), einem
der volkstümlichsten Berliner Kompo¬ Was aber ist deine Pflicht? - Die
nisten, stammt das mit diesen Versen be¬ t Forderung des Tages
ginnende Lied: „Warte, warte nur ein
Weilchen/Bald kommt auch das Glück Was aber schön ist, selig scheint es
zu dir“. Das Lied wurde von den Berli¬ in ihm selbst
nern parodiert und der Massenmörder Das Zitat ist die Schlußzeile des Ge¬
Haarmann darin verewigt: „Warte, war¬ dichts „Auf eine Lampe“ von Eduard
te nur ein Weilchen,/Bald kommt Haar¬ Mörike (1804-1875). Der schöne Ge¬
mann auch zu dir./Mit dem kleinen genstand schmückt die Decke eines
Hackebeilchen/Macht er Hackfleisch „fast vergeßnen Lustgemachs“. Als
auch aus dir.“ „Kunstgebild der echten Art“ scheint er
auch unbeachtet für sich selbst zu beste¬
Warten auf... hen: „Wer achtet sein?/Was aber schön
Dies ist der verkürzte und in vielfachen ist, selig scheint es in ihm selbst.“ Über
Abwandlungen gebrauchte Titel eines den Rahmen des Gedichts hinaus
Theaterstücks des irischen Schriftstel¬ spricht die sentenzhafte Aussage von
lers Samuel Beckett (1906-1989). Der der Selbstgenügsamkeit des Schönen, in
Originaltitel des zuerst französisch ge¬ sich Vollkommenen.
schriebenen, später vom Autor selbst ins
Englische übertragenen Stücks aus dem Was bleibet aber, stiften die Dich¬
Jahr 1953 ist En attendant Godot ter
(deutsch: „Warten auf Godot“). Die Wenn man zum Ausdruck bringen will,
zwei Hauptpersonen des Stücks, die daß bleibende Erinnerungen an vergan¬
Tramps Estragon und Wladimir führen gene Zeiten und Epochen letztlich nur
einen absurden Dialog, während sie auf durch Literatur vermittelt werden kön¬
einen Unbekannten mit Namen Godot nen, die nicht nur das Vordergründige,
warten, mit dem sie sich verabredet ha¬ vielmehr das Wesentliche festhält, zi¬
ben, von dem aber keiner weiß, ob er je tiert man den letzten Vers aus Hölder¬
kommt. - Man verwendet das Zitat lins (1770-1843) Gedicht „Andenken“,
meist scherzhaft oder auch als Ausdruck in dem die Erinnerung an Freunde dar¬
von Ungeduld beim langen oder vergeb¬ gestellt wird, die zu einer weiten See¬
lichen Warten auf jemanden oder etwas. reise aufgebrochen sind. Es schließt mit
den Zeilen: „Es nehmet aber/Und gibt
Warum in die Ferne schweifen? Gedächtnis die See,/Und die Lieb’ auch
Sieh, das Gute liegt so nah heftet fleißig die Augen,/Was bleibet
aber, stiften die Dichter.“
Diese Worte sagt man oftmals zu jeman¬
dem, der nicht einsehen will, daß die nä¬
here Umgebung, die Heimat genauso
Was da kreucht und fleucht
schön sein kann wie Ziele in fernen Län¬ Der 3. Aufzug von Schillers Drama
dern. Auch demjenigen, der sich scheut, „Wilhelm Teil“ (1804) beginnt mit dem
471
was Teil I
Gesang des Knaben Walter „Mit dem Was die Motten und der Rost nicht
Pfeil, dem Bogen“. Die letzte Strophe fressen, das holen die Diebe des
dieses Liedes lautet: „Ihm (= dem Nachts
Schützen) gehört das Weite,/Was sein
Als Ermahnung, sich nicht mit irdischen
Pfeil erreicht;/Das ist seine Beute,/Was
Gütern zu belasten, wird dieses Bibelzi¬
da kreucht und fleugt.“ Eine ähnliche
tat gelegentlich verwendet. Es geht auf
Umschreibung für alle Arten von Tieren
das 6. Kapitel des Matthäusevangeli¬
findet sich schon im Alten Testament
ums zurück und lautet dort (Vers 19):
(1. Moses 7,14), wo von den Tieren ge¬
„Ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Er¬
sprochen wird, die Noah in die Arche
den, da sie die Motten und der Rost
aufnimmt: „allerlei Getier nach seiner
fressen und da die Diebe nachgraben
Art ..., allerlei Gewürm, das auf Erden
und stehlen.“
kriecht... und allerlei Vögel... alles, was
fliegen konnte“. - Man verwendet die
Was du ererbt von deinen Vätern
Formel, um damit alle Lebewesen, be¬
hast, erwirb es, um es zu besitzen
sonders aber alles Getier zu bezeichnen.
Dieses Zitat stammt aus Goethes Faust
(Teil I, Nacht). In seinem zweiten gro¬
Was deines Amtes nicht ist, da laß ßen Monolog, der mit dem Entschluß
deinen Vorwitz zum Selbstmord endet, spricht Faust an¬
Das dritte Kapitel des zu den Apokry¬ gesichts des vom Vater hinterlassenen
phen des Alten Testaments zählenden „alt Geräte, das ich nicht gebraucht“,
„Buchs Jesus Sirach“ handelt „Vom Ge¬ diese berühmten Worte. Es sind Worte
horsam gegen die Eltern und von wah¬ über die Aneignung überlieferter Dinge
rer Demut“. Der 24. Vers gibt die als durch eigenen Einsatz, eigene Verdien¬
Zitat geläufige Anweisung, sich nur um ste, Worte über die Möglichkeit, die der
die Dinge zu kümmern, für die man Mensch hat, sich ererbte Güter zu eigen
auch zuständig ist, die einen etwas an- zu machen, indem er sie richtig nutzt.
gehen. Es heißt dort im Kontext Die dem bekannten Zitat unmittelbar
(3,23-25): „Denn es frommt dir nicht, folgende Zeile, „Was man nicht nützt,
daß du gaffst nach dem, was dir nicht ist eine schwere Last“, ein gelegentlich
befohlen ist. Und was deines Amtes auch allein zitiertes Wort, bringt die
nicht ist, da laß deinen Vorwitz; denn Weiterführung des Gedankens, daß nur
dir ist schon mehr befohlen, als du wirklich Angeeignetes und Genutztes
kannst ausrichten.“ Nützliches bewirkt, das Ungenutzte hin¬
gegen nur zum überflüssigen Ballast
werden kann.
Was? Der Blitz! Das ist ja die Gu-
stel aus Blasewitz
Was du nicht selber weißt, weißt
Der Ausruf stammt aus dem 5. Auftritt du nicht
von „Wallensteins Lager“ (1798) von
t Prüfe die Rechnung, du mußt sie be¬
Schiller, wo einer der Soldaten in der
zahlen
Marketenderin eine alte Bekannte wie¬
dererkennt und sie mit diesen Worten
Was du tun willst, das tue bald!
begrüßt. - Man verwendet heute das Zi¬
tat scherzhaft - meist in der Form „Potz Das 13. Kapitel des Johannesevangeli¬
Blitz! Das ist ja die Gustel aus Blase¬ ums berichtet von dem letzten Mahl, das
witz“ -, wenn man unvermutet einen Jesus mit seinen Jüngern einnahm.
Bekannten trifft, mit dem man nicht ge¬ Ostern war herangekommen, und Jesus
rechnet hat. wußte, daß die Zeit seines Leidens be¬
vorstand. Er wußte auch, daß Judas ihn
verraten würde, und sprach davon zu
t Und was die innere Stimme den Jüngern (13,21): „Wahrlich, wahr¬
spricht, das täuscht die hoffende lich, ich sage euch: Einer unter euch
Seele nicht wird mich verraten.“ Nachdem Jesus zu
472
Teil I was
verstehen gegeben hatte, daß Judas der reift. In den beiden vorhergehenden
Verräter sein werde, sagte er zu ihm Versen heißt es entsprechend: „Oft,
(13,27): „Was du tust, das tue bald!“ - wenn es erst durch Jahre durchgedrun¬
Das - leicht abgewandelte - Zitat ist ei¬ gen,/Erscheint es in vollendeter Ge¬
ne Aufforderung, bei etwas, wozu man stalt.“
sich entschlossen hat, nicht zu zaudern.
Was Gott tut, das ist wohl getan
Was du tust, bedenke das Ende Ein Kirchenlied von Samuel Rodigast
Im alttestamentlichen apokryphen Buch (1649-1708; Evangelisches Kirchenge¬
Jesus Sirach stehen die Worte: „Was im¬ sangbuch Nr. 299) beginnt mit diesem
mer du tust, so bedenke das Ende; so Vers, der schon früh zum geflügelten
wirst du nimmermehr Übles tun" (7,40). Wort wurde. Zur weiteren Verbreitung
Sie sind als Mahnung gedacht, stets die hat auch beigetragen, daß Gottfried Au¬
Konsequenzen des eigenen Handelns zu gust Bürger (1747-1794) ihn in seiner
bedenken. Diese Maxime findet sich in bekannten Ballade „Lenore“ verwende¬
ähnlicher Form schon bei dem altgrie¬ te. Man drückt mit dem Zitat eine gewis¬
chischen Fabeldichter Äsop (6.Jh. se Ergebenheit in sein Schicksal aus, be¬
v.Chr.) und bei dem altgriechischen ruhigt zum Beispiel sich selbst oder an¬
Geschichtsschreiber Herodot (5. Jh. dere mit dem Gedanken, daß uns auch
v.Chr.). Auf die Bibelstelle geht wohl das Unangenehme und Schmerzhafte
auch der in einer mittelalterlichen nicht ohne Gottes Willen widerfährt
Sammlung von Erzählungen zu finden¬ oder daß Ereignisse, die wir nicht ver¬
de lateinische Spruch zurück: Quidquid stehen, nach der göttlichen Vorsehung
agis, prudenter agas et respice finem durchaus ihren Sinn haben. So versucht
(„Was du tust, tue vorsichtig und beden¬ auch in Bürgers Gedicht in der sechsten
ke das Ende“). Diese lateinische Sen¬ Strophe Lenores Mutter ihre verzweifel¬
tenz wird häufig auch verkürzt zitiert: te Tochter zu trösten, deren Geliebter
Respice finem („Bedenke das Endel“). nicht aus dem Krieg zurückkehrt.
T Denn was er sinnt, ist Schrecken Was hat man dir, du armes Kind,
getan?
Was frag’ ich viel nach Geld und Der heute als scherzhafte Aufforderung,
Gut sich seinen Ärger über andere von der
Mit den Versen „Was frag ich viel nach Seele zu reden, zitierte Vers, stammt aus
Geld und Gut,/wenn ich zufrieden bin“ dem Gedicht „Mignon“ aus Goethes
beginnt das Lied „Zufriedenheit“ von Roman „Wilhelm Meister“ („Lehrjah¬
Johann Martin Miller (1750-1814), das re“ 3. Buch, „Theatralische Sendung“ 4.
von Christian Gottlob Neefe vertont Buch). Die Verse wurden von Zelter,
wurde. Man verwendet das Zitat, um Reichardt, Beethoven, Schubert, Liszt,
seine Unabhängigkeit von materiellen Schumann und Wolf vertont. Die Titel¬
Gütern zum Ausdruck zu bringen. gestalt singt von ihrer Sehnsucht nach
Italien und entwirft in der 2. Strophe das
Was glänzt, ist für den Augenblick Bild eines Palastes, in dem die Statuen
geboren; das Echte bleibt der sie fragend anblicken: „Und Marmor¬
bilder stehn und sehn mich an:/Was hat
Nachwelt unverloren
man dir, du armes Kind, getan?“
Diese Ansicht wird sentenzhaft vom
Dichter im „Vorspiel auf dem Theater“
Was ich geschrieben habe, das
zu Goethes Faust I vertreten. Was er
habe ich geschrieben
von der Dichtung sagt, gilt ganz allge¬
mein. Der Glanz, der einer Sache anhaf¬ Das meist in leicht scherzhaftem Ton
tet, hat oft nur Augenblickscharakter, verwendete Zitat, mit dem sich jemand
während Echtes dauerhaft ist und sogar weigert, an einem von ihm verfaßten
erst im Laufe der Jahre zur Vollendung Text etwas zu ändern, steht im Neuen
473
was Teil I
Was ist das, was in uns lügt, mor¬ Was ist des Deutschen Vaterland?
det, stiehlt? Die patriotischen Lieder Ernst Moritz
Arndts (1769-1860) sind geprägt von
Diese klagende und zugleich anklagen¬
leidenschaftlichem Widerstand gegen
de Frage, die angesichts von Unrecht
die napoleonische Fremdherrschaft und
und Gewalt auf der Erde auch heute im¬
von der Parteinahme für die nationale
mer wieder gestellt werden kann, ist ei¬
Sache der Deutschen. 1813 veröffent¬
ne Äußerung des Dichters Georg Büch¬
lichte er seine „Lieder für die Teut-
ner (1813-1837) in einem Brief an seine
schen“, darunter das Gedicht „Des
Braut (wahrscheinlich vom November
Teutschen Vaterland“, dessen sechs er¬
1833). Er spricht darin vom „gräßlichen
ste Strophen jeweils mit dem Vers be¬
Fatalismus der Geschichte“; seine Kla¬
ginnen „Was ist des Teutschen Vater¬
ge gilt der Unfreiheit des Menschen, der
land?“ Diese rhetorische Frage und der
Unvollkommenheit seiner Natur und
Schlußvers der beiden letzten Strophen
der Determiniertheit seiner Handlungs¬
„Das ganze Teutschland soll es sein“
weise. Dem öfter zitierten Ausspruch
dienten in der Folgezeit häufig dazu, mit
geht der Satz voraus: „Das Muß ist eins
stark nationalistisch gefärbtem Unter¬
von den Verdammungsworten, womit
der Mensch getauft worden.“ In seinem ton eine Standortbestimmung Deutsch¬
lands und der Deutschen vorzunehmen.
Drama „Dantons Tod“ legt Büchner
So nahm zum Beispiel Ferdinand Frei-
dem französischen Revolutionär ganz
ähnliche Worte in den Mund (2. Akt, 5. ligrath (1810-1876) das Zitat in seinem
Szene): „Wer will der Hand fluchen, auf 1870 geschriebenen Gedicht „Hurra,
die der Fluch des Muß gefallen? Wer Germania!“ in der fünften Strophe auf:
hat das Muß gesprochen, wer? Was ist „Was ist des Deutschen Vater¬
das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und land -/Wir fragen’s heut nicht
mordet?“ mehr!/Ein Geist, ein Arm, ein einz’ger
Leib,/Ein Wille sind wir heut!“
Was ist denn an dem ganzen Wicht
Was ist des Lebens höchste Lust?
Original zu nennen?
Die Liebe und der Wein
t Vom Vater hab’ ich die Statur
Das als Rätselfrage gestaltete Loblied
auf Liebe und Wein stammt aus Wenzel
Was ist der Mensch? Halb Tier,
Müllers Singspiel „Die Schwestern von
halb Engel
Prag“ mit dem Text von Joachim Peri¬
Mit diesem Vers beginnt das „Men¬ net (1765-1816) nach dem Lustspiel
schenbestimmung“ überschriebene Ge¬ „Die reisenden Komödianten“ von
dicht von Joachim Lorenz Evers Philipp Hafner. Die beiden Verse wur¬
(1758-1807). Sein älterer Zeitgenosse, den in das Studentenlied „Ich hab’ den
474
Teil I was
ganzen Vormittag auf meiner Kneip' Gotthold Ephraim Lessings (1729 bis
studiert“ übernommen. 1781) Lustspiel „Minna von Barnhelm“
(11,7). Dort spricht die Titelheldin aller¬
Was ist ihm Hekuba dings von sich selbst, als sie ihren verlo¬
rengeglaubten Verlobten, den Major
Dieses Zitat stammt aus Shakespeares
von Tellheim, nach dem Ende des Sie¬
„Hamlet“ (11,2), wo Hamlet in einem
benjährigen Krieges plötzlich in ihrem
Monolog über die bewegende Darbie¬
Gasthof wiedergefunden hat.
tung eines Schauspielers reflektiert, der
das Leid der trojanischen Königin He¬
kuba mit einem hohem Maß eigener Be¬ Was kann von Nazareth Gutes
troffenheit darstellt. Bei dieser Vorfüh¬ kommen?
rung wird auf eine Stelle bei Homer an¬ Diese Frage stellt im Neuen Testament
gespielt, wo Hektor zu seiner Gattin An- (Johannes 1,46) Nathanael dem Jünger
dromache sagt, ihn bekümmere das Philippus, der ihn mit dem Hinweis auf
Leid seiner Mutter Hekuba weniger als den von den Propheten Verheißenen als
das ihre. Im Original fragt sich Hamlet: Jünger Jesu werben möchte. Nathanael
What's Hecuba to him, or he to Hecu- kann nicht glauben, daß sich die alt-
ba,/That he should weep for her? („Was testamentlichen Prophezeiungen auf
ist ihm Hecuba, was ist er ihr,/Daß er jemand aus Nazareth beziehen sollen.
um sie soll weinen?“). Aus Verwunde¬ Der kleine Ort liegt in Galiläa, dessen
rung darüber, daß jemand an einer Sa¬ Bewohner im Neuen Testament als Ju¬
che Interesse hat oder eine Person ihm den minderen Ranges gelten. Das Zitat
offensichtlich viel bedeutet, wird das Zi¬ wird auch abgewandelt zu „Was kann
tat heute noch herangezogen. Auch die von da schon Gutes kommen?“, wenn
bildungssprachliche Wendung „jeman¬ man auf eine Ankündigung skeptisch
dem Hekuba sein“ im Sinne von Je¬ reagiert.
mandem gleichgültig sein, jemanden
nicht mehr interessieren“ geht auf die¬ Was machst du mit dem Knie, lie¬
ses Zitat zurück. ber Hans?
Das Zitat ist der Titel eines Schlagers
Was ist Wahrheit? von Beda (Fritz Löhner) mit der Musik
Das 18. Kapitel des Johannesevangeli¬ von Richard Fall aus dem Jahr 1925.
ums berichtet über das Verhör, dem Je¬ Mit dem folgenden Vers gehört die Zeile
sus durch Pilatus unterzogen wurde. zum Refrain: „Was machst du mit dem
Auf Pilatus’ Frage (18,37): „So bist du Knie, lieber Hans,/Mit dem Knie, lieber
dennoch ein König?“ antwortet Jesus: Hans, beim Tanz?“ Dem angesproche¬
„Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin nen Hans wird im Text des Schlagers
dazu geboren und in die Welt gekom¬ vorgeworfen, daß er sich beim Tanzen
men, daß ich für die Wahrheit zeugen (und auch sonst) unmöglich aufführe
soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret („Und glaubst du, daß du nobel tanzt,
meine Stimme.“ Auf diese Mitteilung wenn du den Pasodoble tanzt?“). Ent¬
Jesu reagiert Pilatus mit der Frage, die sprechend wird der Titel zitiert, wenn
er gleichsam an sich selbst richtet: „Was man scherzhaft jemandes ungeschicktes
ist Wahrheit?“ - Man verwendet das Zi¬ Verhalten ansprechen will, besonders
tat als Ausdruck des Zweifels in entspre¬ wenn der Betreffende mit dem Knie an
chenden Zusammenhängen oder auch etwas stößt oder etwas umstößt.
in dem Bewußtsein der beschränkten
menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Was macht die Kunst?
„Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie?
Was kann der Schöpfer lieber se¬ Was macht die Kunst?“ So begrüßt Het-
hen als ein fröhliches Geschöpf! tore Gonzaga, der Prinz von Guastalla,
Das meist als Ermunterung zur Fröh¬ in Gotthold Ephraim Lessings Trauer¬
lichkeit verwendete Zitat stammt aus spiel „Emilia Galotti“ (1772) den Hof-
475
was Teil I
maler Conti. Das Stück hat diese Gru߬ Besitz betrachtet, was/Mir die Natur,
formel populär gemacht, mit der man was mir das Glück verlieh.“
sich heute in der Umgangssprache -
meist scherzhaft - erkundigt, wie es Was man nicht aufgibt, hat man
jemandem bei seiner Tätigkeit, seiner nie verloren
Arbeit ergeht. Bei dieser als Mahnung zur Beharrlich¬
keit bei der Verfolgung eines Ziels die¬
Was man in der Jugend wünscht, nenden sprichwörtlichen Redensart
hat man im Alter die Fülle handelt es sich um ein Zitat aus Schil¬
lers Drama „Maria Stuart“ (11,5). Es ist
Dieses Motto hat Goethe dem zweiten
Elisabeth, die Königin von England, die
Teil seines autobiographischen Werks
diese Worte spricht. Sie bezieht sich da¬
„Aus meinem Leben. Dichtung und
bei auf ihr großes Ziel, die Vernichtung
Wahrheit“ vorangestellt (erschienen
ihrer Konkurrentin Maria Stuart, der
1812). Er hat dabei das alte Sprichwort
Königin von Schottland.
„Was man in der Jugend wünscht, hat
man im Alter genug“ aufgegriffen. Im 9.
Was man nicht nützt, ist eine
Buch führt Goethe dazu aus, er wisse
schwere Last
wohl, daß manch umgekehrte Erfah¬
rung gegen dieses Sprichwort anzufüh¬ t Was du ererbt von deinen Vätern hast,
ren sei, aber auch viel Günstiges dafür erwirb es, um es zu besitzen
spreche, und er sagt weiter: „Unsere
Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkei¬ Was man nicht weiß, das eben
ten, die in uns liegen, Vorboten desjeni¬ brauchte man
gen, was wir zu leisten imstande sein Dieser Vers wird oft zusammen mit dem
werden.“ Goethe schränkt hier also folgenden „Und was man weiß, kann
„wünschen“ nicht auf das sehnliche Er¬ man nicht brauchen“ als Stoßseufzer
hoffen von etwas ein, sondern versteht über Wissensballast und Wissensman¬
darunter das zielbewußte, tätige Stre¬ gel in einer bestimmten Situation zitiert.
ben, das zu erreichen, worauf der In Goethes Faust I (Vor dem Tor) emp¬
Wunsch gerichtet ist. In diesem Sinne findet der Titelheld auf dem Osterspa¬
wird das Motto heute noch zitiert. - Ge¬ ziergang im Gegensatz zu seinem Famu¬
legentlich soll mit dem Zitat aber auch - lus Wagner die Unzulänglichkeit der
mit einer gewissen Resignation - ausge¬ Wissenschaft: „O glücklich, wer noch
drückt werden, daß viele Wünsche, die hoffen kann,/Aus diesem Meer des Irr¬
man in jungen Jahren hegt, erst zu ei¬ tums aufzutauchen !/Was man nicht
nem Zeitpunkt in Erfüllung gehen, wo weiß, das eben brauchte man,/Und was
man eigentlich nichts mehr davon hat, man weiß, kann man nicht brauchen.“
weil das vorangeschrittene Alter für be¬
stimmte Dinge Grenzen setzt. T Denn was man schwarz auf weiß
besitzt, kann man getrost nach
Was man ist, das blieb man andern Hause tragen
schuldig
Diese sentenzhaften Worte spricht in
TJa, was man so erkennen heißt!
Goethes Schauspiel „Torquato Tasso“
Was man von der Minute ausge¬
(1,1) die Prinzessin Leonore von Este zu
ihrer Freundin Leonore Sanvitale, die schlagen, gibt keine Ewigkeit zu¬
ihren Ruhm in aller Welt herausstellt: rück
„Mich kann das, Leonore, wenig rüh- Das Zitat gibt die beiden letzten Verse
ren,/Wenn ich bedenke, wie man wenig aus Schillers Gedicht „Resignation“
ist,/Und was man ist, das blieb man an¬ wieder. Der Dichter stellt sich vor, er sei
dern schuldig.“ Sie erklärt, daß sie ihre gestorben und verlange von der Ewig¬
Bildung ihrer Mutter verdanke; zu¬ keit einen Ersatz für irdisches Glück,
gleich habe sie „nie/Als Rang und als das er der Dichtung geopfert habe. Ein
476
Teil I was
Genius entgegnet ihm aber, daß in sei¬ aus Schillers Trilogie „Wallenstein“, ln
ner Hoffnung sein Lohn bestand: „Ge¬ „Wallensteins Lager“ (6. Auftritt) macht
nieße, wer nicht glauben kann! Die Leh¬ der erste Jäger diese leichtfertige Äuße¬
re/Ist ewig wie die Welt. Wer glauben rung in einem Zusammenhang, in dem
kann, entbehre !/Die Weltgeschichte ist er seine Auffassung über das richtige
das Weltgericht.“ Man verwendet das Verhalten des Soldaten kundtut: „Da
Zitat als resignierenden Kommentar zu gibt’s nur ein Vergehn und Verbre-
einer verpaßten Gelegenheit oder als chen:/Der Order fürwitzig widerspre¬
Ermahnung, seine Zeit und seine Mög¬ chen !/Was nicht verboten ist, ist er¬
lichkeiten gut zu nutzen. laubt ;/Da fragt niemand, was einer
glaubt.“
Was man weiß, was man wissen
sollte Was nun Gott zusammengefügt
In dem Anfang der 60er Jahre populä¬ hat, das soll der Mensch nicht
ren Fernsehquiz „Hätten Sie’s gewußt?“ scheiden
(vergleiche auch diesen Artikel) mußten Mit diesem Zitat aus dem Matthäus¬
die Kandidaten Fragen aus unterschied¬ evangelium (19,6) wird häufig die Un¬
lichen Fachgebieten beantworten. Für auflöslichkeit der Ehe begründet. Jesus
Fragen der Allgemeinbildung, die kei¬ diskutiert mit den Pharisäern über die
ner bestimmten Sparte zuzuordnen wa¬ Ehescheidung und distanziert sich da¬
ren, gab es die Rubrik „Was man weiß, bei von alttestamentlichen Regelungen:
was man wissen sollte“, deren Bezeich¬ „Mose hat euch erlaubt, zu scheiden
nung auch heute noch gelegentlich zi¬ von euren Weibern, wegen eures Her¬
tiert wird, wenn von allgemeinen Kennt¬ zens Härtigkeit; von Anbeginn aber ist’s
nissen oder von allgemein interessieren¬ nicht also gewesen“ (Matthäus 19,8).
den Fakten, Nachrichten o. ä. die Rede
ist. Was rennt das Volk?
Mit dieser Frage beginnt die Ballade
Was mich nicht umbringt, macht „Der Kampf mit dem Drachen“ von
mich stärker Schiller. Sie wird heute noch scherzhaft
Der erste Abschnitt von Friedrich zitiert und dabei auf eine sich heftig be¬
Nietzsches „Götzen-Dämmerung oder wegende Menschenmenge, auf sich gaf¬
Wie man mit dem Hammer philoso¬ fend drängende Zuschauer o.ä. bezo¬
phiert“ (1888) versammelt unter dem Ti¬ gen. Gelegentlich werden auch die er¬
tel „Sprüche und Pfeile“ 44 aphoristi¬ sten beiden Zeilen des Gedichts ganz
sche Gedankensplitter. Der achte dieser zitiert: „Was rennt das Volk, was wälzt
„Sprüche“ lautet: „Aus der Kriegsschu¬ sich dort/Die langen Gassen brausend
le des Lebens. - Was mich nicht um¬ fort?“ In dem Gedicht selbst wird be¬
bringt, macht mich stärker.“ Man zitiert schrieben, wie ein junger Ordensritter in
den zweiten Teil als Ausdruck der Be¬ einem langen, schweren Kampf einen
reitschaft, etwas auszuhalten, eine Bela¬ Drachen bezwingt und so das Land von
stung oder schwere Probe auf sich zu diesem Ungeheuer befreit.
nehmen.
Was schert mich Weib, was schert
Was nicht verboten ist, ist erlaubt mich Kind
Diese etwas kühne Behauptung hat si¬ In seinem Gedicht „Die Grenadiere“
cher schon vielen, denen eine unscharfe schildert Heinrich Heine (1797-1856)
Grenzziehung zwischen rechtmäßigem den Rückweg zweier Soldaten der Ar¬
und unrechtmäßigem Handeln minde¬ mee Napoleons I., die in Rußland in
stens zeitweise opportun erschienen ist, Gefangenschaft geraten waren. Unter¬
zur Rechtfertigung gewisser Handlungs¬ wegs erfahren sie von der Niederlage
weisen gedient oder ist ihnen überhaupt Frankreichs und der Verbannung Napo¬
zum Wahlspruch geworden. Sie stammt leons. Für den einen der beiden hat das
477
was Teil I
Leben nunmehr jeden Sinn verloren. Bei der Aufteilung der Erde unter die
Daran ändert auch nichts, daß er eine Menschen droht der Dichter schon leer
Familie hat, für die er sorgen müßte: auszugehen, als Zeus ihm im weiteren
„Was schert mich Weib, was schert mich Text der Strophe folgendes Angebot
Kind/Ich trage weit beßres Verlan¬ macht: „Die Welt ist weggegeben,/Der
gen ;/Laß sie betteln gehn, wenn sie Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht
hungrig sind -/Mein Kaiser, mein Kai¬ mehr mein./Willst du in meinem Him¬
ser gefangen.“ Besonders die erste Zeile mel mit mir leben,/Sooft du kommst, er
dieser Strophe wird - meist scherzhaft - soll dir offen sein.“ In der salopperen
zitiert, wenn man sagen will, daß man in Umgangssprache wird das Zitat gele¬
einer bestimmten Angelegenheit seine gentlich respektlos zu „.Was tun?'
persönlichen Interessen in den Vorder¬ spricht Zeus, ,die Götter sind besof¬
grund stellt und keinerlei Rücksicht auf fen' “ erweitert.
die Belange der Menschen nehmen will,
die einem am nächsten stehen. Was vergangen, kehrt nicht wieder
Dies ist die Anfangszeile des Gedichtes
Was sind Hoffnungen, was sind „Erinnerung und Hoffnung“ von Karl
Entwürfe August Förster (1784-1841), einem
„Was sind Hoffnungen, was sind Ent- deutschen Schriftsteller, der zu seiner
würfe,/Die der Mensch, der vergängli¬ Zeit auch als Übersetzer besonders ita¬
che, baut?“ Diese Worte läßt Schiller in lienischer Literatur eine gewisse Bedeu¬
seinem Trauerspiel „Die Braut von tung hatte. Die Gedichtzeile wird oft als
Messina“ (uraufgeführt 1803) ein Mit¬ floskelhafte Bemerkung nach einer als
glied des Chores sprechen (III, 5). Man endgültig abgeschlossen betrachteten
zitiert den ersten Vers, wenn man - mit Zeit zitiert, gelegentlich aber auch als
einem Anflug von Resignation - aus- eher wehmütig klingendes Wort der
drücken will, daß oft alles Planen für die Rückerinnerung an etwas, was unwie¬
Zukunft vergeblich ist und sich alle derbringlich verloren ist. Ein weiterer,
Träume und Pläne häufig in ein Nichts der eigentlichen Intention des Gedich¬
auflösen. tes entsprechender Sinn erschließt sich,
wenn man die beiden folgenden Zeilen
Was tun? mitzitiert: „Was vergangen, kehrt nicht
wieder;/Aber ging es leuchtend nie¬
Das fragt man sich schon einmal, wenn
der,/Leuchtet’s lange noch zurück!“
man angesichts eines Problems völlig
Was einmal bedeutsam war, fällt weni¬
ratlos dasteht. So lautet auch der deut¬
ger rasch dem Vergessen anheim und
sche Titel eines seinerzeit vielgelesenen wirkt noch lange nach.
dreiteiligen Romans des russischen Pu¬
blizisten Nikolai Gawrilowitsch Tscher- Was von mir ein Esel spricht
nyschewski (1828-1889), in dem die ge¬
Dieses Zitat stammt aus der Fabel „Der
stellte Frage sich darauf bezieht, wie die
Löwe und der Fuchs“ von Johann Wil¬
gesellschaftlichen Verhältnisse im zari¬
helm Ludwig Gleim (1719-1803). Der
stischen Rußland geändert werden kön¬
Fuchs berichtet dem Löwen davon, daß
nen. Besonders verbreitet wurde die
der Esel sich hinter dem Rücken des Lö¬
Formulierung, da sie auch von Lenin als
wen geringschätzig über diesen äußert,
Titel einer 1902 erschienenen Schrift
worauf dieser schließlich abfällig be¬
(mit dem Untertitel „Brennende Fragen
merkt: „Fuchs! Er spreche was er
unserer Bewegung“) verwendet wurde.
will;/Denn, was von mir ein Esel
spricht,/Das acht’ ich nicht!“ Will man
„Was tun?“ spricht Zeus
zum Ausdruck bringen, daß einem kriti¬
Das scherzhaft in einer Situation der sche Äußerungen oder Beleidigungen
Ratlosigkeit gebrauchte Zitat ist der An¬ von Leuten, die man auf Grund ihrer
fang der letzten Strophe aus Schillers geistigen Beschränktheit geringachtet,
Gedicht „Die Teilung der Erde“ (1795). innerlich unberührt, unbeeindruckt las-
478
Teil I Weg
sen, zitiert man die vorletzte oder die We are not amused
beiden letzten dieser Zeilen.
Dieser Ausspruch (deutsch etwa: „Wir
finden das gar nicht lustig“) wird der
Was wolltest du mit dem Dolche, englischen Königin Viktoria (1819
sprich! bis 1901) zugeschrieben. Sie soll sich
Wenn man jemandes übles Vorhaben in dieser Weise geäußert haben, als
durchschaut hat, dann zitiert man viel¬ einer ihrer Kammerherren, Alexander
leicht noch gelegentlich diese Worte aus Grantham Yorke, sie zu parodieren ver¬
Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“. In suchte. Nach einer anderen Quelle soll
der ersten Strophe fordert der Tyrann eine leicht anstößige Geschichte, die
Dionys den festgenommenen Moros zu einer der Bediensteten beim Dinner in
einem Geständnis auf: „,Was wolltest Schloß Windsor erzählt hatte, der Anlaß
du mit dem Dolche, sprichIVEntgegnet für die königliche Zurechtweisung ge¬
ihm finster der Wüterich.“ Zu diesen wesen sein. Der Ausspruch wird gele¬
Zeilen gibt es die parodistisch-scherz- gentlich als Ausdruck der Mißbilligung
hafte Abwandlung: „Was willst du mit zitiert, vor allem wenn man einen Scherz
dem Dolche, sprich! - Kartoffeln schä¬ als nicht gelungen betrachtet.
len, verstehst du mich?“
We shall overcome
Was zu beweisen war Das Zitat - auf deutsch „Wir werden
t Quod erat demonstrandum siegen“ - stammt aus einem amerikani¬
schen Lied, dessen Ursprung auf die
Das Wasser rauscht’, das Wasser Zeit vor dem Bürgerkrieg zurückgeht.
Es wurde um 1900 von C. Albert Hind-
schwoll
ley zu einem Kirchenlied der Baptisten
Hier handelt es sich um den Gedichtan¬ mit dem Titel „TU Overcome Some
fang und die Anfangszeile der letzten Day“ umgearbeitet. Allgemeine Be¬
Strophe von Goethes Ballade „Der Fi¬ kanntheit erlangte es 1946, als es von
scher“. Am Anfang kündigt sich darin schwarzen Arbeitern auf Streikposten in
das „feuchte Weib“ an, während gegen South Carolina gesungen wurde. In den
den Schluß das Wasser bereits von dem frühen sechziger Jahren wurde das Zitat
Fischer Besitz ergreift. Das Gedicht er¬ zum Schlagwort der afroamerikani¬
hielt zusätzliche Popularität durch die schen Bürgerrechtsbewegung.
Vertonungen von Reichardt, Schubert
und Richard Strauss. Das Zitat wird t Am sausenden Webstuhl der Zeit
meist als scherzhafter Kommentar ver¬
wendet, wenn sich zum Beispiel ein Ein Tjeder Wechsel schreckt den
größeres Behältnis oder ein Raum Glücklichen
geräuschvoll mit Wasser füllt.
Weg mit den Grillen und Sorgen
TKein Wässerchen trüben können TNoch sind die Tage der Rosen
479
Teil I
Weg
hen“, die im Sinne von „sich abnutzen, heißt es im Buch Jesus Sirach: „Die
defekt und unbrauchbar werden“ ver¬ Gottlosen gehen zwar auf einem feinen
wendet wird, dürfte eine später entstan¬ Pflaster; aber sein Ende ist der Hölle
dene Variante hierzu sein. Der englische Abgrund“ (Jesus Sirach 21,11).
Schriftsteller Samuel Butler (1835 bis
1902) gab seinem 1903 erschienenen au¬ Der Weg zurück zum Kinderland
tobiographischen Roman den Titel The TO wüßt’ ich doch den Weg zurück
Way of All Flesh (deutsche Übersetzung
1929 unter dem Titel „Der Weg allen Es t führt kein Weg zurück
Fleisches“).
Wege zu Kraft und Schönheit
Den Weg alles Irdischen gehen Das heute scherzhaft oder ironisch ge¬
brauchte Zitat ist der Titel eines Kultur¬
Den tWeg allen Fleisches gehen
films von Dr. Kaufmann und Wilhelm
Prager aus dem Jahr 1925 über Körper-
Den Weg gehen, den man nicht
und Nacktkultur. Die Verbindung
wiederkommt „Kraft und Schönheit“ gab es bereits
Die verhüllende Umschreibung für seit 1919 im Namen eines Berlin-Steglit-
„sterben“ Findet sich im Alten Testa¬ zer Verlages und in der dort erscheinen¬
ment, wo die Titelfigur des Buches Hiob den Monatsschrift für moderne Körper¬
(16,20) Gott bittet, ihm gegen seine kultur.
spottenden Freunde Recht zu verschaf¬
fen: „Denn die bestimmten Jahre sind Weh dem, der lügt!
gekommen, und ich gehe hin des Weges, Die meist scherzhaft gebrauchte Dro¬
den ich nicht wiederkommen werde.“ In hung ist der Titel eines Lustspiels von
Franz Schuberts Zyklus „Die Winterrei¬ Franz Grillparzer (1791-1872) und dar¬
se“ (1827; auf Texte von Wilhelm Mül¬ in zugleich die mehrmals wiederholte
ler) enthält die letzte Strophe des Liedes Mahnung des Bischofs Gregor von Chä-
„Der Wegweiser“ eine analoge Aussa¬ lons an seinen Küchenjungen Leon, die
ge: „Einen Weiser seh’ ich stehen/Un- er ihm für die Befreiung seines Neffen
verrückt vor meinem Blick ;/Eine Straße aus heidnischer Gefangenschaft als
muß ich gehen,/Die noch keiner ging Richtschnur mit auf den Weg gibt. Der
zurück.“ Dramatiker und Hörspielautor Richard
Hey verfaßte 1962 eine Komödie mit
Der Weg zur Hölle ist mit guten dem kontrastiven Titel „Weh dem, der
Vorsätzen gepflastert nicht lügt“.
Diese sprichwörtliche Redensart besagt,
daß es schwer ist, einer Versuchung zu Weh dir, daß du ein Enkel bist!
widerstehen, auch dann, wenn man sich „Es erben sich Gesetz’ und Rechte/Wie
vorgenommen hat, sich zu bessern. Sie eine ew’ge Krankheit fort.“ So kom¬
wird dem englischen Schriftsteller und mentiert Mephisto im 1. Teil von Goe¬
Lexikographen Samuel Johnson (1709 thes Faust (Studierzimmer 2) die Tradi¬
bis 1784) zugeschrieben und von seinem tion des positiven Rechts. Gesetze be¬
Biographen James Boswell überliefert halten oft noch ihre Geltung, obwohl
(englisch: Hell is paved with good inten- sich die historischen und sozialen Vor¬
tions, deutsch: „Die Hölle ist mit guten aussetzungen dafür längst geändert ha¬
Vorsätzen gepflastert“; in: „The Life of ben. Dann allerdings können sie mehr
Samuel Johnson“). In ähnlicher Form schaden als nützen, und der „Enkel“
ist die Redensart auch bei dem schotti¬ muß als Unsinn empfinden, was von
schen Dichter Sir Walter Scott den Vorfahren sinnvoll erdacht wurde:
(1771-1832) zu Finden, der sie auf einen „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Pla¬
englischen Theologen des 17. Jahrhun¬ ge;/Weh dir, daß du ein Enkel bist!“
derts zurückführt. Aber auch schon in Losgelöst vom ursprünglichen Bezug
den Apokryphen des Alten Testaments wird das Zitat heute jemandem entge-
480
Teil I weil
gengehalten, dem man verdeutlichen Weib, was habe ich mit dir zu
will, daß er sich der „Erblast“ aus vor¬ schaffen?
angegangener Zeit stammender Tatbe¬
t Meine Stunde ist noch nicht gekom¬
stände nicht einfach entziehen kann.
men
Für die Sünden der Großväter müssen
häufig die Enkel büßen.
t Wenn du zum Weibe gehst, ver¬
giß die Peitsche nicht!
Wehe den Besiegten!
t Vae victis! t Da werden Weiber zu Hyänen
481
weil Teil I
Danks der Menschen für unwürdig. wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz
Denn die Menschen verdankten alles des Menschen, daß du Brot aus der Er¬
sich selbst, nicht den Göttern. Im Ver¬ de bringst,/und daß der Wein erfreue
lauf dieser „Abrechnung“ stellt Prome¬ des Menschen Herz“ (Psalm 104, 14 f.).
theus die Frage: „Wähntest du etwa,/
Ich sollte das Leben hassen,/.../ t Junger Wein in alten Schläuchen
Weil nicht alle Blütenträume reiften?“ -
Das Zitat ist in die Redewendung „nicht Im Wein liegt Wahrheit
alle Blütenträume reifen“ ( = nicht alles, t In vino veritas
was man erstrebt, läßt sich verwirkli¬
chen) eingegangen.
Sie tranken heimlich Wein und
predigten öffentlich Wasser
Weil, so schließt er messerscharf,
T Ich kenne die Weise, ich kenne den
nicht sein kann, was nicht sein darf
Text
Das bekannte Zitat, das sich immer
dann scherzhaft anwenden läßt, wenn t Jedermann gibt zuerst den guten
jemand etwas leugnet, nicht wahrhaben Wein
oder beiseite schieben will, stammt aus
der letzten Strophe eines Gedichtes von
t Arbeiter im Weinberg des Herrn
Christian Morgenstern (1871-1914) mit
dem Titel „Die unmögliche Tatsache“.
t Zunehmen an Weisheit, Alter
Palmström, sein Held, ist von einem Au¬
und Gnade
to überfahren worden und beschäftigt
sich nun mit der Frage: „... war vielmehr
TO Weisheit! Du redst wie eine
verboten,/hier Lebendige zu Toten/um¬
Taube!
zuwandeln, - kurz und schlicht :/Durfte
hier der Kutscher nicht - ?/Eingehüllt in
feuchte Tücher,/prüft er die Gesetzes¬
Der Weisheit letzter Schluß
bücher/und ist alsobald im klaren:/Wa- Am Ende seines Lebens hat der erblin¬
gen durften dort nicht fahren !/Und er dete Faust (Goethe, Faust II, 5. Akt,
kommt zu dem Ergebnis :/,Nur ein Großer Vorhof des Palasts) die Vision
Traum war das Erlebnis./Weil’, so eines paradiesischen Landes, das dem
schließt er messerscharf,/.nicht sein Meer abgerungen wurde, wenngleich es
kann, was nicht sein darf.' “ immer gegen die andringende Flut ver¬
teidigt werden muß. In diesem Bewußt¬
Weil’s aber nicht kann sein sein resümiert er: „Das ist der Weisheit
letzter Schluß :/Nur der verdient sich
Dies ist eine Zeile aus der 1. Strophe des
Freiheit wie das Leben,/Der täglich sie
bekannten Volksliedes „Wenn ich ein
erobern muß.“ - Man verwendet das Zi¬
Vöglein wär“ (vergleiche auch diesen
tat heute mit der Bedeutung „höchste
Artikel). Der Text des Liedes wurde
Weisheit“ bzw. in umgangssprachlicher
zum ersten Mal von Johann Gottfried
Verwendung im Sinne von „ideale Lö¬
von Herder 1778 in seiner Sammlung
sung“. In dieser Bedeutung wird der
„Volkslieder“ veröffentlicht. Die Zeile
Ausdruck häufiger verneint und mit
aus diesem Lied wird zitiert, wenn man
leicht ironischem Unterton gebraucht
ausdrücken will, daß man sich wohl
(„Das ist noch nicht der Weisheit letzter
oder übel in etwas, was man doch nicht
Schluß“). Man gibt damit zu erkennen,
ändern kann, fügen muß.
daß man etwas durchaus noch nicht für
die beste aller Möglichkeiten hält.
Der Wein erfreut des Menschen
Herz
T Ich weiß, daß ich nichts weiß
Diese Erkenntnis findet sich schon im
Alten Testament, wo es im 104. Psalm T Zwar weiß ich viel, doch möcht’
von Gott Jahwe heißt: „Du lässest Gras ich alles wissen
482
Teil I Welt
483
Welt Teil I
mung die Rede ist, besonders von der der Welt gelangt sei und gesehen habe,
Abhängigkeit des heutigen Menschen in daß die Welt „mit Brettern daselbst sei
der durch moderne Kommunikations¬ unterschlagen“ (= abgeteilt).
mittel universell vernetzten Welt, in der
er nicht selten zur Marionette wird. Die Welt ist vollkommen überall,
wo der Mensch nicht hinkommt
Die Welt aus den Angeln heben mit seiner Qual
Diese Redewendung bedeutet heute so¬ Diese Sentenz stammt aus Schillers
viel wie „alles aus dem Gleichgewicht Trauerspiel „Die Braut von Messina“
bringen, alles grundlegend ändern“. Sie (1803). Der das Geschehen begleitende
geht nach einem Aristoteles-Kommen¬ Chor kommentiert mit allgemeinen Ge¬
tar des Philosophen Simplikios (6. Jh. danken die tragische Verstrickung der
n. Chr.) auf einen Ausspruch des Archi- beiden Brüder in die Liebe zu Beatrice,
medes (um 285-212 v. Chr.) zurück von der sie nicht wissen, daß es ihre
(„Ich werde die Welt aus den Angeln Schwester ist. - Man verwendet das Zi¬
heben“). Vergleiche hierzu auch das tat häufig um auszudrücken, daß über¬
Zitat „Gib mir einen Punkt, wo ich hin¬ all, wo Menschen sind, auch ihre
treten kann, und ich bewege die Erde“. menschliche Unvollkommenheit und
ihre unselige Neigung zum Zerstören
Die Welt, in der wir leben anwesend sind.
Dies ist der deutsche Titel einer Artikel¬
serie aus der amerikanischen illustrier¬ Die Welt liegt im argen
ten Zeitschrift „Life“ über die Naturge¬ Der Ausspruch, mit dem man die Unzu¬
schichte der Erde (englischer Originalti¬ länglichkeit und Unvollkommenheit der
tel: The world we live in). Sie erschien im Welt oder auch die gerade herrschenden
Deutschen 1956 in Buchform. Der Titel üblen Zustände beklagt, geht auf die Bi¬
wurde zu einem festen, frei verwendba¬ bel zurück. Das 5. Kapitel des ersten Jo¬
ren Ausdruck, der beispielsweise im Zu¬ hannesbriefs handelt vom „Glauben,
sammenhang mit der Umweltproblema¬ der die Welt überwindet“. In diesem
tik gebraucht wird, aber auch ganz all¬ Zusammenhang heißt es in Vers 19:
gemein als Hinweis auf die nun einmal „Wir wissen, daß wir von Gott sind und
vorgegebenen Bedingungen in unserer die ganze Welt im Argen liegt.“ Die For¬
Welt.
mulierung, die Luther dem griechischen
Text entsprechend bei dieser Stelle ver¬
Die t ganze Welt ist Bühne
wendet hat, um auszudrücken, daß die
Welt im Bösen verhaftet ist (und der Er¬
Die Welt ist mit Brettern vernagelt
lösung durch Gott und des Glaubens an
Wenn man behauptet, daß irgendwo die ihn bedarf), ist bis heute erhalten geblie¬
Welt mit Brettern vernagelt (oder auch ben in der Wendung „etwas liegt im ar¬
zugenagelt) sei, so will man damit aus- gen“. Man verwendet sie, wenn man
drücken, daß es dort nicht weitergeht, zum Ausdruck bringen will, daß etwas
daß man vor einem großen Hindernis in Unordnung ist, sich in einer verwor¬
steht, daß man das Ende erreicht hat renen, ungeordneten Lage befindet.
o. ä. Bei einem Ort, wo die Welt mit
Brettern vernagelt ist, kann es sich aller¬ t Ich verstehe die Welt nicht mehr
dings auch um einen ganz abseits lie¬
genden, einsamen Ort handeln, wo man t Nicht von dieser Welt sein
noch sehr rückständig ist, wo es sehr
langweilig zugeht. Die Redensart geht Die Welt will betrogen sein
zurück auf eine Lügengeschichte in der Diese Redensart wird gerne entschuldi¬
„Ethographia mundi“ (1608) des Erzäh¬ gend in Fällen zitiert, in denen jemand
lers Johannes Olorinus Variscus (eigent¬ mit Versprechungen, die er nicht halten
lich: Johann Sommer; 1559-1622). Dort kann, falsche Hoffnungen erweckt oder
wird berichtet, daß jemand bis ans Ende in denen sich jemand Vorteile verschafft
484
Teil I wem
und es dabei mit der Ehrlichkeit nicht so sich selbst vorwegnimmt. Was auch im¬
genau nimmt o. ä. Zum erstenmal belegt mer ein am Zeitenende über das Weltge¬
ist die Redensart in der Verssatire „Das schehen urteilendes Jüngstes Gericht
Narrenschiff“ (1494) des Dichters (und befinden wird, der Urteilsspruch ist
Juristen) Sebastian Brant (1457-1521), durch die jeweiligen historischen Ab¬
in der Laster und Torheiten von Perso¬ läufe präjudiziert.
nen, Berufen und Ständen in Gestalt
von Narren dargestellt sind. Die lateini¬ t Prophete rechts, Prophete links,
sche Form Mundus vult decipi taucht das Weltkind in der Mitten
dann etwas später (1533) in der Schrift
„Paradoxa“ des Dichters (und Predi¬ Das t große Welttheater
gers) Sebastian Franck (1499- 1542 oder
1543) auf und wird später oft durch ei¬ Wem der große Wurf gelungen
nen Zusatz erweitert: Mundus vult deci¬ Die Fügung „großer Wurf“, die „Erfolg,
pi, ergo decipiatur, auf deutsch: „Die gelungenes [künstlerisches] Werk“ be¬
Welt will betrogen sein, also soll sie deutet, hat durch die Verse „Wem der
auch betrogen werden“.
große Wurf gelungen,/Eines Freundes
Freund zu sein“ aus Schillers Gedicht
Die Welt wird alt und wird wieder „An die Freude“ (1786) seit dem Ende
jung, doch der Mensch hofft im¬ des 18. Jahrhunderts weitere Verbrei¬
mer Verbesserung tung erfahren. Der erste Vers - oft auch
t Noch am Grabe pflanzt er die Hoff¬ mit variierter Ergänzung - wird auch
nung auf heute noch im Sinne von „Wer das gro¬
ße Glück hat,..." verwendet.
Die Welt wird schöner mit jedem
Wem die Stunde schlägt
Tag
Der größte Roman des amerikanischen
„Die Welt wird schöner mit jedem
Schriftstellers Ernest Hemingway (1899
Tag,/Man weiß nicht, was noch werden
bis 1961), der 1940 erschien, trägt im
mag“. Mit diesen Versen beginnt die
Deutschen diesen Titel. Man zitiert ihn,
zweite Strophe von Ludwig Uhlands
wenn man umschreiben will, daß je¬
Gedicht „Frühlingsglaube“ (vergleiche
mand einer lebensbedrohenden Gefahr,
auch: „Nun muß sich alles, alles wen¬
einer sehr schwierigen Aufgabe nicht
den“). Man zitiert den ersten Vers als
entrinnen kann, daß für jemand das En¬
Ausdruck ungetrübter Daseinsfreude
de eines Lebensabschnitts oder das En¬
und optimistischer Lebenseinstellung.
de überhaupt gekommen ist. In dem Ro¬
man, der den Kampf gegen den Faschis¬
Die Weltgeschichte ist das Welt¬ mus im spanischen Bürgerkrieg zum
gericht Thema hat, steht die tragisch endende
Mit diesem Vers endet die vorletzte Liebe zwischen einer Spanierin und ei¬
Strophe von Schillers Gedicht „Resi¬ nem Amerikaner, der für die antifaschi¬
gnation“ (1784). Subjekt in diesem Satz stische Sache kämpft, im Mittelpunkt.
ist bei Schiller „Weltgericht“, und unter Der Roman wurde 1943 mit Ingrid
„Weltgeschichte“ versteht er alles das, Bergman und Gary Cooper in den
was ein Mensch erlebt und was ihn und Hauptrollen verfilmt. Der erfolgreiche
sein Handeln beeinflußt und prägt. Das Film machte den Titel (im englischen
bedeutet, daß jeder für sein Schicksal Original For Whom the Bell tolls) noch
verantwortlich ist und mit dem, was er populärer. Hemingway hat diesen Titel
aus seinem Leben macht, selbst die im übrigen den „Meditationen“ des
Maßstäbe für das darüber am Lebens¬ englischen Lyrikers John Donne (1572
ende zu fällende Urteil setzt. - Heute od. 1573-1631) entnommen. Dort wird
wird der Vers allerdings in dem Sinne der Gedanke, daß der Mensch immer
zitiert, daß das weltgeschichtliche Ge¬ auch ein Teil der Menschheit ist (ver¬
schehen bereits das spätere Urteil über gleiche auch „Niemand ist eine Insel“),
485
wem Teil I
mit folgender Sentenz beendet: „And des“ (IV, 7,18): Quem di diligunt, ado-
therefore never send to know for whom lescens morilur. In Emanuel Geibels
the bell tolls; It tolls for thee“ („Und laß (1815-1884) Gedicht „Verlorene Liebe“
deshalb niemals nachfragen, für wen die heißt es in der 6. Strophe: „Es stirbt als
[Toten]glocke läutet; sie läutet für Knabe, wen die Götter lieben.“ Ein
dich“). Film über Mozart von Karl Hartl aus
dem Jahr 1942 hat den Titel „Wen die
Götter lieben“.
Wem Gott will rechte Gunst erwei¬
sen, den schickt er in die weite
Welt Wen Gott vernichten will, den
schlägt er mit Blindheit
Mit diesen Worten beginnt Eichen¬
dorffs Gedicht „Der frohe Wanders¬ In einem Scholion - einer erklärenden
mann“, das zum erstenmal gedruckt in Randbemerkung - zu einer Stelle in der
seiner Novelle „Aus dem Leben eines Tragödie „Antigone“ des altgriechi¬
Taugenichts“ (1826) erschien. Durch schen Dichters Sophokles (um 496 bis
die Vertonung von F. Th. Fröhlich um 406 v. Chr.) finden sich die folgen¬
(1833) wurde es zum Volkslied. Mit den Verse eines unbekannten Dichters:
„Wem Gott will rechte Gunst erwei¬ „Immer wenn die Gottheit einem Men¬
sen ...“ kommentiert man gewöhnlich schen Böses antun will,/so fügt sie zu¬
scherzhaft jemandes Reiseabsichten. - erst seinem Verstand Schaden zu, mit
Häufig hört man auch die scherzhafte dem er plant“. Daraus ergab sich, wohl
Abwandlung der ersten Strophe: „Wem über das gleichbedeutend mittellateini¬
Gott will rechte Gunst erweisen, den sche Quos deus perdere vult, dementat
schickt er in die Wurstfabrik. Er läßt ihn prius, im Deutschen: „Wen Gott verder¬
in die Knackwurst (auch: Blutwurst) ben will, den verblendet er.“ Hieraus
beißen und gibt ihm noch ein Stückchen wiederum entwickelte sich wahrschein¬
mit.“ lich unter Einfluß der aus dem Alten Te¬
stament stammenden Wendung „Mit
Blindheit schlagen“ die Form „Wen
Wem sonst als dir Gott vernichten will, den schlägt er mit
Mit diesen Worten widmete Friedrich Blindheit“.
Hölderlin (1770-1843) den 2. Band sei¬
nes Romans „Hyperion“ Susanne (Su-
t Hier wendet sich der Gast mit
sette) Gontard, der Frau des Frankfurter
Grausen
Bankiers Jakob Friedrich Gontard, in
dessen Haus er die Hofmeisterstelle ver¬
sah. Man sagt sie heute noch gelegent¬ Weniger wäre mehr gewesen
lich zu jemandem, zu dem man in einem In der von ihm herausgegebenen litera¬
engeren Verhältnis steht, wenn man ihm rischen Zeitschrift „Der Teutsche Mer¬
durch eine Geste, ein Geschenk o. ä. kur“ schrieb Christoph Martin Wieland
zeigt, wie sehr man ihn schätzt oder ihm 1774 in einem Neujahrsglückwunsch:
vertraut. „Und minder ist oft mehr, wie Lessings
Prinz uns lehrt.“ Er nahm damit Bezug
auf eine Stelle in Gotthold Ephraim
Wen die Götter lieben, der stirbt
Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“
jung
(1772), wo Hettore Gonzaga, der Prinz
Das Zitat, das der griechische Schrift¬ von Guastalla, dem Maler Conti entge¬
steller Plutarch (um 46-um 125) im 34. genhält, daß auf dem Porträt der Gräfin
Kapitel der „Trostrede an Apollonius“ Orsina das Charakterliche zu stark ge¬
überliefert, geht auf den griechischen schönt sei und dazu meint: „Nicht so
Dichter Menander (342/341-291/290 redlich wäre redlicher“ (1,4). Aus Wie¬
v. Chr.) zurück. Der römische Komö¬ lands Umformung dieser Textstelle ist
diendichter Plautus (um 250-um 184 dann wohl die heute übliche Redensart
v. Chr.) übersetzt es in seinen „Bacchi- entstanden. Man drückt damit aus, daß
486
Teil I wenn
ein Weniger an Übertreibung, ein gerin¬ daß mit dem Fall eines Mächtigen oft
gerer Aufwand mehr Wirkung erzielt viele andere unverschuldet mit betrof¬
und einer Sache mehr Qualität gegeben fen werden, nur weil sie vorher von die¬
hätte. - In einem im März 1923 veröf¬ sem abhängig waren. Denn, wie der
fentlichten Artikel in der „Prawda“ hat Sänger weiter ausführt, „Die das Glück
W. I. Lenin vor überstürztem Vorgehen der Mächtigen nicht teilten,/Teilen oft
beim Aufbau des neuen sowjetischen ihr Unglück. Der stürzende Wagen/
Staatsapparats gewarnt und dem Bei¬ Reißt die schwitzenden Zugtiere/Mit in
trag die ähnlich formulierte Mahnung den Abgrund“ (2. Bild).
„Lieber weniger, aber besser“ als Titel
gegeben. - Einen ähnlichen Gedanken t Und wenn der ganze Schnee ver¬
finden wir auch bei dem römischen Po¬ brennt
litiker und Schriftsteller Plinius dem
Jüngeren (vergleiche das Zitat „Mul- Wenn der Leib in Staub zerfallen,
tum, non multa“). lebt der große Name noch
tVon des Lebens Gütern allen ist der
Wenn alle untreu werden Ruhm das höchste doch
So beginnt das sechste der 15 „Geistli¬
chen Lieder“ von Novalis (1772-1802), Wenn der Mantel fällt, muß der
einem Dichter der deutschen Romantik. Herzog nach
Die Lieder erschienen zuerst in dem von Das Zitat geht auf eine Stelle in Schil¬
August Wilhelm Schlegel und Ludwig lers „republikanischem Trauerspiel“
Tieck herausgegebenen „Musenalma¬ „Die Verschwörung des Fiesko zu Ge¬
nach auf das Jahr 1802“. Sechs dieser nua“ zurück, das Schiller 1782 für die
Lieder, darunter das genannte, fanden Mannheimer Bühne geschrieben hat.
