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Goethe-Universität Frankfurt am Main

Institut für Soziologie


Seminar: Feminismos desde y en Abya Yala – Latinamerican Feminisms
Wintersemester 2022/2023
Prof. Dr. Encarnación Gutiérrez Rodriguez

Andauernde Kolonialitäten.
Eine Analyse indigener Körper, Territorien und Widerstandspraktiken.

Name: Alma Beck Chacón


Anschrift: Marienstraße 26B, 63069 Offenbach
Telefon: 01747120222
eMail: s0864467@stud.uni-frankfurt.de
Studiengang: HF Soziologie (5. Semester), NF Philosophie (7. Semester)
Matrikelnummer: 7156555
Alma Beck Chacón 7156555

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung……………………………………………………………………3
2. Körper……………………………………………………………………….4
2.1 Verkörperung…………………………………………………………...7
3. Territorium………………………………………………………………….9
4. Feminismo Comunitario……………………………………………………12
5. Fazit………………………………………………………………………….15
6. Literaturverzeichnis………………………………………………………...16
7. Eigenständigkeitserklärung………………………………………………...17

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1. Einleitung
„Es existiert keine Postkolonialität. Wir leben in einer Welt der permanenten
Kolonialität“ (Segato, 2022, S.112). Mit diesem Satz leitet die argentinische Anthropologin
ihren Text „Der Körper der Frauen als Territorium des Krieges“ ein und gibt damit eindrücklich
zu verstehen, dass es „bei dem Prozess der Eroberung und Kolonisierung kein ‘danach‘ [gibt],
denn die koloniale Struktur der Welt hat sich nicht verändert (Segato, 2022, S.112). Aufgrund
der Erfahrungen, die die indigenen Frauen auf dem lateinamerikanischen Kontinent machen,
spricht Segato von einem permanenten Prozess der Eroberung, der durch die Ausbeutung der
indigenen Körper und Territorien gekennzeichnet ist (Segato, 2022, S.112).
Die folgende Arbeit ist der Versuch, einige der kolonialen Strukturen, die seit jeher auf
die Körper und Territorien der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika Einfluss nehmen, zu
betrachten und in ihrer Funktionsweise zu verstehen. Ausgehend von den
Unterdrückungsmechanismen, die auf die Körper der indigenen Frauen wirken, soll gezeigt
werden, dass diese Mechanismen ebenfalls innerhalb der indigenen Territorien operieren. Am
Beispiel des kommunitären Feminismus wird der Zusammenhang zwischen der Unterdrückung
indigener Körper und der Ausbeutung territorialer Räume erkannt und zugleich der Widerstand
und die Kämpfe indigener Frauen aufgezeigt.
Der erste Teil dieser Arbeit widmet sich einer Analyse des Körpers der indigenen Frau.
Anhand einer kritischen Auseinandersetzung mit kolonialen und wissenschaftlichen Diskursen
soll gezeigt werden, inwiefern dieser Körper als rassifiziert und feminisiert konstruiert
wird/wurde, um seine Ausbeutung und Eroberung zu legitimieren (Ahmed, 2002; Ochoa
Muñoz, 2014). Außerdem werden die materiellen Effekte angeschaut, die der rassistische
Diskurs hervorbringt, basierend auf der Annahme, dass race1 keine biologisch begründete
Realität besitzt, sich allerdings durchaus auf eine soziale Realität bezieht und somit die gelebten
Erfahrungen indigener Frauen prägt (Rölli, 2022, S.1019). Der zweite Teil dieser Arbeit befasst
sich mit einer Analyse des Territoriums, das heißt der Erde bzw. der Natur, und entlarvt den
Extraktivismus als Akkumulationsmodell, das auf massiver Ausbeutung natürlicher Ressourcen
basiert, die mit schwerwiegenden Folgen für die indigene Bevölkerung einhergeht (Swampa,
2012). Zuletzt wird sich dem kommunitären Feminismus als Beispiel einer indigenen
feministischen Perspektive gewidmet, die in ihrer widerständigen Praxis den Kampf um die

1race, dt „Rasse“: In der vorliegenden Arbeit wird der englische Begriff race verwendet, um die deutsche
Übersetzung, die weiterhin in Zusammenhang mit biologistischen Begründungen steht, zu vermeiden. Im
englischsprachigen akademischen Diskurs hat der Begriff einen Bedeutungswandel erfahren und verdeutlicht
einerseits die soziale Konstruiertheit von race und die gesellschaftliche Funktion der Rassifizierung.
Andererseits dient er als zentrales sozialwissenschaftliches Analyseinstrument (Rölli, 2022).

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Rückgewinnung und Verteidigung indigener Körper und Territorien aufnimmt (Cabnal, 2010;
Paredes, 2014).

