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Paargeschichten

Martin Stempfhuber

Paargeschichten
Zur performativen Herstellung
von Intimität
Martin Stempfhuber
München, Deutschland Bernhard Schmidt
Voestalpine Langenhagen, Deutschland
Linz, Österreich

Zugl. Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2010

ISBN 978-3-531-18779-2 ISBN 978-3-531-18780-8 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-531-18780-8

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Danksagung

Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im
Sommersemester 2009/2010 an der sozialw issenschaftlichen Fakultät der Lud-
wig-Maximilians-Universität München angenommen und verteidigt worden ist.
Für ihr Zustandekommen bin ich einer Reihe von Kollegen, Freunden und Ver-
wandten zu Dank verpflichtet.
Ohne mei nen Dokt orvater Her rn Pr ofessor Dr . Ar min Nassehi wär e di ese
Arbeit nicht zustande gekommen; sicherlich wäre sie keine soziologische Arbeit
geworden. Ihm danke ich für wissenschaftliche, finanzielle und ideologische
Förderung und Unterstützung. Für Diskussionen, Anregungen und Gespräche
bedanke ich m ich bei allen T eilnehmern des E xerzitiums des L ehrstuhls Armin
Nassehi. Insbesondere von Gina Atzeni, Julian M üller, Victoria von Groddeck
und Irmhild Saake habe ich viel gelernt. Vollkommen unverzichtbar war das
unendliche Gespräch, das ich mit Elke W agner während der Arbeit an dieser
Studie geführt habe; ihr bin ich sow ohl für Kritik als auch für U nterstützung in
allen entscheidenden Momenten dankbar.
Für Anregungen zur Überarbeitung bedanke ich mich bei Frau Professor
Paula-Irene Villa und Herrn Professor Ber ndt Ostendorf. Für die Durchsicht des
Manuskripts und kritische K ommentare bedanke ich m ich zu dem bei M agda
Majewska, Sandra Stempfhuber und Aivars Glaznieks. Und schließlich kann ich
meinen Eltern für ihre vielfältigen Zuw endungen und uneingeschränkte U nter-
stützung nicht genug danken.
Eine em pirische Studie zu Paargeschi chten wäre zu guter Letzt natürlich
nicht m öglich gewesen ohne die vielen P aare, die mir ihre Geschichten auch
bereitwillig erzählt haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Martin Stempfhuber München, November 2011


Inhalt

Einleitung: Das Problem mit der Liebe .........................................................9


Kapitel I: Liebesgeschichten: „Liebe“ und der intimitätssoziologische
Diskurs der Moderne ................................................................ 15
1. Vor der Liebe: Liebe in der Ehe .................................................. 19
2. Publikumsbezogene Privatheit: Die Öffentlichkeit der
Intim ität ....................................................................................... 26
3. Literarische Kommunikation: Zur Kontingenz der
Kontaktanbahnung .......................................................................42
3.1 Liebe (wie) im Roman ................................................................. 42
3.2 „It’s just semantics“ (Formvorlagen I) ........................................ 49
3.3 Der Verlust des Vertrauens in die Rhetorik ................................ 52
4. Moderne Liebe: Intimität in einer funktional ausdifferenzierten
Gesellschaft ................................................................................. 55
4.1 Beck: Die irdische Religion der Liebe ........................................ 56
4.2 Fuchs: Die Inklusion der Vollperson ...........................................62
5. Neue Formen der Intimität? ........................................................ 67
5.1 Liebe und Ehe: falsch programmiert? Neue Formen der
Intimität 1926 .............................................................................. 67
5.2 Subversive Minoritäten: Neue Formen der Intimität 1973 ......... 70
6. „Liebe ist kein Zufall“: Vom Roman über die Werbung zum
Internet (Formvorlagen II) ........................................................... 94
7. Zusammenfassung: Auf dem Weg ins Unbestimmte ................ 100
Kapitel II: Die praktische Herstellung von Unbestimmtheit ................. 105
1. Bezugsproblem : Individualität und Einzigartigkeit .................. 118
1.1 Die Kopie der Kopie der Kopie ohne Original ..........................120
1.2 Das Gift des Vergleichens (ambiguity failures I) ...................... 133
2. Bezugsproblem: Die Authentizität von Gefühlen ..................... 144
2.1 Überrascht von Unbestimmtheiten (ambiguity failures II) ....... 147
2.2 Pathosformeln oder Ironieformeln? ...........................................156
3. Bezugsproblem : Interaktion und Körperlichkeit ....................... 159
3.1 Gegenwarten: Von der Narration zur performance ...................166
8 Inhaltsverzeichnis

3.2 „Und wir haben nicht gesprochen.“ Die Darstellung von


Sexualität ................................................................................... 176
3.3 Original und Kopie in der Interaktion ....................................... 186
4. Die Geschwätzigkeit des Sozialen und die Geschwätzigkeit
der Soziologie ............................................................................ 189
4.1 Das Paar des Paarinterviews ......................................................191
4.2 Übersetzungsverhältnisse .......................................................... 193
4.3 Die Geschwätzigkeit der Soziologie ......................................... 194
4.4 Die Geschwätzigkeit des Sozialen ............................................ 195
4.5 Von der Sprache zur Praxis ....................................................... 198
Kapitel III: Romantische Ironie ................................................................. 203
1. Die Modernität der Ironie .......................................................... 208
1.1 Ironie als dunkler Doppelgänger der Wertekommunikation ..... 209
1.2 Rorty: Kontingenz und Solidarität ............................................ 212
1.3 Die ironische Wende zur Ästhetik ............................................. 218
2. Der Ernst der romantischen Ironie ............................................ 220
2.1 Ironische Geschichten ............................................................... 221
2.2 Auf der Bühne der Moderne: Die Ironie und ihr Publikum ...... 230
3. Ironische Sprechweisen als verfremdende Wiederholung ........ 234
3.1 Weiblichkeit und Männlichkeit: Die ewige Ironie des
Gemeinwesens? ......................................................................... 235
3.2 Wer spricht? Die (Identitäts-)Politik der Wiederholung ........... 238
4. Habermas vs. Rancière: Die Einbeziehung des Dritten .............243
5. Die ironische Sprache der Liebe................................................ 248
Schluss: Die Praxis der intimen Kommunikation ............................... 253
1. Inklusionsfiguren: Individualisiert durch die Liebe .................. 255
2. Nachreligion oder Wende zur Ästhetik? Unbestimmtheit im
Vergleich ................................................................................... 258
3. Performative Vermittlungen: Die Funktionalität des
Paradoxen .................................................................................. 265
4. Gender blindness? Paarinterviews als soziale Praxis ................273
5. Die Persiflage der kommunikativen Vernunft ...........................282
Literatur .................... ............................................................................... 289
Einleitung: Das Problem mit der Liebe

Wenn es je einen einheitlichen Begriff von Liebe gegeben hat: die zeitgenöss i-
sche neue Unübersichtlichkeit hat ihn gespalten. Dabei kann die soziologische
Forschung für sich reklamieren, an dies er Begriffsspaltung nicht ganz unbetei-
ligt zu sein. In ihr hat die L iebe viel e Namen. Von der „Liebe in Zeiten der
Weltgesellschaft“ (Hondrich 2004) ist ebenso die Rede wie von ihrem „ganz
normale[m] Chaos“ (Beck/Beck-Gerns heim 1990). Die Zukunftschancen der
„romantischen Liebe“ (Illouz 2007; Schuldt 2005) werden ebenso diskutiert wie
die ihrer zeitgenössischen N achfolgemodelle der „Partnerschaftlichkeit“ (L eu-
pold 1983) und der „reinen Beziehung“ (Giddens 1993). Im Zusammenhang mit
der „Codierung von Intimität“ spielt die „Liebe als Passion“ (Luhmann 1982)
eine ebenso zentrale Rolle w ie im Bezug auf die Stabilität von Ehen und Sche i-
dungsgründen (Esser 2000a). D er Liebe w ird ebenso im „alltäglichen“ Rahm en
von Paarbeziehungen und ihrem U mgang m it „schm utziger[r] W äsche“ (K auf-
mann 1994) nachgespürt, wie ihr Ortswechsel ins M edium des Fernsehens
(Iványi/Reichertz 2002) oder ins Internet (Illouz 2006) diagnostiziert wird. Ihr
(möglicher) Auszug aus dem Biotop des Privaten wird dabei als „Tyrannei der
Intimität“ (Sennett 2002) und als „V eröffentlichung des Privaten“ (I m-
hoff/Schulz 1998) ebenso kritisiert, w ie sie als Trium ph des „sex in public“
(Warner 2002) über das Normalmodell des Liebespaares gefeiert wird.
Nähert man sich aber der soziologi schen Beschäftigung m it der Liebe und
ihren avataren – Intim ität, R omantik, Partnerschaftlichkeit, Sexualität – auf
diese W eise, wird sehr schnell klar, da ss es dieser Beschäftigung nie nur um
einen Begriff, sondern um ein bestimmtes, noch näher zu bestimmendes Phä-
nomen geht. D abei hat sich die Soziologi e seit jeher – glaubt man der Stan-
dardauskunft zeitgenössischer Kommentat oren (vgl. nur Lenz 1998; W imbauer
2003) – mit dem Phänomen der Liebe und de r Intimität schwer getan. In einem
ersten Blick auf die soziologische Dis kussion scheint sich daran sogar eine
gewisse Bestimmung des Gegenstandes ablesen zu lassen. Liebe ist dasjenige
moderne soziale Phänomen, mit dem di e Soziologie Schwierigkeiten hat, ja
Schwierigkeiten haben muss und soll. Di eser erste Eindruck hat Gründe, die
sich auch im Verl aufe der vorliegende n Studie immer wieder bemerkbar m a-
chen werden und hier nur angedeutet werden sollen. Zum einen ist auffällig,

M. Stempfhuber, Paargeschichten, DOI 10.1007/978-3-531-18780-8_1,


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10 Einleitung

dass die soziologische Forschung zum Gegenstand der Liebe und der In timität
immer auch auf sich selbst als W issenschaft stöß t. Ohne eine Thematisierung
des problematischen Verhältnisses von Wissenschaft und Liebe kommt keine
intimitätssoziologische Analyse aus. Die Problematik wird dabei in unterschied-
lichen Versionen an recht unterschiedliche n Punkten festgemacht. So kann etw a
die W issenschaft als Todfeind der Liebe dingfest gemacht werden. W issen-
schaftliche Erklärungen der Liebe haben diese entzaubert und unterminiert – sie
haben ihren eigenen Gegenstand in gewi ssem Sinne selbst abgeschafft (vgl.
Illouz in N iekrenz/Villányi 2 008: 215 ff.). In einer anderen V ersion lässt sich
die W issenschaft mit der Liebe auf ei n eigentümliches „Kompensationsg e-
schäft“ ein. Gegenüber der Dom inanz wissenschaftlicher Erklärungsansätze in
der modernen Gesellschaft wird der Lieb e zugem utet, einen alternativen B lick
auf die Welt zu konstituieren, der für die den Trium ph der Wissenschaft beglei-
tenden Verlusterfahrungen und Folge schäden entschädigen kann (vgl. W erber
2003). Schließlich findet sich dieses ei gentümliche – antagonistische oder kom-
plementäre – V erhältnis der W issenschaft zu ihrem Gegenstand einem auffällig
verschärften Reflexionsdruck ausgesetzt , wenn sich die Soziologie Fragen zu
ihrem m ethodischen Zugriff auf die Lieb e stellt. D ass eine W issenschaft ihren
Gegenstand im mer auch selbst konstituiert (vgl. N assehi/Saake 2002a) nim mt
im Falle der Erforschung der Intimität ei ne besonders dramatische Färbung an.
Das lässt sich nicht nur an von Bourdieu inspirierten Forschungen ablesen, die
die notwendige illusio der Praxis ihres Gegenstandbereichs mit der Praxis ihrer
wissenschaftlichen Erforschung konfrontieren (vgl. Schütze in N ie-
krenz/Villányi 2008); eine diesbezügliche A hnung scheint auch noch in A rbei-
ten auf, die sich dem theoretischen Ansatz der rational choice verschrieben
haben (vgl. Esser 2002a; 2002b).
Zum anderen scheint Einigkeit zu herrschen, dass die Schwierigkeiten der
Soziologie mit der Liebe damit zu tun ha ben, dass es sich bei ihr um einen pa-
radoxen Gegenstand handelt. Auch diese Problematik w ird in unterschiedlichen
Versionen an recht unterschiedlichen P unkten festgemacht. Zunächst offenbart
sich diese Paradoxie schon schlicht an der soziologischen Verortung der Liebe.
Einerseits gilt Liebe als ein K ollektivsingular für so ziale Tatsachen, die aus-
schließlich der Sphäre des Privaten zugerechnet werden; sie wird hinter ve r-
schlossenen Türen vermutet. Andererse its stößt der soziologische Beobachter
überall auf Liebe; er begegnet ihr in ih rer massenmedialen Inszenierung, in der
alltäglichen Fahrt m it der U -Bahn und im alltäglichen G espräch m it Freunden
sowohl als Fremden. Dass die Liebe dabei gerade dann zur Höchstform aufläuft,
nachdem sie von der soziologischen Dia gnose für tot befunden wurde, findet
allenthalben erstaunte Beachtung (vgl. nur Hondrich 2004). In der vorliegenden
Studie soll aber argumentiert werden, dass es insbesondere ein paradoxer Um-
Einleitung 11

stand ist, der sowohl die soziologisc hen Beschäftigungen mit der Intimität als
auch die traditionelle Semantik der Liebe und ihre zeitgenössische P raxis prägt.
Das Phänom en der Liebe ist von einem eigentüm lichen Verhältnis zwischen
sozialen Formvorlagen und individuelle n Neuerfindungen, zwischen akzeptie r-
ten und ständig wiederholten Normen und Abweichungen von ihnen, zwischen
Regelmäßigkeiten und Kreativität geprägt. Die typische Problemlage kann hier
kurz angedeutet werde: Ohne verbindliche Formvorlagen, Normen oder Regeln
ist die Liebe nicht zu haben, geschweige denn zu erkennen; mit ihnen aber gera-
de auch nicht. Liebe und Intimität, so das „sozia le Paradox“ (Illouz 2003b),
wird gerade von dem ermöglicht, was sie verunmöglicht. Die „Wiederholbarkeit
der Liebe“ (Stäheli in Balke/Roloff 2003: 21) ist für sie konstitutiv – und gerät
ihr gleichzeitig zum Skandal.
Die vorliegende Arbeit verortet sich in einem Kontext, der die einleitend
skizzierten Schwierigkeiten der Soziologi e mit dem Gegenstand der Liebe erbt;
ihre Strategie soll es aber sein, diese Schwierigkeiten nicht als Hinweise auf die
Selbstverunmöglichung soziologischer Forschung zu interpret ieren, sondern
eine Perspektive zu etablieren, die ge rade diese Schwierigkeiten als einen pro-
duktiven Ausgangspunkt nutzen soll, um sich dem Phänomen der Liebe auf
angemessene W eise zu nähern. Gefragt werden soll nach der performativen
Herstellung der Intimität. Damit ist schon zweierlei im pliziert. Erstens soll die
performative Herstellung von Intimität untersucht werden. Die Studie gliedert
sich damit in einen Diskussionszusammenhang ein, der als spezifisch intimitäts-
soziologisch bestimmt ist. Im ersten K apitel werden die Konsequenzen für die
Gegenstandskonstitution diskutiert, die m it einer solchen Selbstverortung ein-
hergehen. Zweitens soll die performative Herstellung von Intimität untersucht
werden. Gegenstand dieser Studie ist also keine Substanz oder Essenz von Inti-
mität, die nur theoretisch auf den sozi ologischen Begriff gebracht werden muss.
Empirisch interessant wird vi elmehr eine kom munikative Praxis, die das, wo-
von die Rede ist, performativ hervorbringt.
Diese Perspektive schließt damit an einen Vorschlag von Armin Nassehi
an, die Gesellschaft fundamental als eine Gesellschaft der Gegenwarten zu
begreifen. Der entscheidende Schritt ist dabei nicht nur, Intimität als Form einer
Praxis zu begreifen; dieser Schritt wird von den w ichtigen zeitgenössischen
Studien zur Intim ität m itgegangen, so etw a w enn E va Illouz ausdrücklich
„[r]omantische Liebe als kulturelle Praxis“ (2007: 26; vgl. schon Weeks et al.
2001) bestimmt. In einer Gesellschaft der Gegenwarten muss man zudem damit
rechnen, dass diese Praxisform in eine m strengen Sinne gegenwartsbasiert ist.
Das soziologische Interesse gilt so der Operativität einer jeglichen Praxis, die
die Bedingungen ihrer M öglichkeit nicht ei ner vorgängigen Struktur verdankt,
sondern selbst erzeugen muss. Vor dem Hintergrund der eingangs angedeuteten
12 Einleitung

Schwierigkeiten der Soziologie mit der Liebe nimmt diese Perspektive eine
besondere Färbung an. Soziologisch inte ressant wird die „komplexe Hervo r-
bringung von operativen Praxen [...], die sich je in einer G egenwart bew ähren
müssen und zugleich die M otive wie die Kollektivitäten praktisch er zeugen, mit
denen sich solche Situationen entparadoxieren“ (Nassehi 2006a: 392). Der Blick
fällt som it auf G egenwartspraxen, in denen das eigentüm liche V erhältnis von
Formvorlagen und ihrer Inanspruchnahm e in konkreten Kontexten in einem
anderen Licht erscheinen m uss: „Es ge ht um die empirisch interpretierbare
Form der Selbsteinschränkung, des W egarbeitens von K ontingenzen [...], der
praktischen Herstellung von Situationen, in denen – im Kontext gesellschaftl i-
cher, organisatorischer und interaktio nsförmiger Anschlusslogiken und -ein-
schränkungen – eine konkrete soziale Realitä t erzeugt wird, die sich selbst kon-
tinuiert und jene Akteure erzeugt, denen sie dies zurechnet.“ (390) W ohl g e-
merkt: Diese Logik von operativen und gegenwartsbasierten Praxen gilt nicht
nur für die performative Herstellung von Intimität. Sie muss auch noch im Hin-
blick auf die Praxis ihrer soziologisc hen Beobachtung und Interpretation mitr e-
flektiert w erden. In eine m plastischen Bild hat N assehi dabei die G esellschaft
der Gegenwart als ein Schauspiel beschrie ben, das sich in der Praxis der Liebe
vielleicht als besonders dramatisches ausnehmen wird. W as hier zu einem Dr a-
ma gerät,

ist freilich die Tatsache, dass die[...] unter schiedlichen ‚Rollen‘ weder von einem zen-
tralen Regisseur aufeinander abgestimmt we rden noch ein Skript haben, an dem sie
sich abarbeiten können. W enn man dieses Bild weiter bemühen will, spielt auf der
Bühne Gesellschaft eher eine Laienspielschar, die, zur Echtzeit gezwungen, weder
Probe noch Korrekturmöglichkeiten hat, sondern ihre Struktur gewissermaßen impr o-
visieren muss und dennoch zu Selbststabilisierungen auch im Hinblick auf die W ech-
selseitigkeit der operativ voneinander unabhängigen Fun ktionssysteme kommt. Es ist
fundamental eine Gesellschaft der Gegenwarten.“ (2003: 165)

Im Anschluss daran interessiert sich die vorliegende Arbeit für ein besonderes
Drama. Es ist das Dram a der Herstellung von Intim ität, das sowohl in den Lie-
besgeschichten, die der intimitätssoziologische Diskurs der Moderne angefertigt
hat, als auch in Paargeschichten, die von Gewährspersonen vor einem soziolo-
gischen Publikum erzählt werden, sichtbar gemacht werden soll. D ie folgenden
Seiten sind dabei von einer spezifischen Fragestellung geleitet: Wie wird Intimi-
tät darstellbar gem acht? W ie w ird sie kom munikativ plausibili siert? W elchen
Konstruktionsprozessen folgt diese Kom munikation und welche Darstel-
lungspraktiken von Intim ität lassen sich nachzeichnen? K ristallisieren sich re-
kurrente Formeln heraus, die sich in ei ner Gesellschaft der Gegenwarten nicht
einfach als eine Um setzung einer vorgege benen Semantik entschlüsseln lassen,
sondern selbst dazu in der Lage sind, intime Kommunikation als intime im G e-
Einleitung 13

gensatz zu anderen Kommunikationen zu etablieren? W ie w ird Intim ität als


Intimität kommunikativ in Szene gesetzt? Welcher Ausdruckstechniken bedient
sich diese „Inszenierung“? W elches Verhältnis unterhält Intimität zum M edium
der Sprache, wie wird sie „versprachlicht “? Wie wird sie symbolisiert, wenn sie
sich diesem Medium sperrt, also nicht „versprachlicht“ w erden will oder kann?
In all diesen Fragen liegt das Hauptaugenmerk darauf, wie die Darstellung von
Intimität praktisch gelingt. Das fundamentale Interesse richtet sich darauf, wel-
che Kommunikationsstile sich bewähren. Die leitende These ist dabei, dass in
einer Gesellschaft der Gegenwarten die Darstellung von Intimität immer auch in
der Gesellschaft stattfindet – dass also die performative Herstellung von Intimi-
tät auch der Praxis ihrer Darstellung ab zulesen ist und damit Rückschlüsse er-
laubt, die etwa den Rahmen einer konkr eten Paargeschichte überschreiten und
einen Beitrag zum Verständnis der zeitgenössischen Gesellschaft leisten kö n-
nen.
Die methodischen Implikationen eine r solchen Fragestellung werden in
dieser Arbeit noch ausführlich diskutiert. Zunächst soll aber in einem ersten
Kapitel (I.) der intim itätssoziologische Diskurs der M oderne entfaltet werden.
Ihm ist nicht nur darum zu tun, eine Ge schichte der Liebe in der m odernen Ge-
sellschaft zu erzählen. Interessant wird vielmehr, wie die Soziologie Geschich-
ten von der Liebe erzählt hat. Ein Rückblick auf die traditio nelle Semantik der
Liebe gerät schon hier zu einem Rückblick auf die Gegenstandskonsti tution der
Intimitätssoziologie. Die grundsätzliche n Themen und M otive, die sich dabei
herauskristallisieren, w erden auch den im engeren Sinne em pirischen T eil der
Arbeit strukturieren. Das zweite Kapitel (II.) macht sich vor diesem Hintergrund
die Interpretation von Paargeschichten zur Aufgabe. Analysiert im Hinblick auf
die Fragestellung dieser Arbeit werden zwölf Interviews mit Paaren. Die Dar-
stellungs- und Herstellungspraxis von Intim ität und Liebe wird mit drei zentr a-
len Bezugsproblemen korreliert. W ichtig erscheint zunächst die Einzigartigkeit,
Besonderheit und Individualität der Paar geschichte (II.1.). D em Problem der
Kommunikation von Gefühlen wird ein ni cht weniger wichtiger Stellenwert
eingeräumt (II.2.), gewinnt aber in der in dieser Studie eingenommen Perspekti-
ve eine „überraschende“ W ende, wenn sich Gefühle lediglich an Attribution s-
ambivalenzen ablesen lassen, die die Paare noch beim Erzählen ihrer Geschichte
überraschen. Schließlich wird der Umst and behandelt, dass sich die Intimität
nicht nur in einer Interaktionssituation beobachten ließ, sondern auch durch die
Ostentation dieser Interaktionsbasierth eit (II.3.). In einem m ethodischen Nach-
trag wird das Forschungsdesign in einer Auseinandersetzung mit ethnomethodo-
logischen Forschungsstrategien reflektiert (II.4.). D er Titel des K apitels deutet
schon sein zentrales Ergebnis an. Der sozi ologische Blick hat es „stets mit U n-
bestimmtheit zu tun, oder besser: mit der praktischen Herstellung von B e-
14 Einleitung

stimmtheit“ (Nassehi 2006a: 451). Die nur auf den ersten Blick paradox anmu-
tende Pointe des Kapitels ist vor di esem Hintergrund, da ss diese Herstellung
von Bestimmtheit in den Paargeschichten gerade über ihr Gegenteil – die Her-
stellung von Unbestimmtheit – gelingen kann.
Wenn die These dieses Kapitels sti mmt, muss sie sich in der Analyse von
typischen M echanismen und K ommunikationsstilen, die über die H erstellung
von Unbestimmtheit die Herstellung von Intimität leisten können, bewähren.
Das anschließende K apitel (III.) leistet diesen N achweis exem plarisch anhand
der O mnipräsenz eines ironischen Stils in der D arstellung der Intim ität in den
Paargeschichten. Es führt vor allem auch die Vorteile der hier etablierten sozi o-
logischen Perspektive auf die Intimität vor. Wenn die Ironie der soziologi schen
Forschung theoretisch als Erzfeind der Liebe erscheinen musste, lässt sich aus
dieser Perspektive empirisch als f undamentaler Beitrag zur Herstellung von
Intimität lesen: Ironie offenbart sich als ein Fragment einer Sprache der Liebe.
Im Schlusskapitel schließlich w erden die zentralen Ergebnisse noch einmal
rekapituliert.
Kapitel I: Liebesgeschichten: „Liebe“ und der
intimitätssoziologische Diskurs der
Moderne
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu.
Heinrich Heine

Erfolg- und einflussreiche Positionen im soziologischen D iskurs der M oderne


liefern immer auch eine historische Erzählung, die den spezifischen M oment
und den spezifischen Ort, von dem aus si e erzählt werden, selbst zum Thema
hat. „Die Soziologie versteht sich se it ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert als
eine W issenschaft der M oderne“1 (2008: 226) bringt es Andreas Reckwitz
jüngst auf den Punkt, nicht ohne gleich da rauf hinzuweisen, dass die gegenwä r-
tige Gesellschaft selbst wiederum nach einer ihr angemessenen Soziolo gie der
Verabschiedung von den großen Erzählungen der M oderne verlangt. Es ist, so
müsste m an hier hinzufügen, der m ittlerweile selbst w iederum zur evidenten
Erzählung geronnene Anspruch an die Soziologie, die übe rkommenen Erzäh-
lungen der M oderne zu „redigieren“ (so bekanntlich Lyotard 1994; hier zit. n.
Reckwitz 2008: 231); es ist eine Erzäh lung, die noch dazu mit der Diagnose
einer „Destabilisierung“ der M oderne gerade in ihrer V erabschiedung von sozi-
ologischen Erzählungen der Moderne – Reckwitz nennt kanonfest die Marxsche
geschichtsphilosophische Beschreibung de r M oderne als Kapitalisierung, die
Webersche Rekonstruktion der M oderne als Rationalisierungsprozess und die
mit Durkheim und Simmel be ginnende Fassung der M odernisierungstheorie als
Differenzierungstheorie – deren Leitm otiv der m odernen D estabilisierung vo r-
moderner Sicherheiten fast originalgetreu kopiert .2 „Eine neue Soziologie für

1
Das es sich bei dieser treffenden Formulie rung der „Wissenschaft der Moderne“ nicht nur um
einen Genitivus objectivus sondern auch um einen Genitivus subjectivus handeln sollte, themati-
siert Reckwitz selbst nicht; es ist jedoch da s Leitmotiv der folgenden Überlegungen zur Erzä h-
lung einer Soziologie der Liebe.
2
Vgl. hierzu etwa Armin Nassehi (2008: 22 f. ), der schon seine Einführung in die Soziologie mit
exakt dem Befund startet, dass „das gemeinsame Bezugsproblem jener neuen Wissenschaft da-
rin besteht, dass sich die sozialen Verhältnisse der Gesellschaft selbst fremd geworden sind. [...]
War die Welt zuvor stärker an der Tradierung ihrer Routinen oder an der langsamen Anpassung
an ebenso langsame Veränderungen orientiert, wurde die Dynamik der Gesellschaft nun selbst
zu jenem Thema, das dynamische Debatten hervorgebracht hat.“

M. Stempfhuber, Paargeschichten, DOI 10.1007/978-3-531-18780-8_2,


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16 Liebesgeschichten

eine neue Gesellschaft“ 3 – so lautet der zeitgemäße An spruch der Soziologie an


sich selbst. Sie verortet sich dam it aber auch in eben jener Tradition des sozio-
logischen Diskurses der M oderne. Für eine soziologische Rekonstruktion der
Modernität der Liebe, w ie sie in diesem Kapitel referiert w ird, gilt in glei chem
Maße, was auch für die historischen Erzählungen der Soziologie sonst gilt: Sie
bekommt es an einem bes timmten Punkt unweigerlich mit sich selbst und den
Bedingungen der M öglichkeit ihrer eigenen Perspektive zu tun. Für eine sozio-
logische Theorie der Gesellschaft ist dies auf den ersten Blick plausibel: Nim mt
sie ihren eigenen Anspruch als Theorie der Gesellschaft ernst, so muss sie auch
den U mstand berücksichtigen, dass sie selbst als eine W issenschaft der und in
der Gesellschaft auf ihrem eigenen Bildschi rm auftauchen wird. Aber auch in
der folgenden Erzählung moderner Intim ität und der sie begleitenden Reflexi-
onsdiskurse wird schon sichtbar werden , dass der soziologische Blick auf die
Liebe diese ihrer Unschuld beraubt – und dabei selbst unweigerlich seine Un-
schuld verliert. Die Geschichte der Lieb e lässt sich so gesehen soziologisch
nicht erzählen, ohne auch eine Geschich te der soziologischen Reflexionsbem ü-
hungen und des soziologischen Ringens um die Erzählbarkeit der Liebe zu er-
zählen.4
Die nun folgenden Ausführungen ähneln nun den vorliegenden soziologi-
schen Erzählungen, weichen von ihnen aber auch an einer entscheidenden Stelle
ab. Erstens wird auch hier zum indest ansatz weise eine Geschichte erzählt. Als
eine kleine Erzählung, eine kleine Liebesgeschichte tritt das Kapitel gleichzeitig
bescheiden und anspruchsvoll zugleich an . Bescheiden, da hier natürlich keine
umfassende historische Darstellung geleistet werden kann, die das Phänomen
der modernen Liebe in einer objektiven Rekonstruktion schon fest in den Griff
bekommen könnte. Anspruchsvoll, da in dieser kleinen Er zählung aber mehr
geleistet werden soll, als ein kurzes Vorgeplänkel zum Thema aus der Perspek-
tive eines soziologischen Laienhistorikers. Für empirische soziologische Arbe i-
ten (vgl. nur Illouz 1997; Lenz 1998; Wimbauer 2003; Niekrenz/Villányi 2008;
Lenz/Nestmann 2009) ist die Beschäfti gung mit der Geschichte der Liebe ein
unerlässliches Propädeutikum, und das aus mehreren Gründen. In ihr soll sich
nämlich vorführen lassen, dass auch die Liebe ein Thema ist, das sich einem
spezifisch soziologischen Blick zugänglich erweist. Die Geschichte der Liebe

3
So der Titel der deutschen Übersetzung von Bruno Latours Einführung in die Akteur-Netzwerk-
Theorie, die im nächsten Kapitel einen bedeutenden Stellenwert einnehmen wird.
4
Dieser Hinweis ist hier zunächst nur theorieästhetisch gemeint (als Hinweis auf wissenschaftl i-
che Erzählungen der Liebe im Kontext der mode rnen Gesellscha ft, die auch die Wissenschaft
vom liebenden Menschen hervorgebracht hat), wird aber in den nächsten Kapiteln (vgl. II.4.)
auch methodisch (als Hinweis auf die Erzählung en der Liebe vor einem soziologischen Publ i-
kum in der Interviewsituation) und empirisch (a ls Hinweis auf Erzählungen mit soziologischen
Erklärungsmustern durch die Liebenden selbst) eingeholt werden.
Liebesgeschichten 17

muss also so konstruiert sein, dass sie sich ihren Gegenstand als spezi fisch sozi-
ologischen Gegenstand erschließt – und nicht etwa als eine Ansammlung oder
Aneinanderreihung historischer „Fakten“ , denen dann die Soziologie darüber
hinaus noch eine soziale Dimension oder eine soziale Erklärung hinzufügen
könnte. Der Anspruch des folgenden Kapitels ist es dann auch, die für den inti-
mitätssoziologischen Diskurs relevant en, ausschlaggebenden und informations-
bringenden Aspekte der soziologischen Ge schichten der Liebe miteinander in
Beziehung zu setzen. Dam it wird aber zweitens auch w ichtig, gleichzeitig stä n-
dig m it zu reflektieren, dass die Soziologie nicht umhin konnte, immer auch
unterschiedliche Geschichten ihres wandelbaren Gegenstandes der Liebe zu
erzählen; sie hat sich – so zum indest die implizite These dieses K apitels – ihren
Gegenstand immer auch dadurch konstituiert, dass sich von ihm eine spezifische
Geschichte erzählen ließ, aus der wied erum der Anspruch hervorging, eine neue
Soziologie für neue Formen der Intimität zu entwerfen. Lässt sich dies zeigen,
wir man drittens nicht umhin kommen, auch einen Blick darauf zu werfen, wie
diese Geschichten aus verschiedenen soziologischen Perspektiven jeweils e r-
zählt werden; welche wiederkehrenden Topoi und M otive sich erkennen lassen;
wie die Liebe schließlich im Rahm en von um fassenden Erzählungen der M o-
dernisierung figurieren. D ie jew eiligen Form en der Erzählung sind dabei alles
andere als unschuldig. Sie generieren In formationen: dafür, wie die Liebe empi-
risch zu fassen sein m ag; dafür, wie dies m ethodisch zu bewerkstelligen ist;
dafür, wie die Befunde dann theoretisch gedeutet und schließlich v ielleicht auch
gewertet werden m üssen. So m ag die Darstellungstechnik (!) dieses Kapitels
zunächst verwundern, wenn hier versuc ht wird, die Geschichte der Liebe paral-
lel mit einer Geschichte ihrer soziologischen Darstellungstechniken zu erzählen.
Plausibel soll dabei allerdings w erden, dass man die intimitätssoziologischen
Narrative nur dann ernst nehmen kann, wenn man einerseits theoretisch ernst
nimmt, dass sie ihren Gegenstand erfolgreich so darstellbar machen können, wie
sie ihm informationsgewinnbringende Bezugprobleme abgewinnen können;
dass man die intimitätssoziologischen Na rrative nur dann ernst nehmen kann,
wenn man sie andererseits empirisch so liest, dass deutlich w ird, dass die Plau-
sibilität ihrer Darstellungsweisen wiederum auf einen gesellschaftlichen Ko n-
text verweist, dem sie sich verdanken – und den sie noch dazu erst sichtbar
werden lassen. Ernst genom men werden soll also auch die – im Sinne Stähelis
(etwa in M oebius 2008: 116 f.; 2000a) – „konstitutive Nachträglichkeit“ der
soziologischen (w issenschaftlichen) Sem antik für den G egenstand der Liebe
selbst. Dem Erfolg soziologischer Liebes geschichten soll also ein Hinweis d a-
rauf entnommen werden, in welcher Gesellschaft diese Geschichten Erfolg
haben können. Ihr Erfolg mag aber darübe r hinaus auch auf die nicht zu unter-
schätzenden Leistung soziologischer Erzäh lungen verweisen, das Beschriebene
18 Liebesgeschichten

durch die Beschreibung „retroaktiv“ herzus tellen – die Liebesgeschichten „sind


performativ am Zustandekom men von Sozialstrukturen beteiligt und können
nicht klassisch im Sinne eines zeitlich linearen V erständnisses aus ihren vo r-
gängigen, verm eintlich ‚realeren ‘ Strukt uren abgeleitet w erden“ (Stäheli in
Moebius 2008: 117). Diesem Verdacht soll ab er vor allem in den Kapiteln II.
und III. dieser A rbeit noch verm ehrt Au fmerksamkeit geschenkt werden. Hier
bleibt viertens auf einen weiteren Verdacht hinzuweisen, dem in der folgenden
Darstellung nachgegangen werden soll. Interessant werden nämlich die Brüche
in der Geschichte der Liebe. Ihnen wird insofern große Bedeutung beigemessen,
als sich den Brüchen in der Genealogie des untersuchten Gegen standes Unter-
scheidungen ablesen lassen, die den soziologischen Analysen dann als W erk-
zeuge bereitstehen, um diesen Gegenstand einerseits überhaupt erst in den Blick
zu bekommen. In diesem Sinne sind di ese Unterscheidungen, wie sich zeigen
wird, auch Informationsgeneratoren – es macht einen Unterschied, ob man m o-
derne Liebe von vormoderner untersche idet, postmoderne von moderner, part-
nerschaftliche von romantischer, authentische von falscher.
Dass in der folgenden Rekonstruktion einer Liebesgeschichte zunächst auf
die Semantikanalyse Niklas Luhmanns und die archäologischen und genealogi-
schen Forschungsanstöße M ichel Foucaults in besonderem M aße Bezug g e-
nommen wird, hat unter diesen Gesich tspunkten einen trivialen und einen kom-
plizierten Grund. Beide Gründe sind folgenreich. Trivial ist der Rückbezug auf
gerade diese beiden Ansätze, weil sie sich für eine soziologische Perspektive auf
das Phänom en der L iebe, die sich auch auf historische Studien einlassen w ill,
praktisch beispiel- und konkurrenzlos als theoretische Angebote präsentieren.
Um eine „Nacherzählung“ der „historischen“ Ergebnisse zur Ausdifferenzie-
rung der modernen „Liebe als Passion“, wi e Luhmann sie in seiner gleichnam i-
gen Studie vorstellt, kom men beispielsweise selbst soziologische A rbeiten nicht
herum, die dann anschließend den theoretischen Ansatz der Systemtheor ie und
ihre m aterialen Thesen explizit kritisieren und ablehnen. 5 Dabei haben sowohl
Luhmann als auch Foucault nicht nur selb st viel beachtete Studien zu histor i-
schen Fragen vorgelegt und eine Vielzahl weiterer wichtiger Forschungsliteratur
angeregt und beeinflusst; für die Soziol ogie der Intimität sind sie damit selbst
längst zu, um wiederum ei ne Formulierung Foucaults aufzugreifen, Diskursivi-
tätsbegründern (vgl. dazu 1974: 24 f.) ge worden. Das bedeutet nun mitnichten,
dass alle anderen wichtigen Positi onen des intimitätssoziologischen Diskurses
nur als Fußnoten zu den hier in Ansp ruch genommen Diskursivitätsbegründern
gelesen werden müssen, so wie etwa kokett die europäische Philosophiege-

5
Als könnte man hier eine „Ebenentrennung“ durchhalten und etwa systemtheoretisch desinf i-
zierte Ergebnisse aus der Studie Luhm anns herausdestillieren (vgl. etwa W imbauer 2003: 79 f.;
93 f.).
Liebesgeschichten 19

schichte als eine Reihe von Fußnoten zu Platon (so bekannt ermaßen von A. N.
Whitehead) gelesen werden konnte; dies be deutet nicht, dass abweichende Er-
zählungen als Interpretationsfehler des autoritativen Ursprungs korrigiert wer-
den könnten oder gar sollten; dies bedeutet schon gar nicht, dass mögliche ande-
re Zugriffsversuche auf eine Geschichte der Liebe nur als empirisches M aterial
herhalten müssen, die dann aus der Beobachterperspektive einer als wirkmäch-
tiger erscheinenden Theorie noch einmal interpretiert werden könnten; und es
bedeutet auch nicht, dass unterschiedl iche Lesarten der modernen Liebe etwa in
der Theorie sozialer Systeme im Sinne einer M etatheorie vereinigt und ihre
Differenzen geschlichtet und sozusagen aufgehoben werden könnten. Es ver-
weist aber schon auf einen kom plizierteren Grund: Im Hinblick auf die von
Luhmann und dann auch von Foucault angebotenen Erzählungen lassen sich die
Motive, Figuren und Bezugsproblem e, di e nicht nur in den Geschichten der
Liebe m it soziologischem Erkenntnisinteresse, sondern dann vor allem in den
empirischen Analysen der nächsten Kapitel auftauchen, besonders einleuchtend
zuspitzen und bündeln. Zunächst muss die Geschichte der Geschichte der Liebe
aber begonnen werden, und sie beginnt: Vor der Liebe.

1. Vor der Liebe: Liebe in der Ehe

Mit diesem Interesse für die W irkmächtigkeit soziologischer Liebesgeschichten


muss hier also zunächst interessieren, wo und wann soziologische Erzählungen
der Liebe einsetzen. Die einflussreichen soziologischen Studien zur Liebe, die
sich auch auf eine historische Rekonstr uktion der „Liebe“ ei nlassen (vgl. nur
Luhmann 1982; Giddens 1993; Dux 1994), überschneiden sich dabei deutlich an
zumindest einem Punkt: Sie re konstruieren Liebe als ein modernes Phänomen.
Sie stoßen dabei auf das Konzept der leidenschaftlichen und dann auch der
romantischen Liebe, das für das Selbstverständnis moderner Intimität auch noch
da einflussreich zu sein scheint, wo es nur (noch) als Kontrastfolie dienen kann.
Es kann hier nicht deutlich genug hervorgehoben werden, dass es sich dabei
nicht nur um eine rein historische Fest stellung handelt, sind die hier interessie-
renden erzählten Geschichten doch auch immer soziologische Erzählungen.
Damit ist natürlich noch nichts über di e historische Genauigkeit und Akkurates-
se der jeweiligen Argum entationen ausgesagt; es hilft abe r, im Hinterkopf zu
behalten, dass die jew eiligen D arstellungen der G enese rom antischer Liebe –
und damit auch die Konzentration auf genau dieses Phänomen der romantischen
Liebe – ein M oment in einem sozi ologischen Diskussionszusammenhang bil-
den, in dem diese Zuspitzung einen gewichtigen Teil der Argumentation au s-
macht. Für diese Er zählungen ist dann nicht zuletzt von Bedeutung, dass Liebe
20 Liebesgeschichten

soziologisch als durch und durch historisches Phänomen begriffen werden kann.
Die Historizität von rom antischer Liebe – und das bedeutet: von „Liebe“ über-
haupt, deren romantische Ausprägung nich t nur als eine kontingente Ersche i-
nungsweise einer universellen Grundgegebenheit mehr verstanden werden kann
– ist in dieser H insicht ein zentr ales Ergebnis der soziologischen Ge-
genstandskonstitution. D abei kann die K onzentration auf rom antische Liebe
durchaus, um nur auf die drei schon erwähnten Deutungswe isen noch einmal
kurz einzugehen, unterschiedliche Funk tionen erfüllen. Für Niklas Luhmann
stellen sich dann die gesellscha ftlichen Anforderungen an die Liebe und ihre
Leistungen als die Antwort auf ein Probl em dar, das sich auf diese W eise nur
für die m oderne, sich prim är funktional ausdifferenziernde G esellschaft stellt.
Mit der romantischen Liebe scheint ihm dann diejenige Form der Codierung
intimer Beziehungen etabliert zu sein, in der die Ausdifferenzierung eines spezi-
fischen Kommunikationsmediums für eben diese, historischen neuen, Intimb e-
ziehungen zu einem vorläufigen Abschluss kommt. Erst vor diesem Hintergrund
lohnt sich dann die berühmte, auf die Jetztzeit gemünzte Frage nach „Problemen
und Alternativen“ der romantischen Liebe: „W as nun?“ (Luhmann 1982: 197).
Ganz ähnlich stellt sich – trotz a ller anthropologischen Grundannahmen (vgl.
1994: 93 ff.) – für Günter Dux die romantis che Liebe als der Effekt eines spezi-
fisch m odernen W eltverhältnisses neuzeitlic her Subjekte dar. Sie reagiert auf
den „Verlust der W elt“, als einer gleich sam in soziale Beziehungen projizierte
Variante des von Dux geistes- und ideengeschichtlich rekonstruierten Bezugs-
problem der Romantik überhaupt: „das Subjekt in die W elt einzubinden und
dabei seine in der N euzeit gewonnene Position, die W elt auf sich konvergieren
zu lassen, zu behaupten“ (1994: 378). Er st vor diesem Hintergrund lohnt sich
dann die Frage nach den M öglichkeiten der Liebe nach der Absolutwerdung
dieses V erlusts der W elt: „D er V erlust einer W elt, die der Sinn haftigkeit der
Lebensführung Maßstäbe setzen könnte, ist definitiv geworden.“ (467) Für den
historisch etwas verkürzten Blick An thony Giddens’ schrum pft dann auch die
Funktion des Bezugs auf den spezifischen Zusammenhang von Sexualität, Liebe
und Ehe, die er m it dem Label der romantischen Liebe fassen will. Hier interes-
siert nur noch der „W andel der Intimität“ , in dessen Verlauf das romantische
Liebesideal von einer „reinen Beziehung“ 6 abgelöst wird; romantische Liebe
gerät ihm zur Kontrastfolie heutiger Vorstellungen und Praktiken intimer Be-
ziehungen – und nichtsdestotrotz wird der Bezug auf romantische Liebe für
seine Erzählung von W andel der Intimität gerade deshalb so zentral, weil der

6
Vgl. etwa Giddens 1992 (60 ff.; 148 ff). Eine ähnliche Problemstellung findet sich etwa auch
schon bei Andrea Leupold (1983) und natürlich auch bei Ulrich Beck und Elisabth Beck -
Gernsheim (1990). Die Frage nach dem Ende des romantischen Liebesideals wird im Folgenden
noch relevant werden.
Liebesgeschichten 21

mit ihr bezeichnete historische Komplex (als romantisches Liebes ideal) als die
relevante Kontrastfolie etabliert wird. Der Schwerpunkt der Argumentation liegt
dann allerdings schon beim Nachweis der Historiziät, mithin der historischen
Kontingenz der rom antischen Liebe, der dann auch als ein Nachweis der W an-
delbarkeit moderner Intimität gedeutet werden kann.
Für soziologische Erzählungen scheinen sich damit einige Grundvorausset-
zungen skizzieren zu lassen. W ie die obigen Beispiele verdeutlichen sollten,
nimmt weder die Analyse tradierter Se mantiken, noch die ideen- und geistesge-
schichtliche Rekonstruktion oder der praxistheoretische Zugriff auf das Them a
ihren Ausgangspunkt bei der D efinition oder Explikation des Wortes der „L ie-
be“. M an kann sich die R elevanz dieses trivialen U mstandes verdeutlichen,
wenn m an diesen Zuschnitt etwa m it linguistischen Analysen des Be-
deutungswandels der Liebe kontrastiert. 7 Protagonist soziologischer Erzählun-
gen ist demgegenüber ein jeweils noch näher zu bestimmendes Phämonem;
weder die Einheit noch die Kontinuität ihres Gegenstands, weder seine innere
Differenzen noch seine historische W andelbarkeit wird am Begriff der „Liebe“
festgemacht. Vielmehr ist es die betont e Historizität eines Phänomens, dem das
Hauptaugenmerk gilt und das dann auch für synchrone Vergleichsmöglichkeiten
und einen diachronen Spannungsbogen sorgt. Von daher verwundert es auch
nicht, dass dabei das historisch Neue der romantischen Liebe so sehr in den
Vordergrund gerückt wird. Und vielleicht kann m an sich vor einer genauen
Begriffsbestimmung zunächst einmal ge winnbringend auf die Frage einlassen,
wo diese Erzählungen starten, wo in di esen Entwürfen nach Vorläufern der
romantischen Fassung der Liebe zu suchen ist. Und auch hier ist die Antwort
eindeutig: nicht in der Ehe.
Nachdrücklich weist etwa Philippe Ariès darauf hin, dass bis ins 18. Jahr-
hundert hinein eine Unterscheidung von Form en und Typen der Liebe von zent-
raler Bedeutung ist, die uns heute in di eser Ausprägung nicht mehr geläufig ist:
ein „Unterschied nämlich, den die Menschen in nahezu allen Gesellschaften und
fast zu allen Zeiten (außer der unseren) zwischen der Liebe in der Ehe und der
Liebe außerhalb der Ehe gesehen haben.“ (in Ariès/Béjin 1984: 165; vgl. auch
Flandrin 1982) G emeint ist hier nicht einfach eine rechtlich, m oralisch oder
religiös bewertende Unterscheidung, die außereheliche Intimbeziehungen a n-
ders sanktionieren würde als eheliche . Es geht hier um vollkom men unter-
7
Vgl. klassisch für einen synchronen kontrastiven Ansatz Kövecses (1986). Als Beispiel für
einen diachronen Ansatz seien hier nur die in teressanten Studien von Heli Tissari (2000; 2005)
angeführt. Hier interessieren etwa die semantischen Verschiebungen innerhalb des Konzepts
von LOVE, das als ein Set von analytisch unterscheidbaren semantischen Feldern gefasst wird:
„family love“, „friendship“, „sexual love“, „r eligious love“ und „love of things“ (2000: 129).
Ein ähnlicher, begriffsfixierter Zuschnitt findet sich aber auch noch in der phänomenologischen
Soziologie Hubert Knoblauchs (vgl. in Niekrenz/Villányi 2008: 126 f.).
22 Liebesgeschichten

schiedliche Verständnisse, Gestaltungen und Praktiken der Ausformung persön-


licher Beziehungen. Im Blick auf eine G eschichte der Sexualität hebt A riès vor
allem die unterschiedlichen Konzeptionen körperlicher Lust hervor, die sich
hinter diesen Liebensweisen verberge n. W ährend in der Ehe Zurückhaltung
gefordert ist – Ariès verweist hier auf Se neca als Stichwortgeber für die christli-
che Tradition: „Schändlich handelt aber au ch, wer in allzu großer Liebe zu sei-
ner eigenen Frau entbrennt“ (169) – kennen die „alten Gesellschaften“ durchaus
einen außerehelichen Ort für die „Liebe“. Es ist aber nicht nur der Bezug auf
Sexualität und Erotik, der die beiden Form en der Liebe voneinander trennt, in
ihnen sind auch vollkommen unterschiedlic he Zeitstrukturen zu unterscheiden:
Die eheliche „Liebe, die Aneignung ist, kommt nicht m it einem Schlage, wie
der Blitz, oder als W irkung eines Zaubertranks, w ie bei Tristan und Isolde,
beides ihrem W esen nach Signaturen außerehelicher Liebe“ (170). W as das
spezifisch moderne der romantischen Lieb e für A riès ausmacht, ist der für uns
so banale Umstand, dass diese außereheliche Liebe sich nun auch in das Eh e-
ideal eingenistet hat, dass sie dort ge wissermaßen triumphiert hat. Denn nicht
nur nähern sich im 18. Jahrhundert beid e Liebesformen einander an, vielmehr
gibt es heute „nur noch eine Liebe, die leidenschaftliche und stark erotisierte
Liebe, und die alten Merkmale der ehelichen Liebe [...] sind verschw unden oder
gelten als hinderliche Reste, die den en dgültigen Sieg der Liebe – der einen und
einzigen Liebe, der einen und einzigen Sexualität – hinauszögern“ (173).
Hier klingt nun im besonderen Blic k auf die Einbeziehung der Sexualität
schon sehr deut lich ein M otiv an, das in den in diesem K apitel vorges tellten
soziologischen Liebeserzählungen, wenn auch in unt erschiedlichen Ausformun-
gen, immer wieder auftaucht; das M otiv nämlich, dass es dann in der M oderne
einerseits eine dominante, hegemoniale Form persönlicher Beziehungen gibt,
die man gemeinhin Liebe nennt, dass dies e Form andererseits aber auch als
gleichsam unglückliches Konglomerat unterschiedlicher M omente begriffen
werden muss, die freilich zunächst nur analytisch auseinander gehalten werden
können; dass diese eine dominante, hegemoniale Form sich als Ideal behauptet –
paradigmatisch für Ulrich Beck etwa als „ passgerechte Gegenideologie der
Individualisierung“ (Beck/Beck-Gernsheim 1990: 239) –, die dabei doch prak-
tisch lebbar gem acht w erden m uss – so erscheint sie Georg Sim mel als „die
reinste Tragik“ (1985: 273); dass diese ei ne dominante, hegemoniale Form sich
durch das tendenzielle Auseinanderdriften ihrer einzelnen M omente im Dauerz-
erfall befinde, obwohl sie in ihrer Reinform nie existiert hat. Interessant in unse-
rem D iskussionszusammenhang ist aber vor allem , dass in jedem Fall dieses
historisch neue, für die moderne Gesells chaft typische Phänomen als romant i-
sche Liebe bestim mt w ird. Es ist oft da rauf hingewiesen worden, dass in vo r-
modernen Gesellschaften Ehen nicht im Hinblick auf die schon existierende
Liebesgeschichten 23

Sympathie der Ehepartner geschlossen wurden, sondern aufgrund von „ökono-


mischen Gesichtspunkten“ (Giddens 1992: 49). Die „Einheit von Liebesehe und
ehelicher Liebe“ (Luhmann 1982: 15), die ja auch Ariès im Blick hat, entpuppt
sich in dieser Erzählung als moderne Antwort auf ein Problem, das vor allem
die Neugründung der Ehe in jeder Generation unter Bedingungen der Auflösung
der Ökonomie des ganzen Hauses betri fft. Die historisch e Einmalerfindung der
romantischen Liebe, die Lawrence Stone als eine bürgerliche „Mode“ analysiert
hat, bietet dabei eine höchst problematische Problemlösung zumindest für die
Gründung der Ehe an:

Romantische Liebe ist ein Produkt erlernter kultureller Erwartungen, die Ende des 18.
Jahrhunderts in Mode kamen, und zwar vor allem dank der Ausbreitung des Romans.
Der Roman des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts trägt ein ge höriges Maß an
Verantwortung für desaströse Liebesaffären und unkluge und un glückliche Ehen.
(1977: 191)

Deutlicher als von dem sonst so zurückhaltend schreibenden und detailgenau


argumentierenden Historiker Stone kann ni cht formuliert werden, dass es sich
bei dem hier interessierenden Phänomen – schon in seiner unausweichlichen
Kopplung an m oderne Medien – um ein modernes Phänomen handelt, das im
soziologischen Diskurs der M oderne aber gleich sam nur an den Rändern auf-
taucht; und den Grund liefert Stone auch schon mit, konzipiert er doch romant i-
sche Liebe vor allem im Hinblick auf die Ehe und vor allem unter dem Aspekt
ihrer D auer. E s w ird noch expliziter th ematisiert, w ie sich hier vor allem ein
ehe- und familiensoziologischer Erzählstrang einrichtet, dessen Perspektive sich
auf die Konsequenzen der zur W ende zum 19. Jahrhundert beginnenden Institu-
tionalisierung der Liebesehe versteift, hat sie doch zum Ausgangspunkt in erster
Line das Problem der Stabilität der Ehen und Fam ilien und fragt erst dann und
in dieser Hinsicht nach den Auswirkungen einer modernen Konzeption romanti-
scher Liebe (vgl. klassisch dazu Bu rgess 1926; vgl. Claessen/Milhoffer 1960;
für einen Überblick zur sogenannten „Desorganisationsthese“ vgl. Leupold
1983; zeitgenössisch mit der gleichen Fragestellung vgl. Esser 2002a; 2002b).
Der Erfolg des Liebesideals als vorherrs chendes Prinzip der W ahl des Ehepart-
ners erscheint dann lediglich als ein Beschleunigungsmoment auf der „Road to
Divorce“ (Stone 1990). M an kann aber in diesem Zusam menhang wohl nicht
genug darauf hinweisen, dass für eine n intimitätssoziologischen Erzählstrang
die Frage nach der Ausdifferenzier ung von Intimbeziehungen unter dem Label
der romantischen Liebe als eigenständige s Phänomen – und nicht erst in ihrer
Beziehung auf die Liebesehe – von Intere sse sein muss, ist doch der „ganze
Komplex der rom antischen Liebe [...] genauso ungew öhnlich w ie bestim mte
Züge, die Max Weber in der protestantis chen Ethik vorgefunden hat.“ (Giddens
24 Liebesgeschichten

1992: 51). Und dieser Komplex bildet sich aus dieser Perspektive eben nicht
zunächst in der Ehe heraus, sondern mithin sogar gegen die Ehe: „M an kann
nicht genug betonen, daß die hier gemeinte Freiheit der Liebeswahl verheiratete
Personen und außereheliche Beziehungen betrifft.“ (Luhmann 1982: 60)

Begriffsgeschichtlicher Nachtrag: M it Reinhard Kosseleck lässt sich der histo-


risch zu vermerkende Wandel aber nun auch begriffsgeschichtlich einholen und
äußerst prägnant nachverfolgen. Ihm dient interessanter W eise gerade der W an-
del der Deutung der Ehe als paradigmatisches Beis piel, um das diffizile Ver-
hältnis von Begriffs- und Sozialgeschichte zu thematisieren, und das heißt für
ihn in diesem Falle: das Verhältnis von primär außersprachlichen Faktorenbü n-
deln und „Faktoren, die ohne Interpretati on ihrer sprachlichen Selbstartikulation
gar nicht zu untersuchen wären“ (2006: 26) zu problem atisieren. „Und wenn
sich Veränderungen abzeichnen, dann nur, wenn die Ehe auf einen neuen B e-
griff gebracht w orden ist“ (27), lautet dabei die begriffsgeschichtliche Form el.
In der Tat lässt sich dies aber im Falle der Ehe deutlich rekonstruieren. Auch die
Begriffsgeschichte erzählt in unserem Sinne eine Geschichte, und es ist die
Geschichte nicht nur einer Veränderung im sem antischen Gehalt des Begriffs
der Ehe, die den Deutungsmustern Richtung vorgeben und Beschränkungen
auferlegen, sondern auch eine Veränderung in den hegemonialen gesellschaftli-
chen Feldern, die die Deutungshoheit über den Begriff ausüben. Nicht verwun-
derlich dom iniert in der begriffsgeschichtlichen Nacherzählung vor dem – sat-
telzeitgetreuen – langsamen, sich jedoch beschleunigenden Bruch mit der Tradi-
tion im 18. Jahrhundert die „theologisc he Deutung der Ehe als eines von Gott
eingesetzten unauflöslichen In stituts“ (27), der sich sozialgeschichtlich auf die
Vorgaben der Ökonom ie des ganzen Hauses beziehen lassen kann. Rechtliche
Beschränkungen in der Auswahl der M enschen, die überhaupt für eine Ehe in
Frage kommen – relevant sind vor a llem ökonomische Grundlagen zur Auf-
rechterhaltung der Lebensgrundlage des Haus es –, kongruieren in einer Defini-
tion der Ehe als Institution mit dem „Hauptzweck [der] Ernährung und Vermeh-
rung des M enschengeschlechts“ (ebd.). Es sind wiederum rechtliche Um beset-
zungen des Begriffs der Ehe, in der Koselleck eine W eichenstellung für den
weiteren Verlauf der Deutung der Ehe ablesen kann: „[I]m Allgemeinen Land-
recht für die preußischen Staaten (1791/94) [wird] die Ehe vertragsrechlicht neu
begründet“ (ebd.). Entscheidend ist dann aber ein letzter Schritt:

Schließlich finden wir zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen vollständig neuen Eheb e-
griff. Die theologische Begründung wird dur ch eine anthropologische Selbstbegrün-
dung abgelöst, das Institut der Ehe seines r echtlichen Rahmens entblößt, um der sittli-
chen Selbstverwirklichung zweier sich liebender Personen Raum zu schaffen. Der
Liebesgeschichten 25

Brockhaus von 1820 feiert in emphatischen Worten die postulierte Autonomie und
bringt sie auf einen neuen Begriff: die Liebesehe. (27 f.)

Hier m arkiert Koselleck also den Punkt, an dem sich die zwei bisher getrennt
gehaltenen Geschichten in eine einzige zusam menfügen. Und gleichzeitig m ar-
kiert er einen Punkt einer für unser Th ema relevanten Unterscheidung, an dem
bisher historische und dann vor allem au ch soziologische Debatten ihren Au s-
gangspunkt nehmen. Koselleck selbst them atisiert das mit einer zunächst für
den Historiker relevanten Unterschei dung: „Die Sozialgeschichte und die B e-
griffsgeschichte haben verschiedene Änderungsgeschwindigkeiten und gründen
in unterscheidbaren Wiederholungsstrukturen.“ (30) Aus der diskursiven Festl e-
gung von begrifflichen Bedeutungsinnovationen lässt sich nicht unvermittelt auf
ihre tatsächliche Durchsetzung in den Deutungsmus tern konkreter, kontextab-
hängiger Lebenssituationen schließen. Da ss m it seiner recht lichten Kodifizi e-
rung und den Bedeutungsverschiebungen in der gepflegten Semantik der „T y-
pus einer Liebesehe zum empirisch einzig en N ormalfall“ (28) w ird, ist gerade
aus einer begriffsgeschichtlichen Perspektive noch lange nicht gesagt. Koselleck
vermutet hier einen Ergänzungsbedarf von begriffs - und sozialgeschichtlichen
Untersuchungen, die – gerade bei der Betonung der unterschiedlichen „W ieder-
holungsgeschwindigkeiten“ – nur durch gegenseitige Erhellung überhaupt zum
Erfolg führen können. Die Idee ist, dass sich langfristige begriffliche Um beset-
zungen in den konkreten Sprach- und Deutungshandlungen niederschlagen,
ebenso wie jene sich nur über die Veränderung in konkreten Kontexten von
(Sprach)ereignissen plausibilisieren lassen – ohne dass sich die „entschw undene
Wirklichkeit und ihre[...] sprachlichen Zeugnisse[...]“ (30) jem als aufeinander
reduzieren lassen würden. Und was aus dieser Perspektive nur am Beispiel von
Liebe und Ehe vorgeführt wird und allgemein paradigmatischen Charakter für
Geschichtsschreibung überhaupt haben soll, mag vielleicht gerade in den sozi o-
logischen Diskussionen üb er Liebe und Ehen eine besondere Sprengkraft besit-
zen. Als entscheidende dramatische Ingr edienz der intim itätssoziologischen
Erzählungen stellt sich näm lich heraus, dass auf verschiedene W eise das Ver -
hältnis von einem Liebesideal und der alltagspraktisch en Umsetzung, von einer
gepflegten Semantik und gelebter In timität, von medialen M ustern und konkre-
ten Liebesgeschichten als Problem ins Z entrum des Interesses gerät – freilich
nicht lediglich als methodisches Problem einer Geschichtsschreibung, sondern
als spezifischer Problembezug des Gegenstandes selbst. Ob die Erzählungen
dann als Ideologiekritik oder als V erteidigung der Liebe gegen die Trivialität
ihrer Liebhaber geraten, ist in dieser Hinsicht erst einmal von nebensächlicher
Bedeutung. Ende des Nachtrags
26 Liebesgeschichten

2. Publikumsbezogene Privatheit: Die Öffentlichkeit der Intimität

Es ist der oben erwähnte zweite Erzählstrang der Intim itätssoziologie, der hier
verfolgt werden soll, wenn er sich zunä chst für die Besonderheit einer leiden-
schaftlichen, einer rom antischen Liebe interessiert. K ornelia H ahn hat jüngst
wieder die romantische Beziehungsform se hr komprimiert als „ prinzipiell eine
‚ganzheitliche‘ Beziehung“ definiert und ihr zusam menfassend die Prädikate
„unvernünftig, maßlos, unbegründbar, uneingeschränkt, auf den anderen in
seiner Einzigartigkeit konzentriert, aber auch verbunden mit einem neuen, nun
(erstmalig) subjektiven W eltbezug“ zugesc hrieben. Sie folgt dabei auch einer
ideen- und sem antikgeschichtlichen Konvention, die das gew issermaßen reinste
„Vorbild seit 200 Jahren“ (in Niekrenz 2008: 43) dieser reinen Beziehungsform8
in Friedrich Schlegels Roman „Lucinde“ sieht. Interessant ist für diese K apitel
aber nun, dass die Rezeptionsgeschichte dieses Rom ans (!), der im Rückblick
das Reinbild der romantischen Liebe enthält, zunächst auch die Geschichte
eines Skandals ist. Angekreidet wurde der „Lucinde“ und ihrem Verfasser zu-
mindest zweierlei: ihre chaotische Form und ihr transgressiver Inhalt. Die cha o-
tische Form der „L ucinde“ – für Schlegel selbst das „W esentliche im R oman“
(1958 Bd. 1: 274) – wurde ihr oft als kläg liches Scheitern in ästhetischer Hin-
sicht vorgehalten 9. Noch zentraler war aber ein zweiter Vorwurf, der sich die
„Schamlosigkeit“ des Romans zum Anla ss der Entrüstung nahm. Nicht nur der
Umstand, dass er als ein Schlüsselrom an gelesen werden konnte, der intim e
Details aus des Verfassers eigenem Leben und ihm bekannter Personen erkenn -
und nachvollziehbar ausplauderte, erhitzte die Gemüter. Auch innerhalb des
Romans gebärdet sich das Erzählte transgressiv im Hinblick auf die problem ati-
sche Grenzziehung zwischen Privatem und Öffentlichem ; für den sym patheti-
schen N ovalis etw a lag das m ögliche „Skandalon des R omans [...] in der V er-
tauschung zweier Räume, der Dislozier ung menschlicher Täti gkeiten, d.h. der
Überschreitung der Grenze des Privaten in die Öffentlichkeit“ (Vollkening in
Neumann 2007: 138). Diese Grenze von Privatheit und Öffentlichkeit, deren
Überschreitung der Liebesro man gleichermaßen praktiziert, wie er sie auch in
seinem Überschreiten gleichsam historisch sicht- und greifbar werden lässt, soll
hier nun kurz thematisiert werden – denn nicht nur kommt keine der einflussrei-

8
Der Ausdruck der „reinen Beziehung“ ist hi er wohl an eine Formulierung Giddens (1993: 60
ff.) angelehnt, der sie freilich dezidiert in Abgrenzung von der „romantischen Liebe“ als die
Reinform einer „partnerschaftlichen Liebe“ verstanden wissen will; von Hahn wird sie hier je-
doch mit der „romantischen Liebe“ gleichgesetzt, um intimitätssoziologisch auf den Prozess der
Ausdifferenzierung moderner Liebe hinzuweisen.
9
Zu einem kurzen Überblick und zu Literaturverweisen vgl. Volkening (in Neumann 2007: 137
ff.). Im Rahmen der materialen Analysen dies er Arbeit (vgl. Kapitel II. und III.) wird noch ge-
nauer auf diesen Aspekt der chaotischen Form des Romans einzugehen sein.
Liebesgeschichten 27

chen soziologischen Erzählungen der Genese moderner Liebe ohne einen Bezug
zu dieser problematischen Grenze und ih rem problematischen Status aus (vgl.
Werber 2003; Illouz 1997), sie berührt au ch wiederum das zentrale Problem der
Erzählbarkeit der Liebe und ihrer dis kursiven Kodifizierung. Problem atisch
erscheint diese Grenzziehung deswegen, weil in historischen und soziologischen
Rekonstruktionen ihrer Genese vor allem deutlich wird, dass es sich bei ihrer
modernen Form – ebenso wie bei der Liebe – um ein Produkt von Umwäl-
zungsprozessen handelt, die zwar ältere semantische und definitorische Eleme n-
te in Anspruch nimmt, sich aber letz tendlich als genuin modernes Phänomen
entpuppt. So zieht etwa noch jüngst Raymond Geuss das Fazit seiner Geneal o-
gie der Privatheit gar in einer Infrag estellung der erkenntnisleitenden Unte r-
scheidung: „Eine genealogische Darste llung löst das Erscheinungsbild von Ein-
heit auf – in diesem Fall den Anschein, dass es eine einzige Unterschei dung von
öffentlich und privat gibt.“ (2002: 31)
Geuss hätte sich m it dieser Einsicht viel leicht leichter getan, hätte er sich
auf soziologische Analysen eingelassen, die gerade die soziale Konstruktion der
Grenze zwischen öffentlich und privat in ihrer spezifischen Ausprägung in mo-
dernen Gesellschaften interpretiert ha ben.10 Nimmt man noch einmal den Skan-
dal der V eröffentlichung der „Lucinde“ im letzten Jahr des 18. Jahrhunderts
zum Anlass, nach der spezifischen M odernität dieser Grenzziehung zu fragen,
so wird man schnell mit dem Umstand konfrontiert, dass seine Deutung ve r-
schiedene Formen annehmen kann; auch hi er wird wieder bedeutsam, in welche
soziologische Erzählung der m odernen U nterscheidung von öffentlich und pr i-

10
Geuss spannt dann auch einen viel größeren ideengeschichtlichen Bogen und verfolgt die
Karriere der Unterscheidung von öffentlich und privat über die Stationen des Marktplatzes in
der griechischen Antike, der res publica der späten römischen Republik, den Bekenntnissen des
Augustinus bis hin zu ihrer zent ralen Bedeutung im Liberalismus. Für seinen Diskussionsz u-
sammenhang ist es dann schon ein erheblicher Gewinn, dass aufgezeigt werden kann, dass es so
etwas wie eine ontologische Unterscheidung von ö ffentlich/privat nicht gibt; seine Stoßrichtung
ist die Frage, wie man in liberalen Diskursen überhaupt einerseits von einem „Recht auf Privat-
heit“ spricht und wie man der „Schamlosigkeit“ der öffentlichen W elt begegnet. Sein Plädoyer
läuft dann darauf hinaus, die Frage zu konkretisieren, warum wir diese Unterscheidung treffen
wollen. Das mag zunächst banal erscheinen, wird aber verständl ich, wenn man sich den polit i-
sierten Hintergrund vor Augen hält, vor dem Geuss argumentiert – scheint doch selbst der für
im nächsten Kapitel dieser Arbeit (vgl. III.1.2) noch wichtig werdende Richard Rorty, „der so l-
che lehrreichen Dinge über die Unlogik der Unterscheidung zwischen ‚subjektiv‘ und ‚objektiv‘
zu sagen hat, [m it der U nterscheidung von ‚privat‘ und ‚ öffentlich‘, M.S.] auf etwas hereinz u-
fallen, das offenbar eine noch haltlosere Version derselben Sache darstellt“ (2002: 127; vgl. für
Rortys emphatisches Plädoyer für die Beibehaltung der Unterscheidung von ‚öffentlich‘ und
‚privat‘ Rorty 1989: 127 ff.). „Recht auf Privatheit“ und „Schamlosigkeit“ scheinen dann auch
zwei zumindest gewichtige diskursiven Stellen zu sein, an denen sich in dieser Rahmung Inti-
mität und Liebe politisieren lässt.
28 Liebesgeschichten

vat er gerahmt wird. 11 Es erscheint also ratsam , anhand dieses Paradebeispiels


einen kurzen Blick auf soziologische Va rianten dieser Erzählung zu werfen.
Hierfür kann nur auf die bekanntesten Namen – Jürgen Habermas, Richard
Sennett und M ichel Foucault – eingegangen werden, die nicht nur den Vorteil
haben, dass ihre K onzeptualisierungen einer Leitunterscheidung von öffentlich
und privat für soziologische Forschung die sicherlich einflussreichsten In-
spirationen gewesen sind, sondern dass sie in dieser Arbeit jeweils noch in a n-
deren Kontexten den Diskussionshintergund liefern können.
Im Hinblick auf die Unterscheidung von öffentlich und privat ist die Studie
von Jürgen H abermas zum „Strukturwande l der Öffentlichkeit“ (1990) gleich-
ermaßen einflussreich wie präsent – und das nicht nur im Hinblick auf die Kon-
zeption der tatsächlichen oder norm ativ gew ünschten R olle einer kritischen
politischen Öffentlichkeit in modernen bürgerlicher Demokratien, sondern gera-
de auch für soziologische Einschätzungen der tatsächlichen oder normativ ge-
wünschten Rolle einer spezifischen bürgerlichen Privatsphäre. Gewiss ist seine
Studie nicht ohne große Vorbilder und Vorre iter, hat sie sich doch etwa auch
durch eine politische Brille mit Gewinn etwa als progressiv „linke“ Antwort auf
die konservativ „rechte“ Rekonstruktion des Zusam menhangs von „ Kritik und
Krise“ (1973) von Reinhart Koselleck lesen lassen. Gewiss ist seine Rekon-
struktion der Genese bürgerli cher Ö ffentlichkeit durch historische Forschung
ergänzt (vgl. nur W ehler 1987) und an ge wichtigen Stellen korrigiert (vgl. H a-
bermas 1990: 21 ff.) worden, wie auch di e theoretische Entwicklung Habermas’

11
Vgl. für eine am Roman selbst interessierte Diskussion wiederum die schöne Interpretation von
Heide Vollkening (in Neumann 2007: 137 ff.), die die Diskussion vor allem im Hinblick auf die
vorherrschende Licht- und Raummetaphorik („Der helle Raum der Romantik“) untersucht und
sich dabei neben den hier erwähnten Autoren Habermas, Sennet und Foucault hauptsächlich auf
Hannah Arendt stützt. Für Volke ning bietet Ar endt den Vorteil, dass bei ihr M otive sim ultan
präsent sind, die von den späteren Autoren gleichsam auseinander gezogen werden. Zudem lie-
fert Arendt die wohl berühmteste Einschätzung der „Lucinde“ und muss deshalb hier zumindest
kurz erwähnt werden. Arendt stellt bekanntlich der Trennung zwischen dem Raum des Privaten
und des Öffentlichen in der antiken Polis den modernen, im 18. Jahrhundert hervortretenden
„Raum des Gesellschaftlichen“ (1967: 38) gegenüber, dessen paradoxe Räum lichkeit gewis-
sermaßen als Erosion der alten räumlichen Tr ennung zwischen einer politischen Öffentlich keit
und einem als privat verstandenen Oikos als Stä tte der Arbeit. Die Lucinde illustriert nun auf
geradezu paradigmatische Weise diese Auflös ungserscheinung (vgl. Arendt 1959), als darin e i-
ne Intimität dargestellt wird, die sich gleichzeitig als eine (unsichere, nicht räumlich verortbare)
Abgrenzungs- und Rückzugserscheinung von der Sphäre des Gesellschaftlichen zeigt, als sie
dies gleichzeitig in einem schamlosen Akt der Grenzüberschreitung inszeniert. Dies spiegelt
sich noch in der uneinheitlichen und fragmentarischen Form des Romans wider. Zwei für uns
wichtige Argumente im Bezug auf den Skandal des Romans sind also schon bei Arendt ausg e-
arbeitet; sie interpretiert „1. Den Roman als Veröffentlichung des Intimen und 2. die Form die-
ser Veröffentlichung als bruchstückhafte Situationen.“ (Vollkening in Neumann 2007: 144)
Vgl. dazu auch das zweite Kapitel dieser Arbeit.
Liebesgeschichten 29

in Richtung der neuen Leituntersche idung von System und Lebenswelt in der
„Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981) Rückwirkungen auf sein Kon-
zept der Ö ffentlichkeit spürbar w erden lässt. Seine M etapher für diese R evisio-
nen an seiner ersten V ersion eine s Strukturw andels der Ö ffentlichkeit ist be-
kanntlich die verspürte Notwendigkeit, „die norm ativen Grundlagen der krit i-
schen Gesellschaftstheorie tiefer zu legen“ 12 – und das ist formuliert sowohl im
Hinblick auf eine Reihe kritischer Reaktionen und Revisionen seines im „Struk-
turwandel der Ö ffentlichkeit“ gezeichneten B ildes vor allem der Inklusionso f-
fenheit des bürgerlichen Ö ffentlichkeitskonzepts als auch als Reaktion auf eine
veränderte m ediale und politische Landschaft: E rst in den 70er Jahren hat Ha-
bermas in den Vereinigten Staaten das Fernsehen entdeckt (vgl. Habermas
1990: 29). Folgt man jedoch der Rekonstruktion der habermasschen Argumenta-
tion von Armin Nassehi, der dessen Selbstverortung im philosophischen Diskurs
der Moderne rekapituliert und seine paradigmatische Stellung in diesem Diskurs
vor allem auch dadurch erklärt, dass Habermas ein Arena -Modell der Gesell-
schaft perpetuiert und auf den (soziologi schen) Begriff bringt, lässt sich die
Weichen stellende Bedeutung von Habermas’ früher Studie über die Etablierung
und Gefährdung einer bürgerlichen Öffentlichkeit vielleicht treffsicherer ein-
schätzen. Denn trotz der „Tieferlegung“ der theoretischen Argumentationsfigu -
ren bleibt in seiner Theorie immer auch ein folgenreicher „ historischer Begriff“
einer Gesellschaft entzifferbar, der ein „ bürgerlicher Begriff in dem Sinne [ist],
dass sich von einer Gesellschaft erst ernsthaft sprechen lässt, wenn ein Publ i-
kum w enigstens virtuell vorgestellt werd en kann, an das Forderungen gestellt
werden können“ (2006: 34). Exakt dies m acht Nassehi als das Arena-M odell
einer Soziologie aus, für die Haberm as den Reflexionshöhepunkt darstellen
kann. Exakt dies lässt sich aber auch als Grundidee der histori schen und sozi o-
logischen Rekonstruktion des Strukturwandels der Ö ffentlichkeit entschlüsseln.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Habermas’ Version der Unterscheidung von
privat und öffentlich w eiterhin die einflussreichste H intergrundfolie für Diskus-
sionen liefert, die sich der Verteidigung oder der Kritik einer weiterhin bürgerl i-
chen Gesellschaft auf die Fahne geschrie ben haben; Diskussionen also, die im
Hinblick auf einen politischen Begriff der Gesellschaft operieren und dabei die
Rolle der Ö ffentlichkeit als einer vor allem auch politischen Ö ffentlichkeit zum
Thema haben (vgl. dazu W agner 2009). Hier soll aber zudem die These vertre-
ten werden, dass Habermas’ Einfluss insbesondere auch in Diskussionen spü r-
bar und stilprägend bleibt, die der V erteidigung und K ritik der Privatheit – und

12
So formuliert Habermas selbst im Vorwor t zur Neuauflage vom „ Strukturwandel der Öffent-
lichkeit“ (1990: 34); zu den Auswirkungen auf eine Theorie der Öffentlichkeit vgl. vor allem
die Studien in Habermas (1992).
30 Liebesgeschichten

damit, wie wir sehen werden, auch einer (anti-)bürgerlichen Fassung der Intimi-
tät – gewidmet sind.13
Entscheidend für die von Habermas angestellte Rekonstruktion ist eine his-
torische U nterscheidung von repräsentativer Öffentlichkeit und bürgerlicher
Öffentlichkeit. E r zitiert hier R ichard A llewyn zur R eorganisation des „großen
Welttheaters“:

Es unterscheidet die bürgerliche von der höfischen Gesinnung, daß im Bürger haus
auch der Festraum noch wohnlich, im Schloß selbst der W ohnraum noch festlich ist.
Und wirklich entwickelt sich seit Versailles das königliche Schlafzimmer zu einem
zweiten Brennpunkt der Schloßanlage. Findet man hier nun das Bett aufgeschlagen
wie eine Schaubühne, auf erhöhter Estrade, ein Thron zum Liegen, durch eine
Schranke von dem Raum der Zuschauer getrennt, so ist ja in der Tat dieser Raum der
tägliche Schauplatz der Zeremonien des Levers und Couchers, die das Intimste zu öf-
fentlicher Bedeutsamkeit erheben. (Alewyn 1959: 43, zit. n. Habermas 1990: 65)

Diese Theatralik der repräsentativen Öffentlichkeit m it der ihr eigentüm lichen


Vermischung von privaten und öffentliche n ästhetischen D arstellungspraktiken
– sollte es denn überhaupt legitim sein , im H inblick auf das stilisierte R ollen-
spiel von der m odernen Unter scheidung von privat und öffentlich zu reden –
zerfällt nun für H abermas im 18. Jahrhundert, „als sich die bürgerlichen Privat-
leute zum Publikum und damit zum Träg er eines neuen Typs von Öffenlichkeit
formieren“ (1990: 17). Das Publikum der repräsentativen Zurschaustellung
bestand nicht aus Privatleuten, bildetet „das V olk“ zw ar die „K onstituti-
onsbedingung“ für die Selbstdarstellung und –legitim ierung der adeligen und
kirchlichen Repräsentationsmacht, doch lediglich als „Kulisse“ (ebd.). Dies
ändert sich laut H abermas jedoch m it dem Auftritt der bürgerlichen Ö ffentlich-
keit auf der Bühne des Welttheaters, das nun keines mehr ist:

In Deutschland hat sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ‚eine kleine, aber kri tisch
diskutierende Öffentlichkeit‘ (Wehler 1987: 303) herausgebildet. Mit einem vor allem
aus Stadtbürgern und Bürgerlichen zusammengesetzten, über die Gelehrtenrepublik
hinausgreifenden allgemeinen Lesepublikum , das nun nicht mehr nur wenige Stan-
dardwerke immer wieder intensiv liest, sondern seine Lektüre gewohnheiten auf lau-
fende Neuerscheinungen einstellt, entsteht gleichsam aus der Mitte der Privatsphär e
heraus ein relativ dichtes Netz öffentlicher Kommunikation. (13)

„Aus der M itte der Privatsphäre heraus“: das heißt nun zunächst einm al nur,
dass hier die Personen als autonome Pr ivatpersonen, also vor allem als wirt-
schaftlich autonome und selbständige Personen auftauchen. Es impliziert dann
aber auch, dass sich damit ein bürger liches Verständnis der „Intimsphäre der
13
Pars pro toto sei hier nur das überraschende Auftauchen von Habermas als Kronzeuge für die
Queer Theory (!) angeführt (vgl. etwa Warner 2002).
Liebesgeschichten 31

Kleinfamilie“ seinen W eg bahnt, der für die Privatautonom ie als „gleichsam


psychologische Rückseite“ (24) einen Rüc khalt lieferte. D as ist eine folgenrei-
che Diagnose: W as sich hier als Intimitä t präsentiert, ist für Habermas also
historisch an eine private Sphäre des H auses und der Fam ilie gebunden, die
gleichzeitig den „D ispositionsspielraum der privaten Eigentüm er im Produkt i-
onsspielraum“ zur Grundlage hatten und so von den Zwängen und Anforderu n-
gen der „Sphäre des W arenverkehrs und der gesellschaftlichen A rbeit“ gew is-
sermaßen gereinigt und entlastet war (ebd.), wie sie auch den lebensweltlich -
privaten Ort bildete, in dem die Kommunikationsweisen und –praktiken der
bürgerlichen Ö ffentlichkeit eingeübt w erden konnten. 14 Habermas’ historische
Rekonstruktion nim mt dam it ein M otiv der Selbstbeschreibung m oderner Ge-
sellschaften auf, das sich bei Hegel ebenso wie bei den schottischen Moralphilo-
sophen findet, und die „bürgerliche Ge sellschaft“ zunächst als eine „ im ganzen
private Sphäre“ (24) der öffentlichen G ewalt oder Regierung gegenüberstellt
und zeichnet von dieser A usgangsposition he r die erste für ihn entscheidende
Verschiebung nach, in der sich die D ialektik von Privatheit und Ö ffentlichkeit
auf der einen Seite einer Unterscheidung wieder findet, auf deren anderer Seite
die funktional ausdifferenzierten Teils ysteme der modernen Gesellschaft au f-
tauchen. Im Strukturwandel der Ö ffentlichkeit wird das noch als „Polarisierung
von Sozial- und Intim sphäre“ (168) betitelt; in der späteren zw eistufigen K on-
zeption seiner Gesellschaftstheorie wird diese Verortung aber prinzipiell beib e-
halten, als diese beides – intim e Privatsphäre und (politisch-kulturelle) Ö ffent-
lichkeit – als Bereiche der Lebenswelt fasst , die sich funktional ausdifferenzier-
ten Subsystemen – für Habermas sind dies insbesondere Ökonomie und Staat s-
apparat – gegenübergestellt sehen (vgl. für einen konzisen Ü berblick
Kneer/Nollmann in Kneer/Nassehi 1997: 89 ff.). Das mag es im Rückblick
vielleicht plausibler erscheinen lasse n, warum es vor allem auch die „Ver-
staatlichung der Gesellschaft“ ist, deren pathologische Effekte Haberm as im

14
Man mag hier auch noch eine Nachwirkung der Diagnose des ambivalenten Status der bürgerli-
chen Familie spüren, die die Frankfurter Schule prominent gemacht hat. Auch für Horkheimer
etwa ist es der Funktionsverlust der Familie, der ambivalente Folgen zeitigte: „[D]ie Geburt der
modernen Zivilisation befreite nicht eigentlich das einzelne Individuum, sondern die bürgerli-
che Familie, und so trug sie von Anfang an einen tiefen W iderspruch“ (in Claessens 1973: 79).
Widersprüchlich ist vor allem der moderne Erfolg der modernen Familie, die ihren Funktion s-
verlust als „wirtschaftliche Einheit“ – als „ideologische Überkompensation“ (87) – dadurch ver-
schleiert, dass ihre „konventionelle Form“ betont wird (82): „Au torität im Hause nimmt einen
irrationalen Zug an.“ (81) Und doch rettet sich in der funktionslosen Funktion der Intimität der
bürgerlichen Familie ein retardierendes M oment in der Dialektik der Aufklärung in sofern, als
„die Familie als Realität die verlässlichste und erfolgreichste Gegeninstanz gegen den Rück fall
in die Barbarei ist“ (94). Habermas teilt klar diese Konzentration auf die soziale Rolle der bü r-
gerlichen Familie als auch die Funktionsbesti mmung der Intimität in Bezug auf ihre Rolle im
Prozess der ökonomischen und politischen Umstrukturierungen der Moderne.
32 Liebesgeschichten

zweiten Strukturw andel der Ö ffentlichkeit aufzeigen w ill, und erst in einem
zweiten Schritt die U mstrukturierung der Ö ffentlichkeit selbst zu einem Pro b-
lem wird, die in einer auf M assenmedien setzenden „verm achteten“ Öffentlich-
keit gewissermaßen ihrer bürgerlichen „Unschuld“ (28) – und das heißt zu-
nächst einmal ganz einfach: ihrer Rezipozität und Symmetrie von Sendern und
Empfängern – beraubt wird. Und schlie ßlich kann man hier wieder erkennen,
wie auch bei Haberm as im Hinblick auf die veränderten m edialen Rah -
menbedingungen nicht nur die Öffentlichkeit, s ondern auch gerade die für sie
konstitutive Intimsphäre einem Änderungsdruck ausgesetzt ist, der nicht zuletzt
mit dem W echseln der Formvorlagen für die Liebe und ihrer Verbreitungsme-
dien zu tun hat.
Vor diesem Hintergrund kann m an noch einmal einen Blick auf den Skan-
dal der „L ucinde“ als A usdruck der sich etablierenden bürgerlichen Ö ffentlich-
keit werfen. Was Schlegel nämlich einem bürgerlichen Lesepublikum literarisch
präsentiert, ist nicht das hochstilisierte M askenspiel eines königlichen Schla f-
zimmers, es sind jetzt intim e D etails aus einer als dem L atenzschutz der Pr i-
vatsphäre anheim gegeben wahrgenommenen Lebens- und Liebesgeschichte
(vgl. Volkening in Neumann 2007: 139 f.). Sowohl die M öglichkeit dieser Pub-
lizität als auch die M öglichkeit ihrer Skandalisierung sind in der Erzählung
Habermas’ erst unter der Ägide eine r modernen Unterscheidung von Privatheit
und Ö ffentlichkeit gegeben. D ie A mbivalenz ist hier also schon konzeptionell
gegeben: Einerseits präsentiert sich die bürgerliche Privatsphäre als eine, die als
Garant einer publikumsbezogenen Öffentlichkeit gleichsam deren Miniaturform
darstellt, in der die notw endigen K ommunikationsformen authentischer und
nicht-theatraler Individualität überhaupt erst eingeübt und etabliert w erden kön-
nen, andererseits bedingt aber auch die moderne Unterscheidung von intimer
Privatheit und politisch-kultureller Ö ffentlichkeit die M öglichkeit der Skandali-
sierung einer Veröffentlichung des Privaten. Das Arena -Modell des soziologi-
schen Diskurses der M oderne sieht sich also nicht nur an seinen Grenzen nach
außen von den funktional spezifizierten Subsystemen der Gesellschaft ständig
bedroht und kolonialisiert, es findet sich auch in sich gespalten vor.
Mit Richard Sennetts Diagnose einer „intimen Gesellschaft“ (1 983: 296)
würde sich das Bild entscheidend verschieben. Die Lucinde müsste hier als ein
früher Moment in der Genese der ber ühmten Tyrannei der Intim ität erscheinen.
Denn wie Haberm as erzählt Sennett die Geschichte der westlichen Gesellschaft
anhand der Leitunterscheidung von Privatheit und Ö ffentlichkeit. Wo jener aber
zunächst nur einen Wandel dieser Unterscheidung im Hinblick auf den sich
durchsetzenden Typus der bürgerlichen Ö ffentlichkeit diagnostiziert, erkennt
dieser schon ihre Erosion. So kann Habermas Sennett auch vorwerfen, dass
dessen Verfallsgeschichte der Öffentlichkeit den spezifischen Typus der bürger-
Liebesgeschichten 33

lichen Ö ffentlichkeit, in deren R ahmen etw a auch die R elevanz der „ Lucinde“
und damit auch der moderne Bedeutungswa ndel der intimisierten Privatsphäre
zu deuten wäre, als ganze ausblendet 15, verkennt er doch „die spezifisch bürger-
liche D ialektik von Innerlichkeit und Ö ffentlichkeit, die m it der publikum sbe-
zogenen Privatheit der bürgerlichen Intim sphäre im 18. Jahrhundert auch liter a-
risch zur Geltung gelangt“ (H abermas 1990: 17). D er auffällige U mstand, auf
den hier hingewiesen werden muss, ist jedoch, dass sich die beiden Erzählungen
bei aller unterschiedlicher, teilweise sogar einander diametral entgegen gesetzter
Bewertung in einem Punkte wiederum er staunlich einig sind: der Diagnose
einer spezifisch modernen Intimität, die sich einem Publikum gegenübersieht,
das sow ohl ihre K onstitutionsbedingung darstellt, als es auch ihren A nspruch
auf Privatheit ständig bedroht. Dazu muss aber noch ein gen auerer Blick auf
Sennetts These geworfen werden, deren Komplexität von der eingängigen Fo r-
mel der Tyrannei der Intimität vielleicht etwas verschleiert wird.
Auch Sennett hat näm lich zunächst den Form enwandel der Öffentlichkeit
im Blick, untersucht ihn aber im Hinblick auf ein anderes Problem, ein Problem,
das schließlich an das M otiv der Unbestimmtheit (und Ungewissheit) rührt.
Anders als Haberm as, der sich seine m oderne gesellschaftliche Arena als einen
gewissermaßen virtuellen Kommunikati onsraum eines l esenden und schreiben-
den Publikums konzipiert, hat Sennett einen urbanen Raum vor Augen, in dem
seit dem Ancien Régime vor allem eines unumgehbar wird: Hier treffen Fremde
aufeinander. Im öffentlichen Raum begegnen einander Unbekannte, die sich nun
wechselseitig interpretieren und lesen m üssen, ohne dazu schon auf ein gesell -
schaftsstrukturell eindeutig vorgegebenes Regel- und Formenwissen zurückgrei-
fen zu können. Und anders als Haberm as dient Sennett nicht die bürgerliche
Öffentlichkeit als idealisiertes G egenbild zum modernen Verfall der Öffentlich-
keit, sondern eine Ö ffentlichkeit, die si ch durch eine extrem e Ä sthetisiertheit
und Theatralität auszeichnet – und eben dadurch für handhabbare Muster und
Formvorlagen sorgen konnte. Die einander Unbe kannten bewegen sich im öf-
fentlichen Raum gleichsam als Schauspieler in einer konventionalisierten Kulis-
se eines Stückes, in dem sich keine indiviualisierten Personen begegnen, so n-
dern hochstilisierte und -inszenierte M askenträger. Der inszenierte K örper wird
dabei zum privilegierten Ausdrucksmittel, ebenso wie die Kunst der unpersönli-
chen, stilisierten K ommunikation zum priviligierten A ustauschmittel w ird:

15
Hier ist freilich der Ort, auch auf die erkenntnisleitende Funktion der Brüche in den soziologi-
schen Erzählungen hinzuweisen; denn setzt aus der Perspektive Habermas Sennett den Bruch
zur gegenwärtigen Form der intimen Gesellschaf t zu früh an, würde der Individualisierungsan-
satz Becks den Bruch eindeutig zu spät vermuten, wenn dieser etwa schreibt: „Als Gegenbild
einer ständisch-klassenkulturell geprägten Lebenswelt entsteht das Gefüge einer immer feinkör-
niger privatisierten Lebenswelt.“ (1983: 54)
34 Liebesgeschichten

„Entscheidend ist in beiden Fällen, dass der M ensch der Ö ffentlichkeit nicht
seine intimste Innerlichkeit zu verkörpern trachtet, sondern allgemein lesbare
Darstellungen produziert“ (Opitz in M oebius 2006: 283). All dies ändert sich
nun entscheidend im Laufe des 19. Jahr hunderts in einem Pro zess in Richtung
der berühmten Tyrannei der Intimität, aus dem hier nur einige Momente genannt
werden können, die für unseren Diskussionszusam menhang relevant werden.
Gleichsam hinter dem Rücken dieser th eatralisierten Alltagswelt näm lich sieht
Sennett eine auf Innerlichkeit, Authen tizität und Persönlichkeit setzende Pri-
vatsphäre sich entwickeln, die zunächst als ein schützendes Biotop vor der Un-
persönlichkeit der Ö ffentlichkeit schützen sollte. Auch Sennett hat hier zualle r-
erst die bürgerliche Fam ilie im Blick. Vor dieser A ufwertung des Privaten und
Intimen bleibt aber auch das Theater der Öffentlichkeit nicht gewahrt. Auch hier
setzen sich die neuen Imperative des pe rsönlichen Ausdrucks, der authentischen
Selbstdarstellung und der individuellen U nkonventionalität durch. Es ist gerade
das unpersönliche, konventionalisierte M oment der Ö ffentlichkeit, das darunter
leidet – im öffentlichen Raum treffen sich nun durch Form gebote und –regeln
ungeschützte authentische Individuen: Innerlichkeit wird zum Gebot der Stunde.
Letztlich sieht Sennett dam it die U nterscheidung von Privathei t und Ö ffentlich-
keit selbst in Frage gestellt. G erade da s Intim ste und Privateste w ird auch öf-
fentlich zum M aßstab, an dem sich der nun persönlich gew ordene A ustausch
und die Authentizitätsanforderungen unterworfene Kommunikation zu messen
und zu bewähren hat. M an darf sich die „Lucinde“ und den sie begleitenden
Skandal durchaus als einen Präzedenzfall dafür vorstellen, was Sennett als para-
digmatische K onfiguration der m odernen T yrannei der Ö ffentlichkeit be -
schreibt. Öffentliche Relevanz beansprucht zumindest dieser R oman als intim er
Schlüsselroman; seine Verweigerung gegenüber konventionalisierten Formg e-
setzen wird ihm aus der Perspektive Sennetts zum Verhängnis. Deutlich wird
aber, dass Habermas wie Sennett genau an dieser Stelle auf ein problematisches
Verhältnis von Form vorlagen und authentischer Intimität stoßen – und dabei
ihre Diagnosen diametral entgegengese tzt zuspitzen, wenn in dieser Erzählung
der verbindliche Formenvorrat, in jene r die authentischen Ausdrucks- und Er-
lebnisdimension als Verlierer auf der Strecke bleiben.
Interessant ist hier, dass sich Habermas’ und Sennetts Erzählungen jedoch
auch an wichtigen Punkten überschneiden. Beide rücken die Unterscheidung
von Privatheit und Ö ffentlichkeit in den M ittelpunkt und gelangen zu einer
komplexen Beschreibung ihrer dialekti schen Verflechtung. Trotz der unte r-
schiedlichen Bewertung wird klar, dass es sich hier nicht um ontologisch g e-
trennte Sphären handeln kann, sondern um sich gegenseitig bedin gende Phäno-
mene. D ie Intim ität der Privatsphäre lässt sich nicht begreifen, wenn sie nicht
als G egenbewegung zu einer publikum sbezogenen Ö ffentlichkeit begriffen
Liebesgeschichten 35

wird, die sich ihren eigenen Typus des Publikum sbezugs generiert und gerade
dadurch wiederum die Form der Öffentlichkeit prägt. Die in der M oderne mög-
liche Unterscheidung von persönli chen und unpersönlichen Beziehungen, die
etwa Luhmann zur „konstitutiven D ifferenz“ (1982: 205) für eine Selbststabili-
sierung des gesellschaftlichen Bedarfs für Intim beziehungen erklärt, ist für die
Unterscheidung von privat und öffentlich zw ar zentral, sie ist aber w ie wir ge-
sehen haben gerade nicht deckungsgleich mit ihr. Die „Innerlichkeit“ Sennetts
und die „publikumsbezogene Privatheit“ Habermas’ schaffen sich ihre eigene
Form des Publikums, das von der Konvention der Konventionsvermeidung
gezeichnet ist. W o Sennett die Diktatur des Formenverlusts als Entleerung der
Öffentlichkeit beklagt, in der alles kom muniziert w erden kann (vgl. dazu auch
Nassehi 1999), ist die kommunikative Ve rflüssigung einer an der bürgerlichen
Intimität geschulten Öffentlichkeit di e Bedingung der M öglichkeit einer ko m-
munikativen Vernunft. Die narzisstische, personalisierte „Gefühls kultur“ (Sen-
net 2002: 386) spiegelt sich in der kommunikativ organisierte n Lebenswelt
wider, die bekan ntlich sow ohl den privaten w ie auch den öffentlichen B ereich
(im Gegensatz zu Systemen) umfasst: gute Argumente sind – zumindest der
Tendenz nach – in immer größeren Maße authentische Elemente (vgl.
Saake/Nassehi 2004).
Es m ag zunächst überraschen, in diesem Zusammenhang noch M ichel
Foucault als dritten G ewährsmann für eine soziologische Erzählung der G enese
der modernen Unterscheidung von privat und öffentlich anzutreffen. Als Leitun-
terscheidung hat sie für Foucaults ar chäologische und genealogische Arbeiten
zur Spezifik der m odernen Gesellschaft ja bekanntlich nie fungiert – dazu m uss
man sich nur seinem eigentümlichen und oft bemerkten Desinteresse für eine
Beschreibung und Funktionsbestimmung einer politisch-kulturellen diskutieren-
den Ö ffentlichkeit etw a im Sinne H abermas’ oder einer repräsentativen und
ästhetisierten medialen und urbanen Öffentlichkeit im Sinne Sennetts vor Augen
führen. Häufiger ist dagegen sein gesam tes Theorieprojekt selbst von kritischen
Kommentatoren auf der einen Seite de r Unterscheidung von privat und öffen t-
lich verortet worden, so etwa wenn Ri chard Rorty seine gesamte Philosophie
wohlwollend in ein philosophiegeschichtliches Projekt der privaten Selbstschaf-
fung einordnet – „Ironische Theoretiker wie Hegel, Nietzsche, Derrida und
Foucault scheinen mir von unschätzbarem W ert für unsere Versuche, uns ein
privates Selbstbild zu m achen, aber reichlich nutzlos, wenn es um Politik geht.“
(1989: 142) – oder w enn H abermas ihm kritisch insgesam t, also nicht nur in
seinem Spätwerk, einen gewissen entpolitisierten Privatismus unterstellt, dessen
letzter A usdruck w iederum ein „heilloser Subjektivism us“16 ist. H abermas zu-
16
In der Lesart Habermas’ liegt die Ironie dabei aber nicht bewusst auf der Ebene der Theorie
selbst, sondern vollzieht sich bewusstlos in ih r: „Während die Humanwissenschaften, Foucaults
36 Liebesgeschichten

mindest nimmt aber die ge nealogischen Arbeiten Foucaults schon insofern als
Konkurrenzangebot zu seiner eige nen frühen U ntersuchung der Ö ffentlichkeit
zur Kenntnis, als er sich in seinem Vorwort zur Neuauflage des „Strukturwan-
del[s] der Ö ffentlichkeit“ (1990: 13 ff.) explizit gegen m ögliche und tatsächl i-
che Vorwürfe seiner Rekonstruktion aus dem Lager einer von Foucault inspi-
rierten Geschichtsschreibung verteidig t; insbesondere der Nachweis, dass die
von ihm gezeichnete bürgerliche Ö ffentlichkeit auf M echanismen eines konsti-
tutiven Ausschlusses „in einem Foucaultschen Sinne“ (15) basiert, muss hier
widerlegt werden. Im Blick auf Sennett ha t wiederum Sven Opitz jüngst darauf
hingewiesen, dass dessen V erfallsgeschichte der Ö ffentlichkeit von einem an
Foucault geschulten Blick auf die spezifische Dynamik moderner Disziplinarge-
sellschaften zu ergänzen sei. 17 Seine These: „Sennetts Traum von einer idealen
Öffentlichkeit ist aus einer an Foucault geschulten Sicht weise nur bedingt h a-
bermasianischer Natur.“ (in Moebius 2006: 286) Im Folgenden ist mir nun nicht
darum zu tun, die verschiedenen Erzählungen gegeneinander auszuspielen, noch
mit Foucault einen weiteren Theoretiker der Unterscheidung von privat und
öffentlich in Stellung zu bringen, um die optim istische Fassung einer bürgerli-
chen Privatsphäre und einer bürgerlichen Ö ffentlichkeit in Frage zu stellen. D ie
unterschiedlichen Bewertungen des M odernisierungsprozesses interessieren im
Hinblick auf das Thema der modernen Intimität im Spannungsfeld von Privat-
heit und Öffentlichkeit weniger als der Umstand, dass sich die Thesen Foucaults
weit weniger sperrig erweisen, wenn man die oben vorgeschlagene Lesart der
Theorien einer m odernen Öffentlichkeit im Rahm en einer intim itätssozio-
logischen Fragestellung akzeptiert.
Frägt man noch einm al leitmotivisch danach, wie der Skandal der „Lucin-
de“ im Rahmen einer foucaultschen Ge nealogie moderner Disziplinierungstech-
niken zu deuten wäre, würde der Blick zunächst auf die Bekenntnishaftigkeit
der Veröffentlichung privater Details einer Intimbeziehung gelenkt werden. Der
Skandal der „Lucinde“ wäre dann nicht so sehr historisch ihre trotzige W ider-
spenstigkeit gegen die repressive Sexua lmoral des aus gehenden 18. und begin-
nenden 19. Jahrhunderts; der eigentliche Skandal w äre vielmehr ihre K omplizi-
tät in einem Diskurs über den Sex, der die Authentizität und die W ahrhaftigkeit
einer persönlichen, sexuellen und intimen Beziehung zum zentralen M oment
einer offenbar offenbarungsbereiten Lust an einem „wahren Diskurs über die

Diagnose zufolge, der ironischen Bewegung szientistische r Selbstbemächtigung nachgeben und


in einem heillosen Objektivismus enden, besser: verenden, vollzieht sich an der genealogischen
Geschichtsschreibung ein nicht minder ironisches Schicksal; sie folgt der Bewegung einer rad i-
kal historischen Auslöschung des Subjekts und endet in heillosem Subjektivismus.“ (1985: 324)
17
Eine Forderung nach Zusammenarbeit, die gewissermaßen mit gemeinsamen Seminaren und
Texten von Foucault und Sennet längst eingeholt wurde (vgl. auch Sennett 1997).
Liebesgeschichten 37

Lust“ (Foucault 1987: 13) erheben würde. 18 Modern wäre dann in dieser Lesart
nicht so sehr die eigentümliche Ska ndalisierung einer Grenzüberschreitung des
Privaten in den Raum öffentlicher Publizität. Ganz im Gegenteil würde man mit
Foucault diese ständige G renzüberschreitung als das eigentlich M oderne der
modernen Technologien des Selbst erke nnen können, die gewissermaßen beide
Seiten der U nterscheidung von privat und öffentlich erst konstituieren. U m das
plausibel zu machen, muss jedoch de r Argumentationsgang Foucaults zumin-
dest skizziert werden.
Wichtig erscheint hier zunächst weniger Foucaults Projekt einer Archäol o-
gie der Hum anwissenschaften als seine Analytik der M acht.19 Denn m it der
Analytik der Macht und der Konzentration auf eine nominalistische Fassung des
Machtbegriffs verschiebt sich das In teresse Foucaults dezidiert in Richtung der
Analyse von konkreten Praktiken, die sein diskursanalytisches Interesse jetzt
nicht m ehr nur ergänzen, sondern konstitutiv strukturieren. H abermas hat das
sehr hellsichtig erkannt: In einem m achttheoretisch zugespitzten B egriff der
Praktik „hat Foucault das M oment von ge waltsamer, asymm etrischer Einfluss-
nahme auf die Bewegungsfreiheit andere r Interaktionsteilnehmer aufgenom-
men“ (1985: 284 f.). Vor dem Hintergrund dieser K onzeption der Praktiken
entfaltet Foucault dann auch sein bekannt es und einflussreiches Bild der moder-
nen D isziplinargesellschaft. M an m ag sich hier ins G edächtnis rufen, w ie er
etwa die Techniken der Internierung in den institutionali sierten A nstalten der
Bestrafung als ein Moment dieser Genese einer modernen Disziplinierungs- und
Normalisierungsmacht beschreibt. Neben der psychiatrischen Anstalt, der öko-
nomisch perfektionierten Fabrik, der M ilitärakademie und den Schulen liefert
zunächst vielleicht das moderne Gefängni s das archetypische Bild dieser Dis-
ziplinierungstechnologien, für deren N achweis die foucaultsche Diagnose der
modernen Gesellschaft so berühm t geworden ist. Foucault liest bekanntlich die
tradierte Geschichte der Reformierung de s Strafwesens, dessen Selbstbeschre i-
bung die einer Humanisierung des Strafvo llzugs ist, gegen den humanistischen

18
So spekuliert auch Volkening (in Neumann 2007: 138). Fraglich ist freilich, ob der späte
Foucault das romantische Motiv der Selbstschaffung und –schöpfung, das sich auch in der „Lu-
cinde“ aufzeigen ließe, nicht auch als ein Moment einer gegenmodernen Subjektivierungspraxis
im Sinne einer Ästhetik des Selbst begreifen würde. Im Rahmen der Rolle Foucaults für die
queer-theoretische Frage nach neuen Formen der Intimität wird darauf in diesem Kapitel (vgl.
5.2) noch einmal eingegangen.
19
Wobei nicht behauptet werden soll, dass sich das Werk Foucaults eindeutig und unkompliziert
in verschiedene Phasen aufteilen lassen ließe; es geht mir hier nur um eine Akzentsetzung, die
die spezifischen Stärken des foucaultschen Werkzeugkastens in der konzeptuellen Verbindung
von Diskursen und Praktiken sieht und nicht so sehr den problematischen Status der Huma n-
wissenschaften – als Gegenwissenschaft? als Herrschaftstechnologie? – in den M ittelpunkt
rückt. Vgl. zu einer diesbezüglichen Diskus sion aber sowohl Habermas (1985: 279 ff.) als auch
Nassehi (2006: 220 ff.).
38 Liebesgeschichten

Strich, indem er die spezifischen Techni ken der Unterwerfung der spezifischen
Körper der Individuen im Besonderen und der Population im Allgemeinen unter
eine m oderne Bio-M acht dechiffriert. Nun ist der Clou dieser Entlarvung b e-
kanntlich der, dass dabei die berühm te foucaultsche „M acht“ nicht als ein rein
repressives Herrschaftsinstrument gede utet wird, sondern als die produktive
Praktik der Etablierung genau der Entitäten, Situationen und K ollektive, deren
Befreiung sich ein kritischer Diskursst rang der M oderne auf die Fahnen ge-
schrieben hat. Ein Blick auf das berühmte benthamsche „Panopticon“, das
Foucaults A nalyse illustrieren soll, best ätigt das: E s ist „eine M aschine zur
Scheidung des Paares Sehen/Gesehenwerde n: im Außenring wird man vollstä n-
dig gesehen, ohne jemal s zu sehen; im Zentralraum sieht man alles, ohne je
gesehen zu werden“ (1977: 259); „Jeder Kä fig ist ein kleines Theater, in dem
jeder Akteur allein ist, vollkom men individualisiert und ständig sichtbar.“ (257)
Es ist ein visuelles Szenario, das hier in a ller Eindringlichkeit an einem nie
verwirklichten Entwurf einer Gefängnisa rchitektur beschrieben wird, das den
foucaultschen Entwurf der M achttechnologien der M oderne auf den Punkt
bringt. Habermas hat treffsicher darauf hingewiesen, dass es gerade die As ym-
metrie ist, die dieses Szenario bis ins D etail bestim mt – eine A symmetrie, die
sich gewissermaßen auch dann noch s püren lässt, wenn die Argumenta tion von
„Überwachen und Strafen“ bis in die letzte Konsequenz nachvollzogen wird, die
dieses Überwachungsszenario in letzter Instanz noch einmal in die disziplinier-
ten, sich selbst disziplinierenden Indi viduen selbst hineinspiegelt: „D erjenige,
welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernim mt die
Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das
Machtverhältnis, in w elchem er gleichzeitig beide R ollen spielt; er w ird zum
Prinzip seiner eigenen Unterwerfung.“ ( 258) Noch die Reflexionsleistungen des
bürgerlichen Individuums, wenn man so will, erweisen sich hier als innerindivi-
duelle Effekte einer sozialen Dynami k von M achbeziehungen, die Inkorporie-
rung von mehr oder weniger institutionalisierten Praktiken.20
Auf den ersten Blick scheint es natürlich vollkom men kontraintuitiv, die
von Foucault beschriebene Gefängniszelle als einen Ort des Privaten, ja als
Ursprung der m odernen Privatheit zu fassen. Es scheint ja genau das Gegenteil
argumentiert zu w erden: In der D isziplinargesellschaft gibt es keinen Ort, der
dem disziplinierenden und norm alisierenden Blick de r öffentlichen Gewalt
verborgen bleibt. W o in der schon erwä hnten Darstellung Horkheimers in der

20
Dass es um die Proliferation von Asymmetrien geht, lässt sich noch bis in die foucaultsche De -
finition von Macht als Kräfteverhältnis nachvollziehen; wiewohl „koextensiv und absolut
gleichzeitig“ (1977: 195) lässt sich Macht nur als um virtuell asymmetrisches Verhältnis fassen,
denn „sobald es ein Machtverhältnis gibt, gibt es eine Widerstandsmöglichkeit“ (196). Vgl.
hierzu vor allem auch Saake (2003).
Liebesgeschichten 39

bürgerlichen G esellschaft nicht eigentlich das Individuum befreit w urde, so n-


dern die bürgerliche Fam ilie, tritt nun bei Foucault das private Individuum den
staatlichen D isziplinarinstitutionen gleichsam und unverm ittelt direkt gege n-
über. Dieses Thema wird im Anschl uss an Foucault dann Giorgio Agamben
(2002) als die souveräne Verfügung über das „nackte Leben“ bekanntermaßen
zu seinem Leitmotiv machen. Und in der Tat kontrastiert Foucault seine Version
der Disziplinargesellschaft und der sich ausbreitenden lückenlosen Überw a-
chung ganz ähnlich w ie Sennett m it einer „Zivilisation des Schauspiels“ (1977:
279), deren Ö ffentlichkeitstypus der Erosion ausgesetzt war. Ruft man sich ins
Gedächtnis, was gemeinhin als die große Stärke des foucaultschen Blicks be-
schrieben wird, ist es vielleicht nicht so sehr die M öglichkeit, seine akribischen
Analysen der M acht im Strafsystem, der Klinik, der Schule, der Internierungs-
wissenschaften usw. zu einer Diagnose einer Disziplinargesellschaft – in der aus
einer Gesellschaft mit vielen Gefängni ssen eine Gesellschaft als Gefängnis
entstanden ist – oder eines m odernen G ouvernementalitätsdispositiv aufzuru n-
den. Vielleicht ist es eher der differe nzierte Blick auf konkrete unterschiedliche
Praktiken, die seine Stärke ausmachen; und gerade dieser kalte, vergleichende
Blick auf unterschiedliche Orte erlaubt es dann, die funktionalen Ähnlichkeiten
der diversen dort anzutreffenden Praktiken nachzuzeichnen. Genau dies scheint
dann zunächst auch der Clou zu sein, wenn Foucault sich in seiner Geschichte
der Sexualität der m odernen Intim ität annim mt. D en Ü berraschungseffekt er-
zielt Foucault auf den ersten Blick natü rlich damit, dass er auch noch in den
scheinbar „privatesten“ und in timsten Be reichen moderner Gesellschaften den
Wirkungsweisen der M acht nachspüren kann, die im Prinzip auf vergleichbare
Weise funktionieren, w ie sie sich schon in den erw ähnten Institutionen gezeigt
hat. U nter der Ä gide des Beichtstuhls beherrscht und kon stituiert sich das mo-
derne Individuum als „G eständnistier“ selbst als Subjekt seiner Sexua lität. D ie
Macht erzeugt auch noch die privateste Beschäftigung mit den intimsten D e-
tails, und rückblickend wird Foucault dann durchaus stärker hervorheben, dass
die „Hochschätzung des Privatlebens“ eine nicht zu unterschätzende Rolle g e-
spielt hat. 21 Genauer m üsste man hier allerdings sagen, dass Foucault die Etab-
lierung des Privaten selbst als spezifisc h modernen Ort der Insti tutionalisierung
von Sex zum Thema hat (vgl. 1987). Das M althusische Paar, das masturbiere n-
de K ind, die sexuell D evianten und die Sexualität der Frau sind diskursive
Brennpunkte, in denen sich gewisserm aßen der bürgerliche Sex durch die
Selbsttechnologien der bürgerlichen Privat sphäre selbst zum Objekt disziplinie-

21
Foucault (vg. 1989: 59) schlägt das im Zusammenhang mit einer begrifflichen Differenzierung
der Kategorie das „Individualismus“ vor, deren zw ei andere Momente er als „individualistische
Einstellung“ und als „Intensität der Selbstbeziehung“ bestimmt (58); vgl. dazu ausführlicher
Schroer (2000: 108 ff.).
40 Liebesgeschichten

render Praktiken erklärt. W as Foucault dabei in den Blick rückt, sind wiederum
asymmetrische Verhältnisse, die – analog zur Gefängniszelle, die damit gleich-
sam als blueprint moderner Privatheit (!) etabliert w ird – das sexualisierte Indi-
viduum vor einem Publikum auftreten la ssen, das in letzter Instanz in den
Selbsttechniken m it ihm selbst in Personalunion zusam menfällt. H abermas
selbst hat das w ieder am klarsten gese hen, indem er diesen Gedanken in seine
Theoriesprache übersetzt hat: „Es ist der Gedanke, der gleichursprünglich mit
der subjektzentrierten Vernunft zur He rrschaft gelangt: daß die Abtötung dialo-
gischer Beziehungen die monologisch in sich gekehrten Subjekte füreinander zu
Objekten, und nur zu Objekten macht.“ (1985: 289).
In dieser Nacherzählung der foucaultschen Erzählung mag es nun so schei-
nen, als würde sie „lediglich“ die negativen und kritischen Einschätzungen von
sowohl Habermas als auch Sennett im Hinblick auf die moderne Entstehung von
Öffentlichkeit und Privatheit kom binieren. In der Tat erscheint Foucaults G ene-
alogie als eine der „Disziplinierung des Authentischen“ (Nassehi 2006: 216),
und dies in einem doppelten Sinne: Einerseits werden hier kreative , einzigartige
und in gewissem Sinne auch „authentische“ Potentiale der Transgression dis-
zipliniert und normalisiert; andererseits gelingt diese Disziplinierung gerade in
der institutionalisierten und internalisiert en Suche nach „dem A uthentischen“,
der Wahrheit des Selbst. W ieder scheint es aber auch, als würde das interessi e-
rende Problem in dieser Hinsicht ge nau auf das Problem der W irkmächtigkeit
dessen, was in diesem Kapitel „neutral“ als Formvorlagen eingeführt wurde und
sich bei Foucault als „institu tionelle Codes“, „Gesetz, Regel oder G ewohnheit“
(1985: 89) wieder findet, und vor allem auf das Problem ihrer praktischen Ei n-
schreibung in die „Individuen“ und konkrete Ver hältnisse zugespitzt. Nirgends
wird dies deutlicher als an Stellen, in denen Foucault einen Ausweg aus der
Disziplinargesellschaft zu beschreiben versucht. Und obwohl m an sich darauf
geeinigt hat, die entscheidende W endung im W erk Foucaults in seinem späten
gesteigerten Interesse für Praktiken de s Selbstverhältnisses und der Selbstpro b-
lematisierung zu suchen, aus dessen Perspektive sich auch noch seine früheren
Einschätzungen einer Selbstrevision und „S elbstkritik“ unterwerfen lassen m üs-
sen (vgl. exemplarisch Butler 2009: 263 ff.; Kneer 1996), dürfte kaum von der
Hand zu weisen sein, dass ihm schier unausweichlich gerade Szenen der Intim i-
tät und gar der Liebe als Paradebeispiel di enen, in denen die hier herausgestri-
chenen Motive geradezu prismatisch gebündelt werden:

Es geht eher um die homosexuelle Lebensweise als um den Geschlechtsakt selbst: ge-
rade das, denke ich, macht die Homosexualität so „aufregend“. Die Leute stört nicht
etwa, daß sie sich einen Geschlechtsakt vorstellen, der nicht dem Gesetz oder der N a-
tur entspricht. Das Problem entsteht vielmehr erst, wenn jene Individuen sich zu lie-
ben beginnen. Die Institution wird sozusagen von hinten aufgewickelt; sie wird von
Liebesgeschichten 41

Gefühlsintensitäten durchquert, die sie aufr echterhalten, aber zugleich zerrütten. Die
institutionellen Codes können jene Beziehungen mit vielfältigen Intensitäten u nd
wechselnden Schattierungen, mit kaum merklichen Bewegungen und veränderlichen
Formen nicht gelten lassen – jene Bezie hungen, die sich gleichsam kurzschließen und
dort Liebe einführen, wo es Ge setz, Regel oder Gewohnheit geben sollte. ( Foucault
1981: 89)

In diesem Kapitel wurde von der Beobachtung ausgegangen, dass die Unte r-
scheidung von privat und öffentlich in den derzeitigen sozialwissenschaftlichen
Debatten zur Intim ität weiterhin eine Leitunterscheidung darstellt, die sowohl
das deskriptive Interesse als auch den normativen Gehalt der einzelnen Stan d-
punkte in dieser Debatte entscheidend m itprägt, sei’s als expliziter Rahmen,
sei’s als im plizit im Hintergrund m itlaufende Kontrastfolie. Das „Recht auf
Privatheit“ (Geuss 2002) wird etwa pr oblematisiert, die Konstruktion von r o-
mantischen Räum en in der öffentlich sichtbaren Konsum sphäre (Illouz 1997)
wird analysiert, die öffentliche Inszenierung von Liebe im Scheinwerferlicht der
Massenmedien (Reichertz 1998) wird noch einmal soziologisch beleuchtet, „sex
in public“ (W arner 2002) w ird der akadem ischen Ö ffentlichkeit als G egenöf-
fentlichkeit einer nicht -normativen Intim ität präsentiert. D ahingegen sollte der
hier skizzierte kurze Rückblick auf kla ssische Fassungen der modernen Etabli e-
rung dieser Unterscheidung nur noch einmal einige für die soziologische B e-
schäftigung mit Intimität grundlegende Eins ichten in Erinnerung rufen. Priva t-
heit und Ö ffentlichkeit tauchen dabei als K ategorien auf, die sich als spezifisch
moderne entpuppen. D em alltagsintuitiven V erständnis von Intim ität als einem
der Privatsphäre zugehörigen Phänomen wird dabei nicht widersprochen – mit
der Verabschiedung der Privatheit als einer grundsätzlich gegebenen Kategorie
im menschlichen Zusammenleben lässt sich diese Einordnung jedoch entschie-
den verkomplizieren. Denn Privatheit offenba rt sich zunächst schlicht als eine
Seite einer U nterscheidung, die sich in all den hier vorgestellten V arianten ge-
wissermaßen durch ihre konstitutive Instabilität auszeichnet. Insbesondere war
hier von Bedeutung, wie sich damit das bestimmende Moment in einer Definiti-
on von Privatheit – der A usschluss eines (öffentlichen) Publikums – als im mer
schon problematisch erwiesen hat. Denn das hier rekonstruierte Private konstitu-
iert sein eigenes spezifisches Publ ikum und konstituiert sich selbst vor einem
spezifischen Publikum. Ob als autonome Pr ivatleute, die ihr Publikum auf glei-
cher Augenhöhe zu adressieren zu lernen haben, ob als authentische Innerlic h-
keitsvirtuosen, die ihrem Publikum di e Kommunikation des Intimen oktroyi e-
ren, ob als durch disziplinierende Praktik en zuge richtete Individuen, die den
asymmetrischen Blick eines skrupulös beobachtenden Publikums gleichsam in
sich selbst duplizieren: Die Protagonisten des Privaten präsentieren sich einem
Publikum, das sich wiederum im Hinb lick auf seinen beobachteten Gegenstand
42 Liebesgeschichten

neu formiert. Habermas, Sennett und Fou cault interessieren dabei auf unte r-
schiedliche Weise sowohl die Effekte für die dadurch konstituierten Individuen
als auch die Rückw irkungen auf die ästhetische und politische Beschaffenheit
moderner Ö ffentlichkeiten. U nd sie tref fen sich – freilich m it radikal unte r-
schiedlichen Bewertungen – an dem Punkt , an dem sich in diesem Prozess au-
thentische Individuen beobachten lassen, die sich im Zusammenha ng von inti-
men Praktiken erst etablieren können.

