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1.
Jaroslav Kolár bezeichnete Franz Spinas Analyse der ‚Frantova Práva‘ als rühm-
liche Ausnahme in Bezug zu einer ähnlichen Einschätzung der literaturhisto-
rischen Beschäftigung mit bestimmten Epochen des Tschechischen parallel
zur sprachwissenschaftlichen:
literárněhistorická pozornost věnovala dosud jen české satiře předhusitského a husitského
období, zatím co satirické tvorbě z pozdější doby se dostalo literárněhistorického studia je
v nepatrné míře. čestnou výjimku tvoří kniha Franze Spiny ‚Die alttschechische Schelmen-
zunft Frantova práva, Praha 1909‘. (Kolár 1957: 5)
[Literaturhistorische Beachtung fanden bisher nur tschechische Satiren der vorhussitischen
und hussitischen Periode, während dem satirischen Schaffen späterer Zeit nur unangemes-
sen wenige Studien gewidmet sind. Eine rühmliche Ausnahme bildet Franz Spinas Buch
‚Die alttschechische Schelmenzunft Frantova Práva, Prag 1909‘.]
Es handelt sich um ein populäres Volksbuch, das im Böhmen des 16. Jahr-
hunderts eine unterhaltsame, kurzweilige Lektüre war, die mit Witz und Iro-
nie die Sittenrichter der damaligen Zeit an den Pranger stellt (Kolár 1977:
3). Dieses Buch muss gar von solcher Beliebtheit gewesen sein, dass es von
Böhmen weiter nach Osten, nach Polen gelangt ist (Spina 1975: 46; Zíbrt
1904: XIX-XXII; bzw. Zíbrt 1910: 35). Von seiner Volkstümlichkeit zeuge
nach Spina ferner die Tatsache, dass der Begriff ‚Franta‘ zu einem Gattungs-
namen für einen gottlosen, verschwenderischen, doch auch bauernschlauen
Taugenichts wurde, der – wenn zwar in einer leicht modifizierten Bedeutung ,
wahrscheinlich über polnische ‚Vermittlung‘ – dann offensichtlich bis zu den
Russen gelangt ist, auch wenn im Russischen ein Volksbuch diese Titels nicht
bekannt ist.
Bemerkenswerterweise existiert aber gerade in Russland – in einem Sam-
melband der Bibliothek der St. Petersburger Akademie – ein Exemplar die-
ses Buches. Dabei handelt es sich um das wohl einzige heute noch erhal-
tene Exemplar, ein Unikat des Nürnberger Originaldruckes von 1518. Auf
dieses Exemplar, das in der älteren tschechischen Literatur immer wieder
Erwähnung findet, das Original selbst gilt als verschollen, hatte Alexander
Brückner (1905: 209ff) aufmerksam gemacht. Nach dem Petersburger Unikat
hat Čeněk Zíbrt die Frantova Práva zweifach ediert: in einer akademischen,
wortgetreuen Ausgabe von 1904 (einschließlich aller Eigenheiten und Feh-
ler des Originals sowie einer umfangreichen Einführung) und in einer adap-
tierten Fassung in einer Sammlung zum volkstümlichen Brauchtum und der
Trinkkultur in den böhmischen Ländern des 16. Jahrhunderts (Zíbrt 1904;
Franz Spinas Abhandlung zur alttschechischen Schelmenzunft 215
1910).1 Spinas Abhandlung beruht auf der Zíbrtschen Textausgabe von 1904
(Spina 1975: 42).2
Spina hinterfragt, wie es dazu kommen konnte, dass von solch einem
verbreiteten, in seiner Beliebtheit mit dem Eulenspiegel vergleichbaren
Volksbuch nur ein Exemplar erhalten geblieben ist. Zum einen könnten die
Exemplare möglicherweise als Volksbuch förmlich zerlesen worden sein, was
deren Erhalt beeinträchtigt haben mag. Schwerwiegender scheint aber, dass
diese Art der Lektüre in besonderem Maße den Verfolgungen der geistlichen
