w w w.jungefreiheit.de Nr. 51/14 | 29. Jahrgang | 12.

Dezember 2014 | EUR 4,– (D)

W O C H E N Z E I T U N G F Ü R D E B AT T E

„Nein!“
So ruft ein gewisser Homer Simp-
son immer dann, wenn ihm ein

Wir sind
Mißgeschick passiert. Also ziemlich
oft. Möglich, daß es in der CSU
derzeit auch sehr gebräuchlich ist.
MEINUNG, Seite 2

das Volk
Eine neue Demonstration bewegt die
Republik: Pegida in Dresden bringt jede
Woche immer mehr Bürger auf die Straße „Karamba!“
Sebastian Edathy gehörte zu den
Hoffnungsträgern der SPD. Bis zur
Seiten 3 und 4 Affäre um die Bilder nackter Jun-
gen. Demnächst will der Gestürzte
aus der Versenkung auftauchen.
POLITIK, Seite 5

Seid verschlungen Milliarden

Vorbild Eon: Dank Energiewende wird Stromerzeugung unrentabel und demnächst verstaatlicht
„Ausgezeichnet!“
PAUL ROSEN zur Netzentgeltverordnung fummelt die Politik auf größtenteils gefälschte Gutachten über Wind- geben, weil er wie Hunderttausende nützlicher Daß das Asylrecht häufig miß-
im Markt herum wie weiland die SED in ihren stunden und Sonnenscheindauer. Ohne Subven- Fledermäuse von Windrotoren zerhackt wird. braucht wird, kritisiert diese
Kombinaten“, stellt Ex-Cicero-Chefredakteur tionen müßten sie sofort Konkurs anmelden, mit Der Hase verhungert in trostlosen Maisplanta- Zeitung immer wieder. Positive
Wolfram Weimer im Handelsblatt fest. Subventionen schleppen sie sich noch etwas hin. gen; ihn zum Tier des Jahres zu machen, ist fast Gegenbeispiele wollen wir jedoch

D
en besten Kommentar zur Energiepo-
litik in Deutschland liefert der dafür
verantwortliche Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel (SPD): Bei der Ener-
giewende herrschten „irre Zustände“, klagte der
SPD-Vorsitzende Anfang November auf dem
Arbeitgebertag. Daß wir hier Kraftwerke stille-
gen und Strom aus Österreich kaufen, sei eine
„Karnevalsveranstaltung“. Die Österreicher kä-
men „vor Lachen nicht in den Schlaf“.
Wer sich mit der Energiewende beschäftigt,
dem drohen in der Tat Schlafstörungen. Mit Sub-
ventionen in dreistelliger Milliardenhöhe wird
parallel zu einem einst funktionierenden Ener-
gieversorgungssystem eine ineffiziente Gegen-
veranstaltung hochgezogen, die hin und wieder
Strom liefert. Zuverlässig fließen nur staatliche
Subventionen zu diesen Flatterstrom-Erzeugern.
Die massiv subventionierte Erzeugung von
Strom aus Windenergie, Sonnenenergie und Bio-
masse hat zu einem Verfall der Strompreise ge-
führt, so daß sich konventionelle Kraftwerke, die
Kohle, Öl oder Gas verfeuern, nicht mehr wirt-
schaftlich betreiben lassen. Das hat alle deutschen
Stromerzeuger bis hinunter zu kleinen Stadt-
werken in schwere Krisen gestürzt. Sie können
Strom nicht wirtschaftlich erzeugen; die Stille-
gung von Kraftwerken verbietet ihnen die Poli-
tik, die nicht nur religiöse Züge trägt, sondern
auch sozialistische: „Von Strompreisbremsen bis
Der Energiekonzern Eon hat die Konsequenz Die großen Windparks in der Nordsee, die so pervers wie die Aktion von Umweltministerin auch nicht verschweigen.
aus dem antimarktwirtschaftlichen Kurs gezogen das Rückgrat der alternativen Energieversorgung Barbara Hendricks (SPD), den von Windkraft- THEMA, Seite 7
und will sich in zwei Konzerne aufspalten – eine werden sollen, werden beim nächsten schweren anlagen geschredderten Habicht zum Vogel des
„grünen“ und modernen Öko-Bereich und einen Sturm knicken wie Streichhölzer: Dann versinkt Jahres auszurufen.
mit Atom und Kohle. Aber Eon wird auch danach die Energiewende in den Fluten. Das ist keine Sicherer ist die Stromversorgung in Deutsch-
nicht wirtschaftlich arbeiten. Die Schulden der Sciencefiction, sondern eine Berechnung der land seit der Energiewende auf keinen Fall gewor-
Energiekonzerne Eon und RWE betragen zusam- deutschen Versicherungswirtschaft den, preiswerter schon gar nicht. Der
men 60 Milliarden Euro. Seit Fukushima sind aufgrund der Daten des Nordsee- gesunkene Energieverbrauch geht auf
45 Milliarden Euro Börsenwert weg. Nach dieser Sturms „Daria“ von 1990. „Daria“
Irgendwann die schleichende Abwanderung der
Vernichtung von Volksvermögen fragt natürlich wird wiederkommen. wird man Industrie zurück. Wenn hier eine
kein grüner und kein bürgerlicher Politiker. Die Ökobilanz der Energiewende feststellen, Halle geschlossen und dort eine Pro-
Die Verluste wären zum Teil zu verkraften, ist verheerend. Der deutsche Wald duktionslinie stillgelegt wird, merkt
wenn die erneuerbaren Energien den Wirtschafts- wird zerstückelt, um Windgenerato- daß der indu- das zunächst niemand. Aber irgend-
aufschwung und die ökologischen Effekte ge- ren zwischen die Bäume zu stellen. strielle Kern wann wird man feststellen, daß der „Haha!“
bracht hätten, den ihre grünreligiösen Protagoni- Aus Solarparks ohne Bodenschutz Deutschlands industrielle Kern in Deutschland zu-
sten versprochen hatten. Doch davon kann keine tropfen ungehindert Gifte wie Cad- sammengebrochen ist, während in Kindlicher Humor plus intellektu-
Rede sein. Die deutsche Photovoltaik-Industrie mium und Blei ins Grundwasser. fort ist. Ländern mit preiswerter Energie wie eller Sarkasmus: Seit 25 Jahren das
ist am Ende. Zuletzt ging der Bosch-Konzern Ein Umweltverbrechen ist die den Vereinigten Staaten von Ameri- Erfolgsrezept der Zeichentrickserie
aus diesem Segment heraus und verschenkte Biogas-Erzeugung. Sie führt zu massivem Mai- ka die Reindustrialisierung in vollem Gange ist. „Die Simpsons“. So irre wie die
seine Aktivitäten an den Bonner „Sonnenkö- sanbau mit Verdrängung der Getreidewirtschaft RWE wird möglicherweise in Konkurs gehen, seltsamen Überschriften hier.
nig“ Frank Asbeck, dessen Firma „Solarworld“ in tropische Weltgegenden. Der massive Einsatz viele kleine und mittlere Energieversorger auch. KULTUR, Seite 13
Anlegermillionen in dreistelliger Höhe versenkt von Dünger und Schädlingsbekämpfungsmitteln Eon wird sich nicht retten können. Auch im So-
hat. Die Windenergie ist ebenfalls am Ende. Sie- ruiniert die Trinkwasserqualität. Die Energiewen- lar- und Windbereich drohen Pleiten in Serie.
mens und der Schweizer Konkurrent ABB wollen de hat Bienensterben durch Schädlingsbekämp- Prokon war das Wetterleuchten.
nach dreistelligen Millionenverlusten aus ihren fungsmittel (gegen den Maiswurzelbohrer) aus- Am Ende wird eine unfähige und völlig ideo-
Windengagements raus. Andere Windanlagen- gelöst; Fischsterben in Bayern ging auf Unfälle logisierte Politik die gesamte Energieerzeugung
errichter haben Anlegergelder in Milliardenhö- in Biogas-Anlagen zurück. und -verteilung verstaatlichen – zur Deutschen
he verbrannt. Raubvögel sind wegen der fast sterilen Mais- Energie AG. Statt Industrie 4.0 gibt es dann
Die zahlreichen Bürgerwindparks und Energie- flächen vom Aussterben bedroht; den Roten Kombinat 2.0. Energiepolitisch ist ganz Deutsch-
genossenschaften gründen ihre Ertragshoffnungen Milan wird es in Deutschland bald nicht mehr land von Sinnen.

„Pegida“-Demonstration Meinung .............................................. 2

Im Gespräch ....................................... 3

Dialog statt Ausgrenzung

Politik ............................................... 4–6
Thema ................................................... 7
Ausland ........................................... 8–9
Wirtschaft .................................. 10–11

S
chon der Name ist merkwürdig: „„Pegida““. Das Kürzel
steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung
des Abendlandes“. Am Montag dieser Woche trafen
sich über 10.000 Bürger zu einer Kundgebung in der Mitte
der sächsischen Hauptstadt Dresden. Noch nie sind so viele
Menschen in Deutschland auf einmal gemeinsam auf die Straße
gegangen, um ihren Unmut über unkontrollierte Einwande-
rung und den fehlenden Dialog darüber deutlich zu machen.
Begonnen hatte alles vor acht Wochen mit wenigen hun-
dert Demonstranten. Der Initiator ist eine schillernde Ge-
stalt, Lutz Bachmann (siehe Gespräch auf Seite 3). Obwohl
die Redner von „Pegida“ auf jeder Kundgebung betonen, daß
sie sich nicht gegen Moslems und den Islam als solche wen-
den, werden die Demonstranten in vielen Medienberichten
als „Islamfeinde“ tituliert. Obwohl eindeutig in den Reden
unter dem Beifall der Teilnehmer erklärt wird, daß Kriegs-
flüchtlinge und politisch oder religiös Verfolgte Aufnahme
finden sollten, reden Politiker und Medien pauschal von
„Ausländerfeinden“, „Rechtspopulisten“ oder sogar „Nazis“.
Am vergangenen Montag mobilisierten Stadt, Universi-
»Das Asylrecht kann nur
aufrechterhalten werden,
wenn über Probleme offen
gesprochen werden kann.«
KOLUMNE VON DIETER STEIN
tät, Kirchen und andere, um in einem „breiten gesellschaftli-
chen Bündnis“ gegen „Pegida“ zu demonstrieren. Neben der
Oberbürgermeisterin von Dresden riefen auch der sächsische
Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und sein Stellver-
treter, Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), Bürger zur
Teilnahme an der Anti-“Pegida“-Demonstration auf.
Wenn amtierende Politiker gegen Bürger auf die Straße
gehen, die in friedlichen Demonstrationen ihr Recht auf Ver-
sammlungs- und Meinungsfreiheit wahrnehmen und berech-
tigte Sorgen artikulieren, ist dies Ausdruck eines gestörten Hintergrund ..................................... 12
Demokratieverständnisses. Die richtige Antwort auf „Pegida“ Pankraz .............................................. 13
ist ein Dialog, der Kritiker einer außer Kontrolle geratenen Kultur .......................................... 13–16
Asyl- und Einwanderungspolitik nicht als Menschenfein-
Medien .............................................. 17
de ausschließt, sondern endlich ernst nimmt. Helma Orosz,
CDU-Oberbürgermeisterin von Dresden, erkannte inzwischen Forum ................................................ 18
richtig: „Wir erreichen die Menschen nicht.“ Geschichte & Wissen ............. 19–20
Welchen Segen das deutsche Asylrecht für tatsächlich Ver- Literatur ............................................ 21
folgte bedeutet, zeigt unser Bericht über das Schicksal der Natur & Technik .............................. 22
„Boat People“ (siehe Seite 7): Deutschland gab vor 35 Jahren
Leserforum........................................ 23
rund 40.000 Flüchtlingen aus Vietnam eine sichere Bleibe.
Über 200.000 Menschen starben auf der Flucht vor dem kom- Impressum ........................................ 23
munistischen Regime in Hanoi. Die Aufnahme der Vietna- Sein & Zeit ........................................ 24
mesen rief seinerzeit auch Unmut hervor – doch sie gelang. FOTO TITELOPTIK: PICTURE-ALLIANCE / MATTHIAS HIEKEL; JF-MONTAGE
Tatsächlich zählen die „Boat People“ zu den heute am besten
integrierten Einwanderern Deutschlands. Das Asylrecht kann
nur aufrechterhalten werden, wenn über besorgniserregenden
Mißbrauch und massive Probleme endlich offen gesprochen
wird. Deshalb hatten am Montag 10.000 Bürger den Mut,
auf die Straße zu gehen.

Österreich EUR 4,40

R e d a k t i o n & V e r l a g : J U N G E F R E I H E I T, H o h e n z o l l e r n d a m m 2 7 a , 10 7 13 B e r l i n | Fa x : 0 3 0 / 8 6 4 9 5 3 - 14 | Te l e f o n : 0 3 0 / 8 6 4 9 5 3 - 0 | w w w . j u n g e f r e i h e i t . d e | E - P o s t : v e r l a g @ j u n g e f r e i h e i t . d e Schweiz CHF 7,70
2|MEINUNG JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014

Zitate
W O CW HO EC N
H EZNEZI ET I U
T N
U NGG FFÜÜ R
R D
D EE BBAAT TT T
E E

„Nun muß man ja sagen, daß der lin-

ke Ministerpräsident Bodo Ramelow
eines kann – gerade Sätze sprechen.
Debatte um CSU-Forderung nach „Deutsch-Pflicht“ Er wirkt direkt, was man von seiner
Vorgängerin Christine Lieberknecht
Staatsverächter nicht sagen konnte. Sie pflegt die-
ses verschwurbelte CDU-Deutsch,
Von Karlheinz Weißmann das irgendwie Werte transportieren
soll, aber nichts aussagt und jede
Festlegung vermeidet. Es könnte ja
E igentlich ist der CSU-Vorstoß zum Thema Deutsch als Verkehrs-
sprache in Einwandererfamilien nicht der Rede wert: weil die
Partei beim ersten Gegenwind einen Rückzieher gemacht hat, die
irgendwie den Mainstream verlet-
zen, in dem sie so unauffällig mit-
schwimmt. Es könnte ja diese Art
Anwendbarkeit sowieso nicht geklärt war und es ja bestenfalls um von Politik sein, die die CDU zum
Kosmetik, nicht etwa um die Lösung eines tatsächlich bestehenden Verschwinden aus den Landesregie-
Problems ging. Wahrscheinlicher noch um den Versuch, der neuen rungen gebracht hat. Es kann nicht
Konkurrenz von rechts das Wasser abzugraben. schade sein um eine Politikerin, bei
Vielleicht hat der Vorgang aber wenigstens den letzten belehrt, der der man nie wußte, wofür sie steht.“
meinte, die CSU vom Verdikt gegenüber den Altparteien ausnehmen Roland Tichy, Publizist, in seinem
zu können. Ganz gleich, wo man hinblickt im Verfassungsbogen: Blog „Tichys Einsichten“ am 5. De-
überall Freunde ungehemmter Einwanderung und Anhänger jener zember 2014
unsittlichen Haltung, die vom Mitmenschen – zumal dem fremden
– immer nur das Beste annimmt. „Weihnachten ist das intimste Fest,
Man könnte vielleicht auch von Staatsverächtern sprechen, wenn das wir haben. Seiner Faszination
nicht bekannt wäre, daß diejenigen, die so bedenkenlos das hohe Gut kann sich kaum jemand entziehen,
eines homogenen Staatsvolks opfern und dabei sind, eins, zwei, drei, selbst wenn er vom Christentum
ganz viele Fergusons auf deutschem Boden vorzubereiten, sonst der nichts hält. An Weihnachten wird
staatlichen Allmacht das Wort reden und ohne Zögern Repressions- Die rote Gouvernante: „Na, na, na, ihr werdet euch doch wohl nicht näherkommen?!“ mir immer wieder vor Augen geführt,
wie Erziehungsmittel anwenden, um ihre Ziele durchzusetzen. Ein daß jeder Mensch ein unsterbliches
böser, aber kluger Mann hat gesagt, derlei laufe auf den „totalen Staat Heimweh und eine untilgbare Sehn-
aus Schwäche“ (Carl Schmitt) hinaus. sucht in sich trägt. Jeder spürt doch,
daß er sich nicht selbst ins Dasein
gesetzt hat, daß es einen Absender

Thüringer Verfassungsgericht entscheidet gegen Ministerin

Besser spät als nie

Kalter Krieg in Sicht? geben muß, einen Ursprung. Danach
haben wir Heimweh.“
Joachim Kardinal Meisner, emeri-
tierter Erzbischof von Köln, im „FAZ-
Magazin“ vom 6. Dezember 2014
Von Günter Bertram
Rußland und der Westen: Ein schlechtes Verhältnis ist nicht im Interesse beider Seiten
„Der Wiederaufbau des Schlosses
sollte uns auch daran erinnern, daß

D D
er Thüringer Verfassungsgerichtshof stellt jetzt fest, daß Ministerin as Eis wird dicker zwischen Ruß-
Heike Taubert (SPD) durch ihren Aufruf gegen den NPD-Parteitag land, der EU und den USA. Die
vom März mißbräuchlich und verfassungswidrig gehandelt hat: Obwohl Frequenz und kontroverse Ausle-
eine auf Neutralität verpflichtete Instanz, habe sie sich in Aktionen gegen gung der beiderseitigen Grundsatzreden
eine zwar unliebsame, aber legale Partei eingereiht. Die Entscheidung und Appelle sind ein sicherer Indikator für
folgt einer immer wieder bekräftigten Verfassungsrechtsprechung. den Ernst der Lage in der neuen Eiszeit,
Allerdings schwebt diese wie im Luftballon über einer völlig anders- die über die Ukraine-Krise heraufzuziehen
artigen Gesellschaft, in der rechtswidrige Aktionen vorliegender Art droht. Ein neuer Kalter Krieg scheint in
selbst offiziell als Engagement und Zivilcourage gefeiert und gepriesen Sicht, selbst mit dem heißen wird gezündelt.
werden. Deshalb pflegen viele Ämter und Behörden mit den Wölfen Die politischen und medialen Säbelraßler
zu heulen und es den Gerichten zu überlassen, sich durch rechtliche sitzen dabei keineswegs nur in Moskau.
Einsprüche verhaßt zu machen. Solche Rücksicht scheinen selbst die Hüben wie drüben regieren die Stereo-
Thüringer Verfassungsrichter genommen zu haben: Die NPD hatte mit type. Aus westlich-amerikanischer Sicht
ihrer Klage zugleich eine einstweilige Anordnung gegen die Ministerin trägt Rußland die Alleinschuld an der Es-
beantragt, war damit aber vom Gericht mit gewundener Begründung kalation des Ukraine-Konflikts zum un-
abschlägig beschieden worden. Erst nachdem mit der Wahl im September erklärten Krieg, aus russischer Sicht „der
der Pulverdampf verweht und die NPD bei nur 3,6 Prozent gelandet Westen“, genauer: die USA, wie Präsident
war, sprach dasselbe Gericht der Partei ihr Recht zu. Aber das war jetzt Putin in seiner Rede „zur Lage der Nation“
nur noch Papier. ein weiteres Mal bekräftigte. Hundert Jahre
nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs sollte
Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Hamburger Landgericht. sich indes herumgesprochen haben, daß
es in Kriegen selten Alleinschuldige gibt,
daß konkurrierende Mächte aber um so
leichter aus einem lokalen Konflikt in eine
Die CDU und die kalte Progression umfassende Auseinandersetzung schlittern,
je fester ihre politischen und militärischen
Hintertür bleibt offen Eliten davon überzeugt sind, nur ihr gutes
Recht zu wahren und „alternativlos“ das
Von Christian Schreiber Richtige zu tun.
Putins Hinweis auf die Verteidigungs-
„nationalistisch“ und „rückwärtsgewandt“
attackiert. Rückwärtsgewandt könnte man
freilich auch die amerikanischen Bestrebun-
gen nennen, die Ukraine in den eigenen
Einflußbereich einzubeziehen.
Rußland, meint Obama, sei von der
Eskalation des Ukraine-Konflikts und
der harschen Reaktion des Westens auf
die Einverleibung der Krim „überrascht“
worden und improvisiere seither mit einer
Politik der Stärke. Auch das ließe sich unter
geänderten Vorzeichen auf die US-Politik
anwenden, die offenbar nur unzureichend
einkalkuliert hat, daß das Rußland Putins
nicht mehr das passive, von wirtschaftli-
chem Niedergang zerrüttete Rußland der
Neunziger ist, sondern den Anspruch er-
hebt, in einer multipolaren Welt als gleich-
berechtigte Macht auf Augenhöhe sowohl
VON MICHAEL PAULWITZ
»Auch in deutschen
Wirtschaftskreisen
steigt der Unmut über
den Ruin des Rußland-
Handels.«
ben, mit einem zu definierenden Sonder-
status, im ukrainischen Staatsverband, die
Ukraine selbst bleibt blockfrei.
Ziel deutscher Politik sollte es sein, sol-
che Verhandlungsspielräume zu nutzen.
Die Sensibilität dafür scheint derzeit in den
Reihen der SPD eher vorhanden als bei der
Bundeskanzlerin, die nach dem G20-Gipfel
in Sidney mit scharfer Rußland-Kritik zu-
letzt stärker auf die Linie der Amerikaner
eingeschwenkt war. Als Basis für diplomati-
sche Lösungsversuche könnte die Organisa-
tion für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE) wieder größere Bedeutung
gewinnen, in der Deutschland einigen Ein-
fluß (und 2016 den Vorsitz) hat.
Legitime Sicherheitsinteressen haben
nämlich nicht nur die baltischen Republi-
ken, Polen und weitere Staaten des östli-
chen Mitteleuropa als gebrannte Kinder
des russischen und sowjetischen Impe-
rialismus – ein Umstand, den Rußland
selbst und viele Russophile im westlichen
Europa gerne übersehen –, sondern auch
Rußland selbst, aus dessen Sicht die ange-
strebte Ausdehnung des amerikanischen
und Nato-Einflußbereichs auf die Ukraine
und den Kaukasus der Versuch ist, Rußland
zur bloßen Regionalmacht zu deklassieren.
Wirtschaftliche Zwänge könnten dabei
Deutschland aufgrund des preußi-
schen Einflusses zu den bestverwal-
teten Staaten der Welt gehörte und
immer noch gehört. (...) Die finanzi-
elle Lage Europas sollte uns in erster
Linie an die außergewöhnlichen Ver-
waltungsleistungen Preußens erin-
nern, die auf dem Gebiet des inneren
Staatsgefüges bestanden haben. Noch
heute lebt unsere Wirtschaft von
diesen für Deutschland erbrachten
Aufbauleistungen Preußens.“
Ehrhardt Bödecker, Bankier, auf der
Internetseite des Schloßbau-Förderver-
eins am 7. Dezember 2014
„Der Vorwurf des Populismus eig-
net sich gerade deshalb auch als Tot-
schlagargument, als rote Karte, mit
der man mißliebige politische Kon-
kurrenten vom Spielfeld verweisen
kann. Diese Form der Verwendung
der Wortes „Populismus“ sollten
wir aus unserem politischen Voka-
bular streichen. Sie ist einer offenen
Demokratie unwürdig, und sie sagt
nichts aus. Eine politische Überzeu-
gung wird nicht dadurch falsch, daß
irgendein Schlauberger sie als popu-
listisch brandmarkt. Richtig wird sie
dadurch allerdings auch nicht.“

D ie CDU sucht händeringend nach einem Alleinstellungsmerk-

mal. Selbst die ihr nahestehende Frankfurter Allgemeine Zeitung
bezeichnete die Partei kürzlich als „Dame ohne Körper“. Die stärkste
fähigkeit der russischen Armee, die es un-
möglich mache, Rußland militärisch zu
besiegen, sollte vor diesem Hintergrund
Regierungspartei ist auf Gedeih und Verderb von Kanzlerin Angela gelesen werden. Und ebenso die bereits
Merkel abhängig. Auf Länderebene schwächelt sie, ist nur noch an Mitte November bekanntgewordenen
vier Regierungen beteiligt. Pläne der Nato, als Konsequenz aus dem
Dies liegt auch daran, daß die Christdemokraten ihrer Klientel in Ukraine-Konflikt eine „schnelle Eingreif-
den vergangenen Jahren viel zugemutet haben. Ein schier endloser truppe“ zum Schutz der ost- und mittel-
Euro-Rettungsschirm, eine „moderne“ Familienpolitik und die For- europäischen Nato-Partner aufzustellen, in
derung nach noch mehr Einwanderung haben die Basis verschreckt. der der Bundeswehr vorübergehend sogar
Das aktuelle Theater um den Abbau der kalten Progression im Vorfeld eine Führungsrolle zukommen könnte –
des Bundesparteitags ist insofern überraschend, als daß erstmals ein- als „klares Zeichen an Moskau“. Wer den
flußreiche Parteigliederungen gegen „Mutti Merkel“ opponiert haben. Säbel nicht ziehen kann oder will, sollte
Die Kanzlerin und Parteichefin hat in bewährter Manier reagiert: ein auch nicht mit ihm rasseln.
vages Versprechen abgegeben und ein breites Hintertürchen offenge- Die Rede des russischen Präsidenten
lassen. Angesichts der bis heute nicht ausgestandenen Euro-Krise, der wurde in den hiesigen Medien fast durch-
gigantischen Aufgaben im Renten- und Gesundheitssystem wird jeder gängig als „provokativ“ und „bedrohlich“
ausgeglichene Haushalt ein Tanz auf der Rasierklinge sein. wahrgenommen. Die Linie der Kommen-
Die CDU kann sich für den Moment als Partei der Wirtschaft tierung folgte weithin der amerikanischen
profilieren; dies schon als Anfang vom Ende der Ära Merkel zu werten, Perspektive. Präsident Obama hatte einen
wäre allerdings verfrüht. Tag vor Putins Ansprache dessen Politik als
mit den USA als auch mit den aufsteigen-
den asiatischen Mächten zu agieren.
Es sind vor allem die Passagen in Putins
Rede, die den russischen Anspruch auf Sou-
veränität und Gleichberechtigung betonen,
die von westlichen Kommentatoren meist
überlesen wurden, die aber einen Schlüs-
sel zum Aufbrechen der festgefahrenen
Fronten aufzeigen. Auch Nichtgesagtes ist
aufschlußreich: Zwar überhöht Putin die
im Frühjahr angeschlossene Krim mit quasi-
religiöser Metaphorik zum „Tempelberg“,
der den Russen „heilig“ sei, aber anders als
in früheren Reden ist vom expansionisti-
schen „Neurußland“-Konzept nicht mehr
die Rede.
Eine Verhandlungsgrundlage könnte
demnach so aussehen: Die Abtretung der
Krim wird in völkerrechtlicher Form nach-
träglich legitimiert, die von Separatisten
kontrollierten Distrikte im Osten verblei-
auf beiden Seiten der realpolitischen Ver-
nunft auf die Sprünge helfen. Nicht nur
Rußland ist in eine ökonomisch prekäre
Situation geraten, durch den Verfall des Öl-
preises mehr noch als durch die europäisch-
amerikanischen Wirtschaftssanktionen; daß
Putin mit der Erinnerung an den bald sieb-
zig Jahre zurückliegenden Sieg über Hitler
die Dämonen der Vergangenheit beschwört,
bestätigt nur den Ernst der Lage und kon-
terkariert seine Durchhalteparolen. Auch
in deutschen Wirtschaftskreisen steigt der
Unmut über den fortschreitenden Ruin
des Rußland-Handels. Ein langanhalten-
der Wirtschaftskrieg und ein schwaches
Rußland mag amerikanischen Geostrate-
gen zupaß kommen, liegt aber weder im
deutschen noch im europäischen Interesse.
Die deutsche Politik wäre gut beraten, ihre
Schritte wieder an dieser Grundkonstante
auszurichten.
Alexander Grau, Kultur- und Wis-
senschaftsjournalist, bei „Cicero Onli-
ne“ am 8. Dezember 2014
„Alle, die ihr Scheitern auf die Deut-
schen schieben, machen sich was vor.
Deutschland ist ein gastfreundliches
Land. Man muß hier nicht kriminell
werden, weil man keine Chance hat.
Die Gastfreundschaft, die du hier
erfährst, erfährst du nirgendwo auf
der Welt. Wenn sich ein Deutscher
in der Türkei benehmen würde, wie
die Türken sich hier in Kreuzberg
benehmen – die würden den wahr-
scheinlich niederstechen. (...) Die
Deutschen müssen sich viel gefallen
lassen. Der Grund dafür heißt Zwei-
ter Weltkrieg.“
Aykut Anhan alias „Haftbefehl“,
Gangsta-Rapper, im „Spiegel“ vom 8.
Dezember 2014

Aufgeschnappt Bild der Woche Lesereinspruch

Kultursensible Angebote Advent, Advent Schauderhaft

MATTHIAS BÄKERMANN denn knapp zwei Drittel der Wil- Zu: „Es muß Tabus geben“ von Jürgen Li- Einem dies zu versagen ist infam. Und
helmburger Bevölkerung haben minski (JF 48/14) wenn es sich ein Walter Jens anders über-
heute ausländische Wurzeln, die
wenigsten davon sind katholisch. H errn Liminskis Sicht auf das Ver-
hältnis von Sterbehilfe und Würde
legt hat, ist dies kein zwingendes Argu-
ment für mich. Ich erwarte vom Staat,

H amburgs Kultursenatorin
Barbara Kisseler (parteilos) ist
glücklich. Die Rettung des Gottes-
hauses mit dem markanten Turm
im Stadtteil Wilhelmsburg sei „wie
ein vorgezogenes Weihnachtsge-
schenk“. Dabei stand die Existenz
Mit einem finanziellen Kraftakt
von 900.000 Euro durch den Bund,
das Denkmalschutzamt Hamburg
kann ich leider nicht nachvollziehen. Es
geht um die Eigenverantwortlichkeit
des Todkranken! Kleines Beispiel: Nach
der die Menschenwürde im Grundgesetz
verankert hat, daß er mir erlaubt, mich
von dieser Welt zu verabschieden, wann
und das Erzbistum ist jetzt der Er- meiner Herzoperation lag ich über das ich dies (im Falle einer schwerwiegenden
halt gesichert, „bleibt die Kirche im Wochenende auf der Intensivstation. Ich Erkrankung) für opportun halte.
Dorf“, wie das Hamburger Abend- bekam eine Bettpfanne untergeschoben REINHOLD SAUER, BÖBLINGEN
blatt am Dienstag kommentiert. und saß dann circa eine halbe Stunde in
FOTO: IMAGO/RUST; 63290679

der 1974 im Stil der Zeit gebauten
katholischen Maximilian-Kolbe-
Kirche in Frage. Das Erzbistum
Hamburg hatte bereits dem Abriß
dieses Traums aus Sichtbeton zuge-
stimmt, weil notwendige Repara-
turen als zu kostspielig erschienen.
Die ethnische Veränderung der
Umgebung dürfte wohl ebenfalls
ein wichtige Rolle gespielt haben,
Letzteres stimmt aber nur teilwei- meiner „Sch...“, denn der Topf war voll.
se. Für ein nahes Altenpflegeheim Dies ist kein Vorwurf an das Pflegeperso-
bleibt lediglich eine kleine Kapelle nal. Aber ich kam mir sehr „entwürdigt“
für sakrale Zwecke erhalten. Der vor. Ich habe dies ertragen, da ich ja auf
Hauptraum dient „‘sozialen und dem Wege der Besserung war. Ihre Leserbriefe senden Sie an:
JUNGE FREIHEIT Leserforum
kultursensiblen Angeboten’, vor Jedoch unter Umständen jahrelang Hohenzollerndamm 27 a,
allem für Wilhelmsburger mit Mi- auf Pflegekräfte angewiesen zu sein, die 10713 Berlin
grationshintergrund“, so Malteser-
Zuviel des Guten: Für die sichtbare Vorfreude auf Weihnach- mich füttern, wickeln, baden usw., läßt leserbriefe@jungefreiheit.de
Geschäftsführer Klaus Deitmaring ten braucht es eigentlich nur vier Lichter. Dieses norddeut- mich schaudern. Zum Leben in Wür- Fax 030 / 86 49 53 - 14
als künftiger Objektbetreiber. sche „Lichterhaus“ kostet allein 3.000 Euro Strom pro Monat. de gehört auch ein Sterben in Würde.
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014 IM GESPRÄCH|3

Christopher Monckton. Der

schottische Exzentriker hat
selten Langeweile ...

Lord
FOTO: IMAGO / ROBERT MICHAEL; 63236308

Streitbar
MICHAEL PAULWITZ

Lutz Bachmann, Sprecher der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida), während eines „Montagsspaziergangs“: „Ganz normale Bürger“
A del verpflichtet. Wer einen
großen Namen geerbt hat,
kann Zeit und Vermögen im Jet-
set verplempern, sorglos seine

„Wir haben einen Nerv getroffen“

Schrullen kultivieren – oder aber
nach Römerart seine persönli-
che Freiheit in den Dienst am
Gemeinwesen stellen. So wie der
62jährige Christopher Vicomte
Lutz Bachmann gilt als „Erfinder“ von „Pegida“. Inzwischen bringt die Bewegung montags über 10.000 Menschen auf die Straße. Monckton von Brenchley, der
seit fast vier Jahrzehnten als
Redner, Politiker, Journalist und
Herr Bachmann, wie schafft man es, 10.000 tigt sind. Und wir sind strikt – nicht beschützt und haben Vertrauen zu ihr. nicht gegen den Islam und integrations- Bachmann: Nein, ich beschreibe nur, Zeitungsherausgeber eine scharfe
Menschen auf die Straße zu bringen? gegen den Islam – aber gegen Islamis- bereite Muslime. Zum Glück ist das nur wie das gekommen ist. Natürlich war das Klinge gegen den Zeitgeist führt.
Deren Chef, Sachsens CDU-Innenminister
Bachmann: Na, mit einer so tollen mus und Islamisierung. Deutschland ist die Huffington Post. Würde so etwas in aber falsch! Über die Versicherung bin In den Achtzigern Politikbera-
Markus Ulbig, nannte die Pegida-Teilneh-
Truppe wie unserem Orgateam! Abendland! Das richtet sich nicht gegen der Bild stehen, müßte ich ernstlich um ich mit Klienten aus dem Rotlichtmi- ter für die Eiserne Lady Margaret
mer „Ratten“.
Menschen anderen Glaubens, aber wir mein Leben fürchten. lieu in Kontakt gekommen. Da ist die Thatcher, später für Ukip-Chef
Das ist der Lutz-Bachmann-Freundeskreis? erwarten, daß sie unsere Sitten und Ge- Bachmann: Und mich einen „Ratten- Idee entstanden, unter anderem bei de- Nigel Farage – der Sohn des ehe-
fänger“. Aber dafür können die Beamten Mitte November hat der Dresdner Stadtrat
Bachmann: Wir sind zwölf Freunde, ja. bräuche respektieren, so wie wir, wenn ren säumigen Schuldnern einzubrechen, maligen Stabschefs der Rheinar-
nichts. Die wissen, was wirklich los ist. eine Resolution gegen Pegida verabschiedet
wir in muslimische Länder fahren. um die Schulden quasi einzutreiben – mee steht gern da, wo der Kugel-
Klingt immer noch unglaublich. Zu mir hat ein Polizeioffizier gesagt: Gä- – mit Unterstützung der AfD-Fraktion.
was sich dann leider verselbständigt hat. hagel am dichtesten pfeift. Ukip,
Was ist daran nationalsozialistisch? be es keine Gegendemonstranten, würde Sind Sie enttäuscht?
Bachmann: Find ich auch. Wir hätten der er sich 2009 anschloß, ist für
Bachmann: Bitte? er für unsere Tausenden Spaziergänger Bachmann: Wir sind überparteilich, Das heißt, irgendwann waren es nicht den „berüchtigtsten Klimaskep-
selbst nie gedacht, daß das so einschlägt. mehr nur Schuldner?
Immerhin mobilisieren Antifa und das drei Beamte abstellen. So schätzen die deshalb enttäuscht uns die Ablehnung tiker des Landes“ (The Guardi-
Wie hat es angefangen? Experten die „Gefährdungslage“ durch der einen nicht mehr als die der anderen. an) vor allem eine Plattform,
„Bündnis Dresden Nazifrei“ gegen Pegida. Bachmann: Genau. Dann, 2008, habe
Bachmann: Nach Massenschlägereien uns tatsächlich ein. Nein, es ist doch klar, ich eine Kurierfahrt gemacht, wurde an- um gegen die Lehre vom men-
Bachmann: Wir haben bei der Poli- Immerhin aber entsprechen Ihre Forderun-
zwischen Moslems und Jesiden in Ham- worum es geht: Die Blockierer wollen gehalten und im Auto 54 Gramm Koka- schengemachten Klimawandel zu
zei nachgefragt: Die hat unter unseren gen doch in etwa denen der AfD?
burg und Celle und einer Pro-PKK-Akti- uns provozieren, um uns als gewalttätig in gefunden: Zwei Jahre auf Bewährung. ätzen: Man solle doch bitte die
on hier in Dresden, die öffentlich Waffen vorletzten 7.500 Spaziergängern insge- darzustellen. Die Politiker versuchen es Bachmann: Ehrlich gesagt, ich habe Ich sage: Zu Recht – obwohl es weder Uno dichtmachen und Al Gore
für die verfassungsfeindliche und verbo- samt 25 politische Rechtsextremisten mit der Nazikeule oder seit neuestem mich mit der AfD noch nicht beschäf- mein Auto noch mein Kokain war. als Betrüger vor Gericht stellen.
tene Terrororganisation forderte, haben und 120 Personen aus der Hooligan- mit dem Argument, wir würden den Ruf tigt. Ich bin eigentlich eher der klassische Von Brüssel hält der uner-
wir eine Facebook-Gruppe gegründet. Szene erkannt. Das ist ein Anteil von Dresdens sowie den Wirtschaftsstandort CDU-Wähler. Wenn, dann hat mich „Irgendwann kann die Politik müdliche Vizegraf, der nach
Dann kam die erste Demo mit 350 Leu- unter zwei Prozent. Natürlich haben wir schädigen. Eine Zeitung hat mich des- persönlich am ehesten deren Verhalten Maastricht schon die EU-feind-
uns von diesen Leuten distanziert. Mehr
nicht mehr an uns vorbei“
ten. Seitdem wachsen wir rasant. halb gar ihren Lesern so vorgestellt: „Das enttäuscht. Das gilt übrigens für unser liche „Referendum Party“ un-
können wir nicht tun, ausschließen et- ist der Mann, der Deutschlands Zukunft ganzes Orgateam. Zur Ehrenrettung der Wie sollen die Bürger zu Ihnen wieder terstützte, genausowenig: Groß-
Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges? wa geht nicht. Erstens weil wir sie gar gefährdet!“ Geht’s noch? AfD sei gesagt, daß deren Landesvorsit- Vertrauen fassen? britannien solle aus der „anti-
Bachmann: Offensichtlich haben wir nicht kennen, zweitens weil das sächsi- zende Frauke Petry Pegida inzwischen demokratischen“ EU austreten,
einen Nerv getroffen. sche Versammlungsrecht das nicht er- „Ich habe nie verschwiegen, in Schutz genommen hat, und auch die Bachmann: Ich weiß, es ist schwer. Staatsapparat und Wohlfahrtsbü-
laubt. Nein, die Frage müssen Sie schon daß ich vorbestraft bin“ AfD-Stadträte haben ihre Position revi- Aber ich sage: Ich habe trotz meines rokratie um neunzig Prozent zu-
Welchen Nerv? dem „Bündnis Dresden Nazifrei“ stellen, Fehlers 2008 eine so positive Kriminal-
diert. Es gibt Signale zum Dialog – auch sammenstreichen und die Macht
Bachmann: Zum einen sind da die das versucht, unsere Montagsspaziergän- Wie bewerten Sie die Berichterstattung aus anderen Fraktionen. und Sozialprognose bekommen, daß von der „atheistischen Regie-
Mißstände, die wir anklagen: Die Isla- ge zu blockieren. über Pegida? das Gericht es nicht einmal für nötig rung“ zurück in die Hände der
misierung unseres öffentlichen Raumes, Aus welchen? hielt, mir einen Bewährungshelfer zu
Deshalb haben Sie sich am vergangenen Bachmann: Es ist traurig und klingt Familien und verantwortlichen
wenn etwa aus Rücksicht auf den Islam Bachmann: Kann ich Ihnen nicht sa- stellen. Und ich habe dieses Vertrauen Individuen legen, lautet das li-
Montag nur für eine stationäre Kundge- komisch, aber die einzige Zeitung, die gerechtfertigt, denn ich habe allein alle
aus Weihnachtsmärkten „Wintermärkte“ bung ohne „Spaziergang“ entschieden? gen, habe Vertraulichkeit zugesichert. bertäre Credo des gläubigen Ka-
aus unserer Sicht objektiv berichtet, ist Bewährungsauflagen erfüllt. Heute bin
werden. Wobei ich sage: Solcher Unsinn tholiken und Ordensritters. Für
Bachmann: In der Presse wurde massiv die Bild, die versucht hat darzustellen, Haben Sie den Kontakt gesucht? ich stolz darauf, für meinen Einsatz wäh-
geht meist nicht von Muslimen aus, son- „Subventions-Junkies“, seien es
der Vorwurf erhoben, unsere Spaziergän- statt zu verurteilen. Ansonsten gibt es rend der Flut vom Ministerpräsidenten
dern von der deutschen Political Cor- Bachmann: Nein, es sind Sondierer mittelmäßige Künstler oder seine
ge störten die Umsätze der Einzelhänd- Medien, die uns über den grünen Klee Tillich und Dresdens Oberbürgermeiste-
rectness. Dann die wachsende Anzahl aus verschiedenen Fraktionen auf uns am Londoner Tropf hängenden
ler. Aus Rücksicht auf diese haben wir loben oder vor allem solche, die uns ver- rin Orosz – ja, genau die Frau, die heute
von Islamisten in Deutschland, die zu- zugekommen. Allerdings betrachten wir schottischen Landsleute, hat er
uns auf eine Kundgebung beschränkt. dammen. Beides ist nicht professionell. gegen mich hetzt und mich verteufelt –
nehmende Ausländergewalt auf deut- Pegida an sich schon als Gesprächsan- nur den kalten Entzug übrig.
schen Straßen und die steigende Zahl an Die „Welt“ warnt vor Pegida als Wegbe- gebot der Bevölkerung an die Politik. ausgezeichnet worden zu sein. Damals Als Thatcher-Berater plante
Statt dessen sind am Montag 9.000 Ge-
Flüchtlingen und deren unzulängliche reiter für das Wiedererstarken der NPD. Pegida will keine absolute Revolution, hat keiner nach meinen Vorstrafen ge- Monckton die Privatisierung
gendemonstranten durch Dresden gezo-
Unterbringung, die zur Belastung der sondern erreichen, daß die Politik den fragt, als es darum ging, Sandsäcke zu öffentlichen Wohnraums an die
gen. Hat sich die Presse mit Blick auf die Bachmann: Wir fühlen uns von etli-
Anwohner wird. Zum anderen ist da das Bürgern wieder zuhört. beschaffen und zu verteilen oder meine Mieter; davor und danach focht
Einzelhändler darüber auch beschwert? chen Medien, die eigentlich den An-
Desinteresse der Politik, die völlig blind Zeit im von mir mitgegründeten Flut- er, nach standesgemäßem Cam-
Bachmann: Nein. spruch haben, seriös zu sein, regelrecht Wegen der Vorwürfe gegen Ihre Person hilfezentrum Dresden im Dynamo-Sta-
dafür ist, wie die Bürger all das empfin- verleumdet. Den Vogel schoß wohl die bridge-Studium der Altertums-
hatten Sie angekündigt, zurückzutreten. dion zu opfern. Fast zwei Monate habe
den. Beschwerden werden nicht ernst Wie paßt das zusammen? taz ab, die über uns schrieb: „Es mar- wissenschaften, für seine Über-
genommen, stattdessen bekommen die Bachmann: Ja, um Schaden von Pegida ich freigenommen und war nur für die zeugungen etwa als Herausgeber
Bachmann: Das frage ich mich auch. schieren 6.000 rohe Gestalten ... (die) an Flutopfer im Einsatz. Ich hoffe, damit
Menschen von den Politikern weltfrem- die größten Naziaufmärsche Westeuro- abzuwenden. Ich habe nie einen Hehl der katholischen Zeitschrift The
des, politisch korrektes Gerede zu hören. Was planen Sie für kommenden Montag? daraus gemacht, daß ich vorbestraft bin. etwas gutgemacht zu haben. Universe, später als leitender Re-
pas, die Dresden in den Jahren bis 2010
erlebt hat, erinnern.“ Pardon, das ist für Im Gegenteil, ich habe es sogar von mir Über die Grünen, die Sie „Öko-Terro- dakteur beim Daily Telegraph und
„Gegen Islamisierung – nicht Bachmann: Wir wollen die Spazier-
mich Stürmer-Stil à la Julius Streicher. aus gegenüber der Bild-Zeitung thema- risten“ nennen, haben Sie getwittert, sie Leitartikler des Evening Standard.
gänge wieder aufnehmen, müssen das
gegen Moslems und Islam“ Für mich ist das Ziel solcher „Bericht- tisiert. Die Fälle sind allerdings zwanzig gehörten „standrechtlich erschossen“, vor Daß ihn die Labour-Reform
aber noch überdenken, denn inzwischen
erstattung“ klar: uns in den Augen der und sechs Jahre her, ich habe meine Stra- allem Claudia Roth. Wie bitte paßt das zu des House of Lords seinen Erbsitz
Geht es um Zuwanderung? ist die Stadt voller Weihnachtsmärkte.
Bürger als Radikalinskis und Schläger- fe abgesessen, meine Taten bereut, eine Ihrer angeblichen Friedfertigkeit? kostete, den der Großvater erwor-
Bachmann: Es geht nicht gegen, es geht Werden Sie dann nicht wieder blockiert? typen darzustellen. Das kommt mir vor positive Sozialprognose erhalten und mit ben hatte, konnte er lange nicht
um vernünftige Einwanderung. Ich sage Bachmann: Einerseits vertrauen wir da dieser Vergangenheit gebrochen. Bachmann: Da bin ich definitiv übers verwinden; mehrere Anläufe, für
wie im Herbst 1989, als die Bürger auch
klar, wir sind weder gegen Kriegsflücht- auf die Polizei. Andererseits aber wollen Ziel hinausgeschossen, was nichts dar- die Tories oder Ukip einen Unter-
erst als Radikale und Konterrevolutio- Immerhin geht es um schweren Diebstahl.
linge noch gegen die Muslime bei uns im wir Zusammenstöße nicht provozieren. an ändert, daß Politiker wie Frau Roth haussitz zu erobern, schlugen fehl.
näre verunglimpft wurden.
Land. Im Gegenteil, wir fordern sogar Bachmann: Von 1995 bis 1996 habe und ihre deutschfeindliche Einstellung Aber ein wahrer Exzentriker
Ist das nicht vorauseilende Kapitulation? Wer kommt tatsächlich zu Pegida? ich sechzehn Einbrüche verübt. untragbar sind. kennt keine Langeweile. Mit
eine bessere Unterbringung für Kriegs-
flüchtlinge. Diese brauchen mehr In- Bachmann: Ich sehe das als Sieg unserer Bachmann: Zu fast hundert Prozent Warum? Warum funktioniert Pegida in Dresden, seiner Frau verkaufte Monck-
tegrationshelfer und müssen dezentral Vernunft. Pegida lehnt Gewalt konse- normale Bürger: Deutsche, Ausländer, aber nicht in anderen Städten? ton Hemden im noblen Chel-
untergebracht werden, damit ihre In- quent ab, und wenn wir auf unser Recht Frauen, Kinder, Familien, Behinderte Bachmann: Das frage ich mich auch. Es sea, er gründete ein Pharma-Un-
tegration klappt und sie nicht zur Bela- auf Räumung bestehen, wird es häßliche – alle, die friedlich ihren Protest gegen war unfaßbar dumm. Ich bin damals un- Bachmann: Das wissen wir doch noch ternehmen, und seit 1999 kennt
stung für die Bürger werden. Ebenfalls Bilder geben, die uns dann angehängt die Gleichgültigkeit der Politiker gegen- ter anderem als Versicherungsmakler zu gar nicht. Pegida ist andernorts erst ge- man ihn weltweit als Erfinder des
freuen wir uns, daß auch Muslime bei werden. Es gibt genug Journalisten, die über den Problemen ausdrücken wollen. viel Geld gekommen. Schnell gewöhnt startet. Ich bin zuversichtlich. „Eternity Puzzle“, eines Mathe-
Pegida mitmachen. Ich selbst habe viele nur darauf warten, über „Gewalt bei Pe- Kaum oder nicht berichtet wird dagegen man sich dann an einen hohen Lebens- matikrätsels, auf dessen Lösung
standard mit Sportwagen und so. Dann Sie haben die magische Marke von 10.000
muslimische Freunde und Geschäfts- gida!“ zu schreiben, um uns in den Au- darüber, daß etwa die TU Dresden ihren Teilnehmern geknackt. Wie geht es weiter? er eine Million Pfund aussetzte.
partner. Wogegen wir uns aber wenden, gen der Bürger zu diskreditieren. In diese Mitarbeitern verbietet, bei uns mitzu- aber laufen die Geschäfte mal nicht so Schließlich legte Monckton sich
ist der unablässige Zustrom an Wirt- Falle dürfen wir nicht tappen. Dennoch, spazieren. Daß die Antifa Arbeitgeber gut, und schon braucht man Geld. Bachmann: Ich halte sogar 20.000 für mehrfach mit Barack Obama an,
schaftsflüchtlingen, die nicht asylberech- wir fühlen uns von unserer Polizei gut unserer Teilnehmer anschreibt und zu Wie wäre es mit Sportwagen verkaufen? möglich, aber darum geht es nicht, es dessen Geburtsort und damit Le-
Konsequenzen auffordert. Daß mein geht hier nicht um Zahlenspiele nach gitimität im Amt er anzweifelte.
Bachmann: Hätte ich tun sollen! Statt- dem Motto „Wer hat den Längsten?“ Bevor sich der Vicomte, der zu-
Auto kaputtgemacht oder daß Pegida-
dessen sind wir in Bierlaune auf dumme Wichtig ist, daß wir nicht aufgeben. letzt half, in Australien eine neue
Teilnehmer auf dem Heimweg von der
Lutz Bachmann Ideen gekommen. Kennen Sie das nicht? Rechtspartei zu gründen (Rise
Antifa verprügelt wurden. Irgendwann läuft sich Pegida doch tot.
Nein. Up Australia-Party) auf sein Gut
Die „Huffington Post“ schreibt: „Keiner
„Der Erfinder von Pegida“ (Bild-Zeitung) wurde 1973 in Dresden Bachmann: Das sehe ich nicht, solange in Schottland zurückzieht, hat
hetzt so gegen Muslime wie Bachmann.“ Bachmann: Na ja, man sitzt so zusam-
geboren und ist von Beruf Werbegrafiker sowie Inhaber einer Brat- wir weiter hart arbeiten, professionel- Lord Streitbar zweifellos noch
Bachmann: Es ist absurd! Ich sage je- men ... Kennen Sie die Olsen-Bande? ler werden und konkreter– irgendwann
wurstfabrik in seiner Vaterstadt. etliche Sträuße auszufechten.
den Montag ausdrücklich, daß wir gegen Sie wollen ernstlich sagen, schuld sei eine kann die Politik einfach nicht mehr an
www.pegida.de Islamismus und Islamisierung sind, aber dänische Gaunerkomödie? uns vorbei. MORITZ SCHWARZ www.lordmoncktonfoundation.com
4|POLITIK JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014