3. Literarische Kommunikation: Zur Kontingenz der


Kontaktanbahnung

Es ist kein Zufall, dass sich die Erzählungen der Genese m oderner Privatheit
und Ö ffentlichkeit des vorangegangen A bschnitts als K ommentare zu und als
als theoretische Abschätzungen der W irkungen eines Romans – hier Schlegels
„Lucinde“ – lesen ließen. Die herausra gende Stellung des Romans wird vor
allem im Hinblick auf soziologische Studi en interessant, die sich intim itätssozi-
ologisch für das Phänomen der Liebe dire kt inte ressieren. Eines der nicht zu
unterschätzenden Ergebnisse – also nich t: ein Zeichen ihrer methodischen B e-
schränktheit – von Luhmanns Studie zur Codierung von Intimität (1982) ist
schlicht und einfach, dass sich die Evolu tion der Semantik für Liebe fast au s-
schließlich anhand von literarischen Zeugnissen und insbesondere von Romanen
rekonstruieren lässt. Der Roman figuriert aber, wie schon angedeutet wurde, in
den soziologischen Fassungen moderner In timität nicht lediglich als „sprachli-
ches Zeugnis“, sondern vor allem auch als die privilegierte Formvorlage, an der
sich intime Kommunikation herausbilden kann. Niels W erber hat im Anschluss
daran überzeugend die „K oevolution intimer und literarischer K ommunikation“
(2003) herausgearbeitet. Hier soll z unächst ein kurzer Blick auf system-
theoretische Rekonstruktionen des Zusam menhangs der literarischen G attung
des Rom ans m it der G eschichte leidenschaftlicher und rom antischer Liebe g e-
worfen w erden, w eil in diesem Z uschnitt das hier interessierende Problem am
deutlichsten formuliert werden kann.

3.1 Liebe (wie) im Roman

In „L iebe als Passion“ plädiert L uhmann bekanntlich dafür, L iebe heuristisch


zunächst nicht als Gefühl zu behandeln, sondern sich soziologisch für Liebe als
einen symbolischen Code zu interessier en, der darüber inform iert w ie m an in
Fällen, wo dies eher unwahrscheinlich ist, dennoch erfolgreich kommunizieren
Liebesgeschichten 43

kann (vgl. 1982: 21). Gegenstand seiner Untersuchung ist also ein spezifischer
Code und im Zusammenhang damit eine spezifische Sem antik für die Kom mu-
nikation von Liebe. Es lohnt sich, sich die einschlä gigen Stellen noch einmal
vor Augen zu führen:

Das Wagnis Liebe und die entsprechend komplizierte, anforderungsreiche All -


tagsorientierung ist nur möglich, wenn man sich dabei auf kulturelle Überlieferung, li-
terarische Vorlagen, überzeugungskräftige Sprachmuster und Situations bilder, kurz:
auf eine tradierte Semantik stützen kann. (47)

In diesem Sinne ist das Medium Liebe s elbst kein Gefühl, sondern ein Kommu-
nikationscode, nach dessen Regeln [meine Hervorhebung, M. S.] man Gefühle au s-
drücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die
Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation reali-
siert wird. (23)

Man kann an diesen Zitaten schon sehr deutlich erkennen, gegen w elche K on-
zeptualisierung von Liebe die Studien Luhm anns gerichtet sind. Hier wurde im
zweiten Zitat der Begriff der „Regel“ hervorgehoben, w eil im Folgenden her-
vorgehoben werden muss, dass gerade das Verhältnis zwischen der von Luh-
mann herausgearbeiteten tradierten Semantik und der ‚tatsächlichen ‘ Praxis der
Intimkommunikation eines der Themen ist, die für die Soziologie der Intimität
von zentraler Bedeutung ist. Dass die Li ebessemantik das konkrete Handeln der
Liebenden m it – gar mit eindeutigen und bestimmten – Regeln versorgen, die
Kommunikation also regulieren oder gar determinieren soll en und können, wird
zum eigentlichen und eigentüm lichen Skandal für die Intim itätssoziologie. B e-
zeichnenderweise werden dabei die Ress ourcen für eine Skandalisierung dieses
Umstandes, der sich bei einigen Autoren als theoretisches Konzept, bei andern
als empirischer Befund darstellt, in der Semantik der Liebe selbst gefunden.
Die Form ulierungen Luhm anns sehen ja auf den ersten Blick so aus, als
würden die Regeln eines spezifischen Codes für Liebe die tatsächliche Komm u-
nikationspraxis – positiv ausgedrückt – m it Sicherheit, m it einer A rt Erfolgsga-
rantie versorgen, oder sie – negativ ge wendet – steuern und regulieren. Hier soll
aber argumentiert werden, dass genau dies aus der Perspektive Luhmanns pro b-
lematisiert w ird. D enn, um zugespitzt zu formulieren: W er R egeln folgt, folgt
nicht der Liebe! M an kann vor di esem Hintergrund die gesamte in Liebe als
Passion erzählte Geschichte der Ausdiffe renzierung einer spezifischen moder-
nen intimen Kommunikationsform als Rekonstruktion eines paradoxen Codes
lesen, dessen wichtigste Regel gerade die ist, dass man keinen Regeln folgen
darf; dessen w ichtigstes Muster es ist, ke inen Mustern folgen zu dürfen; dessen
zentrale Formvorlage es ist, dass Formvorlagen um den Preis des Verfehlens der
Liebe zu m isstrauen ist. W enn m an m it Luhmann annimmt, dass Codes die
44 Liebesgeschichten

Kommunikationspraxis zumindest mit einem bestimmten Maß an Sicherheit und


Bestimmtheit versorgen m üssen, dann scheint es sich hier also um einen etwas
eigenartig gestrickten Code zu handeln.
Hier kann die eigentüm liche Sp annung von Bestim mtheit und Unbe-
stimmtheit nur stichpunktartig an einigen Gemeinplätzen aus dem von Luhmann
analysierten Formenvorrat der Liebessema ntik angedeutet werden. Erstens lässt
sich Liebeskommunikation thematisch nich t einschränken. Es lassen sich also
keine Regeln angeben, durch die an bestimmten Handlungen oder Eigenschaften
Liebe (die eigene oder die des Geliebten) m it Sicherheit abzulesen wären oder
nicht. Stendhal (1822) nennt das „K ristallisation“, und das durchaus m it einem
Sinn dafür, dass dies alles kopiert werden kann und m uss (vgl. dazu Luhmann
1982: 54). Es lassen sich also zunächst einmal keine Regeln angeben, worüber
geredet werden darf oder soll und worüber nicht. Um Robert M usils „M ann
ohne Eigenschaften“ zu W ort kommen zu lassen: „Liebe ist das gesprächigste
aller Gefühle und besteht zum großen Teil ganz aus Gesprächigkeit“ (1987:
1219). Gemeint ist damit, dass der Liebe gerade der Verzicht auf thematische
Beschränkung, auf eindeutige Informatione n eigentümlich ist, und dies so radi-
kal, dass die von M usil diagnostizierte Gesprächigkeit sogar unter Verzicht auf
verbale Kommunikation noch weitergeführt werden kann: M an denke hier nur
an die Augensprache oder das ‚stumme ‘ Einverständnis von Liebenden. Zwe i-
tens scheint zu gelten: W er den Regeln folgt, folgt nicht dem G eliebten! D as
weiß schon das ausgehende 18. Jahrhunde rt (vgl. Luhmann 1982: 123 ff.). Es
geht zunehmend um Einzigartigke it und zunehmend um eine extrem individua-
lisierte Form der Kommunikation, denen ke ine Liebeskasuistik mehr Herr wer-
den könnte. In systemtheoretischem V okabular hat Luhmann das folgenderma-
ßen beschrieben: „Liebe regelt intime Kommunikation, und intime Kommunika-
tion bildet keine Systeme außerhalb der In teraktionsebene. Hier versagt deshalb
[die] Differenzierung von paradoxen M akrosystemen und geregelte r Interakt i-
on“ (69). D rittens schließlich taucht in L uhmanns Geschichte der L iebe im 18.
Jahrhundert eine folgenreiche semantis che Erfindung auf, die er als „Entd e-
ckung der Inkommunikabilität“ (vgl. 153 ff.) bezeichnet. Damit ist vor allem auf
ein Problem – in dieser Arbeit wird aber im Bezug auf eine empirische Analyse
argumentiert werden: auch auf die Lö sung eines Problems – hingewiesen, das
sich in der Liebeskom munikation in erhöhtem M aße stellt: die Unm öglichkeit
einer durch R egelbefolgen, ja durch K ommunikation überhaupt m itteilbaren
Versicherung von Aufrichtigkeit und Authentiz ität. Es ergibt in der Liebesse-
mantik also Sinn, von Sinn zu reden, „d er dadurch zerstört wird, dass man ihn
zum Gegenstand einer Mitteilung macht“ (Luhmann 1982: 155).
Wichtig in diesem Diskussionszu sammenhang ist, dass man um 1990 in
der Intimitätssoziologie versucht, einen Bruch, einen W echsel des Primärcodes
Liebesgeschichten 45

für Intimität zu konstatieren. Von einer grundlegenden Transformation der Int i-


mität oder der Liebe ist die Rede. Nu r zwei Namen seien genannt: Zum ersten
ist es Andrea Leupold, die in einem ei nflussreichen Artikel (1983) einen W an-
del von „Liebe“ hin zur „Partnerschaftlic hkeit“ hin konstatiert. Sie interessiert
sich im Anschluss an Luhmann für di e Codierung von Partner schaften und zielt
vor allem auf die „Leitsemantiken“ ab, die die gegenwärtigen Ehen regulieren
sollen. Dabei konstatiert sie einen W echsel in dieser Leitsemantik, die sie mit
den Begriffen „romantische Liebe“ und „P artnerschaft“ auf den Punkt bringen
will. Sie wiederholt dabei zunächst ein altes, vor allem aus der Familiensoziolo-
gie der Zwischenkriegszeit bekanntes M otiv: Die Liebe bekommt den Ehen
nicht (vgl. dazu Luhmann 1982: 199). Wie oben schon konstatiert, war die Lie-
be ursprünglich als semantischer Code für außereheliche Beziehungen entwi-
ckelt worden (vgl. A ries 1984), ja sogar gegen die Ehe als Institution gerichtet,
und wird erst im ausgehenden 18. und im Verlauf des 19. Jahrhunderts zuneh-
mend trivialisiert und zum Ehegründungsprin zip. Aber a lltagstauglich, so die
These Leupolds, ist dieser Code auf lange Frist nicht; lebbar und sozusagen in
die Tat umsetzbar ist er nur, wenn er um eine neue Semantik der „Partnerschaf t-
lichkeit“ ergänzt wird, die die zunehmende Individualisierung der Ehepartner ,
ihrer individuellen Selbstverwirklic hungsansprüche und eine Öffnung der Ehe
hin auf außereheliche Kontakte mit ei nbezieht. Man kann das auch zeitdiagnos-
tisch w enden: W ar der (anglo-am erikanischen) Fam iliensoziologie der Z wi-
schenkriegszeit, nam entlich Ernest Burgess (1926), vor allem der Autonom ie-
gewinn der Fam ilien, der V erlust an ‚gesellschaftlicher‘ Bindung und dann
später die „soziale Regression“, die „Freigabe von Intimbeziehungen zur eige-
nen persönlichen Gestaltung“ (Luhmann 1982: 199) ein Dorn im Auge, dann ist
es jetzt die verm eintliche Rigidität des romantischen Codes, die als Problem
aufgefasst w ird. N och viel deutlicher und em phatischer bringt diesen U mstand
Anthony Giddens auf den Punkt, der eine n „W andel der Intimität“ als ganzem
diagnostiziert. Die leitende Unterschei dung ist bei ihm die zwischen „romant i-
scher Liebe“ und „partnerschaftlicher Liebe“ oder gar der „reinen Beziehung“
(1993) m it einer klar positiven Besetzung letzterer Kategorie. Interessant ist
auch hier, dass für Giddens offenbar ge rade die Bestimmtheit und Restriktivität
des romantischen Codes seine Unzeitgemäßheit besiegelt. Das geht soweit, dass
seine Diagnose – sein Plädoyer – sich explizit gegen die Ehe und nicht nur g e-
gen die romantische Liebe richtet:

Partnerschaftliche Liebe ist aktive, kontingente Liebe, und deswegen ist sie nicht ver-
einbar mit romantischen Formulierungen wie „für immer“ oder „der oder die einzige“.
[...] Je m ehr die entwickelnde partnerschaftliche Liebe reale M öglichkeit wird, desto
mehr weicht die Suche nach der „besonderen Person“ der nach der „besonderen B e-
ziehung“. (73)
46 Liebesgeschichten

Es kristallisiert sich hier also im mer deutlicher heraus, dass der Stein des A n-
stoßes etwa bei Giddens vor allem die Regelförmigkeit und Bestimmtheit des
Codes der tradierten Liebessemantik ist. Giddens hat natürlich schon die ganze
politische und argum entative Stoß kraft der Cultural Studies im R ücken, deren
grundlegendes Thema die Entdeckung des ak tiven Konsumenten ist, der kreativ
mit verkrusteten und m anipulativen Form vorlagen um gehen kann. Inhaltliches
und politisches H auptargument gegen die rom antische Liebe ist dann etw a ihre
festgefahrene, eindeutige geschlechtliche Asymmetrie:

Dennoch ist die romantische Liebe de facto völlig asymmetrisch, wenn wir uns die
Machtverteilung betrachten. Für die Frauen haben die Träume der romantischen Liebe
allzu häufig zu grausamer häuslicher Unterwerfung geführt. (...) W eder in der reinen
Beziehung noch in der partnerschaftlichen Liebe spielt die Heterosexualität eine be-
sondere Rolle. (73 f.)

Der wichtige Punkt ist hier jedoch nicht die Kontrastierung von Hom osexualität
und H eterosexualität, sondern der Um stand, dass diese Kontrastierung aus-
schließlich unter dem Vergleichsgesichtpunkt des Zwangscharakters von For m-
vorlagen geleistet wird. M it dem M isstrauen gegenüber und der Problematisi e-
rung von Bestimmtheit thematisiert Giddens dabei auch selbst als im eine im
Herzen der Sem antik für rom antische Liebe im plizit angelegte Einsicht. M an
kann hier auch noch einmal auf M ichel Foucault verweisen, der ebenso an der
Differenz von hom o- und heterosexuellen Lebensweisen auf die Chancen eines
Bruchs m it „institutionellen Codes“ au fweisen will – „aufregend“ werden ho-
mosexuelle Beziehungen lediglich als „j ene Beziehungen, die sich gleichsam
kurzschließen und dort Liebe einführen, wo es Gesetz, Regel oder Gewohnheit
geben sollte“ (1985: 89).
Nach all dem ist im Diskssionszusammenhang dieses Abschnittes natürlich
fraglich, wie es denn jem als m öglich war, sich den Zum utungen eines Codes
auszusetzen, der als Grundregel beinha ltet, dass sich intime Kommunikation
keinen Regeln zu beugen hat. Die Antwor t ist zunächst einfach: H istorisch wur-
den die Form vorlagen nicht etw a (nur) in G estalt von Ratgeberliteratur, G e-
brauchsanweisungen oder moralischen Schriften präsentiert. Einleitend wurde
schon auf den simplen Umstand hingewiesen , dass sich die Liebessemantik in
der Erzählung Luhmanns im Zusammenhang mit der Kunst, ge nauer gesagt: im
Zusammenhang mit einer bestimmten Kunstgattung herausbildet: dem Roman.
Luhmanns Analysen zum Code der roma ntischen Liebe lesen die Evolution
dieses spezifischen Codes fast ausschließlich aus sich wandelndem Romanmate-
rial ab. Es ist von der „Liebe als Roman“ (W erber 2003) gesprochen worden.
Man kann in diesem Zusam menhang darauf hi nweisen, dass selbst noch die
Begriffe „Rom an“, „rom an“ und „rom ance“ bis ins 20. Jahrhundert hinein die
Liebesgeschichten 47

Bedeutung beibehalten, die wir heute vi elleicht dem W ort „Liebesaffäre“ z u-


schreiben würden. Prousts Erzähler M arcel etwa hat noch ganz selbstverstän d-
lich einen „Roman“ mit der Herzogi n von Guermantes. Die Verbindung zwi-
schen einer spezifischen künstlerischen Er zählgattung und der Liebe ist also so
eng, dass „R oman“ gleichzeitig die Sache selbst m eint – eine L iebesgeschichte
– als auch ihre narrative Darstellung als Liebesgeschichte. Auffällig ist natürlich
auch, dass der Roman in diesem Sinne die Kontingenzen der Kontaktanbahnung
(vgl. Hahn et al. 2004: 13 ff.; W erber 2003) behandelt. Er endet mit der Ehe
(oder ihrem Verfehlen).
Insofern scheinen die Gründe dafür also einleuchtend. Anders als in Ratge-
bern oder moralischer Literatur ermöglicht der Roman einen gewissen Grad an
Unbestimmtheit im Bezug auf den Leser, den Rezipienten. W as Liebe ist – was
also ein Roman ist – muss in dieser Hins icht nicht definiert werden; was zu tun
ist, wie sie zu erkennen ist, muss dem Leser nicht gesagt oder oktroyiert we r-
den; ihre Gründe und Konsequenzen müss en nicht argumentativ oder diskursiv
dargelegt werden. All dies kann vorgeführt werden. Der Leser kann zw ar ange-
sprochen werden, aber er muss sich als Leser hauptsächlich dazu verhalten.
Gerade die Uneindeutigkeit, die Perspe ktivendifferenzen, die transzendentale
Obdachlosigkeit (Lukács) kann also gezeigt und vorgeführt werden, ohne dass
sie ausbuchstabiert oder au f einen eindeutigen Nenner gebracht werden m üsste
– oder auch nur könnte. Der im Verlauf des 19. Jahrhunderts dann so einfluss-
reiche Romancier Stendhal hatte für sein schon erwähntes Handbuch „Über die
Liebe“ zunächst einmal nur dreißig Leser. Nur nebenbei sei erwähnt, dass das
vorzügliche M ittel hierzu natürlich der Briefrom an w ar – und die Leser von
Briefromanen auch vornehmlich als Leserinnen vorgestellt wurden.
Das, was üblicherweise als die hist orische Leitsem antik und als Form vor-
lage für die Liebe behandelt wird, wird also von der Kunst geliefert. Das ist
natürlich nicht immer als unproblema tisch wahrgenommen worden: „Es gibt
kaum eine junge Dame im Königreich “ schreibt das „ Lady’s M agazine“ 1773,
„die nicht mit großer Begeisterung viel e Romanzen un d Romane gelesen hat.
Diese Veröffentlichungen führen jedoch zu einer Verderbnis des Geschm acks.“
(zit. n. Giddens 1992: 52 f.) Aber was auch immer die unterschiedlichen zeitg e-
nössischen Bewertungen der Romane und Romanzen war und wie auch immer
sich ihre Rezeption und Aufnahm e konkret ausgenom men hat , im Rückblick
ihrer Erzählungen der Liebe schlagen die meisten, insbesondere auch soziolog i-
sche Kommentatoren einen fast schon nostalgischen Ton an, wenn auf Zeiten
referiert wird, in denen die relevanten Formvorlagen und die Semantik der Lie-
be noch von der Kunst und im Besonderen von der Literatur geliefert wurde.
Die Vermutung, die in dieser Arbeit plau sibilisiert werden soll, ist, dass zum in-
dest ein Grund für diese Einschätzung de r ist, dass in der Kunst ein hinrei-
48 Liebesgeschichten

chendes Maß an Offenheit und Unbestimmtheit gewährleistet werden kann, der


die Leitsemantik der Liebe und ihrer Form vorlagen nie zu einem als Regelwerk
verstandenen Code zu erstarren lassen droht. Selbst in so kanonisierten, standar-
disierten Romanen wie denjenigen von Jane Austen lassen sich ohne M ühe
spielerische Umdeutungen und krea tive Veränderungen von tradierten Stanzen
und Klischees finden – bei Austen ist das beispielsweise die Parodie des Brief-
romans. Anders nimmt sich im Kontrast dazu die Sache aus, wenn man einen
Blick auf die Jetztzeit wirft. Stellvertr etend kann m an hier auf Eva Illouz hi n-
weisen, die das letzte einflussreiche soziologische, m ittlerweile schon zum
Klassiker avancierte Buch zum Thema geschrieben hat: „Der Konsum der Rom-
antik. Liebe und die kulturellen W idersprüche des Kapitalismus“ (2007). Schon
der Titel verrät die Problemstellung der St udie. Illouz’ These ist, dass es nicht
mehr die Kunst ist, die die „Postmo derne“ mit den Formvorlagen für das Ro-
mantische und die romantische Liebe versorgt, sondern der Markt, also das, was
sie in kapitalismuskritischer Adornonachfolge die Kultur- und Erlebnisindustrie
nennt. Es geht ihr dabei nicht einfach um die Tatsache, dass heute alles, was
man romantisch und liebestechnisch erleben kann, an Dienstleistungen und Pro-
dukte gekoppelt ist, die man auch käuflich erwerben kann und muss. Es geht ihr
vielmehr darum, wie es in einer W elt, in der alles durch den M arkt, durch die
Kulturindustrie und ihre Standardisierungen und Rigiditäten verm ittelt ist, über-
haupt noch so etwas wie echte, authen tische, einzigartige Liebe geben kann
(vgl. dazu Nassehi 2005: 3). Denn die Fo rmvorlagen für die Liebe, so Illouz’
großes Thema, werden nun insbesondere von der W erbung bereitgestellt. Wenn
die „Postmoderne“ tatsächlich die M oderne auf den Straßen ist (Huyssen), wird
aber der kapitalistisch demokratisierte Zugang zu einem von der W erbung nun
an jedermann adressierten Formenange bot auch mit einer Trivialisierung und
Banalisierung dieses Angebot erkauft se in. Das ist aber, wie noch gezeigt we r-
den soll, nicht Illouz’ spezifisches Argument: Das Problem an der konsumierba-
ren Liebe ist vielm ehr – ganz im Duktus der adornitischen K ulturindustriethese,
aber auch kom plementär zu der hier angestellten B eobachtung – die w arenför-
mige Standardisierung, die Regelhaftig keit und die vereindeutigende Bestimm t-
heit der kulturellen Formvorlagen. Gera de vor dem Hinter grund dieser Be-
obachtung überrascht es dann auch nicht mehr, dass in der Lesart Illouz’ die
einzig authentische Reaktion auf diese Formvorlagen – reflektierte Distanziert -
heit – dem undifferenziert konsumierenden Working-class-Publikum gerade
nicht zugänglich ist, sondern nur den bildungsnahen Middle-class- und Upper-
Middle-class-Publikum22:

22
Zitiert wird hier ausnahm sweise aus dem amerikanischen Original, weil mir die Kategorien der
„working-class“ und „upper-middle-class“ in diesem Kontext anders konnotiert zu sein schei-
nen als die der „Arbeiterklasse“ und der „gebildeten Mittelschicht“.
Liebesgeschichten 49

Their contradictory attitude toward the stereotyped, mass-m arket version of rom ance
is actually a source of their strength. [...] Their disparagem ent of „clichés“ provides
them with the psychological certainty that their experiences were „spe cial,“ „crea-
tive,“ „unique.“ (1997: 286)

Und was sich hier noch als eine Form der soziologisch inform ierten Kritik an
dieser V ersion der A uthentizität lesen lässt , löst sich dann letztendlich in ihrer
Schlussfolgerung in eine relativ naive Version von unversehrter Romantik auf:

The common cultural competence upper-middle-class people exercise in their roman-


tic communication [...] provides an experience of rom ance alternative to that prom ot-
ed by the public sphere of comsumption, making romantic even those moments that
do not depend on the m arket of leisure. Better educated and better off [...] have the
easiest access to the commercial-ritual formula of romance but at the same time are
functionally least dependent on it and can extend the scope of what they define and
live as romantic. (ebd.)

Die Plausibilität dieser Einschätzung hat – so die Beobachtung in diesem Kapi-


tel – viel damit zu tun, dass die Geschich te der Liebe auch als eine Geschichte
des Wechsels ihrer Formvorlagen erzäh lt werden kann: von der Liebe (wie) im
Roman zur Liebe (wie) im Fernsehen (Iványi/Reichertz 2002) zur Liebe (wie) in
der W erbung (Illouz 1997) zur Liebe (wie) im Internet (vgl. dazu ausführlich
Kapitel 6.).

3.2 „It’s just semantics“ (Formvorlagen I)

Wieder kann man sich die hier beschriebene Komplizierung des Verhältnisses
zwischen der Semantik der Liebe und den gelebten Praktiken der Ehepartne r-
wahl, zwischen literarischen Formvorla gen und statischen Daten plastisch vor
Augen führen, wenn m an sich eine soziol ogische Interpretation eines literari-
schen Textes genauer ansieht. In eine m jüngeren Aufsatz zu den „feinen Unte r-
schiede[n] der Liebe“ (in Niekrenz /Villányi 2008) versucht Yvonne Schütze,
Pierre Bourdieus Perspektive für ei ne soziologische Erklärung von Part -
nerwahlmechanismen fruchtbar zu machen. Li ebe, so die These, lässt sich laut
Bourdieu als eine spezifische Ausfor mung der „Habitusverwandschaft“ (157)
lesen. Hier interessiert nun besonders, dass Schütze als plastisches Beispiel die
Ehe zwischen Thom as Buddenbrook und Gerda Arnoldsen, den Protagonisten
aus Thomas M anns „Buddenbrooks“ (1957), wählt. „W as kann uns diese im
großbürgerlichen M ilieu des 19. Jahrhunderts ange siedelte und im frühen 20.
Jahrhundert geschriebene Geschichte he ute noch über die Liebe sagen?“ fragt
Schütze einleitend und verweist auf den Bourdieu der „Feinen Unterschiede“
50 Liebesgeschichten

(1982), dessen kämpferischer Hinweis darauf, dass die „Logik der Eheschli e-
ßungssysteme“ zur „Reproduktion der Gr oßbourgeoisie“ entscheiden beigetr a-
gen haben und noch beitragen (in N iekrenz/Villányi 2008: 375), in der Ehe
zwischen Thom as und G erda einen paradigm atischen literarischen A usdruck
finden. Interessanterweise wird als Bele g der Liebe von Thom as zu Gerda ger a-
de ein Brief im Roman, der an die M utter adressiert die Kennenlerngeschichte
und den sofortigen Entschluss zur Ehe zum Thema hat, als Beleg für die Plaus i-
bilität der K ongruenz von Liebe und Ehe inne rhalb gleicher sozialer Schichten
in Thom as M anns Rom anrahmung zitiert. „Ich liebe sie,“ schreibt Thom as
(Buddenbrook, nicht M ann) seiner M utter, „a ber es macht mein Glück und
meinen Stolz desto größer, daß ich, i ndem sie m ein eigen w ird, gleichzeitig
unserer Firma einen bedeutenden Kapita lzufluss erobere.“ (1957: 257) Schütze
sieht in diesem reflexiven Hinweis auf die Gleichzei tigkeit von romantischen
und ökonom ischen V orteilen einen H inweis auf die „bem erkenswerte[...] Fä-
higkeit zur Selbstreflexion“ einer Roma nfigur, während „den Liebenden im
wirklichen Leben diese M echanismen zum eist verborgen“ bleiben (in Nie-
krenz/Villányi 2008: 158). N un könnte m an Schützes Lesart dieser Episode
einfach als einen schlichten Lesefehler abtun: W enn die Ehe zwischen Thomas
und Gerda im Romangefüge der „Buddenbr ooks“ für etwas steht, dann sicher
nicht für romantische Liebe, sondern eher für großbürgerliche „Kälte“ und die
Dysfunktionalität einer auf ökonom ischen Gesichtspunk ten basierenden Ehe
(vgl. Schärf 2001: 27 ff.). Analoges lässt sich für die Logik der W ahl des Eh e-
partners sagen: Hätte Thomas aus Lieb e geheiratet, wäre seine W ahl bekann-
termaßen auf eine Blumenverkäuferin ge fallen, hätte er sich also gegen die
(augenscheinlich) bourdivinistische L ogik der „Habitusverwandschaft“ en t-
scheiden müssen. Dementspre chend hinkt auch das zweite Beispiel aus den
„Buddenbrooks“, das Schütze für den Zu sammenhang der Liebeswahl mit der
Reproduktion einer bildungs- und schi chtenhomogamen Gesellschaft heran-
zieht: das M isslingen der Ehe von Tony Buddenbrook mit dem M ünchner Per-
maneder, das bekanntlich an einer sanften Aufforderung des Letzteren an seine
Frau zerbricht: „Geh’ zum Deifi, Sa ulud’r dreckats!“ (M ann 1957: 394). Im
Roman wird diese Ehe jedoch auch als eine reine Z weckehe dargestellt: V on
einer Liebe jenseits von Klassen- und B ildungsbarrieren war nie die Rede. Ist
also Schützes Beispiel lediglich unglücklich gewählt? Im Hinblick auf die Liebe
(wie) im Roman kann jedoch auf dreierlei hingewiesen werden.
So könnte man erstens aus einer Perspektive, die den Status des interpre-
tierten Textes als literarischen ernst nehmen will, auf die nötige Textsortenkom-
petenz im Hinblick auf die als Beleg ange führte Stelle hinweisen. Verfehlt wird
vielleicht gerade das eigentliche Inte ressante der gew ählten B eispiele: ihre
„Rhetorizität“. Interpretiert w ird zunäch st ein fiktiver B rief als T eil eines R o-
Liebesgeschichten 51

mans. Auffällig ist im Romanzusammenhang dann nicht, dass hier reflexiv auf
die Ehewahl als Besitzw ahrung eingegangen w ird, sondern im Gegenteil: Dass
vor dem Publikum der M utter die E he als L iebesehe hingestellt w erden m uss.
Der Roman führt also genau das Gegenteil von dem vor, das Schütze ihm unter-
stellt. Er them atisiert die Unwahrscheinlichkeit einer Kongruenz von ökonom i-
schen Aspekten und romantischen Gesi chtspunkten und macht genau dies zu
einem Thema, deren Reflexion allerdings dem Leser überlassen bleibt. Zweitens
muss auf die womöglich zu reduktionistische Lesart Pierre Bourdieus hingewie-
sen werden. Ihm geht es nicht nur um den Zusam menhang zwischen Liebe und
Bildungshomogeneität – dazu würden die überzeugenden Statistiken, die Schüt-
ze anführt, alleine schon ausreichen. Es geht ihm vielmehr um den komplexen
Umstand, dass genau dieser Zusam menhang wiederum für die Beteiligten blind
verlaufen muss. Ganz im Gegensatz zu Schütze interessiert sich Bourdieu für
die Logik einer notwendigen illusio, die aus seiner Perspektive eben nicht als
reine Illusion gefasst werden kann (vgl . dazu N assehi in N assehi/Nollmann
2004: 155 ff.) Bourdieu hat sich in seinen Arbeiten primär auf die Analyse der
Strukturen sozialer Ungleichheit konzentr iert. Dabei hat er uns aber die Augen
dafür geöffnet, dass auch die Liebeswa hl, die doch gemeinhin als Ausdruck
individueller Gefühle gilt, über die Sozial struktur gesteuert w ird und som it zur
Reproduktion sozialer Ungleich beiträgt. Dass der romantischen Liebe eigen ist,
„im anderen das eigene soziale Schicksa l zu lieben“ (1984: 377), ist eine Er-
kenntnis, die Bourdieu zwar ausdrück lich betont. Dass sich ihr Bedeutungsge-
halt gerade nicht darin erschöpfen kann, ist aber m it Bourdieu das eigentlich
Interessante. Drittens wäre dann hier die Vermutung angebracht, dass es Bour-
dieu um nichts anderes geht als das, w as Schütze als das A usgeschlossene sei-
ner Theorie thematisiert. Sie selbst ist an genau den Stellen hellsichtig, an denen
sie sich auf die Publikumsrolle, die sie bei dem Hinweis auf den an die Mutter –
und damit an den Leser als möglicherwei se textsortenkompetenten Interpreten –
adressierten Brief außer Acht gelassen hat, konzentriert.

Denn bist ins 20. Jahrhundert hat die Umwe lt über das Instrument sozialer Miss -
billigung und anderer Sanktionen noch kräftig mitgewirkt, M ésalliancen, also nicht
standesgemäße Ehen zu verhindern. Heute ist es kein Skandal mehr, wenn ein Ak a-
demiker eine Hauptschulabsolventin heiratet, auch wenn die Eltern dies verm utlich
nicht begrüßen werden. Da solche Ehen, statistisch gesehe n, aber höchst selten vor-
kommen, hat es den Anschein, als ob die Liebe gleichsam wie von selbst auf den fällt,
dessen soziale Position mit der eigenen übereinstimmt. (in Niekrenz/Villányi 2008:
164)

Das ist freilich im H inblick auf die zur V erfügung stehenden Statistiken zu
Mustern der Partnerwahl wie zu Scheidungsraten nicht von der Hand zu weisen.
Noch in jüngster Zeit hat Hartm ut Esser also die Erforschung dieser eigenarti-
52 Liebesgeschichten

gen „Bildungshomogamie“ als Hauptuntersuchungsgegenstand zu seinen qua n-


titativen Studien zu Scheidungsgr ünden erhoben (vgl. 2000a; 2000b). Gerade
das Beispiel des Romans von Thomas M ann hätte hier aber die M öglichkeit
eröffnet, genau die Eigenartigkeit dieser nachweisbaren Bildungshomogamie als
Gegenstand des soziologischen Interesses zu etablieren. Für Schütze ist eine
Thematisierung genau dieses W iderspruchs zwischen der Selbstbeschreibung
der Liebe und ihren „harten Fakten“ ledi glich den Romanfiguren vorbehalten.
Was damit ausgeblendet bleiben muss, ist aber der Status des R omans als litera-
rische Formvorlage. Seine Kom plexität als literarische Form vorlage konnte hier
nur angedeutet w erden; und w enn es freilich hier nicht auf einen pedantische n
(literaturwissenschaftlichen) H inweis au f die richtige Interpretation ihrer B ei-
spiele ankommen kann, ist klar, dass der Roman sowohl als „sprachliches
Zeugnis“ als auch als Form vorlage auf eine Interpretationsoffenheit und die
unumgängliche M öglichkeit unterschiedlicher Lesarten verweist, die wiederum
nicht die Reflektivität der Rom anfiguren, sondern die Reflektivität des Rom ans
selbst im Hinblick auf das Verhältnis von semantischen Formvorlagen und prak-
tischen Entscheidungen etabliert. Genau in dieser Hinsicht wird der Roman in
den soziologischen Liebeserzählungen da nn als privilegiertes M edium zur Bil-
dung von romantischer Liebe interessant. Seine perform ative Vorführung von
semantischen und rhetorischen M ustern der Intimität erschöpft sich so gesehen
weder in einem Abbilden der W irklichkeit noch in einer autoritativen Vorgabe
von Regeln.

3.3 Der Verlust des Vertrauens in die Rhetorik

Abschließend darf in diesem Zusam menhang ein W ort zur Verwendung des
Begriffes „Rhetorik“ und zu der Rhetorik entliehenen Interpretam enten, die in
den nächsten Kapiteln dieser Arbeit ausgebreitet werden, vorausgeschickt wer-
den. Das Interesse für die „Rhetorizität“ des untersuchten Gegenstandes und das
Heranziehen rhetorischer Interpretationswerkzeuge m ag zunächst auf der Hand
zu liegen. Das Primärmaterial, das unter sucht werden soll, wird – neben mas-
senmedial verbreiteten Texten – vor allem eine spezifische Textgattung sein, die
aus der V erschriftlichung von Paarinterview s gew onnen w urde. Zur Spezifik
dieser eigentümlichen Situation des Inte rviews wird noch mehr gesagt werden
müssen – zuallererst ist es aber eine Inte raktionssituation, in der die Paare oral
vor und mit einem spezifischen, hier: so ziologischen Publikum kommunizieren.
Hier kann schon angedeutet werden, dass nicht nur das, was in den Interviews
erzählt wird, ein „Roman“ im oben beschr iebenen Sinne ist, sondern da ss die
Texte auch erfordern, in gewisser Hinsicht selbst auch als Rom ane interpretiert
Liebesgeschichten 53

zu werden. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt dann auch auf den Darste l-
lungsformen und stilistischen M itteln, die diese K ommunikation erfolgreich
erscheinen lassen. Dabei ist aber eine wichtige Ambivalenz noch nicht benannt,
die im Herzen einer jeden rhetorischen Analyse liegt. Gemeint ist hier nicht nur
die merkwürdig brüchige Unterscheidung, die derzeit die sichtba rsten philoso-
phischen Debatten über den Rang der Rhetorik leitet: die Unterscheidung von
„Überzeugen“ und „Überreden“, die etwa in der Ambivalenz des Verbs persua-
dere sichtbar wird und um die sich ein Gr oßteil der Diskussion zwischen Jürgen
Habermas und Richard Rorty w ie durch eine Sam mellinse bündeln lässt. A uch
wenn sich diese Diskussion als eine Di skussion über die grundsätzlichen prag-
matischen Grundvoraussetzung von Sprache und Sprachgebrauch überhaupt
gebärdet, ist sie auf eine spezifische Situation gemünzt: „Als Medium des Kon-
sensus über praktische Fragen, Sta ndards und Handlungsnormen hat Rhetorik
einen Gewaltindex, den Jürgen Haberm as in eben dieser ‚m erkwürdigen Ambi-
valenz zwischen Überzeugung und Überredung‘ sieht.“ 23 N orbert B olz hat in
diesem Zusammenhang für eine nietzsch eanische Interpretation dieser U nter-
scheidung als „rationalistisches Incognito“ einer anderen Unterscheidung pl ä-
diert. „Das große Entweder/Oder la utet nicht Überredung oder Überzeugung,
sondern Überredung oder Unr edlichkeit: ‚M acht-Beredsamkeit‘ oder ‚Rhetorik
aus Not‘.“ (1999: 168 f.) Und es ist diese etwas altertümlich anmutende Unter-
scheidung, die in diesem Kontext interessa nt wird; sie erlaubt es nicht, die Rh e-
torik als illegitim en Gewaltakt (Überreden) aus der ethisch geforderten Sprache
(Überzeugen) auszuklammern, sondern enth ält in sich selbst eine ambivalente
Unterscheidung, die gerade im Kont ext der Kom munikation von Liebe eine
größere Plausibilität und Evidenz beanspruchen kann.
Aber was genau meint diese Ambivalenz für diesen Kontext? Am präzises-
ten hat das wohl Paul de M an formuliert, wenn er die Doppelung der Rhetorik
auf den Punkt bringt: „Considered as pe rsuasion, rhetoric is performative but
when considered as a system of tropes, it deconstructs its own perform ance“
(1979: 131). Es ist auffällig, dass de Man die zugrunde liegende Unterscheidung
hier kollabieren lässt. Zum einen geht es also um die performativen Leistungen
eines Sprechers, dem die Kunst der rhetorischen Rede die Überredungs- und
Überzeugungsmittel an die H and gibt, das zu plausibilisieren, was vorher schon
gewusst wurde. Zum anderen liege n diese Überredungs- und Überzeugungsmit-
tel aber in einem System von Tropen. Da rauf verweist schon ihre klassische
Definition in der Rhetorik: „Die in der Rede zu verwendenden Gesichtspunkte
(topoi, ‚Gemein‘-Plätze) mussten, und das war zu lehren und zu lernen, gefun-
den und amplifiziert werden.“ (Luh mann 1998: 322) Niklas Luhmann sieht
23
So polemisch Bolz (1999: 168), der dagegen gerade die „Wiederkehr der Rhetorik“ über ihr
„Verschwinden in ihrer Allgegenwart“ diagnostiziert.
54 Liebesgeschichten

denn auch in der dieser spezifische n „Lösung des Problems einer M otivation
durch Selektion“ (323) den klassischen Erfolg der „A llianz von Rheorik, Topik
und M oral“ (322) begründet – gewisserm aßen als involutive Steigerung von
Erfolgsgaranten m ündlicher Kom munikation unter veränderten Bedingungen,
die aber dann vollständig am Buchdruck scheitern werden. Die dekonstruktivis-
tische Pointe des textlinguistisch argum entierenden de M an ist aber nun, dass
diese Unterscheidung von Zweck und Mittel – nietzscheanisch gesprochen: von
kreativer Beredsamkeit und stützender No t-Rhetorik – zusammenbricht. Die
Performativität des Systems der Tropen selbst ist es, die das Ruder an sich reißt
und der Autorität des Sprechers nicht nur widerspricht, son dern sie sogar
de(kon)struiert.
In nächsten K apitel dieser A rbeit w ird deutlich w erden, w ie diese Span-
nung einerseits unterlaufen und andererseits produktiv genutzt werden mag.
Dabei wird das Problem zunächst kommunikationstheoretisch gefasst. Das Inte-
resse an der Rhetorik ist hier ein Interesse für die Kommunikationspraxis und
ein Interesse für die Komm unikationspraxis. Der hier verwendete Kommunika-
tionsbegriff wird an anderer Stelle ( vgl. Kapitel II.4.) noch ausführlicher erlä u-
tert. Rhetoriknah ist dieser Begriff aber deshalb schon gebaut, weil er sich e x-
plizit auf die Kombination von Selektion und M otivation konzentriert. Interes-
sant ist also nicht (nur) die kreative Leistung des Sprechers, nicht (nur) das
System der Tropen, nicht (nur) das em phatische Verstehen des Publikums, son-
dern die Frage danach, wie in der Kommunikation an die Kommunikation ange-
schlossen wird. Die Spannung, die hier als Spannung der Rhetorik beschrieben
worden ist, soll also als eine Spannung begriffen werden, die kom munikativ in
der Kommunikationspraxis erzeugt we rden muss. In diesem Zusammenhang
soll damit einer fruchtlosen theoretischen Kontroverse vorgebeugt werden: Sind
es die Subjekte, die da reden, oder ist es die Sprache selbst? W enn also Hubert
Knoblauch in seinem jüngsten Aufsatz zu r „Liebe in der Lebenswelt“ (in Nie-
krenz/Villányi 2008) sich einerseits freut, dass „die soziale K onstruiertheit der
Liebe weitgehend akzeptiert“ scheint, wi r aber „vor lauter Konstruktion die
Konstrukteure“, also: die „Liebenden“, die „Subjekte“ „nicht aus den Augen
verlieren“ (127) sollten 24, ermöglicht es ein kommunikationstheoretischer Zu-
gang zu rhetorischen Prozessen, das Verhältnis von Konstruktion und Konstruk-
teuren selbst noch einmal als „Problem “ zu beschrei ben, das die Kommunikati-
on selbst hervorbringt – und entweder produktiv nutzbar macht oder als Prob-
lem identifiziert. Die Rhetori k hat in diesem Zusammenhang den Vorzug der

24
Mit dem wenig überraschenden Ergebnis: „Der Liebe liegt die Struktur der Intersubjektivität
zugrunde.“ (Knoblauch in Niekrenz/Villányi 2008: 133) Ähnliche Argumente finden sich auch
bei Wimbauer (2003).
Liebesgeschichten 55

Tradition auf ihrer Seite, war sie doch laut Luhm ann „die einzige Kom munika-
tionsbeschreibung, deren Selbstreflexion zugelassen war.“25
Darüber hinaus wird die Lösung dieses Problems einer empirischen Analy-
se vorbehalten. Denn ob, wie und wann in der konkreten Praxis der Darstellung
von Liebe das Verhältnis von „Gemeinpl ätzen“ und individuellem Sprechen zu
einem Problem wird, muss anhand der vor liegenden Texte im Detail erst noch
geklärt werden. Luhmann hat in dies em Zusammenhang etwa darauf hingewi e-
sen, dass die Ausbreitung der Schriftkultu r dieses Problem erst zu einem Pro b-
lem gerinnen lässt. „Überhaupt war nicht vorgesehen, daß der Einzelne, mit den
Platitüden der topoi konfrontiert, boc kig werden und ins eigene Ich zu-
rückschnellen würde. [D]er Buchdruck beginnt seine Sabotage damit, daß er die
einst so begehrte M enge (copia) der Topoi als Überfluß und Überdruß reprodu-
ziert und schließlich der Semantik von copia/copie/copy die heutige negative
Färbung gibt.“ (1998: 324) A uch das ist noch auf den V erlust der A llianz von
Rhetorik, Topik und M oral bezogen. Und wohlgem erkt: auf die Einführung des
Buchdrucks und nicht erst auf die Allgegenwart der M assenmedien. Eine R e-
konstruktion des (soziologischen) Diskurses über die Liebe hat bis hierhin schon
ergeben, dass sich in diesem spezifisc hen Zusammenhang just dieses Ver hältnis
von Formvorlagen und individueller Aktualis ierung eine besondere Reflexions-
bemühungen hervorgerufen hat. Die Ausw ertung der Interviews wird dage gen
zeigen, wie dieses Problem praktisch, und das heißt nun auch: rhetorisch gelöst
und produktiv gewendet wird.

4. Moderne Liebe: Intimität in einer funktional ausdifferenzierten


Gesellschaft

Wenn die hier diskutierten soziologisc hen Erzählungen der Liebe Geschichten
sind, die ihren Gegenstand als modernes Phänomen inszenieren, darf auch nicht
weiter überraschen, dass dieser seinen Ort in einem Rahmen findet, der im wei-
testen Sinne differenzierungs theoretische Grundannahmen impliziert. „W enn es
eine zentrale theoretische K ategorie für die Beschreibung gesellschaftlicher
Modernität gibt, dann kom mt als einziger Kandidat sicher Differenzierung in
Frage.“ (Nassehi 2003: 146) In der Tat kann man diese Verortung der Liebe als
Topos schon zu den Klassikern zurückve rfolgen. M ax W eber etwa führt ihn
schon in der Zwischenbetrachtung paradigmatisch vor: Ihm geht es um das
„tiefe[...] Spannungsverhältnis“, in das die „größte[...] irrationale[...] Lebens-
25
So Luhmann (1998: 546). Luhmann sieht hier auch den Grund, warum die Selbstbeschreibung
als Rhetorik etwa dem Dekonstruktivismus eines Paul de Man – und nicht nur ihm – plausibel
erscheint; „[d]enn das heißt: autologiebereit.“ (ebd.)
56 Liebesgeschichten

macht: [die] geschlecht liche[...] Liebe“ (2005a: 548) m it den „universellen Zu-
sammenhängen der Rationalisierung und Intellektualisierung der Kultur“ (549)
gerät. Es ist wohlgemerkt die geschlechtliche Liebe außerhalb der Ehe, radikaler
noch in ihrer zur Erotik sublimierten Form, die Weber hier meint. Und einerseits
hat diese Liebe teil am Polytheismus der Werte, als „das Geschlechtsleben als
solches [...] seine Geister und Götter [ha tte], wie jede andere Funktion auch.“
(ebd.) Andererseits wird aber gerade die Spannung zwischen Liebe und allen
anderen W erten besonders hervorgehoben, w ird ihre Irrationalität und A ußer-
alltäglichkeit in einen betonten G egensatz zu den Prozessen der R ationalisie-
rung gesetzt (vgl. 549 ff.). Ge org Simmel hat hier in seiner Fassung der Liebe
als der „reinste[n] Tragik“ (1985: 273) keinen W iderspruch anzumelden. W enn
es ihm auch deutlicher um das Problem der Steigerung und Behandlung von
Individualität in zunächst so unterschied lichen Sphären wie etwa der Wirtschaft
und der Kunst geht, so hat doch auch bei ihm die romantische Liebe in diesem
Kontext einen besonderen Stellenwert inne: In ihr kommt im Gegensatz zu allen
anderen Bereichen der G esellschaft die Beziehung von einer Individualität auf
eine andere unverm ittelt und direkt als „W under“ zum Tragen und kann gerade
hieran zerbrechen (vgl. 279 ff.). Zeitge nössische Kommentatoren haben dabei
von einem „Kompensationsgeschäft“ gesprochen, das in differenzierungstheore-
tischen Erzählungen der Liebe zugemutet wird (vgl. explizit dazu Werber 2003).
Im Folgenden soll anhand von zwei exem plarischen Fällen diese Konstellation
genauer herausgearbeitet und kompliziert werden.

4.1 Beck: Die irdische Religion der Liebe

In Anlehnung an die Weber unterstellte Einschätzung der Liebe als „Nachreligi-


on der M oderne“ (Beck/Beck-Gernsheim 1990: 243) nimmt auch Ulrich Becks
Analyse m oderner Intim beziehungen unter der Ägide rom antischer und post-
romantischer Liebesvorstellungen den Charakter einer Erzählung an, die sich
am besten als eine Antwort auf ein differenzierungstheoretisches Bezugsprob-
lem verstehen lässt. Im Folgenden soll dabei besonders hervorgehoben werden,
dass es in dieser Hinsicht vielleic ht genau die Punkte in Becks und Beck -
Gernsheims Fassung des Liebeschaos si nd, die von Kom mentatoren und rivali-
sierenden intim itätssoziologischen Schul en imm er w ieder explizit kritisiert
worden sind, welche die eigentliche Stärke ihrer Argumentation ausmachen.
Denn es werden der beckschen Soziologie der Zweiten M oderne aus verschi e-
denen Lagern mit verschiedener Stoßrich tung immer wieder zw ei (unterschied-
liche) Vorwürfe entgegengebracht, die sich aber bruchlos aufeinander beziehen
lassen. Bekannt ist der Vorwurf, dass di e Rhetorik des „Sowohl -als-auch“ sich
Liebesgeschichten 57

sowohl (!) einer konsistenten, system atisierenden Theoriebildung als auch (!)
einer möglichen, methodisch einwandfre ien Operationalisierbarkeit für empiri-
sche Forschung widersetzt. M an kennt da s Sowohl -als-auch-Muster der Argu-
mentation natürlich insbesondere aus de r Diagnose der Individualisierung, die
den wichtigsten Baustein einer Beschreibung der Jetzt -Zeit als Prozess einer
Reflexiven M odernisierung bildet. Denn ohne hier auch nur annähernd der f a-
cettenreichen Beschreibung des Individualis ierungsprozesses gerecht werden zu
können, kann man doch vermerken, da ss die Stoßrich tung der Argumentation
Becks nicht begriffen werden kann, wenn man nicht die Ambivalenzen – wenn
nicht real, so doch zumindest in ihrer so ziologischen Beschreibung durch die
Individualisierungstheorie – dieses Prozesses im Auge behält. Einerseits ist
schon die Entlassung der Individ uen aus gesellschaftlich vorgegebenen Form -
zwängen und die äußere Unbestimmtheit der konkreten Form von Lebenslagen
und Biographien ambivalent: Der „Freis etzungsdimension“ der Individualisi e-
rung steht ihre „Entzauberungsdimens ion“ (Beck 1986: 206) entgegen, die
Möglichkeiten zur W ahl und immer neuen Entscheidungs anlässen und -op-
tionen gehen mit einem W ahlzwang Hand in Hand, der in der Reflexiven Mo-
derne nun „normal“ geworden ist, also „jedermann“ betrifft. Für den Zusa m-
menhang der Liebeskommunikation laute t dabei die klassisch gewordene For-
mulierung so: „Liebe wird eine Leerform el, die die Liebenden selbst zu füllen
haben, über die sich auftuenden Gräben der Biographien hinweg“ (Beck/Beck-
Gernsheim 1990: 13). Andererseits erm öglicht dieser W ahlzwang auch dann
noch, wenn er als Sicherheitsverlust und Atomisierung beklagt wird, die Chance
und die M öglichkeit einer Neuordnung des Sozialen. Die „Re-
integrationsdimension“ (Beck 1986: 206) ermöglicht – jenseits von Stand und
Klasse26 – neue, unvorhergesehene und nicht oktroyierte Solidaritäten und All i-
anzen. Sie ermöglicht eben auch Liebe „über die sich auftuenden Gräben der
Biographien hinweg“. Für den letzten P unkt ist entscheidend, dass sich diese
Chance zu neuen Anordnungen und Verknüpfungsmöglichkeiten auch auf der
Ebene der möglichen Formen diagnostizieren lässt. So endet das oben gelieferte
klassische Zitat nicht da, wo es meist beendet wird:

Liebe wird eine Leerformel, die die Liebenden zu füllen haben, über die sich auftue n-
den Gräben der Biographien hinweg – auch wenn dabei der Schlagertext, die Wer-
bung, das pornographische Script, die M ätressenliteratur, die Psycho analyse Regie
führen. (13)

Hinzu tritt schließlich zu aller prim ärer Ambivalenz ein „Selbstzwang zur Stan-
dardisierung der eigenen Existenz.“ (15) Hier tritt es deutlich zu Tage: Liebe als

26
So natürlich der Titel des „mythischen“ (Nassehi 2008: 177) Aufsatzes von Beck (1984).
58 Liebesgeschichten

eine Gemengelage, die gleichzeitig leer und unbestim mt ist, gleichzeitig gefüllt
werden muss, gleichzeitig von Formvorlagen geleitet ist, deren K ombination
aber gleichzeitig Individuen überantwortet wird. Liebenkönnen und -müssen
erscheint in der Dichte dieser Formu lierung als unaufgelöstes Paradox. Kein
Wunder, dass hier die K ritik m it O rdnungsbestimmungen und theo retischen
Paradoxieentfaltungsanweisungen schnell zur Hand ist. W enn nicht gar – und
damit gänzlich den Ertrag der beckschen Formulierung übersehend – diese Art
der Bestimmung (!) von Liebe als Ideologie, als Selbstbespiegelung und Projek-
tion „bürgerlich-akadem ische[r] G ruppierungen“ (Treibel 1996: 431) verurteilt
und damit, so könnte man in Anlehnung an Eva Illouz formulieren, als eine
illegitime Universalisierung einer bestim mten „Liebes-Klasse“ entlarvt w ird, so
stellt sich doch sofort folgende Dia gnose ein: „Damit bleibt letztlich unbeant-
wortet, welche konkreten Inhalte das vor handene Liebes ideal umfasst[.] Hier
sind AutorInnen aufschlussreicher, welche von einer Überlagerung des romant i-
schen Liebescodes von einem Partnerschaftscode ausgehen.“ (W imbauer 2003:
102; vgl. etwa auch Lenz 1998: 76) Die Ambivalenz der beckschen Formulie-
rung wird also als mangelndes Auflös ungsvermögen seines Zugangs zum ganz
normalen Chaos der Liebe kritisiert.
Ein zweites M otiv, das die Kritik an Beck bestim mt, kom mt aus einer et-
was anderen Richtung, hat aber einen ähnlichen Effekt im Blick. Es geht um die
Idee, dass sich Liebe in der Reflexiven M oderne nur noch als ihr „ganz norm a-
les Chaos“ fassen lässt. „Chaos“ bezieh t sich dabei auf den Umstand, dass für
die konkrete Ausgestaltung der möglichen Formen der Liebe keine soziale Fo r-
mel – es sei denn: eine „Leerformel“ – angeben lässt, die den soziologischen
Blick in die Lage versetzen würde, be schreibbare M uster an zugeben, die jen-
seits der Ebene konkreter individueller Ausgestaltung Gültigkeit besitzen könn-
ten. Individualisierung der Liebe ist ihre Aggregatsform im Chaos. Das Prädikat
der „N ormalität“ dieses C haos bezieht sich auf den U mstand, dass sich auch
soziologisch nicht mehr beschreiben lä sst, für wen diese Individualisierungste n-
denzen – im Unterschied zu anderen – zutreffen würden. Sie treffen – zumindest
der Tendenz nach – auf Individuen zu. Die soziologische Forschung muss sich
so gewissermaßen ihres Gegenstands beraubt fühlen. Dies kann man selbst noch
Einschätzungen wie der von Angelika Poferl ablesen, die, nach einer äußerst
konzisen und sympathetischen Darstellung der Argumente für das „ganz norm a-
le Chaos der Liebe“ die becksche Fassung lediglich als einen Ausgangspunkt für
ernsthafte em pirische Forschung verstanden haben w ill: „Fortzuführen w äre
zum einen eine Analyse der Liebe als Wirklichkeitskonstruktion, die auf histo-
risch entwickelten Diskursen ebenso wi e auf Symbolen, M ythen, Ritualen au f-
baut. Zum anderen und vor allem aber wäre die Liebe als konkrete Praxis zu
untersuchen, als ein Tun und Empfinden in der Relation zweier Personen, die
Liebesgeschichten 59

voneinander berührt sind.“ (in N iekrenz/Villányi 2008: 177) D azu braucht m an


aber keine Theorie der Reflexiven M oderne; und ob sich schließlich die beck-
sche Sichtweise überhaupt in empirische Forschung übersetzen oder operation a-
lisieren lässt, wird dabei von Kommentatoren allenthalben bestritten.27
Die These ist nun folgende: Diese Form der Skepsis gegenüber der bec k-
schen Argumentation und der Kritik seiner Darstellung verfehlt genau die Treff-
sicherheit, die W ahrheit seiner Thesen. M an kann sich hier der Lesart Armin
Nassehis anschließen, der in einer soziologiehistorischen Rekonstruktion der
beckschen Theorie ihre W ahrheit – zugege benermaßen: ironisch, also auf einer
performativen Ebene des Aussagens, die mit dem W iderspruch zur Ebene des
Ausgesagten durchaus zu kokettieren verm ag – zurückgeben w ill. D ie These
dieses Abschnitts spitzt Nassehis Argumentation aber auf den Kontext der Liebe
zu; denn hier wird sich der von den Kommentatoren als Schwäche diagnostizier-
te D uktus B ecks als seine eigentliche Stärke erweisen. W as hat es in diesem
Kontext m it der im mer wieder beklagte n Uneindeutigkeit und Am bivalenz der
beckschen Diagnose auf sich? Beck intere ssiert sich ja für den gesellschaftli-
chen Kontext – den der Reflexiven M oderne – der das „Chaos der Liebe“ dann
für die Liebenden selbst zu einem so eigenartigen Unterneh men macht. W as
also gezeigt werden soll ist, woher diese eigentümliche Ambivalenz des Liebens
herrührt – und dies kann nur unübertroffen ambivalent formuliert werden: „ Lie-
be wird nötig wie nie zuvor und unmöglich gleichermaßen“ (Beck/Beck-Gerns-
heim 1990: 9). Es liegt natürlich nahe, hi er sofort nach eindeutigen soziolog i-
schen Analyseinstrumenten zu verlangen, die diese Ambivalenz auflösen. Kla s-
sisch haben sich dann analytische Un terscheidungen angeboten, etwa die zwi-
schen verschiedenen Sem antiken von rom antischer und partnerschaftlicher
Liebe (Leupold), die den W iderspruch lebbar m achen; die zwischen den ge-
trennt zu behandelnden Ebenen der Ansprüche und Selbstbeschreibungen der
Liebenden und ihrer konkreten intimen Praxis (Kaufmann); die zwischen
Mainstream und Subkulturen – und dann noc h einmal: zwischen verschiedenen
Subkulturen – die diese Ambivalenzen in jeweils unterschiedliche Richtungen
auflösen. Hier soll demgegenüber stark gemacht werden, dass man der beck-
schen Sicht vielleicht eine Taktik de r Verunmöglichung systematischer soziolo-
gischer Analyse vorwerfen könnte, dass er damit aber als Diagnose des Phäno-
mens der Liebe den Nagel gewissermaßen genau auf den Kopf trifft. Für die
Erfahrung der Liebenden, also in die Teilnehmerperspektive übersetzt, liefert
diese Diagnose wirkmächtige und anschlu ssfähige Chiffren, die im Kontext
einer „irdischen Religion“ der Liebe so fort nachvollziehbar sind. Der Zeitrah-
men der Reflexiven M oderne, in dem Beck das „ historisch aufbrechende Ge-
27
Angaben und eine Aufzählung möglicher und tatsächlicher Einwände lassen sich bei Nassehi
(2008: 179) finden.
60 Liebesgeschichten

geneinander von Liebe, Freiheit und Familie“ (7) beginnen lässt, greift aber zu
kurz. In dieser Arbeit wurde diese Probl ematik schon historisch an den W urzeln
der m odernen Sem antik und Reflexionsliteratur zur Liebe verortet. 28 Und es
reicht vielleicht in diesem Zusammenhang nur auf Georg Simmel hinzuwei sen,
der für seine Soziologie der L iebe einen ganz ähnlichen Z uschnitt gewählt hat,
indem er sich auf die Tragik der Liebe für alle Beteiligten kapriziert: „[D ]ie
Liebe [ist] die reinste Tragik: sie entz ündet sich nur an der Individualität und
zerbricht an der U nüberwindlichkeit der Individualität“ (1985: 273). A uch hier
also findet sich schon die Idee, dass sich die Ambivalenz der Liebe zumindest
auch daraus speist, dass sie die Indivi dualisierung strukturell schon voraussetzt
und gleichzeitig als „ Gegenideologie der Individualisierung“ (Beck/Beck-
Gernsheim 1990: 239) figuriert – und Beck erweitert das sowohl-als-auch-
freudig um den Zusatz: „paßgerecht“. Es ist die Stärke und die Plausib ilität der
beckschen Argumentation, dass sie diese Ambivalenzen nicht eskamotiert, so n-
dern sich penibel darauf beschränkt, die Bedingungen ihrer Entstehung nachzu-
erzählen – und sie zu den Bedingungen der M öglichkeit der Liebe hinzuzählt.
Für einige soziologische Perspektiven mag das einer Erklärung des Kompetenz-
verlusts gleichkommen. 29 Für eine Beschreibung, die wiederum selbst nah an
der Selbstbeschreibung der Liebenden und an der traditionellen (!) Sem antik der
Liebe gebaut ist, m uss aber auch noch dieser U mstand selbst unm ittelbar ein-
leuchten.
Diese letzte Beobachtung soll die Diagnose eines „Chaos“ der Liebe in e i-
nem etwas anderen Licht erscheinen lasse n. In dieser Diagnose erscheint Beck
gerade darin genau und treffend zu sein, wo er sich auf die Ambi valenz dieser
chaotischen Liebeszustände konzentriert. Im reflexiv gewordenen Chaos verliert
Liebe näm lich nicht nur ihren Halt in überlieferten Formvorlagen, die Beck
28
Man kann sich diese aus der Perspektive der hier angebotenen Erzählung der Semantik der
Liebe etwas kurzsichtig geratene historische Einschätzung in zwei Versionen erklären. Zunächst
geht es Beck ja in allen seinen Texten emphatisch um das Aufzeigen einer Neuartigkeit der von
ihm aufgezeigten Phänomene; kaum verwunderlich, dass auch das Chaos der Liebe als histori-
sche Errungenschaft der Reflexiven Moderne gelten muss, die ihre Wurzeln in der Moderne
wenn nicht leugnen, so doch zumindest relativ ieren muss. Wem diese Erklärung zu polemisch
erscheint, mag sich die zweite Version vor A ugen halten. Beck argumentiert im strengen Sinne
nicht wie diese Arbeit intimitäts -, sondern familie nsoziologisch. Aus dieser Perspektivendiff e-
renz mag sich zumindest ein Grund für die unterschiedliche Gewichtung und Platzierung der
Brüche in der Evolution der Liebe im Hinblick auf ihre Verknüpfung mit der Rolle der Familie
ableiten lassen.
29
So argumentiert wiederum Anglika Poferl im Kontext ihrer Rekonstruktion des beckschen
Arguments, dass es Beck immerhin gelingt, eine n gewichtigen Beitrag zur „Entwicklung einer
Soziologie der Emotionen“ zu leisten, die sich allerdings in argem Zustand befindet. Als Grund
führt sie leider das immer zu schnell griffbere ite Klischee an, dass L etzteres „mit fachspezifi-
schen Tendenzen der Verabschiedung des Menschen aus dem Sozialen selbst zu tun haben“
mag (in Niekrenz/Villányi 2008: 167).
Liebesgeschichten 61

entweder auf ihre starren Formen als vormoderne Relikte oder auf ihre als un-
problematisch gedeuteten Form en als Id eologie der bürgerlichen Fam ilie einzu-
schränken gedenkt; dieses Chaos bele uchtet die Besonderheit, die Ein -
zigartigkeit, die unhinterge hbare Individualität jeder einzelnen Liebe in ihrer
unbefragbaren Legitimität. Die Liebe, die Be ck im Blick hat, ist „radikalisierte
Selbstzuständigkeit“ (256) – und auch in diesem Sinne gerät sie dann zur Kultur
des Individualismus, sogar zur „Subjek tivitätsreligion“ (257). Diese von W eber
übernommene Betonung der Liebe als „Nachreligion“ mutet unter der Hand gar
als funktionalistisches Argument an, da s vor einem differenzierungstheoreti-
schen Hintergrund die Äquivalenz der Funktion des Problem bezugs der Liebe
mit derjenigen, die einmal die Religion übernommen zu haben scheint, für eine
fast schon geschichtsphilosophische Er zählung fruchtbar macht. Armin Nassehi
hat in einer raffinierten Lesart der Theorie der Reflexiven M oderne einen Ge-
danken von Irmhild Saake aufgegriffen und vorgeschlagen, die Plausibilität und
den „Publikumserfolg“ dieser Theorie er nst zu nehmen und sie als passgerechte
Soziologie für eine Gesell schaft zu lesen, die die „Perspektive von konkreten,
zunächst unkommensurablen, je für sich authentischen, ernst zu nehmenden
Sprecherpositionen“ (2008: 62) einnim mt und in schillerndem Licht erstrahlen
lässt. Auch das Chaos der Liebe verw eist auf eine „enorm e Multiplizierung von
Sprechern“ (61), und genau diese M ultiplizierung w ird im K ontext der Liebe
dann zum Authentizitäts- und damit zum Erfolgskriterium. Das Chaos – ver-
standen al s eine gesellschaftlich geradezu erzwungene Absage an Kontrol l-
zwänge, vorgegebene Sinnmuster und Form vorlagen – wird hier zur Rettung,
deren Subversivität aber immer von den Eindeutigkeitszumutungen moderner
Rationalität bedroht ist (vgl. Beck/Beck -Gernsheim 1990: 266): A uch darin ist
die Liebe eine M ünze in einem (reflex iv) modernen Kompensationsgeschäft.
Zur Rettung wird das Chaos aber insbesondere auch im Kontext der Reflexions-
literatur zur L iebe, die die authentisch e, individualitätspflichtige L iebe imm er
von ihrem Verstoß gegen das in der Seman tik der Liebe angelegte Kopierverbot
bedroht sieht. M an muss die Konsequenz bewundern, mit der Beck auf diesem
Punkt beharrt und sich theorietechnisch vor weiteren empirischen Studien be-
wahrt, die die Differenzen dieses Ch aos in neu etablierte R egelmäßigkeiten
aufsummieren könnten. Natürlich wurd e die becksche Diagnose zum Au s-
gangspunkt für empirische Forschung verwendet; aber dann auch mit einem
bias – wenn auch nicht so ausgeprägt wie in den Cultural Studies für das Ande-
re, das Subversive, so doch zumindest für das Neue. Die em pirische Forschung
im Anschluss an Beck interessiert sich dann auch zielgerichtet für neue Formen
der Intimität (vgl. dazu Stempfhuber 2012).
62 Liebesgeschichten

4.2 Fuchs: Die Inklusion der Vollperson

Wird der Intimität im A llgemeinen und der Liebe im Besonderen soziologisch


etwas zugemutet, was sonst keinem Bereich der Gesellschaft mehr gelingt, nicht
einmal mehr der gestürzten, entzauberten Religion? Und das nicht nur im Sinne
der Spezifik ihrer Funktion, die nur sie erfüllen kann – und keine andere Instanz
der Gesellschaft –, sondern in einem noch pathetischeren Sinne, dass sie in der
modernen Gesellschaft diese gleichsam trans zendieren und sämtliche D efizite
der modernen Gesellschaft kom pensieren muss? W ird ihr somit, topologisch
gesprochen, ein Ort zugewiesen, der sie außerhalb der Gesellschaft eben jener
Gesellschaft gegenüberstellt? Wird ihr dabei nicht, wie im mer skeptisch, gerade
jene Gesamtintegration der Individuen zugetraut, die die Soziologie für die
moderne Gesellschaft als theoretisch und praktisch äußerst prekär entschlüsselt
hat? Dass sich die Anrufung der Liebe auch noch zeitgenössisch als ein auffällig
stabiler Topos bewährt, mit dem Integrationsdefizite als Problem oder als Hoff-
nung markiert werden können, für das dann alte und neue intime Formen der
Integration als Lösungsformeln oder (utopisc he) Alternativen angeboten wer-
den, wird im Schlusskapitel dieser Ar beit noch einmal genauer untersucht. W er
aber so formuliert, weist schon darauf hin, dass die Rede von der Integration –
also von Integrationsdefizite n, Integrationsnotwendigkeiten und Integrationspo-
tentialen (vgl. nur Heitmeyer/Imbusch 2005) – zunächst als semantisches Phä-
nomen zu deuten ist und nicht vorschnell als Grundlage von Theoriebem ühun-
gen angesetzt werden sollte. Am energischsten haben der Idee, das Integration s-
problem als Grundfigur für die soziologische Frage nach der M öglichkeit ge-
sellschaftlicher Ordnung anzusetzen, wohl systemtheoretische Denkangebote im
Anschluss an Niklas Luhmann widersprochen. Es mag sich an dieser Stelle also
lohnen, noch einmal nachzufragen, wie in einem differenzierungstheo retischen
Rahmen das beschriebene Problem stattdessen angegangen werden könnte.
Es ist hier vor allem auf z wei K onzepte hinzuweisen: die Exklusionsind i-
vidualität und die Inklusion der V ollperson. Argumentiert wird in beiden Fällen
ausdrücklich vor dem Hintergrund einer Theori e der funktionalen Differenzi e-
rung der modernen Gesellschaft. W enn es im Hinblick auf primär stratifikato-
risch differenzierte Gesellschaften noch möglich war, sinnvoll von der Integr a-
tion von Personen – jedoch schon schwieriger: von Individuen – zu sprechen,
bietet sich mit einer primär funktiona len Differenzierungsform nun ein anderes
Bild. Sie erfordert in einem nie da gewesenen Ausmaß, dass Personen gleichzei-
tig an unterschiedlichen Funktionssystemen der G esellschaft teilhaben. E ine
Gesamtintegration im Sinne einer eindeutigen Zuordnung von Personen in eines
der Teilsysteme – die ja zudem als Funktionssysteme beschrieben werden und
daher auch nicht m ehr als G ruppen oder dergleichen vorgestellt w erden können
Liebesgeschichten 63

– ist damit ausgeschlossen. Einzelne Existenzen gehen nicht darin auf, dass man
nur lehrt (oder belehrt wird), nur zahlt (oder es sich spart), nur liebt (oder geliebt
wird), nur forscht (oder glaubt oder bezweifelt, was andere erforscht haben). 30
Die Systemtheorie setzt hier das Konzept einer Inklusion von Personen an. Mul-
ti-Inklusion in verschiedene Funktionssy steme ersetzt dabei die Id ee, dass ein-
zelne Personen „einer und nur einer Gruppe“ angehören und allein dadurch etwa
schon zur „Solidarität“ verpflichtet si nd (vgl. Luhmann 1980: 31). Aber woh l-
gemerkt: D ie M ulti-Inklusion von Personen. Es geht nicht mehr darum, wie
vollständige, individuelle M enschen als so lche in die G esellschaft integriert
werden; es geht vielm ehr um ein Problem der Adressierung. „D er Begriff der
Inklusion bezeichnet also die Art und W eise, wie Kommunika tion auf M en-
schen zugreift, d.h., wie Gesellschafte n, Organisationen und Interaktionen Per-
sonen thematisieren, in Anspruch ne hmen, anschlußfähig halten und nicht z u-
letzt ansprechbar m achen.“ (Nassehi 1997: 121) Die Theorie ist bekanntlich in
einem fundamentalen Sinne so gebaut, dass sie einen direkten Zugriff v on
Kommunikation auf psychische System e, Individuen oder gar: M enschen aus-
schließt. Inklusion bezieht sich also immer auf Personen, und das heißt: auf
Adressen, die im Kommunikationszusammenhang „bezeichnet, also für relevant
gehalten werden“ (Luhmann 1994: 20). Hi storisch und diagnostisch interessant
wird der Fall erst, wenn gezeigt werden kann, dass m it der Um stellung von
stratifikatorischer zu funktionaler Diffe renzierung der Gesellschaft die Indiv i-
dualität des Individuum s in einem veränderten und vers chärften Sinn relevant
wird; denn wenn die Funktionssystem e nur noch unter funktionsspezifischen
Aspekten, und das heißt: selektiv auf Personen zugreifen, findet sich das Indiv i-
duum als Individuum gew issermaßen auße rhalb der G esellschaft positioniert.
Die Individualität der Individuen wird – bei gleichzeitig „verm ehrten und kom -
plexen Abhängigkeitsketten“ – nicht mehr über Gesamtinklusion bestimmt: Das
Individuum ist „in einem radikaleren Si nne mehr Individuum als davor.“ (1993:
160) Das ist die Idee der Ex klusionsindividualität: „Das Individuum kann nicht
mehr durch Inklusion, sondern nur noc h durch Exklusion definiert werden.“
(158)

30
Das skizziert in etwa, wie sich Rudolf Stichweh die verschiedenen Formen der Inklusion in
einer primär funktional differenzierten Gesellschaft vorstellt: als Inklusion über die Untersche i-
dung von Professionellen- oder Klientenrollen; als Inklusion über Exit/Voice -Optionen; als In-
klusion über den Wechsel von Leistungs- und Publi kumsrollen; als indirekte Inklusion (vgl.
1988). Dass der Familie und der Liebesbe ziehung dabei eine eigenständige Inklusionsform zu-
gewiesen wird, ist kein Zufall: „Individualität wird [...] zu einem gesellschaftsexternen Phän o-
men [...], was nicht ausschließt, daß sich inne rgesellschaftlich Spezialformen der Kommunika-
tion entwickeln, die diese ungewöhnliche Form von Individualität kommunikativ zu thematisie-
ren imstande sind (z.B. Intimbeziehungen)“ (2000: 89).
64 Liebesgeschichten

Auch wenn sie zunächst als Provokation gedacht ist: In system theoreti-
schen Diskussionszusammenhängen leucht et diese Argumentation auf den ers-
ten Blick unm ittelbar ein; m an hat sich daran gew öhnt, das Individuum als Ex-
klusionsindividuum zu fassen (vgl. Nassehi 1997). An dieser Stelle interessiert
aber vorerst nur ein eigentümlicher Effe kt dieses Konzepts, der im Rahmen von
Erzählungen zur Genese und Funktion von Intimität und Liebe sichtbar wird.
Denn zunächst scheinen sich intim e Verhältnisse – gerade im Vergleich zu den
älteren Leistungen der Ökonomie des Ganzen Hauses – dem skizzierten Trend
zur Exklusionsindividualität zu fügen:

Selbst die Fam ilie [...] ist nicht m ehr in der Lage, die Einzelnen fest in der Ge-
sellschaft zu lokalisieren. Dafür steigert sie selbst ihre eigenen Inklusionsansprü che in
eine Richtung, die allein ihr zukommt und nirgendwo sonst auf Erfüllung hoffen kann.
Die Familie wird zum Ort der Intimität. [...] Wie immer bei funktionsspezifischen An-
spruchssteigerungen stellt sich aber auch bei der Familie die Frage: ob und wie die
Einzelnen mithalten, ob und wie sie es aushalten können und ob nicht Inklusionsprob-
leme und deviante Sozialisation mit den erreichten Steigerungen wahrscheinlicher
werden. [...] Einst ausweglose Erlebensform , ist die Fam ilie heute eines der wenigen
Funktionssysteme, auf das der Einzelne verzichten kann. (Luhmann 1993: 169 f.)

Hier liegt der Fokus natürlich vor allem darauf, dass es sich auch bei der Fam i-
lie, auch bei Intimbeziehungen nur um einen „Systembereich neben vielen ande-
ren“ handelt (170). Auch Intimität lässt das Exklusionsindividuum gewisserma-
ßen alleine, ja es legt ihm bei auftre tenden Problemen noch in viel stärkerem
Maße als andere Systembereiche eine an scheinend einfache und folgenarme
Lösung nahe: „auszubrechen“ (ebd.). Und doch scheint selbst Luhm ann im
Hinblick auf Liebe und Intim ität die Coolness dieser Argum entation nicht
durchhalten zu w ollen. D ie Rede ist von einer „gesellschaftliche[n] Inklusion
der Vollperson“ (1990a: 199). Formuliert ist das im Hinblick auf die Funktion s-
bestimmung der intim isierten Fam ilie in der funktional ausdifferenzierten G e-
sellschaft. Natür lich finden sich die üblichen systemtheoretischen Kautelen,
dass es sich bei der „Vollperson“ nie um den ganzen M enschen handeln kann. 31
Natürlich wird diese Funktion von Luhmann selbst ironisch als gleichsam illusi-
onäre Überlastung der Familien präsenti ert (vgl. 198). Und doch vertraut –
ebenso wie bei Beck und Beck-Gernsheim freilich: mit der charakteristi schen
Ironie – das Konzept einer problematisch en Inklusion der Vollperson als B e-
zugsproblem intimer Kommunikation auf die Idee einer kompensatorischen
Leistung von Intimität. Intimität gerät erneut zur Nachreligion der Moderne.

31
Die Inklusion betrifft also die „Vollperson (nie natürlich: der organis chen und psychischen
Systeme).“ (Luhmann 1990a: 199) Gerade den Umstand, dass es sich selbst bei Vollpersonen
um sozial konstruierte Zugriffspunkte für Komm unikation handelt, betont noch stärker André
Kieserling in seinem Beitrag zum Thema (1994: 19f.).
Liebesgeschichten 65

Deutlich wird dies vor allem, wenn etwa Peter Fuchs die Idee der Inklusion
der V ollperson vom K ontext des Sozialsystem s Fam ilie auf „Liebe, Sex und
solche Sachen“ (1999) aus weitet. Seine Argumentation ist dabei nahe an derje-
nigen L uhmanns gebaut: „D ie Fam ilie etabliert sich als der O rt, an dem das
Gesamtverhalten, das als Person Bezugspunkt für Kommunikation werden kann,
behandelt, erlebt, sichtbar gemacht, überw acht, betreut, gestützt werden kann.
Insofern bildet die Fam ilie das M odell einer G esellschaft, die nicht m ehr exis-
tiert. Sie reflektiert, könnte m an sagen, das Problem der gesellschaftlichen I n-
klusion in der Fam ilie.“ (Luhmann 1990a: 199) Die Anspruchsüberlastung, die
Luhmann dam it für die Fam ilie diagnostiziert, besteht nun für Fuchs um so
mehr, wenn man Liebe, Sex und solche Sachen im Allgemeinen betrachtet.
Gefordert – und als Illusion entlarvt – wird hier in noch stärkerem Ausmaß: die
„Komplettakzeptanz der Person“ (1999: 55), ihre „Komplettbetreuung“ (120),
die M itbeachtung ihrer „Idiosynkrasien“ (29), kurz: die Adressierung und Be-
rücksichtigung des Individuums als Individuum, die I nklusion von Ge -
samtpersonen. Es ist dies der Problembezug der Intimität, weil dies in keinem
anderen Funktionssystem der G esellschaft möglich ist und obw ohl und letztlich
auch: weil dies selbst in der intimen Kommunikation nicht möglich ist.
Wir können hier schon sehen, wie die K onzepte der Exklusionsindividuali-
tät und der Inklusion der V ollperson aufs Engste miteinander verlinkt sind. Sehr
verkürzt formuliert: Als Exklusionsindividuum ist das Individuum nämlich ge-
wissermaßen sozial freigesetzt; über die Inklusion der Vollperson m ag es aber
zumindest an einem (intimen) Ort der Gesellschaft als Ganzes adressiert werden
und Gehör finden (wollen). Schon früher hatte Luhmann diese Idee vorwegg e-
nommen und mit Blick auf den heutigen Stand der Liebesdinge resigniert fes t-
gestellt: „Was man in der Liebe sucht, was man in Intimbeziehungen sucht, wird
somit in erster Linie dies sein: Validierung der Selbstdarstellung.“ (1982: 208)
Man kann aber auch schon erkennen, warum beide Konzepte nicht zufrieden
stellen können und erhebliche Probleme au fwerfen – Probleme, die im empiri-
schen Teil dieser Arbeit i mmer mehr in den M ittelpunkt treten werden (vgl. vor
allem Kapitel II.1.). Hier kann zuminde st schon angedeutet werden, warum sie
in jüngerer Zeit auch aus systemtheoretis cher Perspektive attackiert worden
sind. Urs Stäheli etwa hat den „ironisc hen Begriff“ der Exklusionsindividualität
– w iewohl durchaus „erfrischend“ – dahingehend kritisiert, dass er un ter der
Hand wieder eine essentialistische Fa ssung des Individuum s nahe legt. Theore-
tisch problematisch wird diese Figur de r über Exklusion definierten I ndividuen
dann, „wenn diesen Individuen noch vor ihrer Identifizierung mit spezifischen
Inklusionsfiguren und ihrer Artikula tion von Verbreitungsmedien“ (in Pas e-
ro/Weinbach 2003: 209) stabile Identitäte n zugeschrieben w erden. Interessant
66 Liebesgeschichten

müssten aber vor allem die ko mmunikativen, medienabhängigen 32, körperlichen


und eben: sozialen Praktiken sein, in denen Prozesse der Individualisierung und
Subjektivierung zuallererst angereizt werd en. Nicht nur um eine nachträgliche
Bewährung der Selbstdarstellung eines vollständig ausgeformten Exklusion-
sindividuums geht es dabei, sondern um seine Herstellung in der Praxis selbst.
Armin Nassehi hat diese Einsicht zum An lass einer grundsätzlichen Kritik der
Exklusionsindividualität genom men und au f die individualisierende n Praktiken
hingewiesen, die sich viel eher als I nklusion beschreiben lassen. Stäheli hat
dabei aber auch auf die K ompatibilität a lternativer theoretischer Perspektiven
hingewiesen, die seit längerer Zeit diesen Praktiken auf der Spur sind. Gerade
feministische und postkoloni ale Theorieangebote werden vor diesem Hinte r-
grund attraktiv: „Individuen werden durch Subjektivierungsprozesse, welche in
den Kommunikations- und Affektionsweisen der spezifischen Funktionssysteme
verortet werden können, erzeugt und kön nen nicht immer schon vorausgesetzt
werden“ (ebd.) – ein Angebot, von dem in dieser Arbeit reichlich Gebrauch
gemacht werden wird. Mithin lässt ein solches Angebot empirisch in den Blick
bekommen, w as das T heorem der E xklusionsindividualität für die Soziol ogie
auf gewisse W eise ausgeklammert hatte: „Dem Individuum wird jetzt zugem u-
tet, sich durch B ezug auf seine Individua lität zu identifizieren[.] Selbstbeobach-
tungen und Selbstbeschreibungen können sich jetzt nicht mehr, oder allenfalls
äußerlich, an soziale Position, Zugehörigkeit, Inklusion halten. Dem Individuum
wird zugemutet, in Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung auf seine Indiv i-
dualität zu rekurrieren.“ (Luhm ann 1993: 215) Wo und wie, an welchen Orten
und zu welchen Situationen diese Beschreibungen und Beobachtungen eines
Selbst, das zuallererst hergestellt w erden m uss, praktisch angefertigt w erden,
wird aber in der veränderten Perspektive zu einem privilegierten Forschungsge-
genstand. Das ist besonders im Bezug auf den Ort der intimen Kommunikatio n
spannend. Denn auch noch die Idee eine r kompensatorischen Inklusion der
Vollperson verdeckt ein ähnliches Problem . Kann m an voraussetzen, dass rele-
vante Inklusionsfiguren und Akteursfikti onen, die die ganze Person betreffen,
gleichsam konkurrenzfrei in der Intimkommunikation an fallen? Und lässt nicht
gerade die Rede von der „Validierung“ von Selbstdarstellungen, von einer Be-
rücksichtigung der Vollperson, die in intimer Kommunikation „ behandelt, er-
lebt, sichtbar gemacht, überwacht, betr eut, gestützt“ werden kann, aus dem
Blick geraten, dass diese zu allererst situativ hergestellt werden muss?

32
Stäheli denkt dabei nicht nur an symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, sondern
hebt auch auf die M aterialität der Verbreitungsmedien ab. Seine in diesem Zusammenhang
etablierte Idee der konstitutiven Nachträglichkeit der Semantik wird im Fall von Liebe zudem
noch von besonderem Interesse sein.
Liebesgeschichten 67

5. Neue Formen der Intimität?

Es wurde in der Einleitung zu diesem Kapitel schon angedeutet, dass es womög-


lich die Brüche in den Erzählungen der Liebe sind, die von besonderem Interes-
se sind, wenn man nach der Rolle fragt , die der Liebe in diesen Erzählungen
zugewiesen w ird. W enn der soziologische, sozial- und kulturw issenschaftliche
Blick auf Intim ität fällt, so fällt er schier unw eigerlich auf neue Formen der
Intimität. D ies soll im Folgenden schlaglichtartig im H inblick auf zw ei – zeit-
lich und perspektivisch – weit auseinander liegende Fälle deutlich werden. Die
Familiensoziologie der 20er bis hinein in die 50er Jahre entdeckt vor dem Hin-
tergrund einer Desorganisationshypothese neue Formen der Intimität, indem sie
nach den Auswirkungen fragt, die die (neue) Kopplung von romantischen Lie-
besvorstellungen mit der Ehe im Hinblick auf deren Stabilität haben kann. D ie
zeitgenössischen Debatten zur (post)modernen Lage der Liebe seit den 80er
Jahren entdecken neue Form en der Intimität, deren Fragilität und Kreativität sie
wiederum mit den starren M ustern traditioneller Beziehungsform en konfrontie-
ren und vor der Zumutung „normaler“ roma ntischer Liebe verteidigen wollen.
Die Verm utung, der im Folgenden nachgegangen werden soll, ist da bei, dass
damit nicht nur etw as über den veränderten gesellschaftlichen K ontext, in dem
die jew eiligen Perspektiven sich plausi bilisieren m üssen, gesagt ist, sondern
auch in einem spezifischen Sinne über den Gegenstand der Liebe und der Inti-
mität selbst. Nicht aber, dass sich de r Gegenstand der Intimität und der Liebe
auf eine radikale W eise geändert hat, ist dam it gem eint. D enn w ie im mer sich
die konkreten analysierten Formen der Intimität auch g eändert haben mögen –
auffällig ist vor dem H intergrund der in den vorangegangenen A bschnitten
schon exponierten Frage nach dem Verhältnis von Formvorlagen und deren
praktischer Umsetzung in der Semantik der Liebe, dass sich in den verschiede-
nen Erzählungen genau dieser Problembez ug jeweils als zentral herauskristalli-
siert. Das Neue im folgenden Teil w ird also lediglich die Konzentration auf das
Motiv der Möglichkeit des Neuen und des Wandels sein.

5.1 Liebe und Ehe: falsch programmiert? Neue Formen der Intimität 1926

Es ist oft bem erkt worden, dass eine der entscheidenden Entwicklungen des
neuzeitlichen, bürgerlichen U mgangs m it Intim ität die „ Institutionalisierung
[der romantischen Liebe, M .S.] als Ehegrundlage“ ist (Luhmann 2008: 33; vgl.
Stone 1990; Giddens 1993; Hahn et al. 2004; Kosseleck 2006). Diese Kopplung
ist vor dem Hintergrund der hier präsentie rten Geschichten zunächst eine u n-
wahrscheinliche Errungenschaft. In der Tat mag es ertragreich sein, noch einmal
68 Liebesgeschichten

einen kurzen Blick auf den frühen sozi ologischen Umgang mit dieser Kopplung
zu werfen; sie wird – und das mag aus der heutigen Perspektive vielleicht
gleichermaßen überraschen wie es hellsichtig zu sein scheint – zunächst durch-
aus als Problem begriffen. Luhmann hat die Lage im Hinblick auf die (vor allem
amerikanische) Fam iliensoziologie der 20er und 30er Jahre lakonisch zusa m-
mengefasst. Deren Antwort auf den Zusammenhang von Liebe und Ehe lautete
demnach: „falsch programmiert. Die romantische Liebe bekommt der Ehe
nicht.“ (Luhmann 1982: 199) W egweisend für diese Deutung sind vor allem die
einflussreichen Studien von Ernest W . Burgess (1926; Burgess/Locke 1945),
der zunächst die Inkom patibilität von rom antischer Liebe als (überstei gerter)
Erwartungsgenerator m it den Stabilitätsanforderungen der Institution der Ehe
hervorhebt. Hellsichtig aus heutiger Sicht mag diese Diagnose erscheinen, weil
die von der Fam iliensoziologie beobachtete institutionalisierte K opplung von
Liebe und Ehe längst nicht m ehr so unhinterfragt vorausgesetzt wird. Die intim-
soziologische Problemstellung hat sich , wie schon erwähnt, dabei aber gewi s-
sermaßen aus ihrer fam iliensoziologischen Einbettung em anzipiert und ist zum
Gemeinplatz eines reflexiven Um gangs mit den unterschiedlichen Anforderun-
gen von Liebessem antiken und B eziehungsalltag gew orden – eben auch in der
Selbstbeschreibung von Paaren selbst. Im nächsten Kapitel wird dieser Topos
auch empirisch bei der Auswertung der Pa arinterviews auftauchen. Überraschen
mag aber aus heutiger Sicht wiederum die unhinterfragte Zus pitzung der fam i-
liensoziologischen Problem stellung au f den G esichtspunkt der Stabilität der
Familie. U nter A usblendung einer Fragerichtung bei den K lassikern, die, w ie
oben schon angedeutet wurde, die Au sdifferenzierung von Intimbeziehungen
auf der Grundlage passionierter Liebe zunächst gegen die E he als Institution
verfolgen und vor diesem Hintergrund nach der Funktion von Intimität fragen
konnten, scheint es für die Fam iliensoziologie (noch) plausibel zu sein, die
romantische Liebe ausschließlich als Problem für die Ehe zu konzipieren.
Einige interessante, „bem erkenswerte“ (Luhm ann 2008: 80) Reflexionen
zu diesem Stand der (am erikanischen) Familiensoziologie bietet der leider ver-
gessene Aufsatz „A Note on Love“, in de m sich Vilhelm Aubert in seiner „Hid-
den Society“ bereits 1965 der fam iliensoziologischen Dominanz in der soziol o-
gischen Beschäftigung mit dem Thema der Liebe annimmt (für einen allgemei-
nen Ü berblick über die frühen fam iliensoziologischen A rbeiten vgl. aber L eu-
pold 1983). Aubert weist hier darauf hin, dass es mindestens zwei Geschichten
gibt, die man über die Liebe und ihre Bedeutung und Funktion für moderne (eu-
ropäische) Gesellschaften erzählen können müsste:

While love to most family sociologists is an emotion intimately linked to mar riage,
childbearing and socialization, it was something very different in the European liter-
ary tradition. The great novelists have tended to treat love as a emotion and a human
Liebesgeschichten 69

state which blossom s, not when em bedded in the fam ily in stitution, but precisel y
when it stands in contrast to, outside, or „above“ social institutions of whatever kind.
(1965: 202)

Aubert weist hier weniger auf die m ittlerweile historisch gesicherte und hier
schon öfters erwähnte Erkenntnis hin, dass sich die uns vertraute Form der mo-
dernen passionierten L iebe zunächst ge gen die E he als Institution ausdiffere n-
ziert. Ihm ist es daran gelegen, der Seman tik der Liebe, wie sie in der L iteratur,
in Romanen und Lyrik zum Ausdruck ge bracht wird, auch soziologisch Gehör
zu verschaffen. D ie Beschäftigung m it di eser sem antischen Tradition bringt er
gegen eine Familiensoziologie in Stellung, die Liebe in seinen Augen zu eindeu-
tig auf das Problem der Liebe in der Ehe zuspitzt und dabei die durchaus wide r-
spenstigen sem antischen Unschärfen des Liebesmythos in dieser Hinsicht als
Problem, als „Ideologie“ behandeln muss. M ethodisch geht er dabei durchaus
freihändig vor; 33 die Funktion der Literatur sieht er aber – wobei er sich m it
einigen zeitgenössischen Kommentatoren wi e etwa Eva Illouz trifft – in der
Schöpfung einer „culture of love“ (202), die sich nicht a priori auf ihren affi r-
mativen oder subversiven Bezug auf die Fa milie reduzieren lässt. Interessant ist
für unseren Z usammenhang, dass A ubert jedoch nicht ein seitig die literarische
präformierte Semantik der L iebe gegen das Stabilitätsinteresse der Fam ilienso-
ziologie in Stellung bri ngt, sondern vielmehr in dieser Semantik selbst die W i-
dersprüchlichkeiten nachzeichnen kann, die das Leitmotiv für die Inkompatibili-
tätsdiagnose von Liebe und Ehe ablieferten. Die W idersprüchlichkeiten und
Ambiguitäten werden in verschiedenen Versionen vorgestellt: In der Liebe trifft
das Geheime auf das Öffentliche, wird Freiheit gegen Zwänge ausgespielt, die
Unerklärlichkeit der Liebe m it ganz eigenen Rationalitätsanforderungen kom bi-
niert, im Hinblick auf Zeit mit augenb licklicher Intensität und ewiger Dauer
experimentiert. G egen eine Fam iliensoziologie jedoch, die die A utonomie der
Liebesgemeinschaften, ihre „soziale Regression“, also insbesondere die „Fre i-
gabe von Intimbeziehungen zu eigener, persönlicher Gestaltung“ (Luhmann
1982: 199) und die damit verbundene Lockerung gesellschaftlicher Formvor-
schriften zum Grund für die beobachteten Schwierigkeiten der Eheführung
erklärt (und also genau spiegelbildlich zu den heutigen Debatten argumentiert;
vgl. Leupold 1983), gibt Aubert für zukünftige Debatten erstaunlich hellsichtige
Hinweise auf die m ögliche Funktionalität einer ambiguen Semantik: „Again we
see the enorm ous elasticity and resilience of the norm ative system surrounding

33
„[I]t is hard do believe that the literary conception of love could remain unrelated to important,
real, and widespread emotions. For literature is one of the few teachers of love, love being too
secret to be taught at home or in the schools. It remains the anonymous, intimate, but still pu b-
licly available literature to communicate an unders tanding of what it is to be in love and to
love.“ (Aubert 1965: 202)
70 Liebesgeschichten

love, bought at the cost of simplicity and clear guidance to the true path“ (1965:
226), die er sogleich m it einer Funkti onsangabe gleichzeitig bestärkt und e r-
klärt:

Once more one is struck by the enormous variety and inconsistency of the norms and
beliefs involved in the social structuring of love. The normative system ap pears to
function less as guidance than as a rationalization for whatever might happen in this
area of life which is so extraordinarily complex. (229)

Für Luhmann lässt sich in den von Aube rt thematisierten W idersprüchlichkei-


ten, der Elastizität und der Unterschiedlichkeit der Liebestopoi ein gemeinsamer
Nenner entdecken: dass in ihnen „der M ensch sich in Angelegenheiten der Lie-
be von gesellschaftlicher und m oralischer Verantwortung freizeichnet. [...] Pas-
sion wird dann zur institutionalisierten Frei heit, die nicht als solche gerechtfe r-
tigt zu werden braucht. Freiheit wird als Zwang getarnt.“ (2008: 31-32) In dieser
Arbeit wird es im W eiteren darum gehen, die Funktionalität dieser Ambiguität
und Unschärfe des Codes selbst aufzuzei gen, und den Nachweis zu erbringen,
dass es diese konstitutive U nbestimmtheit ist, die nicht nur als Problem erschei-
nen m uss, sondern ganz im G egenteil perform ativ hergestellt w erden m uss.
Erstaunlich ist jedoch, dass im Rückb lick wiederum das Verhältnis von Form-
vorlagen und ihrer praktischen Umsetzung schon das zentrale Thema der frühen
Familiensoziologie w ar; gerade die Lockerung dieses Verhältnisses erschien
hier aber als Problem und wurde im Hinblick auf die Stabilität der Ehen mit der
These der „Desorganisation“ verdam mt. Wenn der nächste Abschnitt nun einen
Sprung (für eine mögliche Rekonstruk tion des intimsoziologischen Diskussi-
onsverlaufs vgl. wiederum Leupold 1980) zu zeitgenössischen Debatten um den
Status (post)m oderner Liebe w agen w ird, stellt sich das Problem nun spiegel-
verkehrt dar: jenseits des Bezuges auf die Stabilität von Ehen und Paarbezie-
hungen wird gerade die Starrheit dieses Verhältnisses zum Skandal.

5.2 Subversive Minoritäten: Neue Formen der Intimität 1973

Zum zentralen Bezugsproblem für die zeitgenössischen Debatten um den Ste l-


lenwert (post)moderner In timität und Liebe wird – so die These – eine simple
Frage: Wie kommt das Neue in die Welt? Im Zusammenhang mit den soziologi-
schen Erzählungen, die Liebe in einem di fferenzierungstheoretischen Rahm en
verorten, ist dieses M otiv schon angeklungen. Hier soll die Perspektive noch
einmal erweitert werden und die Entdeckung und Erfindung (!) von neuen Fo r-
men der Intim ität beleuchtet werden, wie sie in den C ultural Studies, poststruk-
turalistischen Theorieprojekten und ni cht zuletzt – als nicht umsonst ex-
Liebesgeschichten 71

emplarischem Fall – in den Queer Studies zu Tage treten. Bevor aber ein so
heterogenes Forschungsfeld überhaupt in den Blick geraten kann, sind einige
Ausführungen zu einem Motiv vonnöten, das nicht nur schlicht und einfach als
gemeinsames Motiv in den betrachteten Forschungsansätzen zu beobachten ist,
sondern das sich als das zentrale Motiv beschreiben lässt, ohne dessen Kenntnis
ein Verständnis zeitgenössischer Debatten zur Intim ität und Liebe hoffnungslos
erscheinen dürfte: Die Frage nach der M öglichkeit des Neuen muss vor dem
Hintergrund des Verhältnisses von Wiederholung und Differenz gestellt werden.
Es lohnt sich hier ein kurzer Exkurs zur Wiederentdeckung eines soziologischen
Klassikers, in dem dieses grundlegende M otiv vielleicht am deutlichsten zu
Tage treten kann.

Exkurs über die Wiederholung: Gabriel Tarde erlebt derzeit als der „neueste“
„Ur-Großvater“ (Moebius in Borch/Stäheli 2008: 274) diverser zeitgenössischer
Theorieströmungen eine nicht zu überseh ende Renaissance. Nicht nur die A k-
teur-Netzwerk-Theorie oder diverse Schattierungen der so genannten Praxis -
oder gar Handlungstheorie, 34 sondern auch poststrukt uralistische Sozialwissen-
schaften finden in Tarde ei nen frühen eloquenten Befürworter ihrer eigenen
grundlegenden Ausgangsüberlegungen wi eder. In dieser W iederentdeckung
eines soziologischen Klassikers – in der tardschen Terminologie müsste man
sagen: in sei ner Erfindung – sind durchaus verschie dene Akzente gesetzt wor-
den. Am nachdrücklichsten ist die Reetablierung Tardes in jüngster Zeit natü r-
lich von Bruno Latour betrieben worden. La tour bringt dabei Tar des Soziologie
der Nachahmung, die er als eine W issenschaft an der Grenze zur M etaphysik
und zur Literatur liest, gegen die V erwissenschaftlichungsbemühungen eines
Emile Durkheim in Stellung, dessen erfolgreiche Soziologie der sozialen Fakten
er als eine der großen Katastrophen in de r Geschichte der Sozialwissenschaften
überhaupt liest. 35 Er geht so weit, seine eigene Gegenüberstellung einer Sozio-
logie der Assoziationen und einer Soziologi e des Sozialen als eine Neuauflage
des Konflikts zwischen Tarde und Durkhe im zu beschreiben. Der Einsatz ist
34
Nötig wäre hier sicherlich, unter Bezugnah me und in Abgrenzung zu Andreas Reckwitz noch
genauer herauszuarbeiten, wie das Verhältnis von Praxis- zu Handlungstheorien, von Praxis und
Handlung zu denken ist. Wichtig wäre dies vor allem im Hinblick auf das nächste Kapitel dieser
Arbeit (vgl. II.1. und II.2.). Denn auch wenn hier gerade die Kreativität, das schöpferische P o-
tential und die Überraschungen in den Selbstdarstellungen der Inter views interessieren werden,
müssen diese als ein Effekt dieser Praxis se lbst gelesen und nicht – wie Handlungstheorien
nicht umhin können – schlicht als ein kreatives Handeln der, wenn auch als proble matisch kon-
zipierten, Akteure verstanden werden. Tarde soll gerade in dieser Hinsicht von Interesse sein.
Vgl. aber Nassehi (2006a).
35
Zu diesem soziologiehistorischen Kontext imme r wieder lesenswert ist die Darstellung dieses
folgenreichen Streits in der französischen Soziologie um die Jahrhundertwende durch den
„deutschen Foucault“ (Marquard) Wolf Lepenies (1985).
72 Liebesgeschichten

also hoch; wofür Latour Tarde nun in Anspruch nimmt, lässt sich hier kurz
darstellen. E rstens präsentiert L atour die Theorie Tardes überzeugend als eine
Perspektive, die sich nicht einfach auf eine mikrosoziologische Alternative zur
erfolgreichen durkheimschen Doktrin reduzieren lässt. Es ist die Mikro-/Makro-
Unterscheidung selbst, die Tarde obsolet er scheinen lässt. Der zweite Punkt ist
ungleich sichtbarer rezipiert worden. De nn Tarde wir von Latour als eine Figur
gelesen, die seiner Akteur-Netzwerk-Th eorie insofern entgegen kommt, als für
dessen „Verständnis der W elt der m enschlichen Interaktionen [...] die D ichoto-
mie zwischen Natur und Gesellschaft irrelevant“ ist (in Borch/Stäheli 2008: 40).
Im Klartext heißt das, dass Latour der tardschen „Metaphysik der Sozialtheorie“
(60) genau das als positiven B eitrag zu r Soziologie anrechnet, w as ihn gew is-
sermaßen als V erlierer aus der D ebatte mit Durkheim hervor gehen ließ – der
Verzicht auf eine zum indest m ethodologisch36 gedeutete Spezialisierung auf
einen genuin der Soziologie als W issenschaft von den sozialen Dingen zugäng-
lichen Gegenstandsbereich. W as bei Ta rde noch wie eine Selbstermächtigung s-
geste der Soziologie formuliert war, dass nämlich „jedes Ding eine Gesellschaft
ist und dass alle Phänomene soziale Tatsachen sind“ (2009: 51), wird von L a-
tour, getrennt durch die historische Dist anz, die Zeuge einer erfolgreichen Eta b-
lierung der Soziologie als institutionalisier te Disziplin mit ihrer einhergehenden
Deutungshoheit in „sozialen“ Fragen geword en ist, vor allem als eine Verunsi-
cherungsstrategie in B ezug auf den eigentlichen G egenstand der Soziologie
sowie ihrer festgefahrenen Deutungsmuster gelesen. 37 Tarde als Gewährsm ann
für die Rückkehr der Dinge auf gleicher Augenhöhe mit allen anderen Individu-
alitäten in eine neu definierte, entgrenz te Welt des Sozialen: „E ntweder sprecht
oder schweigt ihr über [die Dinge]. Doch ihr könnt unmöglich sprechen und
sagen, daß die Dinge, über die ihr sprecht, nicht in irgendeiner W eise euch ähn-
lich sind: Sie bringen durch euch eine Art von Differenz zum Ausdruck, die
euch, die Sprecher, zu einem ihrer Besitzer hat.“ (Latour in Borch/Stäheli 2008:

36
Vergessen wird allzu oft, dass laut Durkheim die „erste und grundlegende Regel“ seiner neuen
Wissenschaft ist, „die soziologischen Tatbestände wie Dinge zu behandeln“ (1991: 115).
37
Wir stellen hier – wie auch in der übrigen Rekonstruktion der Tarde -Renaissance – nicht die
Frage, wie angemessen die Deutung Latours der eigentlichen Intention Tardes und dem Kontext
seiner Argumente ist. Die Idee, dass Tarde die Unterschiede zwischen menschlicher und nicht -
menschlicher Sozialität verwischen möchte, ist zumindest zweifelhaft, wenn man einen kurzen
Blick in sein soziologisches Hauptwerk wirft. Hier beharrt Tarde auf einer strikten Unterschei-
dung zwischen verschiedenen Typen der Wiederhol ung: Nur in der sozialen Welt nimmt sich
Wiederholung als Nachahmung aus (im Gegensatz zur Vererbung in der organischen u nd
Schwingung in der physischen) (vgl. etwa 2003: 37 ff.; vgl. zu dieser Einschätzung auch
Borch/Stäheli 2008: 35). Hier wird auch verständlich, dass die Ausführungen Latours dann auch
fast ausschließlich als ein Kommentar zu de r kleinen Schrift „Monadologie und Soziologie“
(2009) präsentiert werden, die im Verhältnis zu seinen übrigen soziologischen Schriften zumi n-
dest etwas quer steht.
Liebesgeschichten 73

60) Im nächsten K apitel w ird sich noc h einmal die Gelegenheit bieten, in der
erwähnten, für Latour typischen Betonung der Unbestimmtheiten seinen spezifi-
schen und unverzichtbaren Beitrag für unser Thema auszumachen.
Armin Nassehi interessiert sich hingegen für ein spezifisches M oment der
Tardschen Nachahm ungslehre. Sein Ausgangspunkt ist das wohl berühm teste
Zitat aus Tardes Hauptwerk über „Die Gesetze der Nachahm ung“: „Die Gesell-
schaft besteht aus Nach ahmung und Na chahmung aus einer Art Somnambulis-
mus“ (2003: 111). Nassehi interessiert da ran die Perspektivenverschiebung, der
sich die Soziologie unausweichlich ausg esetzt sieht, wenn si e diese M etapher
des Schlafw andelns – freilich in einem nicht -naturalistischen (also: nicht-
behavioristischen) Sinne – ernst zu nehmen vermag. Es kann dann nämlich nicht
mehr um eine soziologisc he Erklärung der W elt gehen, die die Interessen, die
Motive und den W illen der handelnden Subjekte sow ohl als A usgangspunkt als
auch als Letztreferenz ihrer analytischen Leistungen ansetzt. Stattdessen, das ist
Nassehis Argument, gerät hier die praktis che Logik und die Logik der Praxis in
den Blick – und sein Verdienst in diesem Zusammenhang ist vor allem, dass
damit plausibel auf eine Perspektive hinge wiesen wird, die diesen Blick auf die
Praxis nicht einfach mit einem Blic k auf Handlungen, Handlungsfähigkeit oder
Handlungsmacht im Sinne eines perspek tivischen Individualismus verwechselt.
Denn es ist die Pointe des Hinweises au f Sozialität als schlafwandlerische Pra-
xis, „dass die M otive des Handelns selbst nicht bewusst entstehen, weil sie kein
‚Davor‘ kennen, denn welcher Art Motive sollten Motive sein, die Motive moti-
vieren?“ (2006: 229) Dies muss hier nur deshalb erwähnt werden, da sich im
Anschluss an Tarde ein Praxisbegriff plau sibilisieren lässt, der sich m it der Idee
der Wiederholung einem handlungstheoretischen oder akteurszentrierten Zu-
schnitt geradezu explizit versperrt.38 Einerseits lenkt diese Idee Tardes den Blick
fast unausweichlich auf eine Gegenwart. Es muss wiederholt werden, und es
muss praktisch immer in einem konkreten Jetzt wiederholt wer den: „Eine W ie-
derholung muss konkret geschehen, um K ontinuität zu erzeugen.“ (259) Ande-
rerseits, und auch das impliziert der Hi nweis auf die W iederholung, ist dieser
Verweis auf eine Gegenwart nicht der Verweis auf die kontextlose Präsenz die-
ser Gegenwart. Praktisch entfaltet die Wiederholung einen Verweisungsz usam-

38
Dieser Bezug auf den practical turn erklärt natürlich auch, dass Nassehi in seiner Rekonstrukti-
on eines alternativen Diskursstranges des soziologischen Diskurses der Moderne Tarde explizit
in unmittelbare Nähe der pragmatistischen Tradition und insbesondere Georg Herbert M eads
rücken kann. Dies mag zunächst verwundern, gilt doch M ead gerade als die Figur, die neben
Parsons am stärksten zur Verdrängung des Einflusses Tardes auf die amerikanische Soziologie
beigetragen hatte, und zwar gerade in seiner er folgreichen Kritik und Zurückweisung der Idee
der „Nachahmungs-Suggestion“ (vgl. dazu Ruth Leys in Borch/Stäheli 2008). In Nassehis Zu-
sammenhang teilt M ead m it Tarde aber die Perspektive auf einen Vorrang der Praxis – für
Mead dann vor allem auch in der praktischen Genese des Bewusstseins.
74 Liebesgeschichten

menhang, deren U rsprung sie gleichzeitig ist und nicht ist: Sie ist ihr U rsprung,
weil sich die W iederholung nur in einer aktualisierten Gegenwart bewähren
kann, die das, was wiederholt wird, zuallererst als ihre Referenz nachträglich
setzen kann und muss; sie ist es nicht, weil sie auch immer praktisch auf etwas
als ihren Ursprung verweisen muss, dass ihr vorhergegangen ist, denn was sollte
sonst m it „W iederholung“ gem eint sein? „[I]n Tardes Beobachtung [kom mt]
zum Ausdruck, dass die Praxis mehr bein haltet als die pragmata ihres V oll-
zugs.“ (240)
Hier kommt es vor allem darauf an, dass Tarde auch als einer der W egbe-
reiter für ein poststrukturalistisches Denken entdeckt wird, das einen so en t-
scheidenden Einfluss auf die Positionen der Gender und Queer Studies ausgeübt
hat. Es soll die Gelegenheit genutzt werd en, ein zentrales theoretisches M otiv
dieser Strömungen noch einmal hervor zuheben, dessen Verständnis für ein
Verständnis ihrer grundlegenden Param eter unerlässlich ist. Hier wird die Auf-
fassung vertreten, dass man dieses Motiv nirgends einleuchtender, einfacher und
stringenter ausbuchstabiert vorliegen ha t als in der Neu entdeckung dieses M o-
tivs in der Soziologie G abriel Tardes. Bekanntlich ist es D eleuze, der als erster
Tarde emphatisch als einen V orläufer der poststrukturalistischen Denkungsart
reklamiert. Bereits 1968 stellt Deleuze seine Deutung Tardes vor und stellt d a-
mit zum einen die W eichen für eine spezifische Lesart Tardes, muss aber zum
anderen noch einige Zeit darauf warten, dass sich der Rückbezug auf Tarde
tatsächlich zu einer akademischen „M ode“ entw ickelt. W elches M otiv interes-
siert nun Deleuze? In „ Differenz und W iederholung“ (1992) führt er Tarde als
Kronzeugen für sein Konzept der Wiederholung an. Es lohnt sich etwas ausführ-
licher zu zitieren:

In Les Lois de l’imitation (Paris 1980) zeigt Tarde, wie die Ähnlichkeit – etwa zwi-
schen Arten unterschiedlichen Typs – auf die Identität des physischen M ilieus ver-
weist, d.h. auf einen Wiederholungsprozeß, der Elemente affiziert, die unter halb der
betrachteten Formen liegen. – Die ganze Philosophie Tardes gründet – wie wir noch
genauer sehen werden – auf den beiden Kategorien Differenz und Wiederholung. Die
Differenz ist zugleich der Ursprung und das Ziel der Wiederholung, und zwar in einer
zunehmend „mächtigen und erfinderischen“ Bewegung, die „den Graden von Freiheit
mehr und mehr Rechnung trägt“. Diese differentielle und differenzierende Wiederho-
lung soll nach Tarde in allen Gebieten den Gegensatz ablösen. (45)

Deleuze bringt hier Tarde also zunäch st nicht gegen Durkheim, sondern gegen
Hegel in Stellung. Dem hegelschen Denken der Gegensätze und des W ider-
spruchs wird mit Tarde ein Anti-Hegel gegenübergestellt, der die Differenz zum
Liebesgeschichten 75

Dreh- und Angelpunkt seines Denkens macht. 39 Deleuze entdeckt nun in Tarde
eine M öglichkeit, eine zunächst paradox anmutende Denkbewegung zu plausi-
bilisieren: Differenz und W iederholung sollen nicht als gegensätzliche Pole, als
sich ausschließende Kategorien ver standen werden; sie sollen sich vie lmehr
gegenseitig bedingen. W as D eleuze hier als W iederholung kennzeichnet – w ir
haben sie oben vor allem in ihrer sozialen Version als Nachahmung kennenge-
lernt – ist im mer differenzierende und differentielle W iederholung. Das ist der
Clou der zunächst kryptisch anmutende n Rede von der Differenz als Ursprung
und Ziel der W iederholung: In einer einzigen Bewegung wird sowohl die Pro-
duktion von Ähnlichkeit wie auch die Produktion von Differenz zusam men
gedacht. Das ist in Tardes materialen Analysen der Nachahmungsprozesse un-
mittelbar einleuchtend. U nd für den D iskussionszusammenhang dieser A rbeit
kann m an übersetzen, dass die W iederholung gleichzeitig N ormalität und das
Neue garantiert. D eleuze spitzt in sein em Denken der Immanenz dieses M otiv
natürlich dahingehend zu, dass das Neue nicht auch durch W iederholung ent-
stehen kann; es ist ausschließlich die W iederholung, die das Neue überhaupt
erst ermöglicht!
Aber aus welcher Perspektive ist diese Geburt der Differenz aus dem Geis-
te der W iederholung plausibel? In den „Tausend Plateaus“ (Deleuze/Guattari
1992) geraten Deleuze’s die Ausführungen zu Tarde zu einer „Hommage“. Hier
ist der Gegenspieler wieder Durkheim:

39
Auf die konkreten theorieimmanenten Gründe, warum es gerade das dialektische Denke n des
Widerspruchs und der Gegensätze ist, dem das deleuzesche Projekt einer anti -hegelianischen
Philosophie mit aller W ucht entgegensteuern will, kann hier nicht detailliert eingegangen we r-
den. Am klarsten wird die Stoßrichtung aber vi elleicht in einer R ekonstruktion des Arguments
durch Slavoj Žižek, der Hegel gerade dagegen verteidigen will: „[D]er gängige [...] Vorwurf an
Hegel lautet, sein System sei ein geschlossener Zirkel der Wiedererinnerung und lasse nicht zu,
daß etwas Neues entsteht. Das Einzige, was geschieht, ist der Übergang vom Ansich zum
Fürsich, d.h., im Verlauf des dialektischen Prozesses aktualisieren die Dinge einfach nur ihr P o-
tential, setzen explizit ihren impliziten Inhalt, werden (an sich) das, was sie je -schon-immer wa-
ren. Rätselhaft an diesem Vorwurf ist zunächst, daß er gemeinhin mit dem entgegengesetzten
Vorwurf einhergeht: Hegel legt dar, wie ‚das Eine sich in Zwei teilt‘ – die Erschütterung einer
Spaltung, eines Verlusts, einer Negativität, eines Antagonismus, die eine organisc he Einheit af-
fizieren; doch dann schreitet die Umkehrung der Aufhebung als deus ex machina ein und garan-
tiert stets, daß der Antagonismus auf magische Weise gelöst wird, die Gegensätze in einer höhe-
ren Synthese versöhnt werden, der Verlust ohne Rest wettgemacht und die W unde geheilt wird.
Die beiden Vorwürfe weisen daher in entgegengesetzte Richtungen. Während der erste behau p-
tet, unter der Hegelschen Sonne entstehe nichts Neues, behauptet der zweite, die Aporie werde
durch eine erzwungene Lösung überwunden, die als deus ex machina von außen kommt und
nicht als das Resultat der inhärenten Dynamik der ihr vorausge henden Spannung.“ (2005: 28)
Die Pointe ist, dass Deleuze aber beide Vorwürfe gleichzeitig machen würde. Das etwas längere
Zitat mag sich auch deswegen lohnen, weil hier ein Motiv in nuce sichtbar wird, dass vor allem
dann wiederum den Einfluss von Deleuze auf die Gender und Queer Studies bestimmen wird:
Es geht um das Auftauchen des Neuen.
76 Liebesgeschichten

Tarde wandte ein, daß kollektive Vorstellungen genau das voraussetzen, was er klärt
werden soll, nämlich „die Ähnlichkeit von M illionen von M enschen“. Des halb inte-
ressierte Tarde sich mehr für die Welt im Detail oder für das unendlich Kleine: die
kleinen Nachahmungen, Gegensätze und Erfindungen, die eine Materie unterhalb der
Vorstellung bilden. (298)

Deleuze legt großen W ert darauf, dass diese m ikro-soziologische Perspektive


aber nicht mit einem Plädoyer für Ps ychologie oder gar für einen methodolog i-
schen Individualismus verwechselt werden darf, denn

eine Mikro-Nachahmung kann sehr wohl zw ischen zwei Individuen stattfinden.


Gleichzeitig und auf einer grundlegenderen Ebene betrifft sie eine Strömung oder
Welle, und nicht das Individuum. Nachahmung ist die Ausbreitung einer Strömung;
der Gegensatz ist die Binarisierung von Strömungen; die Erfindung ist eine Vereini-
gung oder Verbindung von unterschiedlichen Strömungen.“ (ebd.)

