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Die Biotechnologie-Industrie

Julia Schüler

Die Biotechnologie-
Industrie
Ein Einführungs-, Übersichts- und Nachschlagewerk
Julia Schüler
BioMedServices – Life Sciences Intelligence
Darmstadt

ISBN 978-3-662-47159-3 ISBN 978-3-662-47160-9 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-662-47160-9

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V

Geleitwort/Widmung/Danksagung

zz Wir steuern auf 20 Jahre Biotechnologie-Industrie in Deutschland zu (Start 1995/1996)


Meine Auseinandersetzung mit dem Thema begann rund zehn Jahre davor, als ich ab 1987
während meines Biologie-Hauptstudiums mehrere Praktika und meine Diplomarbeit in der
Industrie absolvierte. Ich hatte all meinen Mut zusammengenommen und auf einer Tagung
des Verbandes Deutscher Biologen den damaligen Präsidenten (1983–1988) Prof. Dr. Paul
Präve, Mitherausgeber vom Handbuch der Biotechnologie (Oldenbourg Verlag, München,
1984), angesprochen. Er war zudem Leiter der Biotechnik bei der damaligen Hoechst AG
in Frankfurt/Hoechst und entsprach meiner Bitte nach der Anstellung als Praktikantin. Bei
einem ersten Aufenthalt in dem früheren Chemie- und Pharma-Konzern analysierte ich
noch die Fettsäurezusammensetzung bestimmter Bakterien. 1989 durfte ich in einem neu
errichteten Gentechnik-Labor unter der Betreuung von Dr. Rüdiger Marquardt Experimen-
te für meine Diplomarbeit durchführen. Es war der Offenheit von Prof. Dr. Wolfgang Hil-
len († 2010), Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobiologie der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg zu verdanken, dass er eine »industrielle Diplomarbeit« annahm. Laut
Nachruf der Universität gilt er als einer der Pioniere der Molekularbiologie in Deutschland.

Mein Interesse an der Bio- und Gentechnologie war erweckt. Da ich aber schon immer
auch Interesse an der Betriebswirtschaft hatte, führte mich mein weiterer beruflicher Weg in
diese Richtung. Ich hatte das große Glück, im Jahr 1990 am Lehrstuhl für Industriebetriebs-
lehre der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg wiederum auf einen »offe-
nen« Professor zu treffen, der sich im Rahmen seiner Forschung und Lehre zum Techno-
logiemanagement auch für die neu aufgekommene Bio- und Gentechnologie interessierte.
Prof. Dr. Werner Pfeiffer und sein Mitarbeiter Dr. Ulrich Dörrie betreuten mich als externe
Doktorandin und nahmen – nach einem Teilstudium der BWL – 1995 meine Dissertation
zum Thema Strategisches Technologiemanagement in der Biotechnik an. Ihrer Lehre habe ich
es zu verdanken, gelernt zu haben, ökonomische Aspekte der Biotechnologie zu analysieren
und zu beurteilen.

Ein weiterer beruflicher Mentor war Alfred Müller († 2007), der sich als Vorstandsmitglied
beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Ernst & Young (heute EY) dafür
einsetzte, dass es einen Europäischen und Deutschen Biotechnologie-Report gab bzw. gibt.
Von Kollegen aus den USA inspiriert, die 1986 erstmals eine Analyse zur Biotechnologie-In-
dustrie in den USA veröffentlichten, holte er die Initiative 1994/1995 über den Teich. Im Jahr
1998 brachte Ernst & Young den ersten Deutschen Biotechnologie-Report heraus, damals
noch verfasst von Dr. Claus Kremoser, der heute der Heidelberger Biotech-Gesellschaft
Phenex Pharmaceuticals vorsteht, die Anfang diesen Jahres einen Deal mit der Nummer 1
der Biotechnologie in den USA, Gilead Sciences, geschlossen hat. Alfred Müller unterstütz-
te in Deutschland auch erste Netzwerkbildungen, wie zum Beispiel das mittlerweile groß
gewordene Pendant zur jährlichen BIO Convention: die jährlich stattfindende Partnering-
Konferenz BIO-Europe, die 1994 von der EBD Group ins Leben gerufen wurde. Ab dem
Jahr 2001, in dem ich für Ernst & Young tätig wurde, war Alfred Müller mein Ansprechpart-
ner auf höchster Ebene. Er verstarb kurz nach seiner Pensionierung an einem Hirntumor.
Die Fortschritte in der Biotechnologie waren leider noch nicht so weit gewesen, sein Le-
ben zu retten. Dasselbe trifft auf meinen Vater Dr. Claus Goetzmann († 2006) zu, der zwar
bereits eine Behandlung mit den neuesten Biotech-Antikörpern gegen Darmkrebs erhielt.
VI Geleitwort/Widmung/Danksagung

Diese konnten zu dem damaligen Zeitpunkt aber noch nicht heilen, sondern das Leben nur
kurz- bis mittelfristig verlängern, was auch schon ein Fortschritt war. Die heutigen Immun-
therapien versprechen dagegen bei bestimmten Krebsarten zumindest ein längerfristiges
Nicht-Fortschreiten (wie eine Art chronische, aber nicht lebensbedrohliche Krankheit),
wenn nicht sogar eine komplette Heilung (siehe Beispiel im Vorwort: Emily Whitehead).
Allen »Vätern«, beruflich wie privat, widme ich dieses Einführungs-, Übersichts- und Nach-
schlagewerk zur Biotechnologie-Industrie.

Von 2001 bis 2009 verfasste ich bei Ernst & Young acht Deutsche Biotechnologie-Reports,
die – wie ihre Nachfolgeberichte – Grundlage von Teilen dieses Buches sind. Es stellt eine
Art »Mutter aller Biotech-Reports« dar, indem es Tausende Seiten Biotechnologie-Reports
(US und Deutsch) zusammenfasst. An meine Freunde aus der Branche: Ich bitte um Nach-
sicht, wenn irgendetwas unpassend oder nicht ausreichend ausgeführt wurde! Ich dachte,
ich setze mich einmal drei Monate hin und schreibe runter, was all die anderen Branchen-
kenner und ich wissen. Dann aber bin ich Opfer meiner Leidenschaft für das »Auf-den-
Grund-Gehen« geworden, und ich habe mich in die Historie vertieft. Ich hoffte, dort Er-
klärungen zu finden nach dem Motto »Erzähle mir die Vergangenheit, und ich werde die
Zukunft erkennen (Konfuzius)«. Erklärungen, um zu verstehen, warum die deutsche Bio-
technologie und Biotechnologie-Industrie da stehen, wo sie heute stehen. Auch wenn ich
damit weit ausgeholt habe, ist nun doch ein Teil Wirtschaftsgeschichte festgehalten worden.
Zum Schluss dann aus zeitlichen Gründen etwas zu kurz gekommen, ist die Darstellung der
Breite der Unternehmen in Deutschland, eine volkswirtschaftliche Analyse sowie eine ge-
nauere Analyse der heutigen Rahmenbedingungen. Es bleiben also noch Themen für weite-
re Studien in meiner Denkfabrik (Think Tank) namens BioMedServices.

Ich danke den folgenden Personen für Rückmeldungen und/oder Ermunterungen auf dem
Weg zum finalen Manuskript: Dr. Ludger Weß, Dr. Jens Katzek, Prof. Dr. Rolf Schmid und
Dr. Uwe Weitzel. Vonseiten des Springer-Verlages Heidelberg erhielt ich große Unterstüt-
zung von Dr. Christine Schreiber, Kaja Rosenbaum und Carola Lerch. Frau Annette Heß
übernahm mit viel Geduld das Lektorat. Mein Dank gilt zudem Ulrike Kappe, Analystin
bei Ernst & Young/EY, für die Diskussion von Daten. Schließlich danke ich meiner Tochter
Clara Schüler, Studentin der Molekularen Biotechnologie in Heidelberg, für das Anfertigen
einiger Grafiken sowie meinem Sohn Jacob Schüler für seine computer-technische Unter-
stützung.

Darmstadt, September 2015, Julia Schüler


VII

Vorwort
zz Die Biotechnologie-Industrie: ein Einführungs-, Übersichts- und Nachschlagewerk
Die Biotechnologie wird oft als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts bezeichnet. War-
um? Was ist Biotechnologie eigentlich, und wie kann sie zum gesellschaftlichen Wohlerge-
hen und zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen? Wer nutzt diese Technologie heute
bereits?

Diese Fragen beantwortet das vorliegende Buch. Dabei geht es auf Meilensteine der Tech-
nologieentwicklung selbst sowie auf anwendende Sektoren und Märkte ein. Biotechnologie
bedeutet die Nutzung von Wissen zu Struktur und Funktion lebender Organismen – von
Bakterien und Pilzen über Pflanzen und Tiere bis zum Menschen –, um Produkte oder
Dienstleistungen in verschiedenen Einsatzbereichen anzubieten. So wie die Physik oder die
Chemie Basis für verschiedene technische und wirtschaftliche Anwendungen sind (Maschi-
nen- und Automobilbau, Elektrotechnik- und Chemie-Industrie), ist die Biologie als weitere
wichtige Naturwissenschaft (oft zusammen mit Chemie und Physik) eine Grundlage für die
technische und wirtschaftliche Nutzung.

So findet die Biotechnologie derzeit unter anderem Anwendung im medizinischen Bereich


in Form neuartiger Therapien und Diagnostika. Patienten mit schweren Erkrankungen,
denen bisher noch gar nicht oder nicht hinreichend geholfen werden konnte, profitieren
von den technologischen Neuerungen. In den USA, die in der Biotechnologie eine der füh-
renden Positionen innehaben, werden solche Erfolgsstories theatralisch gefeiert, wie der Be-
richt des Branchenmagazins transkript zum jüngsten Welttreffen der Biotechnologen (BIO
Convention Mitte Juni 2015 in Philadelphia) aufzeigt:

»» Mit Superlativen wird in diesem Jahr wahrlich nicht gespart, kann die Branche doch insbe-
sondere in den USA 2014 mit Rekordwerten bei Börsengängen, Marktkapitalisierung oder
Medikamentenzulassungen durch die FDA glänzen. Zudem küren die Veranstalter der BIO
diesmal die ‚Superhelden der Biotechnologie‘. Eine davon ist die neunjährige Emily White-
head. Sie ist das erste Kind, das vor drei Jahren schwer leukämiekrank mit gentechnisch
veränderten CAR-T-Zellen behandelt wurde – die neue Therapie schlug an, das Mädchen
ist seither frei von Krebs. In einer Mittagsshow auf der BIO am 16. Juni wurde ‚Superheldin‘
Emily – nach einem emotionalen Kurzfilm – mit stehenden Ovationen vom Publikum be-
grüßt. (transkript online vom 17.06.20151)

Noch vor gut 100 Jahren war die Biotechnologie auch in Deutschland ein großes Thema
gewesen, und hierzulande wurden in den 1890er-Jahren viele Grundlagen erforscht: Emil
von Behring, Emil Fischer, Eduard Buchner oder Paul Ehrlich sind deutsche Nobelpreis-
träger, die Entdeckungen zu Antikörpern, Enzymen und Fermentation machten. 1937 folgte
die Aufklärung von biochemischen Reaktionen im menschlichen Stoffwechsel, der alle Zel-
len mit Bausteinen und Energie versorgt. Es ist ein Kreislauf, der nach seinem Entdecker
Hans Krebs (1900–1981) unter anderem Krebs-Zyklus genannt wird (sonst auch Citratzyk-
lus, Zitronensäurezyklus oder Tricarbonsäurezyklus). Der zuletzt an der Universitätsklinik
Freiburg tätige deutsche Mediziner und Biochemiker floh 1933 vor dem Nazi-Regime nach

1 7 http://www.transkript.de/nachrichten/wirtschaft/2015-02/bio-2015-philly-feiert-superhelden.html.
VIII Vorwort

Großbritannien, wo er – gefördert von der New Yorker Rockefeller-Stiftung – seine Entde-


ckungen machte. Auch andere Forscher wanderten in die USA ab. Dort wurde sehr früh be-
gonnen, interdisziplinär zu arbeiten: Biologie, Chemie, Medizin, Physik und Ingenieurswis-
senschaften zogen an einem Strang, um die Grundlagen des Lebens aufzuklären. So wurde
denn dort auch die Gentechnik erfunden und erstmals wirtschaftlich genutzt.

Auf dieser Basis entstand eine heute florierende Biotechnologie-Industrie in den USA, de-
ren Entwicklung und Nutzen dieses Buch ausführlich beleuchtet. Mit einer Verzögerung
von etwa 20 Jahren entwickelte sich auch in Deutschland eine von kleinen und mittleren
Unternehmen (KMU) geprägte Biotechnologie-Industrie. Ihre Bedeutung ist hierzulande
wenig bekannt und beachtet, das heißt, sie wird oft nur in Fachkreisen diskutiert und ab
und zu in der Presse aufgegriffen.

Dies zu verbessern, ist ebenfalls Anliegen dieses Buches, und so richtet es sich vor allem an
Investoren, branchenfremde Unternehmer, Journalisten, Politiker und andere Interessierte,
die sich einen Einblick, aber auch fundiertes Wissen zu dem komplexen Thema Biotech-
nologie(-Industrie) verschaffen wollen. Das Werk spannt einen Bogen zwischen technolo-
gischen Trends, Wirtschaftsgeschichte, Marktdaten und Hintergrundinformationen. Daher
war es oft eine Gratwanderung zwischen Formulierungen für verschiedene Zielgruppen.
Auch Branchenkenner sollten zusammenfassende Übersichten finden, die für Geschäfts-
pläne oder Präsentationen zu nutzen sind. Kurz, es ist ein Einführungs-, Übersichts- und
Nachschlagewerk zur spannenden Welt der Bio- und Gentechnologie.
IX

Inhaltsverzeichnis

1 Was ist Biotechnologie eigentlich?���������������������������������������������������������������������������������������������  1


1.1 Begriffe und Definitionen rund um die Biotechnologie �������������������������������������������������������������  3
1.1.1 Der Begriff Biotechnologie: vom Schwein zur Mikrobe���������������������������������������������������������������������  5
1.1.2 Biotechnologie als die Nutzung biologischer Strukturen, Funktionen und Prozesse��������������  5
1.1.3 Biotechnologie oder Biotechnik? Und was ist Bionik?�����������������������������������������������������������������������  6
1.1.4 Klassische Definitionen zur Biotechnologie �����������������������������������������������������������������������������������������  7
1.1.5 Genetik, Gentechnologie und Molekularbiologie als Teilgebiete der Biotechnologie
und Biologie���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  8
1.2 Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie��������������������������������������������������������� 11
1.2.1 Mitte 17. bis Mitte 20. Jahrhundert: die ersten 300 Jahre����������������������������������������������������������������� 12
1.2.2 Mitte der 1940er- bis Mitte der 1960er-Jahre: 20 Jahre für die molekulare Basis bei
gleichzeitiger Nutzung der klassischen Biotechnologie������������������������������������������������������������������� 15
1.2.3 Mitte der 1960er- bis Anfang der 1980er-Jahre: 15 Jahre für grundlegende
Gentechniken und die erste kommerzielle Anwendung������������������������������������������������������������������ 18
1.2.4 Die 1980er-Jahre bis 2000: nochmals 20 Jahre bis zur Entschlüsselung des
menschlichen Genoms ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 20
1.2.5 Post-2000: die wissenschaftliche Entwicklung seit der Jahrtausendwende������������������������������� 24
1.2.6 Zusammenfassende Charakterisierung der »neuen« Biotechnologie������������������������������������������� 27
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 29

I Teil I Die Biotech-Industrie: Entstehung, Status quo sowie


anwendende Sektoren und Märkte

2 Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft������������������� 33


2.1 Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie ����������������������������������������� 35
2.1.1 Forschung und Lehre in der »neuen« Biologie������������������������������������������������������������������������������������� 35
2.1.2 Das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld��������������������������������������������������������� 39
2.1.2.1 Das Umfeld in den USA, dem Pionier in der »neuen« Biotechnologie ����������������������������������������� 39
2.1.2.2 Die Gegebenheiten in Japan und Europa ��������������������������������������������������������������������������������������������� 44
2.2 Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA ��������������������� 48
2.2.1 Start 1976: die Erfolgsgeschichte von Genentech ����������������������������������������������������������������������������� 49
2.2.2 Weitere Pioniere mit nachhaltiger Entwicklung: Biogen, Amgen, Genzyme ����������������������������� 52
2.2.2.1 Biogen, ein frühes transatlantisches Unternehmen��������������������������������������������������������������������������� 52
2.2.2.2 Amgen, bis 2013 das nach Umsatz führende Unternehmen����������������������������������������������������������� 53
2.2.2.3 Genzyme, vorwiegend mit Fokus auf seltene Krankheiten ������������������������������������������������������������� 55
2.2.3 1976 bis 1980: die ersten fünf Jahre US-Biotech-Industrie��������������������������������������������������������������� 56
2.2.4 Die 1980er-Jahre: erster Boom und Durchbrüche������������������������������������������������������������������������������� 56
2.2.5 Die 1990er Jahre: vollkommen neuartige Medikamente����������������������������������������������������������������� 60
2.2.5.1 Firmen, Finanzierung und Transaktionen in den 1990er-Jahren����������������������������������������������������� 65
2.2.5.2 Neuartige Medikamente treiben die positive Entwicklung voran
und führen zum Börsenboom������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 69
2.2.6 Die erste Dekade des neuen Milleniums: vom Börsenhype zur Profitabilität����������������������������� 70
2.2.6.1 Wiederum treiben neuartige Medikam­ente die positive Entwicklung an����������������������������������� 74
2.2.6.2 Finanzierung, Transaktionen und Umsätze erreichen neue Bestmarken������������������������������������� 78
2.2.6.3 2008 liefert erstmals einen Break-even, die Dekade endet mit der Finanzkrise ����������������������� 83
2.2.7 Die Entwicklung seit 2010: Börse und Marktwert »explodieren«��������������������������������������������������� 86
X Inhaltsverzeichnis

2.2.7.1 IPO-Feuerwerk sowie anhaltend starke Finanzierung und Partnerschaften������������������������������� 90


2.2.7.2 Biotech-Know-how wiederum gefragt im Rahmen von Übernahmen����������������������������������������� 95
2.2.7.3 Starke fundamentale Entwicklung: Umsatz und Marktwert steigen,
unterstützt durch den zunehmenden Erfolg der Biotech-Medikamente������������������������������������ 97
2.2.7.4 Weitere Zulassungen festigen den zunehmenden Erfolg der Biotech-Arzneien ��������������������� 102
2.2.8 Zusammenfassende Bilanz zur US-Biotech-Industrie: Früher Start, gute
Finanzierungsbedingungen und ein Dutzend führender
Unternehmen brachten den Stein ins Rollen��������������������������������������������������������������������������������������� 106
2.3 Eigentlich existieren Firmen mit Biotech-Aktivitäten seit rund 100 Jahren����������������������� 114
2.3.1 Biotechnologie für die Arzneimittel- und Diagnostika-Produktion����������������������������������������������� 119
2.3.2 Erste Aktivitäten der Etablierten in der »neuen« Biotechnologie��������������������������������������������������� 121
2.4 Wer ist die Biotech-Industrie heute?��������������������������������������������������������������������������������������������������� 127
2.4.1 Die Grenzen zwischen Biotech und Pharma verschwimmen����������������������������������������������������������� 131
2.4.2 Die Biologisierung der Industrie: Werden auch die Grenzen zwischen
Biotech- und Chemie- oder anderen Industrien verschwimmen?������������������������������������������������� 134
2.4.3 Biotechnologie als Querschnitts- und Zukunftstechnologie����������������������������������������������������������� 136
2.4.3.1 Biotechnologie als sechste Phase der Kondratieff-Zyklen ��������������������������������������������������������������� 137
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 138

3 Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie ��������������������������������������������� 143


3.1 Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie������������������������������� 145
3.1.1 (Bio-)Pharmazeutika: biologisches Know-how für Arzneimittel����������������������������������������������������� 145
3.1.1.1 Biotech-Medikamente machen konventionellen Arzneimitteln den Rang streitig������������������� 148
3.1.1.2 Weitere Biopharmazeutika stehen in der Schlange ��������������������������������������������������������������������������� 161
3.1.1.3 Exkurs: Medikamenten-Entwicklung ist hochriskant, dauert
lange und kostet entsprechend viel ������������������������������������������������������������������������������������������������������� 167
3.1.1.4 Biosimilars: Nachgeahmte Biologika entern den Markt ������������������������������������������������������������������� 192
3.1.1.5 Zusammenfassende Einschätzung zu Biosimilars und Biopharmazeutika ��������������������������������� 205
3.1.2 Therapeutische Trends: Immuntherapien, Gentherapien, personalisierte Medizin����������������� 213
3.1.2.1 Krebs-Immuntherapien: Hilfe zur Selbsthilfe��������������������������������������������������������������������������������������� 213
3.1.2.2 Gentherapien: Fehler für immer beheben��������������������������������������������������������������������������������������������� 223
3.1.2.3 Personalisierte Medizin: Medikamente passend zum Typ ��������������������������������������������������������������� 227
3.1.3 (Molekular-)Diagnostika����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 236
3.1.3.1 IVD, MDx, PGx, CDx, Biomarker & Co. – Was ist was?��������������������������������������������������������������������������� 238
3.1.3.2 PGx: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Gene����������������������������������������������������������� 244
3.1.3.3 Companion diagnostics (CDx): Therapie und Diagnostik im Tandem��������������������������������������������� 247
3.1.3.4 MDx, CDx, Biomarker und biomarkerbasierte Medizin: Quo vadis?����������������������������������������������� 249
3.2 Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion��������������������������������� 254
3.2.1 Sektor mit der längsten Tradition biotechnologischer Anwendungen ��������������������������������������� 255
3.2.2 Verfahren und Produkte der Weißen Biotechnologie������������������������������������������������������������������������ 256
3.2.3 Grundchemikalien (Basis- oder Bulk-Chemikalien) und (Bio-)Polymere ������������������������������������� 258
3.2.3.1 Natürlich vorkommende Biopolymere��������������������������������������������������������������������������������������������������� 259
3.2.3.2 Bioplastik auf dem Vormarsch������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 261
3.2.3.3 Weitere Biopolymere: Fette und Öle, Seidenproteine����������������������������������������������������������������������� 262
3.2.3.4 Biosprit: geht auch ohne Konkurrenz zum Gemüse��������������������������������������������������������������������������� 264
3.2.4 Spezialchemikalien (Feinchemikalien)��������������������������������������������������������������������������������������������������� 276
3.2.4.1 Aminosäuren ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 277
3.2.4.2 Vitamine����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 279
XI
Inhaltsverzeichnis

3.2.4.3 Enzyme������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 280


3.2.4.4 Weitere Spezialchemikalien����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 282
3.2.5 Umsatzprognosen und Unternehmen der Weißen Biotechnologie ��������������������������������������������� 283
3.2.6 Abschließende Einschätzung zur Weißen Biotechnologie��������������������������������������������������������������� 288
3.3 Weitere Sektoren����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 291
3.3.1 Grüne Biotechnologie: Agrarsektor��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 292
3.3.2 Graue Biotechnologie: Umweltschutz���������������������������������������������������������������������������������������������������� 297
3.3.3 Zulieferer, Dienstleister, Technologie- und Tools-Anbieter��������������������������������������������������������������� 297
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 301

II Teil II Die Biotech-Industrie: die Situation in Deutschland

4 Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie


in Deutschland����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 313
4.1 Forschung und Lehre vor den 1970er-Jahren��������������������������������������������������������������������������������� 315
4.1.1 Bis 1950: die anfängliche Lage in Deutschland����������������������������������������������������������������������������������� 315
4.1.2 1956, Aufbau der deutschen Molekularbiologie: das Institut für Genetik
in Köln und andere Institute ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 317
4.1.3 Zusammenfassende Einschätzung zur deutschen Forschung:
vom biochemischen Vorreiter zum Nachfolger in der Molekularbiologie����������������������������������� 321
4.2 Beurteilung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit in der »alten« Biotechnologie��������� 323
4.3 Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren ����������������������������� 325
4.3.1 Ende der 1960er- und die 1970er-Jahre: erste Förderprogramme und Studien ����������������������� 326
4.3.2 Die 1980er-Jahre: das »Hoechst-Signal«, Genzentren,
Enquete-Kommission und politische Fronten������������������������������������������������������������������������������������� 331
4.3.3 Die 1990er-Jahre: Wiedervereinigung, Gentechnik-Gesetz,
weitere Förderung, BioRegio- und andere Wettbewerbe����������������������������������������������������������������� 336
4.4 Unternehmensgründung und -finanzierung als spezielle Herausforderung in
Deutschland, damals wie heute ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 343
4.5 Deutschland versus USA: ein zusammenfassender Vergleich früher
»biotech-relevanter« Rahmenbedingungen ����������������������������������������������������������������������������������� 349
4.6 Frühe Bio- und Gentech-Aktivitäten der etablierten Industrie ����������������������������������������������� 351
4.6.1 Entwicklungen bei ausgewählten Chemie-Konzernen��������������������������������������������������������������������� 351
4.6.1.1 Hoechst AG (heute Sanofi)������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 353
4.6.1.2 Bayer����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 355
4.6.1.3 BASF������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 356
4.6.1.4 Henkel��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 357
4.6.2 Bio- und Gentechnologie bei ausgewählten Pharma-Firmen��������������������������������������������������������� 357
4.6.2.1 Boehringer Mannheim��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 358
4.6.2.2 Boehringer Ingelheim ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 358
4.6.2.3 Merck����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 359
4.6.2.4 Merz Pharma���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
359
4.6.2.5 Pharma und Biosimilars������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 359
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 360

5 Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland�������� 363


5.1 Biotech-Wüste vor 1996: wenige, aber keine schlechten Gründungen ������������������������������� 365
5.1.1 Herausforderung Biotech-Startup in der Medikamenten-Entwicklung��������������������������������������� 371
XII Inhaltsverzeichnis

5.1.2 Die Gründungen aus der ersten Hälfte der 1990er-Jahre����������������������������������������������������������������� 372
5.2 Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation ����������������������������� 372
5.2.1 1996 bis 2001: Der Boom endet mit einem Hype, die Blase platzt������������������������������������������������� 376
5.2.1.1 Die Börse explodiert und Investoren finanzieren trotz fraglicher Fundamentaldaten ����������� 377
5.2.1.2 Angesichts der Exit-Versprechungen floss auch Risikokapital in großen Mengen������������������� 379
5.2.1.3 Status quo Ende 2001 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 380
5.2.2 2002 bis 2004: Per Aspera Ad Astra (der steinige Weg zu den Sternen)����������������������������������������� 382
5.2.2.1 Finanzierung auf dem Tiefpunkt, ab 2004 langsame Erholung������������������������������������������������������� 383
5.2.2.2 Die Branche wurde kräftig durchgeschüttelt��������������������������������������������������������������������������������������� 383
5.2.2.3 Ein Resummee zum Jahr 2004������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 385
5.2.3 2005 bis 2007: Zurück in die Zukunft und mit verhaltener Zuversicht auf gutem Kurs����������� 387
5.2.3.1 Eine Produkt-Zulassung und zwei Kandidaten kurz davor��������������������������������������������������������������� 387
5.2.3.2 Gemischtes Bild bei den Finanzierungen����������������������������������������������������������������������������������������������� 388
5.2.3.3 »Deals« tragen zunehmend zur Finanzierung bei������������������������������������������������������������������������������� 391
5.2.3.4 Resummee zur Phase »Zurück in die Zukunft«������������������������������������������������������������������������������������� 392
5.2.3.5 Passende Rahmenbedingungen wären das A und O������������������������������������������������������������������������� 395
5.2.4 2008 bis 2011: Kursfortsetzung mit Hürden – Fallstrick Finanzierung? ��������������������������������������� 395
5.2.4.1 Wieder einmal Licht und Schatten bei den Finanzierungen ����������������������������������������������������������� 396
5.2.4.2 Abermals tragen strategische Allianzen zur Finanzierung bei ������������������������������������������������������� 401
5.2.4.3 Zieleinlauf und Hürden auch bei den Produktentwicklungen ������������������������������������������������������� 401
5.2.4.4 Positive Nachrichten und gute Entwicklungen triggern Übernahmen ��������������������������������������� 406
5.2.4.5 Status quo Ende 2011: Kursfortsetzung oder Fallstrick Finanzierung?����������������������������������������� 408
5.2.5 Unterstützende Aktivitäten vom Bund��������������������������������������������������������������������������������������������������� 410
5.2.5.1 Hightech-Strategie für Deutschland������������������������������������������������������������������������������������������������������� 412
5.2.5.2 Lebenswissenschaften sind ein Forschungsschwerpunkt des BMBF ������������������������������������������� 413
5.3 Jüngste Entwicklung der Branche: von Stagnation zu neuen Chancen������������������������������� 418
5.3.1 Kennzahlen: Stagnation statt Wachstum����������������������������������������������������������������������������������������������� 418
5.3.1.1 FuE-Investitionen und die Frage nach dem Geld��������������������������������������������������������������������������������� 418
5.3.1.2 Firmen- und Mitarbeiterzahl bleiben stabil, das heißt stagnieren������������������������������������������������� 420
5.3.1.3 Umsatz: über die letzten 15 Jahre zwar kontinuierlich gestiegen,
seit 2007 aber lediglich auf niedrigem Niveau������������������������������������������������������������������������������������� 421
5.3.2 Finanzierung: müsste besser sein, im Einzelfall jedoch nicht schlecht����������������������������������������� 422
5.3.2.1 Finanzierung privater Biotech-Firmen seit 2012��������������������������������������������������������������������������������� 424
5.3.2.2 Finanzierung gelisteter Biotech-Gesellschaften seit 2012��������������������������������������������������������������� 425
5.3.3 Neue Allianzen: neue Chancen?��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 426
5.3.4 Wirkstoff-Pipeline: neue Chancen!����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 426
5.4 Eine Lanze brechen: auf dem Weg zum 20. Jahrestag – und
langsam auf dem Weg zur Reifeprüfung������������������������������������������������������������������������������������������� 427
5.4.1 Frühe Entwicklung der US-Biotech-Industrie versus Bedeutung heute��������������������������������������� 430
5.4.2 Warum steht die deutsche Biotech-Industrie da, wo sie heute steht? ����������������������������������������� 432
5.4.3 Eine andere Sicht auf die medizinische Biotechnologie in Deutschland������������������������������������� 434
5.4.4 Wahrnehmung und Vertrauen seitens Investoren, Politiker und allgemeiner
Bevölkerung auf der Wunschliste������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 435
Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 437

Serviceteil

Stichwortverzeichnis��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 442
XIII

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1  EU-Bürger und ihr Wissen zur Biotechnologie �������������������������������������������������������������������������������� 4

Abb. 1.2  Die Zelle als Fabrik ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 6

Abb. 1.3 DNS-Rekombinationstechnik, eine Gentechnik zur Neukombination von Erbmaterial����������� 10

Abb. 1.4  Die Pioniere bei der rekombinanten Herstellung von Insulin ��������������������������������������������������� 11

Abb. 1.5  Umsetzung der Geninformation in Proteine – die Funktions-


und Strukturträger in Zellen. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 17

Abb. 1.6  Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die ausgewählte omics zitieren����������������� 26

Abb. 1.7  Ausschnitt aus dem menschlichen Stoffwechsel: Veranschaulichung der Komplexität ��������� 28

Abb. 1.8  
Mycoplasma, ein pathogenes Bakterium mit einer Größe von 300 nm (Durchmesser) ��������� 29

Abb. 2.1  Umsatz bei Genentech, etwa 20 bis 30 Jahre nach Gründung ������������������������������������������������� 51

Abb. 2.2  Umsatz bei Amgen, zehn bis gut 30 Jahre nach Gründung ������������������������������������������������������� 54

Abb. 2.3  Finanzierung US-Biotech-Industrie in den 1980er-Jahren. ������������������������������������������������������� 59

Abb. 2.4  Finanzierung US-Biotech-Industrie in den 1990ern. ������������������������������������������������������������������� 68

Abb. 2.5  Genom-Hype am US-Kapitalmarkt. ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 73

Abb. 2.6  US-Biotech-Kapitalmarkt: Entwicklungen von 1995 bis 2004. ������������������������������������������������� 75

Abb. 2.7  Finanzierung der US-Biotech-Industrie, 2000 bis 2009. ������������������������������������������������������������� 80

Abb. 2.8  US-Biotech-Kapitalmarkt: Entwicklungen von 1998 bis 2015. ��������������������������������������������������� 85

Abb. 2.9  Entwicklung verschiedener Indizes vor und nach der Finanzkrise. ����������������������������������������� 89

Abb. 2.10 Zuwachs bei verschiedenen Indizes seit dem Hoch und Tief der Jahre 2007 und 2009. ��������� 91

Abb. 2.11 Die »Börsenfenster« der US-Biotech-Industrie seit 1991. ����������������������������������������������������������� 91

Abb. 2.12 Finanzierung der US-Biotech-Industrie, 2004 bis 2014. ������������������������������������������������������������� 92

Abb. 2.13 Umsatzentwicklung der börsennotierten US-Biotech-Industrie, 2004 bis 2014. ��������������� 98

Abb. 2.14 Top-US-Biotech-Firmen nach Umsatz, 2008 bis 2014. ����������������������������������������������������������������� 99


XIV Abbildunsverzeichnis

Abb. 2.15 Entwicklung von US-Biotech-Indizes und Markwert, 2009 bis 2014. ����������������������������������� 100

Abb. 2.16 Finanzierung der US-Biotech-Industrie, 1980 bis 2014. ����������������������������������������������������������� 106

Abb. 2.17 Entwicklung der börsennotierten US-Biotech-Industrie, 1991 bis 2014. ����������������������������� 108

Abb. 2.18 Hauptumsatztragende Firmen, 1991 bis 2014. ��������������������������������������������������������������������������� 109

Abb. 2.19 Ausgewählte Top-US-Biotech-Firmen auf einen Blick����������������������������������������������������������������� 112

Abb. 2.20 Biologika-Umsatz führender biopharmazeutischer Firmen


(in Mrd. US$), 2014 versus 2020. ������������������������������������������������������������������������������������������������������� 130

Abb. 2.21 Marktwert ausgewählter US-Pharma- und Biotech-Firmen,


1999 bis 2014 (Fünf-Jahres-Schritte). ��������������������������������������������������������������������������������������������� 131

Abb. 2.22 Umsatz ausgewählter US-Pharma- und Biotech-Unternehmen, 1999 bis 2014


(Fünf-Jahres-Schritte)��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 132

Abb. 2.23 Gewinn ausgewählter US-Pharma- und Biotech-Unternehmen,


1999 bis 2014 (Fünf-Jahres-Schritte). ��������������������������������������������������������������������������������������������� 133

Abb. 3.1  Die Grundlagenwissenschaften und Anwendungsbereiche der Biotechnologie. ������������ 146

Abb. 3.2  (Bio-)Pharmazeutika und ihre verschiedenen Typen. ����������������������������������������������������������������� 149

Abb. 3.3  Vergleich der Größenordnung: klassische Pharmazeutika versus Biologika. ��������������������� 150

Abb. 3.4  FDA-Zulassungen neuartiger Arzneien seit 1985: rekombinante Biopharmazeutika


versus konventionelle Wirkstoffe. ���������������������������������������������������������������������������������������������������� 154

Abb. 3.5  Anteil konventioneller und Biotech-Medikamente am Pharmazeutika-Umsatz. ������������� 159

Abb. 3.6  Weltweiter Umsatz mit Biopharmazeutika, 2000 bis 2020. ����������������������������������������������������� 164

Abb. 3.7  Biotech-Medikamente in der Pipeline nach Art und Phase. ����������������������������������������������������� 165

Abb. 3.8  Biotech-Medikamente in der Pipeline nach Indikation und


Anti-Krebs-Biopharmazeutika. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 166

Abb. 3.9  Schritte, um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen. ��������������������������������������������� 168

Abb. 3.10 Veränderung der durchschnittlichen Dauer von klinischer und Zulassungsphase


bei der Medikamenten-Entwicklung. ��������������������������������������������������������������������������������������������� 170

Abb. 3.11 Erfolgsraten bei Klinik und Zulassung, einzelne Phasen


bis zur Zulassung nach Wirkstoffart. ����������������������������������������������������������������������������������������������� 172
XV
Abbildunsverzeichnis

Abb. 3.12 Erfolgsraten bei Klinik und Zulassung, Phase zu Phase nach Wirkstoffart. ������������������������� 173

Abb. 3.13 Erfolgsraten bei Klinik und Zulassung, nach Indikation für


Phase II und III bis zur Zulassung (Zul.). ����������������������������������������������������������������������������������������� 173

Abb. 3.14 Kosten für die Entwicklung eines Medikamentes nach verschiedenen Autoren. ������������� 174

Abb. 3.15 Einfluss von Erfolgsrate und Kapitalzins auf kapitalisierte NME-Kosten nach
dem Office of Health Economics (OHE). ����������������������������������������������������������������������������������������� 180

Abb. 3.16 FuE-Kosten pro Wirkstoff bei ausgewählten (Bio-)Pharma-Firmen, 2010 bis 2013. ����������� 182

Abb. 3.17 Gemittelte FuE-Kosten pro NME von 100 ausgewählten (Bio-)


Pharma-Firmen, 2001 bis 2012. ������������������������������������������������������������������������������������������������������� 184

Abb. 3.18 FuE-Kosten der PhRMA-Mitglieder im Verhältnis zu FDA-NME-Zulassungen. ������������������� 186

Abb. 3.19 Prozentuale Verteilung der FuE-Kosten auf die verschiedenen Phasen der
Medikamenten-Entwicklung. ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 187

Abb. 3.20 FuE-Ausgaben versus FDA-NME-Zulassungen: der Pharma Innovation Gap. ��������������������� 187

Abb. 3.21 Ineffizienzen verschiedener Wirtschaftssysteme. ����������������������������������������������������������������������� 192

Abb. 3.22 Ausgewählte Firmen mit Biosimilar-Aktivitäten. ������������������������������������������������������������������������� 199

Abb. 3.23 Ausgewählte Biologika und ihr Zeitpunkt ablaufender Exklusivität. ����������������������������������� 201

Abb. 3.24 Bispezifischer Antikörper und ausgewählte Fragmente. ��������������������������������������������������������� 219

Abb. 3.25 Verschiedene Prinzipien adoptiver T-Zell-Therapien. ����������������������������������������������������������������� 222

Abb. 3.26 Ex vivo- und in vivo-Gentherapie. ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 225

Abb. 3.27 Medikamenten-Ansprechrate bei verschiedenen Indikationen


und Medikationen im Jahr 2000. ����������������������������������������������������������������������������������������������������� 228

Abb. 3.28 Kosten der Sequenzierung eines Genoms. ����������������������������������������������������������������������������������� 232

Abb. 3.29 Übersicht zu Biomarkern und Indikationen der Medikamente mit


pharmakogenetischer (PG) Information. ��������������������������������������������������������������������������������������� 233

Abb. 3.30 Dauer der Entwicklung klinisch validierter und zugelassener Krebs-Biomarker. ������������� 252

Abb. 3.31 Übersicht zur Weißen (Industriellen) Biotechnologie. ��������������������������������������������������������������� 256

Abb. 3.32 Spektrum möglicher Vorteile der Biokatalyse. ����������������������������������������������������������������������������� 257


XVI Abbildunsverzeichnis

Abb. 3.33 Prognose zur Produktion von Biokunststoffen. ��������������������������������������������������������������������������� 262

Abb. 3.34 Weltweite Umsatzentwicklung in der Weißen Biotechnologie. ��������������������������������������������� 285

Abb. 3.35 Zusammenfassende Übersicht zur Weißen Biotechnologie. ��������������������������������������������������� 290

Abb. 3.36 Weltweiter Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen nach Land. ����������������������������� 294

Abb. 3.37 Gründe, warum US-Landwirte gv-Pflanzen einsetzen. ������������������������������������������������������������� 295

Abb. 4.1  Forschungsausgaben des Bundes für Biotechnologie 1981 bis 1993 (Mio. €). ������������������� 333

Abb. 4.2  Verschiedene Bereiche bei den Gesamtforschungsausgaben


des Bundes, 1983 und 1988. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 334

Abb. 4.3  BMBF-Gesamtkonzept zur Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen


in der modernen Biotechnologie in den 1990er-Jahren. ��������������������������������������������������������� 343

Abb. 5.1  Entwicklung der Anzahl deutscher Biotech-Unternehmen


in den Jahren 1995 bis 2014. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 366

Abb. 5.2  Entwicklungsphasen der deutschen Biotech-Industrie. ����������������������������������������������������������� 367

Abb. 5.3  Einstellungen von EU-Bürgern zur Biotechnologie. ������������������������������������������������������������������� 368

Abb. 5.4  Größte Biotech-VC-Runden aus den Jahren 2000 und 2001,
mit Angabe des Monats. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 380

Abb. 5.5  Größte Biotech-VC-Runden aus den Jahren 2002 bis 2004, mit Angabe des Monats. ����������� 384

Abb. 5.6  Wirkstoff-Projekte deutscher Biotech- und Pharma-Unternehmen im Vergleich


(Stand 2004). ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 386

Abb. 5.7  Eigenkapital-Finanzierung deutscher Biotech-Unternehmen in den


Jahren 1999 bis 2007. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 388

Abb. 5.8  Zahl an Medikamentenkandidaten deutscher Biotech-Firmen in klinischen Studien,


in der Zulassungsphase und auf dem Markt in den Jahren 2002 bis 2007. ������������������������� 393

Abb. 5.9  Eigenkapital-Finanzierungen deutscher Biotech-Unternehmen in den


Jahren 2002 bis 2011. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 398

Abb. 5.10 Zahl an Medikamentenkandidaten deutscher Biotech-Firmen in klinischen Studien,


in Zulassung und auf dem Markt in den Jahren 2006 bis 2011. ��������������������������������������������� 406

Abb. 5.11 Entwicklung der wichtigsten Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie


in den Jahren 1999 bis 2014. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 421
XVII
Abbildunsverzeichnis

Abb. 5.12 Entwicklung des durchschnittlichen Umsatzes bei deutschen Biotech-Firmen


in den Jahren 1999 bis 2014. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 422

Abb. 5.13 Eigenkapital-Finanzierung deutscher Biotech-Firmen in den Jahren 2006 bis 2014. ���������� 423

Abb. 5.14 Umsatz pro Unternehmen: Vergleich US- und deutsche Biotech-Industrie. ����������������������� 430

Abb. 5.15 Umsatz pro Unternehmen: Vergleich der frühen Jahre


der US- und deutschen Biotech-Industrie. ����������������������������������������������������������������������������������� 431

Abb. 5.16 Umsatz von Firmen in Deutschland, die sich mit Biotechnologie beschäftigen. ������������� 435
XIX

Tabellenverzeichnis

Tab. 1.1  Historische Trends und Begrifflichkeiten in der Biotechnologie. ������������������������������������������������� 12

Tab. 1.2  Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften bis 1945. ����������������������������������������������������� 14

Tab. 1.3  Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften 1945 bis 1965. ������������������������������������������� 16

Tab. 1.4  Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften 1966 bis 1982. ������������������������������������������� 19

Tab. 1.5  Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften 1980 bis 2000. ������������������������������������������� 20

Tab. 1.6  Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften seit 2001. ��������������������������������������������������� 25

Tab. 1.7 Die omics der Zukunft. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 27

Tab. 2.1  Ausgewählte ausländische Einrichtungen der modernen


Biowissenschaft/Biotechnologie. ������������������������������������������������������������������������������������������������������� 36

Tab. 2.2  Ausgewählte frühe molekularbiologische Forschungskooperationen


von US-Universitäten. ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 42

Tab. 2.3  Früh gegründete Venture-Capital(VC)-Firmen in den USA mit Investments


in Biotech-Unternehmen. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 43

Tab. 2.4  Nationale Förderung der Biotechnologie und erste


Biotechnologie-Programme in Europa. ��������������������������������������������������������������������������������������������� 47

Tab. 2.5  Biotechnologie-Programme der Europäischen


Union in den 1980er- und 1990er-Jahren. ��������������������������������������������������������������������������������������� 48

Tab. 2.6  Ausgewählte Meilensteine bei Genentech, gegründet 1976. ���������������������������������������������������� 50

Tab. 2.7  Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung


zwischen 1976 und 1980, heute noch aktiv. ����������������������������������������������������������������������������������� 56

Tab. 2.8  Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung


zwischen 1976 und 1980, Übernahmen. ������������������������������������������������������������������������������������������� 57

Tab. 2.9  Erste Medikamente (Biopharmazeutika), basierend auf rDNS- und


Antikörper-Technologie. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 59

Tab. 2.10 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in den 1980er-Jahren,


heute noch aktiv. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 61

Tab. 2.11 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in den


1980er-Jahren, Übernahmen. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 62
XX Tabellenverzeichnis

Tab. 2.12 Rekombinant hergestellte Biopharmazeutika, Zulassungen


in den 1990er-Jahren (FDA). ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 64

Tab. 2.13 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in der 1. Hälfte der 1990er-Jahre,


heute noch aktiv. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 66

Tab. 2.14 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung


in den 1990er-Jahren, Übernahmen. ������������������������������������������������������������������������������������������������ 67

Tab. 2.15 Top-10-Biopharmazeutika nach weltweitem Umsatz


(Mrd. US$) zum Ende der 1990er-Jahre. ������������������������������������������������������������������������������������������ 70

Tab. 2.16 Status quo führender US-Firmen zu Beginn und Ende der 1990er-Jahre. ���������������������������� 71

Tab. 2.17 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in der 2. Hälfte der 1990er,


heute noch aktiv. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 72

Tab. 2.18 Top-10-Biopharmazeutika nach weltweitem Umsatz (Mrd. US$), 2005 versus 1999. ������������ 75

Tab. 2.19 Ausgewählte rekombinant hergestellte Biopharmazeutika,


Zulassungen 2000 bis 2004 (FDA). ���������������������������������������������������������������������������������������������������� 76

Tab. 2.20 Ausgewählte rekombinant hergestellte Biopharmazeutika,


Zulassungen 2005 bis 2009 (FDA). ���������������������������������������������������������������������������������������������������� 78

Tab. 2.21 Top-10-Biopharmazeutika nach weltweitem Umsatz (Mrd. US$), 2009 versus 2005. ����������� 83

Tab. 2.22 Nach Umsatz (Mrd. US$) führende US-Biotech-Unternehmen in den


Jahren 2000, 2005 und 2009. �������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 84

Tab. 2.23 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in der 1. Hälfte der 2000er,


heute noch aktiv. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 86

Tab. 2.24 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in der 2. Hälfte der 2000er,


heute noch aktiv. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 87

Tab. 2.25 Zusammensetzung des NYSE Arca Biotechnology Index (BTK) – Top 20 Werte. ������������������ 89

Tab. 2.26 Fremdkapital-Finanzierungen führender US-Biotech-Firmen (Mrd. US$). ���������������������������� 93

Tab. 2.27 Ausgewählte Top-Partnerschaften von US-Biotech-Firmen seit 2010. ���������������������������������� 94

Tab. 2.28 Führende US-Biotech-Firmen nach Marktwert (Mrd. US$),


Ende 2012 bis Ende 2014. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 101

Tab. 2.29 Top-10-Biopharmazeutika nach weltweitem Umsatz (Mrd. US$), 2014 versus 2009. ������������� 101
XXI
Tabellenverzeichnis

Tab. 2.30 Ausgewählte rekombinant hergestellte Biopharmazeutika,


Zulassungen 2010 bis 2013 (FDA). ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 103

Tab. 2.31 Ausgewählte rekombinant hergestellte Biopharmazeutika,


Zulassungen 2014 (FDA). ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 104

Tab. 2.32 Umsatzerwartungen für ausgewählte neue Biotech-Blockbuster, 2020. ����������������������������� 105

Tab. 2.33 Ausgewählte US-Biotech-Firmen, gegründet seit 2010. ����������������������������������������������������������� 115

Tab. 2.34 Ausgewählte anfängliche pharmazeutische Firmen nach Gründungsjahr und Land. ��������� 117

Tab. 2.35 Übersicht zu ausgewählten Firmen mit frühen klassischen Biotech-Aktivitäten. ������������� 118

Tab. 2.36 Frühe Beteiligungen etablierter US-Unternehmen an jungen Biotech-Unternehmen. ��������� 125

Tab. 2.37 Ausgewählte Pharma-Firmen nach Umsatzanteil mit Biologika, 2014. ��������������������������������� 129

Tab. 2.38 Kondratieff-Zyklen der wirtschaftlichen Entwicklung. ��������������������������������������������������������������� 138

Tab. 3.1  Übersicht zu Merkmalen von klassischen Pharmazeutika versus Biopharmazeutika. ��������� 151

Tab. 3.2  Zuständigkeiten verschiedener Abteilungen in der Food and Drug Administration
(FDA; nach Reorganisation 2004). ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 153

Tab. 3.3  FDA-Zulassungen neuartiger Arzneien seit 2000: Bio versus Nicht-Bio. . ����������������������������� 153

Tab. 3.4  Zugelassene neuartige Medikamente mit FDA-Breakthrough-Status


(Stand: Ende 2014). ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 158

Tab. 3.5  Top-20-Medikamente nach Umsatz (Mrd. US$), 2010 und 2020. ��������������������������������������������� 160

Tab. 3.6  Top-20-Medikamente nach Umsatz im Jahr 2014 und Vergleich mit Vorjahren. ��������������� 162

Tab. 3.7  Durchschnittliche Dauer (Jahre) von klinischer und Zulassungsphase nach Indikation. ��������� 170

Tab. 3.8  Beschleunigung der Zulassung durch neuen FDA-Breakthrough-Status. ����������������������������� 172

Tab. 3.9  Berechnung der Kosten für ein Biopharmazeutikum nach Tufts University. ����������������������� 177

Tab. 3.10 Ausgewählte Angaben zu Kosten der


Medikamenten-Entwicklung nach Tufts University. ������������������������������������������������������������������� 177

Tab. 3.11 Datenpunkte verschiedener Phasen der Medikamenten-Entwicklung nach


dem Office of Health Economics (OHE). ����������������������������������������������������������������������������������������� 178

Tab. 3.12 Datenpunkte verschiedener Phasen der Medikamenten-Entwicklung


nach Paul et al. (2010). ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 179
XXII Tabellenverzeichnis

Tab. 3.13 Kapitalisierte NME-Kosten der einzelnen Phasen bei verschiedenen Erfolgsraten. ��������� 179

Tab. 3.14 Einfluss von Erfolgsrate und Kapitalzins auf kapitalisierte NME-Kosten nach
DiMasi et al. (1991). ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 181

Tab. 3.15 Kapitalisierte NME-Kosten (Mio. US$) in ausgewählten Indikationen nach


Adams und Brantner (2006). ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 181

Tab. 3.16 FuE-Kosten pro NME bzw. neuem Biologikum nach PricewaterhouseCoopers (PwC)
und EvaluatePharma (EVP), 2002 bis 2013. ����������������������������������������������������������������������������������� 185

Tab. 3.17 Mitglieder und assoziierte Firmen des US-Verbandes PhRMA (Stand: Juli 2015). ������������� 185

Tab. 3.18 Direkte Kosten klinischer Phasen der Medikamenten-Entwicklung nach


Indikationsbereich. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 189

Tab. 3.19 Direkte Kosten pro Proband/Patient pro Phase der Medikamenten-Entwicklung,


2011. ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 190

Tab. 3.20 Biologika mit bereits erfolgtem Patentablauf und ihre


in Europa zugelassenen Biosimilars. ������������������������������������������������������������������������������������������������� 193

Tab. 3.21 Ausgewählte Firmen und ihre in Entwicklung befindlichen Biosimilars nach Phase. ����������� 203

Tab. 3.22 Öffentlich bekannt gegebene Biosimilar-Studien von Sandoz. ������������������������������������������������� 205

Tab. 3.23 Biotech-Blockbuster, Umsatz im Jahr 2014. ����������������������������������������������������������������������������������� 209

Tab. 3.24 Teilsysteme der Immunabwehr. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 211

Tab. 3.25 Strategien zur Stärkung des Immunsystems bei der Bekämpfung von Krebs. ������������������� 215

Tab. 3.26 In der Entwicklung befindliche Wirkstoffe, die auf ko-inhibitorische


T-Zell-Rezeptoren zielen (Immun-Checkpoints). ������������������������������������������������������������������������� 218

Tab. 3.27 In der Entwicklung befindliche Wirkstoffe, die auf ko-stimulierende


T-Zell-Rezeptoren zielen. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 218

Tab. 3.28 Ausgewählte bi- und trispezifische Krebs-Antikörper in Forschung und Entwicklung. ����������� 220

Tab. 3.29 Ausgewählte Entwicklungsprojekte der adoptiven T-Zell-Therapie. ������������������������������������� 224

Tab. 3.30 Ausgewählte Biotech-Firmen mit Aktivitäten in der Gentherapie. ����������������������������������������� 227

Tab. 3.31 Technische Fortschritte seit Beginn des Humangenomprojektes (HGP). ����������������������������� 230

Tab. 3.32 Anzahl an Medikamenten mit einer pharmakogenetischen (PG)


Information im Label nach Biomarker und Indikation. ��������������������������������������������������������������� 234
XXIII
Tabellenverzeichnis

Tab. 3.33 Übersicht zu verschiedenen Technologien und Teilmärkten der Diagnostik����������������������� 239

Tab. 3.34 Diagnostikahersteller und ihre FDA-gelisteten humanen Gentests��������������������������������������� 241

Tab. 3.35 Ausgewählte Diagnostikahersteller und ihre FDA-gelisteten mikrobiellen


DNS-Tests. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 242

Tab. 3.36 Arzneistoffe, bei deren Anwendung ein PGx-Test sinnvoll sein kann. ����������������������������������� 245

Tab. 3.37 Von der FDA gelistete Begleittests (CDx) zu mutationsbezogenen Medikamenten.��������� 248

Tab. 3.38 CDx-Tests von Roche (in Entwicklung oder auf dem Markt) ����������������������������������������������������� 250

Tab. 3.39 Vom vfa gelistete diagnostische Pflichttests für Medikamenten-Anwendungen. ������������� 251

Tab. 3.40 Biomarkerbasierte (personalisierte) Medizin nach Zahlen.������������������������������������������������������� 253

Tab. 3.41 Fermentativ hergestellte Grundchemikalien (organische Säuren) ����������������������������������������� 259

Tab. 3.42 Wirtschaftlichkeit von mit biotechnischen Verfahren produzierten


Grundchemikalien in Abhängigkeit vom Zuckerpreis. ��������������������������������������������������������������� 264

Tab. 3.43 Ausgewählte Firmen mit Bezug zur Produktion von Biokraftstoffen


(hauptsächlich ab 2G). ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 276

Tab. 3.44 Biotechnisch hergestellte Aminosäuren. ��������������������������������������������������������������������������������������� 278

Tab. 3.45 Biotechnisch hergestellte Vitamine. ������������������������������������������������������������������������������������������������� 279

Tab. 3.46 Ausgewählte deutsche Unternehmen mit Aktivitäten in der


Weißen Biotechnologie. ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 286

Tab. 3.47 Ausgewählte deutsche Weiße Biotech-Unternehmen (KMU)��������������������������������������������������� 287

Tab. 3.48 Ausgewählte ausländische Unternehmen mit Aktivitäten in der


Weißen Biotechnologie. ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 288

Tab. 3.49 Ausgewählte ausländische Weiße Biotech-Unternehmen (KMU). ����������������������������������������� 289

Tab. 3.50 Übersicht zu Sektoren, die die wirtschaftliche Anwendung der


Biotechnologie unterstützen. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 298

Tab. 3.51 Ausgewählte Firmen mit Aktivitäten im Genome Editing����������������������������������������������������������� 300

Tab. 4.1  Die frühen Wegbereiter der deutschen Molekularbiologie am Institut für Genetik
in Köln. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 320
XXIV Tabellenverzeichnis

Tab. 4.2  Ausgewählte Aktivitäten des Bundes mit Bezug zur Biotechnologie,
Ende 1960er- bis 1970er-Jahre. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 327

Tab. 4.3  Übersicht zu den ab 1982 gegründeten Genzentren. ����������������������������������������������������������������� 332

Tab. 4.4  Ausgewählte Aktivitäten des Bundes mit Bezug zur Biotechnologie, 1980er-Jahre. ����������� 335

Tab. 4.5  Ausgewählte Aktivitäten des Bundes mit Bezug zur Biotechnologie, 1990er-Jahre. ������������� 339

Tab. 4.6  Vergleich von Eckdaten des VC-Marktes in Deutschland (D) und
den USA, 1990 bis 2001. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 346

Tab. 4.7  Vergleich früher »biotech-relevanter« Rahmenbedingungen in den


USA und Deutschland. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 350

Tab. 4.8  Eckdaten der deutschen und US-amerikanischen Volkswirtschaft. ��������������������������������������� 351

Tab. 4.9  Ausgewählte Aktivitäten deutscher Chemie- und Pharma-Firmen in der


modernen Biologie. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 352

Tab. 5.1  Meilensteine bei Rentschler Biotechnologie und seinen Vorgänger-Firmen. ��������������������� 369

Tab. 5.2  Ausgewählte deutsche Firmengründungen aus den 1980er-Jahren,


die heute noch aktiv sind. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 369

Tab. 5.3  Ausgewählte deutsche Firmengründungen der 1. Hälfte der 1990er-Jahre,


die heute noch aktiv sind. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 373

Tab. 5.4  Kapitalmaßnahmen deutscher börsennotierter Biotech-Unternehmen im Jahr 2004. ����������� 384

Tab. 5.5  Ausgewählte Biotech-VC-Finanzierungen nach Erlös (Mio. €)


in den Jahren 2005 bis 2007. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 389

Tab. 5.6  Top-Allianzen deutscher Biotech-Firmen nach potenziellem Wert in den


Jahren 2005 bis 2007. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 391

Tab. 5.7  Ausgewählte Top-VC-Runden deutscher Biotech-Firmen nach Erlös (Mio. €) in den
Jahren 2007 bis 2011����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 399

Tab. 5.8  Top-Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen nach potenziellem Wert


in den Jahren 2008 bis 2011. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 402

Tab. 5.9  Ausgewählte Produkte des nicht-therapeutischen Sektors. ����������������������������������������������������� 407

Tab. 5.10 Top-Übernahmen deutscher Biotech-Unternehmen nach Wert


in den Jahren 2008 bis 2011. �������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 407

Tab. 5.11 Das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung ��������������������������������� 414


XXV
Tabellenverzeichnis

Tab. 5.12 Ausgewählte BMBF-Förderschwerpunkte im Rahmen der Bioökonomie. ��������������������������� 415

Tab. 5.13 Bundesinitiativen mit Bezug zur biotechnologischen Forschung und Innovation. ����������� 417

Tab. 5.14 Ausgewählte Top-VC-Runden deutscher Biotech-Firmen in den


Jahren 2012 bis 2014. ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 424

Tab. 5.15 Kapitalmaßnahmen deutscher börsennotierter Biotech-Unternehmen


in den Jahren 2012 bis 2014. ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 425

Tab. 5.16 Top-Allianzen deutscher Biotech Unternehmen seit 2012. ������������������������������������������������������� 428

Tab. 5.17 Ausgewählte deutsche Biotech-Unternehmen mit


neuartigen therapeutischen Ansätzen. ������������������������������������������������������������������������������������������� 429

Tab. 5.18 Ausgewählte Kennzahlen zur biopharmazeutischen Industrie in Deutschland. ��������������� 434

Tab. 5.19 Ausgewählte, noch in der Medikamenten-Entwicklung befindliche US-Biotech-


Unternehmen mit einem Marktwert (Ende 2014) von über 1 Mrd. US$. ������������������������������� 436
1 1

Was ist Biotechnologie


eigentlich?
Zusammenfassung
Relevanz des Themas, Übersicht zur Entwicklung des Begriffes »Biotechno-
logie« und Erläuterung, was darunter zu verstehen ist. Abgrenzungen zu den
ähnlichen Begriffen Biotechnik und Bionik. Darlegung gängiger Definitionen
zur Biotechnologie und Erklärungen zu den Begriffen Genetik, Gentechnologie
und Molekularbiologie als Teilgebiete der Biotechnologie und Biologie. Über-
sicht zu Meilensteinen der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung.

1.1 Begriffe und Definitionen rund um die Biotechnologie – 3


1.1.1 Der Begriff Biotechnologie: vom Schwein zur Mikrobe – 5
1.1.2 Biotechnologie als die Nutzung biologischer Strukturen, Funktionen
und Prozesse – 5
1.1.3 Biotechnologie oder Biotechnik? Und was ist Bionik? – 6
1.1.4 Klassische Definitionen zur Biotechnologie – 7
1.1.5 Genetik, Gentechnologie und Molekularbiologie als Teilgebiete der
Biotechnologie und Biologie – 8

1.2 Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie – 11


1.2.1 Mitte 17. bis Mitte 20. Jahrhundert: die ersten 300 Jahre – 12
1.2.2 Mitte der 1940er- bis Mitte der 1960er-Jahre: 20 Jahre für die molekula-
re Basis bei gleichzeitiger Nutzung der klassischen Biotechnologie – 15
1.2.3 Mitte der 1960er- bis Anfang der 1980er-Jahre: 15 Jahre für grundle-
gende Gentechniken und die erste kommerzielle Anwendung – 18
1.2.4 Die 1980er-Jahre bis 2000: nochmals 20 Jahre bis zur Entschlüsselung
des menschlichen Genoms – 20
1.2.5 Post-2000: die wissenschaftliche Entwicklung seit der
Jahrtausendwende – 24
1.2.6 Zusammenfassende Charakterisierung der »neuen«
Biotechnologie – 27

Literatur – 29

J. Schüler, Die Biotechnologie-Industrie,


DOI 10.1007/978-3-662-47160-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
2 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

»» Am Anfang war das Wort: Biotechnologie. 55 »Biotechnologie steht an der Börse hoch im
1 Mehr nicht, denn Deutschland war öd und Kurs: Medizinische Meilensteine, milliarden-
leer. Die wenigen Götter hatten es sich in den schwere Übernahmen, spektakuläre Kursge-
Tempeln der Grundlagenforschung gemütlich winne. Biotech-Aktien sind kein Zockerinvest-
gemacht. Da erschien eines schönen Tages der ment mehr. Die Branche gilt als hochspannend
Prometheus der deutschen Biotechnologie, und lukrativ wie nie« (Eckert 2015a). Oder:
Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deut- 55 »Riesenschub für Aktien von Biotech-Firmen:
schen Forschungsgemeinschaft, um Deutsch- Medizin-Titel haben dieses Jahr bereits mehr
land eine Biotech-Industrie zu geben. Die Idee als ein Drittel an Wert gewonnen. Deutsche
hatten auch andere, aber nur Winnacker hatte Pharmariesen auf der Jagd« (Eckert 2015b).
das Feuer, um der Biotechnologie so richtig
einzuheizen. Er zündelte gegen das restriktive Allerdings ist für den Normalbürger, das heißt
Gentechnik-Gesetz aus den achtziger Jahren, den Nichtfachmann, die Biotechnologie und erst
sorgte dafür, dass Politiker Feuer und Flamme recht die Gentechnik in der Regel ein »Buch mit
für die Biotech-Sache waren und brachte die sieben Siegeln«. Diese Redewendung bedeutet laut
Finanzwelt dazu, im großen Stil Geld zu ver- 7 www.redensarten-index.de: »etwas Unverständ-
brennen. Und es ward Biotech in Deutschland. liches/Unbekanntes; etwas, von dem man nichts
(Karberg 2002) versteht/weiß« (7 »62 Prozent der Bundesbürger
bezeichnen ihren eigenen Wissensstand zur Gen-
Biotech in Deutschland: Dem interessierten Laien technik als ‚eher schlecht‘«).
stehen als Information meist Berichte und Schlag- Oft ist der Allgemeinheit nicht bewusst, dass sich
zeilen aus den Medien zur Verfügung. Diese reich- biotechnologische Anwendungen im Alltag finden.
ten beispielsweise von »Verwalter furchteinflößen- Ein gutes Beispiel sind Waschmittel, die bereits bei
der Macht« aus dem Jahre 1977 bis zu »Goldgräber niedrigeren Temperaturen waschen und somit Ener-
im Genlabor« aus dem Jahre 2000 – beide veröffent- gie sparen. Sie enthalten spezielle Enzyme (Biokataly-
licht vom Spiegel. Und jüngst – im März 2015 – titelte satoren) aus gentechnisch optimierten Mikroorganis-
ein Artikel im manager magazin online 7 »Klamme men. Oder Jeanshosen, bei denen ebenfalls spezielle
Hoffnungsbranche: Biotech-Startups – der gnaden- Enzyme den Stonewashed-Effekt bewirken. Häufiges
lose Kampf ums knappe Geld«, basierend auf dem Waschen mit Bimssteinen erzielte diesen früher, und
Ereignis, das auch Die Welt verkündete: »Bill Gates entsprechend hoch war der Wasserverbrauch. Die
investiert in Biotech ‚Made in Germany‘«. meisten von uns kennen jedoch Begriffe wie »Gen-
Den Medien ist die Biotechnologie und vor al- tomate«, »Genmais« oder »Genkartoffel«. Daran
lem das Teilgebiet der Gentechnik immer wieder denken sie, wenn nach Biotechnologie gefragt wird.
eine Schlagzeile wert. Die Umstrittenheit und damit Vielleicht haben sie auch im Kino die Filme Jurassic
verbundene Emotionalität des Themas bieten den Park oder Gattaca gesehen. Bei allen Fällen steht eine
Journalisten attraktive Ansatzpunkte, um sich die negative Wahrnehmung von möglichen Gefahren
Aufmerksamkeit des Lesers zu sichern. So schaf- und Manipulation durch Gentechnik, einem Teilge-
fen es Berichterstattungen und Kommentare über biet der Biotechnologie, im Vordergrund.
Chancen und Risiken der Gentechnik bis in die gro- Am ehesten bekannt und mit einer positiven
ßen Tageszeitungen oder Magazine. Über die Akti- Wahrnehmung verbunden, sind Anwendungen der
vitäten von Firmen und Investoren sowie die Ent- Biotechnologie in der Medizin, wie die Behandlung
wicklung von Aktien und der Branche allgemein von Krebs mit neuartigen Medikamenten. Inwie-
schreibt vor allem die Wirtschaftspresse gerne. weit hier die Biotechnologie beziehungsweise Bio-
Vielleicht ist es dem einen oder anderen noch tech-Industrie involviert ist, ist der Bevölkerung
in Erinnerung, wie zur Jahrtausendwende Biotech oft kaum geläufig. Dagegen erfährt die Pharma-In-
auch in Deutschland ein heißes Thema war, in das dustrie als Lieferant von Arzneimitteln meist eine
viel Geld investiert und auch wieder verloren wur- negative Einschätzung als profitgierig und Kosten-
de. Und heute heißt es erneut: treiber im Gesundheitswesen.
1.1 • Begriffe und Definitionen rund um die Biotechnologie
3 1

»Klamme Hoffnungsbranche: Biotech-Startups – der gnadenlose Kampf ums knappe Geld«


»Wie reichlich die Mittel in einer In- schreiben hiesige Wirtschaftsblätter Immatics im Februar diesen Jahres
dustrie fließen lässt sich leicht daran seitenlange Titelgeschichten – so als riesigen Erfolg, Fördermittel von
erkennen, welche Aufmerksamkeit ungewöhnlich ist das Engagement bis zu 19,6 Millionen Dollar aus dem
einzelnen Investments gewidmet des reichsten Mannes der Welt bei US-Bundesstaat Texas zu erhalten.
wird. Erhält ein Startup im Silicon der Tübinger Firma Curevac. Schließ- … Ein schöner Beweis, dass die
Valley 50 Millionen Dollar Venture lich sind hochinnovative junge hiesigen Wissenschaftler weltweit
Capital, verkünden das heutzutage Medizinunternehmen wie der Impf- Anerkennung finden. Doch leider
höchstens noch die Empfänger der stoff-Entwickler hierzulande eher dümpeln die Biotech-Firmen, die sie
Geldspritze in einer Pressemeldung. chronisch klamm. Nur höchst selten gründen, sehr viel häufiger mit mick-
Steigt hingegen Bill Gates bei einem kommt ein größerer Geldsegen rigen Umsätzen in den roten Zahlen
deutschen Biotech-Unternehmen über sie. So verbucht es etwa die herum als durch Millionendeals
mit 46 Millionen Euro ein, dann ebenfalls in Tübingen angesiedelte Furore zu machen« (Müller 2015).

Für beide Industrien bedeutet dies eine große 1.1 Begriffe und Definitionen rund
Herausforderung in der Kommunikation. Denn um die Biotechnologie
aufgrund der großen Unwissenheit (. Abb. 1.1)
überwiegt aus Sicht der Allgemeinheit meist eine Bereits seit mehreren Tausend Jahren vor Christus
negative Einschätzung zur Bio- und Gentechno- ermöglichen biotechnische Verfahren, das heißt
logie. Infolgedessen wird auch die Einschätzung die Nutzung von Mikroorganismen oder deren Be-
der Bedeutung der Biotech-Industrie schwer fallen standteile, den Menschen die Herstellung von Brot,
oder negativ sein. Essig, Wein und Bier. Später kamen noch Käse und
Dies zu ändern, ist Anliegen dieses Buches, Joghurt dazu. Damals war nicht bekannt, welche
denn Biotechnologie ist eine der Schlüsseltechno- biochemischen Prozesse dabei ablaufen und wel-
logien des 21. Jahrhunderts (7 Abschn. 2.4.3). ches Agens dahinter steht, es handelte sich um ein
Die Biotech-Industrie – dieser Begriff wird im überliefertes Handwerk.
Folgenden synonym zum längeren Begriff Biotech- Obwohl dann im 17. Jahrhundert erstmals Zellen
nologie-Industrie verwendet – ist ein neuer, relativ und Bakterien beschrieben wurden (7 Abschn. 1.2.1),
junger Industriezweig, der auf die wirtschaftliche entwickelte sich der Begriff der »Biologie« erst zu
Nutzung der Biotechnologie setzt. Jedoch ist, wie Beginn des 19. Jahrhunderts. So erwähnte und defi-
später noch ausführlicher dargestellt (7 Abschn. 2.4), nierte diesen der deutsche Arzt und Naturforscher
eine strikte Abgrenzung dieser Industrie nicht Treviranus in seinem 1802 erschienenen Hauptwerk
immer einfach. Denn die Biotechnologie findet Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Na-
ebenfalls in klassischen Branchen Anwendung. Es turforscher und Aerzte.
handelt sich hierbei zum Beispiel um die pharma-
zeutische und chemische Industrie sowie um die »» Die Gegenstände unserer Nachforschungen
Nahrungsmittel-, Kosmetik-, Textil- und Agrar- werden die verschiedenen Formen und Er-
industrie. Darüber hinaus kommen die Sektoren scheinungen des Lebens seyn, die Bedingun-
Energiegewinnung sowie Abfall- und Abwasserbe- gen und Gesetze, unter welchen dieser Zu-
seitigung mit der Biotechnologie in Berührung. stand statt findet, und die Ursachen, wodurch
Bevor die Entstehung der Branche, ihr Status derselbe bewirkt wird. Die Wissenschaft, die
quo sowie die Sektoren und Märkte der wirtschaft- sich mit diesen Gegenständen beschäftigt,
lichen Anwendung der Biotechnologie detaillierter werden wir mit dem Namen der Biologie oder
besprochen werden (7 Kap. 2 und 3), erläutern die Lebenslehre bezeichnen. (Treviranus 1802)
beiden nachfolgenden Abschnitte zunächst Begriff-
lichkeiten sowie Meilensteine der wissenschaftli- Des Weiteren definierte der Franzose Lamarck eben-
chen und technischen Entwicklung. falls im Jahre 1802 den Begriff. Biologie leitet sich aus
4 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

1 DER UNWISSENDE EUROPÄER: hat noch nie


über Biotechnologie gehört, gelesen oder
gesprochen, hat nie im Internet danach gesucht 41 %
und keine Veranstaltung besucht. Wissen über
Biologie und Genetik liegt kaum vor

DER ZUSCHAUENDE EUROPÄER: hat bereits


über Biotechnologie in Zeitungen gelesen, in TV
33 %
oder Radio davon gehört und vielleicht darüber
diskutiert

DER AUFMERKSAME EUROPÄER: hat bereits


über Biotechnologie in TV oder Radio gehört, hat
14%
darüber diskutiert und hat vermutlich einiges
theoretisches Wissen zu Biologie und Genetik

DER AKTIVE EUROPÄER: hat bereits über


Biotechnologie in TV oder Radio gehört, hat
darüber diskutiert, Informationen im Internet 12%
gesucht und eventuell eine Veranstaltung zum
Thema besucht

0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 %

. Abb. 1.1 EU-Bürger und ihr Wissen zur Biotechnologie. Erstellt nach Daten von Gaskell et al. (2006)

»62 Prozent der Bundesbürger bezeichnen ihren eigenen Wissensstand zur Gentechnik als ‚eher
schlecht‘«
»Seit Anfang der neunziger Jahre Wirtschaft ist, um den negativ be- dass durch den Verzehr einer gen-
wird der Begriff Gentechnik im setzten Begriff Gentechnik besser zu technisch modifizierten Tomate die
Sprachgebrauch häufig zusammen umschreiben. … die Bundesbürger eigene menschliche Erbsubstanz ver-
mit der Bezeichnung Biotechnologie wissen im Grunde genommen wenig ändert wird … . … die Mehrheit (62
erwähnt. Die Öffentlichkeit reagiert über das Thema Gentechnik: So ver- Prozent) der Männer und Frauen in
zum Teil verwirrt auf die unterschied- treten 44 Prozent der Bevölkerung ganz Deutschland [ist] davon über-
lichen Benennungen und hat Prob- die Ansicht, dass normale Tomaten zeugt, dass sie sich ‚eher schlecht‘
leme, eine konkrete Unterscheidung keine Gene haben und nur verän- über die Gentechnik informiert
zu treffen. Kritiker argwöhnen sogar, derte Früchte über eine eigene DNS fühlen. Weitere 10 Prozent beurteilen
dass die Bezeichnung Biotechno- verfügen. Fast ein Drittel (30 Prozent) ihren Informationsstand sogar als
logie lediglich eine Erfindung der der Deutschen geht davon aus, ‚sehr schlecht‘« (Schönborn 2000).

dem Griechischen von bios (Leben) und logos (Leh- auf dem internationalen Medizinkongress in Lon-
re) ab, eben »Lebenslehre«, wie Treviranus die Wis- don. Er schlug ihn statt der deutschen Bezeichnung
senschaft schon bezeichnete. Von der Medizin ge- »Bakteriologie« vor, da er nicht nur Bakterien, son-
trennte Lehrgänge zur Biologie existieren seit 1860. dern auch andere Mikroorganismen wie Hefen und
Den Begriff der »Mikrobiologie« prägte der Viren untersuchte. Im 19. Jahrhundert etablierte
französische Physiker und Chemiker Pasteur 1881 sich ferner die Bezeichnung »Zymotechnologie«,
1.1 • Begriffe und Definitionen rund um die Biotechnologie
5 1
abgeleitet von dem griechischen Wort zyme (Hefe).
Die Zymotechnologie als Vorläufer der Biotechno- Das Schwein als »Biotechnologische
logie stand zwar im Wesentlichen für das Brauwe- Arbeitsmaschine« und andere Ansichten
sen, galt aber desgleichen für jeden anderen indus- von Ereky
triellen Fermentationsprozess. Ereky, der im Jahre 1919 ungarischer Minister für
Ernährung wurde, befasste sich mit der Etablie-
Was ist Fermentation? rung industrialisierter Schweinemastbetriebe. Das
»Fermentation, c’est la vie sans l’air«, so be- Schwein betrachtete er als Maschine, die sorgfältig
berechnete Futtermengen in Fleisch umwandelte. Er
schrieb es Pasteur (1928). Heute bezeichnet
wies alle Arbeitsvorgänge, bei denen lebende Or-
Fermentation generell alle chemischen Stoff- ganismen aus Rohstoffen Konsumartikel erzeugten,
umwandlungen durch Mikroorganismen und dem Gebiet der Biotechnologie zu. Auch sagte er ein
Enzyme, ob ohne oder mit Sauerstoffzufuhr. biochemisches Zeitalter voraus, das in seiner histori-
Fermentation ist auch der lateinische Begriff schen Bedeutung mit der Steinzeit und der Eisenzeit
vergleichbar sein sollte.
für Gärung, was allgemein für die Zersetzung
von organischen Substanzen steht. So zerfällt
bei der alkoholischen Gärung Zucker unter
Einfluss von Hefen in Kohlensäure und Alkohol. In den späten 1920er-Jahren betonten große
deutsche Enzyklopädien wie Meyers Lexikon und Der
Große Brockhaus bei der Biotechnologie die beson-
dere Bedeutung der Mikroorganismen für Produk-
1.1.1 Der Begriff Biotechnologie: vom tionsprozesse. Im Englischen ist statt biotechnology
Schwein zur Mikrobe oft von bioengineering oder bioprocessing die Rede.

Den Begriff »Biotechnologie« selbst prägte im Jah-


re 1919 erstmals der ungarische Agraringenieur und 1.1.2 Biotechnologie als die Nutzung
Wirtschaftswissenschaftler Ereky in einer Veröffent- biologischer Strukturen,
lichung mit dem Titel Biotechnologie der Fleisch-, Funktionen und Prozesse
Fett-, und Milcherzeugung im landwirtschaftlichen
Grossbetriebe (Ereky 1919). Für ihn war die Biotech- Allgemein gesehen, trifft die Sichtweise von Ereky
nologie ein Prozess, um Rohmaterialien auf biolo- den Kern der Biotechnologie gut und bietet damit
gischem Wege zu veredeln, sprich aus Futter wurde eine einfache Erklärung: Überall, wo mithilfe biolo-
Fleisch. Sein Fokus lag dabei also nicht auf Mikro- gischer Systeme oder Teilen davon auf technischem
organismen (7 Das Schwein als »Biotechnologische Wege Produkte hergestellt werden, wird Biotechnik
Arbeitsmaschine« und andere Ansichten von Ereky). betrieben. Allerdings nicht primär auf der Ebene
Den von Ereky geprägten Begriff Biotechnolo- eines Schweines, sondern von Mikroorganismen
gie nahm später Lindner auf. Lindner war ein deut- (Bakterien, Pilze) oder Pflanzen (-Zellen).
scher Mikrobiologe, der sich mit den an den Gä- Verständlich wird diese Sicht durch den Ver-
rungsprozessen bei der Herstellung von Nahrungs- gleich der kleinsten Einheit lebender Organismen,
und Genussmitteln beteiligten Mikroorganismen der Zelle, mit einer Fabrik. In einer Fabrik gibt es
befasste. Zudem war er Herausgeber der Zeitschrift etwa Werkstore, Werksstraßen, Produktionsstra-
für Technische Biologie. Lindner rezensierte das ßen (eigentliche Fertigung), Vorratsbehälter, Kraft-
Werk Erekys sowie ein ebenfalls 1919 erschienenes werke und ein Management. Genau die gleichen
Buch des dänischen Wissenschaftlers Orla-Jensen Funktionen erfüllen in Zellen die folgenden Struk-
über Milchsäure-produzierende Bakterien. Er er- turen: Poren, endoplasmatisches Reticulum, Poly-
achtete die Ausführungen von Orla-Jensen als den somen/Ribosomen, Vesikel, Mitochondrien und
Inbegriff dessen, was »Biotechnologie« verkörpern Zellkern (. Abb. 1.2). Recht abstrakt gesprochen,
sollte. Er bewirkte zudem, dass der Begriff breiteres ermöglichen diese »Fabrikfunktionen« der Zelle
wissenschaftliches Ansehen erreichte. als biotechnisches Produktionssystem letztlich die
6 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

mRNA
Ribosomen Fertigung

Endoplasmatisches Retikulum Transport

Mitochondrien Kraftwerk

Zellkern Management

Vesikel Lagerung

Pore Pforte

. Abb. 1.2 Die Zelle als Fabrik. Erstellt in Anlehnung an Folienserie 20 Biotechnologie/Gentechnik des Verbandes der
Chemischen Industrie (VCI)

Wandlung, den Transport und die Speicherung von nische Zusammenhänge zur Lösung praktischer
Materie, Energie und Information. Daraus lassen Probleme. Die Technologie ist die Lehre (siehe auch
sich grundsätzlich viele Anwendungsfelder ableiten, oben, griechisch logos = Lehre) und Ausgangsbasis
für eine Übersicht sei hier auf andere Veröffentli- zur Entwicklung von Verfahren und Produkten.
chungen verwiesen (Rosenbaum 1993; Schüler 1996). Das Ergebnis wird als »Technik« bezeichnet und
In der Vergangenheit assoziierte man die Bio- stellt damit die konkrete Anwendung einer oder
technologie fast immer mit dem Begriff »Nahrung«, mehrerer Technologien zur konkreten Problem-
heute steht sie meist mit der Entwicklung neuarti- lösung dar. Die Unterscheidung beider Begriffe
ger Medikamente im Zusammenhang, aber auch ist im Englischen weniger ausgeprägt. Der weitere
mit umweltschonender industrieller Produktion. Text verwendet vor allem das Wort »Technologie«,
um auf das Wissen abzuzielen und die Gesamtheit
der Verfahren und Produkte einzuschließen. Dabei
1.1.3 Biotechnologie oder Biotechnik? wird Biotechnologie öfter mit »Biotech« abgekürzt,
Und was ist Bionik? was im Englischen ebenfalls recht üblich ist.
In Abgrenzung zur Biotechnik umfasst die Bio-
Der allgemeine Sprachgebrauch verwendet die Ter- nik nicht die konkrete Nutzung biologischer Struk-
mini »Technologie« und »Technik« oft synonym. turen und Prozesse, sondern deren Nachahmung.
Beide Bezeichnungen gehen zurück auf die grie- Genauer gesagt, werden die Prinzipien biologischer
chischen Wörter techné (Kunst, Handwerk, Kunst- Systeme imitiert. Daher existieren ferner die Syn-
fertigkeit) und daraus abgeleitet technikos (hand- onyme »Biomimikry«, »Biomimetik« oder »Bio-
werkliches und kunstfertiges Verfahren). Im tech- mimese«. Der Bionik liegt die Annahme zugrunde,
nischen Bereich bedeutet der Begriff »Technologie« dass die belebte Natur durch die Evolution Struktu-
meist das Wissen um naturwissenschaftlich-tech- ren und Prozesse optimiert hat, von denen die Tech-
1.1 • Begriffe und Definitionen rund um die Biotechnologie
7 1
nik lernen kann. Das gängigste Beispiel aus dem Proteine und andere Moleküle – Sequenzierung, Synthese
und Veränderung von Proteinen und Peptiden (einschließlich
Alltag ist der von Klett-Pflanzen inspirierte Klett-
hochmolekularer Hormone); verbesserte Darreichungsformen
verschluss sowie Beschichtungen für Flugzeuge, die für hochmolekulare Wirkstoffe; Proteomik; Proteinisolierung
der Oberfläche von Haifischflossen nachempfun- und -aufreinigung; Aufklärung von Proteinsignalwegen; Iden-
den sind (Reduzierung des Luftwiderstands). tifikation von Zellrezeptoren
Zell- und Gewebekultur/Tissue Engineering – Zell- und
Gewebekultur, Tissue Engineering (inklusive Gewebegerüste
1.1.4 Klassische Definitionen zur und biomedizinische Entwicklungen), Zellfusion, Vakzin- und
Immunstimulanzien, Embryo-Kultivierung
Biotechnologie
Bioverfahrenstechnik – Fermentationen in Bioreaktoren,
Bioprozessierung, biologische Laugung, biologische Zellstoff-
Es existiert eine Vielzahl an Definitionen für den gewinnung, biologisches Bleichen, biologische Entschwefe-
Begriff »Biotechnologie«, das Spektrum reicht von lung, mikrobielle und pflanzliche Umweltsanierung und bio-
eher pathetisch anmutenden bis zu knapp betriebs- logische Filtration
wirtschaftlich geprägten Umschreibungen. So cha- Gen- und RNS-Vektoren – Gentherapie, virale Vektoren
rakterisierte Smith (1990) »Biotechnologie … [als] Bioinformatik – Erstellung von Datenbanken zu Genomen,
das Bemühen zwei außerordentlich erfolgreiche Proteinsequenzen; Modellierung komplexer biologischer Vor-
Entwicklungen, die Evolution des Lebens und die gänge inklusive Systembiologie

vom Menschen aufgebaute Technik, zu verbinden Nanobiotechnologie – Anwendung von Werkzeugen und
Verfahren der Nano- und Mikrosystemtechnik zur Herstellung
und nutzbar zu machen«. Moses et al. (1999) be-
von Hilfsmitteln für die Erforschung biologischer Systeme
greifen Biotechnologie als »making money with sowie Anwendungen in der Wirkstoffdarreichung und in der
biology«. Eine relativ oft zitierte Definition ist die- Diagnostik
jenige der Organisation für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (Organisation for Eco- Diese listenbasierte Definition umfasst einzelne Bio-
nomic Co-operation and Development, OECD). techniken oder Teilgebiete der Biotechnologie. Sie
zeigt außerdem die Angrenzung an andere »nicht-
Biotechnologie-Definition der OECD
biologische« Disziplinen beziehungsweise deren
Ursprünglich: »Biotechnology is the application Überschneidung auf: Verfahrenstechnik, Informatik,
of scientific and engineering principles to the Biochemie, Biomedizin, Nanotechnologie. Zur Be-
processing of materials by biological agents to sprechung der genannten Techniken sei hier auf all-
provide goods and services« (OECD 1989). gemeine Lehrbücher der Biochemie, Biotechnologie,
Aktualisiert im Jahr 2005: »Biotechnology is Mikrobiologie oder Molekularbiologie verwiesen.
defined as the application of science and tech- Um dem Laien das Feld etwas näherzubringen,
nology to living organisms, as well as parts, erscheinen die klassischen Definitionen als nicht
products and models thereof, to alter living wirklich zielführend. Ein erster Versuch hierzu war
or non-living materials for the production of der oben stehende Vergleich einer Zelle mit einer
knowledge, goods and services« (OECD 2015). Fabrik (. Abb. 1.2), um das hinter der Biotechnik
stehende Prinzip des biologischen Produktions-
systems zu veranschaulichen. Noch komplizierter
Die OECD ergänzt diese Definition noch durch wird es allerdings, wenn die molekularen Grund-
eine sogenannte listenbasierte Definition der Bio- lagen dieser Prinzipien näher beleuchtet werden.
technologie, die sieben verschiedene Verfahren Hierzu sei ebenfalls auf weiterführende Literatur
und Methoden listet und mit Beispielen erläutert. verwiesen (z. B. Dellweg 1994; Wolpert 2009;
Goodsell 2010; Renneberg 2012).
Listenbasierte Definition der Biotechnologie der OECD
Biotechnologie wird oft als Teilgebiet der Le-
DNS/RNS – Genomik, Pharmakogenomik, Gensonden, Gen-
benswissenschaften (Life Sciences) erachtet. Diese
technik, DNS/RNS-Sequenzierung/-Synthese/-Amplifikation,
Genexpressionsprofile, antisense-Technologie umfassen zum Beispiel daneben die Medizintechnik
und die Pharmazie. Weiter gefasst wäre ebenso die
8 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

Ernährung einzubeziehen oder die Umwelt, also nung für das Erbmaterial. Auch wenn sich im Deut-
1 alles, was zum Leben dazu gehört. schen bereits häufiger die Abkürzung DNA findet,
wird in dieser Publikation durchgehend die deut-
Lebenswissenschaften nach der Deut-
sche Abkürzung DNS verwendet.
schen Forschungsgemeinschaft (DFG)
»Die Lebenswissenschaften vereinen alle mo- Duden-Definition: Genetik, Gen
dernen und traditionellen wissenschaftlichen Genetik: Wissenschaft, die sich mit den Gesetz-
Disziplinen, die der Erforschung des Lebens ge- mäßigkeiten der Vererbung von Merkmalen
widmet sind. Dies umfasst die Biologie, Medi- und mit den grundlegenden Phänomenen der
zin, Veterinärmedizin, Agrar- und Forstwissen- Vererbung im Bereich der Moleküle befasst
schaften und ihre angrenzenden Gebiete. Diese Gen: Abschnitt der DNA als lokalisierter
Wissenschaften sind von einem hohen Maß Träger einer Erbanlage, eines Erbfaktors, der
an Spezialisierung wie auch interdisziplinärer die Ausbildung eines bestimmten Merkmals
Verknüpfung geprägt, was die Komplexität des bestimmt, beeinflusst (1934 in den Duden auf-
Phänomens ‚Leben‘ reflektiert« (DFG 2014). genommen)

1.1.5 Genetik, Gentechnologie und Bis zu den späten 1950er-Jahren enthielten Lehr-
Molekularbiologie als bücher der Bakteriologie kaum Informationen über
Teilgebiete der Biotechnologie Genetik und Lehrbücher der Genetik kaum Infor-
und Biologie mationen über Bakterien. Und bis in die 1970er-
Jahre hinein gab es zwischen der industriellen
Im Jahre 1906 benutzte der britische Biologe Bate- Mikrobiologie und der wissenschaftlichen Gene-
son erstmals die Bezeichnung »Genetik« als Leh- tik zwar eine Annäherung, aber noch keine feste
re von den Gesetzen der Vererbung. Der Begriff Zusammenarbeit.
stammt von den griechischen Wörtern geneá (Ab- Dennoch fand die Genetik indirekt Verwen-
stammung) und génesis (Ursprung) ab. Der in die- dung in der Industrie, zum Beispiel bei der Produk-
sem Zusammenhang auch bekannte österreichische tion von Mikroorganismen, die höhere Ausbeuten
Mönch Mendel führte zwar bereits früher, Mitte boten. Um dies zu erzielen, war die Mutagenese
des 19. Jahrhunderts, systematische Kreuzungsex- (Erbgutveränderung) mit anschließender Stamm-
perimente mit Erbsen durch und erarbeitete darauf selektion die gewählte Technik. Die genetische Ma-
basierend die nach ihm benannten Mendel’schen nipulation über Mutagenese umfasste den Einsatz
Regeln (Muster, nach welchem Eltern Eigenschaf- chemischer, mutagener Substanzen oder den von
ten an ihre Nachkommen weitergeben). Das Wort Strahlen (z. B. UV-Licht). Sie war ungezielt, das
»Genetik« verwandte er bei seiner Publikation im heißt, Mutationen traten zufällig auf, und es ließ
Jahre 1866 jedoch nicht. 1909 prägte der dänische sich nicht vorhersagen, wo genau es im Genom zu
Botaniker und Genetiker Johannsen den Begriff des einer Mutation kommt. Schon immer »genmani-
Gens als Träger von Erbanlagen, 1910 wurden diese puliert« wurde ansonsten in der Landwirtschaft, so
auf den Chromosomen lokalisiert. Zur selben Zeit in der Pflanzenzüchtung durch Einsatz chemischer
(1909) prägten Levene und Jacobs den Begriff »Nu- Stoffe (7 Chemische Mutagenese in der Pflanzen-
kleotid« für die sich in der Erbinformation wieder- züchtung) oder ionisierender, außerdem atomarer
holende Einheit aus Phosphat, Zucker und Base. Sie Strahlen. Zwischen 1965 und 1990 geschah dies sys-
waren Forscher am New Yorker Rockefeller Institu- tematisch: Nach einer Aufstellung der Internatio-
te of Medical Research und klärten 1929 auf, dass es nalen Atomenergiebehörde sollen etwa 1800 neue,
sich bei dem Zucker um eine Desoxyribose handelt. mit dieser Methode erzeugte Pflanzensorten auf
Daraus leitete sich der Begriff der Desoxyribonu- den Markt gekommen sein (bioSicherheit 2015a).
kleinsäure (DNS, im Englischen deoxyribonucleic In gewisser Weise handelte es sich bei diesen An-
acid = DNA) ab, als die exakte chemische Bezeich- wendungen bereits um »Gentechniken«. Die Gen-
1.1 • Begriffe und Definitionen rund um die Biotechnologie
9 1

Chemische Mutagenese in der Pflanzen- Gentechnisch veränderter Organismus


züchtung »Der Begriff ‚gentechnisch veränderter Organismus‘
»Auch heute wird die chemisch induzierte Mutage- (GVO) ist in verschiedenen europäischen Gesetzen
nese noch in der Pflanzenzüchtung angewandt, um und im deutschen Gentechnik-Gesetz definiert.
Pflanzen mit neuen Eigenschaften zu erhalten, wie ‚Gentechnisch verändert‘ ist ein Organismus, des-
sie mit den Methoden klassischer Pflanzenzüchtung sen genetisches Material in einer Weise verändert
nicht möglich sind. In Kanada gelten neue Pflanzen- worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen
sorten, die durch Mutagenese erzeugt wurden, als durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht
‚neuartig‘. Sie unterliegen den gleichen gesetzlichen vorkommt – so etwa Artikel 2 der europäischen
Bestimmungen wie gentechnisch veränderte Pflan- Freisetzungs- Richtlinie (2001/18/EG)« (bioSicherheit,
zen und werden nur zugelassen, wenn keine Risiken GVO). Folgende Verfahren schließt die Richtlinie ein
für Umwelt und Gesundheit zu erkennen sind. In beziehungsweise aus:
der EU gibt es für neue, aus der Mutationszüchtung 55 Übertragen von rekombinanter (veränderter),
hervorgegangene Pflanzen keine besonderen Be- außerhalb des Organismus erzeugter DNS
stimmungen. Anders als gentechnisch veränderte 55 bestimmte Zellfusions-Verfahren
Pflanzen müssen diese kein Zulassungsverfahren 55 Mutationen erzeugen im Sinne der Gesetze
durchlaufen« (bioSicherheit 2015a). in der Regel keine GVO – auch nicht, wenn sie
künstlich ausgelöst werden.

technik, wie sie heute bekannt ist, entstand in den Wesen mit genetischer Variabilität entstanden sind
1970er-Jahren. Im Englischen werden die Techni- und nach den besten Fähigkeiten zum Überleben
ken meist als genetic engineering bezeichnet. Gene- selektiert wurden. Im natürlichen Rahmen über-
rell schließt die Gentechnologie alle Methoden und schreitet die Fortpflanzung allerdings keine Art-
Verfahren zur Identifikation, Isolation, Charakteri- grenzen, was bei der »künstlichen« DNS-Rekom-
sierung, Synthese, Veränderung und Übertragung binationstechnik der Fall ist. Dies beruht letztlich
von Erbmaterial ein. Sie ist ein Teilgebiet der Bio- darauf, dass DNS universell in jedem lebenden
technologie, so wie die Genetik eine Unterordnung Organismus gleich ist.
in der Biologie hat. In der allgemeinen Bevölkerung Die erste wirtschaftliche Anwendung der neu-
wahrgenommen wird oft der Begriff »gentechnisch en Gentechnik ermöglichte Ende der 1970er-Jah-
veränderter Organismus« (GVO, 7 Gentechnisch re die Übertragung eines menschlichen Gens für
veränderter Organismus). Dabei wird die Biotech- das den Zuckerstoffwechsel regulierende Protein-
nologie oft auf die Gentechnologie reduziert, ob- hormon Insulin in Bakterien. Diese setzten dann
wohl Letztere lediglich eine Art Werkzeug bezie- die neue Erbinformation in menschliches Insulin
hungsweise eine »Hilfswissenschaft« ist. um. Das so großtechnisch produzierte Protein
Eine exakte Bezeichnung ist der Begriff »DNS- wird gleichfalls als gentechnisch hergestelltes oder
Rekombinationstechnik« (im Englischen DNA rekombinantes Insulin bezeichnet. Der Coup zur
engineering), der konkret auf die Möglichkeit Herstellung rekombinanten Insulins gelang im Jahr
der Neukombination von Erbmaterial hinweist 1978 erstmals einer Arbeitsgruppe des City of Hope
(. Abb. 1.3). Diese 1973 erstmals veröffentlichte Medical Research Center in Pasadena, Kalifornien,
Gentechnik ermöglicht, dass Genmaterial jeglicher in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der 1976
Herkunft zum Beispiel in ein Bakterium einge- gegründeten Genentech (. Abb. 1.4).
bracht und mit dessen DNS-Ausstattung »rekom- Nach klinischen Tests kam das erste gentech-
biniert« werden kann. Prinzipiell findet Rekombi- nisch hergestellte Insulin dann 1982 auf den Markt.
nation oder Neukombination von Erbmaterial auch Die Gentechnik hatte damit (noch) nicht ein neues
auf ganz natürliche Weise statt, wenn Ei- und Sa- Medikament geschaffen, sondern ein bis dahin
menzelle des Menschen zusammentreffen und ein sehr aufwendiges Produktionsverfahren abgelöst
Nachkomme entsteht. Gleiches gilt für Tiere und (7 Gentechnisch hergestelltes Insulin).
Pflanzen. Genau genommen basiert die biologische Im Grunde hat die Erforschung der Mole-
Evolution ebenso darauf, dass »neu kombinierte« kularbiologie in den 1940er- und 1950er-Jahren
10 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

1 Bakterium
mit Plasmid
(DNS-Ring) Gen
Donor

menschliche
Zelle
Plasmid mit
Restriktionsenzymen
geschnitten

Gen mit Restriktions-


DNS Ligase verbindet enzymen geschnitten
Plasmid und Gen

Bakterium mit
rekombinantes verändertem Plasmid
DNS Molekül bildet humanes
Protein

Transkription Protein als


Donor Gen Translation
mRNS Produkt

. Abb. 1.3 DNS-Rekombinationstechnik, eine Gentechnik zur Neukombination von Erbmaterial

(7 Abschn. 1.2.2) die Entwicklung der modernen Die Molekularbiologie ist ein Wissenschafts-
gentechnischen Verfahren in den späten 1970er- zweig der Biologie, der sich mit der Erforschung
Jahren ermöglicht. 1938 prägte Weaver, Direktor des Lebens auf der Ebene der Moleküle beschäftigt:
der Natural Sciences Division der Rockefeller-Stif- insbesondere der DNS (Träger des Erbmaterials),
tung in New York, erstmals den Namen für diese RNS (Ribonukleinsäure, Arbeitskopie der DNS
Disziplin. und Basis für die Umsetzung in Proteine) und der
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
11 1

Gentechnisch hergestelltes Insulin


»Bis 1982 wurde Insulin in einem kreasextrakte entdeckten, kam die der Versorgung mit Humaninsulin.
aufwändigen und teuren Verfahren Diagnose von Typ-1-Diabetes einem Ohne Gentechnik und Biotechnolo-
aus der Pankreas von Schlachttieren Todesurteil gleich. Das von Rindern gie wäre das unmöglich: Um diesen
isoliert – pro Diabetiker und Jahr und Schweinen produzierte Hormon Bedarf aus Pankreasextrakt zu de-
waren bis zu 100 Schweinebauch- unterscheidet sich nur wenig vom cken, müssten jährlich 20 Milliarden
speicheldrüsen notwendig. Schon menschlichen, allerdings zeigt ein Schweine geschlachtet werden«
dieses klassisch biotechnologische Teil der damit behandelten Patien- [Anm. d. Verf.: für die Fleischproduk-
Verfahren war ein großer medizi- ten gefährliche allergische Reaktio- tion sind es real etwa 1 Mrd. welt-
nischer Fortschritt: Bis Mediziner nen. … Derzeit profitieren rund 200 weit] (Roche 2008).
im Jahr 1922 die Wirkung der Pan- Millionen Diabetiker weltweit von

der Strukturen, Funktionen und Wechselwirkun-


gen dieser Makromoleküle sowie deren Einfluss
auf die Regulation biologischer Vorgänge. Ziel ist,
das Grundverständnis der Prozesse in einer Zelle
zu verbessern. Anwendung findet die neu gewon-
nene Information zum Beispiel bei der Aufklärung
von Krankheiten und der Wirkungsweise von
Medikamenten.
. Tabelle 1.1 schließt die Erläuterungen zu den
Begrifflichkeiten ab und bietet neben einer Zusam-
menfassung noch die Einführung weiterer Bezeich-
nungen sowie Beispiele. In gewisser Weise greift sie
damit bereits auf die nachfolgenden Kapitel vor,
die dann in weiteren Details historische Meilen-
steine der Biotechnologie und Biotech-Industrie
vorstellen.

. Abb. 1.4 Die Pioniere bei der rekombinanten 1.2 Meilensteine der
Herstellung von Insulin. Von links nach rechts: Keiichi Biowissenschaften und
Itakura, Arthur D. Riggs, William Goeddel, Roberto Crea. Biotechnologie
Wissenschaftler des City of Hope Medical Research Center
in Pasadena (Itakura, Riggs, Crea) und von Genentech
Biotechnologie beruht auf der technischen Nut-
(Goeddel, Kleid – nicht auf dem Foto) gewannen ein
Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Team von William Rutter zung der Erkenntnisse biowissenschaftlicher For-
an der University of California in San Francisco sowie dem schung. Im 17. Jahrhundert entdeckten Forscher
Labor von Walter Gilbert in Harvard. Alle hatten zum Ziel, erstmals pflanzliche und menschliche Zellen sowie
das Gen für Humaninsulin in Bakterien einzubauen und Mikroorganismen. Es ist aber erst seit etwa Mit-
diese dann Insulin produzieren zu lassen. Der Ansatz der
te des 19. Jahrhunderts bekannt, dass Letztere bei
Siegergruppe basierte auf einem chemisch synthetisier-
ten Gen, was sich später als großer Vorteil herausstellte, den biotechnologischen Anwendungen eine Rolle
weil die Verwendung von humanem Genmaterial regula- spielen. Die wissenschaftlichen und technischen
torisch noch nicht geklärt war. (Foto: Courtesy of City of Entwicklungen in der Mikrobiologie und Biover-
Hope Archives) fahrenstechnik ermöglichten Anfang bis Mitte des
20. Jahrhunderts eine erste industrielle Nutzung
Proteine (Eiweißkörper mit vielfältigen Zellfunk- der Biotechnologie.
tionen). Im Mittelpunkt stehen die Beschreibung
12 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

. Tab. 1.1 Historische Trends und Begrifflichkeiten in der Biotechnologie. (Quelle: BioMedServices (2015) nach
1 Schüler (1996) sowie Bertram und Gassen (1990))

Zeitraum/Ära Trend Verfahren Produkte

Vor 1865/ Traditionelle Nutzung bei Alkoholische, Milchsäure- u. Wein, Bier, Essig, Sauerteig,
Prä-Pasteur Nahrungsmittelherstellung Essigsäuregärung Käse, Joghurt

Traditionelle Biotechnologie

1865–1940/ Verfahren ohne absoluten Biomasse, Fermentation, Bäcker- und Futterhefe,


Pasteur Ausschluss von Fremd- Oberflächenkultur, aerobe Butanol, Aceton, Ethanol,
keimen ­Abwasserklärung Zitronensäure

1940–1960/ Verfahren unter Ausschluss Steriltechnik, mikrobielle Stoff- Penicillin u. a. Antibiotika,


Antibiotika von Fremdkeimen und mit umwandlungen, Submersver- Virus-Impfstoffe, Cortison,
selektionierten Stämmen fahren, tierische Zellkulturen Vitamin B12, Ovulations-
hemmer

Klassische Biotechnologie

1960–1975/ Integration und Anwen- Immobilisierung von Enzymen Enzyme (Waschmittel),


Post-Antibiotika dung wichtiger Forschungs- u. Zellen, mikrobielle Her- Isomerase (Fruktosesirup),
ergebnisse aus Naturwis- stellung von Biopolymeren, Polysaccharide (Xanthan),
senschaft und Technik anaerobe Abwasserklärung, in- Biogas, Einzellerprotein, In-
dustrielle alkoholische Gärung dustrie-Alkohol (Gasohol)

Moderne Biotechnologie

Phasen bis hier = alte Biotechnologie

Ab 1975 Gezielte Optimierung von DNS-Rekombinationstechnik, Rekombinante therapeuti-


Organismen, vorhersagbare Zellfusionstechnik sche Humanproteine und
Bioprozesstechnik Impfstoffe, monoklonale
Antikörper

Molekulare Biotechnologie = neue Biotechnologie

1.2.1 Mitte 17. bis Mitte 20. »» In his famous book of 1793 he [de Lavoisier]
Jahrhundert: die ersten 300 gave a phenomenological description of fer-
Jahre mentation. Concluding on the products he
stated that ‘...when the fermentation is com-
An den Beginn dieser Periode fiel die Entdeckung plete the solution does not contain any more
der Pflanzenzellen sowie der Mikroorganismen. sugar....’ . ‘So I can say: juice = carbon dioxide +
Der niederländische Wissenschaftler van Leeu- alkool’. (Buchholz und Collins 2010)
wenhoek untersuchte mit seiner Erfindung, dem
Mikroskop, kleine einzellige Organismen, die er Knapp 50 Jahre später, 1837, wiesen unabhän-
»animalcules« nannte. Ende des 17. Jahrhunderts gig voneinander die beiden deutschen Forscher
veröffentlichte der deutsche Chemiker und Me- Schwann und Kützing die Bedeutung von Hefen
diziner Stahl ein Werk über die Zymotechnia fun- bei der alkoholischen Gärung nach. Der berühmte
damentalis oder Allgemeine Grund-Erkänntniß der französische Chemiker Pasteur legte dann mit sei-
Gährungs-Kunst. Es sollte noch weitere 100 Jahre nen Entdeckungen ab 1857 den Grundstein für die
dauern, bis Ende des 18. Jahrhunderts der franzö- angewandte Mikrobiologie. Er setzte erstmals das
sische Chemiker de Lavoisier erstmals den alkoho- Mikroskop zur Verlaufskontrolle der Wein- und
lischen Fermentationsvorgang beobachtete, was er Essigherstellung ein und entwickelte die Reinkultur
1793 veröffentlichte. von Mikroorganismen sowie die Sterilisation ihrer
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
13 1
Nährmedien (Pasteurisieren). In der Ära nach Pas- ren mittels Röntgenstrahlen in 1913, wofür Vater
teur kamen biotechnische Verfahren ohne absolu- und Sohn Bragg, ein britisches Forscherteam, 1915
ten Ausschluss von Fremdkeimen auf, so beispiels- den Nobelpreis erhielten. Nobelpreise wurden erst-
weise die Fermentation und Oberflächenkultur von mals mit Beginn des 20. Jahrhunderts verliehen, ei-
Mikroorganismen zur Herstellung von Butanol, nige davon ebenfalls an deutsche Forscher für ihre
Aceton, Ethanol und Zitronensäure. Ab Anfang des Arbeiten zum Ende des 19. Jahrhunderts. Diese
20. Jahrhunderts erfolgten diese im industriellen Ehre kam ferner dem deutschen Chemiker Buch-
Maßstab. Die Fermentation nutzte man zudem zur ner zuteil, der 1897 die zellfreie, nur auf Enzymen
Biomasseproduktion von Bäcker- und Futterhefe. beruhende Gärung entdeckte, was als Startpunkt
Während des Ersten Weltkrieges (1914–1918) er- der Biochemie gilt. Seine Erkenntnisse formulierte
möglichte die mikrobielle Fabrikation von Aceton er wie folgt:
und Glycerin, die als Rohstoffe zur Produktion von
Sprengstoff eingesetzt wurden, der Fermentations- »» As the agent of the fermentation effect a
industrie einen ersten Auftrieb. Nach der Zufalls- soluble substance has to be acknowledged,
entdeckung der antibakteriellen Wirkung von Pe- without doubt a protein body: it shall be called
nicillin durch Fleming im Jahr 1928/1929 bediente zymase. (Buchholz und Collins 2010)
während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) die
biotechnische Erzeugung die Nachfrage nach die- Der Biochemiker lieferte damit ein neues Konzept,
sem Antibiotikum. Im öffentlichen Bereich war die das das bis dahin fast 100 Jahre lang vorherrschen-
Einführung der aeroben und anaeroben mikrobiel- de Dogma versteckter mysteriöser lebender Kräf-
len Abwasserreinigung um 1900 ein Meilenstein bei te (vis vitalis) der Fermentation ablöste. Die Bio-
der Prävention von Seuchen. chemie entwickelte sich dann am Anfang des 20.
Die weitere Erforschung der Zellen führte erst Jahrhunderts in zwei Richtungen: Wie wandeln
gut 150 Jahre nach ihrer Entdeckung zu neuen Er- sich Moleküle (insbesondere Zuckermoleküle) in-
kenntnissen: die Beobachtung von Zellkernen 1831 nerhalb von Organismen um, und wie lassen sich
durch den schottischen Botaniker Brown, die er die Akteure dieser Transformation – Enzyme und
»Nucleus« benannte. Nur knapp 40 Jahre später andere Proteine – charakterisieren? Ein hierbei be-
(1869) beschrieb erstmals der Schweizer Forscher deutender Meilenstein war 1937 die Aufklärung des
Miescher in Tübingen das Erbmaterial »Nuklein«, Citratzyklus durch Krebs (daher auch Krebs-Zyk-
ohne seine chemische Zusammensetzung zu ken- lus genannt). Der zuletzt an der Universitätsklinik
nen. Der US-amerikanische Genetiker Morgan Freiburg tätige deutsche Mediziner und Bioche-
klärte mithilfe von Kreuzungsversuchen an der miker floh 1933 vor dem Nazi-Regime nach Groß-
Taufliege Drosophila 1910 die grundlegende Struk- britannien, wo er – gefördert von der New Yorker
tur von Chromosomen auf, die zuvor (1871) der Rockefeller-Stiftung – seine Entdeckungen machte.
deutsche Biologe Flemming erstmals als Träger des In Großbritannien führten 1937 zudem die Wissen-
Erbmaterials beschrieb. 1890 erforschte der deut- schaftler Bernal und Hodgkin erste Röntgenstruk-
sche Mediziner von Behring zum ersten Mal die turanalysen an Proteinen durch.
Antikörper, zu deren Struktur 1897 der deutsche Noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts
Arzt Ehrlich die ersten Theorien aufstellte. Eben- entfielen, wie aus . Tab. 1.2 ersichtlich, viele der
falls ein Deutscher, der Chemiker Fischer, erkannte grundlegenden Entdeckungen und Entwicklungen
1894 das Schlüssel-Schloss-Prinzip (Spezifität) der auf Europa und vor allem auch auf Deutschland. Ab
Enzymreaktionen. Er gilt als Begründer der klassi- den 1940er-Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt
schen organischen Chemie. der Forschung in die USA. Dort klärten Wissen-
Auch Erkenntnisse aus der Physik spielen in der schaftler innerhalb von 20 Jahren viele molekular-
biowissenschaftlichen Forschung eine große Rolle. biologische Fragestellungen zu Struktur und Funk-
So die Erfindung der Analyse von Kristallstruktu- tion von Genen und Proteinen auf.
14 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

. Tab. 1.2
1
Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften bis 1945. (Quelle: BioMedServices (2015))

Jahr Meilenstein Wer? Wo?

1665 Entdeckung von Pflanzenzellen Robert Hooke GB


1673 Entdeckung menschlicher Zellen und Mikroorganismen Antoni v. Leeuwenhoek NL
1697 Buch Zymotechnia fundamentalis Georg Ernst Stahl D

1793 Beobachtung und Beschreibung der alkoholischen Gärung Antoine L. de Lavoisier F


1806 Erste Identifikation einer Aminosäure Louis-Nicolas Vauquelin & Pierre Jean F
Robiquet
1817 Identifikation von Chlorophyll (pflanzlicher Farbstoff ) Joseph Caventou & Pierre Pelletier F
1817 Entwicklung des Keimblatt-Modells (Zellschichten, Embryo) Heinz Christian Pander D
1818 Alkoholische Gärung ist ein mit Pflanzenleben P. Friedrich Erxleben D
verknüpfter chemischer Vorgang
1831 Entdeckung des Zellkerns (»Nucleus«) Robert Brown GB
1837 Alkoholische Gärung durch Hefe (»Zuckerpilz«) Theodor Schwann/Friedrich Kützing D
1838 Pflanzen und Tiere bestehen aus Zellen (Zelltheorie) Matthias Schleiden & Theodor Schwann D
1857 Entdeckung der Milchsäuregärung Louis Pasteur F
1864 Erhitzen tötet Mikroorganismen ab (Pasteurisieren) Louis Pasteur F
1865 Erstellung grundlegender Gesetze der Vererbung Gregor Mendel CZ
1869 Entdeckung des Erbmaterials (»Nuklein«) Friedrich Miescher D
1871 Entdeckung der Chromosomen (Träger Erbmaterial) Walther Flemming D
1876 Entdeckung von Bakterien als Krankheitserreger Robert Koch D
1878 Prägung des Begriffes »Enzym« (statt Ferment) Wilhelm Kühne D
1879 Entdeckung der Essigsäurebakterien Emil C. Hansen DK
1890 Entdeckung von Antikörpern (passive Impfung) Emil von Behring D
1894 Spezifität von Enzymen: Schlüssel-Schloss-Prinzip Emil Fischer D
1897 Zellfreie Fermentation (Gärungsenzyme in Hefen) Eduard Buchner D
1897 Antikörper haben Seitenketten (Rezeptortheorie) Paul Ehrlich D
1899 Erste Entdeckung eines Antibiotikums (Pyocyanase) Rudolph Emmerich & Oscar Löw D
1910 Chromosomen tragen Genanlagen Thomas Hunt Morgan US
1916 Biotechnische Herstellung von Aceton und Butanol Chaim Weizmann GB
1917 Biotechnische Herstellung von Zitronensäure James Currie US
1922 Entdeckung von Insulin, erste Patientenbehandlung Charles Best & Frederick Banting KAN
1926 Änderung des Erbguts durch Bestrahlung (Mutation) Hermann J. Muller US
1928 Entdeckung von Penicillin Alexander Fleming GB
1937 Entdeckung des Citratzyklus Hans Adolf Krebs GB
1941 Ein-Gen-ein-Enzym-Hypothese George Beadle & Edward Tatum US
1944 DNS (nicht Proteine) ist Träger der Erbinformation Theodore Avery US

CZ Tschechien, D Deutschland, DK Dänemark, F Frankreich, GB Großbritannien, KAN Kanada, NL Niederlande, US United


States; spätere Nobelpreisträger sind fett markiert; Schrägstrich steht für konkurrierende, & für gemeinsame Entwicklung
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
15 1
1.2.2 Mitte der 1940er- bis Mitte der tionshemmern. Weitere Produkte waren beispiels-
1960er-Jahre: 20 Jahre für die weise Biopolymere, Einzellerprotein, Waschmittel-
molekulare Basis bei enzyme, Labferment, Polysaccharide (Xanthan)
gleichzeitiger Nutzung der und Fruktosesirup.
klassischen Biotechnologie Die beschriebenen Entwicklungen der Bio-
technologie basierten auf der angewandten Mik-
Die Feststellung des US-amerikanischen Moleku- robiologie und Biochemie. Es handelte sich dabei
larbiologen Avery im Jahre 1944, dass Desoxyribo- im Grunde um eine »phänomenologische Anwen-
nukleinsäuren (DNS) und nicht Proteine Träger des dung« von Mikroorganismen und deren Bestand-
Erbmaterials sind, legte den Fokus weiterer Unter- teilen, sozusagen ein Arbeiten mit einer Blackbox,
suchungen auf diese Molekülklasse (. Tab. 1.3). da die molekularbiologischen Grundlagen erst
Basierend auf Röntgenstrukturanalysen erfolgte langsam zeitgleich erforscht wurden.
1953 ein großer Durchbruch mit der Erstellung
Begriffe rund um die Molekularbiologie
des dreidimensionalen Strukturmodells der DNS
Codon – Abfolge von drei Basen-Bausteinen in der mRNS (Bo-
(DNS-Doppelhelix), den Forscher in Großbritan-
ten-RNS), daher auch Triplett genannt, die für eine bestimmte
nien leisteten (Watson & Crick, Franklin). Weitere Aminosäure codiert; das komplementäre Triplett in der tRNS
Meilensteine waren die Aufklärung von Transkrip- (Transfer-RNS) wird als Anticodon bezeichnet; an der passen-
tion und Translation (. Abb. 1.5) beziehungsweise den tRNS ist jeweils die entsprechende Aminosäure gebunden
der dahinterstehenden Strukturen und Prozesse. Es DNS-Ligase – Enzym, das eine Verknüpfung von zwei DNS-
handelte sich um grundlegende Aufklärungen zur Strängen katalysiert
Struktur und Funktion von Mikroorganismen und DNS-Polymerase – Enzym, das die Polymerisation (Anein-
Zellen. anderreihung) von Nukleotiden, den Grundbausteinen der
Nukleinsäuren, katalysiert. Ziel ist die Replikation (Vervielfäl-
Neben diesen Entdeckungen in der Molekular-
tigung) von DNS.
biologie etablierte sich zur gleichen Zeit die klas-
DNS-Sequenzierung – Bestimmung der Abfolge der einzel-
sische industrielle Biotechnologie, das heißt die nen Basen (A, C, G oder T), z. B. in einem Gen
Nutzung von Mikroorganismen für die Produktion Genetischer Code – Der genetische Code ist eine Art Regel
von Medikamenten, Chemikalien und Lebensmit- oder Übersetzungsschlüssel, die/der festlegt, welche Basense-
teln. So waren 1950 bereits über 1000 verschiedene quenz der DNS bzw. mRNS nach Transkription zu welcher Ami-
mikrobielle Antibiotika isoliert, von denen viele in nosäuresequenz der Proteine (Translation) führt; er codiert für
großer Menge Anwendung in der Humanmedizin 22 verschiedene Aminosäuren-Bausteine und ist im Prinzip bis
auf wenige Ausnahmen für alle Lebewesen gleich
(Therapie von Infektionskrankheiten) fanden. Seit
Kompetente Zellen – Grundsätzlich sind Bakterien in der
1950 begann auch die Industrialisierung der ana-
Lage, genetisches Material aus ihrer Umgebung aufzunehmen,
lytischen Biotechnologie, zum Beispiel über die allerdings meist mit geringer Effizienz. Die Behandlung mit Cal-
hochselektive enzymatische Detektion von Meta- ciumchlorid erhöht kurzzeitig die Permeabilität der Zellmemb-
boliten in Körperflüssigkeiten oder Lebensmitteln. ranen und steigert damit die Effizienz der DNS-Aufnahme
Später kam, basierend auf Prinzipien der Immun- Plasmid – Bakterielles Gen-Material, das in Ringform zusätz-
analytik, das Untersuchen mittels Antikörper hin- lich zu Chromosomen vorkommt
zu. Bei der weiteren Entwicklung ab den 1960ern Restriktionsenzym – Restriktionsenzyme (genauer Restrik-
liefen biotechnische Produktionsverfahren unter tionsendonukleasen) sind bakterielle Enzyme, die DNS an be-
stimmten Positionen schneiden können. Die Bakterien nutzen
Ausschluss von Fremdkeimen und mit selektio-
sie natürlicherweise zur Phagenabwehr. Die Nukleasen er-
nierten Stämmen ab. Diese wurden mithilfe klas- kennen (je nach Spezifität) DNS-Abschnitte von vier bis acht
sischer Methoden der chemischen und physikali- Basenpaaren und fungieren innerhalb dieser wie eine mole-
schen Mutagenese optimiert. Submersverfahren, kulare Schere
tierische Zellkulturen, mikrobielle und enzymati- Reverse Transkriptase (= RNS-abhängige DNS-Polyme-
sche Stoffumwandlungen (Biotransformation) so- rase) – Enzym, das – ausgehend von einzelsträngiger RNS –
komplementäre DNS erstellt. Die übliche Prozessrichtung der
wie die Immobilisierung von Enzymen und Zellen
Transkription wird also umgekehrt, was der Zusatz »revers«
ermöglichten zum Beispiel die Produktion von Vi- ausdrückt
rus-Impfstoffen, Cortison, Vitamin B12 und Ovula-
16 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

. Tab. 1.3
1
Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften 1945 bis 1965. (Quelle: BioMedServices (2015))

Jahr Meilenstein Wer? Wo?

1946 Bakterien tauschen Gen-Material über Konjugation aus Edward Tatum & Joshua Lederberg US
1946 Rekombination von Gen-Material bei viraler Replikation Max Delbrück & Alfred Hershey US
1949 Biotechnische Herstellung von Vitamin B12 – –
1949 Isolation von Erythromycin (Antibiotikum) aus Bakterien James McGuire (Fa. Lilly) US
1949 Mutation im Hämoglobin-Gen bewirkt Sichelzellenanämie Linus Pauling US
1950 Basenverteilung und -paarung in der DNS Erwin Chargaff US
1951 Austausch einzelner Chromosomenabschnitte (Transposons = Barbara McClintock US
»springende Gene«) in Mais
1951 Alpha-Helix-Struktur von Proteinen Linus Pauling & Robert Corey US
1952 Extrachromosomale DNS in Bakterien: Plasmide Joshua Lederberg US
1952 Nachweis, dass DNS Träger der Erbinformation ist Alfred Hershey & Martha Chase US
1953 Röntgenbeugungsdiagramme von DNS: Doppelstrang Rosalind Franklin GB
1953 Strukturaufklärung der DNS-Doppelhelix James Watson & Francis Crick GB
1953 Erste komplette Sequenz eines Proteins (Rinderinsulin) Frederick Sanger GB
1954 Erstes Konzept zu Aufbau und Funktion des Immunsystems Niels Kaj Jerne DK
1955 Entdeckung DNS-Polymerase (DNS-Synthese/Replikation) Arthur Kornberg US
1955 Chemische DNS-Synthese Alexander Todd GB
1956 Hypothese zu zentralem Dogma: DNS → RNS → Protein Francis Crick & George Gamov US
1956 46 menschliche Chromosomen: 22 Paare + Geschlechtschro- Joe Hin Tjio & Albert Levan DK
mosomenpaar
1957 Erstes dreidimensionales Modell eines Proteins (Myoglobin) Max Perutz & John Kendrew GB
1959 Operonmodell der Genregulation François Jacob & Jacques Monod F
1960 Proteinsynthese findet in Ribosomen statt François Jacob & Matthew F
Meselson
1960 Enzyme in der Waschmittelindustrie – –
1960 In-vitro-DNS-Synthese Arthur Kornberg US
1960 Fusion von Tumorzellen aus verschiedenen Mausstämmen Georges Barski, Sorieul & Cor- F
(somatische Zellhybridisierung) nefert
1961 Aufklärung des ersten Codons: Poly-U Marshall Nirenberg & Heinrich US
Matthaei
1961 Beschreibung von Stammzellen James Till & Ernest McCulloch KAN
1963 Chemische Synthese von Insulin (Upscaling fraglich) Helmut Zahn D
1964 Beweis zur RNS-Hypothese: »the code carrier« Sydney Brenner GB
1965 Methode zur Bestimmung von Aminosäuresequenzen Pehr Edman AUS
1965 Strukturaufklärung der tRNS (Transfer-RNS) Robert W. Holley US
1965 Mikrobielle Produktion des Labfermentes Rennin (Käse) – –

AUS Australien, D Deutschland, DK Dänemark, F Frankreich, GB Großbritannien, KAN Kanada, US United States; spätere
Nobelpreisträger sind fett markiert; Schrägstrich steht für konkurrierende, & für gemeinsame Entwicklung
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
17 1

DNS – Das chemische MoleküI der Erbinformation


Nucleus Chromosom Chromosomen (23 in jedem
menschlichen Zellkern) sind
»verdichtete« DNS-Spiralen.
DNS besteht aus vier verschie-
denen Bausteinen, den soge-
nannten Basen namens Adenin
Zelle (A), Cytosin (C), Guanin (G) und
Thymin (T). Sie sind vergleichbar
mit verschiedenen Buchstaben,
aus denen Silben, Wörter und
Sätze mit einem bestimmten
Sinn gebildet werden können.
Basenpaar Ihre Abfolge (Sequenz) variiert
A und ergibt als Geninformation
T G
C
T
A
C
T
den Bauplan für verschiedenste
G G
A
C Proteine, die wiederum die Funk-
tions- und Strukturträger in
DNS Zellen sind.

Transkription und Translation:


Proteinbiosynthese

entstehende
Protein als Ribosom tRNS mit
DNS Proteinkette
Produkt Aminosäure
Al
a Gly
Pro
Arg
beladen
Cys Lys
A
GG
mRNS
A

C
CG
C

G A C A TTC
C
T A U C A U C C G C G U G U AA G C
CG
C G
GC
A T
A T
mRNS
U A
G C
Transkription: RNS-Polymerasen lesen die DNS ab und
Codon U A bilden die Boten-RNS (mRNS; messenger RNA, mRNA),
G C
C G
G C
die den Zellkern verlässt und die Bauanleitung für Pro-
C
C G
U G
teine darstellt.
Translation: In der mRNS dienen jeweils 3 »DNA-Bas-
A
A
T

RNS Polymerase en-Buchstaben« als Code für eine Aminosaure. Dieses


sind wiederum die Bausteine für die Proteine. In den Ri-
bosomen erkennt die Transfer-RNS (t-RNS; transfer
Nucleus RNA, tRNA) die Codes in der mRNS und führt jeweils
eine bestimmte an ihr gebundene Aminosaure zu einer
Aminosäurenkette (Protein) zusammen. Es findet also
eine Übersetzung der Geninformation (DNS) über die
mRNS und tRNS in Proteine statt.

. Abb. 1.5 Umsetzung der Geninformation in Proteine – die Funktions- und Strukturträger in Zellen. Chromosomen-
Grafik von Wikipedia (Chromosom), die als Quelle das National Institute of Health benennen mit dem Hinweis »The source
image ‚may be used without special permission‘«
18 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

1.2.3 Mitte der 1960er- bis Anfang der coli with [plasmid] DNA, the restriction enzyme
1 1980er-Jahre: 15 Jahre für business; it was all coming to fruition at the
grundlegende Gentechniken same time. … [The experiment] went very fast.
und die erste kommerzielle It was straightforward. There was not much in
Anwendung the way of struggle. The first experiments more
or less worked. (Boyer in Hughes 2011)
Nachdem bereits 1961 das erste Codon aufgeklärt
wurde, erzielte die molekularbiologische For- Nicht alle Wissenschaftler waren anfangs von der
schung im Jahre 1966 mit der vollständigen Ent- Sicherheit der neuen Methode überzeugt. Sie regten
schlüsselung des genetischen Codes einen weiteren an, ein Komitee zu bilden, das potenzielle Risiken
bedeutenden Meilenstein. bei rekombinanten DNS-Experimenten sowie das
Es war nun klar, wie die Erbinformation der Erstellen von Forschungsrichtlinien untersuchen
DNS als Bauplan für Proteine, die aus Aminosäu- sollte. Dieses Komitee rief im Juli 1974 zu einem
ren aufgebaut sind, fungiert. Das zu wissen, war befristeten Moratorium für bestimmte DNS-Expe-
Grundlage, um später auf Basis künstlich herge- rimente auf. Im Februar 1975, auf der sogenannten
stellten DNS-Materials menschliche, körpereigene Asilomar-Konferenz, trafen und einigten sich rund
Proteine, wie verschiedene Hormone, in großen 100 Molekularbiologen auf Sicherheitsregularien.
Mengen zu produzieren. 1963 erreichten Forscher Die breitere Anwendung der DNS-Rekombi-
zwar die chemische Synthese von Insulin, dem nationstechnik erfolgte damit erst rund zwei Jah-
Hormon, das den Zuckergehalt im Blut reguliert. re nach ihrer Erfindung. Kommerzielles Interesse
Das Verfahren ließ sich jedoch nicht in einen grö- lag zunächst kaum vor, obwohl verschiedene Ex-
ßeren Maßstab umsetzen. Damit war man weiter- perten auf die wirtschaftliche Nutzungsmöglich-
hin auf die Isolierung des Hormons aus tierischem keit hinwiesen. So äußerte bereits im Mai 1974 der
Gewebe angewiesen, was die Gefahr allergischer Nobelpreisträger Lederberg in einem Newsletter
Reaktionen barg sowie meist mit einer gewissen der Stanford University, dass die neue Methode
limitierten Verfügbarkeit verbunden war. den bisherigen Ansatz der Pharma-Industrie, bio-
Verschiedene Werkzeuge für die Gentechnik logische Substanzen wie Insulin oder Antibiotika
entdeckten Wissenschaftler im Zeitraum von 1967 herzustellen, komplett verändern könne. Ein Gut-
bis 1972 (. Tab. 1.4): DNS-Ligasen, Restriktionsen- achten zum Patentantrag der Universitäten von
zyme, Plasmide, reverse Transkriptase, kompetente Stanford und San Francisco (Patent 1980 erteilt)
Zellen. Das Jahr 1973, also 20 Jahre nach der Aufklä- traf folgende Aussage:
rung der DNS-Struktur, markierte dann einen wei-
teren sehr bedeutenden Meilenstein in der moleku- »» This technological development very clearly
larbiologischen Forschung. Die US-Wissenschaft- has immediate applications and probably
ler Cohen (Stanford) und Boyer (San Francisco) represents one of the most outstanding new
vereinten ihre jeweiligen Expertisen über Plasmide developments in molecular biology in recent
und Restriktionsenzyme zu einem Experiment, das years. It is a far-reaching development and has
erstmals die Rekombination von DNS und die Klo- extremely high potential with respect to its
nierung (Vervielfältigung) der neu hinzugefügten commercial application. If the patent is suc-
DNS ermöglichte: Die Erfindung des sogenannten cessful there is little doubt that it represents a
genetic engineering. Mit anderen Worten, sie erfan- potential source of considerable amount of roy-
den eine einfache und effiziente Methode zur Se- alties for the Universities involved. (Hughes 2011)
lektion spezifischer Gene von jedem erdenklichen
Organismus sowie deren akkurate Reproduktion in Auch einer der Erfinder, Boyer, versuchte 1974
reiner Form und unbegrenzter Menge. pharmazeutische Firmen für die wirtschaftliche
Nutzung der neuen Technologie zu gewinnen –
»» Things just came together at that time: the erfolglos, denn sie zeigten kein größeres Interes-
study of small plasmids, transformation of E. se. Letztlich war es er selbst, der später (1976) die
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
19 1

. Tab. 1.4 Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften 1966 bis 1982. (Quelle: BioMedServices (2015))

Jahr Meilenstein Wer? Wo?

1966 Vollständige Entschlüsselung des genetischen Codes Marshall Nirenberg, Robert US


(Identifikation aller DNS-Codes der 22 Aminosäuren) ­Holley & Har Gobind Khorana

1967 Beschreibung des DNA joining enzyme (DNS-Ligasen) = Martin Gellert/Jerard Hurwitz/Ro- US
DNS-Reparaturenzym, »DNS-Kleber« bert Lehman/Charles Richardson

1967 Entdeckung von Restriktionsenzymen (»DNS-Scheren«) Werner Arber CH

1968 Isolation und Weitergabe von Plasmiden in Bakterien Stanley Cohen US

1969 Erste Isolierung eines Gens Jonathan Beckwith US

1969 Entdeckung der Tumorsuppressorgene Henry Harris GB

1970 Herstellung »kompetenter« Zellen mit Calciumchlorid Morton Mandel & Akiko Higa US

1970 Anfärbung von Chromosomen Torbjörn Caspersson & Lore Zech SW

1970 Isolierung von Restriktionsenzymen Hamilton Smith & Daniel Nathan US

1970 Entdeckung der reversen Transkriptase (RNS → DNS) Howard Temin & David Baltimore US

1972 Erste Rekombination von DNS in Plasmide (cut & paste) Paul Berg US

1973 Rekombination und Klonierung: Insertion »fremder« Gene Stanley Cohen & Herbert Boyer US
in ein bakterielles Plasmid und dessen Vervielfältigung

1974 Retrovirale Übertragung von DNS auf Maus-Embryos Rudolf Jaenisch & Beatrice Mintz US

1975 Erste DNS-Sequenzierung Allan Maxam & Walter Gilbert US

1975 Hybridoma-Technik: Fusion von tierischen B-Lymphozyten Georges Köhler & César Milstein GB
mit Myelomzellen zur Antikörperproduktion

1975 Entwicklung des Southern-Blot-Verfahrens (DNS-Analyse) Edward Southern GB

1976 Identifikation von Genen für Zellwachstum und -teilung Michael Bishop & Harold Varmus US

1977 Verfeinerung der DNS-Sequenzierung Fred Sanger GB

1977 Gentransfer in Pflanzen über Agrobacterium tumefaciens Marc Van Montagu & Jozef Schell B

1977 Phänomen des RNA-Spleißens (Gene bestehen aus Introns Phillip Sharp US
[= nicht-codierende DNS] und Exons [= codierende DNS])

1977 Erstes sequenziertes Genom (Bakteriophage ΦX174) Fred Sanger GB

1978 Antisense-Technologie: Unterdrückung der Proteinsynthe- Paul Zamecnik & Mary Stephenson US
se durch »Abfangen« von Boten-RNS-Molekülen

1978 Erstmalige gentechnische Herstellung eines menschlichen Fa. Genentech/William Rutter/­ US


Proteins (Insulin) in einem Bakterium Walter Gilbert (Univ.)

1978 Stabile Produktion rekombinanter Proteine in Säugerzellen Angel Pellicier, Michael Wigler, US
Richard Axel & Saul Silverstein

1980 Patenterteilung zu Cohen-Boyer-Methode (1973) Stanford-UCSF (Univ.) US

1981 Erstes kommerzielles Produkt, basierend auf der Hybrido- Fa. Hybritech US
ma-Technik (1975): Diagnostiktest zur Messung von IgE

1982 Das erste gentechnisch hergestellte Medikament kommt Fa. Genentech & Lilly US
auf den Markt (Humulin: Insulin)

B Belgien, CH Schweiz, Fa. Firma, GB Großbritannien, SW Schweden, Univ. Universität, US United States; spätere Nobel-
preisträger sind fett markiert; Schrägstrich steht für konkurrierende, & für gemeinsame Entwicklung
20 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

. Tab. 1.5 Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften 1980 bis 2000. (Quelle: BioMedServices (2015))
1
Zeitraum Meilensteine

1980–1985 Rekombinantes Humaninsulin und Wachstumshormon, monoklonaler Diagnostik-Antikörper,


transgene Tiere und Pflanzen, Polymerasekettenreaktion (PCR), Protein-Sequenzierer, Isolierung und
Sequenzierung des AIDS-Virus, genetischer Marker für eine Erbkrankheit (Chorea Huntington), DNS-
Fingerprint (molekulare Forensik)

1986–1990 Rekombinante Human-Impfstoffe und Krebs-Medikamente (Interferone), rekombinantes tPA und


Erythropoetin, therapeutischer monoklonaler Antikörper, PEGylierte Proteine, Aptamere, DNS-Chips,
automatisierte DNS-Sequenzierung und -Synthese, OncoMouse, high throughput screening (HTS),
Entdeckung von VEGF (vascular epidermal growth factor; Wachstumsfaktor für Blutgefäße), erster hu-
maner Gentherapie-Versuch, rekombinantes Biopestizid, GVO zur Beseitigung von Ölverschmutzung,
rekombinantes Enzym zur Käseherstellung, Brustkrebs-Gen (auf Chromosom 17: BRCA-1), 1990: Start
des Humangenomprojektes

1991–1995 Kombinatorische Chemie, rational drug design, transgenes Lebensmittel (Flavr Savr), Gen eines
Bakteriums sequenziert, rekombinante Enzymersatz-Therapien, Krebs-Gentherapie, rekombinanter
Faktor VIII und Interleukin, rekombinante Interferone gegen Infektionen und Autoimmunkrankheiten,
BRCA-1 (Brustkrebs-Gen) kloniert und sequenziert, künstliches Chromosom

1996–2000 Herbizid-tolerante Sojabohne, »Goldener Reis«, monoklonale Antikörper gegen Krebs und Autoim-
munkrankheiten, erste »personalisierte« Therapie (Herceptin), therapeutische Fusionsproteine, anti-
sense-Medikament gegen Virusinfektion, Genome von Bakterien und Vielzellern sequenziert, Isolierung
und Vermehrung humaner embryonaler Stammzellen (hESC), Klon-Schaf Dolly, XenoMouse, RNS-Inter-
ferenz, Theorie der Krebsstammzellen, DNS-Chip mit über 6000 Hefegenen, Genom der Fruchtfliege
und erstes Pflanzengenom sequenziert, 2000: menschliches Genom zu 90 % entschlüsselt

Bedeutende Meilensteine in Fettdruck; GVO gentechnisch veränderter Organismus

Firma Genentech gründete (7 Abschn. 2.2.1), und B-Zellen mit Blutkrebszellen zur kontinuierlichen
zwar zusammen mit Swanson, der zuvor seine Antikörperproduktion, die sogenannte Hybrido-
­Stelle bei einem Risikokapital-Unternehmen verlo- ma-Technik. Das erste Genom, das des Bakterio-
ren hatte (Hughes 2011). Genentech war damit das phagen ΦX174, sequenzierte der britische Forscher
erste Unternehmen, das eine wirtschaftliche Ver- Sanger im Jahre 1977. Ein Jahr später, 1978, wurde
wendung seiner Erfindung anstrebte. Ziel war der erstmalig die sogenannte antisense-Technik entwi-
Beweis, dass das neue Verfahren geeignet ist, phar- ckelt. Hierbei bindet ein künstlich hergestelltes Oli-
mazeutische Produkte (hier Somatostatin und In- gonukleotid (kurze Nukleinsäure-Stücke) an DNS
sulin) herzustellen, das heißt, kommerziell genutzt oder RNS und verhindert damit ihr »Ablesen«.
zu werden. Nachdem im August 1978 der Beweis
in Zusammenarbeit mit dem City of Hope Medical
Research Center gelang, bestätigten kurz danach 1.2.4 Die 1980er-Jahre bis 2000:
die Wissenschaftler Rutter (San Francisco) und Gil- nochmals 20 Jahre bis zur
bert (Harvard) die Möglichkeit, ein menschliches Entschlüsselung des
Insulin-Gen in Bakterien einzubringen und dort menschlichen Genoms
zu exprimieren (Geninformation in Protein umzu-
setzen). 1982 schließlich gelangte das erste mittels Der Zeitraum 1980er-Jahre bis zur Jahrtausend-
DNS-Rekombinationstechnik biosynthetisch her- wende bildet eine weitere wichtige Phase in der
gestellte Protein-Therapeutikum, rekombinantes Entwicklung der modernen Biowissenschaf-
menschliches Insulin, auf den Markt. ten. Ausgewählte Meilensteine dazu zeigt die
Weitere Meilensteine in dieser Phase waren . Tab. 1.5 in Fünf-Jahres-Schritten auf. Besonders
1975 die erste DNS-Sequenzierung sowie die Fu- hervorzuheben ist die Erfindung der Polymerase-
sion von tierischen Antikörper-produzierenden kettenreaktion (7 PCR – polymerase chain reaction)
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
21 1

PCR – polymerase chain reaction


»Methode, um die Erbsubstanz DNS dienen und somit eine exponentielle Klonieren von Genen und für Ab-
in vitro [außerhalb des Körpers, im Vervielfältigung ermöglichen. Die stammungsgutachten. Die PCR zählt
Reagenzglas] zu vervielfältigen. PCR wird in biologischen und medizi- zu den wichtigsten Methoden der
Dazu wird ein Enzym verwendet, die nischen Laboratorien für eine Vielzahl modernen Molekularbiologie, und
DNA-Polymerase. Der Begriff ‚Ketten- verschiedener Aufgaben verwendet, viele wissenschaftliche Fortschritte
reaktion‘ beschreibt in diesem Zu- zum Beispiel für die Erkennung von auf diesem Gebiet (z. B. im Rahmen
sammenhang die Tatsache, dass die Erbkrankheiten und Virusinfektionen, des Humangenomprojektes) wären
Produkte vorheriger Zyklen als Aus- für das Erstellen und Überprüfen ohne diese Methode nicht möglich
gangsstoffe für den nächsten Zyklus genetischer Fingerabdrücke, für das gewesen« (Wikipedia, PCR).

durch den US-Amerikaner Mullis (1983/1985) so- der rheumatoiden Arthritis: Humira von AbbVie
wie im Jahr 1986 der erste therapeutische mono- (frühere Pharmasparte von Abbott) und Remicade,
klonale Antikörper (mAK) auf Basis der 1975 von verkauft von J&J sowie Merck & Co. Beide Wirk-
Köhler (ein deutscher Forscher) und Milstein in stoffe stammen ursprünglich von Biotech-Firmen.
Großbritannien erfundenen Hybridoma-Technik. Die britische Cambridge Antibody Technology
Es war ein Maus-Antikörper, der für die Indika- (CAT) produzierte Humira im Auftrag von Knoll
tion Transplantatrejektion hergestellt wurde. Ortho- (frühere Pharmasparte der BASF in Ludwigshafen,
clone, so der damalige Handelsname, ist heute nicht 2001 übernommen von Abbott), und die US-ame-
mehr auf dem Markt erhältlich. Entwickelt wurde rikanische Centocor (1999 gekauft von J&J) entwi-
er von Ortho Biotech, einer damaligen Division der ckelte Remicade. Auch die weiteren drei Antikör-
zur Johnson & Johnson-Gruppe gehörenden Ort- per in der Top-10-Liste stammen ursprünglich von
ho Pharmaceutical Corporation. Weitere acht Jahre Biotech-Gesellschaften: Genentech entwickelte Ri-
verstrichen, bevor 1994 der zweite therapeutische tuxan in Zusammenarbeit mit Biogen sowie Avas-
Antikörper eine Marktzulassung erhielt: ReoPro, tin und Herceptin alleine. Vertriebspartner Roche
ein chimärer (Mischung aus Maus und Mensch) sicherte sich den Pionier Genentech 2009 mit einer
Antikörper gegen akute Herzkomplikationen, ent- kompletten Übernahme. Therapeutische Antikör-
wickelt von dem im Jahr 1979 gegründeten US- per sind also als eine der wichtigsten Errungen-
Unternehmen Centocor. Johnson & Johnson (J&J) schaften der biowissenschaftlichen Forschung und
kaufte Centocor 1999 für 4,9 Mrd. US$ (4,6 Mrd. €) Entwicklung zu erachten.
und fusionierte 2008 das Tochterunternehmen mit Der Start des Humangenomprojektes (HGP),
der anderen Tochter Ortho Biotech zu Centocor einem internationalen Projekt zur vollständigen
Ortho Biotech (seit 2011 umbenannt in Janssen Bio- Entschlüsselung der menschlichen Erbsubstanz,
tech). Insgesamt fünf Antikörper-Medikamente hat war im Jahr 1990 ein weiteres sehr bedeutendes
dieses Unternehmen bis heute auf den Markt ge- Ereignis in dieser Periode. Eine detaillierte Über-
bracht. Therapeutische Antikörper sind heute eine sicht zur Entstehungsgeschichte und zum Verlauf
sehr wichtige Arzneimittelklasse. Ihre Zielgenauig- des Projektes bieten Roberts et al. (2001). Es sollte
keit sowie die relativ geringen Nebenwirkungen zehn Jahre dauern, bis Ende 2000 das Ergebnis fast
sind inzwischen entscheidend in der Therapie von vollständig vorlag. Zum Schluss war es ein Kopf-
Krebs und Autoimmunerkrankungen. an-Kopf-Rennen zwischen dem mit öffentlichen
Wie in 7 Abschn. 3.1.1 ausführlicher dargestellt, Geldern unterstützten HGP-Konsortium sowie der
wächst ihr Markt kontinuierlich, und sie stellen mit im Jahr 1998 gegründeten Celera Genomics. Sie
fünf Vertretern die Hälfte der Top-10-Arzneimittel entstand auf Initiative des Biochemikers Venter,
nach Umsatz weltweit. So belegen therapeutische der sich mit der Firma Applied Biosystems zusam-
Antikörper die Plätze 1 und 3 sowie 6, 7 und 9. Im menschloss und deren neueste DNS-Sequenzier-
Jahr 2014 gingen mit 12,5 und 9,2 Mrd. US$ Umsatz automaten nutzte. Ihnen gelang die Sequenzierung
Platz 1 und 3 an zwei Antikörper zur Behandlung des Genoms mit einem Budget von 300 Mio. US$.
22 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

1 Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms – von den Erwartungen zur Ernüchterung
»Noch im Juni 2000, als die voll- bloß einen Millimeter lang ist, genau Produkte dienen. Die Zahl der Eiwei-
ständige Entschlüsselung fünf Jahre 959 Körperzellen besitzt und prak- ße, die aus den 30.000 menschlichen
eher als geplant feierlich verkündet tisch über kein Gehirn verfügt. Noch Genen entstehen können, schätzen
wurde, sparten Politik und Wissen- ein Jahr zuvor hatte die Fachwelt Experten auf mindestens 90.000;
schaft nicht mit Superlativen. … For- mit 80.000 bis 130.000 menschlichen es könnten aber auch 250.000 sein.
scher verglichen das Projekt mit der Genen gerechnet. … Die Forscher Mit dieser Erkenntnis gewinnt ein
Mondlandung, der Erfindung des in den Labors der Biotech-Firmen anderer Zweig der Molekularbio-
Buchdrucks oder den Erkenntnissen müssen jetzt vorrangig klären, wie logie in Forschung und Industrie
von Galileo Galilei und schwärmten der komplexe Organismus des an Bedeutung – die so genannte
euphorisch von den Möglichkeiten, Menschen überhaupt mit so we- Proteomik, die Untersuchung der
die dieser Meilenstein der Mensch- nigen Genen funktionieren kann. zahlreichen Proteine in den mensch-
heitsgeschichte für die Medizin Erste Erklärungsversuche gibt es lichen Zellen. Deren Erforschung ist
eröffne. … Doch als die vollständi- schon: Die Gene des Menschen sind allerdings wesentlich komplizierter
gen Sequenz-Daten dann Anfang komplizierter aufgebaut als die von und aufwändiger als die Analyse der
2001 veröffentlicht wurden, kehrte Wurm und Fliege – und sie erlauben Gene. Es kommt nicht mehr nur auf
rasch Ernüchterung ein. Denn das mehrere Lesarten. Die genetische den Aufbau der Moleküle an, son-
Ergebnis der Forschungsberichte Information, das wissen Biologen dern auch auf ihre Dynamik: Eiweiße
überraschte selbst ausgewiesene schon länger, wird zwischen dem werden in der Zelle aufgebaut,
Experten: Der Mensch besitzt nur Ablesen am Gen und der Überset- angehäuft, modifiziert, transportiert,
zwischen 26.000 und 40.000 Gene – zung in ein Eiweiß noch überarbei- umgelagert und verdaut. Sie beein-
ungefähr so viel wie die Maus und tet und dabei häufig zerschnitten, flussen andere Proteine ebenso wie
kaum mehr als der haarfeine Faden- gekürzt und umgebaut. So kann ein ihre eigentlichen Urheber, die Gene«
wurm Caenorhabditis elegans, der Gen als Bauanleitung für mehrere (Weß o. J.).

Dies entsprach lediglich einem Zehntel der auf nen Fällen bereits zu neuartigen Therapien führen.
der öffentlichen Seite geplanten Summe von rund Beispielsweise bei Blutkrebs, was allerdings insge-
3 Mrd. US$. Mit den heute zur Verfügung stehen- samt 30 Jahre Entwicklungszeit in Anspruch nahm
den DNS-Sequenziertechniken hätte das HGP in (7 Von der frühen Krebs-Genetik zum spezifischen
einem noch schnelleren Zeitraum sowie zu noch Krebs-Medikament – ein fast 30-jähriger Prozess).
geringeren Kosten abgeschlossen werden können Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung des
(7 Abschn. 3.1.2). Einen ersten Entwurf der Gense- Wissens um die Gensequenz ist die sogenannte
quenz des menschlichen Genoms veröffentlichten personalisierte Medizin (7 Abschn. 3.1.2). Mit dem
die renommierten Fachmagazine Nature (HGP- therapeutischen Antikörper Herceptin führte Ge-
Konsortium) und Science (Celera Genomics) im nentech 1998 die erste personalisierte Therapie zur
Februar 2001. 2004 wurde dann die vollständige Behandlung von Brustkrebs-Patientinnen ein. Der
Humangenomsequenz publiziert. heutige Direktor der Abteilung für Molekularbio-
Die Entschlüsselung des humanen Genoms logie am Max-Planck-Institut für Biochemie in
weckte große Erwartungen auf schnelle Fortschrit- München, der Wissenschaftler Ullrich, leistete da-
te, zum Beispiel bei der Heilung von Krankheiten mals einen wichtigen Entwicklungsbeitrag (7 Axel
(7 Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms Ullrich’s Basisarbeiten für Herceptin). Das Beson-
– von den Erwartungen zur Ernüchterung). Aller- dere an dieser Therapie ist die Personalisierung, das
dings stellte sich heraus, dass die (Dis-)Funktion des heißt, nur bestimmte Erkrankte dürfen das Arznei-
menschlichen Körpers sehr komplex ist und nicht mittel erhalten. Die Auswahl der »passenden« Pa-
immer allein durch die Kenntnis der Gensequenz tientinnen erfolgt auf Basis einer genetischen Dia-
codierender Gene (solche mit einem Bauplan für ein gnose: HER2-Überexpression. Das bedeutet, dass
Protein) erklärt werden kann. Dennoch konnte das das Gen für HER2 (engl.: human epidermal growth
Wissen um veränderte und damit krankhafte Gene factor receptor) vermehrt abgelesen wird, was eine
beziehungsweise deren Proteinprodukte in einzel- erhöhte Anzahl dieses Rezeptors auf der Oberfläche
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
23 1

Von der frühen Krebs-Genetik zum spezifischen Krebs-Medikament – ein fast 30-jähriger Prozess
Chronische myeloische Leukämie Krankheit des Erbgutes! Bei der vererbt oder vererbbar. Warum sie
(CML) ist ein tödlicher Blutkrebs, CML entsteht infolge des Austau- auftritt, ist bisher nicht verstanden.
verbunden mit einer starken Ver- sches von Gen-Bruchstücken ein Ab Mitte der 1990er-Jahre, nachdem
mehrung der weißen Blutkörper- neues, unnatürliches, sogenann- die molekularbiologischen Details
chen. Der deutsche Arzt Virchow tes Fusionsgen (BCR-ABL). Dieses sowie die dreidimensionale Struktur
beschrieb erstmals im Jahre 1845 die stellt den Bauplan für ein Protein, des CML-auslösenden Proteins auf-
Krankheit. Anfang der 1970er-Jahre welches die normale Signalüber- geklärt waren, entwickelte die Firma
entdeckte dann die US-amerikani- tragung in Zellen verändert. Da Novartis einen chemischen Gegen-
sche Forscherin Rowley, dass bei die Signalübertragung in Zellen wirkstoff (Imatinib, Handelsname
CML-Patienten Stücke der Chromo- mit ihrem Wachstum zu tun hat, Glivec). Dieser ist spezifisch in der
somen 9 und 22 vertauscht waren führt die Veränderung schließlich Lage, die Funktion des krankhaften
(Translokation). Gegen Ende der zur unkontrollierten, krankhaften Proteins zu hemmen. 2001 erhielt
1970er-Jahre, nachdem weitere Vermehrung der Blutzellen. Die Glivec als neuartige Klasse an Krebs-
ähnliche Entdeckungen erfolgten, Translokation ist bei CML im Laufe Medikamenten (Kinase-Hemmer)
war man sich sicher: Krebs ist eine des Lebens erworben und nicht die Marktzulassung.

Axel Ullrich’s Basisarbeiten für Herceptin


»The story of Herceptin goes back body against that … [EGF] receptor. factor receptors work is explored in
to the early days of Art Levinson So they were able to purify enough several publications from Waterfield
and Axel Ullrich here at Genentech. of this receptor to make amino acid and Ullrich. Axel’s group went on to
One of Axel Ullrich’s projects was to sequence data. They looked at the clone the gene of the EGF receptor
clone the gene for the epidermal amino acid sequence data, and and to determine its structure, then
growth factor, EGF, and also NGF, they were very surprised to find of the insulin receptor. They each
nerve growth factor. Those were that it was related to an oncogene. have the same characteristics: a part
his very first projects after insulin, The oncogene was named v-erb-B. that goes outside the cell, a trans-
because they’re kind of related. … It’s the avian erythroblastosis virus membrane region, and another part
They’re all small peptides that bind oncogene. It was known in in vitro inside the cell. The inside domain
to cells of a particular type and studies that you could take the virus, has tyrosine kinase activity. The
make them grow. … He cloned the infect cells, and they would become receptor binds to something on the
genes for those, or made them using cancer cells; they would just grow outside and sends a signal to the
synthetic DNA. Axel was very inte- like crazy. That was kind of the inside, and that signal causes phos-
rested in how they bind to the cell simple definition of an oncogene – a phorylation of the receptor inside
and turn the cell on. He was the first gene sequence that would cause the cell. That phosphorylation signal
one to clone the insulin receptor. a cell to transform into a cancer somehow leads to another signal in
Then he cloned the EGF receptor. cell. EGF receptor has amino-acid the nucleus of the cell that activates
He was working with a scientist in sequences that look like this onco- certain genes, and this causes the
England named Michael Waterfield, gene. The relationship between how cells to grow« (Kleid 2002).
and they had a monoclonal anti- oncogenes work and how growth

von Tumorzellen bewirkt. Da der Rezeptor HER2 den Tod der Krebszellen. Ein HER2-positiver Re-
an der Signalübertragung und damit Steuerung von zeptorstatus bringt heute sogar einen signifikanten
Zellwachstum und -vermehrung beteiligt ist, verur- Überlebensvorteil, da er Angriffspunkt für das spe-
sacht die erhöhte Zahl auf den Tumorzellen deren zifisch wirksame Herceptin ist. Der Vorteil gegen-
zusätzliche beschleunigte und unkontrollierbare über klassischer Chemotherapie liegt darin, dass
Vermehrung. Die Krankheit verläuft bei HER2-po- gesunde Zellen verschont und die Therapie meist
sitiven Brustkrebs-Patientinnen somit besonders gut vertragen wird. Eine Errungenschaft, die wiede-
schnell und aggressiv. Herceptin bindet selektiv an rum auf Erkenntnissen der Molekularbiologie be-
HER2, blockiert den Rezeptor und unterstützt so ruht und die ein Biotech-Unternehmen realisierte.
24 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

Herceptin lag 2014 mit knapp 7 Mrd. US$ auf Platz klärung aller Proteinkomplexe des Hefeproteoms.
1 9 der zehn umsatzstärksten Medikamente weltweit. Dies gelang der im Jahr 2000 aus dem Heidelberger
Beide Beispiele verdeutlichen, dass das wir- EMBL (European Molecular Biology Laboratory)
kende Medikament letztlich nicht ein bestimmtes ausgegründeten Biotech-Firma Cellzome (heute zu
Gen, sondern das Genprodukt, das Protein, zum GlaxoSmithKline gehörend). Mit der Veröffentli-
Ziel hat. Dies ist bei den meisten Arzneimitteln der chung 2002 in dem Fachmagazin Nature validierte
Fall. So ist auf der einen Seite für die Aufklärung Cellzome seine eigene Technologie und setzte neue
und Behandlung von Krankheiten sowie die Ent- Maßstäbe in der Proteomikforschung. Die renom-
wicklung von Medikamenten das Wissen um die mierte Datenbank für wissenschaftliche Schlüssel-
Gensequenz zwar wichtig, auf der anderen Seite ist publikationen, Faculty of 1000, zeichnete die Cell-
jedoch eine weitere Erforschung aller Genprodukte zome-Publikation im Januar 2004 als »all time #1
sowie der Funktion und Regulation in Zellen von- paper in all of biology« aus. Die Veröffentlichung
nöten. Projekte für die nächsten zehn bis 30 Jahre. einer Studie zur Identifizierung und Quantifizie-
rung von Proteinen unter der Wirkung von Kinase-
Inhibitoren (7 Von der frühen Krebs-Genetik zum
1.2.5 Post-2000: die wissenschaftliche spezifischen Krebs-Medikament – ein fast 30-jähri-
Entwicklung seit der ger Prozess) erbrachte im Jahr 2007 zudem die Plat-
Jahrtausendwende zierung auf der Titelseite von Nature Biotechnology.
Kinasen spielen eine wichtige Rolle im Stoffwech-
Im Anschluss an das HGP starteten daher weite- sel, und es sind bis heute mehr als 500 Gene be-
re internationale Projekte, die sich mit genetischer kannt, die diese Enzymklasse codieren. Sie sind als
Variation sowie Regulation beschäftigten, wie zum Zielmoleküle (target) für die Medikamenten-Ent-
Beispiel: wicklung von großer Bedeutung. Allein etwa 30 %
55 HapMap: Kartographierung von Haplotypen des gesamten Forschungs- und Entwicklungsetats
(Muster genetischer Variation des Menschen), der Pharma-Industrie wendet diese für den Sektor
55 ENCODE (ENCyclopedia Of DNA Elements): auf. Die Vielzahl weiterer Entwicklungen kann hier
Identifizierung aller funktionellen Elemente nicht im Detail besprochen werden, . Tab. 1.6 gibt
(inkl. 3D-Struktur) des menschlichen Genoms, deshalb wiederum eine Übersicht zu ausgewählten
55 1000 Genomes Project: Katalog humaner gene- Meilensteinen in Fünf-Jahres-Schritten.
tischer Variationen von mehr als 1000 Men- Ergänzt werden die bereits angesprochene Ge-
schen, nomik und Proteomik heutzutage von einer kon-
55 Human Epigenome Project: Identifizierung, tinuierlichen Spezialisierung der Biowissenschaf-
Katalogisierung und Interpretation genom- ten auf immer kleinere Gebiete, den sogenannten
weiter DNS-Methylierungsmuster (Epigenom) »omics«- oder »omes«-Bereichen (auf Deutsch als
aller menschlichen Gene in allen wichtigen »-omik« oder »-om« bezeichnet).
Geweben.
»» By virtue of that suffix, you are saying that
Allen Projekten gemein ist die Untersuchung der you are part of a brand new exciting science.
DNS, der Gene – in der Wissenschaft auch als (Baker 2013)
Genomik (im Englischen genomics) benannt. Zur
omics: zunehmende Spezialisierung in den Biowissen-
Untersuchung der Genprodukte, also der Gesamt- schaften
heit aller Proteine (Proteom), startete 2011 das
Epigenom(-ics) – Gesamtheit aller chemischen Veränderun-
international angelegte Human Proteome Project gen an DNS und Histonen (Proteine, die DNS zu den Chromo-
(HPP), organisiert durch die HUPO (Human Pro- somen »verdichten«: von 1,80 m Länge auf 0,12 mm; spielen
teome Organisation). Erste Durchbrüche erzielten bei der Genregulation eine Rolle), z. B. Methylierungen und
Forscher in der Proteomik allerdings schon in Acetylierungen; diese haben Einfluss auf die Regulation der
der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts: Die Auf-
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
25 1

. Tab. 1.6 Ausgewählte Meilensteine der Biowissenschaften seit 2001. (Quelle: BioMedServices (2015))

Zeitraum Meilensteine

2001–2005 Impfstoffe und Kinase-Inhibitoren gegen Krebs, Hefeproteom aufgeklärt, DNS-Impfstoffe, small
RNA (Genregulation), Genom des Malaria-Erregers sequenziert, erste Biosimilars, erstes Anti-Angio-
genese-Krebs-Medikament, Zellfusionstechnologie zur Reprogrammierung adulter Stammzellen in
den embryonalen Zustand, Abschluss des Humangenomprojektes, HapMap- und ENCODE-Projekt,
synthetische und Systembiologie

2006–2010 Bispezifische und trifunktionale Antikörper, HPV-Impfstoff, iPSC (induced pluripotent stem cells): Re-
programmierung adulter Stammzellen in den embryonalen Zustand durch Zugabe von vier Genen,
hESC-Therapien in klinischen Prüfungen, synthetisches Bakterium, funktionale Relevanz der 3D-Ge-
nomstruktur, Pharmacogenomics, 1000 Genomes Project, Human Epigenome Project, Human Microbio-
me Project, »persönliche« Genomanalyse, Krebsgenomsequenzen

2011–2015 TALENs (transcriptor-like effector nucleases), mutierte nicht-codierende DNA-Sequenzen bei Krebs,
Hinweise auf Krebsstammzellen, nicht-invasive Pränataldiagnostik, Gentherapie für LPLD-Krank-
heit, Human Proteome Project, genome editing (CRISPR/Cas-System), menschliche embryonale
Stammzellen

Bedeutende Meilensteine in Fettdruck

Genexpression und Gewebedifferenzierung; Einflüsse der Um- Spliceom (-ics) – Gesamtheit aller prozessierten (gespleißten)
welt wirken epigenetisch Boten-RNS (nicht-codierende Sequenzen sind entfernt), Mik-
Fluxom – Dynamik aller Metaboliten über die Zeit ro-RNS (miRNA) und kurzen interferierenden RNS (siRNA, small
interfering RNA)
Genom(-ics) – Gesamtheit aller Gene
Transkriptom(-ics) – Gesamtheit aller Boten-RNS; Analyse
Interactom(-ics) – Gesamtheit aller Proteinpaare oder Pro-
der Gene, die in einem biologischen System aktiv sind
teingruppen, die durch molekulare Interaktion in Verbindung
stehen; kann sich je nach Zelltyp oder biologischer Kondition Variom(-ics) – Alle genetischen Variationen in einer Popula-
unterscheiden tion

Kinom(-ics) – Gesamtheit aller Kinasen (spezielle Enzyme, die


Eine Analyse, wie sich ausgewählte omics entwi-
Phosphatgruppen übertragen, dadurch andere Moleküle akti-
vieren und damit der Signaltransduktion dienen); die Disfunk- ckeln in Bezug auf Zitierungen in wissenschaft-
tion von Kinasen ist die Ursache zahlreicher Erkrankungen; lichen Veröffentlichungen pro Jahr (. Abb. 1.6)
eine Subgruppe des Proteoms zeigt die derzeit vorherrschende Dominanz der
Metabolom(-ics) – Gesamtheit aller Metaboliten (nieder- Genomik und Proteomik auf. Die Metabolomik
molekulare Verbindungen, die am Stoffwechsel und an der findet sich aktuell noch weit abgeschlagen auf Platz
Zellphysiologie beteiligt sind oder auf deren Funktion Einfluss
3. Dasselbe trifft auf die Epigenomik sowie Tran-
nehmen)
skriptomik zu. Zu diesen omics gesellen sich noch
Methylom(-ics) – Gesamtheit aller mit Methylgruppen che-
misch veränderten DNS/Gene; eine Subgruppe des Epige-
weitere, wie Fluxomik, Interaktomik, Kinomik,
noms Methylomik, Mikrobiomik, Spleißosomik oder Va-
Mikrobiom(-ics) – Gesamtheit aller Mikroorganismen, die riomik. Im Fachmagazin Nature erschien im Feb-
den Körper eines Menschen besiedeln: rund 100 Billionen. ruar 2013 ein Artikel, der weitere omics auflistet und
(100.000.000.000.000) Bakterien, Amöben und Pilze; pro Kör- diese zusätzlich aufteilt in established, emerging und
perzelle etwa zehn Besiedler; zusammen 8 Mio. Protein-codie- aspiring (. Tab. 1.7).
rende Gene gegenüber geschätzten 30.000 beim Menschen
Diese immer weiter zunehmende Speziali-
Proteom(-ics) – Gesamtheit aller Proteine; Aufklärung der sierung beziehungsweise der Versuch, sie wieder
dreidimensionalen Struktur der Proteine sowie Untersuchung
ihrer Wechselwirkungen
einem größeren Ganzen zuzuführen, unterstützte
das Aufkommen der sogenannten Systembiologie.
26 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

1 Systembiologie - das gesamte zelluläre System verstehen


»System-level understanding, the why such traffic patterns emerge, of a system may affect other parts,
approach advocated in systems bio- and how we can control them. Iden- but to understand how a particular
logy, requires a shift in our notion of tifying all the genes and proteins system functions, we must first
‚what to look for‘ in biology. While in an organism is like listing all the examine how the individual compo-
an understanding of genes and pro- parts of an airplane. While such a list nents dynamically interact during
teins continues to be important, the provides a catalog of the individual operation. We must seek answers
focus is on understanding a system’s components, by itself it is not suffi- to questions such as: What is the
structure and dynamics. Because cient to understand the complexity voltage on each signal line? How are
a system is not just an assembly of underlying the engineered object. the signals encoded? How can we
genes and proteins, its properties We need to know how these parts stabilize the voltage against noise
cannot be fully understood me- are assembled to form the structure and external fluctuations? And how
rely by drawing diagrams of their of the airplane. This is analogous do the circuits react when a mal-
interconnections. Although such a to drawing an exhaustive diagram function occurs in the system? What
diagram represents an important of gene-regulatory networks and are the design principles and pos-
first step, it is analogous to a static their biochemical interactions. Such sible circuit patterns, and how can
roadmap, whereas what we really diagrams provide limited know- we modify them to improve system
seek to know are the traffic patterns, ledge of how changes to one part performance?« (Kitano 2002).

14000
Genomik
12000 Proteomik
Metabolomik
10000
Epigenomik
8000 Transkriptomik

6000

4000

2000

0
1987 1992 1997 2002 2007 2012

. Abb. 1.6 Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die ausgewählte omics zitieren. Erstellt auf Basis einer Ab-
frage bei PubMed vom 31.03.2015

In gewisser Weise ist die Systembiologie gleichzu- (7 Systembiologie - das gesamte zelluläre System ver-
setzen mit dem in . Tab. 1.7 aufgeführten Begriff stehen). Insofern bleibt unter den Wissenschaftlern
des »Integroms«, vielleicht sogar mit dem »Omni- nach wie vor die Hoffnung, die neuen biowissen-
sciom«. Für die Untersuchung von Krankheitsursa- schaftlichen Erkenntnisse weiterhin nutzbringend
chen sowie die Optimierung oder Neuentwicklung zu verwerten.
von Arzneimitteln ist die (Re-)Integration der ver- Nicht zu unterschätzen ist allerdings die enor-
schiedenen Disziplinen, die sich mit den einzelnen me Komplexität biologischer Systeme. Dem Laien
Strukturen und Funktionen der menschlichen Zel- sei an dieser Stelle ein bildhafter Ausschnitt aus
le beschäftigen, von außerordentlicher Bedeutung dem menschlichen Stoffwechsel (. Abb. 1.7) sowie
1.2 • Meilensteine der Biowissenschaften und Biotechnologie
27 1

. Tab. 1.7 Die omics der Zukunft. (Quelle: BioMedServices (2015) nach Baker (2013))

Established Emerging Aspiring

Genom Variom Phenom – vollständige physiologische Beschreibung, idealerweise dem


Genotyp zugeordnet

Transkriptom Epigenom Regulom – alle regulatorischen Elemente in einer Zelle

Proteom Interaktom Integrom – Kombination multipler omics-Datensätze

Metabolom Fluxom Omnisciom – Gesamtheit des Wissens über Zellen, Organismen oder
Systeme

die Illustration eines Mycoplasmas (. Abb. 1.8) der zweiten Hälfte der 1970er- und in den 1980er-
präsentiert, die diese Komplexität und Größenord- Jahren kam dann die erste wirtschaftliche Anwen-
nung verdeutlichen. dung auf, die die bis dahin industriell angewandte
Vergleicht man die Strukturen und Abläufe mit »alte« Biotechnologie (angewandte Mikrobiologie
denen nicht lebender Systeme wie Maschinen oder und Biochemie) revolutionierte.
Autos, sollte klar werden, dass hier eine weitaus hö- Denn die neue Gentechnik (DNS-Rekombina-
here Komplexität vorliegt, die zu großen Teilen erst tion) löste die 40 Jahre alte technologische Tradi-
noch aufgeklärt werden muss. Welchen Zeitraum tion vom Auswählen, Züchten und Veredeln natür-
zum Beispiel daher die weitere Aufklärung von lich vorkommender Organismen ab. Früher erfolg-
Krankheiten und die Ableitung noch wirksamerer te die Optimierung bakterieller Produktionsstäm-
Therapien in Anspruch nehmen wird, ist schwer vo- me beziehungsweise die Veränderung des Erbguts
rauszusagen. Die schnelle Umsetzung, wie sie nach von (Mikro-)Organismen mittels physikalischer
der Entschlüsselung des menschlichen Genoms er- (Strahlen) und chemischer Mutagenese-Verfahren.
hofft wurde, ist eher unrealistisch. Andererseits er- Immerhin steigerte diese – allerdings unspezifische
möglicht der weitere technologische Fortschritt die – mikrobiologische Prozessoptimierung die Pro-
kontinuierliche Verbesserung und Beschleunigung duktausbeuten um das Zehn-, manchmal sogar um
der biowissenschaftlichen Forschung. das 100-fache.
Meist weniger als um das Zweifache erhöhte da-
»» My students can gather certain types of experi- gegen die reine Reaktor-Optimierung (technische
mental data 1.000 and even 10.000 times faster Verbesserung der Kulturbedingungen) die Ausbeute
than I could 40 years ago. (Weinberg 2010) (Buchholz 1979). Die bis dato erzielte Verbesserung
von Produktionsprozessen war also durch physika-
Insbesondere das Sequenzieren (»Lesen«) sowie die lisch-chemisch-technische Verfahren geprägt.
Synthese (»Schreiben«) von Genen beziehungswei- Indes führten die neuen Gentechniken eine
se des Genoms (»dem Buch des Lebens«) ist heut- Optimierung mit biologischen Werkzeugen ein,
zutage (2015) rund eine Million Mal schneller als eine komplett neue Dimension mit disruptivem
noch vor sieben oder acht Jahren. Charakter. Werkzeuge sind nun beispielsweise Res-
triktionsenzyme, Ligasen, Plasmide, Phagen oder
Polymerasen, alles selbst biologische Moleküle. Die
1.2.6 Zusammenfassende wirtschaftliche Anwendung der neuen Technolo-
Charakterisierung der »neuen« gien, zum Beispiel für die Produktion menschlicher
Biotechnologie therapeutischer Proteine in Bakterien, entsprach
der Hochzeit der vorher rein wissenschaftlichen
Die Anwendung der neuen, molekularen Biotech- molekularbiologischen Grundlagenforschung mit
nologie (Größenbereich: Nanometer) beschränkte der technischen, angewandten Mikrobiologie zur
sich anfänglich auf die Grundlagenforschung. In »neuen« Biotechnologie.
28 Kapitel 1 • Was ist Biotechnologie eigentlich?

. Abb. 1.7 Ausschnitt aus dem menschlichen Stoffwechsel: Veranschaulichung der Komplexität. (Grafik: Mit freundli-
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31 I

Teil I Die Biotech-


Industrie: Entstehung,
Status quo sowie
anwendende Sektoren
und Märkte
Kapitel 2 Biotech-Industrie von den Anfängen über heute
bis in die Zukunft – 33

Kapitel 3 Anwendende Sektoren und Märkte der


Biotechnologie – 143
33 2

Biotech-Industrie von den


Anfängen über heute bis in die
Zukunft
Zusammenfassung
Das Kapitel behandelt als erstes Rahmenbedingungen, die während der Ent-
stehung der Biotech-Industrie vorherrschten, vor allem in den USA. Dort wurde
sehr früh begonnen interdisziplinär zu forschen und einige der wissenschaft-
lichen Grundlagen der Biotechnologie aufzuklären. Zudem trugen das poli-
tische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld zum Aufkommen einer
KMU-geprägten Biotech-Industrie bei. Insbesondere neue Gesetze ab Mitte der
1970er-Jahre, wie der Bayh-Dole Act, der Stevenson-Wydler Act oder der Eco-
nomic Recovery Tax Act, schufen Rahmenbedingungen, die die wirtschaftliche
Nutzung biowissenschaftlicher Forschungsergebnisse sehr unterstützten. Auch
das Risikokapital, ein Lebenselixier für Firmengründungen, wurde sozusagen in
den USA erfunden und Investoren interessierten sich früh und intensiv für die
Biotechnologie. Als weiteren Schwerpunkt bietet das Kapitel dann einen zusam-
menfassenden, aber dennoch umfangreichen Rückblick zur Entstehung der US-
Biotech-Industrie sowie eine Einschätzung des aktuellen Status quo. Die Branche
hat heute eine hohe wirtschaftliche Bedeutung und viele Innovationen hervor-
gebracht. Dank eines investitionsfreundlichen Kapitalmarktes ist sie ausreichend
finanziert, um hochrisikoreiche, teure und langwierige Arzneimittel-Entwicklun-
gen an den Markt zu bringen. Mittlerweile verschwimmen die Grenzen zwischen
Biotech- und Pharma-Firmen zu einer neuen biopharmazeutischen Industrie.
Auch andere Industrien, wie die Chemische Industrie, werden in Zukunft zuneh-
mend »biologisiert« werden, wie das Kapitel zum Schluss aufzeigt. Biotechnolo-
gie gilt daher auch als Querschnitts- und Zukunftstechnologie.

2.1 Rahmenbedingungen bei der Entstehung der


Biotech-Industrie – 35
2.1.1 Forschung und Lehre in der »neuen« Biologie – 35
2.1.2 Das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld – 39

J. Schüler, Die Biotechnologie-Industrie,


DOI 10.1007/978-3-662-47160-9_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
2.2 Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten
Industrie in den USA – 48
2.2.1 Start 1976: die Erfolgsgeschichte von Genentech – 49
2.2.2 Weitere Pioniere mit nachhaltiger Entwicklung: Biogen, Amgen,
Genzyme – 52
2.2.3 1976 bis 1980: die ersten fünf Jahre US-Biotech-Industrie – 56
2.2.4 Die 1980er-Jahre: erster Boom und Durchbrüche – 56
2.2.5 Die 1990er Jahre: vollkommen neuartige Medikamente – 60
2.2.6 Die erste Dekade des neuen Milleniums: vom Börsenhype zur
Profitabilität – 70
2.2.7 Die Entwicklung seit 2010: Börse und Marktwert »explodieren« – 86
2.2.8 Zusammenfassende Bilanz zur US-Biotech-Industrie: Früher Start,
gute Finanzierungsbedingungen und ein Dutzend führender
Unternehmen brachten den Stein ins Rollen – 106

2.3 Eigentlich existieren Firmen mit Biotech-Aktivitäten seit


rund 100 Jahren – 114
2.3.1 Biotechnologie für die Arzneimittel- und
Diagnostika-Produktion – 119
2.3.2 Erste Aktivitäten der Etablierten in der »neuen« Biotechnologie – 121

2.4 Wer ist die Biotech-Industrie heute? – 127


2.4.1 Die Grenzen zwischen Biotech und Pharma verschwimmen – 131
2.4.2 Die Biologisierung der Industrie: Werden auch die Grenzen zwischen
Biotech- und Chemie- oder anderen Industrien verschwimmen? – 134
2.4.3 Biotechnologie als Querschnitts- und Zukunftstechnologie – 136

Literatur – 138
2.1 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie
35 2
2.1 Rahmenbedingungen bei der (Lebenswissenschaften) bezogen auf die Kombina-
Entstehung der tion und Anwendung von physikalischen und che-
Biotech-Industrie mischen Methoden. Interdisziplinäre Forschung
fand also bereits sehr früh Eingang in die US-Wis-
Nach der Übersicht zu »inhaltlichen« Meilenstei- senschaften. 1930 gründete sich das National Insti-
nen der Biowissenschaften (7 Abschn. 1.2) analy- tute of Health (NIH) mit einem stets anwachsen-
siert dieser Abschnitt, wie sich die entsprechende den Budget: von 700.000 (1940) über knapp 3 Mio.
Forschung und Lehre entfaltet hat. Zusammen mit (1945) und gut 50 Mio. (1950) auf knapp 1 Mrd. US$
politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedin- (1965). Innerhalb des NIH wurde 1937 das Natio-
gungen beeinflusste sie das Entstehen der Branche nal Cancer Institute (NCI) ins Leben gerufen. In
und begründet den aktuellen Stand der industriel- beiden Einrichtungen spielte die moderne Biologie
len Umsetzung (7 Abschn. 2.2). eine zunehmende Rolle.
Seitdem 1944 in den USA der Beweis erfolg-
te, dass die DNS und nicht die Proteine Träger der
2.1.1 Forschung und Lehre in der Erbinformation ist (Avery, Rockefeller-Institut),
»neuen« Biologie konzentrierte sich die weitere Forschung auf die
Nukleinsäuren. Gerade die Rockefeller-Stiftung
Die Forschung und Lehre in der »neuen« Biologie förderte viele Molekularbiologen, die am Caltech
entwickelte sich zunächst vor allem in den angel- und MIT oder in den Universitäten von Harvard
sächsischen Ländern (. Tab. 2.1). In Großbritannien und Stanford forschten: Zwischen 1953 und 1965 er-
gründete sich bereits 1891 das erste biomedizinische hielten 18 Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der
Institut in London, das British Institute of Preventi- Molekularbiologie tätig waren, den Nobelpreis. 17
ve Medicine (heute Lister Institute). Im internatio- davon bezuschusste die Rockefeller-Stiftung (Kay
nalen Vergleich lag es vom Ansehen her gleichauf 1993).
mit dem 1887 gegründeten Pasteur-Institut in Paris Wie in den USA spielte auch in Großbritannien
und dem 1901 gegründeten Rockefeller-Institut in die Rockefeller-Stiftung eine große Rolle bei der
New York. Später, im Jahr 1913, folgte das National Finanzierung molekularbiologischer Projekte. So
Institute for Medical Research (NIMR) des Medical unterstützte sie das Laboratory of Molecular Biolo-
Research Council (MRC), einer Forschungsorgani- gy (LMB), das der MRC 1947 als eine »Einheit für
sation im Bereich der Medizin und angrenzender die Erforschung molekularer Strukturen biologi-
biologischer Fachrichtungen. Es fokussierte sich scher Systeme« etablierte. Anfangs war es im physi-
auf Bakteriologie, Biochemie und Pharmakologie kalischen Institut, den Cavendish-Laboratorien der
sowie angewandte Physiologie. Universität Cambridge, untergebracht. Hier arbei-
Die Biotechnologie – verstanden als biological tete der ursprünglich aus Österreich stammende
engineering oder bioengineering –, die das Wissen Chemiker Perutz zusammen mit seinem britischen
aus der Chemie, Physik, Mathematik und ver- Kollegen Kendrew an kristallographischen Unter-
schiedenen Ingenieurswissenschaften anwendete, suchungen von Proteinen. Sie zeigten im Jahr 1953,
etablierte sich in den USA bereits 1928 und 1939 dass die Struktur von Proteinkristallen mittels Beu-
in eigenen Abteilungen in den California und Mas- gung von Röntgenstrahlen ermittelt werden kann.
sachusetts Institutes of Technology (Caltech und So klärten sie 1959 die dreidimensionale Struktur
MIT). Starke Unterstützung gab es seitens der New von Hämoglobin und Myoglobin auf, wofür Perutz
Yorker Rockefeller-Stiftung, die den Transfer von und Kendrew 1962 den Nobelpreis erhielten. Just
physikalisch-chemischen Technologien in die ex- in diesem Labor startete 1949 der Physiker und
perimentelle Biologie vorantrieb (7 Die Rockefeller Biologe Crick, der im Oktober 1951 auf den US-
Stiftung und das Aufkommen der Molekularbio- Gastwissenschaftler Watson traf. Beide hatten In-
logie). In ihrem Jahresbericht von 1938 erwähnte teresse an der Entschlüsselung der DNS-Struktur,
sie erstmals den Begriff »Molekularbiologie« und wobei sie sich auf Röntgenbeugungsexperimente
beschrieb damit die Forschung in den Life Sciences der Kollegen Franklin und Wilkins stützten, die an
36 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.1 Ausgewählte ausländische Einrichtungen der modernen Biowissenschaft/Biotechnologie. (Quelle:


BioMedServices 2015)

2 Gründung Institut/Programm Gehörend zu Sitz Zusatzinfo; berühmte


Forscher (Nobelpreis in)

1887 Institut Pasteur Unabhängig Paris, F Pasteur

1891 British Institute of Preven- University of London London, GB 1. Biomedizinisches Institut


tive Medicine in GB; Harden (1929)

1901 The Rockefeller Institute Heute identisch mit New York, US 1. Biomedizinische
for Medical Research Rockefeller University Forschung in USA; Avery,
Tatum & Lederberg (1958)

1904/1921 Dpt. of Genetics (Cold Bis 1962 Carnegie Cold Spring Hershey & Chase (1969),
Spring Harbor Labora- Institution Harbor, US McClintock (1983)
tory)

1928 Division of Biology and California Institute of Pasadena, US Morgan (1933), Delbrück
Biological Engineering Technology (Caltech, (1969)
gegr. 1891)

1929 Dpt. of Bacteriology and Stanford University Stanford, US Kurse in Bakteriologie in


Experimental Pathology den 1930ern

1936 Kombiniertes Programm Massachusetts Ins- Cambridge, US Ab 1939 Dpt. of Biology


für Forschung und Lehre titute of Technology and Biological Enginee-
für biological engineering (MIT, gegr. 1861) ring; Luria (1969)

1938 Service de Physiologie Institut Pasteur Paris, F Ab 1945 Molekularbiologie;


Microbienne Jacob & Monod (1965)

1946 Stanford Research Insti- Stanford University, Stanford, US U. a. Biomedizin, Pharma-


tute (SRI) seit 1970 unabhängig zie; Goeddel, Kleid

1946 Biophysics Research Unit King’s College London, GB Wilkins (1962)

1947 Unit for Research on the University of Cam- Cambridge, GB Crick & Perutz (1962),
Molecular Structure of bridge Sanger (1980), Milstein
Biological Systems (1984), Brenner (2002)

1947 bioengineering and bio- University of Califor- Los Angeles, US –


technology program nia, Los Angeles

1948 Biochemistry and Virus University of Califor- Berkley, US Seit 1947 Kurse in Fermen-
Laboratory nia, Berkley tation

1955 Scripps Research Institute Scripps Memorial La Jolla, US Biomedizinische Grund-


Hospital lagenforschung

1956 Biological Laboratories Harvard University Boston, US Watson (1962), Gilbert


(1980)

1959 Dpt. of Biochemistry Stanford University Stanford, US Kornberg (1959), Berg


School of Medicine (1980)

1963 Salk Institute for Biologi- Unabhängig La Jolla, US Biologische Grundlagen-


cal Studies forschung

1965 Biozentrum Universität Basel Basel, CH Arber (1978)

1967 Dpt. of Biochemistry and Harvard University Boston, US Biochemie aber seit 1920
Molecular Biology gelehrt

Dpt. Department, gegr. gegründet, CH Schweiz, F Frankreich, GB Großbritannien, US United States


2.1 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie
37 2

Die Rockefeller Stiftung und das Aufkommen der Molekularbiologie


»… between 1928 and 1932, the RF physico-chemical sciences to experi- whose work crossed disciplinary
[Rockefeller Foundation] announ- mental biology« (Abir-Am 2002). boundaries and to persuade them
ced a new policy for its Division of »The high point of the RF program in to tackle biological research. The
Natural Sciences. The RF’s then-new the natural sciences was its initiative California Institute of Technology
director of the Natural Sciences Divi- in molecular biology, which ran from (Caltech) and the Universities of
sion was Warren Weaver (1894–1978), 1933 to 1951 … [It] made an unprece- Copenhagen and Uppsala in Europe
a mathematical physicist who had dented and innovative contribution received major grants as part of the
begun his career teaching engi- to the development of science. Its new initiative. … Funding molecular
neering students at Caltech before essential idea was that the better- biology research could be achieved
moving to the University of Wiscon- developed tools of physics and through smaller, targeted grants
sin. Weaver saw technology as the chemistry could be applied to the that fit within the Depression-era
embodiment of scientific progress, as-yet-unanswered questions of the climate of belt-tightening« (Rocke-
and placed an emphasis on the life sciences. … Weaver and his staff feller Foundation 2015).
transfer of technology from the proceeded to identify researchers

Frühe Unterstützung der Rockefeller-Stiftung in Laboratorien in Großbritannien


»The RF’s [Rockefeller’s] support for grants for equipment. … its [Rocke- equipment and materials bought
protein-structure research in the feller’s] grants were crucial in carry- with RF grants in the period bet-
Cavendish Laboratory of Physics ing Perutz’s work on protein X-ray ween 1939 and 1966. The fifth awar-
began in 1939 … This gave the labo- crystallography from the late 1930s dee, Maurice Wilkins, who shared
ratory an edge in terms of acquiring to the late 1940s. The RF’s long-term the DNA prize that year with Watson
equipment – notably, expensive support of … research projects on and Francis Crick, did his work in the
X-ray cameras and electron micro- the structure and function of blood Department of Biophysics at King’s
scopes that had to be bought in and other pigments created the College, London, also with conside-
the United States, where RF grants institutional foundations for the rise rable RF support. … Some of these
were a source of much-needed of molecular biology in Cambridge RF funds were used to buy equip-
foreign currency. The MRC – the after the Second World War. … In ment that was ordered by Rosalind
lab’s governmental sponsor – paid 1962, four of the five Nobel laureates Franklin (1920–1958) from French
the salaries of the staff but gladly in molecular biology had carried out manufacturers for her seminal work
agreed that the RF … continue with their award-winning work at Cam- on the structure of DNA« (Abir-Am
research assistance, fellowships, and bridge, in a laboratory that housed 2002).

der ebenfalls vom MRC im Jahre 1946 ins Leben zur Produktion von monoklonalen Antikörpern,
gerufenen »Biophysics Research Unit« am Londo- zusammen mit Jerne und Köhler). Auch der Nobel-
ner King’s College forschten. Die Aufklärung der preisträger Brenner (2002: Entdeckung der geneti-
dreidimensionalen DNS-Struktur, die berühmte schen Regulation der Organentwicklung und des
DNS-Doppelhelix, gelang Watson und Crick 1953. programmierten Zelltodes, zusammen mit Horvitz
Dafür erhielten sie 1962 den Nobelpreis. Neben und Sulston) verbrachte den Zeitraum von 1979 bis
den bereits genannten Personen beheimatete das 1986 als Direktor am LMB (7 Frühe Unterstützung
LMB noch weitere Nobelpreisträger wie Sanger der Rockefeller-Stiftung in Laboratorien in Groß-
(1958: Arbeiten zu Proteinstrukturen, insbesondere britannien).
Insulin; 1980: Bestimmung der Basensequenz von Neben den zuvor erwähnten Ländern nahm
Nukleinsäuren, zusammen mit Berg und Gilbert), Frankreich eine starke Position in der »neuen Bio-
Klug (1982: Strukturaufklärung von biologisch logie« ein. Am Pasteur-Institut in Paris übernahm
wichtigen Nukleinsäure-Protein-Komplexen) so- der Mediziner und Biologe Lwoff bereits 1938 ein
wie Milstein (1984: Entdeckung eines Verfahrens Labor für physiologische Mikrobiologie (Service de
38 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Der Nobelpreisträger Werner Arber über seine Zeit an der Universität Genf
»[The laboratory] had two proto- unknown field. My first contribu- Institute of Technology in Pasadena.
2 type electron microscopes requiring
much attention. In spite of spending
tion to our journal club concerned
Watson and Crick’s papers on the
There, he had been converted to
a biologist under the influence of
many hours to keep the microscope structure of DNA. In the 1950’s the Max Delbrück and had chosen to
»Arthur« in reasonable working Biophysics Laboratory at the Uni- study bacteriophage lambda. This is
condition, I had enough time not versity of Geneva was lucky enough why the first electron micrographs
only to help developing preparation to receive each summer for several of phage lambda were made in
techniques for biological specimens months the visit of Jean Weigle. He Geneva. Stimulated by Jean Weigle
in view of their observation in the was the former professor of expe- we soon turned our interests also to
electron microscope, but also to rimental physics at the University other properties of lambda, and the
become familiar with fundamental of Geneva. After having suffered a study of defective lambda prophage
questions of bacteriophage phy- heart attack, he had left Geneva to mutants became the topic of my
siology and genetics, which at that become a researcher at the Depart- doctoral thesis« (Nobel Media 2015).
time was still a relatively new and ment of Biology of the California

Physiologie Microbienne). Im Jahre 1950 stieß der Im Kellenberger’schen Labor verbrachte 1953 der
Mediziner Jacob dazu, der 1960 dann Leiter der Ab- spätere Nobelpreisträger Arber seine Assistenzzeit
teilung für Zelluläre Genetik wurde. Im Labor von (7 Der Nobelpreisträger Werner Arber über seine
Lwoff arbeitete auch der Naturwissenschaftler Mo- Zeit an der Universität Genf). Nach seiner Promo-
nod, seit 1954 als Direktor der Abteilung für Zel- tion absolvierte Arber verschiedene Gastaufenthal-
luläre Biochemie. Monod verbrachte im Jahr 1936 te in den USA, unter anderem in den Laboren von
mithilfe eines Stipendiums der Rockefeller-Stiftung 55 Bertani in Los Angeles, University of Southern
einige Zeit am Caltech in Pasadena. Alle drei For- California (Phagen-Genetik),
scher, Lwoff, Jacob und Monod, erhielten 1965 den 55 Stent in Berkeley (Professor für Molekular-
Nobelpreis für die Aufklärung der genetischen Re- biologie, Mitglied der »Phagen-Gruppe« von
gulation der Enzym- und Virussynthese. Lwoff und Delbrück),
Monod waren Mitglied in einem Komitee (Comité 55 Lederberg in Stanford (Nobelpreis 1958 für die
Francais de Biologie Moléculaire), das bereits im Entdeckung der genetischen Rekombination
Jahr 1960 dem neuen französischen Wissenschafts- und der Organisation von genetischem Material
ministerium einen Bericht übergab, der Folgendes in Bakterien, zusammen mit Beadle vom Cal-
forderte: innerhalb von fünf Jahren die Verdopp- tech und Tatum vom Rockefeller Institut) und
lung der Anzahl molekularbiologischer Forscher in 55 Luria am MIT (zusammen mit Delbrück, Cal-
Frankreich über die Gründung neuer Institute, das tech und Hershey, Cold Spring Harbor Labo-
Training von jungen Wissenschaftlern sowie die ratories, Nobelpreis 1969 für die Entdeckung
Unterstützung der bestehenden Forschungsgrup- des Replikationsmechanismus und der geneti-
pen (Strasser 2002). schen Struktur von Viren).
In der Schweiz kümmerten sich der Biophy-
siker Kellenberger und der Biochemiker Tissières Zurück an der Universität von Genf folgte 1965 die
um die Etablierung der Molekularbiologie an der außerordentliche Professur für Molekulare Gene-
Universität in Genf (Strasser 2002). Sie beantrag- tik, 1971 ging Arber nach Basel als einer der ersten
ten 1962 beim Kanton Genf und beim Schweize- Professoren im neu gegründeten Biozentrum der
rischen Nationalfonds, der wichtigsten Schweizer Universität Basel (7 Das Biozentrum Basel – seine
Institution zur Förderung der wissenschaftlichen Geschichte und Bedeutung). Dort machte er dann
Forschung, die Gründung eines Institutes für Mole- die Entdeckung der Restriktionsenzyme, wofür er
kularbiologie. Dieses sollte das bereits existierende 1978 den Nobelpreis erhielt.
biophysikalische Labor von Kellenberger sowie ein Strasser (2002) resummiert, dass die Etablierung
neu zu errichtendes Labor für Biochemie umfassen. der Molekularbiologie in Europa eher das Ergebnis
2.1 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie
39 2

Das Biozentrum Basel – seine Geschichte und Bedeutung


»Das Potenzial der molekularbio- um Zellen und Proteine sollten mit urteilt: »Die Schweiz braucht neben
logischen Forschung wurde in den molekularbiologischen, chemischen Genf und Zürich, welche sich auf mo-
1960er-Jahren auch in der Schweiz und physikalischen Methoden beant- lekulare Genetik spezialisiert haben,
erkannt, wenn auch nur von wenigen wortet werden. Das Konzept sah das nicht noch ein drittes Zentrum für
Forschern. Aufgrund grosser Erwar- räumliche und somit auch geistige solche esoterische Forschung«. Die
tungen zur zukünftigen Lösung von Zusammenrücken verschiedener In- vorausgesagte breite, wirtschaftliche
Gesundheitsproblemen durch die stitute und Abteilungen vor. Geplant und soziale Wirkung dieser neuen
biologische Forschung und dem Be- waren zwei 8-stöckige Gebäude für Disziplin wurde damals noch nicht
dürfnis, eine zeitgemässe Ausbildung die Forschung sowie ein verbinden- ernst genommen. Und trotzdem:
von Studenten der Medizin und Bio- des zweistöckiges Gebäude für Lehre 1968 wurde auf dem Schällenmät-
logie zu etablieren, entstand 1965 ein und zentrale Dienste. Die Idee wurde teli mit dem Aushub für den ersten
Grobkonzept für das Biozentrum Ba- vom damaligen Schweizerischen Laborbau begonnen« (Biozentrum
sel. Biologische Fragestellungen rund Wissenschaftsrat eher ablehnend be- Universität Basel 2015).

Die Grenzen des Wachstums


Zentrale Schlussfolgerung 1972: 2012 aktualisierte Bericht (Randers spät, um zu verhindern, dass sich
Wenn die gegenwärtige Zunahme 2012) mit dem Titel 2052: Eine globale die mittlere Erdtemperatur nach
der Weltbevölkerung, der Industriali- Vorhersage für die nächsten 40 Jahre 2052 um mehr als zwei Grad erhöht.
sierung, der Umweltverschmutzung, zeigt auf, dass die Menschheit nicht Dieser Wert gilt Experten zufolge als
der Nahrungsmittelproduktion und überleben wird, wenn sie ihren gerade noch erträglich. Der Meeres-
der Ausbeutung von natürlichen bisherigen Weg der Verschwendung spiegel wird um 0,5 m höher sein, es
Rohstoffen unverändert anhält, wer- und Kurzsichtigkeit fortsetzt. Der wird mehr Dürren, Fluten, Insekten-
den die absoluten Wachstumsgren- Ausstoß von Treibhausgasen wird plagen und verheerende Wirbelstür-
zen auf der Erde im Laufe der nächs- noch bis 2030 steigen und dann erst me geben.
ten 100 Jahre erreicht. Der im Mai zurückgehen. Das wäre 15 Jahre zu

staatlicher Intervention war, verglichen mit den riefen 1968 in Rom der FIAT-Manager Peccei und
USA, wo anfangs philanthropische Stiftungen sowie der OECD-Generaldirektor King als weltweite Ver-
private Universitäten eine größere Rolle spielten. einigung von Persönlichkeiten aus Wissenschaft,
Kultur, Wirtschaft und Politik ins Leben. Das Ziel
ist, sich für eine lebenswerte und nachhaltige Zu-
2.1.2 Das politische, gesellschaftliche kunft der Menschheit einzusetzen.
und wirtschaftliche Umfeld
2.1.2.1 Das Umfeld in den USA, dem
Politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Pionier in der »neuen«
Faktoren begleiteten die Phase der tief greifen- Biotechnologie
den biowissenschaftlichen Aufklärungen und Er- Im November 1973 veröffentlichten Cohen (Stanford)
findungen in den 1960er- und 1970er-Jahren. Alle und Boyer (San Francisco) Ergebnisse ihres Experi-
Länder betreffend, waren dies beispielsweise der mentes unter dem Titel »Construction of Biologically
weltweite Wettbewerb in der Massenproduktion Functional Bacterial Plasmids In Vitro« (Cohen et al.
von Grundchemikalien, die beiden Ölkrisen in den 1973). Nach weiteren veröffentlichten Experimen-
Jahren 1973 und 1979/1980 sowie aufkommende ten titelte im Mai 1974 die New York Times: »Gene
Umweltschutzbewegungen. 1972 veröffentlichte der Transplants Seen Helping Farmers and Doctors«
»Club of Rome« eine Studie (Meadows et al. 1972) (McElheny 1974). Danach griffen auch andere gro-
zur Zukunft der Weltwirtschaft mit dem Titel 7 Die ße Magazine das Thema auf, und es entbrannte eine
Grenzen des Wachstums. Den »Club of Rome« Diskussion über die Sicherheit der neuen Gentech-
40 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

nik. Im Juli 1974 verpflichteten sich zehn prominente der Industrie zu verstärken, und zwar über
Wissenschaftler zu einem Forschungsmoratorium: gemeinsame Forschungs- und Entwicklungs-
Sie entschieden, bestimmte DNS-Rekombinations- projekte, erleichterten Technologietransfer
2 experimente zeitlich befristet zu unterlassen. Dieses sowie personellen Austausch. Vor dem neuen
Moratorium hielt rund zwei Jahre an bis Mitte des Gesetz war die Förderung und Handhabung
Jahres 1976, als das NIH Richtlinien zum Umgang des Technologietransfers für die Bundes-For-
mit rekombinanter DNS erließ. So waren bestimm- schungseinrichtungen keine formale Pflicht
te physikalische Sicherheitsvorkehrungen in den oder programmatisches Ziel gewesen. Danach
Labors erforderlich. In Harvard verging allerdings waren alle Einrichtungen verpflichtet, eigene
rund ein Jahr, bis ein ziviles Gutachtergremium der Patent- und Lizenzierungsbüros zu errichten
Errichtung eines Sicherheitslabors an der Universität und mindestens 5 % ihres Forschungsbudgets
zustimmte (Kenney 1986). Nach der Aufstellung der für deren laufenden Betrieb aufzuwenden.
Richtlinien ließen die Debatten jedoch nicht nach. 55 R&D Tax Credit als Komponente des Economic
Im Gegenteil, sie nahmen sogar eher zu. So behan- Recovery Tax Act (ERTA): zusätzliche Steuer-
delte in den Jahren 1976/1977 der US-Kongress allein erleichterungen für bestimmte unternehmeri-
16 Gesetzesvorlagen zur Kontrolle der gentechnolo- sche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten
gischen Forschung (Bud 1995). Zudem engagierten (FuE, engl.: research & development, R&D), ins-
sich Umweltgruppen und andere Aktivisten (z. B. besondere für sehr innovative Entwicklungen
Jeremy Rifkin) als Gentechnik-Gegner. Nachdem oder bei der Kooperation mit Universitäten.
dann 1977/1978 der erste Nachweis erfolgte, dass sich
mit der neuen Technologie tatsächlich wirksame »» In principle, the R&D tax credit addresses an
menschliche therapeutische Proteine in Bakterien important public policy goal: stimulating pri-
produzieren lassen, bildeten sich 1978/1979 hohe Er- vate sector R&D spending, and thereby encou-
wartungen in den Medien und an der »Wall Street«. raging advancements in scientific and tech-
Indes verzeichneten die USA ab Mitte der nological knowledge. Technological change
1970er-Jahre eine wirtschaftliche Stagnation (Ken- catalyzes entirely new industries, transforms
ney 1986), unter anderem begründet durch die erste existing ones, and consequently represents a
Ölkrise. Das Land brachte daher 1980/1981 einige fundamental element of economic growth. An
wichtige Gesetzesänderungen auf den Weg, die die entire generation of economic research has
wirtschaftliche Nutzung biowissenschaftlicher For- shown that technological change … contribu-
schungsergebnisse ebenfalls sehr unterstützte: tes directly to growth in national income and
55 Bayh-Dole Act (Patent and Trademark Law wealth (OTA 1995).
Amendments Act): ein Gesetz, das Einrichtun-
gen, an denen sich Forschungsarbeiten durch Mit den speziellen FuE-Steuererleichterungen
Bundesmittel finanzieren, das Recht zur kom- erzielten die USA beispielsweise, dass sich der An-
merziellen Verwertung der Forschungsergeb- teil der FuE-Ausgaben privater Firmen an allen
nisse einräumt. Ziel war, finanzielle Anreize Forschungsausgaben von 40 % im Jahr 1970 auf
für Universitäten zu schaffen, neue Techno- 60 % im Jahr 1994 erhöhte. Gleichzeitig reduzier-
logien besser zu vermarkten und damit die te sich der staatliche Anteil von 57 auf 36 % (OTA
Rücklaufzeiten öffentlicher Forschungsinvesti- 1995). Im Jahr 2008 lag der private Anteil bei 67 %.
tionen zu verkürzen. Das Gesetz zielte zudem Das R&D Tax Credit-Gesetz wurde bis heute im-
darauf, bürokratische Barrieren für Koopera- mer wieder angepasst und 13-mal verlängert (Ty-
tionen zwischen Universitäten und privaten son und Linden 2012).
Firmen zu reduzieren (7 Das Bayh-Dole-Ge- Die Patentverwertung wurde in den USA zu-
setz von 1980 und seine Auswirkungen). dem von spezialisierten Not-for-profit- und For-
55 Stevenson-Wydler Act: Das neue Gesetz zielte profit-Firmen betrieben. Beispiele dafür sind die
darauf, die Kooperation zwischen Bundes-La- Research Corporation for Science Advancement
boratorien sowie akademischen Instituten und (RCSA) und die University Patents (7 Research
2.1 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie
41 2

Das Bayh-Dole-Gesetz von 1980 und seine Auswirkungen


Vor dem Erlass gingen die Rechte pro Jahr Anfang der 1970er- auf teile der Unternehmen eintauschen.
am geistigen Eigentum an die über 3000 Ende der 1990er-Jahre. Bis 2002 gründeten sich auf diese
US-Bundesregierung. Diese hielt Der Anteil universitärer Patente am Weise über 2000 Firmen mit 260.000
bis dahin über 28.000 Patente und gesamten Patentaufkommen er- Arbeitsplätzen, die im Jahr 2002
investierte jährlich über 30 Mrd. US$ höhte sich im gleichen Zeitraum von etwa 40 Mrd. US$ (ca. 40 Mrd. €) zur
(ca. 30 Mrd. €) in FuE, wenig floss in 1 auf 5 %. Zwischen 1993 und 2000 US-Wirtschaft beitrugen. Das Bayh-
Form neuer Produkte oder Dienst- wurden etwa 20.000 Patente erteilt, Dole-Gesetz wird als eine der wich-
leistungen in den Wirtschaftskreis- mit denen die Universitäten seither tigsten Gesetzgebungen der USA
lauf zurück. Das Gesetz ermöglichte zum Teil erhebliche Lizenzeinnah- in den letzten 50 Jahren angesehen
Universitäten, die staatlich finanzier- men verbuchen. Erfinder an den und manchmal sogar als »Viagra der
ten Erfindungen ihrer Mitarbeiter Hochschulen können mit ihrer Idee Hochschul-Innovationen« bezeich-
für sich selbst zu beanspruchen Unternehmen gründen, wobei viele net. Am stärksten profitierten die
und direkt zu verwerten. Als Folge Hochschuleinrichtungen die Patent- Biowissenschaften (nach Wikipedia,
stieg die Zahl der Patente von 250 nutzungsrechte gegen Geschäftsan- Bayh-Dole).

Research Corporation for Science Advancement (RCSA), Fördergelder aus Patenteinnahmen


»For over one hundred years, tatic precipitator not only reduced Johnson O’Connor’s development of
Research Corporation for Science air pollution, it also retrieved va- aptitude testing; Ernest Lawrence’s
Advancement has pioneered trends luable metals that had previously invention of the cyclotron; Robert
in science and education, funded escaped from smokestacks. It was Van de Graaff’s invention of the
scientific research, and helped scien- a novel invention, one that is still in Van de Graaff generator; and Roger
tists solve some of the great questi- use today. Cottrell was a remarkably Williams’ discovery of pantothenic
ons in the history of science. In the altruistic man. He decided he would acid. After several years of managing
early 1900s, the industrial revolution produce and sell electrostatic preci- the electrostatic precipitator patent,
brought significant advancements pitators, and use the profits to sup- Research Corporation staff realized
to society. But progress’ evil twin, port the research of other scientists. they had developed a skill that
pollution, soon became a problem. To that end, he established Research could provide another type of help
In response to the smoke billowing Corporation in 1912. Success in the with scientific discovery: patent ma-
from factories and refineries, Fre- precipitator business made the nagement. In 1937, the Foundation
derick Gardner Cottrell, a professor Foundation’s first grant possible in signed an agreement with MIT to
at University of California, Berkeley, 1918. During the next 25 years, nu- manage all of the school’s scientific
invented the electrostatic precipita- merous projects were identified and patents; other institutions followed
tor, an air pollution device that uses funded, including E.J. Cohn’s work and RCSA was in the patent ma-
the force of an induced electrostatic with proteins; Kenneth Davidson’s nagement business for the next 50
charge to remove particles from a research in hydrodynamics; Robert years« (RCSA 2015).
flowing gas, such as air. The electros- Goddard’s exploration of rocketry;

Corporation for Science Advancement (RCSA), Genetics (UGEN) aus, die sich auf Biotechnologie
Fördergelder aus Patenteinnahmen). Letztere war konzentrierte und 1983 an die Börse ging (Kenney
seit Ende der 1960er-Jahre eine der ersten For-pro- 1986). 1994 erfolgte die Umbenennung in Compe-
fit-Firmen mit der Vision, Erfindungen aus Uni- titive Technologies (CTTC) und die Hinzunahme
versitäten zu vermarkten. Sie hatte Verträge mit von Kunden aus dem privaten Bereich sowie von
zehn großen Universitäten, unter anderem Prince- Regierungseinrichtungen. Heute hat CTTC nach
ton sowie den Universitäten von Illinois, Colora- eigenen Angaben mehr als 500 Technologien an
do und Pennsylvania. In der Regel erhielt sie von mehr als 400 Organisationen lizenziert. Profitabel
den Hochschulen exklusive Vermarktungsrechte arbeitet die Firma allerdings bis heute nicht.
im Gegenzug für die Bezahlung von Lizenzgebüh- Neben der Lizenzierung gingen die Univer-
ren. University Patents gliederte 1980 University sitäten Kooperationen ein. Diese stellten für die
42 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.2 Ausgewählte frühe molekularbiologische Forschungskooperationen von US-Universitäten. (Quelle:


BioMedServices (2015) nach Kenney (1986))

Jahr Einrichtung Firma (Land) Wert (Mio. US$) Dauer(Jahre) Gebiet


2 1981 Massachusetts General Hoechst (D) 70 10 Genetik
Hospital

1981 Scripps Clinical & Research J&J (US) 30 – Vakzine


Foundation

1974 Harvard Medical School Monsanto (US) 23,5 12 Krebs

1982 Washington University Monsanto (US) 23,5 5 Biomedizin

1980 Massachusetts Institute of Exxon (US) 8 10 Energie


Technology

1982 Massachusetts Institute of Grace (US) 8 5 Aminosäuren


Technology

1982 Cold Spring Harbor Exxon (US) 7,5 5 Genetik

Hochschulen ebenfalls eine Geldquelle dar und für


die beteiligten Großunternehmen einen Zugang Der Vater des Venture-Capitals
zu neuem technischen Wissen. Im Zeitraum 1974 General Georges der »Vater des Venture-Capitals«
bis 1983 wurden 18 Forschungsvereinbarungen ge- gründete 1946 die American Research & Develop-
schlossen (Kenney 1986), die größten davon listet ment Corporation (ARDC) in Cambridge, Massachu-
. Tab. 2.2. setts. Für aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehren-
de amerikanische Soldaten, die eine Firma gründen
Venture-Capital wollten, sammelte ARDC Kapital bei institutionellen
Investoren ein. Mit der 1957 getätigten Investition
»Beim Venture-Capital (Risikokapital, Wagnis- von US$70.000 in das von Ken Olsen gegründete
kapital) handelt es sich um zeitlich begrenzte Unternehmen Digital Equipment Corporation (DEC)
Kapitalbeteiligungen an jungen, innovativen, fädelte Doriot den wohl größten finanziellen Coup
der Venture-Capital-Industrie ein. Denn der Wert des
nicht börsennotierten Unternehmen, die
Investments stieg nach dem Börsengang von DEC im
sich trotz z. T. unzureichender laufender Er- Jahre 1966 auf 38,5 Mio. US$, mehr als 500-mal so viel
tragskraft durch ein überdurchschnittliches wie der Einsatz.
Wachstumspotenzial auszeichnen« Gabler
Wirtschaftslexikon Online (Venture Capital)
Gesetz auf den Weg gebracht wurde. Es bot den
VC-Firmen Steuervergünstigungen sowie günstige
Neu gegründete Biotech-Firmen finanzierten ihre Konditionen beim Leihen von Geld von der Small
Tätigkeiten anfangs meist durch Risikokapital, im Business Administration (SBA), einer Bundesein-
Englischen venture capital (VC) genannt, das sei- richtung. Die VC-Industrie fand dann auch sehr
nen Ursprung in den USA hat: 1946 entstanden die früh Gefallen an den Firmen der neuen Biotechno-
ersten beiden VC-Firmen American Research and logie (. Tab. 2.3).
Development Corporation (ARDC 7 Der Vater des Auffällig bei den VC-Firmen ist die Konzentra-
Venture-Capitals und J. H. Whitney & Company). tion in Menlo Park, einer Kleinstadt im Santa Clara
Als erste VC-Finanzierung wird die 1957 erfolgte Valley (Silicon Valley) südlich von San Francisco.
Investition von ARDC in den Computerhersteller Die meisten der Risikokapitalgeber sitzen dabei in
DEC (Digital Equipment Corporation) erachtet. einer gemeinsamen Straße, der Sandhill Road, die
Eine rasche Entwicklung in der VC-Industrie nordwestlich der privaten Stanford University ver-
ergab sich, als 1958 das Small Business Investment- läuft. Viele der VC-Firmen waren am Aufbau der
2.1 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie
43 2

. Tab. 2.3 Früh gegründete Venture-Capital(VC)-Firmen in den USA mit Investments in Biotech-Unternehmen.
(Quelle: BioMedServices 2015)

Jahr Firma Ort Gründer

1964 Sutter Hill Ventures Palo Alto Bill Draper & Paul Wythes

1964 Asset Management Ventures Palo Alto Pitch Johnson

1968 Morgenthaler Ventures Cleveland David Morgenthaler

1969 The Mayfield Fund Menlo Park Tommy Davis

1972 Kleiner, Perkins, Caufield & Byers Menlo Park Eugene Kleiner & Thomas Perkins

1972 Sequoia Capital Menlo Park Don Valentine

1976 Menlo Ventures Menlo Park Dubose Montgomery

1978 New Enterprise Associates Baltimore Charles W. Newhall

1979 Sanderling Ventures San Mateo Robert McNeil

1979 InterWest Partners Menlo Park Wally Hawley, Scott Hedrick & Gene Barth

1980 Institutional Venture Partners Menlo Park Reid Dennis

1980 Venrock Associates Menlo Park Antony Envin

1981 U.S. Venture Partners Menlo Park Bill Bowes, Stuart Moldaw & Robert Sackman

1985 Domain Associates Princeton James Blair

Silicon Valley
»Silicon Valley is a nickname for centered, including San Jose and technology economic sector. Silicon
the southern portion of the San surrounding cities and towns. The Valley is a leading hub and startup
Francisco Bay Area in California, term originally referred to the large ecosystem for high-tech innovation
United States. It is home to many of number of silicon chip innovators and development, accounting for
the world’s largest high-tech cor- and manufacturers in the region, one-third of all of the venture capi-
porations, as well as thousands of but eventually came to refer to all tal investment in the United States«
tech startup companies. The region high tech businesses in the area, (Wikipedia, Silicon Valley).
occupies roughly the same area as and is now generally used as a
the Santa Clara Valley where it is metonym for the American high-

Halbleiter-, Computer- und Software-Industrie im dürfen, was zur Folge hatte, dass viel Geld in
Silicon Valley beteiligt. Berühmte Vertreter dieser Risikokapital-Fonds abfloss;
Branche finden sich in weiteren Kleinstädten die- 55 1978: Revenue Act – die Kapitalertragssteuer
ser Gegend (7 Silicon Valley): Palo Alto (Hewlett- fiel auf 28 % (geringer als Einkommenssteuer),
Packard; früher Facebook, heute in Menlo Park), was zu einem Wiederaufleben der VC-Indust-
Mountain View (Google, Mozilla, Symantec), Cu- rie in den frühen 1980er-Jahren führte;
pertino (Apple) und San Jose (Adobe, eBay). 55 1981: Economic Recovery Tax Act (ERTA) – ein
Auch im Bereich der Finanzierung haben die Gesetz, das die Steuern auf Kapitalgewinne
USA früh wichtige Gesetze in die Wege geleitet wie: nochmals von 28 auf 20 % reduzierte.
55 1974: Retirement Income Security Act (ERISA)
– ein Gesetz zur Regulierung der Investment- Ziel war es, die Wirtschaft anzukurbeln, was ge-
Tätigkeiten von Pensionsfonds; 1978 dahin- lang, da sich bis 1983 die staatlichen Einnahmen aus
gehend gelockert, dass diese in VC investieren Steuern auf Kapitalgewinne um 50 % erhöhten. Ris-
44 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

kante Investments in zum Beispiel kleine Biotech- das Börsenfenster erneut, insgesamt standen In-
Firmen wurden so mit geringerer Steuer belastet. vestoren der Biotechnologie kritischer gegenüber.
Staatliche Institutionen arbeiteten zudem erste Ab 1996 erholte sich das Finanzierungsumfeld und
2 Berichte über die wirtschaftliche Nutzung der mo- 1997/1998 brachte eine wichtige FDA-Reform.
lekularen Biologie aus, so das Büro für Technikfol-
genabschätzung im US-Kongress (Office of Techno- 2.1.2.2 Die Gegebenheiten in Japan und
logy Assessment, OTA) und das US-Wirtschaftsmi- Europa
nisterium (US Department of Commerce, DOC): Der OTA-Bericht von 1984 identifizierte als stärks-
55 OTA (1981): Impacts of Applied Genetics: Mi- te Wettbewerber für die USA: Japan, Deutschland,
cro-Organisms, Plants, and Animals Großbritannien, Schweiz und Frankreich.
55 DOC (1983): An assessment of U.S. competitive-
ness in high technology industries »» Japan is likely to be the leading competitor
55 OTA (1984): Commercial Biotechnology: An … for two reasons. First, Japanese companies
International Analysis … have relatively more industrial experience
55 DOC (1984): High technology industries – profi- using old biotechnology, more established
les and outlooks. Biotechnology bioprocessing plants, and more bioprocess
55 OTA (1987): New Developments in Biotechno- engineers than the United States. Second,
logy: Public Perceptions of Biotechnology the Japanese Government has targeted bio-
55 DOC (1987): Biotechnology in Western Europe technology as a key technology of the future,
(Yuan 1987) is funding its commercial development, and is
55 OTA (1988): New Developments in Biotechno- coordinating interactions among representa-
logy: U.S. Investment in Biotechnology tives from industry, universities, and govern-
ment. (OTA 1984)
Neben dem Zukunftspotenzial und der gesell-
schaftlichen Relevanz der neuen Technologien Prestowitz Jr (1986) führt an, dass zwischen 1977
wurde insbesondere die Wettbewerbsposition der und 1981 60 % aller 2400 Patente in der (»alten«)
USA beleuchtet. OTA kam zu dem Schluss: Biotechnologie nach Japan gingen. Das Arbei-
ten mit der neuen Gentechnik war in Japan erst
»» The unique complementarities between es- nach der Auflage von Regularien ab 1979 erlaubt.
tablished and new firms, the well-developed Allerdings rief schon 1973 die Science and Tech-
science base, the availability of finances, and nology Agency (STA) das sogenannte »Office for
an entrepreneurial spirit have been important Life Science Promotion« ins Leben, das seither Bio-
in giving the United States its present compe- technologie-FuE-Projekte fördert. Der Startschuss
titive advantage in the commercialization of zur »Aufholjagd« in der neuen Biotechnologie fiel
biotechnology. (OTA 1984) dann durch das Ministry of International Trade
and Industry (MITI), das das Jahr 1981 zum »Jahr
Bis 1987 galt die Börse als primäre Geldquelle für der Biotechnologie« ausrief. Es legte ein Zehn-Jah-
Biotech-Firmen. Sie versiegte vorübergehend, als res-Programm für FuE betreffend Bioreaktorent-
im Oktober 1987 der erste Börsenkrach nach dem wicklung, Massenzellkulturtechniken sowie DNS-
Zweiten Weltkrieg eintrat. 1990 war ein Jahr mit Rekombinationstechniken auf. Ein besonderes
zunehmender Volatilität der Finanzmärkte und Merkmal war, dass alle Teilnehmer des Programms
zunehmenden regulatorischen Hürden. So gab die Rechte an allen Ergebnissen teilen sollten.
es Rückschläge bei der Zulassung durch die FDA Dem MITI gelang es, die Mitglieder der 1983 ge-
(Food and Drug Administration), erste pharma- gründeten BIDEC (Biotechnology Development
ökonomische Analysen kamen auf. 1991 war ge- Corporation, einer Vereinigung von mehr als 150
prägt von einem Biotech-Aktien-Boom, 1992 dann Unternehmen) davon zu überzeugen, Dopplungen
wieder vom Auf und Ab der Börse sowie einer Kos- in der FuE zu vermeiden, FuE-Ergebnisse zu teilen
tenkrise im Gesundheitswesen. 1993 schloss sich und gemeinsam die Kommerzialisierung der neu-
2.1 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie
45 2

Technologietransfer in Japan
»In applied research areas such as that almost all university rDNA and movement of knowledge across
bioprocessing and microbiology, hybridoma research in Japan takes industrial sectors in Japan is facilita-
Japanese university/industry rela- place in … departments [that] pride ted by the unique ‚keiretsu‘ structure
tions and the transfer of informa- themselves on independence from (a group of companies with histori-
tion from universities to industry industrial influence. The Japanese cal ties, which usually consists of a
are generally very good. In basic Government has launched new pro- company from each industrial sector
research areas, however, the trans- grams designed to cross the barriers and a bank or trading company …)«
fer of information from universities between university basic science (OTA 1984).
to industry is impeded by the fact departments and industry … The

en Biotechnologie voranzutreiben (7 Technologie- trieben vom MITI über das Japan Key Technology
transfer in Japan). Center. Alle 96 nationalen Universitäten schafften
Auch Schmid (1987) macht auf das japanische neue Lehrstühle, resultierend in einem Anstieg
Erfolgsrezept aufmerksam: hervorragende interna- des Anteils japanischer Schutzrechte von in Japan
tionale Informationsbasis, traditionelle Koopera- beantragten Patenten in der molekularen Genetik
tionsbereitschaft, langfristige Strategie sowie enge und Zelltechnologie von 20 auf 45 % innerhalb von
Zusammenarbeit zwischen Privatindustrie und fünf Jahren (Schmid 2007). Weitere Details zur frü-
staatlichen Stellen. 36 der 46 Präfekturen richteten hen Situation der Biotechnologie in Japan finden
Biotechnologie-Entwicklungsgesellschaften ein. sich bei Elkington (1986), Yuan und Dibner (1990)
Von 1981 bis 1984 stiegen die gesamten Ausgaben sowie Schmid (1991).
für Lebenswissenschaften um rund 50 % und die Die Wettbewerbsposition Europas schätzte der
für Gentechnik sogar um 150 %. Der Erfolg: An OTA-Bericht von 1984 wie folgt ein:
Gentech-Projekten beteiligten sich insgesamt 129
Firmen, für Deutschland identifizierte Schmid
»» The European countries are not moving as
rapidly toward commercialization of biotech-
(1987) dagegen nur 18. Um den molekularbiologi-
nology as either the United States or Japan, in
schen Rückstand aufzuholen, kooperierten die gro-
part because the large established pharma-
ßen japanischen Firmen mit den neu gegründeten
ceutical and chemical companies in Europe
US-Biotech-Firmen. So kollaborierte Genentech
have hesitated to invest in biotechnology and
mit den japanischen Konzernen Daiichi, Fujisawa,
in part because of cultural and legal traditi-
Kyowa Hakko, Mitsubishi Chemical, Mitsui Toatsu
ons that tend not to promote venture capital
und Toray Industries (Elkington 1986). Neue klei-
formation and, consequently, risk-taking ven-
ne Firmen gründeten sich in Japan zu dem frühen
tures. (OTA 1984)
Zeitpunkt kaum. Neben kulturellen Aspekten (Risi-
koaversion) erschwerte vor allem die fehlende VC-
Finanzierung entsprechende Vorhaben. Gleich- Ein anderer US-Bericht, vom US-Wirtschaftsmi-
wohl versuchte das MITI gegenzusteuern und legte nisterium (Yuan 1987), bewertete die Rahmenbe-
1984 ein Programm zur Verbesserung des Klimas dingungen für die wirtschaftliche Nutzung der Bio-
für VC-Investitionen auf. Niedrigere Kapitalzinsen technologie in Europa folgendermaßen:
der staatlichen Japan Development Bank sollten 1. Die Grundlagenforschung ist auf einigen Ge-
die Risiken von High-Tech-Kommerzialisierun- bieten weltklasse.
gen reduzieren. Zusätzlich sanken die Steuern auf 2. Das Forschungssystem ermöglicht jungen Wis-
Kapitalerträge um 20 % (Schmid 1985). Japan er- senschaftlern kaum unabhängige Forschung
richtete in den 1980ern neue nationale Forschungs- und es besteht eine negative Einstellung gegen-
zentren: Das RIKEN Tsukuba Life Science Center über industriellen Aktivitäten.
(1984), das der STA untersteht, sowie das Protein 3. Der Staat spielt eine wichtige, und zum Teil
Engineering Research Institute in Osaka (1986), be- Schlüssel-Rolle bei der industriellen Entwick-
lung.
46 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Schlussfolgerungen des OECD-Berichtes zur Biotechnologie von 1982


»Die Autoren zeigen anschaulich, von Anfang an in Rechnung gestellt konventionellen Molekularbiologie
2 welches Potential in der Biotechno-
logie liegt und welche Zukunfts-
werden. Ein Beispiel für die Über-
schwenglichkeit ist die in der Presse
und Gentechnik anerkannt wird, so
machen wir doch geltend, dass es
aussichten sie eröffnet, weisen aber und bei einigen auf dem Gebiet gefährlich wäre, nur diesen Aspekt
auch auf die einschränkenden Fakto- der Biotechnologie Tätigen beob- der Biotechnologie zu berücksichti-
ren hin, die keineswegs geringfügig achtete Tendenz, die Formulierung gen und betonen, dass viele andere
sind. Sie werden eine große Wirkung von Projekten und Prognosen mit Gebiete, die für landwirtschaftliche,
haben und müssen, obgleich sie ihrer Realisierung zu verwechseln, industrielle und medizinische An-
rasche Fortschritte in der Biotechno- die in vielen Fällen zwangsläufig wendungsbereiche von Nutzen
logie nicht zu verhindern brauchen, langwierig und teuer sein wird. sind, zur Zeit viel zu wenig beachtet
bei der Formulierung einer Politik … Wenn auch die Bedeutung der werden« (Bull et al. 1984)

4. Biotechnologische Aktivitäten konzentrieren mationen zu Firmen finden sich im Grunde nicht,


sich in großen, etablierten Firmen mit lang- der US-OTA-Bericht von 1984 widmet dieser The-
fristigen FuE-Programmen sowie hoher finan- matik ein eigenes Kapitel auf rund 40 Seiten.
zieller Liquidität. Obwohl mit internationalem Berzug, sei an die-
5. Risikokapital steht für neue, kleine Unterneh- ser Stelle der Vollständigkeit halber noch die Studie
men nicht zur Verfügung. Biotechnology: International Trends and Perspectives
6. Europäische Firmen gehen eher Partnerschaften der OECD (Bull et al. 1982) erwähnt. Der 1982 ver-
mit US- als mit anderen Firmen in Europa ein. öffentlichte Bericht, abgefasst von drei Professoren
aus Großbritannien, erarbeitete eine Definition zur
Ein bereits 1983 veröffentlichter »europäischer« Be- Biotechnologie, die heute noch oft verwendet wird.
richt zur Lage in Europa ging auf derartige Fakto- Neben der Darstellung einzelner Wissensgebiete und
ren überhaupt nicht ein, sondern untersuchte rein Techniken (inklusive Gentechnik in einem eigenen
die technologischen Potenziale. Die Studie namens Unterkapitel) ging die Studie auf wissenschaftliche,
Biotechnology in Europe – A community strategy technologische und materielle Sachzwänge in der
for European Biotechnology führte die DECHEMA Biotechnologie ein. Zudem diskutierte sie bedeuten-
(Deutsche Gesellschaft für chemisches Apparate- de Faktoren, die deren Entwicklung beeinflussen.
wesen, heute Gesellschaft für Chemische Technik Ziel war es, Schlussfolgerungen und Empfehlungen
und Biotechnologie) durch, beauftragt von der aufzustellen, die in erster Linie für die Regierungen
European Federation of Biotechnology (EFB) im der einzelnen Mitgliedsländer der OECD bestimmt
Rahmen des »FAST Bio-Society-Projektes« (FAST: waren (7 Schlussfolgerungen des OECD-Berichtes
Forecasting and Assessment in Science and Techno- zur Biotechnologie von 1982). Eine wesentliche Aus-
logy, eine Einrichtung der Europäischen Kommis- sage war, »dass die von der Biotechnologie erzeugte
sion). Der Bericht (Behrens et al. 1983) stellt vor Begeisterung überschwenglich und die Rückkehr
allem einzelne Techniken der alten Biotechnologie zur Realität unbedingt erforderlich ist«.
sowie deren wirtschaftliche Anwendung und ge- Darüber hinaus fertigten einzelne europäische
sellschaftlichen Implikationen dar. Er wiederholt Länder Studien zur Beurteilung der eigenen Situa-
Formulierungen einer 1974 veröffentlichten Studie tion in der Entwicklung der Biotechnologie an. In
der DECHEMA (DECHEMA 1974) und geht auf Großbritannien war dies der »Spinks-Report« ge-
die seit Ende der 1970er- und Anfang der 1980er- nannte Bericht aus dem Jahr 1980, in Frankreich
Jahre in den USA wirtschaftlich angewandte Gen- der »Pelissolo-Report« ebenfalls 1980 verfasst.
technik nur am Rande ein: Lediglich eine Textseite Um die Biotechnologie voranzutreiben, legten
und ein Schlusswort verweisen auf den OTA-Be- einige europäische Länder in den 1980er-Jahren na-
richt von 1981 (Impacts of Applied Genetics). Das tionale Förderprogramme auf (. Tab. 2.4). Vorrei-
1982 auf den Markt gebrachte rekombinante Hu- ter war dabei Deutschland. In den USA gab es kein
maninsulin bleibt komplett unkommentiert. Infor- eigenständiges Programm, die Biotechnologie-För-
2.1 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie
47 2

. Tab. 2.4 Nationale Förderung der Biotechnologie und erste Biotechnologie-Programme in Europa. (Quelle:
BioMedServices 2015)

Anzahl Gentech- Förderung 1982 Zusätzliche Biotechnologie-Programmec


nik-Labore 1981a (Mio. US$)b
Start Dauer (Jahre)

USd 50 477 (1983: 511) Kein spezifisches Programm; plus


NIH-Förderung

Frankreich 12 81 bzw. 35–60 1982 11

Schweiz 18 73 (Biologie, Biomedizin) – –

Großbritannien 45 50 1982 3

Deutschland 10–20 (DDR: 5) 35 bzw. 50–70 1979/1985/1990 4/4/10

Niederlande n. v. ~ 12 1981 ~ 10

Dänemark n. v. n. v. 1987 5

DDR Deutsche Demokratische Republik, NIH National Institutes of Health, n. v. nicht verfügbar
aOTA (1981), bDOC (1984) und OTA (1984), cOTA (1984) und Senker (1998), dzum Vergleich

derung erfolgte über die institutionelle Finanzie- Forschungs- und Technologiepolitiken der Mit-
rung der Grundlagenforschung. 1982 lag diese um gliedstaaten auch nur in Ansätzen gelungen
ein Vielfaches höher als in einzelnen europäischen ist. (Dolata 1996)
Ländern.
Neben den nationalen Forschungs- und In- Auf Ebene der Regularien versuchte die Europäi-
dustriepolitiken gewann ab den 1980er-Jahren die sche Kommission in der zweiten Hälfte der 1980er-
länderübergreifende Förderung und Koordinie- Jahre gemeinsame europäische Richtlinien auszu-
rung der neuen Biotechnologie im Rahmen der arbeiten, die dann in nationales Recht umzusetzen
Europäischen Union (EU) an Bedeutung. Gemein- waren. Zudem erließ sie Verordnungen, die in allen
schaftliche Forschungs- und Technologieprogram- Mitgliedsstaaten direkt rechtlich bindend waren.
me (. Tab. 2.5) sowie Projekte der Grundlagen- So wurden laut Dolata (1996) folgende Richtlinien
forschung, das Zusammenwachsen einer europäi- und Verordnungen mit Bezug zur Biotechnologie
schen biotechnologischen Forschungsinfrastruktur geplant beziehungsweise verabschiedet:
gehörten dazu wie auch die Bemühung um die 55 1987: Arzneimittel-Richtlinie, die das Inverkehr-
Ausgestaltung beziehungsweise Harmonisierung bringen technologisch hochwertiger Arzneimit-
nationaler Regelwerke und Gesetzgebungen. Dola- tel, insbesondere aus der Biotechnologie, regelte
ta (1996) merkte dazu jedoch an: (1995 aufgehoben und in die neue Arzneimittel-
Verordnung der EU eingegliedert, die ein zent-
»» Auch die zunehmende finanzielle Förderung ralisiertes Zulassungsverfahren umfasste);
transnationaler Forschungsprojekte durch 55 1990: System-Richtlinie, die Sicherheitsanfor-
die EU darf nicht darüber hinwegtäuschen, derungen und Genehmigungsverfahren für die
dass der Gemeinschaft bislang weder eine Anwendung genetisch veränderter Mikroorga-
Vernetzung der nationalen Forschungsinfra- nismen in geschlossenen Systemen formulierte;
strukturen noch eine Abstimmung oder gar 55 1990: Freisetzungs-Richtlinie, die Anforderun-
Vereinheitlichung der biotechnologischen gen und Verfahren für die absichtliche Freiset-
48 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.5 Biotechnologie-Programme der Europäischen Union in den 1980er- und 1990er-Jahren. (Quelle: Bio-
MedServices (2015) nach Dolata (1996))

Wann Name Budget (Mio. €) Schwerpunkt/Kommentar


2 1982–1986 Biomolecular Engineering Pro- 15
gramme (BEP)

1985–1989 Biotechnology Action Programme 75 Wahllos ausgewählte Forschungsprojekte


(BAP)

1990–1993 Biotechnology Research Program- 100 1. Biologie von Zellen


me for Innovation and Develop- 2. Proteindesign, Biotransformation,
ment Growth in Europe (BRIDGE) Genomaufklärung
3. Informationsinfrastrukturen
4. Pränormative Forschung

1992–1994 Biotechnology (BIOTECH) 166 Grundlagenorientierte Projekte der Bio-


medizin und Pflanzenmolekulargenetik

1994–1998 Biotechnology 562 1. Pflanzen- und Tier-Biotechnologie


2. Zellfabriken
3. Genomanalyse
4. Zellkommunikation in der Neurologie

zung genetisch veränderter Organismen in die 2.2 Genentech & Co.: Aufkommen
Umwelt umriss; einer KMU-geprägten Industrie
55 1991: Pflanzenschutzmittel-Richtlinie, die die in den USA
Zulassung, das Inverkehrbringen, die Anwen-
dung und die Kontrolle von Pflanzenschutz- 1976 gilt als das Geburtsjahr der modernen Bio-
mitteln regelte, die GVO (gentechnisch ver- tech-Industrie. In diesem Jahr gründete sich das
änderte Organismen) enthalten oder sich aus Unternehmen Genentech, das bis zum Jahr 2009
ihnen zusammensetzen; zu einer der führenden Biotech-Gesellschaften mit
55 1992: Novel-Food-Verordnung zur einheit- über 10.000 Mitarbeitern anwuchs (7 Abschn. 2.2.1).
lichen Regelung von Lebensmitteln, die GVO Sie existiert heute noch, allerdings unter dem Dach
enthalten oder aus solchen bestehen; der Roche-Gruppe.
55 1995: Entwurf einer Patentierungs-Richtlinie In den USA gründeten sich auch schon vor 1976
zum rechtlichen Schutz biotechnologischer andere kleine und mittlere Unternehmen (KMU),
Erfindungen (genmanipulierte Tiere, Pflanzen, die sich aber erst später mit der neuen Biologie
menschliche Zellen und Gewebe, medizinische beschäftigten, wie beispielsweise Cetus (7 Cetus,
Verfahren); am Veto des Europäischen Parla- gegründet 1971). Cetus wurde 1991 von der 1981 ge-
mentes gescheitert; nach Anpassung 1998 ver- gründeten Chiron gekauft, die 2006 wiederum von
abschiedet als EU-Biopatentrichtlinie. Novartis übernommen wurde.

