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Goethe-Universität Frankfurt am Main

Sommersemester 2021

Fachbereich Erziehungswissenschaften (04)

Institut für Pädagogik der Sekundarstufen

Modul: BW-E/Sb2

Seminar: Das Oberstufengymnasium: Pädagogische Konzeption,

schulische Praxis und empirische Forschung

Leitung: Melanie Schuster

Die PISA-Studie

Welche Auswirkungen hatte sie auf die gymnasiale Oberstufe

(27. September 2021)

Jonas Freitag

6965042

2. Fachsemester, Lehramt (L3, Geschichte/Kunst)

jonas-freitag@stud.uni-frankfurt.de
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ................................................................................................................................ 1
2 Die PISA-Studie ...................................................................................................................... 1
2.1 Aufbau .............................................................................................................................. 1
2.2 Ergebnisse ........................................................................................................................ 1
2.3 Hintergründe..................................................................................................................... 2
3 Reaktionen auf PISA ............................................................................................................... 2
3.1 Erster Schock .................................................................................................................... 2
3.2 Hintergründe und Zustand des deutschen Bildungssystems ............................................ 3
3.3 Weitere Debatte und Handeln der KMK .......................................................................... 3
3.3.1 Qualitätssicherung durch Bildungsstandards und Monitoring ................................... 4
3.3.2 Kompetenzen ............................................................................................................. 4
3.3.3 Bildungspolitik ........................................................................................................... 5
3.3.4 Internationalisierung, empirische Wende und deren Folgen ..................................... 5
3.4 Kritik am Bildungsbegriff, Bildungsstandards und Kompetenzen .................................. 6
3.5 Fazit .................................................................................................................................. 7
4 Auswirkungen auf die Oberstufe............................................................................................. 7
4.1 Zustand der gymnasialen Oberstufe vor PISA – Reformierte Oberstufe ......................... 8
4.2 Rückentwicklung .............................................................................................................. 9
4.3 Einführung der neuen Kerncurricula ................................................................................ 9
4.4 Vergleich Rahmenpläne und Kerncurricula ..................................................................... 9
4.4.1 Rahmenpläne............................................................................................................ 10
4.4.2 Kerncurriculum ........................................................................................................ 11
4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede .............................................................................. 12
5 Fazit ....................................................................................................................................... 14
6 Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 16
7 Ehrenerklärung ...................................................................................................................... 18
1 Einleitung
Reine Oberstufengymnasien sind von Schulreformen, wie etwa der Abschaffung der
Förderstufe oder den vor- beziehungsweise mittlerweile größtenteils wieder
zurückgenommenen Umstellungen vom neunjährigen auf das achtjährige Gymnasium, kaum
direkt betroffen. Die Nachwirkungen der PISA-Studien sorgten allerdings indirekt für
Veränderungen. Welche dies genau waren und welche Auswirkungen sie hatten, soll im
Folgenden untersucht werden.

2 Die PISA-Studie
Im Folgenden sollen Aufbau, Ergebnisse und Hintergründe von PISA beschrieben werden.

2.1 Aufbau
In der von der OECD alle drei Jahre durchgeführten Studie werden Kompetenzen von
Schülerinnen und Schülern im Alter von 15 Jahren (9. Klasse) in drei verschiedenen Bereichen
(Lesen, Mathematik, Naturwissenschaft) gemessen. Dabei können durch die Anzahl der
teilnehmenden Staaten die Kompetenzen der Jugendlichen auch international verglichen
werden und Aussagen über die Qualität des jeweiligen Bildungssystems getroffen werden
(Weis & Reiss, 2019, S. 13-14).

2.2 Ergebnisse
Bei der PISA-Studie 2000 lagen die deutschen Schülerinnen und Schüler in allen untersuchten
Kompetenzbereichen unter dem OECD-Schnitt (Klein, 2016, S. 50). Das daraus resultierende
schlechte Ranking Deutschlands suggerierte einen Standortnachteil für Deutschland in der
stetig wichtiger werdenden Wissenschaftsgesellschaft (Niemann, 2010, S. 66). Weiterhin zeigte
PISA eine hohe Leistungsstreuung auf, so hoch wie in keinem anderen Industrieland und damit
eine starke Benachteiligung von Lernenden mit Migrationshintergrund und, oder schlechten
sozio-ökonomischen Faktoren (Niemann, 2010, S. 66). Während sich in den folgenden Zyklen
zwar die Gesamtleistungen verbesserten und ein leichter Anstieg im internationalen Ranking
zu erkennen war, blieben die sozialen Unterschiede bestehen und die nationale Zusatzstudie
(PISA-E) ergab zudem eine hohe regionale Differenz zwischen den einzelnen Bundesländern
(Niemann, 2010, S. 66-67).

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2.3 Hintergründe
Die PISA-Studien sind Teil eines Internationalisierungsprozesses der Bildungspolitik (de
Olano et al., 2010, S. 11). Dieser begann in Deutschland erst in den 90er Jahren, als an ersten
internationalen Bildungsstudien teilgenommen wurde. 1997 schließlich bildeten die
Konstanzer Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) unter der Maßgabe der
Qualitätssicherung die Voraussetzung für die Teilnahme der Bundesländer an internationalen
Vergleichsstudien, deren Ergebnisse zur Verbesserung des deutschen Bildungssystems genutzt
werden sollten (Niemann, 2010, S. 65). Innerhalb dieser sogenannten empirischen Wende der
KMK nimmt PISA aufgrund der langfristigen Anlage und regelmäßigen Wiederholung der
Studie und somit der Möglichkeit, Entwicklungen über einen langen Zeitraum zu beobachten
(Weis & Reiss, 2019, S. 13), einen wichtigen Platz in dieser ein.

3 Reaktionen auf PISA


Nun sollen die unmittelbaren und mittelbaren Reaktionen auf PISA untersucht werden.

