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Brigitte Salanda Chris Zintzen: Brigitte Salanda,

Schau her und lies!


Schau her und lies! Wespennest 181 (Nov. 2021),
Ein über zw anzigJahre fortgesetztes S. 94–100.
Gespräch mit Wiens dienstäItester
Buchhändlerin über die Salonkultur in
inhabergeführten Buchhandlungen,
die Wiener Gruppe beim Tee sowie
zum Paradox von fumut und
Reichtum rund um die libidinös
besetzte Ware «Buch»

Brigitte Salanda begann imJahr 1960 als Lehrling bei der Traditionsbuchhandlung Heger
in der Wollzeile. Ihren ureigenen Ort schuf sie sich mit der legendären Buchhandl#rg
Herrmann in der Grünangergasse: Von 1968 bis r99z war der ldeine Laden in einem der
ältesten Winkel Wiens Schauplatz nicht nur politischer Bewegtheiten: Es war ein Ort,
wo, wie Franz Schuh einmal notierte, «die Bücher wohnten». I(urz vor der Eröffhung der
zweiten eigenen Buchhandlung a.punkt imJahr zooo führte Chris Zintzen ein Interview
mit der Buchhändlerin für den Sfandard} 2021 setzt er dieses Gespräch aus Anlass des
sechzigsten Berufsjubiläums der Buchhändlerin fitu: das Wespennestfort. Ein Long-Dur6e-
Porträtinterview als Remix.

2000

Was unterscheidet den Buchhandel yon anderen «Handlungen»? in seinem Bereich sehr viel mehr als ich, und so bekomme ich im
überhöhung die- Gespräch mit den Itunden über das von ihnen Gelesene eigentlich
BRIGITTE SALANDA: NattiLrlich neigt man zur
ses Berufes und zur Betonung, dass das Buch nicht eine Ware ist ständig Bücherwißsen sozusagen zurückverkauft. Was ich weiß,
wie jede andere. Trotzdem ist das Bücherverkaufen nun einmal ist das Wissen so vieler Menschen, das sich in der Buchhandlung
nicht irgendein Warenhandel Es steckt ja die ganze Welt in die- dreht.
ser Ware drin und im Gespräch über sie. Natürlich kannst du
auch I(eider mit Leidenschaft verkaufen, aber das schafft sicher Wie kam es, dass das sehr junge Mädchen es sichindmKopf gesetzt
eine andere Beziehung als das Buch. Das macht das Be- hat, den Buchhandel araustreben?
sondereamBuchhandelaus:DassmanständigmitLeu- Man muss Ich komme aus einfachen Verhältnissen,
ten zu tun hat, mit denen einen wirldich etwas verbin- bedenken: lch konnte nicht maturieren und studieren.
det. hatte noch nie in MeineBerufsfantasieinderHauptschulewar
meinem Leben Journalismus. Mit Leuten reden, herausfln-
IstnichtgeradederBücherkundeganzbesondersgewillt, eine Buchhand- den,wassiedenken,wassiemögen,wassie
zurückzukommen und über das Produlct, dqs er gelcauft lung betreten! zu sagen haben. Eigentlich verdanke ich
hat, mit seinemBuchhdndler zu reden? meine Berufswahl einer Lehrerin, die mich
Das istja das Spannende: Es gibt oft ein großes gegen- )) auf den Beruf des Buchhändlers hingewiesen
seitiges Interesse zwischen dem Buchhändler und dem IGufer. hat. «Das wär doch was», sagte ich mir, «da bin ich irgendwie am
Was die besondere Beziehung zwischen mir und dem I(unden Wort und am Schreiben», und ich hatte eine vage Vorstellung,
ausmacht, ist, dass der ja ein Verkäufer (von Wissen) fur michist, dass man dabei auch interessante Menschen kennenlernen
weil er mir zurückspiegelt, was er gelesen hal Der l(unde weiß ja würde.

