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PHILOLOGISCH-HISTORISCHE STUDIEN
ZUM ARISTOTELISMUS
IN VERBINDUNG MIT
H.J.DROSSAART LULOLFS, L.MINIO-PALUELLO, R. WEIL
HERAUSGEGEBEN VON
PAUL MORAUX
BAND 6
1984
WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK
ZWEITER BAND
DER ARISTOTELISMUS IM I. UND II. JH. N. CHR.
VON
PAUL MORAUX
1984
WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK
Moraux, Paul:
Der AristoceHsmus bei den Griechen : von Andronikos bis Alex-
ander von Aphrodisias / Paul Moraux. — Berlin ; New York : de
Gruyter
Bd. 2. Der Aristotelismus im I, und II. Jh. n. Chr. - 1984.
(Peripatoi ; Bd. 6)
ISBN 3-11-009919-5
NE: GT
©
1984 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30, Gentbiner Straße 13.
Printed in Germany
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne
ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder
Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie)
zu vervielfältigen.
Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin
Einband: Lüderitz 8c Bauer, Berlin
Vorwort XXI
ERSTES BUCH
DIE ARISTOTELIKER
Erster Teil
Zwei aristotelische Traktate
D. Gott 37
a) Gott in seinem Verhältnis zum Kosmos (Kap. 6) 37
Gott als zusammenhaltende Ursache, 37. Gottes Dynamis und Gottes Ousia,
39. Aristobulos, 41. Philon, 42. Pythagoreer, Platoniker, Peripatetiker, 44.
Anstotelisrmis und Piatonismus in der Gotteslehre von De mundo, 47.
F. Schlußwort 75
Stellung zum Aristotelismus, 76. Gotteslehre, 76. Verhältnis zur Stoa, 78.
Pseudopythagorlka, 79, Verhältnis zu Philon, 81, Datierung, 81.
Zweiter Teil
Die Kommentatoren
D. Zu De caelo 240
Gleichm igkeit der Himmeisbewegung, 240. Die f nf Postulate der Mathe-
matiker, 243.
E. Zu De sensu 244
Eine abweichende Lesart, 244, Die Ank ndigung am Anfang der Schrift,
245. Zu 441b23-27, 245.
D. Aristoteles-Interpretation .317
Adrastos zieht die Kategorien zur Interpretation eines Satzes der Physik
heran, 317. Essentielle und akztdentielle Pr dikation, 318, Unterscheidung
zwischen transhorischen Akzidentien und solchen, m deren Definition das
Substrat erw hnt wird, 320.
Dritter Teil
Die Lehrer Alexanders von Aphrodisias
1. Sosigenes 335
A. Zu den Kategorien 336
Gegenstand der Schrift: Dinge oder Worter?, 336. Sosigenes l t die Frage
offen, 337.
2. Herminos 361
A. Allgemeines 361
B. Zu den Kategorien 363
Simplikios kennt den Kommentar wahrscheinlich über Porphyrios, 364,
Zum Gegenstand der Kategorienschrift, 364. Das Artmerkmai, 367. Bei
verschiedenen Gattungen können die Differenzen generisch dieselben sein,
368. Zur Liste der Kategorien, 369. Der mathematische Körper in der Kate-
gorie der Quantität, 370, Keine Gegensätzlichkeit in Ort und Zeh, 371. Zu
den Postprädikarnemen, 372,
F. Zu De caelo 396
Gleichmäßigkeit der Himmels bewegung, 396. Zur Kausalität der Himmels-
seele, 397.
ZWEITES BUCH
DER ARISTOTELISMUS BEI NICHT-ARISTOTELIKERN
Einleitung 429
Das Problem des Eklektizismus, 429. Widerstand gegen Aristoteles im Pla-
tonismus. Attikos, 430. Kategorienkommentare, 431. Galen als Eklektiker,
433. Die pythagoreischen Pseud epigraph a, 434. Galens Vertrautheit mit dem
Corpus Aristotelicum, 435. Aristotelische Thesen, die im Mittelpunkt des
Interesses stehen, 436. Die ,,Koine" der philosophischen Problematik, 436,
Neigung zum Scholastizismus, 437.
Erster Teil
Die Platoniker: Aufnahme aristotelischen Gedankengutes
L Albinos 441
A. Status quaestionis . . 441
Albinos oder Alkinoos?, 443, Albinos und Gaios, 443. Einflu des Aristote-
les, 443. Ist nicht mit einer Distanzierung von Platon gleichzusetzen, 444.
Dogmatische Form des Exposes, 446.
B. Lebensformen 448
C. Einteilung der Philosophie 449
Theorie, Praxis und Dialektik, 449. Einteilung der Dialektik, 450. Eintei-
lung der praktischen und der theoretischen Philosophie, 452.
D. Dialektik 453
Kriteriologie, 453. Diairesis, 454. Pr missen, 455.
F, Ethik . . . 474
Die gerneinsame platonisch-penpatetische Tradition in der Ethik, 474. Gii-
terlehre, 475. Eudämonie undTetos, 476. Die Tugenden, 476. Freundschaft,
478. Staatsverfassungen, 479,
B. Kategorien 485
C. Syllogistik 487
Erwähnung der dritten Figur, 487. Der Syllogismus über die Identität von
Weisheit und Wissenschaft, 488.
D. Sonstiges 490
,,Daß" und „Warum", 490. Definition der Wissenschaft, 491. Veranlagung
und Tugend, 491,
Zweiter Teil
Die Platoniker: Kritik an Aristoteles
3. Attikos 564
A. Tugend und Eud monie 565
B. G terlehre 566
C. Vorsehungslehre 569
D. Naturwissenschaftliches 571
W rtliche Interpretation des Welterschaffungsfaerichts, 571, Das f nfte Ele-
ment, 572. Die Gestirne, 574. Das Schwere und das Leichte, 575. Seelen-
lehre, 576.
E. Weltseele 577
F. Ideenlehre 579
G. Schlu wort , . . . 580
Dritter Teil
Die Stoiker: Zwei Opponenten gegen die Kategorien
1. Athenodoros . , 585
A, Pers nlichkeit und Datierung 585
B. Die Schrift 587
Simplikios' Charakterisierung, 588. Die W rter als Gegenst nde der Schrift,
588, Unterteilung der Quantit t, 589. Die Rektion, 589.
2. Kornuros 592
Biographisches, 592. Gegenstand der Kategorienschrift, 593. Kritik an Athe-
nodoros, 594. Definition der Zeit, 594. Das Wo und das Wann, 597. Die
Ideen als Gattungsbegriffe, 600.
Vierter Teil
Die pythagoreischen Pseudepigrapha
1. Allgemeines 605
Die Frage nach der Wiederbelebung des Pythagoreismus, 605. Das Datie-
rungsproblem, 606.
2. Ps.-Archytas 608
A, Kategorien , 608
Systematische Disposition des Stoffes, 608. Der Skopos, 609, Geltung der
Kategorien auf das Diesseitige beschr nkt, 610. Anordnung der Kategorien,
61t. Unterteilung der einzelnen Kategorien, 614. κοινά und ίδια der Kate-
gorien, 616, Kategorien und Individua, 619. Gruppierung der Kategorien,
619. Affirmative, negative und privative Aussage, 619. Die Kategorien sind
den Menschen angeboren, 620. Die zehn Kategorien als h chste Prinzipien
der Wissenschaft, 621.
B. De oppositis 623
Liste der αντικείμενα, 623. Unterscheidungsmerkmate der vier Arten der
Opposition, 624. Einteilung der einzelnen Oppositionsarten, 626.
3. Epistemologie 629
6. Theologie 638
Onatas und die Schrift von der Welt, 638, Gott nicht nur Beweger, sondern
auch Gestalter der Wett, 640, Zur Vorsehungsiehre, 640.
7. Ethik , 642
A. Eud monielehre 644
Die Eud monie setzt ein gewisses Ma an Gl ck voraus, 645. Verh ltnis
von ατυχία und κακοόαιμονείν, 646. ευτυχία nicht in unserer Macht, 647.
B. G terlehre 648
Drei Arten von G tern, 648, Vergleich mit Areios Didymos und Aspasios,
648. G terlehre und Oikeiosis, 650. Gott als h chstes Gut, 650.
C. Tugendlehre .651
Tugend als Vollkommenheit der menschlichen Natur, 652. Das Erwerben
der Tugend. Faktoren, die nicht vom Menschen abh ngen, 652. Seelische
St rke, Erkenntnis und Entscheidung, 653. Unverherbarkeit der Tugend,
654. Faktoren, die die Tugend beg nstigen, 655. Tugenden und Seelenteile,
656. Ethische Tugenden, 658.
D. Affektlehre 661
Das Verh ltnis des Affekts zur Tugend, 661. Metriopathie, 662.
8. Politik 667
Umformung platonisch-aristotelischer Lehrmeinungen, 667. Herrschafts-
formen, 668. Die Arten des δίκαιον und die mathematischen Proportionen,
670. Verteilung der Befehlsgewalten und Staatsformen, 671. Das Gesetz soll
den Menschen angepa t sein, 673. Es soll Ort und Lage des Staates be-
r cksichtigen, 673. Autarkie des Staates, 675.
9. Schlußwort 678
Analogie mit der Musik, 678. Platon, Aristoteles und die Stoiker, 679.
Aristotelisches Vokabular, 680. Vorliebe für Einteilungen, 681. Jamblichs
Einteilungen, 682.
Fünfter Teil
Medizin und Philosophie: Galen von Pergamon
1. Logik 687
A. Allgemeines, Die Schriften zur Logik 687
Wichtigkeit der Lehre vom Beweis, 688, Galens Enttäuschungen, 688, Die
verlorenen Schriften zur Logik, 689.
B. Kategorienlehre 692
Zur Liste der zehn Kategorien, 692. Die , 693. Die Kategorien
und die Pulslehre, 693. Sind „Groß" und „Klein" der Quantität oder der
Relation zuzuordnen?, 697. Die Relation kommt in mehreren Kategorien
vor, 698, Element und Teil als Relativbegriffe, 699. Generische und spezifi-
sche Einheit, 699.
E. Wissenschaftstheorie 710
Empiriker und Dogmatiker, 710, Galens Stellung, 712. Die Wahrnehmung
ist ein Ausgangspunkt, sie bedarf jedoch der Ergänzung durch die Ver-
nunft, 713. Die Amphibolic, 715. Die Definition, 716. Einteilung und Syn-
these, 737. Die mathematische Methode, 718, Die wissenschaftlichen Prä-
missen, 719. Kombination empirischer und rationaler Erkenntnisprozesse,
720. Einfluß des Aristoteles auf Galens Wissenschaftstheorie, 722, Erkennt-
nis der Prinzipien, 723.
F. De captionibus 724
2. Naturphilosophie 729
A. Die herangezogenen Schriften des Aristoteles 729
g) Teleologie 762
h) Ursachenlehre 763
i) Der Demiurg und die Natur . 764
j) Das innere Entwicklungsprinzip 767
Das Herz wird nicht als erstes Organ gebildet, 768. γένεσις und όι,οίκησις,
768. Demiurg und innere Kraft, 771. G ttliche F rsorge, 772.
k) Seelenlehre . 773
Existenz der Seele evident, ihr Wesen unbekannt, 774. Ist die Seele eine
Substanz oder eine blo e Qualit t?, 776. Zur platonischen Lehre, 776. Die
Seele als k rperhafte Substanz, 777. Die Seele als Qualit t des K rpers, 778,
Individuelle psychische Unterschiede entsprechen verschiedenen Tempe-
ramenten des K rpers, 779. Die aristotelische Definition der Seele, 780.
Aristoxenos, Dikaiarch, Plutarch, Alexander etc., 781,
1) Agnostizismus 785
Galens Teilagnostizismus, 785. Erkl rungsversuche, 785, Die wissenschaft-
liche Begr ndung des Agnostizismus, 787, Die apodiktische Methode, 788.
3. Ethik 792
A. Pr disposition 792
B. Erziehung und Di tetik , 795
C. Die Affekte 797
D. Methodik des ethischen Denkens 803
Literatur 809
Indices 814
1
Alex., De an. 2,4-9.
eine Ausnahme, Selbst bei Denkern und Gelehrten, bei denen nicht-
aristotelische Anschauungen unverkennbar sind, schimmert der Wille,
ein treuer Aristoteliker zu sein, immer in irgendeiner Weise durch.
Wenden wir uns zuerst dem anonymen Autor der Schrift De mundo
zu. Er betrachtet seinen Gott nicht nur als unbewegten Weltbeweger,
sondern auch als Gestalter und Erhalter des Kosmos. Das zeigt zur
Genüge, wie er Aristoteles mit platonischen Zügen zu vervollkommnen
weiß. Diese Annäherung an den Platonismus kann gewiß als „eklektisch
de facto" gedeutet werden. Har er sich aber damit bewußt von Aristo-
teles distanzieren wollen? Ist es nicht vielmehr so, daß er in dieser Frage
keine unüberbrückbare Kluft zwischen Aristoteles und Platon er-
blickte und daß er ein guter Aristoteliker zu bleiben glaubte, indem er
Gottes bewegende Tätigkeit mit dem Gestalten und Erhalten der Welt
gleichsetzte? Besonders beachtenswert erscheint der Umstand, daß er
sich zu typisch aristotelischen Anschauungen bekennt, wie z.B. zur
Annahme eines fünften Elements für die Gestirne und zur Lehre von der
Ewigkeit der Weh.
Bei Aspasios stellt sich das Problem ganz anders. Obwohl er die
EN kommentiert hat, wissen wir nicht einmal, ob er wirklich Peri-
patetiker war oder es sich als Außenstehender zur Aufgabe gemacht
hatte, die Ethik von der aristotelischen Perspektive aus zu erklären.
Platonisch anmutende Elemente kommen bei ihm zweifellos zum Aus-
druck, es wäre unvorsichtig, ihn deswegen als Mittelplatoniker ab-
stempeln zu wollen. Die zeitgenössische Auffassung der Ethik sowohl
innerhalb als auch außerhalb der peripatetischen Kreise hat es bewirkt,
daß er, obwohl er Anstotelem ex Aristotele erklären wollte, gelegentlich
platonische oder stoische Anschauungen zur Diskussion stellte oder
gar als mögliche Lösungen aristotelischer Probleme betrachtete.
Bei anderen Aristotelikern äußert sich die Aristotelestreue in einer
etwas unerwarteten Weise. Aristoteles hatte ein geozentrisches Welt-
system dargelegt, in welchem die verschiedenen Sphären, aus deren
regelmäßigen Bewegungen die scheinbaren Unregelmäßigkeiten des
Planetenlaufs resultieren sollten, denselben Mittelpunkt haben wie die
Erde selbst. Inzwischen aber hatten die Astronomen erkannt, daß ein
solches System es nicht vermochte, alle beobachteten Phänomene aus-
reichend zu erklären. Sie sahen sich daher gezwungen, mit der Annahme
von Epizyklen oder von exzentrischen Sphären zu arbeiten. Wie rea-
gierten nun astronomisch versierte Aristoteliker diesem Fortschritt der
Wissenschaft gegenüber? Eminent bedeutsam ist die Feststellung, daß
sie, obwohl mit den neuen Hypothesen der Astronomie durchaus ver-
traut, sich weigerten, das Weltbild des Aristoteles und die Hypothese
von homozentrischen Sphären ohne weiteres aufzugeben. Adrastos
nimmt z.B. an, daß Aristoteles selbst die Epizyklen- bzw. Exzenter-
theorie bereits gekannt und gebilligt hatte. Sosigenes, der sich ebenfalls
der Unzulänglichkeit des aristotelischen Weltmodells bewußt ist, deckt
bei den neueren astronomischen Hypothesen große Schwierigkeiten auf;
diese Hypothesen lassen sich nämlich mit den für unanfechtbar gehal-
tenen Grundsätzen des Aristoteles nicht vereinbaren. Infolgedessen ent-
hält er sich einer definitiven Stellungnahme.
Nirgends erscheint die Kombination aristotelischen und stoischen
Gedankengutes deutlicher als in der Nustheorie eines Lehrers des
Alexander von Aphrodisias, der wahrscheinlich mit Aristoteles von
My tilen e zu identifizieren ist. Nach Alexanders Bericht gab sein Lehrer
Aristoteles die vom Stagiriten vertretene Transzendenz des göttlichen
Intellekts zugunsten einer Immanenz- und Ubiquitätslehre stoischer
Prägung auf. Gott befinde sich überall in der Welt und sorge auch für
die bescheidensten Dinge; das menschliche Denken sei nichts anderes als
das Wirken dieses göttlichen Nus, der den menschlichen Intellekt als
Instrument benutze. Es dürfte offenkundig sein, daß der Mytilener den
Boden der echten aristotelischen Lehre de facto verlassen hatte und eine
starke Neigung zu stoischen Positionen aufzeigte. Um so mehr über-
rascht uns die Begründung dieses evidenten Eklektizismus, mit der
Alexander das Referat über die seines Meisters einführt 2 .
Der Mytilener beabsichtigte keineswegs, Aristoteles zu kritisieren oder
sich von ihm zu distanzieren. Er wollte vielmehr die aristotelische These
von der Unsterblichkeit des Intellektes besser untermauern und gleich-
zeitig scheinbare Schwierigkeiten beseitigen, die gegen die Lehre vom
erhoben worden waren. Der Intention nach stand also
sein unleugbarer Eklektizismus im Dienste der aristotelischen Lehr-
meinungen. Daraus geht hervor, daß m seiner Auffassung — wie übri-
gens auch m der zahlreicher Zeitgenossen — das Heranziehen fremden
Gedankengutes und der Wille zur Aristotelestreue ohne weiteres mit-
einander vereinbar waren.
Das grundsätzliche Bekenntnis zu einer bestimmten Schule und der
erklärte Wille zur Schultreue sind für uns Menschen der Gegenwart
2
Alex, Dean. mant. 112,5-9.
3
Philostr., Vit. Soph, II 2, S. 73,26-74,2 Kayser,
Aristoteles und seine Ansichten halten (ότι του Αριστοτέλους καί των
έκείνω δοκούντων εΐχετο). Da jedoch keiner besser erscheint als der
andere, greifen sie zur pers nlichen Diffamierung des Rivalen. Trotz
der satirischen Absicht Lukians d rfen wir annehmen, da er weder
alles frei erfindet noch alles ma los bertreibt. Dem kleinen Dialog l t
sich entnehmen, da nur Denker, die ber die aristotelische Philosophie
gut Bescheid wu ten und sich zum Aristotelismus offen bekannten, die
Aussicht hatten, auf einen der hochdotierten kaiserlichen Lehrst hle
der peripatetischen Philosophie berufen zu werden. Bei den von den
St dten selbst finanzierten Lehrst hlen war es sicher nicht anders, und
wir k nnen sogar glauben, da es auch den Philosophen, die eine
Privatschule hatten, am Herzen lag, Farbe zu bekennen und deutlich zu
sagen, welches System sie ihren Sch lern zu vermitteln vorhatten. Als
Gaiens Vater seinen Sohn in die Philosophie einweihen lassen wollte,
ohne ihn an eine besondere Schule zu binden, suchte er f r ihn nicht
etwa einen Lehrer, der sich z rn Eklektizismus bekannte; er h tte ihn
wohl auch kaum gefunden. Er zog es vielmehr vor, ihn am Unterricht
der vier gro en Schulen, die alle in Pergamon m irgendeiner Weise ver-
treten waren, teilhaben zu lassen. So geschah es, da der junge Galen in
den ersten Zeiten seines Philosophiestudiums einen Stoiker, einen Pla-
toniker, einen Peripatetiker und einen Epikureer h rte.
In der zweiten H lfte dieser Arbeit wollen wir uns mit dem Aristo-
telismus in der Sicht anderer Schulen befassen. Die Entlehnungen aus
dem Aristotelismus bei einigen Mhtelplatonikern, ferner die bei anderen
gegen Aristoteles gerichtete Kritik und schlie lich die Auseinander-
setzungen von Nicht-Anstotehkern mit Schriften des Staginten d rfen
in einer Untersuchung ber den Aristotelismus in den ersten beiden
nachchristlichen Jahrhunderten nicht au er acht gelassen werden. Auch
dort wird sich zeigen, wie in der Einleitung zum zweiten Buch ausf hr-
licher dargelegt wird, da etwa bei Platonikern das grunds tzliche
Bekenntnis zum Platomsmus oft Hand in Hand geht mit einem tat-
s chlichen Eklektizismus. Die Deutung Platons unter Benutzung typisch
aristotelischer Errungenschaften erschien also als durchaus legitim.
Weder in der ersten noch in der zweiten H lfte dieser Arbeit wurde
Vollst ndigkeit angestrebt, Mehrere Pers nlichkeiten der Zelt, die als
Aristoteliker bzw. Peripatetiker bekannt sind, habe ich absichtlich nicht
ber cksichtigt, weil wir ber ihre Lehrmeinungen sehr wenig oder ber-
haupt nichts wissen. Ich denke z. B. an jenen Alexander von Damaskos,
mit dem Galen in Rom eine scharfe Auseinandersetzung hatte und den
4
F. H. Sandbach, Plutarch and Aristotle, in: Illinois Classical Studies VII 2 (1928) 207-
232. Der Vf. faßt seine Ergebnisse wie folgt zusammen {op.ch. 230): „My conclusion is
that Plutarch or his sources knew of Topica, Metaphysics, Nicomachean Ethics, Historic
Dieser Band erscheint mehr als zehn Jahre nach dem ersten. Dafür
bin ich dem Leser eine Erklärung schuldig. Zuerst muß betont werden,
daß die Lage an der reformierten Universität der siebziger Jahre, und
besonders an der Freien Universität Berlin, alles andere als günstig für
die Forschung gewesen ist. Zwar hat man die sog. Kollektivforschung
großgeschrieben. Mehr oder weniger seriöse „Forschungsprojekte" sind
dann wie Pilze aus dem Boden geschossen. Ein Teil von ihnen verlief
sich aber bald im Sande des Universitätsalltags, vor allem deshalb, weil
die Beteiligten sich inzwischen neuen Interessengebieten zugewandt
haben oder mit anderen Verpflichtungen belastet wurden. Der Einzel-
forscher befand sich jedoch in einer besonders ungünstigen Lage. Der
Massenandrang an den Universitäten (z. Z. mehr als 50.000 Studenten
an der Freien Universität Berlin!) hatte zur Folge, daß die Professoren —
neben ihrer Tätigkeit in den Selbstverwaltungsgremien — ein sehr hohes
Lehrdeputat aufoktroyiert bekamen, und zwar ohne Berücksichtigung
der wirklichen Bedürfnisse des Faches. Wer sich nicht mit Routine-
vorlesungen begnügen wollte, sah sich gezwungen, auf seine For-
schungstätigkeit weitgehend zu verzichten. Dazu kam, daß die Assisten-
ten „emanzipiert" wurden. Als Seminarassistenten konnten sie selb-
ständiger als früher arbeiten — was an sich sehr zu begrüßen ist —, sie
fühlten sich aber den Ordinarien, die man in bestimmten Kreisen als
verantwortlich für die Misere der Universität hinstellte, immer weniger
verpflichtet und in Wirklichkeit „assistierten" sie bald niemandem mehr.
Ferner konnte mir in den vielen Jahren und trotz der immer wachsenden
Fülle des nichtwissenschaftlichen Personals an der Universität keine
Schreibkraft zur Verfügung gestellt werden, Ohne die freiwillige Unter-
stützung seitens meiner studentischen Hilfskräffe wäre ich gezwungen
gewesen, einen noch größeren Teil meiner für „Forschung und Lehre"
vorgesehenen Zeit an der Schreibmaschine zu vergeuden.
Zu den positiven Aspekten der Universitatsreform gehört zweifellos
die gesetzlich vorgesehene Gewährung eines Forschungssemesters nach
sechs Semestern Lehrtätigkeit. Wer eine ganze Weile von der Forschung
Animalism, Rhetoric III, and probably of De Caelo and De Anima. Direct acquaintance
with the contents is certain only for Historic Animalium and Rhetoric III, both books
for the use of which before his time there is some evidence. As regards other works of
the Corpus diere is no cogent reason for belief that any were known to Plutarch or his
sources. There are grounds, but they are indecisive, for seeing the influence of Meteo-
rologka, and Mirabttes Attscttltattones. By way of contrast his knowledge, direct or
indirect, of works now lost was extensive,"
praktisch abgeschnitten worden ist, dem fällt es zwar nicht immer leicht,
dort anzuknüpfen, wo er drei Jahre vorher stehengeblieben war. Den-
noch muß ich dankbar erwähnen, daß ich ohne den Segen mehrerer
Forschungssemester wohl noch nicht zum Ziel gekommen wäre und
diesen Band zum Abschluß gebracht hätte. Mein ganz besonderer Dank
gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mir im WS 1981/82 die
Gewährung eines zusätzlichen Forschungssemesters ermöglichte, indem
sie die finanziellen Mittel für meine Vertretung zur Verfügung stellte.
Meinem Kollegen B. Seidensticker aus Hamburg, der sich sozusagen
stantepede bereit erklärte, meine Vertretung in Berlin zu übernehmen,
fühle ich mich ebenfalls sehr zu Dank verpflichtet.
Meine ehemalige Schülerin Liesel Lohe hatte die Güte, mein ganzes
Manuskript stilistisch zu überprüfen. Ihrem sicheren Sprachgefühl ver-
danke ich es, daß manche Härte meiner Ausdrucksweise noch recht-
zeitig ausgemerzt und meine nicht immer „Duden"-mäßige Interpunk-
tion korrigiert wurde.
Die studentischen Hilfskräfte am Aristoteles-Archiv haben, wie
bereits oben erwähnt, Teile meines stellenweise wenig übersichtlichen
Manuskripts ins reine geschrieben. Vor Jahren schon hatten Ilsetraut
Hadot und Ursula Brackertz mehrere Kapitel in der damaligen Fassung
mit der Maschine geschrieben. In den letzten Jahren waren es Eberhard
Vogt und Claudia Rapp, die mir dabei geholfen haben. Beim Korrektur-
lesen haben mir Patricia Hutsch, Claudia Ludwig und Claudia Rapp zur
Seite gestanden. Ihnen allen spreche ich an dieser Stelle meinen herz-
lichen Dank aus.
Es ist mir schließlich eine angenehme Pflicht, das stete Entgegen-
kommen des Verlages W. de Gruyter zu erwähnen. Seit vielen Jahren
habe ich beim Leiter der geisteswissenschaftlichen Abteilung, dem Kol-
legen und Freund Prof. Dr. H. Wenzel, immer ein offenes Ohr für
meine Wünsche und Anregungen gefunden. Bei der Betreuung dieses
Bandes hat Frau G. Müller verdienstvolle Arbeit geleistet. Der Setzer,
ein wahrer Meister seines Faches, hat ebenfalls sein Bestes getan, um
fast fehlerfreie Fahnen herzustellen und eine hohe typographische Qua-
lität zu erzielen,
Die unter dem Namen des Aristoteles erhaltene Schrift περί κόσμου
ist in mancher Hinsicht r tselhaft. In der Sp tantike wurde ihre Echtheit
kaum je angezweifelt1, in der Neuzeit jedoch sind sich fast alle Gelehrten
dar ber einig, da sie nicht von Aristoteles stammen kann. Nur P,
Gohlke, dessen Thesen niemanden berzeugt haben, wollte in ihr eines
der letzten Werke des Aristoteles sehen. K rzlich hat G. Reale einen
gro angelegten Versuch unternommen, die Echtheit der Schrift nachzu-
weisen: Stil und Inhalt seien weitgehend identisch mit denen der „exo-
terischen" Schriften; die meteorologischen Lehren, die man oft f r po-
seidonianisch gehalten habe, erwiesen sich — besonders nach der Ent-
deckung von Resten der Meteorologie Theophrasts — als genuin peri-
patetisch; schlie lich k nne nicht aus dem Vorhandensein einiger ,,or-
phischer" Verse im letzten Kapitel gegen die Echtheit argumentiert wer-
1
In den fast hundert griechischen Handschriften wird die kleine Schrift Aristoteles
zugeschrieben, obwohl sie nur selten zusammen mit anderen, echten Traktaten aus
dem Corpus Aristotelicum berliefert ist. Apuleius gibt die freie lateinische Anpas-
sung, die er besorgte, f r ein eigenes Werk aus und erw hnt die Tatsache nicht, da
er eine griechische Vorlage benutzt hat. Die Hypothese, da unsere Schrift von Apu-
leius selbst stamme und der griechische Text nur eine Retroversion des urspr nglich
lateinisch geschriebenen Werkes sei (vgl. F. Adam, De auctore hbn pscudo-anstote-
lici περί κόσμου, Berlin 1861, widerlegt von A. Goldbacher, Zur Kritik von Apu-
leius de mundo, in: Zeitschr. f.d. sterr. Gymn. 25 [1873] 670—716), ist jedoch v l-
lig unhaltbar und hat kerne Bef rworter gefunden. PS,-lustin., Cohort, ad gentil. 5,
S. 32sq. Otto (wohl um 300 n. Chr.), Stob. I 40, S. 255, 10sqq., loannes Ph op.,
De aet. m. 174,26 und 179,12 Rabe und andere erw hnen sie als ein Werk des Aristo-
teles, Nur Proklos, der sie in seinem Timaios-Kommemar heranzieht, scheint nicht
ganz sicher zu sein, da sie wirklich von Aristoteles stammt. Vgl. ProkL, In Tim. III
272,20—21 Diehl . . . ως πού φησι πάλιν Αριστοτέλης, εΐπερ εκείνου t περί κόσ-
μου βιβλ,ίον. In den lteren Verzeichnissen der Aristoteles-Schriften kommt sie nicht
vor, wohl weil diese Verzeichnisse noch vor ihr entstanden sind, und es ist h chst
unwahrscheinlich, da sie mit περί κόσμου γενέσεως aus der Appendix des Anony-
mus Menag ' zu identifizieren ist. Vgl. P, Moraux, Listes anciennes 263 sqq.
den, denn der 1962 gefundene Papyrus aus Derveni2, der aus dem 4. Jh.
v. Chr. stammt und einen Kommentar zum fraglichen orphischen Hym-
nus enthält, beweise zur Genüge, daß letzterer aus der Zeit vor Platon
und Aristoteles stamme, also nicht als stoisch beeinflußt gelten könne3.
Die Datierung der Schrift ist bei den Anhängern der Unechtheitsthese
umstritten. Viele von ihnen sind sich darüber einig, daß De mundo, be-
sonders was die meteorologischen Lehren angeht, unter dem Einfluß des
Poseidonios steht und daher nach diesem anzusetzen ist. In der Suche
nach einem Terminus ante quern hat man auf verschiedene Autoren
hingewiesen, bei denen man Spuren einer Benutzung von De mundo zu
entdecken glaubte4. Solche „Parallelstellen" sind jedoch nicht sehr be-
weiskräftig. Die Ähnlichkeiten beziehen sich nämlich vorwiegend auf
Bilder und Vergleiche, die in der späthellenistischen und frühkaiser-
lichen Zeit relativ stark verbreitet gewesen zu sein scheinen und wohl
nicht unbedingt durch die Benutzung von De mundo zu erklären sind.
Kuriositätshalber können wir die diversen Versuche erwähnen, den
2
Vgl, Archaiol. Deltton 19 (1964) 17-25. R. Merkelbach, in: ZPE I (1967) 21-32 (da-
zu die Warnung in: Gnomon 54 [1982] 855-856). W. Burkert, in: Antike und
Abendland 14 (1968) 93-114.
3
G, Reale, Aristotele. Trattato sul cosmo per Alessandro, Neapel 1974, Selbst wenn
die Grundthese Reales nicht überzeugt, bleibt sein Buch, nicht zuletzt wegen der
Fülle des in der Einleitung und im Kommentar gebotenen Materials ( unentbehrlich.
Insbesondere möchte ich auf den ausführlichen Bericht über den Stand der Forschung
(S. 3—30) verweisen, den ich dankbar benutzt habe und in dem der Leser vieles fin-
den wird, was ich hier nicht zu erwähnen brauche.
4
E, Zeller, Über den Ursprung der Schrift von der Welt, in: Sitz,-Ber. Berl. Akad.
1885, 399-415 (= Kl. Sehr. I 328-347) und Philos, d. Gr. III I s 665 Anm. 2 hebt
die Berührungen zwischen Max. Tyr, XI 12 und XIII 3 Hobein und unserer Schrift
(6,399a 12sqq.; 398a 6sqq.) hervor, A.J. Festugiere, Revel. Herrn. Trism. II 478
unterstreicht, daß die von Kirchenvätern wie Tatian (gest. 172} und Athenagoras
(gest. um 177) Aristoteles zugeschriebene Vorsehungslehre in Wirklichkeit aus De
mundo stammt; er notiert ferner, daß der Vergleich Gottes mit dem Großkönig bei
Philon Alex. (ca. 20 v. Chr. —40 n. Chr.) vorkommt, und meint, daß Philon sie in
unserer Schrift vorfand; eine relativ frühe Datierung sei daher angebracht. L. Minio-
PalueHo, Aristot. Lat, XI 1—2, ed. alt. S. XI Anm, l macht auf Übereinstimmungen
zwischen unserer Schrift und Seneca aufmerksam (Sen., Epist. 84,9 —10 — 3 9 6 b
15sqq.; 399a 14sqq.; Epist. 59,7 ~ 399a 35-b 10) und meint, daß De mundo aus
der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. stammt. Besonders zahlreich sind ferner die Par-
allelen zwischen De mundo und den pythagoreischen Pseudepigrapha, Vgl, darüber
J, P, Maguire, The Sources, Da die Datierung der pythagoreischen Schriften unsicher
und die Pnontätsfrage zwischen De mundo und den Pythagorika unentschieden ist,
gibt der Vergleich für die Chronologie nichts her.
5
Eus., P. E, XIII 11, Vgl. unten S. 41-42.
6
Näheres über diese verschiedenen Hypothesen und andere bei G. Reale, Op.cit.
6-14.
B. Gliederung
' Hier sei auf die Kommentare von H. Strohm, Berlin 1970, und G. Reale, Neapel
1974, verwiesen, in denen die ältere Literatur gewissenhaft benutzt wurde und die
über den Stand der verschiedenen Fragen bestens orientieren.
8
An dieser Stelle darf ich darauf hinweisen, daß ich eine kritische Ausgabe von De
mundo mit französischer Übersetzung und Anmerkungen für die Collection des Uni-
versites de France („Bude") vorbereite. Dort werde Ich versuchen, allen Aspekten
der Schrift gerecht zu werden und mehr Vergleichsmaterial zu bieten, als in einer
Untersuchung über den Einfluß des Aristotelismus auf den kleinen Traktat möglich
war. Als besonders reichhaltige und anregende Untersuchungen zu De mundo
möchte ich hier erwähnen; W. Capelle, Von der Welt, W, L. Lorimer, Some Notes.
J. P. Maguire, The Sources. A.J. Festugiere, Revel, Herrn. Trism. II. Le Dieu cos-
mique, Paris 1949, 460-518, H, Strohm, Studien zur Schrift von der Weh, in: Mus,
Helv. 9 (1952) 137-175.
9
Vgl. Arist., Meteor. I 2, 339a 20-21.
Frage nach der Ursache dieser Ordnung auf, Mit dieser Frage h ngt aber
auch das Hauptproblem der Theologie unseres Autors zusammen: Wie
kann Gott gleichzeitig transzendent sein und sich f rsorglich um die
Organisation und die Erhaltung der Welt k mmern? Die Antwort dar-
auf besteht in der Unterscheidung zwischen der transzendenten ουσία
Gottes und der von ihm ausgehenden δύναμις, die die Welt durch-
dringt. Als Best tigung f r die Vielfalt der Erscheinungsformen dieser
g ttlichen δύναμις werden schlie lich die Namen und Epitheta Gottes
aufgez hlt und erl utert, Gem der im Widmungsbrief formulierten
10
Ank ndigung zeigt sich also, da der wissenschaftliche berblick ber
die Struktur des Kosmos keineswegs Selbstzweck ist. Die Wissenschaft
steht sozusagen im Dienste der Theologie; der ganze Traktat kann
wirklich als ein θεολογεΐν περί του κόσμου bezeichnet werden.
Es braucht kaum unterstrichen zu werden, da diese Betrachtungs-
weise sehr entfernt von derjenigen ist, die uns in den Pragmatien des
Aristoteles begegnet. Aristoteles hat zwar die Frage aufgeworfen, ob das
Gute und das Beste f r die Welt getrennt von ihr sind oder in der eigenen
Ordnung des Kosmos bestehen oder ob diese beiden L sungen mitein-
ander zu kombinieren sind11, Diese Fragestellung steht jedoch nicht im
Mittelpunkt seiner Untersuchungen ber den Kosmos und die Lebe-
wesen. Bei ihm wird die Forschung vorwiegend um der Erkenntnis
selbst willen getrieben, ohne da die theologischen Implikationen der er-
zielten Ergebnisse besonders ms Gewicht fallen. Die Perspektive unseres
Autors, der die Welt als eine wunderbare Leistung Gottes hinstellt, er-
innert eher an den Geist des platonischen Timaios, dessen tiefgreifender
Einflu auf das philosophische Denken und die religi se Spekulation der
hellenistisch-r mischen Zeit au er Zweifel steht12.
Dieser Abschnitt hebt mit zwei Definitionen des Kosmos an. Die
erste bezeichnet die Welt als „ein Gef ge aus Himmel und Erde und den
"> l, 391 b 3-5.
» Metaph. Λ 10, 1075a 12-24.
12
Dieser Einflu wurde unter anderen von A.J. Festugiere in seinem gro artigen Werk
La revelation d'Hermes Trismegiste, 4 Bde, Paris 1950-1954, berzeugend dargelegt.
17
Arist., De caelo I 2, 269b 13-17; Meteor, I 2, 339a 11-15.
e
* De caelo I 3, 270 a 12-22.
19
Die Fixsterne haben keine eigene Bewegung, sondern werden vom Himmel mitge-
zogen: De caelo II 8.
20
De caelo II 12, 292 a 10-14; b 25sqq.
21
Auch dies entspricht im großen und ganzen der Vorstellung des Aristoteles, Bemer-
kenswert ist allerdings, daß unser Autor sich mit der summarischen Angabe begnügt,
daß es sieben des Planeten gibt. Das komplizierte Sphärensystem, das wir in
Metaph. S finden und das die scheinbaren Unregelmäßigkeiten in den Bewegungen
der Planeten erklären soll, erwähnt er überhaupt nicht. Aber auch Aristoteles drückt
sich bisweilen so aus, als wäre die Zahl der der der Planeten gleich. Vgl. De
caeio II 8, 289b 7-290a 7; 10, 291 b 2-3.
22
In Metaph. 8 erfahren wir nichts Näheres über diese Anordnung. Aus De caelo II
12, 291 b 31-292 a 6 geht lediglich hervor, daß Sonne und Mond der Erde am näch-
sten sind. Ferner weist Aristoteles auf eine Okkultation des Mars durch den Mond
hin.
23
Ähnlich Plat., Tim, 38 C—D, der allerdings nur Mond, Sonne, Venus und Merkur
erwähnt und Angaben über den Platz der übrigen Planeten für überflüssig hält, Vgl.
jedoch Aet. II 14,4, Dox. S. 344—345. Genau dieselbe Anordnung wie in De mundo
ist auch für Chrysipp belegt. Areios Did,, Fr. 31 Diels = Stob. I 21,5, S. 185,14-
20 W.
gänglich ist. Daß diese Lehre auf Aristoteles zurückgeht, braucht nicht
nachgewiesen zu werden. In der Doxographie und bei späteren Autoren
wird sie immer wieder als ein Charakteristikum des Aristotelismus hin-
gestellt24.
1. Allgemeines
Nach der Auffassung des Aristoteles sind die vier sublunaren Ele-
mente nicht so angeordnet, daß sie vier ineinanderliegende Sphären bzw.
Sphärenschalen bilden. Das Wasser z.B. existiert nicht in einer selb-
ständigen Schicht, getrennt von den Erdkörpern 25 , Ebensowenig lassen
sich im Zwischenraum zwischen der Gestirnregion und der Erde eine
Schicht von Feuer im eigentlichen Sinne und eine Schicht von Luft
unterscheiden. Die oberste, unmittelbar unter dem Mond befindliche
Schicht ist nämlich weder Feuer noch Luft, sondern vielmehr ein Kör-
per, der Unterschiede aufweist, je nachdem er den Gestirnsphären oder
der Erde näher ist. Er gleicht einer Materie, die potentiell warm und
kalt, feucht und trocken ist. Der Teil davon, der sich unmittelbar unter
den kreisförmig bewegten Gestirnkörpern befindet und den man nicht
ganz richtig als Feuer bezeichnen könnte, ist in Wirklichkeit eine Art
warmes und trockenes Brennmaterial ( ), das durch die Be-
wegung des Himmels Feuer fängt. Deswegen entstehen in dieser Region
keine Wolken, sondern nur Meteora wie Sternschnuppen, Kometen u,
dgl. 26 , Dieser Lehre schließt sich offenbar der Autor von De mundo an,
obwohl er sie nur sehr summarisch erwähnt. Die erste (= höchste)
Schicht der sublunaren Region besteht seiner Meinung nach aus einer
24
Aet. II 3,4; 4,12; 7,5. Areios Did,, Fr. 9 Diels, Dox, S, 450. Epiphan., Adv. haeres.
III 2,9, Dox. S. 592,10-14. PS.-Galen., Hist, phiios. 46, Dox. S. 621,15-19; 47,
Dox. S. 621,25-26. Herrnias, Irris. gentil. 11, Dox. S. 653,31-654,3. Attikos,
Fr. 5, 39—47 des Places. Zu den pythagoreischen Pseudepigrapha vgl. unten S, 635.
™ Arist., Meteor. I 3, 339b 9-12; 340a 6-8.
26
Vgl. Meteor. I 3-4, bes. 3, 340b 4-32 und 4, 341 b 12 sqq. Auf die Einzelheiten
dieser in mancher Hinsicht sehr schwierigen Theorie brauchen wir hier nicht einzu-
gehen. Von ähnlichen Voraussetzungen geht Aristoteles auch bei seiner Erklärung der
von den Gestirnen, bes. von der Sonne ausgestrahlten Wärme aus, De caelo II 7,
289a 19-35.
27
De mundo 2, 392a 34—b 2. Die Erw hnung der Geschwindigkeit als Ursache der
Entz ndung geht auf Meteor, I 3, 341 a 19—23 zur ck. Den Angaben des Aristoteles
zufolge erwarten wir die N he der Bewegung z rn ύπέκκαυμα als zweiten Faktor der
Entz ndung. Warum unser Autor statt dessen das μέγεθος nennt, ist schwer zu er-
kl ren. M glicherweise erinnert er sich nur an den Gr e n unterschied zwischen der
Erde und den Himmelsk rpern, Meteor. I 3, 339b 6—9 und 34—36. Diese Bemer-
kung des Aristoteles hat allerdings keinen Bezug auf die Entz ndung des ΐιπέκκαίιμο..
zs
Die Fackeln, σέλα, sind wohl identisch mit den δαλοί des Aristoteles (Meteor. I 4,
341 b 3; 28 etc.) und die δοκίδες mit seinen αίγες (ibid.). Die Flammen erw hnt Ari-
stoteles mehrmals (I 4, 341 b 2; 26; 5, 342 b 3). Die Gruben behandelt er in I 5 und
29
die Kometen in I 6-7, Arist., De an. II 7.
3I
> Arist., De gener, et corr. II 3, 330b 3-7 und 331 a 3-6.
31
Meteor. I 3, 340a 25-30.
wärme nach oben getragen wird, in die kalte Luft gelangt, dort zu
Wasser kondensiert und in dieser Form auf die Erde zurückfällt 32 .
Daraus dürfte man vielleicht schließen, daß die Luft an sich kalt ist und
daß ihre wärmeren Schichten nur durch die Einwirkung der benachbar-
ten Sphären (Gestirne oder Erde) erwärmt werden. Das würde heißen,
daß die mittlere Luftschicht, die von diesen fremden Einwirkungen nicht
erreicht wird, ihre angeborene Kälte beibehält33. Eine Unterscheidung
zwischen verschiedenen Luftschichten macht unser Autor jedoch nicht.
Seine Behauptung, daß die Luft an sich kalt ist und durch die Gestirn-
sphäre erwärmt wird, gilt wohl für die Luft in ihrer Gesamtheit. Bereits
Theophrast scheint die aristotelische Annahme der natürlichen Wärme
der Luft aufgegeben und die Luft als kalt betrachtet zu haben 34 . Dieselbe
Ansicht vertraten bekanntlich auch die Stoiker35. Es fällt besonders auf,
daß die Stoiker ebensowenig wie unser Autor die Feuchtigkeit der Luft
erwähnten, sondern die Dunkelheit und die Kälte als ihre naturgemäßen
Qualitäten nannten36. Ob unser Autor hier unter Theophrasts Einfluß
gestanden hat, läßt sich meines Erachtens nicht entscheiden. Mit seiner
Charakterisierung der Luft als von Natur aus dunkel und kalt steht er
genau auf derselben Linie wie die Stoiker. Möglicherweise hat er sich
durch die oben angegebenen Stellen aus Aristoteles' Meteorologie und
De anima dazu verleiten lassen; in diesem Fall hat er wohl nicht das Ge-
fühl gehabt, daß er vorn echten Aristotelismus abwich.
Die Meteora, die in der Luftregion entstehen, werden lediglich auf-
gezählt: Wolken, Regen, Schnee, Reif, Hagel, Wind, Wirbelsturm,
Donner, Blitz, Donnerschlag, „Zusammenstöße zahlloser Sturmwolken
(?)" ( ). Im Gegensatz zu Aristoteles
macht der Autor über die verschiedenen Ursachen dieser Phänomene
ebenso wenige Angaben wie über die Feuermeteore. Weiter unten, im
sog. meteorologischen Kapitel, werden die meisten von ihnen ausführ-
licher erörtert.
i2
Meteor. I 9, 346b 23-31. Ahnlich De part. an. II 7, 653a 4-8.
33
Gerade diese Theorie kommt bei Sen., N.Q. II 10, 2—4 vor.
34
Vgl. z.B. Theophr., De igne 26; De vends 22-23,
35
Wichtig sind vor allem die Zeugnisse Plutarchs über Chrysipp, SVF II Fr. 429—430,
nach denen Chrysipp das vom ableitete.
36
Man merke die fast wörtliche Übereinstimmung zwischen De mundo 2, 392 b 6—7
und Sen., N. Q. II 10, l (aer) frigidus per se et obscitrus; lumen illi calorqite aliunde
sun t.
Erde und Wasser zusammen bilden die Region, die sich unter der
Luft befindet 37 . Mit ihrer Erwähnung verläßt unser Autor den Bereich
der Meteorologie, um sich vorwiegend geographischen Fragen zu
widmen. In wenigen Zeilen zahlt er zunächst die wichtigsten Erschei-
nungen auf, die auf der Erde vorkommen: Pflanzen und Tiere, Quellen
und Flüsse, Berge, Wälder, Städte, Inseln, Kontinente. Die Erwähnung
der Inseln und der Kontinente leitet zu den geographischen Ausfüh-
rungen über.
2. Geographie (Kap. 3)
37
3, 392b 14-15. Vgi. Arist., Meteor. I 3, 399b 9-13.
38
De rrmndo 3, 392 b 29-393 a 5,
39
392 b 20-22,
40
393b 18-21.
" 393b 23-394 a 1.
41 4i
394a 1-3. 394a 3-4.
44
393b 14-15.
45
H. Strasburger, Art. Onesikritos, R.E XVIII l (1939) bes. 465.
46
Strab. XVI l, 15, 691. Vgl. dazu Herrmann, Art. Taprobane, RE IV A 2 (2932)
2263.
47
Strab. II 5, 14, 119; 35, 133, Plin,, N. H. VI 81 (als Insel erst unter Alexander nach-
gewiesen. L nge 7000, Breite 5000 Stadien).
4S
Vgl, auch Strab. II 5, 32, 130 της Ινδικής νήσος ουκ έλάττων της Βρεταννικής ή
Ταπροβάνη.
49
Strab. II 3, 34, 72, bes. μηκύνεται δε επί την Αΐθιοπίαν πλέον ή πεντακισχιλίους
σταδίους. Pun., Ν. Η. VI 82 . , . inter ortum occasumqite solis Indiae praetenta . . .
50
393 b 15 λοξή προς την οΐκουμένην.
sl
G. Reale, der bekanntlich an die Echtheit von De mundo glaubt, sieht sich
gezwungen (Sul cosmo 218—219 Anm, 27), die Zeilen 393 b 14—16, die angeblich den
normalen Gedankengang unterbrechen, f r einen sp teren Einschub zu halten.
das Schwarze Meer ab52. Dar ber hinaus scheint Aristoteles Ύρκανία
und Κασπία als zwei verschiedene Binnenseen zu betrachten, w hrend
bei den meisten Autoren die beiden Ausdr cke ein und dasselbe Meer
bezeichnen53. In De mundo dagegen erscheint das „Hyrkanische und
Kaspische" Meer als eine einzige Einbuchtung des gro en Ringozeans,
die mit diesem durch einen engen, l nglichen Meeresarm verbunden und
von der M otis durch Land getrennt ist54. Die Frage, ob das Kaspische
Meer ein Binnensee sei oder nicht, war bekanntlich seit den Anf ngen
der Geographie stark umstritten. Bereits die ionische Wissenschaft, ins-
besondere Hekataios, hielt es f r einen Busen des Weltmeeres. Hero-
dot spricht sich dagegen f r den Binnenseecharakter deutlich aus, aller-
dings ohne seine Gr nde anzugeben bzw. seine Informationsquelle zu
nennen55. Wie wir gesehen haben, teilte Aristoteles die Ansicht Hero-
dots. Weder die eine noch die andere Theorie scheint allerdings auf be-
obachteten Tatsachen beruht zu haben, denn als Alexander der Gro e in
Hyrkanien war, wu te er nichts Genaues ber die hydrographische
Stellung des Kaspischen Meeres. Nur der s dlichere Teil der K sten war
einigerma en bekannt, der n rdliche dagegen v llig unerforscht. Alex-
ander h tte daher gern in Erfahrung gebracht, ob es tats chlich eine Aus-
buchtung des Ozeans bildet und ob es auf irgendeine Weise mit der
Maiotis oder dem Pontos verbunden ist56, Die K stenfahrten, die Pa-
trokles einige Jahrzehnte sp ter (285—282) unternahm, brachten zwar
Klarheit dar ber, da Maiotis und das Kaspische Meer durch einen
(allerdings schmalen!) Isthmus voneinander getrennt sind, berraschen-
derweise best tigten sie aber Hekataios' Theorie; aus dem stlichen
S2
Arist., Meteor. II l, 354 a 2-5, Ferner I 13, 351 a 8-16, wo ή ύπο τον Καύκασον
λίμνη das Kaspische Meer bezeichnet.
" Arist., Meteor. II l, 354a 2—3 ή δ' Ύρκανία και Κασπία κεχωρισμέναι τε ταύτης
(i.e. της Εξω θαλάττης) και περιοικοΰμεναι κϋκΚφ , , ., wo der Plural wahrschein-
lich auf eine Unterscheidung deutet. Man kann nat rlich auch vermuten, da Aristo-
teles an zwei Teile ein und desselben Binnensees denkt. Anders Strab, II 5, 18, 121
. . . ων ό μεν βόρειος Κασπία καλείται θάλαττα, οί δ' Ύρκανίαν προσαγορεύουσι.
XI 6, 1, 507 . , . από της Κασπίας Οαλάττης . . . καλείται δ' ή αΐτη θάλαττα και
Ύρκανία. Plin., Ν. Η. VI 36 inrumptt e Scythico oceano in aversa Asiae plttribus no-
minibus adcolarttm appellatu-m, celeberrimis dttobus, Caspio et Hyrcanio, Plut., Alex.
44, 690 D ... το Ύρκάνιον πέλαγος και Κάσπιον όμοϋ προσαγορευόμενον. Ar-
rian,, Anab. VII 16,2 την θάλασσαν την Κασπίαν τε και Ύρκανίαν καλουμένην , , ,
sa
393 b 5-8.
Si
Herodot. I 203.
s
« Plut., Alex. 44, 690C-D. Arrian., Anab. VII 16,2-3.
" Strab. I l, 17,74. VgJ. auch II 5, 18, 121 und XI 11, 7, 519.
58
Die verschiedenen Ansichten ber das Kaspische Meer sind in der modernen Fach-
literatur des fteren untersucht worden. Hier sei nur auf die knappe Darstellung von
Herrmann verwiesen, Art. Kaspisches Meer, RE X 2 (1919) bes. 2276-2261.
59
Strab. XI 6,1, 507 S-στι δ' ό κόλπος άνέχων εκ τον ωκεανού προς μεσημβριαν κατ'
αρχάς μεν ϊκανώς στενός, ένδοτέρω δε πλατίινετοα προιών κτλ.
60
393b 23-394a 1.
sl
Herodot. IV 45: Phasis oder Tanais zwischen Asien und Europa; Nil zwischen Asien
und Libyen.
« Plat., Phaed. 190 B.
61
Polyb. III 37. Arrian., Anab. III 30, 8-9 u.a.
befriedigt, ist am Beispiel des Nils ersichtlich. Bildet er die Grenze zwi-
schen Asien und Libyen, so gehören Ägypten und Äthiopien zum Teil
zu Asien, zum Teil zu Libyen, was widersinnig erscheint64. Ferner ge-
währleistet diese Theorie keine saubere, vollständige Trennung der Kon-
tinente voneinander, denn oberhalb der Flußquelle und bis zum Ozean
ist die Grenze nicht markiert65. Es erschien daher als angebracht, die
Flußtheorie durch eine Isthmentheorie zu ergänzen. Die Isthmentheorie
ist sicher noch vor Eratosthenes entstanden, denn dieser erwähnt und
verwendet die beiden Systeme, hält aber die zahlreichen Diskussionen
über ihre Vor- und Nachteile für belanglos66. Auch bei späteren Geo-
graphen werden die beiden Systeme nebeneinander genannt, ohne daß
eine Entscheidung getroffen wird 67 .
Bei dem Autor von De mundo erscheinen die beiden Theorien ne-
beneinander; die Isthmentheorie scheint diejenige zu sein, der er den
Vorzug gibt; die andere wird sozusagen der Vollständigkeit halber als
eine andere, auch vertretene Möglichkeit erwähnt. Wie dem auch sei, die
Ähnlichkeit seiner Angaben über die Grenzen der drei Kontinente mit
denen des Eratosthenes dürfte als Indiz dafür gelten, daß seine geogra-
phische Quelle von Eratosthenes abhängig war. Mehrere weitere Einzel-
heiten, mit denen wir uns hier nicht befassen wollen, würden diese An-
nahme bestätigen.
3. Meteorologie (Kap. 4)
64
Herodot. 16, der auch bemerkt, daß das Nildelta in dieser Perspektive weder zu
Asien noch zu Libyen gehört, Strab. I 2, 25, 32.
65
Vgl. Strab. I 4, g, 66 Ende,
64
Vgl, das Referat über Eratosthenes bei Strab. I 4,7.
67
Diog. Periheg. 9-25, in GGM II 105. Anon., Geogr. comp. 46, in GGM II 507.
68
Arist., Meteor. I 13-II 3.
Obwohl unser Autor die beiden Ausdünstungen als Ursachen der Me-
teora erwähnt, geht er auf die Art und Weise der Entstehung dieser
Phänomene kaum ein; er begnügt sich in den meisten Fällen mit kurzen
Definitionen und gegebenenfalls mit Angaben über die verschiedenen
Unterarten und ihre Bezeichnungen. Bemerkenswert ist auch der Um-
stand, daß er sich nicht nach der Disposition der ersten drei Meteoro-
logie-Bücher des Aristoteles richtet. Aristoteles sagt zwar nicht aus-
drücklich, nach welchen Gesichtspunkten er den Stoff dieser drei Bücher
ordnet, die Analyse zeigt jedoch, daß er vorwiegend zwei Klassifizie-
rungsprinzipien heranzieht, und zwar einerseits die Kosmosregion, in
welcher die Meteora ihren Ort haben, und andererseits die materielle
Ursache ihres Entstehens. Daraus ergibt sich folgende Disposition:
I. Meteora der unmittelbar unter der Mondsphäre befindlichen
Schicht, Ihre materielle Ursache ist vornehmlich die trockene Ausdün-
stung. Es handelt sich um die Fackeln und Flammen, die Klüfte, die
Kometen und die Milchstraße (Meteor. I 4—8),
II. Meteora des , d.h. der gemeinsamen Region von
Luft und Wasser (vgl. I 9, 346b 16—19). Sie werden so eingeteilt, daß (A)
zuerst diejenigen erörtert werden, die hauptsächlich mit der feuchten
Ausdünstung zusammenhängen. Es handelt sich an erster Stelle um
Wolken, Nebel, Regen, Tau, Reif, Schnee und Hagel (Meteor. I 9-12).
Daran schließen sich etwas unerwartet Ausführungen über die Flüsse
und das Meer (113—113); diese sind an sich keine Meteora im engeren
Sinne des Wortes; sie bestehen aber aus Wasser und hängen deswegen
mit den aus der feuchten Ausdünstung entstehenden Phänomenen zu-
sammen. (B) Danach wendet sich Aristoteles Erscheinungen der
Luft-Wasser-Erde-Region zu, die sieh aus der trockenen Ausdünstung
ergeben. Es handelt sich um die Winde, die Erd- und Seebeben, den
Blitz, den Donner und verwandte Erscheinungen (II 4—III 1).
III. In einem dritten Teil befaßt sich Aristoteles mit Meteora, die
keine reale Veränderung einer Materie, sondern nur Spiegelerscheinun-
gen sind, wie etwa die Sonnen- und Mondhöfe, der Regenbogen, die
Nebensonnen und die sog. Stäbe (III 2—6, 378a 14),
Von dieser Disposition weicht diejenige des meteorologischen Ka-
pitels von De mundo in mehreren Punkten ab. Es fällt zuerst auf, daß die
Meteora der sublunaren feurigen Schicht, die Aristoteles gesondert be-
handelt hatte und die unser Autor selbst im 2. Kapitel in der
lokalisiert, hier einfach unter den „Erscheinungen der Luft" er-
örtert werden (vgl. 395 b 3 — 17). Die oben klar durchgeführte Trennung
69
Die Vermutung liegt nahe, da der Autor hier eine Quelle benutzt, die die aristo-
telische Fiinfelementenlehre und das entsprechende Weltbild mit f nf konzentrischen
Sph ren nicht bernommen hatte. Wer, wie die Stoiker, die Gestirne aus Feuer be-
stehen lie , konnte nat rlich nicht die erste sublunare Schicht ebenfalls als feuerarttg
betrachten. Es ist allerdings zu ber cksichtigen, da f r einen Aristoteliker die Lo-
kalisierung der typisch feuerartigen Meteore wie Kometen usw. in der Luftregion
nicht unbedingt als Abweichung vom authentischen Aristotelismus empfunden wer-
den mu te. Hatte doch Aristoteles selbst erkl rt, da es in dem, was wir Luft nennen,
zwei Schichten gibt, und zwar eine untere, die feucht und warm, und eine obere, die
trocken und warm ist; die letztere sei potentiell dem Feuer hnlich. Vgl. Meteor. I 3,
340b 23—29 und anderswo. Eine gewisse Diskrepanz zwischen Kap. 2 und Kap. 4
von De mundo bleibt trotzdem bestehen.
70
De mundo 4, 394a 9-15. Vgl. u.a. Meteor. I 4, 34] b 6-12; II 4, 359b 28-32; 9,
369 a 12-14,
Am Ende des 4. Kapitels bekennt sich unser Autor zur These, daß
der Kosmos als Ganzes weder entstanden noch vergänglich ist, obwohl
partielle Zerstörungen und Entstehungen in ihm stattfinden 74 . Dennoch,
fährt er fort, hat man sich gewundert, daß der Kosmos nicht längst
zerstört wurde und unterging, weil er aus Gegensätzen zusammenge-
setzt ist, nä'mlich aus Trockenem und Feuchtern, aus Kaltem und War-
71
Vgl. bes. die Liste 394 a 15—19 sowie die oben angegebene Klassifizierung der Me-
teora in De mundo.
71
W. Capelle, Von der Weh.
73
In früheren Arbeiten und zuletzt in seiner kommentierten Übersetzung, Berlin 1970.
74
4, 396 a 27—32. An steh 1st die These rein peripatetisch. Der Autor scheint gegen die
anderswo bezeugte Ansicht Stellung zu nehmen, daß der Untergang der Teile den des
Ganzen notwendigerweise nach sich zieht, Philon, De aet. m. 124—129 kennt dieses
Argument aus der Vergänglichkeit der Teile und widerlegt es 143 — 144. Vgl. auch
Diog. Laert. VII 141. Lact., Inst. div. II 10, 24. Philon, De prov. I 9; 13. Alex.
Aphrod., Meteor. 61, 34—62, 7.
mem75. Ob er damit auf eine im Rahmen der Diskussion über die Welt-
ewigkeit formulierte Aporie anspielt oder lediglich einen fiktiven Ein-
wand konstruiert, um seine Lehre der Harmonie der Gegensätze ein-
zuführen, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Ebensowenig wissen
wir, wie der wirkliche oder fiktive Urheber der Aporie sich die Zer-
störung der Welt durch das Wirken der gegensätzlichen Kräfte vor-
stellte. Meinte er etwa, daß die gegensätzlichen Eigenschaften der Ele-
mente sich gegenseitig aufheben, so daß schließlich ein völlig undiffe-
renzierter, man könnte sagen, qualitätsloser Zustand der Urmaterie ent-
stehen muß? Oder dachte er, daß eines der Elemente die Oberhand über
die anderen gewinnen und diese schließlich beseitigen bzw. in sich auf-
nehmen wird? Im letzteren Fall ließe sich die Weltzerstörung mit der
stoischen Ekpyrosis vergleichen. Wie dem auch sei, der Urheber der
vermeintlichen Aporie arbeitete offensichtlich nur mit der Gegensätzlich-
keit der vier traditionellen Elemente und berücksichtigte keineswegs,
daß diese Gegensätzlichkeit im Element der himmlischen Region, im
sog. , überhaupt nicht vorkommt. Die Aporie ist also
wohl nicht in peripateuschen Kreisen entstanden. Unser Autor glaubt
nicht, daß sie eine echte Schwierigkeit darstellt. Er führt zuerst Beispiele
an, aus denen hervorgeht, daß die Gegensätzlichkeit der Bestandteile die
Einheitlichkeit und die Stabilität des Ganzen keineswegs ausschließt.
Die Polis besteht aus entgegengesetzten Gruppen, aus Armen und
Reichen, Jungen und Alten, Schwachen und Starken, Bösen und Guten;
die bewundernswerteste Wirkung der politischen Eintracht besteht ge-
rade darin, daß sie aus der Vielheit eine Einheit, aus dem Verschiedenen
ein Gleichartiges zu prägen vermag76. Auch die Natur strebt die Ver-
bindung der Gegensätze an und macht aus ihnen Zusammenpassendes;
sie führt z.B. das Männliche und das Weibliche, die gegensätzlich sind,
75
5, 396a 33-36.
76
5, 396b 1 — 17. Der Vergleich des Kosmos mit einer Polis war bekanntlich ein irn
Hellenismus weit verbreiteter Topos. Es sei hier daran erinnert, daß die Staatstheo-
retiker gern unterstreichen, daß die Teile der Bevölkerung eines Staates unterschied-
lich sein müssen, um die Entstehung und den Forcbestand des Staates zu ermögli-
chen. Vgl. bes. Arist,,Pol. 112, 1261 a 22-25; III 4, 1277s. 5-10; IV 4, 1291 b 7-11.
Der Gedanke, daß die Polis, obwohl sie aus verschiedenen Gruppen besteht, eine
Einheit bildet und dadurch dem Kosmos ähnelt, kommt in den Pseudopythagonka
mehrmals vor: Diotogenes, De regn. 72, 19—23 Thesleff, Okellos, De leg, 124, 18—
125,7. Ekphantos, De regn. 81, 21-82, 3.
77
5, 396b 7-11. Der Gedanke ist zweifellos herakliteisch. Vgl. Arist., EE VII l, 1235a
25—29 = VS 22 A 22 (laut Heraklit keine Harmonie ohne hohe und tiefe T ne, keine
Lebewesen ohne Weibchen und M nnchen). Ferner Arist., Pol, I 2, 1252a 26—30
(Mann und Weib bilden die Urzelle der Gesellschaft); De gener, an. Ϊ 18, 724b 9—10.
Auch in der medizinischen Literatur begegnet uns die Auffassung, da die Bestand-
teile der Lebewesen gegens tzlich sind. Vgl, Hippokr., De victu I 3, 1—3. Plat,,
Symp. 186 D-Ε. Vgl. auch Max. Tyr. IX l, S. 100, 5-101, 2 H. etc.
78
5, 396b 7—11. Zahlreiche Parallelen in der antiken Literatur. Vgl. unter anderen Em-
pedokl, VS 31 B 23 (harmonische Mischung der Farben durch den Maler). Hippokr.,
De victu 1 1 1 , 1 (die τέχναι im allgemeinen); 18,1 (Musik); 23,1 (Schreibkunst). Ar-
chytas VS 44 B 6, S. 409, 2—9 (die Weltordnung als eine Harmonie, die Ungleiches
zusammenf gt). Plat., Symp. 187 A-C (musikalische Harmonie als Wohiklang der
hohen und liefen T ne). Arist., De an. I 4, 407b 30—32 (Harmonie als Zusammen-
f gung der Gegens tze); EE VII 1, 1235a 25-29 (vgl. Anm. 77). Sen., Epist. 84,
9—10 (im Chor und im Orchester ergibt sich der Wohlklang aus vielen verschiedenen
T nen). Max. Tyr. IX l, S, 101, 3 — 7 (verschiedene T ne in der Harmonie), In den
pythagoreischen Pseudepigrapha kommt der Vergleich der Struktur von Welt, Staat,
Lebewesen etc. mit der Harmonie mehrmals vor, vgl. unten S. 667 sqq,
79
5, 396b 20-22. Vgl, dazu B. Snell, Heraklits Fragment 10, in: Hermes 76 (1943)
84-87.
80
Man beachte die Ausdr cke διεκόσμησεν 396b 25 und 28, δημιουργήσασα 396 b 31,
μηχανησαμένη σωτηρίαν 396b 33-34.
81
In vielen Parallel st eile n wird Gott in seiner Eigenschaft als Weltgestalter Ursache der
harmonischen Verh ltnisse im Kosmos genannt, jedoch nicht mit der Harmonie
schlechthin identifiziert. VgJ. unter anderem die pythagoreischen Pseudepigrapha;
Okellos, De leg. 124,19. Hippodarnos, De felic. 97,3 — 5 und 8. Diotogenes, De
regn. 72,9-14. Ferner Max. Tyr. XIII 3, S. 161, 11-18 H. Philon, De post. Caini
14 δια γαρ ^τών ολων τάς έαυτοϋ) δυνάμεις αχρι περάτων τείνας εκαστον
έκάστφ κατά τους αρμονίας λόγους συνύφησεν. De special, leg. IV 187.'"Bei den
Stoikern ist es das alles durchdringende g ttliche Pneuma, das die Harmonie der
Wehteile herstellt. Anders (Gott ist Harmonie, daher die harmonische Zusammen-
f gung des Weltalls) Anon. Alex. ap. Diog. Laert. VIII 23 = 236,24-25 Thesleff.
Philon, De vit. Mos. H 132 αρμονία γαρ πάντων εστίν ή άγαθότης και ϊλεως αύτοΰ
(= του θεοϋ),
92
396 b 24 sqq.
83
396b 31-34.
84
Pkt., Tim. 32 C; 33 B.
85
Cic., De nat, deor. II 115 (es spricht der Stoiker Baibus) maxims atttem corpora inter
$e luncta. permanent cum quasi qttodam vinculo circumdato colltgantur; quod facit ea
ηαίΗΤΛ quae per omnem mundttm omnia mente et rations conficiens fmtditur et ad
medium rapit et convertit extrema,. Vgl. auch II 101 . . . ultimus et a domiciliis nosiris
alttssimus omnia ctngens et coercens caeli complexes . . . M. Messaia (wohl M. Vale-
rius Messala Rufus, Cos. 53 v. Chr., vgl. R, Hans k, Art. Valerius 268, RE VIII
A I ) ap. Macrob,, Sat. I 9, 14 quut cunctafingit ea emqtte regit, aquae terraeqtte vim
ac ttaturam gravem atque pronam in proftindnm dilabentemt ignis atqtte animae
levem in immensttm sttblime fftgientem, copulavit circum ato caelo: quae vis caeli
maxima. du&$ vis dispares colligavit. Ohne ausdr ckliche Erw hnung des Himmels als
Grenze wird oft hervorgehoben, da alle Weltteile wie durch ein festes Band zu-
sammengehalten werden. Das δεομός-Motiv geht wohl auf Piatons Timaios zur ck
(33 C; 32 B—C; 41 A—B). W. jaeger, Nemesios von Emesa 88sqq. hielt es f r ein
Charakteristikum von Poseidonios' Denken. Zweifel an dieser These meldete )edoch
K. Reinhardt, Poseidonios 345sqq. an. In der Tat erscheint es in so vielen
Variationen, da es sicher bald zu einem Gemeinplatz geworden sein mu .
86
396b 34 ή των στοιχείων ομολογία, vgl. b 32-33 άναγκάσασα όμολογησαι,
87
396 a 34-b 5.
88
Meteor. I 3, 339 b 37sqq. In diesem Zusammenhang spricht er von einer ίοότης της
κοινής αναλογίας προς τα σύστοιχα σώματα, die von keinem Element berschritten
werden kann. Auf die zahlreichen Variationen ber dieses Motiv in sp terer Zeit
brauchen wir nicht einzugehen. Es sei lediglich daran erinnert, da auch bei Platon
von der Proportionalit t der Elemente die Rede ist. Vgl. bes. Tim. 32 C το του κόσ-
μου σώμα έγεννηθη L' αναλογίας ομολόγησαν. Auch im De m undo kommt das
"Wort ομολογία vor, vgl. oben Anm. 86. Das Gleichgewicht zwischen Schwerem und
Leichtem wurde unter anderen von Chrysipp als Erkl rung f r die Stabilit t des Kos-
mos erw hnt. H tte das Schwere bergewicht, w rde der Kosmos nach unten fallen,
und wenn das Leichte in zu gro em Ma vorhanden w re, w rde er nach oben
steigen, SVF II Fr. 555,
89
Plat., Tim. passim, vor allem 30 A und D. Arist., De caelo I l, 268b 8-10,
90
Exempli gratia Cic,, De nat. deor, II 30.
511
De mundo l, 391 b 4. Vgl. oben S. 10.
92
5, 397a 18—19 εκ τούτου πάντα έμπνεί τε mi ψυχή ν ϊσχει τα ζφα. Offenbar
mi verstanden von G. Reale, Sul cosmo 244, der schreibt: „II testo dice chta-
ramente ehe e il movimento (del cosmo, ossta dei cieli) ehe da vita agli essere. E,
questa, e una dottrina del tucto aristotelica," εκ τούτου verweist aber auf 3 97 a 17
ούτος = a 5 κόσμος. Das Motiv kommt bei Okellos, De univ. nat. 128, 20—22 Th.
vor.
« Plat., Tirn, 41 C.
94
Diese Ansicht wird oft Pythagoras selbst oder den Pythagoreern zugeschrieben. Vgl.
Cic,, De nat, deor. I 27 mit den von A. S. Pease (Edition I, S, 217—218} angef hrten
Parallelstellen. Gegen die Historizit t dieser Nachrichten sind allerdings oft Beden-
ken angemeldet worden. Vgl. E. Zeller, Philos. d. Gr. I7, 524—525 mit der Anm.:
„ohne Zweifel eine sp tere Erweiterung und Ver nderung der altpythagoreischen
Lehre, deren Quelle in platonischen und stoischen S tzen zu suchen ist." Auch die
alte Stoa vertrat diese Ansicht. Vgl. SVF I Fr. 495 (Kleamhes); II Fr. 633
(Chrysippos, Apollodoros, Poseidonios); Fr. 774, In der hellenistisch-r mischen Zeit
war sie stark verbreitet. Es ist fraglich, ob Aristoteles in De philosophia die Meinung
vertreten hat, da Gestirne und Seelen aus ein und derselben Substanz bestehen. Vgl.
Fr, 27 Ross. Zu dieser umstrittenen Frage gibt es eine umfangreiche Literatur. In den
Pragmatien hat diese Auffassung keine Spuren hinterlassen. Sie ist mit der bekannten
Seelenlehre des Aristoteles nicht vereinbar.
Im letzten Teil des Kapitels befaßt sich der Anonymus mit ver-
schiedenen Tatsachen, die gegen seine Auffassung der Weltordnung zu
sprechen scheinen. Da die hier in aller Kürze zurückgewiesenen Ein-
wände Bestandteile umfangreicherer Diskussionen gewesen sind, wollen
wir zuerst einen Blick auf die Kontroversen werfen, in die sie sich
einordnen lassen. Es handelt sich einerseits um die vorwiegend auf die
Epikureer zurückgehende Opposition gegen die These, daß der Kosmos
ein durch und durch wohlgeordnetes, vom Wirken einer göttlichen Vor-
sehung zeugendes, für das Wohl der Menschen errichtetes Gefüge sei.
Die Unmöglichkeit dieser optimistisch-teleologischen Auffassung, die
vor allem von den Stoikern, aber auch in den akademisch-p eripateti-
schen Kreisen vertreten wurde, wollten die Epikureer mit der Beob-
achtung nachweisen, daß vieles in der Welt geschieht, was offensichtlich
gegen die angebliche Weltordnung verstößt oder den Menschen scha-
det95. Sie wiesen auf verschiedene Naturkatastrophen hin wie Erdbeben,
Überschwemmungen, Feuersbrünste, die ungeheure Verwüstungen an-
richten; große Epidemien vernichten beträchtliche Teile des Menschen-
geschlechts; übermäßige Hitze, Regen, Hagel, Frost, Stürme u. dgl.
zerstören die Ernten und richten die Erträge einer mühevollen Arbeit
zugrunde. Darin könne man auf keinen Fall das Wirken einer göttlichen
Gerechtigkeit sehen, denn solche Schläge treffen die Gerechten genau so
arg wie die Bösen. Der Schluß drängt sich also auf, daß die Götter sich
keineswegs um die Welt und die Menschen kümmern und daß die er-
wähnten Katastrophen lediglich als ziellose Naturphänomene anzusehen
sind.
Die Finalisten bestritten jedoch die Gültigkeit dieser Schlußfolge-
rung, indem sie betonten., daß die angeführten Fakten mit ihrer eigenen
Position durchaus vereinbar seien. In ihrer Widerlegung des Gegners
stellten sie die folgenden Thesen auf 96 .
l. Selbst die vom Gegner genannten Phänomene haben ihren Nut-
zen; im ganzen gesehen tragen sie zur Ordnung und Harmonie des Kos-
mos bzw, seiner Teile bei; letzten Endes führen diese scheinbaren Übel
zu etwas Gutem hin.
95
Darüber informieren unter anderen Cic., De nat. deor. I 23—24. Lukrez V 156—234.
Philon, De prov. I 37; II 69; 90. Rückschlüsse auf die epikureischen Argumente er-
möglicht natürlich auch die gegen sie gerichtete und vielseitig bezeugte Gegenargu-
mentation der Anhänger der optimistisch-fmalistischen Auffassung.
96
Weiter unten werden wir die Belege anführen, die für die Interpretation des Ab-
schnittes aus De mundo von Interesse sind.
97
Viele Einzelheiten über diese Kontroverse sind den Schriften des Phüon, De aet. m.
und De prov. zu entnehmen. Näheres über einige Aspekte unten.
99
Vgl. bes. Philon, De prov. I 38; 44; 47; 54; II 87; 90; 102.
99
Interessant ist der Vergleich mit einigen Ausführungen Senecas über den Nutzen der
Winde. N.Q. V 18,1-2: Die Winde sind providentiae opera; indem sie die Trägheit
der Luft verhindern, machen sie die Luft nützlich für die Lebewesen, die sie atmen;
ferner tragen sie zu einer angemessenen Verteilung des Wassers auf die verschiedenen
Regionen der Erde bei; sie fördern sogar das Wachsen und die Bearbeitung der Ernte,
Der Gott hat sie gegeben (ibid. 13) ad cmtodiendam caeli terrarumque temperiem, ad
evocandas sttppnmendasque aquas, ad alendos satorum atque arborttm fructtts, quoi
ad maturitatem, cxm aliis cauns, addu-at ipsa iactatio attrahens abtts in summa et ne
torpeant permovens. Über die rein kosmologische Finalhät des Blitzstrahls stehen mir
keine Parallelen zur Verfügung.
100
Bestrafung der Ungerechten, Ermahnung zur Tugend durch die sich manifestierende
Macht Gottes, Prüfung des Weisen, ja Anregung zum Götterglauben überhaupt, wie
bei Kleanthes ap. Cic., De nat. deor. II 14; III 16.
in der Mitte des Alls, sondern auch dem Relief (Berge, Höhen, Ebenen),
dem Meer, den Flüssen und Quellen, den Steinen und Erzen, den Pflan-
zen, dem Tierreich und dem Menschen selbst101. Dieses Thema kommt
auch in unserem Abschnitt von De mundo vor, allerdings in stark ge-
kürzter Form102. Hauptanliegen des Autors ist nämlich der Nachweis,
daß die Erde trotz Teil Zerstörungen wie Erdbeben, Überflutungen und
örtlicher Feuersbrünste nicht altert und ihre eigene Natur bewahrt 103 .
Diese These geht auf Aristoteles zurück 104 . Sie ist m der peripatetischen
Tradition gut verankert. Man erinnere sich zum Beispiel an die Polemik
Theophrasts gegen die Anhänger der Weltzerstörungslehre. Theophrast
referiert, daß diese von der Vergänglichkeit der Teile auf die des Ganzen
schlössen105, hält aber diese Schlußfolgerung für falsch106. Um die Zer-
störbarkeit der Erde nachzuweisen, wurde unter anderem auf die Wir-
kung des Feuers, auf die allmähliche Verkleinerung des Meeres, auf Erd-
beben, Epidemien, Überflutungen, übermäßige Hitzewellen u. dgl. hin-
gewiesen. Wenn Teile der Erde dadurch beschädigt oder zerstört wer-
den, wird man wohl annehmen müssen, daß auch die Erde als Ganzes
nicht ewig, sondern vergänglich ist107. Die Peripatetiker bekämpften
diese Argumentation, indem sie auf die örtliche und zeitliche Begrenzt-
heit der erwähnten Phänomene hinwiesen; andere, entgegengesetzte
Phänomene kompensieren die partiellen Veränderungen und Zerstörun-
gen, so daß die Erde als Ganzes weder altert noch dem Untergang aus-
gesetzt ist108. Genau diese Auffassung liegt den knappen Angaben un-
101
Cic., De nat. deor. II 98-100; kürzer Tusc. I 45. Philon, Leg. alleg. Ill 99; De spec.
leg. I 322; De Abrah. 159; Vit. Mos. I 212; De praem. et poen. 41-42; De aet. m.
62-65; De prov. II 40. Sen., Ad Marc. 18,4-7. ApuL, Fior. 10. PS. - Kl e m ens Alex.,
Hom. III 34. Lact., Div. inst. VII 3, 25. Minuc., Octav. XVII 7-11, Augustin, De
civ. D, XXII 24, S. 648,4-649,3 Hoffmann etc.
101
397a 24—27. Knappe Erwähnung der Pflanzen, der Flüsse, der Tiere, die die Erde
hervorbringt, ernährt und wieder in sich aufnimmt, sowie auch der
, die auf der Erde vorkommen,
103
5, 397a 27-29.
104
Bes. Meteor, I 14.
105
Ap. Philon., De aet. m. 117; 124-129. Vgl. De prov. I 9; 13. Diog. Laert. VII 141.
106
Philon, De aet. m. 143-144.
107
Philon, De prov. I 15; II 90; De aet. m. 117; 120-123.
108
Philon, De aet. m. 138—142. Die Ewigkeit der Erde kam auch in einem der Beweise
des KritoJaos für die Ewigkeit des Kosmos zum Ausdruck. Der Beweis lautet (Phi-
lon, De aet. m. 55): „Wenn die Weh entstanden ist, muß auch die Erde entstanden
sein; und wenn die Erde eine Entstehung hatte, so muß das auch unbedingt für das
Menschengeschlecht der Fall gewesen sein. Der Mensch ist aber nicht entstanden, da
das Menschengeschlecht seit aller Ewigkeit besteht, wie nachgewiesen werden wird.
Die Welt ist also ebenfalls ewig." In den bei Philon danach folgenden Betrachtungen
(56-69) ist, wie erwartet, von der Ewigkeit der Menschen und der Erde die Rede,
Daß auch diese Paragraphen auf Kricolaos zurückgehen, halte ich allerdings für wenig
wahrscheinlich. Seit H. v. Arnim, Quellenstudien Phtlo, bes. 11 sqq., neigen
mehrere Gelehrte dazu, den ganzen Block 55 — 75 auf Kritolaos zurückzuführen.
Bedenken wurden jedoch angemeldet (K. Reinhardt, Kosmos und Sympathie 24
Anm. l. Fr, Wehrli, Schule d, Arist, X S. 65, der nur die §§ 55 und 70 als Frag-
mente des Kritolaos anerkennt). Wenn die §§ 56—69 kritokisches Gedankengut
enthalten, ist dieses zweifellos von Philon selbst überarbeitet worden. Philons Stil
ist unverkennbar; vgl. ferner 63 nag" , Auch B. Effe, Studien
z. Kosmologie und Theologie der Arist. Sehr. „Über die Philosophie", München
1970, 43 Anm. 185 hält es für zweifelhaft, daß der Abschnitt 56—69 wirklich von
Kritolaos stammt. Wie dem auch sei, wichtig für uns ist in diesem Abschnitt die
Behauptung (61—62), daß die Erde nicht altert, sondern
.
109
Ps.-Okellos, De univ. nat. § 41, 134,24-28 Thesleff. Die Ähnlichkeit mit De mundo
ist so groß, daß man an eine gemeinsame Quelle denken muß, Es ist vermutet
worden, daß diese gemeinsame Vorlage Kritolaos war, vgl. W. Theiler, Rez. v.
R. Harder, Ocellus, in: Gnomon 2 (1926) 585-597, bes. 593 und 596. Vgl. jedoch
oben Anm. 108.
110
5, 397a 31-33. Näheres über die Seismologie oben 4, 395b 18-396a 16, wo das
Erdbeben rein naturwissenschaftlich erörtert wird. Die peripatetische Seismologie
geht auf Arist., Meteor. II 8 zurück. Über die Rolle des in der Erde eingeschlossenen
Pneumas vgl, bes. 356b 24—28; 366a 3—5 etc. P, Steinmetz, Phys. Theophr,
204-2 untersucht Theophrasts Seismologie. Zu Areios Did. vgi. Bd. I 291-294;
Nikolaos v. Damask, ibid. 508. Wie unser Anonymus schließen sich diese Autoren
im großen und ganzen der pneumatologischen Erklärung des Aristoteles an. Zur
theologischen Deutung von De mundo habe ich keine Parallelen gefunden.
111
5, 397a 33-34. Bei Philon, De aet. m. 62 heißt es ebenfalls, daß die Erde durch die
Überschwemmungen und die etesischen Regengüsse gereinigt wird; es handelt sich
Luftbewegungen, die die unter der Erde und auf ihr befindlichen Dinge
s ubern112. 4. Das Feuer, das das Eisige mildert, und das Eis, durch das
das Feuer abgeschw cht wird 113 .
Die n chste Bemerkung ist so allgemein formuliert, da man schwer
bestimmen kann, worauf sie sich eigentlich bezieht. Sie lautet: „Und
unter den Wesen, die Teile sind, gibt es solche, die im Entstehen be-
griffen sind, andere, die den H hepunkt ihres Wachsens erreicht haben,
andere wiederum, die vergehen. Und die Entstehungen gleichen die
Unterg nge aus, und die Unterg nge machen das Gewicht der Entste-
hungen leichter114". M glicherweise spricht der Autor ganz allgemein
von den Teilen der Erde, die dem Entstehen, dem Wachsen und dem
Untergang unterworfen sind, ohne da sie dadurch das Bestehen der nie
alternden Erde beeintr chtigen. Da Entstehungen und Unterg nge ein-
ander kompensieren, bleibt die σωτηρία des Ganzen gesichert. Nach
dieser Interpretation wiederholt der Autor nur den uns bereits be-
kannten Grundsatz, da aus der Verg nglichkeit der Teile nicht auf die
des Ganzen geschlossen werden darf. Eine andere Deutung ist jedoch
nicht auszuschlie en. Der fragliche Satz k nnte sich speziell auf die
Lebewesen beziehen. Daf r sprechen vor allem folgende Umst nde:
l. Das Schema γένεσις, ακμή, φθορά ist typisch f r die Entwicklung der
Lebewesen und l t sich nicht so leicht auf leblose Dinge (Elemente,
Meere, Berge u. dgl.) bertragen 115 . 2. Die Frage, ob die Gattungen der
jedoch nicht um eine Katharsis von den νοσώδη, sondern vielmehr um die Erholung
der Erde von ihrer durch das Hervorbringen der Pflanzen entstandenen Erm dung,
die Erde erh lt ihre Fertilit t wieder. Damit wird also die These des Kritoiaos wider-
legt, da die Erde vergehen wird, weil berm ige Hitze, berschwemmungen etc.
ihre Fruchtbarkeit immer mehr beeintr chtigen; vgl. auch Philon, De prov. I 15. Die
reinigende Wirkung des Wassers erw hnen Philon, De prov. II 99 ΰδασι μεν γαρ την
γήν καθαιρεί (ό θεός) und Origenes, C. Cels. IV 64 την , , , ποόνοιαν , .. κατα-
κΧυσμοίς και έκπυρώσεσι (τα επί γη ν) καθαιρούσαν . , , Origenes zitiert vielleicht
Chrysipp, vgl. SVF II Fr. 1174 mit Anm.
111
5, 397 a 34-35. Vgl. Philon, De aet. m. 125: Die Winde verhindern das Verderben
des Wassers, indem sie es in Bewegung bringen. hnlich Sen., N. Q. V 18,5. Philon,
De prov, II 99 καθαιρεί (δ θεός) . . . τον . .. υπό σελήνην άπαντα χώρον πνεύ-
μασι.
113
5, 397a 35—b 2. Da Hitze und eisige Kalte einander abschw chen, genie t die Erde
eine angenehme Temperatur. Das hier angedeutete Thema kommt in den laudes ter-
rae h ufig vor, etwa im Zusammenhang mit dem Wechsel der Jahreszeiten oder mit
der Bewohnbarkeit der temperierten Zonen.
114
5, 397b 2-5,
lls
Dagegen konnte man aber einwenden, da Ps.-Okellos, De univ. nat. 126, 16—30
Th. behauptet, bei jedem Entstehenden k men diese drei Etappen vor. Auch Philon,
D. Gott
122
Vgi. bes. Amt., Metaph. Λ 10, 1075a 12-15; Pol. VII 4, I326a 32-33 (die τάξις, an
welcher der Staat teilhaben soll, ist θείας .. . δυνάμεως Ιργον, ήτις και τόδε συνέχει
το πάν). Nicht so unmittelbar relevant ist die De an. I 5, 410b 10—15 gegen
Empedokles gerichtete Bemerkung, da die Elemente ein ένοποιοΰν ben tigen; diese
wichtige Funktion des οκνέχον k nnen nur die Seele oder besser noch der νους er-
f llen.
123
Vgl. bes. SVF II Fr, 439; 440; 44!; 448 etc.
1M
Cic., Acad. II 24—29, bes. 24 neque , , , materiam ipsam cobaerere potuitse si ntdla
vi continerettff. 28 e quibus (t,e. qualibus) in omni natura cohaerente et continuata
cum omnibus suts partibtfs ttnttm effectttm esse mundttm . . . Partis autem esse murtdi
omnia qitae insint in eo, quae natura sentiente teneantur, in qua ratio perfecta insit,
qu&e sit eadem sempiterna . . .; qxam vim animum esse icttnt mundi, eandemque
esse mentem s&pientiamque perfectam, quem dettm appellant,
las Vgl. unter anderen Ekphantos, De regn, 84,4-6. Theages, De virt. 191,4—5. Okel-
los, De leg. 124,18-20,
vielmehr bem ht, sich entschieden von der stoischen Lehre der Welt-
immanenz Gottes zu distanzieren. Diese Absicht l t sich bereits in der
Beurteilung der herk mmlichen Thesen wahrnehmen, gem denen alle
Dinge von Gott herr hren, nichts ohne Gott bestehen kann, alles von
Gott erf llt ist u. dgl. mehr. Sie sollen dahingehend eingeschr nkt wer-
den, da sie f r die g ttliche Kraft (θεία δύναμις), jedoch nicht f r
Gottes Wesen (ουσία) gelten126. Mit dieser Unterscheidung von Gottes
δύναμις und Gottes ουσία sto en wir auf ein Motiv, das f r die ganze
Theologie von De rnundo eminent charakteristisch ist127 und bei dem
wir daher etwas l nger verweilen m ssen.
Wir wollen zuerst einen Blick auf die in Verbindung mit der Gegen-
berstellung der ουσία und der δύναμις Gottes stehenden Aussagen
unseres Autors ber Gott und seine T tigkeit werfen und auf diese
Weise Sinn und Zweck dieser Unterscheidung zu erfassen versuchen.
Gott selbst wird zwar als Urheber (γενέτωρ) und Erhalter (σωτήρ)
aller Dinge in der Welt bezeichnet; dennoch hei t es, da er seinen Sitz
nicht berall in der Welt, sondern ganz oben im Himmel hat. Mit dieser
Ortsangabe hebt der Verfasser die radikale Trennung zwischen Gott und
Welt hervor; er lehnt die These der Allgegenwart Gottes in der Welt
ab128. Ferner h ren wir, da Gott selbst unsichtbar ist; nur durch den
Verstand kann man ihn erkennen; die „sterbliche Natur" vermag ihn
nur in seinen Werken zu erschauen129. Drittens bt Gott seine T tigkeit
eines γενέτωρ und σωτήρ nicht pers nlich, „eigenh ndig" aus; er
unterwirft sich nicht einer anstrengenden, m hevollen Arbeit; er bleibt
in Ruhe, er bewegt sich nicht130.
Wenden wir uns jetzt der δύναμις zu, durch die Gott auf die Welt
einwirkt. Da δύναμις in diesem Zusammenhang eine Kraft und nicht
etwa eine passive Potentialit t bedeutet, versteht sich von selbst. Durch
seine unerm dliche δύναμις gew hrleistet Gott die Gestaltung und die
Erhaltung der ganzen Welt131. Obwohl ihr Einflu sich auf alle Dinge
erstreckt, darf man sieb nicht vorstellen, da sie berall unmittelbar ein-
greift; sie hat ihren Sitz im Himmel132. Von dort aus pflanzt sie sich
126
6, 397b 13-20.
127
Es klingt bereits 5, 396b 28 an und stellt eines der Hauptmotive von Kap. 6 dar.
118
6, 397b 24-27; 398b 6-8; 400a 3-19; b 11,
"9 399a31; b 21-22.
130
397b 22-23; 398b 1-6; 400b 8-11 und 31.
131
397b 13-24; 398b 8-10.
112
398a 1-6.
stufenweise nach unten fort, bis sie auf die Erde gelangt und auch die am
weitesten von ihr entfernten Dinge erreicht133. Nur erzielt sie nicht die
gleiche Wirkung bei allen Wesen, die sie empfangen; jedes von ihnen re-
agiert auf sie in einer ihm eigenen Weise, so da sie trotz ihrer Ein-
fachheit eine F lle verschiedenartiger Wirkungen ausl st134. So erkl rt
sich, da Ordnung und Regelm igkeit im himmlischen Bereich gr er
sind als in den irdischen Regionen, die von der δύναμις-QuelIe ent-
fernter sind und daher weniger an Ordnung und Regelm igkeit teil-
haben135. Die T tigkeit der g ttlichen δύναμι,ς ist nichts anderes als ein
Bewegen. Auf ein Zeichen des Weltherrschers, durch einen einzigen
Antrieb entstehen ununterbrochene Bewegungen. Sonne, Mond, alle
Himmelsk rper kreisen mit verschiedenen Geschwindigkeiten; sie ver-
ursachen die diversen Bewegungen im irdischen Raum und sichern auch
die Erhaltung der Wesen dieser Region136.
Aus diesen kurzen Angaben wird ersichtlich, was unser Autor mit
der Unterscheidung zwischen Gottes ουσία und Gottes δύναμις be-
zweckt. Einerseits betrachtet er Gott als transzendent und unbewegt; er
spricht ihm jede T tigkeit ad extra als unw rdig seiner Majest t ab. Ande-
rerseits aber will er erkl ren, wie die ganze Welt von Gott abh ngt, ihre
Ordnung von ihm empf ngt und von ihm im Dasein erhalten wird. Um
den Gegensatz zwischen einem au erkosmischen, in sich ruhenden Gott
und einem auf die Welt wirkenden Gott zu berbr cken, unterscheidet er
zwischen der ουσία und der δύναμις Gottes, Da er dabei auf das
schwierige Problem des Verh ltnisses der Ούναμις zur ουσία nicht n her
eingeht, braucht uns nicht zu wundern. Unser Autor ist eben kein sehr
tief denkender Metaphysiker oder Theologe. Ob die δύναμις irgendwie
aus der ουσία emaniert, ob sie eine Art untergeordnete Hypostase dar-
stellt, ob sie sich realiter von der ουσία unterscheidet oder mit ihr doch
identisch ist und nur vom menschlichen Gesichtspunkt aus als ein be-
sonderer Aspekt von Gottes Wesen betrachtet werden kann, dar ber
verliert er kein Wort und hat sich offenbar auch keine Gedanken ge-
macht137.
133
397b 27-30.
134
398b 10-14; 19-27; 399b 10-12; 400b 11-13,
135
397b 27-398a 1.
136
398b 8-14; 19-27; 398b 35-399a 6; 399a 30-35; b 10-12; 400b 11-13.
337
Ganz anders - selbstverst ndlich - Thomas v. Aquin, der in der Summa theol. I*
Qu. 25 den Problemen der divina. potentia lange Ausf hrungen widmet und sich f r
die Identit t von actio, potentia. und essentta divtna entscheidet. Vgl. Qu, 25 Art, l,
ad secundum: actio Dei non est aliud ah ejtis potentta, sed utrumque e$i essentia di-
vina.' quia nee esse ejus est ab ejits essentia. Mit dem δύναμης-Begriff m De mundo
befa t sich S. Di Cristina, L'idea di Δύναμις nel De mundo e nell'Oratio ad Graecos
di Tatiano, in; Augustinianum 17 (1977) 485—504. Ausgehend von einem Hinweis G.
Verbekes (L'evolution de la dotnne du Pneuma, 1945, 412), nach dem das πνεύμα
ύλικόν Tatians an die g ttliche δύναμις aus De mundo erinnere, hebt er die Unter-
schiede zwischen den beiden Lehren hervor. Der wichtigste bestehe darin, da bei Ta-
tian das Pneuma keine Verbindung zwischen Gott und Weh herstelle, sondern die
demiurgische und vorseherische T tigkeit Gottes, die unabh ngig von ihm erfolge,
voraussetze.
na Ps.-Aristeas 132 προυπέδεί,ξε γαρ πάντων πρώτον u μόνος ό θεός εστί, mi δια
πάντων ή δύναμις αυτού φανερά γίνεται, πεπληρωμένοιι παντός τόπου της δυνα-
στείας κτλ. Weitere Erw hnungen der g ttlichen δύναμις 143 το γαρ καθόλου
πάντα . , . προς τον φυσικον λόγον ομοια καθέστηκεν, υπό μιας δυνάμεως οίκο-
νομούμενα. 157 . . . μνείαν έχειν, ως συντηρείται τα προειρημένα ΘΕΪ<^ δυνάμει
συν κατασκευή. 236 ψυχής εστί κατασκευή δια θείας δυνάμεως έπιδέχεσθαι παν
το καλόν κτλ. Vgl. auch 248; 252; 268,
139
Echtheit und Datierung sind sehr umstritten. Einige Gelehrte halten Aristobulos f r
einen unversch mten Falscher, vielleicht aus der christlichen Zeit. Andere setzen sich
f r die Echtheit ein, geben allerdings zu, da er unechte oder zum Teil interpolierte
Dokumente, die ihm vorlagen, einarbeitet. Die ltere Literatur findet man bei F.
Susemini, Gesch, Gr. Lit, Alex. II 629-634, A. Gercke, Art. Aristobulos 55, RE II
(1896) 91S-920, Auf die ganze Problematik mit Ber cksichtigung der fr heren Li-
143
Hier k nnen nur einige Belege angef hrt werden, Gott ist nicht προηγουμένως Ur-
heber des B sen, De Abrah. 145—144. Gott ist unwandelbar und autark, ohne προς
τι, De mut, nom. 28, Unterscheidung von Gott als ό ων und seinen δυνάμεις, De
Abrah. 121; De spec. leg. I 32—35; Quod deus immut. 62. Abraham hat nicht Gott
selbst, sondern nur eine seiner δυνάμεις gesehen, De mut. nom. 15.
144
Vgl. bes. Leg. alleg. I 95-96; III 73; De mut. nom. 28; De somn. I 162; De vit.
Mos. II 99; De Cherub. 27-28; De fuga 94-95; De Abrah. 121; De sacrif, Abel, 59;
De plant. 86; Quod Deus immut. 109-110; Quaest. in Genes. I 57.
145
De Abrah. 121 Gott ό ων steht als πατήρ ιών Ολων in der Mitte, cti δε παρ' έκάτερα
αί πρεσβυταται και έγγυτάτω του οντος δυνάμεις . . . 122 Gott δορυφορούμε-
νος .. . ΰφ5 έκατέρας ιών δυνάμεων, 143 μόναις δ' έπιτρέπειν ταΐς δυνάμεσι καθ'
ύπηρεσίαν τα εναντία χειρουρνειν, Quod Deus imrnut. 110 δια των υπηκόων δυ-
νάμεων. Quaest. in Genes. I 57 Cherubim bezeichnet die beiden ersten virtutes, die
bei der Gottheit sind.
14e
De mut. nom. 28 των δε δυνάμεων, δς έτεινεν εις γένεσιν έπ° ευεργεσία του συ-
σταθέντος . . , Leg. alleg. I 37 τείναντος του θεού την άφ! έαυτοϋ δΰναμιν , . .
Wenn man von Philons st ndiger Bezugnahme auf das Alte Testa-
ment absieht, erscheint seine Lehre von den δυνάμεις im gro en und
ganzen auffallend hnlich mit der, die wir in De mundo finden. Der
Hauptunterschied liegt wohl darin, da der Anonymus von einer ein-
zigen δύναμις spricht; im Grunde genommen ist dieser Umstand aber
nicht besonders bedeutsam, denn der Anonymus schreibt dieser ein-
zigen Kraft jene beiden Funktionen der Weltgestaltung und Weltregie-
rung zu, die Philon auf die zwei h chsten δυνάμεις verteilte. Ihm liegt
offenbar daran, neben der Einzigkeit Gottes auch die Einzigkeit seiner
wirkenden Kraft besonders hervorzuheben. Diese Beobachtungen rei-
chen allerdings zur Beantwortung der Frage, ob Philon von De mundo
abh ngt oder umgekehrt, kaum aus. Die Indizien daf r, da das Werk
Philons und De mundo, wenigstens was die Welt- und Gotteslehre an-
belangt, eng miteinander verwandt sind, lassen sich allerdings nicht ver-
kennen. Viele Vergleiche, die der Anonymus zur Veranschaulichung
seiner Gotteslehre heranzieht, kommen auch in demselben Zusammen-
hang bei Philon vor. Das ist oft beobachtet worden, und wir brauchen
hier nicht nochmals darauf einzugehen.
Von Philon unterscheidet sich der Anonymus ferner dadurch, da er
nicht nur wie jener die weltbildende und welterhaltende Funktion der
δύναμις betont, sondern auch die δύναμις in Beziehung mit der Be-
wegung setzt, die sich vom Himmel bis in die irdische Region stufen-
weise fortpflanzt. Dieser Aspekt, der offenbar auf die Lehre des Aristo-
teles zur ckgeht und typisch peripatetisch ist, wird von Philon wenig
beachtet, w hrend er im Mittelpunkt der theologischen Kosmologie von
De mundo steht.
Aus verschiedenen Zeugnissen geht hervor, da die δύναμις-Theorie
in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit zum Gemeingut von Pla-
tonikern, Penpatetikern und sogar Pythagoreern geworden war. Ps.-
Onatas kannte den Gegensatz zwischen Gott selbst und seinen δυνά-
μεις147, Ps.-Ekphantos vertrat die Meinung, da die θεία δύναμις die
wahre Ursache der Bewegungen aller K rper ist; er bezeichnete sie als
Intellekt und Seele und f hrte die Gestaltung der Welt zu einer Kugel auf
sie zur ck148. Da auch die Platoniker die δΰναμις-Lehre bernahmen,
geht aus einem Fragment des Attikos hervor. Attikos opponiert gegen
die Aristoteliker, die sich angeblich weigerten anzunehmen, da der
irdische Bereich von der Weltseele durchwaltet wird. Platon dagegen
habe gelehrt, da die Weltseele alles ordne und alles durchdringe. Das sei
richtig, „denn wenn es nicht eine einzige beseelte Kraft g be, die alles
durchdringt und alles verbindet und zusammenh lt, k nnte das Weltall
weder sinnvoll noch sch n verwaltet werden149." In einem doxographi-
schen Bericht h ren wir, da Platon Gott selbst als erste Ursache be-
trachtete, als zweite Ursache aber „bestimmte, aus Gott entstandene
δυνάμεις" annahm150.
Auch die Peripatetiker bedienten sich der oben charakterisierten
δύναμις-ΕεΙίΓε, um das Abh ngigkeitsverh ltnis zwischen Welt und
Gott zu erl utern. Nach dem Vorbild des Aristoteles deuteten sie dieses
Verh ltnis anhand der Begriffe „Beweger" und „Bewegt-Werden". Da
Gott der unbewegte Erste Beweger ist, hatte Aristoteles selbst151
nachgewiesen. Ferner hatte er den Wechsel von Entstehen und Vergehen
in der irdischen Region auf die Kreisbewegungen der Himmelsk rper,
insbesondere der Sonne, zur ckgef hrt152. Es war also ein leichtes, die
stufenweise erfolgende Fortpflanzung der Bewegung von oben nach
unten mit dem Einflu der „g ttlichen Kraft" zu identifizieren. Nicht
viel anders verfuhren die Peripatetiker bei ihren Versuchen, eine aristo-
telische Vorsehungslehre zu konstruieren; Gottes „F rsorge" f r die
Welt wurde gewisserma en der g ttlichen Bewegungst tigkeit gleichge-
setzt.
Die Ansicht, da von der Himmelsbewegung eine „Kraft" (ούναμις)
ausgeht, die in die Region des Entstehens und Vergehens gelangt, vertrat
Alexander von Aphrodisias153, Seine Ausf hrungen lassen ahnen, da
die Art und Weise, wie diese δύναμις in der sublunaren Welt wirkt, zu
seiner Zeit und wahrscheinlich schon fr her unterschiedlich aufgefa t
wurde. Alexander stellt n mlich zwei M glichkeiten auf. Nach der
ersten existieren die einfachen K rper bereits als solche, wenn sie die
g ttliche δύναμις erhalten. Diese bewirkt jedoch, da bestimmte k r-
149
Attikos, Fr. 8 des Places, bes. 2. 37—20 εί γαρ μη μία τις εΐη δύναμις έμψυχος διή-
κουσα δια του παντός καί πάντα συνδοϋσα και συνέχουσα, οϋτ' αν ευλόγως το
πάν ούτε καλώς διοικοΐμενον είναι δύναιτο.
150
Epiphan., Adv. haer. 1 6 = Dox. 588,24-27.
151
Vor allem Phys. VIII und Metaph. Λ.
152
Bes. De gener et corr. II 10.
153
Alex., Quaest. II 3; Meteor. 7,9-14.
154
Diese beiden L sungen tr gt Alexander in der Quaest. II 3 vor. Vgl. dar ber meinen
Aufsatz Alexander von Aphrodisias Quaest. 2,3, in: Hermes 95 (1967) 159—169, wo
ich versuche, die zahlreichen Fehler des herk mmlichen Textes zu beseitigen. In
Meteor. 7, 9—14 spricht sich Alexander — ohne eine andere M glichkeit zu erw gen
— f r die Identit t der δύναμις .. . έπιγινομένη τοΐσδε τοις σώμασιν mit der φύσις
aus und schreibt αοτη γαρ ή δύναμις αιτία πάντων των φύσει τε και κατά φύσιν
γίνεσθαι πεπιστευμένων.
155
Attikos, Fr. S bes. Z, 8-12 des Places. Vg). oben Anm. 149.
li6
Arist., Metaph, Λ 7.
157
Arist,, Metaph. 8.
158
De mundo 6, 398 b 19sqq.
«9 399a 1-6. Vgi. auch 398b 19-27.
160
399a 14-17.
!*' 398b 30-35.
„Gott, der einzig ist, hat viele Namen; er wird nach allen Vorg ngen
genannt, die er selbst herbeif hrt." Mit diesem Satz hebt das letzte Ka-
pitel unserer Schrift an, das eine lange Liste von Zeus-Epiklesen mit
ihrer Etymologie enth lt. Die Hervorhebung der Einzigkeit Gottes steht
durchaus im Einklang mit fr heren Aussagen des Autors 162 . Bemerkens-
wert ist jedoch, da die Unterscheidung zwischen Gott selbst und seiner
δύναμις hier au er acht gelassen wird. Gott ist nicht mehr das von der
Welt abgetrennte, keine T tigkeit ad extra aus bende Wesen; dem Ein-
leitungssatz des Kapitels zufolge greift er selbst in das Weltgeschehen
ein163. Eine gewisse Diskrepanz zwischen den beiden Auffassungen l t
sich nicht abstreiten. M glicherweise ist sie jedoch nicht so gravierend,
wie auf den ersten Blick scheinen m chte. Sie h ngt wohl damit zu-
sammen, da das Gedankengut des 7. Kapitels sich eher an Herk mm-
liches anlehnt, w hrend die δύναμΐ-ς-Lehre des 6. Kapitels den Versuch
einer wichtigen philosophischen Pr zisierung darstellt. F r einen Grie-
chen war es beinahe selbstverst ndlich, da ein einziger Gott unter ver-
schiedenen Namen angerufen wird und viele Kultepitheta erh lt, die
seinen verschiedenen Funktionen und Zust ndigkeiten entsprechen. Be-
reits in der ltesten Hymnendichtung kommt diese Gepflogenheit zum
Ausdruck. Der aeschyleische Prometheus, der Gaia mit Themis identi-
fiziert und als seine Mutter bezeichnet, bemerkt, da sie „eine einzige
Gestalt unter vielen Namen" ist164. Bei Xenophon sagt Sokrates, da er
nicht wei , ob es eine Aphrodite gibt oder zwei, die ούρανία und die
πάνδημος; auch Zeus, der derselbe zu bleiben scheint, besitzt viele Be-
162
G. Reale, Sul cosmo 268, der De rnundo f r eine Jugendschrift des Aristoteles h lt,
weigert sich allerdings, in εις ein Bekenntnis des Autors z rn Monotheismus zu
sehen, Er behauptet, da die Sph re des G ttlichen eine Pluralit t g ttlicher Wesen-
heiten enth lt, n rnlich die Welt, den ther, die „g ttlichen" Gestirne. Dagegen l t
sich einwenden, da das Thema der Einzigkeit Gottes im Mittelpunkt der Theologie
unseres Autors steht, w hrend z.B. die „G ttlichkeit" der Gestirne (2, 391 b H —18}
nur so am Rande, sozusagen als Relikt der herk mmlichen Auffassung erw hnt wird.
Kaum anders verh lt es sich mit dem ther (2, 392a 4), Es f llt ferner auf, da die
Welt selbst nirgends expressis vcrbis als g ttlich bezeichnet wird, In der Perspektive
des Autors scheint als „g ttlich" zu gelten, was in hohem Ma e an der θεία δύναμις
teilhat.
163
401 a 13 όπερ αΐιτος νεοχμοΐ. Vgl. auch 401 a 26—27 οτε πάντων αυτός αίτιος ων.
164
AischyL, Prom. 210 πολλών ονομάτων μορφή μία.
165
Xen., Symp, VIII 9 καΐ γαρ Ζευς ό αυτός δοκών είναι πολλάς επωνυμίας έχει,
166
W. Capelle, Von der Welt 560-561. G. Rudfaerg, Forschungen zu Poseidonios, 1918,
lOOsqq. J. Maguire, The Sources 162sqq. und andere.
167
Sen., N.Q. II 45; Jupiter betrachten die Stoiker als rectorem cust&demqite universi,
animttfn ac spiritum mundi, opens huius dominum et ani cem . . . fatttm . . , provi-
dentiam , , , natttram . . . mundum.
168
Darauf weist G. Reale, Op. cit. 95 Anm, 147 mit vollem Recht hin. Da unser Autor
im Gegensatz zu den Stoikern die providentia nicht erw hnt, halte ich f r weniger
bedeutsam als Reale. Obwohl die W rter πρόνοια, προνοείσθαι etc. in De mundo
nicht vorkommen, ist der Autor fest davon berzeugt, da Gott bzw. seine δΰναμίς
voller G te ist und f r das Wohl des Alls und seiner Teile sorgt.