Eingang in evangelische Gesangbücher. Fiesko, der Anführer der Verschwörung
Der Dichter wendet sich in diesem Lied gegen den tyrannischen Dogen von Ge¬
an Christus. Der Beginn der ersten Stro¬ nua, Andreas Doria, wird von dem Re¬
phe lautet: „Wenn alle untreu wer¬ publikaner Verrina, der in Fiesko einen
den,/So bleib ich dir doch treu,/Daß neuen Tyrannen heraufkommen sieht,
Dankbarkeit auf Erden/Nicht ausge¬ ins Meer gestoßen. Die letzten Worte,
storben sei.“ Zu diesem geistlichen Lied die Fiesko (5,16) an Verrina richtet,
gibt es eine weltliche Umdichtung von sind: „Was zerrst du mich so am Man¬
dem Lyriker Max von Schenkendorf tel? - er fällt!“ Verrina, indem er Fiesko
(1783-1817) mit dem Titel „Erneuerter ins Meer stößt, antwortet: „Nun, wenn
Schwur. Junius 1814. An Friedrich Lud¬ der Purpur fällt, muß auch der Herzog
wig Jahn“: „Wenn alle untreu wer- nach!“ - Mit dem Zitat kann man z. B.
den,/So bleib ich euch doch treu,/Daß der Beobachtung oder Befürchtung
immer noch auf Erden/Für euch ein Ausdruck verleihen, daß ein eher ge¬
Streiter sei.“ - Man verwendet das Zitat ringfügiges Mißgeschick großes Unge¬
scherzhaft, um jemanden seiner Treue mach nach sich zu ziehen vermag oder
zu versichern. daß jemand, der die Insignien seiner
Macht verliert, auch selbst dem Unter¬
Wenn das Haus eines Großen zu¬ gang geweiht ist.
sammenbricht, werden viele Klei¬
ne erschlagen TUnd wenn der Mensch in seiner
Qual verstummt, gab mir ein Gott
In seinem Drama in sechs Bildern „Der
kaukasische Kreidekreis“ (Erstdruck
zu sagen, was ich leide
1949) läßt Bertolt Brecht die Figur des
Wenn der Vater mit dem Sohne
Sängers, der alles Geschehen kommen¬
tiert, diese Worte zu Entmachtung und Dies ist der Titel eines deutschen Films
Sturz des Gouverneurs Abaschwili sa¬ aus dem Jahr 1955. Heinz Rühmann
gen. Man zitiert sie, um auszudrücken. spielt darin die Rolle eines Musik-
487
wenn Teil I
clowns, der mit seinem kleinen Pflege¬ so viele Bettler in Nahrung/Setzt! Wenn
sohn ins Ausland flüchtet, als die Mut¬ die Könige baun, haben die Kärrner zu
ter das Kind wieder zu sich nehmen tun“ (betitelt: „Kant und seine Ausle¬
möchte. Das Drehbuch verfaßten Gu¬ ger“). Der Schlußvers des Epigramms
stav Kampendonk und Eckart Hach- wird heute gelegentlich zitiert, wenn
feld. Der Filmtitel zitiert die erste Zeile man daraufhinweisen will, daß bei Plä¬
eines um 1840 entstandenen Nonsens¬ nen und Entscheidungen von einflu߬
gedichts, dessen erste Strophe wie folgt reichen Persönlichkeiten häufig ande¬
beginnt: „Wenn der Vater mit dem Soh¬ ren die arbeitsreiche und mühevolle
ne/Auf dem Zündloch der Kanone/Oh¬ Ausführung überlassen bleibt.
ne Sekundanten paukt - Man ver¬
wendet das Zitat scherzhaft, um gemein¬ Wenn die Rose selbst sich
same Aktionen von Vater und Sohn zu schmückt, schmückt sie auch den
kommentieren. Garten
Dies sind die beiden letzten Verse aus
Wenn dich die bösen Buben lok-
Friedrich Rückerts (1788-1866) Ge¬
ken dicht „Welt und ich“. Es erschien zuerst
Die Warnung vor den „bösen Buben“ in Chamissos und Schwabs „Deutschem
stammt aus der Bibel. In den Sprüchen Musenalmanach“ von 1834 und be¬
Salomos (1,10) heißt es: „Mein Kind, leuchtet Rückerts passive Haltung ge¬
wenn dich die bösen Buben locken, so genüber den Reform- und Freiheitsbe¬
folge nicht.“ Das Wort „Bube“ steht strebungen zu Anfang der dreißiger Jah¬
hier im veralteten Sinne für „gemeiner, re. Der Dichter glaubt, trotz seines
niederträchtiger Mensch“; gewarnt Rückzugs auf sich selbst der Welt auch
wird in der Bibelstelle vor der Gefahr, durch seine apolitischen Gedichte die¬
sich zu Raub und Mord verleiten zu las¬ nen zu können: „Ich will meines Her¬
sen. Die Gründe zur Warnung beim zens Schlag/Für mein Leben brauchen./
Zitieren dieses Bibelwortes sind heute Möge jeder still beglückt/Seiner Freu¬
meist harmloserer Art. den warten!/Wenn die Rose selbst sich
schmückt/Schmückt sie auch den Gar¬
Wenn die Gondeln Trauer tragen ten.“
Das Zitat ist der deutsche Titel des eng¬
lischen Thrillers „Don’t look now“, der Wenn die Waffen sprechen,
nach einer Erzählung von Daphne du schweigen die Gesetze
Maurier im Jahr 1973 mit Julie Christie t Silent Ieges inter arma
und Donald Sutherland in den Haupt¬
rollen gedreht wurde. Darin wird ein T Und wenn die Welt voll Teufel
Ehepaar, das den Tod seiner Tochter wär
psychisch nicht zu bewältigen vermag,
in Venedig in seltsame und bedrohliche Wenn diese schweigen, werden die
Vorgänge verwickelt. Man zitiert den
Steine schreien
Titel meist in Abwandlungen, bei denen
statt „Gondeln“ Personen oder Dinge Beim Einzug Jesu in Jerusalem (Lukas
eingesetzt werden, und weist damit auf 19,29-40) rufen die jubelnden Jünger,
eine schwierige Situation, einen Verlust die Jesus als den kommenden König „in
hin. dem Namen des Herrn“ preisen, den
Unmut einiger Pharisäer hervor. Sie for¬
dern Jesus auf, seine Jünger deswegen
Wenn die Könige bauen, haben
zurechtzuweisen. Jesus gibt den Phari¬
die Kärrner zu tun
säern jedoch zu verstehen, daß die Jün¬
In den im „Musenalmanach für das Jahr ger das Richtige tun und daß die Wahr¬
1797“ abgedruckten „Xenien“ schreibt heit über seine eigene Person und sein
Schiller über den Philosophen Immanu¬ Wirken in jedem Falle geoffenbart wür¬
el Kant: „Wie doch ein einziger Reicher de, auch wenn man den Jüngern ver-
488
Teil I wenn
wehren würde, darüber zu reden. Er tut hat: „Du gehst zu Frauen? Vergiß die
dies mit den Worten in Vers 40: „Wo Peitsche nicht!“
diese werden schweigen, so werden die
Steine schreien.“ Das Jesuswort wird zi¬ Wenn Dummheit weh täte
tiert, wenn mit Nachdruck festgestellt
Wenn sich jemand mit einem abfälligen
werden soll, daß beispielsweise ein Un¬
Kommentar zu törichten oder unge¬
recht so himmelschreiend ist, daß es
reimten Handlungs- und Verhaltenswei¬
entdeckt werden muß, auch wenn dies
sen eines andern äußern möchte, so ge¬
die Verantwortlichen um jeden Preis
schieht dies oft mit diesen Worten. Voll¬
verhindern wollen.
ständig lautet die Redensart: „Wenn
Dummheit weh täte, würde (oder auch
Wenn du eine Rose schaust, sag,
müßte) er den ganzen Tag schreien“.
ich lass’ sie grüßen Die Redensart ist wohl nach dem Sinn¬
Unter der Nummer 6 der Lieder, die gedicht „Torheit“ von Friedrich Frei¬
Heinrich Heine (1797-1856) mit dem herr von Logau (1604-1655), dem be¬
Titel „Neuer Frühling“ im Jahr 1831 deutendsten Epigrammatiker des Ba¬
veröffentlichte, findet sich das zweistro¬ rock, gebildet. Das Sinngedicht lautet:
phige Frühlingsgedicht mit dem Beginn „Wenn Torheit täte weh, o welch er¬
„Leise zieht durch mein Gemüt/Liebli¬ bärmlich Schrei’n/würd’ in der ganzen
ches Geläute“. Die zweite Strophe en¬ Welt in allen Häusern sein!“ Nach dem
det mit den Versen „Wenn du eine Rose Muster dieser Redensart wurden dann
schaust,/Sag, ich lass’ sie grüßen.“ Die noch mehrere ähnlicher Art gebildet,
Mendelssohnsche Vertonung machte z. B.: „Wenn Dummheit klein machen
das Gedicht besonders bekannt. würde, könnte er unter dem Teppich
Rollschuh laufen“.
Wenn du nehmen willst, so gib!
T Mann mit zugeknöpften Taschen Wenn einer eine Reise tut, so kann
er was erzählen
Wenn du zum Weibe gehst, vergiß Das bekannte Zitat steht am Anfang von
die Peitsche nicht! Matthias Claudius’ Gedicht „Urians
Reise um die Welt“ aus dem Jahr 1786.
Dieser von manchen Männern gern zi¬
Der genaue Wortlaut im Gedicht ist:
tierte Ausspruch geht auf Friedrich
„Wenn jemand eine Reise tut,/So kann
Nietzsche(1844-1900)zurück. In seiner
er was verzählen.“ - Man verwendet das
philosophischen Dichtung „Also sprach
Zitat im Zusammenhang mit jemandes
Zarathustra“ wird im Kapitel „Von al¬
Erlebnissen auf einer Reise oder einer
ten und jungen Weiblein“ von der Be¬
ähnlichen Unternehmung.
gegnung Zarathustras mit einem „alten
Weiblein“ berichtet. Dieses fordert den
Weisen auf, auch einmal etwas über die Wenn es Nacht wird in Paris
Frauen zu sagen, und er beginnt seine Das Zitat, das als Anspielung sowohl
Ausführungen mit den Worten „Alles auf das Pariser Nachtleben wie auch auf
am Weibe ist ein Rätsel, und alles am die nächtliche Kriminalität verwendet
Weibe hat eine Lösung: sie heißt wird, ist der Titel eines Schlagers von
Schwangerschaft.“ Im folgenden wird Caterina Valente und zugleich der deut¬
mehrfach auf die Gefährlichkeit der sche Titel des französisch-italienischen
Frau für den Mann hingewiesen („Der Films „Touchez pas au grisbi!“ (eigent¬
Mann fürchte sich vor dem Weibe“) und lich: „Hände weg von den Moneten!“)
darauf, daß die Frau sich unterzuord¬ von Jacques Becker aus dem Jahr 1954.
nen habe („Und gehorchen muß das Das Zitat erfuhr mehrere Abwandlun¬
Weib“). Das „alte Weiblein“ dankt Za¬ gen, z. B. in den Filmtiteln „Wenn es
rathustra für seine Darlegungen und be¬ Nacht wird auf der Reeperbahn“ (1967)
stätigt sie ihm mit einer „kleinen Wahr¬ und „Wenn es Nacht wird in Manhat¬
heit“, die im Original diesen Wortlaut tan“ (1969).
489
wenn Teil I
Wenn es nicht wahr ist, ist es sehr dich liebhabe, was geht’s dich an?“
Goethe gibt in „Dichtung und Wahr¬
gut erfunden
heit“ als Quelle für diese Auffassung
Dieser sentenzhafte Ausspruch drückt
von Liebe Spinozas (1632-1677)
Skepsis und Anerkennung zugleich aus.
„Ethik“ an, wo es heißt: „Wer Gott
Er wird meist dann zitiert, wenn berech¬
recht liebt, muß nicht verlangen, daß
tigter Zweifel am Wahrheitsgehalt einer
Gott ihn wiederliebe“ (4,19).
immerhin wahrscheinlich klingenden,
geschickt vorgetragenen Aussage eines
andern geboten ist. Er stammt aus dem Wenn ich dies Wunder fassen will,
Italienischen und wurde durch das so steht mein Geist vor Ehrfurcht
Werk „Gli eroici furori“ (auf deutsch: still
„Heroische Leidenschaften“) des italie¬
t Mein Verstand steht still
nischen Philosophen Giordano Bruno
(1548-1600) besonders verbreitet
(2. Teil, 3. Dialog). Es lautet auf italie¬ Wenn ich ein Vöglein wär’
nisch: Si non e vero, e molto ben trovato. „Wenn ich ein Vöglein wär/Und auch
zwei Flügel hätt’,/Flög ich zu dir.“ So
Wenn gute Reden sie begleiten, beginnt ein altes Volkslied, dessen Text
dann fließt die Arbeit munter fort Johann Gottfried von Herder erstmals
1778 in seiner Volksliedersammlung
Gemeinschaftliches Arbeiten, das von
veröffentlicht hat. Man zitiert den ersten
einer angeregten Unterhaltung begleitet
Vers gelegentlich, um scherzhaft auszu¬
und sogar dadurch beflügelt werden
drücken, daß man zwar gerne zu jeman¬
kann, wird gelegentlich mit diesem Zitat
dem oder an einen bestimmten Ort ge¬
kommentiert. Es handelt sich dabei um
hen möchte, dies aber auf Grund der
Verse aus Schillers „Lied von der Glok-
sehr großen Entfernung kaum möglich
ke“, das 1799 in Schillers „Musenalma¬
ist.
nach für das Jahr 1800“ erschien. Bei
Schiller ist mit der Arbeit der Glocken¬
guß gemeint: „Zum Werke, das wir Wenn ich nicht Alexander wäre,
ernst bereiten,/Geziemt sich wohl ein möchte ich wohl Diogenes sein
ernstes Wort“. Dieser von dem griechischen Philoso¬
phen Diogenes Laertius überlieferte
t Nichts Bessers weiß ich mir an Ausspruch wird dem Makedonierkönig
Sonn- und Feiertagen, als ein Ge¬ Alexander dem Großen (356-323
spräch von Krieg und Kriegsge¬ v. Chr.) zugeschrieben, dem durch sei¬
schrei, wenn hinten weit in der nen Lehrer Aristoteles eine umfassende
Türkei die Völker aufeinander Bildung zuteil geworden war. Die von
Plutarch überlieferte Form des Aus¬
schlagen
spruchs lautet noch entschiedener:
„Wenn ich nicht Alexander wäre, so
Wenn ich dich liebe, was geht’s würde ich Diogenes sein.“ Mit dem Zi¬
dich an? tat kann zum Beispiel jemand, der viele
In dieser geläufig gewordenen Form zi¬ verantwortungsvolle Ämter bekleidet
tiert Goethe im 14. Buch von „Dichtung oder eine wichtige Stellung im öffentli¬
und Wahrheit“ Philines Worte aus dem chen Leben innehat, zum Ausdruck
Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ bringen, daß er im Grunde auch genau¬
(IV, 9). Auf Wilhelms Aufforderung, ihn sogut ein bedürfnisloses, zurückgezoge¬
zu verlassen, um ihn nicht zu noch mehr nes, kontemplatives Leben führen könn¬
Dank zu verpflichten, entgegnet sie: te. Den beiden Positionen ist gemein¬
„Ich weiß besser, was dir gut ist; ich sam, daß sie in bestimmter Weise den
werde bleiben ... Auf den Dank der gesellschaftlichen Zwängen enthoben
Männer habe ich niemals gerechnet, al¬ sind: auf der einen Seite durch Macht,
so auch auf deinen nicht; und wenn ich Entscheidungsgewalt, auf der anderen
490
Teil I wenn
Seite durch Verzicht auf materielle Din¬ die er glaubt. Faust fertigt seinen Schü¬
ge und Abkehr von der Gesellschaft. ler einmal mehr in diesem Dialog zu¬
rechtweisend ab, indem er ihm bedeutet,
Wenn ich um jedes Ei so kakelte daß die von innen kommende Überzeu¬
Als spöttische, ablehnende Reaktion gungskraft mehr bewirkt als jede äußer¬
auf jemandes übertriebenes Eigenlob liche Redekunst. Zitiert werden die
wird das Zitat aus Heinrich Seidels Worte Fausts meist in einem etwas
(1842-1906) Gedicht „Das Huhn und allgemeineren Sinne, daß nämlich in
der Karpfen“ gelegentlich verwendet: vielen Dingen nicht Berechnung und
„Wenn ich um jedes Ei/So kakelte,/Mi- Verstand entscheidend sind, sondern
rakelte,/Spektakelte,/Was gäb's für ein Gefühl und intuitives Erfassen.
Geschrei!“
Wenn Katelbach kommt
Wenn ich wüßte, daß morgen die
Mit diesem deutschen Titel kam 1966
Welt untergeht, würde ich heute ein im Jahre 1965 gedrehter Film des
noch ein Apfelbäumchen pflanzen polnischen Regisseurs Roman Polanski
Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchten (* 1933) in unsere Kinos. Darin wird ge¬
diese Zeilen als angeblicher Ausspruch schildert, wie ein entflohener Verbre¬
Luthers auf, ohne daß man sie irgendwo cher in ein englisches Inselschloß ein¬
bei ihm belegt gefunden hat. Gottfried dringt und dort auf das Eintreffen des
Benn schrieb 1956 ein Gedicht mit dem Gangsterbosses Katelbach wartet. Und
Titel „Was meinte Luther mit dem erst, „wenn Katelbach kommt“, würde
Apfelbaum?“, und Hoimar von Ditfurth er das Schloß wieder verlassen und auf¬
spielte in einem Buchtitel von 1985 auf hören, die Besitzer zu terrorisieren. Man
den Spruch an: „So laßt uns denn ein zitiert den Filmtitel gelegentlich, wenn
Apfelbäumchen pflanzen!“ man auf ein Ereignis anspielen will, des¬
sen Eintreffen zwar erwartet wird, von
Wenn ihr nicht werdet wie die Kin¬ dem man aber annehmen kann, daß es
der wohl niemals eintritt.
Der Satz stammt aus dem Neuen Testa¬
ment. Darin entgegnet Jesus auf die Fra¬ Wenn man’s so hört, möcht’s leid¬
ge seiner Jünger: „Wer ist doch der lich scheinen
Größte im Himmelreich?“ (Matthäus
Die Antwort, die Faust im 1. Teil der
18,1) mit den Worten: „Wahrlich, ich
Goetheschen Tragödie auf Gretchens
sage euch: Es sei denn, daß ihr euch um¬
Frage gibt, ob er denn an Gott glaube,
kehret und werdet wie die Kinder, so
entspricht nicht ganz deren Vorstellung.
werdet ihr nicht ins Himmelreich kom¬
Und das läßt sie in ihrer Erwiderung
men“ (Matthäus 18,3). - Mit dem Zitat
auch anklingen: „Wenn man’s so hört,
kann man zum Ausdruck bringen, daß
möcht’s leidlich scheinen,/Steht aber
man in bestimmten Situationen versu¬
doch immer schief darum“ (Marthens
chen sollte, sich eine gewisse „kindli¬
Garten). Mit diesem Zitat deutet man
che“ Unbefangenheit oder auch die Be¬
an, daß gegen jemandes Ausführungen
reitschaft zum Staunen und Träumen zu
zwar grundsätzlich nichts einzuwenden
eigen zu machen.
ist, dem eigenen Empfinden nach aber
das Wesentliche, der Kern nicht getrof¬
Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr wer-
fen worden ist.
det’s nicht erjagen
Diese Worte aus Goethes Faust (Teil I,
Wenn Menschen auseinander¬
Nacht) sind an Wagner, den Famulus
gehn, so sagen sie: auf Wiedersehn,
Fausts, gerichtet. Der hat sich im Dialog
mit seinem Lehrer über die Möglichkei¬
ja Wiedersehn!
ten rhetorischer Überredungskunst ge¬ Diese Verse bilden den Schluß des Ge¬
äußert, die er sehr hoch einschätzt, an dichts „Nach altdeutscher Weise“ von
491
wenn Teil I
Ernst Freiherr von Feuchtersieben des weiß sehr wohl, wie er dieses Unge¬
(1806-1849) mit den Anfangsversen: stüm zu bewerten hat: „Wenn sich der
„Es ist bestimmt in Gottes Rat,/Daß Most auch ganz absurd gebärdet,/Es
man, was man am liebsten hat,/Muß gibt zuletzt doch noch ’nen Wein.“ Heu¬
meiden“, bekannter mit der Textände¬ te wird das Zitat verwendet, wenn man
rung in Felix Mendelssohns Vertonung: ausdrücken will, daß die Vehemenz, mit
Daß man vom Liebsten, was man der jemand zunächst auftritt, im Laufe
hat,/Muß scheiden“. Der Melancholie der Zeit an Kraft und Schwung verliert
des Abschieds mit den Gedanken an und dann leichter zu kanalisieren ist.
Vergänglichkeit und Tod in den Mittel¬
strophen wird plötzlich Einhalt gebo¬ Wenn sie kein Brot haben, sollen
ten: „Nur mußt du mich auch recht ver¬ sie doch Kuchen essen
stehn!“, und es schließt sich der tröstli¬
Königin Marie Antoinette (1755-1793),
che Hinweis auf das Wiedersehen an.
die Frau König Ludwigs XVI., war beim
französischen Volk wegen ihrer Ver¬
schwendungssucht und ihres Standes¬
Wenn mir was Menschliches be¬ dünkels verhaßt. Ihr wird dieser Aus¬
gegnet spruch zugeschrieben. Es soll ihre Reak¬
Als Wilhelm Teil sich in der ersten Sze¬ tion auf die Nachricht gewesen sein,
ne von Schillers Schauspiel anschickt, daß beim Volk Brotmangel herrsche.
den verfolgten Baumgarten trotz Sturm Die zynischen Worte, im französischen
und Wellengang über den Vierwaldstät¬ Original: S’ils n'ont pas de pain, qu’ils
ter See zu rudern, bittet er den Hirten mangent de la brioche, werden auch heu¬
Kuoni: „Landsmann, tröstet ihr/Mein te noch zitiert, um z. B. ironisch auf so¬
Weib, wenn mir was Menschliches be¬ ziale Mißstände hinzuweisen oder um
gegnet.“ Teil meint damit, daß er in den die Entfremdung der Herrschenden
Wellen des Sees den Tod finden könnte; vom Volk zu charakterisieren.
das Zitat wird dagegen scherzhaft auf
wesentlich Harmloseres bezogen: Man t Und wenn sie nicht gestorben
sagt, daß jemandem „etwas Menschli¬ sind, so leben sie noch heute
ches begegnet“ sei, wenn jemand (be¬
sonders ein Kind) ungewollt eine Blä¬
Wenn süß das Mondlicht auf den
hung hat abgehen lassen oder sich die
Hügeln schläft
Hosen vollgemacht hat.
Der deutsche Spielfilm „Morgens um
sieben ist die Welt noch in Ordnung“
(siehe diesen Artikel) über das heiter¬
Wenn sich der Most auch ganz ab¬
komische Alltagsleben der Schriftstel¬
surd gebärdet, es gibt zuletzt doch lerfamilie Pentecost erhielt eine Fortset¬
noch ’nen Wein zung, die 1969 unter diesem Titel in die
Zu Beginn des 2. Aktes im 2. Teil von Kinos kam. Zugrunde lag wieder ein
Goethes Faust trifft Mephisto, als Pro¬ Roman von Eric L. Malpass (englischer
fessor verkleidet, in der Szene „Hochge¬ Originaltitel: „At the height of noon“;
wölbtes, enges gotisches Zimmer“ wie¬ 1967). Der Filmtitel geht auf Shake¬
der auf den Schüler aus der Studierzim¬ speares „Kaufmann von Venedig“ zu¬
merszene. Dieser hat jetzt den untersten rück, wo Lorenzo im 5. Akt sagt: „Wie
akademischen Grad des Bakkalaureus süß das Mondlicht auf den Hügeln
erlangt. Ungehalten läßt er eine schläft!“ (im englischen Original: How
Schimpfkanonade auf Lehrer und uni¬ sweet the moonlight sleeps upon this
versitären Lehrbetrieb los (vergleiche bank!). Man zitiert ihn, wenn man in
dazu „Im Deutschen lügt man, wenn einem poetischen Bilde andeuten will,
man höflich ist“) und geht dann im daß etwas während der ruhigsten Stun¬
Vollbewußtsein seiner jugendlichen den der Nacht geschieht oder geschehen
Himmelsstürmerkraft ab. Mephisto in¬ ist.
492
Teil I wer
Wenn wir alle Engel wären t Doch wer bei schöner Schnitt’rin
Dieser Titel eines 1936 erschienenen steht, dem mag man lange winken
Romans von Heinrich Spoerl (1887 bis
1955), der im gleichen Jahr auch mit
Heinz Rühmann verfilmt wurde, wird Wer besitzt, der lerne verlieren
noch heute gerne zitiert, wenn es gilt, In Schillers Trauerspiel „Die Braut von
unsere menschlichen Schwächen zu ent¬ Messina“ (Uraufführung 1803) kündigt
schuldigen. der Chor mit den Worten „Nicht an die
Güter hänge dein Herz,/Die das Leben
Wenn zwei dasselbe tun, so ist es vergänglich zieren!/Wer besitzt, der ler¬
ne verlieren,/Wer im Glück ist, der lerne
nicht dasselbe
den Schmerz.“ kommendes Unglück
Quelle für diese Redensart ist ein Stück
und Leid an (IV, 4). Auf solche Schick¬
des römischen Komödiendichters Te-
salsschläge aber sind die Handelnden
renz (190-159 v. Chr.) mit dem Titel
auf der Bühne innerlich nicht vorberei¬
„Adelphoe“ (deutsch: „Die Brüder“). tet, und die meisten Menschen im wirk¬
Der lateinische Wortlaut ist: Duo cum lichen Leben sind es auch nicht. Daher
faciunt idem, non est idem. Das Zitat ist die Mahnung, daß man sich gerade
eine Verkürzung des in dem Terenz- dann, wenn man sich sorgenfrei und un¬
stück ausgedrückten Gedankens. Dort beschwert glaubt, daran erinnern soll,
heißt es: Duo, cum idem faciunt, .../Hoc wie schnell das Glück zerstört werden
licet impune facere huic, illi non licet kann. Diesen Gedanken hatte Schiller
(deutsch: „Wenn zwei dasselbe tun,... so schon früher in seiner Ballade „Der
darf der eine es ungestraft tun, der ande¬ Ring des Polykrates“ (1797) in ähnli¬
re nicht“). - Die Redensart besagt, daß cher Form formuliert: „Drum, willst du
es nicht auf die Handlung allein an¬ dich vor Leid bewahren,/So flehe zu
kommt, sondern auch darauf, wer sie den Unsichtbaren,/Daß sie zum Glück
aus welchen Motiven ausführt. den Schmerz verleihn./Noch keinen sah
ich fröhlich enden,/Auf den mit immer
Wenn’s der Wahrheitsfindung vollen Händen/Die Götter ihre Gaben
dient streun.“
493
wer Teil I
Wer darf ihn nennen? Wer die Wahrheit kennet und saget
Dieses kurze Zitat dient gelegentlich als sie nicht, der bleibt ein ehrlos er¬
ausweichende Antwort auf eine Frage bärmlicher Wicht
nach einer Person oder einem bestimm¬ Die beiden Verse stammen aus einem
ten Sachverhalt, die man nicht beant¬ Lied mit der Überschrift „Zum Wart¬
worten möchte. Das Zitat stammt aus burgfest 1817“, das man heute noch in
dem ersten Teil von Goethes Faust studentischen Kommersbüchern findet.
(Marthens Garten) und ist Teil der Ant¬ Der Verfasser des Liedes ist der Schrift¬
wort, die Faust im Gespräch mit Gret- steller Daniel August von Binzer
chen auf die berühmte Frage nach sei¬ (1793-1868). Die sechste Strophe lau¬
nem Verhältnis zur Religion („Gret¬ tet: „Stoßt an! Freies Wort lebe! Hurra
chenfrage“) gibt: „Wer darf ihn nen¬ hoch! Wer die Wahrheit kennet und sa¬
nen ?/Und wer bekennen :/Ich glaub get sie nicht, der bleibt ein ehrlos er¬
ihn?/Wer empfinden/Und sich unter¬ bärmlicher Wicht.“ Eine ähnliche Text¬
winden,/Zu sagen: Ich glaub ihn stelle wird auch gelegentlich aus Bertolt
nicht?“ Brechts „Leben des Galilei“ zitiert, wo
es heißt „Wer die Wahrheit nicht weiß,
Wer das Scheiden hat erfunden, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer
sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist
hat an Lieben nicht gedacht
ein Verbrecher!“
Das Thema des Scheidens, Abschied¬
nehmens, Sichtrennenmüssens ist ein
Wer ein holdes Weib errungen,
immer wiederkehrendes, oft variiertes
mische seinen Jubel ein!
Motiv im Volkslied. Der Trennungs¬
schmerz der Liebenden spielt dabei Bei Hochzeits- oder Verlobungsfeiern
natürlich eine besondere Rolle. Ein o. ä. ist dieses Zitat in scherzhafter Ab¬
Beispiel dafür sind diese ersten beiden sicht sicherlich schon oft verwendet
Zeilen eines sehr populär gewordenen worden. Es handelt sich dabei um zwei
Liedes vom Ende des 19. Jahrhunderts, Zeilen aus dem berühmten Gedicht „An
dessen Verfasser unbekannt ist. die Freude“ von Schiller (1785). Das
Gedicht wurde mehrfach vertont. Be¬
sonders bekannt aber wurde es dadurch,
t Denn wer den Besten seiner Zeit daß es Ludwig van Beethoven im Finale
genug getan, der hat gelebt für alle des letzten Satzes seiner 9. Symphonie
Zeiten (1823) verwendet hat. In der leicht ver¬
änderten Form „Wer ein solches Weib
errungen/Stimm’ in unsern Jubel ein“
Wer den Dichter will verstehen
tauchen die Verse auch in dem hymni¬
Goethes „Noten zum Westöstlichen Di¬
schen Lobpreis treuer Liebe am Ende
wan“ beginnen mit dem Motto: „Wer
von Beethovens Oper „Fidelio“ auf.
das Dichten will verstehen,/Muß ins
Land der Dichtung gehen ;/Wer den
Wer ein Liebchen hat gefunden
Dichter will verstehen,/Muß in Dichters
Lande gehen.“ Das Zitat „Wer den Dieser Vers bildet mit der folgenden
Dichter will verstehen“ wird gebraucht, Zeile „Die es treu und redlich meint“
wenn die Bedeutung des persönlichen den Anfang des Auftrittsliedes des Auf¬
Umfelds eines Dichters für sein Werk sehers Osmin aus Mozarts (1756-1791)
hervorgehoben werden soll. Allgemein Singspiel „Die Entführung aus dem Se¬
wird damit auch zum Ausdruck ge¬ rail“ (Text von Christoph Friedrich
bracht, daß sich manches aus der Ferne Bretzner). Osmin reflektiert über die
oft nur unvollkommen beurteilen läßt. Schwierigkeit, eine treue Geliebte zu
finden (und besonders sich zu erhalten),
und in entsprechenden Zusammenhän¬
T Der ist in tiefster Seele treu, wer gen wird der Vers noch gelegentlich
die Heimat liebt wie du zitiert.
494
Teil I wer
Wer einmal aus dem Blechnapf eingesetzt zu haben, ohne an seine eige¬
frißt ne Familie zu denken. Heute wird dieses
Zitat als Aufforderung verwendet, not¬
Der 1934 erschienene Roman von Hans
wendige Arbeiten oder Entscheidungen
Fallada mit diesem Titel erzählt die Ge¬
nicht durch allzu langes Überlegen hin¬
schichte eines entlassenen Strafgefange¬
auszuzögern.
nen, dem es nicht gelingt, sich wieder in
die Gesellschaft einzugliedern. - Das
Zitat gibt der Überzeugung Ausdruck,
Wer Gott, dem Allerhöchsten,
daß ein Mensch, der einmal aus der bür¬ traut, der hat auf keinen Sand ge¬
gerlichen Ordnung herausgefallen ist, es baut
sehr schwer hat, sich von diesem Makel t Wer nur den lieben Gott läßt walten
zu befreien, daß er nur schwer in der
Gesellschaft wieder Fuß fassen kann. Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
Bei diesem Zitat handelt es sich um die
Wer es fassen kann, der fasse es! wörtliche Übersetzung des Titels eines
Das als Kommentar zu etwas schwer Schauspiels von Edward Albee (* 1928)
Begreiflichem verwendete Zitat steht im aus dem Jahr 1962, das im Original
Neuen Testament, wo Jesus zu seinen Who's Afraid of Virginia Woolf? lautet
Jüngern über die Ehelosigkeit spricht: und unter dem gleichen Titel 1965 ver¬
„Denn es sind etliche verschnitten, die filmt wurde. Der Name der Schriftstel¬
sind aus Mutterleibe also geboren; und lerin steht für die emanzipierte Frau und
sind etliche verschnitten, die von Men¬ für die literarische Technik des inneren
schen verschnitten sind; und sind etli¬ Monologs; der Titel ist aber zugleich ei¬
che verschnitten, die sich selbst ver¬ ne Parodie auf das Kinderlied Who is
schnitten haben um des Himmelreichs afraid of the big bad wolf? („Wer hat
willen. Wer es fassen kann, der fasse Angst vor dem bösen Wolf?“). So wird
es!“ (Matthäus 19,12). der Titel des Stücks im Sinne der rheto¬
rischen Frage des Kinderspiels „Wer
Wer fertig ist, dem ist nichts recht fürchtet sich vorm schwarzen Mann?“
zu machen zitiert.
Dieser Vers stammt aus dem „Vorspiel
auf dem Theater“ im ersten Teil von
Wer hat denn den Käse zum Bahn¬
Goethes Faust. Man hält ihn gerne ei¬ hof gerollt?
nem Menschen entgegen, der eine große Mit dieser umgangssprachlich scherz¬
Lebens- oder Berufserfahrung erlangt haften Frage will man wissen, wer etwas
hat und anderen gegenüber nur noch getan oder verursacht hat. Sie ist der
kritisch eingestellt ist. Aber nur dem, Titel eines Schlagers von F. Strassmann
der sich selbst kritisch einzuschätzen aus dem Jahre 1926.
weiß, dem wohnt auch die Fähigkeit in-
ne, noch hinzuzulernen. Das drückt Wer hat dich, du schöner Wald
dann auch der unmittelbar folgende Mit den Zeilen „Wer hat dich du schö¬
Vers aus: „Ein Werdender wird immer ner Wald,/Aufgebaut so hoch da dro¬
dankbar sein.“ Oder wie es Friedrich ben?“ beginnt Joseph von Eichendorffs
Hebbel (1813-1863) ausgedrückt hat: Gedicht „Der Jäger Abschied“ aus sei¬
„Das Leben ist ein ewiges Werden. Sich nem Roman „Ahnung und Gegenwart“.
für geworden halten heißt sich töten.“ Felix Mendelssohn Bartholdy hat das
Gedicht vertont und ihm damit zusätz¬
Wer gar zu viel bedenkt, wird we¬ lich Popularität verliehen. Man zitiert
nig leisten die beiden Zeilen (oft auch nur die er¬
Mit diesen Worten aus Schillers „Wil¬ ste) als Ausdruck der Ergriffenheit oder
helm Teil“ (III, 1) begegnet Teil seiner der Freude bei einem entsprechenden
Frau Hedwig, die ihm vorhält, bei einer Natur- bzw. Landschaftserlebnis. Im
riskanten Rettungsaktion sein Leben Zeitalter des Waldsterbens kann das
495
wer Teil I
Zitat auch ironisch oder als Anklage ken,/Das nicht die Vorwelt schon ge¬
verwendet werden. dacht?“ - Mit dem Zitat bringt man
resignierend zum Ausdruck, daß man
Wer im Glück ist, der lerne den etwas irrtümlich für originell gehalten
Schmerz hat, daß es kaum noch etwas Originelles
gibt.
tWer besitzt, der lerne verlieren
Wer mit dem Leben spielt, kommt
Wer immer strebend sich bemüht
nie zurecht
ln Goethes Faust II (V, Bergschluchten,
Wald, Fels, Einöde) verkünden Engel t Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt
die Erlösungsformel für Fausts Un¬ immer Knecht
sterbliches, das sie schwebend in der hö¬
heren Atmosphäre tragen: „Wer immer Wer nicht arbeitet, soll auch nicht
strebend sich bemüht,/Den können wir essen
erlösen.“ Hinzu kommt hier allerdings Es handelt sich hier um die sprichwört¬
noch die göttliche Liebe: „Und hat an lich gewordene Form eines Bibelzitats
ihm die Liebe gar/Von oben teilgenom¬ aus dem Neuen Testament. Im 2. Brief
men,/Begegnet ihm die selige Schar/Mit an die Thessalonicher (Kapitel 3, Vers
herzlichem Willkommen.“ Der erste 10) hält der Apostel Paulus die Gemein¬
Vers des Zitats wird leicht scherzhaft de zur Arbeit an: „... wenn jemand nicht
oder ironisch für jemandes stetes, aber will arbeiten, der soll auch nicht essen“,
vielleicht nicht von Erfolg gekröntes Be¬ womit auch er schon meint, daß man
mühen verwendet. selbst für sich sorgen und andern nicht
zur Last fallen solle. Gelegentlich
Wer jetzt kein Flaus hat, baut sich kommt es auch zu der scherzhaften Ab¬
keines mehr wandlung: „Wer nicht arbeitet, soll we¬
Dies ist eine Zeile aus Rainer Maria Ril¬ nigstens gut essen“, wenn man sich an
kes (1875-1926) Gedicht „Herbsttag“. den gedeckten Tisch setzt.
Man zitiert sie, wenn eine Frist verstri¬
chen ist, wenn jemand etwas nicht er¬ Wer nicht liebt Wein, Weib und
reicht hat, was jetzt nicht mehr zu errei¬ Gesang
chen ist. Seit alters her gelten Wein, Weib und
Gesang als Symbole des Vergnügens,
Wer kann was Dummes, wer was der Freude am Leben. Entsprechend
Kluges denken, das nicht die Vor¬ wird mit dem Zitat ein gewisses Unver¬
welt schon gedacht? ständnis und Bedauern darüber zum
Diese Einsicht verkündet Mephisto im Ausdruck gebracht, daß manche die an¬
zweiten Teil von Goethes Faust (2. Akt, genehmen Seiten des weltlichen Lebens
Hochgewölbtes, enges gotisches Zim¬ nicht zu schätzen und zu genießen wis¬
mer). Er äußert sie in ironischem Ton sen. Das Zitat soll von Johann Heinrich
nach seiner Begegnung mit dem Bacca- Voß (1751-1826) stammen. In Matthias
laureus, dem „Schüler“ aus der Studier¬ Claudius’ Wandsbecker Boten (1775)
zimmerszene des ersten Teils der Dich¬ wird es Martin Luther zugeschrieben:
tung, der ihm erfüllt von jugendlichem „Wer nicht liebt Wein, Weib und Ge¬
Tatendrang entgegengetreten war. Mit sang/Der bleibt ein Narr sein Leben
den folgenden Worten beendet der Bac- lang./Sagt Doktor Martin Luther.“
calaureus seinen Auftritt: „Ich ... wand-
le rasch, im eigensten Entzücken,/Das Wer nicht mit mir ist, der ist wider
Helle vor mir, Finsternis im Rücken.“ mich
Mephisto spricht darauf: „Original, Dieses Diktum aus dem Munde Jesu
fahr’ hin in deiner Pracht! -/Wie würde findet man im Neuen Testament bei
dich die Einsicht kränken:/Wer kann Matthäus (12,30) und Lukas (11,23). -
was Dummes, wer was Kluges den¬ Man verwendet es, um ganz entschieden
496
Teil I wer
497
wer Teil I
die Schaffenskraft steigert, ist in diesem Wer sich entschuldigt, klagt sich
sentenzhaften Ausspruch zusammenge¬ an
faßt. Es handelt sich dabei um eine Zei¬
t Qui s’excuse, s’accuse
le aus einem zweistrophigen Spruchge¬
dicht von Theodor Fontane (1819 bis
Wer sich in Gefahr begibt, kommt
1898). Diese Zeile schließt die erste
Strophe als eine Art Fazit in folgender
darin um
Weise ab: „Du wirst es nie zu Tüchtgem Diese sprichwörtliche Redensart Findet
bringen/Bei deines Grames Träumerei¬ sich in ähnlicher Form auch an einer
en/Die Tränen lassen nichts gelingen: Stelle im alttestamentlichen apokry¬
Wer schaffen will, muß fröhlich sein.“ phen Buch Jesus Sirach, wo vor Anma¬
ßung und Vermessenheit gewarnt wird.
Es heißt dort (3,27-28): „Denn wer sich
Wer schmeißt denn da mit Lehm? gern in Gefahr gibt, der verdirbt darin;
Diese Frage stellt Claire Waldoff und einem vermessenen Menschen
(1884-1957), die bekannte Berliner Ka¬ geht’s endlich übel aus.“
barettistin, in einem von ihr selbst getex¬
teten und komponierten Lied. „Wer Wer sich nicht selbst befiehlt,
schmeißt denn da mit Lehm?/Der bleibt immer Knecht
sollte sich was schäm’n,/Der sollte doch Dieses Zitat stammt aus Goethes „Zah¬
was anders nehm’n/Als ausgerechnet men Xenien“ (VIII). Dort heißt es
Lehm“ ist der Refrain des Liedes, in vollständig: „Wer mit dem Leben
dem sie sich gegen die Unfreundlichkeit spielt,/Kommt nie zurecht;/Wer sich
und Gereiztheit der Menschen im Um¬ nicht selbst befiehlt,/Bleibt immer
gang miteinander wendet. Die erste Knecht“. Damit ist gemeint, daß man
Strophe des Liedes lautet: „Die Men¬ Abhängigkeiten überwinden und sein
schen heutzutage, die sind alle so ner¬
Schicksal besser gestalten kann, wenn
vös./Über jede kleine Kleinigkeit da man sich selbst in die Pflicht nimmt und
werden se giftig bös./Schimpft einer
bereit ist, Verantwortung zu tragen.
auf den andern, dann sing’ ich voll
Humor,/damit er nicht mehr schimpfen
Wer sich nicht selbst zum besten
soll, mein kleines Liedchen vor: ..." -
haben kann, der ist gewiß nicht von
Mit dem Zitat fragt man scherzhaft nach
jemandem, der sich in irgendeiner Wei¬ den Besten
se unangenehm bemerkbar gemacht hat. Wer von seiner eigenen Unfehlbarkeit
überzeugt und zu keiner Selbstkritik fä¬
hig ist, wie sollte der gar über sich selbst
Wer schweigt, scheint zuzustim¬ lachen können? Von einem solchen
men Menschen ist auch kaum Nachsicht den
t Qui tacet, consentire videtur Fehlern andrer gegenüber zu erwarten,
und man kritisiert ihn zu Recht mit die¬
sen Zeilen, die aus Goethes epigramma¬
Wer sich der Einsamkeit ergibt, tischem Gedicht „Meine Wahl“ stam¬
ach, der ist bald allein men.
Im 13. Kapitel des 2. Buches von Goe¬
thes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ Wer sich selbst erhöht, der wird er¬
singt der Harfenspieler - eine mit ge¬ niedrigt
heimnisvoller Schuld beladene Ge¬ Oft schon ist jemandem, der durch
stalt - auf Wilhelms Bitte hin ein Lied, selbstgefällige Reden, durch allzu ehr¬
das mit diesen Worten beginnt. Sie wer¬ geizige Pläne o. ä. auf sich aufmerksam
den gewöhnlich als Mahnung zitiert, gemacht hat, diese Mahnung zuteil ge¬
sich nicht abzukapseln, sich um Kon¬ worden. Sie ist biblischen Ursprungs
takte mit anderen Menschen zu bemü¬ und findet sich in unterschiedlicher
hen. Form an verschiedenen Stellen der Bi-
498
Teil I wer
bei. Die bekanntesten sind sicher die bei Wer wagt es, Rittersmann oder
Matthäus 23,12, wo Jesus diese warnen¬ Knapp’?
den Worte in einer Strafpredigt gegen
Diese Frage stellt der König am Beginn
die Pharisäer und Schriftgelehrten aus¬
von Schillers Ballade „Der Taucher“
spricht, und die bei Lukas 18,14, wo die
aus dem Jahr 1797. „Wer wagt es, Rit¬
Warnung in derselben Formulierung im
tersmann oder Knapp’,/zu tauchen in
Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöll¬
diesen Schlund?/Einen goldnen Becher
ner vorkommt, ln etwas anderer Formu¬
werf ich hinab,/Verschlungen schon
lierung wird derselbe Gedanke bereits
hat ihn der schwarze Mund./Wer mir
im Alten Testament ausgesprochen. Bei
den Becher kann wieder zeigen,/Er mag
Hesekiel 21,31 verkündet „der Herr“
ihn behalten, er ist sein eigen.“ ln dem
dem „König in Israel“: „Tue weg den
vielstrophigen Gedicht wird erzählt, wie
Hut und hebe ab die Krone! Denn es
es einer aus der Schar der Knappen
wird weder der Hut noch die Krone
wagt, in den Strudel zu tauchen. Als er
bleiben; sondern der sich erhöht hat,
den Becher aus der Tiefe zurückbringt
soll erniedrigt werden und der sich er¬
und auf des Königs Geheiß ein zweites
niedrigt, soll erhöht werden.“
Mal nach ihm taucht mit dem Verspre¬
chen, als Lohn die Königstochter zur
Wer soll das bezahlen? Gemahlin zu bekommen, kehrt er nicht
Dieser Stoßseufzer angesichts hoher mehr zurück. - Man verwendet das Zi¬
Rechnungen oder Schulden, der wohl tat meist scherzhaft (auch in der abge¬
nie an Aktualität verlieren wird, geht wandelten Nonsensform „Wer wagt es,
auf einen rheinischen Karnevalsschla¬ Knappersmann oder Ritt?“), um einen
ger aus dem Jahre 1949 (Text: K. Feltz Freiwilligen für eine bestimmte, viel¬
und W. Stein, Musik: J. Schmitz) zurück. leicht nicht ganz ungefährliche Aufgabe
Die Stelle lautet vollständig: „Wer soll zu finden.
das bezahlen, wer hat das bestellt, wer
hat soviel Pinkepinke, wer hat soviel
Geld?“ Wer weiß, wie nahe mir mein Ende
Ein evangelisches Kirchenlied (Evange¬
Es ist ein t Brauch von alters her: lisches Kirchengesangbuch Nr. 331),
das der thüringischen Reichsgräfin
Wer Sorgen hat, hat auch Likör!
Ämilie Juliane von Schwarzburg-Ru-
dolstadt (1637-1706) zugeschrieben
Wer vieles bringt, wird manchem wird, beginnt mit den Worten: „Wer
etwas bringen weiß, wie nahe mir mein Ende!/Hin
Im „Vorspiel auf dem Theater“ zu Goe¬ geht die Zeit, her kommt der Tod." Der
thes Faust spricht der „Direktor“ diese Liedanfang wird gewöhnlich zitiert,
Worte zum „Theaterkritiker“. Er will wenn man darauf hinweisen will, daß
diesem klarmachen, daß es bei Dichtun¬ das Leben nicht ewig währt, daß nie¬
gen für das Theater in erster Linie auf mand den Zeitpunkt seines Todes
die Publikumswirksamkeit ankommt, kennt.
eine Meinung, die der Dichter natürlich
keineswegs teilen kann. Der Ausspruch
des Theaterdirektors wird meist zitiert,
Wer will denn alles gleich ergrün¬
um darauf hinzuweisen, daß bei einem den!
reichen, vielfältigen Angebot jeder et¬ Dieser an einen Ungeduldigen gerichte¬
was Finden kann, was ihm zusagt. Gele¬ te beschwichtigende Ausruf ist die erste
gentlich wird er aber auch als ironische Zeile eines epigrammatischen Spruchs
Anspielung verwendet, wenn man ei¬ von Goethe. Der Spruch trägt den Titel
gentlich ausdrücken will, daß die Masse „Kommt Zeit, kommt Rat“ und lautet:
allein nicht ausschlaggebend sein darf, „Wer will denn alles gleich ergründen!
sondern daß die Qualität eine wichtige Sobald der Schnee schmilzt, wird sich’s
Rolle spielt. finden.“
499
wer Teil I
500
Teil I wer’s
501
wes Teil I
502
Teil I wie
gekehrt) schließen kann. Die Redensart Tag des Herrn wird kommen, wie ein
findet sich in ähnlicher Form schon im Dieb in der Nacht." Damit soll ausge¬
Roman „Satyricon“ des römischen drückt werden, daß dieses unvorherseh¬
Schriftstellers Petronius (+66 n. Chr.), bare Ereignis im stillen und unverhofft
wo es in der parodistischen Einlage eintreten wird. Wenn jemand in ähnli¬
„Das Gastmahl des Trimalchion“ heißt: cher Weise, also unbemerkt, überra¬
Qualis dominus, talis et servus („Wie der schend, unvorhergesehen, gehandelt
Herr, so [ist] auch der Knecht“). hat, wird kommentierend das Zitat „wie
ein Dieb in der Nacht“ verwendet.
Wie der Hirsch schreit nach fri¬
schem Wasser Wie ein Mann
Der Vergleich stammt aus dem 42. Die Redewendung mit der Bedeutung
Psalm der Bibel, der das heftige Verlan¬ „ganz spontan, einmütig, geschlossen“
gen des Menschen nach Gott zum Inhalt kommt besonders häufig im alttesta-
hat. „Wie der Hirsch schreit nach fri¬ mentlichen Buch der Richter, Kapitel 20
schem Wasser, so schreit meine Seele, vor. Es heißt dort in Vers 1: „Da zogen
Gott, zu dir“ (Psalm 42,2). - Man ver¬ die Kinder Israel aus und versammelten
wendet das Zitat scherzhaft, um jeman¬ sich zuhauf wie ein Mann“, Vers 8: „Da
des starkes Verlangen nach etwas zu machte sich alles Volk auf wie ein
charakterisieren. Mann“, Vers 11: „Also versammelten
sich zu der Stadt alle Männer Israels,
wie ein Mann verbunden.“
Wie die Orgelpfeifen
Wenn mehrere Personen sich der Größe Wie eine Träne im Ozean
nach nebeneinander oder hintereinan¬
Die unter diesem Titel 1961 als deutsche
der aufgestellt haben, so sagt man, daß
Gesamtausgabe herausgegebene biogra¬
sie dastehen „wie die Orgelpfeifen“.
phisch-politische Romantrilogie ist
Auch über eine kinderreiche Familie wohl das bekannteste Werk des franzö¬
mit Nachkömmlingen in jeder Größe
sischen Schriftstellers österreichischer
kann man die Bemerkung hören, sie Herkunft Manes Sperber (1905-1984).
habe Kinder „wie die Orgelpfeifen“. Der Autor greift damit das häufig be¬
Zugrunde liegt hier die Vorstellung nutzte Bild vom Tropfen im Meer auf,
eines Orgelprospektes, also der Schau¬ eine Metapher für das Sichverlieren und
seite einer Orgel, der dem Betrachter die Untergehen von etwas Kleinem, zu we¬
Orgelpfeifen in der Größe abgestuft ne¬ nig Macht Besitzendem in einer stärke¬
beneinander und hintereinander ange¬ ren, aber konturlosen Masse. In diesem
ordnet zeigt. Dieses Bild verwendet Sinne wird der Titel als Zitat, besonders
schon der Satiriker und Publizist Jo¬ auf den aussichtslosen Kampf eines ein¬
hann Fischart (um 1546-um 1590) in zelnen gegen eine übermächtig schei¬
seinem Hautpwerk (vergleiche den Arti¬ nende Ideologie bezogen, verwendet.
kel „Geschichtsklitterung“). Dort heißt
es im 5. Kapitel, das von Ehe und Fami¬ Wie einst im Mai
liengründung handelt, von den Müt¬
Die Redewendung mit der Bedeutung
tern: „Da stellen sie jre zucht umb den
„wie früher, wie einst in glücklicheren
Tisch staffeis weiß wie die Orgelpfeif-
Tagen“ stammt aus dem Gedicht „Aller¬
fen, die kann der Vatter mit der Ruten
seelen“ von Hermann von Gilm
pfeiffen machen wann er will, on blas¬
(1812-1864), das besonders durch die
bälg tretten.“
Vertonung von Richard Strauss bekannt
wurde. Der Kehrreim des dreistrophi-
Wie ein Dieb in der Nacht gen Liedes ist Ausdruck der Sehnsucht,
Dieser Vergleich stammt aus Paulus’ 1. eine Liebe wieder zum Leben zu erwek-
Brief an die Thessalonicher (5, 2) im ken. - Eine weitere Popularisierung er¬
Neuen Testament, in dem es heißt: fuhr das Zitat als Titel einer 1913 ent¬
„Denn ihr selbst wisset gewiß, daß der standenen „Posse mit Gesang“, deren
503
wie Teil I
504
Teil I wie
505
12 Duden 12
wie Teil I
er aufhörte zu zählen; denn man konnte bringen will, daß sich bestimmte Vor¬
es nicht zählen.“ gänge oder Situationen ähnlich sind,
daß Parallelen unverkennbar sind.
Wie Schuppen von den Augen
fallen
Wie sich Verdienst und Glück ver¬
Die Redewendung, mit der man eine ketten, das fällt den Toren niemals
plötzliche Erkenntnis umschreibt, geht
ein
auf eine Stelle im Neuen Testament
(Apostelgeschichte 9,18) zurück. Nach Das Zitat, das das Glück zu einem Teil
der Erscheinung von Damaskus war als Verdienst erklärt, findet sich in Goe¬
Paulus drei Tage blind; über seine Hei¬ thes Faust II, in einer der Szenen der
lung durch Ananias heißt es: „Und also- „Kaiserlichen Pfalz“ aus dem 1. Akt.
bald fiel es von seinen Augen wie Die Verse sind Mephistos Kommentar
Schuppen, und er ward wieder sehend.“ zu dem Wahn des Hofes, sich ohne eige¬
Bestimmte Augenkrankheiten wurden ne Arbeit durch das Finden von Schät¬
früher mit Schuppen verglichen, die die zen sanieren zu können. Schon in Ari¬
Augen bedecken. stoteles’ (384-322 v. Chr.) „Nikomachi-
scher Ethik“ (VT, 4,5) heißt es, daß
Können das Glück und Glück das Kön¬
Wie seinen Augapfel hüten
nen begleite.
Die Redewendung „jemanden oder et¬
was wie seinen Augapfel hüten“ mit der
Bedeutung „jemanden oder etwas be¬ Wie Spreu im Winde
sonders sorgsam behüten, schützen“ ist Diesen Vergleich wendet man auf etwas
biblischen Ursprungs. Im Alten Testa¬ Vergängliches, auf menschliche Äuße¬
ment heißt es im „Lied Moses“: „Er rungen oder Verhaltensweisen oder auf
(= Gott) umfing ihn ( = Jakob, den Erz¬ den Menschen selbst an. Er hat seinen
vater der Stämme Israels) und hatte acht Ursprung im Alten Testament. Darin
auf ihn; er behütete ihn wie seinen Aug¬ setzt sich Hiob mit seinen Freunden
apfel“ (5. Moses 32,10). Im Psalm 17 be¬ über die Frage nach Gottes ausgleichen¬
tet König David: „Behüte mich wie ei¬
der Gerechtigkeit gegenüber den Gott¬
nen Augapfel im Auge, beschirme mich
losen auseinander. Dort heißt es; „Wie
unter dem Schatten deiner Flügel vor
oft geschieht’s denn, daß die Leuchte
den Gottlosen, die mich verstören, vor
der Gottlosen verlischt und ihr Unglück
meinen Feinden, die um und um nach
über sie kommt, daß er Herzeleid über
meiner Seele stehen“ (Vers 8 und 9).
sie austeilt in seinem Zorn, daß sie wer¬
den wie Stoppeln vor dem Winde und
Wie sich die Bilder gleichen wie Spreu, die der Sturmwind weg¬
Mit diesen Worten beginnt im 1. Akt führt?“ (Hiob 21,17 f.). Der Vergleich
von Giacomo Puccinis (1858-1924) findet sich auch im ersten Psalm Da¬
Oper „Tosca“ (deutsche Uraufführung vids, Vers 4: „Aber so sind die Gottlosen
1902 in Dresden) die Arie des Mario Ca- nicht, sondern wie Spreu, die der Wind
varadossi. Dieser arbeitet als Maler in verstreut“ und im Psalm 35, Vers 5, wo
einer Kirche an einem Bild der büßen¬ es von den Feinden König Davids heißt:
den Magdalena. Erstaunt weist ihn der „Sie müssen werden wie Spreu vor dem
Kirchendiener darauf hin, daß diese Winde, und der Engel des Herrn stoße
Magdalena die Züge einer Schönen tra¬ sie weg.“
ge, die regelmäßig in der Seitenkapelle
bete. Cavaradossi versucht nun, dem
Bild auch Ähnlichkeit mit seiner Ge¬ Wie weit er auch die Stimme
liebten Floria Tosca zu verleihen. Der schickt, nichts Lebendes wird hier
Arienanfang wird als Zitat verwendet, erblickt
wenn man - oft mit dem Unterton leich¬ Aus Schillers Ballade „Die Kraniche
ter Verwunderung - zum Ausdruck des Ibykus“ (1797) stammen diese bei-
506
Teil I Wiesen
den Zeilen, die angesichts einer verlas¬ Wie wird mir? - Leichte Wolken
senen Gegend, einer verwüsteten Land¬ heben mich
schaft, auch eines verfallenden Gebäu¬
Diese Worte spricht in Schillers roman¬
des o. ä. gelegentlich noch angeführt
tischer Tragödie „Die Jungfrau von Or¬
werden (wobei die zweite Zeile, „Nichts
leans“ (1801) die sterbende Johanna
Lebendes wird hier erblickt“, auch al¬
(V, 14). Sie werden heute noch als Zitat
lein zitiert wird). In der Ballade gehören
verwendet - meist jedoch nur der An¬
die beiden Zeilen zur Beschreibung der
fang -, wenn einem seltsam zumute
Szene, in der Ibykus (ein im 6. Jahrhun¬
wird oder man sich plötzlich benom¬
dert v. Chr. in Unteritalien lebender
men, berauscht, unwohl o.ä. fühlt.
Dichter) auf dem Wege zu den „Isthmi-
schen Spielen“ in Korinth von zwei
Mördern in einem einsamen Wald, „in Wie wir’s dann zuletzt so herrlich
Poseidons Fichtenhain“, überfallen und weit gebracht
getötet wird. T Sich in den Geist der Zeiten versetzen
Wie wenn Wasser mit Feuer sich Wie wohl ist dem, der dann und
mengt wann sich etwas Schönes dichten
kann!