94
ry,r&
l*t

1961, Brigitte Salanda (dritte Bankreihe links außen) in der Berufsschule für Einzelhandel in der Wiener Hütteldorferstraße .
Foto: privat / Archiv Salanda

Gab esVorbilderVorstellungen? wischen mussten, durften wir uns in der Buchhandlung Heger
Manmussbedenken: Ichhattenochnieinmeinemlebeneine vom ersten Tag an in der Kommunikation mit den I(unden
aus-
Buchhandlung betreten! So stand ich - vierzehneinhalb Jahre alt probieren. Wir sind den Itunden sogar persönlich vorgestellt
wor_
- im August 196o da mit einem Zettel in der Hand. Darauf ein paar den. Wenn die Chef,n gesagt
hat, «das ist unsere kleine Brigitte
Adressen, wo gerade Lehrlinge gesucht wurden: Heger, und das ist der Herr eualtinger», habe ich
Wollzeile und I(ommenda, IGttenbrückengasse. Natür- lm Grunde handelt mich natürlich unendlich geschmeichelt ge_
lich war ich weit enrfernt von jeder Fantasie, dass eine es sich um gegen- fühlt. Mit Beginn der Lehrzeit habe ich auch
Buchhandlung «in der Stadt» etwas Besonderes war, seitige Verführun- begonnen, ins Caf6 Hawelka zu gehen - dort
undsowollteesdasSchicksal,dassichdieEntscheidung gen zwischen hat die Durchdringung der Sphären begon_
traf, zuerst in die Wollzeile zu gehen. So bin ich in die B uch hän d ler u n d nen, die dann mein ganzes weiteres Leben ge_
Buchhandlung Heger hineinmarschiert - ich hatte ein Kunden. / prägt hat: Beruf, I(unden, Freizeit, Freunde _
rosa Vichy{Qro-I(eidchen an (wie Brigitte Bardot das das Private uhd das öffentliche waren nie ge-
damals propagiert hat) - und habe gesagt: «Ich möchte )) trennt.
bei Ihnen Lehrling werden.» Ich war sehr naiv und wusste nicht,
dass ich die Avänlgarde-Buchhandlung Wiens betreten hatte. Gerade die Wimer Gruppe hat sich ja als Bohöme verstanden - und
Aber es gab da so etwas wie Liebe auf den ersten Blick zwischen oft auch so benommen. Waren die in der Buchhandlung nicht ir-
der Inhaberin Christl Wagner und mir: Meine Forschheit hat sie gendwie schräg oder schrill?
wohlbeeindruck - und ich die Lehrstelle bekommen. Es
so habe Na ja, die waren manchmal sicher ein bissel arrogant, aber das
war natürlich entscheidend fiir mein weiteres Leben, dass es aus- Iüima in der Buchhandlungwar aufgrund der starken persönlich-
gerechnet diese Buchhandlung war, in der ich sozialisiert wurde. keit der Frau Wagner so ...
Da ist die Wiener Gruppe aus und ein gegangen, Autoren wie Mar-
len Haushofer, Albert Drach, Thomas Bernhard, Figuren wie Hun- ... dass die «bösenBuben» sich gutbenommenhaben?
dertwasser, Qualtinger, Moldovan ... ... die wurden dann eben auf einen Tee in die l(üche gebeten.

Wie hat das junge Lehrmädel diese Bedeutsamkeiten erlebt? In die berühmte Käche, die es dnnn auch in deinen Buchhandlung«t
Wir waren in der Buchhandlung dort eine ganze Gruppe jun- immer gegebenhat?
ger Mädchen. Anders als die meisten Lehrlinge, die in anderen
Ja, ich denke eben doch, dass dasWesentliche dieses Berufes
Buchhandlungen auch noch im zweiten, dritten Lehrjahr Staub die Art, wie ich ihn auffasse - dort geprägt worden ist. Es hat sich