3.1 Erster Schock


Die internationalen Reaktionen auf die Ergebnisse von PISA waren äußerst divers, in keinem
Land aber führte das verhältnismäßig schlechte Abschneiden der eigenen Schülerinnen und
Schüler zu heftigeren Reaktionen als in Deutschland, das einen Bildungsschock und daraufhin
Diskussionen über Bildung und zu treffende Maßnahmen erlebte (de Olano et al., 2010, S. 10).
So beschreibt etwa Riecke-Baulecke (2016, S. 5):
„Als im November 2001 die Ergebnisse von PISA veröffentlicht wurden, war die
Medienresonanz gewaltig. Das Bild von Deutschland als dem Land der Dichter
und Denker mit einem vorbildlichen Bildungssystem bekam tiefe Risse.“
Die deutsche Reaktion rührte vor allem daher, dass PISA die große Kluft zwischen eigenem
Anspruch als Bildungsnation und der Wirklichkeit als Schlusslicht unter den OECD-Ländern
der deutschen Öffentlichkeit schonungslos offenbart hatte (Niemann, 2010, S. 69). Durch PISA
rückten zudem Bildungsarmut, soziale Ungleichheit, die Unterschiede zwischen den
Bundesländern und den Geschlechtern und Fragen nach Gerechtigkeit und der Förderung von
Lernenden mit Migrationshintergrund in den Mittelpunkt der deutschen Bildungsdebatte
(Riecke-Baulecke, 2016, S. 5). Derweil führten die Ergebnisse der PISA-Studien nicht in allen
Ländern zu Diskussionen über Bildung (Ernst, 2016, S. 9). Die kontinuierlich schlechten
Leistungen der USA zogen keine bildungspolitischen Debatten oder gar Reformen nach sich.
Dies hängt neben der Vorstellung vom „amerikanischen Exzeptionalismus“ (Martens, 2010, S.

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247) und damit der Geringschätzung eines internationalen Vergleichs, allerdings auch mit dem
in den USA schon 1957 erfolgten Bildungsschock (Sputnik-Schock) und den daraufhin
angestoßenen – und bis heute durchgeführten – Reformen, zusammen. Die Mängel des
amerikanischen Schulsystems waren also schon bekannt (Martens, 2010, S. 242-243).

3.2 Hintergründe und Zustand des deutschen Bildungssystems


Nun sollen die Hintergründe der nach PISA angestoßenen Reformen beschrieben werden. Seit
den letzten Reformen im Bildungssystem in den späten 60er und 70er Jahren, etwa die
Einführung der Reformierten Oberstufe, die zur Bildungsexpansion beigetragen hatte, waren
keine größeren Änderungen vorgenommen worden und ein Reformstau war eingetreten
(Niemann, 2010, S. 63-64). Dies lag auch an der Strukturierung des föderalen deutschen
Bildungssystems, dass ein Zusammenarbeiten der KMK und somit einen Konsens zwischen
den Bundesländern voraussetzte (Niemann, 2010, S. 62-63). Weiter war das deutsche
Bildungssystem vor PISA auf dem „Prinzip der Separation“ (Niemann, 2010, S. 63) und der
Input-Orientierung aufgebaut (Niemann, 2010, S. 63). Diese Input-Steuerung war der Grund
für das Fehlen einer systematischen und institutionalisierten Ergebniskontrolle. Des Weiteren
war das deutsche Schulsystem von der Idee geprägt, dass Bildung ein Selbstzweck sei (Hartong,
2011, S. 136).

3.3 Weitere Debatte und Handeln der KMK


Nachdem der erste Schock abgeklungen war, rückten neben den möglichen Folgen für den
Wirtschaftsstandort Deutschland (Niemann, 2010, S. 69), aber auch Handlungsoptionen in den
Mittelpunkt der Debatte (Niemann, 2010, S. 70). Noch im Dezember 2001 verabschiedete daher
die KMK einen ganzen Katalog an Maßnahmen (Niemann, 2010, S. 72). Orientierung für die
Zukunft und mögliche alternative Bildungskonzepte sollten dabei das europäische Ausland
liefern (Niemann, 2010, S. 70), wie die nun folgenden Reformen auch zeigen: So wurden
Bildungsstandards eingeführt, die Lehrerbildung reformiert, die gymnasiale Schulzeit verkürzt
(G8) und das Zentralabitur eingeführt. Bei all diesen Reformen verblieb Deutschland aber auf
seinem bildungspolitischen Pfad (Pfadabhängigkeit) und übernahm, statt des
Einheitsschulsystems, nur internationale Vorgaben, die in das gegliederte Schulsystem der
Begabtenförderung passten (Hartong, 2011, S. 225).

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3.3.1 Qualitätssicherung durch Bildungsstandards und Monitoring
Nach dem schlechten Abschneiden der deutschen Jugendlichen bei PISA standen für die KMK
die Qualitätssicherung und -verbesserung im Bildungswesen im Mittelpunkt (Köller, 2016, S.
16). Diese sollten durch die Einführung verbindlicher Standards und eine weiterführende
Evaluation der Ergebnisse der Studie erreicht werden (Weis & Reiss, 2019, S. 13). Somit
wurden, als eine der ersten Reaktionen der KMK (Niemann, 2010, S. 72), die Einführung
beziehungsweise der Ausbau verbindlicher Kompetenzen enthaltender länderübergreifender
Bildungsstandards und strengere staatliche Vorgaben zu diesen beschlossen (Niemann, 2010,
S. 79). Ebenso wurde die Durchführung eines eigenen länderübergreifenden
Bildungsmonitoring, um den deutschen Spezifika gerecht zu werden (Hartong, 2011, S. 225),
beschlossen (Klein, 2016, S. 52). Das Bildungsmonitoring führte zu einem Mentalitätswandel,
der stärkere Selbstkritik und eine Professionalisierung im Bildungsbereich beinhaltete (Riecke-
Baulecke, 2016, S. 6). Damit wären heutige Strukturen der Bildungsforschung ohne die
internationalen Studien wie PISA oder TIMSS nicht vorhanden (Köller, 2016, S.13). Diese
Bildungsstandards sollen, so Lersch, die umfassenden inhaltlichen Vorgaben reduzieren und
den Lehrkräften mehr Freiheiten bei der Erreichung der die Bildungsstandards beinhaltenden
Kompetenzen geben (Lersch, 2010, S. 57). Laut KMK wurden mit der Einführung der
Bildungsstandards die Grundlagen für die bessere Vergleichbarkeit und Qualitätssicherung
bezüglich des Erreichens der Kompetenzen geschaffen (KMK, o. D., o. S.).

