Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
1
Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie&Alterspsychotherapie (SGAP) ,
2
Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG) , Schweizerische
3
Fachgesellschaft für Geriatrie (SFGG) , Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie
4 5
und Psychotherapie (SGPP) , Swiss Memory Clinics (SMC) , Schweizerische
6
Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (SGBP) , Schweizerische Vereinigung der
7
Neuropsychologinnen und Neuropsychologen (SVNP) , Schweizer Berufsverband
8
der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) , Schweizerische
9
Alzheimervereinigung
1 3 5 9 1, 4
Authoren: E. Savaskan , I. Bopp-Kistler , M. Buerge , R. Fischlin , D. Georgescu ,
1 6 1 1 3
U. Giardini , M. Hatzinger , U.Hemmeter , I. Justiniano , R. W. Kressig , A.
7 1, 6 2 9 1 8
Monsch , U. P. Mosimann , R. Mueri , A. Munk , J. Popp , R.Schmid , M. A.
1
Wollmer
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Einführung
Die Entwicklung der klinischen Medizin wurde in den letzten Jahren von der
fortschreitenden Ökonomisierung, Juridifizierung, Evidenzbasierung sowie der
Qualitätssicherung massgeblich geprägt. Dadurch wurde der aus dem
angelsächsischen Sprachraum stammende Trend zur Erstellung von Leitlinien– auch
im Bereich der Demenz (1-21) – zunehmend gefördert. Neben den medizinischen
Fachgesellschaften auf nationaler – manchmal mehrere aus demselben Land (z. B.
10-14) – oder internationaler Ebene (17,18), betätigen sich auch Organisationen, die
von Leistungserbringern (z. B. Spitäler) und/oder -trägern (Staat,
Krankenversicherung usw.) finanziert werden, als Herausgeber von Leitlinien oder
Konsensen. Die Empfehlungen können sich deutlich voneinander unterscheiden oder
gar widersprechen, wie z. B. im Bereich der Demenzabklärung und –behandlung (2,
3, 22). Die grösste Akzeptanz bei den praktisch tätigen Ärzten geniessen allerdings
die Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften, während Leitlinien von
behörden- oder versicherungsnahen Organisationen deutlich weniger Zuspruch
bekommen (22).
In der Schweiz sind es in erster Linie die medizinischen Fachgesellschaften, die sich
- oft mit Unterstützung von Patientenorganisationen - mit der Entwicklung von
Leitlinien oder Empfehlungen auf der Grundlage der evidenzbasierten Medizin
beschäftigen. In den letzten Jahren profilierte sich neu auch das Swiss Medical
Board, das im Auftrag seiner Trägerschaft (Schweizerische Konferenz der
kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren, Verbindung der Schweizer
Ärztinnen und Ärzte und Schweizerische Akademie der Medizinischen
Wissenschaften) diagnostische Verfahren und therapeutische Interventionen
analysiert.
2
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
3
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Davon ausgehend, dass der Arzt in seinem Handeln grundsätzlich dem Wohl des
Patienten verpflichtet ist, und er bei der Wahl der Medikation stets die gebotene
Sorgfalt walten lässt, kann der Off-Label Use sowohl aus Sicht des Arztes als auch
des Patienten auch als Recht auf Zugang zu neuen Behandlungsansätzen und
insgesamt zu einer breiteren Palette an Behandlungsoptionen betrachtet werden (27).
Denn auch beim Off-Label Use muss der Arzt auf den aktuellen medizinischen
Wissenstand Bezug nehmen und demnach fachlich fundiert handeln. Es gibt Fälle,
bei denen sich der Off-Label Use eines Arzneimittels sogar zum medizinischen
Standard entwickelt hat. In einem solchen Fall würde der Off-Label Use zur
Behandlung lege artis gehören und der Arzt wäre dabei nicht nur zur Off-Label-
Verschreibung berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Dessen Nichtberücksichtigung
würde folglich eine Abweichung von der sorgfältigen ärztlichen Behandlung
darstellen (23, 27).
Ein grosses Problem ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen der klinischen
Verschreibungspraxis infolge der „Alltagsevidenz“ und der offiziellen Zulassung.
Wegen der strengen Zulassungskriterien der Swissmedic und des fehlenden
Interesses der pharmazeutischen Unternehmen, die Zulassung von Arzneimitteln mit
abgelaufenem Patent und tiefem Preis dem aktuellen Stand der klinischen Praxis
anzupassen, steigt die Anzahl der Medikamente, die ausserhalb der Zulassung
eingesetzt werden. Der Marktrückzug von bewährten Arzneimitteln aus
wirtschaftlichen Gründen und die zunehmende Fragmentierung von neuen
Zulassungen auf kleine Patientengruppen und enge Indikationsgebiete
(individualisierte Medizin, Orphan Drugs) erschweren die Tätigkeit des
verschreibenden Arztes zusätzlich. Damit ergibt sich eine zunehmende Differenz
zwischen dem medizinischen Bedarf (medical need) und dem Angebot an
zugelassenen Arzneimitteln und Indikationen welche die pharmazeutische Industrie
nach wirtschaftlichen Kriterien auf dem Markt anbietet. Diese Tendenzen führen zu
hohen Arzneimittelpreisen und verstärken den Druck auf den behandelnden Arzt
Arzneimittel im „off label use“ einzusetzen. Die Verantwortung für die
Arzneimitteltherapie geht damit zunehmend vom pharmazeutischen Unternehmen
auf den behandelnden Arzt über.
Bei der Therapie der Personen mit Demenzerkrankungen ist die Situation zusätzlich
durch die Tatsache erschwert, dass eine angemessene Patientenaufklärung wegen
der kognitiven Defizite kaum möglich ist. Das am 1. Januar 2013 in Kraft getretene
4
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen :
1. National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE). Donepezil,
galantamine, rivastigmine and memantine for the treatment of Alzheimer's
disease. London: National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE);
2011.
2. National Collaboration Centre for Mental Health. The NICE-SCIE guideline on
supporting people with dementia and their carers in health and social care
(National Clinical Practice Guideline Number 42). London: The British
Psychological Society and Gaskell, 2007.
3. Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN). Management of patients
with dementia. A national clinical guideline. Edinburgh: Scottish Intercollegiate
Guidelines Network (SIGN); (SIGN publication; no. 86). 1998 (revised 2006;
reaffirmed 2009).
4. Burns A, O’Brien J. Clinical practice with antidementia drugs: A consensus
statement from British Association for Psychopharmacology. J
Psychopharmacol 2006;20:732–755.
5. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
(DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S3-Leitlinie
"Demenzen", AWMF-Registernummer 038/013, 2009.
6. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
(DGPPN),Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.). Diagnose- und
Behandlungsleitlinie Demenz. 1st Edition; Springer-Verlag 2010.
7. Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin. DEGAM-Leitlinie:
Demenz AWMF-Registernummer 053/021, 2008.
8. Monsch AU, Büla C, Hermelink M, Kressig RW, Martensson B, Mosimann U,
Müri R, Vögeli S, von Gunten A, Schweizer Expertengruppe. Konsensus 2012
zur Diagnostik und Therapie von Demenzkranken in der Schweiz. Praxis
2012;101 (19):1239–1249.
9. Monsch AU, Hermelink M, Kressig RW, Fisch HP, Grob D, Hiltbrunner B,
Martensson B, Rüegger-Frey B, von Gunten A, Expertengruppe der Schweiz.
Konsensus zur Diagnostik und Betreuung von Demenzkranken in der Schweiz.
Schweiz Med Forum 2008;8(8):144–149.
10. American College of Physicians/American Academy of Family Physicians
(ACP/AAFP). Current pharmacologic treatment of dementia: a clinical practice
guideline from the American College of Physicians and the American Academy
of Family Physicians. Ann Intern Med 2008 Mar 4;148(5):370-8.
6
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
7
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
8
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Die BPSD haben für die Betroffenen und deren betreuende Bezugspersonen schwer
wiegende Folgen: sie führen zur Verschlechterung der Aktivitäten des täglichen
Lebens (7), zum schnelleren kognitiven Abbau (8), zur Verschlechterung der
Lebensqualität (9), zur früheren und öfteren Institutionalisierung in Alters- und
Pflegeheimen oder Spitälern (10), und zur vermehrten psychiatrischen Erkrankungen
wie Depression bei den Betreuungspersonen (11). Die Diagnose und Therapie der
BPSD bleibt in dieser multimorbiden und vulnerablen Patientengruppe eine
Herausforderung und braucht einen umsichtigen Umgang mit den zur Verfügung
stehenden Behandlungsmöglichkeiten um die Prognose zu verbessern, aber auch
um eine zusätzliche Beeinträchtigung der Betroffenen zu vermeiden.
9
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
10
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Methoden:
Die vorliegenden Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD bei Demenz-
Erkrankungen möchten den aktuellen Stand der vorhandenen Diagnose- und
Behandlungsmöglichkeiten, auf Evidenz basierend und kritisch hinterfragend,
zusammen fassen und als ein Instrument im klinischen Alltag zur Verfügung stellen.
Folgende Fachgesellschaften waren bei der Ausarbeitung der Empfehlungen
beteiligt: Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie&Alterspsychotherapie
(SGAP), Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG), Schweizerische
Fachgesellschaft für Geriatrie (SFGG), Swiss Memory Clinics (SMC), Schweizerische
Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (SGBP), Schweizerische Vereinigung der
Neuropsychologinnen und Neuropsychologen (SVNP), Schweizer Berufsverband der
Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) und die Schweizerische
Alzheimervereinigung.
Die Empfehlungen basieren, wenn vorhanden, auf klinisch kontrollierten Studien zur
Wirksamkeit der Therapie-Optionen. Sie sind als Evidenz-Kategorien und
Empfehlungsgrade nach WFSBP (World Federation of Societies of Biologival
Psychiatry) zusammengefasst (1, 2; Tabelle 1). Die Delegierten der
Fachgesellschaften führten systematische Evidenz-Recherchen durch und trugen
diese in regelmässigen Sitzungen zusammen. Die Grundlage für diese Recherchen
waren Datenbanken wie MEDLINE, EMBASE oder ISI (Science Citation Index),
Cochrane-Database, international festgelegte Konsensus-Kriterien, und bestehende
nationale sowie internationale Therapie-Leitlinien. Vor allem die bestehenden
Therapie-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (DGPPN), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), und
die Leitlinie des National Institute for Clinical Excellence (NICE) wurden als Referenz
angenommen. In der Recherche wurden in erster Linie die kontrollierten Studien,
Übersichtsartikel und Meta-Analysen berücksichtigt. Wenn Studien für die klinische
Evidenz einzelner Therapieverfahren fehlten wurden Experten-Meinungen und
klinische Erfahrungen berücksichtigt, die als Evidenz-Kategorie C3 nach WFSBP
aufgeführt wurden. Zusätzlich wird die Schweizer Experten Meinung (SEM) separat
aufgeführt wenn diese von der vorhandenen Evidenz abweicht.
11
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Tabelle I:
Evidenz-Katagorien und Empfehlungsgrade (nach Grunze et al. 2009; Bandelow et al. 2008)
Evidenz-Katagorie: Beschreibung:
A Vollständige Evidenz aus kontrollierten Studien:
zwei oder mehr Doppelblind, Parallelgruppen, randomisierte
kontrollierte Studien (RCTs), die Überlegenheit zum Plazebo
nachweisen (oder bei Psychotherapie-Studien Überlegenheit zum
entsprechenden Plazebo bei adäquater Verblindung
und
eine oder mehr RCT, die Überlegenheit oder gleichwertige Wirkung
zur etablierten Substanz in einer Drei-Arm-Studie mit Plazebo zeigt.
Falls negative Studien vorliegen müssen mindestens zwei positive
Studien mehr vorhanden sein oder eine Meta-Analyse aller
vorhandenen Studien muss die Überlegenheit beweisen und keine
Unterlegenheit zu einer etablierten Therapie aufweisen.