Gericht rügt
Demonstrationsaufruf
ERFURT. Minister dürfen in ih-
rem Amt nicht zu Demonstratio-
nen gegen Parteien aufrufen. Das
geht aus einem Urteil des Thü-
ringer Verfassungsgerichtshofes
hervor, das damit einer Klage der
NPD gegen die Thüringer Finanz-
ministerin Heike Taubert (SPD)
stattgab. Auch in einer „wehrhaf-
ten Demokratie“ sei es nicht ge-
rechtfertigt, „daß der Staat unmit-
telbar parteiergreifend tätig wird
und seine neutrale Rolle aufgibt“,
teilte das Gericht mit. Taubert hat-
te im März als damalige Sozial-
ministerin zu Demonstrationen
gegen einen NPD-Parteitag in
Kirchheim aufgerufen. Dies sei
„keine rechtlich zulässige Öffent-
lichkeitsarbeit“ eines Ministeri-
ums, begründete der Gerichtshof
sein Urteil. Der Protestaufruf gehe
zu Lasten einer nicht verbotenen
Partei. Indem die Bevölkerung
zum Handeln aufgerufen werde,
könnten die Wahlchancen der
NPD geschmälert werden. Da-
FOTOS (2): HENNING HOFFGAARD

durch werde der Staat selbst zur

Partei. (ho)
Kommentar Seite 2

Petition gegen
Frühsexualisierung
„Pegida“-Demonstration am Montag in Dresden (oben), Polizisten halten linksextremeistische
BONN. Das Bündnis „Christli- Gegendemonstranten ab: Islamrat erwartet Machtwort von Bundeskanzlerin Angela Merkel
che Aktion“ hat die Bundesregie-
rung in einer Petition aufgefordert,
gegen die Frühsexualisierung an
Schulen vorzugehen. Bisher ha-
ben knapp 20.000 Personen das
Anliegen unterstützt. Sprecher der
im September gegründeten Initia-
Wie eine Massenbewegung
die Politik vor sich hertreibt
tive ist der Vorsitzende des Bun-
desverbands Lebensrecht, Martin
Lohmann. Die Petition richtet sich
gegen einen „staatlich erlaubten
Kindesmißbrauch“. Gerade Kin- „Pegida“: Die Parteien reagieren verstört auf die Demonstrationen in Dresden
der verdienten Respekt und Wert-
schätzung im Umgang „mit dem
Geschenk der Sexualität, bei der HENNING HOFFGAARD, DRESDEN das Geld gehandelt haben, wurden sie sind“, empört sich einer der Sprecher. Erst nachdem einige der anwesenden Positionierung zu den Demonstrationen
sie nicht instrumentalisiert oder am Montag bitter enttäuscht. Statt ei- Wer da genau redet, weiß kaum jemand. Fans des Fußballklubs Dynamo Dres- in Dresden. Während die Parteisprecher
verführt werden dürfen“, begrün- ner Pegida-Demonstration schlängelten Außer Bachmann ist bisher keiner der den auf die Antifa-Anhänger zurennen, Frauke Petry und Konrad Adam die Pegi-
det Lohmann die Aktion. (idea/ho) sich gleich sechs Anti-Pegida Protestzüge Organisatoren namentlich in Erschei- ziehen die sich hinter die herbeigeeilten da-Teilnehmer in Schutz nahmen, zeigte

L
Islamismus: CDU
fordert Ethikunterricht
HAMBURG. Die CDU in Ham-
burg hat einen verbindlichen Ethik-
unterricht an Schulen gefordert,
um zu verhindern, daß Jugendli-
chen in die radikalislamische Szene
abdriften. Vorbild der CDU-Op-
position in der Hamburger Bür-
gerschaft ist ein Projekt des Bun-
desfamilienministeriums. Bis 2013
hatte dieses Schulveranstaltungen
mit hauptsächlich islamischen Lei-
tern aus der Türkei, Afghanistan
und Afrika finanziert, berichtet das
Hamburger Abendblatt. Ab dem
Schuljahr 2015/16 könnten laut
Arbeitspapier an 120 „besonders
risikobelasteten Schulen“ mit ei-
nem hohen Anteil an Einwander-
kindern die Informationsveranstal-
tungen gestartet werden. Dafür sol-
len rund 50.000 Euro bereitgestellt
werden. Zusätzlich sollen Klassen-
und Politiklehrer zu einer vierstün-
digen Fortbildung verpflichtet wer-
den, um Radikalisierungstendenz
erkennen zu können. Auch soll
eine telefonische Beratung ein-
gerichtet werden.Hintergrund ist
das stark angewachsene salafistische
Netzwerk in Hamburg. Über drei-
hundert radikale Moslems gebe es
derzeit in der Hansestadt, schätzt
der Verfassungsschutz. (FA)
icht in der Dunkelheit. Erst sind
es nur ein paar Dutzend. Dann
einige hundert. Am Ende halten
Tausende ihre Handys und Feuerzeuge
in den Dresdener Nachthimmel. Dann
rufen die Teilnehmer „Wir sind das
Volk“. Ein junges Mädchen fragt etwas
ungläubig: „Wie cool ist das denn?“
Pegida („Patriotische Europäer gegen
die Islamisierung des Abendlandes“) ist
am Montag das gelungen, woran selbst
im Umfeld der Initiatoren gezweifelt
wurde. Sie stellten mit etwa 11.000 De-
monstranten einen Teilnehmerrekord
auf. Seit acht Wochen demonstriert Pe-
gida montags in der sächsischen Lan-
deshauptstadt, und jede Woche steigt
die Zahl der Anhänger. Erstmals nun
meldete Cheforganisator Lutz Bachmann
(siehe Interview Seite 3) keine Demon-
strationsroute durch die Innenstadt an,
sondern nur eine stationäre Kundge-
bung. In der Woche zuvor hatten etwa
200 Linksextremisten mehr als 7.500
Pegida-Anhänger blockiert.
„Wir sind nahe an
den Deutschen“
Die Polizei räumte nicht. Laut Bach-
mann hätten sich zudem Geschäftsleu-
te über Umsatzeinbußen und gesperrte
Straßen beschwert. „Wir sind immer
nah an den Leuten“, sagt Bachmann.
Deswegen seien die Organisatoren dem
Wunsch nachgekommen. Sollten die Ge-
schäftsinhaber wirklich aus Sorge um
durch die Innenstadt und sorgten für ein
Verkehrschaos.
Aufgerufen zu den Gegenprotesten
hatten die Kirchen, die jüdische Gemein-
de, die Dresdener Oberbürgermeisterin
Helma Orosz (CDU), mehrere Auslän-
derorganisationen, das linksextreme
Bündnis „Dresden Nazifrei“ die Dres-
dener Universitäten, die Gewerkschaf-
ten, SPD, Grüne, Linkspartei, Piraten
sowie der sächsische Ministerpräsident
Stanislaw Tillich (CDU). Besonders
die evangelische Kirche kritisierte die
Demonstration scharf: „Pegida ist ein
ausländerfeindliches Demonstrations-
bündnis, das die Angst vor islamischem
Terrorismus benutzt, um gegen die Auf-
nahme von Flüchtlingen Stimmung zu
machen“, teilte die Arbeitsgemeinschaft
„Kirche für Demokratie“ mit.
Laut Polizeianga-
ben beteiligten sich
9.000 Personen an
den Gegenkundge-
bungen. Ohne Pas-
santen dürften es am Ende eher 6.000
bis 7.000 gewesen sein. Darunter auch
zahlreiche Linksextremisten. Für Stadt,
Kirchen und Parteien war der Montag
dennoch eine Niederlage. Es ist den
Organisationen nicht gelungen, mehr
Menschen auf die Straße zu bringen als
Pegida.
Deren Redner kritisierten dann auch
heftig die Gegendemonstration. „Da
merkt man, daß einige Politiker nicht
aus der DDR-Zeit herausgekommen
nung getreten.
Was also treibt Woche für Woche
Tausende Bürger auf die Straße? Obwohl
es in den Redebeiträgen häufig um Is-
lamismus und radikale Islamisten geht,
einigt vor allem ein Thema die Pegida-
Teilnehmer: die Asylpolitik. „Jeden Tag
lese ich in der Zeitung, daß Schwimmbä-
der geschlossen werden müssen“, empört
sich ein älterer Herr. „Die meisten Asyl-
bewerber sind doch gar keine wirklich
Verfolgten, die kommen nur wegen dem
Geld.“ Der Applaus ist besonders dann
groß, wenn die Redner schärfere Gesetze
gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ fordern.
Islamisten sind für viele nur ein Symbol
der gescheiterten Einwanderungspolitik.
Ein Holländer warnt, die derzeitige Ent-
wicklung bedrohe vor allem Homosexu-
elle, Frauen und andere Minderheiten. In
einigen niederländi-
schen Städten wür-
den Moslems bereits
nach eigenen Geset-
zen leben. „Die Ge-
fahr wird von der Politik kleingeredet.“
Der Applaus ist ihm sicher.
Nachdem sich die Pegida-Demon-
stration aufgelöst hat, kommt es zu Sze-
nen, die durch mehr als 1.200 Polizisten
eigentlich verhindert werden sollten.
Dutzende teilweise vermummte Links-
extremisten rennen den heimkehren-
den Pegida-Teilnehmern hinterher und
beschimpfen sie. Die Polizei versucht
hektisch eine Sicherheitskette zu bilden
und wird an einigen Stellen überlaufen.
Polizisten zurück.
Auch in anderen Städten
wird demonstriert
Der zunehmende Erfolg von Pegi-
da hat auch die Bundespolitik auf den
Plan gerufen. „Die Grenze ist erreicht,
wenn Menschen in ihren Grundrechten
beschnitten werden“, heißt es in einer
Erklärung der SPD-Bundestagsfraktion.
Bundesjustizminister Heiko Maaß
(SPD) rief am Dienstag zu einem breiten
politischen Bündnis gegen Pegida auf.
„Auch im politischen Meinungskampf
gibt es Grenzen. Alle politischen Partei-
en sollten sich klar von diesen Protesten
distanzieren.“ Unterstützung bekommt
Maaß dabei vom Vorsitzenden des In-
nenausschusses im Bundestag, Wolfgang
Bosbach (CDU). „Man sollte sich nicht
für extreme politische Ziele instrumenta-
lisieren lassen, die man selbst nicht teilt“,
warnte Bosbach, der in den vergangenen
Jahren selbst immer wieder vor radikalen
Islamisten in Deutschland gewarnt hatte.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Mus-
lime, Aiman Mazyek, forderte, Merkel
müsse Pegida verurteilen. „Rassismus ist
keine Meinung“, unterstrich Mazyek.
Zudem stärkten Demonstrationen gegen
die Islamisierung auch den Antisemitis-
mus in Deutschland.
Dagegen ringt die Alternative für
Deutschland, die genauso wie Pegida
ein Einwanderungsmodell nach kana-
dischem Vorbild fordert, noch um ihre
sich Vizechef Hans-Olaf Henkel skep-
tisch. Er riet den AfD-Mitgliedern von
einer Teilnahme ab. Es wäre besser, „sich
individuell zu engagieren, indem man
zum Beispiel Amnesty International bei-
tritt“. AfD-Chef Lucke lobte die Pegida-
Demonstrationen. „Sie zeigen, daß sich
diese Menschen in ihren Sorgen von den
Politikern nicht verstanden fühlen.“ Die
Initiatoren dürften jedoch keine Zweifel
daran lassen, daß auch Religionsfreiheit
und Toleranz zum Abendland gehörten.
Unterdessen haben sich auch in
anderen Städten Pegida-Bündnisse ge-
bildet. In Düsseldorf demonstrierten
ebenfalls am Montag etwa 500 Anhän-
ger und 1.000 Gegendemonstranten.
Zudem haben sich in Bochum, Bonn,
München, Würzburg, Rostock, Kassel
und Ostfriesland Gruppen gebildet. Sie
mobilisieren vor allem über die sozialen
Netzwerke. Auch für Berlin wurden be-
reits Demonstrationen angekündigt. Ob
die auch wirklich stattfinden, weiß nie-
mand. Eine Facebook-Seite ist schnell
eingerichtet. Eine echte Kundgebung
dagegen ist schwieriger zu organisieren.
Hochburg jedoch dürfte auch in den
kommenden Wochen Dresden blei-
ben. Pegida-Chef Bachmann kündigte
bereits an, auch um die Weihnachtsfei-
ertage herum weiter zu demonstrieren.
Zumindest die Aufmerksamkeit der Po-
litik hat er nun.
Film über die Demonstration:
www.youtube.com/jungefreiheitverlag

Parteien, Verbände, Personen

Hans-Peter Bartels
Der SPD-Verteidigungspolitiker
Hans-Peter Bartels soll Nach-
folger des Wehrbeauftragten des
Bundestages Hellmut Königshaus
(FDP) werden, der im Frühjahr
2015 aus dem Amt scheidet. Dar-
auf hat sich die Spitze der SPD-
Bundestagsfraktion geeinigt. Im
schwarz-roten Koalitionsvertrag
war festgelegt worden, daß die
Sozialdemokraten diesen Posten
besetzen dürfen. Bartels, der seit
1998 im Bundestag sitzt, gehört
seit 14 Jahren dem Verteidigungs-
ausschuß an.
Bayerischer Lehrerverband
Für viele Lehrkräfte und Schul-
leiter zählt die Inklusion nach
Angaben des Bayerischen Lehrer-
verbandes (BLLV) zum größten
Belastungsfaktor. Auch gut fünf
Jahre nach der Ratifizierung der
entsprechenden Konvention der
Vereinten Nationen durch die
bayerische Staatsregierung erlebten
viele Pädagogen, daß die Voraus-
setzungen für eine gelungene Um-
setzung an ihren Schulen mentation, die europä- Pro Köln gesehene bessere strafrechtliche mit einem sozial schwä- Partei der Vernunft verschleierung sei frauen-, integra-
noch immer mangelhaft ischen Nachbarn hätten Der frühere Pro-Köln-Politiker Schutz sei bislang nicht umgesetzt cheren Hintergrund und Neuer Bundesvorsitzen- tions- und freiheitsfeindlich. „Die
sind. „Die meisten füh- „Angst“ vor einem ak- Jörg Uckermann ist zu zwei Jah- worden. „Zu einer solchen Ände- geringer Qualifikation der der libertären Partei Burka entmenschlicht“, erklärte
len sich mit der Aufgabe tiven, mitgestaltenden ren und drei Monaten Haft verur- rung hatte es eine gute Gelegenheit ausbilden. „Wir müssen der Vernunft (PDV) ist IGFM-Vorstandssprecher Martin
allein gelassen“, kritisier- Deutschland, wies teilt worden. Zudem muß er 4.500 gegeben“, sagte Gewerkschaftschef uns dafür einsetzen, daß Rainer Hoffmann. Die Lessenthin. Mit der Burka oder
te VBE-Präsident Klaus Wüstner entschieden Euro Strafe zahlen. Nach Ansicht Rainer Wendt. Täglich fänden jeder einzelne die glei- Geschäftsführung über- dem sehschlitzartigen Niqab
Wenzel. Die meisten zurück: „Das ist eine Le- des Landgerichts hat Attacken auf Einsatz- chen Voraussetzungen nimmt Maria Theresia werde eine Grenze überschritten
Regelschulen seien gende, die man immer Uckermann als Köl- kräfte von Polizei und für einen Start ins Be- Zanke. Zum General- und die Trägerin zu einer Sache
noch immer weder per- nur hierzulande hört.“ ner Ratsmitglied unter Feuerwehr statt, und rufsleben hat, ganz egal sekretär wurde auf dem degradiert. Die Würde des Men-
sonell noch räumlich auf anderem zu Unrecht die tödliche Attacke auf welchen ethnischen Parteitag der PDV der schen sei aber unverhandelbar, ein
Kinder mit Handicaps Wüstner Deutscher Sitzungsgelder kassiert. einen Mitarbeiter eines Hintergrund er hat“, Hoffmann Unternehmensberater Verbot ist nach Ansicht der IGFM
vorbereitet. Das führe Familienverband Die Pro-Köln-Politiker Jobcenters in Rothen- sagte der Vorsitzende und frühere FDP-Kreis- daher notwendig und wichtig. Is-
im Schulalltag zu erheblichen Eine finanzielle Entlastung der Fa- Markus Wiener und burg ob der Tauber in der Schüler Union, Niklas Uhl. politiker Dirk Hesse gewählt. Die lamisten versuchten mit Verweis
Problemen. milien im kommenden Jahr hat Bernd Schöppe wur- der vergangenen Woche PDV setzt sich nach eigenen Anga- auf religiöse Traditionen ihre
der Deutsche Familienverband den zu Geldstrafen hätte gezeigt, daß auch Junge Liberale ben für die Freiheit des einzelnen frauenverachtenden Ansichten
Deutscher gefordert. Der Präsident des Ver- verurteilt. Die Grup- die übrigen Beschäf- Den Vorschlag der CSU, die in und sein Recht auf Selbstbestim- durchzusetzen.
Bundeswehrverband bandes, Klaus Zeh, kritisierte, daß penvorsitzende von tigten des öffentlichen Deutschland lebenden Auslän- mung, den Ausbau der direkten www.igfm.de
Uckermann
Nach der Entscheidung der Au- das in der vergangenen Woche im Pro Köln im Stadtrat, Dienstes immer wieder der dazu anzuhalten, zu Hause Demokratie und die Fokussierung
ßenminister der Nato-Staaten zur Bundestag verhandelte Jahressteu- Judith Wolter, wurde angegriffen werden. Deutsch zu sprechen, haben die staatlichen Handelns auf den
Aufstellung einer neuen schnellen ergesetz 2015 keine Anhebung von freigesprochen. Jungen Liberalen (Julis) als „ab- Schutz des Lebens, der Freiheit
Eingreiftruppe sieht der Deutsche Kinderfreibetrag und Kindergeld Schüler Union surden Populismus“ bezeichnet. und des Eigentums ein.
Bundeswehrverband die Bundes- vorsehe. Damit bleibe der Kinder- Deutsche Die Schüler Union hat sich vor „Weder die CSU noch andere www.parteidervernunft.de Mitteilungen für diese
regierung in der Pflicht. „Unsere freibetrag seit 2010 unverändert Polizeigewerkschaft dem Hintergrund des Integrations- Parteien geht es etwas an, ob wir Rubrik senden Sie bitte
Partner in EU und Nato sehen bei 7.008 Euro stecken. Auch das Eine Einlösung des Versprechens gipfels in der vergangenen Woche zu Hause Thailändisch, Türkisch, Internationale Gesellschaft an die Politikredaktion,
uns in der ersten Reihe“, sagte mit dem Kinderfreibetrag verrech- auf besseren Schutz für Polizisten der Meinung des Vorsitzenden der Französisch, Elbisch oder Eng- für Menschenrechte Hohenzollerndamm 27 a,
Verbandschef Oberstleutnant nete Kindergeld sei seit vier Jahren und andere Beschäftigte des öffent- Türkischen Gemeinde in Deutsch- lisch sprechen“, teilten die Vor- Für ein deutschlandweites Burka- 10713 Berlin,
André Wüstner zur Beteiligung nicht erhöht worden. lichen Dienstes hat die Deutsche land, Safter Cinan, angeschlossen standsmitglieder der Julis Bayern, Verbot hat sich die Internationale Fax 030 / 86 49 53 - 14,
Deutschlands an der sogenannten www.deutscher-familienver- Polizeigewerkschaft gefordert. Der und mehr Unterstützung für Be- Atcharawan Maithuk und Deniz Gesellschaft für Menschenrechte redaktion@jungefreiheit.de
„Speerspitze“ der Nato. Die Argu- band.de in der Koalitionsvereinbarung vor- triebe gefordert, die Jugendliche Ay, mit. (IGFM) ausgesprochen. Die Voll-
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
Affäre um Kinderpornos: In der kommenden Woche tritt der SPD-Politiker vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages auf
CHRISTIAN SCHREIBER
A
uf diesen Auftritt wartet Berlin:
Am Donnerstag kommender
Woche wird Sebastian Edathy
auf die politische Bühne zurückkehren.
Dann ist der ehemalige SPD-Bundes-
tagsabgeordnete vor den Untersuchungs-
ausschuß des Bundestags geladen, der die
nach ihm benannte Affäre aufklären soll.
Zuvor will Edathy vor der Bundespres-
sekonferenz Rede und Antwort stehen.
Der frühere Innenexperte wird
verdächtigt, kinderpornographisches
Material über das Internet bezogen zu
haben. Die Affäre um den 45jährigen
war im Februar hochgekocht, seitdem
ist Edathy abgetaucht. Der Untersu-
chungsausschuß soll klären, was wann
genau geschah, wer wann etwas wußte
und wer Edathy möglicherweise vor
den Ermittlungen gegen ihn gewarnt
hatte. Im Zuge der Edathy-Affäre muß-
te Innenminister Hans-Peter Friedrich
(CSU) seinen Hut nehmen, und SPD-
Fraktionschef Thomas Oppermann und
der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel
mußten sich unangenehme Fragen stel-
len lassen. Auch der Präsident des Bun-
deskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke,
war massiv unter Druck geraten.
Auch Sigmar Gabriel
war informiert
Edathy soll zwischen 2005 und 2010
beim kanadischen Online-Händler Azov
Films neunmal Fotos und Videos mit
nackten Jungen bestellt haben. Bei sie-
ben Bestellungen soll er die Bilder po-
stalisch zugeschickt bekommen haben,
bei zwei Bestellungen über das Netzwerk
des Bundestags heruntergeladen haben.
Daß er dieses Material konsumiert habe,
streitet Edathy nicht ab. In einem In-
terview mit dem Spiegel berief er sich
darauf, „daß der männliche Akt eine
lange Tradition habe“, was eine Welle
der Empörung auslöste. Als sicher gilt
allerdings, daß das Material, welches
Junge Alternative: Vor dem Bundeskongreß Anfang des Jahres hadert der AfD-Nachwuchs mit dem Tagungsort und streitet über die Richtung
MARCUS SCHMIDT
B ottrop. Ausgerechnet Bottrop. Die
Entscheidung des Bundesvorstan-
des der Jungen Alternative (JA), An-
fang Januar den Bundeskongreß in der
Ruhrgebietsstadt abzuhalten, hat den
Parteinachwuchs der AfD in Aufregung
versetzt. „Die Wahl Bottrops als Veran-
staltungsort ist unglücklich und wird
von Teilen der JA als gezielte Provokation
empfunden“, sagte der Landeschef von
Baden-Württemberg, Markus Frohn-
maier, der jungen freiheit. Der eher
liberal geprägte nordrhein-westfälische
Landesverband habe absichtlich einen
„abgelegenen“ Tagungsort gewählt, der
den konservativen östlichen Verbänden
die Anreise erschwere. „Die Kritik am
Veranstaltungsort Bottrop kann ich
nachvollziehen. Aber wir haben vorher
40 bis 50 andere Hallen, unter anderem
EKKEHARD SCHULTZ
D ie Politik beginnt auf die seit dem
vergangenen Jahr rasant steigende
Zahl der Asylanträge zu reagieren. Doch
tut sie das anders, als es vermutlich viele
erwartet haben. Daran, daß die Lage
zunehmend ernster wird, besteht kein
Zweifel. Wurden 2007 in der Bundes-
republik etwas mehr als 19.000 Neu-
anträge registriert, so waren es im ver-
gangenen Jahr bereits 109.000 Anträge.
In diesem Jahr wird mit bis zu 230.000
Anträgen gerechnet. Dies hat zur Folge,
daß viele Kommunen ständig auf der
Suche nach neuen Unterbringungsmög-
lichkeiten für Flüchtlinge sind.
POLITIK|5
Bühne frei für Sebastian Edathy Deutsch zu Hause: CSU
macht Rückzieher
BERLIN. Nach heftigen Protesten
ist die CSU von ihrer Forderung
abgerückt, Ausländer müßten
auch zu Hause deutsch sprechen.
das Ermittlungsverfahren. Der auf dem „Es muß jeder zu Hause sprechen
Postweg verschickte Brief traf aber erst können, wie er möchte“, sagte der
nach fünf Tagen beim Parlamentsprä- stellvertretende Parteivorsitzende
sidenten ein. Am folgenden Tag legte Peter Gauweiler am Montag in
Edathy sein Bundestagsmandat aus München. Zuvor war auch in der
„gesundheitlichen Gründen“ nieder, Schwesterpartei CDU Kritik laut
womöglich um einer Aufhebung seiner geworden. „Mein Verständnis von
Immunität zuvorzukommen. Vier Tage christdemokratischer Politik ist,
später durchsuchte die Polizei in Edathys daß wir uns zu dem, was in den
Heimatort Rehburg in Niedersachsen vier Wänden einer Familie pas-
Rehburg vier Büro- und Wohnräume siert, in äußerster Zurückhaltung
von Edathy. Die Ausbeute war mit zwei üben“, sagte der stellvertretende
Computern laut Staatsanwaltschaft „sehr CDU-Chef Thomas Strobl der
mager“. Intakte Festplatten seien nicht Nachrichtenagentur dpa. Privat
dabei gewesen, lediglich Reste. Wenig müsse auch privat bleiben. Deut-
später wurde zudem bekannt, daß Eda- lich schärfer war die Kritik des
thy seinen Dienstlaptop als gestohlen politischen Gegners ausgefallen.
gemeldet hatte. SPD-Generalsekretärin Yasmin
Bei anschließenden Durchsuchun- Fahimi bezeichnete den Vorstoß
gen in Edathys Berliner Büros und bei in der Bild-Zeitung als „komplett
Abgleichungen des Bundestagsservers bescheuerten Vorschlag“. Es gehe
fanden Ermittler Hinweise darauf, daß den Staat nichts an, welche Spra-
der SPD-Politiker russische Internet- che zu Hause gesprochen werde.
seiten mit „jugendpornographischen Der innenpolitische Sprecher der
Material“ besucht habe. Darauf gründet Grünen im Bundestag, Volker
sich schließlich auch im wesentlichen Beck, nannte die Forderung der
die mittlerweile erhobene Anklage. Eda- CSU „übergriffig, respektlos und
thy bestreitet bis heute, strafrechtlich reine Stimmungsmache“. Wer die
relevantes Material besessen zu haben. Auslöschung der kulturellen Iden-
Der Untersuchungsausschuß des tität von Einwanderern zum Ziel
FOTO: PICTURE-ALLIANCE / DPA
Bundestags erhofft sich Auskunft dar- der Integration erkläre, schade der
über, ob Edathy möglicherweise vor- Integrationspolitik. (krk/ms)
gewarnt wurde. Der ehemalige Bun- Kommentar Seite 2
destagsabgeordnete warf den Ermitt-
lungsbehörden wiederum schlampige Bundespolizei legt
Arbeit und Geheimnisverrat vor. Bei Berufung ein
Der ehemalige SPD-Innenexperte Sebastian Edathy: Wer wußte wann was? der Durchsuchung seiner Privaträume
soll ein Journalist einer Tageszeitung an- BERLIN. Die Bundespolizei
Edathy vom kanadischen Anbieter be- dierungsgespräche für die schwarz-rote im Januar 2014 krank schreiben, ver- wesend gewesen sein. Edathy, der dem wehrt sich gegen ein Urteil, das
zog, juristisch „allenfalls grenzwertig“ Koalition gegenüber SPD-Chef Sigmar schwand von der Bildfläche. Sein Anwalt NSU-Untersuchungsausschuß vorge- Personenkontrollen anhand der
gewesen sei, wie ein Mitarbeiter der Gabriel, daß mögliche Ermittlungen Christian Noll fragte zeitgleich bei der standen hatte, vermutet ein Komplott Hautfarbe für unrechtmäßig er-
Staatsanwaltschaft angab. gegen Edathy anstünden. Gabriel gab Staatsanwaltschaft Hannover nach Ver- gegen ihn. „Ich bin einigen Leuten wohl klärt hatte. Laut Tagesspiegel hat
Azov Films wurde im Frühjahr 2011 diese Information an den Fraktionsvor- dachtsmomenten im Hinblick auf Kin- zu sehr auf die Füße getreten.“ Er be- die Bundespolizei vor dem Ver-
von kanadischen Behörden ausgehoben, sitzenden Thomas Oppermann ebenso derpornographie gegen seinen Mandan- mühte sich zudem vergeblich darum, waltungsgericht Koblenz Beru-
der Betreiber kam in Haft. Eine Kun- weiter wie an Außenminister Frank-Wal- ten. Wenig später eröffnete die Behörde vom Bundesverfassungsgericht fest- fung eingelegt. Die Richter hat-
denliste wurde auch an das BKA wei- ter Steinmeier. Aus SPD-Sicht durchaus ein „verdecktes Ermittlungsverfahren“ stellen zu lassen, daß die Hausdurch- ten einem schwarzen Ehepaar aus
tergeleitet, dieses gab die Datei an die nachvollziehbar, galt Edathy zu diesem gegen Edathy, da es unklar gewesen sei, suchung gegen ihn nicht rechtens ge- Mainz recht gegeben, das dagegen
Staatsanwaltschaft in Frankfurt weiter. Zeitpunkt doch als möglicher Kandidat ob das von Edathy bezogenes Material wesen sei. geklagt hatte, als einzige in einem
Als belegt gilt mittlerweile, daß Innenmi- für das Amt des Bundesinnenministers. als strafwürdig einzustufen war. Die juristische Tragweite der Affäre ist Zug Richtung Köln von Bundes-
nister Friedrich im Oktober 2013 durch Was anschließend genau geschah, Am 6. Februar informierte die Staats- ohnehin eher gering. Edathy könnte mit polizisten kontrolliert worden zu
BKA-Chef Ziercke informiert wurde. bleibt bis heute nebulös. Nur soviel anwaltschaft Hannover Bundestagspräsi- einer Geldstrafe davonkommen. Sogar sein. Linke Organisationen kri-
Friedrich erwähnte während der Son- ist sicher: Sebastian Edathy ließ sich denten Norbert Lammert (CDU) über ein Freispruch gilt als möglich. tisieren diese verdachtsunabhän-
gigen Kontrollen seit langem als
„Racial Profiling“. (ms)
Ausgerechnet Bottrop Zahl der Asylanträge
steigt deutlich
BERLIN. Die Zahl der Asylanträge
in Deutschland ist im November
erneut deutlich gestiegen. Nach
in Thüringen, abgeprüft und für den JA-Vorsitz kandi- ren rund 620 Mitgliedern ein rotes Tuch. „Das muß Angaben des Bundesamtes für
nichts gefunden“, versichert dieren und das Profil des ist unsere öffentliche Wahr- aufhören, darauf habe ich Migration und Flüchtlinge stell-
dagegen der JA-Bundesvor- Verbandes schärfen. Beide nehmung im Vergleich mit keine Lust mehr“, ärgert ten im vergangenen Monat 22.075
sitzende Philipp Ritz.
Was auf den ersten Blick
wie die typischen Macht-
gelten als Vertreter des na-
tionalkonservativen Flü-
gels und unterstützen die
andere Jugendverbänden
überproportional“, sagt
Ritz. Der Preis dafür ist
sich Frohnmaier und greift
den JA-Chef frontal an.
„Wenn Philipp Ritz das
Personen einen Antrag auf Asyl.
Das waren 56 Prozent (7.928 Per-
sonen) mehr als im Vorjahresmo-
FOTO: JUNGE ALTERNATIVE NRW
spielchen eines politischen Rußland-Politik von AfD- seinen Gegnern jedoch zu Thema so wichtig ist, soll nat und 7,6 Prozent (1.348 Per-
Jugendverbandes wirkt, Vize Alexander Gauland. hoch. „Wir brauchen mehr er zur Grünen Jugend ge- sonen) mehr als im Oktober. Die
FOTO: FACEBOOK
erweist sich bei genauerer Offen ist, ob es zu einer Inhalte statt oberflächliche hen.“ Ritz plädierte hin- meisten Asylbewerber kamen aus
Betrachtung als handfester Kampfkandidatur gegen Kampagnen“, kritisierte gegen dafür, die Frage mit Syrien (5.225), gefolgt von Serbien
Richtungsstreit des Partein- Ritz kommt. „Ich habe Lohr, der Ende Oktober „Verstand statt mit Ideo- (3.570), dem Kosovo (1.622) und
achwuchses. Ganz nach dem noch nicht entschieden, im Streit als stellvertretender logie zu lösen“ und nicht Eritrea (1.227). Zwischen Januar
Motto: Was die AfD kann, Ritz ob ich noch einmal antre- JA-Chef zurückgetreten war. Frohnmaier in Schubladendenken zu und November beantragten bisher
können wir schon lange. „Es te“, sagte Ritz und verwies Ausgerechnet an der Fra- verfallen. 181.453 Personen Asyl in Deutsch-
gibt in der JA bei allen Gemeinsamkeiten auf die extreme zeitliche Belastung. Ritz ge, ob der Verkauf von Cannabis frei- Die Stimmung ist jedenfalls gereizt. land, darunter 155.427 Erstanträ-
auch gewaltige politische Unterschie- ist seit Februar JA-Vorsitzender. Seit- gegeben werden sollte, droht der Streit „Die politischen Auseinandersetzungen ge sowie 26.026 Folgeanträge. Im
de“, berichtet Ritz, der dem liberal- dem ist der im Juni 2013 gegründete im Jugendverband nun zu eskalieren. sind bei uns fast noch intensiver als in der Vergleich zum Vorjahreszeitraum
konservativen Lager zugerechnet wird. Jugendverband, der organisatorisch von „Man muß bei jedem Verbot überlegen, AfD“, sagt Ritz. Eine Einschätzung, die (115.576 Personen) entspricht dies
„In Bottrop wird über die Ausrichtung der AfD unabhängig ist, in Fahrt ge- ob es auch umgesetzt werden kann“, gibt Frohnmaier teilt, der von einer aggres- einer Steigerung um 57 Prozent
der Jungen Alternative entschieden“, kommen. Vor allem mit provokanten Ritz zu bedenken, der für eine Freigabe siven Stimmung in den internen Inter- (65.877 Personen). Bereits 2013
gibt Frohnmaier die Richtung vor. Ge- und mitunter freizügigen Foto-Aktionen plädiert. Er wolle das Thema aber nicht netforen berichtet. „Ich hoffe, daß sich hatte die Zahl der Asylbewerber in
meinsam mit dem rheinland-pfälzischen im Internet sorgte der Nachwuchs für überbewerten. Für seine Herausforderer in Bottrop alle zusammenreißen, sonst Deutschland den höchsten Stand
Landesvorsitzenden Damian Lohr will er Aufmerksamkeit. „Gemessen an unse- ist die Cannabis-Diskussion dennoch könnte es auch knallen“, warnt Ritz. seit zwanzig Jahren erreicht. (krk)
http://jungefreiheit.de/umfrage-der-woche
Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Verrät die SPD ihre Geschichte?
„Unnötige Bürokratie“ Nein, zwischen SPD Nein, damit setzt die Partei
und Linkspartei gibt es 4% lediglich das Wahlergebnis um.
heute kaum noch
In der vergangenen Woche hat der überwiegend selbst zu bestreiten. Bei rentenentwurf „zur Neubestimmung des Unterschiede.
Bundestag Gesetzesänderungen be- Personen mit mindestens einem min- Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendi- 21 %
schlossen, mit denen die rechtliche derjährigen Kind soll dies bereits nach gung“ vor. Dieser Entwurf enthält zum 15 %
Stellung von Asylbewerbern verbessert sechs Jahren möglich sein. Des weite- einen eine Anpassung des Rechts an die
wird. Diese sollen sich künftig nach drei ren haben Asylbewerber künftig einen reale Gefahrensituation. So wurden etwa
Monaten Aufenthalt frei in Deutschland Rechtsanspruch darauf, Geldleistungen in den vergangenen Jahren fast sämtliche
bewegen dürfen. Eine Verlagerung des statt Sachleistungen zu erhalten. Die Be- Asylanträge abschlägig entschieden, die
Wohnortes während des laufenden Ver-
fahrens ist jedoch auch zukünftig nur
in Ausnahmefällen möglich. Außerdem
auftragte der Bundesregierung für Mi-
gration, Flüchtlinge und Integration,
Aydan Özoguz, bezeichnete die Geset-
von Personen aus Bosnien-Herzegowina,
Mazedonien und Serbien gestellt wur-
den.
sollen sie nach drei Monaten vorrangig zesänderung als „wichtigen Schritt in Die Behörden können davon ausge-
mit Geld- statt mit Sachleistungen un- Richtung Normalität“ für Flüchtlinge. hen, daß dort offenkundig keine Gefahr 60 %
terstützt werden. Sie müßten „nicht mehr um Erlaubnis für die Antragsteller droht. Deswegen
Generell werden damit die Bedingun- fragen“, wenn sie etwa „ihren Landkreis werden nunmehr diese Balkanstaaten Ja, allerdings würde die Ja, viele Sozialdemokraten
SPD alles tun, um in eine wurden von der DDR-Führung
gen für einen dauerhaften Aufenthalt verlassen wollen, um „ein Fußballspiel als sichere Herkunftsstaaten bezeichnet, verfolgt und schikaniert.
Regierung zu kommen.
von Flüchtlingen in der Bundesrepu- anzuschauen oder Familienangehörige um künftig solche Anträge schneller als
blik deutlich erleichtert. Gewährt wird zu besuchen“. Zugleich diene das Ge- „offensichtlich unbegründet“ abzuleh-
er künftig allen, die einen mindestens setz auch dem Abbau von „unnötiger nen und eine Rückführung der Personen abgegebene Stimmen gesamt: 1086
achtjährigen Aufenthalt in Deutschland Bürokratie“, von der letztlich auch die einzuleiten. Beschleunigt werden soll
nachweisen können, über ausreichen- Kommunen selbst profitieren würden. ebenso die Abschiebung von Krimi- Aktuelle Umfrage: Entwickeln sich die Pegida-Demonstrationen zur
de Deutschkenntnisse verfügen und in Bereits im Mai dieses Jahres stellte das nellen und Personen, die ihre Identität Massenbewegung?
der Lage sind, ihren Lebensunterhalt Bundesinnenministerium einen Refe- gezielt verschleiern. Stimmen Sie ab unter www.jungefreiheit.de
6|POLITIK JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014

Zahl der Geburten

steigt leicht an Lieben Sie
WIESBADEN. In Deutschland
sind 2013 mehr Kinder als im
Vorjahr geboren worden. Nach
Angaben des Statistischen Bun-
Deutschland?
desamtes kamen im vergangenen Integration: Eine Studie stellt Einwanderern die Frage nach ihrem Patriotismus
Jahr 682.069 Kinder zur Welt. Das
sind 8.500 mehr als 2012. Die zu-
sammengefaßte Geburtenziffer be- LION EDLER vereinigung geantwortet (48,8 Prozent). Autoren der Studie also genauso pauschal
trug nach vorläufiger Schätzung In der Tatsache, daß nur 15,9 Prozent vor, wie sie es einem Teil der Befragten
1,41 Kinder je Frau. Sie hat sich ein Ereignis zum Themenkomplex „Na- vorwerfen? Jedenfalls leiten sie aus ihren
damit im Vergleich zu 2012 (1,40 tionalsozialismus/Zweiter Weltkrieg“ Erkenntnissen einen ungeheuerlichen

Kinder je Frau) nur geringfügig
verändert. Das durchschnittliche
Alter der Mutter beim ersten Kind
betrug 2013 rund 29 Jahre. Nach
Angaben der Statistiker gehör-
ten 55 Prozent aller Frauen, die
ihr erstes Kind 2013 bekammen,
den Jahrgängen 1980 bis 1987 an
und waren damit zwischen 26 und
33 Jahren alt. Lediglich drei Pro-
zent der ersten Geburten entfie-
len auf Frauen im Alter ab 40 Jah-
ren. Von 2009 bis 2013 stieg das
durchschnittliche Alter der Mut-
ter beim ersten Kind um gut sechs
Monate. (ms)
Bevölkerungsforscher
fordert Mütterquote
MÜNCHEN. Der Bevölkerungs-
wissenschaftler Herwig Birg hat
der Bundesregierung vorgeworfen,
die demographische Entwicklung
schönzureden. Die Kinderlosigkeit
der Deutschen sei ein großes Pro-
blem. Der Trend gehe zur „Null-
kindfamilie“, warnte Birg. Eltern
würden im Berufsleben systema-
tisch benachteiligt. Bei gleicher
Qualifikation sollten Unterneh-
men daher künftig Väter und Müt-
ter bei der Besetzung von Stellen
D
ie Fahnenmeere bei den Fußball-
Weltmeisterschaften haben eini-
ges verändert. Ganz Deutsch-
land scheint langsam patriotisch zu
werden. Ganz Deutschland? Nein, eine
unbeugsame Gruppe von Sozialwissen-
schaftlern hört nicht auf, Widerstand zu
leisten. Das „Erstarken nationaler Be-
zugspunkte“ führe nämlich dazu, daß
sich immer mehr Deutsche „stereotyp
und abwertend“ über Muslime äußer-
ten. So steht es in einer aktuellen Stu-
die des Berliner Instituts für empirische
Integrations- und Migrationsforschung
(„Deutschland postmigrantisch“), das an
der Berliner Humboldt-Universität an-
gesiedelt ist. In der vergangenen Woche
stellte das Institut gemeinsam mit der
Integrationsbeauftragten der Bundes-
regierung, Aydan Özoguz (SPD), erste
Ergebnisse vor. Mit 8.270 Befragten ist
die Datenbasis zwar solide – doch die
Aussagen und Schlußfolgerungen der
Studie sind teilweise abenteuerlich.
Der erste Teil der Analyse widmet sich
„Narrationen des Deutschseins“. Hierzu
fragten die Forscher nach der Meinung
zur Aussage „Ich liebe Deutschland“.
Dies wurde immerhin von 86 Prozent
der Befragten „ohne Migrationshinter-
grund“ bejaht (mit „Migrationshinter-
grund“: 80,7 Prozent). Für 47,1 Prozent
der Befragten „ohne Migrationshinter-
nannten, sieht die Studie den Beleg, daß
die „vorherrschende Wahrnehmung“,
wonach Deutschland „bis heute ledig-
lich eine negative Identität und konti-
nuierliche Schuldgefühle aufgrund des
Holocaust habe“, empirisch nicht mehr
aufrechterhalten werden könne.
Steil werden die Thesen, wenn es um
Muslime in Deutschland geht. Personen,
die die nationale Identität betonen, nei-
gen nach Auffassung der Forscher zu ei-
ner islamkritischen Haltung. So meinten
54,8 Prozent dieser Personen, daß der
Bau von öffentlich sichtbaren Moscheen
„eingeschränkt“ werden müsse; bei den
Personen ohne Betonung der nationalen
Identität waren es nur 35,2 Prozent.
AfD, FDP und Piraten
tauchen nicht auf
Außerdem hätten auch nur 41,4 Pro-
zent derer, die die nationale Identität
betonen, sich dafür ausgesprochen, daß
muslimische Lehrerinnen im Unterricht
ein Kopftuch tragen dürfen (Befragte
ohne Betonung der nationalen Identi-
tät: 54 Prozent). Aus solchen Zahlen
ziehen die Forscher den Schluß, daß
starke nationale Identifikation zu einem
„konkreten Ausschluß einer religiösen
Minderheit“ aus dem „nationalen ‘Wir’“
führen könne.
Vorwurf ab: Personen mit solchen Ein-
stellungen seien ein „Resonanzboden“
und ein „wahrgenommener gesellschaft-
licher Rückhalt“ für „Anschläge auf Mo-
scheen und Haßattacken auf muslimi-
sche EntscheidungsträgerInnen“.
Eine andere Passage der Studie be-
schäftigt sich mit politischen Forderun-
gen von Muslimen. In einer Pressemit-
teilung beruhigt das Institut zunächst:
Eine „deutliche Mehrheit“ der Befragten
vertrete die Ansicht, daß es „das gute
Recht“ von Muslimen sei, Forderungen
zu stellen. In der selben Mitteilung steht
aber auch, daß 20 Prozent der Befragten
solche Forderungen als „Zeichen von
Unverschämtheit“ bewerten würden.
Wer allerdings die Studie liest und die
entsprechende Grafik betrachtet, der
stellt fest, daß die in der Untersuchung
gestellte Frage durch das Wörtchen „zu“
eine entscheidende Wendung bekommt:
„Wenn Muslime zu viele Forderungen
stellen, dann ist das …“ Doch in der
Pressemitteilung fehlt dieses Wörtchen
„zu“, und auch im Text über der Grafik
wird der Satz ohne „zu“ wiedergegeben.
Das allerdings scheint viele Medien, die
unkritisch über die Studie berichten,
nicht zu irritieren.
Untersucht wurde auch der Zusam-
menhang zwischen Parteibindung und
dem patriotischen Bekenntnis „Ich liebe

FOTO: PICTURE-ALLIANCE / BORIS ROESSLER

bevorzugen. „Außerdem empfeh-
le ich eine Mütterquote statt der
geplanten Frauenquote. Letzteres
ist ein Karriereprogramm.“ (krk)
Jubiläum der Woche
Mierscheid und
das Juso-Alter
Von Marcus Schmidt
I n diesem Jahr
läuft es richtig
gut für Jakob Mier-
scheid. Erst im Fe-
bruar war der SPD-Abgeordnete
nach jahrzehntelangem Ringen
endlich in die „Bibel“ des Bundes-
tages, den „Kürschner“ aufgenom-
men worden (JF 10/14). Dies war
dem Hinterbänkler zuvor mit der
Begründung verweigert worden, er
sei lediglich eine Kunstfigur und
habe daher im Verzeichnis aller
Bundestagsabgeordneten nichts
verloren. Ein Anwurf, den Mier-
scheid empört zurückwies.
Am Dienstag nun konnte er
ein bemerkenswertes Jubiläum
feiern. Seit 35 Jahren gehört Ja-
kob Mierscheid dem Bundestag
bereits an. Länger sind nur wenige
andere Parlamentarier dabei. Und
er gibt sich kämpferisch: Er verlas-
se jetzt zwar das parlamentarische
Juso-Alter, das sei aber kein Grund
zur Sorge: „Ich werde mich nicht
ändern.“
grund“ war es zudem „wichtig“, daß
„die anderen mich als Deutsche oder
Deutschen sehen“ (mit „Migrationshin-
tergrund“: 47,4 Prozent).
Eine andere Frage: „Wenn Sie an
Deutschland denken: Welches histori-
sche Ereignis beschreibt für Sie am besten
dieses Land?“ Am häufigsten wurde dar-
auf mit dem Mauerfall und der Wieder-
CDU: Auf dem Kölner Parteitag der Union rücken angesichts der AfD-Haltung zu Rußland selbst Konservative von einer möglichen Zusammenarbeit ab
HINRICH ROHBOHM, KÖLN
E s ist eine Steilvorlage, die für die
Kanzlerin zur rechten Zeit kommt.
Auf dem CDU-Bundesparteitag in Köln
wählt Angela Merkel für ihre Verhält-
nisse ungewohnt deutliche Worte für
ihren sozialdemokratischen Koalitions-
partner. „Wieviel kleiner will die SPD
sich eigentlich noch machen?“ ruft sie
vor dem Hintergrund der Wahl von
Bodo Ramelow (Linkspartei) zum Mi-
nisterpräsidenten von Thüringen.
Donnernder Applaus in der Kölner
Messehalle, der weit über das übliche
Höflichkeitsklatschen hinausgeht. Mer-
kel, von der es heißt, sie habe am Abend
zuvor noch einen Schwächeanfall erlit-
ten, hat bei der Unionsbasis einen Nerv
getroffen. Ihre überraschend kämpfe-
risch gehaltene Rede ist nach dem Ge-
schmack der Basis. Angesichts der in
Erfurt gebildeten rot-rot-grünen Koaliti-
Weitere Ergebnisse zum Bild des Is-
lams: 26,5 Prozent meinen, daß Musli-
me aggressiver seien als sie selbst; 30,1
Prozent glauben nicht, daß muslimische
Eltern „genauso bildungsorientiert wie
wir“ seien. Das klingt pauschalisierend –
aber was soll auch herauskommen, wenn
die Befragten diese Aussagen nicht diffe-
renziert beantworten können? Gehen die
„Im Moment stellt sich die Frage nicht“
on spricht sie von einer „Bankrotterklä-
rung“ der SPD. „Nur eine starke Union
wird 2017 Rot-Rot-Grün unmöglich
machen“, ruft sie in das Plenum. Eine
Aussage, die offenbart, wie sehr Merkel
trotz gegenteiliger Gerüchte und eige-
nem Schweigen an einer erneuten Kan-
didatur auch für die nächste Legislatur-
periode arbeitet. Allerdings deutet vieles
darauf hin, daß die CDU-Chefin ihren
Koalitionspartner dann erneut wechseln
wird. „Wir wären bereit gewesen, ein
Bündnis mit den Grünen zu wagen“,
verrät Merkel den 1.000 Delegierten
rückblickend auf die Koalitionsverhand-
lungen des vergangenen Jahres. Und fügt
an: „Einige Grüne waren es nicht, schade
drum.“ Nicht zuletzt die Versuche von
CDU-Generalsekretär Peter Tauber, die
Union „bunter“ zu machen, sind ein
Indiz dafür, daß die Weichen für 2017
auf Schwarz-Grün gestellt werden sollen.
„Wir hatten denen den roten Teppich
ausgerollt und sind ihnen weitestmög-
Deutschland“. Die meisten Nein-Sager
finden sich unter den Wählern der Links-
partei (30,5 Prozent lehnen die Aussage
ab) und der Grünen (23,3 Prozent). An-
ders bei CDU/CSU (8,1 Prozent) und
SPD (10,9 Prozent). Bei AfD, FDP und
Piraten waren die Fallzahlen nach An-
sicht der Forscher zu gering, um sie als
aussagekräftig werten zu können.
lich entgegengekommen, erinnert sich
ein Delegierter daran, daß es, wenn es
nach der Union gegangen wäre, schon
in dieser Legislaturperiode eine schwarz-
grüne Koalition gegeben hätte. Auch
wenn Merkel auf dem Parteitag noch
einmal betont, daß die FDP nach wie
vor der natürliche Koalitionspartner der
Union sei.
Ostverbände liebäugeln mit
einer Zusammenarbeit
Die AfD hingegen wird von ihr nicht
erwähnt. Sympathisanten einer langfri-
stig möglichen schwarz-blauen Zusam-
menarbeit oder einer Bahamas-Koalition
mit der FDP sind angesichts der An-
näherungen von AfD-Funktionären an
Rußland spürbar auf Distanz gegangen.
„In unseren Ortsverbänden gibt es nicht
wenige, die durchaus Schnittmengen mit
der AfD sehen“, meint ein hessischer De-
legierter. Aber: „Die Kreml-Propaganda
Kopftuch und Schwarz-Rot-Gold: Abschied von negativer Identität
von Alexander Gauland geht überhaupt Zusammenarbeit mit der AfD. Die ge-
nicht.“ Auch unter Konservativen CDU- hen inzwischen jedoch auf Tauchstation.
lern habe dessen „Hofieren von Putin“ „Im Moment stellt sich diese Frage ja
für Kopfschütteln gesorgt.
Daß sehen inzwischen auch jene
Unionisten so, die sich bisher nicht dar-
nicht“, heißt es ausweichend. Und: „Erst
mal müssen wir doch sehen, wie sich die
AfD weiter entwickelt.“
an beteiligt haben, die neue Partei in die Wie stark die Unionsbasis eine Ver-
rechtsradikale Ecke zu schieben. „Wenn urteilung der russischen Annexion der
es stimmt, daß sich der Bundesgeschäfts- Krim befürwortet, zeigt Merkels Rede
führer und der Pressesprecher der AfD auf. Als die 60jährige davon spricht, daß
von der russischen Botschaft haben die Verletzung der territorialen Integrität
einladen oder gar beraten lassen, dann der Ukraine nicht folgenlos bleiben dür-
ist diese Partei kein vertrauensvoller Ge- fe, brandet ebenso starker Beifall auf wie
sprächspartner“, sagte ein Delegierter bei ihrer Kritik an der Hogesa-Demon-
aus Nordrhein-Westfalen der jungen stration in Köln Ende Oktober. Egal ob
freiheit, den zudem ein „respektloser Gewalttaten von religiösen Extremisten,
Umgang zwischen den Funktionären der von links oder von rechts verübt würden:
Alternative für Deutschland stört. „Wie „Wir werden immer an der Seite der
soll man denn mit solchen Amokläufern Polizistinnen und Polizisten stehen.“ Die
gemeinsam regieren, die dazu noch un- Delegierten honorieren die ungewohnt
ser westliches Bündnis in Frage stellen?“ klaren Positionierungen der Kanzlerin
In den CDU-Landesverbänden der mit zehn Minuten andauerndem Beifall
östlichen Bundesländer liebäugeln zwar und einer Wiederwahl mit 96,42 Pro-
durchaus Christdemokraten mit einer zent der Stimmen.

