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Frühjahrssemester 2022 Habitus, Klassen, Kapital-Bourdieu Lektüren

Dr. Thore Prien


Julian Ritter (550695)

Essay: Nicht jeder kann sich Nachhaltigkeit leisten und will es vielleicht auch nicht?
Zum Thema Klima und Klasse
Frühjahrssemester 2022 Habitus, Klassen, Kapital-Bourdieu Lektüren
Einleitung

Während Ich hier an meinem Laptop sitze und versuche mir die passenden Wörter aus dem
Kreuz zu leiern ist es Mitte Juli und ich befinde mich in bei meinen Eltern in Seester. Es ist 13
Uhr und draußen sind es knapp vierzig Grad. Wäre Ich in Andalusien oder auf Sizilien würde
Ich mich wegen der Temperatur nicht wundern. In Seester allerdings, wundere ich mich schon
ein wenig über 40 Grad. Zur Information, die niemand so wirklich braucht, Seester liegt knapp
30 Kilometer westlich von Hamburg. Solch eine Hitze ist für Hamburger Verhältnisse
außergewöhnlich. In einem Artikel der Tageschau wird Petteri Taalas, der Generalsekretär der
Weltwetterorganisation zitiert: „Solche Episoden werden immer häufiger, und der negative
Trend wird noch bis mindestens 2060 anhalten, unabhängig vom Erfolg unserer
Klimaschutzbemühungen" (Taalas 2022). Taalas weiter: „Ich hoffe, diese Ereignisse sind
ein Weckruf für Regierungen, und dass sie in demokratischen Ländern Folgen bei den
nächsten Wahlen haben" (Tagesschau 2022). Angesichts der steigenden Temperaturen, ist
laut Jakob Schaupp die „Nachhaltigkeit“ zu einer allgemeinen ethische und politische
Maxime geworden (vgl. Schaupp, 2020, S.43). Schaupp geht weiter, indem er beschreibt,
dass sich der Begriff inhaltlich zwar weitgehend entleert hat, im hauptsächlichen jedoch mit
Appellen an Konsumverzicht und auch unternehmerischer Verantwortung befasst (ebd.).

Mit diesem Essay möchte Ich der Frage nachgehen, welche Klasse in unserer Gesellschaft, dem
Konzept der Nachhaltigkeit am meisten zusagt, was es für Auswirkungen auf das Verhalten
dieser Klassen hat im Verhältnis zu anderen Klassen. Ebenso versuche einen Ansatz zu
skizzieren, der auf der einen Seite den Wandel zum Erhalt der Umwelt beschleunigt und auf
der anderen die Gesellschaft wieder zusammenbringen könnte, als sie zu weiter zu spalten.
Mittelschicht als Hauptvertreter der Mittelschicht

Laut Schaupp und auch Neckel ist es das mittlere Segment, dass mehr als andere Schichten zu
einem nachhaltigen Lebensstil tendieren. So schreibt letzterer: „Schaut man sich nicht nur in
Bio-Supermärkten oder bei Car-Sharing-Kunden um, […], wird man feststellen, dass es vor
allem bestimmte Segmente der Mittelschichten sind, die eine lebenspraktische Nähe zur
ökologischen Lebensführung aufweisen und diese zur Demonstration der eigenen Geltung
verwenden (Neckel, 2018, S.60)“. Schaupp schreibt ergänzend: „Im Jahr 2015 wurde der Anteil
der Verbraucher*innen mit einer sozial-und umweltethischen Konsumhaltung mit 12,7 Prozent
beziffert. Die größte Verbreitung findet die Konsumethik in einem spezifischen Segment der
Mittelschicht, die das Bundesumweltamt als „kritisch-kreatives Milieu“ bezeichnet“ (vgl.
Schaupp, 2020, S.46). Die Mittelschicht nutzt das Nachhaltige Handlungskonzept, als
sogenannte Klassendistinktionsfunktion (vgl. Schaupp, 2020, S.47). Auf der einen Seite wird
sich gegen den dekadenten Luxuskonsum der Oberschicht aufgelehnt, auf der anderen Seite
werden Ressentiments gegen die Unter- und Arbeiter:innenschicht gehegt (vgl. ebd.). Die
Mittschicht verurteilt somit nicht nur den luxuriösen Verschleiß der Oberschicht, sondern auch
den verhassten Massenkonsum von Fastfood oder auch von Medien (vgl. ebd.). Ein anderes
zentrales Merkmal, warum der Mittelschicht die Nachhaltig wichtig ist, ist laut Neckel die
„investive Statusarbeit“ (vgl. Neckel, 2018, S.64). Dieses sorgt dafür, dass durch
lebenspraktische Investitionen sozialen Aufstieg und Besserstellung in der Gesellschaft
möglichst dauerhaft, verlässlich und erneuerbar gemacht werden sollen, da die Ressourcen der
Mittelschicht nur begrenzt und nicht beliebig vermehrbar sind (vgl. ebd. S.64 f.). Neckel geht
weiter, indem er beschreibt, dass vor allem wegen der Statusanfälligkeit, die Mittelschicht sich
mit den Dogmen der Nachhaltigkeit identifizieren kann (vgl. ebd.). Im weiteren Sinne bedeutet,
dass man die vorhandenen Ressourcen, auch künftig in Statussicherung investieren kann (vgl.
ebd).

