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biblischen.

Tradition
191 Mit anderen Worten Volker Eid: Gott - der Herr der Geschichte?
193 Mit anderen Augen Reiribold Mayer/Inken Rühle:
Salomo als Prototyp eines Weisen?
Die Weisheit Salomos - einmal anders
200 Ruth Scoralick Ein Literaturüberblick zum Buch
der Weisheit Salomos
204 Biblische Bücherschau Informationen
Biblische Umschau
Zum Thema des Heftes
Das Buch der Weisheit

Neuer Stuftgarter Das "Buch der Weisheit" bzw. die "Weisheit


Salomos" ist sicherlich eines der unbekannteren
Dialog des Diasporajudentums in Alexandria mit
der dominanten polytheistischen Umwelt, und

Kommenlar
Bücher der Bibel. Dabei beinhaltet es eine ganze belegt dies mit zeitgenössischen Dokumenten aus
Bandbreite von aktuellen Themen: Überlegungen der Isisreligion. Angelika Strotmann problematisiert
zur Wirkmächtigkeit Gottes in der Geschichte, zur in ihren Überlegungen die Darstellung des strafene
eigenen Identität der Gläubigen in einer multikultue den und wohltätigen Handeins Gottes im dritten
rellen Gesellschaft, nicht zu vergessen die Rede Buchteil (Kap. I H9).
über die "Weisheit", die sicherlich für uns alle inspie Die an ihren Beitrag angefügte Ansprache des
rierend und erstrebenswert ist, und der in diesem Papstes vor der päpstlichen Eibelkommission über
Buch wunderbare poetische Texte (Kap 7f1.) gewid e die "Unentbehrlichkeit des Alten Testaments" leitet
Das Buch der Weisheit ist met sind. über zu der Fragestellung, was die Texte des Buches
Neuer Stuffgarter Kommentart die jüngste Schrift des Alten Das vorliegende Bibel und KircheeHeft möchte der Weisheit für uns Christinnen und Christen
e Altes Testamen Testmuents. Es will das jüdische Sie mitnehmen zu auch heute noch aktuellen Ente heute bedeuten können. juanepeter Miranda zeigt
Erbe Menschen erschließen. die deckungen an diesem biblischen Buch, die uns die anhand des Motivs vom leidenden Gerechten eine
in der faszinierenden Kultur Autorinnen und Autoren vorlegen. Verbindungslinie von dieser Schrift ins Neue
He!mu! Engel
des Hellenismus aufwachsen. Helmut Engel gibt uns in seinem einleitenden Testament hinein aul. Unter der Rubrik Mit anderen
Das Buch Die eigene Identität in einer
multikulturellen Umwelt
Beitrag "Ein alttestamentliches Buch aus der Zeit
Jesu" eine ausgezeichnete Lesehilfe für diese zu
Worten erinnert Volker Eid an das letzte Interview
mit Max Horkheimer. In diesem Gespräch mit
der Weisheit bewahren e ein geradezu Unrecht in Vergessenheit geratene Schrift. Er führt einem modernen Philosophen ist eine der zentralen
aktuelles Thema. ein in die Struktur, Erzählweise und theologischen Fragestellungen des Weisheitsbuches aufgegriffen,
Grundgedanken des Buches und zeigt auf, daß es in nämlich wie angesichts des Leidens der unterdrücke
zeitgemäßer Sprache den jüdischen Glauben mit ten und zerstörten Menschen, angesichts "Ieidene
hellenistischer Philosophie und Wissenschaft, andee der Gerechter", von Gott zu reden ist - eine Übere
ren Religionsformen und Sinnangeboten angstfrei setzung der biblischen Fragestellungen und ihrer
Format 13 x 20 CIll, ins Gespräch bringt. Schon aus dem Titel seines Antworten in unser Heute.
ca. 180 Seiten, kartoniert Beitrags wird deutlich, wie spät diese Schrift Mit anderen Augen haben Reinhold Mayer und
ca. DM 36,- entstanden ist. Wir haben es beim Weisheitsbuch Inken Rühle die "Weisheit Salomos" betrachtet und
öS 263,- I sFr 34,- mit dem jüngsten Buch aus dem Alten/Ersten für uns nachgeforscht, wie denn der weise Salomo
(,Ibo-Preis: ca. DM 32,40 Testament zu tun, mit einer deuterokanonischen im jüdischen Schrifttum von der biblischen bis hine
ÖS 237,e I sFr 31,e) Schrift, die keinen Eingang in den Kanon der hebräie ein in die mittelalterliche Zeit angesehen wurde.
ISBN 3-460-07161-3
sehen Bibel fand. Und sie machen überraschende Entdeckungen ....
Auslieferung: Der dreigliedrige Aufriß des Buches der Weisheit Ruth Scoralick hat es schließlich unternommen,
Februar '98 (1,1 e6,21; 6,22 e11,1; 11,2e19,22) veranlaßte uns, drei Ihnen die verschiedenen Kommentare und
Gesamtreihe: 32 Bände - Autorinnen und Autoren zu bitten, uns die grundlee Monographien zum Buch der Weisheit vorzustä
bereits lieferbar: 12 Bände genden Gedanken und Fragestellungen des jeweilie len.
Ausfiihl'liche Informationen zu gen Buchteils darzulegen. Der Beitrag von Armin Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
dieser Reihe fordern Sie bitte
heim Verlag an! Schmitt widmet sich dem ersten Teil (1,1 e6,21) und Herzliche Grüße
Verlag Katholisches verdeutlicht, wie der Sprecher dafür wirbt, nicht Ihre Bettina Eltrop
Bibclwcrk Gmbll materialistische und letztlich atheistische
Silberourgstrage 121 Bestellen Sie bei Ihrer Deutungen des Lebens zu übernehmen und damit
70176 Stuttgart Buchhandlung den Tod als letzte Macht zu verstehen, sondern
durch ein Leben in der Gerechtigkeit Gottes solche
kurz schlüssigen Lebensdeutungen zu entlarven
und unerschütterlich auf die Treue Gottes zu bauen.
Si/via Schroer deutet Texte über die personifizierte
Weisheit im zweiten Buchteil als interreligiösen
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Helmut Engel SJ Ein alttestamentliches Buch aus der Zeitjesu
Ein alttestamentliches Buch aus der Zeit Jesu l

Die erzählerische Einheit die Sprechweise des Gebets durch immer wieder- dern bleibt in der betenden Anredeform an Gott. "Gerechten" und des in den Endsieg Gottes einbe-
des Buches der Weisheit kehrende Gottesanreden weiter und verläßt sie Der aufmerksame Leser entdeckt, daß der junge zogenen Kosmos) stellen einen inneren Ring dar. In
nicht mehr bis zum Ende des Buches. Salomo er- Salomo bei diesem betenden Nachsinnen die der Mitte erwägen Kap. 3 und 4 die Infragestellun-
Das Buch als ganzes hat einen einzigen Spre- zählt, was er in jungen Jahren betend meditiert und Einsichten und Gewißheiten gewonnen hat, die der gen einer "gerechten", sich vorbehaltlos Gott anver-
cher, der in der 1. Person spricht Er stellt sich aber erkannt hat hochgeachtete alte Salomo im ersten Buchteil als trauenden Lebensweise (Unterdrückung, Leiden
am Anfang nicht vor, sondern redet sofort andere Man würde erwarten, daß Salomo die Rück- Summe seiner Lebenserfahrung den Königen der und Entehrung; Kinderlosigkeit; früher Tod), die die
an. Dadurch allein macht er sich als Ich erkennbar. schau auf seine betende Meditation der Geschichte Welt und damit jedem, der wirklich ein König iSt, Menschen seit je bewegen. Wer den Tod für die ein-
Irritierend ist allerdings, daß die "Richter der Erde" am Ende schließt und daß dann wieder der alte mahnend, warnend und zur Hoffnung ermutigend zige letzte Gewißheit hält, schließt sich von der
angesprochen werden. Dadurch entsteht eine Salomo die immer noch vor ihm stehenden Könige vorgetragen hat. Der Leser fühlt sich immer mehr, Wahrnehmung aus, daß trotz und in all dem der
Fantasie-Situation und eine Ideal-Rede, eine Fiktion. der Welt anredet Doch das ist nicht der Fall. Was vor allem wenn Salomo in der Wir-Uns-Form Leben schaffende und verheißende Gott die einzige
Nur langsam fließen Elemente in die Rede ein, die bewirkt diese Kommunikationsstruktur? Erfahrungen Israels seit den Anfangen benennt, auf Dauer machtvolle Wirklichkeit ist. Der Schöpfer
dem Leser helfen, in seiner Vorstellung die fiktio- Der Leser bleibt zunächst auf Distanz. Er oder miteinbezogen und kann am Ende in den Gott prei- und Retter läßt die genannten Infragestellungen
nale Situation aufzubauen. Vom 6. Kapitel an wird sie zählt sich nicht zu den "Richtern der Erde". Aber senden Schlußruf miteinstimmen. Was zunächst als nicht zu einer Katastrophe des "Gerechten" wer-
durch die wiederkehrende Anrede die Kommunika- auch eine Identifikation mit dem Sprecher erscheint das "Unvollendete" an diesem Buch erschien, sein den, ihre Erfahrung ist zeitlich begrenzt, der
tionssituation "unbekannter Redner spricht zu allen kaum möglich. Dafür sind seine Mahnungen, offener Schluß, zeigt sich in der Wirkung als sein Anschein des Endgültigen besteht nur in den Augen
als anwesend zu denkenden Königen der Welt" ver- begründenden Behauptungen und Urteile zu ent- Ziel: die Leser ins dankbar Gott anerkennende, hoff- der "Frevler".
stärkt deutlich. schieden und feierlich ernst Was er sagt, klingt nungsvolle Gebet hineinzugeleiten. Armin Schmitt' hat deutlich gemacht, wie sehr
Als nächstes kündigt der Sprecher ein Preis ge- vertraut Aber die Themen und Motive aus den Das ganze Buch ist also die Erzählung einer auch Elemente des griechischen Dramas den Auf-
dicht auf die Weisheit an. Zu einem solchen Psalmen, den Prophetenbüchern und dem Buch der Rede. Der Erzähler, der den alten Salomo die Könige bau dieses Buchteils mitbestimmen. Dadurch erhal-
Enk6mion gehört, daß sein Dichter sich im Einlei- Sprichwörter sind zugleich verfremdet Der Spre- der Welt anreden, dann von seiner Jugend berich- ten Kap. 1-6 innerhalb der Ringkomposition zu-
tungsteil vorstellt Erst jetzt enthüllt der Redner, und cher redet wie die kynisch-stoischen Philosophen ten, sein Bittgebet um Weisheit wiedergeben und sätzlich eine starke Längsspannung.
zwar durch erzählende Rückblicke, wer er ist Er ist der hellenistischen Gegenwart und beherrscht schließlich seine betende Rückschau auf die Ge- Das 1. Kap. bildet zugleich das Proömium (Ein-
der König Salomo. Er ist jetzt, wo er redet, ein reifer, deren rhetorische Kunstfertigkeit In dramatisch schichte halten läßt, bleibt jedoch völlig im Hinter- leitung mit Vorblick auf das ganze Buch). Darin klin-
vielleicht sogar alter Mensch. In seinen lch-Charak- angeordneten Ausführungen mit Gegenreden und grund. Ebensowenig werden die tatsächlichen gen viele im Buch wichtige Themen in ihrer Ver-
terisierungen blickt er auf seine Jugend als etwas mit einer Endgerichtsszene erörtert er Grundin- Adressaten genannt. Durch Beachtung der literari- bindung mit der "Gerechtigkeit" an: richtige Gottes-
Vergangenes zurück. Die Szene baut sich vor dem fragestellungen einer an Gott glaubenden Ausrich- schen und rhetorischen Form, der Gedanken- vorsteIlung; Geist und Weisheit als Vermittlung
Leser allmählich auf. Er stellt sich vor, nicht nur die tung des Lebens. Exemplarisch greift er dabei Ver- führung des Buches und dessen, was als bekannt der Nähe Gottes und der Gemeinschaft mit ihm;
Königin von Saba sei gekommen, sondern alle spottetwerden und Erleiden gewaltätiger Unter- und plausibel vorausgesetzt wird, läßt sich aber Bildung und Zucht; Menschenfreundlichkeit der
Könige der Welt stünden vor Salomo, und jetzt halte drückung, Kinderlosigkeit und frühen Tod heraus. erschließen, was der Verfasser mit seiner Schrift Weisheit (und damit Gottes selbst); unrechtes und
er ihnen seine Werberede für die Gerechtigkeit und Der innerhalb des Enkomions vor Augen tre- bewirken wollte. Es finden sich dabei auch Hin- richtiges Denken-Reden-Handeln; Leben-Tod-Un-
stimme sein Lob auf die Weisheit an. Im Enkomion tende junge, rundum gebildete, lebenstüchtige, in weise auf die Zeit und den Ort der Abfassung. sterblichkeit; Heil für alle als Ziel des Schöpfers von
erzählt er, wie er zur Weisheit und allem, was sie allem vorbildliche Salomo macht es dann den Anfang an.
ihm an Wissen, Gütern und Ansehen vermittelt hat, Lesern leicht, sich mit ihm zu identifizieren, so wer- Verwendete Gattungen und In der Form (Parallelismen) und in den verwen-
gelangt ist: Er hat sie von Gott erbetet Höhepunkt den zu wollen wie er und beim Lesen des Preis- tibeologische Grundgedanken deten Motiven lehnt sich die Mahnrede weitge-
der Erzählung innerhalb des Preisgedichts ist das gedichts sich seiner Bitte an Gott um die Weisheit in den drei Buchteilen hend an die Psalmen (z.B. Ps 2. 89. 94. 148-149
ausführliche Zitat dieses Gebets. Üblicherweise auch selbst anzuschließen. u.a.), an Jesaja (besonders Jes 40-66) und an das
wird am Ende eines Enk6mions das Gepriesene Im dritten Buchteil erzählt Salomo, wie er in Der erste Buchteil (1,1-6,21) ist als große Ring- Sprichwörterbuch an, ohne aber je ausdrücklich
(eine Göttin oder ein Gott, eine Person, eine Tugend seiner Jugend die Geschichte Gottes mit seinem komposition gestaltet: Mahnungen und Warnungen daraus zu zitieren.
oder eine Tatigkeit) mit anderem Gleichartigem ver- Volk beim Auszug aus Ägypten und während der (Imperative mit Begründungen) in Kap. I und 6 bil- Wie die kynisch-stoischen Philosophen der hel-
glichen, um seine Überlegenheit oder Besonderheit Führung durch die Wüste betend meditiert hat den den äußeren Ring. Reden der "Frevler" mit lenistischen Zeit, jüdische Schriftsteller (z.B. im
zu erweisen. Eine solche Synkrisis fügt auch Salomo Dabei berichtet er aber nicht über sein Betrachten Kommentierungen durch den Sprecher in Kap. 2 Aristeasbrief) und wohl auch Redner in den
an, aber in ganz eigenständiger Art Dabei führt er der Geschichte und daraus gezogene Lehren, son- (ihre Einstellung und ihre Vorhaben) und Kap. 5 Synagogen und Lehrer verwendet der Sprecher die
Für wertvolle kritische Anregungen, besonders zur hier erstmals vorge- Stuttgart: Katholisches Bibe[werk 1998 (in Vorbereitung). Darin wird der (ihre veränderte Selbstbeurteilung bei der "Zusam- rhetorischen Mittel der Diatribe: Formulierung von
legten narrativen Analyse des Buches, danke ich Norbert Loh/ink SI. Die poetischen sprachfichen Gestalt und der rhetorischen Form des ganzen menrechnung" angesichts des ewigen Lebens der Reden und Einwänden fingierter Gegner und deren
Begründungen am Text für die fm Folgenden vorausgesetzte Struktur Buches, deren Nichtbeachtung oft den Zugang zum Verständnis
und die Gesamtdeutung des Buches finden sich in meinem Kommentar erschwert und eine Hochschätzung verhindert haben, besondere
zum Buch der Weisheit (Neuer Stuttgarter Kommentar - AT 16), Aufmerksamkeit zugewandt.
J Armin Schmitt, Wende des Lebens (BZAW 237/, BerlinNew York 1996, 9-48.

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Ein alttestamentliches Buch aus der Zeit]esu Ein alttestamentliches Buch aus der ZeitJesu

Widerlegung, rhetorische Anreden, Imperative, sehen Rhetoriklehrbüchern die Gattung Enkomion dann in 7,22-8,1 von der Weisheit hymnisch wie Der dritte Buchteil (11,2-19,22), der umfang-
Scheltworte, rhetorische Fragen, Anführung von (Preisgedicht, Lob, Hymnus) kennzeichnen. Für sonst von Göttern gesprochen wird (was die mäßig die Hälfte des Buches ausmacht, ist in Auf-
Beispielen aus Natur, Technik und Geschichte, sein Lob der Weisheit schöpft der Sprecher aus zwei Weisheit ist, ihre Natur: 6,22; 7,22f.24; wie sie bau und Vorgehen eigenständig und läßt sich keiner
Zitate, literarische Personifikationen, Vergleiche und Überlieferungszusammenhängen. Einerseits greift entstand, ihre Herkunft 7,25f.; ihr Wirken 7,27-8,1), geläufigen literarischen Gattung von damals einfach
profilierende Gegenüberstellungen. er Texte zum Lob der Weisheit aus der Heiligen bleibt doch nicht einmal der Schatten einer Frage, zuordnen. Der aktualisierend auslegende Umgang
Auch in der Apokalyptik verwendete Motive, Schrift auf, vor allem die große Selbstempfehlung ob sie nicht auch (wie Isis) etwa eine "Göttin" sei. mit der Heiligen Schrift hat manche dazu veranlaßt,
vor allem ein Endgericht ("Heimsuchung"), das den und Selbstvorstellung der Weisheit in Spr 8 und das Es gibt nur einen Gott und Schöpfer von allem, der diesen Buchteil als "Midrasch "zu bezeichnen. Aber
ganzen Kosmos in die Belohnung und Bestrafung "Lob der Weisheit" in Sir 24; eher im Hintergrund auch die Weisheit schenkt, die als sein Geschöpf ein Midrasch kann recht verschiedene literarische
einbezieht, stellt der Sprecher ganz in den Dienst bleibt das Lied auf die verborgene, dem Menschen (Spr 8,22; Sir 1,4.9) an seinen Eigenschaften und Formen annehmen und ist keine "Gattung" im
seiner Mahnung. Dabei wahrt er aber die größte Zu- unzugängliche Weisheit, deren ,Ort' Gott allein Titeln teilhat (8,2-9). Wohl aber wird durch die eigentlichen Sinne (wie z.B. Brief, Sentenzen-
rückhaltung, konkrete Vorstellungen vom ,Jenseits kennt, in Ijob 28. Andererseits stehen ihm die von literarische Personifikation der Weisheit ein ein- sammlung, Lehrerzählung, Bußgebet, Hymnus,
des Todes" auszumalen, wie es z.B. in Dan 12 oder den Rhetorikern in der Schule gelehrten Regeln für seitig oder vorwiegend "männliches" Gottesbild als Abschiedsrede, Klagelied u.a.).
in 2 Makk 7 für die leibliche Auferstehung der ein kunstfertiges Lob zur Verfügung und nach die- abwegig erkennbar. Ebenso wie der "männliche" Die in vergleichenden Gegenüberstellungen fort-
Gerechten geschieht. Ebenso stehen im Dienst sei- sen Regeln verfaßte Enkomien und Götterhymnen, bei der Schöpfung beteiligte, alles heilende und rich- schreitende Darstellung trägt Züge der rhetorischen
ner Werbung und Mahnung die Verheißungen für darunter besonders die überall im östlichen tende Logos (9,1; 16,12; 18,14-16) umschreibt auch Figur der Synkrisis. Der "Vergleich" ist oft das
die "Gerechten", die eine Hoffnung "voll Unsterb- Mittelmeerraum verbreiteten Preisungen der Göttin die "weibliche" Sophia das Wirken Gottes und die Schlußelement eines Enkomions. Wie in einer
lichkeit" haben dürfen. Diese Hoffnung wird Isis und Gebete zu ihr ("Isis-Aretalogien"). Der menschliche Erfahrung davon. Aber ihr ist im Buch Synkrisis steht auch in Weish 11-19 der schwächere
beschrieben als Ende der Diskriminierung und der Sprecher greift das Enkomion-Schema zwar auf, der Weisheit ungleich mehr Aufmerksamkeit und Teil in der Regel voran. Eine einfache Zuordnung zu
Leiden, als Frieden, Ruhe, in der Hand Gottes sein, variiert es aber und erweitert es beträchtlich. Raum gewidmet. Die auWilligen weiblichen Titel dieser rhetorischen Form würde aber sowohl die
bei ihm bleiben, in Ewigkeit leben (3,1-9; 5,15-16). Besonders die ungewöhnlich breite typisierend- sind zum Teil Wortschöpfungen des Verfassers: ständige, jedoch nie ausdrückliche Bezugnahme auf
Die "Frevler" dagegen haben ein Bündnis mit dem idealisierend-"biographische" Darstellung des "Schöpferin", "Werkmeisterin", "Mystin", "Aus- die Heilige Schrift (besonders Ex, Num, Dtn), die für
Tod geschlossen und halten ihn für die einzig Verhältnisses "Salomo" - Weisheit fallt auf. Der wählerin". Indem er auf biblischen Texten wie Weish 11-19 so charakteristisch iSt, als auch den
sichere Realität - er wird ihnen auch zuteil (1,16; Grund dafür ist einerseits die Textpragmatik, also Spr 8, Sir 24 u.a. aufbaut, unternimmt es der eigentümlichen Wechsel zwischen Darlegung und
2,21-24; 3,10-12; 4,19-5,14). das, was der Text bei seinen Lesern bewirken will: Verfasser mittels der Gestalt der "Weisheit" in origi- direkter Anrede Gottes außer acht lassen. Außer-
Der zweite Buchteil (6,22-11,1) ist ein kunstvoll Wenn junge Juden innerhalb einer hellenistischen neller Weise, das Mit-Sein Gottes mit den dem haben die Gegenüberstellungen nicht die in
gestaltetes Lob auf die Weisheit in drei Abschnitten: Umwelt in ihrer jüdischen Identität gestärkt werden Menschen zu reflektieren und in der philosophi- einer Synkrisis zu erwartende Absicht, die Überle-
Nach einer Einleitung (6,22-25) Iegtdernunmehr in sollen, muß das ihnen vorgestellte Ideal attraktiv schen Bildungssprache seiner Gegenwart auszu- genheit einer Person, Eigenschaft oder Leistung
der Ich-Form Redende seinen Umgang und seine (ein "weiser König", anderen auf allen nur denkba- drücken. gegenüber den zum Vergleich herangezogenen
Erfahrungen mit der Weisheit dar (7,1-8,21). Die ren Gebieten gewachsen und überlegen) und Daß in 8,2-21 wieder die "autobiographische" Taten oder Personen hervorzukehren, sondern es
Salomo-Überlieferungen in 1 Kön und 1 ehr, viel- zugleich für alle, die sich darum bemühen (lernen, Darstellung in den Vordergrund tritt, ist sowohl geht um den Lobpreis der Macht Gottes, der beim
leicht auch das Hohelied, dienen dabei als der (un- suchen), erreichbar sein (von Zeugung und Geburt durch die Ringkomposition (als soIche sind die Exodus und während der Führung seines Volkes in
ausgedrückt bleibende) Schrifthintergrund. Die Dar- an bis zum Tod war auch dieser allerweiseste König Kap. 7-8 gestaltet), als auch durch die genannte der Wüste alle Elemente seiner Schöpfung zur
stellung wird aktualisiert durch die Verwendung ein Mensch wie jeder andere). Andererseits ist die Textpragmatik bedingt. Der Text schaut betont auf Bestrafung (der "Frevler") oder aber als Wohltat (an
von Begriffen aus dem mittelplatonisch-stoischen Ausführlichkeit der Darstellung inhaltlich begrün- den jungen Salomo zurück und erzählt von ihm. seinem Volk, seinen Söhnen und Töchtern, den
Allgemeinwissen der hellenistischen Zeit. Zugleich det: Der Anfang der Weisheit iSt, sie zu begehren Die Punkte Wirken, Wunder und Vergleich des "Gerechten") wirken lassen konnte.
ist dieser Abschnitt eine begründende Hinführung (6,12-16). Weisheit ist nicht als gegenständliches Enkomion-Schemas und das im Epilog zu erwar- Der dritte Buchteil ist in fünf Abschnitte mit
zur Mitte des zweiten Buchteils, dem großen Gebet Ziel vorzustellen, vielmehr ist der Weg zu ihr, die tende Gebet werden in der Reihenfolge vertauscht. sieben Gegenüberstellungen gegliedert. Dabei
um die Weisheit 9,1-18, das die Herkunft der Weis- Suche nach ihr, bereits ihr Besitz: daher in Kap. 7 - Das Gebet richtet sich nicht an die hymnisch geprie- schließen sich an den ersten Abschnitt zwei
heit aus Gott als reines Geschenk erkennen läßt. 8 die breite "autobiographische" Ausfaltung des sene Weisheit, sondern an Gott, der allein sie schen- grundsätzliche Darlegungen an und leiten den
Der dritte Abschnitt (10,1- 11,1), zu dem der Schluß Enkomion-Anfangs. ken kann. Innerhalb des Enkomions hat das Gebet zweiten ein. Der fünfte Abschnitt mündet in eine
des Gebets in 9,18 schon überleitet, skizziert Zu den Enkomion-Elementen Wesen, Herkunft 9,1-18, auf das schon 7,1-8,21 hingeftihrt hatten, die Art Summarium (19,6-21) und einen dankbar Gott
Erzählungen über Gottes Wirken aus den Büchern und Wirken der Weisheit wird bereits vieles in 7,7- Funktion, indirekt weiter Herkunft, Wesen und lobenden Ausruf, mit dem das Buch endet (19,22).
Genesis und Exodus in Form einer Beispielreihe für 22a ausgeführt. Ausdrücklich zu erwähnen sind die Fähigkeit der Weisheit zu preisen. Ihre Rettungs- Zwei Prinzipien leiten die Darstellung im letzten
die Rettungs- und Erlösungstaten der Weisheit. Verweise darauf, daß die Weisheit Geschenk Gottes taten in der Geschichte werden dann in Kap. 10 vor Buchteil: a. Die gleichen Naturkräfte können nach
Die feierliche Einleitung in 6,22-25 nennt einige ist, um das man ihn bitten muß, und darauf, daß sie Augen gestellt, wobei das Element "Vergleich" in dem Plan Gottes entgegengesetzte Wirkungen
wesentliche Stichworte, die nach den zeitgenössi- zur Freundschaft mit Gott hinführt. Auch wenn ungewöhnlicher Weise verändert ist. haben, so daß dieselben Elemente, durch die die

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Ein alttestamentliches Buch aus der ZeitJesu Ein alttestamentliches Buch aus der Zeit Jesu