3.3.2 Kompetenzen
Bei PISA werden Kompetenzen gemessen (Weis & Reiss, 2019, S. 13), aber was sind
Kompetenzen nun genau? Kompetenzen sind erlernbare, kognitiv verankerte Fähigkeiten und
Fertigkeiten, die Wissen, Können, Interessen, Werthaltung, Motivation und soziale Bereitschaft
umfassen. Sie sind als kognitive Dispositionen für die Bildung von Denkmodellen und
erfolgreichem Handeln verantwortlich (Lersch, 2010, S. 36). Dabei kann zwischen fachlichen
und überfachlichen Kompetenzen unterschieden werden (Lersch, 2010, S. 38). Die
Kompetenzen werden in verschiedenen Kompetenzmodellen konkretisiert, in verschiedene
Kompetenzbereiche aufgeteilt, Teilkompetenzen zerlegt oder in verschiedene
Entwicklungsstufen eingeteilt. Der Erwerb einer Kompetenz beziehungsweise das erreichte
Niveau ist über die Art und Weise der Problembewältigung ersichtlich (Lersch, 2010, S. 37).
Das neue, durch die OECD gewandelte, Bildungsverständnis setzte neben dem neuen
Bildungsideal nun nicht mehr auf die Begabtenförderung, sondern auf die Vermittlung von
Basiskompetenzen, bei deren Erlernen alle Schülerinnen und Schüler gleich gut gefördert

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werden sollen (Niemann, 2010, S. 82). Die Kompetenzen sind in den Bildungsstandards
festgesetzt. Sie weisen die Erwartungen an das fachbezogene Können der Lernenden am Ende
der gymnasialen Oberstufe aus (HKM, 2016, S. 7).

3.3.3 Bildungspolitik
Das Schulwesen in Deutschland befindet sich durch die Einführung der KMK-Beschlüsse zur
Qualitätssicherung seit 2002 im Umbruch. So wurde etwa die Input-Steuerung durch Lehrpläne
von der Output-Steuerung durch die Orientierung an den Ergebnissen des Unterrichts abgelöst.
Dabei werden die Erwartungen an diese Ergebnisse in Form von Kompetenzen in den
Bildungsstandards normiert, diese stellen somit eine Könnens-, statt einer Wissenserwartung
dar (Lersch, 2010, S. 31). Schulische Prozesse werden nun daran gemessen, wie weit sie das
Können und nicht das Wissen der Lernenden fördern. Bildungsstandards sollen dabei einerseits
regionale Ungleichheiten im Schulsystem beseitigen, andererseits zu größeren Erfolgen im
internationalen Schulvergleich (PISA-Studie) führen (Moegling, 2010, S. 11).

3.3.4 Internationalisierung, empirische Wende und deren Folgen


Internationale Studien wie PISA rückten die Notwendigkeit von Reformen in den Mittelpunkt
des Bildungsdiskurses (Hartong, 2011, S. 139) und der wachsende internationale Einfluss
modifizierte, wenn er ihn auch nicht ändern konnte (Hartong, 2011, S. 225), den deutschen Pfad
der Schul- und Bildungspolitik (Hartong, 2011, S. 136) und nahm Einfluss auf die
bildungspolitischen Leitideen in Deutschland (Hartong, 2011, S. 221). Dabei war die OECD,
deren Instrument PISA ist, entscheidend (Niemann, 2010, S. 80). Die Verwissenschaftlichung
der Bildungspolitik im Rahmen der empirischen Wende der Konstanzer Beschlüsse führte zu
einer Veränderung der Akteurskonstellation und unter anderem die OECD und empirische
Bildungsforschungsinstitute gewannen an Bedeutung (Hartong, 2011, S. 222). Damit dies
geschehen konnte, musste allerdings bereits ein Wechsel der Leitgedanken stattgefunden
haben, denn bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse von PISA 2000 war das Interesse der
Öffentlichkeit an internationalen Vergleichsstudien und der Einfluss derselben auf den
bildungspolitischen Diskurs sehr gering (Hartong, 2011, S. 139). Dieser Wechsel geschah
jedoch nicht etwa durch direkte Empfehlungen oder Vorschläge, sondern indirekt über die
Mobilisierung der deutschen Öffentlichkeit: Indem die OECD die Überlegenheit der anderen
Industrienationen im Gegensatz zu Deutschland zeigte, wuchsen die Forderungen nach
Reformen. Damit konnte die OECD Einfluss auf die Struktur des Bildungssystems und die
Gestaltung der Bildungspolitik (Output-Orientierung), aber auch auf die „deutsche Leitidee von

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Bildung“ (Niemann, 2010, S. 80) nehmen und sie verändern (Niemann, 2010, S. 80). Es gelang
der OECD, einen wirtschaftlichen Blick auf Bildung „als Mittel zur Generierung von
Humankapital“ (Niemann, 2010, S. 82) in den Vordergrund zu rücken und die humanistischen
Vorstellungen von Bildung und ganzheitlichen Ansprüchen einer Allgemeinbildung (Niemann,
2010, S. 71) nicht vollends zu verdrängen, sondern vielmehr zusammenzuführen (Niemann,
2010, S. 82). Erst nachdem diese neuen Ideen sich durchgesetzt hatten, konnte sich das durch
die internationalen Vergleichsstudien kreierte Paradigma im öffentlichen Diskurs festsetzen:
„Als gut wird hier das bewertet, was bei PISA oder TIMSS eine hohe Punktzahl erreicht“
(Hartong, 2011, S. 223).