Eine detaillierte Diskussion der Rahmenbedin-


gungen und Entwicklungen der Biotechnologie in
Deutschland findet sich in 7 Kap. 4.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
49 2

Cetus, gegründet 1971


»The founders – Ron Cape, a PhD automated screening techniques the development of two medically
with an MBA from Harvard Business for the discovery of microorganisms important proteins: interleukin-2
School, Peter Farley, an MD with an with utility in industrial bioproces- and beta interferon. The company’s
MBA from the Stanford University sing applications. Toward the end of most important contribution to
Graduate School of Business, and the decade, Cetus cultivated experti- science and industry was biochemist
Nobel Prize-winning physicist Do- se in molecular biology and applied Kary Mullis’ invention of the poly-
nald Glaser of the University of Cali- recombinant DNA technology to a merase chain reaction (PCR) in 1983«
fornia, Berkeley – initially developed variety of industrial ends, including (Life Sciences Foundation, Cetus).

2.2.1 Start 1976: die Erfolgsgeschichte DNS-Rekombinationstechnik funktioniert, um


von Genentech menschliche Proteine in einem Bakterium herzu-
stellen, ein bis dahin noch nie dagewesener Vor-
Der Risikokapitalgeber Swanson und der Bioche- gang. Davor glückte lediglich die Klonierung des
miker Boyer gründeten Genentech 1976 in San Gens für Ratten-Insulin an der University of Cali-
Francisco. In den frühen 1970er-Jahren war Boy- fornia, San Francisco (UCSF). Swanson berichtete
er Miterfinder der DNS-Rekombinationstechnik im Jahr 1978 an die Aktionäre:
(7 Abschn. 1.2.3). Er sah ein kommerzielles Poten-
zial in der neuen Methode, konnte jedoch kein »» I am pleased to point out that the two year
Unternehmen gewinnen, das Interesse daran zeig- start-up of the company, including the com-
te. Letztlich war es Swanson, der als Erster die Ini- pletion of our first research goal, the produc-
tiative für die Neugründung ergriff. tion of the human hormone somatostatin,
and the first commercial demonstration of
»» After hearing about Boyer and Cohen’s break- our new technology, was accomplished for a
through, Swanson placed a call to Boyer and total of $515.000. We plan to approach future
requested a meeting. Boyer agreed to give the growth in the same lean but effective manner.
young entrepreneur 10 min of his time. Swan- (Hughes 2011)
son’s enthusiasm for the technology and his
faith in its commercial viability was contagi- Ein Jahr später, im August 1978, gewann Genentech
ous, and the meeting extended from 10 min to ein hitziges Kopf-an-Kopf-Rennen verschiedener
three hours; by its conclusion, Genentech was Forschergruppen, indem die Klonierung und Ex-
born. Though Swanson and Boyer faced skep- pression des menschlichen Insulin-Gens gelang.
ticism from both the academic and business Einen Tag nach dem entscheidenden Experiment
communities, they forged ahead with their ging die junge Firma eine Kooperation mit dem
idea. (Genentech 2015a) US-Pharma-Konzern Eli Lilly ein. Der Vertrag lief
über 20 Jahre, umfasste eine Sofortzahlung von
Es war sicherlich von nicht unerheblicher Bedeu- US$500.000 sowie Tantiemen (royaltys) in Höhe
tung, dass Swanson selbst studierter Chemiker von 6 % auf zukünftige Produktumsätze. Lilly si-
(MIT) war und anschließend ein Postgraduierten- cherte sich im Gegenzug die exklusiven weltweiten
programm der Betriebswirtschaftslehre an der MIT Rechte an der Produktion und Vermarktung des re-
Sloan School of Management absolvierte, das mit kombinanten Insulins, das 1982 auf den Markt kam.
einem Master in Management abschloss (Hughes Zum Zeitpunkt des Börsengangs, 1980, hatte
2011). Danach ging er in das VC-Geschäft und Genentech 20 Mitarbeiter, kein Produkt auf dem
brachte entsprechende Erfahrung in die Gründung Markt und entsprechend auch keine Gewinne vor-
von Genentech ein. Dessen Wissenschaftlern ge- zuweisen. Ebenfalls im Jahr 1980 unterzeichnete
lang im August 1977 der Nachweis, dass die neue die Gesellschaft eine Vereinbarung mit Roche über
50 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.6 Ausgewählte Meilensteine bei Genentech, gegründet 1976. (Quelle: BioMedServices (2015) nach
Genentech (2015a))

2 Jahr Meilenstein Jahr Meilenstein

1977 Erstmalige Produktion eines mensch- 2001 25 Jahre Genentech


lichen Proteins (Somatostatin) in einem
Bakterium

1978 Klonierung Gen für Humaninsulin 2002 Zul. HER2-Gen-Test

1979 Klonierung Gen für hGH 2003 Zul. Xolair (Asthma-AK): 1. IgE-AK
Zul. Raptiva (Psoriasis-AK)
1980 Börsengang (35 Mio. US$), Aktie steigt
innerhalb einer Stunde von 35 auf US$88

1982 Zul. Humulin (rekombinantes 2004 Zul. Avastin (Darmkrebs-AK): 1. Anti-Angioge-


Humaninsulin), lizenziert an Lilly; nese-AK
6 Jahre Genentech Zul./Vermarktung Tarceva (Lungenkrebs-KI von
OSI Pharmaceuticals)
1984 Erstmalige Produktion von rekombinan-
tem Faktor VIII (Blutgerinnungsfaktor)

1985 Zul. Protropin (rekombinantes hGH für 2006 Zul. Lucentis (AMD-AK)
Kinder): 1. eigenes Produkt Zul. Rituxan für rheumatoide Arthritis
30 Jahre Genentech
1986 Zul. Roferon (rekombinantes Interferon),
lizenziert an Roche; 10 Jahre Genentech

1987 Zul. Activase (rekombinantes t-PA gegen 2007 Akquisition von Tanox
Herzinfarkt)

1990 Roche übernimmt Aktienmehrheit (60 %) 2009 Roche kauft weitere 42 % für 46,8 Mrd. US$ auf
für 2,1 Mrd. US$ und führt Delisting durch
Zul. Hepatitis-B-Vakzin, lizenziert an SKB
2010 Zul. Actemra (Rheumatoide-Arthritis-AK)

1993 Zul. Nutropin, Pulmozyme, Faktor VIII 2011 Zul. Zelboraf (Hautkrebs-KI)
(lizenziert an Miles Laboratories, heute 35 Jahre Genentech
Bayer)

1997 Zul. Rituxan (Krebs-AK, entwickelt mit 2012 Zul. Perjeta (Brustkrebs-AK)
Idec): 1. Krebs-AK Zul. Erivedge (Hautkrebs-Inhibitor)

1998 Zul. Herceptin (Brustkrebs-AK): 1. perso- 2013 Zul. Kadcyla (Brustkrebs-AK)


nalisierte Therapie Zul. Gazyva (CLL-AK)

1999 Roche kauft weitere 40 % für 3,7 Mrd. US$ 2014 Kauf von Seragon für bis zu 1,7 Mrd. US$
(anschließender Wiederverkauf von An- Breakthrough-Therapy-Designation für
teilen über Börse – dann Besitz von 58 %) MPDL3280A (Anti-PDL1-AK)

AK Antikörper, AMD altersbedingte Makuladegeneration, CLL chronische lymphatische Leukämie, hGH human growth
hormone, KI Kinase-Inhibitor, SKB SmithKline Beecham, t-PA tissue plasminogen activator, Zul. Zulassung

das gemeinsame Forschen zu Leukozyten- und Zu diesem Zeitpunkt – und damit knapp zehn
Fibroblasten-Interferon. Ab 1985 startete Genen- Jahre nach der Gründung – beschäftigte die Ge-
tech dann mit der ersten eigenen Zulassung (Pro- sellschaft mehr als 800 Mitarbeiter, erwirtschafte-
tropin) durch (. Tab. 2.6). In dem Arzneimittel te rund 90 Mio. US$ (gut 90 Mio. €) Umsatz und
steckten fast zehn Jahre Entwicklungsarbeit sowie 5,6 Mio. US$ Gewinn. Der Umsatz umfasste na-
Investitionen von rund 100 Mio. US$. hezu ausschließlich Einnahmen aus Kooperations-
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
51 2

Genentech in Bedrängnis
»Indeed, while Genentech did beco- an effective exclusivity through a After a rapid send-off, sales slowed
me the first biotechnology company t-PA patent. However, it lost a patent dramatically as they approached
to achieve true integration … it suit and subsequent appeals against the $200 million mark, a half to a
also experienced severe difficulties, a British drug company, Wellcome, fifth the range of earlier forecasts. A
some a function of overheated ex- which was also developing a version number of reasons were offered —
pectations, some limitations of the of t-PA. … Third, and most omi- physician confusion over clinical re-
product and the marketplace. First, nously, another English drug maker, sults, the high price ($2,200 a dose),
in May 1987 an FDA advisory panel Beecham, introduced a competitive the fact that it had to be infused
failed to give Activase preliminary product, an altered form of strepto- intravenously — but the point here
approval as analysts had expected. kinase, called Eminase, in Europe. is that all forecasts, particularly in
This delayed Genentech's entrance When t-PA, now called Activase, pharmaceuticals, are prone to error«
into the marketplace. Second, Ge- was finally approved in late 1987, (Teitelman 1989).
nentech tried desperately to retain Genentech’s luck did not improve.

14
Mrd. US$  BioMedServices 2015
12
Gesamt
10
Rituxan
8 Avastin
Herceptin
6
Andere & Royaltys
4

1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

. Abb. 2.1 Umsatz bei Genentech, etwa 20 bis 30 Jahre nach Gründung. Erstellt auf Basis von Daten von Genentech (2015b)

und Lizenzverträgen. Protropin erbrachte dann . Abbildung 2.1 zeigt, dass in den ersten zehn
im zweiten Verkaufsjahr (1986) einen Umsatz von Jahren, nachdem das erste eigene Produkt 1985 auf
knapp 50 Mio. US$, nach drei Jahren überschritt den Markt kam, die Verkaufserlöse nur moderat
er die 100-Mio.-US$-Grenze. Rückschläge, die Tei- stiegen. 1995 beliefen sie sich auf 635 Mio. US$,
telman (1989) anschaulich beschreibt (7 Genentech knapp 70 % des Gesamtumsatzes von 918 Mio. US$.
in Bedrängnis), blieben aber nicht aus, was 1990 zu Erst die Markteinführung der therapeutischen
einem Einbruch des Marktwertes und zur Teilüber- Antikörper (1997: Rituxan, 1998: Herceptin, 2004:
nahme (60 %) durch Roche führte. Avastin) löste dann ein exponentielles Wachstum
aus. Das ursprünglich von der Firma Idec Pharma-
ceuticals 1991 entdeckte und seit 1995 gemeinsam
52 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

mit Genentech entwickelte Rituxan war der erste


monoklonale Antikörper gegen Tumoren (Lym- Biogen, ein frühes transatlantisches Unter-
phome), zielend auf das Zelloberflächenmolekül nehmen

2 CD20. Im Gegensatz zu bis dahin gemeinhin an- »After persuading Harvard biochemist Walter Gilbert
gewandten unspezifischen Chemotherapeutika, er- and MIT molecular biologist Phil Sharp to put their
möglichte Rituxan die erste gezielte Krebstherapie knowledge and skills to commercial use, a small
group of venture capitalists led by Dan Adams, Mos-
überhaupt. Zum Start dieser Phase war Genentech
he Alafi, Kevin Landry, and Ray Schaefer founded Bio-
20 Jahre alt. Im Jahr 2009 erfolgte dann die Kom- gen. Gilbert took a leave of absence from Harvard to
plettübernahme durch Roche sowie die Integration set up the firm’s research operations in Geneva, Swit-
in die Konzerngruppe. zerland. The Swiss location was selected because key
members of the company’s scientific advisory board
were European, and because municipal ordinances in
were limiting scientific work involving recombinant
2.2.2 Weitere Pioniere mit DNA in Cambridge, Massachusetts. Biogen opened a
nachhaltiger Entwicklung: research facility in Cambridge in 1982« (Life Sciences
Biogen, Amgen, Genzyme Foundation, Biogen).

Der erste Erfolg von Genentech, die neue Gentech-


nik kommerziell zur Produktion von humanem In- Schwierigkeiten, wie das International directory of
sulin anzuwenden, war Vorbild für die Gründung company histories aufzeigt (7 Auch Biogen durch-
vieler weiterer Unternehmen. Weitere Pioniere, die lief geschäftliche Tiefs). 1986 dann brachte der Ver-
heute zu den führenden Biotech-Firmen weltweit marktungspartner Schering-Plough das von Biogen
gehören, sind die in den Jahren 1978, 1980 und 1981 entwickelte rekombinante Alfa-Interferon (Mar-
gegründete Biogen, Amgen und Genzyme (heute kenname Intron A) zur Behandlung von Haarzell-
zu Sanofi gehörend). Leukämie auf den Markt. Von den Verkaufsumsät-
zen verblieben Biogen gut 10 % an Tantiemen.
2.2.2.1 Biogen, ein frühes In den Jahren 1988 sowie 1992 wurde die Zu-
transatlantisches Unternehmen lassung auf die Indikationen Genitalwarzen und
Den Anstoß für die Gründung von Biogen im Jahr Kaposi-Syndrom sowie Hepatitis-C-Prophylaxe
1978 gaben ebenfalls VC-Investoren (7 Biogen, ein erweitert. Auf die erste Zulassung eines von Bio-
frühes transatlantisches Unternehmen). Die invol- gen entwickelten Medikamentes folgte 1989 eine
vierten Bostoner Wissenschaftler Gilbert und Sharp weitere für rekombinant hergestelltes Hepatitis-B-
erhielten später Nobelpreise: Gilbert 1980 den für Antigen. Den Vertrieb unter dem Namen Enge-
Chemie (DNA-Sequenzierung) und Sharp 1993 den rix-B übernahm der Partner Wellcome. Ein weiterer
für Medizin (Identifizierung des diskontinuierli- Hoffnungsträger – eine Substanz namens Hirulog
chen Aufbaus einiger Erbanlagen von Zellorganis- (Thrombin-Inhibitor) – erwies sich 1994 als Flop,
men). Neben den US-Professoren war ein weiterer was die Firma wieder in die Verlustzone stürzte.
Mitbegründer der schweizerische Molekularbiolo- Erst die Zulassung von Avonex, einem rekombi-
ge Weissmann, in dessen Labor 1980 erstmals die nanten Beta-Interferon (Fibroblasten-Interferon)
Klonierung und bakterielle Expression von hu- für die Indikation multiple Sklerose erbrachte 1996
manem Leukozyten-Interferon (Alfa-Interferon) den Durchbruch. Vom Unternehmen selbst ver-
gelang. Interferone sind körpereigene Hormone, trieben, erzielte das Medikament 1998 einen Um-
genauer Signalstoffe des Immunsystems, und man satz von knapp 400 Mio. US$, der bis 2012 auf etwa
erhoffte sich von ihnen Durchbrüche bei der Be- 3 Mrd. US$ anwuchs und damit gut 50 % des Gesamt-
handlung von Krebs, Entzündungserkrankungen umsatzes stellte. 2003 fusionierte Biogen mit der im
und Infektionen. Drei Jahre später (1983) erfolgte Jahre 1985 gegründeten Idec Pharmaceuticals, die
der Antrag auf Marktzulassung bei der FDA. sich auf die Entwicklung von monoklonalen Anti-
Bevor diese nach drei Jahren »Wartezeit« posi- körpern fokussierte. 2004 zugelassen, steuerte der
tiv entschied, gelangte auch Biogen finanziell in Antikörper Tysabri (ebenfalls für die Behandlung
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
53 2

Auch Biogen durchlief geschäftliche Tiefs


»Biogen racked up major points during the early 1980s that sported was teetering on the edge of bank-
in the research and development operations in Zurich, Geneva, Belgi- ruptcy. … By 1985 Biogen was using
game during the early 1980s, and um, Germany, and the United States. an estimated $100.000 each day in
positive press brought tens of Although impressive and sometimes research costs. Furthermore, roy-
millions of dollars into its coffers. effective, the organization eventu- alty revenues had slid to less than
Like most biotechnology compa- ally became unwieldy and lacked $20 million annually because the
nies, though, Biogen was burning focus. Some critics charged that de- company had sold some of its pa-
through the cash as fast, or faster, spite his scientific progress, Gilbert tents. Biogen investors were fed up;
than it poured in (the company lacked business skills. The company the company’s directors had already,
went public in 1983). CEO Gilbert, in was a great place to do research, in fact, pulled Gilbert from the chief
his quest for new genetically engi- but it had yet to show a profit. By executive slot and had been sear-
neered drugs, established a global 1984, in fact, Biogen had racked up a ching for a replacement for more
research and development network stunning $100 million in losses and than a year« (Mote 1996).

Auf und Ab bei der frühen Finanzierung von Amgen


»With products still in early de- `They thought it was nonsense to 18 months of the IPO, Amgen’s stock
velopment, past investors were contemplate going public when went down to $3.75. That was a dark
recalcitrant. Rathmann and his we were nowhere near the clinic time for Amgen, with discussions
team decided to aim for corporate with a product … . 'Amgen raised flying fast and furious about how
partners to take up the slack. He had $43 million in June 1983 with the to hold on long enough for the
two-person teams heading to Japan help of chicken growth hormone, products to come through. … Me-
and Europe monthly. Unfortunately, [and] a diagnostic deal with Abbott anwhile, Amgen was running out of
the Japanese market was unwilling … . The timing was close — Amgen cash again. … Finally, by early 1986,
to take a chance. And big pharma hit just as the financing window the public markets were showing
companies in the United States and popped open and then closed. … signs of opening again. … ' … By
Europe did lots of tire kicking, but Remembers Rathmann, ‚We went June, the stock price was up to $26,
nobody was willing to send a check. out in a brief euphoria, had a hard and we began to see clinical pro-
By December 1982, Amgen execs sell in June at $18 a share. The first gress in the EPO project … ; we were
had visited all the potential part- trade was at $16.50, and we were in Phase III trials with Epogen by the
ners to no avail. The company was down to $9 within 3 months. People end of 1986 and raised $75 million
running out of money. … Finally, had signed on at the IPO because for the company at $34 a share in
the team decided to go public. 'We they expected a near-term uptick. April 1987'« (Robbins-Roth 2001).
went to the board about doing an When it didn’t show up immediately,
IPO in the spring,' says Rathmann. they unloaded the stock …‘ Within

von multipler Sklerose) im Jahr 2014 einen Umsatz Risikokapital-Geber beisteuerten. Nachdem noch
von knapp 2 Mrd. US$ bei. Heute liegt Biogen mit die strategischen Investoren Abbott Laboratories
einem Gesamtumsatz von fast 10 Mrd. US$ nach Gi- und Tosco Corporation eingestiegen waren, gelang
lead Sciences und Amgen auf Platz 3 der führenden eine weitere Finanzierung mit knapp 20 Mio. US$.
Biotech-Unternehmen weltweit. Diese Finanzierungsrunde war zu dem damaligen
Zeitpunkt eine der größten für ein Unternehmen
2.2.2.2 Amgen, bis 2013 das nach mit Fokus auf genetic engineering (MaRS Discovery
Umsatz führende Unternehmen District 2012). Dennoch musste später auch Amgen
Die heutige Nummer 2 nach Umsatz, die bei Los zum Teil um das Überleben kämpfen (7 Auf und
Angeles beheimatete Amgen, gründete sich im Ab bei der frühen Finanzierung von Amgen).
Jahr 1980 als Applied Molecular Genetics auf Ba- Noch bis 2013 war sie jahrelang die nach Um-
sis von US$200.000 Gründungskapital, das sechs satz führende Biotech-Firma gewesen. Im Jahr 2014
54 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

20
Mrd. US$  BioMedServices 2015
18
2 16 Gesamt
Enbrel & Wachstumsfaktoren
14 Epogen/Aranesp
Neupogen/Neulasta
12 Enbrel
Xgeva/Prolia
10

0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

. Abb. 2.2 Umsatz bei Amgen, zehn bis gut 30 Jahre nach Gründung. Erstellt auf Basis von Daten aus SEC filings/Ge-
schäftsberichten 1990–2015 sowie Amgen (2015)

»entriss« ihr Gilead diesen Titel, mit zusätzlichen »» Insulin and growth hormone were the low-
fünf im Vergleich zu den 20 Mrd. US$ Umsatz von hanging fruit, as the scientists referred to
Amgen. Die führende Position beruht hauptsäch- them, recombinant replacements for natural
lich auf den Erfolgen mit den eigenentwickelten hormones with well-documented medical uses
Produkten Epogen/Aranesp (gegen Blutarmut) und and public demand. (Hughes 2011)
Neupogen/Neulasta (gegen Neutropenie: reduzierte
Zahl an weißen Blutzellen) sowie dem rekombinan- Amgens Blutzell-Wachstumsfaktoren entwickelten
ten Fusionsprotein Enbrel (. Abb. 2.2). Das seit 1998 sich Mitte der 1990er-Jahre zu den ersten Block-
zugelassene Arzneimittel gegen rheumatoide Arth- bustern der Biotech-Industrie, das heißt, die Medi-
ritis kam im Jahr 2002 über den Zukauf der 1981 ge- kamente erzielten Verkaufserlöse von jeweils mehr
gründeten Immunex in das Amgen-Portfolio. Epo- als 1 Mrd. US$ pro Jahr. Neben der gelungenen
gen und Neupogen erhielten die US-Marktzulas- Produktauswahl war für den Erfolg von Amgen
sung 1989 und 1991, also rund zehn Jahre nach der die ausreichende anfängliche Eigenkapital-Fin-
Firmengründung. Beides sind Hormon-Regulato- anzierung von Vorteil, die den Entwicklungs- und
ren für das Zellwachstum, Epogen (Erythropoietin, Vermarktungsprozess der ersten eigenen Produk-
Epoetin) für rote und Neupogen (G-CSF: Granu- te ermöglichte. Dadurch war das Unternehmen
lozyten-Kolonie-stimulierender Faktor) für weiße nicht gezwungen, im Gegenzug für Finanzmittel
Blutzellen. Aranesp und Neulasta sind jeweils deren die Rechte an den Entwicklungen komplett zu ver-
optimierte Nachfolgeprodukte. Wie bei Genentechs geben. Es sicherte sich den Vertrieb für den hei-
Produkten handelte es sich bei den anfänglichen mischen Markt und bediente den internationalen
von Amgen um körpereigene Substanzen, deren Markt über eine Zusammenarbeit mit der japani-
klinische Entwicklung relativ rasch erfolgte, da die schen Kirin Brewery, die bereits 1984 begann. Zu
Wirkung bereits bekannt war. Neuartig war ledig- dem Zeitpunkt steuerte das japanische Traditions-
lich der gentechnische Herstellungsprozess, der die unternehmen kritische Bioprozesstechnik zur fer-
mühsame Extraktion aus tierischen oder mensch- mentativen Herstellung der neuen Arzneimittel bei
lichen Geweben und Flüssigkeiten ersetzte. und erhielt im Austausch bestimmte internationale
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
55 2
Vermarktungsrechte. Zu Beginn des Jahres 1993
hatte Amgen das Monopol auf dem US-Markt für Termeer forciert Genzymes Fokus auf selte-
Wachstumsstimulatoren von roten Blutzellen und ne Krankheiten
hielt 90 % desjenigen von weißen Blutzellen. »Entrepreneur Sheridan Snyder and biochemist
Henry Blair of Tufts University founded Genzyme to
2.2.2.3   Genzyme, vorwiegend mit Fokus make medicinal products by engineering enzymes
and carbohydrates. … The firm struggled for two
auf seltene Krankheiten
years until the board of directors recruited Dutchman
Ein weiterer Pionier war die im Jahr 1981 in Bos- Henri Termeer to serve as president. … Termeer had
ton gegründete Genzyme Corporation. Sie startete been an executive vice president at Baxter. He was
bereits mit geringen Umsatzerlösen in Höhe von appointed Genzyme’s CEO in 1985. … With an eye to
1 Mio. US$ jährlich, indem sie die britische What- the commercial advantages afforded by the Orphan
Drug Act, Termeer focused Genzyme’s development
man Biochemicals akquirierte, die Enzyme für
efforts on an enzyme replacement therapy for Gau-
diagnostische Tests verkaufte. Weiterhin vertrieb cher disease, a rare, inherited metabolic disorder
Genzyme Forschungsreagenzien wie Glykopro- characterized by a deficiency of the enzyme glucoce-
teine oder Zytokine, die sie von Partnern wie Im- rebrosidase« (Life Sciences Foundation, Genzyme).
munex, Biogen oder aus der Akademie bezog. 1982
folgte die Übernahme von Koch-Light Laborato-
ries, einem Zulieferer von Chemikalien. 1986 kam Ersatztherapie von seltenen Krankheiten (neben
die pharmazeutische Produktion hinzu, wiederum Gaucher auch Morbus Fabry und Morbus Pompe)
durch Zukauf eines britischen Betriebes. Der späte- stellte sich das Unternehmen – oft über Zukauf –
re Fokus auf die Enzym-Ersatztherapie (7 Termeer in den 1990er-Jahren relativ breit auf, was zu dem
forciert Genzymes Fokus auf seltene Krankheiten) Zeitpunkt eher ungewöhnlich war.
begann 1989 mit dem Kauf von Integrated Gene- Im Jahr 2001, 20 Jahre nach der Gründung,
tics, gegründet 1981. Die Akquisition stärkte Gen- überschritt Genzyme die Umsatzgrenze von
zymes Expertise in der Molekularbiologie, der Pro- 1 Mrd. US$. Die Hälfte davon trug der Verkauf von
tein-, Zucker- und Nukleinsäure-Chemie sowie der Cerezyme und Ceredase bei. Dieser alleine erreich-
Enzymologie. Sie erweiterte das Produkt-Portfolio te erstmals 2006 die Milliarden-US$-Grenze, was
zudem um ein eigenes in Entwicklung befindliches bis zum Jahr 2008 anhielt. 2009 musste die Firma
Arzneimittel: Ceredase, seit 1984 in klinischen Stu- jedoch herbe Rückschläge einstecken, da bei der
dien zur Behandlung des Gaucher-Syndroms, einer Medikamentenproduktion virale Kontaminatio-
genetisch bedingten, autosomal-rezessiv vererbba- nen und andere Verunreinigungen auftraten, die
ren Fettstoffwechsel-Erkrankung. zu einem Lieferengpass führten. In der Folge kam
Anfänglich wurde das Enzym Alglucerase es zu einem Rückschritt beim Gewinn und Ak-
(Markenname Ceredase) aus humanen Plazenten tienkurs. Unter Druck von Investoren verkündete
gewonnen. Die Versorgung eines Patienten für ein Genzyme im Mai 2010 den möglichen Verkauf von
Jahr erforderte 22.000 Mutterkuchen, und die ers- drei Geschäftsbereichen (genetische Testung, dia-
ten Patienten zahlten mehr als US$300.000 im ers- gnostische Produkte und pharmazeutische Mate-
ten Jahr der Behandlung, die damit eine der teuers- rialien). Zwei Monate später interessierte sich das
ten der Welt darstellte. Die Zulassung in den USA französisch-deutsche Pharma-Unternehmen Sa-
erfolgte 1991. Der Verkauf des Medikamentes er- nofi-Aventis für Genzyme. Ihm ging es vor allem
brachte anfänglich eine Verdopplung des Umsatzes um das Know-how zu seltenen Krankheiten sowie
von gut 50 auf über 100 Mio. US$. Ab 1992 durchlief um eine Stärkung der Präsenz in den USA. Sano-
Genzyme klinische Studien mit einer gentechnisch fi bezahlte im Februar 2011 rund 20 Mrd. US$ für
hergestellten Variante des Enzyms. Diese erhielt Genzyme, die bewiesen hatten, dass sich auch mit
1994 die US-Zulassung unter dem Markenname kleinen Patientenzahlen beziehungsweise einem
Cerezyme, die Jahreskosten einer Behandlung be- Orphan-Drug-Status ein profitables Geschäft auf-
liefen sich immerhin noch auf US$200.000. Neben bauen lässt. Heute operiert Genzyme als Tochter-
dem Schwerpunkt auf der erstmaligen Enzym- unternehmen im Sanofi-Konzern.
56 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.7 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung zwischen 1976 und 1980, heute noch aktiv. (Quelle:
BioMedServices 2015)

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Marktwert)


2 1976 Enzo Biochem Diagnostika, Thera- 1980 1987: Einlizenzierung antisense-Technologie,
peutika; Immunmo- (4) 2003/2004/2009: je Start PII Alequel, HGTV43,
dulatoren Optiquel
(2014: 96 und 196 Mio. US$)

1978 Biogen Interferone, ab 2002 1983 1986: Intron A, 1996: Avonex, 2003: Fusion mit
therapeutische AK (58) Idec, 2013: Tecfidera, 2014: Plegridy
(2014: 9,7 und 81 Mrd. US$)

1980 Amgen Zellwachstums- 1983 1989/1991: Epogen/Neupogen, 1998: Enbrel,


faktoren, ab 2006 (40) 2001/2002: Aranesp/Neulasta, 2006: Vectibix,
therapeutische AK 2014: Blincyto
(2014: 20 und 124 Mrd. US$)

1980 Sarepta (AVI Antisense- 1997 2003: Fokus auf Infektionen und DMD, 2007/2012:
BioPharma) Therapeutika (21) je Start PI/II, PII Eteplirsen
(2014: 10 und 598 Mio. US$)

Nur börsennotierte Firmen (Marktwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)


aJahr, in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering)

AK Antikörper, DMD Duchenne-Muskeldystrophie, P Phase

2.2.3 1976 bis 1980: die ersten fünf 2.2.4 Die 1980er-Jahre: erster Boom
Jahre US-Biotech-Industrie und Durchbrüche

In den ersten fünf Jahren bis 1980 gründeten sich In den 1980er-Jahren erlebte die US-Biotech-In-
jährlich weitere Biotech-KMU. Zusammen mit den dustrie einen ersten Boom, gemessen an der Zahl
bereits davor ins Leben gerufenen überschritt ihre der Firmen und ihrer Finanzierung. Von 1980 bis
Gesamtzahl 1980 die Grenze von 300. Nur wenige 1989 gründeten sich über 700 neue Firmen (Ernst
davon sind heute noch als eigenständige Gesell- & Young 1995). Risikofreudige Wagniskapitalgeber
schaft aktiv (. Tab. 2.7). Das heißt, viele Firmen investierten in diesem Zeitraum rund 3 Mrd. US$.
wurden nie richtig groß, oder sie traf das Schick- Gleichzeitig konnten sie an einer freundlich ge-
sal der Insolvenz. Marktreif waren am Anfang im stimmten Börse erfolgreich aus ihren Investitionen
Grunde lediglich Auftragsforschung und andere aussteigen (Exit): 82 Biotech-IPOs (IPO: initial pu-
Dienstleistungen sowie der Verkauf von Diagnos- blic offering; Pukthuanthong 2006) steuerten knapp
tika. Später übernahmen Pharma-Konzerne zu ho- 2 Mrd. US$ an Biotech-Finanzierung bei. Im März
hen Preisen einige der früh gegründeten Firmen 1981 realisierte Cetus einen 120 Mio. US$ schweren
(z. B. Genentech, Centocor, MGI Pharma, Genetics Börsengang. In den USA war dies zum damaligen
Institute) und kauften sich so das Biotech-Know- Zeitpunkt der größte überhaupt von einer neu ge-
how zu (. Tab. 2.8). Diese erste Phase schloss ab mit gründeten Firma. Dagegen erschienen die im Jahr
den Börsengängen von Enzo Biochem und Genen- 1980 von Genentech eingenommenen 35 Mio. US$
tech im Juni und Oktober des Jahres 1980.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
57 2

. Tab. 2.8 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung zwischen 1976 und 1980, Übernahmen. (Quelle:
BioMedServices 2015)

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine

1976 Genentech Insulin, hGH, 1980 Diverse Zulassungen therapeutischer AK


Activase, AK (35) (. Tab. 2.6)
2009: Übernahme durch Roche (46,8 Mrd. US$)

1977 Genex Enzyme, Feinche­ 1982 Finanziert von Monsanto, Emerson Electric &
mikalien (12) The Koppers Co
1991: gekauft von Enzon Ph. (13 Mio. US$)

1978 Hybritech Diagnostische AK 1981 1984: 1,1 Mio. US$ Gewinn, Umsatz: 31 Mio. US$
(13) 1986: gekauft von Lilly (485 Mio. US$)

1979 Advanced Genetic Transgene Pflanzen 1983 Finanziert von Hilleshög (Zuckerfirma, Schwe-
Sciences (11) den)
1987: 1. Feldtest mit GVO (Frostschutzbakterium)
1988: gekauft von DNA Plant Technology
(36 Mio. US$)

1979 Centocor Diagnostische und 1982 1982: Sepsis-Projekt (Centoxin), 1992: Flop PIII,
therapeutische AK (21) 2/3 der Mitarbeiter entlassen, 1994: Allianz mit
Lilly zu ReoPro
1999: gekauft von J&J (4,9 Mrd. US$)

1979 MGI Pharma (Mo- Tiervakzine, trans- 1982 1981: American Cyanamid kauft 27 % für
lecular Genetics) gene Pflanzen, ab (11) 5,5 Mio. US$, 2003/2006: Zulassung Aloxi,
1990: Therapeutika Dacogen
2008: gekauft von Eisai (3,9 Mrd. US$)

1979 Seragen Fusionstoxine 1992 1993/1997/1999: je Start PI/II, NDA, Zulassung


(34) DAB389IL-2 (Ontak)
1998: Fusion mit Ligand Ph. (67 Mio. US$)

1980 Calgene Transgene Pflanzen 1986 1994: Zulassung transgene Tomate Flavr-Savr®
(32) 1995/1997: Monsanto kauft 50/100 % für
30/240 Mio. US$

1980 Genetics Institute Faktor VIII, EPO, t-PA 1986 1991/1996: AHP kauft 60/100 % für
(79) 666/1250 Mio. US$
1992: Zulassung Recombinate (Faktor VIII)

1980 Genetic Systems Diagnostische AK 1981 1982: 1. Chlamydien-Schnelltest (45 Minuten


(7) statt 21 Tage)
1986: gekauft von Bristol-Myers (294 Mio. US$)

1980 Savient Pharma- Uricase (Gicht) 1983 2004/2006/2010: je Start PII, PIII, Zulassung
ceuticals (BTG) (9) Krystexxa (geringer Umsatz)
2013: Insolvenz und Aufkauf (120 Mio. US$,
Crealta Ph.)

Nur börsennotierte Firmen (Kaufwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)


aJahr, in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering)
AK Antikörper, EPO Epoetin, hGH human growth hormone, NDA new drug application, P Phase, Ph. Pharmaceuticals,
t-PA tissue plasminogen activator
58 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

eher bescheiden. 1983 erzielten Amgen und Bio- Vor allem Hybritech entwickelte sehr erfolgreich
gen immerhin ein Platzierungsvolumen von 42 AK-basierte Tests. Sie war die erste, die 1981 eine
und 58 Mio. US$. Mehr (79 Mio. US$) nahm in Zulassung seitens der FDA erhielt. Die Messung
2 den 1980er-Jahren lediglich noch Genetics Institute von Immunglobulin E (IgE) weist auch heute noch
auf Entzündungen und Allergien hin. 1985 folgte
über seinen Börsengang (1986) ein. Bereits notier-
te Firmen konnten bis 1987 weitere 1,5 Mrd. US$ die Markteinführung des weltweit ersten Fünf-Mi-
an Eigenkapital über nachfolgende öffentliche nuten-Schwangerschaftstests sowie ein Test zur Be-
Angebote einwerben. Im Oktober 1987 ereignete stimmung von PSA (prostataspezifisches Antigen),
sich dann der erste Börsenkrach nach dem Zwei- einem Biomarker für Prostatakrebs.
ten Weltkrieg, das Börsenfenster schloss sich und Die US-Biotech-Industrie erlebte indes auch,
öffnete sich erst im Jahr 1990 wieder. Ab 1986 gab dass die Medikamenten-Entwicklung ein langwie-
es daneben erstmals Fremdkapital-Finanzierungen riger und risikoreicher Prozess ist (7 Auch in den
von knapp 1 Mrd. US$. USA wechselten Euphorie und Ernüchterung ab,
Ein weiteres Instrument waren die research and Investoren blieben dennoch dabei). Bis Ende der
development limited partnerships (RDLPs): Indivi- 1980er-Jahre, also ungefähr zehn bis 15 Jahre nach
duen und Firmen konnten steuerbegünstigt in die ihrem Entstehen, gab es diesbezüglich zwar erste,
FuE kapitalsuchender Gesellschaften investieren aber auch nur vereinzelte Erfolge (. Tab. 2.9). Der
und profitierten als »limited partners« von Tan- Eintrag zu Centocor im International Directory of
tiemen auf zukünftige Umsätze. Somit trugen die Company Histories merkt an:
RDLPs gut 1 Mrd. US$ an Finanzierung, zum Bei-
spiel für klinische Studien bei (Lerner und Merges »» Millions of dollars poured into the industry as
1998). Sie waren eine wichtige Ergänzung zu VC investors sought to profit from the promised
und Kapitalmärkten, verloren nach Änderung der onslaught of wonder drugs that would soon
Steuergesetzgebung aber an Gewicht. Schließlich spring from biotech labs. The reality by the
steuerten strategische Allianzen mit Pharma-Part- mid-1980s, however, was that many biotech
nern liquide Mittel in Höhe von 1,7 Mrd. US$ bei. companies had succeeded in burning through
Die Zahl neu getroffener Vereinbarungen verdop- millions of dollars in research and develop-
pelte sich laut Lerner und Merges (1998) von 30 ment cash without producing a single signifi-
im Jahr 1981 auf über 60 im Jahr 1986 und belief cant commercial product. (Grant 1996)
sich 1989 auf 71. Am aktivsten waren Genentech
und Biogen mit 25 und 22 Partnerschaften (Roi- Von rund 1000 US-Biotech-Firmen waren in den
jakkers und Hagedoorn 2006). Aber auch Chiron 1980er-Jahren nur vier insofern erfolgreich, dass
und California Biotech (2001 umbenannt in Scios) von ihnen entwickelte neuartige rekombinant her-
erzielten immerhin noch jeweils zehn solcher Ab- gestellte Biopharmazeutika eine Marktzulassung
schlüsse. Externe Finanzierungen unterstützten so von der FDA erhielten. Oft waren dafür und für
die starke Wachstumsphase 1980 bis 1989 mit ins- den Vertrieb etablierte pharmazeutische Partner
gesamt rund 10 Mrd. US$ (. Abb. 2.3). verantwortlich, die Biotech-Firmen nahmen allein
Die Hoffnungen waren groß, mithilfe dieser Lizenzzahlungen und Tantiemen auf den Umsatz
Finanzierung schnell positive Resultate zu erzie- ein. Die ersten eigenen auf den Markt gebrachten
len. Erste Erfolge stellten sich im Diagnostiksektor Medikamente waren 1985 Protropin und 1987 Ac-
ein: Insbesondere die Vermarktung von Tests, ba- tivase von Genentech sowie 1989 Epogen von Am-
sierend auf der Verwendung monoklonaler Anti- gen (. Tab. 2.9). Die Bedeutung von Epogen und
körper (AK), explodierte Anfang der 1980er-Jahre. dem Nachfolgeprodukt Aranesp für Amgen illus-
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
59 2

2200
Allianzen
2000 Mio. $
RDLPs
1800 Darlehen & Wandelanleihen
PIPEs
1600
SPO
1400 IPO
1200 VC

1000
800
600
400
200
 BioMedServices 2015
0
1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989

. Abb. 2.3 Finanzierung US-Biotech-Industrie in den 1980er-Jahren. Erstellt auf Basis von Daten aus Lerner und Merges
(1998). IPO initial public offering, SPO secondary public offering, PIPE private investment in public equity, RDLP research
and development limited partnerships, VC venture capital

. Tab. 2.9 Erste Medikamente (Biopharmazeutika), basierend auf rDNS- und Antikörper-Technologie. (Quelle:
BioMedServices 2015)

Produkt Wirkstoff Indikation Entwicklung/Vermark- FDAa


tung

Humulin Insulin Diabetes Genentech/Eli Lilly 10/1982

Protropin Somatrem (rh GH) Minderwuchs Genentech/Genentech 10/1985

Orthoclone OKT3 Muromonab-CD3 Transplantatabstoßung Ortho Biotech (Tochter 06/1986


(Niere) von J&J)/J&J

Roferon-A Interferon-alfa-2a Haarzell-Leukämie Genentech/Roche 06/1986

Intron A Interferon-alfa-2b Haarzell-Leukämie Biogen/Schering-Plough 06/1986

Recombivax HB Hepatitis-B-Antigen Hepatitis-B-Prophylaxe Chiron/Merck & Co. 07/1986

Humatrope Somatropin (rh GH) Minderwuchs Genentech/Eli Lilly 03/1987

Activase Alteplase (rh t-PA) Herzinfarkt Genentech/Genentech 11/1987

Epogen Epoetin alfa Renale Anämie Amgen/Amgen 06/1989

Engerix-B Hepatitis-B-Antigen Hepatitis-B-Prophylaxe Biogen/SKB 09/1989

aUS-Zulassung(Monat/Jahr)
GH growth hormone, rh rekombinantes humanes, SKB SmithKline Beecham, t-PA tissue plasminogen activator
60 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Auch in den USA wechselten Euphorie und Ernüchterung ab, Investoren blieben dennoch dabei
»Many pharmaceutical firms learned pharmaceutical companies in the number of genetic engineering
2 the hard way that biotechnology
products represented no magic bul-
United States and overseas. Howe-
ver, unforeseen technical problems
firms with the increased funding
needed to survive. Research and
let, and that some of their products in gene expression, in scale-up, and development limited partnerships
would succeed while many others in obtaining meaningful clinical (RDLPs), both large and small, provi-
were destined to fail. As time pas- results created a slowing of develop- ded funds between lucrative public
sed, the term biotechnology lost its ments and expectations. Despite offerings, and the venture capital
ability to turn promises-for-tomor- technical problems and slower- community continued to invest
row into instant cash today. Basic than-expected product develop- money in new start-up operations«
gene-splicing technology became ment, the innovative U.S. financial (OTA 1991).
readily available to scientists at large markets supplied the growing

triert . Abb. 2.2. Ersatzprodukte (Biosimilars) zu 2.2.5 Die 1990er Jahre: vollkommen
Somatropin (Humatrope) und Epoetin (Epogen) neuartige Medikamente
sind seit 2006 und 2007 auf dem Markt erhältlich.
Biosimilars sind Nachahmer-Arzneistoffe protein- Während in den 1980er-Jahren die neuartige DNS-
basierter, biotechnologisch hergestellter Original- Rekombinationstechnik primär die erstmalige mi-
Wirkstoffe mit abgelaufenem Patent, ähnlich der krobielle biosynthetische Produktion von körper-
Generika für niedermolekulare chemische Wirk- eigenem Insulin und Wachstumsfaktoren sowie
stoffe (7 Abschn. 3.1.1). Von den heute noch aktiven Alfa-Interferonen als Anti-Krebs-Substanz erlaub-
Gründungen der 1980er-Jahre spielen vier in einer te, kamen in den 1990ern neue Wirkstoffklassen
oberen Liga (. Tab. 2.10): Ihr Umsatz liegt bei über hinzu (. Tab. 2.12). Neben weiteren körpereigenen
1 Mrd. US$ (Gilead, Celgene, Regeneron Pharma- Hormonen (auch Interleukine) und Blutgerin-
ceuticals, IDEXX Laboratories). Diese Gesellschaf- nungsfaktoren waren dies Beta-Interferone zur
ten sind auch führend mit Blick auf den Marktwert Behandlung der multiplen Sklerose (MS), die für
(Ende 2014: 147 bis 7,2 Mrd. US$). Mit Ausnahme die Patienten erstmals einen therapeutischen Fort-
von IDEXX , die von Anfang an auf Diagnostika fo- schritt erbracht (7 Beta-Interferone: neue Hoffnung
kussierten, erreichten ihre Produkte (Medikamen- für MS-Patienten) haben, sowie Enzymersatzstoffe
te) frühestens rund zehn Jahre nach der jeweiligen und vor allem therapeutische Antikörper.
Gründung erstmals den Markt (zweite Hälfte der Diese konnten mithilfe der innovativen Me-
1990er-Jahre). thoden chimär gestaltet oder humanisiert werden.
Vier weitere Firmen liegen mit ihrem Markt- Ursprünglich von Mäusen stammende Antikörper,
wert zumindest über der Grenze von 1 Mrd. US$ gebildet als Abwehrstoff von deren Immunsystem
(Ende 2014): Ionis Pharmaceuticals (7,5), Dyax nach der Gabe eines Antigens, lösen beim Men-
(1,9), Celldex (1,7) und PDL BioPharma (1,3). Auch schen eine Immunreaktion aus. Bei rekombinanten
sie benötigten mindestens zehn Jahre für das Errei- Antikörpern ist der Mausanteil zum Teil (chimär:
chen des Marktes. Einige erfolgreiche 1980er-Grün- teils Maus, teils Mensch) oder hauptsächlich (hu-
dungen wie Chiron oder Immunex (Entwickler von manisiert) durch nicht-immunogene, menschliche
Enbrel, dem heute verkaufsstärksten Produkt von Sequenzen ersetzt. Vollständig humane Antikörper
Amgen) mussten sich, wie andere Gesellschaften, erreichten erstmals 2002 den Markt.
einer Übernahme fügen (. Tab. 2.11). Gentechnische Methoden ermöglichten zudem
erstmals die Herstellung von Fusionsproteinen.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
61 2

. Tab. 2.10 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in den 1980er-Jahren, heute noch aktiv. (Quelle: BioMed-
Services 2015)

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Markt-


wert)

1981 ImmunoGen AK-Konjugate 1989 2013: Zulassung Kadcyla (AK von Roche
(ADC-Technologie) (n. v.) unter Lizenz der ADC-Technologie), Ab-
bruch PI/II IMGN901 (eigenes Produkt)
(2014: 60 und 538 Mio. US$)

1981 Peregrine Pharmaceu- Therapeutische AK 1983 2005/2008/2013: je Start PI, PII, PIII Bavitu-
ticals (Techniclone) (2) ximab
(2014: 22 und 266 Mio. US$)

1981 Repligen Anfangs AIDS-Vakzin 1986 1998: Lieferant für rProteinA (Labor), seit
und AK (18) 2012: keine Therapeutika mehr
(2014: 64 und 636 Mio. US$)

1981 Xoma Therapeutische AK 1986 1. Entwicklungen scheitern, weitere über


(32) Partner (Raptiva, Lucentis, Cimzia)
(2014: 19 und 421 Mio. US$)

1982 Immunomedics Therapeutische AK (AK- 1983 2000: PI/II Epratuzumab und 4 andere AK
Konjugate) (3) (2014: 9 und 435 Mio. US$)

1983 Celldex Therapeutics Krebsvakzine, therapeu- 1986 1998: Fusion mit Virus Research zu Avant
(T Cell Sciences) tische AK (11) Immuno, 2008/2009: Übernahme Celldex,
Curagen, 2014: 1 × PIII, 3 × PII
(2014: 4 Mio. und 1,7 Mrd. US$)

1983 IDEXX Laboratories Diagnostika, Biosen- 1991 1985/1986: Tests für Lebensmittel-/Veteri-
soren (16) när-Sektor, 1993/1994: Tests für Trinkwasser
(2014: 1,5 und 7,2 Mrd. US$)

1983 Inovio Anfangs Elektropora- 1997 2008/2011: je Start PI, PII VGX-3100
Pharmaceuticals tion, heute DNS-Krebs- (n. v.) (2014: 10 und 534 Mio. US$)
(Genetronics) Impfstoffe

1986 Celgene Umwelt-Biotechnologie, 1987 1992/1995: Einlizenzierung, Zulassung


dann Immunmodula- (13) Thalidomid, 2001/2002/2005: je Start PII, PIII,
toren Zulassung Revlimid, 2013/2014: Zulassung
Pomalyst, Otezla
(2014: 7,7 und 91,4 Mrd. US$)

1986 PDL BioPharma (Pro- Humanisierung von AK 1992 1997: Zulassung Zenapax (AK von Roche
tein Design Labs) (48) unter PDL-Technologie-Lizenz; 1. humani-
sierter AK), 2014: 9 AK mit PDL-Technologie
auf dem Markt
(2014: 581 Mio. und 1,3 Mrd. US$)

1987 Gilead Sciences Virale Infektionen (Nuk- 1992 1991: Einlizenzierung Nukleotide,
(Oligogen) leotidanaloga) (86) 1996/1997/2001: je Zulassung Vistide, Tamiflu
(lizenziert an Roche), Viread, 2007: 5 eigene,
7 eingekaufte Medikamente auf dem Markt
(2014: 24,9 und 147 Mrd. US$)

1987 Novavax Anfangs Drug Delivery, 1995 2000: Übernahme Fielding Pharmaceutical,
später virale Infektio- (95) 2001/2002/2003: NDA, Rücknahme NDA,
nen (Rekombinante Zulassung Estrasorb, 2007: Einlizenzierung
Protein-Nanopartikel); VLP-Technologie, 2010/2012: je Start PI, PII
VLP-Technologie RSV-Vakzin
(2014: 31 Mio. US$ und 1,6 Mrd. US$)
62 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.10 Fortsetzung

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Markt-


2 wert)

1988 Affymax Kombinatorische Che- 2006 1993: Spin-off Affymetrix, 1995: gekauft von
mie (Peptide) (106) Glaxo, 2001: ausgegliedert, 2012: Zulassung
Omontys (Rückruf 2013)
(2014: Firma aufgelöst)

1988 Regeneron Pharma- AK, Fusionsproteine 1991 Bis 2003 2 × PIII-Flop, 2008: Arcalyst, 2011:
ceuticals (99) EYLEA
(2014: 2,8 und 42,1 Mrd. US$)

1989 Dyax Phagen-Display, thera- 2000 1995: Fusion mit PEC (Phagen-Display) zu
(Biotage) peutische AK (69) Dyax, 1999: Kauf von Target Quest, 2009:
Kalbitor
(2014: 82 Mio. und 1,9 Mrd. US$)

1989 Ionis Pharmaceuticals Antisense-Medikamente 1991 1994: Abschluss PI/II ISIS 2922, 1998: Zu-
(ISIS Pharmaceuticals) (45) lassung als Vitravene (Partner Novartis,
2006/2007 eingestellt), 2014: 5 × PIII, 2 × PII
(2014: 214 Mio. und 7,5 Mrd. US$)

1989 Vertex Rationales drug design 1991 1999: Agenerase (Partner GSK), 2000:
Pharmaceuticals (27) 800-Mio.-US$-Deal mit Novartis, 2011:
Incivek
(2014: 0,6 und 28,8 Mrd. US$)

Nur börsennotierte Firmen (Marktwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)


aJahr,
in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering)
AK Antikörper, NDA new drug application, n. v. nicht verfügbar, P Phase, VLP virus like particle

. Tab. 2.11 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in den 1980er-Jahren, Übernahmen. (Quelle: BioMedServi-
ces 2015)

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine

1981 Scios (Califor- Rekombinante 1983 2001: Natrecor


nia Biotech) Peptidhormone (12) 2003: gekauft von J&J (2,4 Mrd. US$)

1981 Chiron Hepatitis-C-Vakzin, 1983 1993: Betaseron, 1994: Ciba-Geigy kauft 49,9 %
Interferon (17) 2006: Novartis kauft 100 % (5,4 Mrd. US$)

1981 Genzyme Diagnostische und 1986 1989: Fusion mit Integrated Genetics (gegr.
therapeutische (28) 1981), 1994: Cerezyme, 2003/2010: Fabrazyme,
Enzyme Lumizyme
2011: gekauft von Sanofi (20 Mrd. US$)

1981 Immunex Rekombinanter GM- 1983 1991/1998: Leukine, Enbrel


CSF, TNF-Inhibitor (17) 2002: gekauft von Amgen (16 Mrd. US$)

1981 Zymogenetics Rekombinante 2002 1988: gekauft von Novo, 2000: Ausgründung,
Proteine in Hefe 120 2008: Recothrom
2010: gekauft von BMS (885 Mio. US$)

1982 Synergen Rekombinanter FGF 1986 1989/1994: je Start PII Trofak (Wunden), PIII Antril
und Interleukin-In- (13) (Sepsis), beides Flops
hibitor 1994: gekauft von Amgen (262 Mio. US$)
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
63 2

. Tab. 2.11 Fortsetzung

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine

1983 Gen-Probe DNS-basierte Diag- 1987 1985: 1. FDA-zugelassener DNS-basierter Test


nostik (16) 2012: gekauft von Hologic (3,8 Mrd. US$)

1983 OSI Phar- EGFR-Inhibitor 1986 2004: Tarceva


maceuticals (14) 2010: gekauft von Astellas (4 Mrd. US$)
(Oncogene)

1984 ImClone Auftragsforschung, 1991 (28) 1994: Entwicklung Erbitux (Partner BMS, Merck
Systems therapeutische AK KGaA), 2004: Zulassung Erbitux
2008: gekauft von Lilly (6,5 Mrd. US$)

1985 Idec Pharma- Therapeutische AK 1991 1993/1994/1995: je Start PI, PII, PIII Rituxan, 1997:
ceuticals (48) Zulassung Rituxan, 2003: Fusion mit Biogen zu
Biogen Idec (6,4 Mrd. US$) – heute nur Biogen

1987 Amylin Phar- Synthetische Pep- 1992 1995: Deal mit J&J, beendet 1998, Entlas-
maceuticals tidanaloga (56) sung 75 % der Mitarbeiter, 2005: Zulassung
Symlin und Byetta, 2012/2014: gekauft von
BMS (5,3 Mrd. US$), AstraZeneca (4,3 Mrd. US$)

1987 Cephalon Anfangs neurolo- 1991 1993: Kauf Rechte an Modafinil (Provigil), 1998:
gische Wachstums- (59) FDA kritisch gegenüber IGF-1 (Myotrophin), Zu-
faktoren lassung Provigil
2011: gekauft von Teva (7 Mrd. US$)

1987 Medarex Humane AK (Ulti- 1991 1992: Start klinische Entwicklung (wenig Erfolg),
MAb-Technologie) (13) 1997: Kauf von zwei AK-Firmen, 1998: PIII-Flop,
2000: 150 Entwicklungen auf Technologiebasis
2009: gekauft von BMS (2 Mrd. US$)

1988 MedImmune Antivirale AK, re- 1991 1991/1996/1998: CytoGam, RespiGam, Synagis
kombinante Vakzine (29) 2007: gekauft von AstraZeneca (15,6 Mrd. US$)

1988 Transkaryotic Enzymersatz-The- 1996 2001: Zulassung Replagal in Europa


Therapies rapie (38) 2004: gekauft von Shire (GB) (1,6 Mrd. US$)

1989 ICOS Rekombinante 1991 2003: Cialis (Partner Lilly), Flops in PIII
Proteine und AK (36) 2007: gekauft von Lilly (2,1 Mrd. US$)

Nur börsennotierte Firmen (Kaufwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)


aJahr,
in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering)
AK Antikörper, BMS Bristol-Myers Squibb, EGFR epidermal growth factor receptor, FGF fibroblast growth factor, GM-CSF
granulocyte-macrophage colony-stimulating factor, IGF insulin-like growth factor, P Phase, TNF Tumornekrosefaktor

Dabei handelt es sich um Wirkstoffe, die aus ver- bindet TNF, einen Botenstoff des Immunsystems,
schiedenen Proteinfragmenten bestehen und somit der bei Entzündungen auftritt. Der IgG-Teil ver-
neue Kombinationen von Funktionen bieten. Das hilft zu einer längeren Verweildauer (längere Halb-
von der US-Biotech-Firma Immunex entwickelte wertszeit im Serum). Enbrel erhielt die Zulassung
Arzneimittel Enbrel ist zum Beispiel ein Fusions- für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis im
produkt aus Teilen des menschlichen Tumornekro- November 1998. Bereits zuvor, im August 1998, gab
sefaktor(TNF)-Rezeptors und einer Untereinheit es seitens der FDA grünes Licht für den ebenfalls
des humanen IgG-Antikörpers. Der Rezeptorteil auf TNF zielenden chimären Antikörper Remicade
64 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.12 Rekombinant hergestellte Biopharmazeutika, Zulassungen in den 1990er-Jahren (FDA). (Quelle:
BioMedServices 2015)

2 Produkt Wirkstoff (Target) Indikation Erfindung/Entwicklung


und Vermarktung
Monat/Jahr

Actimmune Interferon-gamma-1b Chronische Granulo- Genentech/Genentech 12/1990


matose

Neupogen Filgrastim Neutropenie (Krebs) Amgen/Amgen 02/1991

Leukine Sargramostim Transplantation Immunex/Immunex 03/1991

Proleukin Aldesleukin Nierenkarzinom Cetus (Chiron)/Prometheus 05/1992

Recombinate Faktor VIII Hämophilie Genetics Institute/Baxter 12/1992

Betaseron Interferon-beta-1b Multiple Sklerose Cetus (Chiron)/Berlex 09/1993

Pulmozyme Dornase alfa Cystische Fibrose Genentech/Genentech 12/1993

Cerezyme Imiglucerase Gaucher-Krankheit Genzyme/Genzyme 05/1994

ReoPro Abciximab (GPIIb/IIIa) Restenose Centocor/Lilly 12/1994

Avonex Interferon-beta-1a Multiple Sklerose Biogen/Biogen 05/1996

Benefix Faktor IX Hämophilie B Genetics Institute (AHP)/AHP 02/1997

Gonal-f Follitropin alfa Fertilitätsstörung Serono/Serono (Schweiz) 09/1997

Rituxan Rituximab (CD20) Krebs (NHL) Idec und Genentech/Ge- 11/1997


nentech

Neumega Oprelvekin Thrombozytopenie Genetics Institute (AHP)/AHP 11/1997

Zenapax Daclizumab (CD25) Transplantationen PDL BioPharma/Roche 12/1997

Simulect Basiliximab (CD25) Transplantationen Seragen (Ligand)/Novartis 05/1998

Synagis Palivizumab (RSV F) RSV-Infektionen MedImmune/MedImmune 06/1998

Remicade Infliximab (TNF alfa) Rheumatoide Arthritis Centocor/Centocor 08/1998

Herceptin Trastuzumab (Her-2) Brustkrebs Genentech/Genentech 09/1998

Enbrel Etanercept (TNF alfa) Rheumatoide Arthritis Immunex/Amgen 11/1998

Thyrogen Thyrotropin alfa Schilddrüsenkrebs Genzyme/Genzyme 11/1998

Ontak Denileukin diftitox T-Zell-Lymphom Seragen (Ligand)/Eisai 02/1999

Antikörper in Fettdruck. In Klammern angegeben ist die Mutterfirma, falls die Übernahme vor der Zulassung erfolgte;
weitere rekombinante Insuline, Wachstumshormone, Interferone und t-PA sind nicht gelistet, zudem nur »neue« Wirk-
stoffe von Biotech-Firmen
AHP American Home Products, RSV respiratory syncytial virus, TNF Tumornekrosefaktor

(von Centocor). Vier Jahre später folgte dann der sich dabei um Protein-Wirkstoffe, die selbst bio-
erste vollhumane rekombinante Antikörper Humi- logische Moleküle sind (biologicals). Sie werden
ra als Anti-TNF-Arzneimittel, der heute die Liste daher auch als Biologika oder Biopharmazeutika
der Top-Medikamente nach Umsatz anführt. Die- benannt.
se fortschrittlichen Medikamente wären ohne die Moderne molekularbiologische Erkenntnisse
neuen Gentechniken nicht herstellbar. Es handelt trugen und tragen aber auch dazu bei, zielgerich-
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
65 2

»beta-Interferone: neue Hoffnung für MS-Patienten«


»Die Therapie der Multiplen Skle- der schubförmigen MS und Inter- Krankheitsschübe reduzieren sowie
rose (MS) beschränkte sich bis vor feron beta-1b (Betaferon®) zusätzlich die Progression der Erkrankung ver-
wenigen Jahren auf die Linderung auch zur Behandlung der sekundär- zögern können. … Multiple Sklerose
der auftretenden Symptome und progedienten MS, kam Bewegung ist eine chronisch-entzündliche
die Bekämpfung akuter Entzün- in die präventive Therapie der MS. und demyelinisierende, aber auch
dungsschübe. Das Fortschreiten der Erstmals stehen Präparate für die Be- axonale Erkrankung des Zentral-
Erkrankung konnte nicht messbar handlung von MS-Patienten zur Ver- nervensystems. Die genaue Ursache
beeinflusst werden. … Mit der Zu- fügung, für die in klinischen Studien ist bislang noch nicht geklärt« (Wick
lassung von Interferon beta-1a (Avo- nachgewiesen werden konnte, dass et al. 2000).
nex® und Rebif®) zur Behandlung sie die Häufigkeit und Schwere der

tete kleine chemische Moleküle (small molecules) kleotide), die am Zielort Boten-RNS abfangen
als Arzneiwirkstoffe zu entwickeln (7 Abschn. 3.1.1). und damit grundsätzlich die Biosynthese von
Traditionellerweise fand die Pharma-Industrie Proteinen verhindern (z. B. 1998: Vitravene
diese durch sogenannte »Versuch-und-Irrtum«- gegen CMV, Ionis Pharmaceuticals).
Prozesse (trial and error), das heißt, verschiedenste
chemische Substanzen wurden auf ihre Wirkung 2.2.5.1 Firmen, Finanzierung und
hin getestet und oft ohne genauere Kenntnis über Transaktionen in den
die Wirkweise entwickelt und zugelassen. Mole- 1990er-Jahren
kularbiologische Untersuchungen erbringen heute In den 1990er-Jahren verringerte sich die Wachs-
viel genaueres Wissen über Krankheitszusammen- tumsrate bei der Unternehmenszahl, es gründeten
hänge, Stoffwechselwege und Wirkweisen von Arz- sich dennoch weitere Biotech-Firmen mit neuarti-
neimitteln. Auf dieser Basis lassen sich effektivere gen Ansätzen, die oft die neuesten Erkenntnisse
und/oder nebenwirkungsärmere Wirkstoffe ent- der biowissenschaftlichen Forschung umsetzten.
wickeln, die selbst nicht unbedingt biologicals sein Insbesondere die Genomik, also die Analyse von
müssen. Struktur und Funktion genetischen Materials, war
Derartige Medikamente wurden auch von Bio- ein Hype in den Neunzigern. Am Anfang und am
tech-Firmen entwickelt und sie erreichten den Ende der Dekade war das Börsenfenster weit ge-
Markt ebenfalls in den 1990er-Jahren (nicht in öffnet. Firmen, die zum Teil nur ein bis drei Jahre
. Tab. 2.12 gelistet): existierten und meist am Anfang der FuE standen,
55 Nukleotidanaloga: chemische Substanzen, die schafften den Sprung an den öffentlichen Kapital-
den Bausteinen der DNS sehr ähneln, letztlich markt. 1991/1992 waren dies beispielsweise Regene-
aber nicht funktionsfähig sind; werden bei Vi- ron, Ionis und Vertex, die heute noch aktiv sind
ren während ihrer Vermehrung in deren DNS und 99, 45 und 27 Mio. US$ über den Börsengang
eingebaut und hemmen damit ihre Replikation einnahmen (. Tab. 2.10 und . Tab. 2.13).
(z. B. 1995: Epivir gegen HIV, BioChem Phar- 1993 sowie 1996 bis 1999 waren es Human
ma, Kanada; 1996: Vistide gegen CMV, Gilead Genome Sciences (27 Mio. US$) und Incyte
Sciences); (17 Mio. US$) sowie Millennium (62 Mio. US$), Ab-
55 Protease-Inhibitoren: chemische Substanzen, genix (20 Mio. US$) und Celera Genomics (nur Lis-
die virale Proteasen und damit die Viren-Re- tung), die – bis auf Incyte – aber später gekauft wur-
plikation hemmen (z. B. 1997: Viracept gegen den (. Tab. 2.14). Etwas älter, bis zu fünf Jahre und
HIV, Agouron Pharmaceuticals; 1999: Agene- somit etwas weiter in der Entwicklung, waren Amy-
rase gegen HIV, Vertex Pharmaceuticals; 1999: lin (56 Mio. US$), Cephalon (59 Mio. US$), Meda-
Tamiflu gegen Influenza, Gilead Sciences); rex (13 Mio. US$) und MedImmune (29 Mio. US$).
55 Antisense-Wirkstoffe: kurzkettige, syntheti- Die ersten drei erlitten alle 1998, also elf Jahre nach
sche, einzelsträngige Nukleinsäuren (Oligonu- der Gründung, Rückschläge (. Tab. 2.11).
66 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.13 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in der 1. Hälfte der 1990er-Jahre, heute noch aktiv.
(Quelle: BioMedServices 2015)

2 Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Marktwert)

1990 Geron Stammzellen, Oligo- 1996 1994: Telomerase-Aktivität in Krebs, ab 1995:


nukleotid-Telomera- (16) diverse Pharma-Deals, 2005/2010/2014: PI, PII,
se-Inhibitor Flop Imetelstat
(2014: 1 und 520 Mio. US$)

1991 Affymetrix DNS-Chips 1996 1994: GeneChip®, ab 2000: diverse Aufkäufe


(85) (2014: 349 und 735 Mio. US$)

1991 Incyte Genomik (LifeSeq), 1993 Ab 1995: diverse Pharma-Deals, 2001: Re-
Kinase-Inhibitoren (17) strukturierung (Entlassung 400 Mitarbeiter),
(JAK 1, 2 u. a.) 2007/2009/2011: PII, PIII, Zulassung Jakafi
(2014: 511 Mio. und 12,3 Mrd. US$)

1991 Ariad Pharmaceu- Genomik, ab 2000 1994 2004/2007/2011/2012: PII, PIII, NDA, Flop mTOR-In-
ticals Kinase-Inhibitoren (14) hibitor, 2010/2011/2012: PII, PIII, Zulassung Iclusig
(mTOR, BCR-ABL) (2014: 105 Mio. und 1,3 Mrd. US$)

1991 Myriad Genetics Genomik, Moleku- 1995 1996: 1. Test für erblichen Brust- und Eierstock-
lar-Diagnostika (53) krebs, 1997/1998: Patente auf BRCA1/2 (Aufhe-
bung 2013)
(2014: 778 Mio. und 2,6 Mrd. US$)

1992 Alexion Pharma- Therapeutische AK, 1996 2007: Zulassung Soliris (Komplement-Inhibitor)
ceuticals ultraseltene Krank- (21) (2014: 2,2 und 37,4 Mrd. US$)
heiten

1992 bluebird bio (Ge- Gentherapie 2013 2009: Scientific Breakthrough of 2009 (Science
netix Pharmaceu- (ex vivo über (101) Magazin), 2010: zwei erfolgreiche Gentherapien
ticals) Stammzellen) (2014: 25 Mio. und 2,9 Mrd. US$)

1992 Neurocrine Bio- SM (G-Protein-ge- 1996 1999/2001/2004/2006: PII, PIII, NDA, Flop
science koppelte-Rezep- (37) Indiplon, Kurs minus 92 %, Entlassung > 500 Mit-
toren) arbeiter (90 %), 2010: Pharma-Deals, 2010/2014:
PII, PIII VMAT2
(2014: 0 und 1,7 Mrd. US$)

1992 Osiris Therapeutics Tissue Engineering, 2006 2012: Weltweit 1. Zulassung für Stammzell-Thera-
Stammzellen (39) peutikum (Prochymal)
(2014: 60 und 518 Mio. US$)

1993 Merrimack Phar- Therapeutische AK 2012 2008/2010: PI, PII mit MM-121 (Signal-Inhibitor)
maceuticals (ErbB3), Systembio- (100) (2014: 103 Mio. und 1,2 Mrd. US$)
logie

1994 Exelixis Genomik, ab 2005 2000 Ab 1999: diverse Pharma-Deals, 2001: Kauf Ar-
Kinase- und Rezep- (118) temis (Köln), 2007/2008/2012: PII, PIII, Zulassung
tor-Inhibitoren Cometriq
(2014: 25 und 264 Mio. US$)

1994 Sequenom Genomik: SNP-Ana- 2000 1999/2014: Launch/Deinvestment MassArray


lysen, Molekular- (138) System, 2009/2012: Flop/Launch MaterniT21-Test,
Diagnostika 2014: 4 Tests am Markt
(2014: 152 und 420 Mio. US$)

Nur börsennotierte Firmen (Marktwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)


aJahr,
in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering)
AK Antikörper, NDA new drug application, P Phase, SM small molecules, SNP single nucleotide polymorphism
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
67 2

. Tab. 2.14 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in den 1990er-Jahren, Übernahmen. (Quelle: BioMed-
Services 2015)

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine

1990 CV Therapeutics Molekulare Kardiologie 1996 2006: Zulassung Ranexa


(pFOX-Inhibitor) (14) 2009: gekauft von Gilead (1,4 Mrd. US$)
1991 Sugen Kinase-Inhibitoren 1994 1995: 1. klin. Studien, 2006: Zulassung als Sutent
(VEGF) – Krebs (21) (von Pfizer)
1999: gekauft von P&U (650 Mio. US$)
1991 NeXstar Pharma- Aptamere (Selex-Techno- 1994 1998/2004: Entwicklung/Zulassung Macugen
ceuticals logie), Kinase-Inhibitor (23) (Eyetech, Pfizer)
(VEGF) – AMD 1999: gekauft von Gilead (550 Mio. US$)
1991 Tularik Know-how zu Genregula- 1999 5 klin. Programme (1 × PIII/3 × PII/1 × PI)
tion und Pathways (97) 2004: gekauft von Amgen (1,3 Mrd. US$)
1992 Cubist Pharma- Neuartige Antibiotika 1996 1997/2003: Einlizenzierung/Zulassung Cubicin
ceuticals (15) 2014: gekauft von Merck & Co. (9,5 Mrd. US$)
1992 Human Genome Genomik, therapeuti- 1993 Von 21 klinischen Entwicklungen 2 Zulassun-
Sciences sche AK, rekombinante (27) gen, ein FDA-Flop
Proteine, SM 2012: gekauft von GSK (3,6 Mrd. US$)
1992 Onyx Pharma- SM (Signaltransdukti- 1996 2012: Zulassung Kyprolis
ceuticals ons- und Zellzyklus-In- (30) 2013: gekauft von Amgen (10 Mrd. US$)
hibitoren)
1992 Sirna Therapeu- Know-how zu RNS-Inter- 1996 2004: 1. klin. Studien (zu AMD)
tics (Ribozyme ferenz (20) 2006: gekauft von Merck & Co. (1,1 Mrd. US$)
Pharmaceuticals)
1993 ILEX Oncology Therapeutische AK 1997 2001: Zulassung Campath (Partner Millennium)
(30) 2004: gekauft von Genzyme (1 Mrd. US$)
1993 Millennium Neue Zielmoleküle basie- 1996 1994: über 20 Pharma-Deals, 2003: Zulassung
Pharmaceuticals rend auf Genomik (62) Velcade
2008: gekauft von Takeda (8,8 Mrd. US$)
1994 Inhibitex Therapeutische AK 2004 2002/2004/2006: PI, PIII, Flop Veronate
(Infektionen), dann SM (35) 2012: gekauft von BMS (2,5 Mrd. US$)
(HCV, oral)
1995 Coulter Pharma- Therapeutische AK 1997 2000: gekauft von Corixa (882 Mio. US$)
ceuticals (30) 2003: Zulassung Bexxar
1996 Abgenix XenoMouse, humane AK, 1998 2006: gekauft von Amgen (2,2 Mrd. US$)
Immuntherapie (20) 2006: Zulassung Vectibix
1996 Myogen SM (Endothelin-Rezep- 2003 2006: gekauft von Gilead (2,5 Mrd. US$)
tor-Antagonisten) (70) 2007: Zulassung Letairis
1998 Celera Genomics Genomik, Molekular-Dia- 1999 2000: Humangenomsequenz
gnostika (0) 2011: gekauft von Quest (671 Mio. US$)
1998 Pharmasset Nukleosid/-tid-Analoga 2007 Verschiedene Wirkstoffe bis PII und PIII
(HCV, oral) (45) 2012: gekauft von Gilead (11,2 Mrd. US$)
1998 Idenix Pharma- Nukleosidpolymerase-In- 2004 2008/2011/2013: PI, PII, Abbruch IDX184, 2013:
ceuticals hibitoren, Nukleotidana- (64) Fokus auf NS5A-Inhibitor in PII
loga, HCV-Infektionen 2014: gekauft von Merck & Co. (3,85 Mrd. US$)
Nur börsennotierte Firmen (Kaufwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)
aJahr, in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering)

AK Antikörper, AMD altersbedingte Makuladegeneration, BMS Bristol-Myers Squibb, GSK GlaxoSmithKline, HCV Hepa-
titis-C-Virus, P Phase, P&U Pharmacia & Upjohn, SM small molecules, VEGF vascular endothelial growth factor
68 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

6
Mrd. US$ Darlehen & Wandelanleihen
PIPEs
2 5
SPO
IPO
VC
Allianzen (Biodollars)
4

 BioMedServices 2015
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

. Abb. 2.4 Finanzierung US-Biotech-Industrie in den 1990ern. Erstellt auf Basis von Daten aus Lerner und Merges (1998),
Burrill (2000) sowie Nicholson et al. (2002). Bei den Allianzen handelt es sich um Gesamtzusagen (potenzieller Wert). IPO
initial public offering, SPO secondary public offering, PIPE private investment in public equity, VC venture capital

Trotzdem waren sie danach in der Lage, weite- den Neunzigern auf knapp 40 Mrd. US$. Waren in
res Geld einzusammeln, um doch noch erfolgreich den 1980er-Jahren Finanzierungen in Höhe von 1
andere Produkte an den Markt zu bringen. Fol- bis 2 Mrd. US$ pro Jahr Spitzenwerte, so stellten sie
gende Gesamtfinanzierung erzielten diese Firmen 1990 und 1994 die beiden schlechtesten Jahre dar
jeweils durch risikofreudige Investoren (Angaben (. Abb. 2.4). Neben Eigen- und Fremdkapital fi-
aus Datenbank BCIQ): nanzierte sich die Industrie zunehmend über FuE-
55 Amylin (gegründet 1987, IPO 1992): Partnerschaften mit Pharma-Konzernen. Deren
2,6 Mrd. US$ bis zur Übernahme durch Bris- Anzahl stieg von unter 100 im Jahr 1991 auf 165 neu
tol-Myers Squibb 2012 für 5,3 Mrd. US$; abgeschlossener Kooperationen im Jahr 1999 (NSF
55 Cephalon (gegründet 1987, IPO 1991): 2000). Insgesamt wurden in den Neunzigern mehr
3,8 Mrd. US$ bis zur Übernahme durch Teva als 1000 Vereinbarungen getroffen, eine Verdopp-
2011 für 7 Mrd. US$; lung von unter 500 in der Dekade zuvor. Ihr Ge-
55 Medarex (gegründet 1987, IPO 1991): samtwert (soweit veröffentlicht) wuchs von weni-
1,3 Mrd. US$ bis zur Übernahme durch Bris- ger als 1 Mrd. im Jahr 1991 über 3,4 Mrd. in 1995 auf
tol-Myers Squibb 2009 für 2 Mrd. US$. 5,8 Mrd. US$ im Jahr 1999. Waren am Anfang der
1990er-Jahre Abkommen mit einem Wert von über
Von allen Finanzierungsarten dominierte die wei- 100 Mio. US$ ein Durchbruch, so füllte sich ihre
tere öffentliche Platzierung von Firmenanteilen Reihe zunehmend. 1998/1999 kostete der Zugang
(secondary public offering, SPO). Private Platzie- zu Biotech-Know-how die Pharma-Unternehmen
rungen, oft als PIPE (private investment in public im Einzelfall dann erstmals mehr als 400 Mio. US$:
equity) bezeichnet, nahmen zu wie auch Wandel- 55 Human Genome Sciences: 1993 mit SmithKli-
anleihen. Selbst Firmen ohne positiven Cashflow ne Beecham 125 Mio. US$ (Zulassung Benlysta
waren in der Lage, diese Art von Kapital zu akqui- 2011);
rieren. Das investierte Kapital summierte sich in
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
69 2
55 Protein Design Laboratories: 1994 mit Co- Diese Beträge erscheinen indes sehr bescheiden
range (Holding Boehringer Mannheim) gegenüber den absoluten Mega-Deals dieser De-
206 Mio. US$; kade:
55 Ionis Pharmaceuticals: 1995 mit Boehringer 55 1990: Roche kauft 60 % der Anteile von Genen-
Ingelheim 100 Mio. US$; tech für 2,1 Mrd. US$;
55 Amylin Pharmaceuticals: 1995 mit Johnson & 55 1994: Ciba-Geigy kauft 49,9 % der Anteile von
Johnson 100 Mio. US$; Chiron für 2,1 Mrd. US$;
55 COR Therapeutics: 1995 mit Schering-Plough 55 1999: Warner-Lambert übernimmt Agouron
120 Mio. US$; Pharmaceuticals für 2,2 Mrd. US$;
55 Cell GeneSys: 1995 mit Hoechst Marion Rous- 55 1999: Johnson & Johnson akquiriert Centocor
sel (HMR) 160 Mio. US$ (AIDS-Gentherapie); für 4,9 Mrd. US$;
55 Millennium Pharmaceuticals: 1994 mit 55 1999: Roche übernimmt die restlichen 40 % an
Roche 70 Mio. US$, 1996 mit AHP/Wy- Genentech für 4 Mrd. US$, veräußert später
eth 90 Mio. US$, 1997 mit Monsanto aber über die Börse wieder Anteile und redu-
343 Mio. US$, 1998 mit Bayer 465 Mio. US$, ziert die Beteiligung somit schrittweise erneut
2000 mit Aventis (frühere HMR) auf 58 %; die Emissionserlöse werden in vielen
450 Mio. US$; Statistiken fälschlicherweise als Finanzierung
55 Triangle Pharmaceuticals: 1999 mit Abbott für Genentech gerechnet, das Kapital floss
335 Mio. US$; jedoch Roche zu (Juli 1999: 1,94 Mrd. US$,
55 Aviron: 1999 mit AHP/Wyeth 400 Mio. US$ Oktober 1999: 2,87 Mrd. US$ und März 2000:
(Marketing FluMist). 2,82 Mrd. US$); Genentech setzt eigenständi-
gen Marktauftritt fort.
In der Summe erbrachte die Dekade Zusagen in Höhe
von mehr als 20 Mrd. US$. Zusagen geben den poten- Neben den Pharma-Konzernen stärkten sich zu-
ziellen Wert wieder, denn Zahlungen fließen nur zum nehmend auch Biotech-Firmen durch Zukäufe:
Teil sofort bei Abschluss (upfront payments) einer 55 1991: Chiron kauft Cetus für 660 Mio. US$;
Kooperation, danach dann abhängig vom Erreichen 55 1994: Amgen kauft Synergen für 258 Mio. US$;
bestimmter vorher definierter Meilensteine (milesto- 55 1999: MedImmune kauft US Bioscience für
ne payments). Im Branchenjargon ist für die Zusagen 492 Mio. US$;
oft auch von biobucks oder biodollars die Rede. Eine 55 1999: Millennium kauft Leukosite für
andere Möglichkeit, sich die neuen Technologien 577 Mio. US$;
auf mehr oder weniger schnellem Wege anzueig- 55 1999: Gilead Sciences kauft NeXstar für
nen, waren Akquisitionen, also die Übernahme aller 550 Mio. US$.
Unternehmensanteile oder Teilübernahmen (Mehr-
heits- oder Minderheitsbeteiligungen). Preise dafür 2.2.5.2   Neuartige Medikamente treiben
überschritten in den Neunzigern erstmals die Grenze die positive Entwicklung voran
von 500 Mio. US$, nachdem 1986 zum Beispiel Bris- und führen zum Börsenboom
tol-Myers und Lilly noch 294 und 485 Mio. US$ für Die eigentlichen Treiber für die positive Entwick-
Genetic Systems und Hybritech zahlten: lung waren in den 1990er-Jahren allerdings Erlöse,
55 1990: Sandoz beteiligt sich für 392 Mio. US$ erzielt durch den Verkauf neuartiger Biopharma-
mit 60 % an Systemix; zeutika (. Tab. 2.15). Die Führung übernahmen
55 1991: American Home Products (AHP) kauft diejenigen Gesellschaften (. Tab. 2.15, . Tab. 2.16),
60 % von Genetics Institute für 666 Mio. US$; die in den Achtzigern und Anfang der Neunziger
55 1993: Lederle kauft 54 % von Immunex für entsprechende Produkte auf den Markt gebracht
350 Mio. US$; hatten: Amgen, Genentech, Chiron und Genzyme.
55 1995: GlaxoWellcome kauft Affymax für Bis Ende 1999 folgten noch diejenigen, die im Laufe
553 Mio. US$; der Dekade erfolgreich den Markt erobern konn-
55 1996: AHP übernimmt die restlichen Anteile ten: Immunex, Biogen, MedImmune, Idec sowie
an Genetics Institute für 1,25 Mrd. US$. Gilead. Neben anschwellenden Umsätzen führte
70 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.15 Top-10-Biopharmazeutika nach weltweitem Umsatz (Mrd. US$) zum Ende der 1990er-Jahre. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Daten aus Geschäftsberichten)

Produkt Indikation Entwickler Vermarkter FDAa 1998 1999


2 Epogen Blutarmut (Dialyse) Amgen Amgen 1989 1,38 1,76

Procrit Blutarmut (Nicht-Dialyse) Amgen Ortho Biotech (J&J) 1990 1,36 1,51

Neupogen Neutropenie Amgen Amgen 1991 1,12 1,26

Humulin Diabetes Genentech Eli Lilly 1982 0,96 1,09

Intron A Haarzell-Leukämie u. a. Biogen Schering-Plough 1992 0,72 0,65

Avonex Multiple Sklerose Biogen Biogen 1996 0,40 0,62

Engerix-B Hepatitis B Genentech SmithKline Beecham 1989 0,57 0,54

Cerezyme Gaucher-Krankheit Genzyme Genzyme 1994 0,41 0,48

Genotropin Kleinwüchsigkeit Genentech Pharmacia & Upjohn 1995 0,40 0,46

ReoPro Restenose Centocor Centocor und Lilly 1994 0,37 0,45

Summe 7,69 8,82


aUS-Zulassung; Antikörper in Fettdruck

dies zu neuen Höchstwerten beim Marktwert die- ebenfalls der Genom-Hype seinen Höhepunkt: die
ser Unternehmen. Aufklärung des menschlichen Genoms. Große Er-
wartungen bei der Heilung von Krankheiten zog
»» Biotech indices lost a third of their value bet- viele – auch sehr unerfahrene – Investoren an. So
ween May 1998 and September 1998. In the kletterten die Kurse beziehungsweise der Markt-
last quarter of 1998, the market climate began wert junger Genomik-Unternehmen an der Börse
to improve, and the biotech indices followed in schwindelnde Höhen (. Abb. 2.5 und . Tab. 2.16).
the NASDAQ on a bumpy but respectable Die Bewertung aller rund 300 börsennotierter US-
climb. The industry began to attract investor Biotech-Gesellschaften lag bei rund 350 Mrd. US$.
attention as Wall Street attention focused on a
series of favorable fourth-quarter sales reports.
Combined with forecasts of rapid sales growth 2.2.6 Die erste Dekade des neuen
among companies such as Idec Pharmaceu- Milleniums: vom Börsenhype zur
ticals and Genentech, the backbone for the Profitabilität
stock gains was formed that propelled the bio-
tech indices into 1999. (Ernst & Young 2000) Die Börsenralley begann in der zweiten Jahreshälfte
von 1999 und erreichte einen ersten Peak im ersten
Das aufkommende positive Börsenklima ermög- Quartal 2000 sowie einen zweiten Höhepunkt im
lichte es sehr jungen Firmen, die erst in der zwei- dritten bis vierten Quartal 2000. Der Zeitraum war
ten Hälfte der 1990er-Jahre gegründet wurden allerdings extrem volatil. Die Kurse von Incyte und
(. Tab. 2.17), einen Börsengang zu stemmen. Bereits Millennium verachtfachten sich, der von Human
ein bis zwei Jahre nach der Gründung war dies zum Genome Sciences (HGS) legte um das Zehnfache
Beispiel der Fall bei der früheren AviGenics (heute zu (. Abb. 2.5). Auch die Aktienpreise der bereits
Synageva BioPharma, 2015 gekauft von Alexion) etablierteren Firmen wie Biogen, Amgen oder Ge-
sowie bei BioMarin Pharmaceuticals. nentech vervielfachten sich. Da Biogen 1998 von
Begleitend zu der neuen Hochstimmung am einem sehr niedrigen Niveau startete erbrachte
Kapitalmarkt erreichte um die Jahrtausendwende die Aktie den Investoren sogar einen potenziellen
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
71 2

. Tab. 2.16 Status quo führender US-Firmen zu Beginn und Ende der 1990er-Jahre. (Quelle: BioMedServices
(2015) nach Daten aus Spalding und Shriver (1992), Ernst & Young (1992) und Burrill (2000))

Jahr des 1991/1992 (Mio. US$) 1999 (Mio. US$)


1. eigenen
Produktes
auf dem Markt- G/Vb Um- Zulas- Klinikd Markt- G/Vb Um- Zulas- PII/PId
Markt in werta satzc sungd werta satzc sung/
Klammern PIIId

Amgen (1989) 8131 G 682 1 6 61.477 G 3340 12 17

Genentech 3233 G 460 0 8 34.716 Ve 1421 17 18


(1985)

Immunex 465 G 53 0 6 18.189 G 542 15 16


(1991)

Biogen (1996) 795 G 61 0 3 12.753 G 794 6 9

MedImmune 249 G 14 2 2 11.415 G 383 6 18


(1998)

Chiron (1992) 1660 G 141 1 11 7654 G 763 16 19

Millennium Gegründet 1993 5582 V 47 2 12


(2003)

Affymetrix Gegründet 1992 4635 V 97 0 0

Idec (1997) n. v. V 0 0 2 4210 G 118 6 6

HGS (2011) Gegründet 1992 3931 V 25 0 5

Celera Gegründet 1998 3897 V 13 0 0

Genzyme 1071 G 122 0 6 3812 G 635 5 9


(1991)

Gilead (1996) n. v. n. v. n. v. n. v. n. v. 2403 V 169 10 19

Incyte (2011) Gegründet 1991 1903 V 157 0 0

Centocor 463 V 53 3 5 1999 gekauft von Johnson & Johnson


(1996)
aMarktwert Mitte 1992 bzw. Ende 1999, bGewinn (G) oder Verlust (V), cUmsatz Ende 1991 bzw. 1999, dZahl der Projekte
in diesen Phasen (P: Phase X oder Zulassung), eim Jahr 1999 Verlust, davor Gewinn

16-fachen Gewinn, Amgen immerhin noch eine of the mapping of the human genome. The
Steigerung um das Fünffache. In den Jahren 2001 celebrations for this historic achievement
und 2002 ging es dagegen, insbesondere für die Ge- have faded. Biotechnology companies and
nomik-Firmen, wieder rasant abwärts. their partners … are faced with the daunting
task of deciphering and applying the complex
»» The balance sheets of many biotechnology information contained in tens of thousands of
companies and the public expectations for genes and hundreds of thousands of proteins.
improved health care were pushed to stra- (Morrison und Giovannetti 2001)
tospheric heights in 2000 by the completion
72 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.17 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in der 2. Hälfte der 1990er, heute noch aktiv. (Quelle:
BioMedServices 2015)

2 Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Marktwert)

1995 Exact Sciences Molekular-Diagnostika 2001 2014: Zulassung Cologuard-Test


(Epigenetik) (56) (2014: 1,8 Mio. und 2,4 Mrd. US$)

1995 Lexicon Phar- Genomik, > 100 gene- 2000 Ab 1997 diverse Pharma- und Biotech-Deals,
maceuticals tisch validierte Targets (220) 2007/2009/2012: je Start PI, PII, PIII LX1032
(2014: 23 und 644 Mio. US$)

1995 Sangamo Genomik, Zinkfinger- 2000 Ab 1998 diverse Pharma-Deals, 2006/2011: PII, Flop
Biosciences protein-Therapeutika (53) SB-509
(2014: 46 Mio. und 1 Mrd. US$)

1996 Cepheid Molekular-Diagnostika 2000 2000/2004: Launch SmartCycler, GeneXpert


(30) System
(2014: 470 Mio. und 3,8 Mrd. US$)

1996 Cyclacel Phar- Zellzyklus-modulieren- 2004 2006/2010/2011: PI, PII, PIII Sapacitabine
maceuticals de Therapeutika (34) (2014: 1,7 und 16 Mio. US$)

1996 Dynavax Tech- Immunstimulierende 2004 2006/2007/2010/2012: PI, PII, PIII, BLA Heplisav
nologies DNS mit Ziel TLR (52) (2014: 11 und 488 Mio. US$)

1996 Northwest Bio- Krebs-Immuntherapie 2001 2002/2006: PII, PIII DCVax-Brain


therapeutics (autologe dendritische (20) (2014: 1 und 342 Mio. US$)
Zellen)

1996 Synageva Enzymersatz, ultrasel- 1997 2011: Kauf Trimeris, 2014: PIII Sebelipase
BioPharmab tene Krankheiten (33) (2014: 6,5 Mio. und 3,1 Mrd. US$)

1997 Arena Pharma- SM (G-Protein-gekop- 2000 2004/2006/2012: PII, PIII, Zulassung Belviq
ceuticals pelte Rezeptoren) (108) (2014: 37 und 742 Mio. US$)

1997 Argos Thera- Krebs-Immuntherapie 2014 2006/2008/2012: PI, PII, PIII AGS-003
peutics (autologe dendritische (45) (2014: 2 und 191 Mio. US$)
Zellen)

1997 BioMarin Phar- Enzymersatz, ultrasel- 1999 2000/2003: PIII, Zulassung Aldurazyme
maceuticals tene Krankheiten (59) (2014: 751 Mio. und 13,6 Mrd. US$)

1997 Xencor Therapeutische AK 2013 1998: Einlizenzierung Caltech-Technologie, diver-


(XmAb-Plattform: Fc (70) se Deals, 2011/2013: PI, PII XmAb5871
engineering) (2014: 10 und 514 Mio. US$)

1998 Intrexon DNS-Synthese, Ultra- 2013 2005/2007/2010/2011/2013: Serie-B/C/D/E/F-Finan-


Vector-Plattform (160) zierung
(2014: 72 Mio. und 2,8 Mrd. US$)

1998 PTC Therapeu- SM (posttranskriptio- 2013 2005/2009: PII, PIII Ataluren


tics nale Prozesse) (126) (2014: 25 und 1,8 Mrd. US$)

1998 Seattle Therapeutische AK, 2001 2006/09/11: PI, PII/III, Zulassung Adcetris
­Genetics AK-Konjugate (49) (2014: 287 Mio. und 4,1 Mrd. US$)

1999 NewLink Krebs-Immuntherapie 2011 2007/2010: PII, PIII Algenpantucel-L


Genetics (ohne autologe Zellen) (43) (2014: 173 Mio. und 1,1 Mrd. US$)

Nur börsennotierte Firmen (Marktwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)


aJahr,
in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering), bim Mai 2015 übernommen
von Alexion Pharmaceuticals für 8,4 Mrd. US$
AK Antikörper, BLA biologic license application, P Phase, SM small molecules, TLR Toll-like receptor
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
73 2

80
Millennium Incyte
Aktienkurs (US$) Incyte HGS HGS Amgen
70 Biogen Genentech

Biogen
60
Amgen

50

40 Biogen

30 Amgen
Genentech

20 Millennium

Incyte HGS
10
Biogen
BioMedServices 2015 Incyte
0
Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

. Abb. 2.5 Genom-Hype am US-Kapitalmarkt. Erstellt auf Basis von Daten aus Yahoo Finance und SEC.gov (pro Quartal
[Q] gemittelt aus Höchst- und Tiefstwert); Genentech-Kurse ab Q3/1999, nach erneuter Listung; HGS Human Genome
Sciences

Der Biotech-Hype am Kapitalmarkt wurde beglei- gestiegen und gefallen. Der NASDAQ Biotechnolo-
tet, vermutlich sogar auch unterstützt, von einer an- gy Index (NBI) erreichte knapp 1500 Punkte, ausge-
deren Dynamik, der sogenannten »Dot-Com-Bla- hend von rund 300 Punkten in den Jahren 1996 bis
se« oder Internet-Blase (7 VC-Investor Walton von 1998. Bis 2002 landete er ebenfalls bei um die 500
Oxford Bioscience Partners zum Genom-Hype). Punkte. Selbst nach diesem »Auf und Ab« konnten
Nachdem 1993 der erste Internet-Browser verfüg- börsennotierte Biotech-Unternehmen einen höhe-
bar war, entstand sie ab 1997, basierend auf dem ren Marktwert pro Firma demonstrieren als davor.
Börsengang und der rasanten Aktienentwicklung Zur Mitte der ersten Dekade des neuen Milleniums
von Firmen wie Amazon, AOL und Yahoo. lag dieser bei 1 Mrd. US$ (. Abb. 2.6), allerdings
Neben diesen noch existierenden Unterneh- getrieben von einem Dutzend führender Firmen,
men gründeten sich viele andere, deren Geschäfts- die 60 bis 80 % der Gesamt-Marktkapitalisierung
modell nicht nachhaltig war und die entsprechend ausmachten. Ohne sie erreichte der durchschnitt-
wieder vom Markt verschwanden. Der Verlauf des liche Marktwert lediglich eine Höhe von 200 bis
NASDAQ-Computer-Index spiegelt die übertrie- 400 Mio. US$, der verglichen werden muss mit
bene Entwicklung wider: Er stieg von rund 400 auf 100 Mio. US$ vor dem Hype. Noch unter dieser
knapp 3000 Punkte und fiel bis 2002 wieder auf Grenze lag im September 1998 die Bewertung von
rund 500 Punkte (. Abb. 2.6). Im Vergleich dazu über 200 der 327 börsennotierten Gesellschaften
waren die Biotech-Aktien sehr viel weniger extrem (Ernst & Young 1998).
74 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

VC-Investor Walton von Oxford Bioscience Partners zum Genom-Hype


»It would be logical to believe that lion and 15 years to complete. To be fairly obvious: Find out what all or

2 the interest in genomics companies


this year was triggered by the race
fair, Celera could not have achieved
such success without the catalytic
most of the genes do, find out what
are the differences in gene expres-
to complete the sequencing of the affect in the public program. Never- sion between normal and diseased
human genome. In fact, closer scru- theless, 0 to $5 billion in valuation in tissues, work out the pathways of
tiny shows that the strong economy two years must be a biotech record. disease, find suitable interference
led first to a speculative fever in the Although the national press seized points, and finally, design drugs
Internet world that started to cycle on the sequencing achievement as to uniquely interfere with disease
into biotechnology in December the biological equivalent of putting processes. … Despite this roadmap,
1999. IPOs that had traditionally been a man on the moon, hopefully it many troubling questions remain
priced in the $100 million pre-money is clearer where genomics is hea- in discovering new drugs through
range have more frequently been ding than astronautics. In a turn of genomic methodology. Protein
taken out in the $300 million-plus Churchillian phrase: ‚Completion profiles do not always match gene
range this year. Even as the markets of the Human Genome Project is expression profiles, thus proteomics
paused for breath in early summer not the end, or even the beginning in its broadest sense may add somet-
2000, weak IPOs rapidly appreciated of the end; it is but the end of the hing to the equation. Genomics tells
in price. February/March 2000 saw beginning.‘ It is perhaps surprising to us nothing about protein/protein
public genomics companies reach some in private financing circles that interactions. Many key disease-ini-
astronomical heights; with several genomics, which was a hot area 10 or tiating gene products may reside
attaining previously unheard of more years ago, has just reached the in the cellular nucleus and may be
market capitalizations of $3–5 billion. consciousness of many of the inves- difficult or inappropriate targets.
Perhaps those who have questioned ting public. Fortunately during those Many degenerative diseases may
the ability of technology, service, 10 years we have had plenty of time involve more than one pathway and
and tool-box companies to provide to ponder where we go from here. At target. Target proteins are often not
value to shareholders are finally the beginning of the Human Geno- ‘druggable’ and there is no known
convinced. In the meantime, the me Project, Senator Pete Domenici ab initio method to predict this. To
competition between the public and … put forth the thesis that it would reward investments in the industry
private programs to sequence the lead to a cure for human disease in and bring its potential to fruition,
human genome reached its zenith. a 50-year period. Getting there from the industry must tackle these pro-
There can be little doubt that Celera here seems as though it will take blems and show that genomics can
… won. In just two years and with a little more time than originally lead to the discovery of new drugs
less that $1 billion, Celera achieved projected. On one level, the genomic better, cheaper, and quicker« (Wal-
what the public program took $3 bil- roadmap for drug discovery seems ton 2000).

2.2.6.1 W
 iederum treiben neuartige Allein die Top-10-Biopharmazeutika (. Tab. 2.18)
Medikam­ente die positive übertrafen mit 26 Mrd. US$ im Jahr 2005 Umsatz-
Entwicklung an prognosen von 1997: 24,5 Mrd. US$ im Jahr 2006 für
Umsatztreiber bei den Medikamenten wurden zu- alle biologischen Humantherapeutika (Paugh und
nehmend solche der zweiten Generation (1. Ge- Lafrance 1997). . Tabelle 2.19 und 2.20 listen aus-
neration: rekombinante körpereigene Stoffe), das gewählte FDA-Neuzulassungen der Jahre 2000 bis
heißt therapeutische Antikörper sowie Fusions- 2009, die zunehmend auch von europäischen Ge-
proteine. In der ersten Hälfte der neuen Dekade sellschaften kamen (7 Auch europäische Erfindun-
vervierfachte sich der Umsatz mit den Top-10- gen erfolgreich bei der FDA).
Biopharmazeutika (. Tab. 2.18). 2005 betrug der Die Biologika umfassen rekombinante Anti-
Gesamtumsatz mit Biologika 66 Mrd. US$ (Eva- körper (Endung: -mab), Enzymersatzstoffe (-ase),
luatePharma 2009), was gut 10 % des kompletten Fusionsproteine (-cept), andere Proteine (Hormo-
Pharma-Marktes ausmachte. ne oder Wachstumsfaktoren, Endung -in oder -im)
sowie Peptide (-tide).
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
75 2

2400 1200
Indexpunkte
Mio. / Mrd. US$
2200 1100
NASDAQ Computer Index
2000 1000
NASDAQ Biotech Index
1800 900
Marktwert / Firma (Mio. US$)
1600 Marktwert (Mrd. US$) 800

1400 700

1200 600

1000 500

800 400

600 300

400 200

200 100
BioMedServices 2015
0 0
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

. Abb. 2.6 US-Biotech-Kapitalmarkt: Entwicklungen von 1995 bis 2004. Erstellt nach Daten von Yahoo Finance und
Ernst & Young (1995–2005); für den Marktwert liegen nur jährliche Daten vor

. Tab. 2.18 Top-10-Biopharmazeutika nach weltweitem Umsatz (Mrd. US$), 2005 versus 1999. (Quelle: BioMed-
Services 2015)

Produkt Indikation Entwickler Vermarkter FDAa 1999 2005

Enbrel Rheumatoide Arthritis Genentech/Im- Immunex (Amgen) 1998 0,37 3,66


munex
Remicade Rheumatoide Arthritis Centocor J&J/Schering-Plough 1998 0,10 3,48
(1999 zu J&J)
Rituxan Krebs (NHL) Idec/Genentech Genentech 1997 0,32 3,44
Procrit Blutarmut Amgen Ortho Biotech (J&J) 1990 1,51 3,32
(Nicht-Dialyse)
Aranespb Blutarmut Amgen Amgen 2001 – 3,27
Epogen Blutarmut (Dialyse) Amgen Amgen 1989 1,76 2,46
Neulastac Neutropenie Amgen Amgen 2002 – 2,29
Avonex Multiple Sklerose Biogen Biogen Idec 1996 0,62 1,54
Humira Rheumatoide Arthritis CAT/Knoll (AbbVie) AbbVie/Eisai 2003 – 1,40
Neupogen Neutropenie Amgen Amgen 1991 1,26 1,22
Summe 5,93 26,08

Antikörper in Fettdruck
aUS-Zulassung, bEPO-Analogon, cPEG-Neupogen

CAT Cambridge Antibody Technology, NHL Non-Hodgkin-Lymphom


76 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.19 Ausgewählte rekombinant hergestellte Biopharmazeutika, Zulassungen 2000 bis 2004 (FDA). (Quelle:
BioMedServices 2015)

2 Produkt Wirkstoff (Target) Indikation Erfindung/Entwicklung und


Vermarktung
Monat/Jahr

Mylotarg Gemtuzumab (CD33) Krebs (AML) GB: Celltech/AHP 05/2000

TNKase Tenecteplase Herzinfarkt Genentech/Genentech 06/2000

Ovidrel Choriogonadotropin Infertilität CH: Serono/Serono 09/2000


alfa

Osigraft Eptotermin alfa Knochenwachstum Curis/Stryker 05/2001

Campath Alemtuzumab (CD52) Krebs (CLL) Ilex und Millennium/Sche- 05/2001


ring

Natrecor Nesiritid Chronische Herz- California Biotech (spätere 08/2001


insuffizienz Scios)/Scios

Zevalin Ibritumomab-Tiuxetan Krebs (NHL) Biogen Idec/Spectrum 02/2002

Infuse Dibotermin alfa Knochenwachstum Genetics Institute (Wyeth)/ 09/2002


Medtronic

Humira Adalimumab (TNF alfa) Rheumatoide GB: CAT/Knoll (BASF Pharma) 12/2002
Arthritis (AbbVie)

Amevive Alefacept (CD2) Psoriasis Biogen Idec/Astellas 01/2003

Iprivasc Desirudin Thromben Marathon Pharms/Marathon 04/2003

Fabrazyme Agalsidase beta Fabry-Krankheit Genzyme/Genzyme 04/2003

Aldurazyme Laronidase MPS Typ I Biomarin/Genzyme 04/2003

Xolair Omalizumab (IgE) Asthma Genentech/Genentech 06/2003

Raptiva Efalizumab (CD11a) Psoriasis Xoma/Genentech 10/2003

Erbitux Cetuximab (EGFR) Darmkrebs ImClone Systems/BMS 02/2004

Avastin Bevacizumab (VEGF) Darmkrebs Genentech/Genentech 02/2004

Tysabri Natalizumab Multiple Sklerose Athena Neurosciences (Elan, 11/2004


(Alfa-4-Integrin) IRL)/Biogen Idec

Kepivance Palifermin Mucositis Amgen/Amgen 12/2004

Antikörper in Fettdruck
Falls nicht US, Land vor Firmenname (CH Schweiz, GB Großbritannien, IRL Irland)
in Klammern Mutterfirma, falls Übernahme vor Zulassung
AHP 2002 umbenannt in Wyeth
AML akute myeloische Leukämie, CLL chronische lymphatische Leukämie, MPS Mukopolysaccharidose, NHL Non-Hod-
gkin-Lymphom, TNF Tumornekrosefaktor

In der ersten Dekade des neuen Milleniums ka- auf Zellen an der Weiterleitung und Verstärkung
men zudem Vertreter der neuartigen Substanzklas- von Signalen beteiligt. Diese Informationsüber-
se der Kinase-Inhibitoren auf den Markt. Als small tragung ist zum Beispiel bei Krebserkrankungen
molecules sind sie nicht in den Tabellen . Tab. 2.19 gestört. Kinase-Inhibitoren binden spezifisch an
und 2.20 gelistet. Kinasen sind als Enzyme in und fehlfunktionierende Kinasen und hemmen so ihre
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
77 2

Auch europäische Erfindungen erfolgreich bei der FDA


Serono aus der Schweiz bekam 1996 bridge. Der Fokus lag unter anderem die bei Entzündungen eine Rolle
grünes Licht für rekombinantes hu- auf Antikörpern, was 20 Jahre später spielt. Das war der Start für die
manes Wachstumshormon (in Euro- auch zum ersten von der FDA zu- Entwicklung des Blockbusters Hu-
pa bereits 1989 zugelassen), 1997 für gelassenen therapeutischen Anti- mira, die nach der Übernahme der
rekombinantes Follikelstimulieren- körper (Mylotarg) aus Europa führte. BASF-Pharmasparte durch Abbott
des Hormon zur Behandlung von 2008 kam noch Cimzia zur Behand- (heute AbbVie) 2001 von Letzterer zu
Infertilität sowie 2000 und 2007 für lung der rheumatoiden Arthritis Ende geführt wurde. Die Zulassung
weitere Hormone dieser Indikation. dazu. Celltech war zu dem Zeitpunkt erfolgte im Dezember 2002, Humira
Serono, mit historischen Wurzeln indes bereits von der belgischen ist heute das Medikament mit dem
in dem 1906 gegründeten Istituto Pharma-Firma UCB übernommen höchsten Umsatz weltweit. CAT
Farmalogico Serono aus Italien, ex- worden, die 2004 1,5 Mrd. britische selbst wurde im Jahr 2006 für rund
trahierte Proteine zur hormonellen Pfund bezahlte. Neben einer der 1 Mrd. € von der britischen AstraZe-
Behandlung anfänglich aus Hühner- ersten Gründungen war Celltech neca übernommen.
eiern und Urin. In den 1980er-Jahren auch eine der ersten Biotech-Gesell- GenMab, 1999 in Kopenhagen ge-
begannen sie mit der Herstellung schaften mit einer Börsennotierung gründet als Spin-off der US-Firma
der rekombinanten Version. Neben an der London Stock Exchange. Medarex, setzt ebenfalls den Fokus
dieser frühen Zuwendung zu neuen Cambridge Antibody Technology auf therapeutische Antikörper. Im
Technologien erfolgte auch früh, (CAT), gegründet 1989, fokussierte Jahr 2000 war der Börsengang von
nämlich 1987, der Börsengang. 1998 sich unmittelbar auf neue Techno- GenMab mit knapp über 200 Mio. €
steuerten Biotech-Produkte bereits logien zur Herstellung voll humaner einer der größten eines europäi-
50 % des Umsatzes bei, 2000 über- therapeutischer Antikörper über schen Biotech-Unternehmens. Die
stieg er die Grenze von 1 Mrd. US$. die sogenannten Phagen-Display- Zulassung von Arzerra in der Indika-
Die deutsche Merck kaufte Serono und Ribosom-Display-Methoden. tion chronische lymphatische Leu-
2007 für 13,3 Mrd. US$. 1992/1993 schloss die deutsche BASF kämie gelang 2009, also zehn Jahre
Celltech war eine der ersten Bio- Bioresearch (eine Tochter der BASF nach der Gründung. Der Antikörper
tech-Firmen in Großbritannien. Pharma/Knoll) eine Kooperation mit wurde noch in der Entwicklungs-
Bereits 1980 gegründet, hatte sie CAT zur Auffindung eines Antikör- phase an die britische GSK verpart-
Zugang zur Forschung des Medical pers gegen den Tumornekrosefaktor nert, die ihn heute vermarktet und
Research Council (MRC) und seinem (TNF) alfa, einer körpereigenen 20 % der Verkaufserlöse an GenMab
Labor für Molekularbiologie in Cam- Signalsubstanz des Immunsystems, abtritt.

Aktivität. Eine anschauliche Erläuterung zu den 55 Tarceva (Erlotinib, Target EGFR/HER1) 2004
Kinase-Inhibitoren bietet auch der Verband Ma- gegen Lungenkrebs (von OSI);
mazone – Frauen und Forschung gegen den Brust- 55 Nexavar (Sorafenib, multiple Targets) 2005
krebs auf seiner Webseite (7 Dialog unterbrochen – gegen Nierenkrebs (von Onyx, Partner Bayer);
Signalübertragungshemmer). Damit die Wirkstoffe 55 Sutent (Sunitinib, multiple Targets) 2006 gegen
spezifisch andocken können, werden sie passgenau gastrointestinale Tumoren, Nieren- und Pank-
entworfen, daher auch der Begriff »maßgeschnei- reaskrebs (von Sugen, 1991 übernommen von
dert«. Glivec, ein vom Pharma-Konzern Novartis Pharmacia & Upjohn, seit 2003 zu Pfizer).
entwickelter Inhibitor gegen Leukämie (CML), er-
hielt die FDA-Zulassung im Jahr 2001. Seine Ent- Die Endung »-nib« weist ebenfalls der Wirkstoff in
wicklung beruhte auf den Erkenntnissen geneti- Macugen (Pegaptanib, Target VEGF) auf, der 2004
scher Forschung vom Anfang der 1970er-Jahre, für altersbedingte Makuladegeneration (AMD)
wobei molekularbiologische Details erst Mitte der zugelassen wurde. Allerdings ist das ursprünglich
1990er vorlagen (7 Abschn. 1.2.4). Weitere Kinase- von NeXstar Pharmaceuticals entwickelte Aptamer
Inhibitoren (Endung: -nib) folgten, zumeist entwi- vom Wirkmechanismus her kein Kinase-Inhibi-
ckelt von Pharma-Unternehmen (7 Abschn. 2.3.2), tor. NeXstar lizenzierte es im Jahr 2000 an Eyetech
aber auch von US-Biotech-Firmen: (2005 gekauft von OSI), die mit Partner Pfizer die
Zulassung beantragten.
78 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.20 Ausgewählte rekombinant hergestellte Biopharmazeutika, Zulassungen 2005 bis 2009 (FDA). (Quel-
le: BioMedServices 2015)

Produkt Wirkstoff (Target) Indikation Erfindung/Entwicklung Monat/Jahr


2 und Vermarktung

Naglazyme Galsulfase MPS Typ VI Biomarin/Biomarin 05/2005

Myozyme Alglucosidase alfa Pompe-Krankheit Genzyme/Genzyme 04/2006

Lucentis Ranibizumab (VEGF) Makuladegeneration Genentech/Genentech 06/2006

Elaprase Idursulfase MPS Typ II TKT (Shire, GB)/Shire 07/2006

Vectibix Panitumumab (EGFR) Darmkrebs Abgenix (Amgen)/Amgen 09/2006

Soliris Eculizumab (C5) PNH Alexion/Alexion 03/2007

Luveris Lutropin alfa Infertilität CH: Serono/Serono 10/2007

Recothrom Thrombin alfa Blutstillung Zymogenetics/Zymoge- 01/2008


netics

Arcalyst Rilonacept CAPS Regeneron/Regeneron 02/2008

Cimzia Certolizumab Pegol Rheumatoide Arthritis GB: Celltech (UCB, B)/ 04/2008
(TNF alfa) Pharmacia (Pfizer)

Nplate Romiplostim ITP Amgen/Amgen 08/2008

Arzerra Ofatumumab (CD20) Krebs (CLL) DK: GenMab/GSK 10/2009

Kalbitor Ecallantide Hereditäres Angio- Dyax/Cubist 12/2009


ödem

Antikörper in Fettdruck
Falls nicht US, Land vor Firmenname (B Belgien, CH Schweiz, DK Dänemark, GB Großbritannien)
in Klammern Mutterfirma, falls Übernahme vor Zulassung
CAPS Cryopyrin-assoziierte periodische Syndrome, CLL chronische lymphatische Leukämie, EGFR epidermal growth
factor receptor, ITP idiopathische thrombozytopenische Purpura, MPS Mukopolysaccharidose, PNH paroxysmale
nächtliche Hämoglobinurie, TNF Tumornekrosefaktor, VEGF vascular endothelial growth factor

Aptamer 2.2.6.2  Finanzierung, Transaktionen


Aptamere (von lat. aptus, passen, und und Umsätze erreichen neue
gr. meros, Gebiet) sind entweder kurze Bestmarken
einzelsträngige DNS- beziehungsweise RNS- Alle Medikamenten-Zulassungen der 1990er-Jah-
Moleküle (Oligonukleotide mit 25–70 Basen) re (. Tab. 2.12) sowie der ersten Dekade des neuen
oder Peptide, die jeweils über ihre 3D-Struktur Milleniums (. Tab. 2.19 und 2.20) gingen an Firmen,
andere Molekül spezifisch binden können. die einen Börsengang gemeistert hatten. Aufgrund
der Börsennotierung ermittelt sich der Aktienpreis
über den Marktmechanismus von öffentlichem
Zu den small molecules zählt ferner die Klasse der Nu- Angebot und öffentlicher Nachfrage, woraus sich
kleotidanaloga, zu denen Gilead in der neuen Dekade der Marktwert ableitet. Bei der Ausgabe weiterer
weitere Zulassungen verzeichnete: Viread, ein Ade- Unternehmensanteile zu einem späteren Zeitpunkt
nosinmonophosphat-Analogon im Jahr 2001 sowie kann das von Vorteil sein, da eine aktuelle Bewer-
Emtriva, ein Cytidin-­Analogon im Jahr 2003. Beide tung allgemein zugänglich vorliegt und bereits
Wirkstoffe zielen auf die ­reverse ­Transkriptase vom eine gewisse Basis bietet. Das positive Börsenkli-
HI-Virus, wobei Emtriva ­ursprünglich von Triangle ma 1999/2000 sorgte daher neben erstmaligen öf-
Pharmaceuticals stammt, die Gilead 2002 übernahm. fentlichen Angeboten (initial public offerings, IPO)
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
79 2

Dialog unterbrochen – Signalübertragungshemmer


»Zunehmend kommen Forscher zahl von Enzymen und sekundären zelle gezielt die Aktivität von Boten-
den Wegen der Signalübertragung Botenstoffen (Second Messenger) stoffen der Signalübertragung, sie
(Signaltransduktion) auf die Spur. in einer Art Kettenreaktion (Signal- greifen also in den ‚Dialog‘ innerhalb
Darunter sind Prozesse zu ver- kaskade) beteiligt. Diese speziellen der Tumorzelle und zwischen den
stehen, mit denen die Zelle auf Empfangsantennen nennt man im Tumorzellen ein. Die Enzyme, aus
äußere Reize antwortet, diese in Fachjargon ‚Rezeptor-Tyrosin-Kina- denen diese dominosteinartigen Si-
eine andere Sprache umwandelt, sen‘. Das wachsende Verständnis gnalkaskaden aufgebaut sind, nennt
die das Regiezentrum im Inneren von Signalkaskaden hat zur Ent- man Kinasen und Phosphatasen.
der Zelle verstehen kann, und dann wicklung von … kleinen, chemisch Beide Enzyme gelten inzwischen als
dorthin weiterleitet. An diesen hergestellten Molekülen [geführt. vielversprechende Angriffspunkte
‚Übersetzungsarbeiten‘ zwischen Sie] hemmen – im Gegensatz zu den bei maßgeschneiderten Krebsthera-
Empfangsantennen [Rezeptoren] an der Zelloberfläche wirkenden pien« (Mamazone 2015).
und Zellinnerem sind oft eine Viel- Antikörpern – im Inneren der Krebs-

ebenfalls für Spitzenwerte bei den sogenannten se- 118 Mio. US$. Bis Ende 2014 erbrachten ihnen wei-
condary public offerings (SPO), dem Verkauf weite- tere externe Finanzierungen in der Summe 1274,
rer Aktien an der Börse. Damit sicherten sich viele 734 und 1395 Mio. US$ (Angaben aus der Daten-
Firmen das für die teuren Entwicklungen nötige bank BCIQ). Lexicon (gegründet 1995) hat es da-
Kapital. So gelang es der 1998 von Craig Venter ge- mit nach rund 20 Jahren FuE (über 100 genetisch
gründeten Celera Genomics, die 1999 lediglich be- validierte Zielmoleküle) zu einer Pipeline von sechs
reits bestehende Anteile an der Börse notieren ließ, Medikamentenkandidaten gebracht, der weiteste in
im März 2000 fast 1 Mrd. US$ an frischen Mitteln Phase III klinischer Studien, vier in Phase II und
einzuwerben. Im vierten Quartal des Jahres 2000 einer in Phase I. Sequenom (gegründet 1994 als
erreichte der Börsenhype einen vorläufigen Höhe- Sequenom Instruments GmbH in Hamburg) bie-
punkt mit 19 SPO (zusammen 7,3 Mrd. US$). So tet Diagnostik-Dienstleistungen an und generiert
zum Beispiel (insgesamt bis zur Übernahme auf- damit einen Umsatz von rund 150 Mio. US$ bei
genommenes Kapital in zweiter Klammer, Quelle: gerade so schwarzen Zahlen (1 Mio. US$ Plus).
Datenbank BCIQ): Exelixis (gegründet 1994) setzte anfangs ebenfalls
55 Human Genome Sciences (gegründet 1992, auf die funktionale Genomik und fokussierte sich
IPO 1993): 825 Mio. US$ (3,8 Mrd. US$), Kauf- 2005 auf Kinase- und Rezeptor-Inhibitoren. Ende
preis: 3,6 Mrd. US$; 2012, also ebenso fast 20 Jahre nach der Gründung,
55 Immunex (gegründet 1981, IPO 1983): erhielt das Medikament mit dem Handelsnamen
795 Mio. US$ (1,2 Mrd. US$), Kaufpreis: Cometriq die FDA-Zulassung zur Behandlung von
16 Mrd. US$; bereits metastasiertem medullären Schilddrüsen-
55 Millennium Pharmaceuticals (gegründet 1993, karzinom. Patienten mit dieser Krankheit sind
IPO 1996): 704 Mio. US$ (1,5 Mrd. US$), Kauf- nicht so zahlreich, sodass der Gesamtumsatz trotz
preis: 9 Mrd. US$; des neuartigen Kinase-Inhibitors (Zielmolekül: c-
55 Idec Pharmaceuticals (gegründet 1985, IPO Met/VEGFR2) mit 25 Mio. US$ im Jahr 2014 bis-
1991): 473 Mio. US$ (1,3 Mrd. US$), Kaufpreis: lang recht mager ausfällt. Die Firma erhofft sich
6,8 Mrd. US$; daher, dass der Wirkstoff auch für andere Krebsin-
55 OSI Pharmaceuticals (gegründet 1983, IPO dikationen zugelassen werden kann, die höhere Pa-
1986): 375 Mio. US$ (1,5 Mrd. US$), Kaufpreis: tientenzahlen aufweisen. Entsprechende klinische
4 Mrd. US$. Studien laufen gerade, wobei 2014 in der Indikation
Prostatakrebs eine Phase-III-Studie negativ ausfiel.
Den Genom-Hype im Jahr 2000 nutzten auch Der Verlust bei Exelixis belief sich Ende 2014 auf
die Unternehmen Lexicon, Sequenom oder Exe- 269 Mio. US$, der Marktwert lag bei 264 Mio. US$.
lixis, die bis dahin unerreichte Summen über Neben den IPOs und SPOs ergaben sich im
den Gang an die Börse einnahmen: 220, 138 und Laufe der Dekade weitere Möglichkeiten der
80 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

35

Mrd. US$ Darlehen & Wandelanleihen


2 30 SPO & PIPEs
IPO
VC
25
Allianzen (Biodollars)

20

15

10

 BioMedServices 2015

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

. Abb. 2.7 Finanzierung der US-Biotech-Industrie, 2000 bis 2009. Erstellt nach Daten von Ernst & Young (2005–2010). IPO
initial public offering, SPO secondary public offering, PIPE private investment in public equity, VC Venture-Capital

Finanzierung: die sogenannten Convertible Debts, 55 2009: Amgen (2000), Cephalon (500), Incyte
auf Deutsch Wandelanleihen sowie reines Fremd- (400).
kapital in Form von Darlehen. Einzelnen Firmen
gelang es, über diese Finanzierungsinstrumente Manchmal diente neues, zu günstigeren Konditio-
mehrere 100 Mio. US$ einzunehmen, wie beispiels- nen aufgenommenes Kapital der Ablösung frühe-
weise (Mio. US$ in Klammern): rer Verbindlichkeiten. Fremdkapital schien für die
55 2000: Gilead (250), Inhale (230); Branche kein »Fremdwort« mehr zu sein. Aufgrund
55 2001: Aviron (200); des Börsenhypes stiegen auch viele VC-Investoren
55 2002: Amgen (3950), Idec (675), Gilead (300), in die Branche ein.
Abgenix (200), OSI (200); Insgesamt flossen im Jahr 2000 27,5 Mrd. US$
55 2003: Cephalon (750), Genzyme (600), an die US-Biotech-Industrie. Ernst & Young (2005)
MedImmune (500), Chiron (450), Celgene weist über 30 Mrd. US$ aus, rechnet allerdings Be-
(325); träge ein, die nach dem Verkauf von Aktien nicht
55 2004: Amgen (2000), ImClone (600), Incyte an die Biotech-Firmen gingen, sondern an An-
(200), Chiron (350), HGS (250), Incyte (250); teile-abgebende Pharma-Konzerne. In der nach-
55 2005: Genentech (2000), Nektar (315), PDL folgenden ersten Dekade des neuen Milleniums
(250), HGS (230), CV (130), Alexion (125); wurden solche Höhen zwar nicht wieder erreicht,
55 2006: Amgen (5000), Gilead (1300), MedIm- das gesamte investierte Kapital summierte sich aber
mune (1150), Cubist (350), Millennium (250); auf über 150 Mrd. US$, dreimal so viel wie in den
55 2007: Amgen (4000), Biogen Idec (1500), Neunzigern (Ernst & Young 2010, . Abb. 2.7). Neue
Amylin (575), BioMarin (325), Ionis (125); Spitzenwerte bei den jährlichen Finanzierungen
55 2008: Biogen Idec (1000), Vertex (288), OSI wurden erst wieder ab 2011 erreicht, wobei Fremd-
(175), Theravance (173), Exelixis (150); kapital eine immer wichtigere Rolle spielte.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
81 2

ImClones Insider-Skandal
»A U.S. Securities and Exchange of trading on December 28) of the sentenced to seven years and three
Commission [SEC] … probe of FDA’s decision, numerous executives months in prison. Although Stewart
trading in the shares of ImClone sold their stock. ImClone’s founder, maintained her innocence, she was
Systems resulted in a widely publi- … Waksal, was arrested in 2002 on found guilty and sentenced on July
cized criminal case, which resulted insider trading charges for instruc- 16, 2004 to five months in prison, five
in prison terms for media celebrity ting friends and family to sell their months of home confinement, and
Martha Stewart, ImClone … [CEO] stock, and attempting to sell his two years probation for lying about
Samuel D. Waksal and Stewart’s own. His daughter … sold $2.5 mil- a stock sale, conspiracy, and obst-
broker at Merrill Lynch … ImClone’s lion in shares on December 27. His ruction of justice. Ultimately a new
stock price dropped sharply at the father … sold $8.1 million in shares clinical trial and FDA filing prepared
end of 2001 when its drug Erbitux over the 27th and 28th; company by ImClone’s partner Merck KGaA …
… failed to get the expected … executives followed suit. … Later, resulted in an FDA approval of Erbi-
FDA approval. It was later revealed founder Waksal pleaded guilty to tux in 2004 for use in colon cancer«
by the U.S. … [SEC] that prior to various charges, including securities (Wikipedia, ImClone).
the announcement (after the close fraud, and on June 10, 2003, was

Wiederum kamen in der Phase 2000 bis 2009 In dem betrachteten Zeitraum ungeschlagen blieb
weitere finanzielle Mittel aus Kooperationen mit indes mit 2 Mrd. US$ die Vereinbarung zwischen
Pharma-Konzernen und größeren Biotech-Fir- ImClone und Bristol-Myers Squibb (BMS) aus dem
men hinzu. Insbesondere in der zweiten Hälfte Jahr 2001.
der Dekade stieg der aggregierte potenzielle Wert Letztere kaufte für rund 1 Mrd. US$ 20 % der
aller Allianzen sprunghaft an und belief sich auf Anteile von ImClone und sicherte weitere knapp
jährlich zwischen 25 und 30 Mrd. US$. Der Anteil 1 Mrd. US$ an Sofort- und Meilensteinzahlungen
der Sofortzahlungen lag jeweils bei 12 bis 15 %, das zu. Im Fokus stand die abschließende Entwick-
heißt bei 3,3 bis 4 Mrd. US$. In der Summe nah- lung von Erbitux, einem therapeutischen chimären
men die US-Biotech-Firmen so von 2005 bis 2009 Antikörper gegen Darmkrebs, der nach anfäng-
rund 15 Mrd. US$ ein. Der potenzielle Wert aller in lichen Schwierigkeiten bei der FDA-Zulassung
dieser Dekade geschlossenen Allianzen belief sich schließlich im Februar 2004 die Erlaubnis zur Ver-
ebenfalls auf über 150 Mrd. US$. Im Vergleich zur marktung erhielt. Am Kapitalmarkt lösten diese
Dekade der 1990er-Jahre schossen die Werte ein- Verzögerung sowie der Insider-Handel von Aktien
zelner, besonders lukrativer Kooperationen in die größere Wellen aus (7 ImClones Insider-Skandal).
Höhe: War im Jahr 1998 noch das Abkommen zwi- Nachdem am Anfang der Dekade zwei Al-
schen Millennium und Bayer über 465 Mio. US$ lianzen mit einem potenziellen Wert von über
der Spitzenwert, so versprach 2001 die Allianz 1 Mrd. US$ geschlossen wurden, erreichten die
von Curagen, ebenfalls mit Bayer, 1,5 Mrd. US$ an Vereinbarungen von Pharma-Konzernen mit US-
potenziellen Zahlungen. Innerhalb von fünf Jah- Biotech-Gesellschaften (nachfolgend mit > < sym-
ren sollten 80 mögliche Ansatzpunkte für die Ent- bolisiert) diese Grenze erst wieder in der zweiten
wicklung neuer Medikamente geliefert werden, mit Hälfte (Mrd. US$ in Klammern):
dem Ziel, rund zwölf vermarktbare Arzneimittel zu 55 2006: GSK > < Chemocentryx (1,6) und Epix
generieren. Die möglichen Profite sollten zwischen (1,2); Daiichi Sankyo > < Exelixis (1,1);
den Unternehmen geteilt werden. Knapp unter 55 2007: GSK > < Targacept (1,5), OncoMed (1,4),
der Grenze von 1 Mrd. US$ lag die Kollaboration Anacor (1,4) und Synta (1,0); BMS > < Adne-
aus dem Jahr 2000 zwischen Novartis und Vertex: xus (1,3); Merck & Co. > < Ariad (1,1); Sanofi >
800 Mio. US$ ließ sich der Pharma-Konzern die < Regeneron (1,1); Lilly > < Macrogenics (1,1);
Zusammenarbeit kosten, die die Entwicklung und Roche > < Alnylam (1,0);
Vermarktung von acht niedermolekularen Wirk- 55 2008: GSK > < Archemix (1,4); Takeda > <
stoffen zur Bekämpfung von Krebs, Herz-Kreis- Amgen (1,2) und Alnylam (1,0); Roche > <
lauf-Erkrankungen und Entzündungen umfasste. Synta (1,0); BMS > < Exelixis (1,0);
82 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

55 2009: Novartis > < Incyte (1,3); AstraZeneca Neben den Pharma-Konzernen stiegen auch
> < Targacept (1,2) und Nektar (1,2); BMS > < die größeren Biotech-Gesellschaften in den Zu-
ZymoGenetics (1,1) und Alder Biopharmaceu- kauf von neuen Technologien und Produkten über
2 ticals (1,1); GSK > < Concert (1,0). Allianzen, Fusionen und Akquisitionen ein. Zu
Beginn der Dekade beeindruckte Amgen durch
Im neuen Millenium stärkten die Pharma-Firmen die 16 Mrd. US$ schwere Übernahme der 1981 ge-
ihr Biotech-Know-how zudem wiederum durch gründeten Immunex. Deren 1998 auf den Markt
Biotech-Übernahmen, nachfolgend mit > sym- gebrachtes Entwicklungsprodukt Enbrel war gegen
bolisiert (Auswahl von Transaktionen größer als Ende der Dekade das Biopharmazeutikum mit dem
1 Mrd. US$, Wert in Klammern, größer 5 Mrd. US$ höchsten Umsatz weltweit (. Tab. 2.21). Im Jahr
in Fettdruck): 2003 stärkte sich Biogen über die Fusion mit Idec
55 2003: J&J > Scios (2,4); Roche > IGEN (1,4); Pharmaceuticals. Auf 6,8 Mrd. US$ bezifferte sich
Pfizer > Esperion (1,3); der Wert dieses Zusammenschlusses, der Biogen
55 2004: Teva > Sicor (3,4); Abbott > TheraSense Zugang zu therapeutischen Antikörpern verschaff-
(1,3); te. Weitere Übernahmen (ebenfalls mit > symboli-
55 2005: Pfizer > Vicuron (1,9); siert) folgten (Auswahl von Transaktionen größer
55 2006: Novartis > Chiron (5,4); Merck & Co. > als 1 Mrd. US$, Wert in Klammern):
Sirna (1,1); 55 2002: Millennium > COR (2,0); MedImmune
55 2007: AstraZeneca > MedImmune (15,6); Eisai > Aviron (1,5);
> MGI Pharma (3,9); Lilly > ICOS (2,1); 55 2004: Amgen > Tularik (1,3); Genzyme > ILEX
55 2008: Takeda > Millennium (8,8); Lilly > Im- Oncology (1,0);
Clone Systems (6,5); 55 2006: Gilead Sciences > Myogen (2,5); Amgen
55 2009: Roche > Genentech (46,8); BMS > Me- > Abgenix (2,2);
darex (2,4). 55 2007: Celgene > Pharmion (2,9);
55 2009: Gilead Sciences > CV Therapeutics (1,4).
Besonders herausragend ist hierbei der Kauf der
restlichen Anteile an Genentech, die Roche 2009 Allianzen mit einem potenziellen Wert über
noch nicht wieder besaß (nach der ersten Kom- 1 Mrd. US$ waren zwar nicht so häufig, mehr als
plettübernahme im Jahr 1999 verkaufte Roche in 500 Mio. US$ planten bereits etablierte Biotech-
mehreren Schritten wieder Anteile über öffentliche Firmen jedoch ein (Mio. US$ in Klammern):
Angebote). Der Schweizer Konzern bezahlte fast 55 2003: Amgen > < Biovitrum (522);
47 Mrd. US$ für die restlichen gut 40 % an Ge- 55 2005: Biogen Idec > < PDL BioPharma (800);
nentech. Rein rechnerisch bewertete dieser Preis 55 2006: Genentech > < CGI Pharmaceuticals (525);
Genentech mit 111 Mrd. US$, eine Summe, die Pfi- 55 2007: Celgene > < Array Biopharma (880);
zer im Jahr 2000 für die Akquisition von Warner- Genentech > < Seattle Genetics (880); Amgen
Lambert bezahlte. Damals handelte es sich um die > < Cytogenetics (640);
größte Übernahme in der Pharma-Branche und die 55 2008: Genzyme > < Ionis Pharmaceuticals
viertgrößte überhaupt. (1900); Celgene > < Acceleron (1871); Genzyme
Rund 15 Mrd. US$ war der britischen AstraZe- > < Osiris (1380); Cephalon > < ImmuPharma
neca der Immun-Spezialist MedImmune wert, und (515);
Takeda aus Japan bezahlte knapp 9 Mrd. US$ für 55 2009: Amgen > < Array Biopharma (726);
den Genomik-Pionier Millennium. Über der Gren- Amgen > < Cytokinetics (650); Biogen Idec >
ze von 5 Mrd. US$ lag schließlich noch der Wert < Acorda Therapeutics (510).
(6,5 Mrd. US$) der Akquisition von ImClone durch
Lilly. Bis auf ImClone treten die übernommenen Gerade die führenden Gesellschaften ernteten im
Firmen heute noch eigenständig im Markt auf, so neuen Millenium die Früchte ihrer langjährigen
zum Beispiel über eine eigene Internetseite. FuE-Tätigkeiten: Die von den in den 1980er-Jahren
Gegründeten in den 1990er-Jahren auf den Markt
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
83 2

. Tab. 2.21 Top-10-Biopharmazeutika nach weltweitem Umsatz (Mrd. US$), 2009 versus 2005. (Quelle: BioMed-
Services (2015), Daten 2009 nach Walsh (2010))

Produkt Indikation Entwickler Vermarkter FDAa 2005 2009

Enbrel Rheumatoide Immunex Amgen/Pfizer/Takeda 1998 3,66 6,58


Arthritis

Remicade Rheumatoide Centocor (J&J) J&J/Schering-Plough/ 1998 3,48 5,93


Arthritis Mitsubishi Tanabe

Avastin Darmkrebs Genentech Genentech/Roche/ 2004 1,38 5,77


Chugai

Rituxan Krebs (NHL) Idec & Genentech Genentech/Biogen Idec/ 1997 3,44 5,65
Roche

Humira Rheumatoide Knoll & CAT Knoll (AbbVie)/Eisai 2002 1,40 5,48
Arthritis

Herceptin Brustkrebs Genentech Genentech/Roche 1998 1,78 4,89

Lantus Diabetes Sanofi-Aventis Sanofi-Aventis 2000 1,21 4,18

Neulasta Neutropenie Amgen Amgen 1991 2,29 3,35

Aranesp Blutarmut Amgen Amgen 1989 3,27 2,65


(Dialyse-Patienten)

Epogen Blutarmut Amgen Amgen 1989 2,46 2,57


(Dialyse-Patienten)

Summe 24,38 43,98

Antikörper in Fettdruck
aUS-Zulassung

NHL Non-Hodgkin-Lymphom

gebrachten neuartigen Medikamente führten zu of the more than 300 publicly traded companies
steigenden Umsätzen (. Tab. 2.22). Auch hier war were profitable in any of those years. Only 20
der Einfluss von lediglich zwei Handvoll (commer- were profitable in all three years. In 2003, 60
cial leaders) der über 300 börsennotierten US-Bio- companies were profitable. (Ernst & Young 2004)
tech-Unternehmen deutlich: Sie trugen im Jahr 2005
67 % und 2008 sogar drei Viertel des Umsatzes bei. 2003 lag der Verlust für alle börsennotierten Gesell-
schaften (314 Firmen) noch bei 3,2 Mrd. US$, rund
2.2.6.3  2008 liefert erstmals einen 60 % des Verlustes aller Biotech-Unternehmen
Break-even, die Dekade endet (1473 Firmen) von 5,4 Mrd. US$ (Ernst & Young
mit der Finanzkrise 2004). Im Schnitt fiel das negative Ergebnis bei den
Mit steigenden Umsätzen gelang es zunehmend börsengelisteten Unternehmen mit 10 Mio. US$ pro
mehr Firmen, profitabel zu werden, wobei Anfang Firma sehr viel höher aus als das der privaten Ge-
der Dekade dies noch nicht immer auf Erlöse aus sellschaften mit 1,5 Mio. US$ pro Firma. Im Jahr
dem Verkauf von Produkten zurückzuführen war. 2008 schließlich konnten die börsennotierten Bio-
tech-Unternehmen dann erstmals für die Gesamt-
»» Restructuring to focus on their strengths, heit den Break-even erreichen, also den Punkt, an
partnering to share risks, and merging to form dem Verluste in Gewinne übergehen: 417 Mio. US$
stronger companies, the biotech industry is betrug er in der Summe für 371 Firmen. Diesen
tracking toward a historic milestone – profitabi- Meilenstein realisierten aber wiederum nur wenige
lity. In 2000, 2001, and 2002, between 50 and 60 etablierte Firmen wie (Huggett et al. 2010):
84 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.22 Nach Umsatz (Mrd. US$) führende US-Biotech-Unternehmen in den Jahren 2000, 2005 und 2009. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Lähteenmäki und Fletcher (2001), Lähteenmäki und Lawrence (2006), Hugget et al. (2010))

2000 2005 2009


2 Amgen (1980) 3,63 (66,1) Amgen 12,43 (97,3) Amgen 15,00 (57,3)

Genentech (1976) 1,74 (42,8) Genentech 6,63 (97,6) Gilead 7,01 (38,9)

Chiron (1981) 0,97 (8,4) Genzyme 2,74 (17) Genzyme 4,5 (13,0)

Biogen (1978) 0,93 (28,0) Biogen Idec 2,42 (15,6) Biogen Idec 4,4 (15,5)

Immunex (1981) 0,86 (n. v.) Gilead 2,03 (25,4) Celgene 2,7 (25,6)

Genzyme (1981) 0,81 (6,0) Chiron 1,92 (8,4) Cephalon 2,2 (4,7)

MedImmune (1988) 0,54 (10,1) MedImmune 1,24 (8,9) IDEXX 1,03 (3,1)

IDEXX (1983) 0,37 (n. v.) Cephalon (1987) 1,21 (4,0) Amylin (1987) 0,76 (2,0)

Gilead (1987) 0,19 (3,1) IDEXX 0,64 (2,7) Cubist (1992) 0,56 (1,1)

Millennium (1988) 0,19 (n. v.) Millennium 0,56 (2,97) Gen-Probe (1983) 0,50 (2,1)

Gründungsjahr in Klammern nach Firmenname, Marktwert in Mrd. US$ in Klammern nach Umsatz; ohne Drug-Delive-
ry-, Instrumente- und Specialty-Pharma-Firmen
n. v. nicht verfügbar

55 Amgen: 4,1 Mrd. US$ Gewinn bei 15 Mrd. US$ len Statistiken ebenfalls zu einem erweiterten Kreis
Umsatz und FuE-Ausgaben von 3 Mrd. US$; an Biotech-Gesellschaften gerechnet werden. Bei
55 Genentech: 3,4 Mrd. US$ Gewinn bei diesen ist das Erreichen eines positiven Ergebnis-
13,4 Mrd. US$ Umsatz und FuE-Ausgaben von ses allerdings nicht so auffallend wie bei sehr for-
2,8 Mrd. US$; schungsintensiven neuartigen Ansätzen. Im Jahr
55 Gilead Sciences: 1,98 Mrd. US$ Gewinn bei 2008 waren es nach Huggett et al. (2010) zum Bei-
5,3 Mrd. US$ Umsatz und FuE-Ausgaben von spiel (Gewinn in Mio. US$ in Klammern): Endo
722 Mio. US$; Pharmaceuticals (255), Millipore (138), PerkinEl-
55 Biogen Idec: 783 Mio. US$ Gewinn bei mer und Alkermes (jeweils 126), Bio-Rad Labora-
4,1 Mrd. US$ Umsatz und FuE-Ausgaben von tories (90) oder Illumina (39).
1,1 Mrd. US$; Beim Break-even handelte es sich nicht um ein
55 Genzyme: 421 Mio. US$ Gewinn bei einzelnes Ereignis, denn seit 2009 bis heute konn-
4,6 Mrd. US$ Umsatz und FuE-Ausgaben von ten die gelisteten US-Biotech-Firmen in der statis-
1,3 Mrd. US$; tischen Gesamtheit ihr positives Ergebnis halten.
55 Cephalon: 193 Mio. US$ Gewinn bei Bemerkenswert ist dies insofern als einige der Bei-
2,0 Mrd. US$ Umsatz und FuE-Ausgaben von tragenden mittlerweile aufgrund einer Übernahme
362 Mio. US$; aus der Berechnung herausgenommen wurden
55 Cubist: 128 Mio. US$ Gewinn bei (Jahr in Klammern): Genentech (2009), Genzyme
434 Mio. US$ Umsatz und FuE-Ausgaben von und Cephalon (2011) sowie Cubist (2014). Neben
127 Mio. US$; den oben benannten Drug-Delivery-, Instrumen-
55 IDEXX : 116 Mio. US$ Gewinn bei 1,0 Mrd. US$ te- oder Specialty-Pharma-Firmen kamen im Jahr
Umsatz und FuE-Ausgaben von 71 Mio. US$. 2009 als profitable Biotech-Unternehmen hinzu
(Profit über 75 Mio. US$):
Neben diesen Beispielen legten auch andere Unter- 55 Alexion: 295 Mio. US$ Gewinn bei
nehmen einen profitablen Jahresabschluss vor. Es 387 Mio. US$ Umsatz und FuE-Ausgaben von
handelte sich dabei um Drug-Delivery-, Instru- 82 Mio. US$;
mente- oder Specialty-Pharma-Firmen, die in vie-
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
85 2

4000 4000
Indexpunkte  BioMedServices 2015
3500 3500
NASDAQ Computer Index (IXCO)
3000 NASDAQ Biotech Index (NBI) 3000
Marktwert / Firma (Mio. $)
2500 Marktwert Industrie (Mrd. $) 2500

2000 2000

1500 1500

1000 1000

500 500

Mrd./Mio. US$
0 0
98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16

. Abb. 2.8 US-Biotech-Kapitalmarkt: Entwicklungen von 1998 bis 2015. NASDAQ Indizes nach Yahoo Finance, Marktwert
und Marktwert/Firma nach Ernst & Young/EY (1999–2015)

55 PDL BioPharma: 190 Mio. US$ Gewinn bei auch den Kapitalmarkt überzeugte (. Abb. 2.8).
318 Mio. US$ Umsatz (kein FuE mehr, nur Nicht nur Biotech, sondern die ganze Weltwirt-
Lizenzvergaben); schaft hatte zunächst unter den Folgen der US-Im-
55 Ionis: 155 Mio. US$ Gewinn bei 122 Mio. US$ mobilienblase zu leiden, die zur sogenannten globa-
Umsatz und FuE-Ausgaben von 135 Mio. US$; len Finanzkrise und dem Absturz der Kapitalmärk-
55 Myriad Genetics: 115 Mio. US$ Gewinn bei te führte. Biotech, vertreten durch den NASDAQ
350 Mio. US$ Umsatz und FuE-Ausgaben von Biotechnology Index (NBI), hielt sich dabei im Ver-
20 Mio. US$; gleich zu anderen Branchen (z. B. Computer) noch
55 Synta: 79 Mio. US$ Gewinn bei 144 Mio. US$ recht wacker (7 Biotech bleibt auch unter der Fi-
Umsatz und FuE-Ausgaben von 51 Mio. US$; nanzkrise relativ gesehen und fundamental stark).
55 OSI: 76 Mio. US$ Gewinn bei 379 Mio. US$ Die erste Dekade des neuen Milleniums ermög-
Umsatz und FuE-Ausgaben von 135 Mio. US$. lichte schließlich die Gründung weiterer Biotech-
Firmen, die wiederum neueste wissenschaftliche
Zum Teil waren diese Erfolge starken Kostenein- Erkenntnisse aufgegriffen haben und versuchen,
sparungen oder der Rechnungslegung zuzuschrei- diese nutzbringend in innovative Arzneimittel um-
ben, wie beispielweise bei Synta und Ionis Pharma- zusetzen. . Tabelle 2.23 und 2.24 listen ausgewählte
ceuticals. Insbesondere unregelmäßige Zahlungen Neugründungen, die viel VC-Geld eingesammelt
aus Kooperationen oder spezielle Bilanzierungsre- oder schon einen Börsengang gestemmt haben.
geln nach Übernahmen nahmen hier Einfluss. Wie im nächsten Abschnitt dargelegt, erbrachten
Obwohl 2008/2009 den Wendepunkt zur Profi- vor allem die Jahre 2013 und 2014 erneut einen IPO-
tabilität der börsennotierten US-Biotech-Industrie Boom. Und wie bereits zuvor ausgeführt, ist dies oft
bedeutete, sollte es dennoch ein paar weitere Jahre Basis weiterer aussichtsreicher Finanzierungen.
dauern, bis eine stärkere fundamentale Entwicklung
86 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.23 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in der 1. Hälfte der 2000er, heute noch aktiv. (Quelle:
BioMedServices 2015)

2 Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Marktwert)

2000 Genomic Health Molekulare 2005 2004: Oncotype DX für Brustkrebs


Diagnostika (60) (2014: 276 und 1019 Mio. US$)

2000 MacroGenics Therapeutische AK 2013 2010: Deal mit Boehringer Ingelheim


(DART-Plattform- (80) (2,2 Mrd. US$), 2015: 2 × PII
Technologie) (2014: 48 und 991 Mio. US$)

2001 Five Prime Thera- Proteinbibliothek, 2013 2013: IND, 2015: 2 × PIb, 1 × PI
peutics Therapeutika (62) (2014: 19 und 572 Mio. US$)

2002 Alder BioPharma- Therapeutische AK 2014 2007: IND, 2015: 2 × PII


ceuticals (Mab-Xpress: Hefe) (80) (2014: 55 und 861 Mio. US$)

2002 Alnylam Pharma- RNS-Therapeutika 2004 2012/2013: PI/II, PIII Patisiran, 2015: 1 × PII, 2 × PI
ceuticals (RNS-Interferenz) (30) (2014: 51 Mio. und 7,5 Mrd. US$)

2002 Intercept Pharma- SM (Target nukleäre 2012 2009: 2 × PII, 2012: Start PIII OCA, 2015: 2 × PII
ceuticals Rezeptoren) (86) (2014: 2 Mio. und 3,3 Mrd. US$)

2002 Reata Pharmaceu- Proteinfaltung, – VC: 397 Mio. US$, 300 in Q3/2011, 2015: 6 × PII
ticals Therapeutika

2003 GlycoMimetics Know-how zur Rolle 2014 2008: IND, 2015: 1 × PII, 1 × PI
von Zuckern (56) (2014: 15 und 140 Mio. US$)

2003 TetraLogic Pharma- SM (SMAC mime- 2013 2010: IND, 2015: 2 × PII, 1 × PI
ceuticals tics/Apoptose) (50) (2014: 0 und 99 Mio. US$)

2003 Radius Health Peptidanaloga 2014 2007/2011: PII, PIII Abaloparatide, 2015: 2 × PII
(52) (2014: 46 und 1281 Mio. US$)

2004 OncoMed Pharma- Therapeutische AK 2013 2011: IND, 2015: 2 × PII, 4 × PI, 7 × PK
ceuticals (Krebsstammzellen) (82) (2014: 40 und 644 Mio. US$)

2004 Pacific Biosciences SMRT-Technologie 2010 2011: Launch PacBio-RS-System


(Sequenzierung) (200) (2014: 61 und 584 Mio. US$)

Für noch nicht so fortgeschrittene Firmen, Zahl der weitesten Projekte (April 2015)
bis auf Reata Pharmaceuticals nur börsennotierte Firmen (Marktwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)
aJahr, in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering)

AK Antikörper, IND initial new drug (Start PI), P Phase, PK Präklinik, SM small molecules, VC Venture-Capital

2.2.7 Die Entwicklung seit 2010: Börse 2003 bis zum Ausbruch der Finanzkrise im August
und Marktwert »explodieren« 2007 – deren Ablauf Wikipedia gut zusammenfasst
(7 Finanzkrise ab 2007) – kräftig zu, stürzten folg-
Die US-Biotech-Industrie, vertreten durch den lich aber bis Anfang 2009 auch stark ab.
NASDAQ Biotechnology Index (NBI), meisterte Danach hob allerdings der NBI richtig ab, was
die Finanzkrise am Kapitalmarkt im Vergleich zu die Wertentwicklung betraf: Seit dem der Finanz-
anderen Indizes mit geringeren Schwankungen krise nachfolgenden Tief von Anfang 2009 erzielte
(. Abb. 2.9). Insbesondere der Deutsche Aktien- er in den nachfolgenden sieben Jahren ein Plus
index (DAX), aber auch der NASDAQ, legten seit von 450 %.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
87 2

. Tab. 2.24 Ausgewählte US-Biotech-Firmen mit Gründung in der 2. Hälfte der 2000er, heute noch aktiv. (Quelle:
BioMedServices 2015)

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Marktwert)

2005 Edison Pharmaceu- SM (Target mitochon- – VC: 80 Mio. US$, 50 in Q1/2014, 2014: Deal mit
ticals driale Krankheiten Dainippon (4,3 Mrd. US$), 2015: PII

2006 Avalanche Bio- Gentherapie bei 2014 2011/2014: Deal mit Merck & Regeneron, 2015: PI/II
technologies Augenkrankheiten (102) (2014: 0,5 Mio. und 1,2 Mrd. US$)

2006 Dicerna Pharma- RNS-Therapeutika 2014 DsiRNA-Technologie, 2015: 1 × PI, 2 × PK


ceuticals (RNS-Interferenz) (90) (2014: 0 und 283 Mio. US$)

2007 Agios Pharmaceu- Metabolom-basierte 2013 SM gegen Krebs, 2015: 3 × PI


ticals Targets (106) (2014: 65 und 4,1 Mrd. US$)

2007 Akebia Therapeu- Know-how zu HIF- 2014 SM gegen Anämie (neuer MOA), 2015: 1 × PII
tics Biologie (100) (2014: 0 und 231 Mio. US$)

2007 Epizyme SM (Histon-Methyl- 2013 2012: IND, 2015: 1 × PI/II, 1 × PI


transferase-In- (77) (2014: 41 und 612 Mio. US$)
hibitoren, HMTi);
Epigenetik

2007 Fate Therapeutics Adulte Stammzell- 2013 iPSC-Technologie, 2015: 1 × PI, 1 × PK


Modulatoren (40) (2014: 0 und 113 Mio. US$)

2007 Kolltan Pharma- Therapeutische AK – VC: 146 Mio. US$, 60 in Q1/2014, 2014: IND
ceuticals (Target Kinasen)

2007 Regulus Thera- Mikro-RNS-Thera- 2012 Joint Venture von Alnylam & Ionis, 2014: IND
peutics peutika (Anti-miRs)/ (45) (2014: 8 und 788 Mio. US$)
Genregulation

2007 Trevena GPCR, ABLE-Plattform 2014 2010: IND, 2015: 2 × PII, 1 × PI, 1 × PK
(65) (2014: 0 und 239 Mio. US$)

2008 Receptos GPCR, rationales 2013 2011: IND, Deal mit Lilly, 2015: 1 × PIII, 2 × PII
Design (73) (2014: 6 und 3,8 Mrd. US$)

2008 Karyopharm SM (nukleäre Export- 2013 2012: IND, 2015: 3 × PII


Therapeutics proteine: XPO1) (109) (2014: 0,2 Mio. und 1,2 Mrd. US$)

2008 Versartis Lang wirkendes rhGH 2014 2011: IND, 2015: 1 × PII, 1 × PI
(XTEN-Technologie) (145) (2014: 0 und 532 Mio. US$)

2009 Adaptive Biotech- Analyse T-Zell-Rezep- – 2011: wegweisende Krebsstudie nutzt Immuno-
nologies tor-Repertoire SEQ-Technologie, 2014: 105 Mio. US$ VC

2009 Foundation Medi- Genanalyse, persona- 2013 2011/2012: diverse Deals/Launch Foundation
cineb lisierte Medizin (106) One-Test
(2014: 62 und 681 Mio. US$)

2009 Kite Pharma Krebs-Immunthera- 2014 2012: CRADA mit NCI (seit 2009 PI/IIa KTE-C19
pie (eACT) (128) CAR)
(2014: 0 und 2,4 Mrd. US$)

Für noch nicht so fortgeschrittene Firmen, Zahl der weitesten Projekte (April 2015)
bis auf Edison, Kolltan und Adaptive Biotechnologies nur börsennotierte Firmen (Marktwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck)
aJahr, in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offering), b2015 übernahm Roche für

1,2 Mrd. US$ 57 % der Firma


AK Antikörper, CRADA Cooperative Research and Development Agreement, GPCR G-Protein-gekoppelte Rezeptoren,
HIF Hypoxie-induzierender Faktor, IND initial new drug (Start PI), MOA mode of action, NCI National Cancer Institute, P
Phase, PK Präklinik, SM small molecules, VC Venture-Capital
88 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Biotech bleibt auch unter der Finanzkrise relativ gesehen und fundamental stark
»As the shockwaves from the global nies are scrambling to raise capital nomy. However, compared with
2 financial crisis rippled across the
world economy in late 2008 and
and contain spending, while a select
few continue to attract favorable va-
other industries, biotech is faring
quite well. Large- and medium-cap
2009, they left little untouched. The luations from investors and strategic biotech have been among the best-
reverberations leveled long-stand- partners« (Ernst & Young 2009). performing sectors during this crisis.
ing institutions, triggered unprece- Fundamental drivers remain strong:
VC-Investor Ansbert Gädicke, MPM
dented policy responses and revea- patent expirations in pharma neces-
Capital, zur Situation
led new risks. For the biotechnology sitate an ongoing partnership with
industry, the impact of these turbu- »Biotech has gone through several innovative biotech companies. As a
lent times has deepened the divide bear markets before … What is result, I expect biotech to be one of
between the sector’s haves and different this time is the underlying the first sectors to attract new capital
have-nots. Many small-cap compa- deep recession in the world eco- and recover« (Ernst & Young 2009).

Finanzkrise ab 2007
»Die Finanzkrise ab 2007 ist eine glo- Insolvenzen bei Unternehmen der USA. Auch wurden die Diskontsätze
bale Banken- und Finanzkrise …, die Finanzbranche. Ihren vorläufigen niedrig gehalten bzw. noch weiter
im Sommer 2007 als US-Immobilien- Höhepunkt hatte die Krise im Zu- gesenkt, um eine Kreditklemme zu
krise (auch Subprimekrise) begann. sammenbruch der US-amerikani- verhindern bzw. abzumildern. Den-
Die Krise war unter anderem Folge schen Großbank Lehman Brothers noch übertrug sich die Krise in der
eines spekulativ aufgeblähten Im- im September 2008. Die Finanzkrise Folge in Produktionssenkungen und
mobilienmarkts (Immobilienblase) veranlasste mehrere Staaten, große Unternehmenszusammenbrüchen
in den USA. Als Beginn … wird der Finanzdienstleister (unter anderem auf die Realwirtschaft. Viele Unter-
9. August 2007 festgemacht, denn American International Group, Fan- nehmen, wie der Autohersteller
an diesem Tag stiegen die Zinsen für nie Mae, Freddie Mac, UBS und die General Motors, meldeten Konkurs
Interbankfinanzkredite sprunghaft Commerzbank) durch riesige staat- an und entließen Mitarbeiter. Im
an. Auch in anderen Ländern, zum liche Fremdkapital- und Eigenkapi- April 2009 schätzte der Internationa-
Beispiel in Spanien, brachte das Plat- talspritzen am Leben zu erhalten. … le Währungsfonds (IWF) die weltwei-
zen einer Immobilienblase Banken Die ohnehin hohe Staatsverschul- ten Wertpapierverluste infolge der
in Bedrängnis. Die Krise äußerte sich dung vieler Staaten stieg krisen- Krise auf vier Billionen US-Dollar«
weltweit zunächst in Verlusten und bedingt stark an, vor allem in den (Wikipedia, Finanzkrise)

Blue Chips NYSE Arca Biotechnology Index (Kürzel


»Spitzenpapiere und Favoriten unter den BTK)
börsennotierten Aktien. Dieser Begriff wurde in «[An] equal dollar weighted index designed to
den USA für Titel des Dow Jones Index geprägt, measure the performance of a cross section of
in Deutschland sind Blue Chips v. a. die im Deut- companies in the biotechnology industry that
schen Aktienindex (DAX) vertretenen Aktien« are primarily involved in the use of biological
(Gabler Wirtschaftslexikon Online, Blue Chips). processes to develop products or provide
services. … The BTK Index was established
with a benchmark value of 200.00 on October
Mit plus 540 % eine noch beeindruckendere Ent- 18, 1991. The BTK Index is rebalanced quarterly
wicklung legte in dieser Zeit indes der NYSE Arca based on closing prices on the third Friday in
Biotechnology Index (Kürzel: BTK, früher AMEX January, April, July and October to ensure that
Biotech) hin. Er führt die sogenannten Blue Chips, each component stock continues to represent
das sind die 30 stärksten Aktien innerhalb der Bio- approximately equal weight in the Index«
techwerte (. Tab. 2.25). Der NASDAQ Biotechno- (NYSE 2015).
logy Index umfasst dagegen die Mehrheit aller in
den USA gelisteten Biotech-Firmen.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
89 2

700 %  BioMedServices 2015


NASDAQ Biotechnology (NBI)
600 % DAX (GDAXI)
NASDAQ (IXIC)
500 %
Dow Jones Industrial (DJI)
400 %

300 %

200 %

100 %

0%
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

. Abb. 2.9 Entwicklung verschiedener Indizes vor und nach der Finanzkrise. Erstellt nach Daten von Yahoo Finance bis
Ende 2015

. Tab. 2.25 Zusammensetzung des NYSE Arca Biotechnology Index (BTK) – Top 24 Werte. (Quelle: Daten von
Morningstar (2015) zum First Trust NYSE Arca Biotech ETF (FBT) vom 24.12.2015)

Firma Kür- Gewich- Firma Kürzel Gewich-


zel tung (%) tung (%)

1 Nektar Therapeutics NKTR 4,73 13 Myriad Genetics MYGN 3,30

2 Dyax Corp DYAX 4,05 14 Vertex Pharmaceuticals VRTX 3,29

3 Ionis Pharmaceuticals IONS 4,03 15 Medivation MDVN 3,28

4 Alkermes ALKS 3,89 16 Cepheid CPHD 3,26

5 Illumina ILMN 3,79 17 Amgen AMGN 3,23

6 United Therapeutics UTHR 3,77 18 Alnylam Pharmaceuticals ALNY 3,22

7 Charles River CRL 3,66 19 Qiagen QGEN 3,19

8 Celldex Therapeutics CLDX 3,56 20 Regeneron Pharmaceuticals REGN 3,14

9 Alexion Pharmaceuticals ALXN 3,55 21 Celgene CELG 3,12

10 Biogen BIIB 3,35 22 Incyte INCY 3,05

11 Novavax NVAX 3,33 23 Gilead Sciences GILD 3,04

12 Seattle Genetics SGEN 3,31 24 Grifols GRFS 2,97

NYSE veröffentlicht kostenfrei nur die Zusammensetzung des BTK vom Dezember 2011. Um die aktuelle abzubilden,
wird hier auf den Exchange-Traded Fund (ETF) FBT zurückgegriffen, der die Zusammensetzung des BTK indirekt
wiedergibt. Die Gewichtung der einzelnen Werte (Marktwert mindestens 1 Mrd. US$) schwankt, deren Berechnung
erläutert NYSE (2014).
90 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Warum Biotech-Aktien in den USA so heiß sind


»Börsengänge im amerikanischen Gesetzesänderungen wirken, die es können sie sich vorab inoffiziell mit
2 Biotechnologiesektor laufen so gut
wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr.
für Firmen einfacher machen, das
potenzielle Interesse von Investoren
potenziellen Investoren treffen, um
‚das Wasser zu testen‘, bevor sie den
Ausschlaggebend dafür ist sowohl abzuschätzen. … [So ermöglicht formalen und öffentlichen IPO-
die zunehmende Zahl von Biotech- der] Jumpstart Our Business Start- Prozess in Gang setzen. Sollten sie
Medikamenten, die genehmigt wer- ups Act – kurz: JOBS-Gesetz – vom im Vorfeld nicht auf die Resonanz
den, als auch die starke Entwicklung April 2012 … es Börsenkandidaten, stoßen, die sie sich erhofft haben,
von Unternehmen aus der Branche, ihre vorläufigen IPO-Unterlagen so ist es kein Problem, sich vom
die bereits börsennotiert sind. vertraulich bei der US-Börsen- Markt zurückzuziehen« ­(Rockoff und
Unterstützend dürften aber auch aufsicht SEC einzureichen. Auch ­Demos 2013).

Im Vergleich zu anderen branchenspezifischen US … and a field of investors that is more se-


und -übergreifenden Indizes (wie NASDAQ, S&P lective, [i.e.] … the IPO funding option (it is no
500, Dow Jones oder DAX) hat seit dem letzten longer an ‚exit‘) is available for only a few se-
großen Börsen-Tief von Anfang 2009 bis heute der lect companies. The ‚windows‘ of the industry’s
NYSE Arca Biotech den größten Zuwachs realisiert early years … are a thing of the past. (Ernst &
(. Abb. 2.10), gefolgt vom NASDAQ Biotech. Eine Young 2011)
Zunahme seit 2009 ist allen Indizes gelungen, der
Blick auf die Entwicklung seit dem letzten Hoch im Konträr zu dieser Einschätzung brach im Jahr 2013
Jahr 2007 (vor der Finanzkrise) trennt dagegen die ein wahres »IPO-Feuerwerk« aus (. Abb. 2.11): 41
Spreu vom Weizen: Mit knapp 200 bis über 300 % Börsenneulinge boten zum ersten Mal ihre Aktien
Plus sind die Healthcare- und Biotech-Indizes die öffentlich an. Damit erreichte das Jahr 2013 zwar
klaren Gewinner. noch nicht die Spitzenwerte von 1996 und 2000,
2014 legte dagegen mit 63 IPOs ein neues Allzeit-
2.2.7.1 I PO-Feuerwerk sowie anhaltend hoch vor. Erste Bedenken zu einer neuen Blase
starke Finanzierung und wurden so zumindest im Verlauf von 2014 wider-
Partnerschaften legt. Auch 2015 bot weiteres Potenzial.
Auch wenn die Finanzkrise den bereits etablierten Obwohl der US-Kapitalmarkt im Vergleich
US-Biotech-Firmen und deren Marktwert nicht so zu früher insgesamt strengere Regularien für die
viel anhaben konnte, so waren die Neuzugänge am Börsenlistung ansetzt, hat offenbar das im April
Kapitalmarkt, also die IPOs doch sehr stark davon 2012 von der US-Regierung erlassene Jumpstart
betroffen. Lediglich ein Unternehmen wagte den Our Business Startups Act (abgekürzt als JOBS
Börsengang im Jahr 2008 und drei im Jahr 2009, Act) unter anderem als Katalysator für den neuen
ein historisches Tief. 2010 zog der Sektor zwar Börsenboom gewirkt, so eine Einschätzung vom
sprunghaft an, trotzdem urteilten Branchenbeob- Wallstreet Journal (7 Warum Biotech-Aktien in den
achter noch im Jahr 2011: USA so heiß sind). Mit dem JOBS Act sollen in den
USA Arbeitsplätze geschaffen und das Wirtschafts-
»» The biotech industry has also benefited histo- wachstum erhöht werden. Er ist Teil der Startup
rically from a healthy IPO market, which has America-Initiative des Weißen Hauses, die Präsi-
allowed many companies to continue to fund dent Obama im Januar 2011 ins Leben rief.
innovation to a value-inflection point. Today, Den im Jahr 2000 bei den Finanzierungen über
the public markets are much more challeng­ einen Börsengang erzielten Höchstwert von rund
ing, with higher regulatory requirements in the 4,5 Mrd. US$ konnte das Jahr 2013 mit 3,3 Mrd. US$
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
91 2

NYSE Arca Biotech 355 %


541 %
NASDAQ Biotech 299 %
449 %
NASDAQ Healthcare 190 %
320 %
NASDAQ Computer 94 %
316 %
NASDAQ Industrial 75 %
304 %
77 % Seit 2007 Hoch
NASDAQ
266 % Seit 2009 Tief
33 %
S&P 500
180 %
DAX 33 %
179 %
Dow Jones 26 %
149 %
49 %
NYSE Arca Pharma
141 %
-15 %
NASDAQ TC  BioMedServices 2015
90 %

-50 % 0% 50 % 100 % 150 % 200 % 250 % 300 % 350 % 400 % 450 % 500 % 550 %

. Abb. 2.10 Zuwachs bei verschiedenen Indizes seit dem Hoch und Tief der Jahre 2007 und 2009. Erstellt nach Daten
von Yahoo Finance bis Ende 2015. NASDAQ TC: NASDAQ Telecommunication

 BioMedServices 2015 63
60 Anzahl 6
59
51 52
50 5
IPO Anzahl
IPO Einnahmen (Mrd. US$) 41
40 38 36 4
31 29
30 28 3
26 24 22
23
20 17 2
15 12
11 10
10 9 7 1
4 4
1 3 Mrd. US$
0
91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15

. Abb. 2.11 Die »Börsenfenster« der US-Biotech-Industrie seit 1991. Erstellt nach Daten von Ernst & Young/EY (1992–2015),
für 2015 nach Renaissance Capital (2015)
92 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

50
Mrd. US$ FK: führende Firmen Darlehen & Wandelanleihen

2 45 SPO & PIPEs


VC
IPO
Allianzen (Biodollars)
40

35

30

25

20

15

10

5
 BioMedServices 2015

2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

. Abb. 2.12 Finanzierung der US-Biotech-Industrie, 2004 bis 2014. Erstellt nach Daten von Ernst & Young/EY (2005–2015).
FK Fremdkapital, IPO initial public offering, SPO secondary public offering, PIPE private investment in public equity, VC
Venture-Capital

laut EY (2014) noch nicht erreichen (7 2000 versus senstimmung sogar 207 solcher Runden, darunter
2013: was war unterschiedlich?). Die US-Biotech- 19 mit einer Größenordnung von über 100 Mio. US$
IPOs von 2014 schafften dann aber in Summe mit und in Summe 7,4 Mrd. US$ (EY 2014). 2014 legte
knapp 5 Mrd. US$ einen neuen Rekord. Zudem hat nochmals drauf: 10,4 Mrd. US$ über 206 SPO- und
es in der Geschichte der US-Biotech-Industrie noch PIPE-Finanzierungen (EY 2015).
nie einen so starken Schub in zwei aufeinander- Die Veräußerung von Aktien, solange ein Unter-
folgenden Jahren gegeben. Trotz des IPO-Booms nehmen noch nicht börsennotiert ist – in der Regel
nimmt diese Finanzierungsart im Vergleich zum als Venture-Capital (VC) bezeichnet – erbrachte
gesamten investierten Eigen- und Fremdkapital nur der US-Biotech-Branche in den letzten zehn Jahren
einen kleinen Anteil ein (. Abb. 2.12). Über die letz- im Schnitt 16 Mio. US$ pro Runde (Streuung von 10
ten zehn Jahre erzielten Börsenneulinge im Schnitt bis 26 Mio. US$). Insgesamt hält sich die Biotech-
77 Mio. US$ an Einnahmen (davon ab gehen Kosten VC-Finanzierung in den USA seit Jahren stabil um
des Börsengangs). Allerdings legt die Notierung am die 4 Mrd. US$ mit einem Tief 2004 bei 3,5 und
öffentlichen Kapitalmarkt die Basis für nachfolgende einem Hoch 2007 bei knapp 6 Mrd. US$. Die An-
Finanzierungen über den öffentlichen oder privaten zahl der Investments schwankte zwischen 172 und
Verkauf an Aktien, im Englischen secondary public 437, im Schnitt knapp 300 pro Jahr.
offering (SPO) oder private investment in public equi- Auffällig gestiegen sind seit 2010 die Fremdka-
ty (PIPE) genannt. In den Jahren 2011 und 2012 rea- pital-Finanzierungen, wobei hier etablierte Firmen
lisierten US-Biotech-Firmen jeweils um die 180 die- eine große Rolle spielen: Amgen, Gilead Sciences
ser weiteren Eigenkapital-Finanzierungen. Bei gut und Celgene (. Tab. 2.26).
300 börsennotierten Gesellschaften hat somit fast Wieder trugen auch Partnerschaften mit Phar-
jede zweite (genau: 1,75) frisches Kapital einnehmen ma-Konzernen und größeren Biotech-Firmen zur
können. Im Jahr 2013 ermöglichte die positive Bör- Finanzierung bei. Einen potenziellen Gesamtwert
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
93 2

2000 versus 2013: was war unterschiedlich?


»It’s natural to want to compare the environment, where it takes longer of their luster; investors saw more
2013 class of IPOs with that of 2000, for companies to achieve liquidity, potential to create value through the
the last big boom time. While the that is less often the case. Instead, development of therapeutics, and
surge in 2000 was mostly fuelled by VCs are frequently doubling down some service-oriented companies
excitement about the coming mo- on their investments, and VC partici- reoriented their business models to
lecular genetics era, the 2013 uptick pation in the IPO is regarded as one focus on drug development. That
had more to do with the strong mechanism to ensure the success preference for assets has continued
commercial success of many of the of the offering. In fact, our analysis in the intervening years. In 2013, the-
sectors’ bellwether companies as well shows that insiders invested in 71 % rapeutics companies dominated the
as the large number of biotechs in of the 2013 IPO transactions, with a IPO scene: 86 % in 2013, versus 59 %
the backlog that had been waiting median investment size of 20 % of the in 2000. That said, it is worth noting
for favorable market conditions to IPO shares. In addition, there’s been a that several of the companies that
return. In addition, the monetary shift in the kinds of companies gene- went to IPO in 2013 (including Agios
policies of the U.S. Federal Reserve rating investor interest. In 2000, re- Pharmaceuticals, Epizyme, bluebird
played a role in 2013 market dynamics search tools and services companies bio and OncoMed Pharmaceuticals)
by encouraging investors to seek re- were in the spotlight, as investors had good stories to tell because of
turns through investment in higher- bet new entrants would replicate the the enabling technology platforms
risk sectors. A closer look at the kinds deal-making success that data-driven underpinning them. The message is
of companies that debuted in 2000 companies such as ­Millennium Phar- that although perceived value lies in
versus 2013 shows other important maceuticals and Human Genome the assets, to access the public mar-
differences. For venture backers, an Sciences had enjoyed. After the ge- kets, it helps to be supported by an
IPO in 2000 typically represented an nomics bubble burst, platform tools R&D discovery engine« (EY 2014).
exit from venture funding. In today’s and diagnostics biotechs lost much

. Tab. 2.26 Fremdkapital-Finanzierungen führender US-Biotech-Firmen (Mrd. US$). (Quelle: BioMedServices


(2015) aus Geschäftsberichten)

Firma 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Amgen 2,0 – – 4,0 – 2,0 2,5 10,5 5,0 8,1 4,5

Gilead – – 1,3 – – 0,4 2,2 4,7 2,2 – 8,0

Celgene – – – – – – 1,25 – 1,5 1,5 2,5

von über 1 Mrd. US$ erzielten beispielsweise die in Track Status erhalten. Dem japanischen Partner
. Tab. 2.27 aufgeführten Allianzen. Dainippon ist die im Januar 2014 geschlossene Ent-
Bei den Partnerschaften stechen diejenigen wicklungskooperation mit Edison 4,3 Mrd. US$
zwischen Edison Pharmaceuticals und Dainippon wert. Dabei stellt dieses Abkommen eine Folgever-
sowie OncoMed Pharmaceuticals und Celgene einbarung einer bereits bestehenden Zusammen-
heraus. Erstmals meisterten US-Biotech-Firmen arbeit dar, wie der Branchendienst EXOME/Xco-
Allianzen mit einem potenziellen Gesamtwert von nomy berichtet (7 Edison untersucht den Energie-
mehr als 3 Mrd. US$. Edison, gegründet 2005, fo- stoffwechsel in kranken Zellen).
kussiert sich auf die Entwicklung von small molecu- Die andere Allianz ist insofern bemerkenswert,
les zur Anwendung bei vererbten Krankheiten der als zum ersten Mal ein Biotech-Unternehmen über
Mitochondrien, den zellulären Energiesystemen 3 Mrd. US$ in die Hand nimmt, um sich mit einem
des Menschen. Der Wirkstoff EPI-743 gegen die anderen Biotech-Unternehmen zu verpartnern.
Krankheit Friedreich-Ataxie, der sich momentan Celgene verschafft sich so Zugang zu Komarketing-
in klinischen Studien der Phase IIb befindet, hat Rechten für sechs Krebsstammzell-Programme
im März 2014 von der FDA den sogenannten Fast
94 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.27 Ausgewählte Top-Partnerschaften von US-Biotech-Firmen seit 2010. (Quelle: BioMedServices (2015) nach
Ernst & Young/EY (2011–2015))

2 Jahr US-Biotech Partner Wert


(Mio. US$)
Jahr US-Biotech Partner Wert
(Mio. US$)

2010 MacroGenics Boehringer 2160 2012 MacroGenics Servier 1100


Ingelheim

2010 OncoMed Phar- Bayer 1937 2012 Endocyte Merck & Co. 1000
maceuticals Schering

2010 Ionis GSK 1500 2013 OncoMed Celgene 3327


Pharmaceuticals

2010 Arena Eisai 1370 2013 MacroGenics Gilead 1115


Pharmaceuticals

2010 Dicerna Phar- Kyowa 1324 2014 Edison Phar- Dainippon 4295
maceuticals Hakko maceuticals

2010 Rigel AstraZe- 1245 2014 MacroGenics Takeda 1600


Pharmaceuticals neca

2010 Aileron Roche 1125 2014 Ligand Phar- Viking Thera- 1538
Therapeutics maceuticals peutics

2010 TransTech Phar- Forest La- 1105 2014 CytomX BMS 1242
maceuticals boratories Therapeutics

2010 Orexigen Takeda 1050 2014 Proteostasis Astellas 1200


Therapeutics Therapeutics Pharma

2011 Alios BioPhar- Vertex 1525 2014 Sutro Bio- Celgene 1185
maceuticals Pharma- pharma
ceuticals

2011 Aveo Astellas 1425 2014 NewLink Roche 1150


Pharmaceuticals Genetics

2011 miRagen Servier 1000 2014 Intarcia Servier 1051


Therapeutics Therapeutics

2012 Five Prime GSK 1191 2014 Ophthotech Novartis 1030

Größte Allianzen in Fettdruck


BMS Bristol-Myers Squibb, GSK GlaxoSmithKline

von OncoMed Pharmaceuticals sowie dessen Anti- dete OncoMed erzielte zuvor (2010) eine weitere lu-
körper-Wirkstoff Demcizumab und weiteren fünf krative Allianz mit der deutschen Bayer Schering,
präklinischen Kandidaten, die einen Anti-DLL4/ die knapp 2 Mrd. US$ zusagten. Der Biotech-Part-
VEGF-bispezifischen Antikörper umfassen. 2013 ner erforscht mithilfe seiner proprietären humanen
leistete Celgene 155 Mio. US$ an Sofortzahlungen Krebsstammzell-Modelle bis zu drei Antikörper-
und übernahm für 22,5 Mio. US$ Aktien von On- und Proteintherapeutika und entwickelt sie bis zur
coMed. Der Rest der potenziellen 3,3 Mrd. US$ sind Phase-I-Prüfung weiter. Bayer erhält eine Option,
zukünftige Meilensteinzahlungen. Die 2004 gegrün- diese exklusiv zu lizenzieren. Nach Ausübung der
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
95 2

Edison untersucht den Energiestoffwechsel in kranken Zellen


»Back in March 2013, Dainippon as a startup in 2005, its quest was from one molecule to the next in
Sumitomo Pharma signed a deal to find treatments for a group of a complex network of biochemical
worth $50 million or more to Moun- rare, debilitating genetic diseases in interactions dubbed ‚redox reac-
tain View, CA-based Edison Pharma- children. But to do so, the company tions‘. But when things go wrong,
ceuticals, a developer of drugs for is following a scientific thread that as Edison co-founder and CEO Guy
disorders of energy metabolism. The could lead to new insights about Miller, puts it simply, ‚Electrons don’t
big pharmaceutical company from common adult illnesses such as Alz- end up where they should be‘. The
Japan liked the results. Less than a heimer’s disease that lack such clear result of those misplaced, excess
year later, it came back for more. The genetic causes. Those adult diseases electrons is a type of destructive
two companies have now formed of the central nervous system – a molecule …: free radicals or reactive
a larger collaboration – worth as huge market – are the targets for oxygen species (ROS). Those mole-
much as $4,3 billion to Edison – and Dainippon Sumitomo. Edison de- cules can injure cell structures and
their goal is equally large-scaled. signs drugs to correct malfunctions help set off a condition called oxida-
They plan to prepare 10 new drug in the process used by cells to make tive stress, which is a key suspect in
candidates for clinical trials within the energy they need to operate. diseases of aging« (Tansey 2014).
five years. When Edison was formed Cells do this by passing electrons

Option kann Bayer die Entwicklung und Vermark- Fünfzigfachen des Gewinnes von Genzyme. Das
tung lizenzierter Produktkandidaten federführend Pharma-Unternehmen erhielt dadurch ein For-
übernehmen und berechtigt sein, zugelassene Pro- schungsstandbein in Cambridge in den USA und
dukte in allen Märkten kommerziell zu verwerten. somit eine räumliche Nähe zur Harvard Univer-
Gut 2 Mrd. US$ plant seit 2010 schließlich die sity und dem Massachusetts Institute of Techno-
deutsche Boehringer Ingelheim für eine Koope- logy (MIT). Genzyme behielt seinen Namen und
ration mit dem US-Biotech-Unternehmen Ma- eigenen Marktauftritt mit dem weiteren Fokus auf
crogenics ein. Die 2000 gegründete Gesellschaft seltene Krankheiten.
fokussiert sich auf therapeutische bispezifische Weitere Akquisitionen von US-Biotech-Firmen
Antikörper, die in der Allianz für immunologische, durch Pharma- oder Diagnostik-Firmen waren
onkologische, kardiometabolische, Atemwegs- und zum Beispiel die Folgenden (Auswahl von Trans-
Infektionskrankheiten entwickelt werden. aktionen größer 1 Mrd. US$, Wert in Klammern,
größer 5 Mrd. US$ in Fettdruck):
2.2.7.2 B
 iotech-Know-how wiederum 55 2010: Astellas > OSI Pharmaceuticals (4,0);
gefragt im Rahmen von 55 2011: Teva > Cephalon (6,2);
Übernahmen 55 2012: BMS > Amylin (5,3); Hologic > Gen-
Neben den Partnerschaften war für Pharma-Kon- Probe (3,8); GSK > Human Genome Sciences
zerne erneut die komplette Übernahme von Bio- (3,6); BMS > Inhibitex (2,5); AstraZeneca >
tech-Firmen ein Mittel, um Zugang zu neuen Tech- Ardea (1,3);
nologien und Produkten zu erhalten. Den zweit- 55 2014: Merck & Co. > Cubist (9,5); Roche >
höchsten Preis, der dafür jemals bezahlt wurde, Intermune (8,3); Merck & Co. > Idenix (3,9);
wendete 2011 der französisch-deutsche Konzern Otsuka > Avanir (3,5); J&J > Alios BioPharma
Sanofi auf, um Genzyme zu kaufen: 20 Mrd. US$ (1,8); Baxter > Chatham Therapeutics (1,4);
investierte Sanofi. Das entsprach dem Fünffachen Mallinckrodt > Cadence (1,4);
des Umsatzes im Jahr 2010 beziehungsweise dem
96 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Die 700-Euro-Pille
»Eigentlich heißt das Präparat So- ersten Halbjahr nahm der Hersteller bei vielen Erkrankten zu schweren
2 valdi, doch in den USA kennt man
es unter einer wesentlich griffigeren
mit ihr 5,8 Milliarden Dollar ein. Kurz
vor der Markteinführung hatten
Leberschäden, Leberzirrhose oder
Leberkrebs. Sovaldi führt Studien
Bezeichnung: die 1000-Dollar-Pille. Analysten mit Umsätzen von 1,9 Mil- zufolge in 80 bis 90 Prozent der Fälle
Erst seit kurzem ist das Medikament liarden Dollar gerechnet – für das zur Heilung – mit den bisherigen
auf dem Markt, das als Durchbruch ganze Jahr 2014. … Das Magazin Therapien lag die Quote eher bei 50
in der Therapie von Hepatitis-C-In- »Euro« hat errechnet, dass Sovaldi – bis 60 Prozent. Zudem ist Sovaldi
fektionen gilt. Im Dezember wurde bezogen auf den Preis pro Gramm – wesentlich verträglicher, bisher
es in den USA zugelassen, Ende Ja- damit 20-mal wertvoller ist als Gold. litten Infizierte oft unter heftigen
nuar dann in Deutschland und Euro- Für die Betroffenen ist das Medika- Nebenwirkungen der Medikamente;
pa. Die Preis hierzulande: 700 Euro. ment ganz offensichtlich ein Segen. bei Solvadi sollen diese insgesamt
Der Pharmakonzern Gilead verdient Hepatitis C ist eine chronische geringer sein« (Diekmann 2014).
gut an der neuen Pille. Allein im Krankheit, auf lange Sicht führt sie

Doch auch größere Biotech-Gesellschaften boten stärksten Medikamenten in der Pharmasparte zäh-
wieder mit: 11 Mrd. US$ – ein Premium von 89 % len kann, wobei der Umsatz mit Onyx geteilt wird.
je Aktie – war der mittlerweile etablierten Gilead Auch für das 2012 auf den Markt gekommene Bay-
Sciences beispielsweise der Antiviren-Spezialist er-Krebsmittel Stivarga war Onyx ein Partner mit
Pharmasset im Jahr 2012 wert. Dessen Fokus war, dem entsprechenden Anrecht auf Lizenzgebühren.
HIV, HBV und HCV mithilfe von Nukleosidana- Weitere Zukäufe seitens Biotech-Firmen waren
loga zu bekämpfen, stark synergistisch also zu zum Beispiel (Auswahl von Transaktionen größer
dem von Gilead. Besonderes Interesse galt dem 500 Mio. US$, Wert in Klammern):
oral verfügbaren Medikament Sovaldi gegen HCV 55 2010: Celgene > Abraxis (2900);
das schließlich im Dezember 2013 die FDA-Zulas- 55 2011: Alexion > Enobia (1080); Amgen > Bio-
sung erhielt. Derzeit scheint die Übernahme von Vex (1000); Gilead Sciences > Calistoga (600);
Pharmasset für Gilead sehr lukrativ zu sein, da die Cephalon > GeminX Pharmaceuticals (525);
Verkaufszahlen für Sovaldi die Erwartungen bei 55 2012: Amgen > Micromet (1160); Gilead Scien-
Weitem übertreffen. Allerdings gibt es um dieses ces > YM Biosciences (510);
innovative Arzneimittel wegen des hohen Preises 55 2013: Cubist Pharmaceuticals > Trius Thera-
und damit verbunden der hohen Umsätze und Ge- peutics (704) & Optimer Pharmaceuticals
winne auch einige Diskussionen wie Spiegel Online (551);
noch im August 2014 meldete (7 Die 700-Euro-Pil- 55 2014: Genentech > Seragon (1725).
le). Mittlerweile haben sich Krankenkassen und Gi-
lead in Deutschland auf einen Preis von 488 € pro Neben einer kompletten Übernahme verschaffen
Tablette geeinigt. Der Preis für eine zwölfwöchige sich Firmen Zugang zu externem Know-how auch
Therapie beträgt damit nun rund 43500 €. durch Teilübernahmen. So beispielsweise gesche-
Nicht ganz 11 Mrd. US$ (10,4 Mrd. US$) kostete hen beim frühen Einstieg der Roche in Genentech
Amgen die Übernahme von Onyx Pharmaceuti- im Jahr 1990, als der Schweizer Pharma-Konzern
cals im Jahr 2013. Amgen stärkte durch den Zukauf 60 % der Anteile aufkaufte.
seine Aktivitäten im Bereich der Onkologie. Onyx, Im Januar 2014 verkündete die Sanofi-Tochter
gegründet 1992 als Spin-out im Rahmen der Fusion Genzyme 12 % von Alnylam Pharmaceuticals für
von Cetus und Chiron, entwickelte das im Dezem- 700 Mio. US$ zu übernehmen, mit einer Option
ber 2005 von der FDA zugelassene Medikament auf Ausweitung auf bis zu 30 %. Bei US$80 pro Ak-
Nexavar, einen Kinase-Inhibitor gegen Leberkrebs. tie bezahlte Genzyme einen 27-%igen Aufschlag
Partner bei diesem Projekt war der deutsche Bay- gegenüber Alnylams gemittelten Aktienkurs des
er-Konzern, der Nexavar zu seinen fünf umsatz- Vormonats. Dieses ist ein weiteres Beispiel dafür,
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
97 2
dass sich auch die Biotech-Firmen selbst weiteres Rezeptor, anderseits auf der gänzlichen Beseiti-
Biotech-Know-how aneignen. In diesem Fall geht gung des Östrogen-Rezeptors von der Zelle beruht.
es um die sogenannte RNS-Interferenz (im Engli- Diese SERDs der nächsten Generation mit ihrer
schen RNA interference, abgekürzt RNAi). zweifachen Wirkung könnten einen verbesserten
Ansatz zur Behandlung von Hormonrezeptor-
RNS-Interferenz
positivem Brustkrebs bieten – und eventuell von
Wird durch kleine, doppelsträngige RNS-Mo- anderen Krebserkrankungen, die durch den Östro-
leküle (small interfering RNA, siRNA) ausgelöst. gen-Rezeptor ausgelöst werden. Somit ergänzen sie
Sie ist ein Schutzmechanismus der Zelle gegen das bestehende Forschungs- und Entwicklungspro-
»zellfremde« RNS (z. B. Virus-RNS). siRNA be- gramm von Genentech für Brustkrebs.
wirkt, dass sämtliche Boten-RNS, die dieselbe
Nukleotidsequenz wie die siRNA aufweist, zer- 2.2.7.3 S
 tarke fundamentale
stört wird und somit keine Translation erfolgt. Entwicklung: Umsatz und
Mit siRNA kann also die Proteinproduktion Marktwert steigen, unterstützt
von einem Gen unterbunden werden (gene durch den zunehmenden Erfolg
silencing). der Biotech-Medikamente
Kostenintensive Partnerschaften und Zukäufe
konnten von den größeren Biotech-Firmen neben
Dabei hatte sich Alnylam ebenfalls erst kurz zu- Fremdkapital-Unterstützung über steigende Umsät-
vor mit der Akquisition der Merck-Tochter Sirna ze realisiert werden. Zwar bewirkten die Übernah-
Therapeutics gestärkt. Diese war 1992 als Ribozy- men von Genentech und Genzyme sowie Cephalon
me Pharmaceuticals gegründet, 2003 umbenannt in den Jahren 2009 und 2011 aufgrund des Wegfalls
und 2006 für rund 1 Mrd. US$ von der US-ame- aus der Biotech-Statistik einen »Umsatzeinbruch«.
rikanischen Merck übernommen worden. Anfang Diesen machten ab 2012 neue aufstrebende Unter-
2014 leistete die 2002 gegründete Alnylam ledig- nehmen jedoch wieder wett. So erzielte die Branche
lich noch 175 Mio. US$ Sofortzahlungen an Merck, (nur börsennotierte Gesellschaften, die allerdings
die allerdings zudem noch Anspruch auf weitere > 90 % des Umsatzes auf sich vereinen) im Jahr 2014
Meilensteinzahlungen und Tantiemen hat. Für Al- einen Umsatz von 93 Mrd. US$ (EY 2015), mehr als
nylam bedeutet der Sirna-Zukauf eine Ergänzung doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor. Gestellt wird er
und Erweiterung der eigenen RNAi-Technologien. durch 403 Gesellschaften, wobei drei Viertel dieser
Die Minderheitsbeteiligung der Genzyme an Alny- Kennzahl lediglich auf ein gutes Dutzend an Top-
lam erweitert indes eine bereits 2012 geschlossene Firmen (commercial leader) entfällt (. Abb. 2.13 und
Allianz und sieht die Entwicklung von RNS-Thera- . Abb. 2.14). Allein 67 % des gesamten Branchen-
peutika auf dem Feld von seltenen Krankheiten vor. Umsatzes geht auf das Konto der Top 4: Amgen, Gi-
Eine ähnliche Konstellation – Biotech-Tochter lead Sciences, Biogen und Celgene. Wie bereits er-
einer Pharma-Gruppe kauft Biotech-Know-how wähnt, steuern die privaten Firmen lediglich einen
dazu – stellt die Transaktion zwischen Genentech ganz geringen zusätzlichen Anteil bei. Zu den neuen
und Seragon dar. Die erst 2013 gegründete Firma aufstrebenden Unternehmen zählen beispielsweise
erforscht den Wirkstoffkandidaten ARN-810, der (in Klammern ist das Gründungsjahr angegeben):
sich zum Zeitpunkt der Akquisition in klinischen 55 Regeneron Pharmaceuticals (1988): Zulassung
Studien der Phase I bei Patientinnen mit Hormon- der Fusionsproteine Rilonacept, Eylea und
rezeptor-positivem Brustkrebs befand, bei denen Zaltrap im Februar 2008, November 2011 und
die Standardtherapie mit Hormonen versagt hatte. August 2012;
Der Wirkstoff gehört zur Klasse der selektiv Östro- 55 Vertex Pharmaceuticals (1989): Zulassung des
gen-Rezeptor-abbauenden Medikamente (selective CFTR-Potenziators Kalydeco im Januar 2012;
estrogen receptor degraders, SERDs) der nächs- 55 Alexion Pharmaceuticals (1992): Zulassung des
ten Generation, deren Wirkung einerseits auf der therapeutischen Antikörpers Soliris im März
Hemmung der Östradiolwirkung am Östrogen- 2007;
98 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

100 25
 BioMedServices 2015 Gilead
90 Mrd. US$
2 80 20
Alle börsennotierte Firmen Top-Firmen Amgen
70

60 15

50
Biogen
40 Genentech 10
(< Roche)
30
Celgene
20 5
Genzyme (< Sanofi)
10 Cephalon (< Teva)
0 0
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

. Abb. 2.13 Umsatzentwicklung der börsennotierten US-Biotech-Industrie, 2004 bis 2014. Erstellt nach Daten von Ernst
& Young/EY (2005–2015) sowie Geschäftsberichten. Die linke y-Achse zeigt die Werte für alle börsennotierten Firmen sowie
die Summe für zwölf Top-Firmen (je über 1 Mrd. US$ Umsatz 2014 oder vor Übernahme, inklusive Laborspezialisten Bio-Rad,
Illumina, Life Technologies), die rechte y-Achse die Werte für einzelne Firmen (Linien). < symbolisiert »übernommen von«

55 Cubist Pharmaceuticals (1992): Zulassung des 55 Life Technologies: 2012 3,8 Mrd. US$ Umsatz,
Lipopeptid-Antibiotikums Cubicin im Septem- 2013/2014 Übernahme durch Thermo Fisher
ber 2003, weitere Antibiotika folgten; 2014 Über- Scientific; Zell-, DNS/RNS- und Proteinana-
nahme durch Merck & Co. für 9,5 Mrd. US$; lysen, Klonierung, RNAi, PCR, Lebensmittel-
55 United Therapeutics (1996): Zulassung des testung u. a.; entstand durch die Fusion von
Prostazyklin-Analogons Remodulin im Mai Invitrogen und Applied Biosystems im Jahr
2002, als inhalierbare Version im Juli 2009. 2008;
55 Bio-Rad Laboratories: 2014 2,2 Mrd. US$ Um-
Zum Umsatz der Top-Firmen tragen zudem Ge- satz; Produktion und Entwicklung analytischer
sellschaften bei, die als Laborspezialist tätig sind. Geräte und Produkte für die Life Science-­
Ohne ihre Produkte und Dienstleistungen wäre die Forschung, Lebensmittel-, Veterinär- und
Forschung in den Life Sciences nicht denkbar. Sie Umweltanalytik und medizinische Diagnostik;
werden daher in vielen Statistiken ebenfalls zum 55 Illumina: 2014 1,9 Mrd. US$ Umsatz; Next
Kern der Biotech-Firmen gezählt. Oft bieten sie Generation-Sequenzierung.
auch Analytik beziehungsweise Diagnostik an, die
auf der Anwendung molekularbiologischen Know- Seitdem es die Gesamtheit der börsennotierten
hows beruht. Bei den Top-US-Unternehmen ins US-Biotech-Unternehmen im Jahr 2008 in die Ge-
Gewicht fallen zum Beispiel: winnzone schaffte, hatte sie 2010 in dieser Kennzahl
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
99 2

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014


9 Firmen 9 Firmen 11 Firmen 13 Firmen 13 Firmen 14 Firmen 14 Firmen Mio. US$
Gilead Gilead Gilead Gilead Gilead Gilead Gilead 24890
Amgen Amgen Amgen Amgen Amgen Amgen Amgen 20063
Genentech < Roche 13418
Biogen Biogen Biogen Biogen Biogen Biogen Biogen 9703
Celgene Celgene Celgene Celgene Celgene Celgene Celgene 7670
Genzyme Genzyme Genzyme < Sanofi 4049
Cephalon Cephalon Cephalon < TEVA 2811
< 500 Regeneron Regeneron Regeneron 2820
< 500 Alexion Alexion Alexion Alexion Alexion 2234
IDEXX IDEXX IDEXX IDEXX IDEXX IDEXX IDEXX 1486
< 500 United Th. United Th. United Th. United Th. United Th. 1289
< 500 Cubist Cubist Cubist Cubist Cubist < Merck 1054
< 500 Myriad Myriad 778
< 500 BioMarin BioMarin BioMarin 751
< 500 Med. Co. Med. Co. Med. Co. 724
Amylin Amylin Amylin Amylin < BMS 651
< 500 PDL Bio 581
< 500 Vertex Vertex Vertex Vertex 580
< 500 GenProbe GenProbe < Hologic 576
< 500 Incyte 511

. Abb. 2.14 Top-US-Biotech-Firmen nach Umsatz, 2008 bis 2014. Erstellt in Anlehnung an EY (2015); in Top-Liste, wenn
der Umsatz > 500 Mio. US$ beträgt, sortiert absteigend nach Umsatz 2014 oder Umsatz vor Übernahme; < symbolisiert
»übernommen von«; BMS: Bristol-Myers Squibb, Med. Co.: The Medicines Company, Th.: Therapeutics

einen vorläufigen Peak erreicht, um dann im Jahr (. Abb. 2.15): Der Marktwert der US-Biotech-Bran-
2014 erstmals die Grenze von 10 Mrd. US$ zu über- che überschritt 2013 und 2014 erstmals die Grenzen
schreiten. Großen Einfluss bei dieser Entwicklung von 500 und 800 Mrd. US$. Erreicht wurde dies
hatte allerdings wiederum Gilead Sciences auf- nicht nur über eine wieder gestiegene Zahl an Fir-
grund seines Umsatzrekordes. men (diese war nach einer Spitze im Jahr 2007 mit
Die gesamte positive Entwicklung seit dem Jahr knapp 400 Firmen auf 313 im Jahr 2009 gesunken),
2010 honorierte schließlich auch der Kapitalmarkt
100 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

5000 5000
Indexpunkte NYSE Arca Biotechnology (BTK) Mio. / Mrd. US$
4500 4500
NASDAQ Biotechnology (NBI)
2 4000 NASDAQ Computer 4000
3500 Marktwert / Firma (Mio. US$) 3500
Marktwert Industrie (Mrd. US$)
3000 3000
2500 2500
2000 2000
1500 1500
1000 1000
500 500
 BioMedServices 2015
0 0
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

. Abb. 2.15 Entwicklung von US-Biotech-Indizes und Markwert, 2009 bis 2014. Indizes nach Yahoo Finance, Marktwert
und Marktwert/Firma nach Ernst & Young/EY (2010–2015)

Die commercial leaders


»The accomplishments of a few US$201.9 billion. And, in a case of 91 % to US$66 billion, and Gilead
commercial companies helped a rising tide lifting all boats, that Sciences’ by 107 % to US$115.2 billion,
shape the industry’s strong perfor- outsized performance – which taking it past Amgen to become
mance and boost investor sentiment actually began in 2012 – increased the world’s highest-valued bio-
toward the sector. Virtually all of enthusiasm in the sector overall tech company. … The four biggest
the global industry’s 2013 revenue and helped bring back generalist biotech companies by market cap
growth came from the 17 US-based investors seeking returns, which in in 2013 – Gilead Sciences, Amgen,
commercial leaders, which posted turn helped to catalyze the strong Celgene and Biogen Idec – were
strong increases in revenue and IPO market. Among the commercial also the biggest investors in R&D for
profits on the back of important leaders, three companies – Biogen the year, between them spending
new drug launches. The market Idec, Celgene and Gilead Sciences – almost US$9.9 billion (the remaining
rewarded the performance of these were the biggest drivers of growth. 335 US publicly listed biotechs spent
companies by pushing their market Celgene’s market cap grew 110 % US$13.4 billion)« (EY 2014).
capitalizations up a remarkable to US$69.6 billion, Biogen Idec’s by

sondern insbesondere über die starke fundamen- Von 2009 bis 2014 erhöhte sich der Umsatz mit
tale Entwicklung einzelner und der Top-Firmen, den Top-10-Biopharmazeutika von 44 um gut 50 %
wie EY (2014) darlegt (7 Die commercial leaders). auf 73 Mrd. US$ (. Tab. 2.29). Mittlerweile stellen
Diese führenden Unternehmen stellten 2013 und von den zehn führenden Arzneimitteln nach Um-
2014 nicht nur drei Viertel des gesamten Umsat- satz (2014 in der Summe: 83 Mrd. US$) sieben Top-
zes der Branche, sondern ebenfalls drei Viertel des Biologika mit 60 Mrd. US$ einen Anteil von 72 %.
Marktwertes aller 403 gelisteten Gesellschaften. 2009 lag er noch bei 45 %, gestellt von fünf Biotech-
. Tabelle 2.28 bietet eine Übersicht zu nach dem Produkten.
Marktwert führenden US-Biotech-Firmen.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
101 2

. Tab. 2.28 Führende US-Biotech-Firmen nach Marktwert (Mrd. US$), Ende 2012 bis Ende 2014. (Quelle: BioMed-
Services 2015)

Firma 2012 2013 2014 2013/2014 (%) Firma 2012 2013 2014 2013/2014 (%)

Gilead 55,6 115,2 146,8 + 27 Incyte 2,2 8,2 12,5 + 52

Amgen 66,1 86,0 123,9 + 44 Pharmacyclics 4,0 7,8 9,3 + 19

Celgene 33,2 69,6 91,4 + 31 Cubist Pharma- 2,7 5,1 7,7 + 51


ceuticalsa

Biogen 34,6 66,0 81,1 + 23 Alnylam Phar- 1,0 4,1 7,5 + 83


maceuticals

Regeneron 15,9 26,8 42,1 + 57 Ionis Pharma- 1,1 4,6 7,5 + 63


Pharma- ceuticals
ceuticals

Alexion 18,2 26,1 37,4 + 43 IDEXX 5,1 5,5 7,2 + 31

Vertex 9,1 17,4 28,8 + 66 United Thera- 2,7 5,7 6,3 + 11


peutics

Illumina 6,9 14,0 26,8 + 91 Agios Pharma- – 0,8 4,2 + 425


ceuticals

BioMarin 6,1 10,0 13,6 + 36 Seattle Genetics 2,8 4,9 4,1 − 16

aseit 22.01.2015 zu Merck & Co.und delisted

. Tab. 2.29 Top-10-Biopharmazeutika nach weltweitem Umsatz (Mrd. US$), 2014 versus 2009. (Quelle: BioMed-
Services (2015), Daten 2014 nach Philippidis (2015))

Produkt Indikation Entwickler Vermarkter FDAa 2009 2014

Humira Rheumatoide Arthritis Knoll & CAT (AZ) AbbVie/Eisai 2002 5,5 12,5

Remicade Rheumatoide Arthritis Centocor (J&J) J&J/Schering-Plough 1998 6,0 9,2


(Merck & Co.)

Enbrel Rheumatoide Arthritis Immunex (Amgen) Amgen/Wyeth (Pfizer) 1998 6,6 8,5

Lantus Diabetes Sanofi-Aventis Sanofi 2000 4,2 8,4

Rituxan Krebs (NHL) Idec & Genentech Biogen/Roche 1997 5,7 7,6

Avastin Darmkrebs Genentech Genentech/Roche 2004 5,8 7,0

Herceptin Brustkrebs Genentech Genentech/Roche 1998 4,9 6,9

Neulasta Neutropenie Amgen Amgen 1991 3,4 5,9

Lucentis AMD Genentech Roche/Novartis 2006 2,3 4,3

Avonex Multiple Sklerose Biogen Biogen 1996 2,3 3,0

Nukleotidanaloga Summe Biologika: 47 73

Sovaldi HCV Gilead Gilead 2013 – 10,3

Atripla AIDS Gilead Gilead 2006 2,4 3,5

Antikörper in Fettdruck
aUS-Zulassung

AMD altersbedingte Makuladegeneration, AZ AstraZeneca, HCV Hepatitis-C-Virus, NHL Non-Hodgkin-Lymphom


102 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Der FDA Breakthrough-Status


»As defined by FDA, breakthrough In other words, no ‚me-too‘ drugs ment based on shortened timelines
2 product designation is intended for
products that treat a serious condi-
– the breakthrough designation is
meant for first-in-class treatments or
or surrogate markers, but rather
grant access to enhanced review
tion based on preliminary clinical ones targeting diseases in ways that tools such as all of the features of
evidence that indicates the drug no other drug has before. Unlike the fast track designation, as well
may demonstrate substantial im- the other designations or pathways, as ‚intensive guidance‘ from FDA
provement on clinically significant breakthrough product designation regarding the development of the
endpoints over available therapies. isn’t meant to expedite develop- product« (Gaffney 2013).