Feinde bestraft werden, bei den Gerechten als Auch im dritten Buchteil läßt der Sprecher den Verhalten der "Frevler" ausgeleuchtet wird, führt Der Verfasser und seine Adressaten
Wohltat wirken 11,5. b. "Wodurch jemand sündigt, Bezug zu dem, wovon die Leser abgehalten werden die im zweiten Buchteil besungene und erbetete
dadurch wird er bestraft" 11,16. sollen, immer wieder durchscheinen: Ablehnung Weisheit: Sie ist die "lnnenseite" der Gerechtigkeit. Über den Verfasser oder den angezielten Leser-
Durch die erste GegenUbersteliung (11,4-14: der Geltung und Wirksamkeit des Wortes Gottes; Jeder Mensch kann sie lernen, soll sie begehren, kreis gibt es keinerlei Informationen von außerhalb
wohltuende und strafende Wirkung von Wasser) Teilnahme an magischen Praktiken und Mysterien- mit ihr zusammenleben und sie als Geschenk von des Buches. Alle Auskünfte sind nur durch eine auf-
hatte sich für den Gedankengang des Buches ein religionen, Aufkündigung der Gemeinschaft mit Gott erbitten. Dann wird er die konkrete Gegen- merksame Lektüre des Werkes selbst zu gewinnen.
doppeltes Problem ergeben: (I) Was kann "Strafe / dem Volk Gottes (Feste, Gebete, Beschneidung) und wart und seine Aufgaben darin verstehen und wird Der sich durch alle Buchteile hindurchziehende
strafen", wenn es von Gott ausgesagt wird, über- der Solidarität mit ihm. Kurz: Er warnt vor "Aposta- Gott nahe kommen - das ist es, was "Königsein" eigentümliche Wortgebrauch, die variiert wieder-
haupt bedeuten? Er ist doch der Schöpfer und sie" (3,10)_ eigentlich bedeutet. Innerhalb des Buches als l6gos kehrenden theologischen Grundgedanken, die
Retter / Erlöser, der alles zum Sein und zu unver- protreptik6s hat der dritte Teil die Aufgabe, das Technik der GegenUberstellungen, die gegenseitigen
gänglichem Leben geschaffen hat (1,13-15; 2,22-24)! Das Werbeziel "Gerechtigkeit": Werbeziel in der Form einer dankbar Gott preisen- Verzahnungen der Buchteile und Abschnitte und
Wozu ist Gottes Strafen gut oder sinnvoll? Diese Eine Lebensgestaltung, die von dankbarer den Erinnerung an den Exodus und an die Führung die besonders im dritten Buchteil zahlreichen
Frage behandelt die theologische Überlegung I Anerkennung des wahren Gottes geprägt ist in der Wüste durch den Rückgriff auf die inhaltlichen und wörtlichen RückbezUge auf den
(11,15-12,27): "Über die Milde Gottes" oder "Über Erzählungen des Pentateuch zu begründen und ersten und zweiten Teil erweisen das Buch als kom-
die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung, seine James M. Reese3 hat im Anschluß an andere damit zugleich die Berechtigung der Hoffnung für plexe, von einem Verfasser gestaltete Einheit.
Gerechtigkeit und seine Menschenfreundlichkeit". Forscher zusammenfassend dargelegt, daß das Buch alle, die der Einladung zur Gerechtigkeit in ihrer Der Verfasser war ein jüdischer Schriftgelehrter,
(2) Das andere Problem: Weshalb, für welche Ver- der Weisheit als Ganzes der Gattung l6gos protrepti- Lebensführung nachkommen, zu veranschauli- der auch in hellenistischer Rhetorik geschult war.
gehen, straft Gott diejenigen, ,die in Lebenstorheit k6s (Lehr- und Mahnrede, Werbeschrift) zuzuord- chen. Wie einst beim Exodus und in der Wüste die Kunstfertig und bewußt setzt er seine umfassende
unrecht leben' (12,23)? Hierauf antwortet die lange nen ist. Mit Schriften dieser Art wurde in hellenisti- Natur und der Kosmos den "Gerechten", dem Volk Bildung (enkyklios paideia) in seinem l6gos protrep-
Überlegung II (13,1-15,19): "Über die Verweigerung scher Zeit jeweils für eine bestimmte Philosophie Gottes, zur Wohltat wurden, während dieselbe tik6s ein. Persönlich war er ein überzeugter, tief-
der Anerkennung des wahren Gottes" oder "Über geworben, aber nicht im Sinne eines bloßen Denk- Natur den "Feinden" Strafe, Oual und Untergang frommer Jude, dem alles daran lag, seine Leser in
die ,Torheit' des Götzendienstes". Durch rahmende systems, sondern der konkreten Lebensführung. gebracht hatte, so wird auch einst (vgl. 5,1) der von einem für die Werte der hellenistischen Literatur
Hinweise (11,15-16; 12,23-27 und 15,18-19) sind die Sie zeigen eine umfassende Bildung und nehmen Gott in Dienst genommene Kosmos je verschieden und Gelehrsamkeit offenen, in Denken und Verhal-
bei den Überlegungen I und II als Einleitung zu den verschiedene Literatursorten in Dienst, um ihre auf die "Gerechten" und die "Frevler" wirken - zur ten an den 10 Geboten orientierten, selbstbewuß-
GegenUbersteliungen 2 und 3 gekennzeichnet (16,1- Leser für die Auseinandersetzung mit konkurrieren- Rettung oder zur Bestrafung. ten Judentum zu bestärken. Er zeigt einen angst-
4. 5-14: die strafenden und heilsamen Wirkungen den Sinnangeboten auszurüsten. Statt den Leser Die in allen Buchteilen durchgehaltene, im drit- freien Umgang mit hellenistischen Errungen-
von Tieren) und unlöslich mit ihnen verknüpft. direkt anzureden und damit zur Stellungnahme zu ten besonders auffallige Vermeidung aller Namen schaften und verteufelt sie nirgends. Wie er selber
Bei den ausführlichen theologischen Überlegun- nötigen, kann auch in Dialogform gesprochen wer- (außer "Rotes Meer" in 10,18; 19,7) soll es ermögli- gehören auch seine Adressaten zwei Kulturen an.
gen I und II handelt es sich also nicht um beliebige den. Diese erleichtert die freie Zustimmung der chen, daß Erfahrungen, die an Einzelpersonen und Deren Verbindung ist existentiell nur möglich,
Einschübe oder um "Exkurse", die Nebenthemen Lesers zu der ihn mehr überzeugenden Auffassung Ereignissen der biblischen Erzählungen abgelesen wenn jüdische religiöse Überzeugung, Weitsicht
behandeln, sondern um prinzipielle theologische und erhöht dadurch die Bereitschaft, für das eigene und illustriert wurden, verallgemeinert werden und Ethos nicht nur den hellenistischen philosophi-
Begründungen für die Darstellungsweise im dritten Leben Konsequenzen zu ziehen. Der Verfasser des können. Die Personen der heiligen Geschichte wer- schen und naturwissenschaftlichen Plausibilitäts-
Buchteil, ja sogar im ganzen Buch der Weisheit. Buches der Weisheit verwendet eine ähnlich sub- den so zu Typen und Charakteren; an ihnen wird anforderungen genügen, sondern gezeigt werden
In 16,15-19,5 folgen vier weitere Gegenüber- lime indirekte Werbeform. Auf einer phantasti- aufgezeigt, was für jeden Menschen ("Gerechte" kann, daß eine gebildete und religiös treue jüdische
stellungen: 4_ Vom Himmel Geschicktes: Hagel- schen Bühne in tiefer Vergangenheit läßt er den oder "Frevler"), also auch in der Gegenwart, gilt. Lebensweise anderen in der hellenistischen Welt
Regen-Feuer oder Manna; 5_ Nacht: Finsternis und weisen Salomo die Könige der Welt in biblischen Für das Verständnis ist wichtig, daß Salomo seine vertretenen Sinnangeboten und Religionslormen
Angst oder Feuersäule, Führung und Licht; 6. und 7. Wendungen und zugieich in Begriffen und Schlag- hymnische Vergegenwärtigung des Exodus und der (Verehrung kosmischer Mächte, Anfertigung und
Tod: Gericht, Untergang oder Rettung_ Der Schluß- worten der eigenen hellenistischen Gegenwart Führung in der Wüste in der Form eines Gott anre- Anbetung von Götterstatuen und -bildern, ägypti-
abschnitt 19,6-21.22 blickt betend zusammenfas- anreden. Sowohl Salomo als auch die griechische denden Gebetes vorträgt. Er drückt seine die ganze sche Tierverehrung, Herrscherkult, Mysterien-
send auf die Geschichte zurilck, in der der Kosmos Umwelt erscheinen herausfordernd verfremdet. Welt und die Menschheit umfassende Hoffnung religionen und Magie) überlegen ist.
immer wieder den Befehlen des Schöpfers zur Die Einladung "Liebt die Gerechtigkeit!" (1,1) nicht als Lehre, behauptend und "beweisend", son- Die Argumentation ist durchgängig nur für
Rettung seiner Söhne und Töchter diente. Deren eröffnet programmatisch das Buch. Auf den "Weg
"Feinde" aber zogen sich Sehunfahigkeit zu und der Gerechtigkeit", der im ersten Buchteil in mehr-
gerieten in tiefe Finsternis, den Tod.
dern meditierend, theologisch reflektierend und lob-
preisend aus. So gipfelt dieses zur "Gerechtigkeit"
einladende Buch nicht in Lehrsätzen oder Impera-
Insider schlüssig, sie will bestätigen und stärken.
Ziel ist nirgends das verstehenwollende und klären-
de Gespräch mit jemandem, der von anderen Vor-
l
fachen Gegenüberstellungen zum Denken und
tiven, vielmehr in betend-dankendem Blick auf die aussetzungen und Plausibilitäten herkommt oder in
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farnes M. Reese, Hellenistic lnfluence on tlle Book 0/ W{sdom and its Consequences (Anafecra Biblica 4J), Roma 1970, 117-121. Geschichte als Ermutigung für die Gegenwart. einer anderen echten Religiosität lebt. Daher liegen
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Ein alttestamentliches Buch aus der Zeitjesu Ein alttestamentliches Buch aus der Zeitjesu

dem Verfasser auch alle endgültigen Be- und Ver- Entstehen apokalyptischer Literatur (Buch Daniel, sehe Diskussion geeignet; die fraglose Autorität der Helmut Engel Sl ist Professor für Einleitung in
urteilungen von Nichtjuden als solchen fern. Wohl Henochliteratur) liegen schon weit zurück, ebenso Bibel kann dort auch nicht einfach vorausgesetzt die Heilige Schrift und Exegese des Alten
könnte das Verhalten der griechischen und römi- die Übersetzungen des Pentateuch, der Propheten- werden. Ebensowenig werden Apostaten selbst Testaments an der Philosophisch-Theologischen
schen Bürger, besonders seit der Machtübernahme bücher und der meisten übrigen Schriften des Alten unmittelbar angesprochen; sie sind nur eine dunkle Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main.
des Augustus, und der Apostaten gegenüber den Testaments ins Griechische. Bemerkenswert viele Hintergrundfolie, vor ihrem Schicksal wird gewarnt Seine Adresse: Qffenbacher Landstraße 224,
juden in ihrer schwächeren Position die Kenn- griechische Wörter, die in der datierbaren übrigen (2,12; 3,10 u.ö.). Durch die literarischen Adressaten 60599 Frankfurt.
zeichnung z.B. der "Frevler" in 2,10·20 und der hellenistischen Literatur erst vom 1. jh. n.Chr. an wird vielmehr der Geltungsbereich, den die
"Sünder" in 19,13·17 mitbeeinflußt haben. verwendet werden, kommen im Buch der Weisheit Sentenzen, Weisungen und Mahnungen des
Alle dem judentum fremden Religionsformen vor'; 6,3 dürfte die im jahre 30 v.Chr. erfolgte Weisen beanspruchen, als alle Welt umfassend
werden im Grunde nur unter der Rücksicht betrach- "Machtübernahme" des Octavian in Alexandria umschrieben.
tet: Was würde es bedeuten, wenn ein lude sie und Ägypten schon voraussetzen (ein erhaltener Zu den tatsächlichen Adressaten führt eine
übernähme? Er würde Überzeugung und Lebens- ägyptischer Papyrus ist nach dieser Ära der kratesis andere Überlegung: Wer war überhaupt in der
weise eines "Gerechten" mißachten und zum datiert); falls 19,13·17 die seit der laographfa 24/23 Lage, die Feinheiten des Stils und der Komposition
"Apostaten" vom HERRN (3,10), zum "Frevler" v.Chr. (Erhebung der Kopfsteuer; Gleichbehandlung und die vielseitigen Anspielungen auf die Heilige
werden; seine Hoffnung wäre leer, seine Mühen der juden mit der ägyptischen Untertanenbe· Schrift, auf klassische griechische Literatur und auf
unnütz, seine Leistungen sinnlos, er würde sogar völkerung) immer feindseliger und gewalttätiger hellenistische philosophische Diskussionen in die-
seinen Angehörigen und Nachkommen den Zugang werdende Situation durchscheinen läßt, ergibt sich sem Buch wahrzunehmen und zu würdigen? Wer
zum erfüllten, auch durch den Tod nicht begrenzten ein weiterer Anhaltspunkt; ebenso paßt 14,16-20 konnte den komplizierten und beziehungsreichen
Leben unerschlossen lassen (3,11-12). Vor solchem (über den Herrscherkult, wobei der Herrscher selbst Ausführungen mit Verständnis und Zustimmung
Elend eines Menschen, der Weisheit, Zucht und weit entiernt wohnt) gut zu einer Datierung in die folgen? Dafür in Frage kommen nur juden griechi-
Bildung "für nichts" hält, will der Verfasser seine römische Zeit zwischen Augustus und Caligula, vor "In einer Epoche wegblätternder Plausibilitäten für
scher Muttersprache, die sowohl in der griechi·
Leser in jeder ihm möglichen Weise warnen und dem Brief des Claudius an die Alexandriner aus Juden im damaligen Alexandrien, einem Weltzentrum
sehen Bibel und in jüdischen Auslegungstraditionen von Wissenschaft, Kunst und Kultur, wo die Treue zu
wirbt mit seinem l6gos protreptik6s dafür, die dem jahre 41 n.Chr. Der jüdisch·römische Krieg 66- als auch in griechischer Literatur und in der zeit- .
"Gerechtigkeit zu lieben". Er möchte seinen jungen 70 n.Chr. ist jedenfalls noch nicht im Blick, und erst den Geboten Gottes auf Spott, Benachteiligung, Unter-
genössischen Popularphilosophie, bei der die Stoa drückung und GewaltanwendlU1g von seiten der jüdi-
Lesern die Erfahrung vermitteln, daß es sich recht ist die Ausmordung des alexandrinischen eine führende Rolle spielte, in Rhetorik und in schen Mitläufer und Apostaten (und wohl auch man-
"lohnt", das eigene jüdische geistige und religiöse judentums nach den diasporajüdischen Aufständen naturwissenschaftlichem AIlgemeinwissen bewan· cher Nichtjudenj trifft, wirbt der VeTf. dafür, den über-
Erbe mit Hilfe der in der hellenistisch-römischen (in Ägypten, Cyrenaika, Zypern, Mesopotamien) dert waren. mächtigen Anschein nicht für die Wirklichkeit zu
Gegenwart verbreiteten Philosophie, Psychologie, unter Trajan in den jahren I15· I17 n.Chr. noch Es ist gut vorstellbar, daß ein solches Buch, des· halten: Nicht der Tod ist Sinn und Herrscher der Welt
Literatur, Naturerkenntnis und Rhetorik neu zu nicht geschehen. sen Lektüre als erbauend und fruchtbar empfunden ~ wieviele auch immer "einen Bund mit ihm
betrachten und sogar tiefer zu verstehen. Er zeigt Bei der Frage nach den Adressaten des Buches wurde und das sich als zuverlässiger Ausdruck von schließen", d.h. ihn für das einzig Verläßliche und
ihnen, daß die auch von den Zeitgenossen höchstge· ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen denen, jüdischem Denken erwies, wegen seiner Eigenart Sichere halten mögen. Solch ein "verkrümmtes
schätzten Werte (z.B. Gerechtigkeit, Weisheit, die literarisch ausdrücklich angesprochen werden, und Qualität dann auch in jüdischen Schulen Ver· Denken" (1,3Ilührt zum Murren gegen Gott und zu
Bildung, Freimut, Recht, Tugend, Freundschaft) in und den tatsächlich angezielten Lesern. Die literari· wendung fand - wenn es nicht überhaupt schon im Lügen über Mitmenschen. Wer über den HERRN
der eigenen jüdischen Religion seit je grundlegende sehen Adressaten "Richter der Erde, Könige, Blick auf die Schulsituation geschaffen worden war. nicht gut denkt und Ihn nicht vorbehaltlos sucht (1,2),
Bedeutung hatten. Herrscher über Völker" für die tatsächlichen zu Vor dem Studium der klassischen griechischen wird andere zu beherrschen versuchen {2,lOf) und
Als Entstehungsraum kommt von Sprache, Stil halten, wäre ein arges Mißverständnis der Buch- Texte (Homer, Sophokles, Euripides, u.a.) oder Gewalt gegen sie anwenden bis zum Mord (2,12·20).
und bevorzugten Themen her am ehesten die auch gattung, aber es wäre auch sachlich unwahrschein· Demgegenüber baut gläubige "gerechte" Lebens-
zusätzlich dazu konnten die jungen Leute anhand führung darauf, daß Gott jeden Menschen, auch den
zahlenmäßig große jüdische Diaspora in Ägypten lieh und würde dem Verfasser eine kaum überbiet- dieses jüdischen "Lesebuchs" Lesen, Schreiben und
und darin als Ort die Großstadt Alexandria in bare Naivität zuschreiben: Gegenüber nicht· Schwachen und scheinbar ,Unnützen', als Sein Eben-
Formulieren lernen. Hier wurde ihr judesein nicht bild erschaffen hat mit dem Ziel, ihn unvergänglich
Betracht. jüdischen Herrschern und Königen wäre die ständig in Frage gestellt. Entschiedene religiöse
Die Abfassungszeit läßt sich ebenfalls nur durch Argumentation Salomos und seine Darstellung der und durch den Tod nicht begrenzt, an Seinem Leben
Praxis und die "modernen" Werte bilden in diesem teilhaben zu lassen. Das "richtige Denken" im
eine Konvergenz von Beobachtungen vermutungs- kritisierten Auffassungen und Verhaltensweisen Buch keine unüberbrückbaren Gegensätze. Es Glauben ist für die Lebenspraxis eminent relevant."
weise bestimmen. Die Makkabäerzeit und das weder für eine politische noch für eine philosophi· zeigte, wie mit Hilfe klassischer Literatur und Helmut Engel, Auszug aus seinem Kommentar
moderner Philosophie und Naturwissenschaft der Weisheit {NSK-AT l6j, der im Verlag Kath. Eibelwerk
4 Zahlreiche Belege bieten die Kommentare von David Wlnston, Tlle Giuseppe Scarpa~ Libro defla Sapienza I (capp. 1-6), 1/ (capp. 712) biblische Glaube neu zur Sprache gebracht werden 1998 erscheinen wird.
Wisdom 0/ Solomon rAnchor Brbte 43), Garden City, N.Y. 1979, und Brescia: Pafdeia 1989/96.
kann.
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Armin Schmitt Skepsis, Bedrängnis und Hoffnung in Weish 1,16-2,24

Skepsis, Bedrängnis und Hoffnung in Weish 1,16-2,24


"Und danach werden wir sein, als wären wir nie gewesen" (Weish 2,2)

Die hellenistische Zeit bedeutete für das juden- einer veränderten Epoche entsprachen und dadurch geboten, die für die Frommen Belohnung und Düstere und Bedrückende gewinnen dabei scharfe
tum einen gewaltigen Einschnitt: Ob im Mutterland Wirkung auf Menschen jener Zeit ausübten und Teilhabe an der Königsherrschaft Gottes, sowie für Konturen. Die Sprecher wissen um das unentrinn-
Palästina oder in den Diasporagemeinden - vor- deren Sympathie wecken konnten.' die Bösen Niedergang und Verderben bedeutet bare Schicksal, das den Menschen am Ende erwar·
nehmlich im ptolemäischen Herrschaftsgebiet der Schließlich liegt in 6,1-21 das Finale als Ent- tet. Sterben bedeutet für sie Untergang, Auflösung
westlichen Diaspora Ägyptens -, überall stieß man Der dramatische Aufriß von Weish 1,1-6,21 sprechungsglied zu 1,1-15 vor_8 und Vernichtung. Sie greifen in diesem Zusammen·
auf Innovationen, und eine Antwort dazu war gefor- hang zu Vergleichen, die Flüchtigkeit und
dert Drei Möglichkeiten bei der Begegnung mit der Ein aufschlußreiches Beispiel für das jüdische Die Bedeutung von 1,16-2,24 Unbeständigkeit menschlicher Existenz betonen:
"Moderne" boten sich an: Isolation, Assimilation Adaptionsbemühen auf literarischem Sektor bietet Der Atem gilt als verfliegender Rauch (V. 2), der Leib
und Adaption. Der dritte Weg wurde am häufigsten das Buch der Weisheit Gute Gründe sprechen 1,16·2,24 als Schürzung des Knotens bildet zerfallt zu Asche und der Geist verweht wie dünne
beschritten_ Adaption bedeutete: Man öffnete sich dafür, daß das Werk in Alexandrien am Ende des 2_ somit einen wesentlichen Bestandteil des aus dra· Luft (V. 3), Name und Tat eines Menschen werden
der Gegenwart ohne Preisgabe biblischer Tradition bzw. zu Anfang des L jhs. v_ Chr_ entstanden ist 3 matischen Elementen sich zusammensetzenden vergessen (V, 4), das Leben entweicht wie die Spur
und jüdischer Identität und versuchte auf diese Diese im westlichen Nildelta von Alexander dem ersten Blocks von Weish (1,1·6,21)_ Die Szenerie ist einer Wolke und löst sich auf wie Nebelschwaden
Weise, einen gangbaren Weg in die Zukunft zu fin- Großen im jahre 332 v. Chr. gegründete Groß· dabei von vermessenen Worten der Gottlosen (V 4), die dem Menschen zugeteilte Zeit gleitet
den. stadt4 bot ein multiethnisches und interkulturelles geprägt, die Fatalismus und Genußsucht, Arroganz vorüber als ein Schatten (V. 5). Der nihilistische Zug
Gepräge und rückte bald zur Metropole ("Mutter· und Aggression erkennen lassen. Gleichzeitig ist reicht dabei so weit, daß über eine Topographie der
Judentum und Hellenismus stadt") von Kunst und WissenschaftS in der helleni- diese übermütige Rede von Wertungen des Unterwelt mit konkreter Ausfaltung des Übels, der
stischen Welt auf. Dort lebten Griechen, Makedo· Verfassers gerahmt (1,16; 2,21-24), die die sträfli· Finsternis, der Stlile, der Kälte und der Häßlichkeit,
Das Zusammentreffen des judentums mit grie· nen, Ägypter, juden' und SyreL chen Äußerungen der Frevler zurechtrücken und sei es nach Art der biblischen Scheol" oder des grie·
chisch·hellenistischer Kultur war vielf<iltig, sei es Es ist nicht verwunderlich, daß das im Umfeld einen künftigen Wandel der jetzigen desolaten chischen Hades", überhaupt nichts verlautet. Wenn
nun im Bereich der Architektur (Gymnasien, von Museion und Bibliothek geschaffene Opus hin· Situation erwarten lassen. auch eindringliche Vergänglichkeitsklagen bei Ijob
Theater, Tempel)!, der Naturwissenschaften (Ma- sichtlich Gestalt und Gehalt eine enge Anlehnung und in verschiedenen Gebetsliedern sowie recht
thematik, Physik, Astronomie, Geographie, Botanik, an griechische Vorbilder erkennen läßt' So greift Zur Personifizierung des Todes (1,16) kritische Reflexionen über menschliche Unzuläng-
Zoologie), der Medizin, der Philosophie (Epikure· der erste Block des weisheitlichen CEuvres (1,1-6,21) lichkeit und Verlorenheit bei Koh angetroffen wer·
ismus, Stoizismus, Kynismus, Pythagoreismus, Elemente des griechischen Dramas auf, ohne ein In 1,16 ist ein Hang zur Personifizierung des den, so liegen hier Ansichten vor, die aufgrund ihrer
Skeptizismus) und der Literaturwissenschaft (Epos, Drama im genauen Wortsinn vorzulegen. Mit Bau- Todes zu beobachten, denn die Frevler rufen ihn Radikalität eher der griechisch·hellenistischen Welt
Lyrik, Drama, Geschichtsschreibung)_ Infolge der steinen besagter Literaturgattung gelingt es dem herbei, sehen in ihm einen Freund und schließen zuzusprechen sind. Als Redner agieren Personen,
Hellenisierung der östlichen Mittelmeerwelt bis an Autor, Skepsis und Bedrängnis, Hoffnung und mit ihm einen Bund-' Die Notiz entbehrt nicht iro- nach deren Identität man immer wieder geforscht
die Grenzen Indiens war Griechisch WeItverkehrs- Zuversicht wirkungsvoll darzustellen: Weisheitliche nischer Züge, da die genannten Personen gerade hat Es zählt bekanntlich zu den Besonderheiten
sprache geworden (eine Art antikes Englisch) und Mahnworte bilden den Prolog/die Ouvertüre (1,1- durch den vermeintlich treuen Partner dem Ver- von Weish, daß fortwährend Eigennamen durch
die griechische Literatur zur Welt- und Muster- 15). Die Schürzung des Knotens erfolgt in der ersten derben und dem Untergang verfallen_ Damit wird charakteristische Vokabeln ersetzt werden_ 12 In all
literatur aufgestiegen_ Diese internationale Ver- Frevlerrede (1,16-2,24). Sodann schließen sich drei bereits auf Verblendung und Tauschung angespielt den Fällen, bei denen es sich um biblische Personen
netzung mittels Sprache hatte zur Folge, daß man Paradoxien als meditativer Mittelteil mit folgenden (vgl. 2,21), die im späteren Eingeständnis eines ver- handelt, bereitet deren Identifizierung keine
jüdischerseits eine Übersetzung der Bibel in das Themen an: Leid und - soweit nach außen erkenn· fehlten Lebens zum Ausdruck kommen (4,20·5,13). Schwierigkeiten. Anders verhält es sich jedoch hier_
Griechische vornahm (Septuaginta). Außerdem ver· bar - unrühmlicher Tod des Gerechten (3,1-12); Mehrere Möglichkeiten der Kenntlichmachung bie-
zichtete man bei der Abfassung neuer Werke auf Kinderlosigkeit der Frommen (3,13-4,6) und deren Der dunkle Abgrund (2,1-5) ten sich an: Es ist nicht auszuschließen, daß der
das hebräische bzw. aramäische Idiom und bedien· frühes Verscheiden (4,7·19). Ein entscheidender Autor von Weish in den Frevlern jüdische Aposta-
te sich stattdessen des Griechischen als der lingua Umschwung samt einer fallenden Linie, die ein 2,1·5 ist von Äußerungen beherrscht, die das ten sah und diesen seinen Figuren Meinungen in
franca jener Zeit (Weish, 2 Makk). Ferner griff man Pendant zu 1,16·2,24 darstellt und gleichzeitig die menschliche Los der Vergänglichkeit und Flüchtig· den Mund legte, die - gemäß "modernen" Strömun·
zu Literaturformen (Koh, Jdt), die in Darstellungs- Verwicklung löst, zeichnet sich in 4,20-5,14 ab. Mit keit in eindrucksvollen Bildern beschreiben_ Das gen jener Zeit - von einer völligen Auflösung des
weise und Linienführung der Geschmacksrichtung 5,15·23 wird im Sinne des Dramas die Katastrophe
8 Zur Komposition und Gattung von 1,1-6,21 s. SchmiU, Wende des 16,672]; Hesiod, Theogonie 212.758/
Die kulturelle Lebensform des Hellen(smus ist die Polfs {"Stadl'J. AlleEn 5 Dort bejand sich das Museion, die erste literaturkundliehe Lebens, 948. JO Scheol als ein durch Tor und Riegel abgeschlossener und dunkler Raum,
in Palästina erfolgte damals die Neugründung von eMa 30 Stadten. Forschungsstätte der Welt, sowie eine Bibliothek, die zeitweise eine Q Im ATfinden sich - im Gegensatz zu 1,16 . nur solche Formulierungen, in dem die Verstorbenen ein vermindertes und beklagenswertes Dasein
S. hierzu A. Schmitt, Der Gegenwart verpflichtet. Literarische Formen halbe Million Papyrusrollen umjaßt haben soll. die nicht mit Sicherheit auj eine Personifizierung des Todes schließen fristen.
des Frühjudentums im Kontext griechisch-hellenislischer Schriften, in: o In Alexandrien lebte die größte jüdische Gemeinde außerhalb lassen; vgl. Hos 13,14; jes 28,15.18; Ps 49,15. (Vielleicht wählte man 1/ Dazu zählen u.a. die Unterweltssträme (Kokytos, Periphlegeton, Lethe,
G. Schmuttermayr u.a. (Hrsg.j, Im Spannungsjeld von Tradition und Palästinas. Zuwanderung und Status der juden VlUrden vornehmlich diese vorsichtige Sprechweise, um sich von Vorstellungen der Umwelt Acheron, Styx), Charon als Fährmann über den Totenjluß und Kerberos
Innovation (FS/. Ratzinger), Regensburg 1997, 63-88. von Ptolemaios VI. Philometor {180· 145 v. Chr.} begünstigt. abzugrenzen. So ist etwa aus Ugarit der Todesgott Möt bekannt.) Bei als Wachhund des Hadeshauses.
3 Vgl. A. Schmit~ Weisheit (NEB), Würzburg 1989, 6. 7 Vgl. A. SchmiU, Wende des Lebens. Untersuchungen zu einem
griechischer Kunst und Literatur hingegen ist eine PersonifIZierung des 12 Vgl. A. Schmitt, Weisheit (NfBj, Würzburg 1989, 31.
In der Blütezeit betrug die Einwohnerzahl mehr als eine Million, Situations-Motiv der Bibel (BZAW 237), Berlin 1996, 11/ Ihanatos ("Todes''l nicht selten jeststellbar; vgl. Euripides, Alkestis; /lias

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Skepsis, Bedrängnis und Hoffnung in Weish 1,16~2,24 Skepsis, Bedrängnis und Hoffnung in Weish 1,16~2,24