B Limitierte positive Evidenz aus kontrollierten Studien:
eine oder mehr RCT, die Überlegenheit zum Plazebo nachweisen
(oder bei Psychotherapie-Studien Überlegenheit zum entsprechenden
Plazebo)
oder
eine randomisierte kontrollierte Studie mit einer Standard-Behandlung
ohne Plazebo mit ausreichender Fallzahl
und
Falls negative Studien vorliegen muss mindestens eine positive
Studie mehr vorhanden sein oder eine Meta-Analyse aller
vorhandenen Studien muss die Überlegenheit beweisen oder
mindestens eine randomisierte kontrollierte Studie mehr, die keine
Unterlegenheit zu einer etablierten Therapie zeigt
C Evidenz aus unkontrollierten Studien oder Fallbeschreibungen/
Experten-Meinung:
C1 Unkontrollierte Studien:
Eine oder mehr positive naturalistische offene Studie (mind. 5 Fälle)
oder
Vergleich mit einer Referenz-Substanz mit ausreichender Fallzahl
und
keine negative kontrollierte Studie
C2 Fallbeschreibungen:
eine oder mehr positive Fallbeschreibung
und
keine negative kontrollierte Studie
C3 Experten-Meinung oder Klinische Erfahrung
D Inkonsistente Resultate:
Positive RCTs stehen einer gleichen Anzahl von negativen Studien
gegenüber
E Negative Evidenz:
Die Mehrheit der RCTs oder vergleichende Studien zeigen keine
Überlegenheit zum Plazebo oder eher eine Unterlegenheit zur
Vergleichsbehandlung.
F Fehlende Evidenz:
Adäquate Studien, die Wirksamkeit oder Nicht-Wirksamkeit belegen,
fehlen.
Empfehlungsgrade:
1 Kategorie A und gute Risiko-Nutzen Ratio
2 Kategorie A und moderate Risiko-Nutzen Ratio
3 Kategorie B Evidenz
4 Kategorie C Evidenz
5 Kategorie D Evidenz
12
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Das gemeinsame Auftreten von Demenz, Hypertension und Schlaganfall ist die
häufigste Kombination, die man bei Bewohnern von APH beobachten kann (2).
Hohes Alter ist neben der Anzahl der vorbestehenden Krankheiten und niedriges
Bildungsniveau der wichtigste Risikofaktor für Multimorbidität (1). Eine Demenz-
Erkrankung erhöht das Risiko zusätzlich (3). Demente Patienten beider Geschlechter
weisen eine hohe Multimorbidität, vor allem komorbide Infektionskrankheiten, auf, die
zur erhöhten Mortalität führen. Vor allem Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten
Infektionen und erhöhen signifikant die Morbidität (4). Non-E coli Uropathogene
nehmen im hohen Alter deutlich zu. Komorbiditäten wie Demenz oder
zerebrovaskuläre Ereignisse können die Diagnose einer Infektion im Alter zusätzlich
erschweren und zu Komplikationen bei verzögerter Therapie führen.
Die Multimorbidität steigt auch mit psychiatrischen Erkrankungen (5, 6). Schwere
psychiatrische Erkrankungen weisen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung höhere
Morbiditäts- und Mortalitätsraten infolge von begleitenden Krankheiten wie z.B.
kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes Mellitus, respiratorische Störungen,
Infektionen und Krebs auf. Mindestens 50% aller Patienten mit einer psychiatrischen
Erkrankung haben bekannte somatische Komorbiditäten während zusätzliche 35%
noch nicht diagnostisierte medizinische Probleme aufweisen. Bei 20% dieser
Patienten kann man einen direkten Zusammenhang zwischen der somatischen
Diagnose und der psychiatrischen Erkrankung erkennen.
Depression ist die häufigste psychiatrische Erkrankung, die bei multimorbiden älteren
Patienten auftritt (7). Sie zeigt meistens einen chronischen Verlauf mit somatischen
Symptomen wie z.B. Schmerzen. Die Depression im Alter tritt oft in Begleitung von
gastrointestinalen Krankheiten, Schlaganfall, muskuloskeletalen Beschwerden, M.
Parkinson, Atemweg-Erkrankungen und Obesität auf (8). Umgekehrt ist die
Depression ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Krankheiten, Diabetes Mellitus und
Obesität. Da 18% der älteren Menschen klinisch relevante Depressionssymptome
zeigen und die Prävalenz der Depression bei älteren Personen mit somatischen
Erkrankungen bei 25% liegt, wird die rasche Diagnose und Therapie der affektiven
Störung in dieser Altersgruppe besonders wichtig (9). Bei der Therapie der
13
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Neben Depression ist vor allem bei Angststörungen und Schizophrenie die
Komorbidität mit somatischen Krankheiten erhöht (10, 11). Respiratorische
Erkrankungen, Diabetes Mellitus, Hypertension und kardiovaskuläre Erkrankungen
kommen auffällig vermehrt bei Patienten mit Angststörungen vor. Und diese scheinen
auch ein erhöhtes Risiko für gastrointestinale Erkrankunken zu haben. Der erhöhte
therapeutische Aufwand bei diesen Patienten erleichtert die Entstehung
medikamentös bedingter Komplikationen. Schizophrene Patienten leiden bis zu 50%
an komorbiden somatischen Krankheiten, vor allem an Diabetes Mellitus,
kardiovaskulären Erkrankungen, Hypertension, Osteoporose, Obesität und
metabolischem Syndrom. Alltagsgewohnheiten dieser Patienten wie z.B. rauchen,
wenig Bewegung, einseitige Ernährung trägt oft zur Entstehung dieser somatischen
Erkrankungen bei.
14
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
1. Marengoni A, Angleman S, Melis R et al. Aging with multimorbidity: A
systemic review of the literature. Ageing Res Rev 2011; 10: 430-439.
2. Schram MT, Frijters D, van de Lisdonk EH et al. Setting and registry
characteristics affect the prevalence an nature of multimorbidity in the
elderly. J Clin Epidemiol 2008; 61: 1104-1112.
3. Dinkel RH, Lebok UH. The effects of dementia in German acute care
hospitals. Dement Geriatr Cogn Disord 1997; 8: 314-319.
4. Matthews SJ&Lancaster JW. Urinary tract infections in the elderly
population. Am J Geriatr Pharmacother 2011; 9: 286-309.
5. Dixon L et al. The association of medical comorbidity in schizophrenia
with poor physical and mental health. J Nerv Ment Dis 1999: 187: 496-
502.
6. Felker B et al. Mortality and medical comorbidity among psychiatric
patients: a review. Psychiatr Serv 1996; 47: 1356-1363.
7. Spangenberg L, Forkmann T, Brähler E et al. The association of
depression and multimorbidity in the elderly: implications for the
assessment of depression. Psychogeriatrics 2011; 11: 227-234.
8. Nuyen J, Shellevis FG, Satariano WA et al. Comorbidity was associated
with neurologic and psychiatric diseases: a general practice-based
controlled study. J Clin Epidemiol 2006; 59: 1274-1284.
9. Savaskan E. Depressionen im Alter: Was der Hausarzt wissen sollte. Info
Neurologie&Psychiatrie 2011; 5-6: 21-24.
10. Iacovides A&Siamouli M. Comorbid mental and somatic disorders: an
epidemiological perspective. Curr Opin Psychiatr 2008; 21: 417-421.
11. Cimpean D et al. Schizophrenia and co-occurring general medical illness.
Psychiatr Ann 2005; 35: 71-81.
12. Burkhardt H, Wehling M, Gladisch R. Pharmakotherapie älterer Patienten.
Internist 2007; 48: 1220-1231.
15
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Solche Symptome stellen für das soziale Umfeld eine grosse Herausforderung dar.
Angehörigen, Arbeitskollegen und sonstigen Mitmenschen sind die neu auftretenden
Probleme oft unverständlich, dies umso mehr, wenn noch keine Abklärung
stattgefunden hat. Es ist deshalb vorrangig, das Verständnis für Demenzkrankheiten
und BPSD durch gezielte Information des näheren Umfeldes zu fördern,
beispielsweise in Angehörigenseminaren und Gesprächsgruppen.
Bei Betroffenen mit einer AD ist die Wahrnehmung nicht selten durch eine
Beeinträchtigung der Sinnesorgane (besonders visuell und auditiv) verschlechtert. Es
können motorische Schwierigkeiten dazukommen, welche die Bewegungsfreiheit
einschränken und die Sturzgefahr erhöhen. Diese Faktoren können BPSD
verursachen oder bestehende Symptome verstärken. Zur Verbesserung dieser
Probleme sind Anpassungen nötig, etwa der Einsatz von Hörhilfen und Brille sowie
diverse Anpassungen in der Wohnung oder im architektonischen Bereich. Auch
Orientierungshilfen und körperliche Aktivierung können der kranken Person helfen
und Autonomie fördern. Psychoedukation und angehörigengestützte Verfahren
können durch das Vermitteln des nötigen Verständnisses und Wissens zur
Verbesserung der Interaktionen beitragen, und Konflikte vermeiden oder abbauen
helfen. Sozialberatung sowie gezielte Pflegeinterventionen können den Angehörigen
wichtige Inhalte für den demenzgerechten Umgang mit den Kranken und auch das
Annehmen von Hilfeleistungen weitergeben. Die Angehörigen lernen so auch, sich
vor Erschöpfung zu schützen und schaffen bessere Voraussetzungen dafür, dass
psychische und Verhaltenssymptome gemildert werden damit das Zusammenleben
zu Hause länger dauern kann.
16
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Die Erfassung der BPSD erfordert den Einbezug aller zur Verfügung stehender
Informationsquellen. Nebst der Verhaltensbeobachtung in Untersuchungssituationen
und im klinischen Alltag (Spital, APH) sowie der Fremdanamnese stellt eine
standardisierte Untersuchung mittels etablierter Verfahren eine wesentliche
Komponente dar. Hierbei zeigen sich aber unterschiedliche Bedürfnisse: a) einfache
Erfassung in Bezug auf Vorhandensein, Häufigkeit und Schweregrad eines
Symptoms oder mehrerer Symptome zum Beispiel im Rahmen von
epidemiologischen Studien und b) die Quantifizierung von Veränderungen von BPSD
zur Beurteilung von Erfolg und Misserfolg von Interventionen.
Obwohl einige dieser Instrumente diagnostisch hilfreich sein können, weil mit ihnen
ein Muster der BPSD erarbeitet werden kann, das für bestimmte Formen von
Demenz charakteristisch ist (1), zeigen sich eine Reihe von Schwierigkeiten derer
man sich bewusst sein muss. Eine sorgfältige psychiatrische Exploration braucht viel
Erfahrung und einige Zeit. Beides steht z.B. im Rahmen von klinischen Studien oder
im hektischen klinischen Alltag oft nicht zur Verfügung. Es stellt sich die Frage, nach
welchen Kriterien BPSD "gemessen" werden sollen. Sollen Diagnosekriterien
abgefragt werden? Falls ja, welche? Summenwerte von globalen Verhaltensskalen
werden zwar oft verwendet oder in wissenschaftlichen Arbeiten erwähnt, sind aber
für die adäquate Beschreibung eines Patienten wenig sinnvoll. Besser wäre es,
einzelne Symptome oder Symptomenkomplexe vertieft zu beschreiben, resp. zu
beurteilen. BPSD-Skalen verlassen sich oft ausschliesslich auf die Äusserungen und
Beobachtungen der Angehörigen und vernachlässigen die wahrscheinlich oft
hilfreiche Beurteilung durch psychiatrisch geschulte Fachpersonen.
In den letzten Jahren wurde mehrere Instrumente vorgestellt, die sich in ihrer
Konstruktion und psychometrischen Eigenschaften stark unterscheiden. Die
eingangs beschriebenen oft sehr grosse Variabilität von Inzidenz und Prävalenz von
BPSD sind nicht zuletzt auch auf die Verwendung dieser verschiedenen
Untersuchungsinstrumente zurückzuführen (2). Es wäre sicher sinnvoll und
wünschenswert, aus der Vielzahl von über 100 Instrumenten die besten zu
identifizieren, und damit nicht zuletzt auch die Kommunikation über BPSD zu
verbessern. Allerdings muss trotzdem – wie oben beschrieben – vor der Wahl des
Instrumentes jeweils die Frage des Ziels der Erfassung der BPSD sorgfältig reflektiert
werden.
