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An die Madonna (F.

Hölderlin)

        Viel hab’ ich dein


        Und deines Sohnes wegen
        Gelitten, o Madonna,
        Seit ich gehöret von ihm
   5   In süßer Jugend;
        Denn nicht der Seher allein,
        Es stehen unter einem Schiksaal
        Die Dienenden auch. Denn weil ich

        Und manchen Gesang, den ich


 10   Dem höchsten zu singen, dem Vater
        Gesonnen war, den hat
        Mir weggezehret die Schwermuth.

        Doch Himmlische, doch will ich


        Dich feiern und nicht soll einer
 15   Der Rede Schönheit mir
        Die heimatliche, vorwerfen,
        Dieweil ich allein
        Zum Felde gehe, wo wild
        Die Lilie wächst, furchtlos,
 20   Zum unzugänglichen,
        Uralten Gewölbe
        Des Waldes,
                das Abendland,

                                und gewaltet über


 25   Den Menschen hat, statt anderer Gottheit sie
        Die allvergessende Liebe.

Denn damals sollt es beginnen


        Als
        Geboren dir im Schoose
 30   Der göttliche Knabe und um ihn
        Der Freundin Sohn, Johannes genannt
        Vom stummen Vater, der kühne
        Dem war gegeben
        Der Zunge Gewalt,
 35   Zu deuten

        Und die Furcht der Völker und


        Die Donner und
        Die stürzenden Wasser des Herrn.

        Denn gut sind Sazungen, aber


 40   Wie Drachenzähne, schneiden sie
        Und tödten das Leben, wenn im Zorne sie schärft
        Ein Geringer oder ein König.
        Gleichmuth ist aber gegeben
        Den Liebsten Gottes. So dann starben jene.
 45   Die Beiden,                         so auch sahst
        Du göttlichtrauernd in der starken Seele sie sterben.
        Und wohnst deswegen

                                          und wenn in heiliger Nacht


        Der Zukunft einer gedenkt und Sorge für
 50   Die sorglosschlafenden trägt
        Die frischaufblühenden Kinder
        Kömmst lächelnd du, und fragst, was er, wo du
        Die Königin seiest, befürchte.

Denn nimmer vermagst du es


 55   Die keimenden Tage zu neiden,
        Denn lieb ist dirs, von je,
        Wenn größer die Söhne sind,
        Denn ihre Mutter. Und nimmer gefällt es dir
        Wenn rükwärtsblikend
 60   Ein Älteres spottet des Jüngern.
        Wer denkt der theuern Väter
        Nicht gern und erzählet
        Von ihren Thaten,

                                          wenn aber Verwegnes geschah,


 65   Und Undankbare haben
        Das Ärgerniß                 gegeben
        Zu gerne blikt
        Dann                  zum
        Und thatenscheu
 70   Unendliche Reue und es haßt das Alte die Kinder.

        Darum beschüze
        Du Himmlische sie
        Die jungen Pflanzen und wenn
        Der Nord kömmt oder giftiger Thau weht oder
 75   Zu lange dauert die Dürre
        Und wenn sie üppigblühend
        Versinken unter der Sense
        Der allzuscharfen, gieb erneuertes Wachstum.
        Und daß nur niemals nicht
 80   Vielfältig, in schwachem Gezweige
        Die Kraft mir vielversuchend
        Zerstreue das frische Geschlecht, stark aber sei
        Zu wählen aus Vielem das beste.

Nichts ists, das Böse. Das soll


 85   Wie der Adler den Raub
        Mir Eines begreifen.
        Die Andern dabei. Damit sie nicht
        Die Amme, die
        Den Tag gebieret
 90   Verwirren, falsch anklebend
        Der Heimath und der Schwere spottend
        Der Mutter ewig sizen
        Im Schoose. Denn groß ist
        Von dem sie erben den Reichtum.
 95   Der

        Vor allem, daß man schone


        Der Wildniß göttlichgebaut
        Im reinen Geseze, woher
        Es haben die Kinder
100  Des Gotts, lustwandelnd unter
        Den Felsen und Haiden purpurn blühn
        Und dunkle Quellen
        Dir, o Madonna und
        Dem Sohne, aber den anderen auch
105  Damit nicht, als von Knechten,
        Mit Gewalt das ihre nehmen
        Die Götter.

        An den Gränzen aber, wo stehet


        Der Knochenberg, so nennet man ihn
110  Heut, aber in alter Sprache heißet
        Er Ossa, Teutoburg ist
        Daselbst auch und voll geistigen Wassers
        Umher das Land, da
        Die Himmlischen all
115  Sich Tempel

        Ein Handwerksmann.

Uns aber die wir


        Daß

        Und zu sehr zu fürchten die Furcht nicht!


120  Denn du nicht, holde
                                            aber es giebt
        Ein finster Geschlecht, das weder einen Halbgott
        Gern hört, oder wenn mit Menschen ein Himmlisches oder
        In Woogen erscheint, gestaltlos, oder das Angesicht
125  Des reinen ehrt, des nahen
        Allgegenwärtigen Gottes.

        Doch wenn unheilige schon


                                   in Menge
                                                  und frech

130  Was kümmern sie dich


        O Gesang den Reinen, ich zwar
        Ich sterbe, doch du
        Gehest andere Bahn, umsonst
        Mag dich ein Neidisches hindern.

135  Wenn dann in kommender Zeit


        Du einem Guten begegnest
        So grüß ihn, und er denkt,
        Wie unsere Tage wohl
        Voll Glüks, voll Leidens gewesen.
140  Von einem gehet zum andern

Noch Eins ist aber


        Zu sagen. Denn es wäre
        Mir fast zu plözlich
        Das Glük gekommen,
145  Das Einsame, daß ich unverständig
        Im Eigentum
        Mich an die Schatten gewandt,
        Denn weil du gabst
        Den Sterblichen
150  Versuchend Göttergestalt,
        Wofür ein Wort? so meint’ ich, denn es hasset die Rede, wer
        Das Lebenslicht das herzernährende sparet.
        Es deuteten vor Alters
        Die Himmlischen sich, von selbst, wie sie
155  Die Kraft der Götter hinweggenommen.

        Wir aber zwingen


        Dem Unglük ab und hängen die Fahnen
        Dem Siegsgott, dem befreienden auf, darum auch
        Hast du Räthsel gesendet. Heilig sind sie
160  Die Glänzenden, wenn aber alltäglich
        Die Himmlischen und gemein
        Das Wunder scheinen will, wenn nemlich
        Wie Raub Titanenfürsten die Gaaben
        Der Mutter greifen, hilft ein Höherer ihr.

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