Es ist also ein Blick, der sich für den praktischen Aufbau von Ordnung intere s-
siert; ein Blick, der sich eher auf eine mikroskopische Perspektive einlässt, sich
den A ufbau von O rdnung als einen Prozess von unten vorstellt; ein Blick, der
das aber nicht mit einer Perspektive auf schon existierende Individuen und ge-
wissermaßen schon vorgängig etablierte Id entitäten verw echselt; ein Blick, der
sich dabei ebenso sehr für die Etablierung von Ä hnlichkeiten und N ormalität
interessiert wie er sich für die fast unausweichliche Genese von Differenzen und
dem Neuen interessiert – und beides al s erklärungsbedürftig und als Ergebnis
ein und desselben Prozesses ansieht. M an kann hier auch erkennen, wie Tarde –
zumindest in dieser Lesart – seine neue H eimat in den poststrukturalistischen
Theoriedebatten finden kann. M it dem Gedanken der Re signifizierung hat sich
etwa Judith B utler vor allem auf D erridas L ogik der Iterabilität gestützt. D as
hier herausgearbeitete M otiv der Nachahmung als differierender und dif-
ferentieller W iederholung, deren M ikrologik sich weder durch soziale Strukt u-
ren noch durch bewusst handelnde Akteure prozesshaft vollzieht, zielt in exakt
dieselbe Richtung.
Tarde ist in dieser Lesart von der U nwahrscheinlichkeit von N ormalität
fasziniert – und von ihrer Unausweichlichkeit. Tarde interessiert sich in dieser
Lesart aber auch für die Entstehung, die Herstellung des Neuen 40 – und für ihre
Unausweichlichkeit. Wichtig für dieses K apitel ist dabei, dass T arde eine Frage
formuliert, die beides erklärungsbedürftig erscheinen lässt: das Normale ebenso

40
Der Genauigkeit halber m uss man hier hinzufüg en: des Neuen in der Virtualität, also „in virtu-
ellen Beziehungen zwischen affektiven Kräften, wo die infinitesimale Dynamik entsteht, auf de-
ren Grundlage soziale Erfindungen zustande kommen und die letztlich deren W irklichkeitsbe-
dingung ist“ (Alliez in Borch/Stähe li 2008: 127). Auf die originelle und exzentrische dele u-
zesche Lesart der Realität des Virtuellen bei Tarde kann hier aber nicht eingegangen werden.
Liebesgeschichten 77

wie das Auftauchen des Neuen. Und an dieser Stelle kann m an nach der eigen-
artigen unzeitgemäßen Aktuali tät Tardes fragen. M an ist versucht, die „Tardo-
manie“, die regelrechte „Tarde -Hagiographie“, die sich seit einiger Zeit in der
Akteur-Netzwerk-Theorie, der Praxis - oder Handlungstheorie und in den post-
strukturalistisch inform ierten Sozialw issenschaften beobachten lässt, wiederum
in einem tardschen Rahmen zu interpre tieren: als akade mische M ode in dem
präzisen tardschen Sinne eines Nachah mungs-Stroms, dessen Erfindungsreich-
tum vielleicht gerade dadurch begünstigt wird, dass er gewissermaßen unterbr o-
chen und ausgetrocknet war und sich so der Kreuzung mit anderen Nachah -
mungsströmen umso unmittelbarer darbietet. D er Vorschlag, der hier unterbre i-
tet werden soll, zielt aber in eine etwas andere Richtung. Die Tarde-Renaissance
muss ernst genommen werden in zumindest zwei Hinsichten. Si e ist zunächst
selbst ein empirisches D atum: D ie Pl ausibilität und der Erfolg der tardschen
Position verdanken sich nicht zuletzt einem gesellschaftlichen K ontext, in dem
ihre zentralen Einsichten auf fruchtbaren Boden trifft. Das soll keine Einschrä n-
kung der theoretischen Relevanz der in diesem kleinen Exkurs dargestellten
Motive sein. Ganz im Gegenteil kann nur darauf insistiert werden, dass gerade
die hier vorgestellte Perspektive auf die praktische Darstellung von Liebe enorm
von der W iederentdeckung der tardschen Perspektive profitieren kann. U nd
ganz im G egenteil ist der U mstand, dass m an die Plausibilität eines D iskurses
auch als empirisches Datum lesen kann und sollte, ja gerade ein Hinweis darauf,
dass in ihm selbst der Zusammenhang von Theoriebildung und empirischen
Beobachtungen produktiv ausgeschöpft worden ist. Das tardesche Theoriean -
gebot besteht dann in einem mikrosozio logischen Blick auf die W elt, dessen
Charme gleichsam von der M öglichkeit zehrt, verfestigte und als ungenügend
empfundene theoretische M ikro-/Makro-Unterscheidungen – etwa Singularität
versus Struktur, parole versus langue, Kreativität versus Ordnung usw. – zu-
gunsten einer Ereignisorientie rung hinter sich zu lasse n, ohne sich die Aussicht
darauf zu verbauen, m it der U nterscheidung von Norm alität und Neuem eine
normative und politische Perspektive offenzuhalten. D ie Skepsis gegenüber
theoretischen Lösungen, die auf die Kr eativität vollständig bewusster, mit fre i-
em W illen und rationalen M otiven ausgestatteten Individuen setzen, ist in die-
sem Rahmen mitgeliefert – und dies wiederum aus guten theoretischen und
empirischen Gründen. Für die Skepsis gegenüber intentionalistischen Lösungen,
die die Herstellung des Neuen nur de m Erfindungsreichtum der Individuen und
nicht – in tardscher M anier: zumindest auch – dem der Praxis selbst zutrauen,
gilt dasselbe. D er E insatz ist also D ifferenz versus N ormalität. U nd m it B lick
auf das Phänomen der Liebe ist es wieder um nur allzu verständlich, dass hier
vor diesem Hintergrund mit einer Präferenz für die Differenz argumentiert wird
– präferiert wird das Neue. Es ist in diesem Zusammenhang öfters von einer
78 Liebesgeschichten

poststrukturalistischen Valorisierung oder Bonisierung der Differenz als solcher


gesprochen worden (vgl. nur Benn M ichals 2004). M it Blick auf Intimität ver-
weist das auch auf eine Perspektivenverschiebung bezüglich der vermuteten und
beobachteten Probleme, an denen sich etwa Liebesbeziehungen abarbeiten müs-
sen. Nicht m ehr die Bedrohung der Norm alität ist das Problem , die Norm alität
selbst wird zur Bedrohung für die Liebe. Ende des Exkurses

Dieser Abschnitt über die Neuentdeckung von neuen Form en der Intim ität ist
auf 1973 datiert. Er ist damit gewissermaßen vordatiert. In diesem Jahr erscheint
aber zum ersten M al ein einflussreich er A rtikel von Stuart Hall namens „En-
coding and Decoding in Television Disc ourse“ (hier zit. n. der Version von
1980), der für die hier interessierende Entdeckung des Neuen durch die Cultural
Studies als entscheidender Startschuss ge deutet werden kann. W as Hall in die-
sem Aufsatz etabliert, ist ein Blick au f die Rezeption massenme dialer Vorlagen
durch Publika, die sich diverser Prak tiken einer mehr oder minder kreativen
Entschlüsselung von hegem onialen Codes bedienen und dabei die vorgesetzten
Botschaften nicht nur passiv aufnehmen, sondern eben auch verhandeln oder
negieren können. Für die Cultural Studies war dies in der Tat der Ausgang s-
punkt für scheinbar unbegrenzte empirische Entdeckungen neuer Publika (vgl.
exemplarisch nur Doty 1993; Fiske 1996; Baker et al. 1996; M ayer/Terkessidis
1998; Fiske 2000; vgl. aus systemtheoretis cher Perspektive auch Stäheli 2002;
Saake/Nassehi 2004; W agner 2012). M an schmälert sicherlich nicht den Erfolg
der Cultural Studies, wenn man auch in ihrem Fall jenes grundlegende M otiv
des differentiellen Wiederholens als ihren zentralen Theoriebaustein bestimmt,
der auf diese schier unausweichliche empirische Entdeckungen subversiver
Minoritäten als Publika m assenmedialer Texte einstim mt. Die Beobachtungen
in den folgenden Abschnitten konzentrieren sich dabei aber auf die theoret i-
schen, politischen und em pirischen Erkenntnisse der Q ueer Studies – nicht zu-
letzt, weil in ihnen am deutlichsten die Besonder heiten einer Beschäftigung m it
Intimität zu Tage treten.

5.2.1 There’s nothing wrong with love? Die Gewöhnlichkeit der Liebe

Sucht man in der zeitgenössischen gender- und queer-theoretisch inspirierten


Forschung direkt nach einer ausgearbeiteten und konsensfähigen Figur der
„Liebe“, so sucht man zunächst vergebens. Das muss auf den ersten Blick über-
raschen, hat man es hier doch mit Dis kussionen zu tun, di e sich – wie im mer
differenziert – mithin auch auf Trad itionen fe ministischer und psychoanalyt i-
scher Theorievorschläge und Argumentati on stützen. Zwar fehlt es nicht an
Liebesgeschichten 79

41
sporadischen Forderungen nach einer Theorie der Liebe; die eigentüm lich
stiefmütterliche Behandlung des Themas der Liebe hat jedoch Lauren Berlant
konzis auf den Punkt gebracht: „Queer theory has talked m uch about sexuality
and desire, but when it comes to love, a ll sorts of havoc doesn’t break out.“ (in
Dean/Lane 2001: 437) M it Berlants eigenen Überlegungen zur M öglichkeit
einer gender- und queer-theoretischen A nnäherung an die Figur der Liebe soll
hier begonnen werden – nicht weil sich darin schon Ergebnisse finden lassen,
die für diese Arbeit nutzbar gemacht werden könnten, sondern weil hier M otive
sichtbar werden, die sowohl einen intere ssanten Einblick in die Perspektive der
Gender und Queer Studies gewähren als au ch auf Plausibilitäten und Evidenzen
verweisen, die sich offenbar im Hinblick auf das Phänomen der Liebe gleichsam
unausweichlich einstellen. Denn auch wenn auf den ersten Blick die Gründe für
eine Aussparung der Erforschung der Li ebe bei den Gender und Queer Studies
zunächst denjenigen traditioneller soziologischer Ansätze scheinbar diametral
entgegengesetzt sind, so markieren sie doch – so die These – einen vergleichba-
ren Problembezug.
Berlant verm utet zu Recht ein gewisses Unbehagen an der Liebe, dessen
Gründe zunächst in der Selbstbeschrei bung etwa der Queer Studies als einem
politischen und norm ativen Projekt zu suchen sind; im Gegensatz etwa zur S e-
xualität figuriert näm lich L iebe gleich sam autom atisch auf der falschen Seite
eines politischen G egensatzes von K onservativität und W andel. „W hereas the
drive to attachment and death engenders revolution, resistance, and refunctio n-
ing, the drive to love is either deem ed the same as that of desire or else the o p-
posite, the normalization of something far more sublime.“ (ebd.) Aber in dieser
Vermutung ist freilich schon m ehr versteck t als eine rein viszerale A bneigung
gegen den unterstellten K onservativismus der Liebe. Es ist ein A rgument gegen
den Formalismus der Liebe, das ihr implizit und explizit gerade die Funktion
zuschreibt, für K onventionalität, W iederholbarkeit und W iedererkennbarkeit in
einem B ereich der Intim ität zu sorgen, der ansonsten das Potential zu einer
radikalen Erneuerung in sich tragen würd e. Es ist dies ein Argument, das in
dieser Arbeit in ähnlicher Form – etwa als die Diagnose einer modernen Ent-
fremdung der Liebe, die m assenmedialen Effekten zuzuschreiben ist – immer

41
Geradezu paradigmatisch für einen psychoanalytischen Kontext packt Kaja Silverman (1996)
diesen Befund in eine Anekdote: „[I]n a graduate seminar on Freud, one of my students asked,
‚Does psychoanalysis have a theory of love?‘ Almost automatically, I began to answer in the af-
firmative; psychoanalysis is, after all, the theory par excellence of the affecti ve. However, after
a moment’s reflection, I was no longer so sure. Sexuality, desire, and aggressivity have all been
much discussed, both within psychoanalysis proper, and within the many debates which have
drawn upon it in recent years. But love has not fi gured prominently within either context.“ (1)
Freilich löst Silverman auch selbst die Forderung nach ei ner Theorie der Liebe nur andeu-
tungsweise ein (vgl. 39 ff.).
80 Liebesgeschichten

wieder deutlich aufscheint (vgl. nur K apitel 6.). H ier wird es aber nicht als ein
Argument gegen die Verwissenschaftlichung oder die Therapeutisierung der an
sich begrüßenswerten ro mantischen Liebe vorgetragen; auch werden nicht
postmoderne Formen der Liebe zu ihre n Ungunsten mit ihren authentischeren,
erfahrungsgesättigteren oder anspruchsvolleren V orläufermodellen verglichen.
„[E]xplanation kills pleasure“ (444). Aber wenn das stimmt, dann ist die Schuld
der konservativen Lustlosigkeit und -feindlichkeit aus prinzipiellen Gründen in
der Liebe selbst zu suchen. Das simple Problem, auf das hier hingewie sen wird,
ist der U mstand, dass L iebe sozial kodiert ist – sie selbst ist die Form sozialer
Codiertheit von Intimität. W as für den pa radigmatischen Plot einer Liebesge-
schichte gilt –„[it] starts specifically and ends generically“ (439) – w ird zur
Definition von Liebe selbst. Die m ethodische Entscheidung Luhmanns, Liebe
als einen Code zu begreifen, der Unwahrscheinliches wahrscheinlich werden
lässt, der Unklares mit wiedererkennbare n Formen versorgt, der W iedererkenn-
barkeit noch in der Überraschung zuminde st problematisch zeitstabil werden
lässt, wird hier also gleichsam nominalis tisch als „Liebe“ identifiziert. Liebe ist
der Name einer Form, die als Form wi edererkennbar und wiederholbar ist. Ihre
Funktion ist zunächst ausschließlich Sicherheitsgarantie und Stabilität (vgl.
440). Das Problem der Gender und Queer Studies mit der Liebe ist dabei ihr
historischer Erfolg als Form: „the m odern subject produced by the formalism of
love is exploited and expressed by the repetitions of intim ate conventionality“
(438). Und diese diagnostische Konsequenz eines theoretischen Arguments lässt
sich dann auch unmittelbar politisch wenden: „[the] installment of romantic love
as the fundamental attachment of human s has been central to the normalization
of heterosexuality and femininity in consumer culture“ (440).
Liebe ist also der Zwang zur Form; und von hier aus ist es in dieser Logik
– wie schon angedeutet – nur noch ein kleiner Schritt zu der Frage „ what makes
a form a form, and then, a form a norm “ (433). In dieser Arbeit wird die Suche
nach neuen Form en der Intim ität in verschiedenen politischen und akademi-
schen Projekten immer wieder zum Thema werden – und letztendlich ist es in
den Ausführungen Berlants gerade die Möglichkeit zu Neuem, dem die Liebe
der Gender und Queer Studies per definitionem entgegensteht. Berlant weist
diese Figuration – als ein gleichsam unterirdisches Persistieren der Liebe als
Form – sehr überzeugend bei so unterschiedlichen Theoretikern wie Judith Bu t-
ler, Leo Bersani und Theresa de Laure tis nach: „ What’s striking about these
three paradigm s of love as the ligam ent of sociality – the space in w hich the
subject finds him- or herself repeatedly in fantasy and in power – is that the
representational paradigm s are prohibitiv ely realist .“ (447) In den nächsten
Abschnitten wird diese Einschätzung in Bezug auf Butler, Bersani und M ichael
Warner noch einmal genauer unter die Lupe genommen – dass „in these queer
Liebesgeschichten 81

zones the practice and the feeling of love replay its conventionality “ (448) kann
hier aber zunächst einmal schon festge halten werden. Nirgends könnte in einer
oberflächlichen L esart deutlicher der K ontrast zu einer Fam iliensoziologie
sichtbar werden, die in der romantischen Liebe umgekehrt genau jenen Faktor
gesehen hatte, der die traditionelle Form der Ehe und ihre praktische Stabilität
destruieren könnte. W oher genau kommt ab er diese Sicherheit über die Sicher-
heit der Liebe?
In dieser Studie soll diese Sicherheit noch einmal problematisiert werden –
freilich nicht als theoretische Figuration, sondern als ein em pirisches Ergebnis,
das sich aus der Praxis und der Semantik der Liebe selbst herauslesen lässt.
Wenn Berlant schlicht und einfach konstatiert, „[r]epetition and uniqueness are
the antithetical qualities that m ake up the experience of love“ (434), kom mt sie
dem schon ziemlich nahe, was hier als ei n fast unvermeidliches Bezugsproblem
der Kommunikation von Intimität auftauchen wird. Sie stößt hier auf eine Am-
bivalenz – in ihren W orten: „incoheren ce“ (433) –, die di e Problematisierung
der Liebe als eines K larheit schaffenden C odes unmittelbar begleiten m üsste.42
Interessant ist, dass Berlant selbst in ihrer Hoffnung für eine positive Fassung
der Liebe nicht auf die Ambivalenz oder die Inkohärenz des Codes der Liebe zu
setzen scheint, sondern auf die Möglichkeiten des Formalismus der Liebe selbst:
„to seek out the shape of love’s form alism is to seek out its im personality“
(447). Das Schlusskapitel dieser Arbeit kommt darauf noch einmal ausführlicher
zurück. Die vorliegende Arbeit startet freilich gerade von einem Standpunkt
aus, den Berlant als ein M otiv – und als ein vorläufiges Ergebnis – ihrer Inter-
vention angibt: Sie möchte „some questions about love and its relations to fo r-
mal conventions“ (448) stellen. Deutlic h ist hier aber schon geworden, dass
diese Fragen nicht von außen an die Li ebe herangetragen werden müssen; sie
stellen sich unmittelbar im Kontext der Kodierung von Intimität selbst. Und die
Queer Studies werden diese Frage lediglich radikal zuspitzen.

5.2.2 The trouble with normal: Die promiskuitive Rettung der Intimität

Ideen- und Literaturgeschichtler können die G eschichte der Fam ilie auch und
vor allem als M otivgeschichte erzähle n. Albrecht Koschorke hat diese Ge-

42
Klassische Elemente der Semantik der Liebe wie „the love that goes without saying“ deutet
Berlant dann etwa auch als „optimistic versions “ dieser Ambivalenz, wobei das wiederum nicht
als ein zentraler Effekt der Kodierung der Liebe, sondern lediglich als eine Entschärfung des
Grundproblems gedeutet wird: Der begrüßenswerten Unklarheit eines Gefühls begegnet der
Formalismus der Liebe mit einer normativen Klarheit der Kommunikationsverbote (vgl. in D e-
an/Lane 2001: 435).
82 Liebesgeschichten

schichte jüngst für die Heilige Fam ilie niedergeschrieben (2001). Erfolgreich
und höchst überzeugend kann er die G eschichte der Heiligen Fam ilie, die vom
Jahr null der christlichen Zeitrechnung – genauer gesagt: vom Jahre eins (vgl.
11) – bis in die G egenwart der Familie im Wohlfahrtstaat reicht, nachverfolgen,
weil er sie nicht nur als M otivgeschichte, sondern auch als Struktur geschichte
liest. D enn erstaunlich ist ja tatsächlic h das Durchhaltevermögens des M odells
der (christlichen) K leinfamilie als plausibles M odell nicht nur als Form vorlage
für den Themenkatalog der christlich geprägten – und dann auch antikisierenden
– M alerei und für m oderne Theoriebildung, bei der es Koschorke gelingt, die
Struktur eines Fam ilienromans (85 ff.) al s zentrale Figur aufzuzeigen, sondern
auch für die gelebte A lltagsrealität. D ass in den skizzierten T heoriefiguren b e-
sonders die Konzeptionen psychoanalytis cher Abstammungslinien einflussreich
und prominent sind (vgl. 88 ff.), muss hier noch nicht betont werden, wird aber
im Bezug auf die Queer Studies noch von Belang sein. D ass die Heilige Familie
aber auch der L ebenswelt säkularisierte r w estlicher G esellschaften ihren w irk-
mächtigen Stempel aufgeprägt hat, is t zunächst erklärungsbedürftig. Denn die
These, dass i n der Si ngle- (vgl . ht tp://www.single-generation.de) und Sche i-
dungsgesellschaft (vgl. Stone 1990) noch anti quierte theologische Restbestände
das gesellschaftliche Im aginäre entschei dend beeinflussen, klingt zunächst
selbst antiquiert. Koschorke argumentie rt aber überzeugend, dass die W irk-
mächtigkeit der von ihm analysierten Figur sich nicht in einer bewussten Nac h-
ahmung vorgegebener M otive erschöpft: „M acht ist keine Frage des Glaubens
an R ealität. Sie haftet an den W eisen ihrer Codierung.“ (2001: 14) In diesem
Sinne gedeutet scheint es dann auch tatsächlich absurd, von einem Abdanken
der traditionsreichen Fam ilie als M odell zu reden, auch w enn man an ihrer In-
stabilität nicht vorbeisehen kann. Karl Otto Hondrich würde hier explizit z u-
stimmen, wenn er im Hinblick auf zeitg enössische Entwicklungen der sich ver-
ändernden H altungen zum Fam ilienideal bem erkt: „O pfer ist nicht die Fam ilie
schlechthin, sondern die individuelle Familie.“ (2004: 161) W eniger die K odie-
rung – zum indest w enn m an unterstellt, dass K oschorke hier einen sys-
temtheoretischen Topos zitiert – ist es aber, die es erlaubt, auch in heutigen
Modellen der Familie und der Verwandtsc haft noch biblische Figuren dechif f-
rieren zu können, sondern zwei Punkte, die in dieser Arbeit schon wiederholt
zur Sprache gekommen sind.
Erstens deutet auch Koschorke an, da ss die Heilige Fam ilie als Vorbild für
die Normalfamilie gewissermaßen eine moderne, bürgerliche Erfindung ist. D ie
Heilige Fam ilie fährt ihren Siegeszug im M odus der N achträglichkeit: „W enn
man [...] ein V erlaufsdiagramm für die ‚A nwendung‘ der H eiligen Fam ilie zu
zeichnen versucht, so ergibt sich eine fortschreitende Naturalisierung dieses
Modells. [I]m mer m ehr M erkmale des H eiligen [w andern] in die m enschliche
Liebesgeschichten 83

Normalfamilie ein.“ (187) D azu passt, dass im mer prägender die „soziale O rd-
nungsmacht der Liebe“ formgebend wirkt: „Liebe wird als höheres Gefühl und
als Gefühl zum Höheren hin rekonzeptualisiert – ein Gefühl, dessen hohe Schule
im A bendland die christliche R eligion w ar“ (ebd.), dessen A lltagstauglichkeit
aber erst in der M oderne erprobt wurde. Zweitens ist es gerade das gewisserm a-
ßen abstrahierte Struktur- und Funktionsmodell noch E ffekte zeitigen m ag,
wenn die einzelnen Positionen radikal umbesetzt werden.43 Das erst m acht
nachvollziehbar, wie noch nach radikalem Austausch der gesamten dramatis
personae, nach N eubesetzung jeglicher Positionen des M odells der H eiligen
Familie im mer noch, w enn nicht Identitäten, so doch zum indest Ä quivalenzen
gesehen, analysiert und kritisiert werden können. „Denn daß es sich um interde-
pendente Stellen eines sich bewegenden, sich dabei ergänzenden Systems ha n-
delt, die umbesetzt werden können und umbesetzt worden sind und in denen die,
die sie neu besetzen, Stellenzumutunge n unterliegen, so daß sie Imitation s-
pflichten haben: allererst das macht plau sibel, wieso bei soviel Anderswerden
[...] im mer noch das gleiche Stück gespi elt w erden kann und gespielt w ird“
(Marquard 1982: 17 f.). Im Bezug auf die Heiligen Fam ilie mag die Frage nach
den Ähnlichkeiten und Unterschieden des M odells über die Genealogie seiner
geschichtlichen U mbesetzungen hinw eg vielleicht nur als (herm eneutische)
Spielerei und Fingerübung erscheinen; im Bezug auf das M odell der bürgerli-
chen Normalfamilie wenigstens entzünden sich hitzige theoretische und politi-
sche Debatten, auf die im Folgenden ein kurzer Blick geworfen werden muss.
Denn: W ie viel U mbesetzung kann gerade die bürgerliche Fam ilie als
Struktur- und Funktionsmodell vertragen? W as, wenn das Personal selbst im
Hinblick auf seine Geschlechter zugehörigkeit variiert? W as, wenn die „Ideolo-
gie der Reproduktion“ (Luhm ann 1982: 183) als Funktion von Ehe und Familie
vor diesem Hintergrund immer deutlicher als Ideologie zu Tage tritt? Ü berwie-
gen die „Imitationspflichten“? Siegen die Neuerungen? Haben die empirisch
auftretenden Umbesetzungen denn überhaupt eine Rückwirkung auf die Norma-
lität der tradierten und „legitimen“ Modelle?

43
Mit der hier als Interpretationsvokabel verwendeten Kategorie der „Umbesetzung“ hat sich
bekanntlich Hans Blum enberg gegen das – als Verdikt gegen die Illegitim ität der Neuzeit ver-
standene – Säkularisierungstheorem gewandt, um die „Legitimität der Neuzeit“ (1996) zu ver-
teidigen, denn was es „voraussetzt gibt es nicht in der Geschichte: identische Traditionssubsta n-
zen, die zuerst in den richtigen Hängen waren, bevor sie in die falschen gerieten; die Neuzeit ist
keine Expropriation des Christentums.“ (Marquard 1982: 17). Die sich hier anschließende D e-
batte kann in diesem Rahmen natürlich nicht n achgezeichnet werden; hier soll mit diesem Zitat
nur an den Umstand erinnert werden, dass sie schon einmal en detail als Debatte um das „Funk-
tionsmodell“ geführt worden ist, außerhalb der in der Soziologie üblichen Ressentiments gegen
funktionalistische Theorieansätze (vgl. dazu nur pointiert Marquard ebd.: 16 ff.)
84 Liebesgeschichten

Zwei Titel bringen die gender- und qu eer-theoretische Auseinandersetzung


mit den Vorgaben der „heiligen“ „N ormalfamilie“ wohl besonders prägnant auf
den Punkt: In „The Trouble with Norm al“ (1999) nimmt M ichael W arner die
Normalitätszumutungen tradierter Modelle der Intimität unter die Lupe, und die
Frage „Ist Verwandtschaft immer schon heterosexuell?“ beschäftigt Judith But-
ler in einem gleichnamigen Aufsatz. Worauf hier das Hauptaugenmerk fallen
muss, ist natürlich der U mstand, dass es in diesen beiden hier ex emplarisch
angeführten theoretischen und politischen Interventionen um Denkangebote zur
bloßen Möglichkeit von neuen Formen der Intimität geht. Um die Argumentati-
on nachverfolgen zu können, darf eine Grundpräm isse n icht aus den Augen
verloren werden. Argumentiert wird etwa im Fall von Butler freilich im Rahmen
feministischer Problem stellungen, und das bedeutet für sie explizit: „Im Fem i-
nismus geht es um die soziale Er neuerung der Geschlechterbeziehungen.“ 44
Dass es neue und alternative Formen de s „intimen“ Zusammenlebens, neue und
alternative M öglichkeiten der Umbesetzung von Beziehungs- und „Verwandt-
schaftsformationen“ (2009: 172), die Debatten um die „Homo -Ehe“45 (173) und
Adoptionsmöglichkeiten em pirisch gibt (und gab), ist dabei aber zunächst ein-
mal weder das zentrale theoretische noch das zentrale politische Problem . Inte-
ressant wird es an der Stelle, an denen sich diese Neuerungen und Alternativen
auf fest etablierte Normen beziehen oder beziehen lassen. Nun ist die butlersche
Fassung des Normbegriffs in mehrerlei Hinsicht problematisch – und wird von
ihr auch explizit problem atisiert. Erstens werden in ihm mindestens zwei theo-
retischen Traditionen m iteinander konfrontiert und gegeneinander ausgespielt:
In der einen, von Foucault inspirierten Tradition ist der Normbegriff eng mit der
Konnotation der „Norm alisierung“ ver knüpft; Norm en sind „regulatorische
Ideale“ (349), die „die regulative oder normalisierende Funktion der M acht
symbolisieren“ und fast schon als solche „nicht akzeptable[...] Restriktionen“
(248). In einer anderen, von Habermas exemplifizierten Tradition sind „Normen
jedoch genau das, was Individuen verbi ndet, weil sie die Grundlage ihrer ethi-
schen und politischen Ansprüche bilden“ (ebd. ). Butler sieht klar, dass sie nur
unter Berufung auf bestimmte Normen si ch gegen die Norm im allgemeinen

44
Butler (2009: 325); im Folgenden wird neben Butlers Aufsatz zur Frage „Ist Verwandtschaft
immer schon heterosexuell?“ (2009: 167 -213) noch ein weiterer Aufsatz über „Die Frage nach
der sozialen Veränderung“ (325-366) in die Interp retation mit einbezogen, da an dieser Stelle
die Butlersche Beschäftigung mit dem Normenbegriff eine genauere Ausarbeitung erfährt.
45
Hier verwendet als umgangssprachliche Synekdoche für ähnliche Dauerthemen, die schon
aufgrund der unterschiedlichen nationalen Gesetzeslagen erheblich variieren; in der Bundesr e-
publik Deutschland etwa ist das maßgebliche Gesetz das zur „Eingetragenen Lebenspartne r-
schaft“ (Lebenspartnerschaftsgesetz – LpartG; vgl.: http://bundesrecht.juris.de/lpartg/index.
html), das Butler im Vergleich etwa zur französ ischen Rechtslage in Bezug auf den PACS für
„neohegelianisch“ (2009: 181) hält.
Liebesgeschichten 85

richten kann, 46 und es sieht zunächst so aus, als könnte sie dieses Problem
dadurch lösen, dass sie sich auf eine Norm im Sinne Habermas’ gegen die Norm
im Sinne Foucaults berufen möchte. Aber genau hier lässt Butler die eingeführte
mögliche Unterscheidung – in der „Normen, die das Handeln auf das Gemei n-
wohl hin orientieren und die zu einer ‚idealen‘ Sphäre gehören, nicht genau
sozial sind [und] nicht zu variablen Sozialordnungen [gehören und] keine ‚regu-
latorischen Ideale‘ im foucaultschen Sinne [...] und daher kein Teil des idealen
Lebens sozialer M acht“ sind (349 f.) – wieder implodieren. Denn ihre Heraus-
forderung gilt gerade auch der ersten Inkarnation der Norm, die in gew isser
Weise nur die perfidere Variante der zweiten ist, regelt sie doch noch auf viel
fundamentalere W eise die „Sphäre des m enschlich Intelligiblen“ (351), auf
deren Problematisierung sich das butlersche Projekt gerade eingeschossen hat.
In wiederum selbst foucault scher Manier ist die einzige Norm, die noch gelten
mag, die Norm zur Kritik (und Erneuerung) von Norm en.47 So geht es z weitens
bei Normen um das, w as legitim im „Diskurs des Intelligiblen“ (175) ein - oder
ausgeschlossen wird. Der Bezug auf die Legitimitätsfrage – in diesem Falle „der
„Sphäre der legitim en intim en Verbindung[, die] dadurch etabliert [wird], dass
Bereiche der Illegitim ität produziert und intensiviert werden“ (173) – verweist
Butler auf das Einzugsgebiet des Staates. Ein Paradebeispiel dafür sind natür-
lich die Debatten um die Homo-Ehe: Butler kann sie, ambivalent in Hinsicht auf
den eigenen politischen Standpunkt, als di e Gefahr eines „Begehren nach dem
Begehren des Staates“ (173) entziffern. Gefährlich erscheint dieses Begehren
natürlich vor allem unter der Prämisse , dass man im Kampf durch die Anerke n-
nung durch den Staat, nach staatlicher Legitim ierung gewisserm aßen die den
queeren Beziehungsformen eigenen radika len M öglichkeitsraum verspielt hat,
indem man sich auf strukturelle Vorg aben tradierter M uster einlässt. We’re
queer, we’re here. But don’t panic: we want the same as you. Zum indest in
diesem Punkt vertraut Butler offensich tlich den „Im itationspflichten“, die vo r-
gegebene M odelle auch noch den Umbese tzungen im Personal auferlegen, um
einiges mehr als etwa die von ihr natü rlich bekämpfte konservative amerikan i-
sche Rechte, die m it einer staatlichen Öff nung der Stellenbesetzung auch gleich
das gesam te M odell der christlichen bürgerlichen K leinfamilie fundam ental
bedroht sieht.

46
Die Alternative, sich unter Berufung auf eine bestimmte Norm gegen eine andere bestimmt
Norm zu wenden – also die neopragmatistische Alternative –, ist gewissermaßen dadurch au s-
geschlossen, weil es eine rein politische Alternative wäre, die das Unterfangen der Theoriebil-
dung selbst sofort zu seinem Ende bringen; so zumindest immer und immer wieder das Argu-
ment Walter Benn Michaels’ (vgl. nur 2004).
47
Dieser erste Punkt ist hier nur von Belang, weil im Folgenden mit Michael Warner ein radikaler
Standpunkt vorgeführt wird, der tatsächlich von der Möglichkeit von Intimbeziehungen jenseits
jeglicher Norm(alität) ausgeht.
86 Liebesgeschichten

Drittens, und das ist der hier entscheidende Punkt, muss man aber noch
einmal genauer unter die Lupe nehmen, wo für B utler soziale N ormen theore-
tisch verortet sind. Grob lassen sich nämlich im Sinne Butlers drei Dimensionen
unterschieden, deren Trennung freilich nicht konsistent durchgehalten wird oder
auch nur w erden soll: eine sym bolische D imension, die D imension sozialer
Ordnung und die Dim ension der Praxis. Dabei ist Butler grundsätzlich skep-
tisch, ob es für ihr Projekt einen theoretischen M ehrwert abwerfen würde, wenn
die Idee einer sym bolischen Ordnungsdimension überhaupt unterstellt w ird. Sie
tut sich eingestandenermaßen „noch imme r schwer damit, die Geschlechterdi f-
ferenz als Funktionsweise einer sy mbolischen Ordnung zu verstehe n. W as be-
deutet es für eine solche Ordnung, symbo lisch anstatt sozial zu sein?“ (336)
Diese polemisch gemeinte Frage ist natürlich an die Adresse psychoanalytischer
Theoretiker, die sich in der Lacannachfolge verorten, und Anthropologen stru k-
turalistischer Provenienz, für die Lévi-Strau ss der Stichw ortgeber ist, gerichtet.
Beiden eignet ein Grundzug der Argum entation, der sich auf eine vorgängige
Dimension beruft, die die Bedingung der Möglichkeit von Kultur, Sprache, dem
„Sozialen“ und der Subjektwerdung überhaupt ist. Das Symbolische oder die
elementaren Strukturen der Verwandtschaft können in diesem Sinne also als
eine ordnungsstiftende Sphäre begriffen werden, die nicht nur regelt, was über-
haupt als legitim und als intelligibel gilt und kom muniziert un d gelebt w erden
kann, sondern als notw endige Voraussetzung für Legitim ität und Intelligibilität
überhaupt. Und in beiden Fällen wird de m Geschlechterunterschied eine zentra-
le Rolle zugeschrieben: Im Falle der Lacanianer über die Figur der Ödipalisi e-
rung, im Falle der Anthropologie über den Tausch der Frauen, der nicht nur die
patrilineare Tradierbarkeit von K ultur garan tiert, sondern auf der Ebene dieses
elementaren Tausches auch den „Unter schied zwischen M ännern und Frauen
[stiftet], eines Tauschs, der die M öglichkeit der Kommunikation selbst bildete.“
(331) Grundsätzlich liegt die Idee, dass der Geschlechterunterschied fundamen-
tal für die materiale Ermöglichung eines sprechenden Subjekts überhaupt ist,
natürlich nahe an der Argumentation Butle rs selbst . Es lohnt sich hier, eine
längere Passage zu zitieren, in der B utler – rückblickend auf die G eschichte
feministischer Theoriebildung – freimütig über die Leistung dieses Konzepts
schreibt:

Um das Hochgefühl verstehen zu können, das diese Theorie für diej enigen mit sich
brachte, die in ihr arbeiteten, und für diejenigen die das nach wie vor tun, muss man
den Gezeitenwechsel verstehen, der sich vollzog, als die feministische Forschung
nicht mehr die Analyse von „Bildern“ der Frau in dieser oder jener Diszip lin oder Le-
benssphäre war, sondern sich zu Analyse der Geschlechterdiffe renz an der Basis kul-
tureller und menschlicher Kommunikationsfähigkeit wan delte. Plötzlich waren wir
grundlegend. Plötzlich kam keine Humanwissenschaft mehr an uns vorbei. (ebd.)
Liebesgeschichten 87

Man darf das nicht unterschätzen: Di e Stärke feministischer und Gender-


Forschung – gleiches wird noch zu den Leistungen der Queer Studies zu ver-
merken sein – war und ist, dass sie sich nicht als eine Sonderdisziplin mit einem
Sonderpublikum mit Sonderinteresse für Sonderprobleme präsentieren muss. Es
ist ein universalistisches Projekt – eines, in dem es ums Ganze geht, das nicht
nur grundlegend ist, sondern in dies e entdeckte Grundlage auch verändernd
eingreifen und sie verändern w ill (vgl. ebd.). Aber genau hier setzt auch Butlers
Frage bezüglich der Idee einer symbolischen Ordnung an: „W enn sie symbo-
lisch ist, ist sie dann veränderbar?“ (336) Lässt sich die Geschlechterdifferenz
anfechten, verändern und erneuern, wenn sie schon theoretisch auf einer Ebene
angesiedelt ist, die sich als präsoziale gerade ihrer sozialen Veränderung en t-
zieht? Butler setzt deshalb auf einer anderen Ebene an, auf der sie auch zunächst
die sozialen Normen ansiedelt. Diese Ebene sozialer Ordnung trägt noch einiges
von den Konnotationen des Symbolischen m it sich, insbesondere die Idee, das
die N ormen zur H erausbildung eines intelligiblen Subjekts und der K ommuni-
zierbarkeit fundamental an den Geschl echterunterschied geknüpft sind. Sie ist
aber genau dadurch nicht die Ebene des Symbolischen oder der elementaren
Strukturen der Verwandtschaft, als sie sich nicht strukturell ihrer Veränderung
entzieht. Sie ist durchzogen von M achtkämpfen; ihre sozialen Normen sind
Gegenstand politischer Eingriffe; ihre Stabilitiät ist nicht die Starrheit der sym -
bolischen Ordnung. Gewährsmann hierfür ist Michel Foucault: „Es handelt sich,
schematisch ausgedrückt, um eine immerwährende Be weglichkeit, um eine
wesenhafte Zerbrechlichkeit: um eine Verstrickung zwischen Prozeßerhaltung
und Prozeßumformung.“ (1992: 35; zit. n. Butler 2009: 342)
Es ist dann genau dieses Moment der Prozessumformung, um das es Butler
schließlich auf einer dritten Ebene der materialen Praktiken geht. Sie ist insofern
eine poststrukturalistische Vorreiterin von praxistheoretischen Denkmöglichkei-
ten, als sie theoretisch genau an dieser Dimension der Praxis ansetzt, um von
hier aus sow ohl Stabilisierungsprozesse als auch D estabilisierungsmöglichkei-
ten zu erklären. Im Bezug auf die Gesc hlechternormen etwa formuliert sie das
Problem prägnant: „W enn Gender performa tiv ist, dann folgt daraus, dass die
Realität der G eschlechter selbst als ein Effekt der D arstellung produziert w ird.
Obwohl es Normen gibt, die bestimmen, was real zu sein hat und was nicht, was
intelligibel zu sein hat und w as nicht, w erden diese N ormen in dem Moment in
Frage gestellt und w iederholt, in dem die Perform ativität m it ihrer Zitierpraxis
beginnt. Man zitiert natürlich Normen, die bereits existieren, aber diese Normen
können durch das Zitieren erheblich an Selbstverständlichkeit verlieren.“ (346)
Hier erkennt m an natürlich sofort das theoretische M otiv der Wiederholung als
Bedingung der M öglichkeit von Stabilisier ung und Destabilisierung zugleich.
Wieder erscheint genau dieses M otiv als das überzeugendste und wirkmächtigs-
88 Liebesgeschichten

te der so genannten postmodernen und poststrukturalistischen Theoriebildung;


es wird noch als eine Denkmöglichkeit wichtig werden, das insbesondere zeit-
genössisch vor dem Hintergrund massenm edialer Dauerexponiertheit plausibel
werden muss; es wird später noch die Gelegenheit sein, es auch als soziologi-
sches W erkzeug für die Deutung von Liebe einzusetzen (vgl. Kapitel II.). In
diesem Zitat wird aber auch deutlich, wie sehr der Akzent Butlers in diesem
Kontext auf der Veränderbarkeit, Erneuerbarkeit und Kritisierbarkeit von
Normen gesetzt wird. Norm en existieren in dieser Fassung nicht jenseits der
materialen Praktiken ihrer W iederholung und Zitierung, sondern aus drücklich
nur vermöge dieser Praktiken, die sie aber gleichzeitig – schon durch die Di-
mension der zeitlichen und räumlichen Ver- und Aufschiebung, die hier als eine
Variante der différance erscheint – immer schon „in Frage stellen“ und gewi s-
sermaßen auch: in Anführungszeichen set zen. Aber dennoch: es „gibt“ „natü r-
lich“ Normen, „die bereits existieren“. Das erstaunt vielleicht nicht nur in dieser
Formulierung, sondern auch grundsätzlic h im Hinblick auf den eben rekonstr u-
ierten expliziten Agnostizismus Butlers im Bezug nicht nur auf strukturelle
normative Vorgaben durch die Ebene des Symbolischen, sondern auch im Be-
zug auf soziale Normen selbst. W enn der Hinweis auf die Vorgängigkeit von
„existierenden“ Normen nicht nur als ein H inweis auf die zeitliche V orgängig-
keit von anderen Zitierungspraktiken gelesen w erden will – und auch für diese
Lesart spricht einiges – offenbart sich näm lich Butlers Agnostizism us als ein
Agnostizismus ad majorem dei gloriam. Fast scheint es so, als würde die praxis-
theoretische W ende nichts daran ändern, dass vielleicht gerade durch sie eine
theoretische Repotenzierung der Norm stattfindet. In dieser Logik würde sich
Butlers Theorie der Perform ativität in gew isser W eise strukturkonservativer
darstellen als diejenige der von ihr als konservativ kritisierten Gegner. In gewis-
ser W eise vertraut die Theoretikerin des gender trouble mehr auf die struktur-
bildende und imitationsverpflichtende Kraft von Normen als die konservativen
Theoretiker des Geschlechterunterschieds, die um ihren Einfluss bangen. Aber
natürlich wird man auch sofort einsehen, dass damit – ganz abgesehen von den
empirischen Evidenzen – auch zumindest ein fundamentaler M ehrwert sowohl
in politischer als auch in theoretischer Hinsicht geschaffen worden ist. Denn nur
auf diese W eise können die Abweichungen von der Norm auch als Abweichun-
gen von der Norm gedeutet werden. W as sich sonst als beliebige Variationen
von Identitäts- oder Intim itätsbildungen herausstellen würde, erweist sich so als
ein G eflecht grundsätzlich politischer Interventionen; es sind Abweichungen
von Gewicht. Nur in Relation zu sozialen und kulturellen Normen sind sie sub-
versiv. U nd sie sind subversiv nicht nur hinsichtlich bestim mter sozialer N or-
men – „Es geht tatsächlich genau dann um eine viel radikalere soziale Verände-
rung, wenn wir uns zum Beis piel weigern, zuzulassen, dass Verwand tschaft auf
Liebesgeschichten 89

‚Familie‘ reduziert oder das Feld der Sexualität am Maßstab der Ehe gem essen
wird.“ (212) –, sondern hinsichtlich de r N ormativität insgesam t – geschaffen
wird „ein Ort des reinen W iderstands, ein Ort, der sich von der Normativität
nicht kooptieren lässt.“ (175)
In diesem Zitat klingt schon an, dass sich für Butler die Schaffung neuer
Formen der Intim ität zumindest ebenso für diese Logik der N ormativitätskritik
eignet w ie die Schaffung neuer Form en der Identität. W arum dies so ist, m uss
hier zunächst einmal unbeantwortet bleiben. 48 Noch stärker tritt dieser Um stand
bei Michael Warners Angriff auf di e Normalisierung und die Normativität 49 zu
Tage. W arner wird auch von Butler als der tapferste und radikalste Gewähr s-
mann einer Queer Theory und eines queer ethos zitiert, der als einsam er Rufer
in der W üste auf die Problematiken au fmerksam macht, die entste hen, wenn
sich das Begehren nach dem Begehren des Staates auch bei den „ nonnormative
sexual cultures “ (W arner 1999: 86) auf eine W eise bemerkbar ma cht, die die
Orte des reinen W iderstands für den diskreten Charme der Normalisierung an-
fällig m achen. Das Paradebeispiel hierfür ist für W arner die breit geführte D e-
batte um die Homo-Ehe. Denn zunächst is t der Trend der letzten zwanzig Jahre,
das Hauptaugenmerk schwuler und lesb ischer Emanzipationsbewegungen auf
die rechtliche Möglichkeit, auch gleichgeschlechtliche Ehen legitim eingehen zu
können, in den Augen W arners geradezu der Präzedenzfall für alles, was in der
Mainstream-Bewegung schw uler und lesbis cher politischer Initiativen (nicht
nur) in den USA falsch läuft. Und auch wenn sich W arner – mit einigem Recht
– als eine der Ausnahmestimmen zumindest im akademischen und massenmedi-
al sichtbaren D iskurs inszeniert, die diesen Trend kritisieren und hinterfragen,
kann er hier doch repräsentativ für den stimmgewaltigen Einsatz eines bestimm-
ten theoretischen M otivs einstehen. Sein politisches und ethisches A rgument
gegen die Ehe liegt zunächst klar auf der Hand: Die Ehe ist in seinen Augen
nämlich eine staatlich legitim ierte Institution zur Privi legienverteilung, die im -
mer auch mit notwendigen Ausschließungsmechanismen einher geht. Sonst
wären die Privilegien der Ehe keine Privilegien. Aus der Perspektive der „non-
normative sexual cultures“ muss dann der Drang, die Anerkennung einer spez i-
fischen (schwulen, lesbischen) Beziehungsform durch den Staat zu suchen, die
Frage aufw erfen, ob dam it nicht autom atisch die D elegitimierung von anderen
(queeren) Beziehungsformen einhergeht (vgl. 95 ff.). M ehr noch: Impliziert das
Bestreben nach Anerkennung durch die M ainstream-Gesellschaft nicht auch

48
Bemerkenswert ist aber schon hier der Umstand, dass die Suche nach neuen Formen der Ident i-
tät immer identitätskritisch gemeint ist, diejenig e nach neuen Formen der Intimität immer int i-
mitätsaffirmativ (vgl. dazu vor allem Warner 1993; 1999).
49
Im Gegensatz zu Butler erkennt W arner keinen Unterschied zwischen dem Normalitäts - und
dem Normativitätsbegriff an.
90 Liebesgeschichten

eine implizite oder sogar explizite Anerkennung der Normalisierungsmech a-


nismen? Genau hier taucht dann auch da s zentrale (und für das Thema dieser
Arbeit unausweichliche) M otiv der Ambivalenz der W iederholungspraktiken
auf. D enn die Frage ist dann auch, ob gleichgeschlechtliche E hen das traditi o-
nelle Modell der Ehe – und damit in Warners Diktion: die Norm, die Normativi-
tät, die Normalisierung – nicht nur inszenieren, sondern vielmehr reproduzieren.
Sie reproduzieren sie, ist W arners Antwort. An dieser Stelle setzt er sogar
einen kritischen Seitenhieb gegen Judith B utler, die er zum indest potentiell der
Produktion eines zu optim istischen theore tischen Bildes der Realität verd äch-
tigt: „Butler sees all people as intrinsica lly resistant to the normal, even though
they are formed by the norm alizing ‚demand to inhabit a coherent identity. ‘ [...]
For Butler, all creatures straight and ga y are virtually queer. [They] have all
along resisted, just by having psyches a nd body, the norms that form them .“
(142) In der Tat ist diese Einschät zung nicht vollkommen von der Hand zu
weisen; die „Politik der Geschlechterpa rodie“ hatte ja tatsächlich eine Ahnung
davon, dass parodistische W iederholungen etwa des Geschlechterunterschieds
diesen nicht nur verfestigen oder reproduzieren, sondern vor allem auch insze-
nieren und dam it untergraben (vgl. dazu kritisch H ark 1998). Zum indest im
Falle der Ehe hält W arner diese Ahnung ab er für kurzsichtig. Aber mit Butler –
wenn m an die A rgumente dieses K apitels akzeptiert – teilt er zum indest die
Problematisierung der Normen, denen als solchen schon theoretisch ein ge -
wichtiger Stellenwert eingeräum t wird. W ie oben argum entiert wurde, würde
die theoretische Geringschätzung von sozi alen Normen als solchen – der Nor-
mativität, der Normali sierung – auch der Queer Theory ihren subversiven Sta-
chel ziehen. Sie würde gar den „queer counterpublics“ (W arner 1999: 147) ihre
Grundlage entziehen, denn „queer“ wird ja explizit als nicht-normativ, als Nega-
tion der Normativität definiert: „The term ‚queer‘ is used in a deliberately capa-
cious way in this book, as it is in much queer theory, in order to suggest how
many ways people can find themselves at odds with stra ight culture.“ (38; vgl.
dazu auch ausfühlicher W arner 1993). Aber noch stärker als bei Butler werden
dabei die A kzente nicht auf die M öglichkeiten neuer Identitäten, sondern d ie
Bildung neuer Intimitäten gesetzt: Hoffungstr äger einer subversiven Praxis sind
gerade die „nonnormative sexual cultures“ – und nicht die Advokaten einer
„lesbian and gay identity“ (1999: 86). Dieser Nexus von einer ambivalenten
Bezugnahme auf die Norm innerhalb des Deutungsrahmens der Intimität ist nun
keine Überraschung mehr; im nächsten Ka pitel wird es frei lich noch einmal
anhand von Interviewtexten rekontextualisiert werden müssen – auch dann,
wenn nun ausschließlich Paare zu W ort kommen, was aus der von W arner
imaginierten Perspektive einer queer culture ja geradezu als ein konservativer
Anachronismus erscheinen muss.
Liebesgeschichten 91

Denn gegen Ende eines provokativen, nicht nur in den Insider-Kreisen der
Queer Theory breit diskutierten Essays über „ Sex In Public“ (W arner 2005:
187-208) konfrontieren Lauren Berlant und Michael Warner den Leser mit einer
ungewöhnlichen Narration einer eher ungewöhnlichen Szene. Erzählt wird die
Aufführung einer Sex-Performance in ei ner New Yorker Lederbar, als deren
Gäste sich die Autoren – und nun nolens vol ens auch die Leser – wiederfinden.
Das Ungewöhnliche der Szenerie ist der Umstand, dass es sich bei der Auffüh-
rung nicht um eine übliche Show hande lt („ spanking, flagellation, shaving,
branding, laceration, bondage, humiliation, wrestling – you know, the usual [...],
not unlike an academic conference“ [206], wie die Autoren mehr kokett als
ironisch anmerken), sondern um „erotic vomiting“. Inszeniert w ird diese Szene
erotischen Kotzens von einem jungen Bo ttom, „very skateboard“, und seinem
Partner, der den „vom itting top“ gibt (207). D as Ungewöhnliche der N arration
ist nun, dass diese öffentliche Show als eine Szene von pa radigmatischem Stel-
lenwert, als eine Szene von ungeheuerlicher Intimität erzählt w ird. E s ist eine
Liebesgeschichte. Gewiss, es ist eine au f den ersten Blick ungeheuerliche Szene
“[of] ferocity and abjection“, aber auch “[of] control and abandon“ und noch
viel mehr “[of] intimacy and display“ (ebd.). Ungeheuerlich müsste diese Erzäh-
lung aber auch für die Autoren selbst erscheinen, steht sie doch emblematisch in
einem Argumentationszusammenhang, der gerade bezw eifeln will, dass „sexua-
lity as a form of intim acy and subjectivity“ (208) angem essen repräsentiert ist.
Und doch gerät sie unter der Hand zu einer traditionellen, fast schon in bürger-
lich anmutendes Vokabular gekleideten Geschichte einer intimen Szene. Der
Clou ist natürlich, dass diese Intimität ei ne öffentliche Intimität ist – und sie ist
es nicht nur durch den Umstand, dass si e vor einem und für ein Publikum statt-
findet (denn als einer der eindrucksvollsten amerikanischen Rezipie nten von
Habermas’ T hesen zum „Strukturw andel der Ö ffentlichkeit“ ist sich W arner
natürlich im Klaren, dass schon die bürge rliche Form einer auf Privatheit set-
zenden Intimität sich im Hinblick auf ei ne Sphäre der Ö ffentlichkeit bewähren
musste [vgl. Habermas 1990; Warner 1990; 2002, insbesondere 21 ff.]), sondern
vor allem auch in der Hinsicht, dass si e die intime Dyade transzendiert und als
Medium einer überbordenden Intim itätsgenerierung funktioniert: „ People are
moaning softly w ith adm iration, then whistling, stomping, screaming encour-
agement. They have pressed forward in a compact and intimate group.“ (Warner
2002: 207) Die Frage an das intime Paar auf der Bühne, die Berlant und W arner
im Kopf herumspukt, ist dann auch: „How do you feel about your new partners,
this audience?“ (ebd.)
Dieser Knoten ließe sich nun wohl re cht einfach entwirren, indem man da-
rauf hinweist, dass hier mit verschie denen Bedeutungshöfen des Intimitätsb e-
griffs gespielt wird. Nicht vergessen werden darf, dass es hier vor allem um d ie
92 Liebesgeschichten

utopischen Möglichkeiten von Sexualität als „non-heteronorm ative [...] basis of


public transformation“ (208) geht. Intimitä t funktioniert dabei in einer ersten
Bedeutung als Chiffre für Privatheit. Hier impliziert sie „norm al intim ate life“
(ebd.), die W elt der tradierten N ormen, die Sexualität an ihren angestam mten
Platz im privilegierten und geschützten H ort der Fam ilie und vergleichbarer in-
stitutionalisierter Beziehungsform en zurückbindet und beschränkt. Als solche
wird sie negativ besetzt. G leichzeitig funktioniert sie aber auch als das V erspre-
chen einer guten, die gesellschaftlichen normativen Vorgaben transzendierenden
Sexualität, die auf neue Formen von Gemeinschaftsbildung und „world making“
(198) abzielt. Als solche wird sie positiv besetzt. Auf einer sehr banalen Ebene
werden dabei „heteronormative forms of intimacy“ zunächst gegen die der
„queer culture“ eigenen Formen der „c ounterintimacies“ ausgespielt (203), die
sich zu einem Generalangriff auf No rmen, Normativität und Norma lisierung
ausweiten soll. A uffällig ist etw a, dass W arner die V okabel „non-heteronorma-
tive“ später durch „non-normative“ er setzen wird (vgl. 1999). Anhand dieser
letzten Liebesgeschichte, die in diesem Kapitel präsentiert wird (und es wurde
offensichtlich eine w eite Strecke zurückgelegt, w irft m an noch einm al einen
Blick zurück auf die ersten Geschichten über die romantische Liebe in der Ehe),
soll allerdings dafür plädiert werden, di e Ambivalenz, die in dieser Fassung des
Intimitätsbegriffs angelegt ist, erns tzunehmen und produktiv zu wenden. Denn
es scheint, als ob es trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von anti -normativen
Vertretern der Queer Theory nicht ausschließlich um neue Form en der Sexuali-
tät geht, sondern insbesondere auch um neue Formen der Intimität. Der Verweis
auf neue Formen der Intimitätserschaffung und -erfindung legitimiert und plau-
sibilisiert in dieser D eutung gewissermaßen die politisch positiv deutbaren Im -
plikationen von neuen Form en der Sexualität. M an m uss dazu nur einen Blick
auf jüngere Arbeiten zum Phänomen des barebacking werfen, die tatsächlich in
dem Moment zu relevanten Diskursikone n des queeren akademischen Kontexts
werden können, in dem sich ihre Potentiale zu einer Schaffung intim er Subkul-
turen zumindest debattieren lassen (vgl. vor allem Dean 2009; H alperin 2007).
Die letzte Auffälligkeit ist hier, dass sich dabei Intimität in gewisser Weise noch
sicherer für das Projekt eines „queer world m aking“ qualifiziert als Sexualität,
und das dies mit Konnotationen zusamme nhängt, die selbst noch die problem a-
tisierte „normale“ Semantik für Intimität und Liebe kennzeichnet.
Wenn in dieser Arbeit Paarinterviews als Ausgangspunkt für einen Blick
auf zeitgenössische Form en der Intim ität genommen werden, müsste eine radi-
kale queere Perspektive konsequent verm uten, dass damit das Spiel praktisch
schon verloren gegeben, der Blick unzulä ssig auf normale Formen eingeengt ist
und geradezu blind für jegliche nicht-heteronormative M öglichkeiten zur For-
menfindung und -erfindung sein muss. M ehr noch: Die aufgenommenen Erzäh-
Liebesgeschichten 93

lungen der Paargeschichten kommen fast ohne Rekurs auf sexuell konnotierte
Motive und Them en aus (vgl. Kapitel II.3.2). Aber das würde den Einsatz der
hier skizzierten queeren Position untersc hätzen. Denn dieser wäre sofort ver-
spielt, wenn es hier nicht um eine „ universalisierende“ Position gehen würde. 50
Die Idee ist, dass der G egenstand – Sexualität, G eschlechtlichkeit, Intim ität,
Liebe – als solcher immer M omente einer unausweichlichen queerness enthält,
die durch nichts identifizierbarer ist als ihren W iderstand gegen Normali sie-
rung.51 W enn man einen Blick auf das zweite Beispiel wirft, das Berlant und
Warner ihrer Erzählung des erotic vomitting kontrastierend und komple-
mentierend zur Seite stellen, wird dies e Einsicht klarer. Sie erzählen von einem
Gespräch mit einem aus ihrer Perspektive normalen verheirateten Paar –
„[t]hese are people whose reproductivity governs their lives“ (206) –, in dem
den queeren Akademikern von einer neu entdeckten Leidenschaft für Sex-
Spielzeuge erzählt wird: „In order not to feel like perverts, th ey had to make us
into a kind of sex public.“ (ebd.) M an könnte wiederum argumentieren, dass der
Umstand, dass dies als ein Beispiel für queerness erzählt wird – und nicht in
foucaultscher Manier als ein paradigmatischer Fall von normalisierenden Prakti-
ken der sexuellen Selbstthematisierung vor einem Expertenpublikum –, schlicht
der Selbstbeschreibung der Autoren verdankt ist: Das normale Paar erzählt seine
Geschichte vor einem Publikum , dass im Verhältnis zum heteronorm ativen
Mainstream sich selbst wiederum als nicht-normativ pervers beschreiben wollte
und nicht umgekehrt. (Ansonsten müsste wohl auch das soziologische Interview
mit Paaren als perverse Praxis gelten.) Aber der wichtige Punkt hier ist, dass
diese Erzählung gewissermaßen intimitä tsstiftend über die normalisierenden
Grenzziehungen in den relevanten Selbst beschreibungen selbst hinweg ist. Die-
ses Beispiel ist für Berlants und W arners Projekt gewissermaßen zentraler als
ihr anderes, weil es den universalisierenden Aspekt von queer culture building
emblematisiert. In dies em Kapitel über die Erzählungen von Geschichten über
die Liebe hat sich letzlich aber als zentrales Ergebnis herausgestellt, dass es sich
– im Kontext der Intimität – bei den Liebesgeschichten der Queer Studies um
50
Der locus classicus zur Unterscheidung von „unversalizing“ und „minoritizing“ Konzepten
findet sich bekanntlich – in Bezug auf Fassungen der Homosexualität – bei Sedgwick (1990: 40
ff.). Oben wurde schon argumentiert, dass trotz erheblicher Ambivalenzen und Meinungsve r-
schiedenheiten die Gender und Queer Studies als akademisches Projekt ihren Erfolg vor allem
dem Umstand verdanken, dass sie plausibel zu universalisierenden Deutungen ihres Gegensta n-
des in der Lage waren.
51
Um nur einen typischen Definitionsversuch anzuführen, sei hier noch einmal Sedgwick zitiert:
„That’s one of the things that ‚queer‘ can refer to: the open mesh of possibilities, gaps overlaps,
dissonances and resonances, lapsesand excesses of m eaning when the constituent elem ents of
anyone’s gender, of anyone’s sexuality aren’t made (or can’t be made) to signify monolithical-
ly.“ (1993: 8) Dass diese monoli thische Eindeutigkeit immer verfehlt wird, ist genau der Punkt
(vgl. dazu auch Warner 1993).
94 Liebesgeschichten

das Normalste überhaupt handelt: Der paradoxe Bezug auf Norm en und tradier-
te Formvorlagen und deren gleichzeitige praktische Etablierung und Bestreitung
liegt im Herzen der Semantik der Intimität.

6. „Liebe ist kein Zufall“: Vom Roman über die Werbung zum
Internet (Formvorlagen II)

Gegenüber diesen Erzählungen, in dene n Intim ität (und Liebe?) wieder ins
Zentrum von Theoriebildung, Gesellscha ftskritik und politischen Projekten
gestellt, wirken einige Ansätze, die von postmodernen Denkern vor einiger Zeit
vorgebracht wurden, fast schon wieder altmodi sch. Es ist vielleicht nur die Pati-
na von schnell gealterten Zukunftsentwürfe n, denen – so würden zumindest die
Kritiker behaupten (vgl. etw a Hondrich 2004; Žižek 2005) – die Zeit nicht gut
bekommen ist. Aber vielleicht lohnt ei n kurzer Blick zurück auf zwei exempla-
rische Theoretiker der Postmoderne, um abschließend noch einmal einige wic h-
tige Aspekte der Medienabhängigkeit von Liebe in den Blick zu bekommen.
In ihren radikalsten Varianten si nd postmoderne Theorien der Intimität
Theorien ihres Verschwindens. In den achtziger und neunziger Jahren des let z-
ten Jahrhunderts haben wir, das ist in einer berühmten Formulierung etwa die
Ansicht Jean Baudrillards, nach der Orgi e gelebt. „Die Orgie ist der explosive
Augenblick der M oderne, der Augenblick der Befreiung in allen Bereichen.
Politische Befreiung, sexuelle Befreiung, Entfesselung der Produktivkräfte,
Entfesselung der destruktiven Kräfte, Befreiung der Frau, des Kindes, der un-
bewußten Triebkräfte, Befreiung der Kunst. “ (1992a: 9) Die Frage ist also klar
definiert: „WAS TUN NACH DER ORGI E?“ ( ebd.) Es i st wohl kei n Zuf all,
dass Baudrillard m it der O rgie für dieses Phänom enbündel einen Begriff w ählt,
der heute eindeutig sexuelle Konnotationen hat, und ihn noch über seine He r-
kunft aus der lateinischen Bezeichnung für einen „Geheimkult“ hinaus erweitert
und ihm eine weitere etymologische Dime nsion hinzufügt: die des W irkens, der
Energie (vgl. K luge 1999). M an kennt Bau drillards A rgument, dass sich m it
dem „Wuchern der Zeichen ins Unendliche“ (1992a: 21) als von ihrer Referenz
befreiter Selbstzw eck das, w as einm al als R ealität oder W irklichkeit gegolten
hatte, kraft einer hyperrealen Logik der Simulation überholt hat un d letztendlich
subsumiert wurde (vgl. vor allem Baudrillard 2005; für einen konzisen Übe r-
blick vgl. K neer 2005). Baudrillards berühm ter geschichtsphilosophischer En t-
wurf einer Abfolge von verschiedenen Ordnungen der Simulakra – in denen
Bilder zunächst e ine vorgängige R ealität repräsentierten; sie dann verdeckten
und verfälschten; sodann ihre grundsätzliche Abwesenheit verschleierten; und
schließlich m it ihrem B ezug auf eine originale R ealität vollständig gebrochen
Liebesgeschichten 95

haben und nur noch die Simulation ihrer se lbst perpetuieren – ist zu oft kom-
mentiert, gefeiert und kritisiert worden, um hier noch einm al ausführlich rekon-
struiert werden zu müssen. Dass aber mit dem explosiven Energieverschleiß der
Orgie und der postorgiastischen Katerstim mung es für Baudrilla rd vor allem
sexuelle und intime Bil der sind, die eine n Blick auf das Ausmaß der Katastro-
phe bieten, muss hier betont werden. W ir sind nach der Orgie nämlich nicht nur
„transästhetisch“ (1992a: 21) und „trans ökonomisch“ (33) geworden, sondern
vor allem auch „transsexuell“ (27): „N ach der O rgie der T ransvestit“ (29). D a-
mit m eint B audrillard auch, aber nicht nur, das V erflüssigen oder das V erwi-
schen der „realen“ Geschlechteruntersc hiede durch die Beliebigkeit eines Aus -
tauschs und einer Aneignung von „künst lichen“ Zeichen und M etaphern der
Geschlechtsmerkmale. Denn in emphatischen Gegensatz zur utopischen Hof f-
nung einer sexuellen Revolution hat die Or gie nicht nur die Geschlechterunter-
schiede abgeschafft, sondern den Sex glei ch mit ihnen: „Die Tatsache, daß wir
uns auf eine transsexuelle Situation zube wegen, bedeutet nicht, daß das Leben
durch den Sex revolutioniert worden wä re, sondern zeugt nur von einer Konfu-
sion und Promiskuität, die auf eine virtuelle Gleichgültigkeit des Sex hinauslau-
fen.“ (19) Dazu ließe sich natürlic h aus einer gender- und queer-theoretisch
informierten Perspektive viel anmerken. 52 Aber spannend ist in diesem Zusam-
menhang vor allem , wie Baudrillard dam it ein gleichsam unvermeidliches Mo-
tiv der Diskussion um moderne Intimve rhältnisse wiederholt und es auf die
postmoderne Lage zuspitzt: „Ist die Orgie einmal vorbei, hint erläßt die Befrei-
ung jedweden auf der Suche nach seiner gat tungsmäßigen und sexuellen Ident i-
tät und bietet aufgrund der Zirkulation der Zeichen und der Mannigfaltigkeit der
Vergnügungen immer weniger Antworten.“ (32) Baudrillard selbst bedient sich
selbst, freilich auf der Suche nach einem angemessenen Rahmen der B eschrei-
bung – und der K ritik – dieser postm odernen Lage, w iederum des V okabulars
der Liebe. W ill man es näm lich nicht nur als ein zw anghaftes Wortspiel verste-
hen, dass auf die production zwangsläufig die séduction folgen lassen m uss,
entwirft B audrillard eine um fassende Phänom enologie der Verführung, in der
sich das ökonomische Paradigma der M oderne gleichsam i n ein erotisches der
Postmoderne auflöst (vgl. 1992b). A ber insgesamt ist für Baudrillard diese V er-

52
Des Motivs der Auflösung der Geschlechterunterschiede bedient sich Baudrillard freilich schon
seit seinem einflussreichen Essay „Der symbo lische Tausch und der Tod“: „Man kann zeigen,
wie sich die Sexualität in ihrer gegenwärtigen Form der Befreiung auflöst in Gebrauchswert
(Befriedigung von sexuel len Bedürfnissen) und Taus chwert (Spiel und Kalkül erotischer Ze i-
chen, die durch die Zirkulation von Modellen geregelt werden).“ (2005: 182 f.) Was sich aber in
den im Fließtext zitierten Passagen abzeich net, ist nicht die Auflösung der Sexualität in seine
Bestandteile gemäß dem ökonomischen Paradigma, sondern die Auflösung der Sexualität als
solcher im Rahmen eines Paradigmas der Simulation, das vor allem di e massenmedialen Kom-
munikations- und Informationstechnologien zentral setzt.
96 Liebesgeschichten

flüssigung und Schwächung der Normen kein Grund zur Hoffnung; er deutet sie
vielmehr selbst als hegem oniale Logik der postmodernen Situation, die m it der
„Austreibung des Körpers durch die Zeichen des Geschlechts“ und der „Austrei-
bung des Begehrens durch seine übertriebene Inszenierung“ (1992a: 30) auch
noch den „realen“ Träger einer möglichen subversiven Praxis austreibt. W eit
davon entfernt, dem postmodernen Schreckgespenst eines beliebigen Spiels der
Differenzen zu huldigen, hat die Belieb igkeit nämlich selbst noch die M öglich-
keit der Differenz ausgetrieben: Es „geh t nicht mehr um ein Spiel der Differe n-
zen, ‚es‘ spielt mit der Differenz, ohne da ran zu glau ben. Es ist Indifferenz.“
(31) Die postmoderne Lage, so radikalisiert diese Analyse die Kritische Theorie
der M oderne, schlägt alles m it Ä hnlichkeit – selbst noch die D ifferenz. Gilt in
diesem Sinne also: „Wir sind alle Transsexuelle“ (27)?
Es ist noch schlim mer, m eint Paul Virilio: W ir sind nicht T ranssexuelle,
sondern Telesexuelle. Virilio hat dabei vielm ehr als Baudrillard die radikalen
Auswirkungen des Internets als Leit-M edium der Postmoderne im Blick, die für
ihn die Relevanz der sinnlich wahrnehm baren Nähe zugunsten eines gesteiger-
ten Interesses an allem , was sich in de r Ferne abspielt, herabm indert. „Die Rea-
lität der eigenen unmittelbaren Sinneseindrücke erweist sich mit einem Male als
unzureichend, da sich alles in weite m Abstand voneinander abspielt.“ (1994:
143) G egen Baudrillards D iagnose der „V erführung der Sim ulation“ setzt er
also die „Enttäuschung der Substitution“ (ebd.) in einem zunächst ganz banalen
Sinn: Unter der Herrschaft des Cyber-Sex ist uns der „reale“ Nächste abhanden
gekommen; an seine Stelle tritt der virtuelle Fernste. V irilio nimmt hier unve r-
blümt eine männliche Perspektive ein und spricht von der Substitution der „Frau
als Objekt alles Begierden und Phantasmen“ durch das „ Frauen-Objekt“ (ebd.).
Und an dieser Stelle überschlagen sich für den Theoretiker der Beschleunigung
die Revolutionen: „Nach der Revolutionierung der Verkehrsmittel, die einst zur
Mode der Hochzeitsreisen nach Venedig oder zu anderen Orten beitrug, ist nun
also das Zeitalter der Revolutionierung der Liebesleidenschaft angebrochen, die
vornehmlich durch die revolutionäre Entw icklung der Mittel für die unm ittelba-
re Übertragung begünstigt wird.“ (146) Gerade für die sexuellen intimen Ko n-
takte tritt also an Stelle der körperlic h unm ittelbaren Interaktion die technolo-
gisch verm ittelte Interaktivität. M an darf die L iste der Substitutionen hier a b-
brechen um auf das Pathos hinzuw eisen, das V irilios Diagnose begleitet. D enn
nicht nur – das ist seine allgemeine These – lassen die „Teletechnologien der
Echtzeit“ die ontologisch volle Gegenwart absterben; im Falle der Sexualität
geht es um das Überleben der Gattung se lbst. Die Teletechnologien der Echtzeit
bewirken hier einen Zer- und Verfall de r individuellen Körper im Netz der M a-
schinen und M etaphern auf der einen und des sozialen Körpers auf der anderen
Seite. Baudrillard konnte noch die virtuelle G leichgültigkeit und Indifferenz des
Liebesgeschichten 97

Sexes beklagen; V irilio kann die Fortschr itte der Interaktivitä t mit der katastro-
phalen Bedrohung durch die Radioaktivität (vgl. 164) gleichsetzen, weil sie „die
‚Metaphysik der Liebe‘ auf Kosten der Gattung und ihrer geschlechtlichen Fort-
pflanzung virtuell“ verwirklicht (160). V irilios G eschichte der Liebe und der
Intimität gerät zur G eschichte ihres En des; das Ende der Intimität gerät zum
Aussterben des Menschengeschlechts.
Das wirkt nun 15 Jahre später gewiss übertrieben und beruht zum al auf ei-
nem erstaunlichen V ertrauen auf die „Realität“ (im Falle von Baudrillard und
Virilio: im Imperfekt) als einer (in der Postm oderne verschwundene) Dimensi-
on, die zumindest heuristisch, wenn nich t sogar als historische Reminiszenz
dem W uchern der Z eichen als K ontrast gegenübergestellt w erden kann. D abei
lassen sich in den hier skizzierten Texten in kondensierter Form M otive und
Theoriestücke finden, die noch die zeitg enössische Diskussion um die „postm o-
derne Lage der Liebe“ (Illouz 2007: 214) strukturieren. W enn etwa Eva Illouz
in ihrer einflussreichen Studie das „unglückselige postmoderne romantische
Ich“ (219) charakterisiert, kommt sie fa st unausweichlich auch auf die „Krise
der Repräsentation“ (ebd.) zu sprechen, die die postmoderne Lage als solche
kennzeichnet. Im Bezug auf die Liebe tritt diese „Krise“ für sie in ihrer nacktes-
ten Form auf: Die „Diskjunktion zwisch en dem Signifikanten für R omantik und
dem Signifikat der Liebe ist eines der charakteristischen M erkmale der conditi-
on postmoderne. Sie weist auf eine gespaltene autobiographische Erzählstruktur
hin.“ (221) Letzteres ist w ichtig, denn sie zitiert dam it eine w eiteres Grundmo-
tiv postmoderner Zeitdiagnosen, spitzt es aber in einer Analyse von Interviews
zum Thema der Erfahrung von romantischer Liebe empirisch auf die Selbstda r-
stellungspraktiken von „unglückseligen postmodernen romantischen“ Gewährs-
personen zu. Sie interessiert sich also für den praktischen Umgang mit dem, was
sie mit den postmodernen Denkern als eine „semiotische Verwirrung“ (ebd.)
beschreiben würde; eine Ve rwirrung, die sie – und auch darin schließt sie sich
den oben skizzierten Diagnosen an – vor allem als ein Produkt der Bilderflut in
einer Kultur der M assenmedien,53 der Verlagerung der Liebe in die Kon-

53
Hat Illouz dabei in „Der Konsum der Romantik “ vornehmlich noch die baudrillardschen M edi-
enbilder und -narrative vor Augen, die vom Ki no und vom Fernsehen in Umlauf gebracht wor-
den sind (vgl. 222 ff., etwa mit dem Beispiel „Sleepless in Seattle“ [1993]), ist es in neueren
Äußerungen schon die viriliosche Interaktivität des Internets, die die postmoderne Liebe en t-
zaubert: „Wird die verzauberte romantische Li ebe durch eine Ideologie von Spontaneität und
Einzigartigkeit gekennzeichnet, so wird dem gegenüber durch Technologien wie dem Internet
eine rationalisierte Partnersuche nahegelegt, die der Vorstellung von Liebe als unerwarteter O f-
fenbarung, die gegen den Willen und die Vernunft in das Leben des Einzelnen einbricht, wide r-
spricht.“ (2008: 216) Auch darauf kommt das nächste Kapitel (vgl. II.2.) zurück.
98 Liebesgeschichten

sumsphäre,54 der Auflockerung normativer Vorgaben der Geschlechtsidentifi-


zierung55 und einer am bivalenten Befreiung der Sexualität 56 entschlüsseln w ird.
Was Illouz dabei insbesondere betont , ist der Umstand, dass die postmoderne
Affäre als postm oderne „lokale“ Liebeserzählung die m oderne „Metaerzählung
der Liebe“ im Prinzip abgelöst hat (216) . Und was sie im Hinblick auf die Er-
zählungen ihrer Interviewpartner am meis ten üb errascht, ist der Umstand, dass
diese die massenmedial propagierten B ilder, Geschichten und Formvorlagen für
romantische Affären als Fiktionen durchschauen, aber sie in den Erzählungen
ihrer eigenen romantischen Affären trotzdem zitieren und benutzen. D enn selbst
wenn dem fiktionalen „Liebesnarrativ“ etwa ein „Narrativ der Behaglichkeit“
explizit und kritisch als realistischeres M odell gegenübergestellt w ird (214 f.),
fügen sich diese Erzählungen doch auge nscheinlich dem kritisierten M odell.
Schlimmer noch: Illouz’ Gewährspersone n liefern gleichzeitig schon eine re-
flektierte, soziologisch anmutende Erklä rung dieses Phänomens mit, das Illouz
selbst wiederum nur als „Verwirrung“ (221) oder „W iderspruch“ (225) gelten
lassen will: „Diese semiotische Verwirrungen wurden keineswegs als existenti-
elles Dilemma oder als eine Tragödie menschlichen Daseins betrachtet, sondern
als Nebenprodukt der massenmedialen Kultur analysiert und erklärt.“ (221) Was
Illouz überrascht, ist, dass „der quasi -universelle W iderspruch zwischen zwei
gleich mächtigen Formen der Liebe“ (225) zwar wahrgenommen wird, aber
eben nicht als Widerspruch wahrgenommen wird. Das erzählerische M ittel
hierfür – und das hat Illouz sehr hellsichtig und überzeugend beobachten kö n-
nen – ist die Ironie: „Die postmoderne La ge der Liebe ist charakterisiert durch
die ironische W ahrnehmung, dass man nur das wiederholen kann, was bereits
gesagt wurde, und dass man nur als Scha uspieler in einem anony men und stere-
otypen Stück agieren kann.“ (224) Im Rahmen von Liebe allerdings, soviel steht
für Illouz fest, ist ein ironisches Be wusstsein notgedrungen falsches Bewuss t-
sein; „unglückselig“ ist das „postmodern e romantische Ich“, weil die ironische
Distanz ihrer Ansicht nach wahre Liebe prinzipiell unm öglich macht.57 „Warum
ist Ironie so schädlich für die Liebe?“ fr agt Illouz explizit in einem späteren
Aufsatz (2008: 219). Für Illouz m uss sie es sein, weil sie in einer ironischen

54
Das ist das große Thema ihrer Studie, die die „Liebe und die kulturellen Widersprüche des
Kapitalismus“ (2007) untersucht.
55
Eine Auflockerung, die in fast schon baudrillardscher Manier das Spiel der „Verführung“
unmöglich macht: „Die Entmystifizierung der Li ebe durch politische Ideale der Gleichheit und
Fairness [...] haben Liebe zu etwas Leidenschaftslosem gem acht. Ein Beisp iel dafür ist der
Wunsch nach einer neutralen Sprache, die ohne geschlechtsspezifische Tendenzen auskommt.“
(Illouz 2008: 218)
56
„Heutige Affären werden eher von beiden Geschlechtern als sexuelles Vergnügen empfunden.“
(Illouz 2007: 218)
Liebesgeschichten 99

Haltung geradezu die A ntithese zu dem wittert, was das rom antische Skript der
Liebe unabdingbar zu verlangen scheint: die Intensität des E rlebens, die keine
Distanz zulassen darf, ohne selbst auf de r Strecke zu bleiben. Gegen diese Dis-
tanz scheint nur die O riginalität der Form en und die gleichsam unschuldige
Authentizität der Gefühle zu immunisi eren, und beides scheint in der postmo-
dernen Ironie qua D efinition58 verunmöglicht zu sein. Nicht nur ergeht sich
nämlich das „unglückselige postmoderne romantische Ich“ in „W iederholungen
von W iederholungen“ (223), es weiß dar über auch noch Bescheid: „[S]o wird
die Postmoderne am besten durch das selbstkritische Glaubensbekenntnis typo-
logisiert, dass diese D istanz aus V orstellungen resultiert, die in einem Übermaß
der überkodifizierten Kultur der M assenmedien ausgesetzt si nd.“ (223) Zuviel
Wissen um die L age der L iebe in der Postm oderne verurteilt zu ironischer D is-
tanz – und vereitelt die Liebe, indem sie sie entzaubert.
Mit dem Internet und der postm odernen Ironie ist nun das vorläufige Ende
der großen Erzählungen der Liebe erreic ht, die Erzählungen vom Ende der Lie-
be geworden sind. D iesen Vorbehalten gegenüber der Ironie w ird freilich noch
ein ganzes Kapitel (vgl. III.) zu widmen sein – weit davon entfernt, authentische
Erfahrung und einzigartige Originalität zu verunm öglichen, taucht sie näm lich
in der Darstellungen von Intimität als diej enige privilegierte Erzählpraxis auf,
der es gerade gelingt, sie performativ herzustellen. Aber ebenso wie das Ve r-
trauen Baudrillards und V irilios in eine gleichsam unschuldige V ergangenheit,
in der die R ealität noch Realität w ar, scheint in den Erzählungen vom Ende der
Liebe das Vertrauen in eine unschuldige Vergangenheit, in der die authentische
romantische Liebe noch nicht vom W issen um ihre Formvorlagen konterkariert
wurde, m erkwürdig geschichtsvergessen. Das er staunt um so m ehr, als etwa
Illouz eine brilliante Rekonstruktion de r neueren Entwicklungen der Bilderwe l-
ten und Geschichten vorlegt, die begann , „als die Liebe auf den M arkt traf“
(52). Niklas Luhmann etwa, den Illouz selbst als einen Diagnos tiker der post-
modernen Lage der Liebe kategorisieren würde (vgl. Illouz 2007: 210), hat
gegen diese Einstellung eingew endet, dass „[s]chon im 17. Jahrhundert [...] bei
aller Betonung der Liebe als Passion völlig be wusst [ist], daß es um ein Verhal-
tensmodell geht, das gespielt werden ka nn, das einem vor Augen steht, bevor
man sich einschifft, um Liebe zu su chen“ (Luhmann 1982: 23). Aber dennoch,
das m uss abschließend hervorgehoben w erden, hat Illouz völlig recht, die ver-
änderten Bedingungen zu betonen, die mit der Omnipräsenz der Liebe in einer
Kultur der M assenmedien einhergeht. Dass m an nicht um hin kann, „gleichsam

58
Hier noch einmal: Ironie „ist der rhetorische Trick einer Person, die zuviel weiß, die W irklich-
keit aber nicht ganz ernst nehmen möchte. Mode rnes romantisches Bewusstsein hat die rhetor i-
sche Struktur der Ironie, weil sie von einem en tzauberten Wissen durchzogen ist, da s volles
Vertrauen und Verbindlichkeit verhindert.“ (Illouz 2008: 219)
100 Liebesgeschichten

Wiederholungen von W iederholungen“ zu leben, und das M otiv der W ieder-


holung auch eine theoretisch so dominante Rolle spielt, wird vor allem vor di e-
sem Hintergrund plausibel. Vor diesem Hintergrund erscheint aber auch das
zweite M otiv, das für Illouz ein D efiniens der postmodernen Lage der Liebe
ausmacht, plausibel: Das Zerfallen von kohärenten, „großen“ Erzählungen. Und
so endet auch in diesem Kapitel der Versuch einer Erzählung der Geschichte der
Liebe und ihren soziologischen Erzähl ungen und m acht den kleinen Erzählu n-
gen der Paarinterviews Platz.

7. Zusammenfassung: Auf dem Weg ins Unbestimmte

Die bisherigen Ausführungen haben ein komplexes Bild der soziologischen


Beschäftigung m it der Liebe gezeichnet. Erste Konturen bekam diese Skizze,
indem ein genuin intimitätssoziologischer Zugang von einem familiensoziologi-
schen unterschieden wurde. Im intimitätssoziologischen Diskurs der Moderne
löst sich der soziologische Blick auf die Phänomene der Liebe und der Intimität
vom engen Fokus auf den positiven oder negativen Einfluss des (rom antischen)
Liebesideals auf die Stabilität von Ehen und Fam ilien. Dam it ändert sich auch
der Charakter der unterschiedlichen Geschichten der Liebe, die nun in der Inti-
mitätssoziologie erzählt w erden m üssen. Es ist die Intim ität selbst, die zum
Protagonisten w ird; sie w ird es als ein spezifisch modernes Phänomen. D ie
Geschichten erzählen den historischen W andel der M öglichkeiten zu persönli-
chen zwischenmenschlichen Beziehungen, die in der modernen Gesellschaft in
der Unterscheidung zu unpersönlichen Beziehungen eine besondere Formen
annehmen (vgl. klassisch dazu Luhma nn 1982: 13 ff.). Das zentrale Interesse
gilt nun diesen modernen Formen der Intimität, die durchaus unterschiedlich auf
den Begriff gebracht werden können. Nichts destotrotz ist es zunächst der Name
der „Liebe“, der für sie vorbehalten wird – dieses Kapitel hat sich deshalb für
die Geschichte der Liebe ebenso sehr wie für die Liebesgeschichten der Sozio-
logie interessiert.
Liebesgeschichten werden auch noch in einem weiteren Sinne interessant.
Ein zentrales Ergebnis dieses ersten Durc hlaufs durch die Geschichte der Liebe
und ihre soziologische Rekonstruktion ist, dass unbeirrbar das Thema der Medi-
en der Liebe in den Vordergrund gedrängt hat. Die Geschichte des W andels der
Intimität lässt sich als eine Geschichte des W andels ihrer Verbreitungsmedien
erzählen: von der Liebe (wie) im Roman zur Liebe (wie) im Fernsehen zur Lie-
be (wie) in der W erbung zur Liebe (wie) im Internet. Liebesgeschichten materi-
alisieren sich immer auch in konkreten Formvorlagen, die für die prakti sche
Umsetzung unerlässlich sind. Im Kontext der Sem antik der Liebe und ihrer
Liebesgeschichten 101

wissenschaftlichen R eflexionstheorien ersc heinen sie aber gleichzeitig als no t-


wendiges Übel. Das problematische Verhältnis von Formvorlagen und der inti-
men Praxis ist das paradoxe Gra vitationszentrum, um das die in diesem Kapitel
erzählte Liebesgeschichte kreist. Da s Paradox ist dies: Die Bedingungen der
Möglichkeit der Liebe sind gleichzeitig auch die Bedingungen ihrer U nmög-
lichkeit. Moderne Liebe braucht Formvorla gen, die sie kopieren kann; das Ko-
pieren von Formvorlagen ist aber gleichzeitig das große Tabu der Liebe.
Damit ist formal schon ein fundamentales Bezugsproblem benannt, an dem
eine soziologische Beschäftigung mit der Intimität und der Liebe nicht vorbei
sehen kann. Die These dieses Kapitels ist es, das damit das fundamentale B e-
zugsproblem im Hinblick auf das m oderne Phänomen der Intimität und der
Liebe benannt ist. Vor seinem Hintergr und lassen sich auch die referierten Di s-
kussionskontexte in einem anderen Licht betrachten. In der soziologischen D e-
batte um die m oderne Leitunterscheidung von Ö ffentlichkeit und Privatheit,
macht sich der W echsel der Formvorlagen und ihrer Verbreitungsmedien in
einem „Strukturw andel der Ö ffentlichkeit“ (H abermas 1990), der auch ein
Strukturwandel der Privatheit ist, bemer kbar; er lässt die Diagnose einer „inti-
men Gesellschaft“ (Sennett 1983: 296) eb enso plausibel erscheinen wie die
eines modernen Triumphes des „wahren Diskurs über die Lust“ (Foucault 1987:
13). Im A nschluss daran w ird aber vor allem deutlich, dass auch die L iebege-
schichten in einem doppelten Sinne mit einem Publikum rechnen müssen: So-
wohl die über m assenmediale Form vorlagen verbreiteten Liebesgeschichten
treffen auf spezifische Rezipientengruppen (vgl. Kapitel 5.2), als sich auch noch
die „Privatgeschichten“ vor einem Publikum bewähren müssen (vgl. Kapitel 2.).
Darüber hinaus erscheint vor der Folie dieser konstitutiven Publikumsbezogen-
heit mehr und mehr die Frage nach einem spezifischen Kommunikationsstils der
Intimität auf dem Bildschirm (vgl. Kapitel 3.2).
Wenn der Frage nach der Publikumsbezogenheit eines intimen Kommuni-
kationsstils in den nächsten beiden empirischen Kapiteln noch eine methodische
Pointe abgewonnen werden wird, so ist dem zweiten Diskussionskontext, in
dem das Verhältnis von Formvorlagen und intimen Praktiken aufgetaucht ist,
ebenfalls eine zentrale Einsicht zu entn ehmen. In einem differenzierungstheore-
tischen Bezugrahmen taucht da s Problem als ein Problem der Individualität des
Liebens auf. Der der Semantik der Liebe entnommene Zumutung, dass es beim
Lieben um Originalität, Einzigartigkeit und Individualität geht, tritt die so -
ziologische Zumutung an die Seite, dass in der modernen Gesellschaft das Lie-
ben der einzige soziale Kontext ist, in dem es noch um Originalität, Einzigartig-
keit und Individualität geht. U nter dem Stichwort der „Nachreligion der Moder-
ne“ (Beck/Beck-Gernsheim 1990: 243) wurd e dabei im Hinblick auf die Religi-
on schon ein erster Schritt in der soziol ogischen Suche nach funktionalen Äqu i-
102 Liebesgeschichten

valenten der Liebe gewagt; im Hinblick auf die Kunst wird in den nächsten
Kapiteln diese Suche noch weiter them atisiert werden, wenn von einer W ende
zur Ä sthetik59 die R ede sein w ird. A uffällig w ar aber auch in diesem Z usam-
menhang schon, dass sich mit der Betonung der individualisierenden Leistungen
der Liebe das Problem des Verhältnisses von medialen Formvorlagen und ind i-
viduellen Prak tiken erheblich zuspitzt. Das Phänomen, das Ulrich Beck mit
einem Hinweis auf das „ganz normale Chaos der Liebe“ (Beck/Beck-Gernsheim
1990) und Peter Fuchs mit der Formel de r „Inklusion der Vollperson“ (1999:
54) in seiner ganzen Ambivalenz noc h ironisch zur Kenntnis nehmen konnten,
gerät dann den Cultural Studies und queer-theoretischen Interventionen vollends
zum Skandal: Die Gefahr des Liebens is t die Gefahr der W iederholung der im-
mergleichen Muster.
Allenthalben lassen sich also Unzufriedenheiten m it der Liebe nachzeich-
nen. Dabei hat sich die Quelle der Unzufriedenheiten im Verlaufe eines halben
Jahrhunderts radikal ver ändert. D ie frühe Fam iliensoziologie sah das Problem
darin, dass das Leitbild der (roman tischen) Liebe zu unbestimmt ist, um der
konkreten Praxis des intimen Zusammenlebens in der Ehe und der Fam ilie klare
Vorgaben zu geben. Der zeitgenössische intim soziologische Diskurs sieht das
Problem darin, dass die massenmed ial verbreiteten Form vorlagen zu bestimmt
sind, um die Kreativität von neuen Formen der Inti mität nicht vollständig zu
ersticken. In jedem Falle war aber das drängende Problem des Verhältnisses von
Formvorlagen und Neuerfindungen, zwischen Norm alität und Abweichung,
zwischen Regelmäßigkeiten und Kreativitä t schon der Auslöser für theoretische
Anstrengungen, die im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit noch fruchtbar
gemacht werden sollen. Au f der intimitätsso ziologischen Bühne erschien die
Figur einer differentiellen W iederholung. W ichtig wurde eine angemessene
Konzeptionalisierung des Verhältnisses von Original und Kopie. Ins Zentrum
der Beschäftigung mit der Liebe rückte das Ringen um eine passgerechte Neu-
beschreibung von Praktiken der Wiederholung, des Kopierens und des Zitierens.
Die Vermutung der in diesem Kapitel erzählten Liebesgeschichte war, dass
sich diese Them en im Kontext von Liebesgeschichten nicht zufällig ins Ra m-
penlicht drängen. Die nächsten beiden Kapitel werden dieser Vermutung emp i-
risch auf den Grund gehen. Als M aterial dienen dabei nicht mehr Liebesg e-
schichten des intimitä tssoziologischen Diskurses der M oderne, sondern Paarg e-
schichten, die in einer Interview situation einem soziologi schen Beobachter
erzählt wurden. W enn dabei die M otive dieses ersten Kapitels wieder aufta u-
chen werden, so ist es doch ein hier nur angedeutetes, dem besondere Aufmerk-
samkeit geschenkt werden muss. Praktisch ist die Darstellung von Intimität und
59
In dieser Formulierung ist die „Wende zur Ästhetik“ ein Odo-Marquard-Zitat (1987: 131 ff.);
eine genauere Bestimmung erhält sie in dieser Arbeit in den Kapiteln III.1.3 und III.4.
Liebesgeschichten 103

Liebe vor dem Hintergrund ihres problem atischen Bezugs zu Form vorlagen nur
zu leisten, wenn sie sich von diesen Formvorlagen nicht bestimmen oder def i-
nieren lässt – w eder positiv als K onformität zu vorgegebenen M ustern noch
negativ als ihre schlichte Verneinung. Di e Analyse des nächsten Kapitels wen-
det sich also der performativen Herstellung von Unbestimmtheit zu.
Kapitel II: Die praktische Herstellung von
Unbestimmtheit

Die für diese Arbeit interviewten Paare si nd um Worte nicht verlegen. Dies gilt
insbesondere für die elaborierten und detaillierten Erzählungen ihrer ersten
Begegnung. Dies gilt aber auch für die Erzählungen, die den Beginn ihrer B e-
ziehung zum Thema hatten. Im Hinblick auf die Darstellung der Kennenlernge-
schichte und den Anfang ihrer Beziehung entpuppten sich die Gewährspersonen
– nicht wider Erwarten – als Spezialisten. In der Interviewsituation hat es der
soziologische Beobachter mit kompetenten Sprechern zu tun, die genau wissen,
wovon sie erzählen. Darüber hinaus hat er es offenbar auch mit kompe tenten
Sprechern zu tun, die genau wissen, wie sie erzählen. In ausnahmslos allen Fäl-
len w ird sehr schnell deutlich, dass die K ennenlerngeschichte eine G eschichte
ist, die nicht zum ersten M al erzählt w ird; in den m eisten Fällen w ird dieser
Umstand sogar noch einm al explizit bet ont und darüber hinaus reflektiert (vgl.
Kapitel 3.2). Dies gilt ebenso für die P aare, die sich erst seit kurzem als Paare
beschreiben würden, wie für diejenigen, deren Kennenlerngeschichte auf Ereig-
nisse rekurriert, die schon mehr als ze hn Jahre zurücklie gen – zumindest das
Erzählen dieser Geschichte „sitzt“; die Ge schichte „passt“; ihre (zunächst narra-
tive) Präsentation „funktioniert“. D as da rf freilich nicht überraschen. Ü berra-
schen mag aber der Umstand, dass dieser erste Eindruck sich auf den zweiten
Blick gerade an Stellen aufdrängt, an de nen die „repräsentierende“, „tatsachen-
getreue“ Erzählung ins Stolpern gerät – ein Stolpern, das man jedoch nur als
solches zur Kenntnis nehmen oder sogar negativ bewerten kann, wenn man
zunächst unterstellt, dass nur ein ungebr ochener Erzählfluss die erlebte G e-
schichte „repräsentativ“ und „tatsachengetreu“ darstellen kann und soll. Im
folgenden Interviewausschnitt etwa wird eine Episode beendet, die them atisiert,
wer von beiden Beteiligten den ersten Schritt gewagt hat. Wer den ersten Schritt
gewagt hat, wird eindeutig etabliert: B hat über eine Freundin A telefonisch
ausrichten lassen, er möge sich doch zu einem bestimmten Zeitpunkt an einen
bestimmten Ort begeben. Wie dieser erste Schritt jedoch gem eint war, wie er zu
interpretieren war und noch in der Gegenw art des Interview s zu interpretieren
ist, steht aber gerade zur D ebatte. Die bestimmende Frage für die Erzählbarkeit

M. Stempfhuber, Paargeschichten, DOI 10.1007/978-3-531-18780-8_3,


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106 Herstellung von Unbestimmtheit

in diesem Kontext zielt darauf ab, ob mit dem T elefonat eine „klare A nsage“
verbunden war:

A: Ich hab das auch nicht so als „Du kommst jetzt , und das ist eine klare Ansage“
und, weißt so, es war, fand ich sehr lustig... I: Ja. A. ...und ja... Und dann bin ich dann
wieder... B: Es war ein Flehen. A: (lacht) B: D ass du kom men sollst. I: Es war ein
Flehen? Es war aber doch eine klare Ansage, oder? B: Öh, ja! (lacht) (P-S&R, 07:33)

Die gewissermaßen naive Nachfrage des Interviewers bezieht sich auf den A n-
ruf als „klare Ansage“, als die er in der vorausgehenden Erzählung zunächst
thematisiert wurde. Naiv ist diese N achfrage deshalb, weil zu seinen Status als
„klare Ansage“ eine klare Aussage erwart et wird. Genau diese wird aber in der
Erzählung verweigert. In diesem Zusam menhang hat dieses Ausbleiben einer
klaren Aussage offenbar auch nichts mit einer M einungsverschiedenheit der
beiden Erzähler zu tun. Ob es nun ein Fl ehen war, eine klare Ansage oder ein
Drittes, wird von beiden Erzählern offengelassen. Auch handelt es sich nicht nur
um eine Erinnerungslücke. W as davon absichtlich übertrieben oder ironisch
gemeint ist, wird zum Zeitpunkt der Erzäh lung selbst nicht geklärt. Es wird
unbestimmt gelassen. Man hat es also an einer zentralen Stelle der Kennenlern-
geschichte mit einer Erzählpraktik zu tun, die auf Unbestimmtheit setzt; und
diese Praktik erweist sich hier nicht als eine Ausnahme, sondern als ein auch für
die anderen Paarinterviews typisches Phänomen.
Der Umgang mit diesem Phänomen der Unbestimmtheit ist für diese Arbeit
nun auf verschiedenen Ebenen bestimmend: i m Gegenstandsbereich, in der
Methode, in der soziologischen Forschungs praxis und schließlich auch in der
Theorie selbst – ja, eine der „Quellen der Unbestimmtheit“ war und ist nicht nur
das Verhältnis dieser Ebenen zueinander, sondern sogar ihre Unterscheidbarkeit
überhaupt. Kann man in diesem Zusa mmenhang von einem spezifisch soziolo-
gischen Verhältnis zur U nbestimmtheit sprechen? H ier soll ein leitend kurz ver-
sucht werden, an zwei exemplarisch en, derzeit gewichtigen und breit dis -
kutierten Theorieentwürfen deutlich zu machen, welcher Art die Faszination der
Unbestimmtheit für die Soziologie sein könnt e, die sich für die in dieser Arbeit
geführten Analyse fruchtbar machen lässt . Es soll dabei darüber hinweggesehen
werden, dass zunächst zwar nicht unbestim mt, aber doch zum indest unterb e-
stimmt gelassen werden muss, was genau m it Unbestimmtheit gemeint ist. Der
Begriff der „Unbestimmtheit“ soll hier zunächst abstrakt und damit als zwar
nicht leerer, aber doch zum indest unbesti mmter Signifikant zitiert w erden. Er
wird hier aber für die Rekonstrukti on eines bestim mten Problembezugs von
großem Nutzen sein, der sich für die Beschäftigung mit der Kommunikation von
Liebe, der sich im ersten Kapitel hist orisch angenähert wurde und der sich in
diesem Kapitel empirisch angenähert werden soll, als äußerst relevant herausg e-
Herstellung von Unbestimmtheit 107

stellt hat. In diesem K ontext geht es dann also zunächst nicht prim är um die
Eingrenzung und Definition eines bestim mten a priori gegebenen Phänom ens,
mit dem es die Soziologie zu tun hat, sondern vielmehr um die Neubeschrei-
bung eines möglichen soziologischen Blic ks, der sich für Unbestimmtheiten
interessiert, oder genauer: dreier Vers ionen einer soziologischen Per spektive,
die Unbestimmtheit entweder als Probl em markiert, die Unbestimmtheit als
Lösung ansieht, oder die die Rolle von U nbestimmtheit wiederum für eine em-
pirische Analyse zunächst unbestimmt und offen halten will.
Als Erstes ist Bruno Latour zu nennen, an dessen groß angelegten Versuch
einer neuen Soziologie für eine neue Gesellschaft man derzeit nicht vorbei
kommt. Hier wird das Interesse für Unbestim mtheit schon fast program matisch
formuliert – die Einführung in die Akte ur-Netzwerk-Theorie beginnt mit einer
Suche nach „Quellen der Unbestimmthe it“ (vgl. 2007: 50-243). Und mehr noch
und genauer: Es handelt sich dabei nicht um eine schlichte „Suc he“, es ist der
Versuch, diese „Unbestim mtheiten“ auch aus der Perspektive der Soziologie
nicht schlicht zu entdecken und zu beschreiben, sondern – auch – zu erfinden
und mithilfe einer mit allen metaphysischen und ontologischen W assern gewa-
schener Rhetorik poetisch herbeizuschrei ben. Die Akteur -Netzwerk-Theorie ist
für Latour dabei zunächst der Angriff au f eine traditionelle soziologische Tec h-
nik, die er als T aschenspielertrick entlarven will. Das Problem mit der Soziol o-
gie, so könnte man hier ver kürzt sagen, ist für Latour das Vergessen des prob-
lematischen Status, der schon in ihrem Namen selbst eingeschrieben und mit der
Zeit verschütt gegangen ist. Soziologie ist “Sozio -logie“, die „W issenschaft
vom Sozialen“ (11), und Latour erinnert uns gleich zu Beg inn daran, dass
„[w]eder W issenschaft noch Gesellschaft [...] stabil genug geblieben [...] sind,
um die Versprechen einer ‚Sozio-logie‘ einlösen zu können“ (12). Diese Instabi-
lität selbst sieht L atour jedoch nicht als das Problem an; zum Problem erklärt er
vielmehr die Tendenz der Sozialwissensc haften, über diese Instabilität hinweg-
zutäuschen. Ja, sein Hauptangriffsziel ist gerade der zu entlarvende Taschen-
spielertrick, der es den Sozialwissenschaften in einer doppelten Bewegung e r-
laubte, die Unbestimmtheit des Sozialen geradezu zu pervertieren und aus dem
Begriff des „Sozialen“ einen Eindeutigke itsgenerator zu m achen. Zum einen,
und das zeichnet Latour sehr überzeugend n ach (vgl. etwa 18 f.; 279 f.), ist für
die Sozialwissenschaft die Bedeutung von „sozial“ zunehmend geschrumpft:
„Aufgrund dieser fortwährenden Bedeutungsschrumpfung (Sozialvertrag, sozia-
le Frage, Sozialarbeiter) begrenzen wi r das Soziale auf M enschen und moderne
Gesellschaften und vergessen, daß der Bereich des Sozialen sehr viel um fassen-
der ist.“ (277) Zum anderen gelingt es der Soziologie im Besonderen dadurch,
dass sie sich dieses geschrumpfte So ziale nun zur eigenen Catch-all-Vokabel
zurichtet, sich als w issenschaftliche D isziplin zu legitim ieren: „M an beginnt,
108 Herstellung von Unbestimmtheit

was miteinander verbunden wurde, für einen speziellen Typ von Stoff zu halten:
Das Soziale erklärt das Soziale.“ (ebd.). Das Soziale gerinnt zur Substanz, die
als Explanans (soziale D imension, sozialer „K itt“) aus dem Hut gezaubert w er-
den kann, wann immer der Sozialwissensch aftler dies für nötig erachtet. U nd
genau an diesem – illegitim en – T rugschluss setzt L atour an, um seine eigene
Vorstellung vom Projekt einer Wissenschaft vom Sozialen zu entfalten.
Man versteht dieses Projekt vielleicht am besten, wenn m an sich vor A u-
gen hält, welcher W echsel der Perspektive, welche Umkehrung der Zeitverhält-
nisse im Hinblick auf den Umgang mit Unbestimmtheit es im pliziert. D enn
bevor die von Latour vorgeschlagene neue So ziologie, die sich als eine Soziolo-
gie des Nachzeichnens von Assoziatione n und Verbindungen versteht, zu ihrem
Recht kommen kann, muss sie zunächst einer „Pflicht“ nachkommen, die Latour
als „Entfaltung“ definiert: „Als erstes müssen wir lernen, wie Kontroversen
entfaltet werden können, um so die Anzahl neuer Teilnehmer in jeder künftigen
Versammlung einzuschätzen“ (428). Für di ese Soziologie taucht „[d]ie Frage
des Sozialen [...] auf, w enn die Bindungen, in die m an verwickelt ist, sich au f-
zulösen beginnen“ (424); und in schön ethnomethodologischer, ja geradezu
klassisch soziologischer M anier solle n die nachgezeichneten Phänomene „ wie-
der rätselhaft“ (426) erscheinen. Zunächst ist hier der erstaunliche, produktive
Effekt zu vermerken, den diese En tschleunigung des soziologischen Blicks
impliziert. Latour bricht m it der von ihm konstatierten traditionellen „G ewohn-
heit [...], die Begriffe ‚G esellschaft‘, ‚sozialer Faktor‘ und ‚soziale Erklärung‘
mit einer plötzlichen Beschleunigung in der Beschreibung zu verknüpfen“ (43).
Er tut dies, indem er sich zunächst für die Fragilität seines Gegenstandes int e-
ressiert und sich dabei vor allem dafür entscheidet, „von den Unbestimmtheiten
zu zehren, anstatt sie aufzulösen“ (295). In dieser Entschleunigungsbewegung
wird sie, so könnte man formulieren, zu einer großen Meditation über die Unbe-
stimmtheit.60 Gelernt werden soll dabei vor allem an „Kontroversen“, die von
diversen von Latour identifizierten „Q uellen der Unbestimmtheit“ zehren. Un-
bestimmt ist nämlich für Latour einige s: „die Natur von Gruppen“, „die Natur
von Handlungen“, „die Natur von Objekten“, „die Natur von Tatsachen“ und
schließlich der „Typus von Untersuchungen, die man als sozialwissenschaftl i-
che bezeichnet“ (42-43). Diese Unbesti mmtheiten lässt Latour produktiv ine i-
nandergreifen, und die wohl berühmteste und am breitesten diskutierte, aber
wohl auch trivialste Konsequenz ist w ohl diejenige, die die Akzeptanz und E r-
höhung der A nzahl von „Entitäten“ als „vollgültige A kteure [...], die seit m ehr

60
Vgl. aber Pierre Bourdieus Meditationen (2001), der mit diesem Begriff – nicht nur, aber auch,
also zumindest: ambivalent – den Zeitluxus der „scholastischen“ Katechonten als einen der
Gründe für die „Formen des scholastischen Irrtums“ ausmacht (vgl. in sbesondere 65 ff.;151 ff.;
265 ff.).
Herstellung von Unbestimmtheit 109

als hundert Jahren sozialer Erklärung ausd rücklich aus der kollektiven Existenz
ausgeschlossen worden sind“ (119): wahrlich ein „Parlament der Dinge“ 61. Hier
interessiert aber besonders Latours prinzipielles Interesse für Unbestimmtheiten.
Denn wo diese Unbestim mtheiten lokalisie rt werden, bleibt weitgehend selbst
unbestimmt. Ist es der soziologische Fo rscher, der diese Unbestimmtheiten –
„das volle Spektrum der Kontroversen darüber [...], w elche Assoziationen mög-
lich sind“ – zuallererst „entfalten“ (277) und geradezu konstruieren muss? Oder
findet sich diese Unbestimmtheit als unhi ntergehbarer Bestandteil der Kontr o-
versen im Gegenstandsbereich der Soziol ogie vor, die der Forscher nur nachzu-
zeichnen hätte? „Sobald wir sozusagen die Akteure selbst ihr eigenes Chaos
aufräumen lassen, kann etwas Ordnung gef unden werden, die sich sehr von den
Versuchen m ancher Forscher unterscheidet, Kontroversen im vornhinein zu
begrenzen.“ (279) Für beide Interpretationen würden sich die Belege beliebig
vermehren lassen, und Latour ist sich dieser weiteren Unbestimmtheit durchaus
bewusst:

Ich habe den Ausdruck „Unbestimmtheiten“ ( uncertainties) gewählt, um damit vage


auf das „Unbestimmtheitsprinzip“ anzuspielen (uncertainty principle; zu dt. auch: Un-
schärferelation); denn es ist unmöglich zu entscheiden, ob die Unbestimmtheit im Be-
obachter liegt oder im beobachteten Phänomen. Wie wir sehen werden, verhält es sich
niemals so, daß der Analytiker weiß, was die Akteure nicht wissen, noch so, daß die
Akteure wissen, was der Beobachter nicht weiß. (42)

Für die Argumentation dieses Kapitels is t es nun wichtig, Latour hier zunächst
zu folgen und diese Spannung als durchaus produktiv zu interpretieren. M an
könnte sofort kritisch hinzufügen, dass Latour selbst ja sein Interesse für em pi-
risch auftauchende Unbestimmt heit sofo rt auf einen bestimmten Typus be-
grenzt, wenn er sie erstens ausschließlich an Kontroversen sichtbar machen
will62 und noch dazu zweitens gerade eine Quelle der Unbestimmtheit ad acta
legen will, die das Erklärungspotential des „Sozialen“ betrifft – selbst wenn sie
in Kontroversen von beobachteten Akteuren auftaucht! 63 W as immer man nun

61
So natürlich der Titel von Latours Plädoyer Für eine politische Ökonomie (2001).
62
So würde zumindest Luhmann argumentieren, der im Falle von Kontroversen und insbesondere
von Widersprüchen auf einen ganz bestimmten Typus von Unbestimmtheiten stößt, dem er eine
spezifische Funktionalität unterstellt, denn „sieht man genauer zu, so scheint bei Widersprüchen
zunächst eine hergestellte, eine sekundäre Unbestimmtheit vorzuliegen“ und provoziert so die
Frage danach, „w elches Interesse [...] das System haben [kann], die selbstreferentielle Besti m-
mung der Elemente zu boykottieren?“ (1984: 493).
63
Hier stößt man scheinbar unausweichlich auf einen Punkt, der meines Erachtens erklärungsb e-
dürftig ist, sich aber wie ein roter Faden nich t nur durch die Akteur-Netzwerk-Theorie zieht,
sondern sie auch mit der Vorliebe etwa der Ethnomethodologie für „schweigsame“ Daten ve r-
bindet. Der Respekt für die Ak teure der sozialen Welt, die Symmetrieforderungen von Fo r-
schern und Beforschten, scheint genau an dem Punkt aufgegeben werden zu müssen, an dem –
110 Herstellung von Unbestimmtheit

von den spezifischen Konsequenzen hält, die Latour aus dieser Öffnungsbewe-
gung für die Soziologie zieht – eine „Neuordnung“ des Sozialen 64 –, bleibt doch
in jedem Falle das Interesse für „Unbestimmtheit“ und insbesondere Latours
ausführliches Plädoyer dafür, die Quelle n der Unbestimmtheit nicht vor jegli-
cher Empirie versiegen zu lassen, indem immer schon soziologisch vorherbe-
stimmt wi rd, wor auf di ese Unbestimmtheiten zurückzuführen sind, für diese
Arbeit von oberster Dringlichkeit.
Einen besonderen Platz nim mt die Be schäftigung m it Unbestim mtheit b e-
kanntlich in der System theorie ein. M an kann das schon an einem zentra len
Grundmotiv herausarbeiten: dem Gedankenexperiment der Situation doppelter
Kontingenz. Aber gerade hier ist Vorsicht angeraten. M an muss genauer hins e-
hen, um zu erkennen, wie sich die Sy stemtheorie der Unbestimmtheit nähert.
Hier kann nicht im Detail auf die Problem konstellation, die m it der Form el der
doppelten Kontingenz skizziert werden soll, eingegangen werden. Sie ist in der
Version bekannt, die Luhm ann von Talcott Parsons geerbt hat, und lautet in
ihrer einfachsten Ausführung folgenderm aßen: Alter m acht sein Verhalten von
Ego abhängig, ebenso wie Ego wieder um seines von dem Alters abhängig
macht. „Der reine, nicht weiter elaborie rte Zirkel selbstreferentieller Besti m-
mungen läßt das Handeln unbestim mt, m acht es unbestim mbar. [...] Ohne L ö-
sung dieses Problems der doppelten Konti ngenz kommt kein Handeln zustande,
weil die M öglichkeit der Bestimmung fehlt.“ (Luhmann 1984: 149) Parsons
hatte bekanntlich die Lösung dieses Problem s in einer konsensuellen O rien-
tierung an gemeinsamen, geteilten Werten gesehen, die es ermöglichen, aus dem
Zirkel dieser im aginierten Situation, gewissermaßen ihrem Deadlock, auszubre-
chen – aus der Perspektive L uhmanns ein illegitim er deus ex machina. Seine
systemtheoretische Lösung des Problem s stellt theoretisch natürlich auf die

und das müsste doch eigentlich gerade ein für Ethno methologen kontraintuitiver Umstand zu
sein – sich die Akteure selbst wie Soziologen gebärden und beschreiben, also wiederum nicht
noch einmal vom Forscher als Ethnomethodologen oder Alltagssoziologen beschrieben werden
müssen. Man vergleiche im Falle von Latour etwa seine Forderung, die Religiösität von religiö-
sen Menschen – und damit natürlich auch die Existenz ihrer Götter – ernst zu nehmen (2007:
169; vgl dazu auch Nassehi 2009), mit seinem Spott für und seiner Skepsis gegenüber den E r-
folgen soziologischer Beschreibung als Common- Sense-Erklärungen: „Die Sozialwissenschaf-
ten haben ihre Definition von Gesellschaft so effektiv verbreitet wie Versorgungsunternehmen
Elektrizität und Telefondienste. Die unvermeidliche ‚soziale Dimension ‘ unseres Tuns und
Treibens ‚in der Gesellschaft‘ zu kommentieren ist so vertraut geworden, wie ein Handy zu be-
nutzen, ein Bier zu bestellen oder vom Ödipuskom plex zu reden – zumindest in der industri-
alisierten Welt.“ (15) Das Pathos des Ernstn ehmens stoppt vor den Ergebnissen des eigenen
Fachs – denn die selbstverständliche Rede von der „sozialen Dimension“ und der „Gesell-
schaft“ ist ja das Ziel von Latours Polemik. In dieser Arbeit wird dagegen dafür plädiert, diese
Vertrautheit selbst noch einmal als Gegenstand soziologischer Analyse zu gewinnen.
64
So der Titel der englischen Originalausgabe seiner Soziologie für eine neue Gesellschaft:
„Reassembling the Social“.
Herstellung von Unbestimmtheit 111

Verabschiedung eines naiven Handlungsbegriffs zugunsten eines Interesses für


Kommunikation, also für die emer gente Ebene sozialer Systeme ab 65 und setzt
theorietechnisch auf eine Empirisierung der möglichen Lösungen des Problems
doppelter Kontingenz. Denn warum und vor allem: wie begonnen wird, warum
und vor allem: wie angeschlossen wird, lässt sich nicht mehr im Rückgriff auf
einen als handlungsnotw endig unterstellte n W ertekonsens a priori bestim men
(sic!). Aber wichtig für dieses Kapitel ist hier zunächst einmal nur der Umstand,
dass sich hier ganz ähnlich wie bei der Akteur-Netzwerk-Theorie ein Theoriede-
sign präsentiert, das mit einem Interesse für Unbestimmtheit als Ausgangspunkt
für eine soziologische G egenstandskonstitution beginnt. M an kann nicht daran
vorbeisehen, dass das Theorem der doppelten Kontingenz für Luhm ann die
Funktion erfüllt, die für L atour die Suche nach den Quellen der Unbestimmtheit
erfüllte: „Das methodologische Rezept hierfür lautet: Theorien zu suchen, denen
es gelingt, Normales für unwahrscheinlich zu erklären.“ (162) Die hierbei spezi-
fisch angebotene Lösung bezieht ihren C harme aber auch daraus, die Problem -
konstellation selbst für den Generator der Lösungen zu halten, die dann den
Gegenstand soziologischer Forschung darstellen. „Zwei black boxes bekom men
es, auf Grund welcher Zufälle immer, miteinander zu tun“ und bleiben „bei aller
Bemühung und bei allem Zeitaufw and [...] füreinander undurchsichtig. Selbst
wenn sie strikt mechanisch operieren, müssen sie deshalb im Verhältnis zuei-
nander Indeterminiertheit und Determinierb arkeit unterstellen.“ (156) Dieses
Verhältnis erfordert und ermöglicht erst den Aufbau von sozialen Systemen,
von sich selbst tragendem Strukturaufb au auf der Ebene der Kommunika tion.
Kommunikation ist m öglich, so wurde oft form uliert (vgl. etwa Nassehi 2003),
nicht obwohl, sondern weil wir füreinande r intransparent sind, weil sowohl die
grundlegende Unbestimmbarheit des Verh altens Alters und die grundlegende
Unbestimmbarkeit des Verhaltens Egos im Verhältnis zueinander in der Situati-
on doppelter Kontingenz für Strukturaufbau genutzt werden muss.
Bis zu diesem Punkt wurde begriff lich recht ungenau gearbeitet, um die
Problemkonstellation für unseren Zusammenhang in hellerem Licht hervortreten
lassen zu können. Aber auch ohne hier auf Begriffsschärfe pochen zu wollen,
lohnt sich doch noch ein genauerer Blic k auf die Ausgangslage. Zunächst geht
es bei diesem Gedankenexperiment nä mlich nur um die Bearbeitung von Kon-
tingenz, die ganz klassisch als gleichzeitige A bwesenheit von N otwendigkeit
65
„Soziale Systeme entstehen jedoch dadurch (und nur dadurch), daß beide Partner doppelte
Kontingenz erfahren und daß die Unbestimmbarkeit einer solchen Situation für beide Partner
jeder Aktivität, die dann stattfindet, strukturbildende Bedeutung gibt. Das ist mit dem Grundbe-
griff der Handlung nicht zu fassen.“ (Luhmann 1984: 154) Man beachte auch hier schon, wie
die Unbestimmbarkeit der Situation auf dieser Ebene der Analyse nicht nur als Problem, so n-
dern als zu lösender Problembezug gerade zur Bedingung der Möglichkeit von Strukturaufbau
auf der Ebene der Kommunikation wird!
112 Herstellung von Unbestimmtheit

und Unmöglichkeit definiert ist (vgl. L uhmann 1984: 152). Unter diesem sehr
allgemeinen Gesichtspunkt kann dann das Abheben auf Unbestimmtheit schon
als eine erste Form der Einschränkung von Kontingenz begriffen werden. Aus
der Perspektive schon laufender Kommunikation kann damit das Bezugspro b-
lem gleichsam auf den Kopf gestellt werden:

Die Autokatalyse sozialer Systeme schafft sich ihren Katalysator, nämlich das Prob-
lem doppelter Kontingenz selbst. Das wird deutlich, wenn man genauer analysiert,
wie und weshalb es zu wechselseitigen Unbestimmbarkeiten im Ver halten kommt.
Verhalten ist nicht an sich unbestimmbar, nicht von „Natur“ aus „frei“ im Sinn von:
offen für willkürliche Bestimmungen. Unbestimmbar wird das Verhalten anderer erst
in der Situation doppelter Kontingenz und speziell für den, der es vorauszusagen ver-
sucht, um eigene Verhaltensbestimmungen anhängen zu können. In der Metaperspek-
tive der doppelten Kontingenz ergibt sich dann eine durch Voraussage erzeugte Un-
bestimmbarkeit. (171)

Hier wird deutlich, dass das Phänom en der Unbestimmtheit – hier aus der Per-
spektive eines Beobachters als Unbestimmbarkeit bezeichnet – schon eine be-
stimmte Art und W eise impliziert, die Ko mmunikationssituation eng zu führen.
Aufeinander bezogen werden hier näm lich nicht (nur) das Verhalten von Alter
und Ego, sondern vor allem auch Ve rhaltenserwartungen und Erwartungserwar-
tungen, die zwar enttäuscht werden können, aber als solche Orientierungspunkte
für den Strukturaufbau liefern können. Unbestim mtheit ist hier also Unb e-
stimmtheit für einen Beobachter (und das kann für Luhmann durchaus auch be-
deuten: für einen D ritten, für ein soziales System , usw .), der die Situation m it
ihm zur Verfügung stehenden Erwartungen, m it Sinnm ustern und -un-
terstellungen in einen Rahmen setzt, sie al so in Echtzeit mit einer – um die hilf-
reiche Vokabel Gotthard Günthers zu verwenden – Kontextur ausstattet.
Auch wenn die Situation der doppelten Kontingenz von Luhm ann so au s-
gemalt wird, dass sie „zwangsläufig zur Bildung von sozialen Systemen führt“
(177), verschließt sie sich damit noch la nge keiner historis chen Analyse, die
sich den möglichen Unterschieden in der expliziten Bearbeitung des Problems
der Unbestimmtheit, ja sogar seiner möglichen Thematisierung der Unbe-
stimmtheit etwa in der gepflegten Sem antik annimmt. Armin Nassehi zitiert ein
bekanntes M otiv der Theorien der M oderne, wenn er darauf hinweist, dass
„Modernisierung [...] also auf folgendes Problem [stößt]: Umgang mit Unbe-
stimmtheit“ (2006: 90). Er zielt dabei auf die typische Lösungsstrategie der
Subjektphilosophie ab, auf die empirisc h spürbar e äußere Unbestimmtheit des
Individuums (sic!) mit dem Konstrukt eine r inneren Bestimmtheit des Subjekts
zu reagieren. „Diese modernen Tröst ungen waren Tröstungen, die Eindeutigkeit
und Genauigkeit versprachen, geboren aus der modernen Angst vor Unbe-
stimmtheit, die im Sinne Zygmunt Baumans die entscheidende Antriebsfeder für
Herstellung von Unbestimmtheit 113

die modernen Einheitsstrategien war, die wir heute noch im trotzigen Festhalten
an der Einheit der V ernunft, an der Einheit der politischen Repräsentationsfä -
higkeit, an der E inheit der w issenschaftlichen Erkenntnis oder der Einheit des
Subjekts besichtigen dürfen – mehr museal freilich als praktisch.“ (2003: 64-65)
Praktisch mussten diese Unbestimmthe itsvernichtungsapparaturen aber immer
scheitern – das ist dann auch die berühm te These Bruno Latours, der die wich-
tigste Strategie moderner Unsicherheitsab sorption in dem Versuch einer rigiden
Grenzziehung zwischen Natur und Kultur, zwischen dem Menschlichen und den
Dingen sieht. Und genau in diesem Sinne eines notwendigen und tatsächliche n
Scheiterns dieser Grenzziehung sind wir dann auch nie modern gewesen (vgl.
2008).66
Unbestimmtheit taucht hier also nicht (nur) als ontologisch gegebenes
Problem, sondern als funktionale Strategie, als typischer Stil und sogar als The-
ma moderner und dann vor allem postmoderner Kommunikation auf. 67 Bei
Luhmann ist dies angelegt, wenn er sich für die Unterscheidung von Unb e-
stimmtheit und „hergestellter Unbestim mtheit“ (1984: 493), einem „Zustand
selbsterzeugter Unbestimmtheit“ (1996: 745) interessiert. „Autopoiesis ist also,
recht verstanden, zunächst Erzeugung einer systeminternen Unbestimmtheit, die
nur durch systeminterne Strukturbildunge n reduziert werden kann.“ (67) Hier
geht es immer auch um die operative Erzeugung von Unbestimmtheiten, die in
der Praxis der Kommunikation selbst anfallen und kommunikativ ausgeschlach-
tet werden können. Ganz plakativ is t diese Unbestimmtheit dann sicherlich
keine ontologische Q ualität der (U m)welt, sondern eine in der K ommunikation
hergestellte M öglichkeit – und m an kann dann natürlich fragen: w arum? V or
dem Hintergrund einer Kommunikationspraxis, die sich aus systemtheoretischer
Perspektive selbst tragen m uss, ihren St rukturaufbau nur noch in sich selbst
rückversichern kann, kann dann eben deshalb auch nach dem Funktionssinn von
hergestellten U nbestimmheiten gefragt w erden: „D iese E igendetermination
ermöglicht erst das Tolerieren, ja ab sichtliche Placieren von U nbestimmtheiten,
zum Beispiel von Fragen, von M ehrdeutigkeiten, von paradoxen M itteilungen,
von Ironie.“ (96) An dieser Stelle soll nur dieser Gedanke einer kommunikativ
erzeugten Unbestim mtheit vorgem erkt werden, um später für die em pirische
Interpretation der Interviews fruchtba r gemacht wer den zu können. W elche
konkreten Funktionen diese Herstellung von Unbestimmtheiten erfüllen mag,

66
Mit einem weiteren „nachmodernen“ Lösungsangebot für den Umgang mit Unbestimmtheiten
bei Richard Rorty beschäftigt sich auch das dritte Kapitel (vgl. III.1.2) dieser Arbeit: Kontin-
genzbewusstsein.
67
So bekanntermaßen Peter Fuchs (1992), der die ungenaue Unterscheidung moderner und nac h-
moderner Kommunikation interessanterweise in die ungenaue Unterscheidung von aufkläreri-
scher und romantischer Kommunikation übersetzt.
114 Herstellung von Unbestimmtheit

muss hier noch offen bleiben – denn in dieser allgemeinen Fassung könnte ihre
mögliche Funktion noch in vielen Richtungen vermutet werden: in Richtung auf
Freiheit der Handelnden68, in Richtung auf die Möglichkeit der Konstitution von
Handlung überhaupt 69, in Richtung einer Selbstbeschreibung und –kritik der
Moderne70 und in diesem Zusammenhang au ch: als Kommunikation unter
Kunstverdacht71.
Abschließend lohnt es sich für die Zwecke dieses Kapitels noch auf eine
Kritik des G edankenspiels der doppelten K ontingenz einzugehen, die jüngst
eloquent von Gesa Lindemann formuliert wu rde und die exakt an dieser Stelle
ansetzt (Lindemann in Kalthoff 2008: 107 ff.). Auch ihr geht es in mehrfachem
Sinne um Unbestimmtheit. Ihr Interesse gilt dem Zusammenhang von Theori e-
konstruktion und empirischer Forschung, de n sie auf drei unterschiedlichen,
heuristisch auseinander gehaltenen Eb enen, im Hinblick auf drei unter-
schiedlichen „Theoriekom ponenten“ problem atisieren will: im Bezug auf eine
Sozialtheorie, auf Theorien begrenzter Reichweite und schließlich auf Gesell-
schaftstheorien. Hier interessiert insbesondere der erste Theorietypus, unter dem
Lindemann „diejenigen An nahmen [versteh t], durch die festgelegt wird, was
überhaupt unter sozialen Phänomen verstanden werden soll und welche Ko n-
zepte zentral gestellt w erden“ (109). Exem plarisch spielt sie die sie drängende
Frage an der „systemtheoretisch konstruierten“ Konstellation der doppelten
Kontingenz durch: W ie lässt sich empirisch analysieren, „ob eine dyadische
Ego-Alter-Konstellation als soziale Gr undkonstellation analytisch ausreicht“
(122)? Wie also lässt sich eine sozi ologische Grundannahme empirisch „präz i-
sieren“ oder „irritieren“, die den em pirischen B lick überhaupt erst erm öglicht?
Wie – wenn überhaupt 72 – lässt sich also eine beobachtungsleitende Untersche i-

68
Unbestimmtheit wird „mit Freiheitskonzessionen aufgefangen, fast könnte man sagen ‚subl i-
miert‘“ (Luhmann 1984: 156).
69
„Als Handeln erscheint das, was Menschen tun, wenn dem Geschehenen ein gewisses Potential
an Unbestimmtheit anhängt – gehandelt hat nur der, der auch anders konnte.“ (Nassehi 2006:
90).
70
Etwa bei den Frühromantikern: „Self-generated indeterminacy does not by any means imply
that no meaningful operations, no determinations are possible; merely that determinations must
be recognizable as self-determinations and as such observable.“ (Luhmann 1996c: 11)
71
In dieser Arbeit wird dies vor allem in den Abschnitten zur W ende zur Ästhetik behandelt. Hier
sei nur auf die fast schon unvermeidbaren kunsttheoretischen Hinweise auf die notwendige O f-
fenheit, Unbestimmtheit und damit Ergänzungsbedürftigkeit von Kunstwerken hingewiesen
(vgl. nur Eco 2002).
72
Praktisch und ästhetisch ist für Lindemann zumindest diese Frage schon mit einem Ja beantwor-
tet, als sie sich von einer Brillenmetapher mitrei ßen lässt: „Theoretische Konzepte werden als
Sehinstrumente begriffen. Wer solche Sehins trumente verwendet, kann die Erfahrung machen,
daß sich die beobachtete Wirklichkeit nicht präzise erfassen läßt. Eine solche Erfahrung kann
man auch machen, ohne zu wissen, wie das beobachete Phänomen aussieht.“ (114) Man muss
also nur die Brille wechseln und sieht dann schon, ob man besser sieht.
Herstellung von Unbestimmtheit 115

dung oder eine basale soziologische Ka tegorie als „Sehinstrument“ so unb e-


stimmt halten, dass sie sich von dem gesehenen Gegenstand, den sie gleichzeitig
bestimmt und konstituiert, überhaupt noch empirisch verunsichern lassen kann?
Was dabei diagnostiziert wird, ist eine theoretische Blindheit des M odells der
doppelten Kontingenz, die die Grundkonste llation der sozialen W elt immer
schon als Dyade – nur wir zwei, nur ihr zwei – wahrnimmt und anscheinend den
empirischen Blick darauf versperrt, da ss diese Dyade notwendig trianguliert –
nie nur wir zwei, nie nur ihr zwei – werd en muss. Durchgespielt wird diese Idee
an einem Beispiel aus der empirischen Forschung, als dessen Ergebnis sich dann
die These der „Triangulation der Dyade“ (118) präsentiert. Für die „fundierende
Deutung“ des Dritten spricht dann etwa, dass in der neurologischen Frührehabi-
litation zunächst einm al unklar und unbesti mmt ist, ob etw a der „Patientenkör-
per als ein Symbole verwendender Körp er“ gedeutet werden kann oder nicht.
Kann der Patient zu „denjenigen Entitäten gezählt werden, die aktuell m iteinan-
der in ein V erhältnis w echselseitiger Erw artungserwartungen geraten können“
(121)? Diese Frage kann nur beantworte t werden, wenn dabei „die Erwartungen
eines Dritten antizipiert [werden], daß von dieser Entität Erw artungen zu erwar-
ten sind“ (121 f.). Das ist für dieses Beispiel – und wir werden noch ausführli-
cher darauf zu sprechen kom men: nich t nur für die ses B eispiel – unm ittelbar
plausibel und nachvollziehbar. M an könnte nun natürlich ein wenden, dass es
sich hier einfach um einen Lesefehl er Lindemanns handelt. Das Theorem der
doppelten Kontingenz ist nicht primär auf die Frage gemünzt, ob oder wie
Fremdbewusstsein m öglich und erkennbar ist. Ganz im Gegenteil soll es – in
der hier vertretenen L esart – eher dafür sensibilisieren, w ie diese Frage prak-
tisch gelöst wird, und das kann wiederum em pirisch einschließen: unter Bezug
auf ein Publikum, das selbst für die dyadische Kommunikati on eine fundierende
Funktion erfüllt. A uch könnte m an einw enden, dass m it dieser „notw endigen“
Triangulation der Gegenstandsbereich de r soziologischen For schung wohl eher
vorempirisch stärker zugeschnitten w ird, als dass er em piriefähiger ge macht
werden würde: Das Schöpfen aus der Quelle der Unbestim mtheit, welche Enti-
täten überhaupt praktisch als kommunika tionsfähig etabliert werden, mag mit
einem Versiegen der Quelle der Unbestimmtheit erkauft sein, ob und wie dabei
praktisch auf die Figur des D ritten – der jetzt für Lindem ann wohl konstitutives
Element einer „Sozialtheorie“ sein m uss – in Anspruch genommen wird. 73 Wie-
73
Dieses Kapitel wird argumentieren, dass die Idee der Triangulation eher weiterhelfen kann,
wenn es im Anschluss daran um d ie Frage nach dem Funktionssinn von Unbestimmheit geht.
Problematischer erscheint bei Lindemann jedoch die saubere Trennung von Sozialtheorie, Th e-
orien begrenzter Reichweite und Gesellschaftstheorie. Selbst wenn man diese Unterscheidung
akzeptieren möchte, drängt sich dann das Problem auf, dass die Frage des Verhältnisses von
Empirie zu den jeweiligen Theorieelem enten oder –typen zwar sauber gestellt werden kann,
aber das Verhältnis der jeweiligen Theorieelemente untereinander wiederum unproblematisch
116 Herstellung von Unbestimmtheit

der soll aber in jedem Fall diese erhe llende Argumentationsfigur im Hinterkopf
behalten werden, wenn wir uns empirisch auf die Präsentation von Paaren vor
einem Publikum einlassen.
Mit der M etapher der doppelten Kontingenz – auch noch in der problem a-
tisierten Variante Gesa Lindemanns – ist dabei zunächst das Bild einer Interak-
tionssituation evoziert (vgl. hierzu insbesonde re Kieserling 1999: 86 ff.). Für
die Theoriebildung Luhmanns ist dies ge wissermaßen nur das Sprungbrett, das
dann zu einem Entwurf einer Theorie de r M edien – Sprache, Verbreitungsme-
dien, symbolisch generalisierte Komm unikationsmedien – Anlass gibt. Die
Situation kompliziert sich allerdings auch schon, wenn man sie auf den für di e-
ses Kapitel entscheidenden Kontext einer Interviewsituation zurück bezieht.
Armin Nassehi und Irm hild Saake (2002a) haben in diesem Zusammenhang für
eine produktive K urzschließung von m ethodischen Überlegungen zur qualitati-
ven Sozialforschung – ihr paradigmatisches Beispiel hierfür ist das biographi-
sche Interview – m it einem gesellschaft stheoretisch inform ierten B lick gew or-
ben. Als Bezugsproblem wird also au ch für die Interview situation die E in-
schränkung – martialisch wird hier fo rmuliert: die Vernichtung – von Kontin-
genz gesetzt. „Im Hinblick auf biographische Kommunikation geht es folge-
richtig um die Beobachtung doppelter Kontingenzbewältigung: zum einen der
kontingenten Erzählbarkeit der erzählten Vergangenheit, zum anderen um die
Kontingenz der gegenwärtigen (Intervie w-)Kommunikation.“ (Nassehi 2002: 9)
Hier w iederholt sich gew issermaßen au f der operativen Ebene der qualitativen
Forschung die Grundeinsicht, die in de m kurzen Resümee der systemtheoreti-
schen Unbestim mtheitsforschung deutlich geworden sein sollte: „Soziale Or d-
nung und Strukturbildung ist also letztlich eine Funktion der Einschränkung von
Möglichkeiten, der Vernichtung von Kontingenz, der Negation von Un -
endlichkeit, der Etablierung von Unwahrscheinlichkeit.“ (Nassehi 2003: 61) Der
systemtheoretisch inform ierten Hermeneutik gelingt es hier einen relativ vo-
raussetzungsarmen theoretischen Gedanken auch für die empirische Forschung
unmittelbar nutzbar zu m achen. Interessanterweise geschieht das dadurch, dass
sie mit der Unterscheidung von be stimmter und unbestimmter Negation das
Bezugsproblem der in allem Sinngebrauch der Kom munikation m itgeführten
Verweisung auf Unbestimmtes wiederum bestimmbar macht.

