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Bergische Universität Wuppertal

Fakultät 1
Philsophie
Fiktionalismus – Nietzsche und Vaihinger
Dozent: Prof. Dr. Hartung
WiSe 2022/23

Die Beziehung zwischen Nietzsches Kritik an der Wahrheit und seiner


Annahme des Fiktionalismus

Nick Zrno
Matrikelnummer: 1754757
nick.zrno@uni-wuppertal.de
Kombinatorischer Bachelor of Arts
Erziehungswissenschaft/ Philosophie
Abgabedatum: 31.03.2023
Die Suche nach der objektiven Realität oder Wahrheit beschäftigt die Menschen
und vor allem die Philosophie seit je her. Gibt es eine Möglichkeit diese
wahrzunehmen und wenn ja, welche Erkenntnisse können wir daraus ziehen?
Ein Philosoph, der diese Frage wie kaum ein anderer versucht hat zu beantworten
ist Friedrich Nietzsche. Im Folgenden werde ich Nietzsches Kritik an eben dieser
bis dato angenommenen „Wahrheit“ in Beziehung zu seiner daraus resultierenden
Annahme des Fiktionalismus stellen.
Nietzsche beschreibt die „Wahrheit“ in seinem Essay „über Wahrheit und Lüge im
außermoralischen Sinne“ wie folgt: „Wahrheiten sind Illusionen, von denen man
vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern die abgenutzt und sinnlich kraftlos
geworden sind“1
Die „Wahrheiten“, mit derer Hilfe wir unser Leben führen und gestalten sind nichts
weiter als Lügen und Illusionen, welche von der Gesellschaft anerkannt worden
sind; Konventionen welche uns Menschen ein Gefühl von Sicherheit und ein
gewisses Selbstbewusstsein geben.2 Es gibt daher keine objektive Realität und vor
allem keinen Weg Erkenntnisse aus dieser zu erschließen. Nietzsche führt zwei
Punkte an um diesen Gedanken weiter auszuführen. Zum einen ergibt sich keine
Erkenntnis aus der Sprache und der Begriffsarbeit unseres Geistes und zum
anderen besteht kein Verlass auf die sinnliche Wahrnehmung.
Sprache kann als Form keinen Inhalt mit Wahrheitsanspruch in sich tragen oder
weitergeben, da die Begriffe welche wir verwenden keine allgemeingültigen sind,
sondern subjektiven Wahrnehmungscharakter enthalten, den wir mithilfe einer
Metapher ausdrücken. Jene Begriffe, mit denen wir die Welt und ihre Objekte
versuchen zu kategorisieren sind demnach nichts weiteres als konventionell
anerkannte Lügen.3 Der Grund hierfür ist ein zwei stufiger Akt der Metaphorisierung
in unserem Geiste. Betrachtet man zum Beispiel ein Auto, so entsteht bereits die
erste Metapher in der Informationsverarbeitung des Sinnesreizes der Netzhaut auf
dem Weg zu unserem Gehirn. Schon hier ist das Bild, welches der Mensch in
seinem Geist erzeugt ein anderes als das Bild, welches er zuvor betrachtet hat.
Verwendet man danach das Medium der Sprache und möchte diesem im Geiste
geschaffenen Bild einen Laut bzw. einen Begriff zuordnen entsteht hier die zweite

1
Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 880/881.
2
Vgl. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 875 f.
3
Vgl. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 881 ff.

1
Metaphorisierung. Somit hat unser Bild im Geiste und noch weniger der Begriff, der
jenes zu bezeichnen versucht einen Realitätsnahen Wahrheitscharakter in sich.4
Des Weiteren ist das Vorhandensein verschiedener Sprachen in der Menschlichen
Existenz ein weiteres Indiz dafür, dass Begriffe und ihre Veranschaulichungen
willkürlich gewählt werden, da keine übergeordnete Bedeutung in den Begriffen der
verschiedenen Sprachen zum Ausdruck kommt. Nietzsche beschreibt in einem
weiteren Aspekt, dass die Sprache eine Eigenschaft besitzt ungleiches gleich zu
stellen. Nimmt man zum Beispiel einen Ast und vergleicht ihn mit allen anderen
Ästen fällt auf, dass es unendlich viele verschiedene Formen der Beschaffenheit
gibt, die unter jener Bezeichnung „Ast“ zusammengefasst werden. Darunter fallen
zum Beispiel Länge, Abzweigungen, Farbe und ähnliches, jedoch wird der Begriff
„Ast“ für all jene Dinge verwendet, welche unter einem ähnlichen Gesichtspunkt
zusammengefasst werden können. „Herauswachsend aus einem Baum“ als einzige
zusammenhängende Variable zu sehen um alle Äste unter dem Begriff „Ast“ zu
verstehen, und jegliche anderen Unterschiede nicht in die kategorisierbaren
Eigenschaften einfließen zu lassen verdeutlicht die Konvektion der Begrifflichkeit
der Sprache. Jeden Ast als „Ast“ zu bezeichnen, obwohl kein Ast dem anderen
gleicht, ist eine gesellschaftlich anerkannte Lüge, welche dadurch ihren
Wahrheitscharakter erhält, dass sie als generalisiert wahr anerkannt wird.5 In der
Benutzung von Adjektiven kommt dieser Charakter erneut und deutlicher zum
Vorschein. Benutzen wir Menschen in der Sprache die unterschiedlichsten Adjektive
um bestimmte Beschaffenheiten von Objekten zu beschreiben, werden diese
bereits in ihrer Bedeutung unterschiedlich verstanden und interpretiert. Ein Stein
wird als „hart“ empfunden, ebenso wie auch Eis als „hart“ empfunden wird. Diese
Objekte sind in ihrer Dichte und ihrer Masse bereits so unterschiedlich, dass das
Adjektiv „hart“ zwei unterschiedliche Bedeutungen erlangt, da Eis unter einem
wissenschaftlichen Standpunkt aus natürlich nicht mit der gleichen Härte beschaffen
ist wie Eisen.
Neben der Sprache sind es auch die Sinnenwahrnehmungen, welche uns durch ihre
Subjektivität von der objektiven Realität fernhalten. Es kann zwischen zwei
unterschiedlichen Sphären wie der Subjektiven Wahrnehmung und der objektiven