149
Das meiste Material findet sich in den einschl gigen Arbeiten von G. Rudberg, For-
schungen zu Poseidonios 102-108 (der allerdings nur jene ParallelstelJen anf hrt, die
seiner Meinung nach direkt oder indirekt auf Poseidonios zur ckgehen). W, L. Lo-
rimer, Edition 1933 (zahlreiche Parallelen im kritischen Apparat). J. P, Maguire, Op.
cit. 162-164, A.J. Festugiere. Revel. Herrn. Trism. II 491 mit Anm.; 510—511,
H. Strohm, Welt 350-352. G. Reale, Sul cosmo 270-276 (der offenbar bem ht
ist, nur ltere Belege anzuf hren, und auf die zahlreichen Parallelen aus der helle-
nistisch-r mischen Zeit berhaupt nicht eingeht). Es sei ferner auf die umfang-
reiche Zeus-Monographie von Hans Schwabl, Art. Zeus II, RE SuppI, XV (1978)
993 — 1481 hingewiesen, in der unier anderem die Aspekte des Zeus in Kuh-
beinamen und im Kult er rtert und die u erungen der Philosophen analysiert wer-
den. Vgl. bes, die Sp hen 1345—1379 (Stoa, Aratos, Kornutos, Homerika Proble-
rnata, Allegorie des Gottesnamens, Dio Chrysostomos, Epiktetos, De mundo, Plu-
tarchos, Maximos von Tyros, Ailios Aristeides).
170
De mundo 7,401 a 25-27, bes. άτε πάντων αυτός αίτιος ων.
171
40ί a 27—b 7 = Fr. 21 a Kern. Zwei dieser Verse kommen im 1962 entdeckten Pa-
pyrus ausDerveni, 2. H. d. 4. Jh. v. Chr., vor. Vgl, die oben Anm, 2 zitierten Arbeiten
und H. Schwabl, Op. eh. 1326-1330.
172
401 b 8-22. Vgl. 401 b 23 tautet δε πάντα εστίν ουκ αλλά τι πλην ό θεός.
173
Diog. Laert. VII 135 = SVF I Fr. 102 & τε είναι θεον και νουν καΐ είμαρμένην και
Δία πολλοίς τε έτέραις όνομασίαις προσονομάζεσθαι. Diogenianos ap. Eus., P, E,
VI 8,8 = SVF II Fr. 914 τεκμήριον δε και άλλο ίσχυρόν φέρειν Χρύσιππος οϊεται
του εν άπασιν εΐμαρμένην την θέσιν των τοιούτων ονομάτων. Es folgen Erkl run-
gen der W rter πεπρωμένη und ειμαρμένη und der Namen der drei Moiren, Lache-
sis, Atropos und Klotho. Aet. I 28,3 = SVF II Fr, 913 Definitionen der ειμαρμένη
bei Chrysippos, der diese als einen λόγος auffa t, μεταλαμβάνει 6' αντί του λόγου
την άλήθειαν, την αίτίαν, την φύσιν, την ανάγκην, προστιθεις και ετέρας ονομα-
σίας ως επί της αυτής ουσίας τασσομένας καθ' ετέρας και ετέρας έπιβολας. Nach
Ausf hrungen ber die Moiren schlie t der Bericht mit der Bemerkung κατά την
ετυμολογική v έξήγησιν των ονομάτων άμα και των πραγμάτων συμπαρισταμένων
εύχρήστως. Areios Did. ap. Eus,, P.E. XV 15,6: Ansicht der Stoiker ber Gott.
Zeus = Kosmos = Heimarmene = Adrasteia = Pronoia. Auf derselben Linie steht
Kornutos mit seinem Kompendium der griechischen Theologie, m dem er alle vor-
kommenden G ttcrnamen etymologisch deutet. Die Ausf hrungen des Kap. 13 (Μοί-
ρα, Αϊσα, ΕΕμαομένη, Ανάγκη, Μοίραι - Κλώθω, Λάχεσις, "Ατροπος - Αδρά-
στεια, Νέμεσις, Τύχη, "Οπις), die mit ό Ζευς 0έ εστί και ή Μοίρα anheben, weisen
zahlreiche hnlichkeiten mit unserem Abschnitt aus De mundo auf,
174
Poseidonios Fr. 382 a Theiler (= Aet. I 28,5) und 382 b {- Lydos, De mens. IV 81,
133,23-134,1 W nsch).
jeder von ihnen sind in der stoischen Literatur reichlich belegt, Zeus ist
die ανάγκη, weil er eine „unbesiegliche" Ursache ist175, die ειμαρμένη,
weil er verbindet und ungehindert schreitet176, die πεπρωμένη, weil er
alle Dinge bestimmt (begrenzt?) und es im Seienden nichts Unbestimm-
tes (Unbegrenztes?) gibt177, die Moira, aufgrund der Verteilung (der
"s 401 b 8-9 οιονεί άνίκητον αίτίαν Οντα. Vgl. Act. I 27,3 - SVF Π Fr. 976 οι Στωι-
κοϊ , , . την μεν ανάγκην άνίκητόν φασιν αίτίαν και βιαστικην. Plut., Sept. sap,
conv. 9, 153 D (Thaies!) τί το ϊσχνρότατον; ανάγκη1 μόνον γαρ άνίκητόν. bertra-
gen auf die Heimarmene Plut., De Stoic, rep. 47, 1056C (Chrysippos}: Die ειμαρ-
μένη ist ανίκητος, ακώλυτος, άτρεπτος und wird entsprechend Atropos, Adrasteia,
Ananke und Pepromene genannt. Kornut. 13, S. 13,1-2 Lang ανάγκη e εστίν ην
άξαι και ης περιγενέσθαι ουκ εστί paraphrasiert nur die Etymologie ανάγκη - ανί-
κητος,
176
401 b 9-10 δια το εΐρειν τε καϊ χωρεΐν άκωλύτως. Merkw rdigerweise wird μείρο-
μαι (μέρος, μόρος, μοίρα u. dgl.) in den antiken Etymologien von ειμαρμένη nicht
ber cksichtigt, au er bei Kornutos 13, S. 12,17, Das Wort wird statt dessen mit
ειρω, „verbinden, zusammenf gen" (wahrscheinlich auch wegen ειρμός, „Verket-
tung") bzw. mit der Passivform εϊρομαι in Verbindung gebracht. Vgl. z.B. Diog.
Laen, VII 149 = SVF ΪΙ Fr. 915 £στι δε ειμαρμένη αιτία των όντων είρομένη. Ps.-
Plut,, De fato 4, 570B ειμαρμένη τε γαρ προσαγορεύεται ως αν είρομένη τις.
Areios Did, ap. Eus., P.E. XV 15,6 (Zeus) καθ' δσον . . . είρομένφ λόγω πάντα
διοικεί άπαραβάτως έ| άιδίου προσονομάζεσθαι Ειμαρμένη ν, Diogcnianos ap.
Eus., Ρ. Ε. VI 8, 8 (Chrysippos} = SVF II Fr, 914 την τε εϊμαρμένην ε[ρομένην τινά
εΐτε εκ θεοΰ βουλήσεως είτε έ| ης δη ποτέ αίτιας. hnlich ibid. VI 8,10 ber
Klotho παρά το συγκεκλώσθαι και συνείρεσθαι τα πάντα, Kritolaos ap, Philon.,
De aet. m, 75 ή ειμαρμένη κατά tot ς άριστα φυσιολογοϋντας , . . εΐρουοα τάς
εκάστων ανελλιπώς καί άδιαστάτως αίτιας. Nemesios, De nat. horn 37, S. 301,
2-4 M. = SVF II Fr. 918 ει δε ή ειμαρμένη ειρμός τις ούσα αιτιών απαράβατος1
οΰτως γαρ αυτήν οι Στωικοι ορίζονται. hnlich Alex., De an, mant. 185,5 = SVF
II Fr. 920 είρμον γοϋν αίτιων αυτήν φασιν είναι. Die Angabe unseres Autors, da
die Heimarmene „ungehindert schreitet", beruht nicht mehr auf der Etymologie des
Wortes, sondern weist auf die Zwangsl ufigkeit des vom nexus causantm abh ngen-
den Geschehens hin. Das berlieferte άκωλύτως ist beizubehalten und der Konjektur
von H. Usener (ακολούθως) vorzuziehen, wie W. L. Lorimer, Some Notes 121 — 122
berzeugend nachgewiesen hat.
177
401 b 10—11 δια το πεπερατώσθαι πάντα καΐ μηδέν εν τοις ούσιν άπειρον είναι.
Verbindung von Zeus und πεπρωμένη in einem Gedicht des Kleanthes, SVF I Fr.
527 ογου δε μ5, ώ Ζεΐ>, καί συ γ' ή πεπρωμένη. Die Volksetymologie aus περατοΰν
(bzw. πέρας, περαίνω) ist sonst bezeugt bei Plut., De Stoic, rep. 47, 1056C — SVF
II Fr, 997 πεπρωμένην ως πέρας άπασιν έπιτιθείσαν. Diogenianos ap. Eus., P.E.
VI 8,8 = SVF II Fr. 914 την τε γαρ πεπρωμένην πεπερασμένην τινά φησιν εΕναι
(Chrysippos) και συ ν τετελεσμένη ν διοίκησιν. hnlich Tbeodoret., Gr. ff. cur. VI
11. Plut., εί ή των μελλόντων πρόγνωσις ωφέλιμος ap. Stob. I 5,19 = Fr. 21 Sand-
bach την Είμαρμένην (και Πεπρωμένην) και Άδράστειαν καλοΰσι, δτι πέρας ταΕς
αίτίαις ήναγκασμένον έπιτίθησιν, άνέκφευκτος ούσα και αναπόδραστος.
178
401 b 12 Μοϊραν μεν από του μεμερίσθαι. Die (richtige) Verbindung von μοίρα mit
μείρομαι, μερίζω u. dgl, kommt in anderen Zeugnissen vor, die die knappe Angabe
unseres Autors verdeutlichen. Diogenianos ap. Eus., P.E. VI 8,9 = SVF II 914 τάς
Μοίρας ώνομάσθαι άπο του μεμερίσθαι και κατανετνεμήσθαί τίνα ημών έκάστφ.
Identisch Theodore:,, Op, cit. VI 11, Aet. I 28,3 = SVF II Fr. 913 (Chrysippos)
Μοίρας δε καλεϊσθαι όπο του κατ' αύτάς διαμερισμοί». Kornutos 13, S. 12,11-12
leitet μοίρα von μη δρασθαι ab, ή Μοίρα δια το μη όρωμένη διανέμησις είναι των
επιβαλλόντων Ικάστω.
179
401 b 12-13 Νέμεσις δε από της έκάστφ διανεμήσεως, Vgl, Kornutos 13, S. 13,17
Νέμεσις δε άπο της νεμήσεως προσαγορεύεται. Schol. in Plat. remp. V 451 A,
S. 342,3—4 Hermann ή δε αυτή (= "Ατροιτος bzw. Αδράστεια) καΐ Νέμεσις λέγε-
ται άπο της νεμήσεως, ως διαιρούσα και νέμουσα το επιβάλλον έκάστφ. Verbin-
dung Νέμεσις — νέμειν auch bei PS.-Iambi., Theol. arithm. 31, S. 40,19 De Falco.
110
401 b 13 — 14 Άδράστειαν δε άναπόδραστον αίτιον ούσαν κατά φίσιν. Areios Did.
ap. Eus., P.Ε, XV 15,6 = Fr. 29, Dox. S. 465,2-3 = SVF II Fr. 528 Άδράστειαν
δε, οτι ουδέν εστίν αυτόν (Zeus) άποδιδράσκειν. Plut., Fr. 21 (vgl. oben Anm, 177)
άνέκφευκτος ούσα καΐ αναπόδραστος, Kornutos 13, S, 13,12-17 αυτή (= "Ατρο-
πος) δε ίστι καΐ 'Αδράστεια, ήτοι παρά το άνεκφευκτος καΐ αναπόδραστος είναι
ώνομασμένη, mit zwei weiteren Deutungen, 'Αδράστεια = άειδράστεια (von αεί
δράν) oder πολυδράστεια, mit der Annahme, da das ά- auf die F lle hinweist wie
in άξύλα> iArj. Diese dret Deutungen finden sich ebenfalls in den Schol. in Plat,
remp. V 451 A, S. 341,32-342,3 Hermann; der Scholiast schreibt Kornutos fast
w rtlich ab,
181
401 b 14 Αίσαν δε αεί οίσαν. Diese falsche Etymologie wird auch von Kornutos
erw hnt, 13, S. 12,14-16, Nachdem er αΕσα als ή αιστος και άγνωστος αιτία των
γινομένων gedeutet hat, f gt er hinzu ή, ως οι πρεσβύτεροι, ή αεί ούσα.
182
401 b 14—15. Die Vorstellung von Moiren, die den Seh ick sal s faden spinnen, ist uralt
und bereits bei Homer bezeugt. Die Dreizahl der Moiren und deren Namen Klotho,
Lachesis, Atropos sind bei Hesiod, Theog. 904—906 anzutreffen.
183
Chrysippos zitiert von Diogemanos ap. Eus., P.E, VI 8, 9-10 = SVF II Fr. 914,
Chrysippos ap. Stob. I 5, 15 = SVF II Fr. 903 = Aet, I 28, 3. Kornutos 13,
S. 13,3-12.
184
Plat., Resp. X 617B-C. Etwas anders Leg. XII 960C, wo der Text leider unsicher
istr Als „Retterin des Schicksals" erh lt Lachesis die erste, Klotho die zweite und
Atropos die dritte Stelle; die letzte hat zur Aufgabe, das von ihren Schwestern Ge-
sponnene unab nderlich zu machen.
las Vgl. (etwas pr ziser als unser Autor) Apul., De mundo 38. Ferner Isidor,, Etym,
VIII 11,92 tria autem fingttnt in coh et fuse digitisque filum ex lana torquentibus,
propter tria tempora: fraeteritum, quod in fuso iam netum et involutum est; praesens,
quod inter digitos neentis traicitur; futurum, in lana quae colo implicate estt et quod
adbuc per digitos neentis adfumm tamquam praesens ad praeteritum traiaendton est.
Die Symbolik des Schicksalsiadens wird bei anderen Autoren anders gedeutet. Die
eine G ttin l t das Menschenleben anfangen, die zweite zwirnt den Lebensfaden,
die dritte rei t ihn entzwei, was den Tod bedeutet. Vgl. Lact,, Inst, div, II 10,
19-20. Isidor., Etym. VIII 11, 93.
186
401 b 18-19 "Ατραπός, έπεΐ τα παρελθόντα πάντα δτρεπτά εστί. Vgl. bereits Plat.,
Resp. X 620E: Die έπικλωοθέντα werden von Atropos άμετάστροφα gemacht.
Chrysippos, SVF II Fr. 913 Ατραπός . , . οτι αμετάθετος καί αμετάβλητος εστίν Ο
καθ' Εκαστα διορισμός εξ άι,δϋων χρονών. Kornutos 13, S. 13,9-10 "Ατραπός . . .
δια το άτρέπτως Εχειν τα κατ' αυτήν διατεταγμένα. Chrysippos, SVF II Fr. 914
gem Zugeloste auf alle Dinge wartet187. Klottio befa t sich mit der
Gegenwart, indem sie das f r jeden Eigene vollbringt und zuspinnt188.
Obwohl das Kapitel und somit der Traktat selbst mit zwei Zitaten
aus Platons Nomoi schlie t, die besagen, da Gott f r alles Seiende An-
fang, Mitte und Ende ist und es auf geradem Weg zu seiner Vollendung
bringt, kann man kaum daran zweifeln, da die Ausf hrungen von Ka-
pitel 7 im Wesentlichen lediglich stoisches Gedankengut enthalten und
h chstwahrscheinlich aus einer stoischen Quelle ohne nennenswerte
nderungen bernommen wurden. Der uneingeschr nkte Determinis-
mus, der hier zum Ausdruck kommt, erscheint zwar als Bekr ftigung
der Lehre von einem einzigen, alles leitenden Gott, in der platonisch-
aristotelischen Theologie des Traktats kommt er uns jedoch wie ein
Fremdk rper vor. Insbesondere l t er sich schwer mit der Ansicht ver-
Ά τρόπον δε κατά το άτρεπτον καί άμετάθετον του μερισμού. Fr. 1092 την δε
"Ατρόπον, ως ποιούσαν το όποκληρωθεν άμετάτρεπτον, Max. Tyr. V 5, S. 60,2—5
H. "Ατροπος , . . άτρεπτον,
187
401 b 19—20 κατά δε το μέλλον Λάχεσις, πάντα γαρ ή κατά φύσιν μένει λήξις. Der
Name Λάχεσις wird mit λαγχάνειν in Verbindung gebracht von Chrysippos, SVF II
Fr. 913 Λάχεσις , . . ότι δν κλήρον λελόγχασι έκαστοι κατά το δίκαιον
απονέμεται. Fr. 914 Λάχεσις μεν κεκλήσθαι παρά το λαγχάνειν έκαστα) το πεπρω-
μένον. Fr, 1092 την δε Λάχεσιν από του λαγχάνειν, ως έπικληροΰσαν τφ μεν άγα-
βόν, τφ δε εναντίον. Kornutos 13, S, 13,8-9 Λάχεοις δ' άλλη άπο του τη κατά
τους κλήρους λήξει τα αποδιδόμενα έκάστφ προσεοικέναι. Porph,, περί τοΐ εφ'
ήμΐν ap. Stob, II S, 42, S. 168,20-22 W, διό καί της Λαχέσεως οι κλήροι
λαμβάνονται τψ προφήτη, ήτις άπο του λαγχάνειν καί κληροϋσθαι κέκληται. Max.
Tyr. a. a. Ο, Λάχεσις , , , διειληχός. Aus diesen Parallelen geht hervor, da λήξις im
zitierten Satz von De mundo wohl nur den Anteil, den man vom Schicksal erh lt
(λαγχάνειν), bedeuten kann. Das Wort ist allerdings auch, vielleicht wegen μένει, als
„Ende" (λήγω) verstanden worden. Vgl, bereits Apul., De mundo 38, 374 futuri
temponi Lacbesis a fine cognominata, qstod etiam illis quae fu,tKra sunt finetn mnm
deus dederit. hnlich m modernen bersetzungen: „Lachesis, car la cessation na-
turelle attend toutes choses" (Tricot), „Lachesi, perche una fine attende tutte le cose
que sono nella natura" (Reale). Richtig Festugiere, Furley, Strohm,
is» 40l b 21 κατά δε το ένεστώς Κλώθω, συμπεραίνουσα και κλώθουσα έκάστφ τα
οικεία. Da Κλώθω mit κλώθω, „spinnen", zusammenh ngt, liegt auf der Hand,
Vgl, Chrysippos, SVF II Fr, 913 Κλώθω, , .. ότι ή κατά την είμαρμένην διανέμησις
καί τα γεννώμενα τοις κλωθομένοις παραπλησίως διεξάγεται. Fr. 914 Κλώθω δε
παρά το συγκεκλώσθαι καί συνείρεσθαι τα πάντα, καί μίαν αυτών τεταγμενην
τινά είναι διέξοδον. Fr, 1092 την μεν Κλώθω, ως έπικλώθοιισαν ένί έκάστω των
ύπο γένεσιν το είμαρμένον, Kornutos 13, S. 13,4—8 καί Κλώθω μεν ώνόμασται
μία αυτών άπο του κλώσει έρίων έοικέναι τα γινόμενα άλλων άλλοις έπιπιπτόν-
των, καθό καί νήθουοαν αυτήν πρεσβυτάτην διατυπούσι.
die eine kleine Landschaft schildern und darauf stolz sind, aber kein
Auge für die Schönheit des ganzen Kosmos haben192. Er verwirft die
Ansicht derjenigen, die den Äther für einen feurigen Körper halten193.
Er bemerkt, daß gewisse Leute nicht wissen, daß die Oikumene eine In-
sel ist194. Die verschiedenen Ansichten über die Grenzen der Erdteile
werden nur referiert195. Daß einzelne Winde verschiedene Bezeichnun-
gen haben, wird ebenfalls nur berichtet196. Wichtiger und ausführlicher
ist die Auseinandersetzung mit dem wirklichen oder konstruierten Ein-
wand, daß die Welt längst hätte untergehen müssen, weil sie aus Gegen-
sätzen besteht197; in der Widerlegung arbeitet der Verfasser bezeich-
nenderweise fast nur mit Analogiebeweisen. Die Diskussion zwischen
Finalisten und Antifinalisten sowie zwischen Anhängern und Gegnern
der Weltewigkeit hat zwar einige Spuren in De mundo hinterlassen198,
von dem systematisch-scholastischen Aspekt der Polemik mit dem
Wechsel von aufeinander abgestimmten Argumenten und Gegenargu-
menten ist allerdings nichts übrig geblieben; nur einige Betrachtungen,
die ursprünglich zu diesen Kontroversen gehörten, lassen noch ahnen,
worum es eigentlich geht. Offenbar will es der Verfasser vermeiden, sich
in eine für den Leser allzu technische Schuldiskussion einzulassen.
In gewisser Hinsicht könnten wir De mundo als eine Art Handbuch
betrachten199. Dafür spricht der bekundete Wille des Autors, sich auf
das Wesentliche zu beschränken. Dafür spricht auch der Umstand, daß er
weitgehend auf das Beweisen und das Argumentieren verzichtet und sich
mit einer oberflächlichen Darlegung seiner Lehre begnügt. Ferner weist
auch die besonders m den wissenschaftlichen Teilen gut überschaubare,
sorgfältig unterteilte Gliederung zweifellos etwas Handbuchmäßiges
auf. Dennoch verbietet uns manches, die Schrift einfach als Handbuch
kenntnis zu einer Schule gegen andere gedeutet werden. Der Verfasser meint einfach:
Wir, die Fachleute, benutzen dafür diese und jene Bezeichnung. An anderen Stellen
führt er Fachausdrücke mit , , und dgl. ein: 394b 9; 14;
19, 22; 395a 13; 16; b 25; 396a 2; 5; 8; 10 etc,
1M
l, 391 a IS-b 3.
193
2, 392a 6-7.
194
2, 392b 20-28.
195
3, 393 b 25 sqq.
196
4, 394b 25sqq.
197
5, 396a 33sqq.
198
5, 397a 5sqq. Vgl. oben S. 30sqq.
199
Über diese Frage sowie über die Stileigenschaften von De mundo vgl, A.J, Festu-
giere, Revel. Herrn. Trism. II 479-501.
abzustempein: An erster Stelle Sprache und Stil, die weit entfernt sind
von der trockenen, nüchternen Form des üblichen Handbuches. Dann
die besonders im „theologischen" Teil zum Ausdruck kommende Vor-
liebe für anschauliche Bilder und Vergleiche. Ferner die bereits am
Anfang formulierte und an der ganzen Disposition deutlich erkennbare
Absicht, über die Schilderung des Kosmos hinaus zu Gott als dessen
Gestalter und Erhalter zu gelangen.
Unser Autor kleidet seine Schrift in die Form eines Sendschreibens
an Alexander. Dieser wird in einem Widmungsbrief aufgefordert, sich
mit der Philosophie, die seiner würdig ist, zu befassen. Die Fiktion des
Sendschreibens wird im Hauptteil der Schrift zwar aufgegeben, der Kö-
nig wird nicht mehr angesprochen, dennoch gehören Widmungsbrief
und Traktat inhaltlich und auch sprachlich zweifellos zusammen. Ganz
anders liegt der Fall bei dem der Anaximenes-Rhetorik vorangestellten
Brief an Alexander. Dort soll mit der nachträglichen Fälschung die ari-
stotelische Herkunft des bereits vorhandenen Traktats dokumentiert
werden. Hier sind Widmungsbrief und Traktat gleichzeitig und von ein
und demselben Autor verfaßt worden.
Eine gute Monographie über den Widmungsbrief als Gattung bleibt
heute noch ein Desideratum der antiken Literaturgeschichte200. Der vor-
angeschickte Brief stellt eine von mehreren Möglichkeiten dar, jeman-
dem eine Schrift oder eine Sammlung zuzueignen. In der hellenistisch-
römischen Zeit ist die Praxis der Widmung durch einen Brief relativ gut
bezeugt. Die ältesten erhaltenen Beispiele dürften die Briefe sein, mit
welchen der Mathematiker Archimedes (3.Jh. v.Chr.) einige seiner
Werke einem Freund oder einem Kollegen (Dositheos, Eratosthenes
u.a.) widmet. Ähnlich eignet der Astronom Hipparchos (2. Jh. v. Chr.)
einem gewissen Aischrion seinen Arat-Kornmentar zu. Auch die Schrift
(i. H. d, l .Jh. n. Chr.) ist zusammen mit einem einleitenden
Widmungsbrief überliefert. Seine Aufzeichnungen von Epiktets Lehr-
vorträge widmet Arrianos dem Lukios Gallios durch einen Brief etc.
Dem Beispiel der Griechen folgten die Römer. Es genügt, an die Wid-
mungsbriefe Varros (De re rustica und einige Bücher von De lingua la-
tina), des älteren Plinius und Quintilians zu erinnern. Selbst die Dichter
richteten prosaische Briefe an die Adressaten ihrer Sammlungen, so zum
200
Einige wertvolle Hinweise findet man z.B. bet Sykutris, Art. Epistolographie, RE
Suppl. V (1931) 185-200, dort 205-206. Vgl. auch R. Harder, Ocellus Lucanus 39-
43. W, Speyer, Die literarische Fälschung im Altertum 79—81.
Beispiel Martial (II, VIII, XII), Statius (Silvae I, II, III) und andere. Daß
auch Fälscher gelegentlich ihre Hand im Spiel hatten, zeigen etwa der
Brief an Alexander, der die Rhetorik des Anaximenes begleitet, und die
Widmungsepistel des Königs Mithridates vor den griechischen Brutus-
Briefen201. Funktion, Inhalt und Form solcher Briefe können sehr
unterschiedlich sein. In bestimmten Fallen handelt es sich um regelrechte
Begleitschreiben. In anderen fungiert der Brief als Vorwort zum gewid-
meten Opus, ist also inhaltlich direkt auf dieses bezogen; bisweilen er-
scheint er sogar fast als ein integrierender Bestandteil des Werkes selbst.
In anderen wiederum enthält er nur einige Hinweise auf die im Werk
erörterten Probleme usw.
Der De mundo-Brief erweist sich als eine Empfehlung an Alexander,
sich mit der Philosophie zu beschäftigen. Er enthält in der Tat mehrere
Motive, die für die Protrepsis charakteristisch sind. Wer jemanden zu
irgendeiner Entscheidung auffordert, versucht in der Regel zu zeigen,
daß das vorgeschlagene Ziel schön, edel, wertvoll ist; ferner, daß es er-
reichbar ist; schließlich, daß seine Realisierung Vorteile mit sich bringen
wird. Diese in der Theorie formulierte und in der Praxis oft angewendete
Argumentation nach den drei Gesichtspunkten der Schönheit, der Mög-
lichkeit und der Nützlichkeit läßt sich in unserem Brief nachweisen; sie
erscheint allerdings nicht in der schematischen Gliederung, die man in
einer rhetorischen Schulübung finden würde, sondern in viel lockerer,
freierer Form. Im Mittelpunkt steht ein begeistertes Lob der Philoso-
phie, die als „wirklich göttlich und übermenschlich" charakterisiert und
gleich darauf als eine handelnde Person geschildert wird. Sie allein strebt
eifrig die Betrachtung des Seienden und der Wahrheit an; furchtlos steigt
sie in die Hohe, um die schönsten aller Dinge kennenzulernen. Ver-
glichen mit der Betrachtung und der Schilderung des Weitalls erscheinen
die Bemühungen derjenigen, die einen einzigen Ort, einen Berg u. dgl.
verherrlichen, als kleinlich und wertlos. Neben diesem Elogium der Phi-
losophie, in welchem die Erhabenheit ihres Objekts im Vordergrund
steht, deutet der Autor bildhaft an, daß ihr Unterfangen keineswegs
hoffnungslos, sondern sogar leicht zu verwirklichen ist. Mit dem Leib
können wir zwar nicht die Erde verlassen und in den Himmel kommen,
aber die Philosophie hat einen Weg entdeckt, der uns ohne Mühe dahin
bringt. Mit dem Intellekt als Führer kann die Seele bis dahin aufsteigen,
weit auseinanderlegende Regionen zusammenbringen und mit Leichtig-
101
R. Hercher, Epistel, gr. 177-178.
202
De mundo l, 391 a 8-15, VgL bes. άκοπίατόν τι-να όοον εύροΰσα und ρςιδίως.
103
l, 391b 16-18.
204
Liste der poetischen W rter bei A.J. Festugiere, Revel. Herrn. Trism, II 490 Anm. 4
und Addenda 608, Liste der άπαξ είρημένα bei W. L. Lorimer, Some Notes 63
Anm. 1. J. Barnes, Besprechung von G, Reales Kommentar, in: Class. Rev. 27 (1977)
40—43 f hrt eine Liste von W rtern aus De mundo an, die im Corpus Aristotelicurn
fehlen oder nicht vor dem 3. Jh. v. Chr. belegt sind. Er halt eine Untersuchung der
Sprache des Anonymus mit Recht f r ein dringendes Desiderat.
aas Ni c ht nur aus Philosophen wie Heraklit, Empedokles und Platon, sondern auch aus
Homer, Sophokles und der orphischen Dichtung.
206 207
397 a 5—11. 391 b 2 φερέσβιος γη; 393a 3 εφήμερων ζφων etc,
208
Zahlreiche Beispiele. Vgl. u.a. 391 b 2; 392b 6sqq.; 397b 13; 398a 5; b 3-7; b 26;
399 a 12.
Phänomene lebendig schildern: „In der Region, die man als feurig und
ordnungslos bezeichnet, schießen die Himmelsleuchten vorbei; es wer-
den Flammen geschleudert; die sogenannten Balken, Gruben und
Schweifsterne richten sich oft auf und verlöschen dann wieder209." Der
Autor läßt sich gern auf kurze Deskriptionen ein, die sachlich nicht ab-
solut notwendig sind, dennoch zur Lockerung des wissenschaftlichen
Exposes dienen210. Auch Digressionen unterbrechen bisweilen den
Gang der Ausführungen. Die Erwähnung der Ausbrüche des Ätna z.B.
zieht durch Gedankenassoziation eine Anekdote nach sich; der Autor
erzählt, wie fromme Jünglinge auf wunderbare Weise vom Lavastrom
des Vulkans geschont wurden 211 .
Besonders auffallend ist die Vorliebe des Autors für Bilder und Ver-
gleiche. In der Wahl dieser Bilder strebt er allerdings keine Originalität
an. Er arbeitet nur mit altherkömmlichen Vergleichen und mit solchen,
die sonst auch bei vielen Autoren der hellenistisch-römischen Zeit vor-
kommen, also zum Gemeingut des zeitgenössischen Denkens gehören.
Dennoch zeigt die häufige Verwendung dieses Kunstgriffes, wie bemüht
er ist, die Dinge anschaulich zu machen. Er scheint zu ahnen, daß das
Publikum, das er ansprechen will, die ihm angebotenen Ausführungen
nur dann schätzen wird, wenn sie möglichst wenig abstrakte Beweis-
führungen enthatten, statt dessen aber mehr auf die unmittelbar ver-
ständliche Gegenständlichkeit der menschlichen Gesellschaft oder der
Kunst Bezug nehmen 212 .
209
2, 392b 2-5. Ahnliches Precede 2, 392b 8-13.
210
Schilderung der Erde 3, 392 b 14-20; 5, 397a 24-29. Das Trompetensignal im Feld-
lager 6, 399a 35-b 10. Das Leben der Polis unter dem Nomos 6, 400b 13-26. Der
Perserkönig, sein Palast, die Organisation seines Reiches 6, 399a 11—35 etc.
111
6, 400 a 34—b 6. Der letzte Kompilator der pseudaristotelischen Mirabilien hat (§
154} diese Zeilen aus De mundo wörtlich abgeschrieben, vgl. W. L. Lorimer, Some
Notes 113 und H, Flashar, Übers. Mir. 146. Die Anekdote war bereits im 4. Jh. be-
kannt. Lykurg., C. Leocr. 95—96, der sie erzählt, bezeichnet sie als .
Strab. VI 2, 3, 269 hat sie bei Poseidonios vorgefunden (FGrHist. 87 F 92; Poseido-
nios Fr. 42 Theiler). Sie kommt auch im Ätna-Gedicht 604—646 und bei Konon 43
ap. Photios, BJbl. cod. 186, 139b 23-37 vor. Vgl. ferner Philostr., Vit. Apoll. V 17.
Sen., De ben. III 37, 2. Martial. VII 24,5. Valerius Max. V 4 , 4. Claudian.,
Carm. min. XVII (De piis fratribus). Hygin. 254, 4. Aelian. ap. Stob. IV 25, 38.
Silius Ital. XIV 197. Antboi. Pal. III 17. Vgl. Wissowa, Art. Amphinomos 5, RE I
(1S94) 1943-1945.
212
G. Rudberg, Forschungen zu Poseidonios 156—240 untersucht die Bildsprache des
Poseidonios, Er führt zahlreiche Parallelen zu den Bildern aus De mundo an, aller-
dings nur aus Quellen, die er wie De mundo für poseidomamsch hält.
113
l, 391a 8-16.
214
Die Literatur darüber ist umfangreich. Ich verweise nur auf einige Arbeiten, in denen
man das Wesentliche finden wird. R. M, Jones, Posidonius and the flight of the mind,
in: Class. Philol. 21 (1926) 97-113. A.J. Festugiere, Revel. Herrn. Trism. II 441-
458, E.R. Dodds, The Greeks and the Irrational, 1951, bes, 135-178. C. Colpe, Die
,,Himmelsreise der Seele" als philosophic- und religionsgeschichtliches Problem, im
Sammelband The Origins of Gnosticism, Leiden 1967, 85 — 104. H. Koller, Jenseits-
reise der Philosophen, in: Asiatische Studien 27 {1973} 35 — 57.
2is
In dieser Form kommt das Motiv in der frühen Kaiserzeit mehrmals vor. Vgl. Philon,
De op. m. 69-71. Max. Tyr. XI 10, S. 140,14-142, 3; XVI 6, S, 206, 11-20 H. Es
würde sicher lohnen, die spätere Geschichte des Motivs auch in den modernen
Literaturen zu verfolgen. Ich weise nur auf Baudelaires Gedicht „Elevation" (Les
fleurs du mal) hm, das dem schnellen Flug des Geistes über Sonne und ätherische
Sphären hinaus gewidmet ist.
215
l, 39lb 8-11.
anzugreifen 217 , wird in der nachklassischen Zeit oft erw hnt218. Wir
k nnen sogar feststellen, da unser Autor nicht der einzige gewesen ist,
der das sinnlose Unterfangen der Aloaden und den Weg der erkennen-
den Seele in den Himmel und zu Gott in einem Atemzug nannte. In
einem Epigramm des Antipatros von Sidon (wohl Mitte des 2. J. v. Chr.)
hei t es, da der Stoiker Zenon durch seine σωφροσύνη den Weg in den
Olymp und zu den Sternen fand, ohne Ossa und Pelion aufzut rmen219.
Bei Ovid lesen wir, da die Menschen mit ihrem Geist sogar den ther
berwunden haben; so steige man in den Himmel, nicht, indem man den
Ossa auf den Olympos t rme und obendrauf die Spitze des Pelion an die
Sterne in der H he r hre220. Attikos bemerkt, da Platon (im Gegensatz
zu Aristoteles) erhabene Reden gefunden hat, die den Weg in den Him-
mel ffnen und die Anh nger mit demselben Stolz erf llen, den die Alo-
aden empfanden, als sie den Himmel erst rmen wollten221.
Um die Kreisbewegung des Himmels um seine Achse und die Un-
beweglichkeit der beiden Pole zu veranschaulichen, zieht der Autor das
Bild der am Dreheisen des Drechslers rotierenden Kugel heran222. Das
Bild ist gewi nicht neu 223 . Platon und Aristoteles haben es verwendet,
117
Homer, d, λ 315. Plat., Symp. 190B-C. Lukian,, Charon 3, 494. Hygin. t Fab. 28
etc. Vgl, Toepffer, Art. Aloadai, RE I 2 (1894) 1590-1592.
218
Philon, De conf. lingu. 4—5 und Kelsos ap. Origen., C, Cels, IV 21 vergleichen das
Unterfangen mit dem Bau des Turmes zu Babel. Origenes a.a.O. pl diert f r die
Priorit t von Moses* Erz hlung. Plut,, De facie 22, 935 E (riesige K rpergestalt der
Aloaden), Philostr., Vit. soph. II l, S, 56,13 — 15 Kayser (die Aloaden opfern dem
gefesselten Ares). PS.-Longin., De subl. 8,2 (nur erw hnt als Beispiel von ΰψη δίχα
πάθους). Themist., Or, II 36B (ungeheure Gr e der Aloaden); XV 193B (nur
durch Wohltaten kann man sich Zeus n hern, und nicht, wie die Aloaden es versucht
haben). Diogenes, Epist. 33,4 bei Hercher, Epistel, gr. S. 247 (mit der Erw hnung
der Torheit der Aloaden rat Homer davon ab, zu versuchen, in den Himmel zu
steigen). lulian., Or. I 22, 28C (Verr cktheit der Aloaden).
219
Diog. Laert. VII 29
τήνος οδε Ζήνων Κιτίω φίλος, ος ποτ' "Ολυμπον
έδραμεν, ουκ Όσσγι Πήλιον άνθέμενος
ουδέ τα γ* Ήρακλ,ήος άέθλεε" τον δε ποτ' άστρα
άτραπιτον μοΰνας ε$ρε σαοφροσΰνας.
220
Ovid, Fasti I 305-308.
211
Attikos, Fr. 2, 45-57 des Places.
222
2, 391 b 19—25, bes. καθάπερ της εν τόρνψ κυκλοφορουμένης σφαίρας,
233
Bereits Empedokles bezeichnet seinen σφαίρος als κυκλοτερής, VS 31 B 27,4 und
28,2, Herodot IV 36 erw hnt Darstellungen der Erde, in denen diese wie am Dreh-
eisen gedrechselt erscheint, έοΰσαν κυκλοτερέα ως άπο τόρνου.
nur neben den Stoikern selbst die pythagoreischen Pseudepigrapha, Philen von
Alexandrien, Dion Chrysostomos und Maximos von Tyros.
219
6, 398a 10-b 6. Wie F. Regen, Die Residenz des Persischen Gro k nigs und der Pa-
last des Menelaos, in: Hermes 100 (1972) 206—214 berzeugend nachgewiesen hat,
sind die Angaben aus De mundo mit Herodots Schilderung der Residenz des Deiokes
(I 98, wo auch die Weltabgeschiedenheit des Herrschers und die T tigkeit vermit-
telnder Diener erw hnt sind) zu vergleichen. Sie enthalten aber auch Reminiszenzen
an ein dichterisches Modell, Homer, Od. δ 68sqq. Vgl. auch Aisch,, Pers. 980 und
Xen., Cyrop. VIII 2, 11 („Augen des K nigs"). Bei Philon wird der Gro k nig
mehrmals erw hnt (e.g. De op. m. 56; De prov. II 59sqq.). Mit De mundo zu ver-
gleichen sind Philons Angaben ber das Schicksal der besten und reinsten Seelen post
mortem. Sie werden zu Dienern des Weltherrschers, ύπαρχοι . , . του πανηγεμόνος,
ώσπερ μεγάλου βασιλέως άκοαΐ και δψεις, έφορώσαι πάντα και άκούουσαι (De
somn. I 140). Auch in De decal. 61 liegt ein Vergleich Gotces mit dem Gro k nig
vor. Wer die f r den Gro k nig passenden Ehrungen auf untergeordnete Satrapen
bertr ge, um diesen Untertanen des Herrn gef llig zu sein, w re nicht nur sehr
dumm, er w rde sich auch in eine gro e Gefahr st rzen. So verhalten sich aber die-
jenigen, die das Gewordene statt des Sch pfers verehren. An De mundo erinnern
auch die Ausf hrungen von Max. Tyr. XI 12, S. 144,5-145,9H. Wer das Werk
Gottes verstehen will, sollte sich ein gro es, starkes K nigreich vorstellen. Alles h rt
freiwillig auf den K nig. Die Grenzen des Reiches sind nicht Halys, Hellespont,
Maiotis und Ozean, sondern Himmel und Erde. Ein Heer von sichtbaren und un-
sichtbaren G ttern sorgt f r die Erhaltung des Ganzen. In der Hierarchie stehen die
einen h her als die anderen, wie auch die Beamten des K nigs, τους μεν περί τα
πρόθυρα είλουμενους, οίον εισαγγελέας τινας καΐ βασιλείς συγγενέστατους, ομο-
τράπεζους αυτούς και συνεστΕους, τους δε τούτων ύπηρέτας, τους 06 έτι τούτων
καταδεεστέρους. Auf dieselbe Weise breitet sich die Ordnung aus von Gott bis zur
Erde hinunter.
mutet, da der Vergleich Gottes mit dem Gro k nig eine solche Unter-
scheidung urspr nglich nicht enthielt; die Beamten des K nigs h tten in
der Urfassung den D monen entsprochen, die dem h chsten Gott als
Vermittler zur Verf gung stehen230. Sicher ist auf jeden Fall, da die
Analogie Gott—Gro k nig auch f r eine d 'monologische Interpretation
gut geeignet war und in diesem Sinn tats chlich interpretiert wurde231.
„Was der Pilot in seinem Schiff, der Wagenlenker im Wagen, der
Koryphaios im Chor, das Gesetz in der Polis, der Feldherr im Heeres-
lager ist, das ist auch Gott in der Welt", mit dem Unterschied allerdings,
da die Herrschaft ihn nicht erm det, nicht viele Bewegungen von ihm
verlangt und ihm keinen Kummer bereitet; sorgenfrei regiert er, m he-
los, ohne Beeintr chtigung durch k rperliche Schw che232. Einige dieser
Bilder kommen bereits bei Platon vor233. In den pythagoreischen Pseud-
epigrapha finden sich Listen von Vergleichen, die denen aus De mundo
sehr hnlich sind234. Auch Maximos Tyrios, bei dem uns mehrere Par-
allelen zu De mundo begegnen, benutzt einige dieser Vergleiche in einer
gegen die epikureische Lehre der Unt tigkeit der G tter gerichteten Ar-
23» Etwa w;e i n d er platonischen D monenlehre oder im oben Anm. 229 zitierten Text
des Max. Tyr. In diesem Sinn J. P. Maguire, The Sources 150. Da Gott keine Diener
und keine fremde Hilfe braucht, behauptet wie unser Autor Ps.-Ekphantos, De regn.
82,17-21 Th.
231
Dies hat F. Regen, Apuleius philosophus Platonicus, Berlin 1971, bes. 76sqq., nach-
gewiesen,
is2
6, 400b 6-11. In 400b 7-8 schl gt W. L. Lorimer, Some Notes 114-119 vor, das
berlief ene εν πόλεΐ δε νόμος in εν πόλει δε νομό (θετή) ς zu korrigieren. Gegen
diese nderung haben sich mehrere Gelehrte ausgesprochen, u.a. P. Vrijlandt (zitiert
von Lorimer a.a.O. 121), J.P. Maguire, The Sources 159-160. A.J. Festugiere, Re-
vel. Herrn. Trism, II 475 Anm. 1. F r sie pl diert H. Strohm, Welt 348. Lorimer und
Maguire f hren Parallelstellen zu den hier erw hnten Vergleichen an.
2W
Vgl. W, L. Lorimer, Some Notes 115 Anm. l und unten Anm. 240.
234
Archytas, De vir. bon, 11,17-19 στρατεύματος μεν γαρ άγεϊται στρατηγός, πλω-
τή ρων 6έ κυβερνάτας, τω δε κοσμώ θεός, τάς δε ψυχάς νόος, τάς δε περί τον βίο ν
εΰδαιμοσύνας φρόνασις. Diotogenes, De regn. 72,6—8 κυβερνάτα μεν γαρ έργον
έντί τάν ναΰν σωζεν, άνιόχω δε το άρμα, ίατρώ δε τώς νοσιόντας, βασιλέως δε
καί τω στραταγώ τώς εν πολεμώ κινδυνεύοντας. Onatas, De deo 139,20-140,5 τοί
δ' άλλοι θεοί ποτί τον πρατον θεον καί νοατον οΰτως ίχοντι ώσπερ χορευταί ποτί
κορυφαίσν καί στρατιώται ποτί στραταγον καί λοχΐται καί εντεταγμένοι, ποτί
ταξιάρχαν καί λοχαγέταν, έχοντες φύσιν ετιεσθαι καί έπακολοιιθεν τω καλώς
καθηγεομένω κτλ. Unbekannte Platoniker, die sich mit dem Gottesbegriff bei Platon
befa ten (ap. Stob. I 28) und den Demiurgen von den kosmischen G ttern unter-
schieden, f hrten diese Zeilen des Onatas als Beleg f r ihre Unterscheidung an (S, 32,
17-21 Wachsmuth).
gumentation 235 . Das Bild des vom Gesetz beherrschten Staats wird
ferner benutzt, um zu erkl ren, wie Gott die verschiedensten
Bewegungen verursacht, ohne selbst bewegt zu werden. Sehr anschau-
lich schildert der Autor, wie das Gesetz, das selbst unbewegt ist, die di-
versen Besch ftigungen der Staatsb rger regelt236. Das Gleichnis beruht
auf der besonders bei den Stoikern beliebten Auffassung, da die Welt
wie ein gro er Staat ist. In diesem gro en Staat stellt Gott selbst das Ge-
setz dar 237 , ein Gesetz, das viel vollkommener ist als die menschlichen
Gesetze, denn es l t weder Korrekturen noch nderungen zu238 und es
ist viel besser und stabiler als die auf Tafeln aufgezeichneten Anord-
nungen239,
Aus dem Kriegswesen stammt der Vergleich Gottes mit einem Feld-
herrn. Der Autor begn gt sich nicht mit der allgemeinen Behauptung,
da Gottes Verh ltnis zur Welt dem des Feldherrn zu seiner Armee
gleich ist240, er geht auch auf zwei Aspekte ein, die die Tragweite der
Analogie pr ziser zu erfassen erm glichen. Der Feldherr k mmert sich
nicht pers nlich um jede belanglose Kleinigkeit in der Organisation
seiner Armee, und dasselbe gilt auch f r Gott241. Ein einziger Impuls
235
Max. Tyr. IV 9, S. S3,4-13H. Es beraten ber Asien der Gro k nig, ber Athen
das Volk, ber das Schiff der Pilot, ber das Heer der Feldherr, ber den Staat der
Gesetzgeber. So mu sich auch Gott mit dem Himmel, der Erde, dem Meer und den
anderen Teilen der Welt befassen.
136
400b 13-3J.
137
Auch die Stoiker lehrten, da Gott oder Gottes Logos das h chste Gesetz ist, das die
Welt regiert: SVF I Fr. 162; III Fr. 316; vgl, auch Epiktet, Diss. I 12,7 und andere.
Dasselbe Thema kommt bei Philon mehrmals vor: Quod omn. prob. Hb, 46; 62; De
migr, Abrah. 130; De loseph, 29. Bei den Pythagoreern Archytas, De leg. 35,21-28.
Sthenidas, De regn. 188,9.
238
400 b 28—29, eine Reminiszenz an die klassische Debatte, ob die Herrschaft des Ge-
setzes besser sei als die eines „k niglichen Menschen". Als M ngel des menschlichen
Gesetzes hob man seinen zu allgemeinen Charakter hervor sowie seine Unf higkeit,
alle konkreten F lle zu ber cksichtigen.
239
400b 29-31. Vgl. Philon, Quod, omn. prob. lib. 46: der Ορθός λόγος ist ein νόμος
άψευδής, οΐ>χ υπό του δεινός ή του δεινός, θνητοί φθαρτός, εν χαρτιδέοις ή στή-
λαις, άψυχος άψΐχοις . . . τυπωθείς.
240
6, 400b 8. Bereits Platon, Phaedr. 246E erw hnt die στρατιά θεών τε και δαιμόνων,
die Zeus, dem μέγας ήγεμών εν οϋρανώ, folgt. Derselbe Vergleich kommt bei den
Pseudo-Pythagoreern Archytas, De vir, bon, 11, 13, Diotogenes, De regn. 72,7.
Onatas, De deo 139,22 sowie auch bei Max. Tyr. IV 9 (vgl. oben Anm. 235); X 9,
S. 126,5-7; XIII 4, S. 162,12-19, bei Dion Chrys, XII 22 und bei anderen vor.
241
6, 398a 6-10. Philon, De deca!. 177-178 benutzt denselben Vergleich, wendet ihn
aber anders an: Im Krieg sorgt der Befehlshaber f r das Wohl seines Heeres, berl t
durch die göttliche Macht löst in der Welt eine Vielfalt von Bewegungen
aus. Ähnliches geschieht im Krieg, wenn das Trompetensignal im Feld-
lager erklingt. Der eine greift zu seinem Schild, ein anderer zieht seinen
Panzer an, wieder ein anderer bindet sich Beinschienen um, setzt seinen
Helm auf, legt seinen Gürtel um usw.242,
Die Häufigkeit der Vergleiche aus der Musik und dem Tanz in De
mundo überrascht uns nicht. Wir haben bereits beobachtet, daß unser
Autor — wie selbstverständlich auch die Pseudo-Pythagoreer — die Welt
als ein harmonisch zusammengefügtes Ganzes schildert243. Wie die
Musik hohe und tiefe, lange und kurze Töne und verschiedenartige
Stimmen zu einer wohlklingenden Harmonie verbindet, so bildet auch
der Kosmos eine vorzüglich gestaltete, dauerhafte Einheit, obwohl er
aus gegensätzlichen Prinzipien besteht244. Die Gesänge und Tänze der
Gestirne am Himmel erzeugen eine einzige Harmonie245. Gott ist einem
Chorführer gleich, auf dessen Zeichen die Männer oder die Frauen zu
singen beginnen und die höheren und tieferen Stimmen sich zu einer
wohlklingenden Harmonie zusammenmischen 246 . Es würde zu weit
führen, die Lehre der Weltharmonie im griechischen Denken zurückzu-
verfolgen und somit den Hintergrund für die Vergleiche aus De mundo,
die kaum mehr als Gemeinplätze sind, zu schildern. Hier sei nur in aller
Kürze an einige Aspekte erinnert. Die Akpythagoreer glaubten an die
247
6, 399b 29—35. Vergleichbares Bild zur Charakterisierung des periodischen Stils bei
Ps.-Demetrios, De eloc, 13 έοικε γοϋν τα μεν περίοδα κώλσ τοις λίθοις τοϊς άντε-
ρείδουσι ιάς περιφερείς στέγας καί συνέχουσι . . . Plat., Leg. Χ 902Ε—903 Α ver-
gleicht Gott mit einem guten Maurer. Laut Poseidonios bei Sen,, Epist. 90,32 (=
Fr. 448 Theiler) hat der Philosoph Demokrit den Gew lbebogen mit Schl sselsteirt
erfunden; wir haben jedoch keinen Grund zu vermuten, da Poseidonios die Funk-
tion des Schl sselsteines mit der Rolle Gottes verglich. Vgl. auch Sen,, Epist. Π8,16
u.nus lapis facit fornicem, ille qm l&tera indinata cuneavit et . . . vinxit (als Beispiel
f r die gro e Wirkung einer kleinen Ursache). Mit dem Beispiel der im Gew lbe-
bogen zusammengef gten Steine veranschaulichten die Stoiker die άντακολουθια der
Tugenden, SVF II Fr. 349 und Diog. Laert. VII 90. Bei Max Tyr. XV 5, S. 188,
8—11 H. hei t es, da das Zusammenneigen der Steine eines Geb udes dessen
Festigkeit sichert; so ist es auch im Leben, wo die Zusammenf gung der Teile die Er-
haltung des Ganzen gew hrleistet.
248
6, 399b 33-40Qa 3. Fast identisch Ps.-Arist., Mir. 155. Diese berlieferung ist viel-
fach bezeugt. Cic., Tusc. I 34: Da es ihm verboten war, sein Werk zu unterschrei-
ben, brachte Phidias sein eigenes Portr t auf dem Schild der Athena an; das zeigt das
Streben der K nstler nach Unsterblichkeit; Orat. 234 (wie in 0e mundo!) si quis
Phidiae clttpeum dissolvent, collocaUoms Universum spectem sustttlent. Valer. Max.
Vill 14,6 dipeo Minervas effigiem su.am inclnstt, qua convulsa tola opens canligatio
foheretttr, Plut., Pericl. 31 berichtet ausf hrlich ber die Herstellung des Stand-
bildes. Phidias, der viele Feinde hatte, arbeitete auf Rat des Perikles das Gold so ein,
da man es jederzeit abnehmen und auf sein Gewicht pr fen konnte. Thuk. II 13 gibt
dagegen an, da das Gold im Falle eines finanziellen Engpasses Athens h tte ver-
wendet werden k nnen. Dion Chrys. XII 6 berichtet nur ber das Bild des Perikles
und das versteckte Selbstportr t des Phidias auf dem Schild der G ttin.
249
6, 398 b 14—16. Am berlieferten μεγαλότεχνοι hat W. L. Lorimer Ansto genom-
men, vgl. Some Notes 61—63 und Edition 121. Er schreibt statt dessen μηχανοτέχναι,
ein Wort, das sonst nicht belegt ist. Wenn wir μΕγαλότεχνοι behalten, so werden wir
annehmen m ssen, da die Ingenieure damit gemeint sind, die komplizierte automa-
tische Maschinen konstruieren. Die bekanntesten Beispiele f r solche Mechanismen
sind die Automatentheater, die Heron von Alexandrien in seiner αυτόματο ποιητική
(ed. W. Schmidt, Heronis Opera I, Leipzig 1899, 335-453) ausf hrlich beschreibt.
250
Arist., De mot. an. 7, 701 b 1-7. Zu den fahrenden Automaten und ihrer Konstruk-
tion vgl, Heron, Op. eh., bes. 5—11.
setzen, und schon führen die einzelnen Teile des Geräts ihre Bewegun-
gen aus, ohne daß der Techniker sich weiter zu betätigen braucht251.
Das Marionettentheater liefert ein weiteres Bild für die Vielfalt der
Wirkungen einer einzigen Bewegungsquelle. Der Spieler zieht an einem
einzigen Faden und bewegt dadurch rhythmisch und kunstvoll die ein-
zelnen Glieder der Puppe252. Von der klassischen Zeit an scheinen die
Puppenspiele bei den Griechen beliebt gewesen zu sein253. Es wundert
uns also nicht, daß Marionettenvergleiche in der antiken philosophi-
schen Literatur häufig vorkommen 254 . In der Reget ist es aber der
Mensch, der mit einer Marionette verglichen wird. Die Anwendung auf
die Bewegung des Kosmos durch Gott kommt meines Wissens nur in De
mundo vor.
In zwei weiteren Vergleichen liegt der Akzent auf der Vielfalt der
Bewegungen, die Gottes Wirken auslöst. Die bloße Feststellung, daß
viele Bewegungen von einer einzigen Ursache abhängen, reicht nicht
ganz aus. Es gilt auch zu zeigen, wie diese Vielfalt entsteht. Die Antwort
des Autors auf diese Frage läßt sich etwa wie folgt formulieren: Jedes
251
Arist., De gener, an. II l, 734 b 9-16. Ähnlich Galen, IV De foetuum format. 688-
689. Synesios, Aegyptn sive de providentia I 9 ed. Terzaghi bedient sich des Ver-
gleichs mit einem automatischen Puppenspiel (98 C), um zu zeigen, daß der Einfluß
Gottes auf die Weh sich stufenweise fortpflanzt und um so stärker abnimmt, je mehr
er von seiner Quelle entfernt ist. Vgl. auch (in einem anderen Zusammenhang) Alex.
Aphrod. ap. Simpl., Phys. 310,25-311,30.
252
6, 398b 16—19. Trotz zahlreicher Erwähnungen der Marionettentheater in der An-
tike wissen wir nicht genau, wie die hier beschriebenen Bewegungen erfolgten. Viel-
leicht hat sich der Autor mehr um die Anschaulichkeit des Bildes gekümmert als um
präzise Angaben über die technischen Einzelheiten. In den verschiedenen Formen des
modernen Manoncttenspiels hängen die Puppen m der Regel an mehreren Fäden,
Wir sehen nicht ein, wie die Betätigung eines einzigen Fadens nach Belieben den
Hais, die Hand, den Arm oder das Auge der Puppe bewegen
kann. Möglicherweise hinkt der Vergleich doch etwas; er würde für einen Hampel-
mann besser passen als für eine regelrechte Marionette.
253
Xen., Symp, IV 55. Athen. I 19E. DJodor XXXIV 34 berichtet, daß der syrische
König Antiochos IX ein kostspieliges Privattheater mit menschengroßen Puppen be-
saß und gern selbst damit spielte. Man muß sich wohl vorstellen, daß diese Riesen-
puppen auf Rädern gefahren wurden oder an festen Balken hingen; der Künstler be-
faßte sich hauptsächlich mit der Bewegung der Glieder, Marionetten im üblichen
Sinne des Wortes können sie kaum gewesen sein.
154 pj a t > ) Leg. I 644D—645E: Der Mensch ist wie eine von den Göttern gefertigte Ma-
rionette, Philon, De op. m. 117, Horaz, Sät. II 7,82. Favorinus ap. Gell, XIV l, 23.
Marc Aurel II 2; III 16; VI 28; VII 29; X 39; XII 19. Porph., ' ap.
Stob. II 8, 40, S.167.7W.
Wesen, das den göttlichen Impuls erhält, reagiert darauf in einer ihm
eigentümlichen Weise; es geht seinen eigenen Weg; seine Verhaltens-
weise wird von seiner besonderen Beschaffenheit bestimmt. Werfen wir
zum Beispiel aus einem Behälter ungleichartige geometrische Körper
hinaus, so wird sich die Kugel anders verhalten als der Würfel, der Kegel
oder der Zylinder2SS. Dieses Gleichnis stammt von Chrysippos. In der
Diskussion, die der stoische Determinismus ausgelöst hatte, bemühte
sich Chrysippos, eine Erklärung für die Autonomie der menschlichen
Entscheidung in einer durch die unzerreißbare Ursachenkette determi-
nierten Welt zu finden. Zu diesem Zweck unterschied er zwei Typen
von Ursachen, Die einen geben nur den äußeren Anreiz, den Anstoß zu
einer bestimmten Entwicklung. Die anderen sind die eigentlichen, wah-
ren Ursachen des jeweiligen Prozesses. Sie liegen in der Natur des am
Prozeß beteiligten Wesens. Jemand, der eine Walze auf eine schiefe
Ebene wirft, gibt den äußeren Anstoß zur Bewegung. Die wahre Ur-
sache aber, aus der die Walze sich so und nicht anders bewegt, liegt in
der besonderen Gestalt dieses Körpers. So verhält es sich auch mit der
menschlichen Entscheidung. Von außen her erhält der Mensch eine be-
stimmte Vorstellung; es liegt aber an ihm, diese Vorstellung genau zu
prüfen und dann zu entscheiden, ob er ihr seine Zustimmung erteilen
oder verweigern will256. Allem Anschein nach hat unser Autor das von
Chrysippos geprägte Bild übernommen und ihm eine neue Bedeutung
gegeben.
Das nächste Gleichnis hat genau dieselbe Tragweite wie das soeben
erörterte. Wenn jemand ein Wassertier, ein Landtier und einen Vogel in
lss
6, 398 b 27—29. Merkwürdig ist die Angabe, daß diese Körper aus einem Behälter
hinausgeworfen werden. Auf jeden Fall müssen wir uns vorstellen, daß sie auf einer
schiefen Ebene, etwa einem Bergabhang, hinunterrollen, wie es in vielen Parallel-
stellen ausdrücklich vermerkt ist. W. L. Lorrmer, Some Notes 63—65 erwägt daher die
Möglichkeit, in zu korrigieren.
2S6
SVF II Fr. 974 = Cic., De fato 39-44, dort 42-43 Chrysippos , . . revertitur ad
cylindrum et turbine m suwm, quae moveri mcipere m$i pitlsa n on possttnt. Ui tgttur,
inquit, qui protrusit cylmdrum, dealt et pnncipittm motioms, voinbUitatem autem non
dealt, sic , , . Fr. 1000 = Gellius VI! 2, dort 11 sicut, inquit (Cbrysippus), lapidem
cyltndrttm si per spatia terras prona atque derupta iacias, causam qtudem ei et initium
praecipitantiae feceris; max tarnen iile praeceps volvitttr, non quia tu id etiam facts,
sed quoniam ita sese modus eins et formae volubilitatis habet; sie , . , Anspielung bei
Marc Aurel X 33,3. Das Chrysippische Gleichnis kommt auch bei Basil,, Hex. IX 2,
189 B —C und Gregor, Nyss., Sermo Cat. magn, 6, 9 (zitiert bei Lorimer, Some Notes
64-65) vor.
seinem Schoß hält und dann losläßt, springt das eine ins Wasser und
schwimmt davon, das andere flüchtet auf der Erde, das dritte schließlich
fliegt in die Luft, obwohl es ein und dieselbe Ursache ist, die ihnen die
Freiheit gegeben hat 257 . Bei Galen findet sich auch eine Schilderung der
verschiedenartigen Verhaltensweisen einzelner Tierarten. Sie wird aller-
dings nicht in einem Vergleich geboten, sondern dient als Beweis dafür,
daß die Tiere angeborene Instinkte besitzen, die sich unabhängig von
jedem Lernprozeß entfalten. Man stelle sich vor, daß ein Adler-, ein
Enten- und ein Schlangenei gleichzeitig ausgebrütet werden und die
Jungtiere aus dem Ei schlüpfen. Man wird zunächst beobachten, daß die
Vögel ihre Flügel ausprobieren, obwohl sie noch nicht fliegen können,
und daß die Schlange zu kriechen versucht, obwohl sie noch zu schwach
dazu ist. Später, wenn die Tiere ausgewachsen sind, wird der Adler sich
spontan in die Höhe schwingen, die Ente zum nächsten Tümpel fliegen
und die Schlange in ein Erdloch kriechen258. Im Corpus hermeticum
wird genau dasselbe Motiv wie in De mundo herangezogen. Wir hören
von einer Menge verschiedenartiger Tiere, die eingesperrt waren und
gleichzeitig freigelassen werden. Jedes verhält sich anders, seinem eige-
nen Instinkt entsprechend. Dasselbe geschieht mit den Seelen nach dem
Tod. Jede begibt sich an einen anderen, ihren im Leben erworbenen Ei-
genschaften angemessenen Ort259. Der Historiker Velleius Paterculus
greift zu demselben Vergleich, urn zu erklären, wie in einer einzigen
Periode, der klassischen Zeit Griechenlands, glänzende Leistungen auf
so verschiedenen Gebieten wie Tragödie, Komödie, Philosophie und
Redekunst vollbracht wurden, Die ingenia ähneln eingesperrten Tieren,
die gleichzeitig befreit werden. Aufgrund ihrer Verwandtschaf: bilden
sie Gruppen, die fast gleichzeitig ihr jeweiliges Ziel erreichen360.
2
6, 398 b 30-35. In meiner einfachen Zusammenfassung kommt der gepflegte, etwas
gesuchte Charakter des Stils nicht zum Ausdruck.
258
Galen, III De usu pan. I 3, 7,1-12.
259
Stob. I 49, 68, S. 460,10-461,7W, = Herrn, Trism., Bd. IV Fr. XXV 6-7 Nock-
Festugiere. In den erhaltenen Fragmenten dieser Isis-Apokalypse glaubt K. Rein-
hardt, Poseidonios 379 sqq. Spuren des Geistes des Poseidonios zu erkennen. Zu
unserer Stelle vgl. 388-389.
260 Veil. Pat. I 16, 2 ... qHemadmodum dausa capso alioqtte saepco diversi generis ani-
mälid·, nihtlominus, separata alienis, in ttnum quaeque corpus congregantur, tta cmits-
qne dem operii capacia ingenia in similittidinem et temporum et profectttttm semet ipsa
ah aliis separater unt.
Wir wissen nicht genau, von wem der Vergleich mit den gleichzeitig
freigelassenen Tieren stammt. Möglicherweise geht er wie der vorher-
gehende auf Chrysippos zurück, der ihn in seinen Erörterungen über
Heimarmene und freie Entscheidung benutzt haben kann. Ein Indiz
dafür laßt sich vielleicht bei Alexander von Aphrodisias finden. Der
Exeget berichtet über die stoische Auffassung des ' . Alle Dinge,
sagen die Stoiker, besitzen verschiedene Naturen und das Verhalten
eines jeden hängt von dieser seiner Natur ab. Der Stein, den man aus der
Hohe losläßt, fällt notwendigerweise nach unten, wenn nichts ihn daran
hindert. Und was für leblose Dinge gut, gilt auch, sagen sie, für die Le-
bewesen. Jedes hat seine eigene Natur, gemäß welcher es sich bewegt
und handelt 261 . Die Unterschiedlichkeit der Bewegungen der
veranschaulicht Chrysippos durch den von ihm stammenden Vergleich
mit dem Rollen der Walze und des Kegels. Es ist nicht unwahrschein-
lich, daß er sich auch für die unterschiedlichen naturgemäßen Bewe-
gungen der ein treffendes Bild ausgedacht hatte. In De mundo
erscheinen die beiden Vergleiche nebeneinander. Auch das spricht wohl
für ihre gemeinsame Herkunft 262 ,
F. Schlußwort
26ä
Alex. Aphrod., De fato 181, 15sqq. Über den fallenden Stein 181,26-182,4. über
die 182, 5sqq.
162
Diese Vermutung verdanke ich W. L, Lorimer, Some Notes 64 Anm. 1.
ist nicht überall gleich stark; er schwächt sich sozusagen immer mehr ab,
je größer der Abstand vom höchsten Bewegungsprinzip ist. Auch die
Behauptung, daß Gott sich ebensowenig um belanglose Angelegenheiten
kümmert wie ein Staatsoberhaupt oder ein Feldherr, gehört zweifellos
zur peripatetischen Tradition. Eine ähnliche Aussage findet sich bereits
bei Kritolaos, und in den späteren „aristotelischen" Vorsehungslehren
und in der Doxographie wird oft hervorgehoben, daß der aristotelische
Gott zwar für das ewige Bestehen der Gattungen und Spezies Sorge
trägt, sich jedoch nicht direkt mit dem Los der Individuen befaßt.
Wir haben es nicht als unsere Hauptaufgabe betrachtet, das Ver-
hältnis von De mundo zu anderen Systemen zu untersuchen. Dennoch
konnten wir diese Frage nicht gänzlich außer acht lassen. Was die Stoa
angeht, ist daran zu erinnern, daß unser Autor wichtige Thesen der stoi-
schen Gotteslehre kategorisch verwirft. Er äußert sich gegen die An-
nahme, daß Gott weltimmanent sei, und gibt auch zu verstehen, daß er
den Panprovidentialismus der Stoiker nicht billigen kann. Die Lehre
vom alles durchdringenden, lebenspendenden Pneuma erwähnt er
zwar, hält es aber für überflüssig, sich mit ihr zu befassen. Diese ab-
lehnende Stellungnahme zu Zentralthesen der stoischen Philosophie ver-
bietet uns, den geistigen Standort des Autors in der Stoa selbst oder in
ihrer Nähe zu suchen. Der Einfluß der stoischen Philosophie läßt sich
jedoch nicht abstreiten, erstens in der Ausdrucks weise. Daß unser Autor
sich bei Bedarf der stoischen beinahe lieber als der aristotelischen Fach-
sprache bedient, überrascht an sich nicht. Auch dezidierte Antistoiker
der frühen Kaiserzeit haben keine Bedenken, bei den Stoikern gebräuch-
liche oder gar von ihnen geprägte Ausdrücke zu verwenden; diese ge-
hörten nämlich zur gemeinsamen philosophischen Sprache der Zeit. Die
Berührungen des meteorologischen Kapitels mit Poseidonios sind oft
nachgewiesen worden; sie beziehen sich eher auf Detailpunkte als auf die
Gesamtauffassung, die sich trotz allem als aristotelisch-pertpatetisch er-
weist. Für die Bestimmung der Schulzugehörigkeit des Autors dürften
sie belanglos sein. Der Autor schöpft wohl nicht direkt aus Aristoteles,
sondern aus einem jüngeren Handbuch, von dem er offenbar zuver-
lässige Information über den Stand einer von Aristoteles ins Leben ge-
rufenen Wissenschaft erwartet263. Ähnlich scheint er für die Geographie
163
Hier sei an die zahlreichen, z.T. wörtlichen Übereinstimmungen zwischen den
Kapiteln 2—3 von De mundo und Chrysippos (SVF II Fr. 527 = Areios Did, Fr. 31
Diels, Dox. 465 = Stob, I 21,5) erinnert. Über das Verhältnis dieser Texte zuein-
ander sind sich die Gelehrten jedoch nicht einig. A,J, Festugiere, Revel. Herrn.
Trism. II 494—499 meint, ein Vergleich zeige, daß der Autor von De mundo den
Text eines Handbuches rhetorisch erweitert habe. Für G, Reale dagegen (Su! cosmo
118-123) sei es Chrysippos, der den (genuin aristotelischen!) Text von De rnundo
benutzt und angepaßt habe. In seiner Besprechung von Reale, in: Class. Rev. 27
(1977) 40—43 hält J. Barnes Reales These, daß Chrysippos De mundo abgeschrieben
habe, für stichhaltig. Dagegen scheint mir so gut wie sicher, daß der Autor von De
mundo hier ein trockenes, stoisch gefärbtes Handbuch benutzte; er ersetzte das allzu
evident Stoische durch Aristotelisches und arbeitete das Ganze stilistisch aus.
164
Vgl. Galen, V De plac. Hipp, et Plat. Ill 5, 328, 8-15.
265
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen De mundo und den Pseudopythagorica er-
örtert F, Sarri in einem umfangreichen Aufsatz, II problema del rapporto tra il „De
mundo" attribuito ad Aristotele e la letteratura pitagorica dell'eta eJlenistica, in: Pen-
samiemo 35 (1979) 267—314, Als Schüler G. Reales neigt er zu der Annahme, daß De
mundo von Aristoteles oder von einem semer Schüler stammt. Der Vergleich mit den
„mittelpythagoreischen" Texten zeige, daß diese aus De mundo (und nicht umge-
kehrt) schöpften. Sie hätten zwar einige Schlüsselbegriffe aus De mundo übernom-
men, die meisten jedoch umgeändert. Sie seien in der geistigen Atmosphäre der helle-
nistischen Zeit entstanden, wahrend De mundo typisch klassische Züge aufweise. Für
bedenklich halte ich die Behauptung, daß „l'autore del De mundo e completamente
estraneo alia prospettiva materialistica e immanentistica delle scuole ellenistiche e, in
particoiare, ignora il rnaterialismo e l'immanentismo deila Stoa" (S. 313). Er ignoriert
sie nicht, lehnt sie vielmehr entschieden ab. Zweifellos stellt Sarris Untersuchung eine
willkommene Reaktion gegen die These J. Maguires dar, in ihrer Einseitigkeit wird
sie jedoch nicht allen Aspekten des Problems wirklich gerecht.
beantwortet werden. Wir müssen uns daher mit der allgemeinen Ver-
mutung begnügen, daß Pseudopythagorica und De mundo unabhängig
voneinander auf eine große, uns nicht bekannte Darstellung der als Ein-
heit aufgefaßten platonisch-aristotelischen Kosmotheologie zurückgehen,
in welcher die Aspekte, die De mundo und die Pythagoreer gemeinsam
aufweisen, ausführlicher und systematischer erörtert waren,
Zu erwähnen sind schließlich mehrere Berührungen zwischen De
mundo und .dem umfangreichen Werk Philons von Alexandrien. In vie-
len Fällen dürfte es sich um Aussagen bzw. Bilder handeln, die Gemein-
plätze darstellen, und es wäre falsch, sie zur Beantwortung der Priori-
tätsfrage heranziehen zu wollen. Viel wichtiger ist allerdings der Um-
stand, daß die beiden Autoren zwischen Gott selbst und seiner
bzw. seinen unterscheiden. Obwohl die beiden Lehren keines-
wegs in allem identisch sind, läßt sich nicht abstreiten, daß sie im großen
und ganzen dazu dienen, die Trennung zwischen dem alleinigen Gott
und dem Kosmos zu überbrücken. Da die -Lehre bei Philon
ziemlich fließend ist, bald in einer, bald in einer anderen Form erscheint
und nicht den Charakter eines präzisen, einheitlichen Dogmas aufweist,
darf man wohl vermuten, daß Philon nicht ihr Erfinder gewesen ist.
Wenn die umstrittenen Fragmente des Aristobulos echt sind, ist die
Lehre der Gottes zweifellos bedeutend älter als Philon. Allem
Anschein nach war sie in jenen jüdischen Kreisen Alexandriens verbrei-
tet, die das Alte Testament allegorisch deuteten und die Ansicht ver-
traten, daß Moses der wahre Initiator der griechischen Philosophie ge-
wesen sei. Daß der Autor von De mundo direkt von Philon abhängt,
wird man wohl aus verschiedenen Gründen ausschließen müssen. Nicht
von der Hand zu weisen ist dagegen die Vermutung, daß er in derselben
philosophischen Umgebung zu Hause war, der auch Philon seine Ver-
trautheit mit dem griechischen Denken verdankte.
Unsere Analyse von De mundo hat keine neuen Indizien für eine
einigermaßen präzise Datierung der Schrift ans Licht gebracht. Wenn ich
dazu neige, den kleinen Traktat etwa in die Zeit Philons zu datieren, so
gebe ich zu, daß ich mich eher von einem Gesamteindruck als von stich-
haltigen, präzisen Argumenten leiten lasse. Ohne die Schrift im ganzen
als poseidonianisch zu betrachten, muß man meines Erachtens zugeben,
daß sie hier und dort den Einfluß des großen Apamäers verrät, also frü-
hestens im l.Jh. v.Chr. entstanden sein kann. Wichtig ist ferner der
Umstand, daß Cicero sie nirgends erwähnt und niemals heranzieht.
Wäre sie ihm bekannt gewesen, so hätte er sie wegen ihres Inhalts,
266
P, Boot, An indication for the date of the Pseudo-Aristotelian treatise De mundo, in:
Mnemos. 38 (1981) 139-140 meint, daß die Art der Verwendung von , in De
mundo auf das 2. Jh. v. Chr. als wahrscheinliches Datum des Traktats schließen läßt.
Als chronologisches Kriterien ist seine Beobachtung jedoch kaum brauchbar; ein
späteres Datum schließt sie wohl nicht aus.
1
Suda s.v. Αριστοκλής (A 3916 Adler) Μεσσηνίας της Ιταλίας, φιλόσοφος Περιπα-
τητικός, συνέταξε περί φιλοσοφίας βιβλία ι'· Πότερος σπουδαιότερος "Ομηρος ή
Πλάτων. Καταλέγει δε εν τούτοις πάντας φιλοσόφους και δόξας αυτών. Έγραψε
δε και τέχνας φητορικάς, περί Σαράπιδος, ηθικά βιβλία 8'.
1
In der Notiz der Suda, in einem Scho on zu Hermogenes VII S. 246 Walz und bei
Eus., P.E. XI 2, 6, S. 8 , 4 M r a s ; X V l , 13, S, 346,12; 2,1, S. 346,15.
3
Alex. Aphrod., De an, 1. mant. 110,4 . SimpL, De caelo 153,16-18. Kyrill,, C. lu-
liart. II 596 A; V 7 4 I A ( P G 7 6 ) .
4
E. Zeller, Philos. d. Gr. III Is, 814 Anm. 1; 815 Anm, 3.
s
Galen, De consuetud. 11,4-12,12 M ller (Scr. Min, II).
6
P. Moraux, Aristoteles, der Lehrer Alexanders von Aphrodisias, in: Arch. f. Gesch. d.
Philos. 49 (1967) 169-182, Dort n here Einzelheiten. Vgl. unten Aristoteles von My-
tilene, S. 399sqq.
entf llt der einzige einigerma en pr zise Anhaltspunkt, den man f r die
Datierung des Aristokles zu besitzen glaubte.
Selbst wenn es erwiesen w re, da Alexanders Lehrer Aristokles und
nicht Aristoteles hie , w re es nicht unbedingt notwendig, ihn mit dem
Messener Aristokles zu identifizieren. Vielleicht k nnte man in diesem
Fall auch an den Pergamener Aristokles denken, der sich als junger
Mann einen Namen als peripatetischer Philosoph gemacht und sogar
B cher geschrieben hatte, „die der Bem hungen eines Philosophen w r-
dig waren", sich aber dann vom u erlichen Glanz der Sophistik blen-
den lie , zum Lehrer der Rhetorik in seiner Heimat wurde und als
Redner in lonien und Italien auftrat 7 . Allerdings w rde dann die
Chronologie einige Schwierigkeiten bereiten, denn Aristokles von Per-
gamon gab seine philosophische T tigkeit relativ fr h auf, nachdem er
Gelegenheit hatte, in Rom die Improvisationskunst des Herodes Attikos
zu bewundern 8 ; der Altersunterschied zu Herodes kann nicht sehr gro
gewesen sein, denn die beiden hatten noch - als Sophisten und Redner -
mehrere gemeinsame Sch ler, unter ihnen Aristeides9. Nimmt man also
an, da Aristokies 15-20 Jahre j nger war als Herodes und sp testens
mit 25 Jahren zum Sophisten wurde10, hat er noch vor der Mitte des
2. Jh. n. Chr. die Philosophie aufgegeben. Das schlie t wohl aus, da
Alexander, der erst zwischen 198—209 auf einen subventionierten Lehr-
stuhl der Philosophie berufen wurde, bei ihm noch h tte h ren k nnen.
Wollte man dies trotzdem annehmen, so m te man vermuten, da a)
7
Hauptquellen: Phiiostr., Vit. Soph. II 3. Synes., Dio I 35C-36A, S. 234,7-235,1
Terzaghi. Vgl. W. Seh mid, Art. Aristokles 19, RE II (1896) 937.
8
Herodes Attikos (101 oder 102-177 oder 178} hielt sich in Rom etwa von 140 bis 144,
dann um 160 auf. ber die „Bekehrung" des Aristokles zur Sophistik schreibt Phi-
iostr,, Op. laud. S, 74,10-13Kaysert v . , . εκ παίδων ες ήβην χρόνον τους άπο του
Περιπάτου φιλοσόφησα? λόγους ες τους σοφιστάς μετερρύη θαμίζων εν τβ 'Ρώμη
τψ Ήρώδ{) διατιθεμένφ σχεδίους λόγους. Auch Synesios, der Philostrat benutzt,
hebt hervor, da Aristokles sich nur in seinen Jugendjahren mit der peripatetischen
Philosophie besch ftigte: Op, laud. S. 234,12 — 14 T, έννεάσας δε ifj προστασΕ^ των
εκ του περιπάτου δογμάτων, καί συγγράμματα έξενηνοχώς ες τους Έλληνας αξία
φιλοσόφου σπουδής,
9
Als Aristokles als Sophist in Pergamon wirkte, schickte ihm Herodes seine eigenen
Sch ler, vgl. Phiiostr. II 3, S, 74,20—24. Aristeides hatte sowohl an den bungen des
Herodes in Athen als auch an denen des Aristokles in Pergamon teilgenommen, Phi-
iostr. II 9, S. 86,24—26. Suda s.v. Αριστείδης. Rufus von Perinthos war als Kind bei
Herodes, als J ngling bei Aristokles in der Lehre, Phiiostr. II 17, S, 30t, 9-11.
10
Dies scheint aus den in der Anm. 8 zitierten Zeugnissen hervorzugehen.
die Bekehrung des Aristokles zur Sophistik erst in der zweiten H lfte
des Jahrhunderts stattfand, als Herodes bereits ein alter Mann war, und
b) Alexander nicht mehr der J ngste war, als er auf seinen Lehrstuhl be-
rufen wurde. Solche Kombinationen lassen sich jedoch mit den ber-
lieferten biographischen Daten nur schwer vereinbaren. Sie sind ohnehin
berfl ssig, wenn der Lehrer Alexanders tats chlich nicht Aristokles,
sondern, wie aus dem Konsens der diesbez glichen Nachrichten her-
vorgeht, Aristoteles hie .
Die Datierung des Aristokies von Messene ins 2. Jh. n. Chr. beruht
lediglich, wie wir sahen, auf der irrt mlichen Annahme, da er Lehrer
des Alexander von Aphrodisias gewesen sei. Es fragt sich also, ob diese
Chronologie beibehalten werden kann. In Ermangelung fremder Zeug-
nisse stehen nur einige Indizien aus den Fragmenten des Aristokles zur
Verf gung. Die j ngste, mit ausreichender Genauigkeit datierbare hi-
storisch-literarische Figur, die er erw hnt, ist der Peripatetiker Apelli-
kon11, der zwischen 88 und 84 v. Chr. starb12. Andererseits wird er
selbst zum ersten Mal bei Eusebios (geb. 260—264 n. Chr.) in der Prae-
paratio Evangelica zittert. Danach lebte Aristokles fr hestens im 1. Jh.
v. Chr. und sp testens im 3.Jh. n.Chr. Zweimal erw hnt Aristokles
Lehrmeinungen, die noch zu seiner Zeit Anh nger hatten 13 ; diese An-
spielungen sind jedoch zu allgemein, um einen genaueren chronolo-
gischen Ansatz zu erm glichen. Anders verh lt es sich meines Erachtens
mit einer Erw hnung des Erneuerers der skeptischen Philosophie, Aine-
sidemos. Aristokles schreibt: ,,Da niemand mehr sie (die Vertreter der
lteren Skepsis Pyrrhon und Timon) beachtete, als h tten sie berhaupt
niemals existiert, begann vor kurzem im gyptischen Alexandrien ein
gewisser Ainesidemos, dieses leere Geschw tz Wiederaufleben zu
lassen14". Die Auswertung dieser Nachricht f r eine Datierung des
Aristokles h ngt mit zwei Fragen zusammen: Wie soll man den Aus-
druck „vor kurzem" (εχθές και πρώην) verstehen? Wann hat die
Wiederbelebung der Skepsis durch Ainesidemos stattgefunden?
11
Aristokl. ap. Eus., P.E. XV 2,13 = Fr. 2, S. 40 Heiland. Auf den noch j ngeren
Ainesidemos kommen wir gleich zu sprechen.
11
Vgl. Bd. I 28-30.
13
Eus., P.E. XIV 20,9 = Fr. 4, S, 49 H. έπει 6' έτι νυν είσι τίνες οι πασαν αΐσθησιν
καΐ πάσαν φαντασίαν αληθή λέγοντες είναι , , . XIV 21,1 = Fr. 8, S. 75 Η. ... 6-
νιοί φασι της αίρέσεως και φυγής αρχήν και κριτή ριον έχειν ημάς την ηδονή ν και
τον ττόνον· έτι γέ τοι και νυν τοιαύτα τίνα λέγουοιν οι περί τον Έπίκουρον.
1
'- Eus., P.E. XIV 18,29 = Fr. 6, S. 69 Η.
15
So z.B. E. Zeller, Philos, d. Gr. Ill 2s, Π Anm. 3. V. Brochard, Les sceptiques
grecs2 242. H, Heiland, Aristoclis Messenii reliquiae, Diss. Gie en 3925, 69 Anm. 83
und andere. Einzige mir bekannte Ausnahme: M, Maccoll, The greek Sceptics from
Pyrrho to Sextus, 1869, 69, der, ausgehend von Aristokles' Nachricht, Ainesidemos
auf ca. 130 n. Chr. datieren m chte, ein Vorschlag, der sich nicht aufrechterhalten l t
1
und keine Anh nger gefunden hat. F. Trabucco, Scetticismo 123, die Ainesidemos ins
1. Jh. v. Chr. und Aristokles ins 2. Jh. n, Chr. datiert, mi t εχθές καΐ πρώην keine
chronologische Bedeutung zu. Auch F. Decleva Catzzi, Pirrone 211 geht auf den frag-
lichen Ausdruck kurz ein. Ihre Feststellung, „I'espressione indica cempi remoti
rispetto a chi scrive, ma pi vicinJ a lui rispetto agli au tori precedentemente citati. . . e
si giustlfica tendendo conco del gusto amiquario proprio della seconda sofistica", hilft
kaum weiter. Mit Recht bemerkt sie gegen Maccoll, da wir keinen Grund haben,
Ainesidemos' Daten sp ter als blich anzusetzen. Auf das Problem der Datierung des
Aristokles geht sie jedoch nicht ein, wohl weil sie ihn nach wie vor f r den Lehrer
Alexanders von Aphrodisias h lt, vgl, Op. cit. 178.
16
Plat., Leg. III 677 D.
17
Herod. II 53.
18
Vgl. Isokr., Archjd, 27: Erw hnung der Zerst rung von Plataiai (374/3) und Thespiai
(nach 371). Nimmt man an, da die Rede um 366—362 verfa t wurde, bezeichnet der
Ausdruck einen Zeitraum von etwa 10 Jahren. Plat., Gorg. 470 D: Um Sokrates zu
widerlegen, braucht Polos keine παλαιά πράγματα zu erw hnen, τα γαρ εχθές καΐ
πρώην γεγονότα werden ihm gen gen. Er bezieht sich dann auf die blutigen Ge-
walttaten des Archelaos von Makedonien, der von 413 bis 399 regierte. Ps,-Demosth.,
C. Leochar. 42: Der Vater ist vor vielen Jahren gestorben, seinen angeblichen Sohn
nennt der Redner τον πρώην και χθες εγγραφέντα. Aristoph., Ran. 726: Die schlech-
ten Kupferm nzen von „gestern und vorgestern" im Gegensatz zu dem alten Geld.
19
Die Ausf hrungen von Philon Alex., De ebriet, 171 — 194 weisen unverkennbare hn-
lichkeiten mit den Tropen des Ainesidemos auf. Ohne sich ber die Quellen dieser
Ausf hrungen n her zu u ern, sprach E. Zeller, Philos. d, Gr. Ill 25, 459 Anm. 3 im
Hinblick auf diese und andere Stellen bei Philon von „flei iger Benutzung jener skep-
tischen Gr nde . . . welche die neue Akademie aufgestellt und Aenesidemus . . . in
Philo's n chster N he wiederholt hatte", J. Bernays, Herenmus' Metaphysik und
Longinos, in: Monatsber. d. Akad. d, Wiss. zu Berlin 1876 (31. Jan.) 55-63, dort
58 = Ges. Abh. I 1885, 347-356, dort 351, betrachtete das Zitat aus Phiions De
ebriet. bei HerennJos als eine „Darlegung der sp ter zu bek mpfenden neuakademi-
schen Lehre von der Unsicherheit alles menschlichen Wissens und der daraus fol-
genden Notwendigkeit, sich jeder bestimmten Behauptung zu enthalten (εποχή)".
Durch einen eingehenden Vergleich mit den Darstellungen von Ainesidemos' Tropen-
lehre gelang es H, v. Arnim, Quellenstudien Philo 55 sqq. nachzuweisen, da Philon
sich tats chlich auf Ainesidemos st tzte. Diese Beobachtung machte die oben
Anm. 15 erw hnte Sp tdatierung des Ainesidemos durch N. Maccoll hinf llig und er-
gab f r die Erneuerung des Skeptizismus einen bedeutend fr heren Terminus ante
quem. H, v. Armms These von der Benutzung des Ainesidemos durch Philon wurde
von vielen Historikern des Skeptizismus anerkannt (vgl. z.B. L. Robin, Pyrrhon 141,
E. Brehier, Les idees philos. et religieuses de Philon d'Alex., 3, Aufl., Paris 1950,
210. P. CouJssin, L'origineet revolution de 1'έποχή, in: Rev. Et. Gr. 42 [1929] 373 —
397, dort 395), obwohl es nicht an Gelehrten fehlte, die sie in Frage stellten und eher
an die neuakademische Abkunft von Phiions Ausf hrungen glaubten (vgl. z.B.
A. Schmekel, Posit. Philos. 306 Anm, 3. A. Weische, Cic. und die Neue Akad. 83-
101. H.J, Kr mer, Platonisrnus und hellenistische Philosophie, Berlin—New York
1971, 77sqq.). Vgl. auch unten Anm. 276.
20
Phot., Bibl. cod. 212, 170a 14 — 17 oi δ1 4πό της Ακαδημίας, φησί, μάλιστα της
νυν, και Στωικαϊς συμφέρονται ενίοτε δόξαις, και εί χρή τάλ,ηθές είπεΐν, Στωικοί
φαίνονται μαχόμενοι Στωικοίς,
21
Vgi. unter anderen P. L. Haas, De philosophorum scepticorum successionibus, Dlss,
Würzburg 1875, 14. V, Brochard, Sceptiques 242-246. R. Richter, Der Skeptizismus
in der Philos., I, Leipzig 904, 30; 319 Anm, 133. L, Robin, Pyrrhon 138-139.
i2
R, Hirzel, Unters. III 230sqq.
23
Op. laud. 237 Anm. 2.
24
A. Weische, Cic. und die Neue Akad. 85-86 „Diese allgemeine Zusammenfassung
der innerakademischen Gegner Philon und Antiochos ist am leichtesten, verständlich,
wenn man einen gewissen (allerdings auch nicht zu großen) zeitlichen Abstand des
Aenesidem von diesem Streit annimmt".
25
Diog. Laert. IX 116.
26
E. Zeller, Philos. d. Gr. Ill 2s, 11 mit Anm. 3.
JT
Phot., Bibl. cod. 212, 169b 31-35,
18
Vgl. Klebs, Art. Aeiius 150, RE I (1893) 534-535.
19
Ck., De fin. II 35; 43; V 23; De orat. III 62.
Lebensjahre (also Ende der vierziger oder Anfang der drei iger Jahre des
1. J, v, Chr.) anzusetzen ist30.
Der Zeitraum, in dem die skeptische Schule f r erloschen galt, um-
fa t also rund zweihundert Jahre. Nehmen wir diese Zeit als Vergleichs-
basis, um das εχθές και πρώην des Aristokles zu interpretieren, so leuch-
tet ein, da dieser mit dem Ausdruck „vor kurzem" nur einen relativ
kurzen Zeitraum gemeint haben kann. Er spricht von der Wiederbele-
bung der Skepsis durch Ainesidemos so, als h tte er sie beinahe noch
selbst erlebt. Wir werden wohl nicht fehlgehen, wenn wir annehmen,
da er die fraglichen Zeilen h chstens f nfzig Jahre nach dem Auftritt
des Ainesidemos geschrieben hat. Allem Anschein nach wurden die zehn
B cher περί φιλοσοφίας des Messeners, wenn nicht um die Zeitwende,
so doch sp testens in der ersten H lfte des ersten Jh. n. Chr. verfa t.
Die Suda nennt Titel von f nf Schriften des Messeners. Am besten be-
kannt ist uns die Schrift περί φιλοσοφίας in zehn B chern, aus der Ex-
zerpte und Zusammenfassungen bei Eusebios und anderen vorliegen und
die unten ausf hrlicher behandelt wird. Zweifellos nur auf dieses Werk
und nicht auf die Synkrisis von Homer und Platon ist der Satz der Suda
καταλέγει δε εν τούτοις πάντας φιλοσόφους και τάς δόξας αυτών zu
beziehen31. Von der Schrift, in der Aristokles die Frage auf warf, ob
Homer t chtiger als Platon gewesen sei, fehlt uns jede Spur32. Von vorn-
30
Diese M glichkeit schlie t E, Zefler, Philos. d. Gr. Ill 2 s , 16 nicht aus, obwohl er
offenbar mehr zur Datierung auf die Zeitwende neigt. F r die hier vorgeschlagene
Chronologie sprechen sich unter anderen aus F, Susemihl, Gesch. gr. Litt. Alex. II
342 Anm. 499. A. Goedeckemeyer, Gesch. d. gr. Skeptizismus 211 mit A n m . l ,
Ueberweg-Praechter«, 582. H. Heiland 69 Anm. 83. U. Burkhard, Heraklh-Nacb-
folge 185 mit Anm. 1. Hat K. Reinhardt mit seiner These recht (Poseidonios
414-422; Kosmos und Sympathie 205-207), da Ainesidemos von bestimmten An-
schauungen des Poseidonios beeinflu t worden sei, so ergibt sich daraus keine Schwie-
rigkeit f r eine Datierung des Ainesidemos in die zweite H lfte des 1. Jh, v. Chr,
(anders A. Weische, Cic. und die Neue Akad. 84-85).
31
Vgl, oben Anm. 1. H. Heiland, Op. laud. 4 vermutet, da die Suda zuerst den ersten
und den letzten Titel angef hrt hatte und dann die brigen mit einer Inhaltsangabe
der ersten und wichtigsten Schrift, περί φιλοσοφίας, hinzuf gte.
32
Bei Plat., Tim. 17 A weist Sokrates darauf hin, da der vierte der Freunde, mit denen
er am Vorabend gefeiert hatte, jetzt abwesend ist, und Timaios antwortet, da er
wohl erkrankt ist, sonst w re er gekommen. Die Kommentatoren haben sich gefragt,
wer dieser fehlende Freund gewesen sein k nnte. Durch Proklos, In Tim. I, S. 19,
29-30,3 Dieiil erfahren wir, da Aristokles die Ansicht vertrat, The tet sei der ver-
mi te Gast gewesen. Nach A. Gercke, Art, Aristokles 15, RE II (1896) 394 kann
diese Angabe aus περί φιλοσοφίας oder aus der Synkrisis Homers und Platons
herein ist nicht auszuschlie en, da der Messener τέχναι φητορικαί ver-
fa te; wir wissen aber, da der Per gamener Aristokles, der als Sophist,
Redner und Lehrer der Rhetorik wirkte33, eine τέχνη φητορική sowie
f nf B cher ber Rhetorik geschrieben hatte34. Man kann also mit der
M glichkeit rechnen, da diese Schriften des Pergameners seinem Na-
mensvetter aus Messene irrt mlich zugeschrieben wurden35. Die Ab-
handlung περί Σαράπιδος hat keine Spur hinterlassen; auch sie k nnte
von einem Namensvetter unseres Aristokles stammen. Demgegen ber
ist die Abfassung einer Ethik in neun B chern - m glicherweise eine
Darstellung oder eine Paraphrase der aristotelischen Ethik — dem Mes-
sener durchaus zuzutrauen. In allen bisherigen Darstellungen der Philo-
sophie des Aristokles von Messene wird schlie lich das Referat Alex-
anders von Aphrodisias ber die Nuslehre seines Meisters behandelt36.
Das setzt voraus, da Alexanders Lehrer tats chlich Aristokles hie , und
nicht, wie berliefert, Aristoteles, und ferner, da dieser Aristokles kein
stammen. Es ist allerdings umstritten, ob diese Nachricht auf den Messener zur ck-
zuf hren 1st, U. v. Wilamowltz, Amig. v. Karystos 27 Anm, l a kann, wie er schreibt,
das Zitat der Tirnaioserkl rung keinem anderen als dem Messener zuschreiben. hn-
lich H. Krause, Studia Neoplatonica, Diss, Leipzig 1904, 53 und H. Heiland, Op.
laud. 89 Anrn. Π3. Andere dachten allerdings an den Grammatiker Aristokles von
Rhodos (vgl. Wemzel, Art. Aristokles 18, RE II 935-937), auf den sich Proklos an
anderer Stelle (In Tim. I, S, 85,28 Diehl) beruft. So z.B. H. Usener, in: RhM 25
(1870) 614-635; 28 (1873) 433, E. Diehl, Indizes zu Procl. in Tim. III, S. 359.
Wentzel a. O. In Frage k me vielleicht auch der von Simpl., Phys. 615,15 erw hnte
Adressat eines Briefes von Proklos (vgl. Freudenthal, Art. Aristokles 17, RE II 935),
E. Zeller, Philos. d. Gr. III l 5 , 815 Anm, 2 schlie t den Messener aus und schwankt
zwischen dem Rhodier und Proklos' Zeitgenossen, F r den Messener scheint mit der
Umstand zu sprechen, da Ammonios, ein Sch ler des Proklos, seine Schrift περί
φιλοσοφίας benutzte, vgl. unten S. 94.
35
Vgl. oben S, 84.
34
Suda, s.v. Αριστοκλής.
35
Der Scholiast zu Hermogenes, Rhet, Gr. VII 246 (unten) Walz billigt die Definition
der διαίρεσις, die l περί Άριστοκλέα .. , t v Περυτατητικόν vorgeschlagen haben.
Gercke RE II 935 und H. Heiland, Op. laud. 2; 5; 89 schrieben sie dem Messener,
W. Schmid RE II 937 dem Pergamener zu. E. Zeller, Philos. d. Gr. III I s , 814
Anm. 2 meint, da alles au er περί φιλοσοφίας und Ethik, was die Suda dem Mes-
sener zuschreibt, teils dem Pergamene'r, teils dem Rhodier Aristokles zu geh ren
scheint.
36
Alex. Aphrod., De an. mant. 110,4—113,12. Vgl. unter anderen E. Zeller, Philos. d.
Gr. Ill I s , 815-817. Gercke, Art, Aristokles 15, RE II 535. Ueberweg-Praechter«
564. H. Heiland, Op. laud. 78-88; 95-98. F. Trabucco, II problema 97-150, bes.
117-126.
anderer gewesen sein kann als der Messener, Wie wenig begründet diese
Annahme ist, wurde bereits oben hervorgehoben. Es dürfte daher rat-
samer sein, auf die fragliche Noetik an anderer Stelle einzugehen37.
In der Schrift Über die Philosophie, die zehn Bücher umfaßte, be-
handelte Anstokles laut Suda „alle Philosophen und ihre Lehrmeinun-
gen". Also handelte es sich nicht um das systematische Expose einer
Philosophie — etwa der aristoteliseh-peripatetischen — sondern viel-
mehr um ein vermutlich sowohl biographisches als auch philosophiege-
schichtliches Werk, in dem alle oder wenigstens die wichtigsten Denker
und Systeme zur Sprache kamen. Mehr laßt sich aus der blassen Notiz
der Suda nicht gewinnen. Zum Glück sind uns mehrere Reste der
Schrift, zum Teil sogar im Wortlaut, erhalten, so daß dieses allgemeine
Bild etwas präzisiert werden kann 38 . Bei der Lektüre des überlieferten
Materials drängen sich viele Fragen auf, die sich nicht oder nur zum Teil
beantworten lassen. Obwohl gelegentlich angegeben wird, aus welchem
Buch die Fragmente jeweils stammen, läßt sich die Disposition der
Schrift nicht mehr ermitteln 39 . Der philosophische Standort des Ari-
37
Der Versuch von F, Trabucco, II problema 117sqq., Übereinstimmungen zwischen
dieser Noetik und unseren anderweitigen Informationen über Anstokles zu ent-
decken oder wenigstens nachzuweisen, daß sie miteinander durchaus vereinbar sind,
vermag nicht zu überzeugen, obwohl er hier und dort interessante Beobachtungen
enthält.
38
Eine mangelhafte Fragrnentsammlung besorgte F. Mullach, Fragm. Philos. Gr. III,
Paris 1881, 206—221. Da Mullach sich auf die Zitate bei Eusebios beschrankte und
diese nicht einmal vollständig anführte, regte O, Immisch eine Dissertation an, in der
alle Reste des Messeners herausgegeben und kommentiert werden sollten. Die Arbeit
war 1912 abgeschlossen, wurde jedoch erst 1925 publiziert: H. Heiland, Aristoclis
Messenu reliquiae, Diss. Gießen 1925. Der Vf. unterscheidet sorgfältig zwischen Te-
stimonia, Vestigia und Fragmenta und ist bemüht, auf Quellen, Parallel stellen u. dgl.
hinzuweisen, so daß seine Arbeit heute noch nützlich ist. Leider konnte er bahn-
brechende Untersuchungen wie etwa den Aristoteles von W. Jaeger nicht mehr be-
rücksichtigen. Daß er dazu neigt, dem Messener mehr zuzuschreiben, als mit Sicher-
heit auf ihn zurückgeht, wurde bereits oben bemerkt. Diese Tendenz läßt sich auch
an seiner Behandlung des „Vestigium I" (loann. Philop,, In Nicorn, Isag, arithm.)
beobachten. Wie wir noch sehen werden, druckt er mehr als 50 Zeilen ab, die sicher
nicht auf Aristokles zurückgehen.
39
H, Heiland 90—93 vermutet, daß Aristokles seinen Stoff nach philosophischen Diszipli-
nen geordnet hatte: I-II Dialektik, III-IV Rhetorik, V-VI Politik (und Ethik), VII-
VIII Naturphilosophie, IX—X Theologie. Diese Ansicht lehnt F. Trabucco, U problema
104 ab und stellt ihrerseits die Hypothese auf, daß Aristokles in den Büchern I—VI die
eigenen Lehrmeinungen darlegte und im Buch VII auf die Akademie, den Peripatos
und die Stoa einging. Da alle mit genauerer Quellenangabe versehenen Fragmente aus
den B chern VII und VIII stammen und wir ber den Inhalt der brigen B cher
keinerlei Information besitzen, erscheinen solche Spekulationen als ziemlich m ig.
40
Ed. R, Hoche, Progr. Wesel 1863. Der Text ist als Vestigium I bei H. Heiland
23—26 abgedruckt.
eigenen Wesen nach beraus leuchtend (φανότατα) sei, uns jedoch we-
gen der Nebelh lle unseres K rpers dunkel und undeutlich scheine,
habe man mit Recht jene Wissenschaft als σοφία bezeichnet, die es uns
ans Licht bringe. Nachdem Philoponos die beiden aufgeworfenen Fra-
gen auf diese Weise beantwortet hat, f hrt er mit einer Digression fort,
f r die er sich auf Aristokles' περί φιλοσοφίας beruft. Er weist darauf
hin, da die Namen σοφία und σοφός homonym sind, d.h., da jeder
mehrere verschiedene Dinge bezeichnet. In seinen zehn B chern ber
die Philosophie habe Aristokles f nf verschiedene Verwendungsweisen
des Wortes bei den Alten angegeben.
a) Naturkatastrophen, vor allem gro e berschwemmungen wie
z.B. diejenige, die unter Deukalion stattfand, vernichten das Menschen-
geschlecht, jedoch nicht ganz, denn Hirten und Bergbewohner werden
gerettet. Da diese berlebenden nichts zu essen haben, werden sie von
der Not (χρεία) gezwungen, das f r das Leben Notwendige, wie das
Mahlen der Getreide, das S en u. dgl. zu erfinden. Das Ersinnen, das
dazu f hrte, nannte man „Weisheit" (σοφία) und den Erfinder einen
Weisen (σοφός).
b) Dann ersannen sie solche K nste, die nicht bei dem Lebensnot-
wendigen stehenblieben, sondern bis zu dem Sch nen und Feinen
(καλόν, άστεΐον) weitergingen. Auch daf r wurden die Namen „Weis-
heit" und „Weisen" verwendet.
c) Darauf richteten sie ihre Blicke auf die politischen Angelegenheiten,
erfanden Gesetze und alles, was die St dte zusammenf gt. Auch dieses
Ersinnen nannte man „Weisheit". Von dieser Art waren die sieben
Weisen, die gewisse politische T chtigkeiten (πολιτικαί άρεταί) erfan-
den.
d) Danach schritten sie weiter und gelangten bis zu den K rpern
selbst (έπ* αυτά τα σώματα) und der Natur, die sie herstellt (και την
δημιουργον αυτών .. . φύσιν). Dies nannten sie speziell Naturbetrach-
tung (φυσική θεωρία). Solche Leute bezeichnen wir als „Weise auf dem
Gebiete der Naturdinge" (σοφοί τα περί την φύσιν).
e) Als f nftes schlie lich drangen sie bis zu den g ttlichen, ber-
weltlichen und v llig unab nderlichen Wesenheiten (τα θεία και ύπερ-
κόσμια και αμετάβλητα παντελώς) und nannten diese Erkenntnis
Weisheit im h chsten Sinne (κυριωτάτη σοφία)41.
41
loannes Philoponos, In Nicom. hag. arithm. Schol. Ι α Hoche = H. Heiland
23,5—28,57. Die franz sische bersetzung von A,j, Festugiere, Revel. Herrn.
Trism. II 222-224 und die deutsche von w. Haase 323-354, dort 325-326, sind
f r unser Resume des Ph oponos-Textes verwertet worden.
42
H. Heiland 24—26 druckt zwar die Zeilen 58 — 106 ab, h lt sie jedoch nicht f r rein
aristokleisch wegen der Erw hnung Plotins in Zeile 64. Da diese Zeilen weder ari-
stokleisch noch aristotelisch sind, ist sonst von der Kritik allgemein anerkannt. Vgl.
besonders F, Trabucco, Ilproblema 113—114 und W. Haase326—327 und 348 Anm, 24,
43
Schol. IE S. 5 Hoche = Vestigium I S. 27 Heiland.
44
Ed. L. Tar n, Asclepius of Tralles. Commentary to Nicomachus* Introduction to
Arithmetic, in: Trans. Amer. Philos, Society, N.S. 59,4, Philadelphia 1969, 1-89,
dort Schol. α (S. 24) 6-43 und ta (S. 27) 1-7.
45
Die Stellen druckt L. Tar n 9 ab.
die Einleitung seiner zehn B cher περί φιλοσοφίας aus Aristoteles ge-
sch pft, wobei er nicht w rtlich abschrieb, sondern zusammenfa te,
wie einige nicht aristotelische Ausdr cke zeigen. Auffallend sei ferner
der platonische Charakter mehrerer hier vorgetragener Lehren, die sich
in dieser Form nicht im erhaltenen Corpus AristoteKcum befinden (Ent-
h llung der νοητά και θεία als Aufgabe der h chsten Form der σοφία,
Katastrophenlehre), und andererseits der Umstand, da gesicherte Ari-
stoteles-Fragmente Parallelen zu einigen angesprochenen Punkten bieten
(z.B. die Annahme, da Wissenschaft und Philosophie in letzter Zeit
gro e Fortschritte gemacht und ihre Vollendung fast erreicht haben).
Die ganze Passage des Ph oponos gehe also ber Aristokies von
Messene auf Aristoteles' περί φιλοσοφίας zur ck. Auf diese Quelle sei
auch ein Text Jamblichs 52 zur ckzuf hren; vergleichbare Ansichten be-
gegneten uns im Kommentar des Asklepios zur Metaphysik53, allerdings
ohne ausdr cklichen Verweis auf Aristoteles54. Bywaters Rekonstruk-
tion fand die Zustimmung der meisten Aristoteliker der Folgezeit; einige
von ihnen versuchten, die Entdeckung des ber hmten englischen Scho-
lars zu erh rten und ihr neue Erkenntnisse ber den philosophischen
Standort des „fr hen Aristoteles" abzugewinnen. Obwohl W, Jaeger
selbst sich sehr skeptisch ber die Zuschreibung der aristokleischen Kul-
turentwicklungslehre an den „fr hen Aristoteles" ge u ert hatte, wie
wir noch sehen werden, war es sein neues Aristotelesbild, das zu wieder-
holten Auseinandersetzungen mit dem Philoponostext anregte. E. Big-
none z.B. argumentierte einerseits gegen die von Jaeger vertretene
Ansicht, da dieser Text poseidonianisches Gedankengut enth lt. Die
Stoiker lehrten, so sagte er, da Weltkatastrophen das ganze Menschen-
geschlecht zerst ren, hier sei dagegen — wie in Platons Sp tdialogen —
von berlebenden die Rede; die Urzeit des Poseidonios sei, wie aus
Senecas 90. Brief hervorgehe, ein goldenes Zeitalter, ein Zeitalter der
Weisen, ganz anders also als bei Ph oponos; schlie lich nahmen die
Stoiker an, da das G ttliche nicht andauernd in demselben Zustand
verharrt, w hrend hier — wie auch in Fr. 16 Rose3 — die θεία als
αμετάβλητα bezeichnet werden. Andererseits unterstrich Bignone den
platonisierenden Charakter der bei Ph oponos und in den Paralleltexten
dargelegten Lehrmeinungen, einen Charakter, der zu den Tendenzen
52
De comm. math, sc, 26, S. 83,6—22 Festa,
53
Asklep,, Metaph. 3,30-32 und 10,28-36.
34
I. By water 64-75.
ss
E. Bignone, L'Arist. perd. II 341; 511 — 525. M. Untersteiner, Aristotele, Delia Filo-
sofia, Rom 1963 druckt die Texte von Philoponos und Asklepios als Fragm. 8 von
περί φιλοσοφίας ab (S. 14-16); sein Kommentar dazu (S, 121-133) beruht weit-
gehend auf Bignones Ausf hrungen,
Si
Metaph. 3,32-33.
57
a.O. 11,1.
58
A.J. Festugiere, Revel. Herrn, Trism. II 222-227; 587-591, Auch H.D. Saffrey, Le
περί φιλοσοφίας d'Aristote et la theorie des idees nombres, Leiden 1955, 7—10
meint, da die von Asklepios genannten περί σοφίας λόγοι mit dem Dialog περί.