Menschen im Tod ausgingen. Außerdem können Der Reichtum und das Glück sind nun gänzlich zer- und quälend empfunden. Das Sterbenmüssen wirft "denk an den Tod") und Empfehlung zum Ver~
sich hinter diesen Äußerungen auch bestimmte phi~ rannen." seinen Schatten auf jedes Leben, und nicht selten kosten des Glücks (carpe diem - "pflücke den Tag"),
10sophische Schulrichtungen hellenistischer Prove~ greift die Furcht vor dem immerwährenden wie sie hier vorliegt, ist in zalhlreichen Schriften
nienz verbergen, wie etwa Epikureer, Skeptiker, Derselbe Athenaios von Naukratis zitiert Alexis, Erlöschen, vor völliger Vernichtung und endgülti~ bezeugt. Bereits die ägyptische (Harfner-Lieder) und
Teile der Stoa und Materialisten jeder Art, die alle einen Dichter der mittleren Komödie (ca. 372~270 v. gern Untergang um sich. Gefragt wird dann: Sind mesopotamische (Gilgamesch~Epos) Literatur be~
den Glauben an ein Fortleben nach dem Tod ver~ Chr.), der einen Sklaven mit folgender Mahnung Zerfall und Auflösung, das Nichtmehrsein und das dient sich dieser Folge. Speziell griechische Autoren
warfen. Die schillernde Vielfalt der angesprochenen auftreten läßt: Aus als Ziel gesetzt? Stehen am Ende etwa doch zeigen eine Vorliebe für ein solches Arrangement
Möglichkeiten gestattet allerdings keine eindeutige "Wir wollen uns freuen, solange es möglich is~ das Vergeblichkei~ Absurdität und Widersinn? In wel~ (Herodot, Euripides, Theognis, Anakreon). Auch
Zuordnung auf eine der in Frage kommenden Leben zu nähren. ehen Variationen derartige Gedanken aktuell unter biblische Passagen bieten besagte Zusammen~
Gruppierungen. Vielleicht ging es dem Verfasser [... [ Verwendung alter Bilder auftauchen können, zeigt stellung von bedrückender Erfahrung und
dabei auch gar nicht um den Verweis auf einen spe~ Das Geschick wird dich erkalten lassen zur festgeset- ein soeben erschienenes Buch von Graham Swift l9, Ermunterung zur Freude (Koh 1,12~2,26; 3,16~22;
ziellen Menschenkreis, sondern ganz allgemein um zen Zeit; das folgenden Sachverhalt behandelt: lack Dodds, 8,1O~ 15; 9,1-10; Sir 14,11 ~ 19). Mitunter stößt man
Personalisierung und Porträtierung nihilistischer du wirst nur das haben, was du ißt und trinkst. ein Schlachter, ist an Magenkrebs gestorben und auch auf die Umkehrung der Sequenz, so daß zu~
Ansichten, die in der damaligen Ära virulent waren. Alles, was übrig bleibt, ist Staub - Perikles, KOdras,
Kimon."IÖ
hat seinen vier zurückgebliebenen Trinkkumpanen, nächst das "carpe diern" anzutreffen ist, dem sich
So lassen beispielsweise Grabinschriften und litera~ einem Buchhalter, einem Leichenbestatter, einem sodann ein Hinweis auf das über alle verhängte
rische Zeugnisse erkennen, daß die Zahl derer, die 1m Hippolytos des Euripides (ca. 485/4~407/6 v. Gemüsehändler und einem Autoverkäufer, aufge~ Todeslos anschließt. 20 Die breite Streuung des
nicht von einer postmortalen Existenz überzeugt Chr.) spricht die Amme mit schwermütigen Worten tragen, seine Asche ins Meer zu streuen. Die behandelten Kompositionsmusters sowohl in der
waren, vom 6. lh. v. Chr. an in der griechischen über die Last menschlicher Existenz (191-197): Freunde fahren quer durch die Landschaft Kent, um altorientalischen als auch in der klassischen und
Welt beträchtlich zunahm: Man liest etwa auf "Mit dunklen Wolken ist alles verhängt. den letzten Willen des Verstorbenen zu erfüllen. biblischen Literatur zeigt an, daß hier die Frage nach
einer Grabsäule aus dem Anfang des 4. lhs. v. Chr. Wir lieben betrogenen Herzens das Licht, Dabei wird in wechselnden Erzählperspektiven auf einer eventuellen Abhängigkeit verfehlt ist. Es han~
für Aristokles vom Piräus in Athen folgendes Wenn es wirklich hier auf der Erde erglänz~ Höhen und vor allem auf Tiefen des Lebens zurück~ delt sich dabei um Einsichten in die menschliche
Epigramm: Denn wir kennen kein anderes Leben. geblickt. Der Roman schließt mit der Ankunft am Grundbefindlichkeit mit entsprechenden Verhal~
"Vielmals habe ich mit Kindern meines Alters süß Wer gibt uns Gewähr von der drüberen Welt? Pier von Margate. Das Ausschütten der Asche dort tensanleitungen, die örtlich und zeitlich unabhängig
gespielt Uns täuschen nur schwankende Bilder."!7
wird zum Symbol und Zeichen des Instabilen; voneinander konzipiert und fixiert wurden.
und aus Erde entstanden bin ich wieder Erde gewor- Flüchtigen und Vergänglichen. Der Glaube an ein
den. Im Tragödienfragment des Euripides zu Melea~ jenseitiges, glückliches Leben findet dabei keinen Macht und Ohnmacht (2,10-20)
Ich bin Aristokles vom Piräus, der Sohn des Menon."13 gros 532 (707) heißt es: Platz mehr. Beim Verstreuen der Asche heißt es:
Athenaios von Naukratis (2.~3.lh. n. Chr.) " teilt "Den Lebenden (soll man) Gutes tun; denn der Tote ist "Der Wind nimmt sie mit. 1m Nu ist sie verschwun~ Bereits oben wurde darauf verwiesen, daß I,I6~
nur Erde und Schatten, und ein Nichts kümmert sich um den, davongewirbelt ... eine dünne, weiße Fahne, 2,24 als Baustein des dramatischen Gefüges der
ein Grabepigramm Sardanapals (~Assurbanipals) mit l5 : nichts mehr."18
"Wohl wissend, daß du (nur) sterblich bist, gehe wie Rauch, bevor sie weg ist." Den letzten Satz des Schürzung des Knotens zuzurechnen ist. Dabei do~
deinen Wünschen nach, Romans spricht einer der Freunde: "Und die Asche, miniert und triumphiert eine anonyme Menschen~
freue dich an den fröhlichen Gelagen. Wenn du ein- Mit den Deklamationen trübsinniger und melan~ die ich in den Händen getragen habe, die der lack gruppe. I,16~2,24 läßt in sich selbst ein Crescendo
mal tot bist, gibt es keinen Vorteil mehr. cholischer Art der von uns nicht genau zu ortenden war, der einmal herumgelaufen ist, wird vom Wind erkennen: Zunächst fallen Äußerungen zur Todver~
Denn auch ich bin Staub, obwohl ich als König über Personengruppe in Weish 2,1 ~5 spricht der Verfas~ davongeweht, wird vom Wind davongewirbelt, bis fallenheit des Menschen, aus der es kein Entrinnen
das große Ninive geherrscht habe. ser allerdings auch ein allgemeines Problem an, das die Asche zu Wind wird und der Wind zu lack, wor~ gibt (2,1 ~5). Aufgrund dieser wenig erfreulichen Ein~
Ich habe nur das, was ich gegessen, was ich selbstbe- jeden Menschen überfallen und bedrängen kann; aus wir gemacht sind." sicht ergibt sich als Konsequenz eine deutliche Auf~
wußt ausgeführt und was ich mit Leidenschaft an Vergnü- denn vor dem Tod werden die dunklen Seiten forderung zum Lebensgenuß, denn niemand weiß,
gungen ausgekostet habe. menschlicher Existenz als besonders bedrückend Genieße den Tag (2,6-9) wie lange eine derartige Möglichkeit noch offen~
/J G. Pfohl, Griechische Inschriften, München 01, 19/ (Nr. 14). - Die Aus·
steht (2,6~9). Sodann hört man von den Nachstel~
'" Obwohl Athena{os von Naukratis erst der nachchristlichen leit
führungen des dorischen Komödiendichters Epicharmos (5Jh. v. Chr.) angehört,finden sich doch bei fhm alte und wertvolle Oberliefenmgen. Nach der Schilderung der instabilen Verhält~ lungen bösartiger Leute gegen den Gerechten (2,1O~
zum Tod unterschefden sich hiervon betr/ichtlich (gegen Pfohl und 15 G. Kalbei. AthenaefNaucratilae Dipnosophistarum libTiXV, vol. IIlibri
andere), da mit dem Entweichen des Atems nach oben wahrscheinlich V/X (BSGRn, Stuugart 1965, 238 (336aj.
nisse in 2,1 ~5 folgt eine Aufforderung zum Genuß 20). Die üblen Machenschaften und Anschläge je~
eine Anspielung auf den astralen Unsterblichkeitsglauben gegeben wird: 16 Kaibet, Athenaei Naucratitae ... 240 (336jJ. der gegenwärtigen Stunde (2,6~9). Diese Kombina~ ner eskalieren in folgender Weise: Verfolgung
"fDie Elemente} fügten sich zusammen und wurden getrennt; 17 E. Buschor, Euripides (Alkestis, Medeia, Hippolytos) 1, München 1972,
sie kehrten dorthin zurück, woher sie gekommen waren, 198/
tion von Vergänglichkeitsklage (memento mori - (2,10.12.17); körperliche Mißhandlung (2,19); Mord~
die Erde zur Erde, der Atem nach oben. JB G.A. Seeck, Euripides {Fragmente, der Kyklop, Rhesos} VI, Münc{Ien
Welche Beschwernis gibt es bei alledem? Oberhaupt keine." 1981,230/ N Letzte Runde (englischer Titel: Last Orders), München 1997. (Hrsg.), Text, Methode und Grammatik (FS W. Richter), St. Ottilien 1991,
{G. Kaibet, Comicorum Graecorum Fragmenta I/I, Berlin 1899, /36 20 Näheres dazu bei A. Schmitt, Komposition, Tradition und zeitgeschicht- 403-421, hier: 406·408.
(Nr.245}J. licher Hintergrund in Weish 1,16-2,24 und 4,20·5,23, in: W. Gross u.a.

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Skepsis, Bedrängnis und Hoffnung in Weish 1,16-2,24 Skepsis, Bedrängnis und Hoffnung in Weish 1,16-2,24

plan (2,20J. Der Gerechte, der selbst weder auftritt Hoffnung und nicht hofften sie auf den Lohn für Frömmig- in gewohnt redundanter Manier dieses CEuvres
noch spricht - man hört lediglich von den gegen keit wird innerhalb von Gen 1,26f die Vokabel "Abbild"
ihn gerichteten Plänen -, gerät also mehr und mehr In 2,21-24 gibt der Autor eine kurze Wertung und nicht rechneten sie mit einem Ehrenpreis dreimal verwendet - Würde und Auszeichnung des
in Bedrängnis, während die aggressiven und tonan- hinsichtlich der Ausführungen von 2,1-20. Dieses für untadelige Seelen." Menschen, der unter den Geschöpfen einen heraus-
gebenden Opponenten die Szene beherrschen. geraffte Urteil über das Verhalten der Gesetzwidri- Diese dreifache Entfaltung der Verblendung ragenden Platz einnimmt. Er ist für diese Welt
Trotz der Tatsache, daß der Gerechte nicht selbst gen bildet teilweise ein Entsprechungsstück zu 1,16- wird jeweils in der nämlichen syntaktischen Forma- Repräsentant, Stellvertreter und Sachwalter Gottes.
auftritt, agiert und spricht, informiert die Frevler- 2,la: In 1,16-2,la hört man nämlich vom Bündnis tion dargeboten, um dem Leser die Bedeutung der Diese Darlegung der Priesterschrift von großem
rede dennoch den Leser in indirekter Form über der Bösen mit dem Tod, vom Verdikt über diese so- Aussage insgesamt unter jeweils verändertem theologischem Gewicht führt der Verfasser von
dessen Lage, Haltung und Ansichten: Er, der Ge- wie von deren Lebensirrtum. Mit 2,21-24 wird dann Aspekt einzuschärfen. Verblendung hat zunächst Weish noch weiter, indem er damit die Unvergäng-
rechte, beschuldigt ungeachtet möglicher Nachteile dasselbe Thema behandelt: Gesinnung und Aktionen biblische Vorgaben: lichkeit verknüpft. Aufgrund kontextlicher Fakten
seine Feinde der Mißachtung des Gesetzes und der der Bösen unterliegen einer fundamentalen Fehlein- So kann dieser Zustand durch jahwe selbst auf- (3,1-9; 4,7-19; 5,15fJ ist mit dieser Unvergänglichkeit
Erziehung (2,12). Seine fromme Lebensführung for- schätzung; am Ende ist ihnen der Tod beschieden. grund vorausgehender schuldhafter Taten veranlaßt eine Existenz des Menschen jenseits des Todes
dert Abneigung und Haß seiner Widersacher heraus Eine Erweiterung und dadurch eine Steigerung von sein; vgl. I Sam 2,25; I Kön 12,15. Dabei muß auch angesprochen. Die Gerechten, gegenwärtig dem
und versetzt ihn daher in eine gefahrliehe Lage 1,16-2,la ist in 2,21-24 insofern gegeben, als nun auf das Verstockungsproblem verwiesen werden, Spott und der Verfolgung ihrer Widersacher ausge-
(2,14-16J. Man plant schließlich, gegen ihn brutal auch das Los der Frommen und damit die paradoxen das sowohl bei Nichtisraeliten (Ex 8,11.28; 9,34f; setzt, erlangen die Unsterblichkeit nicht durch
vorzugehen (2,19J und ihn zu beseitigen (2,20J. Wege Gottes zur Sprache kommen: Die Frommen 1O,IJ als auch beim Volk jahwes selbst Oes 6,8-13J einen großen Namen, nicht durch außergewöhn-
Die mächtigen und gewalttätigen Gegenspieler werden infolge ihrer Lauterkeit und Gerechtigkeit anzutreffen ist. Darüber hinaus nimmt die Vorstel- liche Leistungen, nicht durch zahlreiche Nach-
des Frommen werden möglicherweise auf dem Leben und Lohn durch Gott empfangen. lung von der schicksalhaften Verblendung, also vom kommenschaft, sondern durch eine freie Tat Gottes
Hintergrund von Hybris und Tyrannis präsentiert. Aufgrund einer solchen Wiederaufnahme geistigen Blindsein, einen breiten Raum in der grie- am Anfang.
Gerade das Bild des grausamen und skrupellosen gleichgearteter Überlegungen erhält 1,16-2,24 einen chisch-hellenistischen Welt ein. Vor allem der epi- Im Kontrast dazu ereilt laut 2,24 diejenigen, die
Tyrannen - aus griechischer Geschichte und litera- Rahmen und damit das Signum eines geschlosse- sche (Homers llias und OdysseeJ und dramatische jahwes Weisung mißachten und einer nihilistischen
tur hinreichend bekannt - war geeignet, die Feinde nen Kompositionsteils (lnclusioJ. Diese enge (Tragödien des Aischylos, Sophokles und Euripides J Lebenseinstellung huldigen, der Tod:
des Gerechten in ihrer Bosheit und in ihrem Zynis- Verflechtung wird teilweise sogar durch wörtliche Bereich bieten dafür zahlreiche Beispiele. Die "Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die
mus, in ihrer Menschenverachtung und in ihrem Übereinstimmung unterstrichen; vgl. 1,16d-2,1 a mit schicksalhafte Verblendung bringt für den Men- . Welt,
Übermut, zeitgerecht zu porträtieren. Zwar gibt es 2,2Ia.24. Gleichzeitig präludiert 2,21-24 in gedrun- sehen nach griechischer Vorstellung Verstrickung und ihn erfahren alle, die jenem25 angehören."
auch verschiedene biblische Paradigmen für Ver- gener Form die späteren Ausführungen vom Tausch und Unglück, Leid und Tod. Bereits früher wurde Mit dem Tod, den diejenigen erfahren, die auf
messenheit und Gewaltherrschaft Mächtiger sowie der Plätze zwischen Frommen und Frevlern: Die auf die mögliche Affinität zu Hybris und Tyrannis der Seite des Teufels stehen, kann nicht der physi-
für Bedrohung und Verfolgung Schwacher; den- Ungerechten werden scheitern, während die griechischer Herkunft verwiesen, die möglicher- sche Tod gemeint sein, der ausnahmslos alle
noch ist hier ein Anstoß durch griechische Mytho- Gottverbundenen ein glückliches Los erlangen weise in 2,10-20 vorliegt. Ebenso kann auch hier in Menschen trifft. Vielmehr handelt es sich dabei um
logie, Historiographie und Dichtung (DramenJ nicht (4,20-5,23). Eine solche Änderung bringt eine 2,2lf ein Indiz für die griechische Idee der den eschatologischen Tod, den nur die Gottlosen
auszuschließen. 21 Wie stark daneben allerdings Umkehrung jetziger Verhältnisse mit sich und ein- Verblendung gegeben sein. erleiden (vgl. 3,18f; 4,18f; 5,17-23J, während die
auch biblische Traditionen auf Weish 2,10-5,23 ein- gefahrene Konstellationen werden dann nach Über- Mit 2,23 erfolgt ein Rekurs auf die biblische Frommen für immer in Gott das Leben gewinnen
gewirkt haben, ist daraus zu ersehen, daß sich ver- zeugung des Verfassers auf den Kopf gestellt: Letzte Tradition: (vgi. 3,1-9; 4,7-17; 5,15f). Die theologische Sicht von
schiedene Passagen aus Deutero- und Tritojesaja werden dann Erste und Erste Letzte sein. "Denn Gott schuf den Menschen zur Unver- Weish erlaubte es nicht, Gott selbst mit dem
hier nach Art einer "relecture"22 finden. 23 Speziell 2,21 bietet als Erklärung für das anmaßende und gänglichkeit Ursprung des Todes in Verbindung zu bringen, da
das vierte Gottesknechtlied Oes 52,13-53,12J hat auf uneinsichtige Verhalten der Feinde des Frommen und machte ihn zum Bild seines eigenen Gott gemäß der Konzeption des Werkes ein Freund
2,10-20 eingewirkt. Es ist außerdem möglich, daß in die Verblendung: Wesens," des Lebens ist und alles zum Dasein geschaffen hat
2,10-20 auch Anspielungen und Reminiszenzen auf "Denn ihre Bosheit hat sie verblendet." Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht (1,I3f; 1l,24-26; 16,5-14). Es ist daher konsequent,
aktuelle Ereignisse der Zeitin Form von Bedrängnis, Der die Frevler betreffende Realitätsverlust wird spricht bekanntlich davon, daß der Mensch als daß ein Widersacher Gottes für den Tod als das
Marter und Tod mitschwingen, ob diese nun im sodann in 2,22 dreifach konkretisiert: Abbild Gottes geschaffen wurde und dadurch Ähn- bedrückendste und schlimmste Übel der Welt ver-
Mutterland Palästina oder in der Diaspora den jüdi- "lnfolgedessen 24 erkannten sie nicht die Ge- lichkeit mit Gott gewann (Gen 1,26fj. Mittels einer antwortlich gemacht wird. Dabei identifiziert der
schen Gemeinden zugestoßen waren heimnisse Gottes, solchen Aussage unterstreicht die Priesterschrift - Autor von Weish die Paradiesesschlange mit dem
2/ Vgl. A. Scl1mitt, Alttestamentliche Traditionen in der Sicht einer neuen Wiederaufnahme einer literarischen/biblischen Vorgabe.
Zeit, in:}. Schreiner - K. Wittstadt (Hrsg.j, Communio Sanctorum (FS P.- 23 Dazu Schmitt Wende des Lebens, 18!
W. Scheele), Würzburg /988, 34-52, hier: 36-38; ders., Komposition, 24 Das einleitende griechische kai kann konsekutiv (',injofgedessen'j oder 25 Die Wiedergabe der EÜ W •• die ihm angehören" verwischt die den Tod beziehen, während in Wirklichkeit das erste Pronomen den Iod
409 Anm. 22;ders., Wende des Lebens, 29 Anm. 69 und 10. auch explikativ ("indem'? verstanden werden. Relationen. Der Leser kann nämfich aufgmnd dieser Version meinen, und das zweite den Teufel anVisiert.
2l Unter "relecture" versteht man eine umgestaltende und akzentuierende daß die beiden Personalpronomina ("ihn" und "ihm'? sich jeWeils auf

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Skepsis, Bedrängnis und Hoffnung in Weish 1,16-2,24 Skepsis, Bedrängnis und Hoffnung in Weish 1,16-2,24

Teufel; ferner sieht er den Tod als Folge der urzeitli- bezeugt: So treten die Gesetze in Platons Kriton, Götter" begegnet bei den Tragödiendichtern losen in sich zusammenstürzen sieht. Das unver-
ehen Verfehlung des Menschen an. 26 Beide Inter- und Agnoia zusammen mit Elenchos in den Prolo- Aischylos und Euripides, bei Herodot (Polykrates), ständliche Verhalten und Agieren der Opponenten
pretationen beruhen jedoch nicht auf der Aussage gen Menandrischer Komödien auf; vgl. daneben Pindar und auf Grabinschriften. 27 Auch in den des Frommen sowie deren künftiger Untergang
von Gen 3,1-24, sondern auf Deutungen einer spä- noch die Personifikation von Eirene, Homonoia, außerkanonischen Schriften neben dem AT trifft werden durch die Kategorien "Verblendung" und
teren Zeit, an denen Weish teilhat. Demos, Tyche, Eos, Thanatos, Hypnos, Nike, Eris, man besagte Konzeption an (slawischer Henoch "Neid des Teufels" zu erklären versucht, bei denen
Der Version ,;reufel" liegt im Griechischen die Phobos, Helios. Mit Blick sowohl auf Weish als auch 31,3-6 [A-Rezension]; Leben Adams und Evas 12- Anleihen aus dem hellenistischen Sektor möglich
Vokabel diabolos ("Verleumder, Teufel") zugrunde. auf die biblische und griechische Literatur wäre 17; griechischer Baruch 4,8), die dort ebenfalls sind. In diesem literarischen Konzept spiegeln sich
Diabolos dient innerhalb der griechischen Überset- somit nicht auszuschließen, daß der diabolos von Impulse aus griechischem Geist empfangen haben vermutlich eigene Ängste und Anfechtungen des
zung des Alten Testaments (Septuaginta) fast immer 2,24 eine Personifikation des Bösen an sich zum kann. Verfassers wider, der sich mancherlei Fragen, Un-
der Wiedergabe von satan ("Widersacher"). Satan Zweck der Verlebendigung und Dynamisierung sicherheiten und Angriffen ausgesetzt weiß. Trotz
kann einen Opponenten im zwischenmenschlichen nach bekannter und weithin üblicher literarischer Zusammenfassung aller ungelösten Rätsel verbleibt ihm jedoch die
Bereich benennen und dient darüber hinaus auch Manier darstellt. Trotz einer solchen Möglichkeit ist Zuversicht auf Unsterblichkeit (2,22f). Noch stärker
der Kennzeichnung einer überirdischen Gestalt aus jedoch hier viel eher damit zu rechnen, daß die Weish 1,16-2,24 bildet insgesamt einen Baustein rücken dabei die Adressaten - jüdische Gemeinde-
der Nähejahwes (Sach 3,H) oder aus dem Kreis der Benennung ,;reufel" in vorliegendem Fall über eine einer an dramatischen Vorbildern ausgerichteten mitglieder der Diaspora mit hohem Bildungsgrad -
"Gottessöhne", die den himmlischen Hofstaat bil- Personifikation hinausgeht, da Teufelsvorstellung Komposition, die von 1,1-6,21 reicht. Näherhin han- in das Blickfeld. Die neue Epoche des Hellenismus
den (Ijob 1,6-9.12; 2,1-4.6f). In den zitierten Fällen und Teufelsglaube zur Zeit der Abfassung von delt es sich bei 1,16-2,24 um die aufsteigende Linie und das Leben in der Diaspora bedeutete eine
aus den Büchern Sacharja und Ijob stellt satan Weish bereits feste theologische Konturen gewon- (Schürzung des Knotens) einer auf dramatische erhebliche Herausforderung für das judentum ins-
jeweils ein Appellativum (~Gattungsname) dar und nen hatten. Im Teufel sah man zu dieser Epoche Wirkung angelegten literarischen Gestaltung. gesamt. Nihilistische und fatalistische Strömungen
ist daher immer mit dem Artikel versehen. Nach eine selbständige Gestalt, die als Gegenspieler und Diesem Crescendo dient die im altorientalischen der Zeit verlangten nach Klärung und Entscheidung.
vorherrschender Meinung hat er dabei entweder Widersacher Gottes dessen Pläne zu durchkreuzen und klassischen Schrifttum nicht selten bezeugte Dazu kam vielleicht das Erlebnis von Ohnmacht
als Ankläger, geradezu als "himmlischer Staatsan- und sowohl den Menschen als auch der Welt zu Folge eines Hinweises auf Flüchtigkeit, Begrenzung und Verfolgung, von Zurücksetzung und Ausgren-
walt" oder Opponent, bzw. als Gegner und Wider- schaden versucht. Den Beweggrund für das perfide und Vergänglichkeit (2,1-5) sowie einer an- zung, das die Frage nach Gottes Schutz und Fürsor-
sacher zu gelten. Nur in 1 Chr 21,1 findet sich satan und zerstörerische Vorgehen dieses gefahrlichen schließenden Aufforderung zum Genuß des gegen- ge aufwarf. Dem Zielpublikum, jüdischen Frommen
ohne Artikel und ist demzufolge als Eigenname ein- Opponenten beim Fall des Menschen sieht Weish wärtigen Glücks (2,6-9). Die Szenerie besetzt der und Zweiflern, sollte Stütze und Halt, Mut und Zu-
zustufen. Bei letztgenanntem Fall geht es ebenfalls 2,24 durch den Neid gegeben: Der diabolos miß- anonyme Autor mit Personen, die zunächst Skepsis versicht vermittelt werden, indem das anscheinend
um eine überirdische Figur, die den König David zur gönnte bereits am Anfang der Schöpfung das dem und Zweifel angesichts der Instabilität und Frag- erfolgreiche Treiben der Bösen als Trug und Schritt
Volkszählung anstiftet und damit den Zorn jahwes Menschen von Gott geschenkte Glück und verur- würdigkeit menschlicher Existenz äußern, bis sie in das Leere entlarvt wird. Die kommenden Aus-
herausfordert. sachte deshalb den Sturz Adams und Evas; beide dann ihre Parolen zum Verkosten der jetzigen führungen (3,1-6,21) bauen das Thema "Hoffnung",
Hinsichtlich des Teufels in 2,24 könnte man gingen durch Ungehorsam der Nähe und Gemein- Stunde aussprechen; denn dies ist nach ihrer das in 2,22f kurz anklingt, weiter aus.
daran denken, daß dabei eine Personifikation (Pro- schaft mit Gott verlustig und verfielen dem Tod. Vorstellung die einzige Möglichkeit, die Sinnleere
sopopöie) vorgenommen wird, um den abstrakten Da jüdisches und griechisch-hellenistisches des Lebens zu ertragen. Eine weitere Steigerung Der Autor dieses Beitrags, Prof. Dr. Armin
Begriff des Bösen in konkreter (und beseelter) Form Denken in Weish eine enge Verbindung eingingen, wird sodann noch aufgrund von 2,10-20 erreicht, Schmitt, ist Inhaber des Lehrstuhls für Biblische
darzustellen. Eine solche Erklärung läge insofern liegt es nahe, bez. des Neids des Teufels an den grie- indem die nämliche Personengruppe ihre Absicht Theologie (Exegese des Alten Testaments) an der
nahe, weil es innerhalb von Weish mehrfach zu chischen Topos vom "Neid der Götter" zu denken. kundgibt, Hilflose und Fromme unter Ausnützung Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität
Personifikationen kommt: So werden beispiels- Der "Neid der Götter" als Ursache für menschliches der Macht zu unterdrücken und zu verfolgen. Zur Regensburg.
weise der Tod (1,16), die Weisheit (7,22; 8,4.9; 9,4) Mißgeschick, Verhängnis und Scheitern ist be- Charakterisierung dieser skrupellosen Potentaten Seine Adresse lautet: Universität Regensburg,
und das Wort Gottes (18,14-19) mit personalen kanntlich ein nicht seltener Gedanke griechischer wählt der Autor bevorzugt solche Verhaltensweisen Kath. -Theol. Fakultät, Universitätsstraße 31, 93053
Zügen ausgestattet. Auch der sonstigen atl. Literatur Literatur und Epigramme. Dahinter steht die allge- aus, die sowohl den Bibellesern (Feinde des Regensburg.
sind Personifikationen nicht fremd: Schlechtigkeit meine Erfahrung, daß ungetrübtes Glück und jäher Gerechten) als auch den in griechischer Literatur
(Spr 7,6-27), Weisheit (Spr 8,1-9,6; Sir 24,1-34), Sturz oft nahe beieinander liegen. An die Stelle und Geschichte Bewanderten (Hybris, Tyrannis)
Torheit (Spr 9,13-18). In wesentlich stärkerem Maß bestimmter Gottheiten des griechischen Pantheons vertraut sind. Diesen negativen Fakten wird mittels
als in der Bibel sind ferner Personifikationen für wäre dann gemäß damaliger jüdischer Vorstellung Rahmung (1,16; 2,21-24) eine Hoffnung entgegenge-
Literatur und darstellende Kunst Griechenlands der Teufel gesetzt worden. Der Topos vom "Neid der setzt, die sich auf Gottes Treue und Verläßlichkeit
gründet und von daher die Anmaßung der Gott-
Jo Aujgrund von Gen 2,17; 3,3.19 war es naheliegend, speziell den Tod als allerdings einergenauen Auslegung von Gen 2,4b-3,24 nicht stand.
ein Ergebnis menschlichen Ungehorsams zu sehen. Diese Sicht hält 27 Näheres dazu bei A. Schmilt, Das Buch der Weisheit, Würzburg 1986, 52!