Aufsichtsbehörden ausgesetzt war, „wegen seines leichtlebigen, in der Sinn-
lichkeit der materiellen Genüsse wurzelnden Charakters des Buches.“ (Spina
1975: 43)
Betrachtet man den Titelholzschnitt, der dem Originaldruck von 1518
voransteht, gibt dieser bereits den Geist wieder. In den Streitschriften der
Reformation war es üblich gewesen, die Wirkung des Wortes durch das Bild
zu verstärken, was von Spina folgendermaßen beschrieben wird:
An der Spitze der bewegten Gesellschaft zieht der als ‚Franta‘ gekennzeichnete Zunftmeis-
ter, ein Privileg, die Zunftartikel, in der Hand, in zerrissenen Kleidern und Schuhen einem
verwahrlosten Wirtshaus zu, wo vier trunkene zechende Gesellen mit lauten Geberden
[sic!] den Zug bewillkommen. (Spina 1975: 26)
Im Jahre 1518 hatte nämlich ein gewisser Johann Mantuan Fenzl,3 ein Pilsener
Bürger, in Nürnberg sogenannte ‚Satzungen‘ oder ‚Zunftregeln‘ des Franta,
die Frantova Práva, zum Druck gegeben. Dabei handelte es sich um Vorschrif-
ten vornehmlich grobianischen Charakters, die der Zunftmeister, der Pilsener
Arzt Johannes Franta, in der damals beliebten Form von Zunftartikeln an die
Brüder und Schwestern seines Ordens richtete. Ebenso sind die Schriftzüge
der Namen für die Zunftbrüder ‚Paperle‘, dem Zunftsekretär, und ‚Paška‘ zu
lesen, die auf dem Titelholzschnitt unverkennbar als Zecher und Fressbrüder
1 Ve vydání nákladem české Akademie otiskl jsem doslova, ve věrném přepise se všemi
zvláštnostmi i chybami text staročeský [...] Tuto otiskuji text přizpůsobený nynějšímu
čtenářstvu a vypouštím místa závadná pro nynější vkus i požadavky slušné četby. (Zíbrt
1910: 9). [Für die Verlagsausgabe der Tschechischen Akademie habe ich eine wortwörtliche
Veröffentlichung besorgt, in wortgetreuer Abschrift mit allen Eigenheiten und Fehlern des
alttschechischen Textes [...] den hier gedruckten Text hingegen habe ich für die heutige
Leserschaft angepasst und die zu anstößigen Stellen in Hinsicht auf den guten Ton und
Anspruch an einen schicklichen Lesestoff ausgelassen.]
2 Zu späteren Textausgaben der Frantova Práva (Kolár 1959, 1977) s. Anmerkungen des He-
rausgebers (Kolár 1977: 195).
3 Durch die Buchstaben J. M. in der rechten unteren Ecke des Holzschnittes wird auf Johan-
nes Mantuan, den wahrscheinlichen Herausgeber des Buches, verwiesen.
216 Andrea Scheller
(mit Löffel am Hut) dargestellt sind. Vom Handwerk war letzterer ein so-
genannter Bader, d. h. Inhaber einer Badestube. In diesen Badestuben, die
zugleich Wein- u. Bierhäuser waren, „ging es allerdings nicht immer züchtig
zu“, wie es Spina sehr vorsichtig formuliert (Spina 1975: 67).4
4 Obwohl sich im Text kaum Hinweise auf drastische u. vulgäre Ausdrücke finden, gibt fol-
gender Fakt einen Hinweis auf diese möglicherweise euphemistische Ausdrucksweise für
Unzüchtigkeiten: Im Slovník nespisovné češtiny (Hugo u. a. 2009: 139) findet man für ‚franta‘,
‚frantík‘ folgende Bedeutungserklärung: vulg. ‚mužské přirození‘ [männliches Glied], tež.
francek, francl, frantík. Insgesamt scheint der tschechische Text im Vergleich zu seinen latei-
nisch bzw. deutschen Vorlagen diesbezüglich allerdings sehr ‚entschärft‘, was Spina u. a. la-
konisch vermerkt: „z. B. der auch in FP ausgelassenen ekelhaften Stelle“ (Spina 1975: 100).