Vorankündigung Tip

REPORTAGE
Exklusiv: Pegida
FOTO: IMAGO/SVEN ELLGER

youtube.com/jungefreiheitverlag

Donnerstag, 11.12., 20 Uhr Pegida-Großdemonstration in Dresden am 8.12.2014

 THEMA
W AUSLAND, Seite 8 HINTERGRUND, Seite 12

W
Kleiner Mann ganz groß: Trümmer und Tragödie:
die Rückkehr des Nicolas Ortstermin an der Absturz-
Sarkozy an die Parteispitze stelle von Flug MH17
|7
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014

Die Unsichtbaren
„Boat People“: Vor 35 Jahren nahm Deutschland Tausende Vietnamesen
auf / Ihr Beispiel zeigt: So können Asylrecht und Integration funktionieren

CHRISTIAN VOLLRADT schine der Bundeswehr mit den ersten fleißig, diszipliniert, anpassungs- und
163 Vietnamesen in Hannover ein. Die leistungsbereit, werden sie beschrieben.
Bilder der eilig in Decken gehüllten Die Eltern legen hohen Wert auf gute
Flüchtlinge gelten als eine der Initial- schulische Leistungen ihrer Kinder, die

W
ie ein aufgeschlagenes
Buch sieht sie aus, die
Bronzetafel am Johannis-
bollwerk im Hamburger
Hafen, unweit des Liegeplatzes für das
Museumsschiff „Rickmer Rickmers“.
„In tiefster Dankbarkeit gegenüber
dem deutschen Volk, der Bundesregie-
rung ...“ so beginnt die Inschrift, mit
der die „vietnamesischen Flüchtlinge in
Deutschland“ für ihre „freundliche Auf-
nahme“ nach der „Flucht vor den Kom-
munisten“ danken. Hervorgehoben das
Schiff, von dem die sogenannten „Boat
People“ seinerzeit im südchinesischen
Meer gerettet wurden: die „Cap Ana-
mur“. Vor 35 Jahren, 1979, war der zu
einem Hospital-Schiff umgebaute Stück-
gutfrachter erstmals zur Rettungsmission
in See gestochen.
Initiiert wurde das Unternehmen
maßgeblich von dem Journalisten Rupert
Neudeck angesichts der Szenarien, die
sich im Seegebiet Indochinas abspielten.
Bereits nach der Eroberung Südvietnams
durch den kommunistischen Norden im
Jahr 1975 kommt es zu ersten Flucht-
bewegungen. Vor allem Angehörige bür-
gerlicher Schichten fürchteten Repressio-
nen durch die neuen Machthaber. Nicht
ohne Grund: Laut Schätzungen waren
in Südvietnam zwischen 500.000 und
einer Million Menschen von Umerzie-
hungsmaßnahmen in Gefängnissen oder
Arbeitslagern betroffen (bei einer Be-
völkerung von 20 Millionen), darunter
vor allem Studenten, Intellektuelle,
buddhistische sowie katholische
Mönche.
zündungen dafür, daß sich die Bundesre-
publik insgesamt zur Aufnahme weiterer
Bootsflüchtlinge bereit erklärte. Albrecht
selbst hatte für seine Spontanaktion den
gesetzlichen Rahmen – gelinde gesagt –
etwas überstrapaziert.
Unter den Vietnamesen, die zunächst
im Grenzdurchgangslager Friedland ver-
sorgt und dann über das Land verteilt
wurden, hat sein Vorpreschen dem Politi-
ker dauerhafte Sympathien und tiefe Ver-
ehrung eingebracht. „Ernst Albrecht ist
für mich ein Ersatzvater geworden“, sagt
etwa Trang Xuan Nguyen. Der Gynäko-
loge und Allgemeinmediziner aus Göt-
tingen ist zwar selbst strenggenommen
kein Flüchtling, aber dennoch persönlich
betroffen. Verwandte von ihm befinden
sich unter den Opfern, denen die Flucht
über das Meer nicht gelang. Und Dr.
Trang war damals einer der ersten, die
die Flüchtlingsmaschinen in Hannover
erwarteten; nicht zuletzt um unter den
eintreffenden Landsleuten nach Freun-
den und Bekannten Ausschau zu halten.
Ende der sechziger Jahre war er aus
Südvietnam zum Medizinstudium nach
Deutschland gekommen. Nach der In-
vasion der Nordvietnamesen und der
kommunistischen Machtübernahme
gewährte ihm die Bundesrepublik zu-
nächst politisches Asyl, später wurde der
für seine Schmerztherapie überregional
bekannte und angesehene Mediziner
deutscher Staatsangehöriger. Seit vie-
len Jahren engagiert er sich außerdem
proportional häufiger eine höhere Schu-
le besuchen als deutsche. Nicht zuletzt
Thilo Sarrazin wies in seinem Beststeller
„Deutschland schafft sich ab“ auf diese
hervorstechenden Merkmale hin, die
die Nachkommen der vietnamesischen
Zuwanderer von denen aus anderen
Kulturkreisen, vor allem dem arabischen
unterscheiden.
Der Erziehungswissenschaftler Olaf
Beuchling begründet dies mit der kul-
tuerellen Prägung: „Der Konfuzianismus
begünstigte die Herausbildung eines me-
ritokratischen Bildungssystems, in dem
das Bewußtsein vorherrscht, daß jeder
unabhängig von seinem sozialen Status
gesellschaftlich vorankommen kann.“
Linksradikale wetterten
gegen die „Boat People“
„Es liegt an unserer Mentalität“, ist
Trang Xuan Nguyen überzeugt. Einem
alten vietnamesischen Sprichwort zu-
folge schulde jeder „dem Kaiser, dann
dem Lehrer, dann Vater und Mutter
gegenüber Respekt“. Und eine weitere
Verhaltensregel könne die Integrati-
onsbereitschaft seiner Landsleute ver-
anschaulichen: „Wenn ich als Gast ein
Haus betrete und die Tür dieses Hauses
hinter mir schließe, muß ich die Tra-
ditionen und Regeln, die dort gelten,
respektieren.“
Kritische Stimmen angesichts der Zu-
wanderung aus Ostasien gab es damals
durchaus. Politiker von Union und
SPD warnten Anfang der achtziger
Jahre vor der weiteren Aufnahme
FOTO: PICTURE-ALLIANCE / AKG-IMAGES

Ende 1978 beginnt dann ein einer großen Zahl von Vietname-
wahrer Massenexodus, der schich- sen; dies könne die wohlwollen-
FOTO: PETERSBERGER FORUM

ten- und altersübergreifend ist. de Haltung der Deutschen den

Auf kaum seetüchtigen Booten Flüchtlingen gegenüber ändern
FOTO: BUNDESARCHIV

brechen die Flüchtenden in Rich- und zu Ausländerfeindlichkeit füh-

tung Hongkong, Singapur oder ren. Die „Cap Anamur“ betreibe
Macau auf. Eine große Zahl der faktisch Einwanderungshilfe und
häufig überladenen Kähne kentert unterhöhle so das Asylrecht, be-
oder gerät in die Fänge von Piraten. Helfer: Neudeck (links) und Albrecht mängelte der Generalsekretär des „Boat People“: Ein geretteter Vietnamese klettert die Bordwand eines Schiffes hinauf
Etwa 200.000 Menschen sollen auf Roten Kreuzes. Bayern verhängte
der Flucht ertrunken sein. ehrenamtlich als Präsident des Interna- einen Aufnahmestopp, Niedersachsen sich der heutige Fraktionsvorsitzende der des Deutschen zwar etwas gewagt, doch gefunden, auch weil sie von deutschen
Neudeck gründete im Frühjahr 1979 tionalen Deutsch-Vietnamesischen Ko- übernahm daraufhin den bayerischen Alternative für Deutschland (AfD) im sympathisch; und er vermittelte Gauland Familien betreut worden sind. Bis heute
gemeinsam mit so unterschiedlichen mitees für Demokratie und Humanität Anteil. Ein neues „Gesetz über Maßnah- Landtag von Brandenburg im Gespräch nicht nur eine Einladung in den exklusiv- bestünden noch viele solcher Kontakte.
Verbündeten wie dem CDU-Politiker (IDVK), das unter anderem Opfern des men für im Rahmen humanitärer Hilfs- mit der jungen freiheit an seine Expe- sten britischen Club der Millionenstadt, Auch Gauland teilt die Überzeugung,
Norbert Blüm, dem Kabarettisten Dieter im Vietnamkrieg von den Amerikanern aktionen aufgenommene Flüchtlinge“ dition von vor 35 Jahren. Daß er helfen sondern auch Kontakte zu entscheiden- daß die relativ reibungslose Integration
Hildebrandt, den Schriftstellern Hein- eingesetzten Entlaubungsmittels Agent sah schließlich als Kompromiß vor, daß konnte, „war nicht mein Verdienst“, gibt den politischen Stellen. der ehemaligen „Boat People“ hauptsäch-
rich Böll und Martin Walser sowie dem Orange hilft und armen Kindern Stipen- „Boat People“, die direkt von der „Cap sich Gauland bescheiden. „Rückblickend lich mit deren Anpassungsbereitschaft
nationalkonservativen Welt-Journalisten dien für den Schulbesuch gewährt. „Bei Anamur“ aufgenommen worden waren, denke ich: ‘o Gott, wie unvorbereitet sind „Die hatten dort eine zusammenhängt. Viele der Vietname-
Matthias Walden in Köln das private unserer Vollversammlung im November in Deutschland bleiben durften. Nach wir das angegangen ...!’“ bewundernswerte Energie“ sen, die er damals in Hongkong getroffen
Hilfskomitee „Ein Schiff für Vietnam“, haben wir wie jedes Jahr unseren Mi- einem vorübergehenden Aufnahmestopp Das deutsche Generalkonsulat, dem habe, hätten schon dort im Flüchtlings-
das dann die „Cap Anamur“ charterte. nisterpräsidenten a. D. Ernst Albrecht im Jahr 1982 liefen die Rettungsaktio- sein Besuch gemeldet worden war, zeigte „Es war ja meine Aufgabe, die viet- lager begonnen, Deutsch zu lernen, um
gewürdigt und seiner verstorbenen Frau nen im Südchinesischen Meer noch bis sich gar nicht erfreut, im Gegenteil. „Die namesischen Flüchtlinge auch so auszu- sich auf ein Leben in Frankfurt vorzube-
„Für mich ist Ernst Albrecht gedacht“, betont Trang Xuan Nguyen. 1986 weiter. haben da Gift und Galle gespuckt über wählen, daß sie in eine Metropole wie reiten, „Die hatten eine Energie, die ich
ein Ersatzvater geworden“ „Ich hätte ihn gerne auch noch einmal Die giftigste Polemik gegen die „Boat die ganze Aktion.“ Und wie konnte er Frankfurt passen und sich nicht zu sehr nur bewundern kann“, meint der Politi-
besucht, aber er wird wegen seiner De- People“ kam jedoch von linksaußen: Für ohne die Unterstützung deutscher Diplo- umgewöhnen müssen“, erläutert Gau- ker auch über drei Jahrzehnte später noch
Bereits in der Adventszeit des Jahres menzerkrankung abgeschirmt. Leider hat den Schriftsteller Peter Weiss („Die Äs- maten dort zurechtkommen? „Geholfen land gegenüber der JF. Viele der Vietna- voller Anerkennung.
1978 hatte der niedersächsische Minister- seine Tochter Ursula von der Leyen auf thetik des Widerstands“) war die Flucht hat mir – wie das Leben oft so spielt – der mesen seien auch erst skeptisch gewesen, In sein Geburtsland kann Dr. Trang
präsident Ernst Albrecht (CDU) unter meinen Brief nicht reagiert“, bedauert aus der roten Volksrepublik ein höchst Zufall“, stellt Gauland amüsiert fest. Das in die Bundesrepublik zu kommen. „Die seit 2001 wieder reisen. Obwohl er aus
dem Eindruck von Fernsehbildern vom der Arzt im Gespräch mit der jungen unmoralisches, defätistisches Unterfan- Flugzeug, das ihn von Frankfurt nach befürchteten, unseren Staat könne vom seiner regimekritischen Einstellung kei-
Elend der „Boat People“ beschlossen, freiheit. gen. Denn im „neuen, sozialistischen Hongkong bringen sollte, hatte eine Osten her dasselbe Schicksal ereilen wie nen Hehl macht, hat er mittlerweile auch
daß sein Bundesland 1.000 vietnamesi- Wenn in Deutschland über Einwan- Vietnam“ müsse schließlich gearbeitet Panne und mußte in Singapur landen. Südvietnam von Norden: die kommu- zu einigen Vertretern des Staates dort gu-
sche Flüchtlinge aufnimmt. Eigens dazu derung debattiert wird oder Integrations- werden. Arbeitslager seien durchaus Dort sprach ein anderer Passagier Gau- nistische Invasion.“ Doch nur wenige, ten Kontakt. Für seine humanitäre Arbeit
hatte er seinen Bundesratsminister und gipfel stattfinden, kommen die ehema- gerechtfertigt: „Einige Zehntausende, land an, „weil ich gerade ein englisches die kurze Zeit später in der hessischen hat ihm sogar das vietnamesische Rote
Parteifreund Wilfried Hasselmann in die ligen vietnamesischen Flüchtlinge nicht die die Nation gefährden“, müßten „in Buch las“. Der Gesprächspartner erwies Hauptstadt landeten, zogen dann weiter, Kreuz einen Verdienstorden verliehen.
malaysische Hauptstadt Kuala Lumpur vor. Sie gelten als „unsichtbare Minder- Gewahrsam gehalten werden“, so der sich als anglo-irischer Aristokrat, der be- etwa in die USA. Fühlt er sich dabei inzwischen eher als
entsandt, damit dieser vor Ort in den heit“, als bestens integriert und werden „Antifaschist“ Weiss. ste Beziehungen zum Gouverneur und Die meisten seien in Frankfurt und Deutscher? Er sei eben beides, meint der
Flüchtlingsheimen Familien auswähle. in den Medien gern als „Lieblingsmi- Die linksradikale Zeitschrift Konkret zum Polizeichef von Hongkong hatte. Umgebung tatsächlich heimisch gewor- Arzt und stellt fest: „Ich habe zwei Hei-
Am 3. Dezember traf dann eine Ma- granten“ der Deutschen bezeichnet. Als bezeichnete die „Cap Anamur“ als ein Der Lord fand die humanitäre Mission den, hätten relativ schnell Anschluß maten – aber ich diene Deutschland!“
„Schiff gegen Vietnam“, mit dem „viele
Schwarzhändler, Zuhälter und ehema-
lige Kollaborateure der US-Besatzer“
Vietnam herausgeholt würden. Und das von der
DDR-Staatssicherheit gesponserte Blatt
verbreitete die (unzutreffende) Verschwö-
CHINA
rungstheorie, in Vietnam könne man
VIETNAM „Tickets für die ‘Cap Anamur’ kaufen“.
Zu den Politikern, die sich mehr oder
Hanoi weniger im Alleingang zur Aufnahme
LAOS
vietnamesischer Flüchtlinge entschlossen
Nach der Pariser Vietnamkonferenz hatten, zählte auch der Oberbürgermei-
(Februar/März 1973) endet der unmit- ster von Frankfurt am Main (und spä-
telbare Kriegseinsatz der Amerikaner. tere hessische Ministerpräsident) Wal-
Die nordvietnamesische Armee kämpft ter Wallmann (CDU). 250 geflüchtete
jedoch weiter gegen den Süden, Ende Vietnamesen aus einem Auffanglager in
THAILAND April 1975 nimmt sie Saigon ein. Südviet- Hongkong sollten in der Mainmetropole
nam kapituliert. In den Jahren nach der eine neue Heimat bekommen. Vor Ort
Wiedervereinigung zur Sozialistischen wollte man die Leute auswählen, und
FOTO: PICTURE-ALLIANCE / DPA

KAMBODSCHA Volksrepublik Vietnam fliehen laut Schät-
zungen etwa 500.000 Vietnamesen auf
dem Seeweg vor dem kommunistischen
Regime. Etwa 200.000 Menschen sol-
Ho-Chi- len dabei umgekommen sein. Deutsch-
GRAFIK
so schickte Wallmann 1979 eigens sei-
nen Magistratsdirektor in die damalige
britische Kronkolonie. Der Name des
Spitzenbeamten: Alexander Gauland.
„Das Ganze war kaum organisiert, aber

Minh-Stadt
land nahm knapp 40.000 vietnamesische die Menschen dort waren heilfroh, daß
(Saigon)
Flüchtlinge auf. sich jemand um sie kümmerte“, erinnert Gelandet: Ankunft vietnamesischer Flüchtlinge auf dem Flughafen Hannover (1978)
8|AUSLAND
Antisemitismus: Le Pen
geißelt Ausländerpolitik
PARIS. Nach dem brutalen Über-
N
fall auf ein jüdisches Paar in Paris
hat die Vorsitzende des Front Na-
tional im Interview mit dem Ra-
diosender BFM-Business die po-
litische Linke und deren Auslän-
derpolitik scharf kritisiert. Seit 15
Jahren, so Marine Le Pen, nehme
der Antisemitismus in Frankrecih
in dem Maße zu, wie sich innerhalb
der ausländischen Communities
der radikale Islam ausbreite. Am
Montag vergangener Woche hatten
drei vermummte Jugendliche mit
Schrotflinten die Wohnung einer
jüdischen Familie überfallen und
den 21jährigen Sohn und seine
19jährige Freundin gefesselt und
mißhandelt. Bei ihrem Eindringen
riefen die Männer, die ihre Opfer
offenbar vorher ausgespäht hatten,
Juden hätten immer Geld. Die Po-
lizei nahm drei verdächtige farbi-
ge und maghrebinische Moslems
fest. Sie sind bei der Polizei bereits
wegen Rauschgifthandels und ei-
nes Überfalls auf einen 70jährigen
Juden bekannt. (ho)
Islamischer Zentralrat:
Provokation per Video
ZÜRICH. Mit einem Video in
der Machart der Terrorvereini-
gung Islamischer Staat (IS) hat
der Islamische Zentralrat Schweiz
(IZRS) provoziert. Unter dem Ti-
tel „Die islamische Revolution in
Europa hat begonnen“ wendet
sich IZRS mit seinen etwa drei-
tausend Mitgliedern gegen eine
angebliche Islamfeindlichkeit der
Schweizer Bürger. Zu sehen sind
in dem Video zahlreiche junge
Moslems, die sich unter der Fah-
ne des islamischen Glaubensbe-
kenntnisses versammeln. „Wir
werden nicht weggehen“, heißt
es in englischer Sprache. Man
werde nicht in seinem Kampf
für gleiche Rechte und Freiheiten
nachlassen. „Erwartet uns. Jeder-
FOTO: SCREENSHOT
Islambekenntnis in den
Schweizer Alpen
zeit. Überall!“ Zentralratssprecher
Abdel Asis Kaasim Illi wies den
Vorwurf einer Drohung zurück
und kritisierte die „gespielte Auf-
regung“. IZRS habe bewußt im
Gegensatz zum IS eine weiße Fah-
ne mit einem schwarzen Schrift-
zug gewählt. Der weiße Hinter-
grund der Fahne stehe „nicht nur
in der europäischen Kultur aus-
drücklich für Frieden“. Der Film,
so Illi, spitze die „grassierende Is-
lamophobie in der Schweizer Ge-
sellschaft dramaturgisch zu“. Er
verwies explizit auf das „unsäg-
liche“ Minarett-Verbot, welches
die Schweizer Bundesverfassung
(Art. 72, Abs. 3) seit fünf Jahren
verunstalte. (FA)
www.izrs.ch
JF-Krisenreporter
Billy Six
Marsch ins
Ungewisse
Gefangen im Syrienkrieg
Im August 2012 überquert Billy Six von der Türkei aus die Grenze nach Syrien – mitten hinein in das von islamistischen Aufständischen und
Regierungstruppen umkämpfte Kriegsgebiet. Als Reporter der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT will er von dort in die Heimat berichten. Dann
wird er kurz vor Weihnachten entführt und festgesetzt. Es vergehen zweieinhalb zermürbende Monate voller Ungewißheit über sein Schicksal.
Deutsche Sicherheitsbehörden schalten sich ein, im Auswärtigen Amt wird ein Krisenstab gebildet. Erst Anfang März 2013 kommt er mit Hilfe
der russischen Botschaft in Syrien wieder frei. In diesem bewegenden Buch schildert er erstmals seine erschütternden Erlebnisse: Er berichtet
von Vergewaltigungen, Folterungen, dem allgegenwärtigen Sterben und Tod sowie der dramatischen Zeit seiner Gefangenschaft.
Mit einem Geleitwort von Peter Scholl-Latour
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
EVA-MARIA MICHELS Grüße aus Santiago de Cuba
Rückkehr mit Hindernissen Eine Dogge
mit Geweih
ach einem halben Jahr ohne
klare Führung hat die bürger- Frankreich: Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der bürgerlichen UMP
liche UMP wieder einen Vor- muß Nicolas Sarkozy eine Vielzahl parteiinterner Probleme lösen Von Alessandra Garcia
sitzenden: Nicolas Sarkozy konnte sich
mit 64,5 Prozent der Stimmen gegen
seine Herausforderer Bruno Le Maire
(29,2) und Hervé Mariton (6,3 Prozent)
M ein Sohn überraschte mich
mit einem Weihnachtsbild.
Gut eine Stunde hat er daran ge-
durchsetzen. Mariton hatte sich schon arbeitet: erst ein Entwurf mit
vor Beginn der Wahl bei der Wahlkom- dem Kugelschreiber, dann einen
mission darüber beschwert, daß mehrere zweiten. Schließlich hat er beides
hundert Mitglieder der Gruppierung in einer farbigen Zeichnung zu-
„Sens Commun“ – hervorgegangen aus sammengefaßt: ein blauer Sichel-
den Massendemonstrationen gegen die mond mit einem halben Dutzend
Homoehe von der Wahl ausgeschlossen Wolken, darunter – was besonders
waren. Laut Wahlkommission versagte viel Arbeit gemacht haben dürfte
die hausinterne Technik bei der Über- – gewiß mindestens zweihundert
tragung der Mitgliedsdaten. Diese Panne gelbe Sterne.
ging eindeutig zu Lasten von Mariton, Mitten durch dieses Sternen-
der als einziger der drei Kandidaten meer zieht eine dicke Dogge mit
klar für die Abschaffung der Homoehe einem mächtigen Geweih, nein,
eintritt. natürlich soll es ein Rentier dar-
Für Sarkozy ist das Wahlergebnis eher stellen, den mit vielen Geschen-
enttäuschend, denn 2004 bekam er noch ken beladenen Schlitten. Auf
satte 84 Prozent. Die meisten politischen ihm hockt ein Schneemann mit
Beobachter stimmen jedoch überein, roter Zipfelmütze. Dieser winkt
daß ihm das Wahlergebnis erlaubt, in freundlich zwei anderen Schnee-
den kommenden Monaten die wich- männern zu. Diese haben blaue
tigsten Probleme der UMP anzupacken Augen, orangefarbene Nasen und
– und die sind zahlreich: Der 59jährige rote Münder. Sie stehen zwischen
muß eine moralisch am Boden liegende einem reich geschmückten Weih-
Partei wieder aufrichten. nachtsbaum, einem übergroßen,
bunt verpackten Paket und einem
Private Finanzspritze kerzengeschmückten Tisch.
für klamme Parteikasse
Das Bild des Kleinen
Nach seinem Rücktritt vom Posten erstaunt mich. Wir
des Parteivorsitzenden im Zuge des ver- hatten noch nie einen
lorenen Präsidentschaftswahlkampfes Weihnachtsbaum.
im Mai 2012 brach ein Machtkampf
um den Parteivorsitz zwischen dem bis Das Bild des Kleinen erstaunt
dahin amtierenden Ministerpräsiden- mich. Wir hatten in unserem Haus
ten François Fillon und Jean-François noch nie einen Weihnachtsbaum.
Copé, dem damaligen Generalsekre- Schnee hat in meiner Familie nie-
tär der UMP aus. Copé machte nach mand jemals mit eigenen Augen
UMP-internen Wahlen zwar knapp das gesehen. Schneemänner kennen
Rennen. Es gelang ihm aber nie, Fillons wir nur aus dem Fernsehen, und
Anschuldigung des Wahlbetrugs auszu- die abendländische Tradition, zum
räumen. Zwischen beiden Lagern kam Weihnachtsfest Geschenke zu ver-
es zu einem fragilen Waffenstillstand, teilen, halten auf Kuba allenfalls
FOTO: IMAGO/PANORAMIC; 63221934
der zu Lasten inhaltlicher Parteiarbeit noch rein spanischstämmige Fa-
ging. Nach dem schlechten Abschnei- milien aufrecht.
den der UMP bei den Europawahlen Ich bin gerührt und nehme
Ende Mai mußte Copé schließlich die mir fest vor, in diesem Jahr wie-
Reißleine ziehen und trat zurück. der einmal mit dem Kleinen zur
Sarkozy kündigte nun an, daß er bis Mitternachtsmesse in die große
spätestens vor den Regionalwahlen 2015 Kathedrale am Cespedes-Platz
den Namen der UMP ändern werde, Sarkozy will es nochmal wissen: Nach den Skandalen und Pleiten muß er erst mal die Partei um sich scharen zu gehen. Zuvor gibt es einen
um das ramponierte Image der Partei Kindergottesdienst, bei dem die
aufzubessern. Doch dies allein reicht bei Um die gesetzliche Obergrenze für rechts drängt und sogar für Allianzen mit gendlicher Motorrollerfahrer auf, die Mädchen und Jungen aus der Jun-
weitem nicht aus. Ein neues politisches Ausgaben im Präsidentschaftswahlkampf dem Front National auf lokaler Ebene die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht gen Gemeinde die Weihnachts-
Programm muß her, doch verweigert 2012 zu umgehen, hatte das UMP-nahe offen ist. Als weiteres heißes politisches beachtet hatten. Er kämpfte gegen die geschichte nachspielen. Und im
sich Sarkozy bis dato radikalen Refor- Event-Unternehmen Bygmalion der Thema gilt parteiintern der Umgang Installation des Gesetzes zur Homoehe Kirchenvorraum zeigt ein großes
men. Die 35-Stunden-Woche möchte Partei fiktive Rechnungen in Höhe von mit der Homoehe. Deren Gegner stel- durch die Sozialisten und sucht derzeit Diorama Christi Geburt mit dem
er nicht abschaffen, tritt stattdessen für 18 Millionen Euro für nie abgehaltene len zwar nicht unbedingt die Mehrheit nach Varianten es wieder abzuschaffen. Stall in Bethlehem.
steuerfreie Überstunden ein. Parallel Wahlkampfveranstaltungen ausgestellt in der UMP, doch sind sie jung, hoch- Als Gegner der Europäischen Einigung Auf den beiden Entwürfen feh-
dazu soll die volkswirtschaftlich ineffi- – angeblich ohne Sarkozys und Copés motiviert und bestens organisiert. Ihr schwärmt er gar von einer Rückkehr len übrigens noch die Schneemän-
ziente Reichensteuer unangetastet blei- Wissen. Frankreichs Verfassungsrat ver- Wahlverhalten könnte ausschlaggebend zu einem Europa der Sechs. Vor allem ner. Statt diesen ist ein Mann zu
ben. Fürchtet Sarkozy, daß ein direkter urteilte die UMP daraufhin zur Zahlung für den Erfolg oder Mißerfolg der UMP aber kämpft Wauquiez unermüdlich für sehen, der einem Kind mit aus-
Angriff auf diese beiden Symbole linker von 363.615 Euro. Diese Summe be- bei den kommenden Wahlen sein. die Belange des Mittelstandes. In seiner gestreckten Armen ein Geschenk
Wirtschaftspolitik erhebliche soziale Un- zahlte Sarkozy nun nach seiner Wahl sechsjährigen Amtszeit führte er die wirt- überreicht. Das Vorbild für den
ruhen zur Folge hätten. aus eigener Tasche – um die Generalsekretär Wauquiez schaftlich am Boden liegende Kleinstadt von einem Rentier gezogenen
Auch die Finanzmise- Partei von allen Anschuldi- soll rechte Basis bedienen zu neuer Blüte. Entsprechend wurde er Schlitten entdecke ich übrigens
re setzt die Partei unter gungen freizusprechen, wie bei der Kommunalwahl im März bereits am nächsten Tag bei 32 Grad
Druck. Gegenwärtig belau- er präzisierte. Zum Abbau Dieses starke Klientel bedienend, im ersten Durchgang mit 69,8 Prozent Celsius Tagestemperatur auf der
fen sich die Schulden der der restlichen Schulden kürte Sarkozy Laurent Wauquiez zum der Stimmen erneut zum Bürgermeister Einkaufsstraße „Enramada“ im
UMP auf fast 75 Millio- setzt sich Sarkozy das Ziel, neuen Generalsekretär. Äußerst beliebt gewählt. Schaufenster eines Devisenge-
nen Euro. Ein Großteil der 250.000 neue Parteimitglie- an der Basis, zählt der 39jährige zum Doch Sarkozy hin, Wauquiez her. schäfts. Allerdings sitzt auf dem
FOTO: WIKIMEDIA COMMONS
Schulden betriff t Bankkre- der zu werben. Dafür will rechten Rand der UMP. Der Bürgermei- Marine Le Pen und ihr Front National Schlitten ein Weihnachtsmann.
dite und einen Kredit für er wöchentlich eine Bürger- ster der Hauptstadt des Départements (FN) glauben nicht, daß es Sarkozy Der ist aber viel schwerer zu
den Kauf des Gebäudes, sprechstunde abhalten. Haute-Loire, Le Puy-en-Velay, tat sich noch einmal gelingen wird, wie bei zeichnen als die beiden Kreise
in dem sich der Parteisitz Sarkozys schwierigstes mehrfach durch eine energische Law- den Präsidentschaftswahl 2007, dem für einen Schneemann und schaut
befindet. Hinzu kommen Problem dürfte der Zusam- and-Order-Politik hervor: Eigenhändig Front Wähler wegzunehmen: „Jeder auch längst nicht so fröhlich. Und
18 Millionen Euro Schul- menhalt der UMP werden. half er der Gendarmerie bei der Räu- FN-Wähler ist ein zweimal betrogener mit bärtigen Männern haben wir
den aus der sogenannten Laurant Wauquiez: Dabei fällt auf, daß gerade mung eines illegalen Roma-Camps, UMP-Wähler“, verkündete das nähere Kubaner sowieso nicht die besten
„Bygmalion-Affäre“. Gegen die Homoehe die Basis immer weiter nach nahm persönlich die Verfolgung ju- Umfeld von Le Pen. Erfahrungen gemacht.
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ISBN: 9783929886474, Best.-Nr.: 92367
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JUNGE FREIHEIT
Nr. 51/14 | 12. Dezember 2014
Revolution gegen die Weißen
New Black Panther Party: Die Rassenunruhen in den USA sind Wasser auf die Mühlen der Extremisten
JOSEF HÄMMERLING
D
ie Massenproteste in den USA
gegen Polizeigewalt gegen Far-
bige nehmen kein Ende. Auslö-
ser war zum einen die Erschießung des
Zwölfjährigen Tamir, der mit einer echt
aussehenden ähnlichen Spielzeugwaffe
herumlief und binnen zwei Sekunden
von der herbeigerufenen Polizei erschos-
sen wurde. Zum anderen löste die Ent-
scheidung der Jurys von Ferguson und
New York Empörung aus, zwei Polizisten
nicht wegen der Tötung von zwei Far-
bigen vor Gericht zu bringen. Es ging
um den 18jährigen Michael Brown und
den 43jährigen Eric Garner.
Bei den Protesten immer an vorder-
ster Front dabei: die New Black Panther
Party for Self Defense (NBPP). Stets uni-
formiert auftretend organisieren sie den
schwarzen Protest, rufen zu Widerstand
auf und setzen die Polizei unter Druck.
Die Nerven liegen blank. Für Aufregung
sorgte zuletzt Ende November die Fest-
nahme von zwei NBPP-Mitgliedern im
Umfeld der Massenproteste in Ferguson.
Der Vorwurf: Sie hätten ein Bombenat-
tentat auf den Polizeichef geplant.
Von Woche zu Woche finden die New
Black Panther mehr Zustimmung un-
ter der schwarzen Bevölkerungn und
sind mittlerweile mit mehreren tausend
Mitgliedern in 45 US-Bundesstaaten
aktiv. NBPP versucht, sich als Nachfol-
georganisation der Black Panther (BPP)
zu etablieren, die in den sechziger und
siebziger Jahren den Kampf bei der
Gleichberechtigung der schwarzen Be-
völkerung in den USA anführte.
Alte Black Panther empört
über Rassismus der NBPP
Doch die alte Black-Panther-Führung
lehnt ihre selbsternannten Nachfolger
kategorisch ab. So meinte Black-Pan-
ther-Mitgründer Bobby Seale, die NBPP
habe „unseren Namen gekidnappt und
auch unsere Geschichte“. David Hil-
liard, ein früherer Black Panther und
Geschäftsführer der Huey P. Newton-
Stiftung, erklärte sogar, der „Rassismus
der NBPP“ widerspreche der multikul-
turellen Einstellung des Originals.
Schweden: Der Vorsitzende der Jungen Schwedendemokraten über die Rolle seiner Partei beim Sturz der rot-grünen Minderheitsregierung
Herr Kasselstrand, vergangene Woche
fiel der Haushaltsentwurf der rot-grünen
Minderheitsregierung durch. Nach nur
drei Monaten Regierungszeit warf sie das
Handtuch. Neuwahlen im März 2015.
Als Zünglein an der Waage stimmten die
Schwedendemokraten für den Entwurf
der bürgerlichen Opposition. Was gab den
Ausschlag?
Gustav Kasselstrand: Keiner von
beiden hat uns eigentlich gepaßt. Wir
wollten endgültig einmal Kante zeigen.
Beweisen, daß wir die neue prägende
Kraft in der schwedischen Politik sind.
Ministerpräsident Stefan Löfven be-
-



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FOTO: REUTERS
Ex-NBPP-Chef Malik Shabazz und sein Nachfolger Hashim Nzinga (r.): Die US-Polizei als Haßobjekt
In ihrem Kampf gegen „Polizeige-
walt“ und die Weißen kooperieren die
New Black Panther eng mit mehreren
radikal-islamistischen, antisemitischen
und kommunistischen Organisationen.
Dazu gehören die Nation of Islam –
Mosque 28, der Moorish Science Temp-
le, die Organization for Black Struggle
(OBS) sowie die Tauheed Youth Deve-
lopment Life und die Coalition Against
Police Crimes and Repression.
Aufgrund der von Mitgliedern und
Anhängern dieser Organisationen aus-
gehenden Gewalt und aufgrund ihrer
Forderungen, die sich ganz klar gegen
westliche Werte und die demokrati-
sche Grundordnung richten, führt das
Southern Poverty Law Center die New
Black Panther zusammen mit 42 ande-
ren Organisationen in einer „Haß-Li-
ste“. Das Southern Poverty Law Center
ist eine gemeinnützige, dem politisch
linken Spektrum zuzuordnende US-
Organisation mit dem Ziel, Rassismus
Den Etablierten die Kante zeigen
schimpfte die Schwedendemokraten als
„außerordentlich verantwortungslos“. Sie
hätten sich nach alter Tradition „enthal-
ten“ müssen. Ein Tabubruch?
Kasselstrand: Die Sozialdemokraten
haben bei uns ihr letztes Vertrauen ver-
spielt. Von Anfang an waren die Schwe-
dendemokraten bereit, mit allen Parteien
im Reichstag zu kooperieren. Aber so-
wohl Sozialdemokraten, Grüne als auch
die bürgerliche Opposition zeigten uns
in allen Politikbereichen durchgehend
die kalte Schulter. Nun haben wir ein-
fach mit unserem Votum gezeigt, daß
mit uns keine weitere Massenzuwan-
derung zu haben ist.
zu bekämpfen und Bürgerrechte zu
fördern.
Als Staat im Staate schulen NBPP-
Aktivisten Vier- und Fünfjährige, spre-
chen davon, daß der „schwarze Mann“
die Macht in den USA übernehmen
müsse. Gern filmen sie, wie Mitglieder
der New Black Panther im Nahkampf
ausgebildet werden. Doch gibt es ebenso
private Handyaufnahmen, die zeigen,
wie ein New Black Panther in Ferguson
nur wenige Minuten nach der Tötung
Browns Farbige zum Widerstand aufruft
und Weiße beschimpft.
An der Spitze der NBPP steht seit
Oktober 2013 Hashim Nzinga. Ein
Mann mit zwei Gesichtern. Bei öffent-
lichen Auftritten vor NBPP-Publikum
gibt sich der 51jährige mit weicher
Stimme smart und moderat. Kommt
er aber in Rage, erhalten seine Rufe nach
Aufstand und Revolution eine besondere
Eindringlichkeit: Geschehe weiterhin
nichts werde der „weiße Mann“ wieder
Stehen die SD in der Einwanderungsfra-
ge allein?
Kasselstrand: Die Frage muß ich leider
und eindeutig mit Ja beantworten. Die
Schwedendemokraten waren immer
schon die einzige Opposition gegen die
von den anderen Parteien geförderten
unkontrollierte Massenzuwanderung.
Als Streiter für die Neutralität Schwe-
dens, für den Erhalt des Nationalstaats
und gegen die Europäische Union sind
wir die einzige politische Alternative.
Mit 12,9 Prozent konnten die Schweden-
demokraten bei der Septemberwahl ihre
Stimmen verdoppeln. Was versprechen sie
KER.COM
FOTO: WWW.GAW
gewinnen und die Rechte der farbigen
Bevölkerung wieder „auslöschen“.
Nzinga scheint kein Interesse an zu-
viel Informationen über seine Person
zu haben. In den vergangenen zwölf
Monaten wurden zwei Profilseiten bei
Wikipedia über ihn von den Autoren
eigenhändig gelöscht. Nzinga ist zwar
auf Twitter aktiv, gibt dort aber eben-
falls wenig über sich preis. Bekannt ist,
daß Nzinga in der Vergangenheit wegen
illegalen Waffenbesitzes vorübergehend
festgenommen wurde und Gewalt pre-
digt. So zum Beispiel am 11. August
2014 in der Internet-Sendung von Black
Power Radio mit dem Titel: „Mörder in
Missouri – Michael Brown und blut-
dürstige Pigs – Die Schlacht geht los“.
Nzinga erklärte in dieser Show, daß
weiße Amerikaner einen „Genozid“ an
farbigen Männern planten. „Jüdische
Medien und jüdisches Fernsehen“ wür-
den die Farbigen als die Bösen darstel-
len, speziell auch Chicagos jüdischer
sich für die kommende?
Kasselstrand: Wir hoffen natürlich auf
weitere Zuwächse. Umfragen bestätigen
dies. Es ist nur eine Frage der Zeit, dann
haben wir eine Stärke errreicht, daß wir
nicht mehr ausgegrenzt werden können.
Dann, erst dann wird sich wirklich in
Schweden etwas ändern.
Seit einigen Wochen fällt der SD-Vorsit-
zende Per Jimmie Åkesson aufgrund einer
Krankheit aus. Ein Handicap im kom-
menden Wahlkampf?
Kasselstrand: Jimmie Åkesson ist und
bleibt unsere erste und beste Waffe. Aber
wir haben die Hoffnung nicht aufge-
AUSLAND|9
Japan: Vabanquespiel
mit Neuwahlen
TOKIO. Japans Ministerpräsident
Shinzo Abe und seine konservati-
ve Liberal-Demokratische Partei
(LDP) stehen bei den Neuwahlen
möglicherweise vor einem noch
größeren Sieg als bislang angenom-
men. Die Regierungspartei käme
laut Umfragen auf mehr als 300
NBPP-Kampftruppe im der 475 Sitze im japanischen Un-
Straßenkampf: In über 40 terhaus. Nach nur zwei Jahren im
US-Bundesstaaten präsent Amt hatte Japans Premier für den
14. Dezember Neuwahlen zum
Bürgermeister Emanuel Rahm, der ein Unterhaus ausgerufen, nachdem
„Meister der Propaganda“ sei. er im November das Parlament
Entsprechend warnt die Anti-Defa- aufgelöst hatte. Ein haushoher
mation League vor dem Antisemitis- Sieg würde Abe den Rückhalt für
mus der Organisation und verweist auf schwierige politische Vorhaben zur
weitere Besipiele. So sagte der frühere Gesundung der nationalen Wirt-
NBPP-Vorsitzende Malik Zulu Shabazz schaft geben. Nach Zuwächsen von
vor einigen Jahren: „Töte jeden gottver- 1,4 Prozent im ersten schrumpfte
dammten Zionisten in Israel. Gottver- die japanische Wirtschaft im drit-
dammte kleine Babys, gottverdammte ten Quartal stärker als befürchtet.
alte Ladys. Sprengt zionistische Super- Das Bruttoinlandsprodukt fiel im
märkte in die Luft.“ Vergleich zum Vorquartal um 0,5
Prozent. Nachdem die Mehrwert-
Obama soll sich seiner steuer im April von fünf auf acht
Wurzeln bewußt werden Prozent erhöht wurde, übten sich
Japans Verbraucher in Kaufzurück-
Doch nicht nur Weiße, Polizisten haltung. Eine ursprünglich für
und Zionisten stehen im Fadenkreuz kommendes Jahr geplante weite-
der NBPP. Auch an Präsident Barack re Umsatzsteuererhöhung verschob
Obama wird kein gutes Haar gelassen. Abe inzwischen auf 2017. (ru)
Zwar dokumentierte die Online-Zei-
tung townhall.com Ende vergangener Ukraine: Regierung mit
Woche Fotos, die Obama bei dessen „Auslandsimporten“
Präsidentschaftskampagne im März
2007 in Selma (Alabama) Seit’ an Seit’ KIEW. In der Anfang Dezember
mit dem damaligen NBPP-Vorsitzenden vom Parlament gewählten zwei-
Malik Zulu Shabazz, sowie dem Kriegs- ten Regierung von Ministerpräsi-
minister der NBPP, Najee Muhammed dent Arsenij Jazenjuk werden drei
zeigen. Doch das ist lange her. Schlüsselministerien von bishe-
Am 14. August „übernahm“ Nzin- rigen Ausländern übernommen.
ga, gekleidet in schwarzer Uniform, die Finanzministerin Natalija Jares-
Pressekonferenz des Polizeichefs von Fer- ko, Wirtschaftsminister Aivaras
guson. In schneidigem Ton übergoß er Abromavičius und Gesundheits-
Obama mit Spott: „Es ist beschämend, minister Olexandr Kwitaschwili
daß der Präsident der USA mit Ruß- erhielten am Tag ihrer Ernennung
land redet, mit China, mit Nordkorea, per Präsidialerlaß die ukrainische
dem Irak und mit dem Nahen Osten, Staatsangehörigkeit verliehen. Die
damit diese ihre Leute besser behan- in Chicago geborene Jaresko ist
deln.“ Doch, so Nzinga weiter, wenn ukrainischer Abstammung und be-
Obama aus seinem Fenster auf 1600 gann ihre Karriere im US-Außen-
Pennsylvaina Avenue schaue, müßte er ministerium. 1992 ging sie nach
doch sehen, „wie der schwarze Mann, Kiew und leitete die Wirtschaftsab-
der das Weiße Haus aufbaute, wie ein teilung der US-Botschaft. Jaresko
Hund erschossen“ wird. Überlegen in beriet Präsident Juschtschenko in
die Kameras blickend, forderte er den Wirtschafts- und Währungsange-
Präsidenten dazu auf, sich seiner afri- legenheiten. Mit Horizont Capi-
kanischen Wurzeln zu besinnen und tal gründete sie den ersten Priva-
dafür zu sorgen, daß „keine Afrikaner te-Equity-Fonds der Ukraine. Der
mehr auf den Straßen getötet werden“. in Wilna geborene Abromavičius
arbeitete zuletzt als Partner bei der
Stockholmer Investmentfirma East
Capital und leitete deren Moskauer
Niederlassung. East Capital inve-
stiert Milliarden von Dollar in Ost-
europa, vor allem in Rußland, und
ist damit einer der größten Fonds
der Welt. Abromavičius ist nach
Informationen des Nachrichten-
geben, daß er noch rechtzeitig zurück- portals rubaltic.ru verantwortlich
kehrt. Falls nicht, wird er uns immerhin für sieben Milliarden Dollar, die
als wichtiger Ratgeber und Wahlstratege in Öl- und Gasgeschäfte, Land-
zur Seite stehen.
wirtschaft und den Bankensektor
CURD-TORSTEN WEICK investiert sind. Er ist Minderheits-
aktionär der russischen Sberbank
und hält Beteiligungen an Gaz-
prom. Seine ukrainische Frau ist
Direktorin von Agro Region, die zu
den Aktiven von East Capital ge-
FOTO: SVERIGEDEMOKRATERNA.SE
hört. Kwitaschwili war in Georgien
Gustav Kassel- Minister für Arbeit, Gesundheit
strand, Jahrgang
1987, ist Vorsitzen- und Soziales unter Präsident Saa-
der des Jugendver- kaschwili, zuletzt war er Professor
bands der Schwe- an der Universität Tiflis. Alle drei
dendemokraten. haben in den USA studiert. (ru)

 
 

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10 | W I R T S C H A F T JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014

Die Kritik am Papiergeld wird immer lauter

Was verspricht Mario Draghi?

D ie Adventszeit sollte eigentlich Zeit chen wurde durch die Unterschrift des
der Besinnung sein. Stattdessen Gouverneurs der Zentralbank besie-
gleicht sie einer Konsumorgie. Die gelt. Heute weiß man nicht, wofür die
Victoria auf der Berliner
Siegessäule: Die Siegesgöttin
bringt der Genderfraktion den
Menschen stürzen sich in die Kauf- Unterschrift Draghis eigentlich noch Durchbruch bei der Besetzung

FOTO: RONALD GLÄSER

häuser und bescheren in den wenigen bürgt. Für noch größere Schuldenber- von Vorständen
Wochen vor Weihnachten so mancher ge, welche die EZB mit noch größerer
Branche mehr Umsatz als im gesamten Geldmenge bekämpfen will?
übrigen Jahr. Das Problem unseres Geldsystems
Ich gestehe, auch ich werfe unser ist die Tatsache, daß Geschäftsbanken
Erspartes in den Wirtschaftskreislauf. die Geldmenge ständig aufblasen. Sie
Doch dieses Jahr ist etwas anders als schöpfen durch die Kreditvergaben
früher. Gestern erwischte ich mich da- Geld aus dem Nichts. Die Geldmen-
bei, daß ich an unserem Geld zweifelte. ge steigt unaufhörlich. Die Blase wird
Ich hielt an der Kasse einige Bankno- immer größer – bis sie platzt.
ten in der Hand und dachte Der Moment scheint
unwillkürlich, es sind nur nicht weit zu sein. Denn
wertlose Papierschnipsel, was vor Jahren nur im
nicht einmal sonderlich engen Zirkel der Anhän-
hübsch bedruckt. Ganz ger der Österreichischen
im Ernst: Ich war froh, für Schule diskutiert wurde,
dieses Häufchen Papier erreicht mittlerweile brei-
einen Gegenstand bekom- te Massen. So diskutieren
men zu haben. Und ich plötzlich führende Öko-
erschrak bei der Vorstel- VON nomen die Alternativen
lung, der Moment könn- PETR zum jetzigen Kreditgeld.
te bald kommen, in dem BYSTRON Für Aufsehen sorgte der
niemand bereit sein wird, Volkswirtschaftler Thomas
Waren gegen dieses Papier »Seine Tausch- Mayer in diesem Herbst,
umzutauschen.
Solange ich alleine
solche apokalyptischen
fähigkeit
basiert auf
Vertrauen in
als er das Ende des Kre-
ditgeldes prophezeite und
forderte, es durch ein Ak-
Der Quotensozialismus kommt
Gedanken in mir trage, seine Tausch- tivgeld zu ersetzen. Laut
besteht für unser Geldsy- fähigkeit.« Mayer sollte der Staat das
Planwirtschaft: Der Staat fördert mit der Frauenquote Kungelei und Vorurteile gegen weibliche Fachkräfte
stem noch keine Gefahr. Geld herausgeben und
Doch schießen ähnliche Ideen mehre- seine Menge begrenzt halten. Ban-
ren Menschen durch den Kopf, wird ken sollten nur noch Vermittler statt WOLFGANG PHILIPP erhöhen und darüber Rechenschaft ab- voraus. Auch wird nicht geregelt, was dem Regierungsplan soll die Quote für
es brenzlig. Denn unser Geld ist durch Geldschöpfer sein – Kredite dürften legen. Es ist damit zu rechnen, daß diese passiert, wenn eine „Quotenfrau“ nach den Aufsichtsrat insgesamt gelten, es
nichts gedeckt. Seine Tauschfähigkeit nur vergeben werden, wenn sie ge- Politiker keine Ruhe geben werden, bis der Wahl zum Mann „transgendert“ bleibt also offen, wie sich die geforder-
basiert nur auf Vertrauen der Marktteil- deckt wären. Daß gerade jemand wie der Frauenanteil überall zwangsweise oder umgekehrt. Wenn die Gender- te Frauenquote auf die drei Gruppen

Z
nehmer in seine Tauschfähigkeit. Ver- Mayer auf solche Gedanken kommt, u den wichtigsten Unterneh-
schwindet das Vertrauen, ist die Tausch- ist erstaunlich, denn er arbeitete sein mensentscheidungen gehört die
fähigkeit dahin. Leben lang mitten im System, zuletzt Auswahl der Führungskräfte. Mit
Als das Papiergeld eingeführt wurde, bei der Deutschen Bank in Frankfurt. deren Können steht und fällt das Unter-
konnte man den Gegenwert der ein- In diesem Sinne: Fröhliche Einkäufe nehmen. Die Eigentümer müssen frei
zelnen Banknoten jederzeit in Gold und besinnliche Weihnachten – viel- sein, darüber zu entscheiden. Für die
umtauschen. So stand es früher auf leicht die letzten mit dem jetzigen Folgen von Fehlentscheidungen haften
jeder Dollar-Note. Und das Verspre- Papiergeld! sie, auch viele Mitarbeiter tragen die
Folgen. Weil das bisher so ist, hat die
deutsche Wirtschaft ihre Erfolge.
Schlechte Nachricht für den Industriestandort Deutschland Das will die Große Koalition in Ber-
lin ändern. Sie mischt sich in die Per-
Der letzte Opel aus Bochum sonalentscheidungen ein und will statt
einer Empfehlung gesetzlich Folgendes
vorschreiben: Den Aufsichtsräten von
Von Markus Brandstetter
108 Großunternehmen müssen künf-
tig mindestens 30 Prozent Frauen an-
50 Prozent erreicht.
Millionen fließen in
die Gendertheorie
Vorweg dazu eine nicht nur als Satire
zu verstehende Anmerkung: Die gleiche
Bundesregierung fördert mit großen
Summen zusammen mit der EU, den
Bundesländern und den Universitäten
die sogenannte Gendertheorie.
Danach soll überhaupt nicht mehr
objektiv feststellbar sein, wer Mann oder
Frau ist. Durch sogenanntes „Transgen-
der“ soll vielmehr jeder Mensch selbst
bestimmen, ob und wie lange er Mann
oder Frau ist. Der äußere Anschein wird
theorie zuträfe, dürften nur wie bisher
Menschen in die Aufsichtsräte gewählt
werden, das Geschlecht wäre irrelevant.
Die Bundesregierung wird um Aufklä-
rung gebeten.
Da die Gendertheorie vermutlich
eines Tages verschwinden wird, wird
im folgenden an der altbekannten Un-
terscheidung zwischen Mann und Frau
vorsichtshalber festgehalten. Das bedeu-
tet für die „Quotenregelung“ folgendes:
Drei Gründe, die gegen
das Gesetz sprechen
Erstens: Schon die angebliche Be-
schränkung auf 30 Prozent ist falsch.
Anteilseigner, Betriebsangehörige und
Gewerkschaftsvertreter verteilt.
Auf keinen Fall darf es nur auf einer
der beiden Seiten zu einem Leerstand
kommen, da dann die gesetzlich vorge-
schriebene Parität entfiele. Es ist leicht
auszumalen, wie schwierig es sein wird,
unter Einbeziehung der verschiedenen
Wahlgremien eine „Frauenquote“ per-
sonell und zahlenmäßig festzulegen,
zumal eine „gleichmäßige Verteilung“
auf die drei Gruppen nicht möglich
ist. Weil die eigentlichen Wahlgremi-
en (Hauptversammlung, Arbeitneh-
mer) in der Regel gar nicht in der Lage
sind, hierüber zu verhandeln, muß das
Ganze zwischen dem Management, den

D er 5. Dezember steht jetzt rot in

den Kalendern in Bochum. An
diesem Tag ist im Bochumer Werk
keinen neuen Job gefunden, dann
droht der Gang zum Arbeitsamt.
Der Grund für die Schließung des
gehören, anderenfalls bleiben Mandate
unbesetzt. Laut der CDU-Politikerin
Elisabeth Motschmann ist diese Vorgabe
zur optischen Täuschung.
Da die Bundesregierung an einen
solchen Schwachsinn glaubt, ist die
Nach dem Mitbestimmungsgesetz
haben Aufsichtsräte in Aktiengesell-
schaften je nach Größe zwölf, sechzehn
Arbeitnehmervertretern und den Ge-
werkschaften ausgekocht werden. Dann
muß man das Ergebnis den Wahlgre-
der letzte Opel vom Band gelaufen. Werkes ist klar: Opel hat vor Jahren eine „Bereicherung und keine Gefahr“. Vorlage einer „Quotenregelung“ nicht oder zwanzig Mitglieder. 30 Prozent mien verkaufen.
Kurz nach Mitternacht endete die schon den Anschluß an Volkswa- Weitere 3.500 Unternehmen müssen schlüssig. Diese setzt nämlich weiterhin von zwölf ergeben 3,6. 30 Prozent von Der Verdacht, daß Frauen nur des-
letzte Schicht. Nach einem anthra- gen, Audi und die japanische und sich selbst das Ziel setzen, den Frau- die schon seit einigen (etwa eine Milli- sechzehn 4,8 Frauen. Nur bei zwanzig halb aufgestellt werden, weil sie Frauen
zitfarbenen Zafira-Familienbus war insbesondere koreanische Konkur- enanteil in Aufsichtsrat, Vorstand und on) Jahren bekannte objektive Unter- Mitgliedern geht mit sechs Frauen die sind, kann auch hier weitere Schwie-
Schluß. renz verpaßt. Die einst mächtige oberem Management immer weiter zu scheidung zwischen Mann und Frau Rechnung auf. Da es keine „Teilfrau- rigkeiten auslösen. Wenn nicht die Sa-
Die Schließung des Werkes US-amerikanische Mutter Gene- en“ gibt, muß bei zwölf oder sechzehn che, sondern die Quote entscheidet,
kommt nach 52 Jahren. Im Juli ral Motors befindet sich selber seit Aufsichtsratsmitgliedern auf vier bezie- könnte jemand auch fordern, daß 30
1963 war in Bochum der erste Jahrzehnten im Dauerniedergang, hungsweise fünf Frauen aufgerundet Prozent aller Strafgefangenen Frauen
Opel Kadett A produziert worden. mußte zwischenzeitlich sogar Insol- Startups kommen ohne Frauen aus werden, die Frauenquote beträgt bei sein müßten.
Fast 12.000 Arbeiter standen da- venz anmelden, berappelt sich jetzt zwölf Aufsichtsratsmitgliedern nicht
mals bei Opel in Lohn und Brot, zwar wieder, aber irgendwo mußten Die Vorgaben zur Quote beziehen sich Anders sieht die Struktur bei Firmen- 30, sondern 33,3 Prozent, bei sech- Firmen werden zum Objekt
später waren es sogar 20.000. Zu Bauernopfer gebracht werden – und zunächst nur auf Konzerne, bei denen gründungen aus. Eine britische Studie zehn Mitgliedern 31,25 Prozent. Die von Gesellschaftspolitik
Spitzenzeiten liefen im Jahr 250.000 eines davon war Bochum. durch diverse Mitbestimmungsregeln über Startups ergab: Ihre Führungsrie- Unternehmen werden also in diesem
Fahrzeuge vom Band. Für die Stadt Bochum und das der Staat sowieso in die Personalpoli- gen sind von Männern dominiert. In Punkt ohne sachlichen Grund ungleich Drittens: Was hier politisch abläuft,
Die Schließung des Werkes folgt Ruhrgebiet ist das eine ganz schlech- tik eingreift. Sie haben teilweise schon den 100 am schnellsten wachsenden behandelt. ist ein fundamentaler Eingriff in die
einem Untergang auf Raten. Vor te Nachricht, weil in Bochum die längst mit eigenen Frauenförderpro- Firmen Englands sind 8,4 Prozent al- Zweitens: Paritätisch mitbestimmte bisher freie deutsche Marktwirtschaft.
zwölf Jahren hatten in Bochum Arbeitslosigkeit sowieso schon bei grammen begonnen und erfüllen die ler Vorstandsposten an Frauen verge- Aufsichtsräte bestehen je zur Hälfte aus Die Unternehmen werden wie früher
noch fast 11.000 Menschen gear- zehn Prozent liegt und kein großer, Quote schon fast. Je staatsnäher, de- ben. Bei FTSE-100-Firmen (vergleich- Vertretern der Anteilseigner und der Ar- in der DDR zum Gegenstand staat-
beitet, acht Jahre danach waren es neuer Arbeitgeber in Sicht ist. Na- sto eher. Es gibt auch keinen nennens- bar dem Dax) beträgt die Quote 22,8 beitnehmer. Die Anteilseignervertreter licher Gesellschaftspolitik. Wichtig
noch 5.170, bis Dezember waren es türlich zeigen sich auch hier wieder werten Widerstand. Siemens-Chef Joe Prozent. Trilby Rajna von der Firma Ap- werden von der Hauptversammlung ist nicht mehr der wirtschaftliche
noch ganze 3.500. Die meisten da- einmal die eklatanten Versäumnisse Kaeser hatte bereits 2013 in einem Akt proved Index, die die Untersuchung gewählt. Die Arbeitnehmervertreter Erfolg, sondern die Realisierung von
von wechseln jetzt für zwei Jahre in der Politik: Obwohl seit Jahren klar der Selbstgeißelung eine Frauenquote durchgeführt hat, war entsetzt: „Diese zerfallen in Arbeitnehmer aus dem Zwangsvorstellungen. Führungskräfte
eine Transfergesellschaft, wo sie mit ist, daß Opel schließen wird, wur- gefordert, falls die Wirtschaft es nicht Firmen werden für ihre Pionierleistun- Unternehmen und in Vertreter der ausschließlich nach dem Geschlecht
Gehaltseinbußen rechnen müssen. den weder neue Betriebe noch neue schaffe, mehr Frauen in Toppositionen gen gefeiert, aber ihre Firmenphiloso- Gewerkschaften. Sie werden von De- zu bestimmen, ist Systemveränderung
Haben sie während dieser zwei Jahre Branchen in der Region angesiedelt. zu holen. phie ist nicht fortschrittlich.“ (rg) legierten der Belegschaft gewählt. Nach in Richtung eines neuen Sozialismus.