Bei der Beurteilung von BPSD können zwei Arten von Skalen unterschieden werden:
a) Globale Skalen zur Erfassung der BPSD und
b) Spezifische Skalen von bestimmten Unterformen von BPSD.
17
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Eine zweite Expertengruppe (6) war bereits früher zu einem sehr ähnlichen Ergebnis
gekommen (siehe Tabelle 1).
Depression
Cornell Scale for Depression in Dementia (8) 19 0-2 38
Agitation
Cohen-Mansfield Agitation Inventory (9) 29 1-7 203
a
37 items werden 0-4 bewertet
b
17 items betreffen Stimmung
• Wahnvorstellungen
• Halluzinationen
• Erregtheit
• Depression
• Angst
• Euphorie
• Apathie
• Enthemmung
• Reizbarkeit
• Motorische Verhaltensstörungen
• Veränderte Schlafgewohnheiten
• Veränderungen von Appetit und Essgewohnheiten
Das NPI basiert auf Antworten eines Angehörigen, der vorzugsweise mit dem
Patienten zusammenlebt und ist fokussiert auf Veränderungen, die seit
Erkrankungsbeginn aufgetreten sind. Bei jeder Verhaltensänderung wird zunächst
eine Screeningfrage gestellt und falls diese bejaht wird, das entsprechende
Verhalten vertieft exploriert. Alle 12 Aspekte werden inbezug auf Häufigkeit und
Schweregrad und auch in Bezug auf die Belastung für den Angehörigen beurteilt.
Für die Verwendung durch professionelle Pflegekräften wurde die NPI-NH (NH steht
18
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
für nursing home) entwickelt. Der Inhalt entspricht genau dem des ursprünglichen
NPI. Die Fragen wurden allerdings umformuliert, um zu berücksichtigen, dass die
professionelle Pflegekraft den Patienten vor Ausbruch der Krankheit nicht kannte und
daher nicht wissen kann, ob sich die bestehenden Verhaltensmuster des Patienten
von den Verhaltensmustern vor Ausbruch der Krankheit unterscheiden. Die Fragen
zur Belastung der Pflegeperson wurden ebenfalls umformuliert, um den "zusätzlichen
Aufwand an Pflege durch das Verhaltensmuster" beurteilen zu können. Da das
Vorgehen mit Screeningfrage und vertiefter Exploration zeitaufwändig ist, wurde das
NPI-Questionnaire entwickelt (10), welches durch den Angehörigen ohne Interviewer
ausgefüllt werden kann. Dieses Instrument kann auch für den Einsatz durch
Grundversorger empfohlen werden (11).
Depression:
Wie bereits oben erwähnt, kommt es bei der Wahl des Untersuchungsinstrumentes
darauf an, welche Frage beantwortet werden soll. Für die Depression wurden
folgende Testverfahren vorgeschlagen (Tabelle 2; 12):
Screening
Geriatric Depression Scale (13) 5
Cornell Scale for Depression in Dementia (8) 30
Center for Epidemiological Studies – Depression (14) 5
Schweregrad
Hamilton Rating Scale for depression (15) 20-30
Selbstbeurteilung
Beck Depression Inventory (16) 20
Veränderungsbeurteilung
Montgomery & Asberg Depression Rating Scale (17) 20
Je nachdem also, welche Frage es zu beantworten gilt, muss die Wahl des
Instrumentes getroffen werden. Im Beispiel der Depressionsskalen – vor allem wenn
diese nicht im Interviewstil durchgeführt werden – ist zudem zu beachten, dass die
kognitiven Schwierigkeiten des Patienten es ihm verunmöglichen können, die Fragen
zu verstehen. In unserem klinischen Alltag haben wir gute Erfahrungen mit der 15-
item Version der Geriatric Depression Scale (13) und bei Patienen in sehr frühen
Stadien einer Demenz mit dem Beck Depression Inventory (16) machen können.
Empfohlen ist die neuere Version Beck Depressions-Inventar (BDI-II; deutsche
Version, 2.Auflage, 2009).
19
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen
Zusätzliche Referenzen:
21
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Empfehlungsgrad 3, Evidenzkategorie B
Referenzen:
22
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Therapien
Basale Therapieverfahren
SEM: Alle pflegerischen und psychosozialen Interventionen werden als erste Wahl
und als begleitende Verfahren empfohlen.
Psychoedukation:
23
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
Sozialberatung:
Beurteilung: Sozialberatung ist nützlich zur Wahrung der Lebensqualität und zur
Verhütung des Auftretens von BPSD, bzw. deren Milderung. Um die Ressourcen und
Grenzen zu erkennen und bei Bedarf frühzeitig eingreifen zu können, ist eine
präventive Begleitung in Form von zugehender Beratung oder Care/Case
Management wünschenswert, da es die Belastbarkeit der Angehörigen erhöht.
In der Praxis ist der kombinierte Einsatz von Sozialberatung und Psychoedukation zu
empfehlen.
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C
24
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Angehörigenbasierte Verfahren:
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
Milieutherapeutische Interventionen:
Es zeigt sich eine zunehmende empirische Evidenz für die positive Wirksamkeit einer
milieutherapeutischen Umweltgestaltung auf demenzspezifische Symptome (30).
Es wurde gezeigt, dass die Pflege-, Arbeits- und therapeutische Umwelt eine
bedeutsame beeinflussende Wirkung auf die Lebensqualität von Menschen mit
Demenz und auf deren Angehörige hat. Generell gilt, dass Milieutherapie wirksam
und vor allem nebenwirkungsfrei ist (31). Strukturiertes und gesichertes Umfeld und
klare Informationen können BPSD mildern/verhindern.
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C
25
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
26
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Pflegerische Interventionen:
Bei dem Modell wird das Verhalten mit zwei Arten von Faktoren erklärt. Es wird
grundsätzlich unterschieden zwischen einerseits Hintergrundfaktoren, die durch
Interventionen kaum beeinflussbar sind und als Risikofaktoren identifiziert werden
können (Gesundheitsstatus, physische und kognitive Fähigkeiten,
Persönlichkeitseigenschaften usw.). Auf der anderen Seite sind die Proximalen/
Nahen Faktoren. Diese können BPSD auslösen und sind durch Interventionen eher
beeinflussbar (Schmerzen, Hunger, Durst, Umgebungsreize usw).
Das NDB Modell kann herausforderndes Verhalten modellhaft erklären. Aber es gibt
keine Hinweise auf spezifische Assessmentinstrumente, zu deren Abfolge und
daraus resultierenden spezifischen Massnahmen. Dies ist aber unabdingbar, damit
eine Umsetzung in der Praxis möglich wird (40-42). Trotzdem ist die
Rahmenempfehlung der Expertengruppe (37, 38, 43) als grundlegende Methodik in
der Therapie der BPSD zu empfehlen.
27
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Strukturiertes Verfahren auf dem Hintergrund des NDB Modells: Suche nach der
Ursache des Verhaltens mit definierter Abfolge des Erkennens von
Verhaltensveränderungen, definierter Abfolge von Assessments, definierter Abfolge
von Interventionen. STI ist die Weiterentwicklung des Assessment-Instruments
„Assessment of Discomfort in Dementia“ zu dem positive Evaluationen vorliegen
(44). Zwei kontrollierte Studien in Pflegeheimen bei Patienten mit AD sind vorhanden
(40-42). Ergebnisse zeigen gute Wirksamkeit bei Reduktion von BPSD und
Rückgang der Psychopharmaka-Verordnungen bei der Interventions- und
Kontrollgruppe, ohne eindeutigen Vorteil für STI. STI führte zu stärkerer
Wahrnehmung von körperlichen Symptomen als Ursache des Verhaltens. Ein
strukturierter Rahmen zum Umgang mit BPSD, unabhängig zum eingesetzten
Verfahren, führte zu einer Effektivitäts- und Effizienzsteigerung. Die höhere
Sicherheit des geschulten Personals führte zu einer Reduktion von
Verhaltensauffälligkeiten (40, 41).
Fallgespräche:
Populationen. Viele Probleme im Verhalten von Meschen sind signifikant, aber nicht
ausreichend prävalent um eine ausreichende Grösse eines Samples zu rekrutieren.
Im Gegensatz dazu sind „natürliche Studien“ (natural studies), welche z.B. in
Pflegeheimen durchgeführt werden mehr generalisierbar im Bezug auf die
Bedingungen des realen Alltags. Diese Studien sind gemäss Cohen-Mansfield et al
2014 sehr wichtig, weil sie mehr Antworten auf die wahren Bedürfnisse der Praxis
suchen. Mansfield postuliert daher, dass es entscheidend ist, vermehrt auch aus den
Erkenntnissen der „natural studies“ zu lernen (Cohen-Mansfield, J., Buckwalter, K.,
Beattie, E., Rose, K., Neville, Ch., Kolanowski, A. : Expanded Review Criteria: The
Case of Nonpharmacological Interventions in Dementia. Journal of Alzheimer’s
Disease ISSN 1387 -2877/14).
29
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
vom individuellen Assessment des Verhaltens und den Ursachen, die beim Patienten
und seinem Umfeld erkannt werden (NDB-Modell).
3. Ablenken
9. Hintergrundmusik
10. Milieuwechsel
30
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
In der Literatur zum Management von Aggression bei Demenz findet sich häufig die
Empfehlung, dass verstehende Assessments zum Patienten und seinem Umfeld die
Grundlage für pflegerische Behandlungspläne bilden sollen (60). Bei der
Literaturrecherche von Vickland (2012) erwiesen sich 45 Studien, 16 Guidelines, vier
Konsensuspapiere von Experten als verwertbar (52). Bei der Entwicklung von
individualisierten Guidelines zum Management von Aggression bei dementen
Menschen sind vier Dimensionen zu berücksichtigen (52):
1. Patient: individuelle Charakteristik, persönliche Lebensgeschichte,
persönliches Umfeld
Zum Management der Aggression bei Demenz ist die Berücksichtigung multipler
Faktoren, wie z.B. psychologische, medizinische, kognitive und umweltbezogene
Faktoren, notwendig. Leitlinien und Aspekte im Umgang mit aggressivem Verhalten
(nicht demenzspezifisch) sind auch auf die Demenzpflege anwendbar (61).
Die auf die Patientensituation massgeschneiderten Interventionen sollen abgeleitet
sein von den generellen pflegerischen Interventionen bei aggressivem Verhalten und
vom individuellen Assessment des Verhaltens und den Ursachen, die beim Patienten
und seinem Umfeld erkannt werden (NDB-Modell -Auslöser identifizieren und
vermeiden).
31
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
12. Mantovan F., Ausserhofer D., Huber M., Schulc E., Them C. Interventionen
und deren Effekte auf pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz –
Eine systematische Literaturübersicht. In: Pflege 2010; 23 (4): 223–239.
13. Schaub, R. Psychotherapy and psychosocial interventions in dementia. In:
PDP Psychodynamische Psychotherapie: Forum der tiefenpsychologisch
fundierten Psychotherapie. 2006; 5(2): 78-98.
14. Beck C. K., Vogelpohl T. S., Rasin J. H., Uriri J. T., O'Sullivan, P., Walls R.,
Phillips R., Baldwin B. Effects of Behavioral Interventions on Disruptive
Behavior and Affect in Demented Nursing Home Residents. In: Nursing
Research. 2002; 51: 219-228.
15. Schoenmakers B., Buntinx F., DeLepeleire J. Supporting the dementia family
caregiver: the effect of home care intervention on general well-being. In: Aging
& Mental Health. 2010 Jan; 14(1): 44-56.
16. Perry M., Draskovic ́P. Lucassen, M. Vernooij-Dassen T. van Achterberg and
M. Olde Rikkert Effects of educational interventions on primary dementia
care: A systematic review. In: Wiley Online Library (wileyonlinelibrary.com).
Published online 14 April 2010 in DOI: 10.1002/gps.2479.