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der Itunde in der Buchhandlung Heger gewissermaßen nobilitiert Gibt es da Eindrücke, was und wie sich die Zeiten, die ltunden, die
gefühlt, wenn er in die I(üche gebeten wurde und einen Tee be- Interessen und die Bücher in den lahren, die Du die Buchhandlung
kommen hat. Ich habe das dann übernommen: Dass es nicht da-
Herrmann geführt hast, verändert haben?
rauf ankommt, wie viel Geld der I(unde dalässt. Dass oft die
Natürlich waren da als zentrale Themen zuerät einmal der
schwierigstenleutedieinteressantestensind.Dassmaneinenzu- Marxismus und die Theorie, die Franldurter Schule und die
gang flnden kann. Gerade über den Gegenstand «Buch». «Dritte Welt». Dadurch, dass die Leute in ein
ImGrundehandeltessichdajaumgegenseitigeVerfüh- Die jungen Leute Alter gekommen sind, wo die ersten Iünder
rungen zwischen Buchhändler und I(unden. hatten ja nicht un- kamen, hat man sich natürlich mit I(nderer-
bedingt mehr Geld ziehung beschäftigr: Neill/Summerhilt, psy-
Ist Dir fürdas, was innerhalb der Buchhandlungklima- als heute, aber choanalyse, Entwicklungspsycilologie, «wie
tischpassiert, jemalsdasWort«Salon»vorgeschwebt? das Allerwich- erzieht man den ne{en Menschen». Es kam
Ja,durchaus. Ichglaube,dasseineBuchhandlungdie tigste war, sich das Interesse auf für alternative Lebensmo-
Möglichkeit hat, Menschen entlang von Interessen zu- Bücher zu kaufen. delle: ICbbuz, Landkollektive, autarkes Wirt-
sammenzuftihren. Es ist immer eine ungeheure Freude, schaften. So sind entlang der persönlichen
wenn die I(unden plötzlich anfangen, miteinander zu )) Biografien meiner I(unden, entlang der Le-
reden ... Oder wenn ich mich gerade bemühe, irgendein Buch zu bensbiografien der Generation, laufend neue Themen hinzuge-
finden oder zu erraten, was einem Ifunden gefallen könnte, und kommen. In den Achtzigerjahren begann man sich für das Ge-
dann ein anderer I(unde, der gerade anwesend ist, den Ball auf- sundheitswesen zu interessieren, ftir die Randgruppenproblema-
nimmt und mit einem Hinweis, einer Empfehlung, einer Idee in tik Außenseiter, Gefangene, Heimgeschichten. Am besten hat sich
die lOmmunikation eingreift. Also «bedient» dann eigentlich ein dieser Themenwechselfiohl in meinem Jahreskatalog, dem «AI-
I(unde den anderen und letztlich auch mich selbst, indem ich wie- manach» abgebildet: Dort habe ich zwanzigJahre lang die meines
der etwas Neues erfahre. Erachtens wichtigsten Neuerscheinungen zusammengestellt
wenn man Zeit hätte, könnte man aus diesen «Almanachen» sehr
Nach der Lehrzeit, nach einem Auf- und Ausbruchsversuch in die gut l«rlturelle, literarische, politische Entwicklungen beobactrteä.
Schweiz, bßt Du nach Wien zurüclcgekehrt: Allerdings auf die andere
Seite des Häuserbloclcs, in die Zentralbuchhandlung (ZB)?
Die ZB hat der I(ommunistischen Partei österreichs gehört
und wurde damals sehr zentralistisch geführt, sodass man nicht
sehr viel Freiheit in der Gestaltung hatte. Es ist quasi von oben
entschieden worden, welche Bücher verkauft werden sollten, das
hat die Belletristik, natürlich aber besonders die politische Lite-
ratur betroffen. So kam ich aus dem kunst{<ulturellen Feld der
Buchhandlung Heger zum ersten Mal in das politische Feld: Von
IGrl Marx hatte ich vorher eigentlich nie gehört (lacht) - ich war
ja bislang politisch nicht wirldich interessiert gewesen. Das hat
sich natürlich schlagartig geändert - dies aber wiederum durch
die Leute, die man in der Buchhandlung kennengelernt hat.

ImDezember tgGB konnte schlie$lich die Buchhandlung Herrmann


in der Grünangergasse eröffnen: Eine gtte Zeitfür Bücher?
war ja die Zeit der Theorie-Hochblüte des Suhrkamp-Ver-
Es
Überall, wo man hingekommen ist, standen dieselben Suhr-
Iags:
kamp-Bücher in den Regalen. Die jungen Leute hatten ja nicht un-
bedingt mehr Geld als heute, aber das Allerwichtigste war, sich
Bücher zu kaufen: Man musste die Bücher haben und man musste
das Geld haben, im IGffeehaus zu sitzen und nächtelang zu dis-
kutieren. Die Ansprüche an sonstigen l(onsum - Essen, I(eider,
Reisen - waren damals gering. Hauptanspruch war, dass man sich
die angesagten Bücher kaufen konnte: Sozial war es absolut not-
wendig dass du, wenn du mitreden wolltest, dir eben den Haber-
mas angeschaut haben musstest. Du musstest dir Freud angese-
hen haben, du musstest in einemlfupital-Lesekreis gewesen sein
(lacht).