5 Eine weitere wichtige Arbeit Spinas ist dem Buchdruck im 16. Jh. gewidmet (vgl. Spina
1908).
Franz Spinas Abhandlung zur alttschechischen Schelmenzunft 217
od. deren deutschen ‚Plagiaten‘ beruht, die teilweise auch in Böhmen (Ol-
mütz) nachgedruckt wurden, was er anhand von Druck- u. Übersetzungs-
fehlern zwischen Original und Nachdruck nachweist (Spina 1975: 71f.). Auf-
grund seiner Analyse kam er zu folgendem Schluss, womit wir gleichzeitig
nochmals auf den beschriebenen Titelholzschnitt zurückkommen:
Das Bild könnte ganz gut auch eine deutsche Satire der Zeit schmücken, etwa Murners
‚Schelmenzunft‘, […] So eng ist die deutsch-tschechische Kulturgemeinschaft jener Zeit.
(Spina 1975: 27)
In der Tat sind dem Franta typische Eigenschaften eines Narren eigen:
Narren können stellvertretend Dinge sagen und tun, die dem gegenläufig erscheinen, was
nach den Normen der gesellschaftlichen Institutionen eigentlich verlangt wäre, und sie
können diese Dinge mit der gebührenden Narrenfreiheit lauthals sagen, weil sie ja Narren
sind. (Wiegmann 2006: 78)
Spina scheint jedoch die Begriffe ‚Schelm‘ und ‚Narr‘ synonym zu gebrau-
chen, so wie es der heutige Sprachgebrauch nahelegt:
‚Narr‘ – Bajazzo, Bobo, Clown, Eulenspiegel, Faxenmacher, Hanswurst, Harlekin, Hof-
narr, Humorist, Komiker; ‚Schelm‘ – Spaßmacher, Spaßvogel; (ugs. scherzh.): Kasper; (veral-
tend): Possenmacher, Possenreißer, Schalk. (Duden 2007)
6 Für diesen Hinweis danke ich Karl Braun, der auf die Parallelen zur mittelalterlichen
Fastnacht hinwies.
218 Andrea Scheller
Auch das ist ein Argument für eine Bevorzugung des Begriffes ‚Narr‘, der wie
der ‚weise Narr‘ in der deutschen Narrenliteratur des 16. Jahrhunderts in der
Verkehrung der starren Ordnungswelt deren gewöhnliche Normen in paro-
distischer Weise auf den Kopf stellt. Mit welchen sprachlichen Mitteln das
dem Autor der FP gelingt, soll im Folgenden dargestellt werden.
2.
7 Zitierung der tschechischen Bsp. nach Kolár (1977), die deutsche Übersetzung nach Spina
(1975: 48-59)
Franz Spinas Abhandlung zur alttschechischen Schelmenzunft 219
Spina weist zudem darauf hin, dass auch antiklerikale Tendenzen aus Bebels
‚Facetien‘ vermieden werden:
Der Tscheche hat diese Deutung auf die geistlichen Zustände weggelassen. Das entspringt
einer Grundtendenz des Denkmals, das jeder antiklerikalen Äußerung, von denen seine
Quellen wahrlich überfließen, aus dem Wege geht. Die Erklärung bieten zwei Umstände:
der Autor ist ein Sohn der auch in den Wirren der Husitenzeit [sic] stets gutkatholischen
Stadt Pilsen, andererseits muß er Rücksicht nehmen auf die um 1518 der katholischen
Priesterschaft noch freundliche Nürnberger Zensur, die den tschechischen Druck des
‚behemischen Giftes‘ wegen und aus sozialen Gründen überaus mißtrauisch beobachtet.
