Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
jektbeziehungen (z. B. Mutter) frühkind- lich sind. So findet sich beispielsweise bei exemplarischen tierexperimentellen Stu-
lich geprägten internalisierten Repräsen- Primaten im Rahmen von Trennungssi- dien belegen eindrucksvoll, wie sich frü-
tanzen durchaus entsprechenden Einfluss tuationen eine erhöhte Sekretion von Cor- he Trennungserlebnisse über die Aktivi-
auf innere körperliche Vorgänge wie Ther- tisol,ACTH und Corticotropin-Releasing- tät neurobiologischer Systeme auf die Ge-
moregulation, Motorik etc. haben [5]. Hormon (CRH), wie dies häufig auch bei sundheit im Erwachsenenalter auswirken
Andererseits können diese frühen In- depressiven Patienten beobachtet wird [20, können [13, 14].
teraktionserfahrungen,die das Kleinkind 30]. Ferner wurde bei Ratten beobachtet,
in seiner Entwicklung sammelte,in späte- dass Veränderungen des mütterlichen Für- Säuglings- und Kleinkindforschung
ren Psychotherapiesitzungen in Form von sorgeverhaltens in der frühen Postnatal-
Inszenierungen und „Enactments“ wie- periode lang anhaltende Veränderungen In den letzten zwei Dekaden zeigten zahl-
der auftreten [7,39].Dies bedeutet die Wie- der Aktivität des Hypothalamus-Hypo- reiche Untersuchungen und Experimen-
derholung von Erlebnissen,die nun in der physen-Nebennierenrinden-Systems und te, dass die klassisch-traditionelle Sicht-
Beziehung zum Therapeuten eine szeni- dessen Reagibilität auf Stress bewirken weise, wonach der „Säugling“ ein passiv,
sche Form finden und sich in einer rela- können [14].Auch bei Ratten kommt dem undifferenziertes, seinen Trieben hilflos
tiv umgrenzten Handlungs- und Erleb- zentralnervösen Corticotropin-Releasing- ausgeliefertes Wesen ist, korrigiert wer-
niseinheit widerspiegeln. Die psychoso- Hormon in diesem Zusammenhang eine den muss [8].Die psychoanalytischen Ter-
matischen Körperbeschwerden des Pati- entscheidende Bedeutung zu [13]. mini, wie z. B. „Verschmelzungserleben“
enten wären dann Hinweise auf frühe ne- Neuere Untersuchungen konnten zei- oder „autistische Desorientiertheit“,müs-
gative Beziehungserfahrungen des Klein- gen, dass eine vermehrte Zuwendung pe- sen heute insofern revidiert werden,da es
kindes und somit ein Teil des „Körperge- ripubertal die durch die postnatale Tren- mittlerweile klare Evidenzen gibt,die be-
dächtnisses“ [32],die bei Belastungen wie nung hervorgerufene Störung der Regu- legen, dass der Säugling von Geburt an
Stress, emotionalen Krisen oder in der lation des Hypothalamus-Hypophysen- klare Grenzen zwischen sich und der Um-
Therapie vom Patienten entsprechend Nebennierenrinden-Systems teilweise wie- welt wahrnimmt und die Fähigkeit zur
„reinszeniert“ werden [18, 19, 29]. der kompensieren kann [14]. Bei der Be- Datenintegration in den entsprechenden
Gerade bei Patienten mit chronischen handlung von Drogenabhängigen wurde Hirnstrukturen vorliegt [9, 39].
und schweren psychosomatischen (z. B. schon früher nachgewiesen [34],dass Kör- Die im Gehirn des Säuglings repräsen-
somatoformen Störungen) Beschwerden perkontakt im Gehirn das körpereigene tierten neuronalen Muster mit verschiede-
geht man davon aus, dass die vorliegen- Opiat Endorphin zur Ausschüttung an- nen sensorischen Eingangskanälen kön-
den psychopathologischen Symptome mit regt. Die hirneigene Endorphinausschüt- nen z.B.durchaus unterscheiden zwischen
Störungen in diesem „Frühstörungsbe- tung bei Körperkontakt von jungen Säuge- dem, ob die Mutter ein Bein bewegt oder
reich“ in Beziehung stehen [26, 36]. Die tieren wird durch die Trennung von der es selbst aktiv strampelt. Für das Kind ist
Bindungsforschung wurde bisher am Mutter gestört und kann durch externe es überlebensnotwendig, Grenzen zu er-
stärksten im klinischen Kontext der Psy- Opiate auch nur teilweise ersetzt werden. kennen und Kontakt zur Mutter zu hal-
choanalyse rezipiert [2, 14]. Die Weiter- Shanberg [37] zeigte, dass diese externen ten bzw. „Bindung“ herzustellen. Der
entwicklung in der Säuglingsforschung Opiate zwar teilweise den Verlust von hirn- Säugling muss wahrnehmen können, ob
und die Ergänzungen in der modernen eigenen Endorphinen ausgleichen aber der Körperkontakt (z. B. „Festkrallen“)
entwicklungspsychologischen Bindungs- beispielsweise nicht zur Ausschüttung von hergestellt ist oder nicht (Fremdperzep-
forschung wird man zunehmend mit der Wachstumshormon führen. Dies könnte tion) und ob er sich selbst auch aktiv aus-
empirischen Forschung,speziell auch mit z.B.Auswirkungen auf die Schlafarchitek- reichend festhält (Eigenperzeption).