Unter Berücksichtigung der Nukleotidana- Tie2), Onkogenese (KIT, RET, RAF-1, BRAF,
loga als Biopharmazeutika im weiteren Sinne BRAF V600E) und Tumor-Mikroumgebung
(7 Abschn. 3.1.1) entfällt innerhalb der Top-10- (PDGFR, FGFR) beteiligt sind; entwickelt von
Arzneien (inklusive small molecules) auf Biotech- Onyx Pharmaceuticals in Zusammenarbeit mit
Produkte sogar ein Umsatz von 70 Mrd. US$, was Bayer, Zulassung September 2012 (Onyx er-
einem Anteil von 84% entspricht. Bis auf Lantus hielt zudem im Juli 2012 die Zulassung für den
von Sanofi stammen alle ursprünglich von Biotech- Proteasom-Inhibitor Kyprolis, zielend auf das
Firmen. Humira als das Top-Produkt wurde zwar multiple Myelom);
von der deutschen Knoll (BASF-Tochter, 2001 zu 55 Cometriq (Cabozantinib) gegen die Zielmo-
AbbVie) klinisch entwickelt, der vollhumane Anti- leküle c-Met und VEGFR2 zur Therapie des
körper-Wirkstoff selbst stammt jedoch von der bri- medullären Schilddrüsenkarzinoms, einer
tischen CAT, die seit 2006 zu AstraZeneca gehört. seltenen Art von Schilddrüsenkrebs, der nicht
operativ entfernt werden kann; entwickelt von
2.2.7.4  Weitere Zulassungen festigen Exelixis, Zulassung November 2012;
den zunehmenden Erfolg der 55 Iclusig (Ponatinib), zielend auf BCR-ABL,
Biotech-Arzneien BEGFR, PDGFR, FGFR, EPH, SRC, c-KIT, RET,
Unterstützend für die positive Entwicklung des TIE2, und FLT3 für Patienten mit chronischer
Marktwertes waren weiterhin abermals Medika- myeloischer Leukämie (CML) und Philadelphia-
menten-Neuzulassungen durch die FDA sowie Chromosom-positiver akuter lymphoblastischer
deren nachfolgende Vermarktung. Neben den re- Leukämie (ALL); entwickelt von Ariad Pharma-
kombinanten Biopharmazeutika (. Tab. 2.30 und ceuticals, zugelassen Dezember 2012;
2.31) erhielten auch wieder von Biotech-Firmen 55 Imbruvica (Ibrutinib), wirksam gegen die
maßgeschneiderte small molecules einen positiven Bruton-Tyrosinkinase zur Behandlung des
Bescheid. Erneut dabei waren Kinase-Inhibitoren, Mantelzell-Lymphoms, entwickelt von Phar-
die spezifisch auf neu identifizierte Krebs-Zielmo- macyclics in Zusammenarbeit mit Johnson &
leküle oder auf mehrere gleichzeitig wirken: Johnson, zugelassen November 2013;
55 Zelboraf (Vemurafenib) mit Ziel BRAF zur 55 Zydelig (Idelalisib), hemmt selektiv die Phos-
Behandlung von Hautkrebs; entwickelt von phatidylinositol-3-Kinase delta (PI3K-Delta)
Plexxikon (seit 2011 zu Daiichi) in Zusam- bei Erkrankten mit chronischer Lymphozyten-
menarbeit mit Genentech (Roche), Zulassung Leukämie (CLL) oder Non-Hodgkin-Lympho-
August 2011; men (NHL); entwickelt von Calistoga (seit 2011
55 Jakafi (Ruxolitinib), zielend auf die Januskinase zu Gilead Sciences), zugelassen Juli 2014.
(JAK) zur Behandlung der Myelofibrose; ent-
wickelt von Incyte, Zulassung November 2011; Die beiden zuletzt gelisteten, neu zugelassenen Ki-
55 Stivarga (Regorafenib), wirksam gegen mul- nase-Hemmer hatten zuvor den seit 2012 aufgeleg-
tiple Proteinkinasen, einschließlich solcher, ten Breakthrough-Status zugesprochen bekommen.
die an der Tumorangiogenese (VEGFR1, -2, -3, Nach dessen Beantragung entscheidet die FDA in-
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
103 2

. Tab. 2.30 Ausgewählte rekombinant hergestellte Biopharmazeutika, Zulassungen 2010 bis 2013 (FDA). (Quelle:
BioMedServices 2015)

Produkt Wirkstoff (Target) Indikation Erfindung/Entwicklung Monat/


und Vermarktung Jahr

Actemra Tocilizumab (IL-6R) Rheumatoide Arthritis Genentech (Roche) 01/2010

Vpriv Velaglucerase alfa Gaucher-Krankheit GB: Shire 02/2010

Provenge Sipuleucel-T Prostatakrebs Dendreon 04/2010

Lumizyme Alglucosidase alfa Pompe-Krankheit Genzyme 05/2010

Prolia Denosumab (RANK-Ligand) Osteoporose Amgen 06/2010

Krystexxa Pegloticase Gicht Savient Pharmaceuticals 09/2010

Benlysta Belimumab (BAFF, BLyS) Lupus erythematodes CAT (AZ) und HGS (GSK)/ 03/2011
GSK

Yervoy Ipilimumab (CTLA-4) Malignes Melanom Medarex (BMS)/BMS 03/2011

Adcetris Brentuximab vedotin (CD30) Hodgkin-Lymphom Seattle Genetics/ 08/2011


und ALCL Takeda

Eylea Aflibercept (VEGF, PIGF) AMD Regeneron Pharmaceuticals 11/2011

Voraxaze Glucarpidase Methotrexat-Vergif- GB: Protherics (BTG) 01/2012


tung

Elelyso Taliglucerase alfa Gaucher-Krankheit ISR: Protalix/Pfizer 05/2012

Perjeta Pertuzumab (HER2) Brustkrebs Genentech (Roche) 06/2012

Zaltrap Ziv-Aflibercept (VEGF) Darmkrebs Regeneron Pharmaceuticals 08/2012

Jetrea Ocriplasmin Vitreomakuläre Ad- B: Thrombogenics 10/2012


häsion (Auge)

Abthrax Raxibacumab Anthrax-Infektion CAT (AZ)/HGS (GSK) 12/2012

Gattex Teduglutide Kurzdarm-Syndrom NPS Pharmaceuticals (Shire) 12/2012

Kadcyla Trastuzumab Emtansin Brustkrebs (HER2 + ) Genentech (Roche) 02/2013

Gazyva Obinutuzumab (CD20) Chronische lymphati- Genentech (Roche) und 11/2013


sche Leukämie Biogen Idec

Antikörper in Fettdruck
falls nicht US, Land vor Firmenname (B Belgien, GB Großbritannien, ISR Israel), in Klammern Mutterfirma, falls Über-
nahme vor Zulassung
ALCL anaplastic large cell lymphoma (T-Zell-Lymphom), AMD altersbedingte Makuladegeneration, AZ AstraZeneca,
BMS Bristol-Myers Squibb, HGS Human Genome Sciences

nerhalb von 60 Tagen, ob sie den Antrag ablehnt und damit möglicherweise beschleunigtes Zulas-
oder diesem zustimmt und damit anerkennt, dass sungsverfahren zu. Profitieren konnte davon auch
vorläufige klinische Daten bereits eine signifikant das im April 2014 zugelassene Medikament Zykadia
verbesserte Ansprechrate gegenüber einem Ver- (Ceritinib) von Novartis, einem ALK-Inhibitor zur
gleichspräparat vorweisen. Letztlich sichert ein Behandlung von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs.
Breakthrough-Status (7 Der FDA Breakthrough- Wieder meisterten Wirkstoffe die regulato-
Status und 7 Abschn. 3.1.1.1) ein intensiv betreutes rische FDA-Hürde, die im weiteren Sinne den
104 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.31 Ausgewählte rekombinant hergestellte Biopharmazeutika, Zulassungen 2014 (FDA). (Quelle: BioMed-
Services 2015)

Produkt Wirkstoff (Target) Indikation Erfindung/Entwicklung Monat/


2 und Vermarktung Jahr

Vimizim Elosulfase alfa MPS Typ IVA BioMarin Pharmaceuticals 02/2014

Myalept Metreleptin zur Injektion Lipodystrophie Amylin Pharmaceuticals 02/2014


(BMS/AZ)

Alprolix Faktor-IX-Fc-Fusionsprotein Hämophilie B Biogen 03/2014

Tanzeum Albiglutide Typ-2-Diabetes Principia Pharmaceuticals 04/2014


(HGS) (GSK)/
GSK

Cyramza Ramucirumab (VEGFR2) Magenkrebs Dyax und ImClone (Lilly) 04/2014

Entyvio Vedolizumab (α4β7-Integrin) Ulcerative Kolitis, Millennium (Takeda) 05/2014


Morbus Crohn

Ruconest Conestat alfa (C1-Esterase) Angioödem NL: Pharming 07/2014

Plegridy Interferon beta-1a, pegyliert Multiple Sklerose Biogen 08/2014

Trulicity Dulaglutid Typ-2-Diabetes Eli Lilly 09/2014

Keytruda Pembrolizumab (PD1) Hautkrebs Organon Biosciences (Sche- 09/2014


ring-Plough) (Merck)

Blincyto Blinatumomab (CD19&CD3) Leukämie (ALL) D: Micromet (Amgen) 12/2014

Opdivo Nivolumab (PD1) Hautkrebs Medarex (BMS) 12/2014

Antikörper in Fettdruck
falls nicht US, Land vor Firmenname (D Deutschland, NL Niederlande), in Klammern Mutterfirma, falls Übernahme vor
Zulassung
ALL akute lymphatische Leukämie, AZ AstraZeneca, BMS Bristol-Myers Squibb, GSK GlaxoSmithKline, MPS Mukopoly-
saccharidose

Biopharmazeutika zuzuordnen sind, da es sich um Patienten mit vererbbarem Angioödem als


kleinere biologische Substanzen wie Peptide (Bau- Bradykinin-Rezeptor-Antagonist wirkt; ent-
steine der Proteine) und Oligonukleotide (Bau- wickelt von Jerini aus Deutschland (2008 von
steine von DNS und RNS) handelt. Im Gegensatz der britischen Shire gekauft), zugelassen im
zu den klassischen großen Biomolekülen wie den August 2011;
Proteinen (auch Antikörper), die aufgrund ihrer 55 Kynamro (Mipomersen), ein antisense-Oli-
Komplexität nur biosynthetisch über DNS-Rekom- gonukleotid-Strang, der die Synthese von
bination und Expression in einer Wirtszelle her- Apolipoprotein B hemmt, welches bei Patien-
gestellt werden können, sind sie – oder Derivate ten mit familiärer Hypercholesterinämie eine
davon – chemisch zu synthetisieren. Beispiele sind: krankhafte Rolle spielt; entwickelt von Ionis
55 Incivek (Telaprevir), ein Peptidderivat, das die Pharmaceuticals und Genzyme, zugelassen im
NS3/4A-Serin-Protease des Hepatitis-C-Virus Januar 2013;
(HCV) hemmt; entwickelt von Vertex Pharma- 55 Sovaldi (Sofosbuvir), ein Nukleotidanalogon,
ceuticals, zugelassen im Mai 2011; das die NS5-RNS-Polymerase des Hepatitis-
55 Firazyr (Icatibant), ein Dekapeptid mit fünf C-Virus (HCV) hemmt; entwickelt von Gilead
nicht proteinogenen Aminosäuren, das bei Sciences, zugelassen im Dezember 2013.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
105 2

. Tab. 2.32 Umsatzerwartungen für ausgewählte neue Biotech-Blockbuster, 2020. (Quelle: BioMedServices (2015)
nach EvaluatePharma (2014a und 2014b))

Firma Produkt Indikation FDAa Mrd. US$

Gilead Sovaldi (Sofosbuvir) Hepatitis-C-Virus-Infektion 12/2013 13,1

Celgene Revlimid (Lenalidomid) Multiples Myelom und Mantel- 12/2005 8,0


zell-Lymphom

BMS Opdivo (Nivolumab) Hautkrebs 12/2014 6,6

Biogen Tecfidera (Dimethylfu- Multiple Sklerose 03/2013 6,5


marat)

Alexion Soliris (Eculizumab) Paroxysmale nächtliche Hämo- 03/2007 5,8


globinurie

Regeneron/Bayer Eylea (Aflibercept) Altersbedingte Makuladegene- 11/2011 5,6


ration

Merck Keytruda Hautkrebs 09/2014 4,4

aUS-Zulassung (Monat/Jahr)
BMS Bristol-Myers Squibb

Neue Zielmoleküle waren schließlich nicht nur bei ra von Biogen vermutet. Den altbekannten Wirk-
den Kinase-Hemmern vertreten. Im Januar 2012 stoff Dimethylfumarat entwickelte ursprünglich
erteilte die FDA die Zulassung für Erivedge (Vis- die Schweizer Fumapharm, die ihn zusammen mit
modegib), einem small molecule-Wirkstoff, der den Biogen für die Indikation multiple Sklerose testete.
sogenannten Hedgehog-Signalweg hemmt und da- Es wird angenommen, dass das Fumarsäurederivat
bei das Membranprotein Smoothened (SMO) bin- den sogenannten Nrf2-Signalweg aktiviert. Der
det. Dies führt zu einer Transkriptionshemmung Transkriptionsfaktor Nrf2 (nuclear factor [erythro-
von Genen, welche beim Wachstum von Tumoren id-derived 2]-related factor 2) spielt eine Rolle bei im-
involviert sind. Das von Genentech in Zusammen- munmodulatorischen und entzündungshemmen-
arbeit mit Curis entwickelte Medikament ist das den Prozessen, zudem werden antioxidative Gene
erste einer völlig neuen Wirkstoffklasse bei fort- hochreguliert. In den oral verfügbaren Wirkstoff
geschrittenem Hautkrebs. Für dieselbe Indikation werden umsatzmäßig große Erwartungen gesetzt:
ließ die FDA allerdings 2014 auch zwei Antikör- Für das Jahr 2020 prognostiziert der Datendienst
per zu, nämlich Keytruda von Merck und Opdi- EvaluatePharma Verkaufserlöse von 6,5 Mrd. US$
vo von BMS. Beide binden an das zuvor noch nie (. Tab. 2.32). Mit Abstand führen wird allerdings
anvisierte Zielmolekül PD1 (programmed death das antivirale Medikament Sovaldi von Gilead, dem
receptor-1). PD1 ist ein Schlüsselmolekül, das es im Jahr 2020 ein Umsatz von 13 Mrd. US$ zugetraut
Krebszellen ermöglicht, sich der Erkennung durch wird. Dieser lag aber bereits 2014 bei 10 Mrd. US$.
das Immunsystem zu entziehen (immune escape). Auch den neuen PD1-Antikörpern wird für 2020
Beide Krebs-Medikamente zählen daher zu den ein Blockbuster-Status zugesprochen. Zwar brach-
sogenannten neuartigen Krebs-Immuntherapien ten klassische Pharma-Firmen beide Wirkstoffe auf
(7 Abschn. 3.1.2.1) und erhielten von der FDA auch den Markt, ihre Entwicklung ging jedoch letzlich
die Breakthrough-Designation. wiederum auf Biotech-Unternehmen zurück. Auch
Eine Wirkung über Genregulation wird auch den neuen Produkten von Alexion und Regeneron
bei dem im März 2013 in den USA und im Januar wird weiteres Wachstum prognostiziert.
2014 in Europa zugelassenen Medikament Tecfide-
106 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

50
BioMedServices 2015
Mrd. US$
45
2 40 Darlehen & Wandelanleihen
SPO & PIPEs
35
IPO
30 VC
Allianzen (Biodollars)
25

20

15

10

80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

. Abb. 2.16 Finanzierung der US-Biotech-Industrie, 1980 bis 2014. Erstellt nach Daten von Lerner und Merges (1998),
Burrill (2000), Nicholson et al. (2002) und Ernst & Young/EY (2005–2015). IPO initial public offering, SPO secondary public
offering, PIPE private investment in public equity, VC Venture-Capital

2.2.8 Zusammenfassende Bilanz zur der Börsennotierung (IPO) waren die Firmen im-
US-Biotech-Industrie: Früher mer wieder in der Lage, weiteres Eigenkapital (SPO,
Start, gute Finanzierungsbedin- PIPE) aufzunehmen (. Abb. 2.16).
gungen und ein Dutzend Das verhalf in den 1990er-Jahren einigen Unter-
führender Unternehmen nehmen dazu, ihre Entwicklungen zu Ende zu füh-
brachten den Stein ins Rollen ren und auf den Markt zu bringen (. Tab. 2.12). Ri-
sikokapital floss zwar immer in die US-Biotech-In-
Im Jahr 2016 wird die US-Biotech-Industrie ihr dustrie. Das Level von heute, das gerne für Verglei-
40-jähriges Bestehen feiern. Den Grundstein leg- che mit der schlechten Finanzierungssituation in
te das Unternehmen Genentech, welches sich 1976 Deutschland herangezogen wird, etablierte sich al-
gründete, um die Anfang der 1970er-Jahre erfun- lerdings erst nach der Jahrtausendwende, also nach
dene DNS-Rekombinationstechnik – die Gen- rund 25 Jahren Existenz der neuen Branche! In den
technik – wirtschaftlich zu nutzen. Weitere Fir- 1990ern hatten einige Investoren gute Exits erzielt,
mengründungen folgten, sodass zehn Jahre später und die Industrie hatte bewiesen, dass sie erfolg-
Mitte der 1980er-Jahre um die 800 Firmen exis- reich neue Produkte auf den Markt bringen kann.
tierten, die sich mit der neuen Biotechnologie be- Das zusammen mit dem Internet-Boom führte
schäftigten. Anfang der 1990er-Jahre erhöhte sich dann zum Biotech-Börsen-Hype. Aus . Abb. 2.16
deren Zahl auf über 1000. Ein Fünftel davon, also ist ferner ersichtlich, dass auch erst im neuen Jahr-
gut 200 Gesellschaften, waren nach der Listung tausend die Einnahmen aus Allianzen stärker an-
ihrer Aktien börsennotiert (in der Regel an der stiegen sowie Fremdkapital zunehmend eine Rolle
NASDAQ, 7 Geschichte der US-amerikanischen spielte. Dies allerdings nur bei einer Handvoll füh-
Börse und des NASDAQ). Bis Mitte der 1990er-Jah- render Firmen (. Tab. 2.26). Auf jeden Fall haben
re überstieg ihre Zahl die Grenze von 300. Auf Basis die zwar nach Kapitalmarkt-Lage schwankenden,
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
107 2

Geschichte der US-amerikanischen Börse und des NASDAQ


»The American Stock Exchange remained as an active exchange. In NASD merged with the New York
(AMEX) got its start in the 1800’s and October 1, 2008, the American Stock Stock Exchange’s regulation com-
was known as the ‚Curb Exchange‘ Exchange was acquired by NYSE mittee to form the Financial Industry
until 1921 because it met as a market Euronext. NYSE Euronext integrated Regulatory Authority (FINRA). In May
at the curbstone on Broad Street amex.com content and data into 2007, NASDAQ announced a transac-
near Exchange Place. Its founding the nyse.com website, phasing out tion to create global exchange and
date is generally considered as 1921 amex.com, effective January 16, technology company with Swedish
because this is the year when it 2009. The new name is NYSE Amex. exchange operator, OMX. Later that
moved into new quarters on Trinity. Founded by the NASD, the National year, on November 7, 2007, NASDAQ
However, it wasn’t until 1953 that Association of Security Dealers OMX announced that it had sig-
it officially became the American Automated Quotations (NASDAQ) ned an agreement to acquire the
Stock Exchange. In November 1998, began trading on February 8, 1971, Philadelphia Stock Exchange, the
the National Association of Security as the world’s first electronic stock oldest stock exchange in America,
Dealers (NASD) announced that the market, trading for over 2,500 secu- founded in 1790. Today NASDAQ is
American Stock Exchange would rities. In 2000, NASDAQ membership the largest electronic stock market
merge with the NASD creating ‚The voted to restructure and spin off with over 3,000 companies listed.
Nasdaq-Amex Market Group‘. Howe- NASDAQ into a shareholder-owned, (Terrell 2012)«
ver, the American Stock Exchange for-profit company. In 2007, the

aber dennoch grundsätzlich guten Finanzierungs- Für das Jahr 2013 zählte der Branchenbeobach-
bedingungen einen sehr großen Anteil am Erfolg ter EY (2014) nach dem jüngsten Aufblühen der
der US-Biotech-Industrie. Erfolg in der Medika- Kapitalmärkte 345 »US public biotech companies«
menten-Entwicklung kann man nicht kaufen, es mit einem Marktwert von 637 Mrd. US$ und einem
kann nur die riskante und kostspielige Forschung Umsatz von 72 Mrd. US$ sowie 110.000 Mitarbei-
und Entwicklung finanziert werden. Firmen, die tern. Nachdem im Jahr 2014 rund 60 neue Biotech-
dabei schneller oder bessere Fortschritte machten, Firmen an die Börse strebten, liegt der aktuelle
weil sie sich umfangreichere Studien leisten kön- Stand bei 403 Gesellschaften mit einem gesamten
nen, sind dann oft die bevorzugten Kooperations- Marktwert von 854 Mrd. US$ sowie 10 Mrd. US$
partner für die nach neuen Projekten und Innova- Gewinn bei 93 Mrd. US$ Umsatz (EY 2015). In-
tionen suchende Pharma-Industrie gewesen. Dies klusive der privaten, nicht börsennotierten Unter-
zog dann oft weitere Finanzierung nach sich. Eine nehmen zählt die Branche mehr als 2500 Firmen.
gute Finanzierung ermöglicht auch eine breitere Der Umsatz der US-Biotech-Branche entfiel
Streuung des Risikos über verschiedene Projekte, über die Jahre hinweg hauptsächlich auf die bör-
so dass bei einem Ausfall eventuell schnell ein Er- sennotierten Gesellschaften, das heißt, sie stellten
satz bereit steht. meist 70 bis über 90 %. Hierbei machten die Ver-
Nach dem Börsenboom vom Jahr 2000 und kaufserlöse von auf den Markt gebrachten Medi-
der nachfolgenden Baisse erholte sich der Kapital- kamenten in der Regel mehr als drei Viertel aus.
markt wieder, bis Mitte 2007 die nächste Hausse Sichtbar wurde dies beziehungsweise das darauf
erreicht wurde und die Zahl der börsennotierten beruhende Umsatzwachstum ab den 1990er-Jah-
US-Biotech-Unternehmen sich auf fast 400 stei- ren, nachdem in den 1980er-Jahren die ersten neu-
gerte. Die globale Finanzkrise 2007/2008 bewirkte artigen – auf der neuen Biotechnologie basierenden
einen Rückgang auf gut 300 Börsengelistete (minus – Arzneimittel eine Marktzulassung erhielten.
25 %!), da sich viele nicht mehr am Kapitalmarkt Die erste Dekade des neuen Milleniums erbrach-
weiter finanzieren konnten. Seit 2009/2010 stieg die te dann ein starkes Umsatzwachstum (. Abb. 2.17),
Eigenkapital-Finanzierung wieder an, gegenüber das insbesondere auf den in der zweiten Hälfte der
dem bisherigen Spitzenreiter-Jahr 2000 sogar mit 1990er-Jahre eingeführten therapeutischen Anti-
neuen Höchstwerten. körpern (. Tab. 2.12) beruhte. Diese stellen – zu-
sammen mit weiteren in der letzten Dekade des
108 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

110
BioMedServices 2015
Mrd. US$ Umsatz
2 90 FuE
Verlust/Gewinn
70

50

30

10

-10
91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

500 1000
Firmen / Mitarbeiter Marktwert (Mrd. US$) Mrd. US$
450 900
Firmen
400 800
Mitarbeiter (Tsd.)
350 700
300 600
250 500
200 400
150 300
100 200
50 100
0 0
91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

. Abb. 2.17 Entwicklung der börsennotierten US-Biotech-Industrie, 1991 bis 2014. Erstellt nach Daten von Ernst & Young/
EY (1992–2015)

alten Milleniums auf den Markt gebrachten re- tel (19 %) des Gesamtumsatzes von 34 Mrd. € im
kombinanten (Fusions-)Proteinen – heutzutage Jahr 2014. Es ist das umsatzstärkste Produkt für das
noch über 50 % des Umsatzes mit den Top-10-Bio- Unternehmen. Letzteres trifft bei AbbVie auch für
pharmazeutika (. Tab. 2.29). Von Pharma-Unter- Humira zu, wobei der vollhumane TNF-Antikör-
nehmen entwickelte Bestseller im biopharmazeu- per 63 % aller Verkaufserlöse im Jahr 2014 stellte.
tischen Sektor kamen erst ab dem Jahr 2000 dazu: Der Patentschutz für Lantus läuft 2015 ab, derjenige
Lantus von Sanofi und Humira von AbbVie, die für Humira je nach Markt 2016 oder 2018.
zusammen knapp 30 % der Top-10-Biopharmazeu- Innerhalb der US-Biotech-Industrie wurde und
tika im Jahr 2014 ausmachen. Für Sanofi generierte werden das Umsatzwachstum und insbesondere der
Lantus (rekombinantes Insulin für Diabetiker, ent- seit 2008 erzielte Gewinn von rund einem Dutzend
wickelt von der früheren Hoechst) fast ein Fünf- führender Firmen realisiert (. Abb. 2.18). Neben
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
109 2

Mrd. US $  BioMedServices 2015


24
Amgen (1980)
Gilead Sciences
Genentech (1976) < Roche/2009 (47)
22
Gilead Sciences (1987)
Biogen (1978)
20 Celgene (1986)
Genzyme (1981) < Sanofi/2011 (20) Amgen
18 Chiron (1981) < Novartis/2006 (5,4)
Cephalon (1987) < Teva/2011 (6,2)
MedImmune (1988) < AZ 2007 (16)
16
Vertex (1989)
Regeneron (1988)
14 Alexion (1992)
Genentech

12

Biogen
10

8
Celgene

4 Genzyme
Regeneron

Alexion
2
Cephalon

Vertex
0
91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

. Abb. 2.18 Hauptumsatztragende Firmen, 1991 bis 2014. Erstellt nach Daten von SEC filings/Geschäftsberichten, Grün-
dungsjahr sowie Übernahmepreis in Mrd. US$ in Klammern. < übernommen von/Jahr; AZ AstraZeneca

den früh gegründeten Gesellschaften Genentech, immer führende Amgen abgelöst. Der strategische
Biogen, Amgen und Genzyme (7 Abschn. 2.2.2) Fokus auf virale Infektionskrankheiten bescher-
zählen zu den absoluten Top-Firmen (commercial te dem Unternehmen auf dem Markt befindliche
leaders) heute noch Gilead Sciences und Celge- Produkte wie: 1996 Vistide gegen Augeninfektio-
ne, die sich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre nen, verursacht durch Cytomegalovirus (CMV);
gründeten. 1999 – mit Lizenz an Roche – Tamiflu gegen Grippe
Gilead beeindruckt durch exponentielles (Influenzavirus); 2001 Viread gegen AIDS ausgelöst
Umsatzwachstum, die Übernahme anderer Bio- durch den human immunodeficiency virus (HIV);
tech-Firmen sowie einem Marktwert von knapp 2002 Hepsera gegen Hepatitis-B-Viren; 2004 und
150 Mrd. US$ zum Ende des Jahres 2014. Seit Mitte 2006 Nachfolgeprodukte gegen HIV sowie 2013 So-
2013 hat Gilead die bei dieser Kennzahl bis dahin valdi gegen Hepatitis-C-Viren (HCV). Nach einem
110 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Die Anfänge von Gilead Sciences


»Gilead drew its strategic focus from on what were known as ‚anti-sense‘ charged with developing drugs to

2 its founder, Michael Riordan … who


started Gilead when he was 29 years
drugs, which were believed to have
the potential to block the genetic
combat malaria, Dengue fever, and
other tropical diseases. Of particular
old, earned his medical degrees messages that trigger disease. … In importance during this juncture of
from Johns Hopkins University and December 1991, the company filed the company’s history was its work
Harvard. With his degrees in hand, with the … [SEC] for its initial public on CMV retinitis, an AIDS-related eye
Riordan entered the realm of finan- offering (IPO). The IPO was slated disease. During the first half of 1992,
ce, a seemingly incongruent career to be completed in January 1992, at Gilead filed an investigational new
choice that proved indispensable to which point the company hoped drug application with the … [FDA]
Gilead’s financial well-being. Riordan to raise $42 million. As Riordan covering a compound, cidofovir
spent a year working for Menlo Ven- prepared to turn to Wall Street as a injection, for the treatment for CMV
tures, learning the vagaries of ven- source of research and development retinitis. The compound was bran-
ture capitalism. … [He] directed the capital, Gilead scientists were hard ded as Vistide by Gilead, a product
company’s research toward the dis- at work developing small molecule that would figure prominently in
covery of drugs designed to cure or antiviral therapeutics, research the company’s future. … As expec-
to mitigate the effects of viral disea- that was based on nucleotide com- tations rose for the introduction of
ses, particularly sexually transmitted pounds that had been licensed from Vistide, Gilead had yet to generate
diseases (STDs), and notably the two European academic laborato- any profits. During fiscal 1995, it
most notorious of all STDs, HIV. For ries. Toward the end of January 1992, generated $4.9 million in revenue
the name of his company, Riordan Gilead completed its IPO, an offering thanks to its collaborative relation-
drew his inspiration from the history that resulted in $86.25 million in ship with Glaxo, but otherwise the
of the ancient Middle East, where proceeds. … Roughly six months financial highlights of Gilead’s first
a region known as Gilead gained after Gilead’s debut on the NASDAQ, eight years of business were non-
recognition for a medication called the company had yet to introduce existent. … As its 15th anniversary
the balm of Gilead, considered the a pharmaceutical product. Instead, approached, Gilead sharpened its
world’s first genuine pharmaceu- revenue was derived from research focus on its expertise in infectious
tical product. … Riordan founded and development projects conduc- diseases. In November 2001, the
Gilead in June 1987. The following ted in partnership with other par- company received FDA approval for
year he raised $2 million from his ties. The company’s work to combat a new HIV treatment drug it named
venture capitalist sources. With the cancer, undertaken at the behest Viread. Later in the month, the
infusion of capital, Riordan moved of Glaxo, represented one such company sold its oncology business
the company to Foster City, Califor- project. By mid-1992, the company to OSI Pharmaceuticals, Inc. for ap-
nia, where Gilead scientists focused also was working on a program proximately $170 million, shedding
their efforts on developing phar- tied to the U.S. Defense Depart- its involvement in developing drugs
maceuticals to fight viral diseases, ment’s Advanced Research Projects to treat cancer so more attention
cardiovascular disease, and cancer. Agency. Under the specifications of could be paid to infectious diseases«
The company’s research centered the project, Gilead scientists were (Pederson 2003).

Jahr auf dem Markt generierte Sovaldi 2014 einen Das Thalidomid-Derivat Revlimid folgte 2005,
Umsatz von 10 Mrd. US$. Das International direc- ihm wird ein Blockbuster-Potenzial zugetraut
tory of company histories gibt einen guten Überblick (. Tab. 2.32). Zudem steigt Celgene in neueste Bio-
zu den frühen Jahren der Gesellschaft (7 Die An- tech-Disziplinen ein, wie der Branchendienst EXO-
fänge von Gilead Sciences). ME/Xconomy informiert:
Celgene fokussierte sich erst ab 1992 auf Phar-
mazeutika, entwickelte dann aber sehr erfolgreich
»» Celgene has gotten its hooks into some of the
best venture-backed companies in the hottest
den Wirkstoff Thalidomid in der Indikation On-
areas of biomedicine. These young companies
kologie (7 Vom Celanese Spinoff zu Krebs-Medi-
are leaders in epigenetic-based drug develop-
kamenten), der 1998 die US-Zulassung erhielt.
2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
111 2

Vom Celanese Spinoff zu Krebs-Medikamenten


»Celgene of Summit, New Jersey, limbs. The drug exhibits anti-an- subsequently approved as a cancer
was formed in the mid-1980s as giogenic properties – it inhibits the drug. The benefits for patients
a dedicated biotechnology unit formation of blood vessels – which are significant: Thalomid extends
within the Celanese Corporation, cause deformities in developing fe- the lives of myeloma patients an
an American manufacturer of ma- tuses but deliver therapeutic bene- average of 22 months; Revlimid,
terials and chemicals. It became an fits to cancer patients by cutting off which is used in patients who do
independent entity following the blood supplies to tumor cells. The not respond to Thalomid, provides
merger of Celanese and the Ameri- compound also has immunomo- an additional 11 months of life, on
can Hoechst Corporation. Celgene dulatory effects, which make it an average. With the market success
initially pursued strains of bacteria effective treatment for autoimmune of Thalomid, Celgene became pro-
to dissolve toxic wastes, but its focus disorders. Barer was confident that fitable in 2003, after accumulating
shifted to drug development in the thalidomide’s medicinal value could hundreds of millions of dollars in
early 1990s. In 1994, Celgene Presi- overcome public fears evoked by debt from a decade and a half of
dent Sol Barer made a daring move: the name. The drug’s tainted history intensive R&D and two expensive
he dedicated the company’s R&D made the process of securing FDA acquisitions (Signal Pharmaceuticals
resources to a compound derived approval for Thalomid, the compa- and Anthrogenesis Corporation). It
from thalidomide, a drug that had ny’s first drug and a thalidomide has grown into one of the world’s
become infamous in the early 1960s derivative, a costly struggle. In 1998, largest biopharmaceutical com-
when it was prescribed to expectant however, sales were authorized for panies, and continues to pursue
mothers in Europe and the Großbri- the treatment of leprosy. A second the discovery and development of
tannien to prevent morning sickness thalidomide derivative, Revlimid, drugs for cancer and inflammatory
but, tragically, caused thousands was approved in 2005 to treat mul- diseases« (Life Sciences Foundation,
of babies to be born with stunted tiple myeloma. Thalomid was also Celgene).

ment, cancer metabolism, antibody drugs, (751 Mio. US$), beides Neuaufsteiger in die Top-10.
gene therapy, immunotherapy, and regenera- Denn der Antibiotika-Spezialist Cubist Pharmaceu-
tive medicine. If even one-fourth or one-fifth ticals, dessen Umsatz 2013 über 1 Mrd. US$ lag, ent-
of these companies do what they say they are fällt für 2014 aus der Statistik (. Abb. 2.14). Ende 2014
aspiring to do, Celgene will win big. (Timmer- schlug die US-Merck zu und kündigte die Übernah-
man 2013) me von Cubist an, die sie im Januar 2015 zu einem
Preis von 9,5 Mrd. US$ abschloss. . Abbildung 2.19
Andere aufstrebende Firmen entfielen der Statistik zeigt zusammenfassend eine Übersicht zu ausge-
ab Mitte 2000 durch Übernahme seitens Pharma- wählten Top-Firmen und gibt Auskunft über das
Unternehmen (MedImmune, Chiron und Cepha- Gründungsjahr sowie wichtige Meilensteine wie
lon). Die Aufkäufe von Genentech (2009 von Ro- Zulassung von Produkten, Überschreiten der Um-
che) und Genzyme (2011 von Sanofi) werden um- satzgrenze von 1 Mrd. US$ sowie Übernahmen.
satzmäßig zum Teil wettgemacht durch jüngere, sich Zu erwähnen bleibt, dass es neben den guten
etablierende Firmen wie Regeneron, Alexion und Entwicklungen auch Hunderte von Misserfolgen
Vertex. Unter den Top-10 nach Umsatz befanden gab: So zählte der frühere Datendienst Recombi-
sich 2014 mit je über 1 Mrd. US$ noch die Gesell- nant Capital allein für 2002 mindestens 30 Projekte,
schaften IDEXX Laboratories und United Thera- die in Phase II oder Phase III scheiterten. Der Pio-
peutics sowie, etwas abgeschlagen, Myriad Genetics nier Human Genome Sciences, den GlaxoSmith-
(778 Mio. US$) und BioMarin Pharmaceuticals Kline 2012 für 3,6 Mrd. US$ kaufte, erzielte von 21
112 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft



< Roche 100 % (46,8)*

Marktauftritt
< Sanofi (20)
Eigener Marktauftritt


Eigener
FP>F-IX
 SM>MS > Onyx

2  > Micromet

< Novartis (5,4)


10 Jahre

< AHP (1,25), umbenannt in Wyeth < Pfizer


 > BioVex

firmiert unter Janssen Biotech


 AK>RANK

< Amgen (16)

< J&J (2,4)



 13 Mrd. FP>ITP

< J&J (4,9)


 AK>EGFR
 > Abgenix GAAase

 AK>VEGF AK>a4ß1 KGF > ILEX
 AK>IgE > IDEC GLAase
 > Immunex
10 Jahre

 1 Mrd. ARA 1 Mrd. 960 Mio. 1 Mrd. BNP



 1 Mrd.
 AK>HER2 AK>TNF FP>TNF TSH
 AK>CD20
 IFNβ TPA

 C7E3-Fab GCase
 DNAse IFNβ
 PIII-Flop 1 Mrd. F-VIII IL-2
10 Jahre

 G-CSF > Cetus GM-CSF


 < Roche (60 %)

Rekombinante Peptidhormone
 HBsAg EPO


Scios (California Biotech)


 TPA
 IFNα IFNα HBsAg
Fusionsproteine

 HGH
Genetics Institute

Enzymersatz


Therapeutische AK

Immunex

Genzyme


Chiron

 INS
Amgen
10 Jahre

Centocor




Genentech

 Biologikum, auf Markt über Partner


Biogen

 Biologikum, eigene Vermarktung



1. Generation
(Ca. 800 Firmen, davon 150 public, davon 9 mit Medikamenten auf dem Markt)

AK> Antikörper, zielend auf F Faktor


AMD Altersbedingte Makuladegeneration FH Familiäre Hypercholesterinämie
ARA Aranesp FP> Fusionsprotein, zielend auf
AS> Antisense, zielend auf GAAase Glucosidase
ASBase Arylsulfatase B GALNS N-Acetylgalactosamin-6-sulfatase
BNP B-type natriuretic peptide GCase Glucocerebrosidase
C7E3-Fab Abciximab (ReoPro) G-CSF Granulocyte-colony stimulating factor
CD20 B-Zell-Marker GLAase Galactosidase
CLL Chronische lymphatische Leukämie GM-CSF Granulocyte macrophage colony-stimulating factor
CMV Cytomegalovirus ENL Erythema Nodosum Leprosum
EPO Erythropoietin HBsAG Hepatits-B-Antigen

. Abb. 2.19 Ausgewählte Top-US-Biotech-Firmen auf einen Blick


2.2 • Genentech & Co.: Aufkommen einer KMU-geprägten Industrie in den USA
113 2

< Amgen
2015

(10)
KI>CLL SM>PsA GALNS 2014

Eigener Marktauftritt

Eigener Marktauftritt
< AstraZeneca (16)
NA>HCV SM>MM 2 Mrd. 1 Mrd. 2013
< Lilly (6,5)

< Biogen (6,6) = BiogenIdec

< Takeda (9)


> Pharmasset > Avila FP>VEGF SM>CF PI>MM 2012
> Calistoga FP>AMD SM>HCV 2011
< Warner-Lambert (2,2) < Pfizer

> CGI Ph. > Abraxis 2010


> CV Th. SM>TCL 2009
> Pharmion FP>IL-1 2008
SM>PAH 1 Mrd. AK>PNH 2007
> Myogen SM>MM 2006
SM>MDS KI>NK 2005
AK>Her1 1 Mrd. 1 Mrd. 2004
> Triangle VZ>INFV PI>MM IDUAse 2003
NA>HBV 2002
NA>HIV 2001

Millennium Pharmaceuticals
> Signal 2000

Enzymersatz
PA>INFV SM>HIV 1999

BioMarin
SM>ENL AK>RSV 1998

Alexion Pharmaceuticals
Onyx Pharmaceuticals
SM>HIV AK>CD20 1997
NA>CMV

Genomics
1996
1995
Regeneron Pharmaceuticals

1994
Vertex Pharmaceuticals
Rationales Drug-Design

1993
Therapeutische AK

1992
Fusionsproteine
Nukleotidanaloga

1991
Gilead Sciences

MedImmune
Agouron Pharmaceuticals

ab 92 Pharma
Idec Pharmaceuticals

1990
Rationales Drug-Design

Therapeutische AK

1989
Celgene
Therapeutische AK
Imclone Systems

1988
1987
*Roche kauft restliche 44 % Anteile, die sie noch nicht besitzen; in
1986
1999 erfolgte bereits eine Übernahme zu 100 %, ergänzend zur 1.
Beteiligung mit 60 % aus 1990; kurze Zeit später wurden 44 % 1985
Anteile wieder öffentlich verkauft 1984
1983
Heute noch eigenständige Firma 1982
< übernommen von (Preis in Mrd. US$ in Klammern) 1981
> Übernahme von 1980
X Mrd. Umsatz liegt bei X Mrd. US$ 1979
Zeit von Gründung bis 1. Produkt auf dem Markt 1978
Small Molecule, auf Markt über Partner
1977
Small Molecule, eigene Vermarktung
© BioMedServices 2015 1976
2. Generation 3. Generation
(Ca. 1000 Firmen, davon 180 public, davon 18 mit Medikamenten auf dem Markt) (Ca. 2500 Firmen, davon 400 public)
HBV Hepatitis-B-Virus INFV Influenza-Virus PsA Psoriasis-Arthritis
HER1&2 Human epidermal growth factor receptor INS Insulin SM> small molecule , zielend auf
HGH Human growth hormone MDS Myelodysplastisches Syndrom TCL T cell lymphoma (T-Zell-Lymphom)
HIV Human immunodeficiency virus MM Multiples Myelom Th. Therapeutics
IDUAse Iduronidase MS Multiple Sklerose TPA Tissue plasminogen activator
KI> Kinase-Inhibitor, zielend auf NA> Nukleotidanalogon, zielend auf TSH Thyroidea-stimulierendes Hormon
KGF Keratinocyte growth factor NK Nierenkrebs VEGF Vascular endothelial growth factor
IFN Interferon PA> Peptidanalogon, zielend auf VZ> Vakzin, zielend auf
IgE Immunglobulin E PAH Pulmonale arterielle Hypertonie
IL-2 Interleukin-2 PI> Proteasom-Inhibitor, zielend auf
ITP Idiopathische thrompozytopenische Purpura PNH Paroxysmale Nächtliche Hämoglobinurie

. Abb. 2.19 Fortsetzung


114 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

2.3 Eigentlich existieren Firmen mit


klinischen Entwicklungen nur zwei (10 %!) Zulas- Biotech-Aktivitäten seit rund 100
sungen. Bis zur Übernahme war er in zwölf Run- Jahren
2 den mit insgesamt 3,8 Mrd. US$ finanziert worden.
Und selbst bei anderen heute erfolgreichen Firmen Die in 7 Abschn. 2.2 skizzierte Entwicklung einer
lief nicht immer alles glatt: KMU-geprägten Biotech-Industrie in den USA darf
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bereits da-
»» For example, Biogen halted certain of its Phase vor Firmen mit Biotech-Aktivitäten gab. Allerdings
II trials of Antova, including its transplantation
fokussierten sich diese auf die »alte« Biotechnolo-
and MS trials due to thrombo-embolic events
gie. Und definiert man die Biotech-Branche als Be-
seen in some of the trials. ISIS fell more than
triebe, die biowissenschaftliche Erkenntnisse und
60 percent after it announced its pivotal trial
deren technische Anwendung (Biotechnologie)
of ISIS 2302 for Crohn’s disease did not demon-
wirtschaftlich umsetzten, so trifft dieses Merkmal
strate efficacy. Toward the end of 1999, a FDA
auch auf das Ernährungshandwerk zu, das unter
advisory committee voted that Gilead’s Pre-
anderem Bäcker, Winzer oder Bierbrauer umfasst.
veon for HIV failed to demonstrate safety and
Letztere produzieren ihre Waren grundsätzlich
efficacy. (Ernst & Young 2000)
mithilfe biotechnologischer Prozesse. Das Glei-
che gilt für Teile der Nahrungsmittelindustrie, die
Rund 20 Jahre nach Gründung der Industrie, bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
1998, lagen 200 der über 300 börsennotierten Fir- entstand. Obwohl beide Sektoren Biotechnologie
men mit ihrem Marktwert unter der Grenze von wirtschaftlich nutzen, werden sie im Allgemeinen
100 Mio. US$. Allianzen, die denselben Betrag nicht als Biotech-Industrie erachtet.
überschritten, wurden damals als etwas Beson- Die ersten Firmen, die die Biotechnologie
deres gefeiert. Und nach dem Börsenkollaps von kommerziell nutzten, entwickelten sich zum Ende
2001/2002, der auch die US-Biotech-Industrie traf, des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Eigent-
mussten rund 60 Firmen restrukturieren, um Kos- lich müsste daher derzeit bereits das 100-jährige
ten zu sparen, obwohl fast alle zuvor im Boom si- Jubiläum der Biotech-Industrie gefeiert werden. Zu
gnifikante finanzielle Mittel aufgenommen hatten. dem Zeitpunkt gründeten sich Firmen, die sich mit
Ungefähr die Hälfte davon führte auch ein De-Lis- der mikrobiellen Fermentation von (Fein-)Chemi-
ting von der Börse durch. kalien und Pharmazeutika beschäftigten. Deutsche
Aber der Stein ist ins Rollen gekommen: Unternehmen zählten dabei weltweit zu den Pio-
aktuelle Höchstwerte bei der Marktkapitalisierung, nieren. Biotechnologische Verfahren schienen vor
neue Medikamente und vor allem immer wieder einer breiten Durchsetzung zu stehen, sie konkur-
neue Firmen (. Tab. 2.33), die von der guten Kapi- rierten mit den chemisch-synthetischen Prozessen.
talmarkt-Stimmung in den USA in den Jahren 2013 Diese gewannen allerdings nach dem Ersten Welt-
und 2014 profitierten. krieg (1914–1918) kontinuierlich an Bedeutung. So
führten bis Mitte der 1990er-Jahre die mit ihrem
Stammsitz in Deutschland beheimateten Konzerne
2.3 • Eigentlich existieren Firmen mit Biotech-Aktivitäten seit rund 100 Jahren
115 2

. Tab. 2.33 Ausgewählte US-Biotech-Firmen, gegründet seit 2010. (Quelle: BioMedServices 2015)

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Markt-


wert)

2010 Aratana Therapeutika für Haus- 2013 2015: 18 Kandidaten


­Therapeutics tiere, SM und AK (35) (2014: 0 und 614 Mio. US$)

2010 Coherus ­BioSciences Biosimilars 2014 2012/2013: Deal mit Daiichi/Baxter, 2014: PIII
(85) Etanercept-Biosimilar, 55 Mio. US$ VC
(2014: 31 und 544 Mio. US$)

2010 Moderna RNS-Therapeutika – 2015: 450 Mio. US$ VC, 900 Mio. US$ cash,
­Therapeutics 45 × PK

2010 Ultragenyx SM/rekombinante 2014 2011: IND, 2015: 1 × PIII, 2 × PII, 3 × PI, 1 × PK
Pharmaceuticals Proteine, ultraseltene (121) (2014: 0 und 1,39 Mrd. US$)
Krankheiten

2010 Verastem SM (Target: Krebs- 2012 2013: IND, 2015: 1 × PII, 2 × PI


stammzellen) (63) (2014: 0 und 224 Mio. US$)

2011 Caribou Biosciences CRISPR-Cas – 2014: Deal mit Novartis


2015: 15 Mio. US$ VC-Serie A

2012 Kindred Biosciences Therapeutika für Haus- 2013 2015: 11 Kandidaten


tiere, SM und AK (53) (2014: 0 und 136 Mio. US$)

2013 Audentes Gentherapie – 2014: 43 Mio. US$ VC-Serie B, 2015: 3 Pro-


­Therapeutics gramme in PK

2013 Dimension Gentherapie (Hämo- – 2014: 30 Mio. US$ VC, gesamt 60 Mio. US$
­Therapeutics philie A) 2015: 4 Programme in PK

2013 Editas Medicine Therapeutika (CRISPR- – 2013: 43 Mio. US$ VC-Serie A


Cas9-, TALENs) 2014: Patent auf CRISPR-Cas-System

2013 Human Longevity Genomik, Mikrobiomik, – 2014: 70 Mio. US$ VC-Serie A


Stammzellen 2015: Deal mit Genentech

2013 Jounce Therapeutics Krebs-Immuntherapie – 2013: 47 Mio. US$ VC-Serie A

2013 Juno Therapeutics Krebs-Immuntherapie 2014 2013/2014: 120/134 Mio. US$ VC


(264) 2015: 6 × PI
(2014: 0 und 4,7 Mrd. US$)

2013 Rodin Therapeutics Epigenetik, ZNS-Thera- – 2014: 13 Mio. US$ VC-Serie A


peutika

2013 Spark Therapeutics Gentherapie 2015 2014: 73 Mio. US$ VC


(169) 2015: 1 × PIII, 1 × PI/II

2013 Spero Therapeutics Antibiotika – 2014: Deal mit Roche

2013 Synlogic Synthetische Biologie – 2014: 30 Mio. US$ VC-Serie A

2013 Syros Ph. Genregulation – 2014: 53 Mio. US$ VC-Serie B

2013 Twist Bioscience Synthetische Biologie – 2014: 26 Mio. US$ VC

2013 Zebra Biologics Biosuperior-AK-Thera- – Exklusivlizenz: Next Gen Combinatorial Anti-


peutika body and Peptide Library Technology

2014 Intellia Therapeutics CRISPR-Cas – 2014: 15 Mio. US$ VC-Serie A, u. a. Novartis


116 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.33 Fortsetzung

Jahr Firma Fokus IPOa Meilensteine (letzter Umsatz und Markt-

2 wert)

2014 Onkaido RNS-Therapeutika – Spin-off Moderna, 2014: 20 Mio. US$ VC-


­Therapeutics (Krebs) Serie A

2014 Unum Therapeutics Krebs-Immuntherapie – 2014: 12 Mio. US$ VC-Serie A


2015: 3 Programme

2014 Voyager Gentherapie – 2014/2015: 45/60 Mio. US$ VC


­Therapeutics 2015: 5 Programme

2015 Denali Therapeutics ZNS-Krankheiten – 2015: 217 Mio. US$ VC-Serie A

Zahl der weitesten Projekte (April 2015)


aFalls börsennotierte Firmen, Jahr und in Klammern Einnahmen (Mio. US$) des Börsengangs (IPO initial public offe-

ring); Firmen mit Marktwert > 1 Mrd. US$ in Fettdruck


AK Antikörper, IND initial new drug (Start PI), P Phase, PK Präklinik, SM small molecules, VC Venture-Capital

BASF, Bayer und Hoechst die internationale Rang- 55 1923: Yamanouchi Pharmaceutical (heute As-
liste der größten Chemie-Unternehmen an. Die tellas Pharma);
Fermentation konnte sich auf lange Sicht dagegen 55 1913: Sankyo Company (heute Daiichi Sankyo);
nur in wenigen Verfahrensnischen durchsetzen 55 1936: Eisai.
(Marschall 2000). Deutschland war – neben der
Schweiz – zudem die Wiege der pharmazeutischen Die japanische Industrie wird allerdings bei den
Industrie – über die Gründung von Tochterfirmen weiteren Betrachtungen nicht in den Fokus gestellt.
und die Einwanderung deutscher Gründer sozusa- In Deutschland blühte zur Jahrhundertwende
gen zum Teil auch diejenige der pharmazeutischen 1899/1900 der pharmazeutische Sektor. Man zählte
US-Industrie (. Tab. 2.34). über 600 Firmen, die Arzneimittel produzierten,
Bereits sehr früh gründete sich auch die japani- 250 davon wurden allein zwischen 1870 und 1900
sche Pharma-Industrie mit folgenden heute noch gegründet (Marschall 2000). Meist isolierten sie
zu den Top-50 der weltgrößten Pharma-Konzerne Wirkstoffe beziehungsweise Wirkstoffgemische
zählenden Unternehmen: aus Arzneipflanzen und Materialien tierischer
55 1781: Takeda Pharmaceutical Company; Herkunft oder gewannen diese aus mineralischen
55 1878: Shionogi & Company; Verbindungen. Aufgrund dessen und wegen dem
55 1885: Dainippon Sumitomo und Japan Brewery späteren Erfolg der chemischen Industrie wurde
Company (Vorläufer der Kyowa Hakko Kirin); das Land früher oft als »Apotheke der Welt« be-
55 1894: Fujisawa Pharmaceutical (heute Astellas zeichnet. In einigen Firmen fand darüber hinaus
Pharma); die Biotechnologie Anwendung (. Tab. 2.35).
2.3 • Eigentlich existieren Firmen mit Biotech-Aktivitäten seit rund 100 Jahren
117 2

. Tab. 2.34 Ausgewählte anfängliche pharmazeutische Firmen nach Gründungsjahr und Land. (Quelle: BioMed-
Services 2015)

Jahr Deutschland Schweiz USA Großbritannien

1668 Merck (Apotheke)a 1891: US-Tochter, Merck & Co.

1758 Geigyb

1817 Boehringer Mannheimc

1849 Pfizer (deutsche Gründer)

1858 Squibbd; Warner (gegründet 1856)e

1859 Cibab Beecham Groupf

1863 Bayer, Hoechstg

1871 Scheringh 1876: US-Tochter, Scheringi

1876 Eli Lilly

1880 Burroughs Wellcomef

1885 Boehringer Ingelheim

1886 Sandozb J&J; Upjohne

1887 Bristol-Myersd

1888 Abbott Laboratories; Searlee

1896 Roche

a1827 als Pharma-Firma; Firmen gehören heute zu, bNovartis, cRoche, dBristol-Myers Squibb (BMS), ePfizer,
fGlaxoSmithKline (GSK), gSanofi, hBayer, iMerck & Co. (nach 2. Weltkrieg als Schering-Plough)
J&J Johnson & Johnson

Die ersten industriell fermentativ hergestellten 1907 etablierten sich laut Marschall (2000) weitere
Chemikalien waren unter anderem die Milch-, Es- 25 Milchsäureproduzenten. So in Deutschland die
sig- und Zitronensäure. Der Chemiker Avery be- Gesellschaften Byk-Gulden aus Konstanz (heute zu
ziehungsweise seine Firma Avery Lactart Company Takeda gehörend), Schering aus Berlin (heute zu
produzierte 1881 Milchsäure erstmals kommerziell Bayer gehörend) sowie Merck aus Darmstadt. In
in den USA (Benninga 1990, 7 Erste industrielle Fer- den USA waren wichtige Vertreter DuPont, Ameri-
mentation in den USA). Andere Quellen schreiben can Maize Company und Clinton Foods Company.
das erste industrielle Fermentationsverfahren für Vorteil in den USA war, dass es dort den Roh-
Milchsäure der deutschen Boehringer Ingelheim stoff Mais im Überfluss gab, was letztlich eine
zu, die damit 1895 – zehn Jahre nach der Firmen- billigere Produktion ermöglichte. Als allerdings
gründung – startete. Sie war zeitweise Hauptum- im Jahre 1936 die US-Firma Monsanto Chemical
satzträger des Unternehmens. Zwischen 1895 und Company ein neues Verfahren zur chemischen
118 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.35 Übersicht zu ausgewählten Firmen mit frühen klassischen Biotech-Aktivitäten. (Quelle: BioMedServi-
ces (2015), u. a. nach Marschall (2000) und Vasic-Racki (2006))

Ab Jahr Biotechnische Produktion Wer


2 1890 Taka-Diastase (Enzyme) Japanischer Unternehmer Takamine in den USA

1895 Milchsäure Boehringer Ingelheim, Byk-Gulden, Schering, Merck (D), DuPont,


American Maize Company, Clinton Foods

1923 Zitronensäure Pfizer, Boehringer Ingelheim, Benckiser, Jungbunzlauer

1930 Technische Enzyme Röhm, Miles Laboratories (1978 Übernahme durch Bayer)

1930 Ephedrin (Hefe-Teilbiosynthese) Knoll (1975/2001 Übernahme durch BASF/Abbott)

1931 »Medizinische« Enzyme Luizym, Luitpold-Werke (1991 Übernahme durch Sankyo)

1939 Sorbose (Teilbiosynthese) Merck (Deutschland, größter Vitaminhersteller Europas)

1942 Penicillin Pfizer, Merck & Co., Lilly, Squibb, Abbott


Glaxo, ICI, Novo

1950 Penicillin, Streptomycin US-Lizenz: Hoechst, Bayer; auch Ciba-Geigy, Kyowa Hakko Kogyo

1952 Steroide Mercka, Scheringa, Syntex, Upjohn, Squibb, Pfizer, Glaxo

1954 Diagnostische Enzyme Boehringer Mannheim

1958 Aminosäuren Tanabe Seiyaku

ajeweilsdeutsche und US-amerikanische (Merck & Co., Schering-Plough)


ICI Imperial Chemical Industries

Heutzutage wird indes etwa 70 bis 90 % der Welt-


Erste industrielle Fermentation in den USA produktion an Milchsäure wieder fermentativ her-
»It is an amazing fact that, although all of these early gestellt.
developments in fermentation ‚technology‘ took pla- Die industrielle mikrobielle Gewinnung von
ce in Europe, the first commercial production of an Zitronensäure entwickelte ab 1923 die US-ameri-
industrial chemical by a fermentation process, that of kanische Charles Pfizer & Company, 1849 in New
lactic acid, took place in the United States of Ameri-
York durch die beiden deutschen Immigranten
ca. The United States had a number of disadvantages
in the evolution of chemistry and chemical techno- Pfizer und Erhart gegründet. Davor wurde die
logy in the nineteenth century, disadvantages which Substanz noch ausschließlich aus Zitrusfrüchten
persisted up to World War I. The country was slow in isoliert. 1938 stieg auch Boehringer Ingelheim in
picking up the new scientific thoughts coming from die Zitronensäure-Produktion mittels Gärverfah-
the other side of the Atlantic, and when they beca-
ren ein. Diese stellte das Unternehmen 1982 wieder
me known, was not always eager to accept the new
ideas. … In the practical application of chemistry ein, wie zuvor im Jahr 1972 auch die Fermentation
the United States also lagged behind, particularly in von Milchsäure. In der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
respect to Britian« (Benninga 1990) hunderts, 1962, erwuchs bei der biosynthetischen
Zitronensäure-Produktion eine zusätzliche größe-
re Konkurrenz in Europa durch die schweizerische
Synthese von Milchsäure startete, erwuchs damit Gesellschaft Jungbunzlauer. Sie übernahm 1988
eine starke Konkurrenz zum biotechnischen Ver- die deutsche Benckiser, die ebenfalls Zitronen-
fahren. Denn die chemisch produzierte Milchsäure säure mikrobiell produzierte, und sie zählt heute
zeichnete sich durch eine gleich bleibende Quali- – neben chinesischen Anbietern – noch zu den
tät, hohe Reinheit und einen niedrigeren Preis aus.
2.3 • Eigentlich existieren Firmen mit Biotech-Aktivitäten seit rund 100 Jahren
119 2
größten Herstellern dieser Substanz. Im Gegensatz In Deutschland produzierten ab 1950 die che-
zur Milchsäure ist die Zitronensäure wegen ihrer misch-pharmazeutischen Großunternehmen Peni-
verzweigten Struktur nicht in einem chemischen cillin lediglich unter US-Lizenzen. Buchholz (1979)
industriellen Produktionsverfahren herstellbar. beschreibt folgende Beispiele:
Die kommerzielle Nutzung extrazellulärer mi-
krobieller Enzyme erfolgte zwar bereits 1890 in den »» Die Amerikaner stellen ab 1950 know how für
USA, 1908 produzierte aber dann die 1907 gegrün- die großtechnische Penicillin-Fermentation
dete Darmstädter Firma Röhm & Haas das erste und einen leistungsfähigen Stamm von Schim-
industriell verwendete technische Enzymprodukt melpilzen zur Verfügung. Damit wird 1950 die
zur Ledergerbung. Zuvor musste zur Behandlung Großproduktion bei Hoechst aufgenommen.
von Fellen und Häuten Hundekot und Taubenmist 1952 nimmt auch Bayer in Elberfeld eine Groß-
verwendet werden. Bis Ende der 1920er-Jahre war anlage für die Penicillinfabrikation in Betrieb.
es noch ein aus Rinder- und Schweinepankreas 1952 beginnt in Hoechst die Streptomycinher-
extrahiertes Enzymgemisch, ab den 1930er-Jahren stellung, später werden weitere mikrobielle
wurde es biotechnisch gewonnen. Das Verfahren Prozesse zur Gewinnung von Hormonen über-
entwickelte jedoch die 1911 gegründete US-Toch- nommen. (Buchholz 1979)
tergesellschaft Rohm & Haas Company. Weitere
Unternehmen, die früh Enzyme fermentativ her- Marschall (2000) erwähnt, dass die deutschen Fir-
stellten, waren Miles Laboratories (USA, heute men von den in den USA entwickelten leistungs-
Bayer), Société Rapidase (Frankreich, heute DSM) fähigeren Submersverfahren profitierten und dass
sowie die Schweizerische Ferment (heute zu Novo ihr Know-how zu Pilzen (Penicillin-Produzent,
Nordisk gehörend). genauer Aspergillus niger geringer war. Die klei-
neren, traditionell pharmazeutisch und natur-
stofforientierten Firmen wie Merck oder Schering
2.3.1 Biotechnologie für die mussten Mitte der 1950er-Jahre zwar, was neueste
Arzneimittel- und Diagnostika- Fermentertechniken betraf, auch auf US-Lizenzen
Produktion zurückgreifen; ihr Know-how zu Mikroorganismen
war jedoch größer, und so wurden nach dem Zwei-
Der Siegeszug der biotechnologischen Verfahren ten Weltkrieg Merck und Schering als führend in
für die Produktion von Arzneimitteln begann als der mikrobiellen Steroidtransformation erachtet.
1942 in den USA die großtechnische mikrobielle Die 1668 als Apotheke und 1827 als Pharma-
Fabrikation von Penicillin als Antibiotikum in An- Firma gegründete Merck rief bereits 1895 eine
griff genommen wurde. Zuvor hatte die deutsche bakteriologische Abteilung ins Leben und führte
Bayer zwar 1935 das erste Mittel gegen bakterielle 1939 mikrobielle Stoffumwandlungen (Sorbose zu
Infektionen auf den Markt gebracht. Das chemisch Vitamin C) durch. Sie erwuchs damit zum größten
synthetisierte Sulfonamid war dem neuen Penicil- Vitaminhersteller Europas. 1956 baute die Gesell-
lin in seiner Wirkung aber unterlegen. Es hatte eine schaft eine mikrobiologische FuE-Einheit auf und
gewisse militärische Bedeutung, weshalb es 1943 galt 1973 mit der ersten computergesteuerten Fer-
schon 22 Penicillin-Anbieter gab. mentationsanlage als Vorreiter (Marschall 2000).
Im Ausland verfolgten die biotechnologische 2007 erfolgte die Übernahme der schweizerischen
Antibiotika-Produktion beispielsweise Pfizer, Serono, die sich bereits sehr früh mit der neuen
Merck & Co., Squibb, Abbott und Lilly in den USA, Gentechnik beschäftigte und seit 1989 entspre-
Glaxo und ICI (Imperial Chemical Industries) in chend hergestellte Wachstumsfaktoren und Fertili-
Großbritannien sowie Novo in Dänemark. Steroide tätshormone anbot. 1998 kam das Multiple-Sklero-
produzierten ab 1952 in den USA ebenfalls Pfizer, se-Mittel Rebif, ein rekombinantes Interferon dazu.
Merck & Co. und Squibb. Es kamen noch Syntex, Merck selbst vertreibt seit 2004 den von ImClone
Upjohn und Schering-Plough dazu. In Großbritan- entwickelten Krebs-Antikörper Erbitux. Eine gute
nien war in diesem Sektor ferner Glaxo aktiv. Übersicht zur frühen Historie von Merck bietet
120 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

»Merck in Darmstadt – seit bald 350 Jahren«


»Merck ist das älteste forschende Apothekerkollegen, Chemikern und Unternehmen [in Europa auftretend

2 pharmazeutisch-chemische Unter-
nehmen der Welt. Seine Wurzeln
Ärzten an. Es entstand ein Bedarf,
der deutlich über dem der eigenen
als Merck, Sharp & Dome, MSD].
… Merck erzielte über viele Jahre
reichen zurück bis ins 17. Jahrhun- Apotheke lag. Eine Produktion ‚im hinweg zweistellige Zuwachsraten
dert. 1668 erwarb der aus Schwein- Großen‘ war notwendig geworden beim Umsatz, der sich allein zwi-
furt stammende Apotheker Friedrich – und so entwickelte sich eine phar- schen 1950 und 1957 verdreifachte.
Jacob Merck die spätere Engel-Apo- mazeutisch-chemische Fabrik. Nach Im selben Zeitraum wuchs die Beleg-
theke in Darmstadt. Sie befindet sich dem Tod von Heinrich Emanuel schaft von 3.702 auf 5.856 Personen.
bis heute im Familienbesitz. 1816 Merck im Jahr 1855 wurde das konti- Nach 1966 unterlag die Konjunktur
übernahm Heinrich Emanuel Merck, nuierlich wachsende Unternehmen größeren Schwankungen. Bei Merck
ein Enkel des Schriftstellers und Na- von seinen Söhnen Carl, Georg und hingegen gab es weiterhin Jahre mit
turforschers Johann Heinrich Merck, Wilhelm weitergeführt. Mit etwa 50 zweistelligen Wachstumsraten, aller-
die Apotheke. Bereits während Mitarbeitern stellten sie Arzneimit- dings auch solche mit nur geringem
seiner für diese Zeit ungewöhnlich telgrundstoffe sowie eine Vielzahl Zuwachs oder – wie 1975– einem
guten wissenschaftlich-pharmazeu- weiterer Feinchemikalien her. … Auf realen Umsatzrückgang. Insgesamt
tischen Ausbildung beschäftigte die Verdopplung von Belegschaft ist Merck weiter kräftig gewachsen;
er sich mit der Chemie pflanzlicher und Produktion im Jahrzehnt von im Jahr 1980 überschritt der Jahres-
Naturstoffe. Im Apothekenlabor 1914 folgten nach dem Ausbruch des umsatz erstmals die Grenze von
gelangen ihm die Isolierung und Ersten Weltkriegs Jahre des Roh- einer Milliarde DM. In der Behand-
Reindarstellung von Alkaloiden, stoff- und Arbeitskräftemangels. Das lung von Schilddrüsenerkrankungen
einer Klasse von hochwirksamen Exportgeschäft kam praktisch zum ist Merck außerhalb der USA das
Pflanzeninhaltsstoffen, denen we- Erliegen. In Folge des Ersten Welt- führende Unternehmen. Der Fokus
gen ihrer medizinischen Wirkung krieges verlor Merck seine Auslands- der Forschung liegt auf den thera-
die besondere Aufmerksamkeit der niederlassungen. Auch die 1891 in peutischen Gebieten Onkologie,
Wissenschaft galt. Mit dem »Pharma- den USA gegründete Tochterfirma neurodegenerative Erkrankungen,
ceutisch chemischen Novitäten-Ca- Merck & Co. wurde enteignet und ist Fruchtbarkeit, Autoimmun- und
binet« stellte Merck 1827 die damals seither ein von Merck in Darmstadt Entzündungskrankheiten« (Berufs-
bekannten Alkaloide vor und bot sie völlig unabhängiges amerikanisches start 2014).

die Unternehmensbeschreibung aus der Berufs- ist der Name Schering komplett verschwunden
start Printpublikation Unternehmen stellen sich vor (7 Auszüge aus der Geschichte Scherings).
(7 »Merck in Darmstadt – seit bald 350 Jahren«). Biochemisches und mikrobiologisches Know-
Schering, 1871 gegründet, betrieb seit 1923 For- how baute früh auch Boehringer Mannheim
schung zu Sexualhormonen und brachte im Juni (7 Geschichtlicher Überblick zu Boehringer Mann-
1961 Anovlar auf den Markt, das erste Präparat zur heim) in seinem Forschungslabor in Tutzing am
hormonalen Empfängnisverhütung in Deutsch- Starnberger See auf: 1946 begannen erste bioche-
land. 1957 startete der Aufbau der Mikrobiologie, mische Arbeiten und 1954 folgte die fermentative
und 1979 folgte die Gründung der Berlex Labora- Produktion von Enzymen in Schimmelpilzen. Sie
tories, die als neues Standbein in den USA über fanden Verwendung im ersten enzymatischen La-
eigene Forschungs-, Produktions- und Vertriebs- bortest zur Bestimmung von Alkohol im Blut (Fi-
kapazitäten verfügte (die frühere US-Tochtergesell- scher 1991). Ein erster Test für die enzymatische
schaft wurde durch die US-Regierung enteignet). Bestimmung des Blutzuckers erreichte 1960 den
Berlex kooperierte mit dem US-Biotech-Unterneh- Markt. 1977 agierte – zunächst noch in Tutzing –
men Chiron für die Entwicklung von Betaseron, eine Gruppe Genetik, die dann 1980 in eine Ab-
einem rekombinanten Interferon zur Behandlung teilung für Molekularbiologie überging. 1987 wurde
der multiplen Sklerose, das 1993 und 1995 die Zu- das biochemische Forschungszentrum in Penzberg
lassung in USA und Deutschland erhielt. Es ist erbaut. Im Jahr 1997 übernahm die schweizerische
das erste Biologikum für diese Indikation. 2006 Roche das Unternehmen für rund 10 Mrd. €, was
übernahm dann Bayer die Gesellschaft und fir- in etwa dem 24-fachen des Boehringer-Gewinns
mierte sie um in Bayer Schering Pharma. Seit 2011
2.3 • Eigentlich existieren Firmen mit Biotech-Aktivitäten seit rund 100 Jahren
121 2

Auszüge aus der Geschichte Scherings


»Der Chemiker Ernst Schering Sofort nach dem Krieg besetzt die 1950 zahlreiche Entlassungen und
suchte Mitte des 19. Jahrhunderts Rote Armee die Fabriken und be- die Einführung von Kurzarbeit. Doch
einen Laden, um darin eine Apo- ginnt mit der Demontage der Ferti- schon 1951, im hundertsten Jahr
theke zu eröffnen. 1851 fand er in der gungsanlagen. Während die Werke seines Bestehens, ging es wieder
Chausseestraße 17, außerhalb der in Adlershof, Spindlersfeld und in bergauf. … 1960 ist Schering in 102
Stadtmauer hinter dem Oranienbur- Eberswalde verloren sind, kann die Ländern vertreten. Als ein Jahr spä-
ger Tor, ein dreistöckiges Gebäude, Zentrale im Wedding nach dem ter die Mauer gebaut wird, verliert
die Schmeißersche Apotheke. Er Einzug der West-Alliierten langsam vor allem das Weddinger Hauptwerk
kaufte das Haus und gründete dort wieder aufgebaut werden. Selbst zahlreiche Mitarbeiter aus den öst-
die ‚Grüne Apotheke‘. … Mit einem während der Blockade 1948/1949 lichen Bezirken. … Als im Frühjahr
Gründungskapital von 500.000 Ta- gelingt es, die Produktion aufrecht 2006 bekannt wurde, dass die Firma
lern wandelt er die Firma 1871 in eine zu erhalten und sogar Exporte Merck eine Übernahme der Sche-
Aktiengesellschaft um. … Als Ernst durchzuführen. Allerdings geht der ring-Aktien plant, gab es ein Rennen
Schering 1889 stirbt, hinterlässt er Großteil dieser Verkäufe sowieso in zwischen ihr und Bayer aus Lever-
nach 48 Jahren eine weltweit ver- die Sowjetisch besetzte Zone, bis kusen. Letztendlich setzte sich Bayer
kaufende und produzierende Firma. zur Gründung der DDR im Herbst durch, zwar gegen den Willen der
Ab 1933 ändert sich auch bei Sche- 1949. Da Schering nach dem Krieg meisten Schering-Beschäftigten, die
ring einiges. Das Vorstandsmitglied auch sämtliche Produktionsstätten jedoch noch weniger für eine Über-
Paul Neumann flieht aus Deutsch- in anderen Ländern verloren hat, nahme durch Merck plädierten. Im
land, sein Kollege Gregor Straßer musste die Firma tatsächlich wieder November 2010 gab Bayer bekannt,
dagegen wird 1934 von den Nazis er- sehr weit unten neu anfangen. Auch dass auch der Name Schering gestri-
mordet – im Zuge des angeblichen zahlreiche Absatzmärkte waren nun chen wird« (Kuhrt 2010).
‚Röhm-Putsches‘ gegen die SA. … verschlossen, deshalb gab es bis

entsprach. Roche ist somit heute noch am Standort 55 1970: Ciba-Geigy gründet Friedrich-Miescher-
Penzberg mit biotechnologischer Arzneimittel- und Institut (Molekularbiologie) in Basel;
Diagnostika-Produktion vertreten. Auch in Mann- 55 1970: Sandoz gründet Sandoz Forschungsinsti-
heim ist Roche als Roche Diagnostics vertreten. tut (klassische Biotech) in Wien;
Auf die klassische biotechnologische Produk- 55 1981: Sandoz gründet Sandoz Institute for Me-
tion bei Boehringer Ingelheim wurde schon ein- dical Research (SIMR) in London.
gegangen. Deren Aktivitäten in der »neuen« Bio-
technologie skizziert 7 Abschn. 4.6. Hier finden sich Am Roche Institute of Molecular Biology (RIMB)
auch weitere Details zu entsprechenden Entwick- isolierten Wissenschaftler 1980 reines Interferon
lungen bei den deutschen Chemie-Größen Bayer, alpha und begannen eine Kooperation mit Genen-
BASF und Hoechst. tech zur Produktion einer gentechnisch hergestell-
ten Version der Substanz.

2.3.2 Erste Aktivitäten der Etablierten »» Der ökonomische Erfolg in der Gentechnik
in der »neuen« Biotechnologie steht und fällt mit der Fähigkeit, sich Erkennt-
nisse der Grundlagenforschung zugänglich zu
Bei den etablierten Unternehmen, die sich früh mit machen und sie zügig in industrielle Produkte
der modernen Biologie auseinandersetzten, ste- umzusetzen. Der Basler Multi hat deshalb
chen besonders diejenigen aus der Schweiz heraus: seinen eigenen Forschungsaufwand in der Bio-
55 1967: Roche gründet Roche Institute of Mole- technik in den letzten Jahren erhöht. Professor
cular Biology in Nutley, USA; 2012 geschlossen; Hürlimann [damaliger Roche-Forschungschef ]:
55 1968: Roche gründet Basel Institute for Im- ‚Man muß eine starke eigene Forschung ha-
munology (BII); 2000 umgewandelt in Roche ben, um Dinge, die sich in der Grundlagenfor-
Center for Medical Genomics, 2004 als eigen- schung abzeichnen, erkennen und aufgreifen
ständige Einheit im Handelsregister gelöscht; zu können‘. (Gehrmann 1984)
122 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Geschichtlicher Überblick zu Boehringer Mannheim


»The origins of Boehringer Mann- became interested in the production alkaloid products. The company was

2 heim can be traced to Kircheim,


Germany, where Christian Friedrich
of quinine. Boehringer thought that
quinine offered great prospects for
also a leader in the manufacture of
aromatic substances and flavorings,
Boehringer was born in 1791. At age the future of drug production and such as coumarin. In the 27 years
19, Boehringer moved to Stuttgart grew increasingly interested in its during which Engelhorn directed
to work as an assistant to the court purification. In 1859, the company the company, more than 700 patents
apothecary, Christian Gotthold purchased a quinine factory and were awarded, highlighting the
Engelmann. The two men became renamed itself C. F. Boehringer and aggressive and original research the
close friends, and in 1817, they ope- Sons, as Engelmann had died years company undertook when led by
ned a Goods and Paint Shop, which before and his children chose not to him. … One of the most important
was the 19th-century equivalent of remain in the business. C. F. Boehrin- events in the development of bio-
a modern drugstore. The store was ger died in 1867. Five years later, his chemical research at Boehringer
prosperous and, in the early 1830s, sons moved the company to Mann- Mannheim was the establishment of
the partners built a laboratory and heim, where entrepreneur Friedrich research facilities at Tutzing in Upper
began to manufacture some of their Engelhorn joined the firm in 1883. Bavaria. The Tutzing project began
own products. Among the first che- Engelhorn’s leadership would turn during World War II, when large
micals that Engelmann and Boeh- the company into a world-famous parts of the pharmaceutical pro-
ringer produced were ether, chloro- research-based enterprise. Engel- duction facilities were moved out of
form, and santonin, a bitter substan- horn took over sole control of the Mannheim to avoid Allied air raids of
ce drawn from wormseed blossoms company in 1892. The direct role of the city. Fritz Engelhorn, Friedrich’s
and still used today to ­treat round- the Boehringer family ended here, son and now head of the company,
worm. Early successes led them to as the founder’s grandson Albert kept a research branch in Tutzing
expand production, making sulfur, gave complete attention to his own after the war, designated to advance
saltpeter, ethyl ­acetate, potassium tartaric acid factory in Ingelheim. the new science of biochemistry. …
iodide, and silver nitrate. These first Albert placed his father’s initials, C. Diagnostics proved to be an area in
products found a ready local market H., in the name of his business to which the company would, in time,
in Stuttgart but also sold well in distinguish it from C. F. Boehringer be considered among the world
the rest of Germany and abroad in in Mannheim. Albert’s separate firm leaders. … By acquiring Boehringer
Switzerland. In the late 1840s, manu- later became Boehringer Ingelheim. Mannheim, Roche not only inherited
facturing became a major priority, Engelhorn’s leadership expanded a long history of innovation in bio-
as the partners and their sons built a the company’s research plan signi- medicine, it also became an instant
new laboratory and a tar and wood ficantly. He emphasized research leader in a new market, for the
vinegar factory in 1849. But it was into alkaloids as their curative company that evolved from a small
not until the 1850s that the future power became ever more evident, drugstore … had become a major
of the company was determined, and soon Boehringer Mannheim international force in diagnostic and
when Engelmann and Boehringer was producing a broad variety of therapeutic technology« (Pizzi 2004).

So betrug der jährliche Aufwand des Konzerns für die Forschung. 50 Wissenschaftler am Institut
gentechnische Forschung 1984 rund 110 Mio. CHF waren allesamt gleichberechtigt, Hierarchien und
(Gehrmann 1984). Am Institut in Basel arbeitete Abteilungen gab es nicht, die Forscher arbeiteten
zeitweise der deutsche Biologe Köhler. Dieser pub- je nach ihren selbstdefinierten Interessen in wech-
lizierte 1975 zusammen mit den Forschern Milstein selnden Gruppen zusammen (7 Roches Stärke in
und Jerne das Prinzip der Herstellung monoklo- der Zukunftstechnik). Laut Gehrmann (1984) wa-
naler Antikörper, entwickelt in Milsteins Arbeits- ren zehn der Wissenschaftler permanente Mitglie-
gruppe am Institut für Molekularbiologie der Uni- der des Instituts, von den restlichen 40 blieb jeder
versität Cambridge. Roche unterstützte sein Insti- im Durchschnitt vier Jahre. Bis Anfang der 1980er-
tut für Immunologie mit jährlich an die 40 Mio. Jahre hatten 350 Wissenschaftler aus 20 Nationen
CHF, nahm jedoch inhaltlich keinen Einfluss auf am Roche-Institut gearbeitet.
2.3 • Eigentlich existieren Firmen mit Biotech-Aktivitäten seit rund 100 Jahren
123 2

Roches Stärke in der Zukunftstechnik


»In 1947, for example, the Swiss and British research, were not only durch das benachbarte Nazi-Reich
pharmaceutical company Hoff- the result of important means put at entzogen. Der amerikanische Ab-
mann-la-Roche created a founda- the disposal of researchers, but also leger hat heute nicht nur eine starke
tion that exclusively supported of the ‚team-work‘ spirit that inspi- Stellung am großen US-Pharma-
‚team-work‘ research in biology and red them‘« (Strasser 2002). markt – wichtige Voraussetzung für
medicine. Grants were only awarded »Roches Stärke in der Zukunftstech- Unternehmen, die mit Erfolg neue
to multidisciplinary teams, such as nik kommt aus der Vergangenheit. Medikamente einführen wollen.
the biophysics group of Edouard In den zwanziger und dreißiger Das Roche-Forschungszentrum in
Kellenberger in Geneva, which Jahren ist der Konzern zweigeteilt Nutley/New Jersey – längst größer
assembled physicists, biologists and worden: Neben dem Stammhaus als das am Stammsitz Basel – hat die
chemists around electron microsco- in Basel wurden unter der Firma Bedeutung der in den USA aufkom-
py research. According to a member Sapac, die heute in Kanada sitzt, im menden Gentechnik auch schnell
of the first foundation committee in wesentlichen alle außereuropäi- erkannt – weit schneller jedenfalls
1963, ‚the impressive results achie- schen Geschäftsinteressen zusam- als die meisten Manager in Europa«
ved in the last years by American mengefaßt und so der Bedrohung (Gehrmann 1984).

Roche schließt das Schweizer Immunologie-Labor


»The Swiss-based pharmaceutical line of research in immunology. … 30 years ago, when the worlds of
company Roche announced this Roche has enjoyed significant ref- academia and the pharmaceutical
week that it is to close its prestigi- lected glory from the BII, which cost industry were strictly separate‘. But
ous Basel Institute for Immunology SFr40 million (US$24 million) per times have changed. ‚Academics
(BII), which has been home to three year to run. But it has not enjoyed and industry are now happy to work
Nobel prizewinners. The institute any profit, and has not picked up together synergistically‘, he says.
will be transformed into a medical a single lead from the institute’s The company will work much more
genomics centre … The move brings research. ‚The model Roche invented closely with the new Roche Center
to an end the 30-year experiment of was never taken up by other compa- for Medical Genomics than it did
a research institute being supported nies‘, points out Jonathan Knowles, with the BII, where he says that a
in its entirety by a pharmaceutical head of Roche’s global research lack of dialogue had become an
company, and given complete organization. Knowles says that ‚it issue of concern to the company«
academic freedom to pursue any was appropriate to support the BII (Abbott 2000).

»» [Der Institutsdirektor] Melchers: ‚So kommt 20 Jahre später entschied Roche allerdings, das BII
ständig neues Blut ins Institut, das ist eines nicht mehr als eigenständiges Institut zu finanzie-
unserer Erfolgsgeheimnisse.‘ Neben der Op- ren (7 Roche schließt das Schweizer Immunolo-
tion, Patente aus dem Institut als erster ver- gie-Labor), und 2012 folgte die Ankündigung zum
werten zu dürfen, ist für Roche von Vorteil, ein Aus des RIMB in Nutley in den USA. Die entspre-
offenes Fenster zur internationalen Spitzen- chenden FuE-Aktivitäten des Standortes werden an
forschung zu haben. Forschungschef Hürli- den Standorten Basel und Schlieren (Schweiz) und
mann resümiert: ‚Die räumliche Nachbarschaft Penzberg (Deutschland) konsolidiert.
zwischen Grundlagenforschern und Roche- Auch Ciba-Geigy sowie Sandoz, die später zu
Forschern – in Nutley ist sie noch enger als in Novartis fusionierten, engagierten sich schon 1970
Basel – ist sehr wichtig‘. (Gehrmann 1984) in der Molekularbiologie und in der klassischen Bio-
technologie. Ciba-Geigy etablierte neben dem Base-
124 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Frühe US-Biotech-Allianzen
»Analysis of the countries involved presence has been more steady rise, while Swedish participation has
2 in U.S.-Asian alliances shows Japan
involved in 94 percent of the 195
throughout the 7-year period. This
may have something to do with far-
been more evenly spread over the
analysis years. Belgium and Den-
deals made from 1982 through 1988. sighted Swiss pharmaceutical giants mark, with 10 agreements apiece,
… The leading players in U.S.-Euro- like Hoffmann-La Roche, Sandoz, make up a third tier of countries
pean alliances are the UK (74 deals), and Ciba-Geigy having played such when it comes to U.S.-European
Switzerland (63), and Germany (45). active partnership roles from the be- deals; Czechoslovakia, Finland, Ire-
Even though companies from each ginning. The European countries that land, Norway, and Spain represents
of these countries posted a record make up the second-tier in terms the fourth tier, with companies from
number of transatlantic biotechno- of U.S. alliance activity are Sweden each country having signed between
logy accords last year, the UK and (28 deals), France (28), Italy (25), and one and three pacts« (OTA 1991)
Germany have clearly boosted their The Netherlands (24). French, Italian,
participation, while Switzerland’s and Dutch accords are clearly on the

ler Friedrich-Miescher-Institut Anfang der 1980er- Nachdem Genentech 1978 den Beweis erbrachte,
Jahre eine US-amerikanische Tochtergesellschaft im dass die neue DNS-Rekombinationstechnik kom-
Research Triangle Park in North Carolina, die dort merziell erfolgreich angewendet werden kann
ein neues gentechnisches Forschungszentrum mit (7 Abschn. 2.2.1), verschafften sich viele etablierte
60 Leuten betrieb. Sandoz unterhielt zu der Zeit eine US-Unternehmen über Beteiligungen an den neu
eigene Gentechnik-Gruppe von 40 Leuten in Basel, geründeten Biotech-Firmen (. Tab. 2.36) Zugang
das Forschungsinstitut in Wien befasste sich zuneh- zur Gentechnik. Es waren allerdings weniger die
mend mit molekularbiologischen Fragen. etablierten Pharma-Konzerne, die diesen Schritt
taten. Vielmehr versprachen sich viele aus dem
»» Stärkstes Instrument von Sandoz beim Einstieg Chemie- und Agrarsektor zukunftsträchtige An-
in die Gentechnik ist die Tochterfirma Bioche- wendungen der Gentechnik.
mie im österreichischen Kundl. Aus einer ehe- Einen höheren Stellenwert nahmen bei den
maligen Brauerei hervorgegangen, produziert Pharma-Unternehmen hingegen Kollaborationen
die Firma vor allem Antibiotika, und beherrscht mit den jungen Biotech-Firmen ein. So verfolg-
die klassischen Techniken der Fermentation ten zum Beispiel sehr früh Lilly und Roche diesen
wie kaum eine andere. Selbst die Pionierfirma Weg, wodurch sie zu den Ersten gehörten, die von
Biogen griff schon auf die Dienste der Bioche- gentechnisch produzierten Medikamenten pro-
mie zurück: In Kundl ließ Biogen bislang sein fitierten. Sie kooperierten beide mit Genentech,
Alpha-Interferon herstellen. (Gehrmann 1984) Lilly ab 1978 zur gentechnischen Herstellung von
Insulin (Humulin) und Roche ab 1980 bezüglich
In den USA sondierten laut Hughes (2011) im Jahr rekombinantem Interferon alpha-2a (Roferon-A).
1977 rund 15 etablierte Firmen die industrielle An- Ihre Marktzulassung erhielten die beiden Medi-
wendung der Gentechnik. Noch Mitte der 1970er- kamente 1982 und 1986. Neben einem eigenen
Jahre war deren Haltung eine andere gewesen: Produkt von Genentech (Protropin, humanes
Wachstumshormon, Zulassung 1985) stellten sie
»» In the mid-1970s industry’s common watch­ die ersten beiden Arzneimittel dar, die die Gen-
word regarding recombinant DNA was ‚wait technik hervorbrachte. Daneben engagierten sich
and see‘. Only with evidence of commercial früh auch Schering-Plough und Merck & Co. So
feasibility were established corporations wil- erhielt zeitgleich zum Roferon-A von Genen-
ling to consider putting human and material tech/Roche das in Kooperation von Biogen mit
resources into trying to transform basic-sci- Schering-Plough entwickelte Interferon alpha-2b
ence technique of recombinant DNA into a (Intron A) die US-Zulassung. Ebenfalls 1986 reüs-
productive industrial technology. (Hughes 2011) sierte bei der FDA der von Chiron in einer Allianz
2.3 • Eigentlich existieren Firmen mit Biotech-Aktivitäten seit rund 100 Jahren
125 2

. Tab. 2.36 Frühe Beteiligungen etablierter US-Unternehmen an jungen Biotech-Unternehmen. (Quelle: OTA 1984)

Jahr Etabliertes Unternehmen Biotech-KMU Gegründet Mio. US$

1978–1981 International Nickel Company Biogen (mehrfach) 1978 8,71a


(INCO, Bergbau)

1978 Standard Oil of California (Öl) Cetus (Gentechnik ab 1978) 1971 12,9

1978 Standard Oil of Indiana (Öl) Cetus (Gentechnik ab 1978) 1971 14

1979 Schering-Plough (Pharma) Biogen 1978 8

1979–1980 Lubrizol (Chemie) Genentech (mehrfach) 1976 25a

1979–1980 Kopper (Kohle/Chemie) Genex (mehrfach) 1977 15a

1980 Abbott (Pharma) Amgen 1980 5

1980 Monsanto (Chemie/Agro) Biogen 1978 20

1981 American Cynamid Molecular Genetics 1979 5,5


(Chemie/Agro)
Cytogen 1980 6,75

1981 Campbell Soup (Nahrung) DNA Plant Technologies 1981 10

1981 Dow (Chemie) Collaborative Research 1961 5

1981 Kellogg (Nahrung) Agrigenetics 1981 10

1981 Rohm & Haas (Chemie) Advanced Genetic Systems 1979 12

1982 Baxter-Trevol (Pharma) Genetics Institute 1980 5

1982 Corning (Werkstoffe)b Genencor 1982 20

1982 Johnson & Johnson (Pharma) Enzo Biochem 1976 14

1982–1983 Martin Marietta (Werkstoffe) Molecular Genetics 1979 9,7

Chiron (mehrfach) 1981 7a

1983 Allied Corp. (Chemie) Genetics Institute 1980 10

1983 Cutter Laboratories (Pharma) Genetic Systems 1980 9,5

ain Summe, bzusammen mit Genentech

KMU kleine und mittlere Unternehmen

mit Merck & Co. entwickelte rekombinante Hepa- bei zwei lag. Führend bei diesen Aktivitäten waren
titis-B-Impfstoff Recombivax HB. wiederum die Schweizer Pharma-Konzerne mit 13
Der Bericht von OTA (1991) gibt an, dass bis Fe- Allianzen seitens Roche sowie je sieben Abkom-
bruar 1989 die 46 börsennotierten US-Biotech-Ge- men seitens Ciba-Geigy und Sandoz.
sellschaften im Schnitt sechs Allianzen eingegangen
waren, davon 3,5 mit Nicht-US-Partnern. Bei Letz- »» Although these represent a large number of all-
teren übernahmen Chiron (16 Abkommen), Biogen iances, the European corporate dealmakers have
(15) sowie Genentech (13) die Führung. Aus Sicht struck nowhere near the number of biotechno-
der europäischen Partner schlossen 62 % lediglich logy accords as the most active of U.S.-based
eine US-Biotech-Kooperation. 91 % dagegen gingen multinationals, such as Johnson & Johnson (23
bis zu drei Kollaborationen ein, wobei der Schnitt deals) and Eastman Kodak (20 deals). (OTA 1991)
126 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Die Biotech-Strategien der etablierten US-Konzerne Anfang der 1980er-Jahre


»Although a few pharmaceutical In 1982, established U.S. companies ple, is building a $15 million pilot
2 and chemical companies such as
Monsanto, DuPont, and Eli Lilly have
not only increased their equity
investments in NBFs but they also
plant to make proteins from rDNA
organisms; DuPont is building an
had biotechnology research efforts dramatically increased their in- $85 million life sciences complex; Eli
underway since about 1978, most of house investments in biotechnology Lilly is building a $50 million Biome-
the established U.S. companies now R&D programs. Capital investments dical Research Center with emphasis
commercializing biotechnology did for in-house R&D programs gene- on rDNA technology and immuno-
not begin to do so until about 1981. rally reflect the highest level of logy and a $9 million pilot plant and
… Since 1978, equity investments commitment to biotechnology, as lab for rDNA products; Bristol-Myers
in NBFs [new biotechnology firms], new facilities and employees are is building a new $10 million in an
often accompanied by research often needed to start the new effort. alpha interferon production plant in
contracts, have been a popular way Several U.S. pharmaceutical compa- Ireland« (OTA 1984).
for established U.S. companies to nies are spending large amounts on
gain expertise in biotechnology. … new facilities: G.D. Searle, for exam-

Neben der Möglichkeit der Kooperation (7 Frühe allein auf gentechnischem Wege effizient herstell-
US-Biotech-Allianzen) stellte eine besondere Form bar ist, eine schnellere Wirkung. Ein Insulin gegen
des Wissens- und Technologieerwerbs die Strategie Diabetes, dessen Wirkung länger anhält, ist der op-
dar, über die enge Zusammenarbeit mit Venture- timierte Wirkstoff Insulin glargin, der unter dem
Fonds Kontakte zu jungen Unternehmen zu knüp- Markenname Lantus in den USA sowie Optisulin
fen. Diesen Ansatz verfolgten erneut beispielsweise in Europa seit dem Jahr 2000 zugelassen ist. Sano-
die Schweizer Größen: fi-Aventis (heute nur noch Sanofi) entwickelte in
Eigenregie diese Abänderung, bei der die Amino-
»» Wie auch Sandoz und Roche beteiligte sich die säure Asparagin (Position A21) durch Glycin er-
Ciba-Geigy seit Ende der achtziger Jahre an setzt und am C-Terminus der B-Kette zusätzlich
Venture Capital Firmen in den USA. … Alle drei zwei Arginin-Moleküle angefügt sind. Lantus weist
‚Basler Konzerne‘ [hatten] weit verzweigte Ko- bei den am Markt befindlichen Insulinen heutzu-
operationsnetze gesponnen. (Zeller 2001) tage den größten Umsatz auf.
Für den ersten, komplett eigenentwickelten
Nur allmählich bauten die Pharma-Firmen auch (ohne Biotech-Partner oder -Lizenz) therapeu-
eigene Expertise auf (7 Die Biotech-Strategien tischen Antikörper Ilaris erhielt die Schweizer
der etablierten US-Konzerne Anfang der 1980er- Novartis im Jahr 2009 die Zulassung in den USA
Jahre). Eigene, rein von Pharma-Konzernen ent- und in Europa. Novartis war es auch, die als erstes
wickelte rekombinante Biologika erreichten somit Unternehmen überhaupt im Jahr 2001 einen Kina-
erst vermehrt ab Mitte der 1990er-Jahre den Markt. se-Inhibitor zur Zulassung führte: Gleevec (oder
Führend hierbei waren die dänische Novo Nord- Glivec) zur Behandlung der chronischen myeloi-
isk und Lilly mit rekombinanten Peptidhormonen schen Leukämie (7 Abschn. 1.2.4). Der Wirkstoff ist
und anderen Wachstumsfaktoren sowie die bri- ein kleines chemisches Molekül, für seine Entwick-
tische SmithKline Beecham mit rekombinanten lung war jedoch die genaue Kenntniss der Biologie
Impfstoffen. Lilly erhielt als erste Firma überhaupt dieser Krebsart notwendig. Für einen Wirkstoff
1996 die Zulassung für eine abgeänderte Version dieser neuen Klasse, zielend auf nicht-kleinzelli-
des menschlichen Insulins: Bei dem sogenannten gen Lungenkrebs, erhielt als Nächstes AstraZeneca
Peptidanalogon Insulin lispro sind die Aminosäu- im Jahr 2003 die Erlaubnis zur Vermarktung. Ab
ren Lysin und Prolin an den Positionen 29 und 28 2004 kamen dann auch niedermolekulare Kinase-
der B-Kette vertauscht. Das Medikament mit den Hemmer auf den Markt, bei deren Entwicklung
Handelsnamen Humalog in den USA und Lipro- Biotech-Firmen beteiligt waren (7 Abschn. 2.2.6;
log in Europa hat aufgrund der Optimierung, die der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Kina-
2.4 • Wer ist die Biotech-Industrie heute?
127 2
se-Hemmer auch Biologika wie Antikörper sein of a major pharma company with the entrepre-
können). Insgesamt überwiegen bei dieser Subs- neurial spirit and agility of a successful biotech
tanzklasse jedoch Pharma-Unternehmen als Ori- company. (BMS 2015)
ginatoren, passend zu ihrem traditionellen Know-
how zu chemischen Molekülen. Neben den bereits
»» We are entering the second phase of renewal
for Sanofi, that of Innovation. We have moved
genannten Vertretern bieten heutzutage auch fol- from being a traditional pharmaceutical com-
gende Gesellschaften entsprechende Arzneimittel pany in 2008 to one of the world’s largest bio-
an: Pfizer, GlaxoSmithKline, Johnson&Johnson, pharmaceutical companies. 45 % of our sales
Bristol-Myers Squibb, Roche, Bayer und Boehrin- are from biologics and 80 % of our develop-
ger Ingelheim. ment pipeline is now in biologics. This is up
from 26 % in 2008 and demonstrates the signi-
ficant change in our approach. (Sanofi 2014)
2.4 Wer ist die Biotech-Industrie
heute? »» In 2013, thanks to the strong execution by appro-
ximately 78,000 Pfizer colleagues, we … took an-
Nachdem für viele etablierte Pharma-Unterneh- other step forward toward achieving our mission
men die »neue« Biotechnologie auf Basis der Mole- of making Pfizer the world’s premier, innovative
kularbiologie heutzutage unverzichtbar geworden biopharmaceutical company. (Pfizer 2014)
ist und einige der Vertreter der US-Biotech-In-
dustrie mittlerweile die Größe und Stärke tradi- Diese Darstellungen werden in unterschiedlichem
tioneller pharmazeutischer Firmen erreicht haben Ausmaß untermauert durch real vorhandene Um-
(. Abb. 2.21), stellt sich die Frage: Wer ist heute satzanteile über Biologika. So macht bei AbbVie
eigentlich die Biotech-Industrie? Denn ein Blick Humira, der vollhumane TNF-Antikörper 63 %
auf die Webseiten oder in die Geschäftsberichte aller Verkaufserlöse aus. Für die Zukunft setzt
einiger klassischer Pharma-Größen wie AbbVie AbbVie weiterhin auf Biotech: Im September 2014
(vormals Pharma-Sparte von Abbott), AstraZene- schloss sie ein Abkommen mit der von Google fi-
ca, Bristol-Myers Squibb, Sanofi oder Pfizer zeigt, nanzierten Calico, die sich mit der Biologie des Al-
dass diese sich selbst als (zukünftige) biopharma- terns beschäftigt (7 AbbVie und Google gemeinsam
zeutische Firmen sehen. in Life Sciences). Im Juli 2014 wollte sie die britisch-
irische Shire Pharmaceuticals für rund 40 Mrd. €
»» At AbbVie, we have the expertise of a proven (54,7 Mrd. US$) übernehmen. Das wäre der höchs-
pharmaceutical leader and the focus and pas-
te Preis gewesen, der jemals für eine Biotech-Fir-
sion of an entrepreneur and innovator. The
ma ausgegeben worden wäre, der Deal platzte al-
result is something rare in health care today –
lerdings. Stattdessen schlug AbbVie im März 2015
a global biopharmaceutical company that has
bei dem US-Unternehmen Pharmacyclics zu, für
the ability to discover and advance innovative
»nur« 21 Mrd. US$.
therapies and meet the health needs of people
AstraZeneca (AZ) hat im Jahr 2007 für
and societies around the globe. (AbbVie 2015)
15,6 Mrd. US$ MedImmune übernommen, unter
»» AstraZeneca is one of only a handful of pure- den drei Top-Medikamenten nach Umsatz gibt es
play biopharmaceutical companies to span the allerdings bislang keine Biologika. Die Verkaufs-
entire value chain of a medicine from discove- erlöse für Synagis, einem Antikörper (Palivizumab)
ry, early- and late-stage development to ma- gegen RSV(respiratory syncytial virus)-Infektionen,
nufacturing and distribution, and the global der über den Zukauf in das Portfolio kam, lagen
commercialisation of primary care, specialty 2013 bei rund 1 Mrd. US$. Weitere Antikörper be-
care-led and specialty care medicines that finden sich in der Pipeline. Im Jahr 2014 stärkte sich
transform lives. (AstraZeneca 2014) AZ noch weiter im Biotech-Bereich, indem es für
rund 4 Mrd. US$ den Peptid-Spezialisten Amylin
»» At Bristol-Myers Squibb, our BioPharma strate- von Bristol-Myers übernahm, die Amylin 2012 er-
gy uniquely combines the reach and resources
worben hatte. Amylin führte im Februar 2014 das
128 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

AbbVie und Google gemeinsam in Life Sciences


»Google Inc.’s secretive Calico LLC up to $250 million, and potentially identify, design and conduct early-
2 life-sciences company unveiled a
potential $1.5 billion research part-
another $500 million each, to tackle
conditions like cancer and neuro-
stage research, and has the option
to manage late-stage drug develop-
nership with drug maker AbbVie degenerative disorders. The com- ment and marketing of any drugs
Inc., marking the entrance of a panies said they would share costs that pass through the early stages of
potentially big player in developing and profits from the collaboration trials. Calico is one of several Google
treatments for age-related diseases. equally. Calico, run by Mr. Levinson efforts to move beyond its Internet
Google has said little about Calico, and former Genentech colleague search roots into other industries
in which it is the primary investor, Hal Barron, will build a research- being changed by technology. The
since forming the company last and-development center in the San AbbVie deal suggests Google is wil-
year with former Genentech Inc. Francisco Bay Area. It will oversee ling to put serious resources behind
Chief Executive Arthur Levinson. early drug development and the the project« (Barr und Loftus 2014).
… Under the new partnership, early stages of human clinical trials
Calico and AbbVie will each invest for drugs. AbbVie will help Calico

rekombinante Hormonanalogon Myalept sowie im Portfolio ist das von Immunex (Amgen) entwi-
2005 zwei chemisch synthetisierte Peptidanaloga ckelte Enbrel, welches Pfizer außerhalb den USA
gegen Altersdiabetes zur Zulassung. AstraZeneca vermarktet. Bio-Know-how hat sich Pfizer vor al-
setzt zudem auf den aktuellen Trend der Krebs-Im- lem durch die Übernahmen von Pharmacia (2002)
muntherapie (7 Abschn. 3.1.2.1). sowie Wyeth (vormals AHP, 2009) verschafft. AHP
Dasselbe trifft auf Bristol-Myers Squibb (BMS) hatte sich schon 1991 mit 66 % und 1996 zu 100 %
zu, für deren PD1-Antikörper Opdivo (Nivolu- an Genetics Institute beteiligt und begleitete so-
mab) zur Behandlung von Hautkrebs die FDA mit seit 1997 verschiedene Biologika-Zulassungen.
im Dezember 2014 die Freigabe zur Vermarktung Auch Pharmacia hat früh mit Biotech-Allianzen
erteilte. Der Wirkstoff gehört zu der neuartigen begonnen. Interessanterweise listet Pfizer in sei-
Klasse der sogenannten Immun-Checkpoint-Inhi- nem Geschäftsbericht 2013 unter dem Punkt »Re-
bitoren (7 Abschn. 3.1.2.1), und BMS erhielt Zugang venues – Major Biopharmaceutical Products« auch
aufgrund der Übernahme von Medarex im Jahr Produkte wie den früheren Bestseller Lipitor oder
2009. Ein anderer Krebs-Immuntherapie-Anti- Celebrex und Viagra. Eine Biotech-Abstammung
körper von Medarex/BMS ist Yervoy (Ipilimumab), haben dagegen zum Beispiel der Kinase-Inhibitor
zielend auf CTLA-4, er erhielt im März 2011 die Sutent (Sugen/Pharmacia), Biologika sind Geno-
FDA-Zulassung. Bereits seit 2004 profitiert BMS tropin (Genentech/Pharmacia) oder Benefix (Ge-
von dem von ImClone entwickelten Antikörper Er- netics Institute/AHP). Als klassisches Biologikum
bitux (Cetuximab), dessen US-Vertrieb BMS über- ist auch der Impfstoff Prevnar zu erachten, der mit
nahm. Eine Eigenentwicklung von BMS sind die rund 4 Mrd. US$ Umsatz im Jahr 2013 das Produkt
Fusionsproteine Orencia und Nulojix (Zulassung mit dem zweithöchsten Umsatz darstellte.
2005 und 2011). Trotz dieser vielfältigen »Biotech- Sanofi kommt laut PMLiVE/GlobalData (2015a
Aktivitäten« liegt BMS derzeit mit knapp einem und b) auf einen Umsatzanteil der Biopharmazeu-
Fünftel Biologika-Anteil am Gesamtumsatz über tika von 38 %. Sanofi hat durch die Übernahme von
verschreibungspflichtige Medikamente am hinte- Genzyme im Jahr 2011 seine bereits bestehenden
ren Ende der Rangliste von Pharma-Firmen, die Biotech-Aktivitäten weiter gestärkt. Genzyme legte
entsprechende Produkte vertreiben (. Tab. 2.37). 2014 ein Umsatzwachstum von 24 % vor und erhielt
Für die Zukunft erwartet EvaluatePharma indes 2013 für ein gemeinsam mit Ionis Pharmaceuticals
eine Vervierfachung des Biologika-Umsatzes. entwickeltes antisense-Medikament (Kynamro zur
Bei Pfizer, die sich ebenfalls als biopharmazeu- Behandlung der Hypercholesterolämie) grünes
tisches Unternehmen erachten, ist die Stellung ähn- Licht seitens der FDA.
lich (. Tab. 2.37). Das Top-Biologikum nach Umsatz
2.4 • Wer ist die Biotech-Industrie heute?
129 2

. Tab. 2.37 Ausgewählte Pharma-Firmen nach Umsatzanteil mit Biologika, 2014. (Quelle: BioMedServices (2015)
nach PMLiVE/GlobalData (2015a und b))

Pharma- Umsatza Anteil Biolo- Top-Biologikum Urspung Indikation Umsatzc


Firma Mrd. US$ gikab (%) Mrd. US$

Novo 15,3 93 NovoLog (Insulin Novo Diabetes 3,1


Nordisk aspart)

Roche 39,1 77 Rituxan (Rituximab) Genentech NHL 7,6

AbbVie 20,2 69 Humira (Adalimumab) Knoll/CAT RA 12,5

Merck KGaA 7,7 60 Rebif (Interferon-be- Serono MS 2,4


ta-1a)

Sanofi 36,4 38 Lantus (Insulin glargin) Hoechst Diabetes 8,4


(Aventis)

Lilly 17,3 38 Humalog (Insulin Lilly Diabetes 2,8


lispro)

J&J 32,3 35 Remicade (Infliximab) Centocor RA 6,9

Merck & Co. 36,0 26 Remicade (Infliximab) Centocor RA 2,4

Pfizer 45,7 25 Enbrel (Etanercept) Immunex RA 3,9


(Amgen)

BMS 15,9 24 Orencia (Abatacept) BMS RA 1,7

Bayer 15,5 22 Kogenate (Faktor VIII) Genentech Hämophilie 1,5

Novartis 47,1 8 Lucentis (Ranibizumab) Genentech AMD 2,4

US$-Umrechnungskurs nicht bekannt


aUmsatz an verschreibungspflichtigen Medikamenten gesamt, bAnteil an a, cUmsatz mit Top-Biologikum
AMD altersbedingte Makuladegeneration, MS multiple Sklerose, NHL Non-Hodgkin-Lymphom, RA rheumatoide Arthritis

Bei der deutschen Merck trugen Biopharma-


zeutika im Jahr 2014 mehr als die Hälfte zum Phar- Wachstum dank Biotech-Medikamenten
ma-Umsatz bei. Hauptumsatzträger ist Rebif, ein erfreulich
rekombinant hergestelltes Interferon beta zur Be- »Die Umsatzerlöse von Merck Serono wuchsen deut-
handlung der multiplen Sklerose, das Serono 1998 lich stärker als der prognostizierte Durchschnitt der
in Europa auf den Markt brachte. Seit der Über- Pharmabranche. Fast zwei Drittel dieses Wachstums
nahme im Jahr 2006 unter dem Dach von Merck geht auf unsere Biopharmazeutika Rebif und Erbitux
zurück. … Mit unseren fünf umsatzstärksten Bio-
steuert Merck Serono noch die Produkte Gonal-f
pharmazeutika – Rebif, Erbitux, Gonal-f, Saizen und
und Serostim/Saizen bei (7 Wachstum dank Bio- Serostim – erwirtschafteten wir 3.288 Mio. EUR. Das
tech-Medikamenten erfreulich). entspricht 61 % unserer Umsatzerlöse [im Pharma-
Neben Novo Nordisk ist das Unternehmen mit Bereich]« (Merck 2010). Für 2014 beliefen sich die
dem höchsten Anteil Biologika-Umsatz die schwei- Verkaufserlöse der Biotech-Medikamente auf rund
3,6 Mrd. €.
zerische Roche. Mit 30 Mrd. US$ Biologika-Um-
satz ist sie Marktführer innerhalb der Biopharma-
zeutika-Firmen, die proteinbasierte Medikamente
130 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

100 %

2 90 %
Andere 46,9
Andere 99,5
80 %

BMS 3,7
70 % Lilly 6,0
Merck 8,2

J&J 10,6 BMS 12,8


60 %
Lilly 12,0
Pfizer 10,8
Merck 12,6
50 %
AbbVie 13,4 J&J 13,7
Pfizer 14
40 % Novo Nordisk 15,0
AbbVie 15,3

Sanofi 16,0 Novo Nordisk 21,3


30 %

Sanofi 20,8
Amgen 17,6
20 %
Amgen 20,2

10 %
Roche 30,8
Roche 35,8

0%
2014 2020
© BioMedServices 2015

. Abb. 2.20 Biologika-Umsatz führender biopharmazeutischer Firmen (in Mrd. US$), 2014 versus 2020. Erstellt auf Basis
von Daten von EvaluatePharma (2015). Folgende Firmen listet diese Quelle nicht (Umsatz mit Biologika 2014 in Mrd. US$
in Klammern): Biogen (6,3), GSK (4,0), Merck KGaA (4,6), Novartis (3,7) und Bayer (3,5). Angaben von PMLiVE/GlobalData
(2015a), Prognosen liegen nicht vor

verkaufen (. Abb. 2.20). Roche präsentiert sich im Produktionskapazitäten (800 Mio. CHF) nicht
2013er-Geschäftsbericht als das weltweit größte außer Acht gelassen werden.
Biotech-Unternehmen. Sicher nicht zu Unrecht,
denn dieselbe Quelle nennt folgende Meilensteine: »» Eine unserer grössten Stärken liegt in unserem
14 Biopharmazeutika auf dem Markt, 39 biophar- tiefgreifenden Verständnis der molekularen
mazeutische Wirkstoffe in der Pipeline, sieben der Grundlagen von Erkrankungen. Die gewonne-
zehn führenden Arzneimittel von Roche sind Bio- nen Erkenntnisse gestatten es uns, zielgerich-
pharmazeutika. tete Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln,
Diese Stellung ist gewiss vor allem der Über- die an den Krankheitsursachen ansetzen.
nahme von Genentech zuzuschreiben. Allerdings Bereits heute entfallen drei Viertel unserer
dürfen das frühe Engagement in der molekularbio- Pharma-Verkäufe und die Mehrzahl unserer
logischen Forschung (7 Abschn. 2.3.2) sowie heuti- diagnostischen Tests auf biotechnologische
ge Investitionen in den Ausbau von biotechnischen Produkte. (Roche 2014)
2.4 • Wer ist die Biotech-Industrie heute?
131 2

Pfizer 125
Merck 148
BMS 121
1999

Lilly 72
Gilead 1
Amgen 61
Biogen 14
Pfizer 200
Merck 71
BMS 51
2004

Lilly 64
Gilead 16

BioMedServices 2015
Amgen 81
Biogen 22
Pfizer 147
Merck 114
BMS 50
2009

Lilly 41
Gilead 39
Amgen 56
Biogen 15
Pfizer 192
Merck 164
BMS 99
2014

Lilly 77
Gilead 147
Amgen 124
Biogen 81 Mrd. US$

0 50 100 150 200

. Abb. 2.21 Marktwert ausgewählter US-Pharma- und Biotech-Firmen, 1999 bis 2014 (Fünf-Jahres-Schritte). Dollar nicht
angepasst

2.4.1 Die Grenzen zwischen Biotech und stehen zum Teil sogar »besser« da als die Phar-
und Pharma verschwimmen ma-Unternehmen wie . Abb. 2.21 und 2.22 für aus-
gewählte Gesellschaften aufzeigen.
Die aufgezeigten Beispiele machen deutlich, dass So liegen zwar die größeren Pharma-Konzer-
heutzutage keine eindeutige Grenze mehr zwi- ne wie Pfizer oder Merck & Co. beim Marktwert
schen Biotech- und Pharma-Unternehmen gezo- noch vor denjenigen der größten Biotech-Firmen.
gen werden kann. Und wenn doch, stellt sich die Kleinere Gesellschaften wie Bristol-Myers Squibb
Frage, nach welchem Kriterium. Früher waren es oder Lilly wurden von diesen allerdings mittler-
sicher die Erfindung und Anwendung der neuen weile überholt (. Abb. 2.21). Gilead, als das derzeit
Technologien, das Gründungsjahr und die Größe führende Biotech-Unternehmen nach Marktwert
der Firmen, gemessen an der Zahl der Mitarbeiter, erreichte Ende 2014 in diesem Indikator sogar fast
dem Umsatz sowie dem Marktwert. Heute bliebe schon die US Merck.
nur noch das Gründungsjahr und eventuell die Der Blick auf die Verkaufserlöse zeigt die grö-
Zahl der Mitarbeiter. Denn in den anderen Indi- ßeren Pharma-Konzerne nach wie vor als führend
katoren haben die Biotech-Firmen stark aufgeholt (. Abb. 2.22), die kleineren (BMS und Lilly) wur-
132 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Pfizer 16 Pfizer 0,32


Merck 33 Merck 0,53

2 Lilly 10 Lilly 0,63


1999

BMS 20 BMS 0,37


Gilead 0,2 Gilead 0,22
Amgen 3 Amgen 0,50
Biogen 1 Biogen 1,95
Pfizer 53 Pfizer 0,46
Merck 23 Merck 0,37
Lilly 14 Lilly 0,31
2004

BMS 19 BMS 0,45


Gilead 1,3 Gilead 0,80

BioMedServices 2015
Amgen 11 Amgen 0,73
Biogen 2 Biogen 0,52
Pfizer 50 Pfizer 0,43
Merck 27 Merck 0,27
Lilly 22 Lilly 0,54
2009

BMS 19 BMS 0,67


Gilead 7 Gilead 1,82
Amgen 15 Amgen 0,86
Biogen 4 Biogen 0,92
Pfizer 50 Pfizer 0,63
Merck 42 Merck 0,60
Lilly 20 Lilly 0,50
2014

BMS 16 BMS 0,64


Gilead 25 Gilead 3,56
Amgen 20 Amgen 1,12
Biogen 10 Mrd. US$ Biogen 1,42 Mio. US$

0 10 20 30 40 50 60 0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5

. Abb. 2.22 Umsatz ausgewählter US-Pharma- und Biotech-Unternehmen, 1999 bis 2014 (Fünf-Jahres-Schritte). Links:
Gesamtumsatz, rechts: Umsatz pro Mitarbeiter.

den 2014 in dieser Kennzahl ebenfalls von Gilead »» How the word ‚biopharmaceutical‘ is defined
und Amgen überholt. Durchgehend erwirtschaften and applied in common usage affects not
die kleineren Biotech-Firmen ihren Umsatz mit only public perceptions but also the reliability
vergleichsweise weniger Mitarbeitern. Im Um- and comparability of statistics gathered on
kehrschluss heißt dies, sie weisen einen höheren companies, their products and the industry. …
Pro-Kopf-Umsatz auf als die Pharma-Riesen. Das the biopharmaceutical industry risks loss of its
Gleiche trifft auf den Gewinn zu (. Abb. 2.23), wo- core identity to related industries that covet
bei Gilead derzeit mit 1,7 Mio. US$ Gewinn pro and are actively co-opting its good will and
Mitarbeiter alle Rekorde sprengt. name to apply to themselves (Rader 2008).
Die Grenzen verschwimmen also zwischen Bio-
tech und Pharma, daher ist schon oft die Rede von Letztlich beruhen Grenzen und Einordnungen im-
»BioPharma«. Mit dem Begriff »schmücken« sich mer auf der sie unterstützenden Definition (7 Alles
allerdings mittlerweile viele Firmen, die nicht unbe- eine Frage der Definition).
dingt »echte biologische Innovation« verfolgen. So
ähnlich sieht es beispielsweise auch Rader (2008):
2.4 • Wer ist die Biotech-Industrie heute?
133 2

Pfizer 3,2 Pfizer 62


Merck 5,9 Merck 95
Lilly 2,7 Lilly 172
1999

BMS 4,2 BMS 76

Amgen 1,1 Amgen 171

Pfizer 11,4 Pfizer 99


Merck 5,8 Merck 93
Lilly 1,8 Lilly 41
2004

BMS 2,4 BMS 56


Gilead 0,4 Gilead 271
Amgen 2,4 Amgen 164
Biogen 0,0 Biogen 6

BioMedServices 2015
Pfizer 8,6 Pfizer 74
Merck 12,9 Merck 129
Lilly 4,3 Lilly 107
2009

BMS 4,4 BMS 158


Gilead 2,6 Gilead 684
Amgen 4,6 Amgen 271
Biogen 1,0 Biogen 204
Pfizer 9,1 Pfizer 116
Merck 11,9 Merck 170
Lilly 2,4 Lilly 61
2014

BMS 2,0 BMS 80


Gilead 12,1 Gilead 1729
Amgen 5,2 Amgen 291
Biogen 2,9 Mrd. US$ Biogen 423 Tsd. US$
0 5 10 15 0 300 600 900 1200 1500 1800

. Abb. 2.23 Gewinn ausgewählter US-Pharma- und Biotech-Unternehmen, 1999 bis 2014 (Fünf-Jahres-Schritte). Links:
Gesamtgewinn, rechts: Gewinn pro Mitarbeiter

Alles eine Frage der Definition


»The industry sector involved in is hardly ever defined by its users. molecule drugs), with everything
‚biopharmaceutical‘ development, Definitions of biopharmaceutical in ‚pharmaceutical‘ now ‚biopharma-
manufacture and marketing is now common use vary greatly, ranging ceutical‘. In many respects, these
over 25 years old (or several hundred from those based on the biological diverse definitions parallel different
years old, depending on the defini- source and nature of products and definitions for ‚biotechnology‘ (e.g.,
tion used), with over 350 marketed their manufacture to those based whether this concerns just products
products (or thousands, depending purely on business models, percepti- manufactured using living orga-
on the definition used). This includes ons and public relations. These defi- nisms, the subset of these involving
over 125 recombinant proteins cur- nitions include pharmaceuticals ma- genetic engineering, or now encom-
rently approved in the United States nufactured using living organisms passes everything involving biotech-
or European Union. And yet, there (biotechnology), only the subset nology-like companies and/or much
is still considerable confusion over of these pharmaceuticals involving or all pharmaceutical and other life
what is and what isn’t biopharma- genetic engineering, or simply all sciences-based R&D and industries)«
ceutical. The term is widely used, but pharmaceuticals (including small- (Rader 2008).
134 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

Was ist Bioökonomie?


»Die Bioökonomie ist die wissens- mazie, der Nahrungsmittelindustrie, und Umweltschutz. Deutschland
2 basierte Erzeugung und Nutzung
biologischer Ressourcen, um
der Industriellen Biotechnologie, der
Papier- und Textilindustrie sowie im
stellt inzwischen entscheidende
Weichen auf dem Weg zu einer Wirt-
Produkte, Verfahren und Dienst- Umweltschutz. Mit ihren vielfältigen schaft, die sich an natürlichen Stoff-
leistungen in allen wirtschaftlichen Möglichkeiten kann die Bioöko- kreisläufen orientiert. … Forschung
Sektoren im Rahmen eines zukunfts- nomie einen wichtigen Beitrag zur und Innovation [soll] einen Struktur-
fähigen Wirtschaftssystems bereit- Lösung globaler Probleme leisten. wandel von einer erdöl-basierten
zustellen. Die Bioökonomie findet Darunter fallen die Gesundheit und hin zu einer nachhaltigen biobasier-
zur Zeit insbesondere Anwendung Ernährung einer wachsenden Welt- ten Wirtschaft … ermöglichen, der
in der Land- und Forstwirtschaft, der bevölkerung, deren nachhaltige mit großen Chancen für Wachstum
Energiewirtschaft, der Fischerei- und Versorgung mit Energie, Wasser und und Beschäftigung verbunden ist«
Aquakultur, der Chemie und Phar- Rohstoffen sowie der Boden, Klima- (Bioökonomierat 2015).

2.4.2 Die Biologisierung der Industrie: Dieses Potenzial wird seit Jüngstem in der Bran-
Werden auch die Grenzen che und in der Politik auch mit der Bezeichnung
zwischen Biotech- und Chemie- »Bioökonomie« charakterisiert (7 Was ist Bioöko-
oder anderen Industrien nomie?). Allerdings gehen die Vorstellungen zur
verschwimmen? Bioökonomie mittlerweile weit über die reinen An-
wendungen in der chemischen Industrie hinaus. So
Bisher war oft die Rede von Medikamenten und informiert BRAIN (2015):
Pharma, da dieser Sektor derzeit ein Schwerpunkt
für die wirtschaftliche Nutzung der Biotechnologie
»» Der Begriff ‚Bioökonomie‘ wurde 2003 von
der OECD geprägt und hat das politische und
ist. Wie später in 7 Abschn. 3.2 noch ausführlich
ökonomische Denken weltweit beeinflusst. Er
vorgestellt, bietet die Biotechnologie auch Lösun-
umfasst deutlich mehr als den Komplex aus
gen für die industrielle chemische Produktion. Da
Forschung und Technologie, Rohstoffen und
viele andere Sektoren wiederum deren Produkte
Verwertung. Als vernetztes System markiert
einsetzen, ist die »Reichweite« der Biotechnologie
Bioökonomie den Wandel ganzer Industrien
– ähnlich wie die der Informations- und Kommu-
und Wertschöpfungsketten. In diesem Ver-
nikationstechnologien – relativ groß. Man spricht
ständnis werden nicht nur aus technologischer
daher oft auch von einer Querschnittstechnologie,
Perspektive Genregrenzen überschritten, son-
wie im 7 Abschn. 2.4.3 weiter ausgeführt.
dern interdisziplinär völlig neue Wertschöp-
fungsgrundlagen gebildet. Dies ermöglicht
»» Das Zeitalter der Biologisierung von Schlüssel- neue Konzepte für eine nachhaltigere und
industrien ist angebrochen. (Holger Zinke,
klimaschonende Versorgung mit Ressourcen
Gründer der BRAIN AG, in Merx (2014))
und Produkten. (BRAIN 2015)

Den Begriff »Biologisierung der Industrie« prägte


der Biologe Zinke, der mit seiner Biotech-Firma Ein Konzept oder eine Ausprägung der nachhal-
BRAIN seit Jahren diesen Weg verfolgt. Es geht da- tigeren und klimaschonenden Versorgung ist das
bei darum, biologische Prozesse und Strukturen zu Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Bereits altbekannt
nutzen, um eine nachhaltige Industrieproduktion durch Recycling von Wertstoffen, ermöglicht die
zu etablieren. Nachhaltig heißt vor allem mithilfe Biotechnologie dagegen, noch einen weiteren
von nachwachsenden Rohstoffen die Endlichkeit Schritt in der Wertschöpfungskette beziehungswei-
von Kohle und Erdöl zu überwinden. Gelingen se dem Wertschöpfungskreislauf abzudecken: die
kann dies unter Ausnutzung des »Werkzeugkastens Nutzung von normalerweise als ungenutzten und
der Natur«. Ein Begriff, den Zinke ebenfalls prägte. umweltverschmutzend anfallenden Abfällen.
2.4 • Wer ist die Biotech-Industrie heute?
135 2
zweiten Versuch, sich für die industrielle Produk-
Das Potenzial von Mikroorganismen tion zu empfehlen. Studien und Prognosen sagten
»Bakterien sind überall – selbst an extremen Orten. der Biotechnologie ein großes Potenzial voraus,
Archaebakterien überleben in 100 Grad heißem aber die Technologien waren noch nicht so ausge-
Schwefeldampf und im Ewigen Eis der Antarktis. Erst reift, wie bei den chemischen »Gegenspielern«. Und
fünf Prozent dieser winzigen Lebewesen sind heute
wie bei jedem Aufkommen einer neuen Technolo-
bekannt. Ihre genetische Vielfalt scheint unerschöpf-
lich. Allein in einem Gramm Erde befinden sich 5000
gie halten Industrien erst einmal am Bewährten fest.
verschiedene Mikroorganismen. … [Sie] sind wesent- Erst die Entwicklung der Gentechniken, die
lich älter als der Mensch, wesentlich älter als die Säu- heute weiteres Anpassungspotenzial bei Mikro-
getiere und wesentlich älter als das ganze sichtbare organismen liefern, ermöglichte wesentlich den
Leben. 3,5 Milliarden Jahre hat die Evolution genutzt,
dritten Anlauf der Biotechnologie als Produktions-
um Mikroorganismen und Stoffwechselwege zu ent-
wickeln, die [sie] … an ihren Standorten dann benut-
methode auch in der chemischen Industrie. Das
zen … In einem einzigen Mikroorganismus stecken zusätzliche Wissen über mikrobielle Stoffwechsel-
über 1500 Gene, die Software für Enzyme, Biokataly- wege und Strukturen, über deren entsprechende
satoren und andere wertvolle Stoffe« (Zander 2010). Baupläne in Form der Erbinformation sowie die
Möglichkeit, diese gezielt zu bearbeiten, hat in ge-
wisser Weise der Biotechnologie endlich den schon
Bei Abgasen wird dies beispielsweise möglich vor 100 und vor 40 Jahren vorhergesagten Durch-
durch eigens entwickelte Bakterien, die in der Lage bruch erbracht.
sind, Kohlendioxid-haltige Rauchgase aus Braun- Durchbruch heißt nun nicht eine komplette
kohle-Kraftwerken direkt als »Futter« zu verwerten Veränderung über Nacht, aber eine wahrnehmbare
und selbst bei einer Temperatur von 60 °C zu wach- beginnende exponentielle Entwicklung, zum Bei-
sen. Dabei produzieren sie Biomasse und indust- spiel beim Umsatz (7 Abb. 3.34). Nach dem Auf-
riell nutzbare Produkte wie neue Biomaterialien, kommen erster neuartiger, auf der Biotechnologie
Bio-Kunststoffe und chemische Zwischenproduk- beruhender Medikamente (7 Abschn. 2.2.5) in den
te. Diese sind wiederum zum Beispiel als Bau- und 1990er-Jahren erfuhr der Umsatz der Biopharma-
Dämmstoff verwendbar sowie zur Herstellung von zeutika ab der Jahrtausendwende anfangs jährliche
Fein- und Spezialchemikalien, möglicherweise Wachstumsraten von bis zu 25 %. Vergleichbares
auch von Massenchemikalien (7 Abschn. 3.2). Be- steht zum Beispiel biosynthetisch hergestellten
arbeitet wird dieses Projekt derzeit von dem Pio- Kunststoffen und anderen Konsumgüter-Chemi-
nier BRAIN in Kooperation mit dem Energieunter- kalien gerade bevor. Damit ergibt sich eine um 15
nehmen RWE. Jahre verschobene Entwicklung für die biobasierte
Mikroorganismen wie Bakterien stellen eine industrielle chemische Produktion, die entspre-
schier endlose Zahl an Werkzeugen, die bereits von chend auch der Allgemeinheit ab dem Jahr 2030
der Natur über lange Zeit hinweg optimiert wur- sichtbarer sein mag – so wie sie ihr heute schon
den (7 Das Potenzial von Mikroorganismen). Die in der Arzneimittel-Entwicklung und -Produktion
Lebens- und Genussmittelproduktion nutzt sie seit gegenwärtiger ist.
Jahrtausenden (Bier, Wein, Brot, Essig) und nach Generell aber hat es die Biotechnologie schwer,
der Entdeckung ihrer Existenz (16. Jahrhundert) ihre wahre Bedeutung verständlich zu machen, da
sowie weiteren Aufklärungen Ende des 19. Jahrhun- sie als Forschungs- und Produktionsmethode in
derts (7 Abschn. 1.2.1) nahm die mikrobielle Biosyn- einem Endverbraucher-Produkt kaum erkennbar ist.
these einen ersten Anlauf in der industriellen Pro-
duktion (7 Abschn. 2.3.1). Im Laufe der ersten Hälfte
»» Die etwas sperrigen Begriffe der ‚Biologisie-
rung‘ und ‚Bioökonomie‘, die kaum von Fach-
des 20. Jahrhunderts bremste die Etablierung der
leuten klar definiert werden können, sind
Chemosynthese die weitere Entwicklung der Bio-
wenig geeignet, in der öffentlichen Wahrneh-
technologie. Erst nach den ersten Ölkrisen in den
mung die Bedeutung der Biotechnologie für
1970er-Jahren unternahm die Biotechnologie den
136 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

unsere Gesellschaft herauszustellen. Hier sind


uns die Amerikaner weit voraus: ‚Heal, Fuel and Biologie als fruchtbare Ausgangsbasis für
Feed the World‘ – sehr plakativ und mit starken die Lösung der unterschiedlichsten Fragen

2 Schlagworten, die in der Gesellschaft als die


relevanten Herausforderungen der Zukunft
»Aus den unabhängigen Disziplinen Zoologie und
Botanik hatte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts
sofort breite Zustimmung finden. Bringt man nach und nach die Biologie als eigenständige Leit-
Biotech damit in Verbindung, wird sofort er- wissenschaft vom Leben geformt. Das öffentliche
Interesse galt besonders den neuen biologischen
sichtlich, dass in dieser Technologie die Lösung
Fächern, darunter die Vererbungsforschung [Ge-
vieler Zukunftsprobleme liegen kann. (Ernst & netik], Embryologie, Entwicklungsphysiologie und
Young 2014) Mikrobiologie, deren experimentell gestützte For-
schungsergebnisse plausible Erklärungsansätze für
grundlegende Lebenserscheinungen boten. Hatte
bislang hauptsächlich die organische Chemie mit
2.4.3 Biotechnologie als Querschnitts- ihren durchschlagenden praktischen Ergebnissen
und Zukunftstechnologie in der Farbstoff- und Arzneimittelforschung öffent-
liche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, lieferte nun
auch die Biologie eine fruchtbare Ausgangsbasis
Querschnittstechnologie für die Lösung der unterschiedlichsten Fragen«
(Marschall 2000).
Eine innovative Technologie, mit der Produkti-
vitätseffekte in vielen Branchen und bei vielen
Anwendungen erzielt werden können. Dieser
Durchdringungsprozess kann jedoch längere »Bestimmung von Gräsern und anderen Pflanzen-
Zeit dauern, da die Nutzer das Potenzial von typen« in Verbindung gebracht. Die wirtschaft-
Querschnittstechnologien oft erst mühsam liche Nutzung (7 Kap. 3) ist vielen nicht bekannt.
erkennen müssen (Wikipedia, Querschnitts- Im medizinischen Bereich gelten die Mediziner
technologie). als diejenigen, die das Know-how haben. Dass vie-
le Fortschritte in der Medizin auf neuartige Me-
dikamente zurückzuführen sind, die wiederum
Querschnittstechnologien sind beispielsweise nur durch die moderne Biologie realisiert werden
ebenfalls die Informations- und Kommunikations- konnten, ist nicht so bekannt. Interessanterweise
technologien. Im Gegensatz zu dieser sind – wie war die Biologie zur Wende des 19. zum 20. Jahr-
zuvor erwähnt – die Produkte, die mithilfe der Bio- hundert sehr populär gewesen, das heißt Fort-
technologie entstehen, für die allgemeine Bevölke- schritte in den Biowissenschaften (7 Abschn. 1.2.1)
rung nicht so offensichtlich. Zudem sind viele Vor- fanden auch in der Bevölkerung größere Aufmerk-
teile den Produkten nicht direkt anzusehen. Man samkeit (7 Biologie als fruchtbare Ausgangsbasis
hält kein Smartphone in der Hand, sondern profi- für die Lösung der unterschiedlichsten Fragen) wie
tiert von neuartigen, effizienteren Medikamenten Marschall (2000) beschreibt.
und Diagnostika oder verbesserten Kosmetika. Zur selben Zeit zeichnete sich ab, dass biotech-
Gleiches trifft auch auf die Ressourcenschonung nologische Prozesse in der industriellen Produk-
und Umweltverträglichkeit zu, beispielsweise bei tion eine relevante Rolle spielen können (7 Anlass
Bioplastik, einzusetzen als biologisch abbaubare zu optimistischen Zukunftsprognosen). Marschall
Müll- oder Tragetüte, Partygeschirr, Kinderspiel- (2000) spricht sogar von einer »Euphorie im Gefol-
zeug, Zusatzstoff in Turnschuhen oder beim Ar- ge der Biologisierung des Weltbildes« und merkt in
maturenbrett im Auto. Ein weiteres Beispiel ist einer Fussnote an: »Zeitgenössische Biologen wie
»Waschen bei niedrigeren Temperaturen«, was nur J.B.S. Haldane, L. Hogben und J. Huxley [waren]
mithilfe optimierter und gentechnisch hergestellter fest davon überzeugt, daß die Biologie die wich-
Waschmittel-Enzyme realisiert werden konnte. tigste Wissenschaft der Zukunft sei. Im Hinblick
Biologie wird von der Allgemeinheit leider auf ihre technischen Anwendungsmöglichkeiten
viel zu oft noch mit »Schmetterlinge fangen« oder äußerte sich Julian Huxley 1936:
2.4 • Wer ist die Biotech-Industrie heute?
137 2

Anlass zu optimistischen Zukunftsprognosen


»1897 gab Franz Lafar, ordentlicher zeitgenössischen Einsatz von Mikro- biotechnologische Prozesse in einer
Professor für Gärungsphysiologie organismen in den unterschied- verhältnismäßig kurzen Zeitspanne
und technische Mykologie an der lichsten Bereichen: ‚In einer Reihe in ganz unterschiedliche industriel-
technischen Hochschule Mödling von Kapiteln wird uns vorgeführt, le Bereiche vorgedrungen. Diese
bei Wien, das erste umfassende welch hervorragende Rolle sowohl rasche Ausbreitung gab Anlaß zu
Handbuch zur Gärungsphysiologie in nützlicher als in nachteiliger optimistischen Zukunftsprognosen,
heraus. Die 'Technische Mykologie' Richtung, diese Lebewesen spielen die teils auf begründeten, teils auf
richtete sich im Untertitel explizit in der Brennerei und Brauerei, bei spekulativen Annahmen basierten.
an 'technische Chemiker, Nahrungs- der Weinbereitung und in der Essig- Die Durchsetzung biotechnologi-
mittel-Chemiker, Gärungstechniker, Fabrikation, in der Molkerei, in der scher Verfahren in der chemisch-
Agrikulturchemiker, Pharmaceuten Gerberei, bei der landwirtschaft- pharmazeutischen Industrie schien
und Landwirte' und sprach damit lichen Futterbereitung, in der Tabak- daher lediglich ein weiterer Schritt
eine breit gefächerte Leserschaft und in der Zucker-Fabrikation‘. … auf dem Weg, ihre vielseitigen
an, wenngleich die chemische Seit der Entwicklung mikrobieller Potentiale auszuschöpfen«. (Mar-
Fachrichtung dominierte. Das Buch Reinzuchtverfahren in den 1880er schall 2000).
vermittelt einen Überblick über den Jahren waren also zahlreiche neue

»» Die Biologie ist genauso wichtig, wie die Wis- drei Wellen bei der wirtschaftlichen Entwicklung
senschaft der unbelebten Natur. Langfristig zwischen 1790 und 1920. Basierend darauf konn-
betrachtet wird die Biotechnologie sogar noch te der Wissenschaftler die »große Depression« der
wichtiger sein als mechanische und chemische 1930er-Jahre vorhersagen. Joseph Schumpeter, ein
Techniken. (Bud 1995) österreichischer Ökonom und Harvard-Professor
nahm 1939 die »Theorie der langen Wellen« auf und
So existierten auch damals schon die Idee der Bio- prägte unter Würdigung Kondratieffs den Begriff
logisierung sowie die Einschätzung als Zukunfts- »Kondratieff-Zyklen« (auch genannt: K-cycles, K-
technologie. Und heute, nachdem die entsprechen- waves, supercycles, great surges, long waves oder long
den Techniken immer weiter ausreifen, gilt die economic cycles).
Biotechnologie nach wie vor – oder soll man sa- Kondratieff selbst erlebte nie die Verbreitung
gen erst recht – als Zukunftstechnologie für das 21. seiner Theorie: 1938 exekutierte ihn die sowjetische
Jahrhundert. So auch beschrieben von Steve Jobs, Regierung, da seine Ergebnisse den Kapitalismus
verstorbener Gründer von Apple: statt den Kommunismus zu stützen schienen. Die
Theorie ist unter Ökonomen nicht uneingeschränkt
»» I think the biggest innovations of the twenty- akzeptiert, denn es können sich auch Überschnei-
first century will be at the intersection of bio- dungen und Ergänzungen von technologischen
logy and technology. A new era is beginning. Entwicklungen sowie längere oder kürzere Nut-
(Isaacson 2011) zungszyklen ergeben. Mit Blick auf . Tab. 2.38
bleibt zum Beispiel zu erläutern, dass die Nutzung
2.4.3.1 B
 iotechnologie als sechste Phase des Automobils natürlich auch über das Jahr 1975
der Kondratieff-Zyklen hinaus erfolgt. Allerdings ist der Absatz von Autos
In den Wirtschaftswissenschaften stellen Kondra- in den USA und Europa heutzutage eher rück-
tieff-Zyklen Schwankungen beziehungsweise Wel- läufig, der Zenit der wirtschaftlichen Entwicklung
len in der ökonomischen Entwicklung dar, die der scheint überschritten.
russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kon- Biotechnologie wird als Grundlage der sechsten
dratieff (auch Kondratjew oder Kondratiev) erst- Phase der sogenannten Kondratieff-Zyklen gese-
mals 1926 beschrieb. Unter Verwendung von Indi- hen (z. B. Nefiodow 2006; Rhodes und Stelter 2009;
katoren – zum Beispiel die langfristige Entwicklung Maitz und Granig 2011, Fleßa 2012).
von Preisen, Löhnen und Zinsen – identifizierte er
138 Kapitel 2 • Biotech-Industrie von den Anfängen über heute bis in die Zukunft

. Tab. 2.38 Kondratieff-Zyklen der wirtschaftlichen Entwicklung. (Quelle: BioMedServices (2015) in Anlehnung
an Nefiodow (2006))

1. Zyklus 2. Zyklus 3. Zyklus 4. Zyklus 5. Zyklus 6. Zyklus


2 Ungefährer 1780–1840 1840–1890 1890–1940 1940–1975 1975–2000 2000–?
Zeitraum

Jede Phase Aufschwung, Rezession, Abschwung, Erneuerung/Verbesserung


umfasst

Entwick- Dampfma- Stahl, Eisen- Elektrotech- Automobil, Informa- Biotechno-


lung schine, Textil- bahn, Dampf- nik, Chemie, Elektronik, tionstechnik logie, Nano-
Industrie schiffe Automatisie- technologie
rung

Anwen- Kraft Transport Massenkon- Individuelle Information, Gesundheit


dung/ Bekleidung sum Mobilität Kommuni-
erfülltes kation
Bedürfnis

»» Mit der weltweiten Rezession der Jahre 2001 bis land das Potenzial der Biotechnologie nur anhand
2003 ist der letzte, der fünfte Kondratieffzyklus, der forschungsintensiven kleinen und mittleren
der von der Informationstechnik getragen Unternehmen (7 Kap. 5) gesehen, schränkt das die
wurde, zu Ende gegangen. Parallel dazu hat Bedeutung dieser Schlüsseltechnologie zu sehr ein.
ein neuer Langzyklus, der sechste Kondratieff,
begonnen. Er wird vom Bedarf nach ganzheit-
licher Gesundheit angetrieben und wird den Literatur
Ländern, die diesen Langzyklus führend beherr-
schen, für ein halbes Jahrhundert Prosperität Abbott A (2000) Roche brings down curtain on Swiss immu-
nology lab. Nature 405:605. doi:10.1038/35015238
und Vollbeschäftigung bringen. (Nefiodow 2011)
AbbVie (2015) About us. 7 http://www.abbvie.com/about-
us/home.html. Zugegriffen: 30. Juni 2015
7 Abschnitt 1.2 hat aufgezeigt, dass die Biotechnolo- Abir-Am PG (2002) The Rockefeller Foundation and the rise
gie bereits seit Tausenden von Jahren genutzt wird, of molecular biology. Nat Rev Mol Cell Biol 3:65–70.
um Nahrungsmittel herzustellen. Moderne Metho- doi:10.1038/nrm702
Amgen (2015) Facts. 7 http://www.amgen.com/about/facts.
den wie die Gentechnik finden seit 1976 kommer-
html. Zugegriffen: 30. Juni 2015
zielle Anwendung. Somit lässt sich im Grunde nicht, AstraZeneca (2014) Pioneering science, life-changing
wie in . Tab 2.38 dargestellt, eine scharfe Grenze medicines. AstraZeneca Annual Report and Form 20-F
beim Jahr 2000 ziehen. Information 2013. AstraZeneca, London
Dennoch wird an dieser Stelle – wie bei den Barr A, Loftus P (2014) Google, AbbVie announce research
partnership. The Wallstreet Journal vom 04.09.2014.
anderen aufgeführten Autoren – die Meinung ver-
7 http://www.wsj.com/articles/google-abbvie-announ-
treten, dass es sich bei der Biotechnologie und ihrer ce-research-partnership-1409764830. Zugegriffen: 30.
wirtschaftlichen Nutzung um eine Basisinnovation Juni 2015
handelt, die den Beginn einer langen Welle auslöst. Benninga H (1990) A history of lactic acid making: a chapter
Gleichzeitig hat sie das Potenzial, bisherige Techno- in the history of biotechnology. Springer, Heidelberg
Berufsstart (2014) Unternehmen stellen sich vor. Alle Fach-
logien und Anwendungen obsolet zu machen.
richtungen. Jahresausgabe 2014/2015. Klaus Resch
Diese Entwicklung wird sich allerdings nicht Verlag, Großenkneten, S 90–92
in der »einen« Biotech-Industrie abspielen, gerade Bioökonomierat (2015) Was ist Bioökonomie? 7 http://www.
weil die Biotechnologie eine Querschnittstechno- biooekonomierat.de/biooekonomie.html. Zugegriffen:
logie ist. Die Anwendungsbreite ist enorm, wie das 30. Juni 2015
nachfolgende 7 Kap. 3 aufzeigt. Wird in Deutsch-
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139 2
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143 3

Anwendende Sektoren
und Märkte der Biotechnologie
Julia Schüler

Zusammenfassung
Als Querschnittstechnologie wirkt die Biotechnologie beziehungsweise ihre wirt-
schaftliche Anwendung breit in verschiedene Einsatzfelder. Diese reichen von
der pharmazeutischen über die chemische Industrie, den Agrar- und Lebens-
mittelsektor bis hinein in den Umweltschutz. Dadurch können wiederum viele
andere produzierende Gewerbe indirekt aus der Biotechnologie Nutzen ziehen,
wie zum Beispiel die Automobilindustrie. Den Anwendungsbereichen wurden
nach und nach »passende« Farben zugeordnet: Die »Rote Biotechnologie« für
die Anwendungen im Bereich der Medizin (hauptsächlich Pharmazeutika und
Diagnostika), die »Weiße Biotechnologie« für den Einsatz in der industriellen,
vor allem chemischen Produktion, die »Graue Biotechnologie« für den Umwelt-
schutz sowie die »Grüne Biotechnologie« für Produkte oder Problemlösungen
im Agrarsektor. Neben Beispielen zu Anwendungen und Marktdaten der Roten
Biotechnologie bietet das Kapitel einen Exkurs zur Medikamenten-Entwicklung.
Es wird vor allem auf die Faktoren Kosten, Dauer sowie Risiko eingegangen.
Zudem werden aktuelle Themen wie Biosimilars, Immun- und Gentherapie oder
die personalisierte Medizin ausführlich behandelt. Die Ausführungen zur Weißen
Biotechnologie umfassen unter anderem Erläuterungen zu Bioplastik und Bio-
sprit. Zu Letzteren kann aufgezeigt werden, dass die Biotechnologie Lösungen
bereithält, die eine »Tank versus Teller«-Diskussion im Keim ersticken kann. Auch
in der Grünen Biotechnologie ermöglicht der technische Fortschritt neuartige
Ansätze, die die bisherigen Verfahren der Pflanzenzüchtung erweitern.

3.1 Rote Biotechnologie: biopharmazeutische


und Diagnostika-Industrie – 145
3.1.1 (Bio-)Pharmazeutika: biologisches Know-how für Arzneimittel – 145
3.1.2 Therapeutische Trends: Immuntherapien,
Gentherapien, personalisierte Medizin – 213
3.1.3 (Molekular-)Diagnostika – 236

J. Schüler, Die Biotechnologie-Industrie,


DOI 10.1007/978-3-662-47160-9_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
3.2 Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem
chemische Produktion – 254
3.2.1 Sektor mit der längsten Tradition biotechnologischer
Anwendungen – 255
3.2.2 Verfahren und Produkte der Weißen Biotechnologie – 256
3.2.3 Grundchemikalien (Basis- oder Bulk-Chemikalien) und
(Bio-)Polymere – 258
3.2.4 Spezialchemikalien (Feinchemikalien) – 276
3.2.5 Umsatzprognosen und Unternehmen der Weißen
Biotechnologie – 283
3.2.6 Abschließende Einschätzung zur Weißen Biotechnologie – 288

3.3 Weitere Sektoren – 291


3.3.1 Grüne Biotechnologie: Agrarsektor – 292
3.3.2 Graue Biotechnologie: Umweltschutz – 297
3.3.3 Zulieferer, Dienstleister, Technologie- und Tools-Anbieter – 297

Literatur – 301
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
145 3
Als Querschnittstechnologie wirkt die Biotech- nicht weiter untersucht. Gleiches gilt für die medi-
nologie beziehungsweise ihre wirtschaftliche An- zinische Versorgung von Haustieren.
wendung breit in verschiedene Einsatzfelder. Diese
reichen von der pharmazeutischen über die che-
mische Industrie, den Agrar- und Lebensmittel- 3.1.1 (Bio-)Pharmazeutika:
sektor bis hinein in den Umweltschutz. Dadurch biologisches Know-how für
können wiederum viele andere produzierende Arzneimittel
Gewerbe indirekt aus der Biotechnologie Nutzen
ziehen, wie zum Beispiel die Automobilindustrie. Die Entwicklung neuartiger Arzneimittel ist – wie
Den Anwendungsbereichen wurden nach und schon in 7 Abschn. 2.2. dargestellt – bisher ein
nach »passende« Farben zugeordnet: Die »Rote Hauptanwendungsgebiet der modernen Biotech-
Biotechnologie« für die Anwendungen im Bereich nologie. In der Regel werden sie als Biopharmazeu-
der Medizin (hauptsächlich Pharmazeutika und tika bezeichnet, wobei der Begriff oft unterschied-
Diagnostika), die »Weiße Biotechnologie« für den lich und damit uneindeutig angewendet wird (z. B.
Einsatz in der industriellen, vor allem chemischen auch bei den regulatorischen Behörden, 7 Zulas-
Produktion, die »Graue Biotechnologie« für den sungsbehörden und ihre Definition von Biopharma-
Umweltschutz sowie die »Grüne Biotechnologie« zeutika). Die vorliegende Publikation legt die Defi-
für Produkte oder Problemlösungen im Agrarsek- nition von Rader (2008) zugrunde, der Biopharma-
tor (. Abb. 3.1). zeutika wie folgt beschreibt:
Die einzelnen Bereiche überschneiden sich
teilweise. So liefert die Grüne Biotechnologie Aus- »» Broad biotech. This definition … follows the
gangsmaterialien für die »Weiße« und diese wirkt classic one grounded in objective conside-
in den Bereich der »Grauen« hinein, indem sie ration of product/agent sources and their
einen produkt- und produktionsintegrierten Um- manufacture – biopharmaceuticals are phar-
weltschutz ermöglicht. Denn bei den Verfahren der maceuticals that are biological in nature and
Weißen Biotechnologie werden für die industriel- manufactured by biotechnology methods.
le Produktion weniger Energie und keine fossilen This includes products manufactured both by
Rohstoffe benötigt. Zudem reduziert sie oft (toxi- what some label as ‚new‘ technologies (e.g.,
sche) Abfälle sowie die Anzahl der Prozessstufen. monoclonal antibodies and recombinant
Weitere »Farben« sind die 7 »Blaue und Gelbe proteins; involving genetic engineering) and
Biotechnologie«. Zudem profitieren bestimmte Zu- ‚old‘ technologies (e.g., proteins and vacci-
lieferer und Dienstleister von der wirtschaftlichen nes derived from nonengineered organisms
Anwendung der Biotechnologie. Entsprechen- as well as blood/plasma-derived products).
de Sektoren und Märkte werden im Folgenden (Rader 2008)
skizziert. Eine aktuelle Übersicht zu Anwendungs-
bereichen der Biotechnologie findet sich auch in . Abbildung 3.2 gibt eine Übersicht zu verschie-
der jüngsten Studie der Gesellschaft für Chemische denen Typen der (Bio-)Pharmazeutika mit ent-
Technik und Biotechnologie (DECHEMA 2014). sprechenden Beispielen. Im allgemeinen Sprach-
gebrauch sind Biopharmazeutika primär Mo-
leküle biologischer Natur und biosynthetischer
3.1 Rote Biotechnologie: Herkunft. Hier als moderne Biopharmazeutika
biopharmazeutische und oder Biologika im engeren Sinne (i. e. S.) bezeich-
Diagnostika-Industrie net, sind sie nur mittels DNS-Rekombination in
Mikroorganismen und tierischen oder pflanz-
Die Rote Biotechnologie zielt insbesondere auf das lichen Zellen zu produzieren (new technologies).
Wiederherstellen der Gesundheit von Mensch und Ohne diese neue Technologie kommt dagegen
Tier. Der veterinärmedizinische Sektor, der vor al- die Gewinnung klassischer Biopharmazeutika
lem bei Nutztieren eine große Rolle spielt, wird hier aus. Bereits vorliegende Wirkstoffe werden aus
146 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Biologie

3
Biophysik Biochemie

Rote BT

Physik BT Chemie Medikamente


Diagnostik
PC Gentherapie
Elektro- Chemische
technik u. a. Verfahrens-
technik MF

ET
Ingenieur- Grüne Graue
wissenschaft
Agrar PS
Roh- Schadstoff-
stoffe vermeidung/
-abbau

Weiße
Industrie
v. a. Chemie

© BioMedServices 2015

. Abb. 3.1 Die Grundlagenwissenschaften und Anwendungsbereiche der Biotechnologie. BT Biotechnologie, PC phy-
sikalische Chemie, ET enabling Technologien – unterstützende »Werkzeuge« wie Bioinformatik, Sequenzierung, Analytik
etc., MF molecular farming – Herstellung von Medikamenten in Pflanzen und Tieren, PS Pflanzensensoren

biologischen Organismen isoliert (old technolo- stehen die klassischen Pharmazeutika. Grund-
­
gy). Im Gegensatz zu Rader (2008), der chemisch sätzlich chemisch synthetisiert, unterscheiden sie
synthetisierte Wirkstoffe strikt von der Defini- sich in einigen Merkmalen (7 Biopharmazeutika
tion als Biopharmazeutikum ausschließt, werden und ihr Unterschied zu chemisch synthetisierten
bestimmte Vertreter dieser Art hier als moderne ­Wirkstoffen). Frappierend ist vor allem der Grö-
Biopharmazeutika im weiteren Sinne (i. w. S.) er- ßenunterschied und damit einhergehend eine sehr
achtet. So sind dies kleine biologische Moleküle viel größere Komplexität bei den Biopharmazeuti-
wie Peptide (Proteinbausteine) oder Nukleoside/ ka. Klassische, chemisch synthetisierte Wirkstoffe
Nukleotide (Bausteine der DNS oder RNS), die werden daher im Englischen auch als small mole-
aufgrund ihrer Größe chemisch synthetisierbar cules bezeichnet. . Abbildung 3.3 veranschaulicht
sind. Hierunter fallen beispielsweise antisense- die verschiedenen Größen und zieht eine Analogie
Moleküle oder RNS-Wirkstoffe sowie deren Ana- zu der unterschiedlichen Komplexität verschiede-
loga und Derivate. ner Fortbewegungsmittel, ausgedrückt über deren
In Abgrenzung zu den Biopharmazeutika, Gewicht oder auch Produktionskosten.
deren Wirkstoff immer biologischer Natur ist,
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
147 3

»Blaue und Gelbe Biotechnologie«


Im Gegensatz zur Roten, Weißen, bakterien, früher Blaualgen genannt, organismen mittlerweile bekannt.
Grauen und Grünen Biotechnologie ganz vorne mit dabei. Mit mehr als Außerdem können Algenbioreak-
bezieht sich die Namensgebung bei 200 bioaktiven Stoffen bilden sie eine toren … überall aufgebaut werden.
der Blauen und Gelben Biotechno- eigene kleine Fabrik, eingebettet … Die Herstellung von Rohstoffen
logie nicht auf den Anwendungs- in Korallenriffe. Von diesen Stoffen wie Kohlenhydraten oder Lipiden
bereich, sondern leitet sich von der haben einige eine antibiotische Wir- für die energetische Nutzung [wäre]
Herkunft der biologischen Organis- kung, andere sind tumorinhibierend, zukunftsweisend. Das, was die Welt
men ab. wirken entzündungshemmend oder in Zukunft bewegt, ist nicht der Raps,
antiviral. Algen können auf verschie- sondern die Zukunft der Energie aus
Blaue oder Marine Biotechnologie
denen Gebieten eingesetzt werden. Biomasse liegt in den Algen … Algen
Blau steht für Meer, marin leitet sich
Als Energiequelle produzieren sie binden bei ihrem Wachstum CO2.
vom lateinischen Wort marinus (zum
Wasserstoff; oder ihre Gene werden Doch dieses wird bei der Energiege-
Meer gehörig) ab.
in Sojabohnen oder Raps übertragen, winnung wieder freigesetzt, daher ist
»Häufig wird von einer Apotheke aus
um als Nahrungsergänzungsmittel der Prozess insgesamt CO2-neutral.
dem Meer gesprochen. Die Mikro-
den Bedarf der Verbraucher an Vielleicht geht es ja auch noch
organismen und kleinsten Meeresbe-
Omega-3-Fettsäure zu decken. Ein besser: … [Ein] Team am Karlsruher
wohner hatten circa drei Milliarden
anderer Fokus der Forschung liegt Institut für Technologie … [arbeitet]
Jahre mehr Zeit sich zu entwickeln
auf den marinen Schwämmen. Die im Bereich der Bioverfahrenstechnik
als Lebewesen auf dem Land. Erstere
kleinen, sessilen Tiere besiedeln seit daran, die Grünalge Chlamydomonas
haben sich an die Extrembedin-
circa 800 Millionen Jahren die Welt- reinhardtii so zu kultivieren, dass sie
gungen im Meer – von der Kälte im
meere und entwickelten schon früh den umweltverträglichen Energie-
Eis der Antarktis bis zu den heißen,
Mechanismen, die sie vor Feinden träger Wasserstoff herstellt – kosten-
sprudelnden Tiefseevulkanen – an-
schützen. Dieser Schutz besteht aus und energiegünstiger, als es bisher
gepasst. Hier knüpft … die marine
Substanzen, die ihre Feinde nicht möglich ist« (Vondracek 2012).
Biotechnologie [an]. Sie befasst
direkt töten, aber abschrecken sollen.
sich mit den biotechnologischen Gelbe oder Insektenbiotechno-
Sie enthalten toxische und pharma-
Anwendungen bezogen auf die logie
zeutische Wirkstoffe und werden in
Lebewesen aus dem Meer. Mikroben, »Unter Gelber Biotechnologie
der Krebs-, und hier vor allem in der
Schwämme, Algen – sie bilden Stoffe, (Insektenbiotechnologie) versteht
Leukämieforschung eingesetzt. Ein
die gegen Krebs und AIDS wirken man den Einsatz biotechnologischer
weiteres Einsatzgebiet der marinen
können, sind wichtige Energieliefe- Methoden, um Insekten bzw. von
Biotechnologie ist der Energiesektor.
ranten für die Zukunft, können Stoffe diesen stammende Moleküle, Zellen,
… Die CO2-Bilanz muss stimmen,
wie beispielsweise Glas produzieren Organe oder symbiontische Mikro-
und landwirtschaftlich fruchtbare
oder liefern wichtige Erkenntnisse für organismen für Anwendungen in
Flächen sollen nicht zweckent-
die Herstellung neuer, bei niedrigen der Medizin …, im Pflanzenschutz
fremdet werden. Ein Lösungsansatz
Temperaturen aktiver Waschmittel. … oder in der Industrie … nutzbar
könnten Algen sein. Nicht nur als
Erste pharmazeutische Wirkstoffe, zu machen. Gelb leitet sich hierbei
Nahrungsmittelergänzung, sondern
die aus den Ozeanen isoliert wurden, von der Insektenhämolymphe ab,
auch als Biodiesel-, Öl- und Bioetha-
sind bereits auf dem Markt. Dafür die in vielen Fällen eine gelbe Fär-
nol-Lieferant sind die kleinen Mikro-
sind als Produzenten die Cyano- bung besitzt« (LOEWE 2015).

Heutzutage beschäftigen sich viele Biotech- behandelnden Krankheit (im Gegensatz zur reinen
Unternehmen auch mit kleinen chemischen Mo- Symptomatik, die in der klassischen Medizin eine
lekülen (small molecules) und werden trotzdem der große Rolle gespielt hat).
Biotech-Industrie zugerechnet. Im Unterschied zu Andererseits setzen auch alle großen Phar-
den klassischen chemisch-pharmazeutischen An- ma-Unternehmen mittlerweile auf Biologika,
sätzen finden hier oft biologische Testsysteme die weshalb aufgrund der Produkte eine strikte Tren-
Wirkstoffe, oder sie werden passgenau designt. Für nung zwischen Biotech und Pharma nicht mehr
Letzteres ist ein tiefer gehendes Verständnis der opportun ist (7 Abschn. 2.4.1). Die Bezeichnung
biologischen Stoffwechselwege oder Zielmoleküle »biopharmazeutisches Unternehmen« erscheint
erforderlich beziehungsweise der Biologie der zu sinnvoller, wobei für die traditionellen Pharma-Fir-
148 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Zulassungsbehörden und ihre Definition von Biopharmazeutika


»Most regulatory agencies, in- nerations (e.g., proteins, antibodies, European Union regulations define
cluding the FDA, subscribe to genes, microbes, cells, viruses and ‚biological medicinal products‘ as
the broad biotechnology view DNA/RNA). In practice, biologics ‚a protein or nucleic acid-based
…, whereas the European Union includes ‚a wide range of products pharmaceutical substance used for
3 has largely adopted the new bio-
technology view. However, the
such as vaccines, blood and blood
components, allergenics, somatic
therapeutic or in vivo diagnostic
purposes, which is produced by
FDA and regulators in many other cells, gene therapy, tissues and means other than direct extraction
countries have no useful definition recombinant therapeutic proteins‘. from a native (nonengineered) bio-
of ‚biopharmaceutical‘ or related Most biopharmaceuticals (using logical source‘. This corresponds to
terms. The official FDA definition of the broad and new biotechnology the new biotechnology view (that is,
‚biological products‘ or ‚biologics‘ paradigms) are classed and regula- by elimination, it is largely restricted
can be summarized as ‚any virus, ted by FDA as biologics. However, to recombinant and mAb products).
therapeutic serum, toxin, antitoxin due to their similarity to products The terms ‚biotechnology medicines‘
or analogous product applicable to historically regulated as drugs, some and ‚biological medicinal products‘
the prevention, treatment or cure of simpler biopharmaceuticals are are used to broadly refer to all bio-
diseases or injuries of man‘. Similarly, regulated as drugs, mostly recombi- pharmaceuticals (by the broad bio-
the lengthy, official definition … nant hormones, for example, insulin technology view). Although these
vaguely defines biologics on the and human growth hormone, and terms are commonly used, European
basis of analogies (that is, products a few products are regulated as Union use is generally restricted
similar to viruses, serums, toxins and medical devices, with different laws to biological medicinal products
antitoxins, as defined in 1902 when and regulations applying to each (genetically engineered and mAb-
the US Virus-Toxin Law initiating the class. Because of its specific link to based products). As with ‚biologics,‘
regulation of biologics manufacture regulation by FDA and complex these terms are best used only in
was enacted). This definition avoids definition, ‚biologics‘ is best used their specific regulatory context»
terms and concepts in use for ge- only in its regulatory context. (Rader 2008).

men die neuartigen Produkte eine gewisse Heraus- wieder vom Markt genommen werden, sodass die
forderung darstellen können (7 Herausforderungen aktuelle Zahl an in den USA und Europa vermark-
bei der Produktion von Biopharmazeutika). Einige teten Biologika bei 212 liegt. Von den ursprüng-
technologische Eigenheiten listet zudem . Tab. 3.1. lichen 246 Zulassungen weisen allerdings nur 166
Medikamente unterschiedliche Wirkstoffe auf. Der
3.1.1.1 Biotech-Medikamente machen Rest entfällt auf gleiche Wirkstoffe in weiteren In-
konventionellen Arzneimitteln dikationen, Formulierungen oder aus unterschied-
den Rang streitig lichen Produktionsorganismen. Walsh schließt bei
Ausgewählte US-Zulassungen für Biopharmazeuti- dieser Zahl rekombinante therapeutische Proteine
ka wurden bereits in 7 Abschn. 2.2 vorgestellt. Für (inklusive Antikörper) sowie nukleinsäurebasierte
die Mehrheit der in den USA durch die FDA zu- Medikamente der antisense-Technologie oder für
gelassenen Biologika beantragten die Firmen auch die Gentherapie ein. Dies entspricht der hier an-
eine Zulassung in Europa. Zum Teil – bisher bei gewandten Definition der modernen Biopharma-
rund einem Viertel der Fälle – erfolgte diese so- zeutika i. e. S. sowie einem Teil derjenigen i. w. S.
gar vor derjenigen in den USA. Daneben finden Dabei machen die zuerst Genannten in jedem Fall
sich auch Zulassungen, die nur für den europäi- den Hauptanteil aus.
schen und nicht für den US-Markt gelten. In seiner Auf die FDA entfielen bis zum Jahr 2012 laut
neuesten Analyse zu modernen Biopharmazeu- Rader (2013a) 143 Biopharmazeutika-Zulassungen
tika zählt Walsh (2014) bis Mitte 2014 insgesamt (nur rekombinante Proteine, inklusive Antikör-
246 Marktzulassungen durch die FDA und die per). Ende 2014 lag ihre Zahl bei über 170 (eigene
europäische Zulassungsbehörde EMA (European Recherchen). Es handelt sich um 41 therapeuti-
Medicines Agency). 34 Biotech-Produkte mussten sche Antikörper, 15 Fusionsproteine sowie als Rest
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
149 3

Klassische Moderne Biopharmazeutika


Biopharmazeutika Im weiteren Sinne
Im engeren Sinne

– Zelkulturen und Gewebe


– Immunglobuline aus
Mensch und Tier – Rek. Proteine
– Andere Blutprodukte – Rek. Glykoproteine
– Polyklonale und nicht-rek. – Rek. monoklonale
groß
Biologischer Natur *

monoklonale Antikörper Antiköper


– Enzyme, Vakzine
– Kollagen, Chitosan,
Hyaluronsäure

– Sekundäre Metaboliten
(Antibiotika, Insektizide, – Rek. Peptide – Synthetische Peptide
– Rek. virale Vektoren – Polynukleos(t)ide (inkl.
klein

Toxine)
– Vakzine (Gentherapie) Antisense-, RNS-Wirkstoffe)
– Pflanzenextrakte – Rek. Vakzine – Nukleos(t)ide und Analoge

Pharmazeutika
Semisynthetische – Zielgenaue Moleküle
Wirkstoffe
Chemisch

(rational drug design)


klein

(enzymatische Synthese – Biologisches


Klassische
von kleinen Molekülen) Screenen nach
kleinen Molekülen

Biologische Synthese, Biologische Synthese, Chemische


traditionell optimiert inkl. DNS-Rekombination Synthese
oder naturbelassen (genetic engineering)

Mensch, Tier, Pflanze, Mikroorganismus oder Teile davon Reagenzglas, Reaktor


Molekül

Extraktion, Klassische BT Moderne Biotechnologie

Produzierende Technologie bzw. Quelle © BioMedServices 2015

. Abb. 3.2 (Bio-)Pharmazeutika und ihre verschiedenen Typen. *Biologische Moleküle, die nur in lebenden Organis-
men vorkommen; BT Biotechnologie, rek. rekombinant

humane, rekombinant hergestellte Proteine (u. a. Gesellschaften aus Europa (etwa jeweils zur Hälfte
Enzyme, Blut- und Wachstumsfaktoren, Hormo- Pharma- und Biotech-Unternehmen).
ne) und andere Protein-Wirkstoffe inklusive Impf-
stoffe. Rund ein Viertel davon stammt von traditio- Zahlenmäßiger Vergleich: Biologika versus
nellen Pharma-Firmen (etwa 60/40 europäische/ konventionelle Wirkstoffe (FDA-Basis)
US-Konzerne). Beim Rest von etwa drei Vierteln Die FDA veröffentlicht monatlich beziehungs-
war immer eine Biotech-Firma an der Entwicklung weise jährlich eine Liste der von ihr zugelassenen
beteiligt (hier noch die alte Unterscheidung ange- Medikamente. Hierunter finden sich freigegebene
wendet), wobei die US-Biotech-Firmen mit 85 % Generika sowie neue Arzneimittel. Die Generika
klar vorne liegen. Von allen FDA-Zulassungen durchlaufen bei der FDA eine sogenannte ANDA
entfallen drei Viertel auf US- und ein Viertel auf (abbreviated new drug application).
150 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Antikörper
Aspirin Hormon
3 21 Atome 3000 Atome
25.000 Atome

© BioMedServices 2015
Auto
1200 kg Kleiner Jet
Fahrrad
10.000 kg
10 kg

. Abb. 3.3 Vergleich der Größenordnung: klassische Pharmazeutika versus Biologika. Erstellt nach Otto et al. (2014)
unter Verwendung der Bilddatenbank Dreamstime (free images section). Objekte nicht skalengerecht

Biopharmazeutika und ihr Unterschied zu chemisch synthetisierten Wirkstoffen


»Essentially all aspects of biopharma- tions and materials (e.g., heat and polymers comprising many, usually
ceuticals are distinct from those of solvents) that kill most organisms hundreds or thousands, of chemical
drugs, most of which are small mo- and inactivate biological molecules. subunits or monomers … with each
lecules or other synthetic chemical … The purity and contents of drug subunit a potential site for structural
substances. The inherent differences active agents and finished products variation. Biopharmaceuticals, due
between these two classes include can generally be readily analyzed to their biological source and manu-
product and active agent sources, and demonstrated. … In contrast, facture, involve inherent diversity,
identity, structure, composition, biopharmaceuticals are much larger randomness and complexity, often
manufacturing methods and equip- and more complex, such that they defying rigorous (bio)chemical ana-
ment, intellectual property, formu- make structural representation at the lysis and terse textual descriptions.
lation, handling, dosing, regulation atomic level much harder. Compared Even biopharmaceuticals (e.g., from
and marketing. Small-molecule and with drugs, biopharmaceuticals are different manufacturers), indistin-
most other drugs have structures composed of many more atoms – guishable using state-of-the-art
composed of relatively few atoms, with molecular masses usually two analytical technologies, may be sub-
such that their structures can ge- or three orders of magnitude greater stantially different, including having
nerally be portrayed by diagrams – and involve many additional levels different efficacy and safety profiles
showing linkages of specific atoms. of structural complexity (e.g., for- (e.g., immunogenicity), which is a
Drugs can generally be manufac- ming polymeric chains with varying major factor complicating regulation
tured with high consistency and and diverse structures and chemical of generic biopharmaceuticals (e.g.,
using rather standardized chemical modifications). Most biopharmaceu- … biosimilars, follow-on proteins)«
processes, usually involving condi- ticals involve proteins or other bio- (Rader 2008).
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
151 3

Herausforderungen bei der Produktion von Biopharmazeutika


»These new products have created without damage, and made to consuming to build (four to five
their own operational and technolo- thrive in the unusual environment years). These facilities are costly to
gical challenges. Reproducing large of a reaction vessel. The molecules run too, with long process durations,
molecules reliably at an industrial must then be separated from the low yields, expensive raw materials,
scale requires manufacturing ca- cells that made them and the media and, not least, the need for a team
pabilities of a previously unknown in which they were produced, all of highly skilled experts to operate
sophistication. A molecule of aspirin without destroying their complex, them. The rapid growth and increa-
(chemical) consists of 21 atoms. A fragile structures. All this sophistica- sing importance of the industry are
biopharmaceutical molecule (pro- tion comes at great cost. Large-scale producing a new set of challenges
tein) might contain anything from biotech manufacturing facilities are and opportunities. To keep pace,
2,000 (interferons) to 25,000 (mAbs) expensive: $200 million to $500 mil- biopharma players will have to revi-
atoms. The ‚machines‘ that produce lion or more (compared with a sit and fundamentally reassess many
recombinant therapeutics are ge- similar scale small-molecule facility of the strategies, technologies, and
netically modified living cells that that might cost just $30 million to operational approaches they cur-
must be frozen for storage, thawed $100 million), and they are time- rently use« (Otto et al. 2014).

. Tab. 3.1 Übersicht zu Merkmalen von klassischen Pharmazeutika versus Biopharmazeutika. (Quelle: BioMed-
Services (2015) nach PharmQD (2014) und Dingermann und Zündorf (2014))

Merkmal Kleine Moleküle (klassische Ph.) Biopharmazeutika

Technologie Chemische Synthese Biochemische Synthese in lebenden Zellen

Größe Niedriges Molekulargewicht Hohes Molekulargewicht

Physikochemie Einfach, stabil, gut definiert Komplex, labil (sensitiv gegenüber Hitze und Scher-
kräften), heterogen

Produktions- Einfache Einheit, hohe chemische Heterogene Mixtur, breite Spezifikationen, die sich
prozess Reinheit, etablierte Standards während des Prozesses ändern können, schwierig zu
standardisieren

Kein Einfluss bei Änderung oder Sehr anfällig bei Änderungen oder durch
durch Umgebungsbedingungen Umgebungsbedingungen

Analytik Prozess komplett analytisch abdeck- Schwierige Charakterisierung, Testverfahren nicht


bar standardisiert

Aufreinigung Einfach Lang und komplex

Qualitätssiche- Verunreinigungen sind vermeidbar, Wahrscheinlichkeit der Kontamination ist wesentlich


rung leicht zu entdecken und entfernen höher, schwer zu entdecken und entfernen

Pharmakoki- Schnelle Verteilung und Wirkung Verteilung über lymphatisches System, mögliche
netik über Kapillaren Proteolyse und Abwanderung

Allergen Meist nicht In der Regel

Ph. Pharmazeutika
152 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Was sind Biologika? Fragen und Antworten


»Biological products include a wide – human, animal, or microorganism structure is known, most biologics are
range of products such as vaccines, – and may be produced by biotech- complex mixtures that are not easily
blood and blood components, aller- nology methods and other cutting- identified or characterized. Biological
genics, somatic cells, gene therapy, edge technologies. Gene-based and products, including those manufactu-
3 tissues, and recombinant therapeutic
proteins. Biologics can be composed
cellular biologics, for example, often
are at the forefront of biomedical
red by biotechnology, tend to be heat
sensitive and susceptible to microbial
of sugars, proteins, or nucleic acids or research, and may be used to treat contamination. Therefore, it is neces-
complex combinations of these sub- a variety of medical conditions for sary to use aseptic principles from
stances, or may be living entities such which no other treatments are availa- initial manufacturing steps, which is
as cells and tissues. Biologics are iso- ble. … In contrast to most drugs that also in contrast to most conventional
lated from a variety of natural sources are chemically synthesized and their drugs« (FDA 2015a).

NME: new molecular entities


»Certain drugs are classified as NMEs for administrative purposes, ses of FDA review, regardless of
new molecular entities (‚NMEs‘) but nonetheless contain active whether the Agency previously has
for purposes of FDA review. Many moieties that are closely related approved a related active moiety
of these products contain active to active moieties in products that in a different product. FDA’s clas-
moieties that have not been appro- have previously been approved by sification of a drug as an ‚NME‘ for
ved by FDA previously, either as a FDA. For example, CDER [Center review purposes is distinct from
single ingredient drug or as part for Drug Evaluation and Research] FDA’s determination of whether
of a combination product; these classifies biological products sub- a drug product is a ‚new chemical
products frequently provide im- mitted in an application under entity‘ or ‚NCE‘ within the meaning
portant new therapies for patients. section 351(a) of the Public Health of the Federal Food, Drug, and
Some drugs are characterized as Service Act as NMEs for purpo- Cosmetic Act« (FDA 2015b).

Generikum (Plural: Generika) nenen Wirkstoffe oder Produkte ein – egal, ob un-
»…Arzneimittel, das eine wirkstoffgleiche Kopie verändert isoliert oder gentechnisch konstruiert (re-
eines bereits unter einem Markennamen auf kombinant) und mittels biologischer Organismen
dem Markt befindlichen Medikaments ist. Von hergestellt (7 Was sind Biologika? Fragen und Antwor-
diesem Originalpräparat kann sich das Generi- ten). Bei den NDAs handelt es sich entweder um be-
kum bezüglich enthaltener Hilfsstoffe und Her- reits früher zugelassene Wirkstoffe in zusätzlichen
stellungstechnologie unterscheiden. Generika Indikationen, neuen Dosierungen, Formulierungen
werden zumeist unter dem internationalen Frei- und Kombinationen oder um neuartige Moleküle
namen (INN) des Wirkstoffes mit dem Zusatz des (7 NME: new molecular entities). Im Rahmen einer
Herstellernamens angeboten. Hingegen bieten BLA lässt die FDA neuartige Wirkstoffe als new bio-
sogenannte Markengenerika (branded generics) logics zu, die im Branchenjargon auch als new bio-
patentfreie Wirkstoffe unter einem neuen Han- logical entity (NBE) bezeichnet werden.
delsnamen an« (Wikipedia, Generikum) Die FDA prüft die BLAs in verschiedenen Ab-
teilungen (. Tab. 3.2): im CBER (Center for Bio-
logics Evaluation and Research) oder im CDER
Neue Arzneimittel erfordern dagegen eine NDA (Center for Drug Evaluation and Research).
(new drug application) oder eine BLA (biologics Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten wurden
license application). Die NDA gilt in der Regel für hier so ausführlich erklärt und eingeordnet, da viele
konventionelle Wirkstoffe und für kleine Moleküle Statistiken zu den FDA-Zulassungen sie verwen-
biologischer Natur, die BLA für die größeren Biolo- den. Dabei wird aber die (Markt-)Entwicklung der
gika. Die biologics-Definition der FDA bezieht indes modernen Biopharmazeutika (i. e. S.) nicht immer
grundsätzlich alle aus natürlichen Quellen gewon- klar, weil die FDA diese zum einen in den NDAs
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
153 3

. Tab. 3.2 Zuständigkeiten verschiedener Abteilungen in der Food and Drug Administration (FDA; nach Reorganisation
2004). (Quelle: BioMedServices (2015) nach FDA (2015c))

CBER CDER

Small molecules (chemische Synthese, meist konventionelle


Medikamente)
NDA

Bestimmte rekombinant produzierte kleine biologische Moleküle:


Peptide, Peptidanaloga, manche Enzyme

Blut und Blutproduktea Therapeutische Proteine, die aus Mikroorganismen, Pflanze, Tier
Impfstoffe und Allergene oder Mensch gewonnen werden. Inklusive rekombinanter Versionen
(außer Blutfaktoren): Zytokine (z.B. Interferone),
Gewebe und Wachstumsfaktoren, Enzyme, Fusionsproteine, Glykoproteine,
Gewebeprodukte (z. B.
BLA

rekombinante Impfstoffe, Antikörper (in vivo-Gebrauch)


Knochen, Haut,
Stammzellena)

Zell- und Gentherapiea Immunmodulatoren (ohne Impfstoffe und Allergene)


aauch rekombinant; BLA: biologics license application, CBER: Center for Biologics Evaluation and Research,
CDER: Center for Drug Evaluation and Research, NDA: new drug application

. Tab. 3.3 FDA-Zulassungen neuartiger Arzneien seit 2000: Bio versus Nicht-Bio. (Quelle: EVP: EvaluatePharma (2015a)
und Tufts: Tufts Center for the Study of Drug Development (Getz und Kaitin 2015))

20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

NME 27 24 17 21 31 18 18 16 21 19 15 24 31 25 31
EVP
Bio 6 8 9 14 7 10 11 10 10 15 11 11 12 10 19
NDA 27 24 17 21 31 18 18 16 21 19 15 26 28 24
Tufts
BLA 2 5 7 6 5 2 4 2 4 7 6 9 11 3

Bio: biologicals, BLA: biologics license application, NDA: new drug application, NME: new molecular entities

und zum anderen in den BLAs zählt. So veröffent- den NDAs geringfügig von denen der FDA und Eva-
licht der Datendienst EvaluatePharma hervorragen- luatePharma ab (Getz und Kaitin 2015). . Tabelle 3.3
de Statistiken (z. B. EvaluatePharma 2014a), die die stellt diese beiden Quellen einander gegenüber.
Anzahl der FDA-Zulassungen herunterbrechen auf . Abbildung 3.4 zeigt dagegen auf, wie sich die
die Kategorien »No. of NMEs approved«, »No. of Bio- FDA-Zulassungen neuer Medikamente (NME und
logicals Approved«. Die NME-Zahlen entsprechen NBE) seit 1985 (Zulassung 2. rekombinantes Protein)
dabei den NDAs, die aber auch rekombinante Pep- entwickelt haben, und weist anteilig die rekombinant
tide oder Enzyme enthalten können (. Tab. 3.2). Die hergestellten Biopharmazeutika (i. e. S.) aus – seien
Angaben zu den biologicals umfassen alle über BLA sie bis 2003 im CBER als therapeutic biological product
(CDER und CBER) zugelassene, rekombinant und oder nach Reorganisation ab 2004 im CDER über
nicht-rekombinant gewonnene biologische Wirk- eine BLA oder eine NDA zugelassen (FDA 2015c).
stoffe. Letztere werden von der FDA indes bis auf Im gesamten Zeitraum von 1985 bis Ende 2014
wenige Ausnahmen in der Regel nicht als neuartig stellten die rekombinanten Biopharmazeutika
gezählt. Bei aktuellen Angaben des Tufts Center for (rBP) lediglich 13 % aller neuartigen Wirkstoffe.
the Study of Drug Development (CSDD der Tufts Zahlenmäßig gesehen lagen also die Nicht-Biologi-
University, Boston) wird nicht ganz klar, was die ka deutlich in Führung. Der Mittelwert über 30 Jah-
Kategorie BLA zählt. Zudem weichen die Zahlen zu re ändert sich bei Betrachtung der letzten 15 Jahre
154 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

© BioMedServices 2015
50 250
rBP NME & NBE
45
Restliche rBP rAK Anteil rBP (%) NME & NBE
40 200
3 35
197
148
30 134 150
133
25 118
102 22%
21%
20 100
19%
15

10 8% 50

5
6%
4% 6 10 8 16
0 0
85–89 90–94 95–99 00–04 05–09 10–14

. Abb. 3.4 FDA-Zulassungen neuartiger Arzneien seit 1985: rekombinante Biopharmazeutika versus konventionelle Wirk-
stoffe. Erstellt nach Daten von FDA (2015d) und eigenen Recherchen. Linke Achse: Rekombinante Biopharmazeutika i. e. S. (rBP),
rechte Achse: therapeutische NME (new molecular entities) und NBE (new biologicals entities); rAK rekombinante Antikörper

nur leicht: Hier erreichten die gentechnisch herge- CBER, ab 2004 im CDER). Kinch (2014) zählt bis
stellten Biotech-Medikamente immerhin einen An- Ende 2013 in seiner Analyse 94 BLAs (vermutlich
teil von rund einem Fünftel aller neuen Arzneien. inklusive sechs nicht-rekombinant hergestellter
Darunter haben vor allem die Antikörper deutlich NBEs). Diese 94 BLAs untersuchte er im weiteren
zugenommen: Über drei Viertel aller FDA-Anti- Detail und unterschied dabei zwischen Pharma-
körper-Zulassungen fielen auf diesen Zeitraum. und Biotech-Firmen.
Innerhalb der neuartigen FDA-Biologika-Zu-
lassungen stieg der jährliche Durchschnitt von
»» To broadly distinguish pharmaceutical and
biotechnology organizations, all companies
einem rBP auf 3,2 rBP in der jeweiligen zweiten
founded after Cetus Corporation (1971) were
Hälfte der 1980er- und 1990er-Jahre. Die letzten
defined as biotechnology … We asked how
fünf Jahre erbrachten einen Mittelwert von 6,4 rBP.
organizations contributed to biologics NMEs in
Das entspricht einer Art Produktivitätssteigerung
terms of: 1) Filing the first patent; 2) Submitting
um den Faktor 6. Bei den Nicht-Biologika (kon-
the Investigational New Drug (IND) applica-
ventionelle NMEs) erhöhte sich die durchschnitt-
tion; 3) Clinical development; or 4) Awarding of
liche Zahl im gleichen Zeitraum von 24 auf 30 Zu-
a BLA (Kinch 2014).
lassungen, was eine Steigerung um 25 % bedeutet.
Folgende Ergebnisse lieferte die Analyse:
Zulassungszahlen zu Biopharmazeutika zeigen 55 Biotech-Firmen erhielten 53 Biologika-Zulas-
die Bedeutung der Biotechnologie für sungen, Pharma-Firmen 41;
Innovationen in der Medikamenten-Entwicklung 55 87 der 94 NBEs (92,6 %) involvierten Biotech-
nicht korrekt auf Firmen im Rahmen der ersten Patente sowie
Von den über 100 seit 1985 FDA-zugelassenen neu- präklinischer und klinischer Entwicklung;
artigen rekombinanten Biopharmazeutika (rBP) 55 der Beitrag der Biotech-Firmen blieb über vier
durchlief die Mehrheit eine BLA (anfänglich im Dekaden hinweg stabil, nahm allerdings in den
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
155 3
früheren Phasen der Entwicklung (Patente, Auch Kinch beschreibt den Trend der Ver-
IND) zu; schmelzung von Biotech und Pharma zu biophar-
55 Pharma-Firmen gewannen dagegen zuneh- mazeutischen Gesellschaften:
mend einen größeren Anteil der finalen Zulas-
sungen (von 44 % in den 1990ern auf 64 % in
»» Established pharmaceutical companies often uti-
lize acquisitions to embrace biotechnology pro-
der aktuellen Dekade).
ducts and approaches. The pivoting of established
drug companies into the biotechnology arena has
Derselbe Autor analysierte zudem den Einfluss der
given rise to a new generation of organizations:
Biotechnologie auf die Entwicklung der small mo-
biopharmaceutical companies. (Kinch 2014)
lecules (SM). Wiederum definierte er jede Firma als
Biotech, die nach 1971 gegründet wurde und traf Er zählt insgesamt 241 biopharmazeutische Firmen,
folgende Aussagen: die seit 1985 zu einer FDA-NME-Zulassung (inklu-
55 Die Anzahl der FDA-NME-Zulassungen für sive NBE) beigetragen haben. Einen Höhepunkt
Biotech-Firmen verzehnfachte sich seit den erreichte diese Zahl mit 160 im Jahr 2003. Danach
1970er-Jahren. nahm sie konsolidierungsbedingt ab, wobei es zwei-
55 Dagegen sank ihre Zahl bei den Pharma- mal mehr Abgänge als Zugänge in den letzten zehn
Unternehmen von rund 20 NME pro Jahr in Jahren gab. Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung
den 1980ern auf heute 18. (2014) verblieben 114 verschiedene Gesellschaften
55 Biotech-Firmen vereinten in den 1980er-Jahren aktiv und unabhängig.
5,5 % aller NMEs auf sich, heute sind es 42 %. Allein die Anzahl der rBP-Zulassungen als Maß-
55 Ein Drittel aller NMEs der Pharma-Unter- stab für die Rolle der modernen Biotechnologie in der
nehmen involvierte in mindestens einem kriti- Medikamenten-Entwicklung heranzuziehen, wird
schen Schritt der Entwicklung (1. Patent, IND ihrer Bedeutung nicht gerecht. Denn das vermehrte
oder klinische Studie) die Unterstützung einer Wissen um die Molekularbiologie von Stoffwechsel-
Biotech-Firma. wegen, Krankheiten oder Krankheitserregern er-
55 Dieser Anteil wuchs von 1,3 % in den 1980ern möglicht zunehmend sogenannte targeted therapies
über 10 % in den 1990ern und gut 20 % in der (7 Targeted therapy: Gezielte Therapie). Hier kommen
ersten Dekade des neuen Milleniums bis auf neben den Antikörpern auch die kleinen chemischen
aktuell 35 %. Moleküle (small molecules) zum Einsatz. Diese wer-
55 Zurzeit decken Biotech-Firmen mehr als 20 % den oft passgenau auf das Zielmolekül designt. Ge-
der Patente für NMEs ab. zielte Therapien bieten zum Beispiel folgende neue
55 Im Rahmen aller NDAs (also nicht nur der Ansätze in der Behandlung von Krebs-Erkrankun-
NMEs) haben die Biotech-Firmen in der gen (nach Wikipedia, Gezielte Krebstherapie):
letzten Dekade bei den Entwicklungs-Mei- 55 Rezeptorbasierte Therapie (vor allem mit Anti-
lensteinen IND-Antrag (investigational new körpern): Krebszellen tragen auf der Oberflä-
drug = Beginn der klinischen Prüfung) oder che ihrer Zellmembran oft einzigartige Struk-
EoP2(end of phase 2)-Besprechungen den turen wie Rezeptoren für Wachstumssignale
Gleichstand zu Pharma-Unternehmen erreicht. oder andere Membranproteine, welche sie von
55 Aktuell liegt bei dieser Kennzahl Biotech sogar anderen Körperzellen unterscheiden. Auch
vor Pharma. gesunde Zellen tragen Rezeptoren für Wachs-
tumssignale, auf Krebszellen kommen sie aber
Kinch untersuchte zudem wie viele Biotech-Fir- oft in stark erhöhter Zahl und/oder krankhaft
men zu diesen Zahlen beitrugen. Innerhalb von verändert vor und bewirken dadurch das un-
drei Dekaden stieg deren Anzahl kontinuierlich kontrollierte Wachstum. Passende Antikörper
und gipfelte im Jahr 2001 bei 143 aktiven und unab- zielen genau auf sie ab, binden in Konkurrenz
hängigen Organisationen. Danach fiel sie hingegen zu den Wachstumsfaktoren und verhindern so
wieder auf aktuell 71. Insgesamt steuerten 187 Bio- die Übertragung der Wachstumssignale (die
tech-Firmen zu FDA-Zulassungen bei, wovon aber klassische Chemotherapie greift dagegen un-
116 heute nicht mehr (eigenständig) existieren. spezifisch in den Zellteilungsprozess ein und
156 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Targeted therapy: Gezielte Therapie


»Der Begriff gezielte Krebsthera- Dazu gehören zum Beispiel gen- therapie verträglicher und wirk-
pie (engl. targeted therapy) ist ein technisch hergestellte monoklonale samer sein. In der Regel werden
Schlagwort, unter dem die Behand- Antikörper (Namensendung ‚-mab‘) die neuartigen Substanzen mit den
lung mit verschiedenen neuartigen oder sogenannte small molecules konventionellen Therapiemethoden
3 Arzneistoffen gegen Krebs zusam-
mengefasst wird, die auf biologi-
(Namensendung ‚-mib‘ oder ‚-nib‘).
Da diese Merkmale auf gesunden
(Chirurgie, Chemo- und Strahlen-
therapie) kombiniert« (Wikipedia,
sche und zytologische Eigenarten Zellen meist kaum oder gar nicht Gezielte Krebstherapie).
des Krebsgewebes gerichtet sind. vorkommen, soll die gezielte Krebs-

macht keinen Unterschied zwischen gesunden dard, da man heute weiß, dass Tumorzellen immer
und kranken Zellen). Zudem vermitteln die Defekte in ihrer DNS aufweisen. Einige der Anti-
Antikörper oft auch eine Immunantwort. körper oder Kinase-Inhibitoren, die als gezielte
55 Störung von intrazellulären Informations- onkologische Medikation zugelassen sind, dürfen
oder Stoffwechselwegen (vor allem mit small nur auf Basis der Ergebnisse eines gleichzeitig zuge-
molecules): Blockieren der Weiterleitung von lassenen Gentests (sogenannte companion diagno-
Signalen innerhalb von Krebszellen durch stics, 7 Abschn. 3.1.3.3) eingesetzt werden.
Kinase-Inhibitoren (7 Abschn. 2.2.6). Diese Neben klassischen Pharma-Konzernen entwi-
hemmen die Aktivität von Tyrosinkinasen, die ckelten wiederum Biotech-Firmen small molecu-
den intrazellulären Teil von Rezeptorsystemen les als gezielte Krebs-Medikamente (z. B. Incyte,
darstellen. Nach Bindung eines Signalfaktors an Exelixis, Ariad oder Pharmacyclics mit Partner
den Rezeptor überträgt der innere Teil (also die J&J). Nachdem die ersten Arzneien dieser Art ab
Kinase) eine Phosphatgruppe auf ein anderes 2001 auf den Markt kamen, stieg zehn Jahre spä-
Molekül (Phosphorylierung) und setzt dadurch ter – also ab 2011 – die Zahl entsprechender Zu-
weitere zelluläre Prozesse in Gang (Kaskade). lassungen sprunghaft an. Über die Hemmung von
Kinase-Inhibitoren unterbinden somit den Kinasen hinaus zielen die kleinen Wirkstoffe auf
Phosphorylierungsschritt, wodurch eine un- andere Enzyme oder auf Komponenten des Pro-
physiologische Daueraktivierung der Kinasen teasoms sowie auf bestimmte Signalwege, wie
durchbrochen wird. Die Überaktivität von zum Beispiel den sogenannten Hedgehog pathway.
Kinasen bewirkt zum einen unkontrolliertes Außer in der Onkologie kommen Kinase-Inhibi-
Zellwachstum sowie eine ausbleibende Apopto- toren inzwischen auch bei anderen Indikationen
se (programmierter Zelltod) von Tumorzellen. zum Einsatz. So bindet der von Pfizer stammende
55 Hemmung der Gefäßneubildung (Antiangio- Wirkstoff Tofacitinib (Xeljanz) an die Janus-Kinase
genese): Die Neubildung von Blutgefäßen (An- (JAK), die bei der Weiterleitung von Zytokin-Sig-
giogenese) kommt im gesunden Körper eher nalen beteiligt ist, die bei der rheumatoiden Arth-
selten vor – ein wachsender Tumor benötigt ritis eine Rolle spielen. Im Oktober 2014 und im
jedoch Sauerstoff und Nährstoffe; er regt daher Januar 2015 erhielt die deutsche Boehringer Ingel-
das umgebende Gewebe mit Botenstoffen wie heim die FDA- und die EMA-Zulassung für den
dem Wachstumsfaktor VEGF (vascular en- Kinase-Inhibitor Nintedanib (Ofev) zur Behand-
dothelial growth factor) zur Gefäßneubildung lung der idiopathischen Lungenfibrose (IPF). Er
an. VEGF kann zum Beispiel mit Antikörpern blockiert Wachstumsfaktor-Rezeptoren und damit
oder Fusionsproteinen abgefangen werden. Signalwege, die an Pathomechanismen der IPF in-
55 Anregung zur Apoptose und Bekämpfung der volviert sind. In klinischen Studien reduzierte Ofev
Krebsstammzellen. den jährlichen Rückgang der Lungenfunktion um
etwa 50 %. Da es lange Zeit keine Möglichkeit gab,
Im Rahmen der zielgerichteten Krebstherapie sind die allmähliche Vernarbung der Lunge bei den zu-
genetische Analysen des Tumors mittlerweile Stan- meist älteren Patienten mit IPF aufzuhalten, sprach
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
157 3

FDA-Information zu Breakthrough Therapies


»On July 9, 2012 the Food and Drug threatening disease or condition If a drug is designated as break-
Administration Safety and Innovation and through therapy, FDA will expedite
Act (FDASIA) was signed. FDASIA 55 preliminary clinical evidence the development and review of such
Section 902 provides for a new de- indicates that the drug may de- drug. All requests for breakthrough
signation – Breakthrough Therapy monstrate substantial improve- therapy designation will be revie-
Designation. A breakthrough therapy ment over existing therapies on wed within 60 days of receipt, and
is a drug: one or more clinically significant FDA will either grant or deny the
55 intended alone or in combi- endpoints, such as substantial request« FDA (2015e).
nation with one or more other treatment effects observed
drugs to treat a serious or life early in clinical development.

die FDA dem Wirkstoff (sowie einem weiteren, Es- sammen mit diesen auf Basis molekularbiologischer
briet) eine Breakthrough Therapy Designation aus. Erkenntnisse entwickelten Wirkstoffen vereinen die
modernen Biopharmazeutika 87 % der zugelassenen
Moderne Biopharmazeutika im engeren und neuartigen Durchbruchtherapien auf sich. Der An-
weiteren Sinne machen 40 und 20 % der teil rekombinanter Biologika hat sich in diesem Fall
zugelassenen Breakthrough Therapies aus auf 40 % erhöht, von zuvor 20 % innerhalb aller neu-
Seit 2011 verleiht die FDA die Breakthrough Therapy artigen Medikationen (NME und NBE).
Designation an Medikationen, die als »Durchbruch«
zu erachten sind (7 FDA-Information zu Breakthrough Zahl aller FDA-zugelassener Biopharmazeutika
Therapies). Dazu zählen Therapien, die einerseits (inklusive klassische) ist mindestens doppelt so
einen hohen medizinischen Bedarf abdecken und hoch
andererseits in der Entwicklung bereits eine vor- Mindestens doppelt so hoch liegt die Zahl der
läufige klinische Wirksamkeit zeigen, die weit über FDA-zugelassenen Biopharmazeutika bei Berück-
derjenigen existierender Therapien liegt. sichtigung der klassischen Vertreter dieser Thera-
Laut der Organisation Friends of Cancer Re- peutika-Gruppe. Das sind nicht rekombinant her-
search (FOCR 2015) liegen der FDA über 300 gestellte, in der Regel aus menschlichen, tierischen
Breakthrough Therapies-Anträge vor, von denen oder pflanzlichen Quellen isolierte Wirkstoffe. Sie
sie bereits 104 annahm und 181 ablehnte (Stand: werden bei der FDA meist im CBER über eine
02.11.2015). Bis Ende 2014 ließ die FDA 15 Arz- BLA zugelassen. Hierunter fallen zum Beispiel aus
neien zu, die zuvor den Breakthrough-Status er- Pflanzen isolierte Allergene, klassisch hergestellte
halten hatten. Im ersten halben Jahr 2015 folgten Impfstoffe oder Fraktionen aus humanen Blutspen-
weitere zehn. Von den nun 25 sind 16 sogenannte den für therapeutische Zwecke. Zusammen mit die-
1st-in-class-Moleküle, die zusätzlich einen neuen sen wird eine Zahl von über 250 FDA-zugelassenen
oder einzigartigen Wirkmechanismus aufweisen. Wirkstoffen biologischer Natur erreicht.
. Tabelle 3.4 listet die Zulassungen bis Ende 2014.
Von den bis Ende 2014 erfolgten 15 FDA-Zulas- zz Warum immer nur FDA, was ist mit der EMA?
sungen mit Breakthrough-Status sind sechs (40 %) Wie bereits erwähnt, beantragen die meisten Fir-
rekombinant hergestellte Biopharmazeutika (i. e. S.), men eine Zulassung für den US- und den europäi-
die alle von der FDA als new biologic entity (NBE) an- schen Markt (zudem oft auch Asien). Die Zulas-
gesehen werden. Weitere drei (20 %) sind Biopharma- sungszahlen der FDA stellen daher eine repräsen-
zeutika in dem hier vorher definierten engeren Sinne: tative wie auch detaillierte und öffentlich zugäng-
biologische small molecules (BSM), die chemo-syn- liche Quelle dar. Die EMA (European Medicines
thetisch produziert werden, letztlich aber Analoga zu Agency) veröffentlicht ebenfalls Informationen
in Lebewesen vorkommenden Molekülen sind. Ein über Zulassungen. Diese gelten in der Regel für alle
weiteres Viertel stellen die Kinase-Inhibitoren. Zu- EU-Länder (zentralisiertes Verfahren), so auch für
158 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.4 Zugelassene neuartige Medikamente mit FDA-Breakthrough-Status (Stand: Ende 2014). (Quelle: Bio-
MedServices (2015) nach FOCR (2015))

Marke Wirkstoff Molekülart FDAa Indikation Entwickler und Partner

Arzerra Ofatumumab NBE 10/2009b Krebs (CLL) Genmab und GSK

Kalydeco Ivacaftor NME 01/2012b Zystische Fibrose Vertex


3
Gazyva Obinutuzumab NBE 11/2013 Krebs (CLL) Genentech (Roche) und
Biogen

Imbruvica Ibrutinib NME (TT) 11/2013 Krebs (MCL) Pharmacyclics und J&J

Sovaldi Sofosbuvir NME (BSM) 12/ 2013 Hepatitis C Pharmasset (Gilead)

Zykadia Ceritinib NME (TT) 04/2014 Krebs (NSCLC) Novartis

Zydelig Idelalisib NME (TT) 07/2014 Krebs (CLL) Calistoga Pharmaceuticals


(Gilead)

Keytruda Pembrolizumab NBE 09/2014 Krebs (NSCLC) Organon BioSciences


(­Schering-Plough, Merck)

Harvoni Sofosbuvir und NME (BSM) 10/2014 Hepatitis C Gilead


Ledipasvir

Esbriet Pirfenidon NME 10/2014 IPF Intermune (Roche) in Lizenz


von Marnac (2007)

Ofev Nintedanib NME (TT) 10/2014 IPF Boehringer Ingelheim

Trumenba Rekombinante NBE (CBER) 10/2014 Meningitis-Impf- Pfizer


fHBP-Varianten stoff
von Neisseria
meningitidis

Blincyto Blinatumomab NBE 12/2014 Krebs (ALL) Micromet (Amgen)

Viekira Pak Ombitasvir, NME (BSM) 12/2014 Hepatitis C AbbVie


Ritonavir und Paritaprevir in Lizenz von
Paritaprevir Enanta Pharmaceuticals (2006)

Opdivo Nivolumab NBE 12/2014 Hautkrebs Medarex (BMS) und Ono


Pharmaceuticals

aUS-Zulassung: Monat/Jahr
bBreakthrough-Status nach Zulassung zugesprochen. Bei Firmenangabe in Klammern Mutterfirma nach Übernahme
CBER Center for Biologics Evaluation and Research, BSM biological small molecule, NBE new biologic entity, NME new
molecular entity, TT targeted therapy; Indikationen: ALL akute lymphatische Leukämie, CLL chronische lymphatische
Leukämie, IPF idiopathische Lungenfibrose, MCL Mantelzell-Lymphom, NSCLC nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom

den deutschen Markt. Von den in . Tab. 3.4 ge- Umsatzmäßiger Vergleich: Biologika versus
listeten Medikamenten mit FDA-Zulassung haben konventionelle Wirkstoffe
neun auch eine der EMA, eine ist in Arbeit, und für Auf dem Markt befindliche Biotech-Medikamente
fünf liegen noch keine Angaben vor. Laut dem Ver- (bioengineered vaccines and biologics) erzielten laut
band der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) dem Datendienst EvaluatePharma (2014a) im Jahr
waren in Deutschland bis Ende 2014 mindestens 2013 einen weltweiten Umsatz von 165 Mrd. US$,
172 Arzneien mit 130 Wirkstoffen zur Vermarktung was 22 % des Gesamtumsatzes von 754 Mrd. US$
zugelassen, die mithilfe der Gentechnik entwickelt mit verschreibungspflichtigen und frei verkäufli-
sowie mittels Fermentation produziert wurden. chen Medikamenten entsprach. Für das Jahr 2020
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
159 3

100 %

80 %

Konventionell
60 %
Konventionell (Top-100)
Biotech (Top-100)
40 % Biotech

20 %

© BioMedServices 2015
0%
00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. 3.5 Anteil konventioneller und Biotech-Medikamente am Pharmazeutika-Umsatz. Erstellt nach Daten von Eva-
luatePharma (2009, 2010, 2015b)

prognostiziert dieselbe Quelle einen Anteil von Gegenüber der Situation im Jahr 2010 wird sich
27 %, was knapp 300 Mrd. US$ entspräche (100 %: also die Stellung der Biotech- im Vergleich zu den
über 1 Billion US$). konventionellen Top-20-Medikamenten in einem
Betrachtet man lediglich die Stellung innerhalb Zehn-Jahres-Zeitraum noch einmal deutlich ver-
der Top-100-Produkte gemäß Umsatz, so wird der stärken. Damals lag deren Anteil gemessen am Um-
Biologika-Anteil im Jahr 2016 gleichauf mit dem- satz und an der Anzahl noch bei 57 und 55 %. Be-
jenigen der konventionellen Wirkstoffe liegen und merkenswert ist, dass sich alle elf nicht-biologischen
2020 mit 52 % diesen (48 %) bereits überschreiten Wirkstoffe aus 2010 im Jahr 2020 nicht mehr unter
(. Abb. 3.5). Innerhalb der Top-20-Medikamente den Top-20 befinden werden (. Tab. 3.5). Der frü-
nach Umsatz werden es die Biologika im Jahr 2020 here Blockbuster Lipitor von Pfizer, ein Statin, das
sogar auf einen Anteil von 64 % bringen. Und rech- als Cholesterinsenker jahrelang das bestverkaufte
net man die Biopharmazeutika i. w. S. (Peptid- und Arzneimittel überhaupt gewesen ist, hat nach dem
Nukleotidanaloga) mit ein, werden 78 % erreicht. Patentablauf im Jahr 2011 massiv an Umsatz ver-
Schon bei 71 % liegt aktuell der Anteil der Biotech- loren (2011: 10,8, 2012: 4,8 und 2013: 2,9 Mrd. US$).
Medikamente innerhalb der zehn umsatzstärksten Dagegen hat sich der therapeutische Antikör-
Arzneimittel, gestiegen von 7 % im Jahr 2001! Mit per Humira von Rang 6 im Jahr 2010, über Rang 3
einem Anteil von weniger als einem Viertel wird im Jahr 2011 mit einem Umsatz von 9,3 Mrd. US$
daher die Bedeutung der konventionellen Wirk- im Jahr 2012 an die Spitze der Rangliste gesetzt
stoffe unter den Top-Medikamenten schwinden. (. Tab. 3.6). Diesen Platz hat das Medikament im
Dies trifft nicht nur für den Umsatz, sondern auch Jahr 2014 verteidigt beziehungsweise mit einem Zu-
für die Anzahl zu: 2020 werden sich unter den 20 wachs von 34 % auf 12,5 Mrd. US$ Umsatz sogar
umsatzstärksten Arzneimitteln lediglich noch fünf noch gefestigt. Interessanterweise wurde dem neu-
nicht-biologische Wirkstoffe befinden (. Tab. 3.5). artigen Arzneimittel ein derartiger Erfolg anfangs
Drei davon (Tecfidera, Revlimid, Imbruvica) stam- gar nicht zugemutet wie Lorenz (2002) beschreibt
men von US-Biotech-Firmen, und sie wurden zum (7 Umsatzprognosen für Humira lagen vor der Markt-
Teil zielgenau designt oder der Krankheitsbiologie einführung bei weit unter 1 Mrd. US$).
entsprechend entwickelt. Die Indikation rheumatoide Arthritis wird auch
von den Top-Sellern Nummer 2 und 3 bedient: dem
Fusionsprotein Enbrel und dem nicht vollhumanen
160 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.5 Top-20-Medikamente nach Umsatz (Mrd. US$), 2010 und 2020. (Quelle: BioMedServices (2015) nach
­EvaluatePharma (2012a, 2014a, 2014b))

(Rang) Produkt Wirkstoff Firma (Rang) Produkt Wirkstoff Firma


2010 2020

(1) 12,0 Lipitor Atorvastatin Pfizer/ (1) 13,5 Humira Adalimumab AbbVie/
3 Astellas Eisai

(2) 9,1 Plavix Clopidogrel BMS/ (2) 12,5 Sovaldi & Sofosbuvir Gilead
Sanofi Kombos

(3) 7,9 Seretide/ Fluticason & GSK/ (3) 8,0 Revlimid Lenalidomid Celgene
Advair Salmeterol Almirall

(4) 7,3 Remi- Infliximab J&J/ (4) 8,6 Enbrel Etanercept Amgen/
cade Merck Pfizer

(5) 7,2 Enbrel Etanercept Amgen/ (5) 6,9 Januvia/ Sitagliptin- Merck & Co.
Pfizer Janumet phosphat

(6) 6,5 Humira Adalimumab AbbVie/ (6) 6,5 Tecfidera Dimethyl- Biogen
Eisai fumarat

(7) 6,2 Avastin Bevacizumab Roche (7) 6,5 Opdivo Nivolumab BMS/Ono

(8) 6,1 Diovan Valsartan Novartis (8) 6,4 Xarelto Rivaroxaban Bayer/J&J

(9) 6,1 Rituxan Rituximab Roche (9) 6,3 Avastin Bevacizumab Roche

(10) 5,7 Crestor Rosuvastatin AZ/ (10) 6,1 Prevnar Pneumo- Pfizer
Chiesi 13 kokkenvakzin

(11) 5,6 Seroquel Quetiapin AZ/ (11) 5,9 Remi- Infliximab


Astellas cade

(12) 5,4 Singulair Montelukast Merck (12) 5,9 Eylea Aflibercept Regeneron/
Bayer

(13) 5,2 Herceptin Trastuzumab Roche (13) 5,8 Soliris Eculizumab Alexion

(14) 5,0 Zyprexa Olanzapin Lilly (14) 5,7 Lantus Insulin glargin Sanofi

(15) 5,0 Nexium Esomeprazol- AZ (15) 5,5 Rituxan Rituximab Roche


Magnesium

(16) 4,7 Lantus Insulin glargin Sanofi (16) 5,5 Xtandi Enzalutamid Astellas

(17) 4,6 Abilify Aripiprazol Otsuka/ (17) 5,3 Herceptin Trastuzumab Roche
BMS

(18) 4,5 Epogen/ Epoetin alfa Amgen/ (18) 5,1 Imbru- Ibrutinib Pharma-
Procrit J&J vica cyclics/J&J

(19) 4,6 Actos Pioglitazon- Takeda/ (19) 4,9 Kadcyla Ado- Roche
hydrochlorid Abbott Trastuzumab

(20) 4,3 Glivec Imatinib- Novartis (20) 4,7 Stribild Mischunga Gilead
Mesylat

Stand: Ende 2014; Biologika in Fettdruck, Biopharmazeutika i.w.S. in Kursivschrift, 2020 nicht mehr in Top-20
vertreten: durchkreuzt; AZ: AstraZeneca, BMS Bristol-Myers Squibb; aaus Cobicistat, Elvitegravir, Emtricitabin und
Tenofovir-Disoproxilfumarat
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
161 3

Umsatzprognosen für Humira lagen vor der Markteinführung bei weit unter 1 Mrd. US$
»Adalimumab (D2E7), a human mo- 2002, it was reported that phase a launch in non-US markets in 2003
noclonal antibody that binds to and III trials of adalimumab for RA had with peak sales in these markets of
neutralizes TNFa, is being developed been completed, but details have $300 million in 2008. In December
by Abbott (formerly Knoll), under not been published in the primary 2000, Merrill Lynch predicted regula-
license from Cambridge Antibody literature so far. At this time CAT tory clearance in the second half of
Technology (CAT), for the potential and Abbott expected to file for US 2003. The probability of adalimumab
treatment of inflammatory disorders approval in the second quarter of reaching the market is estimated to
such as rheumatoid arthritis (RA) 2002 with a launch date anticipated be 70 %. In December 2000, Merrill
and Crohn’s disease. It is also being for 2003. Phase III data are expected Lynch predicted a 2003 launch, with
investigated for the potential treat- to be presented at the European estimated sales of pounds sterling
ment of coronary heart disease. League Against Rheumatism mee- 3.65 million in that year rising to
Phase II studies for Crohn’s disease ting in June 2002. In November pounds sterling 30.14 million in 2010.
and phase III for RA were ongoing 2000, Lehman Brothers predicted a In March 2001, ABN AMRO predicted
throughout 2001. Limited data are US launch in June 2002 with peak sales of $73 million in 2003 rising to
only available for RA. In January US sales of $600 million in 2007 and $392 million in 2007« (Lorenz 2002).

Studie zur Erwerbstätigkeit von Rheumakranken: Rheumapatienten bleiben immer länger im Beruf
»Rheumapatienten bleiben heute keitsepisoden bei Patienten mit im Jahr 2011 nur um drei Prozent
häufiger und länger beruflich aktiv rheumatoider Arthritis um 32 Pro- gegenüber 1997 reduziert. Ähnlich
als noch vor 10 bis 15 Jahren. Die zent ab, die mittlere Arbeitsunfähig- positiv ist die Entwicklung bei der
Arbeitsunfähigkeitsdauer und die keitsdauer sank pro Patient um 42 Zahl der Erwerbsminderungsrenten.
Zahl der Erwerbsminderungsrenten Prozent und bei allen Beschäftigten Laut der Studie sind gegenüber 1997
gingen bei Menschen mit chronisch- mit einer rheumatoiden Arthritis Patienten mit rheumatoider Arthritis
entzündlichen Gelenkerkrankungen sogar um 63 Prozent. Dagegen war im Jahr 2011 um drei bis acht Prozent
seit 1997 stetig zurück. … Von 1997 die mittlere Arbeitsunfähigkeitsdau- seltener berentet worden« (Hillien-
bis 2011 nahmen Arbeitsunfähig- er bei allen GKV-Pflichtversicherten hof 2014).