2. Körper
Karina Ochoa Muñoz analysiert den im 16. Jahrhundert vorherrschenden theologischen
Diskurs zu der Frage, ob indigene Personen als menschliche Wesen anerkannt werden können
und damit unter theologischen und juristischen Gesichtspunkten vor dem Gesetz geschützt
werden müssen (Ochoa Muñoz, 2014, S.105). Sie untersucht die Schriften der spanischen
Theologen Ginés de Sepúlveda, Fray Bartolomé de las Casas und Fray Francisco de Vitoria und
arbeitet drei zentrale Themen innerhalb der Debatten und Diskurse rund um die Conquista
heraus: (1) die Versklavung, (2) die Rassifizierung und (3) die Feminisierung (welche
sexistisches und misogynes Gedankengut einverleibt) der indigenen Bevölkerung. Ochoa
Muñoz macht deutlich, dass die Standpunkte der Theologen zu ihrer Zeit nicht zufällig
entstehen, sondern den komplexen Prozess der diskursiven Entwicklung der Kolonialität in den
Amerikas widerspiegeln, die sich rund um kategorische Annahmen artikuliert, die indigenen
Personen ihren Status als Subjekt negieren und ihnen die damit einhergehenden Rechte
absprechen (Ochoa Muñoz, 2014, S.106). Wenngleich die oben genannten Theologen in ihren
Diskursen leichte Unterschiede aufweisen, stellt Ochoa Muñoz in ihren Schriften einen
gemeinsamen Nenner fest, nämlich die Entmenschlichung indigener Personen, die aus der
Negation ihrer Subjektivität resultiert. Ochoa Muñoz verweist hier zum Beispiel auf Sepúlveda,
der der Auffassung war, dass die indigene Bevölkerung nicht die notwendigen Bedingungen
aufwies, weder um als Menschen behandelt zu werden, noch um die entsprechenden Rechte zu
erhalten, weshalb sie für den Umgang eines Meisters mit seinem Sklaven bestimmt waren
(Ochoa Muñoz, 2014, S.106), ein Verhältnis, das auf der gewaltvollen Ausbeutung und
Unterdrückung der nicht-weißen Bevölkerung basierte. In ihrem Text „El debate sobre las y los
amerindios: entre el discurso de la bestialización, la feminización y la racialización” beschreibt
Ochoa Muñoz eindrücklich:
Der moderne Kolonialismus kann als eine Verurteilung oder ein Leben in der Hölle
verstanden werden, das durch die Naturalisierung der Sklaverei gekennzeichnet ist, die nun
mit der biologischen und ontologischen Konstitution der Subjekte und Völker, und nicht
nur mit ihren Überzeugungen begründet wird. Die Tatsache, dass Menschen zu Sklaven
werden können, wenn sie im Krieg besiegt werden, führt auf dem amerikanischen
Kontinent zu dem Verdacht, dass die eroberten Völker, und dann die außereuropäischen
Völker im Allgemeinen, konstitutiv minderwertig sind und daher die Position von Sklaven
und Leibeigenen einnehmen müssen. (Ochoa Muñoz, 2014, S.110) (eig. Übersetzung)

Es wird deutlich, dass der kolonialistische Diskurs rund um die Situation der Indigenen nicht
nur ihre Position als Sklaven zu rechtfertigen versuchte, sondern ebenfalls in den biologischen

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und ontologischen Annahmen über die Konstitution der Körper deren universelle
Minderwertigkeit gegenüber den Europäer*innen begründete. Indem sich die Europäer*innen
von der kolonisierten Bevölkerung abgrenzten, konnten sie die indigene Bevölkerung von ihrer
ursprünglichen Identität entkleiden, um sie an die Stelle eines verleugneten und
untergeordneten „Anderen“ zu setzten (Ochoa Muñoz, 2014, S.106). Für Autoren wie Enrique
Dussel bildete sich vom Moment der „Entdeckung“ Amerikas ein diskursives und subjektives
„Ich“ des Westens heraus, das nur in der Gegenüberstellung der Europäer*innen zur indigenen
Bevölkerung wachsen konnte. In anderen Worten: „Europa war in der Lage, sich mit einem
einheitlichen ‘Ich‘ zu konstituieren, indem es ein ‘Anderes‘ erforschte, eroberte und
kolonisierte, welches ihm ein Bild von sich selbst zurückgab. Dieses Andere wurde also nicht
als solches ‘entdeckt‘ oder zugelassen, sondern verheimlicht oder ‘verborgen‘“ (Dussel, 2001,
S.58) (eig. Übersetzung). Was Dussel als die „Verbergung des Anderen“ beschreibt, lässt sich
auch als eine diskursive Produktion bzw. Konstruktion des „Anderen“ verstehen, welche sich
über Prozesse der Rassifizierung und Feminisierung vollzieht: Während der Begriff des
„Subjekts“ nur für die weiße/ männliche/ europäische/ christliche Bevölkerung reserviert blieb,
wurden die kolonisierten Subjekte zu „rassifizierten sexuellen“ Objekten gemacht und ihre
Körper zu Objekten des „sexuellen Missbrauchs, der Ausbeutung und der Kontrolle“
(Maldonado-Torres, 2007, S.139). Es stellt sich nun also die Frage, was es bedeutet, einen
Körper als „rassifiziert“ und „feminisiert/sexualisiert“ zu bezeichnen.
Laut Sara Ahmed lädt uns der Begriff des „rassifizierten Körpers“ dazu ein, über die
multiplen Prozesse nachzudenken, die dazu führen, dass Körper als „mit“ einer rassischen
Identität betrachtet werden. Hierbei wird für Ahmed die racial Identität der Person nicht einfach
durch die Tatsache ihrer Hautfarbe bestimmt. Vielmehr sei die Rassifizierung ein Prozess, der
sich in Zeit und Raum vollziehe und den Begriff der race als seine Auswirkung hervorbringe.
Race könne demnach nicht als Ursprung oder Ursache der Rassifizierung verstanden werden,
sondern sei das Produkt eines Diskurses, der körperliche Merkmale mit bestimmten
Bedeutungen verseht. Im Falle der Hautfarbe würden „schwarz“ und „weiß“ nicht mehr als
bloße Beschreibungen fungieren, sondern stattdessen racial Identitäten hervorbringen (Ahmed,
2002, S.46). In ihrem Text „Racialized Bodies“ macht Sara Ahmed (2002) deutlich, dass die
Produktion von rassifizierten Körpern nicht ohne Bezugnahme auf die Geschichte des
europäischen Kolonialismus verfolgt werden kann (S.47). Ahmed versteht demnach race als
eine Erfindung der Europäer*innen, die verschiedenen Körpern auf unterschiedliche Weise
zugeschrieben wurde und als argumentative Grundlage diente, um die Versklavung der
kolonisierten Bevölkerung und später die imperiale Expansion Europas zu legitimieren. Die