Februar 1964 Buchhandlung Hegerin derWollzeile. Foto: privat/ArchivSalanda

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Juni 2o21. Brigjtre Salanda in ih;er Buchhandlung a.punkt. F.ischersticge, lol0 \Vien F..rto: Chris Zintzen

Trotz oder wegen dieses grotlm persönlichen Engagements war aber die ich mag: Theorie, Philosophie, mein altes Steckenpferd, die
die Buchhandlung Henmann lcein ökonomßcher Erfolg? Psychoanalyse, I(ulturgeschichte und natürlich Literatur.
Es war nahirlich so, dass vergleichbare Buchhandlungen ent-
standen sind: Es gab die Buchhandlung l(olisch bei der Universi-
tät, es gab die Frauenbuchhandlung, es gab die Buchhandlung 202L
Winter. Außerdem haben ja auch die Bürgerlichen nicht geschla-
fen, und die Verlage haben auf die gesellschaftlichen Fragen mit Wir haben imJahr 2ooo miteinander gesprochen. Damals hieJi dein
speziellen Produkten reagiert: Jeder Verlag hatte eine feministi- Slogan: «4o tahre am Buch». Heute, fast 21 Jahre späte4 setzen wir
sche Reihe (wie Rowohlts «die neue frau»), und die konnte man dieses Gesprdch fort: Wir sitzen am gro$en Besucher- und Bücher-
in allen Buchhandlungen kaufen. Also ist mir das Schicksal ieder tisch deiner imJahr zooo eröffneten Buchhandlung a.punkt an der
Avantgarde widerfahren: Was ich ldein begonnen habe, ist plötz- Wiener Fßcherstiege. Es gibt Espresso. Wie geht es Dir mit «6o Jah-
lich Mainstream geworden. Außerdem war es ja so, dass meine ren amBuch»? Du dürftest zu denlängst dienendenBuchhändlerin-
I(unden im Zugä des Alterwerdens und des beruflichen Erfolgs nen dieser Stadt zählen.
nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit hatten, durch die ganze Stadt Ich glaube, in WIen gibt es nur mehr den Reinhold posch, der
zu rennen, um bei mir ein Buch zu kaufen. auch alt ist und der das auch schon lange macht.Jetzt, mit meinen
fünfundsiebzigJahren, bin ich in österreich vermutlich die am
Nach SchlieJlung der Buchhandlung Herrmann und nach einigen Iängsten dienende Buchhändlerin und die ilteste. Weil ich das ia
lahren als Filialleiterin der Zentralbuchhandlung in der Schuler- auch ohne Unterbrechung seit 196o durchgezogen habe.
stra$e planst Du nun, noch einmal mit einem eigmen Laden zu be-
ginnen... Wenn man die inhabergeführten Buchhandlungen Wiens betrach-
Vielleicht ist das ein bissel sentimental, aber dennoch bin ich fdllt deren jeweiliges ProfiI sofort auf. Was ist dabei der sprin-
tet,
noch erfüllt von den Sehnsüchten, die ich jetzt gern auf den gende Punkt? Wie kommt es zu dieser speziellen Aura jedes dieser
«Salon»-Punkt bringen würde: Ich würde einfach gerne noch ein- Unternehmen?
mal zwanzigJahre lang einen eigenen ldeinen Laden führen: eine In einer inhabergeftihrten Buchhandlung ist es halt so: Jedes
ldeine Buchhandlung, die langsam ist, wo es eine ganz spezielle Buch, das hier steht, habe ich persönlich ausgesucht. Ich hänge
Auswahl gibt. Ganz luxuriös würde ich dort die Bücher verkaufen, natürlich oft ein wenig mit dem Bezahlen nach und bin auf eine