Antikörper Remicade (. Tab. 3.6). Alle drei Medi- entspricht (. Abb. 3.6). Die durchschnittliche jähr-
kamente zielen auf den Botenstoff Tumornekrose- liche Wachstumsrate (im Englischen compound an-
faktor-alfa (TNF-α), dessen Überproduktion eine nual growth rate, CAGR) betrug von 2000 bis 2014
zentrale Rolle bei einer Reihe von Autoimmuner- gut 14 %. In den nächsten fünf Jahren wird sich das
krankungen spielt. Bestimmte Abwehrzellen im Wachstum etwas abflachen, erreicht aber immer
Körper schütten TNF aus, was Entzündungsreaktio- noch 8 % jährlich. In denselben 15 Jahren nahm der
nen verstärkt, indem andere Immunzellen aktiviert Verkauf der konventionellen Arzneimittel lediglich
werden, die zusätzliche Botenstoffe wie Interleukine um 96 % zu, was knapp einer Verdopplung gleich-
produzieren. Betroffene Patienten sind in ihrem all- kommt. Die CAGR betrug hier in den letzten 15
täglichen Leben oft sehr eingeschränkt, wogegen die Jahren rund 5 % und soll bis 2020 auf 3,5 % sinken.
neuartigen Medikamente aber sehr helfen wie ein
Artikel im Deutschen Ärzteblatt aufzeigt (7 S­ tudie 3.1.1.2 Weitere Biopharmazeutika
zur Erwerbstätigkeit von Rheumakranken: Rheuma- stehen in der Schlange
patienten bleiben immer länger im Beruf). Untersuchungen zur (bio-)pharmazeutischen In-
Seit dem Jahr 2000 hat sich laut EvaluatePhar- dustrie zählten für das Jahr 2011 (PhRMA 2013) be-
ma (2015b) der weltweite Umsatz mit Biotech- ziehungsweise 2012 (Evens 2013) rund 900 in der
Medikamenten von 28 auf 181 Mrd. US$ im Jahr klinischen Entwicklung befindliche Biotech-Wirk-
2014 erhöht, was einem Zuwachs von über 500 % stoffe inklusive Vakzine. Knapp die Hälfte (429)
beziehungsweise einer mehr als Versechsfachung davon entfiel auf die 21 größten Pharma-Konzerne.
3
162

. Tab. 3.6 Top-20-Medikamente nach Umsatz im Jahr 2014 und Vergleich mit Vorjahren. (Quelle: BioMedServices 2015)

Produkt Wirkstoff Wirkprinzip Indika- Firma Umsatz (Mrd. US$)


tion
2010 ±% 2011 ±% 2012 ±% 2013 ±% 2014 Launch

1 Humira Adalimumab Anti-TNF-AK RA AbbVie 6,5 + 21 7,9 + 17 9,3 + 15 10,7 + 18 12,5 2002

2 Sovaldi Sofosbuvir RNA-Polymerase- Hepatitis C Gilead – – – – – – 0,14 10,3 2013


Inhibitor

3 Remicade Infliximab Anti-TNF-AK RA J&J 7,3 + 11 8,2 +1 8,2 +9 8,9 +3 9,2 1998
Merck

4 Enbrel Etanercept Anti-TNF-Fu- RA Amgen 7,2 +9 7,9 +8 8,5 +3 8,8 −3 8,5 1998
sionsprotein Pfizer

5 Lantus Insulin glargin Insulin Diabetes Sanofi 4,7 + 13 5,2 + 22 6,4 + 19 7,6 + 11 8,4 2000

6 Rituxan Rituximab Anti-CD20-AK NHL Roche 6,1 + 11 6,8 +5 7,2 +5 7,5 +1 7,6 1997

7 Avastin Bevacizumab Anti-VEGF-AK Darmkrebs Roche 6,2 −3 6,0 +3 6,1 + 10 6,7 +4 7,0 2004

8 Seretide/ Fluticason & Beta-2-Adreno- Asthma GSK 7,9 +0 7,9 +1 8,0 +3 8,3 − 16 7,0 1998
Advair Salmeterol rezeptor-Agonist
& Corticosteroid
Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

9 Herceptin Trastuzumab Anti-HER2-AK Brustkrebs Roche 5,2 + 14 6,0 +6 6,3 +4 6,6 +5 6,9 1998

10 Crestor Rosuvastatin HMG-CoA-Reduk- Choleste- AZ 5,7 + 16 6,6 −6 6,3 − 10 5,6 +4 5,9 2003
tase-Inhibitor rinsenker

11 Abilify Aripiprazol 5-HT1A- & D2-par- Psycho- Otsuka 4,6 + 14 5,2 +2 5,3 +4 5,5 −4 5,3 2002
tieller Agonist & pharmaka BMS
5-HT2-Antagonist

12 Lyrica Pregabalin Alpha-2-delta- Schmerz Pfizer 3,1 + 21 3,7 + 13 4,2 + 11 4,6 + 12 5,2 2005
Ligand Eisai

13 Revlimid Lenalidomid Immunmodu- Multiples Celgene 2,5 + 30 3,2 + 17 3,8 + 14 4,3 + 16 5,0 2006
lator Myelom

14 Glivec Imatinib-Me- Tyrosinkinase-In- Blutkrebs Novar- 4,3 +9 4,7 +0 4,7 +0 4,7 +1 4,7 2001
sylat hibitor (CML) tis
. Tab. 3.6 Fortsetzung

Produkt Wirkstoff Wirkprinzip Indika- Firma Umsatz (Mrd. US$)


tion
2010 ±% 2011 ±% 2012 ±% 2013 ±% 2014 Launch

15 Neulasta Pegfilgrastim Granulozyten- Neutro- Amgen 3,6 + 11 4,0 +4 4,1 +7 4,4 +5 4,6 2002
Kolonie-stimulie- penie
render Faktor

16 Lucentis Ranibizumab Anti-VEGF-AK AMD No- 2,9 + 29 3,8 +4 3,9 +7 4,2 +2 4,3 2006
vartis
Roche

17 Copaxone Glatiramer- Immunmodu- Multiple Teva 3,3 +7 3,6 + 12 4,0 +7 4,3 −2 4,2 1997
acetat lator Sklerose

18 Januvia Sitagliptin- Dipeptidylpepti- Diabetes Merck 2,4 + 39 3,3 + 23 4,1 −2 4,0 −2 3,9 2006
phosphat dase-IV-Inhibitor

19 Symbi- Budesonid & Glukocorticoid- Asthma, AZ 2,7 + 15 3,1 +1 3,2 +9 3,5 +9 3,8 2006
cort Formoterol Rezeptor-Agonist COPD

20 Nexium Esomeprazol- Protonenpum- Sodbren- AZ 5,0 − 11 4,4 − 11 3,9 −2 3,9 −6 3,7 2001
Magnesium penhemmer nen Daiichi
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie

Umrechnung in US$ mit Ø-Jahreskursen; Biologika in Fettdruck, Biopharmazeutika i. w. S. in Kursivschrift


AK Antikörper, AMD altersbedingte Makuladegeneration, AZ AstraZeneca, BMS Bristol-Myers Squibb, COPD chronisch obstruktive Lungenerkrankung, GSK GlaxoSmithKline,
NHL Non-Hodgkin-Lymphom, RA rheumatoide Arthritis, TNF Tumornekrosefaktor
3 163
164 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

300
Mrd. US$

250
CAGR: 14 %
3
200

150
CAGR: 8 %

100
CAGR: 12 %

50

© BioMedServices 2015
0
00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. 3.6 Weltweiter Umsatz mit Biopharmazeutika, 2000 bis 2020. Erstellt nach Daten von EvaluatePharma (2009,
2010, 2015b)

Die Daten stammen von dem US-amerikanischen Faktor von 4,5 – ist dabei die Anzahl der thera-
Verband Pharmaceutical Research and Manufactu- peutischen Antikörper (von 75 auf 338). Ähnlich
rers of America (PhRMA), der auch einige euro- stark hat die Zelltherapie zugenommen. Auch die
päische und japanische Pharma-Konzerne zum Zahl der gentherapeutischen Ansätze sowie von
Mitglied hat. Insofern sind die Angaben global RNS-Wirkstoffen stieg um mehr als das Dreifache.
zu sehen, wobei bei der Zahl der Biologika in der Ein Großteil der Projekte befindet sich allerdings
Pipeline die europäischen Firmen die Nase vorne noch nicht in der sogenannten pivotalen Phase
haben: Roche (51), GlaxoSmithKline (50), Novartis (. Abb. 3.7).
(44) und Sanofi (40) (Silverman 2013). Eine andere Das sind diejenigen Studien, auf deren Basis die
Studie (Long und Works 2013) gibt mindestens 577 regulatorischen Behörden eine Entscheidung zur
Projekte an, die auf breakthrough scientific strategies Marktzulassung fällen. 184 der 907 identifizierten
beruhen. Dazu zählen: antisense, Zell- und Genthe- Biotech-Medikamente in der Pipeline (20 %) be-
rapie sowie rekombinante Antikörper. Diese sind fanden sich 2012 in Phase III. Gut 50 % durchliefen
eine Teilmenge einer Gesamtzahl von gut 5000 die Phase II oder kombinierte Phase-I/II-Studien.
Wirkstoffen in der klinischen US-Pipeline. Die Bei letzteren wird direkt an Patienten (und nicht
Biologika stellen also einen Anteil von 10 bis 20 %. wie sonst bei gesunden Probanden) Toxizität und
Evens (2013) zieht auch einen Vergleich zum Dosierung untersucht. Die Phase I findet am Men-
Jahr 2001, in dem sich 355 Biopharmazeutika im schen erst nach anderen ausführlichen Tests in
Entwicklungsportfolio der Pharma- und Biotech- Zellkulturen und Tierversuchen statt.
Unternehmen befanden. In einem Zeitraum von Da die zu testenden Wirkstoffe für verschiede-
gut zehn Jahren wuchs deren Zahl also um 155 % ne Indikationen, das heißt Krankheitsgebiete, ge-
(. Abb. 3.7). Deutlich angestiegen – mit einem prüft werden können, lag die Zahl der klinischen
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
165 3

1100 1100
Zulassung 22

1000 1000

Andere 49 Phase III 184


900 900

Zelltherapie 69
800 800

Phase II/III 22
Gen- & RNS-Th. 91
700 700

Rek. Proteine 110


Phase II 380
600 600

500 500
Vakzine 250

400 Phase I/II 98 400


Andere 90

300 300
Zelltherapie 15

© BioMedServices 2015
Gen- & RNS-Th. 25
200 Rek. Proteine 50 Phase I 358 200
mAK 338
Vakzine 98
100 100

mAK 75
0 0

2001 2012 2012

. Abb. 3.7 Biotech-Medikamente in der Pipeline nach Art und Phase. Nach Art: beide linke Säulen im Jahresvergleich,
nach Phase: rechte Säule. Erstellt nach Daten von Evens (2013) und PhRMA (2013), hauptsächlich USA sowie PhRMA-Mitglie-
der aus Europa und Japan. Die Summe der Anzahl in den jeweiligen Phasen ergibt mehr als 907, da Wirkstoffe in mehreren
Phasen getestet werden können. mAK monoklonale Antikörper, Rek. rekombinante, Th. Therapeutika

Entwicklungsprojekte im Jahr 2011 mit knapp über auf RNS-Wirkstoffen (inklusive antisense). Gera-
1000 geringfügig höher (PhRMA 2013). Die Indi- de in der Krebstherapie stellen die modernen Bio-
kation Krebs nimmt mit 34 % den weitaus größten pharmazeutika eine wichtige Quelle für die neu-
Anteil ein (. Abb. 3.8), gefolgt von Pipeline-Pro- artigen gezielten Ansätze dar.
jekten zur Bekämpfung von Infektionen (17 %). Wie bereits erwähnt, unterscheiden die klas-
Andere Krankheitsgebiete sind jeweils unter 10 % sischen Chemotherapeutika nicht zwischen kran-
Anteil vertreten. Innerhalb der in Entwicklung ken und gesunden Zellen (daher z. B. die vielen
befindlichen onkologischen Biopharmazeutika Nebenwirkungen, unter anderem Haarausfall). Die
weisen die therapeutischen Antikörper die größte Biologika und gezielt designte kleine chemische
Bedeutung auf (Anteil 50 %). Einen interessanten Moleküle zielen dagegen spezifisch auf bestimm-
Ansatz bieten mittlerweile auch die Gentherapie te Merkmale, Signal- und Stoffwechselwege der
(7 Abschn. 3.1.2.2) sowie Medikamente basierend Tumoren. Diese targeted therapies machen mitt-
166 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

100 % 100 %
Andere 122
Andere 122
90 % Zell-Therapie 15 90 %
Diabetes 28 Rek. Proteine 15
Haut 30
3 80 % Erbkrankheiten 30 Gen- & RNS-Th.
25 80 %
Muskel/Skelett 34
Atemwege 38
70 % Neurologie 39 70 %
Blut-bezogen 43
Vakzine 89
60 % Herz-Kreislauf 58 60 %
Autoimmun 71
50 % 50 %

Infektion 176
40 % 40 %

30 % 30 %
mAK 170

© BioMedServices 2015
20 % 20 %
Krebs 338

10 % 10 %

0% 0%
Indikation Wirkstoffe gegen Krebs

. Abb. 3.8 Biotech-Medikamente in der Pipeline nach Indikation und Anti-Krebs-Biopharmazeutika. Erstellt nach Daten
von PhRMA (2013), hauptsächlich USA sowie PhRMA-Mitglieder aus Europa und Japan; Zahlenangaben beziehen sich auf
absolute Anzahl

lerweile in der biopharmazeutischen Industrie mit die die größte Phase-II- und -III-Pipeline haben.
jeweils über 60 % in allen Entwicklungsphasen die In Boston dominieren dagegen Unternehmen mit
Mehrheit aus (EY 2014). größerem Fokus noch auf Präklinik und Phase I.
Im Gegensatz zu den Angaben von PhRMA, der Entsprechend gibt es hier die meisten Startups. Alle
vor allem Pharma-Konzerne und größere börsen- drei Regionen vereinen auf sich fast die Hälfte der
notierte US-Biotech-Gesellschaften repräsentiert, gut 5600 Projekte. Diese verteilen sich wie folgt auf
fokussiert sich EY (2014) auf die Biotech-Firmen verschiedene Indikationsbereiche:
und schließt auch die Daten der privaten Unter- 55 37 % Onkologie,
nehmen in die Analyse ein. So kamen 2013 alle US- 55 13 % Neurologie,
Biotech-Firmen auf 5634 Pipeline-Projekte. Davon 55 12 % Infektionskrankheiten,
entfiel in etwa jeweils rund die Hälfte auf präklini- 55 je 6 % Autoimmun-, Kardiovaskular- sowie
sche sowie klinische Phasen. Hotspots sind die Re- Stoffwechsel- und endokrinologische Erkran-
gionen New England (Region Boston), San Fran- kungen,
cisco Bay Area und San Diego. Dabei finden sich 55 4 % Atemwegserkrankungen und
in der Region San Francisco mehr reifere Firmen, 55 16 % andere Erkrankungen.
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
167 3
Für 2013 stellt EY (2014) auch Angaben zu euro- »» Oncology and immunomodulator drugs do-
päischen Biotech-Firmen bereit, die 2743 Medika- minate the collective pipeline, accounting for
mentenkandidaten in präklinischen und klinischen nearly 40 % of the over 1500 R&D candidates,
Phasen testeten. Auch hier lag die Verteilung grob pushing CNS and anti-infectives, which top the
bei 50:50. In der Phase III befanden sich 184 Kandi- marketed list, into distant second and third
daten, wobei fast jeweils 20 % Firmen aus Großbri- place. This reflects the growing prevalence and
tannien, Frankreich und der Schweiz beisteuerten. earlier detection of cancer as well as an advan-
Zusammen mit denjenigen aus Deutschland und cing scientific understanding of the mecha-
Israel (wird bei EY zu Europa gezählt) stellen die- nisms behind this complex, diverse disease.
se Länder annähernd 60 % der gesamten europäi- (EvaluatePharma 2012b)
schen Pipeline (nur Biotech-KMU).
Eine Studie des Datendienstes EvaluatePharma Bei 100 NBI-Firmen bedeuten 152 Phase-III- und
(EvaluatePharma 2012b) analysierte zudem aus- 285 Phase-II-Projekte rund 1,5 Projekte in Phase
schließlich die Pipeline der im NASDAQ-Biotech- III sowie knapp drei in Phase II pro Unternehmen.
nology-Index (NBI) gelisteten Firmen. Basis der In der pivotalen Phase reduzieren sich die Projekte
Studie waren rund 100 Biotech- und Spezialphar- also fast um die Hälfte.
ma-, aber keine größeren Pharma-Firmen. Aus der
Analyse der NBI-Firmen wird klar, dass der Anteil
»» Phase II is a critical juncture in development
before expensive Phase III trials begin and
der Biologika in deren Pipeline sehr viel größer ist
where many compounds may fail. An exam-
als derjenige der bereits auf dem Markt befindlichen
ple of the large attrition rate can be seen by
Medikamente, nämlich 42 % (58 % small molecules)
looking at the NBI pipeline, where the number
versus 8 % (92 % small molecules). Damit liegt der
of Phase III candidates drops by over 47 %;
Biopharmazeutika-Anteil bei diesen Firmen mehr
however, those late-stage programs are still
als doppelt so hoch wie bei den Entwicklungsport-
expected to represent more than $11 billion in
folios der PhRMA-Mitglieder (inklusive Pharma-
sales by 2018. (EvaluatePharma 2012b)
Konzerne). Bei den NBI-Gesellschaften wurden für
Mai 2012 insgesamt knapp 700 klinische und über Der Branchenjargon bezeichnet diesen Rückgang als
600 präklinische beziehungsweise Forschungspro- Ausfallrate oder im Englischen attrition rate. Dieses
jekte sowie 34 Medikamenten-Zulassungsanträge ist eine sehr spezifische Eigenheit der (bio-)pharma-
gezählt. Die klinischen Projekte teilten sich auf in: zeutischen Industrie, die in anderen Branchen nicht
259 Phase I, 285 Phase II und 152 Phase III. Die Stu- so ausgeprägt auftritt. Den besonderen Herausfor-
die weist aber auch ausdrücklich darauf hin, dass derungen bei der Entwicklung von Medikamenten
die Firmen im NASDAQ-Biotechnology-Index widmet sich daher der nachfolgende Exkurs.
nicht nur auf Biologika setzen:
3.1.1.3 Exkurs: Medikamenten-Entwick-
»» Companies that focus primarily on biologics lung ist hochriskant, dauert
make up only 30 % of the index. It is a common lange und kostet entsprechend
misconception when referring to the biotech viel
sector, that ‚biotech‘ implies R&D companies Ein Medikament auf den Markt zu bringen, ist
working on biologic therapeutics. In practice, ein sehr langer, risikoreicher und teurer Prozess
most drug companies identified as ‚biotech‘ (. Abb. 3.9). Es gibt eigentlich kein anderes Pro-
actually work on traditional, small molecule dukt, das derart komplex in der Entwicklung ist,
approaches to medicine. (EvaluatePharma insbesondere wegen umfangreicher Testungen am
2012b) Menschen sowie einer sehr strengen Marktzulas-
sungsprüfung. Der Prozess teilt sich grob in vier
Auch bei dieser Analyse dominiert die Indikation Phasen auf: Forschung, Entwicklung, Zulassung
Krebs: sowie Markteinführung/Vermarktung.
168 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Jahre Kosten
0 ! Benötigte Kandidaten-Zahl
für 1 marktreifen Wirkstoff
Mind. 15–25 Risiko
? Forschung

∑ US$ Mio. 600 – 800


Suche/Bestimmung Zieimolekül– Ausfallrate
3 Suche/Entwicklung Wirkstoff–
Bis zu Tausende Kandidaten

20 %
10–20
Patent
Präklinik
v. a. Toxizität

5
30 %
5–10 Klinische
20–80 Phase I Entwicklung
Testung Probanden/ 1. Test am Menschen
der Sicherheit Studie
30 –
3–7 46 %

∑ US$ Mio. 600 – 1000


100–200 Phase II
Patienten/ Test an Patienten
Nachweis
Studie
Effektivität &
Test auf Nebenwirkungen 55 –
68 % 80 –
1–2 90%
10
Mehrere 100 Phase III
bis > 1000 Test an großer
Bestätigung Patienten/Studie Patienten-Zahl
Effektivität &
Test auf langfristige Nebenwirkungen
30 –
40 %
Antrag

Zulassung
7–
17 %
∑ 12 –15
1 ∑ gesamt US$ Mio.
Jahre 1200–1800
-2500
15

Markt
&
Phase IV = Anwendungs-Studien

Patent- Generika &


20 Patent
ablauf Biosimilars
© BioMedServices 2015

. Abb. 3.9 Schritte, um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen. Erstellt nach Daten von ICON Clinical
Research (Briggs 2011) und Paul et al. (2010) unter Verwendung lizenzfreier Symbole von flaticon. Ergänzend Ausfallraten
nach Getz und Kaitin (2015), Hay et al. (2014). Kosten unter Berücksichtigung der Ausfallrate und Kapitalkosten
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
169 3
55 Forschung: 55 Phase-IV-Studien: nach Bedarf weitere, ge-
55 Bestimmung Zielmolekül (Wirkort/Wirk- zielte klinische Prüfungen
mechanismus) 55 Überwachung des Medikamentes in der
55 Wirkstoffsynthese (Chemo- oder Biosyn- medizinischen Praxis: Erfassung und Aus-
these) inklusive Substanzoptimierung wertung von Nebenwirkungen (Pharmako-
55 Entwicklung: vigilanz)
55 Präklinik: 55 Je nach Absatzmarkt Kosten-Nutzen-Be-
–– Tests potenzieller Wirkstoffe im Reagenz- rechnungen als Basis für Preisverhandlun-
glas, an Bakterien, Zell- und Gewebekul- gen und Erstattungsregulierungen (Erstel-
turen, isolierten Organen (Wirksamkeit, lung eines weiteren Dossiers)
Toxizität, Pharmakokinetik) 55 Systematische und nachhaltige Stakeholder-
–– Tests am Gesamtorganismus Tier (min- Kommunikation
destens zwei bis drei Tierarten)
–– Entwicklung geeigneter Darreichungsfor- Bei diesem Prozess spielen folgende Herausforde-
men (Galenik) rungen eine große Rolle: die Dauer, das Risiko und
–– Wirkstoffherstellung die damit verbundenen Kosten, die zusätzlich zu
55 Klinik: den eigentlichen Forschungs- und Entwicklungs-
–– Phase I (PI): Verträglichkeitstests mit ausgaben anfallen. Dazu kommen strenge gesetzli-
gesunden Probanden (Aufnahme – Ver- che Regulierungen, die die Markteinführung sowie
teilung – Umwandlung – Ausscheidung Vermarktung vergleichsweise »dornig« gestalten.
= absorption – distribution – metabolism
– excretion, ADME), Ermittlung von Dauer der Medikamenten-Entwicklung
Nebenwirkungen und Dosierungen, Von der Idee beziehungsweise Konzeption verge-
Wirkstoffherstellung in größeren Mengen hen zwölf bis 15 Jahre, bis ein neues Arzneimittel
–– Phase II (PII): Wirksamkeitstests an klei- den Markt erreicht (. Abb. 3.9). Etwa die ersten
nerer Zahl ausgewählter Patienten, Be- fünf Jahre entfallen auf die Forschung und Präkli-
stätigung der Wirksamkeit(shypothese) nik, die klinische Prüfung nimmt weitere fünf bis
= proof of concept (POC), weitere Ermitt- acht Jahre in Anspruch und die Zulassung ein bis
lung von Nebenwirkungen und Bestim- zwei Jahre. Dabei variiert die benötigte Zeit in Ab-
mung der optimalen Dosierung hängigkeit von der Indikation für die ein Wirkstoff
–– Phase III (PIII): Erprobung an vielen entwickelt wird (. Tab. 3.7). Am meisten Zeit ist für
Patienten (Wirksamkeit, Verträglichkeit Erkrankungen des Nervensystems sowie für Krebs
und mögliche Wechselwirkungen mit einzuplanen.
anderen Medikamenten bei vielen unter- In dem Zeitraum, in dem sich die erste Wel-
schiedlichen Patienten), Wirkstoffpro- le an Biotech-Firmen in den USA gründete, also
duktion für die Einführung in den 1970er- und 1980er-Jahren, lag die durch-
55 Zulassung (Zul.): schnittliche Dauer der klinischen Prüfphase noch
55 Erstellung und Einreichung eines Zulas- bei vier bis fünf Jahren (. Abb. 3.10). Seitdem steigt
sungsdossiers auf Basis der Entwicklungs- sie kontinuierlich an, was auf verschiedenen Grün-
daten den beruht.
55 Prüfung der Unterlagen und Marktzulas- So gibt es noch viel Ineffizienz im operativen
sung oder -Ablehnung durch Zulassungs- Ablauf, ein sehr großer Beitrag kommt allerdings
behörde von Problemen beim Rekrutieren von Freiwilligen
55 Markteinführung/Vermarktung: für die Phase-I-Prüfungen und deren Dabeibleiben.
Infolgedessen fällt der Zeitraum für den Einschluss
von Patienten oft doppelt so lang aus wie geplant
170 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.7 Durchschnittliche Dauer (Jahre) von klinischer und Zulassungsphase nach Indikation. (Quelle: Mestre-
Ferrandiz et al. (2012) nach Kaitin und DiMasi (2011))

Indika- AIDS Anäs- Infek- Magen- Immun- Hormon- Herz- Krebs ZNS
tion thesie tion Darm krankheit system Kreislauf

Klinik 4,6 5,3 5,4 5,8 6,4 6,5 6,5 6,9 8,1
3 Zulassung 0,5 0,8 1,2 2,4 1 1,2 1,3 0,7 1,9

Gesamt 5,1 6,1 6,6 8,2 7,4 7,7 7,8 7,6 10

Angaben für alle von der FDA zugelassenen NME im Zeitraum von 2005 bis 2009
ZNS Zentralnervensystem

10
Jahre Klinik © BioMedServices 2015
Zulassung
8 Linear (Klinik)
Linear (Zulassung)
6

0
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

. Abb. 3.10 Veränderung der durchschnittlichen Dauer von klinischer und Zulassungsphase bei der Medikamenten-
Entwicklung. Erstellt nach Daten von DiMasi (2008) zu FDA-NME-Zulassungen, keine aktuellen Zahlen vorhanden

(Getz und Kaitin 2015). Dieselben Autoren geben that public confidence and trust in the cli-
auch eine Erklärung zu den Hintergründen ab: nical research enterprise has eroded during
that time period. A more recent public poll
»» It is estimated that one of every 200 people in conducted by the Kaiser Family Foundation,
the United States would need to participate in for example, has shown that the public has a
clinical trials at the present time if the clinical strongly unfavorable view of pharmaceutical
research portfolio were to be successfully and biotechnology companies, with more
completed. The failure of the drug develop- than one fourth of respondents saying that
ment enterprise since the 1990s to elicit sup- they do not trust pharmaceutical and biotech-
port and commitment from the public and nology companies to offer reliable information
patient communities and to engage them as about drug side effects and safety and nearly
partners in the clinical research process plays half saying that they do not trust research
an instrumental role in challenging recruit- sponsors to inform the public quickly when
ment and retention effectiveness. National safety concerns about a drug are discovered.
and international public opinion polls show (Getz und Kaitin 2015)
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
171 3
Auch zeigen sich eine erhöhte Komplexität be- einen Breakthrough-Status erhielten, und vergleicht
ziehungsweise Anforderungen bei den klinischen deren Entwicklungszeiten mit derjenigen einer
Studien. Getz und Kaitin (2015) geben zu der ge- »beschleunigten« FDA-Zulassung (Kyprolis). Die
stiegenen Komplexität folgende Beispiele (jeweils Krebs-Medikamente Kyprolis, Gazyva und Imbru-
durchschnittliche Zahl in den Jahren 2002 und 2012 vica durchliefen gar keine Phase III, hier erfüllte
aus einem typischen Phase-III-Studienprotokoll): jeweils bereits die Phase II die pivotalen Studien.
55 Anstieg der Zahl der Studien-Endpunkte von Pivotal steht für zulassungsrelevant. Bei onkolo-
7 auf 13, gischen Erkrankungen reicht aufgrund des hohen
55 Anstieg der Zahl der Prozeduren von 106 auf medizinischen Bedarfes oft eine Phase II mit Wirk-
167, samkeitsnachweis aus, oder es werden kombinierte
55 Anstieg der Zahl der Patienten-Einschlusskri- Phase-II/III-Studien durchgeführt.
terien von 31 auf 50,
55 Anstieg der Zahl der Studien-Länder von 11 Risiko bei der Medikamenten-Entwicklung
auf 34, Die Gesamtwahrscheinlichkeit, ab Phase I für ein
55 Anstieg der Zahl der Prüfzentren von 124 auf neu entwickeltes Medikament die Marktzulassung
196, zu erhalten, liegt bei 10 bis 20 %, ab Forschung/
55 Anstieg der Zahl der Datenpunkte pro Patient Präklinik bei rund 5 %. Mit anderen Worten: Die
von 500.000 auf 929.203. Ausfallrate bei der Medikamenten-Entwicklung
beträgt 80 bis 90 %! Wiederum mit anderen Wor-
In der Folge wuchs von 2002 bis 2012 zum Bei- ten: Um ein neues Arzneimittel erfolgreich auf den
spiel die Zahl an erforderlichen Prozeduren (z. B. Markt zu bringen, müssen – statistisch gesehen –
Bluttests, Untersuchungen, Röntgen etc.) pro Stu- zehn bis 20 Wirkstoffkandidaten in der Präklinik,
dienprotokoll in den klinischen Phasen II und III fünf bis zehn in der Phase I, drei bis sieben in der
jeweils um 64 und 57 %. Die gesamte Arbeitsbelas- Phase II und ein bis zwei in Phase III geprüft wer-
tung von Beteiligten in den Prüfzentren stieg um den (. Abb. 3.9). Selbst in Phase-III-Studien be-
73 und 56 %. trägt das Ausfallrisiko noch durchschnittlich 50 %.
Die Zulassungsdauer ist dagegen von über zwei Und auch während der Zulassungsphase besteht
Jahren in den 1970er- und 1980er-Jahren auf zur- die Möglichkeit einer Ablehnung durch die Behör-
zeit etwa 1,5 Jahre gesunken (. Abb. 3.10). Wie in de, die immerhin bei zehn bis gut 20 % liegen kann.
. Tab. 3.7 zu erkennen, ist diese wiederum abhängig Die Erfolgs- beziehungsweise Ausfallraten in
von der Krankheit, auf die ein Medikament zielt. den einzelnen Abschnitten der klinischen Prüfun-
Bei den Angaben handelt es sich aber um Durch- gen variieren je nach Molekülart (. Abb. 3.11).
schnittswerte, die von einzelnen Ausreißern stark Bei der Gesamtwahrscheinlichkeit bis zum zu-
beeinflusst werden können. gelassenen Produkt weisen Biologika höhere Er-
Der neue Breakthrough-Status der FDA hat folgsraten auf als kleine chemische Moleküle. Zu
zudem dazu geführt, dass sich Zulassungszeiten dieser Erkenntnis kommen Hay et al. (2014) in
zum Teil stark verkürzen: Blincyto, der neue bi- einer der umfangreichsten Analysen zu Erfolgs-/
spezifische Antikörper (Blinatumomab) von Am- Ausfallraten für den Zeitraum 2003 bis 2011: 5820
gen durchlief die FDA-Zulassung in 2,5 Monaten Phasenübergänge in 7372 klinischen Studien von
(0,2 Jahre). Ursprünglich von der in Deutschland 4451 Wirkstoffen in 417 Indikationen von 835 Fir-
gegründeten Micromet erforscht und entwickelt, men. . Abbildung 3.12 stellt die jeweiligen Raten
gelangte er 2012 durch eine Firmenübernahme in dar, die pro Phase ein Weiterkommen oder Aus-
das Amgen-Portfolio. Die längste Dauer der Zu- fallen bewirken und unterscheidet dabei wiederum
lassungsphase bei Arzneien mit Breakthrough- nach der Molekülart. Die Biologika schneiden er-
Status betrug jeweils sieben bis acht Monate für neut besser ab als die konventionellen Arzneimittel.
Nukleotidanalogon-Wirkstoffe gegen Hepatitis- Die Erfolgsraten unterscheiden sich auch je nach
C-Virus (HCV) (Sovaldi, Harvoni, Viekira Pak). Indikation (. Abb. 3.13). So ist die Medikamenten-
. Tabelle 3.8 gibt Beispiele für Medikamente, die Entwicklung in den Bereichen Onkologie, Herz-
172 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.8 Beschleunigung der Zulassung durch neuen FDA-Breakthrough-Status. (Quelle: BioMedServices (2015)
nach Kling (2014))

Arznei (Wirkstoff, Indika- 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
tion); Entwickler

Kyprolis (Carfilzomib, Tetra- PI PII piv. NDA Zul.


3 peptid, Proteasom-Inhibi-
tor bei Myelom); Proteolix
(AA)

(2009: Onyx; 2011: Amgen)

Gazyva (Obinutuzumab, PI PII piv BLA/BTD/


CD20-AK bei Blutkrebs); Zul.
Biogen & Genentech (2009:
Roche)

Imbruvica (Ibrutinib, PI PII piv. BTD/NDA/


SM-Kinase-Inhibitor bei Zul.
Blutkrebs); Pharmacyclics &
Janssen Biotech (zu J&J)

Sovaldi (Sofosbuvir, PIIa PIII NDA/BTD/


Nukleotidanalogon bei Zul.
Hepatitis C); Gilead

Jahr und Käufer in Klammern, falls der Entwickler übernommen wurde; PI, PII und PIII stehen jeweils für den Start der
Phase I, II und III
AA accelerated approval, AK Antikörper, BTD Breakthrough Therapy Designation, piv. pivotal, SM small molecule, Zul.
Zulassung

SM-NMEs 8 92
PI zu Zul.

rAK 14 86
And. rBP 13 87

Erfolgsrate Ausfallrate
SM-NMEs 12 88
PII zu Zul.

rAK 20 80
© BioMedServices 2015

And. rBP 22 78

SM-NMEs 40 60
PIII zu Zul.

rAK 53 47
And. rBP 63 37

SM-NMEs 76 24
NDA/BLA
zu Zul.

rAK 87 13
And. rBP 92 9
0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

. Abb. 3.11 Erfolgsraten bei Klinik und Zulassung, einzelne Phasen bis zur Zulassung nach Wirkstoffart. Erstellt nach
Daten von Hay et al. (2014). SM-NMEs small molecule new molecular entities, rAK/rBP rekombinante Antikörper bzw. Bio-
pharmazeutika, NDA/BLA FDA-Antrag auf Zulassung (Zul.)
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
173 3

PI zu PII SM-NMEs 65 35
rAK 70 30
And. rBP 59 41
Erfolgsrate Ausfallrate
SM-NMEs 29 71
PII zu PIII

rAK 38 62

© BioMedServices 2015
And. rBP 35 65

SM-NMEs 52 48
NDA/BLA

rAK
PIII zu

61 39
And. rBP 69 31

SM-NMEs 76 24
A zu Zul.
NDA/BL

rAK 87 13
And. rBP 92 9
0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

. Abb. 3.12 Erfolgsraten bei Klinik und Zulassung, Phase zu Phase nach Wirkstoffart. Erstellt nach Daten von Hay et al.
(2014). SM-NMEs small molecule new molecular entities, rAK/rBP rekombinante Antikörper bzw. Biopharmazeutika, NDA/
BLA FDA-Antrag auf Zulassung (Zul.)

Onkologie 11 90
Herz-Kreislauf 12 88
Neurologie 15 85
Alle 16 84
PII zu Zul.

Atemwege 17 83
Autoimmun 19 81
Hormon 20 80
Andere 25 75
Infektionen 25 75
Erfolgsrate Ausfallrate
Onkologie 37 63
Herz-Kreislauf 45 55
© BioMedServices 2015

Neurologie 50 50
PIII zu Zul.

Alle 50 50
Autoimmun 55 45
Infektionen 55 45
Andere 57 43
Hormon 59 42
Atemwege 61 39
0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

. Abb. 3.13 Erfolgsraten bei Klinik und Zulassung, nach Indikation für Phase II und III bis zur Zulassung (Zul.). Erstellt
nach Daten von Hay et al. (2014)
174 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

3000
2013 US$ Mio. © BioMedServices 2015 2558
2500
1950
2000
1440 1556
1500 1128
1044
1000
3 500 179
413

1969 1976 1989 1996 1997* 2000 2002 2002

Hansen DiMasi et DiMasi et Adams & DiMasi & Mestre- Paul et al. DiMasi
(1979) al. (1991) al. (2003) Brantner Grabowski Ferrandiz (2010) (2014)
(2006) (2007) et al.
(2012)

. Abb. 3.14 Kosten für die Entwicklung eines Medikamentes nach verschiedenen Autoren. Erstellt nach Daten von Di-
Masi (2014), Mestre-Ferrandiz et al. (2012) sowie DiMasi und Grabowski (2007). Auf Basis vom US GDP Implicit Price Deflator
an 2013er US$ angepasst. DiMasi-Angaben mit vergleichbarer Stichprobe und Methodik sind fett hervorgehoben. Jahr
(x-Achse) bezieht sich auf die Mitte der Untersuchungsperiode. Symbol von freepik, *Angaben für Biopharmazeutika

Kreislauf oder Neurologie risikoreicher als dieje- era of ‚me-too‘ or ‚slightly me-better‘ drugs to
nige für andere Erkrankungen. In der Phase II er- one of highly innovative medicines that result
weisen sich Wirkstoffe gegen Infektionen mit einer in markedly improved health outcomes, it
25-%igen Rate bis zur Zulassung zu kommen, am must … refocus its resources … on discovery
erfolgreichsten. Sie erhöht sich in der Phase III auf research and early translational medicine. …
55 %. In dieser pivotalen Studie schaffen es dagegen a more complete understanding of human
nur 37 % der Mittel gegen Krebserkrankungen bis (disease) biology will still be required before
zur Zulassung. Statistisch gesehen, müssten also drei many true breakthrough medicines emerge.
Kandidaten in einer Phase III geprüft werden, um (Paul et al. 2010)
einen erfolgreich an den Markt bringen zu können.
Die immerhin noch bei 50 % liegende Ausfall- Kosten der Medikamenten-Entwicklung
wahrscheinlichkeit bei Phase-III-Produkten hat im Neben der Dauer der Medikamenten-Entwicklung
Zeitraum von 2006 bis 2011 laut Thomson Reuters sind seit den 1970er-Jahren auch deren Kosten stark
(2012) dazu geführt, dass 181 Projekte beendet wur- gestiegen. Angaben hierzu schwanken jedoch we-
den. gen abweichenden Berechnungsgrundlagen und
Wie später unter den Kosten noch gezeigt, ha- -methoden. So beziehen sich die letzten drei Werte
ben die Erfolgs-/Ausfallraten einen sehr großen in . Abb. 3.14 zwar auf einen ähnlichen Analysezeit-
Einfluss auf die anfallenden Aufwendungen. Je raum, liegen aber zwischen 1,5 und 2,5 Mrd. US$.
früher also ein nicht Erfolg versprechendes Projekt Beträge von größer als 1 oder 2 Mrd. US$ für die
abgebrochen werden kann, desto größer sind das Entwicklung eines zugelassenen Wirkstoffes er-
Einsparpotenzial sowie die möglichen späteren Er- scheinen immens.
folge, wie Paul et al. (2010) anmerken: Hierbei ist wichtig zu verstehen, dass die direk-
ten Kosten für Forschung und Entwicklung einer
»» … shifting attrition to early stages of clinical erfolgreichen Substanz lediglich 15 bis 30 % dieser
development … [increases] the overall p(TS)
Gesamtkosten betragen. Der Rest sind einerseits
[phase transition] in Phase II and III. … As the
Ausgaben für fehlgeschlagene Entwicklungen. Sie
pharmaceutical industry transitions from an
schlagen zu Buche, weil aufgrund der zuvor darge-
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
175 3
stellten Ausfallraten statistisch gesehen ein Projekt ten). Dann folgt die »Kapitalisierung«, ein Kosten-
eben nicht ausreicht, um einen Wirkstoff erfolg- aufschlag für das genutzte und zeitlich gebundene
reich zur Zulassung zu führen. Andererseits sind Kapital.
zusätzlich zu den »realen« Kosten Kapitalkosten zu
berücksichtigen sowie das ökonomische Theorem Berechnungen der Tufts University (Boston),
des »Zeitwertes des Geldes«. veröffentlicht 1991 bis 2014
Das Center for the Study of Drug Development
»» Der Zeitwert des Geldes (englisch time value (CSDD) der Tufts University errechnet seit vielen
of money, TVM) ist ein zentraler Bestandteil
Jahren Zahlen zu den Kosten der Medikamenten-
der Finanzierungs- und Investitionsrechnung
Entwicklung. Im Jahr 1991 veröffentlicht, betru-
sowie der Finanzmathematik und basiert auf
gen sie auf Basis von 1987er-US-Dollar im Schnitt
der Verzinsung des Geldes und bedeutet, dass
231 Mio. US$ (vor Steuern, DiMasi et al. 1991).
Geld, das man heute besitzt, mehr wert ist als
Datenbasis waren 93 neuartige Eigenentwicklun-
Geld, das man in der Zukunft besitzen wird. …
gen von zwölf US-Pharma-Firmen, im Zeitraum
Wenn man heute der Bank einen Betrag Gel-
1970 bis 1982 erstmals in klinischen Phasen getes-
des überlässt, wird dieser Betrag in einem Jahr
tet. Die kapitalisierten Kosten basierten auf aus-
zuzüglich Zinsen zurückgezahlt. Wenn man
falladjustierten direkten Kosten von 114 Mio. US$
den gleichen Betrag allerdings erst in einem
(Kapitalzins: 9 %, Entwicklungszeit: 12 Jahre). Die
Jahr erhält, muss man auf die Zinsen verzich-
Autoren betonen, dass die Kostenangaben zwar
ten. (Wikipedia, Zeitwert des Geldes)
in 1987er-US-Dollar beziffert wurden, sie aber
Wenn ein Unternehmen also heute entscheidet, nicht eindeutig diesem Jahr zuzuordnen sind.
in die Entwicklung einer Arznei zu investieren, . Abbildung 3.14 legt daher die Mitte der Unter-
so muss es auf Erträge verzichten, die es erhalten suchungsperiode (1976) zugrunde, zeigt die Kosten
könnte, wenn es den Investitionsbetrag alternativ aber in 2013er-US-Dollar (412 Mio. US$). Mitautor
einer Bank zur Verfügung stellen würde. Volkswirt- der Veröffentlichung von 1991 war Hansen, der be-
schaftlich gesehen sind es Opportunitätskosten. reits 1979 die ersten Zahlen präsentierte. Weitere
Tufts-Veröffentlichungen folgten 1992, 1995, 2003,
Opportunitätskosten 2004, 2005, 2007 (Morgan et al. 2011) jeweils auf
Kosten (auch Alternativ-/ Verzichtskosten oder ähnlichem Sample und mit gleicher Berechnungs-
Schattenpreis) bzw. entgangener Erlös oder methodik. Diese beruht auf folgenden Annahmen
Nutzen, die entstehen, wenn vorhandene und Schritten (DiMasi 2014):
Möglichkeiten (Opportunitäten) zur Ressour- 55 »Since many compounds fail in testing, phase
cen-Nutzung nicht wahrgenommen werden. costs must be weighted by the probability of
entering the phase (expected costs) to obtain
costs per investigational compound; overall
Diese – wie auch Eigenkapitalkosten – sind keine clinical approval success rates used to translate
tatsächlichen Kosten (7 Finanzmathematik und In- cost per investigational compound to cost per
vestitionsrechnung im Kurzüberblick), sie werden approved compound
aber vor allem bei Kostenangaben zu größeren und 55 Cost of capital is the expected return requi-
langwierigen Projekten (z. B. auch im Bauwesen) red by investors to get them to invest in drug
einkalkuliert. development; Capital Asset Pricing Model
Die Kosten der Medikamenten-Entwicklung (CAPM) applied to data on biopharmaceutical
umfassen also Folgendes: die tatsächlich angefalle- firms over relevant period to determine an in-
nen (direkten) Kosten plus derjenigen der ausgefal- dustry cost of capital; estimate is based on data
lenen Kandidaten, zusammen oft als erwartete Kos- on stock market returns and debt-equity ratios
ten bezeichnet. Sie ermitteln sich entweder über die for a sample of (bio)pharmaceutical firms
Erfolgsrate (direkte Kosten/Erfolgsrate) oder über 55 Used as the discount (interest) rate to capitalize
die Zahl notwendiger Kandidaten, um einen zur R&D expenditures to marketing approval ac-
Zulassung zu bringen (direkte Kosten × Kandida- cording to the estimated development timeline«
176 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Finanzmathematik und Investitionsrechnung im Kurzüberblick


Beispiel Opportunitätskosten: ver- »Fremdkapitalkosten sind die Kos- berücksichtigt werden. Diese Punkte
lorene Mieteinnahmen ten, die das Unternehmen an ein führen dazu, dass Eigenkapitalkos-
»…ein Unternehmen, das ein Ge- Kreditinstitut oder einen sonstigen ten meist höher angesetzt werden
bäude besitzt und folglich keine Fremdkapitalgeber bezahlen muss, als Fremdkapitalkosten. … Die
3 Miete für Büroräume zahlt. Bedeutet
dies, dass die Kosten für die Büro-
vor allem also Zinskosten für Kredite
oder Anleihen … Diese Kosten sind
Ermittlung der Eigenkapitalkosten
[ist] mithilfe des Capital Asset Pricing
räume gleich null sind? Während die in der Regel vertraglich geregelt Model [CAPM] möglich, das alter-
Manager und der Finanzbuchhalter und bekannt. Ihre Höhe und andere native Investitionsmöglichkeiten
des Unternehmens diese Kosten als Konditionen (Laufzeit, Tilgung etc.) der Eigenkapitalgeber sowie einen
null betrachtet hätten, würde ein werden zwischen Kapitalanbieter unternehmens[oder branchen-]spe-
Ökonom berücksichtigen, dass das und Kapitalnutzer auf dem Kapital- zifischen Risikofaktor berücksichtigt«
Unternehmen durch die Vermietung markt verhandelt« (Wikipedia, Kapi- (Wikipedia, Kapitalkosten).
der Büroräume an ein anderes Unter- talkosten). »Wenn ein Unternehmen seinen
nehmen Mieteinnahmen erzielen »Bei den Eigenkapitalkosten handelt Fremdkapitalgebern keine angemes-
könnte. … Diese verlorenen Mietein- es sich nicht um tatsächliche Kosten, sene Verzinsung bieten kann, ist es
nahmen stellen die Opportunitäts- sondern um die erwartete Verteilung nicht überlebensfähig. Daher muss
kosten der Nutzung der Büroräume von Unternehmensgewinn an die jedes Unternehmen in seiner Ge-
dar … und sollten als Teil der öko- Eigenkapitalgeber, also etwa die schäftstätigkeit mindestens die Kapi-
nomischen Kosten der Geschäfts- Aktionäre einer Aktiengesellschaft. talkosten erwirtschaften. Kann es die
aktivitäten berücksichtigt werden« Sie erwarten einen Anteil vom Ertrag erwünschte Eigenkapitalverzinsung
(Pindyck und Rubinfeld 2013). des Unternehmens, der üblicher- nicht erbringen, gilt es auf dem Ka-
weise als Kapitalrendite oder -zins pitalmarkt nicht als konkurrenzfähig.
Erläuterung Kapitalkosten
bezeichnet wird. Das Eigenkapital Für Anleger bilden die Kapitalkosten
»Kapitalkosten ist ein Begriff der
wird aus dem Jahresüberschuss damit die risikogerechte Mindestan-
Betriebswirtschaftslehre und be-
des Unternehmens nach Steuern forderung für die erwartete Rendite«
schreibt Kosten, die einem Unter-
bedient. Da die Höhe der Gewinn- (Wikipedia, Kapitalkosten).
nehmen dadurch entstehen, dass es
verteilung schwankt, beanspruchen
sich für Investitionen Fremdkapital Formel zur Berechnung von zeit-
die Anleger von Eigenkapital häufig
oder Eigenkapital beschafft bzw. ein- angepassten und kapitalisierten
einen Risikoaufschlag gegenüber
setzt. In der Praxis bewerten Unter- Gesamtkosten bei Großprojekten
dem möglichen Zins, einer von
nehmen ihre Geschäftstätigkeiten Gesamtkosten = heutige (reale)
ihnen nicht getätigten Investition
oft danach, ob der erwartete Ertrag Kosten × (1 + i)n, wobei
in festverzinsliche Anlagen (Op-
ausreicht, um die dafür erforder- 55 n: betrachtete Zeitperiode in
portunitätskosten). Zudem können
lichen Kapitalkosten zu decken …« Jahren oder Monaten
Eigenkapitalkosten im Gegensatz zu
(Wikipedia, Kapitalkosten). 55 i: Zinsrate der Kapitalkosten (risi-
Fremdkapitalkosten nicht steuerlich
kogerechter Eigenkapitalzins)

Direkte Kosten pro Phase, adjustiert um die Wahr- Zahlen vom November 2014 (DiMasi 2014) beru-
scheinlichkeit, die Phase zu erreichen, ergeben die hen auf folgender Datenbasis:
erwarteten Kosten pro Kandidat pro Phase (gerin- 55 Für die Kosten: 106 neue Entwicklungen
ger als direkte Kosten). Diese werden dann jeweils (NME & NBE) von zehn größeren Firmen,
über die Entwicklungsdauer mit einem Kapitalzins erstmaliger Beginn der klinischen Tests zwi-
»kapitalisiert«. Abschließend berücksichtigt die schen 1995 und 2007, Kosten erfasst bis 2013.
Rechnung die Gesamtwahrscheinlichkeit einer Zu- 55 Für die Erfolgs-/Ausfallrate: 1442 eigenent-
lassung, um die Kosten pro erfolgreichem Kandidat wickelte Wirkstoffkandidaten in den Portfolios
zu ermitteln. Die Reihenfolge der Schritte ist im von 50 Firmen (erfasst auf Basis kommerziel-
Grunde variabel, wie . Tab. 3.9 zeigt. ler Datenbanken, veröffentlichter Firmen-
. Tabelle 3.10 stellt eine Auswahl der vom Tufts Pipelines sowie clinicaltrials.gov), erstmaliger
CSDD veröffentlichten Zahlen zu Kosten der Me- Beginn der klinischen Tests zwischen 1995
dikamenten-Entwicklung zusammen. Die jüngsten und 2007.
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
177 3

. Tab. 3.9 Berechnung der Kosten für ein Biopharmazeutikum nach Tufts University. (Quelle: BioMedServices
(2015) auf Basis Getz und Kaitin (2015) sowie DiMasi und Grabowski (2007); Beträge können wegen Rundungen in-
konsistent erscheinen, Berechnung wie bei Getz und Kaitin (2015))

Kosten (Mio. 2005er-US$) Total Forschung Klinik Davon Davon Davon


und Präklinik PI PII PIII

Direkte (DK) 266 60 166 32 38 96

Eintritt in Phase (E) – 100 % – 100 % 84 % 47 %

Erwartete (EK) = DK × E 169 60 109 32 32 45

Dauer bis Zulassung 15 10 5 (im 7,3 5,3 2,7


(n in Jahren) Schnitt)

Kostensatz Eigenkapital – 11,5 % 11,5 % – – –


(Kapitalzins i in %)

Kapitalisierte (KK) = EK × (1 + i)^n 375 186 189 – – –

Gesamterfolg bis Zulassung (G) – – 30 % – – –

Klinik-EK (EKK) inkl. Ausfallkosten – – 335 – – –


(EKK&AK) = EKK/G

Ausfallkosten (AK) = EKK&AK − EK 166 – – – – –

Kapitalisierte AK 866 – – – – –

Total = KK + AK 1241 – – – – –

. Tab. 3.10 Ausgewählte Angaben zu Kosten der Medikamenten-Entwicklung nach Tufts University. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Hansen (1979), DiMasi et al. (1991), DiMasi et al. (2003), DiMasi und Grabowski (2007),
DiMasi (2014))

Jahr der Veröffentlichung 1979 1991 2003 2007a 2014

Originalwert (in US$ von) 54 (1976) 231 (1987) 802 (2000) 1241 (2005) 2558 (2013)

In Mio. 2013er-US$ 179 413 1044 1440 2588

x-Fache zu davor/CAGR 1,3 × /7,2 % 1,5 × /8 % 0,4 × /8,4 % 0,8 × /8,7 %

x-Fache zu 1979/CAGR 1,3 × /7,2 % 4,8 × /7,6 % 7,0 × /7,7 % 13,5 × /7,9 %

aberechnetfür Biopharmazeutika, für klassische Pharmazeutika 1318/1529 Mio. US$ (2005er/2013er-US$); 2013er-US$
nach US GDP Implicit Price Deflator
CAGR compound annual growth rate

In diesem Sample befanden sich 13 % der Medi- neue Berechnungsgrundlage sowie gestiegene di-
kamentenkandidaten noch in der Testung, 80 % rekte Kosten erklären den neuen hohen Betrag von
mussten aufgegeben werden, sodass bisher ledig- 2,5 Mrd. US$ (DiMasi 2014):
lich 7 % der Wirkstoffe eine FDA-Zulassung erhiel- 55 »Total capitalized cost per approved new com-
ten. Die Gesamterfolgsrate ähnelt hier also den be- pound grew at an 8.5 % compound annual rate;
reits vorgestellten Ergebnissen von Hay et al. (2014). out-of-pocket cost per approved new com-
Sie weicht stark von den bisherigen Annahmen von pound grew at a 9.3 % annual rate
Tufts ab, die bei 30 % für Biopharmazeutika und bei 55 Clinical approval success rates have declined
gut 20 % für konventionelle Wirkstoffe lagen. Diese significantly
178 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.11 Datenpunkte verschiedener Phasen der Medikamenten-Entwicklung nach dem Office of Health
Economics (OHE). (Quelle: BioMedServices (2015) nach Mestre-Ferrandiz et al. (2012); US$ von 2011, Kapitalzins: 11 %,
Datenbasis: CMRI (heute Thomson Reuters), 16 globale Pharma-Firmen, 97 Projekte, 1989 bis 2002; PK Präklinik, P
Phase, Zul. Zulassung)

Forschung PK PI PII PIII Zulassung bis Σ


Launch
3 Kosten/Phase (Mio. US$) 77 6,5 16 54 129 29 311

Erfolgsrate/Phase 100 % 70 % 63 % 31 % 63 % 87 % 7%

Benötigte Kandidaten/1 Zul. 13,3 9,3 5,9 1,8 1,1 1

Kosten/1 Zul. (Mio. US$) 77 87 150 317 236 33 899

Phasen-Mitte bis Zul. (Jahre) 9,6 7,2 6,2 4,4 2,1 0,5

Kapitalisierte Kosten (Mio. US$) 208 184 284 502 294 35 1506

Ein neuer Ansatz zur Abschätzung von Kosten der Medikamenten-Entwicklung


»In this study, we present a new for Phase III. Phase II development The approach used in this study to
estimate for mean R&D costs per times from the CMRI data fall be­ estimate the cost of R&D for a new
NME based on previously unpub­ tween those reported by DiMasi et medicine is different from the ap-
lished information collected by al. (2003) and Paul et al. (2010). Total proach used by DiMasi et al. (2003)
CMRI [today Thomson Reuters] out-of-pockets costs for Phases I, II in that we calculate the cost of
in confidential surveys. Our fully and III are very similar in our study the hypothetical number of com-
capitalised R&D cost estimate per and that of Paul et al. (2010) (around pounds in each interval required to
new medicine is US$1.5b in US$ 2011 US$230m at 2011 prices) and slightly ultimately achieve one successful
prices. Time costs, i.e. cost of capital, lower than found by DiMasi et al. medicine. … DiMasi et al. (2003), in
represent 33 % of total cost. Our new (2003). Our out-of-pocket cost es- comparison, start by calculating the
estimate lies within the range of oth­ timate lies between the other two expected cost (the product of mean
er recently reported estimates. Our estimates for Phase III. For Phase I cost and probability of success) for
overall probability of success esti- and Phase II, our estimates are the each phase. Once they capitalise
mates for Phase I, Phase II and Phase highest. We also carried out some these costs to take into account the
III are lower than those reported by sensitivity analysis by, among other cost of capital, they use the overall
DiMasi et al. (2003) and Paul et al. things, altering our base case as- probability of success (product of
(2010). Overall, our study and those sumptions by plus and minus 10 % the different probabilities of success
by DiMasi et al. (2003) and Paul et al. as well as using a 14 % cost of capital per phase) to calculate the total cost
(2010) report similar development and a declining staircase cost of per successful medicine« (Mestre-
times. For Phase I, our data report capital. Cost of capital and success Ferrandiz et al. 2012).
the longest development times, rates have the greatest impact on
but we report slightly shorter times the resulting cost estimates.

55 Increases in the cash outlays used to conduct Darstellungen des Office of Health Economics
clinical development and higher drug failure (London), 2012
rates during clinical testing have contributed Eine sehr umfangreiche Veröffentlichung stammt
most to the estimated increase in R&D costs vom Office of Health Economics (OHE) in Groß-
55 Changes in the time to develop and get new britannien (Mestre-Ferrandiz et al. 2012), die eige-
drugs approved and in the cost of capital had ne Berechnungen durchführten (. Tab. 3.11)
modest moderating effects on the increase in Berechnungsmethodik und Ergebnisse unter-
total R&D cost« scheiden sich von denen der Tufts University, wie
das OHE anmerkt (7 Ein neuer Ansatz zur Abschät-
zung von Kosten der Medikamenten-Entwicklung).
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
179 3

. Tab. 3.12 Datenpunkte verschiedener Phasen der Medikamenten-Entwicklung nach Paul et al. (2010). (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Paul et al. (2010))

Target Hit bis Lead PK PI PII PIII Zul. bis Σ


bis Hit Lead opt. Launch

1 2,5 10 5 15 40 150 40 264

Erfolgsrate/Phase 80 % 75 % 85 % 69 % 54 % 34 % 70 % 91 % 4%

Benötigte Kandidaten/1 Zul. 24,3 19,4 14,6 12,4 8,6 4,6 1,6 1,1 1

Kosten/1 Zul. (Mio. US$) 24 49 146 62 128 185 235 44 873

Dauer bis Zul. (Jahre) 13,5 12 10 9 7,5 5 2,5 1

Dauer/Phase (Jahre) 1 1,5 2 1 1,5 2,5 2,5 1,5 13,5

Anteil Kosten/NME 3% 6% 17 % 7% 15 % 21 % 27 % 5%

Kapitalisierte Kosten 94 166 414 150 273 319 314 48 1778


(Mio. US$)

US$ von 2007, Kapitalzins: 11 %, Datenbasis: KMR Group & Lilly, 13 globale Pharma-Firmen, 1997 bis 2007; Forschungs-
phase weiter untergliedert
Hit Möglicher Wirkstoff-Kandidat, Lead: Ausgewählter Wirkstoff-Kandidat, opt. optimization, PK Präklinik, P Phase,
Zul. Zulassung

. Tab. 3.13 Kapitalisierte NME-Kosten der einzelnen Phasen bei verschiedenen Erfolgsraten. (Quelle: Mestre-Fer-
randiz et al. 2012)

Forschung PK PI PII PIII Zulassung bis Σ


Launch

Minimale (3 %) 207 420 648 1054 498 46 2874

Mittlere (7 %) 207 184 284 502 294 35 1506

Maximale (13 %) 207 106 164 303 252 34 1066

Mio. US$ von 2011, Kapitalzins: jeweils 11 %


PK Präklinik, P Phase

Zudem untersuchte das OHE die Analysen von wurde. Zudem unterscheiden sich die Kosten pro
neun anderen Autoren (u. a. DiMasi et al. 2003). Phase leicht.
Diejenigen von Adams und Brantner (2006) sowie
Paul et al. (2010) liefern weitere interessante Über- Abhängigkeit von Einflussfaktoren und ihren
sichten, die nachfolgend zum Teil dargestellt wer- jeweiligen Ausprägungen
den. Wie das OHE verfolgen Paul et al. (2010) den Dies zeigt den wesentlichen Knackpunkt derartiger
Ansatz der Ausfalladjustierung über die Mindest- Berechnungen auf: Je nach der Größe der Variab-
anzahl benötigter Kandidaten pro Phase, um einen len in der Kalkulation lassen sich unterschiedlichs-
Kandidaten zur Zulassung zu bringen (. Tab. 3.12). te Werte ermitteln, wie auch Sensitivitätsanalysen
Im Vergleich zum OHE kommen sie aber zu hö- des OHE zeigen (. Tab. 3.13 und . Abb. 3.15). Aber
heren Gesamtkosten von 1778 Mio. US$ (1950 Mio. nicht nur angesetzte direkte Kosten, Entwicklungs-
in 2013er-US$), da die Gesamterfolgsrate niedriger zeit, Erfolgsrate oder Kapitalzins haben Einfluss auf
(4 %) und die Entwicklungsdauer länger angesetzt die Gesamtkosten der Medikamenten-Entwicklung.
180 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

1% 939 © BioMedServices 2015


984
3% 1031
2874
4% 1081
2042
3
Kapitalzins oder Erfolgsrate

5% 1133
1188
7% 1245
1506
8% 1305 Kosten / Erfolgsrate
1368 Kosten / Zinsrate
10 % 1435
1506
12 % 1577
1167
13 % 1654
1066
14 % 1735
Mio. US$
1819
500 1000 1500 2000 2500 3000

. Abb. 3.15 Einfluss von Erfolgsrate und Kapitalzins auf kapitalisierte NME-Kosten nach dem Office of Health Economics
(OHE). Erstellt nach Daten von Mestre-Ferrandiz et al. (2012). Mio. US$ von 2011. Für Kosten pro Erfolgsrate liegen keine fein
abgestuften Daten vor, der Kapitalzins liegt hier jeweils bei 11 %. Bei den fein abgestuften Abänderungen zum Kapitalzins
liegt die Erfolgsrate jeweils bei 7 %

Ausschlaggebend sind vor allem auch die Indika- fielen trotz vergleichbar veränderter Erfolgsra-
tion, die im Endeffekt die Erfolgsrate beeinträch- te (~ ± 10 %) die Effekte der Kostenabweichungen
tigt, und zum Teil die Molekülart, der Ursprung indes noch geringer aus (−8/+ 15 %). In der jüngs-
der Substanz (Eigenentwicklung versus Einlizen- ten Analyse gibt DiMasi (2014) eine Übersicht zu
zierung) oder die Firmengröße (Mestre-Ferrandiz nominalen und realen Kapitalkosten für die bio-
et al. 2012). pharmazeutische Industrie an den verschiedenen
Zeitpunkten 1994, 2000, 2005 und 2010: Erstere
zz Einfluss von Erfolgsrate, Kapitalzins und sanken in diesem Zeitraum von 14,2 auf 11,4 % und
Entwicklungsdauer Letztere von 11,1 auf 9,4 % bei gleichzeitig gesun-
Im Sample des OHE variiert die Erfolgsrate zwi- kener Inflationsrate (3,1 auf 2 %). Im Schnitt set-
schen einem Minimum und einem Maximum von zen die Tufts-Berechnungen damit aktuell einen
3 und 13 %. Der Mittelwert liegt bei 7 %. Die maxi- realen Kapitalzins von 10,5 % ein. Variationen der
male Erfolgsrate verringert die kapitalisierten Kos- Entwicklungszeit haben zwar auch einen, aber ge-
ten um 30 %, wohingegen die minimale diese mit ringeren Einfluss auf die Kosten der Medikamen-
plus 90 % fast verdoppelt! Bei Schwankungsbreiten ten-Entwicklung. In der OHE-Analyse bewirkt
von jeweils plus oder minus 10 % pro Phase zum eine rechnerische Verkürzung sowie Erhöhung
Mittelwert treten immerhin noch Abweichungen der Dauer um jeweils 10 % um 13 % gesunkene so-
von minus 23 und plus 36 % auf. wie 6 % gestiegene kapitalisierte Kosten. Zeitliche
Auch DiMasi et al. (1991) führten in ihrer ers- Verschiebungen fallen allerdings bei den Umsatz-
ten Veröffentlichung bereits Sensitivitätsanalysen erwartungen oft größer ins Gewicht.
durch (. Tab. 3.14). Im Vergleich zur OHE-Analyse
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
181 3

. Tab. 3.14 Einfluss von Erfolgsrate und Kapitalzins auf kapitalisierte NME-Kosten nach DiMasi et al. (1991).
(­Quelle: DiMasi et al. (1991), Mio. US$ von 1987, Annahme Präklinik 42,6 Monate; in Fettdruck: Kosten aus DiMasi
et al. (1991) sowie minimale und maximale Kosten bei veränderter Größe von Erfolgs- und Zinsrate)

Kapitalzins

Erfolgs- 0% 5% 8% 9% 10 % 15 %
rate

25 % Präklinik 61 98 131 144 156 247

Klinik 44 57 66 69 73 93

Gesamt 105 155 197 213 229 340

23 % Präklinik 66 107 142 156 170 269

Klinik 48 62 72 75 79 101

Gesamt 114 169 214 231 249 370

20 % Präklinik 76 123 163 179 196 309

Klinik 55 71 83 86 91 116

Gesamt 132 194 246 265 287 425

. Tab. 3.15 Kapitalisierte NME-Kosten (Mio. US$) in ausgewählten Indikationen nach Adams und Brantner
(2006). (Quelle: BioMedServices (2015) nach Adams und Brantner (2006), 2000er-US$-Wert = Originalwert)

Bereich Indikation 2000er- 2014er- Bereich/Indikation 2000er-US$ 2014er-


US$ US$ US$

Atemwege 1134 1499 Muskel/Skelett 946 1251

Asthma 740 978 Rheumatoide Arthritis 936 1238

Onkologie 1042 1378 Blut-bezogen 906 1198

Brustkrebs 610 807 Herz-Kreislauf 887 1173

Neurologie 1016 1343 Haut 677 895

Alzheimer 903 1194 HIV/AIDS 540 714

Anti-Parasiten 454 600

zz Einfluss der Indikation Berechnung über FuE-Kosten einzelner Firmen


Adams und Brantner (2006) bestimmten die ka- In jüngster Zeit führten verschiedene Autoren
pitalisierten Kosten für die Entwicklung von Analysen zu den Kosten der Medikamenten-Ent-
Wirkstoffen in verschiedenen Indikationen. Die wicklung durch, wobei sie einen anderen Ansatz
durchschnittlichen Kosten errechneten sie mit als die bisher dargestellten wählten. Ausgangs-
868 Mio. US$, wobei die Spanne je nach Indikation punkt waren nicht die direkten Kosten der ein-
bei um die 500 bis über 1000 Mio. reichte, also bei zelnen Phasen, adjustiert um Ausfallraten sowie
einer Abweichung von fast minus 50 und plus 30 %. Kapitalkosten. Vielmehr analysierten sie die von
. Tabelle 3.15 zeigt einige Beispiele dazu. biopharmazeutischen Firmen veröffentlichten
Kosten der Forschung und Entwicklung (FuE) und
182 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

3.5
Mrd. US$ © BioMedServices 2015

3.0
2010 2011 2012 2013
2.5
3
2.0

1.5

1.0

0.5

0.0
A B C D E F G H I J K L MW

. Abb. 3.16 FuE-Kosten pro Wirkstoff bei ausgewählten (Bio-)Pharma-Firmen, 2010 bis 2013. Erstellt nach Daten von
Deloitte (2013). Die Firmen sind in der Grafik mit A bis L anonymisiert (MW: Mittelwert). Durchschnittliche Kosten für 167
Wirkstoffe in später Phase der Entwicklung (Phase III und Zulassung), inklusive Fehlschläge, die Phase III nicht erreichten

teilten diese entweder durch die Zahl der in der Bei einzelnen Firmen des Samples variieren die
Pipeline befindlichen oder diejenige der zugelasse- durchschnittlichen Kosten pro Wirkstoff allerdings
nen Wirkstoffkandidaten. Es ist davon auszugehen, stark: von weniger als die Hälfte (B) bis zu mehr als
dass in den FuE-Kosten diejenigen der Fehlschläge dem Doppeltem (D), bezogen auf das Mittel über
enthalten sind, Kapitalkosten dagegen nicht. alle vier Jahre (1192 Mio. US$). Der Betrag von rund
1 Mrd. US$ pro Wirkstoff-Entwicklung deckt sich
zz Analyse von Deloitte (2013) mit den von dem OHE ermittelten ausfalladjustier-
Das UK Centre for Health Solutions des Prü- ten, aber nicht kapitalisierten Kosten (in 2013er-
fungs- und Beratungsunternehmens Deloitte ana- US$). Über 2010 bis 2013 gemittelt, entfallen auf die
lysiert in Zusammenarbeit mit Thomson Reuters Forschung ein Viertel, auf die Präklinik bis Phase II
seit 2010 die FuE-Leistungsfähigkeit von zwölf rund 30 % sowie auf die Phase III und Zulassung
ausgewählten (Bio-)Pharma-Unternehmen (Am- 45 % der Kosten.
gen, AstraZeneca, Bristol-Myers Squibb, Eli Lilly, Schließlich gibt Deloitte an, dass die Fehlschlä-
GlaxoSmithKline, Johnson & Johnson, Merck & ge in der Medikamenten-Entwicklung die Firmen
Co., Novartis, Pfizer, Roche, Sanofi und Takeda). in den vier Jahren in Summe 243 Mrd. US$ gekostet
Unter anderem betrachten sie durchschnittliche haben, also rund 20 Mrd. US$ pro Firma. Zudem
Kosten pro Wirkstoff in später Entwicklung (Pha- identifizieren sie eine Zunahme der Entwicklungs-
se III und Zulassung). Dabei enthalten die Anga- zeit von 13,2 auf 14 Jahre.
ben die Kosten für Fehlschläge, die die Phase III
nicht erreichten. zz Analyse von Forbes (Herper 2013)
. Abbildung 3.16 veranschaulicht die jährli- Der Forbes-Journalist Herper setzt in seiner Unter-
chen Kosten von 2010 bis 2013 in anonymisierter suchung auf dem Ansatz von Munos (ehemals
Form, einschließlich des Mittelwertes der gesamten Lilly) auf: FuE-Ausgaben einzelner Firmen geteilt
Gruppe. Dieser stieg in dem betrachteten Vier-Jah- durch deren Zahl an erfolgreichen NME-Zulassun-
res-Zeitraum um 18 % von 1094 auf 1290 Mio. US$. gen. Munos (2009) ermittelte in einer umfangrei-
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
183 3

Ausgewählte Erkenntnisse einer Analyse zu Innovationen in der Pharma-Industrie, 1950 bis 2008
»From 1950 to 2008, the US Food R&D model, as costs per NME have companies no longer exist. Merck
and Drug Administration (FDA) soared into billions of dollars. It also has been the most productive firm,
approved 1,222 new drugs (new challenges the rationale for major with 56 approvals, closely followed
molecular entities (NMEs) or new mergers and acquisitions (M&A), as by Lilly and Roche, with 51 and 50
biologics). However, although the none has had a detectable effect on approvals, respectively. Given that
level of investment in pharmaceuti- new-drug output. many large pharmaceutical compa-
cal research and development (R&D) At present, there are more than nies estimate they need to produce
has increased dramatically during 4,300 companies that are engaged an average of 2–3 NMEs per year
this period – to US$50 billion per in drug innovation, yet only 261 or- to meet their growth objectives,
year at present – the number of new ganizations (6 %) have registered at the fact that none of them has ever
drugs that are approved annually is least one NME since 1950. Of these, approached this level of output is
no greater now than it was 50 years only 32 (12 %) have been in existence concerning.
ago. for the entire 59-year period. The The timelines of cumulative NME
Surprisingly, nothing that compa- remaining 229 (88 %) organizations approvals for the three most pro-
nies have done in the past 60 years have failed, merged, been acquired, ductive companies in the industry
has affected their rates of new-drug or were created by such M&A deals, … [show] plots [that] are almost
production: whether large or small, resulting in substantial turnover in straight lines, indicating that these
focused on small molecules or bio- the industry. Of the 261 organizati- companies have delivered innova-
logics, operating in the twenty-first ons, only 105 exist today, whereas tion at a constant rate for almost
century or in the 1950s, companies 137 have disappeared through M&A 60 years. The outputs from less
have produced NMEs at steady rates, and 19 were liquidated. productive companies … show a
usually well below one per year. This 21 companies have produced half of similar linear pattern, although it is
characteristic raises questions about all the NMEs that have been ap- more erratic and with smaller slopes.
the sustainability of the industry’s proved since 1950, but half of these (Munos 2009).

chen Analyse zur Entwicklung der Pharma-Indus- er nutzte für seine Berechnung diejenigen Ausga-
trie von 1950 bis 2008, dass diese NMEs in einer ben, die in der Zehn-Jahres-Periode anfielen, die
konstanten jährlichen Rate erbringt (7 Ausgewähl- ein Jahr vor der jeweils letzten NME-Zulassung
te Erkenntnisse einer Analyse zu Innovationen in der endete. Die Zahlen sind nicht inflationsbereinigt.
Pharma-Industrie, 1950 bis 2008). Auf Basis seines Die angefallenen FuE-Kosten pro NME im ge-
einfachen Rechenansatzes berechnete er NME- samten Sample von 100 Firmen belaufen sich auf
Kosten in einer Spanne von rund 500 Mio. bis zu durchschnittlich knapp 2 Mrd. US$ (. Abb. 3.17).
17,5 Mrd. US$. Lediglich 27 % der untersuchten Fir- Unternehmen, die nur einen Wirkstoff bis zur
men hatten Kosten pro NME, die unter der Grenze Zulassung brachten (66 %), liegen knapp an der
von 1 Mrd. US$ lagen. 1-Mrd.-US$-Grenze, wohingegen diejenigen mit
Herper betrachtete eine Auswahl an 100 Phar- mehr als einem NME (34 %) im betrachteten Zeit-
ma- und Biotech-Firmen. Neben den altbekannten raum auf knapp 4 Mrd. US$ pro Wirkstoff kommen.
Größen schloss er insbesondere auch solche mit Bei den 100 Firmen handelt es sich um 33 Pharma-
ein, die im Zeitraum von 2001 bis 2012 nur eine beziehungsweise Spezialpharma-Firmen, die restli-
NME-Zulassung erhielten. Damit sollten Kosten chen 67 sind eher dem Biotech-Sektor zuzuordnen
ohne einkalkulierte Fehlschläge darstellbar sein (Einordnung nach der klassischen Unterscheidung,
(hier sind die Fehlschläge dann eher industrieweit vor allem auch basierend auf Gründungsjahr und
über gescheiterte Firmen zu sehen). In dem Zeit- Geschäftsmodell). Erstere vereinen rund 60 % der
raum ließ die FDA 298 NMEs zu, wobei das von NME-Zulassungen auf sich, wobei sie dafür im
Herper gewählte Sample 227 Wirkstoffe abdeckt, Schnitt 4,5 Mrd. US$ pro NME aufwenden muss-
also 76 %. Bei den FuE-Kosten fokussierte er sich ten. Diejenigen mit nur einer Zulassung kamen
auf einen leicht verschobenen Zeitraum, das heißt, immerhin noch auf FuE-Kosten von 3,5 Mrd. US$,
184 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

5
Mrd. US$ 5,00 © BioMedServices 2015
4 4,56
3,94
3 3,53

3 2
1,97
1,71
1
0,95 0,69 0,49
0
alle > 1 NME 1 NME alle > 1 NME 1 NME alle > 1 NME 1 NME
(100) (34) (66) (33) (23) (10) (67) (11) (56)

100 Firmen Pharma & Spezialpharma Biotech

. Abb. 3.17 Gemittelte FuE-Kosten pro NME von 100 ausgewählten (Bio-)Pharma-Firmen, 2001 bis 2012. Eigene Analyse
nach Daten von Herper (2013). Summe der Zehn-Jahres-FuE-Kosten pro Firma pro NME, jeweils gemittelt über alle Firmen
oder eine bestimmte Subgruppe (Anzahl in Klammern)

also etwa dem 3,5-fachen der gesamten Untergrup- FuE-Kosten bestimmter Gruppierungen im
pe mit nur einem NME. Auf der anderen Seite heißt Verhältnis zu NME-Zulassungen
dies, dass die Biotech-Firmen mit nur einem NME Ein weiterer Ansatz ist der Vergleich der FuE-Aus-
wesentlich weniger Aufwendungen hatten, nämlich gaben aller Pharma- und Biotech-Firmen oder
im Schnitt lediglich 500 Mio. US$ für diese eine einer bestimmten Subgruppe davon mit den jähr-
NME. Der Betrag beruht auf den Kosten von 56 lichen NME-Zulassungen der FDA. Hierdurch er-
Biotech-Firmen, wobei das Minimum bei 15, das gibt sich eine gewisse Unschärfe, da einerseits die
Maximum bei rund 1900 und der Median bei etwa Zulassungszahl pro Jahr stark schwankt und von
300 Mio. US$ lag. Elf Vertreter dieses Sektors reali- der Performance der FDA abhängt. Zudem sind die
sierten mehr als einen NME, investierten dafür im NMEs nicht direkt den einzelnen Firmen zugeord-
Schnitt aber 1,7 Mrd. US$. In der gesamten Biotech- net. Sie werden vielmehr als jährliche Gesamtheit
Untergruppe waren 700 Mio. US$ nötig, um einen mit den jährlichen summierten Kosten ins Verhält-
Wirkstoff zur Zulassung zu bringen. nis gesetzt. Damit wird auch implizit angenommen,
Wie bereits erwähnt, ist eine Erklärungsmög- dass alle globalen Firmen eine Zulassung bei der
lichkeit für die jeweils niedrigeren Werte bei den FDA beantragen.
»Ein-NME-Firmen«, dass das Risiko hier über die
ganze Branche verteilt vorliegt. Zudem merkt Her- zz Analyse von PwC (Arlington 2012)
per an, dass Firmen mit sehr niedrigen FuE-Kosten Das Prüfungs- und Beratungsunternehmen PwC
pro NME meist über einen Partner dort hinkom- (PricewaterhouseCoopers) legt in seiner Ana-
men, der einen Teil der Kosten trägt. Es stellt sich die lyse (. Tab. 3.16) Angaben von EvaluatePharma
Frage, inwieweit dieser Rechenansatz (tatsächliche zugrunde. Im Schnitt liefert diese Betrachtungswei-
FuE-Kosten geteilt durch Anzahl NMEs) uneinge- se Kosten pro NME von 3,5 Mrd. US$, Minimum
schränkt valide ist, da der Zeitpunkt der angefalle- und Maximum liegen bei 2,2 und 4,9 Mrd. US$.
nen Kosten »historisch« gegenüber dem Zeitpunkt Schwachstelle dieses Ansatzes ist das Ins-Verhält-
der Zulassung ist. Nach den Untersuchungen und nis-Setzen von Ausgaben der Industrie global zu
Ausführungen von Munos (2009) ermöglicht die den FDA-NME- und Biologika-Zulassungen.
Methodik zumindest eine relativ gute Annäherung.
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
185 3

. Tab. 3.16 FuE-Kosten pro NME bzw. neuem Biologikum nach PricewaterhouseCoopers (PwC) und Evaluate-
Pharma (EVP), 2002 bis 2013. (Quelle: BioMedServices (2015) nach Arlington (2012) und EvaluatePharma (2014a))

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Ø

FuE 67 76 85 93 108 120 129 127 129 136 134 137 112
(Mrd. US$)a

NME und 26 35 38 28 29 26 31 34 26 35 43 35 32
Biologika

Kosten/ 2,7 2,2 2,3 3,4 3,7 4,6 4,2 3,7 4,9 3,8 3,1 3,9 3,5
NMEb

aFirmen weltweit, bberechnet über Drei-Jahres-Differenz zwischen Jahr der Kosten und Jahr der FDA-Zulassung

. Tab. 3.17 Mitglieder und assoziierte Firmen des US-Verbandes PhRMA (Stand: Juli 2015). (Quelle: PhRMA, zurzeit
30 Mitglieder und knapp 17 research associations; in Fettdruck Biotech- und in Kursivschrift Spezial-Pharma-Unterneh-
men, in Klammern Land des Hauptsitzes)

Vollmitglieder Assoziierte
AbbVie (US) EMD Serono ∧
= Merck KGaA (D) ACADIA Pharmaceuticals (US)

Alkermes (IRL) GlaxoSmithKline (GB) Arena Pharmaceuticals (US)

Allergan (IRL) Johnson & Johnson (US) Avanir Pharmaceuticals (US)

Amgen (US) Lundbeck (DK) BioMarin Pharmaceuticals (US)

Astellas Pharma (J) Merck & Co. (US) CSL Behring (US)

AstraZeneca (UK) Novartis (CH) Ferring Pharmaceuticals (CH)

Bayer (D) Novo Nordisk (DK) Grifols (ES)

Biogen (US) Otsuka (J) Horizon Pharma (US)

Boehringer Ingelheim (D) Pfizer (US) Ipsen Biopharmaceuticals (F)

Bristol-Myers Squibb (US) Purdue Pharma (US) Marathon Pharmaceuticals (US)

Celgene (US) Sanofi (F) Orexigen Therapeutics (US)

Cubist Pharmaceuticals (US) Sigma-Tau Pharmaceuticals (US) Shionogi (J)

Daiichi Sankyo (J) Sunovion Pharmaceuticals (US) Sucampo Pharmaceuticals (US)

Eisai (J) Takeda (J) Theravance (US)

Eli Lilly (US) The Medicines Company (US) Vifor Pharma (CH)

Vivus (US)
Xoma (US)

zz Berechnungen auf Basis der FuE-Ausgaben der nehmen als Mitglied (bei ausländischen Konzernen
PhRMA-Mitglieder: Pharma Innovation Gap über US-Töchter). Zudem sind bereits einige Bio-
Sehr oft werden in der Branche Zahlen des US- tech-Gesellschaften dort engagiert wie auch eini-
Pharma-Verbandes PhRMA verwendet. Dieser hat ge Spezialpharma-Firmen (. Tab. 3.17). Insgesamt
seit Langem die weltweit größten Pharma-Unter- sind es um die 30 volle Mitglieder.
186 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

3,0
Mrd. US$

FuE/NME
2,5
FuE/NME -10 Jahre verschoben

3 2,0
Expon. (FuE/NME)
Expon. (FuE/NME -10 Jahre verschoben)

1,5

1,0

0,5

© BioMedServices 2015
0,0
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010

. Abb. 3.18 FuE-Kosten der PhRMA-Mitglieder im Verhältnis zu FDA-NME-Zulassungen. Erstellt nach Daten von FDA
(2015d) und PhRMA (2015). Zum Vergleich ist die Berechnung mit einer Verzögerung um zehn Jahre dargestellt (z. B. FuE
von 2014/NMEs von 2004). Auswahl der Daten seit den 1970er-Jahren, umgerechnet in US$ von 2014

Setzt man ihre FuE-Ausgaben ins Verhältnis Zum Beispiel fiel der prozentuale Anteil der For-
mit den von der FDA zugelassenen NMEs ergibt schung und Präklinik von über 40 % am Anfang des
sich aufgrund der konstant gestiegenen Kosten neuen Jahrtausends auf aktuell rund 30 %. Bei mehr
ebenfalls eine Zunahme der FuE-Kosten pro NME oder weniger stabiler Verteilung der FuE-Kosten
(. Abb. 3.18). Eine Variation um einen Zehn-Jah- auf die Phasen I und II sowie die Zulassung stieg
res-Zeitraum erbringt zwar verschobene Aus- entsprechend der Phase-III-Anteil auf etwa 40 %.
schläge, eine Art exponentielle Lineare verläuft Eine sehr beliebte Darstellung ist diejenige des
jedoch mehr oder weniger identisch. Auch wenn direkten Vergleichs der Entwicklung von FuE-Aus-
sicher nicht alle NMEs genau von diesen rund 30 gaben und FDA-NME-Zulassungen (. Abb. 3.20).
Firmen stammen, lässt sich ein aktueller Wert von Die sich auftuende Lücke zwischen immer weiter
mindestens rund 2 Mrd. US$ an FuE-Kosten pro gesteigerten Ausgaben und geringer gestiegenem
neuer Arznei (inklusive Fehlschläge) berechnen. Output in Form von NMEs wird im Branchen-
Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Herper jargon Pharma Innovation Gap genannt. Bereits
(. Abb. 3.17) über alle 100 ausgewählten Pharma- Munos (2009) beschrieb diesen Trend in seiner
und Biotech-Firmen, denen die NMEs direkt zu- Analyse der Produktivität der Pharma-Industrie
geordnet waren. (7 Ausgewählte Erkenntnisse einer Analyse zu Inno-
Die PhRMA-Zahlen – zu finden in den jähr- vationen in der Pharma-Industrie, 1950 bis 2008).
lichen PhRMA Industry Profiles – ermöglichen PwC diskutiert in seiner Analyse mögliche
auch die Erstellung einer Übersicht, wie sich die Auswege und beschreibt die große Unsicherheit,
FuE-Kosten auf die einzelnen Phasen der Medika- die dem Entwicklungsprozess gerade am Anfang
menten-Entwicklung verteilen, was sich im Laufe innewohnt:
der Jahre verändert hat (. Abb. 3.19).
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
187 3

Forschung & PK PI PII PIII Zulassung © BioMedServices 2015

2001 45 % 8% 15 % 21 % 11 %
2002 44 % 6% 13 % 27 % 10 %
2003 37 % 8% 13 % 27 % 14 %
2004 33 % 9% 13 % 33 % 12 %
2005 34 % 8% 15 % 34 % 9%
2006 34 % 8% 16 % 35 % 8%
2007 34 % 9% 16 % 35 % 6%
2008 32 % 10 % 15 % 38 % 6%
2009 29 % 9% 17 % 40 % 5%
2010 28 % 9% 14 % 41 % 7%
2011 25 % 10 % 14 % 41 % 10 %
2012 29 % 9% 14 % 39 % 9%
0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %

. Abb. 3.19 Prozentuale Verteilung der FuE-Kosten auf die verschiedenen Phasen der Medikamenten-Entwicklung. Er-
stellt nach Daten von PhRMA. PK Präklinik, P Phase

60
Mrd. US$ / NME

50 FuE-Ausgaben
FDA-NME Pharma
Innovation Gap
40 Linear (FDA-NME)

30

20

10

© BioMedServices 2015
0
80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 06 08 10 12 14

. Abb. 3.20 FuE-Ausgaben versus FDA-NME-Zulassungen: der Pharma Innovation Gap. Erstellt nach Daten von FDA
(2015d) und PhRMA (2015). Auswahl der Daten seit den 1980er-Jahren, umgerechnet in US$ von 2014
188 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

»» In other words, the company has to decide on klusive Zulassung und Phase-IV-Studien ist als
a course of action before it has much informa- Mindestbetrag anzusehen, da oft pro Phase mehre-
tion to go on – and the stakes are very high. re Studien durchzuführen sind.
If it makes the wrong choice, it could end up Bei Phase I sind dies bis zu zehn, bei Phase II
eight or nine years later with a failure that’s bis zu vier und bei Phase III bis zu zwei oder mehr.
cost $1 billion dollars or more. It’s therefore Downing et al. (2014) untersuchten die pivotalen
3 essential to focus on understanding a me- Studien der FDA-NME-Zulassungen der Jahre
chanism’s role in disease as much as possible 2005 bis 2012: 448 Studien waren die Basis für 188
before embarking on an expensive develop- zugelassene neue Wirkstoffe in 206 Indikationen.
ment programme. That means investing more 74 der Zulassungen (37 %) basierten auf einer, 77
in translational medicine for the validation (38 %) auf zwei und 50 (25 %) auf drei oder mehr
of targets and small, speedy clinical studies Phase-III-Studien. Auch von den Phase-IV-Studien
designed using sensitive endpoint biomarkers. können mehrere erforderlich sein, um zum Beispiel
… In short, investing more money early on in in verschiedenen Ländern gültige Erstattungs-
understanding the molecular basis of a disease regularien zu erfüllen. Auf Basis des Mittelwertes
and the role a particular mechanism plays re- können so Kosten für die klinische Prüfung von
duces the risk of losing a lot more money fur- 130 Mio. US$ erreicht werden. Unter Addieren der
ther down the line. And that research should weiteren Aufwendungen ist dann von mindestens
be rooted in studies of human beings, not 150 Mio. US$ auszugehen.
other species. Yet, on average, pharma com- Angaben zu Kosten pro Patient beziehungswei-
panies spend only 7 % of their R&D budgets se Proband liefert das Beratungsunternehmen Cut-
on target/mechanism selection and validation ting Edge Information, die unter dem Titel Clinical
– a fraction of the sum they spend on clinical Development and Trial Operations. Protocol Design
trials. (Arlington 2012) and Cost Per Patient Benchmarks laufend Berichte
zu Kostenpunkten pro Patient veröffentlichen. Ba-
Direkte Kosten der klinischen Phasen im sierend auf einer Umfrage unter 21 Pharma-, zwölf
Vergleich Biotech und neun Medizintechnik-Firmen so-
Betrachtet man jüngste Zahlen zu den direkten wie 23 sogenannten clinical research organizations
Kosten der verschiedenen Phasen der klinischen (CRO) ermittelten sie die in . Tab. 3.19 dargestell-
Entwicklung, so wird deutlich, dass sich der ten Kosten pro Patient pro Phase. Darauf basierend
Schwerpunkt der Kosten von der Phase III wegbe- zeigt sie zudem berechnete Kosten pro Studie.
wegt. Lag dieser bei den retrospektiven Betrachtun- Direkte Kosten bei der Medikamenten-Ent-
gen der verschiedenen Autoren und Datenquellen wicklung hängen aber nicht nur von der Indika-
(OHE, PhRMA, Tufts, Paul et al. 2010) noch bei tion ab, sie sind auch unterschiedlich je nach Land,
rund 60 bis 70 % aller klinischer Kosten, so er- in dem die klinischen Studien durchgeführt wer-
bringt die Auswertung der Daten einer aktuellen den. So beziehen sich die Angaben von Medidata
Studie (Sertkaya et al. 2014) im Schnitt einen An- auf die USA. Setzt man diese auf 100 %, liegt laut
teil von gut 50 % mit einem Minimum und einem dem Datendienst IMS Health folgende Abstufung
Maximum bei 34 und 74 %. Die Studie nutzte als der Kosten in anderen Territorien vor: Australien
Grundlage Daten von Medidata Solutions, einem (89 %), Westeuropa (79 %), Lateinamerika (72 %),
weltweit tätigen Anbieter von Cloud-Lösungen für Asien (68 %) und Osteuropa (54 %). Für einzel-
die klinische Forschung. . Tabelle 3.18 gibt eine ne Länder ist von folgenden Werten auszuge-
Übersicht zu direkten Kosten der einzelnen Phasen hen: Großbritannien (82 %), Deutschland (69 %),
der Medikamenten-Entwicklung pro Studie und Frankreich (62 %), Polen (62 %), China (36 %), In-
Indikationsbereich. Sertkaya et al. (2014) bieten zu- dien (32 %).
dem noch eine Tabelle, die die Kosten weiter auf Neben Indikation und Studienort bestimmen
einzelne Posten herunterbricht. Der ausgewiesene weitere Faktoren die Effizienz von klinischen Stu-
Gesamtbetrag für die Klinik beziehungsweise in- dien und damit letztlich auch deren Kosten:
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
189 3

. Tab. 3.18 Direkte Kosten klinischer Phasen der Medikamenten-Entwicklung nach Indikationsbereich. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Sertkaya et al. (2014))

Indikation PI PII PIII Σ Klinik Zulassung PIV Σ

Atemwege 5,2 12,2 23 40,5 2 72,9 115,4


(13 %) (30 %) (57 %)

Schmerz, Anästhesie 1,4 17,0 52,9 71,3 2 32,1 105,4


(2 %) (24 %) (57 %)

Onkologie 4,5 11,2 22,1 37,8 2 38,9 78,7


(12 %) (30 %) (58 %)

Ophthalmologie 5,3 13,8 30,7 49,8 2 17,6 69,4


(11 %) (28 %) (62 %)

Blut-bezogen 1,7 19,6 15,0 36,3 2 27,0 65,3


(5 %) (54 %) (41 %)

Herz-Kreislauf 2,2 7,0 25,2 34,4 2 27,8 64,2


(6 %) (20 %) (73 %)

Endokrines System 1,4 12,1 17,0 30,5 2 26,7 59,2


(5 %) (40 %) (56 %)

Magen-Darm 2,4 15,8 14,5 32,7 2 21,8 56,5


(7 %) (48 %) (44 %)

Immunmodulation 6,6 16,0 11,9 34,5 2 19,8 56,3


(19 %) (46 %) (34 %)

Infektionen 4,2 14,2 22,8 41,2 2 11,0 54,2


(10 %) (34 %) (55 %)

Neurologie, Psychiatrie 3,9 13,9 19,2 37,0 2 14,1 53,1


(11 %) (38 %) (52 %)

Dermatologie 1,8 8,9 11,5 22,2 2 25,2 49,4


(8 %) (40 %) (52 %)

Genital- und Harntrakt 3,1 14,6 17,5 35,2 2 6,8 44,0


(9 %) (41 %) (50 %)

Mittelwert 3 14 22 39 2 26 67
(9 %) (35 %) (56 %)

Absteigend sortiert nach Gesamtkosten inklusive Phase-IV-Studien (PIV); Kosten pro Studie in Mio. US$ von 2014, in
Klammern Anteil der Phasen I bis III (PI/II/III) an gesamten klinischen Kosten

»» The major obstacles to conducting clinical Das CSDD der Tufts University liefert zum limitie-
trials … include: high financial cost, the renden Faktor »Patienten-Rekrutierung« folgende
lengthy time frames, difficulties in recruitment Statistiken:
and retention of participants, insufficiencies in 55 80 % der Studien liegen nicht in ihrem Zeit-
the clinical research workforce, drug sponsor- plan (oft wegen mangelnder Patienten-Rekru-
imposed barriers; regulatory and administra- tierung);
tive barriers, the disconnect between clinical 55 48 % der Studien erreichen nicht die geplan-
research and medical care, and barriers related te Zahl beim Einschluss von Patienten (11 %
to the globalization of clinical research. (Sert- schließen keinen einzigen Patienten ein, 37 %
kaya et al. 2014) zu wenige);
190 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.19 Direkte Kosten pro Proband/Patient pro Phase der Medikamenten-Entwicklung, 2011. (Quelle: BioMed-
Services (2015) nach Daten von McGuire (2013) und CenterWatch (2011) zu Kosten pro Patient, Beträge in 2014er-US$
umgerechnet mit US GDP Implicit Price Deflator)

PI PII PIII Σ Klinik PIV


US$/Patient 23.415 38.595 50.850 112.859 18.235
3 Annahme Patientenzahl/ 20–80 100–200 270–1550a
Alle Indi-
Studie (in Klammern MW) (50) (150) (760)
kationen
Kosten/Studie (Mio. US$) 0,5–1,9 3,9–7,7 13,7–78,8 18–88
(in Klammern MW) (1,2) (5,8) (38,6) (46)

US$/Patient
45.652 70.397 75.548 191.597 n. v.
(Werte von 2013)

Annahme Patientenzahl/ 10–20b 20–40b 180–634a


Onkologie
Studie (in Klammern MW) (15) (30) (397)

Kosten/Studie (Mio. US$) 0,5–0,9 1,4–2,8 13,6–47,9 15–52


(in Klammern MW) (0,7) (2,1) (30) (33)

Neurologie n. v. 28.197 33.768 n. v. n. v.

Herz-Kreislauf n. v. 33.700 21.750 n. v. n. v.

Diabetes n. v. 8854 12.667 n. v. n. v.

aAngaben nach Downing et al. (2014): Anzahl Patienten in pivotalen Studien der FDA-NME-Zulassungen von
2005 bis 2012, bAngaben nach Cancer.net; MW: Mittelwert, n. v.: nicht verfügbar, P: Phase

55 39 % der Studien liegen mit der Patienten-Rek- ren ist. Um die Folgekosten bestehender Ineffizien-
rutierung im Plan; zen möglicherweise zu senken, beurteilten Sert-
55 13 % der Studien übertreffen die ursprüngli- kaya et al. (2014) folgende Maßnahmen nach ihrem
chen Planungen. Einsparpotenzial:
55 Verwendung von elektronischen Gesundheits-
Schwierigkeiten beim Rekrutieren von Patienten daten (electronic health records, EHR)
führen sogar zum Abbruch und damit Fehlschlägen 55 Vereinfachte Einschlusskriterien bei Studien
in der klinischen Entwicklung wie wissenschaftli- 55 Vereinfachte Studienprotokolle und weniger
che Untersuchungen von Kitterman et al. (2012) und Abänderungen
Tice et al. (2013) herausfanden. Beide Analysen er- 55 Reduzierte Überprüfung von Quelldaten
mittelten bei Studienabbrüchen in etwa einen Anteil (source data verification, SDV)
von 30 % beruhend auf Rekrutierungsproblemen. 55 Breitere Nutzung von Digitalisierung, z. B.:
elektronische Datenerfassung
»» Studies that do not achieve planned enrollments 55 Ausweichen auf Studienzentren mit geringeren
are unable to support their intended scientific
Kosten oder Testung zu Hause
hypotheses, thus reducing their scientific rele-
55 Beschleunigtes Bewertungsverfahren
vance and the efficiency of the entire clinical
55 Verbesserung der Effizienz des FDA-Zulas-
research enterprise. (Kitterman et al. 2012)
sungsprozesses
Einen noch höheren Anteil von 40 % stellten Ka-
senda et al. (2014) fest, die sich auf randomisierte Am effektivsten sind nach ihrer Ansicht das Aus-
Studien fokussierten. Arjona (2014) identifizier- weichen auf Studienzentren mit geringeren Kosten
te schließlich auf Basis verschiedener Studien, beziehungsweise Testung zu Hause sowie das ver-
dass von 5900 abgebrochenen Studien 60 % auf stärkte Verwenden der mobilen Technologien. Fol-
inadäquate Patienten-Rekrutierung zurückzufüh- gende Einsparungen sind dadurch möglich:
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
191 3

Der Preis der Gesundheit


... a Bloomberg analysis performed to this news is that companies are 5 years). … Despite all of the focus
by DRX (Destination RX), identified taking advantage of patients by over pricing, drugs only account for
a concerning trend that dozens of charging exorbitant prices and 10 % of the $2.7 trillion health care
drugs have more than doubled in raking in the profits. Just last month, bill in the U.S. … Finally, 70 % of
price since 2007. While this includes a Scientific American blog titled ‚The health care spending is attributed
drugs for diabetes, high cholesterol, Quest: $84,000 Miracle Cure Costs to lifestyle­related diseases, so after
and neurological diseases, cancer Less Than $150 to Make‘ reinforced all of this discussion, perhaps the
drugs are the most criticized for this notion. However, despite these most important thing we can do as
their prices. Of the 12 cancer drugs steep prices, pharmaceutical com- patients to combat rising prices is to
approved by the FDA in 2012, 11 panies only average an 18.4 % profit not smoke, eat healthy, and exerci-
cost over $100,000 and the average margin according to Yahoo! Finance se« (Van 2014).
cost per month for a cancer drug (for comparison, Apple has averaged
is $10,000. ... The standard reaction a 23 % profit margin over the past

55 über günstigere Studienzentren 0,8 Mio. US$ 55 Grundsätzlich sind sie abhängig von der Indi-
(16 %) in Phase I, 4,3 Mio. US$ (22 %) in Pha- kation, für die ein Wirkstoff getestet wird.
se II und 9,1 Mio. US$ (17 %) in Phase III; 55 Das Land, in dem Studien durchgeführt wer-
55 über Digitalisierung 0,4 Mio. US$ (8 %) den, hat ebenfalls Einfluss auf die Kosten.
in Phase I, 2,4 Mio. US$ (12 %) in Pha- 55 Da insgesamt lediglich rund 10 % der anfäng-
se II, 6,1 Mio. US$ (12 %) in Phase III sowie lich getesteten Wirkstoffe eine Zulassung er-
6,7 Mio. US$ (13 %) in Phase IV. halten (Ausfallrate von bis zu 90 % oder mehr,
variiert nach Indikation), müssen die direkten
Andere Maßnahmen wie geringere Restriktionen Kosten ausfalladjustiert werden: Bei bis zu
beim Einschluss von Patienten oder reduzierte zehn notwendigen klinischen Kandidaten für
Verifizierung von Datenquellen ersparen lediglich eine erfolgreiche Zulassung können die Kosten
rund 1 % der Studienkosten. 1 bis 1,5 Mrd. US$ erreichen.
55 Die Berücksichtigung der Kosten für For-
Zusammenfassende Übersicht zu schung, Präklinik und Kapital führt zu den oft
Kostenaspekten der Medikamenten-Entwicklung zitierten Zahlen von 1,5 bis 2,5 Mrd. US$.

»» Despite three decades of research in this Die hohen Kosten der Medikamenten-Entwick-
area, no published estimate of the cost of
lung, die wegen des großen Risikos und der langen
developing a new drug can be considered a
Dauer entstehen, führen dazu, dass sich innovative
gold standard. Existing studies vary in their
Arzneien immer weiter verteuern (7 Der Preis der
methods, data sources, samples, and therefore
Gesundheit). Es wird daher versucht, an verschiede-
estimates. (Morgan et al. 2011)
nen Stellen im Prozess anzusetzen, um die Kosten
Basierend auf der bisherigen Analyse lassen sich zu senken. Unter anderem wird von staatlicher Seite
folgende Aussagen und Werte zusammenfassen: stark reglementiert. Da der Anteil der Medikamente
55 Direkte Kosten für die klinische Testung an den Gesundheitskosten allerdings lediglich etwa
eines Wirkstoffes liegen im Schnitt bei 40 bis 11 % in den USA und 14 % in Deutschland beträgt,
50 Mio. US$ (unter der Annahme von jeweils liegt der Hebel möglicherweise auch in anderen
nur einer Studie pro Phase). Bereichen der Gesundheitswirtschaft. Denn es be-
55 Bei mehreren Studien (i. d. R. zehn Phase I, stehen nicht nur Ineffizienzen bei den klinischen
vier Phase II, zwei Phase III) summieren sie Studien der Arzneiwirkstoffe, sondern generell ein
sich auf über 100 Mio. US$, einschließlich Pha- immenses Einsparpotenzial im Gesundheitssystem,
se IV können bis zu 150 Mio. US$ oder mehr wie . Abb. 3.21 über die Analyse der Ineffizienzen
nötig sein. verschiedener Wirtschaftssysteme verdeutlicht.
192 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

40
Gesundheit
4270
Verbesserungspotenzial in % der Ineffizienz

35 Bildung
Elektrizität, 2940 1360
Finanzen
3 Essen & Wasser
4580
30
4890

Kommunikation Regierung &


25
Sicherheit
3960 Infrastruktur 5210
Transport (Gebäude &
20 (Waren & Transport)
Freizeit/Erholung/Kl Menschen)
eidung, 7800 6950 12540 © BioMedServices 2015
nach IBM (2012)
15
15 20 25 30 35 40 45
Ineffizienz in % des Systemwertes

. Abb. 3.21 Ineffizienzen verschiedener Wirtschaftssysteme. Erstellt nach IBM (2012), Größe der Blasen repräsentiert den
absoluten Wert der Systeme in Mrd. US$

3.1.1.4 Biosimilars: Nachgeahmte stellte Medikament überhaupt, das Humaninsulin


Biologika entern den Markt (Humulin) von Genentech, für das Lilly 1982 die
Die mittels der Erfindung der Gentechnik in US-Marktzulassung erhielt. In den USA endete die
Wirtszellen hergestellten biologischen Wirkstof- Exklusivität bereits im Jahr 2000. Zu diesem Mit-
fe wie körpereigene Proteine oder therapeutische tel wurden allerdings nie Biosimilars hergestellt,
Antikörper werden nach Ablauf der ersten Paten- da verbesserte Insuline schon den Markt erreicht
te mittlerweile von anderen Produzenten kopiert. hatten. Die optimierten Versionen des Wirkstoffes
Im Gegensatz zu den Nachahmerprodukten bei weisen geringfügige Abweichungen in der Prote-
den kleinen chemischen Molekülen (Generika), insequenz (ausgetauschte Aminosäuren) auf, was
die exakt dieselbe chemische Struktur aufweisen, die Wirkdauer oder die Schnelligkeit der Wirkung
ist dies bei den großen biologischen Molekülen im Körper erhöht. Solche als Insulinanaloga be-
(. Abb. 3.3) nicht möglich. Kopierte Produkte zum nannten Arzneien wurden erstmals 1996 gelauncht
Original-Biologikum werden daher als Biosimilars und stellen eine Form der sogenannten Biobetters
bezeichnet. In den USA war bisher oft die Rede dar (7 Bioidenticals, Biosimilars, Biobetters und Bio-
von »follow-on-biologics«, wobei sich mittlerwei- superiors). Das erste Biosimilar eines Insulinana-
le auch dort zunehmend der Begriff Biosimilar logons ließ die EMA im September 2014 zu: Lilly
durchsetzt. In Kanada wird zudem die Bezeich- entwickelte Abasaglar in Allianz mit Boehringer
nung »subsequent entry biologics« (SEB) genutzt. Ingelheim als Kopie des in 2000 zugelassenen Lan-
Die European Medicines Agency (EMA) war die tus (Insulin glargin), welches auf Arbeiten bei der
erste, die ab 2003 spezielle Richtlinien für Biosimi- ehemaligen Hoechst AG (in der Folge Aventis und
lars aufstellte. Bis Ende 2014 ließ sie 21 Biosimilars heute Sanofi) basiert. Andere Biologika, zu denen
zu (. Tab. 3.20). nach Patentablauf ein Biosimilar den Markt er-
In Europa entfiel erstmals ab dem Jahr 2001 reichte, sind das menschliche Wachstumshormon
der Patentschutz für manche Biologika. Dies be- (Somatropin), der Wachstumsfaktor für rote Blut-
trifft zum Beispiel das erste gentechnisch herge- körperchen (Erythrozyten, Epoetin) und für weiße
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
193 3

. Tab. 3.20 Biologika mit bereits erfolgtem Patentablauf und ihre in Europa zugelassenen Biosimilars. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach EMA (2015) und biosimilarz (2015))

Handels- Wirk- Zul. (EU oder US) Patent- Biosimilar (von) Zul.
name stoff Innovator/Anmelder ablauf (EMA)

Genotropin Soma- 02/1991 (EU) 2003 (EU) Omnitrope (Sandoz) 04/2006


tropin 08/1995 (US)
Genentech (< Roche)/
Pharmacia (< Pfizer)
Huma- Soma- 03/1987 (US) 2003 (EU) Valtropina/Somatropin BP 04/2006
trope tropin 06/1988 (EU) (BioPartners < Bioton) 08/2013
Genentech (< Roche)/
Lilly
Eprex Epoetin 11/88 (EU): 12/2004 Abseamed (Medice) 08/2007
(≙Epogen) alfa Amgen/Janssen (zu J&J) (EU) Binocrit (Sandoz)
06/1989 (US): Amgen Epoetin alfa (Hexal < Sandoz)
Epoetin Retacrit (Hospira < Pfizer) 12/2007
zeta Silapo (Stada)
Neupogen Filgras- 02/1991 (US) 08/2006 Biograstim (AbZ-Pharma) 09/2008
tim 07/1991 (EU) (EU) Filgrastim Ratiopharma
Amgen Ratiograstim
(Ratiopharm < Teva)
TevaGrastim (Teva)
Filgrastim Hexal 02/2009
(Hexal < Sandoz)
Zarzio (Sandoz)
Nivestim (Hospira < Pfizer) 06/2010
Grastofil (Apotex/Stada) 10/2013
Accofil (Accord Healthcare) 09/2014
Gonal-f Follitro- 10/1995 (EU) 2009 Ovaleap 09/2013
pin alfa 09/1997 (US) (EU) (Merckle Biotech < Teva)
Serono (< Merck KGaA)
Bemfola (Finox Biotech) 03/2014
Remicade Inflixi- 08/1998 (US) 02/2015 Inflectra (Hospira < Pfizer) 09/2013
mab 08/1999 (EU) (EU) Remsima
Centocor (< J&J) (Celltrion/Mundipharma)
Lantus Insulin 04/06/2000 (US/EU) 08/2014 Abasaglar 09/2014
glargin Aventis (< Sanofi) (EU) (Lilly und Boehringer Ingel-
heim)

Zulassungen bis Ende 2014, avom Markt genommen, < mittlerweile gehörend zu, Zul. Zulassung

Blutkörperchen (Granulozyten, Filgrastim) sowie micade (Infliximab) von Centocor (heute zu J&J
das Follikel-stimulierende Hormon FSH (Follitro- gehörend). Entwickelt wurde es von der südkorea-
pin alfa). Im September 2013 gab die EMA zudem nischen Celltrion, ihr Partner Hospira teilt sich den
erstmals grünes Licht für die Vermarktung eines europäischen Vertrieb mit Mundipharma, die auch
Antikörper-Biosimilars zur Originalarznei Re- den deutschen Markt bedienen. Da das EU-Patent
194 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Bioidenticals, Biosimilars, Biobetters und Biosuperiors


Bioidenticals sind Biologika, die Wirkstoffe, die optimiert wurden mit auch über die Halbwertszeit und
obwohl identisch, sich im Namen dem Ziel einer verbesserten Wirk- die Affinität zu ihren Rezeptoren.
unterscheiden. Sie sind identisch, samkeit und/oder längeren Halb- Alle diese Wirkstoffe müssen wegen
wenn sie aus dem gleichen Herstel- wertszeit sowie geringeren Toxizität ihrer Zuckermodifikation in höhe-
3 lungsprozess stammen. Biosimilars
sind dagegen analoge Versionen
oder Immunogenität. Erreicht wird
dies unter anderem durch Ände-
ren eukaryotischen Zellsystemen
– meist in CHO­Zellen (Ovarialzellen
eines rekombinanten Arzneistoffs, rung der molekularen Struktur des des chinesischen Hamsters, chinese
also möglichst exakte Kopien ihrer Referenzwirkstoffs. Neben der Ab- hamster ovary) – hergestellt werden.
Vorbilder. Zeigt sich im direkten Ver- änderung der Proteinsequenz, der Allerdings unterscheidet sich das
gleich beider Wirkstoffe irgendeine Verkleinerung oder Vergrößerung Glykosylierungsmuster der rekom-
Abweichung, in der die Kopie eines von Molekülen spielt vor allem die binant hergestellten Proteine von
Biologikums andere – offensicht- Glykosylierung eine wichtige Rolle. dem der im Menschen vorkommen-
lich bessere – Eigenschaften als das Dieser Begriff steht für an Molekülen den Varianten. Die CHO­Zellkultur
Original hat, kann es nicht als Biosi- angehängte Zuckerketten. Bei rund ist zudem recht kostenintensiv. Für
milar zugelassen werden. Der Begriff der Hälfte aller menschlichen Protei- die Herstellung von 1 g therapeuti-
Biobetters wurde erstmals 2007 auf ne beeinflussen sie Faltung, Sta- schem Antikörper müssen 300 bis
einer Konferenz in Mumbai geprägt.
Ein Synonym dafür sind die Biosupe-
3
bilität oder Transport. Die Zucker-
strukturen entscheiden teils über
3000 US$ kalkuliert werden (nach
Dingermann und Zündorf 2015).
riors. Es handelt sich um biologische die Antigenität des Proteins, aber

von Remicade erst Mitte Februar 2015 ablief, muss- Bestandteil des im März 2010 in Kraft getretenen
te der Launch von Inflectra und Remsima, so die Patient Protection and Affordable Care Act (Affor-
Markennamen, bis zu diesem Zeitpunkt warten. dable Care Act). Mit dem BPCI Act ist die gesetz-
Die Biosimilars waren bislang vor allem ein liche Basis für ein verkürztes Zulassungsverfahren
Phänomen in Europa und Asien. 21 von 44 (48 %) (abbreviated licensure pathway) für diejenigen
bislang über regulierte Wege zugelassene Biosimi- biologischen Produkte geschaffen worden, für die
lars (z. B. ohne China und Südamerika) gab die eine hochgradige Ähnlichkeit (highly similar) oder
europäische Behörde EMA frei, die bei den Zu- Austauschbarkeit (interchangeability) mit einem
lassungen (7 Biosimilars versus Generika und ihre FDA-zugelassenen biologischen Produkt demons-
­Zulassung) Vorreiter war. Laut dem Experten Dun- triert worden ist. Anfang Februar 2012 stellte die
can Emerton, der den Blog biosimilarz.com (Biosi- FDA dann einen spezifischen Regulierungsansatz
milarz 2015) betreibt, entfällt auf den asiatisch-pa- bei Biosimilars zur Diskussion vor: Generell muss
zifischen Raum seit 2010 der andere Großteil mit 20 ein Antrag Datenmaterial zum Nachweis der Bio-
von 44 (45 %) Zulassungen (davon siebenmal Japan, similar-Eigenschaft enthalten, das in analytischen
viermal Neuseeland, je dreimal Indien und Korea, Studien, Tierversuchen und klinischen Studien ge-
zweimal Australien). Im nordamerikanischen Kon- wonnen worden ist. Die FDA kann jedoch eigen-
tinent finden sich bisher zwei »echte« Biosimilars ständig darüber entscheiden, ob alle diese Bestand-
nur in Kanada, und zwar zu Remicade, ebenfalls teile notwendig sind; in der Praxis will sie diese
angeboten von Celltrion und Partner Hospira. Entscheidung je nach Einzelfall fällen.
In den USA werden zwar schon die beiden
nachgeahmten Biotech-Produkte Omnitrope »» Die große Frage lautet: Wie wird Biosimilarität
(Somatropin) und Granix (Filgrastim) vertrie- ausgelegt? Die EMA definiert im Prinzip ein
ben, ihre Zulassung erfolgte allerdings über den Biosimilar so, dass es tatsächlich ‚biosimilar‘
Standardprozess. Erst im Jahr 2009 verabschiede- sein muss. In den FDA­Regularien ist da-
te der US-Kongress ein Gesetz über Preiswettbe- gegen von ‚highly biosimilar‘ die Rede. … Für
werb und Innovation bei Biologika (Biologics Price den Entwickler gilt der berühmte Satz: Es ist
Competition and Innovation Act, BPCIA). Dieses schwieriger ein Biosimilar zu entwickeln als
ist laut Germany Trade & Invest (GTAI) wiederum eine New Biological Entity (NBE). (Allgaier 2013)
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
195 3

Biosimilars versus Generika und ihre Zulassung


»Biopharmazeutika … sind Proteine ein damit identisches Biopharma- auf den Markt gebracht werden. Die
mit einer komplexen dreidimen- zeutikum nachzubauen. Es hat sich Zulassungsbehörden verlangen …
sionalen Struktur, die nicht durch daher durchgesetzt, bei Nachahmer- nur den Nachweis der physikalisch­
chemische Synthese, sondern durch präparaten von Biopharmazeutika chemischen Ähnlichkeit sowie der
genetisch modifizierte Zellen syn- nicht von Biogenerika, sondern von Bioäquivalenz … von Generikum
thetisiert und anschließend mittels Biosimilars zu sprechen. Sie sind und original zugelassenem Präparat.
komplizierter Prozesse isoliert und ähnlich wie die Originale, aber nicht [Dafür] … genügt in der Regel ein
aufgereinigt werden. Die verwen- identisch. Dass sie in ihrer Wirkung Vergleich der beiden Medikamente
deten Bakterien, Hefen oder Säuge- und Verträglichkeit den Originalen in einigen wenigen gesunden Pro-
tierzellen produzieren die Wirkstoffe äquivalent sind, muss durch Prüfung banden« (Jarasch 2011a).
nicht atomgenau, sondern als ein belegt werden. Die europäische
Da Biosimilars eine Phase I und eine
Gemisch mit sogenannten Mikro- Arzneimittelbehörde EMA (»Euro-
verkürzte Phase III benötigen und
heterogenitäten, zum Beispiel ver- pean Medicines Agency«; früher
auch die frühe Entwicklung länger
schiedenen Isomeren und variablen als EMEA bezeichnet) fordert daher
dauert, um die Biosimilarität nach-
Glykosylierungsmustern. Diese in der Regel einige präklinische
zuweisen, ist ihre Entwicklung viel
können sich in Abhängigkeit von und mehrere klinische Studien,
aufwendiger und kostenintensiver
Temperatur, Nährstoffangebot, Zell- in denen das Biosimilar mit dem
als die Herstellung von Generika
dichte und anderen Parametern in Originalpräparat (Referenzprodukt)
(5 Mio. US$). Gegenüber der Ent-
der Produktionsanlage unterschei- verglichen werden muss, bevor eine
wicklung neuartiger, also Originator-
den. Wenn es schon für den Origi- Zulassung erfolgen kann. Für Bio-
Wirkstoffen erweist sie sich als nicht
nalhersteller eine Herausforderung pharmazeutika gelten [also] andere
unbedingt sehr viel günstiger (laut
bedeutet, für sein Biopharmazeuti- Regeln als für klassische Generika,
Sandoz 75 bis 250 Mio. US$) oder
kum von Charge zu Charge konstant … [die] Nachahmerpräparate nie-
schneller. Letztlich ist vermutlich die
zu reproduzieren, ist es für einen dermolekularer, chemisch herge-
Ausfallrate niedriger, da prinzipiell
anderen Produzenten, der zwangs- stellter Medikamente. Jene können
Sicherheit und Wirksamkeit bereits
läufig andere Anlagen und Zelllinien mit einem stark abgekürzten und
vom Originator belegt wurde.
benutzen muss, gar nicht möglich, damit kostengünstigen Verfahren

Erwartungen, Status quo und Mulcahy et al. (2014), dass das US-Gesundheits-
Marktprognosen wesen bei Ausgaben für Biologika im Zeitraum
Den Stellenwert der Biosimilars schätzen verschie- 2014 bis 2024 rund 44 Mrd. US$ einsparen kann.
dene Gruppen verständlicherweise gemäß ihren Dies entspricht 4 % der gesamten Aufwendun-
Interessen ein: auf der einen Seite ihre Hersteller, gen für Biopharmazeutika und einem Betrag von
die dem Markt gleichwertige, aber kostengünsti- 4,4 Mrd. US$ pro Jahr. Er leitet sich ab von einem
gere Arzneien anbieten wollen, und auf der ande- Preisabschlag von 35 % sowie einer Marktdurch-
ren Seite die Entwickler der neuartigen Original- dringung von 60 %. Läge die Preisreduktion nur
präparate, also die Innovatoren, die sich mit dem bei 10 %, ergäben sich nur Einsparungen von rund
Kopieren ihrer aufwendigen Forschungsergebnisse 13 Mrd. US$. Bei einer angenommenen Markt-
arrangieren müssen. Erstere fordern eine Mindest- durchdringung von 90 % (Preis minus 35 %)
verordnungsquote für Biosimilars, die Letztere ab- könnten sich die Kosten um 66 Mrd. US$ reduzie-
lehnen (7 Positionen der Wirtschaftsverbände). Bei- ren. Über 60 % der Einsparungen steuern die drei
de Parteien finden für ihre Position entsprechende Produktklassen Insuline (26 %, davon 15 % lang
Argumente, wie zum Beispiel die Ausgabe 4/12 von wirkende und 11 % schnell wirkende Insuline),
innovations (2012) darstellt. Anti-TNF-Wirkstoffe (21 %) sowie therapeutische
Zu möglichen Kosteneinsparungen im Ge- Krebs-Antikörper (13 %) bei. Jeweils 6 % entfallen
sundheitswesen über die Substitution der Origi- auf Interferone sowie Wachstumsfaktoren für rote
nalprodukte durch Biosimilars liegen Berechnun- und weiße Blutkörperchen.
gen für die USA und für Europa vor. Basierend Haustein et al. (2012) berechneten das euro-
auf verschiedenen anderen Studien schätzen päische Einsparpotenzial mit 12 bis 33 Mrd. € im
196 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Positionen der Wirtschaftsverbände


ProGenerika: Kostenvorteil Biosi- Sicherung höchster Qualität in den für den Arzt nicht nur auf ein älteres
milars Hightech-Produktionsprozessen, bis Originalpräparat und einige davon
»Biopharmazeutika – also bio- hin zur Zulassung durch die Euro- abgeleiteten Biosimilars. Vielmehr
technologisch hergestellte Arznei- päische Zulassungsbehörde (EMA). stehen ihm für die gleiche Anwen-
3 mittel – sind Mittel der Wahl bei
der Behandlung vieler schwerer
Biosimilars bieten den Patienten
einen kostengünstigeren und damit
dung auch noch Medikamente einer
neuen Generation zur Verfügung,
Erkrankungen. Allerdings sind nachhaltigen Zugang zu diesen die – bei gleichem Wirkprinzip – in
patentgeschützte Biopharmazeu- hochmodernen Arzneimitteln und einem patientenrelevanten Parame-
tika auch besonders teuer und die ermöglichen eine auch künftig be- ter verbessert sind. Sie wirken bei-
Krankenkassen verwenden einen zahlbare Arzneimittelversorgung« spielsweise zuverlässiger oder kön-
großen Teil ihrer Arzneimittelaus- (ProGenerika 2015) nen seltener injiziert oder infundiert
gaben dafür. Der Patentablauf öffnet werden. … Es ist Sache des Arztes,
Verband forschender Arzneimittel-
hier ein Fenster: Endet der Patent- im Verordnungsfall abzuwägen, ob
hersteller (vfa): Biosimilars ja bitte,
schutz, können Biosimilars für die er deshalb dem Patienten eines die-
Quoten nein danke!
Patientenversorgung bereitgestellt ser patentgeschützten New-Genera-
»Biosimilars sind eine Erweiterung
werden. Dies führt in Folge zu mehr tion-Präparate verordnet. In Quoten
des Arzneimittelangebots. Mit Ver-
Wettbewerb und sinkenden Preisen für die Verordnung von Biosimilars
ordnungsquoten für sie würde sich
bei den Biopharmazeutika. Denn (verfügt für alle gesetzlich Kranken-
das deutsche Gesundheitssystem
die bisherigen Erfahrungen mit versicherten oder die Patienten
aber nichts Gutes tun. Die Ver-
den in Deutschland verfügbaren einer bestimmten Krankenkasse
ordnungsentscheidung muss ganz
Biosimilars zeigen, dass sie deutlich oder kassenärztlichen Region) sehen
beim Arzt bleiben! So nötig es ist,
günstiger als die ehemals patent- einige eine Möglichkeit, die Gesund-
neuen Medikamenten Marktexklusi-
geschützten Biopharmazeutika heitsausgaben zu senken. Sie setzen
vität zu sichern (durch Patente und
sind. Der Preisunterschied zwischen dabei darauf, dass Biosimilars stets
Unterlagenschutz), so angebracht ist
einem Biosimilar und dem Erst- ein günstigeres Angebot darstellen
es auch, diese Exklusivität nach ei-
anbieterpräparat ist jedoch nicht werden als Originalpräparate. …
nigen Jahren enden zu lassen. Denn
so groß wie der zwischen einem Als Wirtschaftsverband tritt der vfa
während die Aussicht auf Jahre der
Generikum und dem Erstanbieter- dafür ein, dass Unternehmen Markt-
Exklusivität Innovatorfirmen in die
präparat. Der Grund: Biosimilars anteile durch Wettbewerb mittels
Entwicklung von Medikamenten
werden in aufwendigen biotechno- Qualität und guten Angeboten er-
investieren lässt, bietet das Ende der
logischen Verfahren hergestellt. ringen und nicht durch das Errichten
Schutzrechte dann anderen Unter-
Das bedeutet für die Unternehmen von ‚Schutzzäunen‘ einfach zugeteilt
nehmen Raum, auf dem Markt für
enorm hohe Investitionen für die bekommen. Quoten für bestimmte
Wettbewerb um das beste Angebot
Entwicklung der Biosimilars, für kli- Produktgruppen haben im Gesund-
zu sorgen. All das ist im Interesse der
nische Studien, in denen ihre Wirk- heitswesen noch nie den Qualitäts-
Patienten und ihrer Krankenkassen.
samkeit nachgewiesen wird, für die wettbewerb befördert!« (vfa 2015a).
… Oft beschränkt sich die Auswahl

Zeitraum 2007 bis 2020, was einem Anteil von 5 toren 0,7 bis 1,8 Mrd. €. Am meisten profitieren
bis 15 % der Gesamtkosten für Biologika gleich- die Länder Frankreich, Deutschland und Groß-
kommt. Jährlich wären das maximal 2,57 Mrd. € britannien. Bis 2020 erwartet die Studie für das
beziehungsweise 3,5 Mrd. US$ (basierend auf deutsche Gesundheitssystem Biologika-Ausgaben
durchschnittlichem Umrechnungskurs seit 2007 von in Summe 63,5 Mrd. €. Über den Einsatz von
von 1,36 US$ pro 1 €). Verglichen mit den USA Biosimilars ließen sich diese minimal um 4,3 (0,3/
fallen die Einsparungen also geringer aus, was ver- Jahr) und maximal um 11,7 (0,9/Jahr) Mrd. € sen-
mutlich auf den in den USA höheren Biologika- ken, was einem Anteil von 7 und 18 % entspräche.
Behandlungskosten beruht. Für die verschiedenen Letztlich hängen auch hier die realen Einsparungen
biosimilaren Wirkstoffklassen geben die Autoren von der Höhe der Preisreduktion und vom Grad
die folgenden möglichen Kostenreduktionen an: der Marktdurchdringung ab. Zudem beeinflusst
Antikörper rund 2 bis 20 Mrd. €, Epoetine 9 bis der Zeitpunkt der Markteinführung des Biosimi-
11 Mrd. € und für Granulozyten-Wachstumsfak-
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
197 3
lars nach Patentablauf des Originalpräparates den land auf den Markt gebrachte erste Antikörper-
einzusparenden Betrag. Biosimilar zu Remicade, soll der anfängliche Preis
Patentgeschützte Biologika setzten im Jahr 2013 etwa 10 % unter dem des Originals liegen, so eine
in Deutschland 6,5 Mrd. € um (Lücke et al. 2014), Firmenmitteilung. Allgemein wird für die biosimi-
davon einzelne Präparate mit allein dreistelligen laren Antikörper – manchmal auch als Biosimilars
Millionenbeträgen. Die verfügbaren Biosimilars 2.0 bezeichnet – ein größeres Einsparpotenzial als
kamen laut ProGenerika zusammen auf einen Um- für diejenigen der ersten Generation erwartet. Al-
satz von 67 Mio. € (Herstellerabgabepreis). Nach lerdings sind sie nochmals komplexer in der Her-
dem Arzneiverordnungsreport (AVR) von 2014 stellung, was auch die Nachahmer vor nochmals
hätte im Jahr 2013 die Substitution der Original- größere Herausforderungen stellt. Brill (2015) er-
präparate durch das jeweils preiswerteste Biosimi- rechnete in einer Analyse, dass das zu kopierende
lar den deutschen gesetzlichen Krankenkassen 57 Originalpräparat mindestens einen durchschnittli-
von 312 (18 %) Mio. € (2012: 39 von 321 Mio. € ≙ chen jährlichen Umsatz von 898 Mio. US$ erreicht
12 %) an Ausgaben für Wachstumsfaktoren sparen haben muss, damit sich die Entwicklung eines Bio-
können. Preisunterschied und Einsparpotenzial similars lohnt. Als Annahmen legte er zugrunde:
zwischen der günstigsten Kopie und dem Inno- eine Marktdurchdringung und einen Preisabschlag
vatorprodukt geben die AVR für die einzelnen von 10 und 20 % in Jahr 1, die jeweils in Jahr 4 auf 35
Produktklassen wie folgt an: Epoetin minus 10 % und 40 % gestiegen sind. In einem anderen Szena-
(7 Mio. €), Filgrastim minus 20 % (4 Mio. €) und rio mit einer niedrigeren angenommenen Markt-
Somatropin minus 27 % (46 Mio. €). Für sie liegen durchdringung (maximal 25 %) kommt er sogar auf
auch Erfahrungswerte der Marktdurchdringung eine Mindestgrenze von 1,3 Mrd. US$ an benötig-
vor (2013er-Verordnungsanteil in Tagesdosen): tem Umsatz. Ein drittes Szenario hält die Markt-
68 % bei den Epoetinen, 69 % bei den Filgrastimen durchdringung konstant und verringert die an-
und 10 % für das neben sieben Originalpräparaten genommenen FuE-Kosten um 33 %, was in einem
einzige Somatropin-Biosimilar. Wenn allerdings benötigten Mindestumsatz von 627 Mio. US$ resul-
die Biobetters von Epogen (Epoetin) und Neupo- tiert. Zwar beziehen sich die Berechnungen explizit
gen (Filgrastim), Aranesp und Neulasta, berück- auf den US-Markt, sie sollten aber grundsätzlich
sichtigt werden, sinkt der jeweilige Marktanteil der auch für den europäischen Markt valide sein.
Biosimilars der ersten Generation von 67 auf 33 %
und von 47 auf 4 % (Stand: 2011), so die Analyse von
»» This analysis shows that a biosimilar manufac-
turer would not find it worthwhile to enter the
Grabowski et al. (2014). Die Biobetters weisen eine
U.S. market for most average (by sales) biolo-
längere Wirkdauer auf und müssen daher weniger
gics even under favorable market conditions.
oft verabreicht werden. Neben dem möglichen Be-
Under potential regulatory and market cons-
quemlichkeitsvorteil für den Patienten sind – trotz
traints that limit biosimilar market share, only
der höheren Kosten – ab einem gewissen Mindest-
the largest biologics would attract biosimilar
behandlungszeitraum in Summe sogar Einsparun-
competition. (Brill 2015)
gen möglich. Dies zeigt eine Information der Kas-
senärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe vom Laut den Autoren überraschende Aspekte zu An-
Oktober 2010, die zu folgendem Schluss kommt: gebot und Preisniveau liefert auch eine Befragung
Pegyliertes G-CSF (Neulasta) ist nach Tagesdosen- unter Generikaherstellern und Innovatoren zu
Kosten pro Therapiezyklus nach Überschreiten von Biosimilars (7 Biosimilars werden keinen massiven
etwa acht bis elf Tagen Anwendungsdauer preis- Marktumbruch verursachen). Diese führte die Be-
günstiger (KVWL 2010). Der Einsatz der Biosimi- ratungsfirma Camelot (2014) unter 80 Vertretern
lars ermöglicht dagegen eine flexiblere Anpassung von weltweit in 16 Ländern aktiven Gesellschaften
der Behandlungsdurchführung und ist bei kürzerer durch. Auch sie spricht gegenüber dem Umsatz-
Therapiedauer günstiger. und Gewinnpotenzial möglicherweise unverhält-
Für Remsima, das von Celltrion entwickelte nismäßig hohe Risiken und Investitionen an. Das
und jüngst von Partner Mundipharma in Deutsch- Resumee lautet: Besonders die Generikahersteller
198 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Biosimilars werden keinen massiven Marktumbruch verursachen


»Die Befragten [gehen] im Gegen- Biosimilars-Sparte auf ihr künftiges lars seien nicht dem gleichen Preis-
satz zu anderen Experten oder etwa Geschäft. Die Hälfte der Pharma- druck ausgesetzt wie Generika, und
dem Wunschdenken vieler Versi- verantwortlichen geht nicht davon … könnten bis zu 70 Prozent des
cherungen nicht davon aus …, dass aus, dass der Preisdruck durch Originalproduktpreises erzielen. Die
3 Biosimilars große Auswirkungen auf
Therapien und Behandlungen von
Biosimilars das eigene Unterneh-
mensportfolio beeinflussen wird,
Antworten der Befragten zeigten
aber das Gegenteil: ‚eine sichtbare
Patienten haben werden. Mehr als nur circa zehn Prozent der Befragten Abkühlung der Euphorie‘. Während
zwei Drittel aller Hersteller (sowohl können sich solche Effekte vorstel- bei den Generikaherstellern immer-
Generikaunternehmen als auch In- len. In einem Punkt sind sich sowohl hin noch fast 60 Prozent von einem
novatoren) erwarten, dass weniger die Generikaunternehmen als auch Preisniveau zwischen 50 und 99
als fünf Prozent ihres Gesamtport- die Forschenden einig: Auch wenn Prozent des Originalproduktpreises
folios (inklusive nicht-biologischer es derzeit einen großen Hype rund ausgehen, … [schätzen] mehr als
Produkte) sich in die Richtung der um die Biosimilars-Sparte gibt – die 40 Prozent … [der Innovatoren] das
Biosimilars verlagern werden. … Biosimilars werden weder einen Preisniveau auf circa 15 Prozent …
Die meisten Befragten gehen davon massiven Marktumbruch verursa- oder sogar noch niedriger. Das Fazit
aus, dass viele Ärzte Medikamenten, chen noch die gesamte Pharma- von Camelot: ‚Mit anderen Worten,
die ähnlich aber mit dem Original- branche revolutionieren. Innerhalb die Kenner des Biologikamarktes
präparat nicht identisch sind, eher des Biosimilars-Segmentes soll es erwarten einen viel intensiveren
skeptisch gegenüber stehen. Die aber … einen harten Preiskampf ge- Preiswettbewerb als bislang vermu-
meisten Unternehmen erwarten ben. Bislang hätten enthusiastische tet‘« (Camelot 2014).
keine großen Auswirkungen der Stimmen verlauten lassen, Biosimi-

versprechen sich einen großen Anteil an einem 1,2 Mrd. US$ im Jahr 2013 soll der Markt für Biosi-
Geschäft, das ihrer Erwartung nach weniger stark milars bis 2019 auf knapp 24 Mrd. US$ anwachsen.
dem Preiskampf ausgesetzt sein wird als ihr Kern- Auch sie sehen die größten Wachstumschancen
geschäft. in unerschlossenen Märkten in den USA sowie in
IMS Health schätzte den weltweiten Markt für den Regionen Asien-Pazifik und Lateinamerika.
Biosimilars im Jahr 2010 auf gut 300 Mio. US$, wo- Die Marktforscher prognostizieren außerdem ex-
von sich mehr als 80 % auf Europa konzentrierten. ponentielles Wachstum aufgrund des Markteintrit-
Auf Epoetine, Filgrastime und biosimilares Soma- tes von weiteren großen Pharma-Firmen, kleinen
tropin entfielen 42, 33 und 25 %. Die Prognosen Biotech-Unternehmen sowie Generikaherstellern.
für 2015 lagen bei 2 bis 2,5 Mrd. US$. Ab 2015/16 Zudem beobachten sie, dass sich indische Unter-
bis 2020 wird weiteres deutliches Wachstum er- nehmensgruppen wie Dr. Reddy’s Laboratories,
wartet, da die Patente von neun der zehn umsatz- Biocon und Reliance Life Sciences bereits um den
stärksten Biologika ablaufen, die 2014 in Summe Eintritt in den europäischen Markt bemühen.
fast 75 Mrd. US$ umsetzten. Für 2020 prognosti-
ziert IMS Health (2011) einen unteren Wert von Wenige Player dominieren bisher den
11, einen mittleren von 20 und einen oberen von Markt, neuer Wettbewerb steht aber an
25 Mrd. US$. Der entsprechende Marktanteil in- Neben den schon im EU-Markt tätigen Generika-
nerhalb der Biologika läge dann bei 4, 8 oder 10 %. Firmen, stehen weitere wie auch erste forschende
Auch IMS schränkt ein: Pharma- und Biotech-Unternehmen in den Start-
löchern (. Abb. 3.22). Zum Teil in Kooperation
»» Whether the US opportunity is realized is the miteinander, denn das Zusammenlegen von Kom-
single most important differentiator between
petenzen reduziert Markteintrittsbarrieren der
success and failure for biosimilars in the next
Herstellung und Vermarktung von Biosimilars, die
decade. (IMS Health 2011)
nicht jeder Wettbewerber im Alleingang stemmt.
Eine ähnliche Entwicklung sagen die Experten von Thomson Reuters gibt in einem Bericht eine
Frost & Sullivan (2014) voraus: Ausgehend von gute 7 Übersicht zur Wettbewerbssituation bei den
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
199 3

Pharma Generikahersteller Biotech


Joint Venture: Samsung Bioepis Biogen
Samsung Biologics

Probiomed (Lateinamerika)
USA
Merck Momenta
Baxalta Pfenex
Harvest Moon
Pfizer US$1
7 Mr Coherus
d. Allergan Amgen
Hospira
Mylan
Lilly &
GE Healthcare

Boehringer
Accord Europa Finox Biotech

Europa
Konglomerate

Apotex Europe Stada Bioton

Amega Biotech Biosidus


(Biopartners)
AbZ-Pharma Medice
Astra Zeneca

$33
LG Life Sciences

Teva (Ratiopharm) BioXpress (CH)


Sanofi

Mrd
Formycon (D)
Merck Serono Mabion (PL)
Sandoz (Hexal)

.
Protalix (ISR)
Biocad (RUS)
Gedeon Richter (HU) Synthon (NL) AXXO (D)
Fujifilm & Kyowa

Daiichi Sankyo Celltrion JCR Ph. (J)

Aché
Asien
Mycenax (TW)
Dong-A (KR) Mochida (J) Nichi-Iko (J)
Cipla Dr. Reddy’s Emcure (Gennova) Avesthagen Biocon Inbiopro
Intas Reliance (IN) © BioMed
Ranbaxy Wockhardt Zydus Cadila (IN)
3SBio CPGJ GeneScience Shanghai Fosun Tonghua Dongbao (CN) Services
2015

. Abb. 3.22 Ausgewählte Firmen mit Biosimilar-Aktivitäten. Mit grauem Kasten hinterlegt: mit EMA-Zulassung; Pfeile
symbolisieren Partnerschaften

Biosimilars. Sie heben auch folgende Markteintritts- Richtung Biosimilars: Mit einem Investment von
barrieren hervor: 1,5 Mrd. US$ gründete sie die Merck Bioventures.
55 biologisches Produktions-Know-how im Nach Fehlschlägen bei der Entwicklung eines Bio-
Industriemaßstab, verbunden mit hohen In- similars zu Amgens Aranesp wurde sie allerdings
vestitionen; wieder als Forschungseinheit in den Konzern re-
55 auf die speziellen regulatorischen Anforderun- integriert. Die Biosimilar-Strategie wird nun mit
gen zugeschnittene klinische Studien; dem koreanischen Partner Samsung Bioepis (Joint
55 Marktpräsenz im Zielmarkt. Venture zwischen Samsung Biologics und Biogen)
weiterverfolgt. Ziel der Kooperation ist zunächst
Das betrifft die Wettbewerber auf unterschiedliche nachgebautes Insulin glargin. Neben diesem prüft
Weise. So stellen für Anbieter, die bisher nur in we- Samsung Bioepis derzeit folgende Biosimilars in
niger regulierten Märkten (Indien, China, Südame- Phase-III-Studien: Infliximab (Remicade), Trastu-
rika) tätig waren, die regulatorischen Vorgaben so- zumab (Herceptin) und Adalimumab (Humira).
wie die fehlende Reputation eine recht große Hürde Für biosimilares Etanercept hat Samsung Bioepis
beim Expandieren in neue Märkte dar. Anfang 2015 bei der EMA die Zulassung beantragt.
Von den Innovatoren ergriff – nach einer Es wäre die erste Kopie eines Fusionsproteins, näm-
Studie von McKinsey (Dalgaard et al. 2013) – die lich eine von Amgens Enbrel.
US-Merck im Jahr 2008 als Erste die Initiative in
200 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Übersicht zur Wettbewerbssituation bei den Biosimilars


»Due to the complexity of biologic ning and conducting biosimilar been molded by the EMA guide-
products and similarly complex clinical trials. Hospira has recently lines, these pioneers may have an
regulatory requirements, the bio- partnered with DaVita and Frese- advantage in navigating the murky
similars market requires a combi- nius Medical Care in an effort to U.S. approval process, including the
3 nation of capabilities, experience,
and capacity which many generic
efficiently conduct Phase III trials for
its biosimilar erythropoietin across
steps necessary to overcome cost
and experience barriers and move
companies are without. This reality 200 hemodialysis centers across forward with clinical trials. Currently
has required companies looking to the U.S. In 2011, Samsung Biologics there are several companies running
compete in the biosimilars market partnered with CRO giant Quintiles large-scale, global clinical trials who
to either increase in-house capabi- to develop clinical trials for their will likely become major players in
lities in areas where they currently biosimilar venture. In turn, Samsung the US biosimilars market. Another
fall short, or find them elsewhere, Biologics, with Quintiles in tow, barrier to biosimilar market entry is
often through deal making. As such, entered into an agreement with Bio- associated with established market
the competitive landscape in the gen Idec; combining biologic and presence. In the US, biosimilars do
biosimilars market will not be alig- business expertise to form Samsung not receive automatic substitution
ned with the small molecule market, Bioepis. Recently, … [it] has signed like generic drugs, so uptake will
where the line between innovator on to develop and conduct clinical have to rely heavily on pricing,
and generic companies frequently is trials for Merck’s upcoming biosimi- patient and physician education,
quite clear. Instead, the biosimilars lar candidates in a move that seeks and marketing. While companies
market will be filled with additional to overcome the clinical trial barriers with experience in launching a
competitors, including biotech present for biosimilar entry. Compa- brand product in regulated markets
companies and hybrid innovator-ge- nies with global experience in biosi- will have a leg up on those that do
neric partnerships. … To overcome milar development, and particularly not, it is expected companies that
the knowledge hurdle, companies in those who have previously obtained have current biosimilar launches in
the biosimilars arena are partnering biosimilar approvals under the other regulated markets could have
with Contract Research Organizati- EMA guidelines, will likely exhibit the likely success« (Bourgoin und
ons (CROs) and health organizations a competitive advantage in the US Nuskey 2013).
who have experience with desig- biosimilars market. Having already

Als nächster Innovator wagte Pfizer einen men einer seit 2009 bestehenden Diabetes-Allianz
Schritt und schloss im Oktober 2010 eine Allianz mit ab 2011 biosimilares Insulin glargin. Nachdem die
dem indischen Biotech-Unternehmen Biocon. Die- EMA im Juli 2013 den Zulassungsantrag akzeptiert
ses vergab weltweite Vermarktungsrechte für seine hatte, gab sie gut ein Jahr später grünes Licht für die
biosimilaren Insulin-Produkte an Pfizer. Nach nur Vermarktung der Lantus-Kopie namens Abasaglar.
gut einem Jahr beendeten beide Partner ihre Ver- Die Biotech-Firma Amgen, bei Enbrel selbst
einbarung »einvernehmlich«, denn Pfizer stellte den »Opfer« der Nachahmer, setzt auf ein Nebenein-
Diabetes-Markt in seiner Priorität hinter biotechno- ander von Original-Biologika und Biosimilars.
logische Nachahmerprodukte von Krebsmedika- Sie testet seit Februar 2015 schon in einer zwei-
menten, Schmerzmitteln und von Arzneien zur Be- ten Phase-III-Studie eine Kopie von Humira, das
handlung seltener Krankheiten. Kurz vor der Markt- wiederum Konkurrenzprodukt zu Enbrel ist. Der
einführung des ersten biosimilaren Krebs-Antikör- TNF-Antikörper verliert Ende 2016 seinen Patent-
pers im Februar 2015 schlug der Konzern wieder zu schutz in den USA (. Abb. 3.23). Amgen entwickelt
und übernahm den US-basierten Celltrion-Partner auch nachgebautes Rituxan sowie Herceptin, und
Hospira mit seinem Produkt Inflectra (Infliximab) zwar zusammen mit dem Generikahersteller Aller-
für einen Betrag von 17 Mrd. US$. Die deutsche gan (vormals Actavis) sowie der niederländischen
Boehringer Ingelheim konnte beim Einstieg in die Synthon. Insgesamt hat Amgen sechs Biosimilars
Biosimilars auf ihrer umfangreichen Expertise in in der Pipeline und erwartet erste Launchs ab 2017.
der biologischen Auftragsproduktion aufbauen. Zu- In den USA bietet der BPCIA den von der FDA
sammen mit Partner Lilly entwickelte sie im Rah- über eine BLA zugelassenen Biologika unabhängig
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
201 3

08/2015 © BioMedServices 2015


Synagis (Palivizumab)
10/2015
Neulasta (Peg-filgrastim) 08/2017
10/2015
06/2014
Erbitux (Cetuximab) EU
02/2016
04/2018 US
Humira (Adalimumab)
12/2016
Tysabri* (Natalizumab) 04/2017
04/2017
Xolair (Omalizumab) 06/2017
06/2017
Remicade (Infliximab) 02/2015
09/2018
11/2013
Rituxan/MabThera (Rituximab)
12/2018
Herceptin** (Trastuzumab) 08/2015
06/2019
Avastin (Gevacizumab) 01/2022
07/2019
Orencia (Abatacept) 05/2017
10/2019
Eylea (Aflibercept) 05/2020
05/2020
Lucentis (Ranibizumab) 01/2022
06/2020
Soliris (Eculizumab) 04/2020
03/2021
Yervoy (Ipilimumab) 07/2021
03/2023
Simponi (Golimumab) 02/2019
02/2024
Aranesp (Darbepoetin) 07/2016
05/2024
13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

. Abb. 3.23 Ausgewählte Biologika und ihr Zeitpunkt ablaufender Exklusivität. Erstellt nach GaBI online (2011) unter
Aktualisierung der Daten. *vermutlich verlängert bis 2020, **in Großbritannien bereits Juli 2014

vom Patentablauf die Sicherheit einer zwölfjähri- Verkauf. Roche, über Genentech Originator von
gen Marktexklusivität. Dies bedeutet laut Thom- Rituximab, hat vorgebaut und im März 2014 eine
son Reuters zum Beispiel für folgende – nicht in EU-Zulassung für MabThera SC erhalten. Die
. Abb. 3.23 erwähnte – therapeutische Antikörper neue subkutane Formulierung des Antikörpers
einen Schutz: Ilaris (Canakinumab) bis mindestens verkürzt die intravenöse Infusionszeit von zwei-
17.06.2021 und Stelara (Ustekinumab) bis mindes- einhalb Stunden auf etwa fünf Minuten. Mit dieser
tens 25.09.2021. Biobetter-Version verschafft sich Roche einen ge-
Für MabThera (Rituximab) lief der europäische wissen Schutz im europäischen Biosimilar-Wettbe-
Patentschutz bereits 2013 ab. Ein erstes Biosimi- werb. In den USA läuft das Patent für Rituxan, so
lar dazu brachte 2014 das russische Unternehmen der dortige Markenname, noch bis 2018. Thomson
Biocad auf den heimischen Markt. Neben Acell- Reuters (Bourgoin und Nuskey 2013) gibt in seinem
Bia, so dessen Markenname, befindet sich jedoch Biosimilar-Bericht an, dass Roche plant, die beiden
noch kein weiteres entsprechendes Biosimilar im Blockbuster-Medikamente Rituxan und Herceptin
202 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

zu einem günstigeren Preis abzugeben, um auch xische Moleküle in (noch) verträglichen Dosen
auf diese Weise mit den aufkommenden kosten- gezielt an den Ort der Wirkung zu transportieren.
günstigeren Kopien zu konkurrieren. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlich-
Für seine Herceptin-Reproduktion namens keit im Gesundheitswesen (IQWIG) attestierte
Herzuma erhielt Celltrion Anfang 2014 die Zulas- beiden Präparaten im Vergleich zur Standardthe-
sung für den heimischen Markt Südkorea. Die Cell- rapie einen Anhaltspunkt auf einen Zusatznutzen.
3 trion-Kopie soll über den Partner Hospira dem- Perjeta erhielt sogar die Beurteilung »erheblicher
nächst auch in Europa erhältlich sein. Noch gibt Zusatznutzen«, die bestmögliche Kategorie. Vom
es aber keine offiziellen Verlautbarungen zur Be- Überlebensvorteil profitiert allerdings nur die Sub-
antragung der Zulassung. Auch in Indien ist bereits gruppe der Patientinnen mit viszeralen Metastasen,
ein Trastuzumab-Biosimilar verfügbar, hergestellt das sind gestreute Brustkrebszellen in inneren Or-
von Biocon in Partnerschaft mit der US-Generika- ganen wie Lunge, Leber, Gehirn oder im Bauch-
Firma Mylan. raum. Kein Vorteil zeigte sich dagegen für Patien-
Roche als Innovator beider Produkte versucht tinnen mit nicht-viszeralen Metastasen (Knochen,
sich über Patentstreitigkeiten zu verteidigen, ver- Lymphknoten).
folgt aber auch hier gleichzeitig eine Biobetter-Ab-
wehrstrategie, in dem sie neu geschützte, verbesser- Biosimilars in der Pipeline
te Nachfolgeprodukte auf den Markt bringt. Wie bereits erwähnt, befinden sich einige Antikör-
per-Biosimilars in der Entwicklung. Vor allem die
Biobetters als Abwehrstrategie im Wettbewerb Blockbuster-Medikamente werden nachgebaut und
Beispiele hierfür sind die beiden Brustkrebs-Me- in klinischen Phase-III-Studien mit den Original-
dikamente Perjeta und Kadcyla, die beide 2013 präparaten verglichen (. Tab. 3.21).
die europäische Marktzulassung erhielten. Perje- Laut einer Mitteilung von Thomson Reuters
ta (Pertuzumab) behandelt wie Herceptin HER2- (2014) befinden sich derzeit 700 Biosimilars in
positive Patientinnen. Im Unterschied zu diesem der Entwicklung. 245 Firmen und Institutionen
bindet es an einer anderen Stelle desselben Ziel- beteiligen sich daran oder haben entsprechen-
moleküls, und es sind somit bei parallelem Einsatz de Produkte bereits auf dem Markt. Eine ande-
synergistische Wirkungen möglich. Im Vergleich re Quelle, der Pharma-Datendienst FirstWord
zu einer Behandlung mit Herceptin plus Chemo- (2015), listet in seinem »Biosimilar Index« 527
therapie verlängert die kombinierte Gabe von Biosimilars und sogenannte NCB-Programme
Herceptin und Perjeta das Leben von Patientinnen (Stand: Juni 2015). NCB steht für non-comparable
mit einer aggressiven Form des metastasierenden biologics, oft auch als intended copies oder copy
Brustkrebses um 15,7 Monate. Das mediane Ge- biologics bezeichnet.
samtüberleben von fast fünf Jahren ist die längste
Zeitspanne, die bis heute bei entsprechend Er- Intended Copies
krankten beobachtet werden konnte, so Roche. »Bei Intended Copies handelt es sich um Ko-
Als drittes zielgerichtet wirkendes Medikament pien von bereits lizensierten Biologika, die
entwickelte Roche Kadcyla (Trastuzumab Em- nicht den Zulassungsprozess für Biosimilars
tansin) für die Behandlung von HER2-positivem durchlaufen haben, der den Regularien der
Brustkrebs. Es handelt sich um ein sogenanntes EMA entspricht. Diese Intended Copies wer-
Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, das zwei krebs- den teilweise auch als Biosimilars bezeichnet,
hemmende Eigenschaften miteinander verbindet: sind beispielsweise für Rheumatoide Arthritis
Die HER2-Hemmung durch Trastuzumab und die in Ländern Südamerikas und China zugelassen
zytotoxische Wirkung durch das Chemotherapeu- und entsprechen den dortigen Regularien der
tikum DM1. Die Entwicklung von Antikörper-Kon- Behörden. Den Standards der EMA genügen
jugaten ist eines der neueren Biobetter-Konzepte. sie nicht« (Deutsche Rheuma-Liga 2014).
Ziel ist einerseits, Antikörper in der Krebstherapie
noch effizienter zu machen, andererseits hochto-
. Tab. 3.21 Ausgewählte Firmen und ihre in Entwicklung befindlichen Biosimilars nach Phase. (Quelle: BioMedServices (2015) nach Bernstein Research (2014))

Produkt Anzahl Anzahl ­ elltrion


C Pfizer Pfenex Sandoz Amgen BioXpress Biocon Mabion Biocad Boehringer Samsung Apotex Reddy
(Umsatz Biosimilars in Biobetters in & ( > Hospira) (z. T. mit & & Ingelheim Bioepsis & Merck
2014 in Mrd. Entwicklungb Entwicklungb ­Hospira Hospira) Allergan Mylan (D)
US$) oder
Produkt-
klasse

Anzahl/ 9c 7 6 5 5 4 4 3 3 3 2 2
Firma
5 4

Humira 13 7 PK I III III # PK III


(12,5) →I

Remicade 9 9 M PK PK III
(9,2)

Enbrel 21 8 III PK PK Zul EU


(8,5)

Lantus 5 2
(8,4)

Rituxan 30 17 III III III PK # III M III III M


3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie

(7,6) →I

Avastin 14 9 PK I III # PK III III


(7,0) →I

Hercep- 24 12 III III III # III III PK


tina
(6,9)

Neulasta 14 9 PK III PK Zul


(4,6) US
203

Lucentis 2 2 I #
(4,3)

Epogen 69 26 Zul III


(2,0) US US
3
3
204

. Tab. 3.21 Fortsetzung

Produkt Anzahl Anzahl ­ elltrion


C Pfizer Pfenex Sandoz Amgen BioXpress Biocon Mabion Biocad Boehringer Samsung Apotex Reddy
(Umsatz Biosimilars in Biobetters in & ( > Hospira) (z. T. mit & & Ingelheim Bioepsis & Merck
2014 in Mrd. Entwicklungb Entwicklungb ­Hospira Hospira) Allergan Mylan (D)
US$) oder
Produkt-
klasse

Aranesp 4 2
(1,9)

Neupo- 52 17 III Zul


gen US US
(1,2)

Insulin 40 53

Anti-TNF 44 19 #

Interfe- 55 48 #
ron α

Interfe- 23 23 #
ron β
Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Somatro- 28 17 #
pin

Faktor VIII 4 21

Krebs-AK 77 59

Andere #

aGaBI Online (2014)


bRader (2013b) sowie Ndegwa und Quansah (2013)
cnach Übernahme von Hospira durch Pfizer (»Pfizer > Hospira«); durchgestrichen bedeutet Rückschlag, → aktueller Status quo; jeweils weiteste Phase (PK Präklinik, P Phase, Zul Zu-

lassung, M Markt), wenn nicht bekannt #; AK Antikörper


3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
205 3

. Tab. 3.22 Öffentlich bekannt gegebene Biosimilar-Studien von Sandoz. (Quelle: Sandoz 2015)

Refe- Wirkstoff Phase Indikation Status (30.06.2015)


renz

Humira Adalimumab III Chronische Schuppenflechte Laufend

Enbrel Etanercept III Chronische Schuppenflechte Patienten eingeschlossen

Rituxan Rituximab III Follikuläres Lymphom Laufend

Rituxan Rituximab II Rheumatoide Arthritis Laufend

Epogen Epoetin-alfa III (US) Renale Anämie Patienten eingeschlossen

Epogen Epoetin-alfa III (EU) Renale Anämie Patienten eingeschlossen

Neulasta Pegfilgrastim III Neutropenie (bei Chemotherapie) Abgeschlossen/Zulassung in Vor-


bereitung

Über 160 Firmen entwickeln Kopien zu 46 Ori- Als weitere anstehende Biosimilar-Einführung
ginator-Produkten, 40 Projekte werden bereits in wird in den USA die Remicade-Kopie von Celltri-
Phase III geprüft (10 %). Auf therapeutische Anti- on erwartet. In Zusammenarbeit mit ihrem Part-
körper entfallen 115 Projekte (30 %). Setzt man die ner Hospira, der bald eine Pfizer-Tochter sein wird,
Gesamtheit der 527 Kopien ins Verhältnis zu den hat sie im August 2014 den Zulassungsantrag bei
46 Referenzen, ergeben sich rund elf Konkurrenz- der FDA eingereicht. Diese hat allerdings bereits
produkte pro Original. Nachforderungen zu weiteren Daten gestellt und
Die meisten Biosimilars in Entwicklung bezie- die ursprünglich für März 2015 geplante Diskussion
hen sich noch auf die der ersten Generation (Bio- verschoben.
similars 1.0), also Epoetine, Filgrastime und Soma-
tropine. Innerhalb der Antikörper-Präparate wer- 3.1.1.5 Zusammenfassende
den derzeit besonders oft kopiert (Rader 2013b): Ri- Einschätzung zu Biosimilars und
tuxan/MabThera (30), Herceptin (24), Avastin (14) Biopharmazeutika
und Humira (13). So testen zum Beispiel Sandoz, Biosimilars, also nachgeahmte Biologika, sind nach
Boehringer Ingelheim, Pfizer und Mabion Rituxi- Ablauf des Patentschutzes der Original-Biologika
mab bereits in Phase III. Auch Stada und Gedeon ein zwangsläufiges Phänomen. Beide diametralen
Richter engagieren sich hier. Pole haben ihre Berechtigung:
Die Novartis-Tochter Sandoz, die im Jahr 2006 55 auf der einen Seite: der Wunsch nach Bereit-
die weltweit erste Zulassung für eine Biologika-Ko- stellung preisgünstigerer Medikamente zur
pie erhielt (Omnitrope) und einer der bisherigen Einsparung von Kosten im Gesundheitswesen
Marktführer bei den Biosimilars 1.0 ist, verfolgt sowie nach freiemWettbewerb;
neben Rituximab auch weitere Biosimilars der zwei- 55 auf der anderen Seite: die Notwendigkeit, wei-
ten Generation (Biosimilars 2.0): Adalimumab und terhin neuartige Wirkstoffe zu erforschen und
Etanercept (. Tab. 3.22). Sie ist im Rahmen der neu- zu entwickeln, die im Idealfall einen Zusatz-
en Regularien auch der Pionier in den USA: Nach- nutzen für die Patienten aufweisen. Aufgrund
dem sie im Juli 2014 den ersten Biosimilar-Antrag des hohen Risikos und der hohen Kosten bei
in den USA überhaupt einreichte und sich im Ja- der Entwicklung eines neuartigen Wirkstoffes
nuar 2015 ein Expertenausschuss der FDA einstim- dient der spätere höhere Preis der Originator-
mig für eine Genehmigung aussprach, gab diese im Präparate beziehungsweise deren Umsatz als
März 2015 den Weg frei für die Markteinführung Anreiz beziehungsweise Amortisation, diese
des Neupogen-Biosimilars Zarxio (Filgrastim). Investition überhaupt zu tätigen.
206 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Forschung hat ihren Preis und Arzneimittel-In- Auch andere Autoren kommen, was die Ge-
novationen sind keine Billigprodukte! Viele der samtsicht von Kosten anbetrifft, zu ähnlichen Er-
Fortschritte in der Medizin sind auf neue und gebnissen:
bessere Medikamente und nicht auf Generika zu-
rückzuführen. In einer allumfassenden Sicht er- »» Improvements in medical technology are
möglichen sie zudem sogar Einsparungen bei den believed to be partly responsible for rapidly
3 Krankheitskosten. Umfangreiche Studien dazu rising health expenditures. … Our findings
führte der US-Ökonom Lichtenberg vom National suggest that newer drugs increase the spen-
Bureau of Economic Research durch. Bereits 2001 ding on prescription drugs since they are usu-
postulierte er, dass je »neuer« das Medikament, ally more expensive than their predecessors.
desto geringer Ausgaben für nichtmedikamentöse However, they lower the demand for other ty-
Behandlungsaspekte waren. Zudem stellte er fest, pes of medical services, which causes the total
dass Patienten, die »neuere« Arzneien erhielten, si- spending to decline. (Civan und Köksal 2010)
gnifikant weniger wahrscheinlich bis zum Studien-
ende verstarben. Gleiches traf auf Fehltage bei der »» Expenditures of health care systems are
Arbeit zu (Lichtenberg 2001). In einer Gesamtsicht increasing from year to year. … Innovative
ermöglichte der Einsatz »neuerer« sogar eine Kos- pharmaceuticals launched 2000 onward …
tenreduktion gegenüber der Verwendung »älterer« led to a potential welfare gain of about CHF
Wirkstoffe. 781 million in the year 2010. … Probably be-
Lichtenberg (2002) führte den Anstieg der cause of the higher benefits of new drugs on
Lebensdauer im Zeitraum 1960 bis 1997 vor al- health and quality of life compared to stan-
lem auf medizinische Innovationen in Form neu- dard treatment, these drugs are worth the
artiger Arzneien sowie verbesserte medizinische higher costs. The literature search revealed
Versorgung, insbesondere über öffentliche Ausga- that there is a lack of information about the
ben zurück. Eine weitere seiner Untersuchungen effects of innovative pharmaceuticals on the
(Lichtenberg 2009) kommt zu folgendem Ergebnis: overall economy of Switzerland. Our study
Zwischen 1991 und 2004 erhöhte sich die Lebens- showed that potential welfare gains in 2010 by
erwartung in den USA ab Geburt um 2,37 Jahre, introducing innovative pharmaceuticals to the
wovon 47 % den sogenannten newer outpatient Swiss market were substantial. Considering
prescription drugs zuzuschreiben waren. Das sind costs and benefits of new drugs is important.
verschreibungspflichtige Medikamente, die ein (Pavic et al. 2014)
Patient selbstständig zu sich nimmt (auch in der
Arztpraxis oder Klinik). Lediglich 22 % entfiel auf Mit Blick auf stetig steigende Kosten im Gesund-
die newer provider-administered drugs, welches heitswesen stehen vor allem neue Krebs-Arzneien
Arzneimittel sind, die von einem Arzt verabreicht in der Kritik. Lichtenberg hat auch speziell zu die-
werden (z. B. Chemotherapie). Verbesserte bild- ser Indikation Berechnungen durchgeführt (7 Der
gebende Diagnostik steuerte 28 % der zusätzlichen Ökonom Lichtenberg zu sinkenden Todesraten und
Lebenserwartung bei. Erschreckenderweise stellte Medikamentenkosten bei Krebs) und er bekräftigt:
der Autor auch fest, dass eine gesunkene durch-
schnittliche Qualität der medizinischen Ausbil- »» Avastin. Rituxan. Gleevec. Herceptin. All of
dung die Lebensdauer gleichzeitig um ein Drit- these now-familiar drug names are expensive
tel bis ein halbes Jahr reduzierte. In einer seiner cancer therapies that cost as much as $100,000
jüngsten Veröffentlichungen attestiert Lichtenberg for a course of treatment that often lasts only
(2014) denjenigen Medikamenten, die nach 1990 a few months. The price tags on such drugs
auf den Markt kamen, einen 73-%igen Anteil am are steep, it’s true. And these new cancer
weltweiten Zuwachs der Lebenserwartung im Zeit- treatments can pose a substantial financial
raum 2000 bis 2009. burden on healthcare systems if not targeted
to the correct patient groups. But, contrary to
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
207 3

Der Ökonom Lichtenberg zu sinkenden Todesraten und Medikamentenkosten bei Krebs


»During the period 2000–2009, the of the effects of radiation and surgi- attributable to medical innovations
age-adjusted cancer mortality rate cal innovation were not significant, has been enormous, and much
declined by 13.8 %. Under the as- but these types of innovation are greater than the cost of these inno-
sumption that there were no pre‐da- more difficult to measure than drug vations. For example, the value of
ted factors that drove both vintage and imaging innovation. The 3 % the mortality reduction resulting
[year of FDA approval] and mortali- decline in the cancer incidence rate from cancer drug innovation would
ty, and that there would have been is estimated to have reduced the be $4.2 trillion (= 8.4 * $500 billion).
parallel trends in mortality in the cancer mortality rate by just 1.2 %. Data from IMS Health indicate that
absence of innovation, the estimates Drug and imaging innovation and total U.S. expenditure on cancer
imply that there were three major (to a much lesser extent) declining drugs in 2009 was $40.5 billion; 76 %
sources of decline in the cancer incidence explain almost the entire ($31.0 billion) of this expenditure
mortality rate. Drug innovation was decline in cancer mortality. Murphy was on drugs launched after 1995. If
the largest source: it is estimated to and Topel (2006) estimated that a Murphy and Topel’s and my calcu-
have reduced the cancer mortality ‚1 % reduction in cancer mortality lations are correct, the cost of new
rate by 8.0 %. Imaging innovation is would be worth nearly $500 billion.‘ cancer drugs is less than 1 % of the
estimated to have reduced the can- This implies that the social value of value of the mortality reduction
cer mortality rate by 4.0 %. Estimates the reductions in cancer mortality they yielded« (Lichtenberg 2010).

accounts in the popular press – where indivi- Welle vorbereiten (7 »Wer zu spät kommt, den be-
dual medicines are often lambasted for not straft das Leben« (Michail Gorbatschow): Die dritte
providing suitable bang for their large buck Welle der Biosimilars).
– today’s cancer treatments are indeed a cost- Nicht zu vernachlässigen ist zudem, dass der US-
effective way of extending life when one looks Markt gerade erst in Angriff genommen wird. Thom-
at the big picture. (Lichtenberg 2011) son Reuters erwartet dort eine schnellere Markt-
durchdringung, da im Gegensatz zur EU in den USA
Diese Ausführungen sollen keineswegs eine Kon- die Austauschbarkeit über den BPCIA erlaubt ist. In
trastellung gegen Biosimilars beziehen, sondern Zukunft wird die FDA in dem sogenannten »Purple
versuchen, für jede Position Für und Wider dar- Book« diejenigen Biologika und ihre Biosimilars lis-
zustellen. Laut Rader (2013b) war die bisherige ten, die jeweils gegenseitig substituierbar sind, ähn-
Durchdringung des europäischen Marktes mit lich dem »Orange Book«, das zur Substitution durch
Biosimilars eher gering. Den Markt schätzte er niedermolekulare Generika informiert.
auf etwa 400 bis 500 Mio. US$, was einem Schnitt Das Deutsche Ärzteblatt (Zylka-Menhorn und
von rund 40 Mio. US$ pro Jahr gleichkommt. Ein Korzilius 2014) titelt Biosimilars: Das Wettrennen
solcher Betrag stellt nach seiner Ansicht einen ist in vollem Gange, merkt aber auch an, dass deren
unzureichenden Markt für Pharmazeutika und Sicherheit und Wirksamkeit sowie die angestrebte
insbesondere für Biopharmazeutika dar. Deren Kostenersparnis nicht unumstritten sind. In einem
Markterwartung liegen bei um die 400 Mio. US$ sehr anschaulichen Vergleich, der verdeutlichen
jährlich. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es soll, dass selbst verschiedene Chargen von Origi-
sich bei diesen Aussagen um Einschätzungen zu nalsubstanzen geringfügig unterschiedliche Eigen-
den Biosimilars 1.0 handelt. Die Erwartungen für schaften aufweisen können, führen sie aus: »In An-
die Biosimilars der zweiten Generation weisen mit lehnung an die Weinherstellung könnten Biologika
25 Mrd. US$ für 2020 eine andere Größenordnung daher als ‘Cuvée’ bezeichnet werden«. Inwieweit
auf. Auch summierte sich die Anzahl der Patent- sich Biosimilars auf dem deutschen Markt weiter
abläufe für Biologika im Zeitraum 2006 bis 2013 durchsetzen werden, hängt auch von der Kennt-
laut IMS Health auf 14, der Zeitraum 2014 bis 2020 nis zu Biosimilars seitens der Ärzte, Apotheker,
bietet 39. Das wären die Biosimilars 2.0. Es gibt Patienten und Krankenkassen ab. Eine von Hexal
auch Unternehmen, die sich bereits auf die dritte in Auftrag gegebene Umfrage ermittelte 2010, dass
208 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

»Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben« (Michail Gorbatschow): Die dritte Welle der Biosi-
milars
»Gemeint sind damit Nachahmer- und Epoetin alfa. Mit der Zweiten Welle umfasst Produkte, die in den
medikamente für biopharmazeu- Welle sind Biotech-Medikamente Bereichen Augenheilkunde (Ophtal-
tisch hergestellte Präparate, deren gemeint, deren Patentschutz bis mologie), Autoimmunerkrankungen,
3 Patente ab 2020 ablaufen. Bis jetzt
haben sich die interessierte Öffent-
2020 abläuft. Dazu gehören mono-
klonale Antikörper-Präparate mit
Stoffwechselstörungen und Blut-
gerinnungsstörungen eingesetzt
lichkeit sowie Pharmaindustrie und Milliardenumsätzen wie Herceptin werden. Unternehmen, die nicht
Krankenkassen in den wichtigen oder Rituximab. Doch wie man an rechtzeitig mit der Entwicklung
Märkten vor allem für die Erste und den jüngsten Äußerungen von bei- dieser Biosimilars begonnen haben,
Zweite Welle interessiert. Bei der spielsweise Teva oder Stada erken- drohen aufgrund der Entwicklungs-
Ersten Welle handelt es sich um nen kann, bestimmt bereits heute zeiten von sieben bis acht Jahren
Biosimilars für Präparate, deren die Dritte Welle der Biosimilars das für Biosimilars die von Gorbatschow
Patente bereits abgelaufen sind, Interesse der großen Pharma- und formulierten Konsequenzen« (For-
vor allem Somatropin, Filgrastim Generikaunternehmen. Die Dritte mycon 2013).

zwei Drittel der befragten Ärzte, Politiker, Vertreter der führenden Arzneien nach Umsatz verdrängt
von gesetzlichen Krankenkassen, Kassenärztlichen (. Tab. 3.5 und 3.6). . Tabelle 3.23 fasst die Block-
Vereinigungen und Ärzte-Verbänden wenig bis gar buster (über 1 Mrd. US$ Umsatz) unter ihnen noch-
keine Kenntnisse über Biosimilars haben. Rund mals zusammen. Nach den ersten rekombinanten
40 % konnten den Begriff nicht korrekt definieren. körpereigenen Wachstumsfaktoren und Immun-
Bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit von Botenstoffen sowie den Insulinanaloga folgten
Biosimilars muss den Anwendern – seien es Ärz- rekombinante Antikörper als wichtige Wirkstoff-
te oder Patienten – allerdings klar sein, dass die Klasse. Im Gegensatz zu unspezifisch wirkenden
europäische Zulassungsbehörde EMA zahlreiche Chemotherapeutika blockierten sie erstmals spezi-
analytische Untersuchungen und klinische Studien fisch Stoffwechsel- und Signalwege von Tumorzel-
verlangt, deren Kriterien fast so streng wie bei einer len über folgende Prinzipien:
Neuzulassung sind. Bioäquivalenzstudien wie bei 55 Aushungern: Hemmung der Neubildung von
Generika reichen hier bei Weitem nicht aus, so- Blutgefäßen (Angiogenese), die den Tumor
dass die Zulassung seitens der EMA ein Gütesiegel versorgen; ein Beispiel ist ein Antikörper, der
und Garant für hohe Qualität, Wirksamkeit und an den vaskulären Endothelwachstumsfaktor,
Sicherheit sein sollte. Problematisch sind dagegen abgekürzt VEGF (engl.: vascular endothelial
Wirkstoffe aus nicht-regulierten Märkten. growth factor) bindet: Bevacizumab (Avastin).
Nach Evens und Kaitin (2015) hatte die Biotech- 55 Blockieren von Wachstumssignalen:
nologie in den letzten 30 Jahren einen außerordent- 55 Manche Darmkrebszellen produzieren
lichen Einfluss auf das Gesundheitswesen. Dies verstärkt den sogenannten HER1-Rezeptor
wird sich laut den Autoren in der nächsten Zukunft (human epidermal growth factor receptor 1),
fortsetzen, weil das Wissen über die Pathophysio- auch EGF-Rezeptor genannt, der Wachs-
logie vieler bisher nicht behandelbarer Krankheiten tums- und Teilungssignale verarbeitet;
wächst. Regierungen auf der ganzen Welt bringen die Antikörper Cetuximab (Erbitux) und
kontinuierlich Initiativen voran, die Biotech-Inno- Panitumumab (Vectibix) unterbrechen den
vationen unterstützen. Firmen übernehmen den EGF-Rezeptor-vermittelten Signalweg.
teuren, zeitaufwendigen und riskanten Prozess der 55 Ähnliches ist der Fall in manchen Brust-
Produktentwicklung. Evens und Kaitin (2015) er- tumoren und Magenkrebszellen, die
warten als Ergebnis einen kontinuierlichen Strom vermehrt den HER2-Rezeptor (human
an neuartigen Medikamenten, die zu Durchbrü- epidermal growth factor receptor 2) auf der
chen bei der Behandlung von Patienten führen. Zelloberfläche tragen; der Antikörper Tras-
Wie bereits ausgeführt, haben Biopharmazeu- tuzumab (Herceptin) unterbricht diesen
tika herkömmliche Arzneimittel von der Spitze Signalweg.
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
209 3

. Tab. 3.23 Biotech-Blockbuster, Umsatz im Jahr 2014. (Quelle: BioMedServices 2015)

Marke Wirkstoff Art Wirkprinzip Indikation FDA Vermarkter Mrd. US$

Humira Adalimumab rAK Anti-TNF Rh. Arthritis 12/2002 AbbVie 12,5

Sovaldi Sofosbuvir NA RNS-Poly- Hepatitis C 12/2013 Gilead 10,3


merase-Inhi-
bitor

Remica- Infliximab rAK Anti-TNF Rh. Arthritis 08/1998 J&J & Merck 9,2
de

Enbrel Etanercept FP Anti-TNF Rh. Arthritis 11/1998 Amgen & 8,5


Pfizer

Lantus Insulin rPR Insulinana- Diabetes 04/2000 Sanofi 8,4


glargin logon

Rituxan Rituximab rAK CD20-IA Lymphkrebs 11/1997 Roche 7,6

Avastin Bevacizumab rAK Anti-VEGF Darmkrebs 02/2004 Roche 7,0

Hercep- Trastuzumab rAK Anti-HER2 Brustkrebs 09/1998 Roche 6,9


tin

Neulasta Pegfilgrastim rPR WF Neutropenie 01/2002 Amgen 4,6

Lucentis Ranibizumab rAK Anti-VEGF AMD 06/2006 Roche & 4,3


Novartis

Atripla Emtricitabin NA NRTI HIV-Infektion 07/2006 Gilead 3,5


& Tenofovira

Truvada Emtricitabin NA NRTI HIV-Infektion 08/2004 Gilead 3,3


u. Tenofovir

Novo- Insulin rPR Insulinana- Diabetes 06/2000 Novo 3,1


Log aspart logon

Epogen Epoetin alfa rPR WF Blutarmut 06/1989 Amgen 3,0


Procrit 12/1990 J&J

Avonex Interferon rPR Agonist MS 05/1996 Biogen 3,0


beta

Huma- Insulin lispro rPR Insulinana- Diabetes 06/1996 Lilly 2,8


log logon

Eylea Aflibercept FP Anti-VEGF AMD 11/2011 Regeneron 2,8


& Bayer

Levemir Insulin rPR Insulinana- Diabetes 06/2005 Novo 2,5


detemir logon

Rebif Interferon rPR Agonist MS 03/2002 Merck 2,4


beta Serono

Victoza Liraglutid rPR GLP-Analo- Diabetes 01/2010 Novo 2,4


gon

Prolia Denosumab rAK Anti-RANK- Osteoporose 06/2010 Amgen 2,3


Xgeva Ligand

Advate Octocog alfa rPR AHF-Ersatz Hämophilie 12/1992 Baxalta 2,1


210 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.23 Fortsetzung

Marke Wirkstoff Art Wirkprinzip Indikation FDA Vermarkter Mrd. US$

Tysabri Natalizumab rAK Integrin-RB MS 11/2004 Biogen 2,0

Aranesp Darbepoetin rPR WF Blutarmut 09/2001 Amgen 1,9


3 Erbitux Cetuximab rAK Anti-EGFR Darmkrebs 02/2004 BMS & Merck 1,9

Gardasil HPV-Proteine rPR Vakzin HPV-Vakzin 06/2006 Merck & Co. 1,7

Orencia Abatacept FP RB Rh. Arthritis 12/2005 BMS 1,6

Koge- Octocog alfa rPR AHF-Ersatz Hämophilie 02/1993 Bayer 1,5


nate

Yervoy Ipilimumab rAK Anti-CTLA4 Hautkrebs 03/2011 BMS 1,3

aplusEfavirenz
Umrechnung in US$ mit Ø-Jahreskursen
AHF Antihämophiler Faktor, AMD altersbedingte Makuladegeneration, FP Fusionsprotein, GLP glucagon-like peptide,
IA Immunaktivierung, MS multiple Sklerose, NA Nukleosid-/Nukleotidanalogon, HPV Humaner Papillomvirus, NRTI
Nukleosid-analoger Reverse-Transkriptase-Hemmer, rAK rekombinanter Antikörper, RB Rezeptorblockade, rPR rekom-
binantes Protein, WF Wachstumsfaktor

Therapeutische Antikörper haben auch bei der Be- Die moderne Biomedizin verwendet mittlerweile
handlung von Krankheiten, die mit dem Immun- auch gentechnisch hergestellte virale oder bakte-
system zusammenhängen, große Fortschritte ge- rielle Hüllproteine als Vakzine, zudem kann direkt
bracht. mit DNS oder RNS geimpft werden, wodurch sich
der Körper die Antigene sozusagen selbst herstellt
Biopharmazeutika und Immunsystem und deren oft langwierige und komplexe Produk-
Das Immunsystem (▶ Immunsystem: das Wichtigs- tion entfällt.
te in Kürze) ist prinzipiell ein sehr leistungsstarkes Zytokine wirken als natürliche Botenstoffe des
System: Es schützt den menschlichen Körper gegen Immunsystems entweder anregend oder abschwä-
fremde Strukturen wie Krankheitserreger (Viren, chend. Das Verabreichen stimulierender Zytokine
Bakterien, Pilze etc.), richtet sich bei Autoimmun- wie Interferon alpha oder Interleukin-2 kann somit
Erkrankungen gegen ihn selbst, geht allerdings bei eine Immunantwort verstärken. Ihre gen- und bio-
Krebs (unkontrolliertes Zellwachstum) letztlich in technische Produktion ermöglicht es – im Gegen-
die Knie. Je nachdem auf welches Teilsystem der satz zu deren Extraktion aus menschlichem Gewebe
Immunabwehr (. Tab. 3.24) gezielt wird, ergeben –, größere Mengen bereitzustellen, die nach Gabe
sich verschiedene therapeutische Ansatzpunkte für von außen zusätzlich (unspezifisch) bestimmte Ab-
eine Immunmodulation (Eingriff in das Immun- wehrzellen aktivieren, die wiederum Erreger, aber
system). zum Beispiel auch bestimmte Tumoren angreifen.

Immunstimulation – Immunsystem anregen Immunsuppression – Immunsystem


Beim Impfen regen lebende oder abgetötete Er- abschwächen
reger bzw. deren Bestandteile (z. B. Proteine oder Das Abfangen aktivierender Zytokine bewirkt
Zuckerketten der Erreger-Hülle) das Immunsystem dagegen ein Abschwächen der Immunantwort.
an, Antikörper zu bilden. Im Falle einer Infektion So können Signalstoffe wie der Tumornekrose-
erkennen sie die körperfremden Moleküle wieder faktor (TNF), der bei Entzündungen (Anzeichen
und setzen eine spezifische Immunabwehr in Gang. einer Aktivierung des Immunsystems) eine R
­ olle
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
211 3

. Tab. 3.24 Teilsysteme der Immunabwehr. (Quelle: BioMedServices 2015)

Spezifisch (adaptiv) Nicht spezifisch (innat)

Teilsystem Erläuterung Teilsystem Erläuterung

Zelluläre T-Zellen (T-Lymphozyten) NK-Zellen (natürliche Killerzellen)


Abwehr
T-Helfer-Zellen = Erkennen Antigene auf Makrophagen Bilden Komple-
(CD4+)-Zellen APZ, aktivieren Plasma- (große Fress- mentfaktoren,
und Killerzellen zellen) phagozytieren,
präsentieren Anti-
T-Gedächtnis-Zellen Langlebige T-Zellen mit
gen, stimulieren
»Antigengedächtnis«
T-Helfer-Zellen

Zytotoxische Erkennen und zerstören Mikrophagen Bilden zytotoxi-


T-Zellen = CTL/ antigentragende Körper- (kleine Fress- sche Faktoren,
(CD8+)- Zellen und Tumorzellen zellen) phagozytieren Pilze,
= Granulozyten, Bakterien, Viren und
Regulatorische Bremsen Immunantwort,
neutrophile und Würmer
T-Zellen hemmen Funktion von
eosinophile
= Treg B-Zellen und anderen
= T-Suppressor T-Zellen

Molekulare Antikörper (AK) Binden Antigene bzw. anti- Komplement- Markiert oder zer-
Abwehr = Immunglobuline gentragende Strukturen, system: zwei stört Erreger bzw.
(Ig) inaktivieren direkt, markie- Kaskaden mit infizierte Zellen,
ren und vermitteln gemeinsamer stimuliert Abwehr-
Endstrecke und inflammatori-
Plasmazellen B-Zellen, die AK bilden
(> 20 Proteine) sche Zellen
B-Gedächtnis-Zellen Langlebige B-Zellen mit
»Antigengedächtnis«

Weitere Systembestandteile

Antigen-präsentierende Zellen (APZ) = »Wachtposten«: fangen Zytokine Gebildet von


dendritische Zellen Antigene ab und präsen- (Polypeptide): CSF, und wirkend auf
tieren Bruchstücke, die IFN, IL, TNF T- und NK-Zellen,
T-Zellen dann erkennen Botenstoffe Makrophagen und
Granulozyten:
Antigen Substanzen oder Moleküle,
Interaktion in der
(Antikörper generierend) = Fremdstoff die Immunantwort in Gang
zellulären Abwehr
setzen: z. B Pollen, Katzen-
haare, Staub, Bakterien,
Tumorzellen etc.

AK Antikörper, APZ Antigen-präsentierende Zellen, CSF Kolonie-stimulierende Faktoren, CTL zytotoxische T-Lympho-
zyten, INF Interferone, IL Interleukine, TNF Tumornekrosefaktor

spielt, durch andere Moleküle gebunden wer- somit die Entzündung bei zum Beispiel rheumato-
den. Gentechnisch konstruierte und biotechnisch ider Arthritis. Abfangen funktioniert auch mithilfe
produzierte Biopharmazeutika, wie Antikörper
­ von Rezeptoren. Diese sitzen normalerweise in der
oder Fusionsproteine, spielen dabei heute eine Zellmembran, sind Bindungsstellen für Botenstoffe
große Rolle. und leiten Signale weiter. Es gibt Konzepte, solche
So fangen die beiden aktuell umsatzstärksten Rezeptoren als Medikamente einzusetzen.
Medikamente überhaupt – Humira und Remica- Ein Abschwächen der Immunantwort wird
de – den Immun-Botenstoff TNF ab und lindern auch durch das Verabreichen immunmodula-
212 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Immunsystem: das Wichtigste in Kürze (Krebsinformationsdienst, Deutsches


­Krebsforschungszentrum)
»Zum Schutz vor Infektionen ist ein gesunde körpereigene Zellen nur Krankheitserreger oder geschä-
funktionsfähiges Abwehrsystem anzugreifen; digte Zellen, sondern auch gesundes
erforderlich, das Krankheitserreger 55 Erinnern: Ein immunologisches Gewebe mit ähnlichen Eigenschaften
3 und körperfremde Stoffe erkennt.
Das menschliche Immunsystem
Gedächtnis schützt vor erneu-
tem Auftreten einer Krankheit.
angreift und zerstört. Diese Situation
kommt zum Beispiel bei Autoim-
hat sich über Jahrmillionen auf die munerkrankungen wie Rheuma oder
Abwehr von Krankheitserregern ein- Die Zellen des Immunsystems laufen multipler Sklerose vor. Die Immun-
gestellt. Dazu muss es vier Haupt- im ganzen Körper »auf Streife« und antwort muss zudem in der richtigen
aufgaben bewältigen: unterscheiden »fremd« von »selbst«, Reihenfolge ablaufen. Daher steuern
55 Erkennen einer Infektion; gesund von krank oder geschädigt. verschiedene Botenstoffe die Reak-
55 Eindämmen und, wenn mög- Die Steuerung dieser Vorgänge ist tion des Immunsystems. Interferone
lich, Abwehren der Infektion; komplex: Eine zu starke Reaktion auf und Interleukine sind Beispiele für
55 Regulieren der Immunantwort, körpereigene Zellen könnte dazu solche Botenstoffe oder ‚Zytokine«
um nicht versehentlich auch führen, dass das Immunsystem nicht (Krebsinformationsdienst 2015a).

Wie entsteht Krebs? (Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum)


»Krebs entsteht, wenn Zellen anfan- zwei Tochterzellen verteilt. Dabei ein Grund dafür, dass Krebs oftmals
gen, sich unkontrolliert zu vermeh- kann es zu Kopierfehlern kommen, erst im Alter auftritt. Was kann den
ren. … Heute weiß man, dass Krebs sogenannten Mutationen. Je länger Körper schützen? Zellen besitzen
immer auf Schädigungen am oder ein Mensch lebt, desto größer ist zahlreiche Reparaturmöglichkeiten,
im Erbgut zurückgeht. Diese Feh- die Wahrscheinlichkeit für solche um Fehler zu beseitigen. Aber nicht
ler können viele Ursachen haben. Kopierfehler oder auch andere alle Fehler können behoben werden.
Schädliche Stoffe oder andere Um- Schädigungen der Erbsubstanz Und auch die Reparatursysteme
weltfaktoren, Karzinogene genannt, und ihrer Funktion. Zwar haben selbst können von einer Mutation
können ihr Entstehen fördern. viele Mutationen erst einmal kei- betroffen sein. Ein Tumor kann erst
Dazu gehören unter anderem die nen Einfluss auf wichtige Teile der ungehindert wachsen und auch in
UV-Strahlung der Sonne, Zigaretten- Erbinformation. Auch reicht eine andere Körperteile streuen, wenn
rauch oder zum Beispiel Asbest. einzelne Mutation in der Regel nicht sich mehrere Fehler einschleichen
Vermutlich entstehen Fehler aber aus, um aus einer gesunden Zelle und alle ‚Sicherungssysteme‘ des
sehr häufig auch mehr oder weniger eine Krebszelle zu machen. Doch Körpers ausgefallen sind« (Krebsin-
zufällig: Bei jeder Zellteilung wird Zellen können verschiedene Verän- formationsdienst 2015b).
die Erbsubstanz verdoppelt und auf derungen ansammeln. Auch dies ist

torischer Zytokine wie zum Beispiel Interferon Immunsubstitution – Ersetzen


beta erreicht. Es beschränkt das Ausschütten von Passive Immunisierung, das heißt das Zuführen
Entzündungsfaktoren und fördert das Freisetzen von Immunglobulinen (Antikörpern), die gegen
entzündungshemmender Substanzen, so bei der Krankheitserreger oder ihre Toxine gerichtet sind,
­Autoimmunkrankheit multiple Sklerose. Es wird ersetzt Funktionen des Immunsystems. Neuer-
gen- und biotechnisch produziert. dings wird diese Strategie auch bei der Bekämp-
Ein klassischer Weg zur Immunsuppression ist fung von Krebs (▶ Wie entsteht Krebs?) eingesetzt,
die Bestrahlung oder die Gabe von Chemikalien, wobei neben Antikörpern auch das Übertragen
zum Beispiel bei Organtransplantationen. Dabei immunologisch kompetenter Zellen (»adoptiv
werden Immun(stamm)zellen gehemmt oder zer- immunisieren«) zum Zuge kommt. Bei derartigen
stört mit der möglichen Gefahr, dass Infektionen Krebs-Immuntherapien ist »Hilfe zur Selbsthilfe«
nicht mehr bekämpft werden können. die Devise, das heißt, das Immunsystem wird bei
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
213 3

Warum entgehen Krebszellen dem Immunsystem? (Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebs-


forschungszentrum)
»Entkommen Krebszellen dem Im- nach und nach ganz verliert. Irgend- dann kann der Tumor ungehindert
munsystem, ist dies … nicht auf eine wann gelingt es [daher] den Zellen wachsen: Die sogenannte Ent-
gezielte Strategie zurückzuführen, des Immunsystems nicht mehr, kommensphase tritt ein. Fachleute
Krebs hat kein eigenes ‚Programm‘. Es diese Krebszellen vollständig zu sprechen auch von ‚Immun-Escape‘«
handelt sich vielmehr um die Folge beseitigen, einige bleiben bestehen (Krebsinformationsdienst 2015c).
von mehr oder weniger zufälligen und teilen sich. Trotzdem herrscht Weitere »Tricks« der Krebszellen
Veränderungen, durch die das Im- zunächst noch eine Art Gleichge- gegen das Immunsystem sind bei-
munsystem Tumorzellen nicht mehr wicht. Die zukünftigen Krebszellen spielsweise:
als geschädigt erkennt. Zunächst verändern sich jedoch bei jeder 55 Annehmen von Oberflächen-
erkennt das Immunsystem poten- Teilung weiter: In einem Auslesepro- Merkmalen der weißen Blutkör-
zielle Krebszellen noch und kann sie zess bleiben immer mehr Zellen mit perchen. Dadurch sind sie regel-
zerstören. Auslöser für die Immun- Eigenschaften übrig, die sie für die recht »getarnt«, und sie können
antwort sind zum Beispiel auffällige Immunabwehr unsichtbar machen. wie diese durch den Körper
Veränderungen der Krebszellen, die Der Fachbegriff für diesen Vorgang wandern und sich weiter teilen;
die Immunzellen als Antigene nut- lautet ‚Immun-Editing‘. Irgendwann 55 Abschwächen der Aktivität von
zen. … Es kann … [dann] dazu kom- sind ausreichend Veränderungen in T-Zellen durch Immunsuppres-
men, dass die Tumorzelle die für eine den Krebszellen vorhanden, um sie sion;
Immunreaktion notwendigen Sig- der Aufmerksamkeit des Immunsys- 55 Verhindern des Reifens von
nale ‚kranke Zelle – bitte beseitigen‘ tems ganz entgehen zu lassen. Erst dendritischen Zellen.

seinen Fähigkeiten, Tumorzellen auszuschalten, 3.1.2.1 Krebs-Immuntherapien: Hilfe


unterstützt. Denn grundsätzlich ist es in der Lage, zur Selbsthilfe
mit den ihm zur Verfügung stehenden Abwehr- Die ersten Schritte bei der Krebs-Immuntherapie
mechanismen Krebszellen zu erkennen und zu unternahm bereits 1777 der englische Arzt Nooth,
vernichten (▶ W ­ arum entgehen Krebszellen dem Im- der sich fremdes Tumorgewebe applizierte, um da-
munsystem?). Dieser Prozess ist vermutlich sogar mit eine Krebs-Prophylaxe zu erreichen. Ab 1891
der »Normalfall«, sonst wäre Krebs noch sehr viel erzielte der US-Arzt Coley Erfolge bei der Krebsbe-
häufiger, als es tatsächlich der Fall ist. handlung mit einer Mischung aus abgetöteten Bak-
terien. Ab 1899 von der Parke-Davis Corporation
produziert, erfuhr die als Coley-Toxin bezeichnete
3.1.2 Therapeutische Trends: Arznei 30 Jahre lang eine weite Verbreitung. Ab
Immuntherapien, Gentherapien, 1976 erfolgten zur Behandlung von Blasenkrebs kli-
personalisierte Medizin nische Tests mit dem Bakterium »Bacillus Calmet-
teérin« (BCG), einem Impfstoff gegen Tuberkulo-
Neben dem Produzieren von Biologika und dem se. Allen Ansätzen gemein war die Stimulierung
Unterstützen beim gezielten Design kleiner chemi- des Immunsystems, entweder durch Tumorzellen
scher Wirkstoffe bietet die moderne Biotechnologie selbst oder andere Antigene.
noch Ansätze wie das Aktivieren des körpereige- Die These, dass das Immunsystem Tumorzel-
nen Immunsystems gegen Krebs, das »Reparieren« len erkennen und beseitigen kann, formulierte als
schadhafter Gene sowie das Individualisieren von Erster 1909 der deutsche Forscher Paul Ehrlich.
Therapien im Rahmen der sogenannten personali- Mit Einzug der molekularbiologischen Methoden
sierten Medizin. wurde in den Jahren 1970 bis 1990 die Wissens-
basis zum Immunsystem und der Entstehung von
Krebs stark erweitert. In den 1980er-Jahren gab
214 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

es erste Versuche, Teilsysteme der Immunabwehr . Tab. 3.25 stellt verschiedene Strategien zusam-
(. Tab. 3.24) »von außen« zu ersetzen und diese men, die derzeit bestehen, um Tumoren mithilfe
damit zu stärken: Studien mit Interferonen (In- des körpereigenen Immunsystems zu bekämpfen.
tron A, Roferon-A) und Interleukinen (Proleukin), Einige davon werden nachfolgend ausführlicher
die auch als Medikament zugelassen wurden, sowie erklärt.
das Übertragen von T-Zellen (adoptiver Transfer).
3 Nach dem Versuch, zur Krebsbekämpfung Strategie: zusätzliche Antigene zur
Botenstoffe des Immunsystems zu verabreichen Enttarnung (therapeutische Vakzine)
(Zytokine) folgte als weitere »Funktionen erset- Ein Merkmal von Tumoren ist es, sich vor einer Im-
zen«-Strategie die Entwicklung von sogenannten munabwehr zu verstecken oder zu tarnen, indem
CD20-Antikörpern. CD20 ist ein tumorassoziiertes sie nicht mehr ausreichend antigen wirken. Hier
Antigen, welche erstmals Anfang der 1990er-Jahre setzt die Strategie an, durch die zusätzliche Gabe
charakterisiert wurden. Es findet sich zum Beispiel von Antigenen das Immunsystem wieder aufmerk-
auf mehr als 90 % der Tumorzellen bei Lymphkrebs sam zu machen (therapeutische Impfung).
(Non-Hodgkin-Lymphom), das heißt vor allem auf
entarteten B-Lymphozyten (B-Zellen). Auf den ge- TLR-Agonisten
sunden B-Zellen des Immunsystems ist es dagegen Einerseits ist dies möglich, indem das unspezi-
kaum präsent. Der Antikörper Rituximab (Ritu- fische Teilsystem der Immunabwehr (. Tab. 3.24),
xan) bindet an CD20, markiert damit die Tumor- das innate (angeborene) System, mit zusätzlich ver-
zellen und aktiviert gleichzeitig die Immunabwehr. abreichten Antigenen aktiviert wird. Diese wirken
Mitte der 1990er-Jahre entdeckten Forscher dann zum Beispiel als TLR-Agonisten, wie bereits
dann die immunologische Funktion der sogenann- dargestellt (Krebsbekämpfung mit abgetöteten Mi-
ten Toll-like-Rezeptoren (TLR). Die »Toll-ähn- kroben). Ein neuerer Ansatz ist hier die Applikation
lichen Proteine« erkennen in Mensch, Tier und spezieller Strukturen wie die therapeutischer DNS-
Pflanze eingedrungene Viren und Bakterien sowie Impfstoffe, die auch einen der Toll-like-Rezeptoren
Moleküle, die nach Verletzung von körpereigenem (TLR) zum Ziel haben (z. B. MOLOGEN aus Ber-
Gewebe auftreten. Nach Interaktion mit diesen ak- lin, MGN1703 gegen Darmkrebs). Andere gezielt
tivieren die TLR über verschiedene Signalwege die designte kleine Moleküle, die auf TLR zielen, ent-
Produktion inflammatorischer Zytokine und ver- wickelt beispielsweise die Münchener 4SC in Zu-
mitteln zum adaptiven spezifischen Immunsystem. sammenarbeit mit der Mainzer BioNTech.
Die oben aufgeführten Ansätze der Nutzung von
Bakterien zur Krebsbekämpfung sind auf diesen Getunte dendritische Zellen
Mechanismus zurückzuführen, das heißt, sie wir- Ein anderes Ziel dieser Strategien ist das adaptive
ken als TLR-Agonisten. Ein Agonist ist eine Subs- Immunsystem, das so genannt wird, weil es sozu-
tanz, die bei Besetzen eines Rezeptors die Signal- sagen erst durch die Antigene trainiert und damit
übertragung startet. spezifisch wird. Eine andere Bezeichnung ist »er-
Mit den 2010 und 2011 erfolgten Zulassungen worbene Immunantwort«, die das »lernende Sys-
von Provenge (Sipuleucel-T) gegen Prostatakrebs tem« zum Ausdruck bringt.
und Yervoy (Ipilimumab) gegen aggressiven Haut- Ein Bestandteil der spezifischen Abwehr sind
krebs wurden erstmals immuntherapeutische Stra- die sogenannten dendritischen Zellen, die Anti-
tegien bei soliden Tumoren umgesetzt, also Krebs- gene aufnehmen und Bruchstücke davon auf ihrer
arten, die nicht direkt Teile des Immunsystems Zelloberfläche präsentieren. Ihre Aufgabe ist es
(Lymphome, Leukämien, Myelome) betreffen. also, erkannte schädliche Stoffe regelrecht »her-
Dadurch konnte in gewisser Weise gezeigt werden, umzuzeigen« und dadurch die weitere Immun-
dass die Idee »Hilfe zur Selbsthilfe« allgemein für kaskade zu initiieren. Dendritische Zellen können
Tumorerkrankungen funktioniert, allerdings nicht aus einem Krebspatienten isoliert, im Reagenz-
immer bei allen Patienten. glas auf die Tumor-Antigene geprägt und dann als
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
215 3

. Tab. 3.25 Strategien zur Stärkung des Immunsystems bei der Bekämpfung von Krebs. (Quelle: BioMedServices 2015)

Strategie/Technologie Passiv immunisieren Aktiv immunisieren

Unspezifisch Spezifische Unspezifisch Spezifisch


­Immunabwehr (­Impfung)

Zusätzliche Eigene Tumorzellen »Erneut« geben


Antigene
»Allgemeine« TLR-Agonisten
AG/Adjuvanzen

AG »besser« Getunte dendri-


­präsentieren tische Zellen:
Provengea

Tumor-Antigene Peptid-/RNS-
Vakzine

Ko-Rezeptoren regulieren Checkpoint- Checkpoint-In-


Suppression aufheben Inhibitoren hibitoren CTLA4:
(= Bremsen lösen) auf NK- Yervoyb
Zellen PD1: Keytrudac,
Opdivod

Funktionen Signalstoffe Zytokine


ersetzen ­verabreichen (IFN, IL)

Markieren & Multispezifische


­vermitteln AK(Fragmente):
z. B. Blincytoe
FP: TCR & Effektor

T-Zell-Attacke ACT TIL/


klassisch/ CAR-T-Zellen
mit getunten CTL TCR-T-Zellen

a−ejüngste Zulassungen als Beispiele genannt (nummeriert nach Abfolge)


ACT adoptive cell transfer, AG Antigene, AK Antikörper, CAR chimärer Antigenrezeptor, CTLA4 cytotoxic T-lymphocyte
antigene 4, FP Fusionsprotein, PD1 programmed death-1-Rezeptor, TCR T-Zell-Rezeptor, TIL tumour-infiltrating lymphocy-
tes, TLR Toll-like-Rezeptor

»­getunte« ­Zellen reappliziert werden. Anschaulich kanadische Pharma-Firma Valeant den Pionier für
vergleichen lässt sich dieses Prinzip mit dem »Fri- 400 Mio. US$ übernommen. Der Ansatz stellt eher
sieren« oder »Tunen« eines Mopeds oder Motor- eine Nische dar.
rads. Als das erste Therapeutikum dieser Klasse
erhielt das von der US-Firma Dendreon entwickel- Peptid- und RNS-Vakzine
te Provenge (Sipuleucel-T) im Oktober 2010 eine Es befinden sich weitere Ansätze in der Entwick-
FDA-Zulassung. Es ist allerdings kein Fertigmedi- lung, bei denen – ohne über den Umweg der Zell-
kament, das in der Apotheke bereitliegt. Das Vak- isolierung und -behandlung – spezifische Peptide
zin muss für jeden Patienten individuell hergestellt direkt als therapeutische Krebsvakzine getestet
werden, was – auch logistisch gesehen – sehr auf- werden. Sie entsprechen bestimmten Antigenen auf
wendig ist. So erwirtschaftete Dendreon mit die- den Krebszellen und initiieren eine Immunantwort
sem Produkt nicht genug und musste im Novem- (7 Tumorassoziierte Antigene). So hat die Tübinger
ber 2014 Insolvenz anmelden. Mittlerweile hat die immatics biotechnologies eine Technologie-Platt-
216 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Tumorassoziierte Antigene (Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum)


»Viele Strategien setzen auf die bes- Immunsystem hat nicht ‚gelernt‘, sie geworfen werden, die in ‚erwachse-
sere Erkennung von Merkmalen, die als ‚körpereigen‘ zu ignorieren. [Es nen‘ Zellen völlig fehl am Platz sind.
typisch für Krebszellen sind. Fach- gibt aber auch] …Veränderungen Oder ein Merkmal wird eventuell
leute sprechen von ‚tumorspezifi- in Tumorzellen, [die]… gar nicht so durch die Vervielfachung seines
3 schen‘ oder ‚tumorassoziierten‘ Anti-
genen (TSA beziehungsweise TAA).
tumorspezifisch [sind]; sie kommen
auch auf gesunden Zellen vor, nur
Bauplans in der Erbsubstanz viel zu
oft produziert. Diese Auffälligkeiten
Sie stellen wahrscheinlich besonders in anderer Form oder auch anderer reichen für eine natürliche Antikör-
gute Angriffsziele für eine Immun- Häufigkeit. Zum Beispiel können perreaktion vermutlich meist nicht
reaktion dar: Sie kommen nicht auf in Krebszellen Programme aus der aus, oder diese fällt zu schwach aus«
gesunden Körperzellen vor, und das Embryonalentwicklung wieder an- (Krebsinformationsdienst 2015d).

form entwickelt, mit der Kandidaten schnell auf- Studien laufen in den Indikationen Hautkrebs und
gefunden werden können: Sie identifiziert Peptid- Hirntumoren.
Antigene, die bei einer bestimmten Tumorart ge-
häuft auftreten, und testet gleichzeitig, welche eine Strategie Ko-Rezeptoren
starke Immunantwort auslösen. Dabei fokussiert (Immun-Checkpoints) regulieren und damit
immatics sich auf eine bestimmte Auswahl an tu- bremsen oder stimulieren
morassoziierten Peptiden (TUMAPs), der Kandi- T-Zellen des Immunsystems benötigen, um akti-
dat IMA901 gegen Nierenzellkrebs enttäuschte in- viert zu werden, das heißt sich zu teilen und zu
des vorerst in einer Phase-III-Studie. Im Vergleich spezialisieren, ein Hauptsignal. Dieses empfangen
zu Antikörper-Arzneien sind Peptide leichter und sie Antigen-abhängig über einen Hauptschalter,
günstiger herstellbar. den T-Zell-Rezeptor. Daneben ist allerdings noch
Statt mit Peptiden kann auch mit RNS geimpft ein zweites Signal nötig, das über Ko-Rezeptoren
werden. In Zellen ist sie der Informationsüberbrin- läuft, alleine aber keine Aktion auslösen kann. Die-
ger zwischen der als Bauplan fungierenden DNS ses Zwei-Schritt-Prinzip kann als eine Art Siche-
sowie den Peptiden und Proteinen als den Pro- rung betrachtet werden, wie zusätzliche Ampeln
dukten dieses Bauplans. Nach Verabreichung von an einem beschrankten Bahnübergang (T-Zell-Re-
Tumor-Antigen-codierender RNS produziert der zeptor). Die Ko-Rezeptoren, auch Immun-Check-
Körper die für die Auslösung der Immunantwort points genannt, vermitteln stimulierende und in-
zusätzlich benötigten Antigene selbst. Die ebenfalls hibierende Signale, die in einer sehr feinen Balance
in Tübingen ansässige CureVac setzt seit Gründung zueinander stehen. Denn die T-Zell-Aktivierung
im Jahr 2000 auf RNS-Wirkstoffe. Es gelang ihr die ist ein kritischer Prozess, der sich nicht gegen den
als instabil geltende RNS handhabbar zu machen, eigenen Körper richten darf und der nach Elimi-
zu stabilisieren und ihre Eigenschaften zu optimie- nierung von antigentragenden Fremdkörpern auch
ren. Der am weitesten fortgeschrittene Wirkstoff- wieder abklingen muss. So erfüllt die körpereigene
kandidat CV 9104 befindet sich derzeit in der klini- Immunsuppression eine wichtige Rolle bei der Ver-
schen Phase II zur Behandlung von Prostatakrebs. hinderung von Autoimmunität. Diejenigen Rezep-
Auch die 2008 gegründete Mainzer BioNTech setzt toren auf den T-Zellen, die komplementär als »Aus-
unter anderem auf RNS-Krebsvakzine. Sie strebt Schalter« (Immunsuppression) dienen, gleichen
individualisierte und schnell produzierte Impfstof- funktionell der Bremse in einem Fahrzeug.
fe an. Dabei werden folgende Schritte abgedeckt: Als ersten Vertreter der Immun-Checkpoints
Detektierung von Krebsmutationen durch soge- entdeckten Forscher den Rezeptor CTLA4 (cyto-
nanntes Next Generation Sequencing, Auswahl von toxic T-lymphocyte antigene 4), ein CD152-Protein
Zielmolekülen, schnelle RNS-Vakzin-Synthese, (7 Wofür steht eigentlich CD?). Nach Bindung seines
Impfung und Immunmonitoring. Diese Plattform Liganden (passendes Molekül) gibt der Schalter ein
wurde bereits präklinisch validiert, erste klinische negatives Signal weiter, was die T-Zell-Aktivierung
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
217 3

Wofür steht eigentlich CD?


Weiße Blutzellen (Leukozyten, alt- gene) bezeichnet. Sie sind wie eine (Stand: Mitte März 2015), deren
griech. leukós = »weiß«) und ihre individuelle »Signatur« genetisch Liste sich ständig verlängert. CD1
Untergruppe der Lymphozyten festgelegt, unterscheiden sich von ist ein Protein auf der Oberfläche
(B-Zellen, NK-Zellen und T-Zellen) Mensch zu Mensch und ändern sich dendritischer Zellen, das die Anti-
tragen in der Zellmembran veran- zeitlebens nicht. Trotz der Ungleich- gen-Präsentation übernimmt. Auf
kerte Glykoproteine auf ihrer Ober- heit im Detail lassen sich die Antige- T- und NK-Zellen findet sich der
fläche. Einige haben Rezeptor- oder ne aufgrund der Bindung ähnlicher CD2-Rezeptor, der eine Rolle für das
Signalfunktion, während andere Antikörper gruppieren und damit Aktivieren dieser Zellen sowie für
enzymatisch aktiv sind oder eine einteilen. Um die Gruppen zu klassi- das Binden an andere Zellen spielt.
zentrale Rolle bei der interzellulären fizieren, führten Forscher 1982 die CD20 zeigt sich nur in bestimmten
Kommunikation spielen. Dem Im- CD-Nomenklatur ein. CD steht für Entwicklungsstadien auf B-Zellen
munsystem dienen sie zudem zur cluster of differentiation und ist wie und reguliert unter anderem deren
Unterscheidung zwischen körper- ein Nachname, der unterschiedliche Wachstum. Bei B-Zell-Tumoren ist
eigen und körperfremd. Sie werden Mitglieder einer Familie unter einer CD20 häufig und ständig präsent,
daher auch als humane Leuko- Bezeichnung eint. Mittlerweile gibt was zur Entwicklung eines CD20-An-
zyten-Antigene (HLA oder HL-Anti- es die Familiennamen CD1 bis CD371 tikörpers als Arznei führte.

Der programmierte Zelltod (Apoptose)


»Im Erwachsenenalter muss unser zur Auslösung von Apoptose. Das ist können ebenso zu einer Schädigung
Körper täglich etwa zehn Milliarden ein Grund, warum normale Zellen des genetischen Materials in der Zel-
verbrauchte, funktionsunfähige kaum in vitro kultivierbar sind, d. h. le führen. Diese Zellen haben dann
oder beschädigte Zellen beiseite vereinzelt in der Zellkultur gezüch- die Wahl zwischen einer Reparatur
schaffen. Ohne programmierten tet werden können. Die meisten kleinerer DNS-Schäden oder der
Zelltod hätte sonst ein 80-Jähriger Zellkulturen basieren daher auf Apoptose, wenn der Schaden nicht
rund zwei Tonnen Knochenmark entarteten Zellen, bei denen ein de- mehr repariert werden kann. Die
und eine Darmlänge von 16 Kilo- fektes Apoptoseprogramm ein un- Zelle tötet sich im Zweifelsfall selbst,
metern. … Eine Zelle beginnt mit begrenztes (tumoröses) Wachstum um nicht zu entarten. … Der pro-
dem Apoptose-Programm, wenn ermöglicht. Zu den internen und grammierte Zelltod … ist [also] ein
interne oder externe Signale die externen Signalen, die eine Apop­ natürlicher Schutzmechanismus, um
Sebstzerstörung befehlen. Jede tose auslösen können, gehören die unkontrollierte Zellvermehrung
Zelle unseres Körpers befindet sich z. B. die Zerstörung der Mitochon- zu verhindern oder im Fall gestörter
durch chemische Botenstoffe im drienmembran oder die Besetzung Reparaturmechanismen die Selbst-
ständigen Kontakt zu ihren Nach- von Rezeptoren mit bestimmten zerstörung der Zelle auszulösen«
barzellen, die an die Rezeptoren der todbringenden Botenstoffen oder (Groth 2015).
Zelle binden. Wird ihr dieser Kontakt toxischen Substanzen. Hohe Dosen
entzogen, so führt dies in der Regel von UV- oder Röntgenstrahlung

herunterreguliert und damit die Immunreaktion se Aktivierung der Immunzellen zum Teil zu schwe-
herunterfährt. Gegen CTLA4 entwickelte die US- ren Nebenwirkungen (Ledford 2014).
Biotech-Firma Medarex (2009 übernommen von Einen spezifischeren Ansatz verspricht dagegen
Bristol-Myers Squibb) den Antikörper Ipilimumab die Hemmung von PD1 (programmed death 1),
(Handelsname Yervoy), den die FDA im März 2011 einem Rezeptor für den programmierten Tod von
zur Behandlung von Hautkrebs zuließ. Der Anti- Zellen. Was darunter zu verstehen ist, erläutert
körper belegt den Rezeptor und verhindert so die Groth (2015) sehr anschaulich (7 Der programmier-
Bindung seines Liganden. Bei einigen Patienten er- te Zelltod (Apoptose)). PD1 ist insofern auch ein
möglichte die Arznei ein komplettes Verschwinden Checkpoint-Protein, da T-Zellen in Schach gehal-
des Tumors. Allerdings führte die unspezifische ten werden, wenn sein Ligand PDL1 bindet. ­Viele
Aufhebung der Immunsuppression beziehungswei- Tumorzellen produzieren PDL1, um sich gegen
218 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.26 Ausgewählte in klinischer Entwicklung befindliche Wirkstoffe, die auf ko-inhibitorische T-Zell-Rezep-
toren zielen. (Quelle: BioMedServices (2015) nach Ai und Curran (2015))

Ziel Phase I Phase II Phase III

CTLA4 Tremelimumab (MedImmune/AstraZeneca)

3 PD1 MEDI0680
(MedImmune/AZ)
Pidilizumab (MDVN/CureTech)

PDL1 BMSW-936559 (BMS) Atezolizumab (Genentech/Roche)


Avelumab (Merck/Pfizer)
Durvalumab (MedImmune/AZ)

LAG3 BMS-986016 (BMS)

CTLA4 cytotoxic T-lymphocyte antigene 4, LAG3 lymphocyte-activation gene 3, PD programmed death,


AZ AstraZeneca, BMS Bristol-Myers Squibb, MDVN Medivation

. Tab. 3.27 Ausgewählte in klinischer Entwicklung befindliche Wirkstoffe, die auf ko-stimulierende T-Zell-Rezep-
toren zielen. (Quelle: BioMedServices (2015) nach Ai und Curran (2015); alle in Phase I)

Ziel Wirkstoff (Firma) Ziel Wirkstoff (Firma)

41BB/CD137 Urelumab (BMS) CD27 Varlilumab


PF-05082566 (Pfizer) (­Celldex & BMS)

OX40/CD134 MEDI0562&6383 CD 40 CP-870,893


(MedImmune/AZ) (Genentech/
RG7888 (Genentech/Roche) Roche)

GITR TRX518 (GITR), MK-4166


(Merck & Co.)

GITR glucocorticoid-induced tumor necrosis factor receptor

die Angriffe des Immunsystems zu schützen. Im dass die Behandlung mit dem Antikörper im Ver-
Gegensatz zur allgemeinen Hemmung des CTLA4- gleich zur Chemotherapie das Sterberisiko um 41 %
Signals unterbrechen PD1-Inhibitoren also die senkt. Bei den Hautkrebs-Patienten reduzierte sich
immunsuppressive »Kommunikation« zwischen dieses sogar um 58 %.
Krebs- und T-Zellen. Erste therapeutische Anti- Zur Wirkung des Ausschaltens dieser hemmen-
körper, die auf PD1 zielen, kamen im September den Immun-Checkpoints finden sich in Artikeln
(Keytruda, Pembrolizumab) und Dezember 2014 über die Krebs-Immuntherapie diverse umschrei-
(Opdivo, Nivolumab) auf den Markt, jeweils entwi- bende Vergleiche wie: Bluthunde (T-Zellen) von
ckelt von Organon Biosciences (2007 übernommen der Kette nehmen, Schranken öffnen, Bremsklötze
von Schering-Plough, die wiederum die US-Merck lösen oder »Immunbremse« lösen. Das Gegen-
in 2009 kaufte) und Medarex (2009 übernommen stück zu den Checkpoints, die hemmende Signale
von Bristol-Myers Squibb). Beide sind für Patien- vermitteln, sind die ko-stimulierenden Rezeptoren
ten mit schwarzem Hautkrebs gedacht. Im März (Gaspedal). Die internationale biomedizinische
2015 erhielt Bristol-Myers Squibb zudem grünes Forschung identifizierte bisher jeweils ein Dut-
Licht für den Einsatz von Nivolumab bei metas- zend ko-inhibierende sowie ein weiteres Dutzend
tasierendem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs. In an ko-stimulierende Rezeptoren auf T-Zellen.
einer Phase-III-Studie konnten sie nachweisen, . Tabelle 3.26 und 3.27 geben jeweils eine Übersicht
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
219 3

© BioMedServices 2015
S-S

BiTE
DART (Bispecific T-cell Engager) TandAb
(Dual Affinity (= bispezifisches scFv) (Tandem AntiBody
Retargeting Technology) dimerisiert)
Bispezifischer
Antikörper
scFv Diabody
(single chain = »Tandem«
variable fragment) (bispezifisch)
Fab
(Antikörper- Nanobody
fragment)

Antigene

Konstante
Region
Konstante
Region

Antikörper 1 Antigen-erkennende variable Regionen Antikörper 2

. Abb. 3.24 Bispezifische Antikörper und ausgewählte Fragmente. Ein bispezifischer Antikörper setzt sich aus zwei
verschiedenen Antigen-erkennenden bzw. -bindenden Regionen zusammen. Fragmente umfassen nur noch die Antigen-
bindenden Regionen (ohne den Rest) in unterschiedlichen Variationen und Verknüpfungen

zu in der Entwicklung befindlichen Wirkstoffen, die schiedlichen Antikörpern konstruiert. Sie werden
auf ausgewählte Strukturen zielen und damit versu- daher auch schon als synthetische Proteine be-
chen, das körpereigene Immunsystem gegen Krebs zeichnet. Dabei gibt es mittlerweile Strukturen,
zu aktivieren. die vom klassischen Antikörper abgeleitet sind
(Fragmente) und nur noch die Antigen-bindende
Strategie Funktionen ersetzen – Antikörper, Region gemein haben (. Abb. 3.24). Bispezifische
Fusionsproteine und getunte T-Zellen Antikörper können zum Beispiel folgende Funk-
Neben der Gabe zusätzlicher Antigene sowie der tionen übernehmen:
Regulation von Ko-Rezeptoren auf den T-Zellen ist 55 Bindung von Tumor-Antigen, Anlocken und
eine weitere Strategie der Krebs-Immuntherapie, Aktivierung von Immunzellen;
fehlende Funktionen durch zugeführte Antikörper 55 simultane Bindung (Inhibition) zweier ver-
oder andere rekombinante Proteine sowie getunte schiedener Ziel-Rezeptoren derselben Zelle
T-Zellen zu ersetzen. 55 simultane Bindung (Abfangen) zweier Ligan-
den.
Funktion »Markieren und Vermitteln« ersetzen:
multispezifische Antikörper(fragmente) . Tabelle 3.28 listet ausgewählte, in Forschung und
Bi- oder trispezifische Antikörper sind aus den Be- Entwicklung befindliche bi- und trispezifische
standteilen von zwei beziehungsweise drei unter- Krebs-Antikörper(fragmente), die eine Immunak-
220 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.28 Ausgewählte bi- und trispezifische immunaktivierende Krebs-Antikörper in Forschung und Entwicklung.
(Quelle: BioMedServices (2015) nach Sheridan (2015))

Ziel 1 Ziel 2 Wirkstoff Technologiea Firma Phase Indikation

CD3 EpCam AMG110 BiTE Micromet (< Amgen) I Solide


Teil des T-Zell- Tumoren
3 Rezeptor-Kom-
CEA AMG-211
(MEDI-565)
BiTE Micromet (< Amgen) &
MedImmune (< AZ)
I
plexes
CD123 MGD006 DART Macrogenics & Servier I AML

gpA33 MGD007 DART Macrogenics & Servier I Darmkrebs

CD20 REGN1979 bsAK Regeneron I Solide


Tumoren

CD19 AFM11 TandAbs Affimed I NHL

EGFRvIII AFM21 TandAbs Affimed F Solide


Tumoren

CD16A, auf NK- CD30 AFM13 TandAbs Affimed II Hodgkin-


Zellen Lymphom

T- oder NK-Zelle 2 Tumortargets Plattform tsAK Affimed F –

Immunzelle verschiedene nicht ver- bsAK F-star Biotechnology F Krebs


Immun-Check- fügbar
points

aAbkürzungserläuterungen siehe auch . Abb. 3.24


AML akute myeloische Leukämie, Ang-2 Angiopoetin-2, bsAK bispezifischer Antikörper, CEA karzinoembryonales Anti-
gen, F Forschung, NHL Non-Hodgkin-Lymphom, tsAK trispezifischer Antikörper

tivierung bewirken. Bei der Strategie Immunakti- (epithelial cell adhesion molecule, ein transmembra-
vierung über multispezifische Antikörper ist die im nes Glykoprotein, das in vielen soliden Tumoren
Jahr 2000 gegründete Heidelberger Firma Affimed überexprimiert wird), für CD3 (Teil des T-Zell-
Therapeutics relativ breit aufgestellt und derzeit ver- Rezeptor-Komplexes) und für Zellen des innaten
gleichsweise auch am weitesten fortgeschritten. Sie Immunsystems über die konstante Region (»Fuß«
setzt auf das eigene spezielle Format der sogenann- des Antikörpers). Removab ist nur in einer relativ
ten TandAbs (tandem antibodies). kleinen Patientenpopulation einsetzbar und er-
Bis an den Markt schafften es bislang lediglich reichte daher nicht die wirtschaftlichen Ziele, wes-
zwei Medikamente. Den ersten bispezifischen Anti- halb sich der Fresenius-Konzern von seiner Tochter
körper überhaupt ließ die EMA im Jahr 2009 zu: Fresenius Biotech trennte (2013 übernommen von
Removab (Catumaxomab) zur Behandlung des der israelischen Neovii Biotech). Die Zulassung
malignen Aszites, einer tumorbedingten Flüssig- von Removab validierte jedoch grundsätzlich das
keitsansammlung im Bauchraum. In Zusammen- Konzept der Multispezifität.
arbeit mit Fresenius Biotech (verantwortlich für die Der nächste zugelassene Kandidat stammt
Klinik und den Vertrieb) entwickelte die Münche- auch von einer deutschen Biotech-Firma, und
ner TRION Pharma den Wirkstoff, der als chimä- zwar von der früheren Micromet, ebenfalls aus
rer Antikörper (Maus-Mensch) drei verschiedene München. Sie entwickelte die sogenannte BiTE-
funktionale Bindungsstellen besitzt: für EpCAM Technologie (. Abb. 3.24), wobei es sich um bi-
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
221 3
spezifische Antikörper-Fragmente handelt, die auf den T-Zellen befindlichen T-Zell-Rezeptoren.
nur noch aus den Antigen-erkennenden Regio- Diese werden somit wiederum angelockt und ak-
nen bestehen. Diese binden zum einen an CD3 tiviert. Ein solches Konstrukt entwickelt beispiels-
auf T-Zellen und aktivieren diese dadurch. Zum weise die Firma Immunocore aus Großbritannien,
anderen binden sie tumorspezifische Antigene. die sie ImmTACs nennt (Immune mobilising mTCR
Das erste Konstrukt mit Ziel auf CD3 und CD19 Against Cancer). Es handelt sich also um einen lös-
(vermehrt auf entarteten B-Zellen), das Anti- lichen (nicht membrangebundenen und damit frei
körper-Fragment Blinatumomab (Handelsname bewegbaren) T-Zell-Rezeptor, der die Funktion
Blincyto) erhielt im Dezember 2014 grünes Licht Markieren und Vermitteln übernimmt. Ein Vor-
von der FDA zur Behandlung einer seltenen Form teil liegt darin, dass das relativ kleine Molekül auch
der akuten lymphatischen Leukämie (ALL), einer intrazelluläre Antigene erkennt, was bei Antikör-
lebensbedrohlichen Krebserkrankung, die vor al- pern aufgrund ihrer Größe nicht der Fall ist. Die
lem bei Kindern unter fünf Jahren auftritt. Stu- Technologie-Entwicklung ist ursprünglich auf das
diendaten hatten gezeigt, dass bei etwa 43 % der im Jahr 1999 gegründete britische Unternehmen
mit Blinatumomab behandelten Patienten eine Avidex zurückzuführen, das 2006 die Münchener
komplette Remission oder eine vollständige Re- Medigene übernahm. 2008 gründete sich der Be-
mission mit einer weitgehenden Normalisierung reich als Immunocore wieder aus.
des Blutbildes erreicht werden konnte. Aufgrund
der sehr guten Datenlage und der hohen Rate der Funktion T-Zell-Attacke ersetzen: adoptiver
»Komplettheilung« von Patienten hat die FDA T-Zell-Transfer (TIL, TCR, CAR)
einen neuen Bearbeitungsrekord aufgestellt und Beim adoptiven (ersetzenden) T-Zell-Transfer han-
nur 2,5 Monate nach Einreichung des Zulassungs- delt es sich um eine mehr als 20 Jahre alte patien-
antrags eine positive Entscheidung gefällt. Zuvor tenspezifische Behandlungsmethode mit folgenden
hatte Blincyto auch den Breakthrough-Status zu- Schritten: Gegen den Tumor gerichtete T-Zellen
erkannt bekommen. Micromet, gegründet 1993 des Patienten – sogenannte Tumor-infiltrierende
als Spin-off aus dem Institut für Immunologie Lymphozyten (TIL) – werden isoliert, über Wo-
der Universität München, fusionierte 2006 mit chen vermehrt und dann demselben Patienten wie-
der US-Firma Cancervax und realisierte somit der reinfundiert. Behandlungen dieser Art führten
eine Börsennotierung und ihren Hauptsitz in am National Cancer Institute in den USA bei mehr
den USA. Dies sicherte Micromet bessere Finan- als der Hälfte von Patienten mit fortgeschrittenem
zierungsmöglichkeiten als auf dem heimischen Hautkrebs zum Rückgang der Tumoren und bei
Kapitalmarkt. Nachdem Amgen und Micromet 20 % der Patienten sogar zur kompletten Remis-
bereits seit 2011 kooperierten, übernahm das US- sion, das heißt, sie blieben länger als fünf Jahre tu-
Biotech-Unternehmen den BiTE-Spezialisten mit morfrei.
einem Wert von gut 1 Mrd. US$. Der ehemalige Mittlerweile werden isolierte T-Zellen zusätz-
Micromet-Firmensitz zählt weiterhin rund 200 lich gentechnisch optimiert. Wissenschaftler ver-
Beschäftigte und ist damit die größte Forschungs- folgen dabei derzeit zwei verschiedene Ansätze
stätte Amgens außerhalb der USA. (. Abb. 3.25): Die sogenannte CAR-Technologie,
kurz auch CART genannt, bei der T-Zellen mit
Funktion »Markieren und Vermitteln« ersetzen: einem zusätzlichen chimären Antigen-Rezeptor
Rezeptor-Fusionsproteine (CAR) ausgestattet werden. Bei Bindung an Krebs-
Es lassen sich auch bispezifische Moleküle kons- Antigene leitet dieser ein intrazelluläres Aktivie-
truieren, die auf der einen Seite einem T-Zell- rungssignal weiter. Chimär bedeutet, dass der Re-
Rezeptor entsprechen, der an Krebs-Antigene zeptor zu einem Teil aus einer Antigen-Bindestelle
bindet. Auf der anderen Seite sorgt eine spezielle (einem scFv, . Abb. 3.24) besteht und zum anderen
Bindungsstelle (Effektor) für den Kontakt mit den Teil aus einer ko-stimulierenden Komponente des
222 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

T-Zellen
© BioMedServices 2015 werden
gentechnisch
getunt
CAR: Zusätzlicher
Neuer Rezeptor, der aus 2 Teilen
Isolation Gewinnung T-Zellen
3 & Vermehrung
TCR besteht: Antigen-Bindestelle &
von TIL ko-stimulierender Teil des TCR
T-Zelle mit TCR, der Krebs-Antigen erkennt

»Alter«
TCR Tumor-
Antigen
Tumor-
Antigen
Neuer Ko-stimulierende
TCR Moleküle des TCR
CAR
TCR

Aktivierte
T-Zellen

Vermehrte oder getunte T-Zellen werden reinfundiert

. Abb. 3.25 Verschiedene Prinzipien adoptiver T-Zell-Therapien. TIL Tumor-infiltrierende Lymphozyten, TCR T-cell re-
ceptor, T-Zellen erhalten einen neuen T-Zell-Rezeptor, der Krebs-Antigene erkennt, CAR-T T-Zellen, die einen zusätzlichen
Rezeptor (chimären Antigen-Rezeptor) tragen, der auch Aktivierungssignale vermitteln kann. Symbole von openclipart.
org und Freepik

T-Zell-Rezeptors. Beim anderen Ansatz werden Phase II befindet. Im Juli 2014 sprach ihm die
T-Zellen mit einem neuen Tumor-Antigen-spezi- FDA den Breakthrough-Status zu, und im Okto-
fischen T-Zell-Rezeptor (T-cell receptor, TCR) aus- ber 2014 veröffentlichte das US-Krebsforschungs-
gestattet, der bei Antigen-Bindung die zytotoxische zentrum (National Cancer Institute), das sich an
Wirkung der T-Zellen aktiviert. Die neuen Proteine den Studien beteiligt, dass die Anwendung von
(CAR oder TCR) kodiert entsprechende DNS, die CTL019 bei 27 von 30 Leukämie-Patienten (90 %)
spezielle, unschädliche Viren in die T-Zellen hin- die Erkrankung komplett verschwinden ließ
einschleusen. Nach beiden Behandlungen bekommt (7 Vorwort: Beispiel Emily Whitehead). Die Partner
der Patient seine eigenen (autologen) getunten T- verfolgen zudem Immuntherapien gegen andere
Zellen wieder verabreicht. Tumoren.
Im Jahr 2010 begannen an der University of Einige weitere Firmen sind auf den Zug auf-
Pennsylvania in Philadelphia Studien, die Pa- gesprungen. In der Regel sind es Biotech-Firmen,
tienten mit chronischer lymphatischer Leukämie die das nötige Know-how von akademischen For-
(CLL) mit auf das Krebs-Antigen CD19 »gepräg- schungsgruppen übernehmen. Manche arbeiten
ten« CAR-T-Zellen (CTL019) behandelten. 2012 zudem mit Pharma-Konzernen zusammen. Viele
schloss die Universität eine Kooperation mit der Projekte zielen derzeit noch auf CD19-exprimie-
Schweizer Novartis ab, um das Projekt weiter- rende Tumoren (meist Leukämien). Neue Ziel-
zuentwickeln, welches sich aktuell in klinischer moleküle beziehungsweise andere Krebsarten sind
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
223 3
aber auch schon im Fokus von adoptiven T-Zell- Idealerweise sind die unterschiedlichen Methoden
Therapien, sei es über die CAR- oder die TCR- zu kombinieren.
Technologie (. Tab. 3.29). Die Immuntherapie sollte, auch wenn sie nicht
Gerade die US-CART-Firmen warben im Jahr vollkommen ohne Nebenwirkungen ist, gegenüber
2014 enorme Summen über ihren Börsengang ein, den klassischen Ansätzen Vorteile aufweisen. Denn
wodurch sie auch die Spitzenplätze belegten: Juno ungünstigerweise haben die derzeit etablierten Be-
Therapeutics 305 Mio. US$, Bellicum Pharmaceu- handlungsschemata – bei allen unbestreitbaren
ticals 161 Mio. US$ und Kite Pharma 147 Mio. US$. Therapieerfolgen – eine gegenteilige Wirkung auf
Die erst im August 2013 als Spin-off aus dem Fred das Immunsystem: Sowohl chemo- als auch strah-
Hutchinson Cancer Research Center in Seattle lentherapeutische Maßnahmen schwächen das
gegründete Juno hatte zuvor innerhalb eines Jah- Immunsystem. Die Proliferation und die Funktion
res 310 Mio. US$ in drei Venture-Capital-Runden von Lymphozyten sind nach einer Chemotherapie
aufgenommen. Die 2009 gegründete Kite Pharma deutlich eingeschränkt. Beispielsweise finden sich
begnügte sich mit 85 Mio. US$ Risikokapital, si- im Knochenmark von Patientinnen nach einer
cherte sich jedoch nach dem IPO im Juni bereits adjuvanten systemischen Chemotherapie gegen
im Dezember 2014 über ein zweites öffentliches Brustkrebs deutlich weniger T-Zellen, und die An-
Angebot an Aktien weitere 216 Mio. US$. Belli- zahl aktivierter NK-Zellen ist auch über einen län-
cum gründete sich bereits 2004 und erzielte in geren Zeitraum reduziert.
sieben VC-Runden Einnahmen von 142 Mio. US$.
Ende November 2015 erzielten die CART-Spezia- 3.1.2.2 Gentherapien: Fehler für immer
listen Juno und Kite einen Marktwert von 5,6 und beheben
3,8 Mrd. US$. Nach der Definition der Deutschen Forschungsge-
Es besteht also derzeit regelrecht ein Hype meinschaft bezeichnet Gentherapie das Einbringen
um den adoptiven T-Zell-Transfer, wobei die sehr von Genen in Gewebe oder Zellen mit dem Ziel,
komplexe Technologie mit entsprechenden Risiken durch die Expression und Funktion dieser Gene
verbunden sein kann: therapeutischen oder präventiven Nutzen zu erlan-
gen. Den Vorgang des Einbringens von Genen in
»» It is clear that the red flags for CAR-T therapy Zellen nennt man Gentransfer. Dieser kann ex vivo
are numerous, from generating long-term (außerhalb des Körpers) oder in vivo (innerhalb des
efficacy and justifying pricing to the almost in- lebenden Organismus) erfolgen (. Abb. 3.26). Den
evitable legal wrangling. However, perhaps the Transfer übernehmen sogenannte Vektoren, das
biggest threat hanging over this whole space sind Vehikel, die das zu übertragende Gen enthalten.
– and one that will be very closely watched by Als Vektoren dienen angepasste Viren (Partikel, nur
investors – is safety. (Plieth 2015) aus Hüllprotein und Erbsubstanz bestehend) oder
Liposomen (Partikel aus Lipid-Doppelschicht).
Krebs-Immuntherapie – eine kurze
Zusammenfassung Viren
Immuntherapien versprechen in der Zukunft ent- Viren sind nach klassischer biologischer Sicht
scheidende Erfolge im Kampf gegen den Krebs: keine Lebewesen, da sie keinen eigenen Stoff-
Das renommierte Fachmagazin Science kürte sie in wechsel besitzen und sich ohne fremde Hilfe
seiner Dezember-Ausgabe des Jahres 2013 sogar als nicht vermehren können. Viren sind vereinfacht
»Breakthrough of the Year for 2013«. Laut einigen gesagt »Zellpiraten«: Sie dringen in Zellen ein
Marktanalysten könnten Immuntherapien in den und programmieren diese zu ihren Zwecken
nächsten zehn Jahren bei 60 % aller Patienten mit um. Bestimmte Viren erzeugen beim Menschen
fortgeschrittenem Krebs eingesetzt werden und harmlose, aber auch tödliche Krankheiten wie
so einen Markt von 35 Mrd. US$ erschließen. Es Krebs und AIDS. Sie sind mit einer Größe von 20
bleibt abzuwarten, welcher der verschiedenen vor- bis 300 nm viel kleiner als Bakterien oder Pilze.
gestellten Ansätze den besten Erfolg erzielen wird.
224 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.29 Ausgewählte Entwicklungsprojekte der adoptiven T-Zell-Therapie. (Quelle: BioMedServices (2015) nach
Plieth (2015))

Ziel-Antigen Projekt Indikation Phase Firma (Partner/Originator)

CAR-T (getunte T-Zellen mit chimärem Antigen-Rezeptor, der Krebs-Antigen erkennt)

3 CD19 CTL019 ALL, CLL II Novartis


(Univ. of Pennsylvania)
huCART Verschiedene I
Tumoren

JCAR015 B-Zell-ALL, r/r ALL I Juno Therapeutics (FHCRC/MSKCC)

JCAR017 Pädiatrische r/r ALL I/II

KTE-C19 DBCL I Kite Pharma (NCI)

Diverse ALL, CLL I bluebird & Celgene (Baylor Univ.)