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europäische Expansion in den Amerikas beinhaltete die direkte und gewaltsame Kontrolle über
die Körper der „Anderen“ in Geschichten des Zwangs und der Unterdrückung und trug dazu
bei, schwarze und indigene Körper als racial zu produzieren, indem sie als Objekte des Wissens
konstituiert wurden. Diese Körper wurden in einem diskursiven Feld zur Verfügung gestellt
und insofern als Objekte produziert, als dass sie zu Dingen wurden, die es zu kennen, sehen und
regulieren galt (Ahmed, 2002, S.48), oder wie Dussel sagen würde: Die Körper der „Anderen“
sollten erforscht, erobert und kolonisiert werden (Dussel, 2001, S.58). Ahmed bezieht sich hier
auf die Rolle der westlichen Wissenschaften des 19. Jahrhunderts in der Konstruktion des
rassifizierten Körpers und beschreibt wie die Körper der „Anderen“ zum Mittel wurden, mit
dem die Wissenschaftler*innen versuchten, die Differenz und Überlegenheit der weißen race
zu markieren. Oder, genauer gesagt, durch die Definition dessen, was anders (pervers,
unnatürlich, abnormal usw.) war, versuchte der wissenschaftliche Diskurs zu konstituieren, was
normal und ideal war. Anstatt Beweise für racial Unterschiede zu finden, konstruierte oder
erfand die Wissenschaft die Idee der race selbst als körperliche Differenz und körperliche
Hierarchie (Ahmed, 2002, S.49-50). Ahmed betont außerdem, dass die Produktion oder
Konstruktion von rassifizierten Körpern nicht getrennt von dem Prozess der Feminisierung
(Verweiblichung) bzw. Sexualisierung von Körpern betrachtet werden kann (Ahmed, 2002, S.
47) und stimmt somit mit Ochoa Muñoz überein, die nicht nur den Zusammenhang zwischen
der Rassifizierung und der Feminisierung der kolonisierten Bevölkerung aufzeigt, sondern
außerdem die Verweiblichung/ Sexualisierung des kolonisierten Subjektes als den
Ausgangspunkt, das heißt als konstitutives Element der Kolonialität versteht (Ochoa Muñoz,
2014, S.110).
Das, was Ochoa Muñoz in Anschluss an einige andere feministische Autorinnen die
Feminisierung indigener Personen nennt, fasst die Tatsache zusammen, dass der „bestialische“
Charakter indigener Personen mit dem „Frau-Sein“ gleichgesetzt wird, dessen Zustand der
Vormundschaft immerwährend und dauerhaft sei (Ochoa Muñoz, 2014, S.106). Für Ahmed
wurden Frauen und die „lower races“ in ihrer körperlichen Differenz zu weißen Männern als
gleichartig angesehen: eine Analogie, die es ermöglichte, Frauen als Gruppe zu rassifizieren
und die „lower races“ als Gruppe zu feminisieren (Ahmed, 2002, S.51). Das Problem der
Feminisierung lässt sich also in Bezug auf das Verhältnis von Dominanz/ Unterordung
zwischen Männern und Frauen verstehen, das für die europäische Eroberung der Amerikas als
erster Bezugspunkt eines durch Naturgesetze institutionalisierten Herrschaftsverhältnisses galt
und in gewissem Sinne die notwendige Vorlage bat, nach dessen Logik die afrikanische und
indigene Bevölkerung ebenfalls dem weißen Mann untergeordnet wurde (Ochoa Muñoz, 2014,

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S.116). Die Frau gilt demnach als die erste Andersartigkeit (Alterität) in Bezug auf den
europäischen Herrscher (Ochoa Muñoz, 2014, S.116), dessen Unterwürfigkeit in ihrer
körperlichen Differenz bzw. biologischen Verfassung begründet lag, ebenso wie später unter
der Einführung der Kategorie race die Unterdrückung der schwarzer und indigener Pesonen in
der Markierung ihrer körperlichen Differenz legitimiert wurde. Folgt man diesem Narrativ,
zeigt sich die Prekarität des schwarzen/ indigenen Frauenkörpers, welche sich aus der
Intersektion zwischen mehreren Unterdrückungsverhältnissen ergibt, die gleichzeitig auf den
Körper wirken: Die Unterdrückung aufgrund ihrer racial Markierung einerseits und der
geschlechtlichen Markierung andererseits.
An dieser Stelle sei außerdem zu erwähnen, dass sich die Prozesse der Rassifizierung
und Feminisierung, wie wir sie bis hierhin erfasst haben, zwar diskursiv entfalten und zunächst
über theologische und später wissenschaftliche Narrative zur Geltung gebracht werden. So
können wir sagen, dass es so etwas wie race als intrinsische Eigenschaft von Körpern nicht
gibt, das bedeutet allerdings nicht, dass race nicht als eine Auswirkung der Art und Weise wie
wir denken, wissen und die Welt bewohnen existiert (Ahmed, 2002, S.47). Es drängt sich
demzufolge die Notwendigkeit auf, die materiellen Effekte des kolonialen Diskurses auf die
Körper der kolonisierten Bevölkerung zu thematisieren und zu veranschaulichen, inwiefern
diese Effekte ein Ausdruck der bis heute andauernden patriarchalen und kolonialen Gewalt
sind. Im folgenden Abschnitt soll daher die Betonung auf der gelebten Erfahrung der
Verkörperung liegen.