φιλοσοφίας zu identifizieren sind. Die αποδεικτική, in welcher der Verweis stand,
sei allerdings nicht die Zweite Analytik des Aristoteles, sondern wahrscheinlich der in
Alexandrien kanonische Kommentar des Ammonios zu dieser Schrift. Er hebt ferner
hervor, da die Etymologie von σοφία nicht nur im Metaphysikkommentar des
Asklepios und in den Nikomachos-Scholien des Philoponos, sondern auch im Kom-
mentar des Philoponos zu den Anal. Post. (332,8—12, mit Verweis auf Aristoteles)
und bei David, Proleg, philos. (46,13 — 25) vorkommt.
samtverst ndnis der Wirklichkeit ab, das in einem Erfassen der h chsten
Wirklichkeit selbst gesucht werde. Aristoteles habe zuerst die fr heren
Versuche zum Thema der g ttlichen Wirklichkeit untersucht, und zwar
im Rahmen der von Philoponos skizzierten Kulturentwicklungslehre,
sich dann mit Platons Lehre von den θεία (Ideen und Prinzipien) aus-
einandergesetzt und schlie lich die eigene Theologie, die zugleich eine
Kosmologie war, dargelegt59. Er hob ferner hervor, da in Aristoteles'
περί φιλοσοφίας jede der f nf Bedeutungen von σοφία vom Gegen-
stand her bestimmt werde; dies sei noch platonisch und lasse sich mit der
Auffassung vergleichen, die man in den lteren Teilen der Metaphysik
finde, und gehe auf eine Entwicklungsstufe zur ck, in der Aristoteles die
Unterscheidung zwischen Material- und Formalobjekt der Metaphysik
noch nicht machte 60 , Auch F. Trabucco vertritt in ihrer Untersuchung
ber Aristokles die Meinung, da nicht nur die Kulturentwicklungs-
lehre, sondern auch die vorhergehende σοφία-Etymologie ber Aristo-
kles auf Aristoteles1 Dialog περΐ φιλοσοφίας zur ckgeht; sie distanziert
sich damit von Bignone, der, wie oben bemerkt, in der σοφία-Etymo-
logie eine Entlehnung aus dem Protreptikos sah. Eine Best tigung ihrer
Ansicht findet sie in einer weiteren Ammonios-Stelle, in der sie im Zu-
sammenhang mit einer Anspielung auf diese Etymologie einen Verweis
auf Aristoteles' περί φιλοσοφίας entdecken will61. Aristokles, so meint
sie ferner, hat uns ein u erst wertvolles, wenn auch nicht vollst ndiges
Resume des Dialogs περί φιλοσοφίας gegeben. Auch Aristoteles unter-
schied f nf Etappen in der Entwicklung der Kultur und der σοφία. Den-
noch kann man nicht annehmen, da die (platonische) Definition der
h chsten Form der σοφία als die Betrachtung der g ttlichen, hyper-
kosmischen und g nzlich unver nderlichen Dinge die endg ltige Posi-
tion des Stagiriten in περί φιλοσοφίας darstellte. In diesem Dialog kriti-
sierte er bekanntlich Platons Ideenlehre. Man m sse daher annehmen,
59
P, Wilpert, in: Autour d'Aristote. Recueil . . , offen Mgr A, Mansion, Louvain
1955, 99-516.
60
P. Wilpert, in: JHSt 77 (1957) 157-162, bes. 156-157.
61
Asklep., Metaph, 19,31-34 schreibt, da Aristoteles im Hinblick auf die Seele (έπι
της ψυχής) die Ber cksichtigung der συμβεβηκότα bei der Ausarbeitung einer De-
finition empfiehlt und selbst genauso και επί της φιλοσοφίας verfuhr: Der Philosoph
sei derjenige, der das σαφές, d . h , die σοφία liebt. Da die Empfehlung ber die
Seelendefinition tats chlich aus der Schrift De an. stammt, meint F, Trabuccos II
problema 99—100, da die Aussage, die sich int της φιλοσοφίας bezieht, auf den
Dialog jteol φιλοσοφίας zur ckzuf hren ist.
6(5
W. Jaeger, Aristoteles 139 Anm.l.
6
W. Gerhäußer, Der Protreptikos des Poseidonios, Diss. Heidelberg, München 1912,
bes. 16-31, Vgl. W. Jaegers Besprechung, in: DLZ 1913, 1765-1768.
68
W. Jaeger, Nemesios von Emesa, Berlin 1914, 123-127. Vgl. bes. 124-125: „Wenn
er (Poseidonios) die allmähliche Entwicklung der zivilisatorischen Kräfte des Men-
schen unter dem Druck der Not annahm, machte er zur Schöpferin und Erfinderin
aller Dinge jene theoretische Urkraft des Menschen, die , ohne die der Mensch
nicht denkbar ist und aus der folgerichtig das hervorgehen muß, was — auf einer spä-
teren Entwicklungsstufe des sozialen Lebens — die Philosophie wird, jene höhere ars
d rfen73. Das Interesse Haases gilt haupts chlich der Frage, ob das Ari-
stoteles-Zitat im Nikomachoskommentar des Philoponos den Beweis
daf r liefert, da die ganze Stelle aus περί φιλοσοφίας stammt. Ein
eingehender Vergleich aller mit Philoponos verwandten Zeugnisse ber-
zeugt ihn davon, da dies keineswegs der Fall ist. Etwas weiter unten in
seinem Kommentar 74 hebt Philoponos nochmals hervor, da ewige
Wesenheiten an sich sehr klar, von uns jedoch — wie die Sonne von den
Flederm usen — sehr schwer zu betrachten sind; er verweist ebenfalls
auf Aristoteles, aber diesmal pr ziser, da er das Kleinalpha der Meta-
physik ausdr cklich nennt 75 . Dasselbe Thema begegnet uns in seinem
Kommentar zu den Analytica posteriora76, ebenfalls mit einem Verweis
auf Aristoteles, mit dem nur Metaph. α gemeint sein kann. Die σοφία-
Etymologie wird in einem anderen Satz er rtert. Die beiden Themen
sind offenbar von Philoponos oder seiner Quelle sekund r miteinander
kombiniert worden. In seinen Er rterungen ber den Namen der Meta-
physik bemerkt Asklepios77, da diese Schrift auch σοφία genannt
wurde, eine Bezeichnung, die er etymologisch erl utert (die σοφία ist
οιονεί σάφειά τις und das Objekt der Metaphysik, die θεία, sind σαφή
και φανερώτατα). Ziemlich r tselhaft ist dabei die Nachricht, da »»er"
(d. h, Aristoteles) in der αποδεικτική sagte, ως είρηταί μοι εν τοις περί
σοφίας λόγοις, denn ein solches Zitat enthalten die Analytica posteriora
nicht, Sicher ist auf jeden Fall, da Asklepios dieses angebliche Zitat nur
auf die Metaphysik und nicht auf den Dialog περί φιλοσοφίας bezogen
hat78. Ebensowenig kann man an einer anderen Stelle von Asklepios1
73
W. Haase 323-354.
74
In Nicom. I l γ, 33-40, S, 3 Hoche.
75
Metaph. α l, 993 a 30-b 11.
76
Philop,, Anal. Post. 332,5-12,
77
Asklep,, Metaph. 3,27-34.
79
Die Entstehung dieses angeblichen Zitats erkl rt Haase folgenderma en: In Anal.
Post. I 34, 89b 7-9 hei t es, die Unterscheidung von διάνοια, νους, έπι,οτήμη,
τέχνη, φρόνησις und σοφία sei eher Aufgabe der Naturphilosophie einerseits, der
Ethik andererseits. Diesen beiden Wissenschaften f gt Philoponos in seinem Kom-
mentar (Anal. Post. 331,8 — 12) die Theologie hinzu, denn, so sagt er, in der Meta-
physik und im kleinen Alpha behandelt Aristoteles den νους und die σοφ£α, Askle-
pios sei noch einen Schritt weiter gegangen, indem er vom Katheder Aristoteles reden
lie und ihm die Formel „wie ich in meinem λόγοι Jiegi σοφίας gesagt habe" m den
Mund legte. Anders ausgedr ckt: Asklepios habe in seinem exegetischen Vortrag die
Bemerkung des Aristoteles in den Anal. Post., ber die σοφία sei anderswo zu reden,
derart interpretiert, da er Aristoteles den Satz in den Mund legte: „Dar ber habe ich
in meinen λόγοι, περί σοφίας gesprochen," Diese Erkl rung hat mich nicht ganz
berzeugt, denn Philoponos' Angabe (331,8 προσθείημεν 5' αν ημείς , , .) zeigt
eher, da der Kommentator den Verweis auf die Metaphysik bei Aristoteles vermi t
und ihn von sich aus, die aristotelische Vorlage erg nzend, hinzuf gt. Es ist nicht
auszuschlie en, da wir bei Asklepios vor einem falschen Zitat aus dem Ged chtnis
stehen.
" 19,31-34.
90
A 2, 982b 11-21.
81
Elias, Proleg, in Porph. Isag. 23,21-24,9: Homerzitate (II. O 412 und Ψ 712) wie
bei ArisEokles, Hinweis auf die „Klarheit" des G ttlichen, σοφία-Etymologie,
Fledermausvergleich etc.
82
Ein Echo der in Frage stehenden Thematik finde ich ferner bei David, Proleg. Philos.
46,13—25, allerdings mit einer anderen σοφία-Etymologie; σοφία λέγεται οιονεί
σαοφία τις ούσα, τοΐιτ' £στι ή το φως σώζουσα. Man beachte besonders 46,24 ύπο
της σωματικής άχλύος . . . έπισκοτίζεσθαι ~ Philoponos, In Nie. LQ την . . . του
σώματος άχλύν σκοτεινά δοκεί. Ebensowenig wie die bisher besprochenen Texte
l t sich hier auf eine Benutzung des Dialogs περί φιλοσοφίας schlie en.
83
W. Hasse 339.
84
Haases Beweisf hrung erhielt die Zustimmung von L, Tar n 14 Anm. 70 und von
B. Effe, Stud, zur Kosmologie und Theologie d. Arist, Sehr. „ ber die Philosophie",
1970, 69 Anm. 282.
85
Philoponos: Vestigium I 19—57 Heiland. Asklep. Ια 15—43 Tar n. Vgl. Vestigium I
a Heiland und Asklep, Ι ία 3—5 Tar n.
86
Nikom. Geras,, Introd. arithm. Ι α l, S, l, 8-2,5 Hoche. Diese etymologische De-
finition der Philosophie wird meistens wie bereits bei Nikomachos auf Pythagoras
zur ckgef hrt, z.B. von den Neuplatomkern in ihren Prolegomena zur Philosophie.
Pythagoras habe sich dagegen ausgesprochen, da Menschen, z.B. Handwerker, als
σοφοί bezeichnet werden; die σοφία komme nur dem allwissenden Gott zu; daher
sei f r das Streben der Menschen nach Weisheit das Wort φιλοσοφία gepr gt wor-
den, Vgl. Ammon., In Porph. Isag. 9,7—23, Ellas, Proleg, philos. 8,14—16, David,
Proleg, philos. 25,26-26,13; 45,27-46,13. Ps.-Elias, In Porph. Isag. 10,13-16
Westerink. Kurzkomm, zu Porph. Isag. I 105-121 Moraux (2PE 35 [1979] S. 55-
98). loann. Damask., Dialectka, rec. fus. γ, S. 56,25—27 Kotter. Die lteste Nach-
richt ber Pythagoras als Erfinder des Wortes φιλοσοφία und ber die Gr nde f r
diese Wortpr gung stammt wohl von Herakleides Pontikos (vgl. Cic,, Tusc. V 8—9
und Diog. Laert. I 12). In der Folgezeit wird· Pythagoras des fteren als Urheber des
Wortes φιλοσοφία bzw. als der erste genannt, der sich als φιλόσοφος und nicht als
σοφός bezeichnete, Vgi. Aet. I 3,8 und viele andere Zeugnisse, die W. Burkert,
Platon oder Pythagoras? Zum Ursprung des Wortes „Philosophie", in: Hermes 88
(1960) 159-177, dort 161 Anm. 5 anf hrt, Burkert zeigt berzeugend, da die
Nachricht nicht historisch ist und da das Wort nicht von Pythagoras gepr gt
•wurde.
87
Philop., Vest. I 18-21 H. Inhaltlich genau identisch Askl. Ι α 13-17 Tar n.
Wirft man einen Blick auf die Ausführungen des Aristokles über die
Katastrophe, die den größten Teil des Menschengeschlechts vernichtete,
so entdeckt man platonische Reminiszenzen auf Schritt und Tritt: Auf-
zählung der Ursachen, die die Menschheit fast restlos zugrunde richten,
mit besonderer Hervorhebung der Überflutungen 92 ; Beispiel der großen
Flut unter Deukalion93; nur wenige Hirten und Bergbewohner konnten
überleben 94 ; das Flachland und die dort Wohnenden wurden über-
schwemmt95; nach der Katastrophe hatten die Überlebenden Angst, sie
wagten es nicht, sich in der Ebene aufzuhalten, sie zogen es vor, auf An-
höhen zu wohnen96; deswegen gründete Dardanos seine Stadt nicht in
der Ebene, wo später liios stand, sondern am Abhang des Ida-Gebirges,
wie aus Homers Zeugnis hervorgeht97.
Dagegen hat Aristokles' Kulturentwicklungslehre kaum etwas ge-
meinsam mit dem dritten Buch der Nomoi oder mit den anderen Aus-
führungen Platons zu diesem Thema. Platon erzählt, wie sich aus dem
völlig unpolitischen Zustand der Überlebenden verschiedene Gesell-
schafts- und Staatsgebilde entwickelten. Aristokles dagegen schildert die
verschiedenen Stufen in der Entwicklung und im Fortschritt der .
Bis zu einem gewissen Grade erinnern seine Erörterungen eher an den
Abschnitt der Epinomis, in dem der Verfasser untersucht, welches Kön-
zionalizzazione di un mito, in: Riv, di Filol. 105 (1977) 403—424. Er bezieht sich
unter anderem auf das Fr. 8b — uno dei frarnmenti piu discussi — von Aristoteles'
De philos. (Op, cit. 409), geht auf das Problem von Anstokles'
jedoch nicht ein,
92
Tim. 22 C; Leg. III 677A.
" Tim. 22 A.
94
Tim. 22D; Kritias 109D; Leg. III 677B.
95
Tim. 22D; Leg. III 677C,
96
Leg. Ill 67SC; 682B-C.
97
Leg. III 681 E, mit demselben Homerzitat wie bei Aristokles. Bei Phüoponos, Vest. I
28—30 H, heißt es, daß Dardanos der Überflutung entging, indem er aus Samothrake
in die spätere Troas übersetzte. Diese Angabe, die bei Asklepios fehlt, geht nicht auf
Platon zurück. Ob sie eine gelehrte Ergänzung durch Phüoponos darstellt oder be-
reits in der Quelle (Ammonios) stand und von Asklepios übergangen wurde, läßt sich
nicht entscheiden. Bereits Hellanikos stellte Dardanos als einen Zuwanderer aus
Samothrake dar {vgl, Thraerner, Art. Dardanos 3, RE IV [1901] bes. 2171-2174).
Erst später scheint seine Wanderung mit der Flut in Verbindung gebracht worden zu
sein (vgl. Lykophr. 72—85 und verschiedene Homerscholien, Darüber H. Usener,
Die Sintfluthsagen, 1899, 45 und Anm. 2. Diodor V 47,3-4 und Dionys, Halik.,
Ant. I 61,2 — 4 referieren andere, kompliziertere Formen der Sage),
ήδονην τέχνας und schlie lich die Forschungen περί την γεωμετρίαν και τους λό-
γους και τάς αλλάς παιδείας. Diese Entwicklung la t er nach dem Kataklysrnos be-
ginnen. Er hebt ferner hervor, da die Wissenschaften der dritten Gruppe trotz der
Bescheidenheit ihrer Anf nge in sehr kurzer Zeit gewaltige Fortschritte registrieren
konnten. Diese Ausf hrungen Jamblichs wurden, nicht zuletzt wegen der u erung
des Aristoteles bei Cic., Tusc. III 69 ber den raschen Fortschritt der Philosophie
innerhalb von wenigen Jahren, auf eine verlorene Schrift des Aristoteles zur ckge-
f hrt, und zwar meistens auf den Protreptikos (V, Rose, Anst. fragm. 1886, Fr. 53,
W. Jaeger, Aristoteles 68sqq. R, Walzer, Arist. dial, fragm., Protr. Fr. 8. W. Ross,
Arist. fragm. sei., Protr. Fr. 8, Andere meinen allerdings, da hier eine Spur des
Dialogs περί φιλοσοφίας vorliegt. Bereits J. Bernays, Die Dial. d. Arist. 98 hatte die
von Cicero zitierte u erung auf diesen Dialog zur ckgef hrt. Die Gelehrten, die im
ersten Kapitel von Philoponos' Kommentar zur Isagoge des Nikomachos ein Frag-
ment von Aristoteles' De philosophia sehen, schreiben auch diesem Dialog den Jam-
blichostext zu. Vgl. bereits I. By water, in: Journ. of Philol. 7 (1877) 72. Nach ihm
Festugiere, Revel. Herrn. Trism, U 225—227. E. Berti, La filos. del primo Arist. 327
mit Anm. 47. Auch I. During, Aristotle's Protrept. 228 h lt es f r wahrscheinlich,
da die Quelle des Philoponostextes der Dialog De philos. ist. Nicht auszuschlie en
ist allerdings, da Philoponos einfach das Schema aus Metaph. A I mit Reminiszen-
zen aus Platon kombiniert (wie auch Asklep., Metaph. 10,28—11,36, vgl. oben
Anm. 99) und seinem Vorhaben anpa t. Auch W. Haase 340 h lt es f r fragw rdig,
ob dieser Text im ganzen auf Aristoteles zur ckgeht. G. B, Kerferd, The image of the
wise man in Greece in the period before Plato, in: Images of Man in Ancient and
Medieval Thought. Studia G. Verbeke dicata, Leuven 1976, 17—28 f hrt die Klassifi-
zierung der verschiedenen Arten von σοφία und σοφοί und das damit verbundene
chronologische Schema auf die Sophistenzeit zur ck. Anm, 14 nennt er mehrere Ar-
beiten ber die Geschichte des Begriffs οοφίβ. An der Echtheit von Aristoteles, De
philosophia Fr. 8 Ross scheint er nicht zu zweifeln.
101
Fragment bei Stob. IVa 18, 10, S. 414,8—21 Hense, Die χρεία hat von Anfang an
bestimmte K nste ms Leben gerufen und h lt sie bis jetzt aufrecht. Sie werden als
notwendig bezeichnet: Webekunst, Baukunst, Medizin, alles, was zum Ackerbau ge-
h rt. Eine Art Vergn gen (ηδονή τις) hat andere K nste hervorgebracht: die der
Parf mhersteller, der K che, der Fabrikanten von Frauenputzmitteln und der F rber
(wohl Reminiszenz an Platon, Gorgias 463 A—465 E, wo die Rhetorik, die
όψοποιικη, die κομμωτική und die Sophistik als Empirien, die auf χάρις τις und
ηδονή abzielen, genannt werden). Ferner gibt es Wissenschaften, die von denjenigen
gelernt und gepflegt werden, die berzeugungskraft, Genauigkeit und Sauberkeit
hochsch tzen: die Arithmetik, die Geometrie, die Kanonik (d.h. die Musiktheorie)
und die Astronomie, Wie Platon sagt, sind sie vernachl ssigt worden, „sie wachsen
jedoch zwangsl ufig wegen des Reizes, den sie innehaben". (Zitat aus Platon, Resp,
VII 528C. Die aufgez hlten Wissenschaften sind dieselben, die Platon, Resp. VII
522C—524C als Vorbereitung auf die Dialektik empfiehlt. Nur die Stereometrie
fehlt, wenn κανονική tats chlich die mathematische Musiktheorie bezeichnet.)
102 ^1ή έχοντες δθεν τραφώσι. Ganz anders Platon, Leg, III 679 A: Viehzucht und Jagd
bringen ausreichende, gute Nahrung ein.
103
Bei Philop, έπενόουν υπ' ανάγκης τα προς την χρείαν. Bei Aski, έπινοοΰσι τα
προς την χρείαν, — Da die Not den Menschen erfinderisch machte, ist eine
Feststellung, die allem Anschein nach bereits in sophistischen Kulturentstehungs-
theorien ihren Platz hatte (zur αρχαιολογία in der lteren Sophistik grundlegend
E. Norden, Agnostos Theos, 1912, 370-374 und 397-400, Vgl. auch die einschl -
gigen Arbeiten ber die Sophistik, die hier nicht einzeln angef hrt werden k nnen).
W. Uxkull-Gyllenband, Griech, Kultur-Entstehungslehre, 1924, 18—20 versuchte,
sie auf Protagoras zur ckzuf hren, den er als Quelle f r Platon, Pol. 274 C (nachdem
die Gottheit die Welt sich selbst berlassen hatte, waren die Menschen der Urzeit
unf hig, ihre Nahrung anzuschaffen δια το μηδεμίαν αύτοΰς χρείαν πρότερον άναγ-
κάζειν) betrachtete. Da diese Hypothese nicht berzeugt, zeigte unter anderen A.
Kleing nther, Πρώτος εύρετής 106. Bereits fr her hatte K, Reinhardt, Hekataios von
Abdera und Demokrit, in: Hermes 47 (1912) 492—513 an Demokrit gedacht, dessen
μικρός διάκοσμος von Hekataios von Abdera in den Αιγυπτιακά benutzt worden sei
und durch diesen Diodor I (vgl. I 8,7 καθόλου γαρ πάντων την χρείαν αυτήν
δι,Οάσκαλον γενέσθαι τοΐς άνθρώποις) und Tzetzes, Schot, zu Hesiod (bei Diels-
Kranz VS II6, S. 138, l ... την ανάγκην σχόντες διδάσκαλον) beeinflu t habe. Rein-
hardts Rekonstruktion ist im allgemeinen anerkannt worden (vgl. z.B. E, Norden,
Agnostos Theos 397. W. Jaeger, Nemesios, 1914, 123. W. Uxkull-Gyllenband 25sqq.
A. Kleing nther 106-109. W. Nestle, Vom Mythos zum Logos2 1942, 197. Diels-
Kranz, VS II 6 drucken die von K. Reinhardt auf Demokrit zur ckgef hrten Texte
unter 68 B 5 ab). Einige Gelehrte neigen aber eher dazu, den Themenkomplex aus
Diodor I als von Poseidonios stammend zu betrachten (G. Pfligersdorffer, Studien zu
Poseidonios, in: Skz.-Ber. Akad. Wien 1959, phil. hist. Kl. 232,5. O. Gigon, in:
Gnomon 33 [1961] 775). Mit gro er Gelehrsamkeit hat jedoch W, Spoerri, Sp thelle-
nistische Berichte ber Welt, Kultur und G tter. Untersuchungen zu Diodor von Si-
zilien, Basel 1959, und Zu Diodor von Sizilien l, 7/8, in: Mus. Helv. 18 (1961) 64-82
gezeigt, da Reinhardts Auffassung ber die Quellen der betreffenden Diodorkapitel
nicht stichhaltig ist (in diesem Sinn bereits H.J. Dahlmann, De philosophorum
Graecorum sententiis ad loquellae originem pertinentibus capita duo, Diss. Leipzig
1928) und da die Poseidonios-Hypothese ebensowenig berzeugt. Er selbst denkt
eher an einen „Gedankenvorrat der Allgemeinbildung" (vgl, die scharfe Rezension von
O, Gigon, in: Gnomon 33 {1961] 771 — 776). Was speziell das Motiv der χρεία bzw.
der ανάγκη als kulturf rdernder Faktor anbelangt, erscheint es recht fr h als Gemein-
gut und kann schwerlich als kennzeichnend f r eine bestimmte Schule angesehen wer-
den. Vgl. z.B. Hippokr., De prisca med. III 575 (αύτη ή ανάγκη ίητρικήν έποίηοεν
ζητηθήναί τε και εύρεθήναι άνθρώποισιν), Eurip., Fragm. 715 (Telephos) N. 2
(χρεία διδάσκει, καν βραδύς τις, σοφόν). Aristoph., Plut. 467—597 (Penia beweist,
da es ohne sie keine Handwerker g be. Siehe besonders 532—534 εγώ γαρ τον χει-
Im Zusammenhang mit der ersten Form der σοφία erw hnt Aristo-
kies also nur solche Fertigkeiten, die sich auf die Ern hrung beziehen.
Dies ist auffallend genug, denn die χρεία der Menschen nach der Flut-
katastrophe d rfte sich nicht allein auf das Essen beschr nkt haben. In
anderen Schilderungen der ltesten Entwicklungsstufe werden in der Tat
andere Fortschritte erw hnt, die das Lebensnotwendige sichern sollen
und anderen Bed rfnissen entsprechen. Der Mensch mu sich z, B,
gegen die K lte sch tzen; er bekleidet sich zuerst mit Tierfellen, dann
lernt er, wie man Stoffe und Kleider hersteilen kann. Er bernachtet in
Tierh hlen, sp ter baut er sich H user. Er kommt in den Besitz des
Feuers, so da die z. T. lebenswichtigen Feuerk nste entstehen k nnen
etc. Man k nnte sich vorstellen, da Aristokies auch diese Formen der
χρεία und ihre Befriedigung erw hnte, die Zwischenquelle jedoch, die
Philoponos und Asklepios benutzten, seine Ausf hrungen in stark ge-
k rzter Form wiedergab. Bei dieser Vermutung ist allerdings eine ge-
wisse Einschr nkung erforderlich: Wie wir noch sehen werden, scheint
Aristokies die Erfindung aller τέχναι, sowohl der notwendigen als auch
der berfl ssigen, in der zweiten Entwicklungsstufe angesetzt zu haben.
Ist dies wirklich der Fall gewesen, so leuchtet es ein, da nur die primi-
tivsten Formen der Bekleidung und der Wohnst tten f r die erste Stufe
ροτέχνην ώσπερ δέσποιν' έπαναγκάζουσα κάθημαι Ota την χρείαν και την
ζητείν οπόθεν βίον ||ει, zu vergleichen mit ApuL, Apoi, ISpaupertas . . . prisca aput
saecula omnium civitatmm conditrix, omnium artittm repertrix etc.) Plat., Resp, II
369C sqq. (χρεία des Einzelnen als Antrieb zur Polisgr ndung); Pol. 274 C (vgl.
oben), Arist., Pol. VII 10, 1329b 27 (τα . , . αναγκαία την χρείαν διδάσκειν είκός
αυτήν). Menandr,, Fragm. 229 (Karchedonios) Koerte (χρεία διδάσκει, καν άμουσος
fj, σοφον Καρχηδόνιον). Eratosth., Hermes Fragm. X Hiller (χρειώ πάντ' έδίδαξε· τί
6' οιι χρειώ κεν άνευροι. Nach Hiller 20 f hrte Hermes diesen vielleicht schon sprich-
w rtlichen Satz an, als er eine List erfand, um die Spuren seines Diebstahls zu ver-
wischen). Lucr. V 1029 (utilitas expressit nomtna rerum)*, 1452—1453 (usus et impigrae
simxl experie n t ia m en tis pan la tim do cut t pe de temp tim p rogredientis). Diog. Genoa nd.
Fragm. 10 Kol. II 8-10 Chilton (πάσας [sc. τέχνας] γαρ έγένησαν αΕ χρείαι και
περιπτώσεις μετά χρόνου),
104
Oft wird geschildert, wie die Urmenschen sich gleichsam wie Tiere von Gras, wilden
Fr chten und rohem Fleisch ern hrten. Der bergang zum Ackerbau, zum Mahlen,
Backen und Kochen charakterisiert also die erste Stufe in der Entwicklung der Kultur,
Vgl. Hippokr., De prisca rnedk, III 576—578, bes. 577 Ende (Herstellung von Mehl,
Brot, Backwaren. Dazu A,J. Festugiere, Hippocrate. L'ancienne medecine, Paris
1948, 35, mit Parallelstellen). Pkt., Pol. 274C; Epin. 975Α-B. Diod. I 8,1 und 5-7.
Auch Asklep., Metaph. 11,9-11 ΐστεοον δε έφρόντιζον των αναγκαίων μόνων,
οίον αρτοποιίας και υφαντικής, ων άνευ ου δυνατόν είναι ήμας.
10i
Epin. 974 D-E . . . ό δε επιστήμων αυτών γιγνόμενος, ει και κατ' αρχάς ϊδοξέν τις
είναί ιτοτε σοφός, οΰκοιτν νυν γε οΰτε σοφός είναι δοξάζεται ονείδη τε ΐσχει μάλλον
άπο της τοιαύτης επιστήμης.
10
* Da die Epinomis auch an eine zeitliche Abfolge der Besch ftigungen denkt, die man
als σοφία bezeichnen k nnte, d rfte aus u erungen hervorgehen wie 975 C—D οτε
δη την των αναγκαίων όρώμεν κτησιν . . . άπεργαζομένην . . ., το γε μετά τοϋτο
παιδία τις αν λείποιτο. 975Ε πάντων δ' έξειργασμένων το λοιπόν βοήθεια γίγνοιτ*
αν ... 976D: die gesuchte Wissenschaft ist eine der jetzt vorhandenen, των νυν
παρουσών. Dennoch ist, wie gesagt, der historische Gesichtspunkt hier nur sekund r.
107
Metaph. A I , 981 b 13-20.
108
So Philoponos. Diese Charakterisierung der zweiten Stufe fehlt bei Asklepios, bei dem
nur von der Erfindung der τέχναι schlechthin die Rede ist.
109
Sie begegnet uns bereits bei Demokrit. VS 68B 144 behauptet er, da die Musik zu den
j ngeren K nsten geh rt; sie sei nicht aus dem άναγκαΐον, sondern aus dem berflu ,
εκ του περιεϋντος, entstanden. In Platons Staat schildert Sokrates die Entstehung
einer Polis, die ihren B rgern lediglich das zum Leben Unentbehrliche besorgt (Resp.
II 369 B—372 C), Glaukon will sich aber nicht mit dieser ύών πόλις begn gen, er ver-
langt auch, da die B rger bequem und angenehm leben. Daraufhin entwirft Sokrates
die τρυφώσα bzw. φλεγμαίνουσα πόλις, die er der ΐιγι.ής gegen berstellt (372 E) und
in welcher der immer zunehmende Luxus und das Streben nach dem berfl ssigen
schlie lich zum Krieg f hren werden. Der Erwerbung der αναγκαία durch die ver-
schiedenen τέχναι wird in der Epinomis nicht das Bem hen um Wollust und ppig-
keit gegen bergestellt, sondern vielmehr eine spielerische, nicht ganz ernst zu
nehmende Besch ftigung, n mlich die mit der mimetischen Kunst in ihren verschie-
denen Formen (Epin. 975 C-D). Aristoteles selbst unterscheidet oft zwischen dem,
was f r das Leben unentbehrlich ist (άναγκαΐον) und dem, was ein besseres Leben
erm glicht (βέλτιον, καλώς ζην u. dgl.). Diese Gegen berstellung spielt z. B. eine be-
deutende Rolle in seiner Biologie. In der Kultur- und Staatslehre ist es bald das Streben
nach einem besseren Leben, bald das Streben nach berflu und Wollust, bald auch
beide Tendenzen zusammen, die als Gegenst cke z rn Erwerben der αναγκαία er-
scheinen. Besonders wichtig sind folgende Passagen: Pol. IV 4, 1291 a 2—4 (τέχναι εξ
ανάγκης und τέχνοα είς τρυφην ή1 το καλώς ζην); VII 10, 1329b 25-31 (die χρεία
lehrt τα αναγκαία; wenn diese vorhanden sind, wachsen τα είς εύσχημοσύνην και
περιουσίαν); 14, 1333a32—33 (ιών πρακτών τα μεν εϊς τα αναγκαία και χρήσιμα τα
δε είς τα καλά); Metaph. Α 1, 981 b 13-24 (τέχναι προς τάναγκαϊα und τέχναι
προς διαγωγήν bzw. προς ήδονήν. Vgl. oben S. 107); vgl. auch Top. III 2, 118 a
6—8 (το ευ ζην εκ περιουσίας, αύτο το ζην άναγκαΐον). Auch Cic. De nat. deor. II
148 (artes , , . partim ad HSttm vitaet partim ad oblectationem necessarias); hnlich
150. Der Gegensatz n tzlich — angenehm kommt auch bei Nemes., De nat. h rn, l,
61 vor. W. Jaeger, Nemesios v. Emesa 132—133 meint, da er bei Poseidonios
grundlegend war. Anzuf hren ist auch die oben Anm. 100 zitierte lamblichstelle, falls
sie als Aristoteles-Fragment anzusehen ist. Bei Plutarch (vgl. oben S. 108) ist es das
Streben nach Lust, das die Entwicklung der Kultur nach der Beschaffung des Lebens-
notwendigen charakterisiert. Asklep., Metaph. 11,11—22 kennzeichnet die entspre-
chende Stufe als diejenige, in der die Menschen ihre Gedanken auf die Dinge richten,
die das Leben leicht und bequem machen (προς εΰκολίαν του βίου); das Geld wird
als Beispiel f r eine Errungenschaft aus dieser Zeit genannt, und zwar mit Verweis
auf die Ethik (EN V 8, 1133b 12); allerdings haben die Ausf hrungen ber die ρα-
στώνη, die wir der Erfindung des Geldes verdanken, nichts mit der Geldtheorie des
Aristoteles zu tun; vielmehr kn pfen sie an Platon, Resp. II 371 B-D an, ein Beweis
mehr daf r, da die Kuliurentstehungslehren der Zeit oft platonisches Gedankengut
mit aristotelischem kombinieren. Als zweite Erfindung der Zeit erscheinen die B der
(λουτρά), wahrscheinlich ein trivialer Einfall des Asklepios selbst.
τέχναι in die zweite Periode zu setzen, so da die der ersten Periode zu-
geschriebenen Errungenschaften (Herstellung von Mehl und Brot, S en
u, dgl.) keineswegs als τέχναι anzusprechen w ren. Bei Philoponos
werden diese Errungenschaften der ersten Periode ebensowenig als τέχ-
ναι bezeichnet, von den τέχναι der zweiten Periode hei t es aber, da
„sie nicht bei den blo en Lebensnotwendigkeiten stehenbleiben, son-
dern sogar bis zum Sch nen und Feinen weitergingen". Soll man ver-
stehen, da bereits in der ersten Periode die Menschen ber die f r das
Leben unentbehrlichen τέχναι verf gten und nur die aufs Sch ne und
Angenehme abzielenden K nste in der zweiten erfunden wurden? Oder
soll man die erste Periode — trotz M hlstein und Ackerbau — als eine
v llig untechnische betrachten und die Erfindung aller τέχναι in die
zweite setzen, diese also als die Periode des homo faber bezeichnen?
Ber cksichtigt man die oben erw hnten kulturhistorischen Schemata,
etwa von Demokrit, Platon, Aristoteles, Plutarch und Asklepios selbst
in seinem Metaphysikkommentar, so wird man die erste L sung f r die
wahrscheinlichere halten. F r die zweite spricht jedoch die Fassung des
Asklepios in seinem Kommentar zu Nikornachos' Isagoge, und bei
genauem Hinsehen vertr gt sie sich besser mit dem Wortlaut von Philo-
ponos1 Fassung als die erste. In der ersten Periode, so sollen wir doch
wohl verstehen, brachten es die Menschen zwar fertig, f r die elemen-
taren Notwendigkeiten des Lebens zu sorgen, sie taten es aber auf sehr
primitive, noch untechnische Weise. In der zweiten dagegen entwickeln
sich die τέχναι; diese beheben zwar auch Lebensbed rftigkeiten, f hren
aber gleichzeitig zu einer besseren, ziviiisierteren Lebensform; das Hand-
werk des Zimmermanns und die Baukunst bewirken es, da der bomo
faber besser wohnt als der in einfachen H hlen bernachtende Natur-
mensch der ersten Zeit. Sicher ist auf jeden Fall, da Aristokles die
τέχνη des Zimmermanns (τέκτων) dieser zweiten Periode zuordnete 110 .
Die Homer entnommene Anspielung auf Athenes Eingebung und die
Bemerkung, da „man wegen der Au ergew hnlichkeit der Erfindun-
110
Er zitierte, wie aus den beiden Fassungen ersichtlich ist, zwei Homerverse, und zwar
H. O 412 ( ber den geschickten Zi mm ermann, der dank der Eingebung der Athene
seine Kunst, σοφίη, beherrscht) und II. ψ 712. Abweichend von der direkten ber-
lieferung (κλυτος ήραρε τέκτων) hei t es hier (wie auch bei Klem, Alex., Strom, I
41. Ammon., In Porph. Isag. 42,30 und Eust. 1023,14) σοφός ήραρε τέκτων, offen-
bar 'weil der Vers mit dieser Variante die zweite Bedeutung von σοφός — σοφία be-
legen soll. Vgl. A.J. Festugiere, Revel. Herrn. Trism. II 223 Anm. 3. F. Trabucco,
II problema 115—116, M. Untersteiner, Arist. Delia Filos. 128.
gen die von diesen Menschen ersonnenen Fertigkeiten auf eine Gottheit
zur ckf hrte111", bedeuten keineswegs, da Aristokles die Auffassung
teilte, nach welcher die Menschen bestimmte Kulturg ter von den G t-
tern erhalten h tten. Seiner Meinung nach ist es vielmehr die mensch-
liche Intelligenz (vgl. das h ufige Vorkommen der W rter έπινοεΐν,
έπινοΐα!), die als Faktor des Fortschritts anzusehen ist112.
Die dritte Entwicklungsstufe und dementsprechend die dritte Be-
deutung von σοφός und σοφία werden durch das Interesse f r die po-
litischen Angelegenheiten und die Erfindung von Gesetzen gekennzeich-
net. „Ferner dachten sie ber die politischen Angelegenheiten nach113
und erfanden Gesetze und alles, was zur Einrichtung der Staaten dient
{πάντα τα συνιστώντα τάς πόλεις)". Die geistigen Anstrengungen
dieser Epoche gelten also dem Zusammenleben der Menschen. Sie zielen
auf die Einrichtung von bis dahin offenbar noch nicht bestehenden In-
stitutionen: Gesetze werden erfunden und πόλεις organisiert.
In den Schemata der Kulturentwicklung, die wir oben kennenlernten
und die — wie etwa bei Aristoteles in Metaph. A I , 981 b 13—25 — das
Lebensnotwendige, dann das Schone und Angenehme und schlie lich
die uneigenn tzige Erkenntnis zu sukzessiven Objekten menschlicher
Bem hungen machen, gibt es keine Stufe, die durch die Einrichtung
staatlicher Institutionen charakterisiert wird, ja diese Institutionen
werden nicht einmal erw hnt. Wenn man berlegt, da die ersten beiden
Stufen des Aristokles im gro en und ganzen den ersten beiden der Sche-
mata entsprechen und da andererseits die dritte Stufe der Schemata
111
Letztere Bemerkung nur bei Ph oponos.
111
Bereits Xenophanes hatte gegen die Sagen von kulturf rdernden Gottheiten prote-
stiert VS 21 B 18. Mit derselben Entschiedenheit lehnt z. B, der Epikureer Diogenes
von Oinoanda Fragm. 10, Kol. II 4sqq. Chilton ab, da Kulturerfindungen auf G t-
tergaben zur ckzuf hren seien. Falls die bei Philoponos referierte Bemerkung (die
bei Asklepios fehlt) wirklich von Aristokles stammt, hat auch dieser die Kulturfort-
schritte als rein menschliche Leistungen angesehen und die Erz hlungen von kultur-
spendenden G ttern als eine nachtr gliche, nicht gerechtfertigte Erkl rung gedeutet.
113
Man beachte die ungew hnliche Konstruktion αποβλέπω περί τι (an Stelle von εις
τι, προς τι). Sie ist nur deswegen m glich, weil die urspr ngliche Bedeutung von
αποβλέπω, ,,den Blick auf einen vorhandenen Gegenstand werfen", vor der ber-
tragenen, „ ber etwas nachdenken, sich f r etwas interessieren", zur ckgewichen ist.
Die Nuance d rfte nicht unwichtig sein, Aristokles meint wohl nicht, da die Men-
schen ihr Augenmerk auf bereits vorhandene πολιτικά richteten; er scheint vielmehr
gesagt zu haben, da sie damals begannen, sich ber eine staatliche Organisation Ge-
danken zu machen.
114
Die aus der χρεία des einzelnen entstehende Gesellschaft (Resp. II 369 B—372 C)
wird als πόλις bezeichnet und weist bereits eine geregelte Organisation auf. Die
τρυφώσα πόλις, in der viele K nste auftreten, α ούκέτι του αναγκαίου £νεκά εστίν
Allem Anschein nach hat also Aristokles von sich aus die Stufe der po-
litisch-gesetzgeberischen T tigkeit in das vorgefundene Schema hinein-
gearbeitet. An Anregungen dazu d rfte es allerdings in der fr heren Li-
teratur nicht gefehlt haben. Der Protagoras-Mythos z. B. unterscheidet
sehr deutlich zwischen einem ,,technischen" und einem „politischen"
Alter. Nachdem Prometheus die έντεχνος σοφία συν πυρί von He-
phaistos und Athena gestohlen und sie den Menschen geschenkt hatte,
besa en diese G tterglauben und G tterkult sowie die artikulierte Spra-
che; sie „erfanden" H user, Kleider, Schuhe, Decken und die aus der
Erde gewonnene Nahrung. Sie hatten also die περί τον βίον σοφία, die
πολιτική aber nicht, und deswegen lebten sie σποράδην, sie konnten sich
nicht gegen die wilden Tiere verteidigen, und es gelang ihnen nicht,
St dte zu gr nden, weil sie ohne πολιτική τέχνη nicht in der Lage
waren, friedlich und gerecht miteinander zu leben. Erst nachdem Zeus
den Hermes beauftragt hatte, αιδώς und δίκη als πόλεων κόσμοι τε και
δεσμοί φιλίας συναγωγοι unter allen Menschen zu verteilen, konnten
die πόλεις entstehen115. Sieht man von der mythischen Einkleidung ab,
so l t sich der Erz hlung leicht entnehmen, da die „politische Weis-
heit" erst nach der Erwerbung der Technik gewonnen wurde. In den
Nomoi ist die Gegen berstellung gewi nicht so deutlich und explizit
formuliert, dennoch finden sich in der Arch ologie einige Angaben, die
sich in dieser Richtung interpretieren lassen. Nach der Flutkatastrophe
fehlen zwar die Handwerker, die Eisen, Bronze und andere Metalle
verarbeiten 116 , Kleider, Decken, H user und T pfe sind aber reichlich
(373B), stellt eine sp tere Entwicklung dar. K. Gaiser, Platons ungeschriebene Lehre
226—229 schematisiert meines Erachtens viel zu stark, wenn er in verschiedenen
Dialogen Platons Elemente einer Kulturgeschichte zu finden glaubt, die er folgender-
ma en charakterisiert: „Die Entwicklung beginnt mit der Erfindung oder g ttlichen
Stiftung der einfachen, praktisch-herstellenden K nste, schreitet dann zur Gestaltung
des politischen Lebens (Gesetzgebung) fort und f hrt schlie lich zur theoretischen
Erkenntnis der Prinzipien durch die Philosophie. Als Zwischenstufe erscheinen die
sch nen, musischen K nste (die einerseits ber das Lebensnotwendige hinausf hren
und andererseits die Notwendigkeit einer strengen politischen Ordnung mit sich
bringen)." Er st tzt sich dann auf diese Konstruktion in seinem Urteil ber
Aristokles, der nach ihm aus Aristoteles' Protreptikos sch pft (Op. laud, 237): „Die
hier genannten f nf Stufen der .Sophia' stimmen ganz genau zu den bei Pkton nach-
gewiesenen, im wesentlichen dreistufigen Aufbau der Wissensgebiete und Wissens-
arten . . ."
115
Plat., Prot. 321O322D.
116
Plat., Leg. III 678E.
vorhanden, denn die Techniken des Formens und Flechtens ohne Metall
reichen zu ihrer Herstellung aus117. Selbst wenn die Menschen jener Zeit
auf diesen und anderen Gebieten weniger fortgeschritten waren118 als die
vor der Sintflut oder von heute, kann man also nicht bestreiten, da sie
bereits eine beachtliche Reihe von τέχναι besa en. Gesetze und Gesetz-
geber ben tigten sie aber nicht, als Lebensregel gen gten ihnen die her-
k mmlichen Sitten und Br uche119. Erst in einer sp teren Periode, als
mit dem Wachsen der Bev lkerung eine gewisse Uneinheitlichkeit in der
Lebensweise der Gruppen zum Vorschein kam, w hlte man Vertreter,
die die verschiedenen Br uche verglichen und den Herrschern die besten
empfahlen; sie erhielten den Namen von Gesetzgebern120. In solchen
Angaben konnte Aristokles eine Anregung zu seiner Einschiebung der
πολιτική σοφία hinter die τεχνική finden oder zumindest eine Best -
tigung f r seine Konstruktion sehen121.
Die Gesetze sind f r Aristokles rein menschliche Erfindung genauso
wie die anderen, oben behandelten Kulturg ter. hnlich wie er einen
Homervers als Beleg f r die Anwendung der W rter σοφία und σοφός
im Zusammenhang mit der Erfindung der τέχναι zitiert hatte, weist er
hier darauf hin, da die Sieben Weisen von derselben Art waren wie die-
jenigen, die Gesetze und staatliche Institutionen ms Leben gerufen hatten;
117
679 A.
118
6 79 D άτεχνότεροι.
Π9 679E-680A,
120
681 C-D.
121
Einer hnlichen Kombination begegnet man in einem sp teren, von Aristokles v llig
unabh ngigen Text. Nemcsios, De nat. hom. I, S. 48-52 Matthae! weist darauf hin,
da der Mensch im Vergleich mit den Tieren von Natur aus stark benachteiligt ist.
Die Not nimmt bei ihm verschiedene Formen an; er mu sich ern hren, bekleiden,
eine Wohnst tte herrichten, er braucht gegebenenfalls medizinische F rsorge. Es
wird zwar nicht ausdr cklich gesagt, da die Not (χρεία, δεϊσθαι) zur Erfindung der
entsprechenden K nste gef hrt hat, der Gedanke hegt aber sehr nahe. Nun f gt
Nernesios hinzu, da gerade wegen der τέχναι und ΙϊΠ.σΐήμαι und der daraus ent-
stehenden Vorteile die Menschen einander brauchen. Deswegen versammeln sie sich
und bauen St dte, Auf diese Weise k nnen sie die Dinge, die sie brauchen, leichter
miteinander austauschen und sich gegenseitig helfen. Von Natur aus ist der Mensch
ein gesellschaftliches, politisches Lebewesen, er ist keineswegs autark. Die πόλεις
sind also wegen des Handelsverkehrs und der Wissenschaften (δια τα συναλλάγματα
Kcd τα μαθήματα) entstanden. Die Reminiszenzen an Platon (Protagoras, Resp. II)
und Aristoteles (Politik) liegen auf der Hand. Zu diesem Abschnitt bei Nemesios vgl.
W, Jaeger, Nernesios von Emesa 122 — 128, der hier poseidonianisches Gedankengut
zu erkennen glaubt.
doppelter: die K rper selbst130 und die Natur, die sie hervorbringt. Da-
bei f llt auf, da die Natur (wenigstens in der Philoponos-Fassung) nicht
etwa modo Aristotelico als Prinzip der Bewegung, sondern als δημιουρ-
γός bezeichnet ist; sie erh lt also eine Funktion, die im Timaios die des
g ttlichen Werkmeisters war. Geht diese Bezeichnung tats chlich auf
Aristokles zur ck, so darf man wohl annehmen, da er sich auch hier
vom Platonismus hatte beeinflussen lassen131. Allerdings kann man nicht
ausschlie en, da der fragliche Ausdruck, der in der Fassung des Askle-
pios fehlt, vom Referenten Philoponos stammt.
In der Charakterisierung der f nften Periode weichen die beiden Fas-
sungen voneinander ab. Bei Asklepios hei t es: „F nftens stiegen sie bis
zu den g ttlichen und ewigen Wesen selbst auf, bis zu den Dingen selbst,
die immer in demselben Zustand beharren". Philoponos dr ckt sich et-
was anders aus: „F nftens schlie lich stie en sie vor132 bis hin zu den
g ttlichen, berweltlichen und v llig unver nderlichen Wesen; die Er-
kenntnis dieser Wesen nannten sie Weisheit im h chsten Sinne des Wor-
tes". Zweifellos wird also die f nfte und letzte Form der σοφία als die-
jenige bezeichnet, die sich mit dem G ttlich-Transzendenten (im Ge-
gensatz zum K rperlich-Diesseitigen) besch ftigt. Ob wir berechtigt
sind, die vierte Stufe etwa mit der Epoche der vorsokratischen Natur-
wissenschaft zu identifizieren und in der f nften eine Anspielung auf
130
Αυτά τα σώματα. In diesem Ausdruck darf αυτά nicht berinterpretiert werden; es
hat die von K hner-Gerth II S. 651 geschilderte „ausschlie ende Bedeutung" und
hebt den Gegensatz zu der gleich darauf genannten ψύοις hervor.
131
Vielleicht k nnte man einwenden, da auch Aristoteles der φύσις eine „dermurgl·
sehe" Funktion mehrmals zuschreibt. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest,
da er dies lediglich im Hinblick auf die Organisation der Lebewesen tut und solche
Ausdr cke niemals im Zusammenhang mit der Gestaltung des Kosmos und der
K rperwelt schlechthin verwendet. Vgl. De gener, an. I 23, 731 a 24 (Modalit ten der
Fortpflanzung und der Geschlechtlichkeit); II 6, 743 b 20—23 (Entwicklung des Em-
bryos); III 4, 755 a 20—21 (Entwicklung der Frscheier); De part. an. I 5, 645 a 7—10
(Gestaltung der Tiere); II 9, 654 b 31—32 (Entwicklung der Knochen und der fleischi-
gen Teile im Embryo); De ine. an. 12, 711 a 17—18 (Gestaltung der Gliedma en bei
den Menschen und den Tieren). Eine ganz andere Perspektive begegnet uns aber im
pseudanstotehschen De mundo, wo wir (5, 396 b 28—34) von einer alles durchdrin-
genden Kraft h ren, die die ganze Welt gefertigt hat, τον σύμπαντα κόσμον δη-
μιουργησασα.
132
ber die palmarische Emendation έφθασαν an Stelle des berlieferten ϊφρασαν, vgl.
A.J. Festugiere, Revel. Herrn. Tnsm. II 224 Anm. l und W. Haase, in; Synusia.
Festgabe W. Schadewalch 347 Anm. 20. Asklepios schreibt άνέδραμον, was die
Emendation im Philoponos-Text best tigt.
133
Τα .. . ύπερκόσμια. Das Wort erinnert an den ύπερουράνιος τόπος aus Plat,,
Phaidr, 247C, kommt aber, soviel ich wei , erst bei Iambi., De myst. V 20 vor und
findet sich dann fters bei den Neuplatomkern des 5. Jh. wieder.
134
Da Philoponos seine Quelle etwas ausschm ckt und nicht so getreu wiedergibt wie
Asklepios, wurde bereits von L. Tar n, Op. laud. 74 hervorgehoben: „Philoponus
most probably did not have anything but the text of the notes from Ammonius'
lectures for the quotation or paraphrase from Aristocles, This did not prevent him
from expanding, as may be seen from a comparison of Philoponus' text with that of
Asclepius,"
135
M. Untersteiner ap. F. Trabucco, II problema 1C5 Anm. 37 und Aristotele. Delia Filo-
sofia 130—131 sowie F, Trabucco selbst verweisen auf Pkt., Soph. 246 A sqq.: Konflikt
der Materialisten und der Anh nger von νοητά αττα και ασώματο είδη. Allerdings
kann man der Behauptung, da „il parallelismo fra la storia della filosofia ne! περί
φιλοσοφίας e quella del Sofista non potrebbe risuhare pi rigorose" nicht ohne
weiteres beipflichten. Bei Platon handelt es sich um ein Entweder-Oder; in ihrer Ab-
solutheit schlie t jede der beiden Seinserkl rungen die andere aus. Bei Aristokles da-
gegen haben wir es nicht mit einer Seinserkl rung, sondern mit der Schilderung eines
Fortschritts zu tun. Die Legitimit t der Erforschung der οώματα und der φύσις wird
nicht in Frage gestellt; es wird lediglich hervorgehoben, da die σοφία in ihrer h ch-
sten Form sich mit h heren Wesenheiten besch ftigt.
136
H, Heiland druckt hinter dem eigentlichen Aristokles-Referat noch etwa 50 Zeilen
aus Philoponos' Kommentar ab (Vestigium I, Z, 58-104) und bemerkt dazu: haec
non lam mera Anstoclea esse puto, cum commemoretur Plotmus, qui multo post
ilium vixit. Er meint also offensichtlich, daß diese Zeilen ari s to k leise h es Gedankengut
in späterer Überarbeitung enthalten. Gegen diese Vermutung sprechen sich unter
anderen aus F. Trabucco, U problems 113 sqq. und selbstverständlich auch W. Haase.
137
Philop. bei H. Heiland 24,57-25,61. Asklep. Trail. 24,44-49 Tarän. Der einzige
inhaltliche Unterschied zwischen den beiden Fassungen besteht darin, daß als Urheber
der Einschränkung auf die Pythagoras bei Philoponos, ot bei
Asklepios genannt werden,
138
Sehr ausführlich Philop, bei H. Heiland 25,63-26,105; viel gedrängter Asklep,
Trail. 24,49-25,63 Tarin.
539
Nikom,, Introd, arithm, α l, S. 1,5—2,5. Man beachte die w rtlichen Ankl nge,
z.B. των προ Πυθαγόροιι πάντων σοφών καλουμένων συγκεχυμένω ονόματι . . .
αλλ' δ γε Πυθαγόρας συστείλας πάντων το δνομα . .. ber den angeblich pytha-
goreischen Ursprung des Wortes Philosophie vgl, W. Burkert, Platon oder Pytha-
goras? Zum Ursprung des Wortes „Philosophie", in: Hermes 88 (1960) 159-177.
140
Philop. bei Heiland 23,6-7 ζητεί το τέλος της οντως φιλοσοφίας καί την όδον την
άγουσαν έπι ταύτη ν, 25,62-65 τοΰτο γαρ Ιστι της σοφίας το τέλος, ή των θείων
πραγμάτων γνώσις. Τα 6έ επί ταύτην άγοντα την σοφίαν . . . ή των μαθημάτων
έστϊν επιστήμη. hnlich Asklep. Trail, α 3—4; 49—51; 62.
141
Arninon., Cat. 4,9-20. Philop., Cat. 5,34-6,16. Simpl., Cat. 6,6-18. Olymp.,
Cat. 9,14-10,2. Elias, Cat. 119,26-121,19. ber die in solchen Einf hrungen be-
handelten Probleme vgl. Bd. I 67sqq,
142
Elias, Cat. 107,24-26.
143
Plot. I 3, 3,5—7 H.—S, τα μεν δη μαθήματα δοτέον προςσυνεθισμον κατανοήσεως
καί πίστεως ασωμάτου. Bei Philop., In Nie. Isag. Ι α (S. 25,65-66 Heiland) liest
a) Anordnung
deren Kriterien umsehen. Was das siebente Buch anbetrifft, kann man
vermuten, da die Ausf hrungen ber Platon 147 vor der „Apologie" des
Aristoteles148 standen und da die Angaben ber die Stoiker149 erst
danach folgten. F r das achte Buch ist die Situation komplizierter. Da
Eusebios sich nicht an die Anordnung des Originals h lt, ist ohne wei-
teres klar. Der erste Text, den er zitiert, beginnt n mlich mit dem Satz:
„Es hat aber andere Denker gegeben, die sich f r die These aussprachen,
die im Gegensatz zu der eben genannten steht. Sie sind n mlich der An-
sicht, da man die Wahrnehmungen und die Vorstellungen verwerfen
und nur der Vernunft selbst Vertrauen schenken soll150". Unmittelbar
vor diesen Er rterungen mu also ein Abschnitt gestanden haben, in
dem von Denkern die Rede war, die sich auf die Sinneswahrnehmung
verlie en und der Vernunft mi trauten. Gerade diese These wird in
einem Text behandelt, den Eusebios weiter unten zitiert und der mit fol-
gendem Satz beginnt: „Es hat Leute gegeben, die der Meinung waren,
man solle nur der Wahrnehmung und den Vorstellungen Vertrauen schen-
ken151". Demzufolge mu bei Aristokles das Exzerpt P.E. XIV 20 vor
dem Exzerpt P.E. XIV 17 gestanden haben152. Die Anh nger der Wahr-
nehmung waren laut Aristokles Metrodoros von Chios und vor allem
Protagoras; als Gegner der Wahrnehmung und Anh nger der Vernunft
werden die Eleaten (Xenophanes, Parmenides, Zenon, Melissos) und die
Megariker (mit Stilpon) genannt. Daraus geht hervor, da die Anord-
nung des Stoffs in Aristokles' achtem Buch keine chronologische, son-
dern wohl eine — wie auch immer geartete — systematische war. Alle
Exzerpte aus Eusebios P.E. XIV beziehen sich auf die Kritik der Er-
kenntnis. Gerade auf die Wichtigkeit des Erkenntnisproblems wird am
Anfang des Exzerptes XIV 18 hingewiesen. Dort hei t es: „Es ist im
h chsten Ma notwendig, Untersuchungen ber unsere eigene Erkennt-
nis anzustellen. Denn wenn wir nichts zu erkennen verm gen, brauchen
147
P. E. XI 3 = Fragrn, I Heiland.
M8
P. E. XV 2 = Fragrn. 2 H.
149
P.E. XV 14 = Fragm. 3 H.
150
P.E. XIV 17,1 άλλοι δ' έγένοντο τούτοις την εναντίον φωνήν άφι-έντες. oCovtai
γαρ δείν τσς μεν αισθήσεις και τάς φαντασίας καταβάλλειν, αύτψ δε μόνον τφ
λόγω πιστεύειν.
15!
P.E. XIV 20,1 γεγόνασι 6έ τίνες οί άξιοϋντες ifj αίσθήσει καΐ ταϊς φαντασίαι-ς
μόνα ι ς δεϊν πιστεύειν.
15ΐ
Dies hat H, Heiland bereits richtig erkannt. P. F.. XIV 20 druckt er als Fragm, 4 und
XIV 17 als Fragm. 5 ab.
wir nicht mehr ber die anderen Dinge zu forschen153". Allem Anschein
nach stand dieser Satz am Anfang des ganzen Komplexes, den Aristokles
dem Erkenntnisproblem widmete. Die Darstellung und die Kritik des
absoluten Skeptizismus der Pyrrhoneer, die mit dem zitierten Satz
eingef hrt werden, bildeten also das erste Thema, das in diesem Kom-
plex behandelt war. Hat sich Aristokles zuerst mit der radikalsten Form
der Skepsis auseinandergesetzt, so kann man sich vorstellen, da er da-
nach die partiellen Ablehnungen der G ltigkeit menschlichen Erkennens
behandelte. Das n chste Zitar bei Eusebios, in dem die Ansicht einiger
Kyrenaiker, da nur die inneren πάθη als sicher gelten k nnen, er rtert
wird154, schlie t sich ganz nat rlich an. Die Ausf hrungen ber die
These der Epikureer, nach welcher Lust und Schmerz das Kriterium des
Erstrebens und Meidens bilden, folgten wohl dem Abschnitt ber die
Kyrenaiker, denn die beiden Lehrmeinungen sind eng miteinander ver-
wandt. Die brigen zwei Exzerpte gelten Theorien, die insofern weniger
radikal sind, als sie wenigstens einem Teil der nach au en gerichteten
Erkenntnisverm gen G ltigkeit zusprechen. Wie bereits angegeben,
ging das Kapitel ber Metrodor und Protagoras {nur auf Wahrnehmung
und Vorstellung kann man sich verlassen)155 den Er rterungen ber die
Eleaten (zuverl ssig ist nur die Vernunft}156 voraus. Bemerkenswert er-
scheint der letzte Satz des Eleatenkapitels: „Schon jetzt k nnen wir ge-
trost sagen, da diejenigen richtig philosophieren, die sowohl die Sin-
neswahrnehmungen als auch die Vernunft zur Erkenntnis der Dinge
gelten lassen157". Mit diesem Satz schlie t der ganze Komplex.
153
P.E. XIV 18, l άναγκαίως δ* έχει προ παντός διασκέψασθαι περί της ημών αυτών
γνώσεως- εΐ γαρ αν μηδέν πεφύκαμεν γνωρίζειν, ουδέν δει περί των αλλο>ν οκο-
πείν. Obwohl einige Gelehrte vermutet haben, da dieser Einleitungssatz auf Timon
selbst oder auf die von Aristokles herangezogene Quelle zur ckzuf hren sei, d rfte
es ziemlich sicher sein, da er von Aristokles selbst stammt. Vgl, F. Decleva Caizzi,
Pirronc 218—219. Im Gegensatz zu F. Trabucco, Scetticismo 116, die meint, mit
diesem Satz habe Aristokles an die Konklusion seiner Er rterungen ber die Eleaten
und die Megariker angekn pft, glaube ich, da diese Zeilen die grunds tzliche Bedeu-
tung des Erkennmisproblems berhaupt unterstreichen: Sollten wir nichts erkennen
k nnen, so w rde sich jede weitere philosophische Untersuchung er brigen; deswe-
gen m ssen also die Thesen der radikalen Skeptiker als erste widerlegt werden.
154
P.E. XIV 19.
155
P.E. XIV 20.
156
P.E. XIV 17.
157
P.E. XIV 17,9 ήδη μέντοι θαρροϋντες λεγομεν ορθώς φιλοσοφείν τους και τάς
αισθήσεις και τον λόγον im. την γνώσιν την των πραγμάτων παραλαμβάνοντας.
158
Ein., P. E. XI 3,1-9 = Fragm. I H.
ls
» Z.B. Attikos bei Eus., P.E. XI 2,1-5 = Fragm. l Baudiy = Fragm. l des Places
(bes. XI 2,2 . . . Πλάτων πρώτος και μάλιστα συναγείρας είς Ιν πάντα τα της
φιλοσοφίας μέρη, τέως έσκεδασμένα καΐ διερριμμένα . . ., σώμα τι και ζφον όλό-
κληςον άίιέφηνε την φιλοσοφίαν . . .). Diog. Laert. Ill 56 (Die Philosophie bestand
zuerst nur aus der Physik. Sokrates f gte die Ethik hinzu, Platon wiederum die Dia-
der Philosophie auf Platon zur ckgef hrt und seine eigene Darstellung
der platonisch-peripatetischen Lehre entsprechend gegliedert160. Sextus
Empiricus ist allerdings vorsichtiger. Nachdem er ber die vorplatoni-
schen Philosophen berichtet hat, die jeweils nur einen, h chstens zwei
Teile der Philosophie gepflegt hatten161, bemerkt er, da der Sokrates
der platonischen Dialoge sich mit allen drei Teilen befa te162, ferner,
da Platon nur δυνάμει der Urheber der Dreiteilung gewesen ist, w h-
rend diese expressis verbis von Xenokrates, den Penpatetikern und den
Stoikern vertreten wurde163.
Wie dem auch sei, f r Aristokles steht fest, da es vor Platon noch
keine echte, vollst ndig ausgebaute Philosophie gab. Kurze Angaben
ber einige Denker der fr heren Zeit sollen diese Anschauung unter-
mauern. Von den loniern — hier als οι άπο Θαλοϋ bezeichnet — hei t
es, sie h tten sich ausschlie lich der Naturphilosophie gewidmet. Die
Pythagoreer h tten alles verborgen gehalten; dieser Hinweis beruht offen-
sichtlich auf der alten berlieferung, nach welcher es in der pythago-
lektik, καί έτελεσιούργησε την φιλοσοφίαν); vgl, auch III 8. Apul., De Plat. I 3,187
(Als erster vereinigte Platon die bis dahin getrennten drei Teile der Philosophie zu
einem Corpus). Augustin., De civ. Dci VIII 4, S. 359,7-22 Hoffmann (Sokrates hat
die pars activa, Pythagoras eher die contemplativa gepflegt, Proinde Plata tttrumqite
iungendo philosophiam perfecisse laudatur, quam in tres panes distribmt , . .).
Hippo!., Ph os. I Prooem. = Dox. 553,9; 18,2 = Dox. 567,4-5; J9,22 = Dox.
570,5—7 (Platon „mischt" die drei Teile der Philosophie, Physik, Ethik, Dialektik,
miteinander), Photios, Bibl. cod. 249, 713 H. (Bei den Pythagoreern aus Italien lernt
Platon die θεωρητική und die φυσική, die Ethik vorwiegend bei Sokrates; die Ele-
mente semer Logik stammen von den Eleaten Zenon und Parmenides).
160
Cic., Acad. 19 fuit ergo iam accepta a Platone pbilosophandi ratio triplex etc. Ent-
sprechende Gliederung der §§ 19—32, hnliche Gliederung Lucull. 116—146; Tusc.
V 68 — 72; De fin, IV 4-13; V 9—11, wo von der akademisch-peripatetischen Philo-
sophie die Rede ist. Auch Areios Did. bei Stob. II 7, 3f., S. 49,18-23 W. und Al-
binos, Didask. 3, 153,21 — 154,4 halten die Dreiteilung f r platonisch.
1S1
Sext. Emp., Adv. math. VII 5-8.
161
Ebda 9—10. Laut Timon habe Platon das Sokrates-Bild versch nert!
163
Ebda 16 = Xenokrates, Fragm. l Hemze. In der Tat unterscheidet Platon die drei
Teile nicht; es lag jedoch nahe, Dialoge wie Timaios und Phaidon der Naturphilo-
sophie, Staat, Nomoi, Politikos, Philebos und Gorgias der Ethik, The tet, Sophistes
und Parmenides der Dialektik zuzuordnen (vgl, E. Zeller, Philos, d. Gr. II I s , 584).
Anspielung auf die Dreiteilung bei Aristoteles, Top. I 14, 105 b 19—21, H.J. Kr -
mer, Platonismus und hellenistische Philosophie, 1971, 288 meint, da die Dreitei-
lung von Xenokrates stammt und von Aristoteles in seiner Fr hzeit bernommen
wurde.
164
Hier k nnen wir nicht auf die ganze Problematik dieser berlieferung eingehen.
Umstritten ist unter anderem die Frage, ob die Pflicht zur Geheimhaltung f r vor-
wiegend rituelle Br uche und Verhaltensregeln galt oder sich auf wissenschaftliche
Erkenntnisse erstreckte. Die ltesten Zeugnisse ber die pythagoreischen απόρρητα
stammen aus dem 4, Jh. v. Chr.: Isokr., Bus, 29 (wegen ihres Schweigens werden die
Pythagoreer mehr bewundert als die ber hmtesten Redek nstler}. Arist. ap. larnbl.,
Vit. Pyth. 31= Fragm. 192 Rose3 = De Pythag. Fragm. 2 Ross. Aristoxenos ap.
Diog. Laert, VIII 15 = F, Wehrli, Schule des Arist., II, Aristox., Fragm, 43. Di-
kaiarch. (?) ap. Porph., Vit. Pythag. 19 {Ob dieser Teil von Porphyries' Bericht auf
Dikaiarch zur ckgeht, ist umstritten. Vg!. W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft
99 mit Anm. 6). Vgl. auch Apul,, Flor. 115 {P. . . . nibil prius discipulos docuit
quam tacere}. Sp tere Zeugnisse bei E. Zeller, Philos. d. Gr. I l 6 , 369; 400; 409.
Zum neueren Stand der Diskussion vgl. W. Burkert 162; 430—431.
165
Die Anspielung auf die απόρρητα und das Pflichtschweigen der Pythagoreer hat F,
Trabucco, II problema 128 nicht erkannt, Aristokles, meint sie, hatte das Gef hl, da
die Pythagoreer durch die Einf hrung religi s-rnysthischer Momente in die Philoso-
phie eine gewisse St rung oder Verdunkelung der naturphilosophischen Erkenntnisse
bewirkt h tten.
166 £j]e Eleaten werden hier als Ξενοφάνης και οί απ' εκείνου bezeichnet. H. Heiland
27 Anm. 28 kommentiert: Non recte mdicat hoc loco de Xenophane. Neque emm is,
sed Parrnenides, Melissus, Zenon in rebus dialecticis versabantur. In der Tat wird
Xenophanes selbst in keiner anderen Quelle zu den Eristikern gez hlt, F, Trabucco
128—129 ist jedoch der Ansicht, da Xenophanes' Stellungnahme gegen die aner-
kannte δόξα seine Einordnung durch Aristokles irgendwie rechtfertigt. Wahrschein-
licher ist jedoch, da Aristokles die Eleaten en bloc charakterisieren wollte und, einer
verbreiteten Ansicht folgend, Xenophanes als den Urheber des Eleatismus betrachtet
hat. (Vgl, Plat., Soph. 242 D. Arist,, Metaph. A 5, 986b 21. Theophr, ap, Simpl.,
Phys, 22,27 etc.). Parrnenides und Mehssos wird von Aristoteles, Phys. I 3,
186a 6sqq. vorgeworfen, da sie έρισίίκώς συλλογίζονται. ber Melissos vgl. auch
Soph. El. 5, 167b 13—17; 6, 168b 37—40. Zenons Argumente f r den Eleatismus lie-
ferten bekanntlich der sp teren Eristik einen Teil ihrer Waffen; daher konnte er als
der Vater der Dialektik angesehen (Artst., Fragm. 65 Rose3 = Arist., Soph.,
Fragm. l Ross) und des fteren m die N he der Eristik ger ckt werden (vgi. Plat.,
Phaedr. 261 D; Parm. 127 E sqq. Isokr,, Hei. 3. Tim on, Fragm. 5 bei Wachsmuth,
Sillogr, Gr. Rel. 97. Pkt., Perici, 4. Ps.-Plut., Strom, ap. Eus., P.E. I 8,6 = Dox,
581,5, Sen., Eptst. 88,44).
krates, obwohl auch bei diesem einiges zu bem ngeln ist. Wenn Aristo-
kies schreibt, Sokrates sei nicht weniger (als die Eleaten) „ein Feuer auf
dem Feuer" gewesen, so meint er damit, da er nicht weniger als jene
zur Verwirrung der Philosophie beitrug und nichts Positives leistete167.
Vier Punkte hebt er in diesem Zusammenhang hervor: 1. Sokrates war
begabt und f hig, ber jedes beliebige Thema (den Gespr chspartner) in
Verlegenheit zu setzen (άπορήσοα περί παντός ότουοϋν). - Das ein-
schr nkende Moment ist hier nicht zu verkennen: Sokrates1 F higkeiten
zielen auf das Erzeugen von Unsicherheit und Zweifel ab; L sungen der
Probleme werden von Ihm nicht angestrebt. In der Sicht des Aristokles
la t sich also Sokrates mit den Eleaten vergleichen. 2. Er f hrte die ethi-
schen und politischen Untersuchungen ein. - Aristokles betrachtet also
Sokrates als denjenigen, der die Philosophie um ein Teilgebiet, die Ethik,
bereicherte. Da das Interesse des Sokrates f r die ethisch-politischen
Fragen sowohl durch Xenophon als durch Platon bezeugt ist, braucht
nicht besonders unterstrichen zu werden. Dieses Verdienst des Sokrates
wird allerdings durch die Bemerkung eingeschr nkt (unten, Punkt 4),
mit der Aristokles seine Charakterisierung abschlie t. Vielleicht deutet
auch das Wort σκέψεις darauf hin, da Sokrates Untersuchungen an-
stellte, jedoch keine feste pers nliche Lehrmeinung vertrat. 3. Ferner
f hrte er die Untersuchung ber die Ideen ein, indem er sich als erster
um Definitionen bem hte168. — Es sei daran erinnert, da auch Aristo-
teles mehrmals das Definieren als ein Charakteristikum des sokratischen
Philosophierens hinstellt und in diesem Zusammenhang hervorhebt, wie
das Definieren die Aufmerksamkeit auf das Allgemeine (καθόλου) lenkte,
welches dann von Platon als „getrennt" existierend betrachtet worden
16,7 Uber den sprichw rtlichen Ausdruck πυρ επί πυρί, der soviel bedeutet wie „ein
bel einem anderen bel hinzugef gt", und seine diversen Bedeutungen vgl. H,
Flashar, Aristoteles. Problemata Physica 396, zu I 12, S60b 17. Mit καθάπερ αυτός
Ιφη Πλάτων will Aristokles nat rlich keineswegs sagen, da Piaton dieses Urteil
ber Sokrates gef llt habe, sondern lediglich, da der Ausdruck πυρ επί πχιρί bei Pla-
ton vorkommt (Leg. II 666A).
168
An dieser Behauptung nimmt H. Heiland 28 Anm. 24 Ansto : ut reliqua, quae Ar.
dixit de Socrate, improbare non possurnus, ita valde minim nobis viderur, quod eurn
primum de ideis disserentem fingit. Er meint, da Aristokles sich von den Dialogen
hat beeindrucken lassen, in denen Platon die Ideenlehre durch Sokrates vortragen
la t. Zu ber cksichtigen ist allerdings, da die Angabe (έπειοηνεγκε) την περί των
ιδεών (σκέψιν) vom erkl renden Partizipium πρώτος έπιχειρήσας όρίζεσθαι, nicht
getrennt werden darf. Aristokles behauptet nicht einfach, da „Sokrates als erster
ber die Ideen redete"; vielmehr gibt er zu verstehen, da Sokrates durch sein Ringen
um Definitionen den Weg zur Ideenlehre er ffnete.
sei169. Nach Aristoteles ist also Sokrates der Anreger, der Vorbereiter
der Ideenlehre gewesen, Aristokles, der m glicherweise dasselbe ge-
meint hat, dr ckt sich etwas mi verst ndlich aus, indem er Sokrates als
denjenigen nennt, der das Nachdenken ber die Ideen eingef hrt hat.
4, Er war immer dazu aufgelegt, zu jeder Diskussion zu ermuntern und
Untersuchungen ber alles anzustellen, starb aber vorzeitig. — Offenbar
will Aristokles damit sagen, da Sokrates durch den Tod daran gehindert
wurde, sein Vorhaben zu Ende zu f hren. Gleichzeitig erinnert er daran,
da das sokratische Philosophieren aus Diskutieren und Suchen bestand,
Die Anerkennung, die er Sokrates zollt, gilt also nicht ohne Einschr n-
kungen. Das Denken des Sokrates wies die Merkmale der wahren, voll-
st ndigen Philosophie nicht auf; es war zu aporetisch und umfa te nicht
alle Gebiete der Philosophie. Dazu kam noch, das es durch das Todes-
urteil in seiner weiteren Entfaltung gehindert wurde.
Aristokles erw hnt dann Gelehrte, die von der Philosophie bestimmte
Teile abtrennten und sich nur mit ihnen befa ten. Die einen besch f-
tigten sich mit der Medizin, andere mit den mathematischen Wissen-
schaften, der Dichtkunst oder der Musik170. Die meisten aber bewun-
derten die Macht der Rede und bezeichneten sich selbst als Redner oder
als Dialektiker. Da solche Leute in Aristokles' Augen nicht als echte
Philosophen gelten k nnen, versteht sich von selbst. Ebensowenig fin-
den die Sokratessch ler Gnade vor ihm. Ihnen wirft er vor, sie h tten
sehr verschiedene, einander widersprechende Ansichten vertreten; die
einen priesen die h ndische Lebensart, die Bescheidenheit, die Affekt-
losigkeit, andere aber die Lust171; die einen r hmten sich, alles zu
wissen172, die anderen aber, berhaupt nichts zu wissen173; die einen
169
Die Belege findet man bei Th. Deman, Le Temoignage d'Aristote sur Socrate, 1942,
70—82, Texte XXV—XXVIII mit Kommentar. Von der platonischen Lehre, nach
welcher das καθόλου au erhalb der Sinnen-weit existiert, hei t es ausdr cklich Me-
taph. M 9, 1086b 2-4 τοΰτο δ! . .. εκίνησε μεν Σωκράτης δια τους ορισμούς, ου
μην έχώρισέ γε των καθ' £καοτο"ν,
170
Aristokles nennt keine Namen. Wir k nnen uns vorstellen, da er z.B. an Hippo-
krates f r die Medizin, Eudoxos und Theodoros f r die Mathematik dachte. Isokr.,
Antid. 45 spricht von Prosaschriftstellern, die περί τους ποιητας έφιλοσόφησαν. Zu
ihnen geh rte wohl Protagoras, vgl. Plat,, Prot. 338E—342 A. Als Musiktheoretiker
der vorplatonischen Zeit ist vor allem D mon zu nennen, ferner seine Lehrer Aga-
rhokles und Lamprokles und sein Sch ler Drakon.
171
Deutliche Anspielung auf Kyniker und Kyreaniker.
171
hnlich Heraklit: Hippol., Dox. 558,29.
173
Wenn hier noch von Sokratikern die Rede ist, l t sich kaum feststellen, wem Aristo-
kles die allgemeine skeptische These zuschreibt. H. Heiland 29 Anm, 25 denkt an die
hielten sich mitten im Volk, unter allen Augen auf und verkehrten mit
der Menge, andere dagegen lebten unnahbar und unansprechbar 174 .
Nachdem Aristokies auf diese Weise dargelegt hat, da weder bei
den Vorsokratikern noch bei Sokrates und den Sokratikern die
Philosophie ihr wahres Wesen und ihre Vollkommenheit erreicht hatte,
wendet er sich Platon zu und behauptet, Platon habe erkannt, da die
Wissenschaft von den g ttlichen und den menschlichen Dingen eine Ein-
heit bilde, und als erster habe er sie eingeteilt in eine Untersuchung ber
die Natur des Alls, eine ber die menschlichen Dinge und eine ber die
λόγοι175. Platons philosophische Stellung wird dann folgenderma en
Megariker, und zwar nicht an die Eristiker, sondern an sp tere Vertreter der Schule
wie z.B. Stilpon. Daf r gibt es aber keine Belege. Anstokles selbst schreibt Stilpon
und den Megarikern feste philosophische Lehrmeinungen zu, Fr, 5 Z. 12—16 H, Bei
Seneca werden allerdings die Megariker zu denen gez hlt, die behaupteten, nichts zu
wissen. Sen., Epist. 88,4 = K. D ring, Die Megariker, 1972, Fragm. 28 Zenon Elea-
tes omnia rtegotut de negotto deiecit: ait nihil esse. Circa eadem fere Pyrrhonei ver-
santur et Megarici et Eretrici et Aca emid, qui novam induxerunf icientiam, mhil
scire. Es mu also tats chlich Doxographen gegeben haben, die aus den Megarikern
Skeptiker machten. Au erhalb des Sokratikerkreises kommt die hier genannte skep-
tische These bei den Demokriteern Metrodoros von Chios und Anaxarchos vor (VS
II 6 , 70 A23; B l ; 72 A I ; 15) und sp ter nat rlich bei den eigentlichen Skeptikern
Pyrrhon und Timon (A. Goedeckemeyer, Gesch. gr, Skeptizismus 2sqq.).
174
Es ist nicht ausgeschlossen, da Aristokies mit der ersten Gruppe Aristipp und die
Kyrenaiker, mit der zweiten die Kyniker meint, wie H. Heiland 29—30 Anrn. 26 und
27 vermutet. Auch Demokrit (VS II6 68 B3) und Epikur (Fragm, 555 sqq. Usener)
empfahlen bekanntlich ein zur ckgezogenes Leben, Dasselbe scheint man von Pytha-
goras angenommen zu haben, vgl. Sen., Epist. 90,6, der Pytbagorae tacttus ille sanc-
tusque secessMS dem forum und dem consultorttin atrium gegen berstellt,
"s ber die angeblich platonische Dreiteilung der Philosophie vgl. oben S. 127. Weiter
unten bezeichnet Aristokies die drei Teile als την τε περί των ολων φιλοαοφίαν καΐ
την ποληακην, ITL δε την λογικήν. Bemerkenswert ist, da der theoretische' Teil
lediglich a!s περί της του παντός φίσεως bzw. ή περί των Ολων φιλοσοφία er-
scheint, obwohl er eigentlich auch die Besch ftigung mit dem Transzendenten (Gott,
Ideen u. dgl.) mit umfassen sollte. In einem sch nen Aufsatz hat sich P. Hadot k rz-
lich mit der Typologie der Einteilungen der Philosophie in der Antike besch ftigt (P,
Hadot, Die Einteilung der Philosophie im Altertum, in: Zeitschr. f, philos, For-
schung 36 [1982] 422—444), Er unterscheidet drei grundlegende Einteilungstypen:
Der erste (Platon, Aristoteles) richtet sich nach dem Objekt und der Methode der
einzelnen Disziplinen. Der zweite (Stoiker) ist am wechselseitigen Zusammenhang
dieser Disziplinen interessiert und bem ht sich, die systematische Einheit und Ge-
schlossenheit der Philosophie aufzuzeigen, Der dritte schlie lich basiert auf der zeit-
lichen Abfolge dieser Disziplinen in der Darlegung und im Unterricht. In bezug auf
die uns hier interessierende Epoche schreibt er (S. 432): „Die platonischen Hand-
b cher der kaiserlichen Epoche bleiben dem stoischen Geist treu, indem sie in der
dreiteiligen Struktur der Philosophie die Grundlage ihres systematischen Charakters
erblicken," Platon wird (bei Diogenes Laertios, Apuleius, Attikos und Augustin) das
Verdienst zugesprochen, „aus der Philosophie em corpus, einen lebenden, vollst n-
digen und vollkommenen Organismus gemacht zu haben, indem er die Physik und
die Ethik mit der Dialektik vereinigte", Aristokles' u erung, die P, Hadot nicht er-
w hnt, geh rt zweifellos in dieselbe Richtung,
176
Eus., P. E, XI 3,7 = Fr. l, Z. 42-48 H. ήξίου δε μη δΐνασθαι τα ανθρώπεια κάτι-
δεϊν ήμάζ, el μη τα θεια πρότ,ερον όφθείη· καθά,περ γαρ οι ιατροί μέρη τινά
θεραπεύοντες επιμελούνται των ολων σωμάτων πρώτον, οΐτω χρήναι και τον μέλ-
λοντα τάνθάδε κατόψεσθαι την των ολων φύσιν είδέναι πρότερον- μέρος τε είναι
των δντων τον άνθρωπο ν και τάγαθον διττό ν, το μεν ή μέτερον, το δε του παντος -
δια γαρ εκείνου και τούτο γίγνεσθαι. Sehr hnlich klingt eine Nachricht aus dem
Leben des Pythagoras bei Phonos, Bibl. cod. 249, 440b 20-27: Da der Mensch ein
Mikrokosmos ist, erkennt er sich selbst durch die Erkenntnis des Weltalls, το δε
γνώναι εαυτόν ουδέν άλλο εστίν ή την του σύμπαντος κόσμου φύσιν γνώναι,
τοϋτο δε αδύνατον ανευ του φιλοσοφείν, Οπερ ήμΐν 6 θεός παραινεί. Vgl. ferner
Minucius Felix, Oct. 17,2 quodipsitm (= was der Mensch ist) explorare et eruere sine
uttiversitatis inquisitione non possurntti, cu-m ita cuncta cohaerentia, conexa, concate-
nata sint, ut, nisi divinitAtis rationem dihgenter excusseris, nescids humanitatis, nee
possh pttlchre gerere rem avilem, niii cognoveris bane communem omnium tnundi
civitatem.
ολων φύσις gleichsetzt, wird man eher an eine Art kosmische Theologie
denken, in welcher wie etwa im Timaios das All als etwas G ttliches
(eventuell neben anderen G ttern) gedacht wird. Die Erkenntnis des
G ttlichen bzw. des Alls wird als unabdingbare Voraussetzung f r die
Erkenntnis des Menschlichen bzw. des Irdischen hingestellt. Dabei f llt
aber auf, da der Referent diese These keineswegs mit dem Verh ltnis
zwischen Ideenwelt und Erscheinungswelt begr ndet (Anamnesis,
Methexislehre und dgl.), sondern als Begr ndung lediglich angibt, da
das Menschlich-Diesseitige ein Teil der Allnatur ist, so da die Erkennt-
nis des Ganzen der des Teiles vorausgehen mu (Arztvergleich!). hn-
liches gilt offenbar f r den ethischen Bereich: Das Gut des Alls ist fun-
damentaler Natur, und durch dieses Gut entsteht auch das unsere.
Es fragt sich, auf welche Aspekte von Platons Denken diese Charak-
terisierung zur ckgeht, und wie sie sich in die Geschichte des Plato-
nisrnus einordnen l t. Wie schon l ngst beobachtet wurde177, liegt hier
eine Reminiszenz an jene Stelle aus dem Ersten Alkibiades vor, in der es
hei t, da wir uns selbst erkennen, wenn wir den Teil der Seele betrach-
ten, in dem Wissen und Denken stattfinden und der g ttlich ist177a. Die
platonische „Quelle" f r Aristokles* Behauptung, da man zuerst die
Natur des Alls kennen mu , wenn man die „irdischen Dinge" zu be-
trachten vorhat, und da der Arzt, der bestimmte K rperteile behandeln
will, sich vorher um den ganzen K rper k mmert, ist jedoch keine an-
dere als die Stelle des Phaidros, in der Sokrates Rhetorik und Medizin
vergleicht: Wenn diese sich nicht mit Routine und Erfahrung begn gen
wollen, m ssen sie eine Natur untersuchen, die Natur der Seele im Falle
der Rhetorik, die des K rpers im Falle der Medizin. Von der Natur der
Seele aber sei es unm glich, eine nennenswerte Erkenntnis zu gewinnen,
ohne die Natur des Ganzen zu kennen, und wenn man es Hippokrates
glauben d rfe, gelte dieselbe Methode auch f r den K rper178. Auf den
ersten Blick mag es berraschen, da Aristokles eine fast beil ufige Be-
merkung als so wichtig und so zentral empfand, da er sie als einen der
177
H. Heiland 31, ad 42-43.
1771
Alcib. I 133 C. M glicherweise las Aristokles auch den Zusatz, der in den Manu-
skripten fehlt und bei Eus., P.E. XI 27,5 berliefert ist, Vgi. dort είς τον θεον άρα
βλέποντες έκείνφ καλλίστω ένόπτριρ χρφμεθ* αν και των ανθρωπίνων εις την
ψυχής άρετήν και οΰτως αν μάλιστα όρωμεν και γινώσκοιμεν ημάς αυτούς,
178
Plat., Phaedr. 270Β-C, bereits zitiert von H, Heiland 31. ber die Diskussionen,
die der Verweis auf Hippokrates ausgel st hat, vgl. A, Dies, Au tour de Platon, I,
1927, 24-48.
179
Resp. VII 519C-521B; 539E-540C.
leo
Leg. I 631 B.
181 Resp. VII 517B.
Das Referat des Aristokles schlie t mit einem skeptischen Satz: „Ob
dies aber wahr ist, k nnte niemand selbst bei gro er Anstrengung sa-
gen187". Will er damit die G ltigkeit der referierten These (keine Ein-
sicht in die ανθρώπινα ohne vorherige Kenntnis der θεία) in Frage
stellen, oder zweifelt er an der Historizit t der bei Aristoxenos ber-
lieferten Anekdote? berlegt man, wie uneingeschr nkt positiv Aristo-
kles' Urteil ber Plat on ausf llt18B, wird man wohl kaum annehmen, da
er gerade die Lehrmeinung, die seiner Ansicht nach den Kern des Pla-
tonismus ausmacht, f r problematisch hielt. Wahrscheinlicher ist es, da
er sich nur von Aristoxenos distanzieren und seine Bedenken gegen die
Historizit t vom angeblichen Indergespr ch des Sokrates andeuten
w lke. Genau so skeptisch wird er sich ber einen Bericht in der Pla-
tonbiographie des Aristoxenos u ern189.
c) Aristoteles
und F. Cumom, Les mages hellenises, 2 Bde, Paris 1938 wird man eine gelehrte
Analyse der antiken Nachrichten finden. Das Problem des Verh ltnisses Platons zum
Orient untersucht unter anderen J. Kerschensteiner, Platon und der Orient, 1945.
Weitere Literatur bei H. Cherniss, m: Lustrum 4(1959) 53-57. Zur Frage nach dem
Einflu Indiens auf die griechische Kultur vgl. den berblick von Wecker, Art,
India, RE IX (1916) bes. 1323-1325. R. Godel, Socrate et le sage Indien, 1953, h lt
die Nachricht vom Zusammentreffen des Sokrates mit einem indischen Weisen in
Athen f r glaubw rdig und vertritt die These, da Sokrates von diesem Zeitpunkt an-
sich mit dem h chsten Ziel und der Transzendenz befa te; seine Lehre sei im wesent-
lichen identisch mit der Weisheit der Upamshaden. Dazu bemerkte O. Lacombe,
Socrate et la sagesse indienne, in; Melanges L. Jacob. Revue du Nord, Lilie, Fac. des
Lettres de PUniv. 36 (1954) 111-114, da Sokrates, falls er sich tats chlich vom
Inder habe anregen lassen, die indische Weisheit auf sehr originelle Weise uminter-
pretierte. Die These Godels widerlegte K, Dienelt, in: Gymnasium 63 (1956) 145-
146 mit trefflichen Argumenten.
187
Τοΰτο μεν οΰν ει αληθές εστίν, ουκ αν δύναιτό τις διατεινό μένος ειπείν.
188
Έφιλοσόφησε δε Πλάτων εί καί τις άλλος των πώποτε γνησίως καΐ τελείως.
189
Fragm. 2, S. 36,20 Heiland τις δ' αν πεισθείη τοις υπ' ΆριοΊοξένου τοί μουσικοί
λεγομένοις εν τψ βίω τω Πλάτωνος, Vgl. unten S. 140.
190
Eus,, P.E. XV 2,1-15 = Fragrn. 2 H. Die Zitate aus Aristokles bei Theodoret,,
Graec. ff. curatio VII 34 (~ Eus,, P.E. XV 2,8) und XII 50-51 (~ Eus., P.E. XV
2,8—9) gehen auf Eusebios zur ck.
191
N heres bei I. During, Biogr. trad., bes. 373-395.
192
Aristoteles habe als junger Mann das v terliche Verm gen vergeudet und habe sich
dann zum Milit rdienst verpflichtet. Da er es zu nichts brachte, habe er sich dem
Verkauf von Arzneimitteln gewidmet, und schlie lich sei er m der platonischen
Schule aufgetreten. hnliches bei Athen. VIII 354B (mit Verweis auf den Brief περί
επιτηδευμάτων), Ailian., V. H. V 9. Diog. Laert. X 8.
193
Im Alter habe er eine obskure Arztpraxis aufgemacht.
194
W hrend Platons Abwesenheit h tten Fremde rebelliert und eine rivalisierende Schule
gegr ndet; einige haben vermutet, da Aristoxenos damit auf Aristoteles anspielte,
Vgl, Wehrlis Kommentar zu Aristoxenos, Fragm. 64—65. Dieselbe Nachricht be-
gegnet uns bei Ail. Aristeid,, Or. XLVI 249,7-16, Bd. II S. 324-325 Dindorf. Die
„neuplatonischen" Aristoteles-Viten sprechen sich gegen dieses Ger cht ausdr cklich
aus.
195
In seinen Απομνημονεύματα lie er den Knaben Alexander (von Makedonien) in
einem Gespr ch mit seinem Vater Philipp die λόγοι des Aristoteles mit Verachtung
ablehnen. Dieser Alexinos ist wohl kein anderer als der von Diog, Laert. II 109
genannte Sch ler des Megarikers Eubmlides.
196
In seinem Buch gegen Aristoteles brachte er schlechte Gedichte ber die Ehe des
Aristoteles und dessen Freundschaft zu Hermias, Gedichte, die er f r Werke anderer
ausgab. Dann behauptete er, Aristoteles habe sich mit Philipp berwerfen, er sei bei
Platons Tod nicht anwesend gewesen, er habe Platons B cher zerst rt (oder schlecht
gemacht?), — In der berlieferten Fassung kann der erste Teil der Nachricht nur be-
deuten, da Eubulides seine eigenen „frigiden" Gedichte ber die Ehe des Aristoteles
Daß Aristokles bemüht ist, alle diese üblen Nachreden über Aristo-
teles zu widerlegen, dürfte seine Anhänglichkeit an den Gründer seiner
eigenen Schule zur Genüge dokumentieren, obwohl es gewagt wäre,
Rückschlüsse auf seine philosophische Stellung daraus ziehen zu wollen.
Interessant für uns ist vor allem seine Argumentation gegen die refe-
rierten Verleumdungen. Hat er sich wirklich, wie behauptet wurde,
„durch Kritik und Gelehrsamkeit weit über die landläufige -
200
seiner Zeit erhoben "? Ist er bei seiner Säuberung der Tradition
tatsächlich auf den Wortlaut der Primär quellen zurückgegangen, hat er
neues Material herangezogen 201 ? Betrachten wir zunächst seine Ausein-
andersetzung mit den älteren Verleumdern des Aristoteles, so fällt auf,
daß er sich in den meisten Fällen damit begnügt, mit rhetorischen Fragen
auf die Absurdität ihrer Behauptungen hinzuweisen. Was Epikur z.B.
über den Lebenslauf des Aristoteles berichtet, hält er für glatt unmög-
lich. Damit deutet er wohl an, daß Aristoteles, wenn er die abenteuer-
liche Vergangenheit gehabt und m seinen früheren Jahren nur ganz be-
scheidene, keineswegs geistige Berufe ausgeübt hätte, sich später in der
platonischen Schule sicher nicht als ein brillanter Lehrer hätte auszeich-
nen können. Die anderen bösen Nachreden hält er einfach für unglaub-
würdig, lächerlich; sie sind offenkundige Lügen, dummes, albernes Ge-
rede j an Blödsinn übertreffen sie alles. Mit einer ähnlichen Formel wird
sogar Aristoxenos abgefertigt, obwohl nach Aristokles' eigener Aussage
die Kritik sich nicht gegen ihn selbst, sondern gegen eine gewagte, wohl
mitnichten gerechtfertigte Interpretation eines von ihm referierten Vor-
kommnisses richtet202. Aristokles arbeitet also ziemlich oberflächlich. In
200
O. Immisch, Ein Gedicht des Aristoteles, in: Phibl. 65 (1906) 1-23, dort 10.
Ebd.
202
Aristokles führt diesen Teil seiner Verteidigung des Stagiriten mit der Frage ein:
„Wer würde wohl dem glauben, was der Musiker Aristoxenos in seiner Biographie
Platons berichtet?", referiert dann Aristoxenos' Angabe, daß einige in Platons
Abwesenheit gegen ihn rebellierten und eine Konkurrenzschule gründeten, Aristoxe-
nos selbst nannte sicher keine Namen, griff also Aristoteles — wenn überhaupt —
nicht direkt an, denn Aristokles fährt dann fort, indem er bemerkt, dieser Bericht des
Aristoxenos sei von gewissen Leuten so gedeutet worden, als richte er sich gegen
Aristoteles; Aristoxenos selbst habe aber immer nur anerkennend von Aristoteles ge-
sprochen. — Ausführlicheres über Aristoteles' Intrigen gegen Platon während einer
Reise des Xenokrates und einer Erkrankung des Speusippos bei Ailian, Var. Hist. Ill
19, S. 49,18-50,22 Hercher. - Über Aristokles' Kritik an Aristoxenos trefflich F,
Jacoby, FGrHist. III b (Suppl.), Bd. II, S. 483 Anm. 10: Typisch für Aristokles sei
seine indignierte Frage b' ., die hier rein „mechanisch" die Kritik
seinen Augen gen gt schon der Inhalt der Angriffe auf Aristoteles, Ihre
Urheber, die alle nur obskure Sophisten, Eristiker und Rhetoren waren,
endg ltig zu disqualifizieren. Um anderslautende biographische Zeug-
nisse, mit denen er die referierten Verleumdungen h tte widerlegen
k nnen, hat er sich offensichtlich nicht bem ht.
Etwas differenzierter, obwohl ziemlich apriorisch und knapp gehal-
ten, erscheint die Widerlegung sp terer Verunglimpfungen. Diese, in-
sofern sie nur fr here (und von Aristokles bereits zur ckgewiesene) Ver-
leumdungen wiederholen, will Aristokles nicht ber cksichtigen, und
dasselbe gilt a fortiori f r die willk rlich erfundenen Angriffe von Leu-
ten, die keinen Zugang zu den Quellen hatten. Drei Indizien sprechen
gegen die Wahrheit ihrer Anschuldigungen: die Zeit, in der sie lebten
(vgl. oben), die Pers nlichkeit der Verleumder und vor allem der Um-
stand, da der eine dies, der andere das behauptet. Mit rhetorischer
Ubertreibung f gt Aristokles hinzu, da eine einzige dieser Anschuldi-
gungen, falls sie begr ndet gewesen w re, ausgereicht h tte, um Aristo-
teles unz hlige Male von seinen Zeitgenossen zum Tode verurteilen zu
lassen! Wie viele andere aber sei Aristoteles wegen seiner freundschaft-
lichen Beziehungen zu den Herrschern und seiner hervorragenden gei-
stigen Leistungen dem Neid der damaligen Sophisten zum Opfer ge-
fallen, Um ihn richtig zu beurteilen, soll man nicht nur auf seine Ver-
leumder h ren, sondern auf diejenigen, die ihn lobten und viel von ihm
hielten und in jeder Hinsicht seinen Kritikern weit berlegen seien.
So richtig diese Betrachtungen im Ansatz auch sein m gen, sie
kommen uns doch viel zu allgemein vor; wir vermissen Namen, Tat-
sachen, Belege. Auf die meisten Vorw rfe gegen den Stagiriten will
Aristokles einfach nicht n her eingehen, weil sie sich offenbar als b se
Erfindungen herausstellen. Nur zwei Beschuldigungen, so meint er,
scheinen glaubhafter, n mlich, da Aristoteles Pythias, die Schwester
und Adoptivtochter des Herrneias, heiratete, um diesem zu schmei-
cheln, und da er sich Platon gegen ber undankbar gezeigt habe203.
einleitet, Aristokles habe wohl nicht Aristoxenos selbst, sondern nur eine Kompila-
tion benutzt, in der die Ενιοι des Aristoxenos mi verstanden worden seien. Ferner sei
das Argument des Aristokles gegen die Identifizierung der ένιοι mit Aristoteles
nicht viel wert: „Aristoxenos was a master in ehe arc of insinuation."
203
Aristokles schreibt τα μεν ούν άλλα προδήλως πέπλασται· δύο δε ταϋτα δοκεϊ
πιοτεύεσθαι, δι' α ψέγουσί ΐΐνες αυτόν κτλ. Damit will er keineswegs sagen, da er
diese Beschuldigungen f r gerechtfertigt h lt, sondern da sie im Gegensatz zu den
offenkundigen L gen und b sen Erfindungen glaubhaft erscheinen, vielleicht weil sie
Was den ersten Punkt angeht, hält Aristokles die Frage für erledigt;
viele Autoren hätten sich in ihren Büchern mit der Freundschaft von
Aristoteles und Hermias beschäftigt, unter ihnen insbesonders Apelli-
kon; wer seine Bücher kenne, werde aufhören, ehrenrührigen Klatsch
über diese Männer zu verbreiten. Bedauerlicherweise teilt Aristokles
weder die Namen dieser Autoren noch die Argumente mit, die in dieser
umfangreichen Literatur zur Verteidigung des Aristoteles verwendet
wurden. Allem Anschein nach kannte er sie nicht näher und begnügte
sich mit einem Hinweis auf ihre allgemeine Tendenz204. Dennoch ist es
interessant festzustellen, daß Aristokles nicht der erste war, der sich um
die Ehrenrettung des Aristoteles bemühte. Übrigens soll Aristoteles
selbst laut Aristokles' Angabe seine Eheschließung mit Pythias in Brie-
fen an Antipater folgendermaßen gerechtfertigt haben: Er habe sie nach
Hermias' Tod wegen seiner Freundschaft zu ihm geheiratet und vor
allem weil sie, eine besonnene, gute Frau, durch das Mißgeschick ihres
Bruders in eine unglückliche Lage geraten war205. Nach einigen weiteren
wohl doch auf Tatsachen beruhen. Er stellt sie jedoch ins richtige Licht und widerlegt
damit die böswillige, verleumderische Interpretation der Anstotelesgegner. Unrichtig
erscheint mir daher Wormells Deutung {D.E.W. Wormell, The literary tradition
concerning Hermeias of Atarneus, in: Yale Class. Stud. 5 [1935] 57—92, don 87):
„Even Anstocles admits the justice of the charge brought against Aristotle that he
married Pythias to flatter Hermias." Bereits besser Plezia (M. Plezia, Arist. Epist.
Fragm., Warschau 1961, 116 — 117): „duas tantum calumnias vigere adhuc semperque
Aristoteli exprobrari Aristocles ait . . ." Richtig During (Biogr. trad. 292): „In Ari-
stocles* opinion there are two charges which are to be taken seriously."
204
Über Apellikon vgl. Bd. I, S. 18sqq. Als passionierter Antiquar und Bibliophile hat
Apellikon wahrscheinlich interessante Dokumente ans Licht gebracht oder zumindest
auf die Bedeutung wenig beachteter Zeugnisse aufmerksam gemacht. Um so bedauer-
licher ist die Dürftigkeit von Aristokles' Nachricht über ihn,
205
Es fragt sich natürlich, ob diese Zeilen einem echten Brief des Aristoteles entnommen
sind. Ein Kritiker wie V. Rose, De Arist. libr, ord. et auct., 1854, 113 — 116; Arist.
Pseud. 585 — 597 hielt nicht nur die vollständig erhaltenen Briefe, sondern auch die
bei verschiedenen Autoren angeführten Fragmente für unecht, wenn auch für ziem-
lich alt. E. Zeller, Philos. d. Gr. II 2", 56 Anm, 2 (vgl, auch 2i Anm. 1) ließ die
Frage nach der Echtheit der Fragmente offen. In jüngerer Zeit neigt man eher dazu,
die Fragmente wenigstens teilweise für authentisch zu erklären. U, v. Wüamowitz,
Arist. u. Athen, I, 339 Anm. 39 gibt zu, daß „auf die in späten Zitaten vorliegenden
Stellen aus den Briefen einiger Verdacht (fällt)", fügt aber gleich hinzu: „Dagegen
trägt alles, was aus den Briefen an Antipatros erhalten ist, den Stempel der Echtheit",
Vgl. auch P, Moraux, Listes anciennes 136—137. R. Weil, Aristote et l'histoire 159.
I. During, Biogr. trad. 392-393; Art. Aristoteles, RE Suppl. XI (1968) 163-165.
M. Plezia, Arist, Epist. Fragm., Warschau 1961, 117 (Hauptinhalt des uns hier in-
teressierenden Briefs an Antipater war nicht etwa eme Verteidigung seiner Ehe durch
Aristoteles, Der Brief, m dem Aristoteles Antipater vermutlich über die Abfassung
seines Testaments unterrichtete, enthielt wohl eine Passage, aus der hervorging, daß
Aristoteles* Absichten, als er Pythias heiratete, durchaus ehrlich waren). Die These
von C.M. Mulvany, in: Class. Quart. 20 (1926} 155-167, dort 156-157, nach wel-
cher der Brief als eine Fälschung zu betrachten sei, mit der man bösen Gerüchten
über Aristoteles' Heirat zu entgegnen versuchte, wurde mit Recht von During und
Plezia zurückgewiesen. Dennoch hält O. Gigon, Interpret, z. d. ant. Aristoteles-
Viten, in: Mus. Helv. 15 (1958) 174 den Brief an Antipater für eine Fiktion.
106
Darauf scheint Eusebios' Formel ' , die den Zusammenhang in gewisser
Weise unterbricht, hinzuweisen.
207
In der Frage, ob Aristoteles Herpyllis heiratete oder nicht, gehen unsere Quellen aus-
einander. Vgl, I. During, Biogr. trad. 269—270.
208
Anders O, Immisch, vgl. unten S. 145 und H, Heiland 104-105. Auch "W. Jaeger,
Aristoteles 106 geht wohl zu weit, wenn er die moralische Kraft des Aristokles lobt,
der „den Schleier der Legende zerriß". Richtig F. Jacoby, FGrHist. I l l b (Suppl.),
Bd. II, S. 482: ,,What Aristocles gives seems to have been a kind of plea which tried to
discredit the slander by showing up the nature of its authors instead of actually disprov-
ing it. He hardly produced ,primary material'." O. Gigon, Interpretationen, in: Mus.
Helv. 15 (1958) 193: „Aristokles wie Ptolemaios arbeiten grundsätzlich mit altem Ma-
terial. Eigene Zusammenstellungen aus den Primärquellen hat keiner mehr gemacht.
Noch weniger ist mit substantiellen Erfindungen zu rechnen." F. Trabucco, II problema
138—147 scheint, obwohl sie die Verdienste des Aristokles nur allzu gern hervorhebt,
im großen und ganzen das Richtige getroffen zu haben, wenn sie (S. 140} schreibt:
„Possiamo supporre ehe Aristocle, piü ehe di una fönte unica, si sia servito di ricordi
personal!: e parlo di ricordi piü ehe di ricerche> perche non e escluso ehe le accuse
mosse allo Stagirita avessero col tempo, nell'ambiente peripatetico e accademico, un
carattere, per cosi dire, aneddotico e tradmonale."
209
F. Jacoby, FGrHist. Illb (Suppl.), Bd. I, S. 588-589,
210
Philochoros, Fragm. 223 bei F. Jacoby, FGrHist. IIIB 328, mit Kommentar Illb
(Suppl.) Bd. I, S. 588-589 und Bd. II, S. 482-484. Die Abgrenzung von Philocho-
ros' Zeugnis in der Vit, Marc. ist allerdings umstritten. Nach F. Jacoby umfaßt es
S. 428,6-429,9 Rose = I. During, Biogr. trad. 98-99 (8-12) = O, Gigon, Vit.
Marc. 2,45—68, wobei nur der letzte Absatz mehr oder weniger wörtlich aus Philo-
choros entnommen ist. L During, Biogr, trad. 256 hält Jacoby entgegen, die Argu-
mentation des ganzen Abschnitts sei in sich kohärent, und es sei schwer anzunehmen,
daß ein späterer Kompilator das Material in dieser Weise angeordnet habe. O. Gigon,
Vit. Marc. 43 sieht die Dinge wiederum anders: Auf Philochoros will er nur die
Zeilen 429,1-5 Rose = 99 (11-12 Anfang) During = 2,60-3,64 Gigon zurückfüh-
ren.
211
O. Immisch, Ein Gedicht des Aristoteles, in: Philol, 65 (1906) 1-23.
212
Olymp., In Plat. Gorg. 192,10-13 und 196,30-197,19 Norvin.
113
Vir. Marc. (26) bei I. During, Btogr. trad. 101. Vit. Vulg. (11) Ebd. 133. David, In
Porph. Isag. 121,13-17.
214
O. Immisch, Op. laud. 10—11, bes. I I : „Vermutungsweise möchte ich hiernach dem
wackern Artstokles den Ruhm zuerteilen, der Entdecker der Eudernoselegie zu sein.
Für bewiesen halte ich es durch die vorstehende Erörterung natürlich nicht." Damit
folgt er einer Vermutung von A. Stahr, Aristotelia ( I, 1830, 61.
sagen als Fortsetzung des wörtlichen Auszugs, den er als Fragm. 2 an-
führt 215 . W, Jaeger hielt es für wahrscheinlich, daß das ganze Fragment
der Elegie bei Aristokles stand216. Auch K. Gaiser meint, als Entdecker
der Elegie komme besonders „der gelehrte Aristokles von Messene" in
Betracht217, Demgegenüber bestritt F.Jacoby, daß Aristokles Material
aus erster Hand benutzte, und er hielt es nicht für glaubhaft, daß er es
gewesen sei, der „das kostbare persönliche Dokument der Altarelegie
wieder ans Licht zog218". Für F. Trabucco ist Immischs Vermutung
zwar interessant, jedoch eben nur eine interessante Hypothese, obwohl
nicht zu leugnen sei, daß Eusebios in seinem Aristokles-Auszug den
zweiten Punkt der Richtigstellung übersprungen habe219. Gegen
Immischs Vermutung spricht sich ebenfalls I. During aus; sie sei, wie Ja-
coby sagte, unglaubhaft; auf jeden Fall könne sie nicht bewiesen werden;
vielmehr sei Ptolemaios' Vita Aristotelis als die Quelle zu betrachten,
aus der Olympiodor im fraglichen Passus seine biographische Doku-
mentation geschöpft habe220.
In der Tat ist es höchst unwahrscheinlich, daß Aristokles als erster
ein bis dahin unbekanntes oder zumindest verkanntes Dokument, die
Eudemos-Elegie, in die Debatte um das Verhältnis des Aristoteles zu
Platon geworfen hat. Nach dem Auszug bei Eusebios zu urteilen, war
Aristokles keineswegs der exakte Historiker, der jede seiner Behauptun-
gen mit handfesten Zeugnissen belegte. Noch weniger scheint er sich um
die Entdeckung neuen Materials bemüht zu haben. Die Gegenargu-
mente, mit denen er die Kritik an Aristoteles widerlegen will, klingen im
allgemeinen mehr rhetorisch als sachlich-wissenschaftlich, und bisweilen
lassen sie sogar an Folgerichtigkeit zu wünschen übrig. Die Behauptung,
daß er sich „durch Kritik und Gelehrsamkeit weit über die landläufige
seiner Zeit erhoben" habe (so Immisch), läßt sich keines-
215
H. Heiland 42—44. Mit Recht erinnert er daran, daß die Interpretation des Gedichts
selbst die größten Schwierigkeiten aufwirft. Zum Status quaestionis vgl. die hier
Anm. 217 zitierte Arbeit von K. Gaiser,
216
W. Jaeger, Aristoteles 106 „Aristokies . . . wird es aller Wahrscheinlichkeit nach
gewesen sein, der . . . das kostbare persönliche Dokument wieder ans Licht zog . , .
die Altarelegie, die dem Eudemos gewidmet ist."
217
K. Gaiser, Die Elegie des Aristoteles an Eudemos, in: Mus. Helv. 23 (1966) 84-106,
dort 99 mit Anm. 53.
1
F. Jacoby, FGrHist Hlb (Suppl.) Bd. II, S, 4S2.
219
F. Trabucco, II problerna 145-147.
220
L During, BJogr. trad. 316-317.
falls begr nden, sie steht sogar im Widerspruch zu den Tatsachen. Viel-
mehr scheint er die sp rlichen Dokumente, die er anf hrt, etwa Aristo-
teles' Briefe an Antipater, nur aus zweiter Hand zu kennen. Ihm gen gt
auch ein pauschaler Verweis auf „Apellikon und viele andere", um die
b sen Ger chte ber Aristoteles und Hermias zu zerstreuen. Unter
diesen Umst nden wird man ihn wohl kaum als „Entdecker" der
Eudemos-Elegie ansprechen d rfen.
