Sie sind auf Seite 1von 6

Available online at www.sciencedirect.

com

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737

Schwerpunkt

Stellenwert der Biotechnologie in der


pharmazeutischen
Wirkstoffentwicklung
Sibylle Gaissera,∗ , Michael Nusserb
a Fakultät Ingenieurwissenschaften, Hochschule Ansbach und Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung
b Fakultät Wirtschaft und Informatik, Fachhochschule Hannover

Zusammenfassung
Die Methoden der Biotechnologie wurden in den letzten 10 Jahren zu len hier Antiinfektiva eine wichtige Rolle. Neuartige Therapieverfahren wie
einem wichtigen Instrumentarium in der pharmazeutischen Wirkstofffor- die RNA-Interferenz stecken dagegen mit 1,5% aller kommerziellen For-
schung und -entwicklung. Bereits heute machen Biopharmazeutika rund schungsprojekte noch in den Kinderschuhen. Investitionen in zukunftsfä-
15% des gesamten Umsatzes mit Arzneistoffen aus. Dabei sind die drei hige Spitzentechnologien wie die Biotechnologie sind für ein hoch ent-
wichtigsten Indikationsgruppen die Onkologie, Stoffwechselerkrankungen wickeltes und rohstoffarmes Land wie Deutschland von zentraler Bedeu-
und Erkrankungen des Bewegungsapparats. Für die nächsten Jahre kann tung. Die Biotechnologie hilft den deutschen Pharmaakteuren vor allem
damit gerechnet werden, dass Biopharmazeutika weiter an Bedeutung ge- dabei, neue Produkte, Prozesse/ Verfahren und Dienstleistungen zu ent-
winnen. Der Anteil von Substanzen in der präklinischen Forschung, die auf wickeln und existierende zu verbessern. Dadurch kann die internationale
biotechnologischen Verfahren beruhen, liegt mittlerweile bei über 25%. Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, neue Arbeitsplätze in Deutschland können
Neben Produkten für die Onkologie und Stoffwechselerkrankungen spie- geschaffen und bestehende gesichert werden.

Schlüsselwörter: Biotechnologie, Pharmaindustrie, Marktpotenziale, Beschäftigungspotenziale, FuE-Potenziale, neue Therapeutika

The role of biotechnology in pharmaceutical drug design


Summary
Biotechnological methods have become an important tool in pharmaceu- 25 % of all substances in preclinical testing. Products for the treatment
tical drug research and development. Today approximately 15 % of drug of cancer, metabolic disorders and infectious diseases are most import-
revenues are derived from biopharmaceuticals. The most relevant indi- ant. New therapeutic approaches such as RNA interference only play a
cations are oncology, metabolic disorders and disorders of the muscu- minor role in current commercial drug research and development with
loskeletal system. For the future it can be expected that the relevance 1.5 % of all biological preclinical substances. Investments in sustaina-
of biopharmaceuticals will further increase. Currently, the share of sub- ble high technology such as biotechnology are of vital importance for
stances in preclinical testing that rely on biotechnology is more than a highly developed country like Germany because of its lack of raw

∗ Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Sibylle Gaisser, Hochschule Ansbach, Residenzstraße 8, 91522 Ansbach, Deutschland. Tel.: +49 0 981 4877 304.
E-Mail: sibylle.gaisser@hs-ansbach.de.

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ)


732 doi:10.1016/j.zefq.2010.05.001
materials. Biotechnology helps the pharmaceutical industry to develop new ones. Thus, international competitiveness can be strengthened, new jobs
products, new processes, methods and services and to improve existing can be created and existing jobs preserved.