3.4 Kritik am Bildungsbegriff, Bildungsstandards und Kompetenzen


Gerade in diesem Paradigma sehen die Kritiker von PISA die Gefahr der Testfixierung und der
Gefahr der Bewertung und Sanktionierung von Schulen nach dem Abschneiden bei
(Vergleichs-)Studien. Diese sei zwar ernst zu nehmen, aber nicht allein auf Bildungsstandards
und Kompetenzorientierung zurückzuführen, sondern stelle sich immer der Frage, wie eine
Gesellschaft mit empirischen Leistungsdaten zu Leistungsergebnissen und Daten zum
Bildungssystem umgehe (Moegling, 2010, S. 24). Mit dieser Testfixierung geht aber auch die
Gefahr der Hierarchisierung von Fächern nach ihrer Bedeutung für die Vergleichsstudien
einher. So würde der umfassende Bildungsauftrag der Schulen relativiert und zahlreiche nicht
messbare Ziele der Schule vernachlässigt (Riecke-Baulecke, 2016, S. 7). Weiter zählen die
Lehrerinnen- und Lehrerverbände zu den größten Kritikern der Reformen. Sie wollen die
humanistischen Bildungsideale wie Allgemeinbildung und Ganzheitlichkeit gegen die
zunehmende Rationalisierung von Bildung verteidigen, wobei sie Bildungsstandards und einer
Kompetenzorientierung nicht feindlich gegenüberstehen, aber die PISA-Studie durchaus in ihre
Kritik an der internationalen Bildungspolitik einbeziehen (Hartong, 2011, S. 219). PISA wird
dabei von unterschiedlicher Seite angegriffen: Zum einen in Bezug auf Methodik,
Messverfahren und Ergebnisse, mit dem Ziel, die Ergebnisse von PISA in Frage zu stellen. Zum
anderen werden der ökonomisierte Bildungsbegriff der OECD, der durch PISA sichtbar werde
und zu sehr funktionell ausgerichtet sei, und negative Effekte der Reformen auf echte Bildung
kritisiert (Hartong, 2011, S. 220). Der Kritik am einseitigen ökonomischen Zweck, den die
Bildung erhielte, wird entgegnet, dass kompetenzorientierter Unterricht nicht das Einüben von
Kompetenzen durch extrinsische Motivation über Leistungs- oder Notendruck bedeute, sondern
die Anleitung zur Selbstbildung und zum Wunsch sich Kompetenzen anzueignen, die auch
ethisch begründet wären, darstelle (Moegling, 2010, S. 19-20). Der Kritik, die die aus der

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Kompetenzorientierung hervorgehende Vernachlässigung kulturell bedeutsamer
Wissensbestände bemängelt, wird entgegengehalten, dass eine Kompetenzorientierung
keinesfalls eine Inhaltsleere bedeute, gebe es doch etwa die wissensbezogene Sachkompetenz
(Moegling, 2010, S. 22). Diese sogenannte Sachkompetenz ist jedoch eine Fehlbezeichnung,
wie Pandel (2014, S. 213) feststellt.

3.5 Fazit
Mit PISA wurde von der OECD eine wirtschaftliche Neuauslegung des deutschen
Bildungsverständnisses, die Reformen begünstigt, angestoßen. Dabei erhöhten die schlechten
Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler den Reformdruck (Niemann, 2010, S. 59).
Somit wurde der Weg für die lange aufgeschobene Reform des Bildungswesens bereitet
(Niemann, 2010, S. 60). Denn zusätzlich zur schon in den 90er Jahren aufgekommenen
Erkenntnis, dass das deutsche Schulsystem dringender Reformen bedürfe, war das schlechte
Abschneiden bei PISA der Katalysator für Forderungen nach Qualitätssicherung,
Modernisierung, Effizienz und Effektivität im Bildungssystem, da ein noch schlechteres
Abschneiden in Zukunft verhindert werden sollte (Niemann, 2010, S. 71-72). Eine
Voraussetzung hierfür war aber, wie oben gezeigt, dass im neuen Bildungsvokabular der
Begriff der Bildung so interpretiert werde, dass der Bildungsbegriff der OECD als der „wahre
Humanismus“ (Hartong, 2011, S. 226) reklamiert werden konnte (Hartong, 2011, S. 226).
Damit werde jedoch, so Krautz (zitiert nach Hartong, 2011, S. 226) das humankapitalistische
Paradigma der ganzheitlichen lebenslangen Anpassung unter dem Deckmantel des
Humanismus und des Selbstzwecks der Bildung eingeführt. Die KMK jedenfalls passte,
nachdem sie lange Zeit eine Kraft des Stillstands war, an und übernahm die Logik der
Einführung von Bildungsstandards und der Institutionalisierung der Empirie (Hartong, 2011,
S. 224-225). Dabei vermischten sich aber neue Gedanken und das traditionelle schulpolitische
System zu den Bildungsstandards (Hartong, 2011, S. 225).

4 Auswirkungen auf die Oberstufe


Spätestens nach PISA veränderte sich, wie oben ausgeführt, die Leitidee der Grundbildung in
der deutschen Gesellschaft und der Bildungspolitik. Damit war es nur eine Frage der Zeit, bis
die Ansätze der stärkeren Funktionalisierung von Bildung, die auf die größere Anwendbarkeit
der erworbenen Wissensinhalte und Fertigkeiten im beruflichen und alltagsrelevanten Kontext
abzielen, auch auf die gymnasiale Oberstufe übertragen werden würden (Neumann & Nagy,
2010, S. 216). Dies geschah schließlich durch die Ausweitung der Anwendung der Bildungs-

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standards auf die Oberstufe. Hier soll nun zunächst die Entwicklung der gymnasialen Oberstufe
in den Jahren vor PISA dargestellt werden und anschließend die alten Rahmenpläne mit den
neuen Kerncurricula verglichen werden.