Von unbestimmter Negation ist dort zu reden, wo die andere, die ausgeschlossene Sei-
te im Dunkeln bleibt, gar nicht im Horizo nt möglicher Anschlüsse auftaucht und die
Beobachtung eines Systems mit einem unbeobachtbaren Horizont ausstattet – der pa-

und einfach konzipiert wird. Schon die schlichte Trennung impliziert Aufgeräumtheit. Auch
hier ist vielleicht für etwas mehr Unbestimmt heit zu plädieren und etwa mit Armin Nassehi z u-
nächst „nur“ von einer „Verschlingung von Forschung und Gegenstand“ (Saake/Nassehi 2002a:
81; vgl. dazu ausführlicher Kapitel 4.) zu reden.
Herstellung von Unbestimmtheit 117

radoxerweise nur Horizont werden kann, wenn er nicht mehr unbeobachtet bleibt, und
den es ohne eine solche Beobachtung gar nicht „gibt“. (62)

Für Nassehi ist das ein Hinweis darauf, gerade empirische Forschung mit einem
Gespür dafür auszustatten, welche Kontexturen dabei in der Interview situation
aufgespannt w erden – als doppelte K ontingenzbewältigung einerseits der
Selbstdarstellungspraktiken der Informanten ebenso wie der „künstlich“ erzeug-
ten Beobachterposition des soziologische n Forschers und Schreibers andere r-
seits. Dass es dabei um Unsichtbares geht, das wiederum nur aus der Perspekti-
ve eines Beobachters als Form – und dam it, um in der hier verwendeten Termi-
nologie zu bleiben: als bestimmte Negation – sichtbar gemacht werden kann,
kann als G rundproblem von w issenschaftlichen Methoden gelesen werden (vgl.
dazu Nassehi 2002: 1). Dieser Forschung sstrategie soll in diesem Kapitel ge-
folgt werden. Überspitzt formuliert soll aber zur Analyse einer Vernichtung von
Unbestimmtheit im Folgenden insbesondere eine Analyse der Herstellung von
Unbestimmtheit treten. Schon dieser kurze Ab riss möglicher soziologischer
Perspektiven auf das Phänomen der Unbestimmtheit hat deutlich werden lassen,
dass sich einem Interesse für Unbestimmtheitsbewältigung ohne weiteres ein
Interesse für Unbestimmtheitserzeugung ge sellen kann. Dieses Phänomen war
es auch, an dem in den Interviews bei der Darstellung der Liebe nicht vorbeig e-
schaut werden konnte: Was, wenn beobachtet wird, dass sich die Kommunikati-
on dadurch bestimmt, dass sie nicht nur auf Unbestimmtes verweist, sond ern
Unbestimmtheit geradezu produktiv und perform ativ in Anspruch nim mt? Was,
wenn sich Bestim mtheit nicht im Unbestimmten, sondern durch die Produktion
von U nbestimmtheit einstellt? In diesem K apitel w ird nun die H erstellung von
Unbestimmtheit in den geführten Paarin terviews – ihre Strategie und M ethode,
ihr Stil und ihre Form , ihre Effekte und ihre Leistungen – im Hinblick auf die
Bearbeitung von drei Bezugsproblemen interpretiert: der Darstellung der Indiv i-
dualität der Beziehung (1.); der M öglichkeit der K ommunikation von G efühlen
(2.); und der Betonung von Interaktivität (3.).74

74
Der Aufbau dieses Kapitel beruht auf dem Seminar „Liebe. Zur Kommunikation von Inkom-
munikabilität“, das Irmhild Saake unter meiner Mithilfe im Wintersemester 2005/06 am Institut
für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München veranstaltet hat.
118 Herstellung von Unbestimmtheit

1. Bezugsproblem: Individualität und Einzigartigkeit

Individuum est ineffabile.

Hingegen dem Grade nach wird sie um so mächtiger seyn,


je individualisirter sie ist.
Arthur Schopenhauer

Dass es in Intimbeziehungen nicht nur um die Individualität der einzelnen Part-


ner gehen mag, sondern dass auch die Individualität der Beziehung selbst, die
Unvergleichlichkeit ihres Anfangs, ihrer Kommunikationsroutinen und ihrer
Präsentation ein Problem darstellt, das mit weit reichenden Konsequenzen der
Beziehung einen Rahmen vorzugeben vermag, hat schon Georg Simmel festge-
stellt. Gewiss wird Simmel am häufigsten für seine ambivalente Einschätzung
der Problematik einer gesteigerten Aufmerksamkeit für die Individualität des
Gegenübers in der Liebe herangezogen: „[D]ie Liebe [ist] die reinste Tragik: sie
entzündet sich nur an der Individualität und zerbricht an der Unüberwindlichkeit
der Individualität“ (Simmel 1985: 273). In diesem Punkt würde er aber den
schon im ersten Kapitel diskutierten, erst noch empirisch fruchtbar zu machen-
den soziologischen Einschätzungen – auch systemtheoretischer Provenienz –
nur mehr als eine weitere traditions- und autoritätsgesättigte Einschätzung zur
Seite stehen. Simmel lenkt aber – in einem kurzen zunächst eigenständig veröf-
fentlichten und dann in die „Soziologie“ eingefügten Aufsatz, der sich mit der
Eigendynamik der „Gesellschaft zu zweien“ (2008: 152-158) beschäftigt, also
zunächst die formale Besonderheit von zahlenmäßig beschränkten Interaktionen
herausstreichen will – das Augenmerk dezidiert auf einen etwas anders gelager-
ten Aspekt. Nicht nur die Individualität der in ihr involvierten Individuen, so die
hilfreiche Beobachtung Simmels, erweist sich als praktisch schwer zu umge-
hender Bezugspunkt für die Charakterisierung der Beziehung; es ist vielmehr
die Individualität der Beziehung selbst, die ins Zentrum der Aufmerksamkeit
gerät. Denn zufolge einer ähnlichen Logik, die die Zweiergruppen von der „In-
dividualität der einzelnen Glieder“ abhängen lässt, sind

eigentlich nur Verhältnisse zu zweien der eigentümlichen Färbung oder Entfärbung,


die wir als Trivialität bezeichnen, ausgesetzt. Denn nur, wo der Anspruch an eine In-
dividualität der Erscheinung oder Leistung vorliegt, erzeugt deren Ausbleiben das Ge-
fühl der Trivialität. Es ist noch kaum hinreichend beobachtet, wie Verhältnisse, bei
völlig ungeändertem Inhalt, durch die mitschwebende Vorstellung gefärbt werden,
wie häufig oder wie selten gleichgeartete sind. (2008a: 153)
Herstellung von Unbestimmtheit 119

Simmels paradigm atisches B eispiel – in dem „der T on der T rivialität oft zur
Verzweiflung und zum Verhängnis wird“ (154) – ist nicht ohne Grund die Li e-
besbeziehung. Simmel knüpft ebenso geschickt wie ironisch an seine in der
„Philosophie des Geldes“ (2008c) entwic kelte W erttheorie an und beobachtet,
wie gerade in der Zweierbeziehung der Wert der Beziehung von den Beteiligten
an der Häufigkeit ihres Auftretens geme ssen wird. Simmel geht in dieser Hin-
sicht so weit, daraus gar eine Bestimmung der Intimität – genauer: ihrer Form –
ableiten zu wollen: In intimen Vereinigungen wiederholt sich die von Simmel
sehr wohl kritisierte, jedoch treffsicher diagnostizierte Eigenart eines m odernen
Individuums, seine Individualität als „d asjenige, was ihn von anderen unte r-
scheidet, das qualitativ Individuelle“ (154) zu bestimmen. „Auch ihnen liegt es
nahe, das ganz Spezifische ihrer Inhalte , das ihre Teilnehm er nur m iteinander,
aber mit niemand außerhalb dieser Ge meinschaft teilen, zum Zentrum und zur
eigentlichen Erfüllung dieser G emeinschaft werden zu lassen. D as ist die Form
der Intimität.“ (155) Genau dies ist für Simmel ent scheidend. Das erstaunliche
Phänomen ist, dass es gar nicht der Inhalt, sondern die Form des intimen Ver-
hältnisses ist, auf dem seine D efinition zu beruhen scheint. Es bestimmt sich
lediglich aus einer erhöhten Aufmerksamkeit für seine Einzigartigkeit und dem-
gemäß einer erhöhten Alarmbereitschaft im Blick auf Trivialitäten. W ohlge-
merkt meint Simmel mit Trivialität keine etwa statistisch aufzurechnende relati-
ve H äufigkeit; dass es auch nicht um von einem neutralen soziologischen B e-
obachter herablassend als trivial gew ertete, nur verm eintliche relevan te Inhalte
gehen kann, wird zudem ausdrücklich be tont – Sim mel scheint hier zw ischen
Trivialität und „irrelevanter“ Banalität zu unterscheiden, w enn er vermerkt, dass
gerade „die gleichgültigen ‚Intimitäten‘ des Tages, die Liebenswürdigkeiten und
Unliebenswürdigkeiten der Stunde“ (155) intim e Verhältnisse prägen. Stattdes-
sen ist sich die Simmelsche Formanalyse sehr wohl bewusst, dass es sich bei der
Trivialität oder der N icht-Trivialität einer Intim beziehung um ein Produkt der
Selbstbeobachtung und –beschreibung durch der an ihr beteiligten Personen
handelt. Nur in diesem Sinne können gerade die irrelevantesten Banalitäten der
Beziehung die Bedeutung des Nicht-Trivia len erlangen; nur in diesem Sinne
können sie die W ertigkeit einer intimen Beziehung als das Individuellste und
Einzigartige geradezu bedingen.
Wenn in den nächsten A bschnitten dieses K apitels die Individualität der
Paarbeziehung und nicht die Individualität der Partner im V ordergrund stehen
wird, hat das aber schließlich auch eine n simplen empirischen Grund. In der Tat
war näm lich eines der auf den zweiten Blick auffälligsten Eigentüm lichkeiten
der hier untersuchten Paarinterviews au f den ersten Blick gar nicht so auge n-
scheinlich, da es sich dabei um eine A bwesenheit han delt: das fast gänzliche
Fehlen von expliziten Bezugnahm en auf die Individualität, die Ein zigartigkeit
120 Herstellung von Unbestimmtheit

oder die Besonderheiten des Partners. Es finden sich zwar Stellen, an denen die
Gewährspersonen über ihre eigenen Idio synkrasien berichten, etwa wenn sie
sich als besonders unromantisch („Ich bin wirklic h auch extrem unromantisch“
[P-N&O, 29:16]) oder als besonders romantisch („Gott, was bin ich romantisch“
[P-K&P2, 01:27]) bezeichnen. W as vor diesem Hintergrund umso mehr auffal-
len muss, ist, wie wenig in den Interv iews Chancen genutzt werden, die Beson-
derheiten des Gegenübers zu thematisieren. Konkret heißt das, dass weder au s-
führlich auf positive E igenschaften des Partners einge gangen w ird, noch seine
oder ihre Besonderheiten als Gründe entweder für den Beginn der Beziehung
oder gar ihr weiteres Funktionieren ange führt werden. In diesem und im näch s-
ten Kapitel werden zwar Stellen angeführt, in denen es in der Erzählung der Ge -
schichte dennoch gelingt, „Kompliment e“ an und über den Partner – mehr im-
plizit als explizit, immer performativ und nie konstativ – einzuflechten. Zentral
ist für die Interview texte aber in dieser H insicht in jedem Falle die interessante
Individualität nicht der Partner, sondern der Paarbeziehung selbst. Dieser A b-
schnitt wendet sich nun Techniken und Sti len zu, die die D arstellung genau
dieser Individualität vor dem H intergrund der im ersten K apitel diskutierten
Konsequenzen einer historisch etabli erten Sem antik der Liebe und den hier
angedeuteten Überlegungen Simmels ermöglichen und gelingen lassen.

1.1 Die Kopie der Kopie der Kopie ohne Original

Das Paar im nächsten Interviewausschnitt würde sich noch nicht allzu lange als
Paar bezeichnen. Ihre Beantwortung der Frage nach dem W ann, W o und W ie
des Kennenlernens gestaltete sich etwa s umständlicher als in anderen Inter-
views, da sich die Erzählung zu Beginn an einer Darstellung ihres gemeinsamen
Lebens im gleichen W ohnheim orientiert. Im Gegensatz zu anderen Kenne n-
lerngeschichten konnten sie das Kennenler nen nicht an einen bestimmten Ort,
eine bestimme Zeit knüpfen – in das, wa s sie zunächst als ihre „Af färe“ be-
zeichnen, sind sie, in ihren eigenen W orten, eigentlich „reingeschlittert“; fast
wären sie das auch in eine ernstere B eziehung. Aber: „A: Du hast ja dann eine
Entscheidung... irgendwann herbeigeführt. (lacht)“ (P-M &M1, 11:39) D er Zeit-
punkt, der Ort und die Um stände dieser „Entscheidung“ sind dann wiederum
klar und eindeutig; sie datiert sich auf ei n Ereignis, dass beide Erzähler „the
talk“ nennen:

B: Es war halt im Prinzip so, dass das schon so ein bisschen heimlich war, dass wir
da... A: Das Wohnheim. B: Im Wohnheim, es kriegt halt jeder immer alles mit, also...
I: Ok. Also es wurde nicht an die große Glocke... B: Nein, wir haben da niemandem
etwas gesagt, und noch dazu mit seiner Schwester, wo ich ja gut befreundet war, ich
Herstellung von Unbestimmtheit 121

hab der auch nichts gesagt, und es war für mich dann auch irgendwie total komisch,
oder... Dann in der Früh kommt dann mal jemand zu mir ins Zimmer und er ist da,
und, oder? Und... A: Ja, das Übernachten war ja nur versehentlich, dann, wenn man da
einschläft... B: Ja, ok aber... A: ...es war jeden falls... B: ...es war halt, ich hatte halt so
ein bisschen, für mich war das ein ungutes Gefühl, weil ich... Ja, also am Anfang war
dieses heimliche Getue vielleicht ganz reizvoll oder so... I: Ja. A: Ja. B: ...aber ich ha-
be halt gedacht, na ja, für mich... also... bedeutet das schon irgendwie mehr, oder ich
war mir zwar vielleicht ein bisschen unsich er, aber wollte einfach klare Verhältnisse,
weil ich auch nicht einschätzen konnte, wi e er das jetzt sieht... I: Mhm. B: ...also... A.
Ja. B: ...und dann... gab es the talk. (lacht) A: The talk. (lacht) (P-M&M2, 02:37)

„The talk“ erfüllt für diese Geschichte offenbar die Funktion, für Eindeutigkeit
und K larheit zu sorgen. Er erfüllt sie fü r das Verhältnis der beiden Erzähler
selbst – das erklärte Z iel sind „klare V erhältnisse“. E r erfüllt sie aber auch für
die Erzählung – mit „the talk“ ist gewi ssermaßen eine darstellungstechnische
Markierung gesetzt, auf die die offen, unein deutig und verwirrend erzählte Ge-
schichte auf einen klaren Punkt zuläuft, dem es gelingt, sie in ein Vorher und
ein Nachher zu gliedern und ihr zumindest in dieser Hinsicht deutliche Struk-
turvorgaben aufzuerlegen. In einer andere n Hinsicht aber, die in diesem Kapitel
in den M ittelpunkt gerückt w erden soll, schafft die Rede von „the talk“ jedoch
das exakte Gegenteil von Klarheit und Eindeutigkeit. Es handelt sich dabei um
das Verhältnis von Original und Kopie, das in diesem Interview ausschnitt und
den ihm folgenden Ausführungen problematisiert wird. Und da es sich dabei um
ein zentrales M otiv in mehreren der geführten Interviews handelt, muss zu-
nächst theoretisch etwas ausgeholt werden, um der Komplexität dieses Problems
gerecht zu werden.
Man hat sich, wie das erste Kapitel sc hon gezeigt hat, erst mit dem Gedan-
ken abfinden müssen, dass es gerade W iederholungen sind, aus denen Neues
hervorgehen kann. Angesichts des W issensvorrat in den soziologischen Facha r-
chiven dürfte dieser U mstand eigentlich nicht als Ü berraschung gelten (vgl. nur
Tarde 2003; 2009; Simmel 2008a); angesichts einer handlungstheoretischen und
akteurszentrierten Vergessensleistung dies bezüglich, die die Potentiale für Ori-
ginalität und Kreativität ausschließlich in den Individuen suchen möchte, jedoch
sehr wohl. Es mag deshalb durchaus hilf reich sein, sich noch einmal theoret i-
schen Rat bei zeitgenössischen Disku ssionen zu diesem Themenkomplex zu
holen, die in den G ender Studies m aßgeblich von Judith Butler initiiert und
geprägt worden sind. Dieser Rekurs au f Butler mag dabei selbst wiederum als
unoriginelle W iederholung erscheinen, de nn es liegt derzeit geradezu auf der
Hand, ja erscheint schon fast als akadem ische Norm , bei Problem en der W ie-
derholungs- und Zitierpraktiken auf Butler als locus classicus zu verweisen;
gleichzeitig mag es aber doch überraschende resignifizie rende Effekte zeitigen,
wenn die theoretischen Argum ente Butlers in einen soziologischem Kontext
122 Herstellung von Unbestimmtheit

fruchtbar gem acht werden. Es versteht sich, dass dam it gerade nicht gem eint
sein soll, auf die „gesellschaftlichen“ Bedingungen perform ativer Praktiken
hinzuweisen oder die butlersche Analyse „sprachimmanenter M acht“ mit einer
soziologischen Analyse „so zialer Macht“ zu supplementieren – denn das hieße
gewissermaßen, hinter die entscheidende n E insichten B utlers zurückzufallen
(vgl. dazu detailliert Villa 2006: 200f.). Dass dam it sicherlich aber auch ein
entscheidender Reiz des butlerschen Angebots, der auch wissenschaftlich si-
cherlich in der Politisierbarkeit des Argumentationszusammenhangs liegt (vgl.
dazu Kapitel II.3.2), darf vielleicht beda uert werden. Hier soll aber die Stärke
der butlerschen T heorie der Perform ativität jenseits ihrer Politisierbarkeit als
Werkzeug genutzt werden; denn genau dort liegt ihre eigentliche Stärke für eine
Soziologie der Intim ität, deren spezifisc h soziologische Stärke wiederum auf
dem theoretisch in formierten B lick au f Kontexten liegen soll – genauer: auf
Kontexturen, wenn man damit „diejenigen W irklichkeiten“ meint, „in deren
Perspektive Verweisungen auf die W elt als Kontexte erscheinen, deren kontex-
tuereller Erzeuger der Beobachter selbst ist“ (Saake/Nassehi 2002: 81).75
Mit Butler lässt sich der eigentüm liche Um stand besser fassen, dass die
Paarinterviews nicht als eine Erzählung erscheinen, die lediglich auf eine Be-
ziehungsgeschichte referiert, deren vorgängig existierende Eigentümlichkeiten
oder Trivialitäten lediglich benannt oder verfehlt w erden können, sondern als
eine performative Praxis der Hervor bringung dieser Beziehung selbst. Butler
hebt zunächst den perform ativen C harakter jeglicher Sprech akte hervor: „Eine
performative Handlung ist eine solche, die das, was sie benennt, hervorruft oder
in Szene setzt und so die konstitutive und produktive M acht der Rede unte r-
streicht.“ (Butler 1993b: 123 f.) Damit sc hließt sie natürlich explizit an die
Sprechakttheorie von John Austin an; noch wi chtiger ist, dass sie sich Austins
Modell performativer Macht durch die Brille von Jacques D errida aneignet, der
bekanntlich für das (N icht-)Funktionieren von Sprechakten eine A nalyse der
Logik der Iterabilität fordert:

Performativität wird nicht als der Akt verstanden, durch den ein Subjekt dem Existenz
verschafft, was sie/er benennt, sondern vi elmehr als jene ständig wie derholende
Macht des Diskurses, diejenigen Phän omene hervorzubringen, welche sie reguliert
und restringiert. (Butler 1997: 22)

75
Man könnte mit theorievergleichendem Interesse argumentieren, dass sich die Butlerschen
Vorschläge einer Neufassung des Begriffs der „Performativität“ erstaunlicher nahe an den For-
mulierungen der neueren Systemtheorie zum Kon zept der „Kontextur“ wiederfinden. Im Fol-
genden soll aber Butler vor allem als ausgearbeitetstes Theorieangebot in Anspruch genommen
werden, das das in den Interview auftauchende problematische Verhältnis von Original und Ko-
pie adressiert.
Herstellung von Unbestimmtheit 123

Diese W endung ist entscheidend. Sie im pliziert einige bedeutende Aspektver-


schiebungen: Erstens wird das „Subjekt“ als Ursprung der perform ativen Kraft
gewissermaßen entthront. Es ist nicht m ehr die Potenz seines W illens, seiner
Intentionen oder seiner bewussten, geplanten Akte, die die Bedeutungen und die
Bedeutsamkeit der W elt – und damit die W elt selbst – in einer signifizierenden
Praxis hervorbringt (vgl. Butler 1993b: 124) . Es ist die in Diskurse verwobene
Praxis selbst, der die performative M acht zugeschrieben wird, einer Praxis, die
auch noch die „Subjekte“ selbst und das, was in der Debatte als deren agency,
also ihrer H andlungsfähigkeit them atisiert w ird, installiert. Zweitens offenbart
sich die Performativität in dieser Fassung in ihrer vollen Zeitbedingtheit. Das ist
ein nur scheinbar simpler Hinweis, der jedoch die ganze Logik der butlerschen
Performativitätstheorie prägt. D ie Pointe dieser T heorie setzt auf Wiederholun-
gen in der Zeit. Man kann sich die Relevanz dieser Einsicht verdeutlichen, wenn
man sie etwa mit dem M odell der Anruf ung in der Fassung, wie sie Louis Al t-
husser (vgl. 1977) präsentiert, kontrastiert . Hier wird das Subjekt – paradigm a-
tisch ist das Beispiel des Polizisten, der einen auf der Straße adressiert – einma-
lig angerufen und dadurch gewissermaßen als ganzes, vollständig ausgeformtes
Subjekt in das Netzwerk der Ideologie verstrickt, integriert und unterworfen.
Aber was, so Butler, wenn selbst die diskursive Polizei mehrmals klingelt?
„[D]ie Wiederholung und die unterlassene Wiederholung produzieren eine Kette
von Perform anzen, die die K öhärenz des ‚Ich‘ zugleich konstituieren und in
Frage stellen.“ (Butler in Kraß 2003: 152) Damit ist drittens auch die eigentüm-
liche Vermischung, die Gleichzeitigkeit von Identität und D ifferenz, von Identi-
fikation und Disidentifikation, von Im itation und Abweichung begrifflich in ein
und derselben (sic!) operativen Praxis verlagert. „Paradoxerweise wird gerade
durch die Wiederholung dieses Spiels auch die Instabilität derselben Kategorie,
die durch die W iederholung konstituiert wird, erst hergestellt.“ (151) M an kann
die Wichtigkeit dieser Argumentation nich t genug betonen. Butler setzt hier auf
das plausible Motiv der differentiellen Wiederholung, das sich nicht nur in Der-
ridas Modell der Iterabilität, sondern au ch in Deleuzes Konzeption von „Diff e-
renz und W iederholung“ (1992) an exponier ter Stelle wieder finden lässt und
neuerdings sogar wieder bis zur hybriden Sozialtheorie Tardes zurückverfolgt
wird (vgl. nur Latour 2007; M oebius in Borch/Stäheli 2009; vgl. auch den Ex-
kurs in Kapitel I.5.2). In diesem Zusamme nhang ist es wichtig, auf die sich hier
offenbarende Gleichzeitigkeit von Stabilisierung und Destabilisierung so deut-
lich hinzuweisen, weil sich an dieser St elle die M öglichkeit bietet, soziologisch
gewinnbringend an die butlersche Konzepti on anzudocken, ohne sich sofort in
eine D ebatte um die politischen E rträge dieser K onzeption zu verstricken, die
auf der Suche nach politisierbaren M öglichkeiten der Veränderung vorschnell
wieder auf die involvierten Akteure als Quelle von Kreativität pocht oder gar die
124 Herstellung von Unbestimmtheit

„Praxis“ gegen die in Diskursen vera nkerten „Normen“ ausspielt und erstere
geradezu ontologisch dadurch auszeichnen, dass sie immer schon ihre volle
subversive Kraft entfaltet hat. 76 Butlers Argum ent ist dem gegenüber zunächst
viel subtiler und voraussetzungsärm er, verw eist es doch nur auf eine operative
Praxis des Z itierens, die zu einem bestim mten M oment die K raft des Z itierten
auch noch dann bestätigt, wenn sie sie gegen es richtet – und auch die entge-
gengesetzte Akzentsetzung bleibt releva nt: die zu einem bestimmten M oment
die Kraft des Z itierten auch noch dann in Frage stellt, w enn sie sie zustim mend
imitiert.
Hier befindet m an sich nun inm itten eines theoretischen Feldes, das das
Verhältnis von Original und Kopie erneut zur Diskussion stellt. Zunächst ist
dabei anzumerken, dass es der Vorteil der Vorschläge B utlers ist, nicht in der
Manier Derridas bei einem (dekonstruktiv istisch spielerischen) Nachweis des
Spiels der Bedeutungen stehen zu bleiben. Derrida hatte aus der Zitathaftigkeit
jeglicher Generation von Bedeutung – Spr echakte ereignen sich nur dann, wenn
sie „einem iterierbaren M uster konform“ sind, wenn sie „in gewisser W eise als
‚Zitat‘ identifizierbar“ sind (1976: 150) – ja gerade geschlossen, dass damit die
Bedeutung eines Zeichens nicht nur nich t stabil und vom jeweiligen Kontext
abhängig ist, sondern dass gerade in der umgekehrten Richtung die Z itathaf-
tigkeit der Zei chen auch noch die Trost spendende Idee eines definierbaren,
stabilen, geschlossenen Kontextes, de r wiederum die Bedeutung des Zeichens
fixieren könnte, radikal in Frage stellt. Das ist soziologisch – und insbesondere
auch: systemtheoretisch – unmittelbar einleuchtend; anschließen daran lässt sich

76
Vgl. dazu auch Stempfhuber (2012). Eine hervorragende Diskussion dieser Tendenzen am
Beispiel der Diskussion zwischen Seyla Benha bib und Butler findet sich bei Villa (2006: 155
ff.). Hier antwortet Butler dann auch der polem ischen Frage Benhabibs „W as befähigt das
Selbst, die [Codes] zu ‚variieren‘, hegemonisc hen Diskursen zu widerstehen?“ mit einem Hin-
weis auf die „ambivalente Konstitution von Subjektivi tät: Menschen (als Subjekte) sind durch
Diskurse weder deterministisch fi xiert, noch sind sie voluntaristisch autonom: ‚das >Ich< und
das >Wir< (sind) weder völlig von Sprache bestimmt, noch (sind) sie völlig frei, Sprache als
äußeres Medium zu instrumentalisieren.‘“ (Villa 2006: 155) In dieser Arbeit soll die Einschät-
zung Villas, dass der Nachweis der „Ambivalenz“ weder eine Verlegenheitsformel noch gar ein
Schwäche, sondern vielmehr die Stärke der Butlerschen Argumentation ausmacht. Der soziolo-
gische Hinweis von Villa auf Butlers fehlende Berücksichtigung der „‚ sozialen Macht der Spra-
che‘ oder [der] Sprache als Medium und Ausdruck sozialer Ungleichheit“ (157) sollte wohl ide-
alerweise als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass die Frage nach den Erfolgsbedingungen
von wiederholenden Praktiken als subversive Praktiken soziologisch als ein empirische Frage
verstanden werden muss, die in einem Blick au f konkrete Kontexte entschlüsseln muss, wie an
Zitierpraktiken angeschlossen wird, die als Zitierpraktiken eben auch auf mehr als den konkret
vorliegenden Kontext verweisen. Zu ein er Kritik der Grenzen von Butlers Theorie der Perfor-
mativität als theoretisches Unterfangen aus neopragmatistischer Perspektive, die – freilich mit
einer etwas anders gearteten Unterscheidung von Theorie und Praxis – ein durchaus ähnliches
Argument vertritt, vgl. insbesondere Walter Benn Michaels (2004).
Herstellung von Unbestimmtheit 125

aber weniger mit einer theoretischen Einsicht in die Dekonstruierbarkeit von


stabilen Bedeutungen und die Unabschließbarkeit jeglicher Kontexte von Be-
deutungsgenerierung, als mit einem em pirischen Interesse für die konkreten
Praktiken, die zumindest auf Zeit fragile Bedeutungssicherheiten dadurch stabi-
lisieren, dass sie sie in den Rahmen von Kontexturen setzen, die ebenso fragil
wie zwingend sind – gerade weil sie so zusagen auf Zeit spielen. Und hier
scheint m ir eine an B utler geschulte Pers pektive erhebliche Vorteile zu bieten.
Sieht man nämlich genauer hin, gerät in Butlers Aneignung des Gedankens der
differentiellen Wiederholung weniger die Bedeutung eines bestimmten Zeichens
in den M ittelpunkt der analytischen Bemühungen, sondern seine performative
Macht, also seine strukturdeterminierende Möglichkeit, bestimmte Kontextu ren
zu schaffen, bestimmte Anschlüsse und Interpretationen wahrscheinlicher wer-
den zu lassen, bestimmte Ausschließungen und Negationen nahezulegen. Sys-
temtheoretisch würde man hier etwa nüchterner von einem Problem der Selekti-
on und Motivation zur Annahme oder Ablehnung von Kommunikationsofferten
sprechen und sich den diesbe züglichen Leistungen von symbolisch generalisier-
ten Kommunikationsmedien zuwenden – und hätte dam it den eigentlichen Clou
der butlerschen Perspektive freilich verfehlt. Denn Butler geht es demgegenüber
gerade um die materiale Wirksamkeit der Signifikationspraxis in zweierlei Hin-
sicht: In performativen Akten geht es nicht lediglich um die Schaffung von
Bedeutungen, sondern dam it gleichzeitig einhergehend um die Herstellung und
Konstruktion derjenigen Bedingungen, di e sowohl den „Bereich kultureller
Intelligibilität qualifizier[en]“, als auch „die M aterialisierung von Körpern re-
gier[en]“ (Butler 1995: 22-23). Ansons ten würde ihre durchaus komplexe und
nuancierte Diskussion des Zusammenha ngs von Resignifizierungspraktiken und
deren politischer Relevanz m erkwürdig unüberzeu gend bleiben. 77 Und schließ-
lich geht es in performativen Akten nie nur um diese Akte selbst als Singularitä-
ten. Das Kopieren eines „Originals“ lä sst in der butlerschen Fassung der Per-
formativität dieses „Original“ nie unberührt 78: „Die Kraft oder Effektivität eines

77
Vgl. dazu Butlers Auslassungen zum Zusammenhang von Parodie und Politik am Beispiel von
Drag (1990: 206 ff.; 1995: 173 ff.) und am Beispiel von queer (1995: 305 ff.). Würde es ledi-
glich um Bedeutungsfragen gehen, wäre es schwer, auf mögliches Achselzucken zu reagieren,
wie es etwa Walter Benn Michaels imaginiert: „[F]rom one standpoint (the standpoint of people
whose commitment, say, to equal rights for gay people is not defined by their commitment to
changing the meaning of the word ‚queer‘), the ‚ political promise‘ of Butler’s project of ‚resig-
nification‘ may look a little inadequate (even if we use ‚queer‘ insultingly, the people we call
queer may flourish; even if we use it with pride, those of us who so use it may be discriminated
against).“ (2001: 63)
78
Die Anführungszeichen in genau diesem Zusammenhang sind kein Zufall; vgl. zu einer span-
nenden Diskussion von „Anführungszeichen, die sich gerade in wissenschaftlichen Publikati o-
nen geradezu epidem isch ausbreiten“ m it dem hier verhandelten Konzept der Zitierpraxis Villa
(2006: 150 f.).
126 Herstellung von Unbestimmtheit

Performativs hängt von der Möglichkeit ab, sich auf die Geschichtlichkeit dieser
Konventionen in gegenwärtigen Handlungen zu beziehen und sie neu zu kodi e-
ren.“ (Butler 1993b: 124) W ieder darf man hier nicht übersehen, dass es Butler
nicht lediglich auf die Bedeutung, sondern immer auch auf die W irksamkeit des
„Originals“ und seiner „Kopie“ ankom mt. Erst das lässt eine Politik, die auf
Resignifizieren und Zitierpraktiken setzt, überhaupt erst möglich erscheinen;
erst dies lässt sie überhaupt als politische Praxis plausibel werden.79
Butlers paradigm atische Beispiele, di e diese Logik vorzuführen im stande
sind, sind bekanntlich D rag und Queerness. In beiden Fällen ist die Pointe, dass
eine (parodistische?) Inszenierung von Ge schlecht oder Geschlechterverhältnis-
sen ihre Form vorlagen nicht unberührt la ssen. So w ie Drag als Zitier- und K o-
pierpraxis die Natürlichkeit von „normale n“, „gelungenen“ Geschlechtsidentitä-
ten wiederum als Zitier- und K opierpraxis entlarvt, stellen queere U mdeutungs-
praktiken den Status der H eterosexualität als „Original“ in Frage: „D ie parodis-
tischen Wiederholung und Neubezeichnung heterosexueller Konstrukte in nicht-
heterosexuellen Mustern machen den äußerst konstruierten Status des sogenann-
ten O riginals überdeutlich, aber sie zeigen auch, daß sich H eterosexualität nur
durch einen überzeugenden Wiederholungsakt als Original konstitutiert. Je mehr
dieser ‚Akt‘ enteignet w ird, um so deu tlicher wird der heterosexuelle O riginali-
tätsanspruch als Illusion bloßgestellt.“ (Butler in Kraß 2003: 159) Es ist dies ein
Argument, das erstaunlich oft übersehen wird. Nicht nur um den Umstand, dass
ein Zitat oder eine Imitation niemals ein Original originalgetreu reproduzieren
kann, geht es B utler; nicht nur der H inweis darauf, dass eine Z itier- oder Im ita-
tionspraxis aufgrund ihrer Zeitbedingtheit und Prozesshaftigkeit die Vor lage

79
Man kann den Umstand nicht genug betonen, dass Butler den Unterschied von Bedeutung und
ihren Wirkungen einerseits einzieht und implodieren lä sst, sich dieser Unterscheidung aber wei-
terhin bedient (so betont zumindest mit einer ähnlichen Stoßrichtung Villa: „Gleichwohl kann
zwischen Diskurs und seinen Effekten bzw. Bedingungen unterschieden werden.“ [2006: 157]).
Für eine Bedeutungstheorie müssen nämlich die Effekte etwa einer Äußerung überhaupt nichts
mit dem Status von Bedeutungen zu tun haben. Es ist aus dieser Perspektive etwa sehr wohl
möglich, und schon gar nicht „sinnlos“, plötzlich „die Erotika“ oder „trobilfox“ auszurufen oder
zu schreiben, und damit etwas zu meinen und Bedeutung in die Welt gesetzt zu haben – im ers-
ten Fall etwa „Beethovens dritte Sinfonie“, im zweitem „ein W ort, das nichts bedeutet“. Es ist
nicht nur möglich: Frau Stöhr, Paula-Irene Villa und ich haben es etwa getan; es ist in den meis-
ten Fällen sogar vollkommen unproblematisch, derartige Äußerungen zu interpretieren, woraus
man folgern kann, dass damit weder eine Humpty-Dumpty-Theorie der Bedeutung noch ein Re-
kurs auf Privatsprachen impliziert ist (vgl. d azu klassisch Davidson in LePore 1986: 433-446).
Mit Blick auf die Perform ativität einer jeglichen Aussage verwischt sich freilich die Unte r-
scheidung von Bedeutung und Wirksamkeit, von „what words mean“ und „what words do“
(vgl. Davidson 1978) – das ist der Clou der Rede von der Performativität von Aussagen. Von
Bedeutung (sic!) muss diese Unterscheidung aber gerade dann werden, wenn man sich den
Leistungen von Parodie, Resignifikation und Ironie zuwendet (vgl. Kapitel III.).
Herstellung von Unbestimmtheit 127

notwendig verfehlt, ist ihr Argument.80 Auf dem Spiel steht vielmehr die gesam-
te Logik des fragilen Zusammenspiels von Original und Kopie. Es ist nun exakt
diese Logik, die im W eiteren im Hinblick auf die Darstellungspraxis der Intimi-
tät interessieren wird.
Im oben angeführten Beispiel erweist sich etwa die Bezeichnung „the talk“
als ein Fall einer für die Paarinterview s typischen Zitier - und K opierpraxis. Es
geht zunächst schlicht um die Benennbarkeit des M omentes der Entscheidung
für die Definition der Beziehung als „Beziehung“:

A: Ich hätte es halt einfach... Ich hätte es halt noch ein bisschen weiter laufen las sen
und so, quasi... Ich weiß nicht so, ich wäre halt dann wahrscheinlich in die Beziehung
irgendwann rein geschlittert, sag ich jetzt mal ... I: Ok. Aber das ist das ist... A: Sie
wollte es halt einfach wissen . I: ...vorverlagert worden... A: Genau. I: ...durch einen
talk? A: (lacht) B: (lacht) Ja. Ja doch. A: Man müsste, den Artikel musst du dir eigent-
lich noch durchlesen, warum wir „the talk“ sagen, den musst du ... I: Ach so... B: Ja,
so... I: ...das ist ein Anspielung auf? B: Ja ja. A: Es gibt so einen Artikel zu amerikani-
schen Beziehungen... I: Ach so. A: ...quasi dass die so nebeneinander her, und Sex ha-
ben, und irgendwann kommt es zu „the talk“ dann ... I: Ah, ok. A: Den müsste ich dir
geben, den habe ich dir m it runter gegeben, den... (lacht) B: Ja. Ja. I: Und den kann-
test, den Artikel kanntest du davor und hast den... B: Nee. I: ...durchgespielt? B: Nee,
gar nicht! I: Oder ihr habt euch in dem Artikel wiedererkannt? B: Nein, nein. A: Ich
habe den Artikel auch nicht gekannt, also, und das... der Artikel, der passt... B: Nein.
A: ...auch gar nicht... B: Das passt auch gar nicht. A: ...zu der, zu der Bezieh... B: Das
war halt... B: ...zu der... zu uns... Aber halt dass wir jetzt darüber geredet haben, ob
das jetzt eine Beziehung ist oder nicht, das heißt halt in dem Artikel „the talk“. (P -
M&M2, 09:16)

Wird man nun der Komplexität dieser Situation gerecht, wenn man die B e-
zeichnung „the talk“ lediglich als eine Lösung des Problems der erleichterten
Benennbarkeit der erzählten Situation beschreibt? Drei M erkmale der Darste l-
lung fallen dabei zunächst unm ittelbar auf. Erstens wird hier explizit auf einen
reflektierten Umgang mit möglichen Fo rmvorlagen hingewiesen. Der erwähnte
Artikel them atisiert offensichtlich die „am erikanischen Regeln der Partner-
wahl“, also ungeschriebene – und dann in dem Artikel natürlich: niederge-
schriebene – Normen und Regeln, die wied erum in einer reflektierten, ausbuc h-
stabierten Form m assenmedial zugänglic h gemacht worden sind. W orauf die
Interviewpartner mit dem Artikel verweisen, sind also nicht nur Formvorlagen,
sondern auch schon eine Beobachtung und Beschreibung dieser Formvorlagen.

80
Die konstatierte Notwendigkeit des Verfehlens, das die Offenheit von Resignifikationsprozessen
gleichzeitig bedingt und ermöglicht, wird freilich von Butler selbst wiederum merkwürdig u n-
entschlossen offen gehalten: „[V]ielleicht ist das eine Offenheit, die – so riskant sie auch ist –
aus politischen Gründen geschützt werden sollte.“ (Butler in Kraß 2003: 153) Eben dies scheint
mir auch das politische Argument von „Excitable Speech“ (1997) zu sein. Aber warum sollte
man etwas schützen wollen, das notwendig eintritt? (vgl. dazu Warner 1999: 142 f.)
128 Herstellung von Unbestimmtheit

Deren materiale Form ist der „Artikel“, der nicht nur in der Erzählung als The-
ma auftaucht, sondern auch als Thema und M otivator von Selbstverständ i-
gungsprozessen eine Rolle spielt, die in dieser Erzählung selb st wiederum als
Thema auftauchen – und schließlich wird der Artikel dem soziologischen Inter -
viewpartner nach dem Interview gar in ausgedruckter Form überreicht. 81 Zwei-
tens ist dann aber das Verhältnis von Formvorlage und der erzählten eigenen
Geschichte durch eine eigentü mliche konstitutive Nachträglichkeit82 charakteri-
siert. Das M odell, das nun zur Bezeichnung einer Episode der eigenen G e-
schichte dient, wurde erst post eventum entdeckt; die Vorstellung, dass das M o-
dell zuvor bekannt war oder gar als (bewu sste) Vorlage für die Episode gedient
hat, wird gänzlich – und emphatisch – abge lehnt. „The talk“ wird dabei als eine
Katachrese angeboten, die nachträglich ein Ereignis zu bezeichnen vermag,
dem davor schlicht und einfach der Namen abgegangen ist. Aber nicht alleine
die Namensgebung scheint hier wichtig zu sein: Durch einen performativen Akt
der Benennung, um noch einm al Butler zu zitieren, wird das benannte Ereignis
„in Szene [ge]setzt“. Diese nachträgliche Inszenierung konstituiert das benannte
Ereignis insofern, als sie es in einen Ra hmen bettet, der sie sowohl in einen
sinnhaften Verweisungszusammenhang setz t, der ihm zuvor abgegangen war,
als sie es auch mit Bedeutungen aufläd t, die die weiteren Diskussionen zum
Beziehungsbeginn prägen – bis hin zu seiner Darstellung in der Interview-
situation. Darüber hinaus funktionier t dieser performative Benennungsakt noch
in einem weiteren Sinne katachrestisch. Denn drittens wird auch noch proble-
matisiert, ob die Bezeichnung „the talk“ überhaupt auf die bezeichnete Situation
„passt“. Die Bezeichnung passt insofern au f die Situation, als sich bestimmte
Elemente der bezeichneten Situation über bestimmte Elemente des Modells „the
talk“ artikulieren lassen – „ dass wir jetzt darüber geredet haben, ob das jetzt
81
Die Komplexität der Zitationskette wird vielleicht auch noch an dem Umstand deutlich, dass
der ausgedruckte Artikel nicht, wie im In terview zunächst vermutet wurde, aus der Cosmopoli-
tan stammte („B: Cosmopolitan oder so ein Schma rren. A: Ja...“ [P-M &M2, 10:23]), sondern
eine Kolumne von Harald Martenstein aus dem Magazin der Zeit (http://www.zeit.de/2009/
28/Martenstein-28). Schon hier ist die Zitierpraxi s ironisch gebrochen, da M artenstein hier die
„Regeln“ explizit als eine verblüffte Beobach tung einer massenmedialen Beobachtung einer
Beobachtung in einem populären Ratgeber ausweist: „Dies sind die amerikanischen Regeln der
Partnerwahl, beschrieben in dem Standardwerk ‚The Rules‘ von Ellen Fein und Sherrie Schnei-
der, auf welches m ich die Zeitschrift ‚Cosm opolitan‘ aufmerksam gemacht hat.“ Die Stelle, die
sich mit „the talk“ beschäftigt, lautet hier wie folgt: „Aus einem Datingverhältnis nach am eri-
kanischen Regeln wird eine sogenannte Beziehung durch the talk. In the talk erklären beide Sei-
ten ausdrücklich und verbindlich, dass sie ein exklusives sexuelles Verhältnis wünschen, und
von nun an Treue erwarten, umgekehrt aber auch Treue zu liefern bereit sind. Grundregel: No
talk, no deal.“
82
Auf die konstitutiven Rolle, die Semantiken nachträglich spielen, hat insbesondere Urs Stäheli
am Beispiel der Ökonomie hingewiesen: „Selbstbeschreibungen stellen nachträglich her, was
sie beobachtet haben.“ (2007: 364) Vgl. auch allgemein dazu Stäheli (2000: 184 ff.).
Herstellung von Unbestimmtheit 129

eine Beziehung ist oder nicht, das heißt halt in dem Artikel ‚the talk‘.“ Diese
Artikulation wird als Überraschung präs entiert. Die Bezeichnung passt aber
insofern gerade nicht auf die Situation, al s sie eben nicht das zu fassen mag, um
was es dann im Kontrast zu den zitierten „Regeln der Partnerwahl“ gehen wird:
die Individualität der eigenen „Beziehung“ – er passt nicht „zu uns“.
Damit ist nun das Verhältnis von Original und Kopie, das in dieser Erzäh-
lung interessiert, vollends problematisch geworden; will man sich, so wie es die
Gewährspersonen selbst nahelegen, in diesem Zusammenhang auf eine Diskus-
sion dieses Verhältnisses einlassen, ist man mit diversen Unbestimmtheiten
konfrontiert. D enn w enn m an dem zitierten A rtikel glaubt, gehört „the talk“,
zumindest im amerikanisch en Kontext, zu den „Reg eln der Partnerwahl“. Die
inszenierte Überraschung, mit der die En tdeckung des Artikels präsentiert wird,
bezieht sich auf den Umstand, dass das ei gene Verhalten als Kopierpraxis eines
Musters bezeichnet, beschrieben und gede utet werden könnte, dessen man sich
nicht bewusst war. Noch dazu nimmt diese Praxis in der Darstellung auch schon
parodistische Züge an, indem sie erstens mit dem Artikel schon auf eine Be-
obachtung dieses M usters referiert, das sich selbst schon als der Textsorte der
Parodie zugehörig entpuppt; indem sie zweitens das eigene Kopieren eines Mus-
ters einer ironischen Reflexion zugänglich macht; und indem es drittens dazu
bei gleichzeitiger V erwendung des M usters D istanzierungsmarkierungen deut-
lich in den Vordergrund rückt – in ihm geht es um „amerikanische Be-
ziehungen“, es passt nicht „zu uns“, es ist „so ein Schmarren“. Aber durch die
darstellungstechnische Betonung der Nachträglichkeit der Bezeichnung wird
der Status des zitierten M usters als O riginal noch viel sim pler in Frage gestellt:
Als Original wird die eigene Situation selbst präsentiert. D as in dem A rtikel
gefundene Muster diente in dieser Hinsic ht lediglich dazu, die eigene Situation
nachträglich zu resignifizieren – in de r vollen Bedeutung dieses Konzep ts inso-
fern, als in der wiederholten Neubeschreibung und Um deutung der Situation der
Entscheidungsfindung als „the talk“ sich ihre aktuelle Bedeutung und Relevanz
überhaupt erst etablieren konnte.
Deutlich durfte dabei vor allem geworden sein, dass es gerade die erw ähn-
ten Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten sind, die diese Erzählstrategie so
überzeugend werden lassen – überzeugend im Hinblick auf die Darstellung der
Einzigartigkeit und Individualität dieser besonderen Beziehung. Die Besonde r-
heit der Beziehung zeigt sich hier eben nicht in der reinen Indifferenz gegenüber
Mustern (sonst hätte „the talk“ nicht zitiert w erden können) oder der reinen
Negation jeglicher M ustern (sonst hätte „t he talk“ nicht einm al als relevante
Bezeichnung eingeführt werden kön nen). Sie ze igt sich hier aber auch nicht in
einer Imitation oder Parodie von Formvorlagen oder Regeln (sonst hätte sich die
Nachträglichkeit der Bezeichnung nicht dera rt betont werden können). Sie zeigt
130 Herstellung von Unbestimmtheit

sich vielmehr in der perform ativ hergestellten Unbestimmtheit, die im komple-


xen Geflecht der Zitier- und K opierpraktiken etabliert w ird; sie füllt die Lücke
aus, die im unbestimmten Verhältnis von Original und Kopie offen gelassen
wird.
Die Inszenierung eines offenen Verhältnisses von Original und Kopie zei-
tigt auch dann noch vergleichbare Effekte, wenn es nicht so betont reflektiert zu
Schau gestellt w ird, w ie es im obigen B eispiel der Fall w ar. In der folgenden
Interviewpassage kommt ein Paar zu W ort, dessen Kennenlerngeschichte schon
längere Zeit zurück lag. Die erste Be gegnung, die auch als der Beginn der Be-
ziehung beschrieben wird, findet vor der Szenerie des M ünchner Oktoberfestes
statt. A llein dieser U mstand – die unter stellte U nwahrscheinlichkeit, dass sich
aus einer Begegnung auf dem Oktoberfest ei ne längerfristige, stabile Beziehung
entwickeln kann – symbolisiert für di eses Paar schon die Besonderheit ihrer
Beziehung. Auf die Frage nach Ähn lichkeiten mit anderen Beziehungen oder
massenmedialen Mustern, schon auf die Frage nach der bloßen Vergleichbarkeit
ihrer Beziehung m it anderen reagieren di ese Gewährspersonen betont deutlich
abweisend. Gegen Ende ihrer Erzählung kommen sie aber dann noch einmal auf
die erste Begegnung im Zelt zurück:

A: Also was ich, was ich auch irgendwie... Ich m eine, da gab es ja dann auch noch so
ein paar Kleinigkeiten, hm, wie zum Beispiel... B: Der Zeitungsartikel. A: ...ja, Wahn-
sinn. B: (lacht) A: Es stand wohl justam ent am nächsten Tag in der Zeitung, irgend
so... I: Habt ihr das... A: ...irgend so eine Liebesgeschichte... I: Was? Eure Geschich-
te? B: Nein. Nein. A: Nein, nein, irgend... eine Liebesgeschichte. B: Eine, eine fiktive,
sozusagen. A: Ja, stand dann... B: Oder, oder eben eine, eine... Ich weiß aber gar... Ich
weiß nicht mehr ob es... also... Ich bring es nicht m ehr zusammen, ob es jetzt auf dem
Oktoberfest war, auf jeden Fall... A: Ja, auf jeden Fall war... Es gab einen... in der
nächsten Tag einen Zeitungsartikel, der mit uns überhaupt nichts zu tun hatte, aber
auch irgendwie über, über eine Liebesgeschichte von Leuten, die sich da kenneng e-
lernt haben... I: Ach, die das aber... Ach so, also die, die mit... A: Irgendein Reporter
hat das halt geschrieben, ob das wahr ist oder... Keine Ahnung. I: Ja, wurst. A: Das
stand halt halbseitig... Und dann ist der B hin gegangen... I: Aber es ist... Ihr seid nicht
die Einzigen, denen das passiert ist? A: Offensichtlich, ja. I: Es steht offensichtlich in
der Zeitung? A: ...ja, hat dann, hat dann da, das so abgeändert, hat dann da, wo die
Namen standen, hat er das so... B: Es war ja natürlich auch ein, mh, ein Mann und ei-
ne Frau, um die es da ging... A: ...weg gestrichen, und hat dann da unsere Na men so
eingesetzt, und hat mir das geschickt und... (lacht) B: Jaja. I: Super. B: Ja ich fand das
unheimlich witzig. Und das war jetzt nicht, ich musste nicht viele Änderungen vo r-
nehmen, es war schon... A: Nee, stimmt, stimmt, stimmt ja. B: Es war schon irgen d-
wie, wo man sagt: Das kann doch jetzt gar nicht sein. A: Ja... B: Gott, was bin ich ro-
mantisch, kannst mal sehen. Ist mir selber gar nicht bewusst. (lacht) (P-K&P2, 01:27)

In diesem Fall wird eine ganz ähnliche Szene wie im obigen Beispiel entworfen.
Zwei zentrale M otive lassen sich fast unverändert wieder finden. Auch hier
handelt es sich erstens um eine nachträgliche Entdeckung und Thematisierung
Herstellung von Unbestimmtheit 131

von (potentiellen) Formvorlagen – hier sogar in einem doppelten Sinne: Der


Zeitungsartikel wird in der erzählten Zeit als nachträglich entdeckt präsentiert
und dient dann sofort schon als textueller Anlass für einen weiteren Ausbau der
romantischen Kommunikation. M an ist ve rsucht, dem Zei tungsartikel die Rolle
eines Mittlers im Akteur-Netzwerk-theoretischen Sinne, wie ihn Bruno Latour 83
skizziert hat, zuzuschreiben. Wie im Fall des ersten Paares handelt es sich damit
bei dem Artikel um ein W erkzeug, dessen Beitrag zur Paarwerdung weniger als
rein ostentativer als vielmehr als performativer begriffen werden soll. Im G e-
gensatz zum ersten Paar offenbart sich aber seine Performativität gerade nicht in
seiner paradoxen Fähigkeit zu ein er nach träglichen ostentativen D efinitions-
und Benennungsmacht bezüglich des Beziehungsanfangs; er wird schlicht als
ein tool zur Intensivierung der romantischen Beziehung vorgeführt. Nachträg-
lichkeit ist hier aber auch noch in einem anderen, schlichtere n Sinne relevant:
Die Episode wird darstellungstechnisch sozusagen nachgereicht. Sie wird bei
der Erzählung der Paargeschichte nicht sofort mit eingeführt, sondern erst später
– im Zusammenhang einer Thematisierung der Besonderheit der Beziehung –
eigens erwähnt. Sie gehört dabei zu de n „paar Kleinigkeiten“, von denen sie die
einzige ist, die ausführlich erzählt wird. Zweitens wird aber auch in bei dieser
„Kleinigkeit“ das M oment der Überraschung besonders hervorgehoben. Die
Ähnlichkeiten zwischen der eigenen Ge schichte und der „fiktiven“ Erzählung
des Artikels sind verblüffend: „Das kann doch jetzt gar nicht sein.“ Und als
überraschend wird auch der Umstand em pfunden, dass der eigene Umgang mit
dem Artikel durchaus als romantisch zu beschreiben ist – oder sich im Erzähl-
prozess nachträglich zumindest als eine romantische Handlung ausweisen lässt,
ja sich scheinbar gegen den eigenen W illen wiederum als rom antisches Skript
darstellt: „Ist mir selber gar nicht bewusst.“
Wenn man sich nun dem Verhältnis von Original und Kopie zuwendet,
fällt eine w eitere „K leinigkeit“ besonders auf. D ie zitierte Stelle dieses Inte r-
views ist eine der seltenen Stellen in dem in dieser Arbeit erhobenen M aterial,
in der das V erhältnis von gleichgeschlechtlichen und gegengeschlechtl ichen
Beziehungsweisen überhaupt thematisiert wird. Auch hier wird es nur angedeu-
tet: Die „fiktive“ Liebesgeschichte, in der es „natürlich“ um einen M ann und
eine Frau ging, kontrastiert in diesem und nur in diesem Punkt mit der erzählten
eigenen gleichgeschlechtlichen K ennenlerngeschichte. In einer fast schon paro-
distischen Adäquatheit könnte die Aneignungs praxis des Paares als ein Parad e-

83
Zur Unterscheidung von „M ittlern“ ( mediators) und „Zwischengliedern“ ( intermediaries) vgl.
Latour (2007: 66 ff.), der sie hier im Zusa mmenhang mit einem soziologischen Interesse für
„Gruppenbildung“ einführt – mit einem starken Inte resse für die Unbestimmtheit eben dieser
Unterscheidung! Im Gegensatz zu Zwischengliedern „übersetzen, entstellen, modifizieren und
transformieren [Mittler] die Bedeutung oder die Elemente, die sie übermitteln sollen.“ (70)
132 Herstellung von Unbestimmtheit

beispiel für eine parodistische Resignifi zierungspraxis im Sinne Butlers gelesen


werden. Die originalen Namen werden ausgestrichen und durch die eigene N a-
men ersetzt – das heterosexuelle Normalmodell wird von einem homosexuellen
Paar überschrieben. Noch dazu wird dieser verfremdende Akt als „unheimlich
witzig“ charakterisiert. W ürde m an einen polisierbaren Interpretationsstil ver-
folgen, dürften sich hier natürlich bestimmte Fragen aufdrängen. Gelingt es dem
Paar, die heterosexuelle M atrix tats ächlich zu verfremden und umzudeuten?
Wird das heterosexuelle Original wirklich durch eine homosexuelle Resignifi-
zierung destabili siert? Oder verrät di ese Erzählung nicht vielmehr, dass das
homosexuelle Paar nicht nur insgeheim, sondern sogar ausgesprochen und un-
verblümt ein M uster kopiert? W ird im schlimmsten Fall nicht sogar das hetero-
sexuelle Original als eine Legitim ationsgrundlage für die eigene D arstellung
herangezogen (vgl. dazu das Schlusskapitel dieser Arbeit)?
Die hier präferierte Perspektive auf di e Darstellungspraxis selbst legt aber
nahe, dass diese Fragen im Hinblick auf die Eigendynamik der Erzählung erheb-
lich an R elevanz verlieren. O ffensichtlich ist w ieder die Besonderheit und Ein-
zigartigkeit der eigenen Beziehung das Bezugsproblem, auf den sich die Dar-
stellung dieser Episode beziehen lassen muss. Dies gelingt wiederum mit einer
nachträglichen Einbindung von Form atvorlagen. D er Clou ist freilich, dass
damit die Hierarchie von Original und Kopie umso mehr bedroht ist, als sie über
eine Darstellung einer offensichtlichen Kopier- und U mdeutungsszenerie direkt
thematisiert w ird, um dann sofort w ieder dethematisiert zu wer den. Am deut -
lichsten wird das an den – wohl naiven – Nachfragen des soziologischen Be-
obachters84, der offensichtlich der Wirkmächtigkeit eines massenmedial verbrei-
teten „Originals“ allzu sehr vertraut und in der vorgeführten Vergleichbarkeit
des Artikels mit der erzählten Geschichte zunächst einen Hinweis auf deren
Trivialität vermutet: „Ihr seid nicht die einzigen, denen das passiert ist?“ „Of-
fensichtlich, ja.“ A ber ebenso offensichtlich offenbart sich die D ynamik der
Darstellungspraxis als zwingend genug, dieses Zugeständnis genau gegen die
intendierte Fragerichtung zu kehren. Als Or iginal etabliert sich so die eigene
Geschichte um so m ehr, als sie die V ergleichbarkeit m it „irgend... eine[r] L ie-
besgeschichte“ nicht nur als Überraschung inszeniert, sondern sie dadurch zu
einem Detail der eigenen Geschichte werden lässt und sie sogar – als Teil der
eigenen Geschichte – zu deren Besonderheiten rechnet. W ohlgemerkt: Nicht die
84
Der soziologische Beobachter ertappt sich hier – wiederum offensichtlich – in einem „illouz-
schen“ Moment. Für Eva Illouz wäre das zitierte Beispiel wohl Anlass, die problematische und
als postmodern dechiffrierte Vermischung von „realen Fiktionen und fiktionalen Realitäten“ zu
thematisieren. Dass deren Dethema tisierung jedoch nicht auf die Verblendung oder Unwisse n-
heit des – im Übrigen bildungsnahen und besser verdienenden – Paares zuzurechnen ist, son-
dern sich als praktische Leistung ihrer Darstel lungsroutine zu lesen ist, sollte oben aber ebenso
deutlich geworden sein.
Herstellung von Unbestimmtheit 133

Ähnlichkeiten mit der Liebesgeschichte des Artikels werden als Nachweis oder
als Legitimation der eigenen Romantik präsentiert. D ie Praxis des Entdeckens
und des Umdeutens von Formvorlagen selbst gibt sich als Nachweis der Ro m-
antik zu erkennen, indem sie sich als ein konstitutiver Teil der Rom antik en t-
puppt – einer Romantik, die dadurch durch sich selbst überrascht wird.

1.2 Das Gift des Vergleichens (ambiguity failures I)

Es ist oft bemerkt worden, wie paradox sich die Kom munikation von Individua-
lität (im Sinne von Einzigartigkeit) gesta lten m ag, w enn sie sich zu diesem
Zwecke Vergleichen bedient. „W er sein e eigene Unvergleichlichkeit betont,
vergleicht sich eben damit; man darf nicht einmal darum wissen, denn schon das
hebt den Tatbestand auf.“ (Luhmann 1982: 154; ausführlich dazu 1993: 149 ff.)
Gleichzeitig m ag aber dieses kurze Zitat schon verdeutlichen, w elche hohen
Anforderungen von Seiten eines soziologischen Beobachters in diesem Falle an
die Kommunikation von Individualität herange tragen werden – es sind A nsprü-
che an logische K onsistenz, die vielleicht im Hinblick auf schriftliche o der gar
literarische K ommunikation einleuchten. M it B lick auf die K ommunikations-
praxis in der In teraktionssituation des Interviews erscheint eine vergleichbare
Erwartungshaltung gerade nicht angebracht. In einem kurzen Interview in der
Explorationsphase – in der noch an keiner Stelle nach möglichen Vergleichen,
Formvorlagen oder massenmedialen Bezügen gefragt wurde – wurde dann auch
die Besonderheit der Paarbeziehung explizit in einem Vergleich zu einem Film
markiert und etabliert:

A: Kennst du den Film „Lost In Translation“? Mein Freund hat gemeint es ist teilwei-
se eine ähnliche Story und der hat damals den Film noch im Kino anschauen wollen,
obwohl der den Film schon in Tokio mehrmals gesehen hat und hat fast die ganze Zeit
im M athäser geweint... B: Naj a, nee, eigentlich nicht und Blödsinn, weil A ja auch
noch Chinese ist (lacht)... (E-L&J, 05:12)

Der Verweis auf den Film wird hier zunächst eingeführt, um die Ausgangssitua-
tion der Beziehung einem unbekannten Publikum zu erklären; gleichzeitig ge-
währleistet er damit auch einen Hinweis auf die Besonderheit der eigenen B e-
ziehung. A uffällig sind auch in diesem Falle schon einige typische U mstände.
Erstens bleibt nicht nur die Erzählung bei einem Vergleich in Erklärungsabsicht
stehen, sondern mündet in die Erz ählung ei ner spezifischen Situation, die die
Protagonisten dieser Paarge schichte involviert. Auch die Erzählung bleibt nicht
bei der Erzählung stehen, sondern gleitet sofort in einen Disput zwischen den
beiden Gewährspersonen, die auf die In teraktion im Interview verw eist (vgl.
134 Herstellung von Unbestimmtheit

dazu Kapitel 3.1). Zweitens wird der Vergleich mit der Handlung und der Pe r-
sonenkonstellation von „Lost In Translation“ auch sofort wieder relativiert,
wenn nicht gar negiert. Für eine Perspe ktive, die von den Cultural Studies in-
formiert ist, würde sich diese Praxis des Vergleichens als eine geradezu para-
digmatische Verwendung eines ausgehande lten Codes im Sinne Stuart Halls
(1980) lesen lassen. Die Erzähler würden sich als poster boys eines verfremden-
den Zitierens entpuppen, denn nicht nur ihre Ethnizität – die thematisiert wird –,
sondern auch die Geschlecht erkonstellation des Paares – die nicht thematisiert
wird – weicht von dem des Film es ab, m it dem sie sich hier vergleichen. Im
Folgenden sollen also noch einmal explizite Ver gleiche analysiert werden, wo-
bei sich das Hauptaugenmerk auf zwei Fragen konzentrieren w ird: W elche
Funktion erfüllen Vergleiche, wenn überhaupt explizit verglichen wird? Und
nicht zuletzt: Womit wird verglichen, wenn überhaupt verglichen wird?

1.2.1 „(Nicht) wie in der Zahnpastawerbung“: Negative Bezugnahme

Empirisch lässt sich im Hinblick auf die beobachteten Vergleichsstrategien


zunächst noch einmal das Verhältnis von Formvorlagen und ihrer spezifisch
Zitierung analysieren. N ützlich erweist sich hier die Idee von m öglichen ambi-
guity failures, die Eric M. Leifer in „Actors as observers“ (1991) in einem etwas
anderen Kontext vorstellt. Leifer führt das K onzept im Rahmen von netzw erk-
und interaktionstheoretischen Untersuchunge n ein, die sich vor allem au f die
Übernahme von festgelegten Identitätsr ollen beziehen. Die Formulierung der
ambiguity failures verweist hier zunächst ganz einfach auf die folgende Idee:

Rollen übernimmt man nur dann, wenn es nicht mehr anders geht. Vorher ver sucht
man, sich und den anderen nicht festzulegen, das heißt so mehrdeutig (inklusive zwei-
deutig) miteinander umzugehen wie irgend möglich. (Baecker 2003: 133)

Es geht also darum , dass m an sich theoretisch und em pirisch Situationen vo r-


stellen kann, in denen ein Unbestimmtlass en von targets (also Zielen bzw. Ad-
ressaten) und von contents (also Inhalten) und sogar von tasks (also Problembe-
zügen) von strategischem Vorteil sein kann. In diesem Zusammenhang soll es
aber nicht handlungstheoretisch um strate gische Gewinne oder Verluste gehen.
Es geht um die Selbstdarstellungspraxis von Paaren und die dabei verwendeten
Muster und narrativen Konventionen, die sich gerade über den Vergleich eta b-
lieren können. Im Bezug auf die Verwe ndung dieser M uster und den Ver gleich
mit „Schablonen“ so ll mit dem Verweis auf die möglichen ambiguity failures
wiederum nur die Vorstellung offen gehalten werden, dass es durchaus von
Herstellung von Unbestimmtheit 135

Vorteil sein kann, M ehrdeutigkeiten und Unbestim mtheiten zuzulassen oder


sogar zu produzieren.
Das erste Beispiel bezieht sich au f die Erzählung von Konflikten in einer
jungen Ehe. Es ist eines von zwei Fällen, das sich eines Verweises auf Zahnpas-
ta bedient:

A: Das sind ja im mer so die typischen Zahnpastabeispiel ... sachen, wenn sich das
immer am gleichen fest m acht... I: Wie? Zahnpastabeispiele? A: Ja, wenn, wenn sich
Ehen scheiden lassen, wenn sie, ah, eigentlich aus so Peanuts wie der, es regt mich auf
wie die Zahnpastatube auf dem Kopf steht, falsch ausdrückt und die Spritzer am Spi e-
gel nicht wegputzt und immer wieder bin es ich, der es wegputzt... (P-C&R2, 11:45)

Wieder wird hier schnell von einem Verg leich, der der Darstellung eines typi-
schen Beziehungskonflikts dienen soll, au f eine konkrete Situation des Paarall-
tags geschwenkt. Das „typische Beispiel “, auf das hier Bezu g genommen wird,
bleibt dabei merkwürdig unklar. Es wi rd auf Nachfrage von der Gewährsperson
überraschend als ein Beispiel „wie aus der Werbung“ (12:19) qualifiziert. Aber
auch w enn dieser m erkwürdige N achtrag G efahr läuft, die D eutlichkeit und
Eindeutigkeit der allbekannten A lltagssituation des Konfliktes über die korrekte
Druckanwendung auf Zahnpastatuben zu relati vieren, bleibt eines deutlich: Um
Deutlichkeit und Eindeutigkeit geht es hier. H ier soll gerade kein ambiguity
failure vermieden werden, keine Unbestim mtheit gelassen oder geschaffen
werden. Insofern ist die Leistung des Vergleiches m it der „W erbung“ lediglich
die, den Eindruck der Trivialität der Situation noch zu verstärken – die Diagno-
se Eva Illouz’ von der entfremdenden und banalisierenden Al lmacht massenme-
dialer Formvorlagen insbesondere aus de m Sektor der W erbung wird hier g e-
wissermaßen zitiert und produktiv gewendet. Von dieser Trivialität wird sich
dann auch nicht abgegrenzt, noch wird der Bezug noch einmal ironisch gebro -
chen. Der Zusammenhang ist in diesem Be ispiel aber auch eine Erzählung von
typischen Beziehungskonflikten. Der ungebr ochene, bestimmte Vergleich dient
hier dazu, diese K onflikte zu trivialisieren. B ei einem anderen Paar, das das
Besondere ihrer Beziehung daran festgem acht hat, dass im Laufe der Paarge-
schichte keine besonderen Erwartungs haltungen entstanden sind, wurde ein
ähnlicher Effekt deutlich (vgl. K apitel 2.1). D as Besondere dieser Beziehung
nun, so scheint es, ist der Umstand, da ss eben keine besonderen Konflikte z u
berichten sind.
Komplizierter stellt sich die Verwendung von Vergleichen jedoch dar,
wenn explizit nach Vorbildern für die spezifische Art und W eise gefragt wird,
wie sich die Kennenlerngeschichte abgespie lt hat. Hier finden sich in den Inte r-
views zunächst nur negative Bezüge, und darüber hinaus negative Bezüge auf
popkulturelle Vorlagen. Im nächsten Ausschnitt wird die Nachfrage nach m ög-
136 Herstellung von Unbestimmtheit

lichen Filmen oder ähnlichen m assenmedialen Produkten, die die eigene Situa-
tion widerspiegeln könnten, sofort und einstimmig verneint:

A: Nee, null, nicht...B: ah, ah, nee… A: ...überhaupt nicht... I: Überhaupt nicht? A:
...nö, weil das ist ne Sache für sich und da kann man jetzt nicht sagen, ah, da gibt’s
das Duplikat XY und wenn des richtig wissen willst, dann schau Dir den Film an
weil... I: Ok. B: ...da fällt mir jetzt gar nichts ein... A: ...weil das zu facettenreich alles
ist als dass Du sagen kannst, das ist wie:... I: Ja... A: W ürde mir jetzt absolut, haben
wir auch noch nie gemacht, das irgendwie verglichen, so „Harry und Sally“ oder „Ein
Fisch namens Wanda“... [...] ... Also, ich hab aber noch keinen Film gesehen, wo sich
Leute voll geschminkt auf dem Fasching.... (lacht) B: (lacht) A: ...und vor allem nicht
in Aitrach auf dem Dorf, oder so was... (P-S&J, 10:05)

Es genügt in diesem Falle der Hinweis, dass die Abgrenzung von popkulturellen
Vorlagen hier explizit m it einer Ablehnung ihres klischeehaften und trivialen
Charakters einhergeht. Der von der Frage des soziologischen Interviewers „e r-
zwungene“ Vergleich wird aber dazu genutzt, sich der Komplexität und des
„Facettenreichtums“ der eigenen Geschichte zu versichern. Genau besehen
funktioniert diese E pisode aber nicht dadurch, dass sie die In dividualität der
Beziehung (im Sinne von Einzigartigkeit) durch den neg ativen Vergleich mit
Filmen etabliert; noch beharrt sie strikt auf ihrer U nvergleichlichkeit. Was hier
aber gelingt, ist, dass stattdessen die Absurdität des V ergleichens praktisch
vorgeführt wird und somit die Gefahr, über einen Vergleich das Spezifische, das
Mehr-als-im-Film auf ein M uster zu re duzieren, vermieden wird. Anders ließe
sich der überspitzte Kontrast eines selts am gew ählten Film es – „E in Fisch na-
mens W anda“ – mit einer seltsam konkr eten Kennenlernszene – „Aitrach auf
dem Dorf“ – nicht erklären. Was hier gelingt, ist ein praktisches Unterlaufen des
Vergleichens selbst.
Eva Illouz hat in ihrer Studie zum „Konsum der Rom antik“ (1997) ganz
ähnliche Beobachtungen in den Erzählungen und Einschätzungen ihrer Gewähr-
spersonen anstellen können, indem sie sich vor allem auf den Bereich der Rom-
antik konzentriert hat. Sie argum entiert dabei jedoch völlig anders. D enn einer-
seits schätzt sie die prägende Kraft von massenmedial verbreiteten Codes gerade
dann am stärksten ein, wenn sie sich ohne Wissen der Gewährspersonen in de-
ren stilisierte Narrative einschleichen (vgl . 211 ff.). Anderer seits schließt sie
aber wiederum gerade dann auf ein pos tmodernes unglückliches romantisches
Bewusstsein, wenn über den V ergleich der eigenen A lltagserfahrung mit diesen
romantischen Codes die Kluft zwischen beiden reflektiert w ird – sei’s als me-
lancholische Ablehnung eines unrealistischen Bildes der Liebe, sei’s als iron i-
sche Haltung der Proble matisierung des ei genen authentischen Erlebe ns (vgl.
222 ff.). W enn aber nicht sofort auf das unterstellte W issen oder N ichtwissen
der Rezipienten abgezielt wird, bietet si ch ein etwas komplexeres Bild dar, das
Herstellung von Unbestimmtheit 137

sich tatsächlich paradigm atisch am U mgang mit romanti schen Skripten nac h-
zeichnen lässt. Im folgenden, typischen Be ispiel wird zunächst betont, dass die
eigene Geschichte nicht romantisch ve rlaufen ist. Hervorgehoben wird dies
gleich zu Beginn der Antwort auf die Frage nach den Umständen des Kennen-
lernens:

A: Ok, also, nicht sehr romantisch, und eigentlich kennen wir uns schon relativ lang.
So lang wie wir im W ohnheim wohnen, ich seit vier Jahren und du seit, weiß ich
nicht, sechs Jahren? (P-J&S, 00:22)

Dieser Absage an die Rom antik folgt al lerdings eine Geschichte, deren Plot
durchaus als einer interpretiert werden könnte, der einem geradezu klassischen
romantischen Skript des Zusammenkommens über innere und äußere W ider-
stände hinweg folgt (vgl. dazu Kapitel I. 3.). Der Interviewer hakt hier also noch
einmal nach:

I: Du hast die ganze Geschichte eingeleitet, indem du gesagt hast, ähm, dass es es
nicht romantisch ist. Warum, warum denn nicht romantisch? Was ist das Unro-
mantische denn daran... A: Ja weil es, weil es halt so eine lange Geschichte ist und
weil es halt nicht irgendwie... keine... B: Ke ine Liebe auf den ersten Blick. A. ... na,
aber es muss ja keine Liebe auf den ersten Blick, aber es war halt jetzt nicht so die t y-
pische... I: Wäre das romantischer, oder... B: Finde ich nicht. I: ...meinst du das iro-
nisch. A: Na... B: Ich finde es rom antisch (lacht) A: ...aber so eine typische Kenne n-
lerngeschichte, dass man sich vielleicht, also, es war halt einfach deswegen nicht r o-
mantisch, weil so viel drum rum war und weil es einfach alles mich wahnsinnig ge-
stresst hat [...] (25:42)

Hier wird noch einm al deutlich, dass hier das R omantische als eine C hiffre für
eine „typische“ Geschichte einsteht, di e noch dazu der Komplexität der eigenen
Situation nicht gerecht w erden kann („w eil so viel drum rum war“). W ie diese
Abgrenzung nun in der Interviewsituation gedeutet und gewertet wird, bleibt
dabei zunächst im Unklaren. B etwa wirf t ja lachend ein, dass man der eigenen
Situation – trotz des Umstandes, dass es A „wahnsinnig gestresst hat“ – auch
romantisch verstehen könnte. Klar wird aber, dass die Beschreibung der eigenen
Geschichte als rom antisch zumindest insofern abgelehnt wird, als sie wiederum
der Darstellung ihrer Individualität im Wege stehen w ürde, als sie auf ein typi-
sches M uster abgebildet werden könnte. Das wird im weiteren Verlauf umso
deutlicher:

I: Was würdest du denn beschreiben, was denn romantisch ist? A: So generell? I:...bei
euch... A: Bei uns? I: Bei euch jetzt... oder warum es nicht, also, du hast ja schon ge-
sagt... A: Na, der Anfang war nicht romantisch, aber alles, was danach wa r, war für
mich... B: Du m usst das im richtigen Licht beleuchten... A: Na... B: ...also ich find so
Kitsch, Kitschsachen finde ich nicht so romantisch, aber musst dir mal so einen Film
138 Herstellung von Unbestimmtheit

vorstellen, wo so... A: Na, darum geht es glaub ich gar nicht... B: ... ein Pärchen ist,
das sich nahe steht und ständig kämpfen muss und dann nie zusammenkommt und so
und dann am Ende stellt man das... A: Ja... B: ...so rührselig dar, dass sie... A: ...aber
es war nicht so rührselig bei uns, aber es war so... B: ...dann doch zusammenkommen
und alles überwinden und so, da würdest du auch heulend im Kino sitzen und sagen:
Och, ist das schön. A: (lacht) Na, aber seit wir zusammen sind, war für mich viel, also
wirklich viel romantisch, aber ich glaube, das hat nur damit was zu tu n, dass, dass ich
mir dann im mer sicherer geworden bin, und... I: Ok, also (...) du würdest Romantik
dann nicht so mit bestimmten... Sit... A: Na, ich glaub nicht, wenn m an eine... eine
künstliche Situation erzeugt, die eigentlich laut Lehrbuch romantisch sein sollte, wenn
man schön zum Essen geht oder auf den Berg steigt und sich den Sonnen untergang
anschaut, ich finde, so was ist nicht romantisch, das ist dann oft eher unromantisch,
wenn man das zusammen plant und das dann macht und dann sich den Sonnen unter-
gang anschaut und dann irgendwie nebeneinander steht und dann denkt: Jetzt muss es
total schön zwischen uns beiden sein... Na, das sind dann eher so ganz un... also so
ganz... also Alltagssituationen fast schon, die dann plötzlich total romantisch sin d...
also... für mich, bei uns... B: Ja. Finde ich auch. A: ...und das war bei B dann das erste
Mal, dass ich so was erlebt habe. Also das war davor in anderen Beziehungen irgen d-
wie nie so. (P-J&S, 30:46)

Wieder ist man an Illouz’ Ergebnisse eri nnert, die hier sicherlich von einer typi-
schen „romantischen Praktik [...] der Mittel- und oberen Mittelschicht“ sprechen
würde, einer „Liebes-Klasse“ also, der es aufgrund ihrer „Bildungskom petenz“
möglich ist, „traditionelle oder Standa rdvorstellungen explizit“ u mzukehren
(1996: 311 f.). Sieht man jedoch genauer hin, wird aber gerade interessant, wie
hier die Darstellung über den Vergleich m it romantischen Skripten „laut Lehr-
buch“ präsentiert wird. Die eigene Vors tellung zur Romantik wird in diesem
konkreten Fall auf den ersten Blick als eine M einungsverschiedenheit ein-
geführt, die sich im obigen Ausschnitt schon angedeutet hat. B beharrt zunächst
darauf, dass man die Beschreibung der ei genen Kennenlerngeschichte durchaus
als romantisch bezeichnen kann; er ni mmt dabei ausdrücklich und spontan B e-
zug auf die mögliche Handlung eines Filmes, mit dem die der eigenen G e-
schichte verglichen werden könnte. Dabei stellt sich interessanterweise heraus,
dass es sich bei den hier aufeinandertreffenden Bestimmungen des Romanti-
schen gar nicht um eine M einungsverschiedenheit handelt. W as abgelehnt wird
ist – explizit von beiden Seiten – das Typische, das Lehrbuchhafte, das Kitsch-
verdächtige. Der Bezug zu dem erzählten im aginierten Film skript bleibt aber
letztendlich w ieder unbestimmt, insofern dieses explizit und ausführlich abge-
lehnt, die eigene Geschichte dann aber doch darauf abgebildet wird. Auch wenn
die Beziehung im V ergleich zu eigenen Erlebnissen, „künstlichen Situationen“
und „Lehrbüchern“ als besonders empfunde n wird („Also das war davor in
anderen Beziehungen irgendwie nie so.“ ), kann sie dennoch als imaginiertes
Filmmuster nacherzählt werden, das zu Tränen rührt („da würdest du auch heu-
lend im Kino sitzen“). Deutlich wird also, dass es gerade die U nentschiedenheit
Herstellung von Unbestimmtheit 139

dieses Verhältnisses ist, die hier übe rzeugt. Die „romantische“ Erzählung macht
von ihrem „unbezweifelbaren Verwirrungsr echt“ (vgl. dazu Kapitel 1.2.2) G e-
brauch.
Hier darf noch kurz ergänzt werden, dass es noch eine weitere, auffällig oft
auftretende dritte M öglichkeit dieser V ergleichsstrategie gibt, die ganz spez i-
fisch über die Abgrenzung von anderen Paar en funktioniert. Zentral ist dabei
nicht, sich von popkulturellen Vorlagen (wie etwa oben von Rob Reiners
„When Harry met Sally“) oder tradierten Klischees a bzugrenzen, sondern sich
von der als naiv beurteilten Rezeptions- ode r Zitierweise eben dieser V orlagen
oder Klischees bei anderen Paaren ab zugrenzen (vgl. dazu Stempfhuber 2008).
Im folgenden Kapitel muss aber vor allem auf die in diesem Zusammenhang
auffälligste und häufigste Praxis eingegangen w erden, die die V ermeidung von
Eindeutigkeit und die Produktion von Unbest immtheit gewährleistet, indem sie
nicht den direkten positiven oder negativen V ergleich, sondern hier einen ironi-
schen Erzählstil verwendet (vgl. Kapitel III.).

1.2.2 Ein unbezweifelbares Verwirrungsrecht? Erzählungen als Romane

Erzählt – in Szene gesetzt – w erden in den Interviews zunächst die Kontingen-


zen der Kontaktanbahnung. Einem bis in s 20. Jahrhundert hinein üblichem
Sprachgebrauch folgend könnte man daher formulieren: W as erzählt wird, ist
ein Roman. 85 „Roman“ bezeichnet in diesem Zusammenhang aber im mer zwei-
erlei: einerseits eine bestim mte M aterie, also eine Liebesgeschichte oder eine
Affäre, andererseits aber auch eine bestim mte Form , eine literarische Gattung
mit den ihr eigenen Form-, Erzähl- und S tilprinzipien. Bei der A nalyse der In-
terviewtexte ist bisher vor allem eines in den B lick geraten: d ie perform ative
Herstellung von Unschärfe, von Unbestim mtheiten in der Darstellung des Ken-
nenlernprozesses. Interessant sind dabei vor allem die Brüche im Erzählfluss,
also die Textstellen, an denen ein kons istentes Stil- oder Formungsprinzip gera-
de nicht durchgehalten wird. In diesem Kapitel sind dabei nicht nur plötzlich
eingefügte Zitate aufgetaucht, sondern die Ostentation von Zitaten; nicht nur
kopierte Topoi, sondern die Thematisierung des Kopierens; nicht nur der W ech-
sel des Erzähltempos zwischen der Kontaktanbahnung und dem Beziehungsal l-
tag, sondern die Kontrastierung dieser beide n M odi. W ie kann man hier denn
überhaupt von einem typischen Stil oder gar von einem typischen Stilprinzip

85
So mit dem Blick auf „W illhelm M eisters Lehrjahre“ Niels W erber (2003: 9): „Liebe und
Roman sind eine so enge Allianz eingegangen, daß sich die Begriffe über einen langen Zei t-
raum hinweg wie Synonyme verwenden lassen.“ Derselbe Sprachgebrauch (Roman = Liebesge-
schichte) lässt sich noch in den Großromanen von Marcel Proust und Robert Musil auffinden.
140 Herstellung von Unbestimmtheit

sprechen? Hier lohnt sich vielleicht ei n Blick zurück auf frühe Reflexionsan-
strengungen zur Gattung des Romans, namentlich von Friedrich Schlegel.
Schlegel bestimmt die typische Form des Romans für unseren Zusammen-
hang sehr aufschlussreich gerade als B rüchigkeit der Form , als Form losigkeit:
„Das W esentliche im R oman ist die chaotische Form – A rabeske, M ährchen.“
(1958 Bd. 16: 274) Der Roman – und das is t für Schlegel sowohl der Begriff
eines „romantischen Buches, einer roma ntischen Komposition“ (Bd. 11: 159)
als auch der Ausdruck des konkreten Lebens eines „genialischen Individuums“86
– ist für Schlegel auf der Ebene seiner Form zuallererst ein Hyb rid, ein eigen-
tümliches M ischungsverhältnis: „ich kann mir einen Roman kaum anders den-
ken, als gemischt aus Erzählungen, Gesang und andern Formen.“ (Bd. 2: 336)
Diese Definition des wohlgem erkt: modernen Romans ist in der poetologischen
Diskussion von nicht zu unterschätzende m Einfluss und die Liste der Zitate und
Aufzählungen der Stile, die der Rom an in einer neuen Synthese zusam menbrin-
gen kann, ist endlos. 87 Man kann Julius, den Protagonisten von Schlegels „Luci-
nde“ (1999), selbst zur V erpflichtung des Rom ans auf eine „reizende[...] V er-
wirrung“ zu Wort kommen lassen:

Dies ist um so nöthiger, da der Stoff, den unser Leben und Lieben meinem Geiste und
meiner Feder giebt, so unaufhaltsam progressiv und so unbiegsam systematisch ist.
Wäre es nun auch die Form, so würde dieser in seiner Art einzige Brief dadurch eine
unerträgliche Einheit und Einerleyheit erhalten und nicht mehr kön nen, was er doch
will und soll: das schönste Chaos von erhabnen Harmonien und interessanten Genü s-
sen nachzubilden und ergänzen. Ich gebrauche also mein unbezweifelbares Verwir-
rungsrecht [.] (14)

Diese Notwendigkeit wird verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass es
Schlegel in allen diesen Formulierungen, wie schon angedeutet, nicht allein um
eine poetologische Beschreibung des Ro mans, sondern um , wie Peter Szondi
(1974) formulieren würde, Gat tungspoetik „als Geschichtsphilosophie“ geht.
Den Unterschied der m odernen, „romantischen“ Literatur zur griechischen sieht
Schlegel in einem Unterschied der Beziehung von Form und Stoff oder Gehalt
begründet. Er folgt hier und „präzisiert“ (vgl. Werber 2003: 122) dabei natürlich
die bekannte U nterscheidung Schillers von naiver und sentim entalischer D ich-
tung:

86
Vgl. etwa 1958 Bd. 2 (156): „Auch enthält jeder Mensch, der gebildet ist, und sich bildet, in
seinem Innern einen Roman. Daß er ihn äußre und schreibe, ist nicht nötig.“
87
Vgl. aber W erber (2003: 121 ff.), dessen ausgezeichneter Darstellung in diesem Abschnitt
weitgehend gefolgt werden soll. Das Argument bezüglich des Zusammenhangs von Form und
Stoff des Romans wird sich aber im Folgenden erheblich von der Werberschen Interpretation
lösen.
Herstellung von Unbestimmtheit 141

Jede Poesie nämlich muß einen unendlichen Gehalt haben, dadurch allein ist sie Po e-
sie; aber sie kann diese Forderung auf zwei verschiedene Arten erfüllen. Sie kann ein
Unendliches sein, der Form nach, wenn sie ihren Gegenstand mit allen seinen Gren-
zen darstellt, wenn sie ihn individualisiert; sie kann ein Unendliches sein, der M aterie
nach, wenn sie von ihrem Gegenstand alle Grenzen entfernt, wenn sie ihn idealisiert,
also entweder durch eine absolute Darstellung oder durch Darstellung eines Absol u-
ten. Den ersten Weg geht der naive, den zweiten der sentimentalische Dichter. (Schi l-
ler 1993 Bd. 5: 718)

Für Schlegel ist dann auch die M öglichkeit der klassischen Übereinstimmung
von Form und Stoff, die harm onisch oder schön oder stilistisch vollkom men
genannt werden darf, unwiederbringlich verloren. Und dies wird nicht als Nac h-
teil des modernen Romans gedeutet, denn gerade sein Stoff, sein Gehalt ist dem
der klassischen Dichtung schlechthin übe rlegen. Schlegel argumentiert hier
streng geschichtsphilosophisch und sieht diese Überlegenheit des modernen
Romans als A usdruck seiner Epoche. Es ist das Indviduum , die Individualität,
die die M oderne zur M oderne macht und dem Roman damit ein Thema zur
Verfügung stellt, dass gerade für die klassi sche Literatur nicht greifbar war.
Interessanterweise im Blick auf das zeitgenössische Lesepublikum kann Sch le-
gel dabei den V orrang des G ehalts deutlich m achen – „N ur durch m erkwürdi-
gen, reichen, neuen und sonderbaren Inhalt; nur durch w ollüstigen Stoff kann
eine Darstellung ihnen wichtig und inte ressant werden.“ (1958 Bd. 1: 275) –
und darüber hinaus diesen Gehalt als Individualität spezifizieren:

Im Grunde völlig gleichgültig gegen alle Form, und nur voll unersättlichen Durstes
nach Stoff, verlangt auch das feinere Publikum von dem Künstler nichts als interes-
sante Individualität. Wenn nur gewirkt wird, wenn die Wirkung nur stark und neu ist,
so ist die Art, wie, und der Stoff, worin es geschieht, dem Pub likum so gleichgültig,
als die Übereinstimmung der einzelnen Wirkungen zu einem vollendeten Ganzen. Die
Kunst tut das ihrige, um diesem Verlangen ein Genüge zu leisten. Wie in einem ästhe-
tischen Kramladen [...] (Bd. 1: 222)

Interessante Individualität – hier lohnt es sich innezuhalten und den Ertrag


dieses kleinen Nachtrages zur Poetik der Frühromantik für unser Thema zu
prüfen. A uf den ersten Blick könnte fre ilich der Kontrast des Schlegelschen
Pathos der Individualität mit den diffizilen Darstellungsstrategien in den Paarin-
terviews nicht größer ausfallen. Intere ssant ist dabei aber, dass auch in den
Selbstdarstellungen der interviewten Paare ihre interessante Individualität als
Bezugsproblem dingfest gem acht werden konnte und als darstellungstechni-
sches Problem analysiert werden konnte. Nolens volens findet sich ihr soziolo-
gischer Beobachter in der Position eines modernen Publikums wieder, der sich
der neuen und starken W irkung der Indi vidualität der Paarbeziehung nicht ver-
schließen kann. Und es ist in diesem Fall tatsächlich die Individualität der Paa r-
142 Herstellung von Unbestimmtheit

geschichte – nicht die Individualität de r Partner – die zum indest als B ezugs-
problem interessant wird. Schlegels Üb erlegungen zum Roman liefern aber mit
Blick auf den Rom an einen frühen Hinweis auf eine m ögliche dar-
stellungstechnische Lösung eines anal ogen Problem s. Form al und stilistisch
kann das Individuelle nur eingeholt werden durch ein Scheitern des vollkomme-
nen Stils, durch das schon zitierte „Chaos“ und die „chaotische Form“. Ganzheit
ist nur noch im Hinblick auf ihren Verzicht zugunsten des Fragmentarischen zu
haben. M it der Betonung des proble matischen, zum indest am bivalenten Fra g-
mentarischen klingt bei Schlegel natür lich ein M otiv an, das im W eiteren sehr
einflussreich werden wird: In der Theo rie des Romans etwa findet es seine
prägnanteste Formulierung in der Bes timmung des Romans als Aus druck einer
„transzendentalen Obdachlosigkeit“ durch Georg Lukács 88, an den Rändern der
sich formierenden Soziologie nimmt Si mmel (2000) den „Fragmentcharakter
des Lebens“ gar zum Ausgangspunkt seiner Vorstudien zur M etaphysik. Im
Zusammenhang dieses K apitels ist aber w ichtiger, was sich aus dem Verhältnis
von chaotischer Form und individuellem Gehalt aus diesem frühen Zeugnis für
die Interpretation der Darstellungspraxis von Intimität lernen lässt.
Noch einmal: Julius – und damit die Er zählstrategie des romantischen R o-
mans – pocht auf sein „unbezweifelbares Verwirrungsrecht“ bei der Darstellung
seiner einzigartigen, indivi duellen Liebe. Anders als im ersten Kapitel dieser
Arbeit (vgl. I.3.1) interessiert nun nicht so sehr, wie der Roman als Formvorlage
für die Liebe genutzt wurd e – konkret waren unter den zu entziffernden Form-
vorlagen in den Interviews keine Romane zu finden – oder wie die Liebesge-
schichte als Schließungsformel für ei ne Kunstgattung genutzt werden kann. 89
Den Interviews soll ja weder kontrafaktisch die unbewusste Referenz auf eine
„Lucinde-Liebe“ (vgl. Bobsin 1994) unter stellt werden, noch kann eine gegeb e-
ne Liebesgeschichte angenommen werden, die das performative Gelingen seiner
Darstellung als solche schon garantieren würde. Interessant ist hier aber, dass

88
Der Roman ist „paradoxes Verschmelzen heterogener und diskreter Bestandteile zu einer immer
wieder gekündigten Organik" (Lukács 1982: 73) und als solches „die Epopöe eines Zeitalters,
für das die exten sive Totalität des Lebens nicht m ehr sinnfällig gegeben ist, für das die L e-
bensimmanenz des Sinnes zum Problem geword en ist, und das dennoch die Gesinnung zur To-
talität hat“ (47).
89
Das ist das überzeugende Argument Werbers, an das hier noch einmal erinne rt werden darf:
„Der Roman vermag also doch nicht alles zu inte grieren, er benötigt eine Selektionsregel, die
der Beliebigkeit seiner Form Herr wird.“ (2003: 127) „Die Schließung des Werks gelingt a n-
scheinend nicht auf der Ebene der Form, sondern auf der d es Motivs: der Liebe.“ (131) Solange
Romane, mit anderen Worten, überzeugend auf den Schluss in einer glücklichen Ehe hinauslau-
fen, darf auch die „chaotische Form“ nicht über ein Streben nach harmonischen Schließung und
einer zumindest „fragmentarischen Geschlossenheit“ (127) hinwegtäuschen. Gerichtet ist dieses
Argument natürlich gegen Karl Heinz Bohrers einflussreiche Thesen zu einer Ästhetik der
„Plötzlichkeit“ (1998).
Herstellung von Unbestimmtheit 143

von Schlegel eine paradigmatische Form ulierung einer ästhetischen Darstel-


lungstechnik bereitgestellt w ird, die den Zusamm enhang von fragm entarischer,
brüchiger, „chaotischer“ Erzählform und der Überfülle des erzählten Gehalts
oder Stoffs auf den Begriff bringt. Die Überfülle des interessanten Individuellen
lässt sich nicht anders andeuten, geschweige denn repräsentieren. Und hier muss
man den Akzent nur leicht verschieben, dass damit auch eine plausible Technik
der Herstellung und Erzeugung von Individualität benannt ist. M an m uss hier
Schlegel gar nicht bis zu seinen Thesen zur neuen M ythologie (Bd. 2: 311 ff.),
deren performative Hervorbringung von der Kunst erst noch zu leisten wäre,
folgen, um seinen Äußerungen zum Roman Motive zu entnehm en, die auch die
performative Darstellung von Individualität in den Interview texten prägen. N ur
im Scheitern der harmonisch schönen Fo rm kann sich das Individuelle des
Stoffs offenbaren. Das entspricht nicht dem romantischen Unsagbarkeitstopos
der Liebe, stellt aber ein funktionales Ä quivalent dar. W as nicht in einer stilis-
tisch und form al ungebrochenen Erzählung dargestellt w erden kann, m ag eben
dadurch schon auf seine Außergewöhnlichkeit verweisen. In dieser Wendung ist
auch dies natürlich kein neuer Gedanke und wurde vielleicht am überzeugends-
ten von Roland Barthes beschrieben, wenn er von einem effet du réel, dem Re-
al(itäts)effekt spricht90 und damit eine textuelle Praxis meint, die die Schwierig-
keit oder Unmöglichkeit einer einfachen Narration oder Darstellung der ko m-
plexen Welt ostentativ vorführt, ja sie „inszeniert“. Dagegen sind „erzählerische
Prägnanz und Vereindeutigung vergleichs weise naive Ziele“ (Gumbrecht 2000,
S. 223). Aber nicht um eine überlegene Au torinstanz geht es hier, sondern um
eine performative Praxis der Herstellung von Realität – in diesem Abschnitt war
es die reale Individualität des Paares, im nächsten soll sich auf die R ealität au-
thentischer Gefühle konzentriert w erden. Mit Blick auf Schlegel sollte hier nur
angedeutet werden, dass sich eine Ahnung dieser performativen Praxis schon in
den frühen Reflexionsbemühungen zum Ro man einstellen – einer Gattung also,
die sich einerseits als ein Ko mpendium von Fragmenten einer Liebesgeschichte
fassen lässt und andererseits genau die Individualität einer solchen Geschichte,
also: eines solchen Romans zum darste llungstechnischen Problem erklärt (vgl.
wiederum Werber 2003).

90
Ich folge hier der im Internet zugänglichen deutschen Übersetzung von Konrad Honsel
(www.nachdemfilm.de/no2/bar01dts.html). Barthe s argumentiert mit Blick auf Flauberts Ma-
dame Bovary, einem der ersten großen Romane, die die „Liebe nach der Ehe“ zum Thema ha-
ben. Verknappt ausgedrückt ist die Zauberformel des Real(itäts)effekts im modern en Romans
die: Im Rahmen einer Erzählung sind es gerade die für diese Erzählung nicht -funktionalen
„Signifikanten“ („überflüssige“ Details, „Füllsel“, Brüche usw.), die sich gleichsam ihres sin n-
haften „Signifikats“ entledigen und einen Kurzschluss auf den „Referenten“ des „Realen“ in-
szenieren – sie „sagen am Ende nichts anderes als eben dies: ‚wir sind das Reale‘.“
144 Herstellung von Unbestimmtheit

2. Bezugsproblem: Die Authentizität von Gefühlen

You flush it.


I flaunt it.
The Penguin

In dieser Arbeit wurde sich – im Hinblick auf das Thema dieses Abschnitts kann
man skeptisch form ulieren: vielleicht vorschnell – für einen bestimmten sozio-
logischen Zugriff auf das Phänomen de r Intim ität entschieden, der seine ent-
scheidenden Intuitionen einem systemtheoretischen Forschungsprogramm en t-
lehnt. Zentral für diesen Zugriff erscheint eine Ausgangsentscheidung, die in der
hier noch einm al zitierten berühm ten luhmannschen Form ulierung ausgedrückt
ist, Liebe „nicht als Gefühl [zu] beha ndel[n], sondern als symbolische[n] Code,
der darüber informiert, wie man in Fällen, w o dies eher unw ahrscheinlich ist,
dennoch erfolgreich kommunizieren kann“ (1982: 9). Dass es sich aber bei
intimer Kommunikation immer auch um Gefühlskommunikation handelt, ist
schwerlich von der Hand zu weisen; dass es um Gefühle geht, scheint ausge-
macht. Aber was könnte das soziologisch bedeuten? W ir m üssen also, darum
kommt man nicht umhin, einen kurzen B lick auf soziologische Beschäftigungen
mit dem Problemkreis der Gefühle werfen.
Für Luhmann selbst war dabei noch 1984, also in den „Sozialen Syste-
men“, ausgemacht, dass sich die Sozi ologie schwerlich „mit den Gefühlen
selbst“ befassen kann und dies bisher auch nicht auf dem Programm hatte; wenn
doch, hat sie „allenfalls mit der Ko mmunikation von Gefühlen, mit ihrem Sti-
mulieren, Beobachten, Prozessieren, Ab kühlen usw. in sozialen Systemen“
(1984: 370) zu tun. Dementsp rechend widerspricht er auch der übli chen Selbst-
anklage der Soziologie im Bezug auf die Erforschung der W elt der Gefühle –
„Forschungslücke!“ (ebd.) – nicht und setzt ihr einige eigene rudimentäre Über-
legungen entgegen, die jedoch das Thema Gefühle im Rahmen einer Theorie
des Bewusstseins aufgreifen (370 ff.). D ies ist ein eigentlich erstaunlicher U m-
stand, wenn man bedenkt, dass er kurz zuvor die „Liebe als Passion“ (1982)
zum soziologischen Thema geadelt hatte, di e zwar – noch einmal – nicht direkt
als Gefühl, wohl aber al s ein Ermutigung, „entsprechende Gefühle zu bilden“
(1982: 9) und zu kommunizieren, aufgetau cht ist. Aus dem W issensschatz der
zeitgenössischen Soziologie bedient er sich dab ei kaum. Und wenn Jürgen
Gerhards schon einige Jahre später den W issensstand der Soziologie der Em oti-
onen mit systematischem Interesse zusa mmenträgt, findet sich hier immer noch
ein ähnliches V erdikt: D ie „A nsätze ei ner sich entwickelten [sic!] Soziologie
der Emotionen befinden sich noch in de n Kinderschuhen“ (1986: 770; vgl. auch
1988). Hier soll aber dennoch auf den frühen Überblick von Gerhards zurück-
Herstellung von Unbestimmtheit 145

gegriffen w erden, w eil er sehr deutlich – w enn auch m it einem Interesse für
Theorieintegration – darste llen kann, wie sich die von ihm skizzierten Ansätze
als „unterschiedliche Antworten auf ve rschiedene Fragestellungen einer Sozio-
logie der Emotionen“ (ebd.) ausnehmen. Zu fragen ist also zunächst nach der
Fragestellung. Gerhards selbst nimmt si ch Konzepte einer sozialstrukturellen
Theorie der Emotionen, interaktionistische Ansätze und den von Randall Collins
vorgeschlagenen Versuch einer Theorie der Emotionen als Konstruktionsform
sozialer Wirklichkeit vor. Deutlich lassen sich dabei – zum indest – zw ei Frage-
richtungen unterscheiden, die hier auch unt er dem Aspekt interessieren, dass sie
sich zunächst auszuschließen scheinen. M an kann sich soziologisch dafür int e-
ressieren, wie etwa sozialstrukturelle, kulturelle oder interakti onslogische V o-
raussetzungen Gefühle bedingen, beei nflussen oder konditionieren; m an kann
aber auch in der umgekehrten Richtung danach fragen, wie Gefühle das Soziale
beeinflussen. Interessanterweise sind das die zwei Perspektiven, die schon in der
gleichsam unentschlossenen Haltung L uhmanns zum Phänomen der Gefühle
skizziert wurden. Hier tauchen Gefühle einerseits als – in spezifisch system the-
oretischen Sinn – sozial konditioniert, ja als Effekte der K ommunikation auf
und werden andererseits nach ihrem Funktionsbezug abgetastet: letzteres ent-
schiedenermaßen jedoch im Hinblick au f die Autopoiesis des Bewusstseins 91
und – „leider“, wie schon Dirk Baecker vermerkt (vgl. 2004: 10 ff.) – nicht
direkt im Hinblick auf die Leistung von Gefühlskommunikation für die Gesell-
schaft.
Trotz dieser verzwickten Ausgangslage ist nun in der soziologischen Theo-
riebildung der letzten Jahre ein gesteigertes Interesse an einer Beschäftigung mit
Gefühlen und Em otionen zu verzeichne n (vgl. neben Gerhards 1988 vor allem
Vester 1991; Barbalet 1998; für einen Ü berblick über die Positionen der sozio-
logischen Klassiker unter Nichtberücks ichtigung systemtheoretischer Ansätze

91
„Auf ihre Funktion hin gesehen, lassen sich Gefühle mit Immunsystemen vergleichen; sie
scheinen geradezu die Immunfunktion des psychischen Systems zu übernehmen.“ (Luhmann
1984: 371) Die Idee ist auch hier schon, dass Gefühle dann entstehen, wenn das Bewusstsein
gleichsam von sich selbst überrascht ist – etwa durch Erwartungsenttäuschungen, „externe Ge-
fährdungen, Diskreditierung einer Selbstdarstellung, aber auch ein für das Bewusstsein selbst
überraschendes Sichengagieren auf neuen Wegen, etwa der Liebe“ (370 f.) – und damit intellek-
tuell nicht m ehr klarkommt: Gefühle sind K risensymptome und deren Lösu ng gleichzeitig. E r-
staunlich ist, dass in diesem Diskussionszu sammenhang dabei die Leistung von Gefühlen für
psychische Systeme positiv, ihre Auswirkungen für die Gesellschaft rein ne gativ gedeutet wird:
„Von da her ist die m oderne Gesellschaft m ehr, als man gemeinhin denkt, durch Emotionalität
gefährdet.“ (365) Deutlich wird aber auch, dass damit zunächst nur Gefühle in einem un-
spezifischen, einheitlichen Sinne gemeint sein können; die „bekannte Vielfalt unterschiedlicher
Gefühle kommt [...] erst sekundär, erst durch kognitive und sprachliche Interpretation zustande;
sie ist also, wie aller Komplexitätsaufbau psychischer Systeme, sozial bedingt.“ (372) In diesem
Abschnitt wird freilich noch Anlass zur Nachfrage bestehen: Interpretiert von wem?
146 Herstellung von Unbestimmtheit

Flam 2002; Baecker 2004). Eine facheinheitlich dom inierende oder akzeptierte
Theorie der Gefühle ist dennoch nicht in Si cht. Hier soll dieser Umstand jedoch
eher positiv genutzt w erden und diese O ffenheit für eine Spezifizierung der
eigenen Fragestellung genutzt werden. Denn was in den Interviews beobachtet
werden konnte, war Gefühlskommunikation – und nicht direkt: Gefühle. Das hat
schon schl icht seine Gründe in den me thodischen Beschrä nkungen, die einem
soziologischen Beobachter durch das M aterial der Interviewtexte auferlegt we r-
den (vgl. Kapitel 4.). Aber dieselbe n methodischen Beschränkungen legen es
auch nahe, nicht von vorneherein daran zu zweifeln oder gar auszuschließen,
dass da echte Gefühle kommuniziert w erden. Im R ahmen eines Interesses für
die (gelingende) Selbstdarstellung von Paar en stellen sich vor diesem Hinte r-
grund dann zwei parallele Fragen. Erstens: W ie gelingt es, in der Pra xis der
Selbstdarstellung Gefühle zu kommunizier en? W ie gelingt dies gerade auch
dann, wenn nicht über Gefühle kom muniziert wird, Gefühle also gar nicht di-
rekt als Thema der Kommuni kation auft auchen? Und zweitens: W elche Leis-
tung erfüllt in unserem Zusammenhang überhaupt der Umstand, dass auf Gefüh-
le abgestellt w ird? Wiederum gilt die Frage also den Leistungen von Gefühlen,
diesmal aber den Leistungen, die sie in der Situation des Paarinterviews spielen
mögen (vgl. ausführlich dazu Stempfhuber 2012).
Wer so fragt, muss sich natürlich einige naheliegende Einwände gefallen
lassen. W ird hier nicht von vorneherein eine notwendige begriffliche Unte r-
scheidung zwischen Gefühlen als ei ner Expression von Emotionen und Gefü h-
len als subjektiven Befindlichkeiten einge zogen? W ird hier nicht die Sache
selbst mit dem „Reden über sie“ verwechse lt? Wird hier nicht der Gewinn einer
dezidierten Zurechnungsentscheidung zwis chen psychischen und sozialen Sys-
temen, derer virtuosen Handhabung sich systemtheoretische Denkangebote ja
immerzu rühmen, schon mit dem Design der Fragestellung verspielt?
Die im Folgenden vertretene These m acht sich aber genau diese Unen t-
schiedenheit zunutze, indem sie darauf ba ut, dass Gefühle gerade dann sichtbar
werden, wenn ein Beobachter es mit Attributionsambivalenzen zu tun bekommt.
Sie greift einen jüngeren Vorschlag Dirk Baeckers 92 (2004a) auf, der genau
diese Attributionsambivalenz in das Zentrum seiner Überlegungen stellt:

92
Es mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, dass die hier entscheidenden Anregungen
zu einer empirischen Analyse von Gefühlsko mmunikation von Soziologen stammen, die dem
systemtheoretischen Lager zugerechnet werden, gilt es doch landläufig als ausgem acht, das sich
gerade systemtheoretische Denkmöglichkeiten durch ihre Option für einen „Textualismus“ und
den dadurch anscheinend implizierten „Intellekt ualismus“ (vgl. nur mantraartig dazu Reckwitz
2003) den Blick auf Gefühle und Emotionen schon a priori verbaut haben. Abgesehen davon,
dass diese Einschätzung der Systemtheorie als „Textualismus“ und „Intellektualismus“ mehr als
fraglich ist, deutet sie aber vielleicht trotzdem an, was die Stärke solcher Theorieangebote sein
könnten: Sie könnten sich gerade von dem komm unikativen Auftauchen von Gefühlen überra-
Herstellung von Unbestimmtheit 147

Wer emotional reagiert, stellt den Beobachte r vor ein Attributionsprobl em, das zu ei-
ner intellektuellen Reaktion herausfordert, wenn man nicht in der Pflege des Problems
selbst die attraktivere Alternative sieht. M it der emotionalen Reaktion macht der Han-
delnde ebenso zweifelsfrei auf seine Person aufmerksam, wie er gleichzei tig diese
Person als M edium einer Situation darstellt, in der die Emotion eben nicht gewählt,
sondern Ausdruck der Situation selber ist. W er eine Emotion beschreiben will, weiß
daher typischerweise nicht, ob er es mit der emotionalen Empfindlichkeit einer Person
oder mit der Qualität der Situation selber zu tun hat. (5)

Baecker macht hier darauf aufm erksam, dass das m ethodische Problem, das o -
ben angedeutet worden ist – ist die Ur sache die Situation oder der Handelnde,
die Kommunikationspraxis oder die Zustä nde einer daran beteiligten Psyche,
klassisch attributionstheoretisch müsste man formulieren: das Erleben oder das
Handeln93 –, sich in die Kommunikationsprax is selbst zurückspiegelt und in ihr
gewissermaßen als definierendes M oment von Gefühlskommun ikation über-
haupt auftaucht. W elcher Beobach ter es hier mit diesen Attri-
butionsambivalenzen zu tun bekommt, wird dabei zunächst offen gelassen: Ist
es ein Beobachter seiner selbst, der an sich selbst Emotionen bemerkt und diese
beschreiben w ill – im Fall der Paarinterview s also: die E rzähler, die beim E r-
zählen der Paargeschichte auf Attri butionsprobleme stoßen und dabei ihre G e-
fühle entdecken? Oder ist es der Adressat, der diese Attributionsam bivalenzen
beobachtet und dabei auf die Em otionalität seines G egenübers gestoßen w ird –
im Fall der Paarinterview s also: das sozi ologische Publikum, das sich plötzlich
als Beobachter von Gefühlskommunikation, von echten Gefühlen wiederfindet?