Sleeping Verschiedene I Ziopham & Intrexon (MDA)


Beauty Tumoren

UCART19 ALL, CLL Start 2015: I Cellectis (Institut Pasteur), Pfizer &
Servier

BPX-401 Verschiedene Start 2016: I/II Bellicum Ph. (Baylor Univ.)


Tumoren

CD22 CD22 CAR B-Zell-Tumoren I/II Juno Therapeutics (FHCRC/MSKCC)

EGFRvIII huEGFRvIII Hirntumoren Präklinik Novartis (Penn)

EGFRvIII I/II Kite Pharma (NCI)

L1CAM L1CAM CAR Neuroblastom I Juno Therapeutics (FHCRC/MSKCC)

MUC16&IL6 MUC16&IL6 Gebärmuttertu- Präklinik


CAR moren

ROR-1 ROR-1 CAR CLL, solide


­Tumoren

CD123 UCARTCD123 AML Präklinik Cellectis (Institut Pasteur)

5T4 UCART5T4 Solide Tumoren

CS1 UCARTCS1 Multiples Myelom

PCSA BPX-601 Solide Tumoren Start 2016: I/II Bellicum Ph. (Baylor Univ.)

MICA, MICB & CM-CS1 AML, MDS, multip- Start 2015: I Cardio3
UL8P6 les Myelom (Dartmouth College)

Nicht benannt NT0004 Gebärmutter-, Lun- Start 2016: I BioNTech (Univ. Mainz)
gen-Tumoren u. a.

TCR (Getunte T-Zellen mit tumorspezifischem T-Zell-Rezeptor)

NY-ESO-1 NY-ESO TCR Verschiedene I/II Adaptimmune & GSK


Tumoren

MAGE A-10 MAGE A-10 Brust-, Lungentu- Präklinik Adaptimmune


TCR moren

AFP TCR AFP TCR Lebertumoren Präklinik Adaptimmune

Nicht benannt Nicht benannt Nicht benannt Präklinik Medigene (Helmholtz Zentrum)
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
225 3

. Tab. 3.29 Fortsetzung

Ziel-Antigen Projekt Indikation Phase Firma (Partner/Originator)

Diverse UniCell Verschiedene Präklinik BioNTech (Univ. Mainz)


platform Tumoren

ALL akute lymphatische Leukämie, AML akute myeloische Leukämie, CLL chronische lymphatische Leukämie, DBCL
diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom, FHCRC Fred Hutchinson Cancer Research Center, MDA MD Anderson Cancer
Center, MDS myelodysplastisches Syndrom, MSKCC Memorial Sloan Kettering Cancer Center, NCI National Cancer
Institute, Ph. Pharmaceuticals, r/r relapsed or refractory, Univ. Universität

© BioMedServices 2015
Vermehrung
Entnahme in Kultur Ex vivo-Gentherapie
von Zellen

Intaktes In Liposomen gepackt


Gen

In vivo-Gentherapie In Viren
gepackt

. Abb. 3.26 Ex vivo- und in vivo-Gentherapie

Die ersten Gentherapien entwickelten sich in den mane Papillomviren Gebärmutterhalskrebs verur-
1990er-Jahren. Allerdings erlitten sie nach dem Tod sachen, den Nobelpreis.
eines Patienten im Jahr 1999 einen Rückschlag: Der Die Forschung machte sich dann daran, siche-
verwendete virale Vektor verursachte eine übermä- rere Vektoren zu entwickeln, die keine weiteren
ßige, fatale Immunantwort. Das zu transferierende Todesfälle nach sich zogen. Bis heute gibt es laut
Gen selbst, das ein fehlendes Enzym ersetzen sollte, dem Journal of Gene Medicine (Wiley) über 2000
war nicht das Problem. Zudem lösten die viralen klinische Studien zur Gentherapie. Knapp 60 % da-
Vehikel bei anderen Patienten Leukämien aus. Dass von stecken aber noch in der Phase I, und ledig-
Viren grundsätzlich bei Krebserkrankungen eine lich 5 % befinden sich in einem pivotalen Stadium.
Rolle spielen können, postulierte 1976 erstmals der Auf die USA entfallen fast zwei Drittel aller Studien
damals noch an der Universität Erlangen-Nürn- und auf europäische Länder ein Viertel. Innerhalb
berg tätige Virologe zur Hausen, der später das Europas sticht Großbritannien mit 206 von mehr
Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg als 500 europäischen Studien hervor. In Deutsch-
leitete. 2008 erhielt er für die Entdeckung, dass hu- land werden 84 Gentherapien getestet. 64 % aller
226 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Glybera: der steinige Weg zur Zulassung


»The company that had started cracy, the CHMP [Committee for the market. The CHMP recommen-
its development – a now-defunct Medicinal Products for Human Use] ded marketing authorization only
Dutch startup called Amsterdam declared the treatment ‚non-appro- under ‚exceptional circumstances‘,
Molecular Therapeutics (AMT) – sub- vable‘ in October 2011, causing AMT under which uniQure will have to
3 mitted its approval file in December
2009. The gene therapy protocol,
to halve its workforce to sit out the
process. In February, as AMT was
monitor patient outcomes and feed
the information straight to the EMA.
which includes repeated adminis- irreversibly bound for liquidation, Jörn Aldag, the CEO of uniQure …
tration of the functional gene and Dutch investor Forbion put forward maintains that the approval of Gly-
immunosuppression to prevent €6 million to found uniQure as a ve- bera puts gene therapy ‚where mAbs
‚rejection‘ of the treatment didn’t hicle to acquire AMT’s assets, inclu- were in the late 1990s, when they
go down well with regulators. After ding Glybera. It subsequently beca- were just visible, but tiny‘« (Nature
nearly two years of head scratching, me clear that there was some wiggle Biotechnology Editorial 2012).
see-sawing and scientific bureau- room that would allow Glybera onto

laufenden Gentherapie-Studien fokussieren sich zündungen entwickeln. Bislang gab es für Men-
auf die Onkologie. Alle anderen Indikationen fol- schen mit LPLD keine wirksame Behandlung. Die
gen weit abgeschlagen mit jeweils weniger als 10 % Therapie, bei der ein intaktes LPL-Gen über einen
Anteil. Monogenetische Erkrankungen (ein spezifi- Adeno-assoziierten-Virus-Vektor transferiert wird,
scher Gendefekt), Herz-Kreislauf-Krankheiten so- kommt in Europa für etwa 150 bis 200 Patienten in-
wie Infektionen sind darunter noch am häufigsten frage. Seit November 2014 vertreibt die italienische
vertreten. Chiesi die Medikation in Deutschland. Für einen
Die weltweit erste Zulassung einer Gentherapie kompletten Behandlungszyklus fallen allerdings
erfolgte in China im Jahr 2003. Das Unternehmen Kosten von rund 1 Mio. € an. Ein Endpreis wird
SiBiono GeneTech entwickelte Gendicine für Pa- derzeit mit den Krankenkassen ausgehandelt.
tienten mit Tumoren im Hals-Nasen-Ohren-Be- Unter den Firmen, die sich auf Gentherapie spe-
reich. Ein nicht replikationsfähiger Adenovirus- zialisiert haben (. Tab. 3.30), ist uniQure aufgrund
Vektor schleust das Tumor-Suppressorgen p53 in der bereits erfolgten Marktzulassung die führende.
Körperzellen ein, die dann einen Transkriptions- Zudem hat sie mit die meisten weiteren Program-
faktor exprimieren, der den programmierten Zell- me in der Pipeline. Die Gesellschaft schaffte im Fe-
tod reguliert. Rund 50 % aller menschlichen Tumo- bruar 2014 mit einem fast 100 Mio. US$ schweren
ren tragen dieses mutierte Gen. Börsengang den Sprung an die US-amerikanische
In der westlichen Hemisphäre ließ die EMA NASDAQ. Im April 2015 konnte sie nochmal nach-
Ende 2012 die erste Gentherapie namens Glybera legen und weitere 82 Mio. US$ an Netto-Einnah-
zu (7 Glybera: der steinige Weg zur Zulassung). Trotz men verbuchen. Ebenfalls im April dieses Jahres
des Durchbruchs ist das endgültige Nutzen-Risiko- verkündete uniQure ferner, dass die US-Pharma-
Profil noch nicht abschließend geklärt. Firma Bristol-Myers Squibb (BMS) exklusiven Zu-
Glybera (Alipogen Tiparvovec), entwickelt gang zur Gentherapie-Plattform im Bereich Herz-
von dem niederländischen Biotech-Unternehmen Kreislauf erhält. BMS zahlt bis zu 1 Mrd. US$ für bis
uniQure, therapiert Patienten mit der Krankheit zu zehn Programme, die auch andere Indikationen
LPLD (Lipoproteinlipase-Defizit). Die Erkrankten betreffen können. uniQure selbst hatte über die
können aufgrund eines Erbgutdefektes ein fett- Akquisition des erst im Dezember 2013 gegründe-
spaltendes Enzym nicht synthetisieren und daher ten Heidelberger Startups InoCard Zugang zu dem
Fettpartikel nicht metabolisieren. Die Folge sind Herz-Kreislauf-Programm erhalten. Diese Über-
schwere schmerzhafte und auch potenziell lebens- nahme hatte einen Wert von 3 Mio. €. Die Firma
gefährliche Pankreasentzündungen. Glybera ist für uniQure ist somit auch in Deutschland am Stand-
Patienten zugelassen, die trotz strikter Diät Ent- ort Heidelberg vertreten.
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
227 3

. Tab. 3.30 Ausgewählte Biotech-Firmen mit Aktivitäten in der Gentherapie. (Quelle: BioMedServices 2015)

Name (Ticker) Land Start Technologie Anzahl Programme – weitestes Programm

GenVec (GNVC) US 1992 AAV 5 – PI gegen Hörverlust mit Novartis

bluebird bio (BLUE) US 1992 LV und nicht- 4 – PII/III bei Adrenoleukodystrophie (Störung
(Genetix Pharmaceuticals) viral Fettsäurestoffwechsel)

Oxford Biomedica (OXB) GB 1995 LV 7 – je PI/II bei Stargardt- und Usher-Krankheit
mit Sanofi

Celladon (CLDN) US 2000 AAV 3 – PIIb bei Herzinsuffizienz, 04/2014: BTD

ReGenX Biosciences US 2009 AAV 4 – PK, Hurler- und Hunter-Syndrom, AMD

Lysogene F 2009 AAV 1 – PI/II bei Typ-III-Mukopolysaccharidose

Renova Therapeutics US 2009 AAV 1 – PK bei Herzinsuffizienz

RetroSense Therapeutics US 2009 AAV 1 – PK bei Retinadegeneration

Gensight Biologics F 2012 AAV 1 – PI bei LHON-bedingtem Sehverlust

uniQure (QURE) NL 2012 AAV 7 – PI Hämophilie B und Glybera auf Markt

Audentes Therapeutics US 2013 AAV 2 – PK bei XLMTM und Pompe-Krankheit

4D molecular therapeutics US 2013 AAV 15 – Forschung und 2 – PK bei Indikation Herz


und Muskel/Skelett

Dimension Therapeutics US 2013 AAV 4 – PK u. a. Hämophilie A (mit Bayer) und B

Spark Therapeutics (ONCE) US 2013 AAV 6 – PIII bei vererbter Retinadystrophie

Nightstarx GB 2014 AAV 1 – PI/II bei vererbter Retinadystrophie

Voyager Therapeutics US 2014 AAV 5 – PI bei Parkinson mit Genzyme

AAV Adeno-assoziierte Viren, AMD altersbedingte Makuladegeneration, LHON Leber’s hereditary optic neuropathy,
LV Lentiviren, PK Präklinik, P Phase, XLMTM X-linked myotubular myopathy

3.1.2.3 Personalisierte Medizin: unterschiedlichen molekularen und genetischen


Medikamente passend zum Typ Ursachen erkrankt sein können. Zwar unterscheidet
Die personalisierte Medizin geht davon aus, dass je- sich ein menschliches Individuum auf der geneti-
der Patient unterschiedlich ist, und versucht dies bei schen Ebene nur minimal von jedem anderen, doch
Therapie-Entscheidungen und bei der Verordnung diese minimalen genetischen Unterschiede haben in
von Medikamenten einzubeziehen. Der Deutsche vielen Fällen das Potenzial, bei ihm über Krankheit
Ethikrat gibt in einer Veröffentlichung (Woopen und Gesundheit zu entscheiden« (BioM 2015). Oder,
2013) eine gute Übersicht zu diesem Themenkom- wie es The Boston Consulting Group formuliert:
plex (7 Was ist personalisierte Medizin, und was ist
sie nicht?). Zwar ist die Einbeziehung persönlicher »» Personalisierte Medizin bedeutet [also], dass in
Umstände in der medizinischen Versorgung schon die Verordnungsentscheidungen für die Pa-
immer der Fall gewesen, die Anwendung der Me- tienten ein vorgeschalteter diagnostischer Test
thoden der modernen Biologie und molekularen einbezogen wird, der individuelle Merkmale
Medizin ermöglicht allerdings eine neue Qualität, der Patienten auf genetischer, molekularer
die es davor nicht gab. Denn »das Konzept der per- oder zellulärer Ebene charakterisiert. Sie führt
sonalisierten Medizin berücksichtigt, dass Patien- zu einer nach einzelnen Patientengruppen
ten, die unter den gleichen Symptomen leiden, aus (statt allein nach der Krankheitsdiagnose) diffe-
228 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Non-Responder Responder © BioMedServices 2015

Schmerzmittel (Cox-2) 20 80
Depression (SSRI) 38 62
Asthma 40 60
3 Herzrhythmusstörung 40 60
Schizophrenie 40 60
Diabetes 43 57
Akute Migräne 48 52
Rheumatoide Arthritis 50 50
Osteoporose 52 48
Hepatitis C 53 47
Inkontinenz 60 40
Alzheimer 70 30
Onkologie 75 25

0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %

. Abb. 3.27 Medikamenten-Ansprechrate bei verschiedenen Indikationen und Medikationen im Jahr 2000. Erstellt nach
Daten von Spear et al. (2001)

renzierten Medikation – vergleichbar mit dem werden konnte, der nur auf das bei B-Zell-Lympho-
Angebot von Bekleidung in Konfektionsgrößen men vorhandene Antigen CD20 zielt.
statt ‚one size fits all‘. (von Holleben et al. 2011) Problematisch ist, dass der Begriff personali-
sierte Medizin heutzutage ein Schlagwort gewor-
Gerade bei der Wirkung von Medikamenten wurde den ist, unter dem verschiedenste Dinge subsum-
festgestellt, dass es je nach Krankheitsgebiet einen miert werden. So umschrieben im Jahr 2010 durch
nicht unerheblichen Anteil an Patienten gibt, der das FAZ-Institut befragte Onkologen, Laborärzte
nicht auf die verordnete Medikation anspricht und Versicherer aus Deutschland, Großbritannien
(Non-Responder), eben »one size does not fit all«. und den USA die personalisierte Medizin wie folgt:
Noch im Jahr 2000 fielen die jeweiligen Raten der 55 maßgeschneiderte Therapie (60 %),
Non-Responder und Responder aus wie in . Abb. 3.27 55 maßgeschneiderte Diagnostik (19 %),
dargestellt. So sprach zum Beispiel bei Krebserkran- 55 erhöhte Autonomie der Patienten (11 %),
kungen lediglich ein Viertel der Patienten auf die 55 Diagnostik mithilfe genetischer Informationen
Medikation an. Erst kurz vorher, also Ende der (11 %),
1990er-Jahre, kamen die ersten zielgerichteten The- 55 spezieller Bereich der Onkologie (11 %),
rapien in der Blutkrebs-Behandlung auf. Mit der 55 unmittelbare Arzt-Patient-Beziehung (9 %).
Zulassung des Biopharmazeutikums Rituxan (Ritu-
ximab) wurde in gewisser Weise die erste moleku- Das FAZ-Institut (2010) stellte fest, dass rund zwei
lare Personalisierung in die Praxis eingeführt (von Drittel der Befragten in der personalisierten Me-
Holleben et al. 2011): Leukämien mussten nun zu- dizin eine Möglichkeit sehen, ihren Patienten bzw.
nächst in B- oder T-Zell-Lymphome unterschieden ihren Versicherten künftig die beste Behandlung
werden, bevor der Antikörper Rituximab gegeben bieten zu können. Gleichzeitig räumten jedoch
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
229 3

Was ist personalisierte Medizin, und was ist sie nicht?


»Gemeint ist eine Medizin, die sich eignet ist und wie es zur Vermeidung Behandlung, was der auch oft ver-
an individuellen Merkmalen des von Nebenwirkungen dosiert werden wendete Begriff »individualisierte
kranken Menschen orientiert, um muss. Entweder orientiert sich die Medizin« suggerieren kann, sondern
Prädiktion, Therapie und Prognose personalisierte Medizin dazu an um immer kleiner werdende Unter-
möglichst passgenau auf den Pa- ererbten genetischen Eigenschaften gruppen von Patienten, die bislang
tienten auszurichten – im Grunde oder an spezifischen Merkmalen des als eine große Gruppe einer einzigen
ein Anliegen, das die Medizin seit erkrankten Gewebes wie zum Bei- Diagnose wie Lungenkrebs zugeord-
jeher verfolgt, für das aber die Mittel spiel Biomarkern im Tumorgewebe. net waren. Hierfür wäre wiederum
weitgehend fehlten und mit den Es geht in beiden Fällen um indivi- die Bezeichnung stratifizierende
Fortschritten in Molekularbiologie duelle biologische Merkmale, nicht Medizin angemessener. Die Gender-
und Genetik nun zur Verfügung etwa um das, was Philosophie oder medizin, die die zum Teil erheblichen
stehen sollen. Es geht darum, Er- Psychologie als individuelle Aus- geschlechtsspezifischen Unterschie-
krankungswahrscheinlichkeiten prägungen der Person oder Persön- de in Symptomatik, Behandlung und
möglichst früh und möglichst präzise lichkeit bezeichnen. Genombasierte Verlauf von Krankheiten untersucht
vorherzusagen und Erkrankungen und biomarkerbasierte Medizin und mit einbezieht, ist der erste
durch eine gezieltere Prävention zu wären hier die jeweils treffenderen naheliegende Schritt einer groben
verhindern; und es geht darum zu Bezeichnungen. Es geht auch nicht – Unterteilung von Patientengruppen
bestimmen, welches Arzneimittel bei bislang jedenfalls – um eine auf den in zwei Untergruppen« (Woopen
einem Patienten zur Therapie ge- einzelnen Patienten zugeschnittene 2013).

ebenfalls rund zwei Drittel der Befragten ein, bis- Größe gab. Für die Individualisierung gibt es indes
lang nur über begrenzte Kenntnisse zu dieser The- in der Theorie Konzepte, die, wenn sie in der Praxis
matik zu verfügen. Neben der Erkenntnis, dass das funktionieren, zum Beispiel für Krebserkrankun-
Wissen über die personalisierte Medizin oftmals gen eben doch eine weitestgehende Maßbehand-
vage ist, zeigt die Antwort »maßgeschneiderte lung ermöglichen.
Therapie« von 60 % der Befragten, dass hohe Er- Behandlungen, die auf der personalisierten
wartungen geweckt werden, die so (noch) nicht er- Medizin basieren, sind zielgenauer, sicherer und
füllbar sind. Erst jüngst, im November 2014, titelte kosteneffizienter. Unerwünschte Nebenwirkungen
die ÄrzteZeitung »Personalisierte Medizin weckt können begrenzt oder sogar verhindert werden.
falsche Hoffnungen« und führte als Untertitel aus: Zum Teil erkennen das auch schon die Kranken-
»Oft müssen Ärzte ihren enttäuschten Patienten er- kassen wie ein Vertreter in einer Roche-Publika-
klären, dass die maßgeschneiderte Therapie noch tion ausführt:
in weiter Ferne liegt« (Schnack 2014). In dem Ar-
tikel erklärte der stellvertretende Vorstandsvorsit- »» Personalisierte Medizin ist für uns Versicherer
zende der KV Hamburg, dass besonders nieder- extrem wichtig, weil das Gießkannenprinzip,
gelassene Onkologen, Dermatologen und Ärzte Medikamente oder Technologien den Patien-
anderer Fachgebiete, in denen erkrankte Patienten ten sozusagen unselektiert zur Verfügung zu
nach irreführenden Informationen in den Medien stellen, einfach in Zukunft nicht mehr zahlbar
mit großen Hoffnungen in die Praxen kommen, vor ist. Es gibt mittlerweile hervorragende öko-
einer intensiven und schwierigen Diskussion stün- nomische Analysen, die zeigen, dass eine Dia-
den, die sie überfordere. gnostik-basierte, optimierte Therapie, z. B. die
Aber, wie es von Holleben et al. (2011) darstel- Behandlung der Hepatitis-C-Infektion, auch
len, ist Personalisierte Medizin keine Individual- aus gesundheitsökonomischer Sicht wirt-
medizin (»Maßanzug«), sondern allenfalls Beklei- schaftlicher als eine traditionelle Strategie ist.
dung in verschiedenen Konfektionsgrößen. Den- Prof. Thomas Szucs, Verwaltungsratspräsident
noch ist bereits das ein Fortschritt gegenüber den Helsana-Gruppe, Zürich. (Roche 2011)
Arzneien von früher, die es sozusagen nur in einer
230 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.31 Technische Fortschritte seit Beginn des Humangenomprojektes (HGP). (Quelle: BioMedServices (2015)
nach NHGRI (2013))

Beginn HGP (1990) Ende HGP (ca. 2000) Plus 10 Jahre (2010)

Genomsequenzierung
Kosten für ein humanes Genom 1 Mrd. US$ 10–50 Mio. US$ 3000–5000 US$
3 Zeit für ein humanes Genom 6–8 Jahre 3–4 Monate 1–2 Tage
Entschlüsselte humane Genome 0 1 > 1000
Genomsequenzdaten
Anzahl Sequenzdaten in GenBank 49 Mio. Basen 31 Tera-Basen 150 Tera-Basen
Genom-Sequenzen von Prokaryoten 0 167 8760
Menschliche SNPs 4400 3,4 Mio. 53,6 Mio.
Humangenetik
Anzahl Gene mit bekanntem Phänotyp/ 53 1474 2972
krankheitsverursachender Mutation
Anzahl Phänotypen/Krankheiten mit be- 61 2264 4847
kannter molekularer Basis
Anzahl veröffentlichter genomweiter Asso- 0 0 1542
ziationsstudien
Überprüfte krankheitsassoziierte genetische 0 6 2900
Varianten
Genom-/biomarkerbasierte Medikamente = personalisierte Medizin
Arzneien mit pharmakogenetischer Informa- 4 46 104
tion in der Fachinformation

SNP single nucleotide polymorphism

Vor allem das Stichwort »wirtschaftlicher« bringt bracht, der eine personalisierte Medizin überhaupt
gerne auch die Kritiker auf den Plan wie der Deut- (wirtschaftlich) ermöglicht.
sche Ethikrat formuliert:
Begriffe rund um die personalisierte Medizin
»» Es [gab] jedoch seit jeher auch kritische Stim- Biomarker – Eigenschaft, die objektiv gemessen und evalu-
men, die vor allem wirtschaftliche Interessen iert werden kann und als Indikator für normale oder patho-
gene biologische Prozesse oder für pharmakologische Reak-
einer gierigen Pharmaindustrie am Werk sehen,
tionen auf therapeutische Interventionen dient
die die Möglichkeit von Erfolgen für mehr als
Genomweite Assoziationsstudien – Assoziationsstudien
nur wenige Patienten bezweifeln und stattdes- stellen eine Verbindung zwischen bestimmten Krankheiten
sen die Forschungsprioritäten lieber daran aus- oder anderen Merkmalen und Abschnitten des Genoms (Ge-
gerichtet sehen wollen, was sie als die tatsäch- samtheit aller Gene) her
lichen Bedürfnisse von Patienten betrachten. Es Pharmakogenetik – Lehre von der Wechselwirkung von Arz-
würde, wenn es nach ihnen ginge, mehr Geld neimittel und Erbanlagen (klinische Sicht)
zum Beispiel in sozialmedizinische oder Versor- Pharmakogenomik (Pharmacogenomics) – Klärung, wel-
gungsstudien gesteckt und nicht in die moleku- che Genom-Unterschiede für den Abbau von Medikamenten
oder für deren Wirkung in verschiedenen Patientengruppen
larbiologische Forschung. (Woopen 2013)
verantwortlich sind, und Nutzung der Erkenntnisse für die Ent-
wicklung spezifischer Wirkstoffe, die dann nur in der bestimm-
Gerade aber die molekularbiologische Forschung ten Gruppe verwendet werden dürfen
hat erst den technischen Fortschritt (. Tab. 3.31) ge-
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
231 3

Biomarker: Indikatoren für Diagnose und Therapie


»Seit der Antike kennen und nutzen Apotheke ist der Schwangerschafts- Therapie und erleichtern damit
Ärzte Biomarker für die Diagnose test, der den Gehalt an HCG (huma- die Auswahl der individuell besten
von Krankheiten. Ein prominentes nes Chorion-Gonadotropin) im Urin Behandlung. Die Grenzen sind hier
Beispiel ist die Harnanalyse, bei der erfasst. Weitere Beispiele sind Tests fließend und ein Marker kann auch
die Heilkundigen aus Farbe, Ge- auf Ketone, Proteine, Nitrit oder mehreren Kategorien zugeordnet
ruch und Geschmack des Urins auf Bakterien im Urin sowie Candida werden. Beispielsweise dienen
bestimmte Krankheiten und deren im Vaginalsekret. … Diagnostische Mutationen des Estrogenrezeptors
Verlauf schließen konnten. Diese Biomarker ermöglichen es, die bei Brustkrebs sowohl der Diagnose
Indikatoren werden zum Teil immer Erkrankung eines Patienten inner- (Hormonrezeptor positiv/negativ)
noch verwendet: Beispielsweise gilt halb einer Gruppe von ähnlichen als auch der Therapieauswahl, da
Glucose im Urin als deutlicher Hin- Krankheiten genau zu definieren. negativ getestete Mammakarzino-
weis auf einen Diabetes mellitus. Prognostische Biomarker erlauben me nicht auf eine Hormontherapie
Auch Apotheker gehen häufig mit Aussagen über die voraussichtlichen ansprechen. … In jedem Fall sollen
Biomarkern um, vor allem bei Blut- Heilungschancen und/oder den Biomarker helfen, verschiedene Fra-
zucker- und Blutlipidmessungen Krankheitsverlauf. Prädiktive Bio- gen zu beantworten: Wer ist krank
in der Apotheke. In der Beratung marker zeigen die Wahrscheinlich- oder wird erkranken? Wer soll womit
spielen auch Blutglucose- und keit an, zukünftig an einer Krankheit und wann behandelt werden? Wie
Blutgerinnungsteststreifen sowie zu erkranken, oder ermöglichen gut spricht der Patient auf die Be-
die Messgeräte eine große Rolle. Aussagen über das voraussichtliche handlung an und wann ist er wieder
Ein typischer Biomarkertest aus der Ansprechen auf eine bestimmte gesund?« (Bracht 2009).

Phänotyp – (Durch Erbanlagen und Umwelteinflüsse gepräg- Exakter als »personalisierte« wäre der Begriff ge-
te) tatsächliche körperliche Erscheinung eines Organismus nom- oder biomarkerbasierte Medizin, da Letztere
bezogen auf seine Struktur, Funktion oder Verhalten. Im Ver-
gleich zum Erscheinungsbild repräsentiert der Genotyp das
ein wesentlicher Bestandteil des personalisierten
Erbbild eines Organismus, also seine exakte genetische Aus- Therapiekonzeptes sind. Biomarker sind allerdings
stattung, das heißt den individuellen Satz von Genen, den er an sich nichts Neues, denn auch physiologische
im Zellkern in sich trägt Kenngrößen wie Körpertemperatur, Blutdruck
Sequenzierung – Die Sequenzierung untersucht die Abfolge oder Herzfrequenz sind ursprüngliche Biomarker,
der DNS-Bausteine (auch Basen genannt) in einem Gen. Die die – wenn sie vom Normwert abweichen – zwi-
Basen sind wie die Sprossen einer Leiter angebracht, wobei
schen krank und nicht krank unterscheiden las-
es grundsätzlich vier verschiedene Typen gibt: Adenin (A), Cy-
tosin (C), Guanin (G) und Thymin (T). Aus diesen Buchstaben sen. Auch klassische Bluttests untersuchen Bio-
ergibt sich ein Wort (Gen), Satz (mehrere Gene), Buch (Chro- marker (7 Biomarker: Indikatoren für Diagnose und
mosom) und eine Bibliothek (Genom), die die Erbinformation Therapie). Zusammen mit bildgebenden Verfahren
(Bauplan des Lebens) beinhaltet. gibt ihr Informationsgehalt aber nicht immer einen
SNPs – SNP steht für single nucleotide polymorphism, was der Hinweis auf den tieferen Anlass einer Störung.
Variation einer einzelnen Base in einem Genom entspricht. Zum
Da letztlich jede Funktion in der Zelle auf der
Beispiel ist die Sequenzfolge statt ACGT geändert in AGCT (2
SNPs) oder ACCT, was eine krankhafte Folge haben kann, aber
Umsetzung der Erbinformation beruht, kann deren
nicht muss. Zu vergleichen ist dies mit dem Verdrehen oder Ab- Untersuchung schon eher tiefere Ursachen heraus-
ändern von Buchstaben in Wörtern, die dann trotzdem noch finden. Die Sache ist allerdings komplex, da nur die
verständlich sind: »Ncah eienr Stidue der Cmabirdge Uinertvisy allerwenigsten Krankheiten monogenetisch sind,
ist es eagl, in wlehcer Rehenifloge die Bcuhstbaen in Woeretrn
das heißt von einem Defekt in einem Gen bestimmt
vokrmomen. Huaptschae, der esrte und ltzete Bcuhstbae snid
an der rhcitgien Setlle« (Schnabel 2006).
sind. Der Fall ist dies bei den meisten Erbkrankheiten
wie beispielsweise der Sichelzellenanämie, bei der im
Stratifizieren – Bilden von Subgruppen in einer Patienten-
population auf der Basis von genetischen, molekularen oder Hämoglobin eine veränderte Aminosäure auftritt,
zellulären Merkmalen der Patienten die dazu führt, dass der rote Blutfarbstoff nicht mehr
richtig funktioniert. Auslöser ist die Veränderung
232 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

100.000.000
US$ ©BioMedServices 2015

10.000.000

3 Next-Generation
Sequencing
1.000.000

100.000 Illumina's HiSeq 2000 System


durchbricht die 10.000-US$-Grenze

10.000
Illumina's HiSeq X Ten Sequencing System
erreicht die 1000-US$-Grenze
1.000
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

. Abb. 3.28 Kosten der Sequenzierung eines Genoms. Erstellt nach Daten vom National Human Genome Research
Institute. (Wetterstrand 2015)

eines Genabschnitts von »GAG« nach »GTG«, also Entwicklungen bei der Produktion von Computer-
tatsächlich nur der Austausch eines Buchstabens Chips, bei denen das Moore’sche Gesetz gilt:
im Gen. Diese sogenannten SNPs (single nucleotide
polymorphisms), also Variationen einer einzelnen »» Rund alle zwei Jahre verdoppelt sich die Leis-
Base, müssen aber nicht immer eine krankhafte tung von Prozessoren. Diese Regel stammt
Folge haben. Für nicht-monogenetische Störungen vom Intel-Mitbegründer Gordon E. Moore. Er
wird über genomweite Assoziationsstudien versucht, sagte 1965 voraus, dass sich alle 18 bis 24 Mo-
eine Verbindung zwischen bestimmten Krankheiten nate die Anzahl der elektronischen Schaltun-
oder anderen Merkmalen und Abschnitten des Ge- gen im Prozessor (Transistoren) verdoppeln
noms (Gesamtheit aller Gene) herzustellen. würde – bei gleichzeitig sinkenden Kosten.
Die hohen Erwartungen an die genombasierte Diese Voraussage heißt in Fachkreisen auch
Medizin und an die Entwicklung neuer Medika- »Mooresches Gesetz« – und stimmt noch heu-
mente, die direkt nach der Entschlüsselung des te. (Computerbild 2007)
menschlichen Genoms im Jahr 2000/2001 aufka-
men, konnten anfangs nicht erfüllt werden. Zum Heutzutage übertrifft die technische Entwicklung
einen stellte sich heraus, dass Gensequenzen nicht bei der Gensequenzierung sogar das Moor’sche
die einzige informatorische beziehungsweise re- Gesetz (. Abb. 3.28), das allerdings demnächst auf-
gulatorische Ebene sind, die Komplexität also viel grund physikalischer Grenzen nicht mehr endlos
höher als angenommen ist. Zum anderen waren die gelten wird.
technischen Möglichkeiten noch nicht ausgereift
und somit insbesondere die Kosten der Genomse- Medikamente mit pharmakogenetischer
quenzierung enorm hoch (. Abb. 3.28). Dies hat sich Information in der Fachinformation
aber mittlerweile geändert: Die Leistungssteigerung Zum Stand Mai 2015 listet die FDA 166 Wirkstoffe
und damit der Preisverfall ist zu vergleichen mit den (FDA 2015f), die in ihrem drug label, das heißt in
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
233 3

Neurologie 11
Infektionen

Kardiologie
Indikation

Onkologie Psychiatrie Andere

17

12
55 26 45

BCR/ABL 8

UGT1A1 5
Biomarker

CYP2C19

HER2 5
EGFR 5
CYP2D6 G6PD Andere
16

40 20 68

© BioMedServices 2015

0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %

. Abb. 3.29 Übersicht zu Biomarkern und Indikationen der Medikamente mit pharmakogenetischer (PG) Information.
Erstellt nach FDA (2015f )

der Fachinformation (und auf der Verpackung) eine Dies trifft auch auf einige Medikamente der In-
pharmakogenetische (PG) Information enthalten. dikationen Kardiologie und Magen-Darm zu
Bezogen auf einen bestimmten Biomarker (manch- (. Tab. 3.32). Einen weiteren größeren Anteil neh-
mal sogar auf bis zu vier) stellt die Information men Wirkstoffe gegen Infektionen ein, wobei hier
einen Zusammenhang her zwischen diesem Bio- vor allem die Biomarker G6PD und IFNL3 eine
marker (in der Regel Gen und dessen Genprodukt) Rolle spielen. G6PD codiert für das Enzym Gluko-
und der Wirksamkeit des Medikamentes, einem se-6-phosphat-Dehydrogenase, das in allen Zellen
Risiko für Nebenwirkungen oder einer genotyp- Kohlenhydrate verarbeitet. Ist G6‑PD mutiert oder
spezifischen Dosierung. Zum Teil sind es nur Vor- nicht vorhanden (Erbkrankheit), hat das während
sichtshinweise, zum Teil aber dürfen Medikamente Infektionen und teils durch deren Medikation eine
nur nach vorheriger Testung des Biomarkers an be- kritische Folge für rote Blutzellen.
stimmte Subgruppen verabreicht werden, das heißt, Polymorphismen in IFNL3 korrellieren mit
die personalisierte Anwendung ist mit der Zulas- der Ansprache auf Medikamente gegen Hepatitis-
sung festgeschrieben. . Abbildung 3.29 zeigt, welche C-Virus(HCV)-Infektionen, was über genomweite
der insgesamt 47 Biomarker und 19 Indikationen bei Assoziationsstudien herausgefunden wurde. Der
diesen Medikamenten am häufigsten genannt sind. biologische Mechanismus ist dabei bisher nicht ge-
Innerhalb der 19 Indikationen sind mit 33 % klärt. Bei den Krebs-Medikamenten führen mit sie-
am häufigsten Medikamente gegen Krebs vertre- ben diejenigen die Liste an, die auf das sogenannte
ten, gefolgt von denen der psychiatrischen und Philadelphia-Chromosom (Biomarker BCR-ABL)
neurologischen Indikation (26 %). Letztere wechsel- zielen, einer Ursache der chronischen myeloischen
wirken vor allem mit Cytochrom-P450-Enzymen, Leukämie (7 Das Philadelphia-Chromosom als Aus-
die Medikamente in der Leber verstoffwechseln. Es löser von Leukämie). Der Biomarker MS4A1 fand
gibt Genvarianten mit der Folge, dass dieser Vor- schon Berücksichtigung, allerdings unter dem Sy-
gang beeinträchtigt (poor metabolizer) und somit nonym CD20, einem Molekül, das auf der Oberflä-
die Wirkstoff-Konzentration im Blut zu hoch ist. che von B-Zell-Lymphomen überexprimiert wird.
3
234

. Tab. 3.32 Anzahl an Medikamenten mit einer pharmakogenetischen (PG) Information im Label nach Biomarker und Indikation. (Quelle: BioMedServices (2015) nach
FDA (2015f ))

Biomarker = Gen/ Detail – Aufgabe oder normale Funktion Alle Onko- Psych- Infek- Kardio- Neuro- Magen- Endokri-
Genprodukt logie iatrie tionen logie logie Darm nologie

55 26 17 12 11 8 7

CYP2D6 Cytochrom-P450-Enzym – Verstoffwechselung von 40 23 2 5 4


Medikamenten in der Leber

G6PD Glukose-6-phosphat-Dehydrogenase – Zucker- 20 2 8 4


stoffwechsel, kritisch in roten Blutzellen

CYP2C19 Cytochrom-P450-Enzym – Verstoffwechselung von 16 3 3 6


Medikamenten in der Leber

BCR-ABL1 = t(9;22) Durch Chromosomenfehler (Philadelphia-Chromo- 7 7


som) entstandenes neues Protein, das Zellteilung,
-differenzierung und -adhäsion übersteuert

EGFR Epidermal growth factor-Rezeptor – Bindung von 5 5


(HER1) EGF führt über Signalkaskade zu Zellteilung

HER2 (ErbB2) ErbB2-Wachstumsfaktor-Rezeptor – auf Zellober- 5 5


fläche in Komplex mit anderen Rezeptoren, ver-
Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

mitteln Wachstumssignal

UGT1A1 UDP-Glucuronyltransferase 1A1– verstoffwechselt 5 3


auch Zytostatika

MS 4A1 Membrane-spanning 4, Subtyp A1– reguliert B-Zell- 5 3


(CD20) Aktivierung und -Proliferation

Weitere Biomarker sind:


je 4 Medikamente: CYP2C9, ESR1/PGR, IFNL3, TPMT
je 3 Medikamente: BRAF, DPYD, LDLR, HLA-B, MS4A1
je 2 Medikamente: ALK, CYB5R1-4, ESR1, F5, KRAS, NAGS/CPS1/ASS1/OTC/ASL/ABL2, NAT1-2, POLG, PML/RARA
je 1 Medikament: CFTR, CYP2B6, CYP3A5, del (17p), del (5q), F2, FIP1L1-PDGFRA, HLA-A, HLA-DQA1/HLA-DRB1, HPRT1, IL2RA, KIT, NAGS, PDGFRB, PGR, PROC, PROS, SERPINC1,
VKORC1

Biomarker und Indikationen, für die jeweils die meisten Arzneien eine PG-Information aufweisen; eine komplette Liste findet sich auch in PMC (2014)
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
235 3

Das Philadelphia-Chromosom als Auslöser von Leukämie


»Während der Zellteilung kann es Bei der CML [chronische myeloische die bestimmte Aufgaben innerhalb
vorkommen, dass ein Teil eines Leukämie] sind die Chromosomen einer Zelle übernehmen. Die neue
Chromosoms fälschlicherweise 9 und 22 von einer Translokation Tyrosinkinase BCR-ABL steht mit der
abgeschnitten und an ein anderes betroffen …. Dabei wird je ein Teil Zellteilung der weißen Blutkörper-
Chromosom angehängt wird. Dies von beiden Chromosomen ausge- chen (Leukozyten) in Verbindung.
nennt man Translokation. Viele tauscht …. Das dadurch verkürzte Durch die Bildung dieser Tyrosin-
Translokationen haben keine bzw. Chromosom 22 wird auch als Phil- kinase kommt es dazu, dass sich
keine schwerwiegenden Folgen. adelphia-Chromosom bezeichnet. die weißen Blutkörperchen unkon-
In manchen Fällen können jedoch Auf dem Philadelphia-Chromosom trolliert vermehren und eine CML
Gene nebeneinander zu liegen kom- entsteht ein neues Gen mit dem entsteht. Gleichzeitig ist BCR-ABL
men, die zusammen den Bauplan für Namen BCR-ABL. Dieses Gen trägt der Angriffspunkt für so genannte
ein neues, funktionsfähiges Protein den Bauplan für ein funktionieren- Tyrosinkinasehemmer – der Stan-
tragen. Durch dieses Protein kann des Protein, das ebenfalls BCR-ABL dardtherapie bei CML« (Dietz 2014).
sich der Stoffwechsel und damit das genannt wird. Das BCR-ABL gehört
Verhalten einer Zelle verändern. … zur Proteinklasse der Tyrosinkinasen,

Wegen möglicher Nebenwirkungen oder der Medikamente im Zulassungsverfahren oder vor


Wirksamkeit nur bei Subgruppen ist in Deutschland der Markteinführung. Eine Vielzahl weiterer be-
laut dem Verband der forschenden Arzneimittel- findet sich in klinischen Studien. Forschende Phar-
hersteller (vfa) für 34 Wirkstoffe ein diagnostischer ma-Unternehmen führen mittlerweile 37 % ihrer
Vortest (companion diagnostics, 7 Abschn. 3.1.3.3) Entwicklungsprojekte für neue Medikamente und
vorgeschrieben. Für weitere acht empfehlen ihn neue Medikamenten-Anwendungen mit begleiten-
die medizinischen Fachgesellschaften. Damit gibt den Studien zu Möglichkeiten der personalisierten
es hierzulande bereits 42 personalisierte Medika- Anwendung durch; … .« (vfa 2015b)
tionen, meist für Krebserkrankungen, gefolgt von Neben diesen technology-push-Treibern hängt
Wirkstoffen gegen Viruskrankheiten. Bei über 80 % die weitere Verbreitung der personalisierten Me-
bestimmt der Biomarker, ob das Medikament über- dizin von market-pull-Mechanismen ab. Einfluss
haupt wirksam ist, da es auf bestimmte genetische haben die demographische Entwicklung sowie
Veränderungen im Tumor zielt. Ein Beispiel ist das der Bedarf an noch wirksameren und vor allem
Brustkrebs-Medikament Herceptin, das nur bei Pa- nebenwirkungsärmeren Therapien. Nicht nur die
tientinnen eingesetzt werden sollte, deren Tumor Gesundheit würde profitieren: In deutschen Kran-
den HER2-Rezeptor überexprimiert. Erbitux, ein kenhäusern belaufen sich laut einer Studie von Rot-
Darmkrebs-Wirkstoff, ist für EGFR-überexpri- tenkolber et al. (2012) die Kosten für adverse drug
mierende Tumoren gedacht, wobei mittlerweile reactions (ADR) auf jährlich rund 1 Mrd. €.
feststeht, dass er nur wirkt, wenn gleichzeitig das Ob die personalisierte Medizin auch öko-
sogenannte KRAS-Gen nicht mutiert ist. Seit Juli nomische Vorteile bringt, ist noch umstritten
2008 besteht die Pflicht eines Vortests. (7 Abschn. 3.1.3.4). Zudem spielen rechtliche, ethi-
Die meisten Patienten erleben allerdings laut sche, aber auch soziale Faktoren eine Rolle. Be-
vfa bisher noch keine personalisierte Medizin. reits erwähnt wurden die Wissenslücken, die die
»Das wird sich erst langsam ändern – in dem Befragung des FAZ-Instituts im Jahr 2010 aufge-
Maße, in dem neue Medikamente zur personali- tan hat. Auch das Büro für Technikfolgenabschät-
sierten Anwendung zugelassen oder für Medika- zung beim Deutschen Bundestag (TAB) hatte zu-
mente, die schon länger im Einsatz sind, nachträg- vor, im Jahr 2008, in einem Bericht mit dem Titel
lich noch geeignete Vortests gefunden werden. Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem
Beides geschieht stetig. So sind derzeit (Stand: einen erheblichen Aus- und Weiterbildungsbe-
13.02.14) sieben neue personalisiert einzusetzende darf für die Gesundheitsberufe festgestellt wie
236 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Neue Rollenzuweisungen aufgrund der Individualisierung der Medizin


»Laut TAB-Zukunftsreport wird es und Auswertung der Messungen; immer abhängiger von naturwissen-
für die Gesundheitsberufe, vor allem Interpretation der Testergebnisse im schaftlichen-technischen Analysen
für die Ärzte, einen erheblichen Hinblick auf die medizinische Frage- und Deutungskompetenzen ma-
Aus- und Weiterbildungsbedarf stellung und Auswahl einer geeig- chen. Um das entsprechende Wissen
3 geben. Der Bericht prognostiziert
neue Anforderungen: grundlegende
neten Intervention sowie Kommuni-
kation mit Patienten. … Man könne
in die ärztliche Grundversorgung
integrieren zu können, würden Ärzte
Kenntnisse in Genetik, der moleku- davon ausgehen, dass sich die über eine Neugestaltung ärztlicher
laren Medizin und den eingesetzten Medizin von einer ‚empirischen Heil- Kompetenzen nachdenken müssen.
Testverfahren; Identifizierung von kunst‘ hin zu einer ‚rationalen, mo- … [Dies wird] weitreichende Folgen
Zielgruppen für biomarkerbasier- lekularen Wissenschaft‘ entwickeln für das ärztliche Selbstverständnis
te Test- und Diagnoseverfahren; werde … Die Individualisierung der haben« (Hempel 2009).
Durchführung der Testverfahren Medizin werde ärztliches Handeln

Worum geht es beim Aktionsplan »individualisierte Medizin«?


»Bundesforschungsministerin zur Verfügung stellen. Der Aktions- über die präklinische und klinische
Johanna Wanka (CDU) spricht in plan soll Initiativen bündeln, die Forschung bis hin zur Gesundheits-
diesem Zusammenhang von ‚indivi- gleichermaßen neue Perspektiven wirtschaft. Um den Diskurs zwischen
dualisierter Medizin‘, die ‚eines der für die Behandlung von Patienten Wissenschaft, Gesellschaft und Poli-
vielversprechendsten Felder unserer und für Innovationen in der Gesund- tik zu unterstützen, werden zudem
modernen Medizin‘ sei. Das BMBF heitswirtschaft eröffnen. Die Förde- Forschungsprojekte zu ethischen,
wird im Zeitraum von 2013 bis 2016 rung unterstützt Projekte entlang rechtlichen und sozialen Aspekten
bis zu 100 Millionen Euro für For- der gesamten Innovationskette der individualisierten Medizin geför-
schungs- und Entwicklungsprojekte – von der Grundlagenforschung dert« (vfa Patientenportal 2015).

das Deutsche Ärzteblatt berichtet (7 Neue Rollen- zur richtigen Zeit für den richtigen Patienten« oder
zuweisungen aufgrund der Individualisierung der nach dem US-Forscher Hood (Singer 2010) noch
Medizin). Seitens der Politik wird die Entwicklung weiter gefasst »P4-Medizin (prädiktiv, präventiv,
der personalisierten Medizin in verschiedenen personalisiert und partizipatorisch)«. Alles zielt da-
Ländern durch Förderprogramme unterstützt, rauf ab, über ein verbessertes Verständnis der mo-
so auch in Deutschland (7 Worum geht es beim lekularen Grundlagen von Krankheiten eine ver-
Aktionsplan »individualisierte Medizin«?). Jüngste besserte Behandlung zu erzielen. Dabei sind es vor
Aktivität war im Januar 2015 die Vorstellung der allem neue diagnostische Möglichkeiten, die die
Precision Medicine Initiative von US-Präsident Grundlage der personalisierteren Medizin bilden.
Obama, für die der neue US-Haushalt kurzfristig
215 Mio. US$ bereitstellt. 130 Mio. US$ fließen in
den Aufbau einer nationalen Datenbank mit gene- 3.1.3 (Molekular-)Diagnostika
tischen Profilen und medizinischen Befunden von
einer Million Amerikanern. Der Rest kommt dem Diagnostische Mittel wie bildgebende Verfahren
nationalen Krebsforschungsinstitut NCI zugute. (in vivo-Diagnostik) und in vitro-Diagnostika
Precision medicine ist ein weiteres Synonym für (IVD), auch Labordiagnostika genannt, unterstüt-
die personalisierte Medizin. Im Deutschen findet zen Therapie-Entscheidungen wie der Verband der
sich entsprechend der Begriff der Präzisionsme- Diagnostica-Industrie (VDGH) in Deutschland
dizin. Auch existieren Formulierungen wie »das darstellt (7 Nutzen von IVD). Die moderne Bio-
richtige Medikament in der richtigen Dosierung logie beeinflusst vor allem den IVD-Bereich, der
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
237 3

Nutzen von IVD


»Rund 150 Unternehmen entwickeln oder Gewebe untersuchen. Ange- nen Medizin. Bei zwei Dritteln aller
und produzieren in Deutschland trieben durch die Fortschritte in der klinischen Diagnosen spielen labor-
Reagenzien und Analysensysteme, Molekularbiologie, der Miniaturisie- medizinische Untersuchungen eine
sogenannte In­-vitro­-Diagnostika. rung und Automatisierung haben entscheidende Rolle. … Je eher eine
Mit ihrer Hilfe können niedergelas- immer leistungsfähigere Diagno- Krankheit diagnostiziert wird, desto
sene Ärzte und Krankenhauslabora- severfahren Einzug in die Labors erfolgversprechender und kosten-
torien, in einigen Fällen aber auch gehalten. … Labordiagnostika sind günstiger kann sie in aller Regel
Patienten selbst, Körperflüssigkeiten längst ein Kernelement der moder- kuriert werden« (VDGH 2012).

vor dem Aufkommen der molekularbiologischen genzglas außerhalb des Körpers) von aus dem menschlichen
Körper stammenden Proben, einschließlich Blut- und Gewebe-
durch enzymatische, immun- und andere chemi-
spenden, verwendet wird
sche Verfahren geprägt war. Diese umfassen zwar
Molekulardiagnostik – Diagnosemethoden, die informa-
auch molekulare Reaktionen wie die Antigen- tionstragende biologische Moleküle wie DNS oder RNS unter-
Antikörper-Bindung bei Immuntests, die heutige suchen
sogenannte Molekulardiagnostik fokussiert sich
dagegen auf die Detektion informationstragender 1983 gründete sich in den USA die erste kleinere
biologischer Moleküle (DNS und RNS), daher auch Biotech-Firma, die sich auf die Molekulardiag-
nukleinsäurebasierte Diagnostik genannt. nostik spezialisierte: Gen-Probe brachte ab 1985
Nachdem sich jeweils ab Ende der 1950er- und Tests zur DNS-basierten Detektion verschiedener
1960er-Jahre die Enzym- und Immuntests auf Krankheitserreger auf den Markt. Sie wurde 2012
dem Markt etablierten, kamen molekularbiologi- für 3,8 Mrd. US$ von Hologic übernommen. Der
sche Verfahren ab den 1970er- und 1980er-Jahren US-Forscher Mullis von der Biotech-Firma Cetus
erst in der Forschung und dann auch als verkäuf- erfand die PCR-Technologie zwischen 1983 und
liche Variante hinzu: Southern Blots und andere 1985. Im Rahmen der Übernahme durch Chiron
DNS-Hybridisierungstechniken, die später zu Mi- verkaufte Cetus 1991 alle Rechte an der PCR-Tech-
kroarrays (= DNS-Chips) miniaturisiert wurden, nologie für 300 Mio. US$ an die Schweizer Roche.
DNS-Sequenzierungs- sowie DNS-Verfielfälti- Diese hatte 1989 bereits eine Zusammenarbeit mit
gungstechniken (PCR = polymerase chain reaction, Cetus zur Entwicklung von PCR-basierten Diag-
7 Abschn. 1.2.4). nostiktests gestartet. Die 1991 in den USA gegrün-
dete Roche Molecular Systems setzte diese Arbeit
Begriffe rund um die Diagnostik dann weiter fort und brachte 1992 die ersten PCR-
Bildgebende Verfahren – Oberbegriff für verschiedene Dia- Tests auf den Markt. 1993 folgte die Patentierung
gnostikmethoden, die Aufnahmen aus dem Körperinneren lie-
der sogenannten Real-Time-PCR (quantitative
fern; z. B. konventionelle Röntgendiagnostik, die digitalisiert
die Computertomographie (CT) ergibt, Ultraschalldiagnostik Echtzeit-PCR), einer PCR-Methode zur Verviel-
(Sonographie), Endoskopie, Kernspin-/Magnetresonanzto- fältigung von Nukleinsäuren, bei der zusätzlich
mographie (MRT), (Single-)Positronen-Emissionstomographie gleichzeitig die gewonnene DNS mithilfe von Fluo-
(PET/SPECT), Szintigraphie und Angiographie reszenzmessungen quantifiziert wird. Erste Testsys-
Immundiagnostik – Die Immundiagnostik nutzt die hohe teme, die neben der Vervielfältigung simultan DNS
Spezifität der Antigen-Antikörper-Reaktion, um Antigene oder
detektieren können, kamen 2003 zur Testung auf
Antikörper, die der Körper gegen ein Antigen gebildet hat, mit-
hilfe von Immun-Assays nachzuweisen
HIV- und HCV-Infektionen auf den Markt. 2005
launchte die Diagnostik-Sparte von Roche zudem
In vitro-Diagnostika (IVD) – Jedes Medizinprodukt, das als
Reagenz, Reagenzprodukt, Kalibriermaterial, Kontrollmaterial, den ersten pharmakogenetischen Test, den Ampli-
Kit, Instrument, Apparat, Gerät oder System einzeln oder in Chip CYP450 zur Analyse von möglichen genba-
Verbindung miteinander zur in vitro-Untersuchung (im Rea- sierten Reaktionen auf bestimmte Medikamente.
238 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Entwicklung neuer molekularer Biomarker


»Die Suche und Entwicklung neuer mit Hilfe neuer Technologien wie als die ‚klassischen‘ molekularen
Biomarker wird getrieben von dem Genomik, Proteomik und Metabolo- Biomarker für biologische Prozesse
Bedarf, spezifische und eindeutige mik beschrieben, die teilweise weit und Zustände sind dabei aber kei-
Kriterien für pathologische Situa- höhere Spezifität und Aussagekraft neswegs aus der Mode gekommen.
3 tionen und die Wirksamkeit thera-
peutischer Interventionen an die
haben. … Die Schwerpunkte der
molekularen Biomarker-Forschung
Auch hier setzen neue Technologien
die Maßstäbe, seien es massenspek-
Hand zu bekommen. Die meisten haben sich in den letzten Jahren von trometrische oder immunologische
der heute verwendeten – und in den Proteinen auf die Nukleinsäuren Verfahren oder Hochdurchsatz-As-
der medizinischen Praxis weiterhin verlagert. Das liegt vor allem an den says für Proteomanalysen. Beson-
unentbehrlichen molekularen Bio- gewaltigen Fortschritten der Nuk- ders die an Regulationsmechanis-
marker – sind relativ unspezifisch leinsäure-Analytik wie Microarray- men und Signalketten beteiligten
und vieldeutig. Dazu gehören der Technologien und ‚next generation Proteinklassen, darunter Kinasen,
Blutzuckerspiegel und die Choles- sequencing‘, die einfach, rasch und Phosphatasen und Proteasen, wer-
terin- und Blutfettwerte ebenso wie kostengünstig durchgeführt werden den auf ihr Potenzial als Biomarker
manche sogenannte »Krebsmarker« können. Das heißeste Eisen sind der- intensiv erforscht« (Jarasch 2011b).
wie CEA und PSA. Inzwischen wer- zeit microRNA-Profile als Biomarker
den ständig neuartige Biomarker für komplexe Krankheiten. Proteine

3.1.3.1 IVD, MDx, PGx, CDx, Biomarker (Proteine), Blutzucker (Glukose) sowie Cholesterin
& Co. – Was ist was? und andere Blutfette (Lipide) qualitativ besser zu
Wie in jeder Fachwelt verwendet die Diagnostik- detektieren. Von diesen grundlegenden Substanzen
Branche viele Abkürzungen. So steht IVD für in des menschlichen Stoffwechsels (Metabolismus) lei-
vitro-Diagnostika, das sind Tests von Körperpro- ten sich die (englischen) Begriffe Proteomics, Glyco-
ben im Reagenzglas, über Teststreifen oder sonsti- mics sowie Lipidomics ab, wobei »omics« für »Ana-
ge, oft als Kits bezeichnete Testsysteme. lyse« steht. Es wird auch zunehmend versucht, die
Die DNS-basierten Tests, im Englischen als Molekülklassen nicht mehr einzeln zu betrachten,
MDx abgekürzt (molecular diagnostics) werden im sondern in ihrem Zusammenspiel im Stoffwech-
Deutschen synonym als Gentests oder Gendiagno- sel (Metabolomics). Um eine Unterscheidung zu
stika bezeichnet. Auch die sogenannten epigeneti- den klassischen Methoden der klinischen Che-
schen Tests fallen in diese Kategorie. Epigenetik be- mie (Laboratoriumsdiagnostik) zu ermöglichen,
deutet, dass zusätzlich zur Informationsebene der werden hier neuartige Testmethoden, die Biomole-
DNS-Sequenz eine weitere, regulierende Ebene in küle (außer DNS) und damit Biomarker analysie-
Form chemischer »Anhängsel« existiert. Ein Bei- ren, als Molekulardiagnostika im weiteren Sinne be-
spiel ist die DNS-Methylierung, bei der am Basen- zeichnet (MDx i. w. S.). Darunter fallen dann auch
baustein Cytosin (Buchstabe C) eine Methylgruppe Tests basierend auf physikalischen Analysemetho-
(CH3-Gruppe) gebunden ist. Es handelt sich um den, wie die Massenspektrometrie, die häufig in den
einen reversiblen Vorgang, das heißt, die Gruppe Proteomics und Metabolomics zum Einsatz kommen.
kann gebunden oder nicht gebunden sein. Letztlich Weiterhin ist der Begriff »biomarkerbasierte
liegt damit eine Art An-/Aus-Schalter vor, der die Tests« zur Bezeichnung einer neuen Klasse an Tests,
Aktivität von Genen reguliert. die eine personalisiertere Medizin ermöglichen sol-
Im Folgenden werden die Nukleinsäure-bezoge- len, unglücklich. Denn auch Biomarker existieren
nen Tests als MDx im engeren Sinne (MDx i. e. S.) schon seit jeher in der Diagnostik. Allerdings sind
erachtet. Denn der Begriff »molekular« ist unscharf, die traditionellen Biomarker relativ unspezifisch
da auch die klassischen IVD-Methoden der Enzym- und vieldeutig und lassen so nicht immer Rück-
und Immunchemie eine molekulare Grundlage ha- schlüsse auf die tiefere Ursache einer Störung zu.
ben. Die moderne Biomarker-Forschung arbeitet Genau dies versucht dagegen die moderne Biomar-
mit neuen analytischen Methoden, um sozusagen ker-Forschung, die neue Biomarker sucht und mit-
altbekannte Biomarker-Moleküle wie Hormone hilfe molekularer Methoden der Genomik, Proteo-
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
239 3
. Tab. 3.33 Übersicht zu verschiedenen Technologien und Teilmärkten der Diagnostik. (Quelle: BioMedServices (2015))

Diagnostika

in vitro (im Reagenzglas) – IVD in vivo (bildgebend)

Technologie

Ultraschall
Anorganik
& Organik

P-G-L DNS/ Strahlen &


Immun MS KSR
[MBL] EpiG andere
Enzym

Klinische

graphie
Röntgen, CT,

Sono-
Chemie Klassische Tests MRT
Klinische PET, SPECT
Chemie
Immun-
MBx: VBP
chemie MDx
MDx MDx NBMB-Tests i. w. S. zur
Analyse – ?
i. w. S. i. e. S.
– ? HGx PGx von P-G-L
A E CDx = THx

?: mögliche Anwendung, –: eher unwahrscheinlich;A/E: angeborene/erworbene Genveränderung,


CDx: companion diagnostics, CT: Computertomographie, EpiG:Epigenetik, HGx: humaner Gentest (Krankheit),
KSR: Kernspinresonanz, MBx: mikrobieller Gentest, MBL: Metabolomics,MDx: Molekulardiagnostika,
MRT: Magnetresonanztomographie, MS: Massenspektrometrie, NBMB: neue biomarkerbasierte,
PET/SPECT: (Single-)Positronen-Emissionstomographie, PGx: pharmakogenetischer Test (Arznei),
P-G-L: Proteomics-Glycomics-Lipidomics, THx: Theranostics, VBP: virale, bakterielle oder Pilzinfektion

mik und anderer »Omics« validiert (7 Entwicklung le, bakterielle oder Pilzinfektionen testen. Diese ba-
neuer molekularer Biomarker). Validieren heißt, sierten früher auch auf Technologien der klinischen
einen tatsächlichen und ursächlichen Zusammen- und Immunchemie und werden heute zunehmend
hang zwischen einer Krankheit und einem Biomar- DNS-basiert durchgeführt (die ersten MDx waren
ker zu finden. Wenn also von biomarkerbasierten die MBx). Sie stehen auch dazwischen, weil viele
Tests die Rede ist, meint die Fachwelt damit Diag- Erreger schon länger bekannt sind, wobei immer
nostika, die auf neu identifizierten und krankheits- noch neue (Biomarker) hinzukommen.
bezogen validierten Biomarkern beruhen. Nach dem Beispiel der Gen-Probe gründeten
Zur besseren Abgrenzung werden sie hier als sich weltweit viele weitere Unternehmen, um MDx
»neue biomarkerbasierte« (NBMB)-Tests be- (i. e. S.) zu entwickeln. Auch etablierte Diagnostik-
zeichnet. Im Unterschied dazu stehen die klas- spezialisten stiegen in das Marktsegment ein, das
sischen Tests und Untersuchungsmethoden, die innerhalb der IVD das am stärksten wachsende ist.
sich auf die traditionellen Biomarker beschränken. Noch im Jahr 1990 beliefen sich die weltweiten Um-
. Tabelle 3.33 versucht die verschiedenen Techno- sätze mit MDx auf etwa 10 Mio. US$, 2013 über-
logien und Teilmärkte der Diagnostik einzuordnen. schritten sie die Grenze von 5 Mrd. US$, und sie
Dabei unterteilen sich die NBMB-Tests weiter in sollen bis 2020 laut Allied Market Research (2014a)
die HGx (humane Gentests), die auf Veranlagung auf 19 Mrd. US$ steigen. Ihr Anteil am gesamten
oder tatsächliches Vorhandensein einer Krankheit globalen Markt für IVD – den Marktanalysten auf
testen, sowie die PGx (pharmakogenetische Tests) rund 50 Mrd. US$ schätzen – liegt bei etwa 10 %. Bis
mit dem Subsegment CDx (companion diagnostics). 2020 soll er ein Viertel der erwarteten IVD-Umsät-
Zwischen den klassischen und den NBMB- ze von knapp 75 Mrd. US$ einnehmen. Das durch-
Tests stehen noch die mikrobiellen Tests (MBx), schnittliche jährliche Wachstum zwischen 2014
also solche Untersuchungsmethoden, die auf vira- und 2020 prognostiziert Allied Market Research
240 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

für die DNS-Diagnostika mit rund 10 % doppelt so wie allein unter »genetische Testung«. Für Letztere
hoch als dasjenige der IVD allgemein. Laut Pothier liegt eine reine Umsatzangabe vor: Im Jahr 2013
et al. (2013), die sich auf Frost & Sullivan beziehen, betrug er laut VDGH 11,5 Mio. €. Dies entspricht
entfällt mit derzeit 50 bis 60 % vom globalen MDx- einem Anteil von 0,6 % an allen Reagenzien-Um-
Umsatz der größte Anteil auf DNS-basierte Tests sätzen von knapp 2 Mrd. €. Darunter fällt die Dia-
zur Detektion von Krankheitserregern (MBx). Die gnose folgender Krankheiten sowie Situationen
3 genetische Testung auf Krankheiten (HGx) erreicht (leicht abgeändert nach EDMA-Klassifikation):
einen Anteil von etwa 30 %, und den Rest steuern 55 Angeborene Gen- und Chromosomendefekte:
molekulare Bluttests (Test auf virale oder bakteriel- 55 monogenetische Erkrankungen: u. a. Blu-
le Verunreinigungen, z. B. von Blutspenden) bei. terkrankheit, Chorea Huntington, Duchen-
Wie schon bei den Biopharmazeutika sind die USA ne’sche Muskeldystrophie, Friedreichs Ata-
ein wichtiger Markt für den Absatz von Molekular- xia, Tay-Sachs-Syndrom, zystische Fibrose;
diagnostika. Auch diese müssen einen Zulassungs- 55 polygenetische Erkrankungen: u. a. Alzhei-
prozess bei der FDA durchlaufen. Insofern spiegeln mer, Asthma, Atherosklerose, Bluthoch-
die von der FDA zugelassenen Tests ganz gut wider, druck, Diabetes, multiple Sklerose, Osteo-
was auf dem Markt erhältlich ist. Bis Ende 2014 gab porose;
die FDA grünes Licht für die Vermarktung von über 55 chromosomale Veränderungen: u. a.
50 humanen Gentests (. Tab. 3.34) sowie von über Down-, Edwards-, Klinefelter-, Pätau-,
150 mikrobiellen DNS-basierten Tests (. Tab. 3.35). Turner-Syndrom;
Neben den in . Tab. 3.35 genannten Krankheits- 55 Testung auf Polymorphismen (PM): z. B.
erregern zielen weitere MDx-Tests auf Enteroviren, HLA-Typisierung, Faktor-V-Leiden,
Dengue-Viren, Leishmania-Spezies sowie Gram- MTHFR-PM, Prothrombin-PM.
positive und Gram-negative Bakterien. FDA-zu- 55 Erworbene Gen- und Chromosomendefekte:
gelassene Infektionstests wurden zudem entwickelt 55 Krebs-auslösende Defekte in den Genen:
von: bioMerieux, EliTechGroup, Intelligent Medi- Breast Cancer 1/2 (BRCA 1/2), c-MYC-Pro-
cal Devices (jeweils drei); Syngene (zwei) sowie je- toonkogen, Kirsten-ras-Onkogen (KRAS),
weils ein Test von Siemens Healthcare Diagnostics, RET-Protoonkogen (rearranged during
Great Basin Scientific, Chugai Pharmaceuticals, transfection, RET), Tumorprotein 53 (p53);
Sierra Diagnostics (insolvent), GenMark Diagno- 55 Krebserkrankungen aufgrund von Chro-
stic und Organon Teknika, die heute zu Merck ge- mosomenveränderungen: akute myeloische
hören. MDx mit FDA-Zulassung brachten ferner Leukämie (AML), z. B. t(8;21) inv(16);
von staatlicher Seite hervor die U.S. Army sowie die Burkitt-Lymphom, t(8;14); chronische
Centers for Disease Control and Prevention (CDC). myeloische Leukämie (CML), t(9;22); Non-
Explizite Angaben zur Größe des deutschen Hodgkin-Lymphom, t(14;18);
MDx-Marktes gibt es in dem Sinne nicht, da der 55 Krebserkrankungen aufgrund anderer
deutsche Verband der Diagnostica-Industrie genetischer Veränderungen: vererbbare
(VDGH) der Marktsegmentierung der European Formen des familiären Darmkrebses – he-
Diagnostic Manufacturers Association (EDMA) reditäres nicht-polypöses Kolonkarzinom
folgt, die IVD in Instrumente und in Reagenzien (hereditary nonpolyposis colorectal cancer,
für folgende Bereiche aufteilt: HNPCC), adenomatöse Polyposis coli
55 klinische Chemie (APC); Überexpression von Telomerase
55 Immunchemie (65 % aller Blasentumoren) oder HER2
55 Hämatologie, Histologie, Zytologie (human epidermal growth factor receptor 2,
55 Mikrobiologie HER2-positiver Brustkrebs).
55 infektiöse Immunologie 55 Cytochrom P450-Gen-vermittelte Störungen
55 genetische Testung der Verstoffwechselung bestimmter Wirkstoffe.

DNS-basierte Tests fallen hier neben anderen Tech- Letzteres entspricht dem, was unter pharmakoge-
nologien unter die Kategorie »Mikrobiologie« so- netischen Tests (PGx) verstanden wird.
. Tab. 3.34 Diagnostikahersteller und ihre FDA-gelisteten humanen Gentests. (Quelle: BioMedServices (2015) nach FDA (2015g))

Gentest be- Vysis & Hologica Nano­ Roche Groupa Autoge- Osmetech Dako Illumina Luminex
zogen auf Abbott sphere nomics Mol. Dia. Mol. Dia.

Σ 8 7 6 4 3 3 3 3 3 Jeweils 1 Test pro Firma:

Blutgerin- 13 4 3 2 1 1 1 Cepheid
nungsstö-
rungen

Medikamen- 12 1 2 1 2 1 1 GenMark Dx, Spartan Bio-


ten-meta- science, TrimGen
bolisierende
Enzyme

Zystische 10 1 1 1 2 3 Quest, GenMark Dx


Fibrose

Brustkrebs 7 1 3 Agendia, Nanostring Tech-


nologies, Janssen Dx

B-Zell-CLL/ 4 2/2
AML
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie

Abnorme 4 3 Affymetrix
Chromoso-
men

Prostata- 2 1 Iris Mol. Dia.


krebs

Blasenkrebs 1 1

Darmkrebs 1 Exact Sciences

Eierstock- 1 Myriad Genetic Labora-


241

krebs tories

Herztrans- 1 CareDx (früher XDx)


plantationen

ainklusiveder Produkte von Gen-Probe und ThirdWave/Ventana; nur noch am Markt befindliche Firmen
ALL akute lymphatische Leukämie, CLL chronische lymphatische Leukämie, Dx Diagnostics, Mol. Dia. Molecular Diagnostics
3
3
242

. Tab. 3.35 Ausgewählte Diagnostikahersteller und ihre FDA-gelisteten mikrobiellen DNS-Tests. (Quelle: BioMedServices (2015) nach FDA (2015g), nur Firmen mit mindestens
vier Tests, einige Produkte kamen über Akquisitionen hinzu, hier ist jeweils nur die finale Mutterfirma gelistet)

Test auf Hologic/­ Roche BD Dia- Ce- Ad- Abbott Meridian Quidel Qiagen BioFire Lumi- Focus Nanos-
Gen-Probe/­ Group gnostic pheid vanDx Molecular Biosci- Diagno- nex Diagno- phere
ThirdWave Systems ence stics stics

Σ 37 16 14 13 13 6 5 5 5 5 4 4 4

Chlamydia 28 11 7 3 1 3 2
­trachomatis/
Neisseria
­gonorrhoeae

Influenza- und 23 3 1 1 1 1 1 2 3 1
­respiratorische
Viren

Staphylococcus 15 1 4 4 3 1

Clostridium difficile 13 1 2 2 2 1 1 1 1

Streptokokken 9 1 2 3 2

Hepatitis-Virus 9 1 4 3
Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Mycobacterium 9 8
Spezies

Mycobacterium 8 4 1 1 1
tuberculosis

Entercoccus 6 1 1 3

Humanes 6 4 1 1
­Papillomvirus

Verschiedene 5 3
Hefen
. Tab. 3.35 Fortsetzung

Test auf Hologic/­ Roche BD Dia- Ce- Ad- Abbott Meridian Quidel Qiagen BioFire Lumi- Focus Nanos-
Gen-Probe/­ Group gnostic pheid vanDx Molecular Biosci- Diagno- nex Diagno- phere
ThirdWave Systems ence stics stics

Escherichia coli/ 4 4
Klebsiella
­pneumoniae/
Pseudomonas
­aeruginosa

Humanes 3 1 2
­Metapneumovirus

Herpes 3 1 1 1
­simplex-Virus

Cytomegalovirus 2 1

Trichomonas 2 1
­vaginalis

Adenovirus 2 1
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie

Bacillus anthracis 1 1

Coxiella burnetii 1 1

Francisella 1 1
­tularensis

Yersinia pestis 1 1

Mycoplasma 1 1
­pneumoniae
3 243
244 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

3.1.3.2 PGx: Zu Risiken und 55 Extensive (»normale«) Metabolisierer (etwa


Nebenwirkungen fragen Sie Ihre 80 %) besitzen ein oder zwei voll funktions-
Gene fähige Allele.
Cytochrom P450 (CYP) fungiert als Enzym und 55 Bei ultraschnellen Metabolisierern (etwa
findet sich beim Menschen vor allem in der Le- 2–3 %) sind aufgrund einer Genamplifikation
ber. Es metabolisiert endogene Substrate, Umwelt- drei oder mehr Kopien funktionsfähiger Gene
3 schadstoffe, kanzerogene Stoffe und eine Vielzahl vorhanden. Sie bauen Arzneimittel so schnell
von Arzneistoffen. Laut Oetzel (2012) wurden beim ab, dass die Standarddosis kaum wirken kann.
Menschen bislang 60 verschiedene Cytochrome
P450 gefunden. Die Einteilung dieser Isoenzyme in . Tabelle 3.36 listet verschiedene Arzneistoffe so-
Familien und Unterfamilien erfolgt anhand der je- wie entsprechende Gene, mit deren Genprodukten
weiligen Ähnlichkeiten in der Aminosäuresequenz, sie in Wechselwirkung stehen können. Neben CYP
wobei sich die Bezeichnung des einzelnen Enzyms sind auch andere Gene betroffen.
an einer spezifischen Nomenklatur orientiert: Auf
das Gensymbol CYP folgt eine Zahl für die Fami- »» Medikamente wirken nicht bei allen Menschen
lie, ein Buchstabe für die Unterfamilie und eine gleich gut. Für optimale Wirksamkeit muss die
Nummer für das einzelne Enzym. Weitere für den aktive Form eines Medikaments eine bestimm-
Abbau von Medikamenten wichtige Cytochrome te Zeit im Körper verweilen können. An der
P450-Gene sind CYP2D6, CYP2C9, CYP2C19, und Aktivierung und am Abbau des Medikaments
CYP1A2. Vor allem CYP2D6 und CYP2C19 weisen ist der körpereigene Stoffwechsel maßgeblich
eine große genetische Variabilität auf. Bei den co- beteiligt, und dieser arbeitet aufgrund kleins-
dierenden Genen treten also häufiger Polymorphis- ter Unterschiede im genetischen Bauplan bei
men auf, die zu stärker beziehungsweise schwächer manchen Menschen sehr viel schneller, bei
aktiven oder funktionslosen Varianten der Enzyme anderen deutlich langsamer als im Normalfall.
führen. Aus den jeweils vorliegenden genetischen Die Folge sind Unwirksamkeiten oder Unver-
CYP-Varianten eines Patienten wiederum lässt sich träglichkeiten, in Deutschland über 200.000
sein sogenannter Metabolisierer-Status ableiten, mal pro Jahr, 58.000 mal gar mit tödlichem
also die Geschwindigkeit, mit der er die entspre- Ausgang. (humatrix 2015a)
chenden pharmazeutischen Wirkstoffe verstoff-
wechseln kann. So werden für CYP2D6 vier Typen Die kleinsten Unterschiede, also die Polymorphis-
von Metabolisierern unterschieden (Oetzel 2012): men können über einen Gentest festgestellt wer-
55 Langsame Metabolisierer (etwa 7 % der Be- den. Beispiel für Anbieter derartiger Tests sind die
völkerung) besitzen zwei nicht funktionelle deutschen Biotech-Dienstleister bio.logis (PGS.
Allele des CYP2D6-Gens. Es wird kein Protein box) und humatrix (Therapiesicherheit). Beide
gebildet und der Metabolismus verläuft extrem binden bei der Anwendung der Gentests eine ärzt-
langsam. Bei Gabe der Standarddosierung liche Beratung ein. Der Dienstleister humatrix ko-
kann es daher zu Nebenwirkungen kommen, operiert mit dem Generikahersteller Stada Arznei-
da sich der Wirkstoff anreichert. Oder aber mittel, der über seinen Bereich Stada Diagnostik
die Wirksamkeit der Therapie ist nicht aus- die DNS-Tests an Apotheken vertreibt. Auch die
reichend, wenn es sich bei dem Medikament PGS.box ist bei ausgewählten Apotheken und Ärz-
um ein sogenanntes Prodrug handelt, das erst ten erhältlich. humatrix bietet beispielsweise der-
durch die Biotransformation in seine aktive zeit Tests für folgende Medikationen an:
Wirkform umgewandelt werden muss. 55 Tamoxifen/Aromatasehemmer (adjuvante
55 Intermediäre Metabolisierer (etwa 5–10 %) Brustkrebstherapie),
besitzen ein nicht und ein eingeschränkt funk- 55 Statine (Cholesterinsenker),
tionelles Allel. Medikamente werden daher mit 55 orale Kontrazeptiva (Antibabypille),
reduzierter Aktivität verstoffwechselt. 55 5-Fluoruracil (Chemotherapie),
55 Aminoglykoside (Antibiotika),
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
245 3

. Tab. 3.36 Arzneistoffe, bei deren Anwendung ein PGx-Test sinnvoll sein kann. (Quelle: BioMedServices (2015)
nach bio.logis (2015))

Medikamenten- Wirkstoff (Auswahl) Gen


gruppe

Antiasthmatika Salbutamol ADRB2

Antidepressiva Fluoxetin, Moclobemid, Amitryptilin CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6, CYP2D6, CYP2C19

Analgetika, Antitussiva Phenacetin, Paracetamol, Codein, CYP1A2, CYP2D6, CYP2C9


­Diclofenac, Ibuprofen

Antiarrhythmika Encainid, Procainamid, Theophyllin CYP2D6, NAT2, CYP1A2

Antidiabetika Glibenclamid, Tolbutamid, Troglitazon CYP2C9

Antiepileptika Phenobarbital, Phenytoin CYP2C9

Diuretika Torasemid, Tienilinsaure CYP2C19

Hämostase Clopidogrel, Marcumar, Phenprocou- CYP2C19, ABCB1, PON1, CYP2C9, VKORC1


mon, S-Warfarin

Hormone Endogene und exogene Catechole, COMT-Genotypisierung (p.Val158Met),


­L-Dopa, Östrogen, Tamoxifen CYP2C19, CYP2C9, CYP3A4, CYP3A5, SULT1A1,
UGT2B15

Neuroleptika Haloperidol, Clozapin CYP2D6

Protonen-pumpen- Omeprazol, Lansoprazol, Pantoprazol CYP2C19


hemmer

Statine Fluvastatin, Simvastatin CYP2C9, SLCO1B1, CYP3A4

Tranquillanzien Diazepam CYP2C19

Xenobiotika, Giftstoffe Xenobiotika, kanzerogene Stoffe GST

Zytostatika 5-Fluoruracil (5-FU), Capecitabin, Azat- DPD, TPMT, UGT1A1


hioprin, 6-Mercaptopurin, 6-Thioguanin,
Irinotecan

Zytostatika, Bioverfüg- Digoxine, Anthracycline, Taxane, Vincaal- ABCB1 (alte Bezeichnung MDR1)
barkeit Arzneimittel kaloide

55 Clopidogrel (Infarkt- und Schlaganfallvor- Enzyme wandeln auch sogenannte Prodrugs um.
beugung), Wenn dies aufgrund einer Genvariante nicht aus-
55 Antidepressiva (Therapie psychischer reichend pasiert, kann das gegebene Medikament
Störungen). allein aufgrund fehlender Bioverfügbarkeit nicht
wirken. Der Fall ist dies beispielsweise bei dem
Bei Kenntnis der individuellen Gen- und damit En- Brustkrebs-Medikament Tamoxifen wie der Verein
zymvariante kann eine Medikation über die Aus- mamzone informiert (7 CYP2D6: neue Erkenntnis-
wahl der »richtigen« Substanzen und/oder über die se zu Wirkung und Nicht-Wirkung von Tamoxi-
Bestimmung der optimalen Dosis zielgerichteter fen). Ähnliches gilt für den Wirkstoff Clopidogrel,
sein als ohne sie wie das Unternehmen humatrix der nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall der
mitteilt (7 DNA-Analysen ermöglichen Therapieopti- Bildung neuer Blutgerinnsel vorbeugen soll. Kli-
mierung bei Depression). nische Studien zeigen jedoch, dass es trotzdem
Im Grunde noch viel wichtiger ist, dass ein Me- häufiger zu erneuten kardiovaskulären Ereignis-
dikament überhaupt wirken kann. Denn die CYP- sen kommt, vor allem bei Patienten mit Stent-Im-
246 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

DNA-Analysen ermöglichen Therapieoptimierung bei Depression


»Bei der Behandlung von Depres- Einnahme oder unterbinden die möglich ist, lässt dagegen fest-
sionen mit Psychopharmaka ist notwendige Therapietreue. Der Ein- stellen, ob der Patient eine normale
das Erreichen und Einhalten des satz eines therapieoptimierenden oder veränderte Abbaurate auf-
Wirkspiegels von entscheidender Tests per DNA-Analyse kann daher weist. Nur etwa 50 % der Patienten
3 Bedeutung für den Therapieerfolg.
Bei vielen Patienten wird nur per
nicht nur aus Sicht des Patienten,
sondern auch aus Sicht der Sozial-
weisen in zwei maßgeblich beteilig-
ten Leberenzymen normale Aktivität
‚trial and error‘ der für sie richtige träger wertvolle Zeit zur Identi- auf. Für die übrigen 50 % wird die
Wirkstoff und Wirkspiegel gefunden. fikation der passenden Medikation Standarddosis nicht zum gewünsch-
In dieser Zeit sind sie meist arbeits- sparen. … Ausschlaggebend für die ten Wirkspiegel führen, da der
unfähig, mitunter in stationärer Verträglichkeit und Wirksamkeit von Wirkstoff zu schnell oder zu langsam
Behandlung. DAK-Gesundheit und Medikamenten ist unter anderem abgebaut wird. Für jeden Patienten
die Techniker Krankenkasse mel- auch der individuelle Stoffwechsel. mit veränderten Abbauraten kann
den aktuell neue Höchststände an Da viele Antidepressiva von Leber- eine klare Handlungsempfehlung
Fehltagen bei den Arbeitnehmern enzymen abgebaut werden, die aus den Analyseergebnissen abge-
aufgrund von psychischen Erkran- sich in ihrer Aktivität von Mensch zu leitet werden. Je nachdem, ob eines
kungen. Demnach entfielen 2014 Mensch stark unterscheiden kön- oder beide Enzyme betroffen sind
knapp 17 Prozent aller Ausfalltage nen, stellt sich die Dosierung gemäß und ob die Aktivität erhöht oder
auf Depressionen, Angststörungen Beipackzettel, also eine einheitliche erniedrigt ist, ergeben sich ent-
und andere psychische Erkrankun- Dosisangabe für alle Patienten, oft weder Dosisanpassungen oder die
gen. Auftretende Nebenwirkungen, als nicht zielführend dar. Eine indi- Empfehlung, bestimmte Wirkstoffe
die bei Antidepressiva häufig sind, viduelle Aktivitätsbestimmung, wie zu meiden« (humatrix 2015b).
erschweren zudem die regelmäßige sie durch moderne DNA-Analysen

CYP2D6: neue Erkenntnisse zu Wirkung und Nicht-Wirkung von Tamoxifen


»Tamoxifen, das traditionelle Me- Leber zu Endoxifen werden kann, 55 Es gibt aber auch Frauen, bei
dikament für eine antihormonelle muss das Enzym CYP2D6 in Aktion denen zu viel CYP2D6-Genakti-
Behandlung von hormonsensiblem treten. CYP2D6 ist eines von vielen vität vorliegt. Sie bauen Tamo-
Brustkrebs, macht seit einigen Jah- Mitgliedern der großen Cytochrom- xifen so schnell ab, dass sein
ren bei jenen Genforschern von sich P450-Genfamilie. Einige dieser, von aktiver Bestandteil Endoxifen
reden, die sich mit der Verstoffwech- Genen gesteuerten Leberenzyme nur Nebenwirkungen macht,
slung eines Medikaments durch den sind für die Verstoffwechslung von aber keine Zeit für die vorgese-
individuellen Menschen mit seiner Medikamenten von großer Bedeu- henen Wirkungen hat. Frauen
unterschiedlichen genetischen Aus- tung. Leider hat das CYP2D6-Gen mit diesem Gen-Make-up sind
stattung beschäftigen. Diese Wis- einen Haken. Es existiert in rund 70 die ‚ultraschnellen Verstoff-
senschaftler heißen Pharmakogene- verschiedenen Varianten. 16 dieser wechsler‘.
tiker. 2004 haben sich diese Forscher Genvarianten haben zur Folge, dass 55 Nur Frauen, die das CYP2D6-
auch mal Tamoxifen vorgeknöpft das für die Tamoxifen-Wirkung so Gen in seiner ursprünglichen
und entdeckt, dass Tamoxifen seine wichtige CYP2D6-Enzym erst gar Reinform besitzen und mindes-
volle antiöstrogene Wirksamkeit erst nicht gebildet wird. Rund 7 Prozent tens ein, manchmal auch zwei
durch eine ‚Weiterverdauung‘ in der der Bevölkerung fehlt dieses Enzym funktionsfähige Gene haben,
Leber zum aktiven Stoffwechselpro- komplett. können von Tamoxifen die
dukt Endoxifen entfaltet. Deshalb ist 55 Frauen mit Brustkrebs, die optimale Wirkung erwarten,
Tamoxifen – ähnlich wie die Chemo- Trägerinnen einer genetischen nach neuesten Studien sogar
Pille Capecitabine (Xeloda) – ein Variante mit zu niedriger oder eine bessere Wirkung als die
‚Vorstufenmedikament‘, ‚Prodrug‘ fehlender CYP2D6-Aktivität von Aromatasehemmern. Sie
genannt. So nennt man ein Medika- sind, ziehen keinen oder einen sind die ‚extensiven Verstoff-
ment, das sich erst durch die Ein- nur geringen Nutzen aus ihrer wechsler‘, weil sie vollen Benefit
schaltung weiterer Enzyme zu dem Behandlung mit Tamoxifen. Sie aus dem Medikament ziehen«
entwickelt, was es eigentlich be- gehören zu den ‚langsamen (Goldmann-Posch 2015).
wirken soll. Damit Tamoxifen in der Verstoffwechslern‘.
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
247 3
plantaten. Findet ein Test die Genvariante, die den Nicht in . Tab. 3.37 gelistet ist ein Test, bei dem
Wirkstoff schlechter metabolisiert, können Ärzte der Biomarker-Nachweis auf einem bildgebenden
besser wirksame Substanzen wie Ticagrelor und Verfahren beruht. Dies betrifft einen Test zum Ein-
Prasugrel verschreiben. satz des Medikamentes Exjade (Deferasirox), das
Nicht nur die CYP-Gene spielen eine Rolle überschüssiges Eisen (auch Eisenüberladung ge-
wie . Tab. 3.36 zeigt. So verursacht ein bestimmter nannt) aus dem Körper bindet und entfernt. Eine
SLCO1B1-Genotyp eine Statin-Unverträglichkeit. Eisenüberladung kommt bei verschiedenen Erkran-
Statine (Simvastatin, Atorvastatin, Fluvastatin, kungen vor und kann mit der Zeit wichtige Organe
Rosuvastatin) senken den Cholesterinspiegel und wie die Leber oder das Herz schädigen. Der Ferri-
sollen damit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkran- scan-Test von der Firma Resonance Health Analysis
kungen reduzieren. Genpolymorphismen betreffen Services basiert auf einer Magnetresonanz-Analyse,
hier mehrere Transporterproteine, die nach der einem bildgebenden Verfahren. Er ist insofern kein
oralen Einnahme die Resorption des Wirkstoffs in vitro-, sondern ein in vivo-Diagnostikum, das
aus dem Darm sowie dessen Ausscheidung aus dem heißt, CDx finden sich nicht nur in der IVD-Kate-
Organismus regulieren. Die verschiedenen Statine gorie. Innerhalb der IVD-CDx können – wie schon
werden teilweise über unterschiedliche Transport- genannt – molekularbiologische oder immunche-
wege resorbiert und ausgeschieden. Dies bedeutet, mische, aber auch zellbasierte Verfahren wie die
dass sich eine genetische Veränderung nicht bei je- Durchflusszytometrie zum Einsatz kommen.
dem Statin gleich auswirken muss. So kann zum Das erste CDx ließ die FDA im August 2000 zu:
Beispiel Rosuvastatin in Standarddosis bei einem INFORM HER-2/NEU von Ventana Medical Sys-
Patienten problematisch sein, während er Pravas- tems als Begleittest zu dem im September 1998 zu-
tatin normal einnehmen kann. gelassenen Herceptin zur Behandlung von HER2-
positivem Brustkrebs. Er basiert auf der sogenann-
3.1.3.3 
Companion diagnostics (CDx): ten FISH-Technologie, das steht für Fluoreszenz-in
Therapie und Diagnostik im situ-Hybridisierung. Im Gegensatz zur klassischen
Tandem in situ-Hybridisierung (7 In situ-Hybridisierung
Eine spezielle Anwendung der PGx sind die so- (ISH), auch Basis für FISH) erfolgt hier die Detektion
genannten companion diagnostics, auch CDx ab- nicht über Radioaktivität, sondern unter der Ver-
gekürzt. Companion steht für Begleiter, das heißt, wendung von mit unterschiedlichen Fluoreszenz-
diese Tests begleiten diejenigen Medikamente, die farbstoffen markierten Gensonden. Diese Technik
nur noch nach einem obligatorischen Vortest auf ermöglicht es, die Lage mehrerer Gene gleichzeitig
bestimmte genetische Merkmale gegeben werden zu untersuchen. Der Herceptin-Hersteller Roche,
dürfen (»personalisierte Medizin«). Getestet wird der neben Medikamenten auch Diagnostika ent-
der in der pharmakogenetischen Information an- wickelt, kaufte Ventana Medical Systems im Jahr
gegebene Biomarker, in der Regel eine Genver- 2008 für 3,4 Mrd. US$. Bereits 1986 gründeten die
änderung. Nur bei der passenden Subgruppe an Schweizer eine Abteilung für diagnostische Pro-
Patienten sind die Arzneien dann wirksam. CDx dukte. Neben der Ausarbeitung neuer diagnos-
werden heutzutage oft parallel zum entsprechen- tischer Tests stand auch immer die Entwicklung
den Therapeutikum entwickelt und im Idealfall von Geräten zur automatischen Durchführung
gleichzeitig zugelassen. Die von der FDA bereits von Analysen im Vordergrund. Der Kauf der PCR-
freigegebenen CDx listet . Tab. 3.37. Mit Stand Juli Rechte im Jahr 1991 wurde bereits erwähnt. Durch
2015 umfasst sie 22 Tests von zehn Firmen zu 14 den Erwerb von Boehringer Mannheim 1998 wurde
Wirkstoffen, die bis auf einen auf Krebserkrankun- Roche laut eigenen Angaben im Diagnostikbereich
gen zielen. Der Nachweis der Biomarker erfolgt weltweit marktführend, und zwar sowohl hinsicht-
mit unterschiedlichen Technologien: DNS-basiert lich der Bandbreite des Produktsortiments als auch
sind Hybridisierungs- sowie PCR-Technologien, in Bezug auf seine geographische Präsenz. Die
zudem gibt es immunreaktionbasierte Tests (z. B. Kombination von Know-how zu Biopharmazeutika
IHC). und Diagnostika ist für die Entwicklung von CDx
248 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.37 Von der FDA gelistete Begleittests (CDx) zu mutationsbezogenen Medikamenten. (Quelle: BioMed-
Services (2015) nach Nicolaides et al. (2014) und FDA (2015h))

Medikament Biomarker (Krebs) Technologie FDA Hersteller

Herceptin (Trastuzumab) HER2 (Brust) FISH 2000 Ventana (< Roche)

IHC 2005 Biogenex Laboratories


3
IHC 2012 Leica Biosystems

CISH 2012 Life Technologies (< Thermo)

FISH 2013 Abbott Molecular

IHC 2013 Ventana (< Roche)

CISH 2013 Dako

ISH 2013 Ventana (< Roche)

Erbitux (Cetuximab), Vectibix EGFR (Darm) IHC 2006 Dako


(Panitumumab)

Glivec (Imatinib) c-kit (GIST) IHC 2012

Herceptin (Trastuzumab), HER2 (Brust) IHC 2013


Perjeta (Pertuzumab), Kadcyla
FISH 2013
(Ado-Trastuzumab Emtansin)

Erbitux (Cetuximab) KRAS (Darm) RT-PCR 2012 Qiagen

Gilotrif (Afatinib) EGFR (Lunge) RT-PCR 2013

Vectibix (Panitumumab) KRAS (Darm) RT-PCR 2014

Tarceva (Erlotinib) EGFR (Lunge) RT-PCR 2013 Roche Molecular Systems

Zelboraf (Vemurafenib) BRAF (Haut) RT-PCR 2013

Erbitux (Cetuximab), Vectibix KRAS (Darm) RT-PCR 2015


(Panitumumab)

Xalkori (Crizotinib) ALK (Lunge) FISH 2013 Abbott Molecular

IHC 2015 Ventana (< Roche)

Mekinist (Tramatenib), Tafinlar BRAF (Haut) RT-PCR 2013 bioMerieux


(Dabrafenib)

Lynparza (Olaparib) BRAC (Eierstock) PCR 2014 Myriad Genetic Laboratories

< übernommen von, CISH Chromogen-in situ-Hybridisierung, FISH Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung, GIST gastro-
intestinaler Stromatumor, IHC Immunhistochemie, ISH in situ-Hybridisierung, PCR Polymerasekettenreaktion, RT-PCR
Real-Time-PCR

von großem Vorteil, sodass Roche hier ein umfang- meidung von Nebenwirkungen sowie um eine Vor-
reiches Portfolio aufweisen kann (. Tab. 3.38). schrift oder Therapie-Empfehlung bei noch ande-
Neben den in . Tab. 3.37 gelisteten Tests, die die ren Arzneien. So listet der vfa – mit Bezug auf die
FDA als CDx erachtet, gibt es noch weitere Tests, EMA – weitere Wirkstoffe, vor deren Anwendung
die begleitend eingesetzt werden können. Dabei in Deutschland ein Gentest (oder ein Test, der den
geht es um die Überwachung beziehungsweise das Genstatus indirekt ermittelt) vorgeschrieben oder
Monitoring von Therapieverläufen, um die Ver- empfohlen wird. Bezüglich Nebenwirkungen ist
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
249 3

In situ-Hybridisierung (ISH), auch Basis für FISH


»Ein besonderes Verfahren der oder nicht-radioaktiv markierten entfernen, wird der behandelte
Nucleinsäurehybridisierung, das Gensonde hybridisiert zu werden. Schnitt mit Fotoemulsion beschich-
bei fixierten Zellen oder Gewebe- Dabei tritt aufgrund der komple- tet, die ähnliche Eigenschaften
schnitten zur Anwendung kommt, mentären Basenpaarung zwischen wie ein Röntgenfilm besitzt (Auto-
um die Expression bestimmter Gene dem als Sonde verwendeten radiographie). Über den Zell- oder
in ausgewählten Zell- bzw. Gewebe- DNA- oder RNA-Fragment und den Gewebeschnitten lassen sich bei
typen zu untersuchen. Zu diesem nachzuweisenden mRNA-Molekülen mikroskopischer Betrachtung später
Zweck werden die i. d. R. mit einem eine stärkere Interaktion auf, als mit mikroskopisch große Silberkörner
Ultramikrotom erzeugten Schnitte anderen mRNAs. Nach mehreren an den Stellen finden, an denen das
zunächst fixiert und entwässert, um Waschschritten, die dazu dienen, zu untersuchende Gen exprimiert
anschließend mit einer radioaktiv alle unspezifischen Bindungen zu wird« (Spektrum 2001).

ein Test Pflicht beim Wirkstoff Abacavir, einem 3.1.3.4 MDx, CDx, Biomarker und
Mittel gegen HIV-Infektionen. Weist ein Patient biomarkerbasierte Medizin: Quo
das sogenannte HLA-B*5701-Allel auf, so ist sein vadis?
Risiko für eine Überempfindlichkeit gegenüber Marktprognosen zur Entwicklung des gesamten
dem Wirkstoff erhöht. Dies betrifft zwar nur 5 % weltweiten IVD- und MDx-Marktes wurden be-
aller Patienten, die Hälfte davon kann aber schwe- reits angesprochen: Im Jahr 2020 soll dieser nach
re Nebenwirkungen erleiden. Empfohlen wird ein einer Analyse von Allied Market Research (2014b)
Test bei den Substanzen Azathioprin, Carbamaze- 75 Mrd. US$ für alle IVD und knapp 20 Mrd. US$
pin, Mercaptopurin, Natalizumab, Oxcarbazepin für die MDx (i. e. S.) erreichen, jeweils ausgehend
sowie Simvastatin. Weitere Informationen dazu von 50 und 5 Mrd. US$. Andere Quellen schätzen
und laufende Updates finden sich auf der Webseite den Markt in Zukunft wesentlich kleiner ein. So
des vfa (vfa 2015b). prognostizierten MarketsandMarkets (2014) den
Bezüglich der Wirksamkeit listet der vfa MDx-Markt auf 8 Mrd. US$, allerdings für das
Pflichttests für die in . Tab. 3.39 genannten Wirk- Jahr 2018.
stoffe. Die ersten Vorschriften dieser Art gibt es für Bei der Prognose der Entwicklung des Marktes
Brustkrebs bereits seit den 1990er-Jahren. Sie beru- für Biomarker kommen Analysten dagegen auf hö-
hen auf der Feststellung, dass Brusttumoren häufig here Zahlen: Visiongain (2013) schätzte diesen im
hormonabhängig wachsen. Entsprechend sind sie Juli 2013 für das Jahr 2018 auf rund 30 Mrd. US$,
über eine anti-hormonelle Medikation zu behan- ausgehend von 16 Mrd. US$ im Jahr 2012. Aller-
deln. Dies sind entweder Anti-Östrogene (z. B. Ta- dings steuern hier – wie zuvor erläutert – nicht nur
moxifen), die verhindern, dass Krebszellen Östro- DNS-basierte Technologien bei, sondern zum Bei-
gen aufnehmen, indem sie sich stattdessen an den spiel auch die Segmente Proteomics beziehungswei-
Östrogen-Rezeptor anlagern. Oder, es sind Aroma- se Metabolomics mit entsprechenden Analyseme-
tasehemmer (z. B. Anastrozol, Letrozol oder Exe- thoden. MarketsandMarkets (2013) veröffentlichte
mestan), die das Enzym Aromatase blockieren, das im September 2013 eine Umsatzprognose für 2018
Östrogen-Vorstufen in Östrogen wandelt. Beide in Höhe von 41 Mrd. US$ und BCC Research (2014)
Medikamente sind nur wirksam, wenn der Tumor erhöhte im Mai 2014 auf 54 Mrd. US$, ausgehend
hormonsensitiv ist, also Rezeptoren für Östrogen von einem 2013er-Markt von 29 Mrd. US$. Die
und/oder Progesteron aufweist. Dies untersuchen Validität dieser Zahlen lässt sich vom Autor nicht
die schon lange bestehenden Pflichttests, wohin- nachprüfen, Angaben von renommierten Analys-
gegen sich die DNS-basierten Tests für Brustkrebs ten-Häusern wie Frost & Sullivan waren nicht kos-
dann auf die neue Klasse der HER2-Rezeptoren be- tenfrei zugänglich. Dabei wird der Markt für Bio-
ziehen. marker nicht nur aus diagnostischen »Endtests« für
250 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.38 CDx-Tests von Roche (in Entwicklung oder auf dem Markt). (Quelle: BioMedServices (2015) nach
Roche (2012, 2013))

Virus/Krebs/Krankheit Medikamenta Test auf Techno- Typ


logie

Virologie CMV Valcyte Viruslast PCR ÜW


3 HBV Pegasys u. a. antivirale Medikamente Viruslast PCR ÜW

HBV Pegasys (Merck & Co.) HBV-Antigen IY ÜW

HCV Pegasys (Merck & Co.) Viruslast PCR ÜW

HCV Mericitabin (Intermune) Viruslast PCR ÜW

HCV Danoprevir (Intermune) Viruslast PCR ÜW

HIV Antivirale Medikamente Viruslast PCR ÜW

HIV Ziagen (GlaxoSmithKline) HLA-B 5701-Genotyp PCR NW

Onko- Brust Herceptin, Perjeta, Kadcyla (Roche) HER2-Expression/ IHC, ISH MA


logie Genamplifikation

Brust Tamoxifen u. a. Hormontherapien ER/PR-Expression IHC MA

Darm Erbitux (Merck), Vectibix (Amgen) KRAS-Mutationen PCR MA

Magen Herceptin (Roche) HER2-Expression/ IHC, ISH MA


Genamplifikation

Haut Zelboraf (Roche/Daiichi Sankyo) BRAF-V600E-Mu- PCR MA


tation

Lunge Tarceva (AstraZeneca) EGFR-Mutationen PCR MA

Lunge Xalkori (Pfizer), Alectinib (Chugai) ALK IHC MA

Lunge Anti-PDL1 (RG7446) PDL1 IHC MA

– Unbenannter Wirkstoff (Merck) p53-Mutationen MY MA

Lymphom Brentuximab vedotin (Seattle Genetics/ DC30-Expression IHC MA


AstraZeneca)

Lunge TG4010 (Transgen) MUC1-Expression IHC MA

Entzün- Rheumatoide MabThera/Rituxan (Roche) RF, Anti-CCP-AK IY MA


dung Arthritis

Asthma Lebrikizumab (RG3637) Serum Periostin IY MA

Andere GA (Auge) Lampalizumab (RG7417) Komplementfaktor D PCR MA

Osteoporose Bonviva/Boniva u. a. Bisphosphonate B-Crosslaps; P1NP IY ÜW

Transplan- CellCept MPA-Level IY ÜW


tation

Kursiv: in Entwicklung (Tests für aktuell nicht mehr in Pipeline gelistete Medikamente gestrichen)
aHandelsname und anbietende/entwickelnde Firma in Klammern, falls noch kein Handelsname, Wirkstoffbezeich-
nung (wenn RG, dann von Roche)
AK Antikörper, ALZ Alzheimer, GA geographische Atrophie, IHC Immunhistochemie, ISH in situ-Hybridisierung,
IY Immunassay, MA Medikamentenauswahl, MY Mikroarray, NW Nebenwirkung, PCR Polymerasekettenreaktion,
ÜW Überwachung
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
251 3

. Tab. 3.39 Vom vfa gelistete diagnostische Pflichttests für Medikamenten-Anwendungen. (Quelle: BioMedSer-
vices (2015) nach vfa (2015c) – Stand: Februar 2015)

Krankheit Wirkstoff Anwendung nur wenn Seit

Krebs Brust Tamoxifen Test auf Östrogen- und/oder Progesteron-Rezeptoren empfohlen


positiv
Toremifen 02/1996

Anastrozol 06/1996

Letrozol 01/1997

Exemestan Test auf Östrogen-Rezeptor positiv 12/1999

Fulvestrant Test auf Östrogen- und/oder Progesteron-Rezeptoren 03/2004


positiv

Lapatinib Test auf HER2/neu-Überexpression 06/2008

Everolimus Test auf HER2/neu-Expression negativ 07/2012

Lunge Gefitinib Test auf aktivierende Mutationen des EGFR-Rezeptors 07/2009


positiv

Schild- Vandetanib Test auf RET(rearranged during transfection)-Mutation 02/2012


drüse positiv

Hodgkin Brentuximab Test auf CD30-Überexpression positiv (erfolgt bei 10/2012


Vedotin ­Erstdiagnose)

Blut- APL Arsentrioxid Test auf Promyelozytenleukämie-/Retinsäure-Rezeptor- 03/2002


krebs alpha(PML/RAR-alpha)-Gen positiv

ALL Dasatinib Test auf Philadelphia-Chromosom positiv 11/2006

Ponatinib 07/2013

CML Nilotinib 11/2007

Bosutinib 03/2013

CLL Ibrutinib Anwendung als Erstlinientherapie nur bei positivem Test 10/2014
auf Vorhandensein einer 17p-Deletion oder einer TP53-
Mutation

An- HIV-In- Maraviroc Test auf Kombinationstherapie-resistente, an den 09/2007


dere fektion ­ CR5-Rezeptor andockende CCR5-trope HI-Viren positiv
C

Mukovis- Ivacaftor Anwendung nur bei positivem Test auf bestimmte Muta- 07/2012
zidose tionen im CFTR-Gen (z. B. G551D, G1244E, S1251N, S1255P)

Erhöhte Lomitapid Test auf homozygote familiäre Hypercholesterinämie empfohlen


Blutfette positiv 07/2013

DMD Ataluren Test auf nonsense-Mutation im Dystrophie-Gen positiv 07/2014

Morbus Eliglustat Test auf Metabolisierungstyp in Bezug auf Cyto- 01/2015


Gaucher chrom-P450 Typ 2D6 (CYP2D6)

Hinzu kommen diejenigen CDx bzw. Medikamente, die von der FDA gelistet werden (. Tab. 3.37)
ALL akute lymphatische Leukämie, APL akute Promyelozytenleukämie, CLL chronische lymphatische Leukämie,
CML chronische myeloische Leukämie, DMD Duchenne’sche Muskeldystrophie
252 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Lun-
ge ALK 33

KRAS 27

EGFR 15
Darm

BMP3 9
3
NDRG4 5
MM

EGR1 22

© BioMedServices 2015
BRCA1 21
Eierstock

BRCA2 20

He4 9
GIST Haut Prostata Brust CML

D13S319

TOP2A 15

PCA3 14

p63 4

BRAF 9

c-Kit 6 Jahre

0 5 10 15 20 25 30 35

. Abb. 3.30 Dauer der Entwicklung klinisch validierter und zugelassener Krebs-Biomarker. Erstellt nach Daten von Am-
plion Research (Audette 2015a). Die Grafik zeigt die Dauer von der erstmaligen Erwähnung des Biomarkers in der wissen-
schaftlichen Literatur bis zum zugelassenen Test. CML chronische myeloische Leukämie, GIST gastrointestinaler stromaler
Tumor, MM multiples Myelom

Patienten bestehen, sondern sie spielen eine immer Und nicht nur Wissenschaft und Technik stel-
größere Rolle im Entwicklungsprozess der Medika- len eine Herausforderung dar. Wie bei den Aus-
mente und bei der Erforschung von Krankheiten. führungen zur personalisierten Medizin bereits
So setzen auch die biopharmazeutische Industrie angesprochen, ist – was den gesamten Bereich der
und die Forschung auf die weitere Entdeckung und Genetik und molekularen Medizin betrifft – der
Validierung von Biomarkern. Studien haben ge- Bedarf an Aus- und Weiterbildung in den Gesund-
zeigt, dass Biomarker-stratifizierte Studiengruppen heitsberufen noch groß. Auch in der allgemeinen
die Ausfallrate bei der Medikamenten-Entwicklung Bevölkerung beziehungsweise bei Patienten sind
senken kann. die Kenntnisse der Reichweite der genetischen Tes-
Nicht zu unterschätzen ist allerdings der wis- tung beschränkt. Oft spielen zudem ethische Fra-
senschaftlich-technische Aufwand, den »richtigen« gestellungen eine Rolle, die hier nicht abgewürdigt
Biomarker zu finden, der auch klinisch validiert ist, werden sollen. Vielmehr muss es darum gehen, die
das heißt nicht nur im Labormaßstab, sondern auch verschiedenen Interessenslagen durch Informa-
im Klinikalltag tatsächlich einen Zusammenhang tion, Kommunikation und Transparenz zu einen.
mit Diagnose und Therapie einer Krankheit zeigt. Diesem Ziel hat sich auch die Personalized Me-
So dauerte es von der erstmaligen Erwähnung des dicine Coalition (PMC) verschrieben, die ein im Jahr
ALK-Biomarkers in einer wissenschaftlichen Ver- 2004 erfolgter Zusammenschluss von 20 Institutio-
öffentlichung bis zur FDA-Zulassung eines entspre- nen mit heute 230 Mitgliedern ist. . Tabelle 3.40
chenden Tests mehr als 30 Jahre (. Abb. 3.30). stellt ein paar Fakten zusammen, die die PMC zur
3.1 • Rote Biotechnologie: biopharmazeutische und Diagnostika-Industrie
253 3

. Tab. 3.40 Biomarkerbasierte (personalisierte) Medizin nach Zahlen. (Quelle: BioMedServices (2015) nach PMC
(2015))

Arzneien auf dem Markt Arzneien in der (prä-)klinischen Entwicklung/klinische Studien

1 % haben ein CDx 30 % in später Phase stützen sich auf Biomarker

10 % informieren über oder empfehlen eine 50 % in früher Phase stützen sich auf Biomarker
genetische Testung für eine optimale Therapie

17.000 Schlaganfälle könnten jedes Jahr verhin- 60 % in der Präklinik stützen sich auf Biomarker
dert werden, wenn der Blutverdünner Warfarin
50 % sammeln DNS von Patienten zur Unterstützung der Biomar-
nach einem genetischen Test dosiert würde
ker-Entwicklung

604.000.000 US$ an jährlichen Ausgaben 30 % aller in einem Survey befragten Firmen setzen auf Biomarker
könnten gespart werden, wenn Darmkrebs-Pa- für alle in Entwicklung befindlichen Produkte
tienten vor Behandlung das KRAS-Gen getestet
bekämen

Notwendige Erweiterung der ökonomischen Evaluationen


»Die Übersicht über die bisherigen Nutzen von neuen medizinischen ein umfassenderes Nutzenkonzept
ökonomischen Evaluationen im Behandlungen und Medikamenten als QALYs herangezogen werden
Bereich der Pharmakogenomik zeigt verglichen werden, an ihre Grenzen muss, um den gesamten Nutzen von
zum einen, dass immer mehr solcher stoßen. … Personalisierte Medizin genetischen Tests in ökonomischen
Studien durchgeführt werden. Zum [passt in den meisten Ländern] Evaluationen berücksichtigen zu
andern scheint sich die Kosten- eigentlich nicht in das bestehende können. … Bevor diese Forderungen
Nutzwert-Analyse mit den QALYs als Regelwerk von HTA- und Vergü- nach einer neuen Form von öko-
Nutzenkomponente als Standard- tungsprozessen … Insbesondere in nomischen Evaluationen für strati-
methode zu etablieren, wie sie auch der Bewertung der Zusatznutzen fizierte Medizin nicht umgesetzt
in anderen Bereichen des HTA breit [bestehen] … große Herausforde- sind, wird es kaum möglich sein,
angewendet wird. Diese Entwick- rungen gegenüber anderen Be- die Frage nach dem Kosten-Nutzen-
lung muss grundsätzlich infrage reichen des HTA. Der Nutzen aus Verhältnis empirisch umfassend
gestellt werden. Eine stratifizierte pharmakogenetischen Verfahren und befriedigend zu beantworten«
Medizin weist Besonderheiten auf, ist deutlich komplexer und wird (Eckhardt et al. 2014).
die dazu führen, dass die üblichen durch viele Faktoren beeinflusst.
Methoden, mit denen Kosten und … Es scheint unausweichlich, dass

biomarkerbasierten (personalisierten) Medizin 2015 Im Bereich der Pharmakogenetik wurden in


veröffentlichte. Ein Punkt spricht ökonomische Vor- den letzten Jahren vor allem in den USA und in
teile an (Kosteneinsparungen). Entsprechende Zah- Großbritannien bereits erste ökonomische Evalua-
len und Thesen fallen allerdings je nach Studie recht tionen beziehungsweise HTA durchgeführt. Laut
unterschiedlich aus und sind daher noch recht um- Eckhardt et al. (2014) lassen diese jedoch noch
stritten. Ob ein Diagnostikum oder ein Therapeuti- keine Schlussfolgerungen zum Kosten-Nutzen-
kum neben den medizinischen auch ökonomische Verhältnis der stratifizierten Medizin zu, da Me-
Vorteile bringt, wird durch sogenannte pharmako- thodiken bisher inkonsistent angewendet wurden
ökonomische Analysen festgestellt. Synonym stehen und die Qualität der Analysen anzuzweifeln ist. So
Health Economics & Outcome Research (HEOR) sprechen sie sich für die Notwendigkeit neuer und
oder Health Technology Assessment (HTA), wobei erweiterter Bewertungsmethoden aus (7 Notwen-
Letztere einen breiteren multidisziplinären Ansatz dige Erweiterung der ökonomischen Evaluationen).
im Rahmen einer ganzheitlichen Analyse verfolgt.
254 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Industrielle Biotechnologie: eine kurze Übersicht


»Industrial biotechnology – also de oil is used as a feedstock in the fibres used in both construction and
known as white biotechnology – production of chemicals and fuels. household applications, biodegra-
uses enzymes and micro-organisms In this way, industrial biotechnology dable plastics, biofuels, lubricants
to make bio-based products in could save energy in production and industrial enzymes such as
3 sectors as diverse as chemicals,
food and feed, healthcare, deter-
processes and could lead to signifi-
cant reductions in greenhouse gas
those used in detergents or in paper
and food processing. Biotechno-
gents, paper and pulp, textiles and emissions, helping to fight global logical processes also constitute a
bioenergy. The process works by warming. It can also lead to impro- key element in the manufacturing
transforming biomass – e.g. agricul- ved performance and sustainability of some antibiotics, vitamins, amino
tural (by)products, organic waste, for industry and higher value pro- acids and other fine chemicals« (KET
algae – into biofuels and biobased ducts. Bio-based products already 2011).
chemicals, in the same way as cru- on the market include biopolymer

3.2 Weiße Biotechnologie: und industrieller Anwendung stand, galten


industrielle, vor allem chemische biotechnologische Verfahren bis weit in die
Produktion siebziger Jahre hinein in der deutschen Groß-
chemie als theoretisch kaum durchdrungen,
Obwohl bisher die meiste Musik bei den An- weshalb man ihnen wenig Zukunftspotential
wendungen der Roten Biotechnologie spielt, sind zusprach. Das änderte sich mit Aufkommen
diejenigen der Weißen Biotechnologie nicht zu der Gentechnik. Als die bundesdeutsche In-
unterschätzen. Allerdings sind sie noch schwerer dustrie angesichts der rasanten Entwicklungen
zu fassen beziehungsweise sichtbar als die neuen in den USA den Anschluss an diese Profit ver-
Medikamente und Diagnostika. An sich nimmt sprechende Technologie zu verpassen drohte,
die Biotechnologie, vor allem in der chemischen revidierte sie Anfang der achtziger Jahre ihre
Industrie, derzeit den dritten Anlauf, um sich als Haltung gegenüber der Biotechnologie und
Produktionstechnologie zu beweisen. versuchte sich diese als Geschäftsfeld zu er-
Wieland (2012) verdeutlicht den ersten und schließen. (Wieland 2012)
letzten Versuch und bezieht sich dabei auf die um-
fassenden technikgeschichtlichen Untersuchungen Der zur Weißen Biotechnologie synonym verwen-
von Marschall (2000) mit dem Titel Im Schatten der dete Begriff der Industriellen Biotechnologie ist bei
chemischen Synthese: genauer Betrachtung nicht ganz eindeutig. Denn
auch die Anwendung der Biotechnologie im medi-
»» Marschall [argumentiert], dass biotechno- zinischen und Lebensmittelsektor ist letztlich über
logische Verfahren in Deutschland nach die Herstellung von Arzneimitteln, Diagnostika
vielversprechenden Anfängen im späten 19. und Nahrungsmitteln eine industrielle Produktion.
Jahrhundert nach dem Ersten Weltkrieg in In der Branche hat sich der Begriff der Industriellen
Anwendungsnischen abgedrängt wurden. Biotechnologie indes vor allem für Anwendungen
Ursächlich dafür war der Aufstieg der orga- im chemischen Sektor etabliert. Eine gute Kurzbe-
nisch-chemischen Synthese zum technischen schreibung zur Industriellen Biotechnologie bietet
Paradigma der deutschen Großchemie. Im eine Publikation der Europäischen Kommission
Gegensatz zum Pfad der organisch-chemi- (7 Industrielle Biotechnologie: eine kurze Übersicht).
schen Synthese, der für eine enge Kopplung
von wissenschaftlicher Grundlagenforschung
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
255 3

Durchsetzung der organisch-chemischen Synthese


»Der Aufstieg der organisch-chemi- dem Fischer-Tropsch-Verfahren, pfad der organisch-chemischen
schen Synthese zum industriellen eröffnete sich der deutschen Groß- Synthese zur Naturstoffsubstitution
Paradigma war eng mit der Er- chemie die Möglichkeit, eine breite fest. Der schnelle Wiederaufstieg
findung der katalytischen Hoch- Palette von organischen Stoffen aus von Unternehmen wie BASF, Bayer
drucksynthese verbunden, die bald der heimischen Steinkohle zu syn- und Hoechst in der Nachkriegszeit
zu einer Spezialität der deutschen thetisieren. Einen ersten Höhepunkt beruhte zweifellos zu einem großen
Großchemie wurde. Zum Einsatz erreichte diese Entwicklung, die auf Teil auf diesem Festhalten an den
kam dieses Verfahren noch vor die Substitution von Naturstoffen bewährten Innovations- und Pro-
dem Ersten Weltkrieg bei der von abzielte, unter der nationalsozia- duktionsstrategien aus der ersten
Fritz Haber und Carl Bosch aus- listischen Autarkiepolitik, als sogar Jahrhunderthälfte. Für die indus-
gearbeiteten Ammoniaksynthese Kautschuk und Automobiltreibstoffe trielle Biotechnologie bedeutete
aus Luftstickstoff und Wasserstoff. auf Basis der heimischen Stein- dies allerdings die Beschränkung
Sie erlaubte die relativ preiswerte kohle produziert wurden. Als die auf Einsatzfelder, in denen die orga-
Produktion künstlicher Dünge- bundesdeutsche Großchemie nach nisch-chemische Synthese (noch)
mittel und Sprengstoffe, für die im dem Zweiten Weltkrieg allmählich an ihre Grenzen stieß, etwa bei der
Krieg große Nachfrage bestand. Im von Steinkohle auf Erdöl als neuer Herstellung von Antibiotika und
Verbund mit einer Reihe weiterer Rohstoffbasis umstieg, hielt sie an Steroiden« (Wieland 2012).
Prozessinnovationen, insbesondere dem eingeschlagenen Technologie-

3.2.1 Sektor mit der längsten mikalien wie Ethylalkohol und Milchsäure wurde.
Tradition biotechnologischer Großabnehmer dieser Produkte waren die aufblü-
Anwendungen henden Teerfarben- und Lebensmittelindustrien.
Anfang des 20. Jahrhunderts schien dem Einsatz
»» Die industrielle Biotechnologie hat – was in der biotechnologischer Verfahren deshalb eine strah-
aktuellen Diskussion gerne übersehen wird – lende Zukunft bevorzustehen. Der Erste Weltkrieg
eine lange Geschichte. In Deutschland nahm sie bereitete dem Aufschwung der industriellen Bio-
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen technologie in Deutschland jedoch ein baldiges
vielversprechenden Anfang. (Wieland 2012) Ende. Zwar wurden während des Krieges mithilfe
biotechnologischer Verfahren große Mengen Gly-
Insbesondere gegen Ende des 19. und Anfang des cerin für die Sprengstoffproduktion sowie Hefe
20. Jahrhunderts etablierten sich weltweit Firmen, für die Tiermast hergestellt. Der Verlust der ost-
die auf fermentativem Wege Basischemikalien deutschen Überschussgebiete durch die Versailler
herstellten (7 Abschn. 2.3). Im Vorteil waren dabei Verträge führte in Verbindung mit weiteren Kriegs-
die USA, die über den Rohstoff Mais im Überfluss folgen aber zu einer starken Verteuerung von Ag-
verfügten, was letztlich eine billigere Produktion rarrohstoffen, worunter die Konkurrenzfähigkeit
ermöglichte. In Deutschland wandelte sich die Si- der heimischen Fermentationsindustrie litt.« (Wie-
tuation von ausreichend vorhandenen natürlichen land 2012)
Rohstoffen als Folge des Ersten Weltkrieges, der
eine Verknappung verursachte (Wieland 2012). Gleichzeitig wuchsen das Wissen und die techni-
sche Entwicklung in der organischen Chemie, die
Anfang des 20. Jahrhunderts: Industrielle Bio- es ermöglichten, auf fossile Rohstoffe zurückzu-
technologie mit strahlender Zukunft greifen, insbesondere auf die Steinkohle. Wieland
»Auf Grundlage preiswerter Agrarrohstoffe, vor al- (2012) spricht vom »Aufstieg der organisch-chemi-
lem Kartoffeln aus den ostdeutschen Überschuss- schen Synthese zum industriellen Paradigma«, das
gebieten, konnte sich damals ausgehend von der Entwicklung der industriellen Biotechnologie
den landwirtschaftlichen Nebengewerben eine entgegen stand (7 Durchsetzung der organisch-che-
Fermentationsindustrie entwickeln, die zu einem mischen Synthese). Ausgehend von fossilen Roh-
wichtigen Produzenten organischer Massen-Che- stoffen haben Chemie-Unternehmen über lange
256 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

H H
Mikroorganismen R N S
Substrate aus nach- CH3
wachsenden Rohstoffen O N CH3
O
sel
wech
COOH O
Stoff H2 N

3
OH
NH2
HO
H
Stoffliche Umsetzung HO O
O

HO OH

– Stärke – Cellulose
– Hemicellulose – Lignin – Aminosäuren – Polymerbausteine
– Proteine – Fette/Öle Enzyme – Vitamine – Biokatalysatoren
– Feinchemikalien

. Abb. 3.31 Übersicht zur Weißen (Industriellen) Biotechnologie. Die industrielle Biotechnologie nutzt Mikroorganis-
men beziehungsweise ihre Stoffwechselkatalysatoren (Enzyme) um aus nachwachsenden Rohstoffen chemische Bau-
steine und Produkte herzustellen. (Bildquelle: DECHEMA (2014), mit freundlicher Genehmigung von Dr. Jan Marienhagen,
Forschungszentrum Jülich GmbH)

Zeit hinweg auch Pharmazeutika chemisch synthe- feilte Technologien zur Nutzung von Abfällen und
tisiert, die nicht wie bei den traditionellen Pharma- Holz. Zudem bietet sich die Möglichkeit, für die
Firmen natürlichen Ursprungs (Pflanzen, Pilze und Produktion von Biomasse Mikroorganismen wie
Bakterien) waren. Algen, Pilze oder Bakterien einzusetzen, was in ab-
Um genau zu sein, sind indes auch fossile Roh- geschlossenen Fermentern/Reaktoren vonstatten
stoffe wie Braunkohle, Steinkohle, Torf, Erdgas und geht. Diese kleinsten »lebenden Fabriken« oder
Erdöl letztlich chemische Substanzen, die in einem funktionelle Teile davon (z. B. Enzyme) sind aber
geologischen Prozess aus Abbauprodukten toter nicht nur für die Produktion von Biomasse nutzbar,
Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere entstanden sondern auch für ihre Verwertung beziehungsweise
sind. Entsprechend bestehen sie aus organischen Veredelung in höherwertige (Roh-)Stoffe.
Kohlenstoffverbindungen und fungieren als Ener-
gieträger, die letzten Endes die (Sonnen-)Energie
vergangener Zeiten gespeichert haben. 3.2.2 Verfahren und Produkte der
Somit sind für chemische Synthesen die fossi- Weißen Biotechnologie
len, endlichen Rohstoffe grundsätzlich ersetzbar
durch Biomasse, die in Form von Holz und weite- In den »Biofabriken«, das heißt den Zellen der Mi-
ren neuzeitlichen organischen Abfällen und Über- kroorganismen oder mithilfe ihrer Enzymausstat-
resten zur Verfügung steht. Darüber hinaus wird tung (Maschinen als Analogie), finden umwandeln-
Biomasse erzeugt in Form des Anbaus von Pflan- de (auch abbauende) oder synthetische Prozesse
zen, was allerdings immer mit dem Anbau für die statt (. Abb. 3.31). Für Ersteres steht der Begriff der
Nahrungsmittelwirtschaft (Landwirtschaft) kon- Biotransformation, für Letzteres die Fermentation.
kurriert (aktuelles Problem der Biokraftstoffe). Bei der Fermentation produzieren Mikro-
Da Land ein knappes Gut ist, erfordert eine organismen, die auch gentechnisch optimiert sein
stärkere Verwertung von Biomasse für Nicht-Nah- können, in industriellem Maßstab aus Kohlen- und
rungszwecke für die Zukunft noch weiter ausge- Stickstoffquellen (z. B. jegliche Art von nachwach-
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
257 3

Ökologisch Ökonomisch
Geringere Geringere
Entsorgungskosten Investitionskosten
Katalysator biologisch abbaubar Geringerer Energiebedarf

Verbesserte Umweltbilanz Geringerer Rohstoffeinsatz

Weniger Abfall- und Nebenprodukte Geringerer Wasserverbrauch

Sichere Verfahrensbedingungen Hohe Raum-Zeit-Ausbeuten

Weniger Synthese-und Aufreinigungsschritte

Milde Reaktionsbedingungen Synthese ohne Schutzgruppen


Hochspezifische Katalyse Hohe Stereo-/Enantioselektivität

Neue katalytische Reaktionen

© BioMedServices 2015
Funktionell

. Abb. 3.32 Spektrum möglicher Vorteile der Biokatalyse. Erstellt nach Braun et al. (2006)

senden Rohstoffen) bestimmte Grund- oder Spe- Vor allem die Schonung der Umwelt ist ein sehr
zialchemikalien. Zudem sind sie in der Lage, ver- starkes Argument für den Einsatz der Biotechnolo-
schiedenste Polymere zu synthetisieren. gie in der chemischen Industrie. Da deren Produk-
Laut dem Industrieverbund Weiße Biotechno- te jedoch wiederum in vielen anderen Branchen
logie ermöglichen die Verfahren zum Beispiel die Anwendung finden, ist die mögliche Reichweite
Herstellung folgender Produkte (DPWB 2008): der Biotechnologie noch größer. Grundsätzlich
55 essenzielle Zusatzstoffe für eine gesunde und zeichnen sich die Verfahren der Weißen Biotech-
ressourcenschonende Ernährung von Mensch nologie aber nicht nur durch ökologische Vorteile
und Tier (z. B. Aminosäuren, Vitamine, En- aus. Sie bieten zudem teilweise auch ökonomischen
zyme, Zuckerersatzstoffe, Säuerungsmittel, und funktionellen Nutzen (. Abb. 3.32). Zu Erste-
natürliche Aromastoffe, Verdickungsmittel, rem geben Schnee und Heine (2008) folgende zwei
Bioactives); Beispiele:
55 Ausgangssubstanzen, Wirkstoffe und Biokata-
lysatoren für die chemische und pharmazeuti- »» Bis Anfang der 1990er-Jahre wurde die Ami-
sche Industrie (z. B. Bausteine für Kunststoffe, nosäure L-Lysin überwiegend chemisch
Feinchemikalien, Zwischenprodukte, Anti- hergestellt. Archer Daniels Midland (AMD)
biotika); trat 1992 mit durch klassische Fermentation
55 Produkte für die Verbrauchsgüterindustrie mit gewonnenem L-Lysin in den Markt ein und
erkennbarem Mehrwert für den Kunden (z. B. konnte durch genetische Modifikation der
Waschmittelenzyme, kosmetische Wirk- und verwendeten Bakterienstämme die Fermenta-
Effektsubstanzen, spezialisierte Lebensmittel); tion weiterverbessern. Die Analyse der unter-
55 hochwirksame Enzyme für umweltscho- schiedlichen Produktionsverfahren erbrachte
nende Prozesse (z. B. in der Textil-­und eine Halbierung des Fixkostenanteils an den
Papierindustrie). Produktionskosten, während sich die variablen
Kosten nach der Umstellung auf das optimier-
258 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

te Fermentationsverfahren knapp drittelten. Stoffwechselwege etablieren. Wenn beim Metabolic


… In der Konsequenz sank die für ein ausge- Engineering Mikroorganismen (oder andere bio-
glichenes operatives Ergebnis benötigte An- logische Systeme) mit in der Natur nicht vorkom-
lagenauslastung von 80 % (chemisches Ver- menden Eigenschaften und Fähigkeiten geschaffen
fahren) auf 39 % (verbesserte Fermentation), werden, spricht man von »Synthetischer Biologie«.
d. h. bei letzteren Verfahren wird ab einem Dazu gehört letzlich auch die Konstruktion von Or-
3 Auslastungsgrad von 40 % ein positiver Ertrag ganismen mit Minimalgenomen, die nur noch über
generiert. (Schnee und Heine 2008) die zur Produktion von gewünschten Substanzen
benötigten Stoffwechselwege verfügen.
Der BASF erbrachte die Umstellung auf die bio- In den letzten Jahren haben neben dem Metabo-
technische Herstellung von Vitamin B2 (Ribofla- lic Engineering weitere Werkzeuge wie verbesserte
vin): Screening- und Analysemethoden sowie die Bio-
55 40 % geringere Produktionskosten, informatik die Voraussetzungen für den Einsatz
55 60 % weniger Ressourceneinsatz, biotechnischer Verfahren in der industriellen Pro-
55 bei einem gleichzeitig um 95 % reduzierten duktion verbessert. Folgendes wurde dadurch er-
Abfallvolumen sowie 30 %iger Einsparung von möglicht (DECHEMA 2004):
CO2. 55 Geringerer Zeitbedarf um neue industrielle
biotechnische Verfahren bzw. Produkte zu ent-
Weltweit konnte der biotechnische Prozess rasch wickeln und zu etablieren, was zuvor einer der
zum beherrschenden Verfahren aufsteigen. So stellt großen Nachteile der biotechnischen gegen-
die BASF zwischenzeitlich Vitamin B2 ausschließ- über den chemischen Verfahren gewesen ist;
lich durch Fermentation her. 55 Maßgeschneiderte Biokatalysatoren (Enzyme)
Mit der Weiterentwicklung molekuarbiologi- und Mikroorganismen, die kostengünstiger
scher beziehungsweise gentechnischer Methoden produzieren oder ganz neue Produktionsver-
eröffnen sich für die Weiße Biotechnologie immer fahren ermöglichen;
mehr Möglichkeiten. Laut Eikmanns und Eikmanns 55 Wirtschaftliche Vorteile bei der Produktion
(2013) ersetzen sie seit etwa 1986 zunehmend die von Grundchemikalien und Biopolymeren.
früher durch klassische Mutagenese und Screening
gewonnenen Bakterien- oder Pilzstämme. Die Pro-
duktion von Enzymen, die in der Textil-, Papier- 3.2.3 Grundchemikalien (Basis- oder
und Waschmittelindustrie Anwendung finden, Bulk-Chemikalien) und (Bio-)
nutzt seit Ende der 1980er-Jahre ebenfalls gentech- Polymere
nisch veränderte Mikroorganismen, im Wesent-
lichen Bacillus und Streptomyces sowie Aspergillus Fermentativ hergestellte Hauptprodukte bei den
und Trichoderma. Der Einsatz gentechnischer Me- Grundchemikalien sind Alkohole und organische
thoden zur Modifizierung von Stoffwechselwegen Säuren. Abnehmer der organischen Säuren sind
in industriellen Produktionsstämmen zur Opti- vor allem die Lebensmittel- und die Textilindust-
mierung und Ausweitung ihrer Produktionseigen- rie, zunehmend aber auch die chemische Indust-
schaften wird als Metabolic Engineering bezeichnet. rie. So gewinnt laut Syldatk und Hausmann (2013)
Dieselben Autoren führen aus, dass Ausschalten, seit einigen Jahren die Milchsäure als Baustein für
Abschwächen oder die Überexpression eines oder Biopolymere an Bedeutung, das heißt sie stellt eine
mehrerer Gene für Enzyme oder Regulatorpro- Plattformchemikalie zur Herstellung biobasierter
teine den Kohlenstofffluss vom Substrat zu einem Kunststoffe dar. Das biotechnische Verfahren weist
gewünschten Produkt umlenken, das Substratspek- den Vorteil auf, dass es das zur Weiterverwendung
trum erweitern oder Synthesewege zu unerwünsch- hauptsächlich gewünschte L-(+)-Isomer bildet.
ten Nebenprodukten ausschalten können. Die Ex- Beim chemischen Syntheseverfahren entsteht da-
pression heterologer, das heißt aus anderen Orga- gegen das Racemat, das für neuere Anwendungen
nismen stammenden, Gene kann auch völlig neue weniger geeignet ist.
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
259 3

. Tab. 3.41 Fermentativ hergestellte Grundchemikalien (organische Säuren). (Quelle: Syldatk und Hausmann
(2013); Angaben für 2009)

Produkt Mengea (kt/Jahr) Preis/kg(€) Marktwert (Mio. €) Hauptanwendungsbereich

Zitronensäure 1500 1,00 1500 Lebens- und Waschmittel


Milchsäure 500 1,80 900 Lebensmittel, Leder, Textilien,
Polymere
Essigsäure 190 0,50 350 Lebens- und Reinigungsmittel,
Streusalz
Glukonsäure 120 2,80 336 Lebensmittel, Textilien, Metall, Bau
Itakonsäure 50 1,40 70 Polymere, Papier, Klebstoff
Bernsteinsäure 2 2,80 6 Polymere
aWeltjahresproduktion

Polymere in der Natur


» Polymere nehmen eine zentrale ein Vielfaches der jährlichen Erd- in großen Mengen zu synthetisieren,
Rolle im Kohlenstoffkreislauf der ölförderung (ca. vier Gigatonnen)! sie synthetisieren auch eine große
Natur ein und werden in ungeheuer Auch Bakterien bestehen über- Vielzahl von Polymeren. Es handelt
großen Mengen synthetisiert. Es wiegend aus Polymeren. Eine Zelle sich dabei um organische Polymere
wird geschätzt, dass Pflanzen jähr- von Escherichia coli wie auch die der wie Nukleinsäuren, Proteine, Poly-
lich z. B. ca. 50 bis 100 Gigatonnen meisten anderen Mikroorganismen amide, Polysaccharide, Polyoxoester,
Cellulose und in etwa die gleiche besteht bezogen auf das Trocken- Polythioester, Polyisoprenoide und
Menge Lignin [phenolisches Makro- gewicht im Durchschnitt zu ca. 95 % Polyphenole sowie um das an-
molekül zur Verholzung] produzie- aus Polymeren. … Mikroorganismen organische Polymer Polyphosphat«
ren. Bezogen auf die Masse ist dies sind nicht nur in der Lage, Polymere (Steinbüchel und Raberg 2013).

Weitere fermentativ synthetisierte organische 10.000 t Succinat pro Jahr mit genetisch modifizier-
Säuren sind die Itakon- und die Bernsteinsäure ter Bäckerhefe. Aufgrund der möglichen Verwen-
(Succinat). Beide finden auch als Ausgangsstoff für dung als Baustein von Kunststoffen wie Polyamiden
Polymere Verwendung, so die Itakonsäure in Ak- oder Polyestern wird das zukünftige Marktpoten-
rylaten, Synthesekautschuk, Fiberglas und Farben. zial der Bio-Bernsteinsäure und ihrer Derivate auf
ECO SYS (2011) gibt an, dass es fermentationsba- über 250.000 t pro Jahr geschätzt. Eine Übersicht
sierte Produktionssysteme für Itakonsäure seit den zu den Produktionsmengen verschiedener organi-
1980er-Jahren gibt. Bis Anfang der 1990er-Jahre scher Säuren gibt . Tab. 3.41.
konnte sich das Produkt aufgrund hoher Preise
allerdings nur langsam durchsetzen. Seit dem Jahr 3.2.3.1 Natürlich vorkommende
2000 wächst der Markt robust mit 8 bis 10 % pro Biopolymere
Jahr, wobei die Vermarktung 2010 aufgrund gestie- Die Natur weist per se Unmengen an Makromole-
gener Rohstoffpreise wieder erheblich schleppen- külen auf (7 Polymere in der Natur). Seit Jahrtau-
der geworden ist. Syldatk und Hausmann (2013) le- senden dient zum Beispiel das Pflanzenmaterial
gen dar, dass seit 2010 in Frankreich etwa 2000 bis Cellulose der Herstellung von Papier und Fasern
3000 t Bernsteinsäure pro Jahr biotechnisch mit re- für Textilien (Viskose). Cellulose kommt aber auch
kombinanten Escherichia coli-Stämmen hergestellt bei Bakterien vor und hat für sie eher eine Schutz-
werden. 2012 eröffneten die Firmen Roquette und funktion, dient also weniger wie bei den Pflan-
DSM in Italien eine Anlage zur Herstellung von zen der Stabilisierung. Es ist ein Mehrfachzucker
260 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Einsatzgebiete von Xanthan


»In der Nahrungsmittelindustrie sche Anwendung außerhalb des den Textildruck, Reinigungsmittel
wird Xanthan als Verdicker, Suspen- Nahrungsmittelsektors betrifft die sowie Farben und pharmazeutische
sionsmittel, Emulgator, Geliermittel Erdölförderung. Dort wird Xanthan Anwendungen als Trennmittel.
oder Schaumverstärker eingesetzt. der Bohrflüssigkeit aufgrund seiner Während ca. 65 % des produzierten
3 Es findet Anwendung als Zusatz-
stoff für Saucen und Desserts in
pseudoplastischen Eigenschaften,
der Temperaturstabilität und der
Xanthans für Nahrungs- und Körper-
pflegemittel verwendet werden,
Trockenmischungen sowie Tiefkühl- Salztoleranz als Viskositätsregu- kommen ca. 15 % in der Erdölförde-
produkten; in Dressings eignet sich lator zugesetzt. … Außerdem ist rung und 20 % in anderen techni-
das Polysaccharid insbesondere Xanthan Bestandteil einer Vielzahl schen Anwendungen zum Einsatz«
zur Suspension von Kräutern und von Körperpflegemitteln. Andere (Steinbüchel und Raberg 2013).
Gewürzen. Die wichtigste techni- Einsatzgebiete erstrecken sich auf

(Polysaccharid) mit einer Folge von mehreren bildete Xanthan schützt, und zwar die Zellen von
Hundert bis Zehntausend Glukose-Molekülen. Xanthomonas campestris vor Austrocknung und
Die Cellulose-Moleküle lagern sich wieder- UV-Strahlung. Seit den 1950er-Jahren ist die was-
um zu höheren Strukturen zusammen und bilden serlösliche gummiartige Substanz von wirtschaft-
so Fasern. Im Vergleich zu pflanzlicher Cellulose lichem Interesse und wird mithilfe von Xanthomo-
ist bakteriell erzeugte Cellulose feiner und weist nas in einem biotechnischen Verfahren produziert.
eine hochkomplexe dreidimensionale Nanostruk- Die Eigenschaften als Bindemittel führen vor allem
tur auf. Zudem zeichnet sie sich durch chemische zur Anwendung bei Nahrungs- und Körperpflege-
Reinheit aus, die bei Pflanzen so nicht gegeben ist, mitteln (7 Einsatzgebiete von Xanthan).
da üblicherweise Hemicellulose und Lignin bei- Ein weiteres Biopolymer sind die sogenannten
gemischt sind. Aus biotechnisch erzeugter Cellu- Polyhydroxyalkanoate (PHA). Sie werden auch als
lose werden Folien hergestellt, die zum Beispiel im Polyhydroxyfettsäuren (PHF) bezeichnet und sind
medizinischen Sektor als Verbandsmaterial zum natürlich vorkommende wasserunlösliche und li-
Einsatz kommen. Positive Effekte zeigen sich vor neare Polyester. Viele Bakterien bilden sie als Reser-
allem bei der Versorgung von Brandwunden. Die vestoffe für Kohlenstoff und Energie. Die einfachs-
Firma Sony hat jüngst bakteriell erzeugte Cellulose te und häufigste Form der PHA ist die fermentativ
als akustische Membran in High-End-Kopfhörern hergestellte Polyhydroxybuttersäure (PHB). Sie be-
verwendet. steht aus 1000 bis 30.000 Hydroxyfettsäure-Einhei-
Eine Schutzfunktion erfüllt für bestimmte Bak- ten. Neben dem Polymer der Hydroxybuttersäure
terien darüber hinaus das Polysaccharid Dextran. sind rund 150 weitere Hydroxyfettsäuren als PHA-
Nach Steinbüchel und Raberg (2013) finden Dex- Bausteine bekannt. Nach Abschluss der Biosynthe-
tran und abgeleitete Derivate insbesondere Ver- se bestehen die Bakterien zu 80 Gew.-% aus dem
wendung als Spezialchemikalien für Applikationen Polyester. Industriell produzierte PHA-Kunststoffe
in der Klinik, Pharmazie, Industrie und Forschung sind thermoplastisch auf konventionellen Anla-
(Blutplasma-Ersatzmittel und chromatographische gen verarbeitbar und je nach Zusammensetzung
Proteinauftrennung). Dextran ist neben Xanthan verformbar und mehr oder weniger elastisch. Sie
derzeit das bedeutendste technisch genutzte Bio- sind UV-stabil, vertragen im Gegensatz zu anderen
polymer aus Mikroorganismen. Firmen wie Dex- Biokunststoffen wie Polymeren aus Polymilchsäure
tran Products (Kanada), Pharmachem (USA) oder teilweise Temperaturen bis etwa 180 °C und weisen
Pharmacosmos (Dänemark) produzieren pro Jahr eine gute Beständigkeit gegen Feuchtigkeit auf. Zu-
weltweit etwa 2000 t Dextran. Zusätzlich werden dem verfügen PHA-Polymere über Aroma-Barrie-
noch einige Hundert Tonnen chemisch modifi- reeigenschaften, und sie sind biologisch abbaubar.
zierte Dextrane hergestellt. Auch das bakteriell ge- Diese Eigenschaft verschafft ihnen laut Steinbüchel
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
261 3
und Raberg (2013) einen riesigen Markt. Sie be- Biokunststoffe
nennen Schätzungen, dass von den derzeit jährlich Kunststoffe, die aus nachwachsenden Rohstof-
produzierten 300 Mio. t herkömmlicher Kunststof- fen hergestellt werden. Biokunststoffe können
fe – alle biologisch inert – etwa 20 bis 30 % durch biologisch abbaubar sein oder aber dauerhaft
biologisch abbaubare Polymere ersetzbar sind. bestehen, d. h. nicht verrottbar sein.
Für die Kunststoff-Herstellung kann ein weite-
res Speicher-Biopolymer, nämlich die Stärke heran-
gezogen werden. In der Regel ist es Mais- oder Kar- Die Tatsache, dass es nicht biologisch abbaubare
toffelstärke, also pflanzliche Biomasse. Unter den Biokunststoffe gibt, könnte zu Irritationen führen.
Biokunststoffen hat die Stärke derzeit mit etwa 80 % Ihr Vorteil liegt gegenüber konventionellen Kunst-
Marktanteil den Hauptanteil. Aufgrund der Nut- stoffen dann nur darin, dass keine fossilen Rohstof-
zung von Pflanzen besteht allerdings wieder der fe verbraucht werden. Plastik-Müllberge lassen sich
Konflikt mit der Sicherstellung der Lebensmittel- dadurch auch nicht vermeiden. Dagegen zerfallen
grundversorgung. Diese Tank-Teller-Kontroverse biologisch abbaubare Biokunststoffe in natürlich
liegt derzeit beim Bioethanol vor, dessen erheblich vorkommende, ungiftige Ausgangsprodukte. Ge-
angestiegene Produktion zu einer deutlichen Ver- nauer gesagt, wandeln Mikroorganismen wie Pilze
teuerung von Mais und Getreide führte. und Bakterien oder Enzyme das Bioplastik um in
Wasser, Kohlenstoffdioxid und Biomasse, die von
3.2.3.2 Bioplastik auf dem Vormarsch der Natur weiterverwertet werden.
Die Begriffe Bioplastik oder Biokunststoff sind Biokunststoffe können die bisher verwendeten
nicht geschützt und werden daher nicht einheitlich mineralölbasierten Kunststoffe in vielen Anwen-
verwendet. Das Umweltbundesamt (Beier 2009) dungen ersetzen. Bereits heute bestehen viele Ver-
gibt dazu folgende Übersicht: packungen, Einweggeschirr oder Blumentöpfe zu
einem hohen Anteil aus Biokunststoffen. Herstell-
»» Bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhun- bar sind aber auch andere typische Kunststoffarti-
derts wurden Kunststoffe fast ausschließlich kel, wie Handys, Gehäuse von Elektrogeräten oder
aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Gefäße für Kosmetikartikel.
Erst seit Ende des Zweiten Weltkrieges werden Für 2017 prognostiziert der Verband European
als Rohstoffquellen üblicherweise fossile, nicht Bioplastics mit Sitz in Berlin eine Zunahme der
erneuerbare Ressourcen, wie Erdöl oder Erd- weltweiten Produktionskapazitäten für Biokunst-
gas, genutzt. Seit etwa 20 Jahren sind nun wie- stoffe um 400 % auf 6 Mio. t (. Abb. 3.33). Eine
der verstärkte Bemühungen zu verzeichnen, andere Quelle (nova-Institut 2013) spricht von
Kunststoffe zum Teil oder auch vollständig einer Verdreifachung der 2011er-Kapazitäten von
aus nachwachsenden Rohstoffen zu erzeugen 3,5 Mio. auf 12 Mio. t im Jahr 2020 (2017 an die
und am Markt zu etablieren. … Kunststoffe 10 Mio.). Die 3,5 Mio. t repräsentieren einen Anteil
aus nachwachsenden Rohstoffen werden in von 1,5 % der Gesamtmenge an sogenannten Konst-
der Regel als Biokunststoffe oder Biopolymere ruktionskunststoffen (235 Mio. t). Im Jahr 2020 soll
bezeichnet, wobei diese und ähnliche Begrif- sich ihr Anteil auf 3 % erhöhen. Allein etwa 5 Mio. t
fe – zum Beispiel ‚biobasiert‘ – bis heute nicht sollen dabei auf biobasiertes PET entfallen, einem
eindeutig definiert sind. … Nach gegenwär- Polyethylen-Terephthalat (PET), das teilweise her-
tigem Sprachgebrauch steht die Vorsilbe ‚bio‘ gestellt wird aus Bioethanol, welches aus Zucker-
für zwei Eigenschaften: für ‚biobasiert‘ und für rohr stammt (Biomasse-Anteil bei 30 bis 35 %). Die
‚biologisch abbaubar‘. Biobasiert nennen sich meisten Produktionskapazitäten für Biokunststoffe
Erzeugnisse, die teilweise oder vollständig aus finden sich in Asien (52 %), und ihr Anteil wird auf
nachwachsenden Rohstoffen stammen. Diese 55 % zunehmen. Europas Anteil wird dagegen von
Erzeugnisse können sowohl biologisch abbau- 20 auf 14 % abnehmen wie eine Studie des nova-In-
bar als auch nicht abbaubar sein. (Beier 2009) stituts ermittelte (7 Europa ist nicht führend auf dem
Gebiet der Biokunststoffe).
262 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

6000 Kilotonnen
1000

5000
Biologisch abbaubar

© BioMedServices 2015
3 4000
Biobasiert / nicht
biologisch abbaubar
3000

2000

1000 486 604


342
674 675 791 5185
0
2010 2011 2012 2017

. Abb. 3.33 Prognose zur Produktion von Biokunststoffen. Erstellt nach Daten von European Bioplastics (2013)

Europa ist nicht führend auf dem Gebiet der Biokunststoffe


»One noteworthy finding of other chemicals and building blocks for framework to support bio-based
studies is that Europe shows the the production of PA [polyamide], polymers, whereas biofuels receive
strongest demand for bio-based PUR [polyurethane] and thermosets strong and ongoing support during
polymers, while production tends among others. However, only few commercial production (quotas, tax
to take place elsewhere, namely in specific, large-scale plans for bio- incentives, green electricity regulati-
Asia and South America. The bio- based building blocks with concrete ons and market introduction pro-
based polymer production facilities plans for the production of bio-ba- grammes, etc.). Without comparable
for PLA and PHA located in Europe sed polymers have been announced support, bio-based chemicals and
are currently rather small, and there to date. The European Union’s relati- polymers will suffer further from un-
are next to no production capacity vely weak position in the production derinvestment by the private sector.
figures for the latter. … With leading of bio-based polymers is largely the It is currently much more attractive
chemical corporations, Europe has a consequence of an unfavourable and safe to invest in bio-based
particular strength and great poten- political framework. In contrast to polymers in Asia, South America and
tial in the fields of high value fine biofuels, there is no European policy North America« (nova-Institut 2013).

Mit industrieller Biotechnologie hat die Bio- 3.2.3.3 Weitere Biopolymere: Fette und
kunststoff-Produktion nur dann etwas zu tun, Öle, Seidenproteine
wenn fermentative Schritte, also die Biosynthese Auch Fette und Öle (synonym Lipide genannt) sind
mittels Mikroorganismen, stattfinden. Bei dem Polymere, die in allen Lebewesen vorkommen. Sie
oben beschriebenen pflanzenbasierten Bio-PET erfüllen verschiedenste biologische Funktionen
ist das nicht der Fall. Auf biotechnischem Wege (Wikipedia, Lipide): Brennstoffe, Energiespeicher,
werden dagegen die neuartigen Biokunststoffe Membranbausteine, Signalmoleküle, Hormone,
PHA (Polyhydroxyalkanoate) und PLA (engl.: po- fettlösliche Vitamine, Kofaktoren oder Pigmente.
lylactic acid, Polymilchsäuren) synthetisiert. Ihre Industriell in Mikroorganismen produziert, liefern
Produktionskapazitäten sollen sich mindestens sie Grund- oder Spezialchemikalien. Insbesondere
vervierfachen. wenn die »Biofabriken« zum Beispiel mit gentech-
nischen Methoden weiter optimiert werden, ist
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
263 3

Spinnenseide: ein Hightech-Material


» Die Natur hat über Jahrmillionen Kombination dieser mechanischen keine Immunreaktion aus und hat
einige Materialien hervorgebracht, Eigenschaften ist in herkömmlichen seidigen Glanz sowie eine angeneh-
die synthetisch hergestellte Werk- Fasern bisher unerreicht: Spinnen- me Haptik. Spinnenseide hat seit
stoffe in vielerlei Hinsicht über- seide kann mehr als 3 mal so viel tausenden von Jahren die Mensch-
treffen. Ein herausragendes Bei- Energie aufnehmen wie Kevlar oder heit fasziniert, insbesondere auf-
spiel ist hierbei die Spinnenseide. Nylon, bevor sie reißt. Zusätzlich grund der hohen Festigkeit – aber
Seidenfäden weisen eine extreme zu den herausragenden mechani- auch aufgrund der medizinischen
Festigkeit gepaart mit hoher Dehn- schen Eigenschaften ist Spinnen- Unbedenklichkeit« (AMSilk 2015).
barkeit auf. Spinnenseide ist fest wie seide nicht immunogen, nachhaltig
Stahl und dehnbar wie Gummi. Die herstellbar und recyclebar. Sie löst

auf Basis nachwachsender Rohstoffe oder Abfall- nischen Implantaten, Wundverbände, Kosmetikbe-
strömen die umweltfreundliche Synthese möglich. standteil oder spezielle Textilien und Sportprodukte.
So produziert die börsennotierte US-Biotech-Fir-
ma Solazyme mithilfe gentechnisch optimier- Wirtschaftlichkeit bei der Produktion von
ter Mikroalgen verschiedene Öle, die wiederum Grundchemikalien
Verwendung im industriellen, Lebensmittel- und Für die Durchsetzung einer neuen Technologie ist
Kosmetiksektor finden. Mikroalgen produzieren neben der technologischen Überlegenheit und der
natürlicherweise Öle, allerdings nur etwa 5 bis 10 % Akzeptanz ihre wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit
ihrer Körpermasse. Die gentechnische Anpassung ein wichtiger Faktor. Hermann et al. (2010) führten
erbringt einen Ölgehalt von mehr als 80 %. eine umfangreiche Berechnung zu Produktionskos-
Ein natürliches Biopolymer der besonderen Art ten von zwölf Grundchemikalien durch. Sie vergli-
ist die Seide. Aufgebaut aus Eiweißbausteinen wird chen dabei die chemische Synthese, basierend auf
sie in der Natur von der Raupe des Seidenspinners Rohöl, sowie die mikrobielle Biosynthese, basierend
(Nachtschmetterling) sowie von Spinnen und einer auf nachwachsenden Rohstoffen. Folgende Produk-
bestimmten Muschelart synthetisiert. Das Seiden- tionsprozesse wurden untersucht: 1,3-Propandiol
protein Fibroin besteht aus einer sich wiederho- (PDO), Essig-, Bernstein-, Milch- und Adipinsäure,
lenden Folge der Aminosäuren »Glycin-Serin-Gly- Ethanol und Butanol (aus dem Aceton-Butanol-
cin-Alanin-Glycin-Alanin«. Die Seidenproduktion Ethanol[ABE]-Prozess) sowie Polyhydroxyalka-
erfolgt in der Regel über die Nutzung der Kokons, noate (PHA); zudem die Folgeprodukte Ethylen,
die die Seidenraupen während ihrer Metamorphose Polymilchsäure (PLA), Milchsäureethylester und
zum Schmetterling bilden. Spinnenseide ist unter Polytrimethylenterephthalat (PTT). Welches dieser
anderem für medizinische Zwecke von Interesse. Produkte bei verschiedenen Zuckerpreisen wirt-
Schon in der Antike legten Menschen Spinnennetze schaftlicher per Biosynthese als über die chemische
auf Wunden. Forscher versuchen daher, Spinnen zu Synthese herstellbar ist, zeigt . Tab. 3.42. Insgesamt
»melken« und erzielen pro Melkvorgang im Schnitt kommen die Autoren zu folgendem Schluss:
eine Ausbeute von 200 Metern. Ganz andere Di-
mensionen, nämlich die industrielle Produktion im »» Even at present, bio-based bulk chemicals
Tonnenmaßstab, strebt das deutsche Biotech-Unter- from industrial biotechnology offer clear sa-
nehmen AMSilk aus München an. Die Firma hat die vings in non-renewable energy use and GHG
für das Spinnenseidenprotein codierenden Gene der [greenhouse gas] emissions with current tech-
Spinne in Bakterien verpflanzt und stellt damit die nology compared to conventional petrochemi-
Seidenrohsubstanz rekombinant in geschlossenen cal production. Substantial further savings are
Tanks her. Die besonderen Eigenschaften der dar- possible for the future by improved fermenta-
aus gesponnenen Fasern (7 Spinnenseide: ein High- tion and downstream processing. … Economic
tech-Material) oder gebildeten Partikel ermöglichen competitiveness depends to a large extent on
vielfältige Anwendungen: Beschichtung von medizi- the price of oil and sugar. (Hermann et al. 2010)
264 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.42 Wirtschaftlichkeit von mit biotechnischen Verfahren produzierten Grundchemikalien in Abhängig-
keit vom Zuckerpreis. (Quelle: Hermann et al. 2010)

Zucker- Heutiger Stand der Technik Zukünftiger Stand der Technik


preis (€/t)

400 Bernsteinsäure, Ethanol, Milchsäureethylester, Bernsteinsäure, Ethanol, Milchsäureethylester,


3 Polymilchsäure (PLA), Polytrimethylenterepht-
halat (PTT), Propandiol (PDO)
Polymilchsäure (PLA), Polytrimethylenterephthalat
(PTT), Propandiol (PDO)

200 Bernsteinsäure, Ethanol, Milchsäureethylester, Bernsteinsäure, Butanol, Ethanol, Ethylen, Milch-


Polymilchsäure (PLA), Propandiol (PDO), Poly- säureethylester, Polymilchsäure (PLA), Polytrimet-
trimethylenterephthalat (PTT) hylenterephthalat (PTT), Propandiol (PDO)

135 Bernsteinsäure, Ethanol, Ethylen, Milchsäu- Adipinsäure, Bernsteinsäure, Butanol, Ethanol,


reethylester, Polymilchsäure (PLA), Polytrimet- Ethylen, Milchsäureethylester, Polymilchsäure
hylenterephthalat (PTT), Propandiol (PDO) (PLA), Polytrimethylenterephthalat (PTT), Propan-
diol (PDO)

70 Bernsteinsäure, Ethanol, Ethylen, Milchsäureet- Adipinsäure, Bernsteinsäure, Butanol, Ethanol, Ethy-


hylester, Polymilchsäure (PLA), Polytrimethy- len, Milchsäureethylester, Polymilchsäure (PLA), Po-
lenterephthalat (PTT), Propandiol (PDO) lytrimethylenterephthalat (PTT), Propandiol (PDO)

Benennung der Substanz, wenn die Produktionskosten (ratio of production cost plus profits, PCPP) unter denjeni-
gen liegen, die für eine chemische Synthese aus Rohöl (angenommener Preis 70 US$/Barrel) anfallen. Substanz in
Fettdruck, wenn sie erstmals benannt wird. Der PCPP-Ansatz wurde von Hermann entwickelt und umfasst: direkte
Betriebs-, Allgemein- und Kapitalkosten, die für die Errichtung einer neuen Fabrik im westlichen Europa mit einer
Produktionskapazität von 100 kt/Jahr erforderlich sind; PCPP ähneln dem Marktpreis

Diese Untersuchungsergebnisse stehen im Gegen- gase entfallen dadurch, womit sich insgesamt eine
satz zur gängigen Annahme höherer Herstell- Einsparung ergibt. Da Zuckerrohr in gemäßigten
kosten von Bio- gegenüber konventionellen Klimazonen wie Europa und Nordamerika nicht
Kunststoffen. Über die geringeren Produktions- verfügbar ist, bietet sich hier zukünftig die Ver-
kosten hinaus bietet das biotechnische Verfahren arbeitung von Holzresten an.
Vorteile in der Bilanz von Treibhausgasen. Die Selbst unter Verwendung von Maisstärke sowie
Höhe an Einsparungen hängt dabei von folgenden heutigen Technologien (worst case) ermöglichen
Faktoren ab: die biotechnischen Verfahren bereits eine Einspa-
55 zu produzierende Chemikalie: Die höchsten rung von umweltschädlichen Treibhausgasen um
Einsparungen ergeben sich bei Butanol, Etha- 45 % gegenüber den klassischen chemischen Pro-
nol und Ethylen, die niedrigsten bei Essigsäure duktionstechniken von Grundchemikalien.
und PTT;
55 zu fermentierender Rohstoff: Auf Basis des 3.2.3.4 Biosprit: geht auch ohne
derzeitigen Technologiestandes liegt das Ein- Konkurrenz zum Gemüse
sparpotenzial höher bei Verwendung von Zu- Die mit fermentativen Verfahren hergestellten
ckerrohr gegenüber Maisstärke; unter Berück- Grundchemikalien Ethanol, Methanol und Buta-
sichtigung der technischen Weiterentwicklung nol können als Energieträger auch Anwendung als
wird in Zukunft auch Zuckerrohr an der Spitze Kraftstoffe finden. Ein Kraftstoff ist generell eine
liegen, jedoch gefolgt von Lignocellulose Substanz, dessen chemische Energie durch Ver-
(Holz) und Maisstärke. brennung in Antriebskraft umgewandelt wird.
Normalerweise sind dies in einer Erdölraffinerie
Die Verwendung von Zuckerrohr als der Quelle hergestellte flüssige Kraftstoffe wie Benzin, Diesel
des fermentierbaren Zuckers erzeugt als Kuppel- und Kerosin, die alle aus Kohlenwasserstoffen be-
produkt bedeutende Mengen an Elektrizität. Die stehen. Erdöl ist letzlich ein »antiker biologischer
sonst für deren Produktion anfallenden Treibhaus- Heiz- und Kraftstoff«, der aus abgestorbenen und
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
265 3

Das ursprüngliche Autobenzin


»Biofuels have been around as long stuff as in alcoholic drinks, except as they grow, crops grown for bio-
as cars have. At the start of the 20th that it’s made from corn that has fuels should suck up about as much
century, Henry Ford planned to fuel been heavily processed. There are carbon dioxide as comes out of the
his Model Ts with ethanol, and early various ways of making biofuels, tailpipes of cars that burn these fuels.
diesel engines were shown to run on but they generally use chemical And unlike underground oil reserves,
peanut oil. But discoveries of huge reactions, fermentation, and heat biofuels are a renewable resource
petroleum deposits kept gasoline to break down the starches, sugars, since we can always grow more
and diesel cheap for decades, and and other molecules in plants. The crops to turn into fuel. Unfortunately,
biofuels were largely forgotten. leftover products are then refined it’s not so simple. The process of
However, with the recent rise in oil to produce a fuel that cars can use. growing the crops, making fertilizers
prices, along with growing concern Countries around the world are using and pesticides, and processing the
about global warming caused by various kinds of biofuels. For deca- plants into fuel consumes a lot of
carbon dioxide emissions, biofuels des, Brazil has turned sugarcane into energy. It’s so much energy that
have been regaining popularity. Ga- ethanol, and some cars there can there is debate about whether etha-
soline and diesel are actually ancient run on pure ethanol rather than as nol from corn actually provides more
biofuels. But they are known as fossil additive to fossil fuels. And biodiesel energy than is required to grow and
fuels because they are made from – a diesel-like fuel commonly made process it. … For the future, many
decomposed plants and animals that from palm oil – is generally available think a better way of making biofuels
have been buried in the ground for in Europe. On the face of it, biofuels will be from grasses and saplings,
millions of years. Biofuels are similar, look like a great solution. Cars are a which contain more cellulose. … If
except that they’re made from plants major source of atmospheric carbon cellulose can be turned into biofuel,
grown today. Much of the gasoline dioxide, the main greenhouse gas it could be more efficient than cur-
in the United States is blended with that causes global warming. But rent biofuels, and emit less carbon
a biofuel – ethanol. This is the same since plants absorb carbon dioxide dioxide« (National Geographic 2015).

zersetzten Meereskleinstlebewesen entstanden ist. neration (1G), die vor allem Pflanzenmaterial ver-
Dabei sollen Algen den mit Abstand größten Anteil wenden, welches sonst als Nahrung genutzt wird.
an Biomasse gestellt haben. In Deutschland sind dies bei reinen Pflanzen-
kraftstoffen und bei Biodiesel besonders Rapspflan-
Bioethanol zen, deren Öle mechanisch ausgepresst werden und
Die ersten Autos fuhren mit Ethanol und Biodiesel deren Reste Anwendung als Futtermittel finden.
aus Erdnussöl wie ein National Geopgraphic-Arti- Mit industrieller Biotechnologie hat dies wieder-
kel aufzeigt (7 Das ursprüngliche Autobenzin). Erst um eher weniger zu tun. Bei Bioethanol, welches
später wurden sie von günstigeren Erdöl-Derivaten biotechnisch mithilfe der Vergärung durch Mikro-
abgelöst. Heutzutage gewinnen Biokraftstoffe aus organismen gewonnen wird, sind die Ausgangs-
nachwachsenden Rohstoffen wegen der Endlich- materialien vorwiegend die stärkehaltigen Früch-
und Umweltfeindlichkeit bei der Verwendung fos- te (Ähren) von Getreide (Weizen, Roggen) sowie
siler Rohstoffe wieder an Bedeutung. Eine verbes- die Knollen der Zuckerrübe. Mais hat hierzulande
serte Ökobilanz (CO2-Bilanz) kann den Biokraft- nur eine geringe Bedeutung, ganz im Gegensatz zu
stoffen nicht immer nachgewiesen werden, da sie den USA. Brasilien setzt seit Jahrzehnten auf die
zum Teil für ihre Erzeugung noch zu große Men- Fermentation von Zuckerrohr. Viele der 1G-Bio-
gen an fossilem Kraftstoff benötigen. Zudem sehen kraftstoffe werden subventioniert und sind daher
Kritiker sie als nicht effizient genug und zu kost- gegenüber konventionellen fossilen Kraftstoffen
spielig an. Auch gibt es Diskussionen um die Nut- nicht wettbewerbsfähig. In Deutschland hatte die
zung knapper Landressourcen für Energie- statt für im Jahr 2011 erfolgte Einführung von Super-Ben-
Nahrungspflanzen mit der Folge einer möglichen zin, das 10 % Bioethanol enthält (E10) einige Ak-
Verteuerung von Lebensmittelrohstoffen. Dies gilt zeptanzprobleme.
insbesondere für die Biokraftstoffe der ersten Ge-
266 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

2G-Biokraftstoffe in der Atmosphäre vorhandenes CO2 ein. Das pro-


»In der zweiten Generation der Biokraftstoff- duzierte Rohöl (Zielgröße: 1 Mrd. Gallonen/Jahr in
erzeugung wird fast die vollständige Pflan- 2025) kann dann den normalen Weg der Raffine-
ze, einschließlich der schwer zugänglichen rie nehmen, die derzeitigen Kapazitäten liegen bei
Zellulose verarbeitet. Auf der Grundlage 1 Mio. Gallonen pro Jahr. Verschiedene Investoren
organischer Abfälle, wie Stroh, Holzreste, Ab- finanzieren die 2007 gegründete Gesellschaft mit
3 fallprodukte aus der Agrarwirtschaft, Altholz, über 300 Mio. US$: The Wellcome Trust, ARCH
Sägerestholz und minderwertiges Waldholz Venture Partners, die zur Rockefeller-Familie ge-
werden z. B. mithilfe von Bakterien Biokraft- hörende Venrock, Bill Gates’ Cascade Investment
stoffe hergestellt, die eine positive CO2-Bilanz und der Agro-Konzern Monsanto. Nachdem Sap-
aufweisen. Auch schnell wachsende Pflanzen phire 2008 erfolgreich Normalbenzin (91 Oktan)
und Holzsorten, die auf bisher stillgelegten produzierte, setzten die Fluggesellschaften Conti-
Feldern angebaut werden können, dienen nental und JAL den Algen-Kraftstoff im Jahr 2009
der Herstellung von Kraftstoffen der zweiten auf Testflügen ein. Eine kommerzielle Demonstra-
Generation« (Pflanzenforschung, Biokraftstoff ) tionsanlage wurde 2012 fertiggestellt, mit der US-
Raffinerie Tesoro wurde 2013 der erste Kunde für
das regenerative Rohöl gewonnen. Seit Mai 2011
Die Biokraftstoffe der zweiten Generation (2G) – im arbeitet Sapphire mit dem deutschen Technolo-
Englischen auch advanced biofuels genannt – ver- giekonzern The Linde Group zusammen, der sein
werten dagegen hauptsächlich Cellulose (Glukose- Know-how für die kosteneffiziente Bereitstellung
polymer), Hemicellulose oder Lignocellulose. Dies von CO2 beisteuert. 2013 erweiterten beide Firmen
sind nicht-essbare Pflanzenbestandteile, die auch die Zusammenarbeit für mindestens fünf Jahre mit
als non-food-Biomasse bezeichnet werden. Zudem dem Ziel, eine Algenkraftstoff-Produktionsanlage
ist die Verwertung organischer Abfälle aus Land- zu bauen. Die Technologie (Verabeitung von Al-
wirtschaft (Stroh) und Lebensmittelproduktion genbiomasse zu Rohöl) wollen Linde und Sapphire
denkbar. Die holzhaltigen Rohstoffe stellen für eine dann auch zusammen lizenzieren und vermarkten.
kosteneffiziente Produktion eine Herausforderung Die Algen wurden mit traditionellen Mutagenese-
dar, die heutzutage allerdings bereits gelöst wurde. Techniken entwickelt, in Zukunft sollen aber auch
Grundsätzlich hat Ethanol allerdings einen ge- Gentechniken zum Einsatz kommen.
ringeren Energiegehalt als viele andere Treibstoffe Diesen Weg bereits beschritten hat die 2003 ge-
und lässt sich nur schwer mit Diesel vermischen. gründete US-Firma Solazyme, deren gentechnisch
Zudem kann es nicht über Pipelines transportiert optimierte Algen – im Gegensatz zu denjenigen von
werden, was einen Transport mit Tanklastern nö- Sapphire – nicht in offenen Pontons, sondern in
tig macht. Daher kann selbst für die 2G-Biokraft- geschlossenen Tanks aufwachsen. Sie nutzen kein
stoffe die Kompatibilität mit Motoren und existie- Sonnenlicht und Kohlenstoffdioxid, sondern wan-
render Logistik-Infrastruktur eine Markteintritts- deln zucker- und cellulosehaltige Rohmaterialien
barriere darstellen. Eine Lösung wäre die biolo- oder Abfälle in hochwertige Öle um. Diese können
gische Produktion von Substanzen, die chemisch dann als vollwertiger Kraftstoff oder als Ausgangs-
identisch mit herkömmlichen fossilen Kraftstoffen material für andere Industrien (Chemie, Lebens-
sind. Gelungen ist dies bereits den US-Firma Sap- mittel) genutzt werden. 2011 und 2012 fanden Tests
phire Energy und Solazyme, die beide mit Algen der Solazyme-Treibstoffe statt bei einem Flug von
arbeiten. United Airlines und einem Manöver der U.S. Navy.
Bisher verkauft das Unternehmen aber lediglich
Algenkraftstoffe – die 3. Generation (3G) algenölhaltige Hautpflegemittel, mit denen sie die
Sapphire Energy produziert innerhalb von 14 Ta- Hälfte ihres Gesamtumsatzes von 40 Mio. US$ er-
gen Rohöl aus in Salzwasser wachsenden Algen, die zielt, bei einem Verlust von 116 Mio. US$. Größere
dazu nur Sonnenlicht und Kohlenstoffdioxid (CO2) Mengen an Algenkraftstoffen werden erst seit An-
benötigen. In die Ökobilanz fließt lediglich bereits fang 2014 produziert.
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
267 3

Die Sicht von Craig Venter auf den Erfolg von Bio- versus konventionellen Kraftstoffen
»The current approaches being As a result, Venter argues, little real ve solution‘, Venter says. The right
taken by companies trying to make progress in the fight against climate price? Venter leaves that up to the
renewable fuel from algae and other change is possible without one economists. The US Environmental
microbes are woefully inadequate crucial policy – a realistic price on Protection Agency, for example,
…The yields are at least ten to carbon. [Not only] … a carbon-tra- calculates the so-called social cost
fifteen times lower than what one ding scheme [is needed] … [but] a of carbon (the price of the damage
needs to make it even remotely eco- simple tax on all carbon emissions. that carbon does) at between $12
nomically competitive. And even if ‚Until we get serious about the CO2 and $235 per ton, depending on
gene-spliced microbes did produce in the atmosphere and put a tax on discount rates and time horizons.
a flood of biofuels, that very success carbon that recognises the real cost … Yet a carbon tax is now a political
would drive down demand – and of taking carbon out of the ground impossibility in the US and many
thus prices – for oil, making it harder and burning it, we will never be other countries« (Carey 2014).
for renewable options to compete. able to come up with an alternati-

Die Herausforderung bei den Algenkraftstoffen pro Liter) gesenkt werden. Ausschlaggebend waren
liegt – wie bei jeder Fermentation – im sogenann- dabei genetische Modifizierungen und technische
ten Scale-up, dem Überführen der Produktion aus Verbesserungen bei der Extraktion und Konver-
einem Versuchs- oder Pilotmaßstab in den indus- sion. Solazyme geht sogar davon aus, bei der kom-
triellen Großmaßstab. Aus diesem Grund hatte merziellen Produktion ihres Algendiesels einen
beispielsweise die US-Firma Synthetic Genomics, Preis von 3,44 US$ pro Gallone (ca. 0,7 € pro Liter)
gegründet vom Humangenom-Pionier Venter, ihr realisieren zu können. Ihr genetisch optimierter
Ziel nicht erreicht. Im Jahr 2009 begann sie eine Algenstamm enthält bis zu 80 % Öl, wohingegen
mit 600 Mio. US$ bewertete Kooperation mit Ex- unveränderte Stämme laut Solazyme lediglich ma-
xonMobil, um über Hochdurchsatz-Screening ximal 10 % liefern. Die NAABB hat berechnet, wel-
(engl.: high-throughput screening, HTS) einen Al- che weiteren technologischen Verbesserungen be-
genstamm mit hoher Produktionskapazität zu fin- ziehungsweise Ausbeutesteigerungen den Preis auf
den. 2011 zeigte sich dann aber, dass ein von der etwa 2 US$ pro Gallone (0,4 € pro Liter) senken
Biotech-Firma im Labor selektierter Stamm in den könnten (Lane 2014). Das würde einem Preis für
Exxon-Pontons nicht die erwartete Leistung brach- Rohöl (80 US$ pro Barrel) entsprechen. Die Gen-
te. Exxon zog sich daraufhin vom Ziel der kom- technik wird dabei unverzichtbar sein:
merziellen Produktion vorerst zurück. Synthetic
Genomics sah das Problem vor allem darin, dass »» The near term outlook for widespread use of
keine gentechnische Optimierung angewendet algal fuels appears bleak, but fuels for niche
wurde (war von Exxon nicht gewünscht). Venter applications such as in aviation may be likely
sieht aber selbst bei ihrer Anwendung noch mög- in the medium term. Genetic and metabolic
liche Restriktionen einer breiteren Durchsetzung, engineering of microalgae to boost pro-
wenn nicht der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid mit duction of fuel oil and ease its recovery, are
einer Steuer belegt werden würde (7 Die Sicht von essential for commercialization of algal fuels.
Craig Venter auf den Erfolg von Bio- versus konventio- Algae will need to be genetically modified for
nellen Kraftstoffen). improved photosynthetic efficiency in the long
Nur eine große Produktionsmenge erlaubt term. (Chisti 2013)
einen wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Preis der
Algenkraftstoffe. Laut der National Alliance for Ad- Wenn Algenfabriken mit Ponton-Systemen arbei-
vanced Biofuels and Bioproducts (NAABB) konnte ten, benötigen sie eine große Fläche und viel Son-
dieser seit 2010 mithilfe technologischer Verbesse- nenlicht wie zum Beispiel in Wüsten oder an der
rungen von 240 auf 7,5 US$ pro Gallone (ca. 1,5 € Küste. Wie Die WELT anmerkt:
268 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Energiegewinnung durch Photosynthese


Bei der Photosynthese produzieren frei, den andere Lebewesen wiede- phototrophen Organismen sind
Pflanzen, Algen und Bakterien für rum zum Leben benötigen. Beim in der Lage, die Lichtenergie zu
sich selbst (autotrophe Ernährung) Übergang von Wasserstoffatomen sammeln und über eine Elektronen-
Nahrung beziehungsweise Energie (H) aus dem Wasser (H2O) auf das transportkette in chemische Energie
3 in Form von biochemischen Bau-
steinen. Dazu nutzen sie die Energie
absorbierte Kohlenstoffdioxid (CO2)
findet eine Oxidation (Elektronenab-
(Adenosintriphosphat, ATP) umzu-
wandeln (Lichtreaktion). Das gebil-
des Sonnenlichtes (phototroph) und gabe) des Wassers bei gleichzeitiger dete ATP wird in einem Folgeschritt
bauen Kohlenstoffdioxid (CO2) und Reduktion (Elektronenaufnahme) zusammen mit Wasserstoffatomen
Wasser (H2O) zu kohlenwasserstoff- des Kohlenstoffdioxids statt. Den genutzt, um die Glukose herzu-
haltigen Verbindungen (Kohlenhyd- Ablauf dieser chemischen Reaktion stellen (Dunkelreaktion). Glukose ist
rate) um wie z. B. Glukose (C6H12O6). katalysiert die Energie aus dem aufgrund energiereicher chemischer
Schließlich setzen sie Sauerstoff (O2) Sonnenlicht. Die Chloroplasten der Bindungen ein Energiespeicher.

Tests mit gentechnisch veränderten Algen in offenen Teichen an der Universität von San Diego
»Genetic modification of algae is Protection Agency. The researchers fied, while a control algae was not.
also being experimented in outdoor looked at algae growing in five Both the unaltered and GMO versi-
ponds – a controversial practice. lakes in San Diego County: Lindo, ons of Scenedesmus colonized the
Critics said the GMO organisms will Miramar, Murray, Poway and Santee. ponds with the native lake algae,
inevitably escape, with potentially They took water from the lakes to but there was no detectable effect
harmful effects on ecosystems. To the university’s Biology Field Station on the diversity of the native algae
address that concern, Sapphire and placed it in open ponds. Other … Only one species of genetically
and UC San Diego last year tested open ponds contained water with modified algae was tested, so …
how GMO algae might affect algae the algae Scenedesmus dimorphus, further research is needed before
in natural bodies of water, with used in biofuels research. One form wider conclusions can be drawn.«
permission from the Environmental of the algae was genetically modi- (Fikes 2014)

»» Wollte man alles Flugbenzin aus Algenöl herstel- toren besteht die größte Herausforderung darin,
len, wären riesige Algenfarmen nötig, die nach die Algen mit genug Licht für ihre Photosynthese
heutigem Stand der Technik eine Fläche von der (7 Energiegewinnung durch Photosynthese) zu ver-
Größe Portugals bedeckten. (von der Weiden 2011) sorgen. So kommen spezielle LED-Beleuchtungen
zum Einsatz oder sogenannte Solarsammler, die
Neben dem Platzbedarf bringen die offenen Syste- Licht über Prismen in Röhren oder Glasfaserkabel
me ein potenzielles Manko mit sich: das Ein- oder weiterleiten. Letzteres Verfahren wendet die Firma
Ausbringen unerwünschter Einflüsse. Würden gen- SEE Algae Technology (SAT) aus Wien an, die in
technisch veränderte Algen eingesetzt, bestünden Brasilien eine Anlage zur Biodiesel-Produktion
zudem gewiss Sicherheitsbedenken seitens Politik aus Algen betreibt (Busch 2013). Dadurch, dass
und Bevölkerung. Die Firma Sapphire Energy hat das Sonnenlicht in geschlossene Tanks hineinge-
daher zum Beispiel bereits Versuche gestartet, ob leitet wird, können die Algen im ganzen Bioreak-
in dieser Hinsicht Probleme auftreten könnten. wie tor wachsen, statt nur an der Oberfläche, wie in
ein Artikel in The San Diego Union-Tribune dar- herkömmlichen Pontons oder Tanks. Das Kohlen-
legt (7 Tests mit gentechnisch veränderten Algen in stoffdioxid beziehen die Algen aus den Abgasen
offenen Teichen an der Universität von San Diego) einer benachbarten Zuckerfabrik. Diese verbrennt
Geschlossene Systeme für das Algenwachstum Zuckerrohrbargasse zur Energiegewinnung für die
sind deshalb eher von Vorteil, und es wird dazu eigene Produktion. Aus zwei Tonnen CO2 entsteht
kräftig geforscht und entwickelt. In den Bioreak- eine Tonne Algen, die schließlich je zur Hälfte aus
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
269 3
Öl und Biomasse bestehen. Das produzierte Öl Die Stuttgarter Subitec, ein Spin-off des Fraunhofer-
(30 Cent pro Liter) ist Basis für weiterverarbeite- Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstech-
ten Bio-Diesel (40 Cent pro Liter), die restliche nik, arbeitet neben EnBW und FairEnergie auch mit
Biomasse wird als Tierfutter mit einem doppelt so E.ON und GMB/Vattenfall zusammen. Die Bremer
hohen Proteingehalt wie etwa Mais genutzt. Eben- Phytolutions hat über die RWE hinaus ebenfalls die
falls produzierte cholesterinsenkende Omega-3- E.ON zum Partner. Ihrem Gründer, dem Bremer
Fettsäuren lassen sich zudem hochpreisig an die Professor Thomsen an der Jacobs University, gelang
Pharma- und Kosmetikindustrie verkaufen. Der mit seinem Team bereits im Jahr 2004 weltweit als
aktuelle Stand des Projektes ist nicht bekannt. erster Gruppe Mikroalgenbiomasse in Biodiesel zu
Das Einbringen von Licht in ein größeres Vo- konvertieren. In den Kooperationen geht es indes
lumen ist ein relativ neuer Ansatz. Bisher stand die primär um die umweltfreundliche Entsorgung von
Erzeugung einer großen Oberfläche, wie zum Bei- Kohlenstoffdioxid.
spiel in Röhren-, Schlauch- oder Plattensystemen Für die Kraftstoff-Produktion sind Algen den
aus Glas oder Plastik, im Vordergrund. Entspre- an Land angebauten Energiepflanzen überlegen, da
chende Systeme werden auch als Photobioreakto- sie 20- bis 30-mal schneller wachsen. Es gibt Arten,
ren (PBR) bezeichnet. Auch in Deutschland finden die ihre Größe innerhalb von 24 h um das 16-fa-
sich Universitäten und Firmen, die zu PBR forschen che steigern können. Die Ausbeute von Algen pro
und entwickeln oder auf die Algenbiotechnologie Anbaufläche und Jahr kann um den Faktor 10 bis
setzen. In der DECHEMA befasst sich eine spezielle 100 höher liegen als die von anderen Energiepflan-
Fachgruppe mit diesem Thema, die in ihrem Beirat zen, etwa dem Wolfsmilchgewächs Jatropha, dem
Vertreter folgender Institutionen vereint: Raps oder der Kokosnuss. Ein Hektar Raps ergibt
55 (Technische) Universitäten in Erlangen, Göttin- etwa 1500 bis 1800 l Biodiesel, Algenkulturen lie-
gen, Kaiserslautern, Karlsruhe und München, fern dagegen einen Hektarertrag von 10.000 l und
55 Hochschule Anhalt (Köthen), mehr. Die Idee, Algen zur Produktion von Biomas-
55 Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und se, Feinchemikalien oder Kraftstoffen zu nutzen,
Bioverfahrenstechnik – IGB (Stuttgart), ist nicht neu. Heutzutage stehen allerdings immer
55 IGV – Institut für Getreideverarbeitung weiter optimierte Techniken bei der Aufzucht und
GmbH (Nuthetal), Ernte zur Verfügung. Anerkannte Marktpreise für
55 Firmen: BASF Personal Care and Nutrition Algen-Biodiesel sind noch nicht verfügbar, da noch
(Düsseldorf), EADS Deutschland (München), keine Produktion im großtechnischen Maßstab er-
E.ON Hanse (Quickborn), GMB (Senften- folgte. Es ist davon auszugehen, dass sie noch nicht
berg, Tochter von Vattenfall), Linde (Pullach), rentabel ist.
Subitec (Stuttgart), Volkswagen (Wolfsburg),
Wacker Chemie (München). Biodiesel oder Bioethanol direkt aus
Bakterien – die 4. Generation (4G)
Darüber hinaus wenden sich auch folgende Hoch- Einen Preis von rund 25 Euro-Cent pro Liter
schulen, Universitäten und Firmen dem Thema zu: Biodiesel (50 US$ pro Barrel) oder Bioethanol
55 Hochschule Lausitz (Senftenberg) und Bremen (1,28 US$ pro Gallone) will das US-Biotech-Unter-
(Bremen), nehmen Joule Unlimited realisieren. Er läge damit
55 (Technische) Universitäten in Bielefeld, Bo- unter demjenigen der konventionellen Kraftstoffe
chum, Bremen (inklusive Spin-off Phytoluti- (Stand: Ende Juni 2015) bei gleichzeitigem Verzicht
ons), Darmstadt (inklusive Spin-off ALYO- auf endliche Rohstoffe und neutraler Umweltbi-
NIQ), Hamburg-Harburg und Rostock, lanz. Zum Einsatz kommen dabei gentechnisch
55 Firmen: EnBW (Standort Eutingen-Weitingen veränderte Cyanobakterien, früher als Blaualgen
in Zusammenarbeit mit Subitec), FairEnergie bezeichnet.
(Standort Reutlingen in Zusammenarbeit mit
Subitec) und RWE (Standort Niederaußem in
Zusammenarbeit mit Phytolutions).
270 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Neubeginn für die industrielle Photosynthese


»The traditional photosynthetic to produce a biodiesel fuel product, into secreted, fungible hydrocarbon
fuels process is one wherein trigly- e.g., a fatty acyl ester. … These products in a continuous process.
ceride-producing algae are grown efforts were ultimately deemed to … The engineered cyanobacterial
under illumination and stressed to be uneconomical because the costs system is one engineered with a
3 induce the diversion of a fraction
of carbon to oil production. Batch
of culturing, harvesting, and pro-
cessing of algal biomass were not
pathway for linear saturated alkane
synthesis and an alkane secretion
cultivation and processing of algae, balanced by the process efficiencies module, and with a mechanism to
either in open ponds or in closed for solar photon capture and con- control carbonpartitioning to either
photobioreactors, require subse- version. … Genetically engineered cell growth or alkane production«
quent harvesting, dewatering, oil cyanobacteria convert industrially (Robertson et al. 2011).
processing, and transesterification sourced, high-concentration CO2

Cyanobakterien stoff-Produktion konzentrieren. Ohne den Umweg


Cyanobakterien wurden früher zu den Algen über die Biomassebildung katalysiert der Mikro-
gerechnet und als Blaualgen bezeichnet. Da organismus die Synthese von Biokraftstoffen aus
sie aber – im Gegensatz zu den »richtigen« Kohlenstoffdioxid, Wasser und Sonnenlicht (bei
Algen – keinen Zellkern aufweisen, sind sie der einem Wirkungsgrad von 14 %, der sechs- bis sie-
Gruppe der Prokaryoten (zelluläre Lebewesen benmal höher liegt als bei Pflanzen).
ohne Zellkern) zugeordnet worden, also den Diese synthetischen Kraftstoffe sind gegenüber
Bakterien. Innerhalb dieser Spezies zeichnen den konventionellen, aus der Erdölfraktionierung
sie sich durch ihre Fähigkeit zur Photosynthese gewonnenen endlos verfügbar, umweltfreundlich
(Umwandlung von Sonnenlicht in energiehal- und haben den Nutzen einer höheren Reinheit. Zu-
tige chemische Substanzen) aus. Cyanobakte- dem können ihnen bei der Entwicklung bestimmte
rien existieren vermutlich seit mehr als 3,5 Mrd. gewünschte Eigenschaften mitgegeben werden, die
Jahren (Archaikum) und zählen somit zu den sich darauf beziehen, wie sie verbrennen, mischbar
ältesten Lebensformen überhaupt. oder materialverträglich sind. Neben Diesel kann
Joule Unlimited auch Ethanol produzieren. Das
2007 gegründete Unternehmen nennt seine Kraft-
Die höhere wirtschaftliche Effizienz gegenüber stoffe Sunflow-E (Ethanol) und Sunflow-D (Die-
den Algenkraftstoffen ergibt sich aus dem Ein- sel). In Zukunft soll es möglich sein, in einer Fabrik
sparen folgender Zwischenschritte: Erzeugen von auf 10.000 Acre (etwa 40 km2, entspricht ungefähr
Biomasse, Abernten, Trocknen, Aufschluss, Auf- der Größe der Stadt Offenbach bzw. einem mittel-
reinigen sowie Verestern der Öle. Anzucht und großen Ölfeld) eine Reserve von 50 Mio. Barrel
Aberntung erfolgen bei den Algen in einem dis- zu produzieren. Die Joule-Sunflow-Kraftstoffe er-
kontinuierlichen Verfahren, auch Batch-Verfahren fordern dabei im Vergleich zu Rohöl kein weite-
genannt. Joules Ansatz erlaubt dagegen die direkte res Raffinieren. Sie sollen im günstigsten Fall 2017
kontinuierliche Synthese linearer, gesättigter Alka- oder 2018 kommerziell zur Verfügung stehen, auf
ne (Benzin und Diesel), die vom Cyanobakterium jeden Fall aber in weniger als zehn Jahren, ausge-
in das umgebende Medium abgesondert werden hend von 2014. Für die Zukunft nimmt Joule auch
(7 Neubeginn für die industrielle Photosynthese). die Entwicklung mittellangkettiger Kohlenwasser-
Das Bakterium wurde mithilfe der Gentechnik mit stoffe in Angriff: Sunflow-G (gasoline, Benzin) und
Genen für die Ethanol-Produktion ausgestattet. Sunflow-J (Jet, Kerosin für Flugzeuge). Das private
Gleichzeitig wurden Gene entfernt, die nicht unbe- Unternehmen hat bisher unter der Führung der US-
dingt zum Überleben notwendig sind. So soll sich VC-Firma Flagship Ventures über 160 Mio. US$ an
der Stoffwechsel vor allem auf die Kohlenwasser- finanziellen Mitteln eingenommen.
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
271 3

e-Ethanol und e-Diesel von Audi


»e-Ethanol« und »e-Diesel« nennt Ethanol aus Zuckerrohr, cellulose- CO2-neutraler Kraftstoffe unterstützt
Audi einen neuen, CO2-neutralen basiertem Ethanol oder der Algen- (zusammengestellt aus Informatio-
Kraftstoff. In einer Kooperation Produktion wird immer noch ein gut nen von Lane (2015), Tacke (2013)
mit der Biotech-Firma Joule Un- zehn-, vier- oder zweifacher Ertrag und Joule (2012)).
limited aus Bedford/Massachusetts erreicht. Ziel ist es, 25.000 Gallonen
Win-win für Joule und Audi
(USA) treibt Audi die Entwicklung pro Acre und Jahr zu produzieren,
»Joule will … benefit from Audi’s
synthetischer Kraftstoffe voran. was rund 240.000 l pro Hektar pro
considerable expertise and global
Joule und Audi als Hauptsponsor Jahr entspräche. Bei dieser Leistung
reach as well as from the strength
haben gemeinsam eine industrielle würde der Ertrag gegenüber den
of its brand. In turn, Audi will have
Pilotanlage im US-Bundesstaat Biokraftstoffen der 1. Generation um
a first mover advantage as Joule’s
New Mexiko errichtet. Die Anlage das 70-fache übertroffen werden,
exclusive partner in the automotive
wurde im September 2012 in Be- ohne eine Konkurrenz zu Nahrungs-
sector. For Audi, the agreement fits
trieb genommen und liefert bereits mitteln zu erzeugen. Im Vergleich
with its stated objective to become
75.000 l Ethanol pro Hektar. Auf zu den aktuell im Trend liegenden
a carbon-neutral personal trans-
sonnenbeschienenen unbenutzten Algenkraftstoffen läge die Ausbeute
portation provider for generations
Steppen-, Acker- oder Wüsten- immer noch um den Faktor 5 höher.
to come. In addition to this pionee-
flächen wird in relativ einfachen Für den e-Diesel streben Audi und
ring initiative with Joule, the Audi
Kunststoffschläuchen »grüner Sprit« Joule ein Produktionsziel von 15.000
carbon-neutral mobility strategy
aus Kohlenstoffdioxidhaltigen Gallonen pro Acre und Jahr an, was
is exploring a range of innovations
Industrieabgasen sowie Salz- oder gut 140.000 l pro Hektar pro Jahr
offering the potential to reduce the
Brackwasser gewonnen. Bereits die entspräche. Der Beitrag von Audi
impact of premium mobility, inclu-
Pilotanlage liefert gut 20-mal so viel liegt neben der Finanzierung beim
ding developments in manufactu-
Ethanol pro Hektar Landfläche wie speziellen Know-how im Bereich
ring and recycling vehicles at the
der vergleichbare Anbau von Mais Kraftstoff- und Motorentests, was
end of their lifecycle« (Joule 2012).
und dessen Vergärung. Gegenüber die Entwicklung marktfähiger

Dieser Ansatz hat den deutschen Autokonzern »» Mitarbeiter des in Florida angesiedelten Unter-
Audi aufmerksam gemacht, der seit dem Jahr 2011 nehmens Algenol Biofuels [entwickelten] die
mit der US-Biotech-Firma kooperiert (7 e-Ethanol Vision von lebenden Biosprit-Fabriken und
und e-Diesel von Audi) und sich im Automobilbe- suchten nach Partnern, die das Verfahren auf
reich die Exklusivrechte erworben hat. Audi testete seine Machbarkeit prüfen sollten. Weltweit gab
den Biosprit und bescheinigte ihm im Vergleich zu es allerdings nur eine Handvoll Experten, die
konventionellen Treibstoffen ein effizienteres Ver- sich mit Cyanobakterien auskannten, und so
brennen im Motor mit geringeren Emissionen. stießen sie auf eine Ausgründung der Berliner
Joule Unlimited ist allerdings nicht das erste Humboldt-Universität. In der 2004 gegründeten
Unternehmen, das den Cyanobakterien-Ansatz Firma Cyano Biotech untersuchten Dan Kramer
verfolgt. Bereits 2006 gründete sich in Florida die und zwei Kollegen, ob Cyanobakterien als Lie-
Algenol Biofuels, dessen Gründer Woods schon feranten für Arzneiwirkstoffe in Frage kommen.
1984 mit Cyanobakterien experimentierte. Anfang Ihr Know-how überzeugte die amerikanischen
der 2000er-Jahre sicherte er sich Patente für die Blaualgen-Enthusiasten und so ging der Auftrag
Idee zur direkten Produktion von Ethanol mithilfe für die Machbarkeitsstudie nach Berlin. ‚Unsere
von Cyanobakterien (7 Mit »Blaualgen« auf direk- Untersuchungen haben so gute Ergebnisse ge-
tem Wege Ethanol produzieren). Im Zuge der Suche liefert, dass wir im April 2007 eine zweite Firma
nach Partnern, die diese Idee auf Machbarkeit tes- gegründet haben‘, sagt Kramer. (Viering 2009)
ten, identifizierte Algenol entsprechendes Know-
how in Deutschland wie ein Artikel in der Berliner Algenol Biofuels übernahm 2010 dann die im Jahr
Zeitung berichtet: 2007 gegründete Cyano Biofuels, die nun als eine
molekularbiologische Forschungstochter fungiert.
272 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Mit »Blaualgen« auf direktem Wege Ethanol produzieren


» As a genetics student at the Uni- in the laboratory. … This early work was the photobioreactor system
versity of Western Ontario, Paul culminated in patent filings in 1997 for cultivating hybrid algae. DIRECT
Woods invented DIRECT TO ETHA- and 1998 and in a scientific publica- TO ETHANOL technology relies on
NOL technology in 1984 by enhan- tion in Applied and Environmental intracellular production of ethanol,
3 cing metabolic pathways and over-
expressing fermentation pathway
Microbiology in 1999. US patents …
were issued in 2001 and 2004, with
which evaporates, along with water,
into the headspace of the enclosed
enzymes in blue-green algae for an Australian patent and European photobioreactor to be collected and
the production of ethanol. Over the patent following in 2005 and 2007, purified into fuel-grade ethanol«
next decade, Mr. Woods collabora- respectively. … Another invention (Algenol 2015).
ted with … the University of Toronto established early in the Company’s
to demonstrate proof-of-principle history and crucial to its success

Berliner Wissenschaftler sind Miterfinder bei ver- ihren Ländern, wobei in Mexiko 4 Mrd. l Bioetha-
schiedenen eingereichten und erteilten Patenten. nol pro Jahr hergestellt werden sollen (auf 400 km2,
Die Ethanol-Produktion läuft nach ähnlichen eine Fläche etwa halb so groß wie Berlin). Dieser
Prinzipien wie bei Joule: Cyanobakterien, die die Ertrag entspräche fast der doppelten Menge, die
benötigten Enzyme überexprimieren, wandeln in Deutschland derzeit dem E10 beigemischt wird.
Sonnenenergie, Kohlenstoffdioxid und Wasser um Das unternehmerische Potenzial wird vom Maga-
in Ethanol. Algenol erntet aber zudem noch die zin Gulfshore Business bereits mit demjenigen von
entstandene Biomasse. Diese wird nach Trocknung Genentech verglichen (7 Bioenergie: die nächste
hydrothermisch in Rohöl verflüssigt und dann wei- Biotech-Revolution?). Wiederum ist der deutsche
ter zu einer Mischung aus Diesel, Kerosin und Ben- Linde-Konzern Partner in Sachen Kohlenstoffdi-
zin verarbeitet. Beide Unternehmen unterscheiden oxid-Management. Im Rahmen der Kooperation
sich ferner in der eingesetzten Photobioreaktor- entwickeln Algenol und Linde kosteneffiziente
Technik: Joule nutzt horizontal aufgebaute Röh- Technologien für das Versorgen und Abtrennen
rensysteme, Algenol vertikal ausgerichtete Beutel- von CO2 sowie dessen Transport. Eine Auto-Firma
systeme. ist bei den Partnern bisher nicht dabei.
2011 startete Algenol den Bau einer Pilotan- In Deutschland wäre die sonnengetriebene
lage in Florida, die seit Mitte 2013 in Betrieb ist. cyanobakterielle Bioethanol-Produktion wegen
Das Unternehmen gibt an, derzeit pro Acre Land kalter Winter, zu wenig Licht und fehlender Frei-
(etwa 4000 m2) 8000 Gallonen (31.000 l) Kraft- flächen unwirtschaftlich. Hinzu kommen besonde-
stoffe produzieren zu können, die sich wie folgt auf re grundsätzliche Bedenken aufgrund des Einsatzes
die verschiedenen Arten aufteilen: 6805 Gallonen gentechnisch veränderter Mikroorganismen und
Ethanol, 500 Gallonen schwefelarmer Flugdiesel, ihrer möglicherweise unkontrollierten Freisetzung.
380 Gallonen Benzin sowie 315 Gallonen Kero- Der Biologe Kramer von der Berliner Cyano Biofu-
sin. Mitte 2015 soll die Kraftstoff-Produktion im els (heute Algenol Biofuels) sagt dazu und zu der
kommerziellen Maßstab starten, sodass 2016 Bio- Sorge, dass der deutsche Standort von der amerika-
sprit verkauft werden kann. Der angestrebte Preis nischen Mutter geschlossen werden könnte:
liegt bei 1,27 US$ pro Gallone (rund 25 Euro-Cent
pro Liter). Ziel ist, auf 10.000 Acre (40 km2) bis
»» ‚Außerhalb der Bio-Reaktoren sind unsere
Einzeller nicht lebensfähig.‘ ‚Nirgendwo auf der
zu 100 Mio. Gallonen (388 Mio. l) Kraftstoff pro
Welt ist die Blaualgenforschung so weit wie in
Jahr zu synthetisieren. Das wären weniger als ein
Berlin und Potsdam‘. (Woldt 2011)
Tausendstel des aktuellen Verbrauchs in den USA.
Der Gründer sowie private Investoren aus Indien Cyanobakterien wandeln wie Pflanzen Lichtener-
und Mexiko investierten bisher über 250 Mio. US$ gie in chemische Energie, genauer gesagt in ener-
in Algenol. Zudem errichten sie eigene Anlagen in giereiche chemische Substanzen, die sie zum Leben
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
273 3

Bioenergie: die nächste Biotech-Revolution?


»Even if its impact is small, with its co-founder Legere, who compares they weren’t entrepreneurial‘, he
global backing from Mexico to India the fledgling bioenergy industry says. Nimble biotech companies like
and potentially spanning Israel and today to the biotech revolution Genentech showed the way. … Now,
Brazil, tiny Algenol has a chance to years ago. ‚When the biotechnology entrepreneurial bioenergy compa-
become an important bioenergy revolution came through, big phar- nies like Algenol are poised to show
player on an international scale. ma companies didn’t understand big energy giants the way to make
Already, Algenol employs about anything [about] biology. They money with alternative fuels, Legere
50 researchers in Berlin and has an put big biological RSCD programs believes« (Brady 2014).
office in Switzerland. ‚This is going into place and they all failed. They
to be a global corporation‘, predicts couldn’t invent products because

Chemoautotrophe Bakterien leben von Kraftwerksabgasen


» lm Schlot eines stillgelegten Braun- der Algenbiotechnologie zu über- mit Methoden der synthetischen Bio-
kohlekraftwerks von RWE fanden … winden. Denn metallene Fermenter logie komplett umgebaut. So sollen
BRAIN-Forscher 123 neue Mikroben lassen sich im Unterschied zur Al- die Mikroben am Ende Rohstoffe für
aus der Klasse der Archaeen. Diese genfarm sogar im dicht besiedelten Kohlenstoffdioxid-basierte Kunststof-
leben im Schornstein nur von Koh- Ruhrgebiet direkt neben Kraftwerken fe liefern und eventuell auch Sprit
lenstoffdioxid und Schwefel aus dem aufstellen. RWE unterstützt den Bio- produzieren. 2016 könne eine Pilot-
Abgas, bei Temperaturen um 60 Grad tech-Spezialisten BRAIN seit wenigen anlage in Betrieb gehen. Und vier
Celsius. Licht brauchen sie nicht. Monaten aus einem 90-Millionen- Jahre später will BRAIN die Technik
Damit haben die Kraftwerksbewoh- Euro-Etat. Der Stoffwechsel der der bakteriellen Klimaretter kommer-
ner das Potenzial, die Hemmnisse Bakterien aus dem Schlot wird nun zialisieren« (Donner et al. 2013).

brauchen. Sie und weitere phototrophe Bakterien Innerhalb der chemotrophen Bakterien kommen
werden zahlenmäßig indes von anderen Bakterien- überwiegend die Chemoorganotrophen vor, die
Arten übertroffen, die meist chemotroph sind. – wie alle Tiere und Menschen – Glukose (Trau-
benzucker) verstoffwechseln und daraus Energie
Die 5. Generation (5G)? – Lichtunabhängige gewinnen. Nur ein kleiner Teil ist chemoautotroph,
chemoautotrophe Bakterien als das heißt fähig, nur mithilfe von anorganischen
Produzenten Substanzen zu leben, wie zum Beispiel Wasserstoff
oder Schwefelwasserstoff. Diese dienen dann in der
Chemotrophie
Atmungskette als Elektronenlieferanten.
Chemotroph bedeutet, dass die Energie zum Die Atmungskette ist in Organismen, die nicht
Leben aus chemischen Vebindungen gezogen von Lichtenergie leben, das Pendant zur Lichtreak-
wird. Verstoffwechseln Organismen dazu orga- tion (Elektronentransportkette) der phototrophen
nische Stoffe (z. B. Glukose) sind sie chemoor- Lebewesen: Der energiereiche Nährstoff gibt Elek-
ganotroph. Es gibt aber auch Lebewesen, die tronen ab (Oxidation) und ein Elektronenakzeptor
ihre Energie aus anorganischen Verbindungen nimmt diese – meist über mehrere Schritte – letzt-
beziehen. Sie leben dann chemolitotroph. Da lich an (Reduktion). So wird Energie in Form eines
sie nicht auf – über den Umweg durch andere Elektronentransports beziehungsweise Elektronen-
(in der Regel Pflanzen) produzierte – organi- flusses wie bei einer Batterie (elektrochemische Zel-
sche Stoffe angewiesen sind, ist ihre Lebens- le mit Redoxreaktion) weitergegeben. Energie kann
form chemoautotroph. de novo niemals generiert oder zerstört werden, es
findet immer eine Wandlung statt. Atombindungen
274 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Synthesegas als Substrat für die Bioethanol-Produktion


» [Bei Synthesegas] handelt es sich Typisches Gärungsendprodukt ist kommerzielle Anlage in China soll
um eine Mischung aus überwie- Acetat. Durch Variation der Medien- 2012 fertiggestellt werden. Coskata
gend CO und H2, mit geringeren zusammensetzung ist es allerdings nutzt für die Synthesegaserzeugung
Bestandteilen von CO2 und anderen gelungen, die Clostridien zu einer Biomasse, was eine Kombination
3 Komponenten wie NH3, N2 und H2S.
Synthesegas ist einerseits eine wich-
fast hundertprozentigen Ethanol-
bildung zu bewegen. Damit wurde
bei der Alternativsubstrate darstellt.
Die Produktbildung muss nicht auf
tige Komponente der chemischen nicht nur ein alternatives Substrat Ethanol beschränkt bleiben. Für
Industrie, andererseits aber auch ein erschlossen, das nicht mit Nah- Clostridium ljungdahlii wurde durch
Abgasstrom von z. B. Stahlwerken. rungsmitteln konkurriert, sondern entsprechende Stammkonstruktion
Eine Reihe von acetogenen Clost- auch ein Beitrag zur Verringerung bereits eine Butanolbildung erzielt,
ridien, wie z. B. Clostridium autoet- der CO- und CO2-Belastung der in Clostridium autoethanogenum
hanogenum, C. carboxidivorans, C. Atmosphäre geleistet. Entsprechen- eine natürliche 2,3-Butandiol-Pro-
ljungdahlii und C. ragsdalei, nutzen de Demonstrationsanlagen der duktion nachgewiesen« (Dürre
diese Gasmischung als alleinige Firmen Coskata, IneosBio und Lan- 2013).
Kohlenstoff- und Energiequelle. zaTech sind bereits in Betrieb, eine

in Molekülen speichern in diesen Energie in chemi- waste-gas-to-fuel and chemicals startup« bezeich-
scher Form. Werden zum Beispiel fossile Rohstoffe nen, im Dezember 2014 eine überzeichnete Risiko-
verbrannt (Aktivierungsenergie nötig – Zündung), kapital-Runde in Höhe von 112 Mio. US$ durchfüh-
dient der Luftsauerstoff als Elektronenakzeptor und ren. Knapp die Hälfte der Summe stammt aus einem
thermische Energie wird frei. In einem Motor wird Staatsfond, die andere Hälfte von früheren Investo-
diese dann in mechanische Energie gewandelt. ren, unter anderem Mitsui, Siemens, CICC Growth
Unter Ausnutzung von chemoautotrophen Capital Fund, Khosla Ventures, Qiming Venture
Bakterien lassen sich gleich zwei Fliegen mit Partners, K1W1 und dem Malaysian Life Sciences
einer Klappe schlagen: Produktion von Rohstof- Capital Fund. Diese vierte VC-Runde erhöhte das
fen bei gleichzeitiger Verwertung von Abgasen. eingeworbene Eigenkapital auf 186 Mio. US$.
Umweltfreundlicher geht es kaum noch. Ein der- Auch die deutsche BRAIN sicherte sich bereits
artiges Projekt verfolgt das hessische Biotech- im Jahr 2012 60 Mio. € (78 Mio. US$) an Eigenka-
Unternehmen BRAIN mit seinem Partner RWE pital. Die Finanzierungsrunde ist die bisher höchste
(7 Chemoautotrophe Bakterien leben von Kraft- im Bereich der Weißen Biotechnologie in Deutsch-
werksabgasen). Dabei können Grundchemikalien land. Neben den MIG Fonds Hauptinvestor ist die
gewonnen werden, zu denen auch Brennstoffe ge- Familie Putsch, die im Jahr 2010 ihr Geschäft mit
hören. Automobilsitzen (Recaro) verkaufte.
Ein ähnlicher Ansatz stellt die Verwendung
von Synthesegas als »Futter« für Bakterien dar. Andere zukünftige biotechbasierte
Hierbei leben diese nicht von Kohlenstoffdioxid Energieträger
und Schwefel wie im obigen Beispiel, sondern sie Neben Ethanol kommen auch andere kohlenstoff-
verwerten Kohlenmonoxid und Wasserstoff (Syn- haltige Energieträger als Treibstoff infrage. Auch sie
thesegas). Ohne Konkurrenz zum Nahrungsmit- können mithilfe von Mikroorganismen zum Bei-
telsektor und ohne Beanspruchung knapper Land- spiel aus Pflanzenabfällen produziert werden.
ressourcen lässt sich damit mikrobielles Bioethanol So stellt die französische Firma Global Bioener-
produzieren (7 Synthesegas als Substrat für die Bio- gies leichte Olefine wie Isobuten und Butadien her.
ethanol-Produktion). Laut |transkript (2014) hat das Unternehmen für
Firmen, die auf diesem Gebiet tätig sind, stehen Butadien, einen der wichtigsten Bausteine der Pet-
bei Investoren derzeit hoch im Kurs. So konnte die rochemie, nun einen vollständig biobasierten Pro-
neuseeländische LanzaTech, die sich selbst als »a zess ohne zusätzliche chemische Zwischenschritte
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
275 3

Forscher produzieren erstmals Audi e-benzin


»Audi e-benzin wird synthetisch Reiner Mangold, Leiter Nachhaltige Pomacle bei Reims eine Pilotanlage
und erdölunabhängig hergestellt. Es Produktentwicklung der AUDI AG, zur Herstellung von Isobuten, dem
besteht zu 100 Prozent aus Isooktan betont, dass sich Audi bei der Ent- Grundstoff von Audi e-benzin. Es
und weist somit eine hervorragende wicklung CO2-neutraler, nicht-fossi- entsteht hier nicht wie üblich aus
Klopffestigkeit von ROZ 100 auf. Audi ler Kraftstoffe breit aufgestellt hat: Erdöl, sondern aus nachwachsenden
e-benzin ist schwefel- und benzolfrei ‚Global Bioenergies hat bewiesen, Rohstoffen. Ein weiterer Projekt-
und verbrennt daher sehr sauber. Es dass auch das Herstellungsverfahren partner ist das Fraunhofer-Zentrum
handelt sich somit um einen hoch- für Audi e-benzin funktioniert – das für Chemisch-Biotechnologische
wertigen Kraftstoff, der es erlaubt, ist ein großer Schritt in unserer Audi Prozesse (CPB) in Leuna (Sachsen-
Motoren höher zu verdichten und e-fuels-Strategie.‘ So stellt Audi in Anhalt). Hier wandeln Forscher das
damit die Effizienz zu steigern. Audi industriellem Maßstab bereits syn- gasförmige Isobuten mithilfe von
wird den neuen Treibstoff in Labors thetisches e-gas in größeren Men- Wasserstoff in flüssiges Isooktan
und Versuchsmotoren testen. Mittel- gen für seine Kunden her. Weitere um. Global Bioenergies errichtet im
fristig will die Marke zusammen mit Forschungsprojekte mit verschie- Fraunhofer-Zentrum eine Demons-
Global Bioenergies den Prozess so denen Partnern befassen sich mit trationsanlage, die ab 2016 größere
modifizieren, dass er ohne Biomasse Audi e-ethanol, Audi e-diesel und Mengen produzieren soll«
auskommt – dann genügen Wasser, Audi e-benzin. Die Global Bioener- (Audi 2015).
Wasserstoff, CO2 und Sonnenlicht. gies S.A. betreibt im französischen

entwickelt. Da es für dieses direkte Verfahren in der rund 1000 Projekten beruhen etwa 500 auf Bio-
Natur kein Vorbild gibt, erstellte Global Bioener- technologie. Ber der anderen Hälfte handelt es
gies zuerst einen neuen Stoffwechselweg mit einer sich um Vorhaben, die zwar von nachwachsenden
Reihe von nicht-natürlichen enzymatischen Reak- Rohstoffen ausgehen, daher ebenfalls biofuels ge-
tionen. Die Erbinformation für diese neu designten nannt, die aber auf chemischen und physikalischen
Enzyme wurde schließlich in einen Produktions- ­­Aufarbeitungstechnologien beruhen. Von den 1000
stamm eingeschleust. Der neue Prozess soll eine im biofuel-Projekten entfallen bisher lediglich unge-
Vergleich zur bisherigen Herstellung deutlich ver- fähr 15 % auf Biokraftstoffe der zweiten Generation,
besserte Wirtschaftlichkeit mit sich bringen. also cellulosebasierte Alkohole. Die Fermentation
Die Produktion von biologisch hergestelltem kommt hier mit Pflanzenabfällen und holzhaltigen
Bioisobuten ist dagegen das am weitesten fortge- Rohstoffen zurecht. Die Hälfte dieser 2G-Projekte
schrittene Programm. Isobuten ist als vielseitig ver- findet in den USA statt.
wendbares Molekül einfach zu Isooktan umwandel- . Tabelle 3.43 listet Firmen, die sich mit der-
bar, dem Referenzmolekül für Benzinmotoren (Ok- artigen 2G-Ansätzen sowie mit Biokraftstoffen der
tanzahl 100). Es hat einen hohen Energiegehalt und dritten oder höheren Generation beschäftigen.
kann leicht mit fossilen Brennstoffen gemischt wer- Neben Innovationen beim zu vergärenden Rohma-
den, weshalb keine neue Speicher-, Transport- oder terial finden sich Kraftstoffe, die nicht ethanolba-
Vertriebsinfrastruktur erforderlich ist. Interessiert siert sind: Methanol oder Isobutanol. Eine Gallone
an dieser Technologie zeigte sich wiederum Audi Butanol besitzt etwa 90 % der Energie der gleichen
(7 Forscher produzieren erstmals Audi e-benzin). Im Menge Benzin (Ethanol 70 %). Es kann zudem vor-
Mai 2015 übergab Global Bioenergies die erste Bio- handene Benzinleitungen nutzen und lässt sich
benzin-Charge an den Automobilhersteller. gegenüber Ethanol zu einem höheren Prozentsatz
mit Benzin mischen, ohne dass Motoren modifi-
Übersicht zu Biokraftstoff-Firmen ziert werden müssten.
Der Informationsdienst BiofuelsDigest führt eine
Liste mit Biokraftstoff-Projekten weltweit. Von
276 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.43 Ausgewählte Firmen mit Bezug zur Produktion von Biokraftstoffen (hauptsächlich ab 2G). (Quelle:
BioMedServices 2015)

Firma (Gründung) HQ Kraftstoffart (Generation) Technologie/Anmerkung

Algenol (2006) US 4G: Sonnenlicht, CO2 und H2O Cyanobakterien/Tochter in Berlin


(frühere Cyano Biofuels)
3 Coskata (2006) US 2G/5G: agrarische und kommunale Synthesegas-Fermentation mit
­Abfälle, Industrieabgase acetogenen Clostridien
Dyadic (2003) US 2G: Agrar-Reststoffe (Cellulose) Myceliopthora thermophila
Gevo (2005) US 1G: Isobutanol aus Mais Hefe-Fermentation
Joule Unlimited (2007) US 4G: Sonnenlicht, CO2 und H2O Cyanobakterien
Sapphire Energy (2007) US 3G: Sonnenlicht, CO2 und H2O Algenbiomasse zu Bio-Diesel
Solazyme (2003) US 3G: Sonnenlicht, CO2 und H2O Algenbiomasse zu Bio-Diesel
Solix BioSystems (2006) US 3G: Sonnenlicht, CO2 und H2O Algenbiomasse zu Bio-Diesel
Qteros (2005) US 2G: Agrar-Reststoffe (Cellulose) Clostridium phytofermentans
Crop Energies (2006) D 1G: Ethanol aus Zuckerrübensirup, Mais, Hefe-Fermentation/Tochter von
Gerste und Weizen Südzucker
Phytolutions (2008) D 3G: Sonnenlicht, CO2 und H2O Algenbiomasse zu Bio-Diesel
Verbio (2006) D 2G: Agrar-Reststoffe (Cellulose) Hefe- und Bakterien-Fermen-
tation
Butalco (2009) D 2G: Isobutanol aus Lignocellulose Hefe-Fermentation/
2014: < Lesaffre
Clariant (1995) CH 2G: Agrar-Reststoffe (Cellulose) Hefe-Fermentation/Tochter in
München (frühere Südchemie)
INEOS Bio (2008) CH 2G: agrarische Abfälle (Cellulose), Synthesegas-Fermentation mit
gasifiziert acetogenen Clostridien
Fermentalg (2009) F 3G: Sonnenlicht, CO2 und H2O Algenbiomasse zu Bio-Diesel
Global Bioenergies F 1G/2G: Isobuten aus Agrar-Stoffen »Künstliches« Bakterium
(2008)
Beta Renewables (2011) IT 2G: Agrar-Reststoffe (Cellulose) Hefe-Fermentation
LanzaTech (2005) NZ 5G: Industrieabgase Synthesegas-Fermentation mit
acetogenen Clostridien

HQ headquarter (Hauptsitz), CH Schweiz, D Deutschland, F Frankreich, IT Italien, NZ Neuseeland, US USA

3.2.4 Spezialchemikalien 55 die Herstellung in komplexen Synthesen, die


(Feinchemikalien) mehrere Reaktionsschritte umfassen,
55 die Herstellung in geringen Mengen (nur we-
Biotechnische Verfahren nutzen neben der Produk- nige Tonnen oder manchmal auch nur einige
tion von Grund- oder Basischemikalien ebenfalls Kilogramm pro Jahr),
die Herstellung von Spezialchemikalien, auch Fein- 55 einen garantierten Reinheitsgrad mit konkre-
chemikalien genannt (7 Was ist Spezialchemie?). ten Angaben über Art und Mengen von Ver-
Laut Wikipedia (Feinchemikalie) findet sich keine unreinigungen.
exakte Definition zu Feinchemikalien, es werden
dazu aber folgende Merkmale gelistet:
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
277 3

Was ist Spezialchemie?