2.1. Verkörperung
Wie bisher gezeigt wurde, konnte mit der Invasion der Amerikas eine Ideologie Fuß
fassen, die die Minderwertigkeit der indigenen Bevölkerung und die Unterordnung der Frauen
rechtfertigte. Es wurde aufgedeckt, dass diese Ideologie die Selbstbestätigung der „Einen“ (in
diesem Fall der Europäer*innen) in der Negation der „Anderen“ (der afrikanischen und
indigenen Bevölkerung) implizierte. Im Folgenden wird sich der Subjektivität der
Verkörperung gewidmet, indem die Erfahrungen indigener Frauen im Fokus stehen, die sich in
ihrem Alltag mit rassistischer und frauenfeindlicher Gewalt konfrontiert sehen. Für Emma
Delfina Chirix García (2014) hat die Subjektivität der/ des Einzelnen nicht nur mit dem
Persönlichen zu tun, sondern auch mit dem Sozialen, denn sie bedeutet einerseits zu wissen und
zu fühlen, wer ich bin und was um mich herum existiert und andererseits lädt sie uns ein, die
Markierung von Ungleichheiten als historischen Prozess zu erfassen (S.212). In ihrem Text
„Subjetividad y racismo: la mirada de las/los otros y sus efectos” weist Chirix García (2014)

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auf den sozialen Charakter der persönlichen Erfahrung hin, welcher sich aus der Konvergenz
individueller und kollektiver Erfahrungen ergibt. Sobald die individuelle Erfahrung mit der
Erfahrung des Kollektives übereinstimmt, erhält sie einen gesellschaftlichen Charakter, den es
zu betrachten und analysieren gilt. Für Chirix García eröffnet die persönliche Erfahrung, indem
sie als gesellschaftliches Phänomen verbalisiert wird, eine andere Dimension. Es sei nicht
dasselbe, rational über die Situation der indigenen Frau zu sprechen, wie aus der Subjektivität
der indigenen Frau heraus zu sprechen, denn nur wenn die menschliche Erfahrung thematisiert
würde, könne man sich auf das Individuum als aktives Subjekt bzw. als Akteurin im Widerstand
beziehen (Chirix García, 2014, S.213). Der Widerstand, den die indigenen Frauen gegen die
patriarchalen und kolonialen Unterdrückungsmechanismen und Gewalterfahrungen leisten, soll
im letzten Teil dieser Arbeit betrachtet und vertieft werden. Gegenstand des nächsten
Abschnittes wird die alltägliche Gewalt sein, welche die Maya-Frauen in Guatemala erleben.
In ihren Ausführungen zu den gelebten Erfahrungen der Maya-Frauen in Guatemala
weist Chirix García (2014) den/die Leser*in auf verschiedene Äußerungen der patriarchalen
und racial Unterdrückung hin, die sich auf subtile als auch direkte Weise ausdrücken können.
Die Sozialwissenschaftlerin betrachtet hierbei insbesondere Ausdrücke der Verachtung und
Herabsetzung, die über körperliche Gesten und Blicke übertragen werden und aufgrund ihres
diskriminatorischen Charakters großen Schaden anrichten. Chirix García beschreibt
eindrücklich, wie Gesten und Blicke Gefühle der Wertschätzung oder Verachtung vermitteln
können, indem sie als spezifische Antwortreize wirken, deren Bedeutung sowohl der/die
Sender*in als auch der/die Empfänger*in verstehen. Gesten der Verachtung erkenne man zum
Bespiel daran, dass „sie mir eine Grimasse geschnitten haben (das Gesicht verzogen)“, und „sie
haben uns wirklich verachtet, als ob sie sagen wollten, hier kommen wieder die Indios“, oder
„sie haben uns angespuckt, als wir am Haus eines Ladinos2 vorbeikamen“ (Chirix García, 2014,
S.214) (eig. Übersetzung). Auf die Straße zu gehen bedeutet für die Maya-Frauen täglich
verschiedenen Formen von Rassismus zu erleben. Chirix García betont außerdem die immense
Schwierigkeit vieler Maya-Frauen angesichts rassistischer Aggressionen zu reagieren, weil sie
tief in ihrem Inneren darauf programmiert seien, an die Überlegenheit der „Anderen“ (weißen,
europäischen, christlichen) zu glauben (Chirix García, 2014, S.216). Es wird deutlich, dass die
Last der rassistischen Diskriminierung viele Tribute fordert, die sich in verschiedenen
Ausdrucksformen des Schmerzes äußern: Das Leben der Maya-Frauen wird begleitet von

2 Verwestlichte mittelamerikanische Person mit überwiegend gemischter spanischer und indigener Abstammung.
In diesem Sinne ist Ladino ein Synonym für Mestize (Britannica, 2014).

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Gefühlen der Verzweiflung, Traurigkeit, Angst und Unsicherheit, die sich angesichts der
Ablehnung der indigenen Bevölkerung manifestieren und durch deren Abwertung und
Ausgrenzung verstärken (Chirix García, 2014, S.213). Diese drücken sich nicht zuletzt in der
ständigen Bedrohung vor illegalen Landnahmen und Vertreibungen als Konsequenzen eines
extraktivistischen Wirtschaftsmodells aus, das auf dem gesamten lateinamerikanischen
Kontinent funktioniert und insbesondere für die ländliche Bevölkerung eine Gefahr darstellt.
Im nächsten Abschnitt soll daher der Extraktivismus als Ausdruck kolonialer Kontinuitäten
betrachtet und in seinen Auswirkungen auf das Leben der indigenen Bevölkerung analysiert
werden.