„Und es wallet und siedet und brauset
und zischt,/Wie wenn Wasser mit Feuer Mit diesen Versen beginnt Wilhelm
sich mengt,/Bis zum Himmel spritzet Busch (1832-1908) seine Geschichte
der dampfende Gischt,/Und Flut auf von „Balduin Bählamm“, dem verhin¬
Flut sich ohn’ Ende drängt.“ So be¬ derten Dichter. Sie werden auch heute
schreibt Schiller in seiner Ballade „Der noch gerne auf manchen Verseschmied
Taucher“ die wilde, tosende Brandung, und seine poetischen Ergüsse angewen¬
in die der wagemutige Knappe sich det.
stürzt, um des Königs Becher vom Mee¬
resgrund zurückzuholen. Der zweite Wie Zieten aus dem Busch
Vers wird heute - losgelöst vom eigent¬ Der preußische Reitergeneral Hans Joa¬
lichen Zusammenhang - gelegentlich chim von Zieten (1699-1786) war be¬
als Bild dafür zitiert, daß sich zwei Ge¬ kannt für seine strategische Taktik, im
gensätze, besonders zwei Charaktere, Kampf überraschend an entscheidender
schroff und unvereinbar gegenüberste¬ Stelle aufzutauchen und so das Kriegs¬
hen, daß ein harmonischer Ausgleich glück zu wenden. Auf diese Eigenschaft
völlig ausgeschlossen erscheint. nimmt der seit dem 18. Jahrhundert be¬
kannte Ausspruch „[Wie] Zieten aus
Wie willst du weiße Lilien zu roten dem Busch“ Bezug. Besondere Verbrei¬
Rosen machen? Küß eine weiße tung fand er durch eine Ballade Theo¬
dor Fontanes mit dem Titel „Der alte
Galathee: sie wird errötend lachen
Zieten“ (1846), in die dieser Ausspruch
Diesen Spruch des deutschen Epigram¬
eingegangen ist. - Man verwendet das
matikers Friedrich von Logau (1604 bis
Zitat noch gelegentlich scherzhaft, um
1655) hat Gottfried Keller als Leitmotiv
seiner Überraschung über das unvermu¬
für seinen Novellenzyklus „Das Sinnge¬
tete Auftreten von jemandem oder einer
dicht“ (1881) gewählt. Reinhart, ein der
Sache Ausdruck zu geben.
trockenen Arbeit müde gewordener Na¬
turwissenschaftler, will darin dieses
t Alles wiederholt sich nur im
Epigramm in der Wirklichkeit erproben
Leben
und macht sich auf den Weg, die Frau
zu Finden, die beim Kusse zugleich lacht
und errötet, für ihn ein „köstliches Ex¬ t Doch wie’s da drin aussieht
periment“ (1. Kapitel). Das Logausche
Original „errötet“ hat Keller in „errö¬ t Und aus den Wiesen steiget der
tend“ umgewandelt. weiße Nebel wunderbar
507
12*
wieviel Teil I
Wieviel Erde braucht der Mensch? ihres Mannes von einer kriegerischen
Dies ist der Titel einer Erzählung von Auseinandersetzung mit den Griechen
Leo Tolstoi (1828-1910), deren Thema vor Troja, Hektor inständig bittet, doch
die Besitzgier eines Menschen ist. Er bei ihr zu bleiben. Mit dem eher selten
wird als Zitat in Zusammenhängen ge¬ gebrauchten Zitat gibt man der Befürch¬
braucht, in denen von der Vergänglich¬ tung Ausdruck, daß jemand sich auf
keit der Welt, der irdischen Güter ge¬ Dauer von einem abwendet, daß man
sprochen wird, und dient dann als eine jemandem gleichgültig geworden sein
Art Mahnung, als ein Hinweis darauf, könnte.
daß jeder Anspruch des Menschen sich
am Ende auf die Menge an Erde redu¬ Der Wille zur Macht
ziert, deren es bedarf, um ein Grab da¬ Mit diesem Ausdruck wird gelegentlich
mit zu füllen. Das Zitat wird gerne auch das Streben eines Menschen nach
abgewandelt und variiert, um beispiels¬ Macht und Einfluß bezeichnet. Man zi¬
weise bestimmte, oft überzogene An¬ tiert damit den Titel einer Sammlung
sprüche in Frage zu stellen oder umge¬ von Texten Friedrich Nietzsches, die
kehrt auf bestimmte Mängel aufmerk¬ 1901 postum veröffentlicht wurde. Der
sam zu machen (z. B. „Wieviel Auto „Wille zur Macht“ leitet nach Nietzsche
braucht der Mensch?“ oder „Wieviel das Handeln des starken, moralisch un¬
Grün braucht die Stadt?“). gebundenen „Übermenschen“.
t Wir Wilden sind doch beßre Den T guten Willen für die Tat neh¬
Menschen men
Will der Herr Graf den Tanz mit t Und bist du nicht willig, so
mir wagen, mag er’s nur sagen, ich brauch’ ich Gewalt
spiel’ ihm auf
Diese drohende Äußerung kommt aus Willst du, daß wir mit hinein in das
dem Munde Figaros, des Titelhelden Haus dich bauen
der Mozartoper „Figaros Hochzeit“ (ur- Dieses Zitat stammt aus dem Gedichtzy¬
aufgeführt in Wien im Jahr 1786). Das klus „Vierzeilen“ von Friedrich Rückert
Textbuch der Oper, das der Italiener (1788-1866), wo es vollständig heißt:
Lorenzo da Ponte verfaßte, folgt der „Willst du, daß wir mit hinein in das
französischen Komödie „Le mariage de Haus dich bauen,/Laß es dir gefallen,
Figaro“ (1784) von Beaumarchais. Die¬ Stein, daß wir dich behauen.“ Diese
ses Stück mit seinem politischen Hinter¬ Worte werden heute noch gelegentlich
grund gilt als Vorbote der Französi¬ bei der Grundsteinlegung eines Hauses
schen Revolution. In der Oper zeigt sich zitiert, gewöhnlich aber im übertrage¬
der Kammerdiener Figaro aufsässig ge¬ nen Sinne, wenn jemand in eine Ge¬
genüber seinem Herrn, der glaubt,
meinschaft oder Gesellschaft aufge¬
Susanna, die Figaro gerade angetraute nommen werden will und er auf diese
Kammerzofe der Gräfin, auch für sich Weise auf die Erwartung hingewiesen
beanspruchen zu können. - Man ver¬ werden soll, daß er sich bis zu einem ge¬
wendet das Zitat meist scherzhaft, um wissen Grade den anderen anzupassen
jemandem mit diesen Worten den Feh¬ hat.
dehandschuh hinzuwerfen.
508
Teil I Wind
Goethe. Dazu gehören auch die Sinnge¬ che im Endlichen finden läßt, wenn
dichte, die unter dem Titel „Votivta¬ man letzteres nur gründlich genug er¬
feln“ zusammengefaßt sind. Eines da¬ forscht.
von mit dem Titel „Der Schlüssel“ lau¬
tet: „Willst du dich selber erkennen, so
sieh, wie die andern es treiben;/Willst Willst du mit den Kinderhänden in
du die andern verstehn, blick in dein ei¬ des Schicksals Speichen greifen?
genes Herz.“ Diese Zeilen sind zu einem Das Zitat stammt aus Franz Grillparzers
beliebten Poesiealbumsspruch gewor¬ (1791-1872) Trauerspiel „Die Ahn¬
den. frau“. Im 4. Akt richtet der alte Graf
Zdenko von Borotin, der letzte männli¬
Willst du die andern verstehn, che Sproß seines Geschlechts, die Frage
blick in dein eigenes Herz an seine verzweifelte Tochter, als er sein
Ende nahen fühlt. Das Bild vom Schick¬
t Willst du dich selber erkennen, so sieh,
salswagen setzen die beiden folgenden
wie die andern es treiben
Verse fort: „Seines Donnerwagens
Lauf/Hält kein sterblich Wesen auf.“ Es
Willst du genau erfahren, was sich
klingen hier Egmonts Worte vom
ziemt, so frage nur bei edlen Frau¬ Schicksalswagen aus Goethes gleichna¬
en an migem Trauerspiel (II, Egmonts Woh¬
T Erlaubt ist, was gefällt nung) an: „Wie von unsichtbaren Gei¬
stern gepeitscht, gehen die Sonnenpfer¬
Willst du immer weiter schweifen de der Zeit mit unsers Schicksals leich¬
tem Wagen durch; und uns bleibt
t Warum in die Feme schweifen
nichts, als, mutig gefaßt, die Zügel fest¬
zuhalten und bald rechts, bald links,
Willst du in meinem Himmel mit
vom Steine hier, vom Sturze da die
mir leben: So oft du kommst, er
Räder wegzulenken.“
soll dir offen sein
Diese beiden Verse, die am Schluß von
Schillers Gedicht „Die Teilung der Er¬
t Und willst du nicht mein Bruder
de“ (1795) stehen, wenden sich an den sein, so schlag’ ich dir den Schädel
Dichter, der bei der Verteilung der Gü¬ ein
ter zu spät gekommen war. „Wo warst
du denn, als man die Welt geteilet?“ Willst, feiner Knabe, du mit mir
fragt ihn Zeus. Die Antwort des Dich¬
gehn?
ters ist: „Mein Auge hing an deinem An¬
gesichte,/An deines Himmels Harmonie Die heute scherzhaft gebrauchte Einla¬
mein Ohr;/Verzeih’ dem Geiste, der, dung, sich an etwas zu beteiligen, ist ein
von deinem Lichte/Berauscht, das Irdi¬ Zitat aus Goethes Ballade „Erlkönig“
sche verlor!“ - Das Zitat kann als (ursprünglich in seinem Singspiel „Die
scherzhafte Einladung an jemanden, Fischerin“ von 1782). In der 5. Strophe
dem man sein Haus öffnet, gelten. erneuert der Erlkönig sein verführeri¬
sches Anerbieten gegenüber dem Kna¬
ben, der im Arm seines Vaters durch die
Willst du ins Unendliche schreiten,
Nacht reitet: „Meine Töchter sollen
geh nur im Endlichen nach allen
dich warten schön ;/Meine Töchter füh¬
Seiten ren den nächtlichen Reihn/Und wiegen
Das Verspaar findet sich in der Abtei¬ und tanzen und singen dich ein.“ (Ver¬
lung „Gott, Gemüt und Welt“ aus Goe¬ gleiche auch „Wer reitet so spät durch
thes Gedichtsammlung von 1815, die Nacht und Wind“.)
seine Spruchdichtung von 1812 bis 1814
umfaßt. Der Spruch drückt mit einer ge¬
wissen Gelassenheit aus, daß sich das Der Wind bläst, wo er will
von den Menschen erstrebte Unendli¬ Der t Geist weht, wo er will
509
Wind Teil I
510
Teil I wir
nicht zuletzt wegen ihres Stabreims ein¬ letztlich hiervor bewahrt, sagt Hölderlin
prägsamen - Worten. Sie werden gele¬ dann in den beiden Schlußsätzen, deren
gentlich aber auch zitiert, wenn man er¬ erster auch heute noch gelegentlich zi¬
leichtert feststellen kann, daß eine Pha¬ tiert wird: „Aber wir haben in uns ein
se der Erstarrung überwunden ist und Urbild alles Schönen, dem kein einzel¬
eine neue, positive Entwicklung ein¬ ner gleicht. Vor diesem wird der echt
setzt. vortreffliche Mensch sich beugen und
die Demut lernen, die er in der Welt ver¬
Wir bringen unsre Jahre zu wie ein lernt.“
Geschwätz
Der 90. Psalm, der die Ewigkeit Gottes Wir haben nicht die Revolution,
und die Vergänglichkeit des sündigen sondern die Revolution hat uns ge¬
Menschen einander gegenüberstellt, macht
enthält im 9. Vers diese Aussage. Zitiert
Im 2. Akt seines Dramas „Dantons
wird sie meist als eine Art Klage über
Tod" zeigt Georg Büchner (1813-1847)
die Vergänglichkeit des menschlichen
einen völlig desillusionierten Revolu¬
Daseins beim Rückblick auf sinnlos ver¬
tionsführer Danton, der alle politische
tane Zeit, auf Jahre, die ohne Sinn¬
Aktivität aufgegeben hat. Er ist nicht
erfüllung dahingegangen sind. Der
mehr Leitfigur der revolutionären Be¬
deutsche Schriftsteller Ernst Wiechert
wegung, bestimmt sie nicht mehr, er ist
(1887-1950) hat dieses Bibelwort sei¬
nur noch „ein toter Heiliger“, wie er
nem Roman „Die Jerominkinder“ (er¬
selbst sagt, und „Reliquien wirft man
schienen 1945-1947) als Motto voran¬
auf die Gasse“. Er muß erkennen: „Wir
gestellt.
haben nicht die Revolution, die Revolu¬
tion hat uns gemacht“ (II, 1). Man zitiert
Wir Deutsche fürchten Gott, aber diese Worte in bezug auf eine Situation,
sonst nichts in der Welt in der man feststellen muß, daß man
Diese Worte sprach Reichskanzler Otto keinen Einfluß mehr auf die Dinge hat,
von Bismarck (1815-1898) in einer die man einmal in Bewegung setzte, und
Reichstagsrede im Februar 1888. Er jetzt von der Entwicklung selbst getrie¬
fuhr dann fort: „Und die Gottesfurcht ben und im Handeln bestimmt wird.
ist es schon, die uns den Frieden lieben
und pflegen läßt.“ Bezeichnenderweise
Wir heißen euch hoffen
wurde aber nur der erste Teil zum geläu¬
figen Zitat, das in entsprechenden Kon¬ Bei diesem Zitat handelt es sich um den
texten häufig als Ausdruck nationalen letzten Vers von Goethes Gedicht „Sym-
Hochmuts zu finden war. bolum“, dessen Schlußstrophe lautet:
„Hier winden sich Kronen/In ewiger
Stille,/Die sollen mit Fülle/Die Tätigen
Wir haben in uns ein Urbild alles
lohnen!/Wir heißen euch hoffen.“ In
Schönen
schwierigen, von Mutlosigkeit gepräg¬
In einer 1798 niedergeschriebenen ten Zeiten will man mit diesem Zitat sei¬
aphoristischen Bemerkung spricht nen niedergeschlagenen Mitmenschen
Friedrich Hölderlin (1770-1843) sich neue Zuversicht geben.
gegen eine zu große Bescheidenheit aus:
„Vortreffliche Menschen müssen auch
wissen, daß sie es sind, und sich wohl Wir kommen doch morgen so jung
unterscheiden von allen, die unter ihnen nicht zusammen
sind.“ Er sieht aber auch die Gefahr, die tSo jung kommen wir nicht mehr zu¬
aus einer solchen Haltung erwachsen sammen
kann: „Freilich wird man auf der ande¬
ren Seite leicht zu stolz und hart und
hält zuviel von sich und von den andern TDenn wir können die Kinder
zuwenig.“ Was den Menschen jedoch nach unserem Sinne nicht formen
511
Teil I
wir
512
Teil I wird
Wir stehen selbst enttäuscht und Vorsatz, niemals seine schlanke Figur zu
sehn betroffen den t Vorhang zu verlieren.
und alle Fragen offen
Wir wollen sein ein einzig Volk von
Wir Wilden sind doch beßre Men¬ Brüdern, in keiner Not uns trennen
schen! und Gefahr
Das Zitat stammt aus Johann Gottfried Mit diesen beiden Zeilen beginnt der
Seumes 1793 in der von Schiller heraus¬ berühmte Rütlischwur aus Schillers
gegebenen Zeitschrift „Neue Thalia“ er¬ Schauspiel „Wilhelm Teil“. In der 2.
schienenem Gedicht „Der Wilde“. Ein Szene des 2. Aktes haben sich die Eidge¬
nordamerikanischer Indianer, ein Hu- nossen aus Schwyz, Uri und Unterwal¬
rone, macht darin schlechte Erfahrun¬ den auf einer Bergwiese, dem Rütli, ver¬
gen mit einem der angeblich so zivili¬ sammelt. Alle sprechen sie am Ende des
sierten Einwanderer aus Europa. Das Aktes die Worte des Schwurs, die ihnen
Gedicht schließt mit den Worten: „Ru¬ der Pfarrer Rösselmann aus Uri vor¬
hig ernsthaft sagte der Hurone:/Seht, spricht. Die bei entsprechenden feierli¬
ihr fremden, klugen, weisen Leu¬ chen Anlässen zitierten Worte werden
te/Seht, wir Wilden sind doch beßre heute sicherlich häufig als zu pathetisch
Menschen;/Und er schlug sich seitwärts empfunden.
ins Gebüsche.“ - Man gebraucht das
Zitat gelegentlich noch scherzhaft, um Wir wollen uns den grauen Tag
auszudrücken, daß man sich selbst ge¬ vergolden, ja vergolden
genüber anderen in einem positiveren Die Gedichtzeile stammt aus dem „Ok¬
Licht sieht. toberlied“ überschriebenen Herbstge¬
dicht von Theodor Storm (1817-1888).
Wir winden dir den Jungfemkranz Das Gedicht beginnt mit der Strophe:
In Carl Maria von Webers Oper „Der „Der Nebel steigt, es fällt das
Freischütz“ (1821; Text von Johann Laub;/Schenk ein den Wein, den hol¬
Friedrich Kind) singt im 3. Akt der Chor den !/Wir wollen uns den grauen Tag
der Brautjungfern: „Wir winden dir den vergolden, ja vergolden!“ - Man ver¬
Jungfernkranz mit (meist zitiert: aus) wendet das Zitat gelegentlich als scherz¬
veilchenblauer Seide;/Wir führen dich hafte Rechtfertigung für etwas, was man
zu Spiel und Tanz, zu Glück und Liebes- sich gönnt.
freude!“ Der Text und die Melodie er¬
langten bald Volksliedcharakter. Man Wir wollen weniger erhoben und
zitiert den Liedanfang (auch gesungen) fleißiger gelesen sein
heute noch gelegentlich, um scherzhaft T Wer wird nicht einen Klopstock lo¬
auf jemandes bevorstehende Eheschlie¬ ben?
ßung anzuspielen.
Wird dem Huhn man nichts tun?
Wir wollen niemals auseinander¬ Christian Morgenstern (1871-1914) er¬
gehn zählt in seinem Gedicht „Das Huhn“
Mit diesem Schlager aus dem Jahr 1960 von einem solchen Federvieh, das sich
ersang sich die Schauspielerin und Sän¬ in eine Bahnhofshalle verirrt hat und
gerin Heidi Brühl (1942-1991) ihre erste dort für Aufregung sorgt. Das Auftreten
goldene Schallplatte. Die Melodie der zuständigen Autorität, des Stations¬
schrieb Michael Jary, einer der erfolg¬ vorstehers, läßt den Dichter die bange
reichsten deutschen Schlagerkomponi¬ Frage stellen: „Wird dem Huhn/man
sten, der Text stammt von B. Balz und nichts tun?“ Man zitiert diesen Vers
G. de Vos. Man zitiert den Titel oft iro¬ scherzhaft, wenn sich jemand in einer
nisch, zum Beispiel als Kommentar zu mißlichen oder schwierigen Situation
einer verzweifelt aufrechterhaltenen befindet und man besorgt ist, ob er heil
Partnerschaft, oder scherzhaft als festen herauskommt.
513
wird Teil I
Es wird mit t Recht ein guter Bra¬ der Spekulation. Beobachtung und Ex¬
ten gerechnet zu den guten Taten periment waren für ihn die Grundlagen
und die Quelle des Wissens. Er wurde so
Es wird nicht ein t Stein auf dem zum Wegbereiter der Naturwissen¬
andern bleiben schaft. Das Zitat Findet sich in seinem
literarischen Werk, den „Essays“, die er
t Bei einem Wirte wundermild nach dem Vorbild des französischen
Philosophen und Moralisten Michel de
Wissen, was die Glocke geschla¬ Montaigne (1533-1592) verfaßte. Es
gen hat existiert sowohl in lateinischer als auch
Für die umgangssprachliche Redewen¬ in englischer Sprache: Ipsa scientiapote-
dung im Sinne von „über etwas Unange¬ stas est und Knowledge itself is power.
nehmes, was einem bevorsteht, schon
Bescheid wissen“ finden sich bereits bei T Mit dem Wissen wächst der
Johann Jakob Christoffel von Grim¬ Zweifel
melshausen (um 1622-1676) und in
Thomas Murners (1475-1537) „Narren¬ t Mit wenig Witz und viel Behagen
beschwörung“ (53,60) Belege. In Adel-
bert von Chamissos (1781-1838) Wo aber ein Aas ist, da sammeln
„Nachtwächterlied“ klingt die Rede¬ sich die Geier
wendung ebenfalls in den Eingangszei¬
Dieses Zitat geht auf zwei Bibelstellen
len an: „Hört, ihr Herrn, und laßt euch
zurück. Es heißt im Matthäusevangeli¬
sagen,/Was die Glocke hat geschla¬
um „Wo aber ein Aas ist, da sammeln
gen:
sich die Adler“ (24,28) und im Lukas¬
evangelium „Wo das Aas ist, da sam¬
Wissen, wo der Schuh drückt
meln sich auch die Adler“ (17,37). Es
Die Wendung, mit der man umschreibt,
steht beide Male in einem Zusammen¬
daß jemand das heimliche Übel, die ge¬
hang, in dem von der Zerstörung Jerusa¬
heimen Sorgen eines anderen kennt,
lems, der Wiederkunft Christi und dem
daß er weiß, was diesen bedrückt, geht
Ende der Welt die Rede ist. Man kann
auf den griechischen Schriftsteller Plut-
mit dem Zitat - mit einem Unterton von
arch (um 46-um 125 n. Chr.) zurück.
Kritik - zum Ausdruck bringen, daß
Dieser erzählt in der Schrift „Coniuga-
sich viele von etwas angezogen fühlen,
lia praecepta“ von einem Römer, der
von dem sie sich Vorteile versprechen.
sich von seiner schönen, reichen, offen¬
bar untadeligen Frau habe scheiden las¬
Wo aber Gefahr ist, wächst das
sen und sich deswegen Fragen und Vor¬
Rettende auch
würfe seiner Freunde habe gefallen las¬
sen müssen. Er habe daraufhin seinen Dieser Vers findet sich in der 1. Strophe
Schuh vorgestreckt und gesagt: „Dieser der Hymne „Patmos“ von Friedrich
Schuh ist auch schön und neu, niemand Hölderlin (1770-1843). Er enthält eine
aber weiß, wo er mich drückt.“ alte Volksweisheit, die in ähnlicher
Form sprichwörtlich geworden ist: „Wo
t Wo das Wissen aufhört, fängt der (auch: Wenn) die Not am größten, ist
Glaube an (die) Hilf am nächsten.“
514
Teil I wo
Man zitiert den Satz, um auszudrücken, t Denn wo das Strenge mit dem
daß man selbst oder eine andere Person Zarten, wo Starkes sich und Mildes
nicht umhinkann, sich der ausschlie߬
paarten, da gibt es einen guten
lich positiven Meinung der Mehrheit
Klang
anzuschließen.
Wo das Wissen aufhört, fängt der
Glaube an
Wo bleibt das Positive?
Das Zitat hat seinen Ursprung in einer
In Erich Kästners drittem Gedichtband
Predigt des Kirchenvaters Augustinus
„Ein Mann gibt Auskunft“ (1930) findet
(354-430) über einen Text aus dem Jo¬
sich ein Gedicht mit dem Titel „Und wo
hannesevangelium (20, 19-31), wo der
bleibt das Positive, Herr Kästner?“ Die
auferstandene Jesus den Jüngern und
erste Strophe lautet: „Und immer wie¬
danach dem zunächst ungläubigen Tho¬
der schickt ihr mir Briefe,/in denen ihr,
mas erscheint. In der 247. Predigt des
dick unterstrichen, schreibt:/,Herr Käst¬
Augustinus heißt es im Original: Ubi de-
ner, wo bleibt das Positive ?7Ja, weiß
fecerit ratio, ibi estfidei aedißcatio („Wo
der Teufel, wo das bleibt.“ Der kultur-
die Erkenntnis aufhört, da baut sich der
und gesellschaftskritische Dichter er¬
Glaube auf1).
läutert im folgenden seinen Lesern, daß
er es für unangemessen hält, angesichts
t Da, wo du nicht bist, blüht das
des traurigen Zustandes der Welt heiter¬
Glück!
fröhliche Lyrik zu verfassen: „Die Spe¬
zies Mensch ging aus dem Leime/und
Wo du nicht bist, Herr Organist, da
mit ihr Haus und Staat und Welt./Ihr
schweigen alle Flöten
wünscht, daß ich’s hübsch zusammen¬
reime/und denkt, daß es dann zusam¬ Die dritte Strophe eines Kirchenliedes
menhält?“ (5. Strophe). Die letzte Stro¬ des evangelischen Pfarrers und Kir¬
phe schließt mit der drastischen Ableh¬ chenlieddichters Erdmann Neumeister
nung dieses Ansinnens: „Ihr möchtet (1671-1756; seit 1715 Hauptpastor an
gern euren Spaß dran haben ...?/Ein St. Jacobi, Hamburg) endet mit den Zei¬
Friedhof ist kein Lunapark.“ - Der ver¬ len: „Herr Jesu Christ! Wo du nicht
kürzte Titel des Gedichts wird teils vor¬ bist,/ist nichts, das mir erfreulich ist.“
dergründig zitiert, wenn jemand aus¬ Das genannte Zitat soll eine scherzhafte
schließlich Negatives berichtet oder Umdichtung dieser Verse sein. Es
vorgetragen hat, teils wird er auch noch wird - oft mit der entsprechenden Be¬
im Sinne Kästners als bissige Ableh¬ wegung von Daumen und Zeigefinger -
nung von Harmonisierungswünschen dann verwendet, wenn man andeuten
will, daß einem das „nötige Kleingeld“
verwendet. Ebenso zitiert man die
Schlußzeile des Gedichts gelegentlich, fehlt. Statt „Herr Organist“, heißt es
auch häufig: „Wo du nicht bist, Herr
um auszudrücken, daß man Fröhlich¬
Jesus Christ...“
keit und Optimismus in einer gegebenen
Situation für unpassend hält.
Wo ist dein Bruder Abel?
tSoll ich meines Bruders Hüter sein?
Wo das gesteckt hat, liegt noch
mehr Wo ist der Schnee vom vergange¬
nen Jahr?
Diese Formulierung gebraucht in Schil¬
lers Tragödie „Maria Stuart“ (1,1) Ami- T Schnee von gestern
as Paulet, der Kerkermeister der Titel¬
heldin, als er in ihrem Schrank weiteren Wo laufen sie denn?
Schmuck für Bestechungen vermuten In einem Sketch von Wilhelm Bendow
muß. In einer ähnlichen Situation sagt (1884-1950) wird diese Frage von ei¬
man heute üblicherweise: „Wo das ist, nem Neuling auf der Pferderennbahn
da ist auch noch mehr.“ mehrmals aufgeregt gestellt - er ver-
515
wo Teil I
sucht, zunächst vergeblich, das Rennen he Kräfte sinnlos walten,/Da kann sich
mit seinem Fernglas zu verfolgen. Be¬ kein Gebild gestalten“. Schiller nahm
sondere Popularität erhielt dieser Renn¬ mit dieser Feststellung auch Bezug auf
bahnsketch durch eine Zeichentrickver¬ die Französische Revolution, deren blu¬
sion von Loriot (= Vicco von Bülow), tige Auswüchse er verurteilte. - Man
bei der die Schallplatten-Originalauf- verwendet das Zitat als scherzhaften
nahme mit den Stimmen von Wilhelm Kommentar, wenn jemand vergeblich
Bendow und Franz-Otto Krüger zu¬ versucht, etwas mit Gewaltanwendung
grunde gelegt wurde. - Das Zitat wird zu erreichen und dabei nur Schaden
scherzhaft verwendet, wenn jemand ein anrichtet. Es kann jedoch auch Ärger
Geschehen verfolgen möchte, aber nicht angesichts sinnloser Zerstörungen aus-
gleich erkennt, wo es sich abspielt. drücken. Eine umgangssprachliche Er¬
weiterung des Zitats lautet: „Wo rohe
Wo man singt, da laß dich ruhig Kräfte sinnlos walten, da kann kein
nieder Knopf die Hose halten“.
Die zum geflügelten Wort gewordene
Zeile stammt aus einem Gedicht mit Wo stehet das geschrieben?
dem Titel „Die Gesänge“ von Johann Mit dieser Frage leitet Martin Luther
Gottfried Seume (1763-1810). Seine er¬ (1483-1546) im „Kleinen Katechismus“
ste Strophe lautet: „Wo man singet, laß im 4. und 5. Hauptstück und im „Lehr¬
dich ruhig nieder,/Ohne Furcht, was stück vom Amt der Schlüssel“ die je¬
man im Lande glaubt;/Wo man singet, weils folgende biblische Begründung
wird kein Mensch beraubt;/Bösewich- für seine vorher gegebenen Erklärungen
ter haben keine Lieder.“ Meist werden zu Taufe, Abendmahl und Sündenver¬
die erste und die letzte Zeile zusammen gebung ein. Heute verwendet man die
in abgewandelter Form zitiert: „Wo Frage nur rhetorisch („Wo steht denn
man singt, da laß dich ruhig nieder; bö¬ das geschrieben?“), um auszudrücken,
se Menschen haben keine Lieder.“ Der daß es keine Vorschrift gibt, die dem
hier ausgesprochene Gedanke ist bei eigenen Handeln entgegenstünde.
den verschiedensten Dichtern bereits
vor Seume zu finden. Bei Martin Luther
Wo viel Licht ist, ist auch viel
(1483-1546) heißt es zum Beispiel in ei¬
Schatten
nem Lied mit dem Titel „Frau Musica“:
„Hie kann nicht sein ein böser Mut,/Wo Der sprichwörtlich gebrauchte Satz im
da singen Gesellen gut.“ - Als Zitat ist Sinne von „wo es viel Positives gibt, gibt
das geflügelte Wort ein Lob des Ge¬ es auch viel Negatives“ findet sich in
sangs und seiner positiven Wirkung auf ähnlicher Form auch in Goethes Drama
die Menschen. Es bedeutet auch: Hier, „Götz von Berlichingen“. Im 1. Akt ent¬
unter Menschen, die gern singen, ist gut gegnet Götz auf Weislingens Wunsch,
sein. Gott möge ihn viel Freude an seinem
Sohn erleben lassen, mit gefaßter
Wo rohe Kräfte sinnlos walten Skepsis: „Wo viel Licht ist, ist starker
Der Vers stammt aus Schillers „Lied Schatten - doch wär’ mir’s willkommen.
von der Glocke“ (1799). Der Meister hat Wollen sehen, was es gibt.“
von dem Guß der Glocke berichtet.
Nachdem die Form erkaltet ist, kann er Wo warst du, Adam?
sie zerbrechen und die Glocke aus ih¬ Dies ist der Titel eines Romans von
rem Mantel herausschälen, ln der fol¬ Heinrich Böll aus dem Jahr 1951, der im
genden Betrachtung wird diese Phase letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs
des Glockengusses auf die allgemein spielt und dem ein Motto aus den „Tag-
menschliche Entwicklung übertragen. und Nachtbüchern“ von Theodor Haek-
Nur wenn „mit weiser Hand zur rechten ker mit folgendem Wortlaut vorange¬
Zeit“ gehandelt wird, entwickelt sich et¬ stellt ist: „Eine Weltkatastrophe kann
was zum Guten. Dagegen steht: „Wo ro¬ zu manchem dienen. Auch dazu, ein
516
Teil I wohl
Alibi zu finden vor Gott. Wo warst du, erzwingen ;/Wo Worte selten, haben sie
Adam?, Ich war im Weltkrieg!“ Die Gewicht :/Denn Wahrheit atmet, wer
Frage an Adam geht auf eine Stelle im schwer atmend spricht,/Nicht der, aus
Alten Testament (1. Moses 3,9) zurück, welchem Lust und Jugend schwätzt.“
wo Gott nach Adam ruft, der sich nach
dem Genuß des Apfels im Paradies vor Wo zwei oder drei in meinem Na¬
Gott verborgen hat. Als Zitat wird es men versammelt sind
scherzhaft als Frage nach jemandes Ver¬
T Denn wo zwei oder drei versammelt
bleib gebraucht.
sind in meinem Namen, da bin ich mit¬
ten unter ihnen
Wo weder Mond noch Sonne dich
bescheint Wofür sie besonders schwärmt,
Im 3. Akt von Schillers Schauspiel „Wil¬ wenn er wieder aufgewärmt
helm Teil“ wagt der Held den Apfel¬ Das Zitat stammt aus dem „Zweiten
schuß und trifft sicher. Vom Landvogt Streich“ von Wilhelm Büschs (1832 bis
Geßler gefragt, weshalb er einen zwei¬ 1908) „Max und Moritz. Eine Bubenge¬
ten Pfeil eingesteckt habe, gesteht Teil, schichte in sieben Streichen“ und steht
daß dieser für ihn, Geßler, bestimmt in folgendem Textzusammenhang:
war, wäre beim ersten Schuß Teils Sohn „Eben geht mit einem Teller/Witwe Bol-
verletzt worden. Darauf entgegnet der te in den Keller,/Daß sie von dem Sau¬
Landvogt, daß er ihm zwar sein Leben erkohle/Eine Portion sich hole,/Wofür
zugesichert habe, „Doch weil ich deinen sie besonders schwärmt,/Wenn er wie¬
bösen Sinn erkannt,/Will ich dich füh¬ der aufgewärmt.“ Die beiden Zeilen
ren lassen und verwahren,/Wo weder werden als Kommentar zu aufgewärm¬
Mond noch Sonne dich bescheint,/Da¬ tem Essen verwendet; sie können gele¬
mit ich sicher sei vor deinen Pfeilen“ gentlich auch im übertragenen Sinne
(III, 3). Danach bezeichnet man heute einer Kritik an einer überflüssigen
eine entlegene, weltabgeschiedene Ge¬ Wiederholung, an dem unerwünschten
gend als einen Ort, „wo weder Mond Wiederaufleben von etwas Vergange¬
noch Sonne dich bescheint (auch: be¬ nem Ausdruck geben.
scheinen).“
Wohl dem, der frei von Schuld und
Wo Worte selten, haben sie Ge¬ Fehle bewahrt die kindlich reine
wicht Seele
Wenn man jemanden darauf aufmerk¬ Diese Zeilen aus Schillers Ballade „Die
sam machen möchte, daß er zu viel und Kraniche des Ibykus“ (dort gesprochen
vom Chor der Eumeniden, der Rache¬
zu lange redet, von etwas zu weitschwei¬
göttinnen, im Theater) werden zitiert,
fig berichtet, etwas zu umständlich dar¬
legt o. ä., könnte man diesen Ausspruch wenn man jemandes Verhalten als ziem¬
lich naiv und unbedarft bezeichnen will.
zitieren. Er stammt aus Shakespeares
Das Zitat kann aber auch lobend aner¬
Drama „König Richard der Zweite“
kennen, daß jemand sich einen kind¬
(II, 1) und lautet im englischen Original:
lich-unverdorbenen Charakter bewahrt
Where words are scarce, they are seldom
hat und ohne Falsch ist.
spent in vain. Gesprochen werden sie
von dem im Sterben liegenden Johann
Wohl dem, der jetzt noch Heimat
von Gaunt, einem Oheim König Ri¬
chards. Gaunt glaubt, daß seine war¬ hat
nenden Worte von König Richard um Diese Worte stammen aus der ersten
so eher gehört und befolgt werden mü߬ Strophe des Gedichts „Vereinsamt“ von
ten, als sie von einem Sterbenden ge¬ Friedrich Nietzsche (1844-1900): „Die
sprochen werden. Die Stelle lautet im Krähen schrein/Und ziehen schwir¬
ganzen: „O, sagt man doch, daß Zungen ren Flugs zur Stadt :/Bald wird es
Sterbender/Wie tiefe Harmonie Gehör schnein, -/Wohl dem, der jetzt noch -
517
wohl Teil I
Heimat hat!“ Mit dem Zitat wird zum Wohlauf, noch getrunken den fun¬
Ausdruck gebracht, daß derjenige sich kelnden Wein
glücklich schätzen darf, der in schlim¬
t Ade nun, ihr Lieben! Geschieden muß
men Zeiten weiß, wo er hingehört, und
sein
die Geborgenheit eines Zuhause findet.
Diese Feststellung wird noch verstärkt
Laßt wohlbeleibte Männer um
durch die letzte Zeile des Gedichts
mich sein
„Weh dem, der keine Heimat hat!“, mit
der im übertragenen Sinne auch ausge¬ t Laßt dicke Männer um mich sein
drückt werden kann, daß man ohne eine
geistige oder politische Heimat einsam t Alle Wohlgerüche Arabiens
und verloren ist.
t Nur wer im Wohlstand lebt, lebt
angenehm!
Wohl, nun kann der Guß beginnen
Das Zitat stammt aus dem Abschnitt
Wohltätig ist des Feuers Macht
von Schillers „Lied von der Glocke“, in Das mag mancher beim Anblick eines
dem der Glockenguß geschildert wird. prasselnden Feuers oder eines Brandes
Der Spruch bildet oft den Auftakt zu denken. Die Worte stammen aus Schil¬
einer Arbeit, nachdem die nötigen Vor¬ lers „Lied von der Glocke“. Dort heißt
arbeiten ausgeführt sind. es weiter: „Wenn sie der Mensch be¬
zähmt, bewacht.“
Wohlauf, die Luft geht frisch und t Man kann mit einer Wohnung
rein einen Menschen genauso töten wie
Mit diesem Ausruf beginnt das vielstro- mit einer Axt
phige „Wanderlied“ von Joseph Victor
von Scheffel (1826-1886), das in der Ein Wolf im Schafspelz sein
Sammlung „Gaudeamus, Lieder des Die Redewendung mit der Bedeutung
Engeren und Weiteren“, enthalten ist: „sich harmlos geben, freundlich tun, da¬
„Wohlauf, die Luft geht frisch und bei aber heimtückisch sein oder böse
rein,/Wer lange sitzt muß rosten !/Den Absichten haben“ geht auf das Neue
allerschönsten Sonnenschein/Läßt uns Testament zurück. Hier findet man im
der Himmel kosten.“ - Das Zitat kann Matthäusevangelium (7,15) die War¬
als Aufforderung dazu dienen, sich zu nung: „Sehet euch vor vor den falschen
einer Unternehmung aufzuschwingen. Propheten, die in Schafskleidern zu
euch kommen, inwendig aber sind sie
reißende Wölfe.“
Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd,
aufs Pferd! t Eilende Wolken, Segler der Lüf¬
Mit diesem Vers beginnt im ersten Teil te!
von Schillers Wallenstein-Trilogie das
vom Soldatenchor gesungene „Reiter¬ Wölkenkuckucksheim
lied“ („Wallensteins Lager“, 11. Auf¬ Wenn man von jemandem sagt, daß er
tritt; die ersten 6 Strophen sind bereits in einem Wölkenkuckucksheim lebt, so
1798 erschienen). Man zitiert diese Wor¬ drückt man damit aus, daß er sich in ei¬
te gelegentlich noch als scherzhaft ge¬ ne Phantasiewelt von völliger Realitäts¬
meinte Aufforderung, sich in Bewegung ferne eingesponnen hat, daß der man¬
zu setzen, mit etwas zu beginnen. gelnde Bezug zum wirklichen Leben fal¬
Manchmal wird auch noch der folgende sche Vorstellungen von der Realität bei
Vers hinzugefügt, das Zitat lautet dann: ihm entstehen läßt. Der Ausdruck ist
„Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs eine Übersetzung des griechischen Wor¬
Pferd !/Ins Feld, in die Freiheit gezo¬ tes vecpeXoKOKKüyia, das der griechi¬
gen!“ sche Komödiendichter Aristophanes
518
Teil I Worts
(445-385 v. Chr.) in der Komödie „Die t Wo Worte selten, haben sie Ge¬
Vögel“ als Bezeichnung für eine von wicht
Vögeln in der Luft gebaute Stadt prägte.
519
wozu Teil I
Wozu der Lärm? hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glau¬
be“). Faust ist in seinem Erkenntnisstre¬
Mit dieser Frage betritt Mephisto in
ben an einem Punkt angelangt, wo er
Goethes Faust (Teil I, Studierzimmer)
zum ersten Mal die Szene. Er kommt verzweifelt zur Giftphiole greift, nach¬
hinter dem Ofen anstelle des schwarzen dem er zuvor vergebens das Zeichen des
Pudels hervor, den Faust zuvor von sei¬ Makrokosmos geschaut hat und vom
nem Spaziergang mit seinem Famulus Erdgeist zurückgewiesen worden ist. Bei
Wagner („Osterspaziergang“) mitge¬ dem Versuch, das Gift zu nehmen, wird
bracht hat. Die Frage bezieht sich auf er unterbrochen durch „Glockenklang
den Aufwand an Beschwörungsformeln und Chorgesang“. Der Chor der Engel
und -ritualen, mit deren Hilfe Faust das verkündet die Auferstehung Christi.
Erscheinen Mephistos bewirkt hatte. Was ihn davon abhält, sein Vorhaben
Wird die Frage heute zitiert, so steht sie auszuführen, ist jedoch nicht sein christ¬
anstelle von Fragen wie „Was soll licher Glaube, sondern die durch den
das?“, „Warum dieser Aufwand?“ o.ä. Gesang ausgelöste Erinnerung an die
Wenn es der Situation entspricht, wird Jugend und die Ungebrochenheit des
gelegentlich die im Text unmittelbar an¬ Wunderglaubens in jener glücklichen
schließende Frage Mephistos an Faust Zeit.
mitzitiert: „Wozu der Lärm? Was steht
dem Herrn zu Diensten?“ Das Ganze t Das ist der Beginn einer wunder¬
bedeutet dann etwa soviel wie: „Was baren Freundschaft
willst du eigentlich? Was soll ich denn
machen, was kann ich für dich tun?“ t Beim wunderbaren Gott - das
Weib ist schön!
Wozu Dichter in dürftiger Zeit
Mit diesem Zitat aus der siebten Stro¬ Es tmuß was Wunderbares sein,
phe von Hölderlins (1770-1843) Elegie von dir geliebt zu werden
„Brot und Wein“ könnte indirekt zum
Ausdruck gebracht werden, daß der Li¬ Wunderlicher Heiliger
teratur besonders in einer vorwiegend Dieser Ausdruck geht auf Psalm 4,4 im
auf materielle Dinge ausgerichteten Ge¬ Alten Testament zurück, der nach der
sellschaft oft nicht die Anerkennung zu¬ Lutherübersetzung lautet: „Erkennet
teil wird, nicht der Stellenwert beige¬ doch, daß der Herr seine Heiligen wun¬
messen wird, der ihr eigentlich zukom¬ derlich führet.“ In der Sprache Luthers
men müßte. Bei Hölderlin steht hinter war „wunderlich“ gleichbedeutend mit
dieser Frage die resignierende Ansicht, „wunderbar“, wie es auch in der revi¬
daß es in Zeiten, in denen keine Helden¬ dierten Fassung heißt. Danach war „ein
taten vollbracht werden, in denen die wunderlicher Heiliger“ eigentlich ein
Götter uns fern sind, für einen Dichter „wunderbarer, Wunder wirkender Hei¬
nichts zu besingen gebe. liger“. Wenn man heute von einem wun¬
derlichen, sonderbaren oder komischen
t Ich weiß, es wird einmal ein Heiligen spricht, so meint man damit
Wunder geschehn einen seltsamen Menschen, einen Son¬
derling.
Das Wunder ist des Glaubens lieb¬
stes Kind TO wunderschön ist Gottes Erde
Dieses Wort der Skepsis gegenüber dem und wert, darauf vergnügt zu sein!
christlichen Glauben, das diesen zum
Wunderglauben degradiert, ist ein Zitat t Mich wundert, daß ich fröhlich
aus Goethes Faust (Teil I, Nacht). Es bin
schließt sich unmittelbar an die Worte
an, in denen die Titelfigur ihren Glau¬ t Dein Wunsch war des Gedankens
bensverlust konstatiert („Die Botschaft Vater
520
Teil I Zahn
t Als das Wünschen noch geholfen Presse geprägt. Er hat seinen Ursprung
hat in einer bei den Lesern einer New Yor¬
ker Zeitung sehr beliebten Comiczeich¬
tDoch eine Würde, eine Höhe ent¬ nung, die ein mit einem gelben Hemd
fernte die Vertraulichkeit bekleidetes Kind zeigte (genannt Yellow
Kid „gelbes Kind“), dem flotte Sprüche
Die Würfel sind gefallen! in den Mund gelegt wurden. Als nun ei¬
Die Redensart geht auf einen Julius Cä¬ ne andere New Yorker Zeitung für sich
sar (100-44 v. Chr.) zugeschriebenen beanspruchte, diese Zeichnungen zuerst
Ausspruch zurück, den er nach dem gebracht zu haben, entbrannte zwischen
Überschreiten des Rubikons getan ha¬ beiden Blättern ein Pressekrieg. In ei¬
ben soll. Er lautet nach der Überliefe¬ nem Bericht hierüber wurden dann bei¬
rung des lateinischen Schriftstellers de Sensationsblätter als Yellow Press (in
Sueton in dessen Cäsarbiographie Alea Anlehnung an die gelb gekleidete Kin¬
iacta est beziehungsweise lacta alea est dergestalt) bezeichnet.
(„Der Würfel ist gefallen“). Er wird
heute in der Form „die Würfel sind ge¬
fallen“ zitiert, womit zum Ausdruck ge¬
bracht wird, daß eine bestimmte
schwerwiegende Entscheidung gefallen
ist. Historisch plausibler ist allerdings,
was schon Erasmus von Rotterdam ver¬
mutete, daß Cäsar seinerseits ein grie¬
chisches Sprichwort (ävsggltpda Kvßog,
auf deutsch „Hochgeworfen sei der
z
Würfel“) zitiert habe, daß er also eher
von einer bevorstehenden als von einer
t Ihre Zahl ist Legion
bereits gefallenen Entscheidung gespro¬
chen habe.
t Er zählt die Häupter seiner Lie¬
ben
Abrahams Wurstkessel
T Wie in Abrahams Schoß Der Zahn der Zeit
Diese besonders im 18. Jahrhundert
TO wüßt’ ich doch den Weg zu¬ häufig gebrauchte Metapher, mit der die
rück zerstörende, den Verfall bewirkende
Kraft der Zeit angesprochen wird, fin¬
In die Wüste schicken det sich schon bei antiken Autoren in
t Sündenbock ähnlicher Form. Verbreitung fand sie
durch Shakespeares Stück „Maß für
Maß“ (im englischen Original: the tooth
of time). Die Textstelle lautet: „O! Solch
Verdienst spricht laut; ich tät’ ihm Un-
recht,/Schlöss’ ich’s in meiner Brust ver¬
schwiegne Haft,/Da es verdient, mit erz-
ner Schrift bewahrt/Unwandelbar dem
521
Zankapfel Teil I
522
Teil I Ziel
darin die Zeit vom Beginn der europäi¬ sawerks des deutschen Schriftstellers
schen Aufklärung bis zum Ende des Arno Schmidt (1914-1979). Schmidt,
Zweiten Weltkriegs in historischen Re¬ der umfangreiche Zettelkästen als Ar¬
flexionen Revue passieren. - Man kann beitsgrundlage für seine Werke anlegte,
das Zitat dort verwenden, wo eine be¬ spielt mit dem Titel auch auf Shake¬
stimmte Epoche in ihrem zeitlichen Ab¬ speares Komödie „Ein Sommernachts¬
lauf kritisch betrachtet wird. traum“ an, in der der Weber Zettel in
einen Esel verwandelt wird, in den sich
Die Zeiten ändern sich, und wir die Elfenkönigin Titania verliebt. Nach
ändern uns mit ihnen seiner Rückverwandlung (vierter Akt,
erste Szene) glaubte er, er habe ge¬
t Tempora mutantur, nos et mutamur in
träumt, und er sagt (in der Übersetzung
illis
von Schlegel): „Ich will den Peter
Squenz dazu bringen, mir von diesem
Die Zeiten der Vergangenheit sind
Traum eine Ballade zu schreiben; sie
uns ein Buch mit sieben Siegeln
soll Zettels Traum heißen, weil sie so
Ein t Buch mit sieben Siegeln seltsam angezettelt ist...“
523
Zieten Teil I
(I, 1897/98, S. 556) formuliert. Für ihn tiköv) sei. In dieser Gemeinschaft - da¬
war die Reform der kapitalistischen von geht Aristoteles aus - wird das sitt¬
Verhältnisse das naheliegende Ziel der lich Gute realisiert; sie stellt den geisti¬
Sozialdemokratie, statt Revolution gen und rechtlichen Rahmen dar, in
wollte er ein friedliches Hineinwachsen dem der Mensch lebt und handelt, in
in den Sozialismus. Heute werden diese dem er zur Selbstverwirklichung Findet.
Worte - losgelöst von ihrem ursprüngli¬ Die griechischen Worte des Aristoteles
chen Sinngehalt - als tadelnder Kom¬ werden häufig auch in der etwas volks¬
mentar verwendet, wenn Richtungs¬ tümlicheren Übersetzung „der Mensch
streit und Strategiediskussion in einer ist von Natur ein geselliges Wesen“
politischen Gruppierung wichtiger ge¬ zitiert.
worden sind als die Erreichung des ge¬
setzten Zieles und so statt Progression Zornige junge Männer
Stagnation eingetreten ist. Das Zitat, das auf eine unangepaßte, ge¬
gen bestimmte gesellschaftliche Zustän¬
t Wie Zieten aus dem Busch de rebellierende junge Generation bezo¬
gen wird, ist die Übersetzung der engli¬
Ziviler Ungehorsam
schen Bezeichnung Angry young men
Der Begriff des nicht strafbaren, soweit für eine Gruppe englischer Schriftsteller
nicht mit Widerstand gegen die Staats¬ der zweiten Hälfte der 50er Jahre (be¬
gewalt verbundenen Ungehorsams sonders John Osborne, Kingslay Amis,
taucht bereits 1849 bei dem amerikani¬ Alan Sillitoe, John Braine und John
schen Schriftsteller Henry David Tho- Wain). Der Name wurde vermutlich von
reau in seinem Essay On Civil Disobedi- Angry young man, dem Titel der Auto¬
ence auf (1967 unter dem deutschen Ti¬ biographie von Leslie Allen Paul
tel „Über die Pflicht zum Ungehorsam (1905-1985), abgeleitet und gewann im
gegen den Staat“). Darin bringt der Zusammenhang mit John Osbornes
Nonkonformist seine Ablehnung gegen 1956 uraufgeführtem Schauspiel „Look
den Staat und gewissenlose Politik zum back in Anger“ weitere Popularität.
Ausdruck. (Vergleiche auch „Blick zurück im
Zorn“.)
Es zogen drei Burschen wohl über
den Rhein Zu Hitler fällt mir nichts ein
Bei Ludwig Uhland (1787-1862) lautet Der österreichische Schriftsteller Karl
die zitierte erste Strophe von „Der Wir¬ Kraus (1874-1936) begann in seiner
tin Töchterlein“: „Es zogen drei Bur¬ Zeitschrift „Die Fackel“ einen Artikel
schen wohl über den Rhein,/Bei einer über die Entwicklung in Deutschland
Frau Wirtin, da kehrten sie ein.“ Das nach der Machtübernahme durch die
Gedicht ist vor allem als Lied populär Nationalsozialisten mit den Worten:
geworden. Die vom Inhalt losgelöste, „Mir fällt zu Hitler nichts ein... Ich füh¬
scherzhafte Verwendung des Zitats be¬ le mich wie vor den Kopf geschlagen..."
zieht sich auf drei männliche Personen (Die Fackel Nr. 890-905, Ende Juli
auf dem Weg zu gemeinsamer Unter¬ 1934, S. 153). Der erste Satz wurde in der
nehmung. zitierten Umformung bald populär. Er
wird heute noch gelegentlich zitiert,
t Jeder Zoll ein König wenn jemand etwas Unerhörtem
sprachlos gegenübersteht, obgleich er
Zoon politikon sonst um treffende Bemerkungen nicht
Der griechische Philosoph Aristoteles verlegen ist.
(384-322 v. Chr.) schreibt in seinem
Werk „Politika“, daß der Mensch ein Zu neuen Ufern
„von Natur aus auf staatsbürgerliche Der übertragen im Sinne von „Neuen
Gemeinschaft angewiesenes Wesen“ Zielen, einem neuen Leben entgegen“
(griechisch: (pvasi uev eanv fröov noXi- gebrauchte Ausdruck beruht auf einer
524
Teil I zum
525
zum Teil I
„Auf zum Kampf der Wagen und Ge¬ verschüttete den Wechslern das Geld
sänge!“ und stieß die Tische um.“ Heute ge¬
bräuchliche umgangssprachliche Rede¬
Zum Kriegführen sind drei Dinge wendungen wie „jemanden zum Tempel
nötig: Geld, Geld und nochmals hinausjagen“ (= jemanden hinauswer-
Geld fen, davonjagen) oder „zum Tempel
hinausfliegen“ (= hinausgeworfen, da¬
Als der französische König Ludwig XII.
vongejagt werden) gehen auf diesen
(König seit 1498) sich anschickte, das
biblischen Bericht zurück.
Herzogtum Mailand zu erobern, soll er
seinen Marschall Gian Giacomo Trivul-
Zum Teufel ist der Spiritus
zio (um 1441-1518) gefragt haben, was
für dieses Unternehmen benötigt werde, Das t Phlegma ist geblieben
worauf dieser antwortete: Tre cose, Sire,
ci bisognano preparare, danari, danari e Zunehmen an Weisheit, Alter und
poi danari („Drei Dinge, Majestät, muß Gnade
man bereitstellen, Geld, Geld und au¬ Die heute meist eher scherzhaft verwen¬
ßerdem Geld“). - Möglicherweise hat dete Redewendung, die man zum Bei¬
Lenin in seinem Prawdaartikel „Lieber spiel mit Geburtstagsglückwünschen
weniger, aber besser“ (vergleiche auch verbinden kann, ist ein verkürztes Bibel¬
„Weniger wäre mehr gewesen“) auf die¬ zitat. Bei Lukas 2,52 heißt es nach der
se „Dreiheit“ angespielt, als er formu¬ Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im
lierte, daß es für die Erneuerung des Tempel: „Und Jesus nahm zu an Weis¬
Staatsapparates unbedingt nötig sei „er¬ heit, Alter und Gnade bei Gott und den
stens zu lernen, zweitens zu lernen und Menschen“.
drittens zu lernen“. Im Deutschen ist
dies verkürzt worden zu „Lernen, lernen t In Zungen reden
und nochmals lernen!“
Zur Liebe will ich dich nicht zwin¬
Zum Sehen geboren, zum Schauen gen
bestellt Das Zitat stammt aus Mozarts (1756 bis
Im fünften Akt des zweiten Teils von 1791) Oper „Die Zauberflöte“ mit dem
Goethes Faust tritt der Türmer Lynceus Text von Emanuel Schikaneder. Gegen
auf. Er beginnt einen Gesang, in dem er Ende des 1. Akts (18. Auftritt) reagiert
sein Türmeramt preist, das darin be¬ Sarastro damit auf Paminas, der Tochter
steht, als Wächter Ausschau zu halten, der Königin der Nacht, versuchte
seine Blicke beobachtend und betrach¬ Flucht aus seinem Sonnenheiligtum. Er
tend schweifen zu lassen. Sein Lied verzeiht ihr, verwehrt ihr jedoch die
beginnt: „Zum Sehen geboren,/Zum Freiheit.
Schauen bestellt,/Dem Turme geschwo¬
ren,/Gefällt mir die Welt.“ - Man ver¬ Zur Rechten sieht man wie zur Lin¬
wendet das Zitat, um als „Augen¬ ken einen halben Türken herunter¬
mensch“ seine Lust am Schauen zu be¬ sinken
kunden.
Diese beiden häufig zitierten Zeilen
stammen aus dem Gedicht „Schwäbi¬
Zum Tempel hinausjagen
sche Kunde“ von Ludwig Uhland
Bei allen vier Evangelisten des Neuen (1787-1862). Sie bilden sozusagen den
Testaments wird berichtet, wie Jesus die Höhepunkt der derbkomischen Ballade,
Händler und Geldwechsler aus dem die davon berichtet, daß bei einem
Tempel trieb. Im Johannesevangelium Kreuzzug König Barbarossas ins
lautet die entsprechende Stelle (2,15): „heil’ge Land“ ein „wack’rer Schwabe“
„Und er machte eine Geißel aus Strüc¬ fünfzig türkische Reiter in die Flucht
ken und trieb sie alle zum Tempel hin¬ schlägt, indem er einen von ihnen mit
aus samt den Schafen und Ochsen und einem Säbelhieb geradezu in zwei Teile
526
Teil I zwar
spaltet. - Das Zitat erfährt gelegentlich wie versprochen, dem Tyrannen von Sy¬
scherzhafte Abwandlungen. So etwa, rakus auszuliefern.
wenn jemand beim Anblick einer über¬
gewichtigen Person auf einem Fahrrad
Zurück zur Natur!
bemerkt: „Zur Rechten sieht man wie
zur Linken einen halben Schinken her¬ Das Schlagwort, mit dem die Rückkehr
untersinken.“ zu einer natürlichen Lebensform gefor¬
dert wird, ist die deutsche Entsprechung
von Retour ä la nature und wurde nach
Zur Sache, Schätzchen!
Sinn und Tendenz der Werke des fran¬
Diese umgangssprachlich häufig ver¬ zösischen Moralphilosophen J. J. Rous¬
wendete Aufforderung, unverzüglich
seau (1712-1778) geprägt. Im Zuge der
mit einer bestimmten Tätigkeit zu begin¬ Sorge für die bedrohte Umwelt ist es
nen oder ohne Umschweife sich dem ei¬ wieder sehr in Mode, was auch die iro¬
gentlichen Thema, der eigentlichen An¬ nische Sentenz „Alle wollen zurück zur
gelegenheit zuzuwenden, bezieht sich Natur, aber keiner zu Fuß“ belegt. Oft
auf den gleichlautenden Titel eines ist das eigentliche Schlagwort haupt¬
deutschen Spielfilms, der Anfang 1968 sächlich durch die Aufforderung „Zu¬
in die Kinos kam (Regie: May Spills). rück ...“ erkennbar. Entsprechende Ab¬
wandlungen sind z. B. „Zurück aufs
Zur Salzsäule erstarren Rad“ oder „Zurück zum Regenfaß“.
Diese Redewendung wird gebraucht,
wenn man ausdrücken will, daß jemand Zuviel kann man wohl trinken,
vor Schreck, Fassungslosigkeit, Überra¬
doch nie trinkt man genug
schung wie starr ist, entsetzt, sprachlos
innehält und stehenbleibt oder auch, Mit diesen beiden Versen endet das kur¬
daß jemand sehr überrascht tut. Sie geht ze Gedicht „Antwort eines trunkenen
auf die Geschichte der Bestrafung von Dichters“ von Gotthold Ephraim Les¬
„Lots Weib“ im Alten Testament sing (1729-1781): „Ein trunkner Dich¬
(1. Moses 19) zurück. Vor der Vernich¬ ter leerte/Sein Glas auf jeden Zug;/Ihn
tung von Sodom und Gomorrha mit warnte sein Gefährte:/Hör’ auf! Du hast
„Schwefel und Feuer“ hatte der Herr genug./Bereit, vom Stuhl zu sinken,/
durch zwei Engel Lot und seine Familie Sprach der: Du bist nicht klug;/Zuviel
aus der Stadt Sodom herausführen las¬ kann man wohl trinken,/Doch nie trinkt
man genug.“ - Das Zitat wird gelegent¬
sen, um sie zu retten, und hatte ihnen
lich als Rechtfertigung von unmäßigem
befohlen, sich nicht nach dem Inferno
Alkoholgenuß angeführt, besonders
umzusehen. Aber nicht alle folgten der
wenn jemand Kummer, Ärger o. ä. im
göttlichen Anweisung. Es heißt dann in
Alkohol zu ertränken versucht.