der Neurobiologie, in Beziehung setzen tur haben. Bleibt man bei der Gabe von
müssen [24,29],um diese dann zukünftig Fremdopiaten,so verliert das Jungtier die Gedächtnisarten
in den klinischen Kontext für den Thera- Fähigkeit, auf Körperkontakt mit dem
peuten zurückzuübersetzen. Muttertier mit Endorphinen zu reagieren. Im Rahmen dieser Wahrnehmungs- und
Lernprozesse werden in der Literatur ex-
Neurobiologische Befunde Monoaminerge Systeme perimentell zwei Formen von Gedächt-
Weitere tierexperimentelle Studien zei- nisarten beschrieben [29,35,40],die durch
Tierexperimentelle Studien gen,dass auch die Aktivität monoaminer- eine gute empirische Datenlage mittler-
ger Systeme (speziell dopaminerger und weile belegt sind.Es wird zwischen einem
Hypothalamus-Hypophysen- serotonerger Neurone) betroffen sein impliziten (=unbewussten) und einem ex-
Nebennierenrinden-System kann [3]. Bei deprivierten Ratten kommt pliziten (=bewussten) Gedächtnis unter-
Verschiedene tierexperimentelle Studien es zu einer Erhöhung der Expression von schieden. Die Reizverarbeitung wird na-
weisen darauf hin, dass postnatale Tren- dopaminergen D1, serotonergen 5-HT1A- turgemäß von dem angebotenen Interak-
nungserlebnisse zu Veränderungen der und glutamatergen NMDA-Rezeptoren tionsmuster zwischen Säugling und Um-
Aktivität des Hypothalamus-Hypophysen- im limbischen System.Auch ist bei depri- welt beeinflusst; die damit befassten neu-
Nebennierenrinden-Systems führen, die vierten Nagern eine erhöhte Dichte an se- ronalen Netzwerke unterliegen den kon-
denen depressiver Patienten durchaus ähn- rotonergen Nervenfasen zu finden. Diese textabhängigen Änderungen synaptischer
Zusammenfassung
Diese Übersicht stellt die Basismethoden und großer Bedeutung für die psychische Etwicklung Menschen zu diesem Thema durchgeführt.Diese
Prinzipien der Bindungsforschung sowie deren des Kindes und des späteren Erwachsenen. weisen darauf hin,dass frühe Einflüsse des psy-
mögliche Wechselbeziehungen und Implikatio- Die Bindungsforschung weist darauf hin, chosozialen Umfeldes nachhaltige Wirkungen
nen für psychiatrische und psychosomatische Er- dass Beziehungsschwierigkeiten von Patienten auf Hirnstruktur und Funktion haben können.
krankungen dar.Mittlerweile gibt es eine größere mit psychosomatischen Erkrankungen,z.B.so- Neben den bisherigen psychoanalytischen
Anzahl von Studien über die Bedeutung der Bil- matoformen Störungen,in einem entwicklungs- und verhaltenstheoretischen Betrachtungswei-
dungstheorie speziell für die Entwicklung dieser genetischen Kontext stehen.Es wird ein Vulnera- sen,psychiatrische und speziell psychosomati-
Störungen sowie über die mit bestimmten Bin- bilitätsmodell vorgestellt,das die entwicklungs- sche Störungen betreffend,wird zunehmend die
dungsstilen assoziierten psychopathologischen psychopathologische Dimension der Repräsen- Integration neurobiologischer Befunde entschei-
Symptome.Am bekanntesten ist die von John tanzenbildung im Rahmen der Bindungstheorie dend an Bedeutung gewinnen.