2.1 Überrascht von Unbestimmtheiten (ambiguity failures II)

Im Hinblick auf die Darstellung von Gefühlen in den Paarinterviews ist dieser
Umweg über theoretische und m ethodische Überlegungen zur soziologischen
Beobachtung von Gefühlskom munikation aus einem schlichten Grund nötig
gewesen. Es war nämlich zunächst überraschend, dass sich eine Thematisierung
von Gefühlen viel seltener beobachten lie ß, als man zunächst bei der Erzählung
eines Beziehungsbeginns und -verlaufs ve rmuten würde. Ebenso wie bei den
fehlenden Hinweisen auf die Individualität oder Besonderheit des Partners ve r-
blüfft insbesondere, dass der Rekurs auf starke Gefühle als Grund oder als Mo-
tivation nicht nur für das Kennenlernen, sondern auch für die Rekonstruktion

schen lassen, ohne vorempirisch vorauszusetzen, dass Gefühle ja immer schon jegliches sozi a-
les Handeln prägen müssten. Vgl. zu neueren Arbeiten zum Thema nur Baecker 2004; Fuchs
1999; 2005; ferner Saake/Nassehi 2004; Nassehi 2008).
93
Im Zusammenhang der Intimkommunikation hat sich bekannterweise Luhmann durch diese
Unterscheidung schier endlose Vergleichsmöglichkeiten eröffnet (vgl. nur 1982: 25 ff.).
148 Herstellung von Unbestimmtheit

des Beziehungsbeginns in keinem einzig en Interview explizit angeführt, ge-


schweige denn betont worden ist. Es sc heint zunächst so, als fehlen für die
Kommunikation von Gefühlen in der Interviewsituation genau jene Pathosfor-
meln, die die wissenssoziologische Intimitätsforschung im Blick auf die „Theat-
ralisierungstendenzen“ bei der Präsentation von Liebe v or einem massenmedia-
len Publikum vor dem Fernsehbildschirm – mit Konsequenzen schließlich nicht
nur für die Liebe im Fernsehen, sondern auch die Liebe wie im Fernsehen – so
klar und überzeugend herausarbe iten konnte (vgl. Reichertz 1998;
Iványi/Reichertz 2002).
Der Fall, der hier als erster genauer analysiert werden soll, ist der einzige,
in dem überhaupt das W ort „Gefühle“ (und auch nur von einer Person ausge-
sprochen) auftaucht. Die Erzählung di eser Kennenlerngeschichte und dieser
Paarwerdung ist von drei M otiven geprägt. Erstens wird im mer wieder die Be-
sonderheit des Umstandes betont, dass dies die Geschichte eines „W ohn-
heimpärchens“ ist; das setting der Geschichte ist das gemeinsame Zusammenle-
ben in einem Studentenwohnheim, über das ausführlich erzählt und reflektiert
wird. Zweitens wird nicht verschwiegen, dass die ersten Annäherungsversuche
nicht in nüchternem Zustand zustande kamen: „A: (lacht) ...unsere Beziehungs-
geschichte hat viel m it A lkohol zu tun...“ (P -J&S, 23:56) D rittens gibt es in
dieser Geschichte einen signifikanten D ritten. Das Interview ist eines von zw ei-
en, die zentral von einer dritten Person (C) handeln, von der sich das Paar als
individuelles Paar im Verlaufe der Ke nnenlernens abgrenzen muss. Insbesonde-
re die Intervention von C – in ihrer Doppelrolle als beste Freundin von A und
enttäuschte ehemalige Partnerin von B – wird als Hinderungsgrund thematisiert,
die nur durch den „Zufall“ – in Form der notgedrungenen Begegnung im
Wohnheim und den Konsum von Alkohol – überwunden werden konnte:

A: Und wir haben an dem Abend dann relativ viel getrunken und, warum auch immer,
uns an dem Abend geküsst. Und waren aber beide relativ erschrocken darüber. (16:06)

A: Das waren dann glaube ich immer so zwei , drei Mal, wo an so einem betrun kenen
Abend... B: Irgendwo auf welchen Feiern, wo m an... A: Also eigentlich im mer, wenn
wir Alkohol getrunken haben, und wo da nn halt so die... die Vernunft und die Hem-
mungen wegfallen... I: Ja. A: ...war halt dann was. Und irgendwie... konnte man es
halt irgendwann nicht mehr abstreiten, dass es vielleicht nicht nur ist, weil man b e-
trunken ist, sondern dass es vielleicht auch ein fach ist, weil man sich gern hat oder
weil man möchte, dass es m ehr wird... Ja also so war es auch, aber ich wollte m ir das
ewig nicht eingestehen. (19:08)

Diese M omente der Überraschung und des „Erschreckens“ über die eigenen
Handlungen und auch schon des Verdrängens eigener Dispositionen werden
umso stärker betont, umso mehr sich di ese Episode nicht als ein „Ausrutscher“
Herstellung von Unbestimmtheit 149

erzählen lässt, der noch recht deutlich auf die Situation geschoben werden kann,
sondern nun auch „die Gefühle“ (14:53) immer stärker ins Spiel kommen. In
nächsten A usschnitt w ird die vor dem H intergrund der be tonten W iderstände
problematische E rkenntnis dargestellt, dass der A usrutscher kein A usrutscher
war, sondern der Beginn einer Paargeschichte:

A: Nein, also ich hätte ihn jetzt nicht kennengelernt, wir hätten uns nicht kennen -
gelernt, weil wir uns einm al gesehen hätten oder so. Das ist... B: Na. A:...also nie...
Also wenn ich den B, also ich glaube, dieses Bild, das habe ich nicht nur von der C,
sondern das habe ich schon generell. Also wenn ich dich jetzt sehen würde und nicht
kennen würde, nicht gut kennen würde, dann... Dann würde ich m ich auch wieder
umdrehen. Also, weiß ich auch nicht... B: Ja aber ist das generell, weil das viele Leute
von uns im Wohnheim denken, oder siehst du mich auf der Straße und denkst dir:
Was für ein arroganter Wichser? (lacht) A: (lacht) Nein! (lacht) Aber... B: Entschuldi-
gung. (lacht) B: Nein, aber du bist auch nicht jemand, also... für mich zumindest...
nicht jemand, wo ich mir denke: Ok, und den will ich jetzt näher kennenlernen... Also
überhaupt nicht... B: (lacht) A: (lacht) ...überhaupt nicht wegen... wegen den Äuße r-
lichkeiten, sondern vielmehr, weil ich mir denke: Ich glaub nicht, dass wir irgendwie
miteinander kommunizieren können. Das hab ich halt da nie gedacht. Das war immer
so mein Hauptpunkt. Selbst als dann die Gef ühle da waren, dachte ich mir immer:
Hm, das kann nicht gut gehen, weil wir überhaupt keine Gemeinsamkeiten haben,
über die wir reden können, und... (P-J&S, 14:33)

Platziert inmitten der Erzählung des Begi nns der Beziehung ist dies eine eigen-
artige und für den soziologischen Zuhörer überraschende Episode. Hier wird
von A der Plot eines Kennenlernens gege n Widerstände noch einmal erheblich
verschärft.94 Zu den äußeren, situationsbedingten W iderständen – der Interven-
tion durch C , einem durch ihre E rzählungen bei B vorgeprägten „völlig fa l-
sche[n] Bild“ (12:21) von A, der Rücksichtnahm e auf die Freundschaft m it C –
gesellen sich noch innere Widerstände. Umso erstaunlicher nimmt sich auch der
Umstand aus, dass diese inneren W iderstände und Vorbehalte nicht auf den
Beziehungsbeginn vor zwei Jahren datiert werden, sond ern von ihnen im Prä-
sens erzählt wird. In der Interviewsituation wird diese eigentümliche Konzentra-
tion auf die unterstellten negativen E igenschaften des Partners freilich m it Hu-
mor gelöst. Deutlich wird dabei abermals, wie sehr der Rekurs auf die Individu-
alität des Partners vom Bezugsproblem einer Darstellung der Individualität der
Beziehung überlagert wird – in dieser Hinsic ht ist diese Episode für die anal y-
sierten Interviews vollkommen typisch ( vgl. K apitel 1.). Zentral ist aber der
Umstand, dass gerade vor dieser widers penstigen und -sprüchlichen Ausgangs-

94
Auf den Plot des Kennenlernens gegen Widerstände wu rde im ersten Kapitel dieser Arbeit (vgl.
I.3.) schon ausführlicher Bezug genommen werden. Hier sei vermerkt, dass in dieser Erzählung
zunächst explizit abgestritten wird, dass es sich in ihrem Fall um ein rom antisches Kennenler-
nen gehandelt hat (vgl. auch Kapitel 1.).
150 Herstellung von Unbestimmtheit

lage Gefühle sichtbar werden und sichtbar gemacht werden können. Zwei Punk-
te sind auffällig. Gefühle werden in diesem Kontext nicht näher bestimmt; selbst
ihre zunächst unbestrittene Existenz w ird im mer w ieder in Parenthese gestellt
und unscharf gelassen:

A: Aber trotz allem war m ir die Freundschaft in dem M oment wichtiger... I: Ja. B:
...weil ich mir die Gefühle nicht eingestehen wollte... als die Beziehung. Viel leicht.
(21:45)

Die Einschränkungen „Vielleicht“ und, im nächsten Ausschnitt, „Keine Ah-


nung“ dienen somit nicht nur als Füllsel, sondern weisen gerade auf die U n-
schärfe der erzählten Gefühle hin. Gef ühle werden darüber hinaus fast au s-
schließlich daran festgemacht, dass sie als Überraschungen erlebt und erzählt
werden – etwa im Zusammenhang des überraschenden „Funktionierens“ der
Beziehung:

I: Was heißt: funktionieren? B: Ja... A: Das hat gut funktioniert, also ich war total
über... Weil, das war das Schöne am Anfang, dadurch, dass ich so wenig Erwar tungen
an die ganze Sache hatte, habe... B: Sie war leicht positiv zu überraschen. (lacht) A:
Immer... Nein, immer wieder, also das war wirklich, also fast bis jetzt, dass es im mer
wieder so, so positive Überraschungen gibt, wo ich mir denke: Das hätte ich nie g e-
dacht, dass es... dass er... dass du so bist, oder dass es so läuft, oder dass... Keine A h-
nung. Also es war am Anfang dann sehr schön. (29:47)

A erfährt – nicht nur an dieser Stelle der Erzählung – ihre Gefühle als Überra-
schung und kann sie auch genau als solche überzeugend darstellen: als „überr a-
schendes Sichengagie ren auf neuen W egen“ (Luhmann 1984: 371). Darste l-
lungstechnisch geht es hier also um die Lücke zwischen situationsbedingten
Gegebenheiten, eigenen willentlichen Vo rsätzen und Reflexionsleistungen, in
denen dann Gefühle auftauchen können. Si e werden im oben skizzierten Sinne
tatsächlich Attributionsambivalenzen er lebt – und wiederum also solche über-
zeugend erzählt. Auffällig ist dabei, dass die Entdeckung der eigenen Gefühle in
dieser Erzählung gleichzeitig als Nichtfraglichkeit (vgl. dazu Fuchs 2005: 97)
eingebaut wird, aber dennoch nicht als Reflexionssperre (vgl. dazu Luhmann
1984: 211) funktioniert. 95 Darüber hinaus ist auch auffällig, dass m it dem, was

95
Die Formulierung der „Nichtfraglichkeit“ von Gefühlen nimmt die hellsichtigen Spekulationen
zur Funktion von Gefühlen von Peter Fuchs (2005: 95) auf, wobei ihnen doch an einer en t-
scheidenden Stelle widersprochen werden muss. Fuchs diagnostiziert, dass im Vollzug der
„Umstellung des Gesellschaftssystems vom primär en Differenzierungsmodus der Stratifikation
auf funktionale Differenzierung [...] Kontingenz freigesetzt worden [ist]“ (95) und sich vor di e-
sem Hintergrund der Bedarf nach „ stabiler Alternativität“, nach einem „ inviolate level“(ebd.)
explosionsartig gestiegen ist: „Die Annahme ist, daß die kommunikative Bezeichnung des nicht
bezeichenbaren Surplus der Wahrnehmung (also von Gefühlen) in dieser Hinsicht sozial attra k-
Herstellung von Unbestimmtheit 151

da als Gefühl bezeichnet wird, klar und deutlich etwas benannt wird, was selbst
undeutlich ist.96
Im Weiteren wird dies allerdings vor allem an Interview stellen interessant,
in denen Gefühle gerade nicht them atisiert werden, sondern implizit als Produkt
der K ommunikation, m an könnte sagen: als unw illentliche Inszenierung b e-
obachtbar werden. 97 Gefühlskom munikation wird also nicht auf der themati-
schen Ebene, sondern viel eher auf de r Ebene der Codierung sichtbar werden.
Wenn aber in den hier behandelten Interviews die Erzählung der Paargeschichte
in einem Sog der Reflexionsbemühunge n gerissen wird, die den möglichen
impliziten oder expliziten B ezug auf G efühle etwa als Reflexionssperren, als
Nachfrageverbote oder gar als Pathosformeln nicht in Anspruch nehmen: „W o
bleiben die Gefühle?“ (Mangold 2001)
Das Paar der folgenden Ausschnitte ist von den interviewten wohl dasjeni-
ge, das am deutlichsten einen D arstellungsstil pflegt, der die pragm atischen
Aspekte einer funktionierenden, stabilen Langzeitbeziehung in den Vordergrund
rückt. Die eigene Geschichte wird er stens als unromantisch ausgewiesen, g e-
nauer: Es wird explizit darauf hingewiesen, dass sich die eigene Präsentation der
Beziehung – wiederum explizit – unroman tisch gibt („A: Das hört sich zwar
jetzt echt ein bisschen unromantisch an, aber... (lacht) ...ist es glaube ich so.“ [P-
N&O 26:18]). Auf die Frage nach dem „Erfolgsgeheimnis“ (25:36) für die Sta -
bilität der Beziehung w ir w iederholt w örtlich auf den eigenen Pragm atismus

tiv geworden ist. Sie arbeitet wie eine Reflexi onssperre.“ (98) Insofern Fuchs davon ausgeht,
dass die Kommunikation von Gefühlen „kommunika tive Kontingenz [absorbiert], ohne dabei
alle Anschlüsse zu kappen“ (ebd.), könnte man vermuten, dass vielleicht nur der Begriff der Re-
flexionssperre falsch gewählt wurde. Im obigen Fall jedoch ist die Unbestreitbarkeit des G e-
fühls geradezu der erklärte Anlass für endlose Reflexionsbemühungen – und das anscheinend
nicht nur in der Erzählzeit des Interviews, bei dem man ja gerade du rch die Zeitdimension der
Nachträglichkeit einen solche Reflexionsanreiz durchaus situationsbezogen eingebaut vermuten
darf, sondern auch in der erzählten Zeit selbst.
96
Wiederum liegt dieser Formulierung eine Intuitition Peter Fuchs’ zugrunde, der das Gefühlsmä-
ßige am Gefühl als Wahrnehmungsmodus besti mmt, der auf „Aspekte der Welt und des Lebens
en bloc, unmittelbar, ohne Begriffe, ohne den Ei nsatz präziser Distinktionen“ (2005: 84; vgl.
aber auch Simmel 2008: 422 ff.) zugreift, und im Kontext ihrer (n otwendigen) Bezeichnung
durch ein Bewusstsein oder durch die Kommuni kation Gefühle als „die Bezeichnung der Mi t-
wahrnehmung der Beschneidungsleistung, die im Moment, in dem beobachtet wird, immer mi t-
anfällt“ (91) bestimmt. Seine Unterscheidung ist also die zwischen deutlich und undeutlich,
zwischen bestimmt und unbestimmt, zwischen cognitio clara und cognitio confusa (vgl. 83 ff.),
und entscheidend ist die Kommunikation dieser Differenz, an der dann Ge fühle abgelesen wer-
den können. Dieses Kapitels greift freilich auf diesen ausgefeilten Definitionsversuch nur unter
den Prämissen einer empirischen Fragestellung zurück.
97
Es ist, wie schon erwähnt, auffällig, dass in den Interviews Gefühle als Thema der Kommunika-
tion insgesamt keinen nennenswerten Raum ei nnehmen. Im Rückblick auf das Datenmaterial
hatte das auf den Interviewer offenbar einen so überraschenden Effekt, dass in späteren Inte r-
views sogar explizit nach Gefühlen nachgefragt wurde.
152 Herstellung von Unbestimmtheit

hingewiesen (25:43; 29:15). Dieser Pragmatismus speist sich einerseits aus


„Kompromissbereitschaft“ (25:42), ande rerseits aus realistischen Erwartungen
(„A: D u darfst nicht irgendw ie erw arten, dass... Ich w eiß nicht, viele L eute
haben, glaube ich haben so echt das Gefühl, die beenden dann schnell eine Be-
ziehung, wenn irgendwas nicht funktioniert. “ [25:44]). Dies wird offenbar nicht
negativ gedeutet, sondern im Gegenteil gerade als der Erfolgsgarant der eigenen
Beziehung präsentiert. Dabei wird diese wi ederum – das klingt im letzten Zitat
schon deutlich an – zunächst explizit als eine G eschichte erzählt, die nichts
Besonderes beinhaltet, sich aber gerade dadurch im Vergleich zu anderen Ge-
schichten als besonders erweist. Gerade bei der Narration des Beziehungsa n-
fangs wird dies deutlich, der zunächst gleichsam in Parenthese gesetzt wird.

A: Weil das ist ja irgendwie auch nicht so eine Geschichte, wo man irgendwie denkt,
ehm... dass es so ein besonderes Zusammentreffen ist oder so, weißt du... I: Ok. A:
...also ich hab jetzt nicht das Gefühl, dass m an da irgendwie... ehm... sich durch so ei-
nen besonderen Zufall oder so kennengelernt haben würde... (05:18)

Und doch wird gerade der Beginn der Beziehung mit Metaphern belegt, die dem
klassischen Zuschnitt nach Zufälligkeit, Spontaneität und überraschende Gefü h-
le assoziieren lassen:

B: W ir haben öfter etwas unternom men zusam men, genau... sind so irgendwie raus
gegangen oder sowas war das. Und dann war es halt einmal im November, dann 96,
da waren wir auch zusammen auf einer Party. Ja, und da hat es dann ir gendwie... ge-
funkt, in der Nacht dann. (2:17)

Auf Nachfrage wird sehr schnell darauf hingewiesen, dass dies nur den Beginn
der Beziehung bedeuten soll („A: Da wa ren wir dann zusammen. B: Ja. (lacht)
A: (lacht)“ [02:41]). Dass dam it aber in der Darstellung vor allem auch Gefühle
sichtbar werden, hat nicht zu letzt mit dem M oment der Überraschung zu tun,
den die hier verwendete M etapher fü r den Zeitpunkt des Beziehungsbeginns
markiert. Dieser M oment wird al s M oment der Überra schung ausführlich
dadurch vorbereitet, dass wiederum die Widerstände gegen eine mögliche In-
timbeziehung hervorgehoben werden – äußere, insofern einer von beiden zum
Zeitpunkt des überspringenden Funkens sich noch in einer Beziehung befand
(oder nicht), wie innere:

A: Aber ich wollte eigentlich nicht so. Also irgendwie fand ich das auch komisch,
weil ich weiß nicht, ob du noch da mit deinem alten Freund zusammen warst, oder o b
da schon Schluss war... B: Nein. W ar ich nicht, da war gerade Schluss. A: Auf jeden
Fall war das so, ich hatte... eigentlich kein Interesse. (1:47)
Herstellung von Unbestimmtheit 153

Gefühle präsentieren sich also ledigl ich als Überraschungen, was freilich vor
dem Hintergrund einer Erzäh lung, die auf die Pragmatik der Beziehung W ert
legt, umso deutlicher – und insofern: überra schender – hervortritt. Und in dieser
als pragm atisch titulierten Bezie hung m arkieren sie nicht nur andeutungsw eise
ihren Beginn; sie tauchen auch noch als der nicht konkret benennbare Rest auf,
der das Erfolgsgeheimnis der Beziehung zu einem Erfolgs geheimnis machen,
und nicht zu einem Erfolgsrezept:

A: Und ich glaub natürlich irgendwie, ich glaub so richtig ein Rezept gibt es natürlich
nicht, weil es muss ja trotzdem irgendwie passen, weißt du. Du musst zwischendurch
schon immer merken, dass man sich wirklich noch gut versteht, so, glaube ich, also
dass man immer wieder... B: Ja. A: ...also dass m an nicht denkt so, ja... das passt ja
gar nicht mehr. (27:17)

Die Erzählung des nächsten Paares könnt e auf den ersten Blick nicht unter-
schiedlicher ausfallen. Schon von der Länge der Erzählung stellen die beiden
Erzählungen Extreme dar. Die Rekonstrukti on der ersten vier Tage nim mt hier
alleine schon mehr als 45 M inuten in Anspruch. Die Kennenlerngeschichte und
die ersten Tage, die dann nach einer Woche zu einer Beziehung werden, wird
als definierende Episode für die Paarge schichte beschrieben. Sie ist als G e-
schichte „sehr präsent“; sie repräsentie rt für die Gewährspersonen „ein ausge-
sprochen ungewöhnliches Kennenlernen“, weil „es über solche Ecken... gela u-
fen ist und natürlich jetzt auch sieben Jahre gehalten hat, das ist jetzt schon
etwas, wo ich sage, das ist jetzt nicht so ganz alltäglich...“ (P -K&P1, 27:25) E s
ist „eine lustige G eschichte. D ie kann man gut erzählen.“ (28:27) Auch wenn
nicht klar wird, wie wichtig die Geschi chte für die eigene Beziehung definiert
wird, bleibt „im Rückblick“ eine Selbsteinschätzung stehen: „Ich find es einfach
ganz schön, würde ich sagen.“ (28:25) Nich t nur die Geschichte selbst, auch die
Erfahrungen m it dem Erzählen dieser Geschichte vor Freunden, Fam ilie und
Kollegen wird dabei als Erfolgsgeschichte präsentiert. Anders als im vorherigen
Beispiel wird sie explizit als „besonde re“ Geschichte ausgewiesen; und anders
als im vorherigen Beispiel wird sie wi ederum gerade nicht von einem pragmat i-
schen, sondern von einem äußerst emotionalen Ton getragen, der auch in der
Selbsteinschätzung immer wieder betont wird. Was hier interessiert ist dabei der
Umstand, dass sich auch hier Gefühle dari n zeigen, dass sie sich nur als Überr a-
schungen darstellen lassen, die sich wi ederum an einem Verweis auf Unb e-
stimmtheiten und Ambivalenzen aufhängen.
Die Besonderheit hat hier viel mit dem Ort der ersten Begegnung zu tun. Er
entpuppt sich als ein Zelt auf dem M ünchner Oktoberfest. Als Besonderheit
wird dabei jedoch nicht dar gestellt, dass sich in diesem R ahmen zw ei L eute
kennenlernen, sich für einander intere ssieren und sogar intim miteinander we r-
154 Herstellung von Unbestimmtheit

den. Als Besonderheit wird der Um stand dargestellt, wie schnell sich in diesem
Fall echte und ernsthafte G efühle eingestellt haben – genau dies ist die Ü berra-
schung, und genau dies ist es zunächst als Überraschung. Denn es wird gar nicht
explizit erzählt, dass sich diese Gefühle eingestellt haben; betont wird allerdings
immer und immer wieder, dass es nicht zu erwarten war, dass sich diese Gefü h-
le einstellen könnten. Zunächst wird ein Szenario der „Liebe auf den ersten
Blick“ gleichzeitig inszeniert und zurückgenommen. A erzählt seinen ersten
Eindruck folgendermaßen:

A: ...und sah dann in dem Gang, wo wir da standen... sah ich dann irgendwann den B
da durchlaufen. (05:36)

A: Zwei M eter weiter blieb der aber stehen, der B... I: Mhm. A: Ja, und dann hab ich
mir das so angekuckt und hab gesagt: Hm, find ich ja wirklich gar nicht so schlecht,
ja. (06:04)

B erzählt seinen ersten Eindruck sogar, indem er auf die Frage nach der „Liebe
auf den ersten Blick“ referiert:

B: Hm , also ich will jetzt... weiß nicht, ob das Liebe auf den ersten Blick... A: Du
warst vom Schlag getroffen! (lacht) B: Aber es war schon so, dass ich gedacht habe,
der ist aber schon besonders nett. (10:07)

Das Entscheidende für die Darstellung von Gefühlen ist hier tatsächlich die
Evokation des Überraschtseins, wobei der Erwartungshintergrund selbst bei
diesem Paar durchaus unterschiedlich gestaltet sein mag: A etwa erzählt, dass er
dem Setting des Oktoberfestes besonde rs argwöhnisch gegenüberstand; B war
zum Zeitpunkt dieses ersten Blickes noch in einer festen Beziehung. Aber in
beiden Fällen werden die großen Gefühle gar nicht explizit benannt, sondern
gewissermaßen ex negativo, als doppelte Verneinung, konkret also gerade an
der überraschenden Enttäuschung der skeptischen Erwartungshaltung deutlich:

A: Also, auch als wir uns dann... kennengelernt hatten, habe ich an alles m ögliche ge-
dacht, aber bestimmt nicht daran, ja... I: Ok. A: ...ja so: In Liebe verfallen auf den ers-
ten Blick... alles Scheiße, überhaupt nicht. (06:47)

Wenn das M oment der Überraschung typisch für die Darstellung von Gefühlen
ist, dann ist es in diesem Falle auch noch ein W eiteres. W ieder wird für den
Moment näm lich im Unklaren gelassen, was es denn genau war, dass sich da
überraschend bemerkbar macht. Dass Gefühle Gründe für die Akteure selbst
überraschende Handlungen sind, ist eine S ache. Dass sie aber selbst im Nac h-
Herstellung von Unbestimmtheit 155

hinein als ein schwer benennbares M otiv erscheinen, ist für die performative
Darstellung von Gefühlen ebenso relevant:

A: Ich hab überhaupt nicht daran gedacht, dass es... irgendwie... überhaupt nicht! I:
Ok. A: Ich... ich weiß nicht was mich da geritten hat. (10:46)

Deutlich wird hier, dass das U nbestimmtlassen dieses M oments gerade das ist,
was es dieser Erzählung erlaubt, Gefühl e gerade nicht zu thematisieren oder
weiter zu reflektieren, sondern sie im M oment des Erzählens gegenwärtig zu
machen. Nicht nur werden Gefühle in einen Bereich des Vorreflektiven, im
Falle dieser M etapher sogar: Unverfügbaren und passiv Erfahrbaren positio-
niert; sie erscheinen perform ativ d arstellbar nur in diesem B ereich. D as ist für
die Interviews typisch – vollkommen a bgesehen davon, in welchem konkreten
Zusammenhang sich dieser Effekt einstellt. Typisch ist er etwa auch gerade
dann, wenn als Überraschung lediglich das reibungslose Funktionieren oder die
Anstrengungslosigkeit des Kennenlernens identifiziert wird und dafür keine
Angabe von Gründen geliefert werden kann, keine Reflexion auf die Ursachen
geleistet werden will.98 In dieser Hinsicht ermöglicht in der Tat die Darstellung
einer überraschenden Ambivalenz die Darstellung von Gefühlen.
Auch wenn Gefühle nicht them atisiert werden, geht es in den Interviews
also doch zumindest in dem Sinne um Gefühlskommunikation, als sie performa-
tiv eine Aufführung von Gefühlen leisten. Hier wurde empirisch gewissermaßen
die Einsicht Baeckers zu der Attribu tionsambivalenz von Gefühlen und die Idee
Fuchs’ von der U ndeutlichkeit der G efühle vom K opf auf die Füße gestellt,
indem nachverfolgt wurde, wie dur ch die kommunikative Inszenierung von
Ambivalenzen gerade der Effekt erzeugt wird, dass es hier um echte Gefühle
geht – gerade weil sie nicht klar gemacht werden, können Gefühle bezeichnet,
genauer: evoziert w erden. W as m it dieser Perspektive klar (sic!) w erden sollte
ist der Umstand, dass diese heuristische Umkehrung des empirischen Vorgehens
nicht so gedeutet w erden sollte, dass hier nach einem theoretisch abgesicherten
Kriterium gesucht wurde, an dem m an eindeutig erkennen kann, wann es sich

98
Da sich in dieser Hinsicht die Liste der Belege fast uneingeschränkt verlängern lässt, sollen hier
nur zwei Beispiele bei einem weiteren „Oktoberfestpaar“ angeführt werden. Im Bezug auf die
überraschende Schnelligkeit etwa: „Eigentlich so... dass es, dass es so schnell sich was... was
entwickelt, das habe ich eigentlich bis jetzt auch noch nicht erlebt. [...] B: Das ging schon
schnell, aber für mich war das halt auch in dem Moment, weil ich halt überhaupt nicht auf der
Suche war.“ (P-J&T, 07:34); dasselbe Paar im Bezug auf die Stressfreiheit: „B: ...also schon na-
türlich mit einer starken Zuneigung auch verbunden, logisch, aber... Ich habe halt nie irgendwie
das Gefühl gehabt: Oh, da muss ich mich aber ganz schön daran gewöhnen. I: Mhm. B: Also
einfach bloß halt, genau halt ohne großartigen... W ahnsinnsstress so. A: Ja. B: Und das fand ich
das Besondere und Angenehme, muss ich schon sagen. [...] A: Da hab ich schon andere Sachen
erlebt (lacht)“ (11:11).
156 Herstellung von Unbestimmtheit

um Gefühlskommunikation handelt. Ganz im Gegenteil konn te sich auch der


systemtheoretisch informierte Beobachter zunächst schlichtweg nicht dem Ei n-
druck entziehen, dass es sich bei dem Beobachteten um Gefühle handelt – die
Zurschaustellung von Attributionspr oblemen, von Bestim mungsproblemen
eines undeutlichen Zustandes erscheinen dabei aber als Index, als kom munikati-
ve Technik, die genau diesen Eindruc k entstehen lassen. Der Gewinn einer
systemtheoretisch inspi rierten Herange hensweise und ihrem Interesse an der
kommunikativen Herstellung von Gefühlen mag dabei ironischerweise gerade
der gewesen sein, diese Beobachtung von Inszenierungsleistungen dabei nicht a
priori unter Ideologieverdacht zu stellen. Auf der Suche nach der direkten und
unvermittelten Beobachtung von echten Gefühlen ist dies eine Gefahr, der etwa
Illouz im Hinblick auf die narrativen Leistungen ihrer Interviewpartner oder
Reichertz im Hinblick auf die Pathosform eln m assenmedialer Inszenierung
kaum entziehen können. Letztlich führt aber aus der hier vertretenen Perspekti-
ve kein Weg daran vorbei – praktisch hergestellte G efühle sind eben genau das:
Gefühle.

2.2 Pathosformeln oder Ironieformeln?

Von „Pathosformeln“ – und ihrem Fehlen in den Interviewtexten – war hier


wiederholt die Rede. Dam it die Stoßrichtung der Verwendung dieses Aus-
drucks, der freilich selbst allzu oft zu einer bloßen herablassenden Form el für
die Denunziation „inhaltloser Pathosformeln“99 erstarrt ist, nicht missverstanden
wird, muss hier darauf hingewiesen werden, was mit ihm ursprünglich intendiert
war. Die Rede von der Pathosformel ist natürlich ein Aby -Warburg-Zitat.100
Warburg prägte den Begriff bei der Behandlung eines kunstgeschichtli chen
Phänomens, der D arstellung von innerer Ergriffenheit und leidenschaftlicher
Erfahrung in der bildenden Kunst der ita lienischen Renaissance. Pathosformeln
sind für W arburg dabei die „U rworte leidenschaftlicher Gebärdensprache“ (zit.
n. Gombrich 1970: 351), sie lösen ein darstellungstechnisches Problem des
Quattrocento, deren Lösung Jakob Burkhardt folgenderm aßen form uliert hat:
„Wo irgend Pathos zum Vorschein kam, mußte es in antiker Form geschehen.“
(232) W arburg geht es aber nicht nur um einen Legitim ationszusammenhang.

99
So etwa Jens Jessen (2007) in einer uneinsichtigen Replik auf Armin Nassehi, in der er von
einem „Wellness-Bad von inhaltlosen Pathosformeln“ spricht.
100
Dieser Hinweis bei Norbert Bolz (1999: 119 ff.). Für den Zusammenhang der Pathosformel mit
Aby Warburgs intellektuellen Werdegang darf (und auf Grund der schwierigen Veröffentl i-
chungsgeschichte von Warburgs Schriften: muss ) auf Erst H. Gombrichs einflussreiche Wa r-
burg-Biographie (1970) hingewiesen werden.
Herstellung von Unbestimmtheit 157

Man muss hier nicht auf die Details von W arburgs anthropologischen und ps y-
chologischen Theoremen eingehen, um die eigentümliche Pointe des Begriffs zu
erkennen. Pathosformeln liefern die Möglichkeit, eine Grenze von Innen und
Außen, Oberfläche und Tiefe zu errichten und gleichzeitig deren Kompatibilität
zu behaupten. Sie verweisen auf die mög liche Sichtbarkeit, Darstellbarkeit und
zumindest künstlerische Kom munizierbarkeit von extremen, „superlativen“
inneren Bewegtheitszuständen – und zwar im Rückgriff und in der Erschaffung
von extremen, „superlativen“ Ausdrucksformen und -formeln. Norbert Bolz
übersetzt das sehr schön in ein verstä ndliches B eispiel: „D ie orgias tische B e-
wegtheit von M assen im Festrausch dient al s Formel für die innere Bewegtheit
des einzelnen, die Tanzekstase liefert der ergriffenen Innerlichkeit eine Aus-
drucksschablone.“ (1999: 120)
Bolz ist es auch , der auf die E igentümlichkeit der W arburgschen Formel
von der Formel im Kontext des Bedeut ungshofs des Pathosbegriffs hinweist.
Wenn W arburg sich für „M uskelrhetorik“ als körperlichen „Engrammen“ für
Gemütsbewegungen interessiert, scheint dabei das Entscheidende des Pathosbe-
griffs geradezu ausgeklammert geworden zu sein.

Für das Pathos des Ethikers kann es natürlich nur ein Missverständnis sein, Ge -
bärdensprachen für innere Erregtheit zu suchen. Explizit heißt es bei Kierkegaard
denn auch: „Innerlichkeit und unaussprechliche Seufzer sind für das Muskulöse nicht
kommensurabel.“ (120 f.)

Zumindest für das 19. Jahrhundert m usste also die Form ulierung „Pathosfor-
mel“ als ein Oxymoron erscheinen ( vgl. dazu Zons 2000: 182 ff.). Pathos for-
meln würden ein Darstellungs- und Komm unikationsproblem lö sen, indem sie
das Undarstellbare darstellbar machen, aber auf eine selbstzerstörerische W eise,
in der durch die D arstellung gleichsam das Dargestellte depotenziert würde. Sie
würden der Rhetorik gerade das unterwe rfen, dass sich im emphatischen Sinne
der Rhetorik widersetzen muss. Pathos ist in diesem Sinne inkommunikabel. 101
Just dieser Umstand könnte aber ironischerweise auch den enormen Erfolg des
Begriffs der „Pathosform el“ erklären; er ist zu einer Kam pfvokabel des Feuil-
leton mutiert, die in entlarvender Absicht auf die Inhaltslosigkeit von ritualisier-
ten Darstellungs- und Kommunikationsprak tiken hinweisen soll. Der Hinweis
auf die Rhetorik, auf die „Inszenierung“ impliziert den Hinweis auf das fehlende
Signifikat, auf den M angel an A uthentizität. In diesem Kapitel wurde vermutet,
dass sich dieser Verdacht der mangelnden Authentizität der Darstellung von
Gefühlen sich noch als Intuition in den reflektiertesten und einsichtsreichsten
101
In genau diesem Sinne definiert ihn etwa Hegel in den „Vorlesungen zur Ästhetik“ auch als
„Gegenteil der heutigen Ironie“ (1979 Bd. 15: 540). Vgl. dazu auch das dritte Kapitel der vo r-
liegenden Arbeit.
158 Herstellung von Unbestimmtheit

intimitäts- und wissenssoziologischen Untersuchungen zum Them a wiederfin-


den lässt. Entscheidend bei der eigene n Analyse von Gefühlskom munikation in
diesem Kapitel war dabei, diesen Verdac ht nicht einfach mitzutragen, son dern
ihn produktiv für die Beobachtung von Gefühlen zu wenden.
Denn obw ohl hier „Pathosformel“ zunä chst lediglich als ein gewinnbrin-
gender Begriff für die Analyse massenmedialer Inszenierungen von Liebe im
Sinne Reichertz’ erschienen ist, ka nn man ihm eine kommunikationstheoreti-
sche W endung geben, wenn m an die ur sprüngliche Intention W arburgs m itbe-
denkt. Was Warburg nämlich kunstgeschichtlich zeigen konnte ist, dass es die-
ser Formeln durchaus bedarf – nicht nur um ihren Inhalt darstellbar zu machen,
sondern um ihn überhaupt entdecken und plausibel machen zu können. Die
Pathosformeln haben (auch) eine befreiende Bedeutung. Übersetzt für den Prob-
lembezug dieses Kapitels und kommunikationstheoretisch zugespitzt würde
man dann sehen können, dass Pathosformeln ihren Inhalt nicht nur ausdrücken
wollen, sondern ihn zuallererst etabliere n. W as etwa die wissenssoziologische
Analyse massenmedialer Inszenierungen vorführt, ist, dass sie dies insbesondere
auch dadurch tun, dass sie gleichsam automatisch den Verdacht der Inhaltslo-
sigkeit immer auch mi tbefördern. Der gleichsam immer mitgelieferte Verdacht
der Inszenierung, der Verdacht der Form elhaftigkeit, der Verdacht der reinen
Rhetorik verweist dann im mer auch darauf: auf ein ungebrochenes Vertrauen in
das D argestellte, dass durch seine D arstellung nur beschädigt w erden könnte.
Insofern war die Diagnose des Fehlen s von Pathosformeln zum Ausdruck von
innerer Ergriffenheit und leidenschaftliche r Erfahrung in der Interview situation
keineswegs ein formales Argument, das die Logik der Evokation von Gefühlen
durch die Darstellung von Überraschung und Attributionsambivalenzen der
Logik von Pathosform eln kontrastieren sollt e – ganz im Gegenteil sind ja auch
die Pathosformeln „durchaus ambiva lent“ (Gom brich 1970: 377). Sie sollte
lediglich inhaltlich darauf hinw eisen, dass sich die K ommunikation von G efüh-
len im Zusammenhang mit Liebe und Intimitä t gerade nicht auf die formelhafte
Darstellung innerer Ergriffenheit und leidenschaftlicher Erfahrung einschrän-
ken lässt. Im nächsten Kapitel sollen dabei die hier nur angedeuteten paradoxen
Konsequenzen von Pathosformeln noch einmal genauer untersucht werden,
wenn sie sich auch in der Interviewsituation gerade im Zusam menhang eines
ironischen Stils der Kommunikation Raum verschaffen.
Herstellung von Unbestimmtheit 159

3. Bezugsproblem: Interaktion und Körperlichkeit

Alles ist belanglos,


ausgenommen das, was wir im gegenwärtigen Augenblick tun.
Tolstoi

Das Problem bei den meisten Ehen heißt: Kom-mu-ni-ka-tion.


Zuviel Kommunikation.
Homer J. Simpson

Dass Liebe bevorzugt in Interaktionen stattfindet, muss zunächst auch für dieses
Kapitel als eine Aussage von allzu geringer Aussagekraft erscheinen. 102 We r
sich für intim e Kommunikation interessiert, interessiert sich offensichtlich auch
zwangsläufig für eine Form der Komm unikation, an der (mindestens) zwei
Personen beteiligt sind – und der präferierte M odus der Teilnahm e scheint auf
Anwesenheit zu basi eren. Die Abwesenheit etwa der fernen Geliebten ist damit
nicht ausgeschlossen und mag etwa als Anlass zum Verfassen eines Liederzyk-
lus dienen, der genau diese Abwesenheit beklagt. Die zunächs t unhinterfragten
Relevanz von Interaktion als Kommunikation unter Anwesenden für Intim kom-
munikation wird aber in der soziologi schen Forschung selten explizit themat i-
siert und leitet dennoch die Blickricht ung, etw a in der A nalyse von A lltags-
kommunikation (Hartung 1998), von medialen (Re-)Präsentationen von Paaren
(Reichertz 1998), vom Kontrast von Konsensen in Anwesenheit und dem
Nachweis ihrer Fiktionalität in Abwesenheit des Partners (Hahn 1983) oder vom
Theater der Anm ache (Kintzelé 1998). In dieser Arbeit wurde diese Konzentra-
tion auf die Interaktionsabhängigkeit von intimer Kommunikation gleichsam auf
die Spitze getrieben, als ausschließlich Paare interviewt wurden, die gleichzeitig
gemeinsam körperlich in der Interviewsituation anwesend waren. 103 Dass in der
Idee, dass Liebe bevorzugt in Interakti onssituationen stattfindet und dass diese

102
Dass für systemtheoretische Überlegungen diese Aussage jedoch allein schon dadurch einen
Informationswert impliziert, als man intime Ko mmunikation unter diesem Aspekt mit anderen
Formen der Systembildung und insbesondere mit anderen Funktionssystemen vergleichen kann
und in ihrer Spezialisierung auf Interaktionen intimer Kommunikation gewissermaßen diese
Sonderrolle zugestehen kann – „Liebe regelt intime Kommunikation, und intime Kommunikati-
on bildet keine Systeme außerhalb der Intera ktionsebene.“ (Luhmann 1982: 69) – wird im
Schlusskapitel noch einmal gesondert aufgegriffen.
103
Die folgenden Überlegungen sind auch in Abgrenzung zu den erkenntnistheoretisch und meth o-
disch porblematischen Unterstellungen einer „qu asi-natürlichen“ Interaktionssituation im Paa r-
interview als „Fenster zur Paarrealität“ zu verstehen, wie sie etwa in einem Vortrag von Christ i-
ne W imbauer am 19.12.2009 am Institut für Soziologie der LM U M ünchen zum Thema der
„Paarbefragung in relationaler Perspektive“ wiederholt wurden. Vgl. aber auch schon W imbau-
er (2003).
160 Herstellung von Unbestimmtheit

den Ort darstellen, an dem sie am best en zu beobachten sind, vielleicht schon
mehr Vorannahmen versteckt sind, als es auf den ersten Blick den Anschein hat,
wird dann deutlich, wenn man zunächst einen kurzen Blick auf Diagnosen wirft,
die gerade die (drohende oder konstitutive) Abwesenheit als Ursache für einen
Wandel in der (post-)modernen intimen Kommunikation ansehen.
„Im Internet wird aus dem privaten psychologischen Selbst ein öffentlicher
Auftritt“ (2006: 119) lautet die zentral e Einschätzung von Eva Illouz in ihrer
Analyse von Kontaktbörsen im Internet. W as sie aber vor allem interessiert, ist
gar nicht der (freiw illige) Transfer von selbstbeobachtenden, selbstbeschreiben-
den und selbstdarstellerischen Praktiken, die einst angeblich der Privatsphäre
zugeordnet w aren, ins R ampenlicht der Ö ffentlichkeit. V iel w ichtiger für eine
Beschreibung der radikalen Veränderungen, die ihrer Ansicht nach damit für die
Genese und Ausformung von Paarbeziehungen relevant werden, ist der Hin weis
darauf, dass es sich dabei um virtuelle Praktiken handelt – und das heißt vor
allem: Praktiken, die auf eine spezifisc he W eise die M aterialität der K örper
gerade nicht in A nspruch nehm en. Im Internet präsentiert sich das Selbst als
entkörperlichtes. Das leuchtet besonders dann ein, wenn sie die virtuelle Ko m-
munikation im Netz mit der Interak tion von Anwesenden kontrastiert und da r-
aus Schlüsse für sich verändernde in time Kommunikation zieht: „W ährend die
traditionelle romantische Form der Li ebe eng verknüpft ist mit der sexuellen
Anziehung von zwei physischen, m ateriellen Körpern, räum t die neue Techno-
logie des Internets einer systematis ch-rationalen und unkörperlichen Beurte i-
lung bei der Partnerwahl den Vorrang vor körperlicher Attraktivität ein.“ (in
Niekrenz/Villányi 2008: 216) M an m uss nun diese Einschätzung im D etail –
insbesondere der „unkörperlichen Beurteilung“ 104 – nicht teilen, um zu erken-
nen, auf w elche Plausibilitäten dam it recht einleuchtend verw iesen wird. Illouz
macht hier eine Unterscheidung auf, die der M aterialität und Körperlichkeit des
Interaktionsgeschehens das Vorrecht auf die „verzauberte ro mantische Liebe“,
die „durch eine Ideologie von Spontane ität und Einzigartigkeit gekennzeichnet“
ist (ebd.), einräumt. Demgegenüber ist da s Prinzip der Partnerbörse das der vir -
tuellen Börse: „D as virtuelle D ate ist im w ahrsten Sinne des W ortes m arktför-
mig organisiert, indem man den ‚W ert‘ von Personen nach M aßgaben des ‚bes-
ten Geschäfts‘ vergleichen kann.“ (ebd.) Liebe ist kein Zufall wirbt auch im
deutschen Kontext eine Partnersuchm aschine ( http://www.elitepartner.de/) –
und diese deutlich ausgesprochene W ahrheit über die Realität der virtuellen
Welt ist für Illouz nun der bedenkenswerte Skandal, aber wiederum: kein Zufall.
Als Medium wirkt das Internet für Illouz näm lich konstitutiv an der tiefgreifen-

104
Mögliche Gegenargumente im Hinblick auf die Wirkmächtigkeit von Bildern etwa von Vertr e-
tern einer Diagnose des pictorial turn im Sinne von W.J.T. Mitchell (2008) werden hier außer
Acht gelassen.
Herstellung von Unbestimmtheit 161

den „Rationalisierung“ noch derjenigen Be reiche der Intimität, die sich ihr ro-
mantisch kodiert noch weitgehend widersetzen konnt en. Und als Medium ist es
aber gerade definiert durch seinen Kontra st zur Interaktion, die auf körperliche
Anwesenheit angewiesen ist.
Man kann hier also ex negativo einiges darüber lernen, wie dem bloßen
Setzen auf Interaktion Bedeutung für die Bedingungen der M öglichkeit intimer
Kommunikation, die – etwa für Komme ntatoren wie Illouz – noch als Liebe zu
erkennen ist, abgewonnen wird. Erstens sind also an der Interaktion Personen
durch die konstitutive A nwesenheit ihrer Körper beteiligt. D as ist nun für die
Gegenüberstellung Illouz’ von Interakt ion und Internetkommunikation keine
Belanglosigkeit. Im Kontext der Intimkommunikation gewährleistet dies mehre-
re Effekte. Die bloße Anwesenheit von Körpern erscheinen hier als eine plausib-
le Chiffre für die Überraschungsanfälligkeit und -offenheit von Interaktionssitu-
ationen. Sie tauchen hier als Garanten für Aktionen und Reaktionen auf, die sich
auf eine scheinbar unvermeidliche W eise der Kontrolle des kühl kalkulierenden
Verstandes widersetzen. Personen werden in Interaktionen in dieser Perspektive
also nicht nur von ihren unkontrollierbar en Reaktionen etw a auf die W irkung
(„Attraktivität“ [ebd.], „Charme“, „Charisma“ [2006: 155]) anderer Personen
und Körper überrascht, sondern noch dazu von der Reaktion eines weiteren
Akteurs überrascht: ihres eigenen Körpers. Der Körper selbst erscheint also als
ein Beobachter, der die Interakti on allein dadurch schon mit Unkontrol-
lierbarkeit und Offenheit imprägniert, da er eben noch einen zusätz liche Be-
obachter auftauchen lässt, der gleichsam quer105 zum „Bewusstsein“ beobachtet.
Dass Interaktion in dieser Version zudem auf räum liche Nähe angewiesen ist,
impliziert zudem einen Verlust von Distan z zu diesen unerwarteten Reaktionen:
Eine zum Zur-Seite-Legen eines Briefes, zum Zappen (wie beim Fernsehen)
oder zum Switchien (wie vor dem Comput er) analoge Reaktion ist nicht ausge-
schlossen, wird aber sofort als Bestandt eil der Interaktion regist riert. Die Sicht-
barkeit von Körpern und ihren Reaktionen wird also auf eine spezifische W eise
in Anspruch genommen, sei’s durch ei ne Logik der W ahrnehmung, die neben
vokalen Gesten auch noch Gebärden „mit Händen und Füßen“ im Sinne M eads
einsetzt (vgl. dazu Nassehi in Pase ro/Weinbach 2003) und eben dadurch inter-
aktionsspezifische E ffekte zeitigt, sei’s durch eine L ogik der Interaktion, die

105
Oder sogar: queer? Das vermutet sogar Luhmann in einer der seltenen Stellen, in denen er sich
zur Hom osexualität auslässt, hier im Zusam menhang der US -amerikanischen Debatte um die
Aufnahme von Homosexuellen zum Militär: „Kann ein Soldat [...] wissen, wie sein Körper eine
Situation beobachten würde, in der er Homosexuellen außerhalb der abgeschirmten Privatsph ä-
re, etwa unter der Gemeinschaftsdusche, im Schl afsaal oder in zahlreichen ähnlichen Situatio-
nen, begegnet? Selbst wenn Gesellschaft und M ilitär Heterosexualität bevorzugen und selbst
wenn ein Individuum diese Entscheidung für sich selber und seinen Körper akzeptiert: darf man
sicher sein, daß der Körper immer mitspielt?“ (1995d: 11)
162 Herstellung von Unbestimmtheit

über die räum liche und zeitliche D istanzlosigkeit und Unausweichlichkeit der
reinen physischen Präsenz wiederum dem gan zen Wahrnehmungsapparat spezi-
fische Form zwänge auferlegt. Von letzte rer geht Illouz aus, wenn sie mit der
Omnipräsenz des Internets die spezifischen W ahrnehmungsmechanismen, die
nur in Interaktionen erlernt werden können, untergraben sieht: Die „Vorstel-
lungskraft im Internet [...] ist einer A rt der V orstellungskraft entgegengesetzt,
die auf dem K örper und auf intuitivem D enken (oder ‚thin slicing ‘) beruht.“
(2006: 157) Und nur unter diesen in der Interaktion gegebenen Voraussetzungen
hat auch die romantische Liebe als „Ide ologie der Spontaneität“, als „einer u n-
erwarteten Epiphanie“ (134) überhaupt nur den Hauch einer Chance auf prakti-
sche Verwirklichung. Der Verzicht auf In teraktion, der Wechsel von Interaktion
auf Interaktivität, die gesteigerte Bedeutung von Virtualität gerät hier zum Ende
der romantischen Liebe – wenn nicht zum Ende der Liebe oder, wie in einigen
radikaleren Variationen desselben Themas, zum Ende des M enschengeschlechts
(so etwa Virilio 1994; vgl. dazu Kapitel I.6.).
Zweitens wird der Blick in dieser Kontrastierung aber unweigerlich auf die
zentrale Rolle der Medialität für eine Analyse von Intim kommunikation ge-
lenkt. Das Internet strukturiert da s postmoderne unglückliche romantische
Selbst auf eine W eise, die ihm den Z ugang zur R ealität der L iebe verbaut. A ls
„Technologien der Austauschbarkeit“ (in N iekrenz/Villányi 2008: 216) insta l-
lieren sie in noch radikalerer Weise ein Schema, dass Illouz schon in ihrer Kritik
der Abhängigkeit romantischen Erlebens von den Formvorlagen der M assenme-
dien vor Augen hatte. Diese Diagnose pe rpetuiert den plau siblen „Verdacht“
von Medien- und Kommunikationstheorien , dass M edien wie die M assenmedi-
en oder der Buchdruck „unsere M öglichkeiten stärker determinieren, als uns im
Sinne der emanzipativen Impulse des europäischen Denkens lieb sein kann.“
(Baecker 1998) Gemeint ist damit ein Verdacht, der schon von Horkheimer und
Adorno in ihrer Kulturindustriethese geä ußert wurde, wenn sie mit dem Siege s-
zug der Massenmedien ein zentrales modernes Geheimnis gelüftet sehen:

Die Leistung, die der kantische Schematismus n och von den Subjekten erwartet hatte,
nämlich die sinnliche Mannigfaltigkeit vorweg auf die fundamentalen Begriffe zu be-
ziehen, wird dem Subjekt von der Industrie abgenommen. Sie betreibt den Schem a-
tismus als ersten Dienst am Kunden. In der Seele sollte e in geheimer M echanismus
wirken, der die unmittelbaren Daten bereits so präpariert, daß sie ins System der Re i-
nen Vernunft hineinpassen. Das Geheimnis ist heute enträtselt. Ist auch die Planung
des Mechanismus durch die, welche die Daten beistellen, die Kul turindustrie, dieser
selber durch die Schwerkraft der trotz aller Rationalisie rung irrationalen Gesellschaft
aufgezwungen, so wird doch die verhängnisvolle Tendenz bei ihrem Durchgang durch
die Agenturen des Geschäfts in dessen eige ne gewitzigte Absichtl ichkeit verwandelt.
Für den Konsumenten gibt es nichts mehr zu klassifizieren, was nicht selbst im Sch e-
matismus der Produktion vorweggenommen wäre. (Horkheimer/Adorno 2006: 132)
Herstellung von Unbestimmtheit 163

Im Prinzip weichen Analysen wie diejen ige Illouz’ kein Jota von dieser Ei n-
schätzung ab, betonen jedoch, dass dies in besonderem Maße und mit ambiva-
lenten Effekten gerade für die „postmoderne“ Lage der Liebe gelte. Aber in
gewisser Weise wird der V erdacht durch diese Einschätzung noch einen Schritt
weiter ausgeweitet: Im Blick auf die konstitutive Bedeutung m oderner Massen-
medien erscheint auch die generelle M edienabhängigkeit des menschlichen
Realitätsbezugs auf dem Bildschirm (sic!). W irklichkeit gerät in den V erdacht,
„immer schon“ eine mediale Konstruktion gewesen zu se in (vgl. dazu die Stel-
lungnahmen in V attimo/Welsch 1998). Im Vergleich wird also die konstitutive
Rolle von Verbreitungsm edien sichtbar: Sp rache, Schrift, Buchdruck, Bil d-
medien, Computer. Rückblickend scheint das Vertrauen in eine romantische
„Realität“, der erst mit dem Aufkommen von elektronischen Massenmedien und
der Allgegenwärtigkeit der Konsumsphäre das K orsett einer Form aufgezw un-
gen wurde, die dieser nicht entspricht, auf eine gewisse W eise naiv. Ohne den
Buchdruck wäre, wie das letzte Kapitel (I. 6.) angeführt hat, auch die beispiello-
se Erfolgsgeschichte der bürgerlichen Idee der romantischen Liebe nicht mö g-
lich gewesen. Aber im Vergleich werden auch die spezifischen Formen, die die
jeweiligen M edien nahelegen, deutlicher sichtbar: W ar es zunächst noch der
Roman, der als Form vorlage die Liebe noch in Geschichten verpacken konnte,
sind für die Bildmedien – nicht umsonst analysiert Illouz vor allem Werbebilder
– und den Computer – nicht umsons t analysiert Illouz vor allem Kontaktbörsen
im Netz – wiederum spezifische Formen ausschlaggebend. Und im Vergleich
erweist sich noch die Unmittelbarkeit der Kommunikation unter Anwesenden
als eine voraussetzungsreiche mediale Bedingung, die für die Form en von Inti-
mität, an die der soziologische Blick gewohnt ist, von zentralem Belang ist.
Drittens liefert dieser Einstieg aber noch eine zunächst überraschende
Pointe. Den Unterschied zwischen einem „virtuellen“ Kennenlernen im Netz
und einem K ennenlernen in der „Realität“ der Interaktion sieht Illouz näm lich
nicht nur in einem U nterschied der m edial geprägten K ommunikationsstile
begründet. Die den Rationalisierungszw ängen der virtuellen Kontaktanbahnung
– durch die durchdachte Selbstpräsenta tion im Netz, also das durchgeplante
Design der eigenen (bildlichen und) verb alen Darstellung, durch die illusi-
onsfreie Illusion der unbegrenzten W ahlmöglichkeit, durch die schablonenhafte
Fragmentierung von Informationen über die andere Person und durch den zur
Organisation des eigenen Verhaltens anregenden Zeitdruck aufgrund einer Öko-
nomie der Fülle – eigenen Formen, die nicht nur der romantischen Liebe spinne-
feind sind, sondern auch zu einer fast schon unausweichlichen „Enttäuschung“
(142) und einem – gemessen an traditionellen Maßstäben der Romantik – Schei-
tern in der „Realität“ der ersten Bege gnung in der Interaktion führen, sind nur
eine Seite des Problems. Das Problem liegt schon in der Betonung der (sprach-
164 Herstellung von Unbestimmtheit

lichen) Kommunikation selbst. Illouz spricht von einer „Sprachdominanz, die


den Prozeß visueller und körperlicher Anerkennung stört“ (157). M an muss
diese Einschätzung in ihrer Radikalität klar fassen: Was dem virtuellen Kennen-
lernen abgeht, ist die M öglichkeit „Kommunikation unter weitgehendem Ve r-
zicht auf Kommunikation zu intensivieren. [Die Liebe] bedient sich weitgehend
indirekter Kommunikation, verläßt sich auf Vorwegnahme und Schonversta n-
denhaben,“ formuliert zu diesem Punkt etwa Luhmann (1982: 29). Illouz spitzt
diese Einsicht nun insoweit zu, als sie si e explizit an die körperli che Anwesen-
heit der Kommunikationspartner in der Interaktion knüpft – und daraus eine
konstitutive Bedingung für die M öglichkeit rom antischer Erfahrungen m acht.
Das Problem der Kontaktbörsen bestim mt sie also ganz ähnlich wie Hom er J.
Simpson das Problem einer Ehe: als zuviel Kommunikation. Gleichzeitig geht es
ihr dabei um einen Verlust von indirekter und körperlicher Kommunikation, von
kommunikativem Verzicht auf sprachlich e Kommunikation. In der Sprache, so
scheint es, findet die romantische Liebe in dieser Perspektive ihren größten
Gegner: Problematisch für den Kennenler nprozess wird ein „verbal overshado-
wing“ (2006: 157), die „Textualisierung der Subjektivität“ (119) und der m it
jeder sprachlichen Dom inanz einhergehende Überschuss an „kognitiven Kenn t-
nissen“ (135). Sprache beraubt also di e Liebe gewissermaßen ihrer Geheimnis-
se.
Die Plausibilitäten, die m it einer solchen Einschätzung bedient w erden,
lassen sich leicht zusammenfassen. Ill ouz führt diverse Gründe an, warum eine
Kontaktanbahnung im Internet der Romantik und der Liebe als solcher im Wege
steht. Letztlich spielt sie die Effekte einer an Sprache gebundenen Kommunika-
tion im Netz gegen eine sich auf Körper verlassende Kommunikation in der
Interaktion aus. U nd letztlich spitzt sie die Problem atik auf einen Them enkom-
plex zu, der sich in dieser A rbeit im Zusammenhang mit einer A nalyse intimer
Kommunikation fast unausweichlich aufzudrängen scheint: „Standardisierung
und W iederholung“ (126). W as dabei für moderne Prozesse der Rationalisi e-
rung unabdingbar ist und ihr in der illouzschen Fa ssung fast schon zur Definit i-
on gerät, wird der romantischen Lieb e zum unlösbaren Problem. Nicht nur die
hohe Anzahl der möglichen Kontakte im Internet, sondern auch die sprachlich
verfasste Kommunikation selbst wird dabei zum Auslöser eines zur Standard i-
sierung verpflichteten W iederholungszwangs. Das hat durch aus paradoxe Kon-
sequenzen: „Im Netz sind [...] diejenigen am erfolgreichsten, die sich über ihre
sprachliche Originalität und ihre phys ische Konventionalität auszeichnen.“
(125) Die Paradoxie liegt aber darin, dass in der Analyse Illouz’ beide „Erfolgs-
garanten“ als ein Ding der Unmöglichke it erscheinen müssen. Die Logik der
„Verwendung der geschriebenen Sprache für die Präsentation des Selbst schafft,
ironischerweise, Uniformität, Sta ndardisierung und Verdinglichung“ (124).
Herstellung von Unbestimmtheit 165

Gleichzeitig wird aber w iederum der Körper, die physische Präsenz zum einzi-
gen G aranten für Ü berraschung, U nkontrollierbarkeit und Spontaneität, also
gewissermaßen konventionalitätsresistent. Er gerät zum Emblem für die kreati-
ven, originellen und nicht-standardisiert en Potentiale eine Kommunikationspr a-
xis in der Interaktion, die m it dem Signum der „Realität“ gegenüber einer pha n-
tasmatischen Kommunikation im Netz ausgezeichnet wird. Und nur insofern,
also im Hinblick auf die Z entralität der Interaktion für rom antische Liebe, kann
hier ein „radikale[r] Bruch m it der K ultur der Liebe und der Rom antik“ (133)
diagnostiziert werden. Die spezifisch e Medienabhängigkeit der „postmodernen“
Liebe war ja schon das Them a der Studie zum Konsum der Romantik; aber
hatten im Falle der Vermischung der (massenmedial vermittelten) Konsumsphä-
re m it dem B ereich der rom antischen Liebe die M assenmedien die interaktive
Praxis nur kolonialisiert und so M öglichkeiten von Rückkopplungseffekten
offengelassen, haben aus ihrer Perspek tive die Angebote zur virtuellen Kontakt-
anbahnung die „reale“ interaktive Praxis gewissermaßen ersetzt: „Die Sehnsucht
nach ‚Spaß‘, der Wunsch, mit neuen Formen sexueller Freiheit zu experimentie-
ren, die Suche nach emotionaler Intimi tät – all das w ar weit mit Elementen der
Freizeitindustrie verwoben, daß es schwie rig wurde, die romantischen Gefühle
von Konsumerfahrungen zu trennen. Gera de weil das so war, konnte man nicht
einfach davon ausgehen, daß die Sphäre der W aren die der Empfindungen de-
gradierte. D ie hier beschriebene Situation ist qualitativ anders. D ie rom anti-
schen Beziehungen [...] sind selbst zu Fließbandprodukten geworden“ (135).
Der einleitende Umweg über die Thesen von Eva Illouz zur Kontrastierung
von Interaktivität m it Interaktion sollte einen prägnanten H inweis auf zw ei Ge-
danken gegeben haben. Gerade in den von ihr skizzierten Phantomschmerzen
über den V erlust der konstitutiven Rolle der Interaktion für die K ontaktanbah-
nung von Liebesgeschichten erscheint die Idee, dass man daran gewohnt ist,
Liebe und Intim ität tendenziell m it Interaktion unter Anwesenden gleich zu
setzen, in einem grellen Licht. G leichzeitig verliert diese Idee einiges an ihrer
Banalität: Die unterstellte Interaktionsabhängigkeit der L iebe offenbart sich als
eine höchst vorrausetzungsreiche Idee, di e der Spezifik von Interaktionssituati-
onen eine konstitutive Rolle für die M öglichkeit von Liebe und Intim ität über-
haupt zugesteht. Der Umweg wäre aber freilich nicht notwendig gewesen, wenn
bei der Analyse des erhobenen Intervie wmaterials nicht ein eigentümliches
Phänomen zu Tage getreten wäre. Dass es sich nämlich sowohl bei den erzähl-
ten Geschichten als auch bei der Interviewsituation selbst um Interaktionssitua-
tionen handelte, wurde in eben jener Inte raktionssituation nicht schlicht als ein
Faktum behandelt, es wurde zum einen explizit thematisiert und zum anderen in
der performativen Praxis der Teilnehmer performativ bet ont. Aber wi e wur de
das zustande gebracht? W elches Problem wurde damit bearbeitet? In den fo l-
166 Herstellung von Unbestimmtheit

genden Abschnitten kehrt sich die bis hierhin präsentierte Frage damit wiede-
rum um . N icht nur, w ie ihre unterstellte Interaktionsabhängigkeit die Inti m-
kommunikation (und ihre Präsentation) in formiert, interessier t in dieser Per-
spektive. Zudem muss behandelt werden, wie die simple Tatsache, dass es sich
um interaktionsnahe Phänomene handle, selbst wiederum in der Kommunikat i-
onspraxis in den Mittelpunkt rückt, wie ihre Relevanz performativ herbeigeredet
wird. Der Umstand des Redens muss hier betont werden, weil es sich bei dem
analysierten M aterial in seiner letz ten Fassung ja um sprachliches und im A n-
schluss verschriftlichtes M aterial handelt. Aus einer Perspektive wie derjenigen
Illouz – die sich selbst wiederum ha uptsächlich sprachlich verfasstem Inter-
viewmaterial bedient – müsste das konse quenterweise als ein methodisch prob-
lematisches Vorgehen erscheinen. Eine angemessene Analyse von Interaktion s-
situationen müsste sich vor allem auf das stützen, was nicht-sprachlich ge-
schieht. Es wird sich aber im Folgende n zeigen, dass gerade in dieser Hin sicht
die Herangehensweise über Interviewtexte erhebliche Vorteile bringt, weil die
kommunikative Problematisierung von Kommunikation sichtbar wird.

3.1 Gegenwarten: Von der Narration zur performance

Nicht zuletzt unter dem Einfluss von Inspirationen und Im porten aus den Berei-
chen der gender- und queer-theoretischen Forschung wird es in der Soziologie
(wieder) zur zumi ndest in den theoretischen Reflexionen vorgetragenen Selbst-
verständlichkeit, auf die Operativität des beobachteten Gegenstandes hinzuwei-
sen. Mit dem Begriff der Operativität soll in diesem Diskussionszusammenhang
zunächst lediglich auf etwas hingewiesen werden, das sich eigentlich gerade für
die soziologische Perspektive als eine Selbstverstä ndlichkeit darstellen sollte:
dass nämlich die „Dinge“ und „Tatsachen“, mit denen man es soziologisch zu
tun bekommt, Ergebnisse von sozialen Konstruktionsprozessen sind und es
somit zur ersten „Pflicht“ (Latour) des F aches gehören müsste, sich für die ko n-
kreten Praktiken zu interessieren, in denen sich diese Konstruktionsprozesse
aufspüren und nachzeichnen lassen. Ein Umstellen der Blickrichtung vom being
zum doing ist also gefragt; in Anlehnung an die berühmte Formulierung eines
„doing gender“ bei Candace W est und Don Zim merman (1987; vgl. auch Gi l-
demeister 2004) ist dann auch – selbst im deutschsprachigen Kontext – ver-
mehrt von einem „doing family“ (W eeks 2001: 3 7) und einem „doing couple“
(Donat in Donat et al. 2009: 75) die Rede . Auffällig ist hier wieder, dass die
Selbstverständlichkeit dieses soziologische n Interesses aber gleichsam autom a-
tisch wieder relativiert wird, wenn es sich bei dem Gegenstand des Inter esses
um Intim ität handelt. H ier zeitigt die Betonung des Doing-Aspekts von Seiten
Herstellung von Unbestimmtheit 167

der wissenschaftlichen Beobachter wiederum zusätzliche Effekte und verschafft


ihm gleichsam einen Informations mehrwert. Zunächst scheint m it dieser B eto-
nung eine erstaunte Kenntnisnahme der Öffentlichkeitsbezogenheit von intimen
Praktiken verbunden zu sein. Doing couple etwa wi rd i n di eser Hi nsicht al s
etwas verstanden, w as sich insbesondere auch vor einem (öffentlichen) Publi-
kum im Sinne einer (gelungenen) Selb stdarstellung des Paarseins bewähren
muss und darum interessant w ird. B eobachtet w erden dann vor allem intim e
Praktiken, die auf einer Bühne stattfinden – und man beobachtet dann ethnome-
thodologisch inspiriert das doing couple als öffentliche körperliche Praxis (vgl.
Kintzelé 1998) oder m it w issenssoziologischen Zuschnitt als (Selbst -)In-
szenierung von Liebe im Fernsehen (vgl. Reichertz 1998). Zudem geraten dabei
auch insbesondere nicht-normative Formen von Intimität in den Blick. Dahinter
verbirgt sich zunächst einmal ein forschungsstrategisches Ökonomieprin zip –
man sieht den „außergewöhnlichen“ Paarformen, so scheint es, das doing couple
oder das doing intimacy einfach deutlicher an. Besonders einsichtig w ird diese
Tendenz etwa an Studien, die sich für gleichgesc hlechtliche (im Unterschied zu
heterosexuellen) Paarbeziehungen interess ieren. Bei Jeffrey W eeks findet sich
etwa ein emphatisches Bekenntnis zur der grundsätzlichen theoretischen und
methodischen Einsicht, dass für alle Fam ilienverhältnisse und Paarbeziehungen
die performative Praxis entscheidend ist: „it is less im portant whether we are in
a family than whether we do family-type things“ (2001: 38). Sicht bar wird das
aber gerade im doing family bei nicht-heterosexuellen Partnerschaften – of-
fensichtlich im Kontrast zu zunächst unproblem atischeren Formen: „traditional
ways of doing family and intimacy are tu rned on their heads “ (198). Insofern
erzeugt also die Perspektive auf das doing – hier also: auf die performative
Herstellung von Intim ität – gerade dann In formationen, wenn es sich um nicht-
normative Ausprägungen handelt. Sie informiert die gelebte Praxis der Paarb e-
ziehungen selbst, weil in ihr die schlichte Betonung des doing offenbar für
nicht-heterosexuelle Konstellationen andere Implikationen hat als für heterose-
xuelle. „W hen non-heterosexuals ‚do fam ily,‘ they are creating life patterns
which give new meaning to their relationships, which are being form ed within a
constantly evolving society.“ (50) Ni cht-heterosexuelle Beziehungen können so
eo ipso schon Experimentcharakter („life experiments“) annehmen; die theoret i-
sche Perspektive auf das doing lässt in ihrem Fall auch die praktische „emphasis
on agency and self-invention in these lives“ (37) aufscheinen. D iese Perspektive
informiert aber gleichzeitig auch die Forschungspraxis: „conceptualizing family
in terms of practices (‚doing‘ family) can allow for a more dynamic sense of the
degree to which family is an active process.“ (98)
Damit ist aber eine spezifische Ausgangslage geschaffen, m it der Debatten
vorprogrammiert sind, die in dieser Arbeit schon in diversen Ausformungen
168 Herstellung von Unbestimmtheit

präsentiert wurden (vgl. vor allem Kapitel 1.; Kapitel I.5.2). Wieder geht es hier
nicht schlicht um die Beobachtung, dass im theoretischen Konzept einer „Per-
formativität [...] des Paares als doing couple“ in den jew eiligen Positionen der
Diskussion ein „Gestaltbarkeitsoptimismu s“ (Donat in Donat et al. 2009: 75;
vgl. auch Lenz 2003: 30) im pliziert ist – oder eben gerade nicht. A uffällig ist
aber zumindest, dass dieses Konzept die Kontroversen gerade auf den Gesichts-
punkt der individuellen oder gruppenspezi fischen Gestaltbarkeit und der Verän-
derbarkeit von M ustern hin zuspitzt. Praxis als doing wird verstanden als ein
(wie immer problematischer) Hinweis auf Handlungsfähi gkeit ( agency). U m
nicht m issverstanden zu w erden: M it di eser Beobachtung soll keine K ritik an
dieser Konzeptualisierung von Praxis geübt werden. Die Zuspitzung auf eine
politisierbare V ersion des Praxiskonzepts scheint vielm ehr dessen eigentliche
Leistung im Kontext der erwähnten Debatten zu sein.
Im Kontext dieser Arbeit mag es si ch aber lohnen, noch einmal einen
Schritt zurückzutreten und das Interesse für den Doing-Aspekt des doing couple
zunächst einmal im Hinblick auf das In terviewmaterial zu proble matisieren.
Denn gerade hier offenbart sich ein eigen tümliches Phänom en. A uffällig ist
nämlich, dass nicht nur die w issenschaftliche Perspektive aus theoretischen und
methodischen Gründen dazu angehalten ist, den spezifischen performativen
Aspekt des doing couple hervorzuheben und zu analysie ren; es zeigt sich viel-
mehr, dass schon in der Selbstdarstellungspraxis der Paare selbst spezifische
kommunikative Strategien sichtbar werden, gerade auf den performativen A s-
pekt ihrer eigenen Praxis als Praxis dem onstrativ hinzuw eisen. W ollte m an in
der in diesem Kapitel verwendeten Term inologie bleiben, wi rd also nicht nur
ein doing couple erkennbar, sondern gewissermaßen auch ein doing doing coup-
le. Damit soll eine gewisse Akzentverschiebung angedeutet sein. Die Paradoxie,
die in den erw ähnten praxeologischen Perspektiven aufgezeigt w erden sollte,
bestand in dem Umstand, dass ein being couple nicht anders statthaben kann als
durch ein doing couple. Es geht hier um einen N achweis der Unvermeidbarkeit
eines doing being couple. K ritisch geriert sich diese Perspektive in zw eierlei
Hinsicht. Erstens lenkt sie den Blick auf subversive Form en, in denen die Sich t-
barkeit des performativen Aspekts auf eine Veränderbarkeit der zur Verfügung
stehenden Normalmodelle hindeutet . Zw eitens – und nur insofern können die
subversiven Formen subversiv sein – wird damit auch die vermeintliche „Natür-
lichkeit“ der Normalmodelle entlarvt, al s diese sich nun wiederum als Effekt
einer performativen Praxis der Naturalisierung darstellen lässt (also etwa wenn
die verm eintlich natürliche H eterosexualität als „Z wangsheterosexualität“ ent-
schlüsselt wird, deren Handlungsweisen einem System der „Heteronormativität“
folgen [m üssen]). D ie w issenschaftliche K ritik w iederholt in dieser H insicht
nur, was subversive Formen des doing couple implizit und explizit immer schon
Herstellung von Unbestimmtheit 169

leisten: einen Nachweis der unvermeidlichen Performativität jeglicher Praxis. In


diesem Kapitel wird aber nun empirisch eine Paradoxie in den Blick geraten, die
gewissermaßen zur Unterscheidung von subversiven und normalen Formen des
doing couple quer liegt. Das doing being couple – so die Beobachtung – stützt
sich auf ein doing doing couple.
An einigen Beispielen wird im Folgenden erstens deutlich werden, dass
damit keine zusätzliche oder nachträgliche Reflexivität der Gewährspersonen
gemeint sein kann. Die Beobachtung zielt also nicht etwa darauf ab, dass in den
Interviews lediglich thematisiert wird, dass zum Paarsein auch ein doing couple
gehört – also etwa in dem simplen Sinne , dass reflektiert und bewusst auf die
Arbeit an der Paarbeziehung hingewiesen werden würde. Das ist gerade nicht
gemeint.106 Abgezielt wird vielm ehr auf di e Beobachtung, dass selbst noch die
Sichtbarkeit der Perform ativität performativ hergestellt w erden muss, die Sicht-
barkeit der Paarpraxis noch praktisch er zeugt werden muss. Sichtbar wird die
Performativität des Paares als doing couple in den Interviews etwa, wenn der
Erzählmodus von einer Erzählung auf eine Aufführung oder Inszenierung des
behandelten Themas umschaltet – da s Switchen von der Narration in die per-
formance. Für die D arstellung der Individualität ihrer Beziehung w urde den
Paaren oben schon ein „unbestreitbares Verwirrungsrecht“ zugesprochen; für
die Erzählung des Stoffs ihrer Kennenlerngeschichte nahmen sie eine chaotische
Form in Anspruch (vgl. Kapitel I.1.2.2) . Dieses M otiv wiederholt sich hier nun
im Hinblick auf die Brüche im Erzäh lmodus, den „chaotischen“ W echseln zwi-
schen Narration und performance. Dass gerade der eigentümliche Rahmen eines
Paarinterviews dafür geeignete A usgangsbedingungen bereitstellt, dürfte kaum
verwundern. Es muss aber noch einmal betont werden, dass damit zweitens
auch kein privilegierter soziologische r Zugang zu einer Beobachtung der „re a-
len“ Intimkommunikation gemeint sein ka nn, wie etwa Christine W imbauer im
Hinblick auf die Vorzüge der Paarbefragung aus „relationaler Perspektive“
vermutet hat. Aus der hier vertretenen Perspektive kann es sich, wie schon ange-
führt, bei einer solchen Verm utung lediglich um einen Rückfall in einen naiven
Realismus handeln: Das Paarinterview als „Fenster“ zur „Realität“ der Intim -
kommunikation, bei dem der W echsel zu einer Interaktion zwischen den Par t-
nern gleichsam als „Vergessen“ der Situation und des soziologischen Publikums
gedeutet wird und so die Paarkommunika tion sichtbar werden lässt, wie sie
106
Der Verweis auf „Beziehungsarbeit“ ist dabei freilich nicht ausgeschlossen. Ein oben schon
zitiertes Paar, das ausgesprochenen W ert auf die „pragmatische“ Praxis ihrer Beziehung legte,
war das einzige, das – auf Nachfrage – das Wort „Arbeit“ in den Mund nahm: „ I: Es ist nicht
nur Kompromissbereitschaft, sondern Arbeit, oder...? A: Es ist Arbeit. Ja, doch. Arbeit.“ Inte-
ressanterweise wurde in diesem Kapitel (vgl. 2.) deutlich, dass die Erwähnung der Beziehung s-
arbeit jedoch auch in diesem Falle sogar zur Evokation von Gefühlen beitrug. Hier wird dann A
auch sofort von B unterbrochen: „B: Nee, nicht nur... Nicht nur Arbeit.“ (P-N&O, 27:37)
170 Herstellung von Unbestimmtheit

„wirklich“ ist. Das ist bestenfalls eine Vermutung mit intuitiver Plausibilität. Im
Folgenden wird gerade umgekehrt angesetzt und danach gefragt, wie dieser
Realitätseffekt praktisch hergestellt wird und welche Funktion das beobachtbare
Switchen in die performance für die Selbstdarstellung des Paares erfüllt.
Im folgenden Interviewausschnitt rekonstruiert das interviewte Paar eine
für ihre Erzählung wichtige Begebenheit: ihr erstes „Date“, das sogar als „spek-
takuläres erstes Date“ figuriert. Interessa nt dabei ist zunächst, dass an dieser
Stelle die Erzählung in gewisser W eise von sich selbst überrascht wird. Die zur
Schau gestellte Ü berraschung, m it der die folgende Enthüllung auf den Zeit-
punkt und die Umstände des ersten Date einhergeht, weist schon darauf hin,
dass es sich hier um eine Erzählung hande lt, die die Paargeschichte prinzipiell
am chronologischen Ablauf ihrer zentra len Ereignisse und Episoden orientiert;
es wird eine „Paarkarriere“ präsentiert. 107 Diese Erzählung wird hier nun aller-
dings unterbrochen, wenn B sich direkt an A wendet:

B: Und dann hast du m ich gefragt, ob wir m al Kaffee trinken gehen. A: Ja... Genau.
Das haben wir dann auch gem acht, natürlich. Ich weiß gar nicht m ehr... B: ...ja, doch.
Ja, doch. Ne... A: W o waren wir da? B: Ne, einen Kaffee trinken sind wir nicht g e-
gangen, ich glaube wir sind gleich abends was trinken gegangen, oder? Im „Wasse r-
mann“? A: Im „W assermann“? In welchem „W assermann“? B: Die Hüte? A: Ach ja!
Die Hüte, genau, im „W assermann“! Das war unser spektakuläres erstes Date. Genau,
da waren wir dann da im „Wassermann“... B: Kann er sich zwar kaum mehr daran er-
innern, aber... (lacht) A: (lacht) (P-H&C, 15:46)

Die Rekonstruktion des zeitlichen A blaufs stößt hier an eine Stelle, die die bei-
derseitige Unsicherheit bezüglich der „realen“ Ereignisfolge inszeniert. Sie geht
mit einem kurzen signifikanten Bruch in der Erzählung einher, die an die Adres-
se des soziologischen Zuhö rers gerichte t ist – ab dem Eingeständnis der Unsi-
cherheit („Ich w eiß gar nicht m ehr...“) wird dann auch geflüstert. D er erwähnte
„Wassermann“ entpuppt sich dann aber al s ein Lokal, das die Szenerie für das
erste „private Date“ abgibt, die Hüte als Strohhüte, die an diesem Abend in
diesem Lokal im Rahmen einer W erbeaktion gewonnen wurden, und das fast
übersprungene Ereignis der Paarkarriere offe nbart sich als „unser spektakuläres
erstes Date“, von dem dann doch ausführlicher berichtet werden kann.

107
„Karriere“ hier im Sinne von Luhmann (1993: 231), der damit auf eine moderne Verlagerung
der (Selbst)bestimmung und -beschreibung von Individualität (oder modischer: von „Identität“)
in die Zeitdimension abzielt: „Es muß auf eine Sukzession von selektiven Ereignissen umge-
dacht werden, die jeweils (aber mit unterschiedlicher Gewichtsverteilung) Selbstselektion und
Fremdselektion kombinieren. Das dafür gültige Zeitm odell nennen wir Karriere. [...] Die Karri-
ere besteht aus Ereignissen, die nur dadurch, da ß sie die Karriere positiv oder negativ fördern
und weitere Ereignisse dieser Art ermöglichen, zur Karriere gehören.“ (232 f.)
Herstellung von Unbestimmtheit 171

B: Da haben wir halt dann so tolle Hüte gewonnen, so tolle Strohhüte, und was noch
so alles... Die haben wir beide glaube ich noch so als Andenken, für alle Fälle...
(lacht) A: Ja, ja, ich hab ihn auch noch . I: Ehrlich? A: Ja ja... B: Ja klar. (lacht) Es
war... A: Du hast ihn auch noch? B: Ja. A: W o ist er eigentlich? B: Oben auf meiner
Garderobe. A: Ah ja. (lacht) (17:19)

Erstaunlich in diesem Kontext ist vor allem , dass die zunächst so deutlich he r-
ausgestellte Unsicherheit nicht auf die Irrelevanz des ersten Date verweist. Ganz
im G egenteil stellt sich das D ate schlie ßlich als ein detailgenau erinnertes Er-
eignis dar, das im Rahmen der Bezie hungsgeschichte als so wirkmächtig er-
scheinen kann, dass es etwa triviale Ob jekte wie „tolle Strohhüte“ in bedeuts a-
me „Andenken, für alle Fälle“ verwande ln kann, die für wertvoll genug erachtet
werden, um selbst zum viel späteren Zeitpunkt des Interviews in der Tat vorge-
führt zu werden. Der Hut fungiert dabei in gewisser W eise wieder als mate-
rieller Mittler im Sinne von Latour, der sowohl von der Interaktion m it Bedeu-
tung ausgestattet wird, als er ihr wieder um Gelegenheit gibt, sich als betont
körperliche und betont gegenwärtige Intera ktion zu etablieren. Die Unsicherheit
präsentiert sich in diesem Zusam menhang also in einem vollständig an deren
Licht. Sie devaluiert ihren Gegenstand nicht; sie knüpft vielm ehr das vergang e-
ne Ereignis an die Gegenwart. „Unsiche rheit ist im mer je gegenw ärtige U nsi-
cherheit. Sie akzentuiert die Bedeutung de r Gegenwart“ spekuliert Luhmann im
Hinblick auf die Zeitverhältnisse im Karrierekontext: Je gegenwärtige „Uns i-
cherheiten betreffen primär natürlich die Zukunft, sekundär aber auch die Ve r-
gangenheit, da im Laufe der Karriereentwicklung sich herausstellen kann, daß
andere Vergangenheiten nützlicher gewese n wären, als die, die man aufzuwei-
sen hat.“ (1993: 234) Im Interview stellt sich schließlich heraus, dass die au f-
scheinende Unsicherheit nicht nur als ein Problem behandelt wird – etwa als ein
Problem für die (unmögliche) „korrekt e“ Darstellung der Vergangenhe it in der
Interviewsituation, als ein Problem der nachträglichen (möglicherweise negat i-
ven) Bewertung von kontingenten Karrier eereignissen oder als das schlichte
Problem, nicht zu wissen, wie es jetzt we itergeht. Hier wird stattdessen die G e-
genwartsbezogenheit von Unsicherheit (im Hinblick auf Vergangenes) produ k-
tiv. Sie ermöglicht, ja erzwingt geradezu einen Wechsel in die performance. Die
unsichere Erzählung des ersten Date wi rd zum Anlass einer vorgeführten „Au s-
handlungspraxis“, einer in der Gegenwar t sichtbaren Herstellung eines „Paarg e-
dächtnisses“ (Kaufmann 1994). Im obigen Fall wird die Unsicherheit also besei-
tigt, aber sie w ird ebenso deutlich in der gegenwärtigen Situation performativ
beseitigt. D as erste D ate verliert dabei den C harakter eines sprichw örtlichen
„alten Hutes“, den man im Rahmen de r Paarerzählung noch einmal hervorkr a-
men kann. Es wird zum Anlass einer P aarinteraktion, die vorführen kann, w o-
172 Herstellung von Unbestimmtheit

von sie spricht – und in diesem besonderen Falle wird es stattdessen zum A n-
lass, tatsächlich alte Hüte aus der Garderobe hervorzukramen.
Hüten sollte m an sich also auch davor, die Beobachtung von kom munika-
tiven Aushandlungsprozessen oder ähnlichen Sequenzen, die im Interview die
Interaktion der Partner untereinander in den M ittelpunkt rücken, als unmittelba-
reren oder unverstellteren Blick auf die Paarwirklichkeit zu deuten. W enn hier
ein Switchen von der Narration in die performance die Rede ist, soll das nicht in
Abrede stellen, dass auch die Narration selbst schon als perform ativer Akt gele-
sen werden muss. Die Unterscheidung ist freilich eine heuristische, die lediglich
deutlich m achen soll, dass es für die Selbstdarstellung der Paare relevante E f-
fekte zeitigt, w enn die Perform ativität der Paarkom munikation in der K ommu-
nikation selbst betont und forciert wird. An den Interviewtexten lässt sich das
vor allem dann ablesen, wenn sich in der Situation des Interviews – also einer
Interaktion – die Interaktion selbst als Fokus etablie rt. In diesem speziellen
Sinne wurde hier nicht nur von einem doing couple, sondern gar von einem
doing doing couple gesprochen. Als ein Effekt hat sich hier zunächst vor allem
die Betonung der Relevanz der je gegenwärtigen Interaktionssituation herausge-
stellt. H ier verw eist dies darauf, dass die O stentation der Interakti on im Sinne
ihrer performativen Zurschaustellung als Medium genutzt wird, um bei der Dar -
stellung von Intimität ihren Gegenwartsb ezug zu etablieren. Die inszenierte
Sichtbarkeit der Gegenwart – das „Hier und Jetzt“ – verdankt sich dabei nicht
zuletzt dem Kontrasteffekt des Switchen der Kommunikationsmodi.
Nicht nur Unsicherheiten im Bezug auf das erste Date, sondern vor allem
Unsicherheiten bezüglich eines Datum s di enen als Relais eines solchen Swit-
chens. M it auffälliger R egelmäßigkeit w erden Stellen für ein Sw itchen in die
performance genutzt, an denen in der Erzähl ung Unsicherheiten, Ungeklärthei-
ten oder Unstimmigkeiten in Bezug auf ein Datum einer Begebenheit bemerkbar
wurden. Im folgenden Beispiel w ird – noch einmal vom Paar mit den Strohhü-
ten – die bis dahin vollkommen geradlin ige Erzählung der Paarkarriere zum er -
sten Mal genau an einer solchen Stelle unterbrochen:

A: Das war aber Anfang... Septem ber, oder? B: Ne, das... A: Oder Anfang Oktober.
Doch, irgend so was. B: Doch, das stimmt, das war im August oder im September. A:
Ne, August. B: September. A: Weil da hatte ich erst kurz vorher mit meiner Freundin
Schluss gemacht. I: Ok. A: M it m einer vorherigen. W as eine relativ... B: W as... A:
...anstrengende Beziehung war und so... B: ...ich nicht wus ste. A: Das wusstest du
nicht? B: Ne. A: Ah ja, das wusstest du nicht... I: Und das war auch kein Thema beim
ersten...? B: Ne. Mhm... Ja doch, irgendwie ist mal schon da... A: Ich glaub schon...
B: ...ihr Nam e gefallen oder so. A: ...dass du das wusstest irgendwie, dann da. B: Ne
ne, ich wusste es nicht wirklich oder so. Also erst später kam dann die Information,
denn ich saß ja so an der Quelle, jetzt irgendwie mit Infos, aber vorher bin ich ja nie
auf die Idee gekom men irgendwie, nach... A: Ah, hast du dann nachgefragt, dann? B:
Herstellung von Unbestimmtheit 173

Ne, aber irgendwie später kam das mal, also nicht am gleichen Abend, oder... (längere
Pause) B: Ja, ich glaube, es war September. (P-H&C, 04:19)

Im Hinblick auf den Erfolg bei der Bes timmung des Datums sieht es zunächst
so aus, als wäre in diesem Ausschnitt für die Erzählung nicht viel geleistet wo r-
den – man vermutet es im September und einigt sich schließlich nach einem
Umweg: auf den Septem ber. Entscheide nd ist aber wieder, was auf diesem
Umweg der Datumssuche vorgeführt wird. Wieder wird nämlich der Fokus auf
die gegenwärtige Interaktion verschoben. Die Frage danach, was B in der Ver-
gangenheit wann wusste („Das wusstest du nicht?“), verweist schon darauf, dass
damit auch eine Kontextur et abliert w ird, in der relevant ist, dass A in der ge-
genwärtigen Situation (nicht) weiß, was B in der Vergangenheit wann wusste.
Die Suche nach Anhaltspunkten für die Bestimmung eines Datum s präsentiert
sich also als Rekonstruktion von möglichen W issensdifferenzen, die eine inte r-
aktive Aushandlungskommunikation erfordern, in der dann die gegenwärtigen
Wissensdifferenzen entscheidend werden („Ah, hast du dann nachgefragt,
dann?“), die rückblickend über die gegenwärtige Paarsituation inform ieren
sollen. Das wird umso deutlicher, als dies als ein Ergeb nis vorgeführt w ird, das
in der gegenw ärtigen Interaktion erst hergestellt w ird. D as w ird auch um so
deutlicher, als dies eben scheinbar nebensächlich, als U mweg zur D atumsfin-
dung, in einem Switchen aus der Erzählung in die performance stattfindet. D as
mag zunächst trivial erscheinen, aber an dem, was hier als Switchen bezeichnet
wird, sollte nicht unhinterfragt vorbeigeschaut w erden. A uf die (produktive)
Bedeutung von solchen Prozessen des switching haben in der soziologischen
Diskussion vor allem netzwerktheoretische Interventionen und insbesondere
Harrison White (und Ann M ische) hingewiesen. W hite geht es zu nächst um ein
soziologisch nicht unbekanntes Problem des Ordnungsaufbaus, das er im Ra h-
men einer („im strengen Sinne“ [Holzer 2006: 97]) relational en soziologischen
Theorie lösen will: „chaos and accident are the sources and bases for all identi-
ties, and it is identities seeking control th at fuels practical activity whatever the
context.“ (W hite/Mische 2008: 9) Er erhebt wiederum keinen Originalität san-
spruch108 für eine Beobachtung, die uns hier interessiert: „ fresh meaning emer-
ges for humans only with switching, as from one netdom to another .“ (12) Da-
rauf muss hier nicht bis ins Detail eingegangen werden, 109 um zu sehen, welche

108
White selbst verweist als soziologische Refe renzen neben Niklas Luhmann unter anderem auf
Harold Garfinkel, Aaron Cicourel und Erving Goffman.
109
Zur Erklärung nur so viel: „netdoms“ bezeichne n „network-domains“, also Netzwerkbeziehun-
gen, die nicht an die „kategoriale Gleichheit der Knoten“ (= identities) gebunden sind, sondern
sich vielmehr auf „Typen spezialisierter Bezi ehungen“ beziehen lassen (Holzer 2006: 96). Ei n-
fach ausgedrückt können sich also dieselben Personen in unterschiedlichen Beziehungskonstel-
lationen wieder finden, also etwa als „Arbeitskollegen“ und „Mitglieder im Kegelklub“ (um ein
174 Herstellung von Unbestimmtheit

zentrale Rolle dem switching, dem Perspektivenwechsel, dem produktiven Glei-


ten von einer Kontextur 110 in die nächste zugestanden werden kann. Die W hite
interessierenden Identitäten, die stories, die sich aus den fresh meanings weben
lassen, die Network-Kontexte und die Domain-Kontexte lassen sich in einem
gewissen Sinne als Nebenprodukte eines switching beschreiben. Im Sinne seines
radikal relationalen Ansatzes betont W hite insgesamt dabei den Beziehungsa s-
pekt zwischen den Elementen, die er als Identitäten bezeichnet; und interpret iert
und beschrieben werden können diese Beziehungen – „by its participants and by
observers“ (ebd.) – nur in stories. Wenn sich diese stories aber nur als „summa-
rische (Selbst -)Beschreibungen zahlrei cher Episoden und Berichte“ (Holzer
2006: 21) definieren lassen, wird auch die Bedeutung des switching unmittelbar
plausibel.111 Hilfreich für unseren Diskussionszusam menhang ist dabei, dass in
dieser Konzeption dem Wechsel der K ontexturen und der Interaktionsstile eine
produktive Bedeutung selbst noch für die Kohärenz von Geschichten zuge-
schrieben werden kann. Es verweist z udem auf die spezifische Gegenwärtigkeit
der Situation, deren Gegenwartsbezug wi ederum gerade dadurch betont werden
kann, als ein switching die „normalen“ stabilen Zeitbezüge gewissermaßen
transzendiert – „ in bubble-like interaction that alters the experience of time.Ï
(Mische 2008: 2; vgl. White 1995)
Diese Diagnose scheint nun passgerecht das zu beschreiben, was in den
Paarinterviews in dieser H insicht so auffällig hervorgetreten ist: D as Entstehen
von neuem Sinn über einen W echsel der Kontexturen; die Herstellung einer
Geschichte gerade durch das Switchen von Erzählstilen; die Betonung der spezi-

Beispiel Holzers [ebd.] zu zitieren) oder – im Fa lle der oben zitierten Interviewerzählung – als
entfernte Bekannte, die einem gemeinsamen Freund beim Umzug helfen und: als Paar.
110
White wendet sich explizit gegen die ethnomethodologische Ästhetik des „Stilllebens“
(Nassehi): „M y radical innovation is different. I disallow the bracketing, the setting aside, of
context when penetrating and following particular situations and episodes, whether co m-
monsensical or Garfinkelian.“ (White 2008: 12)
111
Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich White im Zusammenhang des Switchens auf die Produ k-
tion von fresh meaning bezieht: An verschiedenen Stellen dieser Arbeit wurde schon auf die
Omnipräsenz – in den verschiedensten Kontexte n (sic!) – des Konzepts eingegangen, dass die
Herstellung des Neuen sich auf einen Wechsel von Kontexten oder Kontexturen verlassen muss.
Sicher auch kein Zufall ist der Umstand, dass W hite in Anlehnung an Erving Goffman das
Switchen paradigmatisch vor allem in öffentlichen (urbanen) Räum en beobachten m ag, genau-
er: dass er gerade die Gleichzeitigkeit der Entstehung von publics und switchings among net-
work-domains herausstreicht (vgl. 1995: 1045 ff.). Das Paarinterview wäre ein sehr speziell er
Fall einer solchen Öffentlichkeit, der aber formal gerade nicht ausgeschlossen ist, sondern sogar
explizit als ambivalentes Beispiel figurieren könnt e: „Publics can also figure in what we think
of as privacy.“ (1045) Die Möglichkeit des Switche n ist in diesem Sinne geradezu tautologisch
die Definition von Öffentlichkeiten, referiert es doch lediglich darauf, wie conversations zwi-
schen verschiedenen domains und Erwartungsunterstellungen hi n- und herspringen können.
Vgl. dazu auch Baecker (2003).
Herstellung von Unbestimmtheit 175

fischen Eigenzeitlichkeit einer „bubble -like“ G egenwart über einen Sprung in


die Interaktion. Fast schon ironisch mutet es dabei an, dass ein typischer Anlass
dafür immer wieder die Unsicherheiten im Bezug auf ein genaues, korrektes
Datum einer Begebenheit waren. Es wird in einem Falle beispielsweise in einer
solchen Datumssequenz („A: Ich bin je tzt ein bisschen verwirrt mit den Zei-
ten...“ [P-J&S 12:24]; „A:... Hm... Weiß ich auch nicht... Wir... B: Wir haben es
dann irgendwann auf den sechsten Dezembe r gelegt.“ [21:56]), die in einem
ständigen Switchen zwischen Erzählung und Zwiegespräch alle zentralen M oti-
ve dieses Paarinterviews gleichsam in komprimierter Form, im Schnelldurchlauf
durchspielt. In der Dynamik dieses Sc hnelldurchlaufs kommt es dann gar zu
einem nur w iderwillig eingegangenen interaktiven A ustausch über eine frü here
Freundin C („B: Aber das ist ja jetzt auch egal. W ollen wir jetzt nicht die C
diskutieren... A: Aber das ist wichtig, weil... B: Nein.“ [09:56]), dessen Ergebnis
dem Interviewer dann als Überraschung für die gegenwärtige Paarbeziehung
präsentiert wird:

B: ...und für sie war diese Trennung dann relativ schwer. Und in dieser Phase hast du
sie begleitet, wo sie dann eben... Obwohl ich d ann prim är nichts falsch gem acht h a-
be... nicht so gut auf mich zu sprechen war, weil einfach sie irgendwie eine Beziehung
wollte, die ich nicht m ehr wollte... A: Ja, aber... B: ...und das hat, das hat... A: ...über
die Sache haben wir eigentlich noch nie g eredet, deswegen... Ich weiß ja nicht...“
(10:16)

Auf Nachfrage wird sogar noch einm al betont, dass noch nicht „so intensiv“
über diese Episode geredet wurde; erst mit einem „Genau so war das“ (11:23)
wird dann die Erzählung vor erst wieder aufgenommen. Gerade in der perfor-
mance der gegenwärtigen Unsicherheiten bezüglich des W issens oder Nichtwis-
sens der beiden Erzähler in der Interakti on etabliert sich aber die „W ichtigkeit“
der Geschichte; gerade im Switchen in di e Interaktion etabliert die Interview si-
tuation das Paar als doing couple.
Wir haben oben verm utet, dass die Bindung an Interaktion konstitutiv für
die Intim kommunikation ist. D eutlich w urde das auch im soziologischen B e-
fremden, dass gegenüber neuen M edien Form en der Kontaktanbahnung zu b e-
obachten sind, die gerade auf die Inte raktion als Kommunikation unter (körper-
lich) Anwesenden verzichtet. In der In terviewsituation, die von der Kommuni-
kation unter Anwesenden zehrt, bildet si ch nun ein Szenario ab, dass sich nicht
nur auf den Gegenwartsbezug der Interaktion verlässt, sondern diesen perform a-
tiv vorführt. D ie Interaktion w eist si ch selbst als Interaktion aus; das doing
couple legt W ert auf eine Sichtbarkeit des Doing-Aspekts; die Perform ativität
der Paardarstellung wird selbst noch einmal performativ unterstrichen – mit dem
Effekt, dass für das soziologische P ublikum die Intimität der beobachteten
176 Herstellung von Unbestimmtheit

Kommunikation gerade über die Betonung der Interaktion in der Interaktion


sichtbar w urde. In diesem A bschnitt w urde vor allem die G egenwartsbezogen-
heit der Interaktion hervorgehoben, die sich in Techniken der Erzählbarkeit von
Vergangenem aufzeigen ließ. Die Beispiele haben sich auch deswegen auf den
Anlass von Unsicherheiten in Bezug auf zeitliche Daten konzentriert. Der
nächste A bschnitt wendet sich dem gegenüber dem Them a der betonten Anwe-
senheit zu.

3.2 „Und wir haben nicht gesprochen.“ Die Darstellung von Sexualität

Wenn hier die (anwesenheits- und körperbezogene) Performativität der Interak-


tion so sehr betont wurde, liegt das unter anderem auch an dem simplen U m-
stand, dass in den Interviews eine explizite Bezugnahme etwa auf das Aussehen
der Partner als Thema des Interviews fast vollständig ausgespart wurde. Viel-
leicht nicht so überraschend ist, dass man auch bei einer Suche nach einer The-
matisierung der Sexualität nur an w enigen Stellen erfolgreich ist. D amit ist in
diesem Falle nicht (nur) der auffällige M angel an expliziten H inweisen auf die
gleich- oder gegengeschlechtliche Paarkonstellation gem eint: Es w ird schlicht
über Sex nicht geredet. Wenn man nun vermutet, dass das automatisch mit einer
Tabuisierung von Sexualität als dem schlechthin Intim en und Privaten zu tun
hat, stößt man demgegenüber aber bei Na chfragen eher auf Selbstauskünfte, die
die Rede über Sex nicht als Tabu, sonde rn etw a als „langweilig“ oder „irrele-
vant“ hinstellt. 112 Dieser Hinweis soll hier ernst genom men werden. Eine expli-
zite Thematisierung von Sex taucht auch nur an bestimmten, erzähltechnisch
interessanten Stellen auf. Zunächst findet sich etwa eine explizite D ethematisie-
rung von Sex, die über die Relevanz de r Beziehung als ernste Bezie hung Aus-
kunft geben soll:

A: Also es war ja jetzt nicht so, dass ich jetzt stockbetrunken jetzt mit ihm heim bin
und dann hab ich mich erst einmal einen Tag lang geschämt, sondern ich bin halt ge-
sittet nach hause, konnte mich anrufen lassen und habe das halt... Das war für mich
halt, also, mir ist das schon wichtig, weil sonst... hat man ja gleich... Also ich wollte
mich halt so ganz explizit ein bisschen eher erobern lassen, sagen wir es einmal so... I:

112
Anlass zu einer interaktiven Aushandlung der Relevanz von Sexualität für ihre Geschichte gibt
dabei häufig ein ironischer Umgang mit dem Wiss en der Gewährspersonen, dass sie diese G e-
schichte einem soziologischen Publikum präsentie ren, das sich „im weitesten Sin ne“ für „Inti-
mität“ interessiert: „B: ...da haben wir dann auch wieder ein bisschen rumgeknutscht danach
(lacht)... A: Ja, aber auch... sonst nichts. (lacht) B: (lacht) W ie... Wie heißt noch einm al deine
Doktorarbeit? I: Intimität... B: Intim ität. (lacht) Ja genau. A: (lacht) Ja, willst du auf das raus,
oder was? I: Nein... A: Ja eben. I: Außer ihr wollt auf das raus... A: Nein. B: (lacht)“ (P-J&T,
06:59).
Herstellung von Unbestimmtheit 177

Aha. B: N aja, wobei... So lange hat es dann auch nicht gebraucht... A: Ich hab m ich
jetzt, ich war schon willig... (lacht) B: (lacht) (P-J&T, 09:30)

Hier wird also der Bezug auf die Verweigerung von Sex in ein Skript eingebaut,
in dem diese Verweigerung nicht als Hinw eis auf Desinteresse, sondern gerade
als ein Beweis des Interesses fungiert. Dass diese Verweigerung von der Kennt-
nis von „Regeln“ für K ontaktanbahnung geleitet ist, w ird recht schnell deutlich
– auch w enn diese R egeln offensichtlich vor verschiedenen Z eithorizonten je
unterschiedlich ausgelegt werden können („So lange hat es dann auch nicht
gebraucht...“). D ass sie vor einem H orizont als Besonderheit ausgeflaggt w er-
den kann, für den es kein Tabu wäre, über das „erste M al“ zu reden, wird wie-
derum an der schnellen Ironisierung der eigenen Verweigerungsleistung deut-
lich („ich w ar schon w illig...[lacht]“). Dass es sich aber im Rückblick auch als
eine spielerische Inszenierung von Besonderheit darstellen lässt, wird hier sogar
betont („A lso ich w ollte m ich halt so ganz explizit ein bisschen eher erobern
lassen“). Zentral wird in dieser Darste llung also gar nicht der Bezug auf Sex,
sondern eher der Entwurf eines Szenarios der Eroberung, in den die Thematisie-
rung des „ersten M als“ als ein Topos unter mehreren eingefügt wird – wichtig
wird die Kennenlerngeschichte als Kennenlerngeschichte.
Bezogen auf die Interviewsituation ist es vielleicht trivial zu bem erken,
dass sich auch noch Darstellungsweisen wie der thematische Bezug auch Sexua-
lität in den Rahm en der Erzählung der Paargeschichte einfügen m üssen und nur
in dieser Hinsicht relevant werden – di e Interviews begannen allesamt mit einer
Frage nach dem Kennenlernen. W ie im Falle der (fehlenden) Thematisierung
der Individualität des Partners ist im Falle der Them atisierung von Sex jedoch
auffällig, wie wenig Sexualität als eigenständiges Thema figuriert, dem für eine
Darstellung der Beziehung besondere Inform ationen abgerungen werden sollen.
Besonders deutlich wird dieser Punkt, wenn man sich eine Kennenlerngeschich-
te ansieht, die explizit die sexuelle Rahmung der ersten Begegnung thematisiert:

A: Ok, also kennengelernt haben wir uns au f einem Parkplatz. An der A9. B: Ja. A:
Und wir haben nicht gesprochen. B: So war das. Ja. (lacht) I: Habt ihr euch da zufäl-
lig getroffen, oder habt ihr euch verabredet? A: W ir haben uns zufällig getroffen...
(lacht) Und es war definitiv nicht, um eine Beziehung zu finden. B: Ja. A: Und eigent-
lich können wir sehr empfehlen, erst einmal Sex zu machen und dann eine Beziehung.
Das ist echt vorteilhaft. (lacht) (P-M&P, 00:44)

Die Geschichte dieser Paarbeziehung beginnt also auf der Klappe. Und hier soll
zunächst dem Umstand, dass diese Geschi chte mit Sex beginnt und dass in die-
ser Geschichte Sex als wichtiges Th ema behandelt werden soll, emphatisch
Bedeutung zugemessen werden. Thematisiert wird etwa im weiteren Verlauf des
178 Herstellung von Unbestimmtheit

Interviews an einigen Stellen der Vort eil, dass Sex für die erzählte Beziehung
zumindest frei von negativen Überraschungen war:

B: Einerseits war es ja gut, das sagen wir auch, warum unsere... Oder warum ich sage,
dass unsere Beziehung so gut ist, weil wir von Anfang an ja wussten... Es hört sich
jetzt total bescheuert an, aber dass unser Sex ja auch gut ist, oder sexuell kompatibel
ist... Was ja bei vielen dann ein Problem ist in der Beziehung... Das war ja bei uns nie
eine Frage. (08:24)

Wieder wird hier die Besonderheit der eigenen Geschichte im Vergleich zu


(imaginierten) anderen Beziehungen he rausgestellt; fast nim mt dabei iron i-
scherweise diese schon in der Eingangssequenz angekündigte Einsicht in den
beziehungstechnischen Vorteil des frühen Sex auf der Klappe den pädagog i-
schen Ton eines Ratschlags an jene vielen Beziehungen an, in denen das Unwis-
sen über die Qualität des Sexes oder die sexuelle Kompatibilität „dann ein Prob-
lem ist in der Beziehung“. In einer für die Interviews typischen We ise wi rd
diese Einsicht und das Reden über Sex dann aber als unpassend markiert: „Es
hört sich jetzt total bescheuert an“. W as hier vielleicht aber nur als der Effekt
der rhetorischen Figur der Paralepse ge deutet werden könnte, bewahrheitet sich
dann aber in der Praxis des Interview verlaufs. Nicht die passgerechte Sexualität
wird hier das Leitmotiv; nicht die Außer gewöhnlichkeit des sexuellen Kennen-
lernens wird betont; nicht einmal di e Bedeutung der Begegnung auf der Klappe
für den weiteren Verlauf der Beziehung se tzt die Akzente die ser Erzählung. Es
ist vielmehr die Thematisierung der Erzählbarkeit dieser Geschichte selbst, die
sich in der Dynamik des Interviews al s der w ichtigste Inform ationsgenerator
dieser spezifischen Kennenlerngeschichte etabliert.
Schon bevor die oben zitierte G eschichte nämlich erzählt w ird, werden ihr
einige kurze interaktiv ausgehandelte Prälim inarien vorausgeschickt: „ I: Wie
habt ihr euch denn kennengelernt? A: (lacht) M agst du? B: Das haben wir ges-
tern schon überlegt, das erzählst du. A: Das muss ich erzählen? B: Ja. A: Nein,
das darfst du erzählen. B: Nein! A: Na dann erzähl es ich.“ (00:10); „W ir haben
gestern A bend überlegt: W as beantw orten w ir eigentlich und w as nicht.“
(00:24); „W ir haben es deswegen diskutiert, weil es eine schon sehr intime
Frage ist.“ (00:20) Es wird also schon vorab der Status der Antwort als einer
intimen, überraschenden, m itteilungs- aber auch diskussionsw ürdigen A ntwort
etabliert; und dies geschieht vor allem da durch, als dies alles in einer betont
inszenierten Interaktion zwischen den beiden Erzählstimmen ausgehandelt wird.
Bevor sie erzählt wird, geht es also schon um die Besonderheit der Geschichte
und das Problem ihrer Erzählbarkeit. Vor allem letzteres wird im Verlauf des
Interviews immer wieder hervorgehobe n. Die Besonderheit der Kennenlernb e-
gebenheit auf der Klappe ist zunächst eine doppelte im Hinblick auf die Überra-
Herstellung von Unbestimmtheit 179

schungen, die sie für die Beziehung bere ithält: Sie hält die Beziehung, w ie wir
gesehen haben, von negativen Überraschungen frei, was die Qualität des Sexes
und die „K ompatibilität“ betrifft; sie sorgt aber insofern für eine Ü berraschung,
als nach der ersten sexuellen Begegnung unwahrscheinlicherweise die Telefon-
nummern ausgetauscht werden und noc h unwahrscheinlicher – innerhalb von
drei M onaten – zusam mengezogen w urde. A ls eigentlich them atisierbare B e-
sonderheit wird aber eben nicht die Geschichte selbst, sondern die Begebenhe i-
ten, an denen sie auf bestimmte W eise erzählt werden konnte oder nicht erzählt
werden durfte etabliert:

A: Also die Eltern wissen es nicht. (lacht) (06:05)

A: Klar, was ist die erste Frage, wenn du einen neuen Freund anschleppst? Ja, wo habt
ihr euch denn kennengelernt. I: Genau? A: Und dann zu sagen, ja, wir ha ben uns auf
einer Klappe kennengelernt, ist echt für ein Partygespräch anstrengend. I: Ok. B: Wie
haben wir dann immer gesagt? Wir haben uns... I: Habt ihr denn gemeinsame Versio-
nen von dieser Geschichte? Oder... B: Hm , ja... A: Ich glaube, wir haben uns m al
überlegt, was wir sagen... (lacht) B: Es hat sich ja dann auch erledigt, weil jetzt frägt
es hier ja auch keiner in München... I: Ok. B: Aber, ich weiß gar nicht... Du hast, nein,
wir haben immer gesagt, das erzählen wir nicht? Es ist ein „Geheimnis“, irgendwie so
etwas in der Art... (06:45)

Im Verlauf der Erzählung der Geschichte wechselt der Fokus also von der Ge-
schichte selbst auf das Erzählen der Gesc hichte. Wichtiger als Geschichte wird
schließlich, w as statt ihrer erzählt werden konnte, erzählt wurde und wie dar-
über in der Beziehung zu zweit diskutiert wurde; und selbst hier ist der Inhalt
weitgehend belanglos:

A: Was ist denn da die offizielle Geschichte, Schätzchen? B: Das wir uns auf ei ner
Party kennengelernt haben? A: Ich weiß die offizielle Geschichte nicht m ehr... (lacht)
(06:09)

All das sagt natürlich nichts darüber aus, wie wichtig für die interviewten Paare
in ihrer Beziehung Sexualität oder gar die sexuelle K ompatibilität ist. A ber es
betont doch noch einmal den Umstand, dass von Sex in der Selbstdarstellung im
Interview zumindest wenig die Rede war – und wenn doch, wurde deutlich, dass
dies offensichtlich nicht als ein Tabu gegenüber dem präsenten soziologischen
Publikum präsentiert oder zumindest a ngedeutet wird, sondern höchstens der
Zweifel an der interessanten Erzählbarke it vor diversen fiktiven und realen
Publika selbst in den Fokus gerät und zu reflexiven Schlaufen in der Selbstdar-
stellung führt.
Mit diesem Fokus auf die Erzählbarke it sind hier aber gerade im Hinblick
auf die „Kommunikation und W ahrnehmung sexueller Interessen“ einige Ko n-
180 Herstellung von Unbestimmtheit

sequenzen verbunden. In der Literatur zu m Thema lässt sich dabei ein intere s-
santer Schnittpunkt in den Einschät zungen so unterschiedlicher soziologischer
Kommentatoren wie etwa Niklas Luhm ann und Eva Illouz finden, der um so
interessanter wird, als er sich mit de n expliziten Einschätzun gen und impliziten
Hinweisen in den Selbstdarstellungen der Paare bis zu einem gewissen Grade
deckt. M an könnte diesen Punkt annä herungsweise als eine grundsätzliche
Skepsis gegenüber Sprache in der intimen Kom munikation bezeichnen. An
dieser Stelle m uss aber sehr aufm erksam unterschieden w erden. A uffällig ist
nämlich die Gleichzeitigkeit von emphatischer Befürwortung von Kom munika-
tion und einer grundsätzlichen Sprachskepsis. W enn es in den Interviews auch
nur selten um pragmatische Aspekte der „Arbeit“ an der Beziehung geht, wird
hier fast ausnahmslos auf die „Komm unikation“ in der Beziehung verwiesen.
Selbst noch die Rom antik des Bezie hungsalltags kann als Ergebnis eines kom -
munikativ ausgehandelten Lernprozesses dargestellt w erden – w ie im ersten
Beispiel ironisch, oder wie im zweiten ganz unironisch:

B: Ja. Hm. Romantisch... A: Vielleicht... Also es war jetzt kein so ein Sternengucker...
B: (lacht) A: ...sondern eher mit... mit Humor und mit Lachen eigentlich verbunden,
gell, weil wir ja eher auch glaub ich beide ein bisschen so Typen sind, wo jetzt nicht
da mordsmäßig zum Schweigen auf einmal anfangen . I: Ja. A: Was ja auch wieder
angenehm ist, gell, weil wir ja beide irgendwie... Also vielleicht m üssen wir da noch
üben. B: Naja. A: Zu Schweigen? B: Nein (lacht) A: Nee, also das... die Rom antik
da... (lacht) (P-J&T, 15:35)

A: Wenn du eine junge Beziehung hast, oder... denk ich jetzt einm al, so war das, dann
war Romantik dieses... und da in der Tat: Rückzug auf den Film , ja... da hat m an das,
was man als Romantik aus dem Film kannte, und als exorbitante Ro mantik, versucht
nachzustellen, also dieser ... I: Zu Beginn? A: ...Candle-light-, Champagner-, Erdbeer-
zeug... I: Zu Beginn? A: Ja genau. B: Zu Beginn. A: Und nachher ist dann, also sag
ich mal: jetzt ist dann auch Romantik, wenn man einfach auch einm al Zeit für sich
hat, miteinander sagt: Komm, der Abend gehört uns... Kind, Babysitter, wir gehen z u-
sammen mal nur zu zweit ohne Freunde, ohne Bekannte schön zum Essen. Und ne h-
men uns einfach mal Zeit. Das kann nämlich auch schon Romantik dann sein, ja. I:
Ja. A: Und redet mal wieder gut miteinander. (P-S&J, 14:41)

Wenn im ersten Beispiel noch die Verknüpfung von Romantik und Schweigen
zentral gesetzt wird, ist im zweiten die Besonderheit der Romantik „jetzt“ ger a-
de ihre V erknüpfung mit der hart erkäm pften Zeit für das sprichw örtliche gute
Gespräch. Wieder wird das mit einer Ablehnung von „exorbitanten“ massenm e-
dialen Romantikmustern verbunden, dere n Inanspruchnahme hier schlicht ver-
schiedenen Phasen einer Paargeschichte zugeordnet wird. Eine Skepsis gege n-
über überkommenen Formvorlagen sticht in diesem Falle also eine mögliche
Sprachskepsis im Bezug auf romantisch e M omente aus. Aber selbst in M o-
menten, in denen das Vertrauen auf Kommunikation selbst schon als romantisch
Herstellung von Unbestimmtheit 181

dargestellt werden kann, markieren die Texte eine implizite Sprachskepsis. Hier
wird etwa eine Versöhnung als rom antischer M oment in der Paargeschichte
beschrieben. Zunächst wird – schon hier im Zwiegespräch – ausgehandelt, ob
diese Episode überhaupt erzählt werden soll:

B: Ja und dann hast du Schluss gemacht. A: (lacht) B: (lacht) I: Ah, das gibt es auch
zwischendrin? B: Jaja. I: Ja? B: Das war eigentlich dann direkt... A: W ollen wir das
ansprechen? B: Na, das gehört auch dazu. (P-S&R, 30:50)

Was dann doch angesprochen wird, ist eine Versöhnungsgeschichte, die explizit
auf die Erfolge kommunikativer Aussprachen setzt:

A: Nach dem M onat halt haben wir uns zufällig im ‚Airport‘ in Regensburg in der
Disko getroffen... I: Mhm. A: ...also wirklich zufällig... I: Mhm. B: …und dann stand
sie halt da so da und dann... Und da hab ich halt dann g ewusst, dass es absoluter M üll
war, was ich da gemacht habe... I: Ja? A: Und dann bin ich zu ihr hin... Und dann ha-
ben wir ein bisschen gequatscht und dann habe ich sie auch umarmt und so, und dann
hat sie halt gesagt ‚Ich will aber nicht verarscht werden und... und nur wenn du es
wirklich ernst meinst‘, und da hab ich ihr dann in die Augen gekuckt und habe gesagt
‚Ich meine es wirklich ernst. Es tut mir leid‘ und alles... Und dann haben wir uns auch
wieder geküsst da... Und am nächsten Tag war natürlich noch nicht alles wieder wie
davor, aber wir haben uns wieder zusammengerauft und zusammengerissen und haben
viel darüber geredet auch, und das war auch das Richtige dann... I: Ja. B: ...dass m an
viel darüber redet. I: Das war jetzt aber dann schon romantisch, würde man sagen,
oder? B: Ja. A: Ja. I: Oder nur im Nachhinein? B: Nee, das war schon sehr schön...
Doch (lacht) A: Und dann, wie gesagt, wir haben halt sehr viel darüber geredet und
das auch mal, ein bisschen... vielleicht auch schon fast zerredet, was da mit mir los
war und so, und ob man da was ändern muss... Aber... Haben wir dann groß was ver-
ändert, wie davor? B: Jo (lacht) (36:57)

Das wichtige Ergebnis der Kom munikation wi rd hier schließlich also nicht in
einem tatsächlichen W andel der beteiligten Personen festgem acht, sondern an
mehr Kommunikation: „A: Wir haben halt ausgemacht, wir haben halt auf jeden
Fall ausgem acht, dass w ir m ehr m iteinander reden... über solche... G efühle.“
Aber die M öglichkeit des „Zerredens“ wird hier schon unter der Hand eing e-
führt. Sie kontrastiert m it der W irkmächtigkeit einer Versöhnungsszene, deren
Hauptakteure vor allem Körper sind, die noch die Aufrichtigkeit der Kom muni-
kation durch Blicke („und da hab ich ihr dann in die Augen gekuck t“) ge-
währleisten und die Versöhnung durch Küsse („Und dann haben wir uns auch
wieder geküsst“) besiegeln. In der Tat spielt die Kontrastierung von Kommuni-
kation und Küssen in der Darstellungspraxis dieses Paares eine große Rolle. So
wird auch schon die Schweigsamkeit als Vorgeschichte des ersten Kusses als
ein entscheidendes Erlebnis eingeführt:
182 Herstellung von Unbestimmtheit

A: ...und dann... haben wir uns ein wenig später dann wieder gesehen... B: Ja. A: Da
kamst du von der Toilette oder so... Hast mich dann umarmt... B: Hm. A: ... und dann
sind wir, sind wir wieder auf so eine C ouch, und dann war ich ganz nervös... B: Ich
auch (lacht) A: ...und ich hatte so einen Labello mit und dann habe ich mir, alle zwei
Minuten habe ich mir die Lippen eingeschmiert, weil ich, irgendwie wusste ic h, dass
es vielleicht doch bald zu einem Kuss kommt... I: Ah, ok. A: ..hm, also ich war absolut
nervös... Und wir wussten also, wir saßen neben einander, bestim mt eine halbe, dre i-
viertel Stunde, und wussten nicht, was wir erzählen sollen, über was wir reden sollen
oder... Keiner hat sich den anderen an sprechen wollen... Trauen... I: Ah, ihr wart
schweigend... A: Ja. I: ...neben einander gesessen mit einem Labello... A: Schweigend
so nach vorne gekuckt und mal wieder nach unten gekuckt und... I: Herr... A: ... m it
einem Kumpel mal wieder angestoßen und dann wieder Labello und... Also ich war
sehr nervös... B: M hm. Ich fand das auch sehr toll, den Labello... A: (lacht) B: (lacht)
...das hat m ich sehr fasziniert... A: Du stehst auf weiche Lippen? B: M hm. A: Das
wusste ich damals noch nicht, aber es war halt schon m al ein Pluspunkt, dass ich da...
Auch wenn es nur an dem einen Abend war... auf m eine Lippen achte. B: (lacht) A:
(lacht) (P-S&R, 08:22)

Hier ist zu betonen, dass sich diese Er zählung gerade nicht von dieser Form des
„romantischen“ Kennenlernens distanzi ert; sie m acht keinen U nterschied zw i-
schen der jetzigen, nach der Versöhnung auf Kommunikation und Aussprache
setzenden Form der Paarbezie hung und ihren nervösen, schweigsamen A n-
fangsschritten fest. D eutlich w ird das auch hier in einem Sw itchen in eine g e-
genwartsbezogene (auch im Gegensatz zur erzählten Unsicherheit: „Das wusste
ich damals noch nicht“) Interaktion der beiden Partner: „Du stehst auf weiche
Lippen?“ Deutlich wird vor allem aber, dass sich hier die Dimension körperli-
cher und sexueller Intimität wieder gerade an einem Verzicht auf Sprache fest-
machen lässt. Statt verbaler K ommunikation tritt hier ein „Labello“ als M ittler
der K ommunikation auf. D er V erzicht auf Sprache verdankt sich hier freilich
nicht einer bewussten Sprachskepsis. Dass hier aber, um eine Formulierung
Paula Villas (2006) aufzugreifen, sexy bodies auf die Vorderbühne geraten, hat
sowohl damit zu tun, dass sie als schwei gsame Körper auftauchen, als auch mit
dem Switchen in die Interaktion, die – gerade bei aller Differenz der ehemaligen
Unsicherheit m it dem gegenwärtig etablierten (Nicht-)W issen – die Anwesen-
heit derselben Körper, von denen eben noch die Rede war, in der Gegenwart der
Interviewinteraktion ausstellt.
In den Interviews stellt sich dabei das, w as hier als der kommunikative Os-
tentation von Kommunikationsverzicht be schrieben werden könnte, typische r-
weise dann ein, wenn es um die Darstellung der körperlichen und sexuell kon-
notierten Intimität geht. Am Beispiel von Eva Illouz konnte schon eine soziolo-
gische sprachskeptische Perspektive im Hinblick auf die Kommunikation von
Intimität nachgezeichnet werden, die den möglichen Verzicht auf Sprache in der
Interaktion mit der Sprachzentriertheit des Interviews als Tod der Liebe kontras-
tiert. Niklas Luhmann verpflichtet sich einer ähnlichen Perspektive, die deutlich
Herstellung von Unbestimmtheit 183

machen kann, warum von einem soziol ogischen Standpunkt aus diese Sprach s-
kepsis vor allem im Hinblick auf Intim kommunikation unmittelbar einleuchten
kann. In einem kleinen Aufsatz zu r „Wahrnehmung und Kommunikation sexu-
eller Interessen“ (1995c) rollt Luhm ann das gem einte Problem an der U nter-
scheidung zwischen W ahrnehmung und Kommunikation auf, das gerade in der
Intimkommunikation auf eine besondere Art und W eise zugespitzt wird. Nicht
ohne Grund tritt hier – für den Stil der System theorie in einem außergewöhnli-
chen M aße – die Angewiesenheit auf die Beobachtung von anwesenden Kör-
pern in den Blick; und nicht ohne Grund wird genau dies zum Anlass geno m-
men, einen skeptischen Hinweis auf di e beschränkten M öglichkeiten der Ko m-
munikation mit den Chancen von komm unikationsfreier Wahrnehmung zu kon-
trastieren. D ie Pointe ist gerade, da ss in der Intimkommunikation (zunächst:
schmerzlich) sichtbar wird, dass Kommuni kation gerade das nicht leisten kann,
was sie unter den verschärften Ansprü chen der Intim kommunikation eigentlich
leisten soll: „H ier kann es, oder könnte es doch darauf ankom men, daß m an so
verstanden wird, wie man sich selbst versteht. Gerade das lässt sich ab er durch
Kommunikation nicht erreichen.“ (190) W as hier also vielleicht auf den ersten
Blick als eine theoretisch postulierte Präm isse der system theoretischen Arg u-
mentation erscheinen mag, offenbart sich gerade im Hinblick auf die Situation
von Intimkom munikation als eine nicht von der Hand zu weisende empirische
Evidenz. Denn gerade an der W ahrnehmung von Körpern mag deutlich werden,
wie sehr es der Intimität auf Unsi cherheit, Unbestimmtheit und Undurchschau-
barkeit ankommt: „Die Differenz von Beob achter (der für sich selbst undurch-
sichtig ist) und Beobachtetem (das für i hn undurchsichtig ist) läßt sich nie wi e-
der eliminieren.“ (183) Und diese schmerzliche „Kommunikationsbarriere“ wird
aber in der Intimität auf eine besondere Weise genutzt: „Gerade das macht die
Spannungen und Aufregungen der Liebe aus[.] Eine aus dieser Differenz kom-
mende U nsicherheit beflügelt die Phantasie. U nsicherheit lässt sich, im U nter-
schied zu Sicherheit, auf Dauer stellen.“ (184)
Hier soll nicht bis ins Detail auf die weit führenden Überlegungen einge-
gangen werden, die Luhmann hier anschlie ßen kann; es geht in diesem Zusam-
menhang ja nicht um eine Bestätigung von systemtheoretischen Unterscheidu n-
gen, so plausibel sie im Einzelnen auch sein mögen. Aber im Hinblick auf die
geführten Interviews kann man zumindest fe ststellen, dass es sich hier um Pla u-
sibilitäten handelt, die sich in der Intera ktionssituation des Interview s w ieder-
holt beobachten lassen – sie werden in di eser spezifischen Situation in Szene
gesetzt. Was in den Interv iews nicht di rekt beobachtet w urde, ist das V erhalten
und das Handeln von Körpern; das M aterial besteht in letzter Instanz aus Tex-
ten, die lediglich die transkribierbare Sprechpraxis verzeichnen. Aber gerade
hier wird wiederum sichtbar, an welc hen Stellen die kommunikative Inszenie-
184 Herstellung von Unbestimmtheit

rung von Schweigsamkeit, die kommuni kative Problematisierung von Komm u-


nikation, der demonstrative Verzicht auf explizite Kommunikation genutzt wu r-
de. Eine explizite Sprachskepsis scheint dabei nur selten auf; nur selten scheint
es, dass sich die Gewährspersonen die gegen therapeutische Ratschläge, die auf
Kommunikation pochen, gerichteten Ratschläge (!) Luhm anns für die Funktio-
nalität von Kommunikationsverzicht zu Herzen genommen haben: „Übertragen
auf das Problem der W ahrnehmung bzw. der Kommunikation sexuellen Begeh-
rens heißt dies, daß die Übersetzung des Kontaktverlaufs von W ahrnehmung in
Kommunikation Spontaneität bricht und Dist anz schafft mit der Folge, daß m an
sich dann ‚verständigen‘ m uss.“ (202) Eine positive Them atisierung der „A us-
sprache“ und des „guten Gesprächs“ durch die Paare taucht aber nie in Konte x-
turen auf, die die Aufregungen der Lieb e darstellen, son dern die die Abklärung
von Konflikten oder die Routinen im Beziehungsalltag adressieren. Die soziolo-
gische Sprachskepsis wiederholt und dupliz iert dabei in gewissem Sinne ein
praktisches, performatives M isstrauen gegenüber einer Sprache, die für die
Kontextur der aufregenden Intim ität zuviel Sicherheit und Bestimmtheit und
zuwenig Sicherheit und Bestim mtheit gleichzeitig hervorbringen w ürde. Gerade
die berühmte „Körpersprache“ der Lieb enden, ihre kommunikationsfreie Kom-
munikation, schafft ja gerade Unbes timmtheit dahingehend, ob etwa kommun i-
ziert wurde oder nur wahrgenommen wurde. Körpersprache bietet im Gegensatz
zur Sprache immer die plausible M öglichkeit abzustreiten – nicht nur, dass
etwas so intendiert war, sondern dass überhaupt etwas intendiert war. Es ist, als
ob im Hinblick auf K örpersprache das unm ittelbar evident w äre, was Paul D e-
Man für den berühm ten Ausruf Rousseaus – „M arion“ – in einer interpretativen
tour de force erst nachweisen muss: Er kann alles bedeuten und bedeutet des-
halb nichts (vgl. 1979). G leichzeitig sche int aber der V erzicht auf explizite
Kommunikation, für die wiederum der Kö rper als Chiffre einstehen mag, ein
größeres M aß an Bestimmtheit zu implizieren: W enn man sich auch täuschen
kann, so wird man wenigstens (einfach) nicht belogen. Diese Chiffre der „Eh r-
lichkeit der Körpers“ – etwa im In-die-Augen-Gucken des letzten Interviewaus-
schnitts – ist etw a w iederum von A lois H ahn (2000: 353 ff.) einer kritischen
historischen Analyse unterzogen worden , die bei allem Nachweis der gesell-
schaftlichen Konstruiertheit noch des Topos des Körpers, der nicht lügen kann,
noch an der Plausibilität eines letzten Pr ivilegs der K örpersprache (!) festhalten
will: „D er K örper ist nie völlig gefügig, w eder dem B ewußtsein noch der G e-
sellschaft.“ (366) Aber einmal dahingestellt, wie es sich nun tatsächlich mit dem
Körper verhält, sind noch darin zum indest die m öglichen Vorbehalte einer sich
eindeutig als Kommunikation erkennen zu gebenden Kommunikation nachspür-
Herstellung von Unbestimmtheit 185

bar – ihr m angelt es offensichtlich gerade dadurch an einer gew issen Eindeutig-
keit.113 Die zum indest unterstellte Unverfügbarkeit gerade des Körpers 114, gera-
de in der Intimität, lässt ihn an de r unbestimmbaren Grenze zwischen Kommu-
nikation und Wahrnehmung zu einer zentralen Instanz bei der Beobachtung und
Darstellung der Paargeschichten werden. Er taucht dann auf, wenn die Kom mu-
nikation problematisch wird – und, wie oben gezeigt, wenn sie performativ als
Problem inszeniert wird. Luhmann verm utet dann auch: „Deshalb suchen Lie-
bende zwar die Kommunikation – aber eigentlich nicht um der Kommunikation
willen, sondern um sich beim Kommunizieren beobachten zu können.“ (201)
Für die analysierten Interviews lässt sich jedoch konkretisieren, dass sich
ein solcher Topos nicht an der Darstellung der Beziehung ablesen lässt, sehr
wohl aber an der Evokation von körperlic her und sexueller Intim ität, die trotz
ihrer teilweise expliziten Nicht-Themat isierung in den Selbstdarstellungen der
Paare im mer auch m itläuft. N icht nur w ar „U nd w ir haben nicht gesprochen“
schlicht ein Euphemismus für Sex. Ni cht nur war die erzählte Umstellung von
Kommunikation auf W ahrnehmung schlicht der notwendige Rahmen für den
entscheidenden ersten K uss. Sexualität und K örperlichkeit offenbart sich in der
Interviewsituation aber vor allem darin al s ein zentrales Phänomen, dass in der
Situation nicht thematisiert werden ma g, aber im Bruch der Erzählung („A:
Aber da bin ich dann eine halbe Stunde sp äter wieder gegangen. I: Also es war
schon... Es kam dann zum ...? B: Naja, also... Ein Stündchen war es schon, ja?
A: Ja, ein Stündchen. B: (lacht)“ [P-J&T , 03:37]) aufscheint und im fast unau s-
weichlichen Sw itchen in die Interakti on auf die anwesenden Körper verweist,
die jetzt darüber reden, was damals keiner Sprache bedurfte.