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gute I(ooperation mit der Auslieferung angewiesen. Glücklicher- Buch in der Hand halten wollen und die sich in öiner realen Buch-
weise ist es so, dass uns ein I(unde hier und da 20 ooo Euro borgt: handlung umschauen wollen. Ich selbst bin auch ohne
Damit kann man dann die Schulden planieren und schauen, dass Smartphone und ohne soziale Medien mit der Buchhandlungbe-
man das Geld wieder hereinkriegt. Finanziell schwierig war es schäftig[ genug: Das ist eine Realität unabhängig vori dem, was da
immer und wird es immer sein. Um der Wahrheit die Ehre zu draußen im Internet los ist. Wenn ich aufstehe, Iese ich zuerst
geben, muss ich sagen: Diese Buchhandlungfunl«ioniertnur, weil zwei, drei Zeitungen, um zu wissen, was passiert, um Gesprächs-
ich kein Geld nehme. Da ich eine billige Wohnung habe und zu stoffzu haben und um die Rezensionen zu lesen. Ichbinwirldich
den berühmten Friedenszins-Mietern zähle, kann ich von meiner beschäftigt genug damit, diese Buchhandlung in meinem Sinne
Pension leben. Das heißt, ich arbeite jetzt in meiner eigenen Buch- weiterzuführen, so lange ich körperlich dazu in der Lage bin.
handlung sozusagen «just for fun».
für die Wahrnehmung delnwelt ienseits der Bild-
Ein Plddoyer
Zum Zeitpunlct unseres vorangegangenen Gesprächs zeichnete sich schirme und Screens?
das AuftommenvonBranchenriesenbereits deutlich ab: In denver- Eine Buchhandlung will den Leuten mit ihrem Angebot Lust
gangenen zweiJahrzehntenhaben sich Buchhandelskonzerne mit machen. Ich habeja einen sehr großen psychoanalytischen Be-
riesigm Verkaufsflächen, breitem Angebot und uielen Filialen auch reich und viel Fachliteratur zur Psychotherapie. Dann kommen
inWienetablier-t.Irvwßchenwurdenallerdings auchwieder einige I(unden, jüngere und Leute in Ausbildung, die knallen dir ein
I@ttenlokale geschlossen. Die Branche scheint unruhig? Wort hin wie «Narzissmus» oder «Bindung» oder «Hysterie». Ich
Vor zwanzigJahren habe ich dir gesagt, dass die Leute diesen binbemüht, den Leuten keine l0chbücher zuverkaufen, sondern
persönlichen Touch in einer Buchhandlung nicht mehr wollen. die Grundlagen dazuhaben. Immerhin hat sich Book on Demand
Dies hat sich inzwischen wieder verschoben: Sie finden zwar in so weit durchgesetzt, dass beispielsweise der Suhrkamp-Verlag
Filialen von Buchhandelsketten eine größere Auswahl, alte stw-Titel auf diese Weise Iieferbar hält: Un-
doch wollen sie heute offenbar ihre Bücher nicht mehr lch hänge natür- längst habe ich für eine Itundin Mario Brd-
nur in anonl.,rnen Hallen kaufen, sondern schätzen es, lich oft ein wenig heimsDie gesellschaftlicheProdulctionvon'tln-
wennihrBuchhändlerweiß,wersiesindundwofürsie mit dem Bezahlen bewusstheitbestellt,daskommtdannviaBo6.
sich interessieren, und dass man auch ein bisschenda- nach und bin auf
raufeingeht,wiesiesichgeradefühlen. eine gute Koope- Deinel(undlnnensindnichtnurLesende,son-
ration mit der dernauchviele Schreibende. Dubßt also auch
Seitunseremletzten Gesprächhatsich eine mächtige Kon- Auslieferung imKontakt mit den Produzierenden. Trägt dies
kurrenzzumBuchundzurgedrucktenWßsensvermitt- angewiesen. zu einem anderen umgang mit der Ware
Iung durchgesetzt: Daslntetnet, das einerseits als Anbieter <<Buch» bei?