(Spina 1975:150)
8 [Wenn er sich trotzdem auszieht, dann steigt (wörtl.: ist) eine solch große Gestankwolke
(wörtl.: Gestank der Füße) empor und ein solch übler Mief (wörtl.: Verunreinigung/
Ausdünstung der Stiefel), dass keiner außer einem Bruder dieser Zunft imstande ist, den
Nebelschwaden auszuhalten.] Da Spina hier auf eine eigene Übersetzung verzichtete – hier
die Übersetzung von AS. Für die Prüfung und Bedeutungsinterpretation der Übersetzung
danke ich Thomas Daiber.
220 Andrea Scheller
Nejprv obdarujeme vás, abyšte v jídle a v pití žádné míry nedrželi, a to proto, že ten žádný
dlúho nestůně a také lehce umře [...] A tak nebude třeba velikého nákladu na líkarstvie, ani na svátosti,
ani na hromnice. (Kolár 1977: 25)
[Seid unmäßig im Essen und Trinken, denn Unmäßige pflegen [...] nie lange krank zu sein und
haben auch leichten [sic!] Tod [...] ersparen Ausgaben für Ärzte, Sakramente und Sterbekerzen.] (Spina
1975: 48-63).9
A jestliže by kde šindel vypadl, vytrhej jich víc, neb jest líp, že se velikú děrú kropí, než kdy malá,
ješto se všecko k ní zběhne i teče potůčkem. (Kolár 1977: 26)
[Fehlt eine Schindel, so reiße mehrere aus dem Dache, denn durch das große Loch tropft der
Regen nur, durchs kleine fließt er wie ein Bächlein.]
nezavírejte u večer ... ani voken, ani domu, a to proto, že zlodějí jdúc tudy budou řéci: Když tě tak
nechal, čert tam jdi, an proto tak nechal, že tu někde stojí a střeže s oštípem, a kdyby zavřel, tehdy by se
oni lámali a dobývali do domu řkúc: Hled‘me svýho, neb všickni v domu spie. (Kolár 1977: 26)
[Schließet nachts nicht die Häuser, weil sich die Diebe dann wohl sagen: den Teufel werd ich tun, dort
hinein zu gehen, er hat sicher Fenster und Türen offengelassen, um irgendwo mit dem Knüppel auf dich zu
warten, aber wenn alles verschlossen ist, dann sagt sich der Dieb: Na, dann wollen wir uns mal umsehen,
ob es was zu holen gibt, weil sicher alles im Hause schläft.] (Übersetzung AS)10
All das lässt darauf schließen, dass der Verfasser der Frantova Práva einerseits
unzweifelhaft über eine lateinisch-humanistische Bildung verfügt haben muss,
andererseits offensichtlich auch ein Mensch war, der mit dem Leben der ein-
fachen Leute seiner westböhmischen Heimat um Pilsen eng verbunden war.
Davon zeugt auch die Tatsache, dass die in der Frantova Práva erwähnten Ört-
lichkeiten und Personen sich in und um Pilsen nachweisen lassen:
Kdy je v neděli neb v svátek, přikazujem vám, abyšte doma nebývali, a to pro dlužníky [...]
děte do lesa na myslivost neb do vsi ‚do Malesic‘ na pivo. (Kolár 1977: 35)
[Sonntags bleibet nie zu Hause, weil die Gläubiger kommen können, sondern gehet lieber
auf die Jagd oder nach Malesice (Dorf bei Pilsen) Bier trinken.] (Spina 1975: 55)
9 Die jeweils kursiv gekennzeichneten Textstellen sind im lat. Original nicht vorhanden
(Kennzeichnung AS).