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Versuche der Situierung des Buches der Weisheit in der religiösen Zeitgeschichte und ihre feministische Relevanz

Das Buch der Weisheit scheint nur auf den handlung Philos von Alexandrien (25 v.' 40 n.Chr.)
ersten Blick für eine feministische Lektüre wenig zu anzutreffen. In "De vita contemplativa" berichtet
bieten. Die intensivere Beschäftigung mit dieser Philo von einer jüdischen, monastisch lebenden
Schrift vermittelt nämlich unerwartet spannende Gemeinschaft, den Therapeuten und Therapeutri·
Einsichten in die Welt der jüdischen Frauen und den. Es handelt sich um Aussteigerinnen aus wohl·
Männer, die damals in der griechisch geprägten habenden Gesellschaftskreisen, die auf dem Land,
Weltstadt Alexandria "bei" Ägypten'iebten. Aller· vor allem in der Nähe von Alexandria, ein stark
dings macht es uns die Sapientia Salomonis nicht reglementiertes kiösterliches Leben führen, das
eben leicht, vom Text zu den sozialen, politischen, durch philosophisch·theologisches Studium und das
religiösen Kontexten zu gelangen, zu erkennen, Komponieren von Hymnen, aber auch durch ge·
welchen Sitz im Leben sie hatte, ist sie doch (wie meinsame Liturgien geprägt ist. In diesem Konvent
die meisten Weisheitsschrilten) sehr bemüht, Allge· scheinen Frauen den Männern weitgehend gleich·
meingültiges zu formulieren. Besonders wichtig gestellt gewesen zu sein:
sind daher außer biblische Quellen, die dabei helfen,
den Kontext des Buches wieder zu rekonstruieren, Am Gastmahl nehmen auch Frauen teil, in der
den ich mit anderen kurz vor der Zeitenwende, also Mehrzahl alte Jungfrauen, die ihre Reinheit nicht
zu Beginn der Pax Romana in Ägypten (30 v.Chr.) unter Zwang bewahrten, wie einige von den
vermute.' Einige Beispiele sollen das kurz erläutern. Priesterinnen bei den Griechen, als vielmehr durch
freien Entschluß, aus eifrigem Streben und Sehnen
Die Therapeutriden - jüdische Frauen in nach Weisheit. Da sie mit ihr zusammen zu leben
kontemplativen Gemeinschaften begehrten, kümmerten sie sich nicht um die Freu·
den des Körpers, weil sie nicht nach sterblicher,
Das Buch der Weisheit enthält nur wenige sondern nach unsterblicher Nachkommenschaft
direkte Informationen über Frauen. Bemerkenswert verlangten, welche allein die gottgeliebte Seele aus
ist, daß nach 3,13ff Kinderlosigkeit einer Frau (und sich selbst hervorbringen kann, [...[ (Vit Cont 68).
eines Mannes) entgegen der älteren israelitischen Abb.1: Augustus mit Szepter und Keule vor Isis
Tradition nicht mehr als das größte Unglück eines Es ist sehr wahrscheinlich, daß Philo mit "alten
Menschen betrachtet wird. Stattdessen wird ein Jungfrauen" eine größere Gruppe von Frauen be· Lobgesang in Erinnerung gerufen wird (10,15·21 wende. Im pluralistischen Judentum dieser Zeit gab
grundsätzlicher Vorrang von tugendhafter, freiwilli· zeichnet, die die Menopause überschritten haben.3 und 11·19). Weitere Ähnlichkeiten zeigen sich u.a. es Gemeinschaften, in denen Frauen eine starke
ger sexueller Enthaltsamkeit vor einer weniger Für die freiwillig gewählte Lebensform dieser im Bewußtsein einer besonderen Gottesfreund· Position hatten (vgl. für Palästina Judit, die auch
tugendhaften Lebensführung mit Kinderreichtum Frauen spielte die personifizierte Weisheit jedenfalls schaft, in der distanzierten Haltung gegenüber gän· einen Exodus anführt) und in denen religiöse
formuliert. Konkret bedeutete dies, daß Frauen, die eine große Rolle. Zudem berichtet Philo von feierli· gigen Lebenseinstellungen der Umwelt und in der Frauentraditionen gepflegt wurden.
keine Kinder hatten, haben konnten oder wollten, ehen Chorgesängen der Therapeuten, bei denen die starken Orientierung an einer göttlichen oder
und die freiwillig als Jungfrauen, Ledige oder Rettung Israels aus Ägypten inszeniert wurde, himmlischen Welt, wobei allerdings die Therapeu· Die Macht der Göttin-Isis und Sophia
Verwitwete lebten, derselbe Status in den jüdischen indem die Frauen die Rolle der Prophetin Mirjam, ten jeweils zu viel radikaleren Positionen gekom'
Gemeinden zugestanden wurde wie den verheira· die Männer die Rolle des Mose übernahmen. Auch men sind als die Kreise der Sapientia Salomonis. Es Die Beobachtung, daß die personifizierte Sophia
teten Müttern. Dieses außergewöhnliche Image hier scheint es Parallelen zur Sapientia Salomonis soll nicht unerwähnt bleiben, daß diese jüdische im Buch der Weisheit maßgeblich durch die Gestalt
kinderloser und "jungfräulich" lebender Frauen ist zu geben, wo ebenfalls eine weibliche Gestalt, die monastische Gruppe die Sklaverei grundsätzlich als der Isis und der Isistheologie im spätptolemäischen
nun interessanterweise auch in einer kleinen Ab- göttliche Sophia, den Exodus leitet, der mit naturWidrig und als Folge von Habgier und Gewalt oder frührömischen Ägypten geprägt ist, wurde
brandmarkte, also in dieser Frage deutlich avantgar· bereits vereinzelt in der ersten Hälfte des 20. Jahr·
Für eine ausführliche feministische Exegese der Schrift verweise ich auf lieh er dargelegt als es hier möglich ist. Zur /eministischtheofogischen distischer war als die christlichen Gemeinden im hunderts geäußert. Größere Publikationen in den
meine detailtierteren Beiträge in: Dietrich, Wafter/Klopjenstefn, Manin Relevanz der Schrift vgl. auch den Artikel in Bibe! und Kirche 2/1994 70er und 80er Jahren haben die Zusammenhänge
A. (Hg.), Ein Gott a!1ein? JHWH-Verehrung und biblischer "Zeitfür Grenzübersc1lreilungen ". l.)ahrhundert!
Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientafischen 2 Vgl. LarCher, ChrysoslOme, Le Livre de la Sagesse ou la Sagesse de Der Vergleich der beiden Schriften erhellt so ein dann deutlicher herausgearbeitet. Kloppenborg' ist
Religionsgeschichte (OBO 139), Freiburg SchweiZ/Cöttfngen 1994, Safomon, 3 vOl., Paris 1983.
543-558; in: Zenger, Erich (Hg.}, Einleitung in das Alte Testament, J Kraemer, Ross 5., Monastic}ewlsh Women in Greco-Roman Egypt: Philo Stück jüdischer Frauengeschichte vor der Zeiten· vor allem zu verdanken, daß die Forschung aus dem
Stuttgart u.a. 1995, 277284, und in: "Die Weisheit hat ihr Haus gebaut. judaeus on t/le Terapeutrides, in: Signs: journal 0/ Women in Culture
Studien zur Gestalt der Sophia in den biblischen Schriften'; Mainz and Society /4 (!989), 342-370.
1996, bes. 110- / 15. In beiden Anike{n Ist die Sekundärliteratur ausführ- 4 Kloppenberg,John 5., Isis and Sophia in the Book 0/ Wisdom, HTR 75 (/982), 57-84.

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dem Kopf trägt, das sie von der Göttin Hathor über- den Schoß. Er muß sich um sie mit Studium und
nOmmen hat. Hinter ihr schreitet Harpokrates, das Gebet bemühen, dann erst wird sie von Gott verlie-
göttliche Kind, das aus der Vereinigung mit Osiris hen. Der wichtigste Unterschied zwischen Isis und
hervorgegangen ist Augustus präsentiert sich mit Sophia liegt bei allen Vergleichbarkeiten in ihren
dieser klassischen Szene als König, "geliebt von Rollenzuweisungen. Die ersehnte Beziehung zwi-
lsis", ein Titel, den schon die ptolemäischen Könige schen der Weisheit und Salomo ist eine Liebes- oder
führten_ Er wird in der Beischrift gegrüßt als "Sohn gar eheähnliche Beziehung. Isis aber ist in der ägyp-
des Re, Caesar, der ewig lebt Solange der Himmel tischen Königstheologie eine Muttergöttin par
ist, sind deine Denkmäler. Deine Mutter Isis freut excellence. Gegenüber dem herrschenden König
sich über das, was du getan hast und wendet dir die nimmt sie gern diese Mutterrolle ein, wenngleich
Herzen der Erdenbewohner zu", Isis wird wie in dieser sie auch als seine "Fürstin" bezeichnet und
zahlreichen anderen Beischriften als Lebens- manchmal unter den mehrfachen Titeln der Isis in
spenderin, Herrin von Philä, Fürstin, Ehrwürdige, den Beischriften der Titel "Königsgemahlin" auftritt.
Mächtige, Gottesmutter, Sonnengöttin usw_ tituliert Isis wird auf ungezählten Bildträgern über Jahrhun-
Besonders hervorgehoben wird mehrfach die enge derte als Stillende mit dem Horusklnd auf dem
Beziehung zwischen Isis und ihrem Sohn, dem Schoß dargestellt, als eigentliche Gottesmutter. Das
Caesar, von dem es heißt "Der gute Gott, er läuft Ikon der Gottesmutter mit dem Kind hat, wie wir
eilend, um die Gottesmutter zu sehen, um die wissen, von Ägypten ausgehend die christlichen
f-----, Schönheit der Isis, der Lebensspenderin zu preisen_ Bilder der "Gottesgebärerin" und Gottesmutter
! ',~ :: ,
__ ..L---L~-:- ____ L - __ -----' Sie freut sich bei seinem Anblick, sie ist froh, wenn Maria mit dem Kind geprägt bzw. wurde das alte
------~----------------
sie ihn sieht und ihr Herz ist zufrieden wegen sei- Ikon eigentlich nur inhaltlich und namentlich neu
nes Kommens_" oder" Es strahlt der König auf sei- gefüllt. Bei Abb.2 ist es wiederum Augustus, der den
Abb.2: Augustus öffnet den Schrein der säugenden Isis und zeigt die Statue des Harpokrates den jubelnden nem Thron auf ihren Befehl, und ohne sie werden Schrein der säugenden Isis öffnet und die Statue des
Menschen
keine Pläne gemacht, im Himmel, auf Erden und in Harpokrates den jubelnden Untertanen zeigt.
der Unterwelt." Ihre lebensschaffenden und -schützenden
Stadium reiner Motivvergleiche in der Sapientia Ägyptens erlangte diese Göttin eine vorherr- Ohne Zweifel ist die im Mittelteil der Sapientia Funktionen im Osiris-Horus-Mythos ließen Isis also
und den Isishymnen herauskam und sich stärker schende Stellung. Ihr Kult verbreitete sich unter den Salomonis beschriebene Beziehung zwischen zur Herrin über das Mysterium des Lebens werden
dem Vergleich theologischer Gesamtkompositionen Ptolemäern im Mittelmeerraum bis nach Italien. In - ein mütterliches Image, das die Sophia nicht über-
Salomo und der Sophia von solchen Darstellungen
widmete. So unterscheidet er drei Typen der Isis- den Ausgestaltungsprogrammen aller ägyptischen und den zugehörigen Texten mitgeprägt worden_ nahm, genausowenig wie die älteren Weisheits-
verehrung im I.Jh.v.Chr.: die Isisverehrung der ein- Tempel figurierte diese Göttin. Besonders wichtig Salomo sucht durch die Weisheit zu einer den schriften die personifizierte Weisheit mit der
fachen Leute, die Isis der ptolemäisch-römischen aber waren für die Isisverehrung die zahlreichen Menschen wohlgefälligen Herrschaft und zur Mutterrolle assoziierten. So diente die ägyptische
Königstheologie und die Isis der GriechInnen, wie großen und kleinen Heiligtümer, die speziell der Isis Unsterblichkeit (6,18f; 8,13- 17) zu gelangen_ Er hält Isismythologie den Verfasserinnen der Sapientia in
sie uns in den sog. Aretalogien begegnet. Der erste gewidmet waren. Der Isistempel von PhiIä ragt die Sophia für die Architektin und Mystin des manchen Aspekten als Vorbild, in anderen zur
Typ hatte keinen nennenswerten Einfluß auf die unter diesen Bauten hervor. Er wurde noch unter ganzen göttlichen Weltplans (Himmel, Erde, Unter- Abgrenzung. Beides aber förderte einen seriösen
Verfasserinnen des Buches der Weisheit und kann den römischen Kaisern erweitert, und diese Fremd- welt). Die Sophia ist, wie die Isis, eine göttliche interreligiösen Dialog des Diasporajudentums mit
ausgeklammert werden. Wie wichtig hingegen die herrscher liebten es, sich in ägyptischer Manier als Gestalt, die Garantin des Herrscherhauses, deren seiner dominanten polytheistischen Umwelt und
anderen beiden Bereiche von Isisverehrung für das Pharaonen bei den stereotypen Opferhandlungen Schönheit gepriesen wird (vgI. Weish 8,2). Es wäre eine konstruktive, kluge interkulturelle Begegnung
Verständnis der personifizierten Sophia im Buch der vor den ägyptischen Gottheiten, besonders vor Isis jedoch kurzsichtig, nur die Ähnlichkeiten zwischen und Theologie.
Weisheit sind, sollen wiederum einige Beispiele zei- darstellen zu lassen. Im Geburtshaus des Isis- der Isisikonographie und der Königstheologie der
gen. Die häufig erwähnten griechischen lsisareta-
tempels von Philä ist auch Augustus bei einem sol- Sapientia Salomonis hervorzuheben. Es gibt auch logien (Typ 3) haben auf die wahrscheinlich in
Die ägyptische Göttin Isis ist nach der Mytholo- chen Gipfeltreffen zu sehen.' Abb. 1 zeigt ihn links markante Unterschiede. Der legendäre weise Salomo Alexandria entstandene Sapientia Salomonis wohl
gie die Schwester-Gattin des Osiris und Mutter des im Königsornat mit Keule und Szeptern, wie er vor in der jüdischen Schrift betont seine menschliche noch größeren Einfluß gehabt als die ägyptischen
Horus (Harpokrates), den sie als zauberkundige die Göttin tritt, die die Geierhaube der Muttergöttin- Herkunft und Geburt, jedes Attribut von Göttlich- Bildprogramme. Durch Gleichsetzung mit anderen
Göttin vor Gefahren schützt [Typ 2). In der Spätzeit nen und das Kuhgehörn mit Sonnenscheibe auf keit, wie es sich die Caesaren anmaßten, wird ent- Gottheiten hatte sich Isis schon in der ägyptischen
5 Die beiden Abbildungen und der zugehOrige Text sind dem Band von in Philä, Wien 1965 entnommen (Abb./ aaO. S. 256/j Abb. 2 aao. S. schieden abgewiesen (7,1-6). Auch fällt Salomo die Götterwelt mehr und mehr zu einer Allgöttin ent-
Junker, Herrmann/Winter, Erich, Das Geburtshaus des Tempel~ der lsis 2841J_ "Gabe" der Weisheit weder in die Wiege noch in wickelt. Aufgrund des Osiris-Horus-Mythos nahm
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die Göttin eine wichtige Stellung zwischen Das Buch der Weisheit ist. wie die ausgewählten Die ISIS-Hymnen des Isidoros . .
Lebenden und Toten wahr. Ihr wurde Herrschaft Beispiele gezeigt haben mögen, durchdrungen von (aus einem ptolemäischen Tempel bei Medinet Madi im Fajum, verfaßt zwischen 88 und 80 v. ehr.; griechischer Text;
über die kosmischen und irdischen Mächte und der Isismythologie und ·frömmigkeit der Zeit, die in SEG Vlll Ne. 548,550, deutsche Übersetzung von Helmut Engel S])
sogar das Schicksal zugesprochen. So preisen die konstruktiv·kritischer Weise vom judentum inte·
Gebete und Hymnen Isis als Vielnamige mit unzäh· griert wurde. JüdInnen und Sympathisantinnen des HYMNUS J (SEG 548)
ligen Attributen. Sie schenkt den Völkern die judentums in Alexandria kamen mit der Isisreligion Geberin von Reichtum; Königin der Götter, Hermuthis, Herrin,
Sprachen, Alphabete und Wissenschaften. Sie ist unweigerlich in Kontakt, und vor allem auf Frauen Allherrscherin, Gutes Geschick, großnamige Isis,
Patronin der Seefahrt und des Handels, aber auch dürfte diese Religion, die ganz eindeutig emanzipa· DM (= Demeter), Höchste, Entdeckerin allen Lebens!
des gesamten Rechtswesens, sie ist zuständig für torisch wirkte, große Anziehung ausgeübt haben.
Wohlstand und Kindersegen. Das breite Spektrum Dennoch versucht die Sapientia Salomonis nicht, Um vielfaltige Werke sorgtest du dich, um zu verleihen
ihrer Kompetenzen steigerte die Beliebtheit der diesen Kult zu dämonisieren, sondern sie ent- den Menschen Leben und allen Wohlgesittetheit,
Göttin in allen Bevölkerungskreisen mit Ausnahme wickelt aus der eigenen Tradition heraus eine ähnli· und Satzungen hast du aufgezeigt, damit es Rechtlichkeit gibt,
des Militärs. Nachweislich aber suchten vor allem ehe, quasi göttliche Gestalt, die sie in unpolemischer und Fertigkeiten hast du verliehen, damit das Leben wohlgestaltet sei,
auch Frauen den Beistand gerade dieser Göttin und Weise an die Stelle der Isis setzt. In diesem Bemühen und du hast die schönblühende Vegetation aller Früchte entdeckt.
fühlten sich von ihr u.a. auch in ihrem Streben nach ist, wie in den meisten biblischen Weisheits·
Deinetwegen bestehen das Himmelsgewölbe und die ganze Erde
Gleichberechtigung legitimiert. Um einen Eindruck schriften, die Offenheit für den Dialog mit anderen
und das Wehen der Winde und die lieblichscheinende Sonne.
von der Frömmigkeit, die in den Isishymnen zum Kulturen und Religionen erkennbar, aber auch eine Durch deine Macht füllen sich alle Ströme des Nils
Ausdruck kommt, zu vermitteln und diese nicht als Antwort auf die Herausforderungen, vor die jüdi· zur Erntezeit und gießen wogendes Wasser
Zitatensteinbruch zu benutzen, sind hier zwei der sche Gemeinden dieser Zeit durch jüdinnen und über das ganze Land, damit es unaufhörlich Frucht gibt.
drei Isishymnen des Isidor, die in einem ptolemäi· anderen Frauen gestellt wurden.
sehen Tempel in Medinet Madi im ägyptischen Alle Sterblichen, die auf der grenzenlosen Erde leben,
Fajum gefunden wurden und in das jahr 85 v.ehr. Die Autorin ist katholische Theologin und seit Thraker und Griechen und Barbaren,
datiert sind, vollständig abgedruckt.' März 1997 Professorin für Altes Testament und deinen schönen Namen, vielgeehrt bei allen,
Im ersten Hymnus wird Isis u.a. als Retterin aus Biblische Umwelt an der Evang. ·theol. Fakultät der sprechen sie in eigenen Sprachen aus, im eigenen Land.
dem Gefangnis und den Gefahren der Seefahrt ge· Universität Bern. Ihre Adresse: Feldeggstr.28, Astarte, Artemis nennen dich die Syrer, Nanaia,
priesen. Desgleichen wird in Weish 10, aber auch in CH-3098 Köniz. und die Völker der Lyker rufen Leta als Herrin an,
anderen Passagen die rettende Macht der Sophia Mutter der Götter sodann nennen dich die thrakischen Männer,
die Griechen aber Hera die Erhabenthronende und Aphrodite
beschrieben (9,18; 10,1.6.9.13), die ein Schiff zu len·
und gute Hestia und Rheia und Demeter,
ken weiß (10,4 und 14,1·6) und zu den Gefangenen
die Ägypter aber Thivis: denn du allein bist sie alle,
in den Kerker kommt (10,14). Im zweiten, nicht die von den Völkern mit anderen Namen als Göttinnen genannt werden.
abgedruckten Hymnus des Isidor, werden die zahl·
reichen Gaben der Göttin verdankt, die vielen Gebieterin, ich will nicht aufhören, deine große Macht zu besingen,
Reichtum verschaffte, so wie es von der Sophia unsterbliche Retterin, vielnamige, größte Isis,
heißt, daß sie dem Gerechten Reichtum verschafft vor Krieg bewahrst du Städte und alle Bürger,
(3,3·6; 7,11; 10,11). Dieses Motiv erscheint auch am sie und ihre Gattinnen und ihren Besitz und ihre geliebten Kinder.
Anfang des dritten Hymnus, der dann ähnlich wie Alle, die todbedroht im Gefangnis gehalten werden,
das Buch der Weisheit vor allem die Beziehung der und alle, die geplagt werden von langer Schlaflosigkeit mit Schmerzen,
Göttin zu den Herrschern thematisiert. Ihnen wird und die in fremdem Land Umherirrenden
Wohlstand, Friedensherrschaft und langes Leben und aUe, die im Winter auf hoher See fahren,
verheißen. Als Allgöttin ist Isis überall gegenwärtig wenn Männer zugrunde gehen, Schiffe zerschmettert werden,
(vgl. Weish 8,1), sie sieht die Werke der Gottlosen diese alle werden gerettet, wenn sie darum beten, daß du da bist.
und Gottesfürchtigen (vgl. Kap. lf.10) und die Erhöre meine Gebete, du mit großmächtigem Namen,
Tugenden jedes Einzelnen. sei mir gnädig, befreie mich von aller Pein.
b Mitjreundlicher Genehmigungdes Autors/Übersetzers und der Heraus· Erich (Hg.), Lehrerin der Gerechtigkeit fEr/urter 77Jeologische Schriften
geber folgendem Buch entnommen: Enge!, Helmut, "Was Weisheit ist 19j, Lefpzig 199f, 9Sjund 97/ Isidoros
und wie sie entstand, wifl {eh verkünden", in: Hentsche!, Georg/Zenger, hat [es[ verfaßt.

178 179
I

Vom Text zum Kontext Angelika Strotmann


Die Pädagogik Gottes
Überlegungen zum strafenden und wohltätigen Handeln Gottes in Weish 11-19

HYMNUS III (SEG 550)


Wer heute als "aufgeklärter" Christ den letzten durch zwei Exkurse wieder aufgenommen und ab-
Teil von Weish, die Kapitel II bis 19, unbedarft liest, geschlossen. Demgegenüber empfingen die Israeliten
Herrseherin der höchsten Götter, Hermuthis, Herrin,
lsis, reine, heilige, große, großnamige, Deo, wird hin- und hergerissen sein zwischen Zustim- nach 16,2-4 durch die Wachteln in der Wüste Wohl-
ehrwürdigste Geberin von Gütern, allen sterblichen mung und Ablehnung. Auf der einen Seite finden taten, womit Leitprinzip 1bestätigt wird: die Ägypter
Gottesfürchtigen hast du große Gunsterweise und Reichtum gegeben sich dort so ansprechende Aussagen über Gott wie: wurden durch Kleintiere gestraft, während die
und ein angenehmes Leben zu haben und höchste Befriedigung, "Du liebst alles Seiende und verabscheust nichts, was Israeliten durch Kleintiere Wohltaten empfingen.
Wohlstand, Glück und kurnmerfreie Besonnenheit. du geschaffen hast. Ja, du haßt nichts, was du herge- Dieselben Mittel erzeugten also bei Frevlern und
stellt hast" (11,24) oder: "Du verschonst alles, weil Gerechten unterschiedliche Wirkungen, in der
Alle, die höchstglücklich leben, die hervorragendsten Männer, es dir gehört, du lebenliebender Herr." (11,26) Auf zweiten Gegenüberstellung sind das Hunger (= Strafe)
szeptertragende Könige und alle, die Herrscher sind, der anderen Seite beschäftigen sich lange Textpassa- bei den Frevlern und Sättigung (= WOhltat) bei den
diese regieren, wenn sie sich an dich halten, bis ins Alter, gen mit der nicht gerade zimperlichen Bestrafung der Gerechten.
und hinterlassen glänzenden und reichlichen großen Wohlstand Frevler durch denselben Gott, so daß die Frage auf- Nun hätte der Autor von Weish sich durchaus
Söhnen und Enkeln und den Männern danach. kommt, wie denn die Darstellungen des erbarmenden mit den durch die zwei Leitprinzipien bestimmten
Wen aber die Königin am meisten lieb hat von den Herrschern und des strafenden Gottes zusammenzudenken sind. Gegenüberstellungen zufrieden geben können. Das
dieser herrscht sowohl über Asien wie auch Europa, ' tut er aber nicht, da er ein Gespür hat für die Fragen,
er erhält [den] Frieden, Früchte hängen schwer zu seiner Zeit Weish 11-19 als Aktualisierung von die seine Aktualisierung der Exodus- und Wüsten-
von guten Dingen aller Arten, bringen beste Frucht.
Exodus und Wüstenwanderung ereignisse offenlassen. Diese Fragen versucht er, in
Wo immer nun Kriege und richUges Gemetzel [stattfinden]
von unzähligen Massen, da hat deine Kraft, deine Macht,
den zwei schon erwähnten Exkursen zu beantwor-
die Menge gelichtet, den wenigen aber Mut gegeben. Die Überlegungen zum Strafen Gottes in Weish ten, die sehr geschickt in die erste und die zweite
11-19 sind zunächst einmal durch den behandelten Gegenüberstellung eingeschaltet sind, mit beiden
Erhöre mich, Gutes Geschick, der dich anfleht, Herrin, Erzählstoff vorgegeben: die Aktualisierung von eng verzahnt. Der erste Exkurs (11,15-12,27) beant-
ob du nach Libyen oder nach Süden gereist bist, Exodus und Wüstenwanderung. Diese Aktualisie- wortet Fragen nach dem Strafen Gottes. Helmut
oder ob du in den äußersten Gebieten des immer mildwehenden Nordwinds dich aufhältst, rung geschieht auf durchaus ungewöhnliche Art Engel hat diese Fragen in seinem Einleitungsartikel
oder im Wehen des Ostwinds, wo die Sonnenaufgänge, und Weise: a) durch die Kombination hymnischer sehr klar formuliert: "Was kann ,Strafe / strafen',
oder ob du dich zum Olymp begeben hast, wo die Himmlischen [sind], und argumentativer Elemente, deren auffalligstes wenn es von Gott ausgesagt wird, überhaupt be-
oder ob du im Himmel oben mit den Unsterblichen Gericht hältst Kennzeichen der Wechsel zwischen der Du-Anrede deuten? Er ist doch der Schöpfer und Retter / Erlö-
oder ob du den Wagen der schnellaufenden Sonne bestiegen has~ Gottes und der Rede über ihn ist, b) durch sieben ser, der alles zum Sein und zu unvergänglichem
die ganze Welt durchfährst, auf alles herabschaust, Vergleiche, in denen das Schicksal der Gerechten Leben geschaffen hat (1,13-15; 2,22-24)! Wozu ist
auf die Werke der Gottlosen und der Gottesfürchtigen herabsiehst; (Israeliten) dem Schicksal der Frevler (Ägypter) ge- Gottes Strafen gut und sinnvoll?'" Der Exkurs re-
wenn du auch hier anwesend bist, die Tugend jedes einzelnen ansiehst, genüber gestellt wird '. Zwei Leitprinzipien bestim- flektiert theologisch die Spannung, die zwischen
dich freust an SChlachtopfern, Trank· und Speiseopfern men die Art der Gegenüberstellungen. Leitprinzip 1 der Liebe Gottes zu allen Geschöpfen und seiner
der Männer von Arsinoe, die den Gau des Suchos bewohnen
wird in 11,5b formuliert: "wodurch ihre Feinde ge- Gerechtigkeit besteht, und führt sie einer Lösung
vielrassiger Leute, die alle lahr für lahr anwesend sind '
straft wurden, dadurch empfingen sie in ihrer Not zu. Der zweite Exkurs (13,1-15,19) reflektiert über
am zwanzigsten im Monat Pachon und Thot und dir den Zehnten bringen
und dem Anchoes, dem Sokonopis, den heiligen Göttern, zum Fest, Wohltaten." Leitprinzip 11 wird in 11,16 formuliert: die Torheit des Götzendienstes und beantwortet
die du auf Bitten härst, schwarzgewandige Isis, barmherzige, "womit jemand sündigt, damit wird er bestraft." damit die sich aus dem ersten Exkurs ergebende
und ihr, große Gätter im Tempel mit ihr, Wie der Autor von Weish diese beiden Leitprinzipien Frage: "Weshalb und für welche Vergehen bestraft
schickt mir Paian, den Arzt aller Leiden! anwendet, zeigt besonders gut die zweite Gegen- Gott die Frevler?"
überstellung. Er beginnt in 11,15f mit Leitprinzip 11. Die beiden Exkurse sind daher wesentlich mehr
Isidoros Danach werden die Ägypter durch vernunftlose als interessante, doch für das Verständnis des
hat [es[ verfaßt. und widerliche Tiere gestraft (vermutlich wird auf Ganzen nicht unbedingt erforderliche Textab-
die Froschplage aus Ex 7,26-8,11 angespielt), weil schnitte. Sie sind grundsätzliche Überlegungen, die
sie Tiere als göttlich verehrten. Diese Argumen- den hermeneutischen Schlüssel liefern zum richti-
tation wird in 15,18-16,1 nach einer Unterbrechung gen Verständnis der sieben Gegenüberstellungen.
I Zur Gattungs/rage wie zur Aujteilung der sieben GegenüberStellungen auffilligen Vermeidung aller Namen in Welsh.
vgl. den einleitenden Aufsatz von Helmut Engel "Ein alttestamentliches 2 H. Engel, a.a.o. 162,. vgl. dort auch die Frage, die dem zweiten Exkurs
Buch aus der Zel~Jesu': Dortjindet sich auch eine kurze Bemerkung zur zugrunde liegt.
180
181
Die Pädagogik Gottes Die Pädagogik Gottes