Key words: biotechnology, pharmaceutical industry, market potential, employment potential, potential in research and development, new therapeutics

Einleitung und Methodik Anbieters informa healthcare geliste- tären und industriellen Forschungsalltag
ten Forschungsprojekte und der am wahrgenommenen Anzahl von Projek-
Biotechnologie als Stimulus des Markt registrierten und eingeführten ten.
Pharmasektors Produkte, die am Fraunhofer-Institut
Die Dynamik der letzten Jahre im Phar- für System- und Innovationsforschung
masektor wurde stark durch Trends aus durchgeführt wurden. In der Datenbank Markt- und
der Biotechnologie geprägt. Die Me- sind alle in der Pharmaentwicklung be- Umsatzpotentiale von
thoden der Bio- und Gentechnik ha- findlichen Substanzen systematisch er- Biopharmazeutika
ben sich als zentrale Methoden in fasst. Dieser Substanzfokus führt dazu,
der medizinischen und pharmazeuti- dass einzelne Forschungsprojekte, die Biotechnologieprodukte in der Phar-
schen Forschung etabliert. Den bio- zur selben Substanz durchgeführt wer- mazeutischen Industrie fallen in die
technologischen Verfahren kommt eine den, zu einem Projekt/einer Aktivität zu- Kategorien der Therapeutika, Vakzine
immer wichtigere Rolle bei der Ent- sammengefasst sind. So werden zum und Diagnostika. Zu den Biopharma-
wicklung und Herstellung von phar- Beispiel verschiedene Tierexperimente zeutika zählen u.a. gentechnisch pro-
mazeutischen Produkten (Diagnostika, und klinische Studien mit einer be- duzierte (rekombinante) Proteine, the-
Therapeutika, Impfstoffe) zu [1]. Da- stimmten Substanz zu verschiedenen In- rapeutische Antikörper und Medika-
bei wird das seit Jahrzehnten vorherr- dikationen jeweils unter dem Substanz- mente auf Nukleinsäurebasis. Über die
schende chemische Paradigma zuneh- namen als ein Treffer zusammengefasst. letzten Jahre hinweg konnten Bio-
mend durch ein biotechnologisches ab- Damit unterscheidet sich die in der pharmazeutika zunehmend Marktan-
gelöst: Molekularbiologische und gen- Datenbank vorgenommene Projektde- teile gewinnen. Eine Untersuchung des
technische Ansätze tragen wesentlich finition vom gängigen Projektverständ- Fraunhofer-Instituts für System- und In-
zur Aufklärung der physiologischen nis, bei dem die Abgrenzung über den novationsforschung (ISI) basierend auf
Vorgänge bei, die im Krankheitsfall Untersuchungsgegenstand (eingesetz- Umsatzzahlen von IMS Health zeigte,
vom Normalzustand abweichen. Somit tes Tier im Tierversuch, untersuchte In- dass Biopharmazeutika zwischen 1995
wird die Grundlage für neue Thera- dikation, Dosis oder Zielgruppe) oder und 2005 ihre Marktanteile in Europa
pien und damit auch neue Medika- die das Projekt durchführende Einrich- von 3,5 % aller durch Pharmazeutika
mente gelegt [2]. Dieser Trend ging tung erfolgt. Bedingt durch diesen Sub- gemachten Umsätze auf 8% steigern
mit einer grundlegenden Strukturände- stanzfokus der Projektdefinition liegt konnten (Abb. 1). In den USA lag nach
rung im Pharmasektor einher. Ab der die absolute Anzahl der in der Da- dieser Untersuchung der Umsatz mit
Jahrtausendwende hatten sich Biotech- tenbank PHARMAPROJECTS ermittel- Biopharmazeutika im Jahr 2005 bereits
Start-up-Unternehmen als neue Ak- ten Projekte unter der im universi- bei 12% [4]. Die Unterschiede zwischen
teure im Pharmasektor zu begehr-
ten Fusions- und Übernahmekandida-
ten entwickelt. Nach einer Studie von
PricewaterhouseCoopers im Jahr 2001
hatten Biotech-Unternehmen mit 44 %
(= 27 Mrd. US$) den weltweit höchsten
Anteil am Gesamtwert aller Pharmafu-
sionen und -übernahmen erreicht [3].
Dies verdeutlicht den hohen Stellen-
wert, der den Biotech-Unternehmen
aus der Perspektive der pharmazeuti-
schen Industrie zugeschrieben wird.