Sozialer Raum und Nachhaltigkeit

Die Motivation zu einem umweltbewussten sowie umweltfreundlichen Handeln ist demnach


eng in das Verhaltensmuster der Mittelschicht verstrickt. Es lässt sich also sagen die beiden
Konstrukte in einer engen Relation im sozialen Raum stehen. Bourdieu definiert den sozialen
Raum: „ ,..was in Wirklichkeit Merkmale sind, [...] an möglichen Gütern und Praktiken
zukommen. Zu jedem Zeitpunkt jeder Gesellschaft hat man es also mit einem Ensemble von
sozialen Positionen zu tun, das über eine Relation, eine Homologie, mit einem selbst wiederum
relational bestimmten Ensemble von Tätigkeiten. (Golf oder Klavierspielen) Oder Gütern
(Zweitwohnsitz oder Werk eines berühmten Malers) Verbunden ist“ (Bourdieu, 1985, S.17).
Daraus lässt sich schließen, dass gemessen an dem kumulierten ökonomischen Kapital und auch
der Höhe des kulturellen Kapitals, bestimmten Individuen bestimmte Hobbies, Eigenschaften
oder Praktiken zugewiesen werden können. In diesem Fall steht die Praktik des nachhaltigen
Handelns und die skizzierte Mittelschicht im sozialen Raum nah aneinander. Im Umkehrschluss
lässt sich vermuten, dass weder die Ober- als auch die Unterschicht, im Rahmen des Sozialen
Raums, mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit verbunden sind, sprich sie stehen in größerer
Distanz dazu als die Mittelschicht.
Es sei jedoch dazu gesagt, dass der Begriff „Mittelschicht“ weit gefächert ist. Laut Neckel,
gehörten, die zur Mittelschicht, die im Jahre 2016 ein jährliches Einkommen von 35.845 bis
107.000 Euro hatten. Der Unterschied zwischen dem kumulierten ökonomischen Kapitalen ist
immens und erschwert es, den Begriff „Mittelschicht“ zu konkretisieren (vgl. Neckel, 2018,
S.63).

Stigmatisierung der Klassen

Stigmatisierung und falsche Sparpolitik machen die Nachhaltigkeit unfair für Menschen, die
zur Unterschicht zählen. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung, gehört man zur
einkommensschwachen Gruppe, wenn das Einkommen bei weniger als 70 Prozent des
Medianeinkommens liegt (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2020). 2016 lag der
Median bei 22.456 Euro (vgl. ebd.). Zu der einkommensschwachen Gruppe zählen also die, die
ein Jahreseinkommen von unter 15.719 Euro, sprich 70 Prozent unter dem Median, haben.
Wenn man dementsprechendes Geld verdient, ist es offensichtlich, dass man sich vermeidlich
Nachhaltige Güter, wie Car-Sharing oder vegane Fleischersatzprodukte kaum leisten kann.
Zudem geringeren ökonomischen Kapital sehen sich die Menschen der Einkommensschwachen
Gruppe von anderen Gruppen Ausgrenzungen und teilweise Anfeindungen ausgesetzt. So
schreibt Neckel: „Diejenigen, die den Anforderungen der Bio-Moralität nicht entsprechen,
werden nicht selten mit Abscheu betrachtet, als »disgusted subjects« (Lawle 2005), wie dies
eine britische Sozialforscherin bezeichnet hat, um deutlich zu machen, wie emotional
aufgeladen diese Form der Abgrenzung heute ist“ (Neckel, 2018, S.68). Dieses Zitat macht
deutlich, wie stark Gruppierungen sich moralisch über andere Gruppen stellen. Wenn einem
persönlich gesagt wird ein „disgusted subject“, also ein ekelhaftes Subjekt zu sein, ist es kaum
verwunderlich, dass dadurch auch Anfeindung gespiegelt werden und die verurteilenden ebenso
verurteilt werden. Es ist ebenso kaum überraschend, dass die im unteren Lohnsegment
befindlichen Menschen sich von den Vertretern der Konsum Nachhaltigkeit drangsaliert fühlen
und deshalb Widerstände entstehen. Laut Neckel versuchen populistische Parteien diese
benannten Widerstände zu nutzen machen, indem sie gegen die sogenannte „Bio-Moralität“
und deren Anmaßung der unbeliebten liberalen Eliten zu mobilisieren (vgl. Neckel, 2018, S.69).