Wer sich mit dem Problem der göttlichen Strafe in bewegen. Verstärkt wird diese Absicht durch An- störbarer Geist" wirkt (12,1). Entsprechend ist es Taten haßte sie Gott und wollte sie vernichten.
Weish beschäftigt, muß sich daher a) insbesondere wendung von Leitprinzip I, durch die Erfahrung der ihm als "Iebenliebendem" Gott nicht möglich, dieje- Doch gegen sein eigenes Wissen über ihren bösen
mit der Argumentation des ersten Exkurses ausein- Ägypter nämlich, daß die Israeliten durch die Mittel nigen, die gegen ihn sündigen, wie ein verschmäh- Ursprung und über ihre fortdauernde Weigerung
andersetzen und darf b) nicht aus dem Blick verlie- Wohltaten empfingen, durch die sie selbst gestraft ter Despot zu vernichten. Statt dessen (ver)schont sich zu ändern schonte er selbst diese, weil sie
ren, daß es die Exodusereignisse sind, die erinnert wurden. Mehr oder weniger ist diese Pädagogik er selbst die, die von ihm abgefallen sind (11,26). Menschen waren (l2,8a). Er richtete sie nur nach
und aktualisiert werden. Gottes gegenüber den Ägyptern in allen sieben Doch Schonung besagt nicht, ebenso wie das Über· und nach, um auch ihnen Raum zur Umkehr zu
Vergleichen erkennbar. Die als Strafen verstandenen sehen der Sünden in 11,23, daß die Sünder keine geben (12,lOa).
Über Gottes Liebe und Gerechtigkeit in Plagen sind daher keine Willkürakte, sondern Ant- Konsequenzen für ihre Taten fürchten müssen. Sie Das Beispiel macht heutigen Leserinnen aller-
Weish 11,15-12,27 worten auf entsprechende Vergehen der Ägypter, werden durchaus gestraft, allerdings nicht ihren dings zu schaffen. Es beginnt mit der abschrecken-
die außer der Strafe in der letzten Gegenüberstel- Sünden entsprechend, sondern nur schrittweise, den, klischeehaften Darstellung eines bestimmten
Weish 11,15-12,27 läßt sich in zwei große Ab- lung (die Vernichtung der Ägypter im Meer) immer mit dem pädagogischen Ziel, "sich vom Bösen abzu- Volkes, geht weiter mit einem Verständnis von
schnitte gliedern, in 11,15-12,2 und 12,3-22- Die wieder deren Umkehr bewirken wollen (16,8.18; wenden und auf den Herrn ihr Vertrauen zu set- Schonung, das die Vernichtung nur hinauszuschie-
Verse 23-27 schließen den gesamten ersten Exkurs 18,2.13). Gott hat also nicht nur die Gerechten im zen." (12,2c) Diese Aussage markiert nicht nur Ende ben scheint, und endet bei einer fast biologistischen
ab und leiten über zum zweiten Exkurs. 3 Schon in Blick, auf deren Rettung er hinarbeitet, sondern und Höhepunkt des ersten Abschnittes von 11,15- Sicht über die angeborene Bosheit dieser Menschen
der ersten Gegenüberstellung, in 11,4-14, wird deut- ebenso die Frevler. Man kann sogar noch weiter 12,27, sondern sie bildet gleichzeitig den inhaltli- und über die Verfluchung ihrer Nachkommenschaft
lich, daß der Autor Gottes Handeln als pädagogi- gehen und vermuten, daß Gott nicht nur das Wohl chen Höhepunkt des gesamten ersten Exkurses. von Anfang an.
sches Handeln begreift. Allerdings scheint Gott der Gerechten will, sondern auch das Wohl der Das bestätigen die Verse 12,10 und 12,20, die das Es ist deutlich, daß der Autor die schlimmsten,
zunächst nur die Gerechten zu erziehen. Sie sollen Frevler - eine Vorstellung, mit der wir außerhalb formulierte pädagogische Ziel des göttlichen ihm bekannten Vergehen von Menschen in die
durch den kurzen Durst in der Wüste und die des theologischen Diskurses bis heute durchaus Strafhandelns an den Gottlosen wieder aufnehmen: Kanaanäer hineinprojiziert, um die Größe der göttli-
anschließende unverhoffte Wassergabe aus dem unsere Schwierigkeiten haben_ Gott straft selbst diejenigen, die des Todes schuldig chen Nachsichtigkeit zu demonstrieren. So proble-
Felsen erkennen, daß Gott ihre Gegner wie ein Das bestätigt und begründet nun der erste Ab- sind, nur nach und nach und mit Nachsichtigkeil matisch eine solche Projektion auch ist - die unser
strenger König verurteilt und straft, sie selbst aber schnitt des ersten Exkurses (11,15-12,2)_ Nachdem und Großzügigkeit, um Zeit und Raum zur Umkehr Autor ja nicht erfunden hat, sondern zum Teil aus
wie ein mahnender Vater in Barmherzigkeit erzieht 11,17-20c über die unbegrenzten Möglichkeiten der zu geben. 12,20c wiederholt sogar fast wörtlich seiner Tradition übernimmt -, muß doch beachtet
(11,8-10). Demgegenüber ist zunächst nicht klar, strafenden Macht Gottes reflektiert hat, folgt in 12,2c: Gott straft so nachsichtig, damit "sich die werden, daß er eine Menschengruppe als Exemp-
was die göttliche Strafe bei den Frevlern bewirken V20d eine erste Selbstbeschränkung dieser Macht. Sünder vom Bösen abwenden". Kein Zweifel also, lum aUSWählt, die zu seiner Zeit schon lange nicht
soll, ja ob sie überhaupt etwas bewirken solL Daß Denn Gott hat die Welt "nach Maß, Zahl und Ge- daß die Strafe als pädagogisches Mittel für den mehr existierte. Die sogenannten "biologistischen"
auch sie etwas erkennen sollen, könnte 11,13b wicht geordnet" und - so suggeriert der Text - auf Autor von Weish letztlich dem Wohl der Bestraften Aussagen beziehen sich auf Gen 9,18-2Z Dort wei-
andeuten: "denn als sie hörten, daß durch ihre die solchermaßen geordnete Welt kann sich der dient. Gott will nicht nur das Wohl des Gerechten, det sich Ham Kanaan) am betrunkenen und ent-
eigenen Strafen diese (~ die Gerechten) Wohltaten Mensch auch verlassen. Gott stößt seine einmal sondern auch das des Frevlers, weil er wie der blößten Noah. Als Noah aus seinem Rausch er-
erhielten, da nahmen sie den HERRN wahr." geschaffene Ordnung nicht um_ Auf diese erste Gerechte als Geschöpf Gottes dessen Geist in sich wacht und vomVerhalten Hams erfahrt, verflucht er
Die Verse 15-16 bestätigen nun, daß Gottes Selbstbeschränkung folgt in 11,23ff die zweite, für hat und von ihm geliebt wird. ihn. Nach der Vorstellung unseres Autors wirkt das
pädagogisches Handeln tatsächlich auch die Frevler die Argumentation des Exkurses bedeutendere Der zweite Abschnitt des ersten Exkurses (12,3- böse Verhalten Harns weiter in seinen Nachkom-
mit einschließt. Gerade sie will Gott durch das Leit- Selbstbeschränkung. Sie beginnt mit einem Para- 22) veranschaulicht nun das pädagogische Vor- men. Das griechische Wort EJ.«P1JTO~ ~ eingepflanzt
prinzip 11 zur Erkenntnis führen, daß Sünde und doxon: Gott erbarmt sich aller, weil er alles kann. gehen Gottes an einem für den Autor und seine in 12,lOc (die EÜ übersetzt es mit ,angeboren'),
Strafe sich entsprechen, daß also die Tierplage als Deshalb übersieht er die Sünden der Menschen zur Adressatinnen extremen Beispiel, nämlich am könnte daher bedeuten ,nachträglich übernommen
Strafe aufzufassen ist für die göttliche Verehrung Umkehr (11,23). Hält der Autor hier noch an der Beispiel der früheren Bewohner des Heiligen und dann zur zweiten Natur geworden.' Auf jeden
von Tieren, die Blutplage als Strafe für den Mord an Vorrangigkeit der Macht Gottes fest, macht schon Landes, den Kanaanäern (12,3-11). Diese Menschen Fall hat Gott seine Hand hier nicht im Spiel. Wie alle
den neugeborenen Söhnen Israels (11,6f zu Ex 1,22)_ der nächste Vers deutlich, daß nicht die Macht der werden vom Autor als bodenlos schlecht darge- seine Geschöpfe hat er auch HamlKanaan mit un-
Anders als in der Exoduserzählung haben die Plagen tiefere Grund für das Erbarmen Gottes der Welt stellt, denn sie übten nicht nur verwerfliche Zaube- vergänglichem Geist ausgestattet.
in Weish 11-19 daher nicht nur das Ziel, die Ägypter gegenüber ist, sondern seine Liebe: "er liebt alles, reien aus und nahmen an unheiligen Mysterien teil, Die größten Schwierigkeiten bereitet in diesem
zu bewegen, die Israeliten ziehen zu lassen, sondern was ist, und verabscheut oder haßt nichts, was er sondern sie schreckten auch nicht vor Kanniba- Beispiel aber das Verständnis von Schonung, das die
auch den Ägyptern (Frevlern) ihr sündhaftes Han- gemacht hat." (11,24) In der Schöpfung hat er sich lismus (Essen von Innereien, Menschenfleisch und endgültige Vernichtung nur herauszuschieben scheint:
deln vor Augen zu führen und sie zur Umkehr zu selbst gegeben, so daß in allen Dingen sein "unzer- -blut) und vor Kindermord zurück.4 Wegen dieser "Auch diese hast du wie Menschen geschont, indem
3 Die Gliederung des ersten Exkurses stammt von Helmut Engel, der mir seines Aufsatzes "Ein alttestamentliches Buch aus der Zeit}esu" mächte ~ Der Vorwurf des Kindermordes bezieht sich auf Kinderopfer, ein 106,3738}. Der Bibel sonst unbekannt ist der Vorwurf des Kannibafis-
jreundlicherweise ein Manusskriptteif seines demnächst ersc1Jeinenden ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Vorwurf, der in den brMschen Texten über die Schandtaten der mus, wohl eine verdeckte Pofemik gegen die Mysterienkufle der eigenen
Kommentars zu Welsh zur Verfugung steltte. Auch für die Zusendung Kanaanäerojt vorkommt (z.B. Dm 12,31; 18,9·11; Lev 18,21; 20,2-5; Ps Zeit.

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Die Pädagogik Gottes Die Pädagogik Gottes

du ihnen ... Hornissen schicktest, damit sie diese nach sem Durchgang durch den ersten Exkurs von Weish und Strafe (3,10; 5,17·23). Das Buch der Weisheit teilen sind die Vergehen der Frevler. Das sind keine
und nach zugrunde richten." (12,8) Darüber hinaus 11·19 befriedigend beantwortet worden. Ich möch· hält also weiter an der Gerechtigkeit Gottes fest, das Vergehen von Kindern innerhalb einer Familie, san·
widerspricht sich V8c mit VlOa, wonach Gott auch te daher an dieser Stelle auf zwei meiner Meinung heißt eben auch an der Vorstellung, daß gutes oder dern schwere Verbrechen, wie schon die erste Ge·
den Kanaanäern Raum zur Umkehr gibt. Eine mög· nach grundsätzliche Probleme eingehen, die mit der böses Tun entsprechende Konsequenzen nach sich genüberstellung in Weish 11,6·14 zeigt, die den
liehe Erklärung: unser Autor ließ in V8c unreflek- Rede vom göttlichen Strafen verbunden sind - mit zieht. In vollem Umfang offenbart sich diese blutgetränkten Nil als Strafe für den "befohienen
tiert sein Wissen über das Verhalten der Kanaanäer den göttlichen Wohltaten haben wir naturgemäß Gerechtigkeit aber erst nach dem Tod, wobei das Kindermord" an den neugeborenen Knaben der
einfließen; denn nach biblischer Überzeugung nutz· weniger Probleme - : (I) In den sieben Gegenüber· Wie offen bleibt. IsraelitInnen deutet. Der eigentliche Grund für
ten sie die Möglichkeit zur Umkehr gerade nicht, so stellungen in Weish 11·19 werden die Frevler Weish 11·19 muß auf diesem Hintergrund als diese Verbrechen ist aber der Götzendienst der
daß die allmählichen Strafen Gottes tatsächlich zu bestraft und die Gerechten gerettet, doch in der Paradigma der Hoffnung gelesen werden. Es versi· Frevler, wie die zweite Gegenüberstellung mit der
ihrer allmählichen Vernichtung führten. Realität machen wir häufig die gegenteilige Erfah· chert dem leidenden oder zu kurz gekommenen Aufnahme der Tierplage zeigt. Aus dem Götzen·
Zentrum des zweiten Abschnittes von Exkurs I rung. Die Gerechten scheinen bestraft zu werden Gerechten, daß es sich bei der ausgleichenden dienst und der damit zusammenhängenden Weige·
bildet 12,12, ein Vers, der mit vier rhetorischen Wer· und den Frevlern geht es gut. Zeugen die Leit· Gerechtigkeit nach dem Tod nicht um eine Vertrö· rung, den wahren Gott anzuerkennen und zu ver-
Fragen die Souveränität Gottes betont. Er leitet über prinzipien in Weish 11·19 mitihrem einfachen Tun· stung handelt. Mindestens einmal in der Geschich· ehren, entspringt nach Meinung des weisheitlichen
zu einer nochmaligen Reflexion des Verhältnisses Ergehen·Schema daher nicht von einer großen te, beim Exodus, hat Gott sich ganz offensichtlich Autors alles Übel, alles Verbrechen (Exkurs 11, bes.
von Macht und Barmherzigkeit Gottes. Dabei Naivität und einer Idealisierung göttlicher Gerech· ohne Wenn und Aber als der Retter der Gerechten 14,24·31).
taucht das erste Mal in Exkurs I die Gerechtigkeit tigkeit? (2) Die harte Bestrafung der Frevler und der erwiesen. Daher können die Gerechten darauf ver· Nun ist die Verteufelung des ägyptischen
als grundlegende göttliche Eigenschaft auf, die der geringe Erfolg dieser Maßnahme weckt Zweifel am trauen, daß er so wie damals auch heute an ihnen "Götzendienstes" mehr als fragwürdig und in einer
Autor von Weish ganz eng an die Macht Gottes bin· Sinn des Strafens. Erreicht die Strafe überhaupt das handeln wird, selbst dann, wenn die Menschen Zeit, die den Dialog zwischen den Religlonen bitter
det. Danach ist die göttliche Gerechtigkeit zwar nur gewünschte Ziel, die Umkehr? Wird Gott hier nicht meinen, die Gerechten seien von Gott bestraft. nötig hat, sogar gefahrlich. Auch die "Erziehung"
mit Macht durchzusetzen (12,17), doch diese Macht zum Handlanger schwarzer Pädagogik gemacht? zu (2) Größere Schwierigkeiten als die erste der Gerechten ist in der dargestellten Art und Weise
steht niemals in Gefahr, mißbraucht zu werden. zu (I) Der Vorwurf der Naivität bei der eindeuti· bereitet die zweite Anfrage. Ich möchte mich an - ohne daß ich auf Einzelheiten eingehe - nicht frei
Gott setzt sie ausschließlich in gerechter Weise ein gen Zuordnung von Strafen und Wohltaten in den dieser Stelle allerdings nicht grundsätzlich mit dem von Elementen schwarzer Pädagogik. Und schließ·
(12,15). Die Verse 19·21 fordern die Gerechten Kapiteln 11·19 trifft Weish nicht; denn wie kaum Sinn von Strafe auseinandersetzen, sondern der lieh läßt sich bei einigen Strafen in den sieben
schließlich zur Nachahmung des bisher ausführlich ein anderes Buch der Bibel setzt es sich in seinem Frage nachgehen, ob die Strafvorstellung in Weish Gegenüberstellungen der Eindruck nicht von der
geschilderten göttlichen Verhaltens auf. So menschen· ersten Teil (Weish 1,1·6,21) mit der Erfahrung aus· trotz aller Problematik nicht doch auch heute zum Hand weisen, daß sie dem in Exkurs I anvisierten
freundlich wie Gott sollen auch sie sein (12,19b). Da· einander, daß der Gerechte leidet und Nachteile Nachdenken anregen kann. 6 Festzuhalten ist pädagogischen Ziel der Umkehr der Frevler wider·
mit wird das bisher nur Gott zugeschriebene helle· erlebt, während es dem Frevler gut geht. Weish zunächst, daß in Weish nur die Frevler von Gott sprechen.
nistische Königsideal, das hinter der Betonung von weiß auch, daß selbst Kinderlosigkeit und früher gestraft werden. Mit Ausnahme von Weish 3,4 - Trotzdem halte ich die Art und Weise des göttli·
Schonung, Gerechtigkeit, Nachsicht etc. steht, Tod - nicht nur in der älteren Weisheit als Strafe wO der Gerechte ja nur dem Anschein nach gestraft ehen Strafhandelns an den Frevlern für bemerkens·
demokratisiert. Alle Gerechten haben den Auftrag, Gottes für ein sündiges Leben gedeutet - die wird - ist das griechische Verb KOAa.Sro aus· wert angesichts der in letzter Zeit geführten Diskus·
Gott in dieser Hinsicht nachzuahmen. Gleichzeitig Gerechten ebenso treffen kann wie die Frevler schließlich für sie reserviert. Die Gerechten werden sionen über eine Verschärfung des Strafrechtes in
können sie selbst auf Gottes reiches Erbarmen hof· (3,13·4,19). Weish 3,1·9 bietet nun eine Lösung an, dagegen "erzogen" oder "gezüchtigt". Der Umgang Deutschiand oder die Ausweitung der Todesstrafe in
fen. V22 faßt diese Erkenntnis am Ende des Ex· die schon auf den letzten Teil des Buches hinweist: Gottes mit den Gerechten liegt danach auf der den USA. Gott straft in Weish nicht aus Rache, er
kurses noch einmal zusammen: "Wahrend du uns "nur in der Wahrnehmung der Menschen wurden Ebene der Familie, sein Umgang mit den Frevlern straft auch nicht zur Satisfaktion, um die verletzte
erziehst, geißelst du unsere Feinde maßvoll', damit die Gerechten gestraft, tatsächlich aber hat Gott sie auf der Ebene des Staates. Das bestätigt auch der Ordnung wieder herzustellen. Genausowenig straft
wir, wenn wir richten, deine Güte bedenken, wenn nur ein wenig erzogen / gezüchtigt, und am Ende Vergleich in 11,9f, wonach Gott die Gerechten mit er um abzuschrecken, obwohl die LeserInnen na·
aber wir gerichtet werden, Erbarmen erwarten." empfangen sie große Wohltaten." (3,4·5) Die großer Güte und Freundlichkeit erzieht wie ein türlich auch davor gewarnt werden, das Verhalten
Hoffnung der Gerechten liegt also nicht in einem Vater, die Frevler aber wie ein strenger König be· der Frevler nachzuahmen. Selbst die Prävention,
Zwei Anfragen zum Verständnis der göttli- guten, angenehmen Leben, sondern, so führt der handelt, der sie nach peinlichem Verhör zur Strafe der Schutz und die Rettung der Gerechten vor den
chen Strafe im Buch der Weisheit Autor weiter aus, ihre Hoffnung richtet sich auf verurteilt.' Im Unterschied zu heutigem Verständ· Frevlern, ist nicht der einzige Sinn des göttlichen
Unvergänglichkeit nach ihrem Tod. Dann sind sie nis strafen für Weish also nur staatliche Organe, Strafens, wiewohl er für die Gerechten im Vorder·
Nicht alle Fragen, die heutige Christen an das ganz in Gottes Hand und finden Frieden. Die nicht Erziehungsberechtigte. Entsprechend zu beur· grund steht und von der Exoduserzählung vorgege·
pädagogische Handeln Gottes haben, sind mit die· Frevler dagegen erwartet nach ihrem Tod Gericht
b Ausgeblendet bleibt hier der ganze Komplex von Fragen zur anthropo- Gortes gegenüber den Gerechten vg!. Angelika Strotmann, "Mein Vater
5 Alle griechischen Hss lesen an dieser Stelle das nirgends sonst vorkom- 1986, J04} nehme ich aber aus inhaltlichen Gründen ein Abschreib- morphen Rede über Gott. bist du!" (Sir 51,lO) Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanoni
mende Wort J.wpuJrf/TI = "zehntausend/ach", Mit vielen Exegetlnnen versehen an, so daß ursprünglich pETplon/TI = "maßvoll" zu lesen 7 Das in der Regel mit "Erbarmen" übersetzte griechische Wort hat in 11,9 sehen und nichtkanonischen !rühjüdischen Schriften (FThSt 39J
fz.B. Armfn Schmitt, Das Buch der Weisheit. Ein Kommentar, Würzburg wäre. die Bedeutung von Güte und Freundlichkeit. Dazu und zur Vaterschaft Frankjurt/Main 1991, bes. 116-126.

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Die Pädagogik Gottes Peter Miranda
Das Schicksal des Gerechten in der biblischen Tradition

ben ist. Der letzte Sinn göttlichen Strafens liegt nach Menschen, die extreme Leidenssituationen ehe Aspekt der Vorstellung vom leidenden Gerech-
Die Kirche hat diesen Irrtum entschieden zurückge-
Weish darin, den Frevler zur Einsicht zu führen in wiesen und alle daran erinnert, daß sich die göttliche durchmachen, stellen sich unwillkürlich die Frage ten und die Verwendung dieser Vorstellung besser
die Verkehrtheit seiner Taten und ihm dadurch die Mildherzigkeit bereits im Alten Testament manife- nach dem Warum des Leidens: Warum gerade ich? ins Licht. In diesem Beitrag beschränke ich mich auf
Umkehr zu ermöglichen. Die Strafe, will sie diesen stiert. Dieselbe markionitische Versuchung stellt sich Warum läßt Gott dies zu? Bei diesen Fragen, die die Darlegung des Einflusses der weisheitlichen Tra-
Sinn nicht verfehlen, muß zum einen in Beziehung uns leider auch in der heutigen Zeit. Dabei zeigt sich nicht primär rationale Gründe erfragen, entstehen dition auf die Vorstellung des leidenden Gerechten
stehen zum Vergehen (das betont Leitprinzip I, immer mehr, welch eine Unwissenheit über die tiefe Sprachmuster als Deutungshilfen, die einer Leidens- im Neuen Testament.
wenn auch sicher nicht in unserem Sinn von Straf- Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen bewältigung dienen.
rechtsreform). Zum anderen kann sie nicht bis zum Testament herrscht. Aus dieser Unwissenheit gewinnt Die Bibel des Ersten und Neuen Testaments als Der leidende Gerechte im Buch der
Äußersten gehen, bis zum Tod des Delinquenten, so mancher den Eindruck, die Christen hätten mit den Zeugnisse jahrhundertelanger Glaubenserfahrun- Weisheit
sondern muß "Raum zur Umkehr" geben, und das Juden nichts gemeinsam. gen spiegeln nicht nur Leidenserfahrungen ver·
nicht nur einmal. Diese am Menschen orientierte Jahrhundertelange Vorurteile und Gegensätze schiedenster Epochen wider, sie bietet auch eine Im Buch der Weisheit werden Leiden und Er-
Art des Strafens ist für Weish schließlich nicht nur haben einen tiefen Graben aufgerissen, den die Vielfalt von Deutungsmustern, die je in besonderen höhung/Rettung des Gerechten thematisiert. Beide
eine Sache Gottes, sondern wird auch von den Kirche, angeregt durch die Stellungnahme des Zweiten Situationen entstanden sind. Die Deutungsmuster, Motive ziehen sich wie ein roter Faden durch das
Adressaten des Buches gefordert. Gott erwartet die Vatikanischen Konzils, nun aufzufüllen bemüht ist. die wirkungsgeschichtlich insbesondere zur Deu- ganze Buch. Überhaupt geht es in dieser Schrift um
von ihm selbst geübte Nachsicht und Großzügigkeit Die neuen liturgischen Lektionarien haben den Texten die Beziehung des Gerechten zur WeisheitS.
tung des Schicksals jesu eine wichtige Rolle spielen,
des Alten Testamentes mehr Platz eingeräumt, und
gegenüber den Frevlern ebenso vom Gerechten, sind die bereits vorexilisch nachweisbare Vor- Insbesondere im ersten Abschnitt (Kap 1-5) ist vom
auch im Katechismus der Katholischen Kirche ist es
eine nicht ganz leichte Forderung an die, die gerade ein ständiges Anliegen, sich an den Schatz der stellung vom leidenden Gerechten', das deutero- Leiden des Gerechten, und zwar in der traditionell
noch unter den Frevlern gelitten haben. Wir wären Heiligen Schriften zu halten. nomistische Motiv vom gewaltsamen Geschick des weisheitlichen Gegenüberstellung des Gerechten
schon ein Stück weiter auf dem Weg zu einer In der Tat kann man das Mysterium Christi gar Propheten' und die Gestalt des leidenden Gottes- und des Gottlosen, die Rede (Weish 1,12-16; 2,23f;
menschenfreundlichen Welt, wenn wenigstens nicht vollends zum Ausdruck bringen, wenn man knechts bei Deuterojesaja Ges 52,13-53,12)3. Ich 3,13- 18; 4,7f; 5,15n. Innerhalb dieses Abschnitts
Christinnen und Christen, Jüdinnen und Juden nicht auf das Alte Testament zurückgreift. Die mensch- gehe hier davon aus, daß die Vorstellung vom heben sich Weish 2,10-20 und 5,1·13 als eine litera-
diese Einsicht aufnehmen und umsetzen würden! liche Identität Jesu wird von seiner Bindung an das leidenden Gerechten das grundlegende und auch rische Vorlage vom Kontext ab und bilden durch
Dr. Angelika Strotmann ist Akademische Rätin Volk Israel her bestimmt, war er doch aus dem zeitlich frühere Motiv ist, das in die beiden anderen. ihre wechselseitige Entsprechung ein "Diptychon"6.
für Biblische Einleitungswissenschajten an der Uni- Geschlecht Davids und ein Nachkomme Abrahams, aufgenommen und neu entfaltet worden ist4 Weish 2,10·20 inszeniert das Auftreten der Feinde,
versität Saarbrücken. Ihre Anschrift: Institut für und es handelt sich dabei nicht nur um eine physische Die Grundelemente dieser Vorstellung, nämlich die ihre Absicht bekunden, dem Gerechten un-
kath. Theologie, Postfach 151150, 66041 Saar- Zugehörigkeit. Jesus nahm an den synagogalen das unvermeidbare Leiden und die damit zusam- sägliche Leiden wie Unterdrückung, Anschläge,
brücken. Zeremonien teil, bei denen die Texte des Alten menhängende Rettung durch Gott, bringt Ps 34,20 Schmerzensqualen bis hin zum Todesurteil zuzufü-
Testaments gelesen und kommentiert wurden, und so prägnant zur Sprache: "Der Gerechte muß leiden, gen. Weish 5,1·7 bringt einen Szenenwechsel und
nahm er auch auf menschliche Weise Kenntnis von doch allem wird der Herr ihn entreißen. " setzt eine Gerichtssituation voraus: hier tritt der
Der Papst über die jenen Texten. Er nährte damit Geist und Herz, indem
Wenn wir die Rezeption der Vorstellung vom lei- Gerechte denen entgegen, die ihn verurteilt hatten.
Unentbehrlichkeit des Alten er sich ihrer dann in seinen Gebeten bediente; auch
denden Gerechten im Neuen Testament näher ins Diese müssen nun die nicht für möglich gehaltene
Testaments sein Verhalten war ganz von ihnen durchdrungen.
So wurde er ein echter Sohn Israels, tief verwurzelt in Auge fassen, können wir nicht umhin, die Vermitt- Rettung eingestehen und ihren Irrtum und ihre
Ansprache von Johannes PaulI!. am 1!. April 1997 der langen Geschichte seines Volkes. Als er zu predi- lungsfunktion des Weisheitsbuches zu berücksichti- Ungerechtigkeit bekennen. Das Diptychon knüpft
vor der Vollversammlung der Päpstlichen Bibelkom- gen und zu lehren begann, SChöpfte er reichlich aus gen. Denn auch über das Weisheitsbuch erfolgte die insbesondere in seinem zweiten Teil an das vierte
mission dem Schatz der Schriften, und er bereicherte densel- Aufnahme der Vorstellung vom leidenden Gerech- Gottesknechtslied Ges 52,13·53,12) an und deutet
ben durch neue Inspirationen und unerwartete ten im Neuen Testament. Beachten wir stärker als Ganzes die Gestalt des leidenden Gerechten als
Gemeinsame Nachkommenschaft Abrahams Initiativen. Diese - und das sei wohl bemerkt - zielten diese Rezeption, dann kämen der sozialgeschichtli- des neuen Gottesknechts (Weish 2,13). Weish 5,3·7
Seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert nicht auf eine Abschaffung der alten Offenbarung,
war die Kirche mit der Versuchung konfrontiert, das sondern im Gegenteil darauf, sie gänzlich zur I Vgl. L. Ruppert, Der leidende Gerechte_ Eine motivgeschichtliche J Vgl. H. W. Wofjf,Jesaja 53 im Urchristentum, Berlin 3_ Aujl. /952.
Untersuchung zum Alten Testament und zwischentestamentlichen 4 VgL K. Th. Kleinknecht Der leidende Gerechtfertigte. Die alttestament-
Neue Testament ganz und gar vom Alten zu trennen Erfüllung zu bringen. Selbst der immer hartnäckigere Judentum (FzB 5), Würzburg /972; ders_, Jesus als der leidende lichjüdische Tradition vom "leidenden Gerechten" und ihre Rezeption
und das eine gegen das andere zu stellen, indem sie WIderstand, mit dem sich Jesus bis nach Golgota kon- Gerechte? Der Weg Jesu im Lichte eines alt- und zwischentestamentli- bei Paulus (WUNT 2_ Reihe 13), Tübingen 2. erweit Auf!. /988, S. 52;
jedem eine unterschiedliche Herkunft zuschrieb. frontiert sah, wurde von ihm im Licht des Alten ehen Motivs (SBS 59), Stuttgart 1972; ders., Gerechte und Frevler 55.
(Gottlose) in Sap 1,1 -6,21: H. Hübner (Hrsg.), Die Weisheit Salomos im 5 Vgl. H. von Ups, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament
Nach Markion stammt das Alte Testament von einem Testaments verstanden, welches ihm das den Horizont biblischer 7heologte (Biblisc1/-7heol. Studien 22), Neukirchen (VIMANl] 64), Neukirchen-Vluyn 1990, S_ 128.
Gott, der dieses Namens unwürdig sei, da er rachsüch- Propheten vorbehaltene Los offenbarte. Er wußte Wuyn 1993, S. / -54. \1;1. L Ruppert Der leidende Gerechte S. 70- 102; ders.,Jesus als der lei-
2 Vgl. O. H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten. dende Gerechte? S. 23j; K. 7l1. Kleinknecht, Der leidende GereChtfertigte
tig und blutrünstig sei, während das Neue Testament auch aus dem Alten Testament, daß am Ende die Liebe Untersuchungen zur Überlieferung des deuteronomistischen S_ 104jf
den versöhnlichen und großzügigen Gott offenbare. Gottes immer wieder siegt. Geschichtsbildes im Alten Testament Spätjudentum und Urchristentum
(WMANT 23). Neukirchen-Vluyn 1967.