von Inhalten fungiert und andererseits als Handekplatz )) Ja, zum Beispiel im Fall eines Buchs, das ich
ohne räumliche Grenzen und SchlieJ3zeiten. Welche Auswirlcungen vor Monaten sehr gepusht habe, weil ich es so großartig fand, dass
hat diese neue Distributionsform von Inhalten und Waren auf deine ich allen Ifunden sagen wollte: «Schau her und lies!» - Das ist das
Arb eit als Bu chhändler in? Btsch Mediterrane Urbanität von Christian Reder'?, dessen Entste-
Die inhabergefuhrten Buchhandlungen Wiens haben zot3 eine hen ich über zwanzigJahre hinweg mitverfolgt habe in dem, was
gemeinsame Aktion gestartet, was ja ganz ungewöhnlich ist: Wir der Autor liest. Als Buchhändlerin bekommst du diesen Entste-
haben plakatiert mit dem Slogan «Ihr Buch hat ein Gesicht - hungsprozess erzählt, kannst gewissermaßen daran teilnehmen
Wiens Buchhandel hat viele». Das war eine «Buy local»-Werbeak- und freust dich, #enn ein so tolles Buch herauskommt, das du
tion gegen den schnellen IQuf bei Amazon. Für mich ist am Phä- dann in deinem Laden präsentierst. Das ist spannend, denn na-
nomen «Amazon» vor allem ärgerlich, dass dieser I(onzern keine türlich spricht man mit Stammkunden über ihre al(uellen Pro-
Steuern zahlt und wie übel er seine Mitarbeiter behandelt. Ich bin jekte. Andere wiederum kommen vorbei und schauen, ob ihre ei-
kein Flammenschwertler, denn du kommst um den Internethan- genen Bücher daliegen.
del nicht herum, wenn du zum Beispiel englische Bücher
brauchst. Die digitalen I(ataloge und das Online-Bestellwesen er- Postcolonial-Studies, nentitatsdiskurse, politische Turns. Die ver-
Ieichtern die Arbeit. Allerdings ist der deutschsprachige Buchhan- gangenen zwanzig Jahren habm eine beschleunigte Diversifikation
delja seitjeher aufs Großartigste organisiert: In welcher Branche der Themen, Protagonßtlnnen, Medien und Instanzen mit sich ge-
kannst du fastjedes verfügbare Produkt innerhalb von zwei, drei bracht Bemerkst Du dies imBuchhandelsalltag?
Tagen besorgen? Man kannja doch nur einen begrenzten Teil des Ich sage Dir, wie es ist, diese aktuelle Identitätshuberei geht mir
Sortiments im Laden stehen haben. ziemlich auf den Geist. Mich widert an, wie da ein neuer Rassis-
mus im Entstehen ist. Du darfst über schwarze Befindlichkeiten
Hast Du den Eindruck, die Wissensvennittlung im Netz geht auch oder Empflndlichkeiten nur dann schreiben, wenn du selbst
im Buchwesen auf Ibsten der alten «Holzkultur»? schwarz bist, du darfst nur dann einen Schwulen spielen, wenn
Bs gibt immer noch genug interessante Bücher, die erscheinen. du selbst schwul bist, du darfst als holländische Autorin keinen
Eshilft nichts, wenn man jammert: Lesen warimmer ein Minder- Text einer afio-amerikanischen Autorin übersetzen.: Ich finde das
heitenprogramm. Es wird auch weiterhin Leute geben, die ein alles ganz grauenhaft, das wird auch immer radikaler. Nles, was

