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Äquivalenzbasierter Tausch als Überwindung des Krieges?

Wä hrend Pierre Clastres einen Kriegszustand zwischen den menschlichen Gemeinschaften


generell fü r alle menschlichen Gruppen, die sich (noch) nicht zu Gesellschaften mit Staat
und Akkumulation entwickelt haben, annimmt (...), gibt es Hypothesen zu langen friedlichen
Epochen in historischer und prä historischer Zeit.
Raymond C. Kelly1 vermutet, daß die Hominiden vor der Menschwerdung vergleichbar zu
heutigen Schimpansen zu innerartlicher Aggression bis hin zum Tö ten der Artgenossen
bereit waren, wenn sich jemand aus einer anderen Gruppe dem eigenen Territorium
nä herte oder in es eindrang. Mit der Erfindung der Fernschußwaffen, zunä chst dem Speer,
durch den homo erectus vor einer Million Jahren wurden die Konflikte ungleich blutiger als
bisher und fü hrten außerdem dazu, daß bei Konfliktvermeidung ein großes Stü ck Land
ungenutzt blieb. Er nimmt daher an, daß schon in jener frü hen Zeit die Hominiden der
Entwicklungstufe des homo erectus friedliche Beziehungen zwischen verschiedenen
Gruppen erfunden haben, die auf Kooperation, gemeinsamen Festen und Exogamie
beruhten. Solche Fä higkeit der Kooperation, welche das Leben und Ü berleben der
Beteiligten verbessert, gibt es bei keinen anderen Hominiden außer bei den werdenden
Menschen. Nach Raymond C. Kelly haben erst die neuen technischen Entwicklungen und die
gesellschaftliche Organisation des Neolithikums zum Zeitalter der modernen Kriege
gefü hrt.
Es gibt noch eine ganz andere Annahme einer friedlichen Kultur lange nach der
neolithischen Wende in Meso-Amerika. Nach Laurette Séjourné, die in Mexiko an
Ausgrabungen in Teotihuacan arbeitete und das archä ologische Material mit ü berlieferten
Schriften verglich und daraus historische Hypothesen zur altamerikanischen Geschichte
ableitete2, gab es im 16. Jahrhundert reisende Kaufleute, die zugleich Missionare des Nahua-
Denkens waren. Sie hießen Pochteca. Ihre Hauptstadt war Cholula. Sie begrü ndeten die
Handelsstadt Xicalanco im ö stlichen Ufer des Golfs von Mexiko. Diese noch bei den Azteken
ü bliche Praxis der Pochteca, einschließlich der Verwendung des Kakao als Geld sowie einer

1
Raymond C. Kelly: The evolution of lethal intergroup violence, in: Proceedings of the National Academy of Sciences
of the United States of America (PNAS), 2005 Oct 25; 102(43): 15294–15298. Published online 2005 Aug 29. doi: 
10.1073/pnas.0505955102, PMCID: PMC1266108, im Internet (13.10.2017):
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1266108/
2
Laurette Séjourné: Altamerikanische Kulturen (Fischer Weltgeschichte Bd. 21), Frankfurt am Main 1971, S.
308-310.
2

Straße, geht, wie sie vermutet, auf die Blü tezeit Teotihuacans zurü ck. Der Gott der
reisenden Kaufleute ist Yacatecutli, der mit einer Last von Kakao dargestellt ist. Ab etwa
dem 5. Jahrhundert (europä ischer Zeiteinteilung) haben offenbar die Pochteca ohne jeden
Krieg die Nahua-Kultur in einem riesigen Gebiet verbreitet.
Hat der Mensch womö glich mehrfach im Laufe der Geschichte, wenn auch nie endgü ltig,
durch die Erfindung des ä quivalenzbasierten Tausches, durch Brä uche wie der Gabe und
der Gegengabe einschließlich der Exogamie, den Krieg ü berwunden?
Die Konkurrenz des Krieges ist ein Typ von Heterotrophie, der sich auf die Mensch-Natur-
Relation der je anderen Gruppe bezieht. Sobald Menschen eine Kooperationsbeziehung
entwickeln und den auf Ä quivalenz beruhenden Tausch erfinden, muß sich die Ä quivalenz,
welche an die Stelle des Energie-Dilemma-Prinzips (mö glichst wenig Energie verausgaben,
um mö glichst viel potentielle Energie dafü r zu gewinnen) tritt, ein Maß sein, das sich auf die
Mensch-Natur-Relation der beteiligten Gruppen bezieht. Dann begrü ndet die Ä quivalenz
beim Tausch eine Reziprozitä t, eine neue Stufe der Resonanz, der Aufhebung der Negation,
zum ersten Mal als Praxis auf universaler Ebene!
Aber jede neue Entwicklung der Werkzeuge, der Technik und der Arbeitsmittel kann eine
neue Faszination ü ber die mö gliche Aneignung potentieller Energie mit wenig
Energieaufwand schaffen, vermag ein neuer Anreiz fü r Krieg oder Ausbeutung zu sein. So
ist der Kapitalismus, schon die Einfü hrung des Zinssystems, ein Rü ckfall in die Logik des
Energie-Dilemmas, ein Ausschalten der Aufhebung der Negation in sozialer Beziehung.

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