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Das Schicksal des Gerechten in der biblischen Tradition Das Schicksal des Gerechten in der biblischen Tradition

"klingt Zeile um Zeile an jes 53 an und schreitet Das Buch der Weisheit stammt aus der jüdischen Schicksal des Propheten in diesem Zusammenhang Hinter dem alten vormarkinischen Kreuzigungs·
genau mit dem alten Text fort. "7 Auch die szenische Diaspora in Ägypten, wahrscheinlich aus Alexan· eine große Rolle spielen, ist der Einfluß des Buches bericht (Mk 15,20b·41), ja hinter der ganzen
Darstellung, in der die Gegner das Wort ergreifen, dria. 1O Die Entstehungssituation, die soziale Proble· der Weisheit ebenfalls nicht geringzuschätzen. Passionserzählung steht die Tradition des leidenden
das schließlich zu einem Bekenntnis wird, dürfte im me und Konflikte widerspiegelt, dürfte die letzten jesus erscheint in der Logienquelle als Bote der Gerechten, wie dies die Zitate aus und Anknüpfun·
Anschluß an das Gottesknechtslied geformt sein. Es Regierungsjahre des Ptolemäus XII. Neos Dionysos Weisheit, der als solcher abgelehnt wird (Lk 7,31· gen an die Psalmen 22, 31 und 69 beweisenY
ist allerdings bezeichnend, daß die Aktualisierung (80·51 v. ehr.) und die Zeit Kleopatras VII. Thea 35)12 Grund für seine Ablehnung ist seine Kompli· Bereits das Bekenntnis des Hauptmanns "Wahrhaf·
im Weisheitsbuch einen wichtigen Gedanken des Philopator (51·30 v. ehr.) voraussetzen. Nicht nur zenschaft mit den Ausgegrenzten und Geringen. Er tig, dieser Mensch war Gottes Sohn" (Mk 15,39),
Liedes, die Sühnevorstellung Ges 53,4f), ausläßt. Steuern wurden mit großer Härte eingetrieben, son· nimmt sich derer an, so wie die Weisheit den Ge- das auf die Frage des Hohenpriesters verweist (Mk
Dies dürfte damit zusammenhängen, daß die weis· dem es herrschte in den vierziger jahren wegen ringen im Gegensatz zu den Mächtigen Nachsicht 14,61), erinnert an Weish 2,16.18, wo die Gottes·
heitliche Aktualisierung mehr an Aufdeckung der ungenügender Nilüberschwemmungen Hungers· und Erbarmen zuteil werden läßt (Weish 6,6). Die sohnschaft des Gerechten der Stein des Anstoßes
Schuld als an deren Tilgung interessiert ist. not im Land. In dieser Situation ließ Kleopatra Ablehnungjesu als des Boten der Weisheit wird Lk bei seinen Feinden ist. 18 Dieser Punkt wird in der
Als geschichtlichen Ort dieser Aktualisierung Getreide aus den königlichen Speichern verteilen. 11,49·51 als Verfolgungsleiden und Tötung näher Passionserzählung des vierten Evangeliums, das
nimmt Lothar Ruppert die Situation des Konfliktes Die alexandrinischen juden, die ohne Bürgerrecht charakterisiert. Sicherlich steht hinter der Aus· auch sonst weisheitlich stark beeinflußt ist, zur
zwischen den Parteien der Sadduzäer und Pharisäer waren, wurden bei dieser Nahrungsmittelver· malung der Lebensgefahr das Motiv des gewaltsa· Hauptanklage gegen jesus Goh 19,7; vgl. auch joh
in Palästina unter Alexander jannaios (103·76 v. teilung nicht berücksichtigt. Auf diesen Vorgang men Schicksals der Propheten; 13 dennoch knüpft 5,18; 10,33·39). Zu beachten iSt, daß das Bekenntnis
ehr.) an. Er will die Gestalt des Gerechten im bezieht sich josephus c. Ap. 2,5 und spricht von dieses Q.wort auch an Weish 2,12·20; 5,1·5 an, wo des Hauptmanns eigentlich einer göttlichen Rehabi·
Diptychon mit dem hingerichteten Pharisäer und einer Verfolgungs situation. II In diesen sozialen sich der leidende Gerechte Anfeindungen und töd· litierung des getöteten Gerechten im Sinne von
Toralehrer lose ben joeser aus Zereda gleichsetzen, Kontext scheint das Buch der Weisheit hineinzu· lichen Verfolgungen ausgesetzt sieht. I' Darüber Weish 5,4f entspricht. Und nicht zu übersehen iSt,
welcher zum Prototyp der unter Alexander jannaios gehören. Denn es übt nicht nur Sozial· und Herr· hinaus erscheinen auch die Propheten als Gesandte daß die Passionsgeschichte nach dem Matthäus·
um 88 v. ehr. gekreuzigten 800 Pharisäer gewor· schaftskritik (Weish 19,13·17), sondern sucht auch der Weisheit (Weish 7,27; 11,1), so daß bereits auf evangelium die weisheitlichen Züge des leidenden
den sei und als solcher Modell für den leidenden die Herrschenden und Mächtigen für ein Handeln der Stufe weisheitlicher Überlieferung eine Ver· Gerechten stark hervorhebt (Mt 27,19.40b.43). All
Gerechten des "Diptychon" gestanden habe. 8 Ob nach der Weisung Gottes zu gewinnen (Weish 6,1· mengung beider Vorstellungen, des leidenden dies spricht für die Vermittlerrolle der Weisheits·
allerdings der Konflikt zwischen dem Gerechten 21). In der Reflexion über das Schicksal der unter· Gerechten und des leidenden Propheten, vorberei· , literatur.
und den Frevlern im "Diptychon" nur als religiöser drückten Gerechten greift es allerdings auf die tradi· tet sein wird. Auch im jerusalemwort Lk 13,34f Das Motiv des leidenden Gerechten wird im
Streit zu bestimmen ist, 9 ist für mich eine Frage, tionelle Lehre des Leidens als Prüfung Gottes dürften außer der Vorstellung des gewaltsamen Neuen Testament nicht nur auf jesus, sondern auch
denn die Selbstanklage der Frevler (Weish 5,6f) zurück (Weish 3,5·6) und verdunkelt dadurch den Prophetengeschicks Motive aus der Weisheits· auf seine jünger und die junge Gemeinde ange·
nennt neben dem Abirren vom Weg der Wahrheit prophetischen Protest gegen Unrecht und Elend. tradition enthalten sein. Obwohl der Spruch nicht wandt. Im Zusammenhang mit der Forderung des
als Vergehen das Gehen auf dem Weg des Unrechts Demnach erscheint die Gestalt der Weisheit als per· als Weisheitswort ausdrücklich bestimmt wird und jakobus und des johannes, im Reich Gottes rechts
und das Nichtkennen des Weges des Herrn, wel· sonifizierte Zuwendung Gottes (Weish 6,16). Die außerdem der lukanische Kontext den Zusammen· und links von jesus zu sitzen, wird auf ihr Leiden
ches das soziale Verhalten einschließt. Weisheit steht für den verfolgten Gerechten ein hang mit dem Motiv des leidenden Propheten ver· und Sterben hingewiesen (Mk 10,35·40). Die Ver·
Der Verfasser des Weisheitsbuches verdeutlicht (Weish 2,lOf; 10,11.15; 16,4; 18,2.4f; 19,2f.16), sie stärkt, sind trotzdem die weisheitlichen Motive und gabe der Herrschaftsstellung wird hier nicht ver·
und verstärkt den sozialen Aspekt des Konflikts und schützt und rettet ihn (Weish 9,19). Bilder wie Vogelmutter, Schutz unter ihren Flügeln, neint, sondern als Gottessache deklariert (Mk
setzt eine explosive soziale Situation voraus. Der Ablehnung des Boten und dessen Entschwinden 10,40). Unschwer läßt sich hier auch das weisheitli·
Gerechte erscheint als Prototyp für die Unter· Aufnahme der weisheitlichen Vorstellung sowie das schließliche Eingeständnis seiner Er· che Schema vom Leiden des Gerechten und Erhöht·
drückten und sozial Benachteiligten. Es werden des leidenden Gerechten im Neuen höhung nicht zu verkennen. 15 In diesem Wort liegt werden zur Herrschaft wiedererkennen (Weish
Arme, Witwen und Alte ausdrücklich genannt Testament eine innige Verschmelzung beider Motive, die des 3,8). Der Evangelist Markus stimmt zwar der escha·
(Weish 2,10). Diese sind die Lieblinge Gottes (Weish Prophetenschicksals und des leidenden Gerechten, tologlschen Herrschaftsstellung zu, läßt sie aber als
2,18; 4,10), ihnen gelten Gottes Sorge und Schutz Das Motiv vom leidenden Gerechten wird im nach der weisheitlichen Tradition. 16 Gestaltungsprinzip für Welt und Gemeinde nicht
(Weish 5,15b.16c.d). Seine gottlosen Gegner sind Neuen Testament vor allem auf jesus angewandt. Er
12 Vgl. 1. Christ,Jesu$ Sophia. Die Sophia-Chrfstologie bei den Synoptikern Theologie des Neuen Testaments (NTOA 29), Göttrngen 1994, S. 251-
Machtmenschen, die das Recht verkehren und die erscheint als der leidende Gerechte schlechthin. (AThANT 57), Zürich 1970, S. 63-80; p. Ho/fmann, Swdien zur 275; bes. 2M.
Schwachen eliminieren (Weish 2,11). Es sind über· Daher ist auch seine Erhöhung/Rettung gewiß (Lk Theologie der LOgienquelte (NTANT 8), Münster 3. Auß. 1982, S. 196- !5 Vgf. F. Christ,Jesus Sophia S. 139; 142/
198; 224-231; M. Küchler, Frühjüdische Wefsheitstraditionen. Zum 16 Vgl. F. Christ,Jesus Sophia S. 139.
hebliche und prahlerische Reiche, die auf Reichtum 24,26). Wenn auch die Psalmen vom leidenden Ge· Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des !rühjüdischen 17 Vgl. L Schenke, Der gekreuzigte Christus. Versuch einer literarkritischen
und Macht ihre Hoffnung setzen (Weis 5,8). rechten und die deuteronomistische Tradition vom s.
Jahwegfaubens (aBO 26), Freiburg/Schweiz 1979, 556/; 583-586. und traditionsgeschichtlichen Bestimmung der vormarkinischen
J3 Vgl. 0. H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick 282!; 1. Christ, Passionsgeschichte (SES 69J, Stuttgart 1974, S. 64-66; 68-76; J06-108;
j Vgl. H. W '0/o/ff,Jesaja 53 im Urchristentum, 3. Auf!. BeTlin 19S2, S. 46. !I Vgf. G. Hötbl, Geschichte des Ptolemäerreiches. POfitfk, ideologie und JesU$ Sophia S. /24. L Ruppert,jesus als der leidende Gerechte? 5.48-53.
8 Vgl. L Ruppert, Der leidende Gerechte S. 94,. 1031 religiöse Kultur von Alexander dem Großen bis zur römischen 14 Vgl. H.}. Klauek, "Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit" (1 Kor 18 Vgl. L. Ruppert,Jesus als der leidende Gerechte? S. 53ff.
9 \-gl. L Rupperr, Der leidende Gerechte S. 86; 96. Eroberung, Darmstadt 1994, S. 20S/; 214. J,24J.]üdische WeisheitsüberlieJerungen im Neuen Testament, in: ders.)
IG Vgf. A. Schmidt, Weisheit (NEB 23), Würzburg 1989, S. 6. Alte Welt und neuer Glaube. Beiträge zur Religionsgeschichte und

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Das Schicksal des Gerechten in der biblischen Tradition Volker Eid
Gott - der Herr der Geschichte?

gelten (Mk 10,41-45). In diesem Zusammenhang ist Mit anderen Worten sprüchlichkeit unseres Lebens, das maßlose, him·
"Wer nur den Tod als verläßliche Wirklichkeit be-
der jakobusbrief, der von frühjüdischer Weisheits- melschreiende Leid der unterdrückten und zerstör-
trachtet, steht theoretisch und praktisch, im Reden
tradition bestimmt ist", unbedingt mitzuberück· und Tun, gegen Gerechtigkeit und Leben, also bei der Ich möchte auf die Dialektik der "negativen ten Menschen zwingt uns, von "Gott" zu reden,
sichtigen. jak 5,6 begegnet uns das weisheitlich ver· Partei des Todes. Daraus folgt die Abwertung des Ge- Theologie" Max Horkheimers hinweisen, weil sie in uns entschieden festzumachen beim "ganz Ande-
mittelte Motiv des leidenden Gerechten. Bezeich· gebenen, des Lebens; bleibend ist ja nur der Tod; man ihrer kritischen, zugleich aber sehr engagierten ren". Um so gewissermaßen eine Metanoia zu voll·
nend ist, daß hier der Gerechte nichtjesus, sondern muß sich also nehmen, was man erreichen kann. Beim Stellungnahme zugunsten dessen, was er ,;Iheolo- ziehen in die Überzeugung von der größeren
als Kollektivnamen die verfolgten Gerechten Starren auf den Tod wird das Genießen unersättlich. gie" nennt, der Tiefen-Bedeutung von Glauben Wahrheit des "ganz Anderen" hinein. Es gibt kei-
meint.20 Vor allem ist der sozialhistorische Kontext Die schwächsten Glieder der Gesellschaft {Armer, wesentlich stärker auf die Spur kommt, als manche nen "Beweis" dieses Gottes, es gibt keinen Beweis
zu beachten. Im Unterschied zu den erwähnten Witwe, Greis) werden Opfer gewalttätiger Willkür. systemische Theologie und auch die übliche soziolo· dafür, daß er den Erniedrigten und Beleidigten
Stellen kommen hier die sozialkritischen Aspekte Die unbegrenzten Genußwünsche setzen sich fort im gische Funktions·Analyse. Genugtuung verschaffen wird: "Der Gedanke, daß
stärker in den Blick. Die Gegner des Gerechten maßlosen Machtanspruch bis zum Sadismus. Die Im jahre 1935 hatte Theodor Haecker, vor und die Gebete der Verfolgten in höchster Not, daß die
werden nicht einfach vage als Frevler apostrophiert, Anstößigkeit des "Gerechten" liegt darin, daß er den während der Zeit des nationalsozialistischen der Unschuldigen, die ohne Aufklärung ihrer Sache
sie werden konkret als soziale Schicht kenntlich Allmachtswahn der "Frevler" relativiert und durch sein Regimes als prophetischer Philosoph sehr bekannt, sterben müssen, daß die letzten Hoffnungen auf
gemacht. Es ist die reiche, großgrundbesitzende bloßes Dasein entlarvt. In Frivolität und Brutalität bis eine geschichtstheologische Schrift ("Der Christ und eine übermenschliche Instanz kein Ziel erreichen
Oberschicht, die die frevlerische Tat der Unter· zu Entehrung und Mord zeigen sich ihre im Grunde die Geschichte") veröffentlicht. In einer ausführli- und daß die Nacht, die kein menschliches Licht
drückung begeht Uak 2,6; 5,4). So sind auch mit hilflosen Abwehrversuche. Die Abkehr von der Ge-
chen Besprechung würdigte Max Horkheimer im erhellt, auch von keinem göttlichen durchdrungen
rechtigkeit macht blind und gegenüber dem unver-
"die Gerechten" nicht etwa allgemein religiös "die gängliches Leben verheißenden Gott verständnislos, jahre 1936 sehr respektvoll dieses zeitkritische wird, ist ungeheuerlich. Die ewige Wahrheit hat
Frommen" gemeint, sondern konkret eine soziale sie ist Hinwendung zu Sinnlosigkeit und Tod. Buch wegen der "ihm innewohnenden Sehnsucht ohne Gott ebensowenig einen Grund und Halt wie
Schicht. Es sind die landlosen Armen, die ausgebeu· nach universaler Gerechtigkeit", wegen der deutlich die unendliche Liebe, ja, sie wird zum undenkbaren
tet werden, was sich aus der Bereicherung einer Der Verf. stilisiert die psycholOgische Logik des bekundeten "Verachtung der zeitgemäßen "Weltan· Begriff. Aber ist Ungeheuerlichkeit je ein stichhalti-
kleinen, reichen Oberschicht ergibt. Diese sozialkri· Verhaltens der "Frevler" zu einer "Rede" {2,lb-20) .. ' schauung ... , die bloße Naturmächte, die Nation ges Argument gegen die Behauptung oder Leug·
tische Entlarvung ist ein besonderes Merkmal des Diese Rede und das entsprechende Verhalten ist natür- oder einen Führer verhimmelt". nung eines Sachverhalts gewesen, enthält die Logik
jakobusbriefes, das über traditionelle Appelle zur lich keine Selbstbeschreibung Einzelner oder einer Die Behauptung aber, Gott sei der Herr der . das Gesetz, daß ein Urteil falsch ist, wenn die Kon·
Caritas Uak 1,27) hinausgeht. bestimmten Gruppe von Menschen, sondern ein Geschichte, die Horkheimer sehr wohl als die Be· sequenz Verzweiflung wäre?"
Mit dem Motiv des leidenden Gerechten wer· Negativ-Spiegel zur Glaubensüberzeugung des Verf., hauptung eines massiven kritischen Vorbehalts In einem seiner letzten Interviews (1970) wird
den zum einen die Reichen zur Umkehr aufgefor- eine Skizzierung der "Versuchungen" alttestament- gegen die schrecklichen Machenschaften men- Horkheimer - zum wiederholten Male - erklären:
dert Uak 2,1·9.15; 5,1-6), zum anderen die unter- lich·jüdischen Glaubens. schenverachtender Regime versteht, sei gleichwohl "Alles, was mit Moral zusammenhängt, geht letz·
drückten Armen nicht nur auf die endzeitliche Wenn der Tod für das einzige noch absolut naiv und durchaus problematisch. Denn "die ten Endes auf Theologle zurück, alle Moral ... grün-
Rechtfertigung hin getröstet Uak 5,7·11) und zur Geltende gehalten wird, verbinden sich materialisti- großen kulturellen Leistungen der katholischen det in Theologie - wie sehr man sich auch
grundsätzlichen Gewaltlosigkeit aufgefordert Uak sche Deutung des Menschen und Atheismus, und Kirche, die Sozialpolitik des Mittelalters, die um- bemühen mag, die Theologie behutsam zu fassen."
5,6c; vgl. Weish 2,19), sondern sie werden auch - anstelle aller sittlichen Werte tritt als einziger Maßstab
spannende Vernünftigkeit der theologischen - Logische Frage des Fragestellers: "Was bedeutet
die Macht. Alle Hoffnungen auf eine ausgleichende
wie oben erwähnt - über ihre konkrete Unter· Gerechtigkeit Gottes (im AT mehrfach im Zusammen- Summen und die christliche Kunst (gehören) nicht hier Theologie?" - Antwort: " ... das Bewußtsein
drückungssituation aufgeklärt. Außerdem werden hang mit dem Motiv des verfolgten oder leidenden enger zum Begriff der Kirche als die blutige Ge· davon, daß die Welt Erscheinung ist, daß sie nicht
die Verantwortlichen beim Namen genannt. Hier Gerechten bedacht: vgl. Ijob, Ps, Jes 52·59) gelten als schichte des Grundbesitzes und die heilige die absolute Wahrheit, das Letzte ist. Theologie ist -
wird Weisheit zur Prophetie. Und gerade in diesem illusorisch und absurd und sollen zynisch-sadistisch Inquisition." Der Herr·über·die·Geschichte·Gott sei ich drücke mich bewußt vorsichtig aus - die
Zusammenhang hat das Motiv des leidenden Ge· als leer erwiesen werden." nicht durchdringend als der kritisch-subversive Hoffnung, daß es bei diesem Unrecht, durch das die
rechten eine fundamentale Bedeutung. Von diesem Helmut Engel Widerstand gegen jede Form der Ungerechtigkeit Welt gekennzeichnet ist, nicht bleibe, daß das
Verwendungszusammenhang können auch wir vie· und Unterdrückung durchzusetzen, da sich viele im Unrecht nicht das letzte Wort sein möge."
les lernen. Namen der reinen Wahrheit bei ihren Untaten auf Frage: ,;Iheologle als Ausdruck von Hoffnung?"
DDr. luan-Peter Miranda ist wiss. Referent beim ihn als eine Art System-Gott berufen haben und - Antwort: "Ich möchte lieber sagen: Ausdruck
KBW in Stuttgart. Seine Adresse lautet: Silberburg- berufen. einer Sehnsucht, einer Sehnsucht danach, daß der
straße 121, 70176 Stuttgart. In diesem Zusammenhang formuliert Max Mörder nicht über das unschuldige Opfer trium·
i9 Vgl. H. Frankemölle, Der Jakobusbrie! als Weisheitsschrijt im Kontext Mußner, Der ]akobusbrie! (H7hKNT XIfI/1J, Freiburg 1964, S. 198j; R.
Horkheimer dann eine Art fundamentaler Theolo· phieren möge." .
der jrühjüdischen Weisheit: riiS 33 (1990) 305-313; R. Schnackenburg, Hoppe, jakobusbrie! (SKK NT /5), Stuttgart 1989, s. lOS! H. gie, die sich eindrucksvoll wiederfindet in seinen Schließlich: "Die Sehnsucht nach vollendeter
Die sittlfche Botschaft des Neuen Testaments IJ: Die urcllrisllichen Frankemöl1e, Der Brie! des jakobus, Kapitel 2·5 (ÖTKNT /7/2),
Verkündiger (HThKNT, Suppt. 2), Freibufg 1988, S. 193225. Gütersloh 1994,s. 663-666 denkt bei "dem Gerechten" in jak 5,6 an
letzten Texten: "Gott" kann nicht bewiesen wer· Gerechtigkeit ... kann in der säkularen Geschichte
2_~ Vgl. F. Sc/mider, Der }akobusbriej (RNT), Regensburg /987, S. 114j; f: jakobus den Gerechten. den, wir wissen nichts über ihn. Aber die Wider- niemals verwirklicht werden; denn selbst wenn
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Gott - der Herr der Geschichte? Reinhold Mayer / Inken Rühle
Salomo als Prototyp eines Weisen?
Die Weisheit Salomos - einmal anders
eine bessere Gesellschaft die gegenwärtige soziale und Gewalt, ganz aus der Fühlung mit den Gegen· Salomo in der Bibel Anders als sein Vater war der junge König we·
Unordnung ablösen würde, wird das vergangene ständen heraus solche Perspektiven zu gewinnen, Salomos Klugheit und Reichtum der Kriegsmann noch Eroberer. Vielmehr sicherte
Elend nicht gutgemacht und die Not in der umge- darauf allein kommt es dem Denken an." Salomo den Bestand nach außen durch starke
benden Natur nicht aufgehoben." König Salomo, Sohn Davids und Herrscher Grenzbefestigungen; im Innern aber übernahm er,
Mir scheint, daß Horkheimer nicht behauptet, Literaturhinweise: über ein großes Reich, galt und gilt manchen noch als glänzender Organisator und Logistiker, bereits
"Gott" werde durch die Sehnsucht nach letzter Ge- Theodor Haecker, Der Christ und die Ge- immer als der Weiseste unter allen Menschen. vorhandene Verwaltungsstrukturen - eine Ent-
rechtigkeit konstituiert. Vielmehr verweist er auf schichte, Leipzig 1935, zuletzt München 1965 Seine Weisheit ist gradezu sprichwörtlich gewor· scheidung, die auf Kosten der Israeltradition ging.
die Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit mensch· (zusammen mit: Was ist der Mensch? und Schöpfer den. Schon in biblischen Zeiten genoß er den Ruf, Wahrscheinlich vergab er einer alteingesessenen
licher Existenz, zugleich auf die Ahnung des "ganz und Schöpfung). besonders begnadet zu sein, weshalb ihm auch Elite, Vertretern der kanaanäischen Bevölkerungs·
Anderen", des "Geheimnisses des Menschen" (so Max Horkheimer, Zu Theodor Haeckers "Der einige der schönsten Bibel-Bücher zugeschrieben mehrheit, die wichtigsten Ämter. Die Zivilverwal-
Karl Rahner, auch Eberhard jüngel). Er verweist Christ und die Geschichte", in: Zeitschrift für werden: in seiner jugend habe er das von Eros tung der zwölf alt-neuen Gaue besorgten Vögte, die
aber auch darauf, daß "Gott", der "ganz Andere", Sozialforschung 5 (Paris 1936) 372ff, enthalten in: strotzende Hohelied, in seiner Manneskraft die ein straffes und gefürchtetes Regiment führten. Ob-
nicht einfach systemisch zu "haben" ist, daß sich M. Horkheimer, Kritische Theorie. Eine Dokumen· abständigeren Sprüche, im Alter dann den düster· lag ihnen doch, die beträchtlichen Abgaben und
vielmehr seine kritische Kraft in der Sehnsucht aus- tation (hrsg. von A. Schmidt) Bd. 1, Frankfurt/M. skeptischen Prediger gedichtet (Hld R 1,1). Weisheit Steuern für die aufwendige Hofhaltung zu beschaf-
wirkt. Er ist der Adressat der Klage und Anklage 1968,361-373. hatte Salomo von Gott erbeten, als er den Thron fen, auch Heere von Zwangsarbeitern für die Pracht-
Ijobs, jesu am Kreuz, der in Auschwitz Gequälten Max Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem bestieg (I Kön 3,9), als Dreingabe dann auch noch bauten zu rekrutieren - damals eine einfache Weise
und Vernichteten, aller sinnlos Gemarterten und ins ganz Anderen (Gespräch mit Helmut Gumnior, Reichtum erhalten: und so "wurde Salomo größer der Arbeitsbeschaffung. Im Militär wurde das
Leid Gezwungenen. "Gott" erweist sich im Wider- 1970), in: Gesammelte Schriften (hrsg. von G. an Reichtum und Weisheit als alle Könige auf Volksheer zur SÖldnertruppe umstrukturiert, diese
spruch und in der tiefen Entschlossenheit (dies Schmid Noerr) Bd. 7, Frankfurt/M. 1985,385·404; Erden" (I Kön 10,23). mit Streitwagen aus Ägypten und mit Gespannen
ist "Theologie": Glaube als Überzeugung) zum Ge· vgl. auch die Texte 297ff in diesem Band. Es fallt auf, daß in den Erzählungen von Salomos aus Kleinasien bewaffnet. Zur Finanzierung dieser
rechten. Theodor W Adorno, Minima Moralia. Reflexio- Herrschaft häufig Weisheit und Reichtum nebenein· Aufrüstung betrieb Salomo einen schwunghaften
All dies macht darauf aufmerksam, daß auch nen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt/M. ander genannt werden. Viele kamen von weit her, und einträglichen Pferdehandel (1 Kön 10,28-29).
jüdisch·christlicher Glaube nicht letzte Gewißheit 1951 (und folgende Auflagen) Nr. 153. "um seine Weisheit zu hören, ... auch brachte ihm.
bedeutet, daß der System-Gott eindeutiger überge· Volker Eid, - Privilegiertes Denken? Wieder- jeder (offenbar, um für seinen Rat zu bezahlen) ein Salomo, Herr über Harem und Tempel
schichtlieher Wahrheit nicht zur Verfügung steht, begegnung mit Theodor Haecker in der Perspektive Geschenk: silberne und goldene Geräte" (I Kön
denn der Glaube ist errichtet angesichts der von Walter Benjamin und Max Horkheimer, in: 1O,24f, auch 5,14). Unter diesen Besuchern ragte die Deutlichster Ausdruck von Luxus, Verschwen·
Ungerechtigkeit und wegen des geradezu nihilisti- Bernhard Hanssler u. Hinrich Siefken (Hg.), Königln von Saba heraus, die vor Staunen außer dung und Selbstgefalligkeit am Hofe Salomos war
schen Schmerzes, den sie verursacht; errichtet als Theodor Haecker: Leben und Werk. Texte, Briefe, sich geriet, als sie Salomos Weisheit sah - und den dessen "sagenhafter" Harem mit nicht weniger als
ein von Menschen gemeinsam gelebter Entschluß, Erinnerungen, Würdigungen ... zum 50. Todestag am Palast, das gute Essen und alle Pracht (I Kön lO,4f). tausend Frauen (1 Kön 11,3). Nicht so sehr wurde
den Skandal der menschenvernichtenden Unge- 9. April 1995 = Esslinger Studien 15, Esslingen Zum Schluß bewunderte sie dann auch noch seine von Späteren diese große Zahl als vielmehr die
rechtigkeit nicht zu dulden. Denn letztlich geht es, (Stadtarchiv) u. Sigmaringen Gan Thorbecke) 1995, Brandopfer im Tempel. Tatsache kritisiert, daß ihrer etliche (aus politischem
wie Horkheimer 1936 schrieb, um "die Solidarität 261-270. Kalkül geheiratete) Ausländerinnen waren. Wie in
alles Lebendigen". Salomos Grausamkeit und Organisationstalent den Eheverträgen zugesichert, behielten sie näm-
Max Horkheimer beruft sich mehrfach auf seine Pro! Dr. Volker Eid ist seit 1972 Inhaber des lich ihre eigenen Kulturen und Kulte in jerusalem
Gemeinsamkeit mit Theodor W Adorno. Im letzten Lehrstuhls für Moraltheologie an der Fakultät Kath. All der Prunk an Salomos Hof paßt ganz zum bei, womit sie den alternden König zum Götzen-
Text der "Minima moralia" sagt er: Theologie an der Universität Bamberg. Seine An· Bild eines orientalischen Despoten. Und bereits sei- dienst verführt haben sollen.
"Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweif- schrift: An der Universität 2, 96045 Bamberg. ne Thronbesteigung erweist Salomo als solchen: Er Wie in der Paradieserzählung von 1. Mose/Gen 3,
lung einzig noch zu verantworten ist, wäre der - ein Spätgeborener, der zunächstjedidja, Geliebter so wiesen auch im Königebuch patriarchalisch-
Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom des Herrn, hieß - wurde König nur dank der frauenfeindlich gestimmte Männer·Schreiber den
Standpunkt der Erlösung aus sich darstellen. Intrigen seiner Mutter, Davids Lieblingsfrau Bat· Frauen und nicht dem Frauenhelden die Schuld an
Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung scheba. Bei seinem Regierungsantritt nahm er, seinem Fehlverhalten zu. Dieser Versuch, den tief
her auf die Welt scheint ... Perspektiven müßten her- gemäß ägyptischem Brauche, den programmati· in die pagane Welt verstrickten König wenigstens
gestellt werden, in denen die Welt ähnlich sich ver· sehen Krönungsnamen Salomo, Friedensmann, an, hier zu entlasten, kann aber nicht überzeugen.
setzt, verfremdet, ihre Risse und Schründe offen- was ihn allerdings nicht daran hinderte, zugleich Folgte Salomo doch auch auf allen anderen Gebie-
bart, wie sie einmal als bedürftig und entstellt im mit kalter Brutalität alle Führer der Opposition zu ten den Vorbildern seiner kanaanäischen Umwelt.
Messianischen Lichte daliegen wird. Ohne Willkür verbannen oder gar grausam ermorden zu lassen. Die blühende Kultur der Salomo-Zeit - Ergebnis
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Salomo als Prototyp eines Weisen? Die Weisheit Salomos - einmal anders

