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Goethes Schauspiel Iphigenie auf Tauris gilt als eines der epochentypischsten Dramen

der Weimarer Klassik. Von Mitte Februar bis Ende März 1779 schrieb Goethe die erste
(Prosa)Fassung seiner Iphigenie. Das Drama musste zu einem bestimmten Termin fertig sein.
Wahrscheinlich wurde es als Huldigung Goethes an ein Mitglied des Weimarer Hofes verfasst,
z.B. anlässlich des Geburstages oder der Taufe. Zu solchen Anlässen war es üblich, ein Schau-
oder Singspiel aufzuführen. Die Uraufführung fand im kleinen Kreis der Weimarer
Hofgesellschaft statt, wobei nur die Rolle der Iphigenie von einer Berufsschauspielerin besetzt
war, die anderen von Mitgliedern des Hofs. Goethe selbst übernahm die Rolle des Orest.
Goethe war trotzdem mit dieser ersten Fassung nicht zufrieden. Er wollte mehr als ein
anspruchsloses Modestück bieten. So arbeitete er das Drama noch dreimal um und steckte dabei
sehr viel Energie und Begeisterung in den Text. Laut seinen Tagebuch-Einträgen wollte er durch
sein Werk zur Bildung und Aufklärung der Menschen und damit zu einer langsamen
Verbesserung der sozialen verhältnisse beitragen. Goethes Fernziel war es gewesen, ein
„deutsches Theater“ mit einfühlsamen Schauspielern für ein aufgeschlossenes, gebildetes
Publikum zu errichten. Die Endfassung in Verse hat er 1787 fertiggestellt.

Dem Schauspiel liegt eine griechische Sage zu Grunde: Iphigenie, die Tochter des
Griechenkönigs Agamemnon und seiner Gemahlin Klytemnestra, soll auf Anraten eines Sehers
der Göttin Artemis (= Diana) geopfert werden, damit das griechische Heer den Krieg gegen
Troja gewinnt. Artemis erbarmt sich jedoch ihres Opfers und trägt Iphigenie zu der fernen
Halbinsel Tauris, wo sie diese zu ihrer Priesterin macht. Die Taurier gelten als raues Volk, das
alle Fremden der Artemis opfert.
Eben auf diese Halbinsel kommen auch der Bruder der Iphigenie, Orest, und sein Freund
Pylades, die jedoch nicht wissen, dass Orests Schwester dort Priesterin ist. Das Orakel des Gottes
Apoll verlangt von Orest, „die Schwester“ aus dem Artemis-Tempel zu rauben, da es ihr auf
Tauris nicht mehr gefalle. Orest glaubt, es gehe um Apolls Schwester Artemis und interpretiert
den Orakelspruch als Befehl, das Bildnis der Artemis nach Griechenland zu bringen. Orest und
Pylades machen sich auf den Weg nach Tauris. Dort werden sie gefangen und zum Tode
verurteilt. Mittlerweile erfahren die Geschwister von der Identität des jeweils anderen und
Iphigenie schmiedet einen Plan: Sie gibt vor, das durch die Gefangenen „entweihte“ Bildnis am
Meer reinigen zu müssen, und die Flucht gelingt. Die empörten Taurier wollen die Griechen
zunächst verfolgen, doch nun greift die Göttin selbst ein und befiehlt, sie ziehen zu lassen.
Goethe verändert einige wesentliche Elemente der antiken Sage, indem er das Verhältnis
von Menschen und Göttern neu definiert.
(Aus: Reinhard Lindenhahn: Weimarer Klassik. Texte und Übungen, Cornelsen, Berlin
1996)
Auszüge:

Iphigenie:
Der Frauen Zustand ist beklagenswert.
Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann
Und in der Fremde weiß er sich zu helfen.
Ihn freuet der Besitz, ihn krönt der Sieg,
Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet.
Wie eng gebunden ist des Weibes Glück!
Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen
Ist Pflicht und Trost, wie elend wenn sie gar
Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt.
So hält mich Thoas hier, ein edler Mann,
In ernsten heilgen Sklavenbanden fest.
(23-39)

Thoas: [...] Daß ich mit einem Weibe handeln ging.

Iphigenie: Schilt nicht o König unser arm Geschlecht,


Nicht herrlich wie die euern aber nicht
Unedel sind die Waffen eines Weibes.
Glaub es, darin bin ich dir vorzuziehn
Daß ich dein Glück mehr als du selber kenne. (480-485)

Iphigenie [ironisch]:
O trüg ich doch ein männlich Herz in mir
Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt,
Vor jeder andern Stimme sich verschließt. (1677-1679)
Thoas: Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir! [...]
Gehorche deinem Dienste nicht dem Herrn!

Iphigenie: Laß ab! beschönige nicht die Gewalt


Die sich der Schwachheit eines Weibes freut!
Ich bin so frei geboren als ein Mann.
Stünd‘ Agamemmnons Sohn dir gegenüber
Und du verlangtest was dir nicht gebührt:
So hat auch er ein Schwert und einen Arm
Die Rechte seines Busens zu verteidgen.
Ich habe nichts als Worte und es ziemt
Dem edlen Mann der Frauen Wort zu achten.
(1810-14, 1825-31, 1855-64)
Orest:
Gewalt und List, der Männer höchster Ruhm,
Wird durch die Wahrheit dieser hohen Seele
Beschämt [...]

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