3. Territorium
Die Eroberung der Amerikas implizierte nicht nur die weltweite Etablierung einer
rassistischen Ideologie, welche das Leben der indigenen Bevölkerung auf der Basis
epistemischer Annahmen über ihre körperliche Verfassung prägt, sondern auch die Etablierung
eines Wirtschaftsmodells, das auf der massiven Extraktion (Ausbeutung) von Rohstoffen
basiert. In diesem Abschnitt wird sich demnach angeschaut, wie große Teile der indigenen
Bevölkerung in ihrer Lebensweise einschränkt bzw. das Leben in vielen ländlichen Gebieten
unmöglich unmöglich gemacht wird. Die Ursprünge des Extraktivismus reichen bis in die
Kolonialzeit zurück, welche die Rolle Lateinamerikas als Rohstofflieferant für Europa (und
andere Teile des globalen Nordens) fixierte (Cabnal, 2010, S.131). Es handelt sich hierbei um
ein Akkumulationsmodell, „das auf einer übermäßigen Ausbeutung immer knapper werdender,
meist nicht erneuerbarer, natürlicher Ressourcen beruht, sowie auf der Ausdehnung dieses
Prozesses auch auf Territorien, die bislang als ‘unproduktiv‘ galten“ (Swampa, 2012, S.14).
Aus einer geopolitischen Perspektive lässt sich das extraktivistische Modell außerdem als der
„Ausdruck einer territorialen und globalen Arbeitsteilung zwischen den Ländern des Zentrums
und denen der Peripherie beschreiben“ (Swampa, 2012, S.14), welche die Staaten des globalen
Südens zum Export von Rohstoffen und Verbrauchsgütern verurteilt und auf lokaler Ebenen
verheerende Folgen mit sich bringt. Das Konzept des Extraktivismus bezieht sich demnach
nicht nur auf Lateinamerika, sondern beinhaltet auch den Abbau von natürlichen Ressourcen in
Asien und Afrika. Es umfasst klassische extraktivistische Tätigkeiten wie den Bergbau und
Erdöl, als auch Sektoren der Forstwirtschaft und der Agrarwirtschaft (Swampa, 2012, S.14).
Die Folgen sind überwiegend negativ: „Extraktive Industrien […] sind verantwortlich für
massive Menschenrechtsverletzungen, weisen eine verheerende soziale und Umweltbilanz auf
und geben wenig Impulse für die lokale Ökonomie“ (FDCL und RLS, 2012, S.7). Am Beispiel

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von Kolumbien soll im Folgenden veranschaulicht werden, inwiefern die indigene und
afrokolumbianische Bevölkerung vom Extraktivismus betroffen sind und wie das
Akkumulationsmodell in der Erhaltung eines würdevollen Lebens interferiert.
Im Norden Kolumbiens befindet sich das Steinkohlebergwerk „El Cerrejón“, welches
mit 69.000 Hektar zu den größten weltweit gehört. Die Mine liegt im Gebiet der indigenen
Wayúu und trägt durch den Verbrauch von täglich 17 Millionen Liter Wasser massiv zum
Wassermangel in der Region bei, von dem vor allem die indigene Bevölkerung betroffen ist
(Drucksache, 20/2515, 2022). Neben der Zerstörung der primären Trinkwasserversorgung
kommt es durch den Kohleabbau außerdem zu gefährlichen Umweltschäden, wie der starken
Luftverschmutzung, die zu anhaltenden Atemwegserkrankungen führt. Ein weiteres
schwerwiegendes Problem das mit der Extraktion der Kohle in la Guajira einhergeht, sind die
Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen der indigenen und afrokolumbianischen
Bevölkerung. In den letzten 30 Jahren sollen mehr als 35 Gemeinschaften aus dem Gebiet
vertrieben worden sein, von denen nur ein Bruchteil umgesiedelt wurde, allerdings ohne
wirtschaftliche Alternativen für ihr Überleben zu sichern (Drucksache, 20/2515, 2022). Obwohl
das kolumbianische Verfassungsgericht bereits im Jahr 2017 in einem Urteil feststellte, dass
die Situation der verfassungsmäßigen Rechte der Wayúu, insbesondere die Rechte auf Wasser,
Nahrung, Gesundheit und Bildung, systematisch verletzt würden, passiert von Seiten der Politik
wenig, um das Leben dieser Bevölkerungsgruppe zu schützen. Stattdessen sehen sich die
Wayúu und die afrokolumbianische Bevölkerung in ihrem Kampf gegen den Ausbau weiterer
Projekte durch den Schweizer Konzern Glencore, der die Mine in la Guajira betreibt,
weitestgehend auf sich alleine gestellt (Drucksache, 20/2515, 2022).
Die systematische Verletzung und fehlende Berücksichtigung der Rechte der Wayúu im
Zusammenhang mit dem Kohleabbau erinnert an den theologischen Diskurs der spanischen
Kolonisatoren, der zu Beginn dieser Arbeit vorgestellt wurde: In Bezug auf die Frage, ob die
indigenen Personen vor dem Gesetz geschützt werden müssten, schienen sich die Theologen
einig zu sein. Aufgrund ihrer „minderwertigen“ körperlichen Verfassung gab es aus
europäischer Sicht keinen Anlass, der indigenen und afrikanischen Bevölkerung die gleichen
Rechte zukommen zu lassen, die den Europäern*innen „von Natur aus“ zustanden (Ochoa
Muñoz, 2014, S.105-106). Dieser Diskurs mündete in der systematischen Ausbeutung und
Unterdrückung schwarzer und indigener Körper und rechtfertige außerdem das gewaltvolle
Eindringen in die Territorien der indigenen Bevölkerungsgruppen (Cabnal, 2010). Betrachtet
man nun die Situation in la Guajira, ergibt sich ein erschreckend ähnliches Bild. Der Fehlende
Zugang zu sauberem Trinkwasser, die Umweltverschmutzung mit ihren gesundheitlichen