gelungener Diplomatie mit befreundeten Nachbar- gesunden Menschenverstand, politischen Scharf- Weisheit besitzen Menschen nicht, sondern geliebten Stadt jerusalem fand. Nach einer Aufzäh-
staaten - war Import wie aus dem Libanongebiet so sinn und Durchsetzungsvermögen, Geldgier und erwerben sie, gehört sie doch nicht in den Bereich lung der Vorzüge der Weisheit wird diese in Y.23
aus Ägypten (und erst in der Herodeszeit ist das Freude am Schönen auszeichnete. Bei all seinem der Natur, sondern der Kultur. Darum sollte - nach voll mit der Tara identifiziert: "dies alles (ist) das
Judentum wieder solchermaßen, dann allerdings von Tun kam der König Israels glänzend ohne die Tara dem Willen der Gelehrten - auch die Weisheit der Buch des Bundes des höchsten Gottes, die Tora, die
hellenistisch-römischer Kultur, bestimmt worden)_ des Mose aus. Denn seine Weisheit war eine Aller- Juden Israel-typisch sein, damit das Volk nicht seine Mose uns befahl, Erbteil für die Gemeinde Jakobs".
Nicht einmal der Tempelbau, der zunächst als weltsweisheit, entstammte der Schöpfung, nicht der Eigenart verliere und in den anderen Völkern auf- Damit war der Weg bereitet für die pharisäischen
das besondere jüdische Werk Salomos erscheint, Offenbarung. gehe. So wurde zwar während und nach der Exils- Lehrer: sie bezeichneten sich selbst als CHA-
erweist sich bei näherer Betrachtung als "inländi- Nach dem Maße der - erst später so formulier- zeit viel Allgemeingut aufgenommen. Aber dies ge- CHAMIM, Weise, schufen ein eigenes Weisheits-
sches Erzeugnis". Die Bibel berichtet, daß der jeru- ten - Tora aber war (nicht nur der alte) Salomo schah nicht länger unkontroIliert, sondern nach buch, die Vätersprüche, umzäunten die TORA mit
salemische König ausländische Architekten anwarb, ein großer Sünder, der praktisch gegen alle Weisung bestimmter Regel, unter Wahrung eigener Tradition. CHOCHMA und schufen dadurch den TALMUD
die einen typisch syrischen Tempel planten, der verstoßen hat, wie sie sich etwa im Königs-Gesetz Um die Tora zu schützen, wurde sie schon früh mit HALACHA und HAGGADA, mit WegeWeisen-
dann mit importiertem Baumaterial von Gastarbei- (5. Mose/Dtn 17,14ff) findet. Was wie für Salomo mit der Weisheit verbunden. So im 5. Mosebuchl dem und Gemeinde-Erbauendem (wozu Christen
tern errichtet wurde. Selbst die Priesterschaft wech- geschrieben zu sein scheint, verarbeitet die vielen Deuteronomium, wenn es etwa in KapA,5f heißt: wohl Gesetz und Evangelium sagen würden).
selte Salomo aus: der vorherige israelische Groß- schlechten Erfahrungen, die Israel im Laufe der leit "Siehe, ich lehre euch Gesetze und Rechte, wie
priester Abjatar wurde zwar nicht ermordet, aber mit seinen Herrschern gemacht hat: "Setze, setze mir's der Herr, mein Gott, gebot, so zu tun im Salomo in der weiten jüdischen Tradition
immerhin verbannt und durch die bei Israelis zuvor einen König über dich, den der Herr, dein Gott, Innern des Landes ... Hütet's, tut's, denn dies ist
unbekannte - und wohl kaum zufallig stamm- erwählt ... du kannst und darfst nicht einen eure Weisheit und euer Verstand vor den Augen der Die Gleichsetzung von Weisheit und Tora hatte
baumlose - ladok-Sippe ersetzt. Fremdmann über dich geben, der nicht dein Bruder Völker, die alle diese Gesetze hören und sagen: für das Bild Salomos in den nachbiblischen jüdi-
Der Bauherr selbst spürte wohl, daß dem Israel- ist. Nur: er mehre sich nicht Pferde. Er kehre Allein, ein weises und verständiges Volk ist dieser schen Texten negative Folgen. Da von Tara-Wert-
Gott (der bis dahin gewohnt war, sich im einfachen das Volk nicht Ägyptenwärts, zu mehren Pferd große Stamm". Diese Entwicklung setzt sich mit schätzung bei ihm rein gar nichts zu finden war,
lelt seinem Volk von leit zu leit zu nahen) dieses um Plerd ... Er mehre sich auch nicht Frauen, daß weisheitlichen Liedern wie Ps 1 und Ps 119 und in konnte er den Späteren nicht mehr ungebrochen als
neue Haus zunächst befremdlich sein könnte. Sonst sein Herz nicht abweiche. Auch Silber, auch Gold der Aufnahme von weisheitlichen Büchern wie dem der überragend Weise gelten. Nicht er, sondern
hätte er bei der Tempel-Weihung wohl kaum gesagt: mehre er sich nicht nach Kräften. Sobald er sich Prediger in die Bibel lort. Vor allem aber das Buch . Abraham, Josef und Mose erscheinen daher als
"Sollte Gott denn wirklich auf Erden wohnen? Da - auf den Thron seines Königtums setzt, schreibe der Sprüche, eine Sammlung von in aller Welt ver- Vertreter Israels und der ToraWeisheit. In umge-
die Himmel, auch die Himmels-Himmel fassen dich er sich ein Duplikat dieser Tora ... Sie sei bei ihm. breiteten Sprichworten, verknüpft die Weisheit der kehrter Entsprechung dazu minimalisiert sich
nicht! Wie gar dieses Haus, das ich erbaute?" (1 Kön Er lese darin all seiner Lebens-Tage, damit er Welt mit dem Gott Israels: so wird etwa betont, daß Salomos Bedeutung in der jüdischen Tradition der-
8,27). Aber gerade darauf kam es Salomo ja an: daß lerne, den Herrn, seinen Gott zu fürchten, zu Gott mit Hilfe der Weisheit die Welt erschaflen habe art, daß er gerade noch als vortrefflicher Kenner der
er das Heiligtum erbaut hatte. Freilich war ihm wahren all die Worte dieser Weisung und diese (Kap.3,19 und vor allem Kap.8), daß er allein Weis- WeltWeisheit und - unmittelbar damit zusammen-
wohl sein eigener Palast gleich nebenan noch wich- Gesetze, sie zu tun ... Damit längt er die Tage über heit gebe (Kap.2,6), darum aUe Weisheit mit der hängend - als Beherrscher der in ihr waltenden
tiger - was sich schon daran zeigt, daß er für ihn sein Königtum, er und seine Söhne, im Innern Gottesfurcht beginne (Kap.!,7; 9,10; 15,33) und zwielichten Mächte dargestellt wird.
wesentlich mehr Bauzeit benötigte. Spätere Aus- Israels." nichts, was dem Herrn entgegen stehe, als Weisheit So erwähnt etwa der jüdische Philosoph Phiion
leger erklärten zugunsten Salomos, daß Geister und gelten könne (Kap.2I,30). Weisheit und Weisung von Alexandria Salomo nur ein einziges Mal: als
der sagenhafte Steinwurm SCHAMIR ihm beim Das Verhältnis von Weisheit und Tora gehören also zusammen (Kap.31,26): CHOCHMA einen der Schüler Moses mit Namen Friedfertig,
Bau des Tempels geholfen hätten. Auf diese Weise kann nicht mehr gegen TO RA stehen, weil das was in der Sprache der Altvordern Salomo heiße
sollte wohl diskret davon abgelenkt werden, daß In früheren leiten hatte einmal nebeneinander Gottesgebot für juden Anfang, Mitte und Ende aller (Über das Zusammenleben 177). Bekannt sind die
der Tempel nur 60x30 Ellen maß (was etwa der gestanden IsraeITORA und Allmenschen- Weisheit ist. wenigen Stellen des Neuen Testaments, wo zuerst
Größe einer Dorfkirche entspricht), während allein CHOCHMA, Weisung des Israelgottes und So deutlich wie sonst niemand schrieb darüber (Mt 6,28f, Lk 12,27) Salomos Pracht erinnert, diese
schon das LibanonWaidhaus, Salomos Jagdschlöß- Weisheit der Welt. Diese wurden seit der Exilszeit jeschua ben Elasar ben Sira, besser bekannt als je- aber zugleich abgewertet wird mit Hinweis darauf,
chen', das nur einen Teil des Palastes ausmachte, im 6. jahrhundert allmählich miteinander ver- sus Sirach. Er hat (um 170 v.d.ü.z.) ein weisheitliches daß jede einzelne Lilie des Feldes schöner gekleidet
mit seinen 100x50 Ellen mehr als doppelt so groß bunden. Auch in Babyion waren juden wieder Buch verfaßt, das - obwohl die Meister des Talmud sei, als er es war. Aber nicht nur als Schönheits-
war wie der ganze Tempel. starken Fremd-Einflüssen ausgesetzt, so daß die oft daraus zitieren - nur Aufnahme in die griechi- könig ist er weit abgeschlagen. Auch seine sprich-
Tora durch Chochma verdrängt zu werden drohte. sche Bibel fand (und darum Teil des katholischen, wörtliche Klugheit ist - zwar nicht von Blumen,
Salomos Allerwelts-Weisheit Die Bildungs- und Führungsschicht Israels re- nicht aber des evangelischen Kanons geworden ist). wohl aber - vom weit klügeren jesus überboten
agierte darauf, indem sie die eigene, die Weisheit Nach einer Paraphrase von Spr 8 heißt es in Sir 24, worden: denn hier ist mehr als Salomo (Mt 12,42,
So entsteht insgesamt der Eindruck, daß die der Tara, in die Nähe der allgemeinen Weisheit daß die Weisheit (wie einst die Tora am Sinai) eine Lk 11,31). Schließlich wird Salomo (Apg 7,47ff)
Weisheit Salomos sich durch Welterfahrung und rückte. Bleibe auf Erden suchte und sie schließlich in der noch als Erbauer des Tempels erwähnt, aber sofort

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Salomo als Prototyp eines Weisen? Die Weisheit Salomos - einmal anders

folgt die Kritik, daß Gott ja gar keinen Tempel jene aber ertaubten und die Nachricht von seinem genössischen Philosophen-Gegnern in den Mund Schranken zurück. Hatte doch Mose 49 mal mehr
brauche. Demnach haben frühe Christen insgesamt Tod nicht vernahmen, erwärmen sie das Wasser bis legte, die durch ihre negativen Lehren (nach dem an Weisheit empfangen als der Rest der Welt - mit
recht negativ über Salomo geurteilt und fügen sich auf den heutigen Tag. Motto: Weisheit und Moral lohnen sich nicht, Einschluß Salomos (RH 21 b).
damit - wie so oft - ganz in den Rahmen des übri- Doch einmal überschätzte Salomo seine magi- darum ist alles erlaubt) einen Werteverfall heraufbe- Ähnlich kontrovers wurde auch über Salomos
gen Judentums ein. schen Kräfte. Da ergriff (nach Git 68b) ein Dämon schworen hatten. Der "alexandrinische Salomo" wollüstiges Verlangen nach ausländischen Frauen
In Oumran gilt der namenlose Lehrer der Ge- zeitweise Besitz von ihm, so daß er Frauen erlebte wohl selber die brutalen Folgen einer solch diskutiert. Betonten die einen, daß dies eine große
rechtigkeit als der große Weise. Salomo dagegen ist während ihrer Menstruation beiwohnte (was Juden zerstörerischen Lebenseinstellung: Schwache gal- Sünde und die Hauptursache seines Niedergangs
nur vier Mal erwähnt: in knappen Aufzählungen streng verboten ist), gar mit seiner Mutter schlafen ten damals als unwertes Leben, Fromme - Gottes- gewesen sei, versuchten andere, ihn zu entschuldi-
und - als Vater aller Magier. Josephus, der Histo- wollte. Man kam der Sache jedoch auf die Spur, als söhne, Gottesknechte - wurden verhöhnt und wie gen: habe er doch die Götzendienerinnen nur
riker, beschreibt in seiner griechischen Nach- er unversehens mit Strümpfen bekleidet in seinem in einem Holocaust ermordet (2,11.18; 3,6). Darum darum in seinen Harem genommen, weil er sie mis-
erzählung der Bibel vor allem des Königs Reichtum, Harem erschien - Dämonen haben bekanntlich korrigierte sich "Salomo" in dieser griechischen sionieren wollte (Hld R 1,1, ähnlich auch Jew 76a).
seinen Vergnügungs taumel und Götzendienst. Hühnerfüße, die er so zu verbergen suchte. Später Schrift gleichsam selber, indem er nicht allein zum Die Vielen hat das freilich nicht überzeugt. Denn in
Zwar wird Salomo als scharfsinnig gerühmt, aber verlor Salomo seine Zauberkraft, regierte nur noch Verkünder und Verteidiger eines Tora-treuen Juden- Sanh 21 b wird berichtet, daß in dem Moment, da
Josephus versäumt nicht anzumerken, daß er doch über die irdische Welt, nachher immerhin über tums, sondern auch zum Tröster jüdischer Märtyrer Salomo (bald nach seinem Regierungsantritt) die
nicht alle Rätsel Hirams habe lösen können (Alter- Israel, dann nur noch über Jerusalem und schließ- wurde, die am Ende - entrückt, hell leuchtend - Tochter des Pharao heiratete, im Meer eine Sand-
tümer 8,5,3). Genüßlich breit berichtet Josephus lich allein über sein Bett. Zuletzt blieb ihm einzig das Reich und die Krone empfangen, während ihre bank aufstieg, auf der später Rom erbaut wurde. Die
weiter (ebenda 8,2,5), daß er sich selbst in Anwe- sein Stock (Sanh 20b). Drei Jahre soll er bettelnd frevlerischen Gegner vernichtet werden. Weisen des Talmud machen also den Tempelbauer
senheit des Kaisers Vespasian noch 1000 jahre durch die Welt gezogen sein (Git 68b). Und es bleibt Hier schließen sich auch trefflich die sogenann- Salomo seiner Weibergeschichten wegen letztlich
nach Salomo von dessen Geistesgegenwart habe unsicher, ob er danach noch einmal als König ten Psalmen Salomos an - ein pharisäisch-messia- verantwortlich für die Zerstörung Jerusalems und
überzeugen können: Ein jüdischer Exorzist mit herrschte oder Privatmann blieb (Sanh 20b). nisches Liederbuch aus der Mitte des letzten vor- des herodianischen Tempels durch die Römer.
Namen EIasar hielt einst einem Kranken einen Ring Nach alledem ist es nicht verwunderlich, daß im christlichen Jahrhunderts, das ebenfalls wie die Ein anderes Mal wird Salomo - in Anspielung
vors Gesicht, in dem sich nach Salomos Rezept eine Mittelalter das Pentagramm, der Drudenfuß - auch wunderbare Rettung der Frommen so die Vernich- des Hohenlieds und seines Geburtnamens Jedidja -
Wunderwurzel befand. Als der Kranke daran roch, bei Christen eines der beliebtesten Amulett-Symbo- tung ihrer Feinde in naher Zukunft erhofft. als der von Gott Geliebte vorgestellt, der dem
zog ihm Elasar damit einen Dämon aus der Nase. le, das vor Angriffen von Geistern und Dämonen Aber auch Christen war Salomos Name gerade Geliebten (Gott) den Geliebten (Tempel) erbaute,
Der Kranke brach zusammen, der böse Geist ward schützen sollte - (im Unterschied zum sechsstrahli- recht, um ihre Botschaft daran festzumachen. So damit die Geliebten (Israel) Sühne erlangen können
in Salomos Namen besprochen, so daß er nie mehr gen "Davidstern") ausgerechnet den Namen "Siegel geschehen in den Oden Salomos, christlich-gnosti- (Men 53 a). Gleichzeitig aber sollen sich die
zurückkehrte; auf Befehl warf er - um die Salomos" erhielt. schen Hymnen, die im frühen 2. Jahrhundert ent- Tempeltore vor Salomos Nase geschlossen haben,
Zuschauer von seinem Abgange zu überzeugen - Bemerkenswert anders als in den "Zauberer- standen und von der - durch Salomo bereits pro- als er die Lade feierlich in das Allerheiligste über-
noch einen wassergefüllten Becher um. "Und so Texten" erscheint das Bild Salomos in der Weisheit phezeiten - Menschwerdung, Höllenfahrt und führen wollte. Kein Zauberspruch vermochte sie zu
ward Salomos Weisheit und Einsicht kund. Ich Salomos, einer Apokryphe, die zwar im Text (9,7ff) Himmelfahrt des Christus Jesus erzählen. öffnen. Erst als er sich auf David berief, machten
Uosephus) glaubte darüber sprechen zu müssen, deutlich auf Salomo als König und Richter, vor allem ihm die Tore den Weg ins Innere frei (MK 9a, Sanh
damit allbekannt werde, wie gewaltig und Gott als Erbauer des Tempels weist, aber nur in der (spä- Salomo im Talmud: Ein umstrittener König 107b). Und auch einige der von ihm gestifteten
wohlgefallig der König war." teren?) Überschrift seinen Namen ausdrücklich prächtigen Tempel-Accessoires wurden nicht ange-
Auch in den nachbiblischen, Salomo zugeschrie- nennt. Das Buch ist eine Midrasch-artige Aufnahme Der Talmud berichtet - neben den Zauberge- nommen: "Zehn Tische fertigte Salomo, man
benen Büchern setzt sich solche magische Tendenz und Weiterführung sowohl von 1 Kön 5 und 10 als schichten - insgesamt wenig über Salomo den schichtete (das Schaubrot) aber nur auf dem [Tisch)
teilweise fort, so im Testament Salomos, einer auch der Kap 8f der biblischen Sprüche Salomos, Weisen, dafür aber um so ausführlicher über Moses ... Zehn Leuchter fertigte Salomo, man ent-
christlich überarbeiteten jüdischen Legendensamm- wenn es etwa (in Weish 8,2ff) heißt, daß auch Salomo als König, mit dem es wegen seiner Sünden zündete aber nur (Dochte am Leuchter) Moses"
lung, die ausführlich Salomos exorzistische Kräfte Salomo - wie zuvor schon Gott selber - die Weis- immer mehr bergab ging. Als großer Torakenner (Men 99a).
und seine Fähigkeit, Dämonen für den Tempelbau heit geliebt, sich mit ihr verlobt und sie geheiratet galt er den Lehrern wohl kaum. Zwar meinten man- Besonders hart ist das Urteil über Salomo, wo
zu engagieren, dartut. Selbst der Talmud erwähnt habe; auch ihm sei sie Künstlerin und Beraterin che, er habe mehr als tausend Gründe für jeden die Weisen (Sanh 104b) die Namen derer aus Israel
etliche Male, daß Salomo zu Beginn seines gewesen, habe auch ihm Erholung, Erheiterung Satz der Weisung beibringen können (Erub 21 b). auflisten, die ihrer Verfehlungen wegen keinen Teil
Königtums Macht über Geister gehabt habe. Nicht und Freude verschafft. Andere aber sagten, daß er die Tora, die er zu einer an der kommenden Welt haben. Ursprünglich
nur, daß ihm beim Tempelbau seltsame Zwischen- Tatsächlich wurde das Buch im Alexandria des Zeit lernte, im nächsten Moment schon wieder ver- benannten sie nur drei Könige: Jerobeam, Ahab und
wesen wie der SCHAMIR-Wurm halfen (Git 68b); ersten vorchristlichen Jahrhunderts von einem gessen hatte (Hld R 1,1). Und als er einmal ver- Manasse. Dann aber fügten sie Salomo hinzu. Als
auch soll er anderen, den SCHEDIM, befohlen gelehrten Juden geschrieben, der sehr geschickt die suchte, es Mose an Weisheit gleich zu tun, kam daraufhin "das Bild Davids" erschien, um für
haben, die Quellen von Tiberias zu heizen. Weil Skepsis des (biblischen) Prediger-Buchs seinen zeit- sofort eine Himmelsstimme und wies ihn in seine Salomo zu bitten, achteten sie dessen nicht. Als
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Salomo als Prototyp eines Weisen? Die Weisheit Salomos - einmal anders