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Vorname/Name Harald Trabold Thomas Picketty Ulrich Horstmann

Kapital Macht Politik Das Kapital im 21. Jahrhun- Zurück zur sozialen
Straße/Nr. (Kein Postfach) Die Zerstörung der Demokratie dert Marktwirtschaft!
In den westlichen Demokratien Warum sich Ludwig Erhard Ein finanzpolitisches Experiment, das es
herrscht nicht das Volk, sondern Die politische Ökonomie im Grabe umdrehen würde so noch nicht gegeben hat, wird immer
PLZ/Ort
umkreist die Fragen nach der
JF-BD-51/2014

das Kapital. Lobbyisten steuern Die biologische Evoluti -

die Gesetzgebung zum Wohl Konzentration von Wohlstand,
on und die soziale Entwick- absurder. Der FDP-Politiker Frank Schäffler
der Konzerne, PR-Agenturen der Entstehung von Ungleich-
Telefon E-Post
heit und den Chancen für Wachs-
lung führten zur Ausbildung war einer der wenigen Bundestagsabge-
machen Kapitalismus-Propa- immer höherer Freiheitsgrade
ganda, die Unterhaltungsindu- tum. Thomas Piketty verwertet ordneten, die sich den „alternativlosen“
der Individuen. Wir stehen
Datum/Unterschrift
strie stellt das Volk ruhig. Den- erstmals Daten aus 20 Ländern
heute am Scheideweg: Gera- Rettungsschirmen entgegengestellt haben.
Deutschland: Versandkostenfrei bei Bestellungen ab EUR 50,–. Bei Bestellungen unter EUR 50,– beträgt
noch ist es noch nicht zu spät und verdeutlicht, wie Wirtschaft
der Versandkostenanteil EUR 3,20. Postalisches Ausland: Belieferung nur gegen Vorkasse! Bei Liefe-
de Freiheit und Individualis-
zur Umkehr! und Sozialordnung wirklich funk- Doch der Kampf fängt erst richtig an!
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Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
Nur Bayern kam
glimpflich davon
Hypo Alpe Adria: Neuer
Untersuchungsbericht vorgelegt
LUKAS STEINWANDTER
E nde März hat der Ministerrat der
Republik Österreich wegen der
Hypo Group Alpe Adria (HGAA) die
Einsetzung einer „Unabhängigen Un-
tersuchungskommission“ beschlossen
(JF 13/14). Dieses fünfköpfige Gre-
mium unter der Leitung der ehema-
ligen Präsidentin des Obersten Ge-
richtshofes Irmgard Griss, hat am 3.
Dezember seine Ergebnisse vorgelegt.
Der Prüfbericht geht mit Bund und
Land (Kärnten) hart ins Gericht. „Die
Vorkommnisse rund um die HGAA
sind von Fehlentwicklungen und
Fehlleistungen auf Landes- und auf
Bundesebene gekennzeichnet“, heißt
es in dem Dossier.
Schonungslos werden auf 394 Sei-
ten die vier Lebensphasen der HGAA
nachgezeichnet und analysiert: von
der durch Großmannssucht getriebe-
nen Expansion in südosteuropäische
Länder, die ohne Landeshaftung nicht
möglich gewesen wäre, über den Kauf
durch die Bayerische Landesbank im
Jahr 2007 und die als „alternativlos“
bezeichnete „Not-Verstaatlichung“
durch die Republik, bis hin zur Um-
setzung derselben, bei der „eine klare
Strategie“ fehlte.
Bereits in der ungebremsten Ex-
pansion der Kärntner Regionalbank
sieht die Prüfkommission „Fehllei-
stungen“: Die für das Land und die
Bank nicht tragbaren Risiken durch
die Expansion seien unübersehbar
gewesen. Auf ihrem Höchststand im
Jahr 2007 betrug die Landeshaftung
rund 23 Milliarden Euro – das Zehn-
fache der Landeseinnahmen. Deshalb
liege hier ein klarer Fall von „moral
hazard“ (zu deutsch: nicht vertretbares
moralisches Risiko) vor.
Das Land rechnete offenbar da-
mit, daß der Bund einspringen wür-
de, sollte der Schadensfall tatsächlich
eintreten. Dadurch bestand aus Sicht
der Landespolitiker kein Grund, das
Risiko zu drosseln und damit auf
mögliche Einnahmen zu verzichten,
so die Experten weiter in ihrer Un-
tersuchung. Auch die Bank selbst
wird angeprangert. Schließlich sah
sie keinen Anlaß, das Wachstum zu
mäßigen, „weil sie sich durch die Lan-
deshaftung zu günstigen Bedingungen
refinanzieren konnte und die Höhe
der Haftungsprovision die Risiken
nicht angemessen widerspiegelte“.
Nachdem die krisenhafte Entwick-
lung der Bank Ende 2009 endgültig
offenbar wurde, hätten es die Entschei-
dungsträger des Bundes unterlassen,
„die rechtlichen Rahmenbedingungen
ausreichend zu prüfen und strategisch
vorzugehen“. Der Prüfbericht zeige in
allen Einzelheiten auf, wie erschrek-
kend „amateurhaft und sachlich un-
bedarft“ die politischen Akteure in
der Causa vorgingen, wie Griss bei
der Präsentation erklärte.
Auch die Bayerische Landesbank
(BayernLB) tat ihr Übriges: Im Prüf-
bericht wird daran erinnert, „daß die
BayernLB die Bank ‘um jeden Preis’
haben wollte“, obgleich sie um die
aussichtslose Lage der HGAA wuß-
te. In Summe investierte sie fast acht
Milliarden Euro in das Karawanken-
Abenteuer. Für Bayern war der Ein-
stieg in die Hypo also nicht nur die
letzte Chance, in die Wachstums-
märkte Ost- und Südosteuropas zu
investieren. Gleichzeitig hätte eine
Insolvenz der Hypo auch München
unweigerlich hinabgesogen.
Es folgte die Verstaatlichung,
woraufhin die BayernLB ihre Hypo-
Mehrheit von 67,08 Prozent für einen
symbolischen Preis von einem Euro an
Österreich abtrat. Während Bayern
damit glimpflich davonkam, wurde
die Causa für Österreich zum Desa-
ster. Die Untersuchungskommission
stellt fest, daß die als „Notverstaatli-
chung“ titulierte Übernahme durch
den Bund gar nicht alternativlos war.
„Dem Bund kann nicht zugebilligt
werden, daß er seine Entscheidungen
als Alleineigentümer der Hypo zum
Wohle der Bank und der Allgemein-
heit getroffen hat“, faßt das Dossier
zusammen, welches nun als Basis für
einen parlamentarischen Untersu-
chungsausschuß dienen könnte.
Währenddessen versucht die staatli-
che Bankbeteiligungsgesellschaft Fim-
bag die Einzelteile der HGAA zu ver-
kaufen. Auch eine planmäßige Insol-
venz ist im Gespräch. Dafür hat sich
der Fimbag-Chef Hannes Androsch
vor einer Woche ausgesprochen.
FOTO: 11 BIT STUDOIS
Spielszene aus „War of Mine“: Gefahren eines realistischen Katastrophenszenarios, von denen auch der Normalbürger etwas lernen kann
Fukushima kann es auch bei uns geben
Überlebenskunst: So bereiten sich Profis finanziell und psychisch auf einen möglichen Katastrophenfall vor
HENNING LINDHOFF
W
enn es ums Überleben geht,
werden alle Ideologien irre-
levant. Dann sind wir alle
nur noch Menschen“, sagt heute Emir
Cemirovic. 1992, im zarten Alter von
neun Jahren, erlebte er die Belagerung
Sarajevos durch serbisches Militär, der
Tausende von Zivilisten zum Opfer fie-
len, am eigenen Leib. Cemirovic erinnert
sich: „Ich bin damals aufgewacht und
auf einmal besaß meine Familie nichts
mehr. Überall Kälte, Hunger und Ge-
walt.“ Und er weiß: „Dies könnte jedem
jederzeit passieren. Krieg und andere
Katastrophen geschehen tagtäglich auf
allen möglichen Erdteilen.“ Auf Grund-
lage seiner Erfahrungen und der Berichte
vieler weiterer ziviler Opfer aus urbanen
Konfliktzonen schufen die Programmie-
rer des polnischen Spieleentwicklers 11
bit Studios das Survival-Computerspiel
„The War of Mine“ (erhältlich im Inter-
net auf www.gog.com). Im Gegensatz
zu diversen bekannten „Killerspielen“
erfüllt der Spieler hier nicht als Soldat
kriegsentscheidende Missionen, sondern
schlüpft in die Rolle der Zivilisten an
einem Kriegsschauplatz. Und diese Auf-
gabe ist bedrückend. Das Zusammenle-
Lars Konarek:
Überleben in Kri-
sen und Kata-
strophenfällen.
Leopold Stocker
Verlag, Graz 2014,
broschiert,
232 Seiten,
24,95 Euro
Wer spekuliert beim Öl gegen wen?
Rohstoffe: Der Ölpreis-Verfall lädt zu vielen Erklärungen ein, warum dies gerade jetzt geschieht
ALEXANDER BAGUS
G erüchte beherrschen die globalen
Rohstoffmärkte: Die Amerikaner
ruinieren den Ölpreis, fürchten die Rus-
sen. Ziel der USA sei es, Rußland in
den Bankrott zu treiben, wie die UdSSR
in den 1980ern. So stellen es Nikolaj
Patruschew, Sekretär des Nationalen Si-
cherheitsrates, und das Russische Institut
für Strategische Studien (RISS) dar.
Immerhin: Die Öl- und Gasexport-
einnahmen machen circa die Hälfte des
Staatshaushalts aus und sind mit 100
Dollar pro Faß Öl kalkuliert. Doch
der Ölpreis pendelte zu Wochenbeginn
nur noch bei 68 Dollar. Die russischen
Staatsausgaben steigen jedoch wegen der
Ukraine-Krise und der Wahlversprechen
Putins. Nun sorgten die USA gemein-
sam mit Saudi-Arabien gezielt dafür, daß
der Ölpreis niedrig bleibe, indem mehr
produziert wird. Auch der Wertverfall
des Rubels gehöre dazu. Dies ist zumin-
dest ein Teil der russischen Binnensicht.
ben ist gezeichnet von permanentem
Mangel, Hunger, Krankheit, Gefahr und
der ständigen Verzweiflung. Ein wirklich
erlösendes Ziel verfolgt der Spieler nicht.
Es geht nur darum, so lange wie möglich
zu überleben.
Das bislang in seiner Form einzigarti-
ge Spiel hat verschiedene Rückmeldun-
gen provoziert. Es gilt vielen als Appell
wider den Krieg und manchen als Auf-
ruf, sich politisch gegen kriegslüsterne
Politiker zur Wehr zu setzen. Doch auch
der heute schon für den Untergang der
westlichen Zivilisation planende Sur-
vivalist kann aus dem Computerspiel
seine Schlüsse ziehen. Für ihn stellt es
eine Simulation dar, die ihn mental
auf das vorbereiten kann, was da Böses
kommen wird: keine herbeiphantasier-
ten Zombiehorden, sondern die realen
Gefahren eines realistischen Katastro-
phenszenarios.
Steckenbleiben im Aufzug
ist schon schlimm genug
Dieses Ziel der Vorbereitung hat
sich auch Lars Konarek gesteckt. Denn
in Survival-Situationen könne jeder
Mensch sehr schnell geraten. Ob mit
einem Knöchelbruch während einer
Bergwanderung, mit defektem Boots-
motor auf der Nordsee oder für mehrere
Stunden ohne Lebensmittel in einem
defekten Aufzug. Der Buchautor hat
beobachtet, wie sehr der Respekt der
Menschen vor der Natur und ihren Ge-
fahren, aber auch das Wissen über den
Nutzen von Flora und Fauna für den
einzelnen ist. Erschreckend sei der allge-
meine Verlust des Bewußtseins für den
eigenen Körper und dessen Fähigkei-
ten. Bedauerlich, denn gerade während
Anderer Auffassung ist Igor Schuwa-
low, stellvertretender russischer Mini-
sterpräsident. Er beruft sich auf Exper-
ten, die hinter der hohen Fördermenge
durch die erdölproduzierenden Staaten
(OPEC) die Strategie sehen, das mittels
Fracking gewonnene US-amerikanische
Öl vom Markt zu drängen. Der niedrige
Ölpreis also kein Angriff der Amerika-
ner, sondern ein Angriff auf die Ameri-
kaner? Rußland solle nach Schuwalows
Ansicht derzeit die Produktion jeden-
falls nicht drosseln.
Angriff der USA oder
Angriff auf die USA
In den letzten Jahren sind die Verei-
nigten Staaten aufgrund des Frackings
zum Ölexporteur aufgestiegen. Sie
gehören so mit Rußland und Saudi-
Arabien zu den drei größten Erdölpro-
duzenten. Doch ob der jetzige Preis-
verfall den USA wirklich so schadet,
ist fraglich. Laut Berichten liegen die
Produktionskosten für ein Faß Öl aus
einer Katastrophe könne der Mensch
Unglaubliches vollbringen: „Wenn Sie
denken, Sie seien an der Grenze, sind
Sie noch lange nicht an der Grenze.“
Das hat Lars Konarek in vielen Ex-
tremsituationen auch am eigenen Leib
erlebt. Heute gibt er praktische Überle-
benstips. Das Überleben beginnt nach
seiner Einschätzung bereits im Alltag:
mit der körperlichen Abhärtung, der
gesunden Lebensweise, der psychischen
Vorbereitung und mit der Bildung hel-
fender Netzwerke.
Einen konkreten Einstieg in die
Vorbereitungen zum Überlebenskampf
stellt das Notgepäck dar. In einen Ruck-
sack für den Notfall gehören die grund-
legenden Gegenstände wie Kleidung,
Wasser, Feuerzeug, Taschenlampe, Seife,
Brennstoff, Messer, Proviant und Ver-
bandszeug. Doch viel wichtiger als das
Materielle seien die psychologischen
Eigenschaften und Fertigkeiten, so
Konarek. Denn „schon Kleinigkeiten
können die Laune im Ernstfall enorm
heben oder auch absenken. Es ist wich-
tig, mental ausgeglichen zu sein.“
Überlebenswichtig seien im Kri-
senfall neben ausreichendem Schlaf
genügend Wasser, Nahrung und Wärme
auch ein geregelter Tagesablauf, straffe
Disziplin und Übungen zur Streßbewäl-
tigung. In finanzieller Hinsicht gelte im
Krisenfall: Nur Bares ist Wahres. Eine
Regel, die auch heute schon, vor dem
Hintergrund der Auflösung des Bank-
geheimnisses und des Ausbaus des nicht
zuletzt auch steuerpolitischen Über-
wachungsstaates, Anwendung finden
sollte. Spätestens nach einer Katastro-
phe wird sich dieser zunächst salopp
formulierte Spruch als schonungslose
Wahrheit herausstellen.
North Dakota, dem US-Bundesstaat, in
dem das meiste Öl gefördert wird, bei
38,50 Dollar. Selbst bei einem Ölpreis
von 42 Dollar betrage der Gewinn für
die Unternehmen gut zehn Prozent und
sei damit attraktiv.
Laut dem Experten Tim Mullaney
verspekuliere sich Saudi-Arabien, das
fälschlicherweise annehme, die Produk-
tionspreise seien höher. Tatsächlich ha-
ben diese aber das Potential, noch deut-
lich unter die 38,50 Dollar zu fallen.
Auf reason.com betrachtet Ronald
Bailey die derzeitige Entwicklung als ei-
nen weiteren Wirtschaftszyklus. „In die-
sem führen niedrige Preise zu niedrigen
Investitionen in Erkundung, Produk-
tion und Technologie, was dann wie-
derum in höhere Preise und verstärkte
Investitionen in Technologie mündet.
In der Folge gibt es dann wieder höhere
Produktion und niedrigere Preise und so
weiter.“ Für die Zwischenzeit empfiehlt
er, „sich über den billigen Sprit zu freu-
en und die fiskalischen Schmerzen der
weltweiten bösen Buben zu genießen“.
W I R T S C H A F T | 11
Schließlich hat sich in allen Kriegen
und Krisen gezeigt, daß sich Bargeld ne-
ben diversen Konsum- und Gebrauchs-
gegenständen als wertvolles Tauschmittel
eignet. Auch im Fluchtgepäck sollte daher
Platz für Münzen, Scheine, aber auch für
echtes Geld, das heißt kleine Gold- und
Silbermünzen, reserviert werden. Und wie
so oft in Sachen Geldanlage gilt auch hier
die Faustregel der Diversifikation. Tragen
Sie im Notfall also nicht all Ihre Schätze
im Rucksack, sondern einen gehörigen
Teil auch am Körper. Und achten Sie auf
kleine Scheine. Zudem könnte sich auch
ein gewisser Bargeldbestand in den Wäh-
rungen der Nachbarländer als von Vorteil
erweisen, so Konarek. Schließlich könne
man nie wissen, wie weit die Flucht im
Ernstfall führen muß.
Disziplin unerläßlich
im Überlebenskampf
Doch werden wir wohlig warm gebet-
teten Westeuropäer solcherlei Kenntnisse
und Fähigkeiten überhaupt jemals wirk-
lich nutzen müssen? Ja. Joel Skousen,
Bruder des libertären Ökonomen Mark
Skousen, ist sich da sicher. In seinem
Newsletter „World Affairs Brief“ ana-
lysiert er die geopolitische Großwetter-
lage und gibt regelmäßig Hinweise zur
Krisenvorbereitung. Skousen rät zum
Aufbau nachhaltiger finanzieller Ressour-
cen, zur Stärkung der eigenen Autarkie
von den Versorgungssystemen und vor
allem auch dazu, sich von ideologisch
gefärbten Gruppen fernzuhalten. Diese
endeten stets mit einem starken Führer
und Ego-Problemen. Vertrauen in die
Mitmenschen sei im Ernstfall wichtiger
als ideologische Reinheit. Emir Cemirovic
wird dies bestätigen können.
Frankreich: Privatanleger
meistens erfolglos
PARIS. Nur elf Prozent der Pri-
vatanleger haben an Terminmärk-
ten Erfolg. Das ist das Ergebnis
einer Studie der französischen
Finanzmarktregulierungsbehör-
de. Demnach haben 89 Prozent
der Hobby-Börsianer Verluste er-
wirtschaftet – und zwar im Schnitt
11.000 Euro. Für die Studie sind
16 Millionen Transaktionen von
15.000 französischen Privatanle-
gern in einem Zeitraum von vier
Jahren analysiert worden. Die Ver-
luste summierten sich dabei auf
160 Millionen, während die Ge-
winne nur 14 Millionen ausmach-
ten. Diese Zahlen untermauern
die Anlegerweisheit, wonach 90
Prozent aller Trader verlieren. (rg)
Steuerzahler kritisieren
Bundeshaushalt 2015
BERLIN. Der Bund der Steuer-
zahler (BdSt) hat die Regierung
aufgefordert, die Abkehr von der
Schuldenpolitik dauerhaft ernst zu
nehmen. „Die Gefahr ist groß, daß
ohne substantielle Einsparungen
erneut Schulden aufgenommen
werden müssen, um den Haus-
halt auszugleichen“, warnte Ver-
bandschef Reiner Holznagel. Die
schwarz-rote Regierungskoalition
habe sich mit diversen Umschich-
tungen die „schwarze Null“ zu-
rechtgebogen, so Holznagel weiter.
Der BdSt sieht ein Einsparpoten-
tial von 20 Milliarden Euro und
fordert unter anderem mehr Geld
für die Infrastruktur, die unterfi-
nanziert sei. (rg)
Deutsche kauften im
November mehr Gold
FRANKFURT AM MAIN. Die
Deutschen haben im November
15 Tonnen Gold im Wert von 450
Millionen Euro gekauft. Dies geht
aus Schätzungen des Goldhänd-
lers Degussa hervor. Damit lag
der Umsatz vierzig Prozent über
dem Monatsdurchschnitt 2014.
Degussa hatte seinen umsatzstärk-
sten Monat seit 2011. Wichtigstes
Kaufmotiv für institutionelle und
private Investoren sei immer noch
die Unsicherheit bezüglich der
weiteren Entwicklung der Finanz-
märkte, sagte Degussa-Sprecher
Wolfgang Wrzesniok-Roßbach. Es
würden jedoch keine Panikkäu-
fe registriert, sondern Umschich-
tungen zugunsten des Edelmetalls,
nicht zuletzt auch durch viele An-
leger, die zuvor noch nie Gold be-
sessen haben. (rg)
Zahl der Woche
Drei Milliarden Euro
beträgt die Summe, mit
der die Bundesregierung
weitere Wärmedämmungs-
projekte fördern will.
Wachsenden Zweifeln an
der Sinnhaftigkeit immer
neuer Styroporplatten zum
Trotz setzt sie weiterhin auf
angebliche Einspareffekte.
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auch im JF-
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12 | H I N T E R G R U N D
Besuch am Absturzort von Flug MH17: Auch Monate nach dem Abschuß liegen Wrackteile auf den Feldern in der Ostukraine / Zeugen für Raketenstart gesucht
BILLY SIX, GRABOWO
E
s herrscht Totenstille auf den
hügeligen Feldern, die durch
den Absturz der Boeing 777
von Malaysia Airlines am 17.
Juli traurige Berühmtheit erlangt ha-
ben. Aus weiter Ferne schallt das dumpfe
Dröhnen von Bombeneinschlägen. Ab
und an ist Hundegebell zu hören.
298 Insassen, darunter 80 Kinder, ka-
men hier ums Leben. Lange Zeit sahen
sich Ermittler und OSZE-Beobachter
nicht in der Lage, auf dem Territorium
zu arbeiten, nachdem Vorstöße der ukrai-
nischen Armee mitten ins Rebellengebiet
zu schweren Kämpfen geführt hatten.
Heute ist die Front gute zehn Kilo-
meter entfernt. Mitte November wurden
die großen Bruchstücke geborgen – und
unter Aufsicht ukrainischer Behörden in
Zugwaggons nach Charkow gefahren.
Per Lastwagen befinden sie sich nun
auf dem Weg in die Niederlande, die
als Staat mit dem höchsten Blutzoll die
Ermittlungsführung an sich genommen
haben. Hier soll das Wrack neu zusam-
mengesetzt – und die Absturzursache
konkret benannt werden. Das bisherige
Ergebnis im vorläufigen Bericht der nie-
derländischen Untersuchungskommis-
sion, das zu erkennen gibt, „eine große
Zahl energiereicher Objekte“ habe die
Pilotenkabine von außen „durchschla-
gen“, bietet keine konkrete Antwort auf
die Frage der Täterschaft (JF 39/14).
Immer wieder fallen die
Sauerstoffmasken ins Auge
Besuch vor Ort. Nur ein Taxifahrer
erklärt sich bereit, für Normalpreis an
die Absturzstelle zu fahren. 20 Kilometer
sind es von Tores, benannt nach dem
französischen Kommunisten Maurice
Thorez, zum Ort des Geschehens. Der
Gegenverkehr ist mäßig, doch es gibt
auch einen öffentlichen Bus.
„Opolschenze“, die ostukrainischen
Rebellen, haben zwei Kontrollposten
auf der Strecke. Die jeweils zwei mit
Kalaschnikows bewaffneten Kämpfer
handhaben die Kontrollen zügig und
freundlich. Nach Ankunft auf der linken
Nebenpiste, die einen Kilometer weiter
zum 500-Seelen-Ort Grabowo führt,
tritt der Chauffeur sofort den Heimweg
an. Für mehrere Stunden bin ich mut-
terseelenallein in einer bis zum Horizont
reichenden Landschaft aus Äckern und
Waldstreifen, die in der Ferne in diesi-
gem Nebel verschwimmt.
Noch immer sind zahlreiche Trüm-
merteile zu sehen. Am Asphaltrand sind
kleinere Stücken zu Haufen zusammen-
getragen worden, darunter Sitze und
Metallplatten. Daneben: eine Fläche
verbrannter Erde, Folge der Explosion,
die, wie Videomitschnitte und Zeugen-
aussagen belegten, erst am Boden statt-
fand. Am Rande der schwarz verrußten
Metallreste, bedeckt vom ersten Schnee,
behaupteten angesengte Bücherseiten
ihren Platz zwischen den toten Gras-
büscheln. Immer wieder fallen auch
die gelb-weißen Sauerstoffmasken ins
Auge, die durch den Druckabfall offen-
bar noch ordnungsgemäß ausgeworfen
wurden.
Die JF im Urlaub.
Kundennummer:
(Siehe Adressaufdruck auf der Zeitung)
Meine Heimatadresse lautet
Vorname/Name
Straße/Nr.
PLZ/Ort
Ich möchte auch im Urlaub auf die JF nicht
verzichten.
Senden Sie die JF in der Zeit von
Meine Urlaubsadresse lautet
Vorname/Name
Straße/Nr.
PLZ/Ort
Land

Datum
Ausschneiden und absenden an:
Unterschrift
JF Leserdienst · Hohenzollerndamm 27 a · 10713 Berlin · Fax 030-86 49 53 50
Telefon: 030-86 49 53 25
Friedhof geräumt, Fragen bleiben
Nach mehreren Kilometern Fuß-
marsch offenbart sich, daß das von
den Medien gezeichnete Bild einer
Wrackzone von 35 Quadratkilome-
tern den außenstehenden Beobachter
verwirren muß. Tatsächlich existieren
zwei Absturzstellen: Die Pilotenkanzel
wurde durch den Beschuß abgetrennt
und stürzte wie eine Raumkapsel in
die Tiefe. Sie prallte bei Rossypne auf,
nur 2,3 Kilometer vom letztbekannten
Flugpunkt entfernt. Weitere Bugsplitter
kamen im Nachbardorf Petropavlivka
nieder. Der Rest der Boeing 777 segelte
anschließend wie eine offene Konserven-
dose in die Tiefe. Bei Grabowo schlug
die MH17 dann samt Flügeln auf. Die
Maschine zerbrach erst unmittelbar vor
der Explosion. Der größte Teil der Über-
reste ging auf einer Linie von gerade mal
400 Metern nieder.
In Kiew marschierten damals noch
am selben Abend Hunderte, vielleicht
gar Tausende zur holländischen Bot-
schaft, um ihrer Trauer Ausdruck zu
verleihen. Berge voll Blumen. Im „UA-
Crisis-Center“, dem regierungsnahen
Nachrichten-Generator im „Hotel
Ukraine“ begann am folgenden Morgen
eine koordinierte Informationskampa-
gne. Unter dem bis heute gültigen Motto
„Prorussische Terroristen auf frischer Tat
ertappt“ gaben sich Geheimdienstchef
Naliwaitschenko, führende Militärs so-
wie Minister und Luftfahrtexperten die
Klinke in die Hand. Hunderte Journa-
listen übertrugen die Stellungnahmen.
Tenor: Die Separatisten hätten mit
einer aus Rußland gelieferten „Buk“-
Raketenbatterie das malaysische Passa-
gierflugzeug versehentlich vom Himmel
geholt, da sie es für ein Militärflugzeug
gehalten hätten. Auf eine entscheiden-
de Frage wurde schon damals nicht
eingegangen: Wenn „nur Experten“ in
der Lage seien, das Flugabwehr-System
sowjetischer Produktion zu bedienen,
aus welchem Grunde haben diese mit
Hilfe des Radars nicht den Unterschied
zwischen ziviler und militärischer Ma-
schine feststellen können? Die Frage ist
in mehrfacher Hinsicht heikel: Bereits
der Absturz von Sibir-Flug 1812 über
dem Schwarzen Meer im Oktober 2001
wurde von den Ukrainern zähneknir-
schend als versehentlicher Abschuß
durch eine Boden-Luft-Rakete bei ei-
nem Marinemanöver eingeräumt – und
später wieder bestritten. Aufgeklärt ist
bis heute nichts: Die meisten Trümmer,
inklusive Flugschreiber, sind versunken.
Im Fall von MH-17 ist man weiter.
Ganz so nichtssagend, wie seine Geg-
ner behaupten, ist der 34 Seiten starke,
vorläufige Untersuchungsbericht aus
Holland nicht. Das Gerücht, die Luft-
raumüberwachung von Dnipropetrowsk
habe die Maschine bewußt ins Kriegsge-
biet geleitet, wurde widerlegt. Die Besat-
zung selbst bat demnach wegen absehbar
schlechten Wetters um ein Abweichen
von der regulären Route. Der Abstand
betrug am Ende nur 3,6 nautische Mei-
len. Der Flug hätte so oder so über dem
umkämpften Gebiet stattgefunden.
Inzwischen ist es dunkel geworden
– und klirrend kalt. Am ersten Haus
von Grabowo schenkt Familie T. einen
heißen Tee aus. Vater T. war anwesend,
als am 17. Juli unvermittelt „der Him-
mel einstürzte“. Seine Identität möchte
Ich möchte während meiner Abwesenheit die JF
an Freunde, Verwandte oder Bekannte senden
lassen.
bis bitte an
Über die JF würde sich freuen
Vorname/Name
Straße/Nr.
PLZ/Ort
Genießen Sie auch
im Urlaub Ihre FREIHEIT.
er aus Sorge um die Familie nicht ver-
öffentlicht sehen. Nur soviel: Als ehe-
maliger Angehöriger der Luftabwehr
PVO wisse er, daß die „Buk“-Rakete
eine Rauchsäule am Himmel hinterlas-
se. Doch niemand in der Region habe
derartiges beobachtet.
„Njet“, bestätigen auch zwei in der
Gegend arbeitende Taxifahrer, die viel
mit Menschen zu tun haben. Wäre
MH17 von einer „Buk“ getroffen wor-
den, so Militärexperte Carsten Bothe
gegenüber der JF, dann hätte der Kon-
densstreifen „bestimmt zehn Minuten
am Himmel gestanden“. Außerdem
verursache die Rakete, so der ehemalige
Bundeswehr-Ausbildungsoffizier, „einen
infernalischen Lärm und einen Über-
schallknall“. Die Oblast Donezk gehört
zu den dichtbesiedelten Gegenden der
Ukraine. Deshalb kursieren auch meh-
rere Videos, die am Absturztag spontan
aufgenommen wurden. Sie alle zeigen
ausschließlich Rauch, der vom Boden
aufsteigt. Und auf die versprochenen
Satellitenbeweise aus den USA wartet
die Öffentlichkeit bis heute.
Eindeutig dokumentiert wurden
dagegen Einschüsse im Dach der Pilo-
tenkanzel. Carsten Bothe: „Die Löcher
im Cockpitboden sind von innen nach
außen gebördelt, das Flugzeug wurde
entweder von oben beschossen oder
flog auf dem Rücken.“ Auch die Rakete
explodiert in einigen Metern Abstand
zum Ziel – und verteilt großzügig Me-
tallsplitter.
Donezker Volksrepublik
beweint die Opfer“
Am nächsten Tag ist der Winter-
einbruch perfekt. Die Einwohner von
Grabowo sammeln die verbliebenen
Flugzeugreste auf einen Lastwagen. Im
Frühjahr soll hier ein neues Leben be-
ginnen können. Bürgermeister Wladimir
Berezhnoy: „Eine Delegation ist vor ei-
ner Woche gekommen. Sie haben alles
genommen, was wichtig war. Den Rest
überließen sie uns zur Verwertung.“ Die
niederländische Flugsicherheitsbehörde
Dutch Safety Board bestätigt diese Anga-
ben in einer telefonischen Anfrage der JF.
Während die Spuren am Tatort ver-
schwinden, bittet Rebellenkämpfer
Nikolay in seinen tarnfarbenbemalten
Geländewagen. „Ich zeig dir was“, sagt
der 38jährige, der vor dem Krieg Bau-
leiter gewesen ist. Bewaffnet mit Ka-
laschnikow, Panzerfaust und mehreren
Handgranaten fährt er nach Snischnoje
(Snezhnoe), eine Kleinstadt einige Ki-
lometer weiter. „Am 15. Juli“, so führt
er aus, „hat uns die ukrainische Armee
hier aus der Luft bombardiert.“ Ein
großes Wohngebäude – aufgerissen wie
ein erjagtes Tier. Das war zwei Tage vor
MH17. Nikolay und sein Freund Alexej
haben Freunde und Verwandte hier. Kei-
ner verstehe den Sinn dieser Attacke. Der
angreifende Jet sei „im Tiefflug auf die
Zivilbevölkerung gestürzt“. Unmittelbar
südlich von Snischnoje soll nach Anga-
ben der US-Regierung am 17. Juli die
„Buk“-Rakete abgefeuert worden sein.
Daß an jenem Tag eine „Buk“-Ab-
schußrampe per Lkw durch die Region
transportiert wurde, haben Recherchen
der britischen Blogger von Bellingcat.
com glaubwürdig mit Bild- und Kar-
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51/14 | 12. Dezember 2014
FOTOS (3): BILLY SIX
tenmaterial aus dem Netz nachgewiesen. Bürgermeister Wladimir
Das investigative Portal ist die einzig Berezhnoy bei der Trüm-
bekannte Seite, die im Rebellengebiet merbeseitigung Richtung
gesperrt und nur über einen freien „ Recyclinghof“ (o.), Re-
„Proxy-Server“ zu erreichen ist. Dabei bellen-Straßenposten (r.)
hat auch Bellingcat den Abschuß nicht und Teile des Trümmer-
nachweisen können. feldes : Nach Auskunft des
„Wir waren es auch nicht“, insistiert niederländischen Dutch
der Chefvernehmer beim Nachrichten- Safety Board ging alles mit
dienst von Nikolays Gruppierung, dem rechten Dingen zu
„Bataillon Wostok“. Alle 30 Flugobjek-
te der Ukrainer, die sie vom Himmel
holten, hätten sich in Sichtweite befun-
den, so der 66jährige mit Tarnnamen
„Schachtjor“. Bei der verwendeten Waffe
habe es sich um „Peserka“ gehandelt,
Ein-Mann-Boden-Luft-Raketen. Mit
den neuen kommen wir bis zu fünf Ki-
lometer hoch“, so Schachtjor.
„Es war eine Provokation“, davon
sind viele Einwohner im Aufstandsge-
biet überzeugt. Der Feind habe MH17
mit einem Jagdflieger abgeschossen,
um den Vorfall den Rebellen anzula-
sten. Zeugen gebe es dafür angeblich
„Hunderte“. Doch keiner läßt sich auf
die Schnelle finden. Daß der Vorgang
in über 10.000 Metern Höhe durch die
leichte Wolkendecke hindurch vom Bo-
den aus zu sehen gewesen sein soll, läßt
sich allerdings schwer vorstellen.
Im Donezker Verwaltungsgebäu-
de, mit dessen Besetzung im April der Flugroute und Absturz von MH17
Aufstand im Donbass begonnen hatte,
hängen Trauerplakate: „Die Donezker WEISSRUSSLAND
Volksrepublik beweint die Opfer der Ka-
tastrophe von Boeing 777 der Malaysia RUSSLAND
Airlines, die als Ergebnis eines Kriegs-
Kiew
verbrechens der ukrainischen Armee
starben.“ Eine eigene Untersuchungs- UKRAINE Charkow
kommission, das stellt sich nach Ge- Luhansk GRAFIK
sprächen im Pressezentrum sowie beim Dnipropetrowsk
Abwehrdienst des Bataillons „Wostok“ Grabowo
Donezk
heraus, haben die Rebellen auch nicht. MOLDAWIEN von Rebellen
Die bisher vorgetragenen Erklärungen RUMÄNIEN am 17. Juli 2014
reichen nicht, um die 30 Millionen Euro gehaltenes Gebiet
einzukassieren, die von Unbekannten
als Kopfgeld bei der deutschen Detektei
„Wifka“ hinterlegt worden sein sollen. 100 km
Lassen Sie sich
Ihre Freiheit
nicht nehmen
Die JUNGE FREIHEIT setzt sich engagiert
für Presse- und Meinungsfreiheit ein. Sie
leistet so einen entscheidenden Beitrag für
die Demokratie. Profiliert in der Ausrich-
tung, berichtet sie wöchentlich über Politik
und Kultur aus Berlin für ganz Deutsch-
land. Sie nimmt sich die Freiheit, weiterzu-
berichten, wenn andere sich abmelden.
Nehmen Sie sich auch diese FREIHEIT.
Fotos: Pixelquelle: Klaus Uwe Gerhard, Daniel Stricker; JF
Lesen, was Sache ist.

W MEDIEN, Seite 17
Höhepunkt einer Medien-
Seifenoper: „Spiegel“ wirft
Wolfgang Büchner raus
Pankraz,
der Kinderblick und
das Spenderglück
V
orweihnachtszeit – Spen-
derzeit. Die Postkästen
quellen über von Brie-
fen, die um eine milde Gabe für
die Bedürftigsten der Bedürfti-
gen bitten: SOS-Kinderdörfer,
Unicef, Ärzte ohne Grenzen,
Deutsches Rotes Kreuz, Die
Sternsinger, Misereor, Brot für
die Welt, Deutsche Welthunger-
hilfe, Adveniat, Deutscher Ca-
ritasverband … Sie alle melden
sich in tadelloser Formulierung
zu Wort, herzergreifende Bilder
von hungernden kleinen Kin-
dern mit großen Augen sind bei-
gefügt nebst schon ausgefüllten
Überweisungsscheinen, auf de-
nen man nur noch die Summe
einsetzen muß.
Im Fernsehen gibt es präch-
tigst arrangierte „Spenderaben-
de“ unterm Weihnachtsbaum.
Singende und Spaß machende
Superstars wechseln sich ab, da-
zwischen Politiker und andere
Promis, die an unsere Spenden-
bereitschaft appellieren, mild
mahnende Kirchenleute, gut
gelaunt polternde Comedians
– und in präzis kalkulierten
Abständen immer wieder Bil-
der aus den Schreckenszonen
dieser Welt, von Projektoren
überlebensgroß an die Wände
geworfen: die hungernden klei-
nen Kinder, ihre ratlos blicken-
den großen Augen.
Die Deutschen lieben solche
zwischen äußerer Pracht und
weichem Herzen pendelnden
„Wohltätigkeitsveranstaltun-
gen“. Sie sind Weltmeister nicht
nur im Fußball, sondern auch
im Spenden, vor allem in der
Weihnachtszeit. Die Deutsche
Gesellschaft für Konsumfor-
schung hat jüngst – wie könn-
te es anders sein – eine Studie
über die „Bilanz des Helfens“
in Auftrag gegeben, und dieser
Bilanz zufolge sollen im vorigen
Jahr inklusive der Weihnachts-
zeit über sechs Milliarden Eu-
ro gespendet worden sein. Für
2014 erhofft man sich eine deut-
liche Steigerung dieser Summe.
E
s läßt sich nicht mehr
übersehen: Der Zug zur
Wohltätigkeit hat eine re-
gelrechte Wohltätigkeitsindu-
strie hervorgebracht, mit unzäh-
ligen Bürokraten und weiteren
festangestellten Arbeitnehmern.
Hierzulande gibt es mittler-
weile rund 70.000 eingetrage-
ne gemeinnützige Vereine vom
Schlage SOS-Kinderdörfer und
an die 15.000 einschlägige Stif-
tungen, wobei deren „Gemein-
nützigkeit“ keineswegs immer
klar einzuschätzen ist. Auch die
ordnungsgemäße Verwendung
der von ihnen eingesammelten
Spenden ist kaum kontrollier-
bar, aller behördlich ausgestell-
ten „Spendensiegel“ zum Trotz.
Was heißt überhaupt „ge-
meinnützig“? Der Begriff der
Spende fällt nicht darunter, er
ist dem deutschen Zivilrecht un-
bekannt. Handelt es sich um ei-
ne „Schenkung“? Oder um eine
„Zuwendung“? Kann der Spen-
der seine Gabe eventuell steuer-
lich absetzen? Juristische Vor-
bedingung dafür ist, daß seine
Spende „der Förderung mildtä-
tiger kirchlicher, religiöser oder
gemeinnütziger Zwecke dient“.
Der Abzug der Spenden ist da-
von abhängig, ob der Spenden-
empfänger eine „juristische Per-
son des öffentlichen Rechts“ ist
oder eben eine als gemeinnützig
anerkannte Organisation. Man
dreht sich im Kreise.
Freilich könnte man sagen:
Was geht das alles den einzelnen
Spender an? Er greift, angerührt
von den großen Kinderaugen,
spontan tief in die Tasche und
trägt auf dem Überweisungs-
schein eine für seine Verhält-
nisse ordentliche Summe ein.
Damit scheint die Sache für ihn
getan – ist sie aber nicht. Die
Spende fließt ja nicht direkt und
überschaubar an die Hungern-
den, sondern landet zunächst
auf den Konten riesiger, hoch-
komplizierter Organisationen,
die durchschnittlich dreißig
Prozent des spendierten Gel-
des für sich selbst in Anspruch
nehmen müssen, um existieren
und funktionieren zu können.
Hinzu tritt der Umstand,
daß die meisten der Spenden
für die Linderung von Zustän-
den in fernen Ländern bestimmt
sind. Dort treffen die hiesigen
Spenderorganisationen auf ein-
heimische Politiker und Büro-
kratien, mit denen zusammen
sie die Verteilung organisieren
müssen und von deren Entschei-
dungen sie abhängig sind. „Die
Hilfeleistungsindustrie“, erklär-
te vorige Woche der dafür zu-
ständige Minister von Kenia in
der Sendung „macro“ des deut-
schen Fernsehsenders 3sat, „ist
für uns ein bedeutender Wirt-
schaftszweig, noch vor der Tou-
rismus-Industrie und dem Han-
del mit Bodenschätzen.“
I
n derselben Sendung erfuhr
man, daß es in Kenia schon
seit längerem eine satirische
Fernsehserie gibt, die sich spe-
ziell mit der Hilfeleistungsindu-
strie beschäftigt und die dort re-
gelmäßig zutage tretenden Kor-
ruptionsaffären, vor allem die
Geld-Mauscheleien zwischen
ausländischen Spenderorgani-
sationen und einheimischen
Empfängerorganisationen, in
grellster Weise abbildet und
sich über sie lustig macht. Kur-
ze Ausschnitte daraus wurden
gezeigt. Der deutsche Zuschauer
erschauerte. So also sahen die
Resultate seiner vorweihnacht-
lichen Spenderbereitschaft aus!
Auch der Redakteur von
„macro“ erschien noch auf
dem Bildschirm und bat sein
Publikum fast flehentlich, sich
von den gezeigten kritikhalti-
gen Szenen nicht abschrecken
zu lassen und bitte, bitte weiter
zu spenden. Nicht alles in der
grenzübergreifenden Wohltätig-
keitsindustrie laufe schief, davon
sei er fest überzeugt. Trotzdem
würde Pankraz jedem Spender
raten, beim Verteilen mildtäti-
ger Gaben einen gewissermaßen
subsidiären Standpunkt einzu-
nehmen, also bevorzugt dort zu
geben, wo er selber den Lauf des
Geldes voll überblicken und den
Endempfänger vielleicht sogar
selbst bestimmen kann.
Schließlich gibt es so etwas
wie Spenderglück, eine erlaubte
Genugtuung darüber, daß man
eine gute Tat getan hat, ohne
seinerseits etwas dafür zu erhal-
ten, höchstens einen Hauch ech-
ter Dankbarkeit. Der konkre-
te, wirklich erlebte zufriedene
Blick eines einzelnen, endlich
gefütterten Kindes verschafft
einem auf jeden Fall mehr
Spenderglück als die knappe
Routine-bestätigung etwa von
SOS-Kinderdörfer/Hermann-
Gmeiner-Fonds (München),
daß die Spende termingemäß
angekommen sei und man sich
dafür bedanke. Meistens gibt
es nicht einmal eine solche Be-
stätigung.
Das Prinzip Subsidiarität
beim Spenden hat übrigens
auch für die Empfängerseite sein
Gutes. Es bewirkt noch am ehe-
sten Hilfe zur Selbsthilfe, und
auf diese kommt es letztlich an.
KULTUR
FORUM, Seite 18
W
Deutsche und Polen: Ge-
schichte und Geschichten
in schwierigem Gelände
| 13
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
Die Simpsons:
Zu der Familie gehören
die Eltern Homer und
Marge sowie ihre Kinder
Bart, Lisa und Maggie.
In Deutschland läuft
die Serie auf Pro7
O7
PR
FOTO:
Philosoph Homer
Zeichentrickserie mit Humor: Vor 25 Jahren gingen die „Simpsons“ auf Sendung
HENNING HOFFGAARD lie. Am 17. Dezember 1989 sendete der Kern der Serie ist auch der Kern un- sparen die Macher der Simpsons nicht
konservative amerikanische Fernsehsen- serer Gesellschaft: die bürgerliche Klein- mit Anspielungen auf die US-Politik. Die
der Fox die erste Pilotfolge („Es weih- familie. Vater Homer arbeitet im Atom- konservativen Republikaner werden als
nachtet schwer“) der Zeichentrickserie kraftwerk, seine Frau Marge kümmert durchtriebene Bösewichte dargestellt, in
W
as wäre, wenn der wei- „Die Simpsons“. 25 Jahre, 560 Folgen sich aufopferungsvoll um die Familie. deren erlauchtem Kreis auch Graf Dra-
seste Philosoph unserer und etwa 12.320 Sendeminuten später Ihre Kinder, Lisa (hochbegabt) und Bart cula seinen Platz gefunden hat. Damit
Zeit gelbe Haut, vier steht die Sendung noch immer da, wo (Schulrüpel) besuchen die Grundschu- werden die Vorurteile linker US-Medien
Finger, drei Haare und sie begann: an der Spitze der beliebtesten le, während das Baby der Familie sich aufgegriffen und ad absurdum geführt.
einen Überbiß hätte? Was wäre, wenn der Serien dieser Welt. Die Zahl der Aus- seit 25 Jahren standhaft weigert, zu spre- Der Kandidat der republikanischen Par-
weiseste Philosoph unserer Zeit eine Zei- zeichnungen geht in die Dutzende, die chen. Egal, wieviel Streit die Protagoni- tei in Springfield, der fiktiven Heimat-
chentrickfigur wäre, die auf den Namen Zahl der Zuschauer in die Milliarden. sten untereinander haben, am Ende hält stadt der Simpsons, äußert sich einmal
Homer Simpson hört? Kostprobe? „Ein Um die Zeichentrickserie ist längst ein die Familie immer zusammen. Wer die spitzfindig über das Wahlverhalten der
Atomreaktor ist einer Frau eigenes Universum entstan- Simpsons schaut, bekommt Amerikaner: „Euer schul-
sehr ähnlich. Du mußt nur
die Bedienungsanleitung le-
Konservative den. Fanartikel, Fantreffen
und sogar ein eigener Wi-
garantiert ein Happy-End
mitgeliefert. Am Ende jeder
Am Ende jeder diges Gewissen treibt euch
dazu, die Demokraten zu
sen und die richtigen Knöp- Kulturkritiker kipedia-Ableger (simpson- Folge ist die Welt wieder in Folge ist die wählen. Aber tief in eurem
fe drücken.“ sehen in den spedia.net). Ordnung. Das ist es, was die Welt wieder Innern sehnt ihr euch nach
Es gibt wohl kaum eine Konservative Kulturkri- Simpsons und ihren Erfolg einem kaltherzigen Republi-
Figur, die es schafft, alltägli- Simpsons ein tiker neigen angesichts die- ausmacht. Danach sehnen in Ordnung. kaner, der die Steuern senkt,
che Wahrheiten so charmant Beispiel west- ser Kommerzialisierung da- wir uns alle. Die heile, wenn Das ist es, was Verbrecher brutalisiert und
und gewitzt auf den Punkt lich dekaden- zu, in den Simpsons nicht auch nicht perfekte Welt. die Simpsons euch regiert wie ein König.“
zu bringen. Und: Trotz al- mehr zu sehen als das beste Konservativer geht es nicht Dem Simpsons-Erfin-
ler Albernheiten ist Homer ter Beliebig- Beispiel westlich dekadenter Die Simpsons fordern und ihren der Matt Groening ist es
Simpson das Sinnbild einer keit. Sie liegen Beliebigkeit oder amerikani- ihre Zuschauer nicht pene- Erfolg aus- gelungen, ganz Amerika in
ganzen Generation, die mit falsch. scher Kulturdominanz. Sie trant zur Selbstreflexion auf, macht. eine Kleinstadt zu zwängen.
der Gesamtsituation irgend- liegen falsch. Selten hat eine sie verzichten auf den erho- Mit all seinen Widersprü-
wie unzufrieden ist, ohne Serie, die gefahrlos von der benen Zeigefinger, sie reden chen und Vorteilen. So fin-
auch nur den Hauch einer Ahnung zu Vierjährigen bis zum Großvater geschaut niemandem ein schlechtes Gewissen ein. det sich am Ende fast jeder auch in der
haben, wie das zu ändern wäre. werden kann, den „American Way of Ihre Mittel zur Gesellschaftskritik sind Serie wieder. Diese Mischung aus mas-
„Sohn, das Münzsammeln ist fast ge- Life“ so herrlich unbekümmert ausein- Sarkasmus, hintergründige Anspielun- sentauglicher Familienunterhaltung und
nauso wie das Leben. Es hat schon vor andergenommen. Nicht mit der Brech- gen und ironische Kommentare. Stets im feinen Spitzen gegen die herrschenden
langer Zeit aufgehört Spaß zu machen.“ stange, sondern mit dem Florett. So gut Visier: die endlose Heuchelei der westli- Mißstände sind das Erfolgsrezept. Dazu
Aus solchen Sätzen spricht der zynische wie alle Gruppen, die meinen, ihr ge- chen Gesellschaften in Politik, Religion kommen häufige Gastauftritte von Pro-
Überlebenskünstler. Einer, der die Welt schlossenes Weltbild tauge als Vorbild für und Alltag. „Du kennst mich Marge, ich minenten, etwa Bill Clinton oder Lady
völlig durchschaut hat, um dann zu den Rest der Menschheit, bekommen ihr mag mein Bier kalt, meinen Fernseher Gaga, deren Erscheinen in zahlreiche An-
entscheiden, sich nicht dafür zu inter- Fett weg. Angefangen bei konservativen laut, und meine Homosexuellen sollen spielungen auf die Popkultur eingebet-
essieren. Einer über den sein Vater sagt: Evangelikalen über die Waffenlobby bis sich outen“ (Homer Simpson), „Ich habe tet wird. So sind die Simpsons am Ende
„Mein Homer ist kein Kommunist. Er hin zu Liberalen, Vegetariern und selbst- alles getan, was in der Bibel steht, selbst selbst zum Kult geworden, deren Ende
ist vielleicht ein Lügner, ein Schwein, ernannten Bürgerrechtlern. den Mist, der an anderer Stelle wider- nicht in Sicht ist.
ein Idiot und ein Kommunist, aber er Bestes Beispiel dafür ist Lisa Simp- rufen wird“ (der religiöse Nachbar der Die Lockerheit, die Selbstironie, die-
ist kein Porno-Star!“ Homer Simpson ist son, die Tochter der Familie. Sie ist gegen Simpsons, Ned Flanders), „Wir machen ser zu Herzen gehende Humor. Warum
der letzte Welterklärer, der uns geblieben Atomkraft, gegen Fleischkonsum und heute einen Test. Er nennt sich Qualifi- die Simpsons eine so außergewöhnliche
ist und der erkannt hat: „Der Versuch ist sieht sich selbst als das moralische Ge- kationsaufgabentest für Schulabgänger, Anziehungskraft auf Groß und Klein ha-
der erste Schritt zum Scheitern!“ wissen der Welt. Dennoch beißt sie mit kurz: Quatsch.“ (Lisas Lehrerin Eliza- ben, läßt sich im Grunde mit einer ein-
Vor genau einem Vierteljahrhundert all ihren Plänen zur Rettung der Welt bei beth Hoover). zigen Frage beantworten: Wie sähe die
begann der Siegeszug des Königs unter ihrem trotteligen, aber bauernschlauen Ähnlich wie etwa bei der libertär ange- Serie wohl aus, wenn sie von einem deut-
den Philosophen. Und der seiner Fami- Vater auf Granit. hauchten Zeichentrickserie „South Park“ schen Sender produziert werden würde?
Schleier der Intimität
Nackte Brust: In England ist eine Kontroverse um eine in aller Öffentlichkeit stillende Mutter entbrannt
RICHARD STOLTZ Twitter öffentlich. Dazu deftige Kommentare gegen sagte laut Guardian, natürlich sei das Stillen eine
die „bornierte Altmännerwelt“, die von mangelnder großartige Sache, doch es gehöre nun mal nicht in
Diskretion spräche, obwohl es sich doch „um die die große Öffentlichkeit. Sämtliche Medien stürzten
T agelang gab es in der Londoner Presse kaum ein
anderes Thema als den „Fall Lou Burns“. Lou
Burns (35) hatte mitten im dichtbesuchten Café des
natürlichste Sache der Welt“ handele. Umgehend
meldete sich die britische Regierung in Gestalt des
stellvertretenden Kabinettchefs Nick Clegg zu Wort
sich daraufhin auf ihn, als sei er der Gottseibeiuns
und seine Ukip die reinste Hölle.
Trotzdem hat Farage völlig recht; der geradezu
vornehmen Claridge’s-Hotels ihre Bluse aufgeknöpft und verlautbarte, Großbritannien brauche „ein Um- obszöne Verlauf der Affäre bestätigt ihn nur. Es gibt
und ihr zwei Monate altes Baby gestillt. Ein Ober- feld, in dem Mütter sich gut damit fühlten zu stillen, hochwichtige natürliche Vorgänge, um die ein feiner
kellner kam und bot ihr eine leichte Decke an, um und das sei jedem zuzumuten, auch Männern von Schleier der Intimität und der Diskretion gewebt ist;
den intimen Vorgang ein bißchen zu verhüllen. Aber 18 bis über 80“. das Bild der stillenden Mutter mit ihrem Kind gehört
die Frau weigerte sich. Die politischen Parteien stimmten eifrig zu, bis dazu. Wer es – und sei es die Mutter selbst – ungeniert
Sie ließ sich sofort mit nackter Brust und nuckeln- auf eine: die zur Zeit mächtig aufstrebende oppo- in die Medien hievt und damit sogar Politik macht,
dem Baby fotografieren und machte die Bilder via sitionelle Ukip. Deren Vorsitzender Nigel Farage beweist damit vor allem schlechten Geschmack.
14 | K U L T U R JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014