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Folgen und die Vertreibung der indigenen und afrokolumbianischen Bevölkerung, machen es
für die Betroffenen unmöglich, ein würdevolles Leben zu führen (Drucksache, 20/2515, 2022).
Angesichts der systematischen Missachtung der Rechte der Wayúu wird deutlich, dass die Idee
von „Minderwertigkeit“ in den Köpfen der staatlichen Machtinhaber*innen und des
transnationalen Unternehmens bestehen bleibt, die im eigenen Interesse wirtschaftlicher Profite
systematisch am Leben der Wayúu vorbei entscheiden. Weiter soll hier an die materiellen
Effekte erinnern werden, die, wie sich anhand der Texte von Ahmed und Ochoa Muñoz im
ersten Teil dieser Arbeit zeigt, aus den diskursiven Prozessen der Rassifizierung und
Feminisierung schwarzer und indigener Körper resultieren. An dieser Stelle ist hinzuzufügen,
dass die extraktivistischen Tätigkeiten im Norden Kolumbiens und ihre Folgen für die indigene
und afrokolumbianische Bevölkerung ebenfalls als materielle Auswirkung eines rassistischen
Diskurses betrachtet werden können, weil das Leben und die Interessen der „Einen“ (des Staates
und der multinationalen Konzerne) systematisch über das Leben der „Anderen“ (Wayúu und
afrokolumbianische Bevölkerung) gestellt werden. Aus dem Kohleabbau folgt die Zerstörung
der Lebensgrundlagen der Wayúu, die sich wiederrum auf die Körper der Betroffenen auswirkt
und ihre Lebenserfahrung maßgeblich prägt.
Im selben Maße wie der Extraktivismus in ganz Lateinamerika ein fundamentales
Problem darstellt und das Leben vieler indigener und afrodiasporischer Gemeinschaften
beeinträchtigt, bilden sich über den Kontinent hinweg zahlreiche territoriale
Widerstandsbewegungen, um die Lebensgrundlagen und das Überleben der Betroffenen zu
sichern (Cabnal, 2010). Auch die soziale Organisation in feministischen Gruppierungen spielt
im Kampf gegen den Extraktivismus eine wichtige Rolle: Hier werden nicht nur die
Auswirkungen des Wirtschaftsmodells auf die Körper und Lebensweisen der indigenen Frauen
innerhalb ihrer Gemeinschaften thematisiert, sondern auch rassistische und sexistische
Diskurse und deren symbolische und materielle Gewalt aufgearbeitet und anhand dekolonialer
und indigener Perspektiven kritisiert. Im folgenden Abschnitt soll daher der Feminismo
Comunitario als Beispiel einer solchen Perspektive vorgestellt werden, die für diese Arbeit
besonders interessant erscheint, weil sie den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung
indigener Körper und der Ausbeutung der Natur durch extraktivistischer Modelle herstellt und
in ihrem feministischen Ansatz besonders die Situation der indigenen Frauen hervorhebt. Auch
das widerständige Potenzial des Feminismo Comunitario als Form politischer Organisation und
Quelle kritischer Wissensproduktion wird thematisiert (Cabnal, 2010).

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4. Feminismo Comunitario
Der Feminismo Comunitario, oder zu Deutsch kommunitäre Feminismus, entsteht aus
den Gedanken und Gefühlen indigener Frauen, in diesem Fall der bolivianischen Aymara-
Frauen von Mujeres Creando Comunidad und den Xinka-Frauen der Vereinigung indigener
Frauen von Santa María in den Bergen von Xalapán (Guatemala), um einen Beitrag zur
Pluralität von Feminismen zu leisten, die in verschiedenen Teilen der Welt aufgebaut werden.
Er verfolgt das Ziel, Teil des Kontinuums des Widerstandes, der Transgression und der
Epistemologie der Frauen zu sein, die für die Abschaffung des ancestralischen und westlichen
Patriarchats 3 kämpfen (Cabnal, 2010, S.117). Die guatemaltekische Vertreterin Lorena Cabnal
(2010) beschreibt den kommunitären Feminismus als eine Neuschöpfung des feministisch-
politischen und kosmogonischen Gedankenguts, der entstanden ist, um die Realitäten des
historischen und alltäglichen Lebens indigener Frauen innerhalb der indigenen Welt neu zu
interpretieren (S.117). Für Julieta Paredes (2014), eine der bolivianischen Vertreterinnen dieser
feministischen Denkrichtung, grenzt sich der kommunitäre Ansatz stark von einer westlichen
Auffassung des Feminismus ab. Sie definiert ihren Feminismus als „den Kampf und den
politischen Lebensentwurf jeder Frau, die sich gegen das unterdrückerische Patriarchat
aufgelehnt hat, überall auf der Welt und in jeder Phase der Geschichte“ (Paredes, 2014, S.76)
(eig. Übersetzung). Diese Definition ermöglicht ihr, sich politisch gegenüber dem
hegemonialen westlichen Feminismus zu positionieren, welcher die Frau als Individuum
gegenüber dem Mann (ebenfalls als Individuum) positioniere und somit nicht der Realität der
Aymara-, Quechua-, Xinka- und vielen anderen indigenen Frauen entspreche, die sich nicht als
Individuen, sondern als integraler Teil ihrer Gemeinschaft verstehen (Paredes, 2014, S.79). Die
kommunitären Feministinnen sehen sich nicht als Individuen im Verhältnis zum Mann, sondern
als Frauen und Männer in Bezug auf die Gemeinschaft4. Sie gehen von der Gemeinschaft als
einem integrativen Prinzip aus, welches sich um das Leben aller sogt und dieses erhält (Paredes,
2014, S.78-79).