4.1 Zustand der gymnasialen Oberstufe vor PISA – Reformierte Oberstufe


Die Reformierte Oberstufe entstand 1972 durch die Bonner Vereinbarung der KMK. Sie hatte
zum Ziel, sowohl allgemeine als auch individuelle Bildung nebeneinander zu ermöglichen, um
den Anforderungen der sich verändernden Gesellschaft gerecht zu werden. Die gemeinsame
Reform sollte zudem die Einheit der Oberstufe in den Bundesländern sichern (Zimmermann &
Hoffmann, 1985, S. 10). Dabei kam es zu organisatorischen Änderungen: Das
Unterrichtsangebot der gymnasialen Oberstufe wurde in drei Aufgabenfelder
(Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften (sprachlich-literarisch-künstlerisch) und
Gesellschaftswissenschaften) gegliedert (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 11). Die
Aufteilung in Pflichtbereich (die drei Aufgabenfelder, deren zugehörige Fächer gemäß der
Methodenfokussierung als austauschbar galten) und Wahlbereich sollte durch Belegpflichten
(Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 90), ebenso wie die Abdeckung aller Aufgabenfelder bei
der Abiturprüfung, eine verfrühte Spezialisierung verhindern und stattdessen den gymnasialen
Allgemeinbildungsanspruch sichern (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 12). Weiterhin
wurde die Hierarchisierung der Fächer durch deren Gleichwertigkeit unter dem Gesichtspunkt
der Wissenschaftspropädeutik ersetzt, was aber dadurch relativiert wurde, dass einigen Fächern
„ein besonderer Stellenwert für eine allgemeine Grundbildung zuerkannt“ (Zimmermann &
Hoffmann, 1985, S. 17) wurde (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 17). Leistungskurse sollten
den Lernenden vertieftere wissenschaftspropädeutische Kenntnisse als die Grundkurse
vermitteln (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 12), allerdings durften zwischen den beiden
Kursarten nur graduelle Unterschiede bestehen (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 17).
Ebenso wurde die Durchführung und Bewertung der Abiturprüfung reformiert (Zimmermann
& Hoffmann, 1985, S. 14). Da die Schule sowohl individuelle Bedürfnisse der Schülerinnen
und Schüler als auch die Anforderungen der Gesellschaft erfüllen muss, wurde die
„Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung“ (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 16) zu
einem Hauptziel der schulischen Erziehung erklärt. Darüber hinaus hatte die gymnasiale
Oberstufe nach der Reform das besondere Ziel der wissenschaftspropädeutischen
Grundbildung, als allgemeine Grundbildung mit individuellen Spezialisierungen. Diesem Ziel
wurden drei Schwerpunkte zugeordnet: selbstständiges Lernen, wissenschaftspropädeutisches
Arbeiten und Persönlichkeitsentwicklung (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 16).

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4.2 Rückentwicklung
Die KMK erließ 1999 die Husumer Beschlüsse, durch die die Reformen der gymnasialen
Oberstufe schrittweise zurückgenommen wurden. Dies war nur als Folge der Konstanzer
Beschlüsse von 1997 möglich geworden. Durch die Rückentwicklung sollten der Anspruch auf
Allgemeinbildung gestärkt (Neumann & Trautwein, 2014, S. 254), die Leistungsunterschiede
zwischen den Lernenden reduziert (Neumann et al., 2014, S. 267), die Vergleichbarkeit des
Abiturs gesichert und der demographischen Entwicklung im ländlichen Raum entgegengewirkt
werden (Neumann & Trautwein, 2014, S. 256). Da diese Reformen im Schatten von PISA und
der Qualitätsdebatte stattfanden, war die öffentliche Resonanz hierfür gering. (Trautwein et al.,
2010, S. 11). Allerdings wurde die Forderung die Gleichwertigkeit der Fächer durch eine
stärkere Gewichtung der sogenannten „Kernfächer“ (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 176)
de facto zu ersetzen schon kurz nach der Oberstufenreform erhoben (Zimmermann &
Hoffmann, 1985, S. 176).

4.3 Einführung der neuen Kerncurricula


Nachdem die neuen die Bildungsstandards enthaltenden Kerncurricula in Hessen bereits seit
Schuljahresbeginn 2011/12 die Unterrichtsgrundlage für die Primar- und Sekundarstufe I
bildeten, traten sie, auf Grundlage eines Beschlusses der KMK von 2012, zu Beginn des
Schuljahrs 2016/17 auch für die gymnasiale Oberstufe in Kraft. Die Kerncurricula der
gymnasialen Oberstufe beinhalten ebenso wie die der Primar- und Sekundarstufe I die in
Kompetenzbereiche gegliederten Bildungsstandards. Neben diesen normierten fachlichen
Kompetenzen sind in ihnen auch die fachlichen Wissensinhalte, gegliedert nach auf die
Halbjahre aufgeteilten Themenfeldern, enthalten. Darüber hinaus finden sich in ihnen auch
Anregungen und Umsetzungsbeispiele, aber auch Erläuterungen zur jeweiligen Konzeption des
fachlichen Curriculums. Mit Inkrafttreten der Kerncurricula wurden die bisher gültigen
Lehrpläne ersetzt. Ab dem Schuljahr 2018/19 sind sie zudem Grundlage für die
Abiturprüfungen im Rahmen des Landesabiturs (HKM, o. D., o. S.).

4.4 Vergleich Rahmenpläne und Kerncurricula


Um den Einfluss von PISA auf den Lehrplan zu untersuchen, sollen nun Rahmenpläne und
Kerncurricula miteinander verglichen werden. Hans Glöckel (1992, S. 213) definiert einen
Lehrplan folgendermaßen:

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„Der Begriff ‚Lehrplan‘ bezeichnet die Zusammenstellung der Lehraufgaben
(Lehrinhalte, Lehrziele) für einen umfassenderen Lehrzweck und ihre Verteilung
auf einen verfügbaren Zeitraum.“
Er grenzt ihn klar von schulischen Aktivitäten neben dem planmäßigen Unterricht ab und
unterteilt den Begriff des Lehrplans einerseits in die vom jeweiligen Kultusministerium
erlassenen Richtlinien und andererseits in den Klassenlehrplan, der von der einzelnen Lehrkraft
ausgearbeitet wird.