221
Eus., P.E. XV 14 = Fr, 3 Heiland = SVF I S. 27, Fr. 98. Kurze Interpretation bei
F. Trabucco, II problema 147-150.
J12
Di wir von einer solchen Kritik nichts h ren, vermutet F. Trabucco, II Problema
147, da Aristokles im 7, Buch nur referierte; sie spricht von der ,,intenzione pura-
mente espositiva, ehe era, secondo me, alia base del settimo libro del de philosophic".
Aus dem Schweigen unserer Quellen l t sich jedoch ebensowenig ber diesen Punkt
erschlie en wie ber Disposition und Inhalt der B cher I—VI berhaupt.
123
Eus., P.E. XV 13, 6-9.
Άπο του ζ" περί φιλοσοφίας Αριστοκλέους. Das darauf folgende Zitat
bezieht sich nur auf die Prinzipienlehre, so da wir trotz der allgemei-
neren Angabe περί της των Στωικών φιλοσοφίας annehmen d rfen,
da Aristokles in den fraglichen Zeilen nur ber Zenon von Kittium
referierte224. Sein Referat selbst hat die Form eines u erst knappen
Resumes, dessen Formulierungen eher an die Doxographie als an eine
Epitome erinnern.
„Das Feuer, sagte er, wie ebenfalls Heraklit, ist das Element aller
Dinge. Seine Prinzipien sind die Materie und der Gott, was auch Platons
Meinung war. Aber dieser (Zenon) sagte, da beide (Materie und Gott)
K rper und das Wirkende und das Leidende sind, w hrend jener (Pla-
ton) die erste wirkende Ursache f r unk rperlich erkl rte225". Unter
Element versteht Zenon hier nicht etwa einen der K rper der bekannten
Vierelementenlehre, sondern das Urelement, die Grundsubstanz, aus
der alles brige entsteht226. Da bereits Heraklit das Feuer als Urstoff
betrachtet hatte, scheinen die alten Stoiker hervorgehoben zu haben227.
Die doxographische Formulierung dieser Lehrmeinung f hrte selbst-
verst ndlich auch dazu, da Heraklit und die Stoiker als Anh nger ein
224
Das schlie t nat rlich nicht aus, da spatere Stoiker die referierten Lehrmeinungen
bernehmen konnten. Wichtig ist uns die Feststellung, da sie hier dem Schulgr nder
zugeschrieben werden, — AiJerdings hei t es am Anfang des Zitats στοι,χεΐον εΕναί
φασι των όντων, was eher f r die Zuschreibung an die Stoiker schlechthin zu spre-
chen scheint. In vier Eusebios-Handschriften steht jedoch φησι anstelle von φασι,
und dies d rfte meines Erachtens die richtige Lesart sein, denn ούτος im n chsten
Satz (αλλ1 ούτος άμφω σώματα φησιν είναι) kann nur — wie von Heiland 45
Anm. 53 richtig hervorgehoben — Zenon (im Gegensatz zu Platon) meinen. Die
Erw hnung der Stoiker in der berschrift hat wahrscheinlich einen Kopisten (im
Archetypus von B ) dazu gef hrt, die Abk rzung f r φησι in φασι aufzul sen.
225
Fr. 3 Z. 9-13 H.
226
Areios Did., Epit. phys. ap. Stob. I 10, 16c, S. 129-130 W. = Dox. S. 458-459,
Fr. 21 = SVF II S. 136, Fr. 413. In diesem Referat ber die Elementenlehre des
Chrysippos, der dem Schulgr nder Zenon folgte, hei t es το δε (ιτΐρ και) κατ*
εξοχήν στοιχείον λένεσθαι δια το εξ αυτού πρώτου τα λοιπά συνιστασθαι, κατά
μεταβολήν και είς αΰτο Εσχατον πάντα χεόμενα διαλΰεσθαι. Etwas weiter unten,
Unterscheidung des Urelements Feuer und der vier Elemente, Vgl. auch Diog. Laert,
VII 142 = SVF II S. 180, Fr. 581 {mit Verweis auf Zenon, περί δλου und Chrysipp,
φασικά). Cic., De nat. deor. II 57 = SVF I S. 44, Fr. 171 (Zenon definierte die Natur als
ein k nstlerisch gestaltendes Feuer, das methodisch zum Schaffen schreitet).
217
ber Heraklits Einflu auf Zenon und die Unterschiede zwischen ihren Philosophien
vgl. M. Pohlenz, Die Stoa1 I 160; II 39 (zu S. 68 Z. 29),
278
Dater ist die H er a k lit-Doxographie bisweilen stoisch gef rbt, vgl. z.B. Aet. I 3,11
und I 28,1 mit den Ausf hrungen von H. Diels, Dox. S. 178; 180; 220-221.
2M
Vgl. Aet. I 2, wo die Unterscheidung auf Platon und Aristoteles zur ckgef hrt und
Thaies getadelt wird, weil er sie nicht ber cksichtigt hat, Vgl. auch PS,-Galen, Hist,
philos. 21, Dox. S. 612. Galen, I De elem. sec. Hipp. I 6, S. 469 K. = SVF II S. 111,
Fr. 299 etc.
230
Diog. Laert. VII 134 = SVF I S. 24, Fr. 85, Aet. I 3,25. Vgl. auch Simpl., Phys.
25,16-18 = Dox. S, 477,14-15 etc.
? al Die meisten doxographischen Quellen schreiben Platon eine Dreiprinzipienlehre
(θεός, ΰλη, παράδειγμα bzw. Ιδέα) zu: Aet, I 3,21. Epiphan,, Dox. S. 587,8; 591,
17. HippoL, Dox. 567,7-17. Hermeias, Dox. S. 653,28. Vgl. auch Albinos, Didask.
S. 162,25—166,13 H. Alex. Aphrod. ap. Simpl., Phys. 26,13—15. Man k nnte ver-
muten, da die Zweipnnzipienlehre, auf die Aristokles anspielt, deswegen aus der
Dreiprmzipienlehre entstanden sei, weil in der letzteren die Ideen als Gedanken
Gottes betrachtet wurden und daher kein eigentliches Prinzip mehr darstellten. Ein
anderer Ursprung der angeblich platonischen Zweiprinzipienlehre in der Doxogra-
phie ist jedoch nicht auszuschlie en, Aristoteles schreibt Metaph. A6, 988a 9—10,
da Platon δυοίν αΐτίαιν μόνον κέχρηται, τη τε τον τί εστί και τη κατά την ύλην,
aber dann konnten die Doxographen kaum einen Hinweis auf θεος καΐ ΰλη als Prin-
zipien sehen. Etwas anders liegen die DJnge bei Theophr. ap, Simpl., Phys. 26,7—
13 = Dox. S. 484,19—485,4. Platon habe sich vorwiegend der ersten Philosophie ge-
widmet; mit den φαινόμενα habe er sich aber auch besch ftigt und sei dadurch in
Kontakt mit der Naturphilosophie gekommen, εν f) δύο ΐας αρχάς βούλεται ποιεΐν
το μεν ύποκείμενον ως ΰλην δ προσαγορεύει πανδεχές, το δε ως αίτιον και κινοϋν
δ περιάπτει tf| του θεοϋ και τη του αγαθοί δυνάμει. Vgl, auch Cic., Lucull. 118
Plato ex materia. in se omnia recipiente mundum f&ctum esse censet a deo sempiter-
nnm. Iren,, Adv. haeres. II 14,2, Dox. S, 171 Plato vero rursus matertam diat et
deum. Die Doxographie hebt ebenfalls hervor, da Platon Gott f r unk rperlich
(ασώματος) hielt (Cic,, De nat. deor. I 30, mit vielen Parallel stellen bei A. S, Pease,
Cic. N. D. I S. 234. Hippol., Dox, S. 567,14 — 16 τον μεν θεόν φησιν άσώματαν . , .
την δε ΐλην δυνάμει μεν σώμα, ενεργείς δε ούδέπω. Albinos, Didask.
S, 165,37—166,13 Η,), und sie weist auf die entgegengesetzte Meinung Zenons hin,
der Gott als k rperlich betrachtete (parallel zu Aristokles' u erung ist PS.-Galen,
Hist, philos, 16, Dox. S. 608,16—19 Πλάτων μεν ούν καϊ Ζήνων ό Στωικος περί
της ουσίας του θεού διεληλυθίη;ες ούχ ομοίως περί ταύτης διενοήθησαν, αλλ' ό
μεν Πλάτων θεον άσώματον, Ζήνων οέ σώμα,
232
Fr. 3 Ζ. 13-14 Η,
233
F. Trabucco, II problems 147 bemerkt nicht zu Unrecht „si pu m certo qu l modo
affermare ehe ci troviamo di fronte ad un quadro riassuntivo della stessa (= della
fisica stoics) o meglio ad una delineazione a carattere generale di quel processo evo-
lutivo ehe partendo dal fuoco ritorna al fuoco." Dies gilt allerdings nur f r den bei
Eusebios berlieferten Passus, Wir wissen nicht, ob Aristokles im Lauf seiner sp -
teren Ausf hrungen auf weitere Einzelheiten der stoischen Physik (z. B. auf die
Entwicklung der Welt aus dem Urfeuer heraus) einging. Die bekannten Zeugnisse
ber die stoische Ekpyrosis-Lehre brauchen hier nicht angegeben zu werden. Es sei
lediglich daran erinnert, da die Ekpyrosis bereits f r Zenon (wie auch f r Kleanthes
und Chrysippos) bezeugt ist, SVF I S. 32, Fr. 107-109.
234
Fr. 3 Z. 15-17 H.
Keim der Welt ist und aus dem die vier Elemente hervorgehen, kam be-
reits in Zenons Schrift περί του ολου vor235. Er hat auch seinen Platz in
der Doxographie236 sowie auch in der Epitome des Areios Didymos 237
gefunden. Selbst die Formel, mit welcher Aristokles auf die Ursachen
der Dinge in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft
hinweist, scheint echt stoischer Herkunft zu sein. Man vergleiche z.B.
eine der Chrysipp zugeschriebenen Definitionen der Heimarmene: „Das
Schicksal ist die vernunftm ige Regel (λόγος), nach welcher das Ge-
schehene geschah, das Entstehende entsteht und das Zuk nftige sein
wird238/'
Nach der Erw hnung der im Urfeuer enthaltenen Ursachen aller
Dinge berichtet Aristokles ganz kurz ber den stoischen Determinis-
mus: „Die Verflechtung (επιπλοκή) und die Aufeinanderfolge (ακολου-
θία) dieser (Gr nde und Ursachen) ist das Schicksal (ειμαρμένη) und die
Wissenschaft (επιστήμη) und die Wahrheit (αλήθεια) und sozusagen das
unwiderstehliche (άδιάδραστος), unausweichliche (άφυκιος) Gesetz der
Dinge239". Mehrere der hier benutzten Termini kommen in anderen
Zeugnissen ber die stoische Lehre vor240. Es mag berraschen, da Ari-
JJS
Diog. Laert. VII i36 = SVF I S. 28, Fr. 102 (Gott wird als σπερματικός λόγος ιοί
κόσμου bezeichnet).
236 Aet. I 7,33 „Die Stoiker verk nden, da Gott ein intellektuelles Wesen (νοερόν) ist,
ein k nstlerisch t tiges Feuer, das methodisch auf die Entstehung der Welt hinschrei-
tet und alle spermatischen Gr nde in sich umfa t, durch deren Kraft alle Dinge
schicksalgern entstehen , . ,"
137
Vgl. H. Diels, Dox. S. 468,25-469,3: „Die Stoiker bekennen sich 2.11 der Ansicht,
da die ganze Substanz sich im Feuer gleichsam m einen Samen verwandelt und da
steh aus diesem wiederum die ganze kosmische Organisation so vollendet, wie sie
fr her war. Und diese Lehrmeinung wurde von den ersten und ltesten Mitgliedern
der Schule gebilligt, von Zenon, Kleanthes und Chrysippos ..."
238
Stob. I 5,15, S. 79,7-8 W. = SVF II S. 265,20-21, Fr, 913.
139
Fr. 3 Z. 17-19 H.
"o Unter anderen επιπλοκή: Aet. I 27,2 = SVF Π S. 265,34, Fr. 916. Gell. VII 2 =
SVF II S. 293,29-31, Fr. 1000 (w rtliches Zitat aus Chrysippos' περί προνοίας).
Plot. Ill 1, 2, 31 = SVF II 273,41, Fr. 946. άδιάδραστος findet man sonst nur bei
Ailian., V.H. Fr. 219 Hercher (= Suda s.v. άδιάδραστον) το άδιάδραστον της
Δίκης, es ist jedoch hervorzuheben, da die stoische είρμαρμένη bisweilen als Αδρά-
στεια bezeichnet wird, z.B. Areios Did. ap. Eus., P.E. XV 15,6 = SVF II S. 169,
34—55, Fr. 528, αφυκτος ist bei den Lyrikern und den Dramatikern gut belegt; Pla-
ton verwendet das Wort (The t. 165 b αφυκτον ερώτημα); in Nachrichten ber die
Stoa scheint es allerdings nur hier vorzukommen. Dem Sinne nach kommt es jedoch
anderen Adjektiven nah, mtt denen die Stoiker das Unausweichliche des Schicksals
bezeichnen, etwa άπαράβατον, άνίκητον, άκώλυτον, ατρεπτον etc.
stokles die Verkettung der Ursachen, das Schicksal und das unausweich-
liche Weltgesetz mit der Wissenschaft und der Wahrheit identifiziert,
ohne dies näher zu erläutern. An der stoischen Herkunft dieser Gleich-
setzung ist jedoch nicht zu zweifeln. Wir hören z.B., daß Chrysipp die
Heimarmene als Logos der Welt oder als Logos der in der Welt von der
Vorsehung durchwalteten Dinge oder auch als Logos alles vergangenen,
gegenwärtigen und zukünftigen Geschehens definierte und anstelle von
Logos auch die Wörter „Wahrheit", „Ursache", „Natur", „Notwen-
digkeit" und andere Bezeichnungen verwendete; dies seien verschiedene
Betrachtungsweisen ein und derselben Wesenheit241. In seinen Erörte-
rungen der stoischen Lehre weist Cicero mehrmals daraufhin, daß alles,
was geschieht, aufgrund der Ursachenverkettung notwendigerweise ge-
schieht und daher seit aller Ewigkeit wahr ist242. Laut Chrysipp bedingt
der universale Determinismus die Wahrheit der Prophezeiungen der
Seher243. Das Allwissen Gottes hängt damit zusammen, daß er die Ur-
sachen aller Dinge, auch die unserer menschlichen Handlungen,
bestimmt hat. Ein Mensch, der alle Kausalzusammenhänge kennen
würde, könnte niemals irren. Ein solches Wissen besitzt aber nur Gott.
Der Mensch muß sich damit begnügen, daß er anhand von bestimmten,
auf das Zukünftige weisenden Indizien etwas voraus sehen kann244.
Aristokles beendet sein Kurzreferat mit dem Satz: „Durch diese
(Verkettung der Ursachen) wird alles in der Welt in der allerbesten
Weise245 durchwaltet wie in einem mit den besten Gesetzen versehenen
Staatswesen246". Daß die alten Stoiker die Welt mit einem gut verwal-
teten Staat verglichen, ist vielfach bezeugt. Mit ihrem Determinismus
verbanden sie nämlich die Auffassung, daß die von Gott gewollte und
durchgesetzte Weltordnung nur die allerbeste sein kann 247 .
241
Aet. I 28,3, Dox. S. 323,17-27 = SVF II S. 264,18-24, Fr. 913.
242
Cic,, De div, I 125 ea (gemeint sind das Schicksal und die Serie der Ursachen) est ex
omni aetemitate flttens veritas sempitema. Ähnliche Formeln De div, II 19; De nat.
deor. I 40; 55; III 14; De fato 29; 37.
243
Diogenian. ap. Eus,, P.E. IV 3, l, S. 169,24-170,1 Mras = SVF II S. 270,13-16,
Fr. 939.
w Cic., De div. I 127 = SVF II S. 272, Fr. 944. Calcid,, In Tim. = SVF II S. 271,
Fr. 943.
245
Das Adverb kommt meines Wissens in erhaltenen stoischen Texten sonst
nicht vor; es ist aber bereits im 4. Jh. bezeugt.
M6
Fr. 3 2.19-20 H.
247 SVF II S. 327-328, Fr. 1127-1131.
e) Zur Erkenntnistheorie
1. Die Skeptiker
σκεπτικά κεφάλαια des Theodosios (wohl 2. Jh. n, Chr.) es hei t, μηδέ πρώτον εύ-
ρηκέναι την σκεπτικην Πύρρωνα, Diese These wird dann in den n chsten Paragra-
phen (71 — 73), die man mit gutem Grund auch auf Theodosios zur ckgef hrt hat, be-
gr ndet. Wir h ren, da Homer, die sieben Weisen, Archilochos, Euripides, Xeno-
phanes, Zenon von Elea, Demokrit, Piaton, Empedokles, Heraklit und Hippokrates
wegen einiger ihrer u erungen als Vorl ufer der Skepsis anzusehen sind. Daraus
schlie t U. Burkhard, Heraklit-Nachfolge 15 — 16, da Aristokles' Bericht auf eine skep -
tische Quelle zur ckgeht, die einer Phase der skeptischen Schule angeh rte, in welcher
man die κοινωνία anderer Philosophien mit der Skepsis aufzeigen wollte. Dies sei aber
nicht der Standpunkt Aenesidems gewesen, der, wie aus anderen Quellen hervorgeht,
sich entschieden von allen anderen Philosophien distanzierte, U. Burkhard vermutet
also, da Aristokles seine Angaben einem Abri der pyrrhonischen „Lehre" aus der
Mitte des 2. Jh. n. Chr. entnahm. W re diese Vermutung richtig, w rde sie die oben
S. 89 vorgeschlagene Neudatierung des Aristokles zunichte machen. Wir m ssen aber
bedenken, da die Vorl ufer der Skepsis, an die Aristokles denkt, v llig verschieden
sind von denjenigen, die Theodosios bei Diogenes Laertios aufz hlt. Aristokles meint
Philosophen, οϊς άντείρηκεν Αριστοτέλης, d.h., wie wir noch sehen werden, Philo-
sophen, die den Satz des Widerspruchs aufhoben und somit wirklich eine skeptische
Haltung einnahmen. Die meisten der-von Theodosios genannten „Vorl ufer" sind
dagegen Philosophen und Dichter, die gelegentlich eine skeptisch klingende u e-
rung haben fallen lassen. Es ist daher schwer anzunehmen, da Aristokles und Theo-
dosios aus derselben Vorlage sch pfen. Die Bemerkung des Aristokles geht nicht
unbedingt auf eine bestimmte skeptische Vorlage zur ck. Sie kann von Aristokles
selbst aufgrund seiner Vertrautheit mit Aristoteles* Metaphysik eingeschoben worden
sein und setzt keineswegs die Ausf hrungen des Theodosios voraus.
251
Dazu schreibt A. Goedeckemeyer, Gesch. gr. Skept. 10 Anm. 5: „, . . so viele Phi-
losophen es auch vor Pyrrho gegeben hat, welche die Zuverl ssigkeit insbesondere
der Sinneswahrnehmungen in Zweifel gezogen und gegen die Aristoteles wiederholt
polemisiert hat . , ,, so wenig w te ich doch einen einzigen zu nennen, der den pyr-
rhonischen Satz zum Ausgangspunkt seines Philosophierens gemacht hatte." Die er-
w hnte Polemik des Aristoteles glaubt H. Heiland 56 ad loc. in Metaph. Γ 5, 1007b
20; I l, 1053a 35 und K 6 init. zu finden, womit er also stillschweigend annimmt,
da Aristokles die Kritik des Aristoteles an Protagoras als eine Widerlegung der
Skepsis berhaupt betrachtet habe. Diese Vermutung kann jedoch nicht befriedigen,
denn a) aus Fr, 4 H. geht eindeutig hervor, da Aristokles Protagoras keineswegs f r
einen Anh nger der im Fr, 6 er rterten Skepsis hielt, b) es finden sich bei Aristoteles
andere u erungen, die gr ere hnlichkeit mit Aristokles' Argumenten gegen die
Skeptiker aufweisen. In Metaph. Γ 4 setzt sich Aristoteles mit Denkern auseinander,
die die G ltigkeit des Satzes vom Widerspruch abstritten (1005b 35 sqq. είσί δε τίνες
ο ι , , , ένδέχεσθαί φασι το αυτό είναι καΐ μη είναι, και ύπολαμβάνειν οΰτως). Laut
Aristokles hoben auch die Skeptiker diesen Satz auf, indem sie περί ενός εκάστου
behaupteten, da es ου μάλλον εστίν ή ΟΌΚ' εστίν, ή και 6o~ti και ουκ £οτι, ή ούτε
εστί οϋτ1 ουκ εστίν (Fr, 6 2 , 25—27 Η.}, Wie wir unten sehen werden, lassen sich
einige Argumente des Aristokles gegen die Skepsis auf das genannte Kapitel des Ari-
stoteles zur ckf hren, F. Decleva Caizzi, Pirrone 219 schreibt ber den Verweis auf
Aristoteles: ,,Che si tratti di Met, Γ 1007b 20sgg.; I 1053 a 35sgg.; K 5-6, non v'e
dubbio." Sie beobachtet jedoch, da Aristokles Protagoras und Pyrrhon nicht aus-
dr cklich miteinander verbindet, und sie hebt hervor, da Anstokles nicht speziell an
die Protagoreer denkt, sondern vielmehr an diejenigen, die die G ltigkeit des Satzes
vom Widerspruch leugnen. E. Berti, La cntica allo scetticismo nel IV libro della Me-
tafisica, in: G. Giannantom (Hrsg.), Lo scetticismo antico 1982, 63 — 79, weist darauf
hm, da der von Aristoteles widerlegte Skeptizismus viele hnlichkeiten mit der sp -
teren Haltung von Pyrrhon und Ainesidemos hat. Mit neuen Argumenten versucht er
die Vermutung von H. Maier, Syilog. d. Arist. II 2, 4 — 1 0 zu bekr ftigen, da Ari-
stoteles1 Polemik gegen die Megariker gerichtet ist.
2SZ
Dieselbe Nachricht auch Fr. 6 Z. 194 H. sowie bei Diog, Laert., Prol. 16; IX 102.
253
Die meisten Historiker des Skeptizismus sind sich allerdings dar ber einig, da Pyr-
rhon sich vorwiegend zu einer bestimmten Lebensart bekannte und auf die rein er-
kenntnistheoretischen Probleme nicht so intensiv einging, -wie man aufgrund des
Zeugnisses des Dialektikers Timon annehmen k nnte. Vgl. unter anderen L, Robin,
Pyrrhon 13-14 und 34. K, v. Fritz, Art, Pyrrhon l, RE XXIV (1963) bes. 95sqq.
2S3i ^[ £ja] p ra> Scetticismo 61 sieht m der Eud monie als Ziel des Philosophierens die
„sokratische Grundlage" des Pyrrhonismus. J, Moreau, Pyrrhonien, Academique,
Empirique?, in: Revue Philos, de Louvain 77 (1979) 304—344 erinnert daran, da die
pyrrhortische εποχή die Vorbedingung f r die αταραξία ist. Durch diese Zielsetzung
unterscheide sich der Pyrrhonismus von der Skepsis des Arkesilaos,
2S
* Fr. 6 Z, 22 H. έπ' [σης αδιάφορα και αστάθμητα καί άνεπίκριτα. ber diese Ter-
mini vgl, jetzt F. Decleva Caizzi, Pirrone 223-225. Das Adjektiv αστάθμητος, das
uns bereits bei Xenophon und Aristophanes begegnet, findet sich sonst — soweit mir
bekannt — weder bei Sext, Emp. noch in der brigen skeptischen Literatur; es
kommt bei Phiton Afex, dreimal vor, und zwar irn Zusammenhang mit den
ανθρώπεια und der τύχη. Was Aristokles damit zum Ausdruck bringen will, d rfte
wohl nicht die Unbest ndigkeit der Dinge sein, sondern vielmehr der Umstand, da
sie sich jedem Wiegen und Messen entziehen, also ihre Unbestimmbarkeit. Daher ist
jedes Urteil ber sie unm glich. Das Adjektiv άνεπίκριτος kommt mehrmals bei
Sext. Ernp. vor, unter anderem in Verbindung mic ακατάληπτος. Zum Problem vgl,
M. Dal Pr , Scetticismo 62.
255
Wenn es keinen Unterschied zwischen Gut und bel gibt, gibt es auch keinen
Grund, warum wir etwas anstreben bzw. meiden sollten.
256 ψοπ1 wegen der Gleichwertigkeit aller Dinge und Geschehnisse. ber ακράδαντος
F. Decleva Caizzi, Pirrone 228.
2s6a rj)ie verschiedenen Interpretationen des 011 μαλλον-Stazes bespricht F. Decleva
Caizzi, Pirrone 229—230. Es fragt sich vor allem, ob ου μάλλον mit allen drei For-
meln zu verbinden ist, oder - was ich f r richtiger halte — ob es sich nur auf das
erste Glied, εστίν ή ουκ εστίν, bezieht: a) es ist nicht mehr als es nicht ist, b) es ist
und ist nicht, c) weder ist es noch ist es nicht.
257
Die αφασία besteht darin, da wir uns nicht u ern, da wir uns des Urteils ent-
halten (εποχή): Wenn wir nicht wissen, wie die Dinge beschaffen sind, k nnen wir
nat rlich auch nichts von ihnen behaupten. Die Unersch tterlichkeit und Ungest rt-
heit unseres Gem ts wird sich daraus ergeben, da nichts mit Sicherheit ein bel
oder ein Erstrebenswertes ist und als solches erkannt werden kann. ber die Ver-
bindung der αταραξία mit der εποχή vgl. Sext. Emp., P. H, I 25—30. Da Ainesi-
demos die Lust (ηδονή) als Frucht der skeptischen Haltung bezeichnete, ist sonst nir-
gends bezeugt. Diog. Laert. IX 107 schreibt ihm in diesem Zusammenhang dieselbe
Ansicht wie Timon zu: τέλος 6έ οί σκεπτικοί φασι. την έποχήν, ft σκιάς τρόπον
επακολουθεί ή αταραξία, ως φασιν οϊ τε περί τον Τΐμωνα και Αΐνησίδημον, Nach
einem Bericht des Sexc. Ernp,, P. H. I 215 gab es Leute, die die kyrenaische und die
skeptische Philosophie f r identisch hielten, weil beide die These vertraten, τα πάθη
μόνα καταλαμβάνει v. Der Unterschied zwischen beiden Hegt aber darin, f gt Sextus
hinzu, da sie entgegengesetzte Ziele haben, die Kyrenaiker n mlich die ηδονή und
wir die αταραξία. Schlie lich erfahren wir bei Photios, Bibl. cod. 212, 170b 30-35,
da Ainesidemos im 8. Buch seiner Πιιρρωνίων λόγοι alle von den Philosophen an-
gegebenen τέλη ablehnte, μήτε την εΐιδαιμονίαν μήτε την ήδονήν μήτε την φρόνη-
σιν μήτ' άλλο τι τέλος έπιχωρών είναι, und behauptete, απλώς ουκ είναι τέλος το
πασιν ΐιμνούμενον. Hier hat τέλος einen anderen, engeren, technischeren Sinn als in
den ersten beiden Zeugnissen, wo es wohl nicht „das h chste anzustrebende,
absolute Gut", sondern nur die letzte Konsequenz einer Haltung bedeutet. Der
Widerspruch ist also nur ein scheinbarer. Bemerkenswert bleibt trotzdem, da Aine-
sidemos laut Photios ausdr cklich gegen das ηδονή-Ideal Stellung genommen hatte.
Es ist daher sehr unwahrscheinlich, da er die ηδονή als τέλος angegeben habe. M g-
licherweise liegt ein Fehler bei Eusebios vor, und es 1st verlockendj an die Stelle von
δε ήδονήν einfach δ' έποχήν zu schreiben. Auf das erw hnte Zeugnis bei Sextus
st tzt sich jedoch R. Hirzel, Unters. III 107-JJO, um die Nachricht bei Aristokles
in ihrer berlieferten Form zu erkl ren. Diejenigen, meint er, die die pyrrhonische
mit der kyrenaischen Lehre identifizierten, waren wahrscheinlich Pyrrhoneer; man
k nne annehmen, da sie bei ihrem Ausgleichsversuch auch die Ethik ber cksich-
tigten und das h chste Gut der Kyrenaiker wie das der Pyrrhoneer mit dem ge-
meinsamen Namen ηδονή bezeichneten, ηδονή allerdings eher in der epikureischen
Bedeutung (vgl, Diog. Laert. X 136 Epikur sagt, da ή ... αταραξία και άπονια
κατ αστή ματ ι και είσιν ήδοναί). Da Hirzel Ainesidemos f r einen Eklektiker h lt,
scheinen ihm die soeben referierten Vermutungen die Zuverl ssigkeit von Aristokles'
Nachricht ber die Telosbestimmung des Ainesidemos zu best tigen. Gegen Hirzels
Kombination spricht sich V. Brochard, Sceptiques 271 aus. F. Trabucco, Scetticismo
122 weist auf die anders lautende Nachricht ber das Telos der Skeptiker bei Diog.
Laert, IX 107-108 hin, meint jedoch, da man den scheinbaren Widerspruch der
beiden Testimonien aufheben kann, wenn man annimmt „ehe Enesidemo abbia
voluto .interpretare' pi concretamente U senso di quello stato di tranquillit ehe
viene defimto αταραξία". F. Decieva Caizzi, Pirrone 220-221 gibt zu, da die Er-
w hnung der ηδονή als Telos des Ainesidemos nicht ohne weiteres verst ndlich ist.
Sie scheint jedoch ηδονή als lectio difficilior beibehalten zu wollen. Aber auch Irr-
t mer der Kopisten sind manchmal lectiones dtfficilioresl — Nachtr glich bemerke
ich, da die nderung von ήδονήν in έποχήν bereits von Sepp vorgeschlagen worden
ist (S. Sepp, Pyrrhonische Studien, Freising 1893, 62 und 76, mir z. Z. nicht zug ng-
lich, zitiert von P. Couissin, in: Rev. Et. Gr. 42 [1929] 387 Anm. 1). P. Couissin gibt
zu, obwohl er von Sepps oft k hnen Korrekturen nicht sehr viel zu halten scheint,
da ein Text mit έποχήν seine eigenen Ergebnisse ber die Einf hrung des Schlag-
wortes εποχή in die pyrrhonische Skepsis durch Ainesidemos bestens best tigen
w rde. berfl ssig ist allerdings Couissins Hypothese, da die Nachricht ber Aine-
sidemos, wenn sie tats chlich die εποχή als Frucht der skeptischen Haltung angab,
urspr nglich an anderer Stelle gestanden hat (. , . ούτω περιέοεσθαι Τίμων φησί
πρώτον μεν άφασιαν [Αΐνησίδημος Οέ την έποχήν], έπειτα δ' άταραξίαν): Aristo-
kles kann n mlich ohne weiteres berichtet haben, da Timon ein doppeltes Ergebnis
der Skepsis nannte, zuerst die αφασία, dann die αταραξία, w hrend Ainesidemos
nur von der εποχή sprach. Auch A. Schmekel, Posit, Ph os. I 309 Anm. l meint,
da in der anst igen Mitteilung des Aristokles ein alter Schreibfehler vorliegt:
„Nicht ηδονή, sondern εποχή hat urspr nglich gestanden." U. Burkhard, Heraklit-
Nachfolge 14 — 15 mit Anrn. 4 pl diert f r das berlieferte ηδονή. Er gibt zu, da
Ainesidemos selbst jedes Telos im Sinne einer anderen Philosophie ablehnte. Sp ter
jedoch habe man eine enge Verbindung pyrrhonischer Skepsis zur kyrenaischen
Lehre hergestellt. An unserer Steile sei ηδονή im Sinne des kyrenaischen Telos, nicht
der epikureischen όταραξία zu verstehen. Aristokles bezeichne die ηδονή als eine
Folge der Skepsis, und diese Folge k nne unm glich mit dem Begriff εποχή ausge-
dr ckt sein. — ber die pyrrhonische αφασία vgl, K. v. Fritz, Art. Pyrrhon l, RE
XXIV (1963) 97.
machten. In Anstokles' Widerlegung lie en sich die Argumente gegen die radikale
Haltung von denen unterscheiden, die bereits bestimmte Zugest ndnisse von Seiten
der Skeptiker voraussetzten. Gegen Ferraris Interpretation wendet M, Dal Pr , Scet-
ticismo 40 Anm. l ein, da die „logischen Momente" in der Darstellung des Skepti-
zismus nicht unbedingt einer historischen Entwicklung entsprechen.
261
Fr. 6 Z. 141-146 H.
262
Fr. 6 Z. 30—70 H, Kurze Darstellung dieser Kritik und Vergleich mit Parallel texten
bei A. Schmekel, Posit. Philos. I 659sqq.
ber nichts u ern, und dann u ern sie sich selbst. Sie halten es f r richtig,
da man keineswegs zustimmt, da man ihnen aber glaubt, wenn sie es
verlangen; sie sagen, da sie nichts wissen, und dennoch widerlegen sie
die anderen Im Vertrauen auf das eigene Wissen263, 5, Sie behaupten,
alles sei verborgen, d.h. nicht erkennbar 264 . Wenn dem so ist, m ssen
sie entweder schweigen — und dann kann man nicht mit ihnen disku-
tieren — oder sich u ern und etwas sagen; u ern sie sich, k nnen sie es
jedoch nur, indem sie sagen, da etwas ist oder nicht ist265; so verhalten
sich in der Tat die Skeptiker, indem sie behaupten, alles sei unerkennbar
und undefinierbar und nichts stehe fest266. Sagt man aber, da etwas ist
263 0;eser Widerspruch zwischen den Grunds tzen der Skepsis und dem Umstand, da
sie lehren und ihre Grunds tze als g ltig empfehlen, ist von den Dogmatikern oft
hervorgehoben worden, Vgl, z.B. Diog. Laert. IX 102 οίς άντίλέγοντες οί
δογματικοί φασιν αυτούς καταλαμβάνεσθαι και δογματίζειν· εν ω γαρ δοκοϋσι
διελέγχειν καταλαμβάνονται· και γαρ εν τφ αύτφ κρατΰνουσι καί δογματίζουοι,
καί γαρ οτε φασι μηδέν όρίζειν και παντί λόγφ λόγο ν άντικεΐσθαι, αυτά ταϋτα
καί ορίζονται και δογματΐζοιισι. Vgl, auch die Einw nde von Klern. Alex., Strom.
VIII 15,2—6 und 16, l gegen die Pyrrhoneer sowie die des Antipater und des Amio-
chos gegen die »Akademiker" bei Cic,, Lucull, 28—29. Mit dem Einwand, da δογ-
ματίζει ό σκεπτικός, setzt sich Sext. Emp,, P. H. I 13 — 15 auseinander. In ihrer Ver-
teidigung wiesen die Skeptiker darauf hin, da sie ihre Grunds tze keineswegs als
wissenschaftliche u erungen ber das Seiende hinstellten, sondern lediglich als Mit-
teilungen ber das, was ihnen subjektiv erschien (το έαυτω φαινόμενον), und ber
das eigene Empfinden (το πάθος το έαυτοϋ) betrachteten, und zwar άδοξάστως,
ohne Anspruch auf vernunftgem e Begr ndung. Sie gaben auch zu, da S tze wie
πάντα εστί ψευδή, οίιδέν εστίν αληθές, ουδέν μάλλον und dgl. etwas zum Aus-
druck bringen, das auch f r diese S tze selbst gilt, da sie also keineswegs als absolut
wahr anzusehen sind. Vgl. das wichtige Kapitel bei Sext. Emp., P.H. I 13—15, ferner
187-208 und Diog. Laert. IX 303-104. Da Aristokles die Selbstverteidigung der
Skeptiker nicht erw hnt, wurde bereits oben bemerkt.
164
"Αδηλα πάντα. Die αδηλα sind die Dinge, mit denen sich der Dogmatiker befa t und
zu deren Erkenntnis er zu gelangen glaubt. F r den Skeptiker sind sie jedoch ακα-
τάληπτα, nicht mit Sicherheit erkennbar. Vgl, Sext. Emp,, P.H. I 200.
265
Die vorhegende Argumentation gegen die Skeptiker weist hnlichkeiten mit Aristo-
teles' Widerlegung derjenigen auf, die behaupteten, ένδέχεσθαι . . . το αυτό είναι
καί μη είναι (Metaph. Γ 4). Wenn sie nicht reden, ist keine Diskussion m glich:
1006a 11 — 15, Hinweis auf το άξιοϋν ή είναι τι λέγειν ή μη είναι 1006a 19—21.
Weitere Parallelen in den folgenden Anmerkungen,
266
berliefert ist Fr. 6 Z. 58—59 H. νυνί φασιν ως εΐη πάντα άγνωστα καί νομιστώ
πασιν ως δ' ουδέν. Da dieser Text korrupt ist, leuchtet jedem ein. Bereits νομιστά
macht Schwierigkeiten, denn ein solcher S t?, der Skeptiker ist uns nicht bekannt, und
ein Hinweis auf den νόμω-Charakter aller Dinge hat hier nichts zu suchen (anders
nat rlich Sext. Emp., P.H. III 232, wo von der Relativit t der Br uche unter An-
oder nicht ist, weist man entweder auf das Ding hin (δήλοι το πράγμα),
d.h. man kann die Bedeutung des genannten Dinges angeben, oder man
kann das nicht267. Spricht man ohne Hinweis auf das Ding, so ist eben-
falls keine Diskussion m glich268. Bedeutet die Aussage etwas, so
spricht man entweder von unbegrenzten oder von begrenzten Dingen.
Wenn von unbegrenzten, dann ist wiederum keine Diskussion m glich,
denn das Unbegrenzte entzieht sich der Erkenntnis. Sind aber die Dinge,
auf die man hinweist, begrenzt oder ist das f r irgendeines von ihnen der
Fall, dann definiert und urteilt, wer davon redet; es trifft also nicht zu,
da alle Dinge sich weder erkennen noch beurteilen lassen269. 6. Wenn
der Skeptiker behaupten sollte, da dasselbe ist und nicht ist, dann wird
dasselbe auch wahr und falsch sein; er wird reden und nicht reden;
indem er die Rede benutzt, wird er die Rede aufheben. 7. Dazu kommt,
da er gesteht, Falsches zu sagen, und dennoch verlangt, da man ihm
glaubt270. 8. Woher wissen die Skeptiker, da alles verborgen ist? Ihre
Behauptung setzt n mlich voraus, da sie wissen, was das Klare ist, denn
die Kenntnis der Negation setzt die der Bejahung voraus, und wer das
Klare nicht kennt, kann auch nicht wissen, was das Unklare ist. An
f hrung von Herodot die Rede ist und es dann hei t ουδέ των προειρημένων τι εστί
φύσει τοϊον ή" τοΐον, νομιστώ δε πάντα και προς τι). Die Korrektur αόριστα dr ngt
sich auf. ber den skeptischen Satz πάντα εστίν αόριστα vgl. Sext. Emp., P, H, I
198 — 199 und die vielen Stellen ber das μηδέν όρίζειν. F r πασιν ως δ 5 ουδέν
schl gt H, Diels, Poet. Philos. Fragm. 177 app. crit. παγίως 6' ουδέν {καταληπτό ν)
vor. Der Ausdruck παγίως καταληπτον είναι ist bei Sext. Emp., Adv. Dogm. II 186
bezeugt,
167
Auch hier d rfte der Text nicht ganz in Ordnung sein. berliefert ist Ϊ. 60—61 ήτοι
δήλοι το πράγμα και ένεστι αυτό συνεΐναι λεγόμενον, ή ουκ ένεστι. „Entweder
zeigt er das Ding und es ist m glich, das Gesagte selbst zu verstehen, oder aber das
ist nicht m glich," Auf den ersten Blick gibt συνεΐναι einen akzeptablen Sinn. F r
die nderung in σημήναι sprechen jedoch folgende Umst nde; a) gleich danach
(Z. 61—62) wird die Alternative wiederaufgenommen, und zwar mit den Worten εί
μεν ου δήλοι . . . εί δε σημαίνοι. b) In dem als Parallelstelle und m glicherweise als
Quelle anzusehenden Kapitel Γ 4 von Aristoteles' Metaphysik wird im gleichen Zu-
sammenhang mit σημαίνειν oder nicht σημαίνειν operiert, vgl. 1006 a 21; 29sqq.
268 Vgl, Arist., Metaph. Γ 4, 1006a 22—23 τούτο (= σημαίνειν) γαρ ανάγκη, ειπερ λέ-
γοι τι. εΐ γαρ μη, ουκ αν εϊη τφ τοιούτω λόγος, οΰτ' αύτφ προς αυτόν οΰτε προς
άλλον,
2Μ
Vgl, Arist., Metaph. Γ 4, 1006a 32 — b 21, bes. εΐ δε . . . άπειρα σημαίνειν φαίη,
φανερον οτι ουκ αν εϊη λόγος· το γαρ μη &ν σημαίνειν ούθέν σημαίνειν εστίν, μη
σημαινόντων δε των ονομάτων άν^ρηται το διαλέγεσθαι προς αλλήλους, κατά δε
την άλήθειαν και προς αυτόν.
170
Vgl. oben S. 159 Punkt 4.
diesen Einwand knüpft sich ein Hinweis auf die sog. Tropen an, durch
welche Ainesidemos nachzuweisen versuchte, daß alle Dinge verborgen
sind. Auf das Referat über die Tropen und die Probleme, die es aufwirft,
wollen wir später zurückkommen. Was Aristokles dem Skeptiker in
diesem Zusammenhang vorwirft, bleibt auf der Linie des bereits Ge-
sagten. Hat Ainesidemos, als er seine Argurnente aufstellte, mit Sicher-
heit gewußt, daß die Dinge so beschaffen sind, wie er es behauptet, oder
hat er es nicht gewußt? Im letzteren Fall brauchen wir ihm nicht zu
glauben, im ersteren muß man ein Narr sein, um zu erklären, daß alle
Dinge sind, und gleichzeitig zu behaupten, daß man so viel über
sie weiß. Dazu kommt, daß sein Beweisverfahren nichts anderes als eine
Art Induktion ( ) ist. Stimmen die Skeptiker dem dadurch
erzeugten Glauben zu, so vertreten sie offenbar eine Ansicht ( -
271
). Anderenfalls brauchen wir sie nicht zu beachten .
Soweit die erste Gruppe von Einwänden gegen die skeptische Lehre.
Die Angriffe des Aristokles richten sich ausschließlich gegen die ersten
beiden Punkte der vorher referierten Ausführungen Timons. Später wird
sich der Messener in einem vorwiegend biographisch-anekdotischen Ab-
schnitt mit der Diskrepanz befassen, die er zwischen den skeptischen
Grundsätzen einerseits und dem Leben namhafter Skeptiker bzw. den
Forderungen des praktischen Lebens andererseits festzustellen glaubt.
Hier bleiben seine Einwände auf der Ebene einer abstrakten Dialektik
stehen, die allerdings auch zu rhetorischen Stilmitteln greift. Man be-
achte die Vorliebe für das Dilemma, die vielen rhetorischen Fragen, die
leicht ironische Färbung mancher Bemerkung! Eine gewisse inhaltliche
Schärfe darf man ihm trotzdem nicht absprechen 272 . Allem Anschein
nach gibt er hier die wichtigsten Argumente wieder, die die Dogmatiker
in ihrer Polemik gegen die Pyrrhoneer formuliert hatten und die auch
Spuren etwa bei Sextus Empiricus und Diogenes Laertios hinterlassen
haben. Historisch gesehen liegen vielleicht die Mängel seiner Widerle-
gung des Skeptizismus darin, daß er auf die von den Skeptikern selbst in
ihrer Gegenargumentation vorgebrachten Präzisierungen nicht eingegan-
gen ist. Die Skeptiker bestritten nämlich, daß ihre berühmten Grund-
271
Auf einen ähnlichen "Widerspruch wurde bereits in den Einwandert 4 und 7 hinge-
wiesen.
272
U. v. Wilamowitz, Antigonos v. Karystos 27—28 geht wohl etwas zu weit, wenn er
von der Widerlegung der pyrrhonischen Skepsis schreibt, „die der Peripatetiker
Aristokles . . . mit mehr Leidenschaft als Schärfe versucht hat".
173
Dies geht nicht nur aus den oben Anrn. 263 angef hrten Texten von Sext. Emp. und
Diog. Laert. hervor, sondern auch aus Gell. XI 5, der unter anderem bemerkt Pyr-
rom'i ne id qnidem Mo pacto vsrum videri dicunt, quod nihil esse verum videtur.
27
* Fr. 6 Z. 75-85 H, ber Ainesidemos* Lehre informieren neben Aristokles vor allem
Diog. Laert. IX 62; 78-88; 106-108, Sext. Emp. passim, bes. P. H. I 180-185;
210-212; Adv. math, VII 40-47; 215-216; 234; IX 218; Χ 38. Photios, Bibl. cod.
212, Photios' Referat ber die Πυρρωνίων λόγοι des Ainesidemos untersucht K. Ja-
n cek, Zur Interpretation des Photios-Abschnittes ber Ainesidemos, in: Eirene 14
(1976) 93-100.
175
Die Frage wird sowohl vor wie nach dem Referat gestellt.
176
Diog. Laert. IX 79-88 (der kurz davor, 78, Αίνησίδημος εν Tfj εις τα Πυρρώνεια
ύηοτνπώσει zitiert und ihn auch 87 ausdr cklich nennt). Sext, Emp,, P. H. I 36-163
(παρά τοϊς άρχαιοτέροις σκεπτικοϊς. Auf diesen Passus verweist er Adv. dogm, I
345 mit den Worten καθάπερ έδείξαμεν τοος παρά τω Αίνησιδήμφ δέκα τρόπους
έπιόντες). Favorinus hatte laut Gellius XI 5,5 zehn B cher Πυρρωνείων τρόπων ge-
schrieben, um nachzuweisen, da die wahre Beschaffenheit der Dinge nicht erkenn-
bar ist. Einige Gelehrte der Neuzeit haben jedoch versucht, Aristokles' Angabe ber
die Neuzahl der Tropen zu verteidigen. So z.B. E, Pappenheim, Die Tropen der gr.
Skeptiker, Progr. Berlin 1885, 23-24 {wohl auch in fr heren, mir nicht zug nglichen
Arbeiten), der vermutet, da ein zehnter, von Aristokles noch nicht behandelter Tro-
pus sp ter hinzugekommen ist. H, v, Arnim, Quellenstudien Philo, 1888, 71 —
72 entdeckte bei Philon, De ebr. 171—202 eine Reihe von 8 oder 9 Beweisen
f r die Relativit t aller Erkenntnis, die unverkennbare Verwandtschaft mit den
Tropen bei Sextus und Diogenes aufweisen. Er meinte, da Sextus zwar wei ,
da die Tropen von Ainesidemos stammen, sie jedoch in ihrer urspr nglichen Form
nicht kennt. Aristokles allein habe die richtige, urspr ngliche Zahl aufbewahrt. Der
Vergleich der Tropenlehre Aenesidems mit den Ausf hrungen Philons ist seit H. v.
Arnims Arbeit mehrmals und mit sehr verschiedenartigen Ergebnissen unternommen
worden. Vgl. oben Anm. 19. Mehrere Forscher schlie en sich im gro en und ganzen
der Meinung an, da Ph on auf Aenesidem zur ckgeht. Die entgegengesetzte An-
sicht wurde jedoch von A. Weische, Cicero und die Neue Akademie, M nster 1961,
83-101 vertreten: Er f hrt Philons Ausf hrungen auf neuakademische Quellen zu-
r ck; bei Philon finde sich „der fr heste Ansatz einer Systematisierung der skepti-
schen Theorie in der Art einer Trope n reihe" (Op.cit. 86); Aenesidem, der Anregun-
gen von Poseidonios erhalten habe, sei sp ter als Philon anzusetzen; bei Aristokles
liege eine Umdeutung der Zehn-Tropen-Reihe Aenesidems vor. J.P. Dumont, Le
scepticisme et le phenomene, Paris 1972, 147-154 vermutet, da ein anonymer Skep-
tiker als gemeinsame Quelle f r Philons und Aenesidems Tropenlehre fungiert hat.
U. Burkhard, Heraklit-Nachfolge 182-194 lehnt Weisches Ergebnisse ab; er weist
auf eine „erstaunlich weitgehende bereinstimmung" der beiden Autoren hm, ohne
zu verkennen, da Philon, der Aenesidem als Vorlage heranzog, sehr frei mit seinen
Quellen umzugehen pflegte. K rzlich hat sich K. Janacek, Philon von AJexandreia
und skeptische Tropen, in: Eirene 19 (1981) 83—97 von einer ganz anderen Warte aus
mit Philons Skepsis besch ftigt. Die Analyse des Wortschatzes und die Interpretation
vieler Stellen aus dem Werk Philons zeigen, da Philon skeptisches Gemeingut ber-
nimmt und auf sehr originelle Weise wiedergibt, obwohl er von sich aus kein echter
Skeptiker ist. Zu De ebr. 169-205 schreibt K. Janacek, Op.dt. 88: „Dieser Ab-
schnitt beinhaltet ganz klar acht von zehn Ainesidemischen Tropen, Und hier beginnt
die originelle Wiedergabe des skeptischen Gemeingutes seitens Philons, Er spricht
hier von keiner Quelle, er nennt keinen Namen , . ., er benutzt den Terminus τρό-
πος nkht, er erw hnt nicht einmal die Zahl der skeptischen Einw nde," Nicht alles,
was bei Philon an den Skeptizismus erinnert, geht unbedingt auf skeptische Quellen
zur ck. „Aber selbst das, was der Alexandriner Philon von dem Alexandriner Aine-
sidemos inhaltlich bernimmt, formt er nach seinen eigenen lexikalischen und stili-
stischen Gewohnheiten um." (Op. cit. 96). F. Trabucco, Scetticismo 124—125 betrach-
tet das Problem der Zahl der Tropen als noch nicht endg ltig gel st; sie weist (125
Anm. 30) auf die verschiedenen Ansichten der Spezialisten des griechischen Skepti-
zismus hin.
geht aus dem Ausdruck hervor, mit dem er gleich nach der Aufz hlung
auf diese zur ckweist: ταΰτα δε, φημι, και τα τοιαύτα κομψολογοΰντα
αυτόν ήδέως αν τις Ιροιτο κτλ.
Nun wollen wir sehen, welche der sonst bezeugten zehn Tropen sich
in seiner Aufz hlung identifizieren lassen, /, Unterschiede zwischen den
Lebewesen; entspricht dem ersten Tropus bei Sextus277, 2, Unterschiede
zwischen den Menschen; entspricht dem 2. Tropus bei Sextus278. 3. Un-
terschiede zwischen den Staaten; bei den anderen kein selbst ndiger
Tropus; ist eher dem 10. Tropus des Sextus zuzuordnen, in dem von der
Verschiedenheit in der Lebensf hrung, den Sitten, den Gesetzen usw.
die Rede ist279. 4. Unterschiede in den Lebensf hrungen; ebenfalls ein
besonderer Punkt (άγωγαί) im 10. Tropus bei Sextus280. 5. Unter-
schiede in den Sitten; ebenfalls Bestandteil des 10. Tropus bei Sextus281.
6. Unterschiede in den Gesetzen; Bestandteil des 10. Tropus bei
Sextus282. 7. Schw che unserer Wahrnehmungen; am ehesten mit dem
3. Tropus bei Sextus vergleichbar, der allerdings von der verschiedenen
Struktur der Wahrnehmungsorgane und den verschiedenen Aussagen
unserer einzelnen Sinne handelt. Aristokles' Stichwort gibt also den
Tropus nicht genau wieder283. 8. u ere Faktoren, die die Erkenntnis
beeintr chtigen, wie z.B. (unterschiedliche) Abst nde, Gr en, Bewe-
gungen; entspricht dem 5. Tropus bei Sextus, wo θέσεις, διαστήματα
und τόποι als Ursachen der Sinnest uschung angef hrt werden, w h-
rend Gr e und Bewegung lediglich unter den unterschiedlichen Folgen
der T uschung erscheinen284. 9. Verschiedenheit unserer Zust nde (Le-
277
P. H. I 40-78 ~ i. bei Diog. Laen. IX 79-80 ~ 1. bei Philon 171-175.
278
P.H, l 79-89 ~ 2. bei Diog. Laen. IX 80-81 ~ 2. bei Ph on 175-177.
"» P. H, I 145-163 ~ 5. bei Diog. Laen, IX 83-84 ~ 8. bei Philon 193-194.
281
280 vgl. Anm. 279. Vgl, Anm. 279.
28ΐ
Nach der Struktur des griechischen Satzes zu urteilen, in dem die verschiedenen Sub-
jekte von διαφέρει koordiniert sind, d rfte Aristokles ζφα, ημείς αυτοί, πόλεις,
βίοι, £θη und νόμοι als Stichw rter f r einen jeweils selbst ndigen Tropos betrachtet
haben. E. Pappenheim, Erl uterungen zu des Sext. Emp. Py r rhoneischen Grundz -
gen, Leipzig 1881, 31 und 43, der lediglich versucht, die Tropen des Aristokles mit
denen des Sextus zu identifizieren, behandelt die Reihe και at πόλεις και l βίοι και
τα έθη καΐ οί νόμοι als die Zusammenfassung eines einzigen Tropos, des 10. des
Sextus.
283
P. H. I 90-99 ~ 3. bei Diog. Laert, IX 81. Fehlt bei Philon.
284
P. H, I 118-123 (vgl. bes. 118 ... και το αυτό πλοϊον πόρρωθεν μεν μικρόν φαί-
νεται και έστώς, έγγυθεν δε μέγα καΐ κινούμενον) ~ 7. bei Diog. Laert. IX 85-86
(umerschiedliche Gr e als eine der Folgen der Sinnest uschung erw hnt; keine Rede
von der Bewegung) ~ 4, bei Philon 181 — 183 (mit Hinweis auf scheinbar
unterschiedliche Gr e sowie auf Verwechslung von Bewegung und Ruhe). Der Um-
stand, da Aristokles hier zwischen Ursachen und Folgen nicht unterscheidet, son-
dern αποστήματα καΐ μεγέθη και κινήσεις in einem Atemzug unter den έξωθεν λυ-
μαίνομενα την γνώσιν nennt, zeigt, wie nachl ssig er in seiner Darlegung verfahren
ist. Dennoch kann man nicht daran zweifeln, da sich seine Angaben auf den 5. Tro-
pos des Sextus beziehen. Allerdings deutet E. Pappenheim, Erl uterungen 31 die An-
gaben des Aristokles ganz anders. Er bezieht zwar αποστήματα und κινήσεις auf den
5. Tropos des Sextus, glaubi jedoch in μεγέθη eine Erw hnung des 7, (ο παρά τας
ποσότητας και σκευασΕας των υποκειμένων) zu finden. Diese Interpretation ist
schon deswegen unhaltbar, weit in dem Text des Aristokles αποστήματα και μεγέθη
καί κινήσει; nichts anderes sind als eine Apposition zu τα έξωθεν λυμαινόμενα την
γνώσιν und damit auf einen einzigen Tropos bezogen werden m ssen. Da auch die
μεγέθη im 5. Tropos des Sextus eine Rolle spielten, geht aus den soeben angef hrten
Texten hervor. Der Versuch von R. Hirzel, Unters, III 112 Anm, l (unter S. 114, die
letzten 12 Zeilen), die hier genannten St rungsfaktoren dem 7, Tropos bei Sextus =
8. bei Diog, Laert. zuzuweisen, kann nicht berzeugen. Ebensowenig stichhaltig er-
scheint die Interpretation von A. Schrnekel, Posit. Philos. I 299, der die hier mit 7
und 8 numerierten Tropen zusammenzieht und Entfernung, Gr e und Bewegung
als Objekte, nicht als St rfaktoren der Wahrnehmung auffa t, offenbar weil er Κυ-
μαινόμενα f r ein Passiv h lt; er bersetzt (oder paraphrasiert?): „Unsere Sinnes-
wahrnehmungen sind schwach. Infolgedessen (steht nicht im griechischen Text!)
wurde die Erkenntnis vieler u eren Dinge wie die der Entfernung, der Gr en und
Bewegungen gest rt."
285
P. H. I 100-117 - 4. bei Diog. Laert. IX 82 ~ 3. bei Philon 178-180. Wenn Sextus
(100 παρά το κινείσθαι ή ήρεμεΐν) und Philon (179 έστώς μέντοι και κινούμενος)
hier von Ruhe und Bewegung sprechen, so liegt kein Grund vor, die von Aristokles
(oben sub 8) erw hnten κινήσεις auf diesen Tropos zu beziehen; hier handelt es sich
um Zust nde des erkennenden Subjekts, w hrend Aristokles an έξωθεν-Faktoren
denkt.
286
P.H. I 124-128 - 6. bei Diog. Laert. IX 84-85 ~ 7. bei Philon 189-192.
287
P.H. I 135-140 - 10. bei Diog. Laert. IX 87-88 ~ 6. bei Philon 186-188.
28e
Hier sei daran erinnert, da Sext. Emp., P.H. I 38—39 versucht, die von ihm auf-
gez hlten 10 Tropen systematisch zu klassifizieren, und sie unter drei Rubriken ver-
teilt (airo του κρίνοντος, άπο του κρινόμενου, έ| άμφοϊν); dann bemerkt er πάλιν
δε οί τρεις ούτοι ανάγονται είς το προς τι, ως είναι γενικώτατον μεν t v προς τι,
ειδικούς δε τους τρεις, ΰποβεβηκότας δε τους δέκα, Ρ. Natorp, Unters, ber die
Skepsis im Altertum, in: Rhein. Mus, 38 (1883) 29—91, dort 90 meint, da der Autor
des Aristokles vielleicht deswegen von nur neun Tropen sprach, weil er das προς it,
das laut Sext. Emp., P. H. I 39 Oberbegriff sei, nicht als einen Tropos f r sich ge-
rechnet habe; auch bei Gell. XI 5,7 erscheine das προς τι als Genos, Eine hnliche
Interpretation begegnet uns bei A. Schmekel, Posit. Philos. I 299—301: Die Relativi-
t t, die am Ende der Aufz hlung steht, gehe nicht als Einzeltropos, sondern habe
berhaupt f r alles G ltigkeit, sie umschlie e alles. Die Systematik der Tropenlehre,
die er bei Aristokles z« entdecken glaubt, f hrt Schmekel auf Menodotos zur ck.
Gegen solche Vermutungen ist hervorzuheben, da Aristokles das προς τι zwar nicht
als selbst ndigen Tropos behandelt, es jedoch sicher nicht als das Genos hinstellt,
unter welchem die brigen Tropen subsumiert w ren.
289
Wie wir schon sahen, beanstanden die meisten Kritiker die Erw hnung von neun
Tropen berhaupt nicht, obwohl sie bisweilen zugeben, da es schwer ist, so viel
Tropen aus dem Wortlaut zu gewinnen, und da sie nicht einsehen, wie Aristokles'
Zahlenangabe sich rechtfertigen l t (z, B. E. Pappenheim, Tropen 15 — 16. P. Natorp,
in: Rhein. Mus. 38 [l 883] 90); sie sind sich lediglich dar ber nicht einig, ob Ainesidemos
selbst nur neun oder doch schon zehn Tropen aufz hlte. Da die Neunzahl f r einen Feh-
ler der berlieferung gehalten werden mu und durch das Einsetzen des richtigen δέκα
f r εννέα zu verbessern ist, hat R, Hirzel, Unters. III112 Anm. l (unter S. 114) wohl als
einziger erkannt (V. Brochard, Sceptiques 225 Anm. 4 la t die Frage offen, ob man es
mit einem Irrtum des Aristokles selbst oder mit einem berlief er ungsfehler zu tun hat),
obwohl er als einzigen Grund f r seine Meinung anf hrt, Aristokles habe sich „hm-
sichtlich einer so bekannten Tatsache wie denn doch die zehn pyrrhonischen Tropen
waren" eines Irrtums nicht schuldig machen k nnen. Was die Entstehung des Fehlers
anbetrifft, wird man sich vergegenw rtigen, da die Griechen wohl ab Mitte des
4, Jh. v. Chr. die uns bekannten Zahlzeichen mit Episema verwendeten (also α = l,
ζ = 6, ι = 10, κ = 20 etc.), daneben aber gelegentlich die 24 Buchstaben des ge-
w hnlichen ionischen Alphabets {a—to) zur Numerierung von l bis 24 gebrauchten
(also α= 1,1 = 9, K = 1Q, ω = 24). Nach diesem zweiten System waren nicht nur
die Marken der Heliasten in Athen, sondern auch z.B. die Ges nge Homers und die
B cher des Aristoteles durchnumeriert; die mittelalterlichen Kopisten gebrauchen f r
die Kustoden der Lagen ihrer Kodizes meistens die Zahlzeichen (mit £ = 6), bis-
weilen aber auch einfach die griechischen Buchstaben (ohne ζ, also ζ = 6, L = 9,
κ = 10). Zu den beiden Systemen vgl, unter anderen H. Usener, Theophrasts B cher
ber die Gesetze, in: Rhein. Mus. 16 (1861) 470—472. J. Gow, The greek numerical
alphabet, in: Journ. of Philol. 12 (1883) 278-284. E. Nestle, Die 9 Musen Herodots,
in: Berl. PhiloJ. Wochenschr. 31 (1911) 725-726. V. Gardthausen, Gr. Pal ogr.2 II,
1913, 358sqq. Es ist wahrscheinlich, da bei Eusebios die Zahl δέκα nicht ausge-
schrieben, sondern einfach mit i' wiedergegeben war. Irgendwann wird ein Kopist,
der diese Zahl ausschreiben wollte, auf den ungl ckseligen Gedanken gekommen
sein, da i' neun bedeutet, erwa wie beim Iota der Ilias oder beim Buch I der Niko-
machischen Ethik, Ein vergleichbarer Fehler begegnet uns in der handschriftlichen
berlieferung Alexanders von Aphrodtsias. Im Archetypus, dem Marc. 258 aus dem
10, Jh., lautet der Text von De an. mant. 151,9 εν τφ ένάτψ των Νικομαχείων, und
151,11 κα,ι εν τφ δεκάτφ. Die darauf folgenden w rtlichen Zitate stammen jedoch
aus dem 8. bzw. aus dem 9. Buch der EN. Mit vollem Recht hat daher I. Bruns ver-
mutet, da die Vorlage εν τω θ' bzw. εν τφ t' hatte und da diese Buchstaben (Reihe
ohne ξ) f lschlich als Zahlzeichen (Reihe mit £) gedeutet wurden.
290 p_ Natorp (vgl. Anm, 289) bemerkt, da die Anordnung bei Aristokles „vollends ver-
worren" ist; er meint, wir h tten es mit einer Rekapitulation aus dem Ged chtnis zu tun.
Der letzte Punkt scheint mir fraglich: Wer sich auf sein Ged chtnis verl t, mu wohl
von der Sache so viel verstehen, da er keine groben Irrt mer begeht.
291
ber Timons Dialog Python vgl. U. v. "Wilamowitz, Antigonos v. Karystos 38
Anm. b. C. Wachsmuth, S logr. gr. rel,, 1885, 28-29. R. HirzeJ, Der Dialog I
398-399. H. Diets, Poet. Philos. Fragm. .205-206 und 270. H. Heiland 62
Anm. 75, W. Nestle, Art. Timon 13, RE VI A 2 (1937) 1302. M, Untersteiner,
L'incontro fra Timone e Pirrone, in: Riv, di St r, della Filos. 9 (1954) 285sqq. (mir
noch nicht zug nglich). J ngere Arbeiten nennt F. Decleva Caizzi, Pirrone 216—217.
292
An sich bringen die Einw nde trotz ihrer sarkastischen Formulierungen nichts
Neues. Die Stelle ist vor allem deswegen von Interesse, weil sie offensichtlich auf
einige der im Python referierten Ereignisse anspielt,
293
ber dieses Spottgedicht Timons vgl. C. Wachsmuth, Sillogr. gr. rel. 31 sqq. (Frag-
mente dort 89sqq.). H. Dieb, Poet, Philos. Fragm. 182-202 (mit Fragmenten).
194
Fr, 6 Z. 76 H, hat Aristokles bereits auf die ύποτΰπωσις des Ainesidemos verwiesen.
Diog. Laert. IX 78 zitiert Ainesidemos εν τη ε[ς τα Πυρρώνεια ύποτυπώσει und IX
106 εν τω πρώτω Πυρρωνείων λόγων. Sext. Emp., Adv. dogm. II 215 εν τφ τε-
τάρτω των Πυρρωνείων λόγων. Inhaltsangabe der 8 B cher Πιιρρωνίων λόγων bei
Photios, Bibl. cod. 212, 169 b-171 a. Vgl. auch Diog, Laert. IX 116 Αίνησίδημος
Κνώσιος! δς καΐ Πυρρωνείων λόγων οκτώ συνέγραψε βιβλία. Wahrscheinlich war
die Hypotypose eine eigene Schrift und kein Teil der Πυρρώνειοι λόγοι, vgl,
E. Zeller, Philos. d. Gr. Ill 2s, 23 Anm, 2. Mit dem Ausdruck αϊ μακραϊ
στοιχειώσεις meint Aristokles wohl weniger eine besondere Schrift des Ainesidemos
als vielmehr sein skeptisches Schrifttum im allgemeinen; der Verfasser stellte sie als
„Elementarschriften" hin (Photios 170 b l berichtet, da im zweiten Teil der Pyr-
rhonischen Logoi Ainesidemos την δλην άγωγήν ως τύιτω καΐ κεφαλαιωδώς των
Πυρρωνίων παραδιδωσι λόγων), sie waren trotzdem ungemein lang.
uns damit bessern wollen und zu diesem Zweck die Meinungen der an-
deren widerlegen, zielen sie offenbar darauf ab, daß wir die Wahrheit
kennen und Pyrrhons Ansicht über die Dinge teilen sollen. Der ange-
strebte ethische Fortschritt setzt nun voraus, daß wir das Zuträgliche
erkannt und uns für diejenigen entschieden haben, die das Bessere vor-
tragen. Dann ist aber die These unhaltbar, daß die Dinge gar keine
Unterschiedlichkeit aufweisen und daß kein Urteil über sie möglich ist;
wir selbst können uns daher nicht länger des Zustimmens und des Mei-
nens enthalten. Sind aber ihre Reden nutzlos, sollen sie uns nicht damit
behelligen295. Weitere Einwände weisen auf die absurden, jedes organi-
sierte Leben in einer Gesellschaft aufhebenden Konsequenzen hin, die
mit der Anwendung der skeptischen Grundsätze verbunden sind. Wenn
alles unterschiedslos ist, wie konnte Timon behaupten296, kein Sterb-
licher sei in der Lage, sich mit Pyrrhon zu messen? Genauso gut hätte er
die größten Schwachsinnigen in den Himmel loben können! Wie wird
man Bürger, Richter etc. oder einfach ein Mensch sein, wenn man
glaubt, nichts sei in Wirklichkeit böse, häßlich, gerecht oder ungerecht?
Dem Verbrechen sind Tür und Tor geöffnet, denn als „leidlose" und
„ungestörte" Menschen297 werden sich die Skeptiker vor Gesetz und
Strafe nicht fürchten298. Sie verlangen, daß man in Einklang mit Natur
und Sitten leben soll, verbieten aber jede Zustimmung. Auch hier ist der
Widerspruch evident, denn zumindest diesem letzten Schrei der Weis-
heit muß man seine Zustimmung erteilen; und wenn wir nichts wissen
und keine Urteilsmöglichkeiten haben, wäre der Grund, Natur und
Sitten zu befolgen, nicht stärker als der, sie nicht zu beachten299. Wie
wir bereits oben sahen, wurde den Skeptikern vorgeworfen, daß sie mit
29i
Aristokles hebt hier hervor, daß die ethische Zielsetzung der Skeptiker und ihre Auf-
forderung zu einem besseren Leben unvereinbar sind mit ihren erkenntnistheoreti-
schen Absichten.
296
Timon, Sill. Fr. 8 Diels, Vgl. auch Aristokles Fr. 6 Z, 42 H.
297
Vgl. dazu Timons Äußerung über Pyrrhon, Sül. Fr. 9 Diels, zitiert von Aristokles,
298
Aristokles kritisiert also die folgerichtige Anwendung der erkenntnistheoretischen
Position der Skeptiker auf das praktische Leben. Dabei verschweigt er t daß sie zwar
behaupteten, die Beschaffenheit der Dinge sei nicht erkennbar, unsere subjektiven
Empfindungen jedoch nicht abstritten: Wir hätten uns im Leben nach diesen zu rich-
ten.
i99
Hier lassen Aristokles* Worte erkennen, daß er irgendwie weiß, daß das praktische
Lebensideal der Skeptiker nicht ausschließlich von ihrem theoretischen Zweifel abge-
leitet ist. Dennoch geht er auf diesen Aspekt nicht ein und begnügt sich damit, die
angeblichen inneren Widersprüche der Skepsis aufzudecken.
der Aufstellung von Grunds tzen wie „alles ist verborgen" den Dogma-
tismus unbemerkt wiedereinf hrten, mit der Forderung n mlich, da
an der G ltigkeit dieser S tze nicht zu zweifeln sei, Diesen Einwand
lehnten die Pyrrhoneer mit gro er Entschiedenheit ab; ihre Grunds tze
seien wie purgative Mittel, die nicht nur das briggebliebene, sondern
auch sich selbst gleichzeitig eliminierten 300 ; der Grundsatz πάντα
άδηλα hebt sich selbst mit den anderen zusammen auf. — Wenn dem so
ist, antwortet Aristokles, ist es Wahnsinn, ihn zu benutzen; die Skep-
tiker sollten lieber schweigen. Dazu kommt, da der Vergleich mit dem
Purgatlv hinkt; im Gegensatz zum Abf hrmittel, das nicht im K rper
bleibt, bleibt der genannte Grundsatz in der Seele haften; er ist es n m-
lich, der bewirkt, da wir unsere Zustimmung nicht erteilen d rfen301.
Weitere Betrachtungen sollen nachweisen, da es dem Menschen un-
m glich ist, memungslos (αδόξαστος) zu sein. Die Wahrnehmung ist eine
Erkenntnis, auf die der Mensch offensichtlich vertraut; will er genauer se-
hen, dann reibt er sich die Augen, tritt an den Gegenstand naher heran, legt
die Hand ber die Augen. Freude und Schmerz k nnen wir auch nicht ig-
norieren. Das Ged chtnis und die F higkeit, sich wieder zu erinnern, sind
nur in Begleitung von Meinungen (υπολήψεις) denkbar, und ebenso-
wenig g be es gemeinsame Begriffe (κοιναί έννοιαι), Wissenschaften
und K nste, wenn der Mensch keine angeborene Denkf higkeit bes e.
Summa summarum: Ob man den Skeptikern glaubt oder nicht, auf alle
F lle mu man eine Meinung haben302,
i00
Der Vergleich mit den Abf hrmitteln kommt auch bei Diog, Laert. IX 76. Sext.
Emp., P. H. I 206; II ISS; Adv, dogm. II 480 vor. G, A. Ferrari, Due fonti 206-
207 meint, da dieser Vergleich zu der Systematisierung geh rte, die die Skeptiker als
Reaktion auf die erste Angriffswelle der Dogmatiker vornahmen.
301
Wohl hnlich sagen die Dogmatiker bei Diog. Laert. IX 77 im Hinblick auf den ge-
nannten skeptischen Satz, der die anderen und sich selbst aufhebt, da er μη αΕρειν
τον λόγον, αλλά προσεπισχυρίζειν.
302
Μ. Frede, Des Skeptikers Meinungen, in: Neue Hefce f r Philosophie 15/16 (1979)
102 — 129 befa t sich ausf hrlich mit der Frage, inwieweit der Skeptiker berhaupt
Meinungen haben kann. Die Interpretation verschiedener Stellen bei Sext. Emp. f hrt
ihn zu dem Schlu , da der Skeptiker sich mit dem zufrieden gibt, „was ihm der
Fall zu sein scheint", sich jedoch des Urteils dar ber enth lt, ob die Dinge in Wirk-
lichkeit so sind, weil ein solches Urteil eine Sache der Vernunft w re. Der Skeptiker
akzeptiert aiso, was ihm offenkundig ist, lehnt aber philosophische bzw. wissen-
schaftliche Meinungen, die auf Vernunftgr nden beruhen, ab. Das Bewu tsein, da
die Dinge in Wirklichkeit ganz anders sein k nnten, beunruhigt ihn (im Gegensatz zu
den Dogmatikern) nicht mehr. - Das Schema von Aristokles' Argumentation gegen
die Meinungslosigkeit erinnert an die Ausf hrungen, die Cic., Lucull. 19—30 dem
Lucullus gegen die These nihil posse comprekendi in den Mund legt. Vgl, zu dieser
Stelle R. Hirzel, Unters, III 252-253 und A. Schmekel, Posit. Phiios. I 661-662.
303
M. Frede, Op. cit, 103 — 106 hebt hervor, daß Pyrrhon den Versuch unternommen zu
haben scheint, ein Leben gänzlich ohne Meinungen zu führen, und daß es eine Reihe
von skeptischen Argunienten dafür gab, daß ein solches Leben durchaus möglich sei.
Alle übrigen Skeptiker führten aber ein konventionelles Leben, und selbst von Pyr-
rhon heißt es bisweilen (z.B. bei Galen, De subfig, emp, XI, S. 82,23sqq. Deich-
gräber), daß „er sich im praktischen Leben an das hielt, -was ihm offenkundig zu sein
schien".
304
Zu den hier erörterten Anekdoten vgl. F. Decleva Caizzi, Pirrone 166—168. Die
Anekdoten mit dem Hund und der Schwester begegnen uns, envas verkürzt, bei
Diog. Laert. IX 66. Es fällt auf, daß Aristokles nur solche Episoden aus Pyrrhons
Biographie aussucht, die eine grobe Diskrepanz zwischen seiner Lehre und seiner
Lebensführung belegen sollen. Wir wissen nämlich (durch Diog. Laert. IX 62), daß
Antigonos von Karystos berichtete, Pyrrhons Leben habe völlig im Einklang mit
seiner Theorie gestanden; auf die Gefahren des Alltags nahm er keine Rücksicht, nur
die freundliche Aufmerksamkeit seiner Begleiter rettete ihn aus gefahrvollen Situa-
tionen. Nach Ainesidemos allerdings soll er sich im Leben nicht unvorsichtig ver-
halten haben, — Über Antigonos von Karystos als Biographen der Skeptiker vgl. U. v.
Wilamowitz, Antigonos von Karystos 27—44, bes. 31: „alles wesentliche was wir
von Pyrrhons leben glaubhaftes wissen verdanken wir dem Antigonos."
305
Zu dieser Argumentationsweise bei Aristokles vgl. K. Janacek, Zu den skeptischen
Widerlegungsformen, in: Classica atque mediaevalia Jaroslao Ludvikovsky, Brno
1975, 45-54, dort 47-48.
306
Ich zähle mindestens 16 solche Fragen in seiner Polemik.
307
Vgl. Fr. 6 Z. 32; 86; 100; 186 Heiland.
helligen308. Bald werden die Skeptiker ironisch als „fein redend", „be-
wundernswert", ihre Grunds tze als „Weisheitsspr che" bezeichnet309,
bald werden sie oder ihre etwaigen Anh nger als Dummk pfe, Narren,
Einf ltige, Verr ckte u. dgl. apostrophiert310. Der fiktive Gegner redet
Timon mit ώ πονηρέ, Pyrrhon mit ώ μάταιε an311. Den skeptischen
Grunds tzen zufolge h tte Pyrrhon ebensowenig Anspruch auf Bewun-
derung wie Koroibos und Meletides, deren Dummheit un bertroffen
war312. Mit den Pyrrhon-Anekdoten geht die Polemik ins Pers nliche
ber. W rtliche Zitate aus Timons Sillen werden als Belege angef hrt.
Alle diese Z ge verleihen der Polemik des Aristokles eine Lebhaftigkeit,
ja eine Aggressivit t, die zeigt, wie engagiert er sich im Kampf gegen eine
Schule f hlte, deren Prinzipien in seinen Augen das Ende jeden Philoso-
phierens bedeuteten. Mit gleichem Impetus und weitgehend mit den-
selben Stilmitteln hatte er, wie wir wissen, eine Lanze gegen die Ver-
leumder des Aristoteles gebrochen313,
Den letzten Teil der Ausf hrungen ber die Skeptiker bilden kurze
Angaben ber Lehrer und Sch ler Pyrrhon s314. Gegen Ende des Ab-
schnittes hebt Aristokles hervor, da er sich auf die markantesten Fi-
guren beschr nkt hat315. In der Tat erw hnt er nur ganz wenige Namen,
und die biographischen Angaben sind d rftig. Pyrrhon war Sch ler des
Anaxarchos316. Er arbeitete zuerst als Maler, hatte in diesem Beruf aber
308
Fr. 6 Z. 48 und 101 ένοχλεϊν.
309
Fr. 6 Z, 86 κομψολογοΐντα. 103 εκείνος ό θαυμαστός Πυρρών. 141 , . . οπόταν
. . . φώσι το σοφό ν . .. τοϋτο.
310
Fr. 6 Ζ. 49 μεμήνασι, πόρρω τέχνης. 90 ηλίθιος. 105 καθάπερ οί μεμηνότες. 110
δτοπος. 143 εύήθεις. 143 ήλίθιον. 147 ληροίεν αν. 175 τετυφώσθαι, μάλλον δε με-
μηνέναι μανίαν έρρωμένην οί ταΰτα ληροϋντες,
311
Fr. 6 Ζ. 101 und 186 Η.
3Ιί
Fr. 6 Ζ. 125-126 Η. Vgl. L. Radermacher, Motiv und Pers nlichkeit, in: Rhein.
Mus. 63 (1908) 445—464, dort 450, der mehrere Texte anf hrt, in denen Meletides
und Koroibos als Beispiele der Narrheit genannt werden: Ailian, V, H. XIII 15. Lu-
kian, Erotes 53. Suda s.v. Βουταλίων, Photios s.v. Μελιτίδης. Etym. Magn. s.v.
Μελιτίδης. Geminos bei Gramer, Anec, Oxon, III 227, 25. Diogenian., Cent. V12
bei E. L. Leutsch—F. G. Schneidewin, Paroem. gr. I 251. Vgl. auch Radermacher,
Art. Melitides, RE XV (1931) 549-550.
313
Vgl. oben S. 143-144.
314
Fr. 6 Z. 188-213 H.
315
Fr. 6 Z. 207sqq. και σχεδόν οί μεν κράτιστοι δοκοοντες είναι των την όδον βε-
βαδικότων ταύτην είσιν ούτοι.
316
ber diesen Demokriteer vgl. Diog. Laert, IX 58-60.
keinen Erfolg 317 , Dann stie er auf Demokrits B cher, entdeckte und
schrieb jedoch nichts Brauchbares, und er redete schlecht von allen G t-
tern und Menschen318. Aristokles scheint damit eine Periode in Pyr-
rhons Leben charakterisieren zu wollen319, Sp ter, f hrt er fort, d mmte
er diesen D nkel ein320 und nannte sich selbst einen Nicht-Eingebil-
deten321; er hinterlie nichts Schriftliches322,
317
hnliche Nachricht ber Pyrrhons fr heren Beruf bei Diog. Laert, IX 61 und 62, der
sich auf Apollo dors Chronik und Antig nos von Karystos beruft, Vgl, F, Jacoby,
FGrHist. II B, 244 F 39 und Kommentar II D, S. 733.
318
Das Interesse f r Demokrit d rfte auf den Einflu des Anaxarchos zur ckgehen. Phi-
lon von Athen, der mit Pyrrhon gut bekannt war, berichtet (Diog. Laert. IX 69), da
dieser Demokrit oft zitierte.
339
Man beachte die Gliederung des Abschnittes ber Pyrrhon mit το μεν πρώτον (Maler-
t tigkeit}, έπειτα (Demokrit-Lekt re), αυτός δ° ύστερον (Periode der άτυφία).
H ngen die im επειτα-Satz genannten Angaben tats chlich zusammen, so bedeutet
der Bericht, da Pyrrhon damals trotz seiner Besch ftigung mit Demokrit wissen-
schaftlich unproduktiv war und nichts anderes tat, als G tter und Menschen mit
Schm hungen zu berh ufen. Sp ter habe er sich ver ndert. - Da Pyrrhon κακώς
. , . ΐΐάντας είπε και θεοΐις και ανθρώπους, ist meines Wissens sonst nicht bezeugt;
wir h ren lediglich (Philon von Athen bei Diog. Laert. IX 67), da er Homer be-
wunderte, unter anderem δτι σφηξί και μυίαις καΐ όρνέοις είκαζε τους ανθρώ-
πους, und (Timon bei Diog, Laert. IX 69) da er πολεμιώτατος τοις σοφιοταΐς war.
Ob die Nachricht bei Aristokles als historisch zu betrachten ist oder etwa aus Pyr-
rhons u erungen in den Sillen Timons gewonnen wurde, entzieht sich unserer
Kenntnis.
310
Fr. 6 Z, 193 H. τοϋτον τον τϋφον περιβαλλόμενος. Mit τΰφος wird offenbar auf
seine fr here Kritik an Menschen und G ttern verwiesen. ber die Geschichte des
Begriffs τύφος vgl. jetzt F, Decleva Caizzi, Τΰφος: Contribute alia storia di un con-
cetto, in: Sandalion 3 (1980) 53—66. F. Decleva Caizzi, Pirrone 244 schreibt: „Wenn
τΰφος das falsche Wissen und die daraus stammende hochm tige Einbildung ist,
dann ist der ατυφος frei nicht nur von falschen Kenntnissen, sondern auch ethisch
gesehen von der Eingebildetheit, die sie begleitet. Die erkenntnistheoretische und die
ethische Tragweite des Terminus sind untrennbar miteinander verbunden."
321
Im Textzusammenhang kann δτυφος kaum etwas anderes bedeuten als „nicht einge-
bildet", „nicht aufgeblasen", „bescheiden", im Gegensatz zur fr heren Arroganz
Pyrrhons. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, da die Bezeichnung Pyrrhons als
άτυφος auf einen Vers aus Timons Siilen zur ckgeht (αλλ* οίον τον άτυφον εγώ ΐδον
ήδ'άδάμαοτον πασικτλ. zitiert von Aristokles Fr, 6 Z, 137 H, = Fr, XXXII Wachs-
muth = Fr, 9 Diels), wo sie eine andere Bedeutung hat; aus dem Zusammenhang er-
hellt n mlich, da Timon an die Freiheit von Affekten und Seelenersch tterungen
dachte; f r ihn war also άτυφία etwa gleichwertig mit απάθεια und αταραξία. Vgl,
C, Wachsmuth, Sillogr. gr. rel, 142. Die Vermutung liegt nahe, da Aristokles die
Quelle, die er in stark verk rzter Form wiedergibt, nicht ganz richtig verstanden
322
hat. Vgl. oben S. 152.
Als Pyrrhons Sch ler wird Timon aus Phlious genannt. Zuerst
„tanzte er in den Theatern323", begegnete dann Pyrrhon 324 , verfa te
unbequeme, scherzhafte Parodien, m denen er von allen Philosophen
ehrenr hrig redete325, wie zwei Zitate aus den Si en zeigen sollen326.
Nach Timons Tod erlosch die Schule, und es war, als h tte sie nie-
mals existiert, bis vor kurzem ein gewisser Ainesidemos im gyptischen
Alexandrien begann, dieses leere Geschw tz Wiederaufleben zu lassen327.
313
Έχόρευεν εν τοΐς θεάτροις. Bereits oben (Z, 109) hatte Aristokles auf Timons T n-
zervergangenheit angespielt, πώς αντί χορευτοΰ φιλόσοφος έγένετο και τον ΓΓύρ-
ρωνα διετέλεσε θαυμαζών; Dieselbe Nachricht gab Apollonides von NJcea im ersten
Buch seines an Kaiser Tiberius gewidmeten Kommemars zu den Sillen, vgl. Diog,
Laert. IX 109, bes. νέον δε καταλειφθέντα χορεύειν. Wie U. v. Wilamowitz, Anti-
gonos von Karystos 41 Anm. b schreibt, wird sich Timon im Dienst einer Schau-
spielergruppe sein Brot verdient haben. So auch C. Wachsmuth, Sillogr. gr. rel. 11
mit Anm. 2, der sich damit von seiner fr heren Hypothese, da Timon seine eigenen
κίναιδοι vorgetragen hatte, distanziert.
324
Zum Bericht ber die Begegnung in Timons Dialog Python vgl, oben S. 170,
3is
Gemeint sind haupts chlich die Σίλλοι, von denen gleich die Rede sein wird. ber
Timons poetische Werke vgl. C. Wachsmuth, Sillogr. gr. rel. 21—27. In den Sillen
parodierte Timon vor allem Homer und Hesiod und machte sich ber fast alle
Philosophen von Thaies bis Epikur lustig, mit Ausnahme Pyrrhons, den er ma los
verherrlichte. Vgl. C, Wachsmuth 37-50. H. Diels, Poet. Philos. Fragm. 382-184.
316
Fr. XXXIII und XXXIV W. = 10 und 11 Diels.
3iT
Zu dieser Steile und ihrer Bedeutung f r die Datierung des Aristokles vgl, oben
S. 85sqq, ber die όιαδοχαί zwischen Timon und Ainesidernos besitzen wir allerdings
auseinandergehende Nachrichten. Nach Menodotos (aus Nikomedia, empirischer
Arzt und Skeptiker, vielleicht um 100 n. Chr.) bei Diog. Laert. IX 115 (= F. Jacoby,
FGrHist. 541 F 4) hatte Tirnon keinen Nachfolger; die Schule erfuhr eine Unter-
brechung bis Ptolemaios aus Kyrene sie erneuerte (zu diesem Ptolemaios, Sch ler des
Eubulos von Alexandrien, vgl. A. Dihle, An. Ptolemaios 72, RE XXIII 2 [1959]
1861: um 100 v, Chr.). Nach Hippobotos (Ende 3.-Anf. 2. Jh. v, Chr.) und Sotion
(1. Drittel des 2. Jh. v. Chr.) jedoch (Diog. Laert. a. O.) h tte Timon Dioskurifies
aus Zypern, Nikolochos von Rhodos, Euphranor von Seleukeia und Praylous aus der
Troas als H rer gehabt. Als H rer des Euphranor wird (Diog, Laert. IX 116) Eu-
buios von Alexandrien genannt; bei ihm h rte Ptolematos, bei diesem Sarpedon und
Herakleides und bei Herakleides Ainesidemos aus Knossos. Die Angaben von Meno-
dotos einerseits, Hippobotos und Sotion andererseits lassen sich vielleicht durch die
Annahme vereinigen, da es nach Timon zwar noch einzelne Pyrrhoneer, jedoch
keine organisierte, von einem Scholarchen geleitete Schule mehr gab (so E. Zeller,
Philos. d. Gr, III Is, 500 Anm. 1. F. Susemihl, Gesch. Gr. Litt. Alex. 1115 Anm. 541.
A. Goedeckemeyer, Gesch. gr. Skept. 29 mit Anm. 7 und 209-210). Die gr te
Schwierigkeit ergibt sich daraus, da die Diadochenhste zwischen Euphranor und
Ainesidemos zweifelsohne l ckenhaft ist (E. Zeller, Philos. d. Gr, III 2 s , 17 Anm. l,
F. Susemihl a. O.), Unserem Aristokles, um auf ihn zur ckzukommen, liegt nur
Die harten S tze, mit denen Aristokles sein Expose ber den Skepti-
zismus abschlie t, spiegeln seine unbarmherzige Kritik wider: Kein ver-
n nftiger Mensch kann die Lehre einer solchen Schule — gleichg ltig, ob
man sie als Sekte oder als Richtung oder sonst irgendwie bezeichnet —
f r richtig halten328. Er selbst weigert sich, sie f r eine Philosophie zu
halten, denn sie hebt die Prinzipien jeden Philosophierens auf329.
2, Die Kyrenaiker
daran, die namhaftesten Pyrrhoneer zu nennen; selbst wenn er von der Existenz einiger
Anh nger der Schule zwischen Timon und Amesidemos gewu t h tte, w ren sie ihm
zu unbedeutend vorgekommen, um berhaupt erw hnt zu werden. Sein Zeugnis ber
das Erl schen der Schule nach Timon stimmt mit dem des Menodotos, eines Anh n-
gers der Skepsis, im wesentlichen berein,
328
Mit den Worten είτε αϊρεσιν είτε άγωγήν λόγον είτε Οπτ] καΐ όπως έθέλει τις κα-
λεϊν αυτήν spielt Aristokles auf die Weigerung der Skeptiker an, ihre Schule ohne
weiteres als eine αϊρεσις, also eine Sekte mit festen dogmatischen Lehrmeinungen, zu
bezeichnen. Sie wollten sie Heber eine αγωγή, eine Bewegung, eine Tendenz, eine
Richtung, nennen (Sext. Emp., P. H, I 4; 6-7; 11; 21 etc. und Diog. Laert, IX 115
bezeichnen die Skepsis als eine αγωγή. Sext. Emp., P.H. I 16—17 und Diog. Laert. I
20 werfen expressis verbis die Frage auf, ob die Skepsis eine αίρεοις ist bzw. ob der
Skeptiker eine αϊρεσις hat. Sie beantworten sie dahingehend, da von einer mit festen,
logisch miteinander verbundenen, die Zustimmung erhaltenden Lehren charakteri-
sierten αϊρεσις gar keine Rede sein kann; diese Bezeichnung w re nur dann vertret-
bar, ei... τις αΐ'ρεσιν είναι φάσκει την λόγω τινϊ κατά το φαινόμενον άκολουθοΰ-
σαν άγωγήν, εκείνου του λόγου ως έοτιν ορθώς δοκεΐν ζην υποδεικνύοντος ., ,
καΐ επί το έπέχειν οΰνασθαι διατείνοντος. So Sextos. Im gro en und ganzen hn-
liche Unterscheidung bei Diog. Laert.). Vgl, P. Natorp, Unters, ber die Skepsis im
Altertum, in: Rhein, Mus. 38 (1883) 28-91, dort 29-30. V. Brochard, Scepti-
ques 248 Anm. 2. L, Robin, Pyrrhon 139-140, — Die rzteschule der Empi-
riker, die dem Pyrrhoneismus vieles verdankt und nach dem Vorbild der Skeptiker
Dogmatismus und philosophische Spekulation von sich weist, wird ebenfalls als αγω-
γή bezeichnet, vgl, Galen, XII De cornp, med. sec. locos VI 8, 989, 15. - Bei Diog.
Laert. II 86 werden die Kyrenaiker als οι ... της αγωγής της ΆριοτΕππου μείναντες
bezeichnet. Vgl, E. Mannebach, Aristippi et Cyren. Fragm. S. 86: vox αγωγή viven-
di quandam aut philosophandi rationem in umversum significat, mit Verweis auf
Sext. Emp., P. H. 1145. C.J. Classen, Aristippos, in: Hermes 86(1958) 185 Anm, 5, -
Hippobotos (wohl 3. Jh. v. Chr.) ap, Diog, Laert. I 19 z hlte neun αΙρέσεις καί
άγωγάς auf. Wir wissen nicht, ob er auf den Unterschied der beiden Begriffe einging.
M
* Der Satz klingt wie ein Echo der Behauptung, mit der das ganze Expose einsetzt:
naiker330. Bereits in der Antike hatte man auf die gro e hnlichkeit der
kyrenaischen und der pyrrhonischen Positionen in der Erkenntnislehre
hingewiesen331. Da Aristokles jedoch die Ansicht der Skeptiker ber die
subjektiven Empfindungen nicht erw hnt und sich auf ihre Behauptung
beschr nkt, da alle Dinge verborgen sind, mu te er den Kyrenaikern
eine besondere Behandlung widmen.
wenn wir gar nichts zu erkennen verm gen, hat es keinen Sinn, wehere Untersu-
chungen anzustellen,
330
Eus„ P.E. XIV 19,1-7 = Fr. 7 Heiland = Fr. 212 Mannebach - Fr. I B 76
Giannantoni, Was Eusebios unmittelbar vor dem w rtlichen Zitat aus Aristokles ber
Aristipp, seine Lehre und seine Schule mitteilt (P.E. XIV 18, 31-32), halten einige
Gelehrte f r eine Zusammenfassung von Angaben aus Aristokles. So z.B. Th. Gais-
ford, ed. Eus., P.E. (zitiert von H. Heiland). H. v. Stein, De philos. Cyrenaica I.
De vita Aristippi, Diss. G ttingen 1855, 42, 83 (zitiert von H. Heiland). E. Zeller,
Philos. d. Gr. II l 5 , 344 Anm. 1; 354 Anm. 4. H. Heiland 70 Anm. 85 (der diesen
Passus als Vestigium III abdruckt). Stenzel, An. Kyrenaiker, RE XII (3924) 144.
C.J. Classen, Aristippus, in: Hermes 86 (1958) 186 bezeichnet ebenfalls diesen Pas-
sus als eine „Nachricht" des Aristokles. Etwas z gernd schlie t sich F, Trabucco,
Scettlcisrno 127—129 der Meinung an, da Eusebios' Uberleitungssatz Gedankengut
des Aristokles enth lt. Sie interpretiert diese Passage recht ausf hrlich Op. cit, 129-
135, w hrend sie sich mit der kyrenaischen Erkenntnis l ehre relativ kurz befa t {135 —
138). Gegen diese Vermutung spricht allerdings folgender Umstand, Im w rtlichen
Zitat befa t sich Anstokles ausschlie lich mit der doxographisch formulierten These
der Kyrenaiker μόνα τα πάθη καταληπτά. Auf andere Aspekte der Lehre geht er
nicht ein. In den Uberleitungsparagraphen des Eusebios dagegen (ab Σωκράτους 5'
εταίρος) erscheint diese These in einer ganz anderen Beleuchtung. Den Verfasser in-
teressiert haupts chlich die Telos-Lehre der Kyrenaiker, d. h. ihre Lustlehre. Es
werden drei καταστάσεις unterschieden, und zwar eine, aufgrund welcher wir leiden
(άλγοϋμεν), eine, aufgrund welcher wir Lust empfinden (ήδόμεθα) und eine dritte,
neutrale, aufgrund welcher wir weder Lust noch Schmerz empfinden. Nur diese drei
Arten von Empfindungen (πάθη) nehmen wir wahr (την αίσθησιν S^ELV). Von dieser
Unterscheidung findet sich in Aristokles' Widerlegung keine Spur. Die Diskrepanzen
zwischen Eusebios' Ausf hrungen ber die Kyrenaiker und Aristokles' Widerlegung
machen es meines Erachtens v llig unwahrscheinlich, da Eusebios seine Angaben in
XIV 18, 31—32 bei Anstokles gefunden haben konnte. Aus welchem Handbuch Euse-
bios diese und hnliche Nachrichten ber Leben und Lehre der er rterten
Philosophen abgeschrieben bzw. res miert hat, entzieht sich unserer Kenntnis,
E, Mannebach 115 hebt hervor, da Eusebios eine sehr gute Quelle zur Verf gung
hatte, diese will er aber offenbar nicht mit Aristokles identifizieren.
331
Sext, Emp., P, H. I 2t5, Aufgrund dieses Berichts wurde oft hervorgehoben, da die
beiden Schulen die These vertraten, da man nur die Empfindungen (πάθη) mit
Sicherheit erkennen kann. Die zwei Schulen gehen jedoch in der Telos-Lehre aus-
einander. Vgl. oben S. 156 Anm. 257,
Die These, die bek mpft werden mu , wird mit dem Satz formuliert,
da nur die Empfindungen mit Sicherheit erkennbar sind, μόνα τα πάθη
καταληπτά. Sie soll von einigen Kyrenaikern vertreten worden sein332,
die, wie in tiefen Schlaf versenkt, glaubten, sie w ten berhaupt nichts,
es sei denn, jemand schlage oder steche sie. Wenn sie gebrannt oder
geschnitten werden, sagten sie, erkennen sie, da sie etwas empfinden;
sie seien jedoch nicht in der Lage zu sagen, ob das Brennende Feuer oder
das Schneidende Eisen ist333. Aristokles 1 Widerlegung der Kyrenaiker
erscheint um so merkw rdiger, ja schw cher, als sie die Argumentation
der Schule f r ihre erkenntnistheoretischen Positionen keineswegs be-
r cksichtigt. Insbesondere l t der Messener die Betrachtungen au er
acht, mit denen nachgewiesen werden soll, da die u ere wirkende Ur-
sache einer Empfindung sich unserer Erkenntnis entzieht, weil dieselbe
Wirkung von grundverschiedenen, ja entgegengesetzten Ursachen
hervorgerufen werden kann 334 und andererseits ein und derselbe Gegen-
stand je nach Wesen, Beschaffenheit oder vor bergehender Disposition
des Subjekts ganz verschieden empfunden wird335. Im Grunde genom-
Aristokles eine Einschr nkung macht und nur von irviot, των εκ της Κυρήνης
spricht, ist um so schwieriger zu erkl ren, als die brigen Quellen diese These den
Kyrenaikern schlechthin zuschreiben. M glicherweise hat er unter ενιοι die Hedo
nisten aus Kyrene verstanden, und zwar im Gegensatz zu anderen Denkern und Ge-
lehrten, die aus derselben Stadt stammten. In diesem Sinn auch H. Heiland 73 Anm, 88.
F. Trabucco, Scetocismo 131 Anm. 49 referiert verschiedene Ansichten ber die
Tragweite des Ausdrucks; die einen halten ihn f r limitativ (nicht alle Kyrenaiker
h tten die angef hrte erkenntnistheoretische These vertreten), die anderen messen ihm
keine besondere Bedeutung bei.
333
Weitere Zeugnisse ber diese Lehre bei E. Mannebach Fr. 210—220, Die doxogra-
phieartige Formel μόνα τα πάθη καταληπτά kommt in diesen Zeugnissen mehrmals
vor. Mit Aristokles' Zusammenfassung der Lehre l t sich am besten vergleichen
Anon., In Plat. Theaet. comm. I52b, Koi. 65,29-37 Diels-Schubart = Fr. 214
Mannebach . . . οι Κυρηναικοί | μόνα τα πάθη φασιν | καταληπτά, τα δε έξωθεν
ακατάληπτα, j οτι μεν γαρ καίομαι, φασίν, καταλαμβάνω, ότι δε το πυρ έσ|τιν
καυστικόν, άδη|λο·ν. Aus der bereinstimmung mit dem The tet-Kommentar schlie t
F, Trabucco, Scetticismo 136, da Aristokles unter dem Einflu der akademischen
Umgebung oder genauer gesagt der Doxographie aus dieser Umgebung stand. — Die
bereinstimmung der Quellen ber die Erkenntnislehre der Kyrenaiker ist bereits
von E. Antoniades, Aristipp und die Kyrenaiker, Diss. G ttingen 1916, 58 sqq. her-
vorgehoben worden,
334
Vgl. z.B. Sext. Emp., Adv. math. VII 190 sqq., bes. 191-192 und 195 = Fr. 217
Mannebach,
335
Sext. Emp., Adv. math. VII 198. Pkt., Adv. Col, 24, 1120Bsqq, = Fr. 218 Manne-
bach.
338
Anders gesagt: Sie machten wohl keioen Unterschied zwischen μόνον πάθος κατα-
ληπτόν εστί und μόνον γνωρίζω, οτι πάσχω τι,
339
Die οικεία πάθη sind diejenigen, die im Einklang mit der Natur des Menschen ste-
hen und daher Angenehmes hervorrufen, die αλλότρια sind diejenigen, die ihr wider-
streben und als unangenehm, schmerzlich empfunden werden, Vgl, E. Mannebach
112.
hört, ob er mit der Zunge, mit den Augen, mit den Ohren wahrnimmt.
Er kann ebenfalls feststellen, ob etwas erstrebt oder gemieden werden
muß340, sonst gäbe es weder Antrieb ( ) noch Begierde, und von
Lebewesen könnte keine Rede mehr sein. Die Kyrenaiker machen sich
also lächerlich, wenn sie sagen, daß all dies erfolgt, ohne daß sie wüßten,
auf welche Weise das geschieht. Wenn sie recht hätten, würden sie nicht
einmal sagen können, ob sie Menschen sind und ob sie leben341 und
ebensowenig ob sie sprechen und etwas ausdrücken342. Jede Diskussion
mit solchen Leuten scheidet daher aus.
Schließlich wäre es höchst verwunderlich, wenn die Kyrenaiker ein-
fach alles ignorierten, was nicht Empfindung ist. Können sie etwa nicht
wissen, ob sie auf Erden oder im Himmel leben? Oder können sie, ob-
wohl sie sich für Philosophen ausgeben, von den Zahlen und den Grund-
sätzen der Arithmetik überhaupt nichts wissen343? Ihren erkenntnis-
theoretischen Grundsätzen gemäß sollten sie nicht einmal wissen, wie sie
heißen, woher sie stammen, wer ihre Freunde und ihre Feinde sind.
Wenn sie lachen oder weinen, könnten sie auch nicht sagen, daß dies
lächerlich und jenes schmerzhaft ist. Ja, sie würden sogar unsere jetzigen
Ausführungen nicht verstehen. Damit wären sie also Mücken oder Flie-
gen ähnlich, mit dem Unterschied allerdings, daß diese sogar Naturge-
mäßes und Naturwidriges zu unterscheiden vermögen.
3. Die Epikureer
Wir haben oben344 gesehen, daß die Reihenfolge, m der Eusebios die
wörtlichen Zitate aus Aristokles anführt, bestimmt nicht diejenige ist, in
340
Ein Teil der kyrenaischen Ethik befaßte sich mit den . Vgl. Fr.
147A und B Mannebach und E. Mannebach 113,
341
Kolotes ging noch weiter, indem er behauptete, die Kyrenaiker seien ihren Grund-
sätzen zufolge nicht in der Lage zu leben und die Dinge zu benutzen; Plut., Adv.
Coi. 24, 1120 C-F = Fr. 218 Mannebach.
342
Die Kyrenaiker sollen sogar die Realität der Sprache oder der Stimme ( ) ge-
leugnet haben, weil sie kein , sondern nur sei: Sext. Emp.,
Adv. math, VI 53 = Fr. 219 Mannebach,
Mi
Möglicherweise spielt Aristokles hier auf die vielfach bezeugte Verachtung der ma-
thematischen Wissenschaften bei den Kyrenaikern an, vgl. Fr, 151 —154 B Mannebach,
obwohl das ziemlich primitive Argument auch ohne jeden Bezug auf die ky renaische
Lehre erfunden werden konnte,
344
Vgl. S. 124sqq.
die Epikureer die gleiche These, gegen die er im folgenden sehr dezidiert
Stellung nimmt 349 . Sein Haupteinwand besteht darin, da die Empfin-
dung (πάθος) die Rolle eines Kriteriums keineswegs spielen kann, weil
sie selbst nur anhand anderer Kriterien beurteilt wird. Dies wird zum
Teil durch knappe, abstrakte Betrachtungen, zum Teil durch eine Argu-
mentation ad bominem nachgewiesen.
Das πάθος, so bei t es, offenbart nur sich selbst; um seine Beschaf-
fenheit festzustellen, bedarf es eines anderen Verm gens, das es beur-
teilt. Die Wahrnehmung besagt n mlich, ob die Empfindung uns zuge-
ordnet oder fremd ist, und die Vernunft, ob sie erstrebenswert oder zu
meiden ist350. Also: Das Empfinden als solches ist sozusagen reines Er-
leiden, w hrend die Erkenntnis, ob es angenehm ist oder nicht, von dem
Wahrnehmungsverm gen herr hrt; ebenso spricht sich die Vernunft
und nicht die Empfindung selbst dar ber aus, ob das fragliche πάθος er-
strebt oder gemieden werden soll. Dieses Argument gegen die epiku-
reische These erscheint als eine entfernte, der Frage nach dem Kriterium
angepa te Reminiszenz an aristotelischen Anschauungen. In seiner See-
lenlehre hebt Aristoteles mehrmals hervor, da die passive Ver nderung
des Organs unter der Einwirkung des Objekts keineswegs das Ganze der
Wahrnehmung ausmacht; diese besteht vielmehr in einer T tigkeit "des
Wahrnehmungsverm gens, das als facultas iudicandi hingestellt wird;
wenn das Objekt sich durch die Wahrnehmung als angenehm oder un-
angenehm erwiesen hat, so ist es Aufgabe der praktischen Vernunft zu
entscheiden, ob es gut oder schlecht ist351.
math, VII 29, Mit dem einen galt es, die ϋπαρξις oder die ανυπαρξία der Dinge
festzustellen; das andere war das, φ προσέχοντες βίου μεν, VgJ. auch Diog. Laert.
V 29. — Mit ένιοι meint Anstokles wohl nicht nur die unmittelbar danach genannten
Epikureer, sondern auch ltere Denker wie den Demokriteer Diotimos (Sext, Emp.,
Adv. math. VII 140 = VS6, 76,3), vielleicht auch Eudoxos (Arisi., ΕΝ Χ 2, 1172h
9-28).
349
Auf die zahlreichen Belege f r diese Lehrmeinung der Epikureer brauchen wir nicht
einzugehen. Vgl. unter anderen Epik,, Epist, ad Menoec, 129. Cic,, De fin, II 31.
Sext. Emp., P.H. III 194; Adv. math. XI 96, Diog, Laert. X 34 πάθη 6έ λέγουσιν
είναι δύο, ήδονήν και άλγηδόνα, ιστάμενα περί πάν ζφον, και την μεν οίκείον,
την δε άλλότριον- δι' ων κρίνεσθαι τάς αιρέσεις και φυγάς. Χ 137.
350
Anspielung auf die epikureische These, nach welcher eine Empfindung angenehm ist,
wenn sie uns „zugeordnet" (οικείος), und unangenehm, wenn sie uns „fremd" ist.
Vgl, Diog, Laert. X 34 (zitiert Anm. 349), hnliche Ansicht bei Diotimos ap. Sext.
Emp., Adv. math. VII 140 = VS6, 76,3.
SSI
Zahlreiche Stellen bei Aristoteles. Besonders wichtig f r uns etwa De an. III 7, 431 a
8-14 und b6-10.
352
Angenommen, die Elle ist Kriterium der Lange, so wird durch die Elle die L nge so-
wohl der Elle selbst wie auch der an der Elle gemessenen Dinge bestimmt. Dieselbe
Bemerkung machten auch die Stoiker gegen den skeptischen Einwand, da jedes Kri-
terium nur anhand eines anderen Kriteriums beurteilt werden kann, was einen re-
gressus ad infinitum bedeuten w rde: Sext. Emp, } Adv. math. VII 441—442 = SVF
II S. 36,6 sqq. άντιπαρεξάγοντές φασι μη ατοπον ύπάρχειν t έαυτοϋ τι κριτηριον
άπολείπειν- το ευθύ γαρ έαυτοϋ (τε) και άλλων εστί δοκιμαστικών, καΐ 6 ζυγός
της τε των άλλων ίσότητος και της ίδιας σταθμητικός ΰπήρχεν, και το φως ου μό-
νον των άλλων αλλά και της εαυτού έκκαλυπτικον φαίνεται, διόπερ καί το κριτή-
ρι,ον δύναται και αλλων και εαυτοί κριτηριον καθεστάναι. — Da das πάθος nur
sich selbst zeigt, wurde bereits oben Fr. 8 2.15—16 hervorgehoben,
353
Die epikureische These, da Lust und Schmerz sorgf ltig abzuw gen sind, so da
unter Umst nden auf Lust verzichtet und Schmerz in Kauf genommen werden mu ,
ist bekannt und vielfach bezeugt. Vgl. unter anderen Epik., Epist. ad Menoec. 129—
130 ταύτην γαρ (= την ήδονήν) αγαθόν bis τοΰμπαλιν ως άγαθώ. Rat. Sent. 8
(Diog. Laert. Χ 141) ουδεμία ηδονή καθ* εαυτό κακόν· αλλά τα τινών ηδονών
ποιητικά πολλαπλασίους επιφέρει τάς Οχλήσεις των ηδονών. Cic., De fin. I 32—
33; 48; Tusc. V 95. Sen., De otio 7,3.
•*S4 Auch Seneca, De otio 7,2—4 hebt hervor, da im epikureischen Abw gen von Lust-
urtd Schinerzempfindung die corttemplatto (rationale berlegung) beteiligt ist.
355
Fr. 8 2. 31-40 Heiland.
ass wenn Aristokles schreibt τα δε πάθη ποια άττα γίνεται δι' ημάς, και ως αν ημείς
έχωμεν, und die Relativit t von Lust und Schmerz hervorhebt, bringt er gewi eine
leicht zu beobachtende Erfahrungstatsache zum Ausdruck. Es kann jedoch nicht aus-
geschlossen werden, da er sich an Ausf hrungen des Aristoteles erinnert hat, etwa
ber das Verh ltnis von πάθος, δύναμις und έξις (ΕΝ II 4) oder ber die Verkn p-
fung von T tigkeit und Lust (EN X 4—5 passim, bes. 5, 1175b 26 καθ' έκάστην . . ,
ένέργειαν οίκεία ηδονή εστίν).