Methodik
Ein Großteil der in dieser Untersuchung
dargestellten Analysen basiert auf ei-
ner Auswertung der in der Datenbank Abb. 1. Umsatzanteile von Biopharmazeutika am Gesamtpharmamarkt: Berechnungen Fraunhofer ISI
PHARMAPROJECTS des kommerziellen basierend auf Daten von IMS Health [4].

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737


www.elsevier.de/zefq 733
zen in 29 verschiedenen Ländern und
knapp 600 Unternehmen in der präkli-
nischen Entwicklung. Rund 3.100 Subs-
tanzen aus chemischen Synthesen wa-
ren in PHARMAPROJECTS bei knapp
1.000 Unternehmen in 31 Ländern in
der präklinischen Entwicklung verzeich-
net. Proteine sind dabei für die Biophar-
mazeutika mit über 60% die wichtig-
ste Substanzklasse, gefolgt von Nuklein-
säuren mit 13%, eukaryotischen Zellen
(8%), Viruspartikeln (7%) und Peptiden
(6%).
Das am stärksten beforschte Indika-
Abb. 2. Neu zugelassene Biopharmazeutika nach Indikationsgebiet im Jahr 2005. Berechnungen
tionsgebiet bei den Biopharmazeutika
Fraunhofer ISI basierend auf PHARMAPROJECTS (2006) [4]. ist mit knapp 500 verschiedenen For-
schungsprojekten die Onkologie. Hier
erwartet man sich insbesondere durch
spezifische Antikörper neuartige, ge-
zielte Therapieverfahren. Auch For-
den USA und Europa erklären Dan- FuE-Potenzial schung im Bereich der Antiinfektiva
zon and Furukawa [5] mit der Tatsache, hat in jüngerer Zeit vor dem Hin-
dass häufig neue Produkte zunächst Forschungspipeline für tergrund multiresistenter Keime wie-
in den USA zugelassen werden und Biopharmazeutika der einen größeren Stellenwert. An-
dann mit einigen Jahren Verzögerung Aktuelle Untersuchungen des Fraunho- tiinfektiva belegen mit 350 in PHAR-
erst am europäischen Markt eingeführt fer ISI im Auftrag von Agilent Techno- MAPROJECTS gelisteten präklinischen
werden. logies Deutschland GmbH zu den For- Forschungsprojekten Rang zwei. Zwi-
Nach einer aktuellen Untersuchung der schungsaktivitäten im Bereich der Bio- schen 100 und 200 verschiedene präkli-
Boston Consulting Group im Auftrag pharmazeutika zeigen, dass die Pipe- nische Forschungsprojekte wurden für
des Verbands der forschenden Arznei- line gut gefüllt ist. Nach einer Untersu- die Immunologika, Therapeutika für
mittelhersteller lag der Umsatzanteil der chung in der Datenbank PHARMAPRO- den Muskel-Skelett-Apparat, für Neu-
Biopharmazeutika am deutschen Phar- JECTS hat sich der Anteil biotechnolo- rologika, und Hämatologika identifi-
mamarkt im Jahr 2008 bei 16% [6]. Dies gischer Substanzen in der präklinischen ziert. Das Forschungsinteresse an The-
entspricht einem Umsatz von 4,4 Mrd. Forschung auf rund 26% aller neuen rapeutika für das Herz-Kreislaufsystem
D für Biopharmazeutika [6]. Die meis- Substanzen in den letzten 5 Jahren ein- hat in den letzten Jahren ste-
ten neu zugelassenen Biopharmazeu- gependelt (Abb. 3). tig abgenommen. Auch Hormone
tika gab es in 2005 nach einer Ana- Insgesamt befanden sich nach der Da- stellen derzeit kein Schwerpunkt-
lyse des Fraunhofer ISI in der Daten- tenbank PHARMAPROJECTS in 2007 thema der präklinischen Forschung dar
bank PHARMAPROJECTS in den Berei- rund 1.400 biotechnologische Substan- (Abb. 4).
chen Stoffwechselerkrankungen, Krebs,
Erkrankungen des Bewegungsappara-
tes, Immunologika, bei rekombinanten
Hormonen, bei Erkrankungen des Blut-
bildenden Systems und zur Behandlung
von Hauterkrankungen (Abb. 2) [4].
Dies deckt sich in weiten Teilen mit den
fünf umsatzstärksten Bereichen, die in
der BCG-Studie 2009 identifiziert wur-
den. Spitzenreiter waren dabei Biophar-
mazeutika bei Stoffwechselerkrankun-
gen (Umsatz in 2008 lag bei 904 Mio
D ), gefolgt von Therapeutika bei In-
fektionskrankheiten (861 Mio D ), Im-
munologika (769 Mio D ), Onkologika
(627 Mio D ), und Biopharmazeutika für
Erkrankungen des ZNS (563 Mio D ) Abb. 3. Anteil der neuen biotechnologischen Substanzen in der präklinischen Entwicklung (weltweit).
[6]. Berechnungen Fraunhofer ISI basierend auf PHARMAPROJECTS (2008).