Evangelikale: Beihilfe zur

Selbsttötung verbieten Waffendienst mit der Feder Thalers
BAD BLANKENBURG. Die Streifzüge
Deutsche Evangelische Allianz
Dichter im Ersten Weltkrieg: Die Schriftsteller Richard Dehmel, Klabund und Ernst Lissauer stehen
fordert, die Beihilfe zur Selbst- stellvertretend für die poetische Mobilmachung auf deutscher Seite / Teil 1 einer JF-Serie Von Thorsten Thaler
tötung ausnahmslos zu verbie-
ten. Nur dann sei ein „wirksamer
dauerhafter Rechtsschutz“ für das
Leben möglich, heißt es in einer
FELIX DIRSCH Sieg“ sei würdiger als „ein erbettelter
Friede“.
D ie Deutschen wollen durch-
schnittlich 285 Euro pro
Kopf für Weihnachtsgeschenke
Erklärung des Geschäftsführenden Von seinen während des Krieges ver- ausgeben. Zu diesem Ergebnis
Vorstandes, die am 8. Dezember öffentlichten Texten ist besonders die kommt eine Umfrage der Ge-

D
im thüringischen Bad Blanken-
burg veröffentlicht wurde. Der
Deutsche Bundestag hatte am 13.
November über das Thema dis-
kutiert (JF 48/14). Beihilfe zum
Suizid ist bisher in Deutschland
kein Straftatbestand. Bundesge-
sundheitsminister Hermann Grö-
he (CDU) und die Mehrheit der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion
fordern ein Verbot der organisier-
ten Hilfe zur Selbsttötung, etwa
durch Sterbehilfevereine. Nicht
unter das Verbot fallen sollen An-
gehörige und Ärzte, die im Ein-
zelfall einem Patienten ein Me-
dikament zu dessen Suizid zur
Verfügung stellen. Eine Gruppe
um den Bundestagsvizepräsiden-
ten Peter Hintze (CDU) und den
SPD-Gesundheitsexperten Karl
Lauterbach will einen streng re-
gulierten „ärztlich assistierten Sui-
zid“ ermöglichen. Nach Ansicht
der Evangelischen Allianz reichen
solche Regelungen nicht aus. Wo
Beihilfen zur Selbsttötung erlaubt
seien, würden die Bedingungen
immer weiter abgesenkt. Dies gehe
in den Niederlanden inzwischen
schon so weit, daß dort Neugebo-
rene getötet werden dürften, de-
nen Ärzte nur eine kurze Lebens-
dauer vorhersagten. Der evangeli-
kale Dachverband plädiert deshalb
für eine rechtliche Regelung, die
ein „bedingungsloses Nein zum
aktiven Beenden menschlichen Le-
bens“ enthält. Die Allianz verweist
auf die grundgesetzlich geschütz-
te Menschenwürde. Beihilfe zur
Selbsttötung sei eine Grenzüber-
schreitung vermeintlicher Selbst-
bestimmung. (JF/idea)
Anna Netrebko zeigt sich
mit Separatistenführer
SANKT PETERSBURG. Die
russische Star-Sopranistin Anna
Netrebko hat sich in Sankt Pe-
tersburg mit einem Separatisten-
führer aus der umkämpften Ost-
ukraine gezeigt und vor der Fahne
von „Neurußland“ posiert. Unter
diesem Begriff beanspruchen die
Separatisten das Gebiet für sich.
Gemeinsam mit Oleg Zarjow, der
mit anderen militanten Aufstän-
dischen auf der schwarzen Sankti-
onsliste der EU steht, präsentierte
sich die Opernsängerin am Rande
einer Pressekonferenz. Anna Ne-
trebko überreichte Zarjow einen
Spendenscheck über eine Milli-
on Rubel (etwa 15.000 Euro) für
das Opern- und Balletthaus in der
ostukrainischen Separatistenhoch-
burg Donezk. (tha)
ie Reaktion der meisten Schrift-
steller zu Beginn des Ersten
Weltkrieges hat manche Zeitge-
nossen überrascht. Nicht nur der Pazifist
Wilhelm Herzog war darüber irritiert,
daß viele der ausdrücklichen Friedens-
freunde und Kritiker des „preußischen
Militarismus“ von ihren Vorstellungen
vor 1914 nichts mehr wissen wollten.
Der größte Teil der als Querulanten ver-
schrienen Intellektuellen sah sich nach
der vielzitierten Rede Kaiser Wilhelms II.
als Teil der „Volksgemeinschaft“, die sich
in dem Bewußtsein bildete, nur mittels
Einheit könne das eigene Land gegen
eine „Welt von Feinden“ (Wilhelm II.)
bestehen.
Dennoch: Der nationale Aufbruch
der Literaten kündigte sich bereits vor
dem ersten Schuß in der Sehnsucht nach
dem Großen, Hehren, Diskontinuierli-
chen, Außergewöhnlichen an. Überall
vernahm man Normalitätsüberdruß und
Ekel vor der allgemeinen Zufriedenheit
insbesondere des Besitz- und Bildungs-
bürgertums. Der Schriftsteller und Lyri-
ker Georg Heym brachte dieses Gefühl
auf den Punkt: „Es ist immer das gleiche,
so langweilig, langweilig, langweilig. Es
geschieht nichts, nichts, nichts. Wenn
doch einmal etwas geschehen wollte, was
nicht diesen faden Geschmack von All-
täglichkeit hinterläßt (…) Dieser Frie-
den ist so faul ölig und schmierig wie
eine Leimpolitur auf alten Möbeln“. Die
Erlösung von der Öde folgte bald.
im Ersten Weltkrieg
JF-Serie (1)
Zu den nicht wenigen Dichtern,
die gegenüber ihren Vorkriegsansich-
ten nicht wiederzuerkennen waren, ge-
hörte das „seelische Flammenwunder“
Richard Dehmel, einer der bekannte-
sten Lyriker um die Jahrhundertwende.
Aus der Mark Brandenburg stammend,
zog er noch als bereits 51jähriger, jen-
seits aller Verpflichtung, die Uniform
an, was etlichen Zeitungen einen Be-
richt wert war. Sein Vorkriegswerk, das
zwischen „romantischer Sentimentali-
tät und expressivem Pathos“ (Kindlers
Neues Literaturlexikon) schwankt, rief
vor allem deshalb Widerspruch hervor,
weil es allzusehr auf sexuelle Lüste und
individualistischen Lebensgenuß fixiert
ist („Ich will ergründen alle Lust, / so
tief ich dürsten kann; / ich will sie aus
der ganzen Welt / schöpfen, und stürb’
ich dran.“) Manches an der Kulturkri-
tik des expliziten „Antibürgers“ erinnert
an Nietzsche.
Aufgrund eines Aderleidens schied
poetische Sammlung „Kriegs-Brevier“
(1917) zu erwähnen. Daß die Gedichte
einen patriotischen Überschwang er-
kennen lassen („Deutschland, du mein
heiliges Vaterland“), kann kaum über-
raschen. Indessen geht ein religiös kon-
notiertes Gedicht besonders unter die
Haut: „Der Entkreuzigte“. Es themati-
siert ein von Granaten gefälltes Kreuz,
das gerade in zerstörtem Zustand die
Gestalt des Gottessohnes um so ein-
drucksvoller hervortreten läßt.
Der Anfang Februar 1920 an den
Folgen seiner Erkrankung verstorbene
Dehmel blieb eine gewisse Zeit im kol-
lektiven Gedächtnis präsent. 1928 nahm
ihn Ernst Jünger in den von ihm heraus-
gegebenen Sammelband „Die Unverges-
senen“ auf, der an prominente Opfer des
großen Ringens (beispielsweise August
Macke, Hermann Löns und Franz Marc)
erinnert. Doch so mancher „Unverges-
sene“ verlor schnell seine Bekanntheit.
Klabunds Gedichte riefen
Widerspruch hervor
Der 1890 geborene Lyriker, Roman-
autor und Dramatiker Alfred Henschke,
populär geworden unter dem Namen
Klabund, war eine Generation jünger
als Dehmel, ist jedoch in mancherlei
Hinsicht mit ihm vergleichbar. Er wirkte
ebenfalls als sozialkritischer, expressio-
nistischer Bürgerschreck. Seine Gedich-
te („Es hat ein Gott mich ausgekotzt,
/ Nun lieg ich da, ein Haufen Dreck,
/ Und komm und komme nicht vom
Fleck“) beschäftigten mitunter nicht nur
Gerichte, sondern riefen auch im Lager
der politischen Rechten heftigen Wider-
spruch hervor. Erst recht verfemten ihn
die Nationalsozialisten.
Klabunds unstet-hastiger Wesens-
zug und seine unfertige Arbeitsweise,
die eine Zuordnung seines Stils schwer
machen, hängen eng mit einer ernsten
Krankheit zusammen, die ihn begleite-
te und Mitte August 1928 zum frühen
Tod führte, aber auch mit dem Ableben
seiner ersten Frau im Kindbett. Daher
auch das Pseudonym als Mischform von
Klabautermann und Vagabund. Ab 1917
zeigte er eine entschieden pazifistische
Einstellung. Im gleichen Jahr forderte
er den Kaiser zum Rücktritt auf. Nach
dem Krieg mußte er sich für seine an-
fängliche Euphorie rechtfertigen.
Vor allem Kriegsgesänge und Solda-
tenlieder, die auf Feldpostkarten weite
FOTO: WIKIMEDIA COMMONS
sellschaft für Konsumforschung
(GfK). Die Summe entspricht
fast der im Vorjahr. Auf Rang
eins der beliebtesten Geschenke
stehen Gutscheine, dicht gefolgt
von Büchern. Auf den weite-
ren Plätzen folgen Produkte der
Unterhaltungs-
elektronik (vor Klonovskys
allem Tablets Aphorismen
und Smartpho- sind ein
nes, aber auch Geschenk
Lesegeräte für für alle und
elektronische
jeden.
Bücher), Spiel-
waren und Klei-
dung. Doch verweilen wir bei
den Büchern. Ich erinnere eine
Eintragung Ernst Jüngers in sei-
nem Tagebuchband „Jahre der
Okkupation“. Dort heißt es am
24. Juli 1945, damals so gültig wie
heute: „Tröstlich wie immer blei-
ben die Bücher als leichte, zuver-
lässige Schiffe für Fahrten in Zeit
und Raum und darüber hinaus.
Solange noch ein Buch zur Hand
und Muße zum Lesen da ist, kann
FOTO: WIKIMEDIA COMMONS
eine Lage nicht verzweifelt, nicht
gänzlich unfrei sein.“
Laut GfK-Umfrage planten 43
Prozent der Befragten Bücherge-
schenke zu Weihnachten. Dafür
Richard Dehmel als Soldat im Ersten Weltkrieg: Als 51jähriger wollen sie im Schnitt 39 Euro aus-
meldete er sich freiwillig zum Militäreinsatz geben. Das ist zwar nicht viel ge-
messen an den Ausgaben für zum
Verbreitung fanden, stammten aus der Doch gerade die Formulierungen Beispiel den einen oder anderen
Feder des Kriegsfreiwilligen, der auf- dieser Dichtung erwiesen sich als kon- Schnickschnack aus der digita-
grund seines Lungenleidens gar nicht traproduktiv. Um derartige Überspit- len Welt. Aber es reicht allemal,
hätte einrücken dürfen. Dabei zählt zungen für ihre Zwecke ausnutzen zu dem Beschenkten nicht nur Sin-
Henschkes Kriegslyrik eher zu den (ver- können, ließen die Engländer die Verse nenfreude zu bereiten, sondern
glichen mit anderen) schwächeren Tei- nachdrucken. wichtiger noch: Lebensqualität
len seines Gesamtwerkes. Wenig erbau- zu stiften. Immer vorausgesetzt,
lich war es, wenn der enorm produktive Er plädierte für eine der Schenkende orientiert sich
Schreiber sich von dem damals bekann- starke Führergestalt nicht ausnahmslos nur an greller
ten Maienlied „Frühling, Frühling wird’s Werbung oder den einschlägigen
überall“ zu dem Refrain eines Schlacht- Lissauer diente als Landsturmmann. Bestsellerlisten, auf denen häufig
gedichts „Tiger, Tiger brüllt übers Feld“ Am Ende des Krieges plädierte er für Werke zu finden sind, welche die
inspirieren ließ. eine starke Führergestalt, die den Wie- Zeitspanne ihrer einmaligen Lek-
Auch die Soldatenlieder legen an deraufstieg des Landes einleiten sollte. türe nicht überdauern.
mehreren Stellen zuviel Volkstümliches Hindenburg schien dafür wie geschaf-
und Rüdes an den Tag. Manche Derb- fen. Einige Zeilen in „Um Deutschland“ Ein Geschenkbuch für alle und
heit stieß damalige Leser ebenso ab wie deuten eine solche Vision an. Nach 1918 jeden, das für intellektuell ver-
sie heutige pikiert. Klabunds Bedeutung versuchte er sich allerdings schrittweise gnügliche Stunden immer wie-
als Dichter wird in toto durch diese Ein- von seinem offensichtlich selbst als zu der zur Hand genommen werden
stufung nicht gemindert. hurrapatriotisch empfundenen Enga- kann, heute, morgen und auch
gement im Krieg zu distanzieren. Als noch übermorgen, ist Michael
Lissauers „Haßgesang Zeichen dieser Wandlung kehrte er wie- Klonovskys „Aphorismen und
gegen England“ der zu naturlyrischer Betrachtungsweise Ähnliches“, erschienen im Karo-
zurück. linger-Verlag, Wien (18,90 Euro).
Als deutschester aller jüdischen Au- Dennoch kann Ernst Lissauer als Klonovskys Meisterschaft im For-
toren wollte Ernst Lissauer gelten. Er Antipode zu jüdisch-internationalisti- mulieren knappster gedanklicher
entstammte einer assimilierten Fabrikan- schen Bestrebungen betrachtet werden, Funkenflüge ist unübertroffen.
tenfamilie. Bereits seine ersten lyrischen wie sie etwa von dem sozialdemokrati- Kostproben, willkürlich herausge-
Arbeiten („Der Acker“, „Der Strom“) schen Vordenker Eduard Bernstein ge- griffen: „Den meisten Menschen,
lassen einen antizivilisatorischen Im- fördert wurden. Wer die Kontinuität die sich in unserem Weltteil für
petus erkennen. Natur und Gott sind seines Schaffens im Auge behält, wird diskriminiert erklären, mangelt es
darin konservative Konstanten, die die seine dezidiert vaterländische Haltung bloß an Schamgefühl.“ – „Als sich
Weltsicht des Verfassers verdeutlichen. in der großen weltgeschichtlichen Aus- die Leistung aus dem Dienst ver-
Berüchtigt wurde sein mit starken einandersetzung nicht nur als Resultat abschiedete, entstand die Dienst-

Sprachpranger
„Discover your smile“
Neuer Werbespruch des in
Hannover ansässigen Touri-
stikunternehmens TUI
Dehmel, der wegen seiner Tapferkeit Affekten durchsetzter „Haßgesang gegen des Loyalitätsdrucks begreifen, dem Ju- leistung.“ – „Nichts macht den
zum Leutnant befördert und für seinen England“: „Dich werden wir hassen mit den oft ausgesetzt waren, sondern als linken Pädagogen rasender als der
Einsatz mehrfach ausgezeichnet wurde, langem Haß, / Wir werden nicht lassen Ausdruck tiefer innerer Überzeugung ewige Triumph der Begabung über
als kriegsuntauglich vorzeitig aus und ar- von unserem Haß …“ Nicht zuletzt für bewerten. den guten Willen.“ – „Jeder Muez-
beitete im weiteren Verlauf des Krieges diese Dichtung erhielt er – wie andere zinruf beinhaltet eine Feinderklä-
als Propagandist hinter den Frontlinien. patriotische Literaten für ihre Leistun- rung.“ – „Der Tugendterror wäre
Die zweite Folge in der kommenden JF-Aus-
Aufsehen erregte eine öffentliche Rede Klabund (Alfred Henschke), gen (Walter Flex, Gerhart Hauptmann, gabe 52/14–1/15 widmet sich den Schrift- unvollständig, wenn diejenigen,
im Januar 1916, die in der Feststellung Lithographie von Emil Orlik, Rudolf Alexander Schröder) – den Roten stellern Heinrich Lersch, Ernst Thrasolt und die ihn ausüben, die Feststellung
gipfelte, ein „mit dem Tode bezahlter um 1915: Bürgerschreck Adlerorden verliehen. Ina Seidel. zuließen, daß er existiere.“

Zeitschriftenkritik: Pulsar CD-Kritik: Barbra Streisand

Von Elfen und Ebola Duett mit Elvis

WERNER OLLES weil diese genau durch eine „Elfenkirche“ führen ohne daß therapeutische Maßnahmen getroffen wur- THORSTEN THALER Weitere Gesangspartner der Streisand
sollte. Die Aktivisten schrieben Briefe an Politiker den. Allerdings liege auch ohne Ebola in den Slums sind unter anderem Michael Bublé
und warfen sich vor Bulldozer, um dies zu verhin- afrikanischer Metropolen die Lebenserwartung nur („It Had to Be You“), Stevie Wonder

K ommunikation und soziale Kontakte laufen heute

zu einem großen Teil über Facebook ab. Weltweit
sind mehr als eine Milliarde Menschen registriert,
und mehr als 650 Millionen Menschen loggen sich
mindestens einmal täglich ein. In Deutschland nutzen
27 Millionen das soziale Netzwerk, Angesichts dieser
Zahlen war das Ergebnis einer Umfrage der Univer-
sität Innsbruck regelrecht verblüffend. Es stellte sich
nämlich heraus, daß die meisten Facebook-Nutzer die
verbrachte Zeit als sinnlos empfinden. Warum sie sich
trotzdem immer wieder einloggen? Weil sie dennoch
hoffen, nach dem Besuch bei ihren Online-Freunden
zufriedener zu sein.
Recht erstaunlich ist auch eine Nachricht aus Is-
land, welche die zehnmal jährlich erscheinende Zeit-
schrift für aktives Bewußtsein, Gesundheit, Therapie
und innere Entwicklung Pulsar in ihrer aktuellen Aus-
gabe (Nr. 10, Dezember/Januar 2014/2015) publi-
ziert. Isländische Elfenschützer hatten gegen den Bau
einer Straße in dem Städtchen Garöabaer protestiert,
dern. Die Behörden reagierten in der Form, daß die
„Elfenkirche“ umziehen werde. Tatsächlich sind in
Island Elfen und Feen fester Bestandteil des Glaubens
bei etwa fünfzig Jahren. Inzwischen werde besonders
von den Medien in Europa ein „Ebola-Horrorsze-
nario“ an die Wand gemalt, das hysterische Züge
D as hat noch niemand vor ihr ge-
schafft: In sechs aufeinanderfol-
genden Jahrzehnten landete Barbra
(„People“), Billy Joel („New York State
of Mind“), Lionel Ritchie („The Way We
Were“) und Andrea Bocelli („I Still Can
der Bevölkerung und seit Urzeiten in der Kultur des angenommen habe. Mit Hilfe der Weltgesundheits- Streisand mit einem Album auf Platz See Your Face“). Die neuen Interpre-
Landes verwurzelt. Zwar gelang es den Protestierern organisation (WHO), die eigentlich der Objektivi- eins der US-Charts. Die erste Platte in tationen und Arrangements bekannter
nicht, das Vorhaben zu stoppen, die Straße wurde tät verpflichtet sein sollte, jedoch komplett von der den 1960ern war „People“, mit ihrem Streisand-Lieder vermögen zwar nicht
gebaut. Aber zumindest wurde der Fels, wo sich die Pharmaindustrie abhängig ist, die drei Viertel ihres kürzlich erschienenen neuen Album durchgängig zu überzeugen, und zuwei-
„Kirche“ befinden soll, per Kran an eine andere Stelle Gesamtbudgets bereitstellt, werde durch Übertrei- „Partners“ eroberte sie abermals die Spit- len wollen die männlichen Sänger auch
versetzt, nachdem viele Menschen in den letzten Jah- bung und Fehlinterpretation Angst und Panik bei den zenposition. Insgesamt konnte die heute nicht besonders gut zu den Stücken pas-
ren zu dieser „Kirche“ pilgerten, um Rat zu suchen. Bürgern erzeugt. Dies sei ein infames Spiel, das allein 72jährige New Yorkerin mit zehn Alben sen. Dafür aber entschädigt die noch
Jetzt ist diese „Heilige Kirche“ erhalten geblieben. den Börsenkursen der Pharma- den ersten Rang belegen; sie ist damit immer samtweiche, zart schmelzende
Auch in der Vergangenheit wurden in Island bereits firmen diene, die sich weltweit die erfolgreichste Künstlerin in der ame- Stimme Barbra Streisands mit ihrer be-
Baumaßnahmen mit Rücksicht auf Elfengebäude mit medizinischen Produkten rikanischen Chartgeschichte, gleichauf törenden Wirkung allemal.
nicht ausgeführt beziehungsweise umgeleitet. rund um Ebola beschäftigen. mit Elvis Presley. Schöne Pointe: Der
Der Mediziner Thomas Mayr widmet sich dem 1977 verstorbene „King of Rock’n’Roll“
Thema „Ebola, oder wie die Pharmaindustrie aus Pa- ist auch auf Streisands jüngstem Album
Kontakt: Bach-Verlag, Wutschdorf
nik Geld erzeugt“. Nachdem sich die ersten epidemi- 89, A-8072 St. Ulrich. Tel.: 0 31 35 /
mit seinem fast sechzig Jahre alten Titel
Barbra Streisand
schen Ausbrüche vor vierzig Jahren in Zaire und im 8 09 02. Das Einzelheft kostet 4,20 „Love Me Tender“ zu hören, in einem Partners
Sudan zeigten, flammte die Krankheit immer wieder Euro, ein Jahresabo 38 Euro. – die Technik im Tonstudio macht’s Smi Col (Sony Music)
mal auf, endete aber oft schon nach wenigen Monaten, www.pulsar.at möglich – Duett mir ihr. www.sonymusic.de
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014 K U L T U R | 15

GegenAufklärung Einen schlechten Ruf erworben

DVD: Bitterer Reis

Vor Liebe
KOLUMNE VON KARLHEINZ WEISSMANN blind
Erbitterte Freundschaft: Die Leipziger Ausstellung „Unter Druck!“
beleuchtet das Spannungsverhältnis von Medien und Politik seit 1945
Von Werner Olles
»Das Subkutane ist immer
das Wirksamere in Prozessen
der Gehirnwäsche.«
CHRISTIAN DORN
D ie Renaissance des italieni-
schen Films nach dem Zwei-
ten Weltkrieg war auf eine neue
Richtung zurückzuführen – den

D I
ie Nazi-Vorwürfe gegen Helmut um humanitären Menschenhandel nformation ist das einzige, das mehr Neorealismus. Er wurde zu einer
Schmidt, die zuerst vom Spiegel und humanitäre Urkundenfälschung wird, wenn man es teilt.“ Das beiläu- Kampfansage gegen die Romantik
aufgegriffen und von Bild etwas ab- durch einen Mann mit syrischem Mi- fige Fazit des Satirikers Bernd Zel- des Faschismus und zum Aufruhr
geschwächt weitergegeben wurden, grationshintergrund und eine weitere ler – in seinem Online-Medium Zeller gegen die Konventionen der ita-
haben ihre Basis offenbar in dessen Frau mit syrischem Migrationshin- Zeitung vom 7. Dezember 2014 – weist lienischen Kultur. Die soziale Not
Bekenntnis, trotz des elterlichen Ein- tergrund, die aus Angst vor Entdek- zugleich auf den entscheidenden Paradig- seiner Zeit anprangernd, erschien

FOTO: AUSSTELLUNG / ZEITGESCHICHTLICHES FORUM LEIPZIG

spruchs und des jüdischen Großvaters
gerne HJ-Mitglied geworden zu sein,
Gefallen an der Verknüpfung von na-
tionaler und sozialer Idee gefunden
und sich geschämt zu haben, wenn er
im Krieg nicht Soldat geworden wäre.
Keines dieser Fakten ist wirklich neu
und die sensationelle Aufmachung of-
fenbar ein Versuch des Piper-Verlags,
ein neues Buch über Schmidt zu lan-
cieren. Aber vielleicht darf man den
symptomatischen Wert des Vorgangs
auch nicht unterschätzen. Als in den
1980er Jahren eine andere Ikone
der alten Bundesrepublik – Martin
Niemöller – bekannte, er sei schon
vor 1933 für die NSDAP eingetre-
ten, war das sowenig Grund für ein
Scherbengericht wie das Geständ-
nis, er habe sich vor Gericht damit
verteidigt, zwar öffentlich für Juden
eingetreten zu sein, ohne deshalb
Sympathie für diese „Rasse“ zu emp-
finden, und er – der hochdekorierte
U-Boot-Kommandant des Ersten
Weltkriegs, den man ins KZ gesteckt
hatte – wäre 1939 selbstverständlich
zum Dienst für das Vaterland bereit
gewesen, auch als einfacher Matrose.
Man kann auch an der gewandelten
Einstellung erkennen, daß es nichts
ist mit „Historisierung“ der NS-Zeit,
mehr noch, daß hier perpetuiert wird,
was Konrad Lorenz sprachlich un-
schön, aber treffend als „Verbösung“
der Vergangenheit bezeichnet hat.
kung beim illegalen Grenzübertritt
ihr Kleinkind erstickt hat. Dessen äl-
terer Bruder, also ein Knabe mit sy-
rischem Migrationshintergrund, ver-
sucht zum Schluß barfuß ein Fahrrad
zu stehlen, läßt sein Stofftier zurück,
wird aber vom ermittelnden Kom-
missar erwischt, der verspricht, ihm
ein anderes zu besorgen. Die eigent-
liche Schlüsselszene dürfte aber die
gewesen sein, als der Sohn des ge-
scheiterten Mörders mit syrischem
Migrationshintergrund zu der er-
mittelnden Kommissarin sagt, daß
er Deutscher wie sie auch sei, und
die Kamera das beredte Schweigen
und den unbewegten Gesichtsaus-
druck des nordisch-blonden Lang-
schädels festhält. Das alles zeigt, wo
man hinkommt, wenn es der Zensur
an Sensibilität fehlt.
˜
Man sollte seine Aufmerksamkeit
in bezug auf die Sprachdiktatur des
Feminismus nicht nur auf das Of-
fensichtliche lenken. Interessanter
ist doch, daß keinem Lektor mehr
auffällt, wenn dem „Mädchen“ wie
dem „Weibchen“ als Pronomen „sie“
zugeordnet wird. Das Subkutane ist
immer das Wirksamere in solchen
Prozessen der Gehirnwäsche.
˜
Endlich ein Schritt in Richtung
auf konsequente Gleichberechtigung:
Norwegen führt die allgemeine Wehr-
menwechsel des Medienbetriebs. Begreift als einer der ersten Bannerträger
doch das mediale Tagesgeschäft heute Roberto Rossellini auf dem Plan,
zwangsläufig weniger die Beschaffung der mit „Rom, offene Stadt“ (1945)
von Informationen, sondern deren Be- eine Chronik des Leidenswegs sei-
wältigung als seine Hauptaufgabe. nes Landes schrieb. Dagegen stand
Dennoch bleibt erstere eine heikle Vittorio de Sicas kämpferischer
Angelegenheit. Der Anruf des damali- Humanismus, der mit „Fahrrad-
gen Bundespräsidenten Christian Wulff diebe“ (1948) die Verlassenheit des
auf der Mailbox des Mobiltelefons von Menschen und sein Streben nach
Bild-Chefredakteur Kai Diekmann ist Gemeinschaft schilderte.
ein solches Exempel – und Exemplar: Schon der zweite Film des ehe-
Denn in der Schau „Unter Druck! Me- maligen Journalisten Giuseppe De
dien und Politik“, die das Zeitgeschicht- Medienpranger: Titelbild der Zeitschrift „Cicero“ von Wieslaw Smetek Santis sollte seinen Namen über
liche Forum Leipzig vergangene Woche im Februar 2012 zu Christian Wulff vor dessen Rücktritt die Grenzen tragen. „Bitterer Reis“
eröffnete, ist nicht nur das kaputte Black- (Riso amaro, 1948) bewegte sich in
berry-Gerät Diekmanns hinter Glas auf- „Nein“ abstimmen können über die Fra- als Beispiel linker Gegenöffentlichkeit in filmischem Neuland. Mai 1948 zur
gebahrt wie eine Reliquie der medialen ge, ob politische Talkshows die politi- der Exposition eine Schautafel gewidmet Zeit der Reissaat: Hunderte Frauen
Neuzeit, darunter sind die abhörsiche- sche Meinungsbildung befördern. Der ist. Insofern wäre wohl auch an Thilo ziehen alljährlich auf die Felder,
ren Kopfhörer, über die der Besucher betreffende Raum befindet sich etwa in Sarrazins Werk „Der neue Tugendterror“ um für ein Kilo Reis pro Arbeitstag
erstmals den minutenlangen, inhaltlich der Mitte der Schau, die einerseits chro- über die Grenzen der Meinungsfreiheit 40 Tage lang schwerste Arbeit zu
redundanten Anruf des Bundespräsiden- nologisch gegliedert ist, andererseits mit in Deutschland hinzuweisen gewesen. leisten. Auf der Flucht vor der Po-
ten im Originalton hören kann. Dessen
vielleicht berüchtigtster Satz, demzufol-
ge „der Rubikon überschritten“ sei, of-
thematischen Einzelrubriken aufwartet.
Diese stellen bestimmte Phänomene ex-
emplarisch vor, etwa die 1971 von Alice
Wie eine unfreiwillige Ironie wirken da
die in der Ausstellung präsentierten Aus-
weise des LVZ-Korrespondenten Dieter
lizei überredet der Ganove Walter
(Vittorio Gassman) seine Freun-
din Francesca (Doris Dowling), ge-
fenbarte dabei den endgültigen Verlust Schwarzer und der Zeitschrift Stern ge- Wonka von der Bundespressekonferenz, stohlene Juwelen zu verstecken und
an Selbstkontrolle – war es doch gerade startete Kampagne „Wir haben abgetrie- der nicht nur als lebhaftester Fragestel- sich unter die Landarbeiterinnen
diese Drohung Wulffs, die den von ihm ben“ oder die apokalyptischen Visionen ler dieser Institution gilt, sondern auch auf den Reisfeldern zu mischen.
beklagten Vorgang erst manifestierte. zum „Waldsterben“, für die paradigma- in unsolidarischer Weise versucht hatte, Silvana (Silvana Mangano), eine
„Eine Gefährdung der Pressefreiheit“ tisch das Spiegel-Titelbild von 1981 steht. die Aufnahme des JF-Politikredakteurs Reispflückerin, die von einem bes-
sei diese Eskapade allerdings nicht gewe- in den Verband zu verhindern. seren Leben träumt, verliebt sich in
sen, betonte SWR-Gründungsintendant Hetzkampagne gegen Doch diese Kritik soll den Wert der den charmanten Verbrecher, der sie
Peter Voß anläßlich der Ausstellungs- Alexander von Stahl Ausstellung nicht in Frage stellen. Bei-
eröffnung. Dabei will die Schau nichts
Geringeres, als die Rolle der Medien in Die hier mit medialer Macht sich aus-
spielsweise beim Thema „investigativer“
Journalismus, das plakativ mit Titelbil- DVD: Bitterer
Reis. Filmjuwe-
Deutschland seit 1945 zu beleuchten. breitende „Hysterie“, für die vor allem dern vom Skandal „Neue Heimat“ und
len/Alive 2015,
Deren zuweilen symbiotisches Verhältnis die drei „Leitmedien“ Spiegel, Stern und zur „Flick-Affäre“ illustriert wird. Dane-
Laufzeit etwa

˜
„Die gegenwärtige Unordnung
pflicht für Männer und Frauen ein.
Oder vielleicht doch nicht: Rekru-
zur Politik charakterisierte Voß als „er-
bitterte Freundschaft“. Beide hätten sich
Die Zeit verantwortlich zeichneten, re-
flektiert der Journalist Ernst Elitz im be-
ben hängt – zur Causa Bad Kleinen, der
blutig endenden Festnahme der RAF-
97 Minuten

kann man keineswegs etwa mit je-
ner vergleichen, die die Welt nach
dem Sturz des Römerreiches verheer-
te. Wir erleben nicht das natürliche
Sterben einer großen menschlichen
Kultur, sondern die Geburt einer un-
menschlichen Kultur, die sich nur
auf dem Wege über eine weithin-
reichende, maßlose, allgemeine Ste-
rilisierung der hohen Lebenswerte
errichten läßt.“ (Georges Bernanos)
tinnen muslimischen Glaubens wird
das Tragen des Kopftuchs im Dienst
erlaubt.
˜
„Es ist eine Gnade des Schicksals
beim Einzelmenschen, daß er verges-
sen kann. Wie könnten wir als ein-
zelne leben, wenn all das, was uns an
Leid, Enttäuschungen und Trauer im
Leben begegnet ist, uns immer gegen-
wärtig sein würde. Und auch für die
einen derart schlechten Ruf erworben, gleitenden Ausstellungatalog mit vielen Terroristen Hogefeld und Grams Ende
daß sie heute auf der Skala ganz unten, namhaften Beiträgern, der dem Besucher Juni 1993 – das Porträt des ehemaligen überredet, den für die Frauen als
knapp über der Prostitution rangierten. unbedingt zu empfehlen ist, gewisserma- Generalbundesanwalts Alexander von Lohn vorgesehenen Reis zu steh-
Dies habe auch mit dem föderalen Sy-
stem Deutschlands zu tun, das faktisch
ßen als zweite Seite der Münze. Sind hier
doch die kritischen Anmerkungen zur
Stahl, in der Hand die Spiegel-Nummer,
die ausschlaggebend wurde für dessen
len, während Francesca sich dem
rechtschaffenen Soldaten Marco
einen Dauerwahlkampf hervorbringe. unrühmlichen Rolle der Presse zu finden, Entlassung durch die Justizministerin (Raf Vallone) zuwendet. Dennoch
Zudem mutiere der heutige Journalis- für die in der Schau selbst kein Platz ist. Leutheusser-Schnarrenberger. Das Öl- verrät sie Walter aus Eifersucht an
mus immer häufiger zu einem „rendi- Besonders hervorzuheben in dem Band gemälde der Künstlerin Karoline Koep- die Carabinieri. Silvana hat inzwi-
teorientierten Kapitalunternehmen“, ist der brillante Exkurs des Publizisten pel gilt der Projektleiterin Anne Martin schen Walters falsches Spiel durch-
das dem genuinen Verlegerverständnis Wolfram Weimer über die „Medien als als beispielhaft für einen „investigati- schaut und kann verhindern, daß
zuwiderlaufe. Auch sei immer häufiger Diener des Zeitgeists“, der zugleich ei- ven“ Journalismus, der nichts anderes dieser einen Polizisten tötet …

˜
In einem Punkt gleichen sich die
Herrschenden aller Zeiten aller poli-
tischen Ordnung: Sie sind überzeugt,
daß die Leute nicht wissen, was gut
für sie ist.
Völker ist es eine Gnade, vergessen
zu können.“ (Theodor Heuss nach
zu beobachten, wie Journalisten sich –
einen alten Witz zitierend – ihre „gute
ne treffliche Philippika ist, zum Beispiel
mit Blick auf die mediale Mode der „Li-
war als eine Hetzkampagne, für die hier
vor allem mit Hans Leyendecker einer
Giuseppe De Santis Melodram
„Bitterer Reis“ führte 1949 zu ei-
seiner Wahl zum Bundespräsidenten Geschichte“ nicht mehr durch Recher- quid Demoracy“, der Weimer mit dem der prominentesten Vertreter des inve- nem Skandal, weil es die leiden-
am 12. September 1949) che kaputtmachten. Befördert werde dies Zivilisationskritiker Oswald Spengler stigativen Journalismus in Deutschland schaftlichen Verwicklungen der Be-
˜
Bildungsbericht in loser Folge
durch ein „immer schneller und komple-
xer“ werdendes Geschehen. Er kenne kei-
begegnet: „Die Masse ist am Ende das
radikale Nichts.“
steht. Lesenswert im Katalog ist daher
das Gespräch mit Alexander von Stahl,
teiligten wohl zu realistisch einfing.
Das Milieu der Saisonarbeiterin-

˜
Tatort, ARD, 30. November: Eine
Frau mit syrischem Migrationshin-
tergrund lockt den Assad-Schergen,
der ihren Vater vergiftet hat, durch
Kontakte in der syrischen Communi-
ty nach Deutschland und dingt einen
Mann mit syrischem Migrationshin-
tergrund als Mörder. Der erweist sich
als unfähig, die Tat auszuführen und
wird seinerseits mit zwei übergroßen
Apfelstücken ums Leben gebracht. In
einer Nebenhandlung geht es noch
LXVII: Die beiden europäischen
Länder, die sich dem Ideal des „col-
lege for all“ am weitesten angenähert
haben – Frankreich und Spanien –,
verzeichnen nicht nur die höchste Ju-
gendarbeitslosigkeit, sondern auch
den geringsten Einkommensabstand
zwischen Akademikern und Nicht-
akademikern.
Die nächste „Gegenaufklärung“ des Histo-
rikers Karlheinz Weißmann erscheint am
2. Januar in der JF-Ausgabe 2/15.
nen, so Voß beispielhaft, der etwa „den
Vertrag von Nizza gelesen, geschweige
denn verstanden hat“, und konstatierte
Während hier, wie auch bei Elitz, das
Scheitern der „Vierten Gewalt“ als Magd
oder gar Hure des Zeitgeists aufscheint,
in dem dieser auch daran erinnert, daß
nach einer Umfrage aus den neunziger
Jahren bereits damals etwa 70 Prozent
nen auf den padanischen Reisfel-
dern und die erbittert geführten
Auseinandersetzungen zwischen
den Vertrauensverlust gegenüber der Po- vergessen beide in ihren Beispielen die der Journalisten sich auf der linken Seite den beiden vor Liebe blinden Frau-
litik mit der Frage: „Wer weiß überhaupt fragwürdige Beziehung zwischen Politik des politischen Spektrums verorteten. en schildert der Regisseur kompro-
noch, worüber er abstimmt?“ und Journalisten im Zuge der Euro-Ein- mißlos. Leider fehlt es De Santis
Doch im Unterschied zu den Poli- führung, wie sie etwa der Publizist Udo an psychologischer Gestaltungs-
tikern hat der Besucher die Wahl, zu- Ulfkotte in seinem Werk „Raus aus dem Die Ausstellung „Unter Druck! Medien und kraft, zudem enthält sich der in der
mindest hier zwischen den mehr als 900 Euro, rein in den Knast“ minutiös nach- Politik“ ist bis zum 9. August 2015 im Zeit- Schauspielerführung mangelhaf-
geschichtlichen Forum Leipzig, Grimmaische
Objekten. So präsentiert die kurzweili- gezeichnet hat. Eine weitere Leerstelle in Str. 6, täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr,
te Film jeder geistig-moralischen
ge neue Wechselausstellung eine Wand diesem Sinne ist die Entstehung der Wo- Sa./So. ab 10 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 41 / Bewertung. Überzeugen kann der
mit großem Bildschirm, vor dem die Be- chenzeitung junge freiheit als publizi- 22 20-0 Film durch seine exemplarisch
sucher auf zwei Buzzern mit „Ja“ oder stisches Gegengewicht, während der taz www.hdg.de/leipzig/ schöne Bildgestaltung.