10 Spina verkürzt an dieser Stelle sehr stark, indem er übersetzt: „dann seid Ihr sicher vor den
Dieben, die glauben, Ihr wachet irgendwo mit dem Spieß, während sie ins geschlossene
Haus einzudringen suchen.“ (Spina 1975: 52)
Franz Spinas Abhandlung zur alttschechischen Schelmenzunft 221
wenn Ihr um den Franta schicket. [...] Diesem Briefe nach hat es in Pilsen i. J. 1526 einen
berühmten Arzt gegeben: ‚den‘ Franta. (Spina 1975: 64f.)
Spina nähert sich somit dem Namen Franta, dem das Buch seinen Titel ver-
dankt, eher kulturhistorisch, über die Frage nach seiner historischen Nach-
weisbarkeit, als philologisch-etymologisch.
Allerdings scheint mir Spinas Hypothese nicht stichhaltig genug, dass die
Entstehung des Appellativums aus dem Eigennamen allein auf der damaligen
Beliebtheit und Verbreitung des Buches beruhe:11
Sein zum Gattungsbegriff verdichteter Name konnte, getragen durch ein beliebtes Volks-
buch mit einem der volkstümlichsten tschechischen Namen im Titel, rasch im Volksbe-
wußtsein einwurzeln. Die lockende Hypothese verlangt aber Zurückhaltung […]. Entwe-
der war das Pilsner Individuum Franta das Frühere und es wurde zum Ausgangspunkt der
Entwicklung des Typus ‚franta‘; oder es war vor 1518 dieser Typus seiner Wesenheit nach
bereits vorhanden und er fand durch die glücklichen Pilsner Momente Namen und speziell
tschechische Verkörperung. (Spina 1975: 71f.)
11 Jech verweist zudem auf den Rückgriff des Verf. der FP auf die althergebrachte tschechi-
sche Volkslied- u. Märchentradition, was auch gegen Spinas These spricht. (Jech 1999: 91)
222 Andrea Scheller
als ‚Scheltwort für einen feigen, weibischen oder auch törichten Kerl‘ u. a. (Berneker 1924:
284).12
Dass zur Bezeichnung des ‚Narren, Schelms‘ gerade ‚Franta‘ wurde, schreibt
Berneker – in Anlehnung an Brückner (1905) – dem Einfluss deutscher Wör-
ter zu, wie mdh. vanz ‚Schalk‘, nhd. (obd. md.) fanz ‚mutwilliger, toller Einfall,
Possenmacher, mutwilliger Mensch‘; fänzig ‚zierlich, niedlich, wunderlich, ge-
putzt, lustig, neckisch‘; fanzen ‚kindisch tun, Possen treiben‘, alafanz, alefanz,
alfanz ‚Betrüger, Schalk‘, nhd. fant ‚Windbeutel, Geck, Narr‘; obd. fant ‚Pos-
senreißer‘, fanten (Plural), Possen, mutwillige Grillen, Späße‘: „Es könnte näm-
lich ein *fant, *fanc daraus ins č. entlehnt und mit franta kontaminiert sein.“
(Berneker 1924: 284)
Diese Erklärung scheint auch aus heutiger Sicht überzeugend, zumal in
den deutschen Lexemen fanz, fänzig sowohl die tschechische als auch die
polnische und russische Bedeutung vereint erscheinen. In Bezug auf den
Bedeutungswandel des Namens ‚Franta‘ legt Berneker mithin folgende Ent-
wicklung nahe:
Am wahrscheinlichsten ist es [...], daß auch die Bed. ‚Narr, Schalk‘ bei franta durch den
Übergang des Eigennamens in einen Gattungsnamen zu erklären ist. [...] Im XVI. Jh. ist
franta die Bezeichnung des ‚Narren, Schalks‘ [...]. Im XVII. Jh. begegnet franta, frant ‚schlau-
er, lustiger Schalk, spaßhaft törichter Mensch‘ [...] frantovný ‚scherzhaft, jovial‘ [...] aus dem
č. stammt p. frant ‚schlauer Kerl, Filou, Schelm‘; alt ‚Hanswurst, Narr, wandernder Ko-