357
hnlich Fr. 5 Z. 63-65 Heiland ήδη μέντοι θαρροΰντες λέγωμεν ορθώς
φιλοσοφείν τους καΐ τας αισθήσεις και τον λόγον επί την γνώσιν την των πραγ-
μάτων παραλαμβάνοντας. Areios Did., Fr, Phys. 16 (Dox. S. 456,9-10. Vgl. oben
Bd. I 302). Ps.-Archyt., περί αρχών bei Stob. I 41,5, S. 282,21-284,2, dort 282,
26—27. Ausf hrliche Darlegung der Kriteriologie „des Aristoteles, Theophrasts und
der Peripatetiker" bei Sext, Emp,, Adv. math. VII 216—226, bes. 217 διττον . . . το
κριτήριον ύπολείπουσι, αϊσθησιν μεν των αισθητών, νόησιν δε των νοητών. Etwas
abweichend Diog, Laert, V 29, der die αισθησις als Kriterium der κατά φαντασίαν
ενεργήματα und den νους als Kriterium der ηθικά angibt. Sicher ist auf jeden Fall,
da man den Peripatetikern die Ansicht zuschrieb, sie h tten αισθησις und νους als
die beiden κριτήρια betrachtet. Auf die genuin aristotelischen Ans tze f r diese ver-
einfachende doxo graph i sehe Formel brauchen wir nicht einzugehen. Sehr ausf hrlich
befa t sich Ptolernaios mit der Pr ge nach dem Kriterium der Erkenntnis in seiner
kleinen Schrift περί κριτηρίου και ηγεμονικού, Kap. 1 — 12 (ed. Fr. Lamrnert, Leip-
zig 1952). Obwohl die Quellenfrage sich kaum beantworten la t, kann man nicht
leugnen, da die Grundz ge seiner Erkennmislehre auf Aristoteles zur ckgehen, aller-
dings mit starkem stoischem Einschlag.
358
ber die άρκυς und die δίκτυα vgl. Xen., Cyn. II 4—9 und den Anhang von E. De-
lebecque in seiner Ausgabe (Paris 1970) 101 sqq. Die entsprechenden waidm nnischert
Ausdr cke verdanke ich E. v. Harrach, Die Jagd im deutschen Sprachgut, 1953.
359
In seiner Darlegung der p er ipa tetischen Kriteriologie vergleicht Sext, Emp., Adv.
math. VII 226 die Funktion der Wahrnehmung mit der eines Werkzeugs und die des
Intellekts mit der des Handwerkers: φαίνεται . . . πρώτα κριτήρια της των πραγ-
μάτων γνώσεως ή ιέ αϊσθησις και ό νους, ή μεν οργάνου τρόπον έχουσα 6 δε
τεχνίτου. ώσπερ γαρ ήμεΐς ου δυνάμεθα χωρίς ζυγού την των βαρέων κο.1 κουφών
έξέτασιν ποιείσθαι, ουδέ άιερ κανόνος την των ευθέων και στρεβλών διαφοράν
λαβείν, οΰτως ουδέ ό νους χωρίς αισθήσεως δοκιμάσαι πέφυκε τα πράγματα.
360
Auf diesen Punkt geht er in seinen Ausf hrungen gegen „diejenigen, die jede Wahr-
nehmung und jede Vorstellung f r wahr halten" ein, Fr. 4 Z. 47sqq, Heiland. F r
die Rekonstruktion der urspr nglichen Reihenfolge der von Eusebtos w rtlich abge-
schriebenen Ausz ge aus Aristokles wirft die Anspielung auf die Wahrnehmungslehre
der Epikureer im Fr. 8 Z. 45—47 eine nicht zu untersch tzende Schwierigkeit auf.
Wenn Anstokles hier, sozusagen in einem Schlu wort, die beiden Hauptpunkte sei-
ner Kritik der epikureischen Kriteriologie zusammenfa t, n mlich die Kritik der αί-
σθησι,ς-Lehre und die der πάθος-Lehre, k nnte man annehmen, da er sowohl auf
das vorliegende Fragment wie auch auf das Fr. 4 H. zur ckwebt und da die Kritik
an den Epikureern urspr nglich einen einzigen Block bildete (Fr. 4 + Fr. 8). Nach
diesem Block w re dann die Er rterung des Eleatismus (Fr, 5) gefolgt. Somit h tten
wir folgende Dispostion der erkenntmstheoretiscben Fragmente als die urspr ngliche
anzusehen: 6 — 7 — 4 — 8 — 5. Ich gebe zu, da eine solche Rekonstruktion sehr
verlockend ist und da ich sie keineswegs ganz ausschlie en m chte. Es fragt sich
allerdings, ob die Anspielung auf die τους αίσθήσεσι ως έτυχε χρώμενοί unbedingt
als R ckverweis auf eine bereits erfolgte Widerlegung zu deuten ist; m glicherweise
deutet Anstokles damit einen Punkt an, auf den er noch weiter unten zu sprechen
kommen will. Kurz gesagt, zwischen der oben (S. 127) vorgeschlagenen Rekonstruk-
tion der Abfolge der Fragmente und der hier als ebenfalls m glich erwiesenen vermag
ich nicht mit Sicherheit zu entscheiden,
361
Da diese Motive auf Aristoteles zur ckgehen, bei dem sie bereits im Protreptikos
vorkamen, braucht hier nicht nachgewiesen zu werden,
362
Vgl. Iambi, Protr, 35,14-16 Pistelli = Arist,, Protr. Fr. B28 During αίσθήσεως
μεν οΰν καΐ νου αφαιρεθείς άνθρωπος φυτω γίγνεται, παραπλήσιος, νου δε μόνου
αφηρημένος έκθηριοΰται.
hobenen Vorwurf an, das ήοονή-Ideal sei des Menschen unw rdig und
f r vernunftlose Tiere gerade richtig363.
Noch ein Wort zur Form des Fragments. Dem Leser, der etwa die
Verteidigung des Aristoteles oder die Polemik gegen die Skeptiker noch
im Ged chtnis hat, f llt der mehr gem igte, sachlichere Ton der Aus-
f hrungen ber die Epikureer sofort auf. Die leidenschaftlichen Apo-
strophierungen des Gegners, die h ufigen rhetorischen Fragen, der
immer wieder vorkommende Vorwurf des Mangels an Folgerichtigkeit,
die beleidigende Bemerkung, da die bek mpfte Lehre reiner Unsinn ist,
all das fehlt hier v llig. Hier argumentiert der Verfasser in aller Ruhe,
ohne jede wirkliche oder fingierte Emp rung. Dazu kommt, da seine
Einw nde keineswegs rein dialektischer Natur sind, sondern auf einer
relativ guten Kenntnis der zur ckgewiesenen Lehre beruhen. Er begn gt
sich nicht damit, wie etwa in der Polemik gegen die Kyrenaiker, da er
gegen eine vereinfachende doxographische Formel in den Kampf zieht.
Er ber cksichtigt vielmehr verschiedene, anderweitig gut bezeugte Z ge
der epikureischen Ethik und ist offenbar bem ht, wenigstens einen Teil
seiner Widerlegung als argumentatio ad hominem hinzustellen364. Wie
diese Unterschiede zu erkl ren sind, l t sich allerdings nicht sagen.
Man wird wohl kaum annehmen d rfen, da Aristoldes mehr Zunei-
303
VgL Augustin., C. acad. III16 (Usener, Epicurea S. 273,28) votuptatemque illam
Epicttri iolis inter se pecoribus esse communem. Cic., De fin. II 109 voluptatem beittis
concedamus, qttibus vos de summo bono testibtts «ft soletis; Acad. post. I 6 de vita et
monkus et de expetendis fagiendisque rebus i i {= Epicttret) simpliciter: pecttdis emm-
et haminis idem honum esse censenti Tusc. V 73 huic (— Epicure) ergo, #f dixi, non
multum differenti a ittdido ferarum . . , Plut,, Non posse 1091 C ώστε μήτε συ ων
άπσλείπεσθαι. μήτε προβάτων εύδαιμονίςι, το τη σαρκί και τη ψυχή περί της σαρ-
κός ίκανώς i-χειν μακάριον τιθεμένους. 1094 Α εκείνα δε συών καΐ τράγων κνησ-
μοίς έΌικε, προσαναπιμπλάντα της ψυχής το πσθητι-κώτατον. Max, Tyr, XXXII
4, S. 370,17—18 Hobein αλλ* ουκ ίδιον άνθρωπου ηδονή, κοινον 6fe καΐ ιών
άλλων ζφων (mit der Antwort der Epikureer auf diesen Einwand). Galen, V De plac.
Hipp, et Pkt., V 5, 460,14 — 15 K. Επίκουρος μεν την του χει,ρίστου μορίου της
ψυχής οίκείωσιν έθεάσατο μόνην, Η. Usener, Epicurea S, 274 App, weist darauf
hin, da hnliche Vorw rfe gegen den Epikureismus bei den Kirchenv tern
vorkommen. Es sei auch an Horaz, Epist, I 4, 16 Epicttrt de grege porcttm erinnert.
In ihrem Kommentar zu diesem Vers erw hnen A. Kiessling und R. Heinze einen
Silberbecher von Boscoreale, wo dem Kyniker Monimos ein Hund und dem Epikur
ein Schweinchen als Gef hrte beigesellt sind.
36i
Ob er sogar Epikur w rtlich zitiert, l t sich nicht mit Sicherheit entscheiden, H.
Usener, Epic. Fr. 442S S, 289app. schreibt von den Passagen, die er als Fragmente
abdruckt, ipsa verba Epicurine sint concede dubitari posse.
4. Die Sensualisten
365
Eus., P.E. XIV20, 1-12 = Fr. 4 Heiland. Eine Interpretation, der ich nicht in allen
Punkten folgen kann, bietet F. Trabucco, La polemica 473 — 515.
366
Fr. 4 Z. 9-46 H.
367
Fr. 4 2. 47-80 H.
368
Anspielung auf Ilias Ξ 201 und 302 . . . Ώκεανόν τε, θεών γένεσιν , . . oder auf Φ
195 — 197 . . . βαθυρρείταο μέγα οθένος Ωκεανό ίο, εξ ου περ πάντες ποταμοί και
πάσα θάλαοσα j και πάσαι κρήναι και φ ρε [ατά μακρά νάουσιν.
ge u ert habe369. Allem Anschein nach war es ein anderer Aspekt seiner
Erkenntnislehre, der ihn in die Nahe des Protagoras zu r cken schien,
die berzeugung n mlich, da wir nicht bis zur objektiven Wirklichkeit
vordringen k nnen, sondern nur subjektive Vorstellungen von ihr ha-
ben370.
Was Homer angeht, hatte bereits Platon371 in dem Vers ber ,,Okea-
nos, Ursprung der G tter" die Urform der Lehre von Flu und Be-
wegung der Dinge zu erkennen geglaubt und deswegen Homer zum
geistigen Ahnherrn des Protagoras gemacht, dem er ebenfalls die Lehre
vom steten Flie en der Dinge zuschrieb. Wenn Aristokles Homers An-
sicht als eine verschl sselte Pr figuration des Protagoreismus erw hnt,
so wohl nur deswegen, weit er davon berzeugt ist, da auch Protagoras
vom stetigen Flie en der Dinge ausging, als er den Menschen f r das
Ma aller Dinge erkl rte.
Das Gemeinsame bei Homer, Metrodoros und Protagoras ist also
nach der Auffassung des Berichterstatters die Annahme, da die Dinge
sich in stetem Flie en befinden und da wir deswegen ihr objektives
Wesen nicht zu erkennen verm gen; ber unsere subjektiven Wahrneh-
mungen und Vorstellungen k nnen wir nicht hinauskommen. In diesem
Sinn erkl rt Aristokles den Homo-mensura-Satz des Protagoras: Die
Dinge sind f r einen jeden so beschaffen, wie sie ihm erscheinen; ber
alles, was dar ber hinausgeht, sind wir nicht in der Lage, eine festbe-
gr ndete Ansicht zu vertreten372. Die von Aristokles vorgetragene Pro-
369
Es sei hier daran erinnert, da Aet. IV 9, l (VS6 70 A 22) ihn zusammen mit Demo-
knt, Protagoras und Platon zu denjenigen zahlt, die meinten, "ψευδείς είναι, τάς
αισθήσεις. Nach Epiphan. (VS* 70 A 23) habe Metrodor erkl rt, da wir ntchts mit
Genauigkeit wissen und da man nicht auf die Wahrnehmungen achten sollte (ουδέ
ταίς αίσθήσεσι δει προσέχειν); alles sei n mlich Meinungssache (δοκήσει γαρ εστί
τη πάντα). Treffen diese Nachrichten zu, so d rfen wir ihn wo h! nicht f r einen
Denker halten, der den Wahrnehmungen Glauben schenkte oder sie zum Kriterium
des Erkennens machte. Andererseits ist belegt, da er die M glichkeit jeglichen Wis-
sens abstritt: „Wir wissen nicht einmal eben das, ob wir wissen oder nicht wissen
(VS6, 70 A25; B l . Vgl. 69 A2)." Sext. Emp., Adv. math. VII 48 und 87-88 er-
w hnt ihn daher zusammen mit Protagoras und anderen in der Gruppe derer, die
kein Kriterium bestehen lie en.
370 vS6, 70 A23 δοκήοει γαρ εστί πάντα und B 2 πάντα εστίν, δ αν τίς νοήσαι.
371
Theaet. 152 Ε; 180 D.
372
Fr. 4 2.15—19 Η. Die Reminiszenzen an Plat., Theaet. 177C και το αεί δοκούν
έκάστω τοϋτο καϊ είναι τούτψ φ δοκεί, εν μεν τοις άλλοις έθέλειν διισχυριζε-
σθαι . . . sind evident; sogar das Wort διισχυρίζεσθαι hat Aristokles bei Platon vor-
gefunden.
tagoras-Deutung geht offensichtlich auf Platons The tet zur ck. Gleich
nachdem The tet selbst die These formuliert hat, das Wissen sei nichts
anderes als die Wahrnehmung 373 , bemerkt Sokrates, dies sei gerade die
Theorie des Protagoras ber das Wissen gewesen. In seiner Erkl rung
des Homo-mensura-Satzes hebt er dann hervor, da φαντασία und at-
σθησίς identisch sind und da jede Wahrnehmung das Seiende erreicht
und nicht irren kann 374 . hnlich z hlt Aristokles Protagoras zu denen,
die behaupteten, nur den Wahrnehmungen und den Erscheinungen
d rfe man Glauben schenken. Sokrates f hrt dann fort und befa t sich
mit der Lehre vom stetigen Flie en und Werden. Diese Lehre h tten fast
alle Denker au er Parmenides vertreten; Protagoras, Heraklit, Empedo-
kles sowie Epicharm und Homer werden namentlich erw hnt; f r sie
k nne es kein αυτό καθ' αυτό geben375.
Die meisten Einw nde, die Aristokles gegen Protagoras erhebt,
gehen ebenfalls auf den Platonischen The tet zur ck376. Warum wird
der Mensch und nicht etwa das Schwein oder der Pavian zum Ma der
Wahrheit erkl rt 377 ? Wie k nnen diese Leute sich selbst f r Weise aus-
geben, wenn jeder f r sich selbst das Ma der Wahrheit ist378? Wie
k nnen sie die anderen widerlegen, wenn das jedem Erscheinende wahr
ist379? Nichtwissen und Wahrnehmen schlie en einander nicht aus. Wir
h ren die Barbaren und verstehen sie nicht 380 . Etwas, woran man sich
erinnert, wei man, ohne es hie et nunc wahrzunehmen 381 . Macht man
ein Auge zu und sieht mit dem anderen, so wird man dasselbe Ding
gleichzeitig wissen und nicht wissen 382 . Weitere Einw nde383 stammen
auch, wenigstens teilweise, aus dem The tet. Wenn das einem jeden
Erscheinende auch wahr ist, brauchen wir der protagoreischen These
nicht beizupflichten, wenn diese These uns als falsch erscheint; f r uns
371
151 D-Ε δοκΐΐ ου ν μοι ό επισταμένος τι αίσθάνεσθαι τούτα δ έπίσταιαι, καί ως
γε νυνί φαίνεται, ουκ άλλο τί έοτιν επιστήμη ή αϊσθησις.
374
152A-C.
375
152C-E. Vgl. auch 160C-E.
376
Vgl. Fr. 4, Z. 19-20 H.
377
Fr. 4 Z. 20-22 - Theaet. 161 C.
«8 Fr. 4 2. 22-23 ~- Theaet. 161 D-E.
379
Fr. 4 Z. 23-24 ~ Theaet. 161 E.
380
Fr. 4 Z. 24-26 - Theaet. 163 B,
381
Fr. 4 Z, 26-27 ~ Theaet. 163 D-164 A.
381
Fr, 4 Z. 27-28 ~ Theaet. 165 B-C.
3Bi pr 4 2, 29sqq. προς δε τούτοις.
d rfte es dann wahr sein, da der Mensch nicht das Ma aller Dinge
ist384. Unbestreitbar ist der Unterschied zwischen Fachleuten und Laien,
Erfahrenen und nicht Erfahrenen. Das Bevorstehende k nnen Piloten,
rzte und Feldherren besser als Leute vorauserblicken, die nicht ber
dieselben Kenntnisse verf gen385. Aber auch aristotelische Einw nde
scheint Aristokles ber cksichtigt zu haben. Die Anh nger der bek mpf-
ten Lehre heben einfach das Mehr und das Weniger, das Notwendige
und das Kontingente, das Naturgem e und das Naturwidrige auf386.
F r sie kann dasselbe Ding sowohl seiend wie auch nicht seiend sein
dadurch, da es dem einen zu sein scheint und dem anderen nicht387.
Dasselbe Ding wird gleichzeitig Mensch und Holz sein, weil es dem
einen als Mensch, dem anderen als Holz erscheint388. Jede Aussage wird
wahr sein und gerade deswegen auch falsch; Beratungen und Gerichts-
verfahren sind daher sinnlos; dieselben Menschen sind gut und schlecht
zugleich, und die Tugend l t sich nicht mehr vom Laster unterschei-
den389.
Seine Kritik des Protagoreismus schlie t Aristokles mit der Bemer-
kung ab, man k nnte noch viele andere Einw nde gegen dieses System
erheben; mit Leuten, die meinen, sie h tten weder Intelligenz noch R -
sonnement, brauche man jedoch nicht l nger zu diskutieren390. Mit der
letzten Bemerkung spielt er offensichtlich darauf an, da , wer Wahr-
nehmung und Vorstellung zu Kriterien der Wahrheit macht, eo ipso das
Denken als Erkenntnisverm gen nicht anerkennt, also die G ltigkeit
eines logischen Beweis- oder Widerlegungsverfahrens nicht zugibt391.
384
Fr. 4 2. 29-33 ~ Theaet. 170 D-171 C.
3SS
Fr. 4 2. 33-35 ~ Theaet. 170 A-B; 178 C-179 A. Arist., Metaph. Γ 5, lOlOb
11-14.
366
Fr. 4 2, 35-37 ~ Arist., Metaph. Γ 4, IQOSb 31-1009a 5 (wer den Satz des Wider-
spruchs ablehnt, steht sich trotzdem gezwungen anzunehmen, da das μάλλον και
ήττον in Wirklichkeit existieren); Γ 5, 101 Ob 26—30 (die bek mpften Systeme heben
die Substanz und das Notwendige auf, da f r sie alles so oder so sein kann).
387 p r _ 4 £ 37—39 οΐτω δ* αν εΐη ταύτό και δν και ουκ δν ~ Arist,, Metaph. Γ 5,
1009 a 11-12 &στ' ανάγκη το αυτό είναι καΕ μη είναι.
J8e
Fr. 4 2. 39-40 Η. Arist., Metaph. Γ 4, 1007b 19-23 (wenn gegens tzliche Aussagen
ber ein und dasselbe Ding gleichzeitig wahr sein k nnen, wird dieses Ding gleich-
zeitig Triere, Mauer und Mensch sein).
389
Fr. 4 2. 41—44 H. Auch in der Widerlegung der Skepsis weist Aristokles auf die ver-
heerenden moralischen und gesellschaftlichen Folgen dieser Anschauung hin, vgL
3
Fr. 6 2. 128-134 und oben S. 171. «° Fr. 4 2. 44-46.
M1
Vgl. auch den Schlu satz der Widerlegung der Skeptiker, Fr. 6 Z. 211-213 H, und
oben S. 178.
392
Vgl, H. Heiland 49 Anm. 55. Sein Hinweis, da es sich nach Zeller und berweg
um Skeptiker handele, ist leider nicht stichhaltig, weil die angegebenen Stellen keiner-
lei Belege daf r enthalten,
393 Yg] j-{ Usener, Epicurea 349. H, Heiland a. O. und vor allem F, Trabucco, La po-
lemica 483sqq., die die entscheidenden Parallelstellen anfuhrt,
394
Fr. 4 Z. 49—51, Bereits der Ausdruck το κριτήριο^ και τον κανόνα erinnert an
Epikur, von dem es eine Schrift περί κριτηρίου ή κανών gab, vgl, Diog. Laert. X 27,
und bei dem der erkenntnistheoretische Teil der Philosophie το κανονικόν hie , vgl.
Diog. Laert. X 29—31. Gut bezeugt ist ferner die epikureische Ansicht, nach welcher
die Falschheit einer einzigen Wahrnehmung die G ltigkeit der Wahrnehmung als
Kriterium in Frage stellen w rde. Cic., De fin, I 22 indicia, rerum m sensibus ponit,
quibus si semel aliquid falsi pro vero probaium sit, sublatttm esse omne indicium veri
et falsi ptttaf, Lucull. 79 eo entm rem demittit Epicurus, si units sensus semel in -vita
meniittts sit, nullt umquam esse credendumi, 101 qnod est capttt Epicu-ri? si ttllum
dabei entgangen, da sie mit derselben Begr ndung auch alle Meinungen
(δόξαι) f r wahr h tten erkl ren sollen, denn vieles beurteilen wir an-
hand der Meinungen; trotzdem halten sie einige Meinungen f r wahr
und andere f r falsch395. Ferner l t sich gegen die Annahme, da jedes
Kriterium wahr ist, feststellen, da keines der anderen „Kriteria", wie
z. B, die Waage, der Zirkel und hnliche Werkzeuge, immer und absolut
unfehlbar ist; je nach ihrem Zustand k nnen sie gut oder schlecht sein,
und je nach der Art ihrer Verwendung f hren sie zu richtigen oder fal-
schen Ergebnissen396. W ren alle Wahrnehmungen wahr, so w rden sie
nicht so stark voneinander abweichen. In der Tat ist aber das Wahr-
nehmen sehr unterschiedlich, je nachdem es von nah oder von fern er-
folgt, der Wahrnehmende krank oder gesund, gebildet oder ungebildet,
intelligent oder dumm ist397. Besonders absurd ist es, die Wahrneh-
sensus uisum falsttm est, nibil perdpi poiesfi De nat. deor. I 70 limuit Epicurus ne,
$i unum visum esset falsum, nallitm esset,
395
Fr. 4 Z. 51 — 54. Aristokles argumentiert hier ad hominem. In der Auffassung der
Epikureer mu das κριτήριον immer wahr sein, wie soeben erkl rt wurde. Nun wird
die δόξα oft als κριτήριον verwendet; das erschlie e Aristokles offenbar daraus, da
Epikur im Zusammenhang mit der δόξα erkl rte, κρΕσεις καθεστασιν ημών Ιπί ταίς
φαντασίαις (Sext. Emp., Adv. math. VII 210) oder της δόξης κρίμα το εΕναι (Plut.,
Adv. Col. 25, 1121 Ε). Als κριτήριον sollte also jede δόξα wahr sein. Dennoch
halten die Epikureer einige δόξαι f r wahr, andere f r falsch (Sext. Ernp,, a. O. Aet.
IV 9,5. Diog. Laert. X 34. Tert., De an. 17). F. Trabucco, La polemica 498 versteht
den Einwand anders und meint, da Aristokles implizite behauptete, jede Meinung
sei von den Wahrnehmungen abh ngig. Aber darauf kommt es hier nicht an. Es
w re folgerichtig, sagt Aristokles, alle δόξαι f r wahr zu halten, πολλά γαρ δη και
ταύτας {= ταϊς δόξαις) πεφΰκαμεν κρίνειν. Diese Begr ndung kann meines Er-
achtens nur als Anspielung auf die kurz davor unterstrichene Wahrheit jedes Krite-
riums verstanden werden,
396
Fr, 4 Z. 54 — 58. Z rn Vergleich des Kriteriums mit technischen Me instrumenten
wie Waage etc. vgl. Sext. Emp., Adv. math. VII 32sqq.; 442. Ptol., De iudic. fac.
1,7. Epikt., Diss. I 17,7-9; 28,30; II 11,13; 15. Sext, Emp., Adv. math, VII 35-37
berichtet ber eine Unterscheidung des Kriteriums a) ως ύφ' ου (der Mensch, der
die Messung durchf hrt), b) ως Οί' ου (das Me instrument), c) ως προβολή καί
σχέσις (die Handhabung des Me instruments), Die hier von Aristokles erw hnten
m glichen Fehler gehen offenbar auf das Me instrument selbst (schlecht tarierte Waage
etc.) oder auf die Handhabung des Instruments zur ck.
397
Fr. 4 Z, 58—61 H, Die verschiedenen Sinnest uschungen sind oft als Einw nde gegen
die These von der Wahrheit der Wahrnehmungen geltend gemacht worden: vgl. z.B.
Cic., Luculi. 79-82. Plut., Adv. Col. 25, 1121A-C. In den Tropen der lteren
Skeptiker spielten sie eine gro e Rolle: vgl. Sext. Emp., P. H. I 118—125 (f nfter
Tropos, παρά τάς θέσεις και τα διαστήματα καί τους τόπους). hnlich Diog.
Laert. IX 85 — 86. Auch die Unterschiede, die mit den Zust nden und Dispositionen
des wahrnehmenden Subjekts zusammenh ngen, sind von den Skeptikern hervorge-
hoben worden: vgl. Sext, Emp., P,H, I 100—117 (vierter Tropos, παρά τάς περι-
στάσεις). hnlich Diog, Laert. IX 82.
MB
Fr. 4 2. 61-65 H. Vgl. Sext. Emp., Adv. math. VII 61; VIII 18; 57. Da Epikur
Orestes' Halluzinationen f r wahre Wahrnehmungen, die dieser falsch deutete, er-
kl rte, geht aus Sext. Emp., Adv. math, VIII 63—64 = Fr, 253 Usener hervor. Die
Erw hnung der παρορώντες und παρακούοντες erinnert an Plat., Theaet, 157 E—
158 A (Tr ume, Krankheiten, Wahnsinn, H r- und Sehfehler zeigen, da Wahrneh-
mungen falsch sein k nnen, was gegen die Identifizierung von Wissen und Wahrneh-
men spricht).
399
Fr. 4 Z. 65 — 70 H. Hier gibt Aristokles eine epikureische Formel wieder, vgl. Diog,
Laert, X 31 πάσα γαρ, φησίν, αΐσθησις άλογος εστί καΐ μνήμης ουδεμίας δεκ-
τική, ούτε γαρ ύφ' αυτής κινείται οϋτε ΰφ' έτερου κινηθείσα δύναται τι
προσθεΐναι f\ άφελείν. Sext. Emp., Adv. math. VII 210; VIII 9. Epikur war es auch,
der die Sinnest uschungen als Fehler des νους deutete (vgl. Anm. 398 und Lucr. IV
386). Aristokles begn gt sich mit einer kurzen Anspielung auf das Ruder und die Ge-
m lde, die klassischen Beispiele f r T uschungen des Sehens. Im Wasser erscheint das
Ruder als gebrochen; Parallelstellen bei J,H. Waszink, Tert. De an., 1947, 241.
Flache Gem lde erscheinen als Reliefdarstelhmgen: Sext. Emp., P, H. I 92; 120; Adv.
math. VII 414.
400 pr 4 2. 70—73 H. Es liegt auf der Hand, da dieses Argument ad hommern nicht
mehr gegen die These gerichtet ist, da jede αϊσθησις wahr ist. Was hier mit φαν-
τασία bezeichnet wird, ist n mlich nicht mehr die „Vorstellung durch die Sinnes-
wahrnehmung", sondern wohl schon eine Meinung, ein Urteil, kurz gesagt, was
Epikur δόξα oder gar νους genannt h tte. Nun hat Epikur selbst Fehler und Irrt mer
der δόξα offen zugegeben und sogar zur Erkl rung der angeblichen Sinnest uschun-
gen herangezogen. Hier scheint also Aristokles mit einem nicht stichhaltigen Ein-
wand zu operieren. hnliche Beobachtungen bei F. Trabucco, La polemica 503.
Allerdings ist es nicht undenkbar, da ab 2. 70 die Kritik nicht mehr der epiku-
tagoras401 und gegen die Skeptiker402 erinnert, und mit den darauf fol-
genden Betrachtungen nimmt Aristokles gegen den Subjektivismus Stel-
lung. Der Hauptfehler der Anh nger dieser Lehre, bemerkt er, besteht
darin, da sie behaupten, die Dinge seien so, wie sie uns erscheinen, In
Wirklichkeit verh lt es sich umgekehrt: So wie die Dinge beschaffen
sind, so erscheinen sie uns; wir sind nicht die Urheber ihrer Beschaffen-
heit; von den Dingen selbst werden wir in einen bestimmten Zustand
versetzt. Es w re auch l cherlich anzunehmen, da , wenn wir gleichsam
als Maler und Bildhauer an Wesen wie Skylla oder Chim ren denken,
diese sofort existierten und deswegen als vorhandene Realit ten erschie-
nen403.
Nach seinen Ausf hrungen ber die Sensualisten befa t sich Aristo-
kles mit Denkern, die, wie er sagt, die entgegengesetzte These vertraten.
Ihrer Meinung nach mu man die Wahrnehmungen und die Vorstel-
lungen verwerfen und nur der Vernunfterkenntnis (λόγω) Glauben
schenken404. Wie im vorhergehenden Fragment werden dann die An-
reischen Wahrnehmungslehre gilt, sondern wieder gegen die protagoreische These
oder eine mit ihr verwandte gerichtet st,
401
Fr. 4 Z. 29-31 und 37-41 H. *01 Fr. 6 Z. 30-39 H.
4M
Fr. 4 Z. 74—80 H. Nicht unsere Vorstellung gestaltet die Dinge, sondern die Dinge
wirken auf unsere Vorstellung ein. Wir sind also nicht wie bildende K nstler, die
Fabelwesen darstellen und diesen dadurch eine gewisse Realit t verleihen. Vgl, Sext.
Emp., Adv. math. VII 80: Nicht alles, was gedacht wird, ist seiend, denn auch nicht
Seiendes kann gedacht werden, και γαρ Σκύλλα και Χίμαιρα καΐ πολλά των μη
Οντων φρονεϊται. IX 49 δυνατοί τι έπινοεΐσθαι μεν, μη ύπάρχειν δε, καθάπερ
Ίπποκένταυρος και Σκύλλα. Im Eusebiostext mu nat rlich σκΰλακας f| χιμαίοας
in Σκύλλας ή Χίμαιρας korrigiert werden, denn „junge Hunde" k nnen nicht neben
den Chim ren als Beispiele f r Wesen angef hrt werden, die den Malern oder Bild-
hauern ihre Existenz verdanken. Verbindung Skylla — Chtm ra auch bei Diog. Laert,
IX 74 ου μάλλον ή Σκτΰλλα γέγονεν ή ή Χίμαιρα. Die von Heiland aufgestellte
Hypothese einer L cke hinter καθάπερ scheint mir berfl ssig; vgl, auch F. Tra-
bucco, La polemica 504 Anm. l.
404
Eus., P.E. XIV 17,1-9 = Fr, 5 Heiland. ber die Einordnung dieses Fragments
vgl, oben S, 126. Man beachte die hnlichkeit der einleitenden Formeln in den Fr. 4
γεγόνασι 0έ τίνες οί άξιοΰντες τη αίαθήσει και ταίς φαντασίαι,ς μοναις δεϊν πι-
στεύει und 5 άλλοι δ' έγένοντο τούτοις την εναντίον φωνή ν άφιέντες. οϊονται
γαρ δείν τάς μέ^ αίσθήσεις και τάς φαντασίας καταβάλλειν, αύτφ Οέ μόνον τφ
Κόγφ πιστεΰειν.
405
Die Behauptung Heilands 52 Anm. 57, Proklos habe ber Xenophanes dasselbe ge-
sagt wie Aristokles, trifft nicht zu. Prokl., In Tim. 78 B, I 254,20-23 Diehl ghubt
n mlich (aufgrund von Xenoph. Fr. 34,4 Diels), da Xenophanes die δόξα als Kri-
terium anerkannte, und trennt ihn deutlich von denen, die sich zum λόγος oder zum
νους bekannten. Sonst heben unsere Quellen eher die zweifelnde, skeptische Haltung
des Xenophanes hervor: Sotion ap. Diog. Laert. IX 20 (als erster habe Xenophanes
behauptet, ακατάληπτα είναι- τα πάντα). Ps,-Piut,, Strom. 4 ap. Eus,, P.E. I 8,4 =
VS6, 21 A 32 = Dox. 580,10-11 (Xenophanes sagt, da die Wahrnehmungen falsch
sind. Zusammen mit ihnen „verleumdet" er aber auch den Logos selbst). M. Unter-
steiner, Senofane, 1955, XXXV behauptet trotzdem, da sich Aristokles und Ps.-
Plutarch entsprechen. Das kann jedoch nur f r die von den beiden genannte Lehr-
meinung gelten, da nichts entsteht und vergeht. Dagegen sind ihre Zeugnisse ber
Xenophanes1 Haltung dem Logos gegen ber diametral entgegengesetzt. Um diesen
Gegensatz aufzuheben, vermutet M. Untersteiner CCXIV—CCXVI, da der Bericht
von PS.-Plutarch dem menschlichen, unzuverl ssigen Logos gilt, w hrend laut Aristo-
kles Xenophanes dem reinen Geist allein vertraut habe (Freundlicher Hinweis von
J. Wiesner). Hippol., Ref. I 14 = VS6, 21 A 33 = Dox. 565,21-23 (Xenophanes ver-
tritt die άκαταληψία πάντων). Sext. Emp. sieht die Dinge etwas anders. F r ihn z hlt
Xenophanes zu denen, die trotz skeptischer Grundsatzerkl rungen dennoch dogma-
tische Thesen vertreten haben. Vgl. P. H, I 225 (δογματίζει ber das All); II 18 (hat die
Existenz eines Kriteriums abgestritten): Adv. math. VII 48 (hob das Kriterium auf);
49—52 ( hnlich, mit Interpretation vorn Fr. 21 B 34); 110 (Xenophanes scheint nicht
jede κατάληψι,ς zu verwerfen, sondern nur die wissenschaftliche und unersch tter-
liche; er lie die δοξαστή bestehen; sein Kriterium war also der δοξαστος λόγος, das
εΙκός); V1I1 325—327 (es ist nicht ausgeschlossen, da man zuf llig die άδηλα erkennt;
man kann jedoch nicht feststellen, ob man sie erkannt hat oder nicht). A. Schmekel,
Die Posit. Philos. I 311 weist mit Recht auf den Unterschied in den Urteilen ber
Xenophanes bei Sext. Emp., Adv. math. VII 49 und 110 hin. Sextus selbst gibt deutlich
an, da er zwei verschiedene Interpretationen desselben Fragments 21 B 34 kennt: vgl.
Adv. math, VII 49 Ξ. μεν κατά τινας εΙπών πάντα ακατάληπτα — 110 Ξ. κατά τους
ως έτέρως αυτόν έξηγουμένους , . . Nicht richtig ist jedoch Schrnekels Behauptung,
da Sextus in 110 das Denken als Kriterium bestimmt. Auch R. Richter, Der Skep-
tizismus m der Philosophie, I, 1904, 305 Anrn, 17 meint, da Sextus verschiedenartige
Interpretationen f r Xenophanes referiert. In den meisten F llen vertrete er eine pyr-
rhomsche Interpretation (es gebe kein Wahrheitskriterium), in Adv. math. VII 110
aber (Xenophanes leugne die apodiktische Wahrheit, jedoch nicht die Wahrschein-
lichkeit) n here er sich der akademischen Skepsis. P. Steinmetz, Xenophanesstudien,
bereits bei Platon406 und mehrmals bei Sp teren407 als der Initiator der
eieatischen Schule. Wohl deswegen, und nicht so sehr aufgrund seiner
erhaltenen u erungen, nennt ihn Aristokles in einem Atemzug mit den
eigentlichen Eleaten Parmenides, Zenon und Melissos408. Da St pon 409
und die Megariker berhaupt ebenfalls zu den Denkern gez hlt werden,
die die Wahrnehmung verwarfen und sich nur zur Vernunfterkenntnis
bekannten, zeigt, da Aristokles sieb einer gewissen Abh ngigkeit der
Megariker von eieatischen Prinzipien durchaus bewu t war410. Die epi-
stemologische Grundposition der Eleaten und Megariker hatte laut Ari-
stokles drei Lehrmeinungen zur Folge. Das Seiende ist eins. Das Andere
existiert nicht. Nichts entsteht, vergeht oder bewegt sich berhaupt411.
Wer die Fragmente von Xenophanes, Parmenides, Zenon, Melissos und
der Megariker etwas n her betrachtet, wird nat rlich ohne weiteres fest-
stellen, da wir es hier mit einer vereinfachenden und verallgemeinern-
den doxographischen Charakterisierung zu tun haben, die nicht
unbedingt und im gleichen Ausma f r jeden der genannten Denker gilt.
Am ehesten d rfte sie wohl f r Parmenides und Melissos zutreffen. Es
w rde zu weit f hren, die Frage zu er rtern, ob Xenophanes tats chlich
die monistische Ontologie und den Irnmobilismus vertrat, von denen
Aristokles hier spricht 412 , oder dar ber hinaus die dialektischen Anti-
in: Rhein. Mus. 109 (1966) 13sqq, f hrt (37—39) die skeptische Deutung auf eine
Prosaschnft Timons zur ck und weist die „akademische" Interpretation (Adv. math.
VII 110 und VIII 325-326) einem Mitglied aus dem Kreis von Karneades und Philon
zu. Auch PS.-Galen, Hist. phii. 7 = VS6 21 A 35 - Dox. 604,17-19 schreibt, da
Xenophanes seine Ungewi heit ber alles u erte, dennoch eine feste Lehrmeinung
(δογματίξειν) ber das All und Gott vertrat.
406
Plat., Soph. 242 D.
407 Vgl. VS*21 A3Q; 31; 36,
408
Von Parmenides hei t es bei Diog. Laert, IX 22 = VS6 28 A I κριτήριον δε τον λό-
γον είπε' τάς τε αισθήσεις μη ακριβείς ύπάρχειν. Vgl. auch VS6 28 A 22; 49 etc,
409
Driner Vorstand der megarischen Schule, ca. 380-300 v. Chr.
410
Diog, Laen, II 106 οΰτος (= Eukleides von Megara) και τα Παρμενίδεια μετεχει-
ρίζετο. Auch Cic., Lucull, 129 f hrt (in Anlehnung an eine ltere Quelle, «i scnptxm
video) die megarische Philosophie auf den Eleatismus zur ck. Ufaer die Orientierung
der Megariker an eieatischen Prinzipien vgl, z. B. Stenzel und Theiler, Art. Megarikoi,
REXV t (1931)217-220.
411
Fr. 5 Z, 16—19 H. Den zweiten Satz, το Ιτερον μη είναι, liest M. Untersteiner j Seno-
fane XXXIV mit den Mss. ON το ίτερον έτερον μη είναι, ,,una cosa non e identica
con un'altra" und verweist auf E. Hoffmann, Die Sprache und die archaische Logik,
T bingen 3925, 45—48 (Hinweis von J. Wiesner).
412
Man erinnere sich an Arist., Metaph, A 5, 986b 21 Ξ. δε πρώτος τούτων ένίοας mit
der anschlie enden Bemerkung ουδέν δίεσαφήνισεν κτλ. F r diese Stelle sind aller-
nomien formuliert hatte, die z.B. der Verfasser von MXG ihm zu-
schreibt413. Daß Zenon von Elea mit seinen paradoxen Argumenten
über die Bewegung die ontologischen Thesen des Parmenides bekräf-
tigen wollte, steht wohl heute außer Zweifel. Dies bedeutet jedoch nicht
unbedingt, daß er selbst diese Thesen in einer mit den aristokleisehen
Sätzen vergleichbaren Formulierung geäußert hatte. In der Antike war
sogar umstritten, ob er mit seinen Aporien die Existenz des Einen be-
kämpfen wollte, die des Vielen jedoch zugab, oder aber gegen die Viel-
heit gelten ließ, daß nichts im Seienden eins ist, jede Vielheit aber
aus Monaden bestehen muß 414 . Noch schwieriger zu beantworten
ist die Frage, ob die drei Sätze über die Einheit des Seienden, die
Nicht-Existenz des Anderen und die Unmöglichkeit der Bewegung
den Megarikern zugeschrieben werden können. Wenn z.B. Stilpon
vom Eteatismus ableitete, daß jedes Ding nur von sich selbst aus-
gesagt werden könne, synthetische Prädikation aber unmöglich sei415, so
scheint diese These doch vorauszusetzen, daß es nur unterschiedliche
Individuen gebe und daß sogar jedes qualifizierte Individuum mit dem-
selben anders qualifizierten Individuum nicht identisch sei. Aus dieser
Perspektive versteht sich natürlich, daß die Megariker die platonischen
Ideen nicht annehmen konnten 416 . Aber gerade die Ansicht, daß nur
tautologische Prädikation des qualifizierten Individuums möglich sei,
läßt es unwahrscheinlich erscheinen, daß sie, wie aus Aristokles' An-
gaben hervorgeht, daß Seiende für einzig erklärt und die Nicht-Existenz
des Anderen behauptet hätten. Alles in allem: Aristokles' Reduzierung
der Eleaten auf einen gemeinsamen Nenner dürfte äußerst fragwürdig
sein. Sie war wohl nur im Rahmen einer philosophiegeschichtlich nicht
ganz adäquaten doxographischen Angleichung möglich,
Nach diesem Kurzreferat über die Hauptthesen der Eleaten und Me-
gariker will Aristokles zu diesen Thesen Stellung nehmen. Eine aus-
dmgs ganz unterschiedliche Deutungen vorgetragen worden. Die einen meinten, Ari-
stoteles habe Xenophanes als Eleaten betrachtet, die anderen nicht. Vgl. die Zusam-
menfassung der wichtigsten Äußerungen bei J, "Wiesner, P s.-Aristoteles, MXG; Der
historische Wert des Xenophanesreferats, Amsterdam 1974, 269—274,
413
Einen Überblick über die Behandlung von MXG in der neueren Forschung gibt
J. Wiesner, Op, laud, 17—41, Zur Erklärung der Antinomien ebd. 261—264 und
311-320.
414
Vgl. die Diskussion über diesbezügliche Äußerungen Euderns und Alexanders von
Aphrodisias bei SimpL, Phys, 99,7-18.
415
Plut,, Adv. Col. 23, 1120 -B. Simpl., Phys. 120,12-20.
416
Diog. Laert. I! 119.
417
Fr. 5 2.18-19 H. τον μεν ούν πλείω προς τούτους λόγον είσόμεθα φιλοσοφοΰν-
τες. Mit H. Heiland darf man wohl dieser Aussage entnehmen, da Aristokles in den
folgenden Teilen seiner Schrift περί φιλοσοφίας vorhatte, die eigenen philosophi-
schen Ansichten darzulegen (H. Heiland 52 Anm. 58). Das Futurum είσόμεθα φιλο-
σοφούντες spricht gegen F. Trabuccos Vermutung (vgl. oben Anm. 39), da
Aristokles in den B chern *I—VI seine eigenen Thesen erl uterte und erst an Buch VII
auf die verschiedenen Hauptsysteme der Philosophie einging.
418
Fr. 5 Z. 20-21 εϋποιμεν γαρ αν, ως ό μεν λόγος ημών ΕΪη το θειότατον, sozusagen
ein Gemeinplatz der platonisch-aristotelischen Anthropologie.
4
« Fr. 5 Z. 22-24,
«o Dies jst an s j c k e j ne re;n aristotelische Auffassung. hnlich betont Galen, V Plac.
Hipp, et Plat. S. 346 K hn, da die Wahrnehmung im Erkennen eines Affiziert-
werdens besteht. Vgl. auch Alex. Aphrod., De an. 38,21-39,2.
anderes als das Affizierte sein. Und das spricht gegen die drei oben ge-
nannten Grundansichten der Eleaten und Megariker. Denn damit ist die
Existenz des Anderen erwiesen: Die Farbe und der Schall (als wirkende
Ursachen des Sehens bzw. des H rens) z.B. sind etwas anderes als das
Subjekt, das sie wahrnimmt. Der Unterschied zwischen Wahrnehmen-
dem und Wahrgenommenem zeigt ferner, da das Seiende nicht eins ist.
Drittens ist die Wahrnehmung eine Bewegung, also ist das Seiende nicht
unbewegt421. Nach dieser knappen Widerlegung der eleatisch-megari-
schen Oniologie anhand der Wahrnehmungstheorie folgen zwei Be-
trachtungen, aus denen erhellt, da alle Menschen den gr ten Wert auf
die Wahrnehmung legen.
3. Jeder w nscht sich einen naturgem en Zustand seiner Wahrneh-
mungen, weil er sich auf gesunde Wahrnehmungen mehr verlassen kann
als auf kranke 422 .
4. Der Hang zur Wahrnehmung ist in uns so fest verankert, da nie-
mand, ohne wahnsinnig zu sein, auf ein einziges Wahrnehmungsver-
m gen verzichten w rde, selbst wenn er daf r alle brigen G ter er-
langen k nnte423. Ausf hrlicher weist dann Aristokles auf die Inkonse-
quenz der Ver chter der Wahrnehmung.
5. Wenn sie davon berzeugt sind, da die Wahrnehmung wertlos
ist, sollten sie doch, wie Pandaros seinen nutzlosen Bogen verbrennen
will424, alle ihre Sinnesorgane zerst ren; durch diese Tat w rden sie
n mlich den zwingenden Beweis f r ihre Lehre liefern, da sie keine
Wahrnehmung ben tigen425.
6. Sie erkl ren zwar, da die Wahrnehmungen nutzlos sind, de facto
jedoch benutzen sie sie ununterbrochen. Dieser Mangel an Folgenchtig-
421
Fr. 5 2. 25-29 H.
422
Fr. 5 Z. 29—31 H. Vgl. Cic., Lucull. 19 meo autem iuaicio ita e$t maxima in sensibtts
veritas, si et sani sunt ac valentes et omnia removemur quae obstartt ac impediunt,
Vgl. auch Sext. Emp., P. H. Π 65.
423
Fr. 5 Z. 31-34 H. Fast hnlich Cic,, Lucull. 19 quorum (= sensuum) ita clara indicia
et certa suntt ttt, » optio naturae nostrae detur ei ab ea deus aliqui requirat contentane
sit suis integris incorruptisque sensibus an postulei melius aliquid, non viaeam qttid
quaerat ampliu-s. Bereits Aristoteles schrieb im Protreptikos (Fr. 7 Ross) ταύτης
(= της αίσθήσεως) εξαιρουμένης οΐ>κ εστίν άξιον ζην ώσπερ αναιρουμένου του
ζην αυτοί οία την αΐσθησιν. Den Verlust der Wahrnehmung nannte Chrysipp als
einen der Gr nde, aus denen der Weise aus dem Leben zu scheiden berechtigt ist
(Plut., De comm. not. 7, 1061 D = SVF III S. 174,8-9, Fr, 691).
414
Ilias E 214-216.
42S
Fr. 5 Z. 34-42 H.
426
Es handelt sich urn den Mittelteil von VS* 30 B 8, Einen vollst ndigeren Text des
Fragments zitiert SimpL, De caelo 558,21-559,12.
427
Fr. 5 Z. 42-60. Aristokles' Schlu satz (Z. 59-60} lautet οπερ γαρ έφην, εύρεθείη
δν ουδέν αλλ' ή τας αισθήσεις άναιρών καΐ ελέγχων δια το μάλιστα πιστεΰειν
αύταίς. G. CaJogero, Studien ber den Eleatismus, Darmstadt 1970, 91 Anm, 17 (ent-
spricht der Anm, auf S. 82 in der italienischen Originalausgabe, Rom 1932) kom-
mentiert wie folgt: ,,Die Eleatisierung des Partikul ren konnte nicht besser ausge-
dr ckt werden als in diesem ,absoluten Vertrauen in das Wahrnehmbare', das, indem
es das Partikul re einerseits ternisiert, dieses auf der anderen Seite in Widerspruch
und in eine Krise f hrt." Ob man dieser Interpretation beipflichten kann, scheint mir
zweifelhaft. Meines Erachtens hatte Aristokles nicht vor, die „Eleatisierung des Par-
tikul ren" philosophisch zu charakterisieren. Ihm lag vielmehr daran, etwas aufzu-
decken, was er f r einen Methodenfehler und einen Widerspruch zwischen Theorie
und Praxis bei Melissos und den Gegnern der αΕσθησις als Kriterium hielt: Diese
sprechen sich gegen die Wahrnehmung aus, und in ihrer Kritik der Wahrnehmung
st tzen sie sich auf die Zeugnisse der Sinnesorgane.
428
Ίκανας ήδη δεδώκασιν εύθύνας, vielleicht eine Reminiszenz an Arist., De an, 14,
407b 29.
419
Fr. 5 Z. 61-63 H,
430
Man erinnere sich daran, da Aristokles selbst (oben Z, 18—20) eine eingehende Kri-
tik der eleatisch-megarischen Thesen verspricht und sich im vorliegenden Fragment
auf einen einzigen Punkt, n mlich die Verwerfung der αΐσΟησις, beschr nkt. Wahr-
scheinlich fa te er in der angek ndigten eingehenderen Kritik die wichtigsten Argu-
meme der herk mmlichen Widerlegung zusammen, auf die er Z. 61—62 mit δεδώ-
κασιν εύθύνας anspielt.
431
In den erhaltenen Fragmenten des Aristokles finden sich gelegentlich Angaben ber
die Philosophie seiner Zeit, Es gab z. B. noch Denker, die jede Wahrnehmung und
jede Vorstellung f r wahr hielten (Fr. 4 Z. 47—48 H., vgl, oben S. 191). Die pyr-
rhonische Skepsis hatte keine Anh nger mehr, bis Ainesidemos sie in Alexandrien vor
nicht allzu langer Zeit wieder ins Leben rief (Fr. 6 Z, 204—206 H,, vgl. oben S. 177,
Zeitgen ssische Epikureer vertraten die These, da Lust und M he die Kriterien f r
W hlen und Meiden seien (Fr. 8 Z. 10-11 H., vgl. oben S. 184),
432
Fr. 5 Z. 63-65 H.
433
Eine hnliche Stellungnahme ist uns bereits in den Ausf hrungen ber die Epikureer,
Fr. 8 Z, 40-42 begegnet. Vgl. oben S. 188.
4Ϊ4
Fr. 52, 18-19, Vgl. oben S. 126.
Thesen zu nennen, von denen er glaubt, wohl nicht ganz mit Recht, sie
seien allen Eleaten und Megarikern gemeinsam: Einheit des Seienden,
Nicht-Existenz des Anderen, absolute Bewegungslosigkeit des Seien-
den. Ein solches Verfahren erinnert an die Bemühungen der Doxogra-
phen und laßt vermuten, daß Aristokies mit eben doxographisch ange-
legten Handbüchern arbeitete und die Originaltexte ebensowenig wie
ausführlichere, auf jeden individuellen Denker eingehende Geschichten
der Philosophie benutzt hat.
Denselben Eindruck hinterläßt der kritische Teil seiner Ausführun-
gen. Fast alle Einwände sind gegen die These gerichtet, daß die Wahr-
nehmung zu verwerfen sei. Wir haben es also nicht mit einer an kon-
kreten Äußerungen der Eleaten bzw. der Megariker orientierten Dis-
kussion, sondern eher mit der Widerlegung einer allgemeinen kriterio-
logischen Position zu tun. Selbst die Zurückweisung der drei oben ge-
nannten ontologischen Thesen erfolgt im Rahmen der Diskussion über
die und beruht lediglich auf der Unterscheidung von Wirken-
dem und Affiziertem im Wahrnehmungsvorgang. Inhaltlich und formal
sind Aristokies' Einwände sehr unterschiedlich. Die ersten, die auf einer
philosophisch-psychologischen Analyse der Wahrnehmung beruhen,
beschränken sich auf einige stichwortartige Angaben. Offenbar ist die
ursprüngliche Argumentation so stark gekürzt worden, daß sie in ihrem
jetzigen Zustand kaum als Beweis für die These gelten kann, daß die
Wahrnehmung . In den folgenden Einwänden wird
damit argumentiert, daß der Mensch sich gesunde Sinnesorgane wünscht
und um keinen Preis eine seiner Wahrnehmungen entbehren mochte.
Zwingend ist das Argument natürlich nicht, denn der Mensch kann
durchaus an seiner hängen, ohne daß diese deswegen ein zu-
verlässiges Erkenntnisvermögen darstellt. Der dialektisch-rhetorische
Charakter der Betrachtungen, mit denen Aristokies die Verleumder der
Wahrnehmung der Inkonsequenz beschuldigt, springt noch mehr in die
Augen; sie würden erst dann folgerichtig handeln und wirklich über-
zeugen, wenn sie ihre gesamten angeblich nutzlosen Sinnesorgane ein-
fach vernichten würden! Ein Homerzitat — Pandaros' Versprechen,
seinen nutzlosen Bogen zu verbrennen — verstärkt noch die Prägnanz
dieser sonderbaren Aufforderung. Am ausführlichsten ist der letzte Ein-
wand, den der Verfasser auch für den gravierendsten hält: Die Denker,
die es zu widerlegen gilt, sprechen sich gegen die Wahrnehmung aus,
stützen sich aber dabei ständig auf Erkenntnisse, die sie der Wahrneh-
mung entnehmen. Dies wird am Beispiel des Melissos gezeigt, von dem
sogar einige Zeilen angef hrt werden. Aristokles hat allerdings Melissos'
Text etwas ungeschickt exzerpiert. Bes en wir nicht das vollst ndige
Zitat bei Simplikios, so w rden wir wohl die urspr ngliche Absicht des
Melissos nur schwer erraten k nnen. brigens scheint Aristokles noch
andere Aussagen des Melissos in einer seiner Quellen vorgefunden zu
haben (ταΰτα δε και άλλα πολλά τοιαύτα λέγοντος αύτοϋ). Er h lt es
jedoch f r berfl ssig, sie abzuschreiben, Das Wesentliche f r ihn ist,
wie gesagt, die Feststellung, da Melissos' Argumente nicht im Einklang
mit der erkenntnistheoretischen These stehen, zu der er sich angeblich
bekennt. Dieser Einwand wird als direkte Frage an Melissos formuliert.
Wenn Melissos so spricht, k nnte man ihn mit vollem Recht fragen:
„Hast Du denn nicht mit der Wahrnehmung erkannt, da , etc.?" Solche
Apostrophierungen des Gegners begegnen uns nicht zum ersten Mal bei
Aristokles. Sie geh ren zu den rhetorischen Stummeln, zu denen er
greift, wenn es gilt, die Unhaltbarkeit einer These nicht so sehr apodik-
tisch nachzuweisen als vielmehr dem Leser drastisch zu veranschau-
lichen. Offenbar gef llt ihm eine solche dialektisch-rhetorische, biswei-
len sogar etwas pathetische Form der Polemik mehr als die abstraktere
Argumentation der Philosophen.
Durch Simplikios wissen wir, daß Achaikos und Sotion den „äl-
teren" Interpreten der Kategorien, Boethos, Ariston, Andronikos, Eu-
doros und Athenodoros, vorwarfen, den Ausdruck bald im Sin-
1
gular, bald im Plural gebraucht zu haben . Andererseits läßt sich nach-
weisen, daß Porphyrios in seinem großen Kategorien-Kommentar An-
sichten des Achaikos erörterte. Dazu kommt noch, daß Alexander von
Aphrodisias in seinem Kommentar zur Topik eine Kritik des Sotion an
Aristoteles erwähnt. Achaikos und Sotion müssen also im 1. oder im
2. Jh. n. Chr. gelebt haben. Auf die des Achaikos berufen sich
Diogenes Laertios und Klemens in den Stromateis3, was den Anfang
2
des 3. Jh. n. Chr. als terminus ante quern für Achaikos festzusetzen er-
möglicht. Diese leider sehr ungenaue Chronologie laßt sich aber viel-
leicht durch weitere Anhaltspunkte etwas präzisieren. In seiner nach
96 n. Chr. entstandenen Schrift über die brüderliche Liebe erwähnt'Plu-
tarch unter den „jüngeren Philosophen" einen Peripatetiker Apollonios,
dessen Haltung den Spruch widerlegte, daß der Ruhm nicht mitteilbar
sei. Seinen jüngeren Bruder Sotion machte er nämlich berühmter als er
selber war4. Sind die Kommentatoren der Kategonen Apollonios von
Alexandrien und Sotion, die Simplikios5 zitiert, identisch mit den von
Plutarch gelobten Gebrüdern, so ist ihre Lebenszeit ins 1. Jh. n. Chr.
anzusetzen. Ist ferner dieser Sotion derselbe, dem Plutarch eine Einzel-
heit seiner Biographie Alexanders verdankt 6 , so muß er in der l. Hälfte
dieses Jahrhunderts gelebt haben. Die von Plutarch referierte Nachricht
verdankt Sotion dem Mytilenäer Potamon, und dieser ist als neunzig-
jähriger in den ersten Regierungsjahren des Tiberius gestorben7.
1 2
Simpl., Cat. 159, 23sqq. Diog. Laert. VI 99.
3
Klemens Alex., Strom. IV 8, 56,2,
4
Hut., De frat. am, 16, 487D, Zur Chronologie der Schrift vgl. K. Ziegler RE XXI l
(1951) 800.
* Simpl., Cat. 188,16-21; 159,24.
6
Plut., Alex. 61, 699 D-E.
7
Vgl. FGrHist. 147, II B, S. 815; II D, S. 533. Vgl. ferner über Achaikos: Gercke, Art.
Achaikos l, RE I (1893) 198-199 (das Klemens-Zitat ist falsch!). E. Zeller, Phil. d.
u
Zitiert werden Cat. 7,6b2;12;15;16;17, und zwar nach einem Text, der gelegentlich
von dem unseren abweicht. Im ganzen Kapitel, hei t es ferner, steht προς τι durchweg
im Plural.
11
Cat. 7,8a34,
13
SimpL, Cat. 159,23-160,10.
14
160,10-11.
15
Arist., Top. 3,141 a9-14.
16
Alex., Top. 434,1-3.
17
l,453b26,
diese Definition18, die Begr ndung seiner Kritik wird jedoch erst dann
einigerma en klar, wenn man die Widerlegung dieser Kritik durch Alex-
ander ber cksichtigt. Es ist nicht dasselbe, erkl rt der Exeget, um Ari-
stoteles gegen Sotion zu verteidigen, von einer Privation des Naturge-
m en und von einer naturgem en Privation zu reden. Jede Privation
ist Abwesenheit des Naturgem en, braucht also nicht noch als solche
bezeichnet zu werden; eine Privation kann aber gewaltsam und natur-
widrig herbeigef hrt werden (Blindheit durch Entfernung der Augen)
oder naturgem eintreten, was ja f r den Schlaf der Fall ist19. Aus
dieser Gegenargumentation Alexanders geht hervor, da der Text von
De somno, den Sotion benutzte, nicht ganz identisch mit dem unsrigen
war und an der fraglichen Stelle lautete και φαίνεται στέρησις κατά
φύσιν ό ϋπνος της έγρηγόρσεως; sonst w re Sotions Vorwurf an Ari-
stoteles v llig unerkl rlich20. So unbedeutend sie auch erscheinen mag,
ist diese Spur von Sotions Kommentar aus zwei Gr nden interessant.
Erstens, weil sie best tigt, was bereits am Fragment des Kategorien-
Kommentars beobachtet wurde. Sotion begr ndete gern seine Behaup-
tungen mit Texten, geh rte also zu jenen Interpreten, f r die der Kom-
mentar eine solide philologische Basis haben mu . Sein hiesiges Zitat aus
De somno zeigt, da er das Corpus Aristotelicum gut genug beherrschte,
um bei der Interpretation einer logischen Schrift einen Satz aus einem
ganz anderen Traktat heranziehen zu k nnen. Zweitens ist bemerkens-
wert, da er nicht davor zur ckscheute, auch Aristoteles einen Versto
gegen die eignen methodischen Grunds tze vorzuwerfen. Er scheint
nicht darauf bedacht gewesen zu sein, Argumente daf r zu finden, da
Aristoteles so gut wie immer Recht hatte. Bei ihm fehlt also jene Form
der Schulorthodoxie und jene uneingeschr nkte Bewunderung f r den
Stagiriten, die die Kommentare Alexanders kennzeichnen werden.
18
Vgl. Alex,, Top. 434,2 (Aristoteles) οριζόμενος τον ΰπνον στέρησις έγρηγόρσεως.
19
434,3-6,
20
Das Manuskript Ν (Neapolitans III D 37, XIV-XV Jh.) und die Aldina bieten f r
die besprochene Passage aus dem Kommentar Alexanders eine Fassung, die von der der
meisten anderen Manuskripte abweicht (vgl. Wallies' Apparat zu 433,21), Dort hei t
es u.a.: ό μέντοι . . . ευθυνών (2 Zeilen frei), was unsere Deduktion best tigt. Die
Variante κατά φύσιν statt τις in dem Aristotelestext hat sonst keine Spur in der di-
rekten berlieferung hinterlassen. Sie summt allem Anschein nach von einem kriti-
schen Leser, der das τις im herk mmlichen Text bia und unpr zise fand und durch
etwas Genaueres ersetzen wollte.
Wenn man von der Topik Theophrasts und von verwandten Schrif-
ten des Eresiers absieht, ist Sotion der älteste Kommentator der Topik,
den Alexander zitiert und der uns namentlich bekannt ist. Dennoch be-
sitzen wir jetzt ein leider sehr kurzes und verstümmeltes Fragment aus
einem wahrscheinlich im 1. Jh. n. Chr. entstandenen Topik-Kommen-
tar, auf den hier eingegangen werden muß. Es handelt sich um einen
Fayum-Papyrus aus Harit, den das British Museum im Jahre 1900 er-
warb21. Er wurde zusammen mit zwei Dokumenten aus der Zeit Do-
mitians oder Trajans gefunden und stammt ebenfalls, wie auch aus dem
Ductus hervorgeht, aus dem Ende des 1. oder dem Anfang des 2. nach-
christlichen Jahrhunderts, Erhalten sind Reste von drei Kolumnen, die
es wenigstens ermöglichen, sich eine Vorstellung von der Anlage des
Kommentars zu machen. Wir haben es nicht mit der Interpretation aus-
gewählter Passagen aus der Topik oder mit zu bestimmten
Problemen zu tun, sondern ganz offensichtlich mit einem fortlaufenden
Kommentar. Der Verfasser zitierte nämlich zuerst einen kurzen Ab-
schnitt aus dem aristotelischen Grundtext 22 . Auf dieses wörtliche Lemma
folgte eine kurze Paraphrase oder Zusammenfassung des Inhalts des
zitierten Textes, die durch Einrücken der Zeilen kenntlich gemacht
wurde. Leider ist von diesen kommentierenden Teilen kein einziger voll-
ständiger Satz mehr erhalten. Die Verteilung der Lemmata und kom-
mentierenden Teile auf den Kolumnen zeigt jedoch, daß die Interpre-
tation kaum mehr Raum in Anspruch nahm als die Lemmata, Also hat
sich der Kommentator auf ganz knappe Erläuterungen beschränkt. Der
trümmerhafte Zustand des Kommentars ermöglicht leider keine präzi-
sere Charakterisierung. Aus diesem einmaligen Fund darf auf keinen Fall
verallgemeinernd erschlossen werden, daß die Aristoteles-Kommentare
des 1. Jh. v. Chr. und des 1. Jh. n. Chr. recht bescheidenen Ausmaßes
waren und die Länge der kommentierten Schrift nur wenig überschritten
haben, während die Entwicklung zu ganz ausführlichen Textanalysen
erst im 2. Jh. n. Chr., etwa mit Aspasios und Alexander, erfolgt wäre.
Es fehlt nicht an Indizien, die eine solche Schlußfolgerung entkräften.
Wir besitzen sogar ein ausdrückliches Zeugnis darüber, daß der Kate-
gorienkommentar des Boethos zu den ausführlichsten und reichhaltig-
11
Inv,-Nr, 815, Beschreibung und Bibliographie Aristoteles Graecus I 458—459.
2:1
Erhalten sind in der ersten Kolumne Top, 112, I09a34—35, in der zweiten 109b4—9,
in der dritten 109b9-15.
23
Vgl. Bd. I 147.
SimpL, Cat. 186,21 sqq.
die keine V gel sind 25 . Um die Relativit t des Begriffes „Kopf" aufzu-
hellen, reicht es nicht aus, den Kopf als Kopf des Tieres zu bezeichnen,
man mu ein neues Wort pr gen und sagen, der Kopf ist Kopf des „mit
Kopf Versehenen" (κεφαλωτόν); viele Tiere haben n mlich keinen
Kopf26, Apollonios verglich die beiden Beispiele und tadelte ihren Man-
gel an Parallelit t. Aristoteles hatte geschrieben: „Viele Fl gel geh ren
keinen V geln", genauso h tte er schreiben m ssen: „Viele K pfe ge-
h ren keinen Lebewesen", und nicht, wie er tut: „Viele Lebewesen
haben keinen Kopf27". Seine Forderung nach strenger Parallelit t hat
Apollonios den Blick f r die nat rlichste Ekl rung der angeblichen
Diskrepanz versperrt. Aristoteles liegt es n mlich daran zu zeigen, da
weder die Klasse der „mit Fl gel Versehenen" sich mit der der V gel
deckt, noch die der „mit Kopf Versehenen" mit der der Lebewesen. Die
Begr ndung daf r ist jedoch nicht genau dieselbe in den beiden F llen.
Die Klasse der „mit Fl gel Versehenen" ist breiter als die der V gel
(daher: viele Fl gel geh ren keinen V geln), die der ,,mit Kopf Ver-
sehenen" ist aber enger als die der Lebewesen (daher: viele Lebewesen
haben keine K pfe) 28 .
Auch Achaikos hatte die Kategorienschrift interpretiert 29 . Da er
wie Sotion den Ausdruck προς τι nur im Plural verwenden wollte, ist
bereits oben30 bemerkt worden. Wir erfahren ferner, da er sich mit der
sog, zweiten Definition der προς τι31 befa t hatte. Einige Kritiker, wie
z.B. Andronikos und Ariston, hatten Aristoteles vorgeworfen, das De-
finiendum in die definitorische Formel aufgenommen zu haben, und
Achaikos bem hte sich nachzuweisen, da ein solcher Versto gegen die
Regeln der Definition in Wirklichkeit nicht vorliegt. Der Ausdruck
προς τι, der in der Definition vorkommt, so erkl rte er, bedeutet das-
25
Arist., Cat. 7,7al-3.
16
7a 15-18.
27
SimpL, Cat. 188,16-21.
28
hnlich SimpL, Cat. 188,21—30 gegen Apollonios.
29
Unser einziger Berichterstatter, Simplikios in seinem Kategorienkommentar, verwen-
det mehrmals den Ausdruck l περί τον Άχαϊκόν {159,24; 208,6; 263,28; 269,19}
neben 6 Αχαϊκός (202,5; 203,3). Wer die bei Aristoteles beliebte Wendung οί πε-
ρ ί . . . kennt, wird den Unterschied nicht f r sehr wichtig halten. In demselben Atem-
zug nennt Simplikios οι περί τον Άχαϊκόν καΐ τον 'Αλέξανορον (208,6), nicht etwa
um die Sch ler dieser beiden Interpreten, sondern die Interpreten selbst und even-
tuelle Anh nger ihrer Thesen zu bezeichnen.
30
S. 211,
31
Cat. 7, 8a31: εστί τα προς τι οίς το είναι τούτον εστί τω προς τί πως έχειν.
selbe wie προς ότιούν, und die Definition soli so interpretiert werden,
als h tte Aristoteles geschrieben: „Relativ sind Dinge, deren Wesen in
einem gewissen Verh ltnis zu irgendeinem anderen Ding besteht32".
Achaikos scheint also zu jenen Interpreten geh rt zu haben, die Aristo-
teles von jedem Irrtum und von jedem Versto gegen die Methode frei-
sprechen wollten.
Von derselben Tendenz zeugen auch seine Ausf hrungen ber den
angeblichen Titel περί ποιου και ποιότητος, den schon damals die
Handschriften als berschrift des 8, Kapitels der Kategorien boten.
Durch Simplikios erfahren wir, da die Interpreten sich Gedanken dar-
ber machten, ob die beiden W rter ποιόν und ποιότης als gleichbe-
deutend aufzufassen seien oder ob das eine den Tr ger der Qualit t und
das andere die Qualit t selbst bezeichne33. Eine zufriedenstellende Ant-
wort lie sich schwer finden. Achaikos beseitigte aber alle Schwierig-
keiten mit dem (sp ter von Alexander wieder aufgegriffenen) Hinweis,
dieser angebliche Titel r hre gar nicht von Aristoteles her; berschriften
dieser Art g be es f r die anderen Kapitel nicht; man habe es hier viel-
mehr mit dem Versehen eines Kopisten zu tun, der eine einfache Inhalts-
angabe f r einen Titel hielt34.
In seinen Er rterungen ber die Qualit t behandelt Aristoteles vier
Hauptgattungen der Qualit t (l. Habituelle Zust nde, Dispositionen,
2. Kr fte, F higkeiten, 3. Passivische Qualit ten, Affekte, 4. Gestalt,
u ere Form) und spielt dann auf die M glichkeit an, vielleicht doch
noch eine weitere Gattung der Qualit t zu unterscheiden36. Diese etwas
r tselhafte Angabe hat die Kommentatoren zu verschiedenen Vermu-
tungen ber den Inhalt der angedeuteten f nften Gattung angeregt.
Nachdem Aristoteles die Gestalt (σχήμα, μορφή) als vierte Gattung der
Qualit t erw hnt hat, geht er auf das Lockere und das Gedr ngte, das
« Simp!., Cat. 202,5-8; 203,2-4, Porphyries, Cat. 125,19-22 erw hnt die Formel des
Achaikos, ohne ihren Urheber zu nennen. Da er auch anderswo in seinem kateche-
tischen Kommentar Ansichten des Achaikos erw hnt, ohne diesen zu nennen, hegt die
Vermutung nahe, da der gro e Kommentar an Gedalios, den Porphyrios im
katechetischen Kommentar zusammengefa t hat s ausf hrlichere und pr zisere Nach-
richten ber Achaikos enthielt und da Simplikios seine Information aus dem Kom-
mentar an Gedalios gesch pft har.
33
Simpl., Cat. 207,27-208,4.
34
Simpl,, Cat. 208,4-7. hnlich Porph., Cat. 127,22-25, ohne Namensnennung.
35
Arist., Cat. 8.
36
Ibid. 8,10a25.
Rauhe und das Glatte ein. Man k nnte sie vielleicht als Qualit ten be-
trachten. Es scheint aber, da sie keine Qualit ten sind, sondern eher
von einer bestimmten Stellung (θέσις) der Bestandteile des jeweiligen
K rpers abh ngen. Liegen die Teile ganz nah aneinander, so ist der
K rper gedr ngt. Sind die Abst nde zwischen den Teilen gro , so ist der
K rper locker. Aristoteles stellt diese zwei Auffassungen zur Diskus-
sion, ohne sich f r die eine oder die andere deutlich zu entscheiden37.
Um die Frage zu kl ren, unterscheiden die Kommentatoren zwischen
zwei Arten des Lockeren bzw. des Gedr ngten. Die eine ist ein wesent-
liches Merkmal einer einfachen, homogenen Substanz. In diesem Sinn
sagt man etwa, da die Luft lockerer ist als das Wasser. Die andere h ngt
vom Verh ltnis der Teile eines zusammengesetzten K rpers zueinander
ab. Diese zweite Art des Lockeren findet sich etwa im Schwamm oder
im Bimsstein38. In der ersten Bedeutung ist das Lockere bzw. das Ge-
dr ngte der Kategorie der Qualit t zuzuordnen, m der zweiten dagegen
geh rt es zur Relation.
Die knappen Nachrichten ber die Stellungnahme des Achaikos zu
diesen Punkten der Qualit tslehre zeigen, da bereits damals der frag-
liche Passus des Aristoteles sehr umstritten war. Im Gegensatz etwa zu
Eudoros, der aus dem Dichten (παχύτης) und Feinen (λεπτότης) eine
besondere (f nfte) Art der Qualit t machte, meinte Achaikos, da dicht
und fein zur vierten Qualit tsgattung geh rten und Folgeerscheinungen
der Lockerheit und Gedr ngtheit seien. Lockerheit und Gedr ngtheit
seien weder der Relation zuzuordnen noch als eine f nfte Art der Quali-
t t zu betrachten noch in die Gruppe der passivischen Qualit ten zu
setzen39. F r ihn sind Lockerheit und Gedr ngtheit echte Qualit ten,
und sie geh ren jenem vierten Genos an, in dessen Er rterung
Aristoteles sie auch erw hnt. Wie diese Qualit ten als σχήμα und μορφή
gedeutet werden k nnen, wird uns leider nicht erkl rt. Andererseits
wird Achaikos vorgeworfen, da er die ausdr ckliche Bemerkung des
37
Ibid. 8,10al6-24.
38
Die Unterscheidung formuliert Jamblich bei Simp!,, Cat. 267,27-268,4; 268,21-32.
Sie scheint auf Andronikos zur ckzugehen, 263,21—22. Plotin wollte sie nicht an-
erkennen, 269,2—6.
39
Ibid. 263,28-29; 269,19-23. Achaikos lehnt die Interpretation des Andronikos ab,
nach welcher μανότης - πυκνότης, κουφότης - βαούτης und λεπτότης - παχΰτης
entweder eine spezielle Art der Qualit t ausmachen oder zu den passivischen Quali-
t ten geh ren. Er spricht sich auch gegen die Unterscheidung von zweierlei μα-
νότης — πυκνότης aus, von denen die eine zur Relation geh ren sollte.
40
Ibid, 263,29-30. Vgi. Arist., De gener, et corr, II 2,329bl8-330ai2, Die Angaben
des Simplikios ber Achaikos scheinen eine gewisse Unstimmigkeit zu enthalten.
Einerseits hei t es, da er dem τέταρτον γένος die Qualit ten zuordnet, die sich aus
dem μανόν und πυκνόν ergeben. Es kann sich wohl nur um die παχύτης und die
λεπτότης handeln, aus denen Eudoros ein anderes Genos machte. Andererseits
schreibt er dem r tselhaften άλλο γένος jene Qualit ten zu, die Aristoteles in De
gener, et corr. aufz hlt. Unter diesen befindet sich aber das Paar παχύ — λεπτόν, das
Achaikos kurz vorher dem vierten Genos zugeschrieben hatte. Ob dieser Wider-
spruch tats chlich bei Achaikos vorkam, vermag ich nicht zu sagen. M glicherweise
ergibt er sich nur aus dem allzu knappen Referat des Simplikios.
Bemerkenswert ist ferner der Umstand, daß er zur Deutung der frag-
lichen Stelle aus den Kategorien einen Passus aus einem naturwissen-
schaftlichen Traktat heranzog. Er war also nicht nur mit dem Organon,
sondern auch mit Schriften aus anderen Fachgebieten vertraut. Zur
Charakterisierung seiner Interpretationsmethode dürfte es nicht
unwichtig sein, daß er eine Querverbindung zwischen einer logischen
und einer physikalischen Schrift als selbstverständlich annahm. Damit
zeigt sich die Tendenz — wenn auch nur an einem ziemlich belanglosen
Beispiel — den Anstotehsmus als ein einheitliches, in sich geschlossenes
System zu betrachten. Es erscheint als durchaus legitim, die Lehre der
Kategorien mit Einzelheiten zu ergänzen, die aus einem ganz anderen
Wissensgebiet und einer heterogenen Schriftenreihe gewonnen wurden.
In dieser Perspektive werden die diversen Äußerungen des Stagiriten,
welcher Herkunft auch immer sie sind, als Bauteile für das gesamte
Lehrgebäude betrachtet, und der Interpret verwendet sie ohne Bedenken
dort, wo sie ihm von Nutzen sein können.
Nach der Suda war der Peripatetiker Alexander von Aigai gleich-
zeitig mit dem Stoiker Chairemon Lehrer des k nftigen Kaisers Nero.
Er wird also den Ruf an den kaiserlichen Hof nach 49 n. Chr. ange-
nommen und dort einige Zeit gewirkt haben. Spater tadelte er mit einem
sehr strengen Wort die Ausschweifungen und Freveltaten seines ehe-
maligen kaiserlichen Z glings; er bezeichnete ihn, wenn wir es der Suda
glauben, als „mit Blut vermischten Kot"1.
A) Zu den Kategorien
Formen des Seienden oder die einfachen Begriffe angaben. In seiner ei-
genen Antwort auf die Frage versuchte er, den Zusammenhang zwischen
diesen verschiedenen Aspekten herauszuarbeiten und damit zu zeigen,
da Aristoteles die drei genannten Objekte gleichzeitig behandeln
wollte. Es nimmt daher nicht wunder, wenn der Aphrodisier, dem Sim-
plikios seine Nachricht ber den gaer wahrscheinlich verdankt, sich
der Ansicht seines Vorg ngers angeschlossen hat.
Auch ber das Objekt der Logik berhaupt seien sich die beiden
Alexander und andere Exegeten (Herminos, Boethos, Porphyries, Jam-
biich, Syrian, die Lehrer des Simplikios und Simplikios selbst) einig. Die
Logik behandele einfache, urspr ngliche, generische Aussagen, insofern
sie ein Seiendes bezeichnen, gleichzeitig w rden aber auch das bezeich-
nete Seiende und die Gedankengehalte mitbehandelt4.
B) Zu De caelo
4
Ibid. 13,11-18.
5
Simpl., De caelo 430,29-32, zitiert unten, Anm. 8. Der Name des Urhebers der vom
Aphrodisier referierten Interpretation ist allerdings nicht derselbe in allen Simplikios-
Handschriften. In der Ausgabe der Aristoteles-Scholien von C. A. Brandis steht 494b
21 Αλεξάνδρου του Αίγαίου, eine Lesart, die nach den Angaben von Brandis (468a
Anm. 2) aus dem Par. gr. 1908 stammen d rfte. In seiner Ausgabe von Simplikios'
Kommentar (1865) bernimmt aber Rarsten die Lesart des Par. gr. 1910 (geschrieben
von loannes Rhosos im J. 1471) του Άσπασίου ό Αλέξανδρος. Α. Gercke, Art.
Alexandros 2, RE I 2 (1894) 1452, dem die Ausgabe Heibergs (CAG VII, 1894) noch
nicht verf gbar war, behauptete daher, da man f lschlich Alexanders (von Aigai)
Namen fr her bei Simpl. De caelo las, „wo vielmehr Adrastos (sie) angef hrt wird".
Nur durch ein Versehen spricht Gercke von Adrastos; gemeint ist in Wirklichkeit
Aspasios, Heiberg entscheidet sich mit Recht f r Αλεξάνδρου του Αιγαίου. Diese
Lesart ist die von F (Marc. 228, 15. Jh.), einem Ms., das von der Vorlage von A
(Mut. III E 8, 13. -14. Jh.) abh ngt. In A selbst steht aber Αλέξανδρος τοΟ Αί-
γαίου, offenbar ein aus Αλεξάνδρου του Αιγαίου entstandener Fl chtigkeitsfehler,
Was die anderen Simplikios-Hand Schriften bieten, wei ich leider nicht. Ich halte es
jedoch f r sicher, da Αλεξάνδρου του Αίγαίου die urspr ngliche Lesart ist. Die
irrt mliche Erw hnung des Aspasios im Par. 1910 erkl rt sich dadurch, da in der
darauf folgenden Zeile die Interpretation des Aspasios von Alexander von Aphro-
disias referiert wird.
den Himmel eine ewig lange Zeit hindurch bewegt. Würde aber irgend-
wann eine Abschwächung seiner Bewegungskraft eintreten, so ließe sich
dieser Mangel überhaupt nicht mehr beheben, denn dies würde voraus-
setzen, daß es eine Entität gäbe, die den ersten Beweger wieder in seinen
früheren Zustand einsetzen könnte. Etwas Stärkeres als den ersten Be-
weger gibt es aber nicht. Also wäre ein Nachlassen der Kraft des ersten
Bewegers völlig irreparabel. Es wäre daher eine Notwendigkeit, daß
seine etwaige Kraftlosigkeit ihm in der ganzen Ewigkeit erhalten bliebe.
Wir wissen leider nicht, ob der Ägäer diese Angaben des Aristoteles
als ein selbständiges Argument zugunsten der absoluten Regelmäßigkeit
der Himmelsbewegung betrachtete. Durch Simphkios erfahren wir aber,
daß Alexander von Aphrodisias als erster die Ansicht vertrat, Aristoteles
habe, um die Gleichmäßigkeit der bewegenden Kraft nachzuweisen, drei
Hypothesen aufgestellt und nacheinander ausgeschlossen, und zwar a)
eine Periode der schnelleren und eine Periode der langsameren Bewe-
gung, b) nur ein ewiges Nachlassen oder nur eine ewige Beschleunigung
der Bewegung, c) einen immer wiederkehrenden Wechsel von Verlang-
samung und Beschleunigung 10 . Da nun Alexander von Aigai zur Gruppe
der älteren, noch vor dem Aphrodisier wirkenden Interpreten gehörte,
kommt eine Deutung des Aristoteiestextes anhand der des
Aphrodisiers für ihn sicher nicht in Frage. Allem Anschein nach glaubte
er wie nach ihm Aspasios und Herminos, daß der Hinweis auf den not-
wendigen Charakter der Ewigkeit eines etwaigen Nachlassens dazu
diente, jede Ungleichmäßigkeit der Himmelsbewegung überhaupt aus-
zuschließen11. Bemerkenswert ist auf jeden Fall die Tatsache, daß seine
Begründung für den Satz 288 b 26 —27 von allen späteren Kommenta-
toren übernommen wurde, auch von denen, die wie Alexander von
Aphrodisias und Simplikios den Gedankengang der aristotelischen
Argumentation ganz anders interpretierten 12 .
10
Über diese Interpretation Alexanders von Aphrodisias vgl. unten S, 241.
11
Über Aspasios und Herminos vgl. unten S. 24Qsqq. und 396sqq.
12
Zu diesem Punkt vgl. unten S. 242-243.
Die Suda erw hnt einen „Sophisten" namens Aspasios aus Bybios,
der Zeitgenosse von Aristeides und Kaiser Hadrian war und neben einer
Geschichte seiner Stadt verschiedene rhetorische Werke und υπομνή-
ματα geschrieben hatte. Obwohl dieser Sophist etwa in derselben Zeit
lebte wie der Peripatetiker Aspasios und obwohl der Titel υπομνήματα
Aristoteles-Kommentare bezeichnen k nnte, ist es sehr unwahrschein-
lich, da der Sophist aus Byblos mit dem Peripatetiker zu identifizieren
ist6. Der Byblier war, wie aus den sp rlichen Testimonien ber ihn her-
vorgeht, ein Spezialist f r technische Fragen der Rhetorik. Die ber-
treibung seiner attizisti sehen Tendenzen zeigte sich in einer berf lle
von Tropen und Epitheta in seinen Reden. Seine Briefe erschienen als
hyperattizistisch. Seine Art zu erz hlen zeichnete sich durch ihre zu
starke Emphase aus7. Keines dieser Merkmale l t sich m den erhaltenen
Teilen von Aspasios' Kommentar zur EN beobachten. Selbst wenn man
ber cksichtigt, da die Exegese einer n chternen ethischen Schrift wenig
Raum f r stilistische Gestaltung bot, wird man sich dem Eindruck nicht
entziehen k nnen, da die blasse, oft unbeholfene Sprache des Ethik-
Kommentars unm glich von einem Mann stammen kann, der anderwei-
tig dem Attizismus huldigte. Ferner hatte sich die Quelle der Suda nicht
damit begn gt, den Byblier als σοφιστής zu bezeichnen, wenn ihr be-
kannt gewesen w re, da seine υπομνήματα in Wirklichkeit Aristoteles-
Kommentare waren. Aller Wahrscheinlichkeit nach h tte Aspasios dann
den Titel φιλόσοφοςί wenn nicht gar φιλόσοφος περιπατητικός er-
halten. Es d rfte also reiner Zufall gewesen sein, da zwei bekannte
Schriftsteller aus der i. H lfte des 2. Jh., ein attizistischer Rhetor und
ein Peripatetiker, denselben Namen Aspasios trugen.
A) Zu den Kategorien
8
Galen, XIX De libr, propr. 41,15—43,1, in der Fassung von Scr. min. II 118,2-
119,2, Der Text dieses Berichtes ist leider stellenweise lückenhaft. Zu Unrecht hat
man lange angenommen, daß Galen die Kategorien niemals kommentiert hatte. Nä-
heres zum Problem unten S, 690 mit Anm. 13.
9
Porph., Vit. Plot. 14, 10-14.
10
Den Ausdruck entnehme ich SimpL, Cat. 2, 30.
11
SimpL, Cat. l, 13—14 άλλοι δε προς τούτοι,ς καί ζητημάτων έφήψαντο μετρίως, ως
ό Άφροδισιεύς Αλέξανδρος καί Έρμϊνος και οσοι τοιούτοι . . .
als er ohnehin bei Alexander und Herminos finden konnte. Wie dem
auch sei, das Schweigen unserer Quellen ist u erst seltsam. Ohne Ga-
lens Anspielung h tten wir niemals gewu t, da Aspasios und Adrastos
die Kategorien kommentiert haben12.
B) Zur Hermeneutik
12
Ich habe mich lange gefragt, ob dieses beeindruckende Schweigen nicht beweist, da
die fraglichen Kommentare niemals existiert haben, und ob Galens Zeugnis nicht
ganz anders verstanden werden k nnte. Als zweite M glichkeit zur Einf hrung in die
Kategorienlehre nennt Galen nicht einfach die Benutzung der Kommentare von Aspa-
sios und Adrastos, sondern bedient sich einer umst ndlicheren Formulierung:. , . JIQO-
εισηγμένοις δι' ετέρων έξηγητικών, οποία τα τ' Αδράστου κοα Άσπασίου εστίν.
Vielleicht k nnte man paraphrasieren: . , . oder denjenigen, die Vorkenntnisse er-
worben haben, und zwar anhand anderer exegetischer Schriften, die etwa auf dem
Niveau der Arbeiten von Aspasios und Adrastos stehen. Damit h tte Galen zu ver-
stehen gegeben, da er die Lekt re leichterer Kommentare empfiehlt, die im Schwie-
rigkeitsgrad mit den sonstigen Arbeiten des Adrastos und des Aspasios vergleichbar
sind. Nach dieser Interpretation h tte Galen nicht von speziellen Kommentaren der
beiden genannten Peripatetiker zu den Kategorien gesprochen, sondern nur von bei
ihm anonym bleibenden έξηγητικά, die an den Leser keine h heren Anforderungen
stellten als etwa die Kommentare des Adrastos und Aspasios zu anderen Schriften.
Nach reichlicher berlegung halte ich diese Interpretation jedoch f r weniger wahr-
scheinlich als die herk mmliche.
1J
ber Theophrasts περί. καταφάσεως καί αποφάσεως und Eudems περί λέξεως vgl.
unter anderen H, Maier, in: Arch. f. Gesch, d. Philos. 13 (1899), 51 sqq. und 65sqq.
(abgedruckt als Anhang zu Maiers Syliogistik des Arist, I, 2. Aufl. 1936). F. Wehrli,
Schule des Arist. VIII, 1955, 79.
14
Vgl. oben Bd. I 117sqq.
15
Boethius, In Arist. de imerpr. ed. 2% 293,27-294,4 Meiser. Mit C, Pram!, Gesch. d.
Logik I 547-548 und gegen H, Schmidt, De Hermino Peripatetico, Diss. Marburg
1907, 33 glaube ich, daß sich diese Äußerung auf die Hermeneutik und nicht auf die
Analytik bezieht.
16
P. Courcelle, Les lettres grecques en Occident, 2. Aufl., 266—267. J. Shiei, Boethius
Commentaries on Arist., in: Medieval and Renaissance Studies IV (1958) 230-231.
J, Isaac, Le Peri Herrneneias en Occident de Boece ä Saint Thomas, Paris 1953,
20-24.
" Boethius, De int. ed. 21, 10,4-14.
18
Boethius, De Int. ed. 21, 37,17 — 20, zu verbinden mit dem Zeugnis über Alexander,
37,5—11. Über Alexanders Interpretation der Passage De int. l,16a 3-8 vgl. unten
Bd. III.
Menschen19. Diese These schien Aspasios schwer vereinbar mit der Be-
obachtung, da die Menschen in ihren Auffassungen vom Guten, Ge-
rechten usw. stark auseinander gehen. Um die Schwierigkeit zu besei-
tigen, erkl rte er, da Aristoteles mit dem Ausdruck παθήματα της
•ψυχής nicht v llig unk rperliche, begriffliche Wesenheiten, sondern
eher die Eindr cke der Sinneswahrnehmung habe bezeichnen wollen20.
Ohne auf den gewagten Charakter dieser Interpretation einzugehen,
kann man hier wahrscheinlich ein Indiz f r die eher sensualistische Ten-
denz des Aspasios entdecken. Die einzigen Begriffe, die f r ihn die ob-
jektive Wirklichkeit (πράγματα) darstellen, sind eben diejenigen, die auf
die Wahrnehmung zur ckgehen. Bei Begriffen wie „gut" und „gerecht",
die ihm variabel und daher konventionell erscheinen, denkt er offenbar
nicht, da sie einer transzendenten, subsistierenden Wirklichkeit ent-
sprechen k nnten.
Eine Bemerkung des Aristoteles ber das Verbum erschien Aspasios
ebenfalls problematisch. An und f r sich genommen, hatte Aristoteles
notiert, hat das Verbum eine Bedeutung. Wer es ausspricht, stellt einen
Gedanken fest, und wer es geh rt hat, ist dabei unt tig geblieben21. Da-
gegen l t sich aber folgendes einwenden: Weder der Name noch das
Verbum k nnen, wenn sie allein stehen, die Wi begierde des H rers
befriedigen. H rt man „Sokrates", dann fragt man sich, was Sokrates
tut oder erleidet. H rt man „liest", so fragt man sich, wer liest. Wer ein
solches Wort ausspricht, fixiert also keinen Gedanken, mit dem der
H rer sich zufrieden geben kann. Die wirkliche Tragweite der Behaup-
tung des Aristoteles liegt aber anderswo. Der Stagirit will lediglich die
bedeutenden W rter im Gegensatz zu den bedeutungslosen charakteri-
sieren. Das Wort „Mensch" zum Beispiel gen gt, um den Begriff eines
mit Vernunft versehenen, sterblichen Lebewesens hervorzurufen. An-
dere W rter dagegen weisen keine in sich abgeschlossene Bedeutung auf,
sie verlangen eine Erg nzung und vermitteln dem H rer keinen festen
Anhaltspunkt 22 .
19
Arist., De int. l, 16a 6.
20
Boethius, De int. ed. 21, 41,13-39.
23
Arist., De int. 3, 16b 20-21 ΐστηίκ γαρ ό λέγων την διάνοιαν και 6 άκουσας ήρε-
μησεν.
22
Aspasios behandelte das Problem in der beliebten Form der απορία {Boethius 74,
9-19) και λύσις (Ibid. 74,19-31). Vgl. 74,31 -33 sed httiusmodi quaestio ah Aspasio
prapdnta, est et ab eodemqne resolnta.
Bei spateren Kommentatoren war das Problem des Verh ltnisses des
bejahenden und des verneinenden Urteils zur Aussage schlechthin (άπό-
φανσις) umstritten. Wie wir noch sehen werden, befa te sich Alexander
sehr ausf hrlich mit dieser Frage. Er vertrat die These, da die άπό-
φανσις nicht die Gattung sein kann, von welcher άπόφασις und κατά-
φασις die Arten w ren; άπόφανσις sei vielmehr ein mehrdeutiges Wort,
eine quivokation, die bald als bejahendes, bald als verneinendes Urteil
zu verstehen sei23. Diese These, die er mit einer F lle von Argumenten
untermauerte, hatte der Exeget von seinem Vorg nger Aspasios ber-
nommen. Es l t sich allerdings nicht mehr ermitteln, welche ber-
legungen Aspasios dazu gef hrt hatten24.
Auf Aspasios gehen ebenfalls zwei Interpretationen eines r tselhaften
Aristoteles-Satzes zur ck, die bei sp teren Kommentatoren in aller Aus-
f hrlichkeit dargelegt wurden, Es handelt sich um die Frage, ob Urteile
ber Allgemeines, in denen das Subjekt nicht als allgemein quantifiziert
ist, in kontr rem Gegensatz zueinander stehen k nnen. Aristoteles be-
merkt, da sie nicht kontr r entgegengesetzt sind, obwohl die Dinge, die
sie bezeichnen, einen solchen Gegensatz bilden k nnen 25 . Gem der
einen Erkl rung, die Alexander billigt, k nnen die unbestimmten Ur-
teile als allgemein betrachtet werden. Dann ist bei ihnen kontr re Ge-
gens tzlichkeit m glich („Mensch ist Lebewesen" und „Mensch ist
nicht Lebenwesen" k nnen verstanden werden als „aller26 Mensch ist
Lebewesen" und „kein Mensch ist Lebenwesen"). S e k nnen aber auch
als partikul r gedeutet werden (,,Mensch schreitet' 1 und „Mensch schrei-
tet nicht" ist gleich „einiger Mensch schreitet" — „einiger Mensch schrei-
tet nicht"). Ihre Gegens tzlichkeit ist dann eher eine subkontr re27,
Alexander kannte auch eine zweite Erkl rung, die er allerdings ab-
lehnte, w hrend Porphyries und Boethius sie f r die bessere hielten28.
33
Vgl, unten Bd. III.
14
Boethius, Op, cit. 121,27-122,3, zu erg nzen mit 119,11-31 und 121,5-26.
25
Arist., De int. 7, 17b 7—8, Aspasios trug zwei verschiedene Interpretationen dieser
Stelle vor. Die eine bernahm dann Alexander, w hrend Porphyries sie f r nicht
ganz befriedigend erkl rte und die zweite f r besser hielt (Boethius, Op, cit, 159,
25—26 schlie t sein Referat ber die beiden Interpretationen mit dem Satz Aspasitts
vero et Alexandri et banc posteriorem probavit.
J
* Absichtlich bersetzte ich πας δνθρωπος mit „aller Mensch" und τις άνθρωπος mit
„einiger Mensch". Vgl. H. Maier, Syllog. d. Arist. P, 1936, 168sq.
27
Boethius, Op, cit. 158,17-159,4.
38
Ibid., 159,6-7; 159,26-160,11.
29
Ibid. 159,6-24. Vgl. auch Ammon., De int, 99,8-100,1 über Porphyries' Inter-
pretation.
30
Boethius, Op. cit. 183,20-22.
31
Amt., De int. 8, 18a 18-26.
31
Boethius, Op. cit. 179,27-183,7, bes. 180,3-15 und 182,8-13. Andere Erklärung
bei Herminos, vgl. unten S. 377. Die Interpretation des Aspasios wurde nicht nur
von Alexander, Porphyrios und Boethius, sondern auch von Ammon., De int. 127,
33
21-33 übernommen. Boethius, üp. cit, 87,17-21.
Vergleicht man die sp rlichen Reste des Kommentars mit den Bem -
hungen sp terer Exegeten, so kann man sich dem Eindruck nicht ent-
ziehen, da Aspasios als erster Interpret der Hermeneutik nicht nur
verdienstvolle Pionierarbeit geleistet, sondern auch die Grundlagen f r
die ausf hrlicheren Analysen seiner Nachfolger geschaffen hat. Mag
auch Herminos sich h ufig von ihm distanziert haben, so bleibt f r den
Wert des Aspasios-Kommentars dennoch kennzeichnend, da ein Inter-
pret vom Format Alexanders ihn fast ausschlie lich anerkennend zitierte
und da manches aus seiner Interpretation noch Jahrhunderte sp ter
nachwirkte.
C. Zur Physik
34
SimpL, Phys, 131,12-24.
J9
Ibid. 714,31—715,7. Vgl. 728,5 — 7, wo Aspasios die Zeit ebenfalls als ein Messen-
des hinstellt.
40
Ibid. 818,27-819,5.
41
Ibid. 845,19-846,!.
sehen42. Noch weniger bedeutsam ist seine Bemerkung zu 240b 10: dort
hätten und denselben Sinn; der Körper sei nämlich die
einzige Größe, die an sich bewegt werden kann43.
Im ganzen bieten also die erhaltenen Fragmente rech: wenig, was für
die philosophische Position des Aspasios kennzeichnend ist. Dies mag
wenigstens zum Teil daran liegen, daß Alexander, dem Simphkios die
Fragmente verdankt, ihn nur dann namentlich zitiert hat, wenn es galt,
seine Meinung zu bekämpfen. Man wird vermuten dürfen, daß Alex-
ander aus dem Werk seines Vorgängers viel mehr geschöpft hat, als aus
den spärlichen Zeugnissen bei Simplikios ersichtlich ist, ja sogar mehr,
als Alexander selbst zu verstehen gab. Die wenigen Fälle, in denen wir
uns eine gewisse Vorstellung von der Interpretation des Aspasios machen
können, zeigen, daß es ihm nur selten gelang, in seiner erklärenden
Paraphrase eine schwierigere Textstelle dem Leser wirklich zugänglich
zu machen. Und trotzdem sind uns die Fragmente seines Kommentars
besonders wertvoll. Aspasios verfügte über einen Text der Physik, der
an mehreren Stellen von der verbreiteten Fassung stark abwich, und er
machte sich Gedanken über die Tragweise der Varianten, die er in
seinem Text vorfand. Wie er diese Varianten im einzelnen interpretierte,
Ist an sich belanglos. Wichtiger ist der Umstand, daß diese Varianten
überhaupt existierten. Sie bestätigen nämlich eine Beobachtung, die an
den Papyri klassischer Autoren des öfteren gemacht wurde: Die Exem-
plare, die etwa in der frühen Kaiserzeit umliefen, wiesen bisweilen einen
viel schiechteren Text auf als unsere mittelalterlichen, auf eine sehr sorg-
fältig durchgeführte Translitteration zurückgehenden Manuskripte. Die
durch Aspasios bezeugten Varianten lassen sich aber nicht alle durch die
Nachlässigkeit der Kopisten jener Zeit erklären. Einige sind sicher keine
bloßen Fehler; sie verraten den gewaltsamen und meistens nicht glück-
lichen Eingriff eines oder mehrerer Korrektoren. Man sieht also, wie
kühn und skrupellos einige Aristoteliker in den ersten zwei Jahrhun-
derten nach der Andromkos-Ausgabe, wenn nicht schon vorher, mit
dem tradierten Text umgegangen sind. Wahrscheinlich hatte Androni-
kos, der in dieser Hinsicht wenig vorsichtig war und schlechte Beispiele
gegeben hatte, recht bald Nachahmer gefunden. Wir mögen heute stau-
nen, mit welcher Leichtfertigkeit ein Alexander ab und zu den überlie-
ferten Text durch Konjekturen ändert; zweifellos ist er trotz allem maß-
41
Ibid. 1022,7-15.
43
Ibid. 1024,27-1025,1.
voller und zur ckhaltender gewesen als die „Korrektoren", die vor
Aspasios den Aristoteles-Text entstellt hatten.
Die folgende Synopsis wird zeigen, wie stark die von Aspasios vor-
gefundene Fassung in einigen Stellen von der Vulgata abwich.
Vulgata Aspasios
IV 11, 217b7-9
ό Οέ χρόνος εστί το αριθμού- ό δε χρόνοςεστίν ούχό άριθμού-
μενον και ούχ ω άριθμοϋμεν μένος, αλλ'φ αριθμού μεν
εστί δ' έτερον φ άριθμοΰμεν εστί, δε έτερον οϋχ φ αριθμοί μεν,
και το αριθμού" μενον. άλλα το αριθμούμενον.
IVll,22Qal8-20
και έτι φανερον ότι ουδέ μόριον και έτι φανερον ότι ουδέν μέρος
το νυν του χρόνου, ούδ' ή ό χρόνος της κινήσεως,
διαίρεσις της κινήσεως, ώσπερ ώσπερ
ούδ' αϊ οτιγμαΐ της γραμμής. ουδέ ή στιγμή της γραμμής.
V2,226al-3
οίον ει ή απλή γένεσις έγίνετό οίον ει ή απλή γένεσις έγίνετό
ποτέ, και το γινόμενον έγίνετό, ποτέ, και το γινόμενον έγίνετό,
ώστε οϋπω ην γινόμενον απλώς, ώστε ουπω ην γινόμενον απλώς,
αλλά τι γινόμενον και γινόμενον άλλα γινόμενον ήδη.
ήδη.
(Alex, kennt einen Text ohne γινόμενον απλώς, αλλά τι γινόμενον
και γινόμενον und zwei weitere Fassungen dieser schwierigen und sicher
korrupten Stelle.)
VI l, 232al9-20
εί γαρ πάσα διαιρετός . . . ει γαρ πάς αδιαίρετος . . .
VI2, 233Β6-7
εις Εσα γαρ διαιρεθήσεται, ως εις ϊσα γαρ Οιαιρεθήσεται
και το μέγεθος. και το μέγεθος.
D, Zu De caelo
44
Simpl, De caeio 430,32-431,11.
45
Vgl. unten S, 396 sqq,
46
Alexander leitet sein Zitat ein mit dem Satz (Simpl,, De caelo 430,27—28) Έρμίνοί)
ήκουσα καθά ην και εν -εοϊς Άσπασίου φερόμενον. Daraus geht hervor, da die
Ausf hrungen des Herminos, von denen er eine Mitschrift besa , identisch mit denen
waren, die er in einem Werk des Aspasios vorfand. Die andere Nachricht ber Aspa-
sios bei Simpl,, De caelo 607,5 — 7 stammt sicher auch aus Alexanders Kommentar.
Sie braucht nicht unbedingt in einem Kommentar des Aspasios gestanden zu haben.
47
Simpl., De caefo 422,29-425,26. Entspricht Anst., De caelo II 6, 288a 17-27.
kann 48 . Uns interessiert hier der zweite Teil dieser Argumentation, die
These nämlich, daß der Beweger keine Ungleichmäßigkeit der Bewe-
gung verursachen kann. Im großen und ganzen schließt sich Simplikios
hier der Analyse Alexanders an. Als erster habe Alexander erkannt, daß
Aristoteles den notwendigen Charakter seiner Behauptung dadurch nach-
weise, daß er die drei folgenden Hypothesen aufzähle und zeige, daß alle
auszuschließen seien. 1. Die Bewegung läßt während einer ewigen Zeit
nach und nimmt dann während einer ewigen Zeit zu. 2. In der ewigen
Zeit läßt die Bewegung immer nach oder sie nimmt ständig zu. 3. Es gibt
einen periodischen Wechsel von Verlangsamung und Beschleunigung 49 .
Die früheren Interpreten dagegen deuteten den Passus ganz anders. Da
sie nicht eingesehen hatten, daß Aristoteles mit einer arbeitet
und alle drei denkbaren Möglichkeiten nacheinander eliminiert, sahen
sie in den Zeilen 288b22—27 eine selbständige Argumentation zugun-
sten der Gleichmäßigkeit der Himmelsbewegung. Aspasios und nach
ihm Herminos paraphrasierten daher diesen Passus wie folgt: „Wenn es
in der Bewegung des göttlichen Körpers ein Nachlassen gibt, war die
Bewegung vorher schneller, denn jedes Nachlassen setzt eine schnellere
Bewegung voraus. Nun, wenn es eine schnellere Bewegung vor dem
Nachlassen gab, erstreckte sich diese erste Phase ins Unendliche. Waruni
sie sich nämlich nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erstrecken und
nicht schon vorher dagewesen sein sollte, darauf läßt sich, da die Be-
wegung ewig ist, keine sinnvolle Antwort geben. Nun, wenn es auch ein
Nachlassen gibt, dauert dieses wiederum bis ins Unendliche. Da der
Himmelskörper in die unendliche Zeit hinein bewegt wird, läßt sich
nicht begründen, daß eine Ursache dem Nachlassen Einhalt gebieten
könnte oder überhaupt das Nachlassen nur bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt andauern wird. Infolgedessen dauert auch das Nachlassen bis
ins Unendliche. Ist nämlich das Nachlassen Nachlassen einer schnelleren
Bewegung, so ist das Nachlassen einer ewigen schnelleren Bewegung
auch ewig. Denn warum würde sich das Nachlassen nur auf einen Teil
der schnelleren Bewegung beziehen und nicht die ganze in Mitleiden-
schaft ziehen? Nun aber findet das Nachlassen aufgrund einer Abschwä-
49
Simpl., Op. dt. 425,29-434,29. Entspricht Arist., De caelo II 6, 288a 27-289a 8.
49
Simpl., Op. cit. 450,27-29. Vgl. 429,21-27; 431,16-22; 432,17-23; 434,21-23.
Diese drei entsprechen nach Alexander und Simplikios fol-
genden Passagen: 1. 288b 22-27. - 2. 288b 27-289a 4. - 3. 289a 4-8. Auch
Themistios, De caelo 107,6 — 109,22 übernimmt diese Interpretation.
chung der Kraft statt, und dies ist naturwidrig. Das Naturwidrige aber
kann nicht dem Naturgem en gleich sein. Das Naturwidrige f hrt
n mlich zum Vergehen. Infolgedessen d rfte kein Nachlassen stattfin-
den, Und wenn es kein Nachlassen gibt, gibt es auch keine schnellere
Bewegung 50 ,' 1
Die beiden Kommentatoren stellen also folgende Behauptungen auf.
l, Vor dem Nachlassen mu es eine Phase der schnelleren Bewegung ge-
geben haben, 2. F r jede dieser beiden Phasen mu man eine ewige
Dauer annehmen. 3. Da die Phase des Nachlassens naturwidrig ist und
einen Verfall einleitet, kann sie nicht so lange dauern wie die naturge-
m e Phase der schnelleren Bewegung. 4. Die Annahme einer Phase des
Nachlassens ist daher auszuschlie en, und infolgedessen kann es auch
keine Phase gegeben haben, m welcher die Bewegung schneller gewesen
w re. Aus diesen Betrachtungen geht also hervor, da die Himmelsbe-
wegung in aller Ewigkeit gleichm ig sein mu .
Es w rde zu weit f hren, alle Aspekte der Kritik dieser Interpre-
tation durch Alexander und SimpHkios zu analysieren. Der wichtigste
Vorwurf lautet, da verkannt wurde, wie Aristoteles die verschiedenen
Formen der Ungleichm igkeit der Himmelsbewegung nacheinander
eliminieren will. Allerdings gesteht Alexander, da Aristoteles das erste
Glied der Einteilung, mit der er arbeitet, nicht angegeben hat, so da
seine Ausf hrungen an Klarheit zu w nschen brig lassen31. In diesem
Zusammenhang hat ein kleiner Satz des Aristoteles Diskussionen ausge-
l st, auf die wir hier kurz hinweisen m chten. Nachdem Aristoteles
hervorgehoben hat, da die Annahme einer ewig w hrenden αδυναμία
des Bewegers widersinnig w re, bemerkt er: „Es ist aber eine Notwen-
digkeit, da die Bewegung, wenn sie nachl t, dies eine endlose Zeit
lang tut52." Diese Behauptung erkl rt Aristoteles nicht. Durch Alexan-
der erfahren wir, da Alexander von Aigai folgende Begr ndung vor-
schlug: Es gibt nichts, was eine Erholung der Bewegungskraft des ersten
Bewegers herbeif hren und seine abgeschw chte Kraft wiederherstellen
k nnte53. Das Referat ber Aspasios und Hermmos zeigt, da die bei-
so
Alex. ap. Simpl., De caelo 430,32-431,10.
51
Simpl., Op, cic. 430,27-28.
" Arist., De caelo II 6, 288 b 26-27.
53
Alex. ap. Simpl., De caelo 430, 29—32, bes. μη είναι το άναληψόμενον την δύναμιν
του πρώτου κινοΰντος mi δι,ορθώσον την άδυναμίαν.
54
Simpl., Op. cit. 431,2—4 et καϊ ανεσίς εστίν, έπ' άπειρον πάλιν εστίν αύτη· τί γαρ
δν το την ανεση/ αναληψόμενον ταΐτην κτλ.
ss
Simpl., Op. cit. 430,15-18; 431,33-35.
56
Simpl,, Op. cit. 431,12-22. Alex. ibid. 430,21-26.
57
Arist., De caelo III 4, 302b 29—30 δει . , . πεπερασμένος λαμβάνουσι. αρχάς ή τω
εΕδει f\ τω ποσφ,
58
Simp!., Op. cit. 607,5 — 7 Άσπάσιος δε τω ποσώ ώρίσθαι τα πέντε αιτήματα φησί'
ταύτα γαρ ου κατ' είδος, αλλά κατ' άριΒμον πέντε εστί.
E. 2.H De sensu
Wie oben festgestellt wurde, verf gte Aspasios ber einen Text der
Physik, der an mehreren Stellen von unserer direkten handschriftlichen
berlieferung abwich, m glicherweise weil er von ziemlich skrupellosen
Korrektoren ge ndert worden war. Das einzige ausdr ckliche Zeugnis,
das sich auf seinen Kommentar zu De sensu bezieht, l t vermuten, da
auch sein Text dieser kleinen Schrift von unserer berlieferung abwich.