Bowlby (1907–1990) begründete Bindungstheo- darstellt.Zusätzlich wird der Fortschritt und Er-
rie,welche unser Verständnis der frühen Mutter- kenntnisstand der kognitiven Neurowissenschaf- Schlüsselwörter
Kind-Beziehung wachsen ließ und maßgeblich ten hinsichtlich der Bindungsforschung erläutert. Bindungstheorie · Psychosomatik ·
bei der Aufstellung der Richtlinien für Kinderfür- In den letzten Jahren wurden vermehrt Untersu- Psychotherapie · Neurobiologie · Vulnerabilität
sorge beteiligt war.Die familiäre Struktur ist von chungen bei Nagetieren,Primaten sowie beim
Summary
This review covers basic principles of attachment tance for the psychological development of the dents,primates,and humans indicate that early
research and its relationship to and implications child and later the adult.Attachment research in- influences of psychosocial factors could have
for psychiatric and psychosomatic disorders.A dicates that disturbances of patients with psy- permanent consequences for brain structure and
great number of studies deal with the import- chosomatic,e.g.,somatoform disorders,in esta- function.Besides the psychoanalytical and behav-
ance of attachment theory in the development blishing relations must be seen in a develop- ioral view concerning psychiatric and especially
of these disorders associated with distinct attach- mental genetic context.A model of vulnerability psychosomatic disorders,the integration of neu-
ment styles.The most well-known concept is the is introduced which describes the development robiological findings will be a major challenge
attachment theory created by John Bowlby of psychopathology concerning the formation of for the generation of further concepts.
(1907–1990),which has strengthened our representations taking advantage of attachment
knowledge on early mother-infant relationships theory.Additionally,recent progress in cognitive Keywords
and influenced guidelines for child care.Within neurosciences addresses attachment theory.Dur- Attachment theory · Psychosomatics ·
this concept,family structure is of great impor- ing the last decade,neurobiological studies in ro- Psychotherapy · Neurobiology · Vulnerability
Verknüpfungen [29]. So genannte „Sy- ernährt werden.Die betreuenden Bezugs- bilität für psychische und psychosomati-
napsengewichte“ können innerhalb dieser personen hatten bei der „Fütterungssitua- sche Störungen im späteren Erwachse-
neuronalen Netze als neurophysiologische tion“, bedingt durch die Magensonde, nenalter erhöhen. Als gesicherte Risiko-
Korrelate beim Aufbau neuer Bedeutungs- einen gewissen physischen Abstand zum faktoren gelten u. a. chronische familiäre
strukturen wirken [37].So können also in Kind (das Neugeborene lag in der Regel Disharmonie, häufige Erkrankungen in
diesem Alter zwar schon Gedächtnisin- flach auf dem Rücken über den Knien der der Kindheit,körperliche und psychische
halte (sog. „Repräsentanzen“) gebildet Mutter).Später sollte Monica ihre Puppen Erkrankungen der Eltern, häufige Schul-
werden, die affektive Ausdruckinhalte in der gleichen Position füttern. Als Mo- wechsel und Umzüge,niedriger sozioöko-
oder sensomotorische Schablonen spei- nica später selbst Mutter wird,hält sie ihr nomischer Status,während ein wenig kon-
chern, eine Symbolbildung aber ist erst Kind (auch wenn keine Sonde vorhanden flikthaftes,offenes und auf Selbstständig-
später möglich. Daraus folgt für die Ent- ist) genauso wie ihre Mutter sie positio- keit orientiertes Erziehungsklima, liebe-
wicklungspsychologie,dass Fantasien und niert hat. Und auch Monicas Tochter hält volle und stabile Beziehungen (Eltern,Ge-
ausgereifte Projektionen im Alter vor ca. später ihre Puppen beim „Fütterungsspiel“ schwister) eher protektiv wirken.
18 Monaten mit Sicherheit nicht möglich in der gleichen Position. In den letzten Jahren hat sich die For-
sind. Psychoanalytische Theorien, die schung auch damit beschäftigt, wie sog.
mörderische Impulse oder ödipale Fan- Beeinflussung der kompensatorische Schutzfaktoren das Ri-
tasien in diesem Zeitabschnitt der Kin- affektiven Zustände siko einer späteren Erkrankung modifi-
desentwicklung postuliert haben, sind Die Mütter bzw.die primäre Bezugs- und zieren können.Insbesondere der Einfluss
ohne neurobiologische Grundlage [7, 8]. Bindungspersonen können die affektiven dieser Faktoren auf die sog. „Resilienz“
Folgende Schlussfolgerungen und Hy- Zustände ihrer Kinder auch derart beein- (psychische Widerstandskraft) gefährde-
pothesen lassen sich diesen Beobachtun- flussen, dass Sympathikus und Parasym- ter Kinder stand im Mittelpunkt der Un-
gen entnehmen: Im Säuglingsalter gibt es pathikus des vegetativen Nervensystems tersuchungen [10, 28].