17. Donath C., Gräßel E., Großfeld-Schmitz M., Menn P., Lauterberg J., Wunder
S., Marx P., Ruckdäschel S., Mehlig H., Holle R. Effects of general
practitioner training and family support services on the care of home-dwelling
dementia patients - Results of a controlled cluster-randomized study. In: BMC
Health Services Research. 2010; 10: 314.
18. Mittelman M. S., Haley W. E., Clay O. J., Roth D. L. Improving caregiver well-
being delays nursing home placement of patients with Alzheimer disease. In:
Neurology. 2006; 67: 1592-1599.
19. Isfort M., Laag U., Weidner F. Entlastungsprogramm bei Demenz – EDe -
Optimierung der Unterstützung für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen im
Kreis Minden-Lübbecke mit besonderer Berücksichtigung pflegepräventiver
Ansätze. In: Pflegewissenschaft; 03/11.
20. Wunder S. und Böhmer S. IDA -Studie eröffnet Perspektiven für zukünftige
Versorgungsforschung - Hauptergebnisse der Studie. Initiative
Demenzversorgung in der Allgemeinmedizin.
21. Callahan C.M., Boustani M.A., Unverzagt F.W., Austrom M. G., Damush T. M.,
Perkins A. J., Fultz B. A., Hui S. L., Counsell S.R., Hendrie H. C.Effectiveness
of collaborative care for older adults with Alzheimer disease in primary care: a
randomized controlled trial. In: Journal of American Medical Association. 2006;
295: 2148–57.
22. Gitlin L. N., Winter L., Dennis M. P., Hodgson N., Hauck W. W. A
biobehavioral home-based intervention and the well-being of patients with
dementia and their caregivers: the COPE randomized trial. In: JAMA. 2010;
304: 983–991.
23. Cooper C., Mukadam N., Katona C., Lyketsos C. G., Ames D., Rabins P.,
Engedal K., de Mendonça Lima C., Blazer D., Teri L., Brodaty H., Livingston
33
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
35
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
36
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Tom Kitwood (1997) wendet sich in seinem Konzept der personenzentrierten Pflege
gegen die ausschließliche Sichtweise der Demenz als hirnorganischem Geschehen.
Er ist bestrebt, die psychosozialen Bedürfnisse der betroffenen Menschen zu
erkennen und auf der Grundlage eines verstehenden Vorgehens eine
bedürfnisorientierte Pflege und Betreuung zu erzielen. Die Einzigartigkeit der Person
soll im Mittelpunkt stehen. Daher ist die Erhaltung und Stärkung des Person seins
das oberste Ziel. Kitwood stellte die Hypothese auf, dass eine personenzentrierte
Pflege den Verlauf einer Demenzerkrankung positiv beeinflussen kann. Durch
gezielte auf die Person zentrierte Massnahmen sollen grundlegende Bedürfnisse
erfüllt werden und dabei sinnvoll erlebte Beschäftigung ermöglichen. Individuell
abgestimmte angenehme Aktivität (Personalized pleasant activities) sind abgestimmt
auf individuelle Interessen und Gewohnheiten. Sie umfassen sensorische,
körperliche (Bewegung), kommunikative, biographische und kognitive Angebote.
In den letzten 10 Jahren steht der personenzentrierte Ansatz bei der Pflege von
Menschen mit Demenz zunehmend im Fokus bei der Suche nach effektiven
psychosozialen und pflegerischen Interventionen bei BPSD. Testad et al (2014)
schlossen 40 Studien in ihre Review ein, die zwischen 2000 und 2012 zur Evidenz
von psychosozialen Interventionen mit einem personenzentrierten Ansatz
durchgeführt wurden. Davon waren 26 RCTs und 14 hatten ein quasi experimentelles
Design. Die Studien stammen aus 13 Ländern. Die Interventionsperioden dauerten
von einer bis 78 Wochen. Die Frequenz der Interventionen variierte von einmal
wöchentlich bis zweimal täglich. Die individuellen Massnahmen dauerten jeweils von
30 Minuten bis zu vier Stunden.
Es wurden 10 Studien in die Review eingeschlossen zum Thema „Individuell
abgestimmte angenehme Aktivitäten“ (personalized pleasant activities) mit oder ohne
soziale Interaktion. In vier Studien (Kovach 2004, Cohen-Mansfield et al. 2007, 2010,
2012) zeigte sich ein signifikanter Benefit in der Behandlung von Agitation im
Vergleich mit Kontrollgruppen. Nur drei kontrollierte Studien konnten gefunden
werden, die den Effekt von Training von Pflegeteams in personenzentrierter Pflege
untersuchten (person-centered care training interventions). Alle drei Studien
identifizierten einen Nutzen. Chenoweth et al (2009) berichteten von einer
Verbesserung der Symptome von Agitation. Fossey et al (2006) berichtete von einer
Abnahme von Antipsychotika. Brooker et al. (2011) zeigten eine Verbesserung der
Stimmung auf.
Evidenzkategorie B, Empfehlungsgrad 3
37
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
Ingelin Testad, Ann Corbett, Dag Aarsland, Kristin Osland Lexow, Jane Fossey, Bob
Woods and Clive Ballard (2013). The value of personalized psychosocial
interventions to address behavioral and psychological symptoms in people with
dementia living in care home settings: a systematic review In: International
Psychogeriatrics: page 1 of 16 International Psychogeriatric Association 2014
Kovach, C.R et al. (2004). Effect oft he BACE intervention on agitation of people with
demetia. The Gerontologist, 44, 797–806
Chenoweth, L. et al. (2009). Caring for Aged Dementia Care. Resident Study
(CADRES) of person-centered care, dementia- care mapping und usual care in
dementia : a cluster randomised trial : Lancet Neuroloy, 8, 317- 325.
Brooker, D.J.et al.(2011). The enriched opportunities programme for people with
dementia : a cluster randomized controlled trial in 10 extra housing schemes. Aging
and Mental health, 15, 1008-1017.
38
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Zusatztherapien
Validationstherapie:
Als Basis für die Arbeit und Kommunikation mit Menschen mit Demenz und
herausforderndem Verhalten wird eine validierende wertschätzende Grundhaltung
empfohlen (1). Validation nach Naomi Feil (2) hat ihren Ursprung in der
Humanistischen Psychologie von Rogers. Nach Feil sind Situationen und Ereignisse
aus der Vergangenheit mögliche Ursachen für herausforderndes Verhalten. Demenz
wird als eine Möglichkeit zur Erfüllung von unerledigten Lebensaufgaben verstanden.
In der Validation begibt sich die Anwenderin in die innere Welt der Demenzkranken.
Grundpfeiler des Konzepts sind Einfühlungsvermögen, Umgangsfertigkeiten und
Kenntnisse der Stadien einer Demenz. Für jedes Stadium der Demenz gibt
körperliche und psychische Merkmale, auf die mit beschriebenen
Anwendungstechniken reagiert werden soll. In der Validation begibt sich die
Anwenderin in die innere Welt der Demenzkranken.
Nicole Richards (3) hat das Konzept als Integrative Validation übernommen. Sie
wendet sich von der Annahme ab, dass Demenz eine Möglichkeit zur Erfüllung
unvollendeter Lebensaufgabe sei. Sie richtet den Schwerpunkt ihres Konzeptes auf
Vermittlung von praktischen Fähigkeiten. Sie beschreibt vier Ausgangspunkte
(personenzentrierte, wertschätzende Grundhaltung, Wahrnehmungskompetenz der
Pflegenden, validierende Umgangsfertigkeiten). Der Umgang mit Menschen mit
Demenz beruht auf Bestätigung der Gefühle, Verständnis und Anerkennung der
Antriebe und das Mitgehen in die Gefühlswelt der Menschen mit Demenz.
Erlebnisorientierte Pflege (4): Weiterentwicklung der validierenden Pflege bei der
nicht die Veränderungen des Verhaltens im Zentrum stehen sondern die positiven
Begegnungen und die Kreativität im Umgang. Es wird nicht nur ein Mitgehen in die
Gefühlswelt empfohlen, sondern auch ein angemessenes Gegengewicht, das heisst,
auch das Setzen von Grenzen.
Es sind 3 Studien zur Validationstherapie vorhanden (5-7), darunter eine kontrollierte
Studie. Forschungsergebnisse sind nicht eindeutig und auch wenn einige positive
Resultate aufweisen. Deutlichere Resultate zeigen Studien, in denen Validation in
Kombination mit anderen Methoden eingesetzt wurde, z.B. mit Aromatherapie,
Massage oder Musiktherapie (1).
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C
Aromatherapie/ Aromapflege:
Mehrere kleine bis mittelgroße Studien mit kurzer Dauer und verschiedenen
methodischen Schwächen sprechen für eine günstige Beeinflussung von Agitation
durch Aromatherapie (8-13). Bezogen auf das verwendete Aroma und den
Applikationsweg besteht die beste Datenlage für vernebeltes Lavendelöl und für in
die Haut einmassiertes Melissenöl. Unterschiede in Wahl des essentiellen Öls,
Applikationsweg und anderen Aspekten des Studienprotokolls lassen derzeit keine
sinnvollen Metaanalysen zu. Vorteilhaft sind das exzellente Risiko- und
Nebenwirkungsprofil sowie die kostengünstige und einfache Anwendung. Selten sind
Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen beschrieben. Bei Applikation durch
einmassieren wird die Aromatherapie mit Aspekten der basalen Stimulation
39
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
kombiniert. Es ist nicht klar, ob und in welchem Ausmaß eine Beeinträchtigung des
Geruchssinns, die bei vielen älteren Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen
vorkommt, die Wirksamkeit der Aromatherapie beeinflusst. Der Einsatz von
Aromatherapie in der Behandlung von Agitation bei Demenz wird empfohlen. Da
aber die meisten Studien von kurzer Dauer waren und kleine Fallzahlen aufwiesen
beruht die Evidenz in erster Linie auf guter klinischer Erfahrung.
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C3
Snoezelen:
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C3
Basale Stimulation:
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C3
Bewegungsförderung:
40
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Empfehlungsgrad 1, Evidenz-Kategorie A
41
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
1. Bartholomeyczik S. et al. Rahmenempfehlungen zum Umgang mit
herausfordernden Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären
Altershilfe, Bundesministerium für Gesundheit. 2006.
2. Feil N. Validation therapy. Geriatr Nurs 2004; 13: 129-133.
3. Richard N. Integrative Validation : Brücken bauen in der Welt dementiell
Erkrankter. Hannover: Vincentz Verlag 1999.
4. Van der Kooij C. Das mäeutische Pflegekonzept und die Einführung der
integrierten erlebnisorientierten Pflege in psychogeriatrischen Wohnbereichen.
Dissertation. Utrecht. Freie Universität Amsterdam 2003.
5. Livingston G, Johnston K, Katona C et al. Systematic review of psychological
approaches to the management of neuropsychiatric symptoms of dementia.
Am J Psychiatry 2005; 162: 1996-2021.
6. Neal M&Barton Wright P. Validation therapy for dementia. Cochrane Database
of Systematic Reviews Issue 3. Art.No. CD001394. doi: 10.1002/14651858.
CD001394, 2003.
7. Testad I, Corbett A, Aarsland D et al. The value of personalized psychosocial
interventions to address behavioral and psychological symptoms in people
with dementia living in care home settings : a systematic review. Int
Psychogeriatr 2014 ; 26 : 1083-1093.
8. Akhondzadeh S et al. Melissa officinalis extract in the treatment of patients
with mild to moderate Alzheimer’s disease: a double blind, randomized,
placebo controlled trial. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2003; 74: 863-886.
9. Ballard CG, O’Brien JT, Reichelt K et al. Aromatherapy as a safe and effective
treatment for the management of agitation in severe dementia: the results of a
double-blind, placebo-controlled trial with melissa. J Clin Psychiatry 2002; 63:
553-558.
10. Holmes C, Hopkins V, Hensford C et al. Lavender oil as a treatment for
agitated behaviour in severe dementia: a placebo controlled study. Int J
Geriatr Psychiatry 2002; 17: 305-308.
11. Smallwood J, Brown R, Coulter F et al. Aromatherapy and behaviour
disturbances in dementia: a randomized controlled trial. Int J Geriatr
Psychiatry 2001; 16: 1010-13.