In 436b 17, wo Alexander die Lesart ό χυμός εστί του γευστικού μορίου
πάθος vorfand und f r die bessere hielt, benutzte Aspasios einen Text,
der θρεπτικού statt γευστικού aufwies. Unter θρεπτικον μόριον ver-
stand er die θρεπτική δύναμις, das Ern hrungsverm gen der Seele, eine
Interpretation, die Alexander mit Recht f r nicht befriedigend h lt,
denn das ff i zier t-Wer den durch den Geschmack bedeutet einfach den
Geschmack wahrnehmen, ist also keine Funktion der ern hrenden, son-
dern der wahrnehmenden Seele. Selbst wenn die dem Aspasios vor-
liegende Lesart die richtige w re, bemerkt der Exeget, sollte man unter
θρεπτικον das k rperliche Organ verstehen, durch welches der Mensch
sich ern hrt, und nicht etwa das ern hrende Verm gen der Seele60. bri-
gens kennt Alexander noch eine andere Lesart, in der es hei t ό χυμός
εστί του γευοτικοϋ θρεπτικού μορίου πάθος61. Daraus geht hervor,
da der Archetypus der verschiedenen ihm vorliegenden Textzeugen
eine interlineare Variante hatte, die in einem Uberlieferungsstrang nicht
ber cksichtigt wurde, in einem anderen den Grundtext ersetzte und in
einem dritten neben die urspr ngliche Lesart in den Grundtext eindrang.
An mehreren anderen Stellen seines Kommentars weist Alexander auf
*2 Ibid. 22,2-5 zu 437b 17-19. 86,2-5 zu 442b 14-16. 101,4-6 zu 444b 5. 129,
8-9 zu 446b 14-15. 157,25 zu 448b 21. 161,10-11 zu 449a 2-3.
*J Vgl, ibid. 101,4 καί φέρεται εν τισιν άντιγράφοι,ς.
64
Alex., De sensu 5,1-9.
65
Nat rlich auch in der Neuzeit. Vgl, F. Littig, Andronikos von Rhodos I, Progr.
M nchen 1890, 29. A, Mansion, Introduction la Phys. Aristot. 2. AufL, 1945,
27, H.J. Drossaart Lulofs, Arist., De msomniis et de div, per somn. I, 1947, XIII,
66
Alex., De sensu 82,16—17 μη νοήοαντες οί ύπομνηματισάμενοι το βφλίον όλλο-
κότως ΐήν λέξιν ταΰτην έξηγήσαντο.
F, Zur Metaphysik
67
Gelegentlich findet sich der Plural als unbestimmter Ausdruck f r einen Singular; ist
das hier der Fall, so verst rkt er sozusagen die Anonymit t des Getadelten. Alex-
ander scheint Aspasios gesch tzt zu haben; vielleicht deswegen will er ihn nicht zu
direkt angreifen und benutzt die vage Pluralform,
68
Arist., Metaph. A 5, 986al5-17 φαίνονται δη και οίτοι to ν αριθμόν νομίξοντες
αρχήν εΕναι, καΐ ως δλην τοις οίοι και ως πάθη τε και Ιξεις. Da mit πάθη τε και
£ξεις ein quivalent der aristotelischen Formalursache gemeint ist, hat W. D. Ross in
seinem Kommentar, I 147, richtig beobachtet,
3. Einer anderen Interpretation gem ist die gerade Zahl Όλη und
πάθος und die ungerade Zahl έξις69. Die zweite und die dritte Erkl rung
gehen offenbar davon aus, da die gerade Zahl dem Unbestimmten —
man denke an die platonische unbestimmte Zweiheit! — , die ungerade
dem Bestimmenden und Begrenzenden gleichzusetzen ist; unter πάθος
versteht man also die Passivit t dessen, was sich bestimmen l t, unter
έξις die positive, wirkende, gestaltende Eigenschaft dessen, was ein An-
deres zu bestimmen vermag. F r Aspasios ist aber die Zahl der Pytha-
goreer, wenn man von ihren Eigenschaften als gerade oder ungerade ab-
sieht, der gestaltlosen Materie hnlich; von den beiden Eigenschaften,
die die Zahl aufweist, dem Geraden und dem Ungeraden, charakterisiert
die eine das Unbestimmte, die F higkeit zum Bestimmt-Werden, und
die andere die F higkeit zu bestimmen, das Bestimmende. Die dritte Er-
kl rung Alexanders scheint nur eine Korrektur der zweiten (von Aspa-
sios) darzustellen. Wenn die gerade Zahl der Unbestimmtheit entspricht,
so weist sie die gleiche Eigenschaft wie die Materie auf; deswegen wird
man sagen m ssen, da die gerade Zahl ΰλη und πάθος ist. Auf den
Wert dieser beiden Erkl rungen braucht wohl nicht eingegangen zu wer-
den; sie ber cksichtigen den Gegensatz nicht, der bei Aristoteles zwi-
schen υλ,η einerseits, πάθη τε και έξεις andererseits hegt. Statt dessen
konstruieren sie willk rlich einen Gegensatz zwischen πάθος und Ιξι,ς
und versuchen, die Angaben ber das Gerade als άπειρον und das Un-
gerade als πεπερασμένον70 damit in Einklang zu bringen. Vom exege-
tischen K nnen des Aspasios gewinnen wir dadurch keine sehr g nstige
Vorstellung.
Das zweite Fragment aus Aspasios' Kommentar bezieht sich auf die
erste Definition des „Verschiedenen" m Metaphysik Δ 9: διάφορα
λέγεται 6σ! έτερα εστί το αυτό τι οντά, μη μόνον αριθμώ, αλλ' ή είδε ι
ή γένει ή αναλογία71. Alexander versteht diese Angaben folgender-
ma en: Verschieden sind Dinge, die nicht nur anders, sondern in ge-
wisser Hinsicht dasselbe sind; wie sie dasselbe sind, pr zisiert Aristo-
teles, indem er sagt, sie sollen nicht numerisch identisch72, sondern
entweder der Art oder der Gattung nach oder aufgrund einer sonstigen
hnlichkeit dieselben sein73. Aspasios verstand die Stelle anders. Dinge
sind verschieden, erkl rte er, wenn sie nicht nur numerisch anders sind,
sondern dar berhinaus eine gewisse Identit t miteinander aufweisen; das
blo e numerische Anderssein gen gt nicht, um die Verschiedenheit zu
definieren; hinzukommen mu eine spezifische, generische oder analo-
gische Gleichheit der verglichenen Dinge74. Das Satzglied μη μόνον
άριθμφ, αλλ' ή εϊΟει ή γένει ή αναλογία hat Aspasios offenbar gro e
Schwierigkeiten bereitet. An die M glichkeit, μη μόνον als μόνον μη* zu
deuten und auf diese Weise das ganze Satzglied als eine Pr zisierung zu
το αυτό τι οντά zu verstehen, hat er wohl nicht gedacht; μη μόνον . . ,
αλλά hat er als „nicht nur . . . sondern auch" gedeutet, Es schien ihm
aber unm glich anzunehmen, da Aristoteles sagen wollte, verschiedene
Dinge sollten nicht nur numerisch, sondern auch spezifisch, generisch
etc. dieselben sein; sobald Dinge numerisch dieselben sind, dachte er mit
Recht, kann zwischen ihnen keine Verschiedenheit mehr vorhanden
sein. Er griff also zu einer sprachlich h chst fragw rdigen Notl sung,
indem er μη μόνον αριθμώ zu ετέρα εστί und αλλ' ή ειδει κτλ. zu το
αυτό οντά zog. Inhaltlich mag die Interpretation des Aspasios durchaus
befriedigen; es ist jedoch nicht zu leugnen, da sie nur durch eine
u erst gewaltsame, ja beinahe unm gliche Konstruktion des berlie-
ferten Satzes gewonnen werden konnte. Zweifellos stellt Alexanders
Interpretation einen entscheidenden Fortschritt dar. Vielleicht darf in
diesem Zusammenhang daran erinnert werden, da f r andere Traktate
wie z.B. die Physik und vielleicht auch De sensu Aspasios einen stellen-
weise von der Vulgata abweichenden Text zur Verf gung hatte; diese
Abweichungen gingen wenigstens zum Teil auf die Bem hungen be-
sonders k hner Interpreten zur ck, den herk mmlichen Text zu nor-
malisieren und verst ndlicher zu machen. Das soeben dargelegte Beispiel
zeigt, wie eine auf den ersten Blick unklare Formulierung des Aristoteles
solchen angeblich verbessernden nderungen zum Opfer fallen konnte.
Aufgrund von Aspasios' Interpretation mu te die Versuchung nahe
liegen, den berlieferten Satz etwa folgenderma en zu erg nzen: διά-
φορα λέγεται οσ' έτερα εστί το αυτό τι οντά, και (vgl. cod. E und Alex.
75
Ibid. 58,31-59,6.
76
Ibid. 59,6-8.
77
Vgl, unten S. 511 mit Anm. 6 und P, Moraux, Eine Korrektur des Mittelplatonikers
Eudoros zum Text der Metaphysik des Aristoteles, in: Beitr ge zur Alten Geschichte
und deren Nachleben. Festschrift f r Franz Altheim, I 1969, 492-504.
78
Gauthier-Jolif, Arist. Eth. ä Nicom. I, 1958, S. 65*.
79
Der älteste wissenschaftliche Versuch, die Herkunft der einzelnen Bücher der über-
lieferten Kommentarsammlung zur EN näher zu bestimmen, wurde Anfang des
19. Jahrhunderts von Schleiermacher unternommen. Schleie r macher hatte die Hand-
schriften allerdings nicht eingesehen; er verfügte nur über die 1536 von P. Manutius
besorgte aldmische Ausgabe sowie über die zuerst in Venedig 1541 publizierte und
später mehrmals abgedruckte lateinische Übersetzung der Ethik cum cotnmentariis
Eustratii et aiioritm von J . B , Felicianus, Die ihm zugängliche Sammlung enthielt also
— mit oft falschen Zuweisungen — folgende Texte: I Eustratios; II—IV anonyme
Scholien; V Michael Ephesios; VI Eustratios; VII anonyme Scholien; VIII Aspasios;
IX—X Michael Ephesios. Den größeren Teil der erhaltenen Reste von Aspasios* Kom-
mentar kannte Schleiermacher nicht, obwohl Brandts ihn brieflich darauf aufmerksam
gemacht hatte, daß ein Teü des Kommentars von Aspasios zum 7. Buch existiere.
Trotz einzelner noch brauchbarer Beobachtungen sind Schleiermachers Schlußfolge-
rungen heute weitgehend überholt. (F. Schleiermacher, Über die griechischen Scho-
lien zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles, in; Abh. d. Berl. Akad, 1816/17,
hist.-phil. KL, 1819, 263-276, abgedruckt in den sämtlichen Werken III 2, 309-
321). Auszüge aus Aspasios' Kommentar wurden später von H. Hase (Class, Jour-
nal 28 [1826] 306-317; 29 {1827] 104-118) und von V. Rose (Hermes 5 [1871]
61 — 113) herausgegeben. Ferner untersuchte V. Rose die Zusammensetzung der ein-
zelnen Sammlungen so sorgfältig, daß G. Heylbut in den Praefationes seiner beiden
men. In beiden findet man die Kommentare des Eustratios (12. Jh.) zu
den Büchern I und VI, die des Michael Ephesios (wahrscheinlich 11. Jh.)
zu den Büchern V, IX und X80 und den des Aspasios zum Buch VIII.
Für die anderen Bücher ist die Situation etwas komplizierter. Eine Form
der Sammlung — wohl die ältere — wird dadurch gekennzeichnet, daß
sie anonyme Seholien zu II-IV, VII (in zwei Manuskripten auch zu V,
neben dem Kommentar des Michael) enthält81. Sie wurde wahrschein-
lich in der 2. Hälfte des 12. Jh. zusammengestellt. Roberto Grossatesta
übersetzte sie ins Lateinische um die Mitte des 13. Jh.82. Anstelle der
CAG-Bände (XIX l, 1889; XX, 1982} die Ergebnisse der Arbeit seines Vorgängers
einfach übernehmen konnte.
80
Eustratios zu I und VI und Michael zu IX und X, hrsg. von Heylbut CAG XX.
Michael zu V, hrsg. von Hayduck CAG XXII 3.
81
Herausgegeben von Heylbut CAG XX.
82
Nachdem G. Mercati, Fra i commentatori greet di Aristotele, in; Melanges d'Arcbeo-
logie et d'Histoire 35 (1915) 191-219, abgedruckt in: Opere Minori III, Cittä
del Vaticano 1937, 458-480 (= Studi e Testi 78) auf verschiedene Mängel in den Edi-
tionen der Ethik-Kommentare in den CAG hingewiesen hatte, verglich A. Pelzer, Les
versions latines des ouvrages de morale conserves sous le nom d'Aristote en usage au
siecle, in: Rev. Neosc. de Philos. 23 (1921) 316-341; 378-400 (bes.
386sqq.) den von Heylbut herausgegebenen griechischen Text des Aspasios mit der
um 1240 — 1243 von Roberto Grossatesta besorgten lateinischen Übersetzung von
Aspasios' achtem Buch, Er glaubte dabei festzustellen, daß Roberto Grossatesta über
einen längeren, vollständigeren Text des achten Buches verfügte, so daß mehrere
Lücken des griechischen Textes anhand der lateinischen Version ausgefüllt werden
könnten. Allerdings bemerkte er auch, daß Grossatesta gelegentlich eigene Erklärun-
gen und gelehrte Notizen in seine Vorlage einarbeitete und daß es infolgedessen nicht
immer möglich ist zu unterscheiden, was auf die vollständigere Vorlage zurückgeht
und was eigene Ergänzung Grossatestas ist. G. Heylbut, dem diese lateinische Über-
setzung nicht unbekannt war, schrieb dazu {CAG XIX l, Praef, VIII): versio ista la-
tma plemorem sane praebet hbrum octavum quam libn Graeci, ita tarnen mterpola-
tum, ut nil bonae frugjs inde ad Aspasiana recuperanda Kicremur. - Eine kritische
Ausgabe der lateinischen Übersetzung des achten Buches des Aspasios und des neun-
ten des Michael verdanken wir W. Stinissen, Aristoteles over de vriendschap. Bocken
VIII en IX van de Nicomachische Ethiek met de commemaren van Aspasius en
Michael in de Latijnse vertaJing van Grosseteste, Brüssel 1963 {= Verh, Klg. Acad.,
KI. d. Letteren 45). Leider ist der Herausgeber nicht auf das Problem des Verhält-
nisses dieser Übersetzung zur griechischen Vorlage eingegangen, und seine Ausgabe
hat keinen griechisch-lateinischen Apparat. Mein Schüler Ulrich Victor hatte die
Freundlichkeit, die sehr lückenhaften letzten Seiten des Aspasios mit der lateinischen
Übersetzung für mich zu vergleichen. Diese Untersuchung hat zu folgenden Ergeb-
nissen geführt: Bis zur Lücke in Aspasios 180,S ist die Übersetzung ein Spiegelbild
des griechischen Textes. Jede einzelne Partikel hat ihre genaue Entsprechung im La-
anonymen Scholien bietet eine wohl jüngere Form der Sammlung die
Kommentare des Aspasios zu II— IV, VII; sie enthält ferner seinen Kom-
mentar zu I, allerdings ohne den Anfang, hinter dem Kommentar des
Eustratios83. Wie diese zweite Form der Sammlung entstand, hat
V. Rose einleuchtend erklärt 84 . Der Urheber der ersten Sammlung hätte
sicher nicht die anonymen Scholien, sondern die Reste von Aspasios'
Kommentar in sein Corpus aufgenommen, wenn ihm mehr als Aspasios'
Buch VIII zugänglich gewesen wäre. Auch Eustratios scheint das Werk
des Aspasios nicht gekannt zu haben. Die Wiederentdeckung des Aspa-
sios (abgesehen von dem schon früher bekannten Buch VIII) muß also
im späten 13. oder im frühen 14. Jh. stattgefunden haben. In dieser Zeit
wurde ein sehr altes, stark verstümmeltes Exemplar des Aspasios aufge-
trieben. Was man davon noch entziffern konnte, wurde abgeschrieben
und in das Corpus der Kommentare zur Ethik eingefügt, zum Teil neben
ursprüngliche Bestandteile der Sammlung (Aspasios zu fand seinen
85
Der Schlußsatz des Kommentars zu EN VIII, -
, 186,29 zeigt, daß der Kommentar zu IX daran anschloß.
des Eustratios folgte und akephal war; man stellte sich daher vor, die
ganze Gruppe I—III sei ein Werk des Eustratios. F r Buch IV dagegen
war der Name des Aspasios als Verfasser fest bezeugt; dies bewirkte aber
einen anderen Irrtum; die anonymen Schollen zu IV wurden bisweilen
mit dem Namen des Aspasios versehen, wohl nur, weil dieser als der
Kommentator von IV galt. hnliches geschah auch f r das Buch VII; in
mindestens einem Manuskript und in der Aldina (1536) erscheinen die
sonst anonymen Scholien unter dem Namen des Aspasios.
86
Aspas,, EN 110,22-24.
87
Arist., EN III l, 1110 a 4 sqq.
sie jedoch naiv und l cherlich (εύήθως, γελοϊον)88. Bei genauerem Hin-
sehen erweist sich aber dieses negative Urteil als unbegr ndet89.
Ber cksichtigt man die soeben dargelegten Erkenntnisse, so erhebt
sich folgende Frage: Ist der relativ reine Aristotelismus des Aspasios
durch seinen bewu ten Willen zur Schulorthodoxie bedingt (wie sp ter
bei Alexander von Aphrodisias) oder l t er sich nicht wenigstens zum
Teil dadurch erkl ren, da der Interpret es f r seine Pflicht h lt, den
Text objektiv und neutral, also nur vom aristotelischen Standpunkt aus,
zu erl utern, ohne dabei seine eigenen berzeugungen zum Ausdruck
zu bringen? In diesem Zusammenhang soll auf unerwartete u erungen
des Kommentators hingewiesen werden, die — wenn sie aus der Feder
eines Aristotelikers kommen — seltsam anmuten. In seinen Er rterun-
gen zu den ersten Worten der EN hebt er hervor, da bei i h n e n (παρ'
αύτοίς) das Wort τέχνη eine dreifache Bedeutung hat; er referiert, wie
sie die τέχναι einteilen (οιαιροϋσι) und wie sie die ποιητική als τέχνη
im eigentlichen Sinne des Wortes zu nennen pflegen (καλεϊν είώθασι),
eine Benennung, die durch die Definition des Aristoteles best tigt wird?0.
Wer sind diese αυτοί, die Aspasios nicht n her bezeichnet? Trotz der
stoischen F rbung der einzelnen Definitionen, die Aspasios in diesem
Zusammenhang als m glich erw gt (όρίσαιτο δ' αν τις, ύπογράψειεν
αν τις), wird man kaum an Stoiker denken k nnen; da es um die Er-
kl rung eines aristotelischen Textes geht, mu das αυτοί vielmehr als
etwa „die Anh nger des Aristoteles" oder ,,die Peripatetiker" oder auch
„die fr heren Interpreten der Ethik" gedeutet werden. Wenn dem aber
so ist, so bedeutet es, da Aspasios sich selbst nicht zu den Mitgliedern
dieser Schule zu z hlen scheint. hnliche Formeln finden sich in den
Er rterungen ber die verschiedenen Bedeutungen des Wortes ούνα-
μις91. Hier scheint Aspasios mit παρ' αύτοϊς, λέγουσι, όνομάζουσι auf
eine innerperipatetische Diskussion hinzuweisen, die an Metaph. Δ 12
und hnliche Texte anschlie t; das geht unter anderem daraus hervor,
da Aspasios mitten in seiner Aufz hlung der Bedeutungen und parallel
zu den Ansichten der αυτοί eine besondere Verwendung des Wortes
δύναμις bei Aristoteles erw hnt 92 , Nur die Peripatetiker (genauer: die
88
Aspas,, EN 60, 12-18.
89
Ibid. 60, 18sqq.
*° Ibid. 2,16-3,2.
91
Ibid. 5,23-30,
91
Ibid. 5,27 Ονομάζει 0έ δυνάμεις και τα αγαθά κτλ.
M
Arist., EN I 3, 1096a 3.
94
Aspas., EN 10,29-32
95
Arist., ΕΝ Χ 15, 1154b 7.
96
Aspas., EN 156,14-16.
97
Ibid. 44,20sqq.
98
Ibid. 108,15-29.
9e
Die hier erw hnte Auffassung der μεγαλοψυχία ist die der Stoa. VgL SVF III Fr.
264sqq., S. 64,37; 65,10; 66,17 und 26; 67,28 und 41.
heit mit dessen Philosophie scheinen v llig unabh ngig von einer —
sagen wir offiziellen — Zugeh rigkeit zur Schule zu sein100.
100
P. L. Donini, Tre studi suH'Aristoteltsmo nel Π seclo d. C., 1974, 98-125 vergleicht
mehrere Ansichten des Aspasios mit denen von Platonikern wie Albinos und Plu-
tarch. Er kommt (dort 117) zu dem Schlu , da die bereinstimmungen und Par-
allelen mit den Mittelplatonikern so zahlreich sind, da die Bezeichnung des Aspasios
als Peripatetiker in Frage gestellt werden kann. Dort, wo er sich nicht durch den Text
des Aristoteles gebunden f hlt, erscheint er viel eher als Platoniker denn als Peripa-
tetiker. F r ihn ist die Kombination aristotelischer Elemente mit platonischen v llig
problemlos. Im Gegensatz zu Donini weist F. Becchi in verschiedenen Arbeiten auf
Einzelheiten hin, die seiner Meinung nach zeigen, da Plutarch und Aspasios auf
einer ganz anderen Linie stehen als der „synkretistische" Autor des Didaskahkos.
Die Ethik von Plutarch und Aspasios spiegele eine Entwicklung des Aristotelismus
wider, die bereits mit den MM einsetze und in der die Polemik gegen die Stoa aus-
schlaggebend gewesen sei. Im Didaskahkos dagegen zeichne sich die Ethik durch die
Aufnahme stoischer Elemente aus. Vgl. F. Becchi, Aristotelismo ed antistoicismo nel
De virtute morali di Plutarco, in: Prometheus l (1975) 160—180; Aristotelismo fun-
zionale nel ,De virtute moral? di Plutarco, ibid. 4 (1978) 261-275; Variazioni fun-
ZLonah nei Magna Moralia: La virt come impulso razionale al bene, ibid. 6 (1980)
201—226, dort bes. 220—226 ber Aspasios; Platonismo medio ed etica plutarchea,
ibid. 7 (1981) 125-145; 263-284.
101
Aspas., EN 73,2-4 δόξας /τέχνας in III 5, 1112 b 7. 75,11-13 βούλησιν / βούλευ-
σιν in HI 5, 1113al2. 142,15-28 und 143,6-10 άγαθόν/τφ άγαθφ in VII12,
1152b 9. 166,27-31 κατά πάθος γαρ ή δι' ήδονήν , . . τοις έρωτικοΐς / κατά πάθος
γαρ καΐ St' ήδονήν . . . της ερωτικής in VIII 3, 1156b 2-3. 367,29-33 ταύτη γαρ
όμοιοι / ταύτη δε ομοια in VIII 4, 1156b 22,
102
Op. cit. 151,6-19.
103
Op. cit. 151,19-24, Vgl. Arist., EN X 4, 1174b 33.
104
Die nach 151,25 im cod. N angegebene Lücke von etwa 6 Buchstaben ist sicher
mit ( ) auszufüllen; ein ähnlich lautender Verweis findet sich beim Anonymus
CAG XX 453,15.
105
Op. eh. 151,24-25.
Urteil auf alle drei kontroversen Bücher ausdehnte oder es auf die Ka-
pitel EN VII12—15 beschränkte, wissen wir allerdings nicht. Möglicher-
weise hatte er sich in dem verschollenen Teil seines Kommentars zu den
Büchern V—VII ausführlicher mit diesem Echtheitsproblem auseinan-
dergesetzt. Zu einer endgültigen Entscheidung scheint er sowieso nicht
gekommen zu sein, denn gleich, nachdem er das Indiz zugunsten der
Verfasserschaft Eudems formuliert hat, fügt er hinzu, daß die analysierte
Passage eine -Argumentation enthält, gleichgültig, ob sie nun
von Eudem oder von Aristoteles herrührt 106 .
Im Kommentar zu Buch VIII findet sich eine andere, für dieses
Problem interessante Bemerkung. Aristoteles spielt auf Denker an, die
nur eine einzige Art der Freundschaft annehmen; dabei stützen sie sich
auf den Umstand, daß die Freundschaft Unterschiede nach dem Mehr-
oder-Weniger aufweist. Das hält aber Aristoteles nicht für ein gültiges
Argument, denn Dinge, die der Art nach verschieden sind, können
ebenfalls Unterschiede nach dem Mehr-oder-Weniger aufweisen. Ari-
stoteles fügt dann hinzu: „Darüber ist vorher gesprochen worden107."
Auf welche Stelle der Stagirite damit zurückweisen will, hat Aspasios
nicht ermittelt. Deswegen stellt er die Vermutung auf, Aristoteles berufe
sich auf eine Äußerung, die sich ,,in den verlorengegangenen Teilen" (
) der befand108. Auf den Wert dieser Hypothese
und auf die in der Neuzeit oft angefochtene Echtheit des Rückverweises
im Ethik-Text braucht hier nicht eingegangen zu werden. Wichtig ist für
uns, daß Aspasios über den Ausfall von bestimmten Teilen der EN als
von einer bekannten, selbstverständlichen Tatsache spricht. Damit
dürfte er nichts anderes gemeint haben als die Lücke, die zwischen den
Büchern IV und VIII klafft, wenn man die Bücher V—VII der EE zu-
schreibt109.
Die eigentliche EE (ohne die kontroversen Bücher) hielt Aspasios für
eine Schrift des Eudemos selbst. Das geht nicht nur aus dem oben zi-
106
Op, cit. 151,25-27.
JOT
Arist., EN VIII 2, 1155b 13-16.
108
Aspas., EN 161,9-10.
IW
über die Hypothese des Aspasios vgl. unter anderen F. Schleiermacher, Abh. d.
Berl. Akad. 1816/17, bist.-phil. Kl. (1819) 272-273 = Werke III 2, 321. Zu den Äu-
ßerungen des Aspasios über die kontroversen Bücher vgh auch R. Bodeüs, Contri-
bution ä l'histoire des oeuvres morales d'Anstote: l es Testimonia, in: Rev, Philos, de
Louvain 71 (1973) 451-467, dort 452-453.
110
Aspas., EN 151,24-25.
111
Arist,, EN VIII 8, 1158b 8-11.
112
Ibid. VIII 8, 115Sb 11-14.
113
Aspas., EN 178,1-5.
114
Ibid. 178,5-13.
115
Arist. ι EE VII 4, 1239a 1-4. Im Kapitel VII 3 wird hervorgehoben, da έπι των δια
την χρήσιν φίλων και επί των δι" ήδονήν bald Gleichheit, bald berlegenheit herrscht
(1238b 32—34); die Erw hnung der θεού αρετή als Beispiel der berlegenheit (1238 b
18-19) und die der Liebe Gottes (]238b 27-28) zeigen, da der Verfasser auch in
der Tugend-Freundschaft an die M glichkeit eines Ungleichheits Verh ltnisses glaubt.
F, Wehrli, Eudemos von Rhodos 1955, 123 bemerkt mit Recht: „Wenn Eudemos f r
ethische Themen zitiert wird wie z.B. von Aspasios, In Echica Nicomachea VIII 8
(p. 1158bll) comment, p. 178,3 Heylbut, ist die Endemische Ethik gemeint."
Wir dürfen nicht vergessen, wie vorsichtig sich Aspasios über die
Herkunft der kontroversen Bücher 1 ' 16 äußert. Es überrascht daher nicht,
daß er in den erhaltenen Teilen seines Kommentars nicht zögert, Belege
und Erläuterungen aus diesen Büchern zu verwenden, ohne die Echt-
heitsfrage dabei anzuschneiden 117 . Im Grunde blieb für ihn die Frage
nach der Zugehörigkeit der kontroversen Bücher zur EE oder zur EN
doch sekundär; er klammerte sie völlig aus, wenn es galt, für seine exe-
getische Arbeit Parallelstellen zu gewinnen 118 .
Will man die philosophische Position des Aspasios etwas näher be-
stimmen, so kann man zunächst die Sympathien und Antipathien be-
rücksichtigen, die bei seinen Erwähnungen anderer Philosophen und an-
derer Schulen deutlich werden. Solche Äußerungen kommen bei ihm
leider verhältnismäßig selten vor. Die Pythagoreer betrachtet er in ge-
wisser Hinsicht als Vorläufer einiger Grundgedanken der aristotelischen
Ethik, Sie haben die Notwendigkeit erkannt, den Unterricht mit der
ethischen Ausbildung der Schüler anzufangen 119 ; sie haben ebenfalls er-
kannt, daß einer einzigen richtigen Handlungsweise jeweils mehrere
Möglichkeiten des fehlerhaften Handelns gegenüberstehen, was sie
dadurch zum Ausdruck brachten, daß sie das Gute dem Begrenzten, das
Schlechte dem Unbestimmten zuordneten 120 . Eine andere Nachricht
über die Pythagoreer ist leider lückenhaft überliefert und läßt sich daher
nicht mit Sicherheit interpretieren. Das Erhaltene zeigt, daß Aspasios
nach dem Beispiel des Aristoteles121 die pythagoreische Lehre vorn Gu-
116
Aspas., EN 151,25-27.
117
R. Hanquet, Aspasius 39sqq. zählt folgende Verweise oder Anspielungen auf: 160,
11 - V 10, 1134b 9-13; 178,22 ~ V tO, 1134a28; 141,26 - VI 8, 3141b25; 140,
31 - V! 13, 1144a27; 136,31 ~ VI 13, 1144b 2-3; 135,3 - VII 3, 1146a 31.
118
Nicht anders verfahren moderne Kritiker, die Aristoteles die EE absprechen. In sei-
ner Darstellung der aristotelischen Ethik beruft sich z. B. Brandts gelegentlich auf die
EE, obwohl er ihre Unechtheit für nachgewiesen hält.
119
Aspas., EN 2,10-11. Zu dieser Stelle vgl. P. L. Donini, Tre studi 116-117, der hier
die platonisierende Tendenz des Aspasios zu beobachten glaubt und auf Plut,, De
virt. mor. 3, 441 E verweist (ähnliche Angabe über das pythagoreische Erziehungs-
programm).
110
Ibid. 47,35-48,1.
121
Arist., EN 14, 1096b5-6.
ten und vom Einen h her sch tzte als die platonische Ideenlehre. Die
Anh nger der Ideenlehre nahmen auf Grund ihrer Verehrung f r das
Eine Ideen an, die wirklich seiend sind und ber dem Flu und der Viel-
heit des sinnlich Wahrnehmbaren stehen; dagegen haben sich die Pytha-
goreer damit begn gt, das Eine in die Reihe der αγαθά aufzunehmen,
ohne die Existenz ideeller Wesenheiten zu behaupten122.
Sokrates wird ebenfalls anerkennend zitiert. Er erscheint als Beispiel
eines Menschen, der ethische Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit
seinem eigenen Leben und dem seiner Angeh rigen vorgezogen hat123.
Er wird gelobt, weil er den Bem hungen um die Sittlichkeit den h ch-
sten Wert beigemessen hat124. F r seine Auffassung von der Tapferkeit
als einem Wissen125 interessiert sich Aspasios insofern, als er vorschl gt,
die diesbez glichen Angaben des platonischen Laches126 und die anderer
Sokratiker mit dem Hinweis des Aristoteles zu vergleichen127. Gegen die
aristotelische These, die είρωνεία sei ein Fehler, kann man nicht gelten
lassen, meint ferner Aspasios, da Sokrates durch diesen Charakterzug
gekennzeichnet sei. In Wirklichkeit sei er nicht etotov gewesen. Nur
seine zahlreichen Opfer wie Thrasymachos und Menon h tten ihn so be-
zeichnet, seine Freunde jedoch nicht. Wenn er sein Nichtwissen prokla-
mierte, habe er wohl nichts anderes beabsichtigt, als die menschliche
Weisheit mit der g ttlichen zu vergleichen, wie aus der Apologie128
hervorgehe129.
Wie Aspasios Piaton und den Platonismus beurteilte, l t sich nicht
so leicht feststellen. Die platonischen Dialoge werden selten herange-
zogen; die aristotelische Kritik an der platonischen Idee des Guten130
wird ganz objektiv und neutral erl utert, ohne da Aspasios selbst f r
122
Aspas., EN 13,3-18, Zu den beiden συστοιχίαι in 13,14—16 vgl, Arist,, Metaph,
A 5, 986 a 22-26. Aspasios hat allerdings das Gegensatzpaar αγαθόν - κακόν an die
erste Stelle ger ckt.
'" Ibid. 60,26-30.
m
Ibid. 2,6-9. P, L. Donini, Tre studi 115-116 h lt diese und andere Angaben des
Aspasios f r Korrekturen des herk mmlichen Sokrates-Bildes; sie seien im Zusam-
menhang mit dem Interesse des Mittelplatonismus f r Sokrates zu erkl ren.
115
Vgl. Arist., EN III 11, 1116b4-5.
126 Vgl. Plat., Laches 199 A-C.
m
Aspas., EN 84,23-27.
128
Hat., Apol. 21 D.
129
Aspas., EN 54,18-23; vgl. auch 124,17-18.
130
Arist., EN I 4, 1096a 17-1097a 13.
131
Aspas., EN 11,15-14,32,
132
Ibid. 26,28—27,4. Aspasios denkt offenbar an die ersten zwei Bücher der Nomoi, in
denen an den Beispielen Kretas und Spartas gezeigt wird, daß der gute Gesetzgeber
ein Erzieher seines Volkes sein will.
1H
Plat., Leg. I 636 D.
134
Aspas., EN 46,6-10.
s
" Arist., EN VIII 8, 1158b 11-19.
136
Aspas., EN 176,26 — 177,7. Die Diskussion darüber wird im Neuplatonismus weiter-
geführt. Theodor von Asine bringt neue Argurnente für die sokratische These und
lehnt die des Peripatos ab, Vgl. ProkL, In Plat. Remp. I, S, 251-257 KrolL VgL
auch Musonios ap. Stob, II 31, 123, S, 235,26sqq.
"' Aspas., EN 177,7-22.
138
Darüber P. Moraux, A la recherche de l'Aristote perdu, 1957, 24sqq., bes. 26
Anm. 22. Vgl. Plat., Pol. 258 E-259 C. Xert., Mem. Ill 4,12; 6,14.
139
Aspas., F.N 177,22—23 .
140
Aspas., EN 4,4-10; 99,4 - Plat., Theait. 176 B. Mit Recht macht F. Becchi, in:
Prometheus 7 (1981), bes. 281—282 darauf aufmerksam, da die όμοίωοις τω θεώ im
Platonismus das Telos des Weisen darstellt, w hrend es in der aristotelischen Per-
spektive eine Tendenz der ganzen Natur ist, Gott nachzuahmen,
141
R. Hanquet, Aspasius 81 sqq. Vgl. oben Anm. 100.
141
Die zwei Hauptgattungen der Affekte sind Lust und Schmerz: Aspas. 43,14 — Al-
binos, Didask. 185,37 Hermann. Teilung der Lustarten in k rperliche und seelische:
Aspas. 43,15 — Alb, 186,31, Mischung von Lust und Schmerz: Aspas. 43,33 ~ Alb.
186,32; 187,5. Das πάθος als Bewegung des παθητικόν μόριον der Seele: Aspas.
44,29 ~ Alb. 185,25. Die Strafe als Medizin; Aspas. 27,3 - Alb, 185,19-20. Span-
nung und Entspannung in der Schlechtigkeit: Aspas. 16,17 — Alb. 183,22. Ver hn-
lichung mit Gott: Aspas. 4,4-10; 99,4 - Alb. 153,7; 181,16 etc.
143
9,26 — 28: Unterscheidung zwischen den λόγοι, die von den φύσει άρχαί ausgehen,
und denjenigen, die auf die φύσει άρχαΕ hinf hren, also von den άρχαϊ ως προς
ημάς ausgehen, Vgl, Arist,, Phys. I I , 184a 16-21.
144
7,20—22: Aus notwendigen Vorders tzen ergibt sich ein notwendiger Schlu , aus
Vorders tzen ως έπι το πολύ ein Schlu ως Ιπί το πολύ. Vgl. Anal. Pr. I 12, 32a
12 — 14. 74,21—23; Eine Schlu folgerung mu letzten Endes auf evidente und ber-
zeugende Prinzipien zur ckgehen, um dem regressus ad mfinitum zu entgehen. Vgl.
Anal. Post. II 3, 90b 25-27. 20,15-22: Das δτι kann bisweilen syllogistisch nach-
gewiesen werden, Vgl. Anal. Post. I 13. 48,31—49,1: Rolle der Ursache in der Be-
weisf hrung und in deflatorischen Verfahren, Vgl. Anal. Post. II 10, 93b 29. !24,
13 — 14: In der Topik hat Aristoteles gesagt, da nicht die δυνάμεις, sondern die
προαιρέσεις bei schlechten Handlungen zu tadeln seien, Vgl. Top, IV 5, 126a 30—36,
145
Die Betrachtungen ber die Definition des τετραγωνισμός, 49,2—9, stammen z.B.
aus De an. II 2, 413 a 16-20.
146
156,16sqq.: Theophrast εν ήθικοίς gegen Anaxagoras, Der Text scheint l ckenhaft
zu sein; was als Theophrast-Zitat eingeleitet wird, ist in Wirklichkeit eine Paraphrase
des Aristoteles-Textes 1154b 13—15. Diets (vgl. Apparat von Heylbut ad. loc.) er-
g nzte (ως) Θεόφραστος, M.C.M. Mulvany, in: The Class. Rev. 33 (1919) 18-19
vermutet, da das eigentliche Theophrast-Zitat ausgefallen ist. Vgl. auch Gauthier-
Jolif Ι 6Γ:' und Anm.158. 133,13—14: „Wer, wie Theophrast sagt, Ambrosia ge-
kostet hat und sie danach begehrt, verdient keine Vorw rfe." Diese Aussage stand
allem Anschein nach in Ausf hrungen ber Lust, Begierde und Unbeherrschtheit.
178,3 — 13: Theophrasts und Eudems Ansicht ber die Formen der Uberlegenheits-
freundschaft. Vgl, oben S. 260.
147
Aspas., EN 44,20sqq. Vgl. unten S. 283.
Schrift zu sprechen kommt, macht er sich so gut wie nie die Mühe, die
Urheber dieser Urteile namentlich zu nennen; er verrät nicht einmal,
welcher Schule sie angehörten, so daß seine inhaltlich doch wertvollen
Zeugnisse sich weder nach Zeiten noch nach Schulen einordnen lassen.
In mehreren Fällen kann man nicht einmal sagen, ob die von Aspasios
referierten Meinungen aus Schriften über die EN stammen oder ob
Aspasios es ist, der einen Vergleich zwischen Äußerungen des Aristo-
teles und anderen, ganz unabhängig von der EN entstandenen Thesen
angestellt hat. Dennoch scheint aus einigen Indizien hervorzugehen, daß
ihm eine Schrift bekannt war, die eine gegen die EN gerichtete Kritik
enthielt. Hier und dort weist er nämlich auf Vorwürfe hin, die nur aus
einer Art von polemischem Kommentar oder aus einer Streitschrift
stammen können. Die Erörterungen über den Beitrag der guten Ab-
stammung, der guten Nachkommenschaft und der körperlichen Schön-
heit zur Glückseligkeit148 wurden von einigen Interpreten für besonders
schwach gehalten149. Man warf Aristoteles vor, die Ironie für einen Feh-
ler gehalten zu haben150, obwohl Sokrates diese Eigenschaft besaß151.
Einige Züge in der Schilderung des Hochgesinnten wurden heftig ge-
tadelt. Wie konnte Aristoteles behaupten, der Hochgesinnte sei der
rechte Mann, um Wohltaten zu erweisen, schäme sich dagegen, solche
zu empfangen 152 ? Ein rechtschaffener Mensch soll sich doch nicht nur
durch seine Fähigkeit, anderen zu helfen, auszeichnen, sondern auch
durch seine Bereitschaft, die Hilfe der anderen anzunehmen. Dies mag
richtig sein, erwidert Aspasios, der Vorwurf zeigt jedoch, daß die In-
tentionen des Aristoteles verkannt wurden. Aristoteles wollte zu ver-
stehen geben, daß die Größe des Hochgesinnten in seiner Überlegenheit
liegt und daß die Annahme einer fremden Hilfe diese Überlegenheit auf-
zuheben scheint153. Starken Anstoß nahm man auch an einem anderen
Charakterzug des Hochgesinnten. Dieser erinnert sich an die
Wohltaten, die er anderen erwiesen hat, diejenigen aber, die er von an-
deren empfangen hat, vergißt er154. Damit aber verstoße er gegen das
Gebot der Dankbarkeit, die die Haltung eines rechtschaffenen Men-
148
Arist., EN IV 9, 1099b 2sqq.
149
Aspas., EN 24,24-27. Vgl. unten S. 278.
150
Arist., EN II 7, 1108a 22.
151
Aspas., EN 54,18-19.
1H
Arist., EN IV 8, H24b 9.
153
Aspas., EN 112,32-113,8.
ISi
Arist., EN IV 8, 1124b 12-13.
155
Aspas., EN 113,9-12.
156
Ibid. 113,12-16.
157
Darüber R. Hanquet, Aspasius 78—81,
lse
Aspas., EN 24,1-7; 24,24-25,7.
15e
Ibid, 44,12-19.
IM
Ibid. 45,16-46,6.
161
Ibid. 100,34-101,5. P. L. Donini, Tre studi beia i sich in seinem zweiten Kapitel (II
platonismo medio e l'interpretaz.ione deil'etica aristotelica) ausf hrlich mit der Kritik
der stoischen Affektlehre und des Ideals der απάθεια bei den Mitteiplatonikern und
Aspasios.
n her zu bestimmen, so wird man sich nur selten auf deutliche Stellung-
nahmen des Kommentators st tzen k nnen; man wird vielmehr von
seiner Vorliebe f r bestimmte Themen und bestimmte Probleme ausgehen
m ssen. Ein selbst ndiger, konstruktiver Denker ist er wohl nicht ge-
wesen, in seinem Ethik-Kommentar wenigstens wollte er es auch nicht
sein. Immerhin gibt es Fragenkomplexe, an denen er offensichtlich mehr
interessiert ist als an anderen, und dies d rfte schon etwas Licht auf seine
Pers nlichkeit als Philosoph werfen.
e) Philosophischer Standort
tigt diese Ansicht. Die Aus bung praktischer T tigkeiten ist dadurch
bedingt, da wir einen K rper haben; w rden wir ohne K rper exi-
stieren, so ben tigten wir keine andere Bet tigung als die Kontempla-
tion. In Wirklichkeit aber zwingen uns unsere durch den K rper be-
dingten Lust- und Schmerzgef hle dazu, Enthaltsamkeit, Selbstbeherr-
schung und hnliche Tugenden zu pflegen. Gott, der von k rperlichen
das Menschliche erforschen sollte, weil der Mensch nur ein Teil des Alls sei und dieses
den Vorzug vor jenem habe. Attikos ap. Eus,, P.E. XI 2,1 erw hnt zwar die Be-
standteile der platonischen Philosophie in der Folge Ethik, Physik, Logik, geht jedoch
nicht auf ihre Rangordnung ein. Viel pr ziser ist dagegen das Zeugnis des Albinos,
Didask. 2, 152,25-153,20 H. Das theoretische Leben ist τίμιος, das praktische ist
αναγκαίος; in seiner Eigenschaft als προς το θείον όμοίωσις hat das theoretische den
Vorrang; das praktische setzt die Mitwirkung des Leibes voraus und ist daher minder-
wertig. Auf die Verwandtschaft dieser Ansicht mit der des Aspasios hat schon Hanquet
95—99 hingewiesen. Auch P, L. Donini, Tre studi 98 sqq. weist auf Parallelen mit Al-
binos und Plutarch hin. Er meint, da Aspasios sehr stark vom Mittelplatonismus
beeinflu t wurde, nicht etwa weil er eine mittelplatonische Quelle benutzte, sondern
vielmehr weil der Mittelplatonismus der N hrboden f r seine eigen Aristoteles-Inter-
pretation gewesen ist. Dieser Ansicht kann man allerdings nur mit einigen Reserven
zustimmen. Manche der angeblich mittelplatonischen Lehrmeinungen, die Donini bei
Aspasios entdeckt, k nnen n mlich durchaus vom Aristotelismus abgeleitet worden
sein; die bernahme peripatetischer Elemente bei Albinos und in Plutarchs De virt.
mor. ist zweifellos wichtiger als die platonischen Momente m Aspasios' Kommentar zu
Aristoteles, Nicht alles, was bei Albinos und Plutarch vorkommt, darf eo ipso als „pla-
tonisch" angesprochen werden. In seiner systematischen Anordnung des plotinischen
Nachlasses gruppierte Porphyrios die ethischen Abhandlungen in der ersten Enneas
(Vit, Plot. 24). Bei den Aristoteles-Kommentatoren unterstreicht Ammonios, Cat, 5,
31—6,8 und 6,21—24 die Notwendigkeit einer ethischen Vorbereitung auf das Stu-
dium der Philosophie, auch wenn dieses mit der Logik beginnen soli. Philop., Cat.
5,23-33 berichtet, da einige Denker den Philosophie-Unterricht mit der Ethik be-
ginnen lassen; sie gehen u. a. davon aus, da die Vernunft in der Aus bung ihrer
T tigkeit nicht von den Affekten gehindert werden sollte; dieser Ansicht schlie t sich
Philoponos an. Simpl., Cat. 5,16—23 referiert ein Argument derjenigen, die mit der
Ethik anfangen: Um sich der Instrumente (d. h, der Logik) richtig zu bedienen,
m sse man die richtige ethische Einstellung mitbringen. Er selbst (5,23—6,5) spricht
sich f r die Reihenfolge Logik, Ethik, Theorie aus, Oiymp., Cat. 8,32—37 gibt eben-
falls eine Argumentation f r die Ethik als erste Disziplin, entscheidet sich aber (9,
5—13) f r die Reihenfolge Logik, Ethik, Physik, Mathematik, Theologie, eine Rei-
henfolge, die auch bei Marin., Vita Procli XIII und Syrian., Metaph. 80,4—7 vor-
kommt. EHas, Cat. 117,24 — 118,8 weist darauf hin, da die Platoniker, die die Ethik
als erste Disziplin behandelten, sich unter anderem auf Phaidon 67 B und Nomoi
689 D beriefen, — ber die Stellung der Ethik vgl. auch K. Praechter, Beziehungen
zur Antike in Theodoros Prodromes' Rede auf Isaak Kommenos, in: B. Z. 19
(1910) 323.
σύνθετος εκ των θεωρητικών και πρακτικών και ηθικών (τρία γαρ υποτίθεται
γένη), ην αν εϊποις άρετην κατά σύνθεσιν. Vgl. Arist., ΕΕ II l, 1219a 36-37 έΌτι
ζωή καΐ τελέα και ατελής, και αρετή ωσαύτως (ή μεν γαρ δλη, ή δε μόριον). Die
Summe aller Tugenden bzw. die Tugend, die alle brigen in sich umfa t und daher
vollkommen ist, wird bald als καλοκαγαθία (EE VIII 3, 1248b 8-1249a 16. Areios
Did. ap. Stob. II 7, 25, S. 347,22-25; auch II 7, 18, S. 131,H-2S), bald als δικαιο-
σύνη bezeichnet (EN V 3, 1129b 25-33. Areios Did. ap. Stob. II 7, 18, S. 131,
14—18), Andererseits ist jede einzelne Tugend vollkommen, wenn sie nicht nur eine
angeborene oder durch bung erworbene Qualit t ist, sondern sich bewu t nach der
φρόνησις richtet. Durch den λόγος bzw. die φρόνησις bzw. die προαίρεοις wird die
φυσική αρετή zur τελεία, κυρία αρετή. Vgl. EE III 7, 1234a 24-30; EN VI 13,
1144b 1-17; MM II 3, 1199b 36-1200a 5. hnlich Aspas., EN 40,8-15. Areios
Did. ap. Stob. II 7, 3g, S. 51,5-6 (zweite Bedeutung von τελεία αρετή) . , , f) εκ
των οικείων δυνάμεων συμπεπληρωμένη, φύσεως, λόγου, εθους, Albinos, Didask.
39, 15-33. Anon. Komm. z. Theaetet 9,40-10,1. ApuL, De Plat. I I 6 , S. 180,
16—20 Thomas. Im Zusammenhang mit dieser Unterscheidung wird oft die Frage
aufgeworfen, ob die Tugenden sich gegenseitig implizieren (άντακολουθία. Die
Fragestellung erscheint als akademisch-peripatetisches Gegenst ck zur ber hmten stoi-
schen These), Sie wird meistens dahingehend beantwortet, da die τέλειοι άρεταί
notwendigerweise miteinander verbunden sind, w hrend die ατελείς unabh ngig
voneinander vorkommen k nnen, VgL Areios Did, ap. Stob. II 7, 21, S. 142,6—33
(dazu oben Bd. I 385 — 386). Anon. Komm. z. Theaetet 11,12—22. Albinos, Didask.
182,37-183,14, Alex. Aphrod., De an. mant. 153,28-156,27; Quaest. IV 22.
Apul. a.a.O. Diese Antwort d rfte auf die These des Aristoteles zur ckgehen, da
die φρόνησις alle brigen Tugenden bedingt und ohne sie nicht vollst ndig ist; wo
die φρόνησις da ist, sind auch die anderen Tugenden vorhanden (EN VI 13,
1144b 30-32; 1145a 1-2; MM II 3, 1200a 8-11). Wenn Aspasios auf den Unter-
schied zwischen vollkommenen und unvollkommenen Tugenden anspielt, so bedeu-
tet das keineswegs, da ,,eme mittelplatonische Lehre . . . ihm bekannt ist" (wie
P. L. Donini, Tre studi 119—120 schreibt), sondern lediglich, da diese Fragen da-
mals sowohl bei den Akademikern als auch bei den Peripatetikern er rtert wurden.
Was die άντακολουθία angeht, so l t sich die Stellungnahme des Aspasios schwer
pr zisieren, ,,Es kann sein," schreibt er, „da der Tapfere Taten der M igung voll-
bringt, jedoch nicht in seiner Eigenschaft als Tapferer, sondern als Gem igter. Wer
im Besitz der vollkommenen Tugend ist, wird alle tugendhaften Taten vollbringen,
allerdings so, da er die Taten jeder einzelnen Tugend gem dieser Tugend selbst
vollbringt . . . Per accidens wird n mlich der Tapfere bisweilen auch Gerechtes tun,
jedoch nicht qua Tapferer, sondern weil es sich eben so trifft (συμβέβηκε), da der
Tapfere auch ein Gerechter ist. Denn einige Tugenden implizieren sich gegenseitig."
(Aspas., EN 80,9—14). Wie soll man die Einschr nkung verstehen, da das άντακο-
λουθεϊν sich nur auf einige Tugenden bezieht? Vielleicht so, da die τελεία αρετή
(als Summe aller Teiltugenden) alle tugendhaften Taten vollbringen kann, w hrend
die sowohl praktischer als auch theoretischer Natur ist, dennoch das Ziel
der Politik darstellt; die Politik macht es n mlich den besten unter den
B rgern zur Aufgabe, sich der Kontemplation zu widmen. Dann wird
man aber einwenden, da die Politik, die solche Befehle erteilt, h her
stehen mu als die theoretischen Wissenschaften, die diese Befehle er-
halten. Diesen Einwand hat aber Aristoteles entkr ftet, indem er be-
merkte, da eine untergeordnete Wissenschaft durchaus Anweisungen
geben kann, die sich auf h here Wesen beziehen. Die Politik befiehlt
z.B., den G ttern Tempel zu errichten und die G tter zu ehren, ohne
da sie deswegen den G ttern bergeordnet ist. In hnlicher Weise kann
sie Befehle im Hinblick auf die theoretische Weisheit (σοφία) erteilen,
obwohl diese g ttlicher und wertvoller ist als sie167. Obwohl er mehrere
M glichkeiten offen l t, um das gegenseitige Verh ltnis der beiden
Ideale der Praxis und der Theorie zu erkl ren, zweifelt Aspasios nicht
daran, da die Eud monie eine doppelte Form annimmt: die eine, die
auch die bessere ist, ergibt sich aus der philosophischen Bet tigung
(κατά σοφίαν ενέργεια, κατά θεωρίαν ευδαιμονία), die andere, die zu-
gleich die geringere ist, ist das Ziel des praktischen Handelns (το πρακ-
τον τέλος). Auf diesen letzteren Aspekt geht Aristoteles im ersten Buch
der Ethik ein; mit dem ersteren wird er sich sp ter168 befassen169.
Die Auffassung der θεωρία bei Aspasios weist trotz ihres Anschlus-
ses an Aristoteles einen stark platonischen Aspekt auf. Das ,,kontem-
plative*! Leben erscheint n mlich kaum als den Wissenschaften wie Phy-
sik, Mathematik und Ontologie gewidmet; es ist vielmehr und fast aus-
nur einige der Teihugenden andere Teiltugenden nach sich ziehen, der aber auch so
(vgl. P. L. Donini, Tre suidi 120), da mit έλααι των αρετών nur die τέλειοι άρεταί
im Gegensatz zu den ατελείς gemeint sind. Bei Donin vermi t man allerdings eine
saubere Unterscheidung zwischen τελεία αρετή als Summe der Einzeltugenden und
τέλειοι, άρεταί als vollst ndige Teiltugenden im Gegensatz zu den guten Anlagen,
167
Aspas,, EN 8,17-9,2. Vgl, Arist,, EN VI 13, 1145a 6-11.
168
Arist., EN X 7. In X 8 hebt Aristoteles hervor, da das Leben κατά την Αλλην
άρετήν den zweiten Rang innehat.
it>9
Aspas., EN 23,22—29. Das hier angeschnittene Problem wurde sp ter zu'einem locus
classicus des Aristotelismus. Simpl., Cat. 6,6—15 meint z,B,, da die aristotelische
Philosophie ein doppeltes Ziel (τέλος) habe, und zwar im Hinblick auf den Charakter
(ήθος) die Vervollkommnung durch die Tugenden, im Hinblick auf die Erkenntnis
das Emporsteigen bis zur h chsten Ursache aller Dinge. Gemeinsames Ziel der bei-
den sei die vollkommenste Eud monie, deren Besitzer beinahe kein Mensch mehr,
sondern schon ein Gott sei. Andere Neuplatoniker sehen jedoch nur in der Erkennt-
nis der ersten Ursache das Ziel der aristotelischen Philosophie.
schlie lich auf die Betrachtung des bernat rlichen, des G ttlichen hin
orientiert, Neben den „Sch pfungen der Natur", die gelegentlich als
ihre Objekte genannt werden, befassen sich die σοφία und die θεωρία
mit „Wesenheiten", die viel erhabener und wertvoller sind als die
Sch pfungen der Natur 170 . Das Gute, das alle Wesen anstreben, weil
ihre Naturanlagen sie dazu f hren, ist die erste, h chste Ursache, die es
nach M glichkeit nachzuahmen gut, um die eigene Vervollkommnung
zu erzielen171, Die Lebewesen, und ganz besonders die vernunftbegab-
ten, haben in sich etwas G ttliches, dessen eigene, unbehinderte T tig-
keit die h chste, allerbeste Form der Lust mit sich bringt. Diese Lust
empfindet die menschliche Seele, wenn sie die sch nsten und g ttlich-
sten Wesenheiten betrachtet 172 . Da die Aus bung der theoretischen
Weisheit nicht, wie etwa die der ethischen Tugenden, eine richtige Mitte
zwischen zwei fehlerhaften Extremen darstellt und daher keine fehler-
hafte bertreibung zul t, kann auch die mit ihr verbundene Lust nie-
mals zu unerlaubten Exzessen f hren; wenn man sie bt, verfehlt sie nie-
mals das Sch ne und Gute173.
Die Ver hnlichung des Menschen mit Gott ist jedoch nur bis zu
einem gewissen Grade m glich: Gott hat keinen K rper, kennt daher
keine k rperhaften Lust- und Schmerzgef hle174 und braucht infolge-
dessen keine Tugenden wie M igung, Selbstbeherrschung und derar-
tiges. Wenn man Gott ethische Eigenschaften zusprechen kann, so sind
diese ganz verschieden von den menschlichen. Menschliche Gerechtig-
keit ist z.B. n tig, weil die Menschen einander ungerecht behandeln und
eigenn tzig sind. Gottes Gerechtigkeit ist dagegen nicht seinet-, sondern
der Menschen wegen da, bei denen es gilt, ungerechte Verh ltnisse zu
berichtigen175. Weder die Eudamonie Gottes noch seine „Tugend" lassen
sich also mit den menschlichen Entsprechungen vergleichen176.
170
Aspas., EN l, 8-11. P. L. Donini, Tre studi 106-109 weist eine hnliche Auffas-
sung der σοφία bei Plut., De virt. mor, 5, 443 E—444 A nach.
171
Ibid. 4, 4—10 (Reminiszenz an das platonische όμοιοϋσθαι, τω θεώ, Vgl. jedoch oben
S. 265 und Anm. 140).
m
Ibid. 153,7-11.
173
Ibid. 154,9-17.
174
Vgl. Pkt., Phileb. 32 D-33 B.
!7S
Aspas., EN l, 14—2,4. In 2,4 ist das Wort θεωρητική wahrscheinlich korrupt. Von
einer „theoretischen" Gerechtigkeit Gottes h ren wir sonst nirgends, und wir k n-
nen uns nicht vorstellen, was damit gemeint ist. Ich schlage vor, δίορβωτικπ zu
schreiben. Aspasios meint wohl, da die Menschen die Gerechtigkeit brauchen, weil
sie selbst ungerecht sind. Bei Gott ist dies nat rlich nicht der Fall. Gott ist eher
einem Richter hnlich, der ein gerechtes Verh ltnis zwischen dem Unrecht Leidenden
und dem Unrecht Tuenden wiederherstellt. P. L, Donint, Tre studi 112, der den
berlieferten Text nicht korrigiert, gibt zu, da „mancano parallel! in Aristotele;
anzi, mancano parallel! in assoluto, e l'idea di una-,giustizia teoretica1 della divinit
verso gli uomini rimana, a nostra notizia, isolata nella filosofia antica". In diesem
Zusammenhang hebt Donini (112—114) hervor, da Aspasios1 Auffassung der g tt-
lichen Vorsehung platonische Z ge auf weist. Sein Gott sei ein anderer als der nur mit
der Betrachtung seiner selbst besch ftigte Weltbeweger; er sei n mlich sch n und gut,
be die sch nsten T tigkeiten aus, betrachte ,,das Seiende (τα Οντα), wie es ist," und
bewahre das Weltall in seinem gegenw rtigen Zustand (Aspas,, EN 30,10-11), Wir
sollen uns allerdings daran erinnern, da es bei Aristoteles selbst nicht an u erun-
gen fehlt, die - wohl im Einklang mit landl ufigen Auffassungen - auf das wohl-
wollende Interesse der G tter f r die Menschen anspielen. Ferner war es bei den
Peripatetikern schon l ngst blich, die Bewegungst tigkeit Gottes mit seiner Vor-
sehung zu identifizieren (in diesem Sinne auch Aspas., EN 71,16-31). Da Ari-
stoteles seinen Gott f r καλός und αγαθός hielt, lie sich ohne weiteres von Metaph.
Λ 7, 1072a 26—b 4 ableiten; das war aiso nicht, wie Donini 114 schreibt, „inconcepi-
bile in un aristotelismo rigoroso". Da er die sch nste T tigkeit aus bt, ergibt sich
aus I072b 15-30. Auf den ersten Blick l t sich allerdings die Formel, da die
G tter θεωροΰσι τα όντα ως έχει» schwerlich mit den Ausf hrungen des Aristoteles
in Metaph. Λ 9, 1074 b 29—35 vereinbaren. Dagegen k nnte man aber anf hren, Ari-
stoteles deute in Metaph. A 2, 983 a 5—10 an, da Gott das h chste universale Wis-
sen besitzt. Andererseits war es zu Aspasios' Zeiten nicht un blich, das Selbstdenken
Gottes mit dem Erfassen aller νοητά, die ja νοήσεις του θεοϋ seien, zu identifizieren.
Vgl. dar ber A. Schmekel, Philos. mittl. Stoa, 1892, 431-432. R. M. Jones,
The ideas as the thoughts of God, in: Class. Philol. 21 (1921) 317-327. W. Theiler,
Vorber. d. Neuplat., 1930, 15-19; 30-31; 40, A. N.M. Rich, The platonic ideas as
the thoughts of God, in: Mnemos. 7 (1954) 123-133. Vgl. unten S. 461 mit Anm. 94.
Die Ausf hrungen von Albinos, Didask. 164,22—27, die zweifellos aristotelisches
Gedankengut wiedergeben, zeigen, da die Auffassung der νοητά als νοήματα θεοίι
auch m der Aristoteles-Interpretation anzutreffen war.
176
Aspas., EN 30,34-35; 34,23-24. Vgl, dazu P. L. Donini, Tre studi 118-119, Das
Thema der Ver hn ichung mit Gott erscheint bei Platon (Resp. II 383 C; VI 500
C-D; 501 B-C; X 613 A; Theait. 176 B-177 A; Tim, 90 D; Leg. IV 716 B-D).
Zur Gott hnlichkeit in der fr heren Literatur vgl. D. Roioff, Gott hnlichkeit, Ver-
g ttlichung und Erh hung zu seligem Leben. Untersuchungen zur Herkunft der pla-
tonischen Angleichung an Gott, Berlin 1969. Zur Ver hnlichung mit Gott in der
nachplatonischen Tradition vgl. H. Merki, ,,ΟΜΟΙΩΣΙΣ ΘΕΩ". Von der platoni-
schen Angleichung an Gott zur Gott hnlichkeit bei Gregor von Nyssa, Diss, Frei-
burg/Schweiz 1952, bes. 7-44. Vgl. auch K. Praechter, in: GGA 11 (1906) 904
Anm. 2. C. Moreschini, Studi sul De dogmate Platonis di Apuleio, 1966, 95—99,
Mehrere Neuplatoniker, die, wie auch Aspasios, zwischen praktisch-politischen und
theoretischen Tugenden unterscheiden, sind der Meinung, da die ersten die Metrio-
bensziel und schiebt die Behandlung der Eud monie in ihrer Verbindung
mit der Kontemplation auf 177 . Wenn er in diesem Buch das Problem
auf wirf t, welchen Beitrag die u eren G ter zur Eud monie liefern, so
fragt er also offensichtlich nur, inwieweit die Entfaltung der ethischen
Tugenden und die daraus entstehende Gl ckseligkeit durch das Vor-
handensein bestimmter, nicht seelischer Faktoren beeinflu t werden
kann, Da dieses Problem in der peripatetischen Schule schon l ngst
zum traditionellen Gedankengut geh rte und zu polemischen Ausein-
andersetzungen mit anderen Sch lern, insbesondere mit der Stoa, ge-
f hrt hatte, ist allgemein bekannt und braucht hier nicht noch einmal
dargelegt zu werden. Wie erwartet, nimmt Aspasios nat rlich Stellung
gegen die Stoa (ohne sie ausdr cklich zu nennen) und bem ht sich nach-
zuweisen, da sowohl die eigentlich u eren G ter als auch die des K r-
pers f r die Verwirklichung der Eud monie von gro er Bedeutung
pathie bezwecken, die Ver hnlichung mit Gott aber Aufgabe der theoretischen
Tugend ist und v llige Apathie voraussetzt (H. Merki 25sqq.). Der Mittelplatoniker
Albinos betrachtet die όμοίωσις θεώ als das gemeinsame Ziel des theoretischen und
des praktischen Lebens (Eisag. 151,2—4), h lt es jedoch f r ausgeschlossen, da eine
Ver hnlichung mit dem θεός ΐιπερουράνίος m glich sei; dieser besitze n mlich keine
αρετή, er sei besser als die αρετή (Didask. 181,36sqq.). Jahrhunderte sp ter wird
Michael Ephesios erkl ren, da Platon an eine αρετή θεοΰ glaubte (was auf Resp.
X 613 A zur ckgehen d rfte), w hrend Aristoteles sich ber diesen Punkt sehr skep-
tisch u erte; da es n mlich die Aufgabe der Tugend sei, die Affekte zu m igen und
zu ordnen, w rden die G tter, falls sie die Tugend bes en, auch Affekte haben, und
dies sei v llig undenkbar (Mich. Eph., EN 66,4-9). In der EN (VII l, !145a 26)
lesen wir tats chlich, da Gott keine αρετή hat und h her steht als jede Tugend. In der
EE ist aber von der θεοΰ αρετή die Rede (VII 3, 1238b 18. Mit Recht bemerkt
F. Dirlrneier in seinem Kommentar zur EE 412, da das Wort αρετή nicht athetiert
werden kann). Mit dieser αρετή Gottes ist allerdings nicht die ethische Tugend ge-
meint; es w re l cherlich anzunehmen, da die G tter ein aktives Leben f hren, ge-
recht, tapfer, freigebig, enthaltsam u. dgl. sind; ihre einzige T tigkeit ist die θεωρία
(EN X 8, 1178b 8-22. Vgl. auch MM II 5, 1200b 13-16: Gott ist besser als die
Tugend; seine Rechtschaffenheit beruht nicht auf der Tugend), Im Abri der peri-
patetischen Ethik von Areios Didymos wird ausdr cklich gesagt, da die Eud monie
Gottes nicht die gleiche ist wie die des Menschen (Areios ap. Stob, II 7, 18, S, 332,
2l. Vgl, dazu H. v. Arnim, Abri 33sqq.). Die Formel des Aspasios 30,34-35 er-
innert stark an Areios. Bei Sextus Empincus spielt die Frage nach der Tugend Gottes
eine bedeutsame Rolle in den Argumenten gegen die Existenz Gottes. Wenn Gott
existiert, mu er ein Lebewesen sein und alle Tugenden besitzen. Von vielen dieser
Tugenden l t sich aber beweisen, da Gott sie nicht besitzen kann. Daraus geht her-
vor, da Gott nicht existiert (Adv. math. IX 152-177).
177
Aspas., EN 23,26-29.
"a Ibid. 23,31-25,17. Der Text ist leider Jn 23,52-24,1 heillos verderbt. Aspasios er-
klärt vermutlich, daß Aristoteles unter dem allgemeinen Ausdruck in
1099a 3i sowohl die Güter des Leibes als auch die äußeren Güter im eigentlichen
Sinne verstand,
179
Ibid. 24,1-2.
190
Arise,, EN I 9, 109952-6.
181
Aspas., EN 24,24.
182
Ibid. 24,3-9,
183
Ibid. 24,9-23.
die genannten Übel als Hindernisse auf dem Wege zu seiner Glückselig-
keit, vor allem, wenn sie alle in einem Menschen vereinigt sind. Der
Glückselige ist derjenige, bei dem die Gunst des Schicksals ( ) zu
184
der Tugend hinzukommt .
Das Verhältnis der ethischen Tugenden zu den Affekten und zu den
Lust- und Schmerzgefühlen erscheint Aspasios als recht problematisch
und wird von ihm ausführlich, obwohl nicht immer mit der erwünschten
Klarheit, behandelt. Aus seinen Ausführungen darüber geht deutlich
hervor, daß diese Fragen bereits früher m der peripatetischen Spekula-
tion und in den Auseinandersetzungen mit anderen Schulen mehrfach
erörtert worden waren. Der lange Exkurs, den er diesem Fragenkomplex
widmet185, weist einige Unebenheiten und Lücken im Gedankengang
auf; der Verfasser scheint eine vollständigere Quelle nur auszugsweise
wiederzugeben, und weiter läßt er, wie er selbst zugibt, mehrere Neben-
184
Ibid. 24,24-25,32; über die , die den Tugendhaften zwar nicht -
machen, seine jedoch erschüttern, vgl. auch 30,5—9.
185
Ibid. 42,13—47,2. Dieser lange Exkurs ist trefflich analysiert worden von O. Schis-
sel-Fleschenberg, Die Aporie des Aspasios: Inwieferne wird von jedem Affekte Lust
oder Schmerz prädiziert? in: Arch. f. Phüos,, Abt. 2: Arch. i. systernat. Philos.,
N. F. 28 B (1924) 64—72, Die angekündigte Fortsetzung dieser Arbeit konnte ich
leider nirgends entdecken. — In seiner oben zitierten Arbeit behandelt R. Hanquet
die Affektlehre des Aspasios auf den Seiten 132 — 198, allerdings mit sehr unterschied-
lichem Erfolg. — P, L. Donini, Tre studi 99-105 befaßt sich ebenfalls mit dieser
Lehre des Aspasios. Ihn interessieren vor allem das Thema der Tugend als Mitte zwi-
schen den Affekten, der antistoische Charakter der Lehre, die positive Beurteilung
des Affekts und die Ansicht, daß es weder vorteilhaft noch möglich ist, die Affekte
auszurotten. Da diese Themen auch bei Plut., De virt, rnor,, einer Schrift, die er für
typisch mittelplatonisch hält, vorkommen, vertritt er die Meinung, daß Aspasios
auch in diesem Zusammenhang dem Mittelplatonismus vieles zu verdanken hat. In
den oben Anm. 100 zitierten Arbeiten geht auch F. Becchi des Öfteren auf die Affekt-
lehre der Aristoteliker ein. Die Rehabilitierung des Affekts, die man unter anderem
bei Plutarch und Aspasios findet, erscheint ihm als eine „funktionelle" Ergänzung
des Aristotelismus. Gegen den stoischen Intellektualismus hielten es die Peripatetiker
für angebracht, den positiven Beitrag der Affekte bei der Entstehung der ethischen
Tugend besonders hervorzuheben. - Albertus Magnus, In PoÜt. Arist., lib. II, cap. I
schreibt, daß freiwillige Tötungen des öfteren geschehen, propler dissimiles mores ho-
mmum et disumilei motus passionam, itt didt Aipasius in libelio de naturalibiti pas-
sionibus. Es ist jedoch ganz unwahrscheinlich, daß er eine sonst nirgends bezeugte
Schrift des Aspasios hat benutzen können. Vielleicht hat das Vorhandensem eines Ex-
kurses über die Affekte im Ethik-Kommentar des Aspasios zu einer Verwechslung
geführt.
186
Z.B. die Frage, ob Lust und Schmerz lediglich Folgeerscheinungen der Affekte sind,
44,7 έπισκεπτεον δε περί τούτων. Das Vorhandensein eines όρεκτικον και παθητι-
κόν in der Seele soll εν άλλοις untersucht werden, 44,19—20. Man k nnte die Ein-
w nde gegen die stoische Affektlehre noch vermehren, 46,6,
187
Arist., EN II 2, 1104b 8-9.
188
Aspas., EN 42,5-12.
189
Arist., EN II 2, 1104b 14.
190
Aspas., EN 42,13-26. P. L. Donini, Tre studi 101-105 vergleicht Aspasios' An-
sicht, da die πάθη die Rolle von υποκείμενα und ΰλη innehaben, mit Plut., De virt.
mor. l, 440 D, wo von der ethischen Tugend gesagt wird, da der Affekt ihre Ma-
terie und die Vernunft ihre Form ist (dazu Donini 93—95). Die Anwendung des hyle-
morphischen Schemas auf die ethische Tugend betrachtet Donini als inad quat f r die
Interpretation der aristotelischen Lehre; sie k nne daher schwerlich penpatetischer
Herkunft sein. Seiner Meinung nach gehen Plutarch und Aspasios auf eine rnittel-
platonische Quelle zur ck, die den Hylemorphismus in ihrer Polemik gegen die
Apathie und die stoische Affektlehre heranzog. Da Plutarch und Aspasios nicht ge-
nau bereinstimmen, ist Donini zwar nicht entgangen, den Unterschied hat er jedoch
nicht deutlich genug hervorgehoben. Bei Plutarch entsteht die ηθική αρετή dadurch,
da der λόγος (als Form) die πάθη (als Materie) gestaltet. Bei Aspasios dagegen ist es
die ηθική αρετή selbst, die auf die πάθη und die πράξεις einwirkt und somit gutes,
tugendhaftes Handeln hervorbringt. Als Parallele kann ein Satz des „Pythagoreers"
Metopos, De virt, 119,8-9 Thesleff angef hrt werden, τα δε πάθεα τάς άρετάς ΐλα"
περί ταύτα γαρ και εν τούτοις ά άρετά.
gattungen einteilen, und zwar in Lust und Schmerz. Die brigen Af-
fekte, wie etwa Zorn, Angst, Mut usw., lie en sich entweder auf den
Schmerz oder auf die Lust zur ckf hren. Nur die Begierde (επιθυμία)
sei eine Kombination von Lust und Schmerz; als Mangel sei sie schmerz-
haft, als Hoffnung sei sie lustvoll191. Gegen diese Interpretation, die er
letzten Endes doch im gro en und ganzen annehmen wird 192 , macht
Aspasios zuerst mehrere Einw nde. Die einen ergeben sich daraus, da
man bei der Lust als Gattungsbegriff speziellere, als Arten fungierende
Formen der Lust unterscheidet; eine solche Art ist z, B. die Freude, die
wir empfinden, wenn es uns oder unseren Lieben gutgeht, Definiert man
diese spezifische Lust hnlich wie den Gattungsbegriff als „unbehinderte
T tigkeit des Naturgem en"193, so werden die Gattung und die Art
denselben Namen (ηδονή) und dieselbe Definition haben, was ja un-
m glich ist. hnliche Schwierigkeiten entstehen, wenn man etwa den
Gattungsbegriff „seelische Lust" und seine Arten vergleicht. Ferner ist
die Auffassung von der Begierde als Mischung von Lust und Schmerz
besonders anst ig. Wenn z.B, die Gattung „Lebewesen" in „vernunft-
los" und „vernunftbegabt" einzuteilen ist, wird es niemals ein Lebe-
wesen geben, das gleichzeitig vernunftlos und vernunfbegabt ist; so auch
in unserem Fall: wenn der Begriff „Affekt" in „Lust" und „Schmerz"
eingeteilt wird, ist es unm glich, da ein bestimmter Affekt — die Be-
gierde — aus einer Mischung von Lust und Schmerz besteht.194.
Andere Interpreten bestreiten es, da Lust und Schmerz die Haupt-
gattungen des Affekts seien. Sie sehen in ihnen nur Begleiterscheinungen
der einzelnen Affekte; Lust und Schmerz folgen auf die Affekte etwa wie
ein guter Teint auf die Gesundheit und ein schlechter auf die Krank-
heit195.
191 m
Aspas-, EN 42,27-43,2. Ibid. 44,12; 45,14-16; 46,12-15.
193
Vgl, Arisi., EN VII 13, 1153a 14-15,
194
Aspas,, EN 43,2-44,4, In 43,14—15 ist der Satz του πάθους δυο είδη· το μεν
ηδονή, το δε λύπη nichts anderes als eine in den Text f lschlich hineingeratene Rand-
bemerkung eines Lesers. In 43,16 soll άνεμπόδιστον nach του κατά φύσιν erg nzt
werden. Die urspr ngliche Tragweite des Einwandes ber das Vorhandensein einer
generischen und einer eidedschen seelischen Lust (43,15—22) ist nicht mehr sehr deut-
lich, weil Aspasios daran Bemerkungen ber andere Arten der seelischen Lust und
des seelischen Schmerzes angekn pft hat (43,22 — 32), die nichts mehr mit dem Ein-
wand zu tun haben.
195
Ibid. 44,3—7. Ob die darauf folgende Bemerkung ber die Begierde (44,7—30) die
Meinung dieser Interpreten widerspiegelt oder nur eine ungeschickte Wiederholung
des schon Gesagten darstellt, l t sich nicht mit Sicherheit ausmachen.
196
Ibid. 44,10-12.
197
Aspas., EN 44,12-19. In 44,16 korrigiert Hanquet mit Recht in .
So auch (zögernd) Donini, Tre studi 100. Im Gegensatz zu den Stoikern, die alle
Affekte für schädlich hielten, ihre restlose Ausmerzung empfahlen und den Weisen
als völlig frei von Affekten schilderten ( ), vertraten Akademiker, Peripate-
tiker und Pythagoreer jahrhundertelang die Ansicht, daß die Affekte sich unter be-
stimmten Umständen und zu bestimmten Zwecken als nützlich für das ethische Le-
ben erweisen. Sie seien also nicht auszurotten, sondern auf das richtige Maß, die rich-
tige Mitte ( ) zu bringen und der Lenkung und der Kontrolle durch die
Vernunft zu unterstellen. Da sie von Natur aus dem Menschen angehörten, sei ihre
Ausrottung nicht möglich. Da sie unter bestimmten Bedingungen von Nutzen seien,
sei ihr völliges Fehlen weder vorteilhaft noch wünschenswert. Schließlich, während
die Stoiker den Affekt für eine Erkrankung oder eine Perversion des Logos hielten
und behaupteten, er liege im Machtbereich des menschlichen Willens, erklärten ihre
Gegner den Affekt für eine unfreiwillige Regung des nichtrattonalen Seelenteils; dem-
entsprechend charakterisierten sie die richtige ethische Haltung als das angemessene
Verhältnis zwischen dem rationalen und dem nichtrationaien Seelenteil, Diese Thesen
der Gegner der Stoa finden sich zweifellos schon in Ansätzen bei Aristoteles, wo sie
allerdings weniger deutlich und weniger systematisch als später in Erscheinung treten.
Später werden sie oft Aristoteles selbst oder den Peripatetikern ausdrücklich zuge-
schrieben. In De ira I polemisiert Seneca1 gegen die aristotelisch-peripatetischen
Thesen, indem er zu zeigen versucht, daß die ira weder naturgemäß (I 5—6) noch
nützlich ist (I 7—21). Dabei bemerkt er expressis verb is, daß Aristoteles den Zorn für
notwendig hielt (I 9,2) und sagte, einige Affekte seien wie Waffen, wenn man sie
richtig benutze (I 17,1. Vgl. III 3,1). Auch Theophrast soll dem Weisen das irasci
unter bestimmten Umständen erlaubt haben (I 12, l sqq.; 14,1). An anderer Stelle
schreibt Seneca die These, daß man die Affekte mäßigen — und nicht, wie die Stoiker
empfahlen, ausmerzen - soll, ausdrücklich den Peripatetikern zu (Epist. 116,1. Vgl.
85,3). Bereits bei Cicero wird die Ansicht, daß die Affekte nützlich sind und nicht
ausgetilgt, sondern gemäßigt werden sollen, als die der Peripatetiker bezeichnet
(Tusc. IV 19. Anderswo wird diese Ansicht den superiores zugeschrieben, d.h. als ge-
meinsam akadernisch-peripatetisch betrachtet, vgl. z.B. Acad. I 38—39; Lucull. 135).
In der anonymen Zusammenfassung der Aristoteles zugeschriebenen latnca Menonis
ganz befriedigend, sind die Definitionen des Affekts bei den Peripate-
tikern Andronikos und Boethos. Die beiden sprechen von einer ver-
nunfdosen Bewegung der Seele; mir „vernunftlos" wollen sie aber nicht
hei t es, da die αρχαίοι, denen der Verfasser folgt, dem Weisen gem igte Affekte
(μετριοπάθεια!) gestatteten, weil diese die Nerven der Handlungen seien; dagegen
vertraten die νεώτεροι, d. h. die Stoiker, die Ansicht, da kein πάθος naturgem sei
(Anon. Lond. II 18-22 Diels, Suppl. Ar. III 1). Auch Philodem (De ira XXXI
31-39 Wilke) erw hnt die peripatetische Polemik gegen das stoische Ideal der απά-
θεια. Diogenes Laertios (V 31} schreibt Aristoteles die Lehre der μετριοπάθεια aus-
dr cklich zu. Es darf also als sicher gelten, da die Thesen vom naturgem en
Charakter der Affekte und von ihrem Nutzen sowie die Forderung, sie auf das rich-
tige Ma zu bringen, schon lange vor Aspasios f r peripatetisch galten. Ob sie ledig-
lich aus den erhaltenen Ethiken des Aristoteles gewonnen wurden oder in einer ver-
schollenen aristotelischen oder pseudo-aristotelischen Schrift dargelegt waren (Rose3
Fr. 80 schreibt sie dem Dialog Politikos zu. J, Filh'on-Lahille, La colere chez Ari-
stote, in: REA 72 [1970] 46-79 versucht nachzuweisen, da die Zeugnisse Ciceros,
Philodems und Senecas ber die positive Beurteilung des Zorns bei Aristoteles bzw.
den Peripatetikern auf eine Jugendschrift περί παθών zur ckzuf hren sind, in der
Aristoteles den Affekten eine wichtige Rolle f r das ethische Leben zuschrieb), ist
umstritten. Die erstere Hypothese d rfte die wahrscheinlichere sein. Die alte Aka-
demie hatte sich ebenfalls gegen das stoische Ideal der απάθεια ausgesprochen. Kran-
tor kritisierte z, B. die Anh nger der indolentia, indem er behauptete, ein solcher Zu-
stand sei berhaupt nicht zu verwirklichen und er sei auch nicht empfehlenswert,
denn wer keine Schmerzen empfinde, sei gef hllos und stumpfsinnig (Cic., Tusc. III
12. Plut., Cons, ad Apoll, 3, 182 D). Er wird als ein Vertreter jener alten Akademie
angef hrt, die das Ideal der v lligen Unempfindlichkeit ablehnte, die mediocritates
der Affekte billigte und f r deren naturgem e Beschr nkung eintrat. Von jedem
einzelnen Affekt zeigte er, welchen Nutzen er zur Aus bung einer bestimmten Tu-
gend habe {Cic., Luculi. 135). Der Mittelstoiker Panaitios, der ihn hochsch tzte
(Cic., Luculi. 135), soll dieselbe Meinung vertreten haben (Tauros ap. Gell. XII 5,
10). Die Kontroverse zwischen den Anh ngern der απάθεια und denen der μετριο-
πάθεια hat auch bei Phtlon Spuren hinterlassen (Leg. alleg. III 129: Moses spricht
sich f r die απάθεια gegen die μετριοπάθεια aus; De Abrah. 257: Abraham versucht
zu μετριοπαθείν. Leg. alleg. II S, ber den Nutzen der einzelnen πάθη). Bekennt-
nisse zur Metriopathie und verwandte Motive begegnen uns sehr h ufig bei den
Mittelplatonikern (Herod. An. ap. Gell, XIX 12,2-10. Tauros ap. Gell. XII 5,
10-13. Albinos, Didask. 184,17-30; 186,12-20. Plut., De virt. mor. 4, 443 C; 7,
446 D sqq.; 9, 449 B; Cons, ad Apoll, 3-4, 102 C-E. Max. Tyr, XXVII 7, S. 328,
1-3 Hobein. Apul., De Plat. II 5, S. 109,11-13 Thomas). In den bei Stobaios er-
haltenen pseudo-pythagoreischen Schriften, die bekanntlich oft an Platon und Aristo-
teles ankn pfen, finden sich ebenfalls Stellungnahmen gegen die απάθεια und f r die
μετριοπάθεια (Vgi. vor allem Archytas, Deeduc. 4 1 , 9 — 1 8 . Metopos, De virt. 120,23 —
121,12. Theages, De virt. 192,5-18 Thesleff.) Die starke Verbreitung dieser The-
matik, der Umstand, da sie nicht selten auf Aristoteles und die Peripatetiker zu-
r ckgef hrt wurde, und schlie lich die Nachricht, da bereits die ltesten Kommen-
wie die Stoiker angeben, da der Affekt sich gegen die Vernunft richtet,
sondern lediglich, da er im vernunftlosen Teil der Seele entsteht; Boe-
thos hat jedoch unrecht, wenn er nur die intensiven Bewegungen dieses
Teils als Affekte bezeichnet, und Andronikos' Meinung, der Affekt be-
ruhe auf einer bestimmten Auffassung (ύπόλ,ηψίς) von Gut und bel,
ist auch nicht ganz richtig, denn es gibt Affekte, die aufgrund einer
blo en Vorstellung (φαντασία), unabh ngig von jeder Zustimmung
(συγκατάθεσις) und jeder Auffassung (ύπόληψις) entstehen; bisweilen
gen gt die Wahrnehmung des Angenehmen und des Schmerzhaften, um
Affekte hervorzurufen; was die Affekte erregt, ist ferner nicht das Gute
und das bel, sondern vielmehr das Angenehme und das Unangenehme,
Der Affekt mu also folgenderma en definiert werden: eine Bewegung
des vernunftlosen Teils der Seele durch das Angenehme oder das Schmerz-
hafte. Der Umstand, da jeder Affekt sich auf das Angenehme bzw. das
Schmerzhafte bezieht, zeigt, da Lust und Schmerz die h chsten Gat-
tungen des Affekts sind198.
Nach dieser Stellungnahme kommt Aspasios noch einmal auf die
stoische Affektlehre zu sprechen: sie unterscheidet die vier Hauptaffekte
Lust, Unlust, Furcht und Begierde, verkennt jedoch, da die Furcht nur
eine Art der Unlust ist, erw hnt die K hnheit (θάρσος) als Gegensatz
der Furcht nicht und ebensowenig den Zorn, der wie die επιθυμία eine
tatoren wie Andronikos und Boethos sich mit der Affektlehre befa t hatten, all das
zeigt keineswegs, da das Vorkommen derselben Motive bei Aspasios (a. a. O. und
100,34—101,5) als ein Beweis oder ein Indiz f r seine Ann herung an den Mittel-
platonismus gedeutet werden kann, sondern es zeigt lediglich, da zu seinen Zeiten
Peripatetiker und Platoniker sich in dieser Hinsicht einig waren,
198
Aspas., EN 44,20-45,16. ber Andronikos vgl. oben Bd. 1135, ber Boethos 176$yq.
Der Text von Aspasios' Urteil ber Boethos ist sicher nicht m Ordnung. O. Schissel-
Fleschenberg, Op. cit. (vgl. Anm. 185) 70—71 schl gt einige Korrekturen vor, die auf
den richtigen Weg zur Emendation weisen. Die Verderbnis ist allem Anschein nach
durch die Venauschung von Satzteilen entstanden, die mit denselben Worten an-
fingen. Ich m chte den Text folgenderma en wiederherstellen πασά γαρ κίνησί,ς του
παθητικοί μορίου της ψυχής, αν μη λανθάνη, πάθος αν εϊη, [του σώματος, ου
μόνον δε ή συν μεγέθεί' το δε κατ' άλλοίωσιν έπι του] ώσπερ και πασά κίνησις
του σώματος [an ο'Βσα addendum?] κατ' άλλοίωσιν, αν μη λανθάνη, πάθος αν (ειη)
του σώματος, (ου μόνον δε ή συν μεγέθεί.· το δε κατ' άλλοίωσιν επί του σώματος)
πρόσκειται, οτι ταΰτ' ουκ οικεία (ταϋτα έΌικεν codd.) τη κατά τα πάθη μεταβολή
της ψυχής (ή ... μεταβολή codd.). berraschend ist 45,15 — 16 die Schlu folgerung
το πάθος . . , πάντως ως επί ήδεϊ ή λυπηρφ γίνεται, δ και μηνύει γενικώτατα πάθη
οντά την τε ήδονήν καί την λΐιπην. Dar ber u ert sich Aspasios jedoch nicht
n her.
ορεξις ist199. Mit Hinweis auf Nomoi I 636 D schreibt er Platon die
Meinung zu, Lust und Unlust seien die beiden Hauptaffekte; wenn Pla-
ton sechs Affekte (Lust, Unlust, Angst, K hnheit, Begierde, Mut) auf-
zahlt, so will er nur die bekanntesten nennen 200 .
Abschlie end hebt Aspasios noch einmal hervor, es sei nicht unlo-
gisch, Lust und Schmerz f r die Hauptgattungen des Affekts zu halten;
die Lust als Gattung sei die unbehinderte Bet tigung des Naturgem en,
der Schmerz als Gattung die Behinderung des Naturgem en in seiner
T tigkeit; unter diesen beiden Gattungen lie en sich die einzelnen Af-
fekte als deren Arten subsumieren: die spezielle Lust als ein Sich-Er-
gie en (διάχυσις) ber gegenw rtig Angenehmes, der spezielle Schmerz
als ein Sich-Zusammenziehen (σύγχυσις) ber gegenw rtig Schmerz-
haftes, die K hnheit als eine Lust in der Erwartung, da nichts Furcht-
bares geschehen wird oder da man es meistern kann, die Furcht als ein
Schmerz bei der Erwartung des Schrecklichen201. Die Affektlehre, zu
der Aspasios sich mit einiger Deutlichkeit bekennt, l t sich also durch
folgendes Schema darstellen:
πάθος
s
ηδονή εν μέρει θάρσος λύπη εν μέρει φόβος
eine gewisse hnlichkeit mit der stoischen Lehre von vier Hauptaffekten
auf. Dort wie hier gibt es zwei Affekte, einen angenehmen und einen un-
angenehmen, die sich auf das Gegenw rtige, und wiederum zwei, die
sich auf das Erwartete beziehen; der Unterschied besteht lediglich darin,
da Aspasios die K hnheit dort einsetzt, wo die Stoiker die Hoffnung
nannten. Aspasios ist sich jedoch bewu t, da es mehr als vier Einzel-
affekte geben mu , denn zu den Affekten pflegt man 202 Liebe, Ha ,
Dankbarkeit, Zorn und weitere Regungen wie Rachsucht, Neid, Mitleid
u. dgl. zu z hlen, die sich alle auf Lust oder Schmerz zur ckf hren
lassen203.
An sich ist der Affekt in der Auffassung des Aristoteles weder ver-
werflich noch empfehlenswert; einen ethischen Wert beinhaltet erst
unsere Haltung dem Affekt gegen ber. Aspasios sieht die Dinge nicht
anders als der Stagirite, er f gt jedoch einige Pr zisierungen hinzu, die
unter anderem dazu dienen, die peripatetische Lehre von der stoischen
deutlich abzugrenzen. Die ethische Tugend wird seiner Meinung nach
z.B. nicht nur dadurch charakterisiert, da sie auf halbem Wege zwi-
schen zwei fehlerhaften Extremen, einem Exze und einem Mangel,
steht, sondern auch dadurch, da sie die Mitte in den Affekten w hlt.
Jede Tugend w hlt die Mitte zwischen Lust und Schmerz, den h chsten
Gattungen des Affekts. Dementsprechend wird der Tugendhafte bis-
weilen Schmerz empfinden, jedoch keinen bertriebenen, nur einen m -
igen Schmerz204. Ferner gibt es Tugenden, die sich anhand von zwei
spezielleren, ihnen eigent mlichen Affekten definieren lassen. So ist
z.B. die Tapferkeit die Tugend, die es dem Menschen erm glicht, bei
den Affekten von Angst und K hnheit die mittlere, vernunftm ige
Haltung einzunehmen. Andere Tugenden beziehen sich nicht auf spe-
zielle Affekte, sondern auf Handlungen. Das gilt etwa f r die Freige-
bigkeit. Andere wiederum erscheinen als die richtige, mittlere Hakung
gegen ber einem einzelnen Affekt, der bertreibungen und M ngel
202
Ibid. 46,20 εΐώθασι. Als Subjekt sind wohl nicht die Peripatetiker zu erg nzen, son-
dern vie! allgemeiner diejenigen, die eine Affektlehre aufgestellt haben,
203
Ibid. 46,19-47,2.
204
Ibid. 100,34-101,5. Die Definition der ethischen Tugend als Mitte zweier fehler-
hafter πάθη findet sich weder in der EE noch in der EN. Sie geht auf MM I 7, 1186 a
9—8, 1186a 35 zur ck. Sie kommt auch vor bei Areios Did. ap. Stob. II 7, 25, S. 145,
12—13. Plut., De virt. mor, 4, 443 C . . , τάς ήθικάς άρετας ουκ απάθειας οΰσας,
αλλά συμμετρίας παθών κ αϊ μεσότητας. Albinos, Didask. 184,27-30, Metopos, De
virt. 120,23-25 Thesleff. Vgl, unten S. 477 und 664.
20i
Ibid. 118,19-119,1.
206
Vgl. 154,21-23.
2<
" Ibid. l, 4—6 . , , αδύνατον καλώς ζην μη . , . το ήθος κεκοσμημένους και εις συμ-
μετρίαν τίνα τα της ψυχής πάθη καταστησαντας . . . 42,21-22 την , . . ένέργειαν
ποιείται (sc. ή αρετή) περί τε πάθη και πράξεις και την τούτων συμμετρίαν. 44,
18-19 ειη δ' αν κεκοσμημένον (sc. το όρεκτικον μόριον της ψυχής) εν τη των
παθών συμμετρία.
208
Albinos, Didask. 185,21.
2W
Ibid, 185,22-25.
110
Ibid. 185,37.
211
Ibid. 186,1-2.
212
Ibid. 186,12-25, zu vergleichen mit Aspas., EN 43,24-27.
213
Ibid. 184,17-30.
214
Arise., EN VII 7, 1149a 21-b 3.
fallen worden; sein Eifer, selbst wenn er auf andere Anweisungen der
Vernunft h rt, verkennt v llig die Tragweite der Meldung: „Dieser
Mensch B hat sich etwas zuschulden kommen lassen." Diese Meldung
steht n mlich nicht irn Widerspruch zu dem Grundsatz, da nicht jeder
zu bestrafen ist, und sie enth lt auch nicht den Befehl, B zu z chtigen;
dennoch geht der Eifer zur Tat ber, als h tte er einen solchen Befehl
erhalten213. Aspasios hebt also hervor, da der unbeherrschte Eifer nicht
gegen den Logos, sondern vielmehr f r ihn zu handeln glaubt; wenn der
Eifer dabei nicht richtig handelt, so geschieht das, weil er den genauen
Gehalt der Anweisungen des Logos verkennt, d.h. weil er einen
Grundsatz der Vernunft bersieht und eine ihrer Mitteilungen mi deu-
tet. Die Unbeherrschtheit des Eifers gleicht dadurch einem Wahnsinns-
anfall, in dem ein Mensch die Kenntnisse, die in ihm latent sind, nicht zu
verwenden vermag. Der Affekt ist es, der die partielle Ausschaltung der
Vernunft bewirkt und somit zum unrichtigen Handeln f hrt. Weitere
Erkl rungen gibt Aspasios leider nicht. Aus seinen Ausf hrungen geht
jedoch hervor, da der Affekt, obwohl er an sich nicht gegen die Ver-
nunft gerichtet ist, aufgrund seines unrationalen Charakters doch gele-
gentlich zu einer Fehldeutung der Botschaften der Vernunft anregen und
dadurch ein vernunftwidriges Verhalten ausl sen kann.
Im Rahmen seiner Er rterungen ber die Freundschaft hat Aspasios
Gelegenheit, einen anderen Aspekt der Beziehungen zwischen Affekt
und Vernunft zu beleuchten. Es gilt, die Bemerkung des Aristoteles zu
erl utern, da die Neigung (φίληοις) einem Affekt (πάθος), die Freund-
schaft (φιλία) einem Habitus (έξις) gleicht216. Unter Affekt kann Ari-
stoteles hier nicht, wie blich, eine momentane Bewegung des K rpers
oder der Seele verstehen; er meint vielmehr eine affektm ige Disposi-
tion (παθητική διάθεσις), die ihren Sitz im „pathetischen", nicht im
rationalen Teil der Seele hat. Neigt man etwa zum Wein oder zum guten
Essen, so ist das keine vor bergehende Erscheinung, sondern eine
dauerhafte Disposition; die Vernunft ist weder an ihrer Entstehung noch
an ihrer T tigkeit beteiligt. Mit der Freundschaft verh lt es sich aber
anders. Sie entfaltet sich auf den beiden Ebenen des Rationalen und des
Irrationalen, sie beruht auf affektiver Neigung und vernunftm igem
Urteil, sie setzt einen besonderen Habitus in jedem der beiden Seelen-
teile voraus. Das Handeln gem einer blo en Zuneigung ist ein Sieg des
21S
Aspas,, EN 128,6-13.
«' Arist., EN VIII 7, 1157b 28-29.
νυμα sind223. Gegen die Annahme einer blo en Homonymie der ein-
zelnen Freundschaftsarten lie e sich allerdings einwenden, da zwischen
diesen Arten ein Mehr- der-Weniger-Verh ltnis besteht; die Freund-
schaft der Guten ist n mlich mehr Freundschaft als etwa die utilitari-
stische der Nichtugendhaften, Nun sei die Existenz eines Mehr-oder-
Weniger-Verh ltnisses ein Merkmal der synonymischen, unter eine ge-
meinsame Gattung fallenden Begriffe; die warmen Dinge z. B. sind mehr
oder weniger warm und besitzen das Warme als gemeinsame Gattung 224 .
Diesen Einwand entkr ftet Aspasios, indem er die Falschheit der letzten
Behauptung nachweist. Das Seiende, erkl rt er, ist ein πολλαχώς λεγό-
μενον, und dennoch gibt es zwischen den einzelnen Seinsarten ein Mehr-
oder-Weniger-Verh ltnis; die Substanz ist mehr seiend als die Akziden-
zien. Ein solches Verh ltnis ist vor allem dort vorhanden, wo die πολ-
λαχώς λεγόμενα, wie es bei den Seienden und auch bei der Freundschaft
der Fall ist, alle von einer Hauptbedeutung abh ngen und im Hinblick
auf diese Hauptbedeutung bezeichnet werden (άπο του αΰτοΰ προς το
αυτό). In der Tat ist die Freundschaft ein solches πολλαχώς λεγόμενον;
denn die brigen Freundschaftsarten werden aufgrund einer gewissen
hnlichkeit mit der echten Freundschaft, der der Tugendhaften, als
Freundschaften bezeichnet225. Die einzelnen φιλητά, die die verschie-
denen Freundschaften anstreben — das Gute, der Nutzen, die Lust —
sind auch nicht die gleichberechtigten Arten der gemeinsamen Gattung
φίλητόν; das Gute steht viel h her als die beiden anderen und hat auch
einen ganz anderen begrifflichen Gehalt 226 .
Wenn dem so ist, inwieweit ist es statthaft, die Freundschaft als ein
gegenseitiges, nicht unbemerktes Wohlwollen zu definieren 227 ? Wenn
Aristoteles eine solche gemeinsame Definition der verschiedenen Freund-
schaftsarten angibt, setzt er dann nicht voraus, da diese mehr als blo e
ομώνυμα sind? Darauf antwortet Aspasios, da die angegebene Formet
keine Definition im eigentlichen Sinne des Wortes ist, sondern nur eine
approximative Beschreibung {υπογραφή). Wenn bei mehreren gleich-
namigen Begriffen jeder eine verschiedene Bedeutung hat, diese ver-
schiedenen Bedeutungen jedoch nicht allzu weit voneinander entfernt
sind, weil sie alle irgendwie in Beziehung zu einem Hauptbegriff stehen,
:23
Aspas., EN 160,29-31.
224
Ibid. 160,33-161,6.
225
Ibid. 161,6-16.
216
Ibid. 161,17-162,4; 164,11-20.
127
Vgl. Arist., EN VIII 2, 1155b 33-1156a 5.
dann kann eine Formel gefunden werden, die, wenn auch nur annä-
hernd, sich als eine Art gemeinsame Bestimmung auf alle Begriffe an-
wenden läßt. „Medizinisch" hat einen jeweils anderen begrifflichen In-
halt, wenn es von einem Buch, einem Instrument oder einem Menschen
gesagt wird, dennoch hängen alle diese Bedeutungen von dem Hauptbe-
griff „Mediziner" ab, und man wird daher „medizinisch1' als das er-
läutern, was irgendwie mit der Medizin zusammenhängt. So verhält es
sich auch mit den Freundschaftsarten, Die erste, eigentliche Freund-
schaft ist die der Tugendhaften; die übrigen werden analog als Freund-
schaften bezeichnet. Es steht also nichts im Wege, daß alle eine gemein-
same, wenn auch nicht ganz adäquate, definitorische Formel erhalten228.
An sich gut die angeführte Definition nur für die höchste, eigentliche
Form der Freundschaft, denn nur diese ist gegenseitiges Wohlwollen im
vollen Sinne des Wortes. Die anderen Freundschaftsarten, die auf Nut-
zen oder Lust beruhen, sind keine echten Freundschaften, sondern nur
scheinbare. Eigentlich paßt die Definition nur für die erste Form der
Freundschaft; für die übrigen ist sie nur scheinbar gültig; als gemeinsame
Definition aller Freundschaftsarten kann sie auf keinen Fall angesehen
werden 229 .
Diese Ausführungen des Aspasios sind in mancher Hinsicht außer-
ordentlich interessant. Zunächst einmal deshalb, weil die Fragestellung
und der Geist der Antwort viel deutlicher an die EE als an die EN er-
innern, Die Ansicht, daß die Freundschaftsarten weder unter eine ge-
meinsame Gattung fallen noch als zufällige Homonyme zu betrachten
sind, sondern miteinander in Beziehung stehen aufgrund einer gewissen
Ähnlichkeit mit der ersten Form der Freundschaft, findet sich in der EN
nichtj wird aber in der EE ganz ausdrücklich formuliert 230 . Der Begriff
231
„medizinisch" wird als Beispiel eines ° in der
232
EE , nicht in der EN angeführt, Aspasios (oder seine Quelle) scheint
also für seinen Kommentar zur EN aus der EE geschöpft zu haben 233 .
Von der Lehre der EE weicht er jedoch in einem nicht unwesentlichen
Punkt ab. Er unterscheidet nicht genau zwischen einfachen ,
228
Aspas., EN 163,27-164,11,
229
Ibid. 164,20-32.
230
Arist., EE VII 2, 1236a 15-33; b 23-26. Vgl. auch MM II 11, 1209a 19-31.
231
Aspas,, EN 164,3-7.
232
Arist., EN VII 2, 1236a 17-22. Vgl. MM II 11, t209a 23-27; Metaph. 2, 1003b
1-4; K 3, 1061 a 1-5.
233
Siehe auch oben S, 260 über die Einordnung der Überlegenheitsireundsctiaft.
die nur den Namen und sonst nichts gemeinsam haben, und προς εν
(bzw. αφ5 ενός) λεγόμενα, die auf einen Zentral begriff bezogen werden
k nnen. Aristoteles tut es zwar auch nicht immer; in dem uns interes-
sierenden Abschnitt der EE werden jedoch die προς &ν, die ομώνυμα
und die καθ' εν sorgf ltig ausemandergehalten. Daraus d rfte wohl
hervorgehen, da Aspasios jedenfalls hier nicht direkt aus der EE ge-
sch pft hat.
Seine Ausf hrungen zeigen ferner, da er mit der aristotelischen
Lehre vom Seienden, wie sie etwa in Metaph. T 2sqq. dargelegt wird,
verh ltnism ig gut vertraut ist. Eines der Probleme, mit denen er sich
befa t, scheint allerdings nicht von Aristoteles aufgeworfen worden zu
sein, wenigstens nicht m der hier vorliegenden Form. Es handelt sich um
die Frage, inwieweit προς εν λεγόμενα wie die Freundschaftsarten eine
gemeinsame Definition erhalten k nnen. Gewi , Aristoteles berichtet,
da die Platomker keine gemeinsame Idee f r Dinge annehmen, die in
einem Fr her-Sp ter-Verh ltnis stehen234, und er selbst behauptet, da
es ber solchen Dingen kein κοινόν gibt235; er schreibt sogar, da man f r
die geometrischen Figuren und die verschiedenen Seelenarten, die in
einem hnlichen Verh ltnis zueinander stehen, keinen genau passenden,
sondern nur einen approximativen λόγος κοινός finden kann 236 . Das
sind zweifellos Ans tze zur Problematik, wie sie bei Aspasios vor-
kommt, aber die Fragestellung hat bei dem Kommentator einen weitaus
mehr zur Scholastik neigenden Aspekt; sie scheint schon vor ihm zu
einem beinahe klassischen Thema der peripatetischen Spekulation ge-
worden zu sein. Lehrreich ist in dieser Hinsicht, da Aspasios die Un-
terscheidung zwischen ορισμός und υπογραφή237, mit der die Kom-
mentatoren noch Jahrhunderte sp ter arbeiteten, als durchaus selbstver-
st ndlich erw hnt; ohne Zweifel hat er sie bei einem Vorg nger vorge-
funden. Wenn wir uns daran erinnern, da Andronikos in seinem περί
διαιρέσεως die hier er rterten Themen, insbesondere die Problematik
der προς εν και άφ° ενός, eingehend behandelt hatte238, werden wir mit
einiger Wahrscheinlichkeit vermuten d rfen, da Aspasios von dieser
systematisierenden Darstellung direkt oder ber eine Zwischenquelle
Gebrauch gemacht hat.
A. Chronologie
Die Chronologie der anderen Schriften des Adrastos läßt sich nicht
näher bestimmen. Wir wissen zwar, daß seine Arbeit über die EN und
5
Theophrasts von einem unverschämten Plagiator namens
Hephaistion ausgebeutet wurde, daraus kann man jedoch nichts über
ihre Entstehungszeit erschließen. Wie Athenaios mit Empörung
berichtet, hat Hephaistion nicht davor zurückgescheut, in einem Buch
über den Antiphon, den Xenophon in den Memorabüien (I 6} erwähnt,
Ausführungen des Adrastos einfach so, ohne jede Ergänzung, abzu-
schreiben, als wären sie seine eigenen6. Wer dieser Hephaistion war und
wann er gelebt hat, läßt sich aber nicht mit Sicherheit feststellen. Man
kann an den in der Historia Augusta 7 als Lehrer des Verus genannten
Grammatiker denken. Der Vater des Ptolemaios Chennos käme
vielleicht auch in Frage, und der Verfasser des erhaltenen Encheiridion
ist ebenfalls nicht auszuschließen8. Wie dem auch sei,
Persönlichkeit und Lebenszeit des Plagiators sind viel zu ungewiß, als
daß sie einen Rückschluß auf die Chronologie der Vorlage ermöglichten,
zumal das Plagiat nicht unbedingt gleich nach dem Erscheinen von
Adrastos' Buch erfolgte,
Es steht außer Zweifel, daß Adrastos aus Aphrodisias stammte 9 , wir
wissen jedoch nicht, ob er sein ganzes Leben in seiner Heimat verbrachte
oder woanders wirkte.
Schrift Theons in eine Zeit zu datieren, in der dieser seine genauen Messungen noch nicht
vorgenommen hatte. Adrastos hätte in diesem Fall den von Theon benutzten Timäios-
Kommentar noch früher geschrieben, also wohl um die Wende des 1. zum 2. Jh, oder
spätestens im ersten Viertel des 2, Jh. Vgl. K, v. Fritz, Art, Theon 14, RE V A 2 (1934)
2067—2068. Andere Gel ehrte datieren Adrastos später. Vgl. A. Gercke, Art. Adrastos?,
RE I (1893) 416 (um die Mitte des 2. Jh.). E. Zeller, Philos. d. Gr. III I s , 805 Anm. 2,
dritter Abs. (2. Viertel des 2. Jh.).
s
Vgl. unten S. 323sqq.
6
Athen. XV 673 E-F.
7
Hist. Aug., Verus 2,5.
8
Vgl. unter anderen Hense, Art. Hephaistion 7, RE VIII (1913) 216-309 und die Ergän-
zungen von W. Kroll, RE Suppl. IV (1924) 729. Ferner A. Dihle, Art. Ptolemaios 77,
RE XXI 2 (1959) 1862.
9
Adrastos wird genannt bei Achill. ,Isag. Exe. 16, S. 43,9; 19, S. 46,29—31
Maass, Simpl,, Cat, 16,1. Elias, Cat, 132,27. Mehrere Persönlichkeiten namens
Adrastos kommen in Inschriften aus Aphrodisias in Karien vor. Vgl. Mon. Asiae
Min. Ant. VIII, 1962, Nr. 408, 437, 438, 440, 449, 484, 485, 528, 535, 550, 556a,
557. J. Reynolds, Aphrodisias and Rome, London 1982, bes. 165 Nr. 13 (nach CIG
2771). Der Name war besonders häufig in jenen angesehenen Familien, deren Mit-
glieder im 1. Jh. v. Chr. Aphrodisias „gegründet" hatten, als der Ort um das Heilig-
B. Der Timaios-Kommentar
Der Kommentar zu Platons Timaios ist das Werk des Adrastos, das
die zahlreichsten Spuren in der sp teren Literatur hinterlie und uns am
besten bekannt ist. Ein namentliches Zitat aus diesem Kommentar bei
Porphyrios in seiner Erkl rung der Harmonielehre des Klaudios Ptole-
maios10 zeigt, da Theon von Smyrna nicht aus einem allgemeinen
astronomischen Werk des Adrastos sch pft, wie Th.-H, Martin ange-
nommen hatte11, sondern l ngere Partien aus dessen Tirnaios-Kommen-
tar abschreibt oder mit mit einigen nderungen wiedergibt12. Der Ver-
uim zur Polis wurde bzw. als Aphrodisias die Oberherrschaft ber Plarasa, von der
sie fr her abh ngig war, gewann. Dazu L. Robert, Hellenica XIII, 1965, 213, Ob
unser Philosoph aus einer dieser Familien stammte, entzieht sich unserer Kenntnis.
In den Inschriften wird kein Adrastos als Philosoph oder Peripatetiker bezeichnet.
Trotzdem k nnte man vielleicht vermuten, da der Aristote ker identisch ist mit
Adrastos, dem Sohn des Pentas, der in einer Inschrift aus dem Anfang des 2. Jh. n.
Chr. erw hnt wird. Die Inschrift lautet: „Der Urmutter Aphrodite und dem Volk.