»Der Begriff ist nicht eindeutig tel) oder Funktion (Flammschutz). die das spezielle Know-how und die
definiert, aber in der Regel versteht Feinchemikalien und pharmazeuti- Produktionsmöglichkeiten selbst
man darunter chemische Produkte sche Wirkstoffe haben ein anderes nicht haben. Ende der 1990er-Jahre
mit folgenden Eigenschaften: Geschäftsmodell (basierend auf der entstanden zahlreiche Spezialche-
55 Im Vordergrund steht die Reinheit des Stoffes), werden aber mieunternehmen durch die Dekons-
Wirkung, nicht die chemische trotzdem häufig zur Spezialchemie truktion der chemischen Industrie,
Beschaffenheit. gezählt. Der Übergang zwischen wichtige Beispiele waren Clariant
55 Die Produkte sind für spezielle Basischemie und Spezialchemie ver- (Spin-off der Sandoz-Chemiesparte
Anwendungen, häufig sogar läuft fließend und kann sich auch im 1995, Übernahme des Spezialchemi-
kundenspezifisch, hergestellt. Zeitverlauf ändern. Die Unterneh- kaliengeschäft von Hoechst 1997),
55 Der Anteil an den Gesamtkos- men der Spezialchemie haben einen Rhodia (Rhône-Poulenc Spin-off
ten ist für den Kunden relativ hohen Aufwand für Forschung und 1998), Ciba AG (Novartis Spin-off
gering, spielt aber eine wichtige Entwicklung, da sie oft nur im Markt 1997), Cognis (Henkel Spin-off 1999),
Rolle für sein Produkt. bestehen können, wenn sie stän- Lonza Group (Alusuisse Spin-off
55 Relativ kleine Volumina und dig neue und innovative Produkte 1999). Inzwischen wurden zahlreiche
daher häufig diskontinuierliche entwickeln. Auch die Herstellkosten dieser Unternehmen von diversi-
Produktionsverfahren. sind meistens gegenüber den in fizierten Chemieunternehmen wie
Massenproduktion hergestellten BASF (Ciba, Cognis) oder Solvay
Typische Spezialchemie-Produkte
Grundchemikalien sehr hoch. Im (Rhodia) übernommen. Bestehende
sind diverse Additive, wie bei-
Gegenzug können aber auch sehr Unternehmen mit einem hohen
spielsweise Flammschutzmittel,
hohe Preise erzielt werden und der Anteil Spezialchemie sind beispiels-
Lichtschutzmittel und Lebensmit-
Einfluss der Rohstoffkosten ist ge- weise Altana, Clariant, Evonik Indus-
telzusatzstoffe. Die Einteilung der
ringer. Spezialchemieunternehmen tries und Merck KGaA« (Wikipedia,
Spezialchemie erfolgt entweder
führen oft Lohnsynthesen im Auf- Spezialchemie).
nach Kundenindustrie (Lebensmit-
trag anderer Unternehmen durch,

Dieselbe Quelle hält fest, dass diese Charakteristi- Lysin, die mengenmäßig am zweithäufigsten
ken einen deutlich höheren Preis im Vergleich zu per mikrobieller Fermentation produzierte Ami-
Grundchemikalien verursachen. nosäure, ist seit vielen Jahren integraler Bestand-
Typische Spezialchemikalien sind zum Beispiel teil von Futtermittelmischungen für Geflügel und
Aminosäuren, Vitamine und Mineralstoffe, tech- Schweine. Es ergänzt als essenzielle Aminosäure
nische Enzyme sowie pharmazeutische Wirkstoffe diejenigen Futtermittelrationen, die mit Getreide
wie Antibiotika oder Steroide. Sie finden Anwen- (speziell Mais) und minimalem Pflanzenprotein
dung als Lebensmittelzusätze oder als Rohstoffe bei formuliert sind. Da global Mais der wesentliche
der Herstellung von Kosmetika und Waschmitteln. Kohlenhydratträger von Futtermitteln ist und Pflan-
Diese Produkte sind außer auf biosynthetischem zenproteine in vielen Ländern nur begrenzt verfüg-
Wege anderweitig überhaupt nicht (wirtschaftlich) bar sind, stieg die Lysin-Nachfrage und entspre-
herstellbar. chend die Lysin-Produktion von unter 200.000 t
im Jahr 1990 auf über 1,3 Mio. t im Jahr 2009 (ECO
3.2.4.1 Aminosäuren SYS 2011). Bereits in den 1970er-Jahren wurde ein
Aminosäuren werden sehr häufig in der Lebens- großtechnisches Fermentationsverfahren entwi-
mittelindustrie eingesetzt. Auf biotechnologischem ckelt, und bis Anfang der Jahre 2000 konzentrierte
Wege mit Abstand die höchste Produktionsmen- sich die Lysin-Produktion in Nordamerika, Europa
ge entfällt dabei auf das Glutamat, das Salz der und südostasiatischen Ländern außerhalb Chinas.
Glutaminsäure (. Tab. 3.44). Sehr beliebt ist es als Seit der ab 2005 erfolgten Errichtung großer Pro-
Geschmacksverstärker, vor allem in asiatischen duktionsstätten in China werden rund 35 % der
Ländern. So finden auch über 90 % der globalen globalen Produktion dort erzeugt. Neben Lysin
Produktion in China oder anderen Ländern Süd- sind weitere Futtermittelzusätze die Aminosäuren
ostasiens statt (ECO SYS 2011). Methionin, Threonin und Tryptophan.
278 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.44 Biotechnisch hergestellte Aminosäuren. (Quelle: BioMedServices (2015) nach DECHEMA (2004, 2014),
Eggeling (2013), ECO SYS (2011))

Produkt Menge Preis/kg (€) Marktwert Hauptanwendung Hersteller


(kt/Jahr) (Mio. €)

Mikrobielle Fermentation
3 Glutamat 2300 1,20 2760 Geschmacksverstärker Ajinomoto

Lysin 1500 2,00 3000 Futtermittelzusatz Evonik Degussa, BASF,


Ajinomoto

Threonin 200 6,00 1200 Futtermittelzusatz Evonik Degussa, ADM

Phenyalanin 20 10,00 200 Aspartam, Medizin DSM

Tryptophan 4,5 20 90 Futtermittel, Ernährung Ajinomoto

Arginin 1 20 20 Medizin, Kosmetika Kyowa Hakko

Cystein 1,5 20 30 Lebensmittel, Pharma Wacker

Andere (inkl. 3 – – Pharmaka, Kosmetika, Evonik Degussa, Ajino-


Derivate) Ernährung moto, Kyowa Hakko

Biokatalyse und Biotransformation

Aspartat 14 – – Aspartam-Herstellung Mitsubishi Tanabe,


(Süßstoff ) DSM, Evonik Degussa

Alanin 1,5 – – Infusionslösungen Evonik Degussa, Mitsu-


bishi Tanabe

Leucin 1,2 500 5 Pharma, Diagnostik Evonik Degussa

Valin 1 – – Infusionen, Futtermittel DSM

Carnitin 0,2 – – Ernährungsingredienz Lonza

Jeweils größte Produktionsmenge gewählt, Angaben für das Jahr 2009 oder 2004; in der Regel L-Formen

Herstellung von Aminosäuren


» Mit Ausnahme von Glycin, D, einem Ganzzellprozess aus Fumarat 55 Es wird ausschließlich das L-
L-Methionin und L-Aspartat werden gewonnen. Ursprünglich wurden Enantiomer gebildet;
Aminosäuren mikrobiell hergestellt. Aminosäuren auch aus proteinhal- 55 das zuckerhaltige Ausgangsma-
Glycin ist nicht chiral und wird tigen Rohstoffen, wie z. B. Federn terial ist nachwachsend;
deswegen chemisch produziert. oder Haaren, isoliert. Da dies jedoch 55 der Prozess ist umweltschonend
Auch D, L-Methionin wird chemisch eine aggressive saure Hydrolyse und erfolgt bei niedriger Tem-
hergestellt. Es wird als Racemat in mit anschließenden aufwendigen peratur.
Futtermitteln eingesetzt, da Tiere Aufarbeitungsschritten erfordert,
Als Aminosäureproduzenten werden
D-Aminosäureoxidase- und Trans- wird diese Methode nur noch sehr
Corynebacterium glutamicum- oder
aminase-Aktivitäten besitzen, die D- begrenzt eingesetzt. Die Methode
Escherichia coli- Stämme benutzt«
Methionin in das für die Ernährung der Wahl ist die mikrobielle Amino-
(Eggeling 2013).
entscheidende L-Methionin umwan- säuresynthese. Sie ist aus folgenden
deln. L-Aspartat wird enzymatisch in Gründen unschlagbar:
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
279 3

Was sind D- und L-Formen?


D und L stammen aus dem Latei- Enantiomere bezeichnet. Ein Bei- einem Racemat. Wenn ein Gegen-
nischen: dexter (rechts) und laevus spiel aus dem Alltag für ein Paar von stand nicht mit seinem Spiegelbild
(links). In der Chemie charakterisie- Enantiomeren sind linke und rechte zur Deckung gebracht werden kann,
ren sie Moleküle, die zwar dieselbe Schuhe, Füße und Hände sowie so wie bei Händen oder Enantiome-
Summenformel und Verbindungen links- und rechtsdrehende Schrau- ren der Fall, sind sie chiral (Chiralität
der jeweiligen Atome aufweisen, ben oder Muttern. Im Joghurt findet ist ein griechisches Kunstwort und
räumlich gesehen aber eine spiegel- sich rechts- und linksdrehende bedeutet »Händigkeit«).
bildliche Struktur einnehmen. Die Milchsäure. Liegen beide Moleküle
jeweiligen Moleküle werden als als Mischung vor, spricht man von

. Tab. 3.45 Biotechnisch hergestellte Vitamine. (Quelle: BioMedServices (2015) nach DECHEMA (2004, 2014),
Stahmann und Hohmann (2013))

Produkt Menge Preis/ Marktwert (Mio. €) Hauptanwendung Hersteller


(t/Jahr) kg(€)

Ascorbinsäure (C) 100.000 8 800 Lebens- und Futtermittel –

Riboflavin (B2) 10.000 10–20 – Lebens- und Futtermittel BASF, DSM

Cobalamin (B12) 35 25.000 875 Lebens- und Futtermittel –

Sie gehören alle zu den essenziellen Aminosäu- Backwaren (Pizzateig, Brötchen, anderes Gebäck)
ren, das heißt, Mensch und Tier können sie nicht dem Teig zugesetzt, um ihn schneller industriell be-
synthetisieren. Da sie aber lebensnotwendiger Be- arbeiten zu können.
standteil von Proteinen sind, müssen sie über die Neben der mikrobiellen Fermentation kom-
Nahrung zugeführt werden. Methionin (Jahrespro- men bei der Herstellung von Aminosäuren auch
duktion 850 kt) wird allerdings chemisch syntheti- die enzymatische Biokatalyse und Biotransforma-
siert, wie auch das Glycin (Jahresproduktion 16 kt), tion zum Einsatz.
das Verwendung in Süßstoffen findet (7 Herstel-
lung von Aminosäuren). 3.2.4.2 Vitamine
Eine nicht essenzielle Aminosäure ist das Vitamine haben mit den essenziellen Aminosäu-
schwefelhaltige Cystein, deren L-Form (7 Was sind ren gemein, dass Mensch und Tier nicht imstan-
D- und L-Formen?) Bestandteil jedes Proteins ist. de sind, sie zu bilden. Sie müssen daher wiederum
Laut ECO SYS (2011) wurde sie bis zum Jahr 2000 mit der Nahrung aufgenommen werden und sind
ausschließlich aus Haaren extrahiert, indem Haare, so Beimischungen im Tierfutter. Bei den Vitami-
Federn oder Schweineborsten in großen Mengen nen überwiegt die chemische Synthese, wobei es
konzentrierter Salzsäure aufgelöst werden. Seit für Vitamin B12 (Cobalamin) nie einen alternativen
2002 ist ein Fermentationsprozess installiert, der chemisch-synthetischen Herstellungsweg gab. Von
auf nachwachsenden Rohstoffen basiert und mit über 20 Vitaminen werden mittlerweile zudem Vi-
sehr viel weniger Salzsäure und ohne organische tamin C (Ascorbinsäure) und Vitamin B2 (Ribo-
Lösungsmittel auskommt. Er produziert zudem flavin) mithilfe von Mikroorganismen produziert
ein hochreines L-Cystein. Der Bundesverband der (. Tab. 3.45). Nach ECO SYS (2011) stellte bis in
Deutschen Industrie (BDI) zeichnete dafür im Jahr die 1990er-Jahre ausschließlich die chemische Syn-
2008 den Produzenten, die bayerische Wacker AG, these das Vitamin B2. Die Entwicklung eines wett-
mit dem Umweltpreis aus. Cystein wird bei vielen bewerbsfähigen fermentativen Herstellungsprozes-
280 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

ses bis Anfang der 2000er-Jahre substituierte dann Gros der Biokatalysatoren stellen die Enzyme
die chemische Produktionsweise komplett. Mit der dar. (Braun et al. 2006)
drastischen Reduktion der Verkaufspreise und der
parallelen Entstehung einer industriellen Futter- Über 80 % aller chemischen Erzeugnisse werden
mittelindustrie in Asien, vor allem China, setzte mithilfe von Katalysatoren hergestellt, die die Ge-
eine massive Marktentwicklung ein. Aktuell beträgt schwindigkeit von chemischen Reaktionen beein-
3 der Anteil der europäischen an der internationalen flussen. Sie wirken, indem sie die nötige Aktivie-
Riboflavin-Produktion allerdings noch rund 42 %. rungsenergie reduzieren und damit in der Regel
Bei der Cobalamin-Biosynthese ist Europa sogar Reaktionen beschleunigen. Traditionelle Kataly-
noch mit einem Anteil von 54 % vertreten, der Rest satoren in der chemischen Industrie sind Metalle,
entfällt auf China. insbesondere Edelmetalle (z. B. Platin, Palladium,
Vitamin C wird standardmäßig nicht voll fer- Rhodium) und metallorganische Verbindungen
mentativ hergestellt, denn die Synthese umfasst (Braun et al. 2006).
bis zu vier chemische Konversionsschritte. Das Enzyme bringen als Biokatalysatoren Reak-
fermentativ gewonnene Zwischenprodukt, Keto- tionspartner im Stoffwechsel lebender Organismen
gulonsäure, wird in fast allen Prozessen verwendet. zusammen und erhöhen dadurch die Reaktionsge-
Ursprünglich kam die Ascorbinsäure ausschließ- schwindigkeit. Sie sind selbst Proteine und können
lich als pharmazeutisches Präparat zum Einsatz. daher wirtschaftlich nur durch Biosynthese entste-
Aufgrund ihrer chemisch-physikalischen Eigen- hen. Ihre natürliche Zahl wird auf mehr als 10.000
schaften entwickelten sich jedoch große Märkte als geschätzt, wobei erst gut ein Viertel bereits bekannt
Stabilisator, Säuerungs- und Pufferungsmittel so- ist. Laut Braun et al. (2006) bildet allein ein E. coli-
wie als Antioxidans in Lebens- und Futtermitteln. Bakterium aus dem menschlichen Darm ungefähr
Die Vitamin-C-Produktion war bis in die 1990er- 500 verschiedene Enzyme, mit denen es nicht nur
Jahre auf USA, Japan und Europa konzentriert. Seit seinen Stoffwechsel organisiert, sondern auch eige-
Mitte der 2000er-Jahre wuchs der Anteil Chinas, ne Zellbestandteile aufbaut. Aufbauen, abbauen,
der aktuell bei 75 % liegt. Außerhalb Chinas wird umbauen von anderen Molekülen sind die Kern-
nur noch in England produziert (ECO SYS 2011). funktionen von Enzymen. So spalten beziehungs-
Stahmann und Hohmann (2013) geben an, dass weise zerkleinern sie andere Biopolymere wie Cel-
die Preise starken Schwankungen unterworfen lulose, Stärke (lat. amylum), Fette (Lipide) oder Ei-
sind. So stießen im Jahr 2008 die Preise für Vitamin weiße (Proteine). Entsprechend tragen sie Namen,
C in ungeahnte Höhen vor, ausgelöst durch tatsäch- die mit dem Zusatz »-ase« enden wie Cellulase,
liche oder vermutete Verknappung des Angebots Amylase, Lipase oder Protease. Mengenmäßig am
chinesischer Produzenten, die 80 % des Weltmark- meisten produziert werden Proteasen (2000 t/Jahr)
tes beliefern. Mittlerweile sind die Preise wieder und Amylasen (1200 t/Jahr).
deutlich unter 10 €/kg gefallen. Die Verkaufspreise Allein die Lebensmittelindustrie setzt mehr als
für die Vitamine richten sich auch nach ihrem Ver- 40 unterschiedliche Enzyme in ihren Produktions-
wendungszweck in der Futtermittel-, Nahrungs- prozessen ein. Auch die Futtermittelindustrie nutzt
mittel- oder Pharmaindustrie. die Biokatalysatoren (7 Enzyme in der Nahrungs-
und Futtermittelindustrie). Darüber hinaus gibt es
3.2.4.3 Enzyme sogenannte technische Anwendungen: Bleichen
(Zellstoff-, Papier- und Textilindustrie), Gerben
»» Die Natur wird häufig als ‚der beste Chemiker‘ (Lederindustrie), Biostonen (Textilindustrie: used
bezeichnet, da sie Syntheseprozesse ent-
look von Jeans) sowie Waschen und Reinigen. Bei
wickelt hat, die an Spezifität und Effizienz im
der zuletzt genannten Anwendung kommt sogar
Labor nicht zu übertreffen bzw. zu erreichen
der Endverbraucher mit den Vorteilen der Biotech-
sind. Sie bedient sich dabei aus einem großen
nologie in Berührung (7 »Nicht nur sauber, sondern
Pool von Katalysatoren, die sehr spezifische
porentief rein«). Von Bedeutung sind Enzyme auch
(Stoffwechsel-)Reaktionen katalysieren. Das
bei der Produktion enantiomerenreiner pharma-
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
281 3

Enzyme in der Nahrungs- und Futtermittelindustrie


»In Nahrungsmitteln werden sie die Vermeidung von Enzymproduk- Im technischen Bereich lösen En-
normalerweise als Prozesshilfs- ten tierischer Herkunft. In Futtermit- zyme Probleme bei verschiedenen
mittel eingesetzt. Nur die Enzyme teln verbessern Enzyme wie Phytase Verfahren (z. B. Membranreinigung
Invertase für die Frischhaltung von und Xylanase die Verwertung und in der Nahrungsmittelindustrie),
Marzipan und Lysozym als Konser- reduzieren die Problematik der sie helfen bei der Entfernung von
vierungsmittel aus Hühnereiern sind Abwässer aus der Intensivtierhal- Schmutz beim Waschen, sie unter-
als Lebensmitteladditive auch im tung, indem sie zur Reduktion des stützen die Herstellung von Papier
Endprodukt aktiv. Im Bereich Nah- Phosphatgehalts beitragen …. Dies und Textilien und erlauben spezi-
rungsmittel erlauben sie die bessere gilt besonders bei der Mast von Ge- fische Syntheseprozesse in der
Nutzung von Rohstoffen, die Siche- flügel und Schweinen. Ohne solche pharmazeutischen und chemischen
rung und Steigerung der Qualität Hilfsmittel können z. B. Schweine ca. Industrie« (Maurer et al. 2013).
und aus weltanschaulichen Gründen 25 % ihres Futters nicht verwerten.

»Nicht nur sauber, sondern porentief rein«


»Noch 1972 wurde annähernd jeder bei niedrigen Waschtemperaturen. Stärke oder Gewebe zu zerlegen. Die
zweite Waschgang bei einer Tem- Fett-, Blut- oder Soßenflecken haben Bruchstücke lassen sich leichter aus-
peratur von 90 °C durchgeführt. damit einen Teil ihres Schreckens waschen. Die Enzyme wirken damit
Heute ist es nicht einmal mehr jeder eingebüßt. Die Enzyme erfüllen gleich dreifach gewinnbringend: Die
zehnte. Großen Anteil daran haben sogar noch eine textilpflegende Auf- Wäsche wird sauberer. Eine niedrige
biotechnologisch hergestellte Enzy- gabe: Biochemisch knabbern sie von Waschtemperatur spart Energie
me in Waschmitteln. Von der Natur Baumwollgeweben die winzigen und senkt den CO2-Ausstoß. Zudem
abgeschaute und optimierte Bioka- Knötchen ab, die das Gewebe rauh reichen heute 75 Gramm Pulver für
talysatoren wie Proteasen, Lipasen, machen. Der Trick der molekularen einen Waschgang. 1972 waren es
Amylasen und Cellulasen entfalten Helfer: Sie sind in der Lage, große noch 220 Gramm« (Bioökonomierat
ihre reinigende Wirkung bereits Moleküle aus Fetten, Proteinen, 2015).

zeutischer Zwischenprodukte, da heutzutage etwa 2012). Andere Wettbewerber teilen sich den Rest,
80 % aller Pharmaka diese Eigenschaft aufweisen. bedeutsame Anteile erreichen dabei die US-Firma
Das unerwünschte Enantiomer kann in Arzneimit- DuPont (21 % in 2012) sowie die niederländische
teln oft gravierende Folgen haben. DSM (6 % in 2012). In Deutschland sind als größere
Verschiedene Marktbeobachter prognostizie- Produzenten Henkel und die BASF zu nennen, wo-
ren den weltweiten Markt für industrielle Enzyme bei letztere gerade erst 2013 durch Zukäufe weiter in
im Jahr 2017/2018 auf etwa 7 Mrd. US$. Das Jahres- diesen Sektor investiert hat:
wachstum liegt bei 6 bis 8 %, ausgehend von einem
Volumen von 4,5 Mrd. US$ im Jahr 2012. So erwirt-
»» Mit drei unterschiedlichen Transaktionen ver-
stärkt BASF ihr Engagement im Wachstums-
schaftete der Verkauf von Enzymen in den Jahren
markt der industriellen Enzymtechnologie: Zum
2013 und 2014 bereits 4,8 und 5,1 Mrd. US$. Mau-
einen hat BASF den Kauf von Henkels Enzym-
rer et al. (2013) geben an, dass sich der Markt 2010
technologie für Wasch- und Reinigungsmittel
folgendermaßen aufteilte: Nahrungsmittel (29 %),
abgeschlossen. Darüber hinaus haben BASF
Futtermittel (19 %), Waschmittel (23 %) und rest-
und das global tätige Biotechnologieunterneh-
liche technische Anwendungen (29 %).
men Dyadic International … eine Forschungs-
Eine andere Quelle, nämlich einer der Pro-
und Lizenzvereinbarung getroffen, die BASF die
duzenten, die dänische Novozymes, beziffert den
Nutzung einer neuen Produktionstechnologie
weltweiten Markt für Enzyme in ihrem Jahresbe-
ermöglicht. Weiterhin hat BASF mit Direvo In-
richt für 2013 auf knapp 4 Mrd. US$. Auf das Unter-
dustrial Biotechnology GmbH aus Köln eine Ko-
nehmen entfällt fast die Hälfte davon (48 %, 47 % in
operationsvereinbarung im Bereich Forschung
282 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

und Entwicklung unterzeichnet, mit dem Ziel, tech-Unternehmen BRAIN entwickeltes genetisch
ein hochwirksames Futtermittelenzym für die modifiziertes Enzymsystem für den Waschvorgang
Tierernährung zu entwickeln. Alle drei Trans- die Waschtemperatur, Chemiezusätze und den
aktionen erweitern das Know-how von BASF in Wasserverbrauch deutlich verringern.
strategisch wichtigen Industrien, wie zum Bei-
spiel der Human- und Tierernährung oder bei 3.2.4.4 Weitere Spezialchemikalien
3 Wasch- und Reinigungsmitteln. (BASF 2013) Ein spezieller Vertreter der Feinchemikalien sind
pharmazeutische Rohstoffe und Zwischenproduk-
Der unmittelbare weltweite Markt für Enzyme ist te, im Englischen auch active pharmaceutical ingre-
laut Maurer et al. (2013) eher begrenzt. Sie schätzen dient (API) genannt. Zum Teil sind sie allein auf
dagegen die wirtschaftliche Dimension dessen, was biotechnologischem Wege herzustellen, wie bei-
mithilfe der Enzyme produziert und konsumiert spielsweise Antibiotika oder therapeutische Protei-
wird, als extrem hoch ein. So erreicht der Markt ne. In anderen Fällen ist die Produktion der APIs
der durch Enzyme erzeugten Produkte beziehungs- zwar chemisch-synthetisch möglich, die Biosyn-
weise der enzymhaltigen Produkte eine Größen- these jedoch vorteilhafter. Der bedeutendste Vor-
ordnung von 200 Mrd. € pro Jahr. teil liegt in der Synthese gewünschter Enantiomere,
Gentechnische Verfahren haben auch in diesem also der spiegelbildlich »richtigen« Molekülstruk-
Sektor Einzug gehalten. Bereits vor zehn Jahren tur. Denn die chemische Synthese lässt nur eine Mi-
wurden 50 bis 60 % der technischen Enzyme mit- schung (Racemat) der chiralen Moleküle zu. Der
hilfe gentechnisch veränderter Organismen pro- menschliche Körper erkennt und unterscheidet
duziert. Auch bei den in der Lebensmittelindustrie die zwei spiegelbildlichen Substanzen, wobei zum
eingesetzten Enzymen waren 40 bis 50 % rekombi- Beispiel die eine erwünschte und die andere un-
nant hergestellt. Mittelfristig ist davon auszugehen, erwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen) haben
dass die in industriellen Prozessen verwendeten kann. So geschehen in den 1950er-Jahren mit dem
Enzyme überwiegend aus rekombinanten Mikro- Arzneimittel Contergan (7 Die »richtige« Chiralität
organismen stammen werden. Dies hat folgende ist entscheidend). Dessen Wirkstoff Thalidomid, ein
Vorteile (Maurer et al. 2013): Glutaminsäure-Derivat mit zentral dämpfenden,
55 Viele Enzyme können nur mit gentechnisch immunsuppressiven und entzündungshemmenden
veränderten Stämmen wirtschaftlich herge- Wirkungen, war ein chirales Molekül, das in in zwei
stellt werden, z. B. Lipasen. verschiedenen Formen vorlag. Heutzutage verlan-
55 Da Schätzungen davon ausgehen, dass nur 1 % gen sowohl die FDA in den USA als auch die EMA
der existierenden Mikroorganismen kultiviert in Europa die Elimination der »falschen« Enantio-
werden können, ist ein Großteil der natürlich mere in der Produktion therapeutischer Wirkstoffe.
vorkommenden Enzyme nur durch Produktion Weitere Vorteile der Bio- gegenüber der Che-
in rekombinanten Mikroorganismen möglich. mosynthese sind vor allem: geringerer Rohstoff-
55 Im Gegensatz zu vielen Mikroorganismen, bzw. Materialverbrauch, geringere Investitionskos-
die hohe Ansprüche an Medien und Kultivie- ten, geringerer Energiebedarf und geringere Ent-
rungsbedingungen stellen, können rekom- sorgungskosten (weniger schädliche Emissionen).
binante Wirtsorganismen auf preisgünstigen Der Sektor der API-Produktion ist letztlich mehr
Nährmedien unter standardisierten Bedingun- oder weniger identisch mit dem Pharmazeutika-
gen kultiviert werden. sektor. Es gibt hier also eine Überschneidung der
55 Mithilfe induzierbarer Promotoren kann eine Weißen und Roten Biotechnologie. Zusätzliche
sehr hohe Ausbeute des Zielproteins erreicht Beispiele für die Produktion von Spezialchemika-
werden, sodass hohe Enzymkonzentrationen lien sind die biotechnologische Erschließung von
möglich sind. Seltenen Erden sowie die enzymatische Herstel-
lung von Bio-Additiven in Schmiermitteln. Bei-
Zudem ermöglicht die Gentechnik funktionale de Vorhaben verfolgt derzeit mit entsprechenden
Verbesserungen. So konnte ein vom deutschen Bio- Entwicklungspartnern wiederum die deutsche
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
283 3

Die »richtige« Chiralität ist entscheidend


»Viele der heutigen Medikamente, Thalidomid (bekannt als Contergan). Schlaf- bzw. Beruhigungsmittel her-
Pflanzenschutzmittel und sonstigen Thalidomid war … als Racemat, also vorruft, das spiegelbildliche S-Enan-
Wirkstoffe sind chiral. Allein der als 1:1-Gemisch beider Enantiomere tiomer dagegen teratogen wirkte«
Markt an chiralen Pharmazeutika auf den Markt gekommen. Nach (Braun et al. 2006). Die »richtige«
beläuft sich auf weltweit ca. 100 Mil- Einnahme des Medikamentes durch Form des Thalidomids befindet sich
liarden US-Dollar pro Jahr. Welche schwangere Frauen brachten diese heutzutage wieder auf dem Markt,
Bedeutung es haben kann, dass Neugeborene mit starken Missbil- und zwar als immunmodulierendes
wirklich nur ein Enantiomer als (rei- dungen zur Welt. Erst später stellte Medikament gegen bestimmte
nes) Produkt vorliegt, zeigt das tragi- sich heraus, dass zwar die R-Form Krebserkrankungen, vertrieben von
sche Beispiel des Pharmazeutikums die gewünschte positive Wirkung als der US-Biotech-Firma Celgene.

BRAIN, eine Firma der Weißen Biotechnologie aus 55 12 % Agrarchemikalien: Dünge- und Pflanzen-
Zwingenberg bei Darmstadt (7 Beispiele für Spezial- schutzmittel;
chemikalien-Projekte bei BRAIN) 55 11 % Produkte für Endkonsumenten: Wasch-
und Reinigungsmittel, Kosmetika, Parfum,
Seltene Erden Deo etc.
Unter diesem Oberbegriff wird eine Gruppe
an chemischen Elementen zusammengefasst, CEFIC (2014) beziffert den weltweiten Umsatz mit
die zu den Metallen zählen. Der Begriff stammt Chemikalien (ohne Pharmazeutika) im Jahr 2012
aus der Zeit ihrer Entdeckung, da sie zuerst in auf gut 3000 Mrd. €. Knapp 20 % davon entfallen
seltenen Mineralien gefunden und aus diesen auf Firmen mit Sitz in der EU. Deren Umsatz glie-
in Form ihrer Oxide (früher »Erden« genannt) dert sich in einer leicht abweichenden Segmentie-
isoliert wurden. rung der Märkte wie folgt:
55 63 % Basischemikalien: davon 28 % Petroche-
mikalien und Derivate, 20 % Polymere (Kunst-
stoffe, -fasern, -gummi), 15 % Anorganika
3.2.5 Umsatzprognosen und (inklusive Düngemittel, Industriegase, andere
Unternehmen der Weißen Anorganika);
Biotechnologie 55 25 % Spezialchemikalien: Farben, Pigmente,
Anstriche und Tinten, Pflanzenschutzmittel,
Umsatzdaten zur chemischen Industrie liefern der andere Spezialitäten;
American Chemistry Council (ACC, der US-Che- 55 11,5 % Produkte für Endkonsumenten.
mieindustrie-Verband) sowie der Verband der Euro-
päischen chemischen Industrie (CEFIC). Laut ACC Auf biotechnisch hergestellte Produkte (ohne Fer-
betrug der weltweite Umsatz rund 5000 Mrd. US$ tigarzneimittel, aber inklusive APIs) – ausgehend
im Jahr 2012, davon etwa 1000 Mrd. US$ für Phar- von nachwachsenden Rohstoffen – entfielen im
mazeutika und APIs. Der reine Chemikalienumsatz Jahr 2012 knapp 5 % des weltweiten Chemikalien-
teilt sich folgendermassen auf (Quelle: ACC über umsatzes. Im Jahr 2020 sollen sie laut Prognosen
Statista): von Festel et al. (2012) über 500 Mrd. € liegen
55 55 % Basischemikalien: Anorganika, Petroche- (. Abb. 3.34). Bei einem angenommenen jährlichen
mikalien und Derivate, Kunststoffe, -fasern, Wachstum der globalen Chemie-Märkte von bis zu
-gummi; 4 % entspräche das bereits einem Anteil von gut
55 22 % Spezialchemikalien: Anstrichmittel, Ad- 10 %. Diese Angaben beziehen keine (Bio-)Phar-
häsive und Additive, Geschmacks- und Ge- mazeutika oder Biokraftstoffe ein.
ruchsstoffe etc.; Am stärksten wird das Wachstum durch ge-
stiegenen Umsatz bei biobasierten Polymeren und
284 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Beispiele für Spezialchemikalien-Projekte bei BRAIN

Mikroorganismen reichern seltene sern zu gewinnen. … Die Metalle stoffe zur Synthese der Additive sind
der Seltenen Erden stellen für viele in Nachhaltigkeit und biologischer
Metalle an
Hochtechnologieprodukte einen Abbaubarkeit biotechnologisch
» Das Biotechnologieunternehmen
unverzichtbaren, weil kaum subs- hergestellten Komponenten häufig
BRAIN AG in Zwingenberg und das
3 Bergbauunternehmen Seltenerden
tituierbaren Rohstoff dar. Sie sind
insbesondere für die Umsetzung
unterlegen. Im Zuge der Koopera-
tion … werden enzymatische Syn-
Storkwitz AG (SES) aus Chemnitz
der Energiewende – von Brennstoff- theseprozesse zur Produktion von
… verfolgen das Ziel, Vorkommen
zellen über energiesparende LEDs hochwertigen Schmierstoffadditiven
Seltener Erden unter Verwendung
bis hin zu Hochleistungsmagneten aus biogenen Rohstoff- und Abfall-
mikrobiologischer Verfahren nach-
für Elektromotoren und Windräder strömen entwickelt. Dabei werden
haltig zu erschließen. Erste erfolg-
unerlässlich. Derzeit stammt der Abfallströme einerseits als Nährstoff
versprechende Ergebnisse zur
überwiegende Teil der Seltene-Er- für die Enzymproduktion, anderer-
Anreicherung konnten bereits mit
den-Metalle aus China, das in den seits als Ausgangsmaterialien für die
dem Seltene-Erden-Metall Scan-
vergangenen 30 Jahren ein Monopol Darstellung der Zielprodukte ge-
dium erzielt und gesichert werden.
auf diese Rohstoffgruppe aufgebaut nutzt. Als Grundstoffe für die stoff-
… Die Metalle der Seltenen Erden
hat und somit Preis und Verfügbar- liche Nutzung werden dabei Alt-
sind allgegenwärtig in den Gestei-
keit bestimmt. Sowohl die deutsche speisefette und -öle, tierische Fette,
nen der Erdkruste. Sie reichern sich
Bundesregierung als auch die EU- Reste aus der Biodieselproduktion
jedoch nur selten in wirtschaftlich
Kommission stufen die Seltenen (z. B. Glycerin, Fettsäuren und Fett-
interessanten Konzentrationen an.
Erden als strategisch wichtige Metal- säuremethylester), Lignocellulose
Zudem ist ihre Gewinnung oft mit
le ein, deren Versorgungssicherheit und eine Vielzahl anderer, indus-
unerwünschten negativen Begleit-
geopolitisch gefährdet ist. Auch trieller Neben- und Abfallströme
erscheinungen verbunden, die
innerhalb der deutschen Wirtschaft eingesetzt. … Die ersten Schmier-
häufig eine Wirtschaftlichkeit der
wird die Versorgung mit den Selte- stoffe mit den neu synthetisierten
Projekte in Frage stellen. Im Zuge
nen Erden als kritisch angesehen« Additiven aus nachhaltigen Roh-
der Kooperation … [wurde] bereits
(BRAIN 2014a). stoffen befinden sich bereits in der
eine Vielzahl von Mikroorganismen
Anwendungserprobung bei FUCHS.
identifiziert und charakterisiert, Biotechnologie und moderne
Im Bereich der Schmierstoffanwen-
die Seltene Erden direkt aus einer Schmierstoffe
dungen besteht ein großer Bedarf
im klassischen Bergbauprozess » Moderne Schmierstoffe sind als
an ressourcenschonend hergestell-
anfallenden wässrigen Lösung an- hochentwickelte Konstruktions-
ten, nicht toxischen und biologisch
reichern können. Selbst dann, wenn elemente in allen Maschinen und in
abbaubaren Additiven und funktio-
die Ausgangskonzentration der vielen mechanischen Anwendungen
nalisierten Grundflüssigkeiten. …
Metalle in den Erzen sehr niedrig ist, des täglichen Lebens zu finden.
Die strategische Allianz … [bietet
gelingt es …, die Metalle in wirt- Erhöhung der Leistungsfähigkeit
darüber hinaus] die Möglichkeit,
schaftlich relevanten Quantitäten und ständig steigende technische
ein breites Spektrum an Rohstoffen
anzureichern. … Die biotechno- Anforderungen von Maschinen und
für Additive und funktionalisierte
logische Erschließung von Metallen Komponenten führen die Industrie-
Grundflüssigkeiten evaluieren zu
ist im Bereich der Seltenen Erden Partner FUCHS und BRAIN dazu,
können, die zurzeit technisch nicht
ein Novum. Einen Einsatz auch neue Additive zu synthetisieren
zugänglich sind und damit bisher
Abseits der klassischen Seltenerd- und damit die Zusammensetzung
nicht berücksichtigt wurden« (BRAIN
Gewinnung, ist sehr gut vorstellbar, der Schmierstoffe kontinuierlich zu
2014b).
beispielsweise um Scandium aus optimieren. Die traditionell verwen-
Industrieabfällen und Haldenwäs- deten Mineralöl-basierten Grund-

Fasern (Kunststoffe) getragen (. Abb. 3.34). Ihnen Biotech-Produkte nicht so prominent ausfallen.
wird von 2010 bis 2020 ein jährliches Umsatz- Mit 16 % pro Jahr zwischen 2010 und 2020 liegt es
wachstum von fast 25 % vorausgesagt. Laut USDA aber immer noch weitaus höher als das erwartete
(2008) erreichen sie innerhalb der Verkaufserlö- Umsatzwachstum von maximal 5 % jährlich für die
se für Polymere bis 2025 einen Anteil von bis zu Chemie-Industrie allgemein. Bis 2025 soll ihr An-
20 %, ausgehend von 0,1 % im Jahr 2005. Bei an- teil laut USDA (2008) bei bis zu 10 % des Umsatzes
deren Grundchemikalien wird das Wachstum der mit Basischemikalien liegen, ausgehend von einem
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
285 3

220
Summe (Mrd. €) 515
500 200
Polymere & Fasem Konsumgüter Polymere & Fasern 180
167
400 Spezial API 160

Basis Summe 340 140

300 biobasiert 120


Konsumgüter 104
100
228 Spezial 89
200 API 83 80
Basis 71
135 60
92
100 40
48
20
17
© BioMedServices 2015
0 0
2005 2007 2010 2012 2015 2017 2020

. Abb. 3.34 Weltweite Umsatzentwicklung in der Weißen Biotechnologie. Erstellt basierend auf Schätzungen und
Prognosen aus Festel et al. (2012) und Festel (2010). Linke Achse: Summe für alle Kategorien, rechte Achse: Werte für einzelne
Kategorien

Anteil von 0,2 % im Jahr 2005. Der zweitstärkste ßen Biotechnologie ist eine derartige Entwicklung
Zuwachs wird bei den Biotech-Chemikalien, die noch nicht zu beobachten. Es sind also entweder
in Endverbraucher-Produkte eingehen, erwartet, die großen alteingesessenen Chemie-Konzerne in
nämlich knapp 20 % pro Jahr. Weniger stark fällt diesem Sektor aktiv, oder es sind kleinere Biotech-
dagegen der Zuwachs bei den biobasierten APIs Firmen, die oft mit den Großen kooperieren oder
und Spezialchemikalien (in . Abb. 3.34 getrennt diese beliefern. Da Deutschland historisch gesehen
zu API dargestellt) aus, da sie bereits heute jeweils ein starker Chemie-Standort ist, finden sich hierzu-
mehr als 20 % des mit Biotech-Produkten erwirt- lande relativ umfangreiche Aktivitäten in der Wei-
schafteten Umsatzes ausmachen. Ihr Anteil am je- ßen Biotechnologie (. Tab. 3.46 und 3.47)
weiligen Segment soll laut USDA (2008) bis 2025 Neben Deutschland, erweisen sich Dänemark,
auf 45 bis 50 % steigen. Frankreich und die USA als recht aktive Standorte
Die Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe in der Weißen Biotechnologie. In beiden europäi-
(FNR) geht davon aus, dass Deutschland bis 2020 schen Ländern setzten sich Wissenschaftler schon
mit Biosprit der zweiten Generation 25 % des Kraft- früh mit der Mikro- und Molekularbiologie aus-
stoffbedarfs aus heimischen Quellen decken kann, einander. So in Dänemark Orla-Jensen mit Milch-
ohne dabei in Konkurrenz zur Nahrungsmittel- säure-produzierenden Bakterien und Johannsen,
produktion zu treten. In den USA sind die biofuels der den Begriff »Gen« als Träger von Erbanlagen
ein stark wachsender Markt, dessen Wert Pike Re- prägte (7 Kap. 1). Die 1925 gegründete Novo In-
search bis 2021 auf 185 Mrd. US$ schätzt. dustri galt Anfang der 1980er-Jahre – neben der
In der Roten Biotechnologie sind die Grenzen niederländischen Gist-Brocades – als Weltmarkt-
zwischen traditionellen Pharma- und Biotech-Fir- führer in der Enzymindustrie. Nach der Fusion mit
men bereits verschwommen, und viele der zuerst Nordisk Gentofte 1989 zu Novo Nordisk wurde im
genannten sehen sich heute als biopharmazeuti- Jahr 2000 der heutige Weltmarktführer Novozymes
sches Unternehmen (7 Abschn. 2.4.1). In der Wei- ausgegliedert.
286 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.46 Ausgewählte deutsche Unternehmen mit Aktivitäten in der Weißen Biotechnologie. (Quelle: Bio-
MedServices 2015)

Firma Produktbeispiele (Anwendung) oder Aktivitäten/Zusatzinfo

AB Enzymes Enzyme, Produktionsstämme; frühere Röhm Enzyme, heute zu ABF Ingredients

Altana Biosynthetische Substanzen, funktionelle Oberflächen, Biokatalyse


3
AMINO Aminosäuren

BASF Riboflavin (Pharma, Futtermittel), verschiedene Zwischenprodukte und Chiralika, Enzyme


(über neue Tochter Verenium sowie Zukauf von Henkel-Technologie); JV mit Corbion (Succi-
nity) für Produktion von Bernsteinsäure

Bayer Arcabose (Pharma)

Beneo Palatinit, Isomalt (Zuckeraustauschstoff ); Tochter von Südzucker

Clariant Deutschland Enzyme, Lipide, oberflächenaktive Stoffe; frühere Süd-Chemie

Evonik Industries Aminosäuren – Starterkulturen – Xanthan (Lebensmittel), Lipide (Kosmetika)

Henkel Entwicklung neuer und verbesserter Waschmittelenzyme

LANXESS Kooperation mit Gevo für Produktion Isobutanol (Butylkautschuk, Reifen)

Merck Dihydroxyaceton (DHA, Bräunungsmittel)

Sandoz IP Antibiotika und Zwischenprodukte (Cefalosporine, 7-ACA, Pleuromulin), Enzyme

Symrise Aromen (Lebensmittel), kosmetische Wirkstoffe

Wacker Chemie Aminosäuren, Cyclodextrine (Haushalts- und Lebensmittel)

Ohne Biokraftstoff-Firmen, in der Regel Firmen der chemischen Industrie (Konzerne oder Töchter einer größeren
Gruppe), ältere KMU, JV Joint Venture

Und der Franzose Pasteur war derjenige, der sche Danisco das Unternehmen. Im Jahr 2007 war
als Erster den Begriff »Mikrobiologie« vorschlug. Genencor wiederum die erste Firma, die ein En-
Auch heute noch ist er gegenwärtig, wenn von Pas- zym verkaufte, das aus cellulosehaltigen Materialen
teurisieren die Rede ist, also dem Haltbarmachen Ethanol erzeugen kann. 2011 kaufte schließlich der
von Lebensmitteln durch kurzzeitiges Erhitzen zur US-amerikanische Chemie-Konzern DuPont Da-
Abtötung hitzeempfindlicher Mikroorganismen. nisco auf, inklusive der Tochter Genencor. Zudem
In den USA befassten sich einige der mit dem engagieren sich andere US-Chemie-Unternehmen
Aufkommen der Gentechnik neu gegründeten Fir- in der Weißen Biotechnologie (. Tab. 3.48). Wie
men auch mit der industriellen Biotechnologie wie schon erwähnt (7 Abschn. 2.3), nutzten auch eini-
beispielsweise Amgen, Chiron oder Genentech. An- ge chemisch-pharmazeutische Firmen schon früh
dere hatten den alleinigen Fokus auf diesen Sektor: die Biotechnologie, um Chemikalien herzustellen.
Genex, Genencor, Ingene oder Industrial Genetics. In den USA waren das zum Beispiel Abbott Labs
Genencor, 1982 als Joint Venture zwischen Genen- (Aminosäuren), Monsanto (Methionin), Pfizer
tech und Corning Glassworks gegründet, waren (Enzyme) oder Merck (Vitamine). Heute sind sie
1990 die Ersten, die ein tierisches Gen in einem Pilz ausschließlich im Pharma- und nicht mehr im Che-
exprimierten. Der Zukauf von Gist-Brocades Enzy- miesektor aktiv. Der Begriff Weiße Biotechnologie
mes und der Enzymsparte von Solvay stärkten 1995 wird in den USA seltener verwendet, gebräuchli-
das Enzym-Know-how. 2005 übernahm die däni- cher ist industrial biotechnology. Darüber hinaus
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
287 3

. Tab. 3.47 Ausgewählte deutsche Weiße Biotech-Unternehmen (KMU). (Quelle: BioMedServices 2015)

Firma (Gründungsjahr) Produktbeispiele (Anwendung)/Aktivitäten

aevotis (2010) Enzyme, Kohlenhydratoligomere und -polymere

AMSilk (2008) Spinnenseide (Hochleistungsmaterial)

AnalytiCon Discovery (2000) Naturstoffe (Pharma, Lebensmittel, Kosmetik)

ASA Spezialenzyme (1991) Spezialenzyme für Textil, Biogaserzeugung, Ligniumsetzung, Bioenergie,


Antikörper aus transgenen Algen

Autodisplay Biotech (2008) Ganzzell-Biokatalyse, zellwandgebundene Enzyme, Stämme

Bioviotica Naturstoffe (2006) Biologisch aktive Naturstoffen aus Bakterien und Pilzen

Bioworx (2004) Bioaktive Substanzen, Enzyme, Biokatalyse

bitop (1993) Extremolyte Ectoin und Glycoin (Medizinprodukt, Hautpflege)

BlueBioTech (2000) Algenbioreaktoren, Futtermittel, Nahrungsergänzungsmittel

BRAIN (1993) Bioaktive Substanzen, Enzyme, Produktionsstämme

c-LEcta (2004) Industrielle Enzyme

Cysal (2012) Dipeptide (Futter- und Nahrungsmitteladditive)

Direvo Industrial Biotechnology (2008) Enzyme, Produktionsstämme

Enzymicals (2009) Industrielle Enzyme und andere Feinchemikalien

Evocatal (2006) Biokatalysatoren, chirale Feinchemikalien

IMD Natural Solutions (2012) Bioaktive Substanzen

Jennewein Biotechnologie (2005) Seltene Mono- und Oligosaccharide (Kosmetik, Nahrung)

N-Zyme BioTec (2012) Bakterielle Transglutaminase für industrielle Anwendungen

Organobalance (2001) Probiotika/Mikroorganismen, Produktionsstämme für Carbonsäuren,


Isoprenoide/Terpenoide, Enzyme

Phytolutions (2008) Algenbioreaktoren, Nahrungsmittel (Öle, Proteine usw.), Plattformchemi-


kalien

Phyton Biotech (1993) Pflanzenzellfermentation: Wirkstoffe für Pharmazie, Nahrungsmittel- und


Kosmetikindustrie

Phytowelt GreenTechnologies (1998) Carotinoide, Enzyme

SeSaM-Biotech (2008) Neuartige Enzymvarianten

SternEnzym (1990) Industrielle Enzyme (Lebensmittelindustrie)

Subitec (2000) Stofflich-energetische Nutzung von Mikroalgenbiomasse

W42 Industrial Biotechnology (2005) Technische Enzyme, Affinitäts- und therapeutische Proteine

Unabhängige jüngere KMU, ohne Biokraftstoff-Firmen, Gründung in den 1990er-Jahren in Fettdruck

finden sich dort für in diesem Sektor tätige Firmen 55 renewable oil and bioproducts company,
Bezeichnungen wie: 55 advanced biomaterials company oder
55 sustainable chemistry company, 55 Good Chemistry business.
55 green chemistry company,
55 renewable products/renewable chemistry com- Einige der in . Tab. 3.49 gelisteten US-Weiße-Bio-
pany, tech-Firmen charakterisieren sich auf diese Weise,
288 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.48 Ausgewählte ausländische Unternehmen mit Aktivitäten in der Weißen Biotechnologie. (Quelle:
BioMedServices 2015)

Unternehmen Land Produkte/Anmerkung

Christian Hansen DK Starterkulturen, Enzyme (Lebens- und Futtermittel)

Corbion NL Polymilchsäure (PLA)/Milchsäure, JV mit BASF (Succinity) für Bernsteinsäure


3
Dow Chemical USA Acrylsäure (Kooperation mit OPX), weitere Kooperationen mit Biotech

DuPont Industrial USA Accelerase (Cellulasen für die Produktion von Bio-Ethanol aus holzhaltiger
Biosciences ­Biomasse)

DSM NL Bioethanol aus Cellulose, Bio-Diesel, Biogas, Bio-Bernsteinsäure u. a.

Jungbunzlauer CH Zitronensäure, Glukonate, Lactate, Xanthan, Süßstoffe

Mater-Biotech IT Weltweit erste Produktionsstätte für Bio-Butandiol (BDO) im industriellen


(Novamont) ­ aßstab (Biopolymere, Textil-, Elektronik-, Autoindustrie)
M

Natureworks USA Polymilchsäure-Marke Ingeo PLA (Bioplastik) aus Hefe


(­frühere Cargill Dow)

REG Life Sciences USA Tochter von Renewable Energy Group; Fettsäuren aus Mikroorganismen
(frühere LS9)

Roquette F Isosorbide und Derivate, Bio-Bernsteinsäure (über JV mit DSM)

Versalis IT Intermediate, Polyethylene, Styrene, Elastomere

In der Regel Firmen der chemischen Industrie (Konzerne oder Töchter einer größeren Gruppe) sowie ältere KMU ohne
reine Biokraftstoff-Firmen; CH Schweiz, DK Dänemark, F Frankreich, IT Italien, NL Niederlande, JV Joint Venture

wobei sie alle auf fermentative oder biokatalytische stoffen produziert, können grundsätzlich durch
Verfahren setzen. biologische, aber auch über physikalisch-chemi-
Solazyme und Gevo konnten im Jahr 2011 Bör- sche Verfahren gewonnen werden (. Abb. 3.35).
sengänge realisieren, bei denen sie jeweils dreistelli- Biobasiert ist somit nicht ausschließlich gleichzu-
ge Millionenbeträge einnahmen: Solazyme erzielte setzen mit biotechnischer Herstellung. Diese er-
fast 200 und Gevo 123 Mio. US$. Amyris erreichte möglicht allerdings den weitestgehenden Verzicht
2010 mit 85 Mio. US$ immerhin noch einen hohen auf toxische Substanzen sowie auf hohe Tempera-
zweistelligen Betrag, der später – als sich das US- turen und Drücke mit entsprechenden Energieein-
Börsenfenster immer weiter öffnete – vermutlich sparungen. Das Einsatzspektrum biobasierter Che-
auch höher ausgefallen wäre. Auch in Frankreich mikalien ist breit, und mithilfe der Biotechnologie
gibt es bereits zwei börsennotierte Unternehmen, können auch Reststoffe und Abfälle aus der Land-
die biobasierte Chemikalien herstellen, Metabolic wirtschaft, der industriellen Produktion sowie aus
Explorer sowie Deinove. Eines findet sich auch in dem kommunalen Bereich recycelt und veredelt
der Schweiz (Evolva). werden.
Die biobasierte Ökonomie (Bioökonomie), das
heißt das nachhaltige Wirtschaften ohne den Zu-
3.2.6 Abschließende Einschätzung zur griff auf fossile Ressourcen und ohne Produktion
Weißen Biotechnologie umweltschädigender Abfälle, ist für viele Länder ein
hehres Ziel. Gerade die USA haben das Potenzial
Biobasierte Chemikalien, das heißt ausgehend von der Weißen Biotechnologie erkannt und entspre-
Biomasse beziehungsweise nachwachsenden Roh- chend auf Regierungsebene Initiativen gestartet
3.2 • Weiße Biotechnologie: industrielle, vor allem chemische Produktion
289 3

. Tab. 3.49 Ausgewählte ausländische Weiße Biotech-Unternehmen (KMU). (Quelle: BioMedServices 2015)

Firma Land Produktbeispiele (Anwendung)/Aktivitäten


(Gründungsjahr/Börsenticker)

Allylix (2002) USA Terpene (Lebensmittel, Pharma, Pflanzenschutz) aus Hefe

Amyris (2003/AMRS) USA Plattformchemikalie Farnesen aus Hefen

BioAmber (2008/BIOA) KAN Bio-Bernsteinsäure als Baustein für Polymere

Biocatalysts (1990) UK Industrielle Enzyme

Biomax Technologies (2009) SG Enzymatische Katalyse organischer Abfälle in Düngemittel

Butalco (2007) CH/D Biokraftstoffe der 2. Generation und Bio-Chemikalien mit Hefen

Cathay Industrial Biotech (1997) CN Bio-Butanol, Bio-Aceton und weitere Dicarbonsäuren als Platt-
formchemikalie

Cobalt Technologies (2005) USA Plattformchemikalie Butanol aus Bakterien

Codexis (2002/CDXS) USA Industrielle Enzyme

Deinove (2006/ALDEI) F Biokraftstoffe der 2. Generation und biobasierte Chemikalien


ausgehend von non-food-Biomasse, fermentiert mit Deinococci

Evolva (2004/EVE) CH Spezialchemikalien aus Hefe

Genomatica (1998) USA Produktionsstämme und -verfahren für Basis- und Plattform-
chemikalien

GlycosBio (2007) USA Isopren (Markenname Bio-SIM) und Butadien

Inbiose (2013) B Spezialzucker (z. B. L-Fucose, L-Ribose, humaner Milchzucker)

Kraig Biocraft Laboratories (2006/ USA Seide aus transgenen Seidenraupen


KBLB)

LanzaTech (2005) NZ Ausgehend von Abgasen über Clostridium autoethanogenum zu


Plattformchemikalien und Treibstoffen

Metabolic Explorer (1999/METEX) F Glykolsäure, Butanol, Methionin, Propandiol

Metabolix (1992/MBLX) USA PHA-Polymere unter Markenname Mirel und Mvera

Myriant (2004) USA Bernstein-, Milch-, Mucon-, Fumar- und Acrylsäure

Novozymes (2000/NZYM) DK Enzyme, Mikroorganismen, biopharmazeutische Wirkstoffe

OPX Biotechnologies (2007) USA Bakterielle Acrylsäure, Efficiency Directed Genome Enginee-
ring(EDGE)-Technologie-Plattform

Solazyme (2003/SZYM) USA Algenöle (Lebensmittel, Kosmetik, Technik, Treibstoffe)

SyntheZyme (2008) USA Biobasierte Monomere, Polymere und Tenside

Verdezyne (2005) USA Sebacin-, Decandi-, Adipinsäuren aus Hefen

Unabhängige jüngere KMU, Gründung in den 1990er-Jahren in Fettdruck


B Belgien, CH Schweiz, CN China, D Deutschland, DK Dänemark, F Frankreich, KAN Kanada, NZ Neuseeland,
SG Singapur, PHA Polyhydroxyalkanoat
290 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Rohstoffe Technologie Nutzung


Plattform-
Bausteine
Chemikalien © BioMed
Anbaubiomasse Biologisch Services
2015
Kraftstoffe /
Hydrolyse Energie
3 Stärkepflanzen
(Enzyme)

Methanol | Ethanol | Butanol | Milchsäure | Bernsteinsäure | Bioöle | Gase | Wasserstoff


Stärke/Zucker | Hemicellulose | Cellulose | Lignin | Öle | Fette | Proteine | Biomasse
Fermentation
(Bakterien,
Lignocellulose Pilze, Algen)

Physikalisch
Kunststoffe

Grüne (nasse) Pyrolyse


Rohstoffe (Druck & Verpackungen
Wärme)
Vergasung
Ölpflanzen (hohe Temp.)
Extraktion
Abfälle & Abgase (mechanisch)
Separation Farbstoffe /
(mechanisch) Pigmente
BIO Chemisch
Agrar- & BIO
Kommunal- Detergenzien /
Klebstoffe /
Hydrolyse Lösungsmittel
Industrielle (Säuren)
BIO Extraktion
(chemisch)
Kosmetik
Separation
Sonnenlicht & CO2
(chemisch)

. Abb. 3.35 Zusammenfassende Übersicht zur Weißen Biotechnologie. Frei verfügbare Icons von Flaticon, Icons8, David
Goodsell via Protein Data Bank. Größenverhältnisse nicht realistisch

(7 Einschätzung zur US-Strategie bei Biomasse-Tech- »» The National Bioeconomy Blueprint of the Uni-
nologien). Auch wenn zunächst nicht der Begriff ted States of America understands the bioeco-
industrielle Biotechnologie fiel, es anfangs stark nomy as ‚an economic activity that is fuelled
um die Verwertung von Biomasse ging und auch by research and innovation in the biological
sonst eher der Eindruck besteht, dass in den USA sciences‘. The technologies of specific interest
das Energiesparen noch nicht die höchste Priorität here are genetic engineering, DNA sequen-
hat, ist ihre Stärke bei Forschung, Interdisziplinari- cing, manipulation of biomolecules and the
tät und Technologietransfer, das heißt Umsetzung use of microorganisms or industrial enzymes,
in marktreife Produkte, nicht außer Acht zu lassen. as well as the direct engineering of microbes
and plants. (Albrecht und Ettling 2014)
3.3 • Weitere Sektoren
291 3

Einschätzung zur US-Strategie bei Biomasse-Technologien


»The United States sees the develop- ge from this debate was President make the aspirations a reality. While
ment of industrial biotechnology as Clinton’s Executive Order of 1999, describing the great potential for
a key strategic objective. The inten- setting a goal of tripling the use of the use of biomass to produce both
tion is to move towards a bio-based bio-based products and energy from energy and a range of products, the
economy, where production and use biomass by 2010 and establishing report also highlights the challenges
of energy and industrial products a permanent council to develop and presents a plan for a focused, in-
has been fundamentally changed. a detailed research programme tegrated and innovation-driven R&D
Initially, the key driver was energy to be presented annually as part effort. It also covers ways in which
security, to reduce America’s depen- of the Federal budget. Legislation societal approval can be gained, by
dence on the supply of crude oil was then introduced, including the public outreach programmes, and
from unstable regions of the world. Biomass R&D Act 2000 …, to create gives examples of market incentives
However, the commitment entered a focus on producing energy and likely to be necessary. Finally, it
into for one reason has now opened value-added products from a wide provides policy recommendations to
up a range of other possibilities, and range of agricultural and forestry remove barriers (including existing
the US has now shifted its focus to residues. Continued commitment regulatory obstacles) which could
include bio-based chemicals manu- has taken this a step further with impede the industrial use of biomass
facture and the creation of a domes- the recent publication of a ‚Road- in the USA. This planning has been
tic bio-industry. The main targets map for Biomass Technologies in the backed by an impressive spend on
at present are power generation, United States‘. This was an initiative research and development. Starting
bbiofuels for transportion and bio- coordinated by the government- with a focus on interdisciplinary
products. … Political commitment sponsored Biomass R&D Technical research and applied R&D, the
has emerged quite rapidly in the last Advisory Committee, a body brin- programme now includes a range
ten years, primarily due to high-level ging together a wide range of stake- of public-private partnerships and
debates about the country’s increa- holders (including academia, indus- large-scale demonstration projects«
sing dependence on foreign oil. The try, government, farmers and NGOs) (EuropaBio 2011).
first major policy initiative to emer- to provide guidance on how to

Das ist weit mehr als Biomasse-Verwertung. Das »» In contrast to … Europe and the USA, Japan
Land hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 den An- puts significantly more research money into
teil an biobasierten Chemikalien und Materialien biotechnology for health-oriented foods, fine
auf 25 % zu erhöhen, ausgehend von 5 % im Jahr chemicals, the environment and power ge-
2002. Auch Deutschland hat inzwischen reagiert. neration than for healthcare biotechnology.
2010 legte das BMBF gemeinsam mit sechs weite- (EuropaBio 2011)
ren Ministerien die »Nationale Forschungsstrate-
gie BioÖkonomie 2030« auf. Diese stellt bis 2016
insgesamt 2,4 Mrd. € für FuE zur Verfügung. 2013 3.3 Weitere Sektoren
beschloss das Bundeskabinett zudem die »Natio-
nale Politikstrategie Bioökonomie«, die von einer Die Rote und die Weiße Biotechnologie, also der
interministriellen Arbeitsgruppe umgesetzt wird. medizinische Sektor und die chemische Produk-
In Asien spielt die industrielle Biotechnologie tion, sind aktuell die Hauptanwendungsfelder der
traditionell eine große Rolle. Japan weist eine Fer- modernen Biologie. Am Anfang dieses Kapitels
mentationsindustrie von Weltklasse auf, vor allem wurden noch die Grüne und die Graue Biotechno-
in spezialisierten Märkten wie zum Beispiel Ami- logie erwähnt, die Anwendungen im Agrarsektor
nosäuren. Auch die enzymatische Biokatalyse ist sowie Umweltschutz umfassen. Der Agrarsektor,
stark vertreten. So war Mitsubishi Rayon das erste der vor allem Lebensmittel-Produktion bedeutet,
Unternehmen, das Acrylamid mithilfe von Enzym- kann auch von der Biotechnologie profitieren, wo-
technologien produzierte. Im Vergleich zur kon- bei die Anwendung in Deutschland und generell in
ventionellen chemischen Synthese sogar in reinerer Europa sehr umstritten ist.
Form und 80-%iger Energieeinsparung.
292 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

3.3.1 Grüne Biotechnologie: Das smart breeding beschleunigt die Züchtung neu-
Agrarsektor er Sorten erheblich, da langwierige Anbauversuche
entfallen, um beispielsweise festzustellen, ob eine
Das Aufkommen der Molekularbiologie und die Pflanze resistent gegen Mehltaubefall ist. Aufgrund
Erfindung der Gentechnik Anfang der 1970er-Jahre der Kenntnis der entsprechenden Gene, lässt sich
haben auch methodische Möglichkeiten gebracht, durch eine Genanalyse feststellen, ob die Eigen-
3 die Jahrhunderte alte Technologie der Pflanzen- schaft bei der Kreuzung vererbt wurde.
züchtung zu vervollkommnen. Die konventionelle Bei der konventionellen Züchtung kann eine
Pflanzenzüchtung selektiert letztlich ebenfalls ge- bestimmte gewünschte Eigenschaft in Form einer
netisch veränderte Pflanzen, mit dem Ziel der Ver- bestimmten Genkombination kaum erreicht wer-
besserung biologischer und ökonomischer Eigen- den, da bei der Kreuzung auch unerwünschte Gene
schaften. Die genetische Veränderung findet dabei dazu kommen können, oder es gehen gewünschte
statt (nach Pflanzenforschung.de): Gene verloren. Die Verteilung und Rekombination
55 Als spontane Mutation in einer Einzelpflan- der Gene von den Elternpflanzen erfolgt zufällig,
ze: Wie in jedem Lebewesen mutiert auch in was zu langwierigen und kostspieligen Prozessen
Pflanzen das Erbgut zum Beispiel bei Zell- bei der Verbesserung führt.
teilungen. Falls sich daraus erwünschte Eigen- Die Gentechnik erlaubt dagegen, gezielt nur die
schaften ergeben, können diese Pflanzen selek- gewünschten Gene beziehungsweise Eigenschaf-
tiert und weitervermehrt werden. ten zu transferieren. Dabei muss nicht unbedingt
55 Mittels selektiver Züchtung: Dies ist die ältes- Erbmaterial von fremden Pflanzen eingebracht
te Form der Pflanzenzüchtung. Hier werden werden, das heißt, Gene sind auch einfach nur an-
Pflanzen mit verschedenen Eigenschaften oder abzuschalten. So hat Cibus, ein US-Partner
(unterschiedlichen Genotypen) gemeinsam der deutschen BASF, eine herbizidtolerante Raps-
angebaut, sodass sie sich auf natürliche Weise art in Kanada zur Zulassung gebracht, die keiner-
kreuzen können. Aus den entstandenen Nach- lei Fremd-DNS beinhaltet. Da sich die Pflanze in
folgegenerationen werden diejenigen mit den nichts von natürlich mutiertem Raps unterscheidet,
gewünschten Eigenschaften ausgewählt und stellt sich die Frage, ob eine derartige Pflanze als
wiederum zusammen angebaut, bis sich in- GVO (7 Was sind GVO?) behandelt wird oder nicht.
nerhalb einer Pflanze möglichst viele dieser So entschied denn auch das deutsche Bundesamt
Eigenschaften wiederfinden. für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
55 Mittels Mutationszüchtung: Hier wird Saatgut (BVL) im März 2015, dass diese neue Pflanze nicht
gezielt mutagener Strahlung (Röntgenstrah- als genetisch verändert einzustufen ist. Das heißt,
lung) ausgesetzt. Durch die unkontrolliert sie gleicht einer mit konventioneller Züchtung ge-
erfolgenden Mutationen entstehen neue Gen- netisch angepassten Pflanze. Der Raps darf daher
varianten mit eventuellen neuen, positiven ab sofort ohne weitere Formalitäten hierzulande
Eigenschaften, die für die Züchtung genutzt angebaut werden.
werden können. Dennoch ist ein großer Teil Sind gv-Pflanzen (gentechnisch veränderte
der entstehenden Mutationen unbrauchbar, Pflanzen) Grundlage für Nahrungsmittel, so müs-
weil die Gendefekte häufig die Lebensfähigkeit sen sie anders als bei »normalen« Lebensmitteln
der Pflanze vermindern. erst ein Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor sie
55 Mittels Präzisionszucht (smart breeding): Hier auf den Markt gebracht werden dürfen. Zugelassen
wird anhand des entschlüsselten Genoms ana- werden sie nur (transGEN 2015),
lysiert, welcher Partner der passende ist, um 55 wenn sie keine nachteiligen Auswirkungen auf
auf kürzestem Wege zu der Pflanze mit den Mensch und Tier oder die Umwelt haben,
gewünschten Eigenschaften zu kommen. In 55 wenn ihr Verzehr gegenüber konventionellen
das Genom beider Elternteile wird nicht einge- Produkten nicht zu Ernährungsmängeln führt,
griffen, folglich entstehen hierbei keine trans- 55 wenn sie den Verbraucher nicht irreführen.
genen Organismen.
3.3 • Weitere Sektoren
293 3

Was sind GVO?


»Unter die Verordnung 1829/2003 ziert werden – sofern diese noch hergestellt werden. Schließlich
fallen Lebensmittel, Zutaten, Zusatz- im Lebensmittel vorhanden sind haben sich die EU-Mitglied-
stoffe und Aromen, (Beispiel: Würze aus gentech- staaten darauf verständigt,
55 die gentechnisch veränderte nisch veränderter Hefe). dass eine besondere gentech-
Organismen (GVO) sind (Bei- nik-spezifische Zulassung und
Ausnahmen. Nicht durch die Verord-
spiele: Mais, Kartoffel, Tomate) Kennzeichnung dieser Stoffe
nung abgedeckt sind Lebensmittel,
oder solche enthalten (Beispiel: nicht erforderlich ist. Vorausset-
Zutaten und Zusatzstoffe, die nicht
Joghurt mit gv-Milchsäurebak- zung ist, dass die Mikroorganis-
aus, sondern mithilfe von gentech-
terien), men vollständig entfernt und
nisch veränderten Organismen her-
55 die aus GVOs stammen oder in den jeweiligen Zusatzstoffen
gestellt werden. Dazu zählen etwa:
daraus hergestellt sind, unab- oder Aromen nicht mehr ent-
55 Lebensmittel wie Fleisch, Milch
hängig davon, ob der jeweilige halten sind.
oder Eier von Tieren, die gen-
GVO noch im Lebensmittel
technisch veränderte Futtermit- Ausgeklammert bleiben auch
nachweisbar ist (Beispiele:
tel erhalten haben. 55 Lebensmittelenzyme, die mit
Tomatenketchup, Maisstärke,
55 Strittig war lange Zeit, ob die gentechnisch veränderten
Sojaöl, Sojalecithin oder Zucker
Verordnung auch Zusatzstoffe, Mikroorganismen produziert
aus gentechnisch veränderten
Aromen und Vitamine erfasst, werden, sowie
Pflanzen),
wenn sie mit gentechnisch 55 technische Hilfsstoffe« (trans-
55 die mit gentechnisch veränder-
veränderten Mikroorganismen GEN 2015).
ten Mikroorganismen produ-

Was ist eigentlich MON810?


»MON810 ist ein insektenresistenter sein eigenes Insektizid – frisst ein als durch den großflächigen Ge-
Mais, der ein Gen des weit ver- Schädling an diesem Mais, dann brauch von chemischen Pflanzen-
breiteten Bodenbakteriums Bacillus nimmt er die toxischen Eiweiße zu schutzmitteln, nur spezielle Schäd-
thuringiensis in sich trägt. Durch das sich und stirbt. Es gibt auch andere linge und auch nur die, die an den
Gen produziert der Mais ein Bt-Pro- Bt-Mais-Linien, die gegen den Mais- Pflanzen fressen, abgetötet werden.
tein, das auf einen speziellen Mais- wurzelbohrer oder beide Schädlinge Andere, sogenannte Nicht-Zielorga-
schädling, den Maiszünsler, giftig resistent sind. Der Grundgedanke nismen sollen verschont werden«
wirkt. Der Mais produziert dadurch ist, dass durch Bt-Proteine, anders (Pflanzenforschung, Risiko).

Zudem müssen alle Lebensmittel und Zutaten, die Grüner Biotechnologie – auf eine einzige Pflanze:
aus GVO stammen, gekennzeichnet werden – un- MON810 (7 Was ist eigentlich MON810?).
abhängig davon, ob diese im Lebensmittel nach- Den Bt-Mais entwickelte die US-Firma Monsan-
weisbar sind oder nicht. Von der Kennzeichnung to und brachte ihn erstmals unter den Markennamen
ausgenommen sind solche mit geringfügigen YieldGard und MaizeGard im Jahr 1996 auf den US-
GVO-Beimischungen, Markt. 1997 und 1998 folgten die Zulassungen in Ka-
55 wenn der Anteil an der jeweiligen Menge nicht nada und Argentinien. Auch die EU ließ MON810
mehr als 0,9 % beträgt, im Jahr 1998 zu. Für Deutschland setzte im April
55 wenn der jeweilige Hersteller darlegen kann, 2009 die damalige Bundeslandwirtschaftsministe-
dass es sich um zufällige, technisch unver- rin Aigner die geltende EU-Zulassung für gentech-
meidbare GVO-Beimischungen handelt, nisch veränderten Bt-Mais aus. Damit ist der Anbau
55 wenn es sich um Beimischungen von bereits in von Bt-Mais in Deutschland bis auf Weiteres nicht
der EU zugelassenen GVO handelt. erlaubt. Laut transGEN (2014) sind die wissen-
schaftlichen Untersuchungen, auf die sich das Ver-
In Europa beschränkt sich die Nutzung der Grünen bot stützt, aber fachlich umstritten. In der großen
Gentechnik – so eine oft genutzte Bezeichnung statt Mehrzahl der bisher durchgeführten Studien fan-
294 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

200
Mio. Hektar © BioMedServices 2015
180 Andere
China
160
Indien
3 140
Kanada
120 Brasilien

100 Argentinien

37 40 42
80 30
25
21 21
18 19
60 17
16
14 14 USA
40 12
7 10 64 67 69 70 70 73
55 58 63
4 43 48 50
20 36 39
29 30
1 21
020 8
96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

. Abb. 3.36 Weltweiter Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen nach Land. Erstellt nach Daten von ISAAA

den sich keine Hinweise, dass Bt-Mais schädlicher Organisation ISAAA 2014 auf 54 Mio. ha. Die
für die Umwelt ist als herkömmlicher Mais. meistangebaute gv-Pflanze ist allerdings die So-
jabohne mit einer Fläche von 90 Mio. ha. Einen
»» Seit 1987 wurden in Deutschland Forschungsvor- größeren Anteil nimmt mit 25 Mio. ha ferner gv-
haben zur biologischen Sicherheitsforschung Baumwolle ein. Insgesamt erreichte die weltweite
vom Bundesministerium für Bildung und For- Anbaufläche mit transgenen Pflanzen eine Größe
schung (BMBF) gefördert. Dabei wurden mög- von fast 200 Mio. ha (. Abb. 3.36). 40 % davon ent-
liche Folgen von gentechnisch veränderten (gv) fallen auf den US-Markt, gefolgt von Argentinien
Pflanzen für die Umwelt untersucht. Die Wissen- mit 23 und Brasilien mit 13 %. Weitere bedeutende
schaftler kamen zu dem Schluss, dass keine Anbaugebiete sind Kanada, Indien sowie China. 20
Gentechnik-spezifischen negativen Auswirkun- Entwicklungsländer bauen gv-Pflanzen an und ver-
gen von gv-Pflanzen ausgehen: Verglichen mit einen damit mehr als die Hälfte der weltweiten An-
konventionell gezüchteten Kulturpflanzen gibt baufläche auf sich. Den Rest steuern acht Industrie-
es kein höheres Risiko für Umweltbeeinträchti- nationen bei. 18 Mio. Landwirte bauen mittlerweile
gungen. (Pflanzenforschung, Risiko). gentechnisch optimierte Pflanzen an.
Der Nutzen von gv-Pflanzen ist unter Befür-
Ebenfalls laut transGEN (2014) liegt bisher der wortern (. Abb. 3.37) und Gegnern (7 Einschät-
Anteil von gentechnisch verändertem Mais an der zung der Kritiker: Agro-Gentechnik nutzt nur einer
europäischen Maiserzeugung weit unter 1 % und ist Handvoll multinationaler Firmen) sehr umstritten.
damit verschwindend gering. Im Jahr 2013 wurde Eine Metaanalyse von Wissenschaftlern der Uni-
Bt-Mais auf einer Fläche von etwa 148.000 ha an- versität Göttingen (Klümper und Qaim 2014) er-
gebaut, vor allem in Spanien (137.000 ha) und Por- gab, dass gv-Pflanzen im Schnitt eine Einsparung
tugal (8000 ha). von chemischen Pestiziden um 37 % erlauben sowie
Der weltweite Anbau von gentechnisch ver- gleichzeitig den Ertrag um 22 % steigern. Dadurch
ändertem Mais belief sich laut der Non-Profit- erzielen Bauern einen gesteigerten Gewinn von
3.3 • Weitere Sektoren
295 3

Geringere Pestizid-Kosten Zeit-Einsparung & vereinfachte Prozesse Andere

Baumwolle (IT) Höherer Ertrag 79 % 5% 12 %

Mais (IT) 77 % 6% 10 %

Baumwolle (HT) 77 % 6% 12 %

© BioMedServices 2015
Mais (HT) 71 % 7% 13 %

Sojabohne (HT) Höherer Ertrag 60 % 20 % 15 %

0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

. Abb. 3.37 Gründe, warum US-Landwirte gv-Pflanzen einsetzen. Erstellt nach Daten von Fernandez-Cornejo et al.
(2014); HT herbizidtolerant, IT insektentolerant

Einschätzung der Kritiker: Agro-Gentechnik nutzt nur einer Handvoll multinationaler Firmen
»Der Markt für gentechnisch ver- Gentech-Saatgut etwa 35 Prozent sowie Bt-Mais und Bt-Baumwolle,
ändertes Saatgut befindet sich zu Marktanteil gehabt. In diesen Zahlen die sich selbst gegen Schädlinge
fast 100 Prozent in den Händen von nicht enthalten ist das Saatgut, das schützen sollen – und kassiert damit
sechs weltweit tätigen Gentech- und Landwirte durch Nachbau gewinnen gleich doppelt. Syngenta ist vor al-
Agrochemiekonzernen: Monsanto und untereinander tauschen. Schät- lem mit Bt-Mais am Markt vertreten.
(USA), DuPont/Pioneer (USA), Dow zungen zufolge macht der Nachbau Bayer Crop-Science vertreibt Raps-
AgroScience (USA), Syngenta (CH), etwa vier Fünftel des weltweiten und Maissorten, die eine Resistenz
Bayer CropScience (DE) und BASF Saatgutmarktes aus. Selbst in der gegen das Bayer-Herbizid Liberty
Plant Science (DE). Er soll laut der deutschen Landwirtschaft werden (auch unter dem Namen »Basta« im
gentechnik-freundlichen Lobby- etwa 50 Prozent des Saatguts durch Handel) tragen. BASF Plant Science
organisation ISAAA im Jahr 2014 ein Nachbau gewonnen. … Monsanto hat seinen Schwerpunkt auf die Ge-
Volumen von 15,7 Mrd. US-Dollar hält einen Marktanteil von knapp nomfunktions-Analyse von Pflanzen
umfasst haben. Das Volumen des 90 Prozent und verfügt damit über gelegt. Inzwischen hält kein anderes
Saatguts, das 2013 weltweit ge- eine monopolartige Stellung. Der Unternehmen der Welt so viele
handelt wurde, soll insgesamt etwa Konzern vermarktet Soja, Mais und Patente auf Pflanzengenome bzw.
45 Mrd. US-Dollar ausgemacht Raps mit einer Resistenz gegen das Teile von Pflanzengenomen wie die
haben. Damit hätte der Sektor für firmeneigene Herbizid Roundup BASF« (BUND 2015).

68 %. Ausbeute- und Gewinnsteigerung sind dabei nisch-wissenschaftlichen und wirtschaftlichen vor


in den Entwicklungsländern größer. allem ethische, gesellschaftliche oder soziologische
Es handelt sich um eine sehr kontrovers und Aspekte eine Rolle spielen. Gleichzeitig werden die-
emotional geführte Diskussion, bei der neben tech- se unterschiedlichen Bewertungsebenen vermischt.
296 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

Neueste Technologien in der Pflanzenzüchtung


»Up until now transgenic modi- of these new technologies is their it as a non GM technique. Another
fication has been achieved using ability to ‚edit‘ and modify multiple class of new applications, still at
Agrobacterium or the gene gun. native plant genes (non GM), coding the early stages of development,
New advanced biotech applications for important traits such as drought are plant membrane transporters
3 such as zinc finger nucleases (ZFN)
technology, clustered regularly
and, generating improved crops
that are not transgenic. Regulators
that are being researched to over-
come a range of crop constraints
interspaced short palindromic in the US have initially opined that from abiotic and biotic stresses to
repeat (CRISPR)-associated nuclease changes not involving transgenics enhancement of micronutrients. It
systems and transcription activator- will be treated differently; this could is noteworthy that of the current
like effector nucleases (TALENs), are have a very significant impact on 7 billion global population, almost
being used to increase the efficiency the efficiency and timing of the cur- one billion is undernourished but
and precision of the transformation rent resource-intensive regulation/ another one billion is malnourished,
process. These new techniques approval process and the acceptan- lacking critical micro nutrients:
allow the cutting of the DNA at a ce of the products by the public. iron (anemia), zinc and vitamin A.
pre-determined location and the Powdery mildew-resistant wheat Adequate supply of nutritious foods
precise insertion of the mutation, was developed by researchers from with enhanced levels of important
or single nucleotide changes at an the Chinese Academy of Sciences micronutrients is critical for human
optimal location in the genome for through advanced gene editing health. Recent advances show that
maximum expression. These tech- methods. Researchers deleted genes specialized plant membrane trans-
niques are well advanced – ZFN has encoding for proteins that repress porters can be used to enhance
already been used to successfully defenses against the mildew using yields of staple crops, increase
introduce herbicide tolerance and TALENs and CRISPR genome editing micronutrient content and increase
TALENs has been used to delete tools. Wheat is a hexaploid and thus resistance to key stresses, including
or ‚snip out‘ the gene in rice that required deletion of multiple copies salinity, pathogens and aluminum
confers susceptibility to the import- of the genes. This also represents toxicity, which in turn could expand
ant bacterial blight disease of rice. a significant achievement in modi- available arable land. Acid soils are
However, experts in the field believe fying food crops without inserting estimated to occupy 30 % of land
that potentially the ‚real power‘ foreign genes, hence considering globally« (ISAAA 2015).

Die Aktivitäten der Gentechnik-Gegner (vor allem Die Argumente zu potenziellen Gefahren sind
Greenpeace, BUND, NABU) polen die allgemeine abzuwiegen gegen Folgen der Unterlassung der Er-
Öffentlichkeit emotional gegen Gentechnik, sodass forschung dieses Sektors, denn es existiert weltweite
diese beispielsweise wenig zwischen dem »gefährli- Konkurrenz. Das Schweizer Unternehmen Syngen-
chen Gen-Mais« (nur so am Rande: Jeder Mais ent- ta und die deutsche Bayer Crop Sciences haben be-
hält Gene) und einer modernen Pflanzenforschung reits 2004 ihre Feldversuche auf deutschen Äckern
auf internationalem Niveau unterscheiden können. eingestellt. Die BASF entschied 2012 die Zentrale
Den Aufklärungsversuchen der Industrie und Wis- seiner Pflanzenbiotechnologiesparte in die USA zu
senschaftler vertraut die Bevölkerung meist weniger. verlegen. In Deutschland verbleibt für die Agro-
Die Gegner sehen mögliche Risiken für zum Gentechnik nur die Grundlagenforschung, die die
Beispiel Gesundheit oder Biodiversität. Befürwor- Konzerntochter Metanomics in Berlin durchführt.
ter halten dagegen, dass es bisher keine wissen- Im Januar 2012 kommentierte ein BUND-Vertre-
schaftlichen Beweise dafür gibt. Kritiker führen an, ter gegenüber der Nachrichtenagentur dpa diesen
dass die Gentechnik es ermöglicht, Pflanzen, Tiere Schritt wie folgt:
und Mikroorganismen zu erzeugen, die es natür-
licherweise nicht gibt. Verfechter der Gentechnik »» Wir freuen uns, dass unser Widerstand so viel
argumentieren, dass Methoden der Züchtung und Wirkung gezeigt hat, dass ein so großer Kon-
Mutation dies schon immer unterstützten, die neu- zern die Gentechnikforschung aufgibt … Diese
en Technologien jedoch gezielter und sicherer an- Forschung braucht niemand, die Verbraucher
wendbar sind.
3.3 • Weitere Sektoren
297 3
nicht, die Bauern nicht und die Gesellschaft Darüber hinaus können sie Metalle und Seltene Er-
auch nicht. (Proplanta 2012) den abbauen oder anreichern und damit zur Um-
weltschonung und Wiederverwertung beitragen.
Damit verbleiben in Deutschland nur noch Mittel- So testet die Tübinger Novis ein Bioleaching-Ver-
ständler, die sich mit moderner Pflanzenbiotechno- fahren, bei dem Bakterien wertvolle Rohstoffe aus
logie beschäftigen. Einer davon ist die KWS Saat, Schlacken recyceln, die nach der Müllverbrennung
die nach eigenen Angaben immerhin der weltweit übrig bleiben. Auch für das Neugewinnen von Me-
fünftgrößte Saatguthersteller nach Umsatz aus tallen und Seltenen Erden bietet sich die bakterielle
landwirtschaftlichen Nutzpflanzen ist und in Euro- Erzlaugung an (7 Abschn. 3.2.4).
pa auf Rang 2 hinter DuPont/Pioneer liegt. Diese komplexen Abbauvorgänge setzen auf
Befürworter der Grünen Gentechnik argu- natürlich vorkommende Bakterienkolonien, die
mentieren, dass zukünftig ohne moderne Pflan- sich aufgrund einer entsprechenden Umgebung in
zenzuchtmethoden die weiter steigende Weltbe- ihrer Gen- und somit Enzymaustattung evolutionär
völkerung nicht ausreichend ernährt werden kann. darauf eingestellt, also genetisch verändert haben.
Zudem stellt die Grüne eine Basis für die Weiße Für eine Optimierung kommen indes zunehmend
Biotechnologie dar, weil sie eine Optimierung der auch Methoden der Gentechnik und Synthetischen
Rohstoffe ermöglicht. Der technische Fortschritt Biologie zum Einsatz. Aufgrund der in Deutsch-
ermöglicht immer weiter verfeinerte Methoden, land vorherrschenden mangelnden Akzeptanz bei
die bereits heute schon erlauben, ohne die »ge- der Freisetzung von genetisch veränderten Orga-
fürchteten Fremdgene« auszukommen (7 Neueste nismen oder Versuchen dazu, bleiben diese Mög-
Technologien in der Pflanzenzüchtung). lichkeiten hierzulande allerdings begrenzt.
Auch bei der Abwasserreinigung in klassischen
Kläranlagen geht ohne Bakterien gar nichts. Ihre
3.3.2 Graue Biotechnologie: Stoffwechselleistung wird bereits seit Hunderten
Umweltschutz von Jahren genutzt und ist heute Gegenstand ge-
nauerer Untersuchungen.
In gewisser Weise eng verzahnt mit der Weißen
und Grünen ist die Graue Biotechnologie, die An- »» Der moderne Umweltschutz ist ohne Bio-
wendungen der modernen Biologie für den Um- technologie nicht denkbar. In den Bereichen
weltschutz umfasst. Überschneidungen liegen vor, der Abwasser-, Boden- und Abluftreinigung
weil auch die Weiße und Grüne Biotechnologie sowie der Verwertung von Bioabfällen sind
umweltfreundliche Produkte und Verfahren er- biotechnologische Methoden unentbehrlich
möglichen. Bei der Grauen Biotechnologie steht die und erhöhen vor allem durch Fortschritte in
direkte Beseitigung und Vermeidung von Umwelt- der Molekular- und Systembiologie stetig die
verschmutzungen im Vordergrund. Dabei spielen Effizienz der Anlagen. (BIOPRO 2010)
vor allem Mikroorganismen eine Rolle wie eine
Online-Information des Vereins Deutscher Inge-
nieure (VDI) anschaulich darstellt (7 Die kleinsten 3.3.3 Zulieferer, Dienstleister,
Lebewesen sind fleißige Putzkolonnen). Sie sind zum Technologie- und Tools-Anbieter
Beispiel zu Folgendem in der Lage:
55 Abbauen von ausgelaufenem Öl, beispielsweise Von der wirtschaftlichen Anwendung der Bio-
nach Tanker-Unfällen, technologie profitieren auch weitere Firmen aus
55 Reinigen von Abraumhalden mit radioaktiven dem Umfeld der Zulieferer und Dienstleister
Abfällen, (. Tab. 3.50). Zulieferer umfassen beispielsweise
55 Beseitigen von Lösungsmitteln, Kunststoffen Laborausstatter, Reagenzien- und Labormaterial-
und Schwermetallen sowie Giftstoffen wie Anbieter, Reinraum- und Anlage-Firmen. Dienst-
Arsen, DDT, Dioxinen oder TNT. leister betreiben Auftragsforschung, -entwicklung
oder -produktion sowie Beratung. Zudem sind
298 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.50 Übersicht zu Sektoren, die die wirtschaftliche Anwendung der Biotechnologie unterstützen. (Quelle:
BioMedServices (2015) in Anlehnung an biotec-finder.de (2015))

Auftrags-FuE Auftragsproduktion Bioanalytik und Tools

Antikörper-Entwicklung Biomanufacturing (Contract Arrays/Chips


Manufacturing Organizati- Bioinformatik

3 ons = CMO)

Galenik/drug delivery Zellkulturtechnologien Biosensoren (Analytik)

Medizinalchemie/Pharmakologie Stammoptimierung Chromatographie, Spektrometrie, Imaging

Pharmakodynamik und -kinetik Chemische Synthese Proteincharakterisierung

Screening/Tiermodelle Downstream processing DNS-Sequenzierung

Präklinische/klinische Studien (Clinical Chemische Synthese DNS-Bearbeitung


Research Organizations = CRO)

Laborausrüster/Großgeräte Laborausrüster/Kleingeräte Labormaterialien

Brutschränke Glasartikel Verbrauchsmaterialien

Fermenter Mess- und Dosiergeräte Forschungsantikörper

Industrieanlagen Optische Geräte Medien

Laborautomation Cycler Reagenzien/Chemikalien

Sterilbänke Analysegeräte Technische Gase

Zentrifugen Rührer, Schüttler

Marketing/PR/Kommunikation Beratung Wirtschaftsförderung

Agenturen Laborplanung Ansiedlung

Fortbildung Versicherungen BioRegionen und Netzwerke

Marketing Patent- und Rechtsberatung Existenzgründung

Messen/Events Steuerberatung und Förderberatung


Wirtschaftsprüfung

Übersetzer Personaldienstleistung Technologieparks

Verlage Studien und Consulting Technologietransfer

Finanzierung

Banken ⎟ Business Angels ⎟ Corporate Finance ⎟ Seed-Finanzierung ⎟ Risikokapital ⎟ Börse

gewisse Basistechnologien und Tools (Werkzeuge) 55 Genome Editing: Sammelbezeichnung für neue
erforderlich, um die Unternehmen aus dem Ro- molekularbiologische Verfahren, mit denen
ten, Weißen und Grünen Biotechnologiesektor zu gezielt Veränderungen im Genom vorgenom-
unterstützten. Angeboten werden sie von Firmen, men werden können:
die oft selbst als Biotech-Firmen angesehen wer- 55 designte Restriktionsenzyme: TALENs
den können. Neben Basistechnologien wie DNS- (transcription activator-like effector
Synthese, -Aufreinigung oder -Sequenzierung sind nucleases), CRISPR-Cas-System, Zinkfin-
derzeit beispielsweise folgende Technologien und ger- und andere Meganukleasen;
Werkzeuge von zunehmender Bedeutung:
3.3 • Weitere Sektoren
299 3

Die kleinsten Lebewesen sind fleißige Putzkolonnen


»Seit vielen Jahren schon nutzen aufgaben dienstbar zu machen, bedient man sich biologischer und
wir die Stoffwechselprozesse von haben sich in letzter Zeit sehr ver- biotechnischer Verfahren. Als Detek-
Mikroben, um Verschmutzungen der bessert, doch wollen die Biotechno- tive machen sich Mikroorganismen
Umwelt zu beseitigen. Selbst mit logen Mikroorganismen finden, die sowie Biosensoren und DNA-Sonden
schwer abbaubaren Stoffen werden noch gezielter spezielle Schadstoffe nützlich und ermöglichen eine
sie fertig. Ob Luft, Boden oder Was- abbauen können. Neben klassischen kontinuierliche Überwachung. Weil
ser – mit ihrer Hilfe werden sie wie- Verfahren soll die Gentechnik dabei bestimmte Mikroorganismen emp-
der sauber. Dem fatalen Öl etwa, das helfen. Höhere Organismen wie findlich auf Schadstoffe reagieren,
immer wieder nach Schiffsunfällen Pflanzen werden ebenfalls einge- lässt sich zum Beispiel die Kontami-
Strände und Meer verseucht, rücken setzt, um Abwässer in Kläranlagen nation bestimmen: Je weniger dieser
sie recht erfolgreich zu Leibe. Die zu reinigen oder Böden und Schläm- Winzlinge man mit Gensonden
Techniken, die einzelnen Stämme für me zu entgiften. Auch um Umwelt- nachweisen kann, desto größer die
ganz unterschiedliche Reinigungs- sünden überhaupt aufzuspüren, Belastung« (VDI 2015).

Agrar-OGM: Nur abschreiben, nicht einbauen


»Rein technisch betrachtet … bis auf ein oder zwei Nukleotid- Es dient also nur als Vorlage. An-
[macht OGM] nicht anderes als bausteine vollkommen. Zelleigene schließend wird es rasch abgebaut.
Züchter, die mittels Strahlung oder Reparaturenzyme korrigieren dann Im Ergebnis kommt es also zum
Chemikalien Mutationen in das die zum GRON passende genomi- Austausch einzelner Nukleotide im
Pflanzengenom einführen – nur dass sche DNA-Sequenz entsprechend Zielgen, ohne dass Fremd-DNA in
es viel genauer gelingt. In einzelne der Vorlage. Das durch die resultie- das Pflanzengenom integriert wird.
Pflanzenzellen schleusen … [Bio- rende Leserastermutation kaputtre- Dementsprechend lässt sich die
ingenieure] rund 40 Nukleotide parierte Gen ist fortan inaktiv. … Da biotechnische Manipulation anders
lange ‚Gene repair-Oligonucleotides‘ das eingebrachte Oligonukleotid an als bei GVO auch nicht nachweisen«
(GRONs) ein. Diese gleichen der seinen beiden Enden chemisch ver- (Gabrielczyk 2015a).
im Genom vorkommenden Gen- ändert ist, kann es selbst nicht ins
sequenz, die sie inaktivieren wollen, Pflanzengenom eingebaut werden.

CRISPR-Cas-System unter der Lupe


» Viren können nicht nur den Men- … Nicht nur für die Bakterien, auch Komponenten auskommt und auch
schen krank machen, sie befallen für die Arbeit im Labor erweist sich lange Gensequenzen ansteuern
auch Bakterien. Diese schützen sich das CRISPR-Cas-Systems als nützlich: kann. … Denkbar ist … [zudem]
mit einer Art ‚Immunsystem‘, das … Es erkennt zielgenau bestimmte eine Therapie von Erbkrankheiten,
fremde DNA [erkennt,] … zerschnei- Buchstabenfolgen im genetischen die durch mehrere Mutationen im
det … und … dadurch die Eindring- Code und schneidet die DNA dort Erbgut des Patienten verursacht
linge unschädlich [macht]. … Erst auf. So können Wissenschaftler werden. Auch für die Bekämpfung
vor wenigen Jahren entdeckt, stößt entweder Gene entfernen oder an des AIDS-Erregers HIV ließe sich die
das Immunsystem mit dem krypti- der Schnittstelle neue einfügen. Auf Methode nutzen: Das Virus nutzt
schen Namen ‚CRISPR-Cas‘ bei Gene- diesem Wege lassen sich beispiels- einen Rezeptor der menschlichen
tikern und Biotechnologen auf gro- weise Pflanzen züchten, die resistent Immunzellen, um diese zu infizie-
ßes Interesse, denn es eignet sich als gegen Schädlinge oder Pilze sind. ren. Mittels CRISPR-Cas ließe sich
gentechnisches Werkzeug im Labor. Zwar existieren bereits andere das Gen für den Rezeptor aus den
CRISPR steht für Clustered Regularly Technologien, mit denen dies mög- Immunzellen entfernen, dadurch
Interspaced Palindromic Repeats, zu lich ist, diese sind allerdings zeitauf- würden die Patienten immun gegen
Deutsch etwa ‚gehäuft auftretende, wendig, teuer und wenig spezifisch. das Virus. Bis sich diese Zukunfts-
gleichmäßig verteilte Wiederholun- Die neue Methode hingegen, für die vision realisieren lässt, ist allerdings
gen, die aus beiden Richtungen ge- die bakterielle Immunabwehr Pate noch viel Forschungsarbeit notwen-
lesen werden können‘; Cas schlicht stand, ist schneller, präziser und dig« (HZI 2013).
für das CRISPR-assozierte Protein. kostengünstiger, da sie mit weniger
300 Kapitel 3 • Anwendende Sektoren und Märkte der Biotechnologie

. Tab. 3.51 Ausgewählte Firmen mit Aktivitäten im Genome Editing. (Quelle: BioMedServices (2015) nach
Gabrielczyk (2015b))

Technologie Erfinder Lizenz an Anwendung

Meganukleasen B. Dujon, A. Choulika a1999)


Cellectis (F, Pflanzenzucht/
(Institut Pasteur) Precision Genome Engineering Therapeutika
3 (US, a2006, 2014: < bluebird bio) Therapeutika

Zinkfingernukleasen Sangamo BioSciences (a1995) Sigma Aldrich FuE-Tool


Dow Agrochemicals (exklusiv) Pflanzenzucht

TAL-Effektoren/ U. Bonas (Univ. Halle) – 2Blades Thermo Fisher Scientific FuE-Tool


TALENs Foundation Monsanto, BASF, Bayer, Syngenta Pflanzenzucht
Cellectis Pflanzenzucht/
D. Voytas (Univ. of Minnesota)
Therapeutika
F. Zhang (MIT)

CRISPR-Cas E. Charpentier (HZI Braunschweig) CRISPR Therapeutics Therapeutika


– CRISPR Therapeutics (CH, a2013)

J. Doudna (Berkley Univ.) – Cari- Intellia Therapeutics


bou Biosciences (US, a2011) (US, a2014)

F. Zhang (MIT), J. Doudna Editas Medicine (US, a2013)

G. Church (Harvard Univ.)

aGegründet, < übernommen von


CH Schweiz, F Frankreich, HZI Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, MIT Massachusetts Institute of Technology,
Univ. Universität/University, US USA

55 Oligonukleotid-gerichtete Mutagenese Ermöglichten die 1970 entdeckten bakteriellen


(OGM, oligonucleotide-directed mutagenesis Restriktionsenzyme das Schneiden von DNS und
= ODM). Genen nur an bestimmten Buchstabenabfolgen, so
55 Expressionssysteme: Protein-Produktion in können heute speziell designte Restriktionsenzyme
zellfreien Systemen, Viren, Insektenzellen oder jede gewünschte Stelle im Genom erreichen. Die
Pflanzenteilen. CRISPR-Cas-Technologie (7 CRISPR-Cas-System
55 Big Data: Softwaresysteme, die die Unmengen unter der Lupe) wird dabei von ihrer Bedeutung
an biologischen Daten aufbereiten können. bereits mit der PCR verglichen. Diese »DNS-Ver-
mehrungstechnologie« ist heute eine unverzicht-
Genome Editing eröffnet heute – 40 Jahre nach Ent- bare Basistechnologie für das Arbeiten mit DNS.
wicklung der DNS-Rekombination – neue Wege in Das bakterielle CRISPR-Cas-Immunsystem wur-
der Gentechnik, die noch gezielter sind. So kann de 2007 entdeckt. 2012 wurde erstmals beschrie-
OGM (7 Agrar-OGM: Nur abschreiben, nicht einbau- ben, dass es für das RNS-programmierte Genome
en) – im Gegensatz zu der klassischen Mutagenese Editing genutzt werden kann. Es handelt sich um
durch Strahlen oder Chemikalien – punktgenau eine breit einsetzbare Technologie, deren Markt-
einen gewünschten Buchstaben in einem »Gen- potenzial bei 46 Mrd. US$ liegen soll (van Erp et al.
wort« ändern. Angewandt wird das heutzutage 2015). Zum Vergleich: Der PCR-Markt liegt bei gut
bereits in der Pflanzenzüchtung (7 Abschn. 3.3.1). 10 Mrd. US$.
Klassische Verfahren der Mutagenese und Züch- Seitdem ist ein regelrechter Hype um das Geno-
tung führen auch zu verändertem Erbgut, aller- me Editing entstanden: Es wurden Firmen gegrün-
dings wesentlich ungezielter oder langsamer. det (. Tab. 3.51), und es wird um Patente gestritten.
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311 II

Teil II Die Biotech-


Industrie: die Situation
in Deutschland
Kapitel 4 Rahmenbedingungen bei der Entstehung der
Biotech-Industrie in Deutschland – 313

Kapitel 5 Das Aufkommen einer KMU-geprägten


Biotech-Industrie in Deutschland – 363
313 4

Rahmenbedingungen bei
der Entstehung der Biotech-
Industrie in Deutschland
Zusammenfassung
Um die Entwicklung der deutschen KMU-geprägten Biotech-Industrie zu ver-
stehen, ist die Analyse der Rahmenbedingungen, die hierzulande vor ihrer
Entstehung vorherrschten, hilfreich. Dieses Kapitel beleuchtet insbesondere
die Situation der Forschung und Lehre vor den 1970er-Jahren sowie politische
und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in den 1970er- bis 1990er-Jahren.
Bis in die 1930er-Jahre galt Deutschland als Vorreiter in der biochemischen
Forschung. In den späten 1930er- bis 1950er-Jahren setzten sich dann die USA
bei der biochemischen und molekularbiologischen Forschung an die Spitze.
Neben Zwangsemigration und Vertreibung von Wissenschaftlern durch das
Nazi-Regime hatte auch der Zweite Weltkrieg eine internationale Isolation
und Selbstisolation deutscher Forscher zur Folge. Hinzu kam, dass Universi-
tätsstrukturen bzw. Institutsabgrenzungen interdisziplinäre Zusammenarbeit
erschwerten. Die Lage änderte sich erst langsam in den 1960er- und 1970er-
Jahren sowie verstärkt in den 1980er-Jahren mit der Gründung der Genzentren
ab 1982 in Heidelberg, Köln und München sowie 1987 in Berlin. Gleichzeitig
setzte der Bund verschiedene Förderprogramme auf, rief Kommissionen ins
Leben und verabschiedete 1990 das Gentechnik-Gesetz. Danach folgten
1995/1996 der BioRegio-Wettbewerb, der als Initialzündung für die deutsche
Biotech-Branche gilt, sowie weitere mit einem Wettbewerbsanreiz ausgestatte-
te Förderinstrumente. Schließlich wurde auch versucht, Rahmenbedingungen
für Unternehmensgründungen und –finanzierungen zu verbessern, was aller-
dings laut einem Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innova-
tion (EFI) bis heute noch nicht zufriedenstellend gelöst ist. Das Kapitel schließt
mit einem zusammenfassenden Vergleich »biotech-relevanter« Rahmenbedin-
gungen in den USA und Deutschland sowie einer Übersicht zu frühen Bio- und
Gentech-Aktivitäten der etablierten Industrie.

J. Schüler, Die Biotechnologie-Industrie,


DOI 10.1007/978-3-662-47160-9_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
4.1 Forschung und Lehre vor den 1970er-Jahren – 315
4.1.1 Bis 1950: die anfängliche Lage in Deutschland – 315
4.1.2 1956, Aufbau der deutschen Molekularbiologie: das Institut für
Genetik in Köln und andere Institute – 317
4.1.3 Zusammenfassende Einschätzung zur deutschen Forschung:
vom biochemischen Vorreiter zum Nachfolger in der
Molekularbiologie – 321

4.2 Beurteilung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit in der


»alten« Biotechnologie – 323

4.3 Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis


1990er-Jahren – 325
4.3.1 Ende der 1960er- und die 1970er-Jahre: erste
Förderprogramme und Studien – 326
4.3.2 Die 1980er-Jahre: das »Hoechst-Signal«, Genzentren,
Enquete-Kommission und politische Fronten – 331
4.3.3 Die 1990er-Jahre: Wiedervereinigung, Gentechnik-Gesetz, weitere
Förderung, BioRegio- und andere Wettbewerbe – 336

4.4 Unternehmensgründung und -finanzierung als spezielle


Herausforderung in Deutschland, damals wie heute – 343

4.5 Deutschland versus USA: ein zusammenfassender Vergleich


früher »biotech-relevanter« Rahmenbedingungen – 349

4.6 Frühe Bio- und Gentech-Aktivitäten der etablierten


Industrie – 351
4.6.1 Entwicklungen bei ausgewählten Chemie-Konzernen – 351
4.6.2 Bio- und Gentechnologie bei ausgewählten Pharma-Firmen – 357

Literatur – 360
4.1 • Forschung und Lehre vor den 1970er-Jahren
315 4
4.1 Forschung und Lehre vor den Für den biowissenschaftlichen Bereich als relevant
1970er-Jahren anzusehen sind unter anderem die Gründungen
der folgenden Institute:
Um die Entwicklung der deutschen KMU-gepräg- 55 1912 KWI für Chemie (Berlin), heute Max-
ten Biotech-Industrie zu verstehen, ist die Ana- Planck-Institut (MPI) für Chemie (Otto-
lyse der Rahmenbedingungen, die hierzulande Hahn-Institut, Mainz);
vorherrschten, hilfreich. Für die wirtschaftliche 55 1912 KWI für Biologie (Berlin), 1943 Umzug
Nutzung sind vor allem Forschung und Lehre eine nach Hechingen, 1951 dann als MPI für Biolo-
wichtige Voraussetzung. International gesehen gie in Tübingen, 2004 geschlossen;
markierte die Gärungsforschung bis 1930 eine erste 55 1912 KWI für Physikalische Chemie (Berlin),
Phase der Erforschung von Mikroorganismen. Mo- heute MPI für biophysikalische Chemie (Göt-
lekularbiologische Forschung kam erstmals zwi- tingen);
schen 1930 und 1950 auf als ein Zusammentreffen 55 1913/1925 KWI für Biochemie (Berlin), 1943
von Biologie, Chemie und Physik mit einem Fokus nach Tübingen verlagert, später aufgespalten
auf Proteinanalyse und Genetik. Der Zeitraum von in MPI für Virusforschung (Tübingen, 1984
1950 bis 1970 stellt eine dritte Phase dar: von der umbenannt in MPI für Entwicklungsbiologie)
physikalischen Aufklärung der DNS-Struktur über und MPI für Biochemie (1956 nach München);
die biochemische Entzifferung des genetischen 55 1928/1930 KWI für Hirnforschung (Berlin-
Codes bis zur Erfindung der DNS-Rekombina- Buch), heute Max-Delbrück-Centrum für Mo-
tionstechnik, das heißt der Gentechnik. lekulare Medizin (Helmholtz-Gemeinschaft);
55 1929 KWI für medizinische Forschung (Hei-
delberg), heute MPI für medizinische For-
4.1.1 Bis 1950: die anfängliche Lage in schung;
Deutschland 55 1930 KWI für Zellphysiologie (Berlin), 1953
Übernahme als MPI, 1972 geschlossen;
Gewerbliche Gärungsforschung bestritten in 55 1937 KWI für Biophysik (Frankfurt/Main),
Deutschland die Gemeinschaftsforschungsanstal- heute MPI für Biophysik.
ten berufsständischer Verbände des Gärungsge-
werbes. So gründete sich 1874 die Versuchsanstalt Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI)
für Brennerei, aus der 1909 das Berliner Institut Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) ist die
für Gärungsgewerbe und Stärkefabrikation (IfG, Vorläuferin der heutigen Max-Planck-Gesell-
seit 1967 Institut für Gärungsgewerbe und Bio- schaft, die sich 1911 unter der Schirmherrschaft
technologie, IfGB) hervorging. Dessen Forschung Kaiser Wilhelms II. in Berlin gründete. Konzep-
war hauptsächlich zweckgebunden, übergeordnete tion und Struktur brachen mit herkömmlichen
mikrobiologische Fragestellungen bearbeitete es Konventionen: Finanziert von Wirtschaft und
später allerdings zunehmend. Wissenschaftlicher Staat, zielte die neue Gesellschaft darauf, be-
Direktor war der Chemiker Max Delbrück, Onkel kannten Wissenschaftlern eigene Institute (die
des bekannten Biophysiker und Molekularbiologen Kaiser-Wilhelm-Institute) zu bieten, in denen
Max Delbrück. Bis 1898 gründeten sich elf weitere sie frei von jeglicher Lehrpflicht nach ihren
gewerbliche gärungswissenschaftliche Forschungs- Interessen forschen konnten.
anstalten, Standorte waren neben Berlin zum
Beispiel München, Weihenstephan, Hohenheim,
Nürnberg und Worms. Staatliche mikrobiologi- Keines der KWI befasste sich indes mit der Mik-
sche Forschung betrieb das 1891 gegründete König- robiologie, obwohl Delbrück als wissenschaftlicher
lich Preußische Institut für Infektionskrankheiten, Direktor des IfG und Vorstandsmitglied der KWG
heute bekannt als Robert-Koch-Institut (RKI). Die dafür eindringlich plädierte. An den Berliner KWI
Rolle der Grundlagenforschung fiel den seit 1911 für Biochemie und Biologie betrieben immerhin ab
gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituten (KWI) zu. 1937 die Wissenschaftler Butenandt, Kühn und von
316 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Wettstein biochemische und genetische Virusfor- funktionellen Zusammenhang von Gen und Merk-
schung, später fortgesetzt in Tübingen. Nach dem mal durch (der eigentliche Durchbruch kam 1958 in
Zweiten Weltkrieg übernahm die neu gegründete den USA mit der Arbeit an Pilzen). Sie bauten auf
Max-Planck-Gesellschaft die KWI, sie fungieren Arbeiten zur physiologischen Genetik von Gold-
heute als Max-Planck-Institute (MPI). schmidt (Genetik der Tiere am KWI für Biologie)
In den Universitäten fand laut Marschall (2000) und Correns (KWI-Pflanzengenetiker und »Wie-
Gärungsforschung zwar statt, sie stand aber im derentdecker« der Mendel’schen Regeln) auf. Gera-
Schatten der gewerblichen Forschung. Die Mikro- de die Genetik litt als wissenschaftliches Fach unter
4 biologie beziehungsweise Bakteriologie hatte den dem nationalsozialistischen Regime, das als wichti-
Ruf einer angewandten und praktischen Disziplin, gen Teil seiner Ideologie im Juli 1933 das sogenannte
weshalb sie Hochschulwissenschaftler nicht beson- »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«
ders ernst nahmen. Anfangs spielte sie nur eine einführte und Zwangssterilisationen anordnete.
untergeordnete Rolle als Hilfswissenschaft und war Nach Kriegsende wurden entscheidende Schrit-
damit oft lediglich Teil der medizinischen (Hygie- te zur Gründung genetischer Lehrstühle an den
ne-Institute) und landwirtschaftlichen Fakultäten. Hochschulen versäumt. Gewisse genetische Grund-
So gründete sich 1900 in Göttingen das Institut für lagen erforschte jedoch die von den KWI für Bioche-
landwirtschaftliche Bakteriologie, 1935 wurde es in mie und Biologie im Jahr 1937 gegründete Arbeits-
Institut für Mikrobiologie umbenannt, und heute gemeinschaft zur Virusforschung. Sie wandelte sich
gehört es als Institut für Mikrobiologie und Genetik 1941 in eine eigene Arbeitsstätte um und verlagerte
zur Biologischen Fakultät und zum Göttinger Zen- sich 1943 nach Baden-Württemberg (Hechingen/
trum für Molekulare Biowissenschaften (GZMB). Tübingen). 1954 folgte dann die Gründung als eige-
Eigenständige Universitätsinstitute für Mikrobiolo- nes MPI für Virusforschung. In die Fußstapfen
gie entstanden laut der Vereinigung für Allgemeine von Butenandt, Kühn und von Wettstein traten in
und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) ab 1956 Tübingen unter anderem die Wissenschaftler Mel-
als Lehrstühle innerhalb der naturwissenschaftli- chers und Schramm, die international anerkannte
chen Fakultäten zunächst in Frankfurt/Main und Beiträge bei der Gewinnung und Analyse definier-
Hamburg. ter Mutanten des Tabakmosaik-Virus erbrachten.
Die Biochemie, früher auch als physiologische Dieses Verfahren erlangte besondere Bedeutung bei
Chemie bezeichnet, war dagegen bereits in den der Aufklärung des genetischen Codes. Neben den
1930er-Jahren an den Universitäten vertreten: 1932 Gruppen um Melchers und Schramm (Erforschung
gab es selbstständige Institute für Physiologische der Biochemie und Genetik des Tabakmosaikvirus)
Chemie an den Universitäten Berlin, Frankfurt, gab es in Deutschland in den 1940er- und 1950er-
Freiburg, Leipzig, Tübingen und Würzburg. Die Jahren lediglich zwei weitere Arbeitsgruppen, die
Namen Fischer, Willstätter, Wieland und Warburg sich mit moderner Biologie beschäftigten: eine
stehen stellvertretend für eine große Tradition der Gruppe um Weidel, ebenfalls am MPI für Virus-
deutschen Biochemie. Als international führend forschung in Tübingen, und eine Gruppe um Bresch
bezeichnet Zarnitz (1968) zudem die Arbeiten über am MPI für physikalische Chemie in Göttingen.
den Wirkungsmechanismus von Enzymen (MPI Beide Forscher fokussierten sich auf die Pha-
für Zellchemie, München, 1954–1973) sowie die Ar- gen-Genetik. Ihr Know-how dazu verdankten sie
beiten zur Geschwindigkeitsmessung von schnel- letztlich dem »Phagen-Pionier« Delbrück (7 Max
len chemischen Reaktionen (MPI für physikalische Delbrück (1906–1981), der Biophysiker und Moleku-
Chemie, Göttingen, heute MPI für biophysikali- larbiologe), einem deutschen Physiker, der 1937 in
sche Chemie). Die Forscher Eigen, Norrish und die USA auswanderte und sich am California Insti-
Porter erhielten dafür im Jahr 1967 den Nobelpreis tute of Technology (Caltech) in Pasadena der Pha-
für Chemie. gen-Forschung widmete. Bresch hörte im Rahmen
In der Genetik führten Kühn und Butenandt seines Studiums der Physik Vorträge von Delbrück,
in den 1930er-Jahren an den KWI für Biologie und die dieser nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 erst-
Biochemie an Insekten erste Untersuchungen zum mals in Berlin abhielt. Delbrück über Bresch:
4.1 • Forschung und Lehre vor den 1970er-Jahren
317 4

Max Delbrück (1906–1981), der Biophysiker und Molekularbiologe


Geboren in Berlin, promovierte Modell der Genmutation vorstellte. und dem US-Amerikaner Hershey
Delbrück in der theoretischen Physik Einer weiteren akademischen Kar- entdeckte er 1943 den Vermehrungs-
in Göttingen. Nach Auslandsaufent- riere stand im Weg, dass ihm eine mechanismus und die genetische
halten arbeitete er ab 1932 am KWI Habilitation verwehrt blieb. Ursache Struktur von Viren, wofür die For-
für Chemie in Berlin, unter anderem dafür war ein »Nichtbestehen« eines scher 1969 einen Nobelpreis erhiel-
als Assistent von Meitner und Hahn. Nazi-Trainingskurses für Lehrende ten. Delbrück hatte großen Einfluss
Bereits in dieser Zeit gründete er (Delbrück 1978). 1937 kam er über ein darauf, dass viele Physiker sich der
eine interdisziplinäre Diskussions- Rockefeller Stipendium in die USA Biologie zuwandten. Sein Koopera-
gruppe mit Biologen, Physikern zu Thomas Hunt Morgan (Entdecker tionspartner Luria war der Doktorva-
und Mathematikern, die sich der der Chromosomenstruktur) an das ter von Watson, der 1953 zusammen
Suche nach den Gesetzen des Le- California Institute of Technology. mit dem britischen Forscher Crick
bens widmete. 1935 entstand die Hier und später bei Sommerkursen die Doppelhelixstruktur von DNS
Veröffentlichung Über die Natur der in Cold Spring Harbor widmete postulierte. Diese diskutierte Watson
Genmutation und der Genstruktur, in er sich der Phagen-Genetik. Zu- noch vor der Veröffentlichung per
der Delbrück ein atomphysikalisches sammen mit dem Italiener Luria Brief mit Delbrück.

»» He was a student at that time, and he had erweitertes Familienmitglied Bonhoeffer Direktor
read about bacteriophage, and wanted me to war. Dort führte Bresch Bakteriophagen als For-
bring him some of the phages that I had been schungsobjekt in die deutsche Genetik ein. Weidel
working with. And that developed into a com- dagegen lernte die Phagen-Welt bei einem Gastauf-
plicated maneuver, whether I was permitted to enthalt 1949 im Caltech bei Delbrück direkt kennen.
give him the phage. I gave the phages to the Die molekulare Biologie als neue interdisziplinäre
American control officer in Berlin, and he, after Wissenschaft von Biologie (inklusive Biochemie und
a great deal of soul searching, passed these Genetik), Chemie und Physik erreichte Deutschland
phages on to Bresch. (Delbrück 1978) also nur langsam in den 1940er- und 1950er-Jahren.
In Frankreich, Großbritannien und den USA machte
Mit Phagen arbeitete zu dem Zeitpunkt das Ber- sie in dieser Zeit dagegen schon große Fortschritte.
liner Robert-Koch-Institut, und Bresch gelang es, Universitäre Forschergruppen zur Molekularbiolo-
dort den experimentellen Teil seiner Doktorarbeit gie existierten in Deutschland in der Nachkriegszeit
mit den T-Phagen von Delbrück durchzuführen: nicht, und zudem fand keine Lehre statt. Auch die
Lehre in interdisziplinären Fächern wie Biochemie
»» Damit waren wir also beschäftigt, als die rus- und Biophysik war vor Mitte der 1960er-Jahre in
sische Blockade begann, die im Westsektor
den Hochschulen kaum vertreten. So gibt Wieland
permanente Stromsperren nötig machte. Im
(2010) an, dass der Wissenschaftsrat 1960 an bun-
Institut gab es Strom nachts von 3 bis 4 oder
desdeutschen Universitäten zwar 46 Ordinariate für
5 Uhr. So fuhr ich jede Nacht mit dem Fahrrad
Botanik und Zoologie, jedoch nur ein Ordinariat für
eine Stunde durch die dunkle Stadt und nach
Mikrobiologie, jeweils eines für Biochemie und Phy-
gelungenem Experiment im Morgengrauen
siologische Chemie und nur drei für Genetik zählte.
ebenso zurück. Mit Delbrück standen wir in
ständigem Briefkontakt. Er schickte uns in
wirklich väterlicher Fürsorge seine Sonderdru-
4.1.2 1956, Aufbau der deutschen
cke und auch die seiner Kollegen, die er für uns
Molekularbiologie: das Institut
in der Vor-Xerox-Welt besorgte. (Bresch 2007)
für Genetik in Köln und andere
Institute
Delbrück vermittelte Bresch 1949 als Assistent an
das MPI für physikalische Chemie in Göttingen In diesem Vakuum war der Kölner Universitäts-Bo-
(heute auch bekannt als Karl-Friedrich-Bonhoeffer- taniker Straub (davor tätig am KWI für Biologie in
Institut), an dem Delbrücks Freund, Mentor und Berlin/MPI für Biologie in Tübingen, Schüler von
318 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

von Wettstein) im Jahr 1953 – dem Entdeckungs- tern, informelle Atmosphäre, ausländische Gäste.
jahr der DNS-Doppelhelixstruktur – einer der Diese Ausrichtung war für die damalige deutsche
Ersten, der in Deutschland für die Notwendigkeit Universitätslandschaft komplett neu, und Delbrück
eigenständiger Universitätsinstitute der Mikrobio- hatte die Vision, dass das neue Institut ein Modell
logie beziehungsweise Genetik eintrat. Während für andere Standorte werden sollte. Für ihn war das
den – allerdings gescheiterten – Verhandlungen zu Projekt weit mehr als die Errichtung eines neuen
einer Berufung nach München schrieb er: Institutes, er schlug im Jahr 1956 sogar das zeit-
gleiche Angebot aus, neuer Direktor am damaligen
4 »» ‘ The development of biology is taking place MPI für Virusforschung in Tübingen zu werden.
more and more into the direction of microbio-
logy, and in this process the genetically orien- »» ‘ What appeals to me with the project in Co-
ted research should be the most significant. … logne, is not the size of the institute, the salary
I do not know any biological university institute or the budget, but the chance to actively
in Germany, whose research is dedicated to this break down the organisational deadlock in
field. … I am convinced that the most valuable academic biology, together with Straub, in
contributions to the development of the bio- whose insight, skills and energy I trust very
logical sciences … will be achieved by such an much. I think if we succeed, German biology
institute, whose work will focus on the genetics will be helped ten times more than by a small
of micro-organisms.’ (Straub, aus Wenkel 2007) research institute on a hill outside of Tübingen,
to which no student will ever stray, and whose
Die Universität Köln errichtete daraufhin ein Extra- influence on academia the established interest
ordinariat für Mikrobiologie am Botanischen Insti- of the faculty would resist unanimously.’ (Del-
tut. Auf der Suche nach einer geeigneten Person für brück, aus Wenkel 2007)
die neue Position kontaktierte Straub Delbrück in
den USA. Kurz darauf bot Köln die außerordent- Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die
liche Professur Delbrück direkt an. Wenkel (2007) Universität Köln sowie das Ministerium für Wis-
kommentiert diesen Schritt in einer Abhandlung senschaft des Landes Nordrhein-Westfalen unter-
zur Gründung des Instituts für Genetik wie folgt: stützten die Pläne. Nachdem Delbrück selbst nicht
die außerplanmäßige Professur antreten wollte, fiel
»» This created an absurd situation: an associa- die Wahl auf eine andere Person aus dem Netz-
te professorship at a botanical institute in werk, nämlich Bresch. Mit drei Assistenten startete
Germany was offered to a long-established, er 1956 in Räumen des Botanischen Instituts das
world-leading scientist in molecular biology. bundesweit erste Institut für Genetik, anfangs oft
Delbrück, naturally, did not even consider the als Delbrück-Institut bezeichnet. 1961 konnte ein
offer, rejecting it with a few words on a post- neues, eigenes Gebäude bezogen werden. In dieser
card, which did not endear him to the adminis- Phase trat Delbrück sogar für zwei Jahre den Pos-
tration. As compensation, however, Delbrück ten des Direktors an, nachdem er sich vom Caltech
offered to visit Cologne as guest professor, ... . hatte beurlauben lassen. Die offizielle Eröffnungs-
(Wenkel 2007) zeremonie fand im Juni 1962 statt, im Beisein des
berühmten Atomphysikers Bohr, der im November
Während seiner Sommeraufenthalte als Gastprofes- 1962 verstarb. Bedeutende Besucher aus den USA,
sor und Leiter von Phagen-Kursen in Köln, planten wie Watson, kamen vorbei.
Delbrück und Straub dann ein eigenes Institut für Vieles in der hiesigen Etablierung der Molekular-
molekulare Genetik an der Universität zu errich- biologie ist also dem Pionier Delbrück zu verdanken.
ten. Dabei legte Delbrück Wert darauf, vergleich- Neben den Bemühungen in Köln betreute er in den
bare Verhältnisse zu amerikanischen Instituten zu 1950er- und 1960er-Jahren viele deutsche Postdokto-
schaffen: »Department«-Strukturen, also unabhän- randen am Caltech, die dann in die deutsche Wissen-
gige, aber interagierende Gruppen mit Gruppenlei- schaft zurückkehrten. Köln war zudem die Kader-
4.1 • Forschung und Lehre vor den 1970er-Jahren
319 4

Der ehemalige Kölner Professor Rajewsky rückblickend über das Institut für Genetik in Köln
»The Institute for Genetics at the le hierarchy, easy access for students place to go. The institute’s annual
University of Cologne had just been to the research labs, informality at phage course was attended over the
founded by Max Delbrück, then at all levels. Max regularly came over years by essentially everybody who
Caltech in Pasadena, and a local pro- for extended visits for many years, later made a career in the field in the
fessor of botany, Joseph Straub, with and through him the institute was country. The institute was liberal,
the aim of establishing a research internationally well connected. Most ambitious, a little arrogant, tole-
center of modern molecular biology of the group leaders and professors rated by the university, and hated
in postwar Germany. It was the first were young molecular biologists re- by much of the scientific establish-
institute of its kind in the country, turning from their postdoctoral work ment« (Rajewsky 2013).
purposely structured like a university in the United States, and the word
department in the United States: litt- was spreading that this was the

schmiede für einige Professoren, die später an andere GBM) unterstütze diese Bemühungen. Eine der
Standorte in Deutschland wechselten, um dort neue ersten ­Absolventinnen des Studiengangs war Nüss-
Institute für Molekularbiologie oder Genetik aufzu- lein-Volhard (7 Die ­Nobelpreisträgerin von 1995
bauen (. Tab. 4.1). Delbrück half 1969 ebenso, die Christiane ­
Nüsslein-Volhard über ihr Studium der
biologische Fakultät der neu gegründeten Universi- Biochemie), die zusammen mit den Forschern Le-
tät Konstanz zu errichten. Noch im Jahr 1964 kam wis und ­Wieschaus 1995 den Nobelpreis für Phy-
die DFG allerdings zu dem folgenden Schluss: siologie oder Medizin verliehen bekam. Das No-
belkommittee zeichnete ihre Entdeckungen zur
»» Insgesamt ist festzustellen, dass die Biologie genetischen Kontrolle der frühen embryonalen
vor allem in denjenigen Gebieten notleidend Entwicklung aus. Zusätzlich zu den universitären
ist, wo Impulse vielfach von den Nachbarge- Aktivitäten begleiteten andere, außeruniversitäre
bieten, insbesondere der Chemie und Physik, Einrichtungen den Aufbau der modernen Biologie
aber auch der mathematischen Statistik und in Deutschland. So erfolgte im Jahr 1964 die Grün-
auf die Anwendung von deren Arbeitsmetho- dung des Deutschen Krebsforschungszentrums
den auf biologische Probleme ankommt. In (DKFZ) in Heidelberg, das als Großforschungsein-
dem ungünstig zu beurteilenden Gesamtbild richtung zu 90 % der Bund und zu 10 % das Land
sind hervorragende Einzelleistungen festzu- Baden-Württemberg trug. Es ist die größte biome-
stellen. (Clausen 1964) dizinische Einrichtung in Deutschland und hat die
Aufgabe, die Entstehung von Krebs zu erforschen,
Daher folgten neben Konstanz andere Hochschulen Krebsrisikofaktoren zu erfassen sowie neue Ansät-
dem Vorbild der Universität Köln (7 Der ­ehemalige ze zur Prävention, präzisen Diagnostik und erfolg-
Kölner Professor Rajewsky rückblickend über das Ins- reichen Behandlung von Krebs zu entwickeln. Im
titut für Genetik in Köln) und errichteten ab Mitte Jahr 1965 gründete sich zudem das Institut für Mo-
der 1960er-Jahre eigene Lehrstühle mit molekular- lekulare Biologie, Biochemie und Biophysik (IMB)
genetischer Ausrichtung: so zum Beispiel Bochum, in Braunschweig. Die Volkswagen-Stiftung über-
Freiburg, Hamburg, Heidelberg, München, Tübin- nahm die Finanzierung mit 11 Mio. DM. Später,
gen und Ulm. 1969, wandelte sich das Institut in die Gesellschaft
Auch legten die Universitäten neue interdis- für Molekularbiologische Forschung (GMBF) und
ziplinäre Studiengänge auf, wie beispielsweise die 1972 in die Gesellschaft für Biotechnologische For-
Universität Tübingen ein Curriculum für Bio- schung (GBF), welche als Großforschungszentrum
chemie. Die 1947 gegründete Gesellschaft für zu 100 % der Bund unterstützte. Heute ist die For-
Physiologische Chemie (1966 umbenannt in Ge- schungsstätte ebenfalls Mitglied der Helmholtz-
sellschaft für Biologische Chemie, seit 1996 Ge- Gemeinschaft und fungiert unter Helmholtz-Zen-
sellschaft für Biochemie und Molekularbiologie, trum für Infektionsforschung.
320 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 4.1 Die frühen Wegbereiter der deutschen Molekularbiologie am Institut für Genetik in Köln. (Quelle: Bio-
MedServices (2015) nach Wenkel und Deichmann (2007))

Jahr Name (Rolle) Kommend von/davor Gegangen nach


(­Auswahl)/heute

1956, 1961–1963 Delbrück (vor Gründung Gast- Pasadena, Caltech (Prof.) Pasadena, Caltech; gestor-
professor am Institut für Botanik, ben 1981
Direktor 1961–1963)

4 1956–1964 Bresch (AP Mikrobiologie) Göttingen, MPI für physi-


kalische Chemie
Freiburg, Lehrstuhl für
Genetik (Gründung); Prof.
emer.

1956–1996 Starlinger (Assistent bei Bresch, ab Tübingen, MPI für Virusfor- In Köln geblieben; Prof.
1965 Prof. für Genetik und Strahlen- schung; Caltech (PD) emer.
biologie)

1956–1964 Trautner (Assistent bei Bresch, Göttingen, MPI für physi- Berlin, MPI für molekulare
später Prof. für Mikrobiologie) kalische Chemie; Stanford Genetik (Gründungsdirek-
(PD bei Kornberg) tor); Prof. emer.

1956–1958 Hausmann (Assistent bei Bresch) Rio de Janeiro Freiburg, Prof. für Genetik;
Prof. emer.

1958–1964 Harm (AP Strahlenbiologie) Caltech (PD) Baltimore, Johns Hopkins


(2008)

1961–1966 Zachau (Gruppenleiter) Tübingen, MPI für Bioche- München, Professor für
mie; MIT (PD) physiologische Chemie;
Prof. emer.

1961–1963 Henning (Gruppenleiter) Stanford (PD) Tübingen, MPI für Biolo-


gie, geschlossen 2004

1966–1973 Overath (Assistent, Gruppenleiter) Davis (PD bei Stumpf ) Tübingen, MPI für Biolo-
gie, geschlossen 2004

1967–unbe- Vielmetter (Prof. für Mikrobiologie Tübingen, MPI für Virus- In Köln geblieben; Prof.
kannt und Genetik) forschung; Cold Spring emer.
Harbor Laboratories

1968–1998 Müller-Hill (Prof. für Genetik) Harvard (PD bei Gilbert, In Köln geblieben; Prof.
Watson) emer.

1970–1994 Rajewsky (Prof. für Genetik und Paris, Institut Pasteur Rom, EMBL; Harvard
Immunologie) Medical School; Berlin,
Max-Delbrück-Centrum
für Molekulare Medizin

1970–1987 Beyreuther (Assistent, ab 1978 Prof. Dr. am MPI für Biochemie, Heidelberg, ZMBH, Prof.
für Biochemie und Genetik) München; PD in Harvard emer., Gründungsdirektor
am Netzwerk Alternsfor-
schung (Heidelberg)

1972–2002 Doerfler (Prof. für Genetik und München, MPI für Bioche- In Köln geblieben (Prof.
Virologie) mie (PD); Stanford Medical emer.), Erlangen, Gastpro-
School (PD) fessor für Virologie

AP außerplanmäßiger Professor, EMBL European Molecular Biology Laboratory, MIT Massachusetts Institute of Techno-
logy, PD Postdoktorand, Prof. Professor, ZMBH Zentrum für Molekulare Biologie Heidelberg
4.1 • Forschung und Lehre vor den 1970er-Jahren
321 4

Die Nobelpreisträgerin von 1995 Christiane Nüsslein-Volhard über ihr Studium der Biochemie
»At that time (summer 1964) a new lectures from scientists of the Max- understood the lectures at the time.
curriculum for biochemistry, the Planck-Institut für Virusforschung, I did my exams for the Diploma in
only one of its kind in Germany, Gerhard Schramm, Alfred Gierer, biochemistry in 1969, as usual for me,
was started in Tübingen. In the final Friedrich Bonhoeffer, Heinz Schaller, with rather mediocre grades becau-
year two new professors taught and others. They were teaching very se I had not always paid attention,
microbiology and genetics, which modern things such as protein bio- and often had lost interest« (Nobel
I liked very much, and I also had synthesis and DNA replication. This Media 2014).
a chance to attend seminars and excited me much although I hardly

Innerhalb der Max-Planck-Institute fand in mikers Meyerhof (Nobelpreisträger von 1922) als
den 1960er-Jahren molekulargenetische Forschung weltweit führendes Labor, das sich auf die Glyko-
bereits statt am MPI für Biochemie (München) lyse und Fermentation konzentrierte. Laut Strasser
sowie am MPI für Biologie und Virusforschung (2002) gingen in den 15 Jahren vor dem Zweiten
(Tübingen). Auch das MPI für (bio)physikalische Weltkrieg (1925–1939) 32 Nobelpreise in den Na-
Chemie in Göttingen verfolgte bereits früh einen turwissenschaften an Wissenschaftler aus den Län-
stark interdisziplinären Ansatz und wandte physi- dern Deutschland, England und Frankreich und
kalisch-chemische Methoden auch auf biologische elf Nobelpreise in die USA. In den 15 Jahren nach
Fragestellungen an. 1964 wurde das MPI für mo- dem Krieg (1946–1960) waren die Verhältnisse: An
lekulare Genetik in Berlin ins Leben gerufen, 1965 Forscher in den USA wurden 38 Nobelpreise ver-
folgte die Berufung von Trautner, einem der ersten geben, die Forscher aus Deutschland, England und
Assistenten unter Bresch am Institut für Genetik Frankreich mussten sich mit 18 Auszeichnungen
der Universität Köln. In Heidelberg erhielt die Mo- begnügen.
lekularbiologie innerhalb des MPI für medizini- Die USA setzte sich also während den späten
sche Forschung 1966 eine eigene Abteilung unter 1930er- bis 1950er-Jahren bei der biochemischen
Hoffmann-Berling. Schließlich orientierte sich und molekularbiologischen Forschung an die
Ende der 1960er-Jahre die Forschung des Frank- Spitze. In Deutschland war sie nach dem Zweiten
furter MPI für Biophysik weg von der Arbeit mit Weltkrieg und für die folgenden 20 Jahre, also bis
radioaktiver Strahlung hin zur Untersuchung des Mitte der 1960er-Jahre, dagegen kaum vertreten:
Stofftransports durch biologische und künstliche Forschung über Bakterien und Phagen-Genetik so-
Membranen. Schwerpunkte der Forschung sind die wie die Erforschung zu Struktur und Funktion von
Untersuchung der Zellmembran und ihrer Baustei- Proteinen und Nukleinsäuren startete hierzulande
ne sowie der Membranproteine (und hier beson- erst rund 15 Jahre später als in den USA oder Groß-
ders der Transportproteine). britannien. Deutschland entwickelte sich somit zu
einem Nachfolger in den Disziplinen der »neuen«
Biologie. Deichmann (2002) sieht dafür folgende
4.1.3 Zusammenfassende Gründe:
Einschätzung zur deutschen 55 Zwangsemigration von jüdischen, aber auch
Forschung: vom biochemischen Vertreibung von nicht-jüdischen Forschern,
Vorreiter zum Nachfolger in der später ausgezeichneten Molekularbiologen
Molekularbiologie sowie Biochemikern,
55 internationale Isolation und Selbstisolation
Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt deutscher Wissenschaftler als Folge des Natio-
Deutschland als Vorreiter in der biochemischen nalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges,
Forschung. So etablierte sich bis 1935 das Heidel- 55 Universitätsstrukturen bzw. Institutsabgren-
berger KWI für medizinische Forschung unter zungen, die interdisziplinäre Forschung er-
Leitung des deutschen Mediziners und Bioche- schwerten.
322 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Die Vertreibung beziehungsweise Beeinträchti- die zur Molekularbiologie führten, hatten wäh-
gung von Wissenschaftlern bezog sich nicht nur rend des Krieges und im ersten Jahrzehnt nach
auf Deutschland, sondern ebenfalls auf benachbar- dem zweiten Weltkrieg in den USA, England
te Länder, die vom Nazi-Regime betroffen waren und Frankreich stattgefunden. Es dauerte über
(Beispiele aus Rheinberger 2012): zwei Jahrzehnte, bis die Forschung in Deutsch-
55 Salvador Edward Luria, Mediziner aus Turin land wieder Anschluß an die internationale
über Paris an die University of Columbia, spä- Entwicklung fand. (Rheinberger 1995)
ter Indiana und Illinois sowie MIT: 1969 No-
4 belpreis zusammen mit Hershey und Delbrück Die DFG, 1920 ursprünglich als »Notgemeinschaft
für Arbeiten aus 1943; der deutschen Wissenschaften« gegründet und 1951
55 Severo Ochoa, Mediziner aus Madrid und neu konstituiert für die Förderung der Wissen-
nach Forschungsaufenthalten in Heidelberg schaft und Forschung in Deutschland unterstützte
über Oxford an die University of New York: die Entwicklung der »neuen« Biologie mit Förder-
1959 Nobelpreis zusammen mit Kornberg für geldern sowie Standortbestimmungen. So erarbei-
Arbeiten aus 1955; tete sie 1958 eine ▶ DFG-Denkschrift zur Lage der
55 Max Perutz, Chemiker aus Wien an die Uni- Biologie zu der Lausch (1965) eine Übersicht gibt.
versity of Cambridge, England: 1962 Nobel- Die Entwicklung der Molekularbiologie fand
preis zusammen mit Kendrew für Arbeiten aus in Europa zunächst nicht an den Universitäten,
den späten 1950er-Jahren; sondern in außeruniversitären Forschungseinrich-
55 Erwin Chargaff, Biochemiker an der Berliner tungen statt: in Deutschland in den Max-Planck-
Universität über das Pariser Pasteur-Institut an Instituten (MPI, vormals KWI), in Frankreich am
die Columbia University: erforschte als Erster Pasteur-Institut und in Großbritannien am MRC-
das molekulare Aussehen der DNA und erstellte Labor in Cambridge. Die Hochschulen taten sich
1950 die Chargaff ’schen Regeln (jeweils eine Py- anfangs sehr schwer mit der erforderlichen inter-
rimidinbase verbindet sich mit einer Purinbase); disziplinären und damit institutsübergreifenden
55 Gunther Stent (geboren als Günter Siegmund Forschung, die sich in den USA bereits sehr früh
Stensch in Berlin) über Antwerpen nach etabliert hatte. Lausch (1965) führt in einem ZEIT-
Chicago, wo er nach Beendigung der Schule Artikel dazu aus:
physikalische Chemie studierte und 1952 als
Professor für Molekularbiologie an die Univer- »» Doch lag es nicht nur am [mangelnden] Geld.
sity of California, Berkley, ging; Vielen deutschen Wissenschaftlern, besonders
55 Max Delbrück, Biophysiker vom KWI für den älteren und bereits avancierten Forschern,
Chemie aus Berlin 1937 an das Caltech: 1969 lag der Gedanke, sich einer Arbeitsgruppe aus
Nobelpreis zusammen mit Hershey und Luria gleichberechtigten Mitgliedern einzuordnen,
für Arbeiten aus 1943. allzu fern. Auch vermochten sie, auf die Ab-
grenzung ihres Herrschaftsbereiches – ihres Ins-
Viele dieser Forscher und auch andere bildeten spä- tituts – bedacht, der Zusammenarbeit zwischen
ter deutsche Postdoktoranden aus, die die Moleku- Vertretern verschiedener Fachgebiete keinen
larbiologie sehr langsam nach Deutschland brach- Geschmack abzugewinnen. (Lausch 1965)
ten (. Tab. 4.1). Rheinberger (1995) kommentiert
dies wie folgt: Auch im Jahr 1968 bemängelte eine von der Volks-
wagen-Stiftung in Auftrag gegebene Studie noch
»» Hatte die Biologie in Amerika, vor allem die die grundsätzlich hierarchische Organisation der
Physiologie und Biochemie, durch die Emigra- deutschen Hochschulinstitute (Zarnitz 1968): »De-
tion führender Vertreter dieser Fächer aus dem partments im amerikanischen Sinne oder andere
nationalsozialistischen Deutschland … starke Organisationsformen, in denen gleichberechtigte
Impulse erhalten, so war nun die Situation um- Wissenschaftler zusammenarbeiten, sind nicht ver-
gekehrt. Die entscheidenden Entwicklungen, wirklicht.« Der Bericht stellt weiterhin fest:
4.2 • Beurteilung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit in der »alten« Biotechnologie
323 4

DFG-Denkschrift zur Lage der Biologie


» Die entmutigende Ausgangslage zur Ausbildung nach den USA oder dem der Autor der Denkschrift, Dr.
schilderte eindringlich 1958 eine von an Institute in anderen Ländern Arwed H. Meyl, gekommen war. Der
der Deutschen Forschungsgemein- schicken – und wenn sie sich dort Begriff Molekularbiologie tauchte in
schaft herausgegebene ‚Denkschrift bewähren, kommen sie nicht wie- der Denkschrift überhaupt nicht auf.
zur Lage der Biologie‘. ‚Heute müs- der zurück, weil sie in Deutschland Wohl aber war der Bestandsaufnah-
sen wir‘, so heißt es an einer Stelle weder Einrichtungen noch persön- me zu entnehmen, dass Mikrobiolo-
wörtlich, ‚um den Anschluss an liche Stellen für die Betätigung in gie, Genetik und Biochemie, die der
Methoden und Problemstellungen den neu entwickelten Richtungen molekularbiologischen Forschung
in den seit 20 Jahren neu erschlos- finden.‘ Fünfzehn angesehene deut- auch als Hilfswissenschaften dienen,
senen wichtigen Forschungsge- sche Biologen bekräftigten durch zu den besonders unterentwickelten
bieten zu finden, junge Forscher ihre Unterschrift das harte Urteil, zu Gebieten zählten« (Lausch 1965).

»» Wer einmal … die Arbeit in den Laboratorien 4.2 Beurteilung der deutschen
an der Hochschule, an den Max-Planck-Institu- Wettbewerbsfähigkeit in der
ten und … an den amerikanischen Instituten »alten« Biotechnologie
kennengelernt hat, kann den Unterschied im
Forschungsbetrieb leicht beurteilen. Er kann Unabhängig vom Einfluss auf die deutsche Mole-
zudem die Feststellung treffen, dass der Di- kularbiologie sollte an dieser Stelle die Bedeutung
rektor eines deutschen Hochschulinstitutes des Ersten und Zweiten Weltkrieges für die Ent-
beinahe nie, der Direktor eines Max-Planck- wicklung der »alten« Biotechnologie im Sinne der
Instituts manchmal und der Boss eines ameri- klassischen Fermentationstechnik nicht unerwähnt
kanischen Instituts zumindest häufig bei der bleiben. Beide Kriege hatten nämlich zur Folge,
experimentellen Arbeit im Labor anzutreffen dass fermentativ hergestellte Produkte wie Glycerin
sind. (Zarnitz 1968) zur Dynamit-Herstellung, Antibiotika oder Nah-
rungsproteine stark nachgefragt waren. Während
Gerade der Volkswagen-Stiftung, die ihre Förder- der Kriege war Deutschland meist von der Zufuhr
tätigkeit 1962 aufnahm, muss für Deutschland eine wichtiger Rohstoffe abgeschnitten, und die Bio-
herausragende Bedeutung bei der Unterstützung technologie ermöglichte die Produktion basierend
der aufkommenden Molekularbiologie zuerkannt auf einheimisch zur Verfügung stehenden Grund-
werden. So engagierte sie sich im Rahmen der neu materialien. Das Streben nach Unabhängigkeit von
geschaffenen Institute, dem Institut für Genetik in ausländischen Rohstoffeinfuhren veranlasste das
Köln sowie dem Institut für Molekulare Biologie, Nazi-Regime allerdings dazu, die Kohlechemie zu
Biochemie und Biophysik in Braunschweig. Zudem fördern (Marschall 2000). Deren wirtschaftliche
finanzierte sie Studien zur Situationsbestimmung Anwendung beziehungsweise die sich später an-
sowie die Gründung der European Molecular Bio- schließende Petrochemie (basierend auf Erdöl)
logy Organization (EMBO) im Jahr 1964. Neben ermöglichte Deutschland nach dem Zweiten Welt-
Netzwerkaktivitäten hatte diese zum Ziel, ein euro- krieg (7 Details zur Situation der »alten« Biotechno-
päisches Labor für Molekularbiologie ins Leben logie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg)
zu rufen, was 1974 mit dem in Heidelberg ange- eine Blütezeit, sie stellte die industrielle Biotechno-
siedelten European Molecular Biology Laboratory logie damit aber in den Schatten.
(EMBL) umgesetzt wurde. Wichtige Verfahrensentwicklungen der »alten«
Biotechnologie, wie Rührfermenter, erzielten die
US-Amerikaner. Bis 1945 war es in Deutschland
324 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Details zur Situation der »alten« Biotechnologie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
»Auch außerhalb der Industrie Gruppen institutionalisierte Ko- für Gärungsgewerbe in Berlin be-
breitet sich biotechnologische operation mit der Verfahrenstechnik gonnen. … Die in Verbindung mit
Forschung und Entwicklung nur oder der technischen Chemie, wie es der TU Berlin bestehenden Studien-
langsam aus. … Erste Ansätze zu etwa in Japan oder in den USA der gänge werden nach 1970 um das
technisch interessanten Forschun- Fall ist. Die traditionelle disziplinäre Fachgebiet Biotechnologie erweitert
gen in der Mikrobiologie unter- Organisation von Universitäten und – entgegen der deutschen Tradition
nimmt Schlegel gegen 1958 an der wissenschaftlichen Fachgemein- ein eigener Studiengang für ein
4 Universität Göttingen. … An den
wenigen anwendungsorientierten
schaften steht dem im Wege. Erste
auch verfahrenstechnisch relevante
interdisziplinäres Fachgebiet. 1966
veranstaltet das Institut das erste
Instituten (Tübingen, Münster) ent- Arbeiten zur Fermentationstechnik Symposium technische Mikrobio-
wickelt sich keine ständige, in der in der angewandten Mikrobiologie logie« (Buchholz 1979).
personellen Zusammensetzung der … werden nach 1960 am Institut

nicht gelungen, ein entsprechend leistungsfähiges biologie an der Universität in Tokio. Ein Labor für
Verfahren zu entwickeln (Marschall 2000). In den molekulare Genetik folgte erst 1983, bis 1979 war das
USA etablierte sich die Bioverfahrenstechnik (bioen- Arbeiten mit DNS-Rekombinationstechnik gänz-
gineering) in den 1930er-Jahren an Forschungsein- lich verboten in Japan. Gemeinsame Forschung
richtungen (Caltech und MIT) sowie in den 1940er- und Lehre zu Fermentationstechniken betrieben
und 1950er-Jahren auch an den Universitäten. Buch- seit 1952 in der »School of Biotechnology« ferner die
holz (1979) schreibt dazu: drei Universitäten in Nanjing, Zhejiang und Wuhan.
Weiteres zu Japan findet sich unter 7 Abschn. 2.1.2.2
»» Ende der vierziger Jahre bildete sich in den Während der 1960er-Jahre nahmen Universi-
angelsächsischen Ländern der Begriff ‚Bioche- tätsinstitute in Schweden und Großbritannien ver-
mical Engineering‘ heraus. 1949 fand eines der stärkt Forschung und Ausbildung in der Biotech-
ersten Symposien zu diesem Thema in den USA nologie auf (Buchholz 1979). So bearbeiteten die
statt. Ab 1950 erschienen, vorwiegend in den Universitäten Birmingham und London (Schwer-
USA, die ersten zusammenfassenden Darstellun- punkt Enzymtechnologien) grundlegende Fragen
gen des neuen Arbeitsgebietes. … Neben den der Fermentationstechnik. Gleichzeitig konnte der
USA setzte sich Japan an die Spitze der Entwick- »Master of Science in Biochemical Engineering«
lung. Schon 1952 wurde dort ein traditionell aus- erworben werden. Chemieingenieure und Bioche-
gerichtetes Institut für Gärungswissenschaften miker hörten Kurse, die die wichtigsten Themen
in ein biotechnologisches Fermentation Re- des biochemical engineering behandelten. Damit
search Institute umgewandelt. (Buchholz 1979) etablierte sich in Großbritannien die Forschung an
den Universitäten rund zwei Jahrzehnte nach dem
Dieses Zitat zeigt auf, dass in der Bioverfahrens- Beginn der industriellen Aktivitäten.
technik (hier synonym zum Begriff biochemical en- Im Jahr 1966 veröffentlichte die International
gineering oder bioengineering verwendet), die sich Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC)
in den 1940er- bis 1960er-Jahren parallel zur Mo- eine 1963 weltweit initiierte Umfrage zur Situation
lekularbiologie weiterentwickelte, neben den USA der industriellen Fermentation. Buchholz (1979)
vor allem Japan eine führende Position aufbaute. fasst deren Ergebnisse wie folgt zusammen: »Die
Ausgehend von der traditionellen industriellen An- USA und Japan nehmen demnach bei biotechnolo-
wendung von Fermentationsverfahren (Soja, Tofu, gischen Produktionsverfahren eine deutliche Spit-
Sake), entstanden auch an den Hochschulen sehr zenstellung ein, insbesondere hinsichtlich neuerer
früh Institute in diesem Bereich. So gründeten sich Produkte wie Antibiotika, Enzymen, organischer
bereits 1936 ein Institut für Industrielle Mikrobio- Säuren. Die europäischen Länder führen dagegen
logie sowie 1953 ein Institut für Angewandte Mikro- bei der Herstellung traditioneller Produkte wie Bier
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
325 4
und Wein. Futterhefe wird in größerem Ausmaß in Das allgemein formulierte forschungspolitische
den osteuropäischen Ländern produziert.« Dersel- Ziel übersetzte sich zunächst nur sporadisch und
be Autor führt weiterhin aus: über Einzelmaßnahmen in konkrete Förderungs-
schwerpunkte oder -projekte. Die Biotechnologie
»» Zusammenfassend ist festzuhalten, dass betreffend war dies zum Beispiel die Förderung
die Biotechnologie in der Bundesrepublik eines industriellen Großprojektes zur Herstellung
Deutschland in den sechziger Jahren am inter- von Eiweiß aus Mikroorganismen (1974–1979,
nationalen Maßstab gemessen unterentwickelt Partner: Gelsenberg, Uhde und Hoechst). Öffent-
ist. Weder die Industrie noch die Wissenschaft liche Förderzusagen biotechnologischer Projekte
haben sich auf dem neuen Gebiet aus eigenem gab es damit in Deutschland erstmals im Jahr 1968.
Antrieb nennenswert engagiert. Und die … Parallel zu den Anstrengungen Deutschlands,
Förderungspolitik im Bereich der biologischen in der Forschung und Lehre zur Molekularbiologie
Wissenschaften konzentrierte sich in den aufzuholen, erwachte zunehmend wieder das Inte-
sechziger Jahren einseitig auf die Grundlagen- resse an der »alten« Biotechnologie. Diese spielte
forschung. (Buchholz 1979) noch bis zu den 1930er-Jahren im Rahmen der Gä-
rungsforschung, der Gärungsindustrie (Nahrungs-
mittel) sowie der chemisch-pharmazeutischen
4.3 Die Anstrengungen und Industrie eine nicht unbedeutende Rolle wie Mar-
Aufholjagd in den 1970er- bis schall (2000) ausführt:
1990er-Jahren
»» Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts …
Mitte der 1960er-Jahre herrschte der Trend, dass schien es, als stünde eine breite Durchsetzung
zunehmend staatliche Regierungen die Organisa- der Biotechnologie unmittelbar bevor. Bei der
tion und Entwicklung neuer Technologien forcie- Massenherstellung von organischen Grund-
ren, statt die Industrie selbst. So urteilte laut Buch- chemikalien bot sie eine ernstzunehmende
holz (1979) ein im Jahr 1966 veröffentlichter Bericht Alternative zur chemischen Synthese. Gleich-
der OECD: »Die traditionelle Mischung aus Markt- wohl sollte es noch rund siebzig Jahre dauern,
mechanismen und Regierungseingriffen [ist] im- bis ihre Verfahren einen größeren Raum in
mer weniger fähig, die komplexen technologischen den Forschungs- und Produktionsabteilungen
Probleme der Industriegesellschaft zu bewältigen.« chemisch-pharmazeutischer Großkonzerne
Eine Gesamttechnologiepolitik wurde als notwen- einnahmen. (Marschall 2000)
dig erachtet. Die Ergebnisse des Berichtes nahm
beispielsweise die deutsche Regierung auf und legte Auf die Bedeutung der Biotechnologie während
1968 das Programm »Neue Technologien« auf, das der beiden Weltkriege sowie ihre anschließende
folgende politische Ziele hatte (Buchholz 1979): Stellung in Forschung und Lehre wurde bereits ein-
55 die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, gegangen. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute die
55 die Sicherung der Infrastruktur (Herabsetzung Industrie insbesondere die Chemosynthese aus, zu-
der Umweltbelastung, durch Entwicklung der lasten der weiteren Entfaltung der Biotechnologie.
medizinischen Technik und der technischen Marschall (2000) merkt dazu an:
Infrastruktur für Verkehr, Kommunikation,
Energie), »» Die chemische Industrie … schlug … schon
55 die Hebung des Leistungsstandards, früh den Entwicklungspfad der chemischen
55 der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Synthese ein. … Nach den Opportunitäts-
55 des Wachstums der Volkswirtschaft (Entfaltung kosten dieser Entscheidung, also den dadurch
von Querschnitts- und Schlüsseltechnologien, entgangenen Entwicklungsmöglichkeiten auf
wie Werkstoff- und physikalische Techno- anderen Gebieten, wurde bislang aber nicht
logien, und durch Entwicklung von potenziell gefragt. Sie fielen … auf der Seite der Bio-
bedeutenden neuen Technologien wie zum Bei- technologie an. … Der in den 1970er Jahren
spiel Biotechnologie und Energieumwandlung). diagnostizierte Rückstand … war gleichsam
326 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Hanswerner Dellweg, einer der Wegbereiter der Biotechnologie in Deutschland


»Gegen großen Widerstand gelang zu vermitteln, sodass sie biotechno- und Bakterien sowie Grundlagen der
es Dellweg in den 1970er Jahren, logische Aufgaben ohne Doppel- anaeroben Abwasserreinigung. Seit
den ersten eigenen Studiengang studium lösen können. Er las über 1975 versah er den Lehrauftrag ‚Ver-
Biotechnologie Deutschlands an Biochemie, Industrielle Mikrobio- fahren der Biotechnologie‘ an der
der TU zu etablieren. Als Wissen- logie, Regulation des mikrobiellen Freien Universität Berlin. [Zudem] …
schaftlicher Leiter des Instituts für Stoffwechsels und Reaktionskinetik organisierte [Dellweg] in Berlin die
Biotechnologie sah er seine Aufgabe der Fermentation. Er forschte über Symposien ‚Technische Mikrobio-
4 darin, Ingenieuren und Verfahrens-
technikern biologisches Denken und
Hefen zur Gewinnung von Einzeller-
protein aus Erdöl-Fraktionen, Metha-
logie‘ der Jahre 1970, 1975, 1979 und
1982« (Knobloch 2004).
Grundkenntnisse der Mikrobiologie nol als Kohlenstoffquelle für Hefen

der Preis für die Spitzenposition der deutschen 4.3.1 Ende der 1960er- und die
chemisch-pharmazeutischen Industrie in der 1970er-Jahre: erste
chemischen Synthese-Technik. (Marschall Förderprogramme und Studien
2000)
Für die allgemeine Wissenschaftsförderung war,
Bud (1995) schätzte die Lage in Deutschland wie auf politischer Ebene, die Etablierung des Bun-
folgt ein: »In den zwei Jahrzehnten nach dem Zwei- desministeriums für wissenschaftliche Forschung
ten Weltkrieg war die deutsche Wirtschaft aufge- (BMwiF) ein wichtiger Schritt. Es entstand 1962
blüht, indem sie Chemikalien, Stahl, Automobilien durch die Kompetenzerweiterung und Umbenen-
und Elektronik von besonderer Güte herstellte. nung des ursprünglich im Jahr 1955 gegründeten
1967 jedoch schien die wirtschaftliche Wiederge- Bundesministeriums für Atomfragen. 1969 wurden
burt zu Ende zu gehen. Dies war der Zeitpunkt, als die Zuständigkeiten erneut um die Aufgabenberei-
Amerikaner bei der Entwicklung neuer Technolo- che Bildungsplanung und Forschungsförderung er-
gien in Bereichen wie Computertechnik und Luft- weitert, was den neuen Namen Bundesministerium
und Raumfahrt bahnbrechende Arbeit leisteten. für Bildung und Wissenschaft (BMBW) nach sich
Wenig später dominierten sie diese Gebiete.« Wie zog. Diese Bezeichnung behielt es bis zur Vereini-
auch diejenigen der Biotechnologie. gung mit dem 1972 gegründeten Bundesministe-
Diese war in Deutschland in den späten 1960er- rium für Forschung und Technologie (BMFT) im
und den 1970er-Jahren noch »gärungsorientiert«. Jahr 1994. Letzteres übernahm zwischenzeitlich die
Das Berliner Institut für Gärungsgewerbe hatte eine Verantwortlichkeit für die Förderung der Grund-
starke Stellung. 1967 wagte der damalige Direktor, lagenforschung, der angewandten Forschung und
der Chemiker Dellweg es in Institut für Gärungsge- der technologischen Entwicklung.
werbe und Biotechnologie umzubenennen. Damit Erwähnung fand bereits das vom BMwiF 1968
wurde der Begriff Biotechnologie in Deutschland ins Leben gerufene Programm »Neue Technolo-
wieder salonfähig. Er wurde sozusagen von den gien«, das unter anderem auf die Biotechnologie
USA reimportiert, wo die biotechnologiebasierte zielte. Das BMwiF investierte weiter in die Bio-
Antibiotika-Industrie florierte. Später war Dellweg technologie, indem es 1969 das im Jahr 1965 ge-
Initiator des ersten eigenen Studiengangs für Bio- gründete IMB in Braunschweig übernahm und in
technologie an der Technischen Universität Berlin Gesellschaft für Molekularbiologische Forschung
(7 Hanswerner Dellweg, einer der Wegbereiter der (GMBF) umbenannte. Der finanzielle Einstieg
Biotechnologie in Deutschland). sollte die bis dahin vernachlässigte technische For-
schung stärken, ein Sachverständigenausschuss
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
327 4

. Tab. 4.2 Ausgewählte Aktivitäten des Bundes mit Bezug zur Biotechnologie, Ende 1960er- bis 1970er-Jahre.
(Quelle: BioMedServices (2015) nach Buchholz (1979) und Dolata (1991))

Jahr Was Wer Detail/Kommentar

1968 Programm Neue Technologien BMwiF BT als eine der förderwürdigen Techno-
logien

1969 Übernahme der IMB in Göttingen (> GMBF) BMwiF 1965 gegründet als Institut für Molekulare
Biologie, Biochemie und Biophysik (IMB)

1971 Forschungsschwerpunkt »Biologie, Medizin BMBW Inklusive Ad-hoc-Programm 1972–1974,


und Technik« Budget: 66 Mio. €

1972 Arbeitsgruppe »Biologie, Ökologie und BMFT 27 Ausschüsse, 2 Sachverständigenkreise


Medizin« (Vertreter aus Wissenschaft und Industrie)

1972 Studie zur Biotechnologie BMFT Beauftragt an DECHEMA

1974 Bericht der DECHEMA Vorschlag für Förderprojekte

1974 Leistungsplan BT 1979–1983 BMFT 1. BT-Programm, basierend auf DECHEMA-


Studie

BT Biotechnologie

beschloss 1970 die Errichtung eines zentralen Bio- der Voraussetzungen für die Übertragung biotech-
technikums zur Entwicklung neuer Fermentations- nologischer Verfahren in Produktionsprozesse.
methoden (Buchholz 1979). Ausschlaggebend da- Alle Vorhaben setzten auf klassische Fermentati-
für waren vermutlich die 1970 veröffentlichten Er- ons- und Enzymtechnologien. Buchholz (1979)
gebnisse einer erstmalig durchgeführten und vom kommentierte, dass die Biotechnologie-Förderung
BMwiF beauftragten Studie zum Stand der Biotech- (. Tab. 4.2) bis 1972 relativ unkoordiniert und un-
nologie in Deutschland. Die Aufgaben der GMBF systematisch verlief.
im Jahr 1971 waren wie folgt (Buchholz 1979): Ent- Erst danach versuchten die Ministerien, eine
wicklung biotechnologischer Verfahren, Weiter- systematische Wissenschaftspolitik für die Ent-
entwicklung biosynthetischer Laborverfahren bis wicklung der Biotechnologie zu formulieren und
zum halbtechnischen Maßstab, Weiterbildung für ein zusammenhängendes Programm für ihre
Naturwissenschaftler und Ingenieure in Moleku- Förderung zu planen. Diese Aufgabe delegierte
larbiologie und Biotechnologie, außerdem noch das BMFT an eine externe Organisation, die DE-
Grundlagen der Molekularbiologie. 1972 benannte CHEMA. Ursprünglich als Deutsche Gesellschaft
sich die GMBF um in Gesellschaft für Biotechno- für chemisches Apparatewesen 1926 gegründet,
logische Forschung (GBF), eine Bezeichnung, die erfolgte im Jahr 1985 die Umbenennung in Deut-
sie bis 2006 trug. Seitdem firmiert sie unter Helm- sche Gesellschaft für chemisches Apparatewesen,
holtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI). Chemische Technik und Biotechnologie und 1999
In den Jahren 1971 und 1972 folgten vom in Gesellschaft für Chemische Technik und Bio-
BMBW und vom BMFT zusätzliche Aktivitäten in technologie, die heutige Bezeichnung. Die Gesell-
Form von Forschungsschwerpunkten und Arbeits- schaft sah sich von Anfang an als interdisziplinäre
gruppen. Die BMBW-Initiative beinhaltete sogar Vereinigung von Wissenschaftlern wie Chemikern
eine Art Ad-hoc-Programm, das folgende Vorha- und Verfahrensingenieuren. 1970 kamen noch die
ben umfasste (Buchholz 1979): unkonventionelle Biologen hinzu. Zudem war stets das Ziel, an der
Nahrungs- und Futtermittel, chemisch-pharma- Schnittstelle von Wissenschaft, Wirtschaft, Indus-
zeutische Grund- und Rohstoffe, umweltfreundli- trie und der Öffentlichkeit tätig zu sein. Als Basis
che biotechnische Verfahren sowie die Schaffung für das neue Programm erstellte die DECHEMA
328 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Ein externes Urteil zur Erstellung der DECHEMA-Studie zur Biotechnologie von 1974
«Consistent with its past practices, funds. The selection of academic as marginal to the central enterpri-
the association appointed an expert scientists was motivated by dual se – including, at this stage, basic
group, consisting of industry, go- considerations of the participant’s science, labor and environmental
vernment and academic scientists, interest in the project and potential groups – were excluded. Guided by
to consider a research agenda for making a significant contribu- common objectives, the DECHEMA
for biotechnology. … DECHEMA tion to the field. The working group expert group was able to produce
selected industry representatives also included three members from a consensus program within two
4 only from the leading chemical and
pharmaceutical concerns with a
state-supported research institutes
in recognition of the fact that such
years. In turn, with a plurality of
major interests already lined up in
capacity for intensive research and centers would play an important support of the program, BMFT could
development. Smaller companies part in the future of German bio- begin immediately to implement it,
were excluded from the discussion technology. … Dominant groups without having to engage in further
on the ground that they did not with a direct interest in dispensing political mediation « (Jasanoff 1985).
have the R&D capability to make and expending research funds were
effective use of federal research well represented. Interests viewed

zunächst eine Studie mit dem Titel Biotechnologie. USA abzeichnende Einsatz der Gentechnik fand
Eine Studie über Forschung und Entwicklung – Mög- keine Erwähnung. Immerhin nahm die 1976 aktu-
lichkeiten, Aufgaben und Schwerpunkte der För- alisierte Version der Studie diese unter dem Begriff
derung (DECHEMA 1974). Jasanoff (1985) setzte des »Plasmidengineerings« auf:
sich damit zehn Jahre später im Rahmen einer Ab-
handlung über die Biotechnologie in Deutschland »» Das ‚Plasmidengineering‘ eröffnet ein weites
auseinander (▶ Ein externes Urteil zur Erstellung der Anwendungsgebiet. Bei solchen Versuchen
DECHEMA-Studie zur Biotechnologie von 1974). sollte man sich aber stets vor Augen halten,
Der 1974 veröffentlichte Bericht (DECHEMA daß es sich hierbei um einen relativ jungen
1974) wies schon in der Einführung auf die De- Zweig der Molekularen Genetik handelt und
fizite der Biotechnologie in Deutschland hin: »In daß man deshalb heute noch nicht in der Lage
der Bundesrepublik ist die Biotechnologie lange ist, alle Konsequenzen abzusehen … Bei einem
Zeit völlig unterbewertet worden, besonders im großen Teil der wünschenswerten Untersu-
Vergleich zu Japan, den USA und Großbritannien, chungen auf diesem Gebiet [handelt es sich]
aber auch zu kleineren Ländern, wie z. B. der Tsche- um Grundlagenforschungen. (DECHEMA 1976)
choslowakei.« Zudem identifizierte er prinzipielle
Subsektoren der Biotechnologie, beschrieb den Buchholz (1979) bestätigte immerhin, dass die Stu-
Status quo und schlug Projekte für die Förderung die und die darauf basierenden Planungsansätze
vor. Laut Buchholz (1979) hatten diese die folgen- Grundlage für eine erhebliche Expansion der bio-
den Schwerpunkte: verfahrenstechnische Unter- technologischen FuE in Deutschland waren. So
suchungen in Standard-Rührkesselreaktoren, neue brachte das BMFT Ausschreibungen heraus, die
fermentativ gewonnene Substanzen mit Aussicht überwiegend auf den im Programm formulierten
auf praktische Verwertung, Zwischensynthesen Schwerpunkten basierten (7 Spätere Einschätzung
für wirtschaftliche Zwecke, Züchtung von Zellen eines Mitautors der DECHEMA-Studie zur Biotechno-
zur Gewinnung praktisch verwendbarer Produkte, logie von 1974). Die Zahl biotechnologisch arbei-
Entwicklung von Prozessführungen mit trägerge- tender Gruppen im Forschungssektor bei Univer-
bundenen Enzymen, mikrobiologische Verfahren sitäten und Forschungsinstituten nahm erheblich
zur Abwasserreinigung sowie mikrobiologische zu, und die jährlichen Fördergelder verdoppelten
Verwertung von Rückständen. Für diese Schwer- sich zwischen 1975 und 1982 fast (Marschall 2000).
punkte formulierte die Studie gut 100 Einzelprojek- Bundesmittel unterstützten 1976 zudem die Ein-
te. Biomedizinische Zusammenhänge blieben von richtung eines Biotechnikums beim Institut für Gä-
vorneherein ausgeklammert, und der sich aus den rungsgewerbe und Biotechnologie in Berlin – das
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
329 4

Spätere Einschätzung eines Mitautors der DECHEMA-Studie zur Biotechnologie von 1974
»Die Selektivität des Programms logie) findet nicht statt. Da diese über die Struktur des Gebietes sind
ist gering. … Die politischen Ziele Branchen konservativ eingestellt durch die Ursprungsdisziplinen
… bleiben sehr allgemein, auf sind, befürchten die Biotechnologen geprägt: Der Techniker sieht im
industrielle Innovationen und ihren hemmenden Einfluss. Viel- Mikroorganismus einen Mikro-
umwelt- bzw. ressourcensichernde versprechende Neuentwicklungen, reaktor, für den Biologen ist das
Technologie gerichtet. Die fachliche die bei diesen Branchen im Ausland ein Verstoß gegen die komplexe
Formulierung liegt vollständig bei im Gang sind, werden übersehen. Vielfalt lebender Organismen. Die
der Planungsgruppe. Die Einlösung Zwischen den beteiligten Diszipli- geforderte Interdisziplinarität des
der politischen und sozialen Ziele nen innerhalb des Arbeitsgebietes Gebietes wird schon im Programm
ergibt sich sozusagen automatisch Biotechnologie bestehen erhebliche nur unzureichend berücksichtigt.
aus der Entwicklung der Biotechno- Kommunikationsschwierigkeiten, Die einzelnen Disziplinen bleiben
logie selbst. Eine Kooperation mit ebenso stark gegensätzliche Ansich- in den jeweiligen Kapiteln des
den traditionellen Spezialdisziplinen ten über die jeweilige Bedeutung Programms weitgehend unter sich«
(Lebensmittel- und Brauereitechno- ihrer Beiträge. Auch die Ansichten (Buchholz 1979).

zweite in Deutschland nach dem an der GMBF in »» Bereits im Jahr 1974 identifizierte eine Studie,
Braunschweig. Weiterhin gründete das BMFT im die das damalige Bundesministerium für For-
Jahr 1977 ein Institut für Biotechnologie an der 1956 schung und Technologie (BMFT) bei der DE-
ins Leben gerufenen Kernforschungsanlage Jülich CHEMA beauftragt hatte, die Biotechnologie
(heute: Forschungszentrum Jülich, Mitglied der als vielversprechende Zukunftstechnologie.
Helmholtz-Gemeinschaft). Ein einflussreicher Manager eines chemisch-
Im internationalen Vergleich war Deutschland pharmazeutischen Unternehmens riet dem
1972 mit der Beauftragung der ersten Biotechno- damaligen Forschungsminister jedoch von der
logie-Studie das erste Land, das eine nationale Etablierung eines gezielten Förderprogram-
Strategie für diesen Technologiesektor ausarbeitete mes für die Biotechnologie ab. Wenige Jahre
und der Biotechnologie in der Folge eine Rolle als später beklagte dann die Wirtschaft, Deutsch-
Zukunftstechnologie zusprach. Bei diesen Aktivitä- land fehle das Know-how in der modernen
ten wurde allerdings nur die »alte« Biotechnologie Biotechnologie. (BMBF 2014)
berücksichtigt. Die neuen Entwicklungen und An-
wendungen der Gentechnik, die zu dem Zeitpunkt Nach Jasanoff (1985) fiel die öffentliche Förderung
gerade im Entstehen waren, fanden keinen Ein- der Biotechnologie in Deutschland anfangs um das
gang. Zwar kann der Entstehungsprozess als Argu- Zehnfache höher aus als beispielsweise in Groß-
ment für die Nichtberücksichtigung angeführt wer- britannien oder Frankreich. Indes wurde versäumt,
den, auf der anderen Seite waren 1972 die grund- die FuE-Politik mit einer aktiveren Stärkung des
legenden biologischen Werkzeuge der Gentechnik, Technologietransfers zu verbinden. Dieselbe Au-
Restriktionsenzyme, Plasmide und Ligasen, bereits torin vertritt die Meinung, dass die DECHEMA-
seit fünf Jahren entdeckt. Wegen des Rückstandes Studie nicht nur das Abstecken einer Förderpolitik
in der deutschen Molekularbiologie war es den Ent- bewirkte, sondern dass sich gewisse Annahmen
scheidern nicht möglich gewesen, die Bedeutung etablierten, die aus späterer Sicht nicht unbedingt
der neuen Techniken für die »alte« Biotechnologie förderlich für die Entwicklung der kommerziellen
vorauszusagen und in dem geplanten Biotechno- Anwendung der neuen Biotechnologie waren:
logie-Programm zu berücksichtigen. Die Verant- 55 Große Firmen sollten eine dominante Stimme
wortung für diese Fehleinschätzung schoben sich in der Förderpolitik haben,
die Beteiligten im Innovationsprozess später gegen- 55 der Schwerpunkt sollte auf angewandter und
seitig »in die Schuhe«. Das Bundesministerium für nicht auf Grundlagenforschung liegen,
Bildung und Forschung (BMBF) urteilt noch heute: 55 die Biotechnologie sollte in einer sehr breiten
Definition gesehen werden.
330 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit


»Die ZKBS ist ein ehrenamtlich rung, Verbraucherschutz und Land- beantragten Freisetzung oder eines
tätiges Expertengremium, … [es wirtschaft für die Dauer von drei beantragten Inverkehrbringens von
setzt] sich zusammen aus zwölf Jahren berufen. Zu ihren Aufgaben GVO und gibt hierzu gegenüber
Sachverständigen für Mikrobiologie, zählen die Bewertung der Sicherheit der zuständigen Genehmigungs-
Zellbiologie, Virologie, Genetik, von gentechnischen Arbeiten und behörde, dem BVL [Bundesamt für
Pflanzenzucht, Hygiene, Ökologie, Anlagen … Daneben führt sie die Verbraucherschutz und Lebensmit-
Toxikologie und Sicherheitstechnik Risikobewertung von Mikroorganis- telsicherheit], ihre Stellungnahme
4 und acht sachkundigen Personen
aus Gewerkschaft, Arbeitsschutz,
men und die Sicherheitseinstufung
gentechnischer Arbeiten durch und
ab. Allgemeine ZKBS-Stellungnah-
men sowie die regelmäßig aktua-
Wirtschaft, Landwirtschaft, Umwelt- empfiehlt geeignete technische und lisierte Liste mit risikobewerteten
schutz, Naturschutz, Verbraucher- organisatorische Sicherheitsmaß- Mikroorganismen [sowie Vektoren,
schutz und forschungsfördernden nahmen. Dazu gibt sie Stellungnah- Onkogenen und Zelllinien] werden
Organisationen. Alle ZKBS-Mitglie- men gegenüber den zuständigen im Bundesanzeiger und über die
der sowie ihre Stellvertreter werden Landesbehörden ab. Außerdem be- Homepage des BVL veröffentlicht«
vom Bundesministerium für Ernäh- wertet die ZKBS die Sicherheit einer (BVL 2015).

Neben der Förderpolitik beschäftigte die öffentliche zählte zudem das 1974 gegründete EMBL dazu.
Hand in den 1970er-Jahren ebenfalls die Erstellung Als Problem blieb letztlich ein starkes Defizit an
von Regularien im Umgang mit den neuen Gen- interdisziplinärer Zusammenarbeit, bedingt durch
techniken. Zum »Schutz vor Gefahren durch in vitro die traditionelle disziplinäre organisatorische Tren-
neu kombinierte Nukleinsäuren« erließ das BMFT nung der Fachrichtungen an den Hochschulen.
1978 Richtlinien und rief die Zentrale Kommission Darüber hinaus war die Mehrzahl der Wis-
für die Biologische Sicherheit (ZKBS, 7 Zentrale senschaftler in traditionellen Vereinen der Einzel-
Kommission für die Biologische Sicherheit) ins Le- disziplinen organisiert (Buchholz 1979): für an-
ben. Die Verfolgung der Richtlinien war – ähnlich wendungsorientierte Chemiker und Ingenieure
wie bereits zuvor in den USA – Bedingung für die die DECHEMA (mit einem Fachausschuss Bio-
institutionelle und die Projektförderung entspre- technologie); für Biochemiker die Gesellschaft für
chender Arbeiten durch den Bund. Für die Indus- biologische Chemie; für Mikrobiologen die deut-
trieforschung wurde von einer freiwilligen Selbst- sche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie
bindung ausgegangen. Zwei Entwürfe eines Geset- (DGHM); für Verfahrenstechniker die Gesellschaft
zes zum Schutz vor Gefahren der Gentechnologie für Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen
von 1978 und 1979 scheiterten laut Hofmann (1986) (GVC) im Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Eine
allerdings nicht nur am Widerstand der Industrie wissenschaftliche Gesellschaft für das Arbeitsgebiet
und der Forschungsorganisationen, sondern eben- Biotechnologie existierte nicht. Wie im organisa-
so sehr am Desinteresse der Öffentlichkeit. Später torischen Bereich überwogen ebenfalls im Kom-
(1986) entschied das BMFT, dass es die Biotechno- munikationsbereich traditionelle Zeitschriften der
logie nicht gleichzeitig fördern und regeln kann, Ursprungsdisziplinen für Mikrobiologie, Bioche-
und es gab letztere Verantwortlichkeit daher an mie und Chemieingenieurwesen. Immerhin gelang
das Ministerium für Gesundheit ab. Heute ist die es, ein wichtiges Instrument der Kommunikation,
ZKBS beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Kongresse und Symposien, zu nutzen: 1976 fand das
Lebensmittelsicherheit aufgehängt. auf internationaler Ebene bedeutende »Internatio-
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nal Fermentation Symposium« in Berlin statt, orga-
Deutschland in den 1970er-Jahren große politische nisiert vom dort ansässigen Institut für Gärungs-
Anstrengungen unternahm, die Biotechnologie gewerbe und Biotechnologie. Ein weiteres Thema
zu fördern. Ende der Dekade setzten Labore die war, dass die Förderung beziehungsweise die Legis-
Gentechnik ein an zwölf Universitäten, sechs Max- lative eine verstärkte Kooperation der Universitäten
Planck-Instituten sowie an den Großforschungs- mit der Industrie nicht gezielt forcierte. Allerdings
einrichtungen DKFZ und GBF. In Heidelberg bestand vonseiten der universitären Wissenschaft-
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
331 4
ler oft gar kein Interesse daran. Im Gegenteil, die Zur Förderung der biologischen und biomedizini-
Kooperation mit der Industrie oder die Kommer- schen Grundlagenforschung, der interdisziplinären
zialisierung von Forschungsergebnissen war zum Zusammenarbeit sowie der engeren Kooperation
Teil richtiggehend verpönt. Das galt bis Mitte der zwischen Wissenschaft und Industrie beschloss das
1970er-Jahre übrigens auch für die USA. BMFT daher im Herbst 1981 den Aufbau der so-
genannten Genzentren. So entstanden im Jahr 1982
an den Standorten Heidelberg, Köln und München
4.3.2 Die 1980er-Jahre: das von öffentlichen und privaten Mitteln getragene
»Hoechst-Signal«, Genzentren, Forschungsschwerpunkte für die Molekularbio-
Enquete-Kommission und logie. 1987 folgte ein Genzentrum in Berlin. Ziel
politische Fronten war, über die Zusammenführung verschiedener
Forschungseinrichtungen die Grundlagenfor-
Der Beginn der 1980er-Jahre brachte weitere Be- schung zu qualifizieren, den wissenschaftlichen
mühungen um Ausbau und Vernetzung der For- Nachwuchs auszubilden sowie über das frühzeitige
schungsinfrastruktur. Ein durchschlagendes Ereig- Einbinden der Industrie die grundlagenorientierte
nis war im Mai 1981 die manchmal als »Hoechst-Sig- Forschungsarbeit stärker am industriellen Bedarf
nal« bezeichnete Investition von 70 Mio. US$ (ca. zu orientieren. Die Genzentren finanzierten sich
81 Mio. €) des früheren Frankfurter Chemie- und durch eine zeitlich befristete Anschubfinanzierung
Pharma-Konzerns Hoechst AG (heute Sanofi) in des BMFT (142 Mio. €), durch die institutionelle
den Aufbau einer neuen Abteilung für Molekular- Unterstützung der beteiligten Länder (plus zum
biologie an einer US-amerikanischen Forschungs- Teil Max-Planck-Gesellschaft und Wirtschaft,
institution. Bei den Wissenschaftlern an den deut- 200 Mio. €) sowie durch Drittmittel chemisch-
schen Universitäten rief diese Entscheidung große pharmazeutischer Großunternehmen (. Tab. 4.3).
Fassungslosigkeit hervor: Nicht nur, dass dringend Sieben Industrie-Konzerne erhielten so freien
benötigte Millionenbeträge in die USA flossen, der Zugang zu Wissen und Know-how. Allerdings
Entschluss bescheinigte zudem mehr oder weniger steuerten sie meist nur bis Anfang der 1990er-Jah-
explizit, dass die molekularbiologische Forschung re finanzielle Mittel bei, sodass sie von dem 1982
in Deutschland kein größeres privates Investment bis 1995 aufgelaufenen Gesamtbudget (440 Mio. €)
»wert« war. Bei der Politik löste er Zweifel über nur einen kleinen Teil, nämlich 7 % stellten (Dolata
die bisherigen Förderaktivitäten aus, die weniger 1996). Nach Beendigung der BMFT-Förderung tru-
die Grundlagenforschung als angewandte Projekte gen sich die Genzentren nur noch durch die Länder
unterstützten und die zum größten Teil auf Basis und Drittmittel, das Zentrum in Berlin schloss 1996
der DECHEMA-Studie von 1974 entstanden waren. sogar.
Die Genzentren waren keine festen physischen
Das »Hoechst-Signal« von 1981 Institute, sondern zwölf bis 15 Jahre dauernde
Das »Hoechst-Signal« war ein äußerer Anlass, Schwerpunktprojekte mit mehreren Beteiligten,
die bereits seit längerer Zeit auf verschiedenen auch der Industrie. Sie verschafften Deutschland
Ebenen der Forschungsförderungsorganisa- in der Tat einen Aufwärtstrend in der moleku-
tion und -institutionen diskutierten Program- larbiologischen Forschung. Momma und Sharp
me zur Förderung der biologischen und bio- (1999) listen Ergebnisse einer Erhebung der Zeit-
medizinischen Wissenschaften beschleunigt schrift Science Watch zum internationalen Ran-
in die Tat umzusetzen. 1981 verkündete der king molekularbiologischer Publikationen nach
frühere Chemie- und Pharma-Konzern Hoechst Zitierungen aus den Jahren 1981 bis 1991 (Rang in
eine zu dem Zeitpunkt »gigantische« Summe Klammern): MPI für Biochemie in München (5),
in eine Zehn-Jahres-Forschungskooperation MPI für Züchtungsforschung in Köln (8), DKFZ in
mit dem Massachusetts General Hospital in Heidelberg (11), Universität Heidelberg (23), MPI
Boston, USA, zu investieren. für molekulare Genetik in Berlin (26), Universität
Freiburg (42), Universität Düsseldorf (45), Univer-
332 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 4.3 Übersicht zu den ab 1982 gegründeten Genzentren. (Quelle: BioMedServices (2015) nach Catenhusen
und Neumeister (1990), Dolata (1996) und Kirst (1985))

Standort Beteiligte Institutionen (Zahl der Beteiligte Firma Förderzeitraum und


Projekte oder Arbeitsgruppen) (Betrag in Mio. €) -summe (Mio. €)

Heidelberg ZMBH (9), DKFZ (9) BASF (5), Merck (0,6) 10/1982–12/1993 (110)

Köln Institut für Genetik (6, zu Universität), Bayer (4), Hoechst 11/1982–12/1994 (111)
MPI für Züchtungsforschung (10) (4, projektgebunden)

4 München Ludwig-Maximilians-Universität (11), Über Förderverein: 02/1984–12/1995 (141)


MPI für Biochemie (5) Hoechst (1/Jahr), Wacker
(0,2/Jahr) Boehringer
Mannheim

Berlin Institut für Genbiologische Forschung Über GmbH: Schering (40), 01/1987–12/1995 (70)
(IGF, neugegründete GmbH zwischen Kleinwanzlebener Saat-
Schering und Land Berlin, 12), Freie und zucht (KWS) als Koopera-
Technische Universität Berlin, ab 1992: tionspartner
Humboldt-Universität Berlin, Institut
für Pflanzenbiochemie (Halle), Institut
für Pflanzengenetik und Kulturpflan-
zenforschung (Gatersleben)

sität München (50). Weitere Schwerpunktprojekte GBF (. Abb. 4.1). Weitere Großforschungseinrich-
der Biotechnologie entstanden an den Standorten tungen mit Berührungspunkten zur Biotechno-
Stuttgart, Hamburg und Düsseldorf (BMFT 1992): logie (z. B. DKFZ) finanzierten sich aus anderen
55 1987 in Stuttgart: Bioverfahrenstechnik unter Förderbereichen.
Beteiligung der Universität Stuttgart, dem Für die biologische und biomedizinische For-
Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und schung steuerten zudem andere Organisationen
Bioverfahrenstechnik (Stuttgart) und dem und Institutionen Mittel bei. Kirst (1985) listet
Institut für Mikrobiologie der Universität Tü- folgende Beträge (Mio. €, gerundet nach Umrech-
bingen; nung von DM) für 1980/1981:
55 1987 in Hamburg: Zentrum für Molekulare 55 DFG und MPG: jeweils 125 Mio. € plus
Neurobiologie Hamburg (ZMNH) unter Be- Fraunhofer Gesellschaft 5 Mio. €, in Summe
teiligung der Universität Hamburg und des 255 Mio. €;
Universitätskrankenhauses Eppendorf sowie 55 Großforschungseinrichtungen: 100 Mio. €;
Angewandte Molekulare Pflanzenzüchtung 55 Bundesforschungsanstalt des Bundesminis-
(AMP) unter Beteiligung des Institutes für All- teriums für Jugend, Familie und Gesundheit
gemeine Botanik der Universität Hamburg; (BMJFG) und des Bundesministeriums für
55 1989 in Düsseldorf: Stoffumwandlung mit Landwirtschaft (BML): 75 Mio. €;
Enzymen (Biokatalyse) unter Beteiligung der 55 »Blaue-Liste«-Institute (heute Leibniz-Ge-
Institute für Mikrobiologie und Enzymtech- meinschaft): 25 Mio. €;
nologie der Universität Düsseldorf sowie der 55 Volkswagen-Stiftung: 13 Mio. €.
Institute für Biologie I und II des Forschungs-
zentrums Jülich. In der Summe standen damit Anfang der 1980er-
Jahre rund 500 Mio. € Fördergelder bereit, die noch
Neben diesen Schwerpunktprojekten finanzierte ergänzt wurden durch die Länderfinanzierung von
das BMFT im Rahmen der Projektförderung Ver- etwa 320 Biologie-Lehrstühlen an 47 Universitäten
bundprojekte. Die Biotechnologie erhielt darüber und Hochschulen. Zwei Drittel dieser Ausgaben
hinaus eine institutionelle Förderung, vor allem das entfielen auf die Grundlagenforschung, ein Teil der
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
333 4

200
Mio. € Forschungsausgaben des Bundes 190 198
180
BMFT Projektförderung
160
BMFT institutionelle Förderung
143
133 138 140
140
119
120
92 99 96
94 93 88
100
87
78 en
80
68 69 e ntr
nz
60 59 Ge 77 56 65
ute
44 59 stit
36 32 35 37 t-In
40 Os
37
20 28 30 34
27
© BioMedServices 2015
0
1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993

. Abb. 4.1 Forschungsausgaben des Bundes für Biotechnologie 1981 bis 1993 (Mio. €). Erstellt u. a. nach Daten von
Dolata (1996)

restlichen Mittel für die angewandte Forschung war In der Folge stieg die Zahl gentechnischer Vorha-
gebunden an gesetzgeberische Vorlagen (Lebens- ben, die die 1978 eingerichtete ZKBS registrierte,
mittelüberwachung, Zulassung von Arzneimitteln bis Mitte 1986 auf 1271 Projekte. Diese verteilten
und Chemikalien). Hinzu kamen laut Kirst (1985) sich zu mehr als die Hälfte (55 %) auf 38 Universi-
flankierende Fördermaßnahmen wie beispielsweise: täten, gefolgt von 15 MPI (16 %) und fünf Großfor-
55 ein gesondertes Ausbildungsprogramm: Ver- schungseinrichtungen (10 %). Letztere umfassten
gabe von Stipendien für den wissenschaftli- das DKFZ in Heidelberg, die GBF in Braunschweig,
chen Nachwuchs für Forschungsaufenthalte im die GSF (Gesellschaft für Strahlen- und Umwelt-
In- und Ausland: vier Jahre, 1,8 Mio. €; forschung in Neuherberg bei München, heute
55 Spitzenkräfte-Förderung (wissenschaftlicher Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und
Nachwuchs) über einen gemeinsamen Fonds Umwelt), die KFA (Kernforschungsanlage Jülich,
vom BMFT und dem Verband der Chemi- heute Forschungszentrum Jülich) sowie das KfK
schen Industrie (VCI): zwei Jahre, 5 Mio. € (Kernforschungszentrum Karlsruhe, heute Karls-
(40/60 %); ruher Institut für Technologie). Weitere knapp 10 %
55 Modellversuche zur speziellen Förderung der Projekte entfielen auf sonstige Bundesanstalten,
von technologieorientierten Unternehmens- die FhG, das EMBL und andere. Schließlich waren
gründungen (TOU) seitens des BMFT (neben auch 18 deutsche Industrie-Konzerne mit gut 10 %
Gentechnik vor allem Mikroelektronik): Ge- aller Projekte beteiligt.
samtvolumen von mehr als 150 Mio. € und Deren Aufwendungen für biotechnologische
Startgeld von bis zu 500.000 € pro Firma; FuE lagen im Rahmen von 100 Mio. € pro Jahr (Ca-
55 Forschung zu Fragen biologischer, medizini- tenhusen und Neumeister 1990). 1985 förderte die
scher und ökologischer Risiken der Biotechno-
logie.
334 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %

Großgeräte 0,7
Andere 2,3

Weltraum 0,1
Biotech 0,1

Hochschule 1,4
Wissenschaft &
GW & WiSo 0,2
1983

M & O 0,3

Gesundheit 0,4
4 Umwelt 0,5
Verteidigung 1,8
Energie 2,4 ITK 0,5

Andere 2,6

Großgeräte 0,9
Weltraum 1,1 Biotech 0,3
Hochschule 1,5
Wissenschaft &

GW & Wiso 0,2


M & O 0,5
1988

Energie 1,3

Gesundheit 0,5
Umwelt 0,7
Verteidigung 2,8
ITK 0,8
© BioMedServices 2015

0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 %

. Abb. 4.2 Verschiedene Bereiche bei den Gesamtforschungsausgaben des Bundes, 1983 und 1988. Erstellt nach Daten
aus den Bundesforschungsberichten; GW: Geisteswissenschaften, ITK: Informations- und Kommunikationstechnologien,
M & O: Material & Optik, WiSo: Wirtschaft und Soziales; Zahlenangaben in Mrd. €

DFG 214 gentechnisch orientierte Projekte der gab die Bundesregierung 1983 für die Grundla-
Grundlagenforschung an den Universitäten und genforschung in der Biotechnologie 511 Mio. US$
den MPI mit etwa 45 Mio. € über das sogenannte (634 Mio. €) aus. In der Summe waren dies rund
Normalverfahren. Zudem unterstützte sie Schwer- 2,5 Mrd. €, also das Fünffache verglichen zu
punktprogramme und Forschergruppen. Weitere Deutschland Anfang der 1980er-Jahre. 1987 förderte
117 Teilprojekte in 31 Sonderforschungsbereichen allein das NIH die biomedizinische Forschung mit
erhielten rund 7,5 Mio. €. 2,3 Mrd. US$ (2 Mrd. €, 37 % des Gesamtbudgets).
Verglichen mit den gesamten Forschungsaus- Die NIH-Gelder stellten 84 % der gesamten Bun-
gaben des Bundes nahm die Biotechnologie in desmittel für Biotechnologie dar (2,7 Mrd. US$,
den 1980er-Jahren allerdings lediglich einen sehr 2,5 Mrd. €). Der Rest verteilte sich auf die National
kleinen Anteil von 1 bis 2 % ein. 1983 lag dieser bei Science Foundation (NSF) sowie die Ministerien
1,2 % (68 Mio. €) von gesamt 5,8 Mrd. € Bundes- für Verteidigung, Energie und Landwirtschaft und
FuE-Gelder. Der größte Anteil entfiel hier mit 22 % andere. Spezielle Biotechnologie-Programme gab
(2,4 Mrd. €) auf Energieforschung und -technolo- es nicht. Die Industrie selbst investierte 1987 rund
gien, gefolgt von der Wehrforschung und -technik 2 Mrd. US$ (1,8 Mrd. €) für die biotechnologische
mit 16 % (1,8 Mrd. €) (. Abb. 4.2). FuE. Zum Vergleich nochmal die Zahl für die deut-
Zum Vergleich ein Blick in die USA (OTA 1984, sche Industrie: 100 Mio. €.
1988): 1983 unterstützte das NIH biotechnologische Zurück nach Deutschland, listet . Tab. 4.4 Akti-
Forschung mit 1,44 Mrd. US$ (1,9 Mrd. €). Das vitäten des Bundes in den 1980er-Jahren mit Bezug
entsprach 36 % seines Gesamtbudgets. Zusätzlich zur Biotechnologie. Hervorzuheben ist 1984/1985
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
335 4

. Tab. 4.4 Ausgewählte Aktivitäten des Bundes mit Bezug zur Biotechnologie, 1980er-Jahre. (Quelle: BioMedSer-
vices (2015) nach Dolata (1996))

Jahr Was Wer Zusatzinformation

1981 Beschluss zum Aufbau von Genzentren BMFT Auch Aufstockung staatlicher Mittel

1983 Förderung technologieorientierter BMFT Modellversuch bis 1988; auch für die
Unternehmensgründungen (TOU) ­Biotechnologie, 150 Mio. €

1984 Bildung des Sachverständigenarbeits- BMFT Ausarbeitung eines weiteren Biotechno-


kreises Biotechnologie logie-Programms

1984 Enquete-Kommission: Chancen und Bundestag 1986 Vorlage eines Berichts und Forde-
Risiken der Gentechnologie rung nach einem Gesetz

1985 Angewandte Biologie und Biotechno- BMFT 2. spezifisches Biotechnologie-Förderpro-


logie 1985–1988 gramm, 400 Mio. €

1989 Beteiligungskapital für junge Technolo- BMFT Modellversuch bis 1994; auch für die
gieunternehmen (BJTU) ­Biotechnologie, 150 Mio. €

die Ausarbeitung und Auflage eines weiteren spe- der Anschluss an die Weltspitze auf dem Ge-
zifischen Biotechnologie-Förderprogramms (in- biet der Gentechnologie wieder gefunden ist.
klusive Gentechnik): »Angewandte Biologie und (Warmuth und Wascher 1989)
Biotechnologie (1985–1988)« mit einem Gesamt-
volumen von rund 400 Mio. €, verteilt auf vier Jah- Die Einrichtung der Enquete-Kommission »Chan-
re. Ziel war es, die Mittel innerhalb der Laufzeit cen und Risiken der Gentechnologie« war 1984 welt-
des Programms zu verdoppeln, was gelang. Von weit der erste Versuch, auf parlamentarischer Ebene
Anfang bis Ende der 1980er-Jahre stieg das Bun- eine Beurteilung abzugeben. Unter dem Vorsitz des
des-Biotech-Budget stark auf fast das Dreifache SPD-Politikers Catenhusen umfasste sie 17 Abgeord-
(. Abb. 4.1). Insgesamt änderte sich jedoch an dem nete sowie Sachverständige unterschiedlicher Wis-
geringen Anteil am Gesamtforschungshaushalt des senschaftsdisziplinen und gesellschaftlicher Grup-
Bundes (2 %) wenig (. Abb. 4.2). Die größte Auf- pen. Die Kommission begleitete eine zu dem Zeit-
merksamkeit widmete das BMFT im Programm punkt aufkommende breite gesellschaftliche Debatte
1985–1988 dem zügigen Ausbau der Grundlagen- über die Gentechnologie, die folgende Gruppen ein-
forschung, auf die zwei Drittel der Gelder entfielen. schloss: Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Frau-
Ein Drittel der Förderung richtete sich an Unter- en- und Umweltverbände, Wirtschafts-, Wissen-
nehmen (Warmuth und Wascher 1989). Zu dem schafts- und Ärzteorganisationen mit entsprechend
Programm zog das BMFT 1989 insgesamt ein posi- unterschiedlichen Positionen. Ende 1986 legte die
tives Resumee: Kommission einen 400-seitigen Bericht vor (7 Aus
dem Bericht der Enquete-Kommission »Chancen und
»» Die Biotechnologie ist heute … fester Bestand- Risiken der Gentechnologie«) und forderte die Ver-
teil der wissenschaftlichen und industriellen abschiedung eines Gentechnik-Gesetzes. Rau (1989)
Forschung und teilweise … von Produkti- zitiert eine Mitteilung des früheren Verbandes
ons- und Entsorgungsprozessen. Es ist eine Deutscher Biologen (VdBiol, heute vBio), die 1988
Kapazität erwachsen, die für die kommenden urteilte: »Die Beschlüsse der Enquete-Kommission
Jahre eine gute Basis für Forschungs- und Ent- wurden in der Hauptsache von Personen getragen,
wicklungsarbeiten bietet. … Auch außerhalb die wenig biotechnologischen Sachverstand besit-
von Genzentren wurde in Verbundvorhaben zen. Die wenigen Fachleute waren nur bedingt in der
… Hervorragendes geleistet. … Zusammen- Lage, der auf ‚Unkenntnis und Angst beruhenden
fassend kann festgestellt werden, dass heute Technologiebewertung‘ entgegenzusteuern.«
336 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Aus dem Bericht der Enquete-Kommission »Chancen und Risiken der Gentechnologie«
»[Die Enquete-Kommission] … hat zur Forschung und allen Anwendun- übergreifende Strategien, die sich
in den gut zwei Jahren einen ge- gen der Gentechnologie eigenom- unabhängig von … [ihr] entwickelt
meinsamen Diskurs geführt, in dem men und ist davon im Verlaufe der haben. Es geht dabei etwa um das
es gelang, auch widersprüchliche Kommissionsberatungen auch nicht Grundsatzproblem der Industriali-
Ausgangspositionen durch Informa- abgerückt. … Bei der Diskussion der sierung der Landwirtschaft, um das
tionen, Argumentation und gegen- gesellschaftlichen Auswirkungen Grundsatzproblem einer Lebenswei-
seitiges Offenlegen von Standpunk- der Gentechnologie wurde in vielen se, in der der Mensch seine Umwelt
4 ten zueinander hinzuführen. Man ist
auf die gegenseitigen Standpunkte
Anwendungsbereichen deutlich,
dass … [sie] häufig schon bestehen-
immer stärker belastet. Es geht
dabei um medizinische Strategien,
eingegangen, man hat sie angehört, de gesellschaftliche Trends fortführt, in der möglicherweise dem Ein-
bedacht und sie sich oft zu eigen verstärkt oder abschwächt. In der satz von Medikamenten eine allzu
gemacht. Die jeweilige Vertreterin Öffentlichkeit geäußerte Kritik zu dominierende Rolle im Vergleich
der GRÜNEN in der Kommission den Anwendungsbereichen der zu präventiven Maßnahmen bei-
hat allerdings von Anfang an eine Gentechnologie richtete sich hier gemessen wird« (Catenhusen und
grundsätzlich ablehnende Haltung zugleich oder in erster Linie gegen Neumeister 1990).

Opposition kam insbesondere von der Partei DIE daraufhin überarbeitete und vom Bundestag und
GRÜNEN. Wesentlich getragen von Ökologie-, Bundesrat verabschiedete Gentechnik-Gesetz trat
Anti-Atomkraft-, Friedens- und Frauenbewegun- schließlich am 1. Juli 1990 in Kraft (Dolata 1996).
gen der 1970er-Jahre, gründete sie sich 1980 in
Karlsruhe als Bundespartei. 1982 gelang ihnen mit
4,3 % der Einzug in das Frankfurter Kommunal- 4.3.3 Die 1990er-Jahre:
parlament. In den Jahren 1983 und 1985 wurden sie Wiedervereinigung,
jeweils zum ersten Mal in den Bundestag und den Gentechnik-Gesetz, weitere
hessischen Landtag gewählt. In dessen rot-grüner Förderung, BioRegio- und
Koalition stellte die Partei mit dem Politiker Fi- andere Wettbewerbe
scher erstmals einen Landesminister (für Umwelt).
Diese Konstellation zog für die dort ansässige In- Unabhängig von den Ereignissen in der Biotech-
dustrie bei gentechnischen Vorhaben erschwerte nologie prägte die Jahre 1989/1990 die deutsche
Bedingungen nach sich, die in anderen Bundeslän- Wiedervereinigung. Für die Biotechnologie kamen
dern nicht so ausgeprägt vorlagen. Als Paradebei- aus dem ehemaligen Osten unter anderem an For-
spiel gilt hier die Erfahrung der ehemaligen Frank- schungszentren hinzu: das Institut für Molekula-
furter Hoechst AG, deren Projekt Insulin-Anlage re Biotechnologie (IMB) in Jena, das Institut für
(anfängliches Volumen 35 Mio. €) um 15 Jahre ver- Neurobiologie (IfN) in Magdeburg, das Institut für
zögert wurde. Pflanzenbiochemie (IPB) in Halle/Saale, das Insti-
Die politischen Fronten erreichten also gegen tut für Pflanzengenetik und Züchtungsforschung
Ende der 1980er-Jahre einen Zenit, woraufhin sogar (IPK) in Gatersleben sowie die Zentralinstitute für
der Verband der Chemischen Industrie die rasche Krebsforschung, Herz-Kreislauf-Forschung und
Einführung eines Gentechnik-Gesetzes forderte. Molekularbiologie in Berlin-Buch, aus denen 1992
Mitte 1989 legte das Bundesministerium für Ju- das heutige Max-Delbrück-Centrum für Molekula-
gend, Familie, Frauen und Gesundheit einen Ge- re Medizin (MDC) hervorging.
setzesentwurf vor, der allerdings bei den GRÜNEN, Das seit Mitte 1990 rechtsgültige Gentechnik-
bei Umweltverbänden und beim Öko-Institut auf Gesetz (GenTG) umfasste im Wesentlichen drei
heftige Kritik stieß. Aufgrund des Vorliegens von Anwendungsbereiche, die durch eine Reihe zusätz-
rund 350 Änderungsanträgen aus entsprechenden licher Rechtsverordnungen konkretisiert wurde
Bundestagsausschüssen wies zudem der Bundesrat (Dolata 1996):
den Entwurf zur Wiederbearbeitung zurück. Das
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
337 4
55 Arbeit mit GVO (gentechnisch veränderter 55 Inverkehrbringen von GVO: Die Bestimmun-
Organismus) in geschlossenen Systemen zu gen wurden gelockert; nationaler und inter-
Forschungs- oder gewerblichen Zwecken: nationaler Austausch zu Forschungszwecken
grundsätzlich genehmigungspflichtig durch und innerhalb eines Konzerns zu Zwecken
die einzelnen Länder in Rücksprache mit der der Weiterverarbeitung oder Produktion, die
ZKBS, außer bei Arbeiten zu Forschungs- Abgabe nach patentrechtlichen Vorschriften
zwecken auf Sicherheitsstufe 1 (kein Risiko für an Dritte und die Abgabe zum Zweck einer
Gesundheit und Umwelt); ab Sicherheitsstufe 2 genehmigten Freisetzung waren nicht mehr
(geringes Risiko) bis 4 (hohes Risiko) öffentli- genehmigungspflichtig.
che Anhörung verpflichtend;
55 Freisetzung von GVO in die Umwelt: grund- Kritische Stellungnahmen gab es indes weiterhin
sätzlich erlaubt, sofern das dafür zuständige vonseiten der GRÜNEN, von Umweltverbänden,
Bundesgesundheitsamt (BGA) im Einverneh- dem Öko-Institut sowie vom Deutschen Gewerk-
men mit anderen Behörden eine Genehmi- schaftsbund (DGB) und Teilen der SPD. Eine Stu-
gung erteilt (Anhörung, falls eine Ausbreitung die des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und
der GVO nicht von vorneherein auszuschlie- Innovationsforschung (ISI) ergab, dass die gesetz-
ßen ist); liche Regelung der Gentechnik in Deutschland im
55 Inverkehrbringen von Produkten, die GVO internationalen Vergleich nicht besonders restriktiv
enthalten oder aus solchen bestehen: genehmi- war und dass rechtliche Rahmenbedingungen für
gungspflichtig vom BGA, grundsätzlich ohne Standortentscheidungen keine Rolle spielten (Hoh-
Beteiligung der Öffentlichkeit. meyer et al. 1993). Diese Feststellung beurteilten
Manager von Bayer und Hoechst als »irreführend«,
Nach Inkrafttreten des Gesetzes kritisierte eine da ihres Erachtens die Studie lediglich Aussagen
große Koalition aus Industrieverbänden, Wissen- amerikanischer Unternehmen berücksichtigte und
schaftsorganisationen, Berufsverbänden sowie der deutsche Firmen gar nicht zu der Thematik befrag-
Gewerkschaft IG Chemie, Papier und Keramik den te. Sie kommentierten:
administrativen Aufwand und die Bürokratie der
Genehmigungsverfahren (in der Praxis je nach »» Dass amerikanische Firmen unter ihren recht-
Bundesland sehr heterogen vollzogen), die über- lichen Rahmenbedingungen zur Regelung von
zogenen Sicherheitsstandards sowie die umfang- Forschung, Entwicklung und Produktion keine
reiche Öffentlichkeitsbeteiligung. Befürchtet wur- größeren Probleme haben, ist möglicherweise
de, dass der Forschungs- und Produktionsstandort einer der Gründe, warum sich deutsche Firmen
Deutschland sowie die Wettbewerbsfähigkeit der in den USA angesiedelt haben. (Schlumberger
Industrie und der Wissenschaft gefährdet sind und Brauer 1995)
(Dolata 1996). Eine Novellierungsdiskussion ent-
brannte, die im Dezember 1993 dazu führte, dass Die politischen Fronten waren also noch nicht wirk-
eine Novelle zum GenTG den Bundestag und Bun- lich geklärt. Berücksichtigt werden muss dennoch,
desrat nahezu unbeanstandet passierte. Das novel- dass der oft als Beispiel für die innovationshem-
lierte GenTG erbrachte Veränderungen in folgen- mende Wirkung des deutschen Gentechnikrechtes
den Bereichen (Dolata 1996): herangezogene Hoechst-Fall sich ergeben hatte, da
55 Errichtung gentechnischer Anlagen und eben noch kein einheitliches Gesetzeswerk existier-
Durchführung gentechnischer Arbeiten: Die te. So entschieden sich Bayer und BASF aufgrund
Bedingungen wurden nachhaltig erleichtert, der Unsicherheit der rechtlichen Situation gegen
Anmelde- und Genehmigungsverfahren ge- den deutschen Standort. Gerade die Anträge von
strafft, Bearbeitungszeiten verkürzt; Arbeiten Hoechst führten dann erst zur Gesetzesinitiative.
der Sicherheitsstufe 1 waren nur noch anmel- Später traten laut Simon (1995) bei anderen Verfah-
depflichtig (Einbindung der ZKBS nicht mehr ren mit Öffentlichkeitsbeteiligungen bei gerichtli-
obligatorisch); chen Auseinandersetzungen keine Verzögerungen
338 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

auf. Der damalige Professor vom Forschungszen- Verbesserung der Wettbewerbsposition Deutsch-
trum Biotechnologie und Recht der Universität lands in der modernen Biotechnologie darstellte.
Hannover kam zu dem Schluss: 1999 schließlich urteilte das Karlsruher ISI nach
der Befragung kleiner und mittlerer Unternehmen
»» Die Diskussion in der Öffentlichkeit ist noch (KMU) der Biotechnologie:
immer geprägt von den komplizierten und
für die Antragsteller langwierigen Verfahren »» In den Unternehmensinterviews der vorlie-
… auf der einen Seite und den Klagen der genden Studie im Bereich Medizin/Gesundheit
4 Einwender über eine mangelnde Berücksichti- wurden die generelle Intention und der Inhalt
gung der von ihnen vorgebrachten Bedenken dieser Gesetze als tragfähige Grundlage für
andererseits. Dies kann und darf jedoch nicht unternehmerische Aktivitäten gesehen. Schwie-
darüber hinwegtäuschen, dass eine reale rigkeiten traten eher beim Vollzug dieser Rege-
Standortgefährdung nach der Novellierung lungen auf. So wurde von einzelnen Befragten
des GenTG aufgrund der rechtlichen Regelun- die Fachkompetenz bei der Genehmigungs-
gen nicht mehr auszumachen ist. (Simon 1995) oder Zulassungsbehörde bemängelt, das feh-
lende Verständnis der Behörden für die Belange
Abermals kontrovers sah das der Gießener Mik- eines kommerziellen Unternehmens als Hemm-
robiologie-Professor Hobom, ehedem ZKBS-Mit- nisfaktor genannt sowie die Vielzahl der Detail-
glied: auflagen angemahnt. (Menrad et al. 1999)

»» … die Änderung des Gentechnikgesetzes hat Die angeführten Zitate veranschaulichen die da-
in Zahlen fassbare Änderungen – jedenfalls malige Situation, die geprägt war von kontroversen
in dem Bereich der Produktionsanlage – nicht Diskussionen, man kann schon fast sagen, Theorie
erbracht. Damit scheint die erklärte Absicht versus Praxis. Auch heute ist die Auseinanderset-
zu scheitern, die Gentechnik nicht nur als For- zung um das GenTG noch immer nicht ganz ab-
schungsrichtung und -methode, sondern auch geschlossen. Neben dem GenTG gab es auf Bun-
als Zukunftstechnologie im Lande zu halten desebene erneut andere Aktivitäten mit Biotechno-
oder sie dahin zurückzuholen. (Hobom 1995) logie-Bezug (. Tab. 4.5).
Bis Mitte der 1990er-Jahre stieg das Biotech-Bu­
Stehn (1995) vom Kieler Institut für Weltwirtschaft dget des Bundes im Vergleich zu den 1980er-Jahren
führt aus, dass die auf Einzelgesetzen beruhende weiter an, jedoch mit weitaus geringeren Steige-
Regulierungspraxis in den USA zwar die Errich- rungsraten. Die Erhöhung war im Wesentlichen
tung von Produktionsanlagen und die Freisetzung vereinigungsbedingt und diente der Integration
von GVO weniger behinderte als die Vollzugspra- der ostdeutschen Forschungszentren mit einem
xis des GenTG in Deutschland. Das strenge ameri- entsprechenden Anstieg in der institutionellen
kanische Produkthaftungsrecht kompensierte diese Förderung (. Abb. 4.1). Das Volumen erreichte
Vorteile jedoch zumindest teilweise: Im Falle einer rund 200 Mio. €, was nach wie vor lediglich einen
Schädigung Dritter durch gentechnologische Pro- Anteil von 2,5 % am Gesamtforschungshaushalt
dukte konnten gegenüber allen an der Produktion des Bundes ausmachte. Wie bereits für Anfang
beteiligten Unternehmen Schadenersatzforderun- der 1980er-Jahre aufgezeigt, waren die speziellen
gen geltend gemacht werden. In den USA mehrten BMFT-Programmgelder nicht die einzigen öffent-
sich daher Stimmen aus der Industrie, die eine stär- lichen Mittel, die die biotechnologische Forschung
kere Orientierung an dem in Europa verbreiteten und Entwicklung finanzierten. Rund zehn Jahre
Modell eines eher restriktiven Zulassungsverfah- später ist deren Summe dennoch kaum gestiegen,
rens in Verbindung mit einer beschränkten Haf- denn sie beliefen sich 1992 insgesamt auf knapp
tung forderten. Der Autor zog als Resümee, dass 700 Mio. € inklusive 275 Mio. € für die Hochschu-
die Änderung des GenTG lediglich eine notwen- len (Hetmeier et al. 1995). Zum Vergleich: Ohne
dige, aber keine hinreichende Bedingung für eine die Landes-Hochschulfinanzierung lag die Sum-
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
339 4

. Tab. 4.5 Ausgewählte Aktivitäten des Bundes mit Bezug zur Biotechnologie, 1990er-Jahre. (Quelle: BioMedSer-
vices (2015) nach Dolata (1996) und BMBF (2010))

Jahr Was Wer Zusatzinformation

1990 Verabschiedung Gentechnik-Gesetz (GenTG) Bundestag –

1990 Auflage Programm »Biotechnologie 2000« BMFT 3. spezifisches BT-Programm

1993 1. Novelle Gentechnik-Gesetz Bundestag –

1995 Beteiligungskapital für kleine Technologieunter- BMBF Bis 2000, verlängert bis 2003
nehmen (BTU), Nachfolger von BJTU und 2006

1995 Ausschreibung BioRegio-Wettbewerb BMBF –

1996 Entscheidung BioRegio-Wettbewerb BMBF –

1997 Fünf-Jahres-Förderung im Rahmen von BioRegio BMBF 100 Mio. €

1998 BioFuture: Förderung junger Wissenschaftler und BMBF Bis 2012, 70 Mio. €
Nachwuchskräfte

1999 BioChance(Plus): Förderung kleiner und mittlerer BMBF Bis 2002, von 2003 bis 2009
Biotechnologieunternehmen BioChancePlus, 35 Mio. €

1999 BioProfile-Wettbewerb: regionaler Wettbewerb BMBF Bis 2003, 50 Mio. €


innerhalb thematisch begrenzter Felder

1994 Umwandlung des BMFT in BMBF


BT Biotechnologie

me Anfang der 1980er-Jahre bei rund 500 Mio. €, schutz. Im Rahmen des Programms mit einem Ge-
inklusive DFG-Gelder. Für 1992 existierten diese samtvolumen von 1,5 Mrd. € fanden unter anderem
zwar ebenfalls noch, ihre Höhe war für einzelne folgende Aktivitäten statt (u. a. Dolata 1996):
Fachbereiche dagegen nicht mehr bekannt. Kräf- 55 1991: Auflage eines indirekt-spezifischen Pro-
tig gestiegen sind allerdings die FuE-Investitionen gramms zur Förderung kleiner und mittlerer
der Wirtschaft: von 100 auf 700 Mio. € (KMU und Unternehmen (KMU) zur Erweiterung der
Großunternehmen). Insgesamt standen dem Sek- industriellen Basis (50 Mio. €, fünf Jahre);
tor 1992 somit knapp 1,5 Mrd. € an FuE-Mitteln zur 55 1992: Strategiekonzept »Molekulare Bioinfor-
Verfügung. matik« zur Förderung der Zusammenarbeit
Das 1990 aufgelegte Programm »Biotechnolo- von Biologen und Informatikern (25 Mio. €);
gie 2000« setzte die Bemühungen früherer Förder- 55 1994: Förderschwerpunkt »Technik zur
programme fort: Erhöhung von Interdisziplinari- Entschlüsselung und Nutzung biologischer
tät, Netzwerken und Kommerzialisierung, um spe- Baupläne« zur Unterstützung der deutschen
ziell die wissenschaftliche Grundlagenforschung Genomforschung;
und die industrielle Forschung und Entwicklung 55 1997: Beginn der BioRegio-Förderung
stärker zu verzahnen. Ziel war, Deutschland als (100 Mio. €, fünf Jahre);
Forschungs- und Produktionsstandort für die Bio- 55 1998: BioFuture zur Förderung junger Wissen-
technologie attraktiv zu halten und Rahmenbedin- schaftler und Nachwuchskräfte (70 Mio. €, 15
gungen hierfür weiter zu stärken. Thematisch ging Jahre);
es in dem Programm insbesondere um die zellbio- 55 1999: BioChance zur Förderung von Biotech-
logische und Proteinforschung, die neurobiologi- KMU (35 Mio. €, vier Jahre);
sche und Genomforschung sowie Forschung zu 55 1999: Ausschreibung BioProfile-Wettbewerb
Pflanzenzüchtung und zum biologischen Pflanzen- (50 Mio. €, fünf Jahre).
340 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Ein qualitatives Gesamtbild zur deutschen Situa- 1990er-Jahre bei einigen BMBF-Förderaktivitäten
tion der Biotechnologie Mitte der 1990er-Jahre bie- zum Zuge. Zugleich identifizierte das Ministerium
ten von Schell und Mohr (1995): die Bedeutung regionaler Innovationscluster, die
55 Es besteht eine gute bis sehr gute (Grundla- in den USA zur Entwicklung der Biotech-Indus-
gen-)Forschung. trie beitrugen. Die Verbindung mit dem Wettbe-
55 Es mangelt an einer effektiven Umsetzung von werbsgedanken führte zu einem neuen Konzept,
Forschungsergebnissen in die Praxis, wobei dem sogenannten BioRegio-Wettbewerb (7 Bio-
die Situation für große, weltweit operierende Regio-Wettbewerb: die Entstehungsphase). Diesen
4 Unternehmen anders zu betrachten ist als für rief 1995 der damalige Forschungsminister Rütt-
KMU. gers aus, mit dem Ziel, »Wissen und Fähigkeiten
55 Es besteht (aus diversen Gründen) ein Mangel in neue biotechnische Produkte, Produktionsver-
an kleinen, innovativen Biotechnik-Firmen. fahren und Dienstleistungen umzusetzen und die
55 Notwendige informelle Netzwerke müssen finanziellen Ressourcen und die Wirtschaftskraft in
stark ausgebaut werden. den Regionen zu bündeln … [, damit] Deutschland
55 Aus der Sicht der Forschung (insbesondere von im Jahr 2000 in Europa Nummer eins in der Bio-
großen Unternehmen) wirken sich ungünstige technologie ist« (Giesecke 2001).
rechtliche Rahmenbedingungen und fehlende Der Wettbewerb zwischen Regionen sollte
öffentliche Akzeptanz maßgeblich auf die Stand- dazu beitragen, verkrustete Strukturen aufzubre-
ortentscheidung aus. Bei der Wahl des Standor- chen und innovative Kräfte freizusetzen. Drei ge-
tes kommen aber weitere Faktoren ins Spiel. winnende Modellregionen – das Rheinland, das
55 Einige maßgebende Firmen haben die Ver- Rhein-Neckar-Dreieck um Heidelberg sowie Mün-
lagerung ihres Bereiches Biotechnologie oder chen – erhielten eine Förderung von je 25 Mio. €
Teile davon ins Ausland mit schlechten Rah- über fünf Jahre. Die gleiche Summe ging an die mit
menbedingungen in Deutschland begründet. einem Sondervotum bedachte Initiative aus Jena.
Momentan kann aber nicht mehr von einer Eine spätere Evaluation des BioRegio-Wettbewerbs
massiven Abwanderung großer Unternehmen durch ein Konsortium um das Institut für Welt-
gesprochen werden. Bereits erfolgte Neu- wirtschaft an der Universität Kiel ergab folgende
gründungen im Ausland, namentlich in den ausgewählte Einschätzungen (Staehler et al. 2006):
USA, müssen vorrangig als Ausdruck einer 55 Der BioRegio-Wettbewerb hat maßgeblich
weltmarktorientierten Strategie und einer zum Gründungsboom der deutschen Biotech-
nachholenden Modernisierung aufgrund des Industrie Mitte bzw. Ende der 1990er-Jahre
großen technologischen Vorsprungs der USA und zur Entstehung eines kommerziellen Bio-
angesehen werden. Bestehende FuE-Kapazi- tech-Sektors in Deutschland beigetragen.
täten der großen Firmen im Inland sind am 55 Die Gründungsdynamik in den Siegerregionen
hiesigen Markt orientiert und werden von den ist während der Laufzeit von BioRegio weit
Unternehmen als ausreichend angesehen und überdurchschnittlich gewesen, was unter ande-
teilweise ausgebaut. rem darauf zurückzuführen ist, dass BioRegio in
erheblichem Umfang Startup-Finanzierung ge-
Zur effektiveren Umsetzung von Forschungsergeb- leistet hat (Start-up: Unternehmensgründung).
nissen in die Praxis und zur Erhöhung der Zahl 55 Die BioRegio-Siegerregionen haben sich hin-
an fehlenden kleinen, innovativen Biotech-Firmen sichtlich der Anzahl der tätigen Unternehmen
ersann das BMFT, das 1994 nach der Zusammen- dauerhaft erheblich günstiger als die nicht
legung mit dem Bundesministerium für Bildung geförderten Vergleichsregionen entwickelt: die
und Wissenschaft (BMBW) zum heutigen Bundes- durchschnittliche jährliche Wachstumsrate im
ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Zeitraum 1997 bis 2005 betrug 9,6 % gegen-
wurde, eine neue Strategie: eine zusätzliche Nut- über 7,4 % in den anderen Regionen (es stellt
zung von Wettbewerbselementen zur Auswahl ge- sich dabei die Frage, ob dieser Unterschied
eigneter Förderkandidaten. Diese kam ab Mitte der »erheblich« ist).
4.3 • Die Anstrengungen und Aufholjagd in den 1970er- bis 1990er-Jahren
341 4

BioRegio-Wettbewerb: die Entstehungsphase


»Statt quantitativer Vorgaben gab Genehmigungen für den Betrieb finanzieller Unterstützung aus dem
es qualitative Anforderungen: Zu- biotechnologischer Anlagen oder BioRegio-Topf – sechs Monate lang
nächst sollten Experten aus Wissen- für Freisetzungsversuche. Durch- weiterentwickeln durften. Im No-
schaft, Wirtschaft, Banken, Dienst- dachte Vermarktungsstrategien vember 1996 kürte die international
leistung und Verwaltung aussichts- oder praktikable Ansiedlungskon- besetzte, zehnköpfige Jury die drei
reiche Förderkonzepte ausarbeiten. zepte sollten vorhanden sein. Auch Modellregionen. ‚Vor der Bekannt-
Teilnahmekriterien für Unterneh- die Bereitschaft von Banken oder gabe der Sieger knisterte Spannung
men und Forschungseinrichtungen Privatanlegern, die Existenzgründer wie bei der Oscar-Verleihung‘, erin-
waren nicht nur eine biotechno- zu finanzieren, wurde mit bewertet. nert sich Dr. Hans-Joachim Bremme,
logische Orientierung, sondern Im April 1996 wurden 17 Regionen BASF-Aktivist für die Region Rhein-
auch der Besitz von Patenten und benannt, die ihr Konzept – mit Neckar-Dreieck« (Janositz 1997).