3Cabnal versteht unter Patriarchat ein universelles System der Unterdrückung, das in allen Kulturen der Welt
präsent ist. Sie definiert es als „das System aller Unterdrückung, aller Ausbeutungen, aller Gewalt und
Diskriminierungen, die die gesamte Menschheit (Frauen, Männer und intersexuelle Menschen) und die Natur
erfahren, als ein System, das historisch auf dem geschlechtlichen Körper der Frau aufgebaut ist“ (Cabnal, 2010,
S.121). Außerdem identifiziert Cabnal patriarchale Strukturen innerhalb der indigenen Kultur, die schon vor der
Kolonisierung der Amerikas existierten und spricht deshalb auch von einem „patriarcado originario ancestral“
(Cabnal, 2010, S.120).
4 Laut Paredes konstituiert sich die Gemeinschaft durch Frauen und Männer als zwei unverzichtbare,

komplementäre, nicht-hierarchische, wechselseitige und autonome Identitäten. Dies bedeutet nicht


notwendigerweise eine obligatorische Heterosexualität, denn für Paredes ist hier nicht die Sprache von einem
(Liebes-)Paar, sondern von einem Verhältnis politischer Repräsentation. Paredes spricht nicht von der Familie,
sondern von der Gemeinschaft (Paredes, 2014, S.87).

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Die Vertreterinnen des kommunitären Feminismus decken in ihren Analysen eine große
Bandbreite an Themen ab, deren einzelne Benennung und Erklärung den Rahmen dieser Arbeit
sprengen würde. In den verschiedenen Ausführungen erscheint zum Beispiel die Analyse der
Verbindung zwischen dem Patriarchat und der Kolonialität als übergreifendes Thema, welche
eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und der Aufdeckung patriarchaler
und misogyner Strukturen innerhalb der indigenen Kosmovision beinhaltet (Cabnal, 2010). An
dieser Stelle soll der Fokus allerdings auf einer anderen Thematik liegen, die Cabnal in ihrem
Text „Acercamiento a la construcción de la propuesta de pensamiento epistémico de las mujeres
indígenas feministas comunitarias de Abya Yala“ (2010) bespricht und eine Version des
Feminismo Comunitario der Xinka-Frauen darstellt, die das kapitalistische Modell und seine
extraktivistische Praxis angreift und die Natur als ein autonomes Wesen versteht, das das Leben
der Körper (der Menschen) garantiert und deshalb geschützt und verteidigt werden muss.
Cabnal schreibt über die Rückgewinnung und Verteidigung des territorio cuerpo-tierra
(zu Deutsch: Territorium Körper-Erde). Dieser Ansatz fungierte zunächst als politischer
Slogan5 und wurde später durch Inhalte belebt, die die Xinka-Frauen dazu brachten, ihn als
Gemeinschaftsslogan des Feminismo Comunitario zu weben. Er impliziert die bewusste
Zurückgewinnung des Körpers als erstes Territorium und dient als emanzipatorischer Akt in
feministischer Kohärenz mit der Idee des Persönlichen als das Politische. Die Aneignung der
Körperlichkeit als eigenes und unwiederholbares Territorium, ermöglicht es laut Cabnal den
Xinka-Frauen ihre Existenz zu bestätigen und das Gefühl des in-der-Welt-Seins zu stärken. So
entsteht ein Selbstbewusstsein, das Rechenschaft darüber ablegt, wie der Körper der indigenen
Frau in seiner persönlichen und zeitlichen Geschichte die verschiedenen Erscheinungsformen
des Patriarchats und allen daraus resultierenden Unterdrückungen erfahren hat. Den Körper
zurückzugewinnen bedeutet sich gegen jegliche Äußerung rassistischer und sexistischer Gewalt
zu richten, sie als historisches Kontinuum kolonialer Diskurse zu erkennen und zu verurteilen
(Cabnal, 2010, S.130). Es handelt sich laut Cabnal um einen täglichen und unverzichtbaren
Kampf, denn die strukturellen Angriffe auf die Körper der indigenen Frauen durchdringen das
Alltägliche, wie weiter oben in den Ausführungen zu den alltäglichen Rassismuserfahrungen
der Maya-Frauen zu sehen war (Chirix García, 2014). Die Verteidigung des territorio cuerpo-
tierra ist ein Ansatz, der die indigenen Frauen einlädt, ein Leben in Würde von einem
bestimmten Ort aus zu fördern und den historischen Widerstand indigener Körper zu erkennen
(Cabnal, 2010, S.130).

5 ¡Recuperación y defensa de nuestro territorio cuerpo-tierra! (Cabnal, 2010, S.129).