Problem hat andere Verursacher

Laut Schaupp stammt der Großteil der Treibhausemissionen nicht von privat Haushalten und
überschwänglichen Konsum (vgl. Schaupp, 2020, S.50). Seit 1998 sind rund 100 Unternehmen
für 71 Prozent der Treibhausgase verantwortlich (vgl. ebd.). Die deutsche Industrie liegt bei
227 Terrawattstunden deutlich an der Spitze des Stromverbrauchs (vgl. ebd.). Der deutsche
Privathaushalt liegt im Vergleich bei 129 Terrawattstunden (vgl. ebd.). Es zeigt also, dass der
Konsum eines einzelnen keinen immensen Effekt auf die Treibhausgasemission zu tun hat.
Somit ist also der Vorwurf der Mittelschicht an die Unterschicht, sie seien durch ihren Konsum
schuld am Menschen gemachten Klimawandel, nicht haltend. Trotzdem muss beachtet werden,
dass der Appell, beispielsweise weniger Fleisch zu konsumieren oder auf den vierten Flug des
Jahres zu verzichten, prinzipiell nichts Schlechtes ist. Es sollte jedoch niemanden irgendeine
Meinung aufgebunden werden, noch sollte man nicht verurteilt werden, wenn man nicht jedem
nachhaltigen Trend folgen will, beziehungsweise aus ökonomischen Gründen gar nicht kann.

Falsche Sparpolitik

Während Teile der Gesellschaft die Konsum Ethik als Rettung für den Erhalt der Umwelt sehen,
ist für die Politik die Preispolitik ein gern verwendetes Motiv zur Lösung der Umweltkrise. Wie
schon beschrieben ist die Konsumethik auf der einen Seite ungerecht für alle Bürger:innen,
noch ist sie eine hinreichende Lösung, um den Klimawandel zu verlangsamen oder gar zu
stoppen. Vielmehr liegt das Problem in der Industrie und nicht bei den Endverbraucher:innen.
So ist auch die Austeritätspolitik der Staatsführung alles andere als fair. Schaupp spaltet die
Sparpolitik in zwei Formen auf. Zum einen definiert sie sich durch die Besteuerung auf
umweltschädliche Produkte, wie zum Beispiel Benzin (vgl. Schaupp, 2020, S.53). Zum anderen
definiert sie sich durch den Verkauf und Handel mit Verschmutzungsrechten für Unternehmen
(vgl. ebd.). Zusammenfassend bedeutet für die Beschmutzung und den Verbrauch der Umwelt
bezahlt werden soll (vgl. ebd.).

Die Besteuerung auf umweltschädliche Güter wie Benzin, sorgt für einen Preissteigernden
Effekt. Für Schaupp bedeutet es, dass Autofahren oder auch Fliegen teurer wird, sodass deutlich
weniger Personen finanziell in der Lage sind, sich einen Zugang für diese Mittel zu leisten (vgl.
Schaupp, 2020, S. 54). Damit wird laut Schaupp die bestehende Ungleichheit auf den Zugriff
auf natürliche Ressourcen, wie Treibstoff, weiter auf einen kleinen Teil der Gesellschaft
zugespitzt (vgl. ebd.). Im größeren Sinne bedeutet es also, dass die, die über genug kumuliertes
ökonomisches Kapital verfügen, sich das Recht erkaufen können, die Umwelt weiter zu
zerstören, während Umweltschonendes Verhalten denjenigen aufgebunden wird, die über kein
hohes ökonomisches Kapital verfügen (vgl. ebd.).

Die Sparmaßnahmen der Politik werden stets als kollektive Appelle an die Gesellschaft
verpackt, dass alle Abstriche machen müssen. Gemäß Schaupp werden dadurch aber nur die,
die ohnehin über die wenigsten Ressourcen verfügen, schlechter gestellt (vgl. Schaupp, 2020,
S. 55). Das ist nicht nur ungerecht, sondern entstehen dadurch auch Widerstände gegen die
verhängten unreflektierten Austeritätsmaßnahmen (vgl. ebd.). Als Beispiel nennt Schaupp den
Aufstand der Gelbwesten in Frankreich, die, nachdem die Regierung eine Ökosteuer auf Benzin
erhob, das ganze Land für Wochen und Monate mit Streiks stilllegten (vgl. ebd.).