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 104 (2010) 732–737


734 www.elsevier.de/zefq
werbsfähigkeit sowie der Beitrag der
Biotechnologie zur Schaffung neuer Ar-
beitsplätze bis 2020 am höchsten einge-
stuft wird [8]. Dies sind auch diejenigen
Segmente, in denen Biopharmazeutika
bereits auf dem Markt sind.
Die für die deutschen Pharmaakteure
identifizierten aktuellen und zukünfti-
gen wirtschaftlichen Potenziale der Bio-
technologie zeichnen folgendes Bild
(Abb. 6): Die Biotechnologie hilft den
deutschen Pharmaakteuren vor allem
dabei, neue Produkte, Prozesse/ Ver-
fahren und Dienstleistungen zu ent-
Abb. 4. Anzahl präklinischer Forschungsprojekte mit biotechnologisch erzeugten wickeln und existierende zu verbes-
Substanzen nach Indikationsbereichen. Berechnungen Fraunhofer ISI basierend auf sern. Dadurch kann die internationale
PHARMAPROJECTS (2008). Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, neue
Arbeitsplätze in Deutschland können
Neuartige Therapieansätze len Anwenderbranchen (u.a. Pharma-, geschaffen und bestehende gesichert
Chemie-, Lebensmittelindustrie sowie werden. Die Hoffnungen der Industrie
Für rund 80% der in auf eine Beschleunigung von Wert-
Umweltbiotechnik und Landwirtschaft)
PHARMAPROJECTS gelisteten prä- schöpfungsprozessen („schneller Time
dauerhaft im internationalen Wettbe-
klinischen Forschungsprojekte konnte to Market‘‘), eine Reduktion der Um-
werb zu behaupten. Die Biotechnolo-
die Molekülart aufgrund der Projekt- weltbelastungen sowie eine erhöhte
gie spielt als Spitzen- und Querschnitts-
beschreibung eindeutig zugeordnet Flexibilität erfüllen sich derzeit nicht,
technologie in vielen dieser Anwender-
werden. Innerhalb der Biopharmazeu- wobei allerdings diese wirtschaftlichen
branchen, so auch vor allem in der
tika spielen Antikörper mit 30% aller Potenziale bis 2020 an Bedeutung ge-
Pharmaindustrie, eine immer wichti-
Produkte die wichtigste Rolle, gefolgt winnen werden. In 2004, aber auch
gere Rolle im Innovations- und Wachs-
von Impfstoffen (18%) und Protei- bis 2020 wird die Bedeutung der Bio-
tumsprozess. Dadurch erhöht sich de-
nen (12%) (Abb. 5). Neuartige The- technologie zur Senkung der Personal-,
ren internationale Wettbewerbsfähig-
rapieansätze wie die RNA-Interferenz Material- und Energiekosten oder zur
keit und es ergeben sich künftig neue
haben derzeit noch einen sehr gerin- Erfüllung/ Einhaltung rechtlicher Vorga-
Innovations- und Beschäftigungspoten-
gen Stellenwert in der kommerziel- ben in der Pharmaindustrie als gering
ziale für die deutschen Pharmaakteure
len Pharmaforschung und sind in nur eingeschätzt.
(Abb. 6). Nukleinsäuren, Humanimpf-
1,5% aller präklinischen Forschungs- Die Beschäftigungspotenziale der Bio-
stoffe, Insulin, Antikoagulanzien und
projekte ein Thema. Rund 8% aller technologie in Deutschland sind an
andere Blutprodukte sowie Proteinderi-
präklinischen Forschungsprojekte be- die internationale Wettbewerbsfä-
vate sind diejenigen fünf Produktgrup-
fassen sich mit Ansätzen der zellba- higkeit und entsprechende Umsatz-
pen, bei denen der Einfluss der Biotech-
sierten Therapie. Auch die Genthera- potenziale geknüpft. Im Rahmen ei-
nologie auf die internationale Wettbe-
pie ist mit 8% relativ stark repräsen-
tiert (Abb. 5). Dies wirkt sich auch auf
die klinische Forschung aus. Eine Sta-
tistik des Journal of Gene Medicine
listet weltweit 1579 klinische Studien
im Bereich der Gentherapie, wobei
rund 60% Studien in der Phase I sind
[7].