113
Selbst Luhmann wird in diesem Zusammenhang merkwürdig eindeutig: „In der nicht auf
Kommunikation spezialisierten Wahrnehmung ist dagegen die Simultaneität von Erleben und
Erlebnisinhalt unmittelbar evident. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, daß diese Simulta-
neität des Moments, die Gleichzeitig keit der Ereignisse im System und in der Umwelt, die ein-
zige Form ist, in der ein geschlossenes autopoetis ches System die eigene ‚Konstruktion ‘ seiner
Realität überschreiten und sich selbst mit Kont aktgewissheit und damit mit Einschränkungen
versorgen kann.“ (1993: 202)
114
Seinen vielleicht schönsten (und a bsurdesten) Auftritt feiert der Körper in den Texten Lu h-
manns dann auch nicht nur als beobachtbare Umwelt von psychischen oder sozialen Systemen,
sondern als unberechenbarer Beobachter, der sich im Kontext US-amerikanischer Debatten über
die „Don’t ask, don’t tell“-Politik hinsichtlich der Aufnahme von Homosexuellen ins Militär
unter Bill Clinton ins systemtheoretische und dekonstruktivistische Rampenlicht drängt: „The
television interviews report that the soldiers, these strong and healthy, well -nourished young
men with oversized arms, legs, and bodies, confessed to being afraid of having homosexuals
around them. But his would be (assuming that the law effectively prevents sexual harassment)
completely harmless. Could it then be that th e soldiers are worried about the possibility of
each’s body reacting as an observer of its own and that other would see that? It may be a very
small chance of surprise, but a possibility amplified by uncertainty.“ (1993: 764 f.)
186 Herstellung von Unbestimmtheit

3.3 Original und Kopie in der Interaktion

Abschließend können die Ergebnisse dies es Abschnittes noch einm al eng g e-


führt werden, indem sie auf das für di ese Arbeit zentralen Thema des Verhält-
nisses von Original und Kopie bezogen we rden. Als ein zentrales Bezugsprob-
lem, dass in den Paarinterviews inhaltlich jeweils unterschiedlich aber stilistisch
vergleichbar bearbeitet w urde, wurde zunächst die O riginalität, die E inzigartig-
keit, die Individualität der Paargeschich te sichtbar. V or diesem H intergrund
erscheint dann der bloße Verdacht des Kopierens zumindest problematisch. Das
Problematisieren des Kopierens hat selb st wiederum eine lange und komplexe
Geschichte. Folgt man den Hinweisen Niklas Luhmanns zu diesem Thema, sind
es vor allem zwei Kontexte, in denen si ch schier unausweichlich Diskurse zu
diesem M otiv einstellen: Zentral ist der Unterschied von Original und Kopie
historisch zunächst „im Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Theorie“ und
„gewinnt alsbald breitere Bedeutung“ im Hinblick auf eine Semantik von „Indi-
viduum, Individualität, Individualism us“ (1993: 220). Problem atisch w ird das
Kopieren historisch dann, wenn es al s ein gleichsam universelles Phänomen
registriert wird und gleichzeitig – etw a im Bezug auf funktionsspezifische O ri-
ginalitäts- und N euheitszwänge – abgew ertet w ird. U m die von Luhm ann als
paradigmatische Formulierung eingeschätzte n Zitate hier noch einmal zu zitie-
ren, fragt sich etwa Edward Young am Ende des 18. Jahrhunderts „ Born origi-
nals, how comes it to pass that we die as copies“, und im folgenden Jahrhundert
problematisiert Stendhal den Umstand, dass nun alle kopieren und sich etwa
nach vorherrschenden Moden richten mit dem Ausdruck des „homme -copie“.115
Im Kunstkontext ist das ein traditionsreiches Prob lem, das nicht nur in ästhet i-
schen Überlegungen, sondern eben auch in Kunstwerken selbst, vor allem in
Romanen thematisiert und vorgeführt wird; man denke nur an Don Quijote oder
– dann schon auf den (konstitutiven) Stoff der M öglichkeit authentischen Lie-
bens bezogen – die Romane Stendhals und Flauberts. Auch wenn die Ästhetik
zeitgenössische Behandlungen dieser Probl ematik anbietet – etwa im Hinblick
auf die Unterscheidung von „Imitation der Natur“ und „Imitation von Aut o-
ren“116 – und schließlich in der Romantik sich im Bezug auf eine Funktionsbe-
stimmung der Kunst entschieden gegen die begriffliche Traditionslast der „Im i-

115
Zit. nach Luhmann (1993: 221 f.; und immer wi eder). Fast schon ironisch mag es dabei schei-
nen, dass nicht auszuschließen ist, dass es sich im Falle der Formulierung des „homme-copie“
durchaus um eine Originalprägung Luhmanns handeln mag: Zumindest in der deutschen Au s-
gabe von Stendhals „Über die Liebe“ (1999) findet sich die Formulierung nicht.
116
„Die Imitation der Natur erfolgt original, die Imitation von Autoren ist dagegen nur ein Copie-
ren.“ (Luhmann 1993: 222).
Herstellung von Unbestimmtheit 187

tation“ wendet, 117 harrt das Problem im K ontext einer Sem antik für Liebe of-
fenbar weiterhin, ja sogar noch verschärft einer dringlichen Behandlung (vgl.
dazu Kapitel I.3.1). In unserem Zusamme nhang interessiert dabei eine plausible
Vermutung Luhm anns: „Es hängt offensichtlich m it dem Buchdruck zusam-
men.“ (1993: 221)
Es handelt sich also offensichtlich um ein Problem, dass hier unter zweier-
lei A spekten relevant ist: Z ugespitzt w ird das M otiv des Kopierens gerade im
Falle von Liebe. Und zugespitzt wird es als ein Phänomen, das von den zur
Verfügung stehenden Verbreitungsmedien nicht unabhängig gedacht werden
kann. Dass eine als original empfundene Liebesgeschichte das M uster einer
Liebesgeschichte annimmt, die man ohne weiteres nachlesen kann, wird dann
problematisch, wenn man sehen kann, dass sie auch von anderen nachgelesen
werden kann – und kopiert werden kann. Unter den Bedingungen der Druck-
presse wird gerade die Trivialisierung von Kopiermöglichkeiten und insbeso n-
dere die Lektüre als Technik entdeckt, di e dazu verleiten kann, das eigene Le-
ben und Lieben an nur angelesenen M ustern zu orientieren. Im ersten Kapitel
wurde argumentiert, dass die Gattung des Rom ans als Formvorlage dieses Prob-
lem zuallererst kenntlich m achte – und in gewisser Weise als Technologie nicht
der Handlungsanweisung, sondern der Handlungsinszenierung schon seine Lö-
sung darstellte. Aber schon hier gilt: Auf einem sich entwickelnden Buchm arkt,
werden W iederholungen als Wiederholungen sicht- und vergleichbar – und
schon insofern Neuheiten und Originalität dagegen (positiv) abgrenz- und be-
wertbar. G eschriebenes und in gedruckter Form Verbreitetes konstituiert ein
anderes gesellschaftliches G edächtnis. D ie L age spitzt sich freilich zu, w enn
Massenmedien einen omnipräsenten Einfluss auf die Lebenswelt ausüben, deren
Analyse unter dem Stichw ort der K ulturindustrie nur einen zivilisationskriti-
schen Höhepunkt erfahren hat. Für den Fall einer soziologi schen Einschätzung
von M öglichkeitsbedingungen für authentische, originelle und unversehrte Er-
fahrungen von Liebe hinterlässt es im An schluss an diese Analyse natürlich
deutliche Spuren, wenn in den Selbstbeschreibungen von – nun als postmodern
ausgewiesenen – Gewährspersonen die Erzählung der eigenen Liebesgeschich-
ten eine Form annimmt, die man deutlich in massenmedial verbreiteten Mustern
wiedererkennen kann. Umso problematischer erscheinen diese Kopierpraktiken,
wie wir gesehen haben, als sie sich nun nicht m ehr Romanen als Form vorlagen
bedienen, sondern Bildern, Szenerien und Plots, die sich über die modernen
Verbreitungstechnologien der W erbung, dem M arkt und der Konsumsphäre
zuordnen lassen. Und umso problematisch er erscheinen diese Kopierpraktiken,
wie wir gesehen haben, als sie nun noch einmal den Bezugspunkt ihres primären
117
„Erst die Romantik wird die Funktionsbeschreibung der Kunst ganz vom Gedanken der Imitati-
on ablösen.“ (Luhmann 1997: 425)
188 Herstellung von Unbestimmtheit

Verbreitungsmediums wechseln. Mit einer Kommunikation im Internet als Aus-


gangspunkt von Kennenlerngeschichten werd en nun nicht mehr nur bestimmte
Muster aus den M assenmedien in die Interaktion hinüberkopiert – das compu-
terbasierte Kopieren selbst ist an die Stelle der originalen Intimkommunikation
getreten.
Letztlich soll dieser Beobachtung soziologischer Beobachtungen hier nur
eine spezifische Einsicht entnommen werden. Die Interaktion – die nunmehr
nicht mehr die einzige Kom munikationsform ist, an die sich moderne Gesel l-
schaften gewöhnt haben, sondern ihre Spezifik gerade im Vergleich mit ande-
ren, auf Verbreitungsmedien angewies enen und von ihnen geprägten Formen
der Kommunikation gewinnt – offenbart si ch eben als eine spezifische Kom mu-
nikationsform, in der sich auch gerade das Problem des Verhältnisses von Ori-
ginal und Kopie anders stellt. A kzeptiert man die in diesem Kapitel vorgelegte
Interpretation, ist die Interaktion eine Sonderform der Komm unikation, die die
Kopierproblematik gewissermaßen entschärft und dabei die gesteigerte Interak-
tionsbezogenheit von Intimkommunikation in einem nie da gewesenen M aße
übersteigert. Es ist die Gegenwartsbasi ertheit und die Angewiesenheit auf (kör-
perliche) Anwesenheit, die dem Kopieren se inen Stachel zieht. Es ist eine inter-
aktive Herstellung (und Inszenierung) von Interaktions bezogenheit, die bei der
Präsentation von Intimität als Erfolgsstrate gie sichtbar wurde. Vor dem Hinter-
grund der derzeit heiß umkämpften Debatte um Original und Kopie kann das
nicht verwundern. Selbst die kritischen Einlassungen Eva Illouz’ etwa beobach-
ten – und skandalisieren – zunächst nur die Erzählmuster der analysierten D a-
ten, die ihr – und zum Teil auch den Interviewpartnern als postmodernen u n-
glücklichen romantischen Subjekten – als Kopien von massenmedialen Kopier-
vorlagen erscheinen. Dass die Ablösung einer Beeinflussung von Interaktion
durch eine Ersetzung von Interaktion noch skandalträchtiger erscheint, mag
dann nicht mehr überraschen. Die Gegenwartsbetonung und die Betonung der
Anwesenheit von Körpern garantiert der Interaktion im Kontext der D ebatte um
Original und Kopie einen gewissen Imm unitätsschutz. Dass die gegenwärtige
Aktualisierung von zeitlich und räum lich distanzierten M ustern Neues schaffen
mag, dass gerade dem körperlichen Kopi eren von Originalen aufgrund der L o-
gik der Iterabilität immer ein notwendiges Verfehlen anhaftet und ihm somit ein
kreatives Potential innew ohnt, scheint in diesem Medium unmittelbar plausibel
zu sein. Auch wenn das Paarinterview ein außergewöhnlicher Sonderfall der
Interaktionssituation ist, w ird in ihm doc h zw eierlei deutlich. E s ist dies eine
Plausibilität, der auch in konkreten Situationen kaum zu entkom men ist; und es
ist eine Plausibilität, die die (Selbst-)Darstellung von Intimität in der Interaktion
gleichsam zwingend für sich zu nut zen weiß, indem sie diesen Aspekt noch
einmal ostentativ betont.
Herstellung von Unbestimmtheit 189

4. Die Geschwätzigkeit des Sozialen und die Geschwätzigkeit der


Soziologie

Liebe ist das gesprächigste aller Gefühle


und besteht zum großen Teil ganz aus Gesprächigkeit.
Robert Musil

Abschließend sollen an dieser Stelle noch einige methodische Überlegungen zur


Besonderheit des empirischen M aterials und dem Vorgehensweise seiner Au s-
wertung in diesem Kapitel angestellt werden. Das geschieht hier nachträglich,
im Anschluss an die in diesem Kapitel geleistete Interpretation; und die Überl e-
gungen stehen hier anstatt eines ausführlichen M ethodenkapitels. Beides hat
wiederum spezifische Gründe, denn es soll sich hier lediglich um den Versuch
einer „Einsicht in die epistemologi sche Verschlingung von Forschung und Ge-
genstand“ (Saake/Nassehi 2002a: 81) handeln. Die nachträgliche Reflexion auf
die V erschlingung von Forschung und G egenstand w ill dabei nicht den N ach-
weis führen, dass mit den hier bevorzugten Design der Paarinterviews eine für
die Erforschung von Intimität „gegenstandsadäquate“ und in diesem Sinne al-
ternativlose Methode gefunden worden wäre. Ganz im Gegenteil wurde ja schon
in der Auswertung immer besonderer Wert auf die Betonung des Umstandes
gelegt, dass man es bei der Interviewsitu ation mit einer besonderen Situation zu
tun hat, die dem Gegenstand selbst – die Selbstdarstellung von Paaren – wiede-
rum eigene Begrenzungen auferlegt, die ihn nur im Kontext eines spe zifisch
soziologischen Forschungsinteresses sichtbar werden lässt und die i hn dabei im
wahrsten Sinne des W ortes erst hervor bringt. Die Beschränkung auf eine nach-
träglich methodische Reflexion au f die Verschlingung von Forschung und Ge-
genstand soll aber auch nicht als reiner soziologischer Bescheidenheitsgestus
missverstanden wer den. Denn nicht nur was sich in den Paarinterview s im
Rahmen eines Interesses für Intim ität und Liebe sichtbar m achen lässt, war erst
im Prozess der Analyse herauszufinden. Auch und insbesondere wie sich die
Interviews soziologisch überhaupt lesen lassen, ließ sich erst im Verlauf der
Auswertung genauer bestim men. Erst als deutlich wurde, welche zentrale Rolle
der performative Umgang mit Unbestimmtheit in den Interview s spielte, w urde
klar, dass die Frage nach der soziologisc hen Lesbarkeit dieses Phänomens auch
methodische Konsequenzen hat.
Als em pirisches M aterial stütze ich m ich in diesem Kapitel vor allem auf
zwölf Interviews mit Paaren (P) (und nur an einigen Stellen auf zwei Paarinte r-
views, die in der Explorationsphase di eser Arbeit geführt wurden [E], und vier
Einzelinterviews [I]). Die Interviews sind zwischen 46 und 77 M inuten lang;
gemeinsam ist ihnen ein Prinzip der Sp arsamkeit auf Seiten des soziologischen
190 Herstellung von Unbestimmtheit

Interviewers, der zunächst nur die Frage nach dem Kennen lernen und dann dem
weiteren V erlauf der Beziehung stellte, sich im A nschluss aber nur kontexta b-
hängig m it N achfragen in das Intervie w einbrachte. U m deutlich zu m achen,
wie voraussetzungsreich aber schon ein solches explizit auf Offenheit angele g-
tes Verfahren zur M aterialgewinnung im P aarinterview ist, sollen hier einige
derzeit im Kontext soziologischer M ethodenstreite diskutierte Ausführungen
und A rgumente aus den Reihen ethnographisch inspirierter qualitativer Sozia l-
wissenschaftler ernst genom men werden. Die W ahl dieser theoretischen und
methodologischen Sparringspartner scheint in diesem Kontext zunächst eigenar-
tig und unpassend zu sein, sind diese ethnomethodologischen Argumente ja
Argumente, die – impliz it und explizit – gerade gegen die Technik des Inter-
views als erstes Verfahren zur Gewinnung qua litativer Daten gerichtet sind. Im
Rahmen einer Reflexion der Verschlingung von Forschung und Gegenstand
lässt sich aber gerade in Auseinande rsetzung mit diesen Einwänden gegen die
Methode des Interviews auf ein Bez ugsproblem aufmerks am machen, dass –
wie in der Analyse der Paarinterviews im mer wieder angeklungen ist – gerade
dem Forschungsgegenstand dieser Arbeit eigen ist. Das methodische Problem
scheint hier dabei nicht so sehr dari n zu liegen, die Repräsentations hypothesen
der traditionellen Biographieforschung in Bezug auf die Aussagekraft der In -
terviews, etwa Homologie-Unterstellunge n hinsichtlich erzähltem Ich und ge-
lebtem Ich, zu entkräften (vgl. dazu Nassehi/Saake 2002a) und auf die Eigend y-
namik der Interviewsituation hinzuweise n. Das Problem scheint vor diesem
Hintergrund vielmehr darin zu liegen, da ss die Besonderheit der Interviewsitu a-
tion allzu deutlich hervortritt. E in m öglicher, im K ontext eines Interesses für
Intimität geradezu typischer Einwand 118 gegen das Führen von Interview s stellt
sich aus dieser Perspektive dergestalt da r: N atürlich lässt sich in Inter views
etwas über die „öffentliche“ Selbstdarstellung von Paaren herausfinden; über
die „intime Praxis“ verraten die Interviews aber gerade nichts. Dieser Einw and
soll im Folgenden auf seine Im plikationen für das Design dieser Arbeit über-
prüft werden.
118
Interessanterweise ist dies auch ein Einwand, der typischerweise von den Paaren selbst vorg e-
bracht wurde; interessanterweise wurde dieser Einwand aber ausschließlich kurz vor dem Inter-
view formuliert – und nie hinterher. Insofern läss t er sich selbst wiederum als ein empirisches
Datum lesen, der einerseits als ein Hinweis auf die Schwierigkeiten oder gar die Möglichkeit
einer adäquaten Erzählbarkeit von Intimität oder Liebe selbst wiederum ein typisches Moment
der Darstellungspraxis von Intimität zugerechnet werden muss. Andererseits verweist sein Fe h-
len nach den Interviews aber auch darauf, wie überzeugend die perform ative Kraft der Darstel-
lung in den Interviews nicht nur für den soziologischen Beobachter, sondern eben auch für die
Paare selbst ist. Die folgende Auseinandersetzung mit den ethnomethodologi schen Methoden-
aufsätzen scheint aber gerade vor diesem Hint ergrund besonders fruchtbar, weil sie die Voru r-
teile gegen die Aussagekraft von „künstlichen“ Interviews in Unterscheidung zur „Realitätsg e-
sättigtheit“ intimer Praktiken zugespitzt formulieren.
Herstellung von Unbestimmtheit 191

Dabei könnte man es sich gerade bei methodischen Überlegungen zur sozi-
ologischen Forschung zum Thema Intimität leicht machen. Erstens schließen
schon allein „ ethische“ Gründe die ethnographische Beobachtung von Intimität
aus, die es verbieten, die Aufzeichnungs maschinerien etwa auf die Schlafzim-
mer der untersuchten Personen zu rich ten.119 Der Königsweg, ja der einzig
gangbare Weg zu ihrer Erforschung ist das Interview. (Und die M ethodenrefle-
xion könnte hier abgebrochen werden). Zw eitens stehen im Zentrum des sozio-
logischen Interesses dieser Arbeit exp lizit nur die Darstellungsformen bei der
Präsentation von Intimität. M an könnte si ch wiederum bescheiden geben und
das „nur “ des vorhergehenden Satzes als eine gleichsam natürliche Beschrän-
kung des soziologischen Zugriffs auf da s Thema akzeptieren. (Und die M etho-
denreflexion könnte hier abgebrochen we rden). Aber welche Vorannahmen und
Prämissen machen dieses „nur“ so plau sibel? Im Folgenden soll argumentiert
werden, dass genau diese Plausibilität nicht einfach theoretisch oder methodisch
postuliert werden kann, sondern wieder um als Thema der soziologischen Erfor-
schung der Intimität etabliert werden sollte.

4.1 Das Paar des Paarinterviews

Wenn das spezifische Bezugsproblem der M ethode des Paarinterviews nun


weniger in einer notwendigen Dekonstr uktion der auf die M öglichkeit einer
Rekonstruktion von realem Gegenstand ab zielenden Prämissen der Biographi e-
forschung sein soll, hat das zunächst einen vordergründig einfachen Grund in
der spezifischen Erhebungsweise und Form der empirischen Daten selbst. Die
methodische Ausgangsüberlegung war, dass die Interviewsituation selbst als Ort
einer sozialen Praxis ernst genom men werden sollte; dass in den Paarinterview s
dabei der intime Gegenstand nicht einf ach nur nacherzählt oder abgebildet,
sondern insbesondere performativ vorgef ührt wird, wäre vor diesem Hinter-
grund nur eine theoretische und methodisc he Festlegung, die die Blickrichtung
der soziologischen Interpretation geprägt und geleitet hat. Dieses Forschungsi n-
teresse machte dabei schon vor der Erhebung des M aterials der schlichte Um-
stand plausibel, dass es sich bei den geführten Interviews um Paarinterviews
handeln sollte. Als Paarinterviews – so schon die Ausgangsüberlegung – mögen
die Interviews schneller die eigentümlichen Züge einer performance annehmen
und den narrativen Charakter von biographischen Einzelinterviews verlieren,

119
Klassisch dazu Critcher (1980); vgl. auch Eva Illouz (1997: 300 f.). Methodenreflexion
erschöpft sich in genau diesem Hinweis: „Because of the highly privative quality of emotions
and love, ethnographic observation was not possible. [S]uch subjects are difficult to study other
than through interviews.“ (300)
192 Herstellung von Unbestimmtheit

der den Versuch eines mapping von erzählter Zeit auf erlebte Zeit für die Bio-
graphieforschung so einleuchtend hat erscheinen lassen. Auch wenn die Inter-
views so angelegt waren, dass zunächst nach einer „Darstellung“ des Bezie-
hungsanfangs gefragt wurde, lag es wegen der Personenkonstellation, die e ine
gleichzeitige, abw echselnde und interaktive D arstellung erm öglichte, nahe, die
Interviews nie lediglich als eine biographi sche Narration zu deuten. Aufg e-
drängt haben sich also schon vordergr ündig bei der Analyse eher performative
Leistungen, zu deren Deutung sich al s Königsweg die Konversationsanalyse
etabliert hat: zeitliche Ü berschneidungen, Interaktion, turn taking, Kommuni-
kationsverfahren, reflektive Schaffung von Ordnung durch Redezüge usw. Frei-
lich gilt all dies aber m it einer entscheidenden Einschränkung: D ie Konversati-
onsanalyse hat sich historisch als Spezialdisziplin für „natürliche“ Settings etab-
liert, interessiert sich also zunächst emphatisch etw a für inform elle A lltags-
kommunikation und erst in einem zweiten Schritt auch für die K ommunikation-
spraxis in institutionellen Kontexten (O rganisationen) und anderen m edialen
Kommunikationen.120 Der Realism us der konversationsanalytischen Studien
verdankt sich so gesehen zu großen Teilen der unterstellten „Realität“ oder „Na-
türlichkeit“ der aufgezeichneten Daten; ihre Aufgabe erschöpft sich dann so
gefasst in einer detaillierten Rekonstruktion der „tatsächlich“ abgelaufenen
Kommunikationsprozesse. Die „künstliche“ Situation des Interviews m üsste vor
diesem Hintergrund eine anders gearte te methodologische Diskussion über die
Aussagekraft von Konversationen erfordern.121
In den Vordergrund soll also hier eine anders geartete Frage gerückt we r-
den: W as können die Interview s eigentlich deutlich m achen, das sich nicht in
der konkreten Praxis eines soziologischen Interviews schon erschöpft? Ist das
Material, das durch sie gewonnen wird, schließlich doch nur eine punktuelle

120
Eine klassische Studie mit dem ausschließlichen Fokus auf „natürliche“ Settings, die im näch s-
ten Kapitel im Kontext einer Diskussion ironischer Redeweisen noch interessieren wird, ist d a-
bei etwa Hartung (1998); vgl. auch den Überblick in Kotthof (1998).
121
Das auf Paarinterviews spezialisierte Verfahren Christine Wimbauers, das die Paarinterviews
aufgrund ihres interaktiven Charakters schlicht als ein „Fenster zur Paarrealität“ deklariert, kann
aus oben genannten Gründen hier nur bedingt weiterhelfen. Praktisch lässt sich das, was ihr me-
thodisches Herangehen an die Interviews leistet, am treffendsten als eine modifizierte Konve r-
sationsanalyse beschreiben. Letztend lich muss da nn aber die bloße Metapher des „Fensters“
verbürgen, dass der Soziologe in der im Inte rview beobachteten Kommunikation der „natürli-
chen“ Kommunikation der „Paarrealität“ ansichtig wird. Diese methodische Realitätsunterstel-
lung offenbart sich nicht zuletzt auch darin, dass es bei der Auswertung auf eine Rekonstruktion
des Interviews ankommt, deren Objektivität dadurch gewährleistet werden soll, dass es nicht
nur einen Interpreten gibt, sondern mehrere, die in diskursiver Teamarbeit und in gegenseitiger
Abstimmung ihre unterschiedlichen Perspektiven zu der einen adäquaten Perspektive aufru n-
den. Das Zusammenführen der verschiedenen Perspektiven in einem Prozess der Aushandlung
soll dann freilich die eine Wahrheit des Interviews garantieren.
Herstellung von Unbestimmtheit 193

und deshalb nicht zur Verallgemeinerung taugende M omentaufnahme einer


schlicht soziologischen – und dam it einer w issenschaftlichen und n icht einer
intimen – A usnahmesituation, der sich nicht mehr ablesen lässt als die spezi-
fische Selbstdarstellung von Paaren innerhalb eines höchst künstlichen Ra h-
mens, der als solcher auch gleich noch den Blick über die damit geschaffene
Kontextur hinaus verunmöglicht?

4.2 Übersetzungsverhältnisse

Herbert Kalthoff hat in einem Aufsatz zu den Instrum enten ethnographischer


Forschung (2003) in geradezu klassischer Manier den Begriff des „Übersetzens“
für die Praxis soziologischer Forschung st ark gemacht. Der strategische Einsatz
des Ü bersetzungsbegriffs w ird m eines Erachtens im mer dann am deutlichsten,
wenn er gegen die Vorstellung eines so ziologischen „Darstellens“ und insbe-
sondere deren repräsentationstheoretisch en Impli kationen ins Spiel gebracht
wird. Kalthoff macht klar, dass mit Übersetzung nicht nur die Übersetzung einer
fremden kulturellen Praxis in die Sprache des W issenschaftlers gem eint ist.
Vielmehr geht es ihm um die Artikulation des schweigsamen Sozialen, also eine
versprachlichende Übersetzung. In einer Auseinandersetzung mit dem einflus s-
reichen Übersetzungsverständnis bei W alter Benjamin wird hier herausgearbe i-
tet, dass eine Über setzung „nicht nur ei ne sprachliche Transformation des Or i-
ginals [ist], sondern sie erschafft das Orig inal neu, so dass es in ihr weiter exis-
tieren kann“ (72). Es geht also um die „hervorbringenden“, „performativen
Effekte der Darstellung“ (ebd.): Das Ve rhältnis von „Original“ und „Überset-
zung“ muss also immer auch als ein reziprokes Begriffen werden. 122 H ier soll
nicht so sehr auf die problematische aber dennoch überzeugende These Kal t-
hoffs zu einem W echsel der Beobachterperspektive von der ethnographischen
Aufzeichnung im Feld und der zw eiten V erschriftlichung bei der „differenten
Beschreibung durch die Soziologie“ (8 7) eingegangen werden. W orüber man
sich allerdings wundern darf, ist der Umstand, dass dabei der Übersetzungsb e-
griff nur auf der einen Seite dieser dia gnostizierten Differenz fruchtbar gemacht
wird. Er soll ja gerade die versprachli chende Leistung des soziologischen Be-

122
Das verweist auf das Thema einer ausufernden Methodendiskussion um den Begriff der Repr ä-
sentation (und der Representativität), der hier nicht noch einmal aufgerollt werden soll (vgl,
aber aus ethnomethodologischer Perspektive Hirschauer/Amann 1997; grundsätzlich auch Ha-
cking 1983). Interessant ist in diesem Zusammenhang aber, dass es gerade das Verhältnis zu ei-
nem problematischen „Original“ ist, das in der inhaltlichen Analyse der Präsentation von Int i-
mität schon eine gewichtige Rolle gespielt hat und das die bei Kalthoff vertretenen Argumente
geradezu im Gegenstand zu verdoppeln scheint.
194 Herstellung von Unbestimmtheit

obachters, seine „H ervorbringung des Sozialen“, m ethodisch rehabilitieren.


Schweigsam bleibt er hingegen hinsic htlich der M öglichkeit, etw a auch die
Darstellungsleistungen von Indigenen etwa in einer Interviewsituation als Über-
setzungsleistung zu interpretieren. 123 Hier soll noch einm al in Erinnerung geru-
fen werden, wie die fruchtbare Diskussion zum Status einer performativen Leis-
tung der Übersetzungspraxis auch auf die Interviewsituation selbst zu beziehen
ist und gerade in diesem Kontext auf die immer wieder aufscheinenden Rezip-
rozitätseffekte hinzuweisen in der Lage ist.

4.3 Die Geschwätzigkeit der Soziologie

Als Bezugsproblem der ethnographisc hen Beschreibung – des emphatischen


Aktes des „Schreibens“ – wird in neueren ethnom ethodologischen Texten vor
allem die „Schweigsamkeit des Sozial en“ (Hirschauer 2001) ausgemacht. In
dieser Arbeit wurde schon mehrfach da rauf hingewiesen, wie wenig überze u-
gend vor diesem Hintergrund die Vorstell ung sein kann, dass ein wirklichkeits-
gesättigteres soziolo gisches B ild erzielt w erden kann, w enn die in erster L inie
schon sprachlich verfassten Dokumenten – etwa Interviewtranskripte – schlicht
und einfach etwa mit ethnographischen Aufzeichnungen „ergänzt“ werden. Der
ethnomethodologische Hinweis auf die Schweigsamkeit des Sozialen geriert
sich radikaler: Die genuine Aufgabe der soziologischen Schreibpraxis wird
gerade darin gesehen, das zur Sprache zu bringen, was vorher noch keine Spra-
che hatte: „das Stimmlose, Stumme, Unaussprechliche, Vorsprachliche und
Unbeschreibliche“ (Hirschauer 2001: 429). Irmhild Saake (2003) hat überzeu-
gend argumentiert, dass sich die spezifi sche Leistung von neueren ethnometh o-
dologischen Texten – und darin untersche iden sie sich nicht von klassischen
sozialwissenschaftlichen Textst rategien (vgl. W olff in Kalthoff et al. 2008) –
gerade dadurch erschließen lässt, eine neuartige, differente Beschreibung von
bekannten sozialen Praktiken zu liefern. Akzeptiert man dieses Argument, hätte
die berühmte „Befremdung der eigenen Ku ltur“ auch einen darstellungsästheti-
schen Sinn (vgl dazu auch Geertz 1990; Hirschauer in Kalthoff et al. 2008: 167
ff.). Soziologischen M ehrwert kreiert diese Schreibpraxis durch Verfrem dungs-
effekte der schriftlichen D arstellung, die gleichsam die V ertrautheit – hier: den
Mangel an Fremdheit – des beschriebenen Gegenstandes „kompensieren“. Es
geht also nicht m ehr nur um ein durch aus auch als politi sches Projekt verstan-
denes Zur-Sprache-Bringen oder Zu-W ort-Kommen-Lassen, das konsequent

123
Das verwundert insbesondere deshalb, weil diese Idee in der Untersuchung der Ethno -
Methoden bei Harold Garfinkel ja geradezu idealtypisch angelegt war (vgl. 1967).
Herstellung von Unbestimmtheit 195

den K reis der legitim en Spre cherpositionen nicht nur auf m arginalisierte Men-
schengruppen – Frauen, Schw arze, Schw ule – ausw eiten w ill, sondern selbst
den Dingen zu ihrem diskursiven Recht verhelfen will: der Soziologe als bere d-
ter Anwalt des Nicht-Sprachlichen im Parlament der Dinge. In der Ethnographie
soll vielmehr dezidiert das zur Sprache gebracht werden, „ was vorher nicht
Sprache war“ (Hirschauer 2001: 429). W enn der Soziologe in diesem M odell
ein Übersetzer ist, dann hat er es fast ausschließlich mit der Übersetzung von
Nicht-Sprachlichem in Sprache zu tun. So ist es dann genau diese Schweigsam-
keit des Sozialen, die unter der H and zu r eigentlichen D efinition des Sozialen
wird.

4.4 Die Geschwätzigkeit des Sozialen

Würde man nun im Kontext der Erfors chung von Intimität diese Einwände der
Ethnomethodologen gegen das Forschungsin strument des Interviews einfach
mit dem Hinweis auf eine vorgängige „Definition“ von Liebe als Kommunikati-
onscode124 – also mit einer theoretischen oder methodologischen Grundent-
scheidung – entgegentreten wollen, wü rde man sich lediglich einer Haltung
theoretischer Arroganz schuldig machen oder sich gar nur auf einen defensiven
methodologischen Bescheidenheitsgestus im Bezug auf das zur Ver fügung ste-
hende Material zurückziehen. Demgegenüber ist aber gerade in der Analyse der
Paarinterviews deutlich gew orden, dass die ethnom ethodologischen Einw ände
im Bezug auf den Gegenstand der Intimität besonders plausibel sind. Denn
wenn m an die K ommunikation in der Interview situation als eine spezifische
Form der Praxis gelten lassen w ill, es also in ihr erstens nicht mehr um eine
biographische Repräsentation von Lebe nsläufen und Liebesverläufen gehen
kann und in ihr nicht ein „Fenster“ zur P aarrealität aufgemacht werden soll, ist
es ja schon vorempirisch nicht besonders einleuchtend, dass man Intimität ger a-
de in einer Interviewsituation ansichtig werden kann. Die Gründe wurden im
ersten Kapitel dieser Arbeit (vgl. I.2. ) schon ausführlich erläutert: Zunächst ist
die Konnotation von Intimität als einer im emphatischen Sinne privaten Veran-
staltung – zumindest was ihre historisch e Artikulation betrifft – nicht von der
Hand zu w eisen. Interview s w ären dann diejenige „öffentliche“ und „künstli-
che“ Kommunikationspraxis, in denen durch die bloße Anwesenheit eines wis-
senschaftlichen B eobachters dieser private C harakter ein erseits system atisch
verunmöglicht wird, andererseits aber das einzig legitim e Verfahren, durch das
124
Eine Definition, die ja wiederum systemtheoretisch einen vollkommen anderen theorietechn i-
schen Sinn hatte und als soziologische Definition des Gegenstandsbereichs der Intimität gegen
die psychologische Reduktion der Liebe auf ein Gefühl gemünzt war.
196 Herstellung von Unbestimmtheit

einem B eobachter ein B lick in die private W elt der Intim ität gew ährt w erden
kann. Der soziologische Rückgriff auf Interviews wäre so gesehen nur die
Kompensation eines methodischen und ethischen Verbots der direkten Beobach-
tung. Zweitens stellt sich aber der Rückschluss von der sprachlichen Darstellung
von Intimität auf ihre „tatsächliche“ Prax is gerade bei diesem Gegenstand als
inhärent problematisch dar. Auch dieser Umstand erklärt sich schon durch einen
Blick auf die historische Sem antik (!) der Liebe. D enn selbst w enn m an Liebe
und intimitätsbezogene Ausdrucksformen theoretisch nicht auf der Ebene von
psychischen System en ansetzen w ill, sonde rn als eine s oziale Praxis begreift,
steht man wiederum vor ei nem methodischen Problem: Ist sie nicht gerade der
Bereich, in dem uns die Worte verlassen? Geht es nicht gerade um all das, was
die Ethnomethodologen als Argument gegen die Interviews ins Feld führen
würden: das Stimmlose und das Unaussprechliche, die Sprachlosigkeit, das
Unbeschreibliche, das Vorsprachliche, das Selbstverständliche und das Stu m-
me?
Die Plausibilität dieser Vermutungen wurde im ersten Kapitel dieser Arbeit
überprüft – als Topos der historisch etab lierten Semantik der Liebe ebenso wie
im Hinblick auf soziologische Diagnosen zur Lage der Liebe in der Postmode r-
ne. Zunächst wäre also nichts nahe liegender gewesen, als die „Schweigsam-
keit“ des Gegenstands – Intimität als das, „ was vorher nicht Sprache war“ – in
diesem Kapitel als Bezugsproblem für die Praxis des Paarinterviews dingfest zu
machen, an dem sich die Darstellung von Intimität und Liebe abarbeitet. Das
klingt in diesem Diskussionszusa mmenhang danach, als würde die von den
Ethnomethodologen so zentral gesetzte Übersetzungs- und Versprachlichungs-
arbeit des Soziologen nun einfach den interviewten Gewährspersonen zug e-
schrieben und –gemutet werden: Die Besonderheit des Paarinterviews liefe so
auf eine Ü bersetzung vorsprachlicher Rea litäten in die sprachliche R epräsenta-
tion im Interview hinaus. Aber schon die skizzierten Überlegungen Kalthoffs
liefen darauf hinaus, dass sich dieser Pr ozess nicht als eine Repräsentations -,
sondern vornehmlich als eine performativ e Leistung lesen lassen muss. Im Hin-
blick auf die in diesem Kapitel analysierten Interviews lässt sich diese E insicht
noch radikalisieren: Erstens bringt die Darstellungspraxis den Gegenstand, auf
den sie verweist, in und für diese spezif ische Situation erst hervor; und dies
gelingt ihr paradoxerweise zweitens gera de dadurch, dass sie ihn als einen G e-
genstand etabliert, der in der Situation de s Interviews gerade nicht auf den B e-
griff gebracht werden kann.
In der Intimitätssoziologie, die sich für die Erforschung ihres Gegenstandes
auf Interviewmaterial stützt, ist dies keine neue Entdeckung. W enn sich etwa
Jean-Claude Kaufmann auf die methodisc hen Prinzipien besinnt, die ihn in
Herstellung von Unbestimmtheit 197

seiner einflussreichen Studie zur „ Schmutzigen Wäsche“ (1994) geleitet haben,


kommt er auf die Relevanz von ständig wiederkehrenden Sätzen zu sprechen:

In Schmutzige Wäsche habe ich die Paare auf meine Frage hin, wie es denn zu ih rer
jetzigen Situation gekommen sei, immer wieder sagen hören: „Das hat sich so erg e-
ben“ und „Das ist einfach so passiert“. Erst später habe ich verstanden, daß in diesen
Sätzen ein zentrales Merkmal der Funktionsweise von Paarbeziehungen zum Au s-
druck kom mt: ihre im plizite Struktur. Ich wollte sie zum Reden bringen, doch ihr
Schweigen, das sie diskret durch einen ständig wiederkehrenden Satz explizit machten
und das ich zunächst nicht zu hören verstand, war vielsagender. (1999: 143)

Die auffällig häufig w iederkehrenden Sätze in den hier untersuchten Interview s


waren zunächst ebenso banal und unauffällig. D en A nstoß zur A nalyse in die-
sem Kapitel gab etwa die ständige W iederholung dieses Satzes: „Es hat halt
einfach gepasst.“125 Um nur ein Beispiel anzuführen, das in einem anderen Kon-
text (vgl. K apitel III.2.1) noch einm al detaillierter interpretiert werden soll, soll
hier der Rekurs auf eine Verlobungsszene in Venedig angeführt werden:

B: War natürlich auch brutal romantisch, ja, klar... logisch, wenn man’s dann... für die
war das ja dann die offizielle Verlobung, war für alle, die da mitgefeiert haben dann in
Venedig, sind ja, Jahrtausen dwechsel, ist natürlich ein Riesen Pfund, ja... I: Ja... B:
Ja... I: Ja, war es denn romantisch? J: Ja, es war schon nett... B: Die anderen 400 000
Leute, die auf dem Markusplatz standen, fanden das auch gut... (lacht)... N ein, es war
schon nett, es hat einfach gepasst... (P-S&J, 13:32)

Das „Es hat einfach gepasst“ schließt hi er eine Episode ab; und in einer puris-
tisch sequenzanalytischen Selbstbescheidung der Analyse wäre dies dann auch
schon die Funktion dieses Satzes. Er dien t in diesem Kontext schlicht und ein-
fach als Schlusspunkt, der dabei vor allem als „Nachfrageverbot“ reüssiert. Aber
dieser Satz kehrt auch in anderen Kont exten wieder, er ist einer der ständig
wiederkehrenden Sätze, die auch in Kaufm anns m ethodischen Ratschlägen für
„Das verstehende Interview “ (1999) so interessieren. Kaufm ann will aber m it
den wiederkehrenden Sätzen darauf abzi elen, dass sich gerade in ihnen ent-
weder die „kollektive Definition einer Norm “ (143) oder – im für den Soziol o-
gen bestmöglichen Fall – „ständig wied erkehrende W idersprüche“ (147) au f-
weisen lassen. Aber über die verschiedenen Kontexte hinweg ist besonderes
eines auffällig: Der Satz bestimmt seinen Gegenstand dadurch, dass er ihn unbe-
stimmt lässt. In diesem Kapitel wurde dann au ch schlicht diese Spur verfolg t,

125
Hier etwa zitiert nach einer der längsten Ausführungen zur Überraschung des „Passens“: „A:
Nee, ja, dann hat’s ja auch gepasst... B: Ja, ja eben, das hat halt einfach gepasst, und das hat
mich auch fasziniert und da war ich auch froh darüber, dass irgendwas einfach glatt laufen kann
und passen kann.“ (P-J&T, 10:22)
198 Herstellung von Unbestimmtheit

indem die Aufmerksamkeit auf die pr aktische Herstellung von Unbestimmtheit


als spezifischer Technik zur Darstellung von Liebe und Intimität gelenkt wurde.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang also folgender Punkt: Setzt m an die
postulierte „Schweigsamkeit des Sozialen“ nicht vorschnell lediglich als Be-
zugsproblem für – und ausschließlich für – die Schreibpraxis des Ethnographen
oder des Soziologen an, wird sehr schnell sichtbar, dass in der Interview situati-
on diese „Schweigsamkeit“ auf eine spezifische W eise auftaucht. Auch die
Darstellungspraktiken der Paare stoßen im mer wieder auf die „Grenzen des
Sagbaren“. Im Verlauf der Analysen dieses Kapitels ist jedoch der Umstand
deutlich gew orden, dass es ein m ethodischer Fehler sein könnte, die Schw eig-
samkeit des Sozialen als gegebene Tats ache immer schon vorauszusetzen; gera-
de am Gegenstand der Präsentation von Intimität stellt sich das hier so plausible
Jenseits der Sprache, ja der kommunika tiven Darstellbarkeit ihres Gegenstandes
überhaupt nicht als vorgängig gegebenes stabiles Bezugsproblem dar, sondern
als ein performativer Effekt dieser Da rstellungspraxis selbst – seine kommuni-
kativ erzeugte Unbestimmtheit ist die Lösung des Problems. In der Interviewsi-
tuation mag dann vielleicht etw as deutlich w erden, was aus der hier skizzierten
ethnomethodologischen Perspektive geradezu absurd erscheinen mag: dass
nämlich auch noch dieses Jenseits der Sprache praktisch hergestellt wer den
muss. Die Schweigsamkeit des Sozialen lä sst sich dann nicht schlicht als der
stumme Gegenpol zur geschwätzigen Praxis des Interviews voraussetzen. Klar
sollte sein, dass dam it nicht eine einfache Um kehrung gem eint sein kann, also
etwa: W o vorher die Sprachlosigkeit des Sozialen als stabiles Bezugsproblem
vorausgesetzt wurde, soll sie nun lediglich als Produkt von sprachlichen Prozes-
sen verstanden werden. Aber die hier verfolgte Rehabilitie rung des Paarinter-
views lässt zumindest in den Blick gera ten, wie eine performative Evokation
eines unbestimmten und unbestimmbaren, sp rachlich nicht einfach zu fassenden
Gegenstandes im Kontext einer Darstellung von Intim ität einen funktionsspezi-
fischen Sinn entfalten kann. Und insofern lässt sich den Interviews eben doch
mehr ablesen als ihr spezifischer Vollzugsinn: Auf Liebe und Intimität lässt sich
gerade dadurch verweisen, dass nicht di rekt darauf verwiesen werden kann; sie
lässt sich nur als Nicht-Darstellbares darstellen; ihre Bestimmung erhält sie über
die praktische Herstellung ihrer Unbestimmtheit.

4.5 Von der Sprache zur Praxis

Worüber aber streitet man sich überhaupt, wenn man sich über die angebliche
Schweigsamkeit des Sozialen bzw. desse n Geschwätzigkeit streitet? Genauer:
Was wird hier unter dem problematis chen Terminus der „Sprache“ und des
Herstellung von Unbestimmtheit 199

„Sprechens“ als Streitpunkt einer methodi schen Debatte inszeniert? In einem


kleinen Überblicksaufsatz, in dem „Das Ende der linguistischen W ende“ diag-
nostiziert wird, nimmt Hubert Knoblau ch (2003) eine etwas überraschende
Einordnung vor. Er konstatiert gerade für die Systemtheorie Niklas Luh manns,
die ja explizit den Kommunikationsbegri ff ins Zentrum soziologischer Theorie-
bildung rückt, dass in ihr parallel und zeitgleich zum linguistic turn dieser
gleichsam schon hinter sich gelassen w ird: Systemtheorie als „implizite[r] Post-
strukturalismus“ (588). W ie in den gege nwärtigen empiristisch ausgerichteten
Strömungen der Sprachsoziologie habe si ch hier theoretisch eine Auffassung
kristallisiert, die „an die Stelle der A nalyse eines als eher isolierbar und statisch
betrachteten Sprachsystems [...] die Erforschung von Prozessen der Sprachve r-
wendung in sozialen Situationen“ (587) rückt.
Vor diesem Hintergrund hat es sich gerade für die Interpretation der Dar-
stellung von Inti mität von Vorteil erwiesen , die hier angedeutete Differenz von
Sprache und Kommunikation nicht aus den Augen zu verlieren. Für die Ethno-
methodologie Hirschauers war es ja ein entscheidender Hinweis auf das grun d-
legende Bezugsproblem soziologische r und ethnographischer Forschung – die
„Verbalisierung von ‚Schweigendem‘“ – dass mit der A bkehr von der „Fixie-
rung auf verbale Daten“ sich auch das „B ild des Sozialen“ ändert: „Das Soziale
existiert nicht alleine in der Sprache“ (2001: 447). Das soziologisch interessante
Soziale, ja unter der Hand: das Soziale selbst wird damit in die D imension des
Nicht-Sprachlichen gerückt; Sprache wird selbst nur da zum Thema, wo sie
Medium einer spezifisch soziologischen Praxis wird: des Schreibens. Arm in
Nassehi und Irmhild Saake haben dem gegenüber wiederum überzeugend darauf
hingewiesen, dass sich insbesondere in Interviewsituationen ein zumindest ver-
gleichbarer Problembezug für die Darstell ungspraxis der Gewährspersonen
sichtbar machen lässt: die Bearbeit ung (also die Einschränkung oder gar: die
Vernichtung) von Kontingenz. Auf den ersten Blick m üsste man konstatieren,
dass diese Parallele fast schon zu sehr auf der Hand liegt, bearbeiten doch beide
Seiten – die erzählenden Interviewten (Darstellung) ebenso wie die interpretie-
renden Soziologen (Schreiben) – ein Verbalisierungsproblem. Beide Seiten
haben es also mit einer praktische n Lösung eines Übersetzungsproblems im
oben ausgeführten Sinne zu tun. Der Clou dieser Parallele ist nun nicht, damit
die Unterschiede von sprachlich verfassten Daten (etwa: Interviews) und nicht -
sprachlichen Daten (etwa: ethnographischer Beobachtung) einzuebnen. Aber der
Hinweis darauf, dass der Gegenstand auch der qualitativen Forschung mit Inter-
views nicht die Sprache ist, sondern die Konstruktionsprozesse der Kom-
munikation, hat auch eine entscheidende fo rschungspraktische Pointe. Erforscht
werden soll nämlich eine kommunikative Praxis, die nicht mehr als eine Aktua-
lisierung von vorgängig in der Sprache ange legten Strukturen zu interpretieren
200 Herstellung von Unbestimmtheit

ist. Das besagt zunächst nichts weite r, als dass die strukturbildenden und or d-
nungsgenerierenden Prozesse auch in der Sprache benutzenden Kommunikation
in der Interview situation nicht in einer wie immer gearteten Struktur der Spr a-
che zu verankern sind, die die konkrete Sprachverwendung steuern könnten. Der
Hinweis auf die sprachliche V erfasstheit der Kommunikation „erklärt“ in die-
sem (kausalen) Sinne nichts. 126 Die m ethodische Aversion Hirschauers gegen
sprachlich verfasste Daten mag also mit eine m Umstand zu tun haben, den das
Interesse für die kommunikative Praxis der Interview situation gerade in Frage
stellen würde: Dass nämlich die Strukt ur der Sprache diese Praxis schon aus
sich heraus erklären würde – so als in terpretierten sich sprachlich verfasste
Daten schlicht und einfach selbst, wohingegen nicht-verbale Daten durch den
kreativen Ethnomethodologen erst interpretie rt (also: übersetzt, neuartig be-
schrieben, zur Sprache gebracht) werden müssen. Noch einmal: Es geht hier
gerade nicht darum, mit dem Begriff der Kommunikation den Unterschied zw i-
schen sprachlichen und (primär) nicht-sprachlichen Praktiken zu verwischen. In
den hier analysierten Paarinterviews hat eine Problematisierung der M öglich-
keit, den Gegenstand der Intimität oder der Liebe zur Sprache zur bringen, die
Möglichkeit eröffnet, ihn kom munikativ darzustellen. M an darf aber zum indest
hoffen, dass sich mit diesem Hinweis die stellenweise rigide Unterscheidung
von Sprechendem und Schweigendem der Ethnomethodologie problematisieren
lässt, in der sie hinter ihre eigenen theoretischen Aussagen zurückfällt und noch
ihr Interesse an der praktischen Herstellung von Ordnung aus den Augen ger a-
ten lässt – sobald es sich um sprachliche Praxis handelt. 127 Die praktische Her-

126
Dies erhärtet auch die unter diesem Ge sichtspunkt durchaus zutreffende Vermutung Knob-
lauchs, dass es sich bei systemtheoretisch inspirierter Forschung um einen „impliziten Pos t-
strukturalismus“ handelt: Sprache wird hier bekanntlich nicht als System interpretiert. Man ver-
gleiche hierzu nur die (freilich: schematisch e) Charakterisierung Sibylle Krämers (2001) von
poststrukturalistischen Sprachtheorien als Theorien, die ohne eine Sprache „hinter dem Spre-
chen“ auskommen. Locus classicus hierfür ist natürlich Donald Davidson: „there is no such
thing as a language, not if a language is anything like what many philosophers and linguists
have supposed.“ (2001: 446) Hier ist allerdings nur wichtig, dass die Struktur der Sprache kei-
nen kausal determinierenden Stellenwert mehr haben kann.
127
In den M ethodenreflexionen Hirschauers etwa tritt vor allem eine eigenartige soziologische
Selbstverunmöglichungsstrategie ins Rampenlicht: die „ Eigensinnigkeit“ und der „selbstexpli-
kative Charakter“ sozialer Praxis m acht den So ziologen arbeitslos. Dies gilt vor allem dann,
wenn es sicht nicht um „stumme Praktiken“, sondern um verbale handelt: „Diese Grundintenti-
on [die Reflexivität alles Sozialen als Argu ment für einen weitgehenden Theorieverzicht] ist
[...] für stum me Praktiken viel weniger triftig als für Gespräche: Gesprächsteilnehm er legen in
der Tat weitgehend fest, wie sie sich wechselseitig verstehen wollen, weil es eben darum in e i-
nem Gespräch geht. Je weniger gemeinsame Ve rsprachlichung ‚vorfindbar‘ ist, desto mehr ist
ein Beobachter aber auf explikative Eigenleistungen angewiesen, auf eine ‚Theo rielizenz‘.“ (in
Kalthoff et al. 2008: 182).
Herstellung von Unbestimmtheit 201

stellung von Ordnung ist es aber gerade, die auch bei der Interpretation von
sprachlichen Daten interessant wird – und interpretationsbedürftig.
Auf nichts anderes soll dabei der Umstand hinweisen, dass in diesem Kapi-
tel häufig von Interview texten die Rede war. M an kann hier wiederum einem
Vorschlag von Nassehi und Saake (2003a: 81 f.) folgen, und die em pirischen
Daten, in diesem Fall: aufgezeichnete Interviews, als Texte zu behandeln, an
denen sich die „textinterne Konsequenz der kontingenten Thematisierbarkeit des
Themas“ (82) ablesen lassen m uss. Dieser Hinweis auf den Textcharakter des
Materials hat insbesondere für das Them a dieser Arbeit interessante Im plikatio-
nen. W as es dabei bedeutet, von einem „T ext“ zu reden, ist zunächst einma l
noch gar nicht ausgemacht – ganz im Gege nteil ist gerade in den L iteraturwis-
senschaften, die sich spätestens im zw anzigsten Jahrhundert als die privilegierte
Disziplin m it Sonderzuständigkeit für „Tex te“ herauskristallisiert hat, der kon-
zeptionelle Status des T extes einer der, w enn nicht gar der um strittenste theore-
tische und methodische Diskussionsbr ennpunkt. Im doppelten Sinne ist die
Bedeutung des „Textes“ ein Deutungsschl achtfeld: nicht nur was spezifische
Texte bedeuten – und seit den 70er Jahren auch: ob sie überhaupt bedeuten (vgl.
paradigmatisch dazu Sontag 1966; DeMan 1979; Fish 1980) – steht zur Debatte,
die Bedeutung des K onzepts „Text“ selbst ist ein konstanter Q uell literaturwis-
senschaftlicher Auseinandersetzungen. Auch wenn diese Debatten hier nicht
einmal ansatzweise nachgezeichnet werden können, lassen sich aber im Kontext
dieser abschließenden Überlegungen zum Status des in den Paarinterviews ge-
wonnen Textm aterials doch zum indest drei Stichpunkte festhalten. Erstens
kompliziert allein schon die Tatsache, dass gerade der Status des Textes in den
Literaturwissenschaften theoretisch wi e m ethodologisch derart auffällig u m-
kämpft ist, die Idee, dass M aterial gerade dann, wenn es schon in Form von
Texten vorliegt, autom atisch einen „sel bstexplikativen C harakter“ aufw eisen
sollte. Dass gerade sprachlich verfasste Texte nicht interpretationsbedürftig sein
sollten, kann vor die sem Hintergrund nur als eigenartiges M issverständnis e r-
scheinen. Zweitens betont der H inweis auf die T extualität des M aterials insb e-
sondere auch seine prinzipielle Unabge schlossenheit – ohne intertextuelle Ver-
weise sind T exte offenbar nicht zu haben. B esonders auffällig w ar dies in die-
sem Kapitel in der Diskussion von textuellen „Originalen“ aus den M assenme-
dien, die von ihrer textuellen „Kopie“ in der Interviewsituation als Form -
vorlagen in Anspruch genommen wurden. Drittens ließ sich eine gewisse Spie-
gelbildlichkeit von den Interview texten und literarischen Texten nicht von der
Hand weisen. Dam it sei nun nicht mehr nur auf die historische „Koevolution“
der literarischen G attung des Rom ans und der Sem antik der Liebe (vgl. W erber
2003) hingewiesen; mit der „W ende zur Äs thetik“ ist vielmehr ein für die Da r-
stellung der Intimität offenbar typischer E ffekt gemeint, in dem sich die Inter-
202 Herstellung von Unbestimmtheit

viewtexte dem B eobachter als literarische T exte aufdrängen. 128 Dam it hängt
schließlich viertens zusammen, dass der soziologische Beobachter bei der Inter-
pretation des Textmaterials nicht nur erfährt, „wie Eindeutigkeiten operativ
erzeugt werden“ (Nassehi/Saake 2003a: 84): Er erfährt gerade auch, wie in den
Texten noch Uneindeutigkeiten und Unbestimmtheit operativ hergestellt werden
muss, und sich genau hier die Besondertheit der Darstellung von Intimität o f-
fenbart.

128
Ein für die hier interpretierten Interviews fast unvermeidlicher Effekt, der sich auch noch dann
einstellte, wenn bei der Analyse nicht nur auf die verschriftlichte Version des M aterials – die
transkribierten Inter viewstellen –, sondern mehr und mehr auf die Tonbandaufzeichnungen
selbst zurückgegriffen wurde. Im Verlauf de r Auswertung wurde einem Ratschlag Kaufmanns
(1999: 117 ff.) gefolgt und da s Lesen der transkribierten Interviews mit einem extensiven wi e-
derholten Hören des Bandmaterials komplementiert. Schließlich wurde vor allem auf eine
„fragmentierte“ (129) Transkription und ihre Kommentierung auf digitalen Karteikarten rekur-
riert. Im Gegensatz zur Intention Kaufm anns hat es sich aber herausgestellt, dass dam it gerade
nicht der textuelle Charakter im oben dargestellten Sinne „entflacht“ wird und mehr „Volumen“
bekommt, weil der „geschriebene Text im Vergleich zum Origi nalband bereits sehr re-
duktionistisch ist“ (118). Ganz im Gegensatz zu einem solchen impliziten Datenpositivismus er-
laubte dieses Vorgehen einfach eine erhöhte Aufmerksamkeit hinsichtlich der soziologi schen
Konstruktion des Gegenstandes in der Praxis der Verschriftlichung – die transkribierten Texte
veränderten mit der Entdeckung des Themas der „Unbestimmtheit“ immer wieder ihre materiale
Gestalt und die Interviews wurden umso stärker zur opera aperta (vgl. Eco 2002).
Kapitel III: Romantische Ironie
Aber daraus, daß die Ironie zugegen ist, folgt nicht,
daß der Ernst ausgeschlossen sei.
Das nehmen nur Dozenten an.
Søren Kierkegaard

Im letzten Kapitel wurde schon deutlich, wie sich die interviewten Paare als
Meister in der Darstellung ihrer selbst als Paar erwiesen haben. Das überzeu-
gende Verhalten in der Interviewsituati on, das gemeinsame Adressieren eines
Publikums, die narrative und performa tive „Rekonstruktion“ und Konstruktion
von gemeinsamem und individuellem Erle ben, von als signifikant und nicht-
signifikant ausgewiesenen Begebenheite n und Erlebnissen, von Alltagsroutinen
und „romantischen“ Ausnahmesitua tionen erschienen als dem Kom-
petenzbereich der intimen Kommunikation zugehörig. Als Problembezüge wu r-
den dabei die Individualität des Paar es, die Evokation von G efühlen und die
Ostentation der Interaktionsangewi esenheit von intimer Kommunikation ma r-
kiert; als erstes Ergebnis konnte die Herstellung von Unbestimmtheit als zentra-
ler Punkt der Selbstdarstellungen vermerkt wer den. In dieser Hinsicht tauchten
in den Interviews ausnahmslos kompetente Sprecher auf. Deutlich wurde schon,
wie eine solche kom petente Selbstdarstellung praktisch funktionieren kann. Im
Folgenden soll vor dem Hintergrund eine r W ende zur Ästhetik noch einmal
gefragt werden, welche sprachlichen und stilistischen Mittel, welche Ausdrucks-
formen und vor allem welcher spezifische Kommunikationsstil – darauf wird
sich nun das Hauptaugenmerk dieses Kapite l richten – in dieser Situation zur
Verfügung stehen. Sehen wir uns zunächst eine kurze Reminiszenz an die erste
Begegnung eines verheirateten jungen Paares an:

I: Wie habt Ihr Euch denn kennengelernt? [...] A: Wir haben uns im Geschäft kennen-
gelernt. I: Ok. Erzählst... A: Dazu mehr. Eigentlich war des so, dass ich in der Ausbil-
dung war und hab dann von der Ausbildung her eine Abteilung ange boten gekriegt in
Memmingen und hab ja zuerst in Kempten gearbeitet und bin dann eben ins Haus
Memmingen gewechselt... und da hab ich die Kinderabtei lung gemacht im UG und er
war auch im UG in der Sportabteilung und da haben mir uns eigentlich das erste M al
richtig kennengelernt. I: Ok. B: Zuerst war ich im OG... A: Ja. B: ...und hab m ir ge-
dacht, was ist denn das für eine Hübsche, wenn sie die Rolltreppe hochgefahren ist...
A: (lacht) I: Also tatsächlich... [...] B: Ha ja, ne... (P-C&R1, 00:11)

M. Stempfhuber, Paargeschichten, DOI 10.1007/978-3-531-18780-8_4,


© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012
204 Rom antische Ironie

Was zunächst als relativ nüchterne Aufzählung der Rahmung der ersten Begeg-
nungen eines der Partner beginnt, das Kennenlernen als Produkt von äußeren
Umständen – der Ortswechsel, der geme insame Arbeitsplatz – thematisiert und
an einer Stelle sogar zu einer Dissonanz in der gemeinsam präsentierten Erinn e-
rung an die Umstände, unter denen man sich „das erste M al richtig kenneng e-
lernt“ hat – der Hinweis auf die „E benenverwechslung“ – anklingen lässt,
nimmt hier eine eigentümliche, r echt überraschende narrative W endung. Der
Erzählfokus schwenkt in den Händen von B von den äußeren Umständen zu den
Gedanken zumindest einer der beteiligten H auptpersonen; die Erzählung zoomt
gleichsam auf eine spezifische, bildliche , leicht vorstellbare Szene und die A s-
soziationen ihrer Protagonisten. M an sollte nicht unterschätzen, dass es B dam it
gelingt, seinem Partner in dieser narrativen W endung auch gleichzeitig ein
Kompliment auszusprechen. Das wirklic h Eigentümliche an der Darstellung
dieser Szene ist aber freilich ein sim pler U mstand: Sie „passt“, aber sie
„stimmt“ nicht. Die Implikation der naiven Nachfrage des Interview ers, ob sich
diese Szene denn „tatsächlich“ so abgespielt habe, wird nachträglich negativ
beantwortet.129 Am Schluss des hier zitierten Interview abschnitts wird der R ea-
lismus, die Tatsachenadäquanz dieser S zene unbestimmt, zumindest aber in der
Schwebe gehalten. W ar das von B evozierte Bild also falsch? Ist B bei seiner
Nacherzählung ein Fehler unterlaufen, der dem A unterlaufenen Verwechseln
der Stockwerke ähnelt? Ist er seiner W ahrheitspflicht gegenüber dem soziolog i-
schen Publikum nicht nac hgekommen und hat schlicht und einfach gelogen?
Bedroht das Eingeständnis der m öglichen Unkorrektheit der Geschichte die für
den Paarzusammenhalt notwendigen Konsensf iktionen bezüglich der so signifi-
kanten „gemeinsamen“ Eri nnerung an die erste Begegnung? 130 Bedroht es gar
den Ernst des zitierten rom antischen Skripts der „L iebe auf den ersten B lick“,
die sich hier irgendwo zwischen Unte rgeschoss und Obergeschoss zugetragen
haben sollte? D ie im vorigen K apitel explizierte Forschungsperspektive legt es
nahe, solche Fragen zunächst auszukla mmern, hintanzustellen und einen genau-
eren Blick auf die Erzählstrategie und ihre kommunikative Form, ihre n spezifi-
schen Stil zu w erfen.131 Denn genau genom men präsentiert B in unserem Bei-

129
Das wird im Laufe der nächsten Interviewpassage noch klarer; interessant ist dabei auch, dass
selbst auf nochmalige Nachfrage keine „Alternativerzählung“ des ersten Kennenlernens mehr
angeboten wird.
130
Eine mögliche Deutung, die sich zweifellos aus der Perspektive von Alois Hahn (1983) ableiten
lässt. A zumindest würde diese Interpretation bezweifeln: Sie lacht.
131
Das mag im vorliegenden Beispiel schon allein dadurch gerechtfertigt sein, dass ein eindeutiges
Beiprodukt der Erzählstrategie, die hier von B angewendet wird, der simple Umstand ist, dass
sie exakt die aufgelisteten Fragen allesamt als unplausibel, weit hergeholt und konstruiert er-
scheinen lässt. Es wurde oben aber schon etabliert, dass man diesen Umstand nicht einfach i n-
Romantische Ironie 205

spiel keinen unkorrekten Erlebnisberi cht über die K ennenlernbegebenheit; er


ironisiert sie und vollbringt damit etwas, das sich in den Paar interviews als
typisch herausgestellt hat. Es ist die spezifische Leistung eines ironischen
Kommunikationsstils, seine Funktionalität in der D arstellung von Intim ität, die
in diesem Kapitel beleuchtet werden soll.
Hier wird noch Gelegenheit sein, auf die Rolle der Ironie bei der Erzählung
von Beziehungsanfängen einzugehen. Einleitend soll aber noch ein anderes Paar
kurz zu W ort kommen, das auf die begi nnenden Romantikroutinen zu einem
früheren Zeitpunkt ihrer Beziehung zurückblickt:

I: ... gibt es dann noch einen Sonderbereich in der Beziehung, der irgendwie so für
Romantik eingeräumt werden muss? Oder gibt es da keinen Sonderbereich? A: Wie,
einen Sonderbereich? B: Das m usst Du beantworten, m it der Rom antik (lacht) [...] I:
Gibt es irgendwie sowas, dass man das inszenieren müsste, das man sagen müsste,
jetzt ist wieder mal, jetzt sind wieder mal zwei Wochen vorbei, wir... B: ...jetzt bringen
wir ein Sträußchen Blumen mit, stellen Kerzen auf den Tisch und wir machen Candle-
light-dinner? I: Genau? B:...obwohl... A: ...also wir haben das am Anfang schon mal
gemacht... B: Ehrlich? A: ...versucht m al zu m achen, dass wir uns zum indest jeden
Monat [...] dran denken... B: W ir haben uns jeden M onat eine Scheiß Orchidee g e-
schenkt, Schätzchen...Also beide gegenseitig, dass wir dann am Schluss 50 Orchideen
dastehen hatten, die wir jetzt kürzlich weggeschmissen haben, weil (lacht) A: (lacht)
(P-M&P, 18:48)

Wie im vorherigen Beispiel wird auf ei ne Episode, wenngleich eine erheblich


längere, der gemeinsamen Beziehung referier t. Auch hier wird dabei ein Bild
evoziert, das sich der Adressat leicht vorstellen kann. Die Szene des plötzlichen,
fast sprichwörtlichen „Auftauchens“ einer zukünftig w ichtigen Person in einem
Leben ist ebenso einleuchtend und für ein Publikum sofort nachvollziehbar wie
eine Szenerie, in der sich ein junges Paar gegen seitig mit floraler Aufm erksam-
keit „überschüttet“. In diesem Fall ist die Kennzeichnung des Schenkens von
Orchideen als romantisches Klischee im Kommunikationsverlauf schon dadurch
umso augenfälliger als es einer expliziten Aufzählung von als rom antischer Kli-
schees ausgewiesener romantischer K lischees folgt („Sträußchen Blumen“,
„Kerzen“, „ Candle-light-Dinner“). Im Gegensatz zum vorherigen Fall stehen
allerdings Realitätsnähe und Tatsachenadäquanz 132 der Szenerie offensichtlich

tentionalistisch deuten darf. Die Form der Kommunikation verweist ganz klar darauf, dass es
natürlich um etwas anderes geht.
132
Auch hier soll mit der Rede von der (mangelnden) Realitätsnähe und Tatsachenadäquanz der
Narration keine Bewertung oder gar eine Aussage des repräsentativen Status der Narration g e-
troffen werden. Es interessiert in diesem Zusammenhang ausschließlich, ob die Narration im
Gesprächsverlauf als realitätsgetreu oder adäquat ausgewiesen und performativ etabliert wird.
Beide Termini sollen sich also auf kommunikative Konstrukte beziehen; sie verweisen auf ein
Produkt der Narration in der Interviewsituation selbst.
206 Rom antische Ironie

nicht zur Debatte. Erzählt wird, dass sich für die Partner tatsächlich die Ange-
wohnheit eingespielt hat, sich jeden M onat eine Orchidee zu schenken („oder
zumindest dran denken“), lediglich der Grad der Übertreibung bleibt an dieser
Stelle im Unklaren. Aber genau wie im vorangegangenen Beispiel wird diese
Szenerie ironisch kommuniziert. Aus dem Zeichen der Liebe wird eine „Scheiß
Orchidee“ und m an könnte in einer auf den er sten Blick plausiblen Interpretati-
on vermuten, dass es genau die Distanz der Dispositionen und Einstellungen des
Paares in der Erzählzeit gegenüber denen der erzählten Zeit ist, die hier durch
die Ironie zum Ausdruck kommt .133 Aber erschöpft sich die Funktion ironischer
Kommunikation – selbst in diesem Beispi el – in der negativen retrospektiven
Bewertung der Orchideenroutine? Trifft dies gar für das vorherige Beispiel zu?
Was ist die spezifische Leistung ironi scher Kommunikation bei der Darstellung
von Intimität? Für die Interviewtexte lässt sich in jedem Fall hier schon festha l-
ten, dass in ihnen ironische Formen der Kommunikation an den verschiedensten
und überraschendsten Stellen auftauchen. Ironie wird erstaunlich häufig bei der
Präsentation des ersten Kennenlernens ei ngesetzt; sie färbt oft die Darstellung
des Beziehungsalltags; sie klingt in der Referenz auf K onflikte und teilw eise
sogar in ihrer Inszenierung in der Interviewsituation mit; sie scheint den explizi-
ten Rekurs auf romantische Formvorlage n aus den M assenmedien zu ermögl i-
chen. Kurz: Die interviewten Paare überraschen den soziologischen Beobachter
mit der Fähigkeit, sich ironischer Stilm ittel an diversen und unvorhergesehenen
Stellen ihrer Selbstdarstellung zu bedienen; Ironie offenbart sich in ihnen als ein
Fragment einer Sprache der Liebe.
Aber kann das überraschen? Und wen? W enn m an sich noch einm al kurz
auf die im zw eiten K apitel skizzierten theoretischen Funktionsbestimmungen
der Liebe bei den soziologischen Klassikern zurückbesinnt, kann das Aufta u-
chen ironischer Formen in der Präs entation von Intimität nur als Überraschung
wirken. Wie gesehen, wurde der Liebe seit ihrem Auftauchen im Gegenstands-
bereich der Soziologie eine anspruchsvolle Rolle zugewiesen. Für M ax W eber
etwa treten „erotische Beziehungen“ die Nachfolge des religiösen Heils-
versprechens in moderner säkularisierter Form an und sind als solche „den ka l-
ten Skeletthänden rationaler Ordnungen ebenso entronnen wie der Stumpfheit
des A lltags“. Ihren fundam entalen Sinn sieht er in der „M öglichkeit einer G e-
meinschaft“ begründet; gerade durch die radikale Entgegensetzung des „dire k-
133
Eine beliebte soziologische Funktionsbestimm ung der Ironie, die sich unter Anderen bei Har-
tung (1998), Kotthoff (1998) und Wolff (1995) finden lässt. Aber wird sich von der Orchidee n-
routine distanziert, weil sie vor dem soziologi schen Publikum als peinlich erscheinen könnte?
Nein (denn sie hätte nicht erzählt werden müssen). Wird sich von der Orchideenroutine distan-
ziert, weil sie negativ bewertet werden soll? Nein (denn die Orchideenroutine „muss “ und
„will“ als Teil der Paargeschichte erzählt werden). Und selbst wenn Letzteres der Fall sein sol l-
te, ist damit die Leistung der ironischen Form der Kommunikation nicht geklärt.
Romantische Ironie 207

ten Durchbruchs der Seelen von M ensch zu M ensch“ zu „allem Sachlichen,


Rationalen, Allgem einen“ kann dieser Sinn der Intim ität seine idealtypischen
Ausprägung erfahren (1988: 560 f.). Hier ist vor allem von Interesse, dass dabei
das theoretische Pathos der Entgegensetzung von Liebe mit dem stahlharten
Gehäuse der R ationalität nicht so sehr da s spielerische, ästhetische M oment der
Liebe als vielmehr ihren existentiellen Ernst hervorhebt. Dieser Akzent überlebt
auch noch in so dezidiert anti-klassischen Einschätzungen wie der Ulrich Becks.
Wenn Beck an Max Weber anschließt, indem er der Liebe als „Nachreligion der
Moderne“, als „irdische Religion“ (Beck/Beck -Gernsheim 1990: 243) eine ge-
steigerte Bedeutung im Zuge der reflex iven M odernisierung unterstellt, findet
sich ein ähnliches M otiv wieder. De r Hauptgrund f ür diesen Bedeutungszu-
wachs wird hier, wie schon gezeigt, im fortschreitenden Prozess der Individuali-
sierung gesehen, für den Liebe die „passgerechte Gegenideologie“ (239) bereit -
hält. Im ersten Kapitel (vgl. I.4.) dieser Arbeit wurde dies im Anschluss an Nils
Werber (2003: 15 f.) als kompensationstheoretisches Argument identifiziert, das
die theoretische Charakterisierung der Li ebe – und darauf kommt es hier an –
mit einem (wenngleich sä kularisierten) heiligen Ernst auflädt. Selbst die sys-
temtheoretisch abgeklärte Rede vom symbolischen Kommunikationsmedium für
Intimität, das in einer funktional differenz ierten G esellschaft die letzte B astion
einer Kommunikationsweise ist, in de r Personen wenigstens dem Anspruch
nach noch als „Vollpersonen“ (Luhm ann 1990a: 199; vgl. Fuchs 1999) adres-
siert werden können, nimmt, wie wir gese hen haben, an diesem Ernstdiskurs
teil. Verträgt soviel Ernst Ironie? Zumi ndest ist es verständlich, warum mit den
herkömmlichen theoretischen Prämissen das empirische Auftreten von ironi-
schen Kommunikations formen im Kontex t von Liebe zunächst unter General-
verdacht steht: W as sollte die Ironie anderes sein als eine strukturelle V erzer-
rung der ernsten Intimkommunikation durch ei ne Situation, in der sich ihr Ernst
einem fremden Beobachter ausgesetzt sieht?
Gleichwohl ist natürlich die Ironie ke ine Unbekannte in der Soziologie der
Intimität. Ihren spektakulärsten Auftritt hatte sie in der einschlägigen Studie Eva
Illouz’ zum „Konsum der Romantik“ (1997). In ihr tauchen ironische Stellun g-
nahmen und Einschätzungen der Interviewteilnehmer empirisch als Überra-
schungen für die soziologische Forschungsperspek tive auf (vgl. dazu schon
Nassehi 2005). Bei Illouz ist es, wie sc hon gezeigt, die Ausgangsthese einer
„kulturindustriellen“ Spannung zwischen einer warenförmigen W elt und einer
(möglichen) Welt der unversehrten Romantik, die gleichzeitig als Hintergrund-
folie der eigenen Forschung und auch als zu kritisierende Ideologie die soziolo-
gische Perspektive Illouz’ in der T radition der K ritischen T heorie lenkt. D ie
Überraschung durch die empirische Fo rschung – und vor de m Hintergrund die-
ses kurzen Rückblicks in den Ernstdis kurs der Intim itätssoziologie ist es keine
208 Rom antische Ironie

Überraschung m ehr, dass dies überraschen muss – ist der Umstand, dass dem
Ernst der Lage, dass der unverm eidbaren Verm ittlung selbst noch der authen-
tischsten Gefühle „erfolgreich“ nur noch mit Ironie auf Seite der Betroffenen
entgegenzutreten zu sein scheint. Au f die Überlegungen Illou z wird am Ende
dieses Kapitels noch zurückzukommen sein, da sie im Anschluss auf die empir i-
sche Konfrontation mit ironischen K ommunikationsstilen zu Schlüssen gelangt,
die den in diesem Kapitel präsentierten Überlegungen zunächst diametral entge-
gengesetzt zu sein scheinen. Vor dieser Ausgangslage im Bezug auf die fest
etablierte soziologische Diagnose eine s radikalen Gegensatzes von Liebe und
Ironie ist es aber unausweichlich, sich den Zusammenhang zwischen dem –
scheinbar unausweichlichen – Ernst der Liebe und dem – scheinbar un-
möglichen – Ernst der Ironie aus verschiedenen Blickwinkeln noch einm al
genauer anzusehen.
Auf den nächsten Seiten soll dabei folgenderm aßen vorgegangen werden:
Die Beobachtung der Omnipräsenz eines ironischen Kommunikationsstils im
Interviewmaterial soll mit zeitgenössischen theoretischen Debatten zur Rolle der
Ironie in der M oderne und Postmoderne konfrontiert werden. Vor dem Hinter-
grund, dass sich in der Darstellungspraxis kompetenter Sprecher in den Inter-
views nicht daran vorbeisehen lässt, dass sich diese Kompe tenz gerade in der
Möglichkeit ironischen Sprechens offenbart, ist das Ziel dieses Kapitels die
Rehabilitierung des spielerischen Ernstes der (romantischen) Ironie. D abei ist
ein kurzer Abriss relevanter ernsthafter Theorien der Ironie unausweichlich.

1. Die Modernität der Ironie

Es wurde im ersten Kapitel schon darauf hingewiesen, dass für den intim itätsso-
ziologischen Diskursstrang ihr Gegensta nd der (rom antischen) Liebe im mer als
ein spezifisch modernes Phänomen aufg etaucht ist. W endet man sich nun zeit-
genössischen Theorien der Ironie zu, zeigt sich ein vergleichbarer, hier viel-
leicht ebenso überraschender Befund: Auch Ironie, insbesondere in den Formen,
die hier interessieren sollen, ist ein modernes Phänomen. Die zentrale Rolle, die
ihr in den im Folgenden skizzierten prominenten Theo rieentwürfen zukommt,
erhält sie nur vor dem Hi ntergrund einer Erzählung de s Bruchs der modernern
Gesellschaft mit der Tradition. Ihre zen trale Rolle – und auch darin ähnelt die
Figur der Ironie der Figur der Liebe – sp ielt sie hier als Antwort auf ein spez i-
fisch modernes Problem. Bevor aber Ir onie als romantische Ironie auftauchen
kann, soll kurz dieser Spur nachgegangen werden.
Romantische Ironie 209

1.1 Ironie als dunkler Doppelgänger der Wertekommunikation

Erscheint Ironie in den im Folgenden interessierenden Theorieangeboten auch


ausnahmslos als ein modernes Phänomen, so werden dabei sicherlich einige
Momente der traditionellen Bestim mung des Ironiebegriffs konstant gehalten.
Die Betonung einer explizit gekennzeichneten 134 Differenz, die in der kanoni-
schen Definition Quintilians der Ironie als einer R edeweise, „in der das G egen-
teil ausgedrückt ist“ (1975: 54), aufschei nt, bleibt auch in modernen Debatten
erhalten. Bei aller Rücksicht auf die mögliche U nterscheidung einer Ironie als
„Wortfigur“ und einer Ironie als „Gedanke nfigur“ (vgl. Weinrich 1976: 578) ist
die Ironie für die vorm oderne Überlieferung eine Trope. D ie Ironie fällt in den
Zuständigkeitsbereich der Rhetorik. Gewicht als eine Kommunikationsform
erhält das Konzept der Ironie dagegen er st zeitgleich mit dem „Ironieboom“,
den die Frühromantiker ausgelöst haben (vgl. dazu Behler 1972). 135 Insbesonde-
re Niklas Luhmann hat sich an versch iedenen Stellen aus einer soziologischen
Perspektive über die spezifische M odernität der Ironie gewundert. Interessa n-
terweise beleuchtet Luhmann eine funk tionale Parallele zw ischen der M oderni-
tät von ironischer Kommunikation und der M odernität von „W ertekommunika-
tion“.136 Den Beginn der historischen Karriere einer Semantik der „W erte“ setzt
Luhmann etwa in der M itte des neunzehnten Jahrhunderts an .137 Luhm ann be-
greift sie – durchaus in kompensationsth eoretischer M anier – als semantische
Reaktion auf die geschichtliche Erfahrung von zunehm ender Kontingenz, wie
sie in der gesellschaftlichen U mstellung auf prim är funktionale D ifferenzierung
angelegt ist. Die Erfahrung gesteigerter Kontingenz – zeitlich als Emanzipation
der Zukunft von Präm issen der V ergangenheit; sachlich als simple Anerken-
nung des Umstandes, dass alles auch anders sein könnte; sozial als Prob-
134
Man erkennt Ironie „entweder am Ton, in dem sie gesprochen wird, oder an der betreffenden
Person oder am Wesen der Sache; denn wenn etwas hiervon dem gesprochenen Wortlaut wider-
spricht, so ist es klar, daß die Rede etwas Verschiedenes besagen will“ (Quintilian 1975: 54).
Die Frage nach der Notwendigkeit von Ironiesignalen spielt besonders in der zeitgenössischen
linguistischen und konversationsanalytischen Diskussion eine große Rolle (vgl. Weinrich 1961;
Hartung 1998; Kotthoff 1998).
135
Man mag sich hier wieder an die berühmte Charakterisierung des modernen (bürgerlichen)
Romans als einer im Grunde ironischen Form von Georg Lukács (1971) erinnert fühlen.
136
Dass dabei das Auftauchen von „W erten“, „Wertekommunikation“ und insbesondere „Ethik in
spezifischen zeitgenössischen Kontexten wiederum unterschiedliche Interpretatio nen und Funk-
tionsbestimmungen erfordert, darf hier zumindest angedeutet werden. Vgl. dazu für den Fall
von Organisationen und insbesondere Unternehmen von Groddeck (2011); für den Fall klini-
scher Ethik-Komitees Wagner (2011). Luhmann geht es demgegenüber um den spezifischen
Fall einer allgemeinen Semantik der Werte in den Selbstbeschreibungen der Gesellschaft.
137
Vgl. hierzu natürlich die relevanten Einträge mit begriffsgeschichtlichem Interesse im Lexikon
Geschichtliche Grundbegriffe (2004), allerdings mit einer Betonung der „Sattelzeit“ zur Mitte
des achtzehnten Jahrhunderts.
210 Rom antische Ironie

lematisierung eines nun m ehr unw ahrscheinlichen gesam tgesellschaftlichen


Konsenses – legt aus der Perspektive Luhmanns nahe, dass als eine Art ko m-
pensatorischer Ausgleich dem Bedürfn is („need“; Luhmann 1996: 64) nach
neuen inviolate levels zumindest semantisch Rechung getragen wird. Die empi-
rische Pointe scheint hier jedoch zu sein, dass W ertekommunikation dieser
Funktion nur dann gerecht werden kann, wenn sie im plizit bleibt: Sie m ag sehr
wohl inviolate levels liefern – „w hile keeping quiet about them“ (64). Die
Kommunikation von Werten – nicht über Werte – ist aus dieser Perspektive auf
ihre Form als im plizierte K ommunikation angewiesen; nur so ist eine gewisse
Immunität vor immer möglichen expliziten W idersprüchen gewährt. Die Paral-
lele zu ironischer Kommunikation liegt au f der Hand. Auch sie ist eine Form
impliziter Kommunikation, jedoch mit er höhten Anforderungen an das Ausha l-
ten von Paradoxien: „for it reveals its meaning through paradox, as the explic a-
tion of the implication, and can only be understood if that is understood “ (65).
Für Luhmann taucht ironische Kommuni kation in der M oderne – wiewohl der
Ironieboom der historischen Semantik de r W erte um mehr als ein halbes Jahr -
hundert vorausgeht 138 – zunächst vor allem als dunkler Doppelgänger von W er-
tekommunikation auf. Er stilisiert sie zu einer m odernen Erfindung, die der
modernen Karriere der W ertesemantik zur Seite gestellt ist, indem sie diese auf
paradoxe Weise gleichzeitig schützt – als ausgezeichnete Form einer impliziten,
auf tacit (!) knowledge angewiesenen Kommunika tion – und provoziert – als
Explikation ihrer Implikation (vgl. 1996: 65).139
Es ist dabei eher erstaunlich, dass Luhm ann selbst den Form en ironischer
Kommunikation kein weiteres Interesse entgegenbringt und ihrem empirischen

138
Besonders Karl-Heinz Bohrer wird aus diesem Umstand argumentatives Kapital schlagen (vgl.
Kapitel 1.3).
139
Damit ist ein Motiv angesprochen, das besonders systemtheoretische Kommentatoren wiederum
zu Kommunikation provoziert hat. Dirk Baecker etwa schreibt seine Erfindung in einer treffe n-
den Formulierung den Frühromantikern zu: „Man br aucht nicht mehr zu sagen, was man meint,
aber man muß zumindest deutlich m achen, daß m an zu meinen versteht, w as man nicht sagt.“
(in Bohrer 2000: 391) Folgt man der Argumentation des zweiten Kapitels dieser Arbeit müssten
hier aber für eine empirische Analyse dieses Phänomens kleine Korrekturen angebracht werden.
Erstens war ja die Beobachtung, dass man im Kontext der Darstellung von Intimität und Liebe
zu großen Teilen das unbestimmt lassen muss, was man meint – und das damit schon ein typi-
scher Effekt hervorgebracht wurde. Zweitens geht es explizit nicht um die Intention der B e-
troffenen, sondern um ei ne Kommunikationsdynamik. Drittens – das sollen die folgenden Sei-
ten plausibilisieren – muss man die Vorstellung aufgeben, dass der Gegenbegriff von Ironie
immer der „Ernst“ sein muss. Nur so lässt sich nämlich der immer gerade in systemtheoret i-
schen Argumentationen wiederkehrende unempirische Einwand, der im Falle Baeckers fast
schon paradigmatisch gleich im nächsten Satz nachgeschoben wird, entkräften, dass ironische
Kommunikation keinesfalls eine zeitgemäße Lösung anbieten kann: „Aber das war und bleibt
bis heute zu spät. Die Ironie markiert nur noch den, der zumindest sich selbst ernst nehmen
möchte – und das kann man nur noch ernst nehmen, wenn man Leidensgenosse ist.“
Romantische Ironie 211

Auftauchen nicht weiter nachspürt. Erst aunlich ist das für einen Theoretiker,
dessen spezifischer Duktus oft als der eines „ironisch distanzierten Beobach-
ters“ (Nassehi 2004: 157) identifiziert und dessen Theorieanlage immer wieder
dem Denkmodell der Frühromantik (vgl . Fuchs 2004) zugeordnet wird. Als
ernsthafte Alternative zur modernen Semantik der W erte etwa kommen iron i-
sche Formen für Luhmann je denfalls nicht in Betracht.140 Im Hinblick auf unser
Thema der Intim kommunikation ist das Luhmannsche Verdikt sogar noch ei n-
deutiger: Ironie ist – für die m odernen Liebenden – zu anspruchsvoll! 141 Im
Hinblick auf das A uftauchen eines ironischen K ommunikationsstils in den I n-
terviews soll es im Folgenden ausdrücklich nicht um eine theoreti sch motivierte
Forderung nach ironischen Formen der Kommunikation als bevorzugte Alterna-
tive zu anderen Kommunikationsformen gehen, sondern um die empirische
Frage nach ihrer möglichen Funktion in intimen Kommunikationskontexten.
Und hier kann der von Luhmann angestrengte funktionale Vergleich zwi schen
ironischer Kommunikation und W ertekommunikation hilfreich sein. Drei An-
haltspunkte lassen sich nämlich diesem Ve rgleich entnehmen. Ironie als Form
ist erstens ein spezifisch modernes Phänomen . Die Form iro nischer Kommuni-
kation reagiert auf gesellschaftliche St rukturvorgaben – bei L uhmann ist dies
die spezifisch moderne Erfahrung struktureller Kontingenz – und ihre Plausibili-
tät als historisches Phänomen kann als Indiz für Prämissen gelesen werden, die
nicht einzig und allein aus dem Interaktionskontext abgeleitet werden können.
Ironie als Form kann dabei zweitens als Antwort auf ein spezifisches Problem
verstanden werden, als deren Lösung sie si ch anbieten kann. Bevor also eine
provisorische Definition der Ironie gelinge n mag, bietet sich eine empirische
Analyse der Funktion an, die ironische Kommunikation in bestim mten Kontex-
ten erfüllen mag. Ironie als Form mag aber drittens schon als spezifischer Fall
einer impliziten Kommunikation verstande n werden, deren Sinn sich gerade
nicht in dem erschöpft, was explizit gesagt wird 142, genauer: deren spezifischer

140
Man vergleiche dieses Desinteresse mit den expliziten Forderungen nach einer ironischen
Alternative in den Beiträgen Richard Rortys, Karl -Heinz Bohrers und der Queer Theory, die in
diesem Kapitel noch thematisiert werden.
141
„Aber wie wird das Paradox zur semantisch tragbaren Realität? An suggestiven Lösungsvo r-
schlägen fehlt es nicht. Die Klassik hatte, wie wir gleich sehen werden, die Rationalität der ge-
pflegten Irrationalität an geboten, die Romantik das Konzept der Ironie und den Gedanken des
Steigerungswertes der Unaufrichtigkeit. Das waren jedoch zu anspruchsvolle (und in jedem
Fall: nur schichtspezifisch verwendbare) For men.“ (Luhmann 1994: 70) Dieses Motiv des u n-
terstellten zu hohen Anspruchs der Ironie an die Kommunikation und der dabei beteiligten Be-
wusstseine findet sich nicht nur bei Luhmann. Zum Motiv des Schich tindexes der Ironie vgl.
auch Illouz (1997).
142
Die Unterscheidung von explizitem und implizitem Sinn ist freilich ein linguistisches und
sprachphilosophisches Deutungsschlachtfeld. Stellvertretend mag an die transdisziplinäre D e-
batte erinnert werden, die Donald Davidsons These ausgelöst hat, dass (sogar) Metaphern das
212 Rom antische Ironie

Sinn gerade in dem Umstand liegt, dass es sich um implizite und dam it: „unbe-
stimmte“ Kommunikation handelt. W ie sich dieser Verweisungszusammenhang
konkret darstellt, m uss zunächst freilich eine offene em pirische Frage ble i-
ben;143 verwiesen ist man aber bereits in diesen ersten Ansätzen einer Funkti-
onsbestimmung eines ironischen Kom munikationsstils wieder auf das unau s-
weichliche Problem der Unbestimmtheit.

1.2 Rorty: Kontingenz und Solidarität

Richard Rorty ist kein überraschender Ka ndidat, wenn es um eine Funktionsbe-


stimmung des Ironie begriffs in zeitgenössischen Debatten geht. Seine berühm-
teste Kunstfigur, die „liberale Ironikerin“ hat es geschafft, eine e igentümliche
Prominenz in Diskursen über sowohl di e Rolle „postmoderner“ – Rorty würde
vielleicht bevorzugen: neopragmatischer – Theorieansätze als auch über das
Verhältnis von philosophischen K onzepten und libera ler Politik zu erlangen;
wie keinem Zweiten ist es Rorty gelunge n, der Idee der Ironie einen gewichti-
gen und äußerst um strittenen Stellenw ert in diesen D iskursen zu verschaffen.
Der Titel eines seiner einflussreichsten Bücher „Kontingenz, Ironie und Solida-

und genau das bedeuten, was sie „buchstäblich“ bedeuten (vgl. 1978). Hier genügt es, soziol o-
gisch bescheidener darauf hinzuweisen, dass sich ironische Kommunikation als Form präse n-
tiert, bei der zumindest die Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Bedeutung expli-
zit zum Thema werden muss.
143
Hier liegt eine weitere Vermutung nahe, die das Desinteresse Luhmanns an der Spezifik ironi-
scher Kommunikation verständlich machen könnte. Luhmann hat bekanntermaßen „Sinn“ als
differenzlosen Begriff eingeführt und damit eine Abstraktionshöhe gewählt, auf der die „So n-
derleistung“ ironischer Kommunikation als schon im Sinnbegriff aufgehoben erscheint: „Das
Phänomen Sinn erscheint in der Form eines Überschusses von Verweisungen auf weitere Mög-
lichkeiten des Erlebens und Handelns. [...] Alles, was intendiert wird, hält in dieser Form die
Welt im Ganzen sich offen, garantiert also i mmer auch die Aktualität der W elt in der Form der
Zugänglichkeit.“ (1984: 93) Logisch wird dabei die notwendige Einschränkung dieser prinz i-
piellen Offenheit zunächst von der Notwendigkeit der Lösung des Problems der doppelten Ko n-
tingenz hergeleitet. Erst wenn man einem Vorschlag von Armin Nassehi und Irmhild Saake
(2002) folgt und Luhmanns Theorie als Anleitung für ein empirisches Forschungsprogramm
liest, kann man die besondere Leistung von Ironie in konkreten Kontexten angemessen erfassen.
Freilich: „Letztlich hat es (sozialwissenschaftliche) Forschung mit der Frage zu tun, wie Kon-
tingenzspielräume erzeugt werden, wie Unwahrscheinlichkeit trotzdem zu Strukturen führt, wie
Selektionsspielräume Freiheitsgrade und selektive Einschränkungen gewissermaßen gleichze i-
tig erzeugen.“ (2002: 80-81) Das Interesse an einem empirischen Forschungsansatz erzwingt
dabei aber gleichwohl eine erhöhte Aufmerksam keit für die spezifischen Darstellungs formen.
Man mag dabei beispielsweise die Möglichke it – und die Gefahr – ironischer Kommunikation
logisch schon im Sinnkonzept angelegt sehen. Empirisch wird dann aber die Sonderleistung der
Form ironischer Kommunikation interessant, die sich durchaus auch in signifikanten Unter-
schieden des Stils bemerkbar machen kann.
Romantische Ironie 213

rität“ (1989) markiert dabei schon das Kr äftefeld, in dem Rorty die Ironie zu
platzieren vermag. Auch für Rorty ist Ironie demnach ein modernes Phänomen,
das im Kontext der unausweichlichen K ontingenz des modernen Kosmos auf
der einen und der zum Problem gewordenen Solidarität moderner M enschen auf
der anderen Seite verortet w erden muss. Ironie – das muss beachtet werden, um
in den verschlungenen Argumentationswegen der neopragmatistischen Debatten
nicht den Überblick zu verlieren – ist zumindest für Rorty die Antwort auf ein
Problem. Sie ist als Antwort auf das K ontingenzproblem „gesteigertes Konti n-
genzbewusstsein“ (vgl. auch die Ironiedefinitionen in Graevenitz/M arquard
1998) und garantiert als Antwort auf da s Solidaritätsproblem dabei die M ög-
lichkeit gültiger gemeinsamer Überzeugungen. In diesem Sinne plädiert144 Rorty
für die Ironie als Position einer Ü berwindung kontingenzblinder Positionen m it
metaphysischen Letztbegründungsansprü chen, die sich gleichwohl dem nahe-
liegenden Relativismusverdikt nicht beuge n muss. Ironie w ird in R ortys „Neu-
beschreibung“ der Moderne zum Paradigma für ein liberales Gemeinwesen. Um
aus den Ausführungen Rortys und des von ihnen ausgelösten Streits An-
haltspunkte für eine Analyse ironischer Kommunikationsformen zu erhalten,
lohnt sich ein kurzer Blick auf seine p aradigmatische Kunstfigur. Wer oder was
ist die liberale Ironikerin Rortys?

1.2.1 Liberale Ironie

Die liberale Ironikerin begegnet uns be i Rorty in einem philosophischen Dis-


kurs, dessen Vokabular 145 von den Leib- und M agenthemen des amerikanischen
Pragmatismus durchdrungen ist. Es ist ei n Vokabular, das hier nicht im Detail
nachgezeichnet werden kann (vgl. aber M urphy 1990; Rajchman/W est 1995;
Letson 1997), das aber bestim mte Konzepte wie „W ahrheit“, „W issen“ und
„Überzeugung“ aus diversen philosophischen Traditionen kurzschließt, neu
formuliert und dabei auf pragm atische „Konsequenzen“ – in Rortys Fall wären
diese im Feld politisch w irksamer Selbstbeschreibungen zu suchen – abtastet.
Rortys Strategie besteht zunächst darin, „alteuropäische“ Theorien der W ahrheit
als esoterische philosophische Spielereien zu delegitim ieren und sie für ein
144
Rortys W ort für Plädoyer ist freilich „Neubeschreibung“ – mit erheblichen Konsequenzen.
„Neubeschreibung“ ist Rortys Gegenbegriff zu „Argumentation“. Sie soll nicht „überzeugen“,
sondern „überreden“; sie ist kein Mittel der Legitimation, sondern der Plausibilitätsbeschaffung.
Dieser Umstand schlägt sich natürlich in den Te xten Rortys nieder, die diesen Gedanken nicht
nur formulieren, sondern gleichzeitig performativ vorführen sollen, und schon insofern stehen
sie in der Tradition des Ironiediskurses, dessen Thema sich immer auch auf den Stil der Ausfüh-
rung ausgewirkt hat.
145
„Vokabular“ ist freilich schon eine Interpretationsvokabel von Rorty selbst.
214 Rom antische Ironie

Verständnis von gesellschaftlichen Praktiken für irrelevant zu erklären. Vor dem


Hintergrund eines kontingenten Univers ums konstruiert Rorty zunächst W is-
sensansprüche so, dass sie nicht gleichzeitig als Wahrheitsansprüche erscheinen.
Konkret heißt das, dass erstens W issensansprüche nur noch an partikuläre
Rechtfertigungsprozeduren gebunden sind und dass es zweitens prinzipiell mög-
lich und tatsächlich der Fall ist, dass sich diejenigen, die konkrete W issensan-
sprüche erheben, auch selbst so beschr eiben. Letzteres ist natürlich im B ezug
auf das K onzept der Ironie der eigentliche K nackpunkt. Rorty illustriert das
Problem folgendermaßen: Nachdem wir eine Aussage angemessen gerechtfer-
tigt haben, können wir etwa entweder (a) „That is why I think m y assertion is
true“ oder (b) „That is why my assertion is true“ sagen. Rorty sieht hier keine
philosophisch relevante Differenz zwischen Partikularität und Universalität oder
zwischen Kontextgebundenheit und Kontex tunabhängigkeit. „It is merely a
stylistic difference“ (in Brandom 2000: 56). Das überrascht nicht und leuchtet
ein, wenn man die pragmatistische, ironi sche Grundhaltung akzeptiert hat. Ror-
tys Trick ist aber nun, bei der Auslösc hung dieser Differenz die Aussage (b) auf
die Aussage (a) zu reduzieren. Er brauch t dazu eine Figur, die sich der Kontin-
genz, der Partikularität und der Kontextgebundenheit ihrer Aussagen auch in
konkreten Fällen immer bewusst ist. Nur so kann er verhindern, dass bei spezif i-
schen Wissensansprüchen die Differenz eher in die umgekehrte Richtung aufge-
löst wird, also von einem Eingestehen der Kontingenz in der Aussage (a) zu
dem universellen G eltungsanspruch in (b). G enau an dieser Stelle betritt ein
neuer Held die Bühne der rortyschen Version des Neopragmatismus – die Ironi-
kerin:

I shall define an „ironist” as someone who fulfills three conditions. (1) She has radical
and continuing doubts about the final vocabulary she currently uses, be cause she has
been impressed by other vocabularies, vocabularies taken as final by people and
books she has encountered; (2) she realizes that arguments phrased in her present v o-
cabulary can neither underwrite nor dissolve these doubts; (3) insofar as she philos o-
phizes about her situation, she does not think that her vo cabulary is closer to reality
than others, that it is in touch with a power not herself.146

Wir sind hier schon m itten in einem pragm atistisch reform ulierten U niversum,
in dem das Bild von Sprache als M edium zwischen M enschen und W elt durch
ein Bild von diversen V okabularen als W erkzeug substituiert w orden ist. In
seinem Argumentationszusammenhang interessiert sich Rorty vor allem für das
implizierte Wahrheitsverständnis der hier porträtierten Ironikerin. Die Ironikerin
hat keinen traditionellen Begriff von W ahrheit mehr. Indem sie akzeptiert hat,

146
So die viel zitierte Definition in Richard Rortys „Contingency, Irony, and Solidarity“ (1989:
73), die ihrer Prägnanz wegen hier auch im englischen Original zitiert werden muss.
Romantische Ironie 215

dass ihr Vokabular nur eines unter vielen möglichen ist – denn das bedeutet ja
kontingent – akzeptiert sie auch, dass ihr W issen immer nur relativ zu ihrem
Vokabular gerechtfertigt werden kann und gibt sich damit zufrieden. In einer
Antwort auf einen Einwand Donald Davidsons illustriert Rorty, wie er sich eine
solche Ironikerin konkret vorstellt. Er präsentiert uns eine „very good evolu-
tionary biologist who traces the origins of various species all week long, but
takes great comfort from hearing ma ss on Sunday“ (in Brandom 2000: 79). Sie
kann dies natürlich nur, weil sie weiß, da ss hier zwei verschiedene Vokabulare
nebeneinander existieren. Zur Ironikerin wird sie aber nur, weil sie nicht denkt,
dass sich diese Vokabulare in irgendein er W eise zueinander in Beziehung set-
zen lassen; insbesondere widersprechen sie sich nicht. Rortys Verm utung ist,
dass in diesem Fall „non -competitive, though perhaps irreconcilable, beliefs
[may] reasonably [be] called ‚true‘ “ (78). Die Betonung liegt auf „non-
competitive“. D enn die eigentliche Leistung der Ironikerin soll es gerade sein,
den Geltungsanspruch einer Aussage auf ein Vokabular zu begrenzen, um damit
einem möglichen W iderspruch unvereinbarer Aussagen oder Überzeugungen
aus dem W eg zu gehen. Die Frage, ob es empirisch so etwas wie eine konse-
quente Ironikerin im Sinne Rortys gibt oder überhaupt geben kann, hängt damit
zusammen, ob wir Rortys Beschreibung ihres W ahrheitsverständnisses intelligi-
bel finden. Davidson für seinen Teil be zweifelt dies: „Of course one can imag-
ine circumstances under which it might be able to say this (for example to pr e-
vent a fist-fight), but could it be reasona ble, or even possible, to think irreco n-
cilable beliefs are true?“ (74)
Nun wurde hier nur etwas ausführlicher auf die prom inente rortysche
Kunstfigur eingegangen, um auf einen entscheidenden Punkt hinzuweisen. Die
von Davidson getroffene Unterscheidung ist in der Tat zentral. Im Folgenden
wird Ironie ausschließlich als eine Kommunikationsform beobachtet und nicht
auf das intentionalistische K onzept ei nes „gesteigerten Kontingenzbewuss t-
seins“ abgezielt. D amit m ag vielleicht nur die simple Diffe renz einer philoso-
phischen Perspektive zu einer genuin soziologischen Perspektive mar kiert sein.
Rorty präsentiert seine Ironikerin als Denkfigur, die auf die Vorgaben eines
pragmatistisch neubeschriebenen Kontingenzuniversums angemessen antwortet.
Hier wird versucht werden, ironische Kom munikation als eine em pirisch zu
beobachtende Sprachfigur zu analysiere n, die auf das Bezugsproblem der Dar-
stellung von Intimität reagiert. Aber vielle icht steht damit mehr auf dem Spiel
als eine einfache Disziplinenfrage. Di e Vermutung liegt nahe, dass der Rekurs
auf Ironie für Rorty genau deshalb so plau sibel ist, w eil er dam it im plizit eine
Unterscheidung bedienen kann, die in de n überlieferten D efinitionen der Ironie
fast ausnahm slos zitiert w ird: die U nterscheidung von „gesagtem Sinn“ und
„gemeintem Sinn“ – eine Unterscheidung, die wiederum die soziologisch näher
216 Rom antische Ironie

liegende Unterscheidung von Kommunikation und Bewusstsei n sprachphiloso-


phisch reformuliert. Für Rorty ist dabei die Figur der Ironie gerade deshalb so
plausibel, weil sie die Einheit dieser Di fferenz schon konzeptuell einlöst. Hier
wurde deutlich, dass R orty dabei für die B ewusstseinsseite dieser U nterschei-
dung optiert, die diese Differenz erträglic h machen soll. Ironie ist „gesteigertes
Kontingenzbewusstsein“, und das Heldenepos der liberalen Ironikerin nähert
sich dabei in auffälliger W eise einer Variante des Weberschen Plädoyers für die
Persönlichkeit an. Davidson hat auf die Gefahren hingewiesen, die sich bei der
Reduktion eines K ommunikationsphänomens auf ein M entalitätsproblem erg e-
ben. Empirisch wird sich das Problem genau spiegelverkehrt darstellen. Es we r-
den nur Prozesse der Kommunikation beobachtet werden können. Die Differenz
von „gesagtem“ und „gemeintem“ Sinn mu ss sich vor diesem Hintergrund als
ein Effekt der Kommunikationspraxis se lbst darstellen. Anhaltspunkte für diese
Differenz ergeben sich nur als beobachtbare Phänom ene der kom munikativen
Form.147 Schon die heuristische Formulierung der Ironie als „Explikation der
Implikation“ zielte in diese Richtung.
Nichtsdestotrotz lassen sich Rortys Charakterisierung der Ironie wichtige
Impulse für eine em pirische Untersuchung ironischer Form en entnehmen. Denn
die Kunstfigur der Ironikerin ist plausibel. Sie ist plau sibel, weil sie notwendig
erscheint und sie erscheint notwendig, weil sie eine Lösung des Problems der
Kontingenz anbietet. Nur vor dem Hintergrund einer Welt, in der jede plausible
Aussage den Vergleich mit anderen Möglichkeiten, mit anderen ebenso plausib-
len Aussagen aushalten muss, ist Ironie eine Lösungsm öglichkeit. Sie ist für
Rorty die einzig angem essene Lösungsm öglichkeit, weil sie zun ächst auf das
Problem der Kontingenz – und darin unter scheidet sie sich diametral von funk-
tional äquivalenten Vorschlägen, die Rorty nicht müde wird zu kritisieren – m it
dem Offenhalten von K ontingenz reagiert. A nders als in den oben zitierten D e-
finitionsangeboten der traditio nellen Ironiediskussion ist für Rorty die entsche i-
dende und interessante Differenz nicht schlicht die zwischen „gesagtem“ und
„gemeintem Sinn“ einer Aussage; die Differenzen sind darüber hinaus zwischen
dem zu suchen, was Rorty alternierend „Sprachen“, „Vokabulare“ oder „Kultu-
ren“ nennt .148 Die Kontingenz spezifischer „Sprachen“, die sich im Vergleich
mit anderen Sprachen als inkommensurabel ausnehmen, deren Differenz irredu-
zibel ist, erfordert eine Position, die ge nau diese Differenz als solche markiert –
man könnte übersetzen: eine kommunikative Form, die in der Lage ist, diese

147
Dieser Zuschnitt ähnelt der linguistischen Suche nach den „Ironiesignalen“, ist aber nicht mit
ihr identisch. Es geht nicht um die Frage, ob das Aufzeigen von Ironiesignalen für die Beschre i-
bung einer Aussage als „ironisch“ notwendig ist, sondern u m die Frage, ob Ironie im Kommu-
nikationsverlauf als solche behandelt wird.
148
Symptomatisch hierzu vgl. Rorty (1993: 882 ff.).
Romantische Ironie 217

Differenz mitzukommunizieren. Ironie ist bei Rorty die Anerkennung der Diffe-
renz.