TERMINE
ALKERSUM/FÖHR
Bis 11.01.2015: Kunst und Küste.
Max Liebermann, Peder Severin
Krøyer und Zeitgenossen. Aus-
stellung im Museum Kunst der
Westküste, Hauptstraße 7. Täglich
außer montags 10 bis 17 Uhr. Info:
046 81 / 747 40 - 11, www.mkdw.de
ASCHAFFENBURG
Bis 11.01.2015: Der Erste Welt-
krieg im Spiegel expressiver Kunst.
Kämpfe — Passionen — Toten-
tanz. Ausstellung in der Kunsthal-
le Jesuitenkirche, Pfaffengasse 26.
Täglich außer montags 10 bis 17
Uhr, Di. 14 bis 20 Uhr. Info:
021 / 21 86 98, www.museen-
aschaffenburg.de
BADEN-BADEN
Bis 01.03.2015: Krieg spielen.
Kunst und Propaganda vor dem
Ersten Weltkrieg. Ausstellung im
Museum LA8 – Museum für Kunst
und Technik des 19. Jahrhunderts,
Lichtentaler Allee 8. Täglich außer
montags 11 bis 18 Uhr. Info:
072 21 / 50 07 96 - 0, www.la8.de
BASEL
19 Uhr. Info: 030 / 254 86 - 0, www.
berlinerfestspiele.de/gropiusbau
Bis 05.01.2015: Pasolini Roma.
Ausstellung zu dem italienischen
Schriftsteller und Filmemacher
Pier Paolo Pasolini im Martin-Gro-
pius-Bau, Niederkirchnerstraße
7. Täglich außer dienstags 10 bis
19 Uhr. Info: 030 / 254 86 - 0, www.
berlinerfestspiele.de/gropiusbau
Bis 08.03.2015: RAF – Terrori-
stische Gewalt. Ausstellung im
Deutschen Historischen Museum,
Unter den Linden 2. Täglich 10 bis
18 Uhr. Info: 030 / 20 30 40, www.
dhm.de
Bis 09.03.2015: Im Banne der Ver-
wüstung. Max Liebermann, Max
Slevogt und der Erste Weltkrieg.
Ausstellung in der Liebermann-
Villa am Wannsee, Colomierstr. 3.
Täglich außer dienstags 11 bis 17
Uhr. Info: 030 / 80 58 59 00, www.
liebermann-villa.de
Bis 28.06.2015: West:Berlin. Eine
Insel auf der Suche nach Festland.
Ausstellung im Stadtmuseum,
21 Uhr. Info: 02 28 / 91 71 - 200,
www.bundeskunsthalle.de
Bis 25.05.2015: Der Göttliche.
Hommage an Michelangelo. Aus-
stellung in der Bundeskunsthalle,
Friedrich-Ebert-Allee 4. Täglich au-
ßer montags 10 bis 19 Uhr, Di./Mi.
bis 21 Uhr. Info: 02 28 / 91 71 - 200,
www.bundeskunsthalle.de
DARMSTADT
Bis 25.01.2015: Karl der Große.
1200 Jahre Mythos und Wirklich-
keit. Ausstellung im Hessischen
Landesmuseum, Friedensplatz
1. Täglich außer montags 10 bis
18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, Sa./So. 11
bis 17 Uhr. Info: 06 51 / 16 57 - 000,
www.hlmd.de
DINGOLFING
Bis 11.01.2015: Kulturgeschichte
des Adventskalenders. Ausstel-
lung im Museum Dingolfing ,
Obere Stadt 19. Di.–Do. 13 bis
17 Uhr, Fr.–So. ab 10 Uhr. Info:
087 31 / 31 22 28, www.museum-
dingolfing.de
DRESDEN
Bis 19.04.2015: Blicke! Körper! bis 22 Uhr. Info: 02 01 / 88 45 - 000, Bis 18.01.2015: Kriegszeit. Erich tags 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. in der Außenstelle, Georg-Kaiser- SCHWERIN
Sensationen! Ein Anatomisches www.museum-folkwang.de Heckel 1914–1918. Ausstellung Info: 040 / 42 81 34 - 880, Straße 7. Mo.–Fr. 8 bis 18 Uhr. Info: Bis 01.02.2015: Kunstraub/Raub-
Wachskabinett und die Kunst. im Kunstmuseum Stiftung Mo- www.mkg-hamburg.de 03 91 / 62 71 - 0, www.bstu.bund.de kunst. Ausstellung in der Galerie
Ausstellung (JF 45/14) im Deut- HALLE (SAALE) ritzburg, Friedemann-Bach-Platz Alte & Neue Meister, Alter Garten
schen Hygiene-Museum, Lingner- Bis 12.01.2015: Stasi Ohn(e) 5. Täglich 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 INGOLSTADT MANNHEIM 3. Täglich außer montags 10 bis
platz 1. Täglich außer montags 10 Macht. Die Auflösung der DDR- Uhr. Info: 03 45 / 212 59 - 0, http:// Bis 03.08.2015: „Dieser Stellungs- Bis 01.03.2015: Von Atlantis 17 Uhr. Info: 03 85 / 59 58 - 0, www.
bis 18 Uhr. Info: 03 51 / 48 46 - 400 Geheimpolizei. Ausstellung des stiftung-moritzburg.de und Festungskrieg ist fürchterlich“. bis heute. Mensch. Natur. museum-schwerin.de
Bundesbeauftragten für die Stasi- Kriegsbeginn 1914. Ausstellung Katastrophe. Ausstellung in
ESSEN Unterlagen in der Außenstelle HAMBURG des Bayerischen Armeemuse- den Reiss-Engelhorn-Museen, STUTTGART
Bis 18.01.2015: Monet, Gauguin, Halle, Blücherstraße 2. Mo., Mi., Bis 11.01.2015: Fette Beute – ums im Reduit Tilly, Klenzepark. Museum Zeughaus C5. Täglich Bis 01.03.2015: „Fastnacht der
van Gogh ... Inspiration Japan. Do. 8 bis 17 Uhr, Di. bis 18 Uhr, Fr. Reichtum zeigen. Ausstellung im Täglich außer montags 9 bis außer montags 11 bis 18 Uhr. Info: Hölle“. Der Erste Weltkrieg und die
Ausstellung im Museum Folkwang bis 14 Uhr. Info: 03 45 / 61 41 - 0, Museum für Kunst und Gewerbe, 17.30 Uhr, Sa./So. ab 10 Uhr. Info: 06 21 / 293 31 50, Sinne. Ausstellung im Haus der
außer montags 10 bis 18 Uhr, Fr. www.bstu.bund.de Steintorplatz. Täglich außer mon- 08 41 / 93 77 - 0, www.armeemu- www.rem-mannheim.de Geschichte, Konrad-Adenauer-
seum.de Straße 16. Täglich außer montags
MÜNCHEN 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Info:
KÖLN Bis 18.01.2015: Canaletto. Bernar- 07 11 / 212 39 89, www.hdgbw.de
Bis 18.01.2015: Die Kathedrale. do Bellotto malt Europa. Aus-
Romantik – Impressionismus stellung in der Alten Pinakothek, WIEN
– Moderne. Ausstellung im Wallraf- Barer Straße 27. Täglich außer Bis 15.02.2015: Velázquez. Aus-
Richartz-Museum, Obenmarspfor- montags 10 bis 18 Uhr, Di. bis 20 stellung in der Gemäldegalerie
ten 40. Täglich außer montags 10 Uhr. Info: 089 / 238 05 - 216, www. des Kunsthistorischen Museums,
bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr. Info: pinakothek.de Maria-Theresien-Platz. Täglich au-
02 21 / 22 12 11 19, www.wallraf. ßer montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis
museum OBERHAUSEN 21 Uhr. Info: 00 43 / 1 / 525 24 - 0,
Bis 18.01.2015: Streich auf Streich. www.khm.at
LEIPZIG 150 Jahre deutschsprachige
Bis 04.01.2015: Leipziger Comics seit Max und Moritz. Aus- WUSTRAU
Erinnerungen an den Großen stellung mit Begleitprogramm in Bis 22.02.2015: Kindheit auf dem
Krieg 1914–1918. Gott mit uns? der Ludwiggalerie, Großes Schloß, Gut. Ausstellung im Brandenburg-
Ausstellung im Stadtgeschichtli- Konrad-Adenauer-Allee 46. Preußen Museum, Eichenallee 7a.
chen Museum, Böttchergäßchen Info: 02 08 / 412 49 28, Täglich außer montags 10 bis 16
FOTO: AUSSTELLUNG / © 2013 KUNSTHAUS ZÜRICH

Bis 15.02.2015: 14/18 – Die
Schweiz und der Große Krieg. Aus-
stellung im Museum für Geschich-
te, Barfüsserplatz. Täglich 10 bis 17
Uhr. Info: 00 41 / (0)61 / 205 86 02,
www.hmb.ch
BASEL (RIEHEN)
Bis 18.01.2015: Gustave Courbet.
Ausstellung in der Fondation
Beyeler, Baselstrasse 101. Täglich
10 bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr.
Info: 00 41 / 61 / 645 97 00
BERLIN
Bis 04.01.2015: Die Wikinger. Aus-
stellung (JF 48/14) im Martin-Gro-
pius-Bau, Niederkirchnerstraße
7. Täglich außer dienstags 10 bis
Poststraße 16. Täglich außer mon-
tags 10 bis 18 Uhr, Mi. 12 bis 20
Uhr. Info: 030 / 240 02 - 162, www.
stadtmuseum.de
BONN
Bis 06.04.2015: Festakt oder Pick-
nick? Deutsche Gedenktage. Aus-
stellung im Haus der Geschichte,
Museumsmeile, Willy-Brandt-Allee
14. Täglich außer montags 9 bis
19 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr. Info:
02 28 / 91 65 - 0, www.hdg.de
Bis 22.02.2015: Outer space. Fas-
zination Weltraum. Ausstellung in
der Bundeskunsthalle, Friedrich-
Ebert-Allee 4. Täglich außer
montags 10 bis 19 Uhr, Di./Mi. bis
Bis 31.12.2014: Überwachen. 3. Täglich außer montags 10 bis www.ludwiggalerie.de/ Uhr. Info: 03 39 25 / 707 98,
Verängstigen. Verfolgen. Stasi. 18 Uhr. Info: 03 41 / 96 51 30, www. www.brandenburg-preussen-
Die Geheimpolizei der DDR. stadtgeschichtliches-museum- PATTENSEN museum.de
Ausstellung des Bundesbeauf- leipzig.de Bis 23.12.2014: Der Weg zur Krone
tragten für die Stasi-Unterlagen in – Das Königreich Hannover und
der Außenstelle Dresden, Riesaer Bis 04.01.2015: Freiheit – Einheit seine Herrscher. Ausstellung im
Straße 7. Mo.–Fr. 10 bis 18 Uhr. – Denkmal. Politische Denkmale Schloß Marienburg, Marienberg ***
Info: 03 51 / 25 08 - 0, www.bstu. in Leipzig. Ausstellung im Alten 1. Täglich 10 bis 18 Uhr. Info:
bund.de Rathaus, Markt 1. Täglich außer 050 69 / 348 00 - 0, www.schloss-
montags 10 bis 18 Uhr. Info: marienburg.de
Bis 18.01.2015: An der Wiege der 03 41 / 965 13 20, www.stadtge- Alle Angaben ohne Gewähr!
Kunst. Italienische Zeichnun- schichtliches-museum-leipzig.de SCHWEINFURT
gen und Gemälde von Giotto Bis 11.01.2015: Carl Spitzweg. Fehlt hier Ihr Veranstaltungshin-
bis Botticelli. Ausstellung im MAGDEBURG Die weltweit größte Sammlung. weis? Ankündigungen schicken
Residenzschloß, Kupferstich- Bis 23.12.2014: Die friedliche Ausstellung im Museum Georg Sie bitte per Fax (030 / 86 49 53 14),
Kabinett, Taschenberg 2. Täglich Bernardo Bellotto, Die Ruinen der Kreuzkirche, Dresden, um Revolution 1989. Diktatur und Schäfer, Brückenstraße 20. Täglich E-Post (redaktion@jungefreiheit.
außer dienstags 10 bis 18 Uhr. Widerspruch – DDR-Geschichte außer montags 10 bis 17 Uhr, Do. de) oder Brief (Hohenzollern-
Info: 03 51 / 49 14 20 00, www.skd.
1765/67: Ausstellung „Canaletto. Bernardo Bellotto malt Europa“ in im Fokus. Ausstellung des bis 21 Uhr. Info: 097 21 / 51 48 20, damm 27 a, 10713 Berlin) an die
museum der Alten Pinakothek in München (bis 18. Januar 2015) Stasi-Unterlagen-Beauftragten www.museumgeorgschaefer.de JF-Terminstelle.
16 | K U L T U R
Medizynische
Betrachtungen
Ein Gedichtband von
Günter B. Merkel
THOMAS PAULWITZ
E in Zyniker ist der Worther-
kunft nach derjenige, der
bissig wie ein Hund (griechisch
„kyon“) und frei von gesellschaft-
lichen Zwängen die Welt verspot-
tet. Der „Medizyniker“ Günter B.
Merkel verwandelt den Spott zur
Medizin. Wer den „Minikosmos
Mensch“ zu sich nimmt, wie das
neueste Gedichtbändchen des
„Reim-Kanzlers“ Merkel heißt, der
verabreicht sich eine Portion Zyni-
sches, Hintersinniges und Heikles.
Das Heilmittel des „Medizynikers“
lautet, den Widerspruch in Worte
gefaßt: „Lache dich krank und
bleibe gesund!“ Dabei gelingt Mer-
kel das Kunststück, mit seinem
beißenden Humor niemanden zu
verletzen. Wenn etwa „Prothesen
protestieren“, so daß der Mensch
ins „Ersatzteillager“ eilen muß,
dann macht der Wortwitz das Leid
erträglicher.
Hang zum
Zeilensprung
Zunächst geht es um einzelne
Körperteile: „Nachfolgend wird
exakt erklärt, / Wie der Körper
funktioniert, / Wobei man neben-
bei erfährt, / Daß er nicht ewig
existiert.“ Der Leser lernt von Ge-
dicht zu Gedicht, was er schon
immer über seinen Körper wis-
sen wollte, aber sich noch nie zu
fragen traute. Der „Medizyniker“
beginnt mit der Hülle: „Die Haut
an sich ist wasserdicht, / Was für
sie als Verpackung spricht.“ Zum
Gehirn stellt der Dichter fest, was
wir schon ahnten: „Doch ist der
Mensch besonders dumm, / Lagert
dort ein Vakuum!“
Nachdem die „fleißigen Orga-
ne“ gewürdigt sind, folgen die viel-
schichtigeren Systeme des Men-
schen: von der Atmung über Cha-
rakter und Seele bis schließlich hin
zum unvermeidlichen Ende. Nicht
zuletzt gehört auch die Sprache in
dieses Feld: „Die Sprache ist dem
Menschen eigen, / Aber auch die
Tiere zeigen, / Daß sie sich bestens
unterhalten / Können und kur-
ze Reden halten.“ In Versen wie
diesen fällt der Hang des Dichters
zum „Enjambement“, zum Zei-
lensprung auf. Mit diesem Kniff
vermeidet er, daß Versmaß und
Reime eintönig klingen.
Am Ende des „Minikosmos
Mensch“ steht die Mahnung,
nicht zu sehr über die Stränge zu
schlagen. Denn wenn sich jemand
zu schlecht benehme, „Holt ihn
der Teufel in die Hölle, / Statt zum
Karneval nach Kölle.“ Wer jedoch
Merkels Medizin genießt, dem
kann der Teufel nichts anhaben.
Günter B. Merkel: Minikosmos
Mensch. Eine medizynische Betrach-
tung von Dr. humoris causa Merkel,
SWP-Buch-Verlag, Wilhelmsfeld 2014,
gebunden, 64 Seiten, 7,77 Euro. Be-
stellung unter Tel: 0 62 20 / 63 10.
www.merkel-gedichte.de
Jederzeit kann der
Terror ausbrechen
Islamischer Fundamentalismus: Ein Film zeigt
den Einfluß von Gotteskriegern auf den Alltag
von Menschen im malischen Timbuktu
CLAUS-M. WOLFSCHLAG
N
icht erst seit dem Vorrücken der
IS-Miliz in Syrien und im Irak
ist die Präsenz islamistischer
und salafistischer Gruppierungen ein
öffentlich diskutiertes Thema gewor-
den. So liest man viel über die Taliban
in Afghanistan, Boko Haram im Norden
Nigerias oder die al-Shabaab-Mudscha-
heddin in Somalia. Nun hat sich der
mauretanische Regisseur Abderrahmane
Sissako des Themas in einem Spielfilm
angenommen.
Der Film spielt 2012, als Teile des
nördlichen Mali um die Stadt Timbuktu
in die Hände der „Ansar Dine“-Rebel-
len und der Gruppierung „al-Qaida im
Maghreb“ fielen und dort ein strenges
islamistisches Regiment errichtet wurde.
Erst ein knappes Jahr danach konnten
französische und malische Regierungs-
truppen die Region wieder unter ihre
Kontrolle bringen.
Die Haupthandlung des Films dreht
sich um den Viehzüchter Kidane, der
mit seiner Frau Satima, seiner Tochter
Toya und dem zwölfjährigen Hirtenjun-
gen Issan in den Sanddünen unweit der
Eine junge Muslima wird von Dschihadisten bedroht: Realistisch
Dalmatinische Geisterbeschwörung: Regina Schillings Dokumentarfilm „Titos Brille“ über die Familie der Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras
SEBASTIAN HENNIG
V or drei Jahren veröffentlichte die
aus Zagreb stammende Schauspie-
lerin, Theaterregisseurin und Autorin
Adriana Altaras ihr autobiographisches
Erfolgsbuch „Titos Brille – Die Ge-
schichte meiner strapaziösen Familie“.
Eine Astrologin hat ihr geraten, sich den
Orten ihrer Familiengeschichte anzu-
nähern, um Distanz zu gewinnen. Die
Dokumentarfilmerin Regina Schilling
begleitete Adriana Altaras auf dieser
Erkundungsreise; ihr Film läuft jetzt
in den Kinos an.
Für die unruhigen Geister der Fami-
lie verwendet Adriana Altaras den he-
bräischen Ausdruck Dibbuk. Ihre El-
tern stammen aus jüdisch-kroatischen
Stadt Timbuktu lebt, die in die Hände
islamischer Fundamentalisten gefallen
ist. Die Nachbarn haben sich schon
fortbewegt, doch Kidane denkt nicht
an Wegzug. Dann gerät er in Konflikt
mit einem unweit lebenden Fischer und
der Scharia-Justiz.
Salafisten herrschen mit
Verboten und Strafen
Deutlich zeigt „Timbuktu“, daß die
salafistische Herrschaft vor allem ei-
ne der Restriktionen ist. Der religiöse
und moralisch tugendhafte Mensch soll
durch Verbote und drakonische Strafen
herbeigeführt werden. Auch steht die
ebenfalls muslimische Bevölkerung der
salafistischen Herrschaft teils reserviert
gegenüber, doch bleiben den Beherrsch-
ten nur kleine Freiheiten, die allerdings
bereits eine Form der passiven Oppositi-
on darstellen. Hier wäscht eine Frau ihr
Haar und entgegnet der Aufforderung
eines Milizionärs, dieses zu bedecken,
mit der kecken Antwort, daß er einfach
nicht hinschauen solle. Dort spielen Ju-
gendliche pantomimisch Fußball ohne
Ball, was die herbeieilende Scharia-Po-
lizei irritiert wieder abziehen läßt.
Die Figuren sind realistisch gezeich-
Reise in die Vergangenheit
Familien. Im Krieg wurden sie erst zu
Verfolgten der Nationalsozialisten, dann
mit der Partisanenarmee zu Siegern, am
Schluß jedoch zu Emigranten. Nach
dem Krieg gehörten die Architektin
und der Arzt zur staatstragenden kom-
munistischen Elite.
1964 siedeln die Eltern zunächst
in die Schweiz über, zwei Jahre später
gehen sie nach Deutschland. Adriana
wird unterdessen am Gardasee in die
Obhut der antikommunistischen Tante
gegeben. In Gießen kommt die Familie
wieder zusammen. Adriana besucht ein
Waldorf-Internat. An der Hochschu-
le der Künste Berlin absolviert sie ein
Schauspielstudium. Ihre Eltern entdeckt
sie eigentlich erst postum in ihren Hin-
terlassenschaften.
Zur Geisterbeschwörung gehört auch
FOTOS (2): ARSENAL FILMVERLEIH
Viehzüchter Kidane mit seiner Frau Satima und seiner Tochter Toya: Konflikt mit der Scharia-Justiz
net, keinesfalls in übertriebenen Gut-
Böse-Schemata des amerikanischen
Kinos. Auch die Salafisten haben ein
Gesicht und oft eine menschliche Seite.
Auf diese Weise betont Sissako aber
auch die Widersprüche und Zwänge in-
nerhalb der salafistischen Herrschaft. Ein
Salafist raucht heimlich und wird dabei
von seinem Kollegen gedeckt. Junge Mi-
lizionäre unterhalten sich angeregt über
die Erfolge internationaler Fußballclubs,
während zugleich das Fußballspiel im
Stadtgebiet per Dekret verboten wird.
Ein Scharia-Polizist spürt nachts verbo-
tenen musikalischen Klängen nach, die
durch ein Stadtquartier hallen. Als er die
Quelle ausfindig gemacht hat, fragt er
bei seinem Vorgesetzten nach, ob der
Verursacher wirklich verhaftet werden
soll, handle es sich doch offenbar um
Lobgesänge auf Allah. Ein junger Mili-
zionär und ehemaliger Rapper vermag es
nicht, vor der Kamera seine Teilnahme
am Dschihad zu begründen.
Einerseits werden junge Leute, die
sich heimlich zu einer kleinen Party
treffen, gnadenlos abgeurteilt. Anderer-
seits bleibt eine verschrobene französisch
sprechende Frau, irgendwo zwischen
animistischer Künstlerin und Voodoo-
Priesterin stehend, die in bunte Gewän-
der gehüllt die Milizen auf offener Straße
verhöhnt, unbehelligt. Möglichenfalls,
weil sie einige Milizionäre mit halluzi-
nogenen Drogen versorgt? Unbehelligt
kann auch ein älterer Fürsprecher der
Bevölkerung offen Kritik am salafisti-
schen Weg zu Allah äußern. Die Sze-
nerie ist also vielschichtig, aber zugleich
schwebt die Wolke der Unberechenbar-
etwas Mummenschanz. Mehrmals po-
siert die Erbin der Relikte, Erinnerun-
gen und Mythen in der viel zu großen
Uniform ihres Vaters mit allen Ehrenzei-
chen. Es ist ihre Geschichte. Und es ist
zu bemerken, wie sie diese teils beäng-
stigend umfängt, oft genug aber auch
auf das Ungewöhnliche daran stolz vor
sich her trägt.
Die Tante erinnert sich
ohne Verklärung
Die Selbststilisierung ist der Leitfa-
den für Reise und Film. Sie hat in iro-
nischer Brechung die Attitüde direkt
von den Eltern übernommen. In alten
Super-8-Filmen und Diapositiven flat-
tern die Gespenster der Verstorbenen
immer wieder vorüber. Die treue Sekre-
keit über der Stadt. Jederzeit kann es
zum Ausbruch des Terrors kommen.
Regisseur Sissako zeigt zudem die eth-
nischen Differenzen und Konflikte der
Region, was allerdings vorrangig mit der
Materie vertrauten Zuschauern auffallen
wird. Die Salafisten sprechen Arabisch
im Gegensatz zur vorherrschenden Tua-
reg-Bevölkerung der Region, die sich in
Tamascheq verständigt. Verständnislos
fragt Kidane einen Tuareg-Volksgenos-
sen, der sich den arabischen Salafisten
als Dolmetscher angeschlossen hat, in
Tamascheq, was er mit diesen Leuten
eigentlich zu tun habe. Er deutet da-
mit an, daß er in den Salafisten fremd-
ethnische Besatzer sieht. Zugleich steht
der Tuareg und Viehzüchter Kidane im
Konflikt mit einem Nachbarn, der dem
westafrikanischen Bozo-Stamm angehö-
ren dürfte, der traditionell vom Fisch-
fang am Niger-Fluß lebt.
Ein nicht verheiratetes Paar
wurde zu Tode gesteinigt
Sissako präsentiert somit einen Film,
der sich fern der Sehgewohnheiten von
Hollywood-Filmen bewegt. Die Mi-
schung gelingt. Die Bildeinstellungen
sind wohltuend ruhig, ohne deshalb
langweilig zu werden. Die Geschichte ist
tendenziell handlungsarm, ohne deshalb
an Spannung zu verlieren. Man spürt,
daß der Regisseur durch seine kulturelle
Herkunft ganz nah am Geschehen ist.
Das unterscheidet „Timbuktu“ im Er-
gebnis beispielsweise von einem Film wie
dem vor zehn Jahren erschienenen „Ho-
tel Ruanda“ des irischen Regisseurs Ter-
tärin des Vaters an der Klinik in Gießen
berichtet davon, wie die Altaras sich zu
ihren Wurzeln durchgegraben haben.
Die Tochter bestätigt aus eigener Wahr-
nehmung: „Sie wurden zunehmend jü-
discher, eigentlich stündlich.“ In Gießen
gründen sie schließlich eine jüdische
Gemeinde und bauen eine Synagoge.
Diese Familie ist ein Leitfossil einer
Epoche, die bereits weit zurückliegt.
Früher war davon kaum die Rede. Heu-
te, wo Adriana Altaras in Berlin wohnt,
werden die Orte der Vergangenheit zu-
nehmend sagenhaft. Sie sagt: „Ich finde
die Deutschen machen die Vergangen-
heitsbewältigung gut. Fast so gut wie
Autos bauen. Der Mercedes von meinem
Vater fährt nun schon 35 Jahre.“
In besagter Limousine besucht sie
Gießen, Zagreb, Split, Titos Villa in
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
ry George, der das Massaker von 1994
an der ruandischen Tutsi-Bevölkerung
bewegend darstellte.
„Timbuktu“ ist dagegen weit weniger
auf den Plot konzentriert, der auch eine
relativ schlichte Geschichte erzählt. Statt
dessen entfernt er sich immer wieder von
der Hauptgeschichte gleitet in kurze Ne-
benschilderungen ab, die aber dadurch
die Restriktionen durch die salafistische
Herrschaft um so anschaulicher werden
lassen.
Man sieht, ohne daß dies gewaltpor-
nographisch in Szene gesetzt würde, die
allgegenwärtige Scharia-Polizei, die Tri-
bunale, eine Auspeitschung, eine Stei-
nigung. Letztere stellt wohl einen Vor-
gang in der Kleinstadt Aguelhok dar, den
Regisseur Sissako als „ein unsägliches
Verbrechen (…), das von den Medien
und somit dem Rest der Welt einfach
ignoriert wurde“, bezeichnete: „Ein Paar
in den Dreißigern, das mit zwei Kin-
dern gesegnet war, wurde zu Tode ge-
steinigt. Ihr Verbrechen: Sie waren nicht
verheiratet. Die Szenen ihres Sterbens,
die von ihren Folterern online gepostet
wurden, sind grauenvoll. (…) Aguel-
hok ist nicht Damaskus oder Teheran.
Deshalb wird nichts darüber berichtet.
Was ich niederschreibe, ist unerträglich,
ich weiß. Ich versuche keineswegs, über
Schockgefühle einen Film zu promoten.
Jetzt, wo ich davon weiß, muß ich in
der Hoffnung darauf davon erzählen,
daß nie wieder ein Kind später erfahren
muß, daß seine Eltern sterben mußten,
weil sie sich liebten.“
www.trigon-film.org/de/movies/Timbuktu
Bled, die neunzigjährige Tante Jele am
Gardasee und die Insel Rab mit dem La-
ger, in dem ihre Mutter und Tante inter-
niert waren und von Partisanen befreit
wurden. Die Tante erinnert sich daran
ohne Verklärung: „Die Kommunisten
kamen hereinspaziert und wühlten in
unseren Koffern.“
Nach der Reise hat sich für die heute
54jährige Adriana Altaras das Verhält-
nis zum Ballast der Geschichte weiter
entspannt. So meint sie zuletzt: „Wer
zuviel wegwirft, ist ein Faschist.“ Also
werden die alten Koffer aus Zagreb mit
den Schmalfilmen, Uniformen, Urkun-
den, Fotos und Arztkitteln des Vaters
weiter bewahrt. Tante Jele hat gesagt:
„Die Vergangenheit ist jetzt.“
www.titosbrille.x-verleih.de
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
Blick in die Medien
Wir werden
weiterkassieren
Von Tobias Dahlbrügge
S ie freuen sich auf ein Wiederse-
hen mit einer alten Serienfolge
auf Youtube – und dann erscheint:
Dieses Video ist nicht verfügbar,
weil BMG die Rechte nicht erteilt
hat. Grund: Irgendwo in der Folge
dudelt ein Radio im Hintergrund
ein Lied, an dem der Medienkon-
zern die Rechte besitzt.
Das betrifft vor allem Filme und
Serien aus Produktionsjahren, in
denen noch niemand an eine digi-
tale Weiterverwertung dachte. Etli-
che Serienklassiker sind nur deshalb
nicht auf DVD erhältlich, weil um
die Rechte an einer Filmmusik ge-
stritten wird.
An den Komponisten und In-
terpreten der Titel liegt das nicht;
in vielen Fällen liegen die Urheber-
rechte gar nicht mehr bei den tat-
sächlichen Urhebern. Das Feilschen
ist wie auf dem türkischen Basar:
Wer für einen Titel bezahlt, kann
vielleicht noch einen weiteren her-
ausschlagen. Für jeden nationalen
Markt wird extra verhandelt.
Gema: Die Kultur- und
Kreativwirtschaft ist
die wachstumsreichste
Branche Europas.
Besonders schwer zu lizenszeren
sind große Namen wie die Beatles,
die aber in etlichen Serien vorkom-
men. Manche DVD-Produzenten
gehen kreative Wege, um die Rech-
teblockade zu umgehen: Sie blenden
die Lieder einfach aus oder nehmen
die Titel mit namenlosen Musikern
preiswert neu auf.
Inzwischen haben sich professio-
nelle Rechte-Agenturen darauf spe-
zialisiert, auch in verzwickten Fällen
an Lizenzen heranzukommen – ein
Millionengeschäft. Zahllose Fern-
sehklassiker bleiben trotzdem weiter
im Kellerregal und sind noch weit
von einer DVD-Veröffentlichung
entfernt.
Vor diesem Hintergrund hat der
Gema-Dachverband eine Studie in
Auftrag gegeben, die – O Wunder!
– zu dem Schluß kommt, daß die
Kultur- und Kreativwirtschaft die
wachstumsreichste Branche Euro-
pas sei. Von dieser Erkenntnis sollen
nun „wichtige Signale nach Brüssel“
ausgehen, von wo sich die Rechte-
verwerter „ein starkes Urheberrecht“
versprechen. Ziel sei „die Stärkung
des digitalen Binnenmarktes“, also
die weitere Lizenz zum doppelten
Abkassieren.
TV-Tip
Dienstag, 16. Dezember,
20.15 Uhr, Arte
Schweig, Verräter!
Diese amerikanische Doku
begleitet Whistleblower, die
den Mut hatten, über Miß-
stände im einem der zahl-
reichen US-Geheimdienste
zu berichten.
Stendal
07. – 10.03.2015
UE
MA
EN
FLICKR, TORST
O: ©
FOT
Der Streit zwischen Online und Print bleibt
„Der Spiegel“: Selten wurde ein Chefredakteur so garstig davongejagt wie Wolfgang Büchner
RONALD BERTHOLD
E
ine Woche drückte sich der Spie-
gel, der sonst so gern Vorabmel-
dungen in die Medienwelt ver-
schickt, darum, eine Nachricht in eigener
Sache zu veröffentlichen: die Entlassung
des Chefredakteurs. Bereits am Mittwoch
vorvergangener Woche teilte die Verlags-
leitung Wolfgang Büchner mit, daß seine
Zeit beim Nachrichtenmagazin vorbei
sei. Einen Tag später meldete sich der
48jährige krank. Weniger der Verlust des
Arbeitsplatzes als vielmehr das perma-
nente Mobben durch die Untergebenen
war dem Mann wohl auf die Gesundheit
geschlagen.
Wieder einmal verließen das Ham-
burger Blatt alle journalistischen Instink-
te. Denn daß es gelingt, diese brisante
Personalie in der geschwätzigen Branche
unter der Decke zu halten, konnten die
Hamburger nicht ernsthaft annehmen.
Und so häuften sich die Spekulationen
in den Medien, daß der Spiegel Büchner
den Stuhl vor die Tür gesetzt habe. Der
Verlag reagierte die Woche über mit De-
mentis, um dann acht Tage später letzt-
lich doch zu vermelden, was die Spatzen
bereits lange von den Dächern pfiffen.
Und selbst diese Nachricht kam skur-
ril daher. Ausgerechnet Spiegel-Geschäfts-
führer Ove Saffe, der gleich mit gefeuert
wurde, mußte das Büchner-Aus verkün-
den. Dieser habe, so formulierte er, das
Blatt „erfolgreich weiterentwickelt“. Für
„sein großes Engagement danke ich ihm
herzlich“, schrieb Saffe. Die Ich-Form
läßt aufhorchen. Normalerweise dankt
der Verlag dem Ausgeschiedenen und
benutzt das Wir. Weiter hieß es dann,
auch der 53jährige Geschäftsführer wer-
de „sein Amt niederlegen“.
Selbst dieser Abschiedsgruß war also
noch vergiftet, demonstriert aber im-
merhin eine gewisse Ehrlichkeit. Denn
die Ansicht, daß Büchner „erfolgreich“
gearbeitet habe, vertritt Saffe beim Spiegel
ziemlich exklusiv. Bis zuletzt hielt er an
dem von der selbstverliebten Redaktion
gehaßten Chefredakteur fest. Das wurde
ihm nun selbst zum Verhängnis.
Nur etwas mehr als ein Jahr saß Büch-
ner auf dem Chefsessel. Und genauso
lange feindete ihn seine Truppe an. Die
Akteure blockierten sich gegenseitig,
verloren den gemeinsamen Erfolg aus
Jürgen Kaube wird Schirrmacher-Nachfolger
Überraschung: Noch vor dem Jahreswechsel entscheidet sich die „FAZ“ für einen neuen Herausgeber / Linkskurs gestoppt?
RONALD GLÄSER
S eit durchgesickert ist, daß Jürgen
Kaube neuer FAZ-Herausgeber wird,
spekulieren Feuilletonisten darüber, ob
dies einen Kurswechsel mit sich bringt.
Folgt auf Frank Schirrmacher, der zu-
letzt vor allem für Kapitalismuskritik
stand, etwa ein Konservativer? Um die
Spannung gleich vorher zu lösen: wohl
kaum. Kaube gehört seit zwei Jahrzehn-
ten zum Inventar der FAZ. So jemand
startet keine Revolution.
Leserreisen 2015
jetzt reservieren
Freiburg
13. – 18.04.2015
Z
KUN
F L I C K R, W E R N E R
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TO:
FO
FOTO: RONALD GLÄSER
Wolfgang Büchner bei der 20. Geburtstagsfeier von „Spiegel Online“: „Der falsche Mann am falschen Ort“
den Augen und machten letztlich fast
nur noch genauso negative Schlagzeilen
wie der in derselben Stadt beheimate-
te Hamburger SV – nämlich mit inter-
nen Querelen. Vordergründig ging es
bei dem Streit um die Verzahnung von
Print und Online. Doch der Konflikt
wäre niemals so eskaliert, hätten nicht
persönliche Animositäten das Betriebs-
klima zerstört. Büchner, der auch noch
den Bild-Mann Nikolaus Blome mitge-
bracht hatte, fehle der Stallgeruch, er sei
„keiner von uns“, meckerten die meisten:
zuwenig links, zu betriebswirtschaftlich.
Auflagenzahl
des „Spiegel“
jeweils 3. Quartal
1.200.000
1.097.720
1.077.202
1.056.229
1.012.872
1.000.000
800.000
600.000
2004 2006 2008 2010 2012 2014
Andere Akzente wird der 52jähri-
ge schon setzen. Zum einen weil er als
Volkswirt ein anderes Gespür für wirt-
schaftliche Zusammenhänge des Landes,
aber auch des Verlages hat. Das vermutet
zumindest ein Kollege von Kaube, der
sich einen „etwas weniger sozialdemo-
kratischen Kurs“, dafür mehr wirtschaft-
liche Vernunft wünscht.
Dafür könnte Kaubes Haltung zur
Bildungspolitik sprechen. Er ist für die
FAZ-Mittwochsbeilage zur Bildungspo-
litik zuständig, die oft Historikern und
Geisteswissenschaftlern ein Forum bie-
H
C
ATIS
FOTO: © FLICKR, THEM
Für die Redaktion ergriff Cordt
Schnibben das Wort. Die Abrechnung
des Reporters mit Büchner hat es in sich:
Er sei der „falsche Mann am falschen
Ort gewesen“, habe nicht als Inspira-
tor gewirkt, sondern Irrsinn produziert
und ihn, Schnibben, regelmäßig „in die
Tischkante beißen lassen“.
Wurde Giovanni di Lorenzo
absichtlich „vergrault“?
Bei der auch öffentlich ausgetragenen
Auseinandersetzung fällt auf, daß nie-
mand Büchner vorwarf, die verkaufte
Auflage des Spiegel in seiner Amtszeit um
50.000 heruntergewirtschaftet zu haben.
Das nahm die Mannschaft in Zeiten der
Pressekrise offenbar als gottgegeben hin.
Die Print-Redaktion wehrte sich viel-
mehr gegen die Kooperation mit den
Onlinern, fürchtete um eigene Pfründe
wie die Mitbestimmung, übersah dabei
aber, daß Büchner genau dafür geholt
941.407
worden war. Er sollte das Blatt mit dem
878.260
Projekt „Spiegel 3.0“ zukunftsfähig ma-
chen, den Druck des Internets vom ge-
druckten Spiegel nehmen und gemein-
QUELLE: IVW
same Einnahmen generieren.
Saffe stärkte Büchner den Rücken und
GRAFIK
nahm in Kauf, daß dieser bereits im Som-
mer entmachtet wurde. Von der Produk-
tet – und insofern weder organisatorisch
noch weltanschaulich ein Anhängsel des
mitunter linksgestrickten FAZ-Fuilletons
darstellt. Im September erst hat er in ei-
nem großen Aufsatz den linken Reform-
eifer im deutschen Bildungswesen gegei-
ßelt. Die Reformfreude habe den „ganzen
Berufsstand irre werden lassen“ und „stets
Unmengen an Papier sowie riesigen Zeit-
verbrauch durch Grüßen der neuesten
Geßlerhüte produziert“. Er scheint aus
Erfahrung zu sprechen, denn im gleichen
Monat twitterte er: „Elternabend: Gibt es
Rituale, die noch sinnloser sind?“
Ihre Referentin:
Danzig Dr. phil.
Christiane Pohl
12. – 20.09.2015
3 Seminar & Arbeitsmaterial
3 Rahmenprogramm, Ausflüge
tion mußte er sich seitdem fernhalten. Ein
Chefredakteur, der nicht sein eigenes Blatt
machen darf – das gab es nur beim Spie-
gel. Das war ein Abruf auf Raten. Insofern
überrascht der jetzt vollzogene Schritt nie-
manden mehr. Die Redaktion bekam auch
ihren Willen, und so leitet Spiegel-Urgestein
Klaus Brinkbäumer gemeinsam mit Ex-Vize
Clemens Höges interimistisch das Magazin.
„In Kürze“ will der Verlag die Nachfolge
Büchners und wohl auch Saffes endgültig
entscheiden. Bereits im Oktober soll es da-
zu Gespräche mit dem Zeit-Chefredakteur
Giovanni di Lorenzo gegeben haben. Alles
sei in trockenen Tüchern gewesen, schreibt
das Medienmagazin Horizont. Nach einem
Gespräch mit dem Eigentümer-Erben Ja-
kob Augstein habe di Lorenzo aber seine
Zusage zurückgezogen. Es wird berichtet,
Augstein habe ihn „vergrault“.
Dem Verleger des Wochenblattes Frei-
tag (Auflage: 17.500), der zuletzt vor allem
durch antideutsche Kommentare für Auf-
sehen sorgte, werden selbst Ambitionen
auf den Posten nachgesagt. Der linksge-
strickten Redaktion stünde der von Spiegel-
Gründer Rudolf Augstein angenommene
Sohn sicherlich nicht nur wegen des Na-
mens näher. Ob er aber mit seiner anti-
faschistischen Ausrichtung ein Massen-
blatt zum Erfolg führen kann, erscheint
unwahrscheinlich.
Kaube wird von einem anderen FAZ-
Insider als „richtig gut“ und „äußerst
kompetent“ beschrieben. Komische De-
batten wie unter Schirrmacher würden
nun wohl eher selten angestoßen. Diese
Hoffnung wird in der Belegschaft von
vielen geteilt. Die Realität wird Kaube
jedoch bald einholen. Die FAZ ächzt
unter Umsatzeinbußen. Dem jüngsten
Sparpaket des Verlages sind sogar im No-
vember die Comics im Kulturteil zum
Opfer gefallen. Davor hatte der Verlag
mitteilen müssen, daß er 200 Arbeits-
plätze streicht.
Anspruchsvolle Leserreisen zu reizvollen Orten: Lernen Sie andere
JF-Leser kennen und wandeln Sie auf den Spuren deutscher Gei-
stesgrößen. Durch gemeinsame Lektüre tauchen Sie in die Vor-
stellungswelten großer Denker und Philosophen ein. So anregend
und erholsam kann ein Kurzurlaub im Kreise Gleichgesinnter sein!
JUNGE F
empfieh
REIHEIT
lt
Begegnungen mit Immanuel Kant
Ein Sommervergnügen im Ruppiner Land
Kant und Schopenhauer in Danzig
Informationen und Buchungen:
Alles inklusive!
Ihre Vorteile
3 inkl. aller Eintrittsgelder
3 Vollpension im 4 9-Hotel
3 Reisebegleitung
M E D I E N | 17
Mindestlohn: Bauer mit
minderjährigen Zustellern
HAMBURG. Bauer entläßt
deutschlandweit bis zu 3.000 sei-
ner 35.000 Zusteller. Volljährigen
Zustellern würde der Verlag ab Ja-
nuar schrittweise den Mindestlohn
zahlen müssen. Dafür spricht das
Unternehmen nach Informatio-
nen des Branchendienstes Werben
und Verkaufen nun gezielt Minder-
jährige an, die vom Mindestlohn
ausgenommen sind. Außerdem
werde Zustellern vorgeschlagen,
ihren Vertrag auf den eines Min-
derjährigen umzuändern. Vor Bau-
er hatte bereits die Einzelhandels-
kette Kaufland den Vertrieb ihrer
zeitungsartigen Werbung flächen-
deckend umgestellt. Tausende Zu-
steller wurden – höchstwahrschein-
lich ebenfalls wegen des Mindest-
lohns – kurzfristig zum Jahresende
gekündigt. Ab Januar beträgt der
Mindestlohn für Zeitungszusteller
6,36 Euro. Ab 2018 liegt er bei 100
Prozent des derzeit auf 8,50 Euro
festgelegten Stundensatzes. (rg)
Dotcom-Millionär kauft
Magazin „The European“
BERLIN. Der Verleger Bernd
Förtsch wird neuer Haupteigentü-
mer von The European. Er erwirbt
vom Gründer Alexander Görlach
78 Prozent der Anteile. Görlach
bleibt mit 15 Prozent der Antei-
le Gesellschafter und Chefredak-
teur. Spiegel Online zufolge benö-
tigt das Heft, das 2009 als reines
Onlineportal gestartet war, neues
Kapital. Der Umsatz habe zuletzt
bei 700.000 Euro gelegen. Förtsch
hat es während der New Econo-
my als Anlageexperte zu einiger
Prominenz gebracht („Mr. Dau-
send Euro“). Ihm gehören auch
die Zeitschriften Der Aktionär und
das Manager Magazin sowie das
Deutsche Anlegerfernsehen. (rg)
Union für noch mehr
Medienregulierung
BERLIN. Die CDU hat eine
Arbeitsgruppe mit dem Namen
„Medien und Regulierung“ ge-
bildet. Vorsitzender wurde der
kultur- und medienpolitische
Sprecher der CDU/CSU-Frak-
tion Marco Wanderwitz. Der
50köpfige Arbeitszirkel hat das
Ziel, neue Gesetze zur Kontrol-
le über Medien in Deutschland
auszuarbeiten. Als wichtige The-
men wurden die Verschärfung
von Kartellrecht und Urheber-
recht genannt. Wanderwitz denkt
dabei in internationalen Katego-
rien: „Wir wollen daher darüber
sprechen, wie Medienregulierung
in einer vernetzten digitalen Welt
aussehen muß.“ (rg)
Ein Armutszeugnis
für alle Staaten,
die sich als liberale
Demokratien
verstehen.
Michael Rediske,
(Reporter ohne Grenzen)
über Edward Snowdens
Asyl in Rußland
07. – 10.03.2015 in Stendal
Martin Heidegger
13. – 18.04.2015 in Freiburg
Deutschland – Quo Vadis?
14. – 18.06.2015
12. – 20.09.2015, Danzig
Telefon: 040 - 4 10 80 90
www.philosophische-praxis-hamburg.de
E-Mail: philosophischer-salon@t-online.de
Gabriele Fiedler PR
In Zusammenarbeit mit
Lesen, was Sache ist.
18 | F O R U M
Martialische
Propaganda
der einen wie
der anderen:
Kinoplakat für den
NS-Propagandafilm
„Feldzug in
Polen“, März 1940
(links); polnisches
Propagandaplakat,
das Ansprüche auf
deutsches Land
bis nach Lübeck
reklamiert: „Wir
sind nicht erst seit
gestern hier, wir waren
weit nach Westen
vorgedrungen“, nach
1918, vor 1939
V
or fast 70 Jahren ver-
banden sich die Vertrei-
bungen der Deutschen
aus dem östlichen und
südöstlichen Europa
mit Massenvergewal-
tigungen und Massenmord. Eines der
großen Menschheitsverbrechen des 20.
Jahrhunderts, auf halber Strecke zwi-
schen dem Völkermord an den Arme-
niern und Assyrern um 1915 und Sre-
brenica 1995, blieb ungesühnt, wurde
unter dem Beton des Status quo und
chauvinistischer Legenden begraben und
schwärt doch weiter als offene Wunde.
Nicht zuletzt auf deutscher Seite ver-
suchen Geschichtsfälscher jede offene
Debatte und freie Forschung zu erstik-
ken, wofür erst kürzlich die Kampagne
gegen Manfred Kittel, seit 2009 Direk-
tor der Berliner Stiftung „Flucht, Ver-
treibung, Versöhnung“, Zeugnis ablegte.
Als Antreiber fungierte hier vor allem der
Leipziger Historiker und Wissenschafts-
multifunktionär Stefan Troebst, der dem
Beirat der Stiftung vorsitzt. Es mangelt
also nicht an guten aktuellen Gründen,
die Geschichte der Deutschen im heuti-
gen Polen kritisch zu beleuchten.
Die amerikanische Sängerin Joan
Baez singt 1979 in ihrem Lied „For Sa-
sha“: „And I remember the holocaust
/ I remember all we lost / The families
torn and the borders crossed“ (Und ich
erinnere mich an den Holocaust / Ich
erinnere mich an alles, was wir verloren
haben / Die Familien zerrissen und die
Grenzen überschritten).
In der Tat: Jüdische und nichtjüdi-
sche Deutsche (und mit ihnen die Welt-
gemeinschaft und die Weltkultur) haben
auf immer unendlich viel an menschli-
chen, geistigen und materiellen Werten
durch Verfolgung, Vertreibung und Er-
mordung von Juden zwischen 1933 und
1945 verloren. Nach den Vertreibungen
sind Länder und Völker ärmer, sie berau-
ben und amputieren sich selbst – das gilt
für Deutschland und Polen wie für die
heutige Türkei, die sich gewaltsam um
ihre Armenier, Griechen und syrischen
Christen gebracht hat.
1945 haben nicht allein Millionen da-
mals in den Grenzen des heutigen Polen
lebende Deutsche ihre Heimat, ihren Be-
sitz und damit ihr bisheriges Leben ver-
loren. Durch das Pogrom von Jedwabne
vom Juli 1941 (300 bis 1.600 Tote), das
Pogrom von Kielce vom Juli 1946 (über
40 Tote) und zuletzt noch 1968 durch
über 20.000 politische Entlassungen im
Zuge der von Politikern wie Mieczysław
Moczar (Innenminister der Volksrepu-
blik von 1964 bis 1968) angeheizten an-
tisemitischen Kampagnen verjagte Polen
innerhalb von zwei Jahrzehnten die mei-
sten jener 300.000 Juden, die Krieg und
Todeslager überlebt hatten.
Polen und die Vertreibung der Deutschen
Viele Wahrheiten
Meine familiären Wurzeln im Osten
Europas markieren den roten Faden
durch mein literarisches Werk, schaffen
eine besondere Färbung von mehrfachen
Heimaten, Ruhelosigkeit, unablässiger
Verunsicherung, elegischer Trauer und
Erbitterung. Damit bin ich aufgewach-
sen, das habe ich durch Worte, wortlo-
se Hinweise und stille Einverständnisse
aufgenommen. Meine Vorfahren wur-
den, als Polen noch bestand, um 1750
von polnischen Großgrundbesitzern zur
Urbarmachung der Warthe-Niederung
gerufen. Als Kolonisten rodeten diese
„Hauländer“ die Urwälder und entwäs-
serten die Moorgebiete. „Hauländer“ be-
deutete ursprünglich „Holländer“ – teils
wegen der norddeutsch-niederdeutschen
Herkunft vieler Siedler, teils wegen der
aus Holland stammenden Methoden
der Trockenlegung.
Die Hauländer besaßen besondere
Privilegien wie die Religionsfreiheit, das
Recht zur Weitervererbung des gepach-
teten Landes oder zum Wegzug in an-
dere Gegenden, die die meist auf den
guten, lehmhaltigen Böden ansässigen
polnischen Bauern damals nicht hatten.
Die Siedler nahmen also niemandem
sein Land weg, sondern rodeten unter
großen Entbehrungen mit Axt und Spa-
ten bisher ungenutzte Wald- und Öd-
landflächen. „Des Ersten Tod, des Zwei-
ten Not, des Dritten Brot“ galt vielfach
buchstäblich für die Generationenfolge.
Kennzeichnend ist der Name der 1787
gegründeten Hauländerei „Białobłot /
Białobłoty“ bei Konin – auf deutsch in
etwa „weißer Morast“, also zuviel Sand
und zuviel Nässe in einem.
Warum verläßt ein
Bauer mit Frau und
kleinen Kindern seine
Heimat? Der Grund war
politisch: Nach 1905
versuchten sowohl
der Zarismus als auch
Panslawisten und groß-
russische Chauvinisten,
den Haß des Volkes auf
die Deutschen und die
Juden zu lenken.
Meine Großeltern mütterlicherseits,
die als russische Staatsangehörige nahe
Konin lebten, zogen 1909 mit anderen
Bauern in einem kleinen Treck aus ih-
rer Heimat knapp hundert Kilometer
nach Westen in die preußische Provinz
Posen, erwarben Ackerland, bauten ein
Haus. Warum verläßt ein Bauer mit zwei
kleinen Kindern und seiner schwange-
Von Rolf Stolz
ren Frau seine Heimat? Der Grund war
ein eminent politischer: Nach der Rus-
sischen Revolution von 1905 versuch-
ten sowohl der Zarismus als auch die
Panslawisten und die großrussischen
Chauvinisten, den Haß des Volkes auf
die Deutschen und die Juden zu len-
ken. Mein Großvater, der sein Leben
lang besser Russisch als Polnisch sprach
und sich bis in die Kleidung mit der
russischen Kultur identifizierte, floh vor
dieser Pogromstimmung und dem, was
er in der Folge befürchtete.
In Deutschland vollzog sich nach der
Polen-Begeisterung der dreißiger Jahre
des 19. Jahrhunderts (etwa beim Ham-
bacher Fest 1832, in den „Polenliedern“
Platens und anderer Dichter) nach 1848
ein Umschwung. Der Aufstieg des Pan-
slawismus mit seinen Vorherrschafts-
und Vertreibungsplänen, mit seinen
chauvinistischen Reinheitsphantasien,
führte zu einer Gegenbewegung, der sich
auch die deutsche Linke entschieden
anschloß, die im Panslawismus wie in
der Idee einer Wiedergeburt Polens als
antideutscher und antirussischer Groß-
macht eine fortschrittsfeindliche reak-
tionäre Fiktion sah.
Karl Marx schrieb in der Neuen Rhei-
nischen Zeitung vom 15. Februar 1849:
„Die Deutschen haben im Norden das
ehemals deutsche, später slawische Ge-
biet von der Elbe bis zur Warthe den
Slawen wieder aberobert; eine Erobe-
rung, die durch ‘geographische und stra-
tegische Notwendigkeiten’ bedingt war,
die aus der Teilung des Karolingischen
Reichs hervorgingen. Diese slawischen
Gebietsstrecken sind vollständig germa-
nisiert; die Sache ist abgemacht und läßt
sich nicht redressieren, es sei denn, daß
die Panslawisten die verlorengegangene
sorbische, wendische und obotritische
Sprache wieder auffänden und den Leip-
zigern, Berlinern und Stettinern auf-
zwängen. Daß diese Eroberung aber im
Interesse der Zivilisation lag, ist bisher
noch nie bestritten worden.“
Trotz der prinzipiell minderheiten-
feindlichen Politik der polnischen Re-
gierungen nach 1919 waren viele Polen
alles andere als deutschenfeindlich. Das
bewies eindrucksvoll die Volksabstim-
mung in Oberschlesien 1921, als kaum
ein Deutscher der Parole „Stimme für
Polen und du wirst frei sein“ folgte, aber
viele ethnische Polen sich für Deutsch-
land entschieden (Gesamtergebnis: 59,6
Prozent für Deutschland, 40,4 Prozent
für Polen bei 98 Prozent Wahlbeteili-
gung). 1920 stimmten im südlichen
Ostpreußen (Ermland und Masuren)
97,9 Prozent für Deutschland und nur
2,1 Prozent für Polen.
Als Józef Piłsudski (1867–1935)
sich nach dem Putsch von 1926 end-
gültig als teils diktatorischer, teils tak-
tisch lavierender Führer Polens durch-
setzte, verfolgte er zwar eine mit lin-
ken demokratischen Phrasen garnierte
undemokratisch-faschistoide Politik,
verzichtete aber weitgehend auf anti-
semitische Kampagnen und jene mas-
senhafte Ausweisung von Deutschen,
die 1919/20 am Anfang der polnischen
Republik das Verhältnis zwischen den
Völkern vergiftet hatte. Lebten um 1910
allein in der Provinz Posen rund 700.000
Deutsche, so blieben nach 1920 in ganz
Polen durch gezielte Entlassungen im
öffentlichen Dienst, Ausweisung und
erzwungene Abwanderung nur wenig
mehr als eine Million Deutsche übrig.
Der Ausweg aus den
ebenso verführerischen
wie desaströsen Sack-
gassen ist nicht die
Flucht in Selbsthaß und
antinationales Europa-
geschwafel, sondern
ein Patriotismus der
Verbundenheit mit der
eigenen Nation, ohne in
Feindschaft gegen an-
dere Völker zu verfallen.
Bis 1929 enteignete der polnische
Staat nach Artikel 297b des Versailler
Vertrages viele ortsansässige Deutsche,
denen die polnische Staatsbürgerschaft
nicht zuerkannt wurde. Das Agrarre-
formgesetz von 1925 zwang zudem vie-
le deutsche Bauern, ihr Land zu ver-
äußern. Während die rund 340.000
Deutschen in der Provinz Posen und in
Pommerellen und die 370.000 Deut-
schen in der polnischen Wojewodschaft
Schlesien zum Teil ihre deutsche Staats-
angehörigkeit bis 1939 behielten, wur-
den besonders die übrigen Deutschen
in Mittel-, Süd- und Ostpolen vom
polnischen Staat sehr stiefmütterlich
behandelt.
Nach dem Tode Piłsudskis 1935 trat
Edward Rydz-Śmigły (1886–1941) als
neuer starker Mann die Herrschaft an
– wie Hitler jemand, der eigentlich Ma-
ler werden wollte. Wären sie beide es
doch nur geworden und ihren Völkern
als Politiker erspart geblieben! Rydz-
Śmigły verschärfte sofort den Kurs ge-
gen die Minderheiten, vor allem gegen
die Deutschen und die Juden. Es war
Rydz-Śmigły, der den „Bund des jun-
gen Polen“ (Związek Młodej Polski)
unter Jerzy Rutkowski (1914–1989),
dem Boß der chauvinistisch-antisemi-
tischen „Phalanx“ bzw. „Falange“, ins
Leben rief, auch wenn er sich später da-
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
FOTO: SZ-PHOTO, SCHERL / VISIOMEDIA
von etwas distanzierte, um seine Bezie-
hungen zum zivilen Machtzentrum um
den Staatspräsidenten Ignacy Mościcki
(1867–1946) zu verbessern.
Es gab Haß zwischen Polen und
Deutschen, aber es gab nicht nur Haß:
Anfang September 1939, in den Ta-
gen des antideutschen Massakers des
„Bromberger Blutsonntags“ verließ
meine Großmutter aus Furcht vor
Kriegsereignissen und Marodeuren
mit einer Gruppe Deutscher und Po-
len fluchtartig mit Pferd und Wagen
ihr Dorf. Eine Rotte der oft betrun-
kenen, aufgehetzten und beutegieri-
gen polnischen Freischärler hielt den
Wagen mit meiner Großmutter an und
wollte sie ausfragen. Dies hätte lebens-
gefährlich werden können, weil sie nur
einige Brocken Polnisch sprach. Aber
man hatte ihr eingeschärft,
kein Wort zu erwidern, und
sie hielt sich daran. Die polni-
schen Nachbarn erklärten in
aller Ruhe, die Frau sei eine
taubstumme Polin. Nach ei-
nigem Hin und Her ließ man
sie unbehelligt weiterziehen.
Im Januar 1945 flohen
meine Großeltern mit den
zu Hause gebliebenen Kin-
dern, einer polnischen Magd
und einem polnischen Knecht
vor der Roten Armee. Diese Rolf Stolz, Jahrgang
beiden begleiteten, wie sie 1949, ist von Hause
es versprochen hatten, den aus Diplom-Psycho-
Treck bis zur Oder und kehr- loge. Er war Mitbe-
ten dann zurück. Sie hätten gründer der Grünen
diese Gefahren nicht auf sich und lebt heute als
genommen, wenn sie, wie das Publizist in Köln. Auf
Klischee es behauptet, diskri- dem Forum schrieb
minierte und ausgebeutete Ar- er zuletzt über As-
beitssklaven gewesen wären. similation und Inte-
In jedem Fall gilt: Schuld, gration („Der klei-
Verbrechen, Fehler finden ne Unterschied“,
sich in den letzten zweihun- JF 11/12).
dert Jahren auf deutscher wie
auf polnischer Seite reichlich, aber ein-
seitige Beschuldigung hilft nicht wei-
ter, sondern nur ein sachliches Klären
historischer Tatsachen und Wahrheiten.
Der Ausweg aus den ebenso verführe-
rischen wie desaströsen Sackgassen ist
nicht die Flucht in Selbsthaß und anti-
nationales Europageschwafel, sondern
ein Patriotismus der Verbundenheit mit
der eigenen Nation, ohne in Feindschaft
gegen andere Völker zu verfallen, ein
Patriotismus, der internationale Soli-
darität und den Willen zum Aufbau ei-
nes demokratisch-föderativen Europas
der Vaterländer verbindet – ganz so wie
es der in Wilna geborene, in Warschau
und Nizza aufgewachsene französische
Schriftsteller und Widerstandskämpfer
Romain Gary (1914–1980) ausdrückte:
„Patriotismus ist Liebe zu den Seinen.
Nationalismus ist Haß auf die anderen.“
 WISSEN
W LITERATUR, Seite 21 NATUR & TECHNIK, Seite 22

W
Vier Bücher über die Rolle Flüssig, fest, plastisch und sim-
von Künstlern und Schrift- pel: Terroristen greifen nach
stellern im Ersten Weltkrieg chemischen Sprengstoffen
| 19
J U N G E F R E I H E I T | Nr. 51/14 | 12. Dezember 2014

Ein letztes Strohfeuer

in den Ardennen
Vor siebzig Jahren überraschte das Unternehmen „Wacht am Rhein“ die
Alliierten im Westen / Die Offensive scheiterte bereits nach kurzer Zeit

EGON W. SCHERER der Weichsel und an Ostpreußens Gren- nach Frankreich hineingestoßen waren.
ze zum Stehen zu bringen. Im Westen Der Vorstoß zielte auf Antwerpen, das
hatte sich der alliierte Vormarsch in den bereits am 4. September von den Bri-
Bunkerlinien des Westwalls festgelaufen. ten erobert worden war, womit sie einen

A
ls sich das Kriegsjahr 1944
dem Ende zuneigte, konnte es
eigentlich keinen vernünftigen
Zweifel an der bevorstehenden
deutschen Niederlage mehr geben, nach-
dem der Feind in zügigem Vormarsch die
Grenzen des Reiches erreicht hatte. Aller-
dings war auch klar, daß der Endkampf
noch viele Opfer fordern würde, denn
wider Erwarten hatten sich im Osten
Im Hürtgenwald tobte monatelang eine
mörderische Schlacht, die fast schon an
das Verdun des Ersten Weltkrieges er-
innerte. Das verlustreiche Desaster bei
ihrer Luftlandung im September bei
Arnheim aber hatte den Westalliierten
ohnehin den Schneid für weitere küh-
ne Aktionen vorerst abgekauft. Verflo-
gen war die Illusion, nach den schweren
deutschen Niederlagen werde man noch
wichtigen Nachschubhafen gewonnen
hatten, den es zurückzuerobern galt.
Letztlich sollte den Alliierten nicht we-
niger als ein neues Dünkirchen bereitet
werden, indem man mit einem kühnen
Sichelschnitt nach Nordwesten die Tren-
nung der unter Montgomery in Holland
fechtenden Briten von den weiter südlich
stehenden Amerikanern Eisenhowers er-
reichen wollte.