4.4.1 Rahmenpläne
Im Folgenden sollen anhand des Kursstrukturplans der gymnasialen Oberstufe für das Fach
Deutsch die Rahmenpläne näher beschrieben werden. Der Deutschunterricht in der
gymnasialen Oberstufe trägt gemäß des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule zum
Erlangen von Kenntnissen und Fähigkeiten, aber auch zum Entwickeln von Werthaltung und
Persönlichkeit bei (HKM, 1998, S. 2). Dabei sollen neben der Vermittlung eines inhaltlichen
Wissens auch die Kommunikationsfähigkeit (als Mittel der Darstellung und Mitteilung),
selbstständiges Arbeiten, Reflexionsfähigkeit, kritisches und eigenständiges Denken,
Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Ausdrucksfähigkeit, Kreativität und Konzentration
entwickelt und gefördert werden (HKM, 1998, S. 2). Dabei sind Sprache und Literatur die
Mittel, um diese Ziele zu erreichen und diese Fähigkeiten bei den Lernenden herauszubilden
und zu entwickeln (HKM, 1998, S. 3). Didaktische Grundsätze im Rahmenplan sind die
Wissenschaftsorientierung, die Praxisorientierung (HKM, 1998, S. 5), die Orientierung an
Schülerinnen und Schülern, die Problemorientierung, eine Handlungs- und Produktorientierung
sowie fächerübergreifendes und fächerverbindendes Arbeiten (HKM, 1998, S. 6). Die drei
Arbeitsbereiche, die der Rahmenplan vorgibt, sind schriftliche und mündliche Kommunikation,
Textumgang und Sprachreflexion. Diese werden den Rahmenthemen, die in den ihnen
zugordneten Halbjahren der Oberstufe behandelt werden, zugeordnet (HKM, 1998, S. 7). Die
Rahmenthemen werden im Plan durch didaktische Überlegungen erläutert, hinsichtlich ihres
Inhalts weiter konkretisiert, es werden Textanregungen für die Unterrichtspraxis gegeben,
sowie durch fachübergreifende und fächerverbindende Aspekte erweitert (HKM, 1998, S. 17).
Dabei sind die Rahmenthemen und deren Zuordnung zu den Halbjahren ebenso wie die drei
verschiedenen Arbeitsbereiche verbindlich. Die Textanregungen haben dagegen, wie auch die
fächerübergreifenden und fächerverbindenden Aspekte, lediglich Empfehlungscharakter
(HKM, 1998, S. 18). Weiterhin lässt sich feststellen, dass der Rahmenplan
Gestaltungsspielräume eröffnen soll, die Platz für kreatives Mitwirken der Lehrkräfte,

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Schülerinnen und Schüler lassen. So beinhaltet der Rahmenplan lediglich die Vorgaben des
Hessischen Kultusministeriums, auf dessen Grundlage und Struktur die einzelnen Lehrkräfte
oder Schulen ihre Curricula weiter ausgestalten können. Während im Grundkurs Deutsch eine
gemeinsame literarisch und kommunikative Grundbildung geschaffen werden soll, vertieft der
Leistungskurs diese und zielt auf eine stärkere wissenschaftspropädeutische Bildung, auch im
Hinblick auf die Herstellung der Studierfähigkeit (HMK, 1998, S. 20).

4.4.2 Kerncurriculum
Im Kerncurriculum der gymnasialen Oberstufe für Deutsch wird den spezifischen Inhalten, wie
in den Kerncurricula für alle anderen Fächer, ein allgemeiner Teil vorangestellt. Dieser befasst
sich mit den allgemeinen Zielen der gymnasialen Oberstufe: der Herstellung der
Studierfähigkeit, aber auch der Ermöglichung einer beruflichen Ausbildung, durch eine
grundlegende wissenschaftspropädeutische Allgemeinbildung. Zudem sollen Schülerinnen und
Schüler in ihrer Selbstständigkeit, ihrem kritischen Denken, bei der Bildung von
Wertemaßstäben und der Kommunikationskompetenz gefördert werden und auf eine mündige
Teilnahme an der Gesellschaft vorbereitet werden (HKM, 2016, S. 4-5). Die Kerncurricula der
gymnasialen Oberstufe beinhalten fachliche und überfachliche Bildungsziele sowie inhaltlich
verbindliche Vorgaben – im Hinblick auf das hessische Landesabitur. Dabei sind sie auf den
Erwerb von Kompetenzen ausgelegt (HKM, 2016, S. 6). Hierbei wird zwischen überfachlichen
und fachlichen Kompetenzen unterschieden: Überfachliche Kompetenzen sind, laut
Kerncurriculum, für die Anforderungen, die ein Studium oder eine Berufsausbildung an die
Schülerinnen und Schüler stellen wird, fundamental (HKM, 2016, S. 7). Zu ihnen gehören unter
anderem soziale, personale, kommunikative und wissenschaftspropädeutische Kompetenzen
(HKM, 2016, S. 8), aber auch eine wertebewusste Haltung und interkulturelle Kompetenz. Sie
zielen auf Demokratie und Teilhabe, Nachhaltigkeit und globale Zusammenhänge sowie
selbstbestimmtes Leben in der medialisierten Welt (HKM, 2016, S. 9). Das Kerncurriculum
Deutsch orientiert sich an den Bildungsstandards der KMK (HKM, 2016, S. 10). Diese sind in
fünf Kompetenzbereiche gegliedert: die beiden domänenspezifischen Bereiche Sich mit Texten
auseinandersetzen, Sprache und Sprachgebrauch reflektieren und die prozessbezogenen
Bereiche Sprechen und Zuhören, Lesen sowie Schreiben. Die Fachinhalte dagegen sind anhand
der vier Leitperspektiven Form und Gestaltung, Verständigung und Auseinandersetzung, Norm
und Wandel sowie Funktion und Wirkung gegliedert (HKM, 2016, S. 11). Die Inhalte des
Deutschunterrichts sind in verschiedenen Themenfeldern strukturiert. Diese werden mit den in
den Bildungsstandards enthaltenden Kompetenzen so zusammengeführt, dass die Schülerinnen

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und Schüler die Bildungsstandards in unterschiedlichen inhaltlichen Kontexten erreichen. Die
Kompetenzbereiche sehen eine Differenzierung in ein grundlegendes und ein erhöhtes Niveau
vor, wobei letzteres nur von Lernenden des Leistungskurses erreicht werden muss (HKM, 2016,
S. 14). Im Kerncurriculum werden anschließend auf neun Seiten die verschiedenen
Kompetenzbereiche kurz erläutert und dann – unterteilt nach grundlegendem und erhöhtem
Niveau – genau in verschiedene Kompetenzen unterteilt. Diese sind allerdings nicht benannt,
sondern tragen lediglich ein Kürzel aus dem ihnen übergeordneten Bereich und ihrer Nummer
(HKM, 2016, S. 16-24). Abschließend werden auf 22 Seiten die verbindlichen und zusätzlich
möglichen Themenfelder der einzelnen Kurshalbjahre der Oberstufe aufgeführt und erläutert
(KMK, 2016, S. 27-48).