1.2.2 Die Wahrheit der Ironie

Diese Form ulierung klingt zunächst zu abstrakt, um aus ihr konkrete Konse-
quenzen entw eder theoretischer oder ga r politisch -praktischer A rt zu ziehen.
Und doch sind in ihr genau die Stichpunkte geliefert, auf die sich die Debatte
um das vorgestellte Ironiekonzept zumindest im Kreise der Neopragmatisten, zu
denen sich auch R orty zählen lässt, zuspitzt. D enn in ihr ist es erstens die Valo-
risierung der Differenz, wie sie in Rortys pragm atistischer Theorie vornehmlich
an der Figur der Ironikerin zu T age tritt, die Stein des A nstoßes ist, sowie zwei-
tens die Idee, dass sich aus dieser Position zwingende Konsequenzen ziehen
lassen. A m prom inentesten kritisiert W alter B enn M ichaels die Im plikationen
von Rortys Position. M ichaels liest Rort ys Pragm atismus als ein Projekt „to
imagine a world of differences without disagreements“; „ideological differences
have been replaced by differences that should be understood on the model of
cultural or linguistic difference“ (2004: 80). Michaels beobachtet hier eine Ten-
denz Rortys, die nicht genug betont we rden kann. Seine ironische Hochachtung
vor „Differenz“ ist die Hochachtung vor einer spezifischen Differenz – es ist die
Hochachtung kultureller Differenz.149 W ir haben schon darauf hingewiesen,
dass es Rorty plausibel erscheint, kultu relle Differenz epistemologisch wie die
Differenz zwischen verschiedenen Sprachen zu besch reiben. Verschiedene Kul-
turen verhalten sich zueinander wie verschiedene Sprachen; unsere Kultur ve r-
hält sich zu eurer wie Deutsch zu Spanisch. Es ist leicht zu sehen, was dieses
Modell für den oft beschworenen clash differenter Kulturen im Sinne Rortys
bedeutet: „No language is right or wrong; conflicts on the model of conflicts
between languages have to do with force, not truth. [T]hey don’t disagree be-
cause they have nothing to disagree about“ (80). 150 Und wenn es erstens die
Valorisierung kultureller Differenz ist, die sich Rorty auf die Fahnen geschrie-

149
Das lässt sich nicht nur im Falle von Rorty vermerken; interessant für das Thema dieser Arbeit
ist die Plausibilität von Differenz als kultureller Differenz etwa dann, wenn es sich bei den Cu l-
tural Studies als zentral herausstellt (vgl. Kapitel I.5.2).
150
Dies referiert auf das alte Thema der angemessenen Untersuchungseinheit von Sprachtheorien:
In „nicht-kratylischen“ (vgl. Genette 1996) Theorien kann ein Wahrheitswert nur Aussagen o-
der Aussageketten zugeschrieben werden, nicht aber einzelnen Worten oder ganzen Sprachen.
Ironie als Stilform wird meistens zugemutet, sich auch schon über einzelne Aussagen implizit
auf die größere Einheit einer gem einsamen, geteilten Sprache zu beziehen; vielleicht lässt sich
darüber erklären, warum Ironie somit ein zuminde st eigentümliches Verhältnis zu im Rahmen
eines Wahrheitsdiskurses gestellten Fragen einnimmt (vgl. auch Japp 1983).
218 Rom antische Ironie

ben hat und die M ichaels als kontrafaktis che und empirisch durch nichts ge-
rechtfertigte Deklaration des „end of disagreem ents“ kritisiert, so sind es zw ei-
tens die normativen Konsequenzen eines solchen Modells des kulturellen Rela-
tivismus, die auf dem Spiel stehen. Rortys hier schon öfters zitierter zentraler
Text führt nicht nur contingency und irony, sondern eben auch solidarity im
Titel. Seine oft bem ühte „fundam ental prem ise“ behauptet: „a belief can still
regulate action, can still be thought worth dying for, am ong people who are
quite aware that this belief is caused by nothing deeper than contingent histori-
cal circumstance.“ (1989: 189) Vor de m Hintergrund kultureller Differenzi e-
rung nach dem M odell von Sprachen ist diese fundamentale Prämisse nicht
länger uneinsichtig. Der Ernst der Ironikerin – ihre bedingungslose, weil alter-
nativlose Solidarität m it ihre r K ultur – ist ein tödlicher. W as zählt ist nicht so
sehr, was sie glaubt oder weiß; was zä hlt ist, wer sie ist: ihre Identität. Der Ver-
dienst dieser A useinandersetzung ist fre ilich, dass in ihr die D iskussion um das
Konzept der Kultur als perspektivenerweiterndes, relativistisches Spiel des
Vergleichs (vgl. Baecker 2000) um die eigentümliche Dimension der Kultur als
Einschränkung von Kontingenz erweitert wird. Soziologisch sind natürlich das
empirische Auftauchen von Formen der Kulturalisierung und ihre spezifische
Funktion in der modernen Gesellschaft interessant. In ihren Überlegungen zur
„Kulturalisierung der Ethik“ (2004) sp üren Irmhild Saake und Armin Nassehi
dieser Doppelfunktion der Kultur als einer Proliferation von differenten
Sprecherpositionen bei gleichzeitiger Einschränkung von kommunikativen
Möglichkeiten nach und geben dabei de r hier skizzierten pragmatistischen De-
batte eine empirische W endung. Empiri sch beobachten lässt sich nämlich –
ganz im Sinne der rortyschen Ironikeri n – eine Kulturalisierung der Ethik und –
ganz im Sinne des rortyschen Ernsts – eine Ethisierung der Kultur. Es ist der
(ironische) Relativismus, der „Integra tionsprobleme auf die Ebene der Aner-
kennung von Kulturen“ verlagert (503).

1.3 Die ironische Wende zur Ästhetik

Im Hinblick auf den spezifischen K ontext der Kommunikation von Intimität


interessiert hier aber neben dem Ernst der Ironie noch eine eigentümliche B e-
gleiterscheinung der rortyschen Konzen tration auf das Ironiephänomen. Sie
verweist auf etwas, das hier schon wied erholt als die W ende zur Ästhetik be-
zeichnet wurde. Bei Rorty spielt sich diese W ende zur Ästhetik auf mehreren
Ebenen gleichzeitig ab. Auf argum entativer Ebene ist es sein Plädoyer für die
„Neubeschreibung“ gegenüber der „Argumentation“. Es wird begleitet von
einem Eintreten für die „Rhetorik“ gegenüber der „Logik“. Das Augenmerk fällt
Romantische Ironie 219

dabei auf den „Stil“ gegenüber der „W ahrheit“ der offerierten N eubeschreibun-
gen. Selbst auf politischer Ebene tritt dabei die Betonung der „Inspiration“
durch Texte – ihr „Effekt“ – gegenüber ihre r „Repräsentativität“ in den Vorder-
grund. Und schließlich und etwas später in Rortys W erk sind die Texte, von
denen eine Inspiration für ein liberales G emeinwesen erwartet wird, literarische
Texte (vgl. 1998). Konsequenterweise ist das M otiv für diese Wende zur Ästhe-
tik bei Rorty weniger in der Falschheit der bisherigen Positionen der Phi-
losophie zu suchen als vielmehr in ihrem Ungenügen. 151 Parallel dazu lässt sich
auch die Position der Ironikerin besser be greifen. Sie begrei ft Neubeschreibun-
gen als kontingentes Unterfangen; ihr he rausragendes Charakteristikum ist nicht
der Inhalt ihrer Ü berzeugungen, sondern der Stil, in dem sie von ihnen übe r-
zeugt ist; sie interpretiert Texte wenige r als dass sie sich von ihnen inspirieren
lässt; und sie liest W alt Whitman. Was dabei in den Vordergrund rückt, ist ihre
spezifische Subjektposition. W er die liberale Ironikerin ist, wird entscheidend.
Nun ist genau dieser Punkt in Rortys Pragmatismus natürlich ein äußerst um-
strittener; die Debatte um den W ert von Rortys eigener Neubeschreibung und
der damit einhergehenden Theorieästhetik hält weiterhin an (vgl. nur die B eiträ-
ge in Brandom 2000). Die neopragmatis tische und postanalytische Diskussion
nimmt sich dabei an vielen Stellen wi e eine M ethodendiskussion aus, die die
Konsequenzen des ästhetisierenden Blicks Rortys auf das Univer sum der Ironi-
kerin abschätzen und eingrenzen w ill: Darf etwas so Ernstes wie die Welt ironi-
siert und in einem genuin ästhetischen Rahmen beschrieben werden? Im Rah-
men dieser A rbeit stellt sich das Problem dabei in gew isser W eise spiegelve r-
kehrt dar, ist die Herangehensweise doch genau die entgegengesetzte. Es ist das
empirische Auftauchen ironischer Kommunikationsformen – etwa im Bezug auf
eine „Rolltreppe“ und eine „O rchidee“ – und nicht ihre konzeptuelle M öglich-
keit, die den Anstoß zu ihrer Analyse gi bt. M an kann aber – im Anschluss an
Rorty und der von ihm ausgelösten Disku ssion – zunächst wieder die methodi-
sche Konsequenz ziehen, dass sich Ir onie nur angemessen beschreiben lässt,
wenn man ihre ästhetische Dimension berücksichtigt. Schon die Analyse de r
performativen Herstellung von Unbestimmt heit im zweiten Kapitel verlangte

151
An anderer Stelle (Stempfhuber 2012) habe ich darauf hingewiesen, dass sich hier eine intere s-
sante Parallele mit neueren post-analytischen Referenzen auf „Gründe der Liebe“ (Genitivus
subjectivus) als Antwort auf ein Unge nügen in den analytischen Rationalitätsdi skursen finden
lässt (vgl. Frankfurt 2005). Liebe als „persönli che“ „interessefreie“ (!) (86) „Sorge“ (15), die
den Willen bindet, wird als entscheidende „Quelle der Norm ativität“ (53) da wichtig, wo sich
moralische Begründungsdiskurse als hilflos herausstellen: „Für den Liebenden ist die Liebe eine
Quelle von Gründen“ (42) und „Motiven“ (24), die „der Welt Wichtig keit“ (28) verleihen. Das
hier vorgeführte Argument ist aber freilich in Anlehnung an Odo M arquard formuliert, der es
wiederum von Joachim Ritt er hat; dort im Bezug auf die dritte Kantsche Kritik und das Unge-
nügen der Wissenschaftsverfahren (vgl. Marquard 1987: 135 ff.; Ritter 1938/39: 175 ff.).
220 Rom antische Ironie

nach Interpretationsmitteln, die man als ästhetisierend abtun mag; das Verständ-
nis von ironischen Formen mag aber an ei nigen Stellen noch viel radikaler eine
gleichsam literaturw issenschaftliche H ermeneutik erfordern. A ndererseits kann
aber – gegen Rorty und der von ihm ausg elösten Diskussion – davon ausgegan-
gen werden, dass es sich dabei um ein empirisches und nicht um ein rein ko n-
zeptuelles Problem handelt. Es mag de r beobachtete ironische Kommunikat i-
onsstil selbst und nicht allein seine „N eubeschreibung“ sein, die per formativ
eine ästhetische D imension aufspanne n, die über den propositionalen G ehalt
von Sätzen hinausweisen – und man kann mit Rorty hier schon vermuten, dass
dies eine wichtige Konstante bei der Bestimmung der Funktion von Ironie in der
intimen Kommunikation sein m ag. Bevor hier mit Karl Heinz Bohrer noch ein-
mal der Erzählstrang aufgenomm en w ird, der die Zentralität der Ironie für die
Moderne zum Them a hat, soll zunächst ein erster Blick auf die Omnipräsenz
eines ironischen Kommunikationsstils in den Interviews geworfen werden.

2. Der Ernst der romantischen Ironie

Nach dieser ersten Annäherung an di e überraschende Konfrontation von Ironie


und Ernst in der Version, die der am erikanische Neopragm atismus und insbe-
sondere Richard Rorty vorgelegt hat, kann man sich noch einmal vom Verlauf
der unterschiedlichen Paargeschichten der Interviews mitreißen lassen – von
dem Augenblick des ersten Augenkontakts zur Thematisierung des Beziehungs-
alltags. W ieder sollen die unterschiedlichen E rzählungen dabei nebeneinander
stehen, hier aber mit besonderem Auge nmerk auf die Funktion des omnipräsen-
ten ironischen K ommunikationsstils interpretiert w erden. U m die These schon
anzudeuten: Wenn im zweiten Kaptitel herausgearbeitet wurde, dass sich in den
Interviews an verschiedenen Stellen Unbestimmtheitsmomente zu erkennen
geben, die nicht nur nicht kommunikativ weggearbeitet werden, sondern sogar
performativ hergestellt werden, so erscheint im Folgenden Ironie als ein privile-
giertes stilistisches M ittel, auf ge nau diese im plizierte U nbestimmtheit explizit
hinzuweisen. In diesem Sinne mag sie als Explikation eine r Implikation funkti-
onieren, die selbst wiederum unbestimmt bleibt – und vor dem Hintergrund des
dargestellten problematischen Verhältnisses der Intim kommunikation zu Form -
vorlagen kann man sogar vermuten: unbes timmt bleiben muss. Dabei ist z u-
nächst noch gar nicht ausgeschlossen, dass eine ironische Kommunikationswe i-
se schlicht auch als D istanzierungsmittel wirken kann. D arauf wird im Schluss-
kapitel noch eingegangen werden, wenn es um die Darstellung und Inszenierung
von Konflikten geht, in denen am Auftau chen ironischer Stellen nicht vorbei
Romantische Ironie 221

gesehen werden kann. Hier soll diese Be sonderheit aber zunächst außer Acht
gelassen werden. Wo taucht die Ironie in den Interviews aber noch auf?

2.1 Ironische Geschichten

Ironie taucht überraschender W eise an praktisch allen Stellen einer Erzählung


der Paargeschichte auf, aber gerade an solch markanten Stellen, an denen es in
den Geschichten um alles geht und an denen die Erzählungen ernst machen. Ein
erster Blick auf den ersten Blick auf die zukünftige Partnerin in einer Paarge-
schichte wurde in der Einleitung schon geworfen. Hier taucht ein ironischer
Erzählstil gleichzeitig mit der zukünftigen Partnerin auf:

B: ...und hab mir gedacht, was ist denn das für eine Hübsche, wenn sie die Rolltreppe
hochgefahren ist...

Wichtig erscheint vor allem , dass an dieser Stelle wieder eine Form vorlage
evoziert wird, die hier aber ironisch z itiert wird – das m achen der w eitere Ver-
lauf des Gespräches und ein späterer Rückblick auf das Erzählen dieser Ge-
schichte klar. Klar wird aber nur, dass dieses Bild ironisch erzählt wurde; ung e-
klärt bleibt der Zusammenhang des „tats ächlichen“ ersten B licks m it dem in
diesem Abschnitt evozierten B ild. Die Implikation dieses B ildes, auf die (dann
explizit) verwiesen wird, scheint also gena u dies zu sein: d ass dieses Verhältnis
zwar existiert, es in seinen D etails aber unbestimmt gelassen werden soll. Ohne
den ironischen Verweis wäre exakt das nicht möglich gewesen. Dabei kann man
nun die in der Einleitung gestellte Frage, ob der Ernst des K ennenlernens damit
bedroht ist, wiederum mit einem Nein beantworten. Auch wenn später noch
einmal expliziert wird, dass das Kennenlernen über die gemeinsame Arbeitstelle
„unromantisch“ w ar („A : „Jobstelle ist halt auch... P artnerbörse. [...] W ir m a-
chen uns selber eher lustig, dass w ir uns daher ken nen...“ [P -C&R1, 06:30]),
bleibt jedoch genau diese ironisch erzählte Szene gerade in ihrer Unbestimm t-
heit davon ausgenommen.
Nicht nur die Erzählung des ersten B lickkontaktes, auch die des ersten
„Körperkontaktes“ kann rückblickend ironisch aufgeladen werden:

A: Ja, und dann... W eiß ich nicht. B: Ich kann es jetzt auch nicht so konkret... A: Ja
dann hast du m ich überfallen... B: (lacht) A: ...wo wir beide besoffen waren... (lacht)
B: (lacht) ...Ich hab m ich an ihn rangem acht. I: Also du ihn...? B: (lacht) Nein,
Schmarrn... A: Sie ist zutraulicher geworden, mit der Zeit. (P-M&M1, 05:25)
222 Rom antische Ironie

B: Ja, da bin ich ihm an die W äsche gegangen. A: Also: In Anführungsstrichen. I: Ok.
A: (lacht) Vor allen anderen. (lacht) Na, erstens, sie ist mir nicht an die Wä sche ge-
gangen, sie ist halt... Ja. Zutraulicher geworden. Nein, keine Ahnung... (08:47)

In diesem Fall könnte man noch eher argumentieren, dass sich das Paar rückbl i-
ckend gegenüber einem Publikum (dem soziologischen Beobachter) von einer
körperlichen Kennenlernszene vor einem Publikum (den gemeinsamen M itbe-
wohnern in einem W ohnheim) lediglich distanziert. Das „An-die-W äsche-
Gehen“ wird explizit in Anführungszeichen gesetzt. Und auch die wiederholte
Beschreibung des Verhaltens von B als „zut raulich“, das hier zunächst als b e-
stimmende Auflösung dient, wird wieder in Zweifel gezogen. W as hier alle r-
dings ironisiert wird, ist nicht der erste Körperkontakt vor Publikum, nicht die
Szene selbst. Es ist seine Bezeichnung, seine Bewertung und die darin impl i-
zierten klaren Rol lenzuweisungen. Es ist ein zu klares Skript einer „Anmache“,
eines „Theaters der Begegnungen“ (vgl . Kintzelé 1998) – unromantisch, aber
sexuell konnotiert –, das hier wie in de n typischen Ironisierungen des romanti-
schen Skripts in anderen Fällen gleich sam als Ganzes in Anführungszeichen
gesetzt wird.
Dasselbe Paar zeigt noch einm al, dass si ch dieser ironische Stil nicht nur
auf ein körperliches Theater der Anmache, sondern auch auf ein ungleich erns-
teres Theater des Beziehungsbeginns be ziehen lässt. M it vergleichbarem Stil
also wird hier der Entschluss, vom eine n Theater ins andere zu wechseln, e r-
zählt:

I: Ihr wart dann nach diesem... A: Nach diesem Gespräch, ja... B: Dann waren wir...
A: ...das sie wollte. B: Jaja, ok, dann war nicht irgendso... E-Mail, keine Ahnung, hin
und her, und dann haben wir uns glaube ich am Abend noch gesehen und dann... Dann
waren wir, also es war dann schon so klar: Ok... I: Ok. B: ... „er geht das Risiko ein“,
oder ja... W as weiß ich. (lacht) A: Es ist quasi wie im Kindergarten, quasi... „So, wir
sind jetzt zusammen.“ B: Ja, es war eigentlich... Also es war jetzt nicht so... I: Ja? Es
war eher ziemlich kompliziert. (lacht) (P-M&M2, 07:15)

Wie wieder – in einer für das Interview material typischen W eise – G eschlech-
terverhältnisse „ironisiert“ werden, wird in diesem Kapitel (vgl. 3.) noch einmal
diskutiert werden müssen. W as an dieser Stelle vollkommen ernst genommen
wird, ist der Beginn der Beziehung. Und doch wird der W eg dorthin als Theater
dargestellt, ja sogar m it dem V erhalten in einem „K indergarten“ verglichen.
Ironisch kommentiert wird aber wieder die mögli che Beschreibung der in die-
sem Theater gespielten Rollen („er geht das Risiko ein“ und „So, wir sind jetzt
zusammen.“ wird wieder gestisch bet ont in Anführungszeichen gesetzt). Die
grundlegende Pointe scheint zu sein, dass es darauf hinausläuft, dass in dieser
Szene aber das entscheidende Gespräch über die Entscheidung selbst nicht nä-
Romantische Ironie 223

her bestimmt werden muss. Das Entscheidende des Entscheidungsgesprächs war


der Umstand, dass es kompliziert war – aber genau diese Kompliziertheit, die
hier im Kontext einer ironischen Erzählung etabliert wird, soll die Individualität
und Besonderheit des Beziehungsbeginns kennzeichnen.
Bei näherem Hinsehen wird also im mer deutlicher, dass gerade an den ent-
scheidenden Stellen bei der Darstellung von Intim ität der Kom munikationsstil
entscheidend ist. Bei ironischen Erzählweisen muss man dabei in manchen
Fällen sehr genau beobachten, um de n Problembezug und die Effekte dieses
spezifischen Stils erschließen zu können. Dem Umstand, dass aber in jedem Fall
von Ironie die Aufmerksamkeit eines Publikums gerade auf den Erzähl stil ge-
lenkt wird, kann man sich kaum verschließen. Hier folgt noch einmal eine Da r-
stellung eines ersten Körperkontakt s, der in diesem Falle dann auch sofort in
eine Beziehung führt:

A: Und wir haben auch ein Lied, ne? B: Und dann, ja, wo wir uns geküsst haben, da
lief gerade übelst Techno und übelst, eklige Elektrom usik, voll eklig... Und dann hab
ich nur zu ihm gesagt, jetzt lief gerade die ganze Zeit, eine Stunde lang so schöne Mu-
sik, und jetzt wo wir uns küssen, so ungefähr, kommt so ein Scheiß... I: Also „Euer
Lied“ ist jetzt... B: Unser Lied ist... I: So ein Techno-Schranz? B: ...ne... A: Ne. B:
...eben nicht. A: Es geht ja noch weiter. B: Wir haben dann als unser Lied, wir haben
dann, irgendwann haben wir dann getanzt. A: Ja. B: ...jetzt fällt es mir gerade gar
nicht ein [lacht] A: [lacht] ...aber es liegt mir auf der Zunge . I: Ihr habt theoretisch
aber ein Lied... B: Wir haben dann... I: ...das „Euer Lied“ ist, weil ihr...? B: ...wo wir
halt... Wo wir das erst M al miteinander getanzt haben, so eng... umschlungen. A: Und
das Lied fing an, und dann haben wir gesagt ‚Jetzt gehen wir auf die Tanzfläche ‘... B:
Genau. A: ...und das haben wir dann also „Unser Lied“ genannt, weil... B: Weil dieses
Techno halt, wusste ich eh nicht, was das war... A: W ie heißt denn das jetzt? M ensch.
I: Das fällt euch doch ein... B: „In The Air Tonight”! A: Ja. I: Ihr habt Phil Collins
als „Euer Lied”? B: Ja. I: Das ist ja sch... A: Aber... B: Aber die... A: ...der Cover-
song, oder... B: Ja, den... Noch die aktue llere Version, der Coversong, ja. (P-S&R,
11:01)

Wenn hier wieder der im zweiten Kapite l (vgl. II.3.) ausführlich interpretierte
Umstand auffällt, dass hier die Lücke de s nicht spontan erinnerten Liedtitels
zum Switching in die Interaktion der Part ner genutzt wird, interessiert nun aber
ein anderes Phänomen. Es wird dabei ein unüberhörbar ein ironischer „Ton“
angeschlagen, ohne dass auf den ersten Blick deutlich ist, w oran m an diese
Beobachtung festmachen kann. Aber gena u in einem solchen Fall kann man die
theoretischen Vorarbeiten zu einer W ende zur Ästhetik nutzbar machen. Der
ironische Kommunikationsstil zeitigt einen spezifisch ästhetischen E ffekt. Her-
ausgestellt wird in der Erzählung ganz besonders die Inszenierung der Episode –
in mehrfachem Sinne. Diese Sequenz mach t sich zunächst über die Szenerie der
erzählten Episode lustig. Sie macht sich dann vor allem über die sichtbare und
bewusste Konstruiertheit der Insze nierung lustig – was gemäß einem romanti-
224 Rom antische Ironie

schen Skript ganz von alleine kom men sollte, wird hier forciert: „unser Lied“.
Sie macht sich darüber hinaus über die Nachträglichkeit der Festlegung des
besagten Liedes lustig. Und wenn schließlich einer der typischen Wechsel in das
Zwiegespräch festzustellen ist, dann m acht sie sich nun auch über den vor-
geführten Umstand lustig, dass das Lied im M oment der Erzählung vor einem
Publikum nicht mehr erinnert werden kann. Wenn dann schließlich etwas expli-
zit ironisiert wird, ist das die Erzählung und die zur Schau gestellte Inszenierung
der Episode selbst. W ieder wird der ironische G esprächsstil dabei in den K om-
munikationsanschlüssen deutlich. Im A nschluss an die hier ausführlich zitierte
Episode wird nämlich gerade die Inszenierung der Episode in der Interviewsit u-
ation noch einmal zum Thema eines kleinen Wortwechsels, der sich ironisch auf
die Tatsache des Nichterinnerns an dies e ausgeklügelte Erzählung bezieht. Zum
Abschluss gebracht wird dieser W ortwechsel dann nur durch die Intervention
des Interviewers:

I: Aber... ihr kennt euer Lied? B: (lacht) A: Ist bloß blöd, dass uns das gerade nicht
eingefallen ist. (12:17)

Auch wenn hier form uliert wurde, da ss sich die Erzählung über die erzählte
Episode und über ihre Erzählung selbst lustig macht, scheint der Ernst der Liebe
auch in diesem Erlebnis und in ihrer Erzählung niemals bedroht zu sein. N och
paradoxer mutet an, dass die Authentizität des Erlebnisses und die ihrer Erzäh-
lung von der Bet onung der Inszeniertheit nicht bedroht zu sein scheinen. M an
kann hier wiederum beobachten, dass dies offenbar nicht trotz, sondern genau
wegen des vorherrschenden ironischen K ommunikationsstils m öglich ist . D ie
Geschichte funktioniert als authentisc he Geschichte, weil sich ihre Prota-
gonisten im M oment des Erzählens zu ihr noch einmal ironisch gebrochen und
reflektiert in Beziehung setzen; das Er zählen der Geschichte funktioniert als
authentisches Erzählen, weil sich ihre Erzähler im M oment des Erzählens zu
ihm noch einmal ironisch gebrochen und reflektiert in Beziehung setzen.
Im ersten und zweiten Kapitel wurde n achgezeichnet, wie sich in der g e-
pflegten Semantik der Liebe und in ihrer Darstellungspraxis unausweichlich der
Bedarf nach M itteln der Enttrivialisierung und Entbanalisierung einstellt. D ie
Enttrivialisierung der Festlegung von „unserem Lied“ erscheint dann auch in
diesem Beispiel als die sp ezifische Leistung der ironischen Referenz. Im Inte r-
viewmaterial sieht man denselben Effe kt vor allem im ir onischen Bezug auf
romantische Formvorlagen, auf als Klisch ee und Kitsch bezeichnete Vor -
stellungen von der Liebe wieder und wied er auftauchen. In einer Erzählung des
ersten Kontaktes kann er sich aber auch hinsichtlich eines im plizierten V er-
dachts gegenüber Formvorlagen einstellen, die selbst wiederum nicht im Ve r-
dacht stehen, romantisch interpretiert zu werden:
Romantische Ironie 225

I: Und das war gleich am ersten Abend dann Arm in Arm und... A: M hm, genau... B:
War das so? A: Ja, natürlich... B: (lacht) A: ... irgendwie ist das dann gelaufen, aber
das könnte ich jetzt nicht mehr sagen, wie das angefangen hat, gell... B: (lacht) A:
(lacht) B: Naja, ich weiß nur noch, dass plötzlich alle weg waren, und dann sind wir
losgezogen und wollten noch in irgendeine Kneipe, und irge ndwie hab ich es dann...
Also das w ar ja w ahrscheinlich dann doch Schicksal... I: Ja? B: ...da hab ich es dann
völlig... A: (lacht) B: ...verpeilt mit der Zeit und dachte, dass es jetzt schon so spät ist,
dass überhaupt keine Kneipe mehr offen hat. Und dann habe ich halt gesagt: Dann ge-
hen wir halt noch zu m ir... (lacht) A: Ja, genau. B: ...weil ich wollte ja eigentlich fast
dann... (lacht) I: Ach, ok... A: Aber dann bin ich dann eine halbe Stunde später wieder
gegangen. I: Also, es war schon, also es... B: Naja, also ein Stündchen oder so... A: Ja
ein Stündchen... B: (lacht) I: Und es kam die Frage „Gehen wir zu mir“ am ersten
Abend? B: Ja. A: Ja, aber es war, es war schon klar, dass man halt auf ein Bierchen da
hin geht... I: Ach so... B: Ja dir w ar das (lacht) dir war das so klar... A: M ir war das
schon klar, dass ich bloß auf ein Bierchen da hin gehe... B: Ja (lacht) A: (lacht) (P -
J&T, 03:04)

Interessant ist hier, dass die Ironisier ung der Situation zwar von der Erzählung
vorbereitet wird, aber erst im Hinblic k auf ein Publikum – konkret: auf den
ausgesprochenen „Verdacht“ des naiven In terviewers hin, der auf die Klischee-
frage „Gehen wir zu mir oder zu dir“ und des damit assoziierten Skripts anspielt
– konkretisiert wird. Und wieder wird im Kommunikationsverlauf dieses kli-
scheehafte Skript gleichzeitig bestritte n und erfüllt. Er neut w ird die Ironie in
einer Interaktionssequenz am deutlichsten, die hier w iederum über eine insz e-
nierte Rollenaufteilung inszeniert w ird: A, der das Skript erfüllt sehen w ill und
B, die die Relevanz des Skriptes bestre itet. Aber in der Darstellung wird das
Skript eben „nur“ ironisch erfüllt und „nur “ ironisch bestritten. Seine klischee-
haften Implikationen werden präsent gehalten; sie werden gerade über ihre os-
tentative, also auch ironisch überspitz te Zurückweisung indirekt aktualisiert;
ihre Trivialitätszumutungen werden gleichzeitig aber auch entschärft.
Das letzte Beispiel bezog sich auf eine Episode, die vor dem Hintergrund
des M ünchner Oktoberfestes spielte. Aber auch wenn in den Interviews die
Kulissen wechseln, bleibt es bei der Dom inanz eines ironischen Erzählstils. Im
Folgenden taucht er sogar in der Präs entation einer Verlobungsgeschichte auf,
die in Venedig spielt:

B: War natürlich auch brutal romantisch, ja, klar... logisch, wenn man’s dann... für die
war das ja dann die offizielle Verlobung, war für alle, die da mitgefeiert haben dann in
Venedig, sind ja, Jahrtausendwechsel, ist natürlich ein Riesen Pfund, ja... I: Ja... B:
Ja... I: Ja, war es denn romantisch? A: Ja, es war schon nett... B: Die anderen 400 000
Leute, die auf dem Markusplatz standen fanden das auch gut... (lacht)... N ein, es w ar
schon nett, es hat einfach gepasst... (P-S&J, 13:32)

Wieder wird in diesem Fall vor allem ein „romantisches“ Skript ironisiert, das
in der Geschichte aber selbst bedient wird. Erzählt w erden soll die rom antische
226 Rom antische Ironie

Szenerie einer Verlobung, deren gewüns chter privater Charakter – vor dem
Publikum der eigenen Fam ilie und dem Freundeskreis – von ihrer tatsächlichen
Öffentlichkeit – einem Publikum von 400 000 Touristen – konterkariert wird. Es
überrascht jedoch nun nicht mehr, dass auch hier der Ernst der Begebenheit –
ihre individuelle, authentische Romantik, die sich gerade da durch zu erkennen
gibt, dass sie sich zunächst ironisc h als „brutal romantisch“ überzeich nen und
damit von einem romantischen Skript de s Liebespaars in Venedig abgrenzen
lässt – nicht in Zweifel gezogen wird. Es war – ganz authentisch – „nett“. Die
Abschlussformel für diese Erzählsequenz ist das im zweiten Kapitel (vgl. II.4.)
schon analysierte und in den Interviews allgegenwärtige „es hat einfach ge-
passt“.
Der kleine „chronologische“ Durchlauf durch eine fiktive Paargeschichte,
die sich hier unter der Hand aus einer Kombination der verschiedenen Intervi e-
werzählungen ergeben hat, verlässt nun die Szenen der ersten Begegnungen und
ist im A lltag angekom men. D er ironische K ommunikationsstil findet sich nun
auch im Beziehungsalltag w ieder. D er folgende A usschnitt them atisiert die
Rolle der Rom antik im Beziehungsalltag und kontrastiert sie mit einer R oman-
tikvorstellung, die die sehr frühe Phase der Beziehung geprägt hat:

A: Also ich fand es zum Beispiel sehr romantisch, oder das war etwas, das mich be-
eindruckt hat am Anfang der Beziehung: Der B hat mir jeden... Tag... einen Brief ge-
schrieben. Ich glaube, zwei W ochen lang, oder so... I: Tatsächlich? B: ja. A: Mhm,
die habe ich auch aufgehoben. Und das fand ich eigentlich auch schön, das hat mir ge-
fallen. Aber das ist natürlich etwas, das man jetzt nicht mehr macht, also... Wenn man
jetzt einm al ein Zettelchen auf den Tisch legt, hm ... W enn ich wegfahre oder so...
„Viel Spaß. Hab dich lieb.“ Dann ist das für mich schon (lacht) Romantik, sag ich
jetzt mal... (P-S&J, 15:34)

Nicht dass Romantik sich im Verlauf einer Beziehung natürlich in der W ahr-
nehmung der Beteiligten ändern kann, ist hier signifikant. Ebenso w enig stellt
sich eine Situation ein, in der die Ironi e in eine zynische Bewertung der jetzigen
Minimalversion von Romantik, die sich schon allein im Kontrast der anfallen-
den Texte dam als („jeden... Tag... einen Brief“) und heute („einm al ein Zettel-
chen“) zeigen könnte, abzugleiten droht. Der ironische Stil m acht sich daran
fest, dass die Bezeichnung „Rom antik“ als Katechrese eingesetzt wird – und als
solche explizit m arkiert w ird. D ass da nn beide Formen des Schriftverkehrs als
romantisch gedeutet werden können, wird hier im Kontrast lediglich ironisch
gebrochen. Würde man dem ironischen E rzählstil lediglich zuschreiben w ollen,
für eine D istanzierung des Sprechenden verantwortlich zu sein, w äre m an m it
unbeantwortbaren Fragen konfrontiert. Denn wovon sich distanziert werden
sollte, würde vollkom men unklar bleibe n: Die frühere Rom antikvorstellung
etwa? D er „V erlust“, das „Schrum pfen“ der R omantik im A lltag? In dieser
Romantische Ironie 227

Szene könnte keine dieser Fragen mit ei nem Ja beantwortet werden. Die Ironie
würde in diesem Fall in einer Deutung, die der Vorstellung von Ironie bei
Richard Rorty nahe kom mt, als die Präs entation eines Kontingenzbewusstseins
gedeutet werden, das von der Sprecherin in ihrer Rolle als radikale Ironikerin
präsentiert wird – und doch ohne den Effekt, eine der Romantikmodelle, auf die
verwiesen wird, zu relativieren. D er Ernst geht auch hierbei nicht verloren – er
wird lediglich m it einem Zeitindex versehen und gerade durch den ironischen
Kontrast etabliert. Beide Form en des Schriftverkehrs erscheinen somit nicht nur
als der Beziehungsphase angemessen, sondern gerade als einzig mögliche For-
men einer authentischen romantischen Pr axis. Wenn man sich hier noch ein mal
auf eine andere Praxis der Romantik im Alltag – der des monatlichen Schenkens
von Orchideen – zurückbesinnt, kann man er kennen, wie dieser Effekt gerade
durch einen ironischen Stil gezeitigt w erden kann: „Wir haben uns jeden M onat
eine Scheiß O rchidee geschenkt, Schätzchen...A lso beide gegenseitig, dass w ir
dann am Schluss 50 Orchideen dastehen hatten, die wir jetzt kürzlich wegge-
schmissen haben.“ Ironisch w ird w iederum ein rom antisches Skript zitiert, das
gleichwohl in der Vergangenheit bedien t w urde. Im M oment des Interview s
weist sich aber gerade dadurch das Paar als authentisches Paar aus – in der Pra-
xis des Schenkens von Orchideen ebenso wie in der Praxis ihrer anschließen den
Entsorgung.
Das nächste Beispiel zeigt, dass es nicht ausschließlich um ein rom anti-
sches Skript gehen muss:

B: Ja, aber sonst hatten wir vorher schon immer... A: Ja, das hat sich immer so... B:
Unsere... A: Wir hatten immer so unserer Rituale... B: Rituale. A: ...weißt du, wir ha-
ben immer so, äh... B: Sonntags abends Tatort. A: Sonntag abends haben wir immer
Tatort gekuckt... B: Tatort zusam men gekuckt. I: Ah ja. B: J... Pizza dazu bestellt. A:
...und immer Pizza gegessen... I: Das geht jetzt nicht mehr. B: Nein, das geht jetzt
nicht mehr. A: Ne, und da ist es auch so ein bisschen, eigent lich habe ich immer, war
es für mich total wichtig so, das, äh... das Sonntagsritual, und eigentlich bin ich jetzt
derjenige, der das jetzt hier... B: Überhaupt nicht m ehr m acht. A: ...wieder aufgibt
(lacht)... so, ich m ach es eigentlich, ich hab es, ich hab es glaube ich... B: Also ich
mach es im mer noch zu H ause, ich kuck m ir den Tatort... A: W ir haben es sonst halt
auch hier weiter gemacht, so ungefähr, dass wir Tatort gemacht haben... I: Ok. A:
...und dann haben wir gesagt, sag mal, hast du den Tatort gekuckt, und... I: Ah, ok. A:
...weißt du, dass man das fortführt so ungefähr so... I: Und das ist weg? B: Ja. A:
...aber ich hab es eigentlich... Ich hab es zerstört. B: Und das fand ich eigentlich... ein
bisschen schade...A: (lacht) Ja. (P-N&O, 23:08)

Hier ironisiert A den Verlust eines Rituals, indem er ihn betont überspitzt und
theatralisiert: „Ich habe es zerstört.“ W ieder wird damit dem Ritual selbst gera-
de nicht der Ernst abgesprochen: Ganz im Gegenteil wird durch die ironische
Überspitzung das Ritual als für die Bezi ehung zentrales Ritual m arkiert, dessen
228 Rom antische Ironie

„Zerstörung“ einerseits „schade“ ist, aber andererseits der Beziehung nichts


anhaben kann. D ie (m ögliche) T rivialität des gem einsamen A bendrituals vor
dem Fernseher als doing couple wird dam it nachträglich explizit zur Schau
gestellt – ohne ihm seine W ürde zu nehm en. Es verliert seinen Ritualcharakter
und wird zur Besonderheit einer authentischen Beziehung.
Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf die Darstellung einer Begebenheit
während eines gemeinsamen Urlaubs. Es findet sich gerahm t von einer ironisch
gefärbten Erzählung, die den romantisch en Charakter dieses Urlaubs gerade
dadurch kommunikativ etabliert, als er sowohl die vorgängigen Erwartungen an
ihn als auch alle Klischeevorstellunge n eines ro mantischen Urlaubs konterk a-
riert. In der Erzählung funktioniert in di esem Urlaub nichts so, wie es vorgese-
hen war – und gerade deshalb ist es romantisch: Beispielsweise wird eine als
romantisch beworbene Fahrt in einem „Panoramazug“ dadurch zu einer roma n-
tischen Erinnerung, dass sie in dieser Hinsicht eine herbe Enttäuschung hätte
sein müssen („B: Jetzt kommt nämlich das Geschichtenerzählen, was da eigen t-
lich passiert: W o w ir w irklich in den (lacht) Panoramazug eingestiegen sind
und, glaube ich, 70 Prozent der Strecke im Tunnel gefahren sind...“; „A : Ganz
komisch [...], das haben die aber anders gebracht im Fernsehen.“; „B: Wir haben
nicht nur geknutscht.“ [P-C& R2, 07: 58]). W enn m an aber nun argum entieren
könnte, dass ja im Hinblick auf Urlaubser lebnisse gerade der Bruch mit einem
glatten Skript des perfekten romantischen Urlaubs als ein archetypisches Skript
für einen wirklich rom antischen Urlaub funktioniert, kann m an sich hier die
Leistung des ironischen Erzählstil s an einer etwas anders gerichteten Episode
vergegenwärtigen. Erzählt wird von einem Strandspaziergang:

A: ...und dann sind wir an dem Strand ein bi sschen weiter gelaufen, und da waren da
Riesen Felsblöcke. I: Mhm. A: Ja da haben wir gedacht: Geil, da jetzt hoch und dann
sonnen. Super. I: Ok. A: Das war ja alles wunderbar. Bis wir herunter wollten. Dann
hat sich herausgestellt, dass B Höhenangst hat. (09:09)

Dies gliedert sich in die – oben als romantisches Skript verdächtigte – Geschich-
te eines „romantischen Urlaubs mit Hi ndernissen“ ein. Di e Erzählung dieser
Szene, und damit die Erzählung des Urlaubs, endet aber folgendermaßen:

B: Ja. Aber du hast mich ja dann aufgefangen. A: Ja. Das ist natürlich auch Ver-
trauenssache. I: Ok. Und das muss da sein...? B: Sehr heroisch . I: ...in ein einer Be-
ziehung? A: Das ist... (lacht) B: (lacht) Ich wäre bei jedem glaube ich runter, wenn ich
da hätte runterm üssen... (lacht) A: Jetzt kom m, jetzt lass m ich doch in dem Glauben.
(lacht) (09:53)

Hier wird in einer geradezu paradigm atischen Art ein „gesteigertes Kontingenz-
bewusstsein“ ausgestellt, indem die M öglichkeit einer U nterstellung gegenüber
Romantische Ironie 229

seinem Partner als w eiterhin möglicher „Glauben“ inszeniert wird, an dem man
auch noch festhalten kann, wenn ihr vom Partner explizit und glaubhaft wider-
sprochen worden ist. Aber der ironische Erzählstil kom pliziert noch einm al die
Szene. Ironisch entlarvt wird nur die Re de vom „Vertrauen“ als eine katachres-
tische W orthülse, die auf die dargestellte Szene gleichzeitig passt und nicht
passt. Sie etabliert durch diese Unbes timmtheit – in Abgrenzung zu den demg e-
genüber naiven Fragen des Interviewers, der auch in diesem Falle die Erzählung
wieder zu wörtlich nimmt – die Besonderheit dieser speziellen Szene, die ein
integraler Teil der Selbstdarstellung dieses besonderen Paares ist.
Im Kontext der Darstellung von Intimität lässt sich also im Hinblick auf
das Interview material ein deutlicher T rend zu einem ironischen K ommunikati-
onsstil ausm achen. Ironie ist in den Inte rviewtexten om nipräsent. Ihr E insatz
beschränkt sich nicht auf spezifische M omente in den Paargeschichten, konnte
man sie doch in Erzählungen des ersten Blickkontakts bis zu solchen des Bezie-
hungsalltags auftauchen sehen. Ihr Einsatz beschränkt sich auch nicht auf irrel e-
vante Momente in den Erzählungen, erschien sie doch gerade an entscheidenden
Stellen selbst wiederum als das ents cheidende Merkmal. Vor dem Hintergrund
der Argumentation der ersten beiden Kapite l darf dieser Umstand aber für einen
soziologischen Beobachter nicht mehr nur verstörend wirken. W enn die Lie be
ein Problem mit Formvorlagen hat, die sie bedienen und gleichzeitig individua-
lisieren muss, ist die Notwendigkeit ei ner Herstellung von Unbestimmtheitsstel-
len in ihrer Präsentation vor einem Publikum plausibel. Ein ironischer Komm u-
nikationsstil erscheint insofern nicht al s Feind, sondern als Bundesgenosse der
Kommunikation von Intim ität. Er verleiht den Interviewtexten einen starken
Akzent auf ihre ästhetische Dimension, indem er in der Inszenierung von Intimi-
tät und Liebe auf diese Inszenierungsleis tung verweisen kann, ohne sie dadurch
zu desavouieren. Ganz im Gegenteil ents teht erst durch die Ironie der Gegen-
stand als ein authentischer, der auch die Konfrontation mit einem soziologi-
schen Publikum aus hält. Es lässt sich hi er also schon empirisch festhalten, dass
ein ironischer Erzählstil den Ernst der Erzählungen gerade im Kontext von Li e-
be nicht nur nicht bedroht, sondern im Gegenteil geradezu hervorbringt. Nimmt
man das wiederum ernst, ist man versuc ht zu sagen, dass sogar Ernsthaftigkeit
als ein defizitärer Modus der Ironie gedeutet werden könnte – was freilich selbst
im Hinblick auf das interpretierte Material zu stark formuliert wäre. Im nächsten
Abschnitt soll aber der Faden einer Sich tung zeitgenössischer T heorien der
Ironie noch einmal aufgenommen werden und mit Karl Heinz Bohrer eine Var i-
ante vorgestellt werden, die genau dies reklamieren würde.
230 Rom antische Ironie

2.2 Auf der Bühne der Moderne: Die Ironie und ihr Publikum

Einen anderen, vielleicht sogar radikaleren W eg als den im Falle von Luhm ann
und Rorty schon aufgezeigten zur Beschreibung des spezifisch modernen Ph ä-
nomens von ironischen Kommunikations- und Textformen wählt Karl Heinz
Bohrer. Seine These in der Gegenüberstellung von „Sprachen der Ironie“ und
„Sprachen des Ernstes“ (2000) ist zunäch st eine hist orische. Die „ironische
Rede“ ist keine Reaktion auf den Ernst der Aufklärung und dessen Privilegie-
rung eines universalistischen W ahrheitsverständnisses und der Einheit der Ve r-
nunft; der Perspektive der Ideengeschichte und der Analyse des intellektuellen
Diskurses offenbart sich das historische Verhältnis gerade umgekehrt. Für Bo h-
rer ist es der Ernst, der die Ironie – B ohrer denkt hier zunächst auch an die
Frühromantiker und insbesondere an Friedr ich Schlegel – in der M oderne erst
„überwältigen“ m uss: „D er E rnstdiskurs vereinnahm te sozusagen die Ironie
selbst in apologetischer Absicht als ph ilosophisches Theorem!“ (13) Es ist aus
dieser Perspektive also durchaus die Sprache des Ernstes, die den intellektuellen
Diskurs des 19. Jahrhunderts prägt. Sie is t dies aber nur als „Ironiekritik“ und
als „Ironieverfall“ (23), als „aufklärerische Reduktion“ (2005: 291) eines bereits
Ende des 18. Jahrhunderts ausform ulierten und ernstzunehm enden ironischen
Stils.
Der Wert dieser historischen These Bohrers ist an anderen Orten lange und
ausführlich diskutiert worden (vgl. die Aufsätze in Bohrer 2000; Gebhard 2006)
und soll hier nicht noch einmal zum Gegenstand werden. Natürlich lässt sich die
historische These Bohrers auch als ein strategisches Argument begreifen, das
seiner Polemik gegen den Ernst der – „deutschen (und europäischen)“ (2000:
12) – Aufklärung 152 Gewicht verleihen soll 153. Für unseren Zusammenhang ist
es zunächst signifikant, dass es für Bohrer ebenso wie für Rorty plausibel ist, in
seiner K ritik des aufklärerischen Spr achparadigmas genau die K ommunikati-
onsform der Ironie als der Komplexität der M oderne angemessene Alternative
zu bemühen. Noch wichtiger ist aber, dass sich dabei die simple Gegenüberstel-
lung von „Sprachen der Ironie“ und „Sprachen des Ernstes“ selbst als eine
höchst problematische und voraussetzungsre iche historische Konstruktion en t-
puppt. Die binäre Opposition von Ernst auf der einen und Ironie auf der anderen
Seite ist das Produkt einer spezifischen, historisch höchst kontingenten Logik,
deren soziale Durchsetzung selbst sich schon in Form einer Verlustgeschichte
erzählen lässt: „E s entsprach der eudäm onistischen Spielart des G eistes des 18.

152
Aufklärung wird von Bohrer gar als „Reduktion komplexer Phänomene zugunsten einfacher“
(2005: 290) definiert.
153
Bohrers Plädoyer gilt bekanntlich der „Skepsis “ als „undogmatische“, „kritische“ Alternative,
als „ironischer Einwand“ gegen die „Verkürzungen“ der Aufklärung (2005: 283).
Romantische Ironie 231

Jahrhunderts, zwischen ‚Ernst ‘ und ‚Scherz‘ keine Polarität, sondern eine Syn-
thesis zu suchen. Die Polar itätserklärung ist ein eigentümlicher Vorgang, der zu
Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzte.“ (11) Wieder interessiert hier weniger die
historische These selbst als die konzeptu ellen Konsequenzen, die sich aus einer
solchen Perspektive ableiten lassen. Nim mt man sie ernst, so verliert die Oppo-
sition von „Ernst“ und „Ironie“ ihren zunäch st so plausiblen Stellenwert als
gleichsam ontologische Gegebenheit. Beid es, die Sprachen des Ernstes und die
Sprachen der Ironie, sind Sprachen, die erst gesprochen werden müssen. Sie
sind Produkte einer spezifischen Performanz, einer Praxis des Sprechens, deren
Funktion in einem Kontext nicht a priori geklärt werden kann. Es mag ein Kl i-
schee sein, an dieser Stelle auf das Sc hlegelwort von der Ironie, mit der durc h-
aus nicht zu scherzen ist, hinzuweisen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass mit
der Funktionsbestimmung der ironische n Rede als scherzhafte Abweichung von
der „normalen“, ernsten Rede das Thema bei weitem nicht erschöpft ist. Es ist
also auch aus dieser Perspektive das erste Ergebnis der Interpretation der Pa a-
rinterviews, dass der ironischen Form ein eigener „Ernst“ innewohnt, durchaus
plausibel. Wiederum können beide, die Sprachen des Ernstes und die Sprachen
der Ironie, können derart als spezifische Formen de s Sprechens gedeutet wer-
den, die auf ähnliche Bezugsprobleme reagieren und deren Differenz sich nur
als eine Frage des Stils begreifen lässt. E s ist jedoch der Stellenw ert dieses
„nur“, der damit zur Debatte steht. Denn aus dieser Perspektive erfährt die
Aufmerksamkeit gegenüber den spezifi schen Ausprägungen des kommunikati-
ven Stils, den spezifischen Sprechform en und deren spezifischer Funktionalität
eine andere Gewichtung.
Man mag Bohrers Argum ent dabei durchaus für selbstreferentiell halten:
Nur aus einer ironischen Perspektive können sowohl die Sprachen der Ironie als
auch die Sprachen des Ernstes als – glei chwohl ernstzunehmende – Stilphäno-
mene dechiffriert w erden; nur aus einer ironischen Perspektive kann ihr U nter-
schied als ein U nterschied des Stils gedeutet w erden, der nicht, w ie es einer
ernsten Perspektive einfallen w ürde, di e Ironie allein als stilistisches Supple-
ment des „normalen“ Diskurses wertet . Bohrer zumindest würde diesen Ei n-
wand bejahen und als eigentliche Stärke seiner ironischen Perspektive deuten.
Gegen den von ihm als solchen identifizierten aufklärerischen Ernstdiskurs
macht Bohrer die Schlegelsche Einsicht geltend, dass „eine W ahrheit überhaupt
nicht außerhalb der Sprache existiert, da ß eine solche absolut sprachinterne
Wahrheit folglich im mer nur nach dem jew eils höchst zufälligen des sem an-
tisch-metaphorischen Ausdrucksvermögens“ hervortrete (14). Die Parallelen zur
Argumentation Rortys sind sofort augenfäl lig. Den Sprachen des Ernstes wird
die Sprache der Ironie gegenübergestellt als ein spezifisches V erständnis der
Wahrheit; einer Art der Kommunikation von Wahrheit wird eine andere A rt der
232 Rom antische Ironie

Kommunikation der Wahrheit gegenübergestellt, die die Vorstellung davon, was


Wahrheit sein m ag, jedoch erheblich m odifiziert. Bohrer selbst ist freilich L ite-
raturwissenschaftler und betont das ästhetische Moment dieser Vorstellung. Die
Implikationen einer W ende zur Ästhetik gewinnt Bohrer dabei aus einer gena u-
en Lektüre der Schriften Schlegels. 154 Erstens bringt die Konzentration auf
Stilphänomene – Bohrer spricht in di esem Zusammenhang von der „semanti-
schen Autonomie (des) einzelnen W ort(es)“, die im Anschluss an Schlegel
„mehr ihrem selbstreferentiellen A usdruck statt seiner selbstreferentiellen B e-
zeichnisfunktion“ gilt (15) – ein verändert es Verhältnis nicht nur zum Sprecher
und seinen Sinnintentionen mit sich, sondern ausdrücklich auch zum Publikum
ironischer Rede. Dass die frühromantisch e Ironietheorie eine Verteidigung der
Rhetorik beinhaltet und Schlegel an vers chiedenen Stellen einen „neuen Leser“
für seine Texte imaginiert, ist bekannt.155 Diese Forderung beinhaltet aber zwei-
tens einen V erweis auf den O riginalitätsdruck von ironischer Rede, die dam it
einhergeht.156 Zustimmend zitiert Bohrer die Schlegelsche Forderung, dass man
sich „immer neu, und womöglich paradox aus[...]drücken“ (14) möge, und weist
zurecht darauf hin, dass sich hinter di eser Forderung eine theoretische Verall-
gemeinerung einer Sprechsituation verste ckt, die mit den Anforderungen eines
Interaktionskontextes rechnet. Schließlic h darf diese Dimension der ironischen
Entdeckung des Publikum s drittens nicht mit einer Forderung nach einer
schlichten „Publikumswirksamkeit“ ode r nach „Verständlichkeit“ verwechselt
werden.157 Es ist gerade die „Unverständlichkeit“, die das Eigentümliche der
Ironie darstellt. U nd es ist gerade diese „U nverständlichkeit“, die in der aktue l-
len linguistischen und literaturw issenschaftlichen D iskussion über die konzep-
tuelle R olle der Ironie eine herausrage nde R olle spielt; es ist die „U nverständ-
lichkeit“, die in dieser Arbeit schon im Zusammenhang mit dem „unbe -
zweifelbaren Verwirrungsrecht“ der Paargeschichten und in gewisser W eise
auch im Bedeutungshof der „Unbestimmtheit“ aufgetaucht ist. Hier soll es j e-
doch bei einem Hinweis auf die Stoßric htung der W ende zur Ästhetik in Hin-

154
Verzichtet wird auf eine Diskussion der Selbstreferentialität der Ironietheoreme und der dazu-
gehörigen Sprachtheorien, auf den Hinweis auf den performativen Charakter von Theorien der
Ironien, die ihren Gegenstand ständig auch her vorbringen müssen – also im besten Sinne iro-
nisch daherkommen sollen – und auf die lange Debatte über die „Unverständlichkeit“ der Ironie
(vgl. Schumacher 2000).
155
Vgl. ausführlich Behler (1972); die Debatte darüber, ob Schlegel seinen Leser denn auch gefun-
den habe, ist endlos.
156
Hergeleitet wird dieser Originalitätsdruck a llerdings aus der Notwendigkeit, W ahrheit in einer
Sprache, und das heißt: stilgebunden zu formulieren. Der Stilbegriff impliziert natürlich wieder
die enge Verknüpfung der Originalität von Wahrheitsbekundungen und der Individualität ihrer
Sprecher (vgl. Frank 1993).
157
In diese Richtung argumentiert Rorty mit seiner rhetorischen Befürwortung der „überredenden“
„Neubeschreibung“.
Romantische Ironie 233

blick auf die Funktionalität von m etaphorischen, unverständlichen und „m ysti-


schen“ Dimensionen ironischer Rede belassen werden. Ohne Zweifel scheint es
aber ein Ergebnis der von Bohrer wieder aufgegriffenen frühromantischen Dis-
kussion um den Begriff der Ironie zu sein, dass es der ironischen Rede – nicht
trotz, sondern wegen ihrer „Unverständlichkeit“ – gelingen mag, eine „W ahr-
heit“ auszusprechen, die sich einem rationalistischen Sprachverständnis gerade
verschließen muss.
Es ist mehrfach von einer W ende zur Ästhetik die Rede gewesen. Rorty,
der liberale Philosoph, hatte die Literatu r als Domäne der privaten Ironie der
öffentlichen Hoffnung zur Seite gestellt, m it deren H ilfe die liberale Ironikerin
befähigt wird, ihr Bedürfnis nach m etaphysischer Letztbegründung gleichzeitig
zu kritisieren und zu neutralisieren. Bohr er, der Literaturw issenschaftler, hat
wiederholt darauf hingewiesen, dass der deutsche Frühidealismus dahingehend
keinerlei Belehrungen von Seiten eines postmodernen Denkansatzes mehr Be-
darf (vgl. 2000: 11, 27). Ein Blick auf di e Geschichte der Ästhetik im Sinne
philosophischer Theorien der Kunst ( vgl. Plumpe 1993) verm ittelt wohl durc h-
aus ein anderes Bild als eine philosophi egeschichtliche Perspektive, die die
Entwicklung der modernen Philosophie als eine Verfallsgeschichte in Richtung
einer reduktionistischen Zuspitzung auf er kenntnistheoretische Fragen deutet
(vgl. Rorty 2003; kritisch hierzu Neim an 2006). Interessant ist jedoch, dass in
beiden Fällen die Literatur als Supplemen t, wenn nicht sogar als Alternative zu
einem aufklärerischen Diskurs ange boten wird. Für den Diskussionszu-
sammenhang dieser Arbeit ist dabei schon im ersten Kapitel (vgl. I.1.3) auf die
Konsequenzen hingewiesen worden, die sich daraus ergeben, dass es historisch
weniger „sachliche“ R atgeberliteratur als vielm ehr T exte aus dem Feld der
Kunst sind, die sich für die Ausdi fferenzierung intim er Kom munikation als
Stichwortgeber angeboten haben. Die Vermutung der W ende zur Ästhetik, wie
wir sie hier beobachten konnten, ist, dass sie die Bearbeitung eines Problems
ermöglicht, an dem die Form des aufkläre rischen Diskurses gerade zu scheitern
drohte. Und in der Tat hat sich auch im Hinblick auf den ironischen Stil der
Darstellung von Intim ität ihre Ostentation des ästhetischen Charakters der Dar -
stellung selbst als das entscheidende Merkmal erwiesen.
Noch wichtiger als die Rolle des P ublikums, die bei Bohrers Behandlung
des Ironiediskurses in den B lick geraten ist, ist B ohrer selbst allerdings die a n-
dere Seite der ironischen Interaktionss ituation: die Position des A utors ironi-
scher Rede. Es ist die Entdeckung der „Selbstbezogenheit“ (15) der Sprache, die
er als wichtigsten Gewinn der frühromantischen Ironietheorie identifiziert; es ist
aber die gleiche Bew egung, in der die W ichtigkeit der Sprachform en, des Stils
der Äußerungen gegenüber ihrer bloß referentiellen Bezeichnungsfunktion her-
vorgehoben wird, in der auch die Rolle des Sprechers eine neue Betonung er-
234 Rom antische Ironie

hält. In der Sprache des 18. Jahrhunde rts konnte das noch als Subjektivismus
kritisiert werden – und Schlegel kokettiert gerade damit. In Bohrers Rekonstruk-
tion des Ironiediskurses verweist das auf eine ähnliche Beobachtung: es ist die
Individualität des Stils, die hier w ichtig wird. Die skeptische Position, die B oh-
rer interessiert, ist eine Position, di e „untrennbar ist von der sprachlichen Form,
in der sie vorgetragen wird“ (2005: 287); sie ist somit mit dem individuellen Stil
eines Sprechers verwoben, der immer mehr zu sagen vermag als seine Äußerun-
gen inhaltlich bedeuten, der auf m ehr zu verw eisen vermag als seine W orte zu
referieren im Stande sind. Es ist hier nicht mehr verwunderlich, dass diese Ar -
gumentation Bohrers gerade im Rahmen eines Ironiediskurses durchgespielt
werden kann; das „ironische Stilbew usstsein“ ist gleichzeitig „subjektivistisch -
selbstbezüglich“ (21) und durch den Überschuss an Verweisen im „ironischen
Spiel mit dem Leser“ (21) immer auch auf die Individualität des A utors verwie-
sen – Rede, dass ich dich sehe!158 Es sollte hervorgehoben w erden, dass Bohrer
(ganz wie Rorty und, wie noch gezeigt werd en soll, Judith Butler) dies als ein
Grundcharakteristikum jeglicher Sprac hhandlung deuten würde – der Ironiedis-
kurs ist lediglich diejenige philosophisc he Haltung, die diesen Umstand auch
bedingungslos akzeptiert und explizit formu liert hat. Das mag zutreffend sein
oder nicht. Abschließend ist hier aber die Vermutung angebracht, dass es nicht
zufällig die Iro nie ist, die an diesen Stellen der zeitgenössischen T heoriedebat-
ten auch konzeptuell in den V ordergrund rückt. D ie Plausibilität dieser A rgu-
mentation und des Rekurses auf Ironie sc hon bei den Frühromantikern mag sich
aus empirischen Beobachtungen der spezifischen Leistung von ironischer
Kommunikation (in Interaktionen) gesp eist haben. Dass die Kommunikation
von Individualität – gem eint ist die explizite Kom munikation – kein einfaches
Unterfangen ist, ist früh bem erkt worden. M an hat sie sogar als inkom munika-
bel (vgl. Luhmann 1982: 153-161) bezeic hnet – und das zweite Kapitel dieser
Arbeit ist empirisch diesem Verdacht nac hgegangen. In diesem Kapitel hat sich
wieder gezeigt, dass Individualität nur praktisch vorgeführt w erden kann und
sich dabei gerade die Ironie als per formative Explikation einer Im plikation a n-
bietet, deren Inhalt wiederum im Unklaren gelassen werden mag.

3. Ironische Sprechweisen als verfremdende Wiederholung

Im Folgenden soll der in den Interviews beobachtete omnipräsente ironische


Kommunikationsstil noch einmal in einem Zusammenhang verortet werden, der

158
Bohrer zitiert hier meines W issens Hamann (2000: 20) und Buffon: „Der Styl ist der Mensch
selbst ganz und gar“ (20). Vgl. dazu auch Schumacher (2000).
Romantische Ironie 235

diese Arbeit wie ein Leitfaden durchzieh t. Das problematische Verhältnis von
Original und K opie, das problem atische Zitieren von Form vorlagen, die pro b-
lematische W iederholung – ohne ein beso nderes Augenmerk auf diesen Kom-
plex, so wurde argumentiert, lässt sich eine soziologische Analyse der Inti m-
kommunikation kaum in Angriff nehmen . W enn dabei mit Judith Butler noch
eine w eitere gew ichtige T heoretikerin zu W ort kom men soll, für deren A rgu-
mentation der Verweis auf die (möglic he) Wirkmächtigkeit Ironie un abdingbar
ist, so geht es dabei nicht mehr lediglich darum, dem Ernst der Ironie noch mehr
Nachdruck zu verleihen. N irgends w ird jedoch deutlicher als bei B utler, dass
man es mit einem schier unaus weichlichen Zusammenhang zwischen der Ironie
und den hier interessierenden Problemkonstellationen zu tun hat.

3.1 Weiblichkeit und Männlichkeit: Die ewige Ironie des Gemeinwesens?

Man kann den Eindruck haben, dass in der hier geleisteten Interpretation des
ironischen Kommunikationsstils der Ironi e etwas zuviel zugem utet wird. Wenn
nun in den „ironischen Geschichten“ dies es Kapitels (vgl. 2.1) deutlich gewo r-
den ist, dass diese Zum utung keine W illkür des soziologischen Beobachters ist,
sondern von der Dynamik der Darstel lung se lbst impliziert wird, mag es im
Rahmen der folgenden Überlegungen zun ächst wie eine unzumutbare Kluft
erscheinen, die die Leistungen des ironi schen Kommunikationsstils in den Paa-
rinterviews von den Leistungen trennt, die der Ironie und der Parodie in der
butlerschen Theorie der Performativität zugeschrieben werden. Hier soll aber
argumentiert w erden, dass sich beide Ironiephänom ene gegenseitig erhellen
können.
Wenn auch die eigentümliche „Geschl echterblindheit“, die sich in dieser
Arbeit im Zusammenspiel zwischen der Semantik der Liebe, den Paarinterviews
selbst und in der M ethode ihrer Interpre tation schon angedeutet hat, erst im
Schlusskapitel adressiert w ird, sollen hi er als B eispiel Interview ausschnitte
dienen, in denen sich die Selbstdarste llung der Paare ironisch auf Geschlechter-
rollen und -normen bezieht. Das erste Be ispiel, das unter anderen Gesichtpun k-
ten schon analysiert wurde (vgl. Kapitel II. 1.1), bezieht sich auf die Praxis der
Resignifizierung einer „romantischen“ Formvorlage:

A: ...ja, hat dann, hat dann da, das so abgeände rt, hat dann da, wo die Nam en standen,
hat er das so... B: Es war ja natürlich auch ein, mh, ein M ann und eine Frau, um die es
da ging... A: ...weg gestrichen, und hat dann da unsere Namen so eingesetzt, und hat
mir das geschickt und... (lacht) B: Jaja. I: Super. B: Ja ich fand das unheimlich witzig.
Und das war jetzt nicht, ich musste nicht viele Ände rungen vornehmen, es war
236 Rom antische Ironie

schon... A: Nee, stimmt, stimmt, stimmt ja. B: Es war schon irgendwie, wo man sagt:
Das kann doch jetzt gar nicht sein. A: Ja... B: Gott, was bin ich rom antisch, kannst
mal sehen. Ist mir selber gar nicht bewusst. (lacht) (P-K&P2, 01:27)

Im strengen Sinne ironisch ist zunächst nur der letzte Satz. Hier präsentiert sich
der Sprecher als romantisch, indem er es explizit übertreibt. Schon allein in
seinem Lachen wird angedeutet, dass die Selbstbeschreibung als Romantiker
nicht vollkom men ernst verstan den w erden w ill, w ährend gleichzeitig im V er-
lauf der Erzählung deutlich w ird, dass es gerade die Ü berraschung über das
eigene „romantische“ Verhalten ist, da s den Erzähler als authentischen Roman-
tiker installiert. W ieder offenbart sich die Dialektik des ironischen E rzählstils –
und sie lässt dann auch rückblickend die zuvor erzählte Geschichte in einem
anderen Licht erscheinen. Im zweiten Ka pitel (vgl. II.1.1) wurde argum entiert,
dass eine solche Geschichte durchaus als Resignifizierungspraxis im Sinne
Butlers gedeutet werden kann. Die heterosexuelle Form vorlage wird hier von
einem homosexuellen Paar überschrieben. Sie wird alleine schon von der er-
zählten Praxis des Paares parodiert und ironisiert – sogar in dem genauen Sinne,
dass sie gleichzeitig fast originalgetr eu („ich m usste nicht viele Ä nderungen
vornehmen“) bedient wird und dabei ei ne andere Bedeutung annimmt, als mit
ihr ursprünglich intendiert war. Ab er die Um kehrung von Geschlechterver-
hältnissen w ird hier gar nicht als zentrales M oment des ironischen E rzählstils
etabliert. Ironischerweise neutralisiert di e Ironie des letzten Satzes gewisserm a-
ßen die Möglichkeiten, die in der erzählten Zitierpraxis im Sinne einer subversi-
ven Parodie oder Ironisierung des Original s angelegt gewesen wären. W as zent-
ral wird, ist die mögliche Romantik der Szene – und es ist bezeichnend, das
unbestimmt gelassen wird, welcher Szene: der Szene, die sich mit dem Zei-
tungsartikel abgleichen ließ, oder die Szen e, in der dieser Abgleich selbst vo r-
genommen wurde. Bezeichnend ist zudem, dass selbst hier die Geschlechterver-
hältnisse zwar explizit thematisiert werden, aber nicht als eigenständiges Thema
präsent gehalten werden.
Letzteres ist für das Interview material in erstaunlichem M aße eine durch-
gängige K onstante. W enn G eschlechterverhältnisse them atisiert w erden, dann
überwiegt ein ironischer Bezug auf unterstellte Geschlechterrollen und -normen.

B: Dann aber zum Beispiel in dem Gespräch, was wir dann hatten, ich war irgendwie
total erleichtert, dass er es nic ht nur doof fand und nicht nur „Kindergarten“, „Mäd-
chenrumgezicke“, was es ja eigentlich schon auch war, aber... (P-H&C, 28:08)

Wenn in diesem Beispiel ironisch das eigene Verhalten als „M ädchenrumgezi-


cke“ beschrieben w ird, ist das deutlic h eine Form uneigentlichen Sprechens,
auch w enn „es ja eigentlich schon auch“ zutreffen m ag. Stärker noch als die
Romantische Ironie 237

eigene R olle, der unterstellt w ird, dass sie im R ahmen eines klischeehaften
Geschlechterverständnisses interpretiert werden könnte, wird aber hier die Rolle
des männlichen Gegenparts zum Focus der Erzählung. Dem wird wiederum
unterstellt, dass er eine solche Interp retation hätte anstellen können. Ironisiert
wird dabei genau genom men also gar nicht das eigene Verhalten (als „Frau“),
sondern das mögliche Verhalten des zukünftigen Partners (als „M ann“). Seine
Individualität offenbart sich dann in dieser Erzählung als Ablehnung dieser
Möglichkeit. Wieder ist in diesem Fall die Ironie die Form, durch die eine Epi-
sode eingeleitet wird, die im Anschluss explizit als „Ernstfall“ bezeichnet wird.
Auch in den nächsten beiden Beispielen wird auf die m ögliche Erfüllung
eines Skriptes angespielt, das sich auf die Roll enverteilung anhand von Ge-
schlechterzuschreibungen be zieht – auch hier ironisch. Zunächst spielt A „ex-
plizit“ die klischeehafte Rolle der Preziösen:

A: Also ich wollte mich halt so ganz explizit ein bisschen eher erobern lassen, sagen
wir es einmal so... I: Aha. B: Naja, wobei... So lange hat es dann auch nicht ge-
braucht... A: Ich hab mich jetzt, ich war schon willig... (lacht) B: (lacht) (P -J&T,
09:30)

Und unter diesem Gesichtspunkt der Ironi sierung der Geschlechterverhältnisse


darf hier noch einmal an ein Interviews telle erinnert werden, deren ironischer
Stil in diesem Kapitel schon einmal unter die Lupe genommen wurde (vgl. 2.1):

I: Ihr wart dann nach diesem... A: Nach diesem Gespräch, ja... B: Dann waren wir...
A: ...das sie wollte. B: Jaja, ok, dann war nicht irgendso... E-M ail, keine Ahnung, hin
und her, und dann haben wir uns glaube ich am Abend noch gesehen und dann... Dann
waren wir, also es war dann schon so klar: Ok... I: Ok. B: ... „er geht das Risiko ein“,
oder ja... W as weiß ich. (lacht) A: Es ist quasi w ie im Kindergarten, quasi... „So, wir
sind jetzt zusammen.“ B: Ja, es war eigentlich... Also es war jetzt nicht so... I: Ja? Es
war eher ziemlich kompliziert. (lacht) (P-M&M2, 07:15)

In beiden Fällen wird das Spielen oder die Unterstellung des Spielens einer
geschlechtsspezifischen Rolle in der Erzählung als uneigentlich präsentiert.
Dazu bedarf es der Ironie. In dem hier für diese Studie erhobenen Interviewm a-
terial ist dann auch der explizite Bezug auf m ögliche Geschlechterrollen fast
ausschließlich von einem ironischen Stil geprägt. D er klare und eindeutige
Verweis auf „geschlechtstypisches“ Verhalten scheint für die Erzählungen keine
Probleme zu lösen – im Gegenteil würde er vielmehr Eindeutigkeiten schaf fen,
die der schon analysierten Herstellung von Unbestimmtheit im W ege stehen
würde. Die Ironie schafft es, diese ambiguity failures auch in diesem spezifi-
schen Falle zu vermeiden.
238 Rom antische Ironie

Besinnt man sich noch einm al auf die kurze Darstellung der Ironiekonze p-
tion R ortys zurück, fällt ein eigentüm licher U mstand ins A uge. Seine K unstfi-
gur, die radikale Ironikerin, die als Pe rsonifikation seines Konzeptes der Ironie
dient, ist selbst explizit geschlechtlich bestimmt. Die Ironie – so scheint es – hat
bei Rorty weibliche Züge. Obwohl es von Ro rty selbst nirgends expliziert wird ,
scheint dies weder ein Zugeständnis an das Vokabular eines politisch korrekten
akademischen Umfelds noch ein verkappter Sexismus zu sein, sondern schlicht
und einfach eine A nspielung auf H egel. Dieser hatte bekanntlich die W eiblich-
keit als „ewige Ironie des Gemeinwesens“ (1979, Bd.1: 259) definiert. Gemeint
war dam it ein Prinzip, das dem (m ännlichen) Gem einwesen (des Staates)
gleichzeitig „wesentlich“ ist und von ihm „unterdrückt“ wird als sein „inner[er]
Feind“: „Diese – die ewige Ironie des Gemeinwesens – verändert durch die
Intrigue den allgemeinen Zweck der Re gierung in einen Privatzweck, verwan-
delt ihre allgemeine Tätigkeit in ein Werk dieses besti mmten Individuums und
verkehrt das allgemeine Eigentum des St aats zu einem Besitz und Putz der Fa-
milie.“ (ebd.) M an darf verm uten, dass es vor allem die Konnotation m it dem
Privaten ist, die Rorty in dieser Ansp ielung im Auge hat, kontrastiert er doch
explizit seine V ersion der privaten Ironi e m it einer öffentlichen liberalen Hof-
fung. Ironischerweise taucht aber w iederum in dieser H egelschen Definition ein
Moment (vgl. dazu auch Purtschert 2006: 107 ff.) auf, das der Funktion der
Ironie in den Interview ausschnitten ähnelt: A uch in ihnen sabotiert die Ironie
ein Allgemeines und verwandelt es in ei n höchst Individuelles. Sie verweigert
sich aber gerade einer geschlechtlichen Bestimmung. Im nächsten Abschnitt soll
sich noch einmal einem theoretischen Projekt zugewendet werden, das die Frage
nach der Ironie und die Frage nach der problem atischen Position eines ge-
schlechtlich (un)bestimmten Sprechers Seite an Seite stellt.

3.2 Wer spricht? Die (Identitäts-)Politik der Wiederholung

Wer spricht? Dies scheint mithin die Frage zu sein, die in den bisher skizzierten
Ironiediskursen mehr und mehr ins Zentru m rückt. Es ist eine Frage nach dem
performativen Überschuss an individualisierter Be deutung, auf die diese Dis-
kurse stoßen; und es ist, so wurde argum entiert, eine W ende zur Ästhetik, eine
Aufmerksamkeitsverschiebung in Rich tung von Stilphänomenen und insbeson-
dere der Figur ironischer Rede, die di ese Frage heraufbeschwört und als argu-
mentatives Supplement begleitet. Diesem Zusammenhang soll sich nun in einem
dritten und letzten A nlauf m it H ilfe einer w eiteren zeitgenössischen Ironie -
theorie genähert werden, dessen Ausgangsprämissen nicht weiter entfernt von
Rortys Neopragmatismus und Bohrers kons ervativer Entschärfungen des Ernst-
Romantische Ironie 239

diskurses sein könnten, dessen Argumentati onsrichtung aber doch eine ähnliche
Wendung nimmt. Die Rede ist noch einm al von der Bewegung, die unter dem
Label Queer Theory in den neunziger Jahren der Kulturwissenschaften der
anglo-amerikanischen Akademielandschaft ihren Stempel aufprägen konnte und
deren Nachwirkungen heute auch zuminde st an den Rändern der deutsc hen
Literatur- und Sozialwissenschaften zu s püren sind (vgl. auch Kapitel I.5.2).
„Queer“, so behauptet Eve Kosofsky Sedgwick an exponierter Stelle eines
Queer-Theory-Readers (in W arner 1993: 9), „‚Queer‘ can signify only when
attached to the first person.“ 159 Diese eigentümliche Verknüpfung der Bedeu-
tung eines W ortes, ja der M öglichkeit se iner Signifikation überhaupt, mit der
Position des Sprechers mag zunächst im Kontext eines theoretischen (und politi-
schen) Projekts, das seine theoretisch en Inspirationen und sein konzeptuelles
Werkzeug laut eigener Auskunft vor allem aus dem „Subjekt“-kritischen Lager
der französischen Poststrukturalisten bezi eht, eher befremdlich erscheinen. Im
Folgenden soll allerdings argum entiert w erden, dass es gerade die in diesem
Kapitel schon in anderem Zusammenhang erörterten M otive des Ironiediskurses
sind, die diesen Fokus auf die Rolle de s Sprechers – auf seine Individualität und
seine Identität – nicht nur erlauben, s ondern geradezu erzw ingen. Zur Rekon-
struktion dieser Logik muss m an nicht erst auf den identitätspolitischen
Mainstream der Cultural Studies verweisen. W ir werfen daher wieder einen
Blick auf die – durchaus als identitätskritisches U nterfangen ausgeflaggte –
Argumentation Judith Butlers, deren Theorie der Perform ativität sich nicht zu-
fällig an der Figur der Ironie, der Parodie und, spezifischer, des camp abarbeitet.
Es sind der Queer Theory – nicht nur, aber insbesondere in ihrer konstru k-
tivistischen Version –, für die hier J udith Butler metonymisch einstehen muss,
häufig zwei Kritikpunkte entgegengehalten worden. Ersterer hat mit der hier
schön des Öfteren angeklungenen Ver wendung des Konzepts der Performativi-
tät zu tun. Kritisiert wird die butlersche Konzeption von gender as drag, die mit
anti-essentialistischem Im petus die Idee einer natürlichen G eschlechtsidentität
untergraben w ill; statt dessen etabliert sie eine konstruktivistische V orstellung
von Gender, in der in letzter Instanz je gliche Form von Identität als eine Form
der Parodie nach dem M odell von Drag-Performanzen konzipiert werden muss.
Das für Butler so zentrale Konzept der parodistischen Verfrem dung, von der
quer liegenden Kopie einer Kopie, deren Original abhanden gekommen ist, wird
zum M odell von Identität schlechthin : G eschlecht – und dam it: Identität
schlechthin – wird unter Butlers Händen zu einer Kategorie der performance.
Mann oder Frau – und damit: ein Subjekt – ist man nicht einfach; es ist die Posi-
tionierung als Mann oder Frau – und wieder: als Subjekt – die als performativer
159
Zusätzliche Bedeutung erhält dieses Zitat zudem durch den Umstand, dass es der einzigen auf
deutsch erhältlichen Textsammlung zum Thema (Kraß 2003: 7) als Motto vorangestellt ist.
240 Rom antische Ironie

Effekt eines kom plexen Geflechts von diskursiven, verm achteten und politi-
schen Praktiken begriffen werden soll. Der Kritikpunkt bezieht sich auf das, was
oft als ein Missverständnis beschrieben worden ist und sich trotzdem hartnäckig
hält, dabei aber so zentral zu sein sc heint, dass B utler selbst ihrem „G ender
Trouble“ (1990) ein „Bodies That M atter“ (1993) folgen lässt, dessen Aufgabe
es sein soll, eben jenes M issverständnis zu klären und aus dem W eg zu räumen:
das Missverständnis, dass es sich bei der von Butler gemeinten Performativität
um eine rein ästhetische K ategorie ha ndelt, einer Kategorie des Theaters, der
reinen performance, der Darstellung, Inszenierung oder Aufführung von Identi-
tät. Denn wer wollte bestreiten, dass man seine Identität nicht – und das sind die
in diesem Zusammenhang üblichen Verg leiche – wie ein Kleidungsstück oder
ein Theaterkostüm überziehen oder w echseln könnte? D er zw eite K ritikpunkt
liest sich dann nur noch wie eine bloße Ergänzung des ersten: Wenn die Katego-
rien der Identität als voluntaristisch – de nn nichts anderes im pliziere die R ede
von der Performativität – aufgefasst werden, wie wäre dann überhaupt so etwas
wie Identitätspolitik möglich? Wie ließen sich derart denaturalisierte Identitäten
zu einem politischen Projekt bündeln? W ie könnte die perform ati-
vitätstheoretische D ekonstruktion der Iden tität nicht gleichzeitig auch eine D e-
struktion jeglicher Politik, ja jeder M öglichkeit von Kritik nach sich ziehen?
Wie könnte es mit den Prämissen einer anti-essentialistischen, konstruktivisti-
schen Theorie überhaupt noch einen signifikanten Unterschied machen, wer da
spricht?
Es ist oft aus dem Queer-Theory-affinen Lager argumentiert worden, dass
es sich bei diesen Kritikpunkten um Missverständnisse handelt; dass sich Butler
gegen diese M issverständnisse hinreiche nd verteidigt und sie geklärt hat; dass
die Theorie der Perform ativität der Frage nach der Identität von Sprechern und
der Möglichkeit ihrer politischen A rtikulation einen angem essenen Platz einzu-
räumen vermag. Die in dieser Arbeit ve rtretene Perspektive legt demgegenüber
eine andere Interpretation der Logik de s Arguments nahe: Nicht trotz, sondern
genau wegen des K onzepts der Perform ativität w ird es w ichtig, w er spricht .
Nicht trotz, sondern wegen des Konzepts der Perform ativität gerät die Position
des Sprechers in den Blick. Im Zusammenhang mit der Kunstfigur der radikalen
Ironikerin Rortys und ihrer Kritik von Benn M ichaels wurde diese Perspektive
schon einmal durchexerziert. Aber ge rade nach der Auswertung des Inter-
viewmaterials, in der sich als B ezugsproblem die Individualität – nicht des ein-
zelnen Sprechers, sondern des Paares und seiner Geschichte – herauskristalli-
siert hat, das offenbar nur performativ zu bearbeiten war, mag diese Perspektive
dann zumindest empirisch nicht mehr überraschen.
Die zentrale sprachtheoretische Prämisse des butlerschen Unternehmens ist
zunächst das, was man jenseits aller sp ezifischen Theoriejargons simpel als die
Romantische Ironie 241

prinzipielle „O ffenheit“ des Zeichens identifizieren könnte: „D as Identitätszei-


chen, das ich benutze, erfüllt zw ar heute seine Z wecke, aber es ist unm öglich
vorherzusagen oder zu kontrollieren, für w elche politischen Ziele es in Zukunft
wird herhalten müssen. Und vielleicht ist das eine Offenheit, die – so riskant sie
auch ist – aus politischen Gründen geschützt werden sollte.“160 Was hier im Ton
eines politischen A ppells eingeforde rt w ird, ist gleichzeitig in dekon-
struktivistischer M anier die Grundvorau ssetzung des Funktionierens von Spr a-
che überhaupt. W arum aber diese Insist enz auf die Unbestimmtheit, die Offen-
heit und die U nkontrollierbarkeit der Bezeichnungsfunktion von Sprache? A uf
dem Spiel steht hier die Idee der Repräsentation selbst. Denn was „das Ident i-
tätszeichen“ – und in logischer Konsequenz daraus „Kategorien“ (in Kraß 2003:
151), „Beschreibungen“ (148), „Diskurse “ (145) und „Zeichen“ (153) – per
definitionem nicht angemessen repräsentieren können, ist genau der „Übe r-
schuss“ (161), um den es hier geht: Jede „Behauptung, ich sei etw as (...) setzt
voraus, daß das ‚Ich‘ über seine Besti mmung hinausgeht, daß es diesen Übe r-
schuß in dem und durch den Akt, der das semantische Feld des ‚Ich ‘ auszu-
schöpfen versucht, sogar selbst produziert .“ (147) Eb en hier kommt der genaue
butlersche Terminus der „Per formativität“ und der „Perfo rmanz“ ins Spiel. Ihre
„Theorie der Performativität“ ist eine „Theorie der Praxis“; die bedeutungsoff e-
nen Zeichen müssen ständig in einer unausweichlichen Praxis „wiederholt“ (vgl.
151) w erden. D ie prinzipielle Instabilitä t und O ffenheit der Zeichen garantiert
gleichzeitig diesen praktischen „W iederholungszwang“ (161) – keine Bezeich-
nung ohne die praktische Performance ei nes Bezeichnungsspiels – wie diese
Wiederholung „paradoxerweise“ die „Instabilität derselben Kategorie, die durch
die W iederholung konstituiert w ird, erst herstellt“ (151) – keine W iederholung
ohne einen Überschuss. Butler spart hier nicht an thespischem und ästhetischem
Vokabular, um diesen Effekt zu plau sibilisieren: D ie W iederholung ist eine
„notwendige Travestie“ (151) und „parodi stische W iederholung“ (159), sie ist
eine „‚katachrestische‘ Operation“ (148) und „M imesis“ (163). W ichtig wird,
was nicht gesagt werden kann. W ichtig wird, was „darüber hinaus“ gesagt wird.
Wichtig w ird, w as nicht repräsentiert, sondern nur dargestellt w erden kann.
Wichtig wird die E xplikation der Im plikation. W ichtig wird die „uneigentliche
Verwendung“ (148) eines Zeichens – und dam it im Sinne dieser A rbeit: die
Ironie (vgl. dazu auch Braidotti 1994: 5 ff.; Villa 2006: 149 f.).
Es ist oft angem erkt w orden, dass B utlers T heorie der Perform ativität im
Prinzip nur den ästhetischen Forma lismus Derridas, wie man ihn etwa Signatur.

160
So Butler in Kraß (2003: 153). Ich führe das Argument im Folgenden nur ansatzweise am
Beispiel von Butlers „Imitation und Aufsässigkeit der Geschlechtsidentität“ (deutsch in Kraß
2003: 144 ff.) vor; ausführlicher wird auf Butler selbst noch einmal im Schlusskapitel dieser
Arbeit eingegangen werden müssen.
242 Rom antische Ironie

Ereignis. Kontext (1976; vgl. dazu Kapitel I.5.1) unterstellen mag, reformuliert
und ihm eine identitätspolitische W endung gibt. Im Zusam menhang der hier
verhandelten Ironietheorien dürfte aber klar geworden sein, dass dieser theoreti-
sche W echsel von der Betonung der Repräsentations funktion von Sprechakten
zur Insistenz auf das notwendige Fehl schlagen und der Unmöglichkeit dieser
Funktion als Bedingung von Sprache überha upt die Position des Sprechers –
seine Individualität und hier gar: seine Identität – gerade nicht aus den Augen
verliert. Im Gegenteil gerät die Frage da nach w er spricht, gerade ins Z entrum
einer solchen Theorie, und zwar um so mehr, als sich diese Frage nicht mehr
beantworten, sondern nur noch performen lässt. Das „Ich“, um das sich in dieser
Theorie alles dreht, ist der Effekt einer „obligatorischen Performanz“ (Butler in
Kraß 2003: 160). Seine um strittene Identität und In dividualität offenbaren sich
als Produkt einer „Kette von Perfor manzen“ (152). Unter den Bedingungen
einer „Performanz“, die „per formativ ist“ (160), dreht sich alles um den „Über-
schuß, der in den Zwischenräumen, in de n Pausen zwischen jenen wiederholten
Gesten und Akten ausbricht“ (160 f.) – den Überschuss, der dieses „Ich“ ist.
Wenn die Konsequenzen dieses Arguments hier auch nur angedeutet werden
können – seine theoreti schen Implikationen stehen hier nicht zur Debatte –, ist
doch auf ihre Kongruenz mit den Effekten hinzuweisen, die in den Interviews
zu verzeichnen w aren, w enn sie eine n ironischen K ommunikationsstils anneh-
men. Es mag hier also abschließend genügen, auf den Zusammenhang der W en-
de zur Ästhetik und das Interesse für die Positionierung der Sprecher hinzuw ei-
sen; es ist dies ein Interesse, das B utler selbst als ein Interesse für die „Stili-
sierung oder Ausbildung eines erotischen Stils bzw. einer Darstellun g der (G e-
schlechts)identität, [...] die nur schw er zu beschreiben ist“ (163) (nicht) auf den
Begriff bringt. In der A nalyse der Interv iews hat hier natürlich lediglich die
empirische Wendung dieses Arguments in teressiert: Lassen sich aus den darge-
stellten Zusam menhängen Rückschlüsse auf das em pirische Auftauchen von
ironischer R ede – in diesem Sinne eines paradigm atischen Stilm ittels der Pro-
duktion eines „Überschuss“, einer Explikation der Implikation – und ihrer spezi-
fischen Funktion gerade bei der Darstellung von Intimität ziehen?
Es wurde einleitend schon darauf hi ngewiesen, dass sich gegenüber den
Leistungen, die Butler von der Parodie und Ironisier ung etwa von Geschlechtsi-
dentität erbracht sehen w ill, die ironischen B ezüge auf G eschlechterrollen in
den Interviews merkwürdig bescheiden und bieder ausneh men. Der Ernst der
Ironie bei Butler ist nicht der Ernst der Ironie der beobachteten Selbstdarste l-
lungen der Paare. Und dennoch hilft der Rekurs auf die zentrale Stellung, den
ironische und ironisierende Praktiken in der Theorie Butlers einnehmen, ei nen
Umstand klarer zu fassen, der auch in den Interviews nicht zu übersehen war.
Besonderes G ewicht erhält hier der ironische K ommunikationsstil, w enn er in
Romantische Ironie 243

zwei sich gegenseitig bedingenden Zusam menhängen verortet w ird. Zum einen
geht es bei der Ironie in diesem Sinne immer um eine spezifische Form des
Zitierens, die sich im Spannungsfeld von O riginal und K opie einnistet. N immt
man die hier vertretene These ernst, dass sich in der Semantik der Liebe
zwangsläufig ein problematisches Verhä ltnis zu Form vorlagen einstellen muss,
scheint es nun nicht m ehr so verwunderlic h, dass die Zitierpraktiken häu fig die
Form der Ironie annehmen. Denn zum anderen – und auch darin können die
Einsichten Butlers in diesem Zusammenhang hilfreich sein – scheint gerade in
der Ironie eine Zitierpraxis auf, die in diesem Spannungsfeld von O riginal und
Kopie performativ interveniert, indem sie einen Überschuss an Bedeutung er-
zeugen kann, der ohne sie nicht geleiste t werden könnte. Nicht nur, aber vor
allem auch ironisch – so scheint es jetzt – lässt sich im Netz der omnipräsenten
Formvorlagen auf die Individualität des E igenen verweisen; nicht nur, aber vor
allem auch ironisch lässt sich die eigene Authentizität etablieren; nicht nur, aber
vor allem auch ironisch lässt sich der Er nst der eigenen Liebe darstellen. Dass
damit den politischen Im plikationen des butlerschen T heorieprojekts freilich
nicht gerecht geworden ist, wurde im ersten und zweiten Kapitel schon ausführ-
lich them atisiert. W aren die Interview beispiele zu B eginn dieses A bschnittes
absichtlich so gewählt, dass sich an ihnen ironische Bezüge auf Geschlechterrol-
len und -norm en ablesen lassen, so ist ebenso schnell deutlich gew orden, dass
sich ihre Leistung sicherlich nicht dara n festmachen lässt, dass sie diese G e-
schlechterrollen und -normen subversiv entkräften. In der spezifischen Kontex-
tur, die von den Interviews selbst aufges pannt wurde, mag sich aber die Lei s-
tung der Ironie auf einer vergleichbaren, wenngleich anders geeichten Skala
messen lassen. Sie begnügt sich offenba r damit, auch noch in der ironischen
Zitierung von G eschlechterrollen einen „Ü berschuss“ zu produzieren, der auf
die Individualität der Paargeschichte verweist.

4. Habermas vs. Rancière: Die Einbeziehung des Dritten

Wenn man den kurzen Durchlauf durch pr ominente zeitgenössische Ironietheo-


rien, die in diesem K apitel m it dem em pirischen Auftauchen eines ironischen
Kommunikationsstils der Liebe konfrontie rt wurden, noch einm al kurz Revue
passieren lässt, fällt zunächst ein triviale r Umstand ins Auge: All diese theoreti-
schen Unternehmungen sind letztendlich auf Politik gemünzt. Ihr Bezugsprob-
lem lässt sich in einem politischen Diskussionszusammenhang verorten. Für
Rorty ist die liberale Ironikerin eine – gleichzeitig notw endige und unm ögliche
– Kunstfigur, die die Ressource eines gesteigerten Kontingenzbewusstseins
einer nicht letztbegründbaren liberalen G emeinschaft zur Verfügung stellt. Boh-
244 Rom antische Ironie

rer spielt die spielerischen Potentiale einer ironischen Skepsis gegen den Terror
der aufklärerischen Vernunft aus. Butler schließlich beruft sich auf die subve r-
siven M öglichkeiten, die sich aus den Praktiken einer parodistischen Perfo r-
manz ergeben. Sucht m an nach einer G emeinsamkeit, die diese auffällige A uf-
wertung von ironischen Form en verständlich macht, so wird m an wohl wieder
auf das Bezugsproblem der Kontingenz zurückgeworfen, das philo sophische
und theoretische D ebatten über die N atur der Politik heim sucht. Gemeinsam ist
diesen Ironietheorien darüber hinaus, da ss sie es sich explizit verwehren, dem
Problem der Kontingenz eine Einheitsfi gur gegenüberzustellen, sondern gerade
den ironischen, „kontingenzfreudigen“ Umgang mit der Kontingenz selbst als
Lösungsvorschlag anbieten – contra Deum nihil nisi Deum ipse. Di ese Ar gu-
mentationsstrategie m ag insbesondere für das politische Feld zunächst unge-
wöhnlich erscheinen, hat sie auch eine lange Vorge schichte.161 W as dabei auf
dem Spiel steht, mag in einem letzten Durchlauf an der kürzlich von Jacques
Rancière vorgetragenen Polem ik (2002) gegen die theoretische Tradition der
Aufklärung, der sich etwa Jürgen Haberm as verpflichtet sieht, deutlich werden.
Rancières entscheidendes Argum ent gegen Haberm as ist, dass dessen Privil e-
gierung einer als „normal“ (67) ausgew iesenen Sprechsituation die Logik des
kommunikativen Spiels im A llgemeinen und politischer Kom munikation im
Besonderen geradezu notwendigerweise verfehlen m uss. Haberm as’ Plädoyer
für das Paradigm a eines verständigungsorientierten kom munikativen Handelns
als ausgezeichnetem Gegenstand einer re konstruktiven Sozialwissenschaft be-
müht bekanntermaßen eine Beobachterper spektive, die er scharf von sowohl
positivistischen als auch postm odernen Perspektiven abgegrenzt wissen will. Es
handelt sich explizit um eine T eilnehmerperspektive, die allein die Logik einer
„normalen“ Sprechsituation nachzuvollziehen weiß. Es ist genau diese Tei l-
nehmerperspektive, die er bei den in „Der philosophische Diskurs der Moderne“
(1993) kritisierten modernen und postmodernen Theorieansätzen vermisst: „Un-
ter den Blicken der dritten Person, ob nun nach außen oder nach innen gerichtet,
gefriert alles zum Gegenstand.“ (347) Rancière kehrt nun diesen Vorwurf H a-
bermas’ in einer scharfen W endung gegen Habermas selbst. Es ist gerade die
rekonstruktive Beschränkung auf eine Dial ektik einer ersten und ein er zweiten
Person, die sich gegenüber der Realitä t des kom munikativen Spiels reduktio-
nistisch ausnim mt und dieses zu einer einfachen „Rationalität des D ialogs der

161
Unter diesem Aspekt lässt sich Laclau/Mouffe (2001) mit Gewinn als eine „Urgeschichte“ der
Umwertung von Kontingenz in der radikal -linken politischen Theorietradition lesen. Der Hi n-
weis auf die kontingente Natur jeglicher politischer Konsensbildung ist ge radezu der strategi-
sche Sinn des Hegemoniebegriffs und offenba rt sich als die Grundvoraussetzung und das Fu n-
dament „des Politischen“ (vgl. M ouffe 2005) – freilich mit der Betonung des antagonistischen
und nicht so sehr des ironischen Moments.
Romantische Ironie 245

Interessen“ einfriert: „W eil sie die Vervielfachung der Personen verkennt, die
an die Vervielfachung des politischen Logos geknüpft ist, vergisst sie auch, dass
die dritte Person genauso eine direkte und indirekte G esprächsperson ist w ie
eine Person der Beobachtung und der Objektivierung.“ (59) Habermas’ Konzept
einer kommunikativen Vernunft als Ausweg aus den Aporien der Subjektphilo-
sophie hat das Problem unterschätzt. Sie unterschätzt aus der Perspektive Ran-
cières insbesondere die „Spiele der dritten Person“ (2002: 60), die der Logik der
(politischen) K ommunikation eigentüm lich sind. Für R ancière ist die „dritte
Person“ eine allgem eine Chiffre sow ohl für (a) die aktuelle Sprechsituation
selbst als auch für (b) einen virtuellen Dritten, der diese Situation im mer heim-
suchen kann und zuletzt für ( c) eine Verdopplung der Stimme des Sprechers
selbst. Man erkennt hier sofort die Be zugnahme auf die oben skizzierten M ög-
lichkeiten der Form ironischer K ommunikation. D ie Spiele der dritten Person,
auf die Rancière anspielt, verweisen erstens auf die komplexe Perform ativität
einer kom munikativen Praxis, die sich nicht in propositionalen Ä ußerungen
erschöpft, sondern gleichzeitig die Sprech situation immer auch m it konstruiert.
Dies findet zweitens vor einem virtuellen Publikum statt, auf dessen konstitutive
Rolle für die Sprechsituation insbesonde re auch im Kontext der Interviews
schon mehrfach hingewiesen wurd e (vgl. schon Kapitel II.4.). Drittens gerät
hier die M ehrstimmigkeit (Polyvozität) 162 in den Blick, die gerade die ironische
Kommunikation als Form eines im pliziten Sprechens auszeichnet. W ährend
Rancière vor allem auf die Dopplung des „W ir“ einer politischen Gem einschaft
und des „Ich“ einer problematischen Vertre tung dieser Gemeinschaft ab hebt, ist
in der Interpretation des ironischen Kommunikationsstils das Motiv einer mögli-
chen M ehrstimmigkeit jedoch in einem we it schlichteren Sinne aufgetaucht.
Hier hat sich die Ironie im klassisc hen Sinne einer uneigentlichen R ede als
mehrstimmig erwiesen. M an kann unter dies em Aspekt leichter sehen, wie a b-
genutzte Klischees bedient werden können und gleichzeitig durch ironische
Distanzierung ein individueller und orig ineller Standpunkt gegenüber dem Kli-
schee behauptet werden kann. W enn also in den Beispielen bestimmte Sätze als
eigentliche Sätze problem atisch zu werden drohten, konnten und m ussten sie
trotzdem gesagt werden – aber mit einer Betonung der in ihnen mitschwingen-
den zweiten Stimme. Eine ironische M ehrstimmigkeit erlaubte also insbesond e-

162
Der Terminus ist nicht derjenige Rancières, sondern wurde meines Wissens von Pierre Bou r-
dieu in die sozialwissenschaftliche Debatte eingebracht – interessanterweise in seiner A nalyse
der Erfolgsbedingungen der politischen Ontologie M artin Heideggers im Spannungsfe ld zwi-
schen Philosophie und Politik (1988); vgl. dazu auch Angermüller (2005). Die Bourdieusche
These der Möglichkeit mehrstimmigen Sprechens ist freilich für die Argumentation im Text eng
verwoben mit dem Hinweis auf das virtuelle Publi kum einer Aussage; Bourdieu nutzt sie, um
zu erklären, wie die Texte Martin Heideggers gleichzeitig ein philosophisches und ein polit i-
sches Publikum bedienen konnten.
246 Rom antische Ironie

re die Zitation von Formvorlagen durch das markierte Aufrechterhalten der Un-
terscheidung von Regel und Praxis, vo n Formvorlagen und ihrer individuellen
Ausgestaltung.
Noch einmal: Der diskursive Horizont , innerhalb dessen sich die hier vo r-
gestellten Debatten bewegen, ist letz tendlich ein politischer. D er Untertitel von
Rancières Intervention in dieser Debatte ist „Politik und Philosophie“, und seine
These ist in der Tat, m it seinem Hinweis auf die paradoxe M ehrstimmigkeit
nicht nur eine Zeitdiagnose geliefert zu haben, sondern mit der „Vernunft des
Unvernehmens“ das „Zentrum jeder politischen Argumentation und jedes politi-
schen argumentativen Streits“ (2002: 60) dingfest gemacht zu haben:

Darum gibt es keinen Grund, ein modernes Zeitalter des Streits, verbunden mit den
großen Erzählungen von gestern und der Dram aturgie des universellen Op fers, und
ein modernes Zeitalter des Widerstreits, verbunden mit dem gegenwär tigen Zersprin-
gen der Sprachspiele und kleinen Erzählungen, einander gegenüber zu stellen. Die
Unterschiedlichkeit der Sprachspiele ist nicht ein Schicksal der gegenwärtigen Gesell-
schaften, das die große Erzählung der Politik aufheben würde. Sie ist im Gegenteil
konstitutiv für die Politik. 163

In diesem Kapitel wurde demgegenüber bescheidener auf die bemerkenswerte


zeitgenössische Renaissance von theoretischen Rehabilitierungsversuchen von
ironischen Formen der Kommunikation und die Plausibilität ihrer unterschiedl i-
chen und doch vergleichbaren Argumentati onsstrategien hingewiesen, um mit
einem unbefangenem Blick auf die Omnipr äsenz der Ironie in den Liebeserzä h-
lungen diese rehabilitieren zu können. In der I nterpretation dieses Phänom ens
wurde jedoch der W endung zu einer politischen Logik oder einem politischen
Wertungsschema nicht gefolgt. D ass aber ein konstitutiver Zusam menhang
besteht zwischen der Leistung, die im Kontext von Liebe und Intimität einem
ironischen Stil zugem utet w ird, und den Leistungen, die w iederum der Liebe
und der Intimität selbst in zeitgenössischen Theoriedebatten zugemutet werden,
muss an anderer Stelle ausführlicher diskutiert werden (vgl. Stempfhuber 2012) .
Bei allen gravierenden Divergenzen, die die theoretischen Ansätze Rortys, Boh-
rers und Butlers aufweisen, bei aller Unterschiedlichkeit der diskursiven Kon -
texte, auf die sie antw orten, bei aller V erschiedenheit der politischen Stoßric h-
tung, die diese Autoren in ihren Texten inte ndieren: In jedem der behandelten
Fälle scheint es eine plausible theoretis che Option zu sein, auf die Uneindeuti g-
keit und die Unbestimmtheit der Moderne mit einem Hinweis auf die Uneindeu-
tigkeit und die Unbestimmtheit ironischer Formen angemessen zu reagieren. Mit
einem letzten Blick auf Rancières Polemik gegen Habermas sei dabei noch auf

163
Ranciere (2002: 62); gerichtet ist dieser Befund natürlich gegen Jean-François Lyotard, dessen
Hauptwerk (1989) als weiterer Beleg für die hier vertretene These des Ironiebooms gelten kann.
Romantische Ironie 247

eine interessante Konsequenz dieser theoretischen Bewegung hingewiesen.


Neben der Nichtbeachtung der konstitutiven M ehrstimmigkeit des (politisch -
philosophischen) Diskurses ist es vor allem das – bewusste und programmati-
sche – Ausklammern einer ästhetischen Dimension eben jenes philosophischen
Diskurses der M oderne, das Rancière in der Habermasschen Perspektive ein
Dorn im A uge ist. H abermas insistiert bekanntlich auf die Möglichkeit einer
konzeptuellen Trennung zwischen zwei Dimensionen kommunikativen Han-
delns: Auf der einen Seite lasse sich eine „poetisch-welterschließende Funktion
der Sprache“ festm achen, die den „prosa ischen innerw eltlichen Sprachfunktio-
nen“ auf der anderen Seite gegenübergestellt werden könne. „Die Ästhetisierung
der Sprache, die mit der doppelten Ve rleugnung des Eigensinns von normaler
und poetischer Rede erkauft wird“ (1988: 240), ist der entscheidende Einwand
Habermas’ nicht nur gegen die Dekonstruktion des derridaschen Typus, sondern
auch gegen die Version des Liberalismus, den Rorty anbietet (vgl. 241 ff.). Die
Relevanz der poetischen und ästhetischen Dim ension der Sprache reserviert
Habermas explizit der Sphäre der Kunst und insbesondere der Literatur. Ranci-
ères A ntwort ist paradigm atisch, indem er darauf beharrt, dass es genau diese
Trennung ist, die sich nicht durch eine Spaltung der Kom munikation in zwei
Typen von Sprechakten aufrechterhalten lä sst. Die Logik der Sprechsituation,
die ihn interessiert, wird demgegenüber „von Sprechakten erzeugt, die zugleich
vernünftige Argumentation und ‚poetische‘ Metaphern sind. [D]ie Formen des
sozialen Gesprächs, die W irkung haben, sind gleichzeitig Argum ente in einer
Situation und Metaphern dieser Situation.“ (2002: 68) Die Konsequenzen dieser
Argumentation liegen klar auf der Hand; es sind die Konsequenzen, die sich
auch schon in unserer Diskussion der Vo rschläge Rortys, Bohrers und Butlers
implizit gezeigt haben und die sich mit einer Formulierung von Odo M arquard
als die „Wende zur Ästhetik“ (1987: 131 ff.) beschreiben lassen 164. Sie verbietet
sich, die ästhetische und poetische Sprachfunktion aus dem Bereich des „norma-
len“ Sprechhandelns in den „Kunst - und Literaturbetrieb“ (Habermas 1988:
243) zu verbannen und damit gleichsam unter Quarantäne zu stellen. Sie lenkt
den Blick vielmehr auf ästhetische Fr agen, auf Aspekte der Performativität und
auf „welterschließende“ Funktionen allt äglicher Kommunikation. Es ist eine
Dimension, die, so warnt Rancière m it einem Seitenblick auf Rorty, nicht den
„Spezialisten der Ironie“ (2002: 72) vorbe halten ist. Als Spezia listen der Ironie

164
Marquards Interesse ist bekanntlich das einer philosophiegeschichtlichen, genauer: genealog i-
schen „Motivforschung“: „Die ‚Wende zur Ästhe tik‘ ist eine Folge der ‚Ohnmacht der trans-
zendentalen Vernunft‘“ (1987: 137), und man mag hier ergänzen: der „universalpragmatischen
Vernunft“. Festzuhalten bleibt für unseren Zusammenhang, dass der Verweis auf eine ästhet i-
sche Dimension als Antwort auf ein Ungenügen an – zumindest der Intention nach – rationalis-
tischen Deutungsmustern keine Erfindung der so genannten Postmoderne ist.
248 Rom antische Ironie

haben sich letztlich auch die Paare bei der Darstellung ihrer Paarge schichte er-
wiesen.

5. Die ironische Sprache der Liebe

Im Hinblick auf das em pirische Material wurde in diesem Kapitel argumentiert,


dass in der Selbstdarstellung von Liebe ironische Erzählweisen der Plausibilisie-
rung von Liebe und Romantik nicht nur nicht widersprechen müssen. Im Gegen-
teil lässt sich em pirisch nachzeichnen, dass Ironie sogar ein ausgezeichnetes
Mittel sein kann, um diese Plausibilisierungen erst zu ermöglichen. Wenn dieses
Ergebnis nun aber vielleicht als keine große Überraschung m ehr erscheint, darf
hier noch einmal betont werden, wie eigentümlich es sich für den Common
Sense der gegenw ärtigen intimitätssoziologischen Diskussion ausmachen muss.
Wenn hier natürlich der Zusammenhang von Ironie und Liebe nicht unbemerkt
geblieben ist, w ar der A uftritt der Ironie im Gegenstandsbereich der Intim itäts-
soziologie, wie schon angedeutet, auss chließlich von einer Diagnose der un-
möglichen Passung von Ironie und Liebe geke nnzeichnet. So bemerkt etwa Eva
Illouz in ihrem jüngsten Beitrag zum Thema, dass „Liebe [...] zu einem bevor-
zugten Schauplatz für ironischen Stil gew orden [ist]“ und verw eist dazu unter
anderem auf das literarische G enre der „chick -lit“ (2008: 215). Es sind drei
Punkte, an denen sich jedoch Illouz’ Diagnose von der hier vertretenen Interpre-
tation unterscheidet. W ährend hier erstens nur darauf hingewiesen wurde, dass
ein ironischer Stil zum indest in einigen Fä llen anzutreffen ist, w eitet Illouz ihre
Beobachtung zu einem zeitdiagnostischen Befund aus: „M odernes romantisches
Bewusstsein hat die rhetorische Struktur der Ironie“ und es ist diese Ironie, „die
tatsächlich den Zeitgeist dominiert“ (219). M an muss hier genau hinsehen: I l-
louz hat dabei vor allem die m assenmedialen Form vorlagen („chick-lit“, „Sex
and the City“) im Blick und nicht so sehr die Praxis der Liebenden. In diesem
Punkt verschiebt sich dann auch ihre Ar gumentation, die ihr noch in ihrer diff e-
renzierten Studie zur Liebe in Zeiten de s Spätkapitalismus (1997) ermöglichte,
der Ironie als ironischer Rezeptionsstrategi e ein durchaus kreatives Potential für
die besser gestellten Liebeskonsum enten abzugewinnen.165 Zweitens betont ihre
Zeitdiagnose einen radikalen historischen Bruch, der in dieser Arbeit zum indest

165
Vgl. dazu meine Ausführungen im zweiten Kapitel. Zur unterschiedlichen Bewertung von
ironischen Formvorlagen und ironischen Rezeptionsstrategien v erweise ich auch noch einmal
auf die Bemerkungen zur Queer Theory im ersten Kapitel (vgl. I.5.2): Der (nicht)ironischen
Brechung etwa des camp konnte genau dann ein subversives Moment abgewonnen werden,
wenn die herangezogenen massenmedialen Produkte selbs t noch nicht ironisch gebrochen i n-
tendiert waren.
Romantische Ironie 249

problematisiert worden ist. Der ironisc he, entzaubernde und entzauberte Zeit-
geist löst bei Illouz nämlich ein Li ebesverständnis ab, dessen authentisches
Pathos höchstens noch von durchaus positiv gedeuteten M omenten der „V er-
spieltheit“166 begleitet wurde: „Ich würde sogar argumentieren, dass Ironie die
Verspieltheit abgelöst hat“ (219). Sie verdeutlicht das, indem sie die Haltung
der Protagonistin von Jane Austens Persuasion (1966) mit derjenigen der Aut o-
rin von „Sex and the City“ (1996), Candace Bushnell , kontrastiert, die ihre L e-
ser fragt:

When was the last time you heard someone say, “I love you!” without tagging on the
inevitable (if unspoken) “as a friend.” When was the last time you saw two people
gazing into each other’s eyes without thinking, Yeah right? When was the last time
you heard someone announce, “I am truly, ma dly in love,” without thinking, “Just
wait until Monday morning”? (Bushnell 1996: 2)

Illouz’ Interpretation m ag aber vielleicht nur auf den ersten Blick einleuchten:
„Während Anne [Elliot, die Protagonistin von Persuasion, M .S.] auf der einen
Seite ein unzweifelhaftes Vertrauen in di e A bsolutheit der L iebe hat, so w irkt
Candace auf der anderen Seite durchweg ernüchtert, selbstbewusst und außero r-
dentlich ironisch“ (1997: 213). D enn viel leicht liegen die D inge doch etw as
komplizierter: Auch wenn Illouz’ Einsch ätzung des Vertrauens der Protagonis-
tin durchaus überzeugt, müsste man doch di e Frage stellen, warum dieses Ver-
trauen gerade im K ontext eines R omans des britischen M agisters der Ironie so
überzeugend erzählt werden kann; 167 auch wenn der Eindruck der Stimme Can-
daces als ironisch durchaus nachvollziehbar ist, m üsste man doch komplizieren,
ob damit die authentische Suche nach und die authentische Erfahrung von der
Absolutheit der Liebe für die Leserinnen und Leser (und dann natürlich auch
etwa: für C arrie Bradshaw) in A brede gestellt w erden. Illouz w ill aber drittens
im Anschluss an diese zeitdiagnostische Sk izze die entscheidende Frage stellen:
„Warum ist Ironie so schädlich für die Li ebe?“ (219) Sie ist sich nämlich klar
darüber, dass ein ironischer Stil der L iebe notwendigerweise in die Q uere kom-
166
Wie man sie etwa im Topos des „ambivalenten Verführers“ (Don Juan, Casanova, Cleopatra)
herausarbeiten kann. Vgl. dazu Greene (2001), der von Illouz interessanterweise zitiert wird und
dessen performatives Verständnis der (notwe ndigen) Aufrechterhaltung von Unschärfe und
Ambivalenz im Akt der romantischen Verführung der in dieser Arbeit geleisteten Darstellung
der Ironie erstaunlich nahe kommt.
167
Der erste Satz des ersten berühm ten Romans Jane Austens i st bekanntlich einer der berühm tes-
ten Romananfänge überhaupt: „It is a truth universally acknowledged, that a single man in pos-
session of a good fortune, must be in want of a wife.“ (1995: 3), und mit der free indirect spe-
ech beginnt hier auch die Ironie (so Halperin 1989: 40 ff.), zumindest jedoch der ironische U m-
gang Austens mit der Ironie: Mrs. Bennet i rrt und bekommt nur durch die ironische Wendung
des Erzählverlaufs letztendlich Recht. Zur Ironie als Strategie in diesem Sinne vgl. schon Mu r-
vin (1952).
250 Rom antische Ironie

men m uss. U m den U nterschied zu den hier vorgestellten em pirischen E rgeb-


nissen herausvorzuheben, lohnt sich ein letztes Zitat. Illouz bestimmt Ironie
explizit als

eine Redefigur, die Ahnungslosigkeit heuchelt, dabei aber in ihrer Wirkung vom Wi s-
sen des Zuhörers abhängt. Sie ist der rhetorische Trick einer Person, die zu viel weiß,
die Wirklichkeit aber nicht ganz ernst nehmen möchte. Modernes ro mantisches Be-
wusstsein hat die rhe torische Struktur der Ironie, weil sie von ei nem entzauberten
Wissen durchzogen ist, das volles Vertrauen und Verbindlichkeit verhindert. (ebd.)