ein sog.reines „Handlungswissen“,erkenn- in ihrem Wechselspiel und Gleichgewicht
bar an automatisierten Gefühlsgewohnhei- verändert werden [32,36].Mittlerweile ist Deprivationsforschung
ten, die auch im späteren Alter erhalten bekannt, dass das Bindungsverhalten auf
bleiben.In symbolischen Bildern und Spiel- verschiedene physiologische Variable wie Die ersten systematischen Untersuchun-
handlungen werden die Gefühlsgewohn- immunologische Parameter, endokrine gen im Rahmen der sog.„Deprivationsfor-
heiten ab ca.eineinhalb bis zwei Jahren um- Systeme sowie das kardiovaskuläre Sys- schung“,die Säuglings- und Kleinkindent-
gestellt und später dann auch in der Spra- tem großen Einfluss hat [41]. So zeigten wicklung betreffend,erfolgten in den 40er-
che. Diese sind erst jetzt dem Bewusstsein beispielsweise Strauß und Schmidt [40], und 50er-Jahren.Diese wurden hauptsäch-
als „deklaratives Wissen“ zugänglich und dass eine „sichere Bindung“ der Kinder lich von John Bowlby [2] und Rene Spitz
können dann als Autobiographie mitge- eher vor zu hohen körpereigenen Corti- (s. auch Übersicht bei [7]) getragen. Beide
teilt werden [39]. In der Literatur (Über- solspiegeln schützt. Diese so klassifizier- Therapeuten untersuchten,inwiefern bzw.
sicht bei [7, 8]) werden hieraus klinische ten Kinder sind dann später offensicht- ob und in welchem Umfang schwere Ent-
Modellbildungen entwickelt,die aber noch lich für psychische Störungen, insbeson- behrungen, z. B. früher Verlust der Mutter
entsprechender empirischer Überprüfung dere Phobien, weniger anfällig [33, 40]. als Bezugsperson,auf die weitere Entwick-
unterzogen werden müssen. Die frühen Bindungserfahrungen des lung des Kindes Einfluss nehmen.Zusam-
Ein kurzes klinisches Beispiel soll die- Kindes beeinflussen nicht nur die Explo- menfassend kann man sagen,dass die Fol-
ses illustrieren:„Früh“ gestörte Patienten ration der Außenwelt [1], sondern haben gen einer dauernden oder vorübergehen-
mit „grobem Agieren“, also weitgehend auch enorme Auswirkungen auf die Ent- den Trennung des Kindes von seiner Be-
handlungsgebundene mit einer nichtsym- wicklung der sog.„inneren Welt“. Defizi- zugsperson in hohem Maße von der Qua-
bolischen Artikulation von Problemen täre frühe Bindungserfahrungen können lität des Ersatzmilieus abhängt.Bei den von
(z. B. Aggression), wären dann als Aus- offensichtlich zu einer Grundstörung z.B. Bowlby und Spitz untersuchten Kindern
druck eines Symbolisierungsmangels zu im Bereich der Affektorganisation führen handelte es sich um Kinder nach Mutter-
interpretieren. Es würde sog. prozedura- und somit eine Prädisposition für psychi- verlust mit nachfolgender Versorgung in
les Wissen,das nicht symbolisch übersetzt sche und psychosomatische Störungen einem Waisenheim, die wenig emotionale
wurde, zur Handlung gebracht [7, 35]. darstellen [26, 32, 36]. und intellektuelle Anregung (kein fester
Ansprechpartner, hohe Fluktuation beim
Fallbeispiel. In diesem Zusammenhang ist Bindungsforschung Personal,zum Teil schlecht ausgebildet) be-
es spannend, den berühmten Fall „Moni- und Risikofaktoren kamen und dementsprechend Entwick-
ca“ von R. Spitz [38] zu beschreiben, der lungsschäden aufwiesen.Diese waren aber
mittlerweile schon mehr als 40 Jahre nach- Mittlerweile gibt es eine Fülle sowohl pro- nicht nur Folge des Verlusts per se (der bei
untersucht wurde. Die neugeborene Mo- spektiver [22,33] als auch gut kontrollier- hochwertigem Ersatzmilieu noch zu erset-
nica litt seit Geburt an einer Speiseröh- ter retrospektiver Studien [25], die bele- zen gewesen wäre), sondern auch durch
renanomalie und musste deswegen die gen,dass psychosoziale Belastungsfakto- die nachfolgenden ungünstigen Lebensbe-
ersten 24 Monate mit einer Magensonde ren in Kindheit und Jugend die Vulnera- dingungen bedingt [44].
Ausblick