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Die Zurückgewinnung des Körpers als emanzipatorischer Akt integriert den


historischen und alltäglichen Widerstand, den die indigene Bevölkerung für die Rückeroberung
und Verteidigung des zweiten Territoriums, der Erde bzw. der Natur, leisten. Der kommunitäre
Feminismus versteht das Territorium Erde als konkreten territorialen Raum, indem sich das
Leben der Körper überhaupt erst manifestieren kann. Dies ist einer der Gründe, warum die
Xinka-Frauen in den Bergen von Xalapán den Kampf gegen die Extraktion von Metall
aufgenommen haben, ebenso wie sich die Wayúu im Norden Kolumbiens gegen den
Kohleabbau widersetzen. Die Xinka-Frauen, wie viele andere betroffene indigene
Gemeinschaften, sehen den Extraktivismus als eine ernsthafte Bedrohung für die Beziehung,
die die Gemeinschaften mit dem Land und dem Leben haben (Cabnal, 2010, S.130). Cabnal
(2010) beschreibt den Zusammenhang in der Verteidigung des territorio cuerpo-tierra wie
folgt:
Ich verteidige mein Landterritorium nicht nur, weil ich die natürlichen Ressourcen brauche,
um zu leben und den anderen Generationen ein würdiges Leben zu hinterlassen. Im Ansatz
der Wiedergewinnung und historischen Verteidigung meines Körper-Erde-Territoriums
gehe ich von der Wiedergewinnung meines enteigneten Körpers aus, um Leben, Freude,
Vitalität, Vergnügen und den Aufbau von befreiendem Wissen für die
Entscheidungsfindung und diese Macht zusammen mit der Verteidigung meines Körper-
Erde-Territoriums zu erzeugen, denn ich kann mir diesen Frauenkörper nicht ohne einen
Raum auf der Erde vorstellen, der meine Existenz würdigt und mein Leben in vollem
Umfang fördert. Historische und unterdrückerische Gewalt existiert sowohl für mein erstes
Körperterritorium als auch für mein historisches Territorium, das Land. (S.131) (eig.
Übersetzung)

Aus der Perspektive des kommunitären Feminismus, wie ihn Cabnal vorstellt, kann die
Zurückgewinnung der Erde nicht getrennt von der Wiederaneignung der indigenen
Frauenkörper geschehen. Die Verteidigung des territorialen Raums ohne die Berücksichtigung
der Tatsache, dass die indigenen Frauen, die in den betroffenen Landregionen leben, unter
Bedingungen sexueller, psychologischer, symbolischer und kultureller Gewalt überleben
müssen, die aus der Enteignung ihrer Körper resultiert, sei für Cabnal ein Widerspruch, den es
zu überwinden gilt (Cabnal, 2010, S.132). Aus diesem Grund haben die Xinka-Frauen einen
historischen Prozess der Verteidigung ihres Territoriums Erde und ihres Territoriums Körper
eingeleitet und sich öffentlich vor den indigenen Autoritäten für die Abschaffung der Gewalt
gegen Frauen postuliert. Gleichzeitig entwickelten sie den Kampf für die territoriale
Verteidigung in den Bergen Xalapáns gegen die Explorations- und Ausbeutungslizensen für
den Metallbergbau, weil in ihrem Verständnis jede dieser Energien (des Körpers im Einklang
mit der Erde) miteinander harmonieren muss, um ein Leben in Würde zu fördern (Cabnal, 2010,
S.132). Demnach verstehen die kommunitären Feministinnen jede Form der Ausbeutung

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natürlicher Ressourcen als eine Form der Gewalt gegen das Land und gegen die Frauen und
Männer, die mit ihm leben.
Abschließend ist hervorzuheben, dass der hier vorgestellte kommunitäre Feminismus
die indigene Frau als epistemisches Subjekt konstituiert und ihre Fähigkeit betont, die
historischen Unterdrückungen, die sie erlebt, in Frage zu stellen, zu kritisieren und ihre
Abschaffung und Dekonstruktion vorzuschlagen (Cabnal,2010, S.117). Dies erinnert an die
Ausführungen von Chirix García, die dafür plädiert, aus der Subjektivität der indigenen Frau
heraus zu sprechen, um sie als Akteurin im Widerstand erfassen zu können (Chirix García,
2014, S.213). So geht der kommunitäre Feminismus ebenfalls von der gelebten Erfahrung der
indigenen Frau aus, die sich, wie zuvor gezeigt, zunächst in ihrem Körper abspielt und immer
in Zusammenhang mit dem territorialen Raum steht, indem sie lebt.

5. Fazit
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich zunächst mit der Tatsache, dass die Körper indigener
Frauen qua kolonialistischer Diskurse als rassifiziert und feminisiert konstruiert werden. Hier
wird sichtbar, dass Sprache als eine fortwährende Form der Unterdrückung, Menschen zu
kategorisieren versucht. Anhand von Beispielen wurde gezeigt, wie sich verschiedene
Unterdrückungsmechanismen – einer weißen Dominanzgesellschaft - auf die Körper der
indigener Personen auswirken. Ich möchte hier noch einmal hervorheben, dass jede Form von
Unterdrückung von Widerstandsbewegungen begleitet wird. Dies zeigen auch die in dieser
Arbeit vorgestellten Ausführungen zum kommunitären Feminismus: Sich als kommunitäre
Feministin zu verstehen, bedeutet für Cabnal und andere Vertreterinnen, eine politische
Identität anzunehmen, die in ihrer widerständigen und kämpferischen Kraft gegen alle Formen
der patriarchalen Unterdrückung vorgeht (Cabnal, 2010, S.116).

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6. Literaturverzeichnis

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in Lateinamerika (S. 14-23). Berlin: FDCL-Verlag

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7. Eigenständigkeitserklärung

Ich versichere an Eides statt durch meine eigene Unterschrift, dass ich die vorstehende Arbeit
selbstständig und ohne fremde Hilfe angefertigt habe und alle Stellen, die wörtlich oder
annähernd wörtlich aus Veröffentlichungen genommen sind, als solche kenntlich gemacht
habe. Die Versicherung bezieht sich auch auf die in der Arbeit gelieferten Zeichnungen,
Skizzen, bildliche Darstellungen und dergleichen.

Datum: Unterschrift:

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