In diesem Kapitel wurde aufgezeigt, dass es gerade die Inkom mensurabilität


von Ironie und Ernst – Illouz setzt sie in diesem Zitat voraus – ist, die in den
analysierten Selbstdarstellungen nicht au frecht zu erhalten ist. Ironisches Spr e-
chen wurde kommunikationstheoretisch we niger als „Trick einer Person“ inter-
pretiert, sondern gelangte als Darstellungs praxis in den Blick, die performativ
gerade das erzeugen konnte, was sie bewusstseinstheoretisch und wissenssozio-
logisch laut Illouz a priori ausschließen muss. Neben Leid und religiöser Sub-
jektivität ist für sie L eidenschaft das für die Ironie Inkom mensurable schlecht-
hin.168 Soziologisch interessant bleiben de rartige Hypothesen aber auch für
Illouz nur, wenn sie sie empirischer Fo rschung gegenüber offen hält. Die Übe r-
raschung Illouz’ über die Effekte ironisch stilisierter A ntworten ihrer Inter-
viewpartner noch im „Konsum der Romantik“ scheinen hierfür der beste Be-
leg.169 V ielleicht w ar aber im H inblick auf die Ironie die erkenntnisleitende
Ausgangsthese von Seiten der soziologischen Beobachterin nur falsch ang e-
setzt?
In diesem Kapitel hingegen wurde der Versuch untern ommen, nach einer
Rehabilitierung der Ironie auch die Leistungen unvoreingenom mener in den
Blick bekom men zu können, die ein ironischer Kom munikationsstil nicht nur
als Erzfeind des Ernstes der Liebe, so ndern als ihr Verbündeter spielen kann.
Ironisch gel ingt es dann den Interviewtex ten, explizit auf Im plizites hinzuw ei-
sen, das sich gerade in seiner Unbestimmtheit als Ausdruck von Liebe und Int i-
mität erweisen kann. Zurückgegriffen wurde dabei auf die Idee einer kom -
munikativen Bearbeitung eines Problembez uges, der sich in den zwei vorange-
gangenen Kapiteln schon als zentral herauskristallisiert hat. Hier wird dieser
noch einmal expliziert und reflek tiert von einer Gewährsperson als eigene
Schwäche und eigenes Problem mit der Romantik formuliert:

168
Illouz verweist hier auf David M. Halperin : „The three cardinal experiences that demand the
elimination of irony, or that cannot survive the irony, are raw grief or suffering, religious
transport, and sexual passion.“ (in Bartsch/Bartscherer 2005: 49)
169
Zu dieser Beobachtung des „überraschten Soziologen“ vgl. vor allem Nassehi (2005).
Romantische Ironie 251

A: Für mich heißt Romantik wirklich so was wie da im Urlaub unter Umständen mal
so schön hinliegen, sich im Arm halten und Sterne anschauen und zufrieden sein und
auch mal einen Satz sagen können, der... über den ich halt nicht innerlich halt dann so
mir denke: Oah... B: (lacht) A: ...was habe ich nur gesagt. Also weißt halt, ich krieg es
so schlecht über die Lippen. I: Es darf nicht kitschig sein? A: Ja... I: Ah, ok. A: ...und
dann... tue ich mir natürlich schon schwer bei der Romantik, gell. I: Mhm. A: Also ich
tu mir ja dann auch sehr schwer halt, ih... ihm das... Also ich denk m ir halt dann im -
mer, er wird dann schon merken, dass ich ihn „sehr gern habe“ in meinen „Gesten“
und... B: (lacht) A: ... „Taten“, weil ich ja mehr oder minder das halt nicht ausspreche,
und das wäre für mich Romantik. (P-J&T, 24:25)

Wenn man das Problem fast nicht eloque nter und treffender formulieren kann,
kann man auch seine für die Interviews im Allgemeinen typische Lösung fast
nicht eloquenter und treffender vorführen. W enn auf der inha ltlichen Ebene der
Aussage näm lich schon ausgedrückt wird, dass sich Intimität und Liebe nur
performativ (in „Gesten“ und „Taten“) au sdrücken lassen, gelingt diesem Text
genau dies. Und ironischerweise gelingt es ihm im W iderspruch zur Ebene der
Aussage tatsächlich durch einen „Satz“. Es gelingt ihm vor allem ästhetisch und
– dies ist nun wirklich keine Überraschung mehr – ironisch. Denn gerade weil
die Ausdrücke „sehr gern haben“, „Taten“ und „Gesten“ ironisch überzogen
betont werden, können sie hier ausges prochen werden. Im ironischen Komm u-
nikationsstil leistet die Erzählung perform ativ etwas, dessen M öglichkeit in der
Aussage gleichzeitig bestritten (hier: „ich krieg es schlecht über die Lippen“)
und offen gehalten wird (hier: „er wird dann schon merken, dass ich ihn ‚sehr
gern habe‘ in m einen ‚Gesten‘ und [...] ‚T aten‘“). Wenn hier der Satz selbst zu
einer Geste und einer Tat wird, funktionier t dies mit Hilfe der Ironie. Die Ironie
offenbart sich als Fragment einer Sprache der Liebe.
Schluss: Die Praxis der intimen Kommunikation

„Was nun?“ (Luhmann 1982: 197) Am Schl uss einer Arbeit zu „Paargeschic h-
ten“ lässt sich kaum der Versuchung widerstehen, danach zu fragen, ob die
„Geschichte von der Liebe“ nun mit ei nem „Happy End“ (Illouz 2007: 315)
schließen kann. Auffällig in der soziol ogischen Literatur zur Lage und Zukunft
der Liebe ist mithin, dass sie selbst be i durchaus parallelen Diagnosen das Ende
der Geschichte radikal unterschiedlich de uten kann. Um nur ein extremes G e-
gensatzpaar anzuführen, darf zunächst noch einmal Eva Illouz zu W ort kom-
men, deren Skepsis im Bezug auf ein mögliches Happy End sich geradezu m i-
metisch an die Skepsis ihrer unglücklich romantischen Gewährspersonen an-
schmiegt:

Die Formeln romantischer Liebe werden heute nur noch von kulturell Benachtei ligten
für bare Münze genommen. Ein Mehr an kulturellem Kapital führt zu ei nem Mehr an
Entfremdung: Der gebildete Liebende der Postmoderne begegnet seinen romantischen
Überzeugungen mit der skeptischen Ironie eines post -marxistischen und post-
freudianischen Bewusstseins. (321)

Vor exakt dem selben Hintergrund nim mt si ch eine jüngere system theoretisch
inspirierte Intervention in die intim itätssoziologischen Debatten über das Glück
oder Unglück des Endes der romantischen Liebe als H ollywood-taugliche Ret-
tung eines Happy Ends für die Liebe aus:

Die pragmatische Liebe ist romantischer als ihre Vorgänger, gerade weil sie bewusst
betrieben wird. Gerade das gesteigerte Selbst-Bewusstsein und die erhöhten Ich-
Ansprüche machen heute wieder Lust auf Leidenschaft und Hingabe. Denn weil sich
die Liebenden ihrer eigenen Interessen bewusster denn je sind, wissen sie auch, dass
ihre Wünsche nur dann befriedigt werde n können, wenn die Leidenschaft an erster
Stelle steht. (Schuldt 2005: 208)

Beide Kom mentatoren gestehen also ihren „gebildete[n] Liebende[n] der Pos t-
moderne“ oder ihren „ihrer eigenen In teressen bewusste[n]“ Liebenden ein
erstaunliches Maß an Reflexivität gerade in Sachen Liebe zu – und ziehen dar-
aus diametral entgegengesetzte Schlüsse . W as einerseits als Ende der romanti-
schen Liebe im M ahlstrom der Ironie er scheint, kann andererseits als ironischer
Triumph der Romantik über die pragm atische Liebe erscheinen. W ahrlich: Was

M. Stempfhuber, Paargeschichten, DOI 10.1007/978-3-531-18780-8_5,


© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012
254 Praxis der intimen Kommunikation

nun? Können nach den analytischen An strengungen dieser Arbeit, die es im


empirischen Teil ebenfalls mit reflektierten, kompete nten und ironischen Infor-
manten zu tun bekommen hat, Fragen di eser Art entschieden werden? W ie steht
es um die „Probleme und Alternativen “ (Luhmann 1982: 197) der romantischen
Liebe? W ie zeigen sich die M öglichkeiten intim er Kom munikation in der G e-
genwart, und was sind ihre Zukunftschancen?
Eine Verm utung dieser Untersuchung wa r es, dass diese Fragen soziol o-
gisch am ertragreichsten angegangen werden können, wenn sie nicht direkt
angegangen werden. Der Vorschlag war, eine veränderte Perspektive auf den
Gegenstand der Intim ität einzunehmen. Wenn im ersten Kapitel ein Geschichte
darüber erzählt w urde, w ie im intim itätssoziologischen Diskurs Geschichten
über die L iebe erzählt w erden, kam vor allem die Z entralität eines zunächst
unscheinbaren Problems in den Blick. Es war das problematische Verhältnis
von (massenmedialen) Formvorlagen und der konkreten Praxis des Liebens, das
sich im Herzen der soziologischen Be schäftigung mit Intimitä t ausmachen ließ.
Wenn es im zweiten Kapitel vor di esem Hintergrund nun konkrete Paarge-
schichten waren, denen das Hauptaugenmerk galt, wurde gegenüber dem ko n-
kreten Inhalt der Geschichten der ei gentümliche Umgang mit Unbestimmtheit
im Erzählen der Geschichte die Vord erbühne einge räumt. Die Probleme der
Darstellung von Intimität werden vor allem dadurch bearbeitet, dass performativ
Zonen der Unbestimmtheit hergestellt w urden. W enn im dritten K apitel ein
genauerer B lick auf den typischen K ommunikationsstil in dieser D arstellungs-
praxis geworfen wurde, erschien dabei ein ironischer Stil nicht als der Erbfeind
des Ernstes der Liebe, sondern als sein stärkster Verbündeter.
Dabei sind freilich einige drängende Fragen, die die derzeitige soziolog i-
sche Intimitätsforschung beschäftigen, nur am Rande berührt worden. W as sagt
die Praxis des Kopierens von Formvorlagen in der Kommunikation der Intimität
über die agency der Liebenden aus? W as macht die Besonderheiten eines inti-
men K ommunikationsstils im G egensatz zu anderen aus? Ergibt die parallele
Behandlung von Intim ität, Liebe und Ro mantik über haupt noch Sinn, oder
müsste nicht längst in Sachen Intimität von einem radikalen Bruch mit der tradi-
tionellen Sem antik rom antischer L iebe gesprochen w erden? U nd nicht zuletzt:
Wie verhält es sich m it dem V erhältnis der G eschlechter? W ieder kann es in
diesem Schlusskapitel nicht um eine dire kte Beantwortung dieser Fragen gehen,
sondern um den Hinweis darauf, wie sich diese Fragen in einem anderen Licht
darstellen, wenn man den in dieser St udie vorgeschlagenen Perspektivenwech-
sel ernst nimmt. Ein Durchgang durch dies en Fragenkatalog soll zugleich eine
Rekapitulation der wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit sein.
Praxis der intimen Kommunikation 255

1. Inklusionsfiguren: Individualisiert durch die Liebe

In zeitgenössischen Theoriediskussionen über die Leistungen der Liebe wird


diese immer wieder als ein M otive-Generator in A nspruch genommen. Sowohl
Harry G. Frankfurt als auch Karl-Otto Hondrich stellen dieses M otiv ins Zent-
rum ihrer Überlegungen (vgl. dazu auch Stempfhuber 2012) . Liebe ist beiden
Kommentatoren eine Quelle von legitim en Gründen. Dabei ist es kein vol l-
kommen unerwartetes Ergebnis, dass i ndividuelle und kollektive Gefühle der
Zuneigung, der Verbundenheit und der Liebe als M otive für Entscheidungen
interpretiert werden können. Aus der Per spektive der vorliegenden Unters u-
chung war der entscheidende Umstand jedoc h, dass die Liebe als ein Generator
von anderen, alternativen Gründen interpretiert wird. Es sind Gründe, die im
traditionellen Sinne keine „guten“ Gründe sind. Sie finden sich zumindest nicht
in der „Gründe- und Reflexionswelt“ (N assehi 2006c: 369) wieder, die Armin
Nassehi als eine konstitutive Präm isse der Ethik als w issenschaftlicher philoso-
phischer Disziplin entschlüsselt. Im Blick etwa auf die ethischen Schriften Jul i-
an Nida-Rüm elins (vgl. nur 2001) beobachtet Nassehi entscheidende Grunda n-
nahme, „dass nur ‚rationale‘ Gründe ‚gute‘ Gründe sind, und rational sind
Gründe dann, wenn sie eingebettet werden können in eine ‚strukturelle Rationa-
lität‘, innerhalb derer sie sow ohl zeitlich als auch system atisch ‚kohärent‘ er-
scheinen.“ (2006c: 370). Sie mündet letzte ndlich in „Unterstellungen, die exakt
die Funktion haben, Uneindeutigkeit wegzuarbeiten und das Bild einer W elt zu
zeichnen, die letztlich einem Rationalitätskontinuum unterliegt.“ (ebd.)
Der Kontext der Liebe zeichnet dem gegenüber ein gänzlich anderes Bild.
Die Gründe, die hier zählen, sind explizit Gründe wider die Vernunft. Sie offen-
baren sich gerade dann als gute Gründe, wenn sie als Überraschung in die koh ä-
renten Selbstbeschreibungen der Lie benden einbrechen. Sie zehren von ihrer
anfänglichen Uneindeutigkeit. Und sie fungieren zwar nicht explizit als Reflex i-
onsverbot (vgl. Kapitel II.2.1), lassen aber zumindest jedes weitere Hinterfragen
unangemessen erscheinen. Inwieweit die philosophischen und ethischen Übe r-
legungen Frankfurts und Hondrichs die Gründe der Liebe wieder in einer
„Gründewelt“ einfangen (wollen), soll hier dahingestellt bleiben. Empirisch hat
das zweite Kapitel dieser Arbeit aber gezeigt, dass im Kontext der Darstellung
von Intimität gerade diese spezifische Form von Gründen der Liebe wirksam
wird, die sich wie ein Zerrbild der Form guter Gründe des ethischen Diskurses
ausnimmt. Gefühle als Entscheidungsgenera toren lassen sich gerade daran fest-
machen, dass sie in der Erzählung als Überraschungen und als Attributions -
ambivalenzen etabliert werden. Gründe der Liebe zeigen sich als „überrasche n-
des Sichengagieren auf neuen Wegen“ (Luhmann 1984: 371).
256 Praxis der intimen Kommunikation

Eine zentrale Beobachtung der em pirischen Analysen war dabei, dass sich
die Gewährspersonen nicht einer Erzählw eise befleißigen müssen, die explizit
die Gefühle benennt, sondern sich eine s ironischen K ommunikationsstils bedie-
nen. Um noch ein letztes M al ein Paar zu W ort kommen zu lassen: W enn etwa
die Entscheidung zum Umzug in eine gemeinsame W ohnung erzählt wird, die
für einen Partner einen Ortswechsel wider Willen bedeutet hat („B: Ich meine,
ich hatte keine andere W ahl, aber ich kann m ir schon vorstellen, w enn m an...
wenn m an jetzt da gezw ungen w ird, irgendw o anders hinzugehen...“ [P -S&R,
51:44]), mündet auch diese Erzählung in einer ironischen Interaktionssequenz.
Denn während der eine Partner zu seinen strategischen Motiven Stellung bezieht
(„B: Ich habe halt nur versucht, ihm das schmackhaft zu machen“ [51:36]) und
der andere die Situation als entscheidend betrachtet („A: ...aber nach so langer
Zeit, und... wenn man eh schon so einen gewissen Alltag auch hat so... Dann auf
einmal eine Fernbeziehung...“ [51:52]), etabliert die Erzählung den sim plen
Umstand der gemeinsamen „emotionale n“ Entscheidung zum Umzug als rele-
vant: „B: U nd dann haben w ir schön die W ohnung eingerichtet... D as hat dir
auch Spaß gemacht, gell? A: Ja. Ein kleines bisschen (lacht).“ (51:36)
Die These dieser Arbeit ist, dass das Besondere der Darstellung von Intimi-
tät nicht in einer spezifischen Bearbeitung von Unbestimmtheit zu suchen ist. Es
ist die performative Her stellung von Unbe stimmtheit, die sie erst überzeugend
macht. In der in den Interview s aufgespannten Kontextur erscheinen dabei eini-
ge klassische Probleme der soziologischen Biographieforschung – Inkohärenzen
in der Erzählung, (In-)Kompetenzen de r Sprecher, Paradoxien, Zitationspr akti-
ken, ein ironischer K ommunikationsstil – unter um gekehrten V orzeichen. B ei
der Darstellung von Intimität und Liebe können diese „Probleme“ zur Lösung
des Problem s beitragen, w ie es gelinge n kann, die Individualität und Einziga r-
tigkeit einer Beziehung vorzuführen. Aus de r Perspektive dieser Arbeit geht es
dabei aber nicht schlicht und einfach um die vorgängige Individualität und Ein-
zigartigkeit der „wirklichen“ Beziehung; etwa geht es nicht um einzigartige
individuelle Erlebnisse, die m ehr oder w eniger korrekt dargestellt w erden kön-
nen. In den M ittelpunkt der A nalyse ge rät ein K ommunikationsstil, der diese
Individualität und Einzigartigkeit perform ativ in Szene setzt, der sie vor einem
Publikum plausibilisiert und sie dadurch noch für die Erzähler selbst erst etab-
liert. Durchaus im Sinne zeitgenössischer Theoriedebatten zu den Leistungen
der Liebe (vgl. dazu Stempfhuber 2012) zei gt sich die Kontextur der Intimität
dabei als eine M aschine zur Produktion von neuen, interessanten und in diesem
Sinne individuellen Kommunikationsmöglichkeiten.
Die Individualität der Paargeschichte drängt sich dabei in den Vorder-
grund. Im ersten Kapitel wurde darauf verwiesen, wie in differenzierungstheore-
tischen Fassungen der Intim ität die Figur der Individualität der in die Liebe
Praxis der intimen Kommunikation 257

involvierten Personen auftaucht. In der an Simmel angelehnten Version von


Ulrich Beck und in der an Luhm ann angelehnten Version von Peter Fuchs e r-
scheint die Liebe als derjenige soziale Or t, an dem die Individuen der modernen
Gesellschaft (noch) im emphatischen Si nne Individuen sein können. Nur hier
kann der E inzelne (noch) in allen A spekten seiner Individualität adressiert,
respektiert und ernst genommen werden. W ieder weicht das Bild, das sich im
empirischen Teil dieser Arbeit manifestiert hat, an einer entscheidenden Stelle
von dieser Einschätzung ab. Sichtbar wird hier die individualisierende Funktion
des K ontextes der Intim ität. D ie Erzählung der Paargeschichte installiert diese
als eine individuelle Geschichte; in ihrem Rahmen lässt sich auch die Individua-
lität der Partner herstellen.
Man befindet sich schließlich in einer Position, die es erlaubt, von einer
Gesellschaft der Gegenwarten zu sprechen , in der sich die Intim ität als eine
mögliche Gegenwart ausma chen lässt. W ieder lässt das den Vorteil des vorge-
schlagenen Perspektivenwechsels deut lich w erden. D ie traditionelle Sichtw eise
verortet die Intimität und die Liebe gewissermaßen außerhalb der G esellschaft,
verlangt von ihr die ganzheitliche Inklus ion der Individuen – und beklagt em pi-
risch ihr diesbezügliches Scheitern. Die Perspektive dieser Arbeit verortet die
Intimität und die Liebe dezidiert in der G esellschaft, interessiert sich für ihre
spezifischen individualisierenden Effekte – und beobachtet empirisch ihre dies-
bezüglichen Erfolge. Urs Stäheli (in Pa sero/Weinbach 2003) plädiert in einem
allgemeineren Sinne für die Dringlichke it, soziologisch den Umstand ernst zu
nehmen, dass Individuen erst über „ihr e[...] Identifizierung m it spezifischen
Inklusionsfiguren“ (209) zu dem werd en, was sie sind: „Individuen werden
durch Subjektivierungsprozesse, welche in den Kommunikations- und Affekti-
onsweisen der spezifischen Funktionssyst eme verortet werden können, erzeugt
und können nicht immer schon vorausgesetzt werden.“ (ebd.) Nicht zufällig ver-
weist Stäheli in diesem Kontext auf gender-theoretische Argumentationsfiguren,
die exakt in dieser Hinsicht auch in der vorliegenden Arbeit attraktiv wurden.
Das Konzept der Gesellschaft der Gegenwarten gibt dieser Einschätzung
recht:

Man greift tatsächlich zu kurz, das Programm Individualisierung nur jenseits der
Funktionssysteme zu lokalisieren, da diese selbst individualisierte Formen der Selbst-
beschreibung und damit auch: der Identitätsbildung hervorbringen. In die sem Sinne
erweisen sich manche programmatischen St rategien der Funktionssysteme als diejeni-
gen diskursiven Techniken, in denen man mit Foucault die Konstitution des Subjekts
erkennen kann. (Nassehi 2002: 225)
258 Praxis der intimen Kommunikation

Man kann das Program m der Individualisierung dann für die verschiedenen
Funktionssysteme durchdeklinieren. 170 Diese Studie hat sich auf einen spezifi-
schen Kontext konzent riert; die Komm unikation von Intimität wurde als eine
spezifische Gegenwart sichtbar, die ei n spezifisches Programm der Individual i-
sierung, spezifische Formen der Selbst beschreibung, spezifische Formen der
Identitätsbildung anreizt. Insofern ist auch diese Kom munikationsform eine
ganz normale Kommunikationsform in de r G esellschaft, die sich m it an deren
Formen vergleichen lassen m uss. D eutlich w ird in jedem Fall, dass die Praxis
des E rzählens die individuellen E rzähler selbst hervorbringt. D eutlich w ird
auch, dass der Darstellung von Intimität genau in diesem Punkt spezifische
Regeln auferlegt sind. Das problematische Verhältnis von Formvorlagen und
konkreten Praktiken schiebt sich dabe i ins Zentrum der Darstellungspraxis
selbst. Die Leistung der analysierten Erzählungen ist die Herstellung von Ind i-
vidualität durch die Herstellung von Unbestimmtheit.

2. Nachreligion oder Wende zur Ästhetik? Unbestimmtheit im


Vergleich

Die praktische Herstellung von Unbestimmt heit rückt so im Kontext der Intimi-
tät in den M ittelpunkt des Interesses. V or dem Hintergrund soziologischer The-
oriebildung und Forschung zum Thema ist di es ein bemerkenswerter Umstand.
Abschließend kann man aber noch einmal fragen, ob damit die Besonderheit der
Kommunikation von Intim ität auf den Punkt gebracht ist. Im Verlauf dieser
Arbeit haben sich insbesondere zwei Kandidaten für einen m öglichen Vergleich
angeboten: Religion und Kunst. Im Falle der Religion ist es ein geradezu klassi-
scher Topos der soziologischen Literatur über die Liebe, diese als eine mo derne
Nachfolgeinstanz der Religion zu besti mmen. Was einst die Leistung der Reli-
gion war, soll nun von der Liebe übernommen werden. Insbesondere wurde in
dieser Hinsicht auf Ulrich Becks Eins chätzung eingegangen (vgl. Kapitel I.4.1),
dass die Liebe als eine „Nachreligion der Moderne“, als eine „irdische Religion“
(Beck/Beck-Gernsheim 1990: 243) begri ffen werden kann. Die funktionale

170
„So greift Ökonomie nicht nur auf individuelle Zahler zu, sondern konstituiert damit auch erst
ein interessegeleitetes Subjekt utilitaristischen Zuschnitts; Recht und Politik rechnen nicht nur
individuell zu, sondern fordern individuelle Konformität, gesellschaftlichen Zwang zum Selbs t-
zwang (Elias), Selbstkontrolle und Loyalität als subjektives Vermögen sowie die freiwillige Un-
terwerfung unter (staatliche) Kollektive ein; (Human- und Bio-)Wissenschaften ‚erfinden‘ den
Menschen, verlangen von ihm Autono mie und konstitu ieren ihn als empirisch-transzendentale
Dublette (Foucault) oder womöglich bald als in dustriell-genetisches Produkt; Religion übt Ge-
ständnisse ein, die sich dann im Recht, in der Liebe und in der Medizin säkularisieren; Erzie-
hung trainiert Triebaufschub und Langsicht usw.“ (Nassehi 2002: 225)
Praxis der intimen Kommunikation 259

Äquivalenz, auf die damit hingewiesen sein soll, ist die „Verzauberung“ der
Welt, die die Liebe in den Fußstapfen der Religion zu einer „passgerechten
Gegenideologie“ (239) der entzauberten M oderne werden lässt. Nicht nur in
diesem Aspekt schließt sich Beck da bei den Einschätzungen M ax W ebers an.
Dasselbe gilt für Eva Illouz, w enn sie resigniert die postmoderne Liebe als eine
„Religion ohne Glauben“ (in Niekrenz/Villányi 2008: 211 ff.) charakterisiert.
Die Argum entation dieser Studie hat sich eher zurückhaltend gegenüber
diesen soziologischen Ansprüchen an di e Leistungen der Liebe gegeben. Aber
vielleicht muss die Intuition, die Funkti onsbestimmung der Liebe so eng an die
der Religion zu koppeln, gegen die Intentionen der dargestellten Autoren vertei-
digt werden; vielleicht kann ihre W ahrheit gerade so gerettet werden. W enn
man sie aus dem B lickwinkel dieser A rbeit betrachtet, erscheint sie in einem
anderen Licht: Der Umgang mit Unbestimmtheit ist dann das M oment, das den
Vergleich so nahelegt. Armin Nassehi hat in einer empirischen Untersuchung
zur Praxis religiöser Kommunikation in ex akt dieser Hinsicht die Besonderheit
eines religiösen K ommunikationsstils aufgezeigt. Seine Beobachtungen bezie-
hen sich auf die Kommunikation von Relig ion im Kontext des Krankenhausall-
tags; Krankenhausseelsorgern etwa gelingt es hier, „Unbestimmtheit dadurch in
Bestimmtheit zu überführen, dass an die Stel le inhaltlicher religiöser Antworten
die Erfahrung von Religiosität, oder besser: die Erfahrbarkeit von Unbestimm t-
heit als spezielle kommunikative Stilisierung gesetzt wird.“ (2008: 2) Die sozio-
logische Beobachtung religiöser Kommunika tion stößt also auf ein ganz ähnli -
ches Phänomen wie diejenige der Ko mmunikation von Intimität. Nicht die von
der Tradition verbürgten Inhalte des semantischen Formenvorrats offenbaren
sich als ausschlaggebend, sondern ein Kommunikationsstil, der gar die Erfah-
rung von Religiosität mit derjenigen von Unbestimmtheit gleichsetzt. Nassehi
selbst gewinnt daraus eine Bestimmung der Besonderheit religiöser Kommun i-
kation:

Das macht es religiöser Kommunikation wie keiner anderen möglich, sich indirekt zu
äußern, in Bildern und Symbolen zu sprech en, Unbestimmtheit zuzulassen. Zugleich
wird Religion anders kritisierbar als andere Äußerungsformen: M an kann den religiö-
sen Gehalt ein es Satzes (oder weiter: einer etwa rituellen Praktik) zwar intellektuell
oder sachlich kritisieren, kaum aber den Akt des Glau bens selbst – oder wenn, dann
nur unter erheblichen „Kosten“. (9)

Nach den Ergebnissen dieser Arbeit ist die diesbezügliche Parallele nicht m ehr
von der Hand zu weisen. W ürde man in obigem Zitat „religiös“ durch „intim“
und „Glauben“ durch „Lieben“ ersetzen, würde es sich vorzüglich als M otto der
vorliegenden Studie eignen.
260 Praxis der intimen Kommunikation

Trotzdem lässt sich ein entscheidende r Unterschied festmachen. Die empi-


rischen Analysen dieser Arbeit haben nich t so sehr ein Zulassen, als vielmehr
eine kommunikative Herstellung von Unbestimmtheit im Herzen der Kommuni-
kation von Intim ität ausgem acht. D iesem Kom munikationsstil geht es nicht so
sehr um das Offenhalten von Unbestimmt heit, sondern um eine performative
Öffnung der erzählten G eschichten – in Richtung ihrer Individualität, in Rich-
tung ihrer emotionalen Attributionsambi valenzen und in Richtung ihrer ausg e-
stellten Interaktionsabhängigkeit. D ieser Umstand wurde dahingehend interpre-
tiert, dass sein grundlegendes Bezugsproblem im paradoxen Status seiner Form-
vorlagen, derer er sich bedienen m uss und gleichzeitig nicht bedienen darf, zu
finden ist. V or diesem Hintergrund kann sich der K ommunikationsstil dann gar
ironisch färben; ob dies für religiöse Kommunikationsformen in diesem M aße
möglich ist, wäre freilich eine empirisch offene Frage.
Auf eine andere W eise hat sich in der vorliegenden Studie der Vergleich
mit dem Kontext der Kunst aufgedrängt. Das hat wenig m it der auf der Hand
liegenden Parallele zu tun, dass sowohl die Liebe als auch die Kunst Gege n-
stand von Reflektionsbemühungen sind, die sie jeweils als das „ganz Andere“
der Gesellschaft ausweisen (vgl. dazu Nassehi 2006b). Im Vergleich zum Rest
der Gesellschaft, ja zur Gesellschaft selbst kann sich die Semantik der Liebe als
das Inkommensurable gerieren. Im ersten Kapitel (vgl. I.4.) wurden einige Ver-
sionen ihrer soziologischen Konzeptionalis ierung skizziert, die diese Einschät-
zung bis zu einem bestimmten Punkt theo retisch unterfüttern. Für die Kunst ist
eben jener G estus sicherlich stilbildend. Die Perspektive dieser A rbeit verbietet
es aber, diesen Schritt mitzugehen. In einer Gesellschaft der Gegenwarten findet
auch die Liebe und die Intimität in der Gesellschaft und als G esellschaft statt;
nichts anderes kann für die K unst gelten, deren Selbststilisierung als das „ganz
Andere“ schließlich noch als integraler Bestandteil ihrer gesellschaftlichen
Funktion gelesen werden kann (vgl. dazu wiederum Nassehi 2006b: 171 f.). In
dieser Arbeit war stattdessen von einer W ende zur Ästhetik die Rede. Zwei Be-
obachtungen spielten dabei eine Rolle. Er stens erscheint es unmöglich, das in
den Paarinterviews gewonnene M aterial angemessen zu interpretieren, ohne
sich text- und literaturw issenschaftlicher hermeneutischer Techniken zu bedie-
nen; die Darstellungspraktiken der Intim ität wurden dabei gewissermaßen unter
„Kunstverdacht“ gestellt. 171 Zweitens drängt sich die ästhetische Dim ension des
171
Armin Nassehi weist in einem ähnlichen Zusammenhang darauf hin, wie schnell Phänomene
unter „Kunstverdacht“ geraten, wenn sie in ihre n Formen auf ihr Medium, bei ihrer Herstellung
auf die Herstellungspraxis selbst verweisen: „Die Kontextur der Kunst ist es also, auf die Ko n-
textur selbst zu ver weisen“ (2006b: 185). Dieser Effekt – als performative Ostentation der Per-
formativität (vgl. Kapitel II.3.) oder als ironischer Um gang mit dem eigenen Medium (vgl. Ka-
pitel III:) – wurde als zentraler Bestandteil der Kommunikation von Intimität entziffert. Die
Bemerkungen im Fließtext verfolgen aber eine andere Spur.
Praxis der intimen Kommunikation 261

Materials selbst in den Vordergrund. Dies wurde vor allem an der Zentralität der
kommunikativen Herstellung von Unbesti mmtheit in den Interviews festge-
macht. An dieser Stelle bietet sich au s der Perspektive dieser Arbeit dann auch
der Vergleich mit den Eigentümlichkeite n und Leistungen der Kunst an. Niklas
Luhmann (1997; vgl auch Kapitel II.) hat diese enge Verknüpfung von selbster-
zeugter Unbestimmtheit und einer Kommunikation, di e im M edium der Kunst
stattfindet, klar herausgestellt:

Auch die Entscheidung über Art und Ausm aß der benötigten Bestimmtheit fällt inner-
halb (und nicht außerhalb) der Kommuni kation. Kommunikation kann daher Vagheit,
Unvollständigkeit, Mehrdeutigkeit, Ironie etc. tolerieren, ja produzieren; und sie kann
Unbestimmtheiten so placieren, daß sie einen bestimmten Verwendungssinn des Un-
bestimmten festlegen. Gerade in der durch Kunstwerke vermit telten Kommunikation
spielen solche überlegt placierten Unbestimmtheiten bis hin zu einer geradezu hof f-
nungslosen Interpretationsbedürftigkeit von „fertigen“ Werken eine bedeutende Rolle.
(23 f.)

Die Zentralität dieser Produktion von U nbestimmtheit für den K ontext von
Kunst ist un bestritten; am B eispiel literarischer W erke etw a denke m an nur an
den charakteristischen Einbau von „Unbes timmtheitsstellen“ (Ingarden) und die
Möglichkeit, das Kunstspezifische der W erke in ihrer O ffenheit, ihrem Status
als opera aperta (Eco; vgl. auch Kapitel II.4.) zu bestimmen. Exakt dies als eine
Parallele zur Kommunikation von Intimitä t zu ent schlüsseln, kann nach den
Analysen dieser Arbeit nicht m ehr überraschen, die in dieser Hinsicht zur Diag-
nose einer Wende zur Ästhetik angehalten war.
Dass in dieser Arbeit die ästhetisch e Dim ension des M aterials, ihr Kom-
munikationsstil so wichtig wurde, darf vor diesem Hintergrund auch als em piri-
sches E rgebnis gedeutet w erden. E mpirisch auffällig w urde in den Interview s,
dass es offenbar die stilistische Beson derheit der Darstellungspraxis von Intimi-
tät ist, auf den Stil der D arstellung und der K ommunikation hinzuweisen. Dass
der Stil der D arstellung in den M ittelpunkt des Interesses rückt, ist som it ein
spezifisches Charakteristikum der Da rstellungspraxis von Intimität und Liebe
selbst.
Die Interpretationsleistung dieser Arbe it bestand darin, diese Eigentüm-
lichkeit im Spannungsverhältnis von W iederholung und Individualität anzusi e-
deln. Dass dann in den Brennpunkt auch der soziologischen und sozialwissen-
schaftlichen Arbeiten zur Liebe imm er wieder eine besonderen Problem atisie-
rung das Verhältnisses von Norm und Einzigar tigkeit gerät, erscheint vor die-
sem Hintergrund vollkommen ei nleuchtend: Sie berühren darin einen zentralen
Punkt der Semantik der Liebe und weisen auf einen Problembezug hin, der die
Darstellungspraxis von Intimität selbst unausweichlich prägt.
262 Praxis der intimen Kommunikation

Mit dem B egriff des „Stils“ w ird dabei die älteste R eflexionstradition z i-
tiert, die sich explizit diesem Problem zuwendet. Hatte „stilus“ ursprünglich nur
den Schreibgriffel gem eint, wandert der B egriff des „Stils“ schnell als M etony-
mie in die Rhetorik und meint dann jeglic he „eigentümlich gestaltete Schrei b-
weise. So haben auch nicht -literarische Reden einen Stil. E r besteht in der ind i-
viduellen Art und W eise, in der Sprecher (oder Schreiber) W örter aus dem in-
ternalisierten Lexikon herausgreifen und eigentümlich kombinieren.“ (Frank
1992: 10) N euzeitlich hat sich der Stil-Beg riff auf drei A spekte zugespitzt. Er
fokussiert das „W ie“ des Sprechens (oder Schreibens); er verweist auf die Di-
mension des Ästhetischen, wenngleich er auch an den Grenze kunstspezifischer
Kommunikation angesiedelt ist; er problematisiert die Handhabung von Indivi-
dualität. W enn es nun abschließend nicht um allgemeine sprachphilosophische
Überlegungen gehen soll, ist es doch hilfreich, sich M anfred Franks Auslassun-
gen zum „Stil in der Philosophie“ (1992) zu H erzen zu nehm en, in denen im
Bezug auf den Stil-Begriff hauptsächlic h die Individualität eines „Individua l-
stils“ zum Bezugsproblem erhoben wird. Dass m an von reproduzierbaren Stilen
sprechen kann, also etwa die W iederholung und Nachahm ung von stilistischen
Eigenarten und Manierismen mit dem Stil -Begriff in den Blick bekommen will,
ist damit nicht ausgeschlossen. W enn man sich aber – in der M oderne in zuge-
spitzter Weise (vgl. Boehm 1994) – auf den Individualstil konzentriert, hat m an
es mit einem spezifischen P roblem zu tun. Folgt man Franks Argumentation,
geht es dann nicht mehr um das Verhä ltnis von Beson derem zum Allgemeinen,
sondern um das Verhältnis von Individuellem zum Allgemeinen (vgl. Frank
1992: 15 ff.). Diese Unterscheidung kann rückblickend noch einmal die spezi -
fische Problem stellung der em pirischen Analyse dieser Arbeit in ein helleres
Licht rücken. W enn sich das Besondere im mer als das Besondere eines Allg e-
meinen fassen lässt, verhält es sich „zu Allgemeinem wie Fall zu Regel; niemals
könnte ein Fall eine Regel m odifizieren, er kann sie nur instantiieren oder nicht
instantiieren.“ (15) Interessiert m an sich allerdings für das V erhältnis von Indi-
viduellem und Allgemeinem, verschiebt sich das Problem radikal. Individuell ist
unter diesem Aspekt ja gerade das, was sich nicht auf den Begriff bringen lässt
– es darf sich per definitionem nicht einer Regel subsumieren lassen. W enn es
sich etwa umstandsfrei wiederholen und reproduzieren lassen würde, verlöre es
gewissermaßen genau dies: seine Indivi dualität. Individualität zielt im Z usam-
menhang m it dem Individualstil hier also auf Einzigartigkeit ab: „Individuell
nenne ich, was ohne inneres Doppel, was ohne Vergleich und identische W ie-
derkehr, kurz: was schlechterdings einzel n existiert, mithin unter keine rekursiv
definierbare Regel gebracht werden könnt e.“ (ebd.) Dass in dieser Diskussion
des Individualstils m eist sehr schnell ästhetisches T errain betreten wird, zumin-
Praxis der intimen Kommunikation 263

dest aber die Tradition der Kantschen Überlegungen zur Urteilskraft anzitiert
wird, leuchtet modernen Lesern dabei unmittelbar ein.172
Frank biegt an dieser Stelle sprachphilosophisch ab und interessiert sich für
den Individualstil als den Paradefall eine s A uftauchens des Individuellen, das
im w örtlichen Sinne „un-teilbar“ und sch ließlich auch „un-m itteilbar“ ist (17).
Es geht ihm im Anschluss an Schleierm acher m ithin um ein herm eneutisches
Problem. A uffällig ist aber, dass in dieser Fassung des Individual -Stils genau
der Problembezug bestimmt ist, an dem sich die Darstellung der Intimität schier
unausweichlich abarbeitet. Es geht ihr aus dem Blickwin kel dieser Studie um
die D arstellung von Individualität in einem doppelten Sinne: In der D arstel-
lungspraxis soll Einzigartigkeit aufs cheinen; und die Darstellungspraxis selbst
will individuell sein. Der Nam e der philosophischen Tradition für dieses Ph ä-
nomen ist der individuelle Stil.
Historische Rekonstruktionen der ästhetischen Thematisierung von „Präg-
nanz“ etwa im Hinblick auf die neuzeitliche „Frage bildnerischer Individualität“
(Boehm 1994) können in diesem Sinne die Ergebnisse dieser Studie hinsichtlich
der W ende zur Ästhetik noch einmal zusa mmenführen. In ihnen drängt sich in
der Problematisierung moderner bildender Kunst ein analoger Bezugspunkt auf,
der ebenfalls auf die Frage des Indiv idualstils abzielt. A uch hier geht es um
Individualität in einem doppelten Sinne: um die Individualität des Dargestellten
und die Individualität der D arstellungsweise. Im Stil geht es – beispielsw eise in
der Tradition der römischen Rhetorik – um den „gelungene[n] Ausgleich zw i-
schen Regelhaftigkeit und individueller Prägung oder Färbung“; ihm „liegt die
Idee einer Balance zugrunde.“ (1 f.) M it der neuzeitlichen Aufwertung der Ind i-
vidualität w ird dieses ausbalancierte V erhältnis m ehr und m ehr zu einer span-
nungsgeladenen A ngelegenheit. D ies gilt für das K ünstlerindividuum ebenso
sehr wie für das dargestellte Individuelle und noch die Individualität des B e-
trachters. Das interessante Phänomen ist nun, dass sich in der Problematisierung
der Individualität am Beispiel der bild enden und bildnerischen K unst vorführen
lässt, wie sich unter der Hand wiederum technische Regeln etabliert haben,
deren explizite Regelhaftigkeit in diesem Hinblick jedoch wiederum genau
unsichtbar bleiben mussten. Gottfried Boehm etwa macht stark, dass es die
Beschäftigung mit Individualität nun „m it jener Grenze zu tun, an der sich B e-
stimmtheit und Unbestimmtheit berühren , mit der fruchtbaren Synthese von
Regel und Abweichung. Individualität ist deshalb in sich verschattet, entspr e-
chend auch das ihr zugew andte E rkennen.“ (6) W enn sich also Indivi dualität
nicht auf den Begriff, sondern höchstens auf eine M etapher bringen lässt, hat
das einen funktionsspezifischen Sinn. Boeh m selbst konzentriert sich vor allem
172
Frank holt sich denn auch für seine Definition des Individuellen Rückendeckung bei Immanuel
Kant: „Das, von dem nicht mehrere derselben Art sind, ist einzig.“ (zit. n. Frank 1994: 15).
264 Praxis der intimen Kommunikation

auf die M etapher der „Prägnanz“ und mach t mit dem Hinweis auf ihre spezifi-
schen metaphorischen Gehalt aufmerksam : Prägnant ist, was „dem Gebären
nahe, schwanger, voll, keimend, strotze nd usw.“ ist (10). Das Problem der pri n-
zipiellen U ndarstellbarkeit der Individualitä t w ird unter die sem A spekt also in
die Zeitdim ension verlagert. „D ie Individualität konvergiert m it potentia bzw .
dynamis.“ (7)
In dieser Arbeit wurde dieses Motiv schon mehrfach hervorgehoben. Es hat
es ermöglicht, die performativen Effekte der Ostentation der Interaktionssituati-
on zu verstehen (vgl. Kapitel II.3.); es ha t es auch ermöglicht, Ironieformeln als
Pathosformeln zu begreifen (vgl. K apitel I.2.2 und III.). D ie empirische Pointe
für eine kommunikationstheoretische Unte rsuchung liegt dabei darin, dass sich
Individualität in einer konkreten G egenwart offenbar nur als etw as darstellen
lässt, was sich dieser konkreten Gegenwar t entziehen muss. Sie lässt sich nicht
unmittelbar „m einen“ oder „bedeuten“; die D arstellung selbst m uss „be -
deutungsschwanger“ oder „bedeutungsträch tig“ erfolgen. Individualität ist also
letztendlich nur performativ zu haben. Si e ist die Form einer Handlung, die sich
nicht als Handlung, sondern als Hande lnkönnen zu erkennen gibt. W enn sich
das moderne Individuum nur „über seine im plizite Prozeßform verstehen“ lässt,
wird im Anschluss an Boehm dann auch deutlich, warum sich die Darstellung
von Individualität, Einzigartigkeit, U nsagbarkeit und A uthentizität auf eine
stilistische M etapher beziehen lassen m uss: „Prägnanz ist eine Struktur der
Inhärenz: von Vergangenem beziehungsweise Zukünftigem im Gegenwärti gen,
von W irklichem im M öglichen, von Einem im Vielen etc.“ (16) In den anal y-
sierten Interview s zeigt sich diese Form des Stils nur über perform ative V er-
weise, die als Verweise konstitutiv im Dunkeln bleiben müssen.
Letztendlich unterstützt dieser Bez ug auf einen kurzen Abriss zur Proble-
matisierung des Individualstils in der Kunstgeschichte der Neuzeit vor allem
eine E insicht dieser A rbeit: „Individualität w urde heuristisch, kein sicherer
Ausgangspunkt, sondern Dreingabe einer Suche, einer artistischen Untersu-
chung.“ (Boehm 1994: 22) Ein praxistheo retisch informierter Blick auf die
Intimität in einer G esellschaft der G egenwarten beobachtet genau dies. W as in
einer konkreten Gegenwart als individuell dargestellt w erden kann, w as auf
individuelle Weise dargestellt werden kann und w as auch als Individuelles gele-
sen werden kann, ist keine im mer schon als gegeben vorausgesetzte Tatsache –
es ist das Produkt einer spezifischen Prax isgegenwart. Dabei darf nicht unter-
schlagen werden, dass die vor dem Hint ergrund der diagnostizierten W ende zur
Ästhetik die Darstellungspraxis der Intim ität in einem gewissen Sinne im mer
auch als eine artistische und ästhetische Praxis gelesen wurde. Die ästhetische
Dimension der analysierten Texte ernst zu nehmen, hat entscheidende Implika-
tionen. M an vergleiche die hier vertretene Perspektive nur mit einem fou-
Praxis der intimen Kommunikation 265

caultschen „kalten“ Blick, der die Ge nese des modernen Individuums überzeu-
gend als eine Geschichte seiner Unterwerfung in und unter disziplinierende und
normalisierende Praktiken beschreiben kann (vgl. nur 1977; 1987; dazu auch
Kapitel I.2.; I.5.2.2 ). W enn F oucault die individualisierenden Effekte b e-
schreibt, die sich in der M oderne in den in timsten und privatesten Bereichen
zeitigen und die m it der Erfindung der „Sexualität“ einhergehen, hat er dabei
kein „ästhetisches“ Phänomen vor Auge n. Es sind vielmehr vornehmlich „wis-
senschaftliche“ Diskurse, Praktiken und Problem atisierungsweisen, die den
Anlass zu Foucaults dunkel gefärbter Diagnose der Individualisierung als Effekt
von M achttechnologien geben. Ä hnlich fä llt die Einschätzung auch aus, w enn
man wie Eva Illouz die Prozesse der „Therapeutisierung“ des Selbst in den
Mittelpunkt rückt (vgl. 2008). Eine spezifische A usprägung des Individuum s
entsteht dabei im rationalisierenden Prozess wissenschaftsnaher Beschreibungs -
und Kommunikationspraktiken. Vor dem Hi ntergrund der W ende zur Ästhetik
erstaunt aber auch nicht mehr, dass si ch auch von Foucault selbst die Problema-
tisierung der Individualität in einem anderen Licht lesen lässt, w enn sich seine
Genealogie ästhetisch konnotierten Prakti ken zuwendet. Er fordert schließlich
ein ästhetisches Selbstverhältnis ein, das sich von den normalisierenden und
disziplinierenden Techniken der Individualisierung radikal unterscheidet: „Doch
warum sollte nicht jeder einzelne aus seinem Leben ein Kunstwerk machen kön-
nen?“ (1985: 80) Das Argument dieser Arbeit war, dass sich im Hinblick auf die
Selbstdarstellung von Intimität in P aarinterviews der Eindruck geradezu auf-
drängt, dass es sich hier um eine „ kunstnahe“ Darstellungspraxis handelt. Der
Stil der Kommunikation drängt sich im eben skizzierten Sinne als Individualstil
in den Vordergrund. Ziel dieser Arbeit war es, diese ästhetische Dimension auch
für ein soziologisches Publikum anschlussfähig und interpretierbar zu präsentie-
ren, ohne ihre konstitutive Unbestim mtheit gänzlich in wissen schaftliche Be-
stimmtheit aufzulösen.

3. Performative Vermittlungen: Die Funktionalität des Paradoxen

Auch in einer weiteren Hinsicht hat das Interesse dieser Arbeit für den Kom mu-
nikationsstil intimer Sprechweisen den B lickwinkel verändert. Sicherlich ist die
These nicht, dass eine soziologische Analyse der Kom munikation von Intim ität
von den präsentierten Inhalten der Rede vollkommen absehen kann. Das Spez i-
fische der beobachteten Darstellungs praktiken ist aber nicht in konkreten „ab-
fragbaren Inhalten und abgrenzbaren Mustern“ (Nassehi 2008: 13) zu finden. Es
ist auch nicht lediglich darin zu find en, dass sich die Gewährspersonen aus
einem vorgängig identifizierbaren Schatz an semantischen Formenvorräten
266 Praxis der intimen Kommunikation

bedienen. Das Verbindende der Intervie ws ist zuallererst ihre kom munikative
Form – wie sonst hätte eine Paargeschichte, die auf der Klappe beginnt (vgl.
Kapitel II.3.2), neben einer, die ihren Ausgangspunkt am gemeinsamen Arbeits-
platz nim mt (vgl. K apitel III.), so zw anglos nach gem einsamen M erkmalen
untersucht werden können?
Noch in der expliziten Bezugnahm e auf konkrete Inhalte und sem antische
Muster etwa der romantischen Liebe ist das Entscheidende, wie diese praktisch
vorgeführt w ird (vgl. nur K apitel II.1.; II.3.2; III.2.1). In der intim soziologi-
schen Literatur wird demgegenüber ge rade die Frage nach identifizierbaren
semantischen M ustern der romantischen Liebe – und ihren Zukunftschancen –
diskutiert. In diesem Zusammenhang sind drei einflussreiche Positionen ident i-
fizierbar. M it Andrea Leupold (1983) kann m an von einem Ergänzungs bedarf
der romantischen Liebe sprechen. W enn die „Leitsemantik “ der rom antischen
Liebe weiterhin für die „Partner wahl“ und die „Bildung von Beziehungen“
zuständig ist, prägt diejenige der „Partn erschaft“ die A lltagspraxis intim er B e-
ziehungen (297; vgl. auch Kapitel I.3. 1; I.5.2). M it Anthony Giddens (1993)
kann man einen kompletten Austausch de r relevanten Formvorlagen diagnosti-
zieren. Nicht mehr die romantische Lieb e, sondern die „reine Beziehung“ be-
stimmt die zeitgenössische Intim ität n ach ihrem W andel (vgl. auch K apitel
I.3.1). M it Eva Illouz (2006) schließlich ka nn man den Verlust der Formen
romantischer L iebe betrauern. D as E nde der rom antischen L iebe fällt hier m it
dem Ende der Liebe selbst in eins. Können die empirischen und theoretischen
Untersuchungen dieser Arbeit einen Hinwei s darauf geben, für welche Position
sich der intim itätssoziologische D iskurs der M oderne entscheiden sollte? W ie
steht es um die Zukunft der (romantischen) Liebe?
Auch abschließend muss eine direkte Antwort auf diese Fragen ausbleiben.
Aus der Perspektive der vorliegenden Studie stellt sich das Problem jedoch
grundsätzlich anders dar. In den analysie rten Interviews wird das Typische der
Kommunikation von Intim ität in ihrem Stil si chtbar. In zweierlei Hinsicht wird
somit die skizzierte Fragestellung obsolet. Erstens verbietet es sich, d ie Erzäh-
lungen als konsistente Aktualisierungen eines semantischen M usters zu lesen.
Das zweite Kapitel (vgl. vor allem II.3.) hat ausführlich gezeigt, wie in der Dar-
stellungspraxis insbesondere das Switchen zwischen verschiedenen inhaltlichen
Bezügen und formalen Mitteln performativ dazu genutzt w ird, die entscheide n-
de Leistung des intim en K ommunikationsstils in Szene zu setzen: die H erstel-
lung von Unbestimmtheit. In den Erzähl ungen werden so unterschiedliche Ve r-
weise – etwa auf den „romantischen“ Beziehungsbeginn und den „partnerschaft-
lichen“ Beziehungsalltag – und unterschie dliche Erzählpraktiken – etw a die
narrative Rekonstruktion und die performance – miteinander kompatibel g e-
macht. Die Gewährspersonen erweisen si ch diesbezüglich als M eister der pe r-
Praxis der intimen Kommunikation 267

formativen V ermittlung des D isparaten. D ie K ommunikation von Intim ität


nimmt dabei vor allem die Effekte dieser V ermittlungspraktiken selbst in A n-
spruch. Zweitens wurde das zentrale Bezugsproblem gerade im paradoxen Ver-
hältnis von Formvorlagen und ihrer praktischen Zitation gesehen. Die B e-
stimmtheit abfragbarer Inhalte und ab grenzbarer Muster selbst entpuppt sich in
der Liebe als Problem. Nur vor diesem Hi ntergrund lässt sich die allgegenwärti-
ge Herstellung von Unbestimmtheit als eine funktionale Lösun g begreifen, die
sich in einem spezifischen Kommunikationsstil der Intimität ausdrückt.
Im Argumentationsverlauf dieser Arbe it wurde versucht, die Diagnose e i-
ner fundamental paradoxen Anforderung an die Intimkommunikation nicht zu
überstrapazieren. Abschließend lassen sich aber noch einmal im Bezug auf den
Begriff der Paradoxie einige zentrale M otive der Arbeit zusam menführen. Von
Paradoxien zu sprechen ergibt nur da nn Sinn, wenn man sich auf Figuren der
Selbstreferenz einlässt. Urs Stäheli ha t in der Faszination mit Paradoxien und
Selbstreferenz eine der auffälligen G emeinsamkeiten und Besonderheiten neue-
rer gesellschaftstheoretischer Analyseangebote dingfest macht:

Besonders fasziniert Selbstreferenz durch ihre Fähigkeit, Paradoxien zu erzeugen,


welche den Beobachter zwingen, spezifische M ittel zur Entparadoxierung zu entw i-
ckeln. Im Gegensatz zur aufklärerischen Behandlung von Paradoxien, welche diese so
schnell wie möglich aufzulösen gedachte, zeichnen sich Theorien, welche wir im we i-
testen Sinne als „post-foundationalist“ bezei chnen können, durch die Einsicht in die
Unvermeidbarkeit von Paradoxien aus. Mehr noch, Paradoxien werden zunehmend als
kreatives Potential, als unverzichtbares Moment in der Entstehung von Neuem ges e-
hen. (1996: 257)

Der Kontext von Stähelis Beobachtung ist der eines Interesses für Vergleichbar-
keiten von Theorien, die sich dieser Figur en – der Selbstreferenz und der Para-
doxieentfaltung – insbesondere mit dem Interesse annehmen, die Probleme von
Einheitsbezeichnung von Systemen oder diskursiven Einheiten bearbeiten zu
können, und dies vor allem unter Verzicht auf den Rekurs auf ein außersystem i-
sches oder außerdiskursives Fundament, von dem aus diese Einheitsbezeic h-
nungen paradoxiefrei getroffen werden könnten. Stäheli interessiert sicht dem-
entsprechend auch für Theorieentwür fe, die er in diesem Sinne als post-
foundationalist bezeichnet und unter diesem G esichtspunkt m it beachtlichem
theoretischen E rtrag auf ihre V ergleichbarkeit hin abtastet. Sein Hauptauge n-
merk liegt, wie die Rede von Systemen und Diskurs schon klargemacht haben
mag, auf zentralen M otiven der Syst emtheorie luhmannscher Prägung und den
Vorschlägen einer gesellschaftstheoretisch gewendeten Diskurstheorie, wie sie
vor allem Ernesto Laclau (vgl. insbesondere 1996) zu entnehmen sind.
Diese Arbeit hat bescheidener angesetzt und sich em pirisch für die spezifi-
sche Kontextur der Intimitä t interessiert. Schon die Ausgangslage nimmt dabei
268 Praxis der intimen Kommunikation

einen im spezifischen Sinne paradoxen Charakter an: die Darstellung von Inti-
mität benutzt Formvorlagen, die ihr eige nen Aktualisierung verbieten (vgl. K a-
pitel I.). Empirisch auffällig wird vor diesem Hintergrund die Omnipräsenz von
kleinen, scheinbar unbedeutenden Aussage n, die einem M uster folgen, das man
in einer anderen Theoriesprache, derjen igen der Diskurstheorie habermasscher
Provenienz, als performative Widersprüche identifizieren könnte (vgl. vor allem
Kapitel III.). Plausibler erscheint es je doch, sich das von Stäheli vorgeschlagene
Interesse für das „kreative Potential“ von parad oxen Aussagen zu eigen zu m a-
chen. Im Kontext eines Diskurses der In timität ist m an dabei natürlich sogleich
an zwei Topoi erinnert: an dem Unsa gbarkeitstopos und an die Logik der In-
kommunikabilität, die Luhm ann als di e entscheidenden Erfindung der Liebes-
semantik schon des 18. Jahrhunderts identifiziert hat (vgl. 1982: 153).
Der Topos der Unsagbarkeit, der Unerklärlichkeit des Geschehens wurde
in der vorliegenden Studie schon zum Th ema, als den Hinweisen Vilhem A u-
berts zu diesem Komplex gefolgt wurd e (vgl. I.5.2). Empirisch konnte im A n-
schluss daran vor allem der Einsicht fruchtbar gemacht werden, dass eine ko m-
munikative Inszenierung einer Begebenheit als unerklärlich oder nicht repräse n-
tierbar keineswegs darauf verweist, da ss diese Begebenheit als nicht s ignifikant
oder unwichtige gedeutet werden muss. Gerade in der Liebe, so Aubert, ist etwa
der Zufall „intimately related to fate, to the supernatural, and even to justice and
law.“ (1965: 214; vgl. auch 137 ff.). Für Aubert sind Figuren dieser Art nicht
notwendigerweise paradox: M an kann sich ohne weiteres vom Zufall zusam-
mengeführt fühlen und gerade dies als den W ink eines unausweichlichen
Schicksals deuten. Paradox wird die Lage dann, wenn das Topos der Unsagbar-
keit zur „Entdeckung der Inkom munikabilität“ (Luhm ann 1982: 153 ff.; vgl.
dazu Kapitel I.3.1) führt. Das oft mi ssverstandene Motiv der Inkommunikabili-
tät gibt für die Interpretation einiger eigentümlichen und zentralen Stellen in den
analysierten Interviews ein hilfreiches Interpretationswerkzeug ab. Hier kann
man noch einmal den historischen Kont ext in Erinnerung rufen, in den Lu h-
mann die Entdeckung der Inkom munikabilität bettet. Im 18. Jahrhundert b e-
merkt er in der Evolution des C odes der Intim ität zw ei deutliche Tendenzen.
Liebe wird erstens trivialisiert. Sie ist nun nicht mehr nur etwas, das exemplari-
schen Helden oder Liebesvirtuosen vorbe halten ist; widerfahren kann die Liebe
nun – im Prinzip – auch dem „Normalmensc hen“ (153). Zweitens verstärkt sich
damit einhergehend auch die Tendenz, Liebe als ein Phänomen zu begreifen und
zu reflektieren, das sich w eniger auf die T ugenden der beteiligten Individuen
beziehen lässt, als sie sich nun auf Chancen und Probleme der Kommunikation
selbst konzentriert: „die Dramatik ve rlagert sich nun in Kommunika tionsprob-
leme.“ (ebd.) Das ist der Hintergrund, vor dem sich nun die Entdeckung der
Inkommunikabilität als produktive Lösung eines Problems interpretieren lässt:
Praxis der intimen Kommunikation 269

„Inkommunikabilität wird, wie es scheint, zur Entbanalisierung der M ittelmä-


ßigkeit erfunden. Ihr ist zu danken, da ß auch Normalmenschen noch eine Ge-
schichte zustande bringen, für die andere sich interessieren können.“ (153 f.)
Hier befindet m an sich nun inm itten des diese Arbeit interessierenden Zu-
sammenhangs des Erzählens von interessanten Liebes - und Paargeschichten.
Missverstanden wurden die luhm annschen Überlegungen so oft, weil er m it
Inkommunikabilität nicht nur ein Problem bezeichnet w issen will – „das P rob-
lem, ob es nicht, und zwar gerade in Intimbeziehungen, Sinn gibt, der dadurch
zerstört wird, daß m an ihn zum Gegens tand einer M itteilung m acht.“ (155)
Gleichzeitig lässt sich aber in der Entdeckung der Inkom munikabilität auch die
Lösung eines Problems dingfest machen. Schon für Luhmann ist „die Erfahrung
von Inkommunikabilität [...] ein A spekt der A usdifferenzierung von Sozialsy s-
temen für Intitm ität. [...] Sie w iderspricht der Intim ität nicht, sie entspricht ihr;
und m it der A usdifferenzierung solcher System e fällt sie zw angsläufig an.“ 173
Nach den Ergebnissen der empiri schen Untersuchung dieser Arbeit scheint dies
etwas vorschnell form uliert zu sein; di e untersuchten Paargeschichten legen
demgegenüber nahe, dass selbst Inkom munikabilität nicht einfach von selbst
anfällt, sondern erst praktisch produziert werden m uss, um seine produktiven
Potentiale entfalten zu können.
Für Luhm ann ist es unter anderem der „A usdruck von Individualität im
Sinne von Einzigartigkeit“ (154), der die Inkommunikabilität auf den Plan ruft.
Diese Arbeit ist dieser Vermutung in ei nem ganzen Kapitel empirisch nachg e-
gangen (vgl. II.1.). Das Augenmerk lag da bei immer auf der in dieser Hinsicht
produktiven Dimension von Sprechweisen, die sich Paradoxien, Unschärfen,
Unbestimmtheiten und Ironie zum uten. „Produktiv“ hat hier einen doppelten
Sinn: Zum einen mussten die Paradoxi en, Unschärfen, Unbestimmtheiten und
die Ironie in der Situation selbst erst hervorgebracht werden. Zum anderen ze i-
tigte diese Hervorbringung wiederum Effe kte, die für die Darstellung von Int i-
mität unerlässlich waren.
Aber warum wird hier abschließend der Akzent auf den Aspekt des Para-
doxen gelegt? Für das Pathos der laclauschen Evokation des leeren Signifikan-
ten m ag das noch unm ittelbar einleuchten. Seinen „paradoxalen Status“, um
noch einmal mit Urs Stäheli zu formulieren, erhält er durch seine Eigen schaft,
„Element eines Systems zu sein, ohne zu signifizieren“; er „lässt den leeren
Signifikanten als Platzhalter für eine ab wesende Vollheit (die Systematizität des
Systems oder dessen reine Selbstrefere nz) fungieren.“ (1996: 264) Um diese
Form der Selbstreferenz ging es in di eser Arbeit jedoch nicht; ihr sind zwar

173
Luhmann (1982: 155); nur angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass schon Luhmann die
elaborierten Formen, dieses produktive „Problem“ der Inkommunikabilität zu bearbeiten, „im
Paradoxieren, in der Ironie, im Zynismus“ sucht (1982: 157).
270 Praxis der intimen Kommunikation

Paradoxien begegnet, aber es konnte im strengen Sinn in den Interviews kein


Kandidat für einen leeren Signifikanten ausgem acht werden, der den Ansprü-
174
chen der laclauschen Argumentation gerecht werden würde. A uffällig ist
darüber hinaus, dass man es im strengen Sinne auch nicht mit Paradoxien der
Attribution zu tun hat. Paradoxe Attributione n sind ein Stan dardthema der Inti-
mitätsforschung (vgl. nur Aubert 1965; Kelley 1979), die Luhmann nur in die
Sprache der Sytemtheorie übersetzt, wenn er darauf hinweist, dass in der Liebe
das „Ich des anderen [...] stabile D ispositionen zu erkennen geben [m uß] und
zugleich die Bereitschaft, sich selbst in Richtung auf den anderen zu transze n-
dieren, also nicht nur den eigenen Interessen und Gewohnheiten zu folgen.“
(1984: 306) Von paradoxen Attributionen spricht Luhmann in diesem Zusam-
menhang insbesondere deshalb, weil er beobachtet, dass in der Intimkommun i-
kation keine Regel angegeben werden kann, nach der ein Verhalten des anderen
Ichs entweder als dessen Erleben oder als dessen Handeln gedeutet werden
kann, genauer: dass gewissermaßen je des E rleben im K ontext der Intim ität
gerade auch als Handeln zugeschrieben wird und umgekehrt (vgl. 1982: 26 ff.).
Auch das hilft im Bezug auf die Paarge schichten nicht weiter, da die paradox
anmutenden Äußerungen offenbar anders geartet sind.
Der Akzent wird hier noch einm al auf den Aspekt des Paradoxen gelegt,
weil er die zwei M otive engführt, die die vorliegende Untersuc hung als zentral
für die Kom munikation von Intim ität entschlüsselt hat. In der Präsentation der
Intimität spitzt sich ein paradoxes Ver hältnis zu Formvorlagen zu; sie ist u n-
ausweichlich geprägt von der Gleichzeitigkeit eines Kopiezwangs und eines
Kopieverbots. Kopiert wird dabei gewi ssermaßen: ein Kopierverbot. Das Er-
gebnis der empirischen Analyse der Interv iews ist dabei, dass dieser paradoxen
Ausgangslage m it einer Praxis des Paradoxierens begegnet werden kann. Der
Kommunikation von Intim ität eignet ein Stil, der sich im V ergleich zum U m-
gang mit Paradoxien anderer Kommunika tionslogiken wie der Pinguin zu G o-
tham City verhält: You flash it, I flaunt it.
Ganz allgem ein dürfte es einen system theoretischen Beobachter natürlich
nicht verwundern, dass er mit Paradoxi en und Techniken der Entparadoxierung
konfrontiert wird. Das hat mit der einle itend skizzierten theoretischen Entsche i-
dung zu tun, sich grundsätzlich für das kreative Potential von Paradoxien zu
interessieren – die Brille des System theoretiker ist von vorneherein auf Parado-

174
Bei der Interpretation der Interviews war es zunächst verlockend, einem derzeitig beliebten und
ertragreichen Trend zu folgen, die entdeckte Unbestimmtheit von empirisch beobachteten Ei n-
heitsformeln – ein neueres Beispiel dafür wä re etwa: Ethik (vgl. von Groddeck 2011; Wagner
2011) – als leeren Signifikanten im Sinne von Laclau zu deuten. Im Verlauf der Interpretation
stellte sich aber gerade als auffälliges Merkmal der Interviewtexte heraus, dass ihnen gerade der
Bezug zu Einheitsformeln überhaupt abging.
Praxis der intimen Kommunikation 271

xieerkennung geschliffen. Armin Nassehi formuliert dies so: „Die Luhmannsche


Systemtheorie schreckt nicht vor dem Problem der Paradoxie durch Selbstbe-
züglichkeit zurück, sondern nimmt sie inso fern ernst, als diese Theorie gerade
nicht mit Techniken der Entparadoxierung beginnt, sondern umgekehrt: sich für
die Empirie der Entparadoxierung interess iert. Luhmanns Argument lautet, dass
Systeme sich – paradoxer W eise (sic!) – selbst entparadoxieren, empirisch,
dadurch, dass sie tun, was sie tun.“ ( 2009b: 1) Das soziol ogisch Erklärungsbe-
dürftige ist also immer auch, wie „für un wahrscheinliche Zum utungen hinrei-
chende Annahmewahrscheinlichkeit“ sichergestellt wird: „Letztlich ist es immer
dieses sozialstrukturelle Paradox, das auf die sem antische Ebene transponiert
und als in der Sache (im W esen der Religion, der Erkenntnis, der Liebe) liege n-
des Paradox zum Ausdruck gebracht wird .“ (Luhmann 1982: 67) Hier lohnt es
sich aber noch einmal innezuhalten, denn selbst eine theoretischer Blick wie der
systemtheoretische, der sich so grundsätzlich für die zugrunde liegenden Par a-
doxien und praktischen Entparadoxierung sstrategien jeglicher Kommunikation
interessiert, muss es zulassen, im Falle der Liebe von einer Besonderheit im
Umgang mit Paradoxien zu sprechen. Bei allem theoretischen Beharren auf der
Unausweichlichkeit von Paradoxien bei jeglicher System bildung und der No t-
wendigkeit der Entparadoxierung als Agens der Systembildung kann Luhmann
empirisch nicht darüber hinwegsehen, dass es sich bei der Liebe tatsächlich um
eine Besonderheit in dieser Hinsicht hande lt. Seine These ist, dass sich für sie,
in einem anderen Ausmaße als das sonst zu beobachten wäre, die Form der
Paradoxie selbst als Lösung für die Behandlung des Entparadoxierungsprob-
lems anzubieten scheint. Luhmann ve rmutet den Grund für diese Besonderheit
in der Interaktionsabhängigkeit von intimer Kommunikation. Anderen Funkti-
onssystemen w ie etw a der W issenschaft, der Politik oder der W irtschaft (68)
gelingt es, so die Beobachtung, die immer zu Tage tretenden Grundparadoxien
auf verschiedene W eisen zu externalis ieren und sie gewissermaßen „gegen den
Kommunikationsprozeß selbst zu isolieren.“ (ebd.) Auch und gerade wenn etwa
in „Makrosystemen“ (69) und Reflexions theorien der unterschiedlichsten Funk-
tionssysteme die paradoxe K onstitution des System s in Betracht gezogen w er-
den kann, kann dabei die alltägliche Kommunikation von dieser Behandlung des
Paradoxes gewissermaßen entlastet werden. Luhm ann beschreibt das als „A b-
dichtung der Interaktionsebene gegen das Paradox“ und „Abdichtung der lau-
fenden Kom munikation gegen das Paradox“ (69), die aber im Falle der Liebe
nicht w asserdicht zu sein scheint: „I n der Intim kommunikation muss die para-
doxe K onstitution ausgehalten, ja expressiv verw endet w erden“, denn „Liebe
regelt intime Kommunikation, und intime Kommunikation bildet keine Systeme
außerhalb der Interaktionsebene.“ (ebd.) Diese Studie hat exakt hier angesetzt,
denn was in den Interviews beobachtet werden konnte, war keine rein logische
272 Praxis der intimen Kommunikation

Paradoxie, die etwa nur für den soziol ogisch erleuchtetenden Beobachter sicht-
bar ist: Es ist vielmehr die kreative Oste ntation der Form der Paradoxie, die als
Praxis des Paradoxierens auffällt.175
Luhmann selbst sieht für diese Technik des Paradoxierens eine spezifische
historische Periode der Ausdiffere nzierung von intimer Kommunikation vor:
Mit dem Triumph der romantischen Liebe ist es mit der Vorherrschaft des Para-
doxierens im Hinblick auf den Kommunika tionsprozess der Liebe vorbei. Seine
Vermutung – wie schon im Bezug auf die Form der Ironie (vgl. dazu Kapitel
III.1.) – ist w iederum, dass das Paradoxieren sich gewissermaßen als trivialisie-
rungsresistent erweist. „Das waren jedoch zu anspruchsvolle (und in jedem
Falle: nur schichtspezifisch verwendbare Formen.“ (70) Die empirischen Er-
gebnisse dieser Arbeit weichen in dies em Falle jedoch von Luhmanns Diagnose
entschieden ab; das Paradoxieren hat „als eine Technik von starker systematisie-
render Kraft“ (67) nichts von seiner Bedeutung verloren (vgl. K apitel III).
Überraschenden Beistand erhält diese Diagnose von Eva Illouz, die eben jene
Technik des Paradoxierens als ein Grundcharakteristikum der „postm odernen
Lage der Liebe“ (2007: 214 ff.) identifizier t. Postmodern nennt sie die heutige –
„unglückselige“ (219) – Lage der Liebe de shalb, weil für sie die Technik des
Paradoxierens durch die oft diagnostizierte „Krise der Repräsentation“ (221) vor
dem Hintergrund der Allmacht der M assenmedien erforderlich wird. M it der
Krise der Repräsentation ist hier zunächst nichts weiter gem eint als die „Erfa h-
rung“, dass sich die „Grenze zwischen Leben und Texten“ aufgelöst hat oder
zumindest verschwim mt (211). „Realität als Fiktion“ (206) und „Fiktion als
Realität (211) sind ihre Form eln, denen sich eine postm oderne Theorie der
postmodernen Lage der Liebe bedienen muss. Die empirische Überraschung ist
dann, dass sich das „unglückselige postmoderne romantische Ich“ (219) durch
die Technik des Paradoxierens in dieser Lage einrichten kann und die soziologi-
sche Erkenntnis des Paradoxes sich auch im Gegenstandsbereich wiederfindet.

Ähnlich wie postmoderne Künstler und Soziologen bewahren die Gewährsperso nen
eine ironische Haltung, wonach ihre Vo rstellungen und Erfahrungen ‚Abbilder‘ seien,
Imitationen künstlich erzeugter Zeichen ohne Referenten. Das romantische Ich nimmt
sich selbst ironisch wahr, wie ein auf eine n Text festgelegter Schauspieler, der die

175
Luhmanns Ausführungen hierzu kommen unseren empirischen Beobachtungen erstaunlich nahe
– auch wenn sie vor allem mit Blick auf das 17. und 18. Jahrhundert formuliert sind: „Die
Gründe dafür (das Paradoxieren, M.S.) lassen sich klären, wenn man fragt, welche spezifischen
Strukturprobleme der Intimkommunikation gelöst werden. Sie ergeben sich auf verschiedene
Weise aus der Abhängigkeit von freier Entscheidung. Dies schließt es aus, die Regeln so zu fa s-
sen, daß das Verhalten durch sie direkt konditio niert wird. Paradoxiert man dagegen den Code,
kann das daran orientierte Verhalten als sinngebunden, zugeordnet und zugleich als frei darg e-
stellt werden.“ (1982: 69)
Praxis der intimen Kommunikation 273

Worte und Gesten anderer festgelegter Scha uspieler wiederholt, gleichsam Wiederho-
lungen von Wiederholungen. (222 f.)

Und sie lieben trotzdem! 176 Die von dieser Arbeit vorgeschlagene Perspektive
kann demgegenüber deutlich m achen, dass sich in dieser Praxis des Paradoxie-
rens nicht das Ende der Liebe ankündigt, sondern die „ganz normale Unwah r-
scheinlichkeit“ der Kommunikation von Intimität zeigt. Exemplarisch hierfür ist
der K ommunikationsstil der Iro nie, der nun nicht m ehr als Todfeind der Liebe
interpretiert werden muss, sondern als ihr paradoxer Verbündeter.

4. Gender blindness? Paarinterviews als soziale Praxis

quand on aime, il ne s’agit pas de sexe


Jacques Lacan

Niklas Luhm ann hat es sich bei der Abfassung seiner Studie zur Liebe zum in-
dest in einer Hinsicht noch leicht mach en können: „Das schwierige Problem der
Homosexualität [...] lassen w ir hier außer A cht“ (1982: 147), schreibt er – in
einer Fußnote und zugespitzt auf das Sonde rproblem der „Literaturfähigkeit“
(ebd.) von Hom osexualität.177 Auch der zweite und letzte Auftritt der Hom ose-
xualität findet sich in eine Fußnote verbannt. W ieder geht es um die Literaturfä-
higkeit dieses Sujets, dem aber nun im Blick auf die zeitgenössische Situation
176
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das kritisch gewendete Echo von Luhmanns
Einschätzung, dass diese Formen für den Massengebrauch zu anspruchsvoll sind: A uch Illouz
differenziert zwischen „Liebes-Klassen“ in der Postmoderne und behält die Fähigkeit zur richt i-
gen Liebe für diejenigen bildungsgesättigten Schichten vor, die sich den erwähnten postmode r-
nen Techniken der Distanzierung und Reflektion be dienen können: „Ich behaupte, dass die Fä-
higkeit, eine Liebe im authentischen Sinne zu leben, denjenigen vorbehalten ist, deren Leben
nicht von ‚Notwendigkeit‘ geprägt ist.“ (2007: 322)
177
Der genaue Kontext – die Homosexualität als Problem ihrer „heimlichen Hypot hek auf dem
Freundschaftskontext“ (Luhmann 1982:147) – ist fre ilich interessant, da hiermit ein Themen-
komplex angesprochen und zugleich ausgeblendet wird, der nur drei Jahre später Eve Kosofsky
Sedgwick (1985) dazu dient, in einem der ei nflussreichsten Gründungstexte der Queer Studies
genau dieses Thema zum Anlass zu nehmen, das gesamte Feld der Literaturwissenschaften „von
hinten“ aufzurollen und mit Hilfe der Unterscheidung von „homosocial“ und „homosexual“ den
Queer Studies Startplausibilitäten zu verschaffen. Sie etabliert dam it die Queer Studies als ein
Projekt mit Universalitätsansprüchen, das nicht nur die Prominenz des (heimlichen) Einflusses
der Homosexualität auf die Struktur der Geschlechterverhältnisse in der englischen Literatur des
19. Jahrhunderts nachweisen kann, sondern keinen Aspekt der Moderne mehr unberührt lässt;
ihr nächstes Buch wird nachweisen, dass „ an understanding of virtually any aspect of modern
Western culture must be, not merely incomplete, but damaged in its central substance to the de-
gree that it does not incorporate a critical analysis of modern homo/heterosexual definition. "
(1990: 1)
274 Praxis der intimen Kommunikation

der Liebe schon eine gew isse V orrangstellung in der literarischen Behandlung
einer besonderen Problematik zugestanden wird: „Das Sicheinlassen auf sexuel-
le Beziehungen erzeugt dagegen Pr ägungen und Bindungen, die ins Unglück
führen. Die Tragik liegt nicht m ehr darin, daß die Liebenden nicht zueinande r-
kommen; sie liegt darin, daß sexuelle Beziehungen Liebe erzeugen und daß man
weder nach ihr leben noch von ihr loskommen kann.“ (203) Die fast schon
zwanghafte Verknüpfung von gleichgeschlechtlicher Sexualität, Liebe und Tra-
gik nicht nur in der Literatur, sondern auch in w issenschaftlichen A bhandlun-
gen, w urde m ittlerweile häufig zum Them a kritischer literatur- und sozialw is-
senschaftlicher Studien erkoren (vgl. nur Hewitt 1996; Dollimore 1998; Sinfield
2005). Überraschender ist in diesem Zusammenhang, dass Luhmann sich dabei
nicht auf die Diskussion eines Problemsz usammenhangs einlässt, den er selbst
für die zeitgenössische Lage der Liebe nur kurz anschneidet: die (fragliche)
Rolle der Geschlechterdifferenz für die Vorstrukturierung von intim er Kommu-
nikation. Denn er diagnostiziert durchaus eine entstehende „Unsicherheit in der
Frage, welche Bedeutung dem Unterschied der Geschlechter noch beizumessen
ist, wenn man von dem Problem der Intim ität ausgeht, w ie es sich heute stellt.
Die Unterschiede der Geschlechter, die in allen Liebes-Codes bisher hervorge-
hoben wurden und um die herum Asymme trien konstruiert und gesteigert wu r-
den, schleifen sich ab.“ (202)
Für diese Studie ist diese Einschätz ung nachträglich von erheblichem Int e-
resse. Denn erstens scheint es gerade eine der Stärken der luhmannschen R e-
konstruktion der Entwicklung des „Liebes-C odes“ zu sein, dass sie intimitäts-
und nicht fam iliensoziologisch gebaut ist. Das im pliziert m ithin auch die in
dieser Arbeit besonders betonte Einsicht, dass sich die in der Semantik der Lie-
be stark ausgeprägten Asymmetrien der Geschlechter gewissermaßen immer
schon als geschlechtsspezifische Re-Asymmetrisierungen eines Codes beschrei-
ben lassen, dem es zunächst einmal au f einer basalen Ebene nur um die Inan-
spruchnahme der Individualität der Partner ankommt und der prinzipiell von
deren E igenschaften absehen w ill – seien es auch so hartnäckige „E igenschaf-
ten“ wie die „Geschlechter“ der Partner. 178 Dass vor dieser Ausgangslage dann
die Geschlechterdifferenz zu einem sema ntisch um so stärker akzentuierten
Thema – als Gleichheit und Ungleichheit der Geschlechter, als ihre Differenz
und Identität, als sym metrische und asym metrische Positionierungen – w erden
kann, ist damit nicht ausgeschlossen, sonde rn wird in dieser Hinsicht geradezu

178
Ähnlich schließt hier schon Hartmann Tyrell an, der im Bezug auf das Problem der „unwahr-
scheinlich gewordenen individuellen Korresponde nz“ gar formuliert, dass es „an der Prob-
lemlösung aber ein ‚Kon struktionsfehler‘ sein [könnte], daß man – auf der Suche nach Verste-
hen – jenes korrespondierende singuläre ‚alter ego‘ nur auf der Seite des jeweils anderen G e-
schlechts finden können soll.“ (1987: 579)
Praxis der intimen Kommunikation 275

forciert (vgl. dazu vor allem Tyrell 1987; auch Leupold 1983). Dann m uss aber
zweitens wiederum erstaunen, dass sich gerade im Zusammenhang von Intim-
kommunikation die Unterschiede der Gesc hlechter „abschleifen“ können bis zu
dem Punkt, der Luhmann fürchten lässt, dass sie für die Kommunikation keinen
Informations- und Orientierungswert mehr liefern. Gerade der Umstand, dass
Intimkommunikation sich vor allem auf Interaktion verlassen muss (vgl. Kapitel
II.3.), macht es ja vor allem für eine systemtheoretische Perspektive so plau -
sibel, dass hier – bei aller „Dethematis ierung“ von Geschlecht im Hinblick auf
die primär funktionale Differenzierung der Gesam tgesellschaft (vgl. Pasero
1995) – die Persistenz der Geschlechte runterscheidung als Asymmetriegene-
rator am plausibelsten ist: Es geht „s chlicht um die Chance der Strukturierung
von interaktionsnahen Kommunikationsform en“ (Nassehi i n Pasero/W einbach
2003: 99), die auf personale Adressierbarkeit (vgl. dazu schon Tyrell 1976;
1983) und vor allem auf Sichtbarkeit setzen. Sollte sich m it der Diagnose einer
„Angleichung der Geschlechter“ im Bere ich der Intimität eine systemtheo -
retische Perspektive ihrer letzten M öglichkeit beraubt sehen, die Persistenz der
Geschlechterdifferenz theoretisch zwi ngend zu erklären, ohne sich auf eine
biologisch gefärbte Argumentation zurückziehen zu m üssen?179 Und schließlich
stellt sich drittens spätestens seit der Intervention von gender - und queer-
theoretischen Forschern (vgl. stil bildend vor allem Rubin in Abelove et al.
1994: 3 ff.) die Frage neu, inwieweit, mit welchen Vorbehalten und mit welchen
politischen K onsequenzen sich die Frage nach der U nterscheidung von Hom o-
und H eterosexualität einfach im Rahm en eines schlichten G eschlechterbinaris-
mus stellen kann, ja inwieweit die schlichte Verbindung der Frage nach der
sexuellen Objektwahl mit der Frage nach den Geschlechterunterschieden selbst
noch einmal kritisch hinterfragt werden sollte.
In diesen abschließenden Bemerkungen kann es nicht darum gehen, sy s-
temtheoretische Theoriem ittel oder Zeitdiagnosen im Bezug auf G eschlechter-
unterschiede zu bestätigen oder zu verwer fen; auch ist es ihnen nicht darum zu
tun, auf die fehlende Berücksichti gung von gleichgeschlechtlichen A usprägun-
gen von Intimbeziehungen in den soziologi schen Studien zur Liebe als Passion
hinzuweisen und in dieser Hinsicht „G leichberechtigung“ einzufordern. Aber
die kurzen Ä ußerungen Luhm anns bilden einen w illkommenen Ein stieg, um
eine in dieser Arbeit vernachlässigte Dis kussion zu skizzieren, der seither in der
intimitätssoziologischen Forschung eine geradezu vorherrschende Stellung

179
Man beachte etwa die eigenartige Formulie rung von Luhmann im Blick auf einen Widerspruch
der gesellschaftlich konstruierten Gleichheitsansprüche mit den gleichsam biologisch vorgege-
benen Unterschieden der Sexualitätswahrnehmung: „Die Gleichheit der Geschlechter wird mehr
denn je betont, und die erheblichen Unterschiede im Sexualerleben von Mann und Frau kom-
men dadurch nicht recht zur Geltung.“ (1982: 204)
276 Praxis der intimen Kommunikation

eingeräumt w erden m usste. E s geht in ihr – um den U ntertitel eines Sam mel-
bandes (Lenz 2003) zu zitieren – um die „G eschlechtstypik persönlicher Bezie-
hungen“. Die ausufernden Beiträge zu diesem Thema sind kaum zu überblicken
und wohl nur mit Detailschärfeverlusten auf einen kleinsten gemeinsamen Nen-
ner zu bringen. Zumindest für die deutsche Intimitätssoziologie lässt sich jedoch
feststellen, dass m an sich hier – m it verschiedenen Nuancen – auf die Formel
eines unterschiedlichen Umgangs mit Unterschieden geeinigt zu haben scheint.
Den Ausgangspunkt der Diskussion bilden wieder die einflussreichen Beiträge
von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim zum „ganz normalen Chaos der
Liebe“ (1990) und von Anthony Giddens zum „W andel der Intim ität“ (1993).
Sehen erstere, wie schon gezeigt, vor allem den Prozess der fortschreitenden
Individualisierung als den allgemeinen Rahmen, innerhalb dessen sich insb e-
sondere auch die traditionellen Geschlechterrollen in den Paarbeziehungen ve r-
flüssigen, ist es für letzteren die E volution der Intim beziehungen in Richtung
einer „reinen Beziehung“, die die Partner in einer Partnerschaft vor allem auf
Partnerschaftlichkeit verpflichten. Beide Stellungnahm en teilen die Einschät-
zung, dass Geschlechternormen in Partnerschaften an Einfluss verlieren – oder
zumindest im Rahmen von individuellen Beziehungen verhandelbar werden.
Die Rede von der Tendenz zur „Partnerschaft“ und „Partnerschaftlichkeit“ wu r-
de in diesem abschließenden Kapitel unter anderem Vorzeichen schon einmal
thematisiert (vgl. 3.); hier bleibt aber noch hinzuzufügen, dass die der „Partner-
schaft“ zugeordnete Idee des Abschlei fens der Geschlechte rungleichheiten –
auch explizit im Gegensatz zur Idee der romantischen Liebe – auch aus system -
theoretischer Perspektive nachvollzogen wird. Der in dieser Hinsicht einflus s-
reiche Artikel von Andrea Leupold (1983) formuliert eine ähnliches Argument
wie Giddens direkt im Anschluss an L uhmanns Studie zur passionierten Liebe,
freilich mit der unter schiedlichen Nuance, dass sich rom antische Liebe und der
Partnerschaftscode zwar zu unterschie dlichen Zeiten bemerkbar machen, sich
aber nichtsdestotrotz als verschiedene Leitvorstellung in ein und derselben B e-
ziehung bemerkbar machen.180
„Die moderne Partnerschaft wird au f die persönliche Beziehung und nicht
auf Geschlechtsrollen gegründet“ fassen Cornelia Koppetsch und Günter Bu r-
kart den common sense des Faches zusammen – und kritisieren ihn ihrerseits als
„Illusion der Emanzipation“ (1999: 1). In der Tat setzen an genau dieser Vor-
stellung der „Partnerschaft“ als „Illusion“ die weiteren Debatten zum Thema des

180
„Während romantische Liebe im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert angesichts weit vo-
rangetriebener Individualisierung Probleme der Bildung ‚höchstpersönlicher‘ Beziehungen auf-
fängt, dient Partnerschaft – als neues Konzept des 20. Jahrhunderts, das jetzt vorhandene Erfa h-
rungen mit über Liebe gebil deten Beziehungen in neue sozialstrukturell generierte Probleme
aufnimmt – als Muster der Regelung von Beziehungen.“ (Leupold 1983: 298)
Praxis der intimen Kommunikation 277

Wandels des Geschlechterverhältnisses an . Unterschiedlich mit den U nterschie-


den umgegangen wird nämlich erstens in den Diskursen und Idealbildern einer-
seits und ihrer praktischen Umsetzung andererseits. Koppetsch und Bur kart
etwa setzen dementsprechend als fors chungsleitende Frage diejenige nach der
„Diskrepanz zwischen Ideal und Praxis“ (ebd.) ein. Als Klassiker mit diesem
Zuschnitt darf m ittlerweile die Studie K aufmanns zur „Schm utzige[n] Wäsche“
(1994) gelten, der empi risch auf die Unters chiede zwischen einem „Idee der
Gleichheit“ (173) und der Praxis der ge schlechtlichen Arbeitsteilung stößt, bei
der die Falle der größeren Haushaltskompetenz auch dann noch zuschnappt und
Asymmetrien aufrecht erhält, wenn sie diskursiv längst als überholt gebrand-
markt worden ist. Dass selbst mit diesem unterschiedlichen Umgang mit Unter-
schieden noch einmal unterschiedlich umgegangen wird, betonen Vertreter
eines M ilieu-Ansatzes. „ Geschlechtsnormen in Paarbeziehungen“, so betonen
wieder Koppetsch und Burkart, blei ben faktisch wirksam, jedoch „ differenziert
nach sozialen Millieus“ (1999: 6). Denn, so die Er gebnisse der Autoren, nicht
nur zeitigt die „Idee der G leichheit“ ihre W irkungen nur im „individualisierten
Milieu“; das „traditionale“ und das „fam ilialistische M ilieu“ zeigen sich auch
noch von dieser Idee unbeeindruckt – und ä hnlich werden sich dann die Paare
doch w ieder, als im A lltag „unerkannte soziale M echanismen das Paar in g e-
schlechtstypische Bahnen“ lenkt (317). In der gleichen Richtung argumentier t
auch Eva Illouz, die sogar von „Liebes- Klassen“ spricht und soweit geht, nur
derjenigen Liebes-Klasse die „Fähigkeit, eine Liebe im authentischen Sinne zu
leben“ zugesteht, die aufgrund ihre s Schichtzugehörigkeit und ihres Einko m-
mens auch gleichzeitig in der L age sind, gem äß der Idee der G leichheit die
Geschlechterunterschiede im Beziehungs alltag zu „verringern“ (2007: 323). 181
Illouz mag schließlich auch für eine letzte Ausprägung der Diagnose des unte r-
schiedlichen Umgangs mit den Untersch ieden repräsentativ einstehen, der drit-
tens auf die Kontextabhängigkeit der Th ematisierung von Geschlechterunte r-

181
Ein längeres Zitat mag hier noch einmal deutlich machen, inwieweit die Problematisierung des
Umgangs mit den Geschlechterrollen für einige Autoren in der Lage ist, sogar über die Frage zu
entscheiden, ob man es mit Liebe zu tun hat ode r nicht: „Ich behaupte, dass die Fähigkeit, eine
Liebe im authentischen Sinne zu leben, denjenigen vorbehalten ist, deren Leben nicht von
‚Notwendigkeit‘ geprägt ist. Die emotionale Un terdrückung von und das Misstrauen gegenüber
verbalem Ausdruck, die von Männern aus der Arbeiterklasse in ihren Berufen häufig verlangt
werden, stimmen nicht mit dem M ittelschichtideal von Intimität und Ausdrucksorientierung
überein, das von den Frauen der Arbeiterklasse übernommen wurde; ihre Lebensbedingungen,
ihre Einschränkungen bei Einkommen, Freizeit und Bildung verhindern noch immer, dass die
Arbeiterklasse Zugang zum ‚romantischen Traum‘ erhält. Im Gegensatz dazu ist es bei der Mit-
tel- und oberen M ittelschicht so, dass die Konzentration auf Selbsterkenntnis und expressive,
interpersonale Fähigkeiten sowie die jüngsten beruflichen Errungenschaften von Frauen aus
dieser Gruppe die Geschlechtsunterschiede verri ngern und dazu beitragen, dass h ier die Bezie-
hungen den von den Medien verbreiteten Standards entsprechen.“ (Illouz 2007: 322 f.)
278 Praxis der intimen Kommunikation

schieden in Paar beziehungen vor allem im Hinblick auf bestimmte Diskurse


pocht. Die Analytikerin der „Liebe in Zeiten des Spätkapitalismus“ wendet sich
schließlich einer K ritik des therapeutisc hen Ethos zu, in dem feministische und
psychologische Diskurse eine unheilvolle Allianz schließen, um gerade für
Ehen, Partnerschaften und Fam ilien „gender-blind narratives“ (2008: 196) zu
etablieren – aber nun mit katastrophalen Effekten für das „unglückselige pos t-
moderne romantische Ich“ (vgl. 2008; Illouz in Niekrenz/Villányi 2008).
Im Vergleich zu dieser Diskussion fällt die soziologische und sozialwi s-
senschaftliche Forschung, die sich dire kt auf die em pirische Untersuchung von
homosexueller Intim ität und insbesondere gleichgeschlechtlichen Paaren b e-
schäftigt, weitaus weniger umfassend aus (vgl. aber Giddens 1993: 148 ff.;
Hoffmann et al. 1993; Schneider et al . 1998; W eeks et al. 2001: 104 ff.; M aier
in Lenz 2003: 183 ff.). Auch hier muss man als Stichwortgeber der Diskussion
Giddens nennen, der im Hinblick auf die W idersprüche der reinen Beziehung
gleichgeschlechtliche Beziehungen gew issermaßen als utopischen Fluchtpunkt
einer Entwicklung festmacht, in der di e Geschlechterunterschiede innerhalb von
„Partnerschaften“ im mer m ehr an Gewich t verlieren. M an kann hier ähnliche
Weichenstellungen feststellen, wie sie in der Rekonstruktion der Diskussionen
über die Geschlechtstypik und in der Sk izze der Evolution der Semantik der
romantischen Liebe (vgl. Kapitel I.5. 2) schon auf gezeigt wurden: Zur Debatte
steht, ob die G egengeschlechtlichkeit der Partner im C ode für Intim ität – sei’s
der romantische Code, sei’s der Code für Partnerschaft – prinzipiell schon ange-
legt ist. M an kann wie Günter Burk art (1997) die Dominanz der Gegenge-
schlechtlichkeit als strukturelle V orgabe für jegliche m ögliche Ausformung von
intimen Verhältnissen – also gerade auch homosexuellen – betonen; man kann
wie Karl Lenz (1998) die Funktion der Intimität als höchstpersönlicher Kom-
munikation m it einer tendenziellen Irrelevanz der G eschlechterdifferenz bet o-
nen.182 Für die empirische Forschung lässt si ch allerdings ausmachen, dass die
Frage nach der Spezifik gleichgeschlechtlicher Beziehungen zumindest dreierlei
fast wider besseres W issen in den Vordergrund treten lässt: Die Inform ationen
über gleichgeschlechtliche Paare w erden über Vergleiche mit der gegenge-

182
Sehr treffend fasst diese unterschiedlichen Positionen Maja S. Maier zusammen: „Folgt man der
ersten Perspektive, dann gestaltet sich der Beziehungsalltag von homosexuellen Paaren infolge
der Dominanz geschlechtshierarchischer Normen ähnlich wie bei heterosexuellen Paaren. Und
das, obwohl die Gleich geschlechtlichkeit andere Ordnungsmuster strukturell ermöglicht und
nahe legt. Die andere Perspektive sieht d ies genau umgekehrt: hier liegen die Gemeinsamkeiten
von homo- und heterosexuellen Beziehungen auf der strukturellen Ebene und der Beziehung s-
alltag ist die Ebene, auf der Unterschiede zum Ausdruck kommen.“ (in Lenz 2003: 186 f.) Nach
den Analysen dieser Arbeit würde es schwerfallen, sich für eine dieser Perspektiven zu en t-
scheiden, da hier die Unterscheidung von struktureller Ebene und Bezie hungsalltag im praxis-
theoretischen Anschluss an Luhmann grundsätzlich anders gefasst wurde.
Praxis der intimen Kommunikation 279

schlechtlichen Alternative generiert, di eser V ergleich w ird auf die explizite


Thematisierung der Geschlechtlichkeit der Partner zugespitzt, und schließlich
wird diese Perspektive m ehr und m ehr m it einer Parteinahme für gleichge-
schlechtliche Paare kompensiert (vgl. nur Weeks 2001).
Von beiden Ansätzen weicht nun der Um gang m it den Interviewtexten in
dieser Arbeit dezidiert ab. Zwar stehen auch hier Interviews mit gleichg e-
schlechtlichen Paaren neben solchen m it gegengeschlechtlichen; w enn diese
Terminologie bei qualitativen Studien nicht ohnehin unzulässig wäre, m üsste
man sogar bemäkeln, dass sie dezidie rt „überrepräsentiert“ sind, denn fünf
gleichgeschlechtlichen stehen sieben gegengeschlechtliche Paare gegenüber.
Zweierlei zeichnet aber das hier gewähl te Forschungsdesign aus. Erstens sollte
die Selbstdarstellung als Paar mit so we nig wie möglichen spez ifischen Fragen
thematisch vorstrukturiert werden; gefr agt wurde zunächst lediglich nach der
Kennenlerngeschichte, also etwa explizit nicht danach, welche Relevanz die
Paare dem Umstand zuschreiben, dass si e gleichen Geschlechts sind oder eben
nicht.183 D ie Them atisierung der G leich- oder G egengeschlechtlichkeit sollte
den Paaren überlassen bleiben. Zweite ns galt das Hauptaugenmerk der Untersu-
chung nicht so sehr den inhaltlichen A ussagen über die O rte, Zeiten oder U m-
ständen des Kennenlernens und der sich daraus entwickelnden Beziehung, son-
dern den Darstellungspraktiken selbst, dem „W ie“ des Erzählens mehr denn
dem „Was“.
Das Ergebnis dieser Studie ist vor diesem Hintergrund nun, dass kein Er-
gebnis zu verzeichnen ist. In beiderlei Hinsicht – der Thematisierung des (feh-
lenden) Geschlechterunterschieds und der Frage nach unterschiedlichen Kom-
munikationsstilen – kann dieses Fehlen eines Er gebnisses zumindest vor dem in
diesem A bschnitt skizzierten D iskussionszusammenhang als E rgebnis überra-
schen. A n keiner Stelle der Interview s wird – was wohl nicht wirklich überra-
schen kann – explizit die G egengeschlechtlichkeit der Partner ein T hema; aber

183
Ein Vorgehen, dass im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Paare insbesondere auch M aier
empfiehlt: „Die direkte Frage nach der Gleic hgeschlechtlichkeit wurde dabei explizit ausgela s-
sen. Damit kann gewährleistet werden, dass das Thema für Paare, die von sich aus darauf zu
sprechen kommen, zum festen Bestand der Ei gengeschichte gehört.“ (in Lenz 2003: 198) Nun
ist letzteres natürlich eine radikale Unter schätzung der Eigendynamik der Interviewsituation:
Welches Forschungsinteresse dem soziologischen Beobachter von Seiten des Paares unterstellt
wird, also m ithin auch, ob eine Them atisierung der Gleichgeschlechtlichkeit als – wenn auch
nicht explizit erfragtes – Entgegenkommen gegenüber einem außenstehenden Sozialwissen-
schaftler geleistet wird, den vielleicht genau dies inter essieren mag, bleibt meist nicht dezidiert
auszumachen; dass es damit dann auch schon automatisch Teil der „Eigengeschichte“ des Paa-
res ist, bleibt insofern fraglich. Aber man kann sich trotzdem vorstellen, wie eigenartig die an a-
loge Frage in die entgegeng esetzte Richtung und die dazugehörige Forschungsanweisung ge-
wirkt hätte: „Die direkte Frage nach der Gegengeschlechtlichkeit wurde dabei explizit ausgelas-
sen.“ Mir jedenfalls ist keine soziologische Studie bekannt, die sich zu diesem Ethos bekennt.
280 Praxis der intimen Kommunikation

auch die G leichgeschlechtlichkeit der Partner w ird fast vollständig unthem ati-
siert gelassen. 184 Noch wichtiger erschien aber der Umstand, dass es bei der
Analyse der transkribierten Interviewau sschnitte nicht m ehr m öglich war, die
einzelnen Stellen einem gleichgeschl echtlichen oder einem gegengeschlechtl i-
chen Kontext zuzuordnen. Gewiss lassen sich anhand von deiktischen Ausdrü-
cken und von Personalpronomen und Vornamen die Geschlechtszugehörigkeit
und -zuschreibungen rekonstruieren. Es drä ngt sich aber der Verdacht auf, dass
gerade im Hinblick auf die Unterscheidbarkeit von geschlechtsspezifischen
Namen auch in der soziologischen Rekons truktion allzu leicht einer verführeri-
scher Plausibilität alltagssprachlicher Pr agmatik aufgesessen w ird – sie haben
den allgemeinen „kommunikationspraktis chen Vorteil [von] Eigennamen, so
daß man nicht in die Verlegenheit kommt , erklären zu müssen, worüber man
eigentlich redet.“ 185 Von einem gleichgeschlechtlichen beziehungsweise gege n-
geschlechtlichen Erzähl- und K ommunikationsstil oder D arstellungsstrategie zu
sprechen, bietet sich an keiner Stelle an. Insbeson dere die interessantesten in
dieser Studie herausgearbeiteten Mechanismen bei der Darstellung von Intimität
sind in beiden Versionen der Paarkons tellation ununterscheidbar präsent. Vor
diesem Hintergrund liegt es nicht nahe, einen Vergleich zu forcieren – anhand
welches Vergleichsgesichtspunktes auch? Darstellungstechnisch ist dieser Um-
stand in diese Arbeit insofern eingeflo ssen, als die einzelnen Sprecher nicht
namentlich auftreten. D urchgehend w urden die K ürzel „A “ und „B“ für die
Gewährspersonen verwendet. Bei der An alyse zeitigte dieses Vorgehen den
Effekt, dass sich aus den transkribierte n Texten die Paarkonstellationen nicht
mehr rekonstruieren lassen. Die in dies er Arbeit analysierten Paargeschichten
stellen auch noch in dieser letzten Hinsic ht eine Quelle der Unbestimmtheit dar.
In ihnen w ird kein spezifisch „hom osexueller“ K ommunikationsstil sichtbar,
ebenso wenig wie ein spezifisch „heter osexueller“ Kommunikationsstil deutlich
wird.
Wenn diese „N eutralität“ der Paargeschichten für den soziologischen B e-
obachter auch zunächst überraschend war, wurde sie aber im Verlaufe dieser
Arbeit weder ausdrücklich in den M ittelpunkt der m aterialen Analyse gerückt
noch wurde sie ausführlich interpretiert. Diese Enthaltsamkeit hat unter anderem
auch Gründe, die in der hier eingenommenen Forschungsperspektive angelegt
sind (vgl. K apitel II.3.2; II.4.; III.3.1). A bschließend lassen sich aber aus dieser
Perspektive doch zumindest zwei Kautel en für eine mögliche Inter pretation

184
Die einzige Ausnahme wurde in Kapitel II.1.1 analysiert; auch hier wurde aber die geschlecht-
lich verfremdende Resignifizierungsspraxis von den Gewährspersonen selbst explizit als „Kle i-
nigkeit“ eingeschätzt.
185
So eine Formulierung Luhmanns im Hinblick auf die Plausibilität, von Nationen in der Form
von Kulturvergleichen zu reden (1999: 145).
Praxis der intimen Kommunikation 281

ableiten. Erstens ist es ratsam , die politisierte Interpretationsvokabel der A ssi-


militation zu verm eiden. E s ist die leichte Politisierbarkeit der D iskussion um
die Frage nach der A ssimilitation, die sie für einen queer-theoretischen K ontext
so attraktiv macht (vgl. Seidman 1992; W arner 1993; Bersani 1995; W eeks et
al. 2001), die es einer spezifisch soziologischen Perspektive verbietet, mit dieser
Fragestellung zu beginnen. Denn mit ihr sind die dann noch relevanten weiteren
Fragen in gewisser Weise schon vorstrukturiert. Wer assimiliert hier wen? Glei-
chen sich die gleichgeschlechtlichen Paare den gegenge schlechtlichen Paaren
an? Verschreibt sich eine solche Angleichung dem normativen Stan dardmodell
für eine gelungene und sozial legitim ierte Paarbildung und ist als solche ten -
denziell affirm ativ (vgl. W arner 1999)? Zitiert und w iederholt sie die hetero-
normativen Vorgaben nur auf eine verfremdende Art und W eise und ist als
solche tendenziell subver siv (vgl. als locus classicus im Bezug auf Geschlech-
ternormen Butler 1995)? O der gleicht si ch das „norm ale“ gegengeschlechtliche
Paar gar dem gleichgeschlechtlichen Paar an? „L ernt“ der heterosexuelle
Mainstream von seinem homosexuellen Doppel (vgl. wiederum Warner 1999)?
Eignet er sich bestim mte Ideen, M uster und M otive der gleichgeschlechtli chen
Liebe an? „M uss“ man gar eine „Homosexualisierung heterosexueller Verhäl t-
nisse“ befürchten (so in einem andern Diskussionskontext Sigusch 1998: 1214)?
Enteignet er dam it die Kreativität neuer Form en der Intim ität? Oder zollt er ihr
damit Respekt und Tribut? Enthüllen die Angleichungsprozesse einen unbe-
wussten Neid auf die Freiheiten nicht- normaler Paarformationen? Entblößen sie
gar das den eigenen N ormalitätsmodellen zugrunde liegende ideologische U n-
terfutter (vgl. etwa Stäheli in Balke/ Roloff 2003)? Nun sind all dies Fragen, die
natürlich im Rahmen einer solchen Arbeit nicht angemessen be handelt, ge-
schweige denn beantwortet werden könnt en – w omit freilich nicht nur darauf
hingewiesen werden soll, dass hierzu umfassenderes empirisches M aterial her-
angezogen werden müsste, sondern auch die methodische und theoretische Ei n-
sicht vertreten wird, dass diese Form der Fragestellung zumindest in ihrer politi-
sierten Form gerade die vorempirische Unterscheidung von gleichgeschlechtli-
chen und gegengeschlechtlichen Paaren w ider Willen essentialisieren muss: Die
Ähnlichkeiten zwischen heterosexuellem und ho mosexuellem Erzählen geraten
so schnell in Ä hnlichkeiten zw ischen kategorial Verschiedenem, w elcher U m-
stand dann wiederum zur Informationsstrukturierung herangezogen werden will.
Als drängende Fragen verweisen sie aber zweitens auf ein M otiv, das sich
in dieser Arbeit als zentrales Bezugproblem der Intimkommunikation erwiesen
hat. W as sich in den Paargeschichten in den Vordergrund drängt, ist das Phä-
nomen der differenten Wiederholung; der Fokus auf dieses Phänomen setzt das
Problem aber in gewisser W eise tiefer an. Interessant werden dann weniger die
Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen festgeschriebenen Gruppen- oder
282 Praxis der intimen Kommunikation

Identitätskategorien, sondern die em pirische offene Frage danach, wie im Kon-


text der Darstellung von Intimität mit dem Problem der W iederholung umge -
gangen werden kann. In den analysierten Paargeschichten hat es sich dabei nicht
als Problem erwiesen, dass homosexue lle Paare Formvorlagen wiederholen
(müssen), die sich auf heterosexu elle Paare beziehen, oder dass heterosexuelle
Paare Formvorlagen wiederholen (wolle n), die einem homosexuellen Kontext
entnommen sind. Die These dieser Arbeit ist, dass in der Darstellung von Int i-
mität und Liebe die Notwendigkeit der Wiederholung selbst problematisiert
wird. Ihr Ergebnis ist, dass sich sowohl hom osexuelle wie heterosexuelle Paare
als Meister darin erweisen können, in einer kreativen und verfremdenden W ie-
derholungspraxis die notwendige Unbestimmtheit herzustellen, die Intimität erst
darstellbar macht.

5. Die Persiflage der kommunikativen Vernunft

Die in dieser Studie vertretene These, dass der Präsentation von Intim ität ein
spezifischer Umgang mit Unbestimmtheit eigen ist, der wiederum Rückschlüsse
zur Funktion der Intimität erlaubt, wurde explizit als soziologische These ausge-
flaggt. V on V ertretern einer system theoretisch inspirierten Soziologie w ird der
Soziologie immer wieder ans Herz gele gt, den Umstand ernst zu nehmen, dass
sie – insofern sie sich (noch) als eine Theorie der Gesellsch aft versteht – in
ihrem Gegenstandsbereich immer auch auf sich selbst stoßen m uss. Dieses Ar-
gument der Selbstbezüglichkeit soziologi scher Beobachtung wurde in dieser
Arbeit nicht als ihre Schwäche, sonders al s ihre eigentliche Stärke interpretiert.
Dass soziologische Beobachtungen imme r auch Beobachtungen soziologischer
Beobachtungen sein m üssen, versteht etwa Dirk Baecker als Index eines Ler n-
prozesses – Soziologie kann die „K ritik einer soziologischen V ernunft [sein],
der es darum geht und gehen kann, an sich selbst zu studieren, was es heißt, zu
beobachten.“ Sie schafft dies,

indem sie an sich selbst studiert, welchen Beitrag die Beobachtung eines Phäno mens
zu dessen Konstitution erbringen kann, wenn man davon ausgeht, dass Phänomene
nicht sind, was sie sind, sondern ihre Identität nur aus den Beziehun gen generieren
können, in denen sie stehen. (2007: 55; vgl. zu dieser Idee ausführlich Nassehi 2006a)

In der Tat wurde dieser Hinweis in dies er A rbeit in zw eierlei H insicht ernst
genommen. Beide Hinsichten sind schon in ihrem Titel – Paargeschichten –
zumindest angedeutet. So wurde im ersten Kapitel nicht versucht, lediglich eine
Geschichte der Liebe zu erzählen. Es so llte gleichzeitig in den Blick geraten,
wie soziologische Geschichten der Li ebe erzählt we rden können und was sich
Praxis der intimen Kommunikation 283

daraus über die Logik soziologische r Theoriebildung und Forschung lernen


lässt. Die präsentierte Geschichte der Li ebe wurde so zumindest auch zu einer
Geschichte soziologischer Forschungsinteressen. W enn das Phänom en der Lie-
be sich also nur im K ontext sozi ologischer Beobachtungen konstituiert, sind
diese im mer auch deutlich nur im K ontext einer G esellschaft m öglich, die den
soziologischen B ezug auf die Liebe m it sich verändernden Plausibilitäten au s-
stattet. Im zweiten und dritten Kapitel w urde w iederum der U mstand ernst ge-
nommen, dass die Erzählung der Paarge schichten vor einem soziologischen
Publikum stattfinden musste. Und nich t nur das: Die Geschwätzigkeit des So-
zialen wurde mit der Geschwätzigkeit der Soziologie konfrontiert; di e kom-
munikative Herstellung von Unbestimmthe it wurde mit einem interpretativen
Verfahren sichtbar gem acht, das nich t um hin konnte, „jenen Raum von Unbe-
stimmheit soziologisch zu erzeugen, in dem sich die Relation von Problem und
Lösung ereignet.“ (N assehi in K althoff et al. 2008: 99) M it der Individualität
und Einzigartigkeit des Paares, der Authentizität von Gefühlen und der Interak-
tionsangewiesenheit von Intimität sind Probl embezüge markiert, um deren Be-
arbeitung eine D arstellung von Intim ität oder Liebe offensichtlich nicht herum -
kommt. Nur so kann die performative Herstellung von Unbestimmtheit in den
Paargeschichten als Lösungsstrategie dech iffriert werden; nur so kann die Om-
nipräsenz eines ironischen K ommunikationsstils erklärt w erden, ohne in die
soziologische Klage über das Ende der (romantischen) Liebe mit einzustimmen.
Die Reflexion auf die unverm eidlichen Besonderheiten der Datengewin-
nung in der Interviewsituation spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Weder darf sie jedoch dazu dienen, methodisch einen unplausiblen und naiven
Realismus – das Paarinterview als „Fenst er zur Paarrealität“ – abzusichern,
noch darf in ihr ein ebenso unplausibler und naiver radikaler Skeptizismus im
Bezug auf jegliche D aten über intim e G egenstände – die „K ünstlichkeit“ der
Interviewsituation als ihre eigene D isqualifikation – zum A usdruck gebracht
werden. In dieser Hinsicht hat sich insbesondere die Auseinandersetzung m it
Argumenten Jürgen H abermas’ als nützlich erw iesen (vgl. K apitel I.2.; III.4.).
Abschließend können die Ergebnisse, die sich in der Analyse der Selbstdarste l-
lungspraktiken von Paaren in Interview situationen herauskristallisiert haben,
noch einmal vor dem Hint ergrund des sprechakttheoretischen Entwurfs von
allgemeinen, elementaren Situationen für Sprechhandl ung, wie er in prominen-
ter Form von Habermas formuliert worden ist, rekapituliert werden. Die prakt i-
sche Selbstdarstellung der Paare nimmt sich in gewissem Sinne als eine Persif-
lage der von Habermas in den Blick ge nommenen Struktur kommunikativer
Handlungen aus, die dennoch gerade als Persiflage seiner Deutung erstaunlich
nahekommt. M an kennt die habermassche Ausgangsposition einer pragmatisch
gedeuteten Bedeutungstheorie:
284 Praxis der intimen Kommunikation

Entsprechend den drei fundamentalen Sprachfunktionen kann [...] jed e elementare


Sprechhandlung im Ganzen unter drei verschiedenen Geltungsaspekten bestritten
werden. Der Hörer kann die Äußerung eines Sprechers in toto vernei nen, indem er
entweder die Wahrheit der darin behaupteten Aussage (bzw. der Existenzpräsuppos i-
tionen ihres Aussageinhalts) oder die Richtigkeit des Sprechakts im Hinblick auf den
normativen Kontextes der Äußerung (bzw. di e Legitimität des vorausgesetzten Kon-
textes selber) oder die Wahrhaftigkeit der geäußerten Intention des Sprechers (d.h. die
Übereinstimmung des Gemeinten mit dem Gesagten) bestreitet. (1988: 364)

Schon in diesem kurzen A usschnitt kann m an die gesam te Stoßrichtung der


habermasschen Kommunikationstheorie er kennen. Sie lässt sich im Rahmen
einer verallgemeinerten Bedeutungstheorie auf die Aufgabe ein, das Funktionie-
ren von Sprechhandlungen über eine begriffliche Fassung ihrer Verständigung s-
leistungen zu erklären – der „Z usammenhang von Sinn und Geltung“ (ebd.)
wird hier nicht bestritten, sondern im Gegenteil als Schlüssel für jegliche theore-
tische E xplikation installiert, ja soga r „pragm atisch erw eitert“ (ebd.): D enn
nicht nur – wie das bei klassischen und post-klassischen W ahrheitssemantiken
der Fall war (vgl. für einen Überblick Stempfhuber 2008) – der W ahrheitsgehalt
von konstativen oder propositionalen Sätzen steht nun im Mittelpunkt, sondern
„auch regulative und expressive Spr echhandlungen [werden] mit Geltungsa n-
sprüchen verknüpft“ (Habermas 1988: 265). Ihnen kann auf den im Zitat e r-
wähnten W eisen mit Nein-Stellungnahmen begegnet werden. Für diese ab-
schließende Kontrastierung interessieren dabei nicht die Kon sequenzen, die
Habermas daraus für die „ontologischen Voraussetzung der Kom munikati-
onstheorie“ (365 ff.) und das „kommunikativ e Vernunftpotential“ einer bedro h-
ten, „verletzbaren A lltagspraxis“ sow ohl m odernitätskritisch als auch –af-
firmativ zieht. Das habermassche Bild vermag jedoch Auskunft über die Beso n-
derheiten der hier analysierte Selbstdarstellungspraxis der Intimität geben.
Erstens kommt es der Analyse dieser Arbe it nämlich in dem simplen Sinne
entgegen, dass es den Gegenstand einer soziologischen Forschung, die für die
Prozesse einer kom munikativen Praxis interessiert, von einer einseitigen und
ausschließlichen Konzentration auf den Wahrheitsbezug der aufgezeichneten
Sätze befreit. M ehrere Faktoren komme n hier zusammen. M ethodisch wurde in
dieser Studie immer wieder auf die auf die Problemat iken einer biographischen
Forschung reflektiert, die den Sinn der in der Interviewsituation produzierten
Aussagen auf ihre Korrespondenz mit einem tatsächlich gelebten Leben redu -
ziert. Wahrheitsfragen dieser Art, so könnte man überspitzt formulieren, tauchen
in dieser Studie gar nicht auf; ein Spezi fikum der Interviewsituation ist ja genau
der Umstand, dass einer der Teilnehmer – hier: der soziologische Fragesteller –
hauptsächlich als Zuhörer auftritt, der sich einer möglichen Nein-Stellungnahme
gerade enthält (vgl. dazu Nassehi/Saake 2002a). Unter dem Titel der „Einbezie-
hung des Dritten“ wurde dies schon in einer A useinandersetzung mit Habermas
Praxis der intimen Kommunikation 285

deutlich (vgl. Kapitel III.4.). Wahrheitsfragen tauchen freilich dann auf, wenn in
der Selbstdarstellungspraxis diese Fragen als einen „Konflikt“ über Wahrheits-
bezüge etwa der erzählten Daten, Chronologi en oder Topologien für ein Publi-
kum inszeniert werden. Es wurde gezeigt, dass dies nicht den Effekt zeitigt, ein
argumentatives Verfahren zu installieren, das auf die Einlösung von Ansprüchen
auf propositionale Wahrheit zielt, sondern – als doing doing couple – funktional
für die Erzählpraxis selbst w ar. D ie in terpretative Strategie dieser Studie w ar
dabei in gewissem M aße noch radikaler, als Habermas das im Hinblick auf
Luhmann und Foucault befürchtete – „An W ahrheit (und Geltung überhaupt)
interessieren nur noch die Effekte des Für-wahr-Haltens“ (1988: 430) –, denn
selbst die Effekte des Für -wahr-Haltens interessierten nur dann, wenn sie em pi-
risch in den Interviews auftauchten. Die habermassche Perspektive kommt e i-
nem hier jedoch wieder entgegen, als sie auch die performativen Aspekte der
kommunikativen Praxis ins Zentrum des Interesses rückt. D as Spezifische der
Darstellung von Intimität scheint aber zu sein, dass sich in ihr die Kom munika-
tionsdynamik selbst auf eine Betonung der performativen Aspekte kaprizieren
kann. In der Interaktion findet sich eine Ostentation der Interaktion. Wenn also
Konflikte über W ahrheitsfragen in der Sachdimension vorgeführt wurden, liegt
dabei die von den Paaren selbst geleistete Betonung auf der Vorführung.
Zweitens gab es in dieser Arbeit immer wieder Gelegenheiten, die in den
Interviews auftauchenden Bezugnahmen und Ansprüche auf „normative Ric h-
tigkeit“ (Habermas 1988: 366) zu thematisieren. Auch in dieser Hinsicht scheint
der Akzent im Kontext von Intim kommunikation aber verschoben zu sein; auch
in dieser Hinsicht scheint die Vorste llung der beobachteten Praxis als einer
(reinen) Verständigungspraxis in den Hintergrund zu treten. Mit der Formel von
der Liebe als einer mit Paradoxen beladenen Abweichung von einer Norm, die
es nicht gibt (vgl. dazu Zupan čič 2009), wurde versucht, diesem Eindruck g e-
recht zu werden. Das Zentrale in der Diskussion dieser implizit vorgeführten
und explizit thematisierten Normabweichungen in den Interviews waren dabei
aber nicht ihre möglichen „pathologisc he“ Effekte. Ganz im Gegenteil konnte
im Verlauf dieser Studie zw eierlei gezeigt w erden: D ie Norm der Normabwei-
chung ist einerseits durchaus schon in den Formvorlagen der romantischen
Liebe selbst angelegt. Sie ist in ihnen derart angelegt, dass nur eine Zitier- und
Kopierpraxis, die sich auf eine neue, besondere, einzigartige und abweichende
Art und W eise auf sie bezieht, ihre richtige Um setzung in der praktischen
Kommunikation darstellen kann. Nur diejenigen folgen den Form vorgaben
korrekt, die ihnen nicht korrekt Folge le isten. Es wurde argumentiert, dass nur
eine praxistheoretische Deutung dieser paradoxen Ausgangssituation soziolo-
gisch Sinn ergeben kann. Denn wenn sich dieser praxistheoretische Zugang
verbietet, vorempirisch jene zu Tage tretenden Paradoxien als pathologische
286 Praxis der intimen Kommunikation

Verzerrungen einer idealtypischen Kom munikationssituation zu interpretieren,


können andererseits sogar ihre empirisch möglichen funktionalen Aspekte deut-
lich hervortreten. In der Tat werden dann insbesondere die eigentümlichen
„Schwierigkeiten“ interessant, mit dene n in der Darstellung der Intimität das
Befolgen von Regeln behaftet ist. Einige s spricht dafür , in diesen „Schwierig-
keiten“ ein Spezifikum der Liebe und der In timität zu sehen. Zumindest legt das
der Ü berblick über fam ilien- und intim itätssoziologische Standardm otive nahe,
der die Problem atik des Regelbefolgens in den M ittelpunkt rücken lässt. V or
diesem Hintergrund scheint es dann ein nur marginaler Unterschied zu sein, ob
wie in der frühen Familiensoziologie von einem Mangel an sozial verbindlichen
Regeln oder wie in der zeitgenössischen (kapitalism uskritischen) Intim itätsso-
ziologie ein Überschuss an sozial vorgegebenen Regeln diagnostiziert wird. Die
empirische Analyse der Interviews hat dabei gezeigt, dass es die von dieser
paradoxen Problem lage erzeugte M öglichkeit der Unschärfe und der Unbe-
stimmtheit ist, die es den Paaren ermöglicht , ih re ganz eigene Version einer
intimen Praxis zu plausibilisieren. Ihre Individualität als Paar können die Ge-
währspersonen dadurch etablieren, dass sie Norm en, Formvorlagen und Regeln
in Anspruch nehmen und sich gleichzeitig von ihnen distanzieren.
Hier schließt drittens eine Beobachtung an, die sich auf die subjektive Di-
mension der W ahrhaftigkeit bezieht. Dass es den interview ten Paaren m it ihrer
Liebe ernst ist, dass sie m einen, was si e sagen, dass ihre Gefühle echt sind und
dass sie ihre G eschichte w ahrhaftig er zählen, w urde in der Interpretation an
keiner Stelle bestritten – von w elcher Position aus w äre dies auch m öglich?
Dass sich die W ahrhaftigkeit und Authen tizität jedoch auch als Effekt eines
ironischen K ommunikationsstils offenbart, hat zunächst überrascht. A uf der
Folie der habermasschen Theorie der idealen Sprechsituation mag es eigenartig
anmuten, dass sich im Kontext der Da rstellung von Intimität Wahrhaftigkeit mit
Hilfe ihres „G egenteils“, der Ironie, einstellt, fordert doch der von H abermas
geforderte dritte A spekt der G eltung einer Sprachhandlung explizit die „Ü ber-
einstimmung des Gemeinten mit dem Gesa gten“. Dass jedoch vor dem Hinter-
grund der spezifischen, hier untersuchten Sprechsituation gerade die Nichtübe r-
einstimmung von Gemeintem und G esagtem eine wirkmächtige Form der Er-
zeugung von W ahrhaftigkeit und Authentizität sein kann, war Gegenstand des
dritten K apitels. Es w urde dabei w iederholt auf die D iagnose der W ende zur
Ästhetik hingewiesen – und es mag dann au ch nicht mehr als ein Zufa ll erschei-
nen, dass selbst Habermas unter der Hand den drei fundame ntalen Geltungsas-
pekten in dem hier zu Rate gezogene n Text noch einen vierten (Quasi-)Aspekt
hinzufügt: das Kriterium der „ästhetischen Stimmigkeit“ (1988: 366).
Nun ist mit alldem natü rlich kein grundlegender Einwand gegen die ha-
bermassche Konzeption formuliert. Ihm ging es wohlgemerkt um eine allgemei-
Praxis der intimen Kommunikation 287

ne, pragmatisch erweiterte Bedeutungstheo rie. Die abschließende Kontrastie-


rung der hier präsentierten empirische n Ergebnisse mit der von Ha bermas ent-
worfenen Sprechsituation könnten dabei von einem gewieften Dialektiker sogar
eher als Bestätigung denn als Widerlegung der allgemeinen Charakteristika
einer auf Verständigung abzielenden Komm unikationsstruktur gelesen werden.
In der Tat scheint diese Interpretation ä ußerst plausibel zu sein: Die Inszeni e-
rung von Konflikten in der Sachdim ension scheint auf eine Stabilisierung einer
geteilten Einstellung zu einer gem einsamen W elt hinauszulaufen; die Abwe i-
chung von kontextuellen und der Situation angemessenen Normen scheint die
Etablierung genau dieser Norm en unter dem Vorzeichen der „norm alen“ und
„normativen“ Abweichung von ihr zu beför dern; der zu beobachtende W echsel
in eine ironische Sprechw eise im pliziert die notwendig vorausgesetzte Folie
einer wahrhaftigen Kommunikation. W orauf es hier abschließend ankommt, ist
jedoch ein einfacher Punkt. Gerade die Besonderheit der Präsentation von Inti-
mität mag im Kontrast zu dem von Habermas beschriebenen Verfahren einer
argumentativen Verständigungspraxis aufscheinen. Bei ihrer spezifischen Äs-
thetik der Ostentation der Performanz, der Inszenierung der Norm(-abweichung)
und der ironischen Äußerung handelt es sich aus der Perspektive dieser Arbeit
nicht nur um „reine“ Stilfragen. G enauer: Die These ist, dass diese ästhetischen
Merkmale – gerade als spezifischen K ommunikationsstil – m ehr sind als O ber-
flächeneffekte; sie stellen einen ents cheidenden funktionalen Beitrag zur Kom-
munikation von Intimität und Liebe dar.
Diese Studie hat dam it begonnen, di e Diagnose eines problematischen
Verhältnisses von Liebe und (soziologischer) W issenschaft zu problematisieren.
Nach einem Durchgang durch die in der Intim itätssoziologie erzählten „Liebes-
geschichten“ und nach einer Analyse von in der Interviewsituation präsen tierten
„Paargeschichten“ scheint man nun gewissermaßen wieder in einem vollen
Zirkel auf die Ausgangsposition zurückgeworfen zu sein. Als zentrales Ergebnis
dieser Arbeit hat sich herauskristallisiert, dass es in der Liebe und in ihrer pra k-
tischen Präsentation und theoretischen Inanspruchnahme immer auch um die
performative Herstellung von Unbestimmtheit geht. D em w issenschaftlichen
Imperativ „Wo Unbestimmtheit war, soll Bestimmtheit werden!“ setzt sie ihren
Schlachtruf „W o Bestimmtheit war, so ll U nbestimmtheit w erden!“ entgegen.
Auch in dieser letzten Kontrastierung m it der idealen Sprechsituation im Sinne
Habermas’ steht sie orthogonal zu dem , was hier als grundlegende Bedingung
der M öglichkeit einer kommunikativen Verständigungspraxis angenommen
wird. Noch dem Geltungsanspruch auf Verständlichkeit setzt sie ihr „unbezwei-
felbares Verwirrungsrecht“ entgegen. Di e auf einen Konsens abzie lende Hoff-
nung auf eine diskursive Verknappung der Argumente konterkariert sie mit der
Geschwätzigkeit des Sozialen. Der Orie ntierung an vernünftigen Gründen bietet
288 Praxis der intimen Kommunikation

sie mit einer Berufung auf alternative Gr ünde die Stirn, die gerade nicht ko m-
munikativ explizier bar sind und sich aus der Überraschung durch authentische
Gefühle speisen.
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