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wir wissen, wird heute als «Aneignung» denunziert. Was wüssten stalte ein Foucault-Schaufenster: «Lest Foucault!» - Genau wie
wir über die Welt, wenn wir es uns nicht (geistig) angeeignet hät- meine Antwort auf den Tod von Rudi Burger ist: «Lest Rudi Bur-
ten! gerr.» (Zeigt auf die Auswahl von Burger-Publifationen auf dem Be-
suchertisch.)
Es handelt sich ja dabei doch auch um eine Dßlcussion von Macht
und fuJlt im Wesentlichen auf der Foucault'schen Gesellschaftskritik Wie viele New-Waves, Paradigmenwechsel, Turns lrunn man als
beziehungsweise der postmodernen Dekonstrulction von Herr- achterin und Buchhdndlerin mit gleichschweb endem Interess e
Be ob
schaftsdiskursen und «Meistererzrihlungm» (Ly otard). B e- mitv ollziehen?fritt nicht irgendw ann ein w ei-
merkenswert ist allerdings die gro$e Ernphase, die in die- Für den Umsatz, Jles Rauschenin der Wahrnehmung ein?
s en I dentität s dßkur s e n mits chw ingt. den ich mache, ist Es gibt immer wieder interessanre Ent-
Da wird etwas kanalisiert, zweifellos. Gleichwohl das Angebot aller- wicklungen. Aber in meinem Alter hast du
Iese ich - veranlasst durch den Tod von Rudi Burger dings enorm über-
halt alles schon gesehen: «Es ist alles schon ge-
[am t9. April 2o2t] - derzeit Texte, die ich zuvor noch dimensioniert. sagt worden, aber noch nicht von jedem»
nicht gelesen hatte, etwa seine Essays zum Multikultu- (lacht).
ralismus.a Es heißt dort, dass der Mensch in erster Linie ,)
Mensch ist und dass das ganze Gedöns mit den Wurzeln, mit den Beim Anbliclc der Bücher und deren Pr(ßentation im Laden
fdllt mir
Identitäten, mit dem Multilrulturalismus und mit dem «Wer darf das Wort «appetitanregend» ein. Diese Qualität empfinde ich beim
was?» und «Wer darf was sagen?» sehr aufgesetzt ist. Nein, ich Bücherbrowsen im Internet nicht: Man ßt im Intetnet alleine unter-
finde, man darf alles sagen - außer, dass es keine I(onzentrations- wegs, die Bücher haben keine haptische Qualität undkeine soziale
lager gegeben hat. Man darf alles sagen, und man muss sich mit Realität.
allem auseinandersetzen. Nach heutigen Maßstäben hätten wir Es riecht nicht, man kann es nicht angreifen, es gibt ja immer
nie mit Martin Luther I(ng für die Rechte der Schwarzen kämp- noch I(unden, die ffagen: «Darfich da hineinschauen?» - Natür-
fen dürfen. - Und was habe ich gemacht, nach dieser großen Auf- lich! In jedes Buch, das sich in dieser Buchhandlung bpflndet,
regung über Michel Foucaults angebliche (und unbewiesene) Be- kannst du hineinschauen. Wie sollst du sonst entscheiden kön-
ziehungen zu Minderjährigen?s - Meine Antwort daraufl Ich ge- nen, ob dich das interessiert?

Juni 2021, Bdgitte Salanda in ihrer Buchhandlung a.punkt, Fischerstiege, tolo Wien . Foto: Chris Zintzen

§! !

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Wir führen dieses Gespräch für eine Ausgabe der Zeitschrift «Wes-
pennest», die dem Thema «Verzicht» gewidmet ist. Ist «Verzicht» ein
Thema für die Inhaberin einer Buchhandlung?
Wenn man Geldverdienenwill, darf mankeine Buchhandlung
aufmachen, das müsste ja schon lange bekannt sein. Aber ein GE,ORGE, ORWE,LL
Beruf, der einen nach sechzigJahren immer noch freut, ist doch
ein derartiges PrMleg! Für den Umsatz, den ich mache, ist das An-
Reise durch Ruinen
gebot allerdings enorm überdimensioniert. (lacht).
Rtltort « gr:'n a u: L) r:'Ltts r:h l.n n d,

Ein unerwartetes Ereignß hat die Gesellschaft im März 2o2o lahm- unrl Osttn'eich 1915
gelegl: Die Corona-Pandemie und die Ma!3nahmen zu deren Ein-
dämmung (Ausgangs sp erren, Betretungsv erb ote, Betrieb sp ausen)
haben in vielen Bereichen zu einem Freeze von mehreren Monaten
gef ührt: Wie war das Leben einer Buchhdndlerin zu dieser Zeit? Wie
lconntest Du dein Geschäft über diese Zeit hinwegretten?
Ich muss sagen, was fiir uns I(eine generell gilt Wir haben sehr
treue I(unden. Die schätzen, dass es uns gibt, die haben auch wäh-
rend der Lockdowns bestellt. Es war natürlich sehr anstrengend
fur uns, dreihundert Packerln pro Woche auf die Post zu bringen,
so etwas ist nur unter großer Selbstausbeutung möglich und
bringt natrirlich nur geringe Umsätze, aber es ist immer irgendwie
gegangen und hat unser Überleben gesichert. Für mich persön-
lich das Schlimmste war, während derlockdowns keine I(ommu-
nikation zu haben. Ichbin ein alleine lebenderMensch mit einem
roten I(ater und spreche, wenn ich nicht mit meinen I(unden
sprechen kann, mit meinen beiden Mitarbeitern.