Volkswirtschaftliche
Bedeutung
Investitionen in zukunftsfähige Spitzen-
technologien wie die Biotechnologie
sind für ein hoch entwickeltes und roh-
stoffarmes Land wie Deutschland von Abb. 5. Relevanz verschiedener Molekülarten bei biotechnologischen Substanzen in der präklinischen
zentraler Bedeutung, um sich in vie- Entwicklung. Berechnungen Fraunhofer ISI basierend auf PHARMAPROJECTS (2008).

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737


www.elsevier.de/zefq 735
Abb. 6. Wirtschaftliche Potenziale der Biotechnologie aus Sicht der Pharmaakteure (schriftliche Befragung mit n = 35 Pharmaakteure aus Industrie und
Wissenschaft). [8].

ner Untersuchung des Fraunhofer ISI Beschäftigungspotenziale Unter- und ISIS eingesetzt (zur Methodik vgl.
wurde mit Hilfe eines „Top-down‘‘ und Obergrenzen angegeben im Sinne ei- [8]).
„Bottom-up‘‘-Verfahrens und eines nes „wahrscheinlichen Korridors‘‘. Zu Die Untersuchungen zeichnen fol-
breiten Quellen- und Methoden-Mix beachten ist zudem, dass der gesamt- gendes Bild [8]: In 2004 basierten in
(insb. schriftliche Befragung, Exper- wirtschaftliche Beschäftigungseffekt der Pharmaindustrie 11 bis 18 Pro-
teninterviews, Patentanalysen so- mit dem üblichen Indikator der di- zent des Umsatzes auf Biotechnolo-
wie technoökonomischen Studien) rekt Biotechnologie-Erwerbstätigen gie. Bis 2020 steigt dieser Umsatzan-
Marktpotenziale der Biotechnologie in der Pharmaindustrie nur un- teil voraussichtlich deutlich auf 18 bis
(„Biotechnologie-Umsatzanteile‘‘) in zureichend erfasst wird. Durch 40 Prozent an mit positiven Folgen für
der Pharmaindustrie für die Jahre 2004 Investitionstätigkeiten (u.a. zur Mo- die Beschäftigung. Dadurch ergeben
und 2020 bestimmt (zur Methodik vgl. dernisierung von Biotechnologie- sich für die Pharmabranche folgende
[8]). Produktionsanlagen/ Forschungsla- „Biotechnologie-Beschäftigungs-
Da wie in neuen Technikfeldern üb- bors) und Ausgaben für Vorleistungs- effekte‘‘: In 2004 induziert je-
lich die tatsächliche Marktdurchdrin- käufe bei Zulieferindustrien (u.a. che- der der 12.500-20.500 direkten
gung mit erheblichen Unsicherheiten mische und pharmazeutische Vor- Biotechnologie-Arbeitsplätze in der
behaftet ist (u.a. auf Grund aktuell produkte, FuE-Dienstleistungen von Pharmaindustrie weitere ca. 1,05, d.h.
begrenzter Datenverfügbarkeit, noch Hochschulen, Forschungseinrichtun- insgesamt 13.000-21.500 Arbeitsplätze
nicht getroffener strategischer Un- gen und Biotechnologie-KMU) entste- in vorgelagerten Zuliefersektoren.
ternehmensentscheidungen, techno- hen vorgelagerte indirekte Beschäf- Die Gesamtzahl der direkt
logischer Durchbrüche oder der Ent- tigungseffekte in den Zuliefersek- plus indirekt Biotechnologie-
wicklung der innovationsfördernden toren der Pharmaindustrie. Zur Be- Erwerbstätigen liegt damit bei circa
und innovationshemmenden Stand- rechnung der direkten und indirek- 25.500-42.000 in 2004; dieses gesamte
ortfaktoren bis 2020), wurden sowohl ten Beschäftigungspotenziale wurde Beschäftigungspotenzial steigt weiter
für die Umsatzanteile als auch für die das Fraunhofer Input-Output-Modell an auf rund 40.500-90.000 in 2020.