mödiant und Sänger‘; auch ‚Kamerad in der Lehre‘; dial. Franty ‚Possen‘, frantowski ‚schlau,
übertrieben, elegant‘, dial. ‚weltlich, fröhlich‘, dial. frantówka ‚weltliches, fröhliches Lied,
scherzhafte Anekdote‘. [...] r. франтъ ‚Stutzer, Modenarr‘; франтикъ (Dimin.) ds.; франтиха
‚Modedame‘; франтить ‚den Stutzer machen, sich putzen‘, франтовской ‚stutzerhaft, ge-
schniegelt‘. (Berneker 1924: 284)13
Auf diese Weise wurde möglicherweise auch der Eigenname Franta später
zu einem Gattungsnamen für einen ‚dummen, törichten Menschen‘: ‚hlaupý,
prkený franta‘ – ‚dummer Kerl‘. So meinte die Wendung ‚to jsem Franta‘: „da
habe ich eine Dummheit angestellt“ (Berneker 1924: 284; Oberpfalcer 1931:
203)
12 S. auch moderne Untersuchungen zum Phänomen der Deonymisierung – (z. B. Schwei
ckard 1992; Köster 2003).
13 Spina hat 1906/07 bei Berneker, ab 1902 Professor an der Tschechischen Universität in
Prag, slavistische Vorlesungen gehört (Lexikon česk lit., S. 297), Spinas Arbeit wird in Ber-
nekers Etymologischem Wörterbuch erwähnt.
Franz Spinas Abhandlung zur alttschechischen Schelmenzunft 223
Franta = Franz = weselý žertowný, blázniwý člowěk, ein schlauer, lustiger Schalk, spaßhaft
thörichter Mensch. Luter, hněwiwý a pyšný franta. (Jungmann 1835: Djl I, 552)
Desweiteren ist eine ganze Reihe von Sprichwörtern und Wendungen zu ver-
zeichnen, die zu dieser Zeit lebendig gewesen sein müssen, wie z. B.: ‚po
frantovsku lži psáti‘ [‚nach Franzens Art lügen‘], ‚tráviti své dni po frantovsku‘
[‚seine Tage nach Franzens Art verbringen‘], ‚hodno zapsati do Frantovských
práv‘ [‚viel zu den Zunftregeln des Franta beitragen‘], ‚ty si pěkný Franta‘
[‚Du bist mir ein richtiger Franta‘], ‚z nouze/v nouzi Franta dobrý‘ [‚jmd. ist
ein Notnagel, Lückenbüßer‘, ‚in der Not frisst der Teufel Fliegen‘ usw.], die in
der tschechischen Gegenwartssprache aber nur noch marginal in Erscheinung
treten und vorwiegend in Form der sogenannten ‚obecná čeština‘ gebraucht
werden, d. h. eher im umgangssprachlich-familiären Kontext, was sich im
Tschechischen in spezifischen morphologischen Formen widerspiegelt, wie
z. B. ‚z nouze Franta dobr‚ej‘‘.
Erstaunlich ist demgegenüber die beispielsweise in der russischen Sprache
zu verzeichnende, auf dem Namen Franta beruhende, appellativische Bedeu-
tung mit ihrem ausgeprägten Wortbildungsreichtum – wenn auch in einer
etwas modifizierten Form, die auf ein ‚modisches, weltliches Wesen‘ deutet –,
wie es bereits die obige etymologische Herleitung der Bedeutungsnuancen
von Berneker (1924) veranschaulicht. Diesbezüglich lassen sich bis hin zum
Russischen des 19./20. Jh.s ganze Wortnester nachweisen: Франтъ [Stutzer],
франтиха [Modedame, Modepuppe], франтикъ (Dimin.), франтить [sich her-
ausputzen, Staat machen], пофрантить [eine Zeitlang den Stutzer spielen (mit
‚stutzen‘ in der veralteten Bedeutung: ‚in modischer Kleidung umherstolzie-
ren‘)], франтовской [herausgeputzt, stutzerhaft], франтовски одеваться [sich
wie ein Stutzer/eine Modepuppe kleiden], франтовство [Modesucht], ходить
франтом: сапоги съ рантомъ! [er läuft wie ein Dandy mit Stulpenstiefeln her-
um] (Dal‘ 1955/4: 1153f.; Pavlovskij 1922/2: 1689).