Nachschau zum BioRegio-Wettbewerb


»Im BioRegio-Wettbewerb haben sollten gebündelt, langfristige Ziele Jahren von 1997 an bevorzugten
sich nationale und grenzüber- definiert und praxisnahe Strategien Zugang zu den speziell bereitge-
schreitende Wirtschaftsräume in entworfen werden. Die aus 17 Be- stellten Projektfördermitteln des
BioRegionen mit dem Ziel struk- werbungen von einer unabhängi- BMBF im Gesamtvolumen von 90
turiert, integrale Konzepte für die gen und international besetzten Millionen Euro erhalten. Mit diesen
biotechnologische Forschung zu Jury ausgewählten Modellregionen Fördermitteln wurden zehnmal
entwickeln und die Ergebnisse in ‚Rheinland‘, ‚München‘ und ‚Heidel- mehr private als öffentliche Finan-
unternehmerisches Handeln umzu- berg‘ sowie das mit einem Sonder- zierungsmittel eingeworben« (BMBF
setzen. Vorhandene wissenschaft- votum herausgehobene ‚Jena‘ 2010).
liche und wirtschaftliche Potenziale haben über einen Zeitraum von fünf

55 Bei der längerfristigen Entwicklung der An- erhielt gut 15 Mio. € über fünf Jahre. Die Förderini-
zahl der Beschäftigten schneiden die BioRegio- tiative wurde wiederum positiv begutachtet:
Siegerregionen mit einer jahresdurchschnittli-
chen Wachstumsrate von fast 12 % günstiger ab »» Eine … Umfrage unter mehr als 1000 Biotech-
als die übrigen Regionen (ca. 3 %). Unternehmen und Forschungseinrichtungen
hat gezeigt, dass durch … BioRegio und Bio-
Die Modellregionen gaben den Anstoß zur Grün- Profile Kooperationen angestoßen wurden, die
dung weiterer regionaler Verbünde aus Unterneh- sonst nicht zustande gekommen wären und
men, Forschungseinrichtungen und anderen Unter- die … erfolgreich und nachhaltig sind. Auch
stützern. Heutzutage existieren daher deutschland- die Indikatoren zur technologischen Leistungs-
weit mehr als zwei Dutzend solcher »BioRegionen«. fähigkeit zeigen ein positives Bild: Rund 62 %
Dem BioRegio-Wettbewerb (7 Nachschau zum der Patent anmeldenden Biotechnologie-
BioRegio-Wettbewerb) folgte vier Jahre später ein Unternehmen stammt aus den 7 Siegerregio-
weiterer regionaler Wettbewerb, der sogenannte nen (gegenüber 38 % aus den restlichen 14
BioProfile-Wettbewerb (7 BioProfile-Wettbewerb). Bioregionen). (Staehler et al. 2006)
Er unterschied sich durch die Begrenzung auf be-
stimmte thematische Felder der Biotechnologie. Neben BioRegio und BioProfile rief das BMBF in
Gewinner waren die Regionen Berlin/Potsdam, den 1990er-Jahren noch die Wettbewerbsprogram-
die BioRegion STERN (Stuttgart, Tübingen, Esslin- me BioFuture und BioChance ins Leben. BioFuture
gen, Reutlingen, Neckar-Alb) sowie Braunschweig/ lief von 1998 bis 2012 und zielte darauf, exzellen-
Göttingen/Hannover. Jede der drei Siegerregionen ten wissenschaftlichen Nachwuchs für die Wissen-
342 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

BioProfile-Wettbewerb
»Der BioProfile-Wettbewerb knüpfte haben, in selbst gewählten Anwen- gen/Hannover mit dem Thema ‚Funk-
im Jahr 1999 an BioRegio an, wieder dungsfeldern der modernen Bio- tionelle Genomanalyse‘ sowie die
ging es darum, einen regionalen technologie eine starke Wirtschafts- Region Stuttgart/Neckar-Alb (BioRe-
Wettbewerb zu initiieren – dieses kraft zu entfalten. Ausgezeichnet gion STERN) mit dem Schwerpunkt
Mal jedoch innerhalb thematisch be- wurden hier die Region Potsdam/ ‚Regenerationsbiologie‘. Zusammen
grenzter Felder der Biotechnologie. Berlin mit dem Profil ‚Ernährungsbe- haben diese drei BioRegionen 50 Mil-
Aus 30 Bewerbungen wurden drei dingte Krankheiten (Nutrigenomik)‘, lionen Euro an Projektfördermitteln
4 Regionen prämiert, die das Potenzial die Region Braunschweig/Göttin- erhalten« (BMBF 2010).

schaft und Wirtschaft im Bereich Biotechnologie um das Zentrum für Europäische Wirtschafts-
zu gewinnen und zu fördern. Forscher konnten mit forschung (ZEW) in Mannheim folgendermaßen
einer eigenen Arbeitsgruppe über einen Zeitraum (Licht 2012):
von fünf Jahren unabhängig arbeiten, bei einem 55 Bei den geförderten Unternehmen wurde die
Budget von jeweils durchschnittlich 1,5 Mio. €. Ins- FuE-Tätigkeit deutlich gesteigert. Pro Euro
gesamt stellte das BMBF für den Wettbewerb För- BMBF-Förderung finanzierten diese zusätzlich
dermittel von über 70 Mio. € über 15 Jahre bereit. rund 1,5 € aus eigenen Quellen. Damit wurde
Die Projekte deckten verschiedenste Grenzgebiete ein »Hebeleffekt« von 2,5 im Hinblick auf die
der Biowissenschaften wie beispielsweise Proteom- FuE-Aufwendungen der Unternehmen erreicht.
forschung, Nanobiotechnologie, Neurobiologie, 55 In 20 % der geförderten Projekte gelang es
Wirkstoffforschung, Tissue Engineering, Struktur- bislang, die Ergebnisse kommerziell zu nutzen.
biologie, Bioinformatik und Biomimetik/Bionik ab. Für 70 % der geförderten Projekte wird ein
Der Projektträger Jülich im Forschungszent- kommerzieller Nutzen in Zukunft erwartet.
rum Jülich beurteilte den BioFuture-Wettbewerb Lediglich 10 % der Projekte erwiesen sich als
wie folgt: kommerziell nicht verwertbar.
55 Entwicklungen und Erfindungen aus nahezu
»» Seit 1998 beteiligten sich mehr als 1400 Nach- der Hälfte der geförderten Projekte wurden
wuchskräfte aus dem In- und Ausland … In durch Patentanmeldungen abgesichert. In 5 %
mittlerweile sechs Auswahlrunden wurden der Projekte wurden dadurch Lizenzerlöse
durch eine Jury … 51 Preisträger ermittelt … erzielt, und in weiteren 5 % gelang die Lizen-
Darunter sind 14 deutsche Forscher, die aus zierung von Vorerfindungen.
dem Ausland zurückkehrten sowie sechs aus- 55 66 % der Unternehmen konnten eine signi-
ländische Wissenschaftler, die eine wissen- fikante Verbesserung ihrer Finanzierungssitu-
schaftliche Tätigkeit in Deutschland aufnahmen. ation erreichen (Umsatzsteigerungen, Lizenz-
21 Preisträger erhielten Berufungen an deutsche erlöse oder Zufluss von Risikokapital).
oder ausländische Universitäten, elf gründeten 55 Die im Rahmen der Förderung entstandenen
ein eigenes Unternehmen. (PTJ 2005) Kooperationen erwiesen sich mehrheitlich als
ergiebig und stabil, viele wurden nach dem
Der Wettbewerb BioChance startete 1999 und hat- Ende der Förderung weitergeführt.
te zum Ziel, Firmengründungen zu unterstützen. 55 Bei insgesamt 260 geförderten Unternehmen
Nach fünf Jahren folgte das Programm BioChance- ergaben sich allerdings auch 23 Insolvenzen,
Plus, das ab 2003 bis 2009 die weitere Entwicklung eine Ausfallrate von knapp 10 %.
junger Biotechnologie-Unternehmen und deren
risikoreiche Projekte vorantreiben sollte. Insgesamt Die verschiedenen Förderschwerpunkte verband
gewährten die Maßnahmen BioChance und Bio- das BMBF in einem Gesamtkonzept entlang der
ChancePlus etwa 36 Mio. und 133 Mio. € an Förder- Wertschöpfungskette des Generierens bis zum
geldern. Die Wirkungen bewertete ein Konsortium wirtschaftlichen Nutzen von Wissen (. Abb. 4.3).
4.4 • Unternehmensgründung und -finanzierung als spezielle Herausforderung …
343 4

Grundlagen-
Gründungen
forschung
Vorbereitung
Forschungsinstitute Unternehmen
Patentierung der
Angewandte Vermarktung Etablierung
Forschung am Markt

Füttern der Koordinierende


Begleitung Unterstützung
Pipeline durch KMU–Patent–
durch durch
Aktion BioChance
BioFuture BioRegionen

Ausbau von spezifischen Komponenten durch BioProfile

. Abb. 4.3 BMBF-Gesamtkonzept zur Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen in der modernen Biotechnolo-
gie in den 1990er-Jahren. Erstellt in Anlehnung an BMBF (2001)

4.4 Unternehmensgründung und landschaft: »Aufgrund der hohen Abhängigkeit


-finanzierung als spezielle der Hochschulforschung von Stiftungsgeldern und
Herausforderung in Drittmitteln aus der Industrie und der daher nur
Deutschland, damals wie heute in begrenztem Ausmaß zur Verfügung stehenden
Planstellen an den staatlichen Universitäten bestan-
Die wissenschaftlichen, politischen, wirtschaft- den dort hohe Anreize, eine selbständige Unter-
lichen und andere Rahmenbedingungen hatten nehmertätigkeit auf Basis der eigenen Forschun-
und haben großen Einfluss auf die Entwicklung gen einer Universitätslaufbahn vorzuziehen.« In
der Biotech-Industrie. Um nachzuvollziehen, wa- Deutschland, wie auch im angrenzenden deutsch-
rum und wie sich die jeweiligen Industrien in ver- sprachigen Ausland, war die Beteiligung eher ver-
schiedenen Ländern unterschiedlich entwickelt pönt. Zudem fanden sich allgemein wenige Perso-
haben, nehmen vor allem allgemein die Faktoren nen, die für den Schritt in die Selbstständigkeit be-
Unternehmensgründung und deren Finanzierung reit waren (7 Der VC-Finanzier Moshe Alafi zu seinen
beziehungsweise die sie beeinflussenden Rahmen- Gründungserfahrungen in Deutschland). Beispiel-
bedingungen eine bedeutende Rolle ein. haft zitiert Rebentrost den US-Risikokapitalgeber
In den USA agierten Hochschulprofessoren in Alafi, der viele Biotech-Gründungen unterstützte:
den 1970er- und 1980er-Jahren als Biotech-Unter-
nehmensgründer – anfangs zwar nur einige wenige, »» There was a professor in Geneva who started
nach den ersten Erfolgen allerdings immer mehr. writing in scientific magazines about what
Viele Arbeiten wurden zu Beginn noch in den Charles is doing, taking science from university
Laboren der Universitäten angepackt. Das führte and giving it to industry, and that this is effec-
zwar zu Spannungen, im Nachhinein profitierten tively dirty. (Moshe Alafi, Rebentrost 2006)
diese dessen ungeachtet über lukrative Lizenzver-
träge. Stehn (1995) begründete die unternehmeri- »Charles« bezieht sich auf den Züricher Moleku-
sche Initiative der US-Hochschulmitarbeiter mit larbiologen Weissmann, der 1978 die heute erfolg-
Anreizstrukturen der amerikanischen Hochschul- reich aus den USA heraus operierende Firma Bio-
344 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Der VC-Finanzier Moshe Alafi zu seinen Gründungserfahrungen in Deutschland


«I was in Hamburg once, I don’t have Monsanto behind me, I’ll take In the United States, if you fail, you
know which year, it must have been you to the chairman, we mean it.‘ can start another company, and
between 1984 and 1987, and I saw … He said: ‚Moshe, I’ll tell you this: sometimes if you have three failures
the Managing Director of Eppen- If l go home and tell my wife: Listen it’s better than if you have two. It
dorf. At that time I had Monsanto honey, I’ll leave my job, get off of is more that the mentality of the
money and their mission was to all these Mercedes and chauffeurs, Europeans is more conservative in
found companies. So I was looking and I am starting a company. I tell a sense to conserve what you have,
4 for people in technology to run
companies. ln the middle of lunch
you, within 24 hours she would
either divorce me, because she is
and why gamble? I don’t know if
it’s better or worse, that’s what it is«
at his office I said: ‚Why don’t you afraid, or she would put me in a (Moshe Alafi, Rebentrost 2006).
leave and we start a company? I mental hospital.‘ This is Germany.

gen mitgründete. Sie war damit die erste in Europa, dem SBIC-Programm (Small Business Investment
offiziell gegründet in den Niederlanden, aber mit Companies) von 1958, worüber sich private Inves-
operativem Sitz in Genf und Cambridge bei Bos- toren staatlich lizenzieren lassen konnten. Dadurch
ton. Der Hauptsitz wurde jedoch relativ bald in die erhielten sie Zugang zu langfristigen, zinsgünsti-
USA verlegt. Insbesondere das »Damoklesschwert gen und staatlich garantierten Finanzierungsmit-
des Scheiterns« schien die Gründung von Unter- teln, mit denen privat aufgenommenes Kapital in
nehmen in Deutschland zu verhindern. Auch noch einem Verhältnis von bis zu 4:1 aufgestockt werden
2001 zitierte die Zeitschrift DIE WELT eine Studie konnte. Ähnliche Bemühungen eines öffentlich
der Boston Consulting Group zur Situation in der geförderten Beteiligungsmarktes erfolgten 1958 in
Biotechnologie: Frankreich und bereits zehn Jahre früher in den
Niederlanden. Auch heute noch sind innerhalb
»» Der große Unterschied zwischen den USA und Europas Großbritannien, Frankreich und die Be-
Deutschland liege darin, dass hierzulande alle nelux-Länder führend, was privates Beteiligungs-
Firmen das Klassenziel erreichen sollen. In den kapital (im Englischen private equity) angeht.
USA spreche niemand von den Firmen, die es
nicht geschafft haben. ‚Man sieht nur die Stars Private equity (PE)
wie die Amgen, Biogen oder Genentech‘. (Ver-
»Von privaten und/oder institutionellen An-
dutt 2001)
legern bereitgestelltes Eigenkapital, mit dem
Beteiligungsgesellschaften (Private-Equity-Ge-
Wie bereits ausgeführt (7 Abschn. 2.1.2), unterstütz-
sellschaften) Unternehmensanteile für einen
ten in den USA Risikokapitalgeber schon sehr früh
begrenzten Zeitraum erwerben um eine finan-
die sich bildende Biotech-Branche. Interessanter-
zielle Rendite zu erwirtschaften. Der Begriff
weise gründete 1946 ein Professor für industriel-
Private-Equity-Investitionen im weiteren Sinne
les Management von der Harvard Business School
umfasst Finanzierungen in etablierte Unter-
die erste Beteiligungsgesellschaft in den USA. Sehr
nehmen, die sich in fortgeschrittenen Lebens-
früh, 1945, gründete sich auch die erste europäische
zyklusstadien befinden (Private-Equity-Investi-
VC-Gesellschaft in Großbritannien, die »Industrial
tionen im engeren Sinne), und Finanzierungen
and Commercial Finance Corporation« (ICFC),
in junge Unternehmen (Venture-Capital-In-
getragen von der Bank of England und anderen
vestitionen). Letztere sind durch ein höheres
größeren britischen Banken. 1983 nannte sich die
Risiko-Rendite-Profil gekennzeichnet« (Gabler
ICFC um in »Investors in Industry«, abgekürzt als
Wirtschaftslexikon Online, Private Equity).
3i, worunter sie heute noch aktiv ist. In den USA er-
fuhr die VC-Branche einen ersten Aufschwung mit
4.4 • Unternehmensgründung und -finanzierung als spezielle Herausforderung …
345 4

Die WFG: gescheiterter Versuch der Finanzierung junger Unternehmen


»Das Problem war, dass die Organi- sierten Bereichen hatte und die zur meist aus völlig unerfahrenen Jung-
sationsstruktur bei knapp 30 Be- Bewertung eingereichten Firmen- unternehmern. Im Jahresbericht der
teiligten kompliziert gestaltet und konzepte oft nur einer wenig fun- WFG von 1980 hieß es dazu: ‚The lack
wenig flexibel war. Die Auswahl der dierten Analyse unterziehen konnte. of experiences of the entrepreneurs
Förderprojekte nahm daher unver- Das war nur schwer zu vereinen mit in mastering the various, very com-
hältnismäßig viel Zeit in Anspruch. dem typisch deutschen Sicherheits- plex tasks of management is the
Andererseits war diese Unentschlos- denken und den Versagensängsten. main reason for the failure of the
senheit auch ein Zeichen dafür, dass Doch viel gravierender war ein ganz projects« (Rebentrost 2006).
man kaum Erfahrung mit jungen anderes Problem: Das Management
Unternehmen in … sehr wissensba- neu gegründeter Firmen bestand

In Deutschland gründeten Privatinvestoren und der 1980er-Jahre dann erste deutsche Aktivitäten
-banken 1965 die ersten PE-Firmen, die aufgrund nach dem Vorbild des US-VC-Modells der tech-
der fehlenden Branchenerfahrungen allerdings nologieorientierten Frühphasen-Finanzierung. So
zahlreiche Anfangsschwierigkeiten zu überwinden gründete 1983 Siemens zusammen mit anderen In-
hatten (Frommann und Dahmann 2003). Einige vestoren die erste Corporate-Venture-Capital-Fir-
Gesellschaften überlebten die ersten Jahre nicht, ma, die Techno Venture Management (TVM). An
und nur wenige der Pioniere haben heute noch eine dem Fond mit einem Volumen von 60 Mio. € be-
signifikante Bedeutung. Anfang der 1970er-Jahre teiligten sich unter anderem Bayer, Daimler Benz,
stimulierte die Einrichtung des ERP-Beteiligungs- die Deutsche Bank, Mannesmann und Volkswagen.
programms die Entstehung öffentlich geförderter Weitere VC-Firmen entstanden wie GENES Ven-
Kapitalbeteiligungsgesellschaften, die heutigen Mit- ture Services (Köln), International Venture Capi-
telständischen Beteiligungsgesellschaften (MBG). tal Partners (IVCP, Luxemburg) und Euroventures
ERP-Kapital wird von der 1948 gegründeten Kredit- Germany (Eindhoven und Stuttgart), zum Teil ge-
anstalt für Wiederaufbau (KfW) vergeben. Es han- gründet durch ehemalige Mitarbeiter der geschei-
delt sich um Mittel aus dem ERP-Sondervermögen, terten WFG.
das im Rahmen des sogenannten Marshallplans (of- In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre enga-
fiziell European Recovery Program, ERP) den euro- gierte sich auch eine Reihe ausländischer PE-Ge-
päischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg von sellschaften im deutschen Markt. Ab dem gleichen
den USA zur Verfügung gestellt wurde. Die privaten Zeitraum verzeichneten die deutschen PE-Firmen
PE-Firmen nahmen das ERP-Programm kaum an. ein stetes und starkes Wachstum: Noch von 1965
1975 riefen nach staatlichem Anstoß 27 deut- an dauerte es rund 20 Jahre, bis der Wert aller Be-
sche Großbanken und Kreditinstitute die Deut- teiligungen die Grenze von 500 Mio. € überschritt.
sche Wagnisfinanzierungsgesellschaft (WFG) ins Nach weiteren fünf Jahren verdreifachte er sich auf
Leben. Durch die Übernahme eines Verlustrisikos über 1,5 Mrd. €, das gesamte verwaltete Kapital be-
von 75 % subventionierte das BMFT die Lernkosten trug 2 Mrd. €. Mitte der 1990er-Jahre verlangsamte
der ersten Jahre. Allerdings scheiterte der Versuch, sich das Wachstum, um gegen Ende wieder rasant
einen Risikokapitalmarkt in ein von Banken domi- anzusteigen. Die Jahrtausendwende erbrachte
niertes System zu implementieren wie Rebentrost außerordentliche Zuwachsraten von bis zu 50 %,
(2006) ausführt (7 Die WFG: gescheiterter Versuch was sich bisher allerdings nicht wiederholte. Da-
der Finanzierung junger Unternehmen). PE-Gesell- mit verdreißigfachte sich der Beteiligungswert in 15
schaften investierten weiter bevorzugt in etablierte Jahren (1985 bis 2001) auf gut 15 Mrd. €. Die Zahl
statt junge Firmen. Unter dem Eindruck der Er- der PE-Firmen stieg im selben Zeitraum auf knapp
folgsgeschichten amerikanischer Hightech-Firmen 200 (Mitglieder des Bundesverbandes Deutscher
und des Silicon Valleys erbrachte die erste Hälfte Kapitalbeteiligungsgesellschaften, BVK).
346 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 4.6 Vergleich von Eckdaten des VC-Marktes in Deutschland (D) und den USA, 1990 bis 2001. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Statistiken des BVK (Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften) und
der NVCA (National Venture Capital Association, US-Verband))

Verwaltetes Anzahl VC-Investments (Mio. €): Exits über Ver- Exits über
­Kapitala (Mrd. €) ­PE-Firmenb Gesamt/pro Runde kauf ­Börsengang

D USA D USA D USA D USA D USA

1990 2,0 23,4 65 383 375/0,82 2331/1,59 – 19 – 47

4 1995 4,5 28,5 79 687 423/0,74 5874/3,1 74 92 12c 184

2000 15,6 242 168 864 3721/1,79 113.616/14,1 192 379 66d 238

2001 17,8 291 196 920 2782/1,48 45.720/9,97 131 384 8 37

aSumme von investiertem und investierbarem Kapital (umfasst für D gesamtes PE, für USA nur VC)
bBVK-Mitglieder in D, für USA Firmen, die in den acht Jahren davor Kapital aufgenommen haben
cdavon elf außerhalb Deutschlands
ddavon 59 am Neuen Markt

PE private equity, VC Venture-Capital

Verglichen mit der Situation in den USA er- Der Punkt, der hier indes gemacht werden soll, ist,
scheinen die deutschen Zahlen trotz ihres beein- dass in den USA in den 1990er-Jahren ganz andere
druckenden Wachstums relativ bescheiden. Die Rahmenbedingungen vorherrschten, was den Ka-
absolute Höhe von verwaltetem Kapital und VC- pitalmarkt betrifft (7 Einschätzung des deutschen
Investitionen sowie die Anzahl an PE-Firmen la- Venture-Capital-Marktes, 1993). In Deutschland gab
gen und liegen heute noch um ein Vielfaches höher. es zur Unterstützung der Finanzierung kleiner
Zwar handelt es sich bei den USA um eine größere Technologieunternehmen von öffentlicher Seite
Volkswirtschaft, sodass entsprechend beispielswei- verschiedene BMBF-Förderprogramme. Zudem
se zahlenmäßig mehr Investitionen getätigt wer- stand ab 1989 eine Stimulierung privater Kapital-
den. Dennoch betrug der durchschnittliche Inves- geber im Vordergrund. Instrument der Wahl war
titionsbetrag anfangs (1990) bereits das Doppelte statt direkter Zuwendungen die Schaffung von
und erreichte bis zur Jahrtausendwende das Sechs- Anreizen, risikotragendes Frühphasen-Kapital zu
bis fast Achtfache. Daran hat sich bis heute nicht investieren. Den für den Investor größten Heraus-
viel geändert. Auch bei der Zahl an Exits, sei es über forderungen, Refinanzierung und Ausfallrisiko,
den Verkauf der Beteiligung an andere Investoren wurde dabei folgendermaßen begegnet:
(z. B. Börsengang) oder Firmen, ergibt sich eine 55 Refinanzierungsmodell: Die staatliche Kre-
klare Vormachtstellung der USA (. Tab. 4.6). Man ditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gewährt
könnte nun argumentieren, dass allein die größere den Beteiligungsgebern, die eine Beteiligung
Zahl an Beteiligungen eine höhere Zahl an Exits an jungen Technologieunternehmen ein-
nach sich ziehen »muss«. gehen, eine anteilige Refinanzierung (bis zu
1,4 Mio. €) in Form zinsgünstiger und lang-
Exit fristiger Kredite.
»Geplanter Ausstieg von Private-Equity- oder 55 Koinvestormodell: Die Technologie-Be-
Venture-Capital-Gesellschaften aus einer teiligungs-Gesellschaft (tbg) der Deutschen
Beteiligungsanlage zur Realisierung einer Ausgleichsbank (seit 2003 zu KfW gehörend)
finanziellen Rendite« (Gabler Wirtschaftslexi- beteiligt sich, wenn auch ein privater Beteili-
kon Online, Exit). gungsgeber als Leadinvestor in mindestens der
gleichen Höhe beteiligt (bis zu 1,5 Mio. €) ist.
4.4 • Unternehmensgründung und -finanzierung als spezielle Herausforderung …
347 4

Einschätzung des deutschen Venture-Capital-Marktes, 1993


»Wenn es um eine Einschätzung des nehmer, unterscheiden sich grund- keit bringt Transparenz, Transparenz
deutschen Marktes geht, wird häufig legend von denen in Deutschland. bringt Investoren, und diese brin-
der direkte Vergleich zu den USA Ein Unternehmen wird nicht notwen- gen Geld, wenn man es braucht.
oder Großbritannien bemüht. Dabei digerweise als Lebenswerk oder für Unternehmer stehen VC viel offener
ist dieser Vergleich gerade zu den die Kinder gegründet, sondern damit gegenüber. In Deutschland ist dieses
USA irrelevant. Die VC-Branche in den verbindet sich das Verständnis einer Instrument und das Verständnis
USA ist viel älter, und die Rahmenbe- besonderen Ware, die man auch dafür trotz vielfältiger Aktivitäten auf
dingungen, auch im Sinne größerer verkaufen kann und sollte. Publicity diesem Gebiet nach wie vor wenig
Aufgeschlossenheit der Beteiligungs- ist kein Reizwort, denn Öffentlich- bekannt« (Frommann 1993).

Neuer Markt
Der Neue Markt war ein Segment Neuen Markt gelistet. Zwischen den einige Insolvenzen auftraten, platzte
der Deutschen Börse, das zwischen Jahren 1997 und 2000 existierte ein die gesamte Blase. Innerhalb weni-
den Jahren 1997 und 2003 existierte. regelrechter Hype auf die Aktien ger Monate fielen manche Aktien
Es zielte auf kleine, mittelständische des Neuen Marktes und ihre Werte des Neuen Marktes von über 100
und neu gegründete Unternehmen schossen in die Höhe. Vor allem auf unter 1 €. Im Jahr 2003 schloß
aus der Technologiebranche. Später Internet-Unternehmen wurden viel die Deutsche Börse das Neue-
kamen dann auch größere Unter- zu hoch bewertet und ihre Aktien- Markt-Segment und fasst Techno-
nehmen aus der IT-Branche hinzu. kurse spiegelten in keinem Verhält- logie-Unternehmen heutzutage im
Nahezu jedes deutsche Techno- nis mehr den eigentlichen Wert der TECDAX zusammen.
logieunternehmen war auf dem Gesellschaft wider. Nachdem dann

Mitte der 1990er-Jahre beklagten deutsche Betei- zu gestalten. Die Expertenkommission begrüßt
ligungskapitalgeber laut Kulicke und Wupperfeld insbesondere die Ankündigung der Bundes-
(1996) allerdings als Hauptproblem, dass das deut- regierung, die restriktive steuerrechtliche
sche Steuerrecht keine Begünstigung von Beteili- Regelung zur Behandlung von Verlustvorträ-
gungen für Innovationsfinanzierungen beinhalte gen zu überarbeiten. Von der verschiedent-
und sie in Bezug auf Steuervergünstigungen zum lich geforderten Einführung einer generellen
Beispiel von Immobilien oder bei Schiffsbeteiligun- Steuerpflicht auf Veräußerungsgewinne bei
gen sogar benachteiligt seien. Die Rahmenbedin- Streubesitzanteilen an Kapitalgesellschaften
gungen haben sich bis heute nicht geändert und sollte abgesehen werden. Ebenso sollte die
seien eine tragende Säule, um Risiko übernehmen Bundesregierung den Forderungen nach einer
zu können. Noch in ihrem jüngsten Gutachten vom Erhöhung der Besteuerung der Fonds-Initiato-
Januar 2015 schreibt die Expertenkommission For- renvergütung nicht nachgeben. Beides würde
schung und Innovation (EFI): Anreize für Investitionen in junge innovative
Unternehmen senken. Darüber hinaus müssen
»» Der Markt für Wagniskapital ist in Deutschland die Rahmenbedingungen für Ankerinvestoren
… deutlich weniger entwickelt als in den USA investitionsfreundlich ausgestaltet werden.
und in vielen Ländern Europas. Deutschland Neue Einschränkungen der Investitionsmög-
als innovationsbasierte Ökonomie vergibt so lichkeiten von Versicherungen und Versor-
Wachstums- und Produktivitätspotenziale. gungswerken in Wagniskapitalfonds sind zu
Vor diesem Hintergrund begrüßt die Exper- vermeiden. (EFI 2015)
tenkommission, dass die Bundesregierung
verschiedene Maßnahmen plant, um die Ferner war laut Kulicke und Wupperfeld (1996) ein
Rahmenbedingungen für Wagniskapital in wesentlicher Engpass zur Realisierung attraktiver
Deutschland international wettbewerbsfähig Renditen das Fehlen eines Börsensegments für den
348 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Deutsche Börse Venture Network


Das Deutsche Börse Venture Net- für junge Wachstumsunternehmen Wachstumsunternehmen können
work bringt junge und wachstums- in Deutschland leisten. Ziel ist, ihnen sich darüber hinaus auf der On-
starke Unternehmen mit interna- die Kapitalaufnahme - einschließlich line-Plattform unabhängig von den
tionalen Investoren zusammen, um eines möglichen Börsengangs - zu Einschätzungen der Investmentban-
ihnen eine effektive Finanzierung erleichtern. Die Wachstumsunter- ken und Intermediäre präsentieren.
ihres Wachstums zu ermöglichen nehmen qualifizieren sich nach Im Rahmen des Veranstaltungs- und
und ein umfassendes Netzwerk bestimmten Auswahlkriterien für Trainingsangebots erhalten Teilneh-
4 aufzubauen. Es handelt sich um
ein Programm der Deutschen
eine Teilnahme an dem Programm.
So müssen sich die Unternehmen
mer Zugang zu einem erweiterten
Multiplikatorenkreis bestehend aus
Börse, das eine nicht-öffentliche bereits in der sogenannten Growth-, Politikern, Mentoren und erfahrenen
Online-Plattform zur Anbahnung Later-Stage- oder Pre-IPO Phase Unternehmern. Im September 2015
von Finanzierungsrunden sowie befinden und erste unternehme- waren 40 Wachstumsunternehmen
verschiedene Trainings- und Net- rische Erfolge aufweisen. Zudem und 64 Investoren auf der Plattform
working-Veranstaltungen anbietet. werden bestimmte Kenngrößen wie aktiv. Zum Start im Juni 2015 waren
Die Deutsche Börse möchte über die z.B. Umsatz, Umsatzwachstum oder es 27 Unternehmen und 42 Inves-
neue Initiative einen Beitrag zur Ver- Jahresnettogewinn für eine Aufnah- toren. (Aus Deutsche Börse 2015a,
besserung der Rahmenbedingungen me auf der Plattform berücksichtigt. 2015b)

Handel mit Anteilen kleiner oder neuer Firmen. von 148 untersuchten Nationen belegt. Der
Dieser Punkt wurde zwar in den 1990er-Jahren Entwicklungsgrad des deutschen Kapital-
über den »Neuen Markt« (▶ Neuer Markt) ange- markts als Ganzes wird abgeschlagen auf Platz
packt, nach gut fünf Jahren schloss das neue Bör- 29 eingeordnet und der ‚Access to financing‘
sensegment allerdings im Jahr 2003 wieder. Zehn neben Arbeitsmarkt und Steuersystem als das
Jahre später – sicher auch unter dem Eindruck der ‚Effizienzproblem‘ der Volkswirtschaft her-
Entwicklungen am US-NASDAQ – kam der Ruf ausgearbeitet. Tatsächlich lebt die deutsche
nach einem »Neuen Markt 2.0« auf. Diesem Ruf Volkswirtschaft von den Unternehmen und
kam die Deutsche Börse mit der Einrichtung des Erfindungen der Gründerzeit, nirgendwo gibt
sogenannten Deutsche Börse Venture Networks es mehr so viele jahrhundertalte und so erfolg-
nach, die im Juni 2015 erfolgte (▶ Deutsche Börse reiche Unternehmen wie in der ‚Deutschland
Venture Network). AG‘« (Zinke und Kremoser 2014).
Indes bestehen auch heute noch Rahmenbedin-
gungen, die Deutschlands Kapitalmarkt in einzel- Zum Feld der Unternehmensgründungen gibt
nen Aspekten einen Entwicklungsgrad zuschrei- das jüngste EFI-Gutachten folgende Angaben, die
ben, der das Land in einem Ranking zwischen Ent- auf Berechnungen des Zentrums für Europäische
wicklungsländer in Lateinamerika und Afrika stellt. Wirtschaftsforschung (ZEW) beruhen:

»» Der Global Competitiveness Report 2013/2014 »» Im Jahr 2012 betrug die Gründungsrate in
des World Economic Forum listet Deutsch- Deutschland rund 8 Prozent und lag damit
land an Platz vier; das schafft wohlige Zufrie- deutlich unter der Gründungsrate von Groß-
denheit. Die Statistik beschreibt zwar einen britannien, das mit 11,8 Prozent den höchsten
positiven derzeitigen Status, zeigt aber auch Wert der hier betrachteten Länder aufwies.
eklatante Schwächen auf: Dringt man tiefer in Auch in der FuE-intensiven Industrie (4,4 Pro-
die 551 Seiten ein, so wird bei der Möglichkeit, zent) und in den wissensintensiven Dienst-
über die Börse Eigenkapital zu schöpfen, Platz leistungen (9,5 Prozent) lagen die Gründungs-
34 (nach Ghana), bei der Verfügbarkeit von raten Deutschlands deutlich unter denen des
Venture Capital Platz 33 (nach Bolivien) und Spitzenreiters Großbritannien (6,4 Prozent und
bei regulatorischer Unterstützung von Unter- 14,3 Prozent). (EFI 2015)
nehmensgründungen Platz 104 (nach Gabun),
4.5 • Deutschland versus USA
349 4

China, Korea und USA führend bei Spitzentechnologie-Patenten


»Patentaktivitäten im Bereich der Spezialisierung Deutschlands auf logie spezialisiert. Deutschland ist in
FuE-intensiven Technologien … hochwertige Technologie deutlich, diesem Bereich weiterhin schlecht
[umfassen] Industriebranchen, was durch seine traditionellen Stär- positioniert und bleibt hinter Japan
die mehr als 3 % ihres Umsatzes ken in der Automobilindustrie, dem und den europäischen Ländern
in FuE investieren (FuE-Intensität). Maschinenbau und der chemischen Frankreich und Großbritannien
… [Diese umfassen wiederum] die Industrie begründet ist. Lediglich zurück. Die Schweiz konnte im Jahr
Bereiche der hochwertigen Techno- Japan und die Schweiz verzeich- 2012 ihre Position im Bereich der
logie (FuE-Intensität zwischen 3 und nen eine stärkere Spezialisierung Spitzentechnologie verbessern und
9 %) sowie der Spitzentechnologie in diesem Bereich. Dagegen sind lässt nun Deutschland hinter sich«
(FuE-Intensität über 9 %). Im interna- China, Korea und die USA deutlich (EFI 2015).
tionalen Vergleich wird eine starke auf den Bereich der Spitzentechno-

Für Gründungen und die Sicherstellung der inter- Höhe staatlicher FuE-Ausgaben im Gesundheits-/
nationalen Wettbewerbsfähigkeit sind schließ- Biotech-Bereich, der Höhe durchschnittlicher VC-
lich auch Patente von entscheidender Bedeutung. Investitionen, der Zahl an PE-Investoren oder Bio-
Obwohl Deutschland insgesamt zu den weltweit tech-Gründungen beeindrucken die USA mit je-
führenden Nationen bei transnationalen Patentan- weils einem Vielfachen.
meldungen zählt, schwächelt es bei den FuE-inten- Wie bereits ausgeführt, stellen in Deutschland
siven Spitzentechnologien (7 China, Korea und USA vor allem Faktoren wie Steuergesetzgebung, Ka-
führend bei Spitzentechnologie-Patenten). pitalmarkt, Gründungsmentalität, aber auch der
Technologietransfer beziehungsweise die rasche
Umsetzung von Forschungsergebnissen in wirt-
4.5 Deutschland versus USA: ein schaftlich nutzbare Produktionsverfahren und
zusammenfassender Vergleich Produkte unterschiedliche und oft nachteilige Rah-
früher »biotech-relevanter« menbedingungen.
Rahmenbedingungen An dieser Stelle muss jedoch nochmals dar-
auf hingewiesen werden, dass es sich bei den USA
Die Entwicklung der jeweiligen Biotech-Industrien verglichen zu Deutschland um eine viel größere
in Deutschland und den USA wurden von den ent- Volkswirtschaft handelt (. Tab. 4.8). So schneidet
sprechenden vorherrschenden Rahmenbedingun- Deutschland bei wichtigen Eckdaten wie Einwoh-
gen wesentlich beeinflusst. 7 Abschnitt 2.1 zeigte nerzahl, Bruttosozialprodukt oder FuE-Ausgaben
diese bei der Entstehung der US-Biotech-Industrie jeweils mit rund einem Viertel bis einem Fünftel
(7 Abschn. 2.2) auf. Die 7 Abschn. 4.1, 4.2, 4.3 und 4.4 ab. Bei Vergleichen mit den USA muss dieses Ver-
widmeten sich vor allem der wissenschaftlichen, hältnis im Grunde immer berücksichtigt werden.
staatlichen und finanziellen Situation in Deutsch- Selbst unter Verwendung eines Korrekturfaktors
land. . Tab. 4.7 fasst die wesentlichen Eckpunkte von 20 bis 25 % zeigt . Tab. 4.7 allerdings eine we-
der Rahmenbedingungen als Grundlage für ein sentlich stärkere Stellung der USA bei den FuE-
besseres Verständnis der Entwicklung der jeweili- Ausgaben im Gesundheits-/Biotech-Bereich auf: In
gen Industrien vergleichend zusammen. den 1980er- und 1990er-Jahren lagen sie vom ab-
Es fallen vor allem große zeitliche Unterschiede soluten Betrag her immer noch um das Vier- bis
in wesentlichen Bereichen auf: Die wissenschaft- Fünffache höher. Sie stellten jeweils einen Anteil
liche Basis etablierte sich in Deutschland rund 30 von 11 bis 19 % der gesamten staatlichen FuE-Aus-
Jahre später, Ähnliches gilt für das Finanzierungs- gaben, in Deutschland waren es nur 4 bis 8 %.
umfeld. Beim Vergleich absoluter Daten wie der
350 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 4.7 Vergleich früher »biotech-relevanter« Rahmenbedingungen in den USA und Deutschland. (Quelle:
BioMedServices (2015))

USA Deutschland

Was Wann Detail Wann Detail

Wissenschaft- Ab 1920er Erste Institute für Genetik, 1950er/1960er Erste Institute für Genetik,
liche Basis Mikrobiologie, Bioverfahrens- Biochemie, Mikrobiologie
technik
4 1930er NIH, NCI (National Cancer 1960er DKFZ, GBF
Institute)

1950er/1960er Aufklärung Grundlagen der 1960er/1970er Erste Arbeiten in der


Molekularbiologie Molekularbiologie

Wissenschaft- Ab 1930er Private Stiftungen (Rockefeller), 1960er Volkswagen-Stiftung


liche Förderer NIH (Biomedizin) – Budget 1945: 1980er Bundes-Gesamt-FuE:
3 Mio. US$, 1965: 1 Mrd. US$, 5 Mrd. €
1980: 3,4 Mrd. US$ (3,2 Mrd. €)

Bundes-FuE- 1983 4,4 Mrd. US$ (11 %) – 5,7 Mrd. € 1983 248 Mio. € (4,3 %)
Ausgaben BT/ 1988 7,2 Mrd. US$ (13 %) – 6,4 Mrd. € 1988 390 Mio. € (5,8 %)
Gesundheita 1993 10,3 Mrd. US$ (15 %) – 8,8 Mrd. € 1993 589 Mio. € (6,9 %)
(% von allen) 1998 13,9 Mrd. US$ (19 %) – 11,9 Mrd. € 1998 632 Mio. € (7,6 %)

VC-Markt 1940/1950er Erste VC-Firmen und -Investi- 1975 VC-Versuche gescheitert


tionen, SBIC 1980er VC fast langsam Fuß, TOU
PE-Firmen: 687 PE-Firmen: 79
1995 VC/Investition: 3,1 Mio. € 1995 VC/Investition: 740.000 €

Gründung 1792 New York Stock Exchange 1540 Börse in Augsburg und
Aktienbörsen 1971 NASDAQ (National Association of Nürnberg
Securities Dealers Automated 1585 Frankfurt: Deutsche Börse
Quotations) – US-Technologie- 1997 Neuer Markt
börse

Gesetzesinitiati- 1980er Bayh-Dole Act (Universitäten 1970er 1. Biotech-Programm


ven/Programme fällt Recht auf Kommerzia- 1980er Ausbau BT-Förderung
lisierung zu), Stevenson-Wydler 1990er Erlass GenTG, weitere
Act (Einrichtung von Techno- BT-Förderung; kaum Tech-
logietransferstellen), ERTA nologietransfer; keine
(Steuererleichterungen für Steuererleichterungen
FuE, Kapitalertragssteuer auf für FuE
20 %), Gentechnik-Regularien
gelockert

Biotech-Grün- 1970er 192 1980er < 20


dungenb 1980er 770 1990er > 200

Etablierte 1980er Inhouse; im Land 1980er Erst Ausland, später


Inland

PE private equity, SBIC Small Business Investment Companies, TOU Förderung technologieorientierter Unternehmens-
gründungen, VC Venture-Capital
afür USA über 85 % an NIH, umfasst auch Biotech (BT), für Deutschland BT dazugerechnet, Daten von NSF (National Sci-

ence Foundation) und Bundesforschungsberichten; Umrechnung US$ in €, 1983: 1,3, 1988: 0,899, 1993: 0,846, 1995: 0,854
bnach Ernst & Young
4.6 • Frühe Bio- und Gentech-Aktivitäten der etablierten Industrie
351 4

. Tab. 4.8 Eckdaten der deutschen und US-amerikanischen Volkswirtschaft. (Quelle: BioMedServices (2015) nach
OECD-Daten, PPP-Dollar (PPP: purchasing power parity))

1983 1988 1993 1998 2010

Einwohnerzahl in USA 233,8 244,5 259,9 275,8 309,3


Millionen
Deutschland 61,4 61,5 80,6 82,0 81,8

D/USA (%) 26 25 31 30 26

Bruttosozialpro- USA 3507 5061 6614 8741 14.419


dukt (Mrd. PPP-$)
Deutschland 946 1247 1689 1983 3078

D/USA (%) 27 25 26 23 21

FuE-Ausgaben USA 90,4 134,2 166,1 226,9 408,7


(Staat und Indust-
Deutschland 21,2 31,4 38,4 45,2 86,3
rie, Mrd. PPP-$)
D/USA (%) 23 23 23 20 21

4.6 Frühe Bio- und Auch etablierte deutsche Chemie- und Pharma-
Gentech-Aktivitäten der Firmen starteten ein Engagement in der modernen
etablierten Industrie Biologie (. Tab. 4.9), allerdings mit unterschied-
licher Intensität sowie nicht immer in Deutschland.
Neben wissenschaftlichen, staatlichen und finan-
ziellen Faktoren spielte bei der Entstehung der US-
Biotech-Industrie auch das Engagement der etab- 4.6.1 Entwicklungen bei
lierten Industrie eine Rolle. ausgewählten
Chemie-Konzernen
»» The development of biotechnology in the
United States is unique from the standpoint
Die großen Chemie-Konzerne BASF, Bayer und
of the dynamics of the interrelationships bet-
Hoechst hatten auch eine starke Stellung im Phar-
ween NBFs [new biotechnology firms] and the
ma-Bereich, weil Arzneimittel im Gegensatz zu
large established U.S. companies, NBFs and
ganz früher, als Wirkstoffe oft noch aus Pflanzen
established U.S. companies not only compete
extrahiert worden waren, chemisch synthetisiert
with one another, but they also, through joint
wurden. Ihr Bezug zu biologischen Technologien
ventures of many kinds, complement one
war dadurch weitestgehend verloren gegangen oder
another’s skills. In addition to delaying a ‚sha-
wie Marschall (2000) es formuliert: »Die Konzen-
keout‘ among NBFs, joint ventures between
tration auf die chemische Synthese verstellte den
NBFs and established companies have allowed
Blick auf die Potentiale der Biotechnologie.« So
NBFs to concentrate on the research-intensive
ähnlich sehen das Wirtschaftshistoriker der Har-
stages of product development, the area in
vard University:
which they have an advantage in relation to
most established U.S. companies. (OTA 1984)
»» Both Bayer and Hoechst remained, however,
relatively slow until the 1980s in incorporating
Darüber hinaus investierten die etablierten Firmen the new learning in microbiology and enzy-
ab 1982 in eigene Biotech-FuE-Programme, was mology, in part because their universities had
gegenüber den »Fremdinvestitionen« im Grunde fallen behind those in America in developing
ein noch höheres Commitment abverlangte, da this new learning. They no longer enjoyed
neue Mitarbeiter eingestellt oder Labore errichtet their dominance in biological sciences as they
wurden. had before World War II. (Chandler 2005)
352 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 4.9 Ausgewählte Aktivitäten deutscher Chemie- und Pharma-Firmen in der modernen Biologie. (Quelle:
BioMedServices (2015))

Wann Was Wer

1947 Gründung eines bakteriologischen und virologischen Instituts Rentschler Arzneimittel

1957 Aufbau Mikrobiologie Schering

1963 Forschung zu Hühner-Interferonen Boehringer Ingelheim

4 1970er Gentechnische Insulinforschung, später aufgegeben Schering

1974 Bereich Biotechnologie und Beginn Interferon-Entwicklung Rentschler Arzneimittel

1977/1980 Einrichtung einer Gruppe Genetik/Abteilung für Molekularbiologie Boehringer Mannheim

1978 FuE-Projekt zur bakteriellen Produktion von menschlichem Insulin Hoechst

1979 Errichtung eines Biotechnikums Henkel

1981 Rekombinante Herstellung von Waschmittelenzymen Henkel

1981 Finanzierung (70 Mio. US$) des Instituts für Molekularbiologie am Hoechst
Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston

1981 Intensivierung der Forschung bei US-Tochter Miles und Zusammen- Bayer
arbeit mit Yale University; US-Tochter Cutter > < Genentech

1982 > < Genentech: rekombinante Urokinase Grünenthal

1983 > < Genex zur Entwicklung von Plasmaproteinen Schering

1983 Entwicklung von rekombinantem Faktor VIII unter Genentech-Lizenz Bayer

1984 Antrag zur Errichtung einer Produktionsanlage für die Herstellung Hoechst
von rekombinantem Humaninsulin

1985 Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien als Joint Boehringer Ingelheim
Venture mit Genentech

1985 Entwicklung von rekombinantem Erythropoietin (EPO) zusammen Boehringer Mannheim


mit dem US-Partner Genetics Institute

1986 Biotechnikum in Biberach (nach Investition von ca. 77 Mio. € heute Boehringer Ingelheim/
die größte Produktionsanlage für rBP aus Zellkulturen in Europa) Thomae (Tochterfirma)

1987 Zulassung Actilyse (1. bei Thomae/Boehringer Ingelheim biotech- Boehringer Ingelheim/
nisch hergestelltes Präparat zur Therapie des akuten Herzinfarkts) Thomae (Tochterfirma)

1988 Gentechnisches Forschungs- und Entwicklungszentrum in den USA BASF

1988 Eigenes Gentechnik-Labor in der Zentralen Forschung Hoechst

1990 Biotechnische Produktion des 100. Restriktionsenzyms, breites An- Boehringer Mannheim
gebot an anderen »Biochemica«; Zulassung Recormon (rhEPO)

1990 Genehmigung Produktionsanlage für rekombinante Saruplase Grünenthal

1993 Kogenate (rekombinanter Faktor VIII) kommt auf den Markt Bayer

1997 Gründung Abteilung Molekularbiologie in Düsseldorf Henkel

1999 Gründung BASF PlantScience: Pflanzenbiotechnologie BASF

> < : kooperiert mit, rBP: rekombinante Biopharmazeutika


4.6 • Frühe Bio- und Gentech-Aktivitäten der etablierten Industrie
353 4

Hoechsts Gründe, mit dem MGH zu kooperieren


« The German research ministry first establish tight links with academic scientists to closely cooperate with
heard about the agreement from the research in the United States. Mo- industry, the bureaucratic obstacles
American newspapers and therefore reover, such a commitment would hindering close university-industry
asked Hoechst for background infor- not have been possible in Germany cooperation, and the insecurities
mation. The company explained that because of the low number of highly concerning the pending enactment
the rapid development of genetic skilled research groups, a common of a genetic engineering law« (Wie-
engineering made it essential to lack of willingness among German land 2007).

4.6.1.1 Hoechst AG (heute Sanofi) Laut Wieland (2007) (7 Hoechsts Gründe, mit dem
Hoechst hat im Oktober des Jahres 1923 als erstes MGH zu kooperieren) hatten zu diesem Zeitpunkt
Unternehmen Insulin in Deutschland als Medika- die deutschen Hochschulen selbst noch Aufholbe-
ment zur Behandlung der Zuckerkrankheit (Dia- darf, was Molekularbiologie und Gentechnik betraf
betes mellitus) eingeführt. Zu dem Zeitpunkt und (7 Abschn. 4.1.2). Im damaligen deutschen For-
für fast 60 weitere Jahre war es ein Pankreas-Prä- schungsministerium löste die Entscheidung von
parat. 1978 startete Hoechst dann ein FuE-Projekt Hoechst Befürchtungen aus, dass weitere Firmen
zur bakteriellen Produktion von menschlichem diesem Beispiel folgen könnten. Daraufhin begann
Insulin, was sogar mit Fördergeldern unterstützt in Deutschland die Etablierung von Genzentren an
wurde (Wieland 2007). Im Jahr darauf entwickelte ausgewählten Universitäten (7 Abschn. 4.3.2).
die Gesellschaft ein eigenes Herstellungsverfahren
und errichtete eine Biosynthese-Anlage für die »» It is difficult to predict what effect the Ho-
Produktion. Ein anderes frühes Projekt fokussier- echst-MGH agreement will have on the
te auf Interferon. Laut Wieland (2007) sollte nach German firm’s long-term competitiveness in
erfolgreichem Abschluss der Pilotprojekte die Ent- biotechnology. Skeptics point out that Ho-
scheidung über ein »richtiges« Engagement in der echst’s investment in MGH does not purchase
Gentechnik folgen. product-oriented research. Moreover, even a
Ziemlich plötzlich kam dann im Mai 1981 das large university department under the guidan-
in 7 Abschn. 4.3.2 bereits angesprochene »Hoechst- ce of a highly talented scientist may not be
Signal«: Die Entscheidung, eine große Summe in able to match the diversity and potential for
den USA zu investieren, um auf den neuesten Stand generating commercially interesting results of
der Technik zu kommen. Dass nicht versucht wur- successful start-up firms like Genentech, Cetus
de, hierzulande zu investieren, gefiel vielen nicht: or Biogen. (Jasanoff 1985)

»» Hoechst … signed a 10-year, $70 million con- Gerade die kleinen US-Biotech-Startups waren in
tract with Massachusetts General Hospital der Umsetzung der Grundlagenforschung sehr er-
to support work in molecular biology. Ho- folgreich. So sagten im September 1979 Experten
echst, criticized in Germany for a breach of auf einer Gentechnik-Konferenz in den USA vor-
faith with national science and in the United aus, dass es wohl noch drei Jahre dauern werde, ehe
States for the appropriation of U.S. techno- man manipulierte Bakterien dazu bringen könne,
logy, apparently entered into this agreement die antivirale Wirksubstanz Interferon zu produ-
with the objectives of getting a ‚window on zieren. Nur vier Monate später gab das Forschungs-
the technology‘ and gaining access to a large, unternehmen Biogen in Boston bekannt, dass ihm
state-of-the-art laboratory in which to train its die gentechnische Herstellung von Interferon im
scientists. (OTA 1984) Labormaßstab gelungen sei (Gehrmann 1983). Und
auch das Humaninsulin wurde im Eiltempo ent-
wickelt: Nachdem 1978 die erstmalige Produktion
354 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

in Escherichia coli gelang, kam es vier Jahre später, »» Weil es sich um eine Abwägung der Grund-
also 1982, auf den Markt. Für Hoechst – als Insulin- rechte auf Leben und körperliche Unversehrt-
lieferant – war die Zulassung des ersten bakteriell heit …, Forschungsfreiheit … , Berufs- und
produzierten menschlichen Insulins sicher eine Gewerbefreiheit … sowie dem Recht am ein-
Herausforderung. Zwar hatten sie selbst auch im gerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
Jahr 1982 die Zulassung für humanes Insulin be- … handelt, kamen die Richter zu dem Schluss,
kommen, dies wurde allerdings technisch aufwen- ‚dass Anlagen, in denen mit gentechnischen
dig aus Schweine-Insulin gewonnen. Methoden gearbeitet wird, nur aufgrund einer
4 Hoechst selbst entschied sich dann aber auch ausdrücklichen Zulassung durch den Gesetz-
für Investitionen im eigenen Lande, denn die Firma geber errichtet und betrieben werden dürfen‘.
wollte gentechnisch hergestelltes Humaninsulin (Hoffmann und Hupe 1989)
auf ihrem Firmengelände in Höchst bei Frankfurt
produzieren. Das Projekt entwickelte sich wie folgt: 55 1990: Nach Erlass des Gentechnik-Gesetzes
55 September 1984: Antrag zur Errichtung einer erfolgte Genehmigung unter den zuletzt bean-
Produktionsanlage für die Herstellung von tragten höheren Sicherheitsauflagen; Hoechst
rekombinantem Humaninsulin; nahm die Versuchsanlage nicht in Betrieb,
55 Juni 1985: Erteilung der Genehmigung zum sondern beantragte eine Genehmigung unter
Betrieb der biotechnologischen Teilanlage den ursprünglich vorgesehenen, geringeren
(»Fermtec«, Produktion einer Insulin-Vorstu- Sicherheitsauflagen, was positiv beschieden
fe) ohne Beteiligung der Öffentlichkeit; wurde; erneuter Widerspruch hatte eine auf-
55 August 1986: Antrag auf Betrieb der Teilanlage schiebende Wirkung der Genehmigung sowie
»Insultec« (Umwandlung Vorstufe in Endpro- ein neuerliches Verfahren zur Folge;
dukt); 55 1993: Hoechst verzichtet auf den Betrieb unter
55 Oktober 1987: Erteilung der Genehmigung geringeren Sicherheitsauflagen und nimmt den
zum Betrieb der Aufarbeitungsanlage (»Chem- genehmigten Versuchsbetrieb unter höheren
tec«); Sicherheitsauflagen auf;
55 1987: Aussetzung der Genehmigungen auf- 55 1994: Genehmigung für den Betrieb der bio-
grund von Widersprüchen durch mehrere technischen Produktion von Humaninsulin;
Hundert Nachbarn, Beantragung einer Geneh- 55 1996: Zulassung des biosynthetisch hergestell-
migung unter höheren Sicherheitsauflagen; ten Humaninsulins;
55 Juli 1988: Regierungspräsidium in Darmstadt 55 1998: offizielle Inbetriebnahme der biosynthe-
ordnet Sofortvollzug an; die bereits erteilten tischen Insulinherstellung;
Genehmigungen treten wieder in Kraft, zu- 55 2000: Zulassung des ersten rekombinanten
sätzlich wird die Insultec-Teilanlage genehmigt 24-Stunden-Insulinanalogons Insulin glargin
(alle befristet auf zwei Jahre als Versuchsanla- (Lantus).
gen); die Widersprüche werden als unbegrün-
det eingestuft; Die deutschen Rahmenbedingungen haben Ho-
55 September 1988: Novelle Bundes-Immissions- echst also fast 15 Jahre gekostet (von 1984 bis
schutzgesetz (BImSchG; Anlagen, in denen 1998), bis schließlich eine offizielle Inbetriebnah-
mit biologisch aktiven rekombinanten Nukle- me der biosynthetischen Insulinherstellung erfol-
insäuren gearbeitet wird – sofern diese nicht gen konnte. Das Unternehmen hat allerdings in
ausschließlich Forschungszwecken dienen – der Zeit »nicht geschlafen« und als zweite Firma
unterliegen einer Genehmigungspflicht unter nach Novo ein lang wirkendes Humaninsulin ent-
Beteiligung der Öffentlichkeit); wickelt, welches im Jahr 2000 auf den Markt kam.
55 November 1989: Hessischer Verwaltungsge- Heute ist Hoechst bzw. sein Nachfolger Aventis, der
richtshof in Kassel stoppt Weiterbau der Insulin- im Jahr 2004 mit der französischen Sanofi fusio-
Produktionsanlage mit der Begründung, dass nierte, mit Lantus Marktführer unter den Diabe-
ausreichende gesetzliche Grundlagen fehlen: tes-Präparaten. Mit einem weltweiten Umsatz von
4.6 • Frühe Bio- und Gentech-Aktivitäten der etablierten Industrie
355 4
8,4 Mrd. US$ (6,3 Mrd. €) im Jahr 2014 lag das ties in that field. Bayer did not introduce its first
Medikament hinter Humira, Remicade und Enbrel biotechnology drug until 1993. (Chandler 2005)
auf Rang 4 der nach Umsatz führenden Biologika.
Das 1982 auf den Markt gekommene Humaninsu- Bayer hatte sich durch sein frühes US-Engagement,
lin, welches von Genentech entwickelt und von Lil- das heißt die Übernahme der Cutter Laboratories im
ly vertrieben wurde, spielt heutzutage keine Rolle Jahr 1968 und der Miles Laboratories im Jahr 1979
mehr auf dem Markt, weil es die lang wirkenden nicht nur ein Standbein in den USA, sondern auch
Insuline gibt, die mittels gentechnischer Verfah- weiteres biologisches Know-how verschafft. Cutter
ren weiter optimiert wurden. Sie weisen eine im produzierte Polio-Vakzine und isolierte den Blut-
Vergleich zum Humaninsulin leicht abweichende faktor VIII aus Blutserum. Miles war ein Marktfüh-
Proteinsequenz auf und werden daher auch als In- rer bei der Zitronensäure-Fermentation, stellte aber
sulinanaloga bezeichnet. auch Alka-Seltzer, Vitamintabletten sowie Glukose-
Eine Tochter der Hoechst AG, die Behringwer- Teststreifen her. Nachdem es 1983 Probleme mit ver-
ke in Marburg, bemühte sich in den 1980er-Jahren unreinigtem, isoliertem Faktor VIII gab, entschied
um die Produktion von rekombinantem Erythro- sich Bayer für eine Entwicklung von rekombinan-
poietin (EPO). Mit dem Fehlen eines Gesetzes be- tem Faktor VIII unter einer Lizenz von Genentech.
gründete das hessische Umweltministerium unter
der damaligen Führung des GRÜNEN-Politikers »» Ohne ein Wort darüber zu verlieren, ohne
Fischer allerdings ebenfalls die Nicht-Genehmi- lauthalse Kritik an vermeintlich restriktiven
gung einer gentechnischen Anlage. EPO, ein kör- Bedingungen in der Bundesrepublik, hat der
pereigener Wachstumsfaktor für die Bildung roter Leverkusener Konzern im kalifornischen Ber-
Blutkörperchen (Erythrozyten) zur Behandlung keley mit dem Bau einer Genfabrik begonnen,
der Blutarmut bei Dialyse-Patienten, brachte erst- die schon 1990 das Bluterpräparat Faktor VIII
mals 1989 die im Jahr 1980 neu gegründete Am- und später auch andere Arzneien herstellen
gen auf den US-Markt. Sie wuchs mit dem Verkauf soll. (Gehrmann 1988)
dieses Produktes zu einer etablierten Gesellschaft
heran. Kogenate, so der Markenname, kam zehn Jahre da-
nach, also 1993 auf den Markt und befindet sich
4.6.1.2 Bayer mit einem weltweiten Umsatz von 1,5 Mrd. US$ auf
Der frühere Chemie-Konzern Bayer beschloss im Rang 25 aller Biologika.
Jahr 2003 das Chemie- und Teile des Polymerge- Um auch in Zukunft Hämophilie-Patienten
schäfts abzuspalten, wodurch 2005 das eigenstän- therapeutische Lösungen anbieten zu können,
dige Unternehmen Lanxess entstand. Gleichzeitig schloss Bayer im Juni 2014 eine Kooperation mit
fokussierte sich Bayer auf die Bereiche Pharma und dem 2013 gegründeten US-Biotech-Unternehmen
Pflanzenschutz. Dimension Therapeutics. Ziel ist die Entwicklung
Ab den frühen 1980er-Jahren engagierte sich einer Faktor-VIII-Gentherapie, die sich allerdings
auch Bayer in der neuen Biotechnologie, allerdings erst im präklinischen Stadium befindet. Nach
zunächst über seine US-Töchter Cutter und Miles Rückschlägen, die der weiteren Entwicklung von
Laboratories, die wiederum ein Netzwerk zu Uni- Gentherapien anfangs Einhalt geboten, ermöglicht
versitäten und kleinen Firmen pflegten. Nach fünf der technische Fortschritt heutzutage wieder die
Jahren »Lernphase« entschied das Management: Hoffnung darauf, Patienten mit der Bluterkrank-
heit kausal zu behandeln.
»» By 1986 Bayer’s management considered the Die Zusammenarbeit mit einem anderen
learning period completed and concluded that
US-Biotech-Unternehmen, nämlich Regeneron,
‚even if biotechnology were not in the short
beschert Bayer weitere Biologika-Umsätze: Im
run going to lead to profitable products, it had
Jahr 2014 setzte die Lucentis-Konkurrenz Eylea
become an essential tool for drug design‘, and
759 Mio. € um; dabei handelt es sich um ein Fu-
thus the enterprise should maintain capabili-
sionsprotein zur Behandlung der altersbedingten
356 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

Gentechnologie bei Schering in Berlin


»Allgemein wird von Schering an- vom Laborexperiment bis zum Hälfte absetzen könne. Zwar erleich-
gegeben, dass bis ca. 1982 lediglich marktfähigen Arzneimittel werde tere das Kriterium ‚körperidentisch‘
eine sehr kleine Gruppe in der häufig unterschätzt, auf bestimmten die Zulassung beim Bundesgesund-
gentechnologischen Forschung Märkten sei die Konkurrenz zu groß. heitsamt, so Asmis weiter, anderer-
tätig gewesen sei, die die ‚Rolle Asmis, ein Mitglied des Vorstands, seits könne der Stoff nicht patentiert
eines aktiven Beobachters‘ auf erklärte 1986, ‚dass man sich nicht werden, weil er eben körperiden-
diesem Forschungsgebiet gespielt als relativ kleiner Fisch im Biotech- tisch und keine Erfindung sei. Hier
4 habe. Die gentechnische Abteilung
übernehme auch Servicefunktion
nologie-Teich auf dem Gebiet der
Naturstoffe tummeln wolle, wo sich
wolle man noch weiterforschen, um
bei einer ‚zweiten Generation‘ dieser
für die anderen Abteilungen, indem viel stärkere Firmen engagierten‘. Stoffe (z. B. von TPA) einzusteigen,
sie ihnen bei der molekularbiologi- Schering verweist hier auch gerne die gegenüber dem körpereigenen
schen Aufklärung von Regulations- auf die Verkaufsstatistiken der Firma Protein verbesserte Wirkungen
vorgängen im Stoffwechsel helfe. Genentech, die in Zusammenarbeit aufwiese; dann sei nämlich auch der
Der biotechnologischen Euphorie mit Thomae diesen Stoff auf den Stoff und nicht nur das Herstellungs-
sei man zunächst mit einer gewissen bundesdeutschen Markt gebracht verfahren patentierbar« (Gill 1991).
Skepsis begegnet: Die Entwicklung habe und ihre Produktion nur zur

Makuladegeneration, für den Bayer die europäi- sein neues Genzentrum nicht in Ludwigshafen,
schen Rechte einlizenziert hat. Das entsprach sondern im US-amerikanischen Boston. 1999
einem Plus von rund 130 % im Vergleich zum Vor- gründete der Chemie-Konzern allerdings die BASF
jahresumsatz, der sich auf 333 Mio. € belief. Plant Science, die Forschung auf dem Gebiet der
Über den Zukauf von Schering kam im Jahr Pflanzenbiotechnologie betrieb und zum Ziel hatte,
2006 weiteres Bio-Know-how sowie ein auf dem gentechnisch verändertes Saatgut zu entwickeln. Es
Markt befindliches Biologikum in das Bayer-Port- ging vor allem darum, die Leistungsfähigkeit von
folio: das Multiple-Sklerose-Mittel Betaferon/Beta- Pflanzen zu erhöhen sowie die Möglichkeiten der
seron, das Schering über seine 1979 gegründete US- Nutzung von Pflanzen als nachwachsender Roh-
Tochter Berlex Laboratories gemeinsam mit dem stoff zu erweitern. Die Unternehmenszentrale wur-
US-Biotech-Unternehmen Chiron entwickelte. Das de in Limburgerhof bei Ludwigshafen errichtet, ein
rekombinante Interferon erhielt 1993 und 1995 die weiterer Standort befand sich im Research Triangle
Zulassung in den USA und Deutschland. Es war Park in North Carolina. 2012 entschied die BASF
das erste Biologikum für diese Indikation. Noch sämtliche Forschung in den USA zu konzentrieren.
heute setzt Bayer damit über 800 Mio. € um, wobei Am Ludwigshafener Standort wurde zudem in
der Umsatz gegenüber 2013 (1038 Mio. €) gesun- der Tochterfirma Knoll die Entwicklung von Hu-
ken ist. In Deutschland selbst war Schering anfangs mira angestoßen, dem heute topplatzierten Biolo-
auch sehr zögerlich gewesen wie Gill (1991) darlegt gikum nach Umsatz weltweit. Der Wirkstoff, ein
(7 Gentechnologie bei Schering in Berlin). Anti-TNF-Antikörper stammte allerdings vom
britischen Biotech-Partner Cambridge Antibo-
4.6.1.3 BASF dy Technologies (CAT), den AstraZeneca im Jahr
Die Novellierung des Bundes-Immissionsschutz- 2006 übernahm. Im Zuge der 2001 erfolgten Über-
gesetzes betraf ebenfalls die BASF, die noch im nahme von Knoll durch die heutige AbbVie (Wert:
Frühsommer 1988 die Baugenehmigung für ein ~7 Mrd. US$) gelang der Blockbuster dann in deren
65 Mio. € teures gentechnisches Forschungs- und Portfolio. Nach dem Verkauf der Knoll und damit
Entwicklungszentrum in Ludwigshafen bekom- dem Verkauf ihrer Pharma-Aktivitäten fokussierte
men hatte. Gehrmann (1988) zitiert dazu den da- sich die BASF ausschließlich auf den chemischen
maligen BASF-Vorstand Paetzke: »Da hat es uns Sektor und die Pflanzenbiotechnologie. Seit Jüngs-
gereicht.« Der Chemiekonzern baute daraufhin tem setzt die BASF auch auf Enzymtechnologien.
4.6 • Frühe Bio- und Gentech-Aktivitäten der etablierten Industrie
357 4

Weiße Biotechnologie bei Henkel


»Alle Fragen der Ethik in Zusam- wir uns auf ein Teilgebiet der Bio- schirrspülmittel eingesetzt. Schon
menhang mit Biotechnologie und technologie: die Weiße Biotechno- bei der Herstellung ist die Ökobilanz
Gentechnik behandelt Henkel mit logie (industrielle Biotechnologie), dieser Enzyme im Vergleich zu klas-
hoher Aufmerksamkeit und großem bei der keine bestimmungsgemäße sisch produzierten Enzymen deut-
Ernst. Das Arbeitsfeld von Henkel ist Freisetzung von Mikroorganismen lich günstiger. Das gilt sowohl für
jedoch sehr weit entfernt von den erfolgt. Unter dieser wird die An- den Kohlendioxidausstoß als auch
Bereichen der Gentechnik, die in der wendung von Technologie an leben- die Abwasserbelastung und den
Öffentlichkeit insbesondere auf- den Organismen, deren Teilen sowie Energieverbrauch. Unsere Forscher
grund von Ethikfragen häufig kri- Produkten von ihnen verstanden. und Produktentwickler arbeiten da-
tisch diskutiert werden. Wir nutzen Die moderne Biotechnologie ist vor her mit Rohstoffherstellern zusam-
die Möglichkeiten von Bio- und Gen- allem dadurch gekennzeichnet, dass men, die ausgewählte Inhaltsstoffe
technologie dann, wenn damit ein sie die Methoden der Molekularbio- für Wasch- und Reinigungsmittel
ökologischer Mehrwert, ein höherer logie gezielt nutzt. Unter anderem mithilfe Weißer Biotechnologie
Nutzen für die Verbraucher und wird die Weiße Biotechnologie bei produzieren« (Henkel 2015).
ökonomische Vorteile für Henkel der Produktion von Enzymen für
verbunden sind. Dabei beschränken Waschmittel und maschinelle Ge-

4.6.1.4 Henkel Produktionsgesellschaft. Sie nahm die fermentative


Die Düsseldorfer Henkel KGaA, 1876 noch als Produktion gentechnisch optimierter Waschmittel-
Waschmittelbetrieb gegründet, entwickelte sich ab enzyme auf.
der Markteinführung von Persil (eine Wortschöp- 1997 folgte der Aufbau einer Abteilung Mole-
fung aus den beiden anfangs wichtigsten chemi- kularbiologie in Düsseldorf-Holthausen. Seit 1998
schen Bestandteilen Perborat und Silikat) im Jahre kooperiert Henkel im Bereich Waschmittelenzym-
1907 zu einem international tätigen Chemiekon- systeme mit der Zwingenberger BRAIN AG und
zern. 2001 wurden angesichts eines breiten Portfo- nutzt hierfür deren proprietäres BioArchiv. 2005
lios, das von modernen Alltagsprodukten für Ver- kam eine Zusammenarbeit für die Entwicklung
braucher bis zu komplexen chemisch-technischen neuartiger, im Tieftemperaturbereich aktiver Pro-
Systemlösungen für Industriekunden reichte, Mar- tein-abbauender Enzyme (Proteasen) aus nicht
kenartikel und Technologien als strategische Säu- kultivierten Mikroorganismen hinzu. Noch zuvor,
len für die Zukunft bestimmt. im Jahr 2001, gründete Henkel gemeinsam mit der
Mit der Biologie setzte sich das Unternehmen Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt
erstmals 1937 auseinander, als es ein mikrobiologi- am Main und einer Gruppe von Professoren die
sches Laboratorium errichtete. 1943 folgte die Ein- biotechnologische Forschungsgesellschaft Phenion.
führung eines Verfahrens zur biotechnologischen Für seine Endverbraucher-Kunden gibt Henkel
Fettgewinnung aus Fusarien-Stämmen (Pilze). auf seiner Webseite an, dass alle Fragen der Ethik
1968 gründete sich die Fachabteilung Biosynthese, in Zusammenhang mit Biotechnologie und Gen-
Vorläufer der späteren Biotechnologie. Im selben technik mit hoher Aufmerksamkeit und großem
Jahr setzte Henkel erstmals den Wasch- und Reini- Ernst behandelt werden (7 Weiße Biotechnologie
gungsmitteln proteolytische Enzyme bei. 1979 wird bei Henkel).
ein neu gebautes Biotechnikum eröffnet. Durch in-
terne Forschung und Kooperationen gelang dann
1981 die Herstellung rekombinanter Enzyme, die in 4.6.2 Bio- und Gentechnologie bei
ihren Waschleistungen optimiert waren (Schmid ausgewählten Pharma-Firmen
2007). 1984 gründete Henkel im österreichischen
Kundl zusammen mit einer Tochterfirma der San- Auf die ganz frühen, klassisch biotechnologischen
doz-Gruppe ein Joint Venture namens Biozym- Aktivitäten bei Schering wurde in 7 Abschn. 2.3
358 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

bereits eingegangen. Der spätere Einstieg in mit Genentech: das Forschungsinstitut für Mole-
die Gentechnik findet sich zuvor unter »Bay- kulare Pathologie (IMP) in Wien. 1986 nahm bei
er«. 7 Abschnitt 2.3 führte auch schon in die Ge- der Tochterfirma Thomae im baden-württembergi-
schichte von Boehringer Mannheim und Boehrin- schen Biberach ein Biotechnikum den Betrieb auf.
ger Ingelheim ein. Nachfolgend finden sich deren 1987 folgte die Zulassung von Actilyse, dem ersten
Aktivitäten in der modernen Biotechnologie. bei Thomae/BI biotechnisch hergestellten rekom-
binanten Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tissue-
4.6.2.1 Boehringer Mannheim type plasminogen activator, TPA) zur Therapie des
4 Boehringer Mannheim war in den 1960er-Jahren akuten Herzinfarkts. Auch im Hinterland von Ba-
noch ein Mittelständler mit 50 Mio. DM Umsatz. den-Württemberg waren somit gentechnische Ak-
Unter der Führung von Curt Engelhorn wuchs das tivitäten möglich gewesen.
Unternehmen innerhalb von 30 Jahren zu einem 1993 ging dann das IMP in Wien in den al-
global tätigen Diagnostika- und Pharma-Konzern leinigen Besitz von Boehringer Ingelheim über.
mit über 7 Mrd. DM Umsatz heran (Zehle 2007). Ebenfalls in Wien gründete sich 1999 das Institut
Dazu beigetragen haben sicherlich die frühen Ak- für Molekulare Biotechnologie (IMBA) auf Basis
tivitäten in der Molekularbiologie und Gentechnik. einer gemeinsamen Initiative von Boehringer In-
1980 gründete sich die Abteilung Molekularbiologie gelheim und der Österreichischen Akademie der
in Tutzing, die später nach Penzberg verlagert wur- Wissenschaften. Im Jahr 2000 ließ die europäische
de. 1985 startete die Entwicklung von rekombinan- Arzneimittelbehörde dann ein weiter modifiziertes
tem Epoetin alfa zusammen mit dem US-Partner rekombinantes TPA zu, die Tenecteplase mit dem
Genetics Institute, welches dann 1990 unter dem Handelsnamen Metalyse. 2003 investierte Boehrin-
Markennamen Recormon auf den Markt kam. Im ger Ingelheim mehr als 255 Mio. € in den Ausbau
Münchener Hinterland waren die Bedingungen für der biopharmazeutischen Wirkstoffherstellung in
gentechnische Forschung und Entwicklung andere Biberach, die bis dahin größte Einzelinvestition in
gewesen als im städtischen Umkreis von Frankfurt der Geschichte des Unternehmens. Aufgrund die-
(für die frühere Hoechst). Das Land Bayern hat die ser Investition entwickelte sich die Gesellschaft zu
Bedeutung der modernen Biotechnologie bereits einem der weltweit größten biopharmazeutischen
früh erkannt und ihre Entwicklung stets gefördert. Auftragsproduzenten.
1997 folgte für Boehringer Mannheim noch die Zu- Heute ist Boehringer Ingelheim das größte for-
lassung eines rekombinanten Epoetins beta (Neo- schende Pharma-Unternehmen in Familienbesitz
recormon). und gehört mit weltweit 13 Mrd. € Umsatz zu den
Im selben Jahr übernahm die schweizerische 20 Branchenführern. Fast 15.000 von insgesamt
Roche Boehringer Mannheim für 11 Mrd. US$ – 48.000 Mitarbeitern sind am Standort Deutschland
die bis dahin größte Firmenübernahme Europas. In beschäftigt. In den letzten Jahren zugelassene Pro-
Deutschland ist Roche heute somit an den Stand- dukte waren durchgängig Kinase-Inhibitoren, also
orten Penzberg und Mannheim vertreten. kleine Moleküle.
Den frühen Biologika ist bis heute kein weite-
4.6.2.2 Boehringer Ingelheim res Biotech-Produkt gefolgt, allerdings schloss BI
Boehringer Ingelheim (BI) erwirtschaftete in den großvolumige Kooperationen mit Biotech-Unter-
1960er-Jahren mit 9300 Mitarbeitern weltweit be- nehmen ab:
reits einen Umsatz von 543 Mio. DM. Auf Basis der 55 2007 mit der belgischen Ablynx: mehr als
chemischen Synthese entwickelte sie sich zu einem 1 Mrd. € für die gemeinsame Entwicklung von
bedeutenden pharmazeutischen Unternehmen. Im Medikamenten auf Basis der Nanobody-Tech-
Jahr 1971 lag Boehringer Ingelheim nach Hoechst nologie;
und Bayer auf dem dritten Platz der deutschen 55 2010 mit der österreichischen f-star Biotechno-
Rangliste der größten Arzneimittelhersteller und logy: bis zu 1 Mrd. € für neue therapeutische
befand sich unter den Top-25-Pharmaproduzenten Antikörper und Antikörperfragmente;
weltweit. 1985 startete die Firma ein Joint Venture
4.6 • Frühe Bio- und Gentech-Aktivitäten der etablierten Industrie
359 4
55 2010 mit der US-amerikanischen Macroge- Frankfurt eine eigene pharmazeutische Fabrika-
nics: bis zu 2,16 Mrd. US$ für die gemeinsame tion. Die 1930er-Jahre waren durch rapides Wachs-
Entwicklung von Antikörpern auf Basis der tum geprägt. Niederlassungen entstanden in Ber-
DART-Technologie; lin, Wien, Zürich, London und Newark, USA. 1964
55 2014 mit der deutschen CureVac: bis zu brachte das Unternehmen die berühmten Merz
430 Mio. € für die Entwicklung eines thera- Spezial Dragees auf den Markt, bestehend aus 18
peutischen Impfstoffes zur Behandlung des Wirkstoffen und einem besonderen Hefeextrakt für
Lungenkarzinoms. Haut und Nägel – die erste Berührung mit der Bio-
logie. 2005 folgte als Biotech-Produkt eine nächste
4.6.2.3 Merck Generation an hochreinem Botulinumtoxin, einem
Die deutsche Merck gilt als das älteste pharmazeu- Präparat zur Behandlung von chronischen Bewe-
tisch-chemische Unternehmen der Welt. Ausfüh- gungsstörungen durch unwillkürliche Muskelver-
rungen zur frühen Geschichte und den Aktivitä- spannungen. Das Medikament, das unter den Han-
ten in der klassischen Biotechnologie finden sich delsnamen Xeomin vertrieben wird, stammt ur-
in 7 Abschn. 2.3.1. Wann genau der Einstieg in die sprünglich von dem Potsdamer Biotech-Unterneh-
Molekularbiologie erfolgte, lässt sich nach öffent- men Biotecon Therapeutics. In Kooperation mit
lichen Quellen nicht ganz ausmachen. Mitte der Merz erfolgte eine gemeinsame Entwicklung bis
1980er-Jahre wurden Grundlagen für die eigene zur Phase II, ab Phase III übernahm dann das Phar-
Onkologieforschung gelegt. 1990 begann Merck ma-Unternehmen allein. Neben der Therapie von
eine Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen neurologischen Erkrankungen werden Botulinum-
ImClone Systems: Anfangs ging es um Krebs-Impf- toxine auch bei der Behandlung von übermäßigem
stoffe, ab 1998 um den Krebs-Antikörper Cetuxi- Schwitzen und in der Kosmetik zur Beseitigung
mab (Erbitux). Dessen Zulassung erfolgte im Jahr von Falten eingesetzt. Es handelt sich allerdings
2004, wobei Merck die europäischen Rechte erhielt. um ein nicht-rekombinantes Biopharmazeutikum,
1995 und 1996 schloss die Firma zudem Koopera- das durch Fermentation von Clostridium botulinum
tionen mit den US-Biotech-Unternehmen Medarex Serotyp A gewonnen wird. Seit 2008 operiert die
(Krebs-Antikörper) und Human Genome Sciences. BIOTECON Therapeutics als Tochterunternehmen
2006 folgte der Versuch der Übernahme von Sche- von Merz, die zudem FuE-Aktivitäten im Frank-
ring, die sich letztlich jedoch von Bayer kaufen ließ. furter Innovationszentrum für Biotechnologie
Merck übernahm daraufhin die Schweizer Biotech- durchführt.
Gesellschaft Serono, die bereits seit 1989 rekom-
binante Biopharmazeutika auf dem Markt anbot 4.6.2.5 Pharma und Biosimilars
(Wachstums- und Fertilitätshormone, Interferon). Mehrere deutsche Pharma-Firmen sind bereits
Gut 10 Mrd. € bezahlte Merck, die Transaktion früh auf den Zug der Biosimilars aufgesprungen.
zählt zu den fünf größten im Biotech-Sektor. Heu- So war dies Hexal, die bereits 1998 eigene FuE-Pro-
te erforscht, entwickelt, produziert und vermarktet jekte in den Töchtern HEXAL Biotech und HEXAL
Merck Serono verschreibungspflichtige Arznei- Gentech starteten. 2004 brachten sie biosimilares
mittel und Biopharmazeutika zur Behandlung von Erythropoietin (EPO) auf den Markt, 2005 er-
Krebs, multipler Sklerose (MS), Unfruchtbarkeit, folgte die Übernahme durch Sandoz. Die Ulmer
Wachstumsstörungen sowie bestimmter Herz- Ratiopharm entwickelte über die Biotech-Tochter
Kreislauf­und Stoffwechselerkrankungen. 2014 er- BioGeneriX Biosimilars und erhielt 2008 die erste
wirtschaftete Merck Serono als größte Unterneh- Zulassung. 2010 kaufte sich Teva bei Ratiopharm
menssparte 51 % der Umsatzerlöse des Konzerns. ein. Schließlich ist auch die hessische STADA in
Biosimilars aktiv, sie launchte im Jahr 2007 eben-
4.6.2.4 Merz Pharma falls ein biosimilares EPO.
1908 errichtete der gelernte Apotheker, studier-
te Chemiker und Pharmazeut Friedrich Merz in
360 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

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362 Kapitel 4 • Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Biotech-Industrie in Deutschland

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logie-Report 2014. Ernst & Young GmbH, Mannheim,
S 26–28
363 5

Das Aufkommen einer KMU-


geprägten Biotech-Industrie
in Deutschland
Julia Schüler

Zusammenfassung
Ein zur US-Situation vergleichbares Aufkommen einer KMU-geprägten
Biotech-Industrie fand in Deutschland erst 15 bis 20 Jahre später statt. Als
Startschuss gilt in Deutschland der BioRegio-Wettbewerb, der 1995 aus-
gerufen und 1996 abgeschlossen wurde. Das Kapitel fasst die ersten 15 Jahre
deutsche Biotech-Industrie (1996 bis 2011) anhand von fünf Phasen zusam-
men: Boom & Hype, Per Aspera ad Astra, Zurück in die Zukunft sowie Fallstrick
Finanzierung?. Die aktuelle Entwicklung seit 2012 findet sich unter dem Titel
»Reifeprüfung« wieder. Denn die nun bald 20 Jahre alte (oder junge?) Branche
lässt langsam aber sicher die Jugendphase hinter sich und startet nun rich-
tig durch. Auch wenn das an harten Kennzahlen noch nicht so ersichtlich
ist, so steht einigen Unternehmen demnächst hoffentlich der lang ersehnte
Markteintritt mit eigenen Produkten bevor. Diese Aussage bezieht sich auf
Firmen, die in der Arzneimittel-Entwicklung tätig sind. Andere, wie Diagnos-
tika-Hersteller oder Vertreter der Weißen Biotechnologie sowie Dienstleister
befinden sich bereits am Markt. Ihre Wahrnehmung als Teil einer innovativen
Industrie könnte ausgeprägter sein. Ein großes Manko für diejenigen Gesell-
schaften, die das große Risiko auf sich nehmen, neue Medikamente zu ent-
wickeln, sind vorherrschende Rahmenbedingungen der Eigenkapital-Finan-
zierung. Ihre Wettbewerber in den USA finden dort ganz andere Verhältnisse
vor, die ihnen in gewisser Weise Vorteile verschaffen. Die Industrie dort hat
aber bereits Erfolgsgeschichten hervorgebracht, die Investoren als »goldenes«
Beispiel dienen. Allerdings startete sie bereits sehr viel früher und feiert so
demnächst ihr 40-jähriges Jubiläum. Diese Lanze muss für die deutsche
Biotech-Industrie gebrochen werden.

J. Schüler, Die Biotechnologie-Industrie,


DOI 10.1007/978-3-662-47160-9_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
5.1 Biotech-Wüste vor 1996: wenige, aber keine schlechten
Gründungen – 365
5.1.1 Herausforderung Biotech-Startup in der Medikamenten-­
Entwicklung – 371
5.1.2 Die Gründungen aus der ersten Hälfte der 1990er-Jahre – 372

5.2 Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke,


Stagnation – 372
5.2.1 1996 bis 2001: Der Boom endet mit einem Hype, die Blase platzt – 376
5.2.2 2002 bis 2004: Per Aspera Ad Astra (der steinige Weg zu den
Sternen) – 382
5.2.3 2005 bis 2007: Zurück in die Zukunft und mit verhaltener Zuversicht
auf gutem Kurs – 387
5.2.4 2008 bis 2011: Kursfortsetzung mit Hürden – Fallstrick Finanzie-
rung? – 395
5.2.5 Unterstützende Aktivitäten vom Bund – 410

5.3 Jüngste Entwicklung der Branche: von Stagnation zu neuen


Chancen – 418
5.3.1 Kennzahlen: Stagnation statt Wachstum – 418
5.3.2 Finanzierung: müsste besser sein, im Einzelfall jedoch nicht
schlecht – 422
5.3.3 Neue Allianzen: neue Chancen? – 426
5.3.4 Wirkstoff-Pipeline: neue Chancen! – 426

5.4 Eine Lanze brechen: auf dem Weg zum 20. Jahrestag – und
langsam auf dem Weg zur Reifeprüfung – 427
5.4.1 Frühe Entwicklung der US-Biotech-Industrie versus Bedeutung
heute – 430
5.4.2 Warum steht die deutsche Biotech-Industrie da, wo sie heute
steht? – 432
5.4.3 Eine andere Sicht auf die medizinische Biotechnologie in
Deutschland – 434
5.4.4 Wahrnehmung und Vertrauen seitens Investoren, Politiker und
allgemeiner Bevölkerung auf der Wunschliste – 435

Literatur – 437
5.1 • Biotech-Wüste vor 1996: wenige, aber keine schlechten Gründungen
365 5
Ein zur US-Situation vergleichbares Aufkom- fungiert. Heute zählt QIAGEN weltweit über 4000
men einer KMU-geprägten Biotech-Industrie Beschäftigte, wovon rund ein Drittel in Deutsch-
(KMU: kleine und mittlere Unternehmen) fand in land arbeitet. Die Informationsplattform biotech-
Deutschland erst 15 bis 20 Jahre später statt. Als nologie.de schließt die deutschen Mitarbeiter in
Startschuss gilt in Deutschland der BioRegio-Wett- ihre Statistik ein, EY nicht. Ein weiteres Beispiel
bewerb (7 Abschn. 4.3), der 1995 ausgerufen und dieser Art ist das Unternehmen Bavarian Nordic,
1996 abgeschlossen wurde. Die Siegerregionen das sich 1994 in Martinsried bei München gründete
Heidelberg, München sowie das Rheinland um und seit 1998 als dänische Aktiengesellschaft in Ko-
Köln/Düsseldorf, aber auch der Standort Berlin penhagen an der Börse gelistet ist. Den Hauptsitz
waren Kristallisationskeime für Neugründungen. verlagerte die Gesellschaft im Jahr 2004 innerhalb
. Abbildung 5.1 verdeutlicht das starke Wachstum Dänemarks von Kopenhagen nach Kvistgaard. Von
der Unternehmenszahlen ab 1995. Seit der Jahr- den über 400 Mitarbeitern sind gut 100 in Martins-
tausendwende blieb die Zahl der Biotech-Firmen ried beschäftigt.
allerdings mehr oder weniger konstant, das heißt, Da die EY-Daten länger zurückreichen, werden
Neugründungen und Abgänge aus der Statistik sie nachfolgend hauptsächlich genutzt und – wenn
heben sich in etwa auf. passend – ergänzt durch die Statistiken von bio-
. Abbildung 5.1 zeigt zwei verschiedene Sta- technologie.de. . Abbildung 5.2 bietet eine Über-
tistiken: Diejenige des Wirtschaftsprüfungs- und sicht zur Entwicklung der wesentlichen Eckdaten
Beratungsunternehmens Ernst & Young, das seit der deutschen Biotech-Industrie nach EY. Die Zeit-
2013 offiziell unter dem Namen EY auftritt, sowie spanne ab 1999 bis 2014 deckt 15 Jahre der zentralen
diejenige der Informationsplattform biotechnolo- Ereignisse in der Branche ab: vom Ende der Boom-
gie.de, einer Initiative des Bundesministeriums für phase über den Abschwung, einem Wiederauf- und
Bildung und Forschung (BMBF). Sie wird betreut Wiederableben vor und nach der globalen Finanz-
von der Berliner BIOCOM AG und ermittelt eine krise bis zum jetzigen Status quo, der einer Reife-
Deutschland-Statistik seit dem Jahr 2005, für die prüfung gleicht. Um im Einzelnen besser zu ver-
Zeit davor sind lediglich Daten von Ernst & Young/ stehen, was die Hintergründe dieser Entwicklung
EY vorhanden. Es fällt auf, dass die EY-Zahlen in sind, werden die einzelnen Phasen nachfolgend
etwa 20 bis 25 % unter denen von biotechnologie. genauer beleuchtet. Dabei liegt der Fokus auf dem
de liegen. Zurückzuführen ist dies auf unterschied- Sektor der Roten Biotechnologie und hier vor allem
liche Definitionen, was als Biotech-Unternehmen den Medikamenten-Entwicklern, da dieser Sektor
erachtet wird. EY schließt zum Beispiel reine Im- momentan (noch) die größte Rolle spielt.
mundiagnostik-Firmen, Analytik-Dienstleister Vorgeschaltet findet sich zusätzlich noch eine
oder Reagenzien-Hersteller nicht mit ein. Da EY Analyse der Zeit vor 1996, die zwar nicht viele Fir-
auch globale Statistiken veröffentlicht, sind Gesell- men, aber trotz der bestehenden »Biotech-Wüste«
schaften zudem strengstenst denjenigen Ländern Deutschland einige der heutigen »Perlen« hervor-
zugeordnet, die den (finanzrechtlichen) Hauptsitz brachte.
(headquarter) beheimaten. Auch deutsche Töchter
werden danach eingruppiert, da eine Zahlenauftei-
lung schwierig ist. 5.1 Biotech-Wüste vor 1996: wenige,
So wird QIAGEN, eines der ältesten und das aber keine schlechten
größte deutsche Biotech-Unternehmen bei Daten- Gründungen
bank-Anbietern wie Bloomberg oder Morningstar
als niederländische Gesellschaft gezählt. Denn die In dem Zeitraum 1980 bis 1995, in dem in den
im Jahr 1984 noch unter der Bezeichnung DIAGEN USA die Zahl an kleinen und mittleren Biotech-
(Gesellschaft für molekulargenetische Diagnostik) Unternehmen bereits auf über 1000 explodiert war,
in Düsseldorf von vier Gründern ins Leben gerufe- fanden in Deutschland hier und da einige Grün-
ne Firma etablierte 1996 eine Aktiengesellschaft im dungen statt. Selbst unter Berücksichtigung des
60 km entfernten Venlo, die als Konzern-Holding in 7 Abschn. 4.4 ermittelten Korrekturfaktors von 75
366 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

700
© BioMedServices 2015
Ernst & Young (EY)
600
biotechnologie.de

578
570
565
552
500

538
531
501
496
495
480
400

300

414

409
407

406
403

403

401
200

399

399
395
390
388
386

386
351
293
233

100
173
104
75

0
95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

. Abb. 5.1 Entwicklung der Anzahl deutscher Biotech-Unternehmen in den Jahren 1995 bis 2014. Erstellt nach Daten
von Ernst & Young (1998–2015) und Statistiken von biotechnologie.de (2006–2015)

bis 80 % – um diesen Faktor ist die deutsche Volks- Darüber hinaus bringt es ein Beteiligter an den da-
wirtschaft kleiner als die US-amerikanische – hätte maligen gesellschaftspolitischen Debatten auf den
sich für eine vergleichbare Entwicklung ein Bench- Punkt (Stadler und Pietzsch 2014): In Verbindung
mark von mindestens 200 Firmen ergeben. Die da- mit dem »Schatten von zwölf Jahren Nazi-Dikta-
für verantwortlichen Rahmenbedingungen wurden tur« gab es die Angst der Deutschen vor den Genen
im Wesentlichen bereits in 7 Kap. 4 erläutert und (7 Im Schatten der eigenen Geschichte).
in 7 Abschn. 4.4 zusammengefasst dargestellt: . Abbildung 5.3 veranschaulicht, wie Bio- und
55 verzögerte Entwicklung der wissenschaftlichen Gentechnologie in einem »Optimismus-Index« von
Basis sowie viel weniger Förderer, der Bevölkerung in verschiedenen europäischen
55 nur rund die Hälfte an staatlichen Forschungs- Ländern in den frühen 1990er-Jahren gesehen wur-
geldern (in Prozent der Gesamt-FuE-Ausga- de. In den meisten Ländern fiel die »Stimmung«
ben), nochmals zwischen 1991 und 1996. Deutschland
55 zwar Biotech-Förderprogramme, dafür aber rangierte zusammen mit Dänemark, den Nieder-
keine vergleichbaren Erleichterungen bei be- landen und Finnland auf den hintersten Rängen.
gleitenden Regularien zu Technologietransfer Neben den »Boehringers« aus Ingelheim und
oder Steuergesetzgebung, Mannheim (7 Abschn. 4.6), engagierte sich als eine
55 Verschärfung der Gentechnik-Regularien der ersten deutschen Firmen die Rentschler Arz-
beziehungsweise jahrelange Diskussion mit neimittel aus Laupheim in der modernen Biotech-
entsprechend fehlender Planungssicherheit für nologie. Sie gründete 1974 eine entsprechende Ab-
investierende Unternehmen, teilung und beschäftigte sich mit der Entwicklung
55 zögerliches Engagement der etablierten Indus- von Interferonen. 1979 folgte der Beginn der Arbeit
trie auf dem heimischen Markt, mit rekombinanten Zelltechnologien sowie 1981 die
55 unzureichende Infrastruktur rund um die Gründung eines Joint Ventures mit Biogen namens
Eigenkapital-Finanzierung, Bioferon Biochemische Substanzen. 1993 wurden
55 gering ausgeprägte Gründer-Mentalität. alle »Bio-Aktivitäten« in der Rentschler Biotechno-
5.1 • Biotech-Wüste vor 1996: wenige, aber keine schlechten Gründungen
367 5

Per Aspera Zurück in Fallstrick Reifeprüfung


Boom & Hype
ad Astra die Zukunft Finanzierung?
450 13,5
Unternehmen Mitarbeiter Tsd.
400 12,0

350 10,5

300 9,0

250 7,5

200 6,0

99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

1.4 1,4
Mrd. € Umsatz FuE Linear (Umsatz) Mrd. €
1.2 1,2

1.0 1,0

0.8 0,8

0.6 0,6

0.4 0,4

0.2 0,2

99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

1500 750
Mio. € Mio. €
Finanzierung davon IPO
1200 600

900 450
© BioMedServices 2015
600 300

300 150

0 0

99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

. Abb. 5.2 Entwicklungsphasen der deutschen Biotech-Industrie. Erstellt nach Daten von Ernst & Young (1998–2015).
FuE Ausgaben für Forschung und Entwicklung. IPO initial public offering = Börsengang
368 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

1991
1993 Spanien
1996 100 Griechenland
Finnland
80
Schweden Irland
60
40
Dänemark Italien
20
0
Niederlande Frankreich
5
Deutschland Belgien

Luxemburg UK
Portugal

. Abb. 5.3 Einstellungen von EU-Bürgern zur Biotechnologie. Erstellt nach Daten von Gaskell et al. 2010. Die Skala
drückt einen Optimismus-Index aus, je größer, desto höher der Optimismus in den jeweiligen Ländern. Für Finnland und
Schweden liegen für 1991 keine Daten vor

Im Schatten der eigenen Geschichte


Erinnerungen des Chemikers Stadler, jahren oft fast reflexartig Menschen- seine Vorteile, denn ohne diese
früherer Bayer-Manager und Grün- züchtung vorgeworfen. Das sei Neigung hätten wir unser Land nicht
der der Kölner Biotech-Firma Artemis moderne Eugenik, wurde gesagt, das wieder so in Ordnung gebracht.
(heute TaconicArtemis/Taconic Bio- haben wir alles schon mal gehabt, Aber im Umgang mit wissenschaftli-
sciences): »Meinem Eindruck nach und je radikaler die Kritiker waren, chen lnnovationen begünstigt diese
ist die Diskussion um die Gentechnik desto unreflektierter zogen sie Paral- Neigung gesamtgesellschaftliche
hierzulande von drei spezifisch lelen zur Nazi-Medizin. In dieser his- Debatten mit teilweise fundamenta-
deutschen Einflussfaktoren geprägt torisch bedingten Einseitigkeit ist in listischen Zügen. Statt Lösungen zu
und erschwert worden. Da ist zuerst keinem anderen Land der Welt über finden, werden Probleme gesucht.
unsere historische Erfahrung mit Gentechnik gestritten worden. Zum Und drittens wurde in Deutschland
zwölf Jahren Nazi-Diktatur. Diesen zweiten gibt es in Deutschland eine in den achtziger Jahren die Autorität
Schatten haben wir immer wieder Dominanz des Pessimismus, eine ex- des wissenschaftlichen Arguments
gespürt. Wer mit Gentechnik zu tun treme Neigung zu ständiger Selbst- endgültig zu Grabe getragen« (Stad-
hatte, dem wurde in deren Anfangs- kritik. Das hat auf manchen Feldern ler und Pietzsch 2014).

logie zusammengeführt, die sich später auf die Auf- fokussieren sie sich auf Diagnostika oder Auftrags-
tragsproduktion mit CHO-Zellen (Chinese hamster produktion, das heißt Fermentations-Dienstleis-
ovary) fokussierte (. Tab. 5.1). tungen.
In den 1980er-Jahren gründeten sich dann laut Auch die Entwicklung neuartiger Expressions-
Rebentrost (2006) lediglich rund 20 kleine Firmen, systeme, basierend auf anderen Organismen wie
die sich mit moderner Biotechnologie beschäftig- Bakterien, wurde verfolgt. Einer der Pioniere für
ten. Einige davon haben sich aber bis heute be- die Produktion rekombinanter Proteine in He-
hauptet (. Tab. 5.2) beziehungsweise sind zu den fen war die 1985 ins Leben gerufene Düsseldorfer
größten ihrer Art herangewachsen. Hauptsächlich Rhein Biotech.
5.1 • Biotech-Wüste vor 1996: wenige, aber keine schlechten Gründungen
369 5

. Tab. 5.1 Meilensteine bei Rentschler Biotechnologie und seinen Vorgänger-Firmen. (Quelle: Rentschler Bio-
technologie (2015))

Jahr Meilenstein

1983 Weltweit erste Marktzulassung eines natürlichen IFN-beta-Präparats (Fiblaferon)

1989 Zulassung für rekombinantes IFN-gamma und topisches IFN-beta-Gel

1997 Fokussierung auf Auftragsentwicklung und -herstellung von Biopharmazeutika

2003 Verdreifachung der Produktionskapazitäten

2006 Gründung der Rentschler Inc. in den USA

2007 Inbetriebnahme von zwei 500-Liter-GMP-Produktionslinien

2008 Inbetriebnahme der Produktionslinie mit 3000-Liter-Gesamtvolumen

2010 Inbetriebnahme der ersten 1000-Liter-Disposable-Anlage

2012 Zweite 1000-Liter-Disposable Anlage gewinnt den Facility of the Year Award für Equipment-Innovation

. Tab. 5.2 Ausgewählte deutsche Firmengründungen aus den 1980er-Jahren, die heute noch aktiv sind. (Quelle:
BioMedServices (2015))

Firma (Name heute) Gründung Fokus und ausgewählte Meilensteine


Ort (Mitarbeiter)

ORPEGEN 1982 Anfangs Aminosäurederivate und pharmazeutische Peptide, später


Heidelberg (n. v.) Produktion von rekombinantem EPO
1994: Einstellung EPO-Projekt, dann Fokus auf Diagnostika und zell-
kulturbasierte Auftragsproduktion; 2008: Verkauf der Biotech-Sparte an
Glycotope und Firmierung unter ORPEGEN Peptide Chemicals (OPC) mit
ursprünglichem Fokus; 2015: OPC-FuE-Team wird Teil der Corden Pharma

Genbiotec (BIOMEVA) 1983 Anfangs FuE, 1987: Fermentations-Dienstleister


Heidelberg (40) 1993: Umfirmierung in BIOMEVA; 1997: < BioReliance; 2004: < Invitro-
gen; 2006: MBO als BIOMEVA: mikrobielle GMP-Auftragsproduktion
(bis zu 1500 L)

DIAGEN (QIAGEN) 1984 Anfangs Nukleinsäure-Aufreinigung, heute MDx und CDx


Hilden bei Düsseldorf (> 4000) 1986: Plasmid-Kit (reduziert Zeit für die Plasmidisolation von 2 Tagen
auf 2 h); 1996: IPO an der NASDAQ und 1. automatisiertes System; 1997:
IPO in Frankfurt; 2001: Launch PAXgene; 2005: > artus (D, PCR-Kits);
2006: 1600 MA; 2007: > Digene (USA, MDx) = 2600 MA; 2009: > DxS (UK,
CDx); 2011: > Ipsogen (F, MDx) und Expansion Asien; 2012: FDA-Zul.
KRAS-CDx; 2013: FDA-Zul. EGFR-CDx; 2014: Einstieg NGS und diverse
Pharma-CDx-Deals, > BioBase (D, Bioinformatik)

Rhein Biotech 1985 Hefe-Expressionssysteme


(Dynavax Europe) (90) 1992: Deal mit Korea Green Cross Corporation (KGCC); 1999: IPO; 2001:
Düsseldorf > Impfstoff-Bereich der KGCC; 2002: < Berna Biotech (2006: < Crucell);
2006: Rhein Biotech < Dynavax

BIOPHARM 1986 Rek. Wachstumsfaktoren, Biosimilars


Heidelberg (35) 1992: internationale Patente für rhGDF-5 und MP121; ab 2001: verschie-
dene Lizenzvergaben; 2011: Kooperation Freudenberg; 2013: Koopera-
tion Merck Serono
370 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 5.2 Fortsetzung

Firma (Name heute) Gründung Fokus und ausgewählte Meilensteine


Ort (Mitarbeiter)

Pharma Biotechnolo- 1987 Mikrobielle GMP-Auftragsproduktion (bis zu 1500 Liter), FuE: rek.
gie Hannover (155) Proteine, Biosimilars
(Richter-Helm BioTec) 1997: < Strathmann (Strathmann Biotech Hannover); 2001: Strathmann
Hamburg Biotec; 2007: < Gedeon Richter & HELM (Richter-Helm BioLogics); 2008:
Richter-Helm BioTec

Hain Diagnostika 1989 1996: 1. Testsystem auf Basis der DNA•STRIP-Technologie; 1998: Throm-
(HAIN Lifescience) (n. v.) boType (Faktor-V-Leiden- und Prothrombin-G20210A-Mutationen); ab

5 Nehren 2000: weitere humane und mikrobielle Gentests; ab 2001: internationa-


ler Vertrieb; 2008: Töchter in Afrika und Spanien; 2011: Tochter in UK

MIKROGEN 1989 Testsysteme auf der Basis rekombinanter Antigene; Patente u. a. für
Neuried (128) Borrelia burgdorferi-, Parvovirus-B19-, EBV- und HCV-Antigene

Miltenyi Biotec 1989 Magnetische Zellseparation


Bergisch Gladbach (980) 1992: Expansion USA und JV mit Amgen; 1995: UK-Tochter; 1997: EU-Zul.
CliniMACS-System; 1998: Expansion (Exp.) Südeuropa; 2001: Exp. Asien;
2002: > Plasmaselect; 2005: Exp. Benelux; 2008: MACSQuant-System;
2012: Exp. Nordeuropa; 2013: Mikrochip-basierte Systeme; 2014: FDA-
Zul. CliniMACS und > Lentigen (US, lentivirale Technologien für Zell-
und Gentherapie)

Mitarbeiterzahl heute nach biotechnologie.de, n. v. nicht verfügbar


CDx companion diagnostics, GMP Good Manufacturing Practice, IPO initial public offering, JV Joint Venture, MBO Ma-
nagement Buy-Out; MDx Molekulardiagnostika, NGS Next Generation Sequencing, rek. rekombinante, Zul. Zulassung
> Übernahme von, < Übernahme durch

Die Entwicklung von Biopharmazeutika hatten unterschiedliche Indikationen. 2004 begannen in


manche zwar anfangs initiiert, bisher im Laufe der den USA mit diesem Wirkstoff klinische Studien
Jahre jedoch nicht bis zur Markteinführung eigen- zur Wirbelsäulenversteifung (spinal fusion). Der
ständig durchführt. So findet FuE zu rekombinan- Medizintechnik-Konzern Medtronic nahm im Jahr
ten Proteinen heute noch bei BIOPHARM und 2008 von der Scil Technology für die Indikation
Richter-Helm BioTec statt. Die Heidelberger BIO- Oral- und Gesichtschirurgie eine Sublizenz. 2011
PHARM sicherte sich bereits 1992 internationale beantragte er die Genehmigung für eine Phase-III-
Patente auf den rekombinanten humanen Wachs- Studie von MD05-P.
tums- und Differenzierungsfaktor 5 (rhGDF-5), Dass QIAGEN mittlerweile die größte deutsche
einem Protein das bei Wundheilung sowie Kno- Biotech-Gesellschaft ist, wurde bereits angespro-
chenwachstum eine Rolle spielt. Auch für MP121, chen: mehr als 4000 Mitarbeiter, davon über 1000
einem Wachstums- und Differenzierungsfaktor in Deutschland und ein Jahresumsatz von rund
der TGF(transforming growth factor)-beta-Familie, 1 Mrd. € mit fast 100 Mio. € Gewinn. Aus dem an-
erhielt die Firma ein internationales Patent. 1994 fänglichen Anbieter von »Forschungswerkzeugen«
startete sie die erste internationale Kooperation ist ein international tätiges Molekulardiagnostika-
mit einem industriellen Partner zur Entwicklung Unternehmen erwachsen. Was die Mitarbeiterzahl
von rhGDF-5. Im Jahr 2001 vergab sie internatio- angeht, steht an zweiter Stelle ebenfalls eine Firma
nale Lizenzen für rhGDF-5 an die deutsche Scil aus Nordrhein-Westfalen. Mit annähernd 1000 Be-
Technology und 2002 an DePuy Spine, jeweils für schäftigten ist Miltenyi Biotec ein führender An-
5.1 • Biotech-Wüste vor 1996: wenige, aber keine schlechten Gründungen
371 5
bieter von Produkten zur magnetischen Zellsortie- in der sogenannten Serie-A-Runde. Dennoch war
rung und -analyse (MACS). Das Verfahren beruht selbst ein IPO in den USA nicht sofort ein Frei-
auf an Magnetpartikel gebundene Antikörper und fahrschein für eine automatische positive Entwick-
unterstützt bei zellbiologischen und immunologi- lung. So erlebte auch die 1978 gegründete Biogen
schen Fragestellungen. An dritter Stelle folgt mit nach ihrem IPO im Jahr 1983, dass das eingenom-
über 500 Mitarbeitern der Auftragsproduktions- mene Geld in der Forschung und Entwicklung von
Spezialist Rentschler. Medikamenten schnell wieder verschwand. Grant
(1996) gibt an, dass die Firma 1984 fast insolvent
war und 1985 für FuE etwa US$100.000 täglich auf-
5.1.1 Herausforderung wendete, was nahezu dem Doppelten in 2014er-
Biotech-Startup in der US$ entspricht. Die Einnahmen lagen gleichzeitig
Medikamenten-Entwicklung bei weniger als 20 Mio. US$. Das erste an Sche-
ring-Plough verpartnerte Produkt, rekombinantes
Die drei größten Biotech-Firmen Deutschlands Interferon-alfa, erhielt seine Zulassung im Juni
gründeten sich also alle bereits in den 1980er-Jah- 1986. Darauf erhielt Biogen Lizenzzahlungen, die
ren. Allerdings fokussiert sich keine von ihnen auf jährlich maximal einen hohen zweistelligen Mil-
die Medikamenten-Entwicklung (außer anfangs lionenbetrag erbrachten. Das erste eigene Medika-
Rentschler). Mit Genentech, Amgen, Biogen oder ment kam erst zehn Jahre später, im Jahr 1996 auf
Genzyme vergleichbare Pioniere gründeten sich in den Markt: Interferon-beta unter dem Markenna-
Deutschland erst in den 1990er-Jahren, also rund me Avonex zur Behandlung der multiplen Sklerose.
zehn bis 15 Jahre später als in den USA. Biogen war zu dem Zeitpunkt 18 Jahre alt und hatte
Das entspricht ziemlich genau dem zeitli- nach dem IPO in etwa 200 Mio. US$ an Eigenkapi-
chen Zyklus einer Medikamenten-Entwicklung tal aufgenommen sowie mindestens 1 Mrd. US$ an
(7 Abschn. 3.1.1.3). In diesem Zeitraum hatten die Umsatz über Partnerschaften und Lizenzzahlungen
US-Firmen teilweise bereits mehr oder weniger erwirtschaftet. Nach der Einführung von Avonex
die »einfacheren« Lösungen wie rekombinant her- lag der Umsatz 1997 bei 434 Mio. US$, sprunghaft
gestellte körpereigene Hormone beziehungsweise gestiegen von 277 Mio. US$.
Wachstumsfaktoren oder Enzyme abgedeckt und Ähnliches trifft auf Amgen (7 Abschn. 2.2.2) zu:
sich damit am Markt etabliert. Dabei haben sie Ende 1982 war Amgen fast insolvent, erwischte aber
weder gehext noch die zeitliche Komponente, die im Juni 1983 ein kurz geöffnetes Börsenfenster und
der Medikamenten-Entwicklung innewohnt, ver- nahm 43 Mio. US$ ein. Ende 1985 war das Unter-
kürzt. So brachte die 1980 gegründete Amgen die nehmen wieder fast zahlungsunfähig, hatte dann
Wachstumsfaktoren Epogen und Neupogen 1989 jedoch abermals Glück, dass der Kapitalmarkt sich
und 1991 zur Zulassung, also rund zehn Jahre nach 1986 wieder erholte. Mit einem Phase-III-Projekt
der Firmengründung. Da es sich um körpereigene (Epogen) in der Pipeline gelang es Amgen dann
Substanzen handelte, waren die klinischen Studien Ende 1986, weitere 75 Mio. US$ an der Börse ein-
mit weniger Risiko behaftet als bei völlig neuen zusammeln. Nachdem dieses 1989 auf den Markt
Wirkstoffen. kam und 1991 Neupogen folgte, steigerte sich der
Zudem hatten die US-Pioniere das Glück, über Umsatz in vier Jahren wie folgt: von 152 über 320
den IPO (initial public offering) und im Laufe der und 645 auf 1100 Mio. US$ im Jahr 1992.
Jahre immer wieder auf einen funktionierenden
öffentlichen Kapitalmarkt zugreifen zu können.
Der Medigene-Gründer Heinrich über seine
Sie konnten daher mit ausreichender Finanzierung
Gründungsstrategie
ihre Produktentwicklung bis zur Markteinführung
vorantreiben. Angefangen hatten sie indes auch »‚Mein Ziel war, ein Unternehmen aufzubauen, das
sich im globalen Markt positionieren kann. Das
ganz klein: Genentech und Amgen mit jeweils
schafft man nur, wenn man eigene Produkte ent-
US$200.000 Startkapital sowie 10 und 19 Mio. US$
372 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

körper dann im Jahr 2008 mit der Prüfung seines


wickelt.‘ Von Anfang an wollte Medigene mit neuen Kandidaten MT103 (Blinatumomab) in einer Phase
molekularbiologischen Methoden Medikamente
II starten, die im November 2014 abgeschlossen
entwickeln. Dafür habe man ihn in Deutschland be-
lächelt und misstrauisch beäugt. Inzwischen haben wurde. In der Zwischenzeit vereinbarte Micromet
auch andere Biotechnologie-Unternehmen gelernt: eine Kooperation mit dem US-Pionier Amgen, der
Allein mit cleverer Technik und der Hoffnung, dass 2011 etwa 1 Mrd. US$ (ca. 700 Mio. €) an Geldern
Big Pharma sie eines Tages für die Medikamenten- für weitere Entwicklungen zusagte. Die Technolo-
entwicklung aufkauft, ist langfristig nicht genug
gie der Deutschen schien so gehaltvoll, dass Amgen
Geld zu verdienen, um die Forschungsausgaben zu
refinanzieren« (Karberg 2002). im Jahr 2012 Micromet ebenfalls für gut 1 Mrd. US$
aufkaufte. Im Juli 2014 erteilte die FDA Blinatumo-
mab auf Basis der Phase-II-Daten von 189 Patienten
5 Grundsätzlich erkannten auch deutsche Unterneh- den Breakthrough-Status. Im Dezember 2014 ließ
mensgründer und Medikamenten-Entwickler den sie Blincyto, so der Markenname, schließlich zur
Vorteil dieser »Produktstrategie« (7 Der Medige- Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie
ne-Gründer Heinrich über seine Gründungsstrategie). zu. MT103 hat somit 21 Jahre nach dem Spin-off
Sie starteten im Gegensatz zu den US-Pionieren von Micromet aus dem Institut für Immunologie
aber mit viel anspruchsvolleren Konzepten wie der Ludwig-Maximilians-Universität München
beispielsweise MorphoSys 1992 mit vollhumanen auf den Markt gefunden – finanziert und realisiert
Antikörpern, Micromet 1993 mit seinen bispezifi- durch US-Investoren und -Partner.
schen Antikörpern oder Medigene 1994 mit Gen-
therapien, basierend auf viralen Vektor-Technolo-
gien gegen Krebs- und Herzerkrankungen. 5.1.2 Die Gründungen aus der ersten
Rechnet man mit einem Minimum an 10-15 Hälfte der 1990er-Jahre
Jahren, die für die Entwicklung benötigt werden
(plus eventuell noch der Zeit für den Aufbau einer Neben den bereits angesprochenen Firmen Mor-
Technologie-Plattform), so hätten diese Unter- phoSys, Micromet und Medigene gründeten sich
nehmen frühestens Ende des ersten Jahrzehntes weitere Firmen in der ersten Hälfte der 1990er von
des neuen Jahrtausends mit einem entsprechenden denen . Tab. 5.3 eine Auswahl listet. Als Dienst-
Medikament auf den Markt kommen können. Um leister heute noch aktiv sind die Konstanzer GATC
das Jahr 2010 herum wäre also der Benchmark ge- Biotech und die Freiburger Oncotest. MWG Bio-
wesen, bei ausreichender Finanzierung! Genau das tech aus Ebersberg bei München und GeneScan aus
hatten diese Unternehmen allerdings nicht, wie Freiburg operieren unter dem Dach der Eurofins-
. Abb. 5.2 zeigt und die nachfolgenden Abschnitte Gruppe. Ähnliches strifft für die NewLabBioQua-
noch ausführen werden. lity zu, die seit 2008 zum US-Unternehem Charles
Allein Micromet, die 2006 mit der seit 2003 River gehört. In der Weißen Biotechnologie tätig
börsennotierten US-Firma CancerVax fusionierte, sind die Firmen ASA Spezialenzyme aus Wolfen-
konnte sich dadurch Zugang zu besseren Finanzie- büttel, bitop aus Witten und BRAIN aus Zwingen-
rungsmöglichkeiten als auf dem heimischen Kapi- berg.
talmarkt verschaffen. Zuvor hatte sie als deutsches
Startup innerhalb von 13 Jahren laut dem Daten-
dienst BioCentury 65 Mio. US$ (ca. 50 Mio. €) in 5.2 Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype,
sechs Finanzierungsrunden »zusammengekratzt«. Abschwung, Lichtblicke,
Als Micromet Inc., gelistet an der NASDAQ, ver- Stagnation
schaffte sie sich in vier Jahren von 2007 bis 2010 in
der Summe fast 300 Mio. US$ an Eigenkapital, was Nach der Novellierung des Gentechnik-Gesetzes
gut 200 Mio. € entspricht. 15 Jahre nach der Grün- Ende 1993 (7 Abschn. 4.3.3) schien der Weg frei für
dung konnte der Spezialist für bispezifische Anti- den weiteren Aufbau einer KMU-geprägten deut-
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
373 5

. Tab. 5.3 Ausgewählte deutsche Firmengründungen der 1. Hälfte der 1990er-Jahre, die heute noch aktiv sind.
(Quelle: BioMedServices (2015))

Firma (Name Ort Gründung Fokus und ausgewählte Meilensteine


heute) (Mitarbeiter)
GATC Biotech Konstanz 1990 DNS-Sequenzierung und Bioinformatik
(125) 2015: mehr als 10.000 weltweite Kunden, mehr als 6 Mio.
Proben sequenziert
MWG Biotech Ebersberg 1990 DNS-Sequenzierung und -Synthese
(Eurofins Genomics) (330) 1999: IPO, 2004: Übernahme von 85 % durch Eurofins, 2013: >
Entelechon
ASA Spezialenzyme Wolfenbüttel 1991 (15) Enzyme, mikrobielle Mischkulturen
Oncotest Freiburg 1992 (44) Testung antitumoraler Wirkstoffe, Gensignaturen
MorphoSys Martinsried 1992 Vollhumane Antikörper-Therapeutika
(299) 1999: IPO, 2006: > Serotec, 2013: Serotec-Verkauf an Bio-Rad
(53 Mio. €), 2015: 25 AK in klinischer Entwicklung und 28 in
der Präklinik
bitop Witten 1993 Extremolytbasierte Hautpflege- und Medizinprodukte, bio-
(33) technologische Verfahren
BRAIN Zwingen- 1993 Neue und neuartige Enzyme aus der nicht-kultivierbaren
berg (120) und kultivierbaren Biodiversität, Nutraceuticals und Cosme-
ceuticals, Designer Bugs
co.don Teltow 1993 Zellbasierte Biologika zur Regeneration von Bandscheiben-
(61) und Knorpelgewebe
Evotec BioSystems Hamburg 1993 Ultra-Hochdurchsatz-Screening, Wirkstoff-FuE
(Evotec) (381) 1999: IPO; 2000: Launch Evoscreen; Fusion Oxford Asymmetry
= Evotec OAI; 2001: Deal mit Roche; 2005: Einlizenzierung
EVT 201; 2007: Deal mit BI; 2008: > Renovis; 2009: Flop EVT 302;
2010: > Develogen und Deal mit Genentech; 2011: > Kinaxo und
weitere Deals
GeneScan Freiburg 1993 Sequenzierung
(Eurofins GeneScan) (70)
Micromet (Amgen München 1993 Bispezifische Antikörper; 2010: Kooperation mit Amgen, 2011:
Research Munich) (200) < Amgen, 2014: Blincyto kommt auf den Markt
NewLab BioQuality Erkrath 1993 Dienstleistungen: u. a. Molekularbiologie und PCR zur Quali-
(Charles River) (100) tätskontrolle von Biopharmazeutika
2008: < Charles River
Bavarian Nordic Martinsried 1994 Neuartige Impfstoffe
(125) 1998: IPO in Dänemark; 2013: EU-Zul. Imvanex
CellGenix Freiburg 1994 Zelltherapeutika gegen Krebs, für die Knorpel- und Knochen-
(49) regeneration, GMP-Hersteller von Zellen
Medigene Martinsried 1994 Anfangs Gentherapie und später Einlizenzierung, heute Immun-
(61) therapien 2000: IPO; 2001: > Neurovir; 2003: Zul. Eligard; 2006:
Zul. Veregen und > Avidex; 2014 > Trianta Immunotherapies
ProBioGen Berlin 1994 Neuartige Expressionssysteme und Auftragsproduktion
(75) 2010: < Minapharm (30 Mio. €)

Mitarbeiterzahl heute nach biotechnologie.de


BI Boehringer Ingelheim, GMP Good Manufacturing Practice, IPO initial public offering, Zul. Zulassung > Übernahme
von, < Übernahme durch
374 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

Die Angst vor den Genen – Beispiel Zwingenberg


»Wie schwierig es etwa noch vor kurz: Brain, niederließ. Monatelang Florida, Gran Canaria oder Marokko,
fünf Jahren war, eine Gentechnik- wetterten die Zwingenberger da- aus denen Brain die DNS-Ketten von
firma zu gründen, zeigt der Fall von mals gegen den dubiosen Betrieb. Bakterien gewinnt, den Rohstoff für
Holger Zinke, 37. Über ‚Killertomaten‘, Erst als Zinke spät – zu spät, wie er unterschiedlichste Antibiotika. Dank
‚stressresistente Schweine‘, gar heute bekennt – die Türen seines der Öffentlichkeitsoffensive gilt die
über ‚Euthanasie‘ erregten sich die Labors öffnete, als er Bürgern und 35-Mann-Firma inzwischen als akzep-
Menschen in Zwingenberg, einem Lokalpolitikern erklärte, was Brain tiert. Zinke lernte: ‚Solange die Gen-
Städtchen an der hessischen Berg- eigentlich macht, legte sich die technik nebulös bleibt, haben die
straße, als der Biologe sich dort 1995 Aufregung allmählich. Immer wieder meisten Menschen Angst. Erst wenn
mit seiner Firma Biotechnology führte er Besuchergruppen vor den man ihnen die Sache erklärt, bricht
5 Research and Information Network, Kühlschrank mit Sandproben aus das Eis‘« (Schäfer 2000).

schen Biotech-Industrie. Zwar hatte die gesetzliche ausdrücklich ‚ihre Wissenschaftler, techno-
Regelung die »Angst vor den Genen« in der Be- logieorientierte Unternehmen zu gründen‘.
völkerung (7 Die Angst vor den Genen – Beispiel Hierzu erlaubt sie ihnen Nebentätigkeiten,
Zwingenberg) nicht über Nacht genommen, denn soweit dies arbeitsrechtlich möglich ist, und
noch im Jahr 1998 ermittelte EMNID, dass 43 % räumt ihnen, falls nötig, sogar zeitlich be-
von Befragten große Risiken im Zusammenhang grenzte Rückkehrrechte an die Institute ein. 21
mit der Gentechnologie sahen (vfa 2000). Dieselbe Firmen gründeten sich bisher aus Max-Planck-
Umfrage stellte aber gleichzeitig fest, dass knapp Instituten aus, die Mehrzahl in der Biomedizin.
zwei Drittel der Bevölkerung die Gentechnolo- (Neumann 1998)
gie als wichtigen Hightech-Bereich für den Wirt-
schaftsstandort Deutschland erachteten. Ebenso Nicht zuletzt ein weiterer Treiber für den aufkom-
viele wünschten sich auf diesem Gebiet eine Spit- menden Boom war der Beginn des Deutschen Hu-
zenstellung für Deutschland. mangenomprojektes (DHGP) im Jahr 1995. Fünf
Ähnlich sah das die Regierung, insbesondere Jahre zuvor (1990) hatte das öffentliche, vorwie-
der damalige Forschungsminister Rüttgers, der im gend amerikanische Humangenomprojekt (HGP)
Oktober 1995 die Idee »BioRegio« vorstellte. Das seine Arbeit aufgenommen. Danach entstand
neue Förderinstrument basierte auf dem Wettbe- daraus ein loser Verbund nationaler Genomfor-
werbsprinzip und hatte zum Ziel, innerhalb von schungsprojekte aus mehr als 30 verschiedenen
Regionen alle Institutionen zwischen Politik, Wirt- Ländern. Rund 60 % der Arbeit übernahmen ver-
schaft und Wissenschaft an einen Tisch zu bringen schiedene Sequenzier-Zentren in den USA. Auf
(7 Abschn. 4.3.3). Alle 17 teilnehmenden Regionen das britische Sanger-Zentrum entfiel ein Viertel
profitierten letztlich vom BioRegio-Wettbewerb, der Aufgabe. An die verbleibenden Sequenzen
weil sich lokale Netzwerke bildeten. Zudem initi- machten sich vornehmlich Genomforscher aus
ierte er Ausgründungen aus der Wissenschaft wie Frankreich, Japan, China und Deutschland (NGFN
Neumann (1998) berichtet: 2015). Mitglieder im wissenschaftlichen Koordi-
nierungskommitee des DHGP waren Vertreter des
»» Doch nicht nur die Politik peitschte diese Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin
Entwicklung voran – auch die deutschen und des Max-Planck-Instituts für molekulare Ge-
Forschungsorganisationen. Allen voran die netik in Berlin, des GSF-Forschungszentrums für
Max-Planck-Gesellschaft, die allgemeinhin als Umwelt und Gesundheit in Neuherberg sowie der
Heimat reiner Grundlagenforschung der Spit- Ludwig-Maximillians-Universität in München.
zenklasse gilt. Heute ermutigt die Gesellschaft Am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
375 5
in Berlin und am Deutschen Krebsforschungs- als Risikokapital. Im Rahmen einer Expansion
zentrum in Heidelberg wurde standardisiertes nach den USA übernahm GPC im März 2000 die
Referenzmaterial konstruiert, gesammelt und ver- US-basierte Mitotix, die small molecules gegen
waltet. Krebserkrankungen entwickelte. Im Mai folg-
Aus dem Deutschen Humangenomprojekt und te der mit 119 Mio. € bewertete drittgrößte Bio-
seinem Umfeld gründeten sich einige der neuen tech-Börsengang des Jahres 2000 auf dem Frank-
»Genomics-Unternehmen«. Laut Ernst & Young furter Parkett. Ende 2000 lag der Marktwert bei
(2000) waren dies beispielsweise: über 500 Mio. €. Die Gesellschaft kooperierte mit
55 in Berlin: GenProfile, die nach eigenen An- der Altana-Tochter Byk Gulden, Boehringer In-
gaben mit einem Finanzierungsvolumen von gelheim und Hoechst Marion Roussel. 2002 rea-
rund 15 Mio. DM 1998 die größte Unterneh- lisierte GPC einen Umsatzsprung von über 50 %
mensgründung war, die direkt aus dem vom und entschied, Satraplatin einzulizenzieren, ein
Bundesforschungsministerium geförderten oral verabreichbares Chemotherapeutikum der
DHGP hervorgegangen ist; US-Firma Spectrum Pharmaceuticals, die bereits
55 in Braunschweig: BioBase, mit Fokus auf Bio- Phase-II-Studien in der Indikation Prostatakrebs
informatik; abgeschlossen hatte.
55 in Mainz: GENterprise, mit Fokus auf Dienst- Im Jahr 2003 konnte GPC dann den Start einer
leistungen in der Analyse von Erbmaterial Phase III verkünden. Wegen der dafür nötigen fi-
sowie FuE zu neuartigen Genen, die Krank- nanziellen Mittel bei gleichzeitig geschlossenem
heitsbezug beim Menschen oder ökonomische Kapitalmarkt begann das Unternehmen – wie vie-
Bedeutung bei tierischen und pflanzlichen le andere zu dem Zeitpunkt – an anderen Stellen
Modellorganismen besitzen; Kosten zu sparen und baute vor allem Mitarbei-
55 in Martinsried bei München: Biomax Informa- ter der frühen Technologie-Plattform ab. Damit
tics, ChromBios, GPC Biotech, Ingenium Phar- setzte GPC hauptsächlich nur noch auf das Pferd
maceuticals, MediGenomix, Switch Biotech; Satraplatin, auch weil die Präferenz der Investo-
55 in München: Genomatix Software. ren vom Technologie- zum Produkt-Unternehmen
umgeschlagen war. Gute Finanzdaten wie ein Um-
Davon heute eigenständig noch aktiv sind Biomax satzwachstum von 143 % im Jahr 2006 erfreuten
Informatics, ChromBios, GENterprise sowie Ge- diese. Allerdings beruhte der Anstieg im Wesent-
nomatix. Die Bioinformatik-Firmen BioBase und lichen auf der Erstattung von Satraplatin-Entwi-
MediGenomix sind heute auch noch existent, aller- cklungskosten im Rahmen eines mit Pharmion im
dings jeweils unter dem Dach der Konzerne QIA- Dezember 2005 abgeschlossenen Vetrages. Also
GEN und Eurofins. Die anderen Pioniere konnten wiederum nur ein Beitrag vom »Pferd Satrapla-
ihre Ziele nicht realisieren, wobei Ingenium im Jahr tin«. Da sich die Stimmung am Kapitalmarkt wie-
2000 mit 50 Mio. € die für lange Zeit größte deut- der besserte, erlebte GPC, dass ihr Marktwert, der
sche Biotech-VC-Finanzierung realisierte. sich von Ende 2000 bis Anfang 2003 von rund 500
Die 1997 als Genome Pharmaceutical Corpo- auf 50 Mio. € reduziert hatte, sich bis Juni 2007
ration (GPC) gegründete GPC Biotech hatte zum verfünfzehnfachte. Auch das erfreute die Investo-
Ziel, eine sogenannte fully integrated drug discove- ren, bis es im Juli 2007 zum großen Paukenschlag
ry company zu werden (Patzelt 2005). Basierend kam (7 GPC Biotech: von der Hoffnung zum tiefen
auf einer Technologie-Plattform zur Analyse von Fall), weil das der Medikamenten-Entwicklung in-
Genexpressionen und Proteininteraktionen, kom- härente Risiko doch noch zuschlug: Selbst in der
biniert mit Bioinformatik, sollten neue Wirkstoff- Zulassungsphase können noch 7 bis 17 % der Kan-
Zielmoleküle identifiziert und validiert werden. didaten ausfallen.
Ein Ansatz wie ihn auch viele US-Firmen verfolg- Die Entwicklung von GPC zeigt ein Problem
ten. In den ersten drei Jahren nach der Gründung auf, das ebenfalls anderen Biotech-Unternehmen
warb GPC rund 30 Mio. € ein, das meiste davon weltweit widerfährt: das »Henne-Ei-Problem«,
376 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

GPC Biotech: von der Hoffnung zum tiefen Fall


»… Im Februar 2007 gab das Unter- über den Zulassungsantrag für wurden dann Ende Oktober 2007
nehmen bekannt, dass es die bereits Satraplatin gelangt. Bereits das Ge- mitgeteilt: Das im Jahr 2002 von
im Jahr 2005 begonnene schritt- schäftsjahr 2006 war das bisher be- Spectrum Pharmaceuticals ein-
weise Einreichung des Zulassungs- deutendste in der Firmengeschichte lizenzierte Satraplatin hat in einer
antrags (Rolling NDA) für Satraplatin von GPC Biotech. Es erreichte seinen doppelt verblindeten, randomisier-
in Kombination mit Prednisone zur Höhepunkt, als im Herbst positive ten Phase-III-Studie den Endpunkt
Zweitlinien-Chemotherapie von Ergebnisse der Phase-III-Studie für zur Gesamtüberlebenszeit nicht
Patienten mit hormonresistentem Satraplatin als Zweitlinientherapie erreicht. … Wegen [den] Rückschlä-
Prostatakrebs bei der US-Zulas- bei hormonresistentem Prostata- gen bei der Medikamenten-Ent-
sungsbehörde FDA abgeschlossen krebs bekannt gegeben werden wicklung …[musste] GPC Biotech
5 hat. Damit wurde der dritte und
letzte Teil des Zulassungsantrags
konnten, die die Basis für die jüngst
beantragte Zulassung sind« (Ernst &
Mitarbeiter entlassen, um das Ziel,
zum Jahresende 2007 noch über
eingereicht. Die FDA wird neben Young 2007). ausreichende Finanzmittel für etwa
der Annahme zur Prüfung darüber »Leider gab es im Juli 2007 schlech- zwei Jahre Geschäftstätigkeit zu
entscheiden, ob dem Antrag ein be- te Nachrichten für das Unterneh- verfügen, einhalten zu können. Das
schleunigtes Prüfverfahren (Priority men: Ein Beratungsgremium hatte Unternehmen, das Ende 2006 noch
Review) zugesprochen wird. Somit der FDA empfohlen, vor einer Zu- über 200 Mitarbeiter beschäftigte,
verspricht das Jahr 2007 sehr be- lassung von Satraplatin die Analyse zählte zum Jahresende 2007 noch
deutsam für GPC Biotech zu werden, der endgültigen Überlebensdaten um die 100 Mitarbeiter und gab im
abhängig davon, ob der Zulassungs- aus der SPARC-Studie abzuwarten. Februar 2008 eine weitere Reduk-
prozess für Satraplatin in den USA Als Folge wurde Ende Juli der bei tion auf 63 Beschäftigte bekannt«
weiter voranschreitet. Das Unterneh- der FDA eingereichte Antrag zur (Ernst & Young 2008).
men erwartet, dass die FDA während beschleunigten Zulassung zurück-
dieses Jahres zu einer Entscheidung gezogen. Die Ergebnisse der Studie

was in diesem Fall bedeutet, dass zu geringe fi- 5.2.1 1996 bis 2001: Der Boom endet
nanzielle Mittel die Fokussierung auf ein Projekt mit einem Hype, die Blase platzt
erzwingen, was ein sehr großes Risiko birgt. Dies
wiederum schreckt Investoren ab beziehungswei- Nach der Initialzündung durch den BioRegio-
se lässt bei Ausfall des Projektes Investoren sofort Wettbewerb 1995/1996 entfachte sich in Deutsch-
abspringen. Das Problem findet sich besonders land ein Gründungsboom. Zählte Ernst & Young
in Deutschland, in den USA ist es geringer aus- im Jahr 1995 noch 75 Biotech-Firmen, waren es
geprägt. So gelang es Human Genome Sciences 1996 bereits 104 (+ 39 %) und 173 (+ 66 %) im Jahr
(HGS) – die eine ähnliche Ausrichtung hatten wie 1997. Danach schwächte sich der Zuwachs zwar
anfangs GPC – immer wieder Investoren zu ge- ab, bis 2001 war er allerdings noch zweistellig, mit
winnen, obwohl von 21 klinischen Entwicklungs- dem Resultat von fast 400 kleinen und mittleren
projekten nur zwei bis an den Markt fanden. Eines Unternehmen (KMU). Die Vison von Forschungs-
floppte ebenfalls noch in der Zulassungsphase. minister Rüttgers, in Europa die Nummer 1 zu wer-
3,8 Mrd. US$ investierten Geldgeber in HGS bis den, hatte sich innerhalb von fünf Jahren realisiert.
GlaxoSmithKline den Genom-Pionier 2012 für Großbritannien, die Nation, die in Europa als eine
3,6 Mrd. US$ übernahm. Flops bei der Medika- der Ersten auf die moderne Biotechnologie setzte,
menten-Entwicklung treten auch bei etablierten lag mit gut 300 Gesellschaften nur noch auf Platz 2.
Pharma-Konzernen auf. Nur hier sind die Aus- Deutschland führte allerdings nur, was die Zahl der
wirkungen bei Weitem nicht so dramatisch wie bei Unternehmen betraf. Und auch nur bei derjenigen
den kleinen Biotech-Firmen. der privaten Firmen, die Zahl der börsennotierten
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
377 5
Gesellschaften war sehr viel geringer als in Groß- tete zum Jahresende 17 Firmen, und sein Index hat-
britannien. Andere wichtige Indikatoren wie Mit- te seit der Eröffnung um fast 100 % zugelegt. Nach-
arbeiterzahl oder Umsatz somit auch. dem QIAGEN im Juni 1996 einen mit 40 Mio. US$
Deren Wachstum war in der jungen deutschen bewerteten Börsengang an der US-NASDAQ rea-
Biotech-Industrie allerdings beeindruckend: So lisiert hatte, notierte sie sich am Neuen Markt als
stieg der Umsatz sowie die Zahl der Beschäftigten dritte Gesellschaft überhaupt im September 1997.
in der Branche kräftig mit jährlichen Wachstums- Sie wurde damit die erste börsennotierte deutsche
raten von 30 bis 40 %. Letzteres korrelierte auch mit Biotech-Firma. Weitere folgten (Erlös in Mio. € in
exponentiell steigenden Forschungs- und Entwick- Klammern):
lungskosten die vom Jahreswechsel 1999 auf 2000 55 1998: MOLOGEN (5), IPO am Berliner Frei-
bei plus 120 % und von 2000 auf 2001 immerhin verkehr, später Wechsel an Frankfurter Börse;
noch bei plus 71 % lagen. Ein wahrer Boom. Zeit- 55 1999: MorphoSys (30), Rhein Biotech (20),
gleich entwickelte sich – getrieben von der Ent- MWG Biotech (42), Evotec BioSystems (64);
schlüsselung des menschlichen Genoms (7 Die 55 2000: november (45), GPC Biotech (119), Me-
humane Genbibliothek: 3000 Bücher à 1000 Seiten à digene (125), GeneScan (107), LION bioscience
1000 Buchstaben) sowie vom allgemeinen Hype um (231), BioTissue Technologies (27);
Internet und Biotech – vor allem an den Kapital- 55 2001: co.don (23).
märkten in den USA eine »Finanzblase« (7 Die
Entstehung der Blase). Beide Trends fanden im Jahr Höhepunkt dieses Finanzierungshypes waren die
2002 ein jähes Ende (. Abb. 5.2), die Blase war ge- Monate Mai bis August 2000, und er gipfelte im
platzt. IPO des Heidelberger Bioinformatik-Spezialis-
ten LION bioscience, der über 200 Mio. € (etwa
200 Mio. US$) erlöste. Damit gehörte die LION-
Die humane Genbibliothek: 3000 Bücher à
Neuemission weltweit zu den Top-IPOs des Jahres
1000 Seiten à 1000 Buchstaben (Nationales
2000 und spielte in derselben Liga wie deCode
Genomforschungsnetz)
Genetics, Diversa oder Lexicon Genetics (um die
»Bereits im Juni 2000 wurde die ‚Arbeitsversion‘ des 200 Mio. US$). Die 200er-Liga entspricht wegen
Humangenoms angekündigt. Am 12. Februar 2001 der Inflation heutzutage den IPOs, die um die
wurde sie veröffentlicht. HUGO und Celera Genomics
300 Mio. US$ erzielen (z. B. Juno Therapeutics,
hatten die genaue Abfolge der 3,2 Milliarden Gen-
Buchstaben bestimmt: ein unvorstellbar langer ‚Text‘, USA, und Circassia Therapeutics, UK, im Jahr 2014
der etwa 3.000 Bücher füllen würde, jedes Buch mit sowie Axovant, USA, im Jahr 2015).
1.000 Seiten à 1.000 Buchstaben. Es hat sich gezeigt, Ausdruck des Börsenhypes waren zudem ex-
dass dieser ‚Text‘ bei allen Menschen zu 99,9 Prozent orbitant steigende Börsenkurse von bereits gelis-
identisch ist. Die Forscher konnten daraus auch ab-
teten Unternehmen wie MorphoSys, Evotec und
lesen, wie viele Gene der Mensch ungefähr hat. Hier
wartete eine Überraschung auf die Wissenschaftler: QIAGEN. Der Aktienkurs von MorphoSys fiel vom
Es stellte sich heraus, dass der Mensch etwa 20.000 Schlusspreis am IPO-Tag (09.03.1999) in Höhe von
bis 25.000 Gene besitzt, nur doppelt soviel wie z. B. 38,50 auf 14 € Tiefstand im Herbst 1999, um von da
eine Fliege! Bis dahin hatten die Wissenschaftler mit bis zu einem Höchstwert von 303 € im Februar 2000
wesentlich mehr Genen im menschlichen Erbgut
zu explodieren: ein Zuwachs von rund 2000 %! In
gerechnet« (NGFN 2015).
der Spitze erzielte MorphoSys damit einen Markt-
wert von 1,1 Mrd. €, der sich bis zum Jahresende auf
rund 450 Mio. € reduzierte. Nachdem der Spuk im
5.2.1.1 Die Börse explodiert und Frühjahr 2001 vorbei war, fiel der Kurs wieder auf
Investoren finanzieren trotz unter 100 € und erreichte vor Weihnachten 2002
fraglicher Fundamentaldaten einen Tiefpunkt bei rund 5 €. Heute hat der Anti-
Die Frankfurter Börse richtete im März 1997 ein körper-Spezialist seinen früheren Höchstwert wie-
Wachstumssegment ein, den »Neuen Markt«. Er lis- der erreicht und sogar leicht überschritten. Aktuell
378 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

Die Entstehung der Blase


»Hochgesteckte Erwartungen, aber Herbst letzten Jahres die Meldun- Aktienkurse. Selbst Unternehmen,
auch starkes Vertrauen der institu- gen über den nahenden Abschluß die mit der kommerziellen Biotech-
tionellen und privaten Anleger in der Totalsequenzierung des huma- nologie nur peripher in Berührung
die glänzenden Zukunftsaussichten nen Genoms häuften und Biotech- kommen, schreiben sich heute
der kommerziellen Biotechnologie nologie in aller Munde war, stieg die Biotechnologie auf die Fahnen. Den
ließen die Kurse der börsengeliste- US-amerikanische Biotech-Industrie Anleger kümmert es freilich wenig
ten Biotech-Unternehmen in den wie Phönix aus der Asche und setzte – er unterscheidet nicht: Wo ‚Bio‘
USA 1996 schon einmal explodieren. zu einer, in der über zwanzigjähri- drauf steht, muß auch ‚Bio‘ drin sein!
Als die Erwartungen von den Bio- gen Geschichte der amerikanischen Dem kritischen Betrachter drängt
techs jedoch nicht so schnell erfüllt Biotech-Industrie nie dagewesenen, sich dabei die Frage auf, ob diese
5 werden konnten, wie es den Anle-
gern mit ihrem kurzen Zeithorizont
‚Biotech-Hausse‘ an. Im Kursfeuer-
werk der Genomics-Unternehmen,
Entwicklung gut für die deutsche
Biotech-Industrie ist. Wenn Bio-
lieb gewesen wäre, bröckelte das die unmittelbar von den Erkennt- data, ein Unternehmen, das sich
Vertrauen der Investoren und die nissen des Humangenomprojekts auf Netzwerk- und Telekommuni-
‚Biotech-Hausse‘ schlug in eine re- profitieren sollten, entzündete sich kations-Sicherheit spezialisiert hat,
gelrechte ‚Biotech-Depression‘ um, auch das Interesse der Anleger als heißer Biotech-Geheimtip ge-
die ihren Tiefpunkt im September für andere Unternehmen aus dem handelt wird, wenn die Prognosen
1998 fand. Diese negative Entwick- Biotech-Sektor. Fundamentaldaten eines Biotech-Laien im Fernsehen
lung wurde noch unterstützt durch wurden in der Euphorie völlig igno- innerhalb eines Tages die Kursexplo-
die gerade aufkommenden Inter- riert. … Mit geringer Verzögerung sion eines Biotechnologie-Wertes
net-Firmen, die zusätzliches Kapital waren auch die europäischen und um rund 80 Prozent bewirken und
aus der Biotechnologie absogen. mit ihnen die deutschen Unterneh- wenn sich auf einem Biotech-Forum
… Mit der durch die Internet-Titel men von der Biotech-Euphorie an ein vermeintlicher Biotech-Analyst
initiierten allgemeinen High-Tech- den Aktienmärkten erfaßt worden. mit Leuten aus der Szene über ‚HTS‘
Euphorie erholten sich auch die … Während die Worte ‚Biotech‘ und unterhält, in der Meinung über ein
Biotechs in den folgenden Monaten ‚Gen‘ in den Namen von Unterneh- innovatives Therapeutikum zu spre-
– allerdings nur, um in einem allge- men vor einigen Jahren noch nega- chen, dann lautet die klare Antwort
meinen Mini-Crash im Oktober 1999 tiv behaftet waren, sind sie seither ‚nein‘« (Ernst & Young 2000).
erneut einzubrechen. Erst als sich im schon fast ein Garant für steigende

(Juni 2015) liegt der Börsenwert von MorphoSys dImmune zu dem Zeitpunkt bereits mit Produk-
bei 1,6 Mrd. €. ten am Markt vertreten, während die deutschen
Die Aktie von Evotec, gelistet im November Wettbewerber meist noch am Anfang der Ent-
1999, stieg bis März 2000 über 700 % von 23 auf wicklung steckten, ein um zehn bis 15 Jahre ver-
185 €, was einen Marktwert von mehr als 6 Mrd. € schobenes Zeitraster.
ergab. Damit reihte sich Evotec in die damaligen Bei Evotec sackte der Kurs bis Ende 2000 wieder
Spitzenwerte für Biotech-Marktkapitalisierungen auf um die 30 € ab, was einem Marktwert des Ak-
ein. tienkapitals von gut 1 Mrd. € entsprach. Heute (Juni
2015) liegt die Bewertung bei rund 500 Mio. €, was
»» Durch die rasant steigenden Kurse während in die heutige Small-Cap-Definition fällt.
dieses ‚Biotech Bull Markets‘ gibt es zwi- Auf mehr als 1 Mrd. € Marktkapitalisierung
schenzeitlich eine beachtliche Anzahl von kam Ende 2000 auch noch der Börsenneuling
US-amerikanischen Biotechs, die Market Caps LION bioscience. Der Kurs der Aktie gewann in
jenseits der 2 Mrd.-US$-Grenze haben. (Ernst & der Spitze »nur« um gut 100 %. Mit 87 € lag er
Young 2000) am Jahresende allerdings immer noch doppelt so
hoch gegenüber dem IPO-Ausgabepreis vom Au-
Allerdings waren die US-Spitzenfirmen wie Am- gust 2000. Später traf der Abschwung auch LION,
gen, Biogen, Chiron, Genzyme, Gilead oder Me- der Aktienkurs rutschte ab auf einen Tiefstand
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
379 5
von 2,30 € im November 2002. Ohne an dieser die Übernahme der GreenCross zur Verfügung
Stelle auf die Details der Entwicklungen bei LION gestellt.
einzugehen, bleibt festzuhalten, dass die Visionen
von LION im Grunde zehn bis 15 Jahre zu früh 5.2.1.2 Angesichts der
den Markt erreichten. Denn heutzutage ist das Exit-Versprechungen floss auch
Thema »Big Data« und damit die Bioinformatik Risikokapital in großen Mengen
wieder ein »heißes« Thema, weil immer klarer Die gute Stimmung am Kapitalmarkt reizte auch
wird, dass die gewaltigen Mengen an biologischen viele Risikokapital-Investoren, in Biotech einzu-
Daten eine sinnvolle Verarbeitung benötigen, um steigen. Gerade in den Jahren 2000 und 2001 wur-
daraus auch wirklich Informationen ziehen zu de viel Venture Capital (VC) bereitgestellt: jeweils
können. über 500 Mio. €, ein Betrag, der in späteren Jahren
QIAGEN beeindruckte ebenfalls zwischen nie wieder erreicht wurde. Im Zusammenhang mit
Herbst 1999 und Frühjahr 2000 mit einem Zu- der Risikoabsicherung über die öffentliche Hand
wachs von über 400 %. In der Spitze erreichte der (7 Risikoreduzierung versus Risikokapital) wurden
Kurs einen Wert von über 200 €, ausgehend von viele Startups finanziert, die bei genauerem Hin-
40 €. Im Maximum lag damit die Marktkapitalisie- sehen keine Chance gehabt hätten. Im allgemeinen
rung von QIAGEN bei rund 8 Mrd. €, Ende 2000 Rausch investierten auch viele VC-Gesellschaften,
waren es noch über 5 Mrd. € bei einem Kurs von die von Biotechnologie, Medikamenten-Entwick-
38,5 €. Im Sommer 2000 führte QIAGEN einen lungen und dem damit verbundenen Risiko offen-
Aktiensplit durch mit einem ungefähren Verhält- sichtlich nicht viel verstanden.
nis von 4:1. Der Kurs der Aktie landete damit bei . Abbildung 5.4 zeigt eine Übersicht zu den
rund 50 € und fiel dann noch bis Ende des Jahres größten Biotech-VC-Finanzierungen aus den Jah-
auf unter 40 €. Auch heute noch liegt der Markt- ren 2000 und 2001. Die Abfolge nach Monaten
wert von QIAGEN bei gut 5 Mrd. US$ (5 Mrd. €), spiegelt wider, dass ab Platzen der Börsenblase im
was einer Verfünffachung gegenüber dem Wert am Frühjahr 2001 auch die VC-Runden langsam klei-
Ende des US-IPO-Jahres entspricht. Als Entwickler ner ausfielen. Von den 18 Finanzierungen konnten
von Tools und später Molekulardiagnostika konn- die Investoren bei fünf einen potenziellen Exit auf-
ten Produkte im Vergleich zu den Medikamenten- grund eines späteren Börsengangs realisieren.
Entwicklern sehr viel schneller auf den Markt ge- Zwei Unternehmen sind heute noch existent,
bracht werden. aber privat geblieben. Neun Unternehmen muss-
Die gute Stimmung am Aktienmarkt nutz- ten sich durch eine Übernahme »retten«, wobei
ten bereits börsennotierte Unternehmen auch zu manche nach einer Insolvenz lediglich nur noch
weiteren öffentlichen Kapitalerhöhungen. Der aus Vermögensgegenständen bestanden. Eine
Dienstleister für DNS-Sequenzierung und -Syn- Ausnahme bei den Übernahmen stellen die bei-
these MWG Biotech nahm im Jahr 2000 weitere den Heidelberger Firmen Graffinity und Cellzo-
100 Mio. € ein, nachdem 1999 der Börsengang me dar: Sie schlüpften nicht aus einer Notsitua-
42 Mio. € in die Kasse spülte. Im Jahr 1999 konnte tion unter das Dach eines anderen Unternehmens.
die Aktie ebenfalls über 400 % zulegen. Die Aus- Graffinity fusionierte 2004 mit der schweizeri-
richtung als Dienstleister versprach zwar ein frü- schen MyoContract AG zur heutigen börsenno-
heres Erreichen einer Gewinnzone, dennoch wur- tierten Santhera Pharmaceuticals, und Cellzome
den auch übertriebene Erwartungen in deutsche ließ sich nach jahrelager Partnerschaft mit dem
Biotech-Unternehmen geweckt. Ebenfalls an der britischen Konzern GlaxoSmithKline von diesem
Börse nachlegen konnte der Hefe-Spezialist Rhein im Jahr 2012 aufkaufen. Cellzome operiert heu-
Biotech. Sie nahmen nach ihrem mit 20 Mio. € te als dessen Forschungseinheit mit Standort in
bewerteten Börsengang von 1999 im Jahr 2000 Heidelberg.
weitere 40 Mio. € ein. Weitere Mittel wurden für
380 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

07 Morphochem
Cardion
08
2000

febit
Ingenium Ph.
09

Epigenomics
11

NOXXON Pharma

© BioMedServices 2015
PAION
01

Verigen
Cellzome
5
03

metaGen Ph.
Micromet
Develogen
04
2001

Graffinity Ph.
10 08

MBT
Axxima Ph.
WILEX
11

Jerini Mio. €
12

Xantos

0 10 20 30 40 50

. Abb. 5.4 Größte Biotech-VC-Runden aus den Jahren 2000 und 2001, mit Angabe des Monats. Erstellt nach Daten von
Ernst & Young (2000 und 2002). Farbcode: dunkel: mit IPO, hell: noch existent, gepunktet: aufgekauft, gestreift: aufgelöst; Ph.
Pharmaceuticals

40 % der großvolumigen VC-Finanzierungen Umsatz von rund 800 Mio. € (plus QIAGEN über
entfielen auf den Großraum München, gefolgt von 1 Mrd. €). Die FuE-Ausgaben überstiegen den Um-
Berlin sowie auf dem dritten Platz gleichwertig satz und lagen bei 1,2 Mrd. €. Das entsprach einer
Heidelberg und Köln/Düsseldorf. Die Investition FuE-Quote von 154 %. Entsprechend gab es einen
in universitäre Genzentren an diesen Standorten, Verlust in der Branche, der bei rund 500 Mio. € lag.
die – außer Berlin – auch zu den Gewinnerregio- Viele der Firmen waren sehr klein, das heißt, 40 %
nen des BioRegio-Wettbewerbs zählten, schien in beschäftigten lediglich bis zu zehn Mitarbeiter.
gewisser Weise Früchte getragen zu haben. Denn Weitere 34 % kamen auf elf bis 30 Beschäftigte. Nur
viele der neuen Biotech-Unternehmen gründeten ein paar einzelne Biotech-Unternehmen zählten
sich aus den Universitäten heraus (7 Jerini, ein er- mehr als 100 Mitarbeiter.
folgreiches Unternehmen, ausgegründet aus der Ber- Der Großteil der Firmen konnte der Roten Bio-
liner Charité). technologie zugeordnet werden, wobei Medika-
menten-Entwickler, also Firmen, die bereits Wirk-
5.2.1.3 Status quo Ende 2001 stoffe in der Entwicklung hatten, ihre Pipeline im
Ende 2001 zählte die deutsche Biotech-Branche 386 Vergleich zum Jahr 1999 annähernd verdoppeln
Biotech-Unternehmen (nach Definition von Ernst konnten. Zwei Drittel davon befanden sich aller-
& Young), davon waren zwölf börsennotiert. Die dings noch in der Präklinik. Dagegen waren viele
Mitarbeiterzahl war auf über 13.000 angewachsen Molekulardiagnostika schon am Markt etabliert,
(ohne QIAGEN), und sie erwirtschafteten einen und es wurden bereits Produkte aus dem Bereich
Tissue Engineering am Markt angeboten.
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
381 5

Risikoreduzierung versus Risikokapital


»Aufgrund der Risikoreduzierung Gesellschaften und klassischen Überangebot sprechen. Das große
durch die Technologie-Beteili- Kapitalbeteiligungsgesellschaften Angebot an Kapital ist denn auch
gungs-Gesellschaft der Deutschen in Biotechnologie. Hinzu kommen der Hauptgrund für die zahlreichen
Ausgleichsbank (tbg) und die Kre- Banken, (Pre-)Seed-Capital Provider Gründungen von Biotech-Firmen
ditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und Business Angels. In den ver- der letzten zwei Jahre. Auch wenn
im Rahmen des BTU-Programms … gangenen zwei Jahren legten die aufgrund der internationalen
schossen in den letzten drei Jahren in der deutschen Biotech-Szene Tätigkeit einiger Investoren nur
neue Venture Capital-Gesellschaften engagierten Investoren neue Fonds ein Teil der genannten Summen
wie Pilze aus dem Boden. … Der mit einem Gesamtvolumen von den deutschen Biotechs zugute
Neue Markt [hatte sich] als profi- mindestens 2,8 Mrd. Euro auf, von kommt, ist es für einen angehenden
tabler Exitkanal bewährt … – ein denen etwa 1,2 Mrd. Euro für die Bioentrepreneur in Deutschland
weiterer Grund für das Prosperie- Biotechnologie vorgesehen waren. kein Problem mehr, Geld für eine
ren der Venture Capital-Szene in … Der größte, ausschließlich in Unternehmensgründung zu be-
Deutschland insgesamt. Nachdem Biotechnologie investierende Fonds, kommen. Die Situation hat sich also
nun die ersten Biotechs erfolgreiche ist mit einem Volumen von über gewandelt: Während die deutschen
Börsengänge durchgeführt haben 600 Mio. Euro der MPM BioVentures Biotechs vor drei Jahren noch um
und die Kapitalmärkte aufgrund von MPM Capital. Während sich eine Finanzierung konkurrierten,
der Kurszuwächse der Biotechs in die deutsche Biotech-Branche zu sind es heute die Investoren, die um
jüngerer Zeit geradezu euphorisch Zeiten des BioRegio-Wettbewerbs die Biotechs wetteifern. In diesem
auf Biotechnologie reagieren, in- noch über einen Mangel an »Early Konkurrenzkampf bleibt die Selek-
vestiert mittlerweile rund die Hälfte Stage«-Kapital beklagte, kann man tion oft auf der Strecke« (Ernst &
aller deutschen Venture Capital- zwischenzeitlich eher von einem Young 2000).

Jerini, ein erfolgreiches Unternehmen, ausgegründet aus der Berliner Charité


»1994 als Spin-off des Universitäts- klinischer Testung befindet, ist der sicherte die Unternehmensexpan-
klinikums Charité Berlin gegründet, Wirkstoff Icatibant, der für Anwen- sion und die Weiterentwicklung der
ist die Jerini AG inzwischen in zwei dungen beim erblichen Angioödem Technologien durch erfolgreiche
Segmente gegliedert: Jerini Peptide sowie bei der refraktären Aszites Auftragsforschung und -entwick-
Technologies (JPT) und Jerini Phar- in Leberzirrhose entwickelt wird. lung für renommierte, internationa-
maceuticals. Der Dienstleistungs- Icatibant wurde 2001 von der Firma le Pharmaunternehmen. Die erste
bereich JPT produziert ein breites Aventis einlizenziert … [und] ist ein Finanzierungsrunde erfolgte im
Spektrum von Peptiden und peptid- Peptidomimetikum, das hochspezi- Januar 2000 (4,5 Mio. €) mit dem Ziel
basierten Chips für internationale fisch den menschlichen Bradykinin- der Umwandlung von einer Dienst-
Pharma- und Biotech-Unternehmen B2-Rezeptor blockiert. Es wurde leistungsfirma/Technologiefirma
sowie Forschungsinstitutionen. JPT in den beiden o. g. Indikationen in eine Drug-Discovery-Company.
ist profitabel und führt seine Ge- bereits in der Phase II mit positivem Im Oktober 2001 schloss Jerini
winne an den Pharmabereich ab. Im Ausgang getestet. In der Indikation eine zweite Finanzierungsrunde
Drug-Discovery-Bereich setzt Jerini Angioödem beginnt Jerini in diesem (20 Mio. €) ab. Jerini hat Lizenz- und
seine Technologie sowohl in Koope- Jahr bereits mit der Zulassungs- Kooperationsabkommen mit den
rationen mit Pharmaunternehmen studie. Die Markteinführung ist für Firmen Bayer, Baxter und Merck
als auch auf eigenen Projekten das Jahr 2006 geplant. Jerini startete KGaA abgeschlossen« (Schneider-
ein. Das erste Produkt, das sich in 1994 ganz ohne Venture Capital und Mergener 2004).

Trotz des sich abzeichnenden Börsenab- einen Nenner bringen. Nach der Aufbruchstim-
schwungs war die Stimmung positiv, denn der Bio- mung im Jahre 1998 und der Gründerzeit im Jahr
tech-Bericht von Ernst & Young titelte Neue Chan- 2000 ist die Situation heute gekennzeichnet durch:
cen und resummierte (Ernst & Young 2002): 55 positive Entwicklung der Kennzahlen,
»Neue Chancen – so lässt sich die derzeitige Lage 55 neue Geschäftsmodelle,
und Stimmung der deutschen Biotech-Industrie auf 55 weitere Produktentwicklungen sowie
382 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

55 die Stärkung der existierenden und Entstehung Investoren stark forciert. Da die Produktent-
von neuen deutschen Biotech-Zentren«. wicklung jedoch vor allem im Bereich thera-
peutischer Wirkstoffe sehr langwierig und mit
großem Risiko behaftet ist, ist inzwischen auch
5.2.2 2002 bis 2004: Per Aspera Ad wieder eine Zunahme an Serviceleistungen zu
Astra (der steinige Weg zu den verzeichnen. Diese Ausrichtung wie auch an-
Sternen) dere Optionen zur kurzfristigen Generierung
von Umsätzen stellen eine Reaktion auf die
Die Bewertung über das Jahr 2002 fiel dann bereits verschärften Finanzierungsbedingungen dar.
wesentlich kritischer aus (Ernst & Young 2003): (Ernst & Young 2003)
»Zeit der Bewährung – Lage und Stimmung der
5 deutschen Biotech-Industrie hatten sich deutlich Auch 2003 ging es bei den wichtigen Kennzahlen
verändert. Im Gegensatz zu den früheren starken weiter abwärts (. Abb. 5.2). Viele Unternehmen
Wachstumsjahren stand die Branche am Scheide- kämpften um das Überleben und bewerkstellig-
weg – sie musste sich bewähren. Nach der Auf- ten dies über das Anbieten von Dienstleistungen.
bruchstimmung im Jahr 1998 und der Gründerzeit Zudem vollzogen einige Firmen umfangreiche
im Jahr 2000 sowie den im Jahr 2001 heraufzie- Restrukturierungsmaßnahmen, um durch eine
henden neuen Chancen war die Situation geprägt Neuausrichtung bessere Überlebenschancen zu
durch: haben.
55 Stagnation und leicht negative Entwicklung
der Kennzahlen, »» ‚Obwohl wir unsere Umsätze im Jahr 2002
55 deutlich gesunkenes Volumen bei Risikokapi- um 300 Prozent steigern konnten, haben wir
tal-Finanzierungen, aber auch durch keinen geeigneten Investor für eine dritte
55 eine Verzögerung der Verlustzunahme durch Finanzierungsrunde gefunden. Die daraufhin
Kosteneinsparprogramme, durchgeführten Umstrukturierungsmaß-
55 eine zunehmende Anzahl an Wirkstoffen in nahmen waren erfolgreich, so dass sich das
Phase I«. Unternehmen weiterhin sehr positiv im Markt
entwickelt und 2003 die Profitabilität ohne zu-
Zum ersten Mal seit dem ab Mitte der 1990er- sätzliches VC erreichen wird.‘ Rainer Christine,
Jahre einsetzenden starken Wachstum der deut- CEO, amaxa, Köln. (Ernst & Young 2003)
schen Biotech-Industrie hatte sich die Anzahl der
Firmen verringert. Die Zahl der Neugründungen Einen kleinen Lichtblick gab es aber, da sich im Jahr
konnte diejenige der Abgänge aufgrund von Insol- 2003 gegenüber dem Vorjahr die Zahl der Wirk-
venzen, Geschäftsauflösungen und Übernahmen stoff-Projekte wieder leicht erhöhte. Einigermaßen
nicht aufwiegen. Auch wichtige Kennzahlen wie marktnah, das heißt in Phase III, befanden sich
Zahl der Mitarbeiter, Höhe der FuE-Ausgaben, aber lediglich fünf von 69 Kandidaten in der klini-
Umsatz sowie in Entwicklung befindliche Wirk- schen Entwicklung.
stoffe nahmen leicht ab. Die Ausrichtung der Ein weiterer Lichtblick war die deutsche
Geschäftsmodelle kommentiert Ernst & Young Marktzulassung von Eligard im Dezember 2003.
(2003) wie folgt: Die Münchener Medigene hat 2001 die europäi-
schen Vermarktungsrechte von Tolmar Therapeu-
»» Bei den Geschäftsmodellen ist der Trend zur tics (Atrix) erworben, die eine neue Formulierung
produktentwickelnden Firma nach wie vor für den seit 1985 als NME eingeführten Peptid-
aktuell. Diese Geschäftsausrichtung wurde wirkstoff entwickelt hatten und dafür im Januar
in den letzten Jahren wegen der Aussicht auf 2002 die FDA-Zulassung erhielten. Das Medika-
Generierung hoher Umsätze auch von den ment wirkt Testosteron-senkend und dient somit
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
383 5
der Behandlung von Prostatakarzinomen. Medi- Kurse bei den »großen« Vertretern GPC Biotech,
gene war damit das erste deutsche neu gegründete Evotec, MorphoSys und Medigene. Diese nutzten
Biotech-Unternehmen, das ein Arzneimittel zur den Aufschwung sodann gleich für Kapitalerhö-
Marktzulassung führte. Der Vertrieb erfolgte in hungen, wie . Tab. 5.4 zeigt. Der Kursaufschwung
Partnerschaft mit dem japanischen Pharma-Kon- fand Mitte 2004 ein Ende, danach bewegte sich die
zern Astellas. deutsche »Biotech-Börse« seitwärts, weil die Werte
Dieses für die deutsche Biotech-Industrie als GPC Biotech und Evotec wieder Kursverluste ein-
positiv gesehene Signal stand nach wie vor im fuhren.
Schatten der beeindruckenden Entwicklung der Auch die VC-Finanzierungen brachen ein und
US-Biotech-Unternehmen. So hatte die 1976 ge- sanken um mehr als 50 % im Vergleich zu den
gründete (über 25 Jahre alt) Genentech zu dem üppigen Vorjahren. In den Jahren 2002 bis 2004
Zeitpunkt bereits 13 neuartigen Medikamenten auf gab es lediglich zwölf größere Runden, die auch
den Markt verholfen und wies zudem eine gut ge- nur ein Maximum von bis zu 30 Mio. € erzielten
füllte Pipeline auf. Die Nachricht von positiven Er- (. Abb. 5.5).
gebnissen der klinischen Studie zu Avastin – einem Der Schwerpunkt der Investitionen verschob
damals neuartigen Krebs-Medikament – sowie die sich dabei zunehmend auf die sogenannten Later-
nachfolgende US-Zulassung im Februar 2004 führ- Stage-Runden, also auf Firmen, die mit ihren Ent-
ten zur Verdreifachung des Wertes der Genentech- wicklungen bereits weiter fortgeschritten waren.
Aktie (Ernst & Young 2004). Neidisch musste die Eigentliches Risikokapital für frühere Runden be-
deutsche Biotech-Industrie auf die sich bereits wie- ziehungsweise jüngere Firmen ging zurück.
der erholende US-Biotech-Industrie blicken. Dort
war für das Jahr 2003 schon von back on track die »» ‚Insgesamt zeichnete sich das Jahr 2003 durch
Rede. einen tiefen Pessimismus nicht nur seitens der
Biotech-Branche, sondern insbesondere sei-
5.2.2.1 Finanzierung auf dem Tiefpunkt, tens der Geldgeber und Investoren aus. Wenn
ab 2004 langsame Erholung die Euphorie im Jahre 2002 80 Punkte über die
Der Absturz der Börse zeichnete sich (im Nachhi- Null-Linie ausschlug, so schlägt der derzeitige
nein) bereits Ende 2000 ab, ging dann 2001 in den Pessimismus mindestens 140 Punkte unter der
freien Fall über, fing sich Anfang 2002 wieder leicht, Null-Linie aus.‘ Paul Cullen, CEO, ogham, Müns-
um im Laufe des Jahres 2002 fortzufahren und am ter. (Ernst & Young 2004)
Jahresanfang 2003 eine Talsohle zu erreichen. Im
sich schließenden Börsenfenster schaffte im Feb- Die Verschlechterung der Kapitalmarktsituation
ruar 2001 gerade noch so die Berliner co.don ihren mit nachfolgendem Versiegen der externen Finan-
mit 23 Mio. € bewerteten Börsengang. Danach war zierungsquellen traf die junge Branche mitten im
der öffentliche Kapitalmarkt für deutsche Biotech- Aufbruch. Vielversprechende Projekte mussten
Firmen zweieinhalb Jahre geschlossen, bis im Juli mangels Kapital eingefroren werden. Zudem ent-
2004 der Berliner Molekulardiagnostik-Spezialist wickelten die Firmenlenker Strategien, mit denen
Epigenomics den Gang auf ’s Parkett wagte. Mit sich die Unternehmen trotz finanzieller Flaute über
einem Erlös von 42 Mio. € lag er auf dem Niveau Wasser halten ließen: strategische Allianzen, Wech-
der IPOs aus dem Jahr 1999. sel des Geschäftsmodells von der Produkt- zur Ser-
Zuvor hatte sich nach dem Durchschreiten viceorientierung, Fusionen und Übernahmen so-
der Talsohle ab dem Frühjahr 2003 die Stim- wie Mitarbeiterreduktion.
mung am Kapitalmarkt wieder langsam erholt
und bis Jahresanfang 2004 eine Verdopplung der 5.2.2.2 Die Branche wurde kräftig
Gesamt-Marktkapitalisierung der deutschen bör- durchgeschüttelt
sennotierten Biotech-Gesellschaften erbracht. Ge- Ende 2004 war vom Abschwung dann langsam eine
trieben wurde diese Entwicklung durch steigende Talsohle in Sicht. Allerdings verlor die deutsche
384 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 5.4 Kapitalmaßnahmen deutscher börsennotierter Biotech-Unternehmen im Jahr 2004. (Quelle: BioMed-
Services (2015) nach Ernst & Young (2005))

Firma Erlös (Mio. €) Typ Monat Anmerkung

Epigenomics 41,6 IPO 07

QIAGEN 124 Wandelanleihe 08 In USA, nicht in Statistik

GPC Biotech 87 SPO/PIPE 06

Medigene 38,3 PIPE/SPO/Wandelanleihe 03/11

MorphoSys 9 Wandelanleihe 05 Investment Novartis

5 MWG Biotech 10,4 SPO/Wandelanleihe 07/12 Investment Eurofins

Evotec 7,5 PIPE 07

MOLOGEN 1,9 PIPE 12

co.don 0,3 SPO 11

IPO initial public offering, SPO secondary public offering (Nachfinanzierung an Börse), PIPE private investment in
public equity

apovia © BioMedServices 2015


04

Pieris
10
2002

Xerion Ph.
febit
11

WILEX
Alantos Ph.
02
2003

Cellzome
03

Epigenomics
Graffinity Ph.
07 06 03 01

Heidelberg Pharma
2004

Jerini
Develogen Mio. €

0 5 10 15 20 25 30 35

. Abb. 5.5 Größte Biotech-VC-Runden aus den Jahren 2002 bis 2004, mit Angabe des Monats. Erstellt nach Daten von
Ernst & Young (2003–2005). Farbcode: dunkel: mit IPO, hell: noch existent, gepunktet: aufgekauft, gestreift: aufgelöst; Ph.
Pharmaceuticals

Biotech-Branche von 2002 bis 2004 ein Viertel sei- 2001 sogar noch erhöht. Weitere 30 % beschäftigten
ner Mitarbeiter, und die FuE-Ausgaben reduzierten zwischen elf und 30 Mitarbeiter. Ein oft erwarteter
sich um 34 %. Noch immer waren die Firmen sehr Einbruch bei der Anzahl der Firmen hatte indes
klein, das heißt, die Hälfte zählte nur bis zu zehn nicht stattgefunden, obwohl viele Firmen Insolvenz
Mitarbeiter. Dieser Anteil hatte sich von 40 % Ende anmelden mussten. Neu gegründete Firmen konn-
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
385 5
ten dem einigermaßen die Waage halten. Diese dert es kaum, dass sich die Zahl der Eigenkapital-
waren allerdings sehr viel weniger oft mit Risikoka- finanzierten Firmen sowie diejenige der Medika-
pital finanziert als noch zu Zeiten des Booms. Die menten-Entwickler mehr oder weniger deckte: Um
damalige Entwicklung fasst auch biotechnologie.de die 80 bis 100 deutsche Biotech-Firmen suchten
(2007b) gut zusammen: und entwickelten Wirkstoffe, rund die Hälfte davon
noch in der Forschung oder präklinischen Phase.
»» Die Jahre 2002 bis 2004 haben die meisten Gemeinsam kamen sie auf ein Portfolio von über
Biotech-Firmen in Deutschland nicht mehr in 200 Wirkstoff-Projekten, mehr als die Hälfte davon
guter Erinnerung: Nach dem Börsenboom um allerdings noch in der Präklinik. Die klinischen
die Jahrtausendwende und millionenschweren Projekte konzentrierten sich auf gut 60 Biotech-
Finanzierungsrunden zogen sich die Investo- Firmen, im Schnitt waren das etwas mehr als ein
ren ab 2002 aus dem Markt zurück. Obwohl die Projekt pro Firma. Ein riskantes Unterfangen, wenn
Gesamtzahl der Unternehmen kaum zurück- die Ausfallrate bei der Medikamenten-Entwicklung
ging, wurde die Branche kräftig durchgeschüt- berücksichtigt wird. Nur wenige Firmen verfolgten
telt: Rund 80 Unternehmen mussten in dieser zum Beispiel mehr als vier Projekte gleichzeitig.
Zeit Insolvenz anmelden, allerdings wurden Letztlich war es eine Frage der finanziellen Aus-
fast ebenso viele auch wieder neu gegründet. stattung.
Anders als Experten erwartet hatten, fanden Im Vergleich brachten es elf deutsche Pharma-
kaum Übernahmen und Fusionen statt. (bio- Firmen auf 134 Wirkstoff-Projekte (. Abb. 5.6), wo-
technologie.de 2007b) bei in der klinischen Entwicklung und Zulassungs-
phase 89 Kandidaten steckten, also rund acht pro
Unter den Insolvenzen des Jahres 2004 waren 84 % Unternehmen. Verglichen mit der Biotech-Pipeline
mit Risikokapital finanziert, und auch insgesamt führt Ernst & Young (2005) aus: »Ein eindrucks-
lag die Rate der risikofinanzierten Insolvenzen der voller Unterschied wird im präklinischen Bereich
Abschwungjahre höher als diejenige von Unter- sichtbar, in dem die Biotech-Unternehmen über
nehmen ohne diese Kapitalquelle. In der Boom- dreimal so viele Projekte verfolgen wie die Phar-
phase hatten manche Investoren aufgrund man- ma-Firmen. Dies deckt sich mit der hohen Bedeu-
gelnder Erfahrung in Konzepte investiert, die sich tung der Biotech-Industrie zur Füllung der leeren
als nicht marktfähig oder umsetzbar erwiesen. Pharma-Pipelines.«
Insgesamt gingen so fast 500 Mio. investierte Euro
verloren. Unter den Neugründungen des Jahres 5.2.2.3 Ein Resummee zum Jahr 2004
2004 war dagegen keine VC-finanzierte Firma Die »Kräfte der Evolution« – so der Bericht von
mehr zu finden. Ernst & Young über das Jahr 2004 (Ernst & Young
Von den fast 400 Unternehmen der Biotech-In- 2005) – hatten zur Folge, dass die Industrie weiter-
dustrie in Deutschland waren Ende 2004 allerdings hin von Konsolidierung, das heißt von Insolvenzen
fast drei Viertel nicht VC-finanziert, das heißt un- und Restrukturierungen, geprägt war (7 Kräfte der
abhängig von dieser externen Kapitalquelle. Viele Evolution).
kleine Unternehmen finanzierten sich über Part- Doch letztlich, so sagte Ernst & Young (2005)
nerschaften oder Dienstleistungen, zum Teil er- voraus, würde dies der Branche nach harten Jahren
gänzt durch Fördermittel. Als Produkte wurden einen Neuanfang ermöglichen, aus dem sie gestärkt
Molekulardiagnostika oder auch Technologien ver- hervorgehen könnte. Die ersten Zeichen der Stär-
kauft. Der Anteil an Firmen, die überhaupt keinen kung waren bereits erkennbar:
Umsatz machten, lag bei 16 %, 2002 waren es noch 55 gestiegener Umsatz und gesunkener Verlust;
25 % gewesen. Ein ebenso kleiner Anteil erwirt- 55 mehr Firmen waren profitabel;
schaftete mehr als 4 Mio. € pro Jahr – eine Größen- 55 leicht zunehmende Zahl der Neugründungen;
ordnung, mit der sich Medikamenten-Entwicklung 55 über 150 Firmen hielten die Einstellung neuer
eigentlich nicht betreiben lässt. Von daher verwun- Mitarbeiter im Jahr 2005 für wahrscheinlich;
386 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

PI PII PIII
Pharma Präklinik 45 16
(11) 12 41 20

Zulassung

PI PII PIII
Biotech Präklinik 178
5 (87) 34 46 10

© BioMedServices 2015

0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %

. Abb. 5.6 Wirkstoff-Projekte deutscher Biotech- und Pharma-Unternehmen im Vergleich (Stand 2004). Erstellt auf Basis
von Daten aus Ernst & Young (2005). Anzahl der Firmen in Klammern. P Phase

Kräfte der Evolution


»Das diesjährige Motto des deut- zess der Konsolidierung. Die Folge überleben und wachsen. Dazu
schen Biotechnologie-Reports, ist eine zunehmende Aufteilung gehört eine stärkere Finanzbasis
beschreibt den Prozess der Diffe- in Firmen, die ihre Position stärken ebenso wie starke Partner und
renzierung und Selektion, der im konnten und Unternehmen, die akzeptable staatliche Rahmenbe-
vergangenen Jahr in der deutschen Rückschritte bis hin zu Insolvenzen dingungen. Aber auch die Biotech-
Biotech-Branche stattgefunden hinnehmen mussten. ‚Die Schere Firmen selbst müssen durch unter-
hat. Auf dem ‚steinigen Weg zu den öffnet sich‘ wäre ein ebenso pas- nehmerisches, markt- und kunden-
Sternen‘ wirken nun deutlich die sender Titel gewesen. Auf Grund orientiertes Handeln ihren Beitrag
Kräfte der Evolution. Der aktuelle erkennbarer Fortschritte in einigen leisten. Dieses war in der jüngsten
Titel deutet auf den nach wie vor Bereichen und zunehmend positi- Vergangenheit oft nicht möglich, da
andauernden Kampf der Branche ver Stimmung scheint es, als ob die sie gegenüber den Finanziers in die
um das ‚Survival of the Fittest‘ hin. Talsohle fast durchschritten wäre. Defensive gedrängt waren« (Ernst &
Anpassungen werden sichtbar und Die wieder aufkeimende deutsche Young 2005).
behaupten sich im Selektionspro- Biotech-Industrie muss nun weiter

55 deutlich mehr Wirkstoffe hatten die klinische 55 Unterstützung und Förderung des Sektors
Phase II und III erreicht, einige Wirkstoffe seitens des Bundes und der Länder;
konnten erfolgreich auslizenziert oder verkauft 55 allerdings waren nach wie vor einige Rahmen-
werden; bedingungen stark verbesserungsbedürftig.
55 insolvent gemeldete Firmen konnten von an-
deren Unternehmen übernommen werden; »» ‚Auch mit einer zaghaften Aufhellung des bio-
55 gestiegene Zahl an kommerziellen Partner- technologischen Geschäftsklimas in Deutsch-
schaften; land sehen wir die Schere zu den USA und
55 leicht gestiegenes Volumen an Risikokapital- auch neuerdings zu den asiatischen Clustern,
Finanzierungen; wie Singapur, weiter aufgehen. Viele deutsche
55 ein Börsengang sowie einige Kapitalerhöhun- Unternehmen agieren zunehmend aus einem
gen bereits börsennotierter Unternehmen; großen Kostendruck heraus, der zu Lasten der
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
387 5
Innovationen geht. CureVac versucht dem in die Gesamtbeurteilung, beispielweise im Bereich
gegenzusteuern, indem schon seit Gründung der Risikokapital-Finanzierung, die eingebrochen
eine umsatzgesteuerte Business-Einheit auf- war. Dennoch sah man die deutsche Biotech-Bran-
gebaut wurde, die Innovationen stützt und che auf einem guten Weg, der sich vor allem auf
zur Finanzierung beiträgt.‘ Ingmar Hoerr, CEO eine zunehmende Anzahl an Produkten mit abseh-
CureVac, Tübingen. (Ernst & Young 2005) barem Marktzugang gründete«.

5.2.3.1 Eine Produkt-Zulassung und


5.2.3 2005 bis 2007: Zurück in die zwei Kandidaten kurz davor
Zukunft und mit verhaltener Im Oktober 2006 konnte erneut die Münchener
Zuversicht auf gutem Kurs Medigene Positives verkünden: die US-Zulassung
von Polyphenon E (Handelsname Veregen). Das
Und wiederum fasst der Bericht von Ernst & Young Konzentrat von Katechinen aus grünem Tee wirkt
(2006) die Situation gut zusammen: »‚Zurück in immunmodulatorisch und virenhemmend bei Ge-
die Zukunft‘ beschrieb am besten die Situation nitalwarzen. Medigene hatte in zwei Schritten 1999
in der deutschen Biotech-Industrie im Jahr 2005. und 2003 die weltweiten Exklusivrechte von der
Nach den Rückschritten und der Selektion der ver- kanadischen Epitome Pharmaceuticals erworben.
gangenen Jahre zeichnete sich der Beginn einer Anfangs kooperierten beide Unternehmen in einer
Stabilisierung ab. Die Branche hatte auf den Weg multizentrischen Phase-II-Studie. Medigene führte
zurückgefunden, der die ursprüngliche Zukunfts- zwei Phase-III-Studien durch, eine in Europa und
perspektive als Innovationsmotor des Hochtech- eine in den USA. Im September 2005 reichte sie
nologiestandorts Deutschland wieder rechtfertig- dann die Ergebnisse bei der FDA ein. Später bean-
te. Auf diesem Weg zurück in die Zukunft hatte tragte die Biotech-Gesellschaft die Marktzulassung
die deutsche Biotech-Industrie wieder an Fahrt in einzelnen europäischen Ländern und erhielt ab
gewonnen und dies auf einer solideren Basis mit 2009 sukzessive grünes Licht für Deutschland, Spa-
mehr Substanz. Die wichtigsten Entwicklungen im nien, Schweiz und andere Staaten innerhalb Euro-
Jahr 2005 waren: pas. Die Vertriebsrechte für diese Länder vergab
55 Rückgang bei Mitarbeiterzahl und FuE-Auf- Medigene im Laufe der Jahre an unterschiedliche
wendungen war abgebremst; Pharma-Partner. Weitere Zulassungen erfolgten
55 steigender Umsatz; später zudem in Taiwan und Kanada. Heute trägt
55 Zunahme der Zahl der Wirkstoffe in Phase II das Medikament rund 5 Mio. € an Umsatzerlösen
und III der klinischen Entwicklung; bei Medigene bei, die sich seit Anfang 2014 neu
55 weniger Insolvenzen, dafür gestiegene Zahl an auf neuartige Krebs-Immuntherapien ausgerichtet
Fusionen und Akquisitionen; hat. Anfänglich war Veregen komplementär zu an-
55 kräftiger Anstieg der Eigenkapital-Finanzie- deren Projekten von Medigene, die sich mit durch
rungen und wieder mehr Börsengänge«. den humanen Papillomvirus (HPV) ausgelösten
Krebserkrankungen auseinandersetzten.
Zu der Entwicklung im Jahr 2006 führt Ernst & Die beiden Wirkstoffkandidaten, die im Jahr
Young (2007) weiter aus: »Die Biotech-Industrie in 2006 in die Zulassungsphase eintraten, stammten
Deutschland hatte ihren im Jahr zuvor eingeschla- ebenfalls von Münchener Firmen: das bereits er-
genen Weg der Stabilisierung und optimistischen wähnte Satraplatin von GPC Biotech (7 Abschn. 5.2)
Zukunftsorientierung fortgesetzt. Solide Fortschrit- sowie ein Wirkstoff der IDEA zur Behandlung von
te bei Umsätzen, Produktentwicklungen und ande- Osteoarthritis im Knie. Die Besonderheit bei letz-
ren Unternehmenskennziffern rechtfertigten diese terem Produkt war eine spezielle Technologie zur
Zuversicht und begründeten die deutlich positivere Arzneimittel-Verabreichung (drug delivery) über
allgemeine Stimmung in der Branche. Trotz dieser sogenannte Transfersomen. Beide Medikamenten-
positiven Entwicklung mischten sich einige Zweifel kandidaten erreichten allerdings nie den Markt,
388 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

600
565 © BioMedServices 2015
Mio. € 525 Family Offices & Private
500 Klassisches VC
Kapitalerhöhungen notierter Firmen
IPOs
400
347

65 297
300
258 50
216 236
5 200 175
207
50 72

100

0
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

. Abb. 5.7 Eigenkapital-Finanzierung deutscher Biotech-Unternehmen in den Jahren 1999 bis 2007. Erstellt auf Basis
von Daten aus Ernst & Young (2000–2008). IPO initial public offering, VC Venture Capital

weil die Zulassungsanträge entweder abgewiesen den 1980er-Jahren gegründeten Generika-Her-


oder wieder zurückgezogen wurden. steller Hexal erfolgreich aufgebaut, somit welt-
weit fast 8000 Arbeitsplätze geschaffen und ihn
5.2.3.2 Gemischtes Bild bei den im Jahr 2005 für 5,65 Mrd. € an die schweizeri-
Finanzierungen sche Novartis-Tochter Sandoz verkauft.
Bei der externen Eigenkapital-Finanzierung er- 55 Family Office Hopp (dievini Hopp Biotech
brachte der Zeitraum 2005 bis 2007 eine Mischung Holding, DH Capital): Dietmar Hopp war Mit-
aus Licht und Schatten: Die VC-Finanzierung, die begründer der SAP und hält heute noch rund
nach der Boomphase 2000 und 2001 massiv ein- 5 % Inhaber-Stammaktien des notierten Soft-
gebrochen war, erholte sich 2005 sichtbar, um in ware-Konzerns.
den Jahren 2006 und 2007 wieder zu fallen und
zu steigen (. Abb. 5.7). So zerbrach die Hoffnung Weiterhin finden sich in dieser Kategorie Risiko-
auf kontinuierliches Investoreninteresse. Ab 2004 kapital-Investitionen, bei denen die Geldgeber Pri-
traten aber regelmäßig »neue« Investoren in der vatleute sind, die nach einer Möglichkeit suchen,
deutschen Biotech-Industrie auf, die in . Abb. 5.7 finanzielle Investments zu tätigen. Organisiert wird
als »Family Offices & Private« bezeichnet sind. Die das über Fonds, in Deutschland in der Biotechno-
Family Offices stellen Investment-Vehikel wohlha- logie sehr aktiv sind hierbei die MIG Fonds.
bender Familien dar, die ihr Vermögen selbst durch Die größte VC-Runde belief sich in dieser Phase
Unternehmertum aufgebaut haben. In die deutsche auf 40 Mio. € (7 Der Weg zu einer 40-Mio.-€-Runde:
Biotech-Industrie investierten dabei in den Jahren Erfahrungen von immatics auf der Suche nach Kapital),
2004 bis 2007: und es wurde hier der Grundstein für die zweite
55 Family Office Strüngmann (Jossa Arznei, Athos Generation an VC-finanzierten Firmen gelegt, die
Service, Santo Holding, AT NewTec, AT Impf, heute zum Teil zu den großen Hoffnungsträgern der
ATS): Die Strüngmann-Brüder haben den in deutschen Biotech-Industrie zählen (. Tab. 5.5).
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
389 5

. Tab. 5.5 Ausgewählte Biotech-VC-Finanzierungen nach Erlös (Mio. €) in den Jahren 2005 bis 2007. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Ernst & Young (2006, 2007 und 2008))

Firma Erlös (Mio. €) Jahr Ausgewählte Investoren

immatics 40 2007 3i Group, DH Capital, EMBL Ventures, Grazia Equity, KfW,


biotechnologies L­-EA, Merifin, NTEC, Vinci Capital, Wellington

Glycotope 40 2007 Jossa Arznei

Ganymed Pharmaceu- 37 2007 VI Partners, Future Capital, Ingro Finanz, LBBW, MIG
ticals Fonds, Nextech Venture, ONC Partners, Varuma, ATS Be-
teiligungsverwaltung

NOXXON Pharma 37 2007 DEWB, Dow Venture Capital, Rothschild, IBG, Seventure
Partners, Sofinnova Partners, TVM Capital

CureVac 35 2006/2007 DH Capital

Curacyte 32 2005 TVM Capital, Hopp, Quintiles, IBG

Affimed Therapeutics 30 2007 BioMedInvest, First Ventury, LSP, OrbiMed Advisors, Novo
Nordisk

WILEX 30 2005 Karolinska Investment Fund, Quintiles, Apax, TVM Capi-


tal, Earlybird

Antisense Pharma 27 2007 Global Chance Fund, MIG Fonds, S-­Refit

U3 Pharma 27 2006 Alta Partners, Atlas Venture, BioM, Bio*One Capital,


Rothschild

Probiodrug 21 2007 TVM Capital, HBM BioVentures, IBG, Sachsen LB, tbg,
Bayern Kapital

Cytonet 20 2007 DH Capital

Heidelberg Pharma 16 2006 HDP Beteiligung (Hopp)

Apogenix 15 2005 DH Capital

KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau, LSP Life Sciences Partners, tbg Technologie-Beteiligungs-Gesellschaft

In den Jahren 2005 und 2006 waren ein weiterer Die zeitweise positive Kapitalmarkt-Stimmung
Lichtblick die wieder stattfindenden Börsengänge nutzten auch bereits börsennotierte Biotech-Ge-
(7 Drei Biotech-Börsengänge im Jahr 2005 und sechs sellschaften für weitere Kapitalerhöhungen. Mit
im Jahr 2006) von PAION, Jerini, 4SC, Arthro Ki- dabei waren wieder die »Großen« der deutschen
netics, GENEART, LipoNova, WILEX, NascaCell gelisteten Biotech-Gesellschaften: GPC Biotech,
und Biofrontera. Im Mai 2007 »rutschte« noch die MorphoSys, Evotec und Medigene. Ursache oder
Darmstädter CytoTools über ein Listing ohne Kapi- Wirkung des Stimmungsaufschwungs waren deut-
talaufnahme an die Börse. Sie fungiert als Holding liche Kursanstiege bei einem Teil dieser Firmen.
für die Töchterfirmen DermaTools Biotech und Insbesondere GPC Biotech explodierte aufgrund
CytoPharma. Danach schloss sich das Frankfurter der positiven Nachrichten zu ihrem Portfoliokan-
Börsenfenster für Biotech-Unternehmen, und nie- didaten Satraplatin, der Ende 2006 in die Zulas-
mand ahnte, dass dies für sehr lange Zeit so sein sungsphase eintrat. Dessen Flop verursachte im
würde. Ein Schatten, der noch heute (Sep 2015) an- Juli 2007 allerdings einen dramtischen Absturz der
hält. Zwar gelang drei deutschen Biotech-Firmen GPC-Aktie.
im Jahr 2014 wieder eine Listung ihrer Aktien, al- Auch der 2004er-IPO von Epigenomics sowie
lerdings an ausländischen Börsen. das 2005er-Listing von 4SC sammelten nochmals
390 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

Der Weg zu einer 40-Mio.-€-Runde: Erfahrungen von immatics auf der Suche nach Kapital
»Anfang 2004 hatte immatics [ge- ab. Nachdem gegen Ende 2006 weit- erst wenige Mitarbeiter, wurde die
gründet 2000] die Serie A-Finanzie- reichende Einigkeit zwischen dem Basis für Kontinuität in diesen Be-
rungsrunde in einem vergleichswei- Management, den bestehenden langen geschaffen. Dazu zählen
se widrigen Klima realisieren kön- Anteilseignern und den neuen In- die Ergänzung des (Management-)
nen. Mit der Zusage von 40 Millio- vestoren erzielt worden war, wurden Teams mit erfahrenen Mitarbei-
nen Euro durch ein internationales weitere Verhandlungsgespräche nur tern, die Professionalisierung des
Konsortium von Investoren konnte noch mit dem vom Management Personalwesens, der Aufbau eines
dann drei Jahre später, im Februar und den Gründern bevorzugten eigenen QM-Systems und die Ein-
2007, der Abschluss der seit Anfang Konsortium unter Führung von führung von SOPs [Standard Opera-
2001 größten Finanzierungsrunde Dietmar Hopp geführt. Beteiligt an ting Procedures] nicht nur dort, wo
5 für ein deutsches Biotech-Unter-
nehmen gemeldet werden. Dieser
der Serie B-Runde waren schließlich
neben der Familie Hopp und allen
diese zur Einhaltung internationaler
Standards (GCP, GMP) absolute
war eine mehr als ein halbes Jahr Serie A-Investoren auch weitere Voraussetzung sind, sondern auch
in Anspruch nehmende, intensive neue Co-Investoren. Bereits für den in Bereichen außerhalb von F&E,
Roadshow vorausgegangen. Der erfolgreichen Abschluss der A-Run- beispielsweise die Kommunikation
Business Plan von immatics wurde de von maßgeblicher Bedeutung, oder die Administration betreffend.
an 50 als interessiert eingestufte waren die Überzeugungskraft des Neben der stetigen Präsenz gegen-
Investoren aus Europa, den U.S.A., wissenschaftlichen Konzepts und über den Investoren haben die für
Japan und dem Nahen Osten ver- das Gründerteam. Weitere Voraus- eine vollständige Dokumentation
schickt, es wurden auf VC- und setzungen waren eine lückenlose etablierten Regeln dazu beigetra-
Partnering-Konferenzen über 100 Dokumentation, eine offene und gen, dass die Investoren sich schnell
Kurzpräsentationen gehalten, dazu transparente Kommunikation des und umfassend ein Bild von der
kamen ca. 30 ausführliche Präsenta- Managements sowie die Bereit- Firma, ihrem Forschungsansatz und
tionen und Meetings. Im 4. Quartal schaft der Gründer, den Aufbau von den Ergebnissen machen konnten,
2006 zeichneten sich mit zuneh- immatics im Dialog mit Experten womit der Weg zu positiven In-
mender Deutlichkeit zwei mögliche aus dem Umfeld der Investoren zu vestitionsentscheidungen geebnet
Konsortien mit unterschiedlichen gestalten. Direkt nach Abschluss wurde« (Emmerich 2007).
Konstellationen neuer Investoren der Serie A, immatics hatte damals

Drei Biotech-Börsengänge im Jahr 2005 und sechs im Jahr 2006


»Im Februar wagte sich zuerst eine Privatplatzierung bei Investo- GENEART aus Regensburg …, Lipo-
PAION auf das Frankfurter Parkett ren außerhalb Deutschlands und Nova aus Hannover … sowie WILEX
und erlöste 40 Mio. EUR, die durch außerhalb der USA platziert. Der aus München … [alle in Frankfurt].
Ausübung der Mehrzuteilungs- Erlös betrug knapp 50 Mio. EUR, Die weiteren Börsenneulinge –
reserve (Greenshoe) auf insgesamt die Marktkapitalisierung zum IPO Biofrontera aus Leverkusen sowie
46 Mio. EUR erhöht wurden. Beim 157 Mio. EUR. Schließlich notierte NascaCell Technologies aus Mün-
Ausgabekurs von acht Euro betrug 4SC im Dezember seine Aktien unter chen – haben lediglich ihre Aktien
die Marktkapitalisierung zum IPO dem Symbol VSC … Der Börsengang listen lassen, ohne zusätzliches
126 Mio. EUR. Die Emission war war nicht mit einer Kapitalerhöhung Kapital aufzunehmen. … Hinsichtlich
deutlich überzeichnet. Nachfrage verbunden. Der Aktienpreis von des Volumens konnte das Jahr 2006
bestand besonders bei institutionel- 4,24 EUR ergab beim Börsenlisting nur mit einem Schwergewicht, dem
len Anlegern aus Großbritannien, eine Marktkapitalisierung von Medikamenten-Entwickler WILEX,
der Schweiz und den Vereinigten 45 Mio. EUR. (Ernst & Young 2006). aufwarten. Die rund 55 Mio. EUR
Staaten. Die beiden weiteren Bör- Von den sechs Börsenneulingen [im IPO-Erlös waren der höchste Betrag
sengänge erfolgten erst Ende 2005: Jahr 2006 gaben] lediglich vier ein seit dem Boomjahr 2000, wo noch
Jerini legte Anfang November den öffentliches Angebot in Verbindung Spitzenwerte von über 100 Mio. EUR
Platzierungspreis seiner Aktie auf mit einer Kapitalerhöhung … [ab]: Emissions-Volumen erzielt wurden«
3,20 Euro fest. Die Aktien wurden Dies waren … Arthro Kinetics mit (Ernst & Young 2007).
im Rahmen eines öffentlichen An- Hauptsitz in Esslingen (am Börsen-
gebotes in Deutschland sowie über segment AIM der Londoner Börse),
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
391 5

. Tab. 5.6 Top-Allianzen deutscher Biotech-Firmen nach potenziellem Wert in den Jahren 2005 bis 2007. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Ernst & Young (2008))

Firma Partner Land Jahr Wert (Mio. €) Gegenstand

MorphoSys Novartis CH 2007 769 Nutzung der HuCAL-Antikörper-Technologie

GPC Biotech Pharmion USA 2005 247 Ko-Entwicklung und Lizenzierung für
Satraplatin

IDEA Alpharma USA 2007 133 Vergabe der US-Rechte für Diractin

Evotec Roche CH 2006 100 Gemeinsame Entdeckung und Entwicklung


von Wirkstoffen im Bereich ZNS

PAION Lundbeck DK 2007 71 Entwicklung und Vermarktung von Desmo-


teplase

Medigene Bradley Ph. USA 2006 55 Kommerzialisierung der Polyphenon-Salbe


(Veregen) in den USA

BioGeneriX Neose USA 2005 49 Nutzung der GlycoPEGylation-Technologie

CH Schweiz, DK Dänemark, Ph. Pharmaceuticals, ZNS zentrales Nervensystem

Die deutsche Biotechnologie ist tot. Es lebe die deutsche Biotechnologie!


»So ließe sich die Gefühlslage vieler unter 35 Euro fiel, bewahrte der Vor- ließ auch den Aktienkurs von Mor-
Anleger im vergangenen halben standsvorsitzende Simon Moroney phosys um mehr als 20 Prozent in
Jahr beschreiben. In der Branche Ruhe: An der deutschen Biotechno- die Höhe schnellen. Das zeigt nicht
selbst registrierte man die Rück- logie führt kein Weg vorbei, lautet nur, dass die deutsche Biotechno-
schläge, die GPC Biotech und PAION seine These. Und Morphosys habe logie keineswegs so morbide ist, wie
jüngst ereilten, zwar ebenfalls. Man sehr gute Aussichten auf neue Part- die Aktienkurse zuletzt vermuten lie-
brach jedoch auch nicht in Panik aus. nerschaften. Diese Voraussage hat ßen. Es ist auch ein weiteres Beispiel
Ein gutes Beispiel für diese Haltung sich schon jetzt erfüllt. Die Auswei- dafür, wie viel den traditionellen
war Morphosys. Obwohl der Aktien- tung der Partnerschaft mit Novartis, Pharmakonzernen die Innovations-
kurs des Unternehmens von knapp die dem Unternehmen mindestens kraft der Schwesterbranche inzwi-
60 Euro zu Jahresbeginn auf Werte 600 Millionen Euro einbringen wird, schen wert ist« (Lembke 2007).

frisches Geld ein. Regelmäßige Kapitalerhöhungen Technologien oder Wirkstoffkandidaten über Aus-
über den Verkauf von neuen Aktien an private und lizenzierungen zur finanziellen Versorgung bei-
institutionelle Investoren (im Englischen PIPE ge- tragen konnten (. Tab. 5.6). Der Spitzenplatz ging
nannt: private investment in public equity) führte dabei an die 1992 gegründete MorphoSys, die mit
und führt auch die Berliner MOLOGEN durch. einem potenziellen »1000-Millionen-Dollar-Deal«
für Schlagzeilen sorgte (7 Die deutsche Biotechno-
5.2.3.3 »Deals« tragen zunehmend zur logie ist tot. Es lebe die deutsche Biotechnologie!).
Finanzierung bei Auch in der US-Biotech-Branche fanden die ersten
Neben Eigenkapital trugen zunehmend Pharma- größeren Deals zehn bis 15 Jahre nach der »Grün-
Partnerschaften zur Finanzierung der Aktivitäten dung« statt. Das war allerdings zeitverschoben
der deutschen Biotech-Firmen bei. Zehn bis 15 Jah- Mitte der 1990er-Jahre, also zehn Jahre vor dem
re nach der Gründung der Unternehmen waren de- Beginn der Entwicklung in Deutschland. Somit
ren Entwicklungen langsam so weit gediehen, dass war es auch vor dem großen Börsenboom gewe-
392 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

2012: fortgesetzte Allianz zwischen MorphoSys und Novartis


»Die langjährige Zusammenarbeit Antikörperplattform der nächsten Entwicklungsprogramme verstrei-
kann nun von neuen Technologien Generation, soll der HuCAL-Tech- chen zu lassen, da MorphoSys beab-
profitieren, die zum Zeitpunkt der nologie, die bisher die Grundlage sichtigt, seinen Fokus verstärkt auf
Vertragsunterschrift des derzeitigen der therapeutischen Antikörper- die vielversprechenden firmeneige-
Vertrags im Jahr 2007 noch nicht forschung bildete, nachfolgen. Für nen Antikörperwirkstoffe zu legen.
zur Verfügung standen. Damit die Optimierung von Antikörper- MorphoSys und Novartis begannen
beabsichtigen beide Parteien, die eigenschaften kommen Slonomics- ihre Zusammenarbeit im Jahr 2004.
Entwicklung neuer therapeutischer basierte Technologien zum Einsatz. Im Dezember 2007 erweiterten
Antikörper zu beschleunigen und Beide Unternehmen einigten sich, die Parteien ihre Kooperation und
die allgemeine Produktivität der zukünftige Verbesserungen der unterzeichneten eine der umfang-
5 Allianz weiter zu verbessern. Finan-
zielle Einzelheiten wurden nicht
Plattform wechselseitig zu lizensie-
ren. Novartis wird weiterhin eine
reichsten strategischen Allianzen
zur Entdeckung und Entwicklung
bekannt gegeben. … Im Rahmen dezidierte Forschungsmannschaft von biotechnologischen Wirkstof-
der neuen Vereinbarung werden die bei MorphoSys finanzieren und wie fen. Die Kooperation hat bereits zu
Unternehmen das gesamte Tech- bisher jährliche Lizenzgebühren bis sechs Wirkstoffprogrammen in der
nologieportfolio von MorphoSys zum Abschluss der Kooperation im klinischen Entwicklung geführt, vier
einsetzen, darunter Ylanthia und Jahr 2017 entrichten. Die Unterneh- davon werden bereits in Phase-2-
Slonomics, um therapeutische Anti- men einigten sich ferner darauf, die Studien erprobt« (MorphoSys 2012).
körper zu gewinnen. Ylanthia, die Optionen auf gemeinsam verfolgte

sen, der den US-Unternehmen zusätzlich Kapital logien, die MorphoSys im Zusammenhang mit der
für den weiteren Aufbau brachte. Zudem hatten die Übernahme der Münchener Sloning im Jahr 2010
Top-Gesellschaften wie Amgen, Genentech, Bio- erwarb.
gen oder Genzyme bereits bewiesen, dass »Biotech
geht« und neuartige Medikamente auf den Markt 5.2.3.4 Resummee zur Phase »Zurück in
zu bringen sind. die Zukunft«
MorphoSys hatte immer an der Entwicklung Zum Ende der Phase zwischen 2005 bis 2007 re-
seiner Antikörper-Plattformtechnologie festge- summiert Ernst & Young (2008):
halten, ohne sich zwischendurch an der Einlizen-
zierung von Wirkstoffen zu versuchen (das pas-
»» Schon im letzten Ernst & Young Biotechno-
logie-Report mit dem Titel »Verhaltene Zuver-
sierte erst jüngst). Durststrecken überwand das
sicht« wurde ein insgesamt positives Resümee
Unternehmen, indem es Forschungsantikörper
gezogen und der deutschen Biotech-Branche
verkaufte, und zwar als Marktführer in Europa.
bescheinigt, auf einem guten Weg nach vorne
Dazu übernahm es 2005 und 2006 zwei britische
zu sein. Allerdings hatte ein akuter Einbruch
Firmen und verschmolz sie zur AbD Serotec. Ende
bei der Finanzierung privater Unternehmen
2012 verkaufte MorphoSys die Sparte gewinnbrin-
die Zuversicht noch eingeschränkt. Im Jahr
gend für 53 Mio. € an den US-Spezialisten Bio-
2007 wurde dieser Kurs fortgesetzt. Getragen
Rad. MorphoSys war zudem seit 2004 in der Lage
wurde diese Entwicklung im vergangenen
gewesen, profitabel zu arbeiten. Seit 2004 fand
Jahr vor allem durch die guten Aussichten auf
auch bereits die Zusammenarbeit mit Novartis
eine zunehmende Zahl von Produkten mit
statt.
bevorstehendem Marktzugang [. Abb. 5.8].
Der Abschluss von 2007 war im Grunde ge-
Zu allen sieben Medikamenten im Zulassungs-
nommen eine Erweiterung gewesen und wurde im
prozess wird eine Entscheidung seitens der
Jahr 2012 auch nochmalig ausgeweitet (7 2012: fort-
Behörden noch in diesem Jahr erwartet. (Ernst
gesetzte Allianz zwischen MorphoSys und Novartis).
& Young 2008)
Basis dafür war das Angebot optimierter Techno-
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
393 5

80
73 © BioMedServices 2015
70

60
2002 2003 2004 2005 2006 2007
50
40
40

30

20 16
10 7
2
0
Phase I Phase II Phase III Zulassung Zugelassen

. Abb. 5.8 Zahl an Medikamentenkandidaten deutscher Biotech-Firmen in klinischen Studien, in der Zulassungsphase
und auf dem Markt in den Jahren 2002 bis 2007. Erstellt auf Basis von Daten aus Ernst & Young (2003–2008)

Bei diesen Medikamentenkandidaten, die sich Oracea und Veregen sind Moleküle aus biologi-
2007/2008 jeweils im Zulassungsverfahren bei der schen Organismen, das heißt Bakterien und Pflan-
europäischen Behörde EMA (European Medicines zen, und werden aus diesen extrahiert. Die Anträ-
Agency) befanden, handelte es sich um: ge für die beiden klassisch chemischen Wirkstoffe
55 Satraplatin (Chemotherapeutikum) in Kombi- Satraplatin und Diractin wurden später zurückge-
nation mit Prednisone von GPC Biotech, zogen. Veregen, das bereits im Oktober 2006 von
55 Diractin (neu formuliertes Ketoprofen) von der FDA die US-Zulassung erhielt, nahm später
IDEA, den Weg über einzelne Länderzulassungen, es er-
55 Icatibant (synthetisches Dekapeptid) von Je- folgte also keine zentralisierte europäische Zulas-
rini, sung seitens der EMA. Alle anderen Zulassungs-
55 Oracea (neu formuliertes Tetrazyklin-Antibio- kandidaten erreichten später erfolgreich das Ziel
tikum) von Medigene und Partner Collagenex, des Marktes.
55 Veregen (katechinhaltiges Pflanzenextrakt) Die Hoffnungen beruhten Ende 2007 zudem
von Medigene, auf acht Produkten in 16 klinischen Phase-III-
55 Filgrastim Ratiopharm (Neupogen-Biosimilar) Studien. Die sie testenden Firmen waren unter
von Ratiopharm-Tochter, heute Teva, anderem Biofrontera, Curacyte, Cytonet, IDEA,
55 Removab (trifunktionaler Antikörper) von LipoNova, PAION sowie WILEX. Um es vorweg-
TRION Pharma und Partner Fresenius Bio- zunehmen: Curacyte, Cytonet, IDEA, LipoNo-
tech. va, PAION und WILEX erreichten ihr Ziel nicht.
Curacyte entwickelte einen Naturstoff (chemisch
Allein Removab war als neuartiges Biopharma- modifiziertes Hämoglobin) gegen den distributi-
zeutikum anzusehen, das heißt, es wurde mit den ven Schock, eine sehr herausfordernde Indikation.
Methoden der molekularen Biologie entwickelt. In LipoNova setzte auf ein zellbasiertes Tumorvak-
diese Kategorie fiel zwar auch Filgrastim, es war zin und WILEX auf einen therapeutischen Anti-
allerdings lediglich ein biosimilares Nachfolgepro- körper, beide gegen Krebserkrankungen. PAION
dukt zu dem Original Neupogen von Amgen. erlitt 2007 mit seinem Desmoteplase-Projekt (re-
Icatibant als Peptidmimetikum entstammte kombinanter Plasmin-Aktivator zur Behandlung
der Peptidforschung und kann als Biopharmazeu- von Schlaganfall-Patienten) einen Rückschlag in
tikum i. w. S. (7 Abschn. 3.1.1.1) erachtet werden. der Phase-III-Studie. Diese wurde dann aber neu
394 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

aufgesetzt und PAION trennte sich später (2012) Viertel der Gesellschaften weniger als 30 Angestell-
von dem Produkt, das voll in die Verantwortung te. Immerhin überschritt die Gesamtzahl erstmals
von Partner Lundbeck überging. Lundbeck stellte wieder die Grenze von 10.000. Die Hälfte aller Mit-
die Entwicklung des Wirkstoffs Ende 2014 endgül- arbeiter entfiel auf Firmen, die sogenannte enabling
tig ein. Noch nicht ausreichend erfassbar wirksam tools, Technologien und Services anboten. Weitere
ist die Leberzelltherapie zur Behandlung von Kin- 38 % waren bei Therapeutika-Firmen beschäftigt,
dern mit angeborenen Harnstoffzyklusdefekten 10 % in der Molekulardiagnostik und 5 % in Fir-
der Weinheimer Cytonet: Dieses Urteil fällte die men, die sich auf die Weiße und Grüne Biotechnik
EMA vor kurzem bezüglich des Ende 2013 einge- fokussierten.
reichten Zulassungsantrages. Diese Angaben schließen nicht die Beschäftig-
Allein Biofrontera gelangte inzwischen an den ten deutscher Tochterunternehmen von Konzer-
5 Markt, nachdem sie im September 2010 den Zulas- nen mit Hauptsitz im Ausland ein. Beispiele dazu
sungsantrag für ihr Medikament zur Behandlung wurden anfangs schon erwähnt: QIAGEN, Micro-
der aktinischen Keratose bei der EMA einreichte. met oder Bavarian Nordic. Weitere Firmen, auf die
Diese ließ die Hautsalbe Ameluz dann Ende 2011 dies zutrifft und bei denen die Situation durch Fu-
für den europäischen Markt zu. Der Erfolg ließ also sion oder Übernahme entstand, waren in den Jah-
noch vier Jahre auf sich warten. ren 2006 und 2007 beispielsweise:
Die wichtigsten Entwicklungen im Jahr 2007 55 Artemis Pharmaceuticals (Exelixis, später zu
waren laut Ernst & Young (2008): Taconic);
55 Erreichen der Umsatzmilliarde, 55 Atugen (Silence Therapeutics), später ge-
55 deutliche Zunahme der Zahl der Beschäftigten schlossen;
sowie der Investitionen in Forschung und Ent- 55 CellMed (Biocompatibles, < BTG Internatio-
wicklung, nal);
55 Verdreifachung der Medikamente in der Zu- 55 Coley Pharmaceuticals (Pfizer), später ge-
lassungsphase sowie weitere Zunahme der schlossen;
Wirkstoffe in der klinischen Phase-II-Prüfung, 55 Eurofins-Töchter: MWG Biotech, GeneScan,
55 Allianzen mit der höchsten Bewertung in der MediGenomix;
Geschichte der deutschen Biotech-Industrie, 55 Rhein-Biotech (Dynavax Europe);
55 deutliche Erholung bei der Risikokapital-Fi- 55 Ribopharma (Alnylam Europe), später ge-
nanzierung privater Unternehmen, schlossen;
55 enttäuschende Entwicklung bei Börsengängen, 55 Vivacs (Emergent Product Development Ger-
aber erfolgreiche Kapitalerhöhungen bereits many);
börsennotierter Gesellschaften, 55 Zentaris (Aeterna Zentaris).
55 Kursverluste bei den börsennotierten Biotech-
Unternehmen. Nach der Statistik von biotechnologie.de (2008)
beschäftigten Biotech-Firmen in Deutschland
Aufgrund einiger Übernahmen in dieser Phase Ende 2007 über 14.000 Mitarbeiter, verteilt auf
verschwanden ein paar public-Unternehmen aus knapp 500 Firmen. Im Durchschnitt kam diese
der Statistik von Ernst & Young (MWG Biotech, Statistik so auf 28 Angestellte, Ernst & Young auf
GeneScan, Rhein Biotech). Der Rückgang wurde 25. Bei biotechnologie.de zählten auf jeden Fall die
aber wegen der Neuzugänge mehr als wettgemacht, QIAGEN-Mitarbeiter in Deutschland dazu, die da-
sodass deren Zahl Ende 2007 bei 19 lag (plus dieje- mals rund 1000 gewesen sein dürften. Nach Abzug
nigen mit Hauptsitz im Ausland: Bavarian Nordic, dieser Zahl kam die biotechnologie.de-Statistik auf
Micromet und QIAGEN). 26 Beschäftigte je Unternehmen. Ähnliches betrifft
Ende 2007 zählte die Branche nach wie vor den Umsatz, den diese Statistik für Ende 2007 mit
rund 400 Firmen, deren Mitarbeiterverteilung sich 2 Mrd. € – doppelt so viel wie bei EY – angibt. Zum
trotz der positiven Entwicklung nicht wirklich ver- Stand der Branche führt Ernst & Young (2008) wei-
ändert hatte: Immer noch zählten mehr als drei ter aus:
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
395 5
»» Insgesamt drängt sich ein Vergleich der sichtbarer Aufschwung, basierend auf Markteinfüh-
deutschen Biotech-Industrie mit einem Ju- rungen oder erfolgreichen Produkt-Weiterentwick-
gendlichen auf, der langsam erwachsen wird lungen, kräftigem Mitarbeiter- und Umsatzzuwachs
und somit dem Auf und Ab der Pubertät ent- sowie guter Finanzierung, sei es durch Umsatz und
wächst; der ruhiger geworden ist, Rückschläge Gewinn, Partnerschaften oder Eigenkapital.
besser verkraftet aber dennoch noch nicht das Um nochmals den Vergleich mit dem Jugend-
Ziel der Reifeprüfung oder gar eines gut situ- lichen zu bemühen, der langsam erwachsen wird
ierten, erfolgreichen Erwachsenen erreicht hat. und somit dem Auf und Ab der Pubertät entwächst:
Einzelne Rückschläge bei der Medikamenten- Die Phase 2008 bis 2011 stellte eine Art Verlänge-
Entwicklung in Deutschland, die verfahrene Si- rung dieses Zustands dar. Das heißt, die Hoffnung
tuation im Bereich der grünen Biotechnologie auf ein schnelles »Augen-zu-und-durch« nach den
sowie eine allgemeine schlechte Stimmung an ersten Anzeichen einer Aufwärtsbewegung hatte
den Kapitalmärkten aufgrund der so genann- sich zerschlagen, wie so manchmal im richtigen
ten Subprime-Krise waren Stolpersteine auf Leben. Daher der erste Teil des Titels in diesem
diesem an sich guten Kurs. … Im Bereich der Abschnitt: »Kursfortsetzung mit Hürden«. Denn
Finanzierungen sowie beim Abschluss von – um es vorwegzunehmen – die Kennzahlen des
Kooperationen haben die deutschen Unter- Sektors wie Anzahl der Firmen und Mitarbeiter
nehmen im vergangenen Jahr Fortschritte sind – trotz durchwachsener Finanzierung – bis auf
erzielt – allerdings zeigt der vergleichende ein paar kleine Schwankungen einigermaßen stabil
Blick nach Europa, dass in anderen Ländern geblieben. Der Umsatz konnte sogar leicht wachsen
teilweise noch erfolgreicher gearbeitet wird (. Abb. 5.2). An sich war das also die Fortsetzung
(Ernst & Young 2008). des guten Kurses, der aufgrund anderer Einschrän-
kungen hier und da mit Hürden kämpfen musste:
5.2.3.5 Passende Rahmenbedingungen weiterer Ausfall von vielversprechenden Medika-
wären das A und O menten-Kandidaten sowie Verschlechterung der
Immer wieder schien und scheint die Finanzie- Eigenkapital-Zufuhr, auch im Zusammenhang mit
rungssituation das Problem zu sein, das den jungen der allgemeinen weltweiten Finanzkrise. Daher der
technologieorientierten Firmen neben dem inhä- zweite Teil des Titels: »Fallstrick Finanzierung« –
renten Risiko in der Medikamenten-Entwicklung allerdings als Frage formuliert, weil dies für einige
Hürden in den Weg legt. Für Deutschland spielen Firmen so gar nicht galt.
bei Ersterem aus Sicht der Investoren vor allem auch Als Reaktion wurde der Gürtel mal wieder
Rahmenbedingungen eine Rolle (7 Ein Schweizer enger geschnallt und je nach Finanzausstattung
Investor zum Biotech-Standort Deutschland). Projekte auf Eis gelegt. Sichtbar wurde dies über
das kontinuierliche Absinken der FuE-Ausgaben
(. Abb. 5.2). Ein größerer Einbruch bei der Mit-
5.2.4 2008 bis 2011: Kursfortsetzung arbeiterzahl – so geschehen in der »richtigen« Krise
mit Hürden – Fallstrick von 2002 bis 2004 – fand allerdings nicht wieder
Finanzierung? statt. Dieses Mal waren die Firmen nicht über-
mäßig »aufgeblasen« gewesen, das heißt, die Kor-
Die Phase von 2005 bis 2007, die der deutschen Bio- rektur in der letzten Krise war eigentlich nur die
tech-Industrie wegen einiger positiven Entwicklun- Folge einer maßlosen Überhitzung zuvor gewesen.
gen neuen Aufschub gab, ging ab 2008 in eine Phase So sind einige Biotech-Firmen in der Boomphase
leichten Abschwungs beziehungsweise in eine Seit- des lockeren Geldes von manchen Investoren dazu
wärtsbewegung mit kleinen Aufs und Abs über. Die- getrieben worden, möglichst viele Mitarbeiter auf-
ser Verlauf enttäuschte, da sich viele den seit Län- zubauen, zu klotzen und nicht zu kleckern, was bei-
gerem gewünschten und erwarteten Durchbruch spielsweise in der Aufforderung zur Anschaffung
erhofften. Durchbruch, was heißt das? Ein deutlich von Luxusfahrzeugen zum Ausdruck kam.
396 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

Ein Schweizer Investor zum Biotech-Standort Deutschland


»Trotz der enormen Wirtschafts- Vergleich. Insofern stehen Länder attraktivere Bedingungen schaffen.
kraft Deutschlands und vielfältiger wie Fonds und Unternehmen in Volkswirtschaftliche Vorteile und
positiver Faktoren sind in einzelnen einem internationalen Wettbewerb. innnovationssichernde Impulse
Bereichen Defizite vorhanden. Aus Zukünftig wird dieser Wettbewerb herauszustellen, um damit auch die
Sicht eines Investors waren zwei durch aufstrebende Länder wie öffentliche Meinung zu gewinnen,
Faktoren in den letzten Jahren von Indien und China weiter verschärft. ist in Deutschland nur sehr begrenzt
besonderer Bedeutung. Die Aktien- Für Deutschland fehlen bislang gelungen. Sehr gut ausgebildete
märkte boten in Deutschland keine Erfolgsgeschichten wie die einiger Wissenschaftler, eine gute Infra-
Plattform für junge Biotechnologie­ Schweizer Biotech­Unternehmen, struktur und Gründungsförderung
Unternehmen. In der Schweiz und die Investoren als ‚proof of concept‘ sind wichtige, aber nicht ausreichen-
5 im Beneluxraum gab es diesbezüg-
lich ein freundlicheres Klima. Darü-
dafür dienen können, dass alle
notwendigen Voraussetzungen für
de Rahmenbedingungen, um aus
Projekten erfolgreiche Unternehmen
ber hinaus wurden nur sehr wenige Erfolg gegeben sind. Innovation ist formen zu können. Insbesondere im
neue Life Science Venture Capital dadurch gekennzeichnet, dass neue Life Science Bereich sind ausreichen-
Fonds aufgelegt, zudem ist das Ideen zu neuen Produkten führen. de Finanzmittel über mehrere Finan-
Fondsvolumen im internationalen Will Deutschland als Land, welches zierungsrunden notwendig. Politisch
Vergleich meist eher klein. Nicht zu- von Innovationen abhängig ist, initiierte Maßnahmen wie zum
letzt auch deswegen, da es nur sehr nicht den Anschluss im Life Science Beispiel der ERP Startfonds sind sehr
wenige institutionelle Investoren Bereich verlieren, ist es erforderlich, hilfreich, machen aber nachhaltig
gibt, die in deutsche Fonds in die- die kommerzielle Umsetzung von nur Sinn, wenn es genügend Fonds
sem Bereich investieren. Die fehlen- Innovationen in Unternehmen in gibt, die gewillt sind, in Deutschland
de Basis an Pensionsfonds wird nicht den Vordergrund zu stellen. Venture zu investieren. Nur so kann sicher-
durch die vorhandenen Banken und Capital Fonds dienen als Katalysator gestellt werden, dass zumindest
Versicherungen kompensiert. Diese für diese Umsetzung. Es ist daher für einen Teil der Unternehmen,
sind in den letzten Jahren über- notwendig, die Bedingungen für Nachfolgefinanzierungen gesichert
wiegend als mögliche Investoren für Fonds zu verbessern oder zumindest werden können. Um die eigentlich
Fonds in Deutschland ausgefallen. die rechtlichen und steuerlichen guten Voraussetzungen in Deutsch-
Wenn diese investieren, dann zu- Bedingungen für Investitionen in land richtig nutzen zu können muss
meist in international agierende US Unternehmen international wettbe- die gesamte Wertschöpfungskette
oder Asien basierte Fonds. Gründe werbsfähig zu machen. Als Beispiele von der Idee über die Unterneh-
sind die attraktiveren Rahmenbedin- seien hier das Thema Verlustvor- mensfinanzierung bis hin zur Kom-
gungen in anderen Ländern sowie träge und die schwierige Diskus- merzialisierung im internationalen
die besseren Renditeerwartungen sion um das Private Equity Gesetz Vergleich attraktiv sein. Dann wird
in den USA oder Asien. Kapital- genannt. Länder wie die Schweiz sich dieser zukunftsweisende Sektor
ströme suchen sich die attraktivsten und auch Frankreich konnten auch in Deutschland weiter etablie-
Bedingungen im internationalen durch rahmenpolitische Vorgaben ren können« (Asam 2008).