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 104 (2010) 732–737


736 www.elsevier.de/zefq
Viele der direkten Beschäftigungsef- und grüne Biotechnologie); „grob‘‘ Literatur
fekte in der Pharmaindustrie entstanden 60 bis 80 dieser Beschäftigten sind
2004 im Segment für hochqualifizierte dem Bereich Gesundheit/Pharma [1] Nusser M, Gaisser, S. Innovation, Inno-
Arbeitskräfte. Denn ein wichtiger Grund zuordenbar. vationssystem und Innovationsprozesse in
für den hohen Akademikeranteil in der der pharmazeutischen Industrie. In: Gaisser
S, Nusser M, Reiß T. Hrsg. Stärkung des
Pharmabranche (ca. 25%) im Vergleich Pharma-Innovationsstandortes Deutschland.
zur Gesamtwirtschaft (ca. 16%) ist un- Schlussfolgerungen Stuttgart: IRB-Verlag; 2005. S. 7-28.
ter anderem die Bedeutung der Biotech- [2] Reiss, T.; Hinze, S. Innovation Process and
nologie in der Pharmaindustrie [1]. Dies Die Bedeutung der Biotechnologie in Techno-scientific Dynamics. In: Jungmittag,
erfordert sowohl in den FuE-Prozessen der Pharmaindustrie hat in den letzten R.; Reger, G.; Reiss, T. Hrsg. Changing Inno-
Jahrzehnten deutlich zugenommen. Die vation in the Pharmaceutical Industry. Berlin:
als auch in der Produktion neuer innova- Springer. 2000, S. 53-70.
tiver Arzneimittel einen hohen Wissens- Analysen des Fraunhofer ISI hinsichtlich
[3] PricewaterhouseCoopers Pharmaceutical
stand in sehr unterschiedlichen wissen- der Forschungspipeline von Biopharma- Sector Insights: Analysis and opinions on
schaftlichen Fachdisziplinen (z.B. Biolo- zeutika in der Datenbank PHARMAPRO- merger and acquisition activity. Annual
gie, Chemie, Biochemie, Bioinformatik, JECTS offenbaren, dass die eingelei- Report 2001. 2002.
tete Wende innerhalb des Pharmasek- [4] Reiss, T. Gaisser, S., Dominguez LaCasa, I. et
Verfahrenstechnik). al. Consequences, opportunities, and chal-
Darüber hinaus entstehen durch die tors hin zu einer biologisch-chemischen
lenges of modern biotechnology for Europe
Biotechnologie weitere Beschäfti- Produktionsweise weiter an Fahrt ge- (BIO4EU) – Task 2, 2007. http://bio4eu.jrc.ec.
gungseffekte in den anderen Anwen- winnt. Die Realisierung der wirtschaft- europa.eu/documents/Bio4EU-Task2
derindustrien (z.B. Chemieindustrie, lichen Potenziale der Biotechnologie Mainreport.pdf.
steht erst am Anfang ihrer Entwick- [5] Danzon, P. M. and Furukawa. International
Umweltbiotechnik) und der Bereit- Prices and Availability Of Pharmaceuticals in
stellung von Biotechnologie-Know lung. Dadurch ergeben sich künftig