Aber auch in der russischen Gegenwartssprache sind diese Lexeme, die
mit dem Namen Frant verbunden sind, noch recht zahlreich vorhanden, wie
eine Vielzahl von Belegen aus dem Russischen Nationalkorpus dokumentiert,
hier seien nur einige Beispiele zur Illustration angeführt:
За Гессом сидит Риббентроп – гитлеровский министр иностранных дел и
пресловутый «сверхдипломат. Некогда блестящий светский франт и сердцеед
(вспомним, с каким шиком он появился в Москве в 1939 году. – Борис Ефимов.
Десять десятилетий. 2000)
[Hinter Hess sitzt Ribbentropp – Hitlers Reichsminister des Auswärtigen und ein wortge-
wandter „Spitzendiplomat“. Ein ehemals brillanter Mann von Welt und Herzensbrecher
224 Andrea Scheller
(ich erinnere mich noch gut, mit welcher Eleganz er 1939 in Moskau aufgetaucht ist – Boris
Efimov. 10 Jahrzehnte. 2000)14
Auffällig ist allerdings nicht selten auch die negative Konnotation des über-
trieben oder unpassend Modischen:
Наружность у него была странная, обращающая внимание. Костюм франтовский и
неряшливый, баки, лысина, окруженная редкими вьющимися волосами …
[Sein Äußeres, das Aufsehen erregte, wirkte etwas seltsam: Ein geckenhafter Anzug, unor-
dentlich, Backenbart, Glatze – umgeben von einzelnen, umherwehenden Haaren ...]
Настоящий франт дважды в одном не покажется.
[Ein echter Geck zeigt sich nicht zweimal in derselben Kleidung.]
Doch kehren wir nun abschließend nach Böhmen zu Anfang des 16. Jh.s und
zu Spinas Abhandlung darüber zurück.
Für die Gesamteinschätzung der Frantova Práva und dessen Verfassers
kommt Spina zu dem Schluss:
Durch Darstellungsmittel aller Art: der Komik, der dummschlauen Begründung, des ab-
sichtlich falschen Induktionsschlusses, der falschen Generalisierung, der Selbstironie [...],
des Kontrastes, Vergleiches, des lebhaften dramatischen Gesprächs, […], durch Häufung
überraschender individueller Züge und liebevolle Ausmalung des Lebens der verschiede-
nen Stände, besonders der armen, aber schlauen dörperlichen [sic] Frantabrüder, die den
Städter prellen; durch Verwendung volkstümlicher Redensarten und Sprichwörter entrol-
len sich lebendige Bilder, die dem Denkmal nicht nur literarischen, sondern auch hohen
kulturhistorischen Wert verleihen. (Spina 1975: 112)
Spina schließt seine Analyse mit den Worten: Er wollte zeigen, „daß für Stu-
dien über deutsch-tschechische Beziehungen Raum ist.“ (Spina 1975: 113)
Das kann man auch für eine sprachwissenschaftliche Analyse dieses Textes
aus dem 16. Jahrhundert unterstreichen, in der Hoffnung, mit diesem Beitrag
sowohl auf das ‚Denkmal‘ der Frantova Práva selbst, als auch auf die lesens-
werte, in vielem noch immer aktuelle Abhandlung von Franz Spina neugierig
gemacht zu haben.
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