Du hast längst Anspruch auf eingn sogenannten «wohlverdienten


Ruhestand». Gleichwohl sitzt Du fünf Tage pro Woche in der Buch-
handlung, gestaltest deine halbjrihrliche Zeitung treff.punl6 si/zf
abends an der Buchhaltung oder arbeitest Verlagsvorschauen
durch. Welchen Horizont siehst Du für deine Buchhandlung? Könn-
test Du Dir eine Weitergabe an eine/n Nachfolgerlnvorstellen?
Schau, wenn ich jetn Geld hätte, dass ich jemanden anstellen Mit einem Nachwort von Volker Ullrich. Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff.
€i6,-[D] | €16,5o[4] | ISBN 978-3-4o6-77699r
r1r Seiten I Gebunden |
könnte, der da langsam hineinwächst - aber das habe ich nicht. Ich
halte den Betrieb in dieser Ungewissheit auflecht, wie lange ich das
hier noch machen l<ann. Meine Idee ist, dass ich das noch ftinfJahre "Wirkt nach Z5 Jahren noch erstaunlich aktu-
e11, in einer Zpit, als das Konzept des Natio-
schaffen kann. Dannbin ich achtzig, und ich habevor langenJahren
mit dem Armin Thurnher vomFalter ausgemacht: Dann schreibt nalstaats offenbar neue Anhänger findet.,
er etwas. - Natürlich wäre es schön, wenn jemand diese Buchhand- Tagesspiegel
lung weiterführen konnte. Natrirlich würde ich mir nichts sehnli-

"Die kurzen, sachlichen Reportagen ... lassen


cher wünschen als das. Meine Hoffhung ist immer auch, dass ich
sterbe, bevor die Buchhandlung geschlossen wird: Einfach vor der
das erzählerische Talent des Autors auch in
Buchhandlung sterben, und das wär's dann gewesen.
diesem kurzen Genre aufscheinen.»
l .BLlcir für BLrch,, DcrStorr./.ji1l (lllrllnl). 16.r2.2000. Dirk Schümer, WELT am Sonntqg
I Chrjstian Reder, \lditü.ranr Urbonittit. Periodan ritaler \/ic\alt als Gtltxllago ? Elrolld-s. \\1ien,
\,landclhalrfi 2020
3 Dic ÜllL.rsctzungcD von i\nrrnda Gormans, llei loe [liders lnau-qlrration am 20. Jalruar 2021
!orgctr;rgcncm Ccdicht «The Hill \\re CljfrLr» lösteu irtelnrional l(orrro\€rsen aus: So \\,urdc
et\\,a die Beauftragung eirer §,eißen. nicht binäreD lro'son Irir dic Übcrn'agurg iIS NiederlliD-
dische liritisiert. Llie für Hollinann und (lanrpc \or cincrr transl(LlltLn-eller r\utorilutenlioilek
tiv bcs{lrgtc dcLltschc I bcrsevung $urde von Std,]d.l/, als «iu h()chstem N{ali missglticl(t»
urd rom ,Sphgcl als zu,eilelhafre .Ausr,irl(ung der ldentitätspolilil( auf clcn Litcrarurbetrieb,
bezeichnet. (rd'SIdnddr.l, 30.03.2o21; Dcr.spi.gc1. ()1.()3.2o2r).

C.H.BECK
.+ RuLloll Burgcr:,\lullikultLualisillLts. itl\tati(ü und ]tlüdtfll,?g:siirlsc. I.\f,ols unLl Gcsllräcl1c.Hg.
vt»r Bernhard l(raller Wien: Sonderzahl 2o19.
5 Anspieirürgrufdie von dL.m lianziisisch..n Essavisten Cui,So ntan 2o2l Lrulriiziertc (ruld spätcr
rclntivicrte) BehaLrpturg. Iroucault habe ir 'l'unesier Nährend der r970cr-Jahre piidoLrhile Be
ziehungen unterhalten. LITERATUR SACHBUCH WISSENSCHAFT

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