5.2.4.1 Wieder einmal Licht und ren operativen Einschnitten geführt.« Dennoch
Schatten bei den fragten sich die Analysten, »inwieweit es gelingen
Finanzierungen würde, diese Fallstricke im Verlauf des Jahres 2009
Der Beginn der Phase gestaltete sich laut Ernst & zu umgehen, ein Stolpern zu vermeiden und Stür-
Young (2009) wie folgt: »In 2008 hat die deutsche ze abzufedern.« Für die nachfolgenden Jahre sah
Biotech-­Industrie ihren guten Kurs von 2007 zwar die Einschätzung der Analysten für den Finanzie-
fortsetzen können, allerdings wurden auch Fall- rungsbereich dann folgendermaßen aus (Ernst &
stricke ausgelegt. Vor allem reduzierte sich die Young 2010, 2011, 2012):
Versorgung der Branche mit Eigenkapital dras- 55 2009:
tisch – offenbar erste Auswirkung der Finanz-­und 55 Das Beteiligungskapital in Form von Ventu-
Wirtschaftskrise. Im Beobachtungszeitraum 2008 re Capital (VC) brach weiter ein.
hatte dies jedoch noch nicht zu deutlich sichtba-
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
397 5
55 Die Finanzierung der börsennotierten Fir- unter dem VC-Niveau der Krisenjahre 2002 und
men stabilisierte sich; die Marktkapitalisie- 2003 endete (. Abb. 5.9). Die 2010er-Ausnahme-
rung stieg im Jahresverlauf deutlich an. finanzierung war ein Ausreißer in der Abwärts-
55 Die Branche schien aufgrund einer stärker bewegung, da in diesem Jahr die Family Offices
servicelastigen Verteilung der Geschäftsmo- mehrere sehr große Runden zum Teil im Allein-
delle gegen die Finanzierungskrise gefeit. gang stemmten: Die 55-Mio.-Runde für AiCuris
55 2010: durch die Santo Holding, einem Investment-Ve-
55 Die Ausstattung mit VC erholte sich kräftig hikel der Strüngmann-Brüder, die 54-Mio.-Run-
und stieg in der Summe auf mehr als das de für immatics biotechnologies durch dievini
Dreifache an; allerdings vornehmlich getra- Hopp Biotech und AT Impf (Strüngmann) sowie
gen durch wenige große Runden, angeführt die 28-Mio.-Runde für CureVac, die allein die
von den Family Offices Strüngmann und dievini Hopp Biotech übernahm. Ohne deren
Hopp; für den Großteil der Branche war Unterstützung wäre Risikokapital praktisch nicht
keine Verbesserung des Finanzierungskli- vorhanden gewesen, daher die Einschätzung der
mas spürbar. Analysten von Ernst & Young, dass das klassische
55 Die Zusammensetzung der Finanzierungs- VC-Modell gescheitert sei. Dieses arbeitet jedoch
runden änderte sich zugunsten größerer – im Gegensatz zu den Family Offices – nicht mit
Konsortien, einer zunehmenden Bedeutung eigenem Geld, sondern investiert »lediglich« zur
von Privat-, ausländischen und Corporate­ Verfügung gestellte Mittel anderer Investoren, die
Investoren sowie einer Vielzahl von kleinen diese mehren möchten. Der Zwang zum return on
und regionalen Geldgebern. investment (ROI) bewirkte, dass sich klassische
55 Das Börsenfenster war in Deutschland im VCs nach anderen lukrativeren Engagements um-
vierten Jahr in Folge fest verschlossen – kei- sehen mussten. Hier haben die privaten Investo-
ne Biotech­-Börsengänge seit 2006. ren mehr Freiheiten. Zwar erwarten auch sie letzt-
55 Der Kapitalmarkt für die Finanzierung von lich einen ROI, verfügen aber oft über persönliche
börsennotierten Biotech-Firmen war ins- und/oder strategische Interessen und »ertragen«
gesamt schwach. andere Zeiträume.
55 2011: Für AiCuris, eine 2006 erfolgte Bayer-Ausgrün-
55 Der deutliche Anstieg der Finanzierungs- dung, die sich auf Infektionskrankheiten konzent-
zahlen für die Biotech-­Industrie im Jahr riert, war es die zweite Finanzierungsrunde. Im Jahr
2010, der Hoffnungen weckte, dass die 2012 sicherte sich der Viren-Spezialist dann weitere
Talsohle nach der Finanz-­und Wirt- 110 Mio. € als Sofortzahlungen im Rahmen einer
schaftskrise durchschritten sei, erwies sich Allianz mit der US-Merck (7 Abschn. 5.3). Bei der
als trügerisch. 2011 konnte noch weniger Tübinger immatics, die eine Technologie-Plattform
VC eingesammelt werden als 2009, wobei für peptidbasierte Krebs-Impfstoffe aufgebaut hat,
damals dieses Ergebnis immerhin als dra- war es im Jahr 2011 die dritte Runde, nachdem die
matischer Absturz infolge der weltweiten Firma 2007 mit 40 Mio. € – neben Glycotope – be-
ökonomischen Umwälzungen erklärt wer- reits die größte VC-Runde des Jahres abgeschlossen
den konnte. hatte. Auch bei der CureVac, die sich ebenfalls im
55 Das klassische Finanzierungsmodell über Jahr 2000 in Tübingen gründete, handelte es sich
Risikokapital schien weitgehend gescheitert, um die dritte Runde. Die Familie Hopp finanzierte
was meist als Niedergang der Biotech­ in den Jahren 2006 bis 2007 ebenfalls die zweite im
Branche interpretiert wurde. Alleingang und investierte damals 35 Mio. €. Cu-
reVac hat sich auf die Boten-RNS spezialisiert und
Zusammengefasst gab es also wieder ein Auf nutzt deren Prinzip als Informationsüberträger in
und Ab über die Jahre 2008 bis 2011. Ohne die Zellen ebenfalls für die Entwicklung von Krebs-
Ausnahmefinanzierungen des Jahres 2010 war es Impfstoffen. . Tabelle 5.7 listet die Top-Runden
allerdings eher ein stetes Bergab, das sogar weit dieser Phase, vergleichend zu denjenigen von 2007.
398 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

500
Mio. € Kapitalerhöhungen notierter Firmen
Family Offices & Private
450
Klassisches VC IPO
400

350 347

© BioMedServices 2015
65
300 297
284
258 50
250 218
236 72
207 216 208
5 200
50
113
150
99 87
100
20
51
50

0
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

. Abb. 5.9 Eigenkapital-Finanzierungen deutscher Biotech-Unternehmen in den Jahren 2002 bis 2011. Erstellt nach
Daten aus Ernst & Young (2003–2012). IPO initial public offering

. Abbildung 5.9 veranschaulicht nochmals die 55 Family Office Gerhard Mey (MEY Capital Mat-
Entwicklung seit 2002: Wie nach der Krise von 2002 rix, MCM): Firma Webasto,
bis 2004 die VC-Finanzierungen in den Jahren 2005 55 Family Office Michael Otto: Firma Otto.
bis 2007 wieder flossen, um dann – trotz der einzel-
nen großen Runden – stetig abzusinken. Klar wird Weitere private Investoren, die bekanntlich in Bio-
auch die große Bedeutung der Kategorie »Family tech-Unternehmen investieren und zum Teil solche
Offices & Private«. Neben den beiden Großinvesto- selbst gegründet und verkauft haben, sind:
ren dieser Kategorie, die Strüngmann-Brüder und 55 HS Life Sciences (Karsten Henco: Mitgründer
Hopp, die auch in bereits börsennotierte Biotech- oder mitbegründender Investor von QIAGEN,
Firmen investieren und jeweils fast schon 1 Mrd. € Evotec, NewLab, Coley Pharmaceuticals, U3
bereitstellten, fanden und finden sich zunehmend Pharma, Neurimmune Therapeutics, Medesso,
weitere Geldgeber dieser Art, die in der Biotechno- CT Atlantic),
logie ein lohnendes Investment sehen: 55 Riesner Verwaltungs GmbH (Prof. Detlev
55 Family Office Klaus Tschira (Aeris Capital): Riesner, Universität Düsseldorf: Mitgründer
SAP-Mitbegründer, QIAGEN),
55 Family Office Stefan Engelhorn (BioNet): Fir- 55 Schumacher Familienholding GmbH (Jürgen
ma Boehringer Mannheim, Schumacher: Mitgründer QIAGEN, NewLab),
55 Family Office Christoph Boehringer (CD­ 55 Science to Market Venture Capital GmbH
Venture): Firma Boehringer Ingelheim, (Rainer Christine: Gründer amaxa) – heute zu
55 Family Office Martin Putsch (MP Beteiligungs- EarlyBird,
GmbH): Firma Recaro,
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
399 5

. Tab. 5.7 Ausgewählte Top-VC-Runden deutscher Biotech-Firmen nach Erlös (Mio. €) in den Jahren 2007 bis 2011.
(Quelle: BioMedServices (2015) nach Ernst & Young (2009, 2010, 2011, 2012))

Firma Gründung Erlös (Mio. €) Jahr Ausgewählte Investoren

Ganymed Phar- 2001 65 2008 ATS Beteiligungsverwaltung, Future Capital,


maceuticals MIG Fonds

AiCuris 2006 55 2010 Santo Holding

immatics 2000 54 2010 dievini Hopp BioTech, MIG, Wellington, AT Impf


biotechnologies
40 2007 3i Group, DH Capital, EMBL Ventures, Grazia
Equity, KfW, L-­EA, Merifin, NTEC, Vinci Capital,
Wellington

Glycotope 2001 40 2007 Jossa Arznei

Ganymed Phar- 2001 37 2007 VI Partners, Future Capital, Ingro Finanz, LBBW,
maceuticals MIG, Nextech Venture, ONC Partners, Varuma,
ATS Beteiligungsverwaltung

NOXXON Pharma 1997 37 2007 DEWB, Dow Venture Capital, Rothschild, IBG,
Seventure Partners, Sofinnova Partners, TVM

Probiodrug 1997 36 2009 BB Biotech Ventures, Rothschild, LSP, Biogen


Idec New Ventures, IBG, TVM, HBM BioVentu-
res, CFH Group

CureVac 2000 35 2006/2007 DH Capital

NOXXON Pharma 1997 35 2010 NGN Capital, TVM, Sofinnova, Rothschild,


Seventure, Dow Venture Capital, IBG, Dieckell
Group, CD-Venture

Curetis 2007 34 2009–2011 Aeris Capital, LSP, BioMed Invest, KfW, Forbion,
Roche Venture, CD-Venture

Apogenix 2005 28 2008 dievini Hopp BioTech

CureVac 2000 28 2010 dievini Hopp BioTech

Pieris Pharmaceu- 2001 25 2008 BioM, Forbion Capital Partners, Gilde, Global
ticals Life Science Ventures, Novo Nordisk Biotech
Fund, OrbiMed Advisors

Scil Proteins 1999 24 2011 BioNet

Affimed Thera- 2000 20 2010 Aeris Capital, BioMedInvest, LSP, Novo Nordisk,
peutics OrbiMed

SuppreMol 2002 16 2008 MIG Fonds, BioMedInvest, Santo Holding,


Zetacube, KfW, Bayern Kapital, Max-Planck-
Gesellschaft

16 2010 MIG Fonds, BioMedPartners, Santo Holding,


KfW, Bayern Kapital, Max-Planck-Gesellschaft,
FCP Biotech Holding

Probiodrug 1997 15 2011 BB Biotech Ventures, Biogen Idec New Ven-


tures, Rothschild, GoodVent, HBM BioVentures,
LSP, TVM, Wellington

Runden mit Hauptbeteiligung der Family Offices sind fett markiert


400 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

Der Einstieg der Brüder Strüngmann in Biotech


»‚Wir investieren vor allem in Men- lich Ahnung von dem Geschäft.‘ Billigpillenunternehmen gegen die
schen‘, sagt Thomas Strüngmann. AiCuris war der Anfang. Mittlerweile Platzhirsche der Branche wie Bayer
Etwa in Helga Rübsamen-Schaeff. ist das Brüderpaar an gut einem und Hoechst um Patente und Preise.
Die habilitierte Biologin, damals Dutzend Biotech-Unternehmen in Nun brennt Strüngmann darauf, es
Leiterin der Infektionsforschung bei Deutschland beteiligt. Anders als der großen Konkurrenz noch mal zu
Bayer, bat die Brüder, die sie von Hopp tauchen die Zwillinge auch beweisen. Er will zeigen, dass klei-
Konferenzen und Vorträgen kannte, schon mal auf den Laborfluren auf nere Unternehmen bessere Medika-
vor sieben Jahren um Hilfe. Bayer und reden mit den Forschern. Dabei mente entwickeln. In fünf Jahren
hatte entschieden, die Infektions- sprudelt insbesondere Thomas vor möchte er aus einer Biotech-Beteili-
forschung einzustellen. Den Strüng- Energie, spricht schnell, springt von gung – welche, verrät er nicht – ein
5 männern war eben der Verkauf von
Hexal an Novartis geglückt. Rübsa-
einem Punkt zum anderen. Und
kann sich herrlich aufregen, etwa
Pharmaunternehmen aufbauen und
innovative Präparate zur Marktreife
men-Schaeff überzeugte die beiden: über die Kultur in den Pharmakon- bringen. Strüngmann geht es aber
Sie investierten 55 Millionen Euro in zernen. Da zählten nur Business- auch darum, die Biotech-Branche in
AiCuris, das neue Unternehmen der pläne, Kontrolle, Hierarchien und die Deutschland wieder voranzubrin-
Forscherin. ‚Wir hatten großes Ver- Regeln des Kapitalmarkts. Bei Hexal gen. Daher kann er auch gönnen:
trauen in ihre Arbeit‘, sagt Thomas war alles ganz anders, sagt Strüng- ‚Uns würde nichts mehr freuen, als
Strüngmann. Die Wissenschaftlerin mann: Vertrauen, flache Hierarchien, wenn der nächste große Erfolg aus
genießt einen hervorragenden Ruf. Eigenverantwortung. Zwischen 1988 dem Portfolio von Dietmar Hopp
‚Aber wir hatten damals nicht wirk- und 2005 kämpften sie mit ihrem käme‘« (Salz und Kutter 2013).

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(Andreas Eckert: Gründer Eckert & Ziegler), oder Immuntherapie für die Behandlung von
55 ROI Verwaltungsgesellschaft mbH (Roland Krebserkrankungen); Produkte mit wesent-
Oetker), lichem Mehrwert für den Patienten. (Strüng-
55 Alternative Strategic Investment (Alstin, Cars- mann 2012)
ten Maschmeyer),
55 RMMM Holding GmbH (Martin Nixdorf), . Abbildung 5.9 zeigt auch, dass das Börsenfenster
55 FCP Biotech Holding, in der Vier-Jahres-Periode weiter fest verschlos-
55 Prinz von Hohenzollern (PvH). sen blieb. Damit waren es dann schon fünf Jahre,
seitdem 2006 die letzten IPOs deutscher Biotech-
Die pharmaerfahrenen Investoren Strüngmann Gesellschaften stattgefunden hatten. Anfangs war
(7 Der Einstieg der Brüder Strüngmann in Biotech) dafür natürlich die weltweite Finanzkrise eine gute
setzen dabei auf ganz verschiedene Ansätze wie Erklärung. Sogar in den USA fanden in den Jahren
Antikörper gegen neue Targets, Biobetters, RNS- 2008 und 2009 fast keine Biotech-IPOs statt. Ab
Impfstoffe, Peptid-Impfstoffe oder antivirale Subs- 2010 ging es dort aber wieder langsam los.
tanzen. In Deutschland war aufgrund fehlender Er-
folgsgeschichten das Interesse des Kapitalmarktes
»» Mein Bruder und ich kommen aus der Phar- gering. Selbst die bereits börsennotierten Firmen
ma-Branche und unser persönliches Ziel ist es, konnten nur kleine Beträge an frischem Kapital
noch einmal ein hochinnovatives Unterneh- aufnehmen, und dies in der Regel von bestehenden
men aufzubauen und medizinische Produkte oder anderen privaten Finanziers, also ohne öffent-
mit hohem Patientennutzen auf den Markt zu liche Angebote. Bis auf das Ausreißerjahr 2010 lag
bringen. Unsere Investmentaktivitäten gehen die Summe der Nachfinanzierungen ebenfalls auf
vor allem auf drei wesentliche Faktoren zurück: dem niedrigsten Niveau seit Ende der Krisenzeiten
Menschen mit Visionen und klar strukturierten von 2002 und 2003. Den Ausreißer verursachte die
Plänen zur Realisierung; Ideen, die wirklich frühere GPC Biotech, die nach dem Rückschlag im
innovative Therapiekonzepte adressieren (z. B.
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
401 5
Jahr 2007 über die 2009 erfolgte Fusion mit der US- Affectis, Cellzome (in 2010), CureVac, Pieris Phar-
Biotech-Gesellschaft Agennix deren Namen an- maceuticals (beide). Diejenigen von Scil (beide)
nahm und einen Neustart durchführte. Mit einem und DeveloGen (2010 als Evotec-Tochter) befan-
Wirkstoff in Phase III gelang es dann 2010, in zwei den sich in der Präklinik.
Schritten die Summe von 88 Mio. € einzunehmen. Ernst & Young (2009) analysierte die weltweit
In dieser Periode ereigneten sich zudem einige geschlossenen Biotech­ -Allianzen der Jahre 2005
Delistings, das heißt manche der 19 public-Firmen bis 2008 und ermittelte, dass allein den sechs Top­
verschwanden aus unterschiedlichen Gründen Akteuren GlaxoSmithKline (GSK), Novartis, Ro-
von den Kurszetteln: Jerini (2008) und GENEART che, Pfizer, Merck & Co., AstraZeneca und Bristol­
(2010) aufgrund der Übernahme durch Shire und Myers Squibb (BMS) ihre Biotech­-Partnerschaften
Life Technologies, Arthro Kinetics (2008) als »go- in der Summe bis zu 44 Mrd. € wert waren. Berech-
ing private« sowie LipoNova (2009) und NascaCell net war diese Summe aus veröffentlichten Sofort-­
(2010) wegen Geschäftsauflösung. und Meilensteinzahlungen, Lizenzzahlungen aus
zukünftigen Umsätzen (royalties) wurden hierbei
5.2.4.2 Abermals tragen strategische noch gar nicht berücksichtigt. Die Analysten be-
Allianzen zur Finanzierung bei tonten allerdings, dass diese Summe sich auf 147
Biotech-­Unternehmen profitieren bei einer Ko- Allianzen verteilte. Auch wiesen sie darauf hin,
operation mit Pharma­-Partnern neben finanziellen dass den rund 20 Top-Pharma-Konzernen weltweit
Mitteln oft auch vom Know-­how des Partners. Da mehr als 2000 Biotech-Medikamenten-Entwickler
Pharma­-Konzerne zunehmend auf die innovati- gegenüberstanden.
ven Ansätze von Biotech­-Firmen angewiesen sind,
kann daraus eine Win-­win-­Situation entstehen. Es 5.2.4.3 Zieleinlauf und Hürden auch bei
gibt Biotech-Gesellschaften in Deutschland, wie den Produktentwicklungen
beispielsweise die Heidelberger Cellzome, die sich An dieser Front wechselten sich in der Phase von
jahrelang ausschließlich über derartige Partner- 2008 bis 2011 ebenfalls Licht und Schatten ab. Ans
schaften finanzierten. So führt Cellzome auch die Ziel gelangten drei Wirkstoffe, die sich im Zulas-
Rangliste mit den wertvollsten Partnerschaften in sungsprozess der EMA befanden und im Jahr 2008
den Jahren 2008 bis 2011 an (. Tab. 5.8). von dieser grünes Licht für die Vermarktung erhiel-
Sie war damit ziemlich schnell nicht mehr auf ten (7 Drei Zulassungen für deutsche Firmen).
Risikokapital angewiesen und überzeugte den Part- Weitere Zulassungen folgten im Jahr 2009. Die
ner GSK schließlich so sehr, dass dieser Cellzome bedeutendste davon war der bereits angesprochene
später im Jahr 2012 komplett übernahm. Morpho- Antikörper Removab (Catumaxomab) von TRION
Sys fließen über die im Jahr 2007 abgeschlossene Pharma/Fresenius Biotech, der sich durch folgende
Partnerschaft mit Novartis jährlich bis zu 70 Mio. € Eigenschaften auszeichnete. Er war:
an liquiden Mitteln zu. Bis zum Ende des Jahres 55 das erste Medikament gegen malignen Aszites
2011 waren diese beiden Allianzen die größten, die (Ansammlung von Flüssigkeit in der Bauch-
jemals von einer deutschen Biotech-Firma ver- höhle nach deren Besiedlung mit Krebszellen),
einbart werden konnten. Sie lagen beide über der 55 der einzige Antikörper gegen die Zielstruktur
»magischen 1000-Mio.-Dollar-Grenze«. Koopera- EpCAM (epitheliales Zelladhäsionsmolekül),
tionen, die über 500 Mio. € (600 bis 700 Mio. US$) 55 der erste bispezifische, trifunktionale Antikör-
an potenziellem Wert erreichen, spielen auch noch per sowie
in einer oberen Liga. Zu berücksichtigen ist hierbei 55 der erste therapeutische Antikörper »made in
allerdings auch, in welcher Phase der Medikamen- Germany« (7 Removab – made in Germany).
ten-Entwicklung der Deal geschlossen wurde. Je
marktnäher, desto mehr wird in der Regel gezahlt. Die Indikation maligner Aszites umfasst insgesamt
In der Forschungsphase befanden sich bei Dealab- eine nicht so große Patientenpopulation, sodass
schluss zum Beispiel (. Tab. 5.8) die Projekte von das Absatzpotenzial des Medikamentes beschränkt
402 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 5.8 Top-Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen nach potenziellem Wert in den Jahren 2008 bis 2011.
(Quelle: BioMedServices (2015) nach Ernst & Young (2009, 2010, 2011 und 2012))

Firma Partner Land Jahr Wert (Mio. €) Gegenstand

Cellzome GSK GB 2008 1055 Entdeckung und Entwicklung von Inhibi-


toren für sieben Zielmoleküle auf Basis der
Kinobeads­-Technologie

Evotec Roche CH 2011 597 Weltweite Vereinbarung für die Entwick-


lung und Vermarktung von MAO­B-Inhibitor
EVT 302

Cellzome GSK GB 2010 508 Entwicklung von Wirkstoffen mittels


5 Cellzomes Episphere-­Technologie für vier
epigenetische Enzyme

Affectis Merck D 2011 279 Erforschung und Entwicklung von oralen auf
Pharmaceu- Serono P2X7-­Rezeptoren zielenden Substanzen
ticals

Pieris Phar- Sanofi F/D 2010 271 Entdeckung und Entwicklung von zwei
maceuticals Wirkstoffen mittels Pieris Pharmaceuticals’
Anticalin-­Technologie, im Erfolgsfall Auswei-
tung auf vier weitere Zielstrukturen

DeveloGen MedImmu- US 2010 259 Exklusiver Zugriff auf DeveloGens For-


(Tochter ne (Tochter schungsprogramm auf dem Gebiet der
Evotec) AZ) Regeneration von Insulin-produzierenden
Betazellen in der Diabetesforschung

DeveloGen Boehringer D 2009 244 Projektbezogenes Kauf- und Kooperations-


Ingelheim abkommen im Bereich Diabetes, Fettleibig-
keit und metabolisches Syndrom

Pieris Phar- Daiichi J 2011 207 Anwendung von Pieris Pharmaceuticals’


maceuticals Sankyo Anitcalin­-Technologie zur Erforschung und
Entwicklung neuer Anticaline gegen zwei
Zielstrukturen von Daiichi Sankyo

Scil Techno- Sanofi F/D 2011 180 Weltweites Lizenzabkommen für Scils prä-
logya klinisches Programm zur Regeneration von
Knorpelgewebe

Evotec Roche CH 2009 170 Klinische Entwicklung der Produktkandida-


ten EVT 101 und EVT 103 in der Verantwort-
lichkeit von Evotec, finanziert durch Roche

Scil Techno- Pfizer US 2008 170 Entwicklung und Kommerzialisierung des


logya rekombinanten knorpelspezifischen Wachs-
tumsfaktors rhCD­RAP

CureVac Sanofi F/D 2011 151 Validierung von CureVacs RNActive­


Technologie in einem Forschungsprojekt
zur Entwicklung von prophylaktischen und
therapeutischen Vakzinen

afusionierte
später mit der börsennotierten Nanohale zur heutigen Formycon mit Fokus auf Biosimilars
CH Schweiz, D Deutschland, F Frankreich, GB Großbritannien, J Japan, US USA
AZ AstraZeneca, GSK GlaxoSmithKline
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
403 5

Drei Zulassungen für deutsche Firmen


»Die erste wurde von der EU Kom- Hautkrankheit Rosazea (Entzündung gie. Schließlich wurde im September
mission nach positiver Begutachtung der Gesichtshaut) bekannt gegeben. 2008 das erste Biosimilar-­Produkt der
durch die European Medicines Agen- In den USA ist Oracea bereits seit Unternehmensgruppe ratiopharm
cy (EMEA) Mitte Juli 2008 für Firazyr 2006 auf dem Markt, und MediGene von der EU­-Kommission zugelassen.
(Icatibant) zur Behandlung akuter hatte die europäischen Vermark- Innerhalb von ratiopharm fokussiert
Attacken des hereditären Angio- tungsrechte für das Medikament im sich das im Jahr 2000 gegründete
ödems (HAE) erteilt. Freuen konnte Jahr 2006 von dem US­-Unternehmen Tochterunternehmen BioGeneriX aus
sich darüber das Berliner Unterneh- CollaGenex erworben, das im April Mannheim auf die Entwicklung der
men Jerini, das jedoch kurz vorher 2008 von Galderma Laboratories Biosimilars. Mit der Tochterfirma Mer-
bereits bekannt gegeben hatte, von übernommen wurde. Zwei Tage ckle Biotec ist die ratiopharm-Gruppe
der britischen Biotech-­Firma Shire nach der Zulassungsbekanntgabe darüber hinaus in der Lage, biotech-
übernommen zu werden. Shire hatte veröffentlichte MediGene, dass die nologische Wirkstoffe auch selbst
großes Interesse an Firazyr, das nun europäischen Rechte für Oracea zu produzieren. Mit dem Biosimilar
das erste Produkt ist, das in der Indi- ebenfalls an Galderma Laboratories Filgrastim hat BioGeneriX das erste
kation HAE in allen EU­-Staaten zuge- verkauft wurden, eine US-Holding Entwicklungsprodukt erfolgreich
lassen ist. Firazyr ist ein synthetisch der schweizerischen Galderma zum Abschluss gebracht. Filgrastim
hergestelltes Peptidomimetikum, Pharma, einem weltweit tätigen ist ein so genannter Granulozyten-­
das als Antagonist des Peptidhor- Spezialitäten-­Pharma­-Unternehmen Kolonie­-stimulierender Faktor (G-
mons Bradykinin wirkt, indem es den mit Schwerpunkt Dermatologie. CSF) zur Behandlung verschiedener
Bradykinin­-B2-Rezeptor hemmt. Der MediGene erhält dafür stufenweise Formen von Neutropenie und zur
Bradykinin­-Spiegel ist bei Patienten, Zahlungen mit einem Gesamtvolu- Mobilisierung von Stammzellen.
die an HAE leiden, erhöht und ver- men von bis zu 32 Millionen Euro. Mit diesem Arzneimittel wird dem
ursacht die während einer Attacke Mit der Unterzeichnung des Ver- Rückgang der weißen Blutkörper-
auftretenden Schwellungen. Zuvor trages verpflichtete sich Galderma chen entgegenwirkt und somit eine
hatte der Wirkstoff für die Behand- zu einer sofortigen Zahlung von möglicherweise lebensbedrohliche
lung von Angioödemen sowohl von acht Millionen Euro. Abhängig vom Infektion bei diesen Patienten ver-
der EU­-Kommission als auch von der Umsatz, den Galderma mit Oracea hindert. Der europäische Vertrieb
US­-amerikanischen Gesundheitsbe- erzielt, erhält MediGene ratenweise des mit dem Markennamen Ratio-
hörde FDA den Orphan-­Drug-­Status bis zu 24 Millionen Euro in Form von gastrim versehenen Medikamentes
erhalten. Als zweites Unternehmen Meilensteinzahlungen. Mit dem Ver- wird über das Tochterunternehmen
hat Ende Juli 2008 die Münchener kauf der Oracea-Rechte an Galderma ratiopharm direct erfolgen« (Ernst &
MediGene die europäische Zulas- fokussiert sich MediGene auf die Young 2009).
sung von Oracea zur Behandlung der Bereiche Onkologie und Immunolo-

blieb. Obwohl Analysten der Lehman Brothers gemacht hatte. Dafür erhielt das Medikament im
einen Spitzenumsatz von rund 100 Mio. € prognos- Jahr 2011 den MMW-Arzneimittelpreis unter dem
tizierten, erreichte der jährliche Umsatz mit Remo- Motto »30 Jahre Immunsuppression mit ATG-Fre-
vab in der Anfangszeit keine 5 Mio. €. Nachdem senius S«. Der Vorteil des aus Kaninchenserum
Fresenius als Mutterkonzern im Zeitraum 2001 bis gewonnenen Präparats ist, dass es vorwiegend auf
2011 rund 400 Mio. € in den Bereich Forschung aktivierte T-Zellen zielt, ohne jedoch die Immun-
und Entwicklung ihrer Tochter Fresenius Biotech abwehr des Patienten stärker zu beeinträchtigen.
gesteckt hatte, entschied er 2012 den Verkauf an Obwohl Removab selbst am Markt bisher
die israelische Neopharm-Gruppe. Heute ist die- nicht so erfolgreich war, kann dessen 2009er-Zu-
se am Standort München als Neovii Biotech tätig lassung als Meilenstein erachtet werden, da prin-
und setzt die Aktivitäten der Fresenius Biotech fort. zipiell das Konzept der bispezifischen Antikörper
Dazu gehört auch der Verkauf von ATG-Freseni- (7 Abschn. 3.1.2.1 und 7 Abb. 3.24) validiert wurde.
us S, einem polyklonalen Antikörper, der durch Auf dieses setzte auch die Münchener Micromet,
spezifische Bindung an T-Lymphozyten die im- deren Wirkstoff Blinatumomab 2014 von der FDA
munologische Abwehrreaktion unterdrückt und so den Breakthrough-Status zuerkannt bekam. Neo-
erfolgreiche Organtransplantationen erst möglich vii entwickelt Removab derzeit noch für die An-
404 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

Removab – made in Germany


»Die Idee für die Triomab­-Antikörper Biotech ist verantwortlich für die zellen für die Immunabwehr) und an
wurde in den 90er Jahren am klinische Entwicklung und die Ver- Fc­Rezeptoren von akzessorischen
Helmholtz­-Zentrum München (da- marktung, TRION Pharma wirkt an Immuneffektorzellen (Makro-
mals GSF) geboren. 1997, bei einem der klinischen Entwicklung mit, phagen, Monozyten, dendritische
Businessplanwettbewerb, wurde ein verantwortet die Produktion und Zellen, natürliche Killerzellen). Diese
Vorstandsmitglied von Fresenius auf besitzt die Triomab­-Technologie simultane Bindung führt zu einer
die Entwicklung aufmerksam. Schon mit den dazugehörigen Patenten. gegenseitigen Stimulierung und
1998 kam es zu einer Kooperation … Als trifunktionaler Antikörper Aktivierung von T-­Zellen und akzes-
zwischen TRION Pharma Pharma der Triomab-­Familie führt Removab sorischen Zellen und damit zu einer
und Fresenius, die zu einer engen drei unterschiedliche Zelltypen verstärkten Immunantwort, die eine
5 Partnerschaft und zur Entwicklung
von Removab führte. Die Rollen
zusammen. Er bindet gleichzeitig
an EpCAM auf Karzinomzellen, an
Zerstörung der Krebszellen ermög-
licht« (Lindhofer 2009).
wurden früh klar verteilt: Fresenius das CD3­-Molekül auf T-­Zellen (Blut-

wendung bei gastroenteralen und ovarialen Kar- (ALA) besser und weist eine höhere chemische
zinomen. Der Originator, die Münchener TRION Stabilität auf. Bei der PDT trägt der Patient Ame-
Pharma musste aufgrund dieser Entwicklungen im luz auf die Haut auf, und drei Stunden später wird
Jahr 2013 in einen Insolvenzprozess gehen, aus dem durch zehn- bis 15-minütige Beleuchtung mit einer
2014 die Lindis Biotech hervorging. Gegründet starken Rotlichtlampe eine chemische Reaktion
vom Triomab-Pionier Lindhofer wird das Startup ausgelöst, die betroffene Hautzellen selektiv und
die Forschung und Entwicklung an weiteren tri- ohne Narbenbildung abtötet.
funktionalen Antikörpern fortsetzen. Nun zu den Hürden des Zeitraumes. Zwei wei-
Zurück zu den Zulassungen in der Phase 2008 tere in der Zulassungsphase befindliche Wirkstoffe
bis 2011: Erfolgreich waren in dem Jahr noch- schafften das Ziel nicht, da ihre Anträge zurück-
mals Medigene und BioGeneriX. Erstere mit dem gezogen werden mussten. Weiterhin entfiel der
schon 2006 in den USA zugelassenen Veregen, Statistik das eine oder andere Phase-III-Projekt,
das schließlich die deutsche Zulassungsbehörde sei es durch Verkauf an einen Industriepartner,
in einem dezentralen Verfahren zur Vermarktung durch Insolvenz des entwickelnden Unternehmens
freigab. Andere europäische Länder folgten, und oder aufgrund von Unwirksamkeit beziehungs-
Medigene schloss damals für den Vertrieb Part- weise umstrittenen Entwicklungsdaten. So muss-
nerschaften mit der spanischen Juste (Spanien und ten sich diese Hoffnungsträger dem der Medika-
Portugal) sowie der deutschen Solvay (Deutsch- menten-Entwicklung inhärenten Risiko oder der
land, Österreich und Schweiz). In Israel sollte Teva angespannten Finanzierungssituation geschlagen
die Vermarktung übernehmen. Für BioGeneriXs geben:
Biosimilar Epoetin theta übernahmen Ratiopharm 55 2008: Reniale, ein damals weltweit erster auto-
und die Berliner CT den Vertrieb unter den Han- loger Tumor-Impfstoff gegen das nicht-metas-
delsnamen Eporatio und Biopoin. 2010 erbrachte tasierte Nierenzellkarzinom von der Firma
keine neuen Zulassungen, und diejenige von 2011 LipoNova (Insolvenzantrag im Juli 2008);
wurde bereits erwähnt: Ameluz von der börsenno- 55 2011: Diractin von IDEA, zu dem nach Zwei-
tierten Spezialpharma-Firma Biofrontera in Lever- feln durch die Behörden weitere Phase-III-
kusen. Ameluz wird im Rahmen der sogenannten Daten geliefert werden sollten (Einstellung der
photodynamischen Therapie (PDT) zur Behand- Aktivitäten);
lung der aktinischen Keratose verschrieben, einer 55 2011: Hemoximer, ein pyridoxiliertes Hämog-
frühen Form des weißen Hautkrebses, die noch auf lobin-Polyoxethylen (PHP) zur Behandlung
die oberste Hautschicht beschränkt ist. Mit einer des distributiven Schocks von der Firma Cura-
patentgeschützten Nanoemulsion kombiniert, pe- cyte (Abbruch der Studie, operative Tätigkeit
netriert die Wirksubstanz 5-Aminolävulinsäure eingestellt).
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
405 5

MOLOGEN – der minimalistische Ansatz


»Die MOLOGEN mit Sitz in Berlin ist die Behandlung von Krebs sowie die MGN1703 ist ein dSLIM-basiertes
eine Unternehmensgründung aus Bekämpfung schwerer Infektions- Präparat, das für die Immuntherapie
dem Institut für Molekularbiologie krankheiten. Die von MOLOGEN von Patienten mit metastasierten,
und Bioinformatik der Freien Uni- entwickelte MIDGE-Technologie soliden Tumoren entwickelt wird.
versität Berlin. Nach wie vor hat das wird als DNA-Vektor bezeichnet. Im Bereits in der klinischen Phase Ib
Unternehmen seinen Sitz mitten auf Unterschied zu anderen DNA-Vek- war ein sehr gutes Sicherheitsprofil
dem Campus, um seinen traditionell toren (Plasmide, Viren) enthält der zu erkennen. Wie erwartet wurde
engen Dialog mit den Wissen- MIDGE (Minimalistische immuno- das Präparat von den Patienten
schaften zu pflegen. MOLOGEN logisch definierte Genexpression)- äußerst gut vertragen. Darüber
entwickelt neuartige Medikamente Vektor allerdings nur die für die hinaus zeigte sich auch ein viel-
und Impfstoffe auf der Grundlage eigentliche Wirkung notwendige versprechendes Wirkpotenzial.
der eigenen patentierten Plattform- Information. Dieser Vektor wird mit Dass das Wirkprinzip wie erwartet
technologien MIDGE und dSLIM. unterschiedlichen, z. T. individua- funktioniert, konnte anhand einer
Beide Technologien basieren auf lisierten Eigenschaften konzipiert Sequenz von klinischen Daten aus
DNA-Strukturen und lassen sich und eignet sich hervorragend für der bereits abgeschlossenen Phase-
in zahlreichen medizinischen An- die Entwicklung von gut verträg- Ib-Studie nachgewiesen werden. Die
wendungen sowohl therapeutisch lichen DNA-Impfstoffen. Mit dem Auswertung von Biomarkern zeigte,
als auch prophylaktisch einsetzen. DNA-Molekül dSLIM bietet MOLO- dass das Immunsystem der Patien-
Der Fokus der Forschungs- und GEN ein modernes Werkzeug für ten breit aktiviert wird, und zwar in
Entwicklungsaktivitäten liegt auf die gezielte Einflussnahme auf das einer Weise, die für die erfolgreiche
Krankheiten, für die noch immer ein Immunsystem des Patienten, der so Bekämpfung von Tumorerkrankun-
hoher medizinischer Bedarf besteht: genannten Immunmodulation. … gen notwendig ist« (Schroff 2011).

Teilweise wurden die Abgänge durch neu hinzu- III­-Studie gegen schwere Sepsis. Um es wiederum
gekommene Hoffnungsträger kompensiert. Die- vorwegzunehmen: Auch diese Vorhaben wurden
ses waren im Jahr 2009 Trabedersen (AP 12009) 2012 Opfer der gefürchteten attrition rate.
– ein antisense-Wirkstoff der Regensburger Anti- Hoffnungsträger verabschiedeten sich auch
sense Pharma, 2010 das Darmkrebsmedikament wieder in Phase II. Ein Ereignis, das in mehr als der
MGN1703 der Berliner MOLOGEN (7 MOLOGEN Hälfte der Fälle statistisch einfach vorgegeben ist
– der minimalistische Ansatz) sowie 2011 IMA901, und im Jahr 2009 zum Beispiel die börsennotierte
ein Impfstoffkandidat der Tübinger immatics bio- Evotec traf, deren Kandidat EVT 302, ein Mono-
technologies zur Behandlung von Patienten mit amin-Oxidase(MAO-B)-Inhibitor zur Raucherent-
Nierenzellkarzinom. Dieser hatte in einer Phase- wöhnung, ausfiel. Erneut mussten Projekte wegen
II-Studie gezeigt, dass er die Gesamtüberlebensrate der widrigen Finanzierungsbedingungen aufgege-
der Patienten verbessern kann. ben werden. So stoppte im August 2009 Medigene
Nach dem Scheitern mit Satraplatin machte die Weiterentwicklung von onkolytischen Herpes-
GPC Biotech einen neuen Anlauf, in dem sie im simplex-Virus-Präparaten. 2011 fielen elf Kandida-
Jahr 2009 mit der US-Gesellschaft Agennix fusio- ten aus der Statistik, da ihre Entwicklung entweder
nierte. Diese hatte Ende 2008 zwei Phase-III-Stu- vorerst auf Eis gelegt oder gänzlich abgebrochen
dien mit dem Wirkstoffkandidaten Talactoferrin werden musste. Andere Firmen konnten dagegen
alfa zur Behandlung des nicht-kleinzelligen Lun- vielversprechende Phase-II-Studien starten. So
genkrebses gestartet. Talactoferrin, eine rekombi- berichtet Ernst & Young (2011), dass im Jahr 2010
nante Form des menschlichen Lactoferrins, stellte sieben neue Wirkstoffe in diese kritische Phase ein-
eine neuartige, oral verfügbare Wirksubstanz dar, traten. Fünf der sieben waren neue Biologika:
die dendritische Zellen des Immunsystems erneu- 55 MOR103 und CNTO888 aus dem HuCAL­
ern und aktivieren sollte. Im Juni 2011 initiierte Repertoire der Müchener MorphoSys:
Agennix, die mittlerweile ihren Hauptsitz nach MOR103 als Eigenentwicklung gegen GM­
Heidelberg verlegt hatte, zusätzlich eine Phase-­II/ CSF für die Behandlung der rheumatoiden
406 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

100
© BioMedServices 2015

80
68 70 2006 2007 2008 2009 2010 2011

60
51

39
40

5 20 16
13 9
2 0 2
0
Phase I Phase II Phase III Zulassung Zugelassen

. Abb. 5.10 Zahl an Medikamentenkandidaten deutscher Biotech-Firmen in klinischen Studien, in Zulassung und auf
dem Markt in den Jahren 2006 bis 2011. Erstellt auf Basis von Daten aus Ernst & Young (2007–2012)

Arthritis und anderer Autoimmunerkrankun- trotz des beschriebenen Auf und Abs und einem
gen sowie CNTO888, der in Partnerschaft mit Einbruch bei Phase II im Jahr 2011. Ein weiterer
Centocor entwickelte Antikörper gegen solide Hinweis darauf, dass der Titel »Fallstrick Finanzie-
Tumoren auf Basis einer Blockierung von CC­ rung« mit einem Fragezeichen versehen wurde.
Chemokin-Ligand 2.
55 iMAB362, gerichtet gegen das Oberflächen- Produkte sind nicht nur Medikamente
antigen Claudin 18.2 zur Behandlung von Ma- Gerne wird in der Biotechnologie über Medika-
gen­- und Speiseröhrenkrebs, entwickelt von mente geschrieben, weil sie im Erfolgsfall die größ-
der Mainzer Ganymed Pharmaceuticals, deren ten Erlöse versprechen. Deutsche Biotech-Firmen
Technologie-Plattform »ideale« Antikörper boten und bieten aber auch eine Vielzahl anderer
(»iMABs«) selektiert, die sich gegen Targets Produkte an (. Tab. 5.9). Hinzu kommen die Akti-
richten, die spezifisch oder angereichert auf vitäten in der Weißen Biotechnologie (7 Tab. 3.47).
Krebszellen vorkommen.
55 APG101, ein lösliches CD95­-Fc-­ 5.2.4.4 Positive Nachrichten und gute
Fusionsprotein, das die Interaktion des natür- Entwicklungen triggern
lichen Liganden CD95 am physiologischen Übernahmen
Rezeptor blockiert; Hauptanwendungsgebiet Positive Nachrichten und gute Entwicklungen
der von der Heidelberger Apogenix entwickel- führten in der Periode 2008 bis 2011 zu ersten grö-
ten Substanz ist der bisher nicht gezielt thera- ßeren Übernahmen. Aus Sicht der Statistik Rück-
pierbare Hirntumor. läufe, aus Sicht der Gründer und Investoren jedoch
55 SM101, eine lösliche, nicht-glykosylierte Version oft eine gewinnbringende Exit-Möglichkeit sowie
des Fc-gamma-Rezeptors IIb zur Behandlung aus Sicht der übernehmenden Firmen in der Regel
der primären Immunthrombozytopenie (ITP), eine Stärkung des eigenen Portfolios an Produkten,
entwickelt von der Münchener SuppreMol. Technologien und Dienstleistungen. Dazu eine
gewisse Anerkennung der bis dahin erbrachten
Insgesamt gesehen sieht rückblickend – was die Leistungen. Den höchsten Preis in dieser Periode
Produktentwicklung betrifft – die Phase von 2008 (und bisher überhaupt) erzielte die Berliner Jerini
bis 2011 gar nicht so schlecht aus (. Abb. 5.10). Der (. Tab. 5.10), die zu Zeiten der nahenden Markt-
gute Kurs bis 2007 wurde im Grunde fortgesetzt –
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
407 5

. Tab. 5.9 Ausgewählte Produkte des nicht-therapeutischen Sektors. (Quelle: BioMedServices (2015) nach Ernst
& Young (2011, 2013))

Segment Produkte Ausgewählte Firmen

Bioinformatik Anwendungen für Datenbanken, Geno- Alacris Theranostics, Biobase, Biomax, DECODON,
mics, Proteomics, Wirkstoffanalyse, System- Genomatix, Insilico Biotechnology, Metalife, Micro-
biologie Discovery, Molecular Health

Diagnostika CDx/Biomarker Alacris Theranostics, CBC Comprehensive Biomar-


ker Center, CorTAG, Epigenomics, Epivios, GeneWa-
ke, humatrix, Immungenetics, Indivumed, Inostics,
OnCGnostics, PAREQ, Signature Diagnostics,
Sividon Diagnostics, TARGOS Molecular Pathology

MDx und Assays AMODIA Bioservice, AmplexDiagnostics, AnDiaTec,


(DNS-, RNS- oder proteinbasiert) Attomol, Biotype Diagnostics, Carpegen, CIBUS
Biotech, Curetis, Epigenomics, Hyglos, Zedira

Humangenetische Tests bio.logis, bj-diagnostik, DelphiTest, GENOLYTIC,


humatrix, ID-Labor

Tools Bakterienstämme, Enzyme, kundenspezi- AmpTec, BioSpring, BRAIN, c-­Lecta, GNA Biosolu-
(Werkzeuge) fische DNS und RNS, DNS­-Amplifikation tions, Hyglos, Zedira

Zellkultur Zellseparation, Analyse, Transfektion, AMP­Lab, CCS Cell Culture Service (< Evotec), ibidi,
Funktionsmedien, Nährmedien, Zelllinien Miltenyi Biotec, Medicyte

Zum Teil noch in Entwicklung

. Tab. 5.10 Top-Übernahmen deutscher Biotech-Unternehmen nach Wert in den Jahren 2008 bis 2011. (Quelle:
BioMedServices (2015) nach Ernst & Young (2009, 2010, 2011, 2012))

Gekaufte Firma Käufer Land Art Werta (Mio. €) Jahr

Jerini Shire GB Biotech 328 2008

Direvo Biotech Bayer D Pharma 210 2008

mtm Laboratories Roche CH Pharma 190 2011

U3 Pharma Daiichi Sankyo J Pharma 150 2008

amaxa Lonza CH Life Science 90 2008

GENEART Life Technologies US Life Science 67 2010

NewLab BioQuality Charles River US Life Science 34 2008

Probiogen Minapharm EG Pharma 30 2010

Heidelberg Pharma WILEX D Biotech 19 2010

Sloning MorphoSys D Biotech 19 2010

DeveloGen Evotec D Biotech 14 2010

Kinaxo Evotec D Biotech 12 2011

Symbiotec Lipoxen GB Biotech 10 2011

azum Teil
Mindestbetrag, nur Übernahmen mit veröffentlichtem Wert
CH Schweiz, D Deutschland, EG Ägypten, F Frankreich, GB Großbritannien, J Japan, US USA
408 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

Jerini im Visier von Shire


»Das britische Biotech-­Unternehmen interessiert, das eine Krankheit mit gebot erfolgte die Marktzulassung
Shire bot Anfang Juli 2008 potenziell lebensbedrohlichen Sym- von Firazyr seitens der Europäischen
6,25 Euro pro Aktie, was einem Auf- ptomen (Angioödem) behandelt, für Kommission. Nach Ansicht des Vor-
preis von 200 Prozent auf den volu- die es bislang keine adäquate Be- stands reflektierte der Angebotspreis
mengewichteten Durchschnittskurs handlung gibt, so der CEO von Shire. den Wert der Aktie bei erfolgreicher
der Jerini­-Aktie während der letzten Seine weitere Einschätzung lautete: Markteinführung von Firazyr. Zuvor
drei Monate vor Ankündigung des ‚Mit der Orphan­-Drug-­Designation war der Vorstand nach einer sorgfäl-
Angebots entsprach. Am Tag vor sowohl in Europa als auch in den tigen Prüfung verschiedener strate-
dem Übernahmeangebot lag der USA und einer bevorstehenden gischer Optionen zu dem Ergebnis
Schlusskurs der Aktie im Xetra-Han- Marktzulassung in Europa im zwei- gekommen, dass Shire der beste
5 del bei 3,65 Euro. Insgesamt wurde
Jerini damit mit 328 Millionen Euro
ten Halbjahr dieses Jahres wird der
Erwerb in naher Zukunft Umsätze
Partner sei, um die Markteinführung
von Firazyr in Europa und die Markt-
bewertet. Shire war vor allem an einbringen sowie zum langfristigen zulassung in den USA erfolgreich
dem damals kurz vor der Zulassung Wachstum von Shire beitragen.‘ Nur voranzutreiben und sicherzustellen«
stehenden Medikament Firazyr knapp zwei Wochen nach dem An- (Ernst & Young 2009).

zulassung im Sommer 2008 die britische Biotech- 5.2.4.5 Status quo Ende 2011:
Firma Shire auf sich aufmerksam machte (7 Jerini Kursfortsetzung oder Fallstrick
im Visier von Shire). Finanzierung?
Weitere Übernahmen des Jahres 2008 waren: Am Ende der Phase »Fallstrick Finanzierung?« lag
Direvo von der deutschen Bayer sowie U3 Pharma die Anzahl der deutschen Biotech-Firmen laut Ernst
von der japanischen Daiichi Sankyo. Beide deut- & Young (2012) immer noch bei rund 400, und die
schen Biotech-Firmen waren im Bereich der Me- Mitarbeiterzahl erreichte nach einem zwischen-
dikamenten-Forschung tätig und stärkten somit zeitlichen leichten Rückgang fast schon wieder die
die Portfolios der Pharma-Käufer. Die beiden in 10.000. Diese Grenze hatte die Branche nach der
Nordrhein-Westfalen beheimateten Gesellschaften großen Krise erstmals 2007 wieder überschritten.
amaxa und NewLab BioQuality fanden im selben Beim Umsatz verlief die Entwicklung ähnlich: 2011
Jahr ebenfalls ein neues Dach für ihre Aktivitäten. erbrachte nach einem zwischenzeitlichen leichten
Alle vier Übernahmen sind auch heute noch inner- Rückgang das Wiederüberschreiten der Grenze von
halb der neuen Mutter operativ tätig. 1 Mrd. €, die – im Gegensatz zu der Entwicklung
Bei Jerini in Berlin ist das leider nicht mehr der bei den Mitarbeitern – 2007 allerdings erstmalig
Fall. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass erreicht wurde. Mit anderen Worten: Bis auf eine
dem UK-Unternehmen der Zugang zu Firazyr am Stagnation in den Jahren 2002 bis 2005 sowie 2008
wichtigsten war und später sämtliche Aktivitäten bis 2010 ist der Umsatz (berechnet als Umsatz pro
in Berlin eingestellt wurden (7 Gekauft und verra- Firma) seit 1999 kontinuierlich gewachsen.
ten). Der Jahres-Umsatz mit Firazyr stieg nach der Grund zu frohlocken, ist das allerdings noch
Markteinführung durch Shire im Jahr 2014 bis auf nicht wirklich, wenn bedacht wird, dass allein der
273 Mio. € (364 Mio. US$) an. Umsatz von QIAGEN fast bei 1 Mrd. € lag. Addiert
Für das Jahr 2010 fällt auf, dass es einige inner- man diesen sowie noch denjenigen der 150 »fehlen-
deutsche Biotech-Zusammenschlüsse gab: Käufer den« Firmen, die EY im Gegensatz zu biotechno-
waren hierbei deutsche börsennotierte Biotech-Ge- logie.de nicht in seiner Statistik berücksichtigt, und
sellschaften gewesen, nämlich MorphoSys, Evotec die aufgrund ihres Fokus auf Immundiagnostika,
und WILEX. Auch hier ging es jeweils darum, sich Analyse-Dienstleistungen und Reagenzien-Ver-
mit besonderen Technologien und Know-how zu kauf sicher Umsatz tätigen, gelangt man zur Um-
stärken. satzangabe, die von biotechnologie.de für das Jahr
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
409 5

Gekauft und verraten


»So tapfer sein wie die Patienten ein – wohl wissend, dass es dem der bis zu sieben Millionen Euro be-
– ‚to be as brave as the people we allein um die Lizenz für Icatibant reitgestellt hätte. Auch der Ex-Jerini-
help‘ –, das hat sich der britisch- ging. Um die 50 Mitarbeiter seiner Vorstand um Jens Schneider-Merge-
amerikanische Arzneimittelkonzern präklinischen Forschungsabteilung ner wollte sich mit eigenen Mitteln
Shire als Firmenmaxime gewählt. zu retten, gründete Schneider- an dem Konsortium beteiligen. Man
Doch im Moment zeigt sich Shire Mergener im vergangenen Jahr die war kurz davor, die Verträge wasser-
alles andere als mutig. Im Gegenteil: Jenowis AG. … [Es] war geplant, fest zu machen, als Jerini alias Shire
Das Pharmaunternehmen lässt seine dass die rund 50 Wissenschaftler bei plötzlich von den Plänen Abstand
Berliner Tochterfirma Jerini ohne der Jenowis AG an ihren Projekten nahm und die rund 50 Mitarbeiter
wirtschaftliche Not im Stich und weiterforschen – darunter waren auf die Straße setzte. Die Reaktionen
hat Ende Juni rund 50 Mitarbeitern aussichtsreiche Mittel zur Schmerz- der übrigen Konsortiumsmitglieder
gekündigt, die in den Labors in der und zur Krebstherapie sowie gegen reichen von Unverständnis bis Ent-
Invalidenstraße neue Medikamente Altersblindheit, deren Lizenzen Je- setzen. ‚Die Entscheidung kam für
entwickelten. … Im Mai 2008 hatte nowis Jerini abgekauft hätte. ‚Es war uns total überraschend‘, heißt es von
die europäische Arzneimittelbehör- jedoch sehr schwierig, Investoren für der IBB Beteiligungsgesellschaft.
de einen von Jerini entwickelten Jenowis zu finden‘, sagt Sprecherin ‚Auch für mich kam der Rückzug von
Wirkstoff namens Icatibant geneh- Wiedenmann. Daran sei das Projekt Shire völlig unerwartet‘, sagt Jerini-
migt. Mit dem Arzneimittel lässt letztlich gescheitert. So schlecht sah Gründer Schneider-Mergener. ‚Wir
sich eine seltene erbliche Neigung es für das Geschäft jedoch gar nicht haben über lange Zeit viel Energie
zu Hautausschlag, Schwellungen aus. Nach Informationen der Berli- in das Projekt gesteckt und sind nun
der Magen-Darm-Schleimhaut und ner Zeitung hatte sich ein Konsor- sehr enttäuscht.‘ … Jens Schneider-
lebensgefährlichen Kehlkopfatta- tium gefunden, das die benötigten Mergener vermutet, dass finanzielle
cken bekämpfen. Eine Spritze kostet 20 Millionen Euro Anschubfinanzie- Überlegungen den Ausschlag ga-
etwa 1500 Euro; nach Schätzung des rung aufgebracht hätte. Shire alias ben: ‚Die Firma abzuwickeln und die
Gründers von Jerini, des Charité-Me- Jerini sagte zu, sich mit bis zu sieben Mitarbeiter zu entlassen, kostet Shi-
diziners Jens Schneider-Mergener, Millionen Euro zu beteiligen. Die IBB re zwar Geld, ist aber günstiger als
lässt sich mit dem unter dem Namen Beteiligungsgesellschaft, eine Toch- die Beteiligung an dem Konsortium.‘
Firazyr gehandelten Medikament ter der staatlichen Investitionsbank Wirtschaftliche Not war bei Jerini
langfristig ein Umsatz von 150 Mil- Berlin, hätte bis zu 1,5 Millionen Euro indes nicht erkennbar: Im ersten
lionen Euro im Jahr erzielen. … beigesteuert, die ebenfalls staatli- Quartal 2009 konnte die Firma ihren
Doch dem Forscher fehlte das Geld, che KfW Bankengruppe noch einmal Umsatz gegenüber dem Vorjahres-
um das Medikament erfolgreich etwa genauso viel. Auch von der In- zeitraum um 50 Prozent steigern
selbst zu vermarkten. Daher ließ sich vestitionsbank Berlin sollte es einen – vor allem durch den Verkauf von
Schneider-Mergener auf den Deal Zuschuss geben. Zudem hatte man Firazyr-Spritzen« (Bassenge 2009).
mit dem britischen Pharmakonzern einen Schweizer Investor gefunden,

2001 veröffentlicht wurde: 2,6 Mrd. € bei 552 dedi- Vordergründig gab es also die Fallstricke der
zierten Firmen mit 16.300 Mitarbeitern. Finanzierung für diejenigen Firmen, die Inves-
Wermutstropfen in der Entwicklung der be- titionen in Forschung und Entwicklung tätigten.
trachteten Periode war der Rückgang der Inves- Bei genauerem Hinsehen lässt sich allerdings das
titionen in Forschung und Entwicklung: Diese Fragezeichen setzen, weil manche dieser Kandida-
hatten 2007 (»Zurück in die Zukunft«) nach der ten von den Family Offices viel Geld einsammeln
Krise wieder fast die 1-Mrd.-€-Grenze erreicht, konnten und damit ganz gut für weitere Aktivitäten
im Jahr 2011 aber bis auf 780 Mio. € nachgelas- finanziert waren (in der Summe von 2007 bis 2011):
sen – ein Rückgang um 20 %. Dabei lassen sich die 55 Ganymed Pharmaceuticals: 102 Mio. €,
Einschnitte bei der Eigenkapital-Finanzierung und 55 immatics biotechnologies: 94 Mio. €,
diejenigen der FuE-Ausgaben ganz gut korrellie- 55 CureVac: 63 Mio. €,
ren (. Abb. 5.2). Denn jeweils im Folgejahr nach 55 AiCuris: 55 Mio. €,
den Einbrüchen bei der Finanzierung (2009 und 55 Glycotope: mindestens 40 Mio. €,
2011) traten Tiefpunkte bei den FuE-Ausgaben auf 55 Apogenix: 35 Mio. €,
(2010 und 2012). 55 SuppreMol: 32 Mio. €.
410 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

Trends in der deutschen Biotechnologie-Branche 2012


»Trotz einer günstigeren Einschät- vorsitzender der BIO Deutschland, ändern wird. Ebenfalls fielen die
zung ihrer aktuellen Lage gehen die bilanziert: ‚Die krisenerprobten deut- Einschätzungen der aktuellen politi-
deutschen Biotech-Unternehmen schen Biotechnologie-Unternehmen schen Lage schlechter aus. … Viola
mit gedämpftem Optimismus in das haben sich erstaunlich gut an die Bronsema, Geschäftsführerin der BIO
Jahr 2012. Die Branche macht sich Finanzmittelknappheit angepasst. Deutschland kommentiert: ‚Den Bio-
mit Produkt- und Dienstleistungs- Sie arbeiten weiter an der Entwick- technologie-Unternehmen ist ihre
modellen zunehmend unabhängig lung neuer Produkte und werden Rolle als wichtiger technologischer
von Wagniskapital. … Frühindikato- dabei zunehmend profitabel.‘ … [Al- Impulsgeber für die deutsche In-
ren lassen einen konstant wachsen- lerdings] hat sich die Einschätzung dustrie bewusst. Anscheinend aber
den Beschäftigungsaufbau bei leicht der aktuellen politischen Rahmen- nicht der Politik, die konsequent die
5 sinkenden F&E-Ausgaben erwarten.
Parallel dazu sinken die Erwartun-
bedingungen in Deutschland ver-
schlechtert. … Noch nie glaubten so
Notwendigkeit eines innovations-
freundlichen Klimas für den Mittel-
gen an die zukünftige Geschäfts- viele Unternehmen, dass sich auch stand in Deutschland ignoriert‘«
lage. … Peter Heinrich, Vorstands- künftig das politische Klima nicht (BIO Deutschland 2012).

Der Fallstrick der VC-Finanzierung betraf also an- vor nichts geändert. Was in den USA bereits in
dere Medikamenten-Entwickler, die in dieser Zeit den 1980er-Jahren in Angriff genommen wurde
nicht so reichlich bedacht wurden. Diese mussten (7 Abschn. 2.1), lag und liegt in Deutschland – 30
sich dann mit Partnerschaften und/oder Dienst- Jahre später – immer noch im Argen: passende
leistungen über Wasser halten und sich vermutlich Rahmenbedingungen für technologieorientierte
auch einschränken. Das soll nicht heißen, dass die Unternehmensgründungen und Eigenkapital-In-
gut Finanzierten das Geld mit vollen Händen aus- vestitionen. Zwar unterstützte und unterstützt die
geben. Man kann davon ausgehen, dass die deut- Politik die deutsche Biotech-Industrie mit diversen
schen Biotech-Unternehmen recht effizient haus- Maßnahmen. Diese stellen aber – finanziell gese-
halten, sonst wären in dieser Periode weit mehr in hen – nur einen Tropfen auf den heißen Stein dar.
die Insolvenz gegangen. Zudem gibt es die vielen Beispiele hierfür sind die Investitionen des High-
Firmen, die Umsatz und sogar Gewinn über Dienst- Tech Gründerfonds (HTGF), der 2005 ins Leben
leistungen oder den Verkauf von Diagnostika und gerufen wurde (7 Ein geeigneter Katalysator für Bio-
anderen Produkten machen. Diese waren dann – tech-Startups?). Ab 2006 gab er der deutschen Bio-
bis auf eine allgemeine »Störung« in oder nach der tech-Branche tatsächlich Impulse (7 Seed-Finanzie-
Finanzkrise – unabhängig vom Fallstrick Finanzie- rung als Damoklesschwert? – Eine Zwischenbilanz).
rung. Fazit: Der Kurs der deutschen Biotech-Indus- Allerdings stellt sich die Frage, wie viel zum
trie stimmte eigentlich, es stellte sich für sie nur die Beispiel im Sektor der Medikamenten-Entwicklung
Frage, wie es weitergeht und ob der Überlebens- mit einer Anschubfinanzierung von 2 Mio. € er-
modus für weiteres Wachstum ausreicht. reicht werden kann, um mit den Ergebnissen An-
Bestätigt wird diese Einschätzung von einer schluss-Investoren »anzulocken«. Die Unterstüt-
Umfrage des Branchenverband BIO Deutschland zung ist für kleine Vorhaben und andere Sektoren
unter seinen Mitgliedern (7 Trends in der deutschen sicher von Bedeutung, und die Aktivität des HTGF
Biotechnologie-Branche 2012). hat auch Neugründungen aus der Taufe gehoben.
Laut Ernst & Young (2012) investierte der HTGF
auch in 2011 unverändert hoch. Er beteiligte sich
5.2.5 Unterstützende Aktivitäten vom an sechs Finanzierungsrunden und war somit er-
Bund neut aktivster Investor in Deutschland. Obwohl der
Fonds offiziell als public private partnership (PPP)
Fallstrick Rahmenbedingungen? Vielleicht wäre arbeitet, kommen die Mittel zum Großteil vom
das die bessere Formulierung gewesen, denn bei Bund und nur zu einem kleineren Anteil von Part-
diesen hatte sich in der Periode bis 2011 nach wie nern aus der Industrie. So machen die Aktivitäten
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
411 5

Ein geeigneter Katalysator für Biotech-Startups?


»Das Jahr 2005 war ein gutes Jahr High-Tech Gründerfonds (HTG) mit (gegen 15 % der Gesellschaftsanteile
für deutsche Biotech-Unternehmen, einem Volumen von 262 Mio. EUR als zu nominal, ohne Unternehmens-
die Risikokapital akquirierten – aller- eine ‚public-private-partnership‘. Zur bewertung) und als nachrangiges
dings nur dann, wenn sie sich be- initialen Investorengruppe gehörten Gesellschafterdarlehen. Von den
reits einige Jahre am Markt bewährt das Bundeswirtschaftsministerium, Gründern wird zusätzlich ein finan-
hatten und solide Entwicklungs- die KfW-Bankengruppe sowie zielles Engagement in Höhe von
ergebnisse präsentierten. Projekte die Industrieunternehmen BASF, 20 % des Investments des Fonds
im Seedphasen-Status wurden Deutsche Telekom und Siemens. gefordert, wobei dieses wiederum
von den VCs überwiegend links Ende 2006 traten die Firmen Bosch, bis zur Hälfte von einem dritten In-
liegen gelassen. Die Folgen der seit Daimler Chrysler und Carl Zeiss vestor erbracht werden kann. … Ziel
mehreren Jahren zu geringen Früh- hinzu; das Fondsvolumen wurde ist es, die Seedfinanzierung durch
phasenfinanzierung wurden durch um 10 Mio. EUR erhöht. Der HTG den HTG als ein Qualitätssiegel mit
den drastischen Einbruch des Fi- bedient sich eines standardisierten Signalwirkung auf weitere Inves-
nanzierungsvolumens im Jahr 2006 mezzaninen Finanzierungsmodells toren der Branche zu etablieren«
offenbar. Um diese Lücke zu be- und investiert pro Unternehmen (Fichtner und Winzer 2007).
heben, startete im August 2005 der bis zu 500 TEUR als Eigenkapital

Seed-Finanzierung als Damoklesschwert? – Eine Zwischenbilanz


»Allen Wehklagen über eine brach 2010 einen Umsatz von 16,2 Millio- dem In- und Ausland (15 %), und
darniederliegende deutsche VC- nen Euro, davon sechs Unternehmen beachtliche 5,1 Millionen Euro (11 %)
Life-Science-Industrie zum Trotz jeweils über eine Million Euro. Letz- haben vermögende Privatinvestoren
investiert der High-Tech Gründer- tere sind Cash-positiv und benöti- und Family Offices eingebracht. …
fonds (HTGF) unverdrossen weiter gen keine weitere Finanzierung zur Auf die veränderten Marktgegeben-
in Life-Science-Neugründungen: Liquiditätssicherung. … Überlebens- heiten bei Start-up-Finanzierungen
2009 kamen 9 neue Unternehmen entscheidend für die kapitalintensi- hat der High-Tech Gründerfonds …
ins Life-Science-Portfolio, 2010 ven Start-ups ist jedoch das in Folge- auch selbst reagiert: So wurde 2010
sogar 13. Ist dies verantwortbar? runden akquirierte Kapital. Insge- das maximale Investitionsvolumen
Droht den anfinanzierten Start-ups samt flossen rund 86 Millionen Euro auf 2,0 Millionen Euro pro Unterneh-
nicht das Damoklesschwert einer in die Life-Science-Unternehmen men angehoben. Zudem kann der
Finanzierungslücke nach der Seed- des HTGF, hiervon 54 % durch priva- HTGF als ‚Co-Lead-Investor‘ bereits
Phase? Gleich vorab: Die Zwischen- te Investoren, 36 % durch öffentliche in der Seed-Runde ein Syndikat
bilanz nach fünf Jahren High-Tech Beteiligungsgesellschaften (dabei mit privaten Investoren aktiv zu-
Gründerfonds fällt positiver aus als der ERP-Startfonds der KfW mit dem sammenstellen, wenn absehbar ist,
erwartet. Seit 2005 hat der Früh- größten Anteil) und nur 10 % vom dass mit den eigenen Seed-Mitteln
phasenfonds in 63 Neugründungen High-Tech Gründerfonds selbst. keine wesentlichen Meilensteine
in den Life Sciences insgesamt Die klassischen deutschen VCs erreicht werden können. Vorteil
28,9 Millionen Euro investiert. Davon stemmten mit 31,2 Millionen Euro für die Unternehmen: In diesem
sind ‚nur‘ fünf Beteiligungen bis dato nach wie vor den größten Anteil an Pari-passu-Modell übernimmt der
ausgefallen. Auf der anderen Seite den privaten Investments von ins- HTGF die Finanzierungsform und
hat der Fonds seine Anteile an drei gesamt 46,3 Millionen Euro, haben Bewertung des privaten Investors.
Unternehmen bereits (teil) veräußert aber an Bedeutung eingebüßt Üblicherweise fließen somit bereits
– und dies mit attraktiven Multiples (Rückgang um 15 Prozentpunkte). in der Seed-Runde größere Kapital-
bis in den oberen einstelligen Be- Wichtige Stützen sind inzwischen volumen in das Eigenkapital des
reich. Die im Portfolio befindlichen aber neben den ausländischen VCs jungen Unternehmens« (Fichtner
Unternehmen erwirtschafteten vor allem strategische Partner aus und Winzer 2011).
412 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

eher den Eindruck einer gezielten Fördermaßnah- erfolgt eine jährliche Begutachtung durch die Ex-
me des Wirtschaftsministeriums, um Hightech- pertenkommission Forschung und Innovation
Innovationen zu unterstützen. Die Investitionen (EFI). Nach einer Zwischenevaluation in den Jah-
beschränken sich inzwischen nicht mehr nur auf ren 2008 und 2009 beschloss das Bundeskabinett
Seed­-Finanzierungen sondern umfassen auch 2010 die Fortführung der Hightech-Strategie bis
Drittrunden. Die Analysten kommentieren die zum Jahr 2020. Ziel ist, die Zusammenarbeit zwi-
HTGF-Aktivitäten ferner wie folgt: schen Wissenschaft und Wirtschaft zu vertiefen
und Rahmenbedingungen für Innovationen weiter
»» Bei insgesamt knapp 60 Investments in Life­ zu verbessern. Dafür wurden und werden neben
Science-­Unternehmen seit Beginn der Aktivi- der Forschungsförderung auch strukturelle Maß-
täten 2005 stellt sich nach Ausfinanzierung nahmen verfolgt:
5 des ersten Fonds die Frage nach den Exits. Die 55 Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand
ursprüngliche Zielsetzung, Exits im Wesent- (ZIM) – BMWi,
lichen durch die Veräußerung an etablierte 55 Innovationsallianzen – BMBF,
VC-­Investoren zur Finanzierung des weiteren 55 BioPharma-Wettbewerb – BMBF,
Wachstums zu realisieren, musste vor dem 55 Spitzencluster-Wettbewerb – BMBF,
Hintergrund der beschriebenen VC-­Misere 55 Gründungsprogramm EXIST – BMWi,
relativiert werden. Eine weitaus wichtigere An- 55 SIGNO (Schutz von Ideen für die gewerbliche
erkennung der bisherigen Leistung bedeutet Nutzung) – BMWi,
die Etablierung der 2. Fonds­-Generation HGTF 55 High-Tech Gründerfonds – BMWi,
II, der mit 288 Mio. € Fondsvolumen Anfang 55 Forschung-Innovation Neue Länder – BMBF,
dieses Jahres an den Start ging. Zusätzlich zu 55 Fachkräfte mobilisieren – BMBF.
den bisherigen sechs Industriepartnern (BASF,
Bosch, Daimler, Siemens, Telekom, Zeiss) konn- Der Spitzencluster-Wettbewerb startete 2007 und
ten sieben neue Partner als Investoren gewon- zielte auf die Förderung der »leistungsfähigsten
nen werden, darunter mit QIAGEN und Braun Cluster aus Wissenschaft, Wirtschaft und weiteren
Melsungen auch Partner aus dem Life­-Science­ regionalen Akteuren je nach deren spezifischen
Bereich, außerdem Altana, Cewe, DuPont, RWE, Anforderungen« mit bis zu 40 Mio. € über fünf
Tengelmann Venture; lediglich Siemens ist im Jahre (ergänzt um Mittel beteiligter Unternehmen
neuen Fonds nicht mehr vertreten. (Ernst & in gleicher Höhe).
Young 2012) Der themenoffene Ansatz kürte ab 2008 in drei
Wettbewerbsrunden 15 Spitzencluster, wovon fünf
5.2.5.1 Hightech-Strategie für auf den Life-Sciences-Sektor entfielen:
Deutschland 55 2008: BioRN – zellbasierte und molekulare
Die Gründung des HTGF war Teil einer größeren Medizin in der Metropolregion Rhein-Neckar,
Initiative, und zwar der sogenannten Hightech- 55 2010: Münchner Biotech Cluster – m4 mit dem
Strategie der Bundesregierung. Seit August 2006 Schwerpunkt personalisierte Medizin,
verfolgt sie damit eine übergreifende nationale 55 2010: Medical Valley Europäische Metropolre-
Strategie, die politikfeld- und themenübergreifend gion Nürnberg (EMN) – Medizintechnik,
eine Vielzahl der Forschungs- und Innovations- 55 2012: BioEconomy Cluster um Leuna – nach-
aktivitäten über alle Ressorts (verschiedene Mi- haltige Bioökonomie auf der Basis von Non-
nisterien) hinweg bündeln soll. Beratend beglei- Food-Biomasse,
tet wird der Prozess durch die Forschungsunion 55 2012: Cluster für Individualisierte ImmunIn-
Wirtschaft-Wissenschaft. Diese setzt sich aus 25 tervention (Ci3) – individualisierte Krebs-
hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern der Immuntherapien in der Rhein-Main-Region,
Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Zudem koordiniert aus Mainz.
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
413 5
5.2.5.2 Lebenswissenschaften sind ein Mitteln des BMBF finanziert (2011 bis 2014 rund
Forschungsschwerpunkt des 5,5 Mrd. €).
BMBF Ein Kernstück des neuen Programms waren
die »Deutschen Zentren der Gesundheitsfor-
»» Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der schung« (DZG). Sie wurden bis 2015 mit rund
Lebenswissenschaften. Sie tragen entschei- 700 Mio. € gefördert. In allen Zentren wird auch
dend zum Verständnis lebender Organismen mit molekularbiologischen beziehungsweise bio-
und ökologischer Systeme bei. Darüber hinaus technologischen Methoden für die Gesundheit
eröffnen sie bislang ungeahnte Möglichkeiten geforscht. Zwei davon wurden bereits 2009 ge-
in der Aufklärung genetisch bedingter oder gründet: Das Deutsche Zentrum für Neurodege-
durch andere Einflüsse ausgelöster Krankhei- nerative Erkrankungen (DZNE) und das Deutsche
ten und erschließen neue Therapien. Gleich- Zentrum für Diabetesforschung (DZD), die an 13
zeitig haben die Lebenswissenschaften großes Standorten 20 Mitgliedseinrichtungen umfassen.
Potenzial etliche zukunftssichere Arbeitsplätze Weitere vier Zentren starteten im Juni 2011. Ins-
zu schaffen. Erkenntnisse aus Agrar- und Bio- gesamt 27 Standorte mit mehr als 100 Hochschu-
wissenschaften werden gebraucht, um die Er- len, Universitätskliniken und außeruniversitären
nährung einer wachsenden Weltbevölkerung Forschungseinrichtungen sind an den neuen Zen-
sicherzustellen. In der Industrie wird ein all- tren beteiligt:
mählicher Wandel von fossilen Rohstoffquellen 55 Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauffor-
zu nachwachsenden Rohstoffen stattfinden – schung (DZHK),
eine Bioökonomie entsteht. (BMBF 2014a) 55 Deutsches Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK),
Konsequenterweise sind beim Bundesministerium 55 Deutsches Zentrum für Infektionsforschung
für Bildung und Forschung (BMBF) die Lebenswis- (DZI),
senschaften Gegenstand der Forschungsförderung. 55 Deutsches Zentrum für Lungenforschung
Der Fokus liegt auf vier Handlungsfeldern: biome- (DZL).
dizinische Forschung, Gesundheitsforschung, Bio-
Ökonomie und Bioethik. Auf die Förderprogram- Bioökonomie
me und Aktivitäten vor der Jahrtausendwende ging
bereits 7 Abschn. 4.3 ausführlich ein. Seit 1998 be- »» Angesichts knapper Ressourcen und einer
trieb das BMBF verstärkt die biomedizinische For- wachsenden Weltbevölkerung benötigt die
schung, insbesondere durch die Rahmenprogram- Menschheit neue, nachhaltige Arten des Wirt-
me »Biotechnologie – Chancen nutzen und gestal- schaftens. Einen solchen Ansatz bietet eine wis-
ten« (2001 bis 2010) und »Gesundheitsforschung: sensbasierte Bioökonomie, also eine moderne,
Forschung für den Menschen«. Beide Programme nachhaltige und bio-basierte Wirtschaft, deren
endeten 2010. Noch weiterlaufende Förderaktivi- vielfältiges Angebot die Welt ausreichend und
täten aus dem Rahmenprogramm Biotechnologie gesund ernährt und mit hochwertigen Produk-
(z. B. Systembiologie, regenerative Medizin, Glyko- ten aus nachwachsenden Rohstoffen versorgt.
biotechnologie) wurden beim BMBF im Rahmen Mit der ‚Nationalen Forschungsstrategie Bio-
der neuen Förderschwerpunkte Gesundheitsfor- Ökonomie 2030‘ legt die Bundesregierung die
schung und Bioökonomie berücksichtigt. Grundlagen für die Vision einer solchen nach-
haltigen bio-basierten Wirtschaft. (BMBF 2014b)
Gesundheitsforschung
Ende 2010 verabschiedete das Bundeskabinett ein Im November 2010 beschloss das Kabinett zudem
neues »Rahmenprogramm Gesundheitsforschung die 2,4 Mrd. € schwere »Nationale Forschungs-
der Bundesregierung« (. Tab. 5.11). Es wird ge- strategie BioÖkonomie 2030«. Unter Bioökono-
meinsam vom BMBF und vom Bundesministe- mie wird eine Wirtschaftsform verstanden, welche
rium für Gesundheit (BMG) getragen und aus
414 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 5.11 Das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung. (Quelle: Schüler (2011))

Aktionsfeld/Her- Programmpunkt Beschreibung/Inhalt


ausforderung

1/strukturbezogen Gebündelte Er- Gründung von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsfor-
forschung von Volks- schung, um die universitäre und außeruniversitäre Forschung zu
krankheiten besonders bedeutsamen Volkskrankheiten zu bündeln und die
Anwendung ihrer Ergebnisse zu beschleunigen. Ausbau der krank-
heitsbezogenen Projektförderung und Hinwirkung auf forschungs-
und nachwuchsfreundliche Rahmenbedingungen und Strukturen

2/forschungs-­ Individualisierte Unterstützung der Entwicklung von Diagnostika und Therapeutika;


5 bezogen Medizin lebenswissenschaftliche Grundlagenforschung über die präklinische
und klinisch-patientenorientierte Forschung bis zur Marktreife; Er-
forschung seltener Krankheiten und »gesundes Altern«

3/vorsorgebezogen Präventions- und Er- Zusammenführende und interdisziplinär verknüpfende Forschungs-


nährungsforschung förderung zu allen für Präventions- und Ernährungsforschung
relevanten Ansätzen – von der Epigenetik bis zur Epidemiologie

4/systembezogen Versorgungsforschung Aufbau nachhaltiger Forschungsstrukturen und Durchführung


von Studien zur Bewertung des Nutzens etablierter und neuer
Verfahren im Versorgungsalltag, Aufbau von Studienstrukturen,
Durchführung von Studien zur Prozessoptimierung von Versor-
gungsabläufen und Nachwuchsförderung

5/innovations-­ Gesundheitswirtschaft Erprobung neuer Wege des Wissens- und Technologietransfers;


bezogen forschungs- und innovationsfreundliche Gestaltung von recht-
lichen Rahmenbedingungen; gezielte Einbindung von forschungs-
intensiven Unternehmen (insbesondere die der medizinischen
Biotechnologie) in Translationsnetzwerke

6/international Gesundheitsforschung Verbindung von Forschern und Institutionen über Grenzen hinweg;
in globaler Koope- internationale Koordinierung von Forschungsprogrammen; beson-
ration derer Fokus auf der Erforschung vernachlässigter und armutsbe-
dingter Krankheiten in Kooperation mit Entwicklungsländern

auf der nachhaltigen Nutzung von biologischen Biobasierte Innovationen geben auch Wachstums-
Ressourcen wie Pflanzen, Tieren und Mikroorga- impulse für weitere traditionelle Sektoren, bei-
nismen basiert. Um dies zu ermöglichen, sind spielsweise
hochinnovative Nutzungsansätze notwendig. Bio- 55 im Rohstoff- und Lebensmittelhandel,
ökonomie umfasst eine Vielzahl von Branchen wie: 55 in der IT-Branche,
55 Land- und Forstwirtschaft, 55 im Maschinen- und Anlagenbau,
55 Gartenbau, 55 in der Automobilindustrie sowie
55 Fischerei und Aquakulturen, 55 in der Umwelttechnologie.
55 Pflanzenzüchtung,
55 Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie, Das Ziel der Bundesregierung ist es, mit Forschung
55 Holz-, Papier-, Leder-, Textil-, Chemie- und und Innovation einen Strukturwandel von einer
Pharmaindustrie sowie erdöl- hin zu einer biobasierten Industrie zu er-
55 Energiewirtschaft. möglichen, der mit großen Chancen für Wachstum
und Beschäftigung verbunden ist. Zugleich soll auf
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
415 5

. Tab. 5.12 Ausgewählte BMBF-Förderschwerpunkte im Rahmen der Bioökonomie. (Quelle: Schüler (2011))

Förderinitiative/ Beschreibung/Inhalt
Maßnahme

Industrielle Bio- Innovationsinitia- Potenzial der industriellen Biotechnologie für den Klima- und Ressour-
technologie tive industrielle censchutz heben; 1. Fördermaßnahme der neuen Forschungsstrategie;
Biotechnologie Start im April 2011, bis zu 100 Mio. € über 5–10 Jahre; bundesweite Aus-
weitung der vorangegangenen Fördermaßnahme BioIndustrie2021

Cluster-Wettbe- Entwicklung neuer Produkte und Verfahren in der industriellen Bio-


werb BioIndus- technologie über Bildung strategischer Cluster unter maßgeblicher
trie2021 Beteiligung der Wirtschaft; Start 2006, bis 2012 ca. 60 Mio. € Förderung,
mit zusätzlichen Mitteln aus der Wirtschaft FuE-Projekte in Gesamtvo-
lumen von 150 Mio. €

ERA-Net Industriel- Beteiligung an ERA-Net Industrial Biotechnology: europäische


le Biotechnologie Initiative von 19 Forschungsförderorganisationen in 13 Ländern mit
(ERA-IB) Industrielle-Biotechnologie-Aktivitäten; Start 2006, Ko-Finanzierung
durch Europäische Kommission für 5 Jahre

Energie BioEnergie 2021 In Projekten an Hochschulen und außeruniversitären Forschungsein-


richtungen werden in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft
neue Umwandlungsprozesse von Biomasse – sowohl aus Energiepflan-
zen als auch aus biologischen Reststoffen – vorangetrieben sowie die
züchterische Optimierung von Energiepflanzen – insbesondere unter
Einsatz der Genomforschung und Systembiologie – ausgebaut

Agrarforschung Kompetenznetze Förderung von vier Kompetenznetzen (25 Partner aus der Wissenschaft
Agrarforschung und 15 Partner aus der Wirtschaft) seit 2009 über 5 Jahre mit bis zu
40 Mio. €: Food Chain Plus (FoCus), Kiel; PHÄNOMICS, Rostock; CROP-
SENSe, Bonn; Synbreed, München

Pflanzenbiotech- »Transnational PLant Alliance for Novel Technologies – towards imple-


nologie menting the Knowledge-Based Bio-Economy in Europe« (PLANT-KBBE)

Biologische Sicher- Projekte zur Sicherheitsbewertung gentechnisch veränderter Organis-


heitsforschung men

Runder Tisch zur Sachorientierter Dialog über Fragen der Nutzung und Weiterentwick-
Pflanzengenetik lung der Grünen Gentechnik während vier runden Tischen

Tierzüchtung und Forschungsoffensive EMIDA (Emerging and Major Infectious Diseases of


Tiergesundheit Animals) zum Kampf gegen Tierkrankheiten; 15 europäische Partner

Gründungsoffensi- Förderung gründungsbereiter Forscherteams in den Lebenswissen-


ve Biotechnologie schaften; Start in 2005, bisher sechs Auswahlrunden mit 45 Teams; 7.
(GO-Bio) Auswahlrunde läuft derzeit

KMU-Förderung in Stärkung des Innovationspotenzials kleiner und mittlerer Unterneh-


der Biotechnologie men (KMU) in der Spitzenforschung
(KMU-innovativ)

diesem Wege international Verantwortung für die Forschungsstrategie (. Tab. 5.12) auf fünf prioritäre
Welternährung, die Rohstoff- und Energieversor- Handlungsfelder:
gung aus Biomasse sowie für den Klima- und Um- 55 weltweite Ernährungssicherheit,
weltschutz übernommen werden. Für die weitere 55 nachhaltige Agrarproduktion,
Entwicklung zu einer wissensbasierten, interna- 55 gesunde und sichere Lebensmittel,
tional wettbewerbsfähigen Bioökonomie setzt die
416 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

55 industrielle Nutzung nachwachsender Roh- Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft) und Hoch-


stoffe, schulen sollte die nächste Generation biotechno-
55 Energieträger auf Basis von Biomasse. logischer Verfahren identifiziert werden, die mit
bisherigen Methoden noch nicht oder nur unzu-
Die deutsche Biotech-Branche »betrauerte« das reichend umsetzbar sind. Beispielhafte Ideen sind:
»Verschwinden« des Begriffs »Biotechnologie« aus 55 Medizin: künstliche Bauchspeicheldrüse,
den öffentlichkeitswirksamen Titeln der Förder- 55 Energie: Photosynthese-Chip (eine biologisch
programme. Die Intention des BMBF, die Anwen- betriebene Batterie wandelt Licht in Strom),
dungen, also Gesundheitsforschung und nachhal- 55 Umwelt: knappe Rohstoffe recyceln (Klär-
tiges Wirtschaften, mehr in den Vordergrund zu schlamm aufarbeiten und daraus wertvolles
stellen, ist verdienstvoll, zielt aber wenig auf die Phosphat für Mineraldünger in der Landwirt-
5 Notwendigkeit, den Begriff und das Potenzial der schaft gewinnen),
Biotechnologie der Öffentlichkeit näherzubringen. 55 Industrie: Biomoleküle vom Band (Eiweiße
Diese wird insbesondere den für Außenstehende nach Wunsch für die Industrie zusammen-
noch schwammigeren Begriff der Bioökonomie bauen).
schwer verstehen. Dem BMBF nun zu unterstellen,
dass es dafür nichts tut, wäre aber auch nicht eh- Zur Umsetzung von FuE-Missionen, die in den
renhaft: Seit Jahren finanziert es die Informations- nächsten zehn bis 15 Jahren entwickelt werden,
plattform biotechnologie.de, die mit einer Fülle an stellte das BMBF rund 200 Mio. € zur Verfügung.
Einblicken und Analysen dient. Zudem leitet sich Neben den wissenschaftlich-technischen Heraus-
der deutsche Begriff der »Bioökonomie« von dem forderungen sollten im Strategieprozess auch ge-
international gebräuchlichen bioeconomy ab. sellschaftliche Aspekte frühzeitig reflektiert und
angemessen berücksichtigt werden. Im Rahmen
Der Strategieprozess Biotechnologie 2020+ des Strategieprozesses fanden bisher vier Jah-
reskongresse statt, der letzte im Jahr 2013. Hier
»» Mit welchen technologischen Entwicklungen kündigten die Forschungsorganisationen selbst
können die Herausforderungen des 21. Jahr- ­folgende millionenschwere Großprojekte an (bio-
hunderts gemeistert werden? Welchen Beitrag technologie2020plus.de):
können Biotechnologie und Ingenieurwissen- 55 MaxSynBio (Forschungsnetzwerk für Syn-
schaften leisten? Ob in der Medizin, in der Che- thetische Biologie und künstliche Zellen):
mieindustrie, im Umwelt- oder Energiesektor Max-Planck-Gesellschaft und BMBF (50/50)
– überall wird nach neuen Wegen gesucht, um steuern ab 2014 gemeinsam 20 Mio. € für den
ganz neue Produktionsverfahren zu entwi- auf sechs Jahre angelegten Verbund aus neun
ckeln oder bestehende Methoden ressourcen- Max-Planck-Instituten bei.
effizienter, kostengünstiger und umweltscho- 55 Molecular Interaction Engineering (Netzwerk
nender zu gestalten. Ein aussichtsreicher Weg: zu druckbarer Biotechnologie): Helmholtz-
Biotechnologie und Ingenieurskunst noch Gemeinschaft und BMBF (50/50) stellen ge-
stärker als bisher verzahnen. Das ist das Ziel meinsam 10 Mio. € für drei Forschungszentren
des Strategieprozesses ‚Biotechnologie 2020+‘. in Jülich, Karlsruhe und Geesthacht zur Ver-
(biotechnologie2020plus.de 2015) fügung. Biomoleküle werden so entwickelt,
dass sie sich auf Oberflächen mit neuartigen
Im Jahr 2010 wurde zudem der »Strategieprozess chemischen und elektrischen Eigenschaften
Biotechnologie 2020+« angestoßen, bei dem sich aufbringen lassen (ausdruckbare Schaltkreise
der Begriff »Biotechnologie« einwandfrei wieder und Reaktionsräume, z.B. für die Diagnostik).
findet. Gemeinsam mit Forschungsorganisationen 55 Leibniz Research Cluster (Hightech-Synthe-
(Fraunhofer- und Max-Planck-Gesellschaft sowie sewege für neuen Wirkstoffe): Nachwuchs-
5.2 • Die ersten 15 Jahre: Boom, Hype, Abschwung, Lichtblicke, Stagnation
417 5

. Tab. 5.13 Bundesinitiativen mit Bezug zur biotechnologischen Forschung und Innovation. (Quelle: Schüler (2011))

Innovationskette Initiativen, Programme oder Schwerpunkte

Bio(techno)logi- Grundlagen Gesundheitsfor- Bioökonomie Biotechnologie


sche Forschung schung 2020 +

Genomforschung Tissue Engineering Ernährungsfor- Zukunftsprojekte


an Mensch, Tier, schung in Medizin, Energie,
Pflanzen und Umwelt, Industrie
Mi­kroorganismen

Proteomforschung Regenerative Medizin Nachhaltige Bio-


produktion

Glykobiotechno- Tiergesundheit Tierzüchtung


logie

Systembiologie Individualisierte BioIndustrie2021


Medizin

Bioinformatik BioEnergie2021

Begleit- und Vor- Ethische, rechtliche und soziale Aspekte (ELSA) der modernen Lebenswissenschaften und der
sorgeforschung Biotechnologie; biologische Sicherheitsforschung; Ersatzmethoden zum Tierversuch; Runder
Tisch Pflanzengenetik; Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, Infor-
mationsplattform biotechnologie.de

Internationale Zu- ERA-NET PathoGenoMics, Eurotransbio, ERASysBio, E-Rare, PLANT-KBBE


sammenarbeit

Kommerzialisie- GO-Bio; KMU-innovativ; High-Tech Gründerfonds; SIGNO; EXIST; ZIM


rung

Strukturbildung Spitzencluster-Wettbewerb, BioPharma-Wettbewerb; GMP-Infrastruktur; Kompetenznetze


Agrarforschung; Innovationsallianzen; Forschung-Innovation Neue Länder; BioRegio; BioProfile

gruppen an fünf Leibniz-Instituten, die neue und Ingenieurwissenschaft zu einer biomime-


Ansätze der Synthese von Naturstoffen mitei- tischen Produktionstechnik zusammenführen.
nander koppeln (z.B. Synthesewege basierend (biotechnologie2020plus.de 2015)
auf mikrofluidischen Verfahren).
55 »Biomoleküle vom Band« (Modularer Bioreak- Im Rahmen des Strategieprozesses sollen Chan-
tor für die zellfreie Proteinsynthese): 2011 mit cen für den Produktionsstandort Deutschland er-
einem Budget von 6 Mio. € bei Fraunhofer- schlossen und genutzt werden. Deutschland ist mit
Gesellschaft bereits gestartet, das BMBF trägt seinen starken Ingenieurwissenschaften und als
zudem 15 Mio. € für die Zusammenarbeit von bedeutender Standort der chemischen Industrie in
acht Fraunhofer-Instituten über eine Laufzeit einer günstigen Ausgangsposition.
von drei Jahren bei
Zusammenfassende Übersicht zu
»» Im Einzelnen müssen biologische Konstruk- Bundesinitiativen mit Bezug zur
tionsprinzipien und Problemlösungen, die die Biotechnologie
Natur bereits gefunden hat, systematisch er- . Tabelle 5.13 bietet eine Übersicht zu den Bundesin-
forscht und in technische Anwendungen über- itiativen mit Bezug zur Biotechnologie, die seit Mitte
führt werden. Gefragt sind visionäre Zukunfts- der 1990er-Jahre aufgelegt und bereits abgeschlossen
ideen, die Erkenntnisse aus Biotechnologie wurden beziehungsweise noch am Laufen sind.
418 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

5.3 Jüngste Entwicklung der FuE-Aufwendungen mit Abweichungen von ledig-


Branche: von Stagnation zu lich 2 % einigermaßen stabil. Ernst & Young (2013)
neuen Chancen führt ferner aus:

Die deutsche Biotech-Industrie ging nach den ers- »» Da bei den F&E-Kosten aber vor allem die
ten 15 Jahren mit ihren hier dargestellten Phasen Therapeutikaentwickler den Löwenanteil von
»Boom und Hype«, »Per Aspera Ad Astra«, »Zu- 55 Prozent tragen und bei dieser Gruppe sie-
rück in die Zukunft« sowie »Fallstrick Finanzie- ben Prozent weniger F&E-Ausgaben verbucht
rung?« (. Abb. 5.2) ab 2012 in einen neuen Lebens- wurden, ist genaueres Hinschauen durchaus
abschnitt über: auf dem Weg zur Reifeprüfung. angebracht. Auch dieser Rückgang liegt vor-
Dieser begann zwar – von den Kennzahlen her wiegend in den letztjährigen Firmenüber-
5 gesehen – mit einer Phase der Stagnation. Abseits nahmen begründet. Der Vollständigkeit halber
der harten Eckdaten (. Abb. 5.11) lässt sich jedoch sei vermerkt, dass Service- und Tool-Provider
derzeit ein Momentum neuer Chancen erkennen. ihre F&E-Aufwendungen 2012 um drei Prozent
steigern konnten, was ihre gute Geschäftssitu-
ation widerspiegelt. (Ernst & Young 2013)
5.3.1 Kennzahlen: Stagnation statt
Wachstum Der »eigentliche Aufschrei« folgte erst 2014, nach-
dem im Jahr 2013 die FuE-Investitionen nochmals
Wie schon beschrieben, folgte dem 2009er- und fielen und auch die VC-Finanzierung wieder sank.
2011er-Einbruch bei der Eigenkapital-Finanzierung In beiden Statistiken – biotechnologie.de und EY –
in den Jahren 2010 und 2012 jeweils ein Rückgang erreichte der FuE-Indikator den niedrigsten Stand
der FuE-Investitionen. Es wurde vermutet, dass seit Jahren. Zwar war dies auch wieder zum Teil
viele Firmen in der Folge den Gürtel enger schnall- beeinflusst vom Wegfall der FuE-Ausgaben einer
ten, um finanzielle Durststrecken durchzustehen börsennotierten Gesellschaft (Agennix wurde
(vor allem diejenigen, die auf externes Kapital an- Ende Mai 2013 aufgelöst). Dennoch war die Bran-
gewiesen sind, weil sie nicht ausreichend eigene che alarmiert und machte sich Gedanken zu Ursa-
Umsätze machen). Direkt nach der Finanzkrise chen sowie Auswegen aus der »erneuten Krise«.
von 2009/2010 hat das vermutlich auch diejenigen Hinzu kam nämlich eine weitere Hiobsbotschaft,
mit Umsatz betroffen, da die Zeiten unsicher waren die das Branchenmagazin transkript auf den Punkt
– auch für den Absatz von Produkten und Dienst- brachte:
leistungen. Ein allgemeiner Kater also. Im Jahr 2012
war der Zusammenhang zur Finanzierung jedoch »» Jahrelang haben Industrieverbände wie die
nicht wirklich gegeben. BIO Deutschland, der Verband forschender
Arzneimittelhersteller (VFA) oder der Bundes-
5.3.1.1 FuE-Investitionen und die Frage verband der Deutschen Industrie (BDI) für
nach dem Geld eine steuerliche F&E-Förderung getrommelt
So entpuppte sich laut Ernst & Young (2013) der – erfolglos. Doch jetzt droht der Industriefor-
2012er-Rückgang vor allem bei den börsennotier- schung und dem Biotech-Sektor Ungemach
ten Gesellschaften (− 22 %) als transaktionsbedingt. von ganz unerwarteter Seite. Zusätzlich zu
Denn PAION stellte seine FuE-Aktivitäten um den der in letzter Minute aus dem Koalitionsver-
an Lundbeck verkauften Wirkstoff Desmoteplase trag gestrichenen Steuervergünstigungen für
ein und reduzierte damit die entsprechenden Kos- innovative Unternehmen zeichnen sich jetzt
ten um 70 % von 11 auf 3,3 Mio. €. In die gleiche auch noch Kürzungen beim Innovationsförder-
Richtung geht die Reduzierung bei MorphoSys, bei instrument Nr. 1 des Bundesministeriums für
denen 20 Mio. € (34 %) FuE-Kosten durch den Ver- Bildung und Forschung (BMBF) ab: der Projekt-
kauf der Forschungsantikörper-Einheit AbD Sero- förderung. (Gabrielczyk 2014)
tec entfielen. Bei den privaten Firmen blieben die
5.3 • Jüngste Entwicklung der Branche: von Stagnation zu neuen Chancen
419 5

Offensichtlich stimmen bei uns die Rahmenbedingungen schon lange nicht mehr
»Wenn eine Hightech-Branche mit die Entwicklungszeiten in der Roten gefragt. Stagnation! Nach so einem
glänzenden Zukunftsaussichten Biotechnologie. Hinzu kommen Befund kann es in einer Hightech-
ohne einschneidende technologi- die steuerlichen Bedingungen, die Branche eigentlich kein ‚weiter so‘
sche Rückschläge bei brummender generelle Risikoscheu im heutigen geben. Der Probleme sind viele,
Konjunktur stagniert, stellt sich Deutschland und das mediale niemand hat ein Allheilmittel. Es
die Frage nach den Gründen. Of- Dauerfeuer von Greenpeace & Co. wäre jedoch gut, wenn die Erschüt-
fensichtlich stimmen bei uns die auf die Grüne Gentechnik, das die terungen des Monats April 2014
Rahmenbedingungen schon lange Stimmung verdirbt. … Ein Beben Engagement und Kreativität wach-
nicht mehr. Seit einer gefühlten ist zudem rund um das für die rütteln würden. Die Branche sollte
Ewigkeit finden keine Biotech-Bör- Förderung so wichtige Bundesfor- aufhören, auf den reichen Onkel aus
sengänge mehr statt, der Aktien- schungsministerium zu spüren. Ob Amerika zu warten oder die eigene
markt fällt als Finanzierungsins­ die wichtigen Projektmittel künftig Bedeutung an der großen Zahl von
trument weitgehend aus. Ebenfalls unvermindert weitersprudeln, Förderinstitutionen und Beratern zu
schon länger tröpfelt das Risikokapi- erscheint auf einmal fraglich. … messen, sondern selbst Mittel und
tal nur noch – dies hat nicht nur mit Positiv ist, dass derzeit von Seiten Wege ersinnen, wie es hierzulande
dem versperrten Exit über die Börse der Politik durchaus die Bereitschaft unternehmerisch weitergehen
zu tun, sondern unter anderem kommuniziert wird, etwas für die kann. Qualität vor Quantität in allen
auch damit, dass die lnvestitionszy- forschungsintensiven KMUs zu Belangen könnte ein Ansatz sein«
klen der VCs einfach kürzer sind als tun. Ideen und Initiativen sind jetzt (Mietzsch 2014).

Die in 7 Abschn. 5.2.5 beschriebenen Aktivitäten sind sie es durchaus, denn sie konnten zum Teil
des Bundes scheinen somit ebenfalls auf eine Sta- auch das Überleben von Unternehmen sichern.
gnation zuzusteuern. Wie bereits erwähnt, sind die Die Frage aber ist: Soll die deutsche Biotech-
Projekt-Fördermittel für viele Firmen – gerade bei Branche so gerade überleben, ein starker Inno-
schlechten Kapitalmarktbedingungen – ein Lebens- vationsmotor für andere Industrien sein oder gar
elexier. Im Zeitraum 2005 bis 2014 lagen diese laut eigenständig erwachsen und den Ton angeben, wie
biotechnologie.de jährlich bei um die 50 Mio. €, es die US-Biotech-Industrie mittlerweile im Phar-
in der Summe über die zehn Jahre also bei rund ma-Sektor tut?
500 Mio. €. Verglichen mit den Umsätzen und Hierfür bedarf es hierzulande besserer Rah-
Eigenkapital-Finanzierungen der Branche in die- menbedingungen für die Eigenkapital-Finanzie-
sem Zeitraum fällt dieser Betrag allerdings in seiner rung (7 Abschn. 5.3.2), denn damit ist – wie 7 Kap. 2
Bedeutung zurück. So sahen diese Kennzahlen je eindrucksvoll gezeigt hat – die US-Branche groß
nach den beiden Statistiken wie folgt aus (in Summe geworden. Ausreichend finanzielle Mittel verhalfen
2005 bis 2014): dazu, neuartige Medikamente auf den Markt zu
55 biotechnologie.de: bringen. Diese sind es, die das Wachstum der US-
55 Umsatz 16 Mrd. € (mit QIAGEN 23 Mrd. €) Industrie auf einen Umsatz von über 90 Mrd. US$
bei mehr als 500 Firmen – durchschnittlich bei 400 börsennotierten Firmen wuchsen ließen
3 Mio. € pro Jahr pro Firma; (der Rest der rund 2000 privaten Firmen trägt ma-
55 Finanzierung 3,7 Mrd. € (mit QIAGEN und ximal nochmal 10 % bei). Und mehr als drei Viertel
Micromet 3,9 Mrd. €). davon (67 Mrd. US$) trägt allein ein Dutzend (!) an
55 Ernst & Young: Top-Gesellschaften bei. Die meisten davon gründe-
55 Umsatz 10 Mrd. € bei rund 400 Firmen – ten sich in den 1980er-Jahren.
durchschnittlich 2,5 Mio. € pro Jahr pro Doch zum Vergleich der deutschen mit der US-
Firma; Biotech-Industrie folgt später mehr (7 Abschn. 5.4) –
55 Finanzierung 3,3 Mrd. €. zurück zu den jüngsten Entwicklungen in Deutsch-
land: Die 2014er Mai-Ausgabe des Branchenmaga-
Wie so oft kann eine Statistik nur über alle Firmen zins |transkript fasste die Ergebnisse der Berichte
mitteln, sodass hier nicht der Eindruck entstehen von Ernst & Young und biotechnologie.de über
soll, Fördergelder seien nicht wichtig. Im Einzelfall das Jahr 2013 zusammen: »Beide Reports vermel-
420 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

den im Kern einen ähnlichen Trend: Es dominiert sennotierten Firmen und aufgrund von Übernah-
Stagnation, nicht Wachstum.« Zudem titelte diese men leichte Rückläufe. 2014 hat sich dieser Trend
Ausgabe mit »Die Erschütterung« und benannte allerdings wieder gefangen. Bei genauerem Hin-
im Editorial weitere Stolpersteine (7 Offensichtlich sehen zeigte sich, dass im Jahr 2012 bei den Be-
stimmen bei uns die Rahmenbedingungen schon lan- schäftigten die Entwicklung in den privaten und
ge nicht mehr), aber auch das Motto »Qualität vor börsennotierten Gesellschaften stark divergierte.
Quantität«, das sicher mehr in den Vordergrund Während Erstere Mitarbeiter aufbauen konnten,
rücken muss. Allerdings ist das bei Statistiken im- wurden Letztere in den Jahren 2012 und 2013 zum
mer schwierig. Daher erfolgte hier auch schon der Teil ziemlich durchgeschüttelt. Infolge ausbleiben-
Versuch, die Entwicklungen im Einzelnen zu rela- der oder negativer klinischer Studienergebnisse be-
tivieren; so zum Beispiel bei der Analyse zur Phase ziehungsweise Markterwartungen mussten folgen-
5 »Fallstrick Finanzierung?«. Denn, wie schon gesagt, de gelistete Firmen in einzelnen Fällen sogar kräftig
die Biotech-Firmen kommen im Großen und Gan- Federn lassen (Ernst & Young 2013):
zen recht gut voran, und einige »Auserwählte« sind 55 PAION: minus 46 %, von 26 auf 14 Mitarbeiter;
für ihren Fokus der Medikamenten-Entwicklung 55 Epigenomics: minus 36 %, von 61 auf 39 Mit-
auch gut finanziert – allerdings momentan größ- arbeiter;
tenteils von den Family Offices, die es sich leisten 55 Agennix: minus 26 %, von 70 auf 52 Mitarbei-
können, einen längeren Atem zu haben. ter;
Im Jahr 2014 nahm die Entwicklung bei den 55 WILEX: mit Ankündigung für 2013 minus
FuE-Investitionen auch wieder eine Wende nach 24 %, von 125 auf ca. 95 Mitarbeiter.
oben, wobei das natürlich keine feste Größe ist, da
es immer wieder ein Auf und Ab in der Branche Auch musste die frühere Erlanger november AG,
gab. Der Verband BIO Deutschland bestätigte in die nach einer ersten Insolvenz im Jahr 2006 eigent-
seinem jüngsten Branchenbarometer: lich nur noch als Hülle existierte und ihren Sitz nach
Köln verlegte, nochmals Insolvenz anmelden. Sie
»» Die Umfrage zeichnet ein optimistisches Ge- verschwand 2013 endgültig vom Kurszettel. Ernst &
samtbild: Insgesamt liegen alle Indikatoren Young (2013) führt zur Lage im Jahr 2012 weiter aus:
auch in diesem Jahr über dem jeweiligen Durch-
schnitt der vergangenen fünf Jahre. Im Vergleich »» Der Personalzuwachs bei privaten Biotech-
zum Vorjahr fällt die Einschätzung der aktuellen Firmen wird vornehmlich durch das größte
geschäftlichen und politischen Lage allerdings Segment – die Anbieter von Dienstleistungen
nicht mehr ganz so positiv aus. Damals wurden sowie Forschungs-Tools – getragen, das mit
große Hoffnungen in die neue Bundesregierung vier Prozent … gewachsen ist. Auch Diagnos-
gesetzt, die sich so offenbar nicht erfüllt haben. tikfirmen legten beim Personal zu … (+ 8 %).
Dennoch schätzen die Biotech-Unternehmer Demgegenüber weisen die Therapeutikaent-
und -Unternehmerinnen ihre aktuelle Situation wickler auch im privaten Bereich einen Perso-
so positiv ein, dass sie wieder mehr in Forschung nalrückgang von insgesamt fünf Prozent …
und Entwicklung investieren wollen. Auch bei auf, welcher allerdings zum Großteil aus den
der Beschäftigungssituation bleibt die Entwick- Akquisitionen von teilweise überdurchschnitt-
lung stabil. (BIO Deutschland 2015) lich großen Unternehmen resultiert (z. B. Cell-
zome). (Ernst & Young 2013)
5.3.1.2 Firmen- und Mitarbeiterzahl
bleiben stabil, das heißt In 2013 setzte sich dann das Mitarbeiter-Minus bei
stagnieren manchen der börsennotierten Gesellschaften fort
Seit 2012 bleiben mit leichten Abweichungen die (Ernst & Young 2014). So waren bei der zum Ende
Mitarbeiter- und Firmenzahl stabil (. Abb. 5.11). Mai 2013 aufgelösten Agennix 52 Beschäftigte be-
Zwar gab es 2012 und 2013 bei der Mitarbeiterzahl troffen, und MorphoSys verringerte seinen Mit-
aufgrund der Entwicklungen bei manchen der bör- arbeiterstamm um insgesamt 123 Angestellte. Al-
5.3 • Jüngste Entwicklung der Branche: von Stagnation zu neuen Chancen
421 5

Per Aspera Zurück in Fallstrick


Boom & Hype ad Astra die Zukunft Finanzierung? Reifeprüfung
450 13,5
Unternehmen Mitarbeiter Tsd.

400 12,0

350 10,5

300 9,0

250 7,5

200 6,0

99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

1,4 1,4
Mrd. € Mrd. €
Umsatz FuE Linear (Umsatz)
1,2 1,2
© BioMedServices 2015
1,0 1,0

0,8 0,8

0,6 0,6

0,4 0,4

0,2 0,2

99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

. Abb. 5.11 Entwicklung der wichtigsten Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie in den Jahren 1999 bis 2014. Er-
stellt nach Daten aus Ernst & Young (2000–2015)

lerdings fanden diese aufgrund des Verkaufs der sonstigen biotechnologisch aktiven Unternehmen,
AbD Serotec-Sparte ein Dach bei der neuen Mutter deren Hauptfokus nicht ausschließlich die Biotech-
Bio-Rad, und MorphoSys zählt immer noch über nologie ist.
300 Mitarbeiter, die sich nun wieder voll und ganz
auf die Medikamenten-Entwicklung fokussieren. 5.3.1.3 Umsatz: über die letzten 15
Für 2014 beobachteten beide Statistiken – bio- Jahre zwar kontinuierlich
technologie.de und EY – einen Zuwachs bei den gestiegen, seit 2007 aber
Mitarbeitern. Bei EY wurde die Marke von 10.000 lediglich auf niedrigem Niveau
Beschäftigten wieder überschritten. Die Statistik Die Entwicklung des Umsatzes der deutschen Bio-
von biotechnologie.de zählt bei mehr Unterneh- tech-Branche wurde am Ende von 7 Abschn. 5.2.4
men fast 18.000 Mitarbeiter (inklusive 1300 bei bereits eingehender analysiert. Seit Ende 2011 hat
QIAGEN). Dazu kommen bei letzterer Statistik sich dieser nochmals leicht erhöhen können, pen-
noch weitere 19.000 Angestellte bei sogenannten delte sich aber letztlich knapp über der Grenze von
422 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

4
Mio. €
3.5 biotechnologie.de EY

2.5

1.5
5 © BioMedServices 2015
1
99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

. Abb. 5.12 Entwicklung des durchschnittlichen Umsatzes bei deutschen Biotech-Firmen in den Jahren 1999 bis 2014.
Erstellt nach Daten aus Ernst & Young (2000–2015) sowie biotechnologie.de (2006–2015) – ohne QIAGEN. Die Kurve der
biotechnologie.de-Zahlen liegt höher, da hier noch ein zusätzlicher Typ an Firmen eingerechnet wird, den EY nicht be-
rücksichtigt: Immundiagnostik, Reagenzien, Analytik-Dienstleister sowie Töchter von Firmen mit Hauptsitz in Deutschland

1 Mrd. € ein (. Abb. 5.11). Im Jahr 2013 brach er zwi- nen Umsätze. Diejenigen, die auf externes (Eigen-)
schenzeitlich ein, da das Jahr 2012 ein Ausnahme- Kapital angewiesen sind, erlebten diverse Phasen
ereignis mit der Mega-Sofortzahlung in Höhe von mit Auf und Abs.
110 Mio. € aus dem AiCuris-Merck-Deal verbuchte Nach dem Boom der Jahre 1999 bis 2001 kam
(7 Abschn. 5.3.3). Zudem legte PAION durch den die erste Krise von 2002 bis 2004. Danach erholte
Verkauf der Desmoteplase-Rechte für 20 Mio. € an sich bis 2007 die Eigenkapital-Finanzierung wie-
Lundbeck im Jahr 2012 einmalig enorm zu (+ 725 % der, um dann bis 2011 nochmals stark einzubrechen
von 3,3 auf 26,8 Mio. €). (Ausnahme: 2010, 7 Abschn. 5.2.4). Von 2011 auf
biotechnologie.de (2015) berichtet für 2014 bei 2012 gab es eine starke Erholung, und die Bran-
578 dedizierten Biotech-Firmen einen Umsatz von che hoffte, in diesem Bereich ebenfalls wieder auf
3 Mrd. €, gestiegen von 2,6 Mrd. € in 2011. Von den einem guten Kurs zu sein, was sich 2013 (zumin-
3 Mrd. € entfällt allein 1 Mrd. € auf den seit Langem dest für die Finanzierung der privaten Firmen) als
profitabel arbeitenden Molekulardiagnostik-Spezia- Trugschluss herausstellte (. Abb. 5.13). Seit 2004
listen QIAGEN, der in der EY-Statistik wegen seines wird die Finanzierung der privaten Firmen stark
finanzrechtlichen Hauptsitzes in den Niederlanden von Family Offices und anderen privaten Investo-
nicht zu Deutschland gerechnet wird. Adjustiert ren getragen. Ohne sie hätten manche der heuti-
man die Umsatzzahlen von biotechnologie.de um gen Hoffnungsträger nicht überlebt. Klassische
diese den Schnitt sehr stark anhebende Firma, so VC-Geber mussten sich dem »Diktat« des Kapital-
resultiert eine Entwicklung, wie sie . Abb. 5.12 zeigt. marktes beugen, denn sie sind wiederum auf an-
dere Investoren angewiesen, die in einem gewissen
Zeithorizont einen return on investment erwarten.
5.3.2 Finanzierung: müsste besser Der Zeithorizont, den beispielsweise die Medika-
sein, im Einzelfall jedoch nicht menten-Entwicklung benötigt, ist mit Investments
schlecht in andere Branchen nicht zu vergleichen.
Die seit 2012 wieder sinkenden finanziellen
Wie ebenfalls schon öfter ausgeführt, finanzieren Mittel für private deutsche Biotech-Firmen, ließ
sich viele deutsche Biotech-Firmen über ihre eige- in verschiedenen Branchen-Organen (Ernst &
5.3 • Jüngste Entwicklung der Branche: von Stagnation zu neuen Chancen
423 5

500
Mio. € © BioMedServices 2015
450

400 Family Offices & Private Klassisches VC


Kapitalerhöhungen notierter Firmen IPOs
350

300 297
284
258 50
250
72 208 214
200
218 164 155
150 113
99 188
100 129 95
20 87
51
50

0
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

. Abb. 5.13 Eigenkapital-Finanzierung deutscher Biotech-Firmen in den Jahren 2006 bis 2014. Erstellt nach Daten aus
Ernst & Young (2007–2015). IPO initial public offering

Young Report, |transkript, Informationen von BIO 2014) erfordert für Investoren Exit-Möglichkeiten.
Deutschland und anderen Verbänden etc.) und von Ohne diese geht kaum was.
Unternehmern der Industrie (7 Das Finanzierungs-
konzept »1 % für unsere Zukunft« in Kurzform) ver-
stärkt den Ruf aufkommen, dass sich dringendst Das Finanzierungskonzept »1 % für unsere
die politischen Rahmenbedingungen für die Eigen- Zukunft« in Kurzform
kapital-Finanzierung von technologieorientierten »Wir denken, die Eigenkapitalfinanzierung von
Unternehmen ändern muss. Dabei ist dieser Appell Unternehmen ist grundsätzlich keine Aufgabe
nicht neu, und er erfolgt auch von anderen Seiten, des Staates. Daher bevorzugen wir ein Modell, bei
dem Anlageentscheidungen rein nach unterneh-
nicht nur von der Biotech-Industrie. Auch auf den
merischen Gesichtspunkten und gewinnorientiert
jüngst veranstalteten Deutschen Biotechnologie- getroffen werden. Unser Ziel ist es, ein Prozent des
Tagen (eine Jahreskonferenz der Branche) wurde vorhandenen Privatvermögens in spezielle High­
diese Thematik eingehend diskutiert. Als großes tech-Highrisk-Anlagen zu leiten. Die Frage ist, warum
Manko wird vor allem auch gesehen, dass hierzu- sollten Privatanleger dieses Geld abzweigen? Dafür
muss es einen Anreiz geben. Daher fordern wir, diese
lande für Biotech-Firmen (noch) keine Börsengän-
Investitionen für mindestens 10 Jahre steuerfrei zu
ge möglich sind, nachdem in den USA seit 2013 stellen« (Kremoser 2014).
der »Laden brummt«. Diese stellen für Investoren
einen Exit-Kanal dar sowie später für die Unter-
nehmen die Möglichkeit, zu einer öffentlich be- Das Konzept blieb in der Branche nicht unumstrit-
kannten Bewertung weiteres Kapital aufzunehmen. ten, es wurden zum Beispiel fehlende Details be-
Selbst ein Konzept wie das »1 % für unsere Zukunft« mängelt. Die Intention, eine Diskussion anzusto-
(ausführlicher vorgestellt bei Zinke und Kremoser ßen, wurde allerdings erreicht. Auch gibt es leicht
424 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 5.14 Ausgewählte Top-VC-Runden deutscher Biotech-Firmen in den Jahren 2012 bis 2014. (Quelle: BioMedSer-
vices (2015) nach Ernst & Young (2013, 2014, 2015))

Firma Gründung Erlös (Mio. €) Jahr Ausgewählte Investoren

CureVac 2000 80 2012 dievini Hopp BioTech holding

BRAIN 1993 60 2012 MP Beteiligungs-GmbH, MIG Fonds, ungenann-


te Investoren

Glycotope 2001 55 2014 Eckert Life Science Accelerator, Jossa Arznei

Ganymed Pharma- 2001 45 2013 ATS Beteiligungsverwaltung, FCPB Gany, MIG


ceuticals Fonds
5 immatics 2000 34 2013 AT Impf, dievini Hopp BioTech holding, MIG
biotechnologies Fonds, Wellington

AiCuris 2006 25 2012 Dom Capital, FCP Biotech Holding, Santo


Holding

Affimed 2000 16 2012 Aeris Capital, BioMedPartners, LSP, Novo Nord-


Therapeutics isk, OrbiMed

SuppreMol 2002 16 2012/2013 BioMedPartners, MIG, Santo Holding, FCP Bio-


tech Holding, Max-Planck-Gesellschaft

Curetis 2007 15 2014 Aeris Capital, BioMedInvest, CD-Venture, Forbi-


on, HBM Partners, LSP, QIAGEN, Roche Venture
Fund

Allecra 2013 15 2013 Rothschild Investment Partners, Forbion, EMBL


Therapeutics Ventures

Curetis 2007 13 2013 HBM Partners, Aeris Capital, BioMedPartners, CD-


Venture, Forbion, KfW, LSP, Roche Venture Fund

Isarna 1998 13 2013 AT NewTec, MIG Fonds

Affimed 2000 12 2014 Aeris Capital, BioMedInvest, LSP, Novo Nordisk,


Therapeutics OrbiMed

AYOXXA 2010 11 2014 BioMedPartners, b-to-v Partners, CREATHOR


Biosystems VENTURE, Grazia Equity, HR Ventures, HTGF, KfW,
NRW.BANK, Wellington, private Investoren

Protagen 1997 10 2014 MIG Fonds, NRW.BANK, QIAGEN

Fett markiert: Runden mit Hauptbeteiligung der Family Offices

abweichende Vorstellungen seitens der Arbeits- ßenordnungen zu erhalten. Dies trifft vor allem
gruppe »Steuern und Finanzen« des Branchenver- auf den Tübinger RNS-Spezialisten CureVac mit
bandes BIO Deutschland. seiner 80-Mio.-Runde zu (. Tab. 5.14). Bisher ist
das Unternehmen ausschließlich von der Familie
5.3.2.1 Finanzierung privater Hopp finanziert worden. Aber auch die 60 Mio. €
Biotech-Firmen seit 2012 für die Zwingenberger BRAIN wird das Unterneh-
Trotz der seit 2012 wieder sinkenden gesamten men der Weißen Biotechnologie gut voranbringen.
VC-Finanzierung ist es einigen Firmen gelungen, Anderen wie Glycotope, Ganymed, immatics und
Zusagen in bisher noch nicht stattgefundenen Grö- AiCuris sind ebenfalls kräftige Nachfinanzierun-
5.3 • Jüngste Entwicklung der Branche: von Stagnation zu neuen Chancen
425 5

. Tab. 5.15 Kapitalmaßnahmen deutscher börsennotierter Biotech-Unternehmen in den Jahren 2012 bis 2014.
(Quelle: BioMedServices (2015) nach Ernst & Young (2013, 2014, 2015))

2012 (Mio. €) 2013 (Mio. €) 2014 (Mio. €) Summe (Mio. €)

MorphoSys – 84 – 84

PAION – 5 52 (46 + 6) 57

MOLOGEN 25 – 16 41

Biofrontera 13 8 16 37

Evotec – 30 – 30

WILEX 26 – – 26

4SC 13 – 11 (Darlehena) 24

Epigenomics – 13 4 17

Formycon – 17 – 17

Medigene – – 16 16

co.don 4 1 5 10

Sygnis – 3 5 8

curasan – – 2 2

Summe 81 161 127 369

aund Wandelanleihen

gen der großen Family Offices Strüngmann und Einfluss nahm hier allerdings die 84-Mio.-€-Kapi-
Hopp gelungen. talerhöhung von MorphoSys. Das Unternehmen
Es fällt auf, dass auch die klassischen VC-Fir- gab 1.514.066 neue Aktien aus dem genehmigten
men wieder aktiver in Deutschland wurden. Zu- Kapital an internationale institutionelle Investo-
künftige Exit-Möglichkeiten ergeben sich dabei für ren zu einem Preis von 55,76 € pro Aktie aus. Das
die Investoren der Heidelberger Affimed Therapeu- Angebot war mehrfach überzeichnet. Gemeinsam
tics, die 2014 einen Börsengang an der NASDAQ mit seinen Pharma-Partnern hat MorphoSys eine
realisierte und zuvor noch eine Überbrückungsfi- therapeutische Pipeline mit mehr als 80 antikör-
nanzierung erhalten hatte. Ähnliches gilt für Pro- perbasierten Medikamentenkandidaten unter an-
biodrug, die ihre letzte große Finanzierung 2011 er- derem zur Behandlung von Krebs, rheumatoider
hielten und ebenfalls im Jahr 2014 den Sprung aufs Arthritis und Alzheimer aufgebaut. Die Mittel wird
Parkett schaffte, allerdings in Amsterdam. Als wei- der Antikörper-Spezialist vor allem für die eigenen
teres deutsches und bisher privates Biotech-Unter- Entwicklungskandidaten sowie für Übernahmen
nehmen ist seit 2014 auch die Münchener Pieris verwenden.
Pharmaceuticals aufgrund der Verschmelzung mit Auch die Aachener PAION hat insbesonde-
einer börsengelisteten US-Firma für den offiziellen re im Jahr 2014 Investoren anlocken können. Die
Handel ihrer Aktien zugelassen. mittlerweile als Spezialpharma-Unternehmen agie-
rende Firma kann sich derzeit als sogenannte Pha-
5.3.2.2 Finanzierung gelisteter se-III-Firma bezeichnen, da ihr Hauptprodukt in
Biotech-Gesellschaften seit 2012 mehreren fortgeschrittenen Studien geprüft wird.
Die bereits notierten Gesellschaften haben seit 2012 Das frische Kapital ist vor allem für die Zulassungs-
in der Summe über 300 Mio. € aufnehmen können aktivitäten des Anästhetikums Remimazolam in
(. Tab. 5.15). Das beste Jahr war dabei 2013. Großen den USA und der EU verplant. Auch Biofrontera
426 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

fällt in die Kategorie Spezialpharma und nutzt die 1000-Mio.-Dollar-Deal, sowie von MorphoSys mit
neuen Mittel für den Ausbau seiner Marktposition Celgene in Höhe von 628 Mio. €. Beide stammten aus
mit der Hautsalbe Ameluz. dem Jahr 2013, wobei letzterer allerdings mittlerweile
wieder beendet wurde. Zudem tat sich Evotec durch
»» MOLOGEN rechtfertigt die Kapitalaufnah- gleich mehrere neue Kooperationen hervor. Neben
me von insgesamt 24,7 Millionen Euro (2011 einer sehr frühen Zusammenarbeit mit der Har-
10 Mio. €) mit guten klinischen Daten. In den vard University, aus der eine spätere Partnerschaft
ersten neun Monaten des Jahres 2012 hat MO- mit Janssen, einer J&J-Tochter, resultierte (7 Evotec
LOGEN mehrere wichtige Ziele erreicht. Die setzt auf Wissenschaft und Wirtschaft), schloss sich
klinischen Studien zu den beiden Produktkan- Evotec mit der heimischen Bayer zusammen. Auch
didaten MGN1703 (Darmkrebs) und MGN1601 Boehringer Ingelheim suchte sich als Partner »mal
5 (Nierenkrebs) übertrafen alle Erwartungen. wieder« eine deutsche Biotech-Firma aus, nämlich
(Ernst & Young 2013) den RNS-Spezialisten CureVac, dessen Forschung
und Entwicklung bis Anfang 2015 allein durch die
Zudem geben die Analysten Informationen zu der Familie Hopp finanziert wurde. Dann, im März 2015,
seit 2013 auf dem Kurszettel der deutschen Biotech- kam der »Paukenschlag«: Der Einstieg des »reichen
Firmen geführten Formycon aus Martinsried: Sie Onkels aus Amerika« in just dieses Unternehmen.
ging nach Übernahme der Assets der Scil Techno- Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung fokussiert sich
logy im Oktober 2012 aus der ehemaligen, bereits auf Infektionskrankheiten, und CureVac kann mit
notierten Nanohale hervor und fokussiert sich seinen temperaturunempfindlichen RNS-Impfstof-
nunmehr auf die Entwicklung und Vermarktung fen insbesondere für den Einsatz in Entwicklungs-
von Biosimilars. Im Jahr 2013 beteiligten sich als ländern dazu einen Beitrag leisten. Dieses Ereignis
Hauptaktionäre die Brüder Strüngmann, die Grün- hat der Branche jüngst einen enormen Stimmungs-
der des Generika-Herstellers Hexal. aufschwung beschert. Hatte sich Bill Gates doch be-
wusst gegen einen Wettbewerber aus den USA ent-
schieden. Dieses Mal war die deutsche Konkurrenz
5.3.3 Neue Allianzen: neue Chancen? weiter und vielleicht auch besser?
. Tabelle 5.16 fasst die größten Allianzen seit
Für einige Firmen erwiesen sich die Jahre ab 2012 2012 übersichtsartig zusammen.
also durchaus als erfolgreich, was die Finanzierung Noch mit aufgenommen in dieser Tabelle ist die
betrifft. On top kommen hierbei wiederum Um- Vereinbarung, die die Heidelberger Phenex Phar-
sätze aus Allianzen. Es können zwar nur die Sofort- maceuticals Anfang dieses Jahres mit Gilead aus
zahlungen bei Abschluss direkt verbucht werden; den USA geschlossen hat. Es ist keine Kooperation
später aber fließen immer wieder Zahlungen, wenn im Sinne der anderen Allianzen, sondern es handelt
vorab definierte Meilensteine erreicht werden. Mit sich um den kompletten Verkauf eines Wirkstoff-
den dann erlösten Mitteln können wieder weitere Programms, der einen Wert von fast 400 Mio. €
Schritte unternommen werden. erzielte. Mit diesen Mitteln ist auch Phenex für die
Im Branchenjargon werden diese Zahlungen weitere Erforschung und Entwicklung anderer Pro-
mit den englischen Begriffen upfront und milesto- gramme gut aufgestellt.
ne payments bezeichnet. Eine besonders hohe So-
fortzahlung konnte sich im Jahr 2012 die erst 2006
aus dem Bayer-Konzern ausgegründete AiCuris 5.3.4 Wirkstoff-Pipeline: neue
sichern. Der Viren-Spezialist realisierte ein Ab- Chancen!
kommen mit der US-Merck und erhielt von über
400 Mio. € potenziellem Wert 110 Mio. € upfront. Die schlechten Nachrichten zuerst: Am Beginn der
Ein Betrag, den es zuvor in der deutschen Biotech- derzeit betrachteten Phase, also im Jahr 2012, muss-
Industrie noch nie gegeben hatte. te die deutsche Biotech-Branche weitere Ausfälle
Größere Aufmerksamkeit erfuhren auch die Ab- oder Stopps von Phase-III-Medikamenten-Kandi-
schlüsse von immatics mit Roche, ein sogenannter daten hinnehmen:
5.4 • Eine Lanze brechen: auf dem Weg zum 20. Jahrestag – und langsam …
427 5

Evotec setzt auf Wissenschaft und Wirtschaft


»2012 konnte Evotec Ergebnisse der tes-Therapien beinhaltet. Mit einem Ansätze in den Gebieten ZNS, Onko-
Zusammenarbeit mit Harvard bereits Volumen von 300 Millionen US-Dollar logie sowie metabolische und immu-
nach 18 Monaten in eine lukrative an erfolgsabhängigen Meilenstein- nologische Erkrankungen gemein-
Allianz mit Johnson & Johnson (J&J) zahlungen ist der Deal gemessen sam bearbeitet. Auch hierbei steht
einbringen. J&J kaufte sich in das an dem noch sehr frühen Stadium die enge Verknüpfung von Evotecs
Kollaborationsprogramm zwischen bemerkenswert. Anfang des Jahres Drug-Discovery-Plattform mit der
Evotec und der Harvard-Gruppe um folgte gleich eine weitere, ähnlich ge- erstklassischen Forschung der Yale
Prof. Doug Melton ein, welches ein lagerte Allianz mit der Yale University. University im Zentrum der Zusam-
Portfolio von regenerativen Diabe- Inhaltlich werden dort innovative menarbeit« (Ernst & Young 2013).

55 Rencarex in einer Nierenkarzinom-Studie geprägte Biotech-Industrie nach US-amerika-


(WILEX), nischem Vorbild (7 Abschn. 2.2). Dies ist nun 20
55 Talactoferrin in schwerer Sepsis (Agennix), Jahre her, und den Weg bis heute fassten vorste-
55 Trabedersen (AP 12009), ein antisense-Wirk- hend 7 Abschn. 5.2 und 5.3 zusammen.
stoff der Regensburger Antisense Pharma (heu- Skeptiker führen immer wieder an, dass die
te Isarna Therapeutics mit Sitz in München) zur deutsche Biotech-Branche kaum eine Bedeutung
Behandlung von Gehirntumoren. Bei dem Ziel- habe. Rund 400 kleine und mittlere Unternehmen
molekül TGF (transforming growth factor) beta (KMU) kommen nach den EY-Zahlen auf einen
handelte es sich zwar um ein vielversprechen- Gesamtumsatz von um die 1 Mrd. €. Damit weist
des Target, allerdings erwies sich die Rekrutie- die gesamte Branche in etwa einen gleich hohen
rung von Patienten für die erwählte Indikation Umsatz auf wie das Molekulardiagnostik-Unter-
als schwierig wie auch die Applikation. nehmen QIAGEN allein, das in den meisten Wirt-
schaftsstatistiken als niederländische Gesellschaft
Nun zu den guten Nachrichten: Allerdings soll hier geführt wird. In Deutschland gab es im Jahr 2012
– ganz nach dem Motto »Qualität vor Quantität« – laut Statistischem Bundesamt (Destatis 2014) rund
nicht mehr die Zahl der Wirkstoffe dargestellt und 500 Unternehmen mit einem Umsatz von mindes-
ihre jährlichen Veränderungen diskutiert werden. tens 1 Mrd. €.
Vielmehr erscheint es wichtig, hervorzuheben, Ähnlich bescheiden fällt der Vergleich bei den
dass es in der deutschen Biotech-Industrie mittler- Mitarbeiterzahlen aus: 10.000 Beschäftigte in der
weile einige Unternehmen gibt, die basierend auf deutschen Biotech-Branche (nach Quelle Ernst
Plattformtechnologien in der Lage sind, neuartige & Young/EY) messen sich zum Beispiel mit rund
Medikamente zu entwickeln. Dies sind in gewisser 18.000 Mitarbeitern der Firma Südzucker (Umsatz
Weise neue Hoffnungsträger, die die »alten« erset- 2014: 6,7 Mrd. €), selbst ebenfalls in der Biotechno-
zen werden, dabei allerdings die letzten technolo- logie aktiv. Sogar die Anzahl der Beschäftigten nach
gischen Entwicklungen berücksichtigen konnten. der Quelle biotechnologie.de (Ende 2014: 17.930),
Eine Auswahl derartiger Unternehmen und ihre die gut 500 Unternehmen sowie die in Deutschland
Ansätze präsentiert . Tab. 5.17. ansässigen Mitarbeiter von QIAGEN und anderer
ausländischer Biotech-Firmen einschließt, fällt in
diesem Vergleich nicht »besser« aus.
5.4 Eine Lanze brechen: auf dem Gerne wird auch ein Vergleich mit der US-Bio-
Weg zum 20. Jahrestag – und tech-Industrie herangezogen. Diese wies Ende 2014
langsam auf dem Weg zur folgende Kennzahlen auf (EY 2015):
Reifeprüfung 55 403 börsennotierte Biotech-Gesellschaften (gut
2500 einschließlich der Privaten) mit einem
Nach der Ausschreibung und Durchführung des 55 Marktwert von 854 Mrd. US$, die einen
BioRegio-Wettbewerbes (7 Abschn. 4.3) 1995/1996 55 Umsatz von fast 100 Mrd. US$ erwirtschafteten
entwickelte sich auch in Deutschland eine KMU- (93,1 Mrd. US$; der Umsatz der Börsennotier-
428 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 5.16 Top-Allianzen deutscher Biotech Unternehmen seit 2012. (Quelle: BioMedServices (2015) nach Ernst &
Young (2013, 2014, 2015))

Firma Partner Land Jahr Wert (Mio. €) Gegenstand

immatics bio- Roche CH 2013 766 Erforschung und Entwicklung neuer TUMAP-
technologies basierter Impfstoffe auf Basis der XPRESI-
DENT-Technologie; klinische Entwicklung
von IMA942

MorphoSys Celgene USA 2013 628 Entwicklung und Vermarktung des humanen
monoklonalen CD38-Antikörpers MOR202

Evotec Bayer D 2012 592 Multi-Target-Allianz: Erforschung und Ent-


5 wicklung von drei klinischen Wirkstoffkandi-
daten gegen Endometriose (Laufzeit 5 Jahre)

CureVac Boehrin- D 2014 465 Weltweite Lizenz- und Kooperationsverein-


ger Ingel- barung zur Entwicklung des mRNA-basierten
heim therapeutischen Impfstoffs CV9202

MorphoSys GSK GB 2013 446 Weltweite Lizenzvereinbarung über die


Entwicklung und Vermarktung des humanen
monoklonalen GM-CSF-Antikörpers MOR103

AiCuris Merck USA 2012 443 Weltweite Lizenzvereinbarung über die


Entwicklung und Vermarktung von AiCuris’
HCMV-Wirkstoffkandidaten, z. B. AIC246

Phenex Phar- Gilead USA 2015 396 Verkauf des aus small molecule-XFR-Agonis-
maceuticals ten bestehenden Farnesoid-X-Rezeptorpro-
gramms

Evotec Janssen USA 2012 240 Ausweitung der bestehenden Kollaboration


Pharma- (CureBeta) zwischen Evotec und der Harvard
ceuticals Universität auf Janssen Pharmaceuticals über
die Entwicklung von die Regeneration von
Beta-Zellen fördernden Wirkstoffkandidaten

MorphoSys Emergent USA 2014 138 Entwicklung und Vermarktung des mithilfe
Biosolu- der ADAPTIR-Plattform entwickelten bispezi-
tions fischen Anti-PSMA/anti-CD3-Antikörpers
ES414

Evotec Janssen USA 2012 136 Weltweite Lizenzvereinbarung zur Entwick-


Pharma- lung und Vermarktung von Evotecs Portfolio
ceuticals an NR2B-selektiven NMDA-Rezeptor-Anta-
gonisten

Phenex Phar- Janssen USA 2012 123 Erforschung und Entwicklung von Wirk-
maceuticals Biotech stoffen, die an dem Kernrezeptor RORγT
ansetzen

Evotec Janssen USA 2013 117 Erforschung und Entwicklung neuer Ziel-
Pharma- strukturen für neuartige Behandlungsan-
ceuticals sätze

4SC Discovery LEO DK 2013 96 Optionsvereinbarung zur Entwicklung und


Pharma Vermarktung eines innovativen Wirkstoffs

CH Schweiz, D Deutschland, DK Dänemark, GB Großbritannien ; GSK GlaxoSmithKline


5.4 • Eine Lanze brechen: auf dem Weg zum 20. Jahrestag – und langsam …
429 5

. Tab. 5.17 Ausgewählte deutsche Biotech-Unternehmen mit neuartigen therapeutischen Ansätzen. (Quelle: Bio-
MedServices (2015) nach Ernst & Young (2012))

Unternehmen Sitz Gründung Technologie

Neue Antikörper-Formate oder Targets

Affimed Thera- Heidelberg 2000 TandAb-/Trispecific Ab-Technologie: tetravalente bi-


peutics und trifunktionale AK

Ganymed Pharma- Mainz 2001 IMAB-Technologie: AK zielend auf krebsspezifische


ceuticals Targets

Glycotope Berlin 2001 GlycoExpress-/GlycoBody-Technologie: AK mit opti-


mierten Zuckerketten

SpectraMab München 2010 Triplebody-Technologie: trispezifische AK

SYNIMMUNE Tübingen 2010 Bispezifische AK

Syntab Aachen 2010 Synthetische Mini-AK


Therapeutics

Antikörper-ähnliche Wirkstoffe

NOXXON Pharma Berlin 1997 Spiegelmer-Technologie: RNS-basierte Oligonukleo-


tid-Wirkstoffe, die Proteine binden

Apogenix Heidelberg 2005 Fusionsproteine gegen proprietäres Target

Pieris Freising bei 2001 Proteine, kleiner als AK und abgeleitet von natürlich
Pharmaceuticals München im Menschen vorkommenden Lipocalinen

BioNTech Mainz 2008 Microbody-Technologie: AK-ähnliche Mikroproteine,


die 50-mal kleiner sind

(Poly-)Peptide

immatics Tübingen 2000 XPRESIDENT-Technologie: Untersuchung des Immun-


biotechnologies peptidoms; TUMAPs: Tumor-assoziierte Peptide als
Krebsimpfstoffe

BioNTech Mainz 2008 SAPHIR-Technologie: self assembling protein nano-


particles for induction of humoral immune responses =
Peptid-Impfstoffe

DNS/RNS-Wirkstoffe, Gen- und Zelltherapien

Medigene München 1994 Dendritische Zellvakzine, T-Zell-Rezeptor(TCR)-verän-


derte T-Zellen zur Krebsimmuntherapie

MOLOGEN Berlin 1998 dSLIM-/EnanDIM-/MIDGE-Technologie: DNS-Vektoren


zur Krebsimmuntherapie

CureVac Tübingen 2000 RNS-Impfstoffe

Provecs Medical Hamburg 2007 ENVIRO-Technologie: DNS-Vektoren gegen multiple


Targets in der Krebsimmuntherapie

Apceth München 2007 Adulte Stammzellen als Genfähren

BioNTech Mainz 2008 UniCell-Technologie: Hochdurchsatz-Klonierung und


–Validierung humaner T-Zell-Rezeptoren (TCRs)

AK Antikörper
430 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

40
Mio. US$/€ © BioMedServices 2015
35

30

25

20

5 15
USBT in US$

10 USBT in €

5 DBT in €

0
1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013

. Abb. 5.14 Umsatz pro Unternehmen: Vergleich US- und deutsche Biotech-Industrie. DBT Deutsche Biotech-Industrie,
USBT US-Biotech-Industrie (inklusive privater Firmen). Erstellt nach Daten von Ernst & Young/EY Biotechnologie-Reports,
Umsatzdaten für die Jahre 1977 bis 1988 geschätzt (außer 1985)

ten macht in der Regel über 90 % des Gesamt- anfänglichen Jahre der US-Biotech-Industrie, die
umsatzes aus) sowie demnächst im Grunde bereits ihren 40. Geburtstag
55 rund 110.000 Mitarbeiter (in etwa 70 % aller feiert (ausgehend von der Gründung von Genen-
Mitarbeiter, gesamt somit etwa 150.000) be- tech im Jahr 1976).
schäftigten.

Allein 70 Mrd. US$ Umsatz (etwa 75 %) stammte 5.4.1 Frühe Entwicklung der
allerdings von zwei Handvoll Firmen, wovon be- US-Biotech-Industrie versus
reits Gilead und Amgen 25 und 20 Mrd. US$ bei- Bedeutung heute
steuerten. Weitere 20 Gesellschaften zählten einen
Umsatz von mindestens 500 Mio. US$ (in Summe In 7 Abb. 2.1 und 2.2 wurde schon ersichtlich, dass
also mindestens 10 Mrd. US$). Der Rest von rund ein größeres Umsatzwachstum bei den heute eta-
10 Mrd. US$ Umsatz teilte sich unter 375 gelisteten blierten Firmen Genentech und Amgen in etwa
Gesellschaften auf. Das ist immer noch das Zehnfa- erst 15 bis 20 Jahre nach ihrer Gründung einsetzte.
che von dem Wert der deutschen Biotech-Industrie. Ähnlich war die Situation in der gesamten Branche
Der Vergleich mit den USA hinkt allerdings (. Abb. 5.14).
insofern immer wieder, da nicht außer Acht ge- In den frühen Jahren der jeweiligen Branchen
lassen werden darf, dass einige der heute bereits (bis zu 15 Jahre nach der Gründung) verlief die
etablierten US-Firmen (die somit auch kein KMU Umsatzentwicklung pro Unternehmen bei den US-
mehr sind) viel früher gegründet und in der Re- Gesellschaften nicht sehr viel anders als bei den
gel stets ausreichend mit Eigenkapital finanziert deutschen Firmen. Noch im Jahr 1990 beurteilte
wurden (7 Abschn. 2.2 und 5.1). Um nicht Äpfel mit der Boston Globe die Situation der US-Biotech-In-
Birnen zu vergleichen, lohnt sich ein Blick auf die dustrie wie folgt:
5.4 • Eine Lanze brechen: auf dem Weg zum 20. Jahrestag – und langsam …
431 5

8
Mio. € Jahr 9 = 1985:
ab Jahr 14 = 1990:
erste eigene
weitere neuartige Medikamente
Produkte
6
USBT in €

DBT in €
4

2 Jahr 14 = 2010:
kaum Medikamente am Markt

© BioMedServices 2015 Jahr X nach Gründung der Industrie (US: 1976, D: 1996)
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

. Abb. 5.15 Umsatz pro Unternehmen: Vergleich der frühen Jahre der US- und deutschen Biotech-Industrie. DBT
Deutsche Biotech-Industrie, USBT US-Biotech-Industrie. Erstellt nach Daten von Ernst & Young/EY Biotechnologie-Reports,
Umsatzdaten für die Jahre 1977 bis 1988 geschätzt (außer 1985)

»» Wenn wir den gesamten Reklameschwindel »» While not immune to the economic crisis and
links liegen lassen, ist die biotechnologische resulting recession, the bioscience industry
Industrie im nationalen Wirtschaftsgefüge weathered difficult economic times better
nicht mehr als ein interessanter kleiner Flie- than most industries, and is on course to
genfleck. Biotech ist für die nationale und regain its previous high employment levels.
lokale Wirtschaft genauso wichtig wie bei- Indeed, the promise of bioscience-based so-
spielsweise die Pferdezucht. (Bud 1995) lutions to global grand challenges in human
health, food security, sustainable industrial
Nach der ersten Dekade und vor allem ab 1990 production and environmental protection pro-
(nach 15 Jahren) stellte sich bei den US-Unter- vides an optimistic picture for the biosciences
nehmen dann aber ein sichtbar stärkeres Umsatz- as a key economic development engine in the
wachstum ein (. Abb. 5.15), da sie zunehmend U.S. (Battelle 2014a)
neuartige Medikamente auf den Markt brachten
(7 Abschn. 2.2.5). Es begann die Erfolgsgeschichte, Präsentierte Mitarbeiterzahlen (7 National Biosci-
wie sie sich heute darstellt (7 Abschn. 2.2.8). ence Report zeigt eine robuste Industrie mit starken
So gilt die in den USA oft auch als bioscience Aussichten auf weiteres Wachstum) fallen dabei
industry bezeichnete Branche als wichtiger Wirt- unterschiedlich zu denjenigen von Ernst & Young/
schaftsfaktor, wie eine Untersuchung des US-Bran- EY aus, da alle Unternehmen einbezogen sind, die
chenverbandes BIO (Biotechnology Industry Or- sich mit Biotechnologie beschäftigen (also auch
ganisation) zusammen mit dem Battelle-Institut große Pharma-, Chemie-, Agrar- und Nahrungs-
zeigt: mittel-Firmen).
432 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

National Bioscience Report zeigt eine robuste Industrie mit starken Aussichten auf weiteres
Wachstum
«The industry demonstrated a employ 1.62 million people, a figure bioscience industry weathered the
strong record of growth from that includes nearly 111,000 new, recession much better than the
2001–2012, has navigated the deep high-paying jobs created since 2001. overall economy and other leading
economic recession better than Within the private sector, the bio- knowledge-based industries. While
most industries and is once again science industry has been a sig- national private sector employment
growing. The report, Battelle/BIO nature performer over this period, fell by 3.1 % from the outset of the
State Bioscience Jobs, Investments contributing an additional 6.24 mil- recession in 2007 through 2012, bio-
and Innovation 2014, the sixth in a lion jobs through the indirect science industry employment fell a
biennial series from Battelle and employment effect, yielding a total mere 0.4 %. While employment has
5 BIO tracking the U.S. bioscience employment impact of 7.86 million almost returned to its pre-recession
industry, reveals a robust bioscience jobs. Furthermore, the bioscience level, the economic output of the
sector that has weathered difficult industry continues to create and bioscience industry has expanded
economic conditions and is on a sustain high-wage jobs, paying an significantly with, 17 % growth since
course for continued growth. The average 80 % more than the overall 2007, almost twice the national pri-
state-by-state industry assessment private sector average salary – and vate sector nominal output growth«
finds U.S. bioscience firms directly growing at a faster rate. The U.S. (Battelle 2014b).

5.4.2 Warum steht die deutsche gen waren es bisher kaum sehr viel mehr bei
Biotech-Industrie da, wo sie den deutschen Biotech-Gesellschaften).
heute steht? 55 schlechter finanziert: Raue Zeiten am Kapital-
markt mussten die deutschen Biotech-Firmen
Da von deutschen Biotech-Unternehmen bisher mit dem Angebot weniger lukrativer Produkte
kaum eigene Arzneimittel auf den Markt gebracht oder Dienstleistungen überbrücken; sie »verlo-
wurden, beschränkt sich der Umsatz bisher weitest- ren« damit weitere Zeit. Auf der anderen Seite
gehend auf den Verkauf von Diagnostika, Enzymen sind viele Firmen dadurch relativ robust und
und »Forschungswerkzeugen« (Tools) sowie Ein- »down to earth«. In den USA ist der Durchlauf
nahmen aus Kooperationen und Dienstleistungen. (Gründung und Exitus) an Unternehmen hö-
Diese sollen hier nicht schlechtgeredet werden, in her, und sie sind es zum Teil gewohnt, mit sehr
der Summe ermöglichen sie aber nicht die Erlöse, viel höheren Ausgaben zu leben.
die neuartige Arzneimittel erbringen.
Warum wurde von deutschen Biotech-Unter- Dem inhärenten Risiko bei der Medikamenten-
nehmen bisher kaum ein eigenes Medikament auf Entwicklung sind einige der Projekte/Firmen der
den Markt gebracht? Im Vergleich zu den US-Fir- »ersten Welle« zum Opfer gefallen: Beispiele sind
men sind die Unternehmen hierzulande die anfänglichen Hoffnungsträger der deutschen
55 jünger: Viele der erfolgreichen US-Biotechs Biotech-Industrie Antisense Pharma, Curacyte,
gründeten sich bereits in den 1980er-Jahren, DeveloGen, GPC Biotech/Agennix, IDEA, Lipo-
die deutschen erst zehn bis 15 Jahre später. Nova oder WILEX. Andere Unternehmen wurden
55 weniger zahlreich: Es gibt rund 100 Medika- auf dem Weg zum Erfolg aufgekauft: Jerini oder
mente entwickelnde deutsche Biotech-Firmen Rhein Biotech. Und wieder andere wie PAION,
(mit einer Pipeline), in den USA liegt die Zahl Phenex Pharmaceuticals oder Probiodrug verkauf-
um ein Vielfaches darüber. Allein die statisti- ten ihre Entwicklungs-Programme. Letztere grün-
sche Ausfallrate bei der Medikamenten-Ent- dete sich 1997 in Halle und verkaufte im Jahr 2004
wicklung (90 % der Projekte, 7 Abschn. 3.1.1.3) ihr Diabetes-Programm (DPP4-Inhibitoren) inklu-
bedeutet, dass es vielleicht nur zehn Unterneh- sive des in Phase II befindlichen klinischen Ent-
men schaffen können (unter der Annahme, wicklungskandidaten P93/01 an die britische Pro-
dass jede Firma ein Projekt verfolgt; und unter sidion (eine Tochter der US-amerikanischen OSI
den gegebenen finanziellen Rahmenbedingun- Pharmaceuticals), was Probiodrug einen Umsatz
5.4 • Eine Lanze brechen: auf dem Weg zum 20. Jahrestag – und langsam …
433 5
von rund 29 Mio. € erbrachte. OSI fand dann im verfolgt eine Reihe von Programmen in der klini-
Jahr 2010 ein neues Dach bei der japanischen Mut- schen Entwicklung (weitestes in Phase II) sowie
ter Astellas Pharma, die sich die Transaktion 3,5 in frühen Forschungsphasen. NOXXON Pharma
Mrd. US$ kosten ließ. Ein Jahr später verkaufte As- schließlich setzt auf die sogenannte Spiegelmer-
tellas die DPP4-Patente für 609 Mio. US$ an einen Technologie, eine einzigartige und exklusive Platt-
Dritten. DPP4-Inhibitoren (DDP4: das Enzym Di- form zur Entwicklung von Medikamenten in ver-
peptidyl-Peptidase-4) stellen heutzutage eine neue gleichsweise kurzer Zeit. Spiegelmere bieten ein
Wirkstoffklasse zur Behandlung von Diabetes Typ- den Antikörpern ähnliches Anwendungsspektrum
II dar. Seit 2004 beschäftigt sich Probiodrug mit ohne deren übliches Nebenwirkungsprofil. Das
dem Enzym Glutaminyl-Cyclase (QC), das eine weiteste Programm von NOXXON Pharma befin-
Rolle bei der Umwandlung von Beta-Amyloid (Ab- det sich in Phase II der klinischen Prüfung. Zudem
eta) in Pyroglutamat-Abeta (pGlu-Abeta) spielt. bereitet die Firma einen Börsengang vor.
Für pGlu-Abeta wird ein Zusammenhang mit der Die »zweite Welle« an deutschen Biotech-Fir-
Alzheimer-Krankheit vermutet. Probiodrug, die in men, die neuartige Medikamenten-Kandidaten in
2014 den Gang an die Börse wagte, entwickelt einen der Pipeline haben (. Tab. 5.17), gründeten sich erst
QC-Inhibitor, der sich gerade in Phase II der klini- ab dem Jahr 2000, sodass deren Entwicklungen
schen Prüfung befindet. heute frühestens in der Endphase stecken:
Bis an den Markt gelangten bisher lediglich 55 In Phase III der klinischen Prüfungen
Biofrontera, BioGeneriX (Mutterfirma Ratiopharm 55 AiCuris,
heute zu Teva gehörend), Fresenius Biotech (ge- 55 Glycotope und
kauft von Neovii) und Partner TRION Pharma 55 immatics biotechnologies
(neu aufgesetzt als Lindis Biotech) sowie Medigene. 55 In Phase II der klinischen Prüfungen
Manche der noch in den 1990er-Jahren gegrün- 55 Affimed Therapeutics,
deten Gesellschaften wie 4SC, Evotec, MOLOGEN, 55 Apogenix
MorphoSys oder NOXXON Pharma mussten das 55 CureVac und
Auf und ein viel längeres Ab an den Kapitalmärk- 55 Ganymed Pharmaceuticals
ten überstehen oder mit »Ausweichlösungen« das
Überleben sichern. In Phase I/II der klinischen Prüfungen (Kombina-
MorphoSys verfügt heute über eine klinische tion aus Sicherheits- und Wirksamkeitsprüfung)
Pipeline von 25 therapeutischen Antikörpern, zwei befindet sich die erst im Jahr 2008 gegründete
davon in eigener Entwicklung (weitester in Phase BioNTech mit drei RNS-Wirkstoffen gegen Krebs.
II) und 23 verpartnert (weitester in Phase III). Wei- Zusätzlich werden noch vier derartige Kandidaten
tere 28 Programme befinden sich in der Präklinik sowie weitere vier Programme mit anderem Wirk-
und 51 in der Erforschung. MOLOGEN verfügt prinzip erforscht und entwickelt. Drei Projekte
über einen krebsimmuntherapeutischen Ansatz sind zudem verpartnert. Alle fokussieren sich auf
in der Phase III der klinischen Prüfung und hat Krebserkrankungen. Ebenfalls in der Onkologie tä-
noch weitere Projekte in petto. Evotec verfolgt fünf tig ist die Münchener apceth, die Agenmestencel-T
Programme in klinischer Entwicklung (weitestes in entwickeln, das erste zellbasierte somatische Thera-
Phase II), wobei diese im Rahmen von Entwick- pieprodukt basierend auf genetisch modifizierten,
lungspartnerschaften vollständig von den Partnern patienteneigenen mesenchymalen Stammzellen.
­
finanziert werden. Zudem bietet Evotec Dienst- Eine Phase-I/II-Studie ist genehmigt (Patienten-
leistungen und Kooperationen auf der Grundlage rekrutierung läuft), eine weitere mit Alecmesten-
seiner Technologie-Plattform (Hochdurchsatz- cel-T gegen die periphere arterielle Verschluss-
Screening und Substanzvalidierung zur Erfor- krankheit läuft gerade. Auf Antikaline, eine Gruppe
schung pathophysiologischer Zusammenhänge) Antikörper-ähnlicher Wirkstoffe, setzt Pieris Phar-
an, die den gesamten Wirkstoffforschungsprozess maceuticals mit fünf eigenen (weitestes in Phase
umfassen. Bei 4SC liegt ein zentraler Schwerpunkt I), vier Kooperations- und drei verpartnerten Pro-
in der Erforschung und Entwicklung epigenetisch grammen.
wirkender Krebsmedikamente. Das Unternehmen
434 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 5.18 Ausgewählte Kennzahlen zur biopharmazeutischen Industrie in Deutschland. (Quelle: nach BCG (2015))

Kennzahl 2005 2014

Zugelassene Biopharmazeutika 155 226

Biopharmazeutika in der Pipeline (inklusive Impfstoffe) 256 604

Therapeutische Antikörper in der Pipeline 79 357

Umsatz mit Biopharmazeutika 2,6 Mrd. € 7,5 Mrd. €

Anteil von Biopharmazeutika am Gesamtpharmamarkt 12 % 22 %

Marktanteil Biopharmazeutika Stoffwechsel 23 % 38 %

5 Marktanteil Biopharmazeutika Onkologie 31 % 38 %

Marktanteil Biopharmazeutika Immunologie 19 % 73 %

Beschäftigtenzahlen 26.420 37.715

Nach 15 Jahren Forschungs- und Entwicklungs- beschäftigen (müssen). Wie schon dargestellt
arbeit hat Phenex Pharmaceuticals sein Phase-II- (7 Abschn. 2.4) verschwimmen die Grenzen zwi-
Programm Anfang 2015 an die Nummer 1 in den schen Pharma und Biotech zu einer neuen bio-
USA, Gilead, verkauft und verfolgt nun ein ande- pharmazeutischen Industrie. Deren Entwicklung
res Programm zur Behandlung von Autoimmun- in Deutschland analysiert seit Jahren eine Studie
krankheiten zusammen mit dem Partner Janssen des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller
in der Präklinik. Verkauft wurde Anfang 2015 (vfa bio) zusammen mit The Boston Consulting
auch – allerdings als komplette Firma – das Pro- Group (BCG). Sie umfasst die biotechnologischen
gramm der löslichen Rezeptoren von SuppreMol. Aktivitäten kleiner und mittelständischer Biotech-
Die Wirkstoffe zur Behandlung von Autoimmun- Unternehmen, mittelständischer und großer Arz-
krankheiten und Allergien werden von dem über- neimittelhersteller sowie von Tochtergesellschaf-
nehmenden US-Konzern Baxalta weiterentwickelt, ten internationaler Pharma- und Biotech-Firmen.
der am weitesten fortgeschrittene Kandidat befand In ihrem 10. Biotech-Report (Lücke et al. 2015)
sich zuvor in Phase IIa. stellten die Partner folgende Entwicklung seit 2005
fest (. Tab. 5.18).
Umsatz sowie Kandidaten in der Entwicklung
5.4.3 Eine andere Sicht auf die verdreifachten sich nahezu in den letzten zehn Jah-
medizinische Biotechnologie in ren. Getragen wurde diese Entwicklung allerdings
Deutschland hauptsächlich von den etablierteren (bio-)phar-
mazeutischen Unternehmen, wie . Abb. 5.16 zeigt.
Definiert man die Zugehörigkeit zur Branche an- Zwar erreichen diese Werte bei Weitem noch nicht
ders und berücksichtigt alle Unternehmen, die sich den Status der US-amerikanischen Konkurrenz, sie
mit der medizinischen Biotechnologie in Deutsch- zeigen aber auf, dass die medizinische Biotechnolo-
land beschäftigen, ergibt sich ein anderes Bild der gie in Deutschland sehr wohl eine Rolle spielt. Das
Biotech-Industrie. Es »fehlen« dann zwar die weite- Vorwort des vfa bio formuliert es wie folgt:
ren Einsatzgebiete der industriellen und Pflanzen-
biotechnologie, da die Rote Biotechnologie aber »» Zehn Jahre medizinische Biotechnologie in
derzeit noch Hauptanwendung ist, ist ein Großteil Deutschland bedeuten … gute Nachrichten
abgedeckt. unter anderem für Patienten mit schweren Er-
Bei diesen Unternehmen zählen dann auch krankungen, denen bisher noch gar nicht oder
etablierte Pharma-Firmen dazu, die sich mittler- nicht hinreichend geholfen werden konnte.
weile meistens auch bereits mit Biotechnologie Und dies ist gleichermaßen von gesamtgesell-
5.4 • Eine Lanze brechen: auf dem Weg zum 20. Jahrestag – und langsam …
435 5

10
Mrd. € © BioMedServices 2015
vfa/BCG vfa/BCG (Etablierte)
biotechnologie.de Ernst & Young/EY
8

0
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

. Abb. 5.16 Umsatz von Firmen in Deutschland, die sich mit Biotechnologie beschäftigen. Die vfa/BCG-Werte umfassen
nur die medizinische Biotechnologie (Wert für 2014 teilweise geschätzt) bei 389 Unternehmen (mit Pipeline plus solche,
die Technologie-Plattformen anbieten). Die Angaben von biotechnologie.de beziehen sich auf 578 (inklusive QIAGEN), die
von Ernst & Young/EY auf 403 Biotech-Firmen

schaftlichem Vorteil, denn Biopharmazeutika sich durch wiederkehrendes Vertrauen seitens der
– richtig und rechtzeitig eingesetzt – können Investoren sowie optimierter politischer Rahmen-
helfen, Fehlzeiten aufgrund von Krankheiten bedingungen für Eigenkapital-Investitionen. Hier
zu verkürzen, Berufsunfähigkeit zu verhindern bleibt dann doch nur wieder der schielende Blick
und Menschen die volle Teilhabe am gesell- über den Teich, wo die Biotech-Industrie in den
schaftlichen Leben zu ermöglichen. Gerade in vergangenen Jahren enorme öffentliche Aufmerk-
Ländern mit einem ausgeprägten Anstieg des samkeit erfuhr, die sich in Rekordwerten bei der
Altersdurchschnitts und zunehmendem Fach- Finanzierung und Marktkapitalisierung ausdrückt.
kräftemangel wie in Deutschland ist dies be- So hat der jüngste Aufschwung am US-Ka-
sonders wichtig, da hier Wohlstand auch durch pitalmarkt (7 Abschn. 2.2.7) – basierend auf den
eine ausreichende Zahl an Erwerbstätigen bisher demonstrierten Erfolgen der etablierten
sowie die Aufrechterhaltung ihrer Produktivi- US-Biotech-Unternehmen – dazu geführt, dass
tät gesichert werden muss. (Mathias 2015) selbst aufstrebende Firmen, die zum Teil gerade
erst an der Börse gelistet wurden und noch kein
Produkt am Markt haben, beeindruckende Markt-
5.4.4 Wahrnehmung und Vertrauen bewertungen erhalten. EY (2015) listet in seinem
seitens Investoren, Politiker und jüngsten globalen Biotechnologie-Report 27 der-
allgemeiner Bevölkerung auf der artige US-Biotech-Medikamenten-Entwickler, die
Wunschliste Ende 2014 jeweils eine Marktkapitalisierung von
über 1 Mrd. US$ aufwiesen (. Tab. 5.19). Ende
Für die zukünftige Entwicklung der deutschen Bio- 2013 lag diese Zahl noch bei 15 und 2012 bei fünf.
tech-Industrie ist – neben einer ausreichenden Er- In Deutschland erreicht lediglich MorphoSys mit
folgsrate bei den Entwicklungsprojekten – vor allem 1,7 Mrd. € einen vergleichbaren Marktwert (Stand
eine bessere Finanzierung vonnöten. Diese ergäbe 30.06.2015). Die meisten der in 7 Abschn. 5.4.3 ge-
436 Kapitel 5 • Das Aufkommen einer KMU-geprägten Biotech-Industrie in Deutschland

. Tab. 5.19 Ausgewählte, noch in der Medikamenten-Entwicklung befindliche US-Biotech-Unternehmen mit


einem Marktwert (Ende 2014) von über 1 Mrd. US$. (Quelle: nach EY (2015))

Firma Marktwert Stadium des weites- Indikationsbereich


(Mio. US$) ten Projektes

Alnylam Pharmaceuticals 7462 Phase III Verschiedene

Puma Biotechnology 5706 Phase III Krebs

Juno Therapeuticsa 4722 Phase I/II Krebs

Agios Pharmaceuticalsa 4104 Phase II Krebs

Receptosa 3793 Phase III Verschiedene


5 Intercept Pharmaceuticals 3332 Phase III Leber

Acadia Pharmaceuticals 3168 Phase III Verschiedene

bluebird bioa 2876 Phase III Genetische Erkrankungen

Kite Pharmaa 2413 Phase II Krebs

Clovis Oncology 1904 Phase III Krebs

FibroGena 1582 Phase III Verschiedene

Neurocine Biosciences 1698 Zulassung Verschiedene

Ophthotecha 1510 Phase III Augenerkrankungen

Chimerixa 1468 Phase III Infektionen

Auspex Pharmaceuticalsa 1448 Phase III Neurologie

Ultragenyx Pharmaceuticala 1400 Phase III Verschiedene

Radius Healtha 1281 Phase III Muskel/Skelettsystem

Acceleron Pharmaa 1257 Phase II/III Krebs

Achillion Pharmaceuticals 1228 Phase II Infektionen

Karyopharm Therapeuticsa 1224 Phase II Krebs

TetraPhase Pharmaceuticalsa 1217 Phase III Infektionen

Avalanche Biotechnologiesa 1213 Phase II Augenerkrankungen

Merrimack Pharmaceuticals 1196 Phase III Krebs

NewLink Genetics 1111 Phase III Krebs

Sangamo BioSciences 1040 Phase II Verschiedene

aFirma seit 2013 oder 2014 börsennotiert

nannten neuen deutschen Hoffnungsträger sind kann beziehungsweise das parallele Abarbeiten
allerdings noch nicht an der Börse, sodass ihr Wert mehrerer Projekte ermöglicht (Risikostreuung).
nicht öffentlich bekannt ist. Zudem werden sie anders wahrgenommen.
Die in . Tab. 5.19 gelisteten US-Firmen sind Solange die Allgemeinheit und insbesonde-
dabei weder unbedingt weiter noch besser als die re Investoren die deutsche Biotech-Industrie gar
deutschen Biotech-Firmen. In der Regel nur besser nicht wahrnehmen, wird sie »schwach« erscheinen.
finanziert, was zum Teil zeitliche Vorteile bringen Die Hoffnung besteht, dass verschiedene Erfolgs-
Literatur
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geschichten demnächst eine veränderte Wahrneh- bus. 7 https://www.bio.org/sites/default/files/Battelle-
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»» Die Reise hat erst begonnen, die Stewardess che 2009. BIOCOM Projektmanagement GmbH, Berlin
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441

Serviceteil
Stichwortverzeichnis – 442

J. Schüler, Die Biotechnologie-Industrie,


DOI 10.1007/978-3-662-47160-9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
442

Stichwortverzeichnis

4SC 214, 389, 425, 428, 433 Antikaline 433 biobucks 69


Antikörper BioChance/BioChancePlus 339, 341ff

A
–– Biosimilar 193, 197, 200, 202, 205 biodollars 69
–– chimär 21, 60, 81 Biofabriken 256, 262
–– bi-/multispezifisch 94, 95, 171, 219ff, Biofrontera 389f, 393f, 404, 425, 433
Abasaglar 192f, 200
372, 401, 428f BioFuture 339, 341ff
Abbott 21, 53, 69, 77, 82, 117ff, 125, 127,
–– therapeutische 21, 51, 74, 77, 107, 112, Biogen 21, 52f, 56, 58ff, 63f, 69ff, 75f, 80,
160f, 241
148, 150, 154, 156, 164f, 192 82, 84, 89, 97ff, 109, 112, 114, 124f, 130ff,
AbbVie 21, 75ff, 83, 101f, 108, 127ff, 130,
Antisense Pharma 389, 405, 427, 432 158, 160, 172, 185, 199, 209, 343f, 353,
158, 160, 162, 185, 209, 356
antisense 366, 371, 378
Abgenix 65, 67, 78, 80, 82
–– antisense-Technik 19, 20 BioGeneriX 359, 391, 403f, 433
Abwasserreinigung 12, 13, 297, 326, 328
–– antisense-Therapeutika 56, 62, 65, Bioinformatik 7, 146, 258, 298, 339, 342,
Actilyse 352, 358
104, 112, 128, 148f, 164f 369, 373, 375, 377, 379, 405, 407, 417
Activase 50, 51, 57ff
Apogenix 389f, 406, 409, 429, 433 Biokatalyse 2, 135, 256ff, 278ff, 286ff,
Affimed Therapeutics 220, 389f, 424f,
Apoptose 86, 156, 217 291, 332
429, 433
Aptamer 67, 77f Biokraftstoffe
Agennix 401, 405, 418, 420, 427, 432
Aranesp 54, 56, 58, 75, 83, 112, 197, 199, –– 1G 265
Agios Pharmaceuticals 87, 89, 93, 101,
201, 204, 210 –– 2G 266
436
Arber, W. 19, 36, 38 –– 3G 266
AHP (American Home Products) 57, 64,
Astellas 63, 76, 94, 95, 116, 160, 185, 383, –– 4G 269
69, 76, 112, 128
433 –– 5G 273
AiCuris 397, 399, 400, 409, 422, 424, 426,
Asthma 50, 76, 162f, 228, 240, 245, 250 –– Algenkraftstoffe 266ff
428, 433
AstraZeneca 63, 77, 82, 94f, 101ff, 104, –– Biodiesel 147, 265, 268ff, 284
AIDS (Acquired Immuno Deficiency
109, 113, 127f, 160, 163, 185, 218f, 250, 356 –– Bioethanol 147, 261, 265f, 269, 272,
Syndrome) siehe HIV
attrition rate (Ausfallrate) siehe Medika- 274
Alexion Pharmaceuticals 66, 70, 78, 80,
menten-Entwicklung –– Butadien 274
84, 89, 96f, 99, 101, 105, 109, 113, 160
Audi 271, 275 –– Firmen 275f
Algenbiotechnologie 147, 263, 269, 273
Autoimmunerkrankungen 161, 166, 173, –– Isobuten 274f
Algenol Biofuels 271ff, 276
209, 212, 216, 406, 433 Biokunststoff 261f
ALL siehe Leukämie, akute
Avastin 21, 50f, 76, 83, 101, 160, 162, Biologika siehe Biopharmazeutika
lymphatische
201, 203, 205f, 208f Biologisierung der Industrie 134, 137
Allergan 185, 199f, 203f
Avonex 52, 56, 64f, 70, 75, 101, 209, 371 BioMarin Pharmaceuticals 70, 72, 76, 78,
Alnylam Pharmaceuticals 86f, 89, 97,
80, 89, 99, 101, 104, 113, 185
101, 394, 436
B
Biomarker 229ff, 238f, 247ff, 252f, 407
Alzheimer 95, 228, 240, 250, 425, 433
Biomasse 135, 256, 261, 265f, 269f, 275f,
amaxa 382, 398, 407f
288, 290f
AMD (Altersbedingte BASF 21, 76f, 102, 116, 118, 255, 258, 269,
Bionik 6, 342
Makuladegeneration) 50, 67, 77, 101, 277, 281, 292, 296, 337, 351, 356
BioNTech 214, 216, 224f, 429, 433, 437
103, 113, 129, 163, 209, 227 Bavarian Nordic 365, 373, 394
Bioökonomie 134f, 288, 291, 412ff
Ameluz 394, 404, 426 Baxalta/Baxter 55, 64, 95, 115, 125, 199,
BIOPHARM 369f
AMEX Biotech Siehe NYSE Arca Biotech- 209, 381, 434, 437
Biopharmazeutika 145ff
nology Index Bayer 50, 69, 77, 81, 94, 96, 102, 105, 116ff,
–– Anteil am Pharma-Umsatz 158ff
Amgen 53f, 56, 58ff, 62, 64, 67, 69f, 75, 127, 129f, 160, 185, 209f, 227, 255, 286,
–– Bedeutung im Vergleich zu
78, 80ff, 92f, 96ff, 103f, 109, 112, 125, 295, 300, 332, 337, 351f, 355, 381, 397,
klassischen Pharmazeutika 154ff
128ff, 158, 160, 162, 171, 185, 193, 199f, 400, 407f, 426, 428
–– bei Pharma-Unternehmen 127ff
203f, 209f, 220f, 250, 355, 370ff, 392, 430 Bayh-Dole Act 40f
–– im engeren Sinne 145
Aminosäuren 14, 17ff, 42, 118, 126, 232, BCR-ABL 23, 66, 102, 233ff
–– im weiteren Sinne 146
256f, 277ff, 286, 291, 369 Bernsteinsäure 259, 264, 286, 288, 289f
–– klassische (nicht-rekombinant) 145,
AML siehe Leukämie, akute myeloische Big Data 379
148 (Tab 3.1), 153, 157
AMSilk 263, 287 BIO Deutschland 410, 418, 420, 424, 437
–– Pipeline 164ff
Amyris 288, 289 Biobasierte Kunststoffe 258, 261f, 285
–– Top-10, 1999 70
Angiogenese 50, 102, 156, 208, 220 Biobasierte Produktion/Ökonomie/
–– Top-10, 2005 75
Antibiotika 12, 15, 18, 67, 98, 115, 119, 124, Wirtschaft 134f, 274, 285, 288, 291, 414
–– Top-10, 2009 83
149, 255, 257, 277, 282, 286, 323, 326 Biobetter 192, 194, 197, 201ff, 400
Stichwortverzeichnis
443 A–D

–– Top-10, 2014 101 BLA (biologics licence Chiron 48, 58f, 60, 62, 64, 69, 71, 80, 82,
–– Zulassungen, 1980er 59 application) 152–154 84, 96, 109, 112, 120, 124f, 356
–– Zulassungen, 1990er 64 Blincyto 56, 104, 158, 171, 215, 221, 372 Christine, R. 382, 398
–– Zulassungen, 2000-2004 76 Blockbuster 54, 105, 110, 159, 202, 209, Chromosom 8, 13f, 16f
–– Zulassungen, 2005-2009 78 356 Ciba-Geigy 62, 69, 118, 121, 123ff
–– Zulassungen, 2010-2013 103 Blue Chips 88 Clariant 276f, 286
–– Zulassungen, 2014 104 bluebird bio 66 , 93, 224, 227, 300, 436 CLL siehe Leukämie, chronische
Bioplastik 136, 261 Blutkrebs (siehe auch Leukämie) 22f, lymphatische
Biopolymer 259ff 162, 172, 228, 251 CML siehe Leukämie, chronische
–– Cellulose 259 BMBF (Bundesministerium für Bildung myeloische
–– Dextran 260 und Forschung) 236, 291, 294, 329, co.don 373, 377, 383f, 425
–– PHA, Polyhydroxyalkanoate 260, 262 339, 340ff, 346, 412ff Codon 15ff
–– Seide 263 BMFT (Bundesministerium für For- Cohen, S. 18f, 39, 49
–– Stärke 261 schung und Technologie) 326ff, Cometriq 66, 79, 102
–– Xanthan 260 340, 345 companion diagnostics siehe CDx
BioProfile-Wettbewerb 339, 341f, 417 Boehringer Ingelheim 69, 86, 94f, 117ff, Contergan 282f
BioRegio-Wettbewerb 339–341, 365, 122, 127, 156, 158, 185, 192f, 200, 203f, CRISPR-Cas 115, 299ff
374, 376, 380, 427 205, 352, 373, 375, 398, 402, 426, 428 Cubist Pharmaceuticals 67, 78, 80, 84,
Biosimilars 60, 115, 192ff, 359, 369f, 393, Boehringer Mannheim 69, 117f, 120, 122, 95f, 98f, 101, 111, 185
402ff, 426 247, 332, 352, 358, 398 Curacyte 389, 393, 404, 432
–– 1.0 205, 207 Boehringer, C. 398 CureVac 3, 216, 359, 387, 389, 397, 399,
–– 2.0 197, 205, 207 Börse siehe Finanzierung 401f, 409, 424, 426, 428f, 433, 437
–– 3.0 208 Boyer, H. 18f, 39, 49 Cyano Biofuels 271f, 276
–– Kosteneinsparung 195 BRAIN 134f, 273f, 282ff, 287, 357, 373f, Cyano Biotech 271
–– Markt 195ff, 207 407, 424 Cyanobakterien 147, 269ff, 276
–– Pipeline 202ff Breakthrough Therapy Designation/- cytonet 389, 393f
–– Wettbewerber 198ff Status 102, 105, 157f, 171f, 372, 403 CytoTools 389
Biosynthese 17, 104, 118, 135, 145, 260, Bresch, C. 316ff, 320f

D
262, 277, 280, 282 Bristol-Myers Squibb (BMS) 57, 62f,
–– Wirtschaftlichkeit, verglichen mit 67ff, 76, 81f, 94ff, 99, 103f, 105, 117,
chemischer Synthese 263 126ff, 131ff, 158, 160, 162f, 185, 210,
Daiichi Sankyo 45, 81, 102, 115f, 163, 185,
Biotech-Medikamente siehe Biophar- 217ff, 227
199, 250, 402, 407f
mazeutika Brustkrebs 20, 22f, 50, 64, 66, 77, 83, 86,
Darmkrebs 50, 76, 78, 81, 83, 101, 103, 162,
Biotechnologie 97, 101, 103, 162, 181, 202, 209, 213, 223f,
209, 213f, 220, 235, 240f, 248, 250, 252f,
–– Begriff 5ff 231, 235, 240f, 244ff
405, 426
–– Blaue 147
DECHEMA 327ff
C
–– Definition 7ff
Delbrück, M. 16, 36, 38, 315ff, 322
–– Graue 145, 298
Delbrück-Institut 318
–– Grüne 145, 292
Caltech 35ff, 315ff, 324 Dellweg, H. 326
–– industrielle 15, 254ff, 290f, 323, 357,
Cambridge Antibody Technology 21, 75, Dendreon 103, 215
415
77, 161, 356 Desmoteplase 391, 393, 418, 422
–– klassische 12, 15, 149
CBER (Center for Biologics Evaluation Desoxyribonukleinsäure 8, 15
–– Meilensteine 11ff
and Research) 152ff Deutsche Börse Venture Network 348
–– moderne 12, 149, 208, 357, 376
CDER (Center for Drug Evaluation and Deutsche Zentren der Gesundheitsfor-
–– molekulare 12, 27, 44
Research) 152ff schung 413
–– Rolle in der Medikamenten-Entwick-
CDx (companion diagnostics) 239, 247ff DFG (Deutsche Forschungsgemein-
lung 154ff
Celgene 60f, 80, 82, 84, 89, 93f, 96ff, schaft) 8, 318f, 322f, 332, 334, 339
–– Rote 145
105, 109ff, 113, 160, 162, 185, 224, 283, Diabetes 11, 59, 70, 83, 101, 104, 126, 128f,
–– traditionelle 12
426, 428 162f, 166, 190, 200, 209, 228, 231, 240,
–– Unterschied Biotechnologie/
Celltech 76ff 353f, 402, 413, 427, 432f
Biotechnik 6
Cellzome 24, 379f, 384, 401f DIE GRÜNEN 336f, 355
–– Weiße 145, 254, 406
Centocor 21, 56f, 64, 69ff, 75, 83, 101, 112, Diractin 391, 393, 404
–– Weiße, Markt 283
129, 193 Direvo Industrial Biotechnology 281,
–– Zulieferer 297ff
Cephalon 63, 65, 68, 80, 82, 84, 95ff, 98f, 287
Biotransformation 15, 48, 256, 278
109, 111 DKFZ (Deutsches Krebsforschungszen-
Bioverfahrenstechnik 7, 11, 269, 324,
Cerezyme 55, 62, 64, 70 trum) 212f, 216, 226, 319, 330ff, 350, 375
332, 350
Cetus 48f, 56, 64, 69, 96, 112, 125, 237
444 Stichwortverzeichnis

DNA engineering 7 DNS-Rekombina-


tionstechnik
Expertenkommission Forschung und
Innovation 347, 412 G
DNA 7 DNS Eylea 62, 103, 105, 160, 201, 209, 355 Ganymed Pharmaceuticals 389, 399,
DNS 406, 409, 424, 429, 433

F
–– DNS-Doppelhelix 15f, 37, 318 Gärung 5, 12, 137, 265, 271, 274, 315f,
–– DNS-Ligase 15, 18f 324ff, 330
–– DNS-Polymerase 15f Gates, B. 2f, 266, 426, 437
Family Offices 388, 397ff, 409, 411, 420,
–– DNS-Rekombination(stechnik) 9f, 12, GENEART 389f, 401, 407
422, 424
18, 20, 27, 40, 49, 104, 106, 124, 145, 149, Genencor 125, 286
FDA-Zulassungen 148f, 152ff
300, 315, 324 Genentech 9, 19ff, 45, 48ff, 58, 58f, 64,
Feinchemikalien 57, 120, 256f, 269, 276ff,
–– DNS-Sequenzierung 15, 19, 21, 52, 86, 69ff, 75f, 78, 82ff, 97, 99, 101, 103, 112,
282, 287
98, 230ff, 237, 298f, 373, 378 121, 124, 129f, 158, 218f, 286, 352, 358,
Fermentation 5, 7, 12ff, 36, 114, 116, 118,
Dow 125, 288, 295, 300, 389, 399 371, 383, 430
124, 158, 255ff, 263, 265, 267, 272, 275ff,
DSM 119, 259, 278f, 281, 288 Generika 60, 149, 152, 168, 192, 194ff,
287, 290, 321, 323f, 326f, 330, 355, 359,
DuPont 117f, 126, 281, 286, 288, 295f, 412 206ff, 244, 388, 426
368f
Finanzierung GeneScan 372f, 377, 394

E –– Allianz/Kooperation 58f, 68, 80ff,


92ff, 106, 114, 124f, 391, 401f, 426, 428
genetic engineering 9, 18, 53, 60, 133,
145, 149, 290, 353
Eckert, A. 400, 424 –– Biotech-Aktien-Boom 44, 73, 90 Genetik 8, 23, 42, 136, 229, 236, 316ff,
Edison Pharmaceuticals 87, 93ff –– Börsenboom/Börsenhype 69f, 79, 90, 320, 323, 328, 350
Eigen, M. 316 107, 377, 391 Genetischer Code 15, 18, 316
Eigenkapital siehe Finanzierung –– Börsenfenster 44, 58, 65, 91, 371, 383, GenMab 77f, 158
Eligard 373, 382 389, 397, 400 Genom-Hype 70, 73f, 79
EMBL (European Molecular Biology –– Convertible Debts (Wandelanlei- genome editing 25, 297, 299, 300
Laboratory) 24, 320, 323, 330, 333, hen) 59, 68, 80, 92, 106, 384 Genomik 24f, 65ff, 72, 79, 82, 115, 238
389, 399 –– Eigenkapital 54, 58, 92, 106f, 344, 366, Gentechnik 2, 4, 8ff, 18, 27, 44, 46, 52, 64,
Enantiomer 279, 281ff 387, 388, 396, 398, 410, 419, 423, 430 106, 119, 123f, 135, 158, 192, 254, 266f,
Enbrel 54, 56, 60, 62ff, 75, 82f, 101, 128f, –– Finanzkrise 85f, 88ff, 107, 365, 395, 270, 282, 286, 292, 296f, 299, 329f, 368
159ff, 199f, 203, 205, 209, 355 400, 410, 418 Gentechnik-Gesetz 9, 336, 339, 354, 372
Engerix-B 52, 59, 70 –– Fremdkapital 58, 68, 80, 92f, 106 gentechnisch veränderter Organismus
Enquete-Kommission Chancen und –– IPO (initial public offering, Börsen- siehe GVO
Risiken der Gentechnologie 335f gang) 56, 59, 68, 79f, 90ff, 106, 367, Gentest 156, 238ff, 244, 248, 370
Enzyme 371, 377f, 384, 388, 390, 398, 400, 423 Gentherapie 20, 25, 66, 69, 87, 115, 149,
–– diagnostische 15, 237ff –– PIPE (private investment in public 164f, 225ff, 355, 370, 372
–– Entdeckung 13f equity) 59, 68, 80, 92, 106, 384 Genzentren 331ff, 353, 380
–– industrielle 2, 12, 15, 118ff, 136, 257f, –– RDLP (research & development Genzyme 55, 62, 64, 67, 69ff, 76, 78, 80,
280ff, 357 limited partnerships) 58ff 82, 84, 95ff, 103, 109, 111f, 128, 227
–– medizinische (Enzym-Ersatztherapie) –– SPO (secondary public offering) 59, Gesellschaft für Biotechnologische For-
20, 55, 60, 63, 72, 74, 112f 68, 79f, 92, 106, 384 schung (GBF) 319, 327, 330, 332f, 350
Epigenetik/Epigenom(ik) 25ff, 72, 87, –– Venture-Capital 59, 68, 80, 92, 106, Gesundheitsforschung 413f, 416f
115, 238f, 414 379f, 383, 385, 388f, 396ff, 411, 418, 423f Gevo 276, 286, 288
Epigenomics 380, 383f, 389, 407, 420, Firazyr 104, 403, 408f Gilead Sciences 53f, 60f, 65, 67, 69, 71,
425 Förderprogramme 46f, 326f, 329, 335, 78, 80, 82, 84, 89, 92f, 94, 96f, 99ff,
Epogen 53f, 56, 58ff, 70, 75, 83, 160, 193, 339, 366 104f, 109f, 113f, 131ff, 158, 160, 162, 172,
197, 203, 205, 209, 371 –– Anteil an Gesamt-Forschungsausga- 209, 378, 426, 428, 430, 433, 437
Erbitux 63, 76, 81, 119, 128f, 201, 208, ben des Bundes 334 Glaxo 62, 110, 118f
210, 235, 248, 250, 359 Formycon 199, 208, 402, 425f GlaxoSmithKline (GSK) 24, 67, 69, 77f,
Erdöl 134, 255f, 259ff, 270, 275, 323, 414 fossile Rohstoffe 145, 255f, 261, 265f, 81f, 94f, 103f, 111, 117, 127, 130, 158, 160,
Ereky, K. 5 274f, 288, 413 162, 164, 185, 224, 250, 376, 379, 401f,
Essigsäure 12, 14, 259, 264 Fraunhofer-Gesellschaft(en) 269, 275, 428
Evolva 288f 332f, 337, 416f Gleevec Siehe Glivec
Evonik 277f, 286 Fresenius Biotech 221, 393, 401, 403f, 433 Glivec 23, 77, 126, 160, 162, 206, 248
Evotec 373, 377f, 383f, 389, 391, 398, 401f, FUCHS PETROLUB 284 Global Bioenergies 274ff
405, 407f, 425ff, 433 Fusionsprotein 54, 60, 74, 97, 104, 112f, Glybera 226f
Exelixis 66, 79, 80f, 102, 156, 394 128, 148, 153, 156, 159, 162, 199, 210f, 215, Glycotope 369, 389, 397, 399, 409, 424,
217, 221, 355, 406 429, 433
Stichwortverzeichnis
445 D–L

GPC Biotech 375ff, 383f, 387, 389, 391, IDEXX Laboratories 60f, 84, 99, 101, 111 KfW (Kreditanstalt für Wiederauf-
393, 400, 405, 432 Ilaris 126, 201 bau) 345f, 381, 389, 399, 409, 411,
Greenpeace 296, 419 Illumina 84, 89, 98, 101, 232, 241ff 424
Grundchemikalien 39, 258f, 263f, 274, Imbruvica 102, 158f, 160, 171f Kinase-Inhibitoren 24, 66f, 102, 156, 358
277, 284, 325 ImClone Systems 63, 76, 80f, 104, 113, Kite Pharma 87, 223f, 436
Gründungsboom 340, 376 119, 128 Knoll Pharma 21, 75ff, 83, 101f, 118, 129,
Grünenthal 352 immatics biotechnologies 3, 215, 388ff, 161, 356
Grüne Gentechnik 293f, 415, 419 397, 399, 405, 409, 424, 426, 428f, 433 Köhler, G 19, 21, 37, 122
GVO (gentechnisch veränderter Orga- Immunex 54f, 60, 62ff, 69, 71, 75, 79, 82ff, Kogenate 129, 210, 352, 355
nismus) 9, 48, 57, 292f, 299, 330, 337f 101, 112, 128f Kohlendioxid (CO2) 135, 147, 258, 265ff,
Immunocore 221 271ff, 281, 290, 357

H
Immunsystem 210f Kondratieff-Zyklen 137f
–– Aufbau 211 Kosmetik 3, 136, 257, 261, 263, 269, 277f,
–– Checkpoints 216ff 283, 286f, 289f, 359
Hautkrebs 50, 102, 104f, 128, 158, 214,
–– Modulation (Immuntherapie) 210f Krebs
216ff, 222, 250, 404
Incyte 65, 66, 70, 71, 73, 80, 82, 89, 99, –– Chemotherapie 23, 52, 155, 165, 208,
Helmholtz-Gemeinschaft/Zentren 224,
101, 156 218, 223
300, 315, 319, 327, 329, 404, 416
Inflectra 193f, 200 –– Entstehung 212f
Henco, K. 398
InoCard 226 –– Immuntherapie 72, 87, 105, 115f,
Henkel 276, 281, 286, 352, 357
Insulinanalogon 126, 192, 209, 354f 128, 213ff, 223f, 387, 412
Hepatitis B (HBV) 50, 52, 59, 70, 96, 109,
Insulin 9, 11, 19f, 46, 49f, 59, 108, 124, 126, –– Bispezifische Antikörper 219f
113, 125, 250
129, 352, 354 –– CART (T-Zellen mit chimärem
Hepatitis C (HCV) 52, 62, 67, 96, 101, 104f,
Intercept Pharmaceuticals 86, 436 Antigenrezeptor) 222
109, 113, 158, 162, 171f, 209, 228, 230,
Interferon 50, 52, 59f, 64f, 104, 119f, 124, –– Checkpoint-Inhibitoren 217f
233, 237, 242, 250, 370
129, 195, 204, 209ff, 214, 352f, 356, 371 –– TCR (T-Zellen mit neuem
Herceptin 21ff, 50f, 64, 83, 101, 160, 162,
Intron A 52, 56, 59, 70, 124, 214 Rezeptor) 222
199ff, 205, 208f, 235, 247ff
Ionis Pharmaceuticals 60, 62, 65, 69, 80, –– Therapeutische Vakzine 214ff
Hexal 193, 199, 207, 359, 388, 400, 426
82, 85, 87, 94, 101, 104, 114, 128 –– TIL (Tumorinfiltrierende
High-Tech Gründerfonds 410ff, 417
Isarna Therapeutics 424, 427 Lymphozyten) 221
Hightech-Strategie 412
–– TLR-Agonisten 214
Hirntumor 216, 224, 405, 427
J
–– tumorassoziierte Antigene 214, 216
HIV (Humaner Immundefizienz-Virus,
–– tumorassoziierte Peptide 216
löst AIDS aus) 20, 61, 65, 69, 78, 96,
–– T-Zelltherapie 221
101, 109f, 113, 147, 209, 225, 237, 249f, Janssen Biotech 21, 112, 172, 428, 433
KWS Saat 296, 332
251, 299 Janssen Pharmaceuticals 193, 426, 428,
Kynamro 104, 128
Hoechst 42, 69, 108, 116ff, 129, 192, 255, 433
Kyowa Hakko 45, 94, 116, 118, 199, 278
277, 325, 331f, 336f, 351, 353ff, 358, 375, Januvia 160, 163
400 Jerini 104, 380f, 384, 389f, 393, 401, 403,
Hoechst-Signal 331, 353
Hoerr, I. 387, 437
406f, 408f, 432
JOBS Act 90
L
Hopp, D. 388ff, 397ff, 400, 424ff Johnson&Johnson (J&J) 21, 42, 57, 59, Lantus 83, 101f, 108, 126, 129, 160, 162,
Hospira 193f, 199f, 202ff 62f, 69ff, 75, 82f, 95, 101f, 112, 117, 125, 192f, 200, 203, 209, 354
Humalog 126 , 129, 209 127, 129f, 156, 158, 160, 162, 172, 185, 193, LanzaTech 274, 276, 289
Human Genome Sciences 65, 67, 68, 70, 209, 426f Lebensmittel 15, 20, 48, 61, 98, 145, 254,
73, 79, 95, 103, 111, 359, 376 Joule Unlimited 269ff, 276 257ff, 261, 263, 265f, 277f, 280f, 286f,
Humangenomprojekt 21, 230, 374, 378 Jungbunzlauer 118, 288 289, 291ff, 329, 414f
Humira 21, 64, 75ff, 83, 101f, 108, 127, Juno Therapeutics 115, 223f, 377, 436f Lebenswissenschaften 7f, 35, 45, 413,
129, 159ff, 199ff, 205, 209, 211, 355f 415, 417

K
Hybridoma-Technik 19ff Leberkrebs 96, 224
Hybritech 19, 57f, 69 Leberstoffwechsel 233f, 244, 246
Leibniz-Gemeinschaft/Institute 332,
Kadcyla 50, 61, 103, 160, 202, 248, 250
I
416f
Kaiser-Wilhelm-Institute 315
Leukämie
Kapitalmarkt 65, 70, 73, 75, 81, 85f, 90,
–– akute lymphatische (ALL) 102, 104,
Icatibant 104, 381, 393, 403, 409 92, 99, 105, 107, 114, 176, 221, 346, 348f,
158, 221, 224, 241, 251
IDEA 387, 391, 393, 404, 432 371f, 375, 379, 383, 389, 397, 400, 419,
–– akute myeloische (AML) 220, 224,
Idec Pharmaceuticals 50ff, 56, 63f, 69ff, 422, 432, 435
240
75f, 79ff, 101, 113 Keytruda 104f, 158, 215, 218
446 Stichwortverzeichnis

–– chronische lymphatische (CLL) 77f, Merck Serono 129, 199, 209f, 218, 359, NDA (new drug application) 152f, 172f
102f, 158, 222, 224, 241, 251 369, 402 Neovii Biotech 221, 403, 433
–– chronische myeloische (CML) 77, 102, Merck, deutsche 63, 81, 117ff, 120f, 129, Neuer Markt 347f, 350, 377
126, 233ff, 240, 251f 185, 193, 203f, 250, 277, 286, 332, 381 Neulasta 54, 56, 75, 83, 101, 163, 197, 201,
LG LifeSciences 199 Merck & Co. (US) 59, 67, 81f, 87, 94f, 97f, 203, 205, 209
Life Sciences 7, 35, 37, 98, 126, 128, 133, 99, 101, 104f, 111, 117ff, 124, 129ff, 158, Neupogen 54, 56, 64, 70, 75, 193, 197,
411f 160, 162f, 183, 185, 199, 209f, 218, 250, 204f, 210, 371, 393
Lilly 16, 19, 49f, 57, 59, 63f, 69f, 81f, 104, 397, 422, 426, 428 NewLab BioQuality 372, 398, 407f
117f, 124, 126, 129f, 131ff, 160, 179, 183, Merz Pharma 359 Nixdorf, M. 400
185, 192, 209, 437 Metabolic Engineering 258, 267 NME (new molecular entity) 152ff, 157f,
Linde Group 266, 269, 272 Metabolic Explorer 288f 179ff, 188, 190
LION bioscience 377ff Metabolomik 25f, 238 Novartis 23, 48, 62, 64, 77, 81f, 94, 101,
Lipitor 128, 159f Metalyse 358 103, 109, 112, 115, 117, 123, 126, 129f, 158,
LipoNova 389f, 393, 401, 404, 432 Mey, G. 398 160, 162ff, 185, 205, 209, 223f, 227, 277,
Lucentis 50, 61, 78, 101, 129, 163, 201, 203, Micromet 96, 104, 112, 158, 171, 220f, 372f, 384, 388, 392, 401
209, 355 380, 394, 403, 419 november AG 377, 420
Lundbeck 185, 391, 394, 418, 422 MIG Fonds 274, 388ff, 424 Novo Nordisk 62, 118f, 126, 129f, 185, 209,
Lungenkrebs 50, 77, 103, 126, 158, 218, Mikroarray 237f, 250, 298 285, 354, 389, 399, 424
224, 248, 250f, 359, 405 Mikrobiom(ik) 25, 115 Novozymes 281, 285, 289
Milchsäure 12, 14, 117ff, 255, 258ff, 279, NOXX ON Pharma 380, 389, 399, 429,

M
285, 288, 290 433
Millennium Pharmaceuticals 65, 67, Nukleotid 8, 15
69ff, 73, 76, 79, 80ff, 84, 93, 104, 113 Nukleotidanaloga 61, 65, 67, 78, 101f,
Mabthera 201, 205, 250
Miltenyi Biotec 370, 407 104, 113, 159, 171f, 210
Macrogenics 81, 86, 94f, 220, 359
Moderna Therapeutics 115f Nüsslein-Volhard, C. 319, 321
Maschmeyer, C. 400
Molekularbiologie 10, 15, 21, 23, 35, 37f, NYSE Arca Biotechnology Index 88f,
Max-Delbrück-Centrum (MDC) 336, 374
46, 120, 127, 155, 229, 237, 292, 317, 321, 90f, 100
Max-Planck-Gesellschaft/-Institut 22,
323f, 329, 331, 350
315f, 321ff, 330f, 374, 399, 416, 424
O
Molekulardiagnostika 236ff
MDx (Molekulardiagnostika) 238ff, 249,
–– Begriffe 237f
369f, 407
–– Companion Diagnostics 247ff
Medarex 63, 65, 68, 82, 103f, 128, 158, Ölkrise 39f, 135
–– Markt 239, 249
217f, 359 Oetker, R. 400
–– Pharmakogenetische Tests 244ff
Medigene 221, 224, 371ff, 377, 382ff, 387, Oligonukleotid 20, 66, 78, 104, 299f, 429
MOLOGEN 214, 377, 384, 391, 405, 425f,
389, 391, 393, 403f, 425, 429, 433 omics 24ff, 27, 238
429, 433
Medikamenten-Entwicklung 167ff OncoMed Pharmaceuticals 81, 86, 93f
Monsanto 42, 57, 69, 117, 125f, 266, 286,
–– Ausfallrate 167f, 171ff, 181, 191, 195, 252, Onyx Pharmaceuticals 67, 77, 96, 102,
293, 295, 300, 344
385, 432 112f, 172
MorphoSys 372f, 377f, 383f, 389, 391, 401,
–– Dauer 169 Opdivo 104f, 128, 158, 160, 215, 218
405, 407f, 418, 420f, 425f, 428, 433, 435
–– Erfolgsrate 171ff, 175, 177ff, 435 Oracea 393, 403
multiple Sklerose 52f, 60, 64f, 70, 75f,
–– Kapitalkosten 175f, 177 Orange Book 207
101, 104f, 119f, 129, 163, 209f, 212, 240,
–– Kosten 174ff, 191 Orencia 128f, 201, 210
356, 359, 371
–– Abhängigkeit von Indikation 181, OSI Pharmaceuticals 50, 63, 77, 79f, 85,
Mutagenese 8f, 15, 27, 258, 266, 299
189 95, 110, 432f
MWG Biotech 372f, 377, 379, 384, 394
–– direkte 188 Osteoporose 103, 210, 228, 240
Myriad Genetics 66, 85, 89, 99, 111, 241,
–– nach Deloitte 182 Otsuka Pharmaceuticals 95, 160, 162,
248
–– nach Forbes 182 185
–– nach OHE 178 Otto, M. 398
–– nach PhRMA 185
N
P
–– nach PwC 184
–– nach Tufts 175 NABU 296
–– Phasen 167 NASDAQ Biotechnology Index (NBI) 73,
PAION 380, 389, 390f, 393f, 418, 420, 422,
–– pivotale Studien 171 75, 85, 86, 88, 89, 91, 100, 167
425, 432
–– Risiko 171 Nazi-Regime 13, 121, 123, 313, 316f, 322f,
Pasteur, L./Pasteur-Institut 4f, 12ff, 35ff,
–– Zulassungszeiten 171 366, 368
224, 286, 300, 320, 322
MedImmune 63ff, 69, 71, 80, 82, 84, 109, NBE (new biological entity) 152ff, 157f,
PCR (Polymerasekettenreaktion) 21, 49,
111, 113, 127, 218ff, 378, 402 194
98, 237, 247f, 250, 299, 369, 373
Stichwortverzeichnis
447 L–S

PDL BioPharma 60f, 64, 80, 82, 85, 99


Penicillin 13, 118f R Sapphire Energy 266, 268, 276
Satraplatin 375f, 387, 389, 391, 393, 405
Personalisierte Medizin 227ff Schering 76, 94, 117ff, 332, 352, 356, 359
Rahmenbedingungen
–– Medikamente mit pharmakogeneti- Schering-Plough 52, 59, 69f, 75, 83, 101,
–– Deutschland 315ff, 337, 340, 343,
scher Information 233f 104, 117ff, 124f, 158, 218, 371
346ff, 395f, 410, 412, 414, 419, 423, 435
–– Non-Responder 228 Schlüsseltechnologie 3, 138, 325
–– Europa 45ff
–– Responder 228 Schumacher, J. 398
–– Japan 44ff
Pfizer 67, 77f, 82f, 101, 103, 113, 117ff, Seattle Genetics 72, 82, 89, 101, 103, 250
–– USA 39ff
127ff, 131, 156, 158f, 162, 185, 193, 200, Seide 263
Ratiopharm 359, 393, 403f, 433
203ff, 209, 219, 224, 250, 286, 394, seltene Krankheit 55, 66, 72, 115
Rebif 65, 119, 129, 209
402 Sequenzierung 7 DNS-Sequenzierung
Receptos 87, 436
Pflanzenbiotechnologie 298, 352, 356, Serono 64, 76ff, 119, 129, 193, 359
Recormon 352, 358
415, 434 Siemens 240, 274, 345, 411f
Regeneron Pharmaceuticals 60, 62, 65,
Pflanzenzüchtung 8f, 143, 292, 296f, 299, Silicon Valley 3, 42f, 345
78, 81, 87, 89, 97, 99, 101, 103, 105, 109,
332, 339, 414 Simponi 201
111, 113, 160, 209, 220, 355
PGx (pharmakogenetische Tests) 239, small molecules 65, 76, 78, 102, 146f, 150,
Rekombination 9, 18f, 38, 292
244ff 153, 155f, 167, 183
Remicade 21, 63, 64, 75, 83, 101, 129,
Pharmacia 67, 70, 77f, 128, 193 smart breeding 292
160, 162, 193f, 197, 199, 201, 203,
Pharmacyclics 101f, 127, 156, 158, 160, 172 SmithKline Beecham 50, 59, 68, 70, 126
205, 209, 211, 355
Pharma Innovation Gap 186ff SNP (single nucleotide polymor-
Removab 220f, 393, 401, 403f
pharmako-ökonomische Analysen 253 phism) 230f
Remsima 193f, 197
Pharmakovigilanz 169 Solazyme 263, 266f, 276, 288f
Rentschler 352, 366, 369, 371
PhRMA (Pharmaceutical Research and Soliris 66, 78, 97, 105, 160, 201
Restriktionsenzym 10, 15, 18f, 27, 38, 299,
Manufacturers of America) 161, 164ff, Sovaldi 96, 101, 104ff, 109f, 158, 160, 162,
329, 352
167, 185f 171f, 209
Revlimid 61, 105, 110f, 159f, 162
Phenex Pharmaceuticals 426, 428, Spezialchemikalien 135, 257, 260, 262,
Rhein Biotech 368f, 377, 379, 394, 432
432f, 437 276ff, 282ff, 285, 289
rheumatoide Arthritis 50, 54, 64, 75f, 78,
Philadelphia-Chromosom 102, 107, –– Aminosäuren 277ff
83, 101, 103, 129, 162f, 202, 209, 211, 228
233ff, 251 –– API, active pharmaceutical ingre-
Ribozyme Pharmaceuticals 67, 97
Photobioreaktoren 269, 272 dient 282
Riesner, D. 398
Photosynthese 268, 270, 416 –– Bio-Additive 282
Risikokapital siehe Venture Capital
Phytolutions 269, 276, 287 –– Enzyme 280ff
Rituxan 21, 50ff, 63f, 75, 83, 101, 129, 160,
Pieris Pharmaceuticals 384, 399, 401f, –– seltene Erden 282
162, 200ff, 209, 213, 228, 250
425, 429, 433 –– Vitamine 279
RNS (Ribonukleinsäure) 10
PIPE siehe Finanzierung Spitzencluster-Wettbewerb 412
–– RNS-Interferenz 67, 86, 87, 97
Plasmid 10, 15f, 18f, 27, 39, 329, 369 SPO siehe Finanzierung
–– RNS-Therapeutika/Wirkstoffe 86f,
Plattformchemikalie 258, 287, 289f Stada 193, 199, 205, 208, 244, 359
115f, 146, 149, 164ff, 215f, 397, 400, 426,
Prevnar 128, 160 Stammzellen 16, 25, 66, 86, 115, 156, 429
429, 433
private equity 344, 346, 350, 396 Steuergesetzgebung 349, 366
Roche 21, 48ff, 61, 64, 69, 81f, 94, 101, 109,
Probiodrug 389, 399, 425, 432f –– Steuererleichterungen auf FuE 40,
115, 117, 120f, 123ff, 127, 129f, 160, 162,
Prostatakrebs 58, 80, 103, 214, 216, 241, 350, 418
164, 183, 201f, 209, 218ff, 237, 241ff, 247f,
252, 375f, 383 –– Kapitalertrags-Steuer/Steuern auf In-
250, 358, 373, 391, 402, 407, 426, 428
Proteomik 22, 24ff, 238 vestitionen 43, 45, 58, 350, 396, 423
Roche Diagnostics 121
Protropin 50, 58f, 124 Stevenson-Wydler Act 33, 40, 350
Roche Molecular Systems 237, 248
Provecs Medical 429 Stivarga 96, 102
Rockefeller-Stiftung 10, 13, 35, 37f, 317,
Provenge 103, 214f Strategieprozess Biotechnologie
350
Purple Book 207 2020+ 416
RWE 135, 269, 273f, 412
Putsch, M. 398 Straub, J. 317ff
Strüngmann, A. und T. 388, 397f, 400,

Q S 425f
Studien
Samsung 199f, 203 –– Deutschland 328
QIAGEN 89, 242f, 248, 369f, 375, 377,
Sandhill Road 42 –– Europa 46
379f, 384, 394, 398, 408, 412, 419, 421f,
Sandoz 69, 117, 121, 123ff, 193, 195, 199, –– International 46
424, 427, 435
203ff, 277, 286, 357, 359, 388 –– USA 44
Querschnittstechnologie 134, 136, 138,
Sanofi 52, 55, 62, 81, 83, 95, 101f, 108, Subitec 269, 287
145, 325
112, 126f, 129, 162, 164, 192f, 209, 227, SuppreMol 399, 406, 409, 424, 433, 437
354, 402 Swanson, R. 49
448 Stichwortverzeichnis

Synagis 63f, 127, 201


Syngenta 295f, 300
uniQure 226f
United Therapeutics 98f, 101, 111 W
Synthesegas 274, 276 Unternehmensgründung 313, 333, 335,
Wacker Chemie 269, 278f, 286, 332
Synthetic Genomics 267 340, 343, 348, 350, 381, 410
Waschmittel 2, 12, 15f, 136, 257ff, 277, 281,
Synthetische Biologie 25, 115, 258, 416 upfront payments 69, 426
283, 286, 352, 357
Systembiologie 25f, 66, 297, 407, 413, US-Biotech-Industrie
Wasserstoff 147, 255, 268, 273ff, 290
415, 417 –– Akquisitionen/Übernahmen 56f, 62,
Weltkriege 13, 42, 44, 58, 114, 117, 119f,
67, 69, 82, 95ff, 111
254f, 261, 316, 321ff, 345
–– Bilanz 106
T –– Break-even 83
WILEX 380, 384, 389f, 393, 407f, 420, 425,
427, 432
–– commercial leader 83, 97, 100, 109
Takeda 67, 81f, 94, 103f, 113, 116, 160, 185 Wyeth 69, 76, 101, 112, 128
–– Gründungen, 1976-1980 56f
TALEN 25, 115, 297, 299, 300 –– Gründungen, 1980er 61f
Tank-Teller-Kontroverse 261
targeted therapy 155f, 166
–– Gründungen, 1990-1994 66f
–– Gründungen, 1995-1999 72
X
Tecfidera 56, 105, 159 –– Gründungen, 2000-2004 86 Xolair 50, 76, 201
Techno Venture Management –– Gründungen, 2005-2009 87
(TVM) 345, 389, 399
Y
–– Gründungen, 2010-2015 115
Technologietransfer 40, 45, 291, 329, –– Marktwert 70f, 73, 75, 85, 99ff, 107f,
349f, 366, 414 114
Teva 63, 68, 82, 95, 98f, 109, 163, 193, 199, Yervoy 103, 128, 201, 210, 214f, 217
–– Misserfolge 111, 114
208, 359, 393, 404, 433 –– Umsatz 71, 83f, 97ff, 107ff

Z
Textilien/Textilindustrie 3, 134, 138, 254,
257ff, 263, 280f, 287f, 414
Thalidomid 61, 119f, 282f
Tissue Engineering 7, 66, 342, 380, 417
V Zelboraf 50, 102, 248, 250
Zelle
Thomae 352, 356, 358 VCI (Verband der Chemischen Indust-
–– Analogie mit Fabrik 5
TNF (Tumornekrosefaktor) 62ff, 76ff, rie) 333, 336
–– Komplexität 26ff
108, 112, 127, 161ff, 195, 204, 210f, VDGH (Verband der Diagnostica-Indus-
ZEW (Zentrum für Europäische Wirt-
213, 356 trie) 236, 240
schaftsforschung) 342, 348
Tools 93, 297ff, 379, 394, 407, 420, 432 Venter, C. 21, 79, 267
ZKBS (Zentrale Kommission für die Bio-
Transkription 15, 17 Venture Capital
logische Sicherheit) 330, 333, 337f
Translation 10, 15, 17, 97 –– Anfänge in Deutschland 345ff
Zitronensäure 12ff, 117ff, 259, 288, 355
Treibhausgas 39, 264 –– Finanzierung in USA 92
Zukunftstechnologie 137, 329
TRION Pharma 221, 393, 401, 404, 433 –– Firmen mit frühen Biotech-Invest-
Zydelig 102, 158
Tschira, T. 398 ments 43
Zykadia 103, 158
Tysabri 52, 76, 201, 210 –– Ursprung 42
Zymotechnologie 4f
–– Vergleich Deutschland-USA 346
Veregen 373, 387, 391, 393, 404
U Vertex Pharmaceuticals 62, 65, 80f, 89,
94, 97, 99, 101, 104, 109, 111, 113, 158
U3 Pharma 389, 398, 407f Vektoren 149, 225f, 372, 405, 429
Ullrich, A. 22f vfa (Verband forschender Arzneimittel-
Ultragenyx Pharmaceuticals 115, 436 hersteller) 158, 196, 235, 248f, 251,
Umwelt 6f, 9, 39, 98, 134, 136, 145, 147, 418, 434
257, 263ff, 269f, 274, 278f, 288, 291, 294, Volkswagen-Stiftung 319, 322, 323, 332,
296f, 325, 327, 329, 334ff, 355, 414ff 350

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