Die Sparmaßnahmen der Regierung versuchen zwar alle sozialen Schichten dazu zu bringen
sparsamer mit natürlichen Ressourcen umzugehen. Im Endeffekt sind aber nur die betroffen,
die es sich nicht leisten können erhöhte Strom, Gas und Benzinpreise zu stemmen. Diejenigen,
die über viel ökonomisches Kapital verfügen umgehen die Mentalität des „Gürtel enger
schnallen“, weil sie in der Lage sind, die erhöhten Preise zu bezahlen. Sparmaßnahmen durch
Preissteigerungen auf bestimmte Güter machen für die wenigen gutbetuchten Menschen keinen
Unterschied.
Fazit

In diesem Essay wurde aufgezeigt, wer die Nachhaltigkeit vertritt, was es mit den sozialen
Schichten macht, dass die Konsumethik die Umwelt nicht allein retten kann und dass die
Sparpolitik der Regierung nicht zielführend ist, da reiche Menschen Maßnahmen umgehen
können. Die Frage, die Ich mir nun stelle, wie kann Nachhaltigkeit und Umweltschutz für jeden
zugänglich sein. Zunächst müssen die politischen Sparmaßnahmen umgedacht werden. Jede:r
muss von diesen Sparmaßnahmen getroffen werden. Es muss verhindert werden, dass sie durch
ökonomische Kraft umgangen werden kann. Eine verpflichtende Ökosteuer, die gemessen am
Einkommen der Bürger einführt wird, würde jede:n prozentual gleichermaßen an
Sparmaßnahmen beteiligen.

Ein ebenso schwerwiegendes Problem ist das durch die Nachhaltigkeit und die mit eingehende
Konsumethik, die Gesellschaft gespalten wurde. Die Mittelschicht sieht in der Nachhaltigkeit
eine Distinktionsfunktion von der verschwenderischen Oberschicht, als auch von der
Unterschicht. Dadurch, dass die Unterschicht von der Mittelschicht sehr streng verurteilt
werden, grenzt sich auch die sozial schwache Schicht von der Mittelschicht ab. So wird die
Spaltung immer größer und die Fronten verhärten sich ebenso. Es ist daher wichtig, dass
Stigmatisierungen anhand von Konsum aufhören muss. Wenn man sich erfolgreich an den
Klimawandel anpassen will, dann muss man als Gesellschaft zusammenstehen. Eine Idee, wie
man als Gesellschaft wieder aufeinander zugehen könnte und sich dadurch gemeinsam für die
Umwelt einsetzen kann, nennt Schaupp, indem er vorschlägt, dass sie die Protestant:innen und
Aktikivist:innen von von Fridays for Future mit den größten deutschen Gewerkschaften ver:di
und IG-Metall zusammenschließen (Schaupp, 2020, S.66). Ein möglicher Zusammenschluss
dieser drei Parteien, im Rahmen von Protesten, hätte mehrere Folgen. Zum einen bekäme der
Protest für die Aufrechterhaltung der Umwelt eine deutlich größere Stimme und findet somit
möglicherweise mehr Gehör in der Politik. Zum anderen würden durch die Größe der
Gewerkschaften und Fridays for Future Menschen aller Schichten, ob jung oder alt,
Mittelschicht oder sozial schwache Schicht zusammenkommen, um an einem Strang zu ziehen.
Vorausgesetzt, dass sich die Gewerkschaften ebenso für die Umwelt einsetzten, wie Fridays
for Future.
Literatur

BILDUNG, BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE (2022): Einkommensgruppen, bpb.de, [online]

https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-

deutschland/61763/einkommensgruppen/ [abgerufen am 10.07.2022].

BOURDIEU, PIERRE/HELLA BEISTER (1998): Praktische Vernunft: Zur Theorie des Handelns

(edition suhrkamp), 1., Berlin , Deutschland: Suhrkamp Verlag.

NECKEL, SIGHARD (2018): Ökologische Distinktion, in: Die Gesellschaft der Nachhaltigkeit,

S. 59–76, [online] doi:10.14361/9783839441947-005.

SCHAUPP, SIMON (2020): Jenseits der Austeritätsökologie : Einführung in eine Umweltpolitik

von unten: Einführung in eine Umweltpolitik von unten, in: Sozial.Geschichte Online

28, S. 43–68, [online] doi:10.17185/duepublico/73595.

TAGESSCHAU/PETTERI TAALAS (2022): Hitze in Deutschland: Der nächste Tag mit bis zu 40

Grad, tagesschau.de, [online] https://www.tagesschau.de/inland/hitzewelle-

deutschland-119.html [abgerufen am 22.07.2022].

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