12. Burns A, Byrne J, Ballard C et al. Sensory stimulation in dementia. BMJ 2002;
325: 1312-1313.
13. Thorgrimsen LM, Spector AE, Wiles A et al. Aroma therapy for dementia.
Cochrane Database of Systematic Reviews Issue 3. Art.No.: CD003150.
doi:10.1002/14651858.CD003150, 2003.
14. Hulme C, Wright J, Crocker T et al. Non-pharmacological approaches for
dementia that informal carers might try or access: a systematic review. Geriatr
Psychiatry 2010; 25: 756-763
15. Heyn P, Abreu BC, Ottenbacher KJ. The effects of exercise training on elderly
persons with cognitive impairment and dementia: a meta-analysis. Arch Phys
Med Rehabil 2004; 85: 1694-1704.
16. Cohen-Mansfield J. Nonpharmacologic interventions for inappropriate
behaviors in dementia: a review, summary, and critique. Am J Geriatr
Psychiatry 2001; 9:361-381.
17. Siders C, Nelson A, Brown LM et al. Evidence for implementing
nonpharmacological interventions for wandering. Rehabil Nurs 2004; 29: 195-
206.
42
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
43
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Kognition-stabilisierende Therapien
Kognitive Stimulation:
Eine gesamthafte Betrachtung von drei kleinen Studien, die für sich genommen keine
signifikanten Effekte zeigen und einer aktuellen randomisierten, kontrollierten Studie,
die an einer kleinen Zahl von Patienten einen signifikanten Effekt zeigt, spricht für die
kurzfristige Wirksamkeit der kognitiven Stimulation auf verschiedene
Verhaltenssymptome bei Demenzpatienten. Positive Effekte sind auch unter
Anwendung von kognitiver Stimulation als Teil eines aus verschiedenen
Komponenten bestehenden Behandlungsansatzes beobachtet worden. Nach einem
Jahr ist auch eine signifikante Stimmungsverbesserung eingetreten. Kognitive
Stimulation als Teil eines Behandlungsplans kann empfohlen werden.
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C3
Reminiszenztherapie:
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
Realitätsorientierungstherapie (ROT):
Empfehlungsgrad 5, Evidenz-Kategorie D
Selbsterhaltungstherapie:
44
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Patienten sind für die Intervention drei Wochen lang gemeinsam mit Angehörigen in
einer spezialisiert Einrichtung aufgenommen worden. Deshalb kann nicht
ausgeschlossen werden, dass die beobachtete Besserung auf Milieufaktoren
zurückzuführen ist. Die Datenlage ist für eine Empfehlung unzureichend.
Evidenz-Kategorie F
45
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
46
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Psychologisch-psychotherapeutische Verfahren:
Die Studie zeigte wie schwierig es ist, den Erfolg bzw. die Wirksamkeit von
Psychotherapie bei Demenz zu evaluieren: Skalen zeigen wenig aussagekräftige
Ergebnisse (Kognition, Verhalten, motorische Aktivität), dafür ergeben sich
Veränderungen in weniger messbaren Bereichen, wie der besseren Befindlichkeit
beim Patienten und Pflegenden. Für den Psychotherapeuten ist es wichtig dass die
Patienten die Probleme ausdrücken und mit diesen im Alltag umgehen können. Der
Psychotherapeut evaluiert vor allem die Art und Weise wie der der Patient mit seiner
Erkrankung umgeht und diese wahrnimmt. Gerade zu Beginn einer dementiellen
Erkrankung ist es wichtig ist auf einen verbalen Austausch Wert zu legen mit den
Zielen Ängste besser zu kontrollieren, Selbstwertgefühl zu erhalten und die Kognition
anzuregen.
47
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Die klinische Erfahrung zeigt, dass die verbale Kommunikation - der Dialog mit dem
Psychotherapeuten - dem Patienten die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken und sich
Gehör zu verschaffen. Durch die Psychotherapie ist es möglich eine Beziehung nach
Aussen aufzubauen und mit sich selbst im Dialog zu bleiben (3). Diese Verbindung
zu sich und zum anderen kann zum Wohlbefinden des Patienten beitragen.
48
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Das Verhaltensmanagement als Methode hat einen lang anhaltenden Effekt auf
Symptome wie Depression, Aggression, Agitation und Aktivitäten des täglichen
Lebens wie z.B. Nahrungsaufnahme und Ankleiden wenn ein individualisierter
Ansatz mit Einbezug der Angehörigen und Betreuer befolgt wird (5). Massnahmen
wie Stimuluskontrolle (z.B. Reizabschirmung, Vermeiden von Kritik, Ablenkung,
routinierter Tagesablauf), Beratung von Angehörigen und Betreuer mit Vermittlung
von Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Patienten, Operantes Konditionieren
(Lob), Information über vorhandene Unterstützungsmöglichkeiten im Alltag und
medizinische Abklärung zur Behandlung von Komorbiditäten, die die
Selbstständigkeit der Patienten beeinträchtigen, gehören zum
Verhaltensmanagement und müssen kombiniert eingesetzt werden.
Kognitive Therapie wird in erster Linie bei Patienten mit einer Demenz und
Depression eingesetzt (14). Das Ziel dieser psychotherapeutischen Intervention ist
dysfunktionelle Gedanken von ihrem negativen Kontext zu befreien und mit
funktionellen, positiven Gedanken zu ersetzen. Listen von Gedanken werden
gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet und mit dem Betreuer als Coach eingeübt.
Bei Depression im Rahmen einer Demenz-Erkrankung sind behaviorale
Interventionen wirksam (15). Dieses Therapieverfahren stellt die angenehmen
Erfahrungen, Erlebnisse des Patienten und die Problemlösungsstrategien der
Angehörigen in den Mittelpunkt. Bei Patienten mit leicht bis mittel schweren Demenz-
Erkrankungen scheinen Multikomponenten-Programme mit kognitiv-behavioralen
Interventionen erfolgreich zu sein. Bisher sind nur Fallstudien zu diesen Techniken
vorhanden: ein psychotherapeutisches Programm, welches Psychoedukation mit
kognitiver Umstrukturierung, Aufbau angenehmer Aktivitäten und Verbesserung der
sozialen Beziehungen verbindet, erreichte positive Wirkung auf kognitive
Funktionalität und emotionalen Stress (16). Ein anderes Verfahren, welches
Elemente der Selbsterhaltungstherapie einsetzt und die Betreuer mit
Psychoedukation, positiven Aktivitäten, Lebensrückblick und Interventionen für
Angehörige mitbehandelt, zeigte gute Resultate für Depression bei Patienten und
Angehörigen (17).
Empfehlungsgrad 1, Evidenz-Kategorie A
49
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
8.Bird M, Alexopoulos P, Adamowicz J. Success and failure in five case studie : use
of cued recall to ameliorate behavior problems in senile dementia. Int J Geriatr
Psychiatry, 1995 ; 10 : 305-311.
14.Scholey KA, Woods BT. A series of brief cognitive therapy interventions with
people experiencing both dementia and depression : a description of techniques and
common themes. Clin Psychol Psychiatry, 2003 ; 10 : 175-185.
51
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Spezialtherapeutische Angebote:
Musiktherapie:
Der Einsatz von Musik ist ein von Patienten sehr geschätztes Therapieangebot.
Patienten können einer Musik zuhören, selber Instrumente spielen oder in Gruppe
musizieren. Die Wirkung von bekannter und biografisch relevanter Musik scheint
besser zu sein. Von insgesamt 24 Studien mit Musiktherapie sind sieben kontrollierte
Studien (1-3). Es wurden signifikante Effekte auf Agitation festgestellt. In einer Studie
in Kombination mit Massage war die Therapie auch nach der Sitzung anhaltend
wirksam. Vor allem individualisierte Einzelsitzungen scheinen wirksam zu sein und
nachhaltig zu wirken.
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
Referenzen:
1. Livingston G, Johnston K, Katona C et al. Systematic review of psychological
approaches to the management of neuropsychiatric symptoms of dementia.
Am J Psychiatry 2005; 162: 1996-2021.
2. Hulme C, Wright J, Crocker T et al. Non-pharmacological approaches for
dementia that informal carers might try or access: a systematic review. Geriatr
Psychiatry 2010; 25: 756-763.
3. Testad I, Corbett A, Aarsland D et al. The value of personalized psychosocial
interventions to address behavioral and psychological symptoms in people
with dementia living in care home settings : a systematic review. Int
Psychogeriatr 2014 ; 26 : 1083-1093.
Aktivierungstherapie:
Empfehlungsgrad 5, Evidenz-Kategorie D
Referenzen:
1. Hüll M, Voigt-Radloff S. Nichtpharmakologische Behandlungsmethoden bei
Demenzen. Der Nervenarzt 2008; Suppl 3: 159-166.
2. Rieckmann N, Schwarzbach C, Nocon M et al. Concepts of care for people with
dementia. GMS Health Technol Assess 2008; 4: 1-9.
52
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Pharmakologische Therapien
Besonderheiten bei Einsatz von Psychopharmaka bei Patienten mit einer Demenz-
Erkrankung:
53
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
54
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
55
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Antidementiva
Cholinesterasehemmer:
Die meisten Daten zur Behandlung von BPSD stammen von Donepezil (1-4), wo sich
in Interventions- und placebo-kontrollierten randomisierten Absetzungsstudien
insbesondere NPI-Domänen wie Apathie, Depression, Angespanntheit und Irritabilität
signifikant verbesserten. Ähnliche Daten liegen auch für Galantamin (5) und
Rivastigmin (6) vor. Die Behandlung von Agitation bei Alzheimererkrankung mit
Donepezil erwies sich als unwirksam (7). In einer für Cholinesterasehemmer
erstellten Metaanalyse wurde ein bescheidener BPSD-Therapieeffekt bei leichter bis
mittelschwerer Demenzerkrankung vom Alzheimertyp gefunden (8).
Memantin:
Empfehlungsgrad 2, Evidenz-Kategorie A
56
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
57
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Antidepressiva
Trizyklische Antidepressiva:
Empfehlungsgrad 5, Evidenz-Kategorie D
SEM: Der Einsatz von Trizyklischen Antidepresiva wird aufgrund von anticholinergen
Nebenwirkungen nicht empfohlen
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI):
Bei den neueren Antidepressiva wurden vor allem SSRI‘s untersucht. Eine Studie mit
Sertralin und eine Studie mit Citalopram zeigten signifikante Verbesserungen
depressiver Symptomatik im Vergleich zu Placebo (Nyth et al 1992; Lyketsos et al
2003), während eine Studie mit Fluoxetin und eine andere Studie mit Sertralin keine
Signifikanz aufwies (Petracca 2001, Magai 2000). Neuere Studien mit Sertralin
zeigten keine signifikante Besserung im Vergleich zu Placebo (Rosenberg et al 2010
und Banerjee S et al 2011). Eine grössere doppelblinde randomisierte
placebokontrollierte Studie bei 128 Patienten mit einem dementiellen Syndrom,
welche ein SSRI für mindestens 3 Monate aufgrund einer depressiven Verstimmung
58
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
erhielten, zeigte, dass das Absetzen der Antidepressiva eine signifikante Zunahme
der depressiver Symptomatik bewirkte (Bergh S et al 2012). Dies deutet darauf hin,
dass die Gabe von SSRI‘s bei adäquater Indikation einen Benefit bringen kann.
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
MAO-Hemmer:
Diverse:
Andere Indikationen:
Neben der Indikation für Depression bei Demenz wurden Antidepressiva auch in
einigen Untersuchungen für die Zielsymptome Agitation und Psychose im Rahmen
der Demenz untersucht. In einer aktuellen Analyse wurden neun Studien
eingeschlossen, in denen entweder SSRI’s mit Placebo resp. SSRI’s mit
Antipsychotika verglichen wurden. Nur die SSRI’s Sertralin und Citalopram waren im
Vergleich zu Placebo mit einer leichten und signifikanten Reduktion der Symptome
„Agitation und Psychose“ assoziiert (Seitz et al. 2011). Generell ist die Datenlage für
diese Indikation zu dünn, um eine generelle Empfehlung auszusprechen.