Vers 26: „Und sein Weib sah hinter sich
und ward zur Salzsäule.“
Zwar weiß ich viel, doch möcht’
Zurück! Du rettest den Freund ich alles wissen
nicht mehr „Mit Eifer hab’ ich mich der Studien be¬
Bei diesem Ausruf handelt es sich um flissen ;/Zwar weiß ich viel, doch möcht’
ein Zitat aus dem Gedicht „Die Bürg¬ ich alles wissen.“ Dessen rühmt sich
schaft“ von Schiller. Er wird meist als Wagner, der Famulus Fausts, in der Sze¬
eine Art Warnruf ganz allgemeiner Art ne „Nacht“ im ersten Teil von Goethes
zitiert, der allerdings nicht allzu ernst Faust, als er den am Sinn seines Lebens
gemeint ist. In dem Gedicht selbst gilt zweifelnden Faust mit seinen Fragen
dieser Zuruf dem nach mancherlei ge¬ bedrängt und von ihm, als seinem Leh¬
fahrvollen Ereignissen verspätet zu¬ rer, zu profitieren trachtet. - Man ver¬
rückkehrenden Moros, der seinen für wendet das Zitat beispielsweise scherz¬
ihn bürgenden Freund auslösen und vor haft, um seinem Wissensdrang Aus¬
dem Tode bewahren will, um sich selbst, druck zu geben oder um seine Neugier
527
Zweck Teil I
528
Teil I zwischen
529
zwischen Teil I
530
Teil II: Thematische Sammlung von
Zitaten, Sentenzen, Bonmots und Aphorismen
Wird aus nur einem Werk eines Autors zitiert, dann folgt dem Autoren¬
namen keine weitere Angabe, z. B.
531
A
_Abendland 17er Aberglauben schlimmster ist,
(auch t Europa) den seinen für den erträglichem zu
halten.
Nach der Aufklärung ist das Gotthold Ephraim Lessing,
Abendland wissenschaftlich /war Nathan
ein Riese geworden, aber seelisch
Mit dem Aberglauben ist es auch
und religiös ein Baby geblieben.
so eine Sache. Ich habe noch kei¬
Franz Alt
nen Menschen getroffen, der sein
13. Monatsgehalt zurückgegeben
Unsere abendländische Kultur, auf
Altertum und Renaissance beru¬ hat.
hend, ist im härtesten Kampf ge¬ Fritz Muliar [* 1919];
gen die ausgesprochen kulturhem¬ österr. Schauspieler
menden Kräfte des Christentums
Aberglaube ist die Freigeisterei
entstanden!
zweiten Ranges.
Arno Schmidt [1914 1979];
Friedrich Nietzsche,
dt. Schriftsteller
Fröhliche Wissenschaft
533
Ablehnung Teil II
_Ablehnung
534
Teil II Aids
Für die Toten Wein, für die Leben¬ Das Geheimnis des Agitators ist,
den Wasser; das ist eine Vorschrift sich so dumm zu machen, wie seine
für Fische. Zuhörer sind, damit sie glauben,
Martin Luther sie seien so gescheit wie er.
Karl Kraus
_Absurdität _Aids
Wer sich an das Absurde gewöhnt Aids macht uns bewußt, daß wir
hat, findet sich in unserer Zeit gut nicht unsterblich sind. Aids ent¬
zurecht. larvt den Jugendkult, der nur ge¬
Eugene Ionesco [* 1909]; franz. sunde, produktive und kräftige
Dramatiker rumän. Herkunft Menschen zuließ, als Absurdität.
Rosa von Praunheim [* 1942];
Als absurd bezeichnen wir, was dt. Filmregisseur
nicht möglich ist und trotzdem pas¬
siert; was möglich ist, aber nicht Alle Menschen, die sonst nichts
passiert, bezeichnen wir als ty¬ verhindern, wollen nun Aids ver¬
pisch. hindern.
Gabriel Laub Werner Schneyder
535
Alkohol Teil II
_Allegorie
536
Teil II Alter
denen, die man nicht mehr machen Solange man neugierig ist, kann
kann. einem das Alter nichts anhaben.
Karlheinz Deschner Burt Lancaster [* 1913]; amerik.
Schauspieler; Interview 1989
Das Alter verklärt oder versteinert.
Marie von Ebner-Eschenbach Nichts macht schneller alt als der
immer vorschwebende Gedanke,
Unser Respekt gilt in Wahrheit nie daß man älter wird.
dem Alter, sondern ausdrücklich Georg Christoph Lichtenberg
dem Gegenteil: daß jemand trotz
seiner Jahre noch nicht senil sei. Das Alter ist beschwerlich: noch
Max Frisch, Tagebuch 1966-1971 mehr für die Jüngeren, die mit ihm
zu tun bekommen.
Heinrich Mann [1871-1950];
Das Alter als Abstieg betrachten ist
dt. Schriftsteller
genauso ungehörig, wie in der Ju¬
gend nur ein Versprechen sehen.
Im Alter versteht man besser, die
Jedes Alter ist einer besonderen
Unglücksfälle zu verhüten, in der
Vollkommenheit fähig.
Jugend, sie zu ertragen.
Andre Gide, Tagebuch
Arthur Schopenhauer
Keine Kunst ist’s, alt zu werden, es In der Jugend herrscht die An¬
ist Kunst, es zu ertragen. schauung, im Alter das Denken
Goethe, Zahme Xenien I vor. Daher ist jene die Zeit für Poe¬
sie, dieses mehr für Philosophie.
Es gehört zu den vielen Merkwür¬ Arthur Schopenhauer
digkeiten des Lebens, daß der
Mensch um so bissiger wird, je we¬ * Alter schützt vor Torheit nicht.
niger Zähne er hat. Nach Shakespeare, Antonius und
Stefan Heym [*1913]; Cleopatra
dt. Schriftsteller
Kein kluger Mensch hat jemals ge¬
Ein alter Mann, eine alte Frau soll¬ wünscht, jünger zu sein.
Jonathan Swift
ten uns verehrungswürdig sein wie
Kathedralen. Wo keine Ehrfurcht
Das Leben wird gegen Abend, wie
vor dem Alter ist, ist überhaupt kei¬
die Träume gegen Morgen, immer
ne Religion.
klarer.
Friedrich Georg Jünger
Karl Julius Weber
Das Alter ist ein Aussichtsturm. Die Tragödie des Alters beruht
Hans Kasper, Revolutionäre nicht darin, daß man alt ist, son¬
dern daß man jung ist.
Ans Altsein gewöhnt man sich Oscar Wilde
rasch, viel langsamer ans Nicht¬
mehrjungsein. Man sollte nie einer Frau trauen,
Hans Krailsheimer die einem ihr wirkliches Alter
verrät. Eine Frau, die einem das
Keine Grenze verlockt mehr zum erzählt, würde einem auch alles
Schmuggeln als die Altersgrenze. andere erzählen.
Karl Kraus Oscar Wilde
537
Altern Teil II
Altwerden ist für einen Schönen Wir werden alt, wenn die Erinne¬
oft ein Unglück, ein schöner Häßli¬ rung uns zu freuen beginnt. Wir
cher ist vielleicht eher in der Lage, sind alt, wenn sie uns schmerzt.
mit Anstand zu altern. Peter Sirius [1858-1913];
Jürgen Lemke dt. Schriftsteller
538
Teil II Amt
Jeder möchte lange leben, aber Ich bin in meiner Jugend mit alten
keiner will alt werden. Leuten umgegangen und gehe in
Jonathan Swift meinem Alter mit jungen um. Das
ist die Weise, wie der Mensch mög¬
lichst behaglich durch die Welt
-Altersstufen kommen mag.
Wilhelm Raabe
Wie alt man gerade geworden ist,
sieht man an den Gesichtern derer,
die man jung gekannt hat.
Heinrich Böll _Altruismus
In jedes Lebensalter treten wir als * Besser, man riskiert, einen Schul¬
Neulinge und ermangeln darin der digen zu retten, als einen Unschul¬
Erfahrung. digen zu verurteilen.
Francois de La Rochefoucauld Voltaire, Zadig
539
Analphabet Teil II
540
Teil II
Angst
_Anfechtung
_Angst
Gott zieht an einer Hand, der Teu¬
fel an beiden Beinen. Nachdem er die Angst erfuhr, hatte
Wilhelm Busch, Aphorismen
er nur mehr Angst vor der Angst.
Hans Arndt
Nach dem Zeugnis und der Erfah¬
rung aller Frommen ist die größte Es gibt keine Grenzen. Nicht für
Anfechtung, keine Anfechtung zu den Gedanken, nicht für die Ge¬
haben. fühle. Die Angst setzt die Grenzen.
Ingmar Bergman [* 1918];
Martin Luther
schwed. Film- u. Theaterregisseur
541
Anklage Teil II
542
Teil II Anständigkeit
_Anpassung _ Ansehen
Wer sich gezwungen sieht, mit den Von allen Lastern ist Anstand das
Wölfen zu heulen, mag sich in rein¬ kostspieligste.
ster Notwehr befinden. Aber ist Lion Feuchtwanger [1884-1958];
das ein Grund, hinterher auch mit dt. Schriftsteller
den Schafen zu blöken?
Martin Kessel, Gegengabe Anständigkeit ist die Verschwö¬
rung der Unanständigkeit mit dem
Im Leben lernt der Mensch zuerst Schweigen.
das Gehen und Sprechen. Später George Bernard Shaw
543
Anstrengung Teil II
544
Teil II
Aphorismus
545
Aphoristiker Teil II
546
Teil II Architektur
547
Ärger Teil II
Wie der Mensch sich ärgert, so ist In der Armut liegt ein Glanz ver¬
er. borgen, der Glanz des Authenti¬
Arthur Schnitzler schen.
Ernesto Cardenal
548
Teil II
Atom
-Arroganz _ Askese
Arroganz ist die Karikatur des Radikale Askese, das bedeutet im¬
Stolzes. mer und überall nur Charakter¬
Ernst von Feuchtersleben schwäche.
Thomas Mann
Wer ist so gebildet, daß er nicht sei¬
ne Vorzüge gegen andre manchmal
auf eine grausame Weise geltend
machte? -Atheismus
Goethe, Wahlverwandtschaften I
Einen Gottlosen habe ich noch nie
gesehen; nur Ruhelose sind mir be¬
gegnet.
Fjodor M. Dostojewski,
_Arzt Der Jüngling
Die Ärzte verzeihen uns jeden Le¬ Der Atheismus ist ein grausames
benswandel, der in ihr Wartezim¬ und langwieriges Unterfangen, ich
mer führt. glaube ihn bis zum Ende betrieben
Sigmund Graff zu haben.
Jean Paul Sartre
Unter den mutmaßlichen Todesur¬
sachen unserer Verstorbenen sollte Wer Gott definiert, ist schon Athe¬
auf den amtlichen Papieren vor¬ ist.
sorglich immer auch der Name des Oswald Spengler, Gedanken
behandelnden Arztes mit aufge¬
führt werden.
Sigmund Graff
_Atom
Ein guter Arzt ist derjenige, wel¬ Das Atom ist unser kleinstes Por¬
cher gegen die betreffenden trät; es enthüllt unsere Kraft als
Krankheiten bestimmt wirkende Schrecken.
Mittel hat, oder, wenn ihm diese Max Rychner [1897-1965];
abgehen, denen, welche sie haben, Schweiz. Schriftsteller und
gestattet, seine Kranken zu heilen. Literaturhistoriker
Jean de La Bruyere
Was bringt den Doktor um sein Das Verhalten des Atoms ist ge¬
Brot?: a) die Gesundheit, b) der setzmäßig. Seine Anwendung ge¬
Tod. setzlos.
Eugen Roth Heinrich Wiesner
549
Atombombe Teil II
Der Mensch hat die Atombombe Wer sich zu groß fühlt, um kleine
erfunden. Keine Maus der Welt kä¬ Aufgaben zu erfüllen, ist zu klein,
me auf die Idee, eine Mausefalle zu um mit großen Aufgaben betraut
konstruieren. zu werden.
Werner Mitsch Jacques Tati [1907-1982];
franz. Schauspieler und Regisseur
Skeptiker sind jene Menschen, die
einfach nicht an die friedliche Nut¬
zung der Atombombe glauben wol¬ _Aufklärung
len.
Werner Mitsch Aufklärung ist Ärgernis; wer die
Welt erhellt, macht ihren Dreck
Wir haben nur die Wahl, im näch¬ deutlicher.
sten Krieg als Mitschuldige oder Karlheinz Deschner
als Unschuldige umzukommen.
Wem da die Wahl schwerfällt, der * Aufklärung ist der Ausgang des
mag seine dumme Hoffnung auf Menschen aus seiner selbstver¬
Atomwaffen bauen. schuldeten Unmündigkeit. Un¬
Martin Walser [* 1927]; mündigkeit ist das Unvermögen,
dt. Schriftsteller sich seines Verstandes ohne Lei¬
tung eines anderen zu bedienen.
Immanuel Kant
-Aufrichtigkeit
Wenn man das Dasein als eine
Aufgabe betrachtet, dann vermag Niemand hat mehr Feinde in der
man es immer zu ertragen. Welt als ein aufrechter, stolzer, ge¬
Marie von Ebner-Eschenbach fühlvoller Mann, der Personen und
Dinge nimmt, wie sie sind, und
Jede Aufgabe, die ein Mensch im nicht, wie sie sein wollen.
Rahmen der Gemeinschaft haben Chamfort
550
Teil II Ausdauer
_Augenblick
_Ausdauer
* Was glänzt, ist für den Augen¬
blick geboren; das Echte bleibt der Ausdauer ist eine Tochter der
Nachwelt unverloren. Kraft, Hartnäckigkeit eine Tochter
der Schwäche, nämlich - der Ver¬
Goethe, Faust I
standesschwäche.
Der Augenblick ist nichts als der Marie von Ebner-Eschenbach
551
Ausländerfeindlichkeit Teil II
* Courage ist gut. Ausdauer ist bes¬ Wer überlegt, der sucht Bewe¬
ser. gungsgründe, nicht zu dürfen.
Theodor Fontane [1819-1898]; Gotthold Ephraim Lessing,
dt. Schriftsteller Nathan
* Nur Beharrung führt zum Ziel. Nichtwollen ist der Grund, Nicht¬
Schiller, 2. Spruch des Konfuzius können der Vorwand.
Seneca [um 4 v. Chr.-65 n. Chr.];
röm. Politiker, Philosoph und
Dichter
_Ausländerfeindlichkeit
Besser als durch ihre Reden lernt
Jede Nation ist im Ausland haupt¬
man die Menschen durch ihre Aus¬
sächlich durch ihre Untugenden
reden kennen.
bekannt.
Peter Tille
Joseph Conrad [1857-1924];
engl. Schriftsteller poln. Herkunft
Ausflüchte sind schlimmer als
Zweifel.
Wenn heute die Ausländer Ursa¬
Thornton Wilder
che sind für die Ausländerfeind¬
lichkeit der Deutschen, dann wa¬
ren damals an Auschwitz die Juden
_Aussehen
selber schuld.
Wolfgang Pohrt * In jedes Menschen Gesichte steht
seine Geschichte.
In Deutschland wählte der Patrio¬ Friedrich von Bodenstedt
tismus die aggressive Form. Die [1819-1892]; dt. Schriftsteller
Liebe zum Heimischen kleidete
sich in den Haß gegen Fremdes. Die verbitterten Gesichtszüge eines
Walther Rathenau Mannes sind oft nur die festgefro¬
rene Verwirrung eines Knaben.
Franz Kafka [1883-1924];
österr. Schriftsteller
-Ausnahme
Der Körper ist der Übersetzer der
Ausnahmen sind nicht immer Be¬
Seele ins Sichtbare.
stätigung der alten Regel. Sie kön¬
Christian Morgenstern
nen auch Vorboten einer neuen
Regel sein.
Durch Nachteile seiner äußeren
Marie von Ebner-Eschenbach
Erscheinung darf man sich nicht
beirren lassen.
Aristoteles Onassis
_Ausrede [1906(?)—1975]; griech. Reeder
Ich habe festgestellt, daß die Ein¬ Mit zwanzig Jahren hat jeder das
schränkung „soweit wie möglich“ Gesicht, das Gott ihm gegeben hat,
eine fatale Ausweichmöglichkeit mit vierzig das Gesicht, das ihm
gibt. Etwas „soweit wie möglich“ das Leben gegeben hat, und mit
tun heißt, der ersten Versuchung zu sechzig das Gesicht, das er ver¬
erliegen. dient.
Mahatma Gandhi Albert Schweitzer
552
Teil II Autorität
553
13 Duden 12
Avantgarde Teil II
_Avantgarde _Barbarei
Was man Avantgarde nennt, ist nur ♦Vorn Fanatismus zur Barbarei ist
insofern interessant, als es ein Zu¬ es nur ein Schritt.
rück zu den Quellen ist. Es muß Denis Diderot, Schriften
durch einen verkalkten Traditiona-
lismus, durch widerlegte Akade¬ Die Kultur der Häßlichkeit heißt
mismen hindurch eine lebendige Barbarei.
Tradition wieder aufnehmen. Hans Lohberger
Eugene Ionesco [* 1909];
franz. Dramatiker rumän.
Herkunft _Baum
_Beamte
B nichts.
Otto von Bismarck [1815-1898];
dt. Reichskanzler 1871-1890
554
Teil II Beherrschtheit
Martin Buber
Keine Begeisterung sollte größer
Es sind die Begegnungen mit Men¬ sein als die nüchterne Leidenschaft
schen, die das Leben lebenswert zur praktischen Vernunft.
machen. Helmut Schmidt [* 1918];
555
13*
Beifall Teil II
_Beifall _Beredsamkeit
Wir sagen und ich meinen ist eine Die wahre Beredsamkeit besteht
von den ausgesuchtesten Kränkun¬ darin, das zu sagen, was zur Sache
gen. gehört, und eben nur das.
Theodor W. Adorno Francois de La Rochefoucauld
556
Teil II Beschränktheit
Mit der Berühmtheit ist es wie mit Die falsche Bescheidenheit ist der
einer Lawine, die bekommt der am letzte Kunstgriff der Eitelkeit.
heftigsten zu spüren, der drunter¬ Jean de La Bruyere
gerät.
Hermann Hesse Bescheiden können nur die Men¬
schen sein, die genug Selbstbe¬
Wenn man erst einmal einen Na¬ wußtsein haben.
men hat, ist es ganz egal, wie man Gabriel Laub
heißt.
Werner Mitsch * Alle großen Männer sind be¬
scheiden.
Es gibt zwei von Grund aus ver¬ Gotthold Ephraim Lessing,
schiedene Arten berühmter Leute: Briefe
solche, die man kennt, und solche,
die man kennen soll. Bescheidenheit ist mehr eine Kon¬
Robert Musil
sequenz des Denkens als des guten
Willens.
Ludwig Marcuse
_Beschränktheit
Unter den nützlichen Tugenden
steht die falsche Bescheidenheit Jeder Mensch hat ein Brett vor
obenan. dem Kopf - es kommt nur auf die
Johannes Gross Entfernung an.
Marie von Ebner-Eschenbach
Die Rühmlosen haben gewiß recht,
wenn sie von Bescheidenheit pre¬ Auch die Bretter, die man vor dem
digen. Es wird ihnen so leicht, die¬ Kopf hat, können die Welt bedeu¬
se Tugend auszuüben. ten.
Heinrich Heine, Gedanken Werner Finck
557
Beschuldigung Teil II
Die Menschheit würde unbe¬ Wir haben nur, was wir nicht hal¬
schränkte Möglichkeiten haben, ten.
wenn sie die Möglichkeit hätte, die Thornton Wilder
Macht der Beschränkten zu be¬
schränken.
Gabriel Laub
_Besonnenheit
-Besserung
Besitzender ist jeder, der abends
beim Zubettgehen etwas für den Wer sich gar zu leicht bereit findet,
nächsten Tag übrigbehalten hat. seine Fehler einzusehen, ist selten
Albert Schweitzer der Besserung fähig.
Marie von Ebner-Eschenbach
Aller Besitz ist vom Schicksal ge¬
borgt. Umändern kann sich niemand,
Seneca [um 4 v. Chr.-65 n. Chr.]; bessern jeder.
röm. Dichter und Philosoph Ernst von Feuchtersleben
558
Teil II Bewunderung
* Doch der Mensch hofft immer Je schlimmer seine Lage ist, desto
Verbesserung. besser zeigt sich der gute Mensch.
Schiller, Hoffnung Bertolt Brecht, Der gute
Mensch
Die Leute zu kränken ist leicht, sie
zu bessern schwer, wo nicht un¬ * Die Mühen der Gebirge liegen
möglich. hinter uns. Vor uns liegen die Mü¬
Arthur Schopenhauer hen der Ebenen.
Bertolt Brecht, Wahrnehmung
559
Bezahlung Teil II
_Beziehungen
560
Teil II Biographie
Bildung ist ein durchaus relativer Die Schulbildung sollte nicht nach
Begriff. Gebildet ist jeder, der das einer passiven Kenntnisnahme to¬
hat, was er für seinen Lebenskreis ter Ereignisse streben, sondern
braucht. Was darüber, das ist vom nach einer Aktivität, gerichtet auf
Übel. die Welt, die unsre Bemühungen
Friedrich Hebbel schaffen sollen.
Bertrand Russell, Schriften
Der Mensch ist, was er als Mensch
sein soll, erst durch Bildung. Vermöge seiner Bildung sagt der
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Mensch nicht, was er denkt, son¬
[1770-1831]; dt. Philosoph dern was andere gedacht haben
und was er gelernt hat.
So ein bißchen Bildung ziert den Arthur Schopenhauer
ganzen Menschen.
Heinrich Heine, Reisebilder Bildung ist etwas Wunderbares.
Doch sollte man sich von Zeit zu
Bildung kommt von Bildschirm Zeit daran erinnern, daß wirklich
Wissenswertes nicht gelehrt wer¬
und nicht von Buch, sonst hieße es
den kann.
ja Buchung.
Oscar Wilde
Dieter Hildebrandt [* 1927];
dt. Kabarettist
Bildung ist nicht Wissen, sondern Der isolierte Mensch vermag sich
Interesse am Wissen. ebensowenig zu bilden als der
Hans Margolius in seiner Freiheit gewaltsam ge¬
hemmte.
* Bildung macht frei. Wilhelm von Humboldt,
Joseph Meyer [1796-1856]; an Förster
dt. Verlagsbuchhändler
561
Blut Teil II
_Borniertheit
Niemals tut man so vollständig
t Beschränktheit, Dummheit und so gut das Böse, als wenn man
es mit gutem Gewissen tut.
Blaise Pascal
_Börse
An der Börse finden wir immer die * Das eben ist der Fluch der bösen
erste Generation einer sich Reich¬ Tat, daß sie, fortzeugend, immer
tum verschaffenden Familie. Die Böses muß gebären.
zweite genießt ihn, und die dritte Schiller, Piccolomini
Generation verliert oder verplem¬
pert ihn wieder. Das Böse ist das Fehlen des Guten.
Andre Kostolany Leo Tolstoi [1828-1910];
russ. Schriftsteller
562
Teil II Buch
Die Bosheit wird durch Tat erst aus lerne, sondern damit man wis¬
ganz gestaltet. se, daß der Verfasser etwas gewußt
Shakespeare, Othello hat.
Goethe, Maximen und
Reflexionen
_Brauchtum
Ein Buch will seine Zeit. Alle
(auch t Tradition)
schnell in wenigen Wochen ge¬
schriebenen Bücher erregen bei
Das sicherste Zeichen dafür, daß
mir ein gewisses Vorurteil gegen
mit einem Volksgebrauch etwas
den Verfasser.
nicht in Ordnung ist, sind Lehrer¬
Heinrich Heine, Gedanken
und Pfarrervereinigungen zu seiner
Konservierung.
Dort, wo man Bücher verbrennt,
Kurt Tucholsky
verbrennt man am Ende auch
Menschen.
Heinrich Heine, Almansor
_Brief
Wie kann man nur auf den Gedan¬ Warum soll man sich nicht mit Bü¬
chern unterhalten? Sie sind oft
ken kommen, daß Menschen durch
Briefe miteinander verkehren kön¬ ebenso klug wie Menschen und oft
ebenso spaßhaft, und sie drängen
nen! Man kann an einen fernen
sich weniger auf.
Menschen denken, und man kann
Hermann Hesse
einen nahen Menschen fassen,
alles andere geht über Menschen¬
Jedes gute Buch schreibt sich von
kraft.
selbst, man darf es nur nicht dabei
Franz Kafka, Briefe an Milena
stören.
Patricia Highsmith [* 1921];
Briefe sind Stimmungskinder.
Christian Morgenstern
amerik. Schriftstellerin
563
Buchdruck Teil II
Der Mensch begreift Bücher erst, das zu tun, wofür wir sie brauchen.
wenn ihm ein gewisses Maß an Le¬ Ralf Dahrendorf
ben zuteil wurde.
Ezra Pound Das Formular ist, neben dem
Schalter, das wirksamste Mittel,
Die Bekanntschaft mit einem einzi¬ dem Bürger Respekt abzunötigen.
gen guten Buch kann ein Leben än¬ Werner Finck
dern.
Marcel Prevost [1862-1941];
franz. Schriftsteller
-Bürokratie
Bereit sein ist viel, warten können
Wir brauchen Bürokratien, um un¬ ist mehr, doch erst den rechten
sere Probleme zu lösen. Aber wenn Augenblick nützen ist alles.
wir sie erst haben, hindern sie uns, Arthur Schnitzler
564
Teil II Chef
Eine Kleinigkeit verrät oft mehr Stärke des Charakters ist oft nichts
von dem Charakter eines Men¬ anderes als eine Schwäche des Ge¬
schen als eine große Tat. fühls.
Friedl Beutelrock Arthur Schnitzler
565
Christentum Teil II
566
Teil II Dementi
vielleicht denken können, aber sie Der Wechsel allein ist das Bestän¬
werden niemals Phantasie haben. dige.
Theodor Heuss [1884-1963]; Arthur Schopenhauer
dt. Politiker
_Demagoge
567
Demokratie Teil II
568
Teil II Denken
Demokratie beruht auf drei Prinzi¬ das garantiert, daß wir nicht besser
pien: auf der Freiheit des Gewis¬ regiert werden als wir es verdienen.
sens, auf der Freiheit der Rede und George Bernard Shaw
auf der Klugheit, keine der beiden
in Anspruch zu nehmen. Demokratie ist nichts als das Nie¬
Mark Twain derknüppeln des Volkes durch das
Volk für das Volk.
Wenn Freiheit und Demokratie Oscar Wilde
auch keine äquivalenten Begriffe
sind, so sind sie doch komplemen¬
tär: Ohne Freiheit ist die Demokra¬ _Demut
tie Despotie, ohne Demokratie ist Demut ist schließlich nichts als
die Freiheit eine Schimäre. Einsicht.
Octavio Paz, Essays II Hermann Bahr [1863-1934];
österr. Schriftsteller
Demokratie ist gewiß ein preisens-
wertes Gut, Rechtsstaat ist aber Demut ist Unverwundbarkeit.
wie das tägliche Brot, wie Wasser Marie von Ebner-Eschenbach
zum Trinken und wie Luft zum At¬
men, und das Beste an der Demo¬ Gewaltlosigkeit ist unmöglich oh¬
kratie gerade dieses, daß nur sie ne Demut.
geeignet ist, den Rechtsstaat zu Mahatma Gandhi
sichern.
Gustav Radbruch
Es gibt eine besonders unsympa¬
thische Art von Hochmut; sie heißt
Demut.
Demokratie ist Volksherrschaft
Hans Krailsheimer
nur in den Händen eines politi¬
schen Volkes, in den Händen eines
Demut soll nie etwas anderes sein
unerzogenen und unpolitischen
als die Verneinung von Hochmut.
Volkes ist sie Vereinsmeierei und
Sonst wird sie Kleinmut.
kleinbürgerlicher Stammtisch¬
Ludwig Marcuse
kram.
Walther Rathenau
_ Denken
Wenn die Demokratie arbeitsfähig
(auch t Nachdenken)
sein soll, muß die Bevölkerung
soweit wie möglich frei von Haß
Überlegende Arbeit trieb erst den
und Zerstörungslust und ebenso
Menschenstamm geschichtlich
von Furcht und Unterwürfigkeit
hoch, ließ ihn das Nötige sich pro¬
sein.
bend zurechtlegen; Not lehrte zu¬
Bertrand Russell, Schriften
erst das Denken.
Ernst Bloch
Die Verdienste der Demokratie
sind negativer Natur: Sie sichert Das Denken gehört zu den größten
keine gute Regierung, sondern ver¬ Vergnügungen der menschlichen
hindert bestimmte Übel. Rasse.
Bertrand Russell, Schriften Bertolt Brecht, Galilei
Die Demokratie ist ein Verfahren, Das Denken ist ein Laster, das man
569
Denken Teil II
Denken ist die Arbeit des Intel¬ Die Menschen fürchten das Den¬
lekts, Träumen sein Vergnügen. ken wie nichts anderes in der Welt.
Victor Hugo [1802-1885]; Denken ist umstürzlerisch und
franz. Schriftsteller revolutionär, zerstörend und er¬
schreckend, erbarmungslos gegen
Wer nur denkt, was er weiß, der Privilegien, festgesetzte Institutio¬
denkt noch gar nicht. nen und bequeme Gebräuche.
Friedrich Georg Jünger Bertrand Russell, Schriften
Denken ist reden mit sich selbst. Das Denken ist groß, kühn und
Immanuel Kant frei, das Licht der Welt und der
höchste Ruhm des Menschen.
Stellt einer die Behauptung auf, die Bertrand Russell, Schriften
Erde sei ein Würfel, so denkt er oh¬
ne Zweifel unabhängig. Allerdings Man muß denken wie die wenig¬
auch falsch. sten und reden wie die meisten.
Hans Kasper, Abel Arthur Schopenhauer
Jeder neue Gedanke ist ein Wider¬ Verzicht auf Denken ist geistige
spruch. Denken heißt widerspre¬ Bankrotterklärung.
chen können. Albert Schweitzer
Hans Lohberger
* An sich ist nichts weder gut noch
Es gibt keinen Boden, auf dem böse, das Denken macht es erst da¬
Theorie und Praxis, Denken und zu.
Handeln Zusammenkommen. Shakespeare, Hamlet
Herbert Marcuse
Innerhalb eines von Mechanismus
Denken ist eine Anstrengung, und Zufall beherrschten Kosmos
Glauben ein Komfort. hat das Denken, dieses furchtbare
Ludwig Marcuse Phänomen, welches die Erde von
570
Teil II Dichten
Grund auf verändert hat und sich Mann nicht das gleiche sind. Die¬
mit dem Weltall mißt, immer den sen Satz übersetzen.
Charakter einer unerklärlichen Wolfgang Hildesheimer
Anomalie. [1916-1991]; dt. Schriftsteller
Pierre Teilhard De Chardin
[1881-1955]; franz. Paläontologe,
Anthropologe und Philosoph _Deutschland
Es gibt auch eine Befriedigung, die Deutsch sein, das heißt sein Den¬
sich im Kopf abspielt: Denken. ken und Leben sich selbst schwer
Gabriele Wohmann [* 1932]; machen; sein Denken durchs Le¬
dt. Schriftstellerin ben und sein Leben durchs Den¬
ken.
Hans Lohberger
_Denkmal
Gutmütig und tückisch - ein sol¬
Sie steinigten ihn mit einem Denk¬
ches Nebeneinander, widersinnig
mal.
in bezug auf jedes andere Volk,
Stanislaw Jerzy Lec
rechtfertigt sich leider zu oft in
Viele Denkmäler sind steingewor¬ Deutschland: Man lebe nur eine
dene Geschichtsfälschungen. Zeitlang unter Schwaben!
Werner Mitsch Friedrich Nietzsche, Jenseits
Was nützen Denkmäler des unbe¬ Die deutsche Geschichte hat noch
kannten Soldaten den Gefallenen? nie den Deutschen allein gehört.
Erst muß der Mensch leben, dann Mehr als andere haben wir erfah¬
kann seine Ehre geschützt werden! ren, daß Geschichte Wandel ist.
Carl von Ossietzky Richard von Weizsäcker
571
Dichter Teil II
Stückeschreiben ist wie Schach: ben, und sowie er dieses tut, ist er
Bei der Eröffnung ist man frei; als Poet verloren.
dann bekommt die Partie ihre eige¬ Goethe, zu Eckermann
ne Logik.
Friedrich Dürrenmatt Die einzige Ehrung, die die Welt
[1921-1990]; dem Dichter erweist, besteht darin,
Schweiz. Dramatiker daß seine Armut nicht als beschä¬
mend gilt.
Dichten heißt: Abspiegeln der Sigmund Graff
Welt auf individuellem Grunde.
Friedrich Hebbel
Ein Journalist wird man um so
leichter, je leichter man schreibt,
Dichten ist ein Brückenschlägen
ein Dichter, je schwerer man
von dem, der schreibt, zu dem, der
schreibt.
liest.
Sigmund Graff
Hermann Kasack [1896-1966];
dt. Schriftsteller
Das Amt des Dichters ist nicht das
Dichten ist keine Tätigkeit, son¬ Zeigen der Wege, sondern vor al¬
dern ein Zustand. lem das Wecken der Sehnsucht.
Robert Musil Hermann Hesse
Im Grunde ist das Dichten eine im¬ * Was bleibet aber, stiften die
mer offene Wunde, wodurch die Dichter.
richtige Gesundheit des Körpers Friedrich Hölderlin, Andenken
den Eiter ausstößt.
Cesare Pavese Der Dichter ist das Sprachrohr der
Ratlosigkeit seiner Zeit.
Marie Luise Kaschnitz
_Dichter [1901 -1974]; dt. Schriftstellerin
572
Teil II Dichtung
Es gibt eine Eigenschaft, die alle Dichtung ist eine Form der Liebe.
großen, bleibenden Dichter ge¬ Gertrud von Le Fort
meinsam haben: Man braucht kei¬
ne Schulen und Hochschulen, um Dichtung ist keine Arbeit neben
sie am Leben zu erhalten. dem Leben, sondern eine Form des
Ezra Pound Lebens.
Gertrud von Le Fort
Alle Dichter haben einen Sinn für
das Unendliche, in irgendeiner Alle große Dichtung ist eine Frucht
Weise, aber ihr wacher Sinn für das des Leidens.
Begrenzte verleiht ihren Werken Adolf Muschg [* 1934];
die individuelle Eigenart. Schweiz. Schriftsteller und
Rabindranath Tagore Literaturwissenschaftler
573
Dienst Teil II
574
Teil II Diskussion
_Diplomatie
_Dilettantismus Diplomatie - die patriotische
Genialität, die von etwas anderem Kunst, gegen Bezahlung für sein
ausgeht als den Mitteln, die ihr sich Vaterland zu lügen.
Ambrose Bierce
auszudrücken zur Verfügung ste¬
hen, ist Dilettantismus.
Diplomatie ist ein Schachspiel, bei
Gottfried Benn, Marginalien
dem die Völker matt gesetzt wer¬
den.
Karl Kraus
_Diplomat
Unter einem Dementi versteht man
Wenn man sagt, daß man einer in der Diplomatie die verneinende
Sache grundsätzlich zustimmt, so Bestätigung einer Nachricht, die
bedeutet dies, daß man nicht die bisher lediglich ein Gerücht gewe¬
geringste Absicht hat, sie in der sen ist.
Praxis durchzuführen. John B. Priestley [1894-1984];
Otto von Bismarck [1815-1898]; engl. Schriftsteller
dt. Reichskanzler 1871-1890
Diplomatie ist die Kunst, mit hun¬
Ein wahrer Diplomat ist ein Mann, dert Worten zu verschweigen, was
der zweimal nachdenkt, bevor er man mit einem Wort sagen könnte.
nichts sagt. Saint-John Perse [1887-1975];
Winston Churchill [1874-1965]; franz. Lyriker
brit. Staatsmann
575
Distanz Teil II
Eine Diskussion ist unmöglich mit Trost, daß er ihn gleichfalls wahrt.
jemandem, der vorgibt, die Wahr¬ Jonathan Swift
heit nicht zu suchen, sondern
schon zu besitzen. Alles Große vermögen wir nur aus
Romain Rolland [1866-1944]; einem gehörigen Abstand zu ihm
franz. Schriftsteller zu erkennen. Wer an einen Berg
mit der Lupe geht, bemerkt nur
Sandkörner und Insekten.
_Distanz Frank Thiess
Für den, der nicht mitmacht, be¬ Was mich betrifft: Je weiter der
steht die Gefahr, daß er sich für Nächste von mir entfernt ist, desto
besser hält als die anderen und lieber liebe ich ihn.
seine Kritik der Gesellschaft Karl Heinrich Waggerl
mißbraucht als Ideologie für sein
privates Interesse.
Theodor W. Adorno _Dogma
-Don Juan
Trost und Rat sind oft die Abwehr
eines Nichtbetroffenen gegen das Don Juan ist nicht der Mann, der
Leid eines Betroffenen. Trost und die Frauen liebt, sondern der
Rat sind, neben anderem, auch Mann, den die Frauen lieben.
eine Maske der Distanz. Jose Ortega y Gasset, Liebe
Ludwig Marcuse
Die wahre Tragödie des Don Juan
Wir verlieren Zeit und Kraft, wenn liegt darin, daß er nur Beute, nie¬
wir alles, was passiert, alles, was mals Jäger war.
man an uns heranträgt, bis auf die George Bernard Shaw
nackte Haut, ja bis auf die Seele [1856-1950]; ir. Schriftsteller
kommen lassen.
Emil Oesch, Zeit
_Doping
Wer keinen Zaun um seinen inne¬ Das Doping der Erfolgreichen ist
ren Garten hat, bei dem trampeln das Risiko.
alle herein. Sigmund Graff
Emil Oesch, Zeit
Doping ist der Kunstdünger der
Wenn mich jemand zwingt, Ab¬ menschlichen Leistungskraft.
stand zu wahren, habe ich den Werner Schneyder
576
Teil II Dummheit
577
Dünkel Teil II
Am auffälligsten unterscheiden
Ein gebildeter Dummkopf ist noch
sich die Leute darin, daß die Tö¬
unerträglicher als ein ungebildeter.
richten immer wieder dieselben
Robert Lembke
Fehler machen, die Gescheiten im¬
mer wieder neue.
Die große Mehrzahl der Dummen
Karl Heinrich Waggerl
wird von denen gebildet, die durch
die böse Gewohnheit, ihr Denkver¬
mögen niemals anzustrengen, die Es gibt keine Sünde außer der
Fähigkeit dazu verloren haben. Dummheit.
John Locke [1632-1704]; Oscar Wilde
engl. Philosoph
* Mit der Dummheit kämpfen Göt¬ Erfolg steigt nur zu Kopf, wenn
ter selbst vergebens. dort der erforderliche Hohlraum
Schiller, Jungfrau von Orleans vorhanden ist.
Manfred Hinrich
Die Dummheit ist die sonderbarste
aller Krankheiten. Der Kranke lei¬ Für nichts lernt ein Mensch sich
det niemals unter ihr. Aber die an¬ leichter halten als für einen Gro¬
deren leiden. ßen, sobald er die erforderlichen
Paul-Henri Spaak [1899-1972]; Leute dafür um sich hat.
belg. Politiker Jean Paul
578
Teil II Ehe
E _Ehe
(auch t Heirat)
_Egoismus
Die Ehe ist der Versuch, zu zweit
Es gibt eine schöne Form der Ver¬ mit den Problemen fertig zu wer¬
stellung, die Selbstüberwindung, den, die man alleine niemals ge¬
und eine schöne Form des Egois¬ habt hätte.
mus, die Liebe. Woody Allen [* 1935];
Marie von Ebner-Eschenbach amerik. Filmregisseur und
Schauspieler
Egoistisches Leben erntet, was es
vermeiden will: Einsamkeit und Die Ehe ist die exemplarische Bin¬
Leere. dung, sie trägt uns in die große Ge¬
Helmut Gollwitzer bundenheit, und nur als Gebunde¬
ne können wir in die Freiheit der
Nur an sich und an das Gegenwär¬ Kinder Gottes gelangen.
tige denken ist die Quelle der Fehl¬ Martin Buber
griffe in der Staatskunst.
Jean de La Bruyere
Ehe: Erst kommt man nicht ohne,
dann nicht miteinander aus; erst
teilt man die Einsamkeit, dann ver¬
Zum Thema Egoismus: Wir lieben
doppelt man sie.
nur die Bilder von allem als etwas
Karlheinz Deschner
in uns selbst, nie das andere selbst.
Christian Morgenstern
Ehen werden im Himmel geschlos¬
sen, aber daß sie gut geraten, dar¬
Unsere Kulturen sind noch vorwie¬
auf wird dort nicht gesehen.
gend egoistisch, darum ist auch so
Marie von Ebner-Eschenbach
wenig Segen in ihnen.
Christian Morgenstern
Die meisten Differenzen in der
Ehe beginnen damit, daß eine Frau
Egoismus besteht nicht darin, daß zuviel redet und ein Mann zuwenig
man sein Leben nach seinen Wün¬ zuhört.
schen lebt, sondern darin, daß man Curt Goetz
von anderen verlangt, daß sie so le¬
ben, wie man es wünscht. Manche Ehen gehen an der beider¬
Oscar Wilde seitigen Unfähigkeit zugrunde,
sich auszusprechen. Sie schweigen
sich tot.
Sigmund Graff
_Egoist
579
Ehe Teil II
Heute ist eine Ehe schon glücklich, Eine gute Ehe beruht auf dem Ta¬
wenn man dreimal die Scheidung lent zur Freundschaft.
verschiebt. Friedrich Nietzsche,
Danny Kaye [1913-1987]; Menschliches I
amerik. Schauspieler
Gute Ehen wären häufiger, wenn
Hinter einer langen Ehe steht im¬ die Ehegatten nicht immer beisam¬
mer eine sehr kluge Frau. men wären.
Ephraim Kishon [* 1924]; Friedrich Nietzsche,
israel. Schriftsteller und Journalist Menschliches I
Manche Frau weint, weil sie den Wollen wir das Licht in der Ehe be¬
Mann ihrer Träume nicht bekom¬ wahren, so müssen wir auch den
men hat, und manche weint, weil Schatten akzeptieren.
sie ihn bekommen hat. Emil Oesch, Zeit
580
Teil II Ehrfurcht
Die Ehe ist der Kompromiß der Männer, die behaupten, sie seien
Liebe mit der Gesellschaft. die uneingeschränkten Herren im
Peter Tille Haus, lügen auch bei anderer Gele¬
genheit.
Wer die Einsamkeit fürchtet, sollte Mark Twain
nicht heiraten.
Anton Tschechow [1860-1904]; Ein heiteres Ehepaar ist das Beste,
russ. Schriftsteller was sich in der Liebe erreichen
läßt.
Thomas Niederreuther
Drum binde sich, wer nicht ewig
prüfen will.
Gerd Uhlenbruck
_Ehre
Das Drama einer Ehe, das ist nicht
Ehre und Konvention sind die
die ganz große Erschütterung - das
Bausteine der Gesellschaft, die Lü¬
sind die vielen kleinen Irritationen,
ge ist der Kitt.
die sich summieren.
Hans Kasper, Abel
Liv Ullmann [* 1938];
norweg. Schauspielerin Es ist besser, Ehrungen zu verdie¬
nen und nicht geehrt zu sein, als ge¬
Für eine gute Ehe gibt es einen sehr ehrt zu sein und es nicht zu verdie¬
einfachen Maßstab: Man ist dann nen.
glücklich verheiratet, wenn man Mark Twain
lieber heimkommt als fortfährt.
Luise Ullrich [1910-1985]; Es ist leichter, ein Held zu sein als
dt. Schauspielerin ein Ehrenmann. Ein Held muß
man nur einmal sein, ein Ehren¬
mann immer.
Luigi Pirandello [1867-1936];
_Eheleute ital. Schriftsteller
Es ist schlimm, wenn zwei Eheleu¬ Die Ehre eines Mannes beruht
te einander langweilen. Viel nicht auf dem, was er tut, sondern
schlimmer jedoch ist es, wenn nur auf dem, was er leidet, was ihm wi¬
einer von ihnen den andern lang¬ derfährt.
weilt. Arthur Schopenhauer
Marie von Ebner-Eschenbach
Die Ehre ist, objektiv, die Meinung
Teller werden heute meistens von anderer von unserem Wert und,
der Maschine gewaschen und ab¬ subjektiv, unsere Furcht vor dieser
getrocknet - wie kann man jetzt Meinung.
beweisen, daß man ein guter Ehe¬ Arthur Schopenhauer
mann ist?
Gabriel Laub
_Ehrfurcht
Der Mann erträgt die Ehe aus Lie¬
be zur Frau. Die Frau erträgt den Die wahre Ehrfurcht geht niemals
Mann aus Liebe zur Ehe. aus der Furcht hervor.
Marie von Ebner-Eschenbach
Gabriel Laub
581
Ehrgeiz Teil II
Bescheidenheit ist weniger Unter¬ Eifersucht ist Angst vor dem Ver¬
schätzung unserer selbst als Hoch¬ gleich
schätzung anderer. Der Bescheide¬ Max Frisch, Tagebuch 1946-1949
ne ist der Ehrfürchtige.
Hans Margolius Liebe ist bewußt gewordene Eifer¬
sucht.
Die Ehrfurcht vor dem Leben ist Sigmund Graff
die höchste Instanz. Was sie gebie¬
tet, hat seine Bedeutung auch Man ist nie eifersüchtiger, als wenn
dann, wenn es töricht oder vergeb¬ man in der Liebe anfängt zu erkal¬
lich scheint. ten. Man traut dann der Geliebten
Albert Schweitzer nicht mehr, weil man dunkel fühlt,
wie wenig einem selbst mehr zu
trauen ist.
_Ehrgeiz
Franz Grillparzer
Ehrgeiz - überwältigende Sehn¬
sucht danach, im Leben von Fein¬ Eifersucht ist ein Hundegebell, das
den verleumdet und im Tod von die Diebe anlockt.
Freunden verhöhnt zu werden. Karl Kraus
Ambrose Bierce
Eifersüchtige sind Wucherer, die
Ehrgeiz fängt die kleinen Seelen vom eigenen Pfund die höchsten
leichter als die großen, wie Stroh Zinsen nehmen.
und Hütten leichter Feuer fangen Karl Kraus
als Paläste.
Chamfort Eifersucht enthält mehr Eigenliebe
als Liebe.
Der Ehrgeiz treibt die Menschen
Francois de La Rochefoucauld
oft, die niedrigsten Dienste zu tun;
so geschieht das Klettern in dersel¬
Die Eifersucht ist die geistreichste
ben Haltung wie das Kriechen.
Leidenschaft und trotzdem noch
Jonathan Swift
die größte Torheit.
Friedrich Nietzsche,
Nachlaß
_Ehrlichkeit
_Eifersucht
582
Teil II Eitelkeit
_Einsamkeit
_Eigentum
t Alleinsein
(auch t Besitz)
583
Ekel Teil II
Wir sind so eitel, daß uns sogar an Auslese kann nur wirken, wenn sie
der Meinung der Leute, an denen von unten herauf beginnt.
uns nichts liegt, etwas gelegen ist. Walther Rathenau
Marie von Ebner-Eschenbach
Eine Bildungsschicht ist aber nur
Wer Eitelkeit zum Mittagsbrot hat, dort wirkliche Elite, wo sie sich
bekommt Verachtung zum Abend¬ nicht außerhalb stellt und wo sie
brot. nicht glaubt, sich oberhalb stellen
Benjamin Franklin, Reichtum zu müssen, sondern wo sie sich als
Mitgestalter der Leitbilder und der
Manche Menschen glauben, daß Ordnungen eingliedert und sich
sie sich weiter entwickelt haben, dabei trotz ihrer numerischen Un¬
und von allen ihren Eigenschaften terlegenheit als wirksamer Faktor
ist es nur die Eitelkeit, auf die ihre bewährt.
Einbildung zutrifft. Carlo Schmid
Arthur Schnitzler
Wolfdietrich Schnurre,
Schattenfotograf Eltern, die Respekt verlangen, ha¬
ben auch nicht mehr verdient.
Peter Tille
584
Teil II Engagement
585
Entdeckung Teil II
Wichtige Dinge nur halb zu tun, ist Moralische Entrüstung ist der Hei¬
nahezu wertlos; denn meistens ist ligenschein der Scheinheiligen.
es die andere Hälfte, die zählt. Helmut Qualtinger [1928-1986];
Emil Oesch, Menschen österr. Schriftsteller, Kabarettist
und Schauspieler
* Nichts halb zu tun ist edler Gei¬
ster Art. Entrüstung ist Bekenntnis der Hilf¬
Christoph Martin Wieland losigkeit.
[1733-1813]; dt. Schriftsteller Walther Rathenau
t Begeisterung
-Entschlossenheit
586
Teil II Erfahrung
587
Erfindung Teil II
sammelt hat, ist man zu alt, um sie Alle großen Erfindungen, alle gro¬
auszunutzen. ßen Werke sind das Resultat einer
William Somerset Maugham Befreiung, der Befreiung von der
[1874-1965]; brit. Schriftsteller Routine des Denkens und Tuns.
Arthur Koestler [1905-1983];
Kein Geld ist vorteilhafter ange¬ brit. Schriftsteller ungar. Herkunft
wandt als das, um welches wir uns
haben prellen lassen; denn wir ha¬
ben dafür unmittelbar Klugheit
eingehandelt. _Erfolg
Arthur Schopenhauer Der Erfolg ist keiner der Namen
Gottes.
Wenn die Geschichte sich wieder¬ Martin Buber
holt und immer das Unerwartete
geschieht, wie unfähig muß der Das Geheimnis des Erfolges ist die
Mensch sein, durch Erfahrung Beständigkeit des Ziels.
klug zu werden. Benjamin Disraeli [1804-1881];
George Bernard Shaw brit. Politiker
Nichts, was die Menschen erfin¬ * Vor den Erfolg haben die Götter
den, ist schlecht: nur das, was sie den Schweiß gesetzt.
daraus machen. Nach Hesiod [um 700 v.Chr.];
Sigmund Graff griech. Dichter
588
Teil II Erfüllung
Erfolg steigt nur zu Kopf, wenn Der Erfolg hat viele Väter. Der
dort der erforderliche Hohlraum Mißerfolg ist ein Waisenkind.
vorhanden ist. Sprichwort
Manfred Hinrich
Erfolge sind schwerer zu überwin¬
Um in der Welt Erfolg zu haben, den als Niederlagen.
braucht man Tugenden, die be¬ Peter Tille
liebt, und Fehler, die gefürchtet
machen. Vom Erfolg hängt so vieles ab, und
Joseph Joubert so werden viele vom Erfolg abhän¬
gig-
Sicher verdanken einige Millionäre Gerd Uhlenbruck
ihren Erfolg ihren Frauen. Aber
die meisten verdanken ihre Frauen Auch Erfolg wird bestraft. Die
dem Erfolg. Strafe liegt darin, daß man mit
Danny Kaye [1913-1987]; Leuten zusammenkommt, die man
amerik. Schauspieler früher meiden durfte.
John Updike [* 1932];
Alle Kunst praktischer Erfolge be¬ amerik. Schriftsteller
steht darin, alle Kraft zu jeder Zeit
Das größte Verbrechen in der Welt
auf einen Punkt - auf den wichtig¬
ist - keinen Erfolg zu haben.
sten Punkt - zu konzentrieren und
Friedrich Wolf [1888-1953];
nicht nach rechts noch links zu se¬
dt. Dramatiker
hen.
Ferdinand Lassalle [1825-1864];
dt. Politiker und Publizist
_Erfüllung
Es gibt keinen wirklichen Erfolg * Was man in der Jugend wünscht,
ohne eine auf das Gemeinschafts¬ hat man im Alter die Fülle.
wohl gerichtete Gesinnung. Goethe, Dichtung und Wahrheit I
Emil Oesch, Menschen
Gäbe es Wesen, die den Menschen
Nichts ist überzeugender als Er¬ alle Wünsche erfüllen, so wären
folg. das keine Götter, sondern Dämo¬
Leopold von Ranke [1795-1886]; nen.
dt. Historiker Friedrich Georg Jünger
Siege werden bald erfochten; ihre Unsere Zeit ist eine Zeit der Erfül¬
Erfolge befestigen, das ist schwer. lung, und Erfüllungen sind immer
Leopold von Ranke [1795-1886]; Enttäuschungen.
dt. Historiker Robert Musil
„Er hat großen Erfolg.“ Für einen Der Wunsch nach etwas ist letzten
Schriftsteller eine niederschmet¬ Endes ein Streben danach, es zu
ternde Feststellung. Besagt sie besitzen. Darum stirbt der Wunsch
doch, er hat auch nur zu beantwor¬ von selbst, wenn er erfüllt ist.
ten gewußt, was ohnehin schon ge¬ Jose Ortega y Gasset, Liebe
fragt war.
Wolfdietrich Schnurre, Ein Zeitalter, das so einseitig auf
Schattenfotograf die Erhaltung des Daseins aus ist
589
Erholung Teil II
590
Teil II Erotik
Es gibt keinen erkennbaren Weg Es gibt keine Leute, die nichts erle¬
vor uns, sondern nur hinter uns. ben, es gibt nur Leute, die nichts
Waldemar Bonsels [1880-1952]; davon merken.
dt. Schriftsteller Curt Goetz
Eigentlich sehen wir nur das, wor¬ Denken ist wundervoll, aber noch
an wir zu glauben fähig sind, allein wundervoller ist das Erlebnis.
das, was nicht allzusehr die Gren¬ Oscar Wilde
zen unserer eigenen Natur über¬
schreitet.
Stanislaw Brzozowski
_Erlösung
Wir haben verlernt, die Augen auf Wenn die Welt erlöst werden soll,
etwas ruhen zu lassen. Deshalb er¬ müssen die Menschen edel sein,
kennen wir so wenig. ohne Grausamkeit, voller Glauben
Jean Giono [1895-1970]; und für die Wahrheit empfänglich,
franz. Schriftsteller Begeisterung für große Ziele füh¬
len, ohne die zu hassen, die ihnen
Wer nicht weiß, was ist, wie will er darin Widerstand leisten.
Voraussagen, was werden soll, oder Bertrand Russell, Schriften
erkennen, was einmal gewesen ist?
Gerhart Hauptmann Es ist ein Fluch, Erlöser zu sein, die
Welt ist zu böse, ihre Erlöser kön¬
Es gibt zwei Möglichkeiten, zur Er¬ nen nicht gut sein.
kenntnis zu gelangen, die meditati¬ Manes Sperber
ve, worauf wohl weitgehend die
frühen Kulturen beruht haben, und
die empirische, in der Europa es _Erotik
bis zur Atombombe gebracht hat.
Jürgen Lemke
Sexuelle Erotik ist in allen Fällen
591
Erwachsensein Teil II
592
Teil II Erziehung
daß sie bei der Erziehung ihrer Freies Fragen wird verhindert wer¬
Kinder nicht sehr erfolgreich wa¬ den, solange es Ziel der Erziehung
ren. ist, Überzeugung statt Denken her¬
Robert Lembke vorzubringen.
Bertrand Russell, Schriften
Erziehung ist organisierte Verteidi¬
gung der Erwachsenen gegen die
Weil moderne Erziehung so selten
Jugend.
von großer Hoffnung beseelt ist,
Mark Twain
wird so selten ein großes Resultat
erreicht.
Alle Erziehung, ja alle geistige Be¬
Bertrand Russell, Schriften
einflussung beruht vornehmlich
auf Bestärken und Schwächen.
Man kann niemanden zu etwas Manche Eltern und Schulen begin¬
bringen, der nicht schon dunkel nen mit dem Versuch, den Kindern
auf dem Wege dahin ist, und nie¬ völligen Gehorsam beizubringen,
manden von etwas abbringen, der ein Versuch, der entweder einen
nicht schon geneigt ist, sich ihm zu Sklaven oder einen Empörer her¬
entfremden. vorbringen muß.
Christian Morgenstern Bertrand Russell, Schriften
593
Eselsbrücke Teil II
_ Ethik
t Spezialist
In Wahrheit nützt mir nicht, was
mir allein nützt, sondern was dem
Mitmenschen, der Gemeinschaft,
-Falschheit
der Gesellschaft nützt.
Carl Friedrich von Weizsäcker, Armut ist auch Wahrheit, während
Geschichte Reichtum alle Arten von Verklei¬
dung bedeuten kann. Falschheit
und Reichtum sind Synonyme.
-Europa Ernesto Cardenal
594
Teil II Fanatismus
Ganz aufgehen in der Familie Fanatismus findet sich nur bei sol¬
heißt ganz untergehen. chen, die einen inneren Zweifel zu
Marie von Ebner-Eschenbach übertönen suchen.
Carl Gustav Jung [1875-1961];
Das Familienleben ist ein Eingriff Schweiz. Psychoanalytiker
in das Privatleben.
Karl Kraus
Wo Fanatismus ist, ist keine Hei¬
Die Familie ist es, die unsern Zei¬ terkeit. Gelächter vielleicht, der ge¬
ten not tut, sie tut mehr not als meine Lärm des Zynismus, aber
Kunst und Wissenschaft, als Ver¬ kein Lachen.
kehr, Handel, Aufschwung, Fort¬ Hans Kasper, Verlust
595
Fasching Teil II
596
Teil II Feind
_Feind
Man muß die Fehler, die man nicht
ablegen kann, in Tugenden ver¬ Die Feinde meines Feindes sind
wandeln. meine Freunde.
Cesare Pavese Arabisches Sprichwort
Man fällt nicht über seine Fehler. Ein schwacher Feind in der Fe¬
Man fällt immer über seine Feinde, stung ist fürchterlicher als der
die diese Fehler ausnützen. stärkste von außen.
Kurt Tucholsky Wilhelm Heinse
597
Feindesliebe Teil II
erinnert einen an das Elend, das gäste vor die Wahl stellt, sich ihm
man selber erlitten hat. unterzuordnen oder wegzubleiben.
Manes Sperber Sigmund Graff
Mache dir niemanden zum Feind, Weil der Mensch zu faul war zu ru¬
wenn er nicht würdig wäre, dein dern, erfand er das Dampfschiff;
Freund zu sein. weil er zu faul war, zu Fuß zu ge¬
Karl Heinrich Waggerl hen, erfand er das Auto; weil er zu
faul war, abends die Augen zuzu¬
Ein Mann kann nie zu vorsichtig in machen, erfand er das Fernsehen.
der Wahl seiner Feinde sein. Manfred Hausmann [1898-1986];
Oscar Wilde
dt. Schriftsteller
598
Teil II Fortschritt
Der Flirt ist die Kunst, einer Frau Die Grundvoraussetzung jeden
in die Arme zu sinken, ohne ihr in Fortschritts ist die Überzeugung,
die Hände zu fallen. daß das Nötige möglich ist.
Sacha Guitry [1885-1957]; Norman Cousins [* 1915];
franz. Schriftsteller amerik. Schriftsteller
599
Fortschritt Teil II
Alles Alte, soweit es Anspruch dar¬ Wenn geschrien wird: „Es lebe der
auf hat, sollen wir lieben, aber für Fortschritt!“ frage stets; „Fort¬
das Neue sollen wir recht eigent¬ schritt wessen?“
lich leben. Stanislaw Jerzy Lec
Theodor Fontane [1819-1898];
dt. Schriftsteller Fortschritt bedeutet, daß wir im¬
mer mehr wissen und immer weni¬
Jedem Fortschritt der beherrschten ger davon haben.
Klassen entspricht eine Wiederher¬ Josef Meinrad [* 1913];
stellung der Privilegien auf höherer österr. Schauspieler
Stufe sowie die entsprechende Ab¬
wertung der Errungenschaften der Wir dürfen uns von einem erfin¬
Masse. dungswütigen Zeitalter nicht einre-
Andre Gorz den lassen, es gebe nur eine Art des
Fortschritts, nämlich den techni¬
Die Menschheit verzichtet auf kei¬ schen.
nen Fortschritt, der ihr schadet. Alexander Mitscherlich
Sigmund Graff
Aus dem Wort „Fortschritt“ hören
Wie groß sind die Fortschritte der die meisten Menschen „weniger
Menschheit, wenn wir auf den Arbeit“ heraus.
Punkt sehen, von dem sie ausging; Thomas Niederreuther
und wie klein, betrachten wir den
Punkt, wo sie hin will. Jetzt ist es der Mensch, der schei¬
Franz Grillparzer tert, weil er mit dem Fortschritt sei¬
ner eigenen Zivilisation nicht
Ohne Faulheit kein Fortschritt! Schritt halten kann.