4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede


Zunächst zeigt sich, dass den Forderungen nach Transparenz (Niemann, 2010, S. 72) folgend
dem Kerncurriculum Deutsch eine fächerübergreifende Einleitung vorangestellt ist, die die
allgemeinen Ziele der gymnasialen Oberstufe, Lernen in der Oberstufe, den strukturellen
Aufbau und wichtige überfachliche Komponenten erläutert. Diese ist im Rahmenplan nicht
vorhanden.
Für die Themenstruktur lässt sich dagegen feststellen, dass sich das Kerncurriculum Deutsch
und der Rahmenplan Deutsch hinsichtlich der Festlegung von bestimmten Rahmenthemen
beziehungsweise Themen ähnlich sind. Diese werden jeweils einem bestimmten Halbjahr in
der Oberstufe zugeordnet und inhaltlich genauer konkretisiert. Die Lehrkräfte haben jeweils
eine gewisse Flexibilität. So werden im Rahmenplan etwa zu einem Rahmenthema
verschiedene thematische Kernbereiche aufgeführt, die jeweils durch Stichworte ergänzt und
mit Literaturanregungen ausgestattet sind. Währenddessen ist das Kerncurriculum – ganz im
Sinne der Qualitätssicherung – deutlich stärker strukturiert. So muss die Lehrkraft eine Auswahl
aus fünf einem Halbjahr zugeordneten Themenfeldern treffen, die Auswahl der Themen ist
allerdings durch die Festlegung verbindlicher Themenfelder eingeschränkt. Hier sind die
Themenfelder ebenso mit Stichworten und Literaturempfehlungen versehen.
Sowohl der Rahmenplan als auch das Kerncurriculum betonen den Stellenwert der
überfachlichen neben den fachlichen Aspekten des Lernens. Ebenso sind Wissenschafts-
propädeutik und Allgemeinbildung wichtige Bestandteile in der Konzeption des Kern-
curriculums, vor allem aber des Rahmenplans. Die Wissenschaftsorientierung nahm einen
großen Einfluss auf die innere Gestaltung der Reformierten Gymnasialen Oberstufe, also auf
die Rahmenpläne (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 73). Dies wurde durch die

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Gleichsetzung von Allgemeinbildung und Wissenschaft gerechtfertigt, die wiederum von der
„These vom Primat der Methoden gegenüber den Inhalten“ (Zimmermann & Hoffmann, 1985,
S. 74), also einem formalen bildungstheoretischen Ansatz gegenüber der materialen
Inhaltsorientierung, gestützt wird. Aus dieser Sicht der Wissenschaftspropädeutik ergibt sich
auch die Gleichwertigkeit der Fächer (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 74). Durch diese
Gleichwertigkeit der Fächer kann auch die gemeinsame Grundbildung gewährleistet werden,
da diese nicht (mehr) an Inhalte gebunden ist, sondern daran „wissenschaftliche Denk- und
Verfahrensweisen anzuwenden, gleich in welchem Fach sie erlernt wurden“ (Zimmermann &
Hoffmann, 1985, S. 89). Auch bezüglich der Zielsetzung finden sich zahlreiche
Übereinstimmungen. Sowohl Rahmenplan als auch Kerncurriculum nennen hier die
Vermittlung von inhaltlichem Wissen, aber auch Kompetenzen, die die Kommunikation,
kritisches und selbstständiges Denken und Handeln, Werteentwicklung und weitere umfassen.
Ansätze zur Orientierung an Kompetenzen existierten also schon in der Reformierten
Oberstufe. So beschreiben etwa Zimmermann und Hoffmann (1985, S. 17) die Transfertheorie,
nach der „die Prinzipien und Strukturen des Gelernten unter bestimmten Bedingungen auf
ähnliche oder neue Lernsituationen übertragen werden können“ (Zimmermann & Hoffmann,
1985, S. 17), diese, ebenso wie die bereits oben erwähnte Theorie vom Primat der Methode,
erinnern stark an Kompetenzdefinition und die Beispiele für solche, die in Lersch (2010, S. 36)
gegeben wird. Ebenso wird das Beherrschen der Methode über die Kenntnis der Inhalte gestellt,
was schon in den 80er Jahren zu Kritik an den zu geringen Kenntnissen der Schülerinnen und
Schülern führte (Zimmermann & Hoffmann, 1985, S. 47). Gerade hier findet sich aber ein
großer Unterschied zwischen Kerncurriculum und Rahmenplan. Im Rahmenplan und seinen
bildungstheoretischen Grundlagen wird weder konsequent von Kompetenzen gesprochen,
sondern vielmehr werden die Begriffe Fähigkeit oder Methode oder gar keine Kategorisierung
gebraucht. Auch wird, wenn die Methodik über den Inhalt gestellt wird, nicht von Kompetenzen
gesprochen. Diese wird außerdem gar nicht weiter begründet, sondern steht vielmehr am Rand
der Argumentation, sie wird hier lediglich als Begründung für die Gleichwertigkeit der Fächer
genutzt. Im Kerncurriculum dagegen nehmen die Kompetenzen, als Hauptbestandteil der
Bildungsstandards, eine übergeordnete Rolle ein. So wird der Erwerb fachlicher und
überfachlicher Kompetenzen explizit ausgeführt. Darüber hinaus werden die verschiedenen
fachlichen Kompetenzen, unterteilt nach den Kompetenzbereichen, genau beschrieben.
Währenddessen sich die in den Rahmenlehrplänen vorgegebenen Arbeitsbereiche und die
Kompetenzbereiche des Kerncurriculums ähneln, da sich der Arbeitsbereich schriftliche und
mündliche Kommunikation den prozessbezogenen Kompetenzbereichen Sprechen und