4
Vgl. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 878 f.
5
Vgl. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 876.

2
Wahrheit kein kausaler Zusammenhang bestehen, da Wahrnehmung immer bereits
einen subjektiven Charakter impliziert.6 Durch das abstrakte Denken ist es der
Mensch selbst, der sich als kreierendes Subjekt vergisst. Die Wahrnehmung des
Menschen ist als Anthropomorph einzustufen was zur Folge hat, dass alle
Sinneswahrnehmungen unter eben seiner Perzeption zuzuordnen sind. Dies lässt
den Menschen nie die wahre Natur oder Essenz eines Objekts erkennen, gestaltet
er das, was er selbst als „Realität“ wahrnimmt durchwegs aus sich heraus selbst.
Diese Metaphern, in denen er sich auszudrücken versucht, sind subjektive
Anschauungsmetaphern, welche er als kreierendes Subjekt mit den Metaphern
anderer vergleicht, wohlwissend das die Sprache als wahr angenommene Lüge
niemals den gleichen Sinneseindruck beschreibt. Dies sorgt dafür, dass kein Begriff
in der Sprache auffindbar ist, dem ein Objektiver Realitätsgehalt zugesprochen
werden kann.7
Sind nun die Sprache und unsere subjektiven Sinneswahrnehmungen kein Garant
für eine objektive absolute Wahrheit bleibt laut Nietzsche nur die Erkenntnis, dass
alle Menschen in einer Illusion bzw. einer kollektiv anerkannten Lüge leben. Wenn
wir also als handelnde Kreierende Subjekte keine Möglichkeit besitzen uns der
Objektiven Realität anzunähern und all unser Wissen nur Konventionen sind, wie
und auf welchem Wege gelangen wir Menschen zu Erkenntnissen, welche uns in
unserer Lebensführung positiv unterstützen können?
Nietzsche hat in seiner Philosophie kein spezifisches Doktrin, in welchem er den
Fiktionalismus wörtlich erwähnt. Jedoch ist es die Annahme der Kunst und Ästhetik
und eben diesen Kritiken an der Wahrheit welche den Weg geebnet haben, dass er
den Fiktionalismus, beziehungsweise den Erkenntnisgewinn aus jenem anerkannt
hat.
Durch Abstraktion und Intuition, zwei unterschiedliche Formen der Wahrnehmung,
gestaltet sich die zugrunde liegende „Realität“ in künstlerischer Weise selbst.8
Während der abstrakt denkende Mensch vernünftig und unkünstlerisch Metaphern
mit festen Begriffen versieht und dadurch auch zu Erkenntnissen und Tugenden
erlangen kann, ist es der Intuitive Mensch, welcher unvernünftig aber künstlerisch

6
Vgl. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 883 f.
7
Vgl. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 879.
8
Vgl. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 888 ff.

3
neue Anschauungsmetaphern erzeugt und dadurch „bereits von seinen Intuitionen
[…] eine fortwährende einströmende Erhellung, Aufheiterung, Erlösung“ 9 erlangt.
Diese Anschauungsmetaphern bzw. die neuen Welten, welche von den Intuitiven
Menschen (Künstler, Dichter, Poeten) erschaffen werden können uns zu neuem
Denken anregen und führen daher das Potential mit sich, durch die Fiktion zu neuen
Erkenntnissen zu gelangen.
In Conclusio lässt sich also verifizieren, dass Nietzsches Kritik an der Wahrheit und
ihren Begriffen, welchen er keinen objektiven Wahrheitsgehalt zukommen lässt der
Fiktion in keiner Weise nachsteht. In einer Welt voller Illusionen, in der wir als
Menschen zu keiner objektiven Wahrheit gelangen können, sind es die Intuitiven
Menschen, welche durch den Gebrauch der Fiktion und ihrer innewohnenden
künstlerischen Kraft neue Welten erschaffen, die zwar, wie auch unsere Objektive
Welt keinen gültig geltenden Wahrheitsanspruch besitzen, jedoch trotzdem zu
neuen Tugenden führen können, die bei der Gestaltung des menschlichen Lebens
ihren Nutzen beitragen.

Quelle:

Colli, Giorgio/ Montinari, Mazzino (Hrsg): Die Geburt der Tragödie, Unzeitgemäße
Betrachtungen I – IV, 9. Auflage. Nietzsche, Friedrich: Über Wahrheit und Lüge im
außermoralischen Sinne, Deutscher Taschenbuch Verlag: München, 2012. S. 875-
890.

9
Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 889.

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