Empfehlungsgrad 5, Evidenz-Kategorie D
59
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
Nyth AL, Gottfries CG, Lyby K et al. A controlled multicenter clinical study of
citalopram and placebo in elderly depressed patients with without concomitant
dementia. Acta Psychiatr Scand 1992;86:138-145.
60
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Seitz DP, Adunuri N, Gill SS, Gruneir A, Herrmann N, Rochon P. Antidepressants for
agitation and psychosis in dementia. Cochrane Database of Systematic Reviews
2011, Issue 2. Art. No.: CD008191.
Steffens DC, Fisher GG, Langa KM et al. Prevalence of depression among older
Americans: The Aging, Demographics and Memory Study. Int. Psychogeriatr
2009;21:879-888.
von Asch IFM, Nuyen J, Veerbeek MA, Frijters DHM, Achterberg WP and Pot AM.
The diagnoses of depression and use of antidepressants in nursing home residents
with and wihout dementia. 2012: DOI:10.1002/gps.3830
61
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Antikonvulsiva/Phasenprophylaktika
Carbamazepin:
Die Gabe von Carbamazepin bei älteren dementen Patienten ist eine Off-label-
Behandlung. Die Indikation ist nur für Epilepsie gegeben. Obwohl die Studien eine
gute Wirksamkeit zeigen limitieren mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen von
Carbamazepin den Einsatz bei älteren Menschen: Sedation, Schwindel und
Muskelschwäche sind oft vorhanden und können zu Stürzen führen.
Gastrointestinale Störungen wie Nausea und Erbrechen werden oft beobachtet. Sehr
häufige Gamma-GT-Erhöhungen machen regelmässige Laborkontrollen notwendig.
Carbamazepin kann die Kognition beeinträchtigen und allergische Hautreaktionen
verursachen. Selten können kardiale Überleitungsstörungen auftreten.
Medikamenteninteraktionen von Carbamazepin sind vielfältig und erschweren die
Kombination mit anderen Substanzen.
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
SEM: Carbamazepin wird nicht als Therapie der ersten und zweiten Wahl empfohlen
Valproat:
Auf der Basis von Fallberichten und unkontrollierten Studien wurde Valproat
ursprünglich zur Behandlung von BPSD bei der AD empfohlen (10). Aber die
Plazebo-kontrollierten Studien zeigen keine Wirksamkeit und eine sehr hohe
Nebenwirkungsrate (2, 11-17). Vor allem Somnolenz, Gangstörung, Tremor, Diarrhoe
und Schwäche sind schwer beeinträchtigende Folgen der Valproat-Therapie mit
vermehrter Sturztendenz. Die langfristige Gabe von Valproat kann sogar zur
Hirnabbau und Verschlechterung der Kognition führen (18). Der Einsatz von Valproat
bei dementen Patienten ist eine Off-label-Behandlung.
Gabapentin:
62
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C1
Lamotrigin:
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C1
Lithium:
Einige Fallserien beschreiben den Einsatz von Lithium bei BPSD (2). Eine Studie
berichtet Wirksamkeit aber zwei weitere Studien konnten keine Wirksamkeit
nachweisen. Verwirrtheit und Ataxie sind oft beobachtete Nebenwirkungen. Ältere
Patienten haben aufgrund der verminderten Nierenfunktion vermehrt das Risiko einer
Lithium-Intoxikation. Der Einsatz ist bei sehr limitierten Evidenz-Lage und hohem
Risiko nicht gerechtfertigt.
Topimarat:
63
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
64
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
65
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Antipsychotika
66
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Patienten, die von der Behandlung mit Antipsychotika deutlich profitierten, nach dem
Absetzen häufiger neuropsychiatrische Störungen auftraten [27].
Die bestehenden Risiken und die erhöhten Mortalitätsraten unter der Behandlung mit
Antipsychotika sind bei der Erstellung eines individuellen Therapieplans und der
Entscheidung über den Einsatz und die Auswahl dieser Mittel zu berücksichtigen.
Wenn eine Behandlung eingeleitet wird, soll sie mit der geringstmöglichen Dosis,
unter engmaschiger Kontrolle und limitiert auf einen möglichst kurzen Zeitraum
erfolgen.
SEM: Der Einsatz aller Neuroleptika muss regelmäßig, spätestens alle 6 Wochen
reevaluiert und die Indikation überprüft werden!
Typische Antipsychotika:
Unter Berücksichtigung dieser und weiterer Risiken (siehe oben) kann eine
Behandlung mit Haloperidol (0,5-2mg) bei Aggressivität und psychotischen
Symptomen erwogen werden.
Empfehlungsgrad 2, Evidenz-Kategorie A
SEM: Haloperidol darf nur unter strenger Indikationsstellung und niedrig dosiert in der
Akutbehandlung der Aggressivität und psychotischer Symptomatik, und bei
Übergängen zum Delir eingesetzt werden.
Für die Wirksamkeit weiterer Antipsychotika, wie zum Beispiel Pipamperon, die
häufig wegen ihrer sedierender Wirkung bei Patienten mit Demenz eingesetzt
werden, gibt es keine ausreichende Evidenz. Aber gerade Pipamperon wird in
alltäglicher Praxis oft eingesetzt und es besteht gute klinische Erfahrung.
67
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C3
Atypische Antipsychotika:
Empfehlungsgrad 2 , Evidenz-Kategorie A
Alternativ kann eine zeitlich limitierte Behandlung mit Aripiprazol erwogen werden.
Aripiprazol hat für diese Indikationen keine Zulassung, die Behandlung erfolgt off-
label.
Empfehlungsgrad 3 , Evidenz-Kategorie B
68
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Für Quetiapin besteht bisher wenig Evidenz aber die Substanz wird oft eingesetzt
und es besteht gute klinische Erfahrung.
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C3
SEM: Quetiapin kann unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen und der Vorgaben
für Off-label-Einsatz eingesetzt werden.
69
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
70
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
17. Lopez, O.L., et al., The long-term effects of conventional and atypical
antipsychotics in patients with probable Alzheimer's disease. Am J Psychiatry,
2013. 170(9): p. 1051-8.
18. Schneider, L.S., et al., Effectiveness of atypical antipsychotic drugs in patients
with Alzheimer's disease. N Engl J Med, 2006. 355(15): p. 1525-38.
19. Wang, P.S., et al., Risk of death in elderly users of conventional vs. atypical
antipsychotic medications. N Engl J Med, 2005. 353(22): p. 2335-41.
20. Schneeweiss, S., et al., Risk of death associated with the use of conventional
versus atypical antipsychotic drugs among elderly patients. CMAJ, 2007.
176(5): p. 627-32.
21. Gill, S.S., et al., Antipsychotic drug use and mortality in older adults with
dementia. Ann Intern Med, 2007. 146(11): p. 775-86.
22. Rochon, P.A., et al., Antipsychotic therapy and short-term serious events in
older adults with dementia. Arch Intern Med, 2008. 168(10): p. 1090-6.
23. Ballard, C., et al., The dementia antipsychotic withdrawal trial (DART-AD):
long-term follow-up of a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol,
2009. 8(2): p. 151-7.
24. Liperoti, R., et al., All-cause mortality associated with atypical and
conventional antipsychotics among nursing home residents with dementia: a
retrospective cohort study. J Clin Psychiatry, 2009. 70(10): p. 1340-7.
25. Kales, H.C., et al., Risk of mortality among individual antipsychotics in patients
with dementia. Am J Psychiatry, 2012. 169(1): p. 71-9.
26. Huybrechts, K.F., et al., Differential risk of death in older residents in nursing
homes prescribed specific antipsychotic drugs: population based cohort study.
BMJ, 2012. 344: p. e977.
27. Declercq, T., et al., Withdrawal versus continuation of chronic antipsychotic
drugs for behavioural and psychological symptoms in older people with
dementia. Cochrane Database Syst Rev, 2013. 3: p. Cd007726.
28. Schneider, L.S., V.E. Pollock, and S.A. Lyness, A metaanalysis of controlled
trials of neuroleptic treatment in dementia. J Am Geriatr Soc, 1990. 38(5): p.
553-63.
29. Devanand, D.P., et al., A randomized, placebo-controlled dose-comparison
trial of haloperidol for psychosis and disruptive behaviors in Alzheimer's
disease. Am J Psychiatry, 1998. 155(11): p. 1512-20.
30. Lonergan, E., J. Luxenberg, and J. Colford, Haloperidol for agitation in
dementia. Cochrane Database Syst Rev, 2002(2): p. CD002852.
31. Devanand, D.P., et al., A 6-month, randomized, double-blind, placebo-
controlled pilot discontinuation trial following response to haloperidol treatment
of psychosis and agitation in Alzheimer's disease. Int J Geriatr Psychiatry,
2011. 26(9): p. 937-43.
32. Ballard, C. and J. Waite, The effectiveness of atypical antipsychotics for the
treatment of aggression and psychosis in Alzheimer's disease. Cochrane
Database Syst Rev, 2006(1): p. CD003476.
33. Mohamed, S., et al., Effect of second-generation antipsychotics on caregiver
burden in Alzheimer's disease. J Clin Psychiatry, 2012. 73(1): p. 121-8.
34. De Deyn, P.P., et al., A randomized trial of risperidone, placebo, and
haloperidol for behavioral symptoms of dementia. Neurology, 1999. 53(5): p.
946-55.
71
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
72
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Benzodiazepine/Hypnotika
Benzodiazepine:
Kurz wirksame Benzodiazepine werden nur bei Notfällen und zeitlich limitiert
empfohlen. Sonst dürfen Benzodiazepine aufgrund ihrer hohen
Nebenwirkunspotential nicht eingesetzt werden.
73
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C3
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C3
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
74
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Chloralhydrat:
Diphenhydramin, Doxylamin:
Chlormethiazol:
Phytotherapeutika / Baldrian:
75
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
Ballard C, Howard R (2006) Neuroleptic drugs in dementia: benefits and harm. Nat
Rev Neurosci 7:492–500
Bent S, Padula A, Moore D et al. (2006) Valerian for sleep: a systematic review and
meta-analysis. Am J Med 119:1005–1012
Bliwise DL. Sleep disorders in Alzheimer's disease and other dementias. Clin
Cornerstone. 2004;6 Suppl 1A:S16-28.
Cardinali DP, Brusco LI, Liberczuk C, Furio AM. The use of melatonin in Alzheimer's
disease. Neuro Endocrinol Lett. 2002 Apr;23 Suppl 1:20-3.
Foley DJ, Monjan AA, Brown SL, et al. Sleep complaints among elderly persons: an
epidemiologic study of three communities. Sleep 1995;18: 425-432
Krystal AD, Erman M, Zammit GK et al. (2008) Longterm efficacy and safety of
zolpidem extended-release
12,5 mg, administered 3 to 7 nights per week for 24 weeks, in patients with chronic
primary insomnia:
A 6-month, randomized, double-blind, placebo-controlled, parallel-group, multicenter
study. Sleep 31:79–90
Krystal AD, Walsh JK, Laska E et al. (2003) Sustained efficacy of eszopiclon over 6
months of nightly treatment:
76
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Mead MG, Castleden CM. Confusion and hypnotics in demented patients. J R Coll
Gen Pract. 1982 Dec;32(245):763-5
Sack RL, Auckley D, Auger RR et al. (2007b) Circadian rhythm sleep disorders: Part
II, Advanced sleep phase disorder, delayed sleep phase disorder, freerunning
disorder, and irregular sleep-wake rhythm. Sleep 30:1484–1501
Taibi DM, Landis CA, Petry H, Vitiello MV (2007) A systematic review of valerian as
a sleep aid: safe but not effective. Sleep Med Rev 11:209–232
Wade AG, Ford I, Crawford G, McMahon AD, Nir T, Laudon M, Zisapel N., Efficacy
of prolonged release melatonin in insomnia patients aged 55-80 years: quality of
sleep and next-day alertness outcomes. Curr Med Res Opin. 2007 Oct;23(10):2597-
605.