Weil der Mensch zu faul war zu ru¬ Jose Ortega y Gasset, Aufstand
dern, erfand er das Dampfschiff;
weil er zu faul war, zu Fuß zu ge¬ Gesellschaftlicher Fortschritt ist
hen, erfand er das Auto; weil er zu nur über Minderheiten möglich,
faul war, abends die Augen zuzu¬ Mehrheiten zementieren das Beste¬
machen, erfand er das Fernsehen. hende.
Manfred Hausmann [1898-1986]; Bertrand Russell, Schriften
dt. Schriftsteller
Der letzte Tod wird der Tod des
An Fortschritt glauben heißt nicht Fortschritts sein.
glauben, daß ein Fortschritt schon Aleksander Swietochowski
geschehen ist. Das wäre kein Glau¬
ben. Die großen Fortschritte in der Wis¬
Franz Kafka, Chinesische Mauer senschaft beruhen oft, vielleicht
stets, darauf, daß man eine zuvor
Die menschliche Misere ist selten nicht gestellte Frage doch, und
so genüßlich kultiviert worden wie zwar mit Erfolg, stellt.
jetzt, da uns der Fortschritt genü¬ Carl Friedrich von Weizsäcker,
gend Freizeit beschert, ihn ausgie¬ Einheit
big zu bejammern.
Hans Kasper, Verlust Tradition ist bewahrter Fortschritt,
600
Teil II Frau
Die Welt ist voller Fragen. Aber je¬ Die Frau ist die Gefährtin des
Mannes, mit den gleichen geistigen
de Frage schließt eine Hoffnung in
Fähigkeiten begabt.
sich ein.
Mahatma Gandhi
Hans Margolius
Fragen sind nie indiskret. Antwor¬ * Das Naturell der Frauen ist so
ten bisweilen. nah mit Kunst verwandt.
Goethe, Faust II
Oscar Wilde
Die Männer, die mit den Frauen Man sagt fast jeder Frau etwas
am besten auskommen, sind diesel¬ Hübsches, wenn man eine andere
ben, die wissen, wie man ohne sie Frau kritisiert.
auskommt. Sigmund Graff
Charles Baudelaire [1821-1867];
franz. Schriftsteller Nur die sogenannten unauffälligen
601
14 Duden 12
Frau Teil II
Frauen erleben die wahre Liebe. Alle Aphorismen über Frauen sind
Auffällige Schönheiten sind meist notgedrungen boshaft. Um das
zu stark mit ihrem eigenen Sex-Ap¬ Gute an den Frauen zu schildern,
peal beschäftigt. benötigt man viele Seiten.
Katherine Hepburn [* 1909]; Andre Maurois [1885-1967];
amerik. Schauspielerin franz. Schriftsteller
Der Mann ist leicht zu erforschen, Eine Frau kann jederzeit hundert
die Frau verrät ihr Geheimnis Männer täuschen, aber nicht eine
nicht. einzige Frau.
Immanuel Kant Michele Morgan [* 1920];
franz. Schauspielerin
Sicher verdanken einige Millionäre
ihren Erfolg ihren Frauen. Aber Keine Frau trägt gerne ein Kleid,
die meisten verdanken ihre Frauen das eine andere abgelegt hat. Mit
dem Erfolg. Männern ist sie nicht so wähle¬
Danny Kaye [1913-1987]; risch.
amerik. Schauspieler Francoise Sagan [* 1935];
franz. Schriftstellerin
Es ist nicht wahr, daß man ohne
eine Frau nicht leben kann. Man Es gibt ja den schönen Spruch:
kann bloß ohne eine Frau nicht ge¬ Hinter jedem Mann, der erfolg¬
lebt haben. reich ist, steht eine Frau, die ihn
Karl Kraus stützt. Und hinter jeder Frau, die
erfolgreich ist, stehen drei Männer,
Die Welt kann zwar durch die die sie zurückhalten wollen.
Kraft des Mannes bewegt werden, Waltraud Schoppe [* 1942];
gesegnet aber im eigentlichen Sin¬ dt. Politikerin
ne des Wortes wird sie immer nur
im Zeichen der Frau. Die Schuhfabrikanten machen
Gertrud von Le Fort Frauenschuhe zum Stehenbleiben.
Dabei brauchen wir eher Schuhe
Im Leben jeder Frau gibt es zwei zum Davonlaufen.
Männer: den, den sie geheiratet, Alice Schwarzer [* 1942];
und den, den sie nicht geheiratet dt. Publizistin
hat.
Robert Lembke Ob die Weiber soviel Vernunft ha¬
ben wie die Männer, mag ich nicht
Eine Frau ist der beste Gefährte entscheiden, aber sie haben ganz
fürs Leben. gewiß nicht soviel Unvernunft.
Martin Luther Johann Gottfried Seume,
Apokryphen
Der vielgerühmte weibliche In¬
stinkt gleicht einem Seismogra¬ Daß die Frauen das letzte Wort ha¬
phen, der den Sturz eines Blumen¬ ben, beruht hauptsächlich darauf,
topfs anzeigt, aber beim Ausbruch daß den Männern nichts mehr ein¬
des Ätna versagt. fällt.
Anna Magnani [1910-1973]; Hanne Wieder [1929-1990];
ital. Filmschauspielerin dt. Schauspielerin
602
Teil II Freiheit
603
14*
Freiheit Teil II
Die Nöte des Menschen sind ohne Je weniger ich benötige, um frei zu
Zahl. Und doch kann ihm nichts sein, um so freier bin ich.
Schlimmeres zustoßen als der Ver¬ Werner Mitsch
lust der Freiheit.
Ho Chi Minh Die Freiheit ist nicht in die Welt
gekommen, um dem gesunden
Es darf keine Freiheit geben zur Menschenverstand den Garaus zu
Zerstörung der Freiheit. machen.
Karl Jaspers Jose Ortega y Gasset, Aufgabe
604
Teil II Freiheit
Negative Freiheit ist das Gegenein¬ Wer politische Freiheit mit persön¬
ander. Ich werde letztlich von der licher Freiheit verwechselt und po¬
Rücksichtslosigkeit des anderen litische Gleichheit mit persönlicher
beherrscht. Eine solche Feiheit ist Gleichheit, hat niemals auch nur
fremdbestimmt. Positive Freiheit fünf Minuten lang über Freiheit
ist das Miteinander und erfordert und Gleichheit nachgedacht.
meine volle Zustimmung. George Bernard Shaw
Hans A. Pestalozzi, Auf die
Bäume Unsere Taten müssen vor allem ein
Ausdruck der Freiheit sein, sonst
Wer Lust hat, über Sklaven zu herr¬ gleichen wir Rädern, die sich dre¬
schen, ist selbst ein entlaufener hen, weil sie von außen dazu ge¬
Sklave. Frei ist, wem Freie willig zwungen werden.
folgen und wer Freien willig dient. Rabindranath Tagore
Walther Rathenau
Wer die Freiheit nicht im Blut hat,
* Der Mensch ist frei geboren, und wer nicht fühlt, was das ist: Frei¬
dennoch ist er überall in Ketten. heit - der wird sie nie erringen.
Kurt Tucholsky
Jean-Jacques Rousseau,
Gesellschaftsvertrag
Nichts, nicht einmal die modernste
Waffe, nicht einmal die auf brutal¬
Mir ist die gefährliche Freiheit lie¬
ste Weise schlagkräftige Polizei,
ber als eine ruhige Knechtschaft.
nein, überhaupt gar nichts wird die
Jean-Jacques Rousseau,
Menschen auftialten können, wenn
Gesellschaftsvertrag
sie erst einmal entschlossen sind,
ihre Freiheit und ihr Menschen¬
* Der Mensch ist frei geschaffen,
recht zu erringen.
ist frei, und würd’ er in Ketten ge¬
Desmond Tutu
boren.
Schiller, Worte des Glaubens Die Freiheit ist nicht die Willkür,
beliebig zu handeln, sondern die
Freiheit ist nur möglich, wenn man Fähigkeit, vernünftig zu handeln.
bereit ist, ein Risiko einzugehen, Rudolf Virchow [1821-1902]; dt.
und ohne dieses Risiko der Frei¬ Pathologe
heit gibt es keine lebendige Demo¬
kratie. Freiheit ist ein Zwang, den wir als
Carlo Schmid Zwang nicht erkennen.
Karl Heinrich Waggerl
Wo keine Gerechtigkeit ist, ist kei¬
ne Freiheit, und wo keine Freiheit Freiheit ist ein Gut, das durch Ge¬
ist, ist keine Gerechtigkeit. brauch wächst, durch Nichtge¬
Johann Gottfried Seume, brauch dahinschwindet.
Spaziergang Carl Friedrich von Weizsäcker,
Einheit
Freiheit bedeutet Verantwortlich¬
keit; das ist der Grund, weshalb die Die Geschichte der Freiheit ist die
meisten Menschen sich vor ihr Geschichte des Widerspruches.
fürchten. Thomas Woodrow Wilson
George Bernard Shaw [1856-1924]; amerik. Politiker
605
Freizeit Teil II
606
Teil II Frömmigkeit
Mit dem Frieden ist es wie mit der Frömmigkeit ist eine Art der Klug¬
Freiheit: So wie Freiheit immer heit, sie ist Gottesklugheit.
auch die Freiheit des anderen ist, Thomas Mann
so ist Frieden immer auch der Frie¬
den des anderen. Wenn ich von jemand höre, er sei
Franz Alt sehr fromm, so nehme ich mich so¬
gleich sehr vor seiner Gottlosigkeit
Wer einen Sieg verewigen will, in acht.
muß ihn vergessen machen. Johann Gottfried Seume,
Hans Kasper, Abel Apokryphen
607
Führer Teil II
_Fußball _Geburt
Wenn es die Ballkunst wäre, was * Geburt und Grab, ein ewiges
die Fußballanhänger begeistert, Meer.
müßte jedes Trainingsspiel über¬ Goethe, Faust I
laufen und manches Meister¬
schaftsspiel uninteressant, wenn Nichts zu machen: Man muß sich
nicht abstoßend sein. durchsetzen können, von Geburt
Sigmund Graff an. Die Geburt selbst ist ein Akt
der Durchsetzung, der erste und
Der Fußballfanatismus ist eine eu¬ folgenreichste von vielen.
ropäische und sogar weltumspan¬ Kurt Marti
nende Geisteskrankheit.
Dieter Hildebrandt [* 1927]; Das größte, wenn auch alltägliche
dt. Kabarettist Ereignis in der Geschichte ist die
Geburt oder der Tod eines Men¬
Fußball ist die beliebteste Metho¬ schen.
de, sich das Arbeitslosengeld der ALEKSANDER SwifTOCHOWSK.1
608
Teil II Gedicht
_Gedankenlosigkeit
_Gedanke
Nichts ist gefährlicher als der Ge¬
Wahr sind nur die Gedanken, die danke - ausgenommen Gedanken¬
sich selber nicht verstehen. losigkeit.
Theodor W. Adorno Karlheinz Deschner
_Gedicht
Weise erdenken die neuen Gedan¬
ken, und Narren verbreiten sie. Im Gedicht ist die Sprache zur Ru¬
Heinrich Heine, Gedanken he gebracht, und der Mensch lebt,
609
Geduld Teil II
Ein Gedicht ist immer die Frage Geduld ist die Tugend der Revolu¬
nach dem Ich. tionäre.
Gottfried Benn, Marginalien Rosa Luxemburg
Ein neues Gedicht heißt für den Man braucht viel Geduld, ehe man
Autor immer wieder einen Löwen Geduld mit sich hat.
bändigen und für den Kritiker ei¬ Wolfdietrich Schnurre,
nem Löwen ins Auge sehen, wo er Schattenfotograf
vielleicht lieber einen Esel träfe.
Gottfried Benn, Probleme der Predigt nur immer brav Geduld, so
Lyrik ist die Sklaverei fertig! Denn von
der Geduld zum Beweise, daß Ihr
Oft bleibt vom Gedicht in der alles dulden müßt, hat die Gaune¬
Deutschstunde weniger als von der rei einen leichten Übergang.
Linde im Tee. Johann Gottfried Seume,
Karlheinz Deschner
Apokryphen
_Geduld
Der Furchtsame erschrickt vor der
Geduld ist die halbe Liebe schon, Gefahr, der Feige in ihr, der Muti¬
und manchmal denke ich, sie sei ge nach ihr.
die ganze. Jean Paul
Otto Flake
* Wer sich in Gefahr begibt,
Es gibt keine einfachen Lösungen kommt darin um.
für sehr komplizierte Probleme. Nach Jesus Sirach 3,27
Man muß den Faden geduldig ent¬
wirren, damit er nicht reißt.
Michail Gorbatschow [* 1931];
-Gefängnis
Sowjet. Politiker
Mich interessiert am meisten die ...
Es bedarf großer Geduld, um sie zu Daseinslage der Menschen in den
lernen. Gefängnissen. Nirgendwo anders
Stanislaw Jerzy Lec läßt sich der Grad der gesellschaft-
610
Teil II Gegner
Das Herz gibt allem, was der Erwarte nichts. Heute: Das ist das
Mensch sieht und hört und weiß, Leben.
die Farbe. Kurt Tucholsky
Johann Heinrich Pestalozzi,
Lienhard und Gertrud
611
Gehalt Teil II
Wer den kleinsten Teil seines Ge¬ Geist ist nicht eine späte Blüte am
heimnisses hingibt, hat den ande¬ Baume Mensch, sondern er ist das,
ren nicht mehr in seiner Gewalt. was den Menschen als solchen
Jean Paul konstituiert.
Martin Buber
Es gibt Geheimnisse, von denen
man nicht wüßte, wenn sie keine Um Großes zu vollbringen, muß
Geheimnisse wären. der Geist weit und gelassen sein.
Jüdisches Sprichwort Ho Chi Minh
Auch Frauen können Geheimnisse Der Geist muß als ganzes durch
verschweigen. Aber sie können das Reduktionsventil des Gehirns
nicht verschweigen, daß sie Ge¬ hindurchfließen. Was übrigbleibt,
heimnisse verschweigen. ist ein spärliches Rinnsal von Be¬
William Somerset Maugham wußtsein.
[1874-1965]; brit. Schriftsteller Aldous Huxley [1894-1963];
brit. Schriftsteller
Unbedingter Gehorsam setzt bei Der Stil ist die Physiognomie des
den Gehorchenden Unwissenheit Geistes.
voraus. Arthur Schopenhauer
Montesquieu, Geist der Gesetze
Der Geist ist demselben Gesetz un¬
Manche Eltern und Schulen begin¬ terworfen wie der Körper: Beide
nen mit dem Versuch, den Kindern können sich nur durch beständige
völligen Gehorsam beizubringen, Nahrung erhalten.
ein Versuch, der entweder einen Vauvenargues [1715-1747];
Sklaven oder einen Empörer her¬ franz. Schriftsteller
vorbringen muß.
Bertrand Russell, Schriften
-Geiz
Der Gehorsam heuchelt Unterord¬ Geiz ist Grausamkeit gegen die
nung, so wie die Angst vor der Poli¬ Dürftigen, und die Verschwendung
zei Anständigkeit heuchelt. ist es nicht weniger.
George Bernard Shaw Christian Fürchtegott Gellert
612
Teil II Geld
Der Geizige macht zahllose Testa¬ Die meisten tragen ihr Geld zur
mente. Sie haben für ihn den Reiz Bank, um es vor sich selbst in Si¬
einer Geldausgabe, von der er cherheit zu bringen.
weiß, daß er sie nie erlebt. Sigmund Graff
Sigmund Graff
Das Geld ist notwendig, aber nicht
Geiz ist die Armut der Reichen. ausreichend. Es ist aber notwen¬
Werner Mitsch dig, daß es ausreichend ist, damit
es nicht mehr notwendig ist.
Manfred Hinrich
_Gelassenheit
Wenn man das Geld richtig behan¬
Die Gelassenheit ist eine anmutige
delt, ist es wie ein folgsamer Hund,
Form des Selbstbewußtseins.
der einem nachläuft.
Marie von Ebner-Eschenbach
Howard R. Hughes [1905-1976];
613
Gelübde Teil II
Viele Menschen benutzen das päck kommen wir von den meisten
Geld, das sie nicht haben, für den Reisen arm zurück.
Einkauf von Dingen, die sie nicht Sigmund Graff
brauchen, um damit Leuten zu im¬
ponieren, die sie nicht mögen. Ich bin nur mit dem anderen, allein
Walter Slezak [1902-1983]; bin ich nichts.
amerik. Schauspieler, Sänger und Karl Jaspers
Schriftsteller österr. Herkunft
_Gemeinplatz
_Gemeinwohl
Respekt vor dem Gemeinplatz! Er
ist seit Jahrhunderten aufgespei¬ Das Wohl des Ganzen ist das erste
cherte Weisheit. Gesetz, wie bei jedem lebendigen
Marie von Ebner-Eschenbach Dinge; und jede Staatsverfassung,
wo nur ein Teil sich wohlbefindet
oder gar abgesondert wäre, ist ein
-Gemeinsamkeit Ungeheuer, eine Mißgeburt.
Wilhelm Heinse
Nichts bist du, nichts ohne die an¬
dern. Der verbissenste Misanthrop Die Summe der Einzelinteressen
braucht die Menschen doch, wenn ergibt nicht Gemeinwohl, sondern
auch nur, um sie zu verachten. Chaos.
Marie von Ebner-Eschenbach Manfred Rommel
614
Teil II Gerechtigkeit
_Gerechtigkeit
* Raffael wäre ein großer Maler ge¬
worden, selbst wenn er ohne Hän¬ Gerechtigkeit ohne Gnade ist nicht
de auf die Welt gekommen wäre. viel mehr als Unmenschlichkeit.
Nach Gotthold Ephraim Albert Camus [1913-1960];
Lessing, Emilia Galotti franz. Schriftsteller
Der geniale Mensch ist der, der Von allen Tugenden die schwerste
615
Gerücht Teil II
und seltenste ist die Gerechtigkeit. darf die Portionen bestimmen, und
Man findet zehn Großmütige ge¬ der andere hat die Wahl.
gen einen Gerechten. Gustav Stresemann [1878-1929];
Franz Grillparzer dt. Politiker
Es gibt ein unfehlbares Rezept, ei¬ * Die Art, wie man gibt, gilt mehr,
ne Sache gerecht unter zwei Men¬ als was man gibt.
schen aufzuteilen: Einer von ihnen Pierre Corneille, Der Lügner
616
Teil II
Geschichte
Wie wir von manchen Menschen gen sollten, unsere Feinde „zu
verkannt werden, beweisen uns lieben“ - was wir angesichts
nicht selten ihre Geschenke. der Werkzeuge, deren sich die
Sigmund Graff Schlächter heutzutage bedienen
können, nicht mehr allzulange wer¬
Das Rechte nach Bedarf zu schen¬ den hinausschieben dürfen.
ken macht immer nötig, scharf zu Hoimar von Ditfurth
denken.
Eugen Roth Geschichte ist machbar.
Rudolf (Rudi) Dutschke
Ein Geschenk von zwei bis drei
Blumen sagt mehr als ein ganzer Heute muß man Geschichte mit
Tragkorb. dem Bleistift schreiben; es läßt sich
Robert Schumann leichter radieren.
Pierre Gaxotte [1895-1982];
franz. Historiker und Publizist
_Geschichte
Geschichte schreiben ist eine Art,
Der Ausdruck des Geschichtlichen
sich das Vergangene vom Halse zu
an Dingen ist nichts anderes als der
schaffen.
vergangener Qual.
Goethe, Maximen und
Theodor W. Adorno
Reflexionen
Das „Zu spät“ ist die große Toten¬
Geschichte ist irreparable Politik.
glocke der Geschichte.
Politik manipulierbare Geschichte.
Rudolf Augstein [* 1923];
Sigmund Graff
dt. Publizist
617
Geschmack Teil II
Die Geschichte belehrt fast nie¬ holt und immer das Unerwartete
mand als die Gelehrten, die sie leh¬ geschieht, wie unfähig muß der
ren, selten die Gewaltigen, welche Mensch sein, durch Erfahrung
die Geschichte selber regieren und klug zu werden.
erzeugen helfen. George Bernard Shaw
Jean Paul
Wer die Enge seiner Heimat ermes¬
Geschichte: Sammlung von Tatsa¬ sen will, reise. Wer die Enge seiner
chen, die vermeidbar gewesen wä¬ Zeit ermessen will, studiere Ge¬
ren. schichte.
Stanislaw Jerzy Lec Kurt Tucholsky
Die Geschichte lehrt, wie man sie Die Geschichte ist die Wissen¬
fälscht. schaft von den Dingen, die sich
Stanislaw Jerzy Lec nicht wiederholen.
Paul Valery [1871-1945];
Nicht die Gewehrkugeln und Ge¬ franz. Schriftsteller
neräle machen Geschichte, son¬
dern die Massen. Was den Menschen auszeichnet, ist
Nelson R. Mandela [*1918]; nicht, daß er Geschichte hat, son¬
südafrikan. Politiker dern daß er etwas von seiner Ge¬
schichte begreift.
Die Geschichte ist das Reich der Carl Friedrich von Weizsäcker,
Notwendigkeit. Geschichte
Herbert Marcuse
618
Teil II Gespräch
Es gibt Menschen, die heiser wer¬ Die Gesellschaft ist immer eine dy¬
den, wenn sie ununterbrochen acht namische Einheit zweier Faktoren,
Tage lang mit keinem ein Wort ge¬ der Eliten und der Massen.
sprochen haben. Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Karl Kraus
619
Gestalten Teil II
Ich spreche nicht gern mit Leuten, wie mit der des Körpers. Ohne Ge¬
die stets meiner Meinung sind. sundheit keine ersprießliche Tätig¬
Eine Zeitlang macht es Spaß, mit keit; aber die Erhaltung der Ge¬
dem Echo zu spielen, auf die Dau¬ sundheit zum Geschäfte seines Le¬
er aber ermüdet es. bens zu machen, ist die Sache der
Thomas Carlyle müßigen Toren und Hypochondri-
sten.
Ein gutes Gespräch ist ein Kom¬ Franz Grillparzer
promiß zwischen Reden und Zu¬
hören. Überhaupt aber beruhen neun
Ernst Jünger [* 1895]; Zehntel unseres Glückes allein auf
dt. Schriftsteller der Gesundheit. Mit ihr wird alles
eine Quelle des Genusses, hinge¬
Groß betrachtet ist alles Gespräch gen ist ohne sie kein äußeres Gut,
nur - Selbstgespräch. welcher Art es auch sei, genießbar.
Christian Morgenstern Arthur Schopenhauer
_Gestalten
620
Teil II Gewissen
waltlosigkeit passen nicht zusam¬ Ich bin für die Aufteilung der Ge¬
men. winne - solange ein Unternehmen
Mahatma Gandhi Gewinne macht.
LeeIacocca
Gewaltlosigkeit ist unmöglich oh¬
ne Demut. Wer nur um Gewinn kämpft, erntet
Mahatma Gandhi nichts, wofür es sich lohnt zu
leben.
Die Demokratie, wie ich sie verste¬ Antoine de Saint-Exupery
he, muß dem Schwächsten die glei¬ [1900-1944]; franz. Schriftsteller
chen Chancen zusichern wie dem
Stärksten. Nur Gewaltlosigkeit * Viel kann verlieren, wer gewinnt.
kann zu diesem Ziele führen. August Wilhelm Schlegel, Arion
Mahatma Gandhi
621
Gewohnheit Teil II
Wer von all seinen Gewohnheiten * Denn aus Gemeinem ist der
Kenntnis nähme, wüßte nicht Mensch gemacht, und die Ge¬
mehr, wer er ist. wohnheit nennt er seine Amme.
Elias Canetti Schiller, Wallensteins Tod
Die Gewohnheit ist langlebiger als Oft brüllen wir, man habe uns un¬
die Liebe und überwindet manch¬ sere Rechte genommen, dabei hat
622
Teil II Glaube
man uns nur von unseren üblen Alles Wissen geht aus einem Zwei¬
Gewohnheiten befreit. fel hervor und endigt in einem
ÄLEKSANDER SWIETOCHOWSKI Glauben.
Marie von Ebner-Eschenbach
Glaube ist Gewißheit ohne Bewei¬ Glaube und Zweifel verhalten sich
se.
zueinander wie Regierung und Op¬
Henri Frederic Amiel
position in einem parlamentari¬
[1821-1881]; schen Gemeinwesen.
Schweiz. Schriftsteller
Hans Egon Holthusen,
Verstehen
* Wo das Wissen aufhört, fängt der
Glaube an.
Den Glauben an den Schöpfer auf¬
Aurelius Augustinus [354-430];
geben, das hieße, den Urgrund des
abendländischer Kirchenvater
Lebens verlassen - es hieße das Le¬
ben selbst aufgeben.
Es wachsen Glaube und Unschuld
Gertrud von Le Fort
nur am Baume der Kindheit noch;
jedoch sie währen nicht.
Wo der Glaube ist, da ist auch
Dante Alighieri
Lachen.
Martin Luther
Hat eigentlich die Skepsis auf die
Schlachtfelder geführt oder der
Es ist aber das Herz, das Gott
Glaube?
spürt, und nicht die Vernunft. Das
Karlheinz Deschner
aber ist der Glaube: Gott im Her¬
Religiöser Glaube ist nicht gleich¬ zen spüren und nicht in der Ver¬
bedeutend mit dem Für-wahr-Hal- nunft.
ten von Absurditäten, sondern Blaise Pascal
Ausdruck einer bestimmten Le¬
benshaltung. Der Glaube eines Menschen kann
Hoimar von Ditfurth
durch kein Glaubensbekenntnis,
sondern nur durch die Beweggrün¬
Glaube ist der Motor des Wissens. de seiner gewöhnlichen Handlun¬
Friedrich Dürrenmatt gen festgestellt werden.
[1921-1990]; George Bernard Shaw
Schweiz. Dramatiker
Wenn der Glaube stark ist, kann er
Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen. Aber ist er auch
Berge versetzen kann, so ist es der noch blind, dann begräbt er das
Glaube an die eigene Kraft. Beste darunter.
Marie von Ebner-Eschenbach Karl Heinrich Waggerl
623
Glauben Teil II
Glaube ist ein sich stets erweitern¬ Mensch zum Erkennen, den Glau¬
der Teich von Klarheit, von Quel¬ ben zum Handeln.
len gespeist, die jenseits des Be¬ Max Planck [1858-1947];
wußtseinsrands entspringen. Wir dt. Physiker
alle wissen mehr als das, wovon wir
wissen, daß wir es wissen. Es kommt nicht darauf an, was
Thornton Wilder man glaubt, sondern wie man es
glaubt.
Bertrand Russell, Moral
_Glauben
Ein Schisma findet immer dann
Glauben ist die Fähigkeit, in Got¬ statt, wenn pures Glauben entwe¬
tes Tempo zu gehen. der zu unglaubwürdig oder zu an¬
Martin Buber strengend wird.
Wolfdietrich Schnurre,
Wer glaubt, der flieht nicht aus sei¬ Schattenfotograf
ner Mitverantwortung an den Ent¬
scheidungen des Tages, aus der Glauben und Wissen verhalten
Mitsorge um den Frieden der Welt. sich wie die zwei Schalen einer
Albrecht Goes [* 1908]; Waage: in dem Maße, als die eine
dt. Schriftsteller steigt, sinkt die andere.
Arthur Schopenhauer
Unmöglich ist’s, drum eben glau¬
benswert. Es ist selten, daß ein Mensch weiß,
Goethe, Faust II was er eigentlich glaubt.
Oswald Spengler, Gedanken
Nur was wir selber glauben, glaubt
man uns
Karl Gutzkow _Gläubiger
Glauben ist Vertrauen, nicht Wis¬ Gläubiger haben ein besseres Ge¬
senwollen. dächtnis als Schuldner.
Hermann Hesse Benjamin Franklin, Reichtum
624
Teil II Glück
Ich kann mir nichts Besseres den¬ Das Geheimnis eines glücklichen
ken als ein bescheidenes, einfaches Lebens liegt in der Entsagung.
und freies Leben in einer egalitären Mahatma Gandhi
Gesellschaft.
Karl R. Popper In den meisten Fällen ist Glück
kein Geschenk, sondern ein Darle¬
Gleichheit ist immer der Probe¬ hen.
stein der Gerechtigkeit, und beide Albrecht Goes [* 1908];
machen das Wesen der Freiheit. dt. Schriftsteller
Johann Gottfried Seume,
Apokryphen * Das wahre Glück ist die Genüg¬
samkeit.
Wer politische Freiheit mit persön¬ Goethe, Adler und Taube
licher Freiheit verwechselt und po¬
litische Gleichheit mit persönlicher * Glücklich allein ist die Seele, die
Gleichheit, hat niemals auch nur liebt.
fünf Minuten lang über Freiheit Goethe, Egmont
und Gleichheit nachgedacht.
George Bernard Shaw Der ist der glücklichste Mensch,
der das Ende seines Lebens mit
Wo die Gleichheit unangefochten dem Anfang in Verbindung setzen
bleibt, dort bleibt die Unterord¬ kann.
nung auch unangefochten. Goethe, Maximen und
George Bernard Shaw Reflexionen
625
Glück Teil II
Ein ganzes Unglück verdrießt uns fel. Das Glück, das hinter der Not
nicht so sehr wie ein nur zur Hälfte kommt, ist ein tröstender Engel.
eingetroffenes Glück. Johann Heinrich Pestalozzi,
Karl Gutzkow Kinderlehre
Glücklich und zufrieden ist, wer Das höchste Glück des Menschen
weiß, was er nicht braucht. ist die Befreiung von der Furcht.
Wolfgang Herbst Walther Rathenau
Sich wegwerfen können für einen Glück heißt seine Grenzen kennen
Augenblick, Jahre opfern können und sie lieben.
für das Lächeln einer Frau, das ist Romain Rolland [1866-1944];
Glück. franz. Schriftsteller
Hermann Hesse
Wenn ich mit intellektuellen
Großes Glück ist die Feuerprobe Freunden spreche, festigt sich in
des Menschen, großes Unglück nur mir die Überzeugung, vollkomme¬
die Wasserprobe. nes Glück sei ein unerreichbarer
Jean Paul Wunschtraum. Spreche ich dage¬
gen mit meinem Gärtner, bin ich
Die meisten Menschen sind, um vom Gegenteil überzeugt.
glücklich zu sein, entweder nicht Bertrand Russell, Schriften
gescheit oder nicht dumm genug.
Hans Krailsheimer Glück ist das Wissen darum, daß
du nicht notwendigerweise Glück
Es bedarf größerer Tugenden, das brauchst.
Glück zu ertragen als das Unglück. William Saroyan [1908-1981];
Francois de La Rochefoucauld amerik. Schriftsteller
Es gibt kein Licht, das nur sich sel¬ Schlimmer betrogen, wer aus
ber leuchtet. Ein jedes Glück er¬ Angst vor Enttäuschung immer
hellt die Welt. wieder sein Glück versäumte, als
Hans Margolius wer jede Möglichkeit eines Glücks
ergriff, selbst auf die Gefahr hin, es
Das Glück im Leben hängt von den könnte wieder nicht das wahre ge¬
guten Gedanken ab, die man hat. wesen sein.
Mark Aurel [121-180]; Arthur Schnitzler
röm. Kaiser
Das Glück ist das einzige, was sich
Glück kann man nur festhalten, in¬ verdoppelt, wenn man es teilt.
dem man es weitergibt. Albert Schweitzer
Werner Mitsch
Nicht alles, was glücklich macht,
* Glück hat auf die Dauer nur der ist gesund, aber alles, was unglück¬
Tüchtige. lich macht, ist ungesund.
Helmuth Graf von Moltke Gerd Uhlenbruck
[1800-1891]; preußischer
Generalfeldmarschall Glück ist das Maß für die kleinste
Zeiteinheit im Leben eines Men¬
Das Glück, das vor der Not schen.
kommt, ist ein verführender Teu¬ Gerd Uhlenbruck
626
Teil II
Gott
_Gold
Gott ist überall. Ist er deshalb so
* Nach Golde drängt, am Golde schwer zu finden?
hängt doch alles. Werner Mitsch
Goethe, Faust I
Wer Gott aufgibt, der löscht die
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Sonne aus, um mit einer Laterne
Aber es glänzt auch nicht alles, weiterzuwandeln.
was Gold ist. Christian Morgenstern
Friedrich Hebbel
Gott stirbt im Schoß der christli¬
chen Gesellschaft, und er stirbt
eben deshalb, weil diese Gesell¬
_Gott schaft ihrem Wesen nach nicht
Alle Menschen haben Zugang zu christlich war.
Gott, aber jeder einen andern. Octavio Paz, Essays I
Martin Buber
Wer Gott definiert, ist schon Athe¬
Gott ist der einzige Herr der Welt, ist.
der weniger zu sagen hat als seine Oswald Spengler, Gedanken
Diener.
Karlheinz Deschner Der Gott, den Jesu zu verkünden
kam, war alles andere als neutral.
Der Mensch verlangt nicht so sehr Er ergriff die Partei der Unter¬
nach Gott als nach dem Wunder. drückten, der Armen, der Ausge¬
Fjodor M. Dostojewski, Die beuteten, nicht weil sie heiliger
Brüder Karamasow oder moralisch besser waren als ih¬
re Unterdrücker. Nein, er stand
Vermutlich gibt es Sünden, die einzig und allein auf ihrer Seite,
nicht als Sünden erkannt sind. weil sie unterdrückt waren.
Zum Beispiel die, Gott anzuneh¬ Desmond tutu
627
Gottesdienst Teil II
628
Teil II Das Gute
* Denn nichts ist groß, was nicht die Maske eines Menschen, der an
wahr ist. sich verzweifelt.
Gotthold Ephraim Lessing, Arthur Schnitzler
Hamburgische Dramaturgie
629
Güte Teil II
630
Teil II Haß
Für das Können gibt es nur einen vergehen. Er vergeht mit der Zeit,
Beweis, das Tun. begleitet unser Leben, nutzt sich
Marie von Ebner-Eschenbach allmählich ab, sucht nicht den Tod,
aber negiert ihn auch nicht: er
* Der Handelnde ist immer gewis¬ nimmt ihn hin. Das Werk des
senlos; es hat niemand Gewissen Handwerkers lehrt uns zu sterben
als der Betrachtende. und somit zu leben.
Goethe, Maximen und Octavio Paz, Essay II
Reflexionen
Nicht was der Mensch ist, nur was Die euch Haß predigen, erlösen
er tut, ist sein unverlierbares Eigen¬ euch nicht.
tum. Marie von Ebner-Eschenbach
Friedrich Hebbel
Es ist ein glückliches Gefühl, für
Handle so, daß die Maxime deines einen Haß, den wir bis dahin nur
Willens jederzeit zugleich als Prin¬ instinktmäßig nährten, plötzlich ei¬
zip einer allgemeinen Gesetzge¬ nen triftigen Grund zu erhalten.
bung gelten kann. Karl Gutzkow
Immanuel Kant
Wenn man etwas recht gründlich
Handeln. Dem Schicksal eine haßt, ohne zu wissen, warum, so
Richtung geben. kann man überzeugt sein, daß man
Werner Mitsch davon einen Zug in seiner eigenen
Natur hat.
Sicherlich ist es leichter zu schrei¬ Friedrich Hebbel
en, daß das Feld vom Unkraut be¬
wachsen ist; konsequenter ist es, Der Haß ist die Liebe, die geschei¬
das Feld umzupflügen und mit tert ist.
nützlichem Korn zu bebauen. Sören Kierkegaard
ALEKSANDER SwigTOCHOWSKI
Jeden Ort, welchen die Liebe ver¬
* Nichts halb zu tun ist edler Gei¬ läßt, den gewinnt der Haß.
ster Art. Gertrud von Le Fort
Christoph Martin Wieland
[1733-1813];
Haß ist Liebe, die sich erschöpft
dt. Schriftsteller hat.
Hans Lohberger
_Handwerk
Wenn der Haß feige wird, geht er
Der Gegenstand des Handwerks maskiert in Gesellschaft und nennt
will weder Jahrtausende dauern, sich Gerechtigkeit.
noch ist er davon besessen, bald zu Arthur Schnitzler
631
Heilige Teil II
_Heilige _Heirat
632
Teil II
Herz
_Held -Heldentum
Die wahren Helden der Geschichte Historiker wissen, wie viele Hel¬
sind nicht die großen Eroberer ge¬ dentaten auf einen Mangel an Al¬
wesen, sondern jene, die im Kampf ternativen zurückzuführen sind.
gegen das Unrecht führten. Robert Lembke
Martin Andersen-Nex0
Welch ein tragischer Irrtum, für ei¬
* Unglücklich das Land, das Hel¬ ne Sache zu sterben, statt für sie zu
den nötig hat! leben!
Bertolt Brecht, Galilei Karl Heinrich Waggerl
633
Heuchelei Teil II
Ich kann mir nicht helfen: Apoka- Wo in irgendeiner Weise mein Le¬
lyptiker mit Bäuchen sind nicht ben sich an Leben hingibt, erlebt
überzeugend! mein endlicher Wille zum Leben
Michael Schneider das Einswerden mit dem unendli-
634
Teil II
Hoffnung
chen, in dem alles Leben eins ist. Manche Menschen machen sich
Albert Schweitzer vor anderen so klein wie möglich,
um größer als diese zu bleiben.
Christian Morgenstern
-Historiker
Historiker sind unter den Akade¬ * Hochmut kommt vor dem Fall.
mikern die Krebse. Sie schreiten Sprüche Salomos 16,18
rückwärts vorwärts.
Oliver Hassencamp
_Hochzeit
Der Historiker ist oft nur ein rück¬ t Heirat
wärts gekehrter Journalist.
Karl Kraus
_Hoffnung
Der Historiker ist ein rückwärts ge¬
kehrter Prophet. Wer heut’ noch hoffen macht, der
Friedrich Schlegel [1772-1829];
lügt! Doch wer die Hoffnung tötet,
ist ein Schweinehund.
dt. Ästhetiker und Dichter
Wolf Biermann, Affenfels
635
Hoffnungslosigkeit Teil II
Ich habe auch die Erfahrung bestä¬ * Die Hölle, das sind die anderen.
tigt gesehen, daß es hoffnungslose Jean Paul Sartre
636
Teil II
Humor
* Humor ist, wenn man trotzdem Humor ist die Kunst, sich ohne
lacht. Spiegel selber ins Gesicht zu la¬
Otto Julius Bierbaum chen.
[1865-1910]; Paul Hörbiger [1894-1981];
dt. Schriftsteller österr. Schauspieler
Humor ist keine Gabe des Geistes, Humor ist überwundenes Leiden
er ist eine Gabe des Herzens. an der Welt.
Ludwig Börne, Denkrede auf Jean Paul
Jean Paul
Der Humor ist das einzige Gebiet
Es ist schlimm, in einem Lande zu des Schöpferischen, das einen phy¬
leben, in dem es keinen Humor sikalischen Reflex auslöst - das
gibt. Aber noch schlimmer ist es, in Lachen.
einem Lande zu leben, in dem man Arthur Koestler, Funke
Humor braucht.
Bertolt Brecht Der englische Humor macht Spaß.
Der deutsche Humor aber dient
Die Phantasie tröstet die Men¬ dem Zwecke der Erheiterung.
schen über das hinweg, was sie Werner Mitsch
nicht sein können, und der Humor
über das, was sie tatsächlich sind. Humor ist der Schwimmgürtel auf
Albert Camus [1913-1960]; dem Strome des Lebens.
franz. Schriftsteller Wilhelm Raabe
637
Hunger Teil II
Humor ist der Knopf, der verhin¬ Wie sollte ich vor den Millionen,
dert, daß uns der Kragen platzt. die keine zwei Mahlzeiten am Tage
Joachim Ringelnatz haben, über Gott sprechen? Ihnen
[1883-1934]; kann Gott nur als Brot und Butter
dt. Schriftsteller erscheinen.
Mahatma Gandhi
Ein ernster Mensch sein und kei¬
nen Humor haben, das ist zweier¬ Der Hunger der Menschen in ver¬
lei. schiedenen Teilen der Welt rührt
Arthur Schnitzler daher, daß viele von uns viel mehr
nehmen als sie brauchen.
Das ist Humor: durch die Dinge Mahatma Gandhi
durchsehen, wie wenn sie aus Glas
wären.
Kurt Tucholsky _ Hypochonder
_Hunger
Wo Hunger herrscht, kann Friede Wir sagen und ich meinen ist eine
nicht Bestand haben. von den ausgesuchtesten Kränkun¬
gen.
Willy Brandt, Erinnerungen
Theodor W. Adorno
638
Teil II
Idee
_Idealist
_Ichsucht
„Idealisten“ nennt man die, wel¬
t Egoismus
che erst der Macht weichen - aber
noch nicht der Logik.
Ludwig Marcuse
_Ideal
Die großen Ideale der Vergangen¬ Wenn man im Leben keinen Erfolg
heit haben sich nicht überlebt; sie hat, braucht man sich deshalb
wurden nicht genug gelebt. Keines¬ nicht ohne weiteres für einen Idea¬
wegs wurde das christliche Ideal listen zu halten.
erprobt und als unzulänglich er¬ Henry Miller [1891-1980];
kannt; man fand es schwierig und amerik. Schriftsteller
ließ es unerprobt.
Gilbert K. Chesterton Der Satiriker ist ein gekränkter
Idealist.
Ideale haben merkwürdige Eigen¬ Kurt Tucholsky
schaften, unter anderem die, daß
sie in ihr Gegenteil Umschlägen,
sobald man sie verwirklicht. _Idee
Robert Musil
Ich bin ein guter Schwamm, denn
Alles Leben, zumindest alles ich sauge Ideen auf und mache sie
menschliche, ist unmöglich ohne dann nutzbar. Die meisten meiner
Ideal, oder, anders gesagt, das Ideen gehörten ursprünglich ande¬
Ideal ist ein organischer Bestand¬ ren Leuten, die sich nicht die Mühe
teil des Lebens. gemacht haben, sie weiterzuent¬
Jose Ortega y Gasset, Liebe wickeln.
Thomas Alva Edison
Die Ideale sind das, was unsere vi¬ [1847-1931]; amerik. Erfinder
talen Geisteskräfte anregt, biologi¬
sche Sprungfedern, Zündstoff für Jede neue Idee, die man vorbringt,
explosive Energieentladungen. muß auf Widerstand stoßen. Der
Jose Ortega y Gasset, Liebe Widerstand beweist übrigens nicht,
daß die Idee richtig ist.
Es gibt etwas Traurigeres als das Andre Gide, Tagebuch
639
Ideologie Teil II
Eine Idee ist das, was noch nicht Wenn eine neue Idee geboren wird,
genügt. so ist auch hier nur die Mutter si¬
Manfred Hinrich cher, nämlich der eigene Kopf. Der
geistige Vater wird selten angege¬
Nichts auf der Welt ist so mächtig ben.
wie eine Idee, deren Zeit gekom¬ Gerd Uhlenbruck
men ist.
Victor Hugo [1802-1885]; Neue Ideen begeistern jene am
franz. Schriftsteller meisten, die auch mit den alten
nichts anzufangen wußten.
Der Sinn einer Idee ist ihre Ver¬ Karl Heinrich Waggerl
wirklichung, und taugt die Ver¬
wirklichung nichts, war die Idee Eine Idee, die nicht gefährlich ist,
für die Katz. verdient es nicht, überhaupt eine
Hans Kasper, Verlust Idee genannt zu werden.
Oscar Wilde
Die herrschenden Ideen einer Zeit
waren stets nur die Ideen der herr¬
schenden Klasse. __ Ideologie
Karl Marx, Kommunistisches
Manifest Ideologie ist Ordnung auf Kosten
des Weiterdenkens.
Ein gut Teil der beängstigenden Friedrich Dürrenmatt
Probleme, die heutzutage auftre- [1921-1990]; Schweiz. Dramatiker
ten, rührt daher, daß die Durch¬
schnittsgehirne vollgesogen sind Ideologien sind Monokulturen -
mit passiv aufgenommenen, halb¬ marktbeherrschend auf Zeit, ver¬
verstandenen, ihrer Wirksamkeit kümmern sie mit dem ermüdenden
verlustig gegangenen Ideen, also Boden.
mit Pseudoideen. Hans Kasper, Revolutionäre
640
Teil II Information
Die Menschen verlieren zuerst ihre Die Menschen aber, die ihren eige¬
Illusionen, dann ihre Zähne und nen Weg zu gehen fähig sind, sind
ganz zuletzt ihre Laster. selten. Die große Zahl will nur in
Hans Moser [1880-1964]; der Herde gehen, und sie weigert
österr. Schauspieler die Anerkennung denen, die ihre
eigenen Wege gehen wollen.
Blaise Pascal
_Image
Individualismus ohne Solidarität
Image - Persönlichkeit in Pulver¬
ist Feigheit. Individualismus ohne
form (instant personality). Sofort
Engagement ist Flucht.
fertig, sofort vergessen.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Oliver Hassencamp
641
Innenpolitik Teil II
642
Teil II
Irrtum
643
Journalist Teil II
_Journalist
♦Jugend ist Trunkenheit ohne
Ein Journalist wird man um so Wein.
leichter, je leichter man schreibt, Goethe, Das Schenkenbuch
ein Dichter, je schwerer man
schreibt. Der Jugend wird oft der Vorwurf
Sigmund Graff gemacht, sie glaube, daß die Welt
mit ihr erst anfange. Aber das Alter
Der Journalist ist immer einer, der glaubt noch öfter, daß mit ihm die
nachher alles vorher gewußt hat. Welt aufhöre.
Karl Kraus Friedrich Hebbel
644
Teil II Jurist
_Junggeselle
* Schnell fertig ist die Jugend mit
dem Wort. Junggesellen wissen mehr über
Schiller, Wallensteins Tod Frauen als Ehemänner. Wenn das
nicht so wäre, wären sie auch ver¬
In der Jugend herrscht die An¬ heiratet.
schauung, im Alter das Denken Robert Lembke
vor. Daher ist jene die Zeit für Poe¬
sie, dieses mehr für Philosophie. Eine Junggesellin ist eine Frau, die
Arthur Schopenhauer einmal zu oft nein gesagt hat.
Inge Meysel [*1910];
Die Jugend ist etwas Wundervol¬ dt. Schauspielerin
les. Es ist eine Schande, daß man
sie an die Kinder vergeudet. Die Ehe nehmen die Junggesellen
George Bernard Shaw ernster als die Verheirateten.
Cesare Pavese
Junge Leute leiden weniger unter
eigenen Fehlern als unter der Weis¬
heit der Alten.
_Jurist
Vauvenargues [1715-1747];
franz. Schriftsteller Es ist nicht einzusehen, weshalb es
neben den Rechtsanwälten, die un¬
ser Recht durchsetzen wollen,
nicht auch Versöhnungsanwälte
_Jugendkriminalität
gibt, die uns Rechtsstreitigkeiten
Die Jugendkriminalität läßt sich ersparen möchten.
schließlich nur beseitigen, wenn Sigmund Graff
die Gesellschaft von ihrer morali¬
schen Pflichtvergessenheit und der Juristen sind Leute, die die Ge-
645
Justiz Teil II
_Justiz
__Kapitalismus
Das Paragraphenzeichen allein
sieht aus wie ein Folterwerkzeug. Der Kapitalismus kann nicht
Stanislaw Jerzy Lec „human“ sein. Alles Menschli¬
che - außer dem Viehischen im
Das Strafrecht beruht auf der irri¬ Menschen - ist ihm fremd.
gen Annahme, daß jeder Mensch Maxim Gorki [1868-1936];
verantwortlich und fähig ist, das russ.-sowjet. Schriftsteller
Schlechte oder das Gute zu wollen.
Alexander S. Neill Es ist ein Schönheitsfehler des Ka¬
pitalismus, daß er zwar allen die
Wenn der Rechtsprecher nur end¬ gleiche Chance gibt, geschäftstüch¬
lich einmal mit dem Geheimnis der tig zu sein, es aber unterlassen hat,
Zellenhaft vertraut würde, wie an¬ dafür zu sorgen, daß alle auch die
ders müßten selbst die Urteile der gleiche Geschäftstüchtigkeit besit¬
bürgerlichen Justiz aussehen! zen, um sie wahrzunehmen.
Carl von Ossietzky Sigmund Graff
K _Karikatur
_Kampf
_ Karneval
Das, was die Menschen den
Kampf ums Dasein nennen, ist Das Mißliche am Karneval ist, daß
nichts anderes als der Kampf um er im Kalender steht, d. h., abgeju-
den Aufstieg. belt werden muß.
Bertrand Russell, Schriften Sigmund Graff
646
Teil II Kind
647
Kindererziehung Teil II
neue Wege fanden, nicht die Ver¬ Glücklicher Säugling! Dir ist ein
blendeten. unendlicher Raum noch die Wiege.
Wolf Biermann, Welt Werde Mann, und dir wird eng die
unendliche Welt!
Kinder, die man nicht liebt, wer¬ Schiller, Das Kind in der Wiege
den Erwachsene, die nicht lieben.
PearlS. Buck [1892-1973]; Zuerst lieben die Kinder ihre El¬
amerik. Schriftstellerin tern. Nach einer gewissen Zeit fäl¬
len sie ihr Urteil über sie. Und sel¬
Kinder sind Hoffnungen, die man ten, wenn überhaupt je, verzeihen
verliert, und Ängste, die man nie sie ihnen.
los wird. Oscar Wilde
Karlheinz Deschner
648
Teil II Kleingeist
Klassiker: einer, der uns nicht Geht man unter die Leute, erfährt
mehr davon in Kenntnis setzen man was sich zu Hause tut.
kann, daß er die Ansichten, auf die Jüdisches Sprichwort
wir uns berufen, längst geändert
Ich verzeihe meinen Freunden, die
hat.
Schlechtes über mich sagen, aber
Gabriel Laub
nicht denen, die es mir überbrin¬
* Wer wird nicht einen Klopstock gen.
loben? Andre Malraux [1901-1976];
Doch wird ihn jeder lesen? - Nein. franz. Politiker und Schriftsteller
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein.
_Kleingeist
Gotthold Ephraim Lessing, An
den Leser Die gefährlichste Waffe sind die
Menschen kleinen Kalibers.
Ein klassisches Werk ist klassisch, Wieslaw Brudzinski
nicht weil es sich gewissen Regeln
des Aufbaus fügt oder zu gewissen Aber was kommt schon dabei her-
649
15 Duden 12
Klugheit Teil II
Großen.
Francois de La Rochefoucauld
_Komiker
_Klugheit Ein Komiker ist ein Mensch, der
nichts ernst nimmt außer sich
Wenn einer noch so klug ist, so ist
selbst.
er oft doch nicht klug genug, um
Danny Kaye [1913-1987];
den Dummen zu begreifen.
amerik. Schauspieler
Friedl Beutelrock
Es ist ein Zeichen von Klugheit, Jeder Mensch ist ein Clown, aber
wenn man verhandelt, statt zu nur wenige haben den Mut, es zu
kämpfen. zeigen.
Ho Chi Minh Charlie Rivel [1896-1983];
span. Akrobat und Clown
Kein Geld ist vorteilhafter ange¬
wandt als das, um welches wir uns
haben prellen lassen; denn wir ha¬
_Kommunikation
ben dafür unmittelbar Klugheit
eingehandelt. Es gibt lediglich vier Möglichkei¬
Arthur Schopenhauer ten des Kontakts mit unserer Um¬
welt. Man schätzt uns danach ein,
Der Vorteil der Klugheit besteht wie wir diese vier Kontaktmöglich¬
darin, daß man sich dumm stellen keiten nutzen: was wir tun, wie wir
kann. Das Gegenteil ist schon aussehen, was wir sagen und wie
schwerer. wir es sagen.
Kurt Tucholsky Dale Carnegie
650
Teil II
Konservativismus
*Was deines Amtes nicht ist, da * In Gefahr und großer Not bringt
laß deinen Vorwitz; denn es ist dir der Mittelweg den Tod.
schon mehr befohlen, als du kannst Friedrich von Logau
ausrichten. [1604-1655]; dt. Dichter
Jesus Sirach 3, 24-25
_Konferenz
_Kompliment
Eine Konferenz ist eine Sitzung,
Ein Kompliment unterscheidet bei der viele hineingehen und we¬
sich von einer Schmeichelei durch nig herauskommt.
den größeren Wahrheitsgehalt. Werner Finck
Und je weniger man persönlich an
einer Dame interessiert ist, desto
aufrichtiger sind Komplimente. _Können
Vadim Glowna [* 1942];
dt. Regisseur und Schauspieler Für das Können gibt es nur einen
Beweis, das Tun.
So wie es selten Komplimente gibt Marie von Ebner-Eschenbach
ohne alle Lügen, so finden sich
auch selten Grobheiten ohne alle Man muß schon sehr viel können,
Wahrheit. um nur zu merken, wie wenig man
Gotthold Ephraim Lessing, kann.
Hamburgische Dramaturgie Karl Heinrich Waggerl
_Kompromiß _Konservativismus
651
15*
Konsumgesellschaft Teil II
Liberalismus ist durch Vorsicht ge¬ Der Kopf ist jener Teil unseres
mäßigtes Vertrauen, Konservatis¬ Körpers, der uns am häufigsten im
mus ist durch Furcht gemildertes Wege steht.
Gabriel Laub
Mißtrauen der Menschen.
William Gladstone [1809-1898];
brit. Politiker
_ Körper
Wer nichts verändern will, wird
Der Körper ist der Übersetzer der
auch das verlieren, was er bewah¬
Seele ins Sichtbare.
ren möchte.
Christian Morgenstern
Gustav Heinemann [1899-1976];
dt. Politiker
Der Körper ist ohne den Geist
nicht denkbar, denn er ist nur die
Seltsam, wie konservativ die Men¬
Offenbarung des Verlangens nach
schen werden, wenn sie das Ge¬
dem Geist.
ringste zu verlieren haben!
Rudolf Steiner
Thomas Niederreuther
652
Teil II Krieg
echte Kraft. Die echte Kraft aber Ganz neue Zusammenhänge ent¬
reift im Kampf. deckt nicht das Auge, das über ein
Heinrich Mann [1871-1950]; Werkstück gebeugt ist, sondern das
dt. Schriftsteller Auge, das in Muße den Horizont
absucht.
Carl Friedrich von Weizsäcker,
_Krankheit Geschichte
_Kränkung _Krieg
t Beleidigung Geschichtsbildend sind nicht die
Kriege, sondern die Kunst.
Gottfried Benn, Marginalien
_Kreativität
Das große Karthago führte drei
Wer zu spät an die Kosten denkt, Kriege. Es war noch mächtig nach
ruiniert sein Unternehmen. Wer dem ersten, noch bewohnbar nach
immer zu früh an die Kosten denkt, dem zweiten. Es war nicht mehr
tötet die Kreativität. auffindbar nach dem dritten.
Philip Rosenthal [*1916]; Bertolt Brecht, Offener Brief
dt. Politiker und Industrieller 1951
653
Kriminalität Teil II
Kriege werden um ihrer selbst wil¬ Einen Krieg beginnen heißt nichts
len geführt. Solange man sich das weiter als einen Knoten zerhauen,
nicht zugibt, werden sie nie wirk¬ statt ihn auflösen.
lich zu bekämpfen sein. Christian Morgenstern
Elias Canetti
Kriege sind Rückfälle ins Kanni-
* Der Krieg ist die Fortsetzung der balentum.
Politik mit anderen Mitteln. Rudolf Rolfs
Nach Carl von Clausewitz
[1780-1831]; preuß. General und Wenn die Welt ein paar Generatio¬
Militärtheoretiker nen lang ohne Krieg auskommen
könnte, würde ihr schließlich der
Was zuerst geächtet werden muß, Krieg genauso absurd erscheinen,
sind die gerechten Kriege; Es gibt wie das Duell uns heute erscheint.
zwar keine, aber dennoch sind sie Bertrand Russell, Schriften
der Grund, aus dem es immer wie¬
der andere gibt. Wir haben nur die Wahl, im näch¬
Sigmund Graff sten Krieg als Mitschuldige oder
als Unschuldige umzukommen.
Erkennt den Krieg nicht als von Wem da die Wahl schwerfällt, der
außen, sondern von euch selbst ge¬
mag seine dumme Hoffnung auf
schaffen und gewollt, so habt ihr Atomwaffen bauen.
den Weg zum Frieden vor euch.
Martin Walser [* 1927];
Hermann Hesse
dt. Schriftsteller
654
Teil II
Kritiker
655
Kultur Teil II
scheiden sich nur darin vom Publi¬ mit Kultur Politik machen.
kum, daß sie das, was auch sie Theodor Heuss [1884-1963];
nicht sehen,ausdrücken können. dt. Politiker
Ludwig Marcuse
Auch die Kultur hat ihre konzes¬
Der Kritiker, der keine persönliche sionierte Prostitution: die Festspie¬
Feststellung trifft über seine eige¬ le.
nen Maßstäbe, ist einfach ein un¬ Martin Kessel, Gegengabe
zuverlässiger Kritiker. Er ist kein
Maßgebender, sonder einer, der Im besten Fall ist Kultur Anwei¬
die Resultate anderer wiederholt. sung zur Harmonisierung unserer
Ezra pound Bedürfnisse.
Alexander Mitscherlich
Zum Beruf des Kritikers gehört
Mut, vor allem Mut zum Irrtum. Die Innigkeit einer Riemenschnei¬
Wer keinen Mut hat, soll Buchhal¬ derschen Madonna und der totge¬
ter oder Steuerberater werden. prügelte Jude sind nicht zwei Wel¬
Marcel Reich-Ranicki [* 1920]; ten, die nichts miteinander zu tun
dt. Literaturkritiker poln. hätten, sondern zwei Seiten ein
Herkunft und derselben Kultur, zwei Ant¬
worten auf die gleiche Repression,
Man soll die Kritiker nicht für der ins Übermenschliche, Überir¬
Mörder halten; sie stellen nur den dische, Idealisierte und der ins Un¬
Totenschein aus. menschliche ausgewichen wird.
Marcel Reich-Ranicki [* 1920]; Alexander Mitscherlich
dt. Literaturkritiker poln.
Herkunft Unsere abendländische Kultur, auf
Altertum und Renaissance beru¬
Im übrigen gilt ja hier derjenige, hend, ist im härtesten Kampf ge¬
der auf den Schmutz hinweist, für gen die ausgesprochen kulturhem¬
viel gefährlicher als der, der den menden Kräfte des Christentums
Schmutz macht. entstanden!
Kurt Tucholsky Arno Schmidt [1914-1979];
dt. Schriftsteller
* Ein Rezensent, das ist ein Mann,
der alles weiß und gar nichts kann! Der Endzweck aller Kultur ist es,
Ernst von Wildenbruch das, was wir „Politik“ nennen,
[1845-1905]; dt. Dramatiker überflüssig, jedoch Wissenschaft
und Kunst der Menschheit unent¬
behrlich zu machen.
_Kultur Arthur Schnitzler
Die Geisteswelt der griechischen Kultur ist etwas wie die Verabre¬
Antike und des Roms der klassi¬ dung der Beteiligten zu verschwei¬
schen Epoche bildet die vielzitierte gen, daß sie keine ist.
Wurzel unserer Kultur. Wer davon Hermann Schweppenhäuser
nie etwas hörte, ist ärmer dran.
Hoimar von Ditfurth Kultur, verstanden als Lebenswei¬
se, ist vielleicht die glaubwürdigste
Mit Politik kann man keine Kultur Politik.
machen, aber vielleicht kann man Richard von Weizsäcker
656
Teil II
Kunst
Die Kunst ist der Übergang aus der Kunst wäscht den Staub des All¬
Natur zur Bildung und aus der Bil¬ tags von der Seele.
dung zur Natur. Pablo Picasso [1881-1973]; span.
Friedrich Hölderlin Maler, Graphiker und Bildhauer
657
Künstler Teil II
Kunst ist eine Lüge, die uns die Tradition besteht darin, sie zu ne¬
Wahrheit erkennen läßt. gieren.