2005. Health Affairs, 27, no. 1, 2008, S.
how (vgl. hierzu [8]): So zeigen weitere Innovations-, Marktwachstums- 221-233.
die in Deutschland mit der Bereit- und Beschäftigungspotenziale für die [6] Michl, D. und Heinemann, A. Medi-
stellung von Biotechnologie-Know- deutschen Pharmaakteure und den zinische Biotechnologie in Deutschland
Pharma-Innovationsstandort Deutsch- 2009. Wirtschaftsdaten von Biopharmazeu-
how verbundenen Beschäfti- tika und Therapiefortschritt durch Antikör-
gungseffekte in Universitäten/FuE- land.
per. The Boston Consulting Group GmbH,
Einrichtungen, Biotechnologie- 2009.
KMU und Biotechnologie- [7] The Journal of Gene Medi-
Ausstattern 2004 ein Beschäftigungs- Angaben zur Finanzierung cine: Statistics and Charts 2009.
http://www.wiley.co.uk/genetherapy/
potenzial von rund 85.000-90.000 di- der Arbeit clinical/.
rekten Erwerbstätigen. Bis 2020 ist [8] Nusser M, Wydra S. Aktuelle und zu-
Die zugrundeliegenden Forschungsar-
mit einem Wachstum von 10-20% künftige Beschäftigungspotenziale der
beiten wurden finanziert durch Biotechnologie in Deutschland. In: Nus-
zu rechnen; dies entspricht etwa
95.000-110.000 direkten Arbeitsplät- • Europäische Kommission, DG JRC, ser M, Soete B, Wydra S. Hrsg. Wettbe-
werbsfähigkeit und Beschäftigungspo-
zen. Hinzu kommen indirekte Be- IPTS tenziale der Biotechnologie in Deutsch-
schäftigungseffekte in der gleichen • Hans-Böckler-Stiftung, Deutsche land. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung;
Größenordnung in deren vorgelager- Industrievereinigung Biotechno- 2007; S 51-152. Link: http://publica.
ten Zuliefererindustrien (z.B. Mess- logie (DIB) und Industriegewerk- fraunhofer.de/documents/N-61026.
html.
und Steuerungstechnik, Laboraus- schaft Bergbau, Chemie und Energie
statter). Diese Werte zur Bereitstel- (IGBCE)
lung von Biotechnologie-Know-how • Agilent Technologies Deutschland
umfassen alle Biotechnologie- GmbH
Bereiche (u.a. rote, weiße, graue

21. Leitlinienkonferenz der AWMF ZEFQ-Service:


Ankündigung
Die 21. Leitlinienkonferenz der AWMF fin- Auf dem Programm stehen folgende Themen http://www.egms.de/static/en/journals/
det am Freitag, dem 10. Dezember 2010 und Vorträge: awmf/2010-7/awmf000211.shtml
von 9.45 bis ca. 16 Uhr im Hösaal der Ärzte-
kammer Berlin in der Friedrichstr. 16, 10969
Berlin, statt.

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 104 (2010) 732–737


www.elsevier.de/zefq 737

Das könnte Ihnen auch gefallen