FOTO: IMAGO / 55838635 / UNITED ARCHIVES

wie im Westen die Fronten noch einmal
stabilisiert. Und immer noch wurde in
Deutschland der Glaube genährt, der
Einsatz von „Wunderwaffen“ mit un-
faßbarer Wirkung könne das Kriegsglück
noch wenden. Da trat zur Weihnachtszeit
1944 plötzlich ein Ereignis ein, das die-
sen Hoffnungen neuen Auftrieb gab: eine
deutsche Offensive an der Westfront, an
der man sich doch so lange nur noch in
der Defensive befunden hatte.
Bereits die Lage im Spätherbst 1944
entspannte sich etwas: Im Osten war es
gelungen, die Rote Armee nach ihrem
stürmischen Vormarsch im Sommer an
Unternehmen „Wacht am Rhein“
Ardennenoffensive vom 16. Dezember 1944 bis 21. Januar 1945
Internationale
Grenzen
Niederlande
(Stand 1938)
Frontlinie (16. Dez.)
Frontlinie (20. Dez.)
vor Weihnachten in Berlin sein.
Trübes Wetter half gegen
die alliierte Luftherrschaft
Trotzdem – das Gesetz des Handelns
glaubten die Alliierten für den Rest des
Krieges auf ihrer Seite. Da elektrisierte im
Dezember 1944 die Sensationsnachricht
die Welt: Die Deutschen greifen wieder
an. In den Ardennen wurden die Stel-
lungen der Amerikaner auf breiter Front
durchbrochen – in den Ardennen, aus
denen schon im Siegesjahr 1940 deut-
sche Panzerrudel hervorgebrochen und
Rh
Utopische Vorstellungen, wie man
heute weiß. Sie stießen denn auch auf die
Bedenken des Oberbefehlshabers West,
Generalfeldmarschall von Rundstedt,
und seiner Generale, die angesichts der
vorübergehend stabilisierten Ostfront
wohl eine Offensive im Westen begrüß-
ten, entsprechend den tatsächlichen
Kräfteverhältnissen aber an eine kleine
Lösung, einen Vorstoß nach Lüttich oder
die Zurückeroberung Aachens dachten,
das am 21. Oktober verlorengegangen
war. Hitler aber blieb entschlossen, alles
auf eine Karte zu setzen. In Kenntnis der
Differenzen zwischen den Feindmächten
glaubte er offenbar ernsthaft, mit diesem
unerwarteten Schlag gegen die Amerika-
ner, deren Kampfkraft er am geringsten
einschätzte, die Anti-Hitler-Koalition
zersprengen zu können.
Es war der deutschen Führung nicht
verborgen geblieben, daß die etwa hun-
dert Kilometer breite Front im Arden-
nengebiet zwischen Monschau und Ech-
ternach mit drei Infanteriedivisionen und
einer Panzerdivision der 1. US-Armee
nur dünn besetzt war, und daß hier die
Naht zwischen der 12. amerikanischen
Deutsche Soldaten passieren auf dem Vormarsch während der Ardennenoffensive ein zerstörtes US-
Halbkettenfahrzeug: Hitlers verzweifelte Hoffnung, die Anti-Hitler-Koalition zersprengen zu können
Sepp Dietrich führte den Hauptstoß im am 22. Dezember mit der Einnahme von hatten sich schnell wieder gefangen. Bis
Norden mit dem Ziel, über Monschau- Libramont ihren letzten Sieg, bevor sie zum 19. Dezember waren alle verfügba-
Malmedy bis in den Raum nördlich Ant- der Gegenangriff der Amerikaner traf. In ren Reserven in den Kampf geworfen
werpen vorzudringen, hatte allerdings der Mitte kam die 2. Panzerdivison der worden, rasch zusammengestellte Alarm-
mit dem Höhengelände des Hohen 5. Armee am 23. Dezember noch bis 5 einheiten ebenso wie auch Eisenhowers
Venn auch die größten Hindernisse zu Kilometer an Dinant an der Maas heran, strategische Reserven, die 82. und 101.
überwinden. In der Mitte kämpfte die womit die Offensive den westlichsten US-Luftlandedivison. Und ab dem 22.
5. Panzerarmee der Wehrmacht unter Punkt erreicht hatte. Dezember rollte bereits im Süden des
dem Kommando des im Osten vielfach Zwei Tage vor Weihnachten verließ deutschen Angriffskeils der Gegenangriff
bewährten Generals Hasso von Man- die Deutschen ihr bis dahin wichtigster von Pattons 3. US-Armee. Auch durch
teuffel. Die Südflanke des Angriffskeils Verbündeter, „General Wetter“. Am wie- Neuordnung ihres Kommandobereiches
der beiden Panzerarmeen deckte die 7. der klar gewordenen Himmel erschie- wurden die Allierten der Situation ge-
Armee unter General Brandenberger. nen die Jagdbomber in Schwärmen, um recht: Die 1. und 9. US-Armee (Hodges
Die Überraschung gelang, da der Auf- sich mit Bomben und Bordwaffen auf und Simpson) wurden Montgomerys
marsch der deutschen Truppen, nicht die Marschkolonnen der Angreifer zu 21. Heeresgruppe unterstellt, die dann
zuletzt durch Einhaltung strikter Funk- stürzen. Allein am Heiligabend flog die am 3. Januar 1945 von Norden her ge-
stille, vom Feind unentdeckt geblieben alliierte Luftwaffe rund 5.000 Einsätze. gen die Deutschen vorzugehen begann.

und der 21. britischen Heeresgruppe war. Am Angriffstag entzog eine dichte, Damit spätestens war die Schlacht ent- Am 16. Januar war der deutsche Front-
ein

Frontlinie (25. Dez.) Deutsches Reich verlief. Zudem bot das vielfach durch- niedrig hängende Wolkendecke die An- schieden. vorsprung abgeschnürt, trafen sich die
Deutsche Bewegungen schnittene Gelände der Ardennen einen greifer der feindlichen Luftsicht. Leichter alliierten Zangen bei Houffalize. Anfang
Rur

Köln gewissen Schutz vor der Luftherrschaft Frost hatte den in den letzten Wochen Einen Monat später war die Februar standen die deutschen Truppen
Alliierte Bewegungen der Alliierten. Nicht zuletzt aber setzte aufgeweichten Boden wieder gehärtet. nach schweren Verlusten an Menschen
Front wieder am Westwall
Düren
der Generalstab auf eine Wetterlage, die Aber ausgerechnet Sepp Dietrichs SS- und Material wieder in ihren Ausgangs-
Aachen die feindlichen Flugzeuge weitgehend am Verbände sahen sich in ihrem schwieri- Gescheitert war die Offensive aber stellungen am Westwall.
Hürtgen- Bonn Boden halten würde. gen Angriffsabschnitt schon in den ersten auch am extremen Treibstoffmangel, der Zur Jahreswende waren noch zwei
Belgien Lüttich
Eupen wald Nach dem Operationsplan sollte Tagen in schwerste Kämpfe verwickelt oft dazu zwang, unversehrte Panzerfahr- deutsche Unternehmen gestartet wor-
die Heeresgruppe B (Oberbefehlsha- und verloren an Tempo. zeuge aufzugeben und zu sprengen, sowie den, um den schwer bedrängten Angriffs-
Maas ber Generalfeldmarschall Model) mit Ihre Fahrzeugkolonnen stauten sich auch an unzureichender Munitionszu- armeen in den Ardennen Entlastung zu
Malmedy drei Armeen die schwache Feindfront auf den wenigen engen, steilen und kur- fuhr. Nicht zuletzt aber auch ganz ein- verschaffen. Am 31. Dezember begann
Namur
durchbrechen und schnell Brücken über venreichen Straßen und konnten sich fach an der Überforderung der Truppe, das „Unternehmen Nordwind“, eine
St. Vith
die Maas zwischen Lüttich und Givet nicht entfalten. Mehr Glück hatte Man- obwohl sie bei dieser Offensive noch Offensive mit begrenztem Ziel im in-
Dinant gewinnen, um dann weiter, an Brüssel teuffels 5. Panzerarmee, die den Auftrag einmal eine hohe Kampfmoral bewies. zwischen feindbesetzten Nordelsaß, die
Marche
vorbei auf Antwerpen durchstoßend, die hatte, über Our und Maas in den Raum Auch die den Angriff begleitenden sich aber schon am 9. Januar südlich von
rückwärtigen Verbindungen des Feindes um Brüssel vorzustoßen. Sie kam rasch Sonderaktionen führten nicht zu den er- Weißenburg festlief.
abzuschneiden. Dabei kam es darauf an, nach Westen voran und drang schon am hofften Erfolgen. Die englischsprechen- Zwischenzeitlich hatte Eisenhower so-
mit den Panzerdivisionen voraus mög- 17. Dezember bis Bastogne und Houf- den Männer von SS-Obersturmbannfüh- gar die Räumung von Straßburg erwo-
Bastogne lichst schnell das schwierige Gelände falize vor. Doch dann verlangsamte sich rer Otto Skorzeny, die als US-Soldaten gen, was allerdings durch eine energische
Bitburg
der Ardennen zu überwinden, den frei- auch hier der Vormarsch. verkleidet die Maas-Brücken bei Lüttich Intervention des französischen Generals
en panzergünstigen Raum beiderseits Das erbittertste Ringen entwickelte im Handstreich nehmen sollten („Un- de Gaulle verhindert wurde. Noch spek-
der Maas zu gewinnen und somit dem sich um den Besitz der Städte Bastogne ternehmen Greif“), konnten zwar hinter takulärer aber war ein letzter Großeinsatz
Trier Einsatz starker feindlicher Reserven zu- und St. Vith, zweier für den Vormarsch der feindlichen Front einige Verwirrung der deutschen Luftwaffe am Neujahrstag
Sedan
vorzukommen. der deutschen Panzer entscheidend wich- stiften, erreichten aber ihr Ziel nicht. 1945. Beim „Unternehmen Bodenplatte“
Deutsches Reich Nachdem der Beginn der Offensive tige Wegespinnen. St. Vith fiel am 21. Vielfach wurden sie entdeckt und büßten griffen über 1.000 deutsche Flugzeuge
Luxemburg mehrfach verschoben worden war, trat Dezember, das eingeschlossene Bastogne ihre Tollkühnheit mit dem Leben. Die überraschend alliierte Flugplätze in Süd-
die Heeresgruppe B am 16. Dezember aber hielt sich über Wochen und wurde Fallschirmjäger des Sonderkommandos holland, Belgien und Nordfrankreich an.
1944 zum Angriff an. Insgesamt zogen schließlich entsetzt. Im Norden stieß die des Freiherrn von der Heydte, die auf Sie meldeten über 400 feindliche Maschi-
Ma

20 Divisionen mit 800 teils modernsten Vorausabteilung der 1. SS-Panzerdivision Brücken und Verkehrsknotenpunkte im nen als zerstört oder abgeschossen, doch
QUELLE: WIKIMEDIA

Saarbrücken
as

Panzern („Tiger“ und „Panther“) und unter Standartenführer Joachim Peiper frontnahen feindlichen Hinterland an- verloren auch die deutschen Geschwa-
Sturmgeschützen in die Schlacht. Weite- bis Stavelot und La Gleize vor. In der gesetzt waren, verfehlten hingegen beim der über 200 Flugzeuge – tragischerweise
Verdun re Großverbände folgten als zweite Welle. Schnee-Eifel konnte am 19. Dezember Absprung wegen der trüben Witterung viele davon durch Beschuß der eigenen
Metz Eine entscheidende Rolle war den Trup- die eingeschlossene 106. US-Infanterie- vielfach ihre Einsatzräume. Flak, die infolge der hohen Geheimhal-
Frankreich
GRAFIK
Mosel

pen der Waffen-SS zugedacht: Die 6. SS- division zur Kapitulation gezwungen Die anfangs panikartig auf den Über- tung ohne Kenntnis des Unternehmens
15 km Panzerarmee unter Oberstgruppenführer werden. Im Süden erfocht die 7. Armee raschungsangriff reagierenden Alliierten geblieben war.

Hitler und der Reichsgründer-Mythos: Eine weitere Wehler-These auf dem Prüfstand Nachlässe und Nachlaßpolitik: Vorstrukturierte Wunschbiographien