nächstes kam (wie I Kön 19J ein Feuer vom Himmel Midrasch, der Salomo im Gespräch mit einer Weiterführende Literatur:
und versengte ihre Stühle - vergeblich. Dann folgte Ameise zeigt (entsprechend seiner eigenen Empfeh· Die letzte Nummer von "Bibel heute" im)ahr 1997
eine himmlische Stimme, die einen Vers aus dem - ist dem Thema "Himmelsleitern" gewidmet. Die Idee
lung Spr 6,6f: "Gehe hin zur Ameise, du Fauler, E. Kautzseh, Die Apokryphen und Pseudepi· dazu gab eine Ausstellung von Zeichnungen von Prof.
Salomo zugeschriebenen - Sprüche· Buch (22,29J siehe ihre Wege, daß du klug werdest. Sie hat kei· graphen des Alten Testaments, 2 Bände, Darmstadt, Dieter Groß unter diesem Titel im neuen Diözesan-
zitierte, um auf seine Verdienste als Tempelbauer nen [!I Regenten ... "J bündelt sich noch einmal das 1975. M.]. bin Gorion, Der Born Judas, Legenden, museum in Rottenburg, unterstützt durch das gleich-
hinzuweisen. Aber auch dies vermochte die Weisen recht zwiespältige Gefühl der Lehrer Israels gegen· Märchen und Erzählungen, 6 Bände, Inselverlag namige Buch von Dorothee Sölle und Josef P. Mautner.
nicht umzustimmen. Schließlich meldete sich eine über einem ihrer glänzendsten Könige: Leipzig. A. Wünsche, Aus Israels Lehrhallen, Die einzelnen Beiträge des Heftes suchen nach er-
weitere Himmelsstimme, diesmal das Buch Ijob Als Salomo eines Tages über ein Tal dahinging, Kleinere Midraschim zur späteren legendarischen fahrungsbezogenen und literarischen Annäherungen
(34,33J aufnehmend: Sollte nicht eher Gott als der hörte er die Stimme einer schwarzen Ameise, die zu Literatur des Alten Testaments, 2 Bände, Hildes· ("Am Fuß der Leiter"), bieten Interpretationen des
Mensch vergelten und erwählen? Es ist recht anderen Ameisen sagte: Geht in eure Häuser, damit heim, 1967. Daraus ist Geschichte von der Ameise Traums Jakobs von der Himmelsleiter (Gen 28), stellen
erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit die euch die Heere des Königs Salomo nicht verderben. zitiert (11,1, S.2n. Der Schluß ist ein Zitat aus den eine persönliche Erfahrung mit dem Gott Jakobs vor,
Späteren an ihrem Urteil gegen Salomo festhielten, Als Salomo die Worte der Ameise hörte, entbrannte Vätersprüchen (3,IJ, die zugänglich sind in: Der decken neutestamentliche Entsprechungen auf ("Du
selbst im Widerspruch zu Gott, der mit all diesen sein Zorn. Er sandte zu den Ameisen, um zu erfah· Talmud, Goldmann Taschenbuch 8665. Der ganze bist die sichre Leiter"), verbunden mit einer über-
Mitteln versuchte, sie umzustimmen. ren, wer dies gesagt habe. Jene Ameise sprach: Ich Abschnitt lautet dort: Akawja, Mahalals Sohn, sagt: raschenden Konkretisierung ("Ganz unten").
Vermutlich ist das Buch Prediger / Kohelet mit habe es ihnen gesagt. Salomo fragte: Warum hast Achte auf drei Dinge, dann wirst du nicht zu einer
seinem tiefen Pessimismus einer der Hauptgründe du so gesprochen? Ich fürchtete, sprach sie, daß sie Übertretung kommen: Wisse, woher du kommst,
für die negative Sicht Salomos im Talmud. Da nach vielleicht kommen könnten, um deine Lager zu wohin du gehst und vor wem du zukünftig
M Sanh 11,1 jeder, der bestreitet, daß sich die Auf· sehen, und in dem Lobe gestört würden, womit sie Rechenschaft zu geben hast. Woher du kommst?
erstehung der Toten aus der Tora erweisen läßt, von den Heiligen, gesegnet sei Er, preisen. Warum, fuhr Aus einem stinkenden Tropfen. Wohin du gehst?
der kommenden Welt ausgeschlossen ist, mußte Salomo fort, redet von allen Ameisen keine einzige, Zum Ort von Staub, Made und Gewürm. Und vor Bibelschule Nazaret 1998
Salomo als Verfasser des Prediger· Buches in Verdacht sondern redest nur du? Sie antwortete: Weil ich ihre wem du zukünftig Rechenschaft zu geben hast? Vor Das Institut für Theologische und Pastorale Fortbil-
geraten. Fragt er doch in Koh 3,18ff skeptisch, ob es Königin bin. Salomo sprach: Wie ist dein Name? Sie dem König über die Könige der Könige, dem dung bietet eine 6-wöchige Bibelschule in Nazaret an.
dem Menschen letztlich so viel anders ergehen sprach: Machscharna. Er sprach: Ich will eine Frage Heiligen, gesegnet Er! Teilnehmerkreis: In erster Linie alle, die haupt- oder
werde als dem Vieh, das stirbt, zu Staub wird und an dich richten. Sie sprach: Es schickt sich nicht, nebenamtlich in der Seelsorge tätig sind; u.U. auch
dessen Lebensodem hinabrahrt. Auch von einer daß der Fragende oben und der Gefragte unten ist. Dr. Reinhold Mayer war Lehrer am Institutum ehrenamtlich in der Bibelarbeit Tatige. Die Teilneh-
Hochachtung der Weisheit bleibt in diesem Buch Da hob er sie zu sich empor. Sie aber sprach: Es Judaicum Tübingen, das er mitbegründet hat. Frau merzahl ist auf 18 Personen beschränkt.
wenig übrig, weil alles Streben nach ihr als Wind· schickt sich nicht, daß der Fragende auf dem Throne Rühle promoviert z.zt. mit einer Arbeit über Franz Termin: Montag, 24. August 1998 bis Freitag,
hauch und Verdruß bezeichnet wird (Koh 1,17fJ. sitzt und der Gefragte auf der Erde. Nimm mich auf Rosenzweig. Beide können Sie erreichen unter der 2. Oktober 1998
Wem aber Weisheit und Weisung als eines galten, deine Hand und ich will dir Antwort geben! Er Adresse: Peter·Gößler·Str. 6, 72076 Tübingen. Wichtige Lernziele der Eibelschule sind:
dem mußte dieses Buch mitsamt seinem Verfasser nahm sie auf seine Hand. Sie aber blieb seinem - die Bibel und ihre einzelnen Bücher besser
zum Problem werden. Folgerichtig wurde bei der Angesichte gegenüber und sprach: Stelle die Frage! kennenlernen
- die Kenntnisse der zeitgeschichtlichen und topo-
Diskussion darüber, welche Bücher in die (hebräi· Er sprach zu ihr: Gibt es wohl auf der Welt einen,
graphischen Hintergründe vertiefen
scheJ Bibel aufgenommen werden sollten, gerade der größer ist als ich es bin? Sie antwortete: Jawohl!
- aus dem Geist der Bibel leben durch Verbindung
um den Prediger Salomo heftig gestritten (Meg 7aJ. Er: Wer ist es? Sie: Ich bin es. Er: Wieso bist du von Gemeinschaft, Gebet und Studium
Es ehrt die Weisen des Talmud, daß sie sich schließ· größer als ich? Sie: Wenn ich nicht größer wäre als Eine wichtige Rolle spielen neben der Arbeit mit
lieh doch mehrheitlich für seine Aufnahme in den du, hätte dich der Heilige, gesegnet Er, nicht zu mir der Bibel das gemeinsame Leben (Doppel- oder Mehr-
Kanon entschieden haben. gesandt, um mich auf deiner Hand zu tragen. Als bett-Zimmer; Selbstverpflegung), Fußwanderungen
Salomo die Worte der Ameise hörte, entbrannte und abschließend Exerzitien.
Salomo und die Ameise sein Zorn über sie, er warf sie auf die Erde und Vorbereitungstrejfen: Freitag, 15. Mai 1998 - 10.00
sprach zu ihr: Ameise, du weißt nicht, wer ich bin. bis 17.00 Uhr in Freising
Nach I Kön 5,13 war Salomo in seiner Weisheit Ich bin Salomo, der Sohn des Königs David, Friede
fahig, über Pflanzen und Tiere zu sprechen (seine über ihm. Die Ameise sprach zu Salomo: Weißt du Auskunft und Anmeldung
naturwissenschaftlichen Kenntnisse werden auch nicht, daß du von einem stinkenden Tropfen bist Nähere Informationen und Anmeldung beim
im Talmud, Chul 57b, bestätigtJ. Einer mittelalterli· und dich nicht überheben sollst? In dieser Stunde Sekretariat des Instituts (Domberg 27, 85354 Freising
ehen Legende zufolge konnte er sich sogar mit Tieren fiel Salomo auf sein Angesicht und wurde durch die - Telefon 08161/94513).
in ihrer Sprache unterhalten. In einem späten Worte der Ameise beschämt.
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Ruth Scoralick Ein Literaturüberblick zum Buch der Weisheit Salamas
Ein Literaturüberblick zum Buch der Weisheit Salomos

Es gibt nur sehr wenig jüngere Sekundärliteratur in Das zentrale Anliegen des Buches läßt sich nach eine gute Hilfe und ein wertvolles Gegenüber zur in vieler Die feministische Exegese und Theologie beschäftigt
deutscher Sprache zum Buch der Weisheit. Die wichtig- Georgi dem Mittelteil, den Kapiteln 6-10 entnehmen. Hinsicht unbefriedigenden EÜ. sich nun schon seit längerer Zeit mit den Fragen zur ,Frau
sten Publikationen zu diesem Buch sind auf französisch, Dort sollen die Leser und Leserinnen mystagogisch in Armin Schmitt liegt mit seinem Kommentar in der Weisheit'. Wegweisend sind Publikationen von C. Camp
englisch und italienisch erschienen. In den großen eine erotisch gef;:irbte Beziehung zur göttlichen Weisheit Reihe NEB mehr im "mainstream" der internationalen (1985 zum Sprichwörterbuch) und E. Schüssler Fiorenza.
(deutschsprachigen) Kommentarreihen fallt das deutero- geführt werden. Die erotisch-mystische Gottesbeziehung Forschung. Wie in der Kommentarreihe üblich folgt auf In den deutschen Sprachraum wurde die Diskussion vor
kanonische Buch oft aus dem Konzept heraus und in den der Einzelnen und ihr Glücksgefühl ersetzt traditionelle eine knappe Einleitung mit Literaturhinweisen (5-16) der allen Dingen durch Publikationen von Silvia Schroer ein-
einleitungswissenschaftlichen Werken wird es nur selten biblische Glaubensinhalte wie auch hellenistische Text der EÜ mit einem zweispaltig gedruckten Kommen- gebracht. 1996 ist nun eine Sammlung ihrer Beiträge aus
berücksichtigt. Jüngst wird nun erfreulicherweise das Philosophie und Religion, oder interpretiert sie zumindest tar zu Abschnitten und Einzelversen. Die Einleitung gibt den letzten zehn Jahren erschienen.
Buch der Weisheit in der von E. lenger (u.a.J herausgege- um (421.430.432). Diese Intention etikettiert Georgi als einen hilfreichen Einblick in den Aufbau des Buches und
benen Einleitung in das AT von Silvia Schroer präsentiert frühgnostisch, datiert sie ins ausgehende 2.Jh.v.Chr. und die dabei eingesetzten Mittel und Formen hellenistischer Silvia Schroer, Die Weisheit hat ihr Haus gebaut.
(Stuttgart: Kohlhammer, 1995,277-284), und auch auf O. lokalisiert sie im Bereich der jüdischen Diaspora des Rhetorik. Das Weisheitsbuch ist nach Schmitt eine Werbe- Studien zur Gestalt der Sophia in den biblischen
Kaisers Neufassung seiner Einleitung kann verwiesen Mittelmeerraums, eventuell in Syrien. schrift (Protreptikos), in der ein hochgebildeter Autor eine Schriften, Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1996.
werden (Grundriß der Einleitung in die kanonischen und Relativ große Teile des Buches stehen der "spekulati- "glückliche Symbiose" von biblischer Tradition und helle- darin besonders: VIL Die personifizierte Sophia im Buch
deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments: Die ven Mystik" in den Kapiteln 6~ 10 allerdings entgegen. So nistischer Bildung zuwege brachte. Die Schrift soll der um der Weisheit, S. 110·125. DM 46,00
poetischen und weisheitlichen Werke, Gütersloh: Güters- deutet Georgi die Kapitel 11-19* mit ihrer originellen ihre Identität ringenden jüdischen Minderheit in der
loher Verlagshaus, 1994, 106·120). Kurze Informationen Rekapitulation der Ereignisse von Exodus und Wüstenzeit ägyptischen Diaspora im ausgehenden 2. und beginnenden Aus diesem gut lesbaren und sich auch einern breite-
über die aktuelle Forschungslage und wichtige Literatur als apologetisch-jüdisch mit teilweise missionarischem 1. Jh.v.Chr. neue Zuversicht und Selbstvertrauen geben_ ren Publikum als Hintergrundinformation für praktische
sind damit nun leichter greifbar. Ich gebe im folgenden Einschlag (440f) und rationalistischen Elementen (in der Die Verbindung von biblischer Tradition und hellenisti- Bibelarbeit empfehlenden Büchlein interessieren hier
einen Überblick über jüngere Publikationen in deutscher Einschaltung 11,15-12,27). Hier wie an zahlreichen ande- scher Bildung wird im Kommentar an vielen Stellen gut besonders die Ausführungen über "Die personifizierte
Sprache, die das ganze Buch der Weisheit in den Blick ren Stellen rechnet Georgi mit vorgegebenen Texten, die beleuchtet. So wird in verständlicher Sprache eine gute Saphia im Buch der Weisheit" (I IO~ 125).
nehmen. im Zuge eines "kollektiven Entstehungsprozesses" auf- erste Hinführung zum Text auch für ein breiteres Schroer fragt nach dem Verhältnis zwischen den
genommen wurden. Das Weisheitsbuch bietet so den Publikum geboten. Vielleicht faUen die Ausführungen oft Zügen der personifizierten Weisheit und der Lebenswelt
Dieter Georgi, Weisheit Salomos Anblick eines Flickenteppichs aus vielen vorgegebenen etwas sehr knapp aus, doch liegt das auch am Konzept der von Frauen zur Zeit der Buchentstehung und will außer-
USHRZ 1Il/4) Gütersloh: G. Mohn, 1980. 87 S., Textstücken. Zusammengehalten wird alles durch ein Kommentarreihe. dem die Funktion der Weisheitsgestalt als poetischer Stil-
DM 68,00 gnostisches Webmuster. Leider gibt es keinen Überblick Die Theologie des Buches sieht Schmitt in den drei ' figur im Horizont des Buches darlegen. Ich kann hier weder
über die komplexe Redaktionsgeschichte, vieles ist so Teilen jeweils unter einer bestimmten Zeitperspektive ent~ den Gedankengang des Artikels nachzeichnen noch alle
Armin Schmitt, Weisheit nicht leicht nachzuvollziehen und die vorliegende Gestalt faltet: Weish 1,1-6,21 blickt in die Zukunft; 6,22-11,4 in Ergebnisse würdigen, sondern nur Aspekte erwähnen.
(NEB.AT 23) Würzburg: Echter, 1989.88 S., DM 24,00 des Buches bleibt relativ undurchsichtig. In der allgemei- die Gegenwart und 11,5·19,17.(18·22) in die Vergangen· Schroer vermutet, daß in den Kreisen der jüdischen Mino-
nen Diskussion fand demgegenüber der Vorschlag von heit. Das ist etwas zu schematisch. Tatsächlich blickt z.B. rität in Alexandria, in denen das Weisheitsbuch im ausge-
In den letzten zwei Jahrzehnten sind nur zwei durch- ]. M. Reese (1970), das Buch als jüdische Version der hel~ im mittleren Teil eine Gestalt der Vergangenheit (König henden 1. Jh.v.Chr. entstand, Frauen eine starke Position
gängige Bearbeitungen des Buches der Weisheit erschie- lenistischen Gattung eines ,logos protreptikos', einer Salomo) zurück auf ihre eigene Vergangenheit ~ und läßt hatten und daß dort religiöse Frauentraditionen sowie ein
nen. Beide sind ausgesprochen knapp. D. Georgis 1980 Werbeschrift, aufzufassen, größeren Anklang. Erkennt- dann die traditionell mit Salomo assoziierte "Weisheit" in weibliches Sophia·Gottesbild gepflegt wurden (117). Das
veröffentlichte Studie ist nach Maßgabe der Reihe nisse zur Struktur des Buches und Einblicke in die Mittel "modernsten" Gewändern gegenwärtig werden. Stärker läßt sich nicht direkt aus dem Buch erschließen, sondern
,Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit" eine hellenistischer Rhetorik lassen literarkritische Urteile an als die Zeitperspektive wirkt die Frage nach "Gerechtig- ist eine Folgerung aus einer aus mehreren Berührungs-
annotierte Übersetzung. Auf eine kurze Einleitung mit einigen Stellen voreilig erscheinen. So ist Skepsis gegenü- keit" im umfassenden biblischen Sinn und die Rede von punkten erschlossenen Geistesverwandtschaft der Träger-
Verzeichnis ausgewählter Literatur (S. 391-401) folgt die ber der Auffassung der Weisheit als frühgnostischer der Weisheit als dem Medium ihrer Erkenntnis und kreise des Weisheitsbuches zur monastisch lebenden
Übersetzung, zu der es auf Fußnotengröße geschrumpfte Schrift verbreitet und angebracht. Verwirklichung einheitsstiftend. Gruppe der Therapeuten, die Philo von Alexandrien in Oe
kommentierende Bemerkungen gibt. Zu Beginn von Georgis Übersetzung hat gegenüber der Einheitsüber- Die Gestalt der Weisheit verbindet nach Schmitt die vita contemplativa beschreibt. Die Hypothese ist spannend,
Textabschnitten stehen Bemerkungen zu Sprachstil, setzung (= EÜ) den Vorteil, näher am griechischen Text stärker intellektuell konzipierte griechische Sophia mit aber die Probe am Text des Weisheitsbuches läßt Zweifel
Formen und Gedankengang, oft auch zu Textvorlagen zu bleiben. Zwar liest sich das nicht gerade glatt ("ein ehren- der auch in der biblischen Tradition personifizierten aufkommen. Ein Sophia-Gottesbild allein sagt noch nicht
und ihrer Verarbeitung. Die Kommentierung der einzel- volles Alter ist nicht das, was lang ist in bezug auf Zeit" Weisheit (s. in Spr 1-9, Sir) und ihrer umfassenden religiö- viel über Stellenwert und Rolle von Frauen im Buchum-
nen Verse notiert Textvarianten, weist auf stilistische 4,8a). Zudem führt Georgis Bemühen, die erotisch"sexuel- sen und ethischen Kompetenz. Warum angesichts dieser kreis aus. Von der Pflege religiöser Frauentraditionen ist
Besonderheiten wie z.B. Wortspiele hin, klärt Begriffe len Konnotationen im Blick auf die Gestalt der Weisheit Parallelität die Personifizierung der Weisheit im AT auf der im Weisheitsbuch aber nichts zu spüren. Bei der Rekapitu-
und nennt vor allen Dingen biblische und außerbiblische ausdrücklich zu machen, dazu, daß König Salomo an einer angeblichen Unf<ihigkeit "biblisch·orientalischen" Denkens lation der Traditionen von der Schöpfung bis zum Exodus
Vergleichsstellen. Stelle ziemlich machohaft spricht (,,(immer wenn) ich beruhen soll, sich abstrakte Begriffe ohne Personifi- in Weish 10 kommen keine Frauen in der Rolle der
Trotz des sehr beschränkten Umfangs der Kommen- nach Hause komme, werde ich mit ihr schlafen" 8,16 ~ zierung und Individualisierung vorzustellen (8.41), ist ,Gerechten' vor, wohl aber wird als "Salzsäule" die Frau
tierung skizziert Georgi ein originelles Verständnis des die gängige Übersetzung lautet "bei ihr ausruhen" und ist nicht ganz einzusehen. Bei der Entstehung und der des Lot erwähnt. Sie dient als Paradigma des Unglaubens
Buches. In der Forschungsdiskussion seither nimmt er durch den Gedanken der Ruhe theologisch vielschichtiger "Karriere" der ,Frau Weisheit' sind auf jeden Fall noch (1O,7f).ln den Kapiteln 11,2-19,22 mit ihrer eigenwilligen,
damit allerdings eine Randposition ein. als Georgis Wiedergabe). Trotzdem ist diese Übersetzung andere Kräfte im Spiel. kreativen Synopse von Exodus und Wüstenwanderung
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Ein Literaturüberblick zum Buch der Weisheit Salomos Ein Literaturüberblick zum Buch der Weisheit Salomos

lassen sich auch keine Frauentraditionen ausmachen der Autor der Weisheit bearbeitete. Ruppert verfolgt im Kapiteln 11·12 (103- ISS) und j. Marböck macht in seinen Buches sowie nach seiner Stellung im Kanon. Ein Ab-
(obwohl sich Mirjam anböte). Von "Söhnen" und Flugblatt wie im übrigen Text detailliert die Beziehungen Darlegungen zum Buchschluß 18,5-19,22 (156·178) noch schnitt befaßt sich mit der EÜ, ihrer Textanordnung, der
"Vätern" ist in 11-19 manchmal die Rede (16,10; 18,6.9), zum Jesajabuch_ Zusammenfassend meint er dann, daß einmal das Ganze im Fragment sichtbar. Übersetzung "Gerechte(r)" und "Frevler" sowie mit den
nicht aber von "Müttern" und ,Jöchtern". die ständigen Anspielungen "mitunter fast krampfhaft" Wer exegetische Kost nicht scheut, wird sich mit Schwierigkeiten jeder Übersetzung des Weisheitsbuches.
Angesichts dieses Befundes ist es plausibel, daß die anmuten würden (54). Die Art, wie im Weisheitsbuch die Gewinn durch das Büchlein hindurcharbeiten. Der TItel Auch Engel sieht im Weisheitsbuch eine Werbeschrift
Erwähnung der ,;röchter" neben den Söhnen in 9,7 beim Schrift aktualisiert wird, hat jedoch nichts Krampfhaftes, formuliert einprägsam die Intention des biblischen für die "Gerechtigkeit", verfaßt von einem umfassend
Thema ,Richteramt des Salomo' vor allen Dingen durch sondern zeigt einen souveränen und kreativen Umgang Buches: Die Weisheit als Lehrerin der Gerechtigkeit. gebildeten Autor in Alexandrien um die Zeitenwende
den Rückbezug auf 1 Kön 3,16-28, das salomonische mit Traditionen, die in ungewohnten Verbindungen in herum zur Stärkung des Selbstbewußtseins der jüdischen
Urteil im Streit der Frauen, motiviert ist (so H. Engels neuer Weise gegenwärtig werden. So spielt Weish 3,7 Helmut Engel, Das Buch der Weisheit Minorität.
Kommentar, s.u.). Wenn die Kreise, in denen das Buch vermutlich auf jes 42,4 an, Weish 3,8 auf jes 42,1 b (NSK.AT) Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk, Der so gebildete Autor der Weisheit rechnete offenbar
entstand, religiöse Frauentraditionen hochhielten, so hat (Ruppert 40f), das sind jedoch nur Mosaiksteinehen im ~ in Vorbereitung ~ mit einem Lesepublikum, das seine Synthese biblischer,
sich das nicht im Weisheitsbuch niedergeschlagen. Kleinkunstwerk Weish 3,7-9 in dem ein neues, kohären- außer biblisch-jüdischer und hellenistischer Elemente
Die personifizierte Weisheit, die Züge der Göttin Isis tes Bild aus vertrauten Materialien der Schrift (und außer- Nach Weish 8,8 "kennt" die Weisheit "das Vergangene "verkosten" konnte, das also sowohl die stilistischen
trägt, verbindet jüdische mit griechisch-hellenistischen biblischen Quellen) entsteht. und errät das Kommende" - so soll hier auch über Feinheiten und rhetorischen Kunstgriffe schätzte als auch
Weisheitstraditionen. Für Schroer ist sie "das Symbol H. Hübner widmet sich unter der Überschrift Kommendes gesprochen werden, nämlich den dem- das philosophische und biblische Echo verschiedener
eines interreligiösen und interkulturellen Dialogs in einer Sapientia Salomonis und die antike Philosophie (55-83) nächst erscheinenden Weisheitskommentar von Helmut Wörter, Begriffe und Motive wahrnahm und nachklingen
multikulturellen Gesellschaft des I.jh.v.Chr." (122). der Frage, wie sich Theologie und Philosophie beim Autor Engel Sj in der Reihe NSK-AT. Der Autor hat freundlicher- lassen konnte. Dies ist nicht die Ausgangsposition heuti-
Obendrein bietet die Sophia "als authentisch biblisches der Weisheit zueinander verhalten, wie mit den System- weise Einblick in sein nahezu fertiges Manuskript ger LeserInnen. Engels Kommentar leistet an dieser Stelle
Gottesbild beachtliche Möglichkeiten, die Verfestigungen implikationen der verwendeten mittelplatonischen und gewährt. Helmut Engel ist schon seit längerer Zeit gründ- mit einer großen Fülle an Material außerordentlich wert-
und Ontologisierungen androzentrischer Gottesrede aus stoischen Termini umgegangen wird. Er analysiert in die- lich in die Literatur der hellenistischen Zeit eingearbeitet; volle Hilfestellung. Charakteristisch ist darüber hinaus der
einer jüdischen Tradition heraus aufzubrechen." (123). sem Zusammenhang Weish 7,I1ff und zieht Linien zu verwiesen sei nur auf seine Publikation zur Susanna- Versuch, die überaus kunstvolle und wohldurchdachte
Der Artikel bietet reichen Stoff zum Nachdenken und gibt Paulus hin aus. Erzählung (1985), auf die Beiträge im eben erwähnten Gliederung des Textes auch unterhalb der Ebene der all-
Impulse für weitere Textarbeit. N. Walter (84·108) berichtet über eine Hallenser Sammelband zur Weisheit sowie auf die Darlegungen zu gemein anerkannten Dreiteilung, wie sie sich unter ande-
Dissertation von Paul-Gerhard Keyser aus dem Jahr 1971, den Büchern Tobit, judith und 1/2 Makkabäer in der von rem an Stichwortverkettungen, Leitwörtern, Themenvor-
Georg Hentschel, Erich Zenger (Hg), Lehrerin die sich mit dem Verhältnis von Weisheitsbuch und E. Zenger herausgegebenen Einleitung in das AT. ankündigungen und rahmenden Wortwiederholungen
der Gerechtigkeit. Paulus befaßte und zu ihrer Zeit nicht veröffentlicht wer- Der Kommentar besteht aus einer Einleitung, dem ablesen läßt, zunächst vor Augen zu führen, in ihrer Logik
Studien zum Buch der Weisheit (Erfurter Theologische den konnte. Kommentar zum (nicht abgedruckten) Text der EÜ, einem einsichtig und für die Auslegung fruchtbar zu machen.
Schriften 19) Leipzig: St. Benno, 1991. 182 S. Der schöne Titel des Buches könnte unversehens Hoff- Anhang zur Wirkungsgeschichte des Weisheits buches in Das gelingt in überzeugender Weise. Einführung,
nungen auf allgemeinverständliche "Durchblicke" zum der Liturgie und einem Verzeichnis ausgewählter Abschnittseinleitungen und einige der Exkurse geben
Hans Hübner (Hg), Die Weisheit Salomos im Weisheitsbuch wie zur biblischen Theologie wecken, die Literatur. Die Kommentierung des Textes gliedert sich in theologische ,Durchblicke'; die Textkommentierung lädt
Horizont biblischer Theologie. durch die Detailarbeit der Artikel dann nicht eingelöst die drei (bis auf Differenzen beim Beginn des dritten Teils) zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Text ein.
Mit Beiträgen von Hans Hübner, Lothar Ruppert und werden. allgemein anerkannten Teile des Weisheitsbuches 1,1- Es bleibt nur zu wünschen, daß dieser vorzügliche,
Nikolaus Walter (Biblisch·Theologische Studien 22) 6,21; 6,22-11,1 und 11,2-19,22 sowie in weitere an wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig allgemeinver-
Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1993. Der zweite Sammelband enthält die (überarbeiteten) Textsignalen abgelesene Unterabschnitte. An passenden ständlich geschriebene Kommentar bald erscheint.
112 S., DM 34,00 Vorträge, die beim Treffen der katholischen deutschspra- Stellen sind Exkurse eingeflochten, beispielsweise zum
chigen Alttestamentler im August 1988 in Erfurt gehalten Thema "Gerechtigkeit" in der hellenistisch-ägyptischen Dr. Ruth Scoralick ist Wissenschaftliche Assistentin am
Der Titel des von H. Hübner herausgegebenen Bandes wurden. Versammelt sind Untersuchungen von M. Görg Umwelt und in Weish, zum Enkomion (Lobrede) nach Lehrstuhl für Altes Testament an der Universität Münster,
klingt vielversprechend: Die Weisheit Salomos im Hori- zur Religionskritik in 13,lf (13·25) und W. Wemer über den hellenistischen Rhetorikern, zur Gestalt der Weisheit, ihre Anschrift lautet: Steinjurter Str. 144, 48149 Münster.
zont biblischer Theologie. Der Sammelband umfaßt drei Schöpfung, Tod und Unvergänglichkeit nach 1,11-15 und zur Deutung des Prinzips ,wodurch jemand sündigt, eben-
Vorträge, die im Rahmen einer Tagung der Projektgruppe 2,21·24 (26·61). H. Engel entfaltet und untermauert dadurch wird er gestraft' u.a. Außerdem kommen ausgie-
"Biblische Theologie" der Wissenschaftlichen Gesellschaft zunächst eine durch die Tagungsdiskussion angestoßene big Texte aus der Umwelt zu Wort, etwa aus der helleni-
für Theologie im März 1991 gehalten wurden. ungewohnte Deutung von 1,11 d [62-65}, präsentiert dann stischen Trostliteratur zum frühen Tod, Texte aus der
L Ruppert behandelt die Aktualisierung alttestamentli- 7,22-8,1 als Stärkung der Plausibilität des Judentums Verehrung der Göttin Isis, mehrere Abschnitte aus
cher Traditionen in Weish am Beispiel von Weish 1,1-6,21 angesichts hellenistischer Philosophie und Religiosität (67- Werken des Philo von Alexandrien und andere Kost-
(5. I-54). Seinen Bemühungen legt er eine literarkritische 91) und gibt in zwei Anhängen (92- !O2) noch ein über· barkeiten.
Position zugrunde, die er ähnlich schon 1972 entwarf, sichtliches Schema zum Buchaufbau an die Hand sowie Die Einleitung behandelt wohlfundiert und allgemein-
und mit der er auf einsamem Posten steht. Demnach läge Textbeispiele aus den Isis-Hymnen des Isidoros und die verständlich die Grundfragen nach Titel und Text, sprach-
in 2,12aacd-20; 5,1-7 ein ursprünglich hebräisch oder Isis-Aretalogien von Maroneia und Kyme. E. Haag behan- licher Gestal~ Aufbau, verwendeten Gattungen und theo-
aramäisch verfaßtes apokalyptisierendes Flugblatt vor, das delt das Thema Weisheit und Heilsgeschichte an den logischen Grundgedanken, Verfasser und Adressaten des
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