Pablo Picasso [1881-1973]; span. Octavio Paz, Essays II
Maler, Graphiker und Bildhauer
Licht senden in die Tiefe des
* Ernst ist das Leben, heiter ist die menschlichen Herzens - des
Kunst. Künstlers Beruf!
Schiller, Wallensteins Lager Robert Schumann
(Prolog)
Die Kunst ist das einzig Ernsthafte
Kunst ist schön, macht aber viel auf der Welt. Und der Künstler ist
Arbeit. der einzige Mensch, der nie ernst¬
Karl Valentin [1882-1948]; dt. haft ist.
Komiker und Schriftsteller Oscar Wilde
_Künstler
658
Teil II
Langeweile
Zehn Küsse werden leichter ver¬ Heiterkeit und Lachen sind un¬
gessen als ein Kuß. trügliche Zeichen, die nur die
Jean Paul Menschlichkeit setzt.
Hans Kasper, Verlust
Ein Kuß ist eine Sache, für die man
beide Hände braucht. Lachen ist insofern ein einzigarti¬
Mark Twain ger Reflex, als er keinen augen¬
scheinlichen biologischen Nutzen
hat.
Arthur Koestler, Mensch
L _Langeweile
659
Lärm Teil II
Was Rednern an Tiefe fehlt, erset¬ Jeder Augenblick im Leben ist ein
zen sie durch Länge. Schritt zum Tode hin.
Montesquieu, Gedanken Pierre Corneille, Titus und
Berenice
Wenn einem Autor der Atem aus¬
geht, werden seine Sätze nicht kür¬ Das Leben ist für den Alltagsmen¬
zer, sondern länger. schen ein wissenschaftliches Pro¬
John Steinbeck [1902-1968]; blem, für das Talent ein künstleri¬
amerik. Schriftsteller sches und für das Genie ein religiö¬
ses.
Das Geheimnis zu langweilen be¬ Egon Friedell
steht darin, alles zu sagen.
Voltaire, Wesen des Menschen Die Menschen werden nicht an
dem Tag geboren, an dem ihre
Mutter sie zur Welt bringt, sondern
wenn das Leben sie zwingt, sich
_Lärm selbst zur Welt zu bringen.
Gabriel Garcia Märquez
Der eigene Hund macht keinen [* 1928]; kolumbianischer
Lärm - er bellt nur. Schriftsteller
Kurt Tucholsky
* Lebe, wie du, wenn du stirbst,
wünschen wirst, gelebt zu haben.
Christian Fürchtegott Gellert
_Laster
*Grau, teurer Freund, ist alle
Der Mensch möchte vor den Fol¬
Theorie und grün des Lebens gold-
gen seiner Laster bewahrt werden,
ner Baum.
aber nicht vor den Lastern selbst.
Goethe, Faust I
Ralph Waldo Emerson
[1803-1882]; amerik. Philosoph
Das Leben ist ein ewiges Werden.
und Schriftsteller
Sich für geworden halten heißt sich
töten.
Der Mensch pflegt die Laster, die Friedrich Hebbel
einträglich für ihn sind; aber er hat
das Bedürfnis, sie zu rechtfertigen; Wir verlangen, das Leben müsse ei¬
er will sie nicht opfern: also muß er nen Sinn haben - aber es hat nur
sie idealisieren. ganz genau so viel Sinn, als wir sel¬
Romain Rolland [1866-1944]; ber ihm zu geben imstande sind.
franz. Schriftsteller Hermann Hesse
660
Teil II Leben
Wie wenig ist am Ende der Lebens¬ wirklichen Leben entfernt sind als
bahn daran gelegen, was wir erleb¬ Eingeborene im afrikanischen
ten, und wie unendlich viel, was Busch.
wir daraus machten. Alexander S. Neill
Wilhelm von Humboldt
Leben ist der Anfang des Todes.
Das Leben gleicht einem Buche. Novalis, Blütenstaub
Toren durchblättern es flüchtig;
der Weise liest es mit Bedacht, weil Das Leben soll kein uns gegebener,
er weiß, daß er es nur einmal lesen sondern ein von uns gemachter Ro¬
kann. man sein.
Jean Paul Novalis, Logologische Fragmente
Am Schluß ist das Leben nur eine Leben ist nichts anderes als der
Summe aus wenigen Stunden, auf Umgang mit der Welt.
die man zulebte. Sie sind; alles an¬ Jose Ortega y Gasset, Aufstand
dere ist nur ein langes Warten ge¬
wesen. Das Leben ist nicht allein der An¬
Erhärt Kästner fang. Der Anfang ist nur das Jetzt,
und das Leben ist Dauer, Fortbe¬
Das Leben kann nur in der Schau stehen im nächsten Augenblick,
nach rückwärts verstanden, aber der auf das Jetzt folgt.
nur in der Schau nach vorwärts ge¬ Jose Ortega y Gasset, Goethe
lebt werden.
Sören Kierkegaard Für den Optimisten ist das Leben
kein Problem, sondern bereits die
Das Leben ist ein Zeichnen ohne Lösung.
die Korrekturmöglichkeiten des Marcel Pagnol [1895-1974];
Radiergummis. franz. Schriftsteller
Oskar Kokoschka [1886-1980];
österr. Maler und Schriftsteller Leben ist so etwas wie eine lange
Addition machen, in der man nur
Wenn das Leben elend ist, so ist es die Summe der ersten beiden Zah¬
beschwerlich, es zu ertragen; ist es lenreihen falsch zusammengezählt
glücklich, so ist es schrecklich, es zu haben braucht, um nicht mehr
zu verlieren: beides kommt auf zurechtzukommen.
eins hinaus. Cesare Pavese
Jean de La Bruyere
Die Politik ist die Kunst des Mögli¬
Das Leben ist wie ein Schulaufsatz. chen. Das ganze Leben ist Politik.
Meist wird das Thema verfehlt. Cesare Pavese
Werner Mitsch
Man kann und darf wohl sein eige¬
Das Leben ist die Suche des Nichts nes Leben für eine Sache riskieren,
nach dem Etwas. aber nie das Leben eines anderen.
Christian Morgenstern Karl R. Popper
Es ist eine einfache Wahrheit, daß Es tötet nichts so sicher als das
wir mit unseren Fernsehgeräten Leben.
und Düsenflugzeugen weiter vom Wilhelm Raabe
661
Lebensbejahung Teil II
Das Leben ist kurz, weniger wegen den Toten mit ins Grab geben,
der kurzen Zeit, die es dauert, son¬ nicht den Lebenden entziehen.
dern weil uns von dieser kurzen Wilhelm Raabe
Zeit fast keine bleibt, es zu genie¬
ßen. Wir sind in diese Welt gekommen
Jean-Jacques Rousseau, Emile nicht nur, daß wir sie kennen, son¬
dern daß wir sie bejahen.
* Das Leben ist der Güter höchstes Rabindranath Tagore
nicht.
Schiller, Braut von Messina
* Halte fest: Du hast vom Leben Nur wer Helles und Dunkles, Auf¬
doch am Ende nur dich selber. stieg und Niedergang erfahren, nur
Theodor Storm, Für meine Söhne der hat wahrhaft gelebt.
Stefan Zweig [1881-1942];
Daß ich bin, erfüllt mich mit immer
österr. Schriftsteller
neuem Staunen. Und dies bedeutet
Leben.
Rabindranath Tagore
662
Teil II
Lebensweise
-Lebensklugheit
-Lebenslüge
Lieber ein Narr und glücklich, als
ein weiser Mann und unglücklich. Wer eine Hintertür in sein Leben
Horst Wolfram Geissler einbaut, gebraucht sie eines Tages
[1893-1983]; dt. Schriftsteller als Hauptportal.
Hans Arndt
Lebensklugheit bedeutet: alle Din¬
ge möglichst wichtig, aber keines Nach und nach summieren sich al¬
völlig ernst nehmen. le diese Freundlichkeitslügen, die
Arthur Schnitzler das Leben angenehmer machen,
zur Lebenslüge, die das Leben
nicht nur unangenehm, sondern
_Lebenskunst unerträglich machen kann.
Kurt Marti
Die wahren Lebenskünstler sind
bereits glücklich, wenn sie nicht Eine Lebenswahrheit lautet, daß
unglücklich sind.
wir ohne Lebenslüge nicht aus-
Jean Anouilh
kommen.
Gerd Uhlenbruck
Es ist Lebenskunst, die schönen
Dinge im Leben nicht aufhören,
sondern ausklingen zu lassen.
Elisabeth Bergner [1897-1986]; _Lebensweise
österr. Schauspielerin
Das ganze Geheimnis, sein Leben
Wir alle müssen das Leben mei¬ zu verlängern, besteht darin, es
stern. Aber die einzige Art, es zu nicht zu verkürzen.
meistern, besteht darin, es zu lie¬ Ernst von Feuchtersleben
ben.
Georges Bernanos [1888-1948]; Wenn dem Menschen am Ende sei¬
franz. Schriftsteller nes Lebens ein Lächeln übrig¬
bleibt, so ist das ein anständiger
Die wahre Lebenskunst besteht Reingewinn.
darin, im Alltäglichen das Wunder¬ Horst Wolfram Geissler
bare zu sehen. [1893-1983];
PearlS. Buck [1892-1973]; dt. Schriftsteller
amerik. Schriftstellerin
Leben funktioniert nach dem Lust¬
Lebenskunst besteht zu neunzig prinzip. Allein der Mensch schafft
Prozent aus der Fähigkeit, mit es, nach dem Unlustprinzip zu ve¬
Menschen auszukommen, die man getieren. Für Lohn und Pension.
nicht leiden kann. Oliver Hassencamp
Samuel Goldwyn [1884-1974];
amerik. Filmproduzent Die meisten Menschen wären
663
Lebensweisheit Teil II
_Lebensweisheit
Man lernt am schnellsten und am
Die Dinge sind nie so, wie sie sind. besten, indem man andere lehrt.
Sie sind immer das, was man aus Rosa Luxemburg
ihnen macht.
Jean Anouilh Der Wille zu lehren ist ein Wille zu
schenken.
Man fängt nicht sein Leben mit gu¬ Hans Margolius
ten Worten und Vorsätzen an, mit
Erkennen und Verstehen fängt Der wahre Unterricht beschränkt
man es an und mit dem richtigen sich letztlich auf diejenigen, die
Nebenmann. darauf bestehen, etwas zu lernen;
Alfred Döblin, Berlin das übrige ist bloßes Viehtreiben.
Alexanderplatz Ezra Pound
Auch in den Tümpeln, den Lachen, Wer fähig ist, schafft, wer unfähig
den Mistpfützen spiegeln sich Ster¬ ist, lehrt.
ne. Vergiß das nicht! George Bernard Shaw
Friedrich Georg Jünger
Erziehung ist eine wunderbare Sa¬
* Es ist nicht wahr, daß die kürze¬ che, doch muß man sich von Zeit
ste Linie immer die gerade ist. zu Zeit besinnen, daß nichts, was
Gotthold Ephraim Lessing, von Wert ist, gelehrt werden kann.
Erziehung des Oscar Wilde
Menschengeschlechts
664
Teil II
Leistung
665
Leistungsgesellschaft Teil II
was man von ihm fordert, so muß Der Mensch soll lernen. Nur die
er sich für mehr halten, als er ist. Ochsen büffeln.
Goethe, Maximen und Erich Kästner [1899-1974];
Reflexionen dt. Schriftsteller
Jeder, der aufhört zu lernen, ist alt, * Wer wird nicht einen Klopstock
mag er zwanzig oder achtzig Jahre loben?
zählen. Jeder, der weiterlernt, ist Doch wird ihn jeder lesen? - Nein.
jung, mag er zwanzig oder achtzig Wir wollen weniger erhoben
Jahre zählen. und fleißiger gelesen sein.
Henry FordI. [1803-1947]; Gotthold Ephraim Lessing,
amerik. Industrieller An den Leser
666
Teil II Liebe
Leserlichkeit ist die Höflichkeit Liebe ist kein Solo. Liebe ist ein
der Handschriften. Duett. Schwindet sie bei einem,
Lriedrich Dürrenmatt verstummt das Lied.
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker Adelbert von Chamisso
[1781-1838]; dt. Schriftsteller
667
Liebe Teil II
Die Liebe ist ein Wunder, das im¬ Die Liebe ist so unproblematisch
mer wieder möglich, das Böse eine wie ein Fahrzeug. Problematisch
Tatsache, die immer vorhanden ist. sindnur die Lenker, die Fahrgäste
Friedrich Dürrenmatt und die Straße.
[1921-1990]; Schweiz. Dramatiker Franz Kafka, Tagebücher
Liebe ist der Entschluß, das Ganze Liebe ist ganz aus Freiheit ge¬
eines Menschen zu bejahen, die macht, kein Muß richtet da etwas
Einzelheiten mögen sein, wie sie aus.
wollen. Hans Kasper, Verlust
Otto Flake
Ewige Liebe: die Ewigkeit in ihrer
Eben darin besteht ja die Liebe, vergänglichsten Form.
daß sie uns in der Schwebe des Le¬ Hans Krailsheimer
bendigen hält, in der Bereitschaft,
einem Menschen zu folgen in allen In der Liebe kommt es nur darauf
seinen möglichen Entfaltungen. an, daß man nicht dümmer er¬
Max Frisch, Tagebuch 1946-1949 scheint, als man gemacht wird.
Karl Kraus
668
Teil II Lieben
Die Liebe ist das einzige Märchen, zwischen einer Person und allen
das mit keinem „es war einmal“ anderen.
beginnt - aber schließt. George Bernard Shaw
Hans Lohberger
Der Mensch ist sich tief bewußt,
Liebe ist dann da, wenn wir andern daß im Grunde seines Wesens ein
dienen wollen. Zwiespalt ist, er sehnt sich, ihn zu
Martin Luther überbrücken, und irgendetwas sagt
ihm, daß es die Liebe ist, die ihn
Die Liebe ist der Triumph der Ein¬ zur endgültigen Versöhnung füh¬
bildungskraft über die Intelligenz. ren kann.
Henry Louis Mencken Rabindranath Tagore
669
Liebende Teil II
Wer sein Herz verliert, ohne den Grund der Liebe. Lieben heißt je¬
Kopf zu verlieren, hat entweder mandem Gutes tun wollen.
kein Herz zu verlieren oder keinen Thomas von Aquin
Kopf. [1225/26-1274]; scholastischer
Karlheinz Deschner Theologe und Philosoph
670
Teil II Lob
671
Losung Teil II
_Losung
Das Kind lügt selten früher, als bis
Losungen sind das Gegenteil von es bei anderen die Lüge entdeckt
Lösungen. hat.
Gabriel Laub Peter Rosegger
[1843-1918];
österr. Schriftsteller
— Lüge
Eine einzige offenkundige Lüge
Die hinterhältigste Lüge ist die des Lehrers gegen seinen Zögling
Auslassung. kann den ganzen Ertrag der Erzie¬
Simone de Beauvoir
hung zunichtemachen.
[1908-1986]; Jean-Jacques Rousseau, Emile
franz. Schriftstellerin
Auch das ist Lüge und oft die kläg¬
Ein halbleeres Glas Wein ist zwar
lichste von allen: sich anzustellen,
auch ein halbvolles, aber eine hal¬
als wenn man einem Lügner seine
be Lüge ist mitnichten eine halbe
Lüge glaubte.
Wahrheit..
Arthur Schnitzler
Jean Cocteau [1889-1963];
franz. Schriftsteller, Filmregisseur
Das Lügen läßt sich überhaupt
und Graphiker
nicht vermeiden, am ehesten noch
Aus Lügen, die wir glauben, wer¬ die Gelegenheit dazu.
Karl Heinrich Waggerl
den Wahrheiten, mit denen wir
leben.
Oliver Hassencamp
_Lügner
Ehre und Konvention sind die
Bausteine der Gesellschaft, die Lü¬ * Ein Lügner muß ein gutes Ge¬
ge ist der Kitt. dächtnis haben.
Hans Kasper, Abel Pierre Corneille, Der Lügner
672
Teil II Machtausübung
Die Strafe für den Lügner besteht Dienst der Vernunft. Allein von
nicht darin, daß man ihm nicht hier bezieht sie ihren Sinn. An sich
glaubt, sondern darin, daß er sel¬ ist sie böse.
ber niemandem mehr glauben Karl Jaspers
kann.
George Bernard Shaw Die Macht ist böse, schrieb ein Phi¬
losoph, und die Tugend Fiel gläu¬
big in Ohnmacht, statt Gedanken
_Lust gegen die Gewalt zu mobilisieren.
Hans Kasper, Revolutionäre
Jedem Vorhaben ist ein Stück krea-
türlicher Lust eingegeben, ohne die Indem der Revolutionär die Macht
dem Willen keine Flügel wachsen. übernimmt, übernimmt er die Un¬
Hans Kasper, Verlust gerechtigkeit der Macht.
Octavio Paz, Essays I
Lust steigert sich an Lust.
Kurt Tucholsky Wie sehr Macht der Wahrheit im
Wege steht, ergibt sich schon dar¬
aus, daß zur Macht die Angst ge¬
hört.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Macht hat ihre Legitimität nur im Es ist eine ewige Erfahrung, daß je-
673
Malerei Teil II
674
Teil II Marxismus
675
Maske Teil II
Jeder sollte Schrullen haben. Rechnen ist das Band der Natur,
Schrullen sind ein hervorragender das uns im Forschen nach Wahr¬
Schutz gegen Vermassung. heit vor Irrtum bewahrt, und die
Salvador Dali [1904-1989]; Grundsäule der Ruhe und des
span. Maler und Graphiker Wohlstands, den nur ein bedächtli-
ches und sorgfältiges Berufsleben
Masse ist eine Gesellschaft mit den Kindern der Menschen be¬
recht beschränkter Haftung. schert.
Hans Kasper, Revolutionäre
Johann Heinrich Pestalozzi,
Lienhard und Gertrud
Die Menschen aber, die ihren eige¬
nen Weg zu gehen fähig sind, sind
selten. Die große Zahl will nur in
_Medizin
der Herde gehen, und sie weigert
die Anerkennung denen, die ihre Es ist die Medizin für den, der ihrer
eigenen Wege gehen wollen. bedarf, eine heimliche, fast zaube¬
Blaise Pascal rische Kunst. Auf dem Glauben
676
Teil II Memoiren
beruht immer ein guter Teil ihrer Jeder hat das Recht auf seine eige¬
Kraft. ne Meinung, aber er hat keinen
Adelbert von Chamisso Anspruch darauf, daß andere sie
[1781-1838]; dt. Schriftsteller teilen.
Manfred Rommel
Drei Zehntel heilt Medizin, sieben
Zehntel heilt Diät. Auch wenn alle einer Meinung
Chinesisches Sprichwort sind, können alle unrecht haben.
Bertrand Russell, Schriften
677
Mensch Teil II
dern meinen, schildern fast immer Bestätigung, weil der Mensch als
sich selbst. Mensch ihrer bedarf.
Ilja Ehrenburg [1891-1967]; Martin Buber
russ.-Sowjet. Schriftsteller
* Jeder Mensch ist ein Abgrund.
Durch eine Autobiographie ver¬ Georg Büchner [1813-1837];
liert man gewöhnlich den Rest sei¬ dt. Dramatiker
ner Freunde.
Robert Neumann [1897-1975]; Das menschliche Wesen ist dem
österr. Schriftsteller menschlichen Tun davongelaufen,
das ist unsere Tragik. Trotz aller
Man hat es so leicht, seine Erinne¬ unserer Kenntnisse verhalten wir
rungen zu schreiben, wenn man ein uns immer noch wie die Höhlen¬
schlechtes Gedächtnis hat. menschen von einst.
Arthur Schnitzler Friedrich Dürrenmatt
[1921-1990];
Schweiz. Dramatiker
_Mensch Es gab einmal ein Zeitalter - es
Jeder Mensch trägt in sich die An¬ war das griechische -, da war der
lagen zu beidem: zum Spießer (das Mensch das Maß aller Dinge. Heu¬
ist er als Mensch der verdorbenen te sind die Dinge das Maß aller
Natur) und zum Heiligen (dazu be¬ Menschen.
stimmt ihn die Gnade). Werner Finck
Hans Urs von Balthasar
Je höher der Mensch steht, um so
stärkere Schranken hat er nötig,
Der Mensch ist ein Wesen, dessen
Schöpfung nur ein halber Erfolg welche die Willkür seines Wesens
bändigen.
war. Er ist nur ein Entwurf von et¬
Gustav Freytag [1816-1895];
was.
dt. Schriftsteller
Gottfried Benn, Krise der
Sprache
Der Mensch ist Mensch, weil er
Selbstbeherrschung üben kann,
Die Welt ist voller Rätsel, für diese
und nur insoweit, als er Selbstbe¬
Rätsel aber ist der Mensch die Lö¬
herrschung übt.
sung.
Mahatma Gandhi
Joseph Beuys [1921-1985];
dt. Objektkünstler, Aktionist und Der Mensch ist im Gegensatz zu al¬
Zeichner
len höheren Säugern hauptsächlich
durch Mängel bestimmt.
Ich bin nicht so verrückt, an Gott
Arnold Gehlen [1904-1976];
zu glauben: Ich bin verrückter,
dt. Philosoph und Soziologe
denn ich glaub’ an sein Geschöpf.
Wolf Biermann, Affenfels * Das eigentliche Studium der
Menschheit ist der Mensch.
* Das Schicksal des Menschen ist Goethe, Wahlverwandtschaften II
der Mensch.
Bertolt Brecht, Die Mutter Ich glaube an den Menschen als ei¬
ne wunderbare Möglichkeit, die
Die menschliche Person bedarf der auch im größten Dreck nicht er-
678
Teil II Mensch
lischt und ihm aus der größten Ent¬ Der Übergang vom Affen zum
artung zurückzuhelfen vermag, Menschen sind wir.
und ich glaube, diese Möglichkeit Konrad Lorenz [1903-1989];
ist so stark und so verlockend, daß österr. Verhaltensforscher
sie immer wieder als Hoffnung und
als Forderung spürbar wird. Gott hat den Menschen erschaffen,
Hermann Hesse weil er vom Affen enttäuscht war.
Danach hat er auf weitere Experi¬
* Der Mensch ist aber ein Gott, so¬ mente verzichtet.
bald er Mensch ist. Und ist er ein Mark Twain
Gott, so ist er schön.
Friedrich Hölderlin, Hyperion Wer am Menschen nicht scheitern
will, trage den unerschütterlichen
Fetzten Endes kann man alle wirt¬ Entschluß des Durch-ihn-lernen-
schaftlichen Vorgänge auf drei Wollens wie einen Schild vor sich
Worte reduzieren: Menschen, Pro¬ her.
dukte und Profite. Die Menschen Christian Morgenstern
stehen an erster Stelle. Wenn man
kein gutes Team hat, kann man mit Beim Menschen ist kein Ding un¬
den beiden anderen nicht viel an¬ möglich, im Schlimmen wie im Gu¬
fangen. ten.
Lee Iacocca Christian Morgenstern
Der Mensch ist ein zeitliches We¬ * Der Mensch ist das Maß aller
sen, das nur lebt, indem es seine Dinge.
Welt um sich wandelt. Nach Protagoras [um 481-411
Karl Jaspers v. Chr.]; griech. Philosoph
679
Menschenbehandlung Teil II
ren, wenn sie nicht aus Menschen ihm selbst nicht. Er verstünde es
bestünde. nicht. Ihm muß man sagen, was er
Friedrich Sieburg [1893-1964]; will, daß man ihm über ihn sage.
dt. Schriftsteller und Publizist Nur das versteht er.
Martin Walser [* 1927];
* Viel Gewaltiges lebt, doch gewal¬ dt. Schriftsteller
tiger nichts als der Mensch.
Sophokles [um 496-um 406
v.Chr.]; griech. Dichter
_Menschenbeurteilung
Gerade durch das, was an ihm ty¬ Erst wenn man das Schlimmste
pisch menschlich ist, bleibt der über einen Menschen kennt, kennt
Mensch eine zwar wohlgelungene, man auch sein Bestes.
aber monströse und störende Gilbert K. Chesterton
Schöpfung.
Pierre Teilhard de Chardin Schon mancher ist von den großen
[1881- 1955]; Stücken, die man auf ihn gehalten
franz. Paläontologe, Anthropologe hat, erschlagen worden.
und Philosoph Gabriel Laub
Gott schuf den Menschen aus Er¬ Die Fähigkeiten eines Chefs er¬
de. Dann sagte er, der Mensch sol¬ kennt man an seiner Fähigkeit, die
le sich die Erde untertan machen. Fähigkeiten seiner Mitarbeiter zu
Seitdem macht der Mensch sich erkennen.
den Menschen untertan. Robert Lembke
Gerd Uhlenbruck
Über Personen urteilen heißt gro¬
Jeder Mensch ist eine Melodie. Ich
teske Bilder von ihnen zeichnen.
bin für dich, du bist für mich ein
Cesare Pavese
Lied.
Franz Werfel [1890-1945];
* Willst du die anderen verstehn,
österr. Schriftsteller blick in dein eigenes Herz.
Schiller, Der Schlüssel
__Menschenbehandlung
Im schlechtesten der Menschen
Milde erreicht mehr als Heftigkeit. steckt noch so viel Gutes und im
August Heinrich Julius besten noch so viel Böses, daß kei¬
Lafontaine [1758-1831]; ner befugt ist, zu urteilen und zu
dt. Schriftsteller verurteilen.
Robert Louis Stevenson
Die Mehrzahl der Menschen ist so: [1850-1894]; schott. Schriftsteller
Macht man ihnen bescheiden
Platz, so werden sie unverschämt. Wenn man einen Menschen richtig
Versetzt man ihnen aber Ellen¬ beurteilen will, so frage man sich
bogenstöße und tritt ihnen auf die immer: „Möchtest du den zum
Füße, so ziehen sie den Hut. Vorgesetzten haben -?“
Johann Nestroy, Aphorismen Kurt Tucholsky
680
Teil II
Menschenwürde
Nur der Mensch, der sich verstan¬ Die Würde des Menschen besteht
den fühlt, ist bereit, sich verstehen in der Wahl.
und führen zu lassen. Max Frisch, Tagebuch 1946-1949
Emil Oesch, Menschen
Getötet zu werden (auch durch die
Die Welt ist voll brauchbarer Men¬ Atombombe) ist bloß Verletzung
schen, aber leer an Leuten, die den eines allerdings elementaren Men¬
brauchbaren Mann anstellen. schenrechts; manipuliert zu wer¬
Johann Heinrich Pestalozzi, Wie den in dem, was für unsere Persön¬
Gertrud lichkeit konstitutiv ist, bedeutet die
denkbar schwerste Verletzung, um
nicht zu sagen, die völlige Vernei¬
__ Menschenkenntnis nung und Vernichtung unserer
Menschenwürde.
t Menschenbeurteilung
Oswald von Nell-Breuning
681
Menschheit Teil II
Nichts fällt uns Menschen so Mensch sein ist vor allem die
schwer, wie uns Dinge bewußt zu Hauptsache. Und das heißt: fest
machen, die uns daran hindern, und klar und heiter sein, ja heiter
menschlicher zu werden. trotz alledem, denn das Heulen ist
Franz Alt Geschäft der Schwäche.
Rosa Luxemburg
Nur das Menschliche ist es, darin
der Mensch das Göttliche fassen Mensch werden ist eine Kunst.
kann. Novalis, Fragmente
Gerhart Hauptmann
Der Begriff der Aufgabe ist ein
Der Kampf um das Menschliche Wesensbestandteil des Mensch¬
ist nie vergeblich, auch wenn ihm seins: Den Menschen gibt es nicht
äußerlich kein Sieg beschieden ist. ohne die Aufgabe.
Gertrud von Le Fort Jose Ortega y Gasset,
Aufgabe
_Menschsein
_Militär
Wer das Menschsein eines anderen
Menschen ignoriert, verneint das Die Soldaten müssen für die Fehler
eigene. der Politiker geradestehen.
Breyten Breytenbach [* 1939]; Bert Berkensträter
südafrikan. Schriftsteller
Solange es keine Granaten gibt, die
Wenn zwei Menschen einander ih¬ nur über dem eignen Land plat¬
re grundverschiedenen Meinungen zen, ist der Soldat der Garant der
682
Teil II Mitläufer
Eine stolz getragene Niederlage ist Allzu großes Mißtrauen ist ebenso
auch ein Sieg. schädlich wie allzu großes Vertrau¬
Marie von Ebner-Eschenbach en. Wer das Risiko, hintergangen
zu werden, nicht auf sich nehmen
Nichts schmerzt so sehr wie fehlge¬ will, wird es im Leben nicht allzu
schlagene Erwartungen, aber ge¬ weit bringen.
wiß wird auch durch nichts ein Vauvenargues [1715-1747];
zum Nachdenken fähiger Geist so franz. Schriftsteller
lebhaft wie durch sie erweckt.
Benjamin Franklin,
Autobiographie _Mitläufer
683
Mitleid Teil II
t Denkmal
_Modeerscheinung
684
Teil II
Motivation
Sie wollten aus der Not eine Tu¬ Der Moralist pflegt gern die An¬
gend machen. Und so entstand die sprüche der menschlichen Natur
Moral. zu übersehen; in solchen Fällen
Werner Mitsch wird aber wahrscheinlich die Na¬
tur des Menschen von den Ansprü¬
Soll Moral im Zeitalter perfekter chen des Moralisten keine Notiz
Vernichtungsmittel nicht zur priva¬ nehmen.
ten Kuriosität absinken, zum Bertrand Russell, Moral
Deckmantel für Taten, die es zu
verschleiern gilt, dann kann die
Funktion der Moral nur darin be¬
_Motiv
stehen, uns sanft, aber beharrlich
zur Erweiterung unserer Selbst¬ Wir würden uns oft unserer schön¬
wahrnehmung anzuhalten. sten Taten schämen, wenn die Welt
Alexander Mitscherlich alle Beweggründe sähe, aus denen
sie hervorgehen.
Moral predigen ist leicht, Moral Francois de La Rochefoucauld
begründen schwer.
Arthur Schopenhauer,
Grundlage der Moral
_Motivation
Moral ist einfach die Haltung, die Was wir am nötigsten brauchen, ist
wir gegen Leute einnehmen, von ein Mensch, der uns zwingt, das zu
denen wir persönlich nicht erbaut tun, was wir können.
sind. Ralph Waldo Emerson
Oscar Wilde [1803-1882]; amerik. Philosoph
und Schriftsteller
685
Musik Teil II
686
Teil II Nachfahren
_Nachahmung
_Nachfahren
Was für eine lasterhafte Jugend!
Statt auf die Alten zu hören, ahmt Die Zweige zeugen von der Wur¬
sie die Alten nach! zel.
Wieslaw Brudzinski Arabisches Sprichwort
687
Nachgiebigkeit Teil II
_Nachrichten
_Nachgiebigkeit
Das Studium der bürgerlichen
Der Gescheitere gibt nach! Eine Presse ist lehrreich in zweierlei
traurige Wahrheit. Sie begründet Hinsicht: Es zeigt erstens, wie aus
die Weltherrschaft der Dummheit. Nachrichten Meinungen gemacht
Marie von Ebner-Eschenbach
werden, und zweitens, wie aus
Meinungen Nachrichten gemacht
Die Leute, denen man nie wider¬
werden.
spricht, sind entweder die, welche
Hans Christoph Buch
man am meisten liebt, oder die,
welche man am geringsten achtet.
Marie von Ebner-Eschenbach
_Nachruf
Unbewegliche Armee kann nie die Beim Lesen der Todesanzeigen
Schlacht gewinnen. Unbiegsamer
wird man belehrt, daß nur engels¬
Baum zerbricht im Sturm.
gleiche Wesen diese Welt verlas¬
Laotse
sen.
Hans Arndt
_Nachlaß
_Nachrede
_Nächstenliebe
Nichts gegen üble Nachrede! Sie
macht viele interessanter, als sie Man sollte die Menschen lehren,
sind. nicht von Gerechtigkeit zu spre¬
Oliver Hassencamp chen, sondern von Nächstenliebe.
Eugene Ionesco [* 1909];
Sprich nie Böses von einem Men¬ franz. Dramatiker rumän.
schen, wenn du es nicht gewiß Herkunft
weißt! Und wenn du es gewiß
weißt, so frage dich: Warum erzäh¬ So wenig interessiert sich ein
le ich es? Mensch für den andern, daß sogar
Johann Kaspar Lavater das Christentum empfiehlt, das
[1741-1801]; Schweiz. Philosoph, Gute zu tun aus Liebe zu Gott.
Theologe und Schriftsteller Cesare Pavese
688
Teil II Natur
Die Christen lieben ihre Nächsten tion nicht mehr das höchste aller
nicht. Und sie lieben sie nicht, weil Güter.
sie an den anderen nie wirklich ge¬ Willy Brandt
glaubt haben. Die Geschichte lehrt
uns, daß sie ihn, wo sie ihm begeg¬ Von allen Ursachen des National¬
net sind, bekehrt oder vernichtet hasses ist die Unwissenheit die
haben. mächtigste. Wenn der Verkehr zu¬
Octavio Paz, Essays I nimmt, nimmt die Unwissenheit
ab, und so vermindert sich der
Es ist leichter, alle zu lieben als ei¬ Haß.
nen. Die Liebe zur ganzen Mensch¬ Henry Thomas Buckle
heit kostet gewöhnlich nichts als
eine Phrase; die Liebe zum Näch¬ Patriotismus ist die Liebe zu den
sten fordert Opfer. Seinen. Nationalismus ist der Haß
Peter Rosegger [1843-1918];
auf die anderen.
österr. Schriftsteller Romain Gary [1914-1980];
franz. Schriftsteller
Das Übel ist nicht, ein paar Feinde
zu hassen, sondern unseren Näch¬
sten nicht genug zu lieben. Jedes Volk hat die naive Auffas¬
Anton Tschechow [1860-1904]; sung, Gottes bester Einfall zu sein.
Theodor Heuss [1884-1963];
russ. Schriftsteller
dt. Politiker
689
Natürlichkeit Teil II
Alles, was wir unter Natur verste¬ Bewunderung ist glückliche Selbst¬
hen, ist die Großaufnahme eines verlorenheit, Neid unglückliche
Gänseblümchens. Selbstbehauptung.
Frank Thiess Sören Kierkegaard
Wir meinen die Natur zu beherr¬ Viele, die in der Politik die Gerech¬
schen, aber wahrscheinlich hat sie tigkeit beschwören, sprechen in
sich nur an uns gewöhnt. Wahrheit aus Neid.
Karl Heinrich Waggerl Andre Kostolany
Nichts hindert uns mehr, natürlich * Neid ist des Ruhmes Geleit.
zu sein, als das Bestreben, so zu er¬ Cornelius Nepos [um 100-um 25
scheinen. v.Chr.];
Francois de La Rochefoucauld röm. Geschichtsschreiber
690
Teil II Nonkonformismus
_Neugierde
_Nonkonformismus
Wenn die Neugier sich auf ernst¬
hafte Dinge richtet, dann nennt Nur Lebendiges schwimmt gegen
man sie Wissensdrang. den Strom.
Marie von Ebner-Eschenbach Karlheinz Deschner
691
Nörgler Teil II
Es ist ganz natürlich, daß man an¬ alte Zeit verantwortlich wie das
stößt, sobald man der Strömung schlechte Gedächtnis.
nicht mehr folgt. Anatole France [1844-1924];
Andre Gide, Tagebuch franz. Schriftsteller
Nichts ärgert die Menge mehr, als Nostalgie ist die Fähigkeit, darüber
wenn einer sie nötigt, ihre Mei¬ zu trauern, daß es nicht mehr so ist,
nung von ihm zu ändern. wie es früher nicht gewesen ist.
Hermann Hesse Manfred Rommel
692
Teil II
Opposition
_Opfer _Opposition
693
Optimismus Teil II
Sobald ein Optimist ein Licht er¬ Ordnung ist ein Durcheinander, an
blickt, das es gar nicht gibt, findet das man sich gewöhnt hat.
sich ein Pessimist, der es wieder Robert Lembke
ausbläst.
Giovanni Guareschi [1908-1968]; Vom höchsten Ordnungssinn ist
ital. Schriftsteller nur ein Schritt zur Pedanterie.
Christian Morgenstern
Für den Optimisten ist das Leben
kein Problem, sondern bereits die Eine vollkommene Ordnung wäre
Lösung. der Ruin allen Fortschritts und
Marcel Pagnol [1895-1974]; Vergnügens.
franz. Schriftsteller Robert Musil
Ein Optimist ist jemand, der genau Ordnung um der Ordnung willen
weiß, wie traurig die Welt sein beraubt den Menschen seiner we¬
kann, während ein Pessimist täg¬ sentlichen Kräfte.
lich neu zu dieser Erkenntnis ge¬ Antoine de Saint-Exupery
langt. [1900-1944]; franz. Schriftsteller
Peter Ustinov
Die Gerechtigkeit bringt reine Ord¬
Optimist: ein Mensch, der die Din¬ nung, aber man möchte uns gar zu
ge nicht so tragisch nimmt, wie sie gern jede dumme Ordnung für Ge¬
sind. rechtigkeit verkaufen.
Karl Valentin [1882-1948]; Johann Gottfried Seume,
dt. Komiker und Schriftsteller Apokryphen
694
Teil II Parteiprogramm
Die Seele jeder Ordnung ist ein das man nicht berühren darf. Das
großer Papierkorb. ist das Geheimnis, wie man auf im¬
Kurt Tucholsky mer jung und glücklich bleibt.
Gilbert K. Chesterton
Auch im Praktischen ist Originali¬ Wer sich nicht mit Politik befaßt,
tät unerläßlich; sonst paßt, was hat die politische Parteinahme, die
man tut, nicht zu dem, was man ist. er sich sparen möchte, bereits voll¬
Arthur Schopenhauer
zogen: Er dient der herrschenden
Partei.
Wer viel Angst hat, seine Originali¬ Max Frisch, Tagebuch 1946-1949
tät zu bewahren, ist allerdings im
Begriff sie zu verlieren. Die Parteien, gleich welcher Art,
Robert Schumann
haben heute die Funktion, den
Bürgern den Willen des Staates zu
Was glänzt, hat kein eigenes Licht. übermitteln und nicht umgekehrt.
Karl Heinrich Waggerl Andre Gorz
_Parteiprogramm
695
Pathos Teil II
696
Teil II Pfeife
Das Große ist nicht, dies oder das Sobald ein Optimist ein Licht er¬
zu sein, sondern man selbst zu sein. blickt, das es gar nicht gibt, findet
Sören Kierkegaard sich ein Pessimist, der es wieder
ausbläst.
Viele Menschen hinterlassen Spu¬ Giovanni Guareschi [1908-1968];
ren; nur wenige hinterlassen Ein¬ ital. Schriftsteller
drücke.
Werner Mitsch Pessimisten haben den Vorteil, daß
sie seltener enttäuscht werden.
Stehenbleiben; es wäre der Tod; Robert Lembke
nachahmen: es ist schon eine Art
von Knechtschaft; eigene Ausbil¬ Pessimisten sind die wahren Le¬
dung und Entwicklung: das ist Le¬ benskünstler, denn nur sie erleben
ben und Freiheit. angenehme Überraschungen.
Leopold von Ranke [1795-1886]; Marcel Proust [1871-1922];
697
16 Duden 12
Pflicht Teil II
Flirt, eine Zigarre wie eine an¬ aber werden sie niemals Phantasie
spruchsvolle Geliebte, die Pfeife haben.
aber ist wie eine Ehefau. Theodor Heuss [1884-1963];
Michael Ende [* 1929]; dt. Politiker
dt. Schriftsteller
Phantasie ist etwas, was sich man¬
che Leute gar nicht vorstellen kön¬
nen.
_Pflicht Gabriel Laub
698
Teil II Phrase
Die Philosophen haben die Welt Die Philosophie hat sich als der
nur verschieden interpretiert; es Weg erwiesen, sehr nahe mit der
kommt aber darauf an, sie zu ver¬ Wahrheit zu verkehren, ohne mit
ändern. ihr sich einzulassen.
Hermann Schweppenhäuser
Karl Marx
Wer meint alles zu durchschauen, Die großen Dinge haben einen töd¬
philosophiert nicht mehr. lichen Feind: die großen Worte.
Karl Jaspers Hans Krailsheimer
Philosophie ist oft nicht mehr als Wenn die Menschheit keine Phra-
699
16*
Plagiat Teil II
_Plagiat
700
Teil II Politik
Die Poesie der Alten war die des Staaten führen nun einmal Politik
Besitzes, die unsrige ist die der auf Grund ihrer Interessen, selbst
Sehnsucht. wenn sie diese nicht immer richtig
August Wilhelm Schlegel, Über beurteilen.
dramatische Kunst und Literatur Willy Brandt, Frieden
Die Politik ist keine Wissenschaft, Die Planierraupe der Politik ist die
wie viele der Herren Professoren Vereinfachung. Man vereinfacht
sich einbilden, sondern eine Kunst. die Dinge, um sie zu verdeutlichen
Otto von Bismarck [1815-1898]; oder zu verdunkeln.
dt. Reichskanzler 1871-1890 Sigmund Graff
* Politik ist die Kunst des Mögli¬ Politik sollte Sache der Besten sein.
chen. Schon die zweite Garnitur ist ihr
Otto von Bismarck [1815-1898]; nicht mehr gewachsen.
dt. Reichskanzler 1871-1890 Oliver Hassencamp
Politik ist weder eine Wissenschaft Aus meiner Erfahrung kann ich
noch eine Kunst, sie ist nicht ein¬ nur sagen: Politik ist nicht die
mal ein Handwerk, sie ist ein von Kunst des Möglichen, sondern des
Tag zu Tag sich neu orientierender Unmöglichen.
Pragmatismus, der bemüht sein Vaclav Havel [* 1936];
muß, die Macht und deren Mög¬ tschechoslowak. Schriftsteller u.
lichkeiten übereinanderzubringen. Politiker
Heinrich Böll
Politik ist die Kunst, die Menge zu
Von Politik versteht nur der etwas, leiten: nicht wohin sie gehen will,
der jeweils die Möglichkeit hat, sondern wohin sie gehen soll.
seine Vorstellungen von der zu ma¬ Joseph Joubert
701
Politik Teil II
Das Recht muß nie der Politik, Der Endzweck aller Kultur ist es,
wohl aber die Politik jederzeit dem das, was wir „Politik“ nennen,
Recht angepaßt werden. überflüssig, jedoch Wissenschaft
Immanuel Kant und Kunst der Menschheit unent¬
behrlich zu machen.
Nur an sich und an das Gegenwär¬ Arthur Schnitzler
tige denken ist die Quelle der Fehl¬
griffe in der Staatskunst. „Realpolitik“ besagt, daß Politik
Jean de La Bruyere nicht real ist.
Wulfdietrich Schnurre,
Demokratie, das bedeutet Herr¬ Schattenfotograf
schaft der Politik; Politik, das be¬
deutet ein Minimum von Sachlich¬
Politik: das einzige Gebiet, auf
keit.
dem der Charakter eines Men¬
Thomas Mann
schen dessen Karriere nicht im
Wege steht.
Politik ist unblutiger Krieg, und
Henning Venske
Krieg ist blutige Politik.
Mao Tse-tung
Jeder von uns hätte etwas anderes
zu tun. Das Leben hat Konjunktur.
Tatsächlich und normalerweise
Die Politik ist eine schon fast
gelten neun Zehntel der politi¬
schmerzliche Einschränkung auf
schen Tätigkeit den wirtschaftli¬
einen Ausschnitt. Aber was in die¬
chen Aufgaben des Augenblicks,
sem Ausschnitt passiert, ist leider
der Rest den wirtschaftlichen Auf¬
gaben der Zukunft. das Wichtigste.
Martin Walser [* 1927];
Walther Rathenau
dt. Schriftsteller
Die Kunst der Politik besteht häu¬
fig darin, heiße Eisen mit fremden Politik bedeutet ein starkes, langsa¬
Fingern anzufassen. mes Durchbohren von harten Bret¬
Manfred Rommel tern mit Leidenschaft und Augen¬
maß zugleich.
Politik ist die Bestimmung des Ver¬ Max Weber
hältnisses der Menschen zum
Staat. Politik ist aber auch der rich¬ Nur wer sicher ist, daß er daran
tige, vom erkennenden Verstände nicht zerbricht, wenn die Welt, von
und der Sorge um die anvertrauten seinem Standpunkt aus gesehen, zu
Menschen inspirierte Umgang mit dumm oder zu gemein ist für das,
der Macht. was er ihr bieten will, daß er all
Carlo Schmid dem gegenüber; „dennoch!“ zu sa¬
gen vermag, nur der hat den „Be¬
Wissenschaft von der Politik ist ei¬ ruf* zur Politik.
ne Kulturwissenschaft und keine Max Weber
Naturwissenschaft, denn alle poli¬
tische Wirklichkeit ist nur als Wer Politik treibt, erstrebt Macht:
menschliche Wirksamkeit zu erklä¬ Macht entweder als Mittel im
ren, zu verstehen und zu rechtferti¬ Dienst anderer Ziele (idealer oder
gen. egoistischer) - oder Macht „um ih¬
Carlo Schmid rer selbst willen“: um das Prestige-
702
Teil II Politisches Bewußtsein
gefühl, das sie gibt, zu genießen. Politiker nicht einfach sind, sehen
Max Weber sie das Problem nicht, oder sie ha¬
ben alles absichtlich kompliziert
Der Politik ist eine bestimmte gemacht.
Form der Lüge fast zwangsläufig Hans A. Pestalozzi,
zugeordnet: das Ausgeben des für Auf die Bäume
eine Partei Nützlichen als das Ge¬
rechte. Es gibt Politiker, die das, was sie
Carl Friedrich von Weizsäcker, sagen, glauben. Und es gibt solche,
Einheit die das, was sie sagen, nicht glau¬
ben. Erstere sind gefährlich.
Wer nicht diese Anstrengung Manfred Rommel
macht, gleichzeitig die Sicherheit
im Handeln zu zeigen und die Un¬ Die meisten Politiker kommen zu
sicherheit im Denken als die wahre ihrer Führerstellung, weil sie den
Sicherheit des bewußten Men¬ Leuten weismachen, Führer seien
schen zu praktizieren, der wird von uneigennützigen Wünschen
nicht sinnvoll Politik treiben kön¬ beseelt.
nen. Bertrand Russell, Moral
Carl Friedrich von Weizsäcker,
Einheit Als ich jung war, glaubte ich, ein
Politiker müsse intelligent sein.
Wahrhaftigkeit und Politik woh¬
Jetzt weiß ich, daß Intelligenz we¬
nen selten unter einem Dach.
nigstens nicht schadet.
Stefan Zweig [1881-1942];
Carlo Schmid
österr. Schriftsteller
703
Popularität Teil II
_Presse
Pressefreiheit: Jeder Journalist
* Die Presse - Druckerschwärze darf schreiben, was er will. Das
auf Papier. heißt noch nicht, daß es gedruckt
Otto von Bismarck [1815-1898]; wird.
dt. Reichskanzler 1871-1890 Rudolf Rolfs
704
Teil II Propaganda
705
Prophet Teil II
_Prophet
_Publikum
Wer prophezeien will, braucht nur
zurückzuschauen. Unsere Zuschauer müssen nicht
Karlheinz Deschner nur hören, wie man den gefesselten
Prometheus befreit, sondern auch
Ein Prophet ist ein solcher Kran¬ sich in der Lust schulen, ihn zu be¬
ker, dem der gesunde, gute, wohl¬ freien.
tätige Sinn für die Selbsterhaltung, Bertolt Brecht, Politik auf dem
der Inbegriff aller bürgerlichen Tu¬ Theater
genden, verlorengegangen ist.
Hermann Hesse Wenn ich so die kleinen Dampfer
die riesigen Kähne vorüberschlep¬
pen sehe, muß ich immer an den
_ Provinz
Dichter und das Publikum denken.
Provinz ist keine Landschaft, son¬ Christian Morgenstern
dern ein Zustand.
Manfred Rommel Die Entscheidung darüber, was ge¬
nial und was nicht, hat natürlich
Eine Kleinstadt ist eine Stadt, in nicht der Betreffende, nicht der
der die wichtigsten Lokalnachrich¬ Künstler, sondern der Beschauer
ten nicht gedruckt, sondern ge¬ des Kunstwerks.
sprochen werden. Oskar Panizza
Jacques Tati [1907-1982]; franz.
Schauspieler und Regisseur Jeder einzelne im Publikum mag
ein Depp sein, zusammen sind die¬
se Leute aber ein Genie.
_Prüderie Volker Schlöndorff [* 1939];
Prüde Leute haben eine schmutzi¬ dt. Filmregisseur
ge Phantasie.
Jonathan Swift
_Pünktlichkeit
706
Teil II
Ratschlag
-Ratschlag
Q
So gut es ist, sich den guten Rat¬
schlägen zu unterwerfen, so ge¬
fährlich ist es, sich den guten Rat¬
gebern zu unterwerfen.
_Qual Bertolt Brecht, Buch der großen
Methode
Die unerträglichste Qual wird
durch die Verlängerung des grö߬
Bisweilen gehört nicht weniger
ten Vergnügens hervorgerufen.
Klugheit dazu, auf einen guten Rat
George Bernard Shaw
zu hören, als sich selbst einen sol¬
chen zu geben.
Francois de La Rochefoucauld
_Qualität
Mit nichts ist man so freigebig wie
Lieber weniger, aber besser.
mit seinen Ratschlägen.
Wladimir Iuitsch Lenin
Francois de La Rochefoucauld
[1870-1924]; russ.-sowjet.
Politiker
Anderen etwas Unbequemes zu
Qualität ist kein Zufall. Es gehören empfehlen ist immer wesentlich
Intelligenz und Wille dazu, um ein leichter, als es selber zu tun. Des¬
Ding besser zu machen. halb ist unsere Welt zwar reich an
John Ruskin [1819-1900]; guten Ratschlägen, aber wesentlich
brit. Schriftsteller, Kunstkritiker ärmer an denen, die sie befolgen.
Manfred Rommel
und Sozialphilosoph
707
Raucher Teil II
_Rechtsstaat
708
Teil II Reformer
709
Regierung Teil II
Die besten Reformer, die die Welt ♦Jedes Volk hat die Regierung, die
je gesehen hat, sind die, die bei sich es verdient.
selbst anfangen. Joseph de Maistre [1753-1821];
George Bernard Shaw franz. Geschichtsphilosoph
710
Teil II Religion
Ein reicher Mann ist oft nur ein ar¬ Aber was kommt schon dabei her¬
mer Mann mit sehr viel Geld. aus, wenn sie alle in fremde Länder
Aristoteles Onassis zu reisen anfangen! Nichts; sie tra¬
[1906(?)—1975]; griech. Reeder gen ja doch wie die Zinnsoldaten
ihr bißchen Standort mit sich her¬
Der Mensch darf nicht zu reich um.
sein. Hat er zwischen einer Über¬ Erhärt Kästner
zahl von Möglichkeiten die Wahl,
so leidet er Schiffbruch und ver¬ Der Zauber des Reisens besteht
liert den Sinn für das Notwendige. darin: unzählig reiche Szenen strei¬
Jose Ortega y Gasset, Aufgabe fen und wissen, daß eine jede unser
sein könnte, und weitergehen, wie
Der Reichtum gleicht dem Seewas¬ ein großer Herr.
ser: Je mehr man davon trinkt, de¬ Cesare Pavese
sto durstiger wird man.
Arthur Schopenhauer Die besten Reisen, das steht fest,
sind die oft, die man unterläßt!
Eugen Roth
_Reife
Reif ist, wer auf sich selbst nicht Reisen sind das beste Mittel zur
mehr hereinfällt. Selbstbildung.
Heimito von Doderer Karl Julius Weber
_Reisen _Reiz
Die beste Bildung findet ein ge¬ Genieße den Reiz, ohne ihn zu be¬
scheiter Mensch auf Reisen. gehren, dann bleibst du sein Mei¬
Goethe, Wilhelm Meisters ster.
Lehrjahre Hans Arndt
711
Religion Teil II
dern häufig ihre eigene Phantasie- Eine Religion, die den Menschen
und Utopielosigkeit. Finster macht, ist falsch; denn er
Franz Alt muß Gott mit frohem Herzen und
nicht aus Zwang dienen.
Moral ist die Grammatik der Reli¬ Immanuel Kant
gion.
Ludwig Börne Eine Religion, die der Vernunft un¬
bedenklich den Krieg ankündigt,
Die Religionen sind der Ausdruck wird es auf die Dauer gegen sie
des ewigen und unzerstörbaren nicht aushalten.
metaphysischen Bedürfnisses der Immanuel Kant
Menschennatur.
Jacob Burckhardt Die sogenannten Religionsstreitig¬
keiten, welche die Welt so oft er¬
Religionen sind Fertighäuser für schüttert und mit Blut bespritzt ha¬
arme Seelen. ben, sind nie etwas anderes als
Karlheinz Deschner Zänkereien um den Kirchenglau¬
ben gewesen.
Der Mensch kann nicht bestehen, Immanuel Kant
ohne etwas anzubeten.
Fjodor M. Dostojewski, Ist es nicht seltsam, daß die Men¬
Der Jüngling schen so gern für ihre Religion
fechten und so ungern nach ihren
Die Naturwissenschaft ohne Reli¬ Vorschriften leben?
gion ist lahm, die Religion ohne Georg Christoph Lichtenberg
Naturwissenschaft ist blind.
Die Religionen sind die ausge¬
Albert Einstein [1879-1955];
amerik. Physiker dt. Herkunft dehntesten Sozialtheorien, die es
bisher gegeben hat.
Hans Lohberger
Ich bin zu dem Schluß gekommen,
daß, wer die Lehren anderer Reli¬
Religionen sind die ethischen Ar¬
gionen ehrfürchtig studiert - ganz
beitshypothesen der Menschheit.
gleich, zu welchem Glauben er sich
Hans Lohberger
selbst bekennt -, sein Herz weitet
und nicht verengt. Religion ist Ehrfurcht - die Ehr¬
Mahatma Gandhi
furcht zuerst vor dem Geheimnis,
das der Mensch ist.
Eine großzügige Erziehung sollte Thomas Mann
ein ehrfürchtiges Studium aller Re¬
ligionen miteinschließen. Wie der Mensch ist auch Gott zur
Mahatma Gandhi Ware geworden: Religion ist die
Branche, die sie umsetzt.
Religion ist die Poesie der unpoeti¬ Kurt Marti
schen Menschen.
Franz Grillparzer * Die Religion ist der Seufzer der
bedrängten Kreatur, das Gemüt ei¬
Religion ist die Erkenntnis aller ner herzlosen Welt, wie sie der
unserer Pflichten als göttliche Ge¬ Geist geistloser Zustände ist. Sie ist
bote. das Opium des Volkes.
Immanuel Kant Karl Marx
712
Teil II Religion
Es gibt mehr Religionen, als es Religion ist für die meisten etwas,
Wahrheiten geben kann. woran man glaubt, weil man
Werner Mitsch glaubt, daß der andere daran
glaubt.
Religionen sind genausowenig Hjalmar Söderberg [1869-1941];
ewig wie Völker. Eine Religion - schwed. Schriftsteller
jede Religion - hat Geburt, Ju¬
gend, Alter und Tod. Wir haben gerade Religion genug,
Alexander S. Neill um einander zu hassen, aber nicht
genug, um einander zu lieben.
Dogmen sind immer schon eine Jonathan Swift
Verkrustung dessen, was man Reli¬
gion nennen kann. Religion defi¬ Wie die Gesundheit eine Lebens¬
nieren wollen ist bereits ein Zei¬ bedingung des menschlichen Kör¬
chen von mangelnder Religiosität. pers ist, so ist es die Religion für
Hans Erich Nossack, Mensch sein ganzes Wesen.
Rabindranath Tagore
Faktisch ist die Religion nur ein
Auskunftsmittel, weil keiner soviel Eine Menschheit ohne Wissen¬
Zeit hat, sich seine eigene Moral zu schaft ist nicht mehr denkbar. Aber
machen und sich mit dem Trans¬ es ist auch keine Wissenschaft
zendentalen, was er gewisserma¬ mehr möglich ohne eine Religion,
ßen ahnt, auseinanderzusetzen. die beseelt.
Oskar Panizza Pierre Teilhard de Chardin
[1881-1955]; franz. Paläontologe,
Die Religion kann erst dann wie¬ Anthropologe und Philosoph
der zur Kulturmacht werden, wenn
sie sich von aller Zweckhaftigkeit Der Mensch hat zwei Beine und
frei macht. Zu dieser gehören zwei Überzeugungen: eine, wenn’s
Glaube und Erlösung. ihm gut geht, und eine, wenn’s ihm
Walther Rathenau schlecht geht. Die letztere heißt
Religion.
Wenn die Menschen zivilisierter Kurt Tucholsky
werden, begnügen sie sich nicht
mehr mit bloßen Tabus, sondern Wenn wir sagen, daß Religion
ersetzen sie durch göttliche Gebote nichts mit Politik zu tun haben soll,
und Verbote. dann sagen wir in Wirklichkeit,
Bertrand Russell, Moral daß für einen erheblichen Teil un¬
seres menschlichen Lebens Gottes
Religionen sind oft Kinder der Un¬ Heilige Schrift keine Bedeutung
wissenheit, die ihre Mutter nicht hat.
lange überleben. Desmond Tutu
Arthur Schopenhauer
Religion ist ein Prisma, von dessen
Immer mehr muß Religion auf die sieben Farben sich jeder seine
Fixierung der Sinnlosigkeit hinaus¬ Lieblingsfarbe wählen mag; alle
laufen, die erlaubt, an der Religion aber rühren nur von einem Son¬
festzuhalten. nenstrahl.
Hermann Schweppenhäuser Karl Julius Weber
713
Religiosität Teil II
__Religiosität
_Reue
Die Irreligiösen sind religiöser, als
sie selbst wissen, und die Religiö¬ Nichts bereuen ist aller Weisheit
sen sind es weniger, als sie meinen. Anfang.
Franz Grillparzer Ludwig Börne
Religiös wäre einer, der versucht, Nur wer bereut, dem wird verzie¬
das Nachleben nach dem Tod vor hen.
dem Tod vorzuleben. Dante Alighieri
Werner Schneyder
Reue ist Verstand, der zu spät
Der religiöse Mensch liebt es, für kommt.
sein religiöses Brauchtum zu Ernst von Feuchtersleben
714
Teil II
Revolutionär
Wer eine friedliche Revolution ver¬ Indem der Revolutionär die Macht
hindert, macht eine gewaltsame übernimmt, übernimmt er die Un¬
Revolution unausweichlich. gerechtigkeit der Macht.
John F. Kennedy [1917-1963]; Octavio Paz, Essays I
amerik. Politiker
Die politische Strategie junger Re¬
Revolutionen sind jene skandalö¬ volutionäre deckt sich häufig mit
sen Zeitabschnitte, in denen die dem olympischen Gedanken: Die
Wahrheit nackt über die Straße Teilnahme ist wichtiger als der
geht, ohne daß die Polizei einzu¬ Sieg.
schreiten wagt. Werner Schneyder
Gabriel Laub
Die sich anschicken, der barbari¬
In allen Revolutionen war die Uto¬ schen Vorgeschichte der Mensch¬
pie, die Phantasie von einer glück¬ heit ein Ende zu bereiten, sind
lichen Gesellschaft, immer die selbst Menschen dieser Vorge¬
stärkste Kraft. schichte. Sie gehen in den Kampf
Ludwig Marcuse gegen Götzen mit der Seele von
Götzendienern.
Die Revolutionen sind die Loko¬ Manes Sperber
motiven der Geschichte.
Karl Marx Verärgerte Bürgerliche sind noch
keine Revolutionäre.