Der Imperator Caesar Nerva Traianus Augustus Germanicus Dacicus hat (dieses
Denkmal) restaurieren lassen mit der Erbschaft des Adrastos Grypos, Sohn des Peritas,
durch Kallikrates Grypos, Sohn des Peritas, Priester, der Aufseher bei der Arbeit
war." Vgl. J. Reynolds, The origins and beginning of the Imperial cult at Aphrodisias,
in; Proc. Cambridge Philol. Soc. 206 (1980) 70-84, dort 74-76. J. Reynolds, Aphrod.
and Rome 183-184, Doc, 55. Die Inschrift stammt aus den Jahren 103 — 116, als
Traian das cognomen Dacicus bereits erhalten hatte {Ende 102), Parthicus jedoch noch
nicht (Mitte 116). Adrastos ist also sp testens 115/6 gestorben. Chronologisch ist die
Identifizierung mit dem Philosophen durchaus m glich, wenn dieser, wie wir an-
nehmen, Ende des 1. — Anfang des 2. Jh. n. Chr. wirkte. Mehr als eine M glichkeit
ist das jedoch nicht. — Ein aus Phihppi geb rtiger Peripatetiker namens Adrastos
wird von Marcianus, Artemidori geogr. epitome, V—VI, 15 (GGM I 576) erw hnt,
Φίλιπποι, πόλις Μακεδονίας . . . Ενθεν ην "Αδραοτος ό περιπατητικός φιλόσοφος,
Αριστοτέλους μαθητής. Ich sehe keinen Grund, ihn mit dem Aphrodisier zu identi-
fizieren. Wenn sein Meister der j ngere Aristoteles gewesen ist, den Galen erw hnt
und bei dem Alexander von Aphrodisias h rte, lebte Adrastos aus Phihppi m der 2. H,
des 2, Jh. n, Chr. oder am Anfang des 3. ber den j ngeren Aristoteles, vgi. unten
S. 399sqq.
10
Porph., In Ptol. harmon, 96,1 -6 During, Dieser den Ausf hrungen des Peripatetikers
Adrastos είς τον Τίμαιον entnommene Passus findet sich bei Theon Smyrri. 50,22—51,4
Hiller wieder, und zwar in einem langen Abschnitt, f r den Theon Adrastos als seine
Quelle angibt (vgl. 49,6 sqq.), aber ohne den Titel von Adrastos' Werk zu nennen. Auf
denselben Kommentar geht das zweite Zitat bei Porphyrios (In Ptol. h rm, 7,24—8,5
D. = Theon. 50,5—12 H.) zweifellos zur ck,
11
Th.-Ή. Martin, Theonis Smyrnaei Platonic! ber de astronomia, Paris 1849.
13
Den Beweis daf r lieferte E, Hiller, De Adrasti Peripatetici in Platonis Timaeum com-
rnentario, in: Rh. Mus. 26(1871) 582-589.
gleich der Kapitel Theons, die auf Adrastos zurückgehen, mit den ent-
sprechenden Ausführungen bei Calcidius lassen wiederum erkennen,
daß dieser dem Adrastos außergewöhnlich viel verdankt, obwohl er ihn
nirgends namentlich erwähnt13. Wie Calcidius Zugang zu Adrastos
hatte, läßt sich aber nicht mit hundertprozentiger Sicherheit feststellen.
Ausgeschlossen ist auf jeden Fall, daß er die Adrastos-Par den bei Theon
als Quellen benutzte; mehrere Indizien, unter anderem Abweichungen
zwischen ihm und Theon in den gemeinsamen Ausführungen, zeigen,
daß er nicht aus Theon schöpfte, wie Martin glaubte, sondern eine von
Theon unabhängige Quelle heranzog 14 . Man hat an einen neuplatoni-
schen Timaios-Kommentar, vor allem an den verschollenen Kommentar
des Porphyrios, als unmittelbare Vorlage des Calcidius gedacht15. Es ist
13
Als erster wies Th.-H. Martin auf die Übereinstimmung zwischen Theon und Cakidius
hin. Aus dem von B, W. Switalskt, Des Chalcidius Kommentar zu Plato's Ttmaeus,
Münster 1902, bes. 65 sqq. systematisch durchgeführten Vergleich der beiden Autoren
ergab sich, daft die Stellen bei Calc. 44-46 - Theon 49,6-63,22 H. und Calc. 59-
91 ~ Theon 120,10-198,9 H. sicher auf Adrastos zurückgehen.
14
Einwandfrei nachgewiesen von E. H ill er, in: Rh. Mus. 26 (1871) 582-589.
ls
E. Steinheimer, Untersuchungen über die Quellen des Chalcidius, Progr, Aschaffenburg
1912, denkt an Porphyrios als Quelle von Calc. 23-26 (Ewigkeit der Weh); 26-31
(Weltseele); 21-22 (Eigenschaften der Elemente); 129-136 (Dämonenlehre), Er findet
weitere Spuren der Lehren des Porphyrios in Calc. 99-100; 301; 308-320; 337-343.
Er schließe sich der Ansicht von H. Krause, Studia neoplatonica, Diss. Leipzig 1904
an, daß Calc. 214—235 (über die Seele) auf Porphyrios zurückgeht. In seiner Schluß-
betrachtung (S. 47) schreibt er: „Man wird mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß
Porphyr nicht nur in einzelnen Abschnitten, wie nachzuweisen versucht wurde,
sondern im ganzen der Gewährsmann des Chalckiius gewesen sei. Dies mit Sicherheit
festzustellen reichen weder die verhältnismäßig wenigen von seinem Timäuskommentar
erhaltenen Fragmente aus noch auch der Umfang der in dieser Untersuchung
behandelten Abschnitte. Aber mit seinem Standpunkt verträgt sich der Kommentar
des Chalcidius vortrefflich in seinem allgemeinen Charakter wie in einzelnen Zügen,"
K. Mras, Macrobius' Kommentar zu Ciceros Somnium, Ein Beitrag z, Geistesgesch.
d. 5. Jh. n. Chr. {= S.-Ber. Preuss. Akad., ph.-hist. Kl. 1933, VI), S, 39, nimmt sogar
an, daß Calcidius die Teile seines Kommentars, die auf Adrastos zurückgehen, im
Timaios-Kommentar des Porphyrios vorgefunden hat. Mit Porphyrios als einziger
Vorlage scheint auch J. C. M, Van Winden, Calcidius on Matter. His Doctrine and
Sources, Leiden 1959, 247, zu rechnen. Selbst dann, bemerkt er jedoch, wird man
zugeben müssen, daß der Kommentar des Calcidius ein vorplotinisches Stadium
in der Entwicklung des Platonismus darstellt. A. R. Sodano, Porphyni in Platoms
Timaeum commentanorum fragmcnta, Neapel 1964, nimmt m seine Sammlung nur die
folgenden Calcidi us-Kapitel als wahrscheinliche Fragmente von Porphyrios' Kom-
mentar auf: 129-136; 142-190; 228-235; 244-249; 253-256 {1. H.); 257-267. B.
W. Switalski 113 hält es für wahrscheinlich, „daß ein späterer Grieche, der auch
kein einziges Mal nennt, erscheint somit als unsere ausführlichste Infor-
mationsquelle zur Rekonstruktion von Adrastos' Timaios-Kommentar.
Neben dem Material, das sich aus Theon gewinnen läßt, und zwei
Zitaten bei Porphyries sind ferner zwei Erwähnungen von Adrastos bei
Achüleus Tatios (3.Jh. n.Chr.) 18 und fünf Zitate in dem Timaios-Kom-
mentar des Proklos zu berücksichtigen19.
Die ausdrücklich bezeugten und die mit großer Wahrscheinlichkeit
erschlossenen Reste des Kommentars beziehen sich auf die Erläuterung
rein technischer Einzelheiten aus dem Timaios. Im Zusammenhang mit
Platons Angaben über die Erschaffung der Weltseele ging Adrastos sehr
ausführlich auf die Zahlenlehre ein; er berichtete über die anthmolo-
gischen Spekulationen der Pythagoreer und breitete sich über die musi-
kalischen Verhältnisse und ihre Beziehung zu den Zahlenverhältnissen
aus. Die Erörterungen Platons über die Gestirne (38C—40D) gaben ihm
Gelegenheit, sich mit mehreren Problemen der Astronomie zu befassen.
Es fragt sich daher, ob er einen fortlaufenden, den Text Satz für Satz
erklärenden Kommentar verfaßte oder sich vielmehr auf die Diskussion
der Probleme beschränkte, die Fachkenntnisse auf den Gebieten der
Mathematik, der Musik und der Astronomie voraussetzten. Trotz der
unleugbaren aristotelischen Elemente im zweiten Teil des Calcidius-
Kommentars wird man wohl kaum annehmen können, daß Adrastos
mittelbar oder unmittelbar die Hauptquelle für das ganze Werk des Cal-
cidius ist20. Nachdem Calcidius im ersten Teil Adrastos weitgehend ge-
da der erste Teil von Caicidius nachweislich auf Adrastos' Kommentar weitgehend
beruhe, sei es wenig wahrscheinlich, daß im zweiten Teil eine andere Vorlage
anzunehmen sei, zumal die aristotelische Färbung dieses Teiles für Adrastos als
Gewährsmann spreche. Dabei hat Borghorst übersehen, daß Calcidius sich für einen
Platomker, nicht für einen Penpatetiker ausgibt und daß wenigstens m einem
wichtigen Punkt, der Seelenlehre (Kap. 225), er sich sehr explizit von der aristote-
lischen Lehrmeinung distanziert, was bei einem Peripateciker wie Adrastos undenkbar
ist, Vgl. J. C. M. van Winden, 8-9.
18
Achill., Isag. Excerpta 16, 5. 43,9 Maass (= E. Maass, Cornmentariorum in Aratum
reliquiae, Berlin 1898) nennt Adrastos aus Aphrodisias unter denjenigen, die sich mit den
harmonischen Bewegungen der Planeten befaßt haben; ibid. 19, S. 46,29-31, erwähnter
ihn neben Thrasyllos als Verfasser einer Abhandlung über die Sonne. Maass vermutet,
daß Achill die Angaben 43,4—6; 43,29-44; 44, 29—31 aus Adrastos geschöpft hat.
19
Prokl., In Tim. II 169, 21-31; 170,5-21; 170,26-171,4; 187,17-26; 192,24-26
Diehl. Diese Zitate verdankt Proklos vielleicht dem Timaios-Kommentar des Porphy-
rios,
20
G. Borghorst, De Anatolii fontibus, 20 sqq. Vgl, oben, Anm. 17,
folgt war, hat er (bzw. sein griechisches Modell) f r den zweiten seine
Quelle offenbar gewechselt und wahrscheinlich Porphyrios herange-
zogen. Bei der evidenten Unselbst ndigkeit des Calcidius wird man
wohl annehmen k nnen, da er steh mit einer einzigen Hauptquelle be-
gn gt hatte, wenn diese ein Kommentar z rn ganzen Dialog gewesen
w re. Dazu kommt noch, da Adrastos als ein Spezialist der ,,techni-
schen" Fragen und als eine Autorit t gekennzeichnet wird21. Selbst wenn
er den ganzen Timaios kommentierte, was sich nicht mehr feststellen
l t, hat er zweifellos das Hauptgewicht auf die Anthmologie und auf
den mathematischen Aspekt der Musiklehre und der Astronomie
gelegt22.
Noch schwieriger zu l sen ist die Frage nach den Quellen des
Adrastos selbst. In den Adrastos-Teiien bei Theon wird zwar mehrmals
auf vor-adrastische Literatur verwiesen, es l t sich jedoch nicht immer
feststellen, ob Theon diese Verweise bei Adrastos vorgefunden oder
selbst zur Erg nzung oder Korrektur seiner Vorlage hinzugef gt hat.
Sicher ist, da f r die Musiklehre Adrastos eine pythagoreische Schrift
herangezogen hat23. Mehrere andere Autoren der Kaiserzeit sch pfen
21
Theon 49,6—7 H. ό δε περιπατητικόςνΑ5ραστος γνωριμώτερον περί τ e αρμονίας και
συμφωνίας διεξιών, φησί. Achi ., Isag. Exe. 16, S. 43,3 und 19, S. 46,29—31 Maass,
kennt ihn als einen derjenigen, die ber die „harmonischen" Bewegungen der Planeten
und ber die Sonne geschrieben haben. Prokl., In Tirn, II 187,17 Diehi hebe sein
Spezialistentum (φιλοτέχνων) hervor.
2:2
Mit der Frage, ob Adrastos einen vollst ndigen, fortlaufenden Kommentar geschrieben
habe, befa t sich J. H, Waszink, Studien, I 26—30. Er meint, da Adrastos sich auf die
Er rterung einiger spezieller Fragen beschr nkte.
23
Theon 50, 4-5 φησϊ δε (ό Άδραστος) καί τους Πυθαγορικοΰς περί αυτών οΰτω
τεχνολογείν. Ferner 55,14; 56,10; (- Gate. 45). 94,3; 8; 99,14; 18; 103,4; 116,4-5;
138,11 (~ Calc. 72); 139,11 (~- Calc. 73); 147,4 (~- Calc. 95); 150,16 (~ Cak, 78).
Porph. In Ptol. 7,22—23 During: ό γοΰν περιπατητικός "Αδραστος τα κατο τους
Πυθαγορείους εκτιθέμενος γράφει. Adrastos empfand zweifellos eine gro e
Bewunderung f r Pythagoras als Mathematiker; kennzeichnend ist in diesem Zusam-
menhang die pointierte Antwort, die er einem wohl nur an das Zeugnis der Sinnes-
wahrnehmung glaubenden Philosophen gab. Sie steht bei Claudianus Mamertus an
einer Stelle, an der es hei t, da die reine L nge ohne die brigen Dimensionen nicht
existiert und daher nur geistig fa bar ist, Sdo autem, bemerkt Claudianus dazu, hanc
eandem liquido conspid non esse muhorttm, quarrt cum Marcius quoqxe philosopbtts
negaret matbematico Adrasto se videre, cum line as f&brorHm videret, „utique non
mirum est", inquit Adrastits, „quod babes oculos similes fabrorn.m} ingenium issimile
Pythagorae". (Claud. Mamert., De statu animae I 25, S. 88,19-89,2 Engelbrecht
[CSEL XI].)
24
Vgl. u.a. G. Borghorst, De Anatolii fontibus, und A. Delatte, Etudes sur la
litterature pythagoricienne, 1915, 169.
25
A. Schmekel, Philos. mittl. Stoa 403 sqq. G. orghorst 55 sqq.
26
Poseidonios als Urquelle: B. W. Switalski, bes. 88 sqq.; 109 sqq. C. Fries, De M.
Varrone a Favonio Eulogio expresso, in: Rh. Mus, 58 (1903) 115 — 125. G, Borghorst
55 sqq.
27
Theon 64,2-65,9. ProkL, In Tim. II 170,5-21. Vgl. J. H. Waszink, Studien I 8-15.
28
ProkK, In Tim, II 169,21—31. Weitere Erw hnungen des Aristoxenos, die wahr-
scheinlich auf Adrastos zur ckgehen, hat Theon 53,9; 55,12; 15; 56,1; 67,10.
29
Wahrscheinlich der ber hmte Astronom und Astrologe aus der Zeit des Tiberius, vgL
W. Gundel, Art. Thrasyllos 7, RE VI A 2 (1936) 581 sqq.
lung über die Sonne nennt 30 , wird auch mehrmals von Theon zitiert. Es
ist aber längs erkannt worden, daß die Auszüge aus Thrasyllos nicht bei
Adrastos standen, sondern von Theon selbst gemacht wurden31.
Etwas schwieriger ist die Entscheidung über die Verweise auf Erato-
sthenes bei Theon. Einige der Eratosthenes-Zitate sehen wie Einschübe
aus, die Theon gemacht hat, um die Ansicht des Eratosthenes mit der des
Adrastos zu konfrontieren; sie erscheinen sozusagen als entbehrliche
Dubletten, die sich von dem Grundtext des Adrastos deutlich ab-
heben 32 . In anderen Fällen stammen die Zitate jedoch höchstwahr-
scheinlich von Adrastos selbst. Der bei Theon leider lückenhafte Para-
graph über Eratosthenes' Angaben zur Himmeisharmonie und zur
Reihenfolge der Planeten 33 steht am Anfang einer langen Unterbrechung
der Ausführungen des Adrastos. Nach dem Eratosthenes-Zitat weist
Theon auf die unterschiedlichen Ansichten der Mathematiker über die
Ordnung der Planeten hin 34 , dann legt er Platons Ansicht dar, zitiert
eine lange Passage aus dem Staat und fügt Bemerkungen über die Identi-
fizierung der platonischen Sirenen mit Gestirnen hinzu35. Erst dann36
scheint er wieder Adrastos abzuschreiben. Dennoch ist es ziemlich
30
Vgj. oben S. 299 Anm. 18,
31
Vgl. A. Schrnekel, Philos. mittl. Stoa 409 Anm. 3, und vor allem G. Borghorst
16—25, der gezeigt hat, daß aus dem ersten (mathematisch-musikalischen) Teil Theons
die Abschnitte 47,17—49,5 und 85,8-93,9 von Thrasyllos stammen. Da es ferner sehr
wahrscheinlich ist, daßTheon die Abschnitte 17,25-46,19; 58,13-61,13;93,17-106,11
Moderates von Gadeira {so Borghorst) oder einem anderen Neupythagoreer verdankt,
gehen nur folgende Passagen auf Adrastos zurück: 49,6—58,2; 61,18 — 85,7;
106,12—119,16. Eine willkommene Bestätigung dieser Schlußfolgerung liefert der
Vergleich mit Caicidius: Die wörtlichen Übereinstimmungen mit Theon im ersten
Teil des lateinischen Kommentars beziehen sich nur auf die Abschnitte Theons, die
von Adrastos stammen.
32
Die Anekdote in 2,3 — 12 aus dem Platunikos des Erastosthenes über die Duplikation
des delphischen Altars steht in der von Theon selbst verfaßten Einleitung und ist
sicher von ihm selbst eingefügt worden. 81,17—82,5, über den Unterschied zwischen
Verhältnis und Intervall, fungiert als Dublette von 81,6-16 {Adrastos). 82,22-84,6,
über die Proportion, läuft parallel mit 52,6—21 (Adrastos) und ist um so wahrschein-
licher von Theon selbst eingeschoben worden, als dieser etwas weiter umen (85,8 sqq.)
die Proportionslehre des Thrasyllos heranzieht. 107,15—24, über Verhältnis und Pro-
portion, und 111,10—13, über die Entstehung der Figuren aus den Proportionen,
erscheinen ebenfalls als nachträgliche Einschübe in den Grundtext des Adrastos,
" 142,7-143,1.
34
143,1-6.
35
143,7-147,6.
36
Ab 147,7.
37
142,7-147,6, vielleicht ohne den w rtlichen Auszug aus Pkt., Resp, in 143,19-146,2.
38
Calc. 73.
39
Theon 146,11.
40
124,10-127,23. hnlich Strab. II 5,5, 112. Sen., N.Q. IVb 11. Plin., N.H. II 160.
Kleom., De mot. circ. I 10, S. 102,9-20 Ziegler. Der Nachweis, da die Berge im
Vergleich zu dem Erddurchmesser sehr niedrig sind, wurde von Eratosthenes erbracht:
Theon Alex., In Ptol. Synt. I, S. 63 Halma = Eratosthenes II A 2 Berger, Z rn
Problem vgl, W. Capelle, Berges- und Wolkenh hen bei griechischen Physikern
{Stoicheia 5} 1916, 18-21.
41
Calc. 63. Calcidius meint wohl, da man sich nicht durch die enorm erscheinende
H he der Berge tauschen lassen, sondern sich auf den anhand von exakten Messungen
durchgef hrten Vergleich der Bergeshohen mit dem Durchmesser der Erdkugel
verlassen sollte. Etwas anders schildert Strab. a.a.O. (Anm. 40) die Gestalt der Erde,
Man k nnte sie kugelf rmig nennen ούχ ως αν εκ τόρνου φαμέν, ούδ' ώςό γεωμέτρης
προς λόγον, άλλα προς αισθησιν, καί ταύτη ν παχυτέραν. Den Unterschied
zwischen σφαίρα (exakter Sph re) und σφαιροειόές (im gro en und ganzen kugel-
f rmig) kennt Achill., Isag. exe. 6, S. 37,17—22 Maass, wahrscheinlich aus Eudoros.
Irn Gegensatz zum Himmel ist die Erde nur kugelf rmig und keine vollkommene
Sph re, hnlich Schol. anon, in Arat. S, 92,7—12 Maass.
42
Theon 194,8-10. Calc. 88.
43
Theon 197,8-198,8.
44
Vgl, 198,9 ταυτΐ μεν ό Άδραστος.
45
Calc. 91.
46
Das Hipparchos-Zitatin 202,19 steht in Ausf hrungen, die Theon dem Derkylides (vgl,
198,9) verdankt. In 166,6—10 erscheint das Zitat ganz deutlich als ein Einschub
zwischen der Ank ndigung der Beweisf hrung des Adrastos (166,6 δείκνυσιν εκ
τούτων) und der Beweisf hrung seJbst (166,10 δείκνυοι δε 6 "Αδρασιος). Mit 185,17
wird an das in 166,6—10 Gesagte erinnert.
47
Decaelol!?.
48
Theon 120,10-198,8. Calc. 59-91.
mit der Beobachtung, da schwere K rper zur Mitte hin fallen; da sie
alle m glichst nahe an die Mitte heranzugelangen versuchen, mu sich
daraus ein in der Mitte ruhender kugelf rmiger K rper ergeben 56 . Auch
die Oberfl che des Wassers ist nicht waagerecht, sondern wie die Fl che
einer Kugel gekr mmt; das zeigen verschiedene optische Beobachtun-
gen57, und das l t sich auch physikalisch-mathematisch beweisen58.
Die Lage der Erde in der Mitte des Alls l t sich ebenfalls durch die
Wahrnehmung feststellen. Wir haben, wo wir auch stehen m gen,
immer eine H lfte der Himmelskugel ber uns, und von jedem Ort aus ist
wahrnehmungsgem der Abstand zur u ersten Himmelssph re
59
gleich .
Im Vergleich zu der Gro e des Weltalls ist die Erde so au erordent-
lich winzig, da sie nicht in einem wahrnehmbaren Verh ltnis zum All
steht; der Sonnensph re, und noch mehr der Fixsternsph re gegen ber
erscheint die Erde als ein blo er Punkt; die Winkelrnessungen am Him-
mel bleiben genau die gleichen, ob man sie von diesem oder von jenem
Ort aus vornimmt 60 .
Die Ansichten des Adrastos ber die Ursache und die Zweckm ig-
keit der Himmelsbewegungen schlie en sich eng an die des Aristoteles
an. Adrastos meint, da das erste, h chste Wesen die Kreisbewegung
des Alls bewirkt und dem Kosmos die bestm gliche Disposition gegeben
hat; die Bewegungen der Planeten erfolgen, damit wir die Zeit messen
k nnen, und ihr regelm iger Wechsel verursacht Entstehen und Ver-
gehen in der sublunaren Welt. Die ewige, gleichm ige Kreisbewegung
56
De caelo II 14, 297a S-b23 - Theon 122,1-16. Calc. 61, S. 108,14-19.
57
Auf hoher See entdeckt man, wenn man auf den Mast eines Schiffes klettert, Dinge,
die vom Schiff selbst unsichtbar sind: Theon 122,17—123,4. Calc. 62, p. 109,3-11.
Nicht bei Aristoteles.
58
Das Argument des Adrastos, Theon 123,4-124,7, Calc, 62, S. 109,11-110,11,
entspricht genau dem des Aristoteles, De caelo II 4, 287a 30-b 14,
59
Theon 128,1-5 (vgl. auch 120,15-20). Caic. 64, S. 111,3-8, hnlich wohl
Aristoteles De caelo II 14, 297a 2-6.
60
Theon 128,5-129,4 (l ckenhaft). Calc. 64, S. 111,8-14. Der „punktuelle" Aspekt der
Erde im Vergleich zum Weltall (Theon: σημείου τάξιν επέχει. Calc.: quod '. .'. natae
obtme&t modum} wird auch von Geminos XVI29; XVII16, Kleomedes Π l, S, 102,21
sqq.; II l, S. 126,15 sqq; II 8, S. 176,11 sqq. Ziegler, Chrysipp, ap, Achill. Tat. 32,
18—20, Maass. SimpL, De caelo 547,18 (οημείου λόγον έχει προς τον ούρανόν)
hervorgehoben. Die Bemerkung, da die Erde winzig klein ist, begegnet uns auch bei
Arist., De caelo II 14, 297b 30-298 a 9; Meteor. I 3, 339b 6-9; 340a 6-8. ber das
Thema in der Literatur, vgl. A. J. Festugiere, Revel. Herrn. Tnsm., II. Le Dieu
Cosmique 448-456.
des Himmels, die einem göttlichen Akt und einem göttlichen Leben
gleicht, setzt notwendigerweise einen ruhenden Mittelpunkt, die Erde,
voraus; und wenn die Erde sich unten befindet, muß sich das Feuer nach
oben bewegen und seinen Sitz unmittelbar unter den im Kreis bewegten,
ätherischen Wesenheiten haben; zwischen Feuer und Erde müssen die
mittleren Elemente, Luft und Wasser, ihren Sitz haben. Diese vier Ele-
mente haben eine gemeinsame Materie; sie können sich daher ineinander
verwandeln, und zwar unter Einwirkung der Planetenbewegungen,
Gäbe es nämlich nur eine einzige, immer gleichmäßige Himmelsbe-
wegung und nicht das bunte Auf und Ab der Planeten, besonders der
Sonne und des Mondes, so würden auch Entstehung und Veränderung
in der sublunaren Welt nicht stattfinden61. Daß dies rein aristotelisch ist,
braucht kaum hervorgehoben zu werden. Die Erörterungen über die
zweckmäßige und notwendige Disposition des Weltgebäudes folgen
genau den Ausführungen in De caelo II 3, und die Ansicht, daß mehrere
Himmelsbewegungen erforderlich sind, um Entstehung und Vergehen
zu verursachen, hat Aristoteles auch in De generatione et corruptione
II10 und der Metaphysik ( 6 1072 a 9—18) geäußert. Eine Zwischen-
bemerkung des Adrastos zeigt jedoch, daß man sich in der Zwischenzeit
Gedanken über die ideologische Erklärung in der Kosmologie gemacht
hatte. Wenn die Planetenbewegungen wegen des Entstehens und Ver-
gehens stattfinden, heißt das nicht etwa, daß erhabene göttliche, ewige,
nicht entstandene und unvergängliche Wesenheiten auf niedrigere, sterb-
liche hin orientiert sind und um ihretwillen existieren? Gewiß nicht,
antwortete Adrastos; die himmlischen Wesenheiten genießen das
schönste, beste, glückseligste Dasein, und ihre Einwirkung auf die
sublunare Welt ist nicht das Ziel, sondern nur eine akzidentielle Folge
dieser Vollkommenheit der oberen Bereiche; die irdische Welt ahmt, so
gut sie kann, Gottes Glückseligkeit nach62. Diese Präzisierung stellt eine
interessante Station in den Bemühungen des Peripatos dar, das Verhält-
nis der göttlich-himmlischen Welt zur irdischen genauer zu bestimmen,
als Aristoteles es getan hatte, und eine aristotelische Lehre von der Vor-
sehung aus der Bewegungslehre heraus zu gewinnen. Ein kleiner Dialog
des Alexander von Aphrodisias über diese Themen63 zeigt, daß ein Jahr-
61
Theon ]48,13-150,i2. Calc. 75-76. Vgl. Fr. Boll, Studien über Claudius Ptolemaus,
in: Jahrb. f. class. Philol. ( Suppl.-Bd. 21 (1894) 160-161.
62
Theon 149,10-15. Calc. 76, S. 124,1-5.
63
Quaest. II 21, bes. 68,16-69, 31. Eine ähnliche Schwierigkeit formuliert auch Ps,-
Plut., De fato 569 F. Vgl. unten S, 500.
hundert nach Adrastos das Problem immer noch im Mittelpunkt der ge-
lehrten Diskussionen der Peripatetiker stand,
Das Problem der Planetenbewegung ergab sich für Adrastos aus den-
selben Betrachtungen, die auch bei Aristoteles (und vor ihm Platon und
Eudoxos) die ganze Spekulation über die Planetensphären angeregt hat-
ten. Einerseits beobachtet man, daß die Planeten durch die tägliche Um-
drehung des Fixsternhimmels von Ost nach West mitgezogen werden,
und ferner, daß ihr eigener Lauf von West nach Ost mehrere Unregel-
mäßigkeiten aufweist. Sie bewegen sich weder alle auf derselben Ebene
noch mit derselben Geschwindigkeit; bei jedem einzelnen stellt man Be-
schleunigungen und Verlangsamungen des Laufes fest; einige von ihnen
sieht man sogar stillstehen, dann in die entgegengesetzte Richtung lau-
fen, wieder stillstehen und dann ihren ursprünglichen Kurs wieder auf-
nehmen; da sich ferner ihre Neigung zur Ekliptik dabei ändert, hat ein
Teil ihrer Bahn die Form einer Schleife oder einer Doppelschleife. Ande-
rerseits aber darf man nicht annehmen, daß die Planeten, die ja göttliche
Wesen sind, solche unregelmäßigen und ungeordneten Bewegungen in
Wirklichkeit durchführen; es ist ein notwendiges Naturgesetz (
), daß die himmlischen Körper sich gleichmäßig und ge-
ordnet ( ) bewegen. Dies bedeutet, daß die
scheinbare Bewegung als die Resultante der Kombination verschiedener
Kreisbewegungen, die mit konstanter Geschwindigkeit und jeweils in
derselben Richtung erfolgen, erklärt werden muß; jeder Planet befindet
sich in dieser Perspektive auf dem Äquator einer rotierenden Sphäre, die
selbst an den Bewegungen anderer rotierender Sphären teilhat. Durch
eine solche Hypothese kann man die Phänomene bewahren, ohne den
Gestirnen Unregelmäßigkeiten zuzuschreiben, die bei göttlichen Wesen
undenkbar sind64. Die Systeme des Eudoxos und des Kallippos sowie
den eigenen Beitrag des Aristoteles zur Sphärentheorie kennt Adrastos
durch das 8. Kapitel von Metaphysik , auf welches er verweist65. Auf-
fallend ist jedoch, daß er von diesen Systemen, die mit der Annahme
M
Theon 150,12sqq. Calc. 77, S. 125,6 sqq. - Aristoteles befaßt sich sehr ausführlich
mit dem Problem der Gleichmäßigkeit der Himmelsbewegungen (De caeio II 6) und
vertritt bekanntlich die Ansicht, daß die Gestirne von der Sphäre bewegt werden, an
der sie befestigt sind (De caelo II 8). Adrastos geht auf das Argument des Stagiriten
nicht ein und begnügt sich mit der Feststeilung, die Regelmäßigkeit sei natürlich und
notwendig bei den Gescirnbewegungen, Vg], z.B. Theon 150,21—23; 153,16—37 etc.
Auf De caelo II 8 und 12 beruft sich Adrastos ausdrücklich bei Theon 178,3—10.
65
Theon 178,10 sqq,
74
186,17—24. Diese erste Erklärung weicht von der klassischen Epizyklenhypothese
nicht ab.
75
186,24—187,13. Wir haben es also hier mit einer Variante der Epizykientheorie zu
tun. In dem geozentrischen Weltsystem befindet sich ein kleineres System, das wir
als Sonnensystem bezeichnen können; es besteht aus Venus, Merkur und der Sonne
und kreist — wie sonst die einzelnen Planeten — um die Erde. Eine solche Theorie
kennt auch Calcidius 110, sehr wahrscheinlich durch Adrastos, und schreibt sie
Herakleides Pontikos zu. Was Herakleides Pontikos in Wirklichkeit gelehrt hat, laßt
sich allerdings nicht mit Sicherheit ermitteln, denn wie Adrastos bei Platon und Aristo-
teles die Epizykientheorie zu finden glaubt, kann er auch dem Plat on-Schüler
Herakleides eine Theorie zugesprochen haben, die sp ter entstanden ist. Dar ber mehr
in der Spezialliteratur, Die wichtigste Bibliographie gibt F. Wehrli, Schule des Arist,
VII (1953) 97 an. Weitere Spuren dieser Lehre: Macrobius, In Somn. Scip. I 19,6-7.
Vitruv. IX l, 6-9. Mart. Cap. VIII 854; 857; 879, Wichtig ist auf jeden Fall, da der
Urheber dieser Hypothese nicht mit einer feststehenden Reihenfolge der Planeten
zwischen Erde und Fixsternhimmel arbeitete, denn seiner Ansicht nach gibt es Zeiten,
in denen Venus und Merkur sich zwischen Sonne und Erde befinden (Perig um) und
andere, in denen sie von der Erde weiter entfernt sind als die Sonne (Apog um).
Die Hypothese von drei konzentrischen Epizyklen f r die Sonne, Merkur und Venus
erkl rt jedoch, wie die „heterodoxe" Liste der Planeten (Saturn Jupiter Mars Sonne
Merkur Venus Mond) entstanden ist. Da der Winkelabstand der Veniis zur Sonne
gr er ist als der des Merkur, mu Venus den gr ten, u ersten Epizykel haben
und sich somit der Erde mehr n hern k nnen als Merkur es je tut. Sind die Epi-
zyklen aber nicht konzentrisch, sondern jeweils in eine Sph ren wand eingef gt wie in
der ersten Erkl rung, so ist die Reihenfolge der Planeten zwischen Sonne und Erde
gleichg ltig. Die „heterodoxe" Planetenliste kommt bei Cic., De nat. deor. II 52-53
vor, wo der Hinweis auf die maximalen Winkelabst nde von Merkur und Venus an die
Hypothese der konzentrischen Epizyklen (Theon 187,10—13} erinnert, Aetius II 32, l
(Diels, Dox. S. 363) und Philon, De provid. I! 69; Quis rer. div. heres 224, Sie wird
meistens als poseidonianisch angesehen: K. Reinhardt, Kosmos und Sympathie 131 —
136. Hultsch, Art. Astronomie, RE 11(1896) 1859,38, Rudberg in; Theol. Rundschau
NF 4 (1932) 109. K. Reinhardt, Art. Poseidonios 3, RE XXII (1953) 701, M. Pohlenz,
Die Stoa I 223; 229; II 111. W. und H. Gundel, Art. Planeten, RE XX (1950) 2101.
76
Theon 187,13-188,7, Vgl, auch 138,16-17: einige Pythagoreer, die die Reihenfolge
Mond Merkur Venus Sonne Mars Jupiter Saturn annehmen, tun dies μέσον είναι,
βουλόμενοι τον ιόν ηλίου των πλανωμένων ως ήγεμονικώτατον και οίον καρδίαν
του παντός. Waszink, Studien I 36 geht m. E. zu weit, wenn er die Parallelit t der
beiden Stellen abstreitet. Die astronomischen Vorstellungen, auf denen die Auffas-
sung von der Sonne als dem Herzen des Kosmos jeweils beruht, sind zwar nicht die
gleichen, identisch ist jedoch an den beiden Stellen die Angabe ber die Funktion der
dachten Kosmos ist sicher nicht aristotelisch. Der Stagirite hebt zwar her-
vor, da die Sonne beim Entstehen und Vergehen der irdischen Dinge
eine wesentliche Rolle spielt, er vergleicht sogar die zeugende Funktion
der Sonne und des Himmels mit der eines Vaters, wobei die Erde als
weiblich-m tterlich gekennzeichnet wird 77 ; nirgends deutet er jedoch
an, da im Universum die Sonne dieselbe lebenswichtige Funktion inne-
hat wie das Herz im Lebewesen78. K, Reinhardtj der sich mit diesem
Thema sehr eingehend befa t und auf mehrere Parallelstellen hinge-
wiesen hat, zeigt, da es stoisch ist und mit der Interpretation der
Timaiosstelle 34 B, την ψυχήν εις το μέσον θείς, eng zusammenh ngt;
obwohl er einen Timaios-Kommentar des Poseidonios f r „weder be-
wiesen noch wahrscheinlich" h lt, sieht er in der Auffassung von der
Sonne als Herz des Weltalls ein typisches Motiv der poseidonianiscben
Kosmologie79. Das Auftauchen dieses Motivs bei Adrastos d rfen wir
jedoch wahrscheinlich nicht als einen Beweis der Sympathie des Peri-
patetikers f r die Stoa interpretieren; wenn es wirklich auf Poseidonios
zur ckgeht, ist es nicht als stoische Lehrmeinung, sondern vielmehr als
Beitrag zum Verst ndnis des Timaios von Adrastos bernommen
worden.
Sonne m der Organisation des Kosmos. Parallel mit Theon ist Calc. 100. F r Adrastos
als gemeinsame Vorlage argumeniiert mit Recht J. H. Waszink, Studien I 63 sqq,
77
De gener, anim. I 2, 716a 15-17.
78
Die Auffassung, da das Herz Ursprung der lebenswichtigen Warme sowie Sitz des
Lebensprinzips und der wahrnehmenden und bewegenden Seele ist, begegnet uns dage-
gen recnt h ufig im Corpus Anstotehcum; die meisten Stellen gibt H. Bonitz, Ind. Arist.
365 b 27—54 an. Die sp teren Aristote ker behielten diese Auffassung bei, und die
Herzgegend wurde sogar als Sitz des Hegemonikon und aller Lebenskr fte angesehen.
Vgi. z.B. Alex. Aphrod., Deanima 94,7-100,17, und dar ber unten Bd. III. Aristo-
telisch ist auch die Aufzahlung der Seelenverm gen bei Theon 187,23—25 πάσης
ψυχικής δυνάμεως ούααν αρχήν, οίον ψυχικής (wahrscheinlich ist hier φυτικής zu
schreiben) και κατά τόπον ορμητικής (και) ορεκτικής και φανταστικής και δια-
νοητικής. Da die Wahrnehmung hier nicht genannt wird, geht wohl auf eine L cke
im berlieferten Text zur ck.
79
K. Reinhardt, Kosmos und Sympathie 332-337; Art. Poseidonios 3, RE XXII (1953)
692-695. Ihm zustimmend W. Theiler, Vorber. d. Neuplat, 91. M, Pohlenz, Die
Stoa I 223; II 111, Opposition von R. M. Jones, Poseidonios and solar Eschatology,
in: Class. Philol. 27 (1932) 113sqq. Die Sonne als Hegemonikon der Welt bereits bei
Kleanthes SVF I, Fr. 499.
entschieden hatte. Elias nennt bald Herminos (Cat. 241,30—34), bald Archytas (Cat.
132,26) als Anh nger dieser Bezeichnung; der Hinweis auf Archytas ist sicher
falsch und geht auf einen Lapsus zur ck, wie der Vergleich mit Schol. 32b 31—33a
l Brandis zeigt. Da Herminos diesen Titel bernahm, h ren wir sonst nirgends;
auch hier hat vielleicht der wenig zuverl ssige Elias wieder einmal etwas verwechselt.
Vgl. P. Moraux, Listes anciennes 63 — 64.
96
Simpl., Cat. 18,16-21,
87
Amm. s Cat. 13,20-23.
98
Vgl. oben Bd. I 101 sqq.
ein und derselben Schrift fanden 89 . Was Adrastos anbelangt, so fällt die
Sorgfalt auf> mit der er sämtliche Indizien zusammenstellte, die ein
Urteil über die zweite Fassung der Kategorien ermöglichten. Daraus
geht hervor, daß er sich in seiner Monographie über die Reihenfolge der
Aristoteles-Traktate nicht auf die Berücksichtigung interner, im Corpus
selbst vorhandener Indizien beschränkte, sondern auch versuchte, insbe-
sondere durch Erforschung der älteren Aristoteles-Literatur und Unter-
suchung des Bestandes der ihm zugänglichen Bibliotheken das vorhan-
dene Material zu vermehren. Wie er sich dann mit den neu entdeckten
Dokumenten befaßte, zeigt seine philologische Charakterisierung der
zweiten Kategorienschrift.
D. Aristoteles-Interpretation
Durch eine Bemerkung Galens erfahren wir, daß Adrastos die Kate-
gorien kommentiert hatte und daß zu Galens Zeiten dieser Kommentar
und der des Aspasios die maßgeblichen Werke waren, die als Hilfe zur
eigenen Lektüre der Kategorien empfohlen werden konnten90. Eigent-
liche Fragmente sind nicht erhalten, wir werden jedoch sehen, wie
Adrastos bestimmte Aspekte der Kategorienlehre für seine Interpreta-
tion einer schwierigen Stelle der Physik zu Rate zog.
Daß er sich für die Physik interessierte, geht nicht nur aus den oben
referierten Angaben über die verschiedenen Titel dieses Traktats hervor;
wir besitzen auch einen langen Auszug aus Adrastos, der nur aus einem
fortlaufenden und offensichtlich sehr detaillierten Kommentar stammen
kann.
In seiner Widerlegung des parmenidisehen Monismus gebraucht
Aristoteles einen Ausdruck, der nicht von vornherein klar ist. „Man
muß (in der Perspektive des Parrnenides) annehmen", schreibt er, „daß
das Seiende das Subjekt, von welchem es prädiziert wird, nicht nur als
89
Auf solche durch dieses und ähnliche Zeugnisse erwiesenen Interventionen antiker
Korrektoren und Paraphrasten gehen sehr wahrscheinlich die erhaltenen Doppelfas-
sungen einiger Teile des Corpus zurück. Ein Teil der Varianten der handschriftlichen
Überlieferung sowie die Opposition zweier Familien, die die Tradierung bestimmter
Traktate kennzeichnet, dürfte wohl denselben Ursprung haben. Eine gute Mono-
graphie über diese Probleme halte ich für ein dringendes Desideratum.
90
Vgl. oben Anm. 1.
tion, wie etwa Gattung oder Differenz, vom Subjekt ausgesagt werden
oder wenn die Art des Subjekts oder ein wesentliches Merkmal von ihm
angegeben wird 98 . In diesen und hnlichen F llen hat man es mit einer
„synonymischen" Pr dikation zu tun, sowohl der Name des Pr dikats
wie auch seine Definition passen zu dem Subjekt"; im Subjekt ist n m-
lich genau das Wesen des Pr dikats verwirklicht (είναι και λέγεσθαι
το ύποκείμενον οπερ το κατήγορου μενον). Durch den Satz „Sokrates
ist ein vernunftbegabtes, sterbliches Lebewesen" wird angegeben, da
Sokrates genau das Wesen eines vernunftbegabten, sterblichen Lebe-
wesens besitzt; er ist οπερ ζφον λογικον θνητόν. So verh lt es sich
auch, wenn ich von einer bestimmten wei en Farbe, etwa von der dieses
Schwanes, sage, da sie wei ist: Sie besitzt das genaue, volle Wesen des
Wei en schlechthin, sie ist οπερ λευκόν. In anderen F llen aber stellt
das Pr dikat nur ein Akzidens des Subjekts dar. Sage ich von diesem
Mantel, da er wei ist» so bedeutet das nicht, da das genaue, volle
Wesen des Wei en identisch mit dem des Mantels ist; der Mantel ist
n mlich keine Farbe, die so und so beschaffen ist; er ist nicht οπερ
λευκόν. Sokrates ist stumpfnasig, sein Wesen ist jedoch nicht die
Stumpfnasigkeit, er ist also nicht οπερ σιμόν100.
Was die Akzidentien anbelangt, so mu man aber unterscheiden:
Einige von ihnen sind mit dem Subjekt dauernd verbunden, wie etwa die
Stumpfnasigkeit des Sokrates oder die Krummbeinigkeit eines anderen
Menschen; andere sind bald vorhanden und bald wieder nicht mehr:
Sokrates schl ft, er spaziert etc. Aber weder in dem einen noch in dem
anderen Fall kann das Subjekt die Definition seines akzidentiellen Pr di-
kats erhalten, und niemals erscheint ein Akzidens in der Definition des
Subjekts. Niemals wird man also vom Subjekt aussagen, da es genau
das Wesen seines Akzidens (οπερ το συμβεβηκός) ist101. Daran ndert
die Tatsache nichts, da das Substrat in der Definition bestimmter Akzi-
dentien erw hnt wird, Die Stumpfnasigkeit wird zwar als eine Hohl-
rundung in der Nase definiert, das bedeutet jedoch keine Identit t
zwischen dem Wesen des Pr dikats und dem des Subjekts102.
Nach diesen Er rterungen, aus denen hervorgeht, da nur bei der
essentiellen Pr dikation das Subjekt das οπερ εστί seines Pr dikats be-
98
Reminiszenz an die Lehre der Topik.
99
Vgl. Cat. l , l b 12.
100
Simpl., Phvs. 123,10-124,1.
101 lm
124,7-14. 124,14-19.
an, zu zeigen, daß die essentielle Prädikation auf der wesentlichen Iden-
tität von Subjekt und Prädikat beruht und daß nur dort das Prädikat als
ein erscheint. Überflüssig sind dagegen die Erörterungen über
die Akzidentien, in deren Definition das miterwähnt
106
wird , Man könnte vielleicht vermuten, daß Adrastos nur der Voll-
ständigkeit halber diesen Punkt erörtert hat, aber wir werden gleich
sehen, daß er in Wirklichkeit etwas anderes beabsichtigte und daß wir es
hier nicht mit unnötigem Ballast zu tun haben, Noch entbehrlicher
erscheinen die Angaben über die gegenseitigen Beziehungen der Ge-
samtaussage und der einzelnen Termini, aus denen sie besteht107. In der
von Simplikios referierten Erklärung der Physikstelle spielen sie über-
haupt keine Rolle, und mit den vorhergehenden Erörterungen über die
Prädikation haben sie auch nicht das Geringste zu tun. Wie kommt es
also, daß Adrastos sich in seinen einleitenden Bemerkungen darüber so
ausführlich geäußert hat? Das Problem löst sich von selbst, wenn man
diese anscheinend überflüssigen Ausführungen mit dem Abschnitt 186b
12—35 des Aristoteles vergleicht. Die Verwandtschaft der beiden Texte
springt in die Augen. Die Definition des Menschen als , die
Adrastos als Beispiel anführt, kommt in dieser Passage der Physik
vor108. Die Unterscheidung zwischen vorübergehenden Akzidentien
und solchen, in deren Definition das Substrat erwähnt wird, stammt
ebenfalls aus dieser Passage109. Ferner hebt Aristoteles hervor, daß die
Glieder oder die Bestandteile einer Definition die Definition des defi-
nierten Ganzen in ihren eigenen Definitionen nicht beinhalten. Definiert
man den Menschen als zweifüßiges Lebewesen, so erscheint die Defi-
nition des Menschen in der des Zweifüßiers nicht110. Aus diesen Beob-
achtungen geht eindeutig hervor, daß die vorbereitende Digression des
Adrastos nicht ausschließlich auf die Erklärung von 186a32 —b 3 zuge-
schnitten war, sondern auch die für die Interpretation von 186b 12—35
erforderlichen Vorkenntnisse vermitteln wollte. Nun hat Porphyrios in
seinem Auszug, den Simplikios abschreibt, die einleitenden Erörterun-
gen des Adrastos in extenso wiedergegeben, aus dem eigentlichen
Kommentar aber nur die ersten Zeilen zitiert. Das erhaltene Fragment ist
106
124,7-19.
107
124,19-33,
108
124,25-30 - Arist. 186b 18-23.
109
Simpl. 124,7-19 ~ Arist. 186b 18-23.
110
Simpl. 124,19-33 - Arist. 186b 23-26.
Adrastos befa te sich auch mit der Ethik des Aristoteles und des
Theophrast, nicht etwa um die Werke des Stagiriten und seines Nach-
folgers fortlaufend zu kommentieren, sondern um die dort angeschnit-
tenen historischen und literarischen Fragen zu behandeln. F nf B cher
dieses umfangreichen Werkes bezogen sich auf Theophrasts περί ηθών,
ein sechstes war der EN des Aristoteles gewidmet111. Unter anderem be-
fa te er sich ausf hrlich mit der Figur des Plexippos bei dem Tragiker
Antiphon und mit Antiphon selbst112. Nun zitiert Aristoteles den Tra-
giker Antiphon mehrmals, er erw hnt sogar den Streit des Plexippos
mit Meleager113, jedoch nicht in der EN. Eine Stelle aus Theo-
phrasts περί ηθών war es also, die Adrastos zu seinen Ausf hrungen
ber Antiphon anregte. Dieses konkrete Zeugnis des Athenaios zeigt,
da Adrastos sich nicht mit der Erkl rung von Angaben geschichtlichen
111
Athen. XV 673 E—F, wo Casaubonus den berlieferten Namen "Αδραντον mit Recht
in "Αδραστον korrigiert hat. Athenaios spricht von πέντε . . . βιβλία περί. των παρά
Θεοφράστφ εν τοίς περί Ηθών καθ' ίστορίαν καί λέξη? ζητουμένων, έκτον δε περί
των εν τοις Ήθικοίς Νικομαχείοις Αριστοτέλους. ber Theophrasts περί ηθών
vgl. O, Regenbogen, Art. Theophrastos, RE Suppl. VII 1479-1480.
112
Athen, a. a. O. Plexippos, ein Onkel des Meleager, wurde von diesem w hrend eines
Streites urn das Fell des kalydonischen Ebers erschlagen. Der am Hofe des lteren
Dionysios wirkende Tragiker Antiphon hatte diese Episode der Sage in seinem Melea-
gros {Fragmente und Testimonien bei A. Nauck, TGF1, S, 792; die Adespota Nr. SO
und 81 stammen wahrscheinlich aus derselben Trag die) behandelt.
113
Rhet. II 2, 1379b 13-15. Vgl. auch 6, 1385a 9-13; 23, 1399b 25-27; EE VII 3,
1239a 35-38.
Inhalts bei Aristoteles und Theophrasts begnügte, sondern auch auf lite-
rarhistorische Fragen, zum Beispiel auf die Behandlung der Mythen in
der Bühnendichtung, einging. Allem Anschein nach bestand seine
Schrift aus gelehrten Notizen über die verhältnismäßig zahlreichen
historischen und literarischen Figuren und Ereignisse, die Theophrast in
und Aristoteles in der EN gelegentlich erwähnten. Sie wird
zwar nur von Athenaios namentlich genannt, es ist jedoch sehr wahr-
scheinlich, daß sie von anderen stillschweigend ausgebeutet wurde und
daß mehiere Spuren davon, allerdings ohne Quellenangabe, uns noch
erhalten sind.
Die ergiebigste Fundgrube ist, wenn nicht alles täuscht, der anonyme
Kommentar zu den Büchern II—V der EN, den G. Heylbut im Jahre
1892114 herausgab. Bei der Lektüre dieses leider noch nicht genau da-
tierten Kommentars 115 fällt ein gewaltiger Unterschied zwischen den
eigentlich erklärenden Teilen und den zahlreichen, über das ganze Werk
zerstreuten gelehrten Notizen sofort auf. Bei der Interpretation des
Gedankengangs und des philosophischen Gehalts des Textes kommt der
Verfasser kaum über eine paraphraslerende Wiedergabe der Vorlage
hinaus; er ist zwar mit der aristotelischen Philosophie recht gut vertraut,
und die Qualität seiner Exegese darf nicht unterschätzt werden; er zeigt
Jt
* CAG XX, S. 123-255.
ns
V. Rose, Über die gr. Commentare zur Ethik des Arist., in: Hermes 5 (1871) 61 sqq.,
dort 71, weist auf den gelehrten Charakter der historischen Notizen in den SchoÜen
zu EN I I — V hin und glaubt, daß diese Notizen sicher aus alter Quelle stammen.
Von den Schoiien selbst mit „ihrer kurzen, mehr paraphrastischen und sachlichen
Art" meint er, daß sie nicht viel jünger sein können als Andronikos und Boethos.
Gudeman, Art. Schoiien, RE II A l (J931) 704 datiert den Scholiasten später: „Dieser
Anonymus . . . lebte oder lehrte in Konstantmopel. Daß er Christ war, geht z.B. aus
seiner Erwähnung des Absalom hervor". Er neigt zu einer Datierung um das 5.—6. Jh.
und schreibt dann: „Doch wie dem auch sein mag, seine Vorlage muß jedenfalls um
Jahrhunderte älter gewesen sein; denn wenn der Anonymus auch keine große Gelehr-
samkeit zur Schau trägt, enthält sein Kommentar doch eine Anzahl Mitteilungen und
erlesene Zitate, die eine sehr alte Quelle voraussetzen. R. A. Gauthier, Arist., L'Eth.
a Nie. I l, Introduction, 2. Aufl., Louvain—Paris 1970, 101 hält es für nicht ausge-
schlossen, daß der Anonymus noch in das „goldene Zeitalter" der Kommentatoren,
d.h. ins 6. Jh. zu datieren sei. Meines Erachtens zwingt uns die kurze Bemerkung
über Absalom (229,22) nicht, den Urheber der Schoiien als Christ abzustempeln. Sie
folgt auf eine Anspielung auf die Phoinix-Anekdote (Homer, U. l 444sqq.); ihre
Form ( ) und ihre Stellung am Ende des Absatzes lassen ver-
muten, daß sie nichts anderes ist als die Randbemerkung eines späteren Lesers der
Schoiien.
jedoch nur selten ein besonderes Interesse für Probleingeschichte, für die
Auseinandersetzung mit anderen Schulen, für die Konfrontierung ver-
schiedener Lehrmeinungen etc. Kurz gesagt, der historische Blick für
philosophische Fragen scheint ihm fast völlig zu fehlen, und seine
Kommentierungsweise steht m diametralem Gegensatz zur äußerst gut
dokumentierten und dadurch so wertvollen Gelehrsamkeit eines Simpli-
kios. Findet sich aber im aristotelischen Text ein Dichterzitat, eine
Anspielung auf ein historisches Ereignis oder auf eine literarische
Gestalt, dann strömt er vor Belesenheit über, führt abgelegene Quellen
an, identifiziert seltene Zitate, zeigt eine hervorragende Kenntnis der
Tragödie und der Komödie, interessiert sich für Bedeutung und Her-
kunft von dunklen Redensarten und desgleichen mehr. Es genügt
beinahe schon, den Index nominum von G, Heylbut116 heranzuziehen,
um sich von der historischen und literarischen Gelehrsamkeit des
Anonymus zu überzeugen,
Der Kontrast zwischen diesen wertvollen Notizen und den übrigen
Teilen seines Kommentars ist aber so stark, daß man sich gezwungen
sieht anzunehmen, er habe für seine gelehrten Exkurse eine ausgezeich-
nete Quelle zur Verfügung gehabt und systematisch ausgewertet. Das
Material, das er dieser Quelle verdankt, ist, wie wir gleich sehen werden,
genau derselben Art wie dasjenige, das man in Adrastos' Monographie
finden konnte. Weitere Umstände sprechen dafür, daß diese Quelle im
2. Jh, n. Chr. anzusetzen und höchst wahrscheinlich mit der Schrift des
Adrastos zu identifizieren ist. Der jüngste Autor, den der Anonymus
anführt, ist Lukian 117 ; er tut es in einer Diskussion über die Bedeutung
116
Heylbut hat es leider unterfassen, sowohl im Index Verborum wie auch im Index
Nominum von CAG XX zwischen Michael Ephesios, Eustratios, dem Anonymus
zu II—V und dem Anonymus zu VI! zu unterscheiden, was den Benutzer dazu
zwingt, sich bei jedem angeführten Wort zu fragen, bei welchem der vier genannten
Autoren es stehe,
117
Der Anonymus 156,13—14 zitiert einen Satz aus Lukian = Somn.
704. Ich gebe zu, daß dieses Zitat aus Lukian {geb. um 120, gest. n. 180) eher gegen
meine Vermutung spricht, daß das gelehrte Material des Anonymus einer Mono-
graphie des Adrastos entnommen wurde, wenigstens wenn Adrastos tatsächlich in der
1. Hälfte des 2,Jh, gewirkt hat. Trotzdem möchte ich folgendes zu bedenken geben,
wie wir noch sehen werden (vgl. unten S, 327), spricht der Anonymus vom Plato-
niker Attikos (um 176—180 n.Chr.) als von einem Zeitgenossen. Wenn wir uns auf
dieses Indiz verlassen dürfen, ist die Hauptredaktion der Scholien etwa in das letzte
Viertel -des 2. Jh. zu datieren. Die Monographie des Adrastos war schätzungsweise
etwa 50 Jahre früher entstanden. Bei dem lebhaften Interesse der literarischen Kreise
an der attischen Sprache und bei der intensiven Besch ftigung mit Aristoteles im 2, Jh.
ist es nicht undenkbar, da die gelehrte Schrift des Adrastos ber historische und
literarische Fragen in den Ethiken des Aristoteles und des Theophrast in diesem Zeit-
raum von ca. 50 Jahren von Spezialisten benutzt und gelegentlich auch um neue Be-
lege bereichert wurde. Das Lukian-Zitat ist vielleicht nichts anderes als eine solche
sp tere Erg nzung, die der Anonymus vorfand und abschrieb.
118
Arise., Eth. Nie. III 7, 1113b 27.
119
Isokr., Paneg. 19.
1M
Anon. 156,5-14.
125
Arist., EN II! 7,lH3b 14.
112
Anon. 155,2-17.
123
Arist., EN IV 13, 1127b 27, Anon. 200,7-12, wo Aratos, Aristophanes und der
Glossograph Kleitarchos zitiert werden.
114
Arist., EN IV 14, 1128a 4. Anon. 201,8-13.
115
Arist., EN V 10,1135a 12-14. Anon. 234, 11-18 mit Herodotos-Zitat.
126
Arist., EN II 7,1108a4-9. Anon. 136,26-33 und 193,17-23. Vgl. Aspasios, EN
53,2-7.
1ίΤ
Anon, 210,10-18.
erw hnt, war als „geldliebend" in Theophrasts περί ηθών und περί
πλούτου charakterisiert128.
Au erordentlich wichtig f r die Chronologie des Anonymus ist die
Erw hnung des Mittelplatonikers Attikos als eines Zeitgenossen129. Da
die ακμή des Attikos um 176—180 n. Chr. anzusetzen ist130, weist die
Angabe des Anonymus auf die zweite H lfte des 2, Jh. hin. Nun mu
man sich fragen, ob die Nachricht ber Attikos aus der gelehrten
Quelle des Anonymus, aus einer Zwischenquelle oder vom Anonymus
selbst als letztem Redaktor des Kommentars stammt. Gegen die erste
M glichkeit spricht der Umstand, da Adrastos — wenn er tats chlich
mit der gelehrten Quelle zu identifizieren ist — sich in seiner Mono-
graphie nur f r das Literarhistorische und das Geschichtliche und nicht
f r den Vergleich und die Geschichte philosophischer Lehrmeinungen
interessiert zu haben scheint. Ferner h tte der Anonymus, als er St cke
aus Adrastos' Monographie in seinen eigenen Kommentar einf gte, eine
Formel wie νυν δε καΐ Πλατωνικοί τίνες , , . ων είναι και Αττικός
δοκεϊ wahrscheinlich nicht unver ndert bernommen; mindestens das
νυν h tte er gestrichen. Die Nennung des Attikos geht vielmehr auf den
Verfasser des Kommentars selbst zur ck, den man in diesem Falle als aus
den letzten Jahrzehnten des 2. Jh. stammend datieren k nnte, Ausge-
schlossen ist dabei nat rlich nicht, da die erste Fassung des Kommen-
tars sp ter einige Zus tze erhielt. Dar ber kann allerdings das letzte
Wort jetzt noch nicht fallen. Vielleicht wird eine systematische Unter-
suchung der Sprache und der Philosophie des Anonymus eine Kl rung
der Datierungsfrage erm glichen. Wenn die Grundlage des Kommentars
tats chlich aus dem Ende des 2. Jh. stammt, kann der Verfasser seine
historischen und literarischen Notizen sehr wohl aus der einige Jahr-
zehnte fr her erschienenen Arbeit des Adrastos131 gesch pft haben.
Wir k nnen jetzt einen kurzen Blick auf das Material werfen, das der
Anonymus dem gelehrten Buch des Adrastos verdankt. Wie auch aus
128
Anon. 180,15-17.
129
Anon. 248,25-26 = Attikos Fr, 43 des Places. Attikos wird vorgeworfen, da er den
sogenannten u eren G tern berhaupt keinen Wert beimi t. Attikos griff bekannt-
lich Aristoteles an, weil dieser die Tugend als nicht ausreichend f r die Gl ckselig-
keit ansah und den u eren G tern einen gewissen Wert zuerkannte. Vgl. Eus.j PE
XV 4,1-21 = Attikos Fr, 2 des Places.
130
Eus,, Hieron. Chron. 207,11 Helm (zum Jahre 176): Atticits Piatonkae sectae phtlo-
sopbus agnosatur. Vgl. unten S. 564,
131
ber die Chronologie des Adrastos vgl. oben S. 294sq.
132
Arist., EN III 2,1112 a 10,
133
Anon. 145,23-146,3.
134
Arist., III 2,11122 12.
135
Anon. 146,14-17.
136
Arist., EN V 3,I129b 28-29.
137
Anon. 210,9-10.
138
Arist., EN V 10,1136a 11-14.
139
Anon. 240,29—30, Die zeitgenössischen Philologen meinen, diese Verse stammen
eher aus dem Alkmaion, Vgl. TGF2, S. 381.
140
Anon. 153,19-27.
«i 200,10-12.
142 200,8-9.
143
200,13-16.
144
Arist., EN IV 6,1123a 23-24.
145
Anon. 186,8-20. Der Text ist leider lückenhaft und verderbt.
ziemlich h ufig, und zwar nicht nur dort, wo Aristoteles selbst Homer
zitiert. Homerische Figuren oder Szenen zieht er gern heran, um
Beobachtungen oder Thesen des Aristoteles zu veranschaulichen146. Er
nennt oder zitiert andere Dichter, wie etwa Tyrtaios147, Simonides148.,
Theognis und Phokylides149, und vor allen Hesiod, von dem er uns zwei
Fragmente aus dem Μεγάλαι ΉοΕοα150 und eins aus den Μεγάλα
Έργα151 aufbewahrt hat.
Athenaios berichtet, da Adrastos sich m seinem Buch auch mit den
καθ* ιστορίαν ζητούμενα befa t hatte. Die F lle und die Genauigkeit
der historischen Dokumentation in der gelehrten Quelle des Anonymus
zeigen in der Tat, da er auch auf diesem Gebiet vorz glich gearbeitet
hat. Hier einige Beispiele f r seine Methode. In seinen Er rterungen
ber die Tapferkeit im Kriege erw hnte Aristoteles die Flucht der
S ldner und das tapfere Standhalten der B rger in der Schlacht am
Hermaion152. In seiner Notiz dar ber schildert Adrastos die Lage des
Hermaion, erz hlt die Episode aus dem dritten Heiligen Krieg, auf die
Aristoteles anspielt, und nennt mit genauer Angabe von Titel und Buch
die dar ber verf gbaren Quellen, Kephissodoros, Anaximenes und
Ephoros153. hnlich verf hrt er bei der Anspielung auf die Flucht der
Argeier, die spartanische Krieger f r Sikyonier gehalten hatten 154 ; er
verweist auf Xenophons Hellenika und fa t die dort erz hlte Episode
zusammen155. An einer anderen Stelle sch pft er seine Information aus
146
Vgl. unter anderem 139,20; 141,9-10; 142,5-7; 143,3-5; 156,11-13; 163,5-9;
163,26-164,2; 164,7-12; 166,9-10; 166,24-25; 189,5-12; 229,19-22. Die Erw h-
nung Absaloms (vgl. 2. Samuel XVI, 20—23), die 229,22 auf das Homerzitat folgt,
d rfte ein sp terer Zusatz sein. V. Rose, in: Hermes 5 (3871) 82, hat es bereits er-
kannt; seine Angaben ber die Herkunft dieses Zusatzes w ren jedoch zu ber-
pr fen. 243,27-31. In 129,1-3 werden die Verse II. Σ 109-HO Heraklit zuge-
wiesen. Der Fehler geht jedoch wahrscheinlich nicht auf Adrastos, sondern auf einen
Kopisten zur ck, der sich durch die Erw hnung Heraklits in 128,32 hat irref hren
lassen,
147
Anon. 165,1-3.
148
180,15-17.
149
Theognis und Phokylides, 210,10-18,
"o 155,4-8.
isi 222,22-26,
1S2
Arist., EN III ll,1116b 17-19.
1M
Anon, 165,23-166,4.
1S4
Arist., EN III 12, 1117a 25-27.
tss
Anon. 567,29-168,4.
F. Schlu wort
Aus den uns noch greifbaren Resten von Adrastos' Schriften geht
hervor, da er in der Geschichte des Peripatos zwischen Andronikos und
Alexander von Aphrodisias eine einmalige Erscheinung darstellt. Wie
die meisten Peripatetiker dieser Periode schreibt er nat rlich Kommen-
tare zu Traktaten des Aristoteles. Wir wissen zwar nicht sehr viel
dar ber, dennoch ist die Anerkennung, die ihnen namhafte M nner wie
Galen und Plotin zollen, an sich schon ein wichtiges Indiz f r ihr hohes
Niveau. Das gro e Fragment des Physik-Kommentars best tigt dieses
Urteil und zeigt, mit welchem Scharfsinn sich Adrastos mit der Interpre-
tation eines schwierigen philosophischen Textes befassen konnte.
Das Charakteristische von Adrastos' wissenschaftlicher Leistung
liegt aber anderswo, und zwar in der au ergew hnlichen Vielseitigkeit
seiner Interessen und in der Gelehrsamkeit, die er auch in nicht philoso-
phischen Disziplinen auf weist. Als erster und wohl einziger Peripatetiker
dieser Periode besch ftigt er sich eingehend mit einem der schwierigsten
156
189,12-18.
157
232,15-21.
158
Arise., EN IV 13,1127b 28.
159
Anon. 200,13-17.
160
Amt., EN V 14,1137b 29-32.
161
Anon. 250,19-25.
162
Arisi., EN V 10,1134b 22.
163
Anon. 232,21—22 ουκ άπο ιστορίας τίνος είρηται.
164
Vgl. oben s. 227 sq.
165
Porph,, Vit. Plot. 14.
1S&
Simpl., Cat. 16,1 und 4.
167
Athen. XV 673 E-F.
A. Zu den Kategorien
Die Frage nach dem Ziel oder dem Gegenstand der Kategorien seh rift
geh rte seit den Anf ngen der Kommentierung zur beinahe obligato-
rischen Problematik der Interpretation. Es galt zu entscheiden, ob
Aristoteles Dinge oder Denkgehalte oder W rter untersuchen wollte.
Mit dieser Frage besch ftigt sich Dexippos in seinen Aporien und
L sungen ber die Kategorien. Nachdem er erkl rt hat, da die Bezeich-
nung Kategorien mit dem Verbum καταγορεύεσθαι „von etwas aus-
gesagt werden" zusammenh ngt, wirft er die Frage auf, ob das Gesagte
(το λεγόμενον) ein Wort (φωνή), ein Ding (πράγμα) oder ein Begriff
(νόημα) ist7. Er bef rwortet die Ansicht der alten Interpreten — gemeint
Schrift περί των άνελιττουσών hier und dort begegnet, scheint v llig unbegr ndet.
Wie wir unten sehen werden, hat uns Simplikios umfangreiche Reste dieser Schrift
berliefert, in der unter anderem die Theorie der homozentrischen Himmelssph ren,
die Aristoteles Metaph. Λ 8 darlegt, erl utert wurde. Da diese Ausf hrungen weit-
gehend astronomischen Inhalts sind, wurden sie von einigen Gelehrten dem Mit-
arbeiter Caesars, dem Astronomen Sosigenes zugesprochen (z.B. M. Hayduck CAG
III l, S. V Anm. 2. Andere Namen bei Tb. H, Martin, Op. cit, 186). Dagegen sprechen
jedoch folgende Momente: l, Proklos, der aus derselben Schrift sch pft wie Simpli-
kios, schreibt sie dem Peripatetiker Sosigenes zu. 2, Die Verehrung, die der Verfasser
der Schrift περί των άνελιττοιισών f r Aristoteles empfindet: (vgl. unten S. 352 sqq,},
weist ebenfalls auf einen Peripatetiker hin, 3, Die Schrift selbst erscheint auf weiten
Strecken als eine fachm nnische Erkl rung von Aristoteles, Metaph. Λ 8, 1073 b
17—1074a 14. 4. Der Umstand, da Simphkios den von ihm zitierten Sosigenes nicht
n her zu bezeichnen braucht, zeigt, da es sich um eine in den Kreisen der Kom-
mentatoren wohl bekannte Pers nlichkeit handelte. Dies trifft nat rlich f r den
Lehrer Alexanders zu, den der Exeget mehrmals in seinen Kommentaren erw hnte.
5. Sosigenes bei Simpl., De caelo 502,22 erw hnt und bek mpft eine Hypothese
fr herer Interpreten von Metaph. Λ 8. Es ist aber u erst unwahrscheinlich, da ein
Zeitgenosse Caesars bereits kommentierende Literatur zur Metaphysik vorfinden
konnte. 6. Simplikios, De caelo 509,16—510,26 berichtet ber die άπορίαι, die sich
f r Sosigenes aus dem Vergleich der astronomischen Theorien der Exzenter und Epi-
zyklen mit der Kosmologie des Aristoteles ergaben. Wenn man sich daran erinnert,
wie beliebt die Form der άπορίαι και λύσεις zur Behandlung philosophisch-exege-
tischer Probleme bei Alexander war, wird man es f r sehr wahrscheinlich halten, da
auch der Lehrer Alexanders mit dieser Methode arbeitete. 7. Die Form einer Argu-
mentation in utramque partem ohne eigene Stellungnahme, die ein Fragment aus dem
Kategorienkommentar charakterisiert, kam auch (in gewisser Hinsicht) in der Schrift
περί ταχν άνελιττουσών vor. Mit vollem Rechte kann man also diese Schrift dem
Peripatetiker des 2,Jh. zuweisen. So tun auch E, Zeller, Phil. d. Gr. III l 4 , 813.
Th. H. Martin, Op.cit. 177. Rehm, An. Sosigenes 7, RE III A.
7
Dex., Cat, 6,26—32, Die hier vorausgesetzte Identifizierung der Kategorien mit den
ist vor alien Boethos —, nach welcher mit λεγόμενα prim r die Begriffe
und per accidens die Dinge bezeichnet seien8. In diesem Zusammenhang
berichtet er sehr ausf hrlich ber die Art und Weise, wie der Peripate-
tiker Sosigenes das Problem behandelt hatte 9 . Sosigenes, schreibt er,
„stellte parallele Argumentationen ber die λεγόμενα auf, sprach sich je-
doch nicht endg ltig f r eine von ihnen aus, sondern entlie die Beweise
nach unentschiedenem Kampf 10 ". Dexippos referiert und kritisiert
zuerst drei Argumente, mit denen Sosigenes die Gleichsetzung der
λεγόμενα mit den Dingen zu beweisen versuchte. Danach folgen drei
Argumente zugunsten der Gleichsetzung mit den W rtern. Da Sosi-
genes dar ber hinaus f r die M glichkeit einer Gleichsetzung mit den
Begriffen pl dierte, ist dem Referat nicht zu entnehmen.
F r die These λεγόμενα = πράγματα trug Sosigenes folgende Be-
trachtungen vor. 1. Die Dinge sind es, von denen es abh ngt, ob ge-
sprochen wird oder nicht. Existieren sie nicht, so reden wir auch nicht
( ber sie). Existieren sie, so u ern wir uns ber sie. Sie sind also der
Gegenstand unserer Rede11. 2, Von den Dingen selbst h ngt es ab, ob
unsere Aussage wahr oder falsch ist. Was die Falschheit oder die Wahr-
heit der Rede bewirkt, kann aber nichts anderes sein als das λεγόμενον.
Die Dinge, die sich somit als die Ursachen der selbst ndigen Aussage
erweisen, sind also die λεγόμενα12. 3. Die Dinge, wie etwa das Pferd,
das Rind, der Stein, existieren noch, nachdem die Aussage ber sie abge-
schlossen ist. Daraus geht hervor, da die Dinge das durch die Rede
Bezeichnete sind, sonst w rden sie nach ihr nicht mehr bestehen13.
Dem gegen ber stehen drei Argumente, welche die Gleichsetzung des
Wortes (λέξις) mit den λεγόμενα untermauern sollen. 1. Das Wort kann
von mehreren Leuten geh rt werden. Es kann ferner sowohl in
λεγόμενα geht auf den ersten Satz von Anst., Cat. 4 zur ck, wo es von den zehn
Kategorien hei t, da sie κατά μηδεμίαν συμπλοκή ν λεγόμενα sind. In seinen Aus-
f hrungen zu 2 , l a 16 referiert auch Simpl., Cat. 4I,8sqq. verschiedene Ansichten
zum Problem der λεγόμενα.
8
Dex., Cat. 7,1-2; 9,22-10,2. Letztere Stelle weitgehend w rtlich identisch mit der
Nachricht ber Boethos ap. Simpl., Cat, 41,28—42,2.
9
Dex., Cat. 7,4-9,22.
10
Ibid. 7,4-6 καΐ γαρ Σωαιγένης ό Περιπατητικός παραλλήλους επιχειρήσεις περί
των λεγομένων άντεξήτασεν, ου μην περί μιας γε αυτοτελώς άπεφήνατο, αλλ' ίσο-
μαχοϋντας άφήκε τους λόγους.
11
7,9-11.
11
7,24-27.
13
8,11-14.
14
8,24-26,
15
9,1-4.
16
9,9-10.
17
7,4—6, vgl. oben Anm, 10,
18
9,22 ταύτα μεν δη οΰτως εκατέρωθεν γεγύμνσσται.
19
Vgi. P. Moraux, La joute dialectiquc d'apres le humeme livre des Topiques, in:
Aristotle on Dialectic. The Topics 277-311 (bes. 300sqq.).
20
Vgl, unten S. 344sqq,
23
Alex., Anal. Pr. 125,30; vgl. 127,16; 207,35; 213,26; 238,37; 249,38.
34
hnlich H. Maier, Syllogistik d. Ar. II l, 130 Anm. 1.
25
Philop., Anal. Pr, 122,27-126,6.
26
126,7-29.
27
Vgl. 126,20-22.
28
9,19a 23sqq.
M
126,8-17. Durch Alex,, Anal. Pr. 36, 25-32 erfahren wir, da bereits Theophrast
auf den Unterschied zwischen dem Notwendigen schlechthin (απλώς, κυρίως) und
dem bedingt (μετά διορισμού) Notwendigen hinwies. Vgl. A. Graeser, Op.cit,, Fr.
14 und Erl uterungen S. 75. L. Repici, Op.cit. 103 — 105.
30
Was Sosigenes meint, l t sich an diesem (frei erfundenen) Beispiel erkennen:
M. Wach sind notwendigerweise alle V gel, die fliegen,
m. Nun fliegt diese Vogelschar.
C, Diese Vogelschar ist also bedingt (d. h. solange sie fliegt) notwendigerweise
wach,
31
Philop., Anal. Pr, 126,23-29.
32
Sosigenes denkt offensichtlich an Arist., Anal. Pr. I 9. In 30a 15—20 behauptet
Aristoteles, da bei notwendigem Obersatz AB und blo tats chlichem Untersatz B Γ
die Conclusio εξ ανάγκης υπάρχει. (NAaB & BaF -* NAaF). Er f hrt aber keine
konkreten Terme zur Verdeutlichung an. In 30 a 23—25 dagegen schreibt er, da bei
nicht notwendigem Obersatz AB und notwendigem Untersatz B Γ die Conclusio nicht
notwendig sein wird (AaB & NBaF—* AaF). Als Beispiele f hrt er an (30a 28-32):
zur ckgewiesen38. Alexander lehnt die Ansicht jener Interpreten ab, die
in der Absicht, Aristoteles zu unterst tzen, behaupteten, die Notwen-
digkeit des Schlu satzes sei in den fraglichen gemischten Syllogismen
nicht die absolute, sondern die bedingte (μετά διορισμού). Als Beispiel
f hrten sie die Pr missen eines Syllogismus der ersten Figur an:
Lebewesen kommt (notwendigerweise) allem Menschen zu;
Mensch kommt allem Schreitenden zu,
dessen Schlu satz
Lebewesen kommt allem Schreitenden zu
nur so lange notwendig sei, als der Mittelbegriff, d.h. „Mensch", allem
Schreitenden zukomme 39 . Alexander selbst behauptet, dieser Schlu sei
nicht bedingt, sondern absolut notwendig; er f hrt verschiedene Argu-
mente an40, aus denen unter anderem hervorgeht, a) da bei einem
Syllogismus der ersten Figur, dessen maior tats chlich und minor not-
wendig ist, die conclusio nicht bedingt, sondern absolut notwendig ist,
und b) da Aristoteles bei gemischten Syllogismen der zweiten Figur
mit notwendigem Obersatz auf die bedingte Notwendigkeit des Schlu -
satzes hinweist, was er auch bei der ersten Figur getan h tte, wenn Ihr
Schlu satz bedingt notwendig gewesen w re.
Der Exeget, der sich gegen die Anh nger Theophrasts und Eudems
den Thesen des Aristoteles ber die Modalit t der conclusio gemischter
Syllogismen mit Entschiedenheit anschlie t, lehnt als nicht zufrieden-
stellend die Argumente ab, mit denen seine beiden Lehrer Herminos
und Sosigenes die aristotelische Position zu bekr ftigen versuchten 41 .
Bemerkenswert ist jedoch, da er sich ganz anders ber Sosigenes als
ber Herminos u ert. F r Sosigenes bleibt die Widerlegung sachlich,
ohne jeden Unterton der Verachtung oder der Geringsch tzung,
Herminos' Argumentation wird dagegen als l cherlich42 und v llig halt-
38
140, 14-141,16. I. M. Bochenski, Log, Th. 80 Anrn, 259, identifiziert die hier (l40,18)
getadelten τινές των εξηγουμένων mit Herminos und verweist auf Ps.-Ammon.,
Anal. Pr. 39,31. Der Vergleich mit Ps,-Ammon,, Anal. Pr. 39,24 und Philop., Anal.
Pr, 126,8—29 zeigt jedoch, da Alexander an Sosigenes denkt.
39
140,18-25.
40
140,25-141,16.
41
Vgl. unten S. 390sqq.
42
125,16 γελοϊον.
43
125,29 κενόν παντάπασι.
44
74,6 προς τφ περιεργάν έχειν ουδέ αληθές εστί.
45
91,21.
46
Prokl., Hypotyp. IV 98 S. 130,17-23 Manidus.
47
SimpL, De caelo 505, 1—11. Die antiken Zeugnisse ber die ringf rmigen Sonnen-
finsternisse f hrt H. G rgemanns, Unters, z. Plutarchs Dial. De facie in orbe lunae
136-140 an.
Sph re befestigt ist. Der scheinbar unregelm ige Lauf des Gestirns wird
durch die Annahme erkl rt, da die tragende Sph re von gr eren Sph ren
umfa t ist, die denselben Mittelpunkt, jedoch nicht dieselbe Drehungs-
achse haben und sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten drehen. Die
Bewegung der jeweils u eren Sph re wird auf die innere bertragen, so
da die innerste, die das Gestirn tr gt, an allen Bewegungen der u eren
teilhat. Diese Bewegungen kombinieren sich mit der eigenen Bewegung
der tragenden Sph re und bewirken somit den komplizierten Lauf des
Planeten. Aristoteles bernimmt diese Hypothese, betrachtet jedoch
nicht, wie Eudoxos und Kallippos, jedes planetarische Sph rensystem
als unabh ngig von den anderen; der Himmel ist f r ihn einheitlich.
Um zu vermeiden, da ein oberer Sph renkomplex seine Bewegungen
an den n chstunteren vermittelt, etwa der des Saturn an den des Jupiter,
schiebt er zwischen die beiden Systeme zus tzliche Sph ren, deren
Bewegungen den Einflu des oberen Systems auf das untere neutrali-
sieren sollen. Diese neutralisierenden Sph ren nennt er άνελίττουσαι48.
Man k nnte daher vermuten, da die Schrift des Sosigenes lediglich
diesem Punkt der aristotelischen Himmelsmechanik gewidmet war oder
da die Interpretation der 15 Zeilen der Metaphysik ber die „r ck-
l ufigen" Sph ren den weitaus gr ten Teil der Schrift in Anspruch
nahm. Der Titel περί των άνελιττουσών scheint jedoch eine ganz andere
Bedeutung und die Schrift selbst gr ere inhaltliche Vielfalt gehabt zu
haben. Es f llt n mlich auf, da in den Passagen des Simplikios, die auf
Sosigenes zur ckgehen oder wenigstens unter seinem Einflu stehen,
das Wort άνελίττουσαι zweierlei bedeutet. Erstens die soeben er rterten
„r ckl ufigen", d,h. die neutralisierenden Sph ren des Aristoteles 49 .
Zweitens aber auch alle Sph ren, die sich — in den homozentrischen
Systemen — von der Fixsternsph re durch Bewegungsrichtung und
Geschwindigkeit, Gr e und Orientierung der Achse unterscheiden.
In diesem Sinn sind es άνελίττουσαι, die bei Eudoxos und Kallippos (die
keine „r ckl ufigen" Sph ren im aristotelischen Sinne kennen!) zum
48
Metaph. Λ 8, 1074* 2; 9; 11.
49
Diese Bedeutung begegnet uns nat rlich in der Interpretation der aristotelischen
Lehre; dort werden oft die άνελίττουσαι. den φέρουσαι gegen bergestellt, d. h. den
Sph ren, aus deren Bewegungen der Lauf der Planeten resultiert. In diesem Sinne,
und nur in diesem, erscheint das Wort mehr als 20mal zwischen 498,28—504,6 und
ferner in 507, 3. Bemerkenswert ist, da Sosigenes 498,4 diese Sph ren mit ας άνελιτ-
τούσας κοιλεί (sc.: Αριστοτέλης) bezeichnet, wohl weil er die aristotelische Verwen-
dung des Wortes als nicht gel ufig empfindet.
488,9; 491,16; 19; 26; 492,16; 26; 493,5; 10; 11; 504,16; 505,26; 507,9; 509,27,
Um den Unterschied im Gebrauch von άνελίττω zu verstehen, mu man davon aus-
gehen, da das Verbum in den beiden F llen „zur ckrollen" bedeutet. In den Syste-
men von Eudoxos, Kallippos etc, wurden alle angenommenen Sph ren, die sich nicht
in die O-S-W-N-Richcung des Fixsternenhimmels drehen, sondern die „r ckl u-
figen" Bewegungen der Planeten bewirken, einfach als άνελίιτουσαι bezeichnet.
Diese homozentrischen Planetensysteme konnten daher αί, δια των άνελιττουσών
σφαιρών υποθέσεις (Simpl,, De caelo 493,5. hnliches an anderen Stellen) genannt
werden. In seiner Korrektur der eudoxisch-kailippischen Systeme benutzte Aristoteles
das Wort ausschlie lich i r jene „neutralisierenden" Sph ren, die zur Aufgabe haben,
die Einwirkung eines oberen Sph rensystems auf das unmittelbar darunter liegende
aufzuheben. Sie sind „r ckl ufig" im Vergleich mit den einzelnen Sph ren des oberen
Systems. F r die Sph ren, die die scheinbaren Anomalien der Planetenbewegungen
erkl ren sollen, hat Aristoteles keine besondere Bezeichnung. - An verschiedenen
Stellen gibt Simplikios an, da Theophrast andere Bezeichnungen als Aristoteles ver-
wendete. 491,19-20: In jedem einzelnen Planetensystem ist es die jeweils innerste
Sph re, die das Gestirn tr gt. Die brigen Sph ren des Systems nannte Theophrast
daher άναστροι, 504,4—15 (nach Sosigenes); Die neutralisierenden Sph ren, die
Aristoteles άνελίττσυσαι nannte, bezeichnete Theophrast, von einem anderen Stand-
punkt ausgehend, als άνταναφέρουσαι, d.h. „die Bewegung wiederherstellend". In
der Tat, erkl rt Sosigenes, sind sie άνελίττουσαι im Hinblick auf den jeweils h heren
Komplex, dessen Einflu sie annulieren. Sie sind „wiederherstellend" im Hinblick
auf den unteren Komplex, dessen eigene Position und Bewegung sie erm glichen,
indem sie ihn vom Einflu des h heren freimachen. Diese Erkl rung leuchtet ein,
Um so unverst ndlicher ist die Nachricht ber Theophrast in 493,18—20. Simplikios
erkl rt, da nach Eudoxos drei Sph ren die Bewegung der Sonne bedingen. Wir lesen
dann: „(drei Sph ren . . .), die Theophrast „gestirnlos" (άναστροι) nannte, weil sie
kein Gestirn haben, „wiederherstellend" (άνταναφέρουσαι) im Hinblick auf die
unteren und „r ckl ufig" (άνελ(σσουσαι) im Hinblick auf die oberen". Dies ist v l-
liger Unsinn, denn a) nur zwei der Sonnensph ren sind άναστροι, die innerste tr gt
ja das Gestirn, und b) die Bezeichnungen άνελ,ίσσουσαι und άνταναφέρουσαι k n-
nen sich nur auf die neutralisierenden Sph ren des Aristoteles, nicht auf die Sph ren
des Sonnenkomplexes des Eudoxos beziehen, wie aus der soeben angegebenen Stelle
504,4—15 hervorgeht. Es ist ganz ausgeschlossen, da Simplikios diese Nachricht
ber Theophrasts Bezeichnungen auf die drei Sonnensph ren des Eudoxos bezogen
hat. Man wird also annehmen, da diese Bemerkung sich urspr nglich auf die neutra-
lisierenden Sph ren des Aristoteles bezog. Entweder ist sie an eine falsche Stelle in
unserem Text geraten (sie w re z.B. in 498,4 durchaus am Platz), oder sie ist nichts
anderes als die halbwegs gelehrte Randbemerkung eines Lesers, die unsinnigerweise
in den Text eingearbeitet wurde. Auf keinen Fall darf sie dort bleiben, wo sie heute
steht,
51
Vgl. Simp!., De caelo 499,16—17 . . . έδειξεν ό Σωοιγένης προεκθέμενός τίνα
χρήσιμα προς τον λόγον, ων ή σύντομος έκθεσίς εστί τοιαύτη. Dieses Resume geht
bis 501,21.
52
Vgl. 498,4 λέγει, 498,10 φησί. 501,25 εκτίθεται την θεωρίαν . . , λέγων. 504,17
ως καΐ ό Σωσι-γένης έπισκήπτει λέγων.
53
Vgl. 510,24 και αλλάς δε αστρονομικός απορίας ουκ ολίγας ό Σωσιγένης απορεί
rai προς ταύτας τάς υποθέσεις εύφυώς.
54
Simpl., De caeio 488,18—24. Die Nachricht, da die Sph renhypothese des Eudoxos
die L sung einer von Platon selbst gestellten Aufgabe sei, halten viele Forscher f r
suspekt. Simplikios gibt pr zise an, da sie auf Sosigenes selbst (und nicht auf
62
505,21-23.
63
492,26.
*4 492,25-493,11.
65
497,8-24.
66
497,15-1?,
67
497,17-24.
** 498,1-499,4. Die Aristoteles-Zitate davor (497,24-498,1) und danach (499,4-11)
sind wahrscheinlich von Simplikios selbst eingef gt worden.
rungen ber Grunds tze der sph rischen Geometrie sind Sosigenes'
Werk69. Im Anschlu daran bringt Simplikios, der sich dabei der Dispo-
sition des Sosigenes anschlie t, dessen Darstellung vom aristotelischen
Sph rensystem 70 . Es folgen dann Er rterungen ber die Schwierigkeiten,
die die Angaben des Aristoteles ber die Anzahl der Sph ren aufwerfen 71 .
Der Grundstock stammt von Sosigenes, Simplikios hat aber eigene
Bemerkungen beigesteuert, wie z.B, den Hinweis auf die Verlegenheit
des Alexander und des Porphyrios in ihren σχολαι ber das Λ der Meta-
physik72. Nach einer Bemerkung ber die Identit t der „zur ck-
bringenden" (άνελιττουσαι) Sph ren des Aristoteles mit den „entgegen-
laufenden" (άνταναφέρουσαι) des Theophrast73 ging Sosigenes zur
Kritik der homozentrischen Sph ren ber. Weder Eudoxos noch
Kallippos und nicht einmal Autolykos von Pitane h tte es vermocht, alle
mit blo em Auge oder Instrumenten festgestellten Eigent mlichkeiten
der Planetenbewegungen zu ber cksichtigen. Sie h tten nicht einmal den
Versuch gemacht. Polemarch habe zwar erkannt, da die Planeten sich
nicht immer in demselben Abstand von der Erde befinden s habe sich
jedoch nicht darum gek mmert. Aristoteles selbst, wie aus den „physi-
kalischen Problemen" hervorgehe74, scheine in den unterschiedlichen
Abst nden der Planeten eine Schwierigkeit erkannt und das System der
homozentrischen Sph ren nicht vorbehaltlos gebilligt zu haben75.
Erg nzend f hrt dann Simplikios zwei Aristoteles-Texte aus der Meta-
physik an, aus denen angeblich hervorgeht, da der Stagirite von der
G ltigkeit dieses Systems nicht ganz berzeugt war und die T r f r
andere Hypothesen offen lie 76. Die folgenden Er rterungen mit der
Erw hnung der besseren, wenn auch nicht ganz zufriedenstellenden
Hypothesen der μεταγενέστεροι und den Berichten aus Porphyrios,
Ptolemaios, Nikomachos und Jamblich stellen offenbar einen eigenen
Beitrag des Simplikios dar, der brigens auch eigene Reflexionen bei-
mischt77. Ob die schematische Darlegung (ως επί καταγραφής, 507,16)
69
499,16-501,21.
70
503,22-503,9.
71
503,10-504,3.
n
503,32-34.
73
504,4-15; vgl. oben Anm. 50.
74
Fr. 211 Rose3.
75
504,16-505,27.
7
* 505,27-506,8.
77
506,8-507,14.
in Milano, IX, Mailand 1875 (deutsche Übersetzung von W. Hörn, in: Abh. zur
Gesch. d. Math. I, Leipzig 1877, 101 — 198. Nützliche Zusammenfassungen der
Schlußfolgerungen Schiaparellis bei A. Dreyer, History of the Planetary Systems
from Thaies to Kepler, 1906, 90—103 und Th. Heath, Aristarchus of Samos, 1913,
Kap. XVI, 190-224).
84
Über Eudoxos, in: Abn. Berliner Akad., hist.-pti, Classe, 1928, 189-212; 1830,
49-88.
85
494,9-12; 494,28-495,2.
"* Näheres darüber bei Th. Heath, Op. cit. 197-198.
87
494,12.
88
Th. Heath, Op. cit. 197.
89
So Heath a.a.O.
90
498,2—3 , ...
91
Metaph. 8, 1074a 12-14.
92
Vgl. z.B. Simpl. 503,10-20. " 503,20-28.
jedoch sprach sich gegen diese zweite Vermutung aus; auf rückläufige
Sphären oberhalb des Mondsysterns konnte Aristoteles unmöglich ver-
zichten94. Und wenn schon an Flüchtigkeitsfehler zu denken ist, fügte er
hinzu, sollte man am besten einen Schreibfehler der Kopisten bei den
Ziffern annehmen. Die von einigen Interpreten 95 erwogene Möglichkeit,
daß die interne Sphäre des Saturn-Systems mit der oberen des Jupiter-
Systems identisch sei, führe auch nicht zum Ziel96. Es ist kennzeichnend
für die Tendenz des Sosigenes, daß er sich weigert, einen Irrtum, einen
Mangel an Folgerichtigkeit oder selbst einen Flüchtigkeitsfehler dem
Aristoteles zuzumuten, und die Schuld für die falsche Rechnung auf die
Kopisten schieben will.
Derselbe Wille, Aristoteles nach Möglichkeit zu schonen, erscheint
auch in den kritischen Bemerkungen über die Theorie der homozen-
tnschen Sphären97. Sosigenes ist sicher kein Anhänger dieser Lehre98,
der er vorwirft, nicht alle „Phänomene zu bewahren 1 '. In seinen Ein-
wänden vermeidet er es jedoch sorgfältig, Aristoteles persönlich anzu-
greifen. Ganz im Gegenteil ist er bemüht zu zeigen, daß Aristoteles die
Unterschiede in der scheinbaren Größe der Planeten nicht ignorierte und
gewisse Bedenken gegen die Stichhaltigkeit der homozentrischen Theorie
hatte99. Sonst ist sein Urteil über Eudoxos, Kallippos, Autolykos und
Polemarchos hart, aber gut untermauert. Der Wechsel in der schein-
baren Größe bestimmter Planeten ist es vor allem, den sie vernach-
lässigten oder nicht zu erklären vermochten. Für Venus und Mars ließe
er sich schon mit bloßem Auge feststellen. Für den Mond sei er sogar
mit Instrumenten meßbar, und das Vorkommen von ringförmigen
Sonnenfinsternissen anstelle von totalen zeige auch, daß Mond und
Sonne bald größer, bald kleiner erscheinen. Solche Unterschiede seien
dadurch zu erklären, daß die Planeten sich nicht immer in demselben
Abstand von der Erde befänden. Bei anderen Planeten sei der Unter-
schied zwar so minimal, daß er nicht wahrgenommen w r erden könne,
er müsse jedoch auch dort angenommen werden, denn auch die anderen
Planeten hätten keine konstante scheinbare Geschwindigkeit (was vor-
94
503,28-32.
95
Vgl. auch 502,19—27, leider nur mit der Angabe ( , ohne
Namensnennung.
96
503,35-504,3. PS,-Alex., Metaph. 706,13-15,
97
504,16-505,27.
98
Vgl. auch 509, 26-28.
99
505,23-27.
100
509,16-19.
101
510,24-26. Rehm, Art. Sosigenes 7, RE III A I (1927) 1159 scheint anzunehmen,
da Sosigenes die Exzenter- und Epizyklentheorie vorbehaltlos billigte und die
eudoxisch-aristotelische Konstruktion wegen ihrer Kompliziertheit ablehnte. Da
Sosigenes auch gegen die Exzenter- und Epizyklentheorie Einwendungen erhob,
ergibt sich aber aus zwei u erungen des Simplikios. In 510,24—26 (vgl. oben Anm,
53) hei t es, da er viele astronomische Aporien formulierte, unter anderen auch
προς ταύτας τας ύποθέοεις. Damit k nnen nur die unmittelbar davor er rterten
Hypothesen der j ngeren Astronomie gemeint sein. Auf diese Aporien will Simp -
kios allerdings nicht eingehen. Kurz davor (509,26—28) lesen wir ταύτα τα άτοπα
επάγει ταύταις ταίς ύποθέσεσιν ό Σωσιγένης ουδέ τ-ή των άνελιττοιισών άρεσκό-
μενος δια τάς είρημένας έμπροσθεν αΙτίας. Auch hier k nnen mit den genannten
υποθέσεις nur die j ngeren, nicht homozentnschen Theorien gemeint sein. Sosigenes,
der die M ngel der homozentrischen Hypothesen zugab und sich diese nicht zu eigen
machen konnte, hatte auch Bedenken gegen die j ngeren Hypothesen, Die diesbez g-
lichen Beanstandungen des Sosigenes bezeichnet Simplikios als ταΰτα τα άτοπα. Mit
dem Demonstrativum ταΐτα wird auf die Beurteilung verwiesen, die Simplikios
unmittelbar davor (509,16—26} anf hrt. Sie enth lt a) einen Hinweis auf die
Verdienste der fraglichen Lehre (509,16-19), und b) eine Kritik (509,19-26), die
vorwiegend darauf beruht, da diese neue Lehre gegen einige von Aristoteles formu-
lierte Grunds tze verst t. Die Einw nde des Sosigenes werden in 509,28—510,23
widerlegt. Allem Anschein nach versucht Simplikios selbst zu zeigen, da die
Exzenter- und Epizyklentheorie nicht in krassem Widerspruch mit dem Aristotelis-
mus steht, im Anschlu satz 510,24 — 26 deutet er an, da er sich nur mit einem Teil
der άπορΐαι des Sosigenes kritisch auseinandersetzt und in der vorliegenden Arbeit
auf die berpr fung der brigen verzichtet.
102
Vgl. De caelo I 2.
103
De caelo II 12, 292 b 25-293a 11,
104
Simpl., De caels 509,19-28.
105
510,15 — 19. Die sehr gedrängte Wiedergabe des Einwandes bei Simpliltios ist nicht
ohne weiteres klar. Ich habe in meiner Paraphrase versucht, wenigstens das Haupt-
argument der Apone zu erläutern.
106 De cae[0 n 4 f 287a 11-22.
107
Über die Aporien des Sosigenes schreibt P, Duhem, Le Systeme du monde II 67:
„Ces objections dressees contre ie Systeme des excentriques et des epicycles auront
un long retemissement; Averroes les empruntera ä Sosigene, et apres le Commentateur,
tout le Moyen Age les reprenclra, tantot pour les assurer, tantöt pour les renverser."
108
509,28-510,8.
109
510,8-15.
110
510,19-23. i" Vgl. oben S. 337.
Von der Schrift περί όψεως, die mindestens acht B cher umfa te,
sind uns zwei interessante Spuren erhalten. In seiner Paraphrase zu De
anima erw hnt Themistios eine Lehrmeinung aus dem dritten Buch, und
Alexander verweist auf das achte in seinem Kommentar zur Meteoro-
logie. Diese beiden Testimonien best tigen und erg nzen, was bereits
ber die philosophische Orientierung des Sosigenes gesagt wurde.
In seiner Theorie des Lichtes spricht Aristoteles112 von phosphores-
zierenden Dingen, die im Dunkeln leuchten, ohne da man ihre eigene
Farbe wahrnimmt. Die Ursache dieses Ph nomens, f gt er hinzu, sollte
anderswo untersucht werden. Themistios113 bemerkt dazu, da eine
solche Untersuchung in die Schrift „ ber die Wahrnehmung und ihre
Objekte" geh re, und berichtet dann, da die Ursache des genannten
Ph nomens von Sosigenes, dem Lehrer Alexanders, im dritten Buch
seines περί όψεως dargelegt worden sei. Er selbst scheint sich von
Sosigenes distanzieren zu wollen. Er macht wenigstens vor seinem
Referat eine sonderbare Bemerkung, aus der hervorgehen d rfte, da er
Sosigenes' Theorien gegen ber etwas mi trauisch ist114. Der referierten
Erkl rung zufolge haben die phosphoreszierenden Gegenst nde in
geringem Ausma an einer Natur teil, die sich auch im „f nften
K rper" und im Feuer befindet und die in der F higkeit besteht, zu
leuchten und die umgebende Luft und die durchsichtigen K rper zu
erhellen. Die Leuchtkraft dieser Gegenst nde sei aber so schwach, da
sie im hellen Tageslicht unsichtbar bleibe und in der Nacht zwar wahr-
nehmbar sei, jedoch nicht ausreiche, um andere Dinge sichtbar zu
machen. Vergleichbar sei in gewisser Hinsicht das Feuer. Es erhelle die
umliegende Luft und mache die Farben der anderen Dinge sichtbar, die
weit entfernte Luft k nne es jedoch nur so viel beleuchten, da es selber
sichtbar werde.
Bemerkenswert ist an dieser Erkl rung, da sie keineswegs originelle
naturwissenschaftliche Erkenntnisse heranzieht (was vielleicht Themi-
112
De an. II 7,419a]-7.
113 n
Themist., De an. 61,21-34. * 61,23 et! τφ πιθανός ό Σαχκγένης.
A, Allgemeines
1
ber Herminos vgl. C. Prantl, Gesch. d. Logik I 545-546 (Kategorien); 584-550;
552-553 (Hermeneutik); 555—557 (Sylloglstik). Nach Prantls Meinung ist Herminos
ein „offenbar h chst bornierter Mensch" gewesen. E. Zeller, Philos. d. Gr. III I s ,
812—813, H. Schmidt, De Hermino Peripatetico, Diss. Marburg 1907 (gute Frag-
mentsammlung). H. v. Arnim, Art. Herminos 2, RE VIII l (1913) 835 (nur 11
Zeilen!).
2
Alex. ap. Sinipl., De caelo 430,32sqq.
3
Lukian., Vit. Demon, 63, F, Fritzsche, Lucianus, Rostock 1882 II 1,189. K. Funk,
Untersuchungen ber die lukianische Vita Demonactis, in: Philol, Suppl. X 4 (1907)
bes. 614-616, H. Schmidt, Op.cit. 5-6,
4
Lukian., Vit. Demon. 56 και μην καί το προς Έρμΐνον τον Άριοτοτελικον αξιον
άπομνημονεϋσαι. εΐδώς γαρ αΐιτον παγκάκιστον μεν οντά και μυρία κακά
έργαζόμενον, τον Άριστοτέλην δε δια στόματος καΐ αΐιτοΰ τας δέκα κατηγορίας
έχοντα, Έρμϊνε, έφη, αληθώς άξιος εί δέκα κατηγοριών. Verschiedene Gelehrte
nehmen eine L cke vor τον Άριστοτέλην an und schreiben z.B. . . . έργαζόμενον
(σπουδή δ' έξηγούμενον) τον Αριστοτέλη και δια οτόματος αύτοϋ κτλ, Vgl.
Η. Schmidt, Op.cit. 5, Anm. 2.
s
Alex. ap. Simpl., De caelo 430,32-33 Έρμίνου δε ήκουσα, καθα ην καί εν τοις
Άοπασίου φερόμενον κτλ. 431,10-11 ταΰτα μεν οΰν τα του Έρμίνου κατά τον
Άσπάσιον είρημένα. Dem Zeugnis Alexanders kann man nur entnehmen, da
Alexander bei einem Lehrvortrag seines Meisters Herminos geh rt hatte, da dieser eine
Meinung vertrat, die auch in einer Schrift des Aspasios (wahrscheinlich in seinem
Kommentar zu De caelo) vorkam. Herminos hatte sich also offenbar einer Meinung
des Aspasios angeschlossen. Ob diese punktuelle bereinstimmung der beiden
Kommentatoren beweist, da Herminos ein Sch ler des Aspasios gewesen ist, halte
ich f r sehr fraglich. A. Gercke, Art. Aspasios 2, RE II (1896) 1722 und H. D[ rrie],
Art. Aspasios l, Der kl. Pauly I 650 schreiben, da Herminos ein Sch ler des
Aspasios gewesen ist. H. v. Arnim, Art. Herminos 2, RE VIII l, 835 und
H. Schmidt, Op.cit. 6 dr cken sich vorsichtiger aus. Chronologisch w re ein
B. 2u den Kategorien
10
Simpl,, Cat. l,3sqq,, bes. 1,13 — 14. Diese Einordnung des Herminos in die Gruppe
derjenigen, die ζητημάτων έφήψαντο μετρίως rechtfertigt das berraschende und
g nzlich unmotivierte Urteil von C. Prantl, Gesch. d. Logik 545 („Herminus,
welcher sich berhaupt in tiefere Untersuchungen nicht einlie , — offenbar ein
h chst bornierter Mensch") nicht im geringsten.
11
Ibid. 3,2 εγώ γαρ ένέτυχον μεν καί τισι των είρημένων συγγραμμάτων,
12
Ibid. 3,13-17.
13
Ibid. 3,3-4.
14
Simp!., Cat, 13,16 (die referierte Ansicht kam bei den beiden Alexander, Herrninos,
Boethos und Porphynos vor). 30,5 sqq. (Porphyrios bezieht sich auf Herminos).
Die 62,7—9 referierte These des Herminos ist auch die des Porphynos in seinem
kleinen katechedschen Kommentar, GAG IV l, 86,11 -13. Simpl., Op. cit. 124,31-35
(Porphyrios zitiert Herminos), Porphyrios selbst zitiert Herminos zweimal in seinem
kleinen Kommentar, 59,19sqq. und 107,25-30. Auch Olympiodor, Cat. 18,27-19,17
und Elias, Cat. 129,9—11 zitieren Herminos und Porphyrios zusammen.
20
Elias, Cat. 129,8-11. Vgl. Busses Apparat ad loc.
31
Ibid. 129,30-130,7,
22
Ibid. 130,14sqq.
" Ed, Brandis 31 b 13-25.
24
SJmpl., Cat. 10,8-19.
nieren. Daß diese und ähnliche Fragen lange vor Porphyries bereits in
den ersten Zeiten der Aristoteles-Kommentierung erörtert worden
waren, zeigt z.B. ein Zeugnis über Boethos von Sidon30. Boethos
weigerte sich, die der Gattung zuzuordnen; er wollte sie nur
mit der Art verbinden, weil sie bei allen Vertretern der jeweiligen Art
vorkomme, jedoch nicht bei allen Vertretern der Gattung, zu welcher
die Art gehörte. Einer kurzen Nachricht bei Simplikios zufolge muß
Herrninos sich in demselbem Sinn geäußert haben. Die das Wesen kon-
stituierenden Merkmale wollte er nicht als Differenzen bezeichnen. Nur
auf die trennenden Merkmale sei diese Bezeichnung anzuwenden 31 . Das
bedeutet also, daß Eigenschaften wie „beseelt" oder „wahrnehmungs-
fähig", die zum Wesen der Gattung Lebewesen gehören, in seiner Auf-
fassung keine Differenzen sind. Nur Merkmale wie „sterblich —
unsterblich" oder „vernunftbegabt — vernunftlos", die die Gattung
„Lebewesen" in Arten trennen, dürfen als Differenzen betrachtet
werden. Die Behauptung des Boethos, daß die nicht bei allen
Mitgliedern der Gattung vorkommt, setzt genau dieselbe Auffassung
voraus.
Nicht besonders geglückt scheint die Interpretation, die Herrninos
für einen Satz der Kategorien vorschlug, in dem von den Differenzen
die Rede ist. Bei Dingen, die verschiedenen Gattungen angehören und
nicht in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung zueinander
stehen, schreibt Aristoteles32, sind auch die Differenzen der Art nach
verschieden ( ). Was er meint, geht aus den Beispielen,
die er anführt, deutlich hervor. Betrachtet man zwei verschiedene
Gattungen, von denen die eine der anderen nicht untergeordnet ist, etwa
„Lebewesen" und „Wissenschaft", so leuchtet es ein, daß die Diffe-
renzen der einen („mit Füßen versehen", „beflügelt", ,,im Wasser
lebend", „Zweifüßler" etc.) bei der anderen niemals anzutreffen sind.
Herminos hatte sich jedoch eine andere, kompliziertere Erläuterung
ausgedacht. Es gibt Dinge, erklärte er, die zwei verschiedenen Gat-
tungen angehören, nicht in einem Unterordnungsverhältnis zueinander
stehen und dennoch gemeinsam einem einzigen Oberbegriff unter-
geordnet sind. Das mit Füßen Versehene und das Beflügelte sind z.B.
dem Oberbegriff „Lebewesen" subsumiert, und doch gibt es Diffe-
30
SimpL, Cac. 97, 28-34. Vgl. oben Bd. I S. 153-159.
31
Simpl., Cat. 55,22-23.
32
Arm., Cat. 3, l b 15-16,
33
SimpL, Cat. 57,22-58,1.
34
SimpL, Cat. 58,1-7; 19-21.
35
Simpl., Cat. 62,7-9.
36
Simpl., Cat. 62, 17-20.
37
C, Prantl, Gesch. d, Logik I 545 stellt sich irrtümlicherweise vor, daß auch die Zeilen
62,20—23 von Herrninos stammen; er wirft daher diesem vor, sich allen Ernstes
eingebildet zu haben, daß Aristoteles überall von der Zehnzahl der Kategorien
spricht; Herminos hätte also kein anderes Buch als die Kategorienschrift in Betracht
gezogen. Kalbfleisch (vgl. die Anführungszeichen in seiner Ausgabe) und H.Schmidt,
Op. cit. 18-19 haben jedoch richtig erkannt, daß diese Zeilen die Kritik des Simplikios
an Herminos enthalten.
38
Arist-, Cat. 6,5a1-6.
39
Porphyries dürfte in Paralletepipeden gedacht haben, die einander an einer Winkel-
linie berühren, vgl. Simpl., Cat. 124,36-125,2.
M
Simpl., Cat. 124,31-35.
41
Ibid. 124,35-36.
« Ibid. 125,13-16.
43
Die Worte , die im Porphyrios-Zitat den Herminos-Satz mit dem Vorher-
gehenden verbinden, führen nicht unbedingt eine Erklärung oder eine Begründung
des vorher Gesagten ein, Vgl, J. D. Denniston, The Greek Panicles 108sqq. Kühner -
Gerth II 337 Anm. 1.
44
Arist., Cat. 6,5b i l - 6 a l l .
45
Ibid. 6,6a 11-18,
46
Vgl. Arist., Cat, 6,4b24; 5a 6sqq.
47
Porph., Cat. 107,25-30. Auch SimpL, Cat. 142,34-143,1 kennt diese Losung der
Aporie, er f hrt sie jedoch auf Andronikos zur ck. Zu dieser Angabe vgL oben
Bd. I 112. Boethius, In Cat. II 212 B Migne PL 64 schreibt sie wie Porphyrios dem
Herminos zu und vermerkt, da Oben und Unten keine Orte, sondern Stellungen
(positio — gr. θέσις) am Orte sind.
48
VgL z.B. SirnpL, Cat. 347,18 und oben Bd. I 111 sqq.; 161-162.
45
Elias, Cat. 241,23.
50
Elias, Cat. 241,30-34.
51
Vgl. oben Bd. ! 99 Anm. 12.
« Vgl. oben S. 315.
53
Elias, Cat. 132,26.
C, "Zur Hermeneutik
ss
Boethius, De int. ed. 2% 25,15-26,1; 26,12-14 Meiser.
s
* Ibid. 59,25-40,9. Amrnon., De int, 24,12-21. Über die Ansicht des Herminos und
die Stellungnahme des Porphyrios vgl, S. Ebbesen, Commentators and Commentaries
on Soph. El. I, 1981,159.
57
Arise., De int. 3, lob 16-18.