Wiegand MH. [Drug treatment of sleep disorders in the elderly]. Internist (Berl). 2003
Sep;44(9):1187-92
77
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Andere Substanzen:
Analgetika:
Schmerzen können zu BPSD beitragen. Bei der Suche nach Ursachen für BPSD soll
auch nach Schmerzen gefahndet werden. Die Datenlage zu einer günstigen
Beeinflussung von BPSD, insbesondere von Agitation durch den Einsatz von
Analgetika ist inkonsistent. Es sind mehrere randomisierte, kontrollierte Studien zu
Behandlungen mit Einzelsubstanzen (Paracetamol, Opioide) oder mit verschiedenen
Wirkstoffen in Stufenschemata durchgeführt worden. Neben Studien, die für eine
günstige Beeinflussung von agitierten Verhaltenssymptomen sprechen, können
andere Untersuchungen einen solchen Effekt nicht zeigen. Viele Analgetika haben
dämpfende und anxiolytische Nebenwirkungen. Es ist unklar ob die beobachteten
positiven Effekte auf Agitation alleine auf analgetische oder auch auf andere
psychotrope Effekte der verwendeten Analgetika zurückzuführen sind. Umgekehrt
können andere Substanzen wie Antidepressiva, Neuroleptika und Antiepileptika
analgetische oder koanalgetische Eigenschaften haben, die auch zu deren Wirkung
auf BPSD beitragen können. Schmerzen sollen bei Demenzpatienten gezielt und
suffizient behandelt werden. Bei fehlenden konkreten Hinweisen auf das
Vorhandensein von Schmerzen kann ein probatorischer Einsatz von Analgetika unter
sorgfältiger Risikoabwägung sinnvoll sein. Ein systematischer Einsatz im Zuge von
Behandlungsalgorithmen wird durch die aktuelle Datenlage noch nicht ausreichend
gestützt.
Empfehlungsgrad 5, Evidenz-Kategorie D
Referenzen:
Ginkgo biloba:
78
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Score unter Behandlung mit dem standardisierten Ginkgo biloba Extrakt EGb 761.
Diese Resultate wurden auch in einer Meta-Analyse der kontrollierten Studien
bestätigt. Vor allem positive Einflüsse auf Angst, Reizbarkeit, Apathie und
Depression sind beobachtet worden. Verbesserung des Stresses der Betreuer war
eine begleitende Wirkung der Therapie. Der Einsatz von EGb 761 zur Behandlung
von BPSD kann empfohlen werden.
Empfehlungsgrad 2, Evidenz-Kategorie A
Referenzen:
1. Bachinskaya N, Hoerr R, Ihl R. Alleviating neuropsychiatric symptoms in
dementia: the effects of Ginkgo biloba extract EGb 761. Findings from a
randomized controlled trial. Neuropsychiatr Dis Treat. 2011; 7: 209-215.
2. Gavrilova SI, Preuss UW, Wong JW et al. Efficacy and safety of Ginkgo biloba
extract EGb 761® in mild cognitive impairment with neuropsychiatric
symptoms: a randomized, placebo-controlled, double-blind, multi-center trial.
Int J Geriatr Psychiatry 2014; 29: 1087-1095.
3. Herrschaft H, Nacu A, Likhachev S et al. Ginkgo biloba extract EGb 761® in
dementia with neuropsychiatric features: a randomised, placebo-controlled
trial to confirm the efficacy and safety of a daily dose of 240 mg. J Psychiatr
Res 2012; 46: 716-723.
4. Ihl R. Effects of Ginkgo biloba extract EGb 761® in dementia with
neuropsychiatric features : review of recently completed randomised,
controleld trials. Int J Psychiatry Clin Pract 2013; 17(Suppl 1): 8-14.
5. Ihl R, Bachinskaya N, Korczyn AD et al. Efficacy and safety of a once-daily
formulation of Ginkgo biloba extract EGb 761 in dementia with
neuropsychiatric features: a randomized controlled trial. Int J Geriatr
Psychiatry 2010 ; 26 : 1186-94.
6. Napryeyenko O, Sonnik G, Tartakovsky I. Efficacy and tolerability of Ginkgo
biloba extract EGb 761 by type of dementia: analyses of a randomised
controlled trial. Int J Neurol Sci 2009; 283: 224-229.
7. Perry E, Howes MJR. Medicinal Plants and Dementia Therapy: Herbal Hopes
for Brain Aging? CNS Neurosci Ther. 2011; 17: 683-698.
8. Scripnikov A, Khomenko A, Napryeyenko O; GINDEM-NP Study Group.Effects
of Ginkgo biloba extract EGb 761 on neuropsychiatric symptoms of dementia:
findings from a randomised controlled trial. Wien Med Wochenschr. 2007; 157:
295-300.
9. Yancheva S, Ihl R, Nikolova G et al Ginkgo biloba extract EGb 761®,
donepezil or both combined in the treatment of Alzheimer’s disease with
neuropsychiatric features: A randomized, double-blind, exploratory trial. Aging
Ment Helath 2009; 13: 183-190.
79
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Vaskuläre Demenz:
Vaskuläre Demenz (VaD) ist definiert als eine kognitive Störung infolge von
ischämischen oder hämorrhagischen Hirnläsionen (1, 2). In der strukturellen
neuroradiologischen Unterschung finden sich ausgesprägte mikro- oder
makrovaskuläre Läsionen. Risikofaktoren sind Geschlecht, hohes Alter, niedriges
Bildungsniveau, vorbestehende oder familiäre Demenz-Erkrankungen und
kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes, Vorhofflimmern, Hypertonie,
Dyslipidämie, sowie eine Anamnese mit St. nach CVI, TIA Das kognitive
Ausfallsmuster ist sehr heterogen abhängig von der Lokalisation der vaskulären
Läsionen. Dysexektive Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Denkstörungen,
Störungen des Verhaltens und der Emotionensregulation sind häufig (2, 3). Die
Heterogenität des klinischen Bildes und der Läsionen erschwert eine gezielte
Therapie der Begleitsymptome der VaD.
Empfehlungsgrad 4, Evidenz-Kategorie C
Neuroleptika: Aufgrund vom erhöhten Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse (9), der
schnelleren Krankheitsprogresion und der erhöhten Mortalität (10) wird der Einsatz
dieser Medikamente bei VaD als Therapie der ersten Wahl nicht empfohlen.
Der Einsatz der Neuroleptika wird nur bei genauer Indikationsstellung empfohlen.
80
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
Demenz mit Lewy-Körperchen:
Demenz mit Lewy-Körperchen (DLB) ist eine fortschreitende kognitive Störung mit
ausgeprägten Fluktuationen der kognitiven Störungen, visuellen Halluzinationen und
motorischen Symptomen wie z.B. Rigor, Bradykinese und Hypophonie. Klinisch,
neuroradiologisch und neuropathologisch sind die DLB und die Parkinson Demenz
sehr ähnliche Syndrome und in klinischen Studien sind oft beide
Patientenpopulationen eingeschlossen, was eine Unterscheidung der Wirksamkeit
betreffend Diagnosekategorie schwierig macht. Obwohl Begleitsymptome wie
Halluzinationen im Vordergrund stehen, besteht wegen neuroleptischer Sensitiviät
eine relative Kontraindikation für den Einsatz derselben (12). Es sind einige
Fallstudien zum niedrig dosierten Einsatz von Clozapin und zu Quetiapin gegen
Psychose bei DLB vorhanden, doch die Evidenz betreffend Wirksamkeit ist
unkonklusiv, aber es besteht für diese Substanzen gewisse klinische Erfahrung.
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
SEM: Memantin kann als Medikament der dritten Wahl bei DLB empfohlen werden
Parkinson Demenz:
81
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie B
SEM: Der Einsatz von Antidementiva bei Demenz bei M.Parkinson ist eine off-label
Anwendung
82
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
83
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
84
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Die Studienlage für die Behandlung der FTD ist nicht eindeutig. Die Fallzahlen sind
meist klein, viele Studien sind Einzelfall- oder unkontrollierte Studien. Ebenfalls sind
die Studien schwierig zu vergleichen, da sehr unterschiedliche Outcome Variablen
verwendet wurden. Eine krankheitsspezifische Therapie besteht bis heute nicht. Die
Studien, welche die für die AD wirksamen Antidementiva bei Patienten mit FTD
getestet haben, ergaben weitgehend negative oder widersprüchliche Resultate. So
konnte etwa die kürzlich erschienene doppelblinde Plazebo kontrollieren Studie an
81 FTD Patienten von Boxer und Kollegen (Boxer et al., 2012) keinen signifikanten
Effekt einer 26 wöchigen Behandlung mit Memantin auf den NPI oder den CGIC
zeigen. Ähnliche negative Resultate einer Memantin-Behandlung bei 49 FTD
Patienten fand eine Studie von Vercelletto et al (2011). Die Resultate der Studien,
welche den Einsatz von Cholinesterase-Hemmern geprüft haben, sind ebenfalls
wenig überzeugend: Kertesz et al. (2008) hat in seinen 66 Patienten mit FTD
(Verhaltensvariante oder primäre progressive Aphasie) keine signifikante
Verbesserung unter Galantamin gefunden, jedoch einen Trend bei den Patienten mit
primärer progressiver Aphasie.
Moretti et al. (2004) behandelte in einer open-label Studie Patienten mit FTD über 12
Monate mit Rivastigmin oder Antipsychotika, Benzodiazepine und Seleginin
(Kontrollgruppe). Sie fanden nach 12 Monaten eine Verbesserung im NPI und in der
Behavioral Pathology in Alzheimer's Disease Rating Scale. Die kognitive
Verschlechterung, gemessen mit dem MMSE, konnte allerdings nicht beeinflusst
werden. Im Gegensatz dazu haben Mendez et al. (2007) eine Verschlechterung des
Verhaltens unter Donezepil gefunden. Allerdings waren nur 12 Patienten in der
Studie eingeschlossen, die über 6 Monate Donezepil erhielten. Im Vergleich zu 12
Kontrollpatienten zeigte sich bei 4 Patienten in der Behandlungsgruppe eine
Verschlechterung auf Verhaltensebene welche auch zum Abbruch der Therapie
führte.
Eine bessere Evidenz für eine effektive Intervention bei FTD kommt vom Einsatz von
Antidepressiva. Verschiedene Substanzen wurden getestet: Trazodon (Adler et al.
2003; Lebert et al. 2004), Paroxetin (Moretti et al. 2003; Deakin et al. 2004), Sertalin
(Prodan et al. 2009). Diese Studien konnten signifikante (wenn auch in
unterschiedlichem Masse) Verbesserungen im NPI, aber auch bezüglich Depression,
Agitation und Aggressivität bei FTD Patienten zeigen. In keiner dieser Studie wird
von einer Verschlechterung der Verhaltensauffälligkeiten oder der psychiatrischen
Symptome als Konsequenz der antidepressiven Therapie berichtet. Einzig die Studie
von Deakin et al. (2004) hat eine Verschlechterung der Kognition unter Paroxetin
beschrieben. Andere hingegen (Adler et al. 2003; Moretti et al. 2002) haben eine
Verbesserung kognitiver Funktionen unter Therapie mit Antidepressiva gefunden.
Antipsychotika wurden auch in verschieden Studien eingesetzt. Eine open-label
Studie mit Olanzapin (Moretti et al. 2003) hat eine Verbesserung der
Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Eine Einzelfallstudie hat dies auch für Risperdon
gezeigt (Curtis et al. 2000). Allerdings scheinen FTD sehr empfindlich auf diese
Medikamente mit einem hohen Prozentsatz von extrapyramidalen motorischen
Nebenwirkungen zu reagieren (Pijnenburg et al. 2003; Czarnecki et al. 2008). Weiter
haben Studien ein erhöhtes Mortalitätsrisiko unter atypischen Antipsychotika (aber
auch klassische Substanzen wie Haloperidol oder Thioridazin) bei Patienten mit
85
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Bei Patienten mit FTD steht die symptomatische Therapie und die
nichtpharmakologischen Interventionen im Vordergrund.
86
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
Curtis RC, Resch DS (2000) Case of pick’s central lobar atrophy with apparent
stabilization of cognitive decline after treatment with risperidone. J Clin
Psychopharmacol. 20(3):384–385.