Revolution ist nicht Auflehnung Kurt Tucholsky
715
Rezensent Teil II
_Rezension _Routine
t Kritik (auch t Gewohnheit)
716
Teil II
Satire
_Ruhm
-Rüstungswettlauf
Ruhm bewirkt nicht Einstellung Auch beim Rüstungswettlauf wer¬
der Kritik, nur wird erwartet, daß den die Sieger durch Kränze ge¬
Kritik nicht mehr persönlich treffe, ehrt.
und das zu Recht, denn es wird Gerd Uhlenbruck
Kritik nicht an einer Person und
ihrer Arbeit, sondern am Ruhm.
Max Frisch, Montauk
717
Satiriker Teil II
Satire ist nicht der Feind der „hei¬ Griechen war er ein geehrter. Wie
len Welt“, sondern die Forderung steht es damit bei uns? Man denkt
danach. von ihnen wie die Römer und ver¬
Werner Schneyder kehrt mit ihnen wie die Griechen.
Jean de La Bruyere
_Scheidung
Der Satz ist ein Auswuchs der Idee.
Andre Gide, Tagebuch Ehescheidung: Man braucht Ab¬
wechslung im Unverstandensein.
Ein guter Satz hat viele Fenster. Werner Schneyder
Friedrich Georg Jünger
-Scheinheiligkeit
_Schaden
Der schlimmste und gefährlichste
Wer möchte nicht lieber durch Scheinheilige ist nicht jener, der
Glück dümmer als durch Schaden unbeliebte Tugend heuchelt, son¬
klug werden? dern jener, der beliebte Laster heu¬
Salvador Dali [1904-1989]; span. chelt.
Maler und Graphiker Gilbert K. Chesterton
718
Teil II
Schlager
719
Schlagfertigkeit Teil II
_Schlagfertigkeit _Schmerz
720
Teil II Schriftsteller
721
Schuld Teil II
722
Teil II Schwäche
wie Unschuld, nicht kollektiv, son¬ sucht haben, als an denen, die es
dern persönlich. nicht besucht haben.
Richard von Weizsäcker Egon Friedell
_Schuldlos
_Schwäche
Unschuldig kann auch ein Tot¬
schläger sein. Schuldlos ist nie¬ Geliebt wirst du einzig, wo du
mand. schwach dich zeigen darfst, ohne
Wolfdietrich Schnurre, Stärke zu provozieren.
Schattenfotograf Theodor W. Adorno
723
Schweigen Teil II
die Energie heran, mit der manch Wenn man einmal weiß, worauf
einer seine Schwäche verteidigt. alles ankommt, hört man auf, ge¬
Karl Kraus sprächig zu sein.
Goethe, Wilhelm Meisters
Die großartigste Schwäche des Wanderjahre
Menschen ist sein Mitleid.
Thomas Niederreuther Richtiges Schweigen ist das leben¬
dige Gegenspiel des rechten Re¬
Das schlimmste Übel, an dem die dens. Es gehört dazu, wie Einat¬
Welt leidet, ist nicht die Stärke der men und Ausatmen.
Bösen, sondern die Schwäche der Romano Guardini
Guten. [1885-1968];
Romain Rolland [1866-1944]; dt. kath. Religionsphilosoph und
franz. Schriftsteller Theologe ital. Herkunft
724
Teil II Sehnsucht
Diejenigen Berge, über die man im Die Sehnsucht läßt alle Dinge
Leben am schwersten hinweg¬ blühen, der Besitz zieht alle Dinge
kommt, häufen sich immer aus in den Staub.
Sandkörnchen auf. Marcel Proust
Friedrich Hebbel
Erfüllung ist der Feind der Sehn¬
Die Schwierigkeiten, die einer sucht.
macht, sind meistens nichts ande¬ Erich Maria Remarque
res als Ausdruck seiner eigenen [1898-1970]; dt. Schriftsteller
Schwierigkeiten.
Emil Oesch, Menschen Der sensible Mensch leidet nicht
725
Selbstachtung Teil II
_Selbstbeherrschung
Bisweilen glauben wir, uns nach ei¬
nem fernen Orte zurückzusehnen, Niemand ist frei, der nicht über
während wir eigentlich uns nur sich selbst Herr ist.
nach der Zeit zurücksehnen, die Matthias Claudius [1740-1815];
wir dort verlebt haben, da wir jün¬ dt. Schriftsteller
ger und frischer waren.
Arthur Schopenhauer Wer sich keine Annehmlichkeiten
versagen kann, wird sich nie ein
Glück erobern.
_Selbstachtung Marie von Ebner-Eschenbach
726
Teil II Selbsterkenntnis
Wir unterschätzen das, was wir ha¬ Man kann die Erfahrung nicht früh
ben, und überschätzen das, was wir genug machen, wie entbehrlich
sind. man in der Welt ist.
Marie von Ebner-Eschenbach Goethe, Wilhelm Meisters
Lehrjahre
Selbst der bescheidenste Mensch
hält mehr von sich, als sein bester Wie kann man sich selbst kennen¬
Freund von ihm hält. lernen? Durch Betrachten niemals,
Marie von Ebner-Eschenbach wohl aber durch Handeln. Versu-
727
Selbstfindung Teil II
che, deine Pflicht zu tun, und du der Weise weiß, daß er ein Narr ist.
weißt gleich, was an dir ist! Shakespeare, Wie es euch gefällt
Goethe, Wilhelm Meisters
Wanderjahre II Die besten Reformer, die die Welt
je gesehen hat, sind die, die bei sich
Sich selbst kennen ist bei einem selbst anfangen.
selbst mittelmäßigen Verstände George Bernard Shaw
nicht so schwer, als manche Leute
sagen; aber im Leben dem gemäß Es gibt keine bessere Art, die
handeln, was man von sich erkannt Menschheit zu beglücken, als die,
hat, ist ebenso schwer, als die Pra¬ sich selbst zu bessern.
xis in allen Dingen, gegen die Aleksander Swietochowski
Theorie betrachtet.
Franz Grillparzer Jeder möchte die Welt verbessern
und jeder könnte es auch, wenn er
Was deprimierend ist: Du bist wie nur bei sich selber anfangen wollte.
alle anderen. Was tröstlich ist: Alle Karl Heinrich Waggerl
anderen sind wie du.
Johannes Gross
Unter zwanzig Leuten, die ich am
Morgen nach ihrer Gesundheit fra¬
Seine eigene Dummheit zu erken¬ ge, sind meistens zehn, denen ich
nen mag schmerzlich sein. Keines¬ lieber eine Ohrfeige gäbe. Was
falls aber eine Dummheit. mich unter anderem hindert, ist der
Oliver Hassencamp lästige Umstand, daß ich bei mir
selber beginnen müßte.
Nichts bewahrt uns so gründlich Karl Heinrich Waggerl
vor Illusionen wie ein Blick in den
Spiegel. Nur die Oberflächlichen kennen
Aldous Huxley
sich selbst.
Oscar Wilde
728
Teil II Selbstkontrolle
Es ist leichter, zum Mars vorzu¬ man wieder sehr viel Haß gegen
dringen, als zu sich selbst. andere, um den Selbsthaß auszu¬
Carl Gustav Jung [1875-1961]; gleichen.
Schweiz. Psychiater Elias Canetti
Die Menschen von heute ver¬ Die für ihre Mitwelt gefährlichsten
schwenden zuviel Zeit, auf Reden Egoisten sind jene, die nicht ein¬
und Gedanken anderer Menschen mal sich selbst zu achten, ge¬
zu horchen. Es wäre viel besser, schweige denn zu lieben vermögen.
wenn sie sich mehr Ruhe gönnten, Kurt Marti
ihren eigenen Gedanken zu lau¬
schen. Man haßt das, was man fürchtet,
Axel Munthe das also, was man sein kann, was
man, wie man fühlt, ein wenig ist.
Man haßt sich selbst.
_Selbstgerechtigkeit Cesare Pavese
Jean Paul
amerik. Politiker
729
Selbstkritik Teil II
Ich glaube von jedem Menschen Wer glaubt, über der Situation zu
das Schlechteste, selbst von mir, stehen, steht in Wirklichkeit oft nur
und ich habe mich noch selten ge¬ daneben.
täuscht. Friedl Beutelrock
Johann Nestroy
Selbsttäuschung - Mutter einer eh¬
Selbstkritik ist Voraussetzung des renwerten Familie, in der sich ne¬
Selbstvertrauens. Sie verhindert ben vielen anderen wohlgeratenen
aber Einbildung, Überheblichkeit, Söhnen und Töchtern finden: En¬
Dünkel - die Merkmale des thusiasmus, Zärtlichkeit, Selbstver¬
Machtmenschen. leugnung, Glaube, Hoffnung,
Hans A. Pestalozzi, Auf die Nächstenliebe.
Bäume Ambrose Bierce
730
Teil II Selbstverwirklichung
Wer von uns weiß, kann wirklich aber man hat sich nur an seine Art
unterscheiden, wann er tatsächlich gewöhnt.
denkt und wann er sich nur selber Upton Sinclair [1878-1968];
etwas Vormacht? amerik. Schriftsteller
Stanislaw Brzozowski
Was manche Leute sich selbst vor¬
Es ist gefährlich, anderen etwas machen, das macht ihnen so
vorzumachen; denn es endet da¬ schnell keiner nach.
mit, daß man sich selbst etwas Vor¬ Gerd Uhlenbruck
macht.
Eleonora Düse [1858-1924];
italien. Schauspielerin
-Selbstüberwindung
* Du glaubst zu schieben, und du *Von der Gewalt, die alle Men¬
wirst geschoben. schen bindet, befreit der Mensch
Goethe, Faust I sich, der sich überwindet.
Goethe, Die Geheimnisse
Man wird nie betrogen, man be¬
trügt sich selbst.
Goethe, Maximen und
Reflexionen _Selbstvertrauen
731
Sentimentalität Teil II
Man sollte nicht auf Selbstverwirk¬ zu stark mit ihrem eigenen Sex-Ap¬
lichung hoffen, sondern Hoffnung peal beschäftigt.
selbst verwirklichen. Katherine Hepburn [* 1909];
Gerd Uhlenbruck amerik. Schauspielerin
_Sex _Sexualethik
Sex ist die Liebesform einer Zeit, Erster und einziger Grundsatz der
die für die Liebe keine Zeit mehr Sexualethik: der Ankläger hat im¬
hat. mer unrecht.
Sigmund Graff Theodor W. Adorno
732
Teil II
Solidarität
Vergnügen gefesselt ist; man hätte Brot der Jugend, die Skepsis ist der
es sonst längst aus der Welt hinaus¬ tägliche Wein des Alters.
manipuliert. PearlS. Buck [1892-1973];
Ludwig Marcuse amerik. Schriftstellerin
Die Erotik ist sozialisierte Sexuali¬ Hat eigentlich die Skepsis auf die
tät. Schlachtfelder geführt oder der
Octavio Paz, Essays I Glaube?
Karlheinz Deschner
t Militär
-Sieg
733
Sommer Teil II
* Unser Sommer ist nur ein grün Was die Lreiheit uns gibt, stiehlt sie
angestrichener Winter. dem Sozialismus, und was der So¬
Heinrich Heine, Reisebilder 3
zialismus uns gibt, stiehlt er der
Lreiheit.
Werner Linck
734
Teil II
Spiel
735
Sport Teil II
Aus der Art, wie das Kind spielt, Der Geist einer Sprache offenbart
kann man erahnen, wie es als Er¬ sich am deutlichsten in ihren un-
wachsener seine Lebensaufgabe er¬ übersetzlichen Worten.
greifen wird. Marie von Ebner-Eschenbach
Rudolf Steiner
Wer fremde Sprachen nicht kennt,
weiß nichts von seiner eigenen.
Goethe, Eigenes und
_Sport
Angeeignetes
Wer Sport treibt, erträgt sogar das
Kulturleben. Die alten Sprachen sind die Schei¬
Oliver Hassencamp den, darin das Messer des Geistes
steckt.
Einer Gesellschaft, die man damit Goethe, Zahme Xenien
unterhalten kann, daß zwei Men¬
schen einen Ball hin und her schla¬ Manche Pluralbildung bereichert
gen, ist alles zuzutrauen. die Sprache, schenkt ihr neue Nu¬
Manfred Rommel ancen - Ängste sind nicht so arg
wie Angst; eines Menschen
Ein gesunder Geist in einem gesun¬ Dummheiten müssen nicht auf ge¬
den Körper ist die Volksausgabe nereller Dummheit beruhen, von
einer verkörperten Vergeistigung. seinen Weisheiten läßt sich nicht
Werner Schneyder auf Weisheit schließen.
Johannes Gross
Die Sprache kann der letzte Hort Wer die Sprache reinigt, ohne sie
der Freiheit sein. Wir wissen, daß zu bereichern, der schwächt sie.
ein Gespräch, daß ein heimlich Friedrich Georg Jünger
736
Teil II
Staat
Das ist das Fatalste an der Schrift¬ Sprache. Dumme wegen der Spra¬
stellerei, wenn einer sich einbildet, che nicht.
das Höchste des Dichtens bestehe Werner Schneyder
nicht im Dichten, sondern im Be¬
wußtsein, Sprache zu schreiben. * Die Sprache ist dem Menschen
Martin Kessel, Gegengabe gegeben, um seine Gedanken zu
verbergen.
Die Menschen haben, wie es Charles Maurice de Talleyrand
scheint, die Sprache nicht empfan¬ [1754-1838]; franz. Staatsmann
gen, um die Gedanken zu verber¬
gen, sondern um zu verbergen, daß Eine fremde Sprache kann man in
sie keine Gedanken haben. sechs Wochen erlernen, für die eig¬
Sören Kierkegaard ne reicht das Leben nicht.
Peter Tille
_Sprichwort
Die Sprache ist die Mutter, nicht
die Magd des Gedankens. Ein Sprichwort ist eine allgemein
Karl Kraus bekannte Weisheit, an die sich nie¬
mand hält.
Die Sprache ist der große Kanal, Wolfgang Herbst
durch den die Menschen einander
ihre Entdeckungen, Folgerungen Sprichwörter sind oft Dummhei¬
und Erkenntnisse vermitteln. ten, die im Laufe der Jahrhunderte
John Locke [1632-1704]; weise geworden sind.
engl. Philosoph Peter Tille
Die unmittelbare Wirklichkeit des Ein Staat ist die Vereinigung einer
Gedankens ist die Sprache. Menge von Menschen unter
Karl Marx Rechtsgesetzen.
Immanuel Kant
Mit jeder Sprache, die ausstirbt,
wird ein Bild des Menschen ausge¬ Der Staat ist eben auch nur ein
löscht. Menschengebilde - und kann ver¬
Octavio Paz, Essays II langen, daß wir ein bißchen nach¬
sichtig mit ihm sind.
Kluge verständigen sich mittels der Ludwig Marcuse
737
Staatsmann Teil II
Der Staat ist eine kluge Veranstal¬ Ein Politiker denkt an die nächste
tung zum Schutze der Individuen Wahl; ein Staatsmann an die näch¬
gegeneinander. ste Generation.
Friedrich Nietzsche, James Freeman Clarke
Menschliches I [1810-1888];
amerik. Geistlicher
Sobald einer über die Staatsangele¬
genheiten sagt „Was geht’s mich Staatsmänner schweben mit beiden
an?“, muß man damit rechnen, daß Beinen fest über den Tatsachen.
der Staat verloren ist. Oliver Hassencamp
Jean-Jacques Rousseau,
Gesellschaftsvertrag
_Stadt
Wer sich in schlechten Zeiten den
Großstädter sind Leute, die vom
Staat ins Boot holt, wird ihn in gu¬
Land in die Stadt gezogen sind, um
ten Zeiten kaum mehr vom Steuer
hier so hart zu arbeiten, daß sie aus
verdrängen können.
der Stadt aufs Land ziehen kön¬
Walter Scheel [*1919];
nen.
dt. Politiker
George Mikes [* 1912];
brit. Schriftsteller ungar. Herkunft
Ein Staat kann nur dauern, wenn er
aus sich selber heraus Lebenskräfte
zu entwickeln vermag. Solche
Kräfte entstehen aber nur aus der _Standpunkt
Spannung widerstreitender Gewal¬ Ein Standpunkt sollte nicht nur
ten, und nur in dieser Spannung ist das sein, worauf man ständig ste¬
Freiheit möglich, und nur, wo Frei¬ hen bleibt.
heit ist, kann ein Volk gesund und Friedl Beutelrock
der Staat von Dauer sein.
Carlo Schmid
Nie tritt man anderen so auf die
Füße, wie wenn man den eignen
Wo ein einziger Mann den Staat er¬ Standpunkt vertritt.
halten kann, ist der Staat in seiner Karlheinz Deschner
Fäulnis kaum der Erhaltung wert.
Johann Gottfried Seume,
Apokryphen
_ Stärke
738
Teil II
Stiftung
739
Stil Teil II
_Strafrecht
_Stolz t Justiz
Ein stolzer Mensch verlangt von
sich das Außerordentliche, ein
_Streben
hochmütiger schreibt es sich zu.
Marie von Ebner-Eschenbach Die das Dunkel nicht fühlen, wer-
740
Teil II Sünde
den sich nie nach dem Lichte Um¬ cheren in leitenden Stellungen auf
sehen. die Mitarbeiter übertragen wird.
Henry Thomas Buckle Oliver Hassencamp
Wir sind nichts. Was wir suchen, ist Streß - das sind die Handschellen,
alles. die man ums Herz trägt.
Friedrich Hölderlin Helmut Qualtinger [1928-1986];
österr. Schriftsteller, Kabarettist
Sei mit dir nie zufrieden, außer et¬ und Schauspieler
wa episodisch, so daß deine Zu¬
friedenheit nur dazu dient, dich zu Die gewöhnliche Überbeschäfti¬
neuer Unzufriedenheit zu stärken. gung des modernen Menschen in
Christian Morgenstern allen Gesellschaftskreisen hat zur
Folge, daß das Geistige in ihm ver¬
kümmert.
_Streit Albert Schweitzer
741
Sünder Teil II
Nichts macht uns feiger und gewis¬ * Tadeln können zwar die Toren,
senloser als der Wusch, von allen aber besser machen nicht.
Menschen geliebt zu werden. Nach August Friedrich Ernst
Marie von Ebner-Eschenbach
Langbein [1757-1835];
dt. Schriftsteller
Was man Zuneigung nennt, ist in
Wirklichkeit nichts anderes als Ge¬ Der Tadel des Feindes ist das
wohnheit gewordene Sympathie. schönste Lob, die Verleumdungen
Jonathan Swift
des Feindes die schmeichelhafteste
Anerkennung.
Wilhelm Liebknecht [1826-1900];
_Sympathisant dt. Journalist und Politiker
T -Tagebuch
742
Teil II
Talent
Heucheln, das Wort klingt Der Genius weist den Weg, das
schlecht, drum nennt man’s Takt. Talent geht ihn.
Carl Spitteler [1845-1924]; Marie von Ebner-Eschenbach
Schweiz. Schriftsteller
Der beste Teil des Talentes ist viel¬
leicht das Glück, mit den Großen
_Taktik/Strategie aller Zeiten in den stillen Geheim¬
bund getreten zu sein.
Angesichts von Hindernissen mag
Gerhart Hauptmann
die kürzeste Linie zwischen zwei
Punkten die krumme sein. Talent ist oft ein Charakterfehler.
Bertolt Brecht, Galilei Karl Kraus
Das Geheimnis auch der großen Talent haben - Talent sein: das
und umwälzenden Aktionen be¬ wird immer verwechselt.
steht darin, den kleinen Schritt her¬ Karl Kraus
auszufinden, der zugleich auch ein
strategischer Schritt ist, indem er Mir tut es allemal weh, wenn ein
weitere Schritte einer bessern Mann von Talent stirbt, denn die
Wirklichkeit nach sich zieht. Welt hat dergleichen nötiger als
Gustav Heinemann [1899-1976]; der Himmel.
dt. Politiker Georg Christoph Lichtenberg
743
Tanz Teil II
_Technik
Aufrichtigkeit ist wahrscheinlich
die verwegenste Form der Tapfer¬ Technik ist wie ein Messer. Man
keit. kann damit morden oder damit
William Somerset Maugham Brot schneiden.
[1874-1965]; Norbert Blüm [* 1935];
brit. Schriftsteller dt. Politiker
744
Teil II Teufel
Ich bin überzeugt, daß die Men¬ licher Arbeit zu befreien. Heute ha¬
schen von den Ergebnissen ihrer ben wir uns das Leben derart er¬
Leistungsfähigkeit überfordert leichtert und uns derart „befreit“,
werden. daß wir an der Erleichterung ster¬
Günter Grass [* 1927]; ben. Herzinfarkt wegen mangeln¬
dt. Schriftsteller der körperlicher Betätigung.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Die Entwicklung der Technik ist
bei der Wehrlosigkeit vor der Tech¬
nik angelangt. _Technologie
Karl Kraus
Haben wir denn derart jeden Ma߬
Der Mensch muß versuchen, die stab verloren, daß wir glauben, der
Entwicklung der Technik geistig zu Mensch müsse sich neuen Techno¬
beherrschen. Nur der Einsatz logien anpassen, statt daß wir als
höchster Menschlichkeit könnte Vorbedingung jeder neuen Tech¬
die Gefahr der Technik bannen. nologie fordern, daß sie dem Men¬
Gertrud von Le Fort schen angepaßt sein müsse?
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Der Mensch hat angesichts der ge¬
waltigen technischen Umwälzun¬
gen mit seiner inneren Entwick¬ _Terror
lung nicht Schritt gehalten, und da¬
In allen Staaten, in denen Terror
her verfehlt er, sie geistig zu mei¬
herrscht, ist das Wort fast noch
stern.
mehr gefürchtet als bewaffneter
Emil Oesch, Menschen
Widerstand, und oft ist das letzte
die Folge des ersten.
Jeder Zuwachs an Technik be¬
Heinrich Böll
dingt, wenn damit ein Zuwachs
und nicht eine Schmälerung des
Der Terror braucht drei Verbünde¬
menschlichen Glücks verbunden
te, um mächtig zu werden: Die
sein soll, einen entsprechenden Zu¬
Allesversteher, die Drumherumste¬
wachs an Weisheit.
her, die Zuspätweiner.
Bertrand Russell, Moral
Hans Kasper, Revolutionäre
_Teufel
Um den Teufel zu beweisen, haben
_Technikfolgen sie ihn in den Hexen und Ketzern
Die Technik soll dazu dienen, dem verfolgt und damit in sich bewie¬
Menschen das Leben zu erleich¬ sen.
tern und ihn von schwerer körper¬ Hermann Schweppenhäuser
745
17 Duden 12
Theologen Teil II
Ein Theater ist ein Unternehmen, Die Tiefe der Dinge ist ihre Ober¬
das Abendunterhaltung verkauft. fläche.
Bertolt Brecht, Weniger Gips Günter Eich
Unsere Theorien sind unsere Erfin¬ Daß uns der Anblick der Tiere so
dungen. Sie sind nie mehr als küh¬ ergötzt, beruht hauptsächlich dar-
746
Teil II
Tod
_Titel
Gäbe es das Wort „Tod“ in unse¬
Titel sind tiefe Gräben um die Fe¬ rem Sprachschatz nicht, wären die
stung Mensch. großen Werke der Literatur nie ge¬
Hans Arndt schrieben worden.
Arthur Koestler, Mensch
Einen Namen hat man, wenn man
seine Titel wegläßt, weil sie ihn Der Tod kommt nur einmal, und
verkleinern würden. doch macht er sich in allen Augen¬
Sigmund Graff blicken des Lebens fühlbar. Es ist
herber, ihn zu fürchten, als ihn zu
Titel zeichnen den Mittelmäßigen
erleiden.
aus, bringen den Hochstehenden
Jean de La Bruyere
in Verlegenheit und werden vom
Tiefstehenden herabgesetzt.
Wir gehören einer Zivilisation an,
George Bernard Shaw
die zwar den Tod industriell zu
produzieren, nicht aber zu integrie¬
ren versteht.
_Tod
Kurt Marti
Es gibt für die Menschen, wie sie
heute sind, nur eine radikale Der Tod geht zwei Schritte hinter
Neuigkeit - und das ist immer die dir. Nütze den Vorsprung und lebe.
gleiche: der Tod. Werner Mitsch
Walter Benjamin
Der Tod ist die Ruhe, aber der Ge¬
Das, was wir Tod nennen, ist in
danke an den Tod ist der Störer
Wahrheit der Anfang des Lebens.
jeglicher Ruhe.
Thomas Carlyle
Cesare Pavese
747
17*
Todesstrafe Teil II
Das größte, wenn auch alltägliche niger bezeichnend für unsere Ge¬
Ereignis in der Geschichte ist die sittung, als daß sich Henker finden.
Geburt oder der Tod eines Men¬ Franz Werfel
schen. [1890-1945];
ALEKSANDER SwifTOCHOWSKI österr. Schriftsteller
Daß es die Todesstrafe gibt, ist we¬ Es kommt für uns Ältere nicht dar-
748
Teil II Tourismus
auf an, die neue Jugend zu widerle¬ Bewahre uns der Himmel vor dem
gen und irgendwie abzutun, son¬ „Verstehen“. Es nimmt unserm
dern sie zu verstehen und sie, so¬ Zorn die Kraft, unserm Haß die
weit wir irgend können, erkennend Würde, unserer Rache die Lust
lieben zu lernen. und noch unserer Erinnerung die
Hermann Hesse Seligkeit.
Arthur Schnitzler
Wenn der andre sich mit allen sei¬
nen Fehlern, die er noch besser Um sanft, tolerant, weise und ver¬
kennt als ich, erträgt, warum sollte nünftig zu sein, muß man über
ich ihn nicht ertragen? eine gehörige Portion Härte ver¬
Jean Paul fügen.
Peter Ustinov
Toleranz ist ein Beweis des Mi߬
trauens gegen ein eigenes Ideal.
Friedrich Nietzsche, Nachlaß
_Töten
Wer mit mir reden will, der darf
nicht bloß seine eigene Meinung Der Homo sapiens ist praktisch
hören wollen. einzigartig im Reich der Lebewe¬
Wilhelm Raabe sen, was das Fehlen instinktiver
Schutzvorkehrungen gegen das Tö¬
Toleranz wird oft mit Meinungslo- ten von Artgenossen betrifft.
sigkeit verwechselt. Aber nicht der Arthur Koestler, Mensch
Meinungslose ist tolerant, sondern
der, der eine Meinung hat, aber es Wenn ein Mensch einen Tiger tö¬
anderen zubilligt, eine abweichen¬ ten will, spricht er von Sport. Wenn
de Meinung zu haben und diese ein Tiger einen Menschen tötet, ist
auch zu sagen. das Grausamkeit.
Manfred Rommel George Bernard Shaw
749
Tradition Teil II
750
Teil II
Treue
751
Trinken Teil II
genschaft eines liebenden Herzens, Essen ist ein Bedürfnis des Ma¬
ein echtes Wunder, ist, kann sie nie gens, Trinken ein Bedürfnis des
zur Pflicht gemacht werden, und Geistes.
eben weil sie nicht Pflicht ist, ist sie Claude Tillier [1801-1844];
da, wo sie in ihrer Herrlichkeit er¬ franz. Schriftsteller
scheint, so verehrungswürdig.
Ernst von Feuchtersleben
_Trost
Die Treue eines Tieres würde uns
nicht rühren, wenn die Treue unter Trost - Wissen, daß ein besserer
den Menschen häufiger wäre. Mensch noch unglücklicher ist.
Sigmund Graff Ambrose Bierce
Treue ist, meist nur noch, die zur Trost und Rat sind oft die Abwehr
Moral erstarrte Liebe von gestern. eines Nichtbetroffenen gegen das
Hans Lohberger Leid eines Betroffenen.
Ludwig Marcuse
Wer sich selbst treu bleiben will,
kann nicht immer anderen treu Alles hat zwei Seiten. Das ist das
bleiben. Gute am Schlechten und das
Christian Morgenstern Schlechte am Guten.
Werner Mitsch
__ Trinken
_ Trotz
Trinke, wenn du glücklich bist, nie¬
mals wenn du unglücklich bist. Der Trotz ist die einzige Stärke des
Gilbert K. Chesterton Schwachen - und eine Schwäche
mehr.
Wenn du das Trinken aufgeben Arthur Schnitzler
willst, schau dir mit nüchternen
Augen einen Betrunkenen an.
Chinesisches Sprichwort
_Tugend
Toren besuchen im fremden Land Wir verlangen sehr oft nur deshalb
die Museen, Weise gehen in die Tugenden von anderen, damit un¬
Tavernen. sere Fehler sich bequemer breitma¬
Erhärt Kästner chen können.
Marie von Ebner-Eschenbach
* Zuviel kann man wohl trinken,
doch nie trinkt man genug. Von allen Tugenden die schwerste
Gotthold Ephraim Lessing, und seltenste ist die Gerechtigkeit.
Antwort eines trunkenen Dichters Man findet zehn Großmütige ge¬
gen einen Gerechten.
Die besten Vergrößerungsgläser Franz Grillparzer
für die Freuden der Welt sind die,
aus denen man trinkt. Unter den nützlichen Tugenden
Joachim Ringelnatz steht die falsche Bescheidenheit
[1883-1934]; obenan.
dt. Schriftsteller und Maler Johannes Gross
752
Teil II
Übertreibung
Der Tyrann ist ein Gemisch aus Die Menschheit kam immer noch
Feigheit, Borniertheit, Willkür, einmal davon. Die Opfer nicht ein¬
Unverantwortlichkeit und Selbst¬ gerechnet.
gefälligkeit. Er repräsentiert also Heinrich Wiesner
wirklich die Majorität.
Gabriel Laub
_Überlegenheit
u Chamfort
_Übertreibung
_Übel
* Die Freuden, die man übertreibt,
Die kleineren Übel sind meist von verwandeln sich in Schmerzen.
längerer Dauer. Friedrich Justin Bertuch
Wieslaw Brudzinski [1747-1822]; dt. Schriftsteller
753
Überzeugung Teil II
* Allzu straff gespannt, zerspringt nommen hat, sagt er: Man ist doch
der Bogen. auch nur ein Mensch! Wenn er
Schiller, Wilhelm Teil aber wie ein Vieh behandelt wird,
sagt er: Man ist doch auch ein
Mensch!
Karl Kraus
_Überzeugung
Wenn einer sich wie ein Vieh be¬ In Sachen Umweltschutz sind die
754
Teil II
Unfähigkeit
_Unabhängigkeit _Undankbarkeit
Demokratie und Unabhängigkeit Nur bei den Tieren kann man si¬
sind komplementäre und vonein¬ cher rechnen, daß sie desto besser
ander untrennbare Wirklichkeiten: gegen mich sind, je besser ich ge¬
Die erste verlieren heißt die letzte¬ gen sie bin, bei Menschen nicht, ja
re verlieren und umgekehrt. oft umgekehrt.
Octavio Paz, Essays II Jean Paul
755
Unfreiheit Teil II
Ungeduld setzt immerhin Zur¬ Es ist ein Unglück, nie Unglück ge¬
kenntnisnahme der Endlichkeit habt zu haben!
voraus: Man drängt, weil man ge¬ Karl Julius Weber
drängt wird. Unsterblich wäre ich
die Geduld in Person. Zwischen Unglück haben und un¬
Wolfdietrich Schnurre,
glücklich sein ist, Gott sei Dank,
Schattenfotograf
ein himmelweiter Unterschied.
Karl Julius Weber
Ungeduld ist die einzige Eigen¬
schaft der Jugend, deren Verlust
man im Alter nicht beklagt.
Frank Thiess _Universität
Ungeduld ist Angst, ist nicht Ver¬ Die Universität steht um so höher,
trauen. je mehr Studenten sich nicht allein
Stefan Zweig [1881-1942]; am Gängelbande der Studienord¬
österr. Schriftsteller nung führen lassen, sondern ihrem
Genius folgen, der ihnen Weisung
gibt auf ihren Weg.
Karl Jaspers
_Unglück
756
Teil II
Unschuld
Auslese von Intelligenz als von Kein Mensch hat öfter unrecht als
Eitelkeit. der, der es nicht ertragen kann, un¬
Gerhard Zwerenz [* 1925]; recht zu haben.
dt. Schriftsteller Francois de La Rochefoucauld
Das Unrecht triumphiert, sobald * Wohl dem, der frei von Schuld
die Gerechtigkeit ihren Lauf und Fehle bewahrt die kindlich
nimmt. reine Seele.
Martin Kessel, Gegengabe Schiller, Die Kraniche des Ibikus
757
Unsterblichkeit Teil II
_Untreue
-Unternehmer
Das Hauptmotiv für den Ehebruch
Der Arbeiter soll seine Pflicht tun; ist das Verlangen nach dem unver-
758
Teil II Unwahrheit
759
Unwissenheit Teil II
Wir haben die Welt, das heißt den Man urteilt über andere nicht so
Kosmos einschließlich unserer ei¬ falsch wie über sich selbst.
genen Physis „entzaubert“ und da¬ Vauvenargues [1715-1747];
mit den Bereich unseres Wissens, franz. Schriftsteller
noch mehr allerdings unseres
Nicht-Wissens, unserer Unwissen¬
heit, unvorstellbar erweitert. _Utopie
Oswald von Nell-Breuning
Was man heute als Sciene-fiction
beginnt, wird man morgen viel¬
leicht als Reportage zu Ende
_Unzufriedenheit
schreiben müssen.
Aus dem Guten kommt das Besse¬ Norman Mailer [* 1923];
re, aus dem Besseren das Beste und amerik. Schriftsteller
aus dem Besten die Unzufrieden¬
heit. Es ist ein bedrohliches Zeichen,
Werner Mitsch daß alle Utopien der jüngeren Zeit
pessimistisch sind.
Wir denken selten an das, was wir Carlo Schmid
haben, aber immer an das, was uns
fehlt. Es ist ja durchaus richtig, und alle
Arthur Schopenhauer geschichtliche Erfahrung bestätigt
es, daß man das Mögliche nicht er¬
reichte, wenn nicht immer wieder
in der Welt nach dem Unmögli¬
_Urlaub
chen gegriffen worden wäre.
Urlaub ohne Unterlaß wäre ein gu¬ Max Weber
760
Teil II Veränderung
761
Veränderung Teil II
wie sie ist, der will nicht, daß sie kommt aber darauf an, sie zu ver¬
bleibt. ändern.
Erich Fried [1921-1988]; Karl Marx
österr. Schriftsteller
Es hat zu allen Zeiten mehr Welt-
Unerquicklich ist es, mit dir zu veränderer gegeben als Weltver¬
streiten, wenn du nur verteidigen besserer.
willst, was du bist, was du warst Werner Mitsch
und immer zu bleiben gedenkst.
Was soll ich streiten, wenn ich Wir brauchen nicht so fortzuleben,
nicht hoffen kann, dich zu ändern! wie wir gestern gelebt haben.
Karl Gutzkow Macht Euch nur von dieser An¬
schauung los, und tausend Mög¬
Es hilft nichts, das Unvollkomme¬ lichkeiten laden uns zu neuem
ne heutiger Wirklichkeit zu höhnen Leben ein.
oder das Absolute als Tagespro¬ Christian Morgenstern
gramm zu predigen. Laßt uns statt
dessen durch Kritik und Mitarbeit Ihr müßt die Menschen lieben,
die Verhältnisse Schritt für Schritt wenn ihr sie verändern wollt.
ändern. Johann Heinrich Pestalozzi,
Gustav Heinemann [1899-1976]; Schriften
dt. Politiker
Ich gebe zu, daß jede Gewalt von
Der Mensch ist ein zeitliches We¬ Gott kommt. Aber auch jede
sen, das nur lebt, indem es seine Krankheit kommt von ihm: Heißt
Welt um sich wandelt. das etwa, deshalb sei es verboten,
Karl Jaspers den Arzt zu rufen?
Jean-Jacques Rousseau,
Gesellschaftliche Veränderung Gesellschaftsvertrag
fängt immer mit Außenseitern an,
die spüren, was notwendig ist. * Das Alte stürzt, es ändert sich die
Robert Jungk [* 1913]; österr. Zeit, und neues Leben blüht aus
Wissenschaftspublizist und den Ruinen.
Zukunftsforscher Schiller, Wilhelm Teil
Ich kann freilich nicht sagen, ob es Die besten Reformer, die die Welt
besser wird, wenn es anders wird; je gesehen hat, sind die, die bei sich
aber soviel kann ich sagen, es muß selbst anfangen.
anders werden, wenn es gut wer¬ George Bernard Shaw
den soll.
Georg Christoph Lichtenberg Nicht der Verzicht auf wissen¬
schaftliche Entdeckungen oder auf
Die Unterbindung des sozialen ihre Veröffentlichung ist die Lö¬
Wandels ist vielleicht die hervor¬ sung, sondern die Veränderung der
stechendste Leistung der fortge¬ politischen Weltordnung, die, so
schrittenen Industriegesellschaft. wie sie heute ist, einen Mißbrauch
Herbert Marcuse wissenschaftlicher Erkenntnisse
nahezu erzwingt.
*Die Philosophen haben die Welt Carl Friedrich von Weizsäcker,
nur verschieden interpretiert; es Einheit
762
Teil II Verbrechen
763
Verbrecher Teil II
-Vergänglichkeit
-Vergangenheit
* Ach, wie bald schwindet Schön¬
Jede Zufluchtsstätte der Vergan¬ heit und Gestalt.
genheit ist ein Gefängnis. Wilhelm Hauff [1802-1827];
Stanislaw Brzozowski dt. Schriftsteller
764
Teil II
Verleumdung
765
Verlust Teil II
Laß die Menschen reden, was sie jüngst erworbene Fertigkeiten ist
wollen. Du weißt ja die Art des sie in die Lage versetzt worden,
ganzen Geschlechts, daß es lieber ihre einstigen Vorstellungen zu ver¬
beunruhigt und hetzt, als tröstet wirklichen.
und aufrichtet. Bertrand Russell, Moral
Goethe, an Christiane Vulpius
Was einem genommen wird, dem Die höchste Vernunft spricht nicht
soll man nicht nachweinen, das ist nur die Sprache des bloßen Ver¬
verloren für immer. Nur was man standes, sondern sie spricht auch
gibt, bekommt man mitunter zu¬ die Sprache ihrer Mutter, der Lie¬
rück. be, welche der Anfang aller Dinge
Karl Heinrich Waggerl ist und darum auch der Anfang
aller Erkenntnis.
Gertrud von Le Fort
_Vernichtung
Wenn jedoch die Kraft, die die
Bisher mußte der Mensch mit dem menschliche Aktivität bestimmt,
Gedanken an seinen sicheren per¬ nicht die Vernunft ist, bleibt der
sönlichen Tod leben. Jetzt hat er Mensch unter dem Niveau seiner
sich auch noch mit dem Gedanken eigenen Möglichkeiten.
an den möglichen Untergang der Robert S. McNamara [* 1916];
ganzen Menschheit abzufinden. amerik. Politiker
Arthur Koestler, Mensch
Die Vernunft formt den Menschen,
Es ist lange her, daß sich die das Gefühl leitet ihn.
menschliche Phantasie die Hölle Jean-Jacques Rousseau,
ausgemalt hat, aber erst durch ihre Bekenntnisse
766
Teil II Verstand
767
Verstehen Teil II
ren kommt, sieht man nicht eher Alles verstehen heißt alles verzei¬
ein, als bis der Verstand und die hen - das wäre sehr edel gedacht
Jahre da sind. und gesagt. Nur schade, daß das
Jean Paul Verstehen neunundneunzig Mal
unter hundert aus Bequemlichkeit
Der Verstand ist das nächstliegen- und höchstens einmal aus Güte ge¬
de Werkzeug, mit dem der Mensch schieht.
rechnen kann. Arthur Schnitzler
Jose Ortega y Gasset, Aufstand
Bewahre uns der Himmel vor dem
Wer über gewisse Dinge den Ver¬ „Verstehen“. Es nimmt unserm
stand nicht verliert, der hat keinen Zorn die Kraft, unserm Haß die
zu verlieren. Würde, unserer Rache die Lust
Gotthold Ephraim Lessing, und noch unserer Erinnerung die
Emilia Galotti Seligkeit.
Arthur Schnitzler
Verstand ist wie Spargel; zu groß
gewachsen, taugt er nichts.
Aleksander Swietochowski _Verstellung
Wer nur mit dem Verstand lebt, hat Die Welt ist voll von Leuten, die
das Leben nicht verstanden! Wasser predigen und Wein trin¬
Gerd Uhlenbruck
ken.
Giovanni Guareschi [1908-1968];
ital. Schriftsteller
768
Teil II Verzeihung
chung: prüfe alles und behalte das ster geworden ist, sollte er in einer
Gute. neuen Sache Schüler werden.
George Bernard Shaw Gerhart Hauptmann
* Ich kann allem widerstehen, nur Macht können wir durch Wissen
nicht der Versuchung. erlangen, aber zur Vollendung ge¬
Oscar Wilde langen wir nur durch die Liebe.
Rabindranath Tagore
_Vertrauen
-Verwandtschaft
Der Mensch, der nicht sich meint,
dem gibt man alle Schlüssel. Ich verabscheue meine Verwand¬
Martin Buber ten. Das kommt vermutlich daher,
daß unsereins es nicht ausstehen
Vertrauen ist Mut, und Treue ist kann, wenn andere Leute dieselben
Kraft. Fehler haben wie wir.
Marie von Ebner-Eschenbach Oscar Wilde
* Vertrauen ist gut, Kontrolle ist Der Mensch ist nie so schön, als
besser! wenn er um Verzeihung bittet oder
Nach Wladimir Iuitsch Lenin selbst verzeiht.
[1870-1924]; Sowjet. Politiker Jean Paul
769
Verzweiflung Teil II
heren Zustand, der bequemer oder kann und daß die Lohnarbeit nicht
genußbringender war, wiederher¬ länger der Schwerpunkt des Le¬
zustellen, und wäre es selbst auf bens, ja nicht einmal die haupt¬
Kosten der Billigkeit, der Ehre und sächliche Tätigkeit eines jeden
der Selbstachtung. bleiben kann.
Arthur Schnitzler Andre Gorz
770
Teil II Vorurteil
Vor-Bild sein, heißt in erster Linie Chefs nicht nach seiner Betrieb¬
vor-leiden können. samkeit bemessen, sondern nach
Hans Kudszus dem, was er schafft.
Emil Oesch, Zeit
Auf Vorbilder wird es auch weiter¬
hin in jeder menschlichen Gesell¬
schaft ankommen; die, nach denen _Vorrecht
wir suchen, müssen Ähnlichkeit
Der größte Feind des Rechts ist das
mit uns selber haben. Sie müssen
Vorrecht.
die Spuren unserer Sorgen und
Nöte verraten. Marie von Ebner-Eschenbach
Alexander Mitscherlich Wer Vorrechte genießt, kann leicht
für die Rechte anderer streiten.
Für sein Tun und Lassen darf man
Peter Tille
keinen andern zum Muster neh¬
men, weil Lage, Umstände, Ver¬
hältnisse nie die gleichen sind und _Vorsatz
weil die Verschiedenheit des Cha¬
rakters auch der Handlung einen Gute Vorsätze ... sind Schecks, auf
verschiedenen Anstrich gibt. eine Bank gezogen, bei der man
Arthur Schopenhauer kein Konto hat.
Oscar Wilde
_Vorgesetzter
_Vorsicht
Jeder Vorgesetzte, der etwas taugt,
Vorsicht und Mißtrauen sind gute
hat es lieber mit Leuten zu tun, die
Dinge, nur sind auch ihnen gegen¬
sich zuviel zumuten, als mit sol¬
über Vorsicht und Mißtrauen nö¬
chen, die zuwenig in Angriff neh¬
tig.
men.
Christian Morgenstern
Lee Iacocca
* Der bessere Teil der Tapferkeit
Der Mensch kann nichts Schlim¬ ist Vorsicht.
meres über sich haben als einen
Shakespeare, König Heinrich IV.
Menschen.
Jüdisches Sprichwort Es bleibt der Dummheit überlas¬
sen,
Die Fähigkeiten eines Chefs er¬ ein heißes Eisen anzufassen.
kennt man an seiner Fähigkeit, die Die Klugheit (obwohl auch nicht
Fähigkeiten seiner Mitarbeiter zu bange)
erkennen. nimmt eine Zange.
Robert Lembke Karl Heinrich Waggerl
_Vornehmheit __ Vorurteil
Feine Leute sind solche, die nur in Ein Urteil läßt sich widerlegen,
feiner Umgebung ordinär werden. aber niemals ein Vorurteil.
Wolfgang Herbst Marie von Ebner-Eschenbach
771
Wahl Teil II
w -Wahrhaftigkeit
772
Teil II Wahrheit
* Wer die Wahrheit nicht weiß, der Anachronismus; sie wird erst lang¬
ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sam wahr. Es braucht immer eine
sie weiß und sie eine Lüge nennt, gewisse Zeit, bis ihre Tiefe herauf¬
der ist ein Verbrecher! steigt, nach oben kommt und sicht¬
Bertolt Brecht, Galilei bar, das heißt: oberflächlich wird.
Egon Friedell
Grund.
Je mehr Leute es sind, die eine
Karlheinz Deschner
Sache glauben, desto größer ist
Die Wahrheit hat Kinder, die sie die Wahrscheinlichkeit, daß die
nach einiger Zeit verleugnet: Sie Ansicht falsch ist. Menschen,
heißen Wahrheiten. die recht haben, stehen meistens
Marie von Ebner-Eschenbach allein.
Sören Kierkegaard
Wir suchen die Wahrheit, Finden
wollen wir sie aber nur dort, wo es * Die Wahrheit ist immer konkret.
uns beliebt. Wladimir Iuitsch Lenin
Marie von Ebner-Eschenbach [1870-1924]; Sowjet. Politiker
Jede neue Wahrheit beginnt als Vom Wahrsagen läßt sich’s wohl
773
Wahrheit Teil II
leben in der Welt, aber nicht vom Erziehung sollte den Wunsch nach
Wahrheitsagen. Wahrheit nähren und nicht die
Georg Christoph Lichtenberg Überzeugung, daß ein bestimmter
Glaube die Wahrheit sei.
Ich hasse die Vielredner. Die Bertrand Russell, Schriften
Wahrheit macht nicht viele Worte.
Martin Luther Wahrheit besteht nicht in Bewei¬
sen, sie besteht im Zurückführen
Wahrheiten können fast immer auf die letzte Einfachheit.
auch in den Dienst von Unwahr¬ Antoine de Saint-Exupery
heiten gestellt werden. [1900-1944]; franz. Schriftsteller
Ludwig Marcuse
Doch, weil Wahrheit eine Perle,
Eine Wahrheit kann erst wirken, wirf sie auch nicht vor die Säue.
wenn der Empfänger für sie reif ist. Theodor Storm, Für meine Söhne
Nicht an der Wahrheit liegt es da¬
her, wenn die Menschen noch so
Paradox und Wahrheit unterschei¬
voller Unweisheit sind.
den sich darin, daß das erste den
Christian Morgenstern
Gegenstand mit starkem Licht von
einer Seite beleuchtet, die zweite -
Es ist das Los des Menschen, daß
mit schwachem Licht von vielen.
die Wahrheit keiner hat. Sie haben
ALEKSANDER SwifTOCHOWSKI
sie alle, aber verteilt, und wer nur
bei einem lernt, der vernimmt nie,
Der Strom der Wahrheit fließt
was die andern wissen.
durch Kanäle von Irrtümern.
Johann Heinrich Pestalozzi,
Rabindranath Tagore
Lienhard und Gertrud
Suche nach Wahrheit ist Mut zum Die Wahrheit ist eine unzerstörba¬
Risiko, und zwar nicht nur im per¬ re Pflanze. Man kann sie ruhig un¬
sönlichen, sondern ebenso im so¬ ter einen Felsen vergraben, sie
zialen, im gesellschaftlichen Be¬ stößt trotzdem durch, wenn es an
reich. der Zeit ist.
Hans A. Pestalozzi, Zukunft Frank Thiess
774
Teil II Wein
Wie kann man erwarten, daß die * Rotwein ist für alte Knaben eine
Menschheit guten Rat annimmt, von den besten Gaben.
wenn sie nicht einmal auf Warnun¬ Wilhelm Busch, Tobias Knopp
gen hört?
Jonathan Swift Der Wein ist geschaffen, daß er die
Menschen soll fröhlich machen.
Jesus Sirach 31, 34
_Wechsel
Seine Freunde und was mit der
Nichts ist dauernd als der Wechsel. Liebe zusammenhängt, muß man
Ludwig Börne, Denkrede auf im Weine anschauen; nichts taugt,
Jean Paul was nicht so angeblickt werden
kann.
Nur der Wechsel ist wohltätig. Un¬
Erhärt Kästner
aufhörliches Tageslicht ermüdet.
Wilhelm von Humboldt, Briefe * Der Wein erfreue des Menschen
an eine Freundin Herz.
Psalm 104, 15
Der Wechsel allein ist das Bestän¬
dige. Man führt gegen den Wein nur die
Arthur Schopenhauer bösen Taten an, zu denen er verlei¬
tet, allein er verleitet auch zu hun¬
dert guten, die nicht so bekannt
_Weibliches
werden.
Hier und heute muß man leiden¬ Georg Christoph Lichtenberg
775
Weisheit Teil II
Ein Weiser ist man nur unter der Wer die Welt zu sehr liebt, kommt
Bedingung, in einer Welt voll Nar¬ nicht dazu, über sie nachzuden¬
ren zu leben. ken; wer sie zuwenig liebt, kann
Arthur Schopenhauer nicht gründlich genug über sie den¬
ken.
Die Weisheit eines Menschen mißt Christian Morgenstern
776
Teil II
Werte
777
Wettbewerb Teil II
geistigen Freiheit, um sich vom Verlaß ist letzten Endes nur auf
Anerkannten loszumachen. den Widerspruch.
Andre Gide, Tagebuch Oliver Hassencamp
Es gibt zweierlei Arten von Wer¬ Die Geschichte der Freiheit ist die
ten: Werte, die durch das Leben, Geschichte des Widerspruches.
durch unbewußte Probleme ge¬ Thomas Woodrow Wilson
schaffen werden, und Werte, die in [1856-1924];
dem Bemühen, mehr oder weniger amerik. Politiker
gut verstandene Probleme auf der
Grundlage früherer Lösungen zu
lösen, vom menschlichen Bewußt¬ _Widerwärtig
sein geschaffen werden.
Widerwärtig nennen wir das Trau¬
Karl R. Popper
rige, dem es nicht vergönnt ist, sich
auf irgendeine Weise in Schönheit
Nichts in der Welt ist unbedeu¬
aufzulösen.
tend.
Arthur Schnitzler
Schiller, Piccolomini II
_Willen
_Wettbewerb
778
Teil II Wissen
779
Wissenschaft Teil II
780
Teil II Wohlstand
781
Wohnung Teil II
gerechnet, wie viele dieser „mate¬ * Mit Worten läßt sich trefflich
riellen Errungenschaften“ nichts streiten.
anderes sind als der krampfhafte Goethe, Faust I
Versuch, Dinge, die wir durch das
Streben nach Wohlstand zerstört Worte sind Gegenstände: man
oder verloren haben, wieder herzu¬ kann sich an ihnen stoßen.
stellen? Wolfgang Herbst
Hans A. Pestalozzi, Zukunft
Das Wort ist der Blitz, aber die
Schrift ist der Einschlag, die Spur.
Die Spur bloß, der Blitz eben nicht.
_Wohnung Erhärt Kästner
782
Teil II Wunsch
783
Würde Teil II
_Zeit
Y vieren.
Gottfried Benn, Epilog
784
Teil II Zeitung
Die Zeit geht hin, und der Mensch * Dreifach ist der Schritt der Zeit:
gewahrt es nicht. Zögernd kommt die Zukunft her¬
Dante Alighieri gezogen.
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ist es das Gute selbst an der Ewig still ist die Vergangenheit.
schlimmsten Zeit, daß sie vergeht, Schiller, Musenalmanach
ist eben dies das Schlimme auch an
der besten. Man verliert die meiste Zeit damit,
Karlheinz Deschner daß man Zeit gewinnen will.
John Steinbeck
Ist die Zeit das Kostbarste unter al¬ [1902-1968];
lem, so ist Zeitverschwendung die amerik. Schriftsteller
allergrößte Verschwendung.
Benjamin Franklin, Reichtum Nur dem Anschein nach ist die
Zeit ein Fluß. Sie ist eher eine gren¬
Die Zeit ist eine große Lehrerin. zenlose Landschaft, und was sich
Schade nur, daß sie ihre Schüler bewegt, ist das Auge des Betrach¬
umbringt. ters.
Curt Goetz Thornton Wilder
Zeit haben heißt wissen, wofür Die Zeitung ist die Konserve der
man Zeit haben will und wofür Zeit.
nicht. Karl Kraus
785
Zensur Teil II
_Zensur _Zerstreuung
Es ist kein Zufall, daß immer da, Das fürchterlichste Mittel gegen
wo der Geist als eine Gefahr ange¬ quälende Gedanken ist die Zer¬
sehen wird, als erstes die Bücher streuung, sie führt zur Gedanken¬
verboten, die Zeitungen und Zeit¬ losigkeit.
schriften, Rundfunkmeldungen ei¬ Franz Grillparzer
ner strengen Zensur ausgeliefert
werden.
Heinrich Böll
__ Ziel
Zensur ist die geheime Empfeh¬ Der gerade Weg ist der kürzeste,
lung durch öffentliches Verbot.
aber es dauert meist am längsten,
Dieter Hildebrandt [* 1927];
bis man auf ihm zum Ziele gelangt.
dt. Kabarettist
Georg Christoph Lichtenberg
Zerstreutheit ist ein Zeichen von Von den meisten Büchern bleiben
Klugheit und Güte. Dumme und bloß Zitate übrig. Warum nicht
boshafte Menschen sind immer gleich nur Zitate schreiben.
geistesgegenwärtig. Stanislaw Jerzy Lec
Charles Joseph Fürst von Ligne
[1735-1814]; österr. Feldmarschall Die meisten Menschen sprechen
und Diplomat nicht, zitieren nur. Man könnte ru-
786
Teil II Zufall
hig fast alles, was sie sagen, in An¬ Auch zum Zögern muß man sich
führungsstriche setzen. entschließen.
Christian Morgenstern Stanislaw Jerzy Lec
Das Zitat, vor allem das geflügelte * Wer gar zu viel bedenkt, wird we¬
Wort, hat noch andere Aufgaben: nig leisten.
Es kann als eine Art geistiger Kurz¬ Schiller, Wilhelm Teil
schrift dienen.
Ludwig Reiners [1896-1957];
dt. Schriftsteller
__ Zorn
787
Zufriedenheit Teil II
Wenn ein paar Menschen recht Die Zukunft hat viele Namen. Für
miteinander zufrieden sind, kann die Schwachen ist sie das Uner¬
man meistens versichert sein, daß reichbare. Für die Furchtsamen ist
sie sich irren. sie das Unbekannte. Für die Tapfe¬
Goethe, Maximen und ren ist sie die Chance.
Reflexionen Victor Hugo [1802-1885];
franz. Schriftsteller
Sei mit dir nie zufrieden, so daß
deine Zufriedenheit nur dazu Die Zukunft ist als Raum der Mög¬
dient, dich zu neuer Unzufrieden¬ lichkeiten der Raum unserer Frei¬
heit zu stärken. heit.
Christian Morgenstern Karl Jaspers
Die Zukunft erkennt man nicht, Aus der Vergangenheit kann jeder
man schafft sie. lernen. Heute kommt es darauf an,
Stanislaw Brzozowski aus der Zukunft zu lernen.
Herman Kahn [1922-1983];
Wir können es uns nicht länger lei¬ amerik. Kybernetiker
sten, unsere Zukunft den Experten
zu überlassen, sonst könnten wir Wer die Zukunft nur mit Furcht er¬
im Jahre 2000 die unangenehme wartet, impft sie mit Schrecken.
Überraschung erleben, daß tat¬ Hans Kasper, Verlust
sächlich die Lichter ausgehen.
Hans Christoph Buch Das Leben kann nur in der Schau
788
Teil II Zurückhaltung
_Zurückhaltung
Die Zukunft kommt in Raten, das
ist das Erträgliche an ihr. Dumme Gedanken hat jeder, aber
Alfred Polgar der Weise verschweigt sie.
[1875-1955]; Wilhelm Busch, Aphorismen und
österr. Schriftsteller und Kritiker Reime
Die Zukunft des Menschen steht *Was deines Amtes nicht ist, da
auf dem Spiel; sie ist gesichert, so¬ laß deinen Vorwitz; denn es ist dir
bald nur genügend Menschen sich schon mehr befohlen, als du kannst
dieser Einsicht nicht verschließen. ausrichten.
Bertrand Russell, Moral Jesus Sirach 3, 24-25
Man hat Zeit genug, an die Zu¬ Lieber weniger, aber besser.
kunft zu denken, wenn man keine Wladimir Iuitsch Lenin
Zukunft mehr hat. [1870-1924];
George Bernard Shaw, russ.-sowjet. Politiker
Pygmalion
Nichts Liebenswerteres in der
Der einzige Augenblick, in dem Welt, als Dummheit, die schweigen
man nicht an die Zukunft denkt, ist kann.
jener, in dem man sie mit einem Karl Heinrich Waggerl
789
Zusammenarbeit Teil II
Nur wenn ich versuche, meine Wenn ich wüßte, daß morgen die
Partnerin oder meinen Partner Welt unterginge, würde ich heute
glücklich zu machen, auf seine noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Wünsche und seine Bedürfnisse Martin Luther
einzugehen, ihm zu seiner Lust zu
verhelfen, werde auch ich den
Rausch höchster Lust und höch¬ _Zwang
sten Glücks und tiefste Befriedi¬ Bitter ist es, das heute zu müssen,
gung und Erfüllung erleben. was man gestern noch wollen
Hans A. Pestalozzi, Auf die konnte.
Bäume Karl Gutzkow
790
Teil II Zwischenmenschliche Beziehungen
Irren mag menschlich sein, aber Oft spüren Häretiker zuerst die
Zweifeln ist menschlicher, indem Zeichen der Zeit, und manchmal
es gegen das Irren angeht. waren verurteilte Ketzer, die mani¬
Ernst Bloch fest unrecht hatten, die innigsten
Freunde Gottes.
Der Zweifel gehört zur echten Carl Friedrich von Weizsäcker,
Fruchtbarkeit, man muß durch ihn Geschichte
hindurch, es geht kein anderer Weg
als dieser gefahrvolle in die große
Gewißheit. _Zwischenmenschliche
Martin Buber Beziehungen
Alles Wissen geht aus einem Zwei¬ Auch im übertragenen Sinn ist der
fel hervor und endigt in einem Mensch in seiner eigenen Haut
Glauben. nackt geboren und bedarf fremder
Marie von Ebner-Eschenbach bekleidender Stoffe, um sich genau
in seiner eigenen Nähe zu wärmen,
Glaube und Zweifel verhalten sich ja zu betonen.
zueinander wie Regierung und Op¬ Ernst Bloch
791
Zyniker Teil II
792
Teil II Zynismus
Ich bin durchaus nicht zynisch, ich Der Zynismus der Zyniker besteht
habe nur meine Erfahrungen, was nicht darin, daß sie sagen, was sie
allerdings ungefähr auf dasselbe denken, sondern darin, daß sie
herauskommt. denken.