Auf Distanz zu Bismarck bedacht Vorsicht vor gesäuberten Lebensläufen

W ie die übrigen rechten Republikgegner
brachte auch die NS-Agitation Otto von
Bismarck gern als „Sturmgeschütz gegen die
Demokratie“ von Weimar in Stellung. Doch
im Unterschied zur deutschnationalen DN-
VP, so arbeitet Christoph Nübel in seiner Stu-
die über den „Bismarck-Mythos in den Reden
und Schriften Hitlers“ (Historische Zeitschrift,
298/2014) heraus, orientierte sich der „Füh-
rer“ zur Bewältigung politischer Gegenwarts-
probleme keineswegs an der Vergangenheit.
Dies habe die ältere Forschung mit ihrer durch
Hans-Ulrich Wehler populär gemachten The-
se ignoriert, wonach Hitler sich als der „zweite
Bismarck“, mindestens aber als legitimer Erbe
des „Eisernen Kanzlers“ inszeniert habe. Richtig
sei vielmehr, daß zwar auch die NS-Propaganda
die nach 1918 virulente „Führersehnsucht“ mit
dem Reichsgründer verband. Tatsächlich aber
D ie nach 1968 in Mode gekommene
sei es Hitler um eine ganz andere Politik gegan-
gen, die sich mit dem etablierten Bismarck-My-
thos nicht legitimieren ließ. Darum entwickelte
er eine eigenständige Deutung, die sich nicht
scheute, die Grenzen von Bismarcks Wirken
aufzuzeigen. So ging sein vermeintlicher „Erbe“
auf Distanz zu Bismarck und vermittelte, daß
dessen Mythos, anders als die NS-Ideologie,
keine politische Botschaft mehr enthielt, um
den Herausforderungen der deutschen Nach-
kriegszeit gewachsen zu sein. (wm)
www.degruyter.com/view/j/hzhz
Historisches
Ausrichtung der bundesdeutschen Ge-
schichtswissenschaft als „kritische Sozialwis-
Nachlässe als unmittelbare, daher vermeintlich
solide Basis ihrer Arbeit vertrauen (Berichte zur
Wissenschaftsgeschichte, 2/2014). Am Beispiel
Kalenderblatt
senschaft“ hat das Genre der Biographie lange der Nachlässe der Naturwissenschaftler Ernst
als „individualistisch“ oder „literarisch“ ver- Mach (1838–1916), Walther Gerlach (1889– 14. Dezember 2004:
pönt. Erst in den 1990er Jahren erfuhr bio- 1979) und Philipp Lenard (1862–1947) könne Die EU-Kommission
graphisches Schreiben unter Historikern eine demonstriert werden, wie Gelehrte und ihre verkündet in Straßburg,
bemerkenswerte Renaissance. Anders als von Erben mit ihrer Hinterlassenschaft das Bild daß sie die Verfahren gegen
ihren Gegnern behauptet, konnte die personen- der Nachwelt von sich beeinflussen wollen. Deutschland und Frankreich
zentrierte Forschung nämlich zeigen, daß sich „Vorstrukturierte“, nicht selten selbst oder von wegen der Überschreitung
aus der Verknüpfung des individuellen Lebens- den Erben „gesäuberte“ Nachlässe eigneten sich
laufs mit gesellschaftlichen Zusammenhängen daher besonders zur Manipulation von Biogra-
des jährlichen Haushaltsde-
wissenschaftlich objektivierbare Erkenntnisse phen und zur Schaffung von „Wunsch-“ oder fizits von drei Prozent auch
gewinnen lassen. Wie Wilhelm Füßl, Archi- „Idealbiographien“. (ck) im dritten Jahr nacheinan-
var am Deutschen Museum in München, dar- der weiterhin „ruhen läßt“.
legt, sollten Biographen jedoch nur bedingt auf www.gewige-online.de
20 | G E S C H I C H T E
Vernichtung Heilbronns
1944: Animation im Netz
HEILBRONN. Am 4. Dezember
1944 wurde Heilbronn durch einen
verheerenden Bombenangriff der
britischen Royal Air Force (RAF)
vernichtet. Etwa 62 Prozent des
Stadtgebiets von Heilbronn, dar-
unter die gesamte historische In-
nenstadt, wurde vernichtet, min-
destens 6.500 Menschen kamen
dabei ums Leben. Anläßlich des
siebzigsten Jahrestages hat die re-
gionale Tageszeitung Heilbronner
Stimme eine beachtenswerte Ani-
mation im Internet veröffentlicht,
die in sechs Kapiteln den Ablauf
der „Operation Sawfish“ – so der
britische Codename – zeigt. Mit
beeindruckenden Karten und Bil-
dern wird das Inferno von der Pla-
nung, welche die Perfidie der RAF
offenbart, mit der man sich beson-
ders der brandanfälligen Altstadt
widmete, über den Anflug bis zum
Zerstörungswerk veranschaulicht.
Im abschließenden Exkurs über
den Luftkrieg gegen Deutschland
stößt allerdings eine ahistorische
Verneigung an den Zeitgeist ne-
gativ auf. Anders als dargestellt,
wurden auch Danzig, Stettin oder
Königsberg tragische Opfer des bri-
tischen Bombenterrors. Gdansk,
Szczecin oder Kaliningrad fand
Bomber-Harris ebensowenig wie
die Oder-Neiße-Grenze in seinem
Kartenmaterial verzeichnet. (bä)
http://sawfish.stimme.de
Der Maulwurf als
erfolgreicher Archäologe
LEININGEN. Ein Maulwurf
wühlt sich bis zu einem Meter tief
in die Erde und legt dabei auch
schon mal 200 Meter lange Gänge
an. Das macht den Alptraum vieler
Gärtner zu einem idealen „Archäo-
logen“ – vor allem dort, wo Gra-
bungen kaum möglich sind, wie
in den Überresten des mittelalter-
lichen Klosters St. Benet’s Abbey in
Ostengland. Hier förderten die pel-
zigen Tunnelbauer unter anderem
das Siegel einer päpstlichen Bulle
von 1381 sowie ein Bleistück mit
archaischer Runeninschrift zutage.
Der Sensationsfund deutet darauf
hin, daß die Abtei noch viel älte-
re Wurzeln hat als angenommen
(Bild der Wissenschaft, 10/2014).
Und auch in Deutschland zeitig-
te das Durchstöbern von Maul-
wurfshügeln bereits ungeahnte
wissenschaftliche Effekte. So stieß
der Archäologe Günther Wieland
hierdurch im baden-württember-
gischen Grösseltal auf Eisenschlak-
ken, welche zu Ausgrabungen An-
laß gaben, in deren Verlauf 2.500
Jahre alte keltische Schmelzöfen
lokalisiert wurden. (wk)
www.wissenschaft.de
Erste Sätze
Deutschlands dramatisches
Ur- und Erzgenie ent-
stammt einer ursprünglich
slawischen Familie.
Joachim Maass:
Kleist, die Fackel Preußens.
Eine Lebensgeschichte,
München / Wien / Basel 1957
Grenzüberschreitende soziale Schieflagen
Lissabon-Strategie: Dynamisch wachsen im Raum der Europäischen Union derzeit nur die Armutszonen
MARTIN KÖSTER
I
n bürgerlichen Zeitdiagnosen nach
Ende des Ersten Weltkrieges domi-
nierte Untergangsstimmung. Dar-
in sprach sich ein gemeineuropäisches
Lebensgefühl aus, denn nicht nur die
kulturkritische Intelligenz in den Ver-
liererstaaten Deutschland und Öster-
reich erklärte das „Zeitalter der Sekuri-
tät“ für beendet. In der „ganzen kapita-
listischen Ökumene“, so stellte der zum
George-Kreis zählende Wirtschaftswis-
senschaftler Arthur Salz 1925 nüchtern
fest, „gibt es heute keine Klasse, ja kaum
eine einzige Einzelperson, die von sich
sagen könnte, sie fühle sich sicher und
geborgen. Labil, schwankend, unsicher
ist aller erworbene und ererbte Besitz.“
Als Folge radikaler Globalisierung,
verschärft durch US-Finanzkrise, südeu-
ropäische Schuldenkrise und „Euro-Ret-
tungspolitik“, ähneln die Zustände in
der „kapitalistischen Ökumene“ heute
wieder jenen instabilen Verhältnissen
vor bald hundert Jahren. Denn die im
März 2000 verabschiedete „Lissabon-
Strategie“, die zum Ziel hatte, die EU
bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und
dynamischsten wissensgestützten Wirt-
schaftsraum der Welt“ zu machen, ist er-
wartungsgemäß ebenso an den Realitäten
gescheitert wie bislang alle übrigen, aus
dem „Geist der Utopie“ (Ernst Bloch)
geborenen Brüsseler Politikprojekte.
Stattdessen lagen pünktlich im Jah-
re 2010 Zahlen vor, die den Illusio-
nismus und die Hybris des Lissaboner
Programms offenbarten. 23 Prozent der
Bevölkerung in den 28 EU-Mitgliedslän-
dern galten damals als von Armut und
sozialer Exklusion bedroht. 2012 war
die Zahl der Ausgesteuerten schon auf
24,8 Prozent oder 124,5 Millionen EU-
Bürger angestiegen. Und derzeit gibt es
keine Anhaltspunkte dafür, daß die Ar-
mutsstatistik 2014 weniger beunruhi-
gend ausfallen könnte. Damit, so kon-
statieren der Geograph Holger Jahnke
und der Bildungsökonomik lehrende
Gerd Grözinger (beide Uni Flensburg),
sei Armut weder als marginales noch als
Eine Rückkehr in die Heimat können sich nur wenige vorstellen
Exodus nicht umkehrbar: Nach einer Existenz in der Apartheid enden fast 2.000 Jahre Christentum im Nahen Osten
OLIVER BUSCH
A llen hehren völkerrechtlichen
Deklarationen zum Trotz hat die
von Polen und Sowjetrussen ins Werk
gesetzte Vertreibung der Deutschen
aus Ostdeutschland schlechte Schule
gemacht. Denn seit 1945 ist deren ge-
waltsame „Musterlösung“ politischer
Konflikte international zum beliebten
Mittel der Wahl avanciert. Jüngsten
Anschauungsunterricht dazu bieten die
Austreibungen christlicher Minderhei-
ten in Syrien und im Irak.
Abgar Maloul, Präsident des Syrisch-
Amerikanischen Forums in Chicago,
erklärt zwar trotzig im Namen seiner
Landsleute, daß „wir keine Verfolgung
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
in einer eigenen Untersuchung die Si-
tuation in Italien. Von 2007 bis 2012
erhöhte sich die Anzahl der Haushalte,
die dort in Armut leben, dramatisch von
975.000 auf 1,73 Millionen. Da Itali-
en nur über ein schwach ausgeprägtes
System staatlicher Transferleistungen
verfügt, daher Migranten nicht alimen-
tiert, und als einziges EU-Land neben
Griechenland keine flächendeckende
Grundsicherung kennt, ist primär der
Süden wieder zum „Armenhaus Euro-
pas“ geworden.
Im Mezzogiorno einschließlich Sizili-
en und Sardinien schwillt der Strom der
Auswanderer Richtung Deutschland und
FOTO: PICTURE ALLIANCE / FABIAN STRATE
Schweiz (knapp 40 Prozent der italie-
nischen Emigranten) seit 2007 ähnlich
beängstigend an wie die Arbeitslosenzahl,
die von 800.000 (2007) auf 1,6 Millio-
nen (Anfang 2014) und damit auf ein
Fünftel der Beschäftigten hochschnellte.
Da der italienische Staat ein schwacher
„Umverteiler“ sei und seine Rentenrefor-
Ein als Clown verkleideter Bettler auf der Gran Via in Madrid: Der Süden wird zum Armenhaus Europas men nur langsam wirkten, sei zumindest
im Mezzogiorno „auf absehbare Zeit kei-
neues Phänomen zu verstehen, „sondern Assistentin Jahnkes, Verena Sandner Le schwindende Macht der Nationalstaaten ne Besserung zu erwarten“.
als strukturelles Defizit der europäischen Gall, in ihrem Beitrag über Zuwande- aus. Zu geringe staatliche Leistungen Eine Prognose, der Catarina Gomes
Wohlfahrtsgesellschaften“ (Geographische rung in der erweiterten EU ausführt, und zu niedrige staatliche Umvertei- de Matos und Samuel Mössner, die an
Rundschau, 10/2014). den Zustrom osteuropäischer Zigeuner lungskraft führen zu „hoher Ungleich- der Universität Freiburg Probleme der
nicht meistert. In deren Zielländern, heit“. Denn einerseits, von unten be- Stadtentwicklung und Städtischen Kon-
Die Verarmung in der in Großstädten wie Paris und Madrid, trachtet, erhöhe sich der Abstand der fliktforschung behandeln, für das von
EU beschleunigt sich lebten sie gegenwärtig bereits unter Be- Armutseinkommen von der Armuts- der US-Finanzkrise und dem Platzen
dingungen, die „Ähnlichkeit mit den grenze, während sich die Distanz des der Immobilienblase schwer getroffe-
Zumal die Massenproteste vor allem Slums des Globalen Südens aufweisen“. Einkommens der unteren Mittelschicht ne Spanien zustimmen. Als belastender
in Spanien immer klarer zeigten, wie Aber auch aus der Sicht des ökono- zu ihr seit Ausbruch der offenen Krise Sondereffekt sei in Spanien allerdings in
stark auch die vielbeschworene Mitte mischen Musterknaben Deutschland (2008) verringer. Rechnung zu stellen, daß die Krise ge-
der europäischen Gesellschaften erodie- machen sich Armutsphänomene längst Im krassen Kontrast dazu konzentriere nutzt wurde, um die „Vermarktlichung“,
re. Wie Hohn muten da die kommen- nicht mehr nur im räumlichen Jenseits sich andererseits der Reichtum bei immer die neoliberale Umstrukturierung der
tarlos von Jahnke und Grözinger neben bemerkbar. Zwar führen wirtschaftlich weniger Menschen. Staaten mit hohen Gesellschaft zu legitimieren und den Ab-
ihre Studie plazierten jüngsten, gewohnt notorisch schwache Staaten wie Bulgari- Armutsanteilen, so ermittelte die EZB bau wohlfahrtstaatlicher Sicherungssy-
vollmundigen Brüsseler Versprechungen en, Rumänien, Lettland, Griechenland, 2013, verzeichneten darum häufig hohe steme zu forcieren. Darum gab es 2012
an, die „EU-Kernziele bis 2020“, wo- Litauen und Ungarn die Armutstabelle durchschnittliche Vermögenswerte. In insgesamt 25 statt 8,3 (2007) Prozent
nach bis dahin 75 Prozent der 20- bis von 2012 an, aber Deutschland liegt im der EU besaß 2010 das wohlhabendste Arbeitslose in Spanien, und die Jugend-
64jährigen Beschäftigung finden und unteren Mittelfeld und weist sogar mehr Fünftel über zwei Drittel des Nettover- arbeitslosigkeit liegt konstant bei über
sich 20 Millionen Menschen weniger Arme aus als Frankreich. Ende Oktober mögens. Im Ländervergleich erweise sich 50 Prozent. Als Antwort darauf formiert
in einer prekären sozialen Lage befin- bestätigten neueste Daten des Statisti- daher, daß gerade Staaten mit sinkender sich seit 2011 eine breiter werdende Pro-
den sollen. Ein ohnehin bescheidenes schen Bundesamtes diese soziale Schief- Wohlfahrtsstaatlichkeit und hoher Ar- testbewegung, in deren Aktionen sich
Ziel, aber selbst das bleibt allein des- lage, da inzwischen knapp 13 Millionen mut „wenig Neigung zur Umverteilung soziale Spannungen immer häufiger ent-
wegen unerreichbar, weil die EU derzeit Deutsche nicht über 900 Euro monat- zeigen und relativ niedrige öffentliche laden, während es bei den „Überschuß-
nicht nur massiv „Armutsflüchtlinge“ lich verfügen und somit als armutsge- Einnahmen generieren“. ländern, allen voran Deutschland“ noch
aus Afrika und Vorderasien importiert, fährdet einzustufen sind. Als Musterbeispiel eines derart von „relativ ruhig“ bleibe.
sondern auch, wie die auf „Geographi- Als Ursachen zunehmender Zerklüf- der Wirtschaftskrise in die Sozialkrise
sche Migrationsforschung“ spezialisierte tung machen Jahnke und Grözinger die abgerutschten Staates analysiert Jahnke www.geographischerundschau.de
aus religiösen Gründen im Nahen Osten Systemwechsel befreie Christen aus der einschätzt, drückt er mit einem Zitat misierten Gesellschaften an religiöser
zulassen“, sondern Christen ermutigen Apartheid. Erniedrigen sie doch die Ver- von Condoleezza Rice aus, die 2005 Intoleranz immanent sei. Im Irak be-
werden, in ihrer Heimat auszuharren fassungen aller arabischen Staaten, aus- in Kairo gestand: „Sechzig Jahre lang gannen unmittelbar nach dem Sturz des
(Politische Studien, 456/2014). Da die
von „Dschihadisten und autoritären
chauvinistischen Regimen“ geschaffe-
genommen die des Libanons, zu Bürgern
zweiter Klasse, da sie festlegen, daß der
Islam Staatsreligion, der Präsident ein
hat mein Land, die USA, Stabilität in
dieser Region hier im Nahen Osten auf
Kosten der Demokratie angestrebt, und
Diktators Saddam Hussein (2003) Chri-
stenverfolgungen durch fanatische mus-
limische Organisationen, die unzählige
nen Machtverhältnisse diese Option als Moslem und der Koran Grundlage für wir haben keins von beiden erreicht.“ Christen ermordeten und Hunderttau-
Schimäre erweist, fordert Maloul „Un- die Gesetzgebung sein solle. Bestenfalls komme es zu einem „letz- sende aus dem Land trieben. In Syrien
terstützung aus dem Westen“, damit ten Widerstand“, aber danach würden verübten islamistische Brigaden sofort
nicht weiter „ethnisch gesäubert“ werde. Intoleranz ist islamischen fast 2.000 Jahre christliches Leben in nach Ausbruch des Aufstands gegen das
Dieser ominöse „Westen“ solle Druck Gesellschaften immanent Nahost Geschichte sein – wie die Sta- säkulare Assad-Regime (2011) grausa-
ausüben, um der verbliebenen wie der tistik belege: In Syrien belief sich der me Verbrechen an Christen. Im einst
exilierten Bevölkerung dabei zu helfen, Maloul ist jedoch nicht Illusionist christliche Bevölkerungsanteil 1995 auf stark von Christen besiedelten syrischen
im Krisengebiet säkulare demokrati- genug, um wirklich an eine verbesser- 30, im Irak auf über 20 Prozent. Heute Osten, heute IS-Territorium, blieb ihnen
sche Verfassungen zu installieren, die te Neuauflage des Arabischen Früh- zählt man dort 10 bzw. kaum 5 Prozent. nur die Massenflucht. „Eine Rückkehr
die Trennung von Staat und Religion lings im einstigen Reich der Semira- Der steinzeitliche „Islamische Staat“ in ihre Heimat können sich nur noch
sowie die Erklärung der Menschenrechte mis zu glauben. Wie er die USA, die (IS), so ergänzt der Orientalist Shabo wenige vorstellen.“
endlich in diesem Teil der Erde durch- einzige westliche Interventionsmacht Talay (FU Berlin), bringe mit Massen-
setzen. Nur ein derart fundamentaler mit ausreichender militärischer Potenz morden nur zum Abschluß, was isla- www.hss.de/publikationen.html
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
Im Auftrag der geistigen Mobilmachung
Vier Werke widmen sich der Rolle der Künstler und Intellektuellen während des Ersten Weltkriegs
GÜNTER SCHOLDT
V
ier kulturgeschichtliche Neuer-
scheinungen zum Ersten Welt-
krieg stehen auf dem Prüfstand.
Sie behandeln Schriftsteller, zuweilen
auch Künstler und Gelehrte. Steffen
Bruendels „Zeitenwende 1914“ vermit-
telt einen passablen historischen Über-
blick über wesentliche Abläufe, darun-
ter das „Augusterlebnis“ 1914 und die
mehrheitliche Begeisterung der Dichter,
Maler und Denker, die sich zuhauf der
(geistigen) Mobilisierung zur Verfügung
stellten, bevor sie, vom Realitätsschock
desillusioniert, teilweise ins pazifistische
Lager übergingen und expressionistische
oder dadaistische Anti-Kriegskunst pro-
duzierten.
Der Verfasser beschreibt die Genese
der „Ideen von 1914“, den Deutsch-
land aufgezwungenen Propagandakrieg,
in dem es von vornherein chancenlos
war – übrigens weniger durch propa-
gandistisches Ungeschick als durch mas-
siv ungleiche Rahmenbedingungen. Er
skizziert Diskussionen über die künftige
Staatsform im Rahmen der Wahlrechts-
reform in Preußen, den Massenstreik im
Januar 1918, das letzte militärische Auf-
bäumen im Westen vor der Niederlage,
den Versailler Vertrag und als Epilog die
Bücherverbrennung.
Die Dichte der kulturellen Anfangs-
erzählung verliert sich bald zugunsten
politisch-historischer Schwerpunkte
– eine auch bei Ernst Piper („Nacht
über Europa“) zu bemerkende, häufige
Schwäche kulturtheoretischer Ansätze.
Dennoch bietet Bruendel für alle, die
mit der Materie bislang nicht beson-
ders vertraut sind, ein nützliches Resü-
mee aktueller Mehrheitspositionen zum
Ersten Weltkrieg. Was der Klappentext
zusätzlich verspricht – ein „außerge-
wöhnliches Leseerlebnis“, „unkonven-
tionelle Darstellung“, „neuesten Stand
der Forschung“ – muß man nicht zum
Nennwert nehmen. Denn vieles las man
schon andernorts, und daß Krieg als Be-
schleuniger zur Durchsetzung von Ideen
und Kunstformen wirkt, wußten bereits
die Zeitgenossen. Auch die brisantesten
Thesen neuester Geschichtsschreibung,
die jahrzehntelang zementierte Positio-
nen gefährden, finden eher selten Ein-
gang in den Text, ähnlich wie bei den
anderen hier besprochenen Werken.
Immerhin begrüßt man Bruendels
Klarstellung, daß es hierzulande keine
der Entente vergleichbare Greuelpropa-
ganda gab. Desgleichen, daß er sich von
gängigen antideutschen Klischees fern-
hielt und darin von Ernst Piper wohltu-
end unterscheidet. In dessen „Kulturge-
schichte des Ersten Weltkriegs“ wimmelt
es nämlich von bissigen Urteilen über
Patrioten wie Richard Dehmel, Walter
Flex, Ernst Lissauer, Ludwig Thoma,
Gerhart Hauptmann, Thomas Mann
usw. Er spricht vom deutschen „Radikal-
Steffen Bruendel:
Zeitenwende 1914.
Künstler, Dichter
und Denker im Er-
sten Weltkrieg. Her-
big Verlag, Mün-
chen 2014, gebun-
den, 304 Seiten,
19,99 Euro
Gerhard Wisnewski
ungeklärt unheimlich
unfassbar 2015
Serienmord, Terroranschlag, Amoklauf: Auch
2014 gab es spektakuläre Verbrechen, die
uns erschaudern ließen. Wieder einmal wirft
der Bestsellerautor Gerhard Wisnewski (9/11,
Das RAF-Phantom) in seinem Jahrbuch einen
kritischen und aufklärenden Blick auf die
Ereignisse.
336 S., geb.
Best.-Nr.: 92544 EUR 7,99
FOTO: VISOMEDIA
Otto Dix, „Sturmtruppe geht unter Gas vor“, Radierung 1924: Fronterlebnisse aus der nachträglichen „Geläuterten“-Perspektive
nationalismus“, sieht im „unglaublich“
brutalen Militarismus den Grund für
Deutschlands schlechten Weltruf und
im „Burgfrieden“ allenfalls einen „Waf-
fenstillstand im Klassenkampf“.
Taten oder Untaten im Krieg behan-
delt Piper bereits quantitativ, von der
Schwerpunktsetzung her in tendenziöser
Unausgewogenheit. Er lobt bei franzö-
sischen Frontschriftstellern, was er bei
hiesigen Kollegen tadelt. Er nennt den
Aufruf der 93 prominenten Deutschen
„An die Kulturwelt“ ein „unerhörtes Bei-
spiel autistischer Arroganz“ im Gegen-
satz zur gelassenen Diktion bei Englands
verleumderischem „Bryce-Report“ über
vermeintliche Schandtaten in Belgien.
Was aber könnten neue Forschungs-
perspektiven überhaupt an besseren Ein-
sichten erbringen? Wo die Schuldfrage
heute anders beantwortet wird, geraten
geopolitische Großmachtinteressen als
eigentliche Ursachen stärker in den Blick.
Dies sollte eigentlich von einem Moralis-
mus befreien, der einer erkenntnisleiten-
den Identifikation mit bislang pauschal
kritisierten zeitgenössischen deutschen
Standpunkten im Wege stand.
Kunst und Literatur von
nachhaltiger Wirkung
Von Geert Buelens, dem in Holland
lehrenden Belgier, darf man solche Revi-
sionen wohl kaum erwarten, muß daher
nicht alle seine historischen Wertungen
übernehmen. Die vornehmliche Lei-
stung von „Europas Dichter und der Er-
ste Weltkrieg“ besteht vielmehr in einer
Art internationaler Schriftsteller-Typolo-
gie und deren ästhetischer Ausdeutung.
Geert Buelens:
Europas Dichter
und der Erste Welt-
krieg. Suhrkamp
Verlag, Berlin 2014,
gebunden,
459 Seiten,
26,95 Euro
Akif Pirincci
Deutschland von Sinnen
Ein Deutschtürke liest uns die
Leviten: Mit heiligem Zorn
bekämpft der Bestsellerautor
Akif Pirinçci Gutmenschen,
vaterlandslose Gesellen, Gen-
der-Spinner und die politisch
korrekte Kaste. Vielleicht die
letzte Warnung – das meinungs-
politische Zwangskorsett wird
täglich enger.
278 S., Pb.
Best.-Nr.: 92311 EUR 17,80
Akif Pirincci,
Andreas Lombard (Hrsg.)
Attacke auf den Mainstream
Akif Pirinçci trieb die Medien
zur Raserei. Er wurde als
Haßprediger beschimpft und
sein Bestseller Deutschland
von Sinnen gar mit Hitlers
„Mein Kampf“ verglichen. Der
vorliegende Band versammelt
Texte von Akif Pirinçci, Thorsten
Hinz, Martin Lichtmesz, Thor
Kunkel, André F. Lichtschlag u.a.
220 S., Pb.
Best.-Nr.: 92471 EUR 12,00
Matthias Steinbach hingegen, der mit
„Mobilmachung 1914“ in Kempowski-
Manier ein „literarisches Echolot“ der
Jahre 1914 bis 1916 vorlegt, nimmt
durch zahlreiche Textzeugnisse jener
Zeit zumindest die deutsche Binnenper-
spektive ein. Allerdings traf er bei deren
Auswahl zwei problematische Entschei-
dungen. Zunächst einmal dominieren
über Gebühr literarische Vertreter gemäß
heutiger linker Selektion. Das Gegenla-
ger ist durch Flex, Rudolf G. Binding
oder Ernst Jünger ziemlich dünn besetzt.
Weitere Vertreter des Soldatischen Na-
tionalismus kommen nicht vor.
Zudem verknüpft der Herausgeber
Dokumente der Weltkriegsjahre mit
Texten wie Edlef Köppens „Heeres-
bericht“, Erich Maria Remarques „Im
Westen nichts Neues“ oder sogar Ja-
roslav Hašeks satirischem „Schwejk“,
allesamt engagiert-pazifistische Roma-
ne, die jedoch erst Jahre später entstan-
den. Nichts gegen deren Einbeziehung,
aber ein authentisches, auch quantitativ
repräsentatives Zeitbild wird so nicht
kreiert. Vielmehr zeichnen so wichtige
„Zeugen“, vom Leser kaum bemerkt,
ein Fronterlebnis erst aus der nachträg-
lichen „Geläuterten“-Perspektive, zu der
wiederum „Bellizisten“ wie Werner Beu-
melburg, Franz Schauwecker oder Thor
Goote nichts beitragen dürfen.
Wie besteht Bruendel angesichts der
Gefahr vordatierter Rückblicks-Urteile?
Sein Vorwort weckt jedenfalls große Er-
wartungen: „Aber auch wenn die Inhalte
vieler Werke hundert Jahre später fremd
anmuten, kann man sie weder pauschal
als intellektuelle Verirrung verdammen
noch als künstlerisch oder inhaltlich
Matthias Stein-
bach (Hrsg.):
Mobilmachung
1914. Ein literari-
sches Echolot.
Reclam Verlag,
Stuttgart 2014,
broschiert, 288
Seiten, 12,95 Euro
Udo Ulfkotte
Gekaufte Journalisten
Wie Politiker, Geheimdienste
und Hochfinanz Deutschlands
Massenmedien lenken
Erstmals enthüllt Ulfkotte, wie
er als FAZ-Journalist geschmiert
und in amerikanische Lobbyver-
bände aufgenommen wurde. Er
blickt hinter die Kulissen, zeigt,
wie Journalistenpreise verge-
ben werden, und belegt, daß
Geheimdienstmitarbeiter sogar
Texte für Redaktionen verfassen.
336 S., geb.
Best.-Nr.: 92450
Michael Klonovsky
Aphorismen und Ähnliches
Neues von Klonovsky: Scharfsin-
nig, geschliffen, pointiert und
garantiert politisch unkorrekt.
Michael Klonovsky ist als ein-
flußreicher Journalist (Focus)
und nonkonformer Schriftstel-
ler („Land der Wunder“) eine
Ausnahmeerscheinung im
deutschen Kulturbetrieb.
125 S., geb.,
Best.-Nr.: 92509
wertlos marginalisieren. Vielmehr ist das
Gegenteil der Fall: Nicht nur das kritische
oder pazifistische, sondern auch das zu-
stimmende kriegspolitische Engagement
hat künstlerische und literarische Werke
von nachhaltiger Wirkung geschaffen.“
Volksdidaktischer Grundzug
ist in allen Werken spürbar
Auf diesen Nachweis, der angesichts
des gegenwärtigen Zeitgeists Courage
und Souveränität erfordert, wartet man
allerdings weitgehend vergeblich, zumal
ihm zuweilen die fahrlässige Gleich-
setzung von „realistisch“ mit „kriegs-
kritisch“ bzw. „pazifistisch“ unterläuft.
Sein einziger Qualitätsbeleg ist Fritz
Erlers Kriegsanleihe-Porträt eines sti-
lisierten Frontsoldaten wie überhaupt
die Plakatkunst, die sich erst Ende 1916
langsam als Werbemittel durchsetzen
konnte. Ansonsten wird einmal – wer-
tungslos – „Wildgänse rauschen durch
die Nacht“ zitiert, und das war’s auch
schon. Stattdessen allüberall Zitate
von Bruendels Favoriten: Brecht, Tol-
ler, Tucholsky, Heinrich Mann, Karl
Kraus, Walter Hasenclever, Hugo Ball
und nicht zuletzt wie ein Basso ostina-
to Erich Mühsam, dessen scharfe Po-
litverse das jeweilige Fazit historischer
Erörterungen ziehen.
Wichtige Fragen wie die nach den
kontroversen Wechselbeziehungen der
Schriftsteller, Künstler oder Denker wer-
den gar nicht erst gestellt. Der zuweilen
äußerst pikante Meinungsumschwung
von „Renegaten“ bleibt unerörtert, wo
die Haltung zum Krieg nur als Lernpro-
zeß ursprünglich Berauschter erscheint,
Ernst Piper: Nacht
über Europa. Kul-
turgeschichte des
Ersten Weltkriegs.
Propyläen Verlag,
Berlin 2013, ge-
bunden, 592 Sei-
ten, 26,99 Euro
Michael Brückner, Udo Ulfkotte
Politische Korrektheit
Von Gesinnungspolizisten
und Meinungsdiktatoren
Schluß mit dem politisch
korrekten Wahnsinn! Die
Autoren haben unglaubliche
Belege zusammengetragen,
wie Tugendwächter und Gesin-
nungspolizisten uns belügen.
Doch die Umerziehung zu
einem Volk von Duckmäusern
und Denunzianten wird nicht
gelingen – überall regt sich
Widerstand!
320 S., geb.
EUR 22,95 Best.-Nr.: 92181
Peter Scholl-Latour
Der Fluch der bösen Tat
Das Scheitern des Westens
im Orient
Der Nahe Osten wird von Krie-
gen und Unruhen geschüttelt,
woran die politischen und
militärischen Interventionen
des Westens einen großen An-
teil haben. Angesichts der von
Geheimdiensten gesteuerten
Desinformation sind die Aus-
führungen des großen Nahost-
Experten wahre Lichtblicke.
ca. 340 S., Abb., geb.
EUR 18,90 Best.-Nr.: 92427
Abbildungen können vom Original abweichen!
L I T E R A T U R | 21
Frisch gepreßt
Janus Gudian:
Ernst Kantorowicz.
Der „ganze Mensch“
und die Geschichts-
schreibung. So-
cietäts-Verlag,
Frankfurt/M. 2014,
gebunden, 221 Sei-
ten, Abbildungen,
14,80 Euro
Ernst Kantorowicz. Viele der gro-
ßen jüdischen Repräsentanten des
deutschen Geistes fügen sich nicht
in jene moralisierende Sparversi-
on der Geschichte des Deutschen
Reiches zwischen 1871 und 1945,
wie sie die BRD-Volkspädagogik
offeriert. Der sprachgewaltige Po-
lemiker und Mussolini-Bewunde-
rer Rudolf Borchardt (1877–1945)
ebensowenig wie der gelehrte Kab-
bala-Forscher und passionierte Zio-
nist Gershom Scholem (1897–
1982) oder der ebenfalls dem
Berliner Judentum entstammende
krasse Antizionist und preußische
Monarchist Hans-Joachim Schoeps
(1909–1980). Und schon gar nicht
der Posener Jude, Freikorpskämpfer
und Mediävist Ernst H. Kantoro-
wicz (1895–1963), dessen „Kaiser
Friedrich der Zweite“ (1927) den
Mythos vom „Geheimen Deutsch-
land“ wie kein anderes Werk aus
dem Kreis Stefan Georges nährte.
Der jüngste Versuch einer Kanto-
rowicz-Biographie, vorgelegt vom
die jetzt endlich aufwachen und ihre Frankfurter Historiker Janus Gu-
Autorenpflicht ernst nehmen. Wo ihre dian, deutet diese ungeheure Kom-
früheren wehrhaften Motive allenfalls plexität deutsch-jüdischer Bezie-
durch Massenverführung oder eine ge- hungsgeschichte indes kaum an.
nerell überschätzte Zensur erklärt wer- Vielmehr wird deren Facettenreich-
den, die angeblich alle Gegenstimmen tum in diesem exemplarischen Fall
zum Schweigen brachte. letztlich reduziert auf den „politi-
Daß Verantwortung auch anders er- schen Konvertiten“ Kantorowicz,
scheinen konnte, selbst wo man fast alle der sich ab 1940 im US-Exil „heu-
Illusionen im Schützengraben verloren tigen Wertmaßstäben“ und dem
hatte, kommt nicht zur Sprache. Nichts „transnationalen und demokrati-
davon, daß Ernst Wiechert, Hans Ca- schen Denken“ zumindest „ange-
rossa, Karl Friedrich Borée oder ande- nähert“ habe. (wm)
re den Krieg in seinen physischen wie
seelischen Verheerungen zwar wahrlich
Bernd Kroemer
verabscheuten, aber sich gleichwohl wei- (Hrsg.): Der 1. Welt-
terhin im Dienst sahen. Nichts davon, krieg in Deutsch-Süd-
daß selbst ein Kurt Tucholsky noch im westafrika 1914/15.
September 1918 zur Zeichnung einer 2 Bände. Glanz & Glo-
Kriegsanleihe aufrief und dabei mahnte, ria Verlag, Windhuk
2013, broschiert, 170
alle inneren Differenzen hätten ange- & 178 Seiten, Abbil-
sichts der Feinde zurückzustehen: „So- dungen, 26,80 und
lange jene anderen schießen, / solan- 29,95 Euro
ge hilft das alles nichts“ – Ratschläge,
die er selbst binnen weniger Wochen Krieg in Südwest. Der Erste
zugunsten der Ankläger-Pose vergaß. Weltkrieg auf dem kolonialen
Keine wirkliche Empathie angesichts Nebenschauplatz Deutsch-Süd-
der ernstgenommenen Tragik, gemäß westafrika hat bereits nach knapp
Richard Dehmel zwischen „Volk und einem Jahr sein Ende gefunden.
Menschheit“ zu entscheiden. Zu übermächtig war die alliier-
Dieser volksdidaktische Grundzug te Südafrikanische Union gegen-
aller genannten Bücher, in der obsole- über den etwa 5.000 mobilisier-
ten Annahme, man müsse in unserer ten Schutztruppen-Soldaten und
postheroischen Gesellschaft, die allen- eingezogenen deutschen Siedlern.
falls Deserteuren Denkmäler setzt, tat- Einen detaillierten Blick auf den
sächlich noch retrospektiv für Pazifismus Kriegsverlauf anhand zeitgenös-
werben, hat seinen Preis. Originalität sischer Tagebucheinträge, Doku-
und Innovation winken nur dort, wo mente aus der deutschen Kolonie
ein unpolemisches Zeitbild jenseits von wie auch von den Feindmächten
scheinbaren Tagesinteressen das Ziel ist, bietet die auf insgesamt fünf Bände
wo tatsächlich noch etwas rekonstruiert angelegte Studie des in Namibia le-
wird, was auch den Verlierern der Ge- benden Bernd Kroemer. Im ersten
schichte die Chance läßt, sich darin zu Band wird der verzweifelte Abwehr-
erkennen. Legt man solche Maßstäbe kampf an der Südgrenze gegen die
an, muß man auf die Musterstudie zum zehnfach überlegenen Südafrikaner
Thema wohl noch warten. geschildert, der zweite Band richtet
den Fokus auch auf das Expediti-
Prof. Dr. Günter Scholdt ist Germanist und onskorps des eigentlich neutralen
Historiker und war Leiter des Literaturarchivs Portugal, das aus Angola die Deut-
Saar-Lor-Lux-Elsaß. schen bekämpfte. (bä)
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22 | N A T U R & T E C H N I K
Unnötige Angst
vor Dehydrierung
WEINHEIM. Die aus keinem stu-
dentischen Rucksack mehr weg-
zudenkende Wasserflasche könnte
nach Ansicht des Chemikers Klaus
Roth (FU Berlin) ruhig zu Hause
bleiben. Denn obwohl neuerdings
gerade die junge Generation stän-
dig befürchtet, zu „dehydrieren“,
wenn sie ihren täglichen Wasser-
verlust von 2,5 Litern nicht aus-
gleicht, sei solche Ängstlichkeit
unangebracht. Denn unsere Was-
serbilanz werde zeitlebens durch
ein „ausgeklügeltes biochemisches
Regelungssystem so hervorragend“
eingestellt, daß nicht zu erwarten
sei, daß Menschen unter norma-
len Umständen entwässert werden.
Wenn wir entgegen unserem Kör-
pergefühl zuviel Wasser trinken,
begeben wir uns sogar in Gefahr.
Denn übergroße Wasseraufnah-
me könne zu krankhaften Verän-
derungen von Blutdruck, Puls und
Harnproduktion, auch zur Behin-
derung des Blutabflusses, zum An-
schwellen aller Gewebe und zum
Absinken der Natriumkonzentrati-
on führen (Chemie in unserer Zeit,
10/2014). (ft)
Fettsucht: Neuansatz
medizinischer Forschung
BONN. Obwohl genetische Dis-
positionen für die Entstehung der
Fettsucht (Adipositas) hohe Be-
deutung haben, sind entscheiden-
de genetische Veränderungen bis-
her nicht bekannt. Es ist daher bis
heute nicht gelungen, die eigent-
lichen Ursachen der Krankheit
zu behandeln. Deshalb ist auch
die klassische Adipositas-Thera-
pie durch Sport und Diät selten
erfolgreich. Hier soll ein neuer
Sonderforschungsbereich (SFB)
der Deutschen Forschungsge-
meinschaft (DFG) ansetzen, der
das Fettgewebe des Menschen als
komplexes, hochaktives endokri-
nes Organ untersucht, das Wir-
kungen im gesamten Hormon-
haushalt auslöst. Wie Matthias
Blüher, Leipziger Endokrinologe
und Sprecher des SFB in Aussicht
stellt, seien damit neue Aufschlüsse
über die Ursachen einer folgenrei-
chen Volkskrankheit zu erwarten
(Forschung, 2/2014). (dm)
www.dfg.de
Deutsche Expertise in
chinesischen Wäldern
GÖTTINGEN. Ein deutsch-
chinesisches Projektkonsortium
(„Lin2Value“) leistet praktische
Arbeit in den Aufforstungswäl-
dern der Provinz Anhui. Ein Er-
fahrungsbericht Göttinger Forst-
wissenschaftler (Georgia Augusta,
9/2014) erläutert, daß die chine-
sische Waldstrategie die „Grünen
Mauern“ zum Klimaschutz, zur
Abmilderung der Bodenerosion
und gegen die weitere Ausbreitung
von Wüsten hochziehe. Doch sei-
en die seit 1980 neu aufgeforsteten
50 Millionen Hektar Plantagen-
wälder auch zur Holzproduktion
und zur Erhöhung der mittleren
Holzvorräte entstanden. (ck)
www.uni-goettingen.de/downloads/
FlippingBook/Forschungsmagazin-
Sep14/index.html#6
368 Seiten, Paperback
Best.-Nr.: 92455
EUR 19,80
FOTO: PICTURE-ALLIANCE
Auto mit großen Mengen Semtex auf der Ladefläche, Kabul 2002: Für Islamisten bieten Plastiksprengstoffe „interessante Optionen“
Material im Baumarkt und Rezepturen im Netz
Chemische Sprengstoffe und Terrorismus: Laboranten produzieren mit wenig Aufwand Höllenmaschinen
BERND EWERS
T
äglich gehen bei der deutschen
Polizei zwanzig Bombendrohun-
gen ein. Etwa 7.000 pro Jahr. Es
hat sich eben seit langem herumgespro-
chen, daß die Sicherheitsbehörden jeden
Anruf ernst nehmen müssen, weil die
Tat so einfach zu realisieren ist.
Wie einfach, das beschreibt der eme-
ritierte Bremer Chemieprofessor Dieter
Wöhrle in einem umfangreichen Aufsatz
über „Rolle und Bedeutung der Che-
mie im Terrorismus“ (Chemie in unserer
Zeit 48, 2014). Gewalt als Mittel zur
„Durchsetzung gesellschaftlicher Ver-
änderungen“ ist seit dem Tag, als Kain
Abel erschlug, historisch wahrlich kein
neues Phänomen. Aber das Gewaltpo-
tential chemischen Wissens entfaltete
sich erst in den Giftgaseinsätzen an den
Fronten des Ersten Weltkrieges. Dabei
zeigte sich auch, daß mit geringem Auf-
wand an chemischen Materialien und
simplen Verfahren maximal verheerende
Wirkungen zu erzielen waren. Dieses
Prinzip erkläre den hohen Stellenwert,
der der Chemie heute im internationa-
len Terrorismus zukomme.
Viele Tonnen radioaktiven
Materials sind unauffindbar
Bei der Auswahl gefährlicher Stoffe
gebe es allerdings eine Art Beliebtheits-
skala. Denn die meisten terroristischen
Attacken werden durch selbst hergestell-
te und illegal beschaffte Explosivstof-
fe ausgeführt. Fast unbedeutend sind
hingegen Anschläge mit chemischen
Kampfstoffen, obwohl hier toxische
Massenprodukte der chemischen In-
Dr. Thomas Fasbender, JF-Korrespondent, Moskau
Freiheit
statt Demokratie
Russlands Weg und die Illusionen des Westens
Russland ist anders als der Westen und wird anders bleiben, nicht nur wegen Putin. Abwechslungs-
reich schildert Fasbender die Urtümlichkeit des riesigen Landes und die Mentalität seiner Bewohner.
Der russische Mensch hat ein eigenes und andersartiges Verständnis von Freiheit.
Bestellen Sie telefonisch: 030 / 86 49 53 - 25, per Fax: 030 / 86 49 53 - 40 oder einfach online: www.jf-buchdienst.de
dustrie ein nicht zu vernachlässigendes
Gefahrenpotential schaffen. Immerhin
nicht auszuschließen seien überdies An-
schlagsszenarien unter Verwendung ra-
dioaktiver Stoffe. In den Ländern der
ehemaligen Sowjetunion sollen einige
Tonnen radioaktiven Materials aus al-
ten Beständen verschwunden sein. Und
auch in den USA sind seit 1996 über
1.500 Strahlenquellen aus Industrie und
Medizin „verlorengegangen“. Davon ha-
be sich bisher nur die Hälfte wieder an-
gefunden.
Eine etwas ungemütliche Bilanz, da
in afghanischen Al-Qaida-Trainingsla-
gern Pläne für den Bau von schmutzigen
Bomben erbeutet wurden. Die Frage sei
heute nur, ob diese Terroristen Fachleute
zur Hand haben, um detonationsstabile
hochradioaktive Stoffe in die Umwelt
auszubringen. Um eine möglichst große
Fläche radioaktiv zu belasten, müßten
bei einem Anschlag eine oder mehrere
Bomben von mindestens 20 Zentner
Sprengstoff explodieren, die ein strah-
lendes Nuklid enthalten. Aber auch we-
niger spektakuläre Verwendungen sind
denkbar, wie der Strahlentod eines Ex-
Sowjetagenten und FSB-Offiziers in
London 2006 beweise. Der Putin-Kri-
tiker Alexander Litwinenko war mit Po-
lonium-210 verseuchter Tee verabfolgt
worden, das wahrscheinlich aus einem
russischen Kernreaktor stammte.
Da aber die Beschaffung von Strah-
lenmaterial schwierig und der Bau ra-
diologischer Höllenmaschinen kompli-
ziert sei, erkläre sich die unangefochtene
Favoritenrolle, die Explosivstoffe in ter-
roristischen Kreisen spielen. Benötig-
te Komponenten für Sprengstoffe und
Zündsysteme sind aus gut zugänglichen,
im sprichwörtlichen Baumarkt erhältli-
chen Ausgangsmaterialien herzustellen.
Das Internet bietet zudem für die Pro-
duktion von Selbstlaboraten Rezepturen
in Fülle an. Feste, plastische oder flüssige
energiereiche Stoffe, von Schwarzpulver
und Ammoniumnitrat über Nitroglyce-
rin und Hexogen bis zum hochexplo-
siven Tetryl, können von erfahrenen
Laboranten „grundsätzlich“ zu jedem
Sprengstoff verarbeitet werden. Nur
bei minimaler Laborausrüstung riskie-
ren die Produzenten unkonventioneller
Sprengstoffe selbst ihr Leben. Unfreiwil-
lige Zündungen seien dann nicht aus-
zuschließen und sogar wahrscheinlich.
Dschihadisten greifen nach
chemischen Kampfstoffen
Ebenfalls problematisch für den ter-
roristischen Einsatz ist die unterschiedli-
che „Schlagempfindlichkeit“ der Spreng-
stoffe gegenüber mechanischer Bela-
stung. Als gering schlagempfindlich sind
Schwarzpulver oder TNT beste Garan-
ten dafür, daß sie in ihrer „Umhüllung“
das Zielobjekt auch wirklich erreichen
und erst dann zünden. Der Grad der
Zerstörung ist exakt kalkulierbar, hängt
von der Sprengstoffmenge und der Ent-
fernung des Anschlagziels ab.
Eine von Selbstmordattentätern be-
vorzugte Weste, die mit 30 Kilo Spreng-
stoff explodiert, tötet Personen im Um-
kreis von zehn Metern absolut sicher.
Verletzungen auch mit Todesfolge so-
wie starke Gebäudeschäden an massi-
ven Betonkonstruktionen treten selbst
in einigen hundert Metern Entfernung
auf. Rohrbomben steigern die Wirkung,
wenn man Nägel, Schrauben oder Glas-
splitter beigibt. Al-Qaida-Terroristen
verwenden gern Tonerkartuschen von
Laserdruckern, die sie mit Nitropenta
füllen.
Höhere Anforderungen als die pul-
verförmigen Stoffe stellt Plastikspreng-
stoff. Aber wer unter den Terroristen
versiert ist in Techniken der Synthese,
für den böten Semtex A und C4 „inter-
essante“ Optionen, da sie als knetbare
Masse in beliebige Formen und Filme zu
bringen seien. Die Explosionsfähigkeit
bleibe auch bei minimaler Filmdicke
erhalten, so daß sie ideal in die dünnen
Auskleidungen von Gepäckstücken pas-
sen und leicht detonieren. Durch eine
„recht einfache Synthese“ erhalte man
Nitropenta durch Auflösen in Pentaery-
thrit in kalter 90prozentiger Salpetersäu-
re (HNO3). Anschließend, so referiert
Wöhrle knapp, als ginge es um ein Re-
zept für Streuselkuchen: „Ausfällen mit
Wasser, filtrieren und neutral waschen.“
Was derart harmlos klingt, entfaltet
im terroristischen Kontext schreckener-
regende Effekte: 350 Gramm Semtex,
elektronisch gezündet über ein Radio-
kassettengerät, genügten im Dezember
1988, um eine Pan-Am-Boing 747 über
dem schottischen Lockerbie explodieren
zu lassen und 270 Passagiere in den Tod
zu reißen.
Al-Qaida, Hisbollah, Hamas und
Konsorten haben im Gegensatz zum
Umgang mit Explosivstoffen bisher
kaum Erfahrung in der Herstellung und
Anwendung von chemischen Kampf-
stoffen. Indizien dafür, daß sich dies bald
ändern könnte, lieferte Mitte 2013 die
Aushebung von drei Chemielaboren in
Bagdad, wo die Giftgase Sarin und S-
Lost hergestellt werden sollten. In den
Laboren fand man auch Spielflugzeu-
ge mit Fernsteuerung, die die Kampf-
stoffe in Europa und Nordamerika zu
Anschlagszielen transportieren sollten.
www.chiuz.de
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014
Umwelt
Der Saft
geht aus
Von Jörg Fischer
B is zum Jahr 2020 sollen eine
Million Elektroautos auf
deutschen Straßen rollen. Das
2008 verkündete Umweltschutz-
ziel der Bundesregierung hat alle
Koalitionswechsel überstanden.
Doch in den ersten zehn Mo-
naten dieses Jahres wurden laut
Kraftfahrt-Bundesamt lediglich
6.888 E-Mobile neu zugelassen.
Dabei müßten monatlich 16.000
elektrische Neuwagen einen Käu-
fer finden, um die Million noch
zu erreichen.
Und nun kommt eine neue
Hiobsbotschaft: „E-Auto-Batterie
verliert nach drei Jahren 17 Pro-
zent Kapazität“ meldete der Öster-
reichische Autoclub ÖAMTC, der
zusammen mit der TU Wien den
Mitsubishi i-MiEV einem Lang-
zeittest unterzogen hat. Nach nur
40.000 Straßenkilometern sank
die nutzbare Batteriekapazität
um ein Sechstel. „Das bedeutet,
daß man im Alltag nur mehr 90
statt ursprünglich 108 Kilometer
weit kommt, bevor die Batterie
aufgeladen werden muß“, erklärt
ÖAMTC-Techniker Steffan Kerbl.
Die Batterie monatlich
zur Miete, und die Lauf-
leistung wird vorsorglich
beschränkt.
Alles nur das Problem eines
japanischen Kleinwagens? Nein,
denn Citroën C-Zero und Peu-
geot iOn sind baugleich. Auch im
BMW i3 oder dem Marktführer
Nissan Leaf kommt eine ähnliche
Lithium-Ionen-Technologie zum
Einsatz. Es sei zu erwarten, daß
die Reichweiteneinbuße bei ande-
ren Firmen ähnlich hoch ausfälle.
„Die meisten Hersteller schreiben
schon bei 20 bis 30 Prozent Ka-
pazitätsverlust den Tausch einzel-
ner Zellen oder des ganzen Ak-
kupacks vor“, so Kerbl. Fällt der
Batterietausch nicht mehr in die
Garantiezeit wird es richtig teuer
– selbst für E-Mobilisten, die gern
30.000 Euro für einen Stadtflitzer
hinblättern. Renault bietet daher
für seinen ZE die Batterie ab 49
Euro monatlich zur Miete – doch
dabei wird die Laufleistung vor-
sorglich auf 1.250 Kilometer pro
Quartal beschränkt. Und erst wenn
die Ladekapazität um 25 Prozent
gesunken ist, werden die Energie-
speicher kostenlos ausgetauscht.
Was für ein Umstand!
Erkenntnis
„In drei Viertel (73 Prozent)
der deutschen Haushalte
steht zum Fest ein Tannen-
baum.“
Aus dem Weihnachtsbaum-ABC
des bundesweiten Dachverbands
„Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Waldbesitzerverbände – Die Wald-
eigentümer“
FOTO: Copyright IMAGO/THOMAS LEBIE
JUNGE FREIHEIT
Nr. 51/14 | 12. Dezember 2014
„Viele Deutsche haben die Nase voll“
Zu: „‘Wir Opfer können es nicht fassen’“,
im Gespräch mit Hugo Diederich, JF 50/14
Klare, eindeutige Antworten
Mein Dank gilt Hugo Diederich für die
klaren, eindeutigen Antworten! Jedes
einzelne Wort davon könnte ich unter-
schreiben, auch wenn mein Haftschicksal
und das meiner Ehefrau im Verhältnis zu
dem, was Diederich und viele andere erle-
ben mußten, klein wirkt. Nicht zu verges-
sen sind in diesem Zusammenhang die
provozierenden Fragen von Redakteur
Moritz Schwarz, die wiederum die exak-
ten Antworten Diederichs ermöglichten.
HARALD BESTÄNDIG, PINNEBERG
Schauspielerische Leistung
Nach dem sehr emotionalen Interview
mit Herrn Diederich mußte ich plötz-
lich 20 Jahre weiter denken. Ich stellte
mir vor, wie nicht ein von der heutigen
geschichtsvergessenen Gesellschaft völlig
harmlos wirkender linker Ministerprä-
sident wohl gewählte und beschwichti-
gende Worte ans Publikum richtet, son-
dern ein Pierre Vogel oder der Jauchsche
„Quassel-Imam“ die verbindenden Wor-
te eines islamischen Regierungschefs an
das Volk richtet.
Es macht einem Angst zu sehen, mit
welcher Partei SPD und Grüne heute,
25 Jahre nach der SED-Diktatur, ge-
meinsame Sache machen, nur um an
die Macht zu gelangen. Ist es da zu weit
hergeholt, daß diese Parteien dereinst
auch gemeinsame Sache mit einer de-
mokratisch anmutenden islamischen
Partei machen, die es ja in Anfängen
bereits gibt?
Auch in 20 Jahren wird es wohl hei-
ßen, es sei „lange her“, daß unmenschli-
ches Grauen von dieser Ideologie verur-
sacht wurde. Auch dann wird man uns
erzählen, daß sich doch alles verändert
hat und das heutige Personal nicht mehr
mit damals vergleichbar wäre. Ideologien
verändern sich nie, nur die schauspie-
lerische Leistung der machthungrigen
Anführer wird immer besser.
MICHAEL DILL, STEINBACH/TAUNUS
Die „drüben“ begreifen es nicht
Es ist erstaunlich, daß bei aller berech-
tigten Kritik an der Regierungsbildung
in Thüringen durch die SED-Erben kein
Wort der Ermahnung an den mündi-
gen Wähler in einer Demokratie geäu-
ßert wird. Wenn man bedenkt, daß nur
jeder zweite Wahlberechtigte bei den
letzten Landtagswahlen in den neuen
Bundesländern von seinem demokrati-
schen Recht Gebrauch machte, dann ha-
ben die Bürger „drüben“ offenbar nicht
begriffen, daß sie selbst heute die Poli-
tik erst ermächtigen und solche linken
Machtübernahmen verhindern können.
GEORG K. SCHMELZLE,
NORDEN/OSTFRIESLAND
Zu: „Hirntod, personelle Selbstverwirk-
lichung und Organtransplantationen /
Dahinvegetieren beenden“ von Manfred
Stöhr, JF 50/14
Persönliche Überzeugungen
Dem Autor ist Dank zu sagen für die
überwiegend klaren und trennscharfen
Aussagen. Dennoch weicht Professor
Stöhr an einer Stelle davon ab. So schreibt
er, daß „ein Absterben des Gehirns“ die
Entseelung bedeute. Kurz darauf schreibt
er, daß das beatmete hirntote Individuum
kein Mensch mehr sei. Dies sind lediglich
persönliche Überzeugungen von Profes-
sor Stöhr und keine wissenschaftlichen
Aussagen. Wer kann schon sicher aus-
schließen, daß die Seele des Menschen
W O CW HO EC N
H EZNEZI ET I U
T N
U NGG FFÜÜ R
GEGRÜNDET 1986 IN FREIBURG I. BR. · WOCHENZEITUNG IN BERLIN SEIT 1994 · ISSN 0932-660X
Herausgeber und Verlag: JUNGE FREIHEIT Verlag
GmbH & Co., Hohenzollerndamm 27 a, 10713 Berlin
REDAKTION
Chefredakteur: Dieter Stein
Stellv. Chefredakteur: Thorsten Thaler
Chef vom Dienst: Matthias Bäkermann
Verantwortliche Redakteure: Titel, Meinung,
Thema: Christian Vollradt; Im Gespräch: Moritz
Schwarz; Politik: Marcus Schmidt (Leitung), Felix
Krautkrämer (Leitender Redakteur Online), Anni
Mursula; Reporter: Hinrich Rohbohm; Außenpolitik,
Hintergrund: Dr. Curd-Torsten Weick; Wirtschaft,
Natur & Technik: Jörg Fischer; Kultur: Thorsten
Thaler; Medien: Ronald Gläser; Forum, Sein & Zeit:
Christian Rudolf; Geschichte, Literatur: Matthias
Bäkermann; Leserforum: Christian Dorn;
Schlußredaktion: Matthias Seegrün
Ständige Korrespondenten: Prof. Dr. Günter Zehm,
Thorsten Hinz, Michael Paulwitz, Alain de Benoist
(Paris), Prof. Elliot Neaman (San Francisco)
Satz und Gestaltung: , Daniela Lemke, Andrea
Müller, Vera Wischnewsky
Die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT hält sich an die
bewährte traditionelle deutsche Rechtschreibung,
wie sie bis zum 1. August 1999 gültig war.
w w w.jungefreiheit.de
Angriff auf uns alle
Die ermordete Tuğçe Albayrak ist auch ein Opfer ideologisch fehlgeleiteter Einwanderungspolitik
l hk
JF-Ausgabe 50/14 vom 5. Dezember 2014
nicht erst mit/nach dem „gesamten“
Tod des Menschen, wenn also auch der
Körper tot ist, entweicht? Und für genau
diesen Fall stellt sich die Frage nach der
Legitimität einer Organentnahme am
lebenden Körper, die zum Tode des Kör-
pers beziehungsweise Menschen führt.
MATTHIAS HOLTERMANN, KERPEN
Zu: „Das wirkt bis heute nach“ von Wolf-
gang Schimank, JF 50/14
Operative Überlagerung
Die Geschichte des Abkommens und
seiner tragischen Folgen werden hier aus-
gezeichnet dargestellt. Ich möchte nur
drei kleine Ergänzungen beitragen: Nach
dem Abfall Italiens 1943 wurde Südtirol
in der Tat nicht in das Reich aufgenom-
men und blieb staatsrechtlich Bestand-
teil Italiens. Das wurde aber überlagert
durch die Zugehörigkeit zur „Operati-
onszone Alpenvorland“. De facto hörten
alle Italianisierungsmaßnahmen auf und
die Verwaltung wurde deutsch. Wie in
Elsaß-Lothringen und der Untersteier-
mark blieb auch hier ausschließlich die
staatsrechtliche Eingliederung bis zum
(siegreichen) Kriegsende zurückgestellt.
Zur Rückwanderung der Optanten
wäre zu ergänzen, daß im Gegensatz
zu den Südtirolern von den ins Reich
umgesiedelten Kanaltaler Optanten nur
sehr wenige nach 1945 zurückkehrten.
ERNST S. VON HEYDEBRAND,
VALLENDAR
Die besseren Südtiroler
Seit 1961 besuche ich Südtirol. Die
letzten Jahre vermehrt als Urlauber auf
dem Bauernhof, wo die ganze Vielfalt des
Landes erlebbar wird. Bei dieser Art Fe-
rien ist der Kontakt, der Gedankenaus-
tausch, das Erfahren von Hintergrund-
wissen ungleich größer. Auch die für die
Südtiroler so bedrückende Optionszeit
ist immer wieder ein Thema. Überra-
schend in manchen Dörfern ist die auch
heute noch vorhandene unterschwelli-
ge Differenzierung zwischen Optanten
und Dableibern, die sich selbst als „die
besseren Südtiroler“ sehen.
WERNER FÖRDERREUTHER,
HARTMANNSDORF
Zu: „Hier darf ein Mann noch Mann sein“
von Ronald Berthold, JF 50/14
Die Welt ist schon traurig genug
Ich sage meinen Bekannten immer: „Die
Artikel der JF zeichnen sich fast immer
durch eine gewisse Schwerblütigkeit aus.
Einen Artikel zur Berliner Kneipensze-
ne werdet ihr dort nie finden.“ Deshalb
R D
D EE BBAAT TT T
E E
Vertrieb für den Zeitschriftenhandel: IPS-Vertrieb
GmbH, Postfach 1211, 53334 Meckenheim
Druck: Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH,
Kurhessenstr. 4 – 6, 64546 Mörfelden-Walldorf
Anzeigen: Berliner Medien Vertrieb. Es gilt die An-
zeigenpreisliste vom 1.1.2014. Tel: 030 / 66 40 67 55
Jahresabonnement: EUR 171,– (Sozialabo EUR
112,–; Schülerabo EUR 81,–); Bezugspreis für das
Ausland: Europa EUR 199,– (Sozialabo EUR 140,–;
Schülerabo EUR 109,–); Übersee/Luftpost: EUR
227,– (Sozialabo EUR 168,–; Schülerabo EUR 137,–).
Das Abonnement verlängert sich um ein Jahr,
wird es nicht vier Wochen vor Ablauf schriftlich
gekündigt.
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Nachdruck: Nur mit Genehmigung des Verlages.
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damm 27 a, 10713 Berlin
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Telefax: 030 / 86 49 53 - 14
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L E S E R F O R U M | 23
gel, nicht aber in der JF erwartet. Kein Überraschend harter Tenor
FOTO: PICTURE ALLIANCE / JÖRG SCHMITT
Wort davon, daß diese Konferenz mit In der Tat waren mir viele Fakten in Ihrem
Nr. 50/14 | 29. Jahrgang | 5. Dezember 2014 | EUR 4,– (D)
russischen und französischen Koope- Artikel über Elsässer unbekannt. Doch
rationspartnern durchgeführt worden war ich von dem harten Tenor überrascht,
W O C H E N Z E I T U N G F Ü R D E B AT T E
ist, kein Wort davon, daß Gäste aus der angeschlagen wurde. Schließlich hat
Frankreich, England oder aus Rußland Elsässer nie behauptet, kein Linker mehr
Rückblick
„Advent, Advent, ein Lichtlein
brennt, erst eins, dann zwei – und
zu den Teilnehmern gesprochen haben. zu sein. Fakt ist, daß er als Journalist die-
dann die Druckerei.“ So dichteten
vor 20 Jahren Brandstifter mit
Existenzvernichtungs-Phantasien.
Auf dieser Veranstaltung wurde das in sen Beruf, anders als seine Kollegen der
den etablierten Medien abfällige Bild Hauptstrommedien, ernst nimmt. Ihm
TH
Rußlands hinterfragt und die Motivlage zu unterstellen, er sei aus Moskau fernge-
des Westens, die zu der konfrontativen steuert, erscheint mir unredlich. Fragebogen
Erstarrung
Offiziell herrscht Waffenruhe, doch
Politik gegen Rußland geführt hat, skiz- MARTIN WUSCHKE, MEINE
ziert. Doch kein Wort davon in Ihrem
es wird weiter geschossen und
gestorben. Eine Winterreise zu den
Bewohnern der ostukrainischen
Stadt Donezk. Gabriele Wohmann
AUSLAND, Seite 9
Beitrag. Journalismus, der die wunden Ein unliebsamer Konkurrent
Punkte aufzeigt, der den Anspruch ver- Ich kann mich des Eindrucks nicht er- Schriftstellerin
tritt, Gegenöffentlichkeit sein zu wollen, wehren, daß mit dieser Serie über den
Frühlingstraum sieht anders aus. Ich bin enttäuscht, daß Compact-Herausgeber Elsässer ein un-
k S h b hf l d d b d d b k l h dl h A ff fT Alb k Nicht nur Menschen auch Rock
die JF sich leider genauso verhält, wie liebsamer Konkurrent auf dem hart um- Wo möchten Sie jetzt am liebsten
sie das ihren Gegnern immer zu Recht kämpften Zeitungs- und Zeitschriften- sein?
vorwirft. markt in unserem Land matt gesetzt wer- Egal.
VOLKER KAY, WIESBADEN den soll. Es wäre vielmehr zu begrüßen,
Wofür lassen Sie alles stehen
daß endlich einer ein Nachrichtenma-
und liegen?
Zu: „Ungereimtheiten im Bankenmilieu“ gazin herausgebracht hat, das sich von
von Wolfgang Kaufmann, JF 49/14 den mehr oder weniger gleichgeschalte- Wenn es meinem Mann schlecht
habe ich den Artikel zum Schorem-Bar- Bombe noch nicht entschärft ten Printmedien bei uns deutlich unter- geht.
bershop mit Schmunzeln zur Kenntnis Für mich ist es ziemlich offensichtlich, scheidet und die wahren Hintergründe
Was bedeutet Heimat für Sie?
genommen. Das wurde auch einmal daß Herr Herrhausen von seinesglei- der Weltpolitik ausleuchtet.
Zeit! Die Welt ist schon traurig genug. chen umgebracht wurde. Herr Acker- Elsässer verfügt als Herausgeber von Heimat ist da, wo ich herkomme,
WERNER VIGERSKE, BERLIN mann, ehemals Deutsche Bank, dürfte Compact über ein weltpolitisches Hin- wo ich Freunde habe. Kein fiktiver
mehr wissen, worauf sein Auftritt am 13. tergrundwissen, das er in die monatlich Ort. – Aber die letzte Heimat ist
Zum Schwerpunktthema: „Ein Paradies Mai 2010 bei Maybrit Illner schließen erscheinenden Ausgaben seines Maga- noch nicht gefunden.
für Kriminelle“, JF 49/14 läßt, wo es um die Rettung Griechen- zins einbringt. Solche Leute wären zu Was ist Ihnen wichtig im Leben?
Wir brauchen eine Nationalgarde lands, der Banken und des Euro ging. unterstützen, statt gegen sie zu Felde zu
Nicht nur die Hauptstadt, ganz Deutsch- Herrhausen hatte sich mächtige Feinde ziehen und in ihrer Vergangenheit her- Da gibt es sehr vieles – daß es mei-
land ist zu einem Paradies für Kriminelle in seinen Kreisen gemacht, weil er mehr- umzuwühlen. Einen Lernprozeß sollte nen Lieben gut geht.
aus allen Elendsgebieten dieser Erde ver- fach für einen Schuldenerlaß ärmerer man jedem zubilligen. Was haben Ihnen Ihre Eltern
kommen. Dazu zu siebzig Prozent musli- Länder plädiert hatte und wohl auch RONALD MATZDORFF, BERLIN mitgegeben?
mische Eindringlinge, die hier ungestört Bedenken gegen den Euro hatte. Mit
ihre Mörder- und Räuberideologie aus- Herrhausen, enger Berater Kohls, wäre Recht auf politische Bekehrung Alles – meinen Lebensmut, mei-
leben dürfen. Kein Wunder, wenn wir die Wiedervereinigung Insidern zufolge Die von Hinrich Rohbohm recherchier- ne Zuversicht, meinen Mut, daß
anfangen, uns heimlich zu bewaffnen, da anders verlaufen. ten Kostproben aus Jürgen Elsässers kul- das irdische Leben nicht alles ist.
die Exekutive auf ganzer Länge versagt. In der besagten Illner-Sendung frag- turmarxistisch-antideutscher Journali- Welches Buch hat Sie nachhal-
Was wir brauchen, ist mittlerwei- te die Moderatorin Herrn Ackermann: stenvita sind deftig. Doch muß auch tig beeinflußt?
le eine Nationalgarde nach amerika- „Hätten Sie eine solche Forderung nicht dem Post-68er Elsässer wie vor ihm den
Dazu gibt es zu viele. Ich habe
nischem Vorbild, die, bewaffnet mit einfach stellen können an all Ihre Kolle- Alt-68ern Maschke, Rabehl oder Röhl
von Kindheit an gelesen.
Schrotflinte und Schnellfeuergewehr, gen, die richtig sauber aus dieser Krise das Recht auf eine politische Bekehrung
bereit und gewillt ist, diese auch einzu- herausgekommen sind?“ Darauf antwor- vom Saulus zum Paulus zugestanden wer- Welche Musik mögen Sie?
setzen, wenn Recht und Gesetz derart tete dieser: „Ich glaube, es wäre mir ge- den. Daß für die Elsässer-Dokumentation In erster Linie Schubert und Bach.
gravierend verletzt werden. nauso ergangen wie Herrn Herrhausen!“ aber ausgerechnet jemand verantwortlich
HEINRICH WEISSKOPF, CUXHAVEN Es ist seltsam, daß Frau Illner auf diese zeichnet, der mir bisher als wohlwollend- Welches Ereignis ist für die Welt
verbale Bombe nicht eingegangen ist. kritischer Autor zu den Unionsparteien das einschneidendste gewesen?
Zur Meldung: „‘Pegida’: Bis zu 7.000 Teil- DR. UDO DIETZMANN, MECHERNICH aufgefallen ist, hat für mich Signalwir- Als meine Schwester in meiner
nehmer in Dresden, JF 49/14 kung. Die seit rund einem Jahrzehnt im- Kindheit vom Balkon fiel und
Nicht eine einzige neue Kirche Zu: „Vorwärts und vergessen? / Jürgen El- mer deutlicher gewordene Kursänderung ich dachte, sie wäre tot.
Die patriotischen Europäer der „Pegida“- sässer: Wie ein radikaler Linke mit seiner der JF von einst patriotisch-konservativ
Bewegung dürften immer mehr Teilneh- Vergangenheit bricht – und es letztlich doch zu christlich-konservativ, von national zu Was möchten Sie verändern?
mer finden. Die letzten Wochen haben nicht tut“ von Hinrich Rohbohm, JF 48/14 transatlantisch, von neurechts zu evan- Ich bin jetzt alt. Ich möchte jetzt
doch zur Genüge gezeigt, woher der Wil- Dubioser Hintergrund gelikal und libertär irritiert einen treuen überhaupt nichts mehr verändern.
le zur Gewalt und zum Religionskrieg Eine ausgezeichnete Reportage zum an- Leser wie mich, der bereits Anfang der
kommt. Viele Deutsche haben die Nase geblich gewendeten Linksextremen und neunziger Jahre Stammleser der JF-Mo- Woran glauben Sie?
voll von Scharia-Polizei, Ehrenmorden, „Friedensaktivisten“ Jürgen Elsässer, auf natsausgabe war. Ich glaube an den lieben Gott.
Vollverschleierung für muslimische Frau- den heutzutage sogar einige Konserva- Es wäre geschichtsbewußt, die einstige
en, eigenen Badetagen für Muslimas, is- tive reinfallen. Vielen Dank für die Re- preußisch-russische respektive deutsch- Welche Werte sollen wir unse-
lamischen Haßpredigern gegen Deutsch- cherche, die zeigt, daß Elsässer sich von russische Waffenbrüderschaft (von den ren Kindern weitergeben?
land, Hunderten „rekrutierten“ Gottes- seinen kommunistischen und antideut- Befreiungskriegen bis 1890 stabilisieren- Ihnen auf jeden Fall ermutigend
kriegern Allahs in Deutschland für den schen Wurzeln keineswegs völlig gelöst des Element der kontinentaleuropäischen zur Seite stehen.
IS. Die sind dann kampferfahren, um hat und noch in jüngerer Zeit linke Mas- Politik) als bleibendes Vermächtnis zweier
hier am Tage X für ihren Paradieslohn zu senmörder (solange sie nur antiamerika- mental und physisch korrespondierender Welche Bedeutung hat der Tod
sterben. Wer ist bei den Islamverbänden nisch genug sind) hochleben läßt. Völker und Nationen zu begreifen. für Sie?
zuständig, wenn es Religionskrieg auf Auch wenn es beim Magazin Com- DR. STEPHAN-ALEXANDER THOMAS, Er ist und bleibt die bittere Stunde.
unseren Straßen unter Muslimen gibt? pact unter den Autoren einige gute HOMBURG Doch ich möchte es mit der Bach-
Wen wundert es da, wenn die schweigen- Leute geben mag, bleiben doch dessen kantate sagen: „Ich freue mich auf
de Mehrheit in unserem Land in Sorge Hintergründe dubios. Elsässer, der sonst meinen Tod“, denn dann kommt
Liebe Leser!
um Deutschland ist? Journalisten vorwirft, sie seien gekauft, Leider können wir nicht alle Zuschrif-
das Paradies.
Hier im Lande sind über 2.500 macht keine Angaben zu seinen Geld- ten, die uns täglich erreichen, veröf-
Moscheen, doch in den islamischen gebern. Sitzen sie teils auch in Moskau? fentlichen. Auch müssen wir manch- Gabriele Wohmann, geboren 1932
Ländern gibt es nicht eine einzige neue Und was ist mit Abu Bakr Rieger, einem mal kürzen. Alle Briefe werden aber in Darmstadt, wo sie auch heute lebt,
christliche Kirche. gefährlichen Konvertiten und Islami- sorgfältig ausgewertet, wenngleich gehört zu Deutschlands bekanntesten
GERD MÜLLER, FRANKENTHAL sten. Dieser hält ein Drittel der Anteile wir sie nicht in jedem Fall beantwor- Schriftstellerinnen. Die wohl bedeu-
an Compact. Und so ein Magazin, das ten können. Ihre Leserbriefredaktion tendste Chronistin des „bundesrepubli-
Zu: „Mit Energiegeräten gegen Feindstaa- zum Teil von Islamisten finanziert wird, kanischen Lebens, Meinens, Fühlens“
JF-Leserbriefredaktion, und „Königin der Kurzgeschichte“ (Die
tenklausel“ von Lion Edler, JF 49/14 mißverstehen einige „Rechte“ als Organ, Hohenzollerndamm 27 a, Welt) veröffentlichte jüngst im Kreuz-
Eine Überschrift vom „Spiegel“ um die deutsche nationale Souveränität 10713 Berlin, Verlag die Titel „Eine gewisse Zuver-
Diese Überschrift zum Bericht über die zu verteidigen. Finger weg davon! Fax 030 / 86 49 53 - 14, sicht. Gedanken zum Diesseits, Jenseits
Compact-Friedenskonferenz zum Thema DR. FRANK BAUMANN, E-Post: leserbriefe@jungefreiheit.de und dem lieben Gott“ sowie „Sterben
„Frieden mit Rußland“ hätte ich im Spie- FRANKFURT/MAIN ist Mist, der Tod aber schön“.
JF-Intern
W O C H E N Z E I T U N G F Ü R D E B AT T E
Weihrauch in der Nase Die Wochenzeitung aus der Hauptstadt sucht
zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine(n)
Redaktionsvolontär/in
D
er junge Kollege aus dem kauf- ursprünglich aus dem Erzgebirge stam-
männischen Bereich rausch- men und dort zur Volkskunst gehören.
te über den Redaktionsflur, Dummerweise erfreut er in der JF-Re- In einer zweijährigen Ausbildung erlernen Sie bei uns
den Journalismus-Beruf von der Pike auf.
blieb abrupt stehen, kräuselte die Nase, daktion damit nicht alle gleichermaßen.
schnupperte und fragte irritiert: „Ver- Einigen Kollegen schlägt der Geruch Ihr Profil: Abitur, von Vorteil sind ein abgeschlossenes
west bei euch irgendwo von Weihrauch oder Tan-
Studium oder eine abgeschlossene Berufsausbildung, erste
ein totes Tier? Oder was ne während der Arbeitszeit Schreiberfahrungen (Praktika/freie Mitarbeit), Gespür für
riecht hier so?“ Tatsächlich schwer aufs Gemüt. Kraut- Sprache und Lust am Schreiben, gute Computerkenntnisse.
durchzieht seit Tagen ein, krämer aber will davon Außerdem sollten Sie neugierig, kommunikativ und teamfähig
nun ja, sagen wir höflich: nicht lassen, er verweist sowie flexibel und belastbar sein.
strenger Geruch einige Re- auf tradiertes Brauch- Lernen Sie einen aufregenden Beruf in der Hauptstadt bei
daktionszimmer. Auslöser tum (JF-Intern 50/14). Deutschlands spannendster Wochenzeitung!
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Ihre Bewerbung senden Sie bitte an:
Krautkrämer und dessen Stammbuch: Brauchtum
JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co., Geschäftsführung
Vorliebe für Räucher- soll Geist und Seele festi-
Hohenzollerndamm 27 a, 10713 Berlin
FOTO: JF
männchen. Jedes Jahr zur gen, nicht die Birne ver-
oder per E-Post an: sekretariat@jungefreiheit.de.
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jener Holzfiguren auf, die JF-Räuchermann Thorsten Thaler Vor der Bewerbung noch Fragen? Tel.: 030 / 86 49 53 18
24 | S E I N & Z E I T JUNGE FREIHEIT
Nr. 51 /14 | 12. Dezember 2014

Preußen, ein Kinderspiel

Der Flaneur

Kalter Wind um
stumme Stele
Königin Luise, die Friedrichs, Herr von Ribbeck und Alexander von Humboldt, alle sind sie da: im Preußen-Mitmach-Buch
Von Cassian Heidt

E s ist nur ein einfacher Gang,

Heimweg trifft es nicht mehr.
Und Waldgang wäre schwülstig
MINA BUTS

übertrieben. Ihn führt es ledig-

G
lich durch die Straßen der Stadt. ab es Luise die Lispelnde
Manchmal finden ihn in der Men- wirklich? Oder vielleicht
schenmasse die Gedanken nicht. eher Otto mit dem Pfeil?
Doch die Strecken, die sich ein Malen soll man die beiden jedenfalls
Mensch nicht gerade zieht, sagen in der „Ahnengalerie von Königen
mehr über ihn aus, als er ahnt. Es und Königinnen“. Und was war ei-
ist immer derselbe kurze Umweg, gentlich ein „langer Kerl“? Zum Aus-
vorbei an dem alten Denkmal un- malen, Ausschneiden und Aufstellen
ter der Silberpappel. Nur wenige gibt es auch ihn im „Großen Preußen-
Meter hinter der tosenden Straße, buch für Kinder“. Die „langen Kerls“
aber hier ist es still. gab es wirklich. Sie waren die Potsdamer
Er weiß selbst nicht, was ihn Leibgarde des preußischen Königs Fried-
immer wieder an der verwitterten rich Wilhelm I., der zwar den Beina-
Stele vorbeitreibt. Er grüßt sie, sie men „Soldatenkönig“ trug, aber niemals
rührt sich nicht. Vielleicht findet einen Krieg geführt hat. Auch Sophie
er es einfach unanständig, nicht Charlotte kann ausgemalt werden. Das

GE
an diesem Ort vorbeizugehen, das Champagnerglas, den Sonnenschirm

ONTA
mag schon sein. und ihre schönen Ballkleider soll jeder

JF-M
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nach seiner Façon gestalten, ausschnei-

EN BU
„Woll’n predigen und den und ihr dann anheften. Nebenbei

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sprechen.“ Ja, zu wem? erfährt man, daß sie die Großmutter des

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Still! Das würde nur die „Alten Fritzen“, sehr klug und gebildet

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Fahnen wecken. und außerdem Tanz und Musik sehr

EMD
zugetan war. Schloß Charlottenburg,

AUS
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An einem kalten Wintertag ist immerhin das größte noch erhaltene Mit dem großen König in Sanssouci die Hunde ausführen oder einen Liebesbrief
es anders. Diesmal sieht er schon Schloß der Preußen in Berlin, ist nach an Luise schreiben: Wenn Kinder nach der Lektüre ausrufen: „Lieber Friedrich, steig
von weitem die blutigen Lettern ihr benannt. hernieder, und regiere Preußen wieder!“, war’s definitiv der richtige Tip!
an der stummen Stele prangen.
Rot und zornig, voller Haß. Mit Was die Kleinsten magisch des 18. Jahrhunderts wieder verkauft, im Fritz“ in Preußen einführte, nicht uner- mitgeliefert – leider ist diese nicht ganz unter der Mitarbeit von Robert Zagolla.
dem schneidenden Wind kriecht anzieht: eine Geheimschrift! heutigen Ghana lag? wähnt, und jedem wird aufgetragen, sein fehlerfrei. Die cartoonhaften, oft krakeligen und
ihm der Gedanke unter die Klei- Alle großen und kleinen Leser werden Lieblings-Kartoffelgericht zu benennen. Ob Biche, Alcmene und Superbe, die auch witzigen Zeichnungen sorgen dafür,
dung: Wahrlich, in diesem Land Und wie weit war es eigentlich von auch als „Kanoniere“ geprüft und sollen Sogar die Pommes frites können darun- Windspielhunde des „Alten Fritz“, Hun- daß Preußen herrlich erfrischend leben-
dürfen sogar die Toten nicht ster- Nimmersatt, „wo das Reich ein Ende die Fragen nach den Fachbegriffen da- ter sein. Französisch schätzte der König ger haben und Hilfe bei ihrem Weg zum dig wird. Wenn Sophie Charlotte zum
ben. Noch immer müssen sie die hat“, bis in die Rheinprovinz? Nimmer- zu richtig beantworten. Zehn Männer ohnehin mehr als Deutsch. Freßnapf brauchen, der Berliner Dom Beispiel auf dem Boden lauter Frauen-
Gespenster der Lebenden sein. satt war der nördlichste Ort in Ostpreu- waren übrigens nötig, um eine solche Die Einführung der Schulpflicht mittels Malquadraten vergrößert werden zeitschriften mit so klangvollen Titeln
Gedämpft durch den Schnee ßen, wo das preußische Reich seine Gren- Kanone um 1700 zu bedienen, sechs ist übrigens auch eine preußische und soll, der Naturforscher Alexander von wie Pferde, Mode Royal oder Schnelle Kut-
dringen aus dem Haus die ausge- ze hatte. Auf der abgedruckten Karte läßt Pferde brauchte man, um sie fortzube- mittlerweile schon fast 300 Jahre alte Humboldt Schmetterlinge erkundet und sche verteilt hat: Da wirkt Preußen auf
dienten Lieder. „Wollt nimmer sich deutlich erkennen, wie groß Preu- wegen. Und eine einzige Kanonenkugel Erfindung. In unserem Buch schreibt dabei auf Mithilfe angewiesen ist oder einmal überhaupt nicht mehr altmodisch
von uns weichen.“ Die Schritte ßen einmal gewesen ist. Aber – auch das wog sechs Pfund! Natürlich darf in ei- eine Schülerin an die Tafel „Der Leh- die Papiertapeten in Königin Luises Lieb- oder vergessen. Ach ja, und eine lispeln-
werden schneller. Es ist ein al- erfährt der Leser – es ist dennoch kleiner nem Preußenbuch für Kinder der Herr rer hat immer recht“, in Schreibschrift. lingsschloß Paretz bei Potsdam ergänzt de Luise gab’s zwar nicht, aber Otto mit
tes, ein ehrwürdiges Haus. Seine als das heutige Deutschland. Mit dem von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland Und weil diese damals selbstverständlich werden wollen – das „große Preußenbuch dem Pfeil schon.
Balken wurden ersetzt, aber es ist Finger kann man der Fregatte „Markgraf („ein Birnbaum in seinem Garten stand“) noch Sütterlin war und das heute kaum für Kinder“ lädt zum Mitmachen ein, ist
morsch geworden. Spät abends von Brandenburg“ folgen, die zur preu- nicht fehlen; jeder ist aufgefordert, das noch jemand lesen kann, ist es natürlich wunderbar abwechslungsreich gestaltet, Claas Janssen: Das große Preußen-Buch für
schmeckt das Bier manchmal ßischen Festung „Groß Friedrichsburg“ Fontane-Gedicht zu ergänzen und die die perfekte Geheimschrift. Ein elek- daneben auch sehr lehrreich. Kinder. Mal- und Rätselspaß rund um den
ein wenig schal. Die Fahnen ste- aufbricht. Aber wer weiß noch, daß diese Früchte im Baum zu zählen. Klar blei- trisierendes Stichwort für Schulkinder! Illustriert und geschrieben wurde das Alten Fritz & Co. Be.bra-Verlag, Berlin 2014,
hen treu in den Ecken, vom Zi- Hafenstadt, 1683 gegründet und Anfang ben auch die Kartoffeln, die der „Alte Eine Sütterlinschreibtabelle wird gleich Buch von Claas Janssen, Jahrgang 1963, broschiert, 64 Seiten, 9,95 Euro
garrenrauch schläfrig und unbe-
achtet. Sie sollen ruhen, unsre
Zeit braucht sie nicht. Das Lied
schwillt an. „Woll’n predigen und
sprechen.“ Ja, zu wem? Still! Das Haltungsnote Knapp daneben
würde nur die Fahnen wecken. Es
gibt doch keinen Cornet mehr, der
sie tragen kann. Sie sollen sich kei-
„Dann wären wir heute besser dran“ Eßkultur ist Geldverschwendung
ne Hoffnung machen.
Predigen konnte die alte Leh- CHRISTIAN RUDOLF land nach, Frankreich für die WM zu KARL HEINZEN die meisten Kinder ist das ein Segen. den Nachweis, daß die Kinder irren
rerin. Viel von Sühne, aber haupt- qualifizieren. „Dieses schlechte Image Daheim müßten sie Fertiggerichtefraß und die Speisepläne in ihren Mensen
sächlich von Schuld. Schon mor- in Frankreich kotzt mich an. In Eng- aus dem Discounter herunterschlingen. bedenklich sind, enthalten sie doch zu-
gens begann er davon zu trinken
und irgendwann auch daran zu
glauben. Ihr Keifen hallte durch
D er französische Ex-Mittelfeldspie- land bauen sie eine Statue für Thierry.
ler Emmanuel Petit zieht gegen Ich habe ein großes Problem mit den
sein Vaterland vom Leder. „Frankreich Franzosen. Ich habe nie solch arrogante,
I n unserem Land sind 1,4 Millionen
Jugendliche zum Besuch von Ganz-
tagsschulen verurteilt. Ihr Tagesrhyth-
Schulmensen hingegen haben qualita-
tive Mindeststandards zu beachten. Es
überrascht daher nicht, daß ihre Besu-
wenig Gemüse und viel zuviel Fleisch,
Fett und Zucker. Man könnte die Schü-
ler also gleich zu McDonald’s schicken
die Räume und wirbelte den Staub ist heuchlerisch und feige“, polterte blasierte und scheinheilige Menschen mus ist spiegelbildlich zu jenem der cher mit dem Angebot recht zufrieden und sich den ganzen Aufwand sparen.
auf. Er schmeckte bitter und hart. der Langhaarige, der für die National- erlebt.“ Manchmal, so der Franzose, Freigänger im Strafvollzug. Wenn die ei- sind. In Umfragen wird es überwiegend Ernährungsminister Christian
mannschaft insgesamt sechs Tore schoß, wünsche er sich, daß „Frankreich von nen nach ihrem Tagewerk in die Knäste mit den Noten „sehr gut“ und „gut“ Schmidt will aber nicht kapitulieren. Es
1998 die WM gewann und zwei Jahre den Deutschen überrannt worden wäre, zurückkehren, um sich dort wohlbehü- bedacht. müsse doch möglich sein, so seine For-
später Europameister wurde, dann wären wir heute bes- tet schlafen zu legen, strömen die ande- derung, Speisen anzubieten, die preis-
Die verlorene Mitte gegenüber „sports.fr“. Der ser dran“. Anderntags sah ren aus den Bildungsvollzugsanstalten Der Ernährungsminister wert und qualitativ akzeptabel zugleich
des Menschen ist Anlaß für den Ausbruch sich der 44jährige genö- in ihre Wohnstallungen zurück, um den hat, ehrlich, wie er ist, das sind. Damit hat er, ehrlich, wie er ist,
eben Gott: der war scheinbar geringfügig. tigt, mit kühlerem Mut Standpauken überforderter Eltern zu entscheidende Stichwort das entscheidende Stichwort geliefert.
FOTO: WIKIMEDIA / CHRISTOPHE95

Im Interview parlierte man zu präzisieren: „Deutsch- lauschen, sie mögen doch bitte mehr geliefert. Fleischhaltige Kost ist nicht nur erzie-
innerste Kern der über Thierry Henry, Petits land zeigt uns heute, daß es Ehrgeiz und Fleiß an den Tag legen, weil herisch fragwürdig. Sie ist auch viel zu
Krankheit ist das ehemaligen Mannschafts- besser ist als wir, politisch, sonst aus ihnen nichts würde. Wo Jugendliche etwas mögen, ist teuer. Es zeichnet Deutschland aus, daß
gestörte Gottesver- kollegen. Der hat seit 2009 ökonomisch und sportlich. Da auch junge Menschen tagsüber aber Vorsicht angebracht. Die Schulver- seine Bürger lieber arbeiten und sparen,
hältnis. einen schweren Stand in der Das Deutschland, das ich nicht ganz ohne Essen auskommen, pflegung ist hier keine Ausnahme. Eine anstatt Zeit und Geld für eine vermeint-
französischen Presse. Mit der liebe, ist das von heute. müssen Schulen, die sie von morgens im Auftrag des Bundesministeriums für liche Eßkultur zu verplempern. Dieses
Hans Sedlmayr Hand im Strafraum half er Etwas anderes wollte ich bis abends einsperren, irgend etwas an- Ernährung und Landwirtschaft erstellte Leitbild erfolgreicher Lebensführung
(1896–1984) damals im Spiel gegen Ir- Manu Petit nicht sagen.“ Na dann. bieten, um den Hunger zu stillen. Für Studie führt nun wenig überraschend haben auch Schulen zu vermitteln.

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