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Zuhören, Lesen sowie Schreiben, der Arbeitsbereich Textumgang sich dem Kompetenzbereich
sich mit Texten auseinandersetzen beziehungsweise Sprachreflexion sich Sprache und
Sprachgebrauch reflektieren zuordnen lässt. Eine genauere Einteilung der Fachinhalte, wie sie
im Kerncurriculum mit den vier Leitperspektiven vorgenommen wurde, existiert im
Rahmenplan dagegen nicht, dies bewegt sich ganz im Rahmen der bereits oben festgestellten
größeren Strukturierung der Kerncurricula.
Ein weiterer Unterschied findet sich im Bildungsbegriff beziehungsweise der Idee, die hinter
diesem steht. Während im Rahmenplan, wie oben bereits aufgeführt, die Rede von der
Bedeutung der sprachlichen und literarischen Grundbildung des Grundkurses Deutsch, der
wissenschaftspropädeutischen Vertiefung derselben und der Bedeutung der Lernenden für den
Unterricht ist, werden im Kerncurriculum die Ziele der Bildung in der gymnasialen Oberstufe
als Erlernen der Kompetenzen für Teilnahme an der Gesellschaft, der Vorbereitung auf ein
Studium oder eine Berufsausbildung genannt. Dies zeigt, wie bereits zuvor ausgeführt, den
durch den Einfluss der OECD gewandelten Bildungsbegriff, der sich weg von einer
ganzheitlichen, schülerzentrierten Allgemeinbildung hin zu einer stärker funktionalisierten
zweckgebundenen Bildung entwickelt, die nicht mehr dem alten humanistischen Ideal von
Humboldts entspricht, sondern der Wirtschaftsorientierung der OECD.
Abschließend lässt sich feststellen, dass beide, sich nach den theoretischen Ideen
unterschiedene, Pläne das gleiche Ziel der Normierung von Standards und der Kontrolle des
Gelehrten (ob nun Kompetenzen, Inhalte oder anderes) haben. Das Kerncurriculum hat also
diesen Ansatz der Vereinheitlichung der gymnasialen Oberstufe übernommen sowie viele
Begriffe und Ideen, die schon im Rahmenplan existierten. Diese wurden allerdings ganz im
Rahmen des veränderten Bildungsbegriffs und der Kompetenzorientierung als Maßstab
modifiziert.

5 Fazit
Beinahe alle Veränderungen, die in den letzten 20 Jahren im höheren deutschen Schulwesen
vorgenommen wurden, lassen sich auf die empirische Wende der KMK und den damit der
OECD eingeräumten Einfluss zurückführen. So wurde die Internationalisierung der deutschen
Bildungspolitik und des Bildungssystems ermöglicht. Erst dadurch, dass von der OECD und
der empirischen Wende der KMK der Boden bereitet war, konnte PISA die Schockwelle in
Deutschland auslösen. Die so angestoßenen Veränderungen gingen dabei weit über die rein
strukturellen Änderungen hinaus und veränderten durch die Modifizierung des
Bildungsbegriffs grundlegend die Art und Weise der Gestaltung von Schul- und

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Bildungspolitik. Von nun an sind Qualitätssicherung durch Bildungsstandards,
Kompetenzorientierung und Output- statt Input-Orientierung für die Bildung, die sich vom
humanistischen umfassenden Allgemeinbildungsideal, von Bildung zum Selbstzweck des
Individuums entfernte, wichtig. Bildung dient heute vor allem dem Erlernen von Kompetenzen,
die im späteren Berufsleben benötigt werden, und Allgemeinbildung hat eine möglichst hohe
Versatilität auf dem Arbeitsmarkt zum Ziel. Somit passte sich Deutschland mit dem Ablegen
des humanistischen und der Adaption des ökonomischen Bildungsideals immer mehr den
Bildungssystemen anderer Nationen an – ohne allerdings bestimmte Kennzeichen des
deutschen Bildungssystems, wie das gegliederte Schulsystem, aufzugeben –, sodass die
Internationalisierung von Bildungspolitik weiter vorangetrieben wird. Damit wurde aber auch
die innerdeutsche Vereinheitlichung des Schulwesens vorangetrieben.
Die nun vorgenommenen Reformen führten auch zu einer Rückreform der Reformierten
Oberstufe durch die Einschränkung der Wahlmöglichkeiten und Ausweitung der
Belegpflichten, besonders in von der PISA-Studie untersuchten Fächern Deutsch, Mathematik
und den Naturwissenschaften. Der besonders auf diese Fächer gelegte Fokus bedeutete so das
endgültige Ende der Gleichwertigkeit der Fächer.
Die Einführung der Kompetenzorientierung beschränkte sich nicht auf die von PISA
untersuchten Fächer. Dies verdeutlichen die gewandelten Leitideen der Bildungspolitik. Sie
widersprechen der Annahme, dass die Neuerungen lediglich testfixiert seien und nur ein
besseres Abschneiden bei PISA angestrebt werde. Allerdings wurde die Forderung, die
Gleichwertigkeit der Fächer durch eine stärkere Gewichtung der sogenannten Kernfächer de
facto zu ersetzen, schon kurz nach der Oberstufenreform erhoben. Damit kann die Aufweichung
dieses Prinzips und die Ausweitung des Pflichtbereichs und der Belegpflichten nicht allein als
Folge der PISA-Studie gewertet werden.
Abschließend lässt sich festhalten, dass bereits vor der empirischen Wende der KMK
Kompetenzen eine Rolle in den damaligen Rahmenplänen spielten. Die große plakative
Neuerung der Kompetenzorientierung, die die Reaktion auf PISA mit sich brachte, war somit
vorwiegend semantischer Art, insofern, dass alle möglichen vormals mit Fähigkeiten oder
ähnlichen Begriffen beschriebenen Bestandteile des Lehrplans nun als Kompetenzen
bezeichnet werden. Dies führte auch zu solchen logischen Verwirrungen wie der Bezeichnung
von Sachwissen als Sachkompetenz, was einen logischen Bruch darstellt, da Kompetenzen ja
eben die Art und Weise des Umgangs mit Wissen darstellen.

15
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Reformkonzepte – Problemfelder (Grundlagentexte Schulpädagogik). Stuttgart: Klett.

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7 Ehrenerklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Hausarbeit selbstständig und ohne Benutzung
anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel verfasst habe. Sie ist auch nicht in einem
anderen Studiengang als Prüfungsleistung verwendet worden.

Idstein, den 27. September 2021

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