Deakin JB, Rahman S, Nestor PJ, Hodges JR, Sahakian BJ (2004) Paroxetine does
not improve symptoms and impairs cognition in frontotemporal dementia: a double-
blind randomized controlled trial. Psychopharmacology. 172: 400–408.
87
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Pijnenburg YA, Sampson EL, Harvey RJ, Fox NC, Rossor MN (2003) Vulnerability to
neuroleptic side effects in frontotemporal lobar degeneration. Int J Geriatr Psychiatry.
18:67–72.
88
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Biologische Therapien
Lichttherapie:
Der Einsatz der Lichttherapie bei Patienten mit Demenz zielt primär auf die
Behandlung von Störungen des Schlafs, der Tagesmüdigkeit und des cirkadianen
Rhythmus ab. Hierzu liegt eine grosse Zahl an Studien, vorwiegend bei Patienten mit
Alzheimer Demenz vor (Zhou et al. 2012). Die Mehrzahl der Studien zeigen
Verbesserungen in den Zielparametern Verbesserung des Schlafs sowie der Aktivität
des cirkadianen Rhythmus (Zhou et al 2012, Cardinali et al 2011). Es liegen aber
auch zwei neuere Studien, die an einer grossen Patientenzahl durchgeführt wurden,
mit negativem Ergebnis vor (Harper et al 2001, Volicer et al 2001).
Die Gründe für die z.T. unterschiedlichen Resultate, wie auch die negativen
Resultate der genannten Studien liegen in unterschiedlichen Studiendesigns,
insbesondere in unterschiedlicher Anwendung der Lichttherapie (Lichttherapie -
morgens vs. mittags oder abends, unterschiedliche Lichtintensitäten,
unterschiedliche Vergleichsgruppen). Eine task force der amerikanischen
Gesellschaft für Schlafmedizin (American Academy of Sleep Medicine) hat praktische
Therapieempfehlungen für die Anwendung der Lichttherapie bei Patienten mit
Demenz verfasst (Sack et al 2007, Morgenthaler et al 2007). Diese basieren auf
neun grossen Studien mit positiven Effekten, die in Altenheimen durchgeführt wurden.
Die Patientenpopulation bestand in der Mehrzahl aus Patienten mit Demenz.
In diesen Studien wurden primär Verbesserungen einzelner Schlafparameter
(Einschlafzeit, bessere Schlafeffizienz, weniger nächtliche Wachphasen) gefunden,
z.T. auch eine höhere Tagesaktivität mit weniger Tagesschläfrigkeit (Napping) und
ruhigerer Nacht (Zhou et al 2012).
Anhand der vorliegenden Studien kann kein Zeitpunkt der Lichtgabe bei Patienten
mit Demenz favorisiert werden. Sowohl morgendliche wie auch abendliche
Applikation können als wirksam angesehen werden, so dass am ehesten beide
Applikationen am Tag oder von der Raumdecke ausstrahlendes Licht tagsüber
empfohlen werden können. Dies wird durch eine Studie belegt, in der sowohl
morgendliches Licht, wei auch Licht aus einer Deckenbestrahlung über den ganzen
Tag zu signifkanten Schlafverbesserungen bei Heimbewohnern (meist mit Demenz)
führten (Sloan et al 2007).
89
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
90
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
Cardinali DP, Furio AM, Brusco LI. The use of chronobiotics in the resynchronization
of the sleep/wake cycle. Therapeutical application in the early phases of Alzheimer's
disease. Recent Pat Endocr Metab Immune Drug Discov. 2011 May;5(2):80-90.
de Lek RF Riemersma-van, Swaab DF, Twisk J, et al. Effect of bright light and
melatonin on cognitive and noncognitive function in elderly residents of group care
facilities: a randomized controlled trial. JAMA. 2008;299(22):2642–55
Harper DG, Stopa EG, McKee AC, et al. Differential circadian rhythm disturbances in
men with Alzheimer disease and frontotemporal degeneration. Arch Gen Psychiatry.
2001;58(4):353–60.
Morgenthaler TI, Lee-Chiong T, Alessi C, et al. Practice parameters for the clinical
evaluation and treatment of circadian rhythm sleep disorders. An American Academy
of Sleep Medicine report. Sleep. 2007;30(11):1445–59.
Sack RL, Auckley D, Auger RR, et al. Circadian rhythm sleep disorders: part II,
advanced sleep phase disorder, delayed sleep phase disorder, free-running disorder,
and irregular sleep-wake rhythm. An American academy of sleep medicine review.
Sleep. 2007;30(11):1484–501.
Sloane PD, Williams CS, Mitchell CM, et al. High-intensity environmental light in
dementia: effect on sleep and activity. J Am Geriatr Soc. 2007;55(10):1524–33.
Volicer L, Harper DG, Manning BC, Goldstein R, Satlin A. Sundowning and circadian
rhythms in Alzheimer’s disease. Am J Psychiatry. 2001;158(5):704–11.
91
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Zhou QP, Jung L, Richards KC. The management of sleep and circadian disturbance
in patients with dementia. Curr Neurol Neurosci Rep. 2012 Apr;12(2):193-204.
92
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Schlafentzug -Wachtherapie:
Schlafentzug oder Wachtherapie (gesamte Nacht, erste oder zweite Nachthälfte) ist
bei Patienten mit Depression eine gut wirksame, nebenwirkungsarme Behandlung,
deren Effekt bei ca. 60% der Patienten rasch einsetzt (Hemmeter et al 2010,
Benedetti & Colombo 2011). Während für Patienten mit Altersdepression Studien
vorliegen, die eine antidepressive Wirksamkeit auch im Alter zeigen (Hernandez et al
2000), wurden keine Wirksamkeitsstudien zu Schlafentzug bei Patienten mit primärer
Demenz und sekundär depressivem Syndrom durchgeführt.
93
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
Delva NJ, Woo M, Southmayd SE, Hawken ER. Myocardial Infarction during sleep
deprivation in a patient with dextrocardia-a case report. Anglology (2001);52:83-6.
Reynolds CF 3rd.The clinical response to total sleep deprivation and recovery sleep
in geriatric depression: potential indicators of antidepressant treatment
outcome.Psychiatry Res. 2000 Dec 4;97(1):41-9.
Reynolds CF 3rd, Kupfer DJ, Hoch CC, Houck PR, Stack JA, Berman SR, Campbell
PI, Zimmer B. Sleep deprivation as a probe in the elderly. Arch Gen Psychiatry. 1987
Nov;44(11):982-90.
Suh SY, Kim JW, Choi CU, Kim EJ, Rha SW, Park CG, et al. Spontaneous coronary
dissection associated with sleep deprivation presenting with acute myocardial
infarction. Int J cardiol (2007); 115:e78-9.
94
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Elektrokrampftherapie (EKT):
Depressive Syndrome finden sich mit 20-25% häufig bei Patienten mit Demenz, z.T.
mit intensiver Therapieresistenz (Rao & Lyketsos 2000). Die häufigste Nebenwirkung
bei EKT sind kognitive Störungen wie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen,
sowie Störungen der Orientierung, die in der Regel akut auftreten und meist
innerhalb von wenigen Tagen reversibel sind.
Das Auftreten von Gedächtnisstörungen, die mit der Durchführung der EKT
verbundene Narkose, die vorbestehenden hirnorganischen Störungen
(neurodegenerativ oder zerebrovaskulär) und die damit verbundene Idee, diese
irreversibel zu verschlechtern sind Gründe, warum Patienten mit hirnorganischen
Störungen bisher nur wenig mit EKT behandelt bzw. in Studien untersucht wurden.
In einer kürzlich publizierten Studie wurde die Frage EKT-Behandlung bei Patienten
mit Depression bei Demenz kontrolliert untersucht. Es wurden auch Patienten mit
leichter kognitiver Störung (MCI) (sowie Demenzen vs. Personen ohne kognitive
Störung) einbezogen (Hausner et al 2011). Die Ergebnisse zeigten in allen Gruppen
einer Verbesserung der affektiven Symptome. Nach einer initialen Verschlechterung
der Kognition in allen Gruppen (Depression, Depression + MCI, Depression +
Demenz) ergab sich eine mittelfristige Verbesserung über 6 Monate in der kognitiven
Leistung. Bei Demenzpatienten war die Verbesserung dann ausgeprägt, wenn
gleichzeitig Antidementiva eingenommen wurden (Haussner et al 2011).
In jüngster Zeit wurde EKT auch zur Behandlung von aggressiven Zuständen und
Agitation eingesetzt, bei denen verhaltensorientierte und medikamentöse Ansätze
nicht wirksam waren. Beide Verhaltensstörungen treten im Verlauf einer Demenz
häufig auf (Agitation zu 50%, Aggressivität zu ca. 30%, Tariot 1999). Es liegen zu
dieser Thematik keine kontrollierten Studien vor, es gibt jedoch einige Fallberichte
(ca. 10), die meist Patienten mit schwerer Depression betreffen. Alle berichten von
einer guten und raschen Besserung der Aggressivität und Agitation nach EKT
(bereits nach 2 bis 4 Behandlungen), die z.T. lange anhielt oder in Einzelfällen auch
95
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
dauerhaft war. Die EKT wird als gut verträglich und sicher beschrieben (Wilkins et al
2008).
In 2 Arbeiten wurden explizit Patienten mit Lewy Körper Demenz und depressiver
Symptomatik behandelt (Rasmussen et al 2003, Takahashi et al 2009). Bei den
meisten Patienten kam es auch hier zu einer guten antidepressiven Wirkung mit
unterschiedlichen Effekten auf visuelle Halluzinationen, Wahn und
Parkinsonsymptomen (Burgut & Kellner 2010).
Eine Publikation berichtet über zwei Fälle mit Alzheimer Demenz, in denen EKT bei
intensiver Vokalisation erfolgreich angewendet wurde (Bang et al 2008).
Fazit: EKT kann bei Patienten mit Demenz angewendet werden, a) zur Behandlung
eines Therapie resistenten depressiven Syndroms, b) zur behandlung von
Aggressivität und Agitation, als ultima ratio für intensive Vokalisation. Auf kognitive
Störungen und delirante Symptome als akute Nebenwirkung ist zu achten,
insbesondere bei Patienten mit vaskulärer Demenz und Demenz im späteren
Stadium.
Empfehlungsgrad 3, Evidenz-Kategorie C1
SEM: Aufgrund der möglichen kognitiven und somatischen Nebenwirkungen ist EKT
bei dieser Patienten-Gruppe sehr zurückhaltend und als letzte Therapie-Möglichkeit
einzusetzen
96
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
Referenzen:
Bang J, Price D, Prentice G, Campbell J. ECT treatment for two cases of dementia-
related pathological yelling. J Neuropsychiatry Clin Neurosci. 2008
Summer;20(3):379-80
Burgut FT, Kellner CH. Electroconvulsive therapy (ECT) for dementia with Lewy
bodies.Med Hypotheses. 2010 Aug;75(2):139-40.
Rao V, Lyketsos CG. The benefits and risks of ECT for patients with primary
dementia who also suffer from depression. Int J Geriatr Psychiatry. 2000
Aug;15(8):729-35
Rasmussen KG Jr, Russell JC, Kung S, Rummans TA, Rae-Stuart E, O'Connor MK.
Electroconvulsive therapy for patients with major depression and probable Lewy body
dementia. J ECT. 2003 Jun;19(2):103-9.
Tariot PN. Treatment of agitation in dementia. J Clin Psychiatry. 1999;60 Suppl 8:11-
20.
Tew JD Jr, Mulsant BH, Haskett RF, Prudic J, Thase ME, Crowe RR, Dolata D,
Begley AE, Reynolds CF 3rd, Sackeim HA. Acute efficacy of ECT in the treatment of
major depression in the old-old. Am J Psychiatry. 1999 Dec;156(12):1865-70
van der Wurff FB, Stek ML, Hoogendijk WJ, Beekman AT. The efficacy and safety of
ECT in depressed older adults: a literature review. Int J Geriatr Psychiatry. 2003
Oct;18(10):894-904
97
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
98
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD - November 2014
99