Oscar Wilde Gabriel Laub
793
18 Duden 12
'
Quellenverzeichnis
A
Adorno, Theodor W. [früher Th. Wie¬ Berkensträter, Bert (* 1941); dt. Aphori¬
sengrund] (1903-1969); dt. Philosoph, stiker
Soziologe und Musikwissenschaftler Zitiert nach T Deutsche Aphorismen
Minima Moralia. Reflexionen aus dem Besinnung und Einsicht. Aphorismen
beschädigten Leben. In: Gesammelte des 19. und 20. Jahrhunderts. Gesam¬
Schriften, Bd. 4. Frankfurt a. M. 1980 melt und herausgegeben von Hans
Alt, Franz (* 1938); dt. Publizist Margolius und Ernst Kobelt. Zürich
Frieden ist möglich. München 1983 1981
Andersen-Nexo, Martin (1869-1954); Beutelrock, Friedl (1899-1958); dt.
dän. Schriftsteller Schriftstellerin
Erinnerungen. Berlin (Ost) und Wei¬ Am Rande bemerkt. Neue Aphorismen.
mar 1966 München/Innsbruck/Zürich 1955
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matiker [verschollen])
Zitiert nach T Besinnung und Einsicht Des Teufels Wörterbuch. Neu über¬
Arabische Sprichwörter. Ausgewählt setzt von G. Haefs. Zürich 1987
und eingeleitet von W. M. Bonsack. Biermann, Wolf (* 1936); dt. Lyriker
Wiesbaden 1985 und Liedersänger
Arndt, Hans (*1911); dt. Aphoristiker Die Drahtharfe. Berlin (West) 1965
Im Visier. Aphorismen. München 1959 Verdrehte Welt - das seh ich gerne.
Arntzen, Helmut (* 1931); dt. Aphoristi¬ Köln 1982
ker Affenhals und Barrikade. Köln 1986
Kurzer Prozeß. Aphorismen und Fa¬ Bloch, Ernst (1885-1977); dt. Philosoph
beln. München 1966. Zitiert nach Tübinger Einleitung in die Philoso¬
t Deutsche Aphorismen phie. Werkausgabe Bd. 13. Frankfurt
a.M. 1985
Bobrowski, Johannes (1917-1965); dt.
B
Schriftsteller
Balthasar, Hans Urs von (1905-1988); Erzählungen. Leipzig 1978
Schweiz, kath. Theologe und Schrift¬ Böll, Heinrich (1917-1985); dt. Schrift¬
steller steller
Das Weizenkorn. Aphorismen. Einsie¬ Aufsätze, Kritiken, Reden. Köln 1967
deln/Trier, 3. Aufl. 1989 Bonhoeffer, Dietrich (1906-1945); dt.
Baudrillard, Jean (* 1939); frz. Philo¬ ev. Theologe
soph Zitiert nach t Besinnung und Einsicht
Cool memories 1980-1985. Übersetzt Börne, Ludwig (1786-1837); dt. Schrift¬
von M. Ott. München 1989 steller
Benjamin, Walter (1892-1940); dt. Lite¬ Fragmente und Aphorismen. In; Bör¬
raturkritiker und Schriftsteller ne. Eine Anthologie. Bibliographi¬
Gesammelte Schriften. Bd. 1,2. 2. Aufl. sches Institut Hildburghausen und
Frankfurt a. M. 1978 New York o. J. (1855/56)
Benn, Gottfried (1886-1956); dt. Brandt, Willy (1913-1992); dt. Politiker
Schriftsteller und Arzt Der Wille zum Frieden. Perspektiven
Gesammelte Werke I. Essays, Reden, der Politik. Frankfurt a. M. 1973
Vorträge. Stuttgart, 6. Aufl. 1987 Willy Brandt, Bruno Kreisky, Olof
Gesammelte Werke IV. Autobiogra¬ Palme. Briefe und Gespräche 1972 bis
phische und vermischte Schriften. 1975. Frankfurt a. M./Köln 1975
Stuttgart, 5. Aufl. 1986 Erinnerungen. Frankfurt a. M. 1989
795
18*
Quellenverzeichnis
Brecht, Bertolt (1898- 1956); dt. Schrift¬ Carlyle, Thomas (1795-1881); schott.
steller und Regisseur Essayist und Geschichtsschreiber
Gesammelte Werke in 20 Bänden. Geschichte Friedrichs II. von Preu¬
Frankfurt a. M. 1967-1969 ßen, genannt Friedrich der Große.
Brudzinski, Wieslaw Leon (* 1920); Aus dem Englischen übertragen von
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denkst. Herausgegeben und aus dem (1741-1794); franz. Schriftsteller
Polnischen übertragen von K. Dede- Maximen, Charaktere, Anekdoten.
cius. Frankfurt a. M., 2. Aufl. 1985 Aus dem Französischen von F. Schalk.
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Buber, Martin (1878-1965); jüd. Reli¬
gionsphilosoph und Schriftsteller Chesterton, Gilbert Keith (1874-1936);
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Buch, Hans Christoph (* 1944); dt.
rismen. Gesammelt und übersetzt von
Schriftsteller
G. Kranz. Moers 1988
Das Hervortreten des Ichs aus den
Chinesische Sprichwörter. Aus dem
Wörtern. Aufsätze zur Literatur. Mün¬
Chinesischen übertragen und heraus¬
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gegeben von K. Herrmann. Wiesbaden
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neille. Berlin 1877
Burckhardt, Jacob (1818-1897);
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Sämtliche Briefe. Kommentierte Aus¬ Dichter
gabe. Hrsg.: F. Bohne. 2 Bde. Hanno¬ Die göttliche Komödie. Übers, von
ver, 1968-69 K. Eitner. 3 Teile. Bibliographisches
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797
Quellenverzeichnis
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Quellenverzeichnis
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Gedichte. Nach der engl. Version von steht auf der spitzen Zunge
A. Palmer ins Deutsche übertragen Jünger, Friedrich Georg (1898-1977);
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Hölderlin, Johann Christian Friedrich Gedanken und Merkzeichen. Frank¬
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Holthusen, Hans Egon (*1913); dt. Kafka, Franz (1883-1924); österr.
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Staatsmann, Philosoph und Sprach¬ Kant, Immanuel (1724-1804); dt. Philo¬
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ner und K. Giel. Stuttgart 1979-1982 sebuch für freie Minuten. Hrsg, von
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Schöne neue Welt. Roman. Frankfurt Düsseldorf/Wien 1962
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Jean Paul [ = Johann Paul Friedrich Auswahl aus dem Gesamtwerk. Wies¬
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799
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800
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Wissen des Herzens. Gedanken und Aphorismen Wilhelm Raabes. Her¬
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Weizsäcker, Richard von (* 1920); dt. U. Eichelberger. Bibliographisches In¬
Politiker stitut Leipzig 1981
805
.
Register
1. Die Bibel
Die Bücher des Alten Testaments Die Bücher des Neuen Testaments
Die fünf Bücher Moses: 25, 26, 55, 60, Das Evangelium des Matthäus: 40, 43,
65, 80, 81, 95, 102, 109, 114, 118, 124, 45, 48, 52, 53, 55, 56, 58, 59, 79, 105,
127, 130, 137, 146, 147, 149, 171, 179, 106, 113, 129, 131, 141, 143, 165, 166,
180, 182, 191, 229, 230, 231, 237, 252, 174, 179, 184, 205, 207, 215, 238, 244,
272, 283, 296, 308, 312, 342, 352, 367, 246, 249, 250, 252, 266, 273, 274, 288,
377, 394, 395, 405, 414, 417, 424, 425, 308, 316, 321, 322, 336, 348, 357, 362,
459, 460, 467, 472, 479, 501, 505, 506, 364, 374, 380, 381, 390, 394, 395, 396,
517, 527 400, 406, 409, 411, 412, 417, 422, 457,
Das Buch Josua: 226 472, 477, 491, 495, 496, 497, 499, 502,
514, 518, 522
Das Buch der Richter: 503, 525
Die Bücher Samuel: 35, 71, 265, 398, Das Evangelium des Markus: 52, 87,
449, 505, 529 145, 207, 215, 229, 239, 249, 265, 334,
336, 395, 501
Die Bücher von den Königen: 49, 71,
203, 312, 380, 479 Das Evangelium des Lukas: 19, 46, 49,
Das Buch Esther: 238 52, 59, 60, 64, 67,79,104, 114, 133,161,
163, 165, 169, 185, 205, 207, 219, 230,
Das Buch Hiob: 46, 71, 158, 165, 189,
244, 249, 274, 291, 316, 341, 356, 390,
204, 209, 277, 462, 480, 506
395, 406, 447, 454, 455, 463, 488, 496,
Der Psalter: 21,29, 50, 52, 55, 73, 80, 97, 499, 502, 504, 514, 526
104, 110, 123, 127, 135, 158, 161, 165,
Das Evangelium des Johannes: 55, 106,
170, 204, 299, 301, 314, 369, 372, 395,
127, 159, 166, 192, 208, 229, 238, 242,
396, 414, 446, 447, 482, 503, 506, 511,
247, 249, 262, 304, 334, 338, 403, 432,
520
439, 444, 472, 474, 475, 505, 526
Die Sprüche Salomos: 95, 147, 181, 210,
Die Apostelgeschichte: 161, 166, 205,
305, 445, 488, 528
239, 242, 294, 356, 394, 459, 502, 506
Der Prediger Salomo: 28, 30, 32, 102,
160, 172, 457, 512 Der Römerbrief: 129, 147,154, 211, 241,
336, 367, 512, 519
Das Hohelied Salomos: 135, 211, 376
Jesaja: 44, 56, 57, 61, 75, 85, 129, 184, Die Korintherbriefe: 21, 40, 100, 132,
191, 362, 391, 399, 411, 415, 505, 512 133, 150, 155, 179, 231, 236, 239, 314,
330, 357, 379, 425, 454, 462
Jeremia: 60, 166, 194, 205, 248, 319, 352,
417 Der Galaterbrief: 40, 132, 283
Hesekiel: 144, 444, 499 Der Epheserbrief: 93, 236
Daniel: 90, 176, 262, 304 Der Philipperbrief: 80
Hosea: 500 Die Thessalonicherbriefe: 179, 365, 384,
Jona:334 496, 503
Habakuk: 175, 291 Die Timotheusbriefe: 193
Der Titusbrief: 371
Die Petrusbriefe: 194, 351, 434
Die Apokryphen Die Johannesbriefe: 484
Der Hebräerbrief: 71, 111, 529
54, 193, 210, 212, 241, 340, 346, 398,
407, 451, 472, 473, 480, 497, 498, 607, Die Offenbarung: 19, 80, 103, 163, 258,
613, 755 381, 393
807
Register
2. Personenregister
808
Register
809
Register
810
Register
Clauren, Heinrich: 264 Diderot, Demis: 262, 459, 595, 699, 793
Clausewitz, Carl v.: 267 Didon, Henri-Martin: 83
Clemenceau, Georgen: 415 Dietrich, Marlene: 33, 219, 379
Clement, Jean-Baptiste: 276 Diodor: 56, 363
Clewing, Carl: 28 Diogenes Laertios: 114
Clouzot, Henri-Georges: 288 Diogenes von Sinope: 164
Cocteau, Jean: 269, 558, 664, 671, 672, Disraeli, Benjamin: 355, 588, 695
740, 743 Ditfurth, Hoimar v.: 491, 542, 544, 586,
Coke, Sir Edward: 325 617, 623, 656, 686, 708, 754, 759, 779
Colpet, Max: 33, 379 Döblin, Alfred: 355, 534, 652, 664, 765
Colton, Charles Caleb: 687 Doderer, Heimito v.: 320, 534, 588, 592,
Conrad, Joseph: 552 653, 711, 715, 751
Cooper, James Fenimore: 282 Domitius Ulpionus: 162
Corneille, Pierre: 47, 289, 609, 616, 660, Donne, John: 336, 485
672, 747 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch:
Cornelius, Peter: 370 388, 549, 627, 675, 712, 777, 783
Cornelius Gallus: 353 Douglas, Michael: 588
Cornelius Nepos: 240 Drechsler, Joseph: 80, 383
Coubertin, Pierre de: 83 Dryden, John: 744
Cousin, Victor: 273 Dumas d.Ä., Alexandre: 83, 132
Cousins, Norman: 600 Dunkel, Elizabeth: 150
Cowley, Malcolm: 288 Durandus, Guilelmus: 40, 370
Curtius Rufus: 183 Duras, Marguerite: 666, 670
Cziffra, Geza v.: 150 Durieux, Tilla: 670
Düringer, Philipp Jacob: 285
Dürrenmatt, Friedrich: 171, 188, 562,
D
572, 623, 640, 643, 667, 668, 678, 693,
Dahrendorf, Ralf: 561, 564, 568, 619, 700, 739, 754, 761, 778, 779, 788
642, 693, 710, 723, 780 Düse, Eleonora: 731
Dali, Salvador: 641, 676, 718 Dutschke, Rudi: 272, 611, 617
Dante Alighieri: 72, 270, 275, 623, 714, Duval, Alexandre: 226
720, 757, 785 Dylan, Bob: 43
Darre, Walter: 76
Darwin, Charles: 252
E
Day, Doris: 674
Decatur, Stephen: 375 Ebel, Eduard: 280
Defoe, Daniel: 376 Eberle, Josef: 29
Degas, Edgar: 674, 743 Ebner-Eschenbach, Marie v.: 534, 537,
Degenhardt, Franz Josef: 408 538, 543, 550, 551, 552, 557, 558, 567,
Degeyter, Pierre: 458, 466 569, 577, 579, 581, 583, 584, 587, 591,
Dehler, Thomas: 708 595, 596, 597, 601, 603, 604, 606, 613,
De Kowa, Victor: 705 614, 622, 623, 624, 625, 628, 629, 631,
Demokrit: 598, 662 632, 635, 643, 645, 651, 659, 665, 671,
Demosthenes: 330, 358 683, 688, 691, 704, 705, 708, 714, 719,
Descartes, Rene: 83 720, 726, 727, 730, 731, 736, 740, 741,
Deschner, Karlheinz: 537, 540, 542, 545, 742, 743, 751, 752, 756, 757, 758, 765,
550, 568, 579, 587, 592, 609, 610, 623, 766, 767, 769, 771, 773, 779, 783, 788,
627, 632, 641, 643, 644, 648, 657, 664, 791
667, 670, 677, 691, 692, 698, 701, 703, Eco, Umberto: 735
706, 710, 712, 733, 738, 773, 776, 785 Edison, Thomas Alva: 169, 615, 639
De Sica, Vittorio: 598 Ehre, Ida: 599
Deter, Ina: 150, 331, 350 Ehrenburg, Ilja: 421, 676, 678, 683
Deutscher, Drafi: 298 Eich, Günter: 545, 573, 627, 718, 741,
Dickens, Charles: 201, 637, 659, 667 746, 747
811
Register
Eichendorff, Joseph v.: 48, 57, 162, 190, Finck, Werner: 557, 564, 577, 604, 606,
275, 348, 385, 399, 486, 495 637, 646, 651, 659, 678, 695, 710, 729,
Einstein, Albert: 57, 690, 696, 712, 757, 734, 735
768, 772 Fischart, Johann: 172, 181, 261, 392, 503
Eipper, Paul: 423 Fischer, Ludwig: 230
Eisenbarth, Johann Andreas: 117 Fitz, Lisa: 675
Eisenhower, Dwight David: 55, 787 Flaischlen, Cäsar: 194
Eisler, Hanns: 53, 108 Flake, Otto: 604, 610, 666, 668, 673, 705,
Eliot, Thomas Stearns: 764 759
Emerson, Ralph Waldo: 542, 560, 628, Flaubert, Gustave: 279
660, 685, 754 Fleming, Paul: 175, 232
Ende, Michael: 443, 698, 786 Flex, Walter: 469
Engelmann, Bernt: 228 Flora, Paul: 34, 546
Engels, Friedrich: 152, 172, 173, 363, Flotow, Friedrich v.: 282, 299
364, 367, 371, 604 Fock, Gorch: 391
Enzensberger, Hans Magnus: 108 Fontane, Theodor: 84, 94, 106, 169, 220,
Epiktet: 279 240, 293, 319, 400, 419, 440, 448, 469,
Erasmus von Rotterdam: 287, 521 498, 507, 563, 578, 600, 625, 676, 686,
Erhard, Ludwig: 359, 651 700, 748, 750
Erhardt, Heinz: 541, 578 Ford I., Henry: 588, 616, 666
Ernst, Otto: 64, 250 Förster, Karl August: 478
Erwin, Ralph: 217 Foster, George: 409
Eschenburg, Theodor: 633, 638 Fouche, Joseph: 94
Etienne, Charles Guillaume: 353 Fourier, Charles: 369
Euklid: 366 France, Anatole: 570, 577, 692, 787
Euripides: 449, 502 Frances, M.: 440
Evers, Joachim Lorenz: 474 Franck, Sebastian: 52, 107, 344, 485
Eysler, Edmund: 269 Frank, Bruno: 416
Frank, Leonhard: 287, 657
F Franklin, Benjamin: 120, 522, 539, 548,
562, 583, 584, 613, 624, 638, 665, 683,
Fabricius, Jakob: 455 719, 783, 785
Falke, Johann Daniel: 86 Franz I.: 31
Fall, Leo: 437 Freidank: 215
Fall, Richard: 475 Freiligrath, Ferdinand: 109, 223, 346,
Fallaci, Oriana: 574 474, 572
Fallada, Hans: 246, 260, 495 Freud, Sigmund: 435
Fanfani, Amintore: 650 Frey, Hermann: 436
Farinacius, Prosper: 84 Freytag, Gustav: 223, 307, 406, 678, 779
Fasquelle, Solange: 429 Fried, Erich: 652, 762
Fassbinder, Rainer Werner: 24, 42, Frieden, Egon: 643, 660, 723, 773
483 Friedrich I.: 315
Faulkner, William: 642 Friedrich II. der Große: 51, 159, 178,
Fellini, Federico: 117, 190 184, 215, 218, 246, 326, 336
Feltz, Kurt: 165, 499 Friedrich III.: 281
Ferdinand I.: 148 Friedrich, M. G.: 154
Ferdinand, Carl: 28 Friedrich, W.: 289
Fernandel: 601 Friedrich, Wilhelm III.: 181
Feuchtersieben, Emst v.: 235, 492, 544, Friedrich, Wilhelm IV.: 224, 318
549, 558, 590, 655, 663, 666, 671, 694, Frinton, Freddy: 423
696, 714, 722, 724, 752, 777, 789, 792 Frisch, Max: 69, 213, 303, 341, 537, 538,
Feuchtwanger, Lion: 543 582, 588, 601, 611, 627, 642, 647, 668,
Feuerbach, Anselm: 740, 743, 759 681, 695, 696, 701, 703, 717, 730, 739,
Feuerbach, Ludwig: 308, 722 748, 760
812
Register
813
Register
Gorbatschow, Michail: 169, 501, 610, Guareschi, Giovanni: 117, 575, 634, 655,
655, 675, 754 694, 697, 768
Gorki, Maxim: 364, 383, 540, 544, 646 Guinizelli, Guido: 230
Gorz, Andre: 600, 634, 695, 734, 735, Guitry, Sascha: 599, 668
770, 779, 788 Gulbranssen, Trygve: 439
Goschen, George Joachim: 409 Güll, Wilhelm: 195
Goscinny, Rene: 110 Gumbert, Ferdinand: 86
Gotthelf, Jeremias: 542, 567, 606, 685, Günther, Agnes: 201
692, 756 Gustav II. Adolf: 184
Gottsched, Johann Christoph: 199 Gutzkow, Karl: 31, 585, 596, 624, 626,
Gounod, Charles: 168 631, 743, 762, 790, 792
Grabbe, Christian Dietrich: 383
Graff, Sigmund: 534, 539, 543, 545, 549, H
553, 560, 562, 565, 568, 572, 574, 575,
576, 577, 579, 582, 583, 588, 597, 598, Hachfeld, Eckart: 488
600, 601, 604, 606, 607, 608, 613, 614, Haecker, Theodor: 516
616, 617, 620, 628, 637, 642, 643, 644, Haffner, Carl: 82, 180, 446
645, 646, 649, 650, 654, 657, 658, 677, Hafner, Philipp: 474
683, 684, 687, 690, 691, 696, 701, 704, Hagedorn, Friedrich v.: 170, 249
709, 710, 732, 747, 748, 751, 752, 787 Hagelstange, Rudolf: 720
Grass, Günter: 359, 468, 568, 590, 642, Hälevy, Ludowic: 52, 82, 180, 284
646, 651, 700, 745 Haller, Albrecht v.: 240, 474
Greene, Graham: 446 Haller, Hermann: 218, 456
Haller, Rolf: 568, 699, 703, 720, 772
Gregor der Große: 24
Halm, Friedrich: 528
Grey of Fallodon, Lord: 283
Hamann, Johann Georg: 292, 360
Grillparzer, Franz: 82, 92, 145, 162, 242,
Hammerschmid, Hans: 440
250, 300, 429, 437, 463, 480, 509, 555,
Haneke, Gottfried Benjamin: 49
560, 582, 596, 600, 616, 620, 623, 628,
Handke, Peter: 42, 543, 601, 670,
633, 643, 712, 714, 717, 728, 752, 767,
721
768, 786
Hansemann, David: 236
Grimm, Hans: 458
Harrer, Heinrich: 716
Grimm, Jakob u. Wilhelm: 23, 34, 79,
Harries, Heinrich: 201
118, 142, 182, 192, 197, 198, 202, 218,
Harsdörffer, Georg Philipp: 344
228, 261, 325, 345, 397, 401, 406, 408,
Hartl, Karl: 486
424, 443, 462, 510
Hartmann, Ludwig: 270, 504
Grimmelshausen, Johann Jakob Chri¬
Hase, Victor v.: 303
stoffel v.: 33, 407, 514
Hasek, Jaroslav: 327
Gropius, Walter: 547
Hasenau, Beate: 675
Gross, Johannes: 547, 557,647,693,728,
Hassencamp, Oliver: 547, 570, 590, 592,
729, 731, 736, 752, 763, 772
622, 635, 641, 651, 653, 655, 659, 663,
Grosz, George: 90
670, 671, 672, 683, 688, 690, 691, 693,
Groth, Klaus: 350
701, 724, 728, 736, 738, 741, 749, 754,
Grothe, Franz: 150, 234 755, 756, 759, 778, 792
Grotius, Hugo: 115, 151 Hauff, Wilhelm: 23, 173, 764
Gruber, Johann Gottfried: 212 Hauptmann, Gerhart: 330, 442, 566,
Grün, Max von der: 142, 412 579, 591, 644, 682, 696, 743, 769, 791,
Grünbaum, J. Chr.: 349 792
Gruter, Jan: 422 Hausmann, Manfred: 239, 568, 596, 598,
Gryphius, Andreas: 31 600
Grzesinski, Albert: 361 Havel, Vaclav: 701
Grzimek, Bernhard: 257, 397 Haydn, Joseph: 108
Guardini, Romano: 135, 559, 621, 709, Hayek, Friedrich August v.: 734, 767
724, 747 Heartfield, John: 108
814
Register
815
Register
816
Register
Kernmayer, Hans Gustl: 481 Kraus, Karl: 282, 458, 524, 535, 536, 537,
Kessel, Martin: 543, 553, 573, 606, 632, 545, 547, 567, 575, 577, 582, 592, 595,
634, 642, 645, 656, 670, 693, 719, 727, 602, 619, 635, 644, 647, 653, 657, 668,
728, 737, 740, 750, 757, 759, 770, 782, 689, 699, 700, 706, 717, 724, 727, 733,
786 737, 743, 745, 746, 754, 772, 776, 781,
Kettering, Charles: 716 785
Keun, Irmgard: 269 Kreisky, Bruno: 585
Key, Ellen: 740 Kreuder, Peter: 231, 379
Kierkegaard, Soren: 158, 559, 631, 635, Kreutzer, Konradin: 329
661, 690, 697, 737, 773, 789, 791 Krüger, Mike: 302
Kind, Johann Friedrich: 127, 137, 208, Kudszus, Hans: 535, 538, 545, 571, 601,
280, 311, 329, 513 635, 668, 699, 708, 750, 771, 792
Kindleben, Chr. Wilhelm: 161 Kues, Nikolaus v.: 84
King, Martin Luther: 176, 216, 621, 790, Kundera, Milan: 443, 595, 636
792 Künneke, Eduard: 218, 456
Kinkel, Gottfried: 395 Kurz, Hermann: 130
Kinski, Klaus: 218 Kurz, Isolde: 628, 671, 684, 772
Kipling, Rudyard: 172,452 La Bruyere, Jean de: 542, 549, 557, 579,
Kirsch, Rainer: 462 607, 612, 616, 619, 622, 647, 661, 668,
Kirst, Hans Helmut: 340 670, 681, 691, 702, 718, 736, 747, 759,
Kirsch, Egon Erwin: 368 760, 765
Kishon, Ephraim: 577, 580, 750
Klee, Paul: 657
L
Kleist, Heinrich v.: 23, 39, 50, 238, 432,
560 Laclos, Pierre Ambroise Francois Cho¬
Klepper, Jochen: 447 derlos de: 163
Klett, Werner: 293 Lactantius: 359
Klinger, Friedrich Maximilian: 416 Ladendorf, Otto: 215
Klopstock, Friedrich Gottlieb: 164, 168, Laffitte, Jacques: 365
387, 391 Lafontaine, August Heinrich Julius: 680
Kluge, Alexander: 21, 47, 236 La Fontaine, Jean de: 255, 312, 427
Knef, Hildegard: 172, 607 Lagerfeld, Karl: 684
Knigge, Adolph v.: 434 Lamartine, Alphonse de: 573
Knönagel, E.: 59 Lambsdorff, Otto Graf: 675
Knuth, Gustav: 534 Lami, Heinrich: 255
Koch, Thilo: 39 Lancaster, Burt: 537
Koestler, Arthur: 572,586, 588,637,654, Landauer, Gustav: 621
657, 658, 659, 737, 747, 749, 766 Langbein: August Friedrich Ernst: 34,
Kohl, Helmut: 235 87,419
Köhnlechner, Manfred: 732 Langhoff, Wolfgang: 319
Kokoschka, Oskar: 594, 661, 690 Laotse: 594, 620, 629, 688, 726, 728, 757,
Kolb, Annette: 580 775, 776
Kollo, Walter: 95, 298, 436, 471, 504 La Rochefoucauld: 234, 247, 539, 541,
Kollo, Willi: 504 543, 555, 556, 562, 567, 578, 582, 597,
Konstantin d.Gr.: 237 603, 607, 609, 626, 628, 630, 643, 650,
Körner, Theodor: 94, 152, 192, 343, 358, 660, 671, 683, 685, 690, 693, 707, 714,
458 716, 717, 720, 724, 727, 731, 744, 753,
Kostolany, Andre: 554, 562, 613, 624, 757, 759, 768
690, 703, 711, 723 Lasalle, Ferdinand: 583, 589, 734
Kotzebue, August v.: 250, 254, 265, 404, Laub, Gabriel: 535, 545, 557, 558, 576,
512 580, 581, 585, 604, 632, 635, 636, 649,
Krailsheimer, Hans: 536, 537, 569, 577, 652, 668, 672, 676, 679, 680, 686, 693,
626, 630, 635, 636, 668, 699, 720, 759, 698, 704, 715, 721, 722, 727, 746, 749,
776 753, 758, 787, 789, 793
817
Register
818
Register
819
Register
820
Register
Ortega y Gasset, Jose: 54, 550, 576, 584, Petronius Arbiter, Gajus: 45, 82, 148,
587, 589, 594, 600, 604, 611, 618, 619, 196, 274, 294, 503, 723
620, 639, 640, 658, 661, 669, 671, 675, Peyrefitte, Alain: 704
682, 689, 711, 715, 724, 735, 763, 764, Pfeffel, Gottlieb Konrad: 41, 183
768, 781, 782, 790, 791, 792 Phädrus: 33, 109, 257
Orwell, George: 28, 69 Piave, Francesco Maria: 291, 349
Osborne, John: 74, 567 Picasso, Pablo: 547, 657, 662, 674, 695,
Ossietzky, Carl v.: 544, 571, 590, 646, 774
716, 725, 770 Pinter, Harold: 609, 646
Ott, Wolfgang: 196 Pirandello, Luigi: 581, 633
Overbeck, Christian Adolf: 262 Pitaval, Franfois Gayot de: 82
Ovid: 45, 65, 66, 156, 193, 272, 413, 481 Pitt, William: 191
Planck, Max: 624, 690
Platen, August v.: 33
P
Platon: 107, 109, 139, 190, 226, 260, 284,
Packard, Vance: 777 301, 306, 359, 362, 366, 444
Pacuvius, Marcus: 433 Plautus: 90, 171, 179, 203, 213, 245, 333,
Pagnol, Marcel: 543, 661, 694 338, 486
Paisiello, Giovanni: 311 Plenzdorf, Ulrich: 219, 280
Pallenberg, Max: 548 Plinius d.Ä.: 85, 229, 238, 389
Panizza, Oskar: 706, 713, 777 Plinius d. J.: 323, 487
Pappos: 176 Plivier, Theodor: 252
Pappus, Johannes: 31, 221 Plotin: 470
Palafox y Melci, Jose de: 71 Plutarch: 36, 64, 73, 125, 158, 222, 274,
Paracelsus: 305 285, 365, 391, 435, 486, 514
Parkinson, Cyril Northcote: 355 Poer, Charles William de la: 361
Pascal, Blaise: 287, 454, 536, 541, 560, Pohl, Emil: 404
562, 570, 623, 629, 641, 676, 690, 742, Pohrt, Wolfgang: 539, 552, 720
790 Poiret, Jean: 251
Patricius, Augustinus: 398 Polanski, Roman: 420, 491
Paul, Jean: —<-Jean Paul Polgar, Alfred: 789
Paul, Leslie Allen: 524 Pompadour, Marquise de: 327
Pavese, Cesare: 556, 574, 591, 597, 615, Pompeius: 391
624, 639, 645, 661, 659, 680, 688, 711, Ponte, Lorenzo da: 84, 258, 370,
715, 717, 719, 721, 729, 747, 753, 760, 508
765 Ponti, Carlo: 599
Paz, Octavio: 560, 566, 569, 574, 592, Pontoppidan, Henrik: 622
610, 618, 627, 631, 658, 659, 671, 673, Pope, Alexander: 131, 140
675, 689, 700, 701, 715, 722, 724, 733, Popper, Karl Raimund: 625, 661, 746,
735, 737, 755 777, 778
Perez de Saavedra, Angelo: Potemkin, Grigoriji Alexandrowitsch:
291 362
Perschau, Hartmut: 653 Poth, Chlodwig: 281
Peter, Laurence J.: 357 Pottier, Eugene: 53, 372, 458, 466
Perinet, Joachim: 474 Pound, Ezra: 564, 573, 574, 649, 656,
Pertini, Sandro: 708 664, 671, 710, 722
Pestalozzi, Hans A.: 554, 567, 587, 605, Poysel, J. A.: 265
634, 641, 650, 673, 674, 686, 703, 729, Prager, Wilhelm: 480
730, 745, 763, 774, 782, 790, 791 Praunheim, Rosa v.: 535
Pestalozzi, Johann Heinrich: 611, 626, Prevost, Marcel: 564
633, 676, 681, 708, 744, 756, 757, 762, Priestley, John Boynton: 567, 575
774, 778 Protagoras: 306
Petrarca, Francesco: 112 Proudhon, Pierre Joseph: 131
821
Register
Proust, Marcel: 50, 558, 662, 653, 697, Rinckart, Martin: 340, 463
725, 783 Ringelnatz, Joachim: 228, 305, 432, 638,
Publilius Syrus: 118 752
Puccini, Giacomo: 504, 506 Rinser, Luise: 676
Pusch, Luise F.: 27 Rist, Johann: 138, 345
Pyrrhus von Epirus: 365 Rivel, Charlie: 566, 650
Pythagoras: 36 Robert, Ludwig: 291
Robson, Mark: 386
Rochow, Gustav Adolf Rochus v.: 66
Q Rodigast, Samuel: 473
Qualtinger, Helmut: 567, 586, 686, 717, Rolfs, Rudolf: 640, 648, 652, 654, 693,
741 704, 714, 718, 741, 743, 750, 777, 788
Quintilian: 260, 289 Rolland, Romain: 576, 611, 616, 626,
633, 660, 724
Rollenhagen, Georg: 146, 245
R Rommel, Manfred: 546, 550, 578, 598,
Raabe, Wilhelm: 401, 539, 554, 561, 562, 614, 630, 677, 692, 702, 703, 705, 706,
565, 630, 637, 659, 661, 662, 667, 747, 707, 716, 735, 736, 749, 767, 772
749, 764 Roquette, Otto: 338
Rabelais, Franfois: 43, 172, 214 Rosegger, Peter: 648, 672, 689, 729, 765,
Radbruch, Gustav: 569, 698, 708, 748 767
Radecke, Robert: 57 Rosen, Julius: 344
Radecki, Sigismund v.: 717 Rosenthal, Philip: 618, 653, 674, 727
Radin, Leonid P.: 79 Rosh, Lea: 424
Raimund, Ferdinand: 80, 88, 383, 384, Roth, Eugen: 549, 617, 697, 711
404 Rothe, Johannes: 272
Ranke, Leopold v.: 589, 697 Rothenburg, Walter: 403
Ranke-Heinemann, Uta: 649 Rotter, Fritz: 217, 454
Raspe, Rudolf Erich: 323 Rousseau, Jean-Jacques: 307, 527, 534,
Rathenau, Walther: 40, 552, 569, 570, 535, 543, 547, 548, 554, 556, 570, 593,
584, 586, 605, 626, 672, 692, 697, 702, 605, 611, 613, 618, 636, 644, 662, 664,
713, 740, 770, 778 665, 672, 738, 762, 767
Raupach, Ernst: 106, 673 Roye, Jean de: 83
Raymond, Fred: 165, 221 Rückert, Friedrich: 57, 263, 303, 459,
488, 508
Reagan, Roland: 266
Ruer, Wilhelm: 50
Regis, Gottlob: 43
Rühmann, Heinz: 536, 697, 734
Reichardt, Johann Friedrich: 88, 180,
Rühmkorf, Peter: 594, 610
183, 303, 437, 473,479, 500
Ruskin, John: 707, 778
Reich-Ranicki, Marcel: 655, 656
Russell, Bertrand: 542, 553, 558, 561,
Reiners, Ludwig: 787
566, 569, 570, 590, 591, 593, 600, 606,
Reihardt, Max: 718
612, 616, 620, 622, 624, 626, 629, 636,
Reitz, Edgar: 236
637, 646, 652, 654, 677, 679, 685, 686,
Reitzenstein, Johann Heinrich v.: 58
687, 698, 703, 713, 745, 749, 756, 759,
Rellstab, Ludwig: 280
763, 766, 767, 774, 776, 777, 783, 789,
Remarque, Erich Maria: 231, 538, 590, 790
591, 593, 725, 765 Rüthling, Ferdinand: 224
Renard, Antoine: 276 Rychner, Max: 549
Repgow, Eike v.: 501
Resnais, Alain: 282
Reuter, Fritz: 46, 352 S
Reutter, Otto: 236, 330 Sacer, Gottfried Wilhelm: 370
Richthofen, Bernhard v.: 160 Sachs, Hans: 162, 385
Rilke, Rainer Maria: 123, 204, 496 Sagan, Franfoise: 76, 580, 602, 759
822
Register
Sainte-Beuve, Charles-Auguste: 135 393, 394, 401, 403, 405, 408, 409, 411,
Saint-Exupery, Antoine de: 295, 510, 413, 414, 415, 418, 419, 420, 424, 429,
551, 556, 574, 608, 621, 634, 666, 682, 430, 432, 433, 438, 439, 440, 441, 442,
694, 719, 749, 774 444, 445, 447, 452, 453, 454, 455, 457,
Saint-John Perse: 575 460, 461, 464, 465, 466, 468, 469, 470,
Saint-Simon, Claude Henri de: 58 471, 472, 476, 477, 478, 479, 481, 484,
Salandra, Antonio: 379 485, 487, 488, 490, 492, 493, 494, 495,
Salingre, Hermann: 178, 294 499, 500, 504, 505, 506, 507, 508, 509,
Sallust: 245 513, 514, 515, 516, 517, 518, 525, 527,
Salvandy, Narcisse Achille: 420 648, 677, 690, 736, 778, 791
Salzmann, Christian Gotthilf: 208 Schiller, Karl: 264
Sandrock, Adele: 593 Schirach, Baldur v.: 447
Santayana, George: 595, 681, 726, 764 Schlegel, August Wilhelm v.: 255, 415,
Sardou, Victorien: 292 456, 621, 662, 701, 744, 766
Saroyan, William: 626 Schlegel, Friedrich v.: 337, 373, 635, 636
Sartre, Jean Paul: 203, 212, 408, 549, Schleiermacher, Friedrich: 238
578, 636, 645, 679, 722, 739, 761 Schlieffen, Alfred v.: 291, 301
Schadow, Gottfried: 242 Schlippenbach, Albert v.: 41
Schamoni, Peter: 26 Schlöndorff, Volker: 706
Schanzer, Rudolph: 298, 504 Schmid, Carlo: 584, 605, 634, 702, 703,
Scharnhorst, Gerhard Johann David v.: 710, 715,738, 760
174 Schmidt, Arno: 168, 523, 533, 656
Scharrer, Adam: 450 Schmidt, Helmut: 555
Scheel, Walter: 738 Schmidt, Karl: 34
Scheffel, Joseph Victor v.: 34, 37, 63, Schmidt von Lübeck, Georg Philipp: 88
117, 161, 177, 295, 370, 518 Schmitt, Carl: 426
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph v.: Schmitz, J.: 499
45, 151 Schnabel, Ernst: 400
Schenckendorf, Max v.: 152, 487 Schneckenburger, Max: 78, 283, 465
Schenk, Heinz: 723
Schneider, Michael: 634, 718, 722, 746
Scherchen, Hermann: 80
Schneyder, Werner: 535, 553, 576, 593,
Schikaneder, Emanuel: 64, 111, 235, 526
596, 597, 598, 608, 618, 642, 647, 703,
Schill, Ferdinand v.: 285
714, 715, 718, 719, 724, 733, 736, 737,
Schiller, Friedrich: 22, 27, 31, 32, 33, 36,
742, 779, 785
39, 41, 43, 46, 48, 49, 50, 51, 53, 55, 56,
Schnezler, August: 181
58, 59, 60, 64, 66, 71, 73, 78, 87, 88, 89,
Schnitzer, Ignaz: 269, 284
90, 91, 92, 94, 95, 97, 99, 100, 101, 102,
Schnitzler, Arthur: 548, 551, 564, 565,
105, 106, 107, 110, 111, 112, 115, 116,
575, 580, 584, 609, 616, 626, 629, 631,
118, 120, 121, 122, 123, 124, 126, 127,
638, 640, 656, 662, 663, 672, 678, 683,
129, 131, 132, 137, 140, 142, 143, 146,
691, 699, 702, 714, 632, 740, 743, 749,
147, 149, 153, 154, 156, 157, 158, 159,
752, 768, 770, 777, 778, 782, 792
161, 163, 165, 166, 167, 170, 171, 177,
Schnurre, Wolfdietrich: 546, 584, 589,
180, 181, 187, 188, 189, 194, 200, 204,
608, 610, 622, 624, 676, 687, 701, 702,
206, 208, 209, 210, 211, 216, 219, 220,
719, 721, 722, 723, 739, 756, 767, 792
221, 223, 232, 233, 234, 235, 237, 239,
242, 243, 247, 248, 249, 252, 253, 254, Schoeck, Othmar: 183
255, 259, 261, 266, 269, 271, 273, 274, Scholz, Hans: 38
276, 277, 278, 279, 284, 285, 286, 288, Schönerer, Georg v.: 251
290, 292, 295, 297, 298, 300, 301, 302, Schönthau, Franz v.: 447
304, 307, 308, 309, 310, 311, 312, 313, Schopenhauer, Arthur: 45, 537, 538,
314, 315, 318, 321, 324, 328, 333, 335, 540, 557, 559, 561, 567, 570, 571, 581,
337, 339, 342, 343, 344, 346, 348, 349, 588, 597, 612, 614, 615, 620, 624, 632,
352, 356, 358, 368, 369, 370, 376, 378, 636, 645, 650, 662, 665, 677, 685, 695,
380, 383, 384, 386, 387, 388, 390, 391, 699, 705, 711, 713, 714, 719, 721, 725,
823
Register
726, 740, 747, 754, 760, 765, 771, 775, 300, 314, 328, 330, 332, 344, 345, 347,
776, 780, 788 348, 349, 358, 372, 387, 389, 395, 430,
Schoppe, Waltraud: 602 453, 456, 461, 469, 475, 492, 502, 504,
Schottel, Georg: 325 510, 517, 521, 522, 523, 563, 570, 675,
Schröder, Friedrich: 225 728, 782
Schröder, Johann Heinrich: 133 Shaw, George Bernard: 433, 543, 551,
Schubert, Franz: 37, 88, 180, 183, 241, 569, 576, 580, 582, 588, 593, 605, 612,
280, 286, 293, 341, 369, 390, 393, 432, 618, 623, 625, 641, 642, 645, 664, 669,
436, 437, 442, 469, 471, 473, 479, 480, 673, 707, 710, 726, 728, 740, 744, 747,
497,512 748, 749, 753, 760, 763, 762, 763, 765,
Schulenburg-Kehnert, F. W. Graf von 769, 776, 783, 786, 789
der: 377 Sheridan, Philip Henry: 342
Schulz, Johann Abraham Peter: 183, Sidonius Apollinaris: 35
244, 512 Sieburg, Friedrich: 680
Schumacher, Balthasar Gerhard: 201 Siegel, Ralph Maria: 765
Schuman, Robert: 534, 744 Sienkiewicz, Henryk: 366
Schumann, Robert: 86, 88,122,157, 220, Sierke, Eugen: 361
223, 258, 341, 390, 437, 471, 473, 497, Sieyes, Emmanuel-Joseph: 120
555, 557, 617, 658, 665, 666, 672, 684, Silcher, Friedrich: 41, 58, 227, 298, 399,
695, 720, 765 437
Schwab, Gustav: 375, 448 Silver, F.: 58
Schwaiger, Brigitte: 721 Simenon, Georges: 313, 654, 732
Simmel, Johannes Mario: 27, 43, 283,
Schwarzburg-Rudolstadt, Ämilie Julia-
284, 311, 324, 336, 415, 755
na v.: 71, 499
Simonides von Keos: 468
Schwarzer, Alice: 276, 602, 673, 675,
Simplikios: 484
684, 687, 790
Simrock, Karl: 108, 186, 302
Schweitzer, Albert: 130, 552, 558, 559,
Sinclair, Upton: 731, 739
566, 570, 582, 594, 626, 628, 630, 634,
Singer, Isaac Bashevis: 670
637, 741, 747, 781, 788
Sirius, Peter: 538
Schweppenhäuser, Hermann: 656, 662,
Slezak, Walter: 541, 614
699,713, 730, 745
Smith, Adam: 151
Scott, Sir Walter: 480
Söderberg, Hjalmar: 713
Sedlmayer, Hans: 454
Sokrates: 139, 215, 226, 260, 362, 512
Seeger, Pete: 33, 379
Solon: 444
Segal, Erich: 289
Sommer, Johann: 77, 484
Seghers, Anna: 426 Sonnleithner, Joseph: 327, 349
Seidel, Heinrich: 491, 559 Sophokles: 33, 55, 242, 331, 333, 366,
Selby, Hubert: 281 456, 486
Seneca: 36, 49, 109, 173, 174, 190, 196, Spaak, Paul-Henri: 578
218, 268, 277, 332, 397, 552, 558 Spengler, Oswald: 76, 448, 549, 577, 607,
Seume, Johann Gottfried: 30, 143, 271, 624, 627, 655, 708
398, 513, 516, 542, 602, 605, 607, 610, Sperber, Manes: 503, 591, 598, 625, 693,
616, 625, 629, 641, 677, 683, 690, 694, 715,758, 763, 789
705, 734, 738, 747, 759, 791 Sperr, Martin: 243
Seuse, Heinrich: 235 Spielhagen, Friedrich: 38
Sevigne, Marquise de: 184 Spills, May: 527
Sextus, Empiricus: 185 Spinoza, Baruch de: 291, 309, 416, 490
Seymour, Edward Hobart: 423 Spitteier, Carl: 698, 743
Shakespeare, William: 28, 33, 36, 42, 48, Spoerl, Heinrich: 493
53, 58, 63, 64, 67, 71, 96, 97, 99, 101, Spohr, Louis: 525
113, 136, 137, 142, 160, 184, 192, 198, Stadler, Emst: 309
199, 218, 219, 224, 227, 232, 238, 241, Stael, Madame de: 32
247, 255, 256, 262, 263, 274, 275, 299, Stahl, Friedrich Julius: 59
824
Register
825
Register
826
Register
648, 654, 658, 664, 674, 685, 691, 704, Wolff, Pius Alexander: 118, 134,
705, 706, 707, 728, 733, 742, 746, 753, 205
769, 771, 775, 784, 786, 790, 792, 793 Wolfram von Eschenbach: 186, 431
Wildenbruch, Ernst v.: 374, 656 Weight, Richard: 72
Wilder, Billy: 295 Wustmann, Gustav: 34
Wilder, Thornton: 512, 552, 558, 608, Wybicki, Jözef: 338
609, 624, 628, 636, 662, 665, 707, 761,
780, 785
X
Wilhelm I.: 222
Wilhelm II.: 75, 109, 205, 224, 355, 450 Xenophon: 203, 215, 301, 422
Wilhelm, Carl: 78, 283, 466
Wilken, Heinrich: 38
Z
Williams, Tennessee: 60, 135, 418, 603,
669, 681 Zadek, Peter: 217
Willis, Nathaniel Parker: 350 Zamoyski, Jan: 264
Wilson, Samuel: 436 Zarnack, August: 333
Wilson, Thomas Woodrow: 605, Zech, Paul: 218
778 Zell, F.: 22, 194
Winckelmann, Johann Joachim: 128 Zeller, Carl: 81, 83
Winnig, August: 76 Zelter, Carl Friedrich: 88, 207, 238, 342,
Wittgenstein, Ludwig: 560, 725, 471, 473
737 Zenobios: 239
Wohmann, Gabriele: 571 Zenon:36
Wolf, Christa: 174, 255, 675 Ziegler, Friedrich Wilhelm: 48, 95, 269,
Wolf, Friedrich: 103, 589, 597, 294
646 Zille, Heinrich: 293, 303, 681
Wolf, Friedrich August: 238 Zola, Emile: 270
Wolf, Hugo: 121,122, 157, 258, 390, 473, Zschokke, Johann Heinrich Daniel: 198
497 Zuckmayer, Carl: 34, 71, 265, 591, 638
Wolfe, Thomas: 157, 382 Zweig, Stefan: 413, 455, 662, 703, 756
Wolff, Charlotte: 541, 665 Zwerenz, Gerhard: 757
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Rechtschreibung
An zahlreichen Beispielen erläutert Band 7:
Von Wolfgang Mentrup. 188 Seiten. Wie schreibt man
Dieses Buch stellt die Regeln zum gutes Deutsch?
richtigen Schreiben der Wörter und Eine Stilfibel
Namen sowie die Regeln zum rich¬ Von Wilfried Seibicke. 163 Seiten.
tigen Gebrauch der Satzzeichen dar. Dieses Buch enhält alle sprachlichen
Erscheinungen, die für einen
Band 4: schlechten Stil charakteristisch sind
Lexikon der Vornamen und die man vermeiden kann,
Herkunft, Bedeutung und Gebrauch wenn man sich nur darum bemüht.
von mehreren tausend Vornamen
Von Günther Drosdowski.
239 Seiten mit 74 Abbildungen.
Sie erfahren, aus welcher Sprache ein
Name stammt, was er bedeutet und
welche Persönlichkeiten ihn getragen
haben.
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die Nase vorn!
Nicht alles, was man in der Schule Seiten hält dieser Band in rund
schon gelernt hat, weiß man auch 10000 verständlich geschriebenen
auf Dauer. Und erst recht lernt man Artikeln ein vielfältiges und zeitna¬
in der Schule nicht alles, was man hes Wissensspektrum bereit, das
als Schüler wissen will. Da ist es gut, sich durch eine schülergerechte
ein kleines Stück Unabhängigkeit Themenauswahl auszeichnet. Zu¬
von Lehrern und Eltern zu haben. sätzlich werden in 40 Sonderartikeln
Das DUDEN-Schülerlexikon gibt herausragende Themen wie z.B.
fundierte Antworten auf all das, was Computer, Drogen, Sexualität und
Jugendliche wissen wollen. Auf 792 Umweltschutz behandelt.
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gut, daß es so viele gibt!
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Jeder stellt andere Ansprüche, setzt
andere Schwerpunkte, hat andere In¬
teressen, aber auch andere Fragen, Probleme und Lücken. Weil
aber nur weiterkommt, wer Antwort auf seine Fragen Findet:
SCHÜLERDUDEN bringen die breite Palette des Schulwissens
sprichwörtlich in die richtige Reihe.
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der Weltgeschichte
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geschichte
in Schlag¬
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deutsche Geschichte
auf dem Weg
zur Gegenwart.
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DER DUDEN IN 12 BÄNDEN Band 8: Die sinn- und sachverwandten Wörter
Wem ein bestimmtes Wort nicht einfällt, wer den
Das Standardwerk zur deutschen Sprache trollenden Ausdruck sucht, wer seine Aussage
Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der variieren möchte, der findet in diesem Buch
j DUDEN-Redaktion: Professor Dr. Günther Hilfe. 801 Seiten.
Drosdowski Dr. Wolfgang Müller ■ l)r. Werner
Scholze-Slubenrecht • Dr. Matthias Wermke Band 9: Richtiges und gutes Deutsch
Dieser Band ist aus der täglichen Arbeit der
Band 1: Die Rechtschreibuna Sprachberatungsstelle der DUDEN-Redaktion
Das maßgebende deutsche Rechtschreibwörter- entstanden. Er klärt grammatische, stilistische
! buch. Zweifelsfälle der Groß- und Kleinschrei- und rechtschreibliche Fragen und enthält zahl¬
| bung. der Zusammen- und Getrenntschreibung reiche praktische Hinweise. 803 Seiten.
und alle anderen orthographischen Probleme
werden auf der Grundlage der amtlichen Richt¬ Band 10: Das Bedeutungswörterbuch
linien entschieden. Ausführlicher Regeiteil mit Dieses Wörterbuch stellt einen neuen Wörter-
Hinweisen für das Maschinenschreiben und den buchtyp dar. Es ist ein modernes Lernwörter¬
Schriftsatz. 832 Seiten. buch. das lür den Spracherwerb wichtig ist und
den schöpferischen Umgang mit der deutschen
Band 2: Das Stilwörterhuch Sprache fördert. 797 Seiten.
'Das DUDEN-Stilwörterbuch ist das umfassende
Nachschlagewerk über die Verwendung der Wör¬ Band 11: Redewendungen und sprichwörtliche
Redensarten
ter im Satz und die Ausdrucksmöglichkeiten der
deutschen Sprache. Es stellt die inhaltlich sinn¬ Dieses idiomatische Wörterbuch der deutschen
vollen und grammatisch richtigen Verknüpfun¬ Sprache verzeichnet über 10000 feste Wendun¬
gen dar und gibt ihren Slilwert an. 864 Seiten. gen. Redensarten und Sprichwörter, die im heut!
gen Deutsch verwendet werden. Dazu kommen
Band 3: Das Bildwörterbuch Anwendungsbeispiele, Bedeutungserklärungen
ln diesem Wörterbuch werden über 27500 Wör¬ sowie sprach- und kulturgeschichtlich aufschlu߬
ter aus allen Lebens- und Fachbereichen durch reiche Herkunftserläuterungen. 864 Seiten.
Bilder definiert. Nach Sachgebieten gegliedert,
Band 12: Zitate und Aussprüche
stehen sich Bildtafeln und Wortlisten gegenüber.
784 Seiten mit 384 Bildtafeln. Register. Das Wörterbuch erläutert klassische und
moderne Zitate aus Literatur, Film, Fernsehen,
Band 4: Die Grammatik Werbung und Politik. Es enthält rund 7500
Die vollständige Beschreibung der deutschen Zitate, Aussprüche, Bonmots, Sentenzen und
Gegenwartssprache. Sie hat sich überall in der Aphorismen. 832 Seiten.
Welt, wo Deutsch gesprochen oder gelehrt wird,
bewährt. 804 Seiten mit ausführlichem Sach-, DUDEN - Das große Wörterbuch
Wort- und Zweifelsfälleregister. der deutschen Sprache in 8 Bänden
Band 5: Das Fremdwörterbuch 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte
Mit rund 50000 Stichwörtern, mehr als 100000 Aullage.
Bedeutungsangaben und 300000 Angaben zu Herausgegeben und bearbeitet vom Wissen¬
Aussprache. Betonung, Silbentrennung. Herkunft schaftlichen Rat und den Mitarbeitern der
und Grammatik ist dieser DUDEN das grund¬ DUDEN-Redaktion unter Leitung von Prof. Dr.
legende Nachschlagewerk über Fremdwörter und Günther Drosdowski. Über 200000 Artikel und
Definitionen auf 4000 Seiten. Mit ausführlichen
fremdsprachliche Fachausdrücke. 832 Seilen.
Angaben zu Aussprache, Herkunft, Grammatik,
Band 6: Das Aussprachewörterbuch Stilschichten und Fachsprachen sowie Beispielen
Etwa 130000 Stichwörter über Betonung und und Zitaten aus der Literatur der Gegenwart.
Aussprache sowohl der heimischen als auch der Jeder Band etwa 500 Seiten.
fremden Namen und Wörter und eine ausführ¬
liche Aussprachelehre. 794 Seiten. DUDEN - Deutsches
Universalwörterbuch
Band 7: Das Herkunftswörterbuch
Dieser Band stellt die Geschichte der Wörter von Der Wortschatz der deutschen Sprache
ihrem Ursprung bis zur Gegenwart dar. Er gibt 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auf¬
Anlw'ort auf die Frage, woher ein Wort kommt lage. Über 120000 Artikel, mehr als 500000
und was es eigentlich bedeutet. 844 Seiten. Angaben zu Rechtschreibung, Aussprache, Her¬
kunft, Grammatik und Stil, 150000 Anwen¬
dungsbeispiele sowie eine kurze Grammatik für
Wörterbuchbenutzer. 1816 Seiten.
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DUDEN-TASCHENBÜCHER dungsbeispielen ist dieses Taschenbuch eine
praktische Stilfibel des Fremdwortes. 368 Seiten.
Praxisnahe Helfer zu vielen Themen Band 10: Wie sagt der Arzt?
Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der
Dieses Buch gibt die volkstümlichen Bezeichnun¬
DUDEN-Redaklion: Prof. Dr. Günther Dros- gen zu rund 9000 medizinischen Fachwörtern an
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und erleichtert damit die Verständigung zwischen
Scholze-Slubenrecht • Dr. Matthias Wermke Arzt und Patient. 176 Seiten.
Band 1: Komma, Punkt und alle anderen
Band 11: Wörterbuch der Abkürzungen
Satzzeichen
Dieses Wörterbuch enthält rund 38 000 nationale
Sie finden in diesem Taschenbuch Antwort auf
und internationale Abkürzungen aus allen Berei¬
alle Fragen, die im Bereich der deutschen
chen. 288 Seiten.
Zeichensetzung auftreten können. 165 Seiten.
Band 13: mahlen oder malen?
Band 2: Wie sagt man noch?
Gleichklingende Wörter, die verschieden
Hier ist der Ratgeber, wenn Ihnen gerade das
geschrieben werden, gehören zu den schwierig¬
passende Wort nicht einfiillt oder wenn Sie sich
sten Problemen der deutschen Rechtschreibung.
im Ausdruck nicht wiederholen wollen.
Dieses Buch bietet eine umfassende Sammlung
219 Seiten.
solcher Zweifelsfalle. 191 Seiten.
Band 3: Die Regeln der deutschen
Band 14: Fehlerfreies Deutsch
Rechtschreibung
Zahlreiche Fragen zur Grammatik werden im
Dieses Buch stellt die Regeln zum richtigen
DUDEN-Taschenbuch „Fehlerfreies Deutsch“
Schreiben der Wörter uiCl/'N memsowie die
in leicht lesbarer, oft humorvoller Darstellung
Regeln zum richtigen GebrauK $EFpD'iW, geantwortet. 204 Seiten.
dar. 188 Seiten £)q ~ ^C,
1laC?A^J^sagt man anderswo?
Band 4: Lexikon der Vornanunf©ftjQy^ g Ijijfses Buch
DUk.ll will all Jjenen helfen, die mit den
will au
Mehr als 3000 weibliche und männliche om lf4fffhJft|chen Unt<
Unterschieden in Wort- und
namen enthält dieses Taschenbuch. Sie erfahren,
S] r u mlrontiert werden. 190 Seiten
aus welcher Sprache ein Name stammt, was er
bedeutet und welche Persönlichkeiten ihn getra¬ Band 17: Leicht verwechselbare Wörter
gen haben. 239 Seiten. Der Band enthält Gruppen von Wörtern, die auf
Grund ihrer lautlichen Ähnlichkeit leicht ver¬
Band 5: Satz- und Korrekturanweisungen
wechselt werden. 334 Setten.
Richtlinien für die Texterfassung.
Die Vorschriften für den Schriftsatz, die Band 21: Wie verfaßt man wissenschaftliche
üblichen Korrekturvorschriften und die Regeln .Arbeiten?
für Spezialbereiche. 282 Seiten. Dieses Buch behandelt ausführlich und mit vie¬
len praktischen Beispielen die formalen und
Band 6: Wann schreibt man groll, wann schreibt
organisatorischen Probleme des wissenschaft¬
man klein?
lichen Arbeitens. 216 Seiten.
Jeder weiß, daß die Groß- und Kleinschreibung
eines der schwierigsten Kapitel der deutschen Band 22: Wie sagt man in der Schweiz?
Rechtschreibung ist. Dieses Taschenbuch bietet In rund 4000 Artikeln gibt dieses Wörterbuch
mit rund 8200 Artikeln eine schnelle Hilfe für Auskunft über die Besonderheiten der deutschen
die tägliche Schreibpraxis. 252 Seiten. Sprache in der Schweiz. 380 Seiten.
Band 7: Wie schreibt man gutes Deutsch? Band 23: Wörter und Gegenwörter
Dieser Band stellt die vielfältigen sprachlichen Gegensatzpaare der deutschen Sprache.
Ausdrucksmöglichkeiten dar. Ein unentbehrli¬ Die verschiedensten Wortpaare, weitere Sprach-
cher Ratgeber für alle, die sich um einen guten nuancen und verwandte Begriffe. 267 Seiten.
Stil bemühen. 163 Seiten.
Band 24: Jiddisches Wörterbuch
Band 8: Wie sagt man in Österreich? Mit Hinweisen zur Schreibung, Grammatik und
Das Buch bringt eine Fülle an Informationen Aussprache. Die 8000 wichtigsten Begriffe des
über alle sprachlichen Eigenheiten, durch die Jiddischen von A bis Z. 204 Seiten.
sich die deutsche Sprache in Österreich von dem
in Deutschland üblichen Sprachgebrauch unter¬ Band 25: Geographische Namen in Deutschland
scheidet. 252 Seiten. In über 1200 Artikeln werden 1700 Ortsnamen,
Ländernamen, Fluß- und Gebirgsnamen erklärt
Band 9: Wie gebraucht man Fremdwörter richtig? und die Entstehungsgeschichte der verschieden¬
Mit 4000 Stichwörtern und über 30000 Anwen- sten geographischen Namen erläutert. 288 Seiten.
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Dieses Nachschlagewerk
verzeichnet die in der deutschen Sprache
geläufigen Zitate wie Schillers »Durch
diese hohle Gasse muß er kommen«
oder Gorbatschows »Wer zu spät kommt,
den bestraft das Leben«. Es erläutert
ihren Ursprung, den literarischen oder
gesellschaftlichen Zusammenhang und
ihre Funktion im heutigen
Sprachgebrauch. Außer den »klassischen«
Zitaten werden auch Formulierungen
aus Film, Fernsehen oder Werbung wie
»Ich seh’ dir in die Augen, Kleines«
oder »Nie war er so wertvoll wie heute«
aufgezeigt. Darüber hinaus bietet
der Duden »Zitate und Aussprüche« eine
thematisch geordnete Sammlung
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Formulierungen, die als »Rede¬
schmuck« in Texten der verschiedensten
Art verwendet werden können.
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