58
Ibid. 3, 16B6-7.
einfiel, war die Annahme, daß die erste Definition eben nicht vollständig
sei59.
Interessanter, obwohl nicht überzeugend, erscheint seine Erläute-
rung der sehr kontroversen Angabe über die Kontrarietat in den nicht
ausdrücklich quantifizierten Urteilen über Allgemeines60. Solche Ur-
teile, schreibt Aristoteles, sind nicht konträr entgegengesetzt, dennoch
kann es vorkommen, daß die Sachverhalte, die sie zum Ausdruck brin-
gen ( ), konträr entgegengesetzt sind. Die von Aristoteles
erwähnte Möglichkeit, daß solche nicht quantifizierten Urteile über All-
gemeines konträr entgegengesetzte Sachverhalte bedeuten, schränkte
Herminos auf die Fälle ein, in denen das bejahte oder verneinte Prädikat
naturgemäß dem Subjekt angehört, von dem es p radiziert wird. Wenn
wir z.B. sagen, daß der Mensch mit Vernunft versehen ist oder daß er
nicht mit Vernunft versehen ist, so gehört die Vernunft zur Natur des
Menschen. Der eine Satz ist daher wahr, der andere falsch. Sie bezeich-
nen also konträr entgegengesetzte Sachverhalte61. Boethius, der diese
59
Ammon,, De int. 52,27-29. Dieser Text ist von C. Prantl, Gesch. d. Logik I
549-550 offenbar mißverstanden. Richtige Deutung bei H. Schmidt, Op.cit. 24.
60
Arist., De int. 7,17b7-12.
61
Boethius, De int. ed. 2*, 157,30-158,9. Herminos scheint geahnt zu haben, daß die
Sätze, die er als Beispiele heranzieht, universellen Wahrheits- bzw. Falschheitswert
haben. Zur Unterscheidung von universellen und partikulären Wahrheitswerten und
ihren Folgen für die Entscheidbarkeit der Oppositionsbeziehungen im logischen
Quadrat vgl. A. Menne — N. öffenberger, Über eine mehrwertige Darstellung der
Oppositionstheorie nicht-modaler Urteilsarten. Zur Frage der Vorgeschichte der
mehrwertigen Logik, in: Philosophia 10-11 (1980-81) 304-327. Nach der her-
kömmlichen Oppositionstheorie im bivalenten Quadrat muß, wenn A wahr ist,
E falsch sein, und wenn E wahr ist, A falsch sein, dennoch können A und E gleich-
zeitig falsch sein (z.B. „alle Menschen sind blond" und „keine Menschen sind
blond"). Arbeitet man aber mit Sätzen, die universellen Wahrheitswert haben (wie
z.B. „alle Menschen sind mit Vernunft versehen"), so läßt sich das Verhältnis von A
und E folgendermaßen bestimmen; A und E können niemals zusammen falsch sein.
Ist der eine Satz falsch, so muß der andere universell wahr sein. Die universelle
Falschheit von E („keine Menschen sind mit Vernunft versehen") führt zur Wahrheit
nicht nur der kontradiktorischen, sondern auch der konträren Aussage entgegen-
gesetzter Qualität. Anders gesagt, in solchen Fällen ist immer eine der universellen
Aussagen falsch, die konträre immer wahr. Bei universellen Aussagen mit partiku-
lärem Wahrheitswert dagegen (d.h. in solchen, in denen nach Herminos' Formu-
lierung das Prädikat nicht „zur Natur des Subjekts" gehört) folgt die Wahrheit der
einen universellen Aussage keineswegs aus der Falschheit der konträren. Deuten wir
die nicht quantifizierten Aussagen „Mensch ist blond", „Mensch ist nicht blond" als
„alle Menschen sind blond", „keine Menschen sind blond", so sind die beiden
Aussagen partikulär falsch. In seiner ohnehin nicht ganz klaren Kritik scheint
Boethius nicht eingesehen zu haben, daß Herminos' Theorie, selbst wenn sie sich
nicht aus der aristotelischen Vorlage ableiten läßt, in sich ganz sinnvoll ist.
63
Ibid. 158,9-17. C. Prantl, Gesch. d. Logik I 552 Anm. 60 verbindet in seinem
unvollständigen Zitat einen Teil des Referats mit einem Teil der Widerlegung durch
Boethius. Seine Interpretation ist völlig unklar. - In der Widerlegung ist in 158,15
die Lesart des Ms. T (non dix.it) vorzuziehen. So auch H, Schmidt, Op.cit. 25-26,
Merkwürdigerweise schreibt H. Schmidt, der den Einwand des Boethius als unbe-
gründet betrachtet, daß Aristoteles auch partikuläre Sätze für inhaltlich konträr
entgegengesetzt gehalten haben kann. Dagegen ist zu bemerken, daß die fragliche
Äußerung des Aristoteles ausdrücklich , ,
bezogen ist.
63
Arist., De int. 8,18al8-19.
64
Boethius, De int. ed. 21, 183,7-16, Mir ist nicht klar, wie C. Prantl, Gesch. d.
Logik I 552 aus unserem Text schließen kann, daß Herminos „keinerlei Verständnis
des Artbegriffs besaß".
des Urteils nicht gefährdet ist, wenn das Subjekts- oder Prädikatswort
ein Gattungsbegriff ist, der in mehrere Arten zerfällt. Die anderen Kom-
mentatoren (Aspasios, Alexander, Porphyrios, Boethius) denken eher
an die Vielheit der in einer Definition enthaltenen Begriffe und be-
haupten, diese Vielheit zerstöre nicht die Einzigkeit des Urteils, m dem
das definierte Wort als Subjekt oder Prädikat erscheint65.
Die Erörterungen des Aristoteles über die Gegensätzlichkeit in drei-
gliedrigen Urteilen weisen eine textkritische Schwierigkeit auf, die
Alexander zu einer Korrektur anregte. In 10, 19b 25 und 30 fanden Her-
minos, Alexander, Porphyrios, Boethius und andere Kommentatoren
viermal die Lesart anstatt des erwarteten vor66. Wäh-
rend Alexander den Text für verderbt hielt und , zu resümieren
67 68
empfahl , nahm Herminos gar keinen Anstoß daran . Porphyrios,
Ammonios und Boethius folgten seinem Beispiel und plädierten für den
ihnen vorliegenden Text: Aristoteles, erklärten sie, arbeitet in der um-
strittenen Passage mit zwei verschiedenen Beispielen, um den Scharfsinn
seiner Leser zu trainieren; in dem einen ist „Mensch" als Prädikats-
nomen zu betrachten, in dem anderen fungiert dasselbe Wort als Sub-
jekt 69 . Wie wir gleich sehen werden, kann diese Rechtfertigung der da-
maligen Überlieferung nicht auf Herminos zurückgehen. Die Interpreta-
tion, die dieser für den nicht ganz leichten Passus vorschlug, ist zwar
nicht unsinnig, sie zeichnet sich jedoch durch eine sehr leichtfertige
Auseinandersetzung mit der Vorlage aus. Aristoteles schreibt, daß von
den vier Typen dreigliedriger Urteile zwei sich im Hinblick auf Beja-
hung und Verneinung wie die Privationen verhalten und zwei nicht. Als
Beispiele führt er folgende Sätze an:
Mensch ist gerecht Mensch nicht-ist gerecht
Mensch ist nicht-gerecht Mensch nicht-ist nicht-gerecht
Die Kopula und das Prädikatswort sind es, die bald bejaht, bald verneint
werden70. Herminos glaubt aber — da er 19a. 25 und 30 die Lesart
65
Boethius, Op.cit. 180,3 — 15. Diese Interpretation wird Aspasios, Porphyrios und
Alexander zugeschrieben, 183,20-22.
66
Boethius, Qp.cit. 271,19-273,3, Ammon., De int. 171,1-6.
67
Boethius, Op.cit. 272,14-16; 274,12-16.
68
Ibid. 272,27-273,3.
w
Ibid. 272,16-274,12; 274,16-20. Ammon., De int, 171,2-6,
70
Arist,, De int, 10,19b 22-30. M. Soreth, Zum infiniten Prädikat im zehnten Kapitel
der aristotelischen Hermeneutik, in: Isiamic Philosophy and the Classical Tradition,
75
Arist., De int. 10,19b 29-30.
76
Ibid. 19b 32-36.
77
Boethius, Op.cit. 307,29-310,15.
78
Ibid. 307,29-309,5,
79
Ibid. 309,5-310,15.
80
Ibid. 310,15-21,
81
Arist., De int. 30,19b 33-35.
82
Anal. Pr. I 5,26b37-38.
8J
Oberblick ber die wichtigsten Ansichten bei G. Patzig, Die arist. Syllogistik 127sqq.
Patzigs eigene L sung, da es sich hier einfach um die r umlichen Verh ltnisse in
einer Siandardiormulierung der jeweiligen Figur handelt, leuchtet mir sehr ein.
μον εΐδος, unter ihm stehen nur einzelne Menschen). Wenn schlie lich
die beiden Au enbegriffe auf derselben H he in ihrer jeweiligen Be-
griff spyramide stehen, dann mu man sich wieder nach der eventuellen
Zwischenstufe m der Pr dikation umsehen. „Wei es" und „Mensch"
sind z.B. beide άτομον είδος in ihrer Gattung, stehen also in gleicher
Entfernung vom jeweiligen γένος (Qualit t und Substanz). Ist etwa
„vernunftbegabt" das gemeinsame Pr dikat (von „Mensch" bejahend,
von „Farbe" verneinend ausgesagt), so kommt dieses Pr dikat dem
Menschen qua Mensch, der Farbe aber qua άψυχον zu. Da άψυχον in
der Begriff spyramide h her steht als „Mensch", ist „Wei es" als Ober-
begriff, „Mensch" als Unterbegriff zu betrachten 84 .
Alexanders Urteil ber diese Theorie seines Lehrers klingt besonders
hart. Er halt sie f r nutzlose Kleinigkeitskr merei und betrachtet sie
dar ber hinaus noch als falsch85. Es fallt ihm nicht schwer, ihre M ngel
aufzudecken. Nach den Kriterien des Hermippos mu der Oberbegriff
immer als Subjekt des verneinenden Satzes fungieren, obwohl Aristo-
teles im 2. Modus der 2. Figur die Verneinung f r den Unterbegriff
gelten l t86. Ferner erscheint es ihm nicht gerechtfertigt, nur f r den
verneinenden Satz eine Zwischenstufe in der Pr dikation zu suchen.
Nicht dem Menschen qua Mensch, sondern qua vernunftbegabt wird
das Pr dikat λογικός zugesprochen. Da λογικός und άλογος auf
derselben H he in der Begriffspyramide liegen, hilft das Kriterium des
Hermippos nicht weiter87.
Die zweite Nachricht ber Herminos' Interpretation der Analytik
bezieht sich auf die aristotelischen Beweise f r die Nichtschl ssigkeit be-
stimmter Pr missenpaare. Um die Lehre des Herminos zu verstehen,
m ssen wir uns zuerst vergegenw rtigen, wie Aristoteles derartige
Beweise zu f hren pflegt. Betrachten wir z. B. Syllogismen der 2. Figur,
84
Alex., Anal. Pr. 72,26-74,6.
85
Ibid. 72,5-6 το 6ή ταϋτα λέγειν και ζητεϊν ml φύσει δεικνύναι εν τφ δευτέρφ
σχήματι τον μείζονα άκρον προς τφ περιεργίαν έχειν ουδέ αληθές εστί, Ι. Μ.
Bochenski, Log. Th, 64, ist milder. Er meint, da Herminos hier auf der Linie des
Aristoteles und Theophrast bleibt, ohne zu einer befriedigenden L sung kommen zu
k nnen: „Hermtnossedebattaitdesesperementdanslecadredesideesaristoteliciennes."
G. Patzig, Die arist. Syllogistik 128, halt das Urteil Alexanders f r gerecht.
86
Alexander denkt an I 5,27a9sqq, (Camestres), wo Aristoteles allerdings nicht sagt,
da der verneinende Satz den Unterbegriff enthalt, sondern lediglich diesen Satz
als zweite Pr misse erw hnt,
97
Alex., Anal. Pr. 74,6-75,9.
88
G. Patzig, Die arist. Syllogistik 18Qsqq.
M
Genaueres bei G. Patzig 188-189.
90
Die Form ist die jeweilige Struktur der Sätze mit der bestimmten Anordnung der
Termini, der Qualität und der Quantität des Urteils, Die Materie ist der konkrete
Inhalt, mit dem diese Struktur gefüllt werden kann.
Formel τφ εύπορήσαι ΰλης και του παντί και του μηδενί91. Eine Kom-
bination (συζυγία) wird als nicht schl ssig dadurch verworfen, da man
Stoff zur Verf gung hat, aus dem sowohl ein allgemein bejahender als
auch ein allgemein verneinender Satz anstelle der Condusio gebildet
werden kann,
Herminos war der Ansicht, da die Nichtschl ssigkeit sich auch
anders nachweisen lassen k nnte. Bereits ltere Interpreten, die leider
nicht genannt werden, scheinen brigens auch an diese andere, von
Aristoteles nicht erwogene M glichkeit gedacht zu haben. Wenn man
konkrete Termini findet, meinte Herminos, die bei einem gegebenen
Modus einen allgemein verneinenden Satz als etwaige Conclusio
zulassen, und andere Termini, mit denen die etwaige Conclusio bei der-
selben Form der Vorders tze als partikul r bejahender Satz erscheint, so
wird man auch einen g ltigen Beweis daf r erbracht haben, da der frag-
liche Modus nicht schl ssig ist. Aligemein Verneinendes und partikul r
Bejahendes sind n mlich kontradiktorisch entgegengesetzt und k nnen
nicht zusammen bestehen92.
Mit Recht behauptet Alexander, da die Argumentation von Hermi-
nos nicht stichhaltig ist und die von ihm genannten Kriterien nicht aus-
reichen, um die Nichtschl ssigkeit eines Modus festzustellen. Herminos
hat n mlich nicht nachgewiesen, da im er rterten Fall (Kombination
von S tzen AeC und AiC mit demselben Pr missenpaar) eine Conclusio
der Form AoC auszuschlie en ist93. Ferner kann man feststellen, da
selbst bei schl ssigen Modi S tze AeC und AiC mit den Pr missen
vereinbar sind, wenn man bestimmte Begriffe einsetzt. Dies ist z. B. der
Fall f r Ferio in der ersten Figur. Setzen wir zun chst die Begriffe
„Pferd", „Mensch" und „Vierf ler" ein. Die Pr missen lauten dann:
Mensch kommt keinem Pferd zu (AeB);
Pferd kommt einigem Vierf ler zu (BiC).
Damit l t sich der Satz vereinbaren
Mensch kommt keinem Vierf ler zu (AeC),
91
Alex., Anal. Pr. 89,30,
92
Alex., Anal. Pr, 89,31-90,6. Mit der Formel ως άλλοι τέ τίνες των αρχαίων καΐ
Έρμϊνος δε λέγει deutet Alexander an, da Herminos nicht der einzige unter den
fr heren Interpreten war, der die referierte Theorie vertrat. Wer die anderen
gewesen sind, wissen wir leider nicht.
M
Ibid. 90,6-14.
Bei anderen Begriffen aber, wie etwa „Schnee", „Schwan" und „Weiß",
lauten die Prämissen:
Schnee kommt keinem Schwan zu (AeB);
Schwan kommt einigem Weißen zu (BiC).
Damit ist zu vereinbaren
Schnee kommt einigem Weißen zu (AiC).
Obwohl die Kriterien des Herminos vorhanden sind (Schlußsätze AeC
oder AiC bei denselben Prämissen), ist dieser Modus der ersten Figur
syllogistisch gültig. Es handelt sich nämlich um Ferio mit der legitimen
Conclusio AoC. Man sieht sich also gezwungen zuzugeben, daß
Hermmos1 Kriterien nicht ausreichen. Wollte man sie aber für richtig
halten, so müßte man auch syllogistisch gültige Modi (in unserem Fall
Ferio) für nichtschließend erklären94.
Nach dieser Widerlegung berichtet Alexander über weitere Ausfüh-
rungen derselben Interpreten95, die gegen seinen zweiten Einwand
gerichtet zu sein scheinen. Wenn man zugibt, daß kontradiktorische
Sätze mit den Prämissen eines schließenden Modus vereinbar sind
(wie etwa AeC und AiC mit den Prämissen AeB ßc BiC), so hebt
man dadurch die Möglichkeit eines Beweises durch Reductio ad impossi-
bile auf. Um einen solchen Beweis zu führen, muß man nämlich vom
kontradiktorischen Satz der Conclusio ausgehen, von einem Satz also,
der, falls die Conclusio wahr ist, falsch sein muß. Von diesem Satz
wissen wir aber, daß er beim Einsetzen bestimmter Begriffe wahr ist,
genau so wie seine Kontradiktion beim Einsetzen anderer Begriffe auch
wahr ist. Der erörterte Modus ist also völlig nutzlos. Ferner muß sich
bei jedem schließenden Modus die Conclusio durch Reductio ad impos-
sibile beweisen lassen. Dies ist aber bei Kombinationen unmöglich, bei
denen kontradiktorische Sätze sich mit den Prämissen vereinbaren
lassen. Daraus ergibt sich, daß keine angeblich syllogistische Kombina-
tion wirklich syllogistisch schließt, es sei denn, man.nähme an, daß ein
Satz und seine Kontradiktion gleichzeitig wahr sein können 96 .
94
Ibid. 90,14-27.
gs
In 90,28 dürfte das Subjekt von wohl jene
sein, gegen die Alexander polemisiert. Auf jeden Fall handelt es sich um
Herminos oder um Leute, die sich seine Theorie zu eigen gemacht hatten. Daß die
ganze Diskussion bis 91,20 den Thesen des Herminos gilt, beweist der abschließende
9fi
Satz 91,21-22. Ibid. 90,28-91,8.
97
Ibid. 91,8-20.
104
Alex., Anal. Pr, 125,6-17. Auf die Interpretation des Aristoteles-Satzes bei
Herminos weist Ps.-Ammonios 39,34—40,1 ebenfalls hin.
105
Alex., Anal. Pr. 125,17-24.
wirklich einen gravierenden Fehler bei Herminos auf, Um seine εφ' ύλης
τινός-Theorie berhaupt aufstellen zu k nnen, mu te Herminos jene
Grundtendenz der aristotelischen Syllogistik verkennen, die sich z.B.
im Gebrauch der Variablen anstelle von konkreten Begriffen u ert, die
Tendenz n mlich, formale, allgemein anwendbare Regeln auszuarbeiten.
Das ist dem Exegeten nicht entgangen. Wenn Aristoteles vorgehabt
h tte, bemerkt dieser in seiner Kritik an Herminos, eine Regel nachzu-
weisen, die nur f r einen bestimmten Anwendungsbereich gilt, so h tte
er diesen Bereich angegeben. Er tut es aber nicht, und im weiteren Ver-
lauf seiner Darlegungen benutzt er Buchstaben (als Variablen), was deut-
lich macht, da seine Beweise universal anwendbar sind und nicht f r
eine bestimmte Materie besser passen als f r eine andere106. Die Kritik
schlie t mit dem vernichtenden Satz, man solle diese These als v llig
bodenlos zur ckweisen107. Auf eine l ngere Analyse des Aristoteles-
Textes will Alexander verzichten. Dar ber habe er sich n mlich in seiner
Abhandlung ,,Uber den Unterschied zwischen Aristoteles und seinen
Sch lern in der Lehre der gemischten Syllogismen" ausgesprochen. Er
wolle jetzt lediglich Aristoteles1 Argumente anf hren sowie auch die-
jenigen, die man zur Unterst tzung seiner These hinzuf gen k nnte108.
Der Verweis auf die Abhandlung ber die Frage der gemischten Syllo-
gismen ist hier besonders wichtig. Nach dem Titel zu urteilen, begn gte
sich Alexander in dieser Schrift nicht damit, Argumente in abstracto zu
besprechen. Lehrmeinungen und Argumente waren durchweg in einem
philosophiegeschichtlichen Rahmen eingeordnet und mit der Pers n-
lichkeit ihrer jeweiligen Urheber verbunden. Zweifelsohne geht also die
Substanz der Er rterungen ber die Herminos-Theorie im Kommentar
auf diese Schrift zur ck. Auch was Ps.-Ammomos ber Theophrast,
Eudem, Sosigenes und Herminos zu sagen hat, stammt auch, wenn auch
nur mittelbar, aus dieser Quelle. Anders als an unserer Stelle des Kom-
mentars wird Alexander in seiner Monographie Herminos (wie auch
Sosigenes) ganz offen und unter Namensnennung angegriffen haben.
Mit ihrer γελοΰ>ν und ihrem κενόν παντάπασι l t die sicher schon
abgeschw chte Polemik des Kommentars noch ahnen, wie scharf der
Ton in der Monographie gewesen ist. Mit jugendlichem Impetus brachte
dort Alexander die schweren Entt uschungen z rn Ausdruck, die der
106
Ibid. 125,24-28.
107
Ibid. 125,28—29 διό τοίτο μεν παραιτητέον ως κενόν παντάπασι.
10β
Ibid. 125,29-33.
E. Zur Topik
109
Arist., Top. VIII 11,161 b 19.
110
Ibid. 161 b 26-33.
111
Alex., Top. 569,3-5.
ten Fehlers geh rig. Infolgedessen fand er den vierten Fehler darin, da die
Pr missen weniger berzeugend sind als der Schlu satz112, und den
f nften darin, da die Pr missen, obwohl wahr, eine umst ndlichere,
kompliziertere Beweisf hrung ben tigen als die zur Diskussion gestellte
Frage. Verglichen mit der blichen Interpretation, die z.B. bereits
Alexander vertrat, l t sich seine Gliederung folgenderma en darstellen:
Herminos Alexander
161 b 19—24: 1) πρώτη μεν όταν . . . 1) πρώτη μεν όταν . . .
b 24—26: 2) δευτέρα δε ει ... 2) δευτέρα δε ει ...
b26—28: 3) τρίτη δ' 3) τρίτη δ' ει ...
a) ει προστεθέντων ...
b28—30: b) πάλιν ει ... 4) πάλιν ει ...
b3Q—31: 4) έτι ει ... 5) έτι a) ει ...
b 31-33: 5) ή ει . . . b) ή ει . . .
112
Arist., Top. VIII 11,161b 30-31.
113
Ibid. VIII 12,I62b3-J5.
114
Ibid. 162b5-7.
115
Alex., Top. 574,22-26,
116
Ibid. 574,26-575,7.
Reductio. Der Schlu , der gezogen wird, so erkl rte er, ist nicht die zu
beweisende These (το προκείμενον), und auch das Schlu verfahren ist
falsch. Das Demonstrandum wird auf dem Umweg der Reductio und
nicht direkt mittels des Syllogismus bewiesen. Herminos geht also davon
aus, da die Reductio den kontradiktorischen Satz des Demonstrandum
als eine der Pr missen benutzt und zu einem Schlu f hrt, der falsch ist,
weil er in Kontradiktion mit der anderen, als wahr angenommenen
Pr misse steht. Seiner Meinung nach betrachtete also Aristoteles jede
Reductio schlechthin als einen φευδής λόγος. Diese Deutung berzeugt
jedoch nicht. Einerseits h lt Aristoteles das Verfahren der Reductio als
Ganzes f r durchaus legitim und methodisch unanfechtbar. Anderer-
seits will er in seinen Ausf hrungen ber die vier Arten des φευδής λόγος
offenbar unkorrekte Formen der Argumentation entlarven und ablehnen,
Der Satz οπερ συμβαίνει μάλιστα τοϊς εις αδύνατον άγουσιν scheint
einen Hinweis auf einen Fehler zu enthalten, der einem bei der Reductio
h ufig unterlaufen kann, d.h. auf einen Fehler m der praktischen Hand-
habung dieses an sich durchaus korrekten und legitimen Verfahrens,
Mit vollem Recht zieht also Alexander eine andere Erl uterung des
fraglichen Satzes vor. Ein Fehler, der in der Reductio h ufig vorkommt,
besteht darin, da man, um das αδύνατον zu beweisen, Pr missen
heranzieht, die sich nicht auf das Demonstrandum beziehen (αλλότριας
, . . της υποθέσεως προτάσεις) und die an sich f r den Nachweis des
αδύνατον entbehrlich sind. Gerade solche Fehler hat Aristoteles unter
dem Stichwort το μη παρά τοϋτο in der Analytik er rtert117. Diese
Deutung d rfte den Intentionen des Aristoteles besser entsprechen als
die Erkl rung des Herminos. Einmal mehr stellt sich heraus, da
Herminos, auch wenn er den Finger auf eine echte Schwierigkeit legte,
sich viel zu oft mit einer oberfl chlichen Interpretation begn gte. Er
vermochte es offenbar nicht, durch sorgf ltige Analyse der Texte alle
Elemente eines exegetischen Problems herauszuarbeiten und sie bei
seinem Versuch einer L sung geb hrend zu ber cksichtigen.
F. 7,u De caelo
Es fällt besonders auf, daß diese Erklärung die Rolle des ersten
Bewegers überhaupt nicht erwähnt. Das ist gerade der Einwand, den
Alexander gegen seinen Lehrer richtet: Der erste Beweger und nicht die
eigene Seele des Himmels sei in Wirklichkeit die Ursache für die Ewig-
keit der Kreisbewegung. Nähere Einzelheiten über Herminos' Theorie
sind uns leider nicht bekannt. Ob er einen unbewegten, transzendenten
Beweger als Finalursache der Bewegung annahm, wissen wir nicht. Hat
er es getan, so betrachtet er die Himmelsseele einfach als Wirkursache
der Bewegung. Denkbar wäre allerdings auch, daß er ganz ohne den
transzendenten Beweger auskommen wollte, In diesem Fall hätte er den
Himmel als ein betrachtet, in dem es ein Bewegendes, die
Seele, und ein Bewegtes, den Körper, gibt. Wie dem auch sei, wir
stellen fest, daß er eine gewisse Diskrepanz in den Angaben des Aristote-
les über die Himmelsbewegung beobachtet hatte und sie sinnvoll zu
eliminieren versuchte.
1
Atex., De an. man t. 110,4 ήκουσα δε περί νου του θύραθεν παρά Αριστοτέλους, α
διεσωσάμην.
2
Sirnpl,, De caelo 153,16-18 συνηρημενως δε ό Αλέξανδρος, ως φησι, κατά τον
αΐιτοΐι διδάσκαλον Άριστοτέλην οΰτως έξέθετο την λέξιν.
3
Kyrill,, Contra lulianum II 596A, Migne PG 76 γράφει τοίνιιν Αλέξανδρος ό
Αριστοτέλους μαθητής εν τφ περί προνοίας ούτως, V 741 Α καΐ γοΰν ό Αριστοτέ-
λους μαθητής Αλέξανδρος εν τω περί της καθ' 6καστα προνοίας λόγω ψησίν,
4
ber den ganzen Fragenkomplex vgi. P. Moraux, Aristoteles, der Lehrer Alexanders
von Aphrodisias, in: Arch. f. Gesch. d. Philos. 49 (1967) 169-182. A. L. Manorana,
II Maestro di Alessandro di Afrodisia, in: Sophia 36 (1968) 365—367 fa t meine Argu-
mentation zusammen, ohne Neues beizusteuern.
5
Bereits gegen Ende des 16. Jh. schlug der Spanier J, P. Nunez diese Korrektur vor,
vgl, Vita Aristotelis Peripateticorum principis , . , cum . , . scholiis Petri Ιο. Nun-
nes , Barcinone 1594, neue Aufl. Lugd, Batav. 1621, S. 73 Anm. 26. Auch E. Zel-
ler, Pbilos, ct. Gr. III Is, 814 Anm. 1; 815 Anm. 3 hielt die Korrektur für erforder-
lich.
« Galen, De consuetud. 11,4-12,12 Müller (Scr. min, II) = CMC Suppl. III 4,16sqq.
Der CMC-Herausgeber, F, Pfaff, zeigt S, XXXVsq., daß]. Ilberg sich irrte, als er De
consuetud. in die Zeit des Septirnius Severus datierte (Rh. Mus, 51 [1896] 189), Die
Schrift sei noch unter Mark Aurel entstanden.
B. Zu De caelo
C. Zwr Metaphysik
12
Syrian., Metaph, 106,6.
13
Elias, Cat. 128,10-13. Vgl. oben Anm. 7.
14
E. Zeller, Philos. d. Gr. III I s , 805 Anm. 2 (unter S. 807).
15
Arist., Metaph, M 3, 1078a 22-31,
16
Syrian,, Metaph. 99, 17-31.
17
Ibid. 99,31-100,1.
18
Ibid. 100,1-3.
19
Ibid. 100,3 — 5, Das äußerst knapp gehaltene Referat über die Interpretation des
Aphrodisiers läßt sich etwa wie folgt paraphrasieren. Die Mathematika existieren
aktuell in den Sinnesdingen; sie stellen also ein wirklich Seiendes dar. Nun aber be-
1
trachtet sie der Mathematiker so, als wären sie völlig selbständig ( ); das
sind sie in Wirklichkeit aber nicht; ihre vom Mathematiker angenommene selbständige
Subsistenz ist nicht aktuell, sondern nur potentiell gegeben,
20
Ibid. 100,6-9.
21
Die Prioritätsfrage zwischen PS,-Alexander und Syrian ist bekanntlich umstritten,
L. Taran, in: Gnomon 53 (1981) 750 ist davon überzeugt, daß Syrian von PS.-Alexan-
der abhängt, und verspricht "to establish this interpretation on firm grounds". Ähn-
lich hatte sich bereits W. Kroll, CAG VI l, Praef. VI mit Anm. l, gegen J. Freuden-
thal geäußert. Ich bin gern bereit, mich überzeugen zu lassen.
22
Syrian 99,17-31 = Ps.-Alex. 738,24-739,12. Syrian 100,15-24 = Ps.-Alex. 739,
23 -740,1. Für den Passus Syrian 99,31 — 100,13, der die hier erörterten Nachrichten
enthält, bietet PS.-Alexander jedoch keine Parallele.
23
E. Zeller, a.a.O. (oben Anm, 14) schreibt: „Er (= Alexander) und nicht ein sonst
unbekannter Peripatetiker namens Aristoteles ist auch mit νεώτερος Άπιστοτέλης
ό εξηγητής του φιλοσόφου Αριστοτέλους bei Syrian . , . gemeint, wie au er der
Stelle selbst ihre Vergleichung mit Alex. Metaph. 738,29 H. au er Zweifel stellt".
24
So auch K. Praechter, Rez, von Syriani in Arist. Metaphysica commentaria ed.
W. Kroll, in: Gott. gel. Anz. 165 (1903) 513-530, dort 520: „Wer hier mit dem
νεώτερος Αριστοτέλης gemeint ist, vermag ich nicht zu sagen, aber da er nicht mit
dem Aphrodisier eine und dieselbe Person ist, ist sicher".
15
Diese Tatsache ist bereits von Kroll, app. crit. ad Syrian. 100,4 notiert -worden. Mit
nil tale personal»! Alexander registriert er n mlich, da die von Syrian dem Aphro-
disier zugewiesene Interpretation irn erhaltenen Kommentar von (Ps.-)Alexander nicht
anzutreffen ist.
26
Hier mu auf eine Schwierigkeit hingewiesen werden, die sich aus der Stellungnahme
Syrians in der berlieferten Fassung ergibt. Die Interpretation, die Syrian vorzieht,
bezeichnet er nicht nur als die „reinere", sondern auch als diejenige, die es ihm
erm glicht, Aristoteles ganz offen zu fragen, wodurch die Potenz eigentlich vollendet
und zu ihrem Akt gef hrt wird (Syrian,, 100,9-13). Es kann sich also nur um die
Interpretation handeln, nach welcher die Mathematika nur potentiell im sinnlich Wahr-
nehmbaren sind und erst in der Wissenschaft ihre Aktualit t erhalten. Sie ist es,
gegen die sich der erste Einwand Syrians (99,34—100,1) richtet, Syrians Sympathie
gilt also der Deutung, die die Opposition zwischen Aristoteles und Platon am deut-
lichsten erscheinen l t und die auch der j ngere Aristoteles vertrat. Aus dem ber-
D. Noetik
lieferten Text scheint sich aber zu ergeben (vgl. 100,9—10), da er die ganz anders
lautende Interpretation des Aphrodisiers vorzieht. Diese Diskrepanz l t sich durch
eine winzige Korrektur beseitigen. Jn 100,10 ist (ή) vor ως zu erg nzen und der Satz
soll lauten καΐ ήβουλόμην εγώ μάλλον οΰτως είρήσθαι τφ φιΑοσόφψ (ή) ως {ό add.
Usener) ΆφροΟισιεΰς έδοκίμασεν. Mit οΰτως wird auf die zuletzt genannte Inter-
pretation, die des j ngeren Aristoteles, mit ως ό Άφςοδκηεύς auf die erste (vgl.
100,4) verwiesen.
27
In der modernen Forschung ist die G ltigkeit von Zellers Konjektur Aristoteles (vgl,
oben S. 83) nur selten angezweifelt worden; infolgedessen wird die hier dargelegte
Noetik fast immer dem Messener Aristoteles zugeschrieben. Mehr oder weniger zu-
verl ssige Darstellungen dieser Noetik finden sich in den folgenden Werken: E. Zeller,
Philos. d. Gr. III l 5 , 815-817. H. Kurfess, Zur Geschichte der Erkl rung der
aristotelischen Lehre vorn sog. ΝΟΥΣ ΠΟΙΗΤΙΚΟΣ und ΠΑΘΗΤΙΚΟΣ, Diss.
T bingen 1931, 15—15. H. Heiland, Aristotelis Messen reliquiae, Diss. Gie en
1925, 95—98. E, Gilsonj Les sources greco-arabes de l'augustimsme avicennisant, in
Archives d'Hist. docir. et litt, du moyen age 4 (1929) 15-22. E. Brehier, Histoire
de b Philosophie I 2, Nouv. ed. 1934, S. 446. P. Wilpert, Die Ausgestaltung der
aristotelischen Lehre vom Intellectus agens bei den griechischen Kommentatoren und
in der Scholastik des 13. Jh., in; Beitr ge z. Gesch. d, Philos. u. Theol. d. Mittel-
alters, Suppl.-Bd. III l (1935) 449-450. P. Moraux, Alexandre d'Aphrodise 1942,
143-164. F. Trabucco, II problema del De Philosophie di Aristocle, in: Acrne XI
(1958) 117—326. Vgl. auch Ph. Merlan, Monopsychism, Mysticism, Metaconscious-
ness, 1963, 46—47; Greek Philosophy from Plato to Plotinus, in: A. H. Armstrong
(Hrsg.), The Cambridge History of later Greek and early Medieval Philosophy,
Cambridge 1967, 117.
28
Fragmente bei R. D. Hicks, Aristotle, De Anima, 1907 (Neudruck 1965), 589-596.
Ausf hrliche Er rterung bei E. Barbotin, La theorie aristotelicienne de i'intellect
d'apres Theophraste, 1954.
19
Arist., De gener, an. II 3,736b 5—29. Vgl. P. Moraux, A propos du νους θύραθεν
chez Aristote, in: Autour d'Aristoce. Recueil . . . offert Mgr A. Mansion, 1955,
255-295,
30
IV 5,11, 392b 3 Diels, Dox.
31
loannes Phiiop., De an, 15,65-69 Verbekc.
32
Vg). oben Bd. I 207-208.
33
Philon, De op. m. 67 . . . δια τους φάσκοντας θύραθεν αυτόν έπεισιέναι θεΐον
mi άίδιον οντά. Das ist die typisch aristotelische Formulierung, vgl. oben S. 407.
liches, eine Grenze, eine Form, eine Zahl, eine Endelechie, eine
Harmonie? 2. Wie entsteht er berhaupt? Kommt er gleich bei der
Zeugung von au en her (έξωθεν είσκρίνεται) oder findet (bei der
Geburt) eine Abk hlung der inneren W rme durch die u ere Luft
statt, ein Proze also, den man mit der H rtung des gl henden Eisens
durch den Kontakt mit kaltem Wasser vergleichen kann? 3. Ist er sterb-
lich, hat er ein zeitlich begrenztes Fortleben nach dem Tode oder ist er
ganz und gar unverg nglich? 4. Wo hat er seinen Sitz? 34 . Selbst wenn
Ph on diese Probleme f r kaum l sbar halt, wird uns durch sein Zeugnis
best tigt, da sie zur philosophischen Diskussion seiner Zeit geh rten
und da auch die Aristotetiker an dieser Diskussion beteiligt waren35.
Am interessantesten f r uns d rfte aber die philosophische Unterschei-
dung eines doppelten νους sein. Im mosaischen Bericht ber die
Erschaffung des Menschen glaubt Philon die Erw hnung von zweierlei
Menschen zu finden. Der eine ist der irdische, aus Lehm geformte
Mensch, der andere Ist der himmlische, der ein Ebenbild Gottes ist und
keinen Anteil an der irdisch-sterblichen Natur hat, Allegorisch identi-
fiziert er dann den irdischen Menschen mit dem seinem Wesen nach
sterblichen Nus; dieser ist mit dem K rper verbunden; niemals h tte er
seine Gedanken auf Gott gerichtet, wenn Gott ihn nicht ber hrt h tte;
niemals h tte er zu Gott emporsteigen k nnen, wenn Gott ihn nicht —
sofern berhaupt m glich — zu sich hinaufgezogen h tte. Gott aber blies
ins Antlitz des Menschen Lebensodem und der Mensch wurde ein
lebendiges Wesen36. Das bedeutet, da der irdische, sterbliche νους
dadurch, da er Gottes πνεύμα erh lt, im Rahmen des M glichen gott-
hnhch wird. Auf diese Weise entsteht der himmlische, erschaffene,
immaterielie, von aller Verg nglichkeit abgetrennte Nus, ein Ebenbild
Gottes, eine wertvolle Pr gung Gottes und seines unsichtbaren Pneu-
mas, die mit dem g ttlichen Siegel des ewigen Logos gekennzeichnet
ist37. Den philosophischen Hintergrund zu dieser Allegorese bildet
34
Philon, De somn. I 30-32,
ss
Vgl. besonders die Erw hnung der ενδελέχεια und die Formel έξωθεν είσκρίνεται
in dem Anrn. 33 zitierten Text.
ϊ6
Gen. 2,7 και ένεφύίτησεν εις το πρόσωπον αύτοΰ πνοήν ζωής, καΐ έγένετο ό
άνθρωπος εις ψυχή ν ζώσαν.
37
Vgl. besonders Philon, Leg. alleg. l 31-40; 88-90; De plant. 19; Quis rer, div.
heres 64. Zur Frage des doppelten νοϊις und der Anthropologie bei Philon vgl. E, R.
Goodenough, By Light, Light: The Mystic Gospel of Hellenistic Judaism, 1935,
384-386; An Indroduction to Philo Judaeus, 2. Aufl. 1962, 113-114. W . V lker,
Fortschritt und Vollendung bei Ph. v. Alex., 1938, 158sqq.
38
N heres dar ber unten Bd. III.
39
Albinos, Didask, 164,16-165,4. VgL unten S, 464.
40
Ibid. 165, 17-24.
41
Sonnengleichnis aus Plat., Resp. VI 507E-509B; Rolle des Demiurgen im Timaios.
42
Arist,, De an. II! 5.
43
Alex., D e a n , mant, 112,5-9.
Das lange Referat Alexanders besteht aus zwei formal und inhaltlich
recht verschiedenen Teilen. In dem ersten werden die Gr nde dargelegt,
aus denen der Stagirite seine Lehre vom νους θύραθεν aufgestellt haben
soll44, und anschlie end werden zus tzliche Erkl rungen ber den νους
θύραθεν, den menschlichen Nus und die Einwirkung des ersten auf den
zweiten gegeben45. Diese Betrachtungen erscheinen nicht so sehr als
eigene Theorie des j ngeren Aristoteles denn als die communis opinio
oder eine Art von m ndlicher Oberlieferung, ber die der Lehrer
Alexanders berichtete 46 , Der Aphrodisier formuliert keine einzige Kritik
gegen die darin gebotenen Erl uterungen. Der Vergleich mit dem ersten
Teil der Schrift περί νου47 zeigt keinen wesentlichen Unterschied zwi-
schen dem Inhalt dieser Erl uterungen und der Nuslehre, die Alexander
als seine eigene darstellt 48 . Ganz anders der zweite Teil des Referats,
Hier wird eine Theorie dargestellt, die der j ngere Aristoteles aufbaute,
um die Unsterblichkeit des Intellekts zu begr nden und gewisse Schwie-
rigkeiten in der Lehre vom νους θύραθεν zu beseitigen49. Von dieser
Theorie, die eine unverkennbare Ann herung an die Stoa aufweist,
distanziert sich Alexander mit Entschiedenheit 50 ; er zeigt dann zum
Schlu , da die Schwierigkeit, die der j ngere Aristoteles durch seine
Theorie aufheben wollte, in Wirklichkeit nicht existiert51.
Obwohl der erste Teil des Referats keine eigene Leistung des j n-
geren Aristoteles darstellt, ist er deswegen von gro em historischem
Interesse, weil er uns ber den Stand der penpatetischen Noetik m der
zweiten H lfte des 2. Jh. n.Chr., als Alexander noch studierte, genau
unterrichtet. Diese Noetik, die die allzu knappen Andeutungen des
44
Ibid. 110,5-25.
45
Ibid. 110,25-112,5.
46
Besonders kennzeichnend ist die unpers nliche Form des einleitenden Satzes, 100,
5-6 τα γαρ κινήσαντα "Αριστοτέλη είσαγαγεΐν τον θύραθεν νουν, ταΰτα έλέγετο
είναι. Vgl, P. Moraux, Alexandre d'Aphrodise, 1942, bes. 148sqq. F. Trabucco, in:
Acrne 11 (1958) 120-124 hat mit Recht hervorgehoben, da dieser Teil des Referats
nicht die eigene Ansicht von Alexanders Lehrer, sondern ,,1'espressione della com-
munis opinio" enth lt.
47
Alex., De an. mant. 106,19-110,3.
48
N heres dar ber P, Moraux, Alex, Aphr. 143-149.
49
Op.cit. 112,5-113,12. Wichtig ist im einleitenden Satz der Hinweis κατ' ίδίαν επί-
νοιαν έλεγε τοιαύτα, 112,8. Man beachte auch die verba declarandi in der 3. Person
Singular έλεγε (112,8), εφασκε (Π2,10), έλεγεν (113,2; 5).
50
Op.cit. 113,12-18.
51
Op.cit. 113,18-24,
Aristoteles erl utern, systematisch koordinieren und erg nzen will und
sich dabei f r genuin aristotelisch ausgibt, ist vor allem dadurch gekenn-
zeichnet, da sie den νους θύραθεν aus De generatione animalium II 3
mit dem νους τφ πάντα ποιειν aus De anima II 5 in Beziehung bringt
und diesen f r eine transzendente, wohl g ttliche Entit t h lt.
Da der νους θύραθεν im System des Stagiriten erforderlich ist, wird
unter Hinweis auf die Parallelit t mit der Sinneswahrnehmung und den
Voraussetzungen f r jedes Werden berhaupt dargelegt. Die Wahrneh-
mung erfolgt, wenn ein aktuell Wahrnehmbares durch das passive
Sinnesorgan aufgenommen wird; jedes Entstehen setzt n mlich neben
einem passiven ein aktives Prinzip voraus. hnlich mu es sich auch im
Falle des Intellekts verhalten; ein aktiver, wirkender Intellekt (ποιητικός
νους) ist notwendig, damit der potentielle und materielle Intellekt
(δυνάμει νους και υλικός) zu seiner T tigkeit gef hrt wird. Welches ist
nun diese T tigkeit des menschlichen Intellekts und wie wird sie durch
die Einwirkung des aktiven Intellekts erm glicht? Im Gegensatz zur
Wahrnehmung, deren Objekte in actu vorliegen und daher gleich auf das
Organ einwirken, richtet sich die Erkenntnis des Intellekts auf Dinge,
die keine reinen, aktuellen Intelligiblen, sondern sinnlich wahrnehmbare
Gegenst nde sind. Er mu also abstrahieren, er mu diese Objekte von
ihren wahrnehmbaren Charakteren freimachen, um sie in sich selbst er-
fassen zu k nnen. Gewi , er nimmt Formen auf, wie auch die Wahr-
nehmung es tut, aber vorher mu er diese Formen sozusagen herstellen,
und zwar durch den Proze der Abstrahierung. Das ist also die spezi-
fische T tigkeit des menschlichen Intellekts, Um sie berhaupt durch-
f hren zu k nnen, mu der potentielle Nus des Menschen von einem
aktiven Nus aktualisiert werden. Diese Aktualisierung, die dem mensch-
lichen Nus seine Denkkraft verleiht, ist die Leistung des „von au en her
kommenden" Nus (ό θύραθεν εϊσιών). Wie erfolgt nun die Einwirkung
des aktiven Intellekts auf den potentiellen des Menschen? Der aktive
Intellekt ist eine Natur (φύσις τις), eine Substanz (ουσία), die an und f r
sich, von Natur aus, aktuelle Intelligibilit t besitzt; sie braucht daher
nicht erst von der menschlichen Vernunft abstrahiert zu werden, um als
Intelligibles in actu zu erscheinen und von der Vernunft aufgenommen
zu werden, wie es bei den Sinnesdingen der Fall ist. Wo der so geschil-
derte νους ποιητικός in der Hierarchie des Seienden seinen Platz hat,
wird in diesem Teil des Referats nicht angegeben. Sicher geh rt er wie
einst die platonischen Ideen in die Sph re der transzendenten, „abge-
trennten" Intelligiblen. Da er gleichzeitig in actu νους und νοητόν ist
und es au er ihm kein wahres Intelligibles gibt 52 , d rfte er wohl mit dem
ebenfalls als reiner νους und reines νοητόν geschilderten Ersten Beweger
der Metaphysik identisch sein53. In seiner eigenen Noetik wird ihn der
j ngere Aristoteles als g ttlichen Nus bezeichnen, ihm jedoch die Trans-
zendenz absprechen.
Die Kausalit t des νους ποιητικός ist eine doppelte. Einerseits
scheint er in seiner Eigenschaft als h chstes Intelligibles Ursache der In-
telligibiht t der brigen Dinge zu sein, die nur potentielle Intelligibiiit t
besitzen54. Andererseits wirkt er auf den menschlichen potentiellen Nus
ein. Von Geburt an besitzt der Mensch Anlagen, die sich im Laufe der
Zeit entwickeln und das bergehen zu entsprechender T tigkeit erm g-
lichen; er besitzt zum Beispiel die Anlage zum Gehen, und wenn diese
sich voll entwickelt hat, kann er wirklich schreiten. So verh lt es sich
auch mit dem Denken. Von Geburt an ist der Mensch zum Denken ver-
anlagt. Im Laufe des Wachstums entfaltet sich diese Anlage zu einer
regelrechten Denkf higkeit. Der Mensch kann dann das von Natur aus
Intelligible in sich aufnehmen, etwa wie die Wahrnehmung das aktuelle
Wahrnehmbare aufnimmt. Dadurch, da es gedacht wird, gelangt dieses
aktuelle Intelligible, das von Natur aus auch aktueller Intellekt ist, in das
Subjekt, das es aufnimmt, und es legt in den materiellen Intellekt einen
Habitus ein, der die Abstrahierung der potentiellen IntelHgiblen
erm glicht. Auf diese Weise also vervollkommnet der wirkende Intellekt
den materiellen; er erschafft den materiellen Intellekt nicht, sondern ver-
leiht ihm seine Vollendung und gibt ihm die F higkeit, die ihm eigent-
liche Operation des Abstrahierens durchzuf hren. Er wird zum Mitwir-
52
Op.cit, 111,22—23 ουδέν γαρ άλλο νοητόν εστίν ή ό νους ό ων ενεργείς και καθ1
αυτόν,
53
Vgl, Arist., Metaph. Λ 7, 1072b 14-30 und Λ9 im ganzen.
54
Dieser Aspekt wird nur einmal kurz erw hnt, l U, 28 OO ' v τα αλλά νοητά ην
δντα δυνάμει μη δντσς τινός τη Ιδία φύσει νοητοϋ. Auch der Licht vergleich
(l 11,32 sqq.) weist in diese Richtung, obwohl in setner Erl uterung hervorgehoben
wird, da wie das Licht gleichzeitig wirkende Ursache und Objekt des Sehens, so
der u ere Nus Ursache und Objekt unseres Denkens ist. Der Gedanke, da jede In-
telligibiiit t vom h chsten Intelligiblen herr hrt, ist nat rlich platonischer Herkunft
(vgL unten Anm. 55), Die Kommentatoren fanden ihn in De anima III 5, 43 a 15 — 17
wieder, wo es hei t, der aktive Nus wirke οίον το φως· τρόπον γαρ τίνα και το
φως ποιεί το. δυνάμει όντα χρώματα ενεργεία χρώματα. Eine Kombination des
platonischen und des aristotelischen Gedankenguts findet sich auch bei Albinos,
Didask. 165,23-24 (ό πρώτος νους . . . παρέχει . . .) τοις νοητοΐς το νοεισθαι,
φωτίζων την περί αυτά άλήθειαν.
der Seele ihre Denkf higkeit 56 , Auch Alexander von Aphrodisias wird
sich dieser Lehre vom νους ποιητικός und der vom j ngeren Aristoteles
dargelegten Ansicht ber die Funktion des νους θύραθεν weitgehend
anschlie en.
Wie zahlreiche andere Lehrmeinungen des Aristoteles war auch die
Lehre vom νους θύραθεν, die die Schule aufgrund verstreuter Angaben
des Stagiriten kontruiert hatte, auf Opposition gesto en. Eine der
Schwierigkeiten, die man darin zu finden glaubte, ergab sich aus der An-
wendung von Ortsbestimmungen auf den als unk rperlich bezeichneten
Intellekt. Wenn der Nus unk rperlich ist, so lautet die Aporie, kann er
weder an einem Ort sein noch seinen Ort wechseln. Wie konnte also der
Stagirite sagen, da er in den Menschen von au en her eingeht? Dieser
Einwand mu in der Mitte des 2,Jh. n. Chr., wahrscheinlich auch schon
fr her, mehrmals gegen Aristoteles erhoben worden sein. Ein Kritiker
des Aristotelismus, der Platoniker Attikos, spielt auf ihn an 57 , und der
j ngere Aristoteles bezeugt ausdr cklich, da er sich in Aporien gegen
die Lehre vom νους θύραθεν niedergeschlagen hatte58. Andererseits
nahm man - besonders in platonischen Kreisen — daran Ansto , da
Aristoteles die Unsterblichkeit auf den Intellekt beschr nkte, die Seele
aber f r solidarisch mit dem K rper hielt und mit diesem untergehen
lie 59. Urn diesen Einw nden entgegenzutreten, stellte der j ngere
Aristoteles eine eigene Theorie auf, die Alexander referiert und dann
weitgehend ablehnt, Besonders charakteristisch f r den Lehrer
Alexanders sind einerseits seine Bem hungen, die Hauptpunkte jier
aristotelischen Lehre vom Intellekt gegen Opponenten zu verteidigen,
und andererseits die Unbek mmertheit, mit welcher er zu diesem
Zwecke Elemente nichtanstotelischer, vor allem stoischer Provenienz
56
Albinos, Didask. 165,17-24.
s
' Attikos ap. Eus., P. E. XV 9,13, S. 371,14-18 Mras = Fr. 7,75-81 des Places τίς
μεν ούν την ούοί!αν και την φύσιν ό νους, όθεν ων και πόθεν έπεισκρινόμενος
τοίς άνβρώποις καϊ πού πάλιν άπαλλαττόμενος, αυτός αν είδείη, ει γέ τι συνίησιν
ων λέγει περί του νου και μη ίο απορον τον πράγματος τφ άσαφεί του λόγου
περιοτέλλων έξίσταται τον Ιλεγχον, ώσπερ οά σηπίαι το δυσθήρευτον εκ του
σκοτεινοί ποριζά μένος,
58
Alex., De an. mant, 112,5 — 8 βουλόμενος . . . φεύγειν τάς απορίας ας έπιφέρουαιν
τφ ανάγκην έχοντι τόπον άλλάττειν, ου δυναμένω δε εΕ γέfecruvάοφμαιος, οΰτε
εν τόπφ είναι οίτε μεταβαίνειν και άλλοτε εν άλλψ γίνεσθαι . , .
59
Attikos a.a.O., Fr. 7,72-75 und 81-90 des Places. Auch f r den j ngeren Aristo-
teles stellt die Unsterblichkeit des Intellekts ein Problem dar.
verwendet. Die Treue zu seiner Schule und der Wille, die Hauptthesen
dieser Schule in Schutz zu nehmen, hindern ihn nicht daran, sich sogar
in zentralen Punkten der Gotteslehre an stoische Anschauungen anzu-
lehnen.
Der wichtigste Unterschied zwischen dem klassischen Aristotelismus
und der Lehre des Mytileners ist zweifellos der Verzicht auf die Trans-
zendenz Gottes zugunsten der Annahme, daß die göttliche Vernunft der
diesseitigen Welt immanent ist, sich in der Gesamtheit der vergänglichen
körperlichen Substanz befindet und dort ununterbrochen die ihr eigene
Tätigkeit ausübt. Diese Allgegenwart des göttlichen Geistes ist absolut,
sie erstreckt sich auf alle Dinge, selbst auf die bescheidensten. Nicht
etwa die bloße Macht Gottes ist es, die alles beherrscht; die Substanz
Gottes ist überall gegenwärtig, sie durchdringt alles. Deswegen braucht
sie sich nicht im Raum zu bewegen, um in den Menschen einzugehen; sie
befindet sich von vornherein in ihm wie in jedem beliebigen Körper.
Daß nun der Mensch eine Denktätigkeit ausüben kann, wird folgender-
maßen erklärt: Aus der körperhaften Mischung, aus welcher der Mensch
besteht, bildet sich Feuer oder eine feuerartige Substanz, deren sich der
göttliche Nus als Instrument bedienen kann. Diese Substanz ist nämlich
eine zur Aufnahme des Intellekts in acttt geeignete Potenz. Die allgegen-
wärtige göttliche Vernunft ergreift sie, und durch sie, die materieller
Natur ist, übt sie eine auf die Materie gerichtete Tätigkeit aus. Das Den-
ken, das auf diese Weise zustandekommt, ist menschliches Denken.
Unser menschlicher Intellekt besteht nämlich aus zwei Komponenten,
und zwar aus der Kraft, die aus der körperhaften Mischung hervorgeht
und die der Stagirite den potentiellen Intellekt nennt, und aus dem gött-
lichen, tätigen Intellekt, der sich dieser Kraft bedient. In Ermangelung
einer der beiden Komponenten könnte der Mensch nicht denken. Was
den göttlichen Intellekt anbelangt, so hat er eine doppelte Tätigkeit, er
ist gleichsam ein Handwerker, der bald mit seinen Werkzeugen etwas
Stoffliches bearbeitet, bald sich vom Stofflichen abwendet. Die eine
Form seiner Tätigkeit führt der göttliche Geist ununterbrochen allein
und ohne jede Beteiligung der Materie aus. Die andere, die als mensch-
liches Denken gilt, ist mit der Benutzung eines Intruments verknüpft,
setzt also das Vorhandensein einer adäquaten im Menschen vor-
aus. Löst sich die körperliche Zusammensetzung des Menschen auf, so
geht auch diese aus der Mischung entstandene , zugrunde, und
damit hört auch die als menschlich bezeichnete Denktätigkeit des gött-
lichen Intellekts auf. Nichtsdestoweniger setzt dieser aber die ihm
eigent mliche, von jeder Materie und jedem Instrument unabh ngige
T tigkeit fort.
Diese Theorie erscheint dem j ngeren Aristoteles als die einzige
M glichkeit, die aristotelische Lehre von der G ttlichkeit und Unver-
g nglichkeit des Intellekts zu verstehen, In diesem Sinne wollte er auch
den Text des dritten Buches De anima interpretieren; was dort von dem
Habitus und von dem Licht gesagt wird, bezog er auf den allgegen-
w rtigen Intellekt60.
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, da die These von der
Allgegenwart Gottes, die dieser Konstruktion zugrundeliegt, nicht peri-
patetisch, sondern stoisch ist. Auch die Anschauung, da Gott sich in
der Materie „wie eine Substanz in einer Substanz"61 befindet und da er
alles durchdringt 62 , erinnert deutlich an die Stoa. Von den Stoikern
trennt sich aber der Lehrer Alexanders darin, da er den g ttlichen Geist
nicht einer feuer- oder pneumaartigen Materie gleichsetzt, sondern ihm
vielmehr eine solche Materie als das Instrument zuschreibt, mit dem er
das menschliche Denken bewerkstelligt. Die Ans tze zu diesem Aspekt
der Theorie stammen offensichtlich von Aristoteles. Der Stagirite
betrachtet n mlich die angeborene W rme des Lebewesens als das In-
strument, dessen sich die Seele bei verschiedenen Lebensvorg ngen
bedient, etwa wie der Handwerker seine Werkzeuge benutzt 63 . Diese
Auffassung, die der Stagirite mit der Medizin seiner Zeit geteilt zu haben
scheint, ist hier allerdings in doppelter Hinsicht modifiziert worden. Die
als Instrument benutzte feuerartige Substanz ist nicht mehr jene Lebens-
w rme, die in den Vorg ngen sowohl der Verpflanzung, der Ern hrung
und des Wachstums als auch der Empfindung und der Erkenntnis eine
bedeutsame Rolle als Mitwirkerin der Seele spielte. Sie wird jetzt als das
Organ des Denkens angesehen und mit der potentiellen menschlichen
Vernunft identifiziert. Andererseits wird dieses feuerartige Organ nicht
mehr von der individuellen Seele des Menschen benutzt; es fungiert als
60
Alex., De an, man:. 112,5-113,6.
61
Ibid. 112,10 εν Tfj ϋλ|| ως οΰσίαν εν ούσίςι . . . είναι.
62
Ibid. 112,22 δια πάντων κεχωρηκώς.
63
F. R sche, Blut, Leben und Seele, 1930, 192 sqq. W. Jaeger, Das Pneuma im
Lykeion, in: Hermes 48 (1913) bes. 43sqq. Der Vergleich mit dem Handwerker steht
mehr oder weniger explizit in De part. an. II 7,652 b 9—15. De gener, an. II 4,
740b 25 — 34. Der Satz aus De an, III 5, 430a 12-13, οίον ή τέχνη προς την ΰλην
πέπονθεν, kann nat rlich auch den j ngeren Aristoteles zu seinem τεχνίτης-Ver-
gleich angeregt haben.
64
Vgl. Alex., De an. rnant. 112,11-12; 15-16; 28-29.
M 66
De an. 24,3sqq.; 26,21 sqq. Vgl, oben Bd. I 133-134.
67
Galen, IV Quod an. mor. 767-822. Vgl. unten S. 778 sqq.
68
Arist., De an. III 4, bes. 429a 18—27, wo diesem νους jede Verbindung mit dem
K rper und jede k rperliche Eigenschaft, wie u.a. das θερμόν, abgesprochen wird.
69
Alex., De an. mant. 113,6-12.
70
Der Umstand, da mehrere Hypothesen f r die διοίκηοις durch den immanenten
Nus nebeneinander dargelegt werden und offen bleiben, scheint eher f r die letztere
Interpretation zu sprechen.
gelegten Erklärungen bemüht war, die Kausalität des als immanent auf-
gefaßten göttlichen Nus mit der herkömmlichen Lehre des Entstehens
und Vergehens in der sublunaren Welt zu kombinieren. Drei Erkennt-
nisse des Aristoteles sind dabei berücksichtigt worden, l. Der göttliche
Nus ist die höchste Ursache jeder Bewegung. 2. Der Wechsel von Ent-
stehen und Vergehen im Raum unter dem Mond wird von den Be-
wegungen der Himmelskörper, insbesondere der Sonne, bestimmt.
3. Die Natur ist in ihrem Bereich Prinzip der Bewegung. Nimmt man
wie der jüngere Aristoteles an, daß der göttliche Intellekt weltimmanent
und allgegenwärtig ist, so kommen für sein Wirken auf die sublunare
Welt die folgenden Möglichkeiten in Frage,
1. Dieser Intellekt allein durchwaltet unsere Welt. Das Zusammen-
fügen und Trennen der Körper dieser Welt ist einzig und allein sein Werk.
Der potentielle, menschliche , der, wie wir sahen, aus einer bestimm-
ten Mischung von Körpern hervorgeht, wird demnach ebenfalls von ihm
erschaffen. Da aber der Prozeß des Entstehens und Vergehens im sublu-
naren Raum der Bewegung der Himmelskörper folgt, muß man in dieser
ersten Hypothese annehmen, daß das Wirken des allgegenwärtigen Nus
sieb nach den göttlichen Himmelskörpern richtet.
2, Der allgegenwärtige Nus und die wohlgeordnete Bewegung der
Himmelskörper durchwalten gemeinsam die sublunare Welt. In dieser
zweiten Hypothese kann man aber wiederum zwischen zwei Möglich-
keiten schwanken: a) Das Entstehen der irdischen Dinge erfolgt durch
das einfache Zusammenwirken der Sonne und des immanenten
göttlichen Intellekts, oder b) die Natur entsteht unter Einwirkung der
Himmelsbewegung und durchwaltet dann zusammen mit dem Nus die
Einzeldinge dieser Welt71.
71
Alex., De an. mant. 113,6—12. Von meinen Ausführungen zu dieser Stelle m
Alexandre d'Aphrodise, 1942, 153—156, muß ich mich heute distanzieren. Die dort
vorgeschlagenen Textänderungen sind völlig überflüssig. In der Fassung von BrunSj
an der nichts zu ändern ist, läßt sich der Text folgendermaßen übersetzen: „Entweder
durchwaltet dieser Intellekt allein die hiesigen Dinge und fügt sie zusammen und
trennt sie voneinander, wobei er sich auf die göttlichen (Himmelskörper) bezieht; er
ist daher auch der Urheber des potentiellen Intellekts. Oder er durchwaltet sie in Ver-
bindung mit der wohlgeordneten Bewegung der Himmelskörper, denn infolge dieser
Bewegung entstehen die hiesigen Dinge hauptsächlich durch die Annäherung und die
Entfernung der Sonne; dabei entstehen sie entweder durch das Zusammenwirken von
der Sonne und dem hiesigen Intellekt, oder aber die Natur ist es, die unter Ein-
wirkung der Himmelskörper und ihrer Bewegung entsteht; diese Natur durchwaltet
dann die Einzeldinge zusammen mit dem Intellekt". — Über die Bewegung der
Himmelsk rper, insbesondere der Sonne, als Ursache des Entstehens und Vergehens
in der sublunaren Weh vgl. Arist,, De gener, et corr. II 10, 336 a 23-b 24; 11,338 b
3-5;Mmph. Λ 6, 1072a 10-18; Meteor. I 9,346b 20-23; De caelo II 3, 286b2-9,
Die Auffassung, da die „Natur" der sublunaren Dinge, d. h, ihr immanentes
Bewegungsprinzip, unter Einwirkung der Htmmelsbewegungen entsteht, kommt
auch bei Alexander selbst vor. Die g ttlichen Himmelsk rper vermitteln der hiesigen
Welt eine θεία δΐναμίς, die entweder mit der Lebenskraft der Lebewesen oder mit
der Form der Elementark rper identifiziert wird. Vgl. Alex., Meteor. 7,9—54;Quaest.
II 3 (dazu P. Moraux, in: Hermes 95 [3967] 159-169). Ein Satz des Aristoteles,
Meteor, I 2 ( 339a21 —24, d rfte zu dieser Theorie angeregt haben.
71
Alex., De an. mant. 113,12 — 18. άντυΐίτπειν bedeutet etwa „in die Quere kommen",
„ung nstig sein"; es wird bald mit προς und Akkusativ, bald mit dem blo en Dativ
konstruiert. Das άντιπίπτον ist entweder der Einwand, den man gegen eine be-
stimmte Lehre erhebt, oder — wie hier — der Punkt dieser Lehre, der anst ig er-
scheint und daher gegen die G ltigkeit der Lehre spricht. Vgl. Alex, Aphr., Quaest.
I 8, S. 17,12. Philop,, De gener, et corr. 55,10; 308,13; Meteor. 58,3; Anal. Post.
241,25. Scholien zu Arat. 545,12 Maa . Plut., Theseus 28,3. Der Satz, der Alexanders
Kritik einleitet, mu also bersetzt werden; „Anst ig schien mir an diesen Aus-
f hrungen die Annahme, da der Intellekt . . ." Anders (und falsch) P, Moraux,
Alex. d'Aphr. 193 und 195.
73
Im eigentlichen Referat ist die hier getadelte These nicht formuliert, sie liegt aber
den Ausf hrungen ber das Wirken des νους in 113,6—12 zugrunde.
74
N heres dar ber unten Bd. III.
75
Wie wir spater sehen werden, vertritt Alexander die Meinung, da der νους θύραθεν
erst dann in uns eindringt, wenn aufgrund unserer psyehosomatischen Entwicklung
unsere Anlage zum Denken sich genug entfaltet hat, urn ein aktuelles Intelligibles
Zum Schlu weist Alexander auf das grunds tzliche Mi verst ndnis
hin, aus dem die ganze Theorie seines Lehrers hervorgegangen ist. Der
j ngere Aristoteles stellte sich vor, da der Einzug des νους θύραθεν in
den Menschen einer Ortsbewegung gleichk me, was ihm wegen der
Immaterialit t des Intellekts unm glich erschien. Genauer gesagt hatte
er den Gesichtspunkt jener Kritiker des Aristoteles, die Aporien gegen
die Lehre vom νους θύραθεν erhoben, einfach bernommen. Diesen
Gesichtspunkt h lt aber Alexander f r falsch. Ein Denkobjekt, bemerkt
er76, wechselt den Ort ebensowenig, wenn wir es denken, wie wahr-
nehmbare Formen in die Sinnesorgane als ihren Ort einziehen, wenn wir
sie wahrnehmen. Bezeichnet man also den νους θύραθεν als abgetrennt
(χωριστός) oder sagt man, da er sich von uns losl st (χωρίζεται ημών),
so bedeutet das keineswegs, da er von einem Ort in einen anderen wan-
dert; abgetrennt ist er n mlich aufgrund seines ontologischen Status,
weil er an und f r sich existiert und nicht mit der Materie verbunden ist,
Sein Ausscheiden aus dem Menschen erfolgt analog zu seinem Einzug
und stellt keine r umliche Entfernung dar. Er war als ein Gedachtes in
uns hinein gekommen; er trennt sich von uns, wenn er nicht mehr ge-
dacht wird. So weit die kritischen Bemerkungen Alexanders. Sie sind
nicht nur kennzeichnend f r die eigenen philosophischen Tendenzen des
Exegecen, dessen Wille zur Aristotelestreue hier deutlich zum Ausdruck
kommt. Auch f r die Beurteilung des j ngeren Aristoteles sind sie von
gro er Bedeutung. Obwohl dieser vorhatte, die aristotelische Noetik
gegen ihre Kritiker zu verteidigen, obwohl er sich dadurch unmi ver-
st ndlich zum Peripatos bekannte, lie er sich von nur scheinbaren
Schwierigkeiten und wenig gewichtigen Einw nden irref hren. Es w re
ihm leicht m glich gewesen, diese Aporien zu l sen, ohne den Boden des
genuinen Aristotelismus zu verlassen; ein Hinweis auf den nicht r um-
lichen Charakter jedes Denkvorganges h tte wohl gen gt. Da er diese
einfache Widerlegung der Opponenten nicht einmal in Erw gung zog,
berrascht um so mehr, als er in seinen allgemeinen Ausf hrungen ber
die Funktion der νους Θύραθεν-Lehre im aristotelischen System Erkl -
rungen vorgetragen hatte, die dem traditionellen Aristoteiisrnus
durchaus entsprachen. Statt dessen zieht er Lehrmeinungen heran, die,
wie Alexander mit Recht vermerkt, ganz deutlich unter dem Einflu der
stoischen Gotteslehre stehen. Immanenz und Allgegenwart der g tt-
aufnehmen zu k nnen. Der νους θύραθεν wird dann dadurch erworben, da wir
76
ihn denken. Alex., De an. mant. 113,18—24.
77
Darauf hat E, Gilson, Les sources greco-arabes de S'augustinisme avkennisam, in:
Arch. d ! hist, doccrinale et litteraire du moyen äge 4 (1929) 19 hingewiesen. Un-
wurden infolgedessen sowohl von seinen Anhängern als auch von seinen
Gegnern Thesen zugeschrieben, die in Wirklichkeit nicht auf ihn, son-
dern auf seinen Lehrer zurückgehen. Ohne hier die umstrittene Frage zu
erörtern, ob muselmanische Philosophen wie al-Kindl, al-Färäbi und
Avicenna ihre komplizierten Nuslehren unabhängig vom Alexandrismus
oder unter dessen Einfluß aufgebaut haben78, kann zum Beispiel daran
erinnert werden, daß Averroes sich des öfteren mit den Theorien
Alexanders über die Seele und den Intellekt auseinandersetzt. Die
Thesen, die er in diesem Zusammenhang erörtert und namentlich
Alexander zuschreibt, sind sowohl die des Mytileners Aristoteles als
auch die des Aphrodisiers. Unter anderem glaubt er, daß Alexander den
potentiellen Nus für eine aus der Mischung der körperlichen Bestand-
teile des Menschen entstandene Kraft hielt 79 ; er lobt Alexander, weil
er den Intellekt mit dem Feuer verglich80; er findet einen Widerspruch
zwischen Alexanders De anima und seinem De intellectu, der Passus
aus De intellectu, den er als Beleg dafür zitiert, stammt aber aus dem
Referat über Alexanders Lehrer81.
Ein direkter Einfluß des Mytileners Aristotles auf andere griechische
Denker (außer natürlich auf Alexander) läßt sich kaum nachweisen. Die
bei Plotin und anderen belegte Identifizierung des Intellekts mit dem
Demiurgen oder die These der Araber, nach weicher der wirkende In-
tellekt die unterste der kosmischen Intelligenzen und seine Wirkung auf
die sublunare Welt beschränkt sei, lassen sich zwar in gewisser Hin-
sicht mit den Hypothesen des jüngeren Aristoteles über das Durch-
walten der hiesigen Welt durch den Intellekt vergleichen 82 . Die Imma-
nenz und die Allgegenwan des göttlichen Intellekts, die für das System
des jüngeren Aristoteles typisch sind, sind jedoch mit den genannten
Lehrmeinungen derart unvereinbar, daß diese wohl nicht in der Speku-
lation des Mytüeners ihren Ausgangspunkt hatten; sie erscheinen viel-
mehr als Produkte einer systematisierenden Kombination aristotelischer
und platonischer, vorwiegend aus dem Timaios stammender Elemente.
Trotz der gewaltigen Lücken unserer Information dürfen wir annehmen,
daß der jüngere Aristoteles nicht der erste war, der den wirkenden In-
tellekt mit Gott identifizierte und ihm eine demiurgische bzw. durch-
waltende Tätigkeit zuschrieb. Die zur Stoa neigenden Thesen von
Alexanders Lehrer stellen sehr wahrscheinlich nur eine kühne, wenig
orthodoxe Abweichung von der platonisch-peripatetischen communis
opinio dar.
82
Vgl. Ph. Merlan, Monopsychisrn, Mysticism, Metaconsciousness, 1963, 46—47, der
meint, „Aristokles" sei die Quelle der plotinischen Identifizierung des Intellekts mit
dem Demiurgen und habe den Kerngedanken der muselmanischen Lehre vom intel-
lectus agens vorbereitet.
worden waren. Eine echte Widerlegung dieser Thesen sucht man bei ihm
allerdings vergeblich. In den meisten Fällen betont er nur den Gegensatz
zwischen Platon, dem er sich ohne Einschränkung anschließt, und Ari-
stoteles, der die Vermessenheit hatte, neue Ansichten zu vertreten. Die
Angriffe sind massiv, der Ton stark polemisch. Aristoteles wird als
ruhmgieriger Neuerer, beinahe als Renegat und Verräter hingestellt. Der
Verfasser bewegt sich selten auf dem Boden einer sachlichen philosophi-
schen Diskussion. Daß Aristoteles sich in mancher Hinsicht von Platon
distanzierte, erscheint ihm als ein Beweis für die Geltungssucht und den
niederträchtigen Charakter des Gescholtenen. Mit dieser Animosität
reiht sich Attikos in gewisser Weise in die Gruppe der Aristotelesfeinde
ein, die den Menschen Aristoteles angriffen und gegen die Anstokles in
seiner Schrift De philosophia den Meister verteidigte. Die Polemik des
AttJkos setzt allerdings voraus, daß er von der Wahrheit des Platonismus
überzeugt war, und diese Überzeugung kommt tatsächlich auch in den
Fragmenten deutlich zum Ausdruck. Von diesem Gesichtspunkt aus
dürfte man natürlich von Attikos* Willen zur platonischen Orthodoxie
reden. Moderne Spezialisten des Mittelplatonismus, die die positiven
Aspekte seiner Lehre untersucht haben, konnten jedoch feststeDen, daß
er nicht ganz immun gegen Fremdeinflüsse gewesen ist und daher nur
mit Einschränkungen als orthodoxer Platoniker bezeichnet werden kann.
Im Lager der Aristoteles-Kritiker begegnen uns Platoniker, die sich
eingehender mit dem Werk des Aristoteles, insbesondere mit den Kate-
gorien, beschäftigt haben. Daß gerade die Kategorien es waren, die sie
einer kritischen Analyse unterzogen, soll uns nicht wundern. Zumindest
seit der Renaissance des Aristotelismus im 1. Jh. v. Chr. galt diese
Schrift als eine Art Einführung in die aristotelische Philosophie über-
haupt; mit ihrer Erklärung begann wohl der Unterricht bei den meisten
Lehren dieser Philosophie, und von Anfang an war sie auch der am
häufigsten kommentierte Traktat. Gegner des Aristotelismus, sowohl
Platoniker als auch Stoiker, müssen sie daher für so grundlegend ge-
halten haben, daß sie den ganzen Aristotelismus in Frage zu stellen
glaubten, indem sie auf die Schwächen bzw. die Unhaltbarkeit der dort
vorgetragenen Lehre hinwiesen. Bereits bei Eudoros, einem der ältesten
Vertreter des Mittelplatonismus, spielte die Auseinandersetzung mit den
aristotelischen Kategorien eine wichtige Rolle. Einige Generationen
später wurde von einem gewissen Lukios, dann von Nikostratos, eine
Unmenge „Aporien" gegen den kleinen Traktat des Aristoteles gerich-
tet. Nach den zahlreichen Spuren dieser Streitschriften zu urteilen, war
das Ziel der Kritiker rein destruktiv. Es galt vor allem, Unklarheiten,
Diskrepanzen und Widersprüche aufzuzeigen, die Unvollständigkeit be-
stimmter Einteilungen zu brandmarken, die Schwäche der Argumente
nachzuweisen und dgl. mehr, kurz gesagt, möglichst viele Mängel der
Schrift ans Licht zu bringen. Die Opponenten scheinen kaum bemüht
gewesen zu sein, die getadelten Lehren durch zufriedenstellende zu er-
setzen und somit konstruktiv zur Losung der Aporien beizutragen. Nur
in wenigen Fällen läßt sich erkennen, von welcher eigenen Position die
Kritiker ausgegangen sind. Ihnen scheint in der Regel ziemlich gleich-
gültig gewesen zu sein, ob ihre Einwände auf dem Boden des
Platonismus gewachsen waren oder eher eine ganz andere Lehre, etwa
die der Stoa, voraussetzten. Ihr Hauptanliegen war es offensichtlich,
möglichst viele Einwände gegen den Traktat zusammenzutragen, ohne
sich zu fragen, auf welche besseren Lehren die Beseitigung dieser Ein-
wände hinführen würde. Ihre Haltung erinnert in gewisser Hinsicht an
die anderer Aristoteles-Kritiker, z.B. die des Xenarchos, der die Lehre
vom fünften Element mit allen möglichen Argumenten bekämpfte, und
auch an die des unbekannten Verfassers einer Aristoteles zugeschrie-
benen Schrift , die zahlreiche Aporien über die
Kapitel 10 und 11 der Kategorien enthielt. Für die spätere Interpretation
der Kategorien sind diese Streitschriften von eminenter Bedeutung ge-
wesen, denn sie regten die Kommentatoren zu allerlei Präzisierungen
und Ergänzungen an. Wir wissen unter anderem, daß Porphyries in
seinem großen Kommentar bemüht war, sämtliche gegen die Aristo-
teles-Schrift gerichteten Aporien zu lösen. Ob Kritiker wie Nikostratos
trotz ihrer offenkundigen Bekämpfung der Kategorien als orthodoxe
Platoniker bezeichnet werden können, ist allerdings eine andere, kaum
zu beantwortende Frage: Wie bereits angedeutet, scheint nämlich ihre
Kritik nicht zu dem Zweck konzipiert worden zu sein, auf eine andere,
befriedigendere Lehre hinzuführen.
In der besonderen Perspektive der vorliegenden Untersuchung, die
keine Darstellung des Mhtelplatonismus bieten will, sondern lediglich
nach seinem Verhältnis zum Aristotelismus fragt, sind wir zweifellos be-
rechtigt, die behandelten Mittelplatoniker auf zwei Gruppen zu vertei-
len. In der einen wird stillschweigend angenommen, daß Aristoteles und
der Peripatos zur Vervollkommnung der platonischen Philosophie bei-
getragen haben. Aristotelische Elemente werden also m den Platonismus
aufgenommen, und zwar so, daß sie bei Gebieten und Fragen, die Platon
nicht behandelt hatte (man denke etwa an die Syllogistik), zur Ergän-
zung des Systems dienen, oder auch so, daß (wie in der Gotteslehre) eine
Art Synthese von Platonismus und Aristotelismus zustandekommt. In
der anderen keineswegs einheitlichen Gruppe grenzt man sich gegen den
Aristotelismus ab. Hier liegt der Akzent auf der Unverträglichkeit der
beiden Philosophien. Aristoteles erscheint als der ehrgeizige Neuerer,
der zu Unrecht platonische Lehrmeinungen verworfen hat, um eigene
Thesen aufzustellen. Die Kategorienschrift, die man wohl für den Eck-
stein der aristotelischen Philosophie hält, wird einer erbarmungslosen,
oft übermäßig spitzfindigen Kritik unterworfen. Wir haben es also mit
einem aristotelesfreundlichen und einem aristotelesfeindlichen Flügel zu
tun. Es wäre allem Anschein nach verkehrt, den einen ohne weiteres als
eklektisch und den anderen als orthodox zu bezeichnen. So entgegenge-
setzt die Wege dazu auch gewesen sein mögen, hat der eine wie der
andere versucht, echt platonische Philosophie zu verkünden.
Ein ganz anderes Bild bietet uns das Werk Galens. Der große Arzt
aus Pergarnon, der sich in seinen Ausbildungsjahren mit den verschie-
denen philosophischen Systemen der Zeit eingehend beschäftigt hatte,
und der bis in sein hohes Alter hinein ein lebhaftes Interesse für die Phi-
losophie zeigte, betont unmißverständlich, daß er sich in der Philoso-
phie ebensowenig wie in der Medizin zu einem bestimmten System be-
kennt. Unverkennbar ist seine Bewunderung für Aristoteles, vor allem
auf den Gebieten der Logik und der Wissenschaftstheorie; die ideolo-
gische Orientierung seiner Anatomie und seiner Physiologie erscheint
uns als direkte Fortsetzung und Ergänzung der aristotelischen Natur-
erklärung. Galen laßt uns darüber nicht im Zweifel, daß er Aristoteles
Wesentliches verdankt. Dennoch distanziert er sich nicht selten von
dessen Beobachtungen und Schlußfolgerungen. In bestimmten wichti-
gen Fragen wie etwa der Dreiteilung der Seele übernimmt er Platons
Theorien; auch die Lehre der Stoa (Poseidonios eher als Chrysipp) findet
oft seine Billigung. Zweifellos dürfen wir ihn also als einen Eklektiker
betrachten. Eine wichtige Präzisierung ist jedoch erforderlich. Sein
Eklektizismus läßt sich keineswegs als eine mehr oder weniger zufällige,
willkürliche Kombination von Elementen verschiedener Provenienz deu-
ten. Die Wahl, die Galen zwischen den Meinungen der verschiedenen
Schulen, Denker und Gelehrten trifft, stellt sich immer als eine wissen-
schaftlich begründete hin. Galen übernimmt jeweils, was er aufgrund
seiner anatomisch-physiologischen Beobachtungen und Experimente als
richtig und wahr anerkennen kann. Theorien billigt er nur dann, wenn
sie aus einwandfreien Erkenntnissen durch gesunde Schlußfolgerungen
Daß nicht alle Schriften des Aristoteles und nicht alle Aspekte seiner
Philosophie für die Außenstehenden gleichmäßig attraktiv waren, ver-
steht sich von selbst, wenn man berücksichtigt, daß auch die eigentlichen
Penpatetiker nur einigen Teilen des Corpus ihre Aufmerksamkeit wid-
meten, andere aber fast völlig vernachlässigten.
Sonderbarerweise bei Galen, und nicht bei den Philosophen von
Beruf, ist die Vertrautheit mit dem Corpus aristotelicum am ausge-
dehntesten. Während seines philosophischen Studiums hatte er, wie üb-
lich, das Organon unter Anleitung seiner Lehrer gelesen und dann, um
sich in die Materie zu vertiefen, umfangreiche Kommentare zu den
einzelnen Schriften verfaßt, In vielen Teilen seines medizinischen Opus
läßt sich seine Innige Vertrautheit mit der aristotelischen Logik beob-
achten. Die Ethik war ihm sicher auch nicht unbekannt, obwohl er in
den auf uns gekommenen Schriften verhältnismäßig selten Gelegenheit
findet, ethische Themen zu erörtern. Daß er auch die großen naturphilo-
sophischen Schriften wie Physik, De caelo, De generatione et corrup-
tione und Meteorologie für wichtig hielt, beweisen einige Anspielungen
auf die darin enthaltenen Lehrmeinungen. Wie zu erwarten, schenkte er
der Thematik von De generatione et corruptione, vor allem wegen der
Mischungslehre, eine ganz besondere Aufmerksamkeit. Im Unterschied
zu den Berufsphilosophen seiner Zeit aber, die an den zoologischen
Schriften des Aristoteles kaum interessiert waren, hat sich Galen nicht
nur mit De anima und den Parva Naturalia, sondern auch mit den sog.
Tierbüchern, ganz besonders mit De partibus animahum, sehr einge-
hend beschäftigt. Das hängt natürlich mit seinen Bemühungen um die
Wissenschaften vom Menschen und vom Leben überhaupt zusammen.
Aristoteles' De partibus, eine Schrift, die Galen sorgfältig gelesen hatte
und aus der er viele Exzerpte in seinen Lesenotizen besaß, übte einen
tiefgehenden Einfluß auf sein ganzes Denken aus. Da die Tierbücher
zweifellos nicht zum Programm des Unterrichts bei den penpatetischen
Philosophen gehörten, dürfte Galen von sich aus die Bedeutung dieser
Bücher für seine eigenen Forschungszwecke erkannt haben. Mit anderen
Schriften des Aristoteles, die von der Thematik her ihm nicht am Herzen
lagen, scheint er sich kaum befaßt zu haben. Das gilt nicht nur für die
Rhetorik, die Poetik und die Politik, sondern auch für die Metaphysik:
Wie wir bereits angedeutet haben, empfand er kein Bedürfnis, sich mit den
Problemen der Ontologie und der spekulativen Theologie zu beschäftigen.
Er überließ sie den Philosophen und zweifelte selbst daran, daß auf
diesen Gebieten sichere wissenschaftliche Lösungen zu erreichen seien.
kussion. Dasselbe gut für die Frage, ob und in welchem Ausmaß Gott
sich um die Welt und die Menschen fürsorglich kümmert. Auch die Peri-
patetiker versuchten, im Rahmen einer angeblich aristotelischen Vor-
sehungslehre das Verhältnis Gottes zur Welt näher zu bestimmen. Die oft
nachträglich rekonstruierte Ansicht des Aristoteles zu diesen und ähn-
lichen Fragen der philosophischen „Koine" gehörte selbstverständlich
auch zur Aristoteles-Vorstellung der Nicht-Aristoteliker der Zeit.
Kennzeichnend für das Denken der frühen Kaiserzeit ist ferner eine
gewisse Neigung zum Scholastizismus. Die Philosophie eines Denkers
wird als ein gut gegliedertes System dargestellt, mit Hauptteilen, Un-
terteilen und allerlei feinen Verästelungen, Bei Eudoros, Albinos und
anderen läßt sich diese Tendenz sehr schon beobachten, und es ist von
vornherein sehr wahrscheinlich, daß in den gängigen Handbüchern auch
der Aristotelismus in die Zwangsjacke einer solchen Systematisierung
hineingeraten war. Naturgemäß brauchte diese Systematik klar formu-
lierte und gut abgegrenzte Lehrrneinungen. Die Momente des Suchens,
des Zögerns, des Schwankens zwischen mehreren Möglichkeiten, die
von einer lebendigen Philosophie kaum wegzudenken sind, verloren
weitgehend an Bedeutung und wurden durch starre dogmatische Be-
hauptungen ersetzt. Was die Außenstehenden vom Aristotelismus
wissen, stammt vermutlich häufiger aus solchen Handbüchern und nicht
aus einer eigenen Auseinandersetzung mit den Schriften des Aristoteles.
Diese Vermutung darf jedoch nicht verallgemeinert werden. Die
Kritik an den Kategonen beweist zur Genüge, daß die Interpretation
bestimmter Aristotelesschriften keineswegs ein Reservat der Penpate-
tiker war. Platoniker wie Eudoros, Lukios und Nikostratos und Stoiker
wie Athenodoros und Kornutos machten sich die Mühe, die Kategorien
sorgfältig zu studieren, allerdings nicht um sich ihre Lehre anzueignen,
sondern um wirkliche oder vermeintliche Mängel rücksichtslos aufzu-
decken. Ob andere Schriften des Aristoteles einer ähnlichen destruktiven
Analyse unterzogen wurden, entzieht sich leider unserer Erkenntnis.
Das Kreuzfeuer der Nicht-Aristoteliker scheint sich, nach unserer In-
formation zu urteilen, hauptsächlich auf die Kategorienschrift als
Grundlage der aristotelischen Philosophie konzentriert zu haben,
A. Status quaestionis
Albinos, ein Sch ler des Platonikers Gaios, wirkte um die Mitte des
2. Jh. in Smyrna, wo der Arzt Galen irgendwann zwischen 149 und 157
Vorlesungen bei ihm h rte 1 . Von ihm sind zwei Schriften erhalten, eine
Einleitung in die Dialoge Platons 2 und ein Lehrbuch der Meinungen
Platons3, Die letztere, der Didaskalikos, hat Anla zu mehreren Kon-
troversen gegeben, an die hier nur kurz erinnert werden kann. Um-
1
Da Albinos Sch ler des Gaios gewesen ist, ergibt sich aus dem Umstand, da er wohl
nach einer eigenen Nachschrift dessen Vorlesungen ber Platon herausgab: Im Pinax
des Par, gr. 1962, f. I46 V , sind erw hnt Άλβίνου των Γαιόυ σχολών ύποτυπώσεων
Πλατωνικών δογμάτων α' β' γ' Ο' ε' ς' ζ' η' θ'. Dieses Werk scheint Priskian, Sol. ad
Chosr. 42,9—10 noch benutzt zu haben. Er erw hnt n mlich unter seinen Quellen
Lavini (d.h. ΛΑΒΙΝΟΥ, wohl aus ΑΛΒΙΝΟΥ) . . . ex Gau scholis exemplaribui
Platonicorum dogmamm. Nach Proklos, In Tim, I 340,24 sqq. Di eh! haben ot περί
Άλβϊνον mi Γάιον Πλατωνικοί die Ansicht vertreten, da Platon bald επιστημο-
νικώς, bald είκοτολογικώς seine Lehre vortr gt, ber Gaios vgl. Th, Sinko, De
Apulei et Albini doctrinae Platonicae acUimbratione, Diss, philol. class. Acad. litt.
Cracov. 41, 1905, 129-178, K. Praechter, Zum Platoniker Gaios, in: Hermes 51
(1916) 510—529 (jetzt auch in: C. Zintzen [Hrsg.], Der Mittelplatonismus, Darrn-
stadt 1981, 67-88). K. Praechter, Art. Gaios, RE Suppl. III (1918) 535-557.
Albinos als Lehrer Galens: Galen, XIX De libr. propr. 2, 16,6-10; vgl. unten S. 688.
Wir wissen ferner, da Galen nach Vollendung seines 14. Lebensjahres, also im
J. 143 oder kurz danach, f r kurze Zeit bei einem nicht namentlich genannten Sch -
ler des Gaios h rte: Galen, V De cogn. an. mor. 8, 41,13.
2
Εισαγωγή είς τους Πλάτωνος διάλογους, ed. C. F, Hermann, Platonis Dialogi VI
147—151. Eine bessere, kritische Edition besorgte], Freudenthal, Der Platoniker Al-
binos und der falsche Alkinoos, Berlin 1879 (= Hellenistische Studien 3, 243—327),
dort 322-326.
3
Διδασκαλικός των Πλάτωνος δογμάτων, ed. C.F, Hermann, Op. cit. 152 — 195,
wo allerdings εισαγωγή als Kolumnentitel erscheint. Wir zitieren hier nach Kapiteln,
Seiten und Zeilen dieser Ausgabe. Eine j ngere (nicht ganz gegluckte) Ausgabe mit
franz sischer bersetzung und einigen Anmerkungen (besonders wertvolle Hinweise
auf Platon!) besorgte P. Louis, Paris 1945. Eine neue kritische Ausgabe bereitet z. Z.
J. Whittaker vor. Die Arbeit von G. Invernizzi, U Didaskalikos di Albino e il medio-
platonismo, 2 Bde., Rom 1976, war mir leider zu sp t zug nglich, um geb hrend
ber cksichtigt werden zu k nnen.
stritten ist etwa die Frage nach dem Verfasser, denn in den Handschrif-
ten wird die Schrift einem gewissen Alkinoos zugeschrieben. Vor l n-
gerer Zeit aber hat J. Freudenthal, wohl mit Erfolg, nachzuweisen ver-
sucht, da eine einfache pal ographische Verwechslung von Αλκινόου
und Άλβίνου vorliegt und die kleine Schrift in Wirklichkeit von Albinos
herr hrt 4 , Diese Korrektur wurde von den meisten Forschern anerkannt
und der Didaskalikos dementsprechend f r ein Werk des Platonikers
Albinos gehalten. Vor einigen Jahren setzte sich jedoch M. Giusta
wieder f r die Zuschreibung an Alkinoos wieder ein5. Er wies vor allem
auf inhaltliche Unterschiede zwischen der echten εισαγωγή und dem
umstrittenen Didaskalikos hin und hob hervor, da es in der in Frage
kommenden Zeit einen Alkmoos gab, den wir als den Verfasser des Di-
daskalikos betrachten k nnen 6 . Dazu sei zu bemerken, da die angeb-
lichen Unterschiede zwischen Eisagoge und Didaskalikos nicht sehr
gro sind. Sie lassen sich durch die jeweilige Zielsetzung der Schrift er-
kl ren. Der Didaskalikos bietet eine systematisch gegliederte Darlegung
der platonischen Lehrmeinungen. Der Gesichtspunkt der Eisagoge ist
rein didaktisch-p dagogisch: Es gilt unter anderem zu bestimmen, in
welcher Reihenfolge man Platons Dialoge lesen soll, um sich die pla-
tonische Philosophie anzueignen. Die sich daraus ergebenden Abwei-
chungen von einer Schrift zur anderen sprechen jedoch nicht gegen die
Annahme, da die beiden von ein und demselben Autor stammen. Dazu
kommt, und das ist wohl noch wichtiger, da ein Stoiker als Urheber des
Didaskalikos nicht in Frage kommt, und zwar deshalb, weil die Schrift
4
Op. cit. (oben Anm. 2).
s
M. Giusta, Άλβίνου επιτομή ο Αλκινόου διδασκαλικός?, in: Απί Accad. Torino,
Cl. di sc. mor-, 1960/61, 167-194. Auch J. Whittaker, Parisinus Graecus 1962 and
the Writings of Albinus, in: Phoenix 28 (1974) 320-354 und 450-456 pl diert f r die
Alkinoos-These; er glaubt jedoch nicht, da man den Verfasser vom Didaskalikos mit
dem von Philostrat (vgl. unten Anm. 6} erw hnten Aikinoos identifizieren kann, Das
ganze verf gbare Material ist von C. Mazzarelli, L'autore del Didaskalikos, L'Alci-
noo dei manoscritti o il medioplatonico Albino?; in: Rivista di filos. neoscolastica 72
(1980) 606-639 einer neuen Untersuchung unterzogen worden. Mazzarellis Analyse
best tigt die These, da der Didaskalikos von Albinos stammt und dem Mittelplato-
nismus des 2. Jh. zuzuordnen ist.
6
Nach Photios, Bibl. cod. 48, l i b 17-22 hatte Jos ephus gegen Alkinoos polemisiert,
und zwar im Zusammenhang mit Problemen der Seele, der Materie und der Auf-
erstehung. Vor allem erw hnt Philostrat, Vit. Soph. I 24, S. 40,29 Kayser, die
Ansicht von Leuten, die eine διάλεξις des Sophisten Markos dem Stoiker Alkinoos,
Άλκινόφ τφ Στοικφ, zuschreiben wollten.
dem Inhalt nach rein platonisch sein will und nicht das leiseste Moment
einer Polemik gegen die platonische Philosophie enthält. Der Intention
des Verfassers gemäß soll sie von Platonikern benutzt werden, die be-
absichtigen, sich noch eingehender mit den platonischen Lehrmeinungen
zu beschäftigen 7 . Mit der Annahme, daß wir es mit einer in der pla-
tonischen Schule entstandenen und für diese Schule gedachten Schrift zu
tun haben, werden wir also kaum fehlgehen.
Ein anderes Problem ergibt sich aus der Nachricht, daß Albinos eine
Vorlesung seines Lehrers Gaios unter dem Titel -
(Grundrisse der platonischen Lehren) in neun Büchern
veröffentlicht hatte8. In welchem Verhältnis steht der erhaltene Didas-
kalikos zu den verschollenen, ausführlicheren Hypotyposen? Ist jener
vielleicht nichts anderes als eine Zusammenfassung von diesen? Dafür
scheint der Umstand zu sprechen, daß im Didaskalikos mehrere Punkte
nur ailusorisch erörtert werden und wohl detailliertere Ausführungen
voraussetzen. Und wenn der Didaskalikos tatsächlich auf die Hypoty-
posen zurückgeht, wer hat die uns vorliegende Zusammenfassung be-
sorgt? War es Albinos selbst oder ist sie, wie bisweilen vermutet wurde,
viel spater, vielleicht sogar erst in byzantinischer Zeit, entstanden? In
einer epochemachenden Studie hat Th. Smko auf zahlreiche Ähnlich-
keiten zwischen dem Didaskalikos und der Schrift des Apuleius De Pla-
tone aufmerksam gemacht 9 . In der Verwandtschaft der beiden Texte
fand er ein Argument dafür, daß sie auf Gaios' Unterricht zurückgehen.
In der späteren Forschung ist diese Vermutung zum Teil für richtig ge-
halten und mit neuem Material unterstützt worden, zum Teil ist sie aber
auch auf Kritik gestoßen. Es ist hier nicht der Ort, über die einzelnen
Aspekte dieser Diskussion zu berichten.
Viel wichtiger ist uns die Feststellung, daß der Didaskalikos neben
der platonischen Grundlage mehrere Elemente enthält, deren aristote-
lisch-peripatetische Herkunft einleuchten dürfte. Es gilt nicht nur, diese
nicht-platonischen Elemente ausfindig zu machen. Es fragt sich auch,
wie dieses Nebeneinander von platonischem und aristotelischem Ge-
dankengut überhaupt zu deuten ist. In der älteren Forschung, etwa bei
E. Zeller oder bei Uberweg-Praechter, begnügte man sich meistens da-
mit, daß man vom eklektizistischen Charakter des Didaskalikos sprach,
ohne nach der Erklärung dieses Eklektizismus zu fragen. Anhand einer
7
Vgl. besonders die letzten Sätze der kleinen Schrift, Didask. 36, 189,23-27,
8
Vgl. oben Anm. 1. * Op. cit, (oben Anm. 1).
10
R, E. Witt, Albinus and the History of Middle Platonism, 1937. Vgl. die Rezension
von H. Cherniss, in: Amer. Journ. of Philol. 59 (1938) 351-355 (deutsch in: C,
Zintzen [Hrsg.], Der Mittelplatonismus, Darmstadt 1981, 91—97).
11
Über Areios Didyrnos vgl. oben Bd. I 259sqq. Bereits H. Diels, Dox. 75 — 77 hatte
darauf hingewiesen, daß Didask. 12 bis 167,12 H. fast wörtlich mit einer Passage aus
Areios Didymos übereinstimmt.
12
J.H, Loenen, Albinus' Metaphysics: An Attempt at Rehabilitation, in; Mnemos. 9
(1956) 296-319 und 10 (1957) 35-56 (deutsch in: C. Zintzen, Op. cit. 98-149).
13
Die verschiedenen Untersuchungen von H. Dorne über den Mittelplatonismus und
Albinos sind jetzt in seinem Sammelband Platonica Minora, 1976, bequem zugäng-
lich. VgJ. besonders den, Teil B unter dem Titel Zürn Platonismus vor Plotin.
14
Wir haben hier nur einige charakteristische Positionen in ihren Hauptzügen zu schil-
dern versucht und keineswegs beabsichtigt, einen vollständigen Bericht über die Af-
braucht. In seiner Auffassung waren sie wohl nichts anderes als be-
queme, jedem verst ndliche Bezeichnungen f r Begriffe, die bereits
Platon benutzt hatte. Auf keinen Fall darf ihr Vorkommen als Beweis
f r aristotelische bzw. stoische Einfl sse auf Albinos gelten.
Zu ber cksichtigen ist auch die Entwicklung der philosophischen
Problematik m der hellenistischen Zeit. Nacharistotelische Systeme, ins-
besondere die Stoa, richteten n mlich ihr Augenmerk auf bestimmte Fra-
gen, die bei Platon und Aristoteles zumindest nicht im Vordergrund der
Reflexion standen. Man denke etwa an die Kriteriologie, an die Vor-
sehungslehre, an den Determinismus, an die Verbindung aller Tugenden
miteinander u. dgl. mehr. Der Platonismus und der Aristotelismus des
Hellenismus und der Kaiserzeit zeichnen sich dadurch besonders aus,
da sie sich fragen, wie diese Probleme im Rahmen ihrer eigenen Philo-
sophie gel st werden k nnen, und bem ht sind zu zeigen, da die Ele-
mente dieser L sung bereits in den Werken des jeweiligen Schulgr nders
vorlagen. Die Peripatetiker arbeiteten z.B. eine aristotelische Vorse-
hungslehre aus. Albinos betritt kein Neuland, wenn er Untersuchungen
περί κριτηρίου oder περί ειμαρμένης anstellt, ber die Faktoren der
ευδαιμονία nachdenkt, nach dem τέλος fragt, das άντακολουθεΐν der
Tugenden hervorhebt etc. Die Problemstellung selbst mag uns anachro-
nistisch vorkommen, f r Albinos aber kam es haupts chlich darauf an,
seinen Lesern eine im Einklang mit dem Platonismus stehende L sung
zu bieten. Diese Tendenz geht so weit, da man nicht nur sp tere Pro-
bleme, sondern auch sp tere Errungenschaften der Philosophie in ir-
gendeiner Weise auf den Platonismus zur ckprojizierte. In solchen
F llen bem ht sich Albinos zu zeigen, da Theorien, die erst nach
Platon entwickelt wurden, bereits in nuce oder zumindest potentiell bei
Platon vorhanden waren. Das krasseste Beispiel daf r stellen seine Aus-
f hrungen ber die Syllogisitik dar. Die bei Peripatetikern und Stoikern
gepflegte Lehre vom Syllogismus bildete zweifellos einen Hauptbestand-
teil der Logik berhaupt, und selbst ein Platoniker konnte sie im
2. Jahrhundert nicht einfach ignorieren. Bei Albinos finden wir also eine
Zusammenfassung der Syllogistik, die offenbar zum Teil auf die Lehre
der Peripatetiker, zum Teil auf die der Stoiker zur ckgeht. Dennoch h lt
sich Albinos f r berechtigt, ihr einen Platz in einer Darstellung der pla-
tonischen Philosophie einzur umen. Platon selbst, bemerkt er in diesem
Zusammenhang, hat sich der Lehre von den Syllogismen bedient, und
zwar in Widerlegungen und in Beweisf hrungen, Verschiedene Zitate
aus den Dialogen dokumentieren sogar, da Platon nach jeder der drei
15
P. Donini, Le scuole 12—24 setzt, sich mit K, Praechters Trennung von „eklekti-
schen" und „orthodoxen" Tendenzen, bes. im Mittelplatonismus, kritisch ausein-
ander; er hebt hervor, daß die spätere Forschung auf Momente hingewiesen hat, die
dieses bequeme Klassifizierungsprinzip als inadäquat erscheinen lassen.
B. Lehensformen
16
Ausf hrlicher ber aristotelische Elemente im Didaskalikos J. Freudenthai, Der Pla-
toniker Albinos 278—280. E. Brehier, Les etudes de philosophic antique, in: Actua-
lites sciemifiques et industrielles. Philosophie I (1939) 40 (mir nicht zug nglich, zi-
tiert nach J. H. Loenen, Op, cit. 316 Anm. 1) zahlt folgende Lehrmeinungen aus dem
Didaskalikos als aristotelisch auf: den Syllogismus mit seinen drei Figuren; die zehn
Kategorien; die Lehre der Induktion; die Lehre von Materie und Form; die Auf-
fassung von Gott als Intellekt in actu. Das sind wohl die wichtigsten, -wenn auch
nicht die einzigen Ber hrungspunkte zwischen Albinos' Platonismus und dem Ari-
stotelismus.
17
Didask. 2, 152,25-153,1.
18
, v. Wilamowitz, Sappho und Simonides, 1913, 185-191.
14
Vgl. R. Joly, Le theme philosophique des genres de vie dans l'Antiquite Classique,
Br ssel 1956 (= Mem. Acad. Belg., Cl. Lettres 51,3).
20
Vgl, bes, EN I 3 und X 7sqq., wo die Vorrangsfrage zwischen Theorie und Praxis
er rtert wird. Das beste Leben, das die τελεία ευδαιμονία gewahrleiste, sei das
theoretische; den zweiten Platz habe das Leben κατ* άλλην άρετήν inne.
21
Aspasios, ΕΝ l, 2 — 2 , 1 3 , Auch dort wird das άναγκαίον des praktischen Lebens und
das τίμιον des theoretischen hervorgehoben. Das theoretische hat ein h heres, wert-
volleres Objekt; <ias Leben in dieser Welt w re jedoch ohne Ethik und Politik un-
m glich; das praktische Leben bildet also die unentbehrliche Voraussetzung f r die
Aus bung der θεωρία. K nnte der Mensch ohne K rper leben, so brauchte er keine
praktische T tigkeit; nur die θεωρία k me f r ihn in Frage, ber Aspasios vgl. oben
S. 270sqq.
halten den σύνθετος βίος, die Kombination von Theorie und Praxis, f r
die beste Lebensform 22 . In der Begr ndung seiner These23 bedient sich
Albinos mehrerer Ausdr cke, die aristotelisch bzw, peripatetisch zu sein
scheinen, der Inhalt seiner Argumentation tr gt jedoch typisch plato-
nische Z ge 24 , Es leuchtet ohne weiteres ein, da er berzeugt ist, mit
der These vom Primat des θεωρητικός βίος die Anschauung Platons
wiederzugeben. Da er in seinen Ausf hrungen Ausdr cke und For-
meln benutzt, die zum Teil von Aristoteles stammen und sozusagen
l ngst klassisch geworden waren, darf keineswegs als eine Anlehnung an
den Aristotelismus und noch weniger als eine Abweichung vom Plato-
nismus interpretiert werden.
22
So z.B. Areios Didymos, vgl. oben Bd. I 403-408,
23
Didask. 2, 153,1-20.
24
Die Seele erleidet Gutes (εύπαθεϊν), wenn sie das G ttliche und seine Gedanken be-
trachtet. Dieses πάθημα ist die φρόνησις. Es ist identisch mit der προς ΤΟ θείον
όμοίωσις. Wenn die Umst nde es verlangen, wird sich der σπουδαίος mit den An-
gelegenheiten des Staates befassen und ffentliche mter bekleiden.
« Didask. 3, 153,21-25.
31
4, 154,8-156,20. Vgl. K, Wurm, Op. cit. 201, Die in den Dialektik-Kapiteln ge-
nannten Weisen der Erkenntnis sind zu logischen Verfahrensweisen herabgesunken.
Entscheidendes Argument daf r ist der Umstand, da sich vor der im 5. Kapitel be-
ginnenden Darstellung der Dialektik ein Kapitel ( = 4 ) findet, das v llig unabh ngig
von den Verfahrensweisen der Dialektik eine Erkenntnistheorie liefert.
" 6, 159,36-160,34.
" 5, 156,21-26.
34
5, 156,26-29.
35
Damit k nnen nat rlich nicht die zuf lligen Akzidentien gemeint sein. Gegenstand
eines Beweises kann nur das συμβεβηκος καθ' αυτό des Aristoteles sein, d.h. jenes
Akzidens, das mit der Substanz so eng verbunden ist wie etwa ,sterblich' mit
.Mensch'.
36
Am mehreren Stellen zahlt Cicero die Teile der Logik auf. Trotz gelegentlicher Aus-
lassungen und geringf giger nderungen in der Terminologie zeigt der Vergleich
dieser Stellen, welche obligaten Bestandteile die Logik nach der damaligen Schulmei-
nung umfa te: Kriteriologie, Dih retik, Definmonslehre, Schfu lehre (richtiges Schlie-
Sextus Empiricus ber Platon. Nachdem Sextus die drei Teile der Philo-
sophie genannt hat, vermerkt er, da die Logik sich mit οροί, διαιρέ-
σεις und ετυμολογία befa t37, und kurz danach f gt er hinzu, da sie
auch Untersuchungen ber die κριτήρια und die αποδείξεις anstellt38.
Die Einteilung der praktischen Philosophie in Ethik, konomik und
Politik39, die zweifelsohne Angaben des Aristoteles abgewonnen wurde,
spiegelt eine gut bezeugte peripatetische Tradition wider 40 · sie scheint
relativ fr h von den Platonikern bernommen worden zu sein41. In der
Darstellung der praktischen Philosophie Platons wird die konomik
allerdings au er acht gelassen, Albinos er rtert nur die Ethik und die
Politik. Seine Untergliederung der Ethik l t sich weder auf Platon noch
auf Aristoteles zur ckf hren. Sie scheint vielmehr einer schulm igen
Disposition zu entsprechen, die f r die hellenistisch-r mische Zeit be-
legt ist. Albinos befa t sich mit der G terlehre42, der Eud monie43, der
Lehre von Telos44, Tugend und Laster45, Pathos46, Lust und Unlust47
und schlie lich Freundschaft 48 , Bereits bei Cicero finden sich Angaben
en, Trug- und Fangschl sse); bisweilen wird die Etymologie (verboritm explicatio,
ετυμολογία) hinzugef gt. Vgl. bes. Brucus 152; Orat. 115—116; Acad, 30—32; Luc.
91; Tusc. V 72; De fin. I 22; IV 8-9.
37
Sext. £mp., Adv. math, VII 9. In der Tat sind das die drei Disziplinen, deren pla-
tonische Herkunft unbestreitbar ist.
38
VII 24. Mit diesem Nachtrag deutet er vielleicht an, da Kriteriologie und Beweis-
lehre ihrem Ursprung nach nicht so echt platonisch sind wie die anderen drei Diszi-
plinen. Wie dem auch sei, Sextus h lt es offenbar f r eine ganz legitime Fragestellung,
jeden Philosophen auf seine Kriteriologie hin zu untersuchen, auch wenn dieser das
Problem nicht expressis verbis formuliert hat. Vgl, seine Ausf hrungen ber die Kri-
teriologie Platons {VII 141 sqq.), der Altakademiker (VII 145sqq.), des Aristoteles
und der Peripatetiker (VII 216sqq.) etc.
39
Didask. 3, 153,32-36,
40
Areios Didymos, vgl. oben Bd. I 418sqq. Diog. Laert. V 29. Sp ter kommt diese
Gliederung der praktischen Philosophie in der Einteilung der Aristotelesschriften bei
den Kommentatoren regelm ig vor.
41
Albinos, Isag. VI 15i, 1-2. Attikos Fr. l, 10-14 des Places = Eus., P.E. XI 3, 2, 1.
hnliches auch bei den Stoikern: vgl. unter anderen SVF II Fr. 733; III Fr. 301; 323;
623; 624.
42
Didask. 27, 179,31-180,13.
43
27, 180,13-181,15.
44
28, 181,16-182,12.
45
29, 182,13-185,20.
46
32, 185,21-186,25.
47
32, 186,25-187,6.
48
33, 187,7-188,6.
über die Hauptthetnen der Ethik, die nicht ohne Ähnlichkeit mit Al-
binos* Gliederung sind, und bei späteren Autoren begegnet uns mehr-
mals eine vergleichbare Unterteilung der Ethik 49 ,
Die theoretische Philosophie umfaßt die Theologie, welche die unbe-
wegten "Wesenheiten, die ersten Ursachen, alles Göttliche überhaupt
zum Gegenstand hat, ferner die Physik, die die Natur des Kosmos und
des Menschen untersucht, und drittens die mathematischen Wissenschaf-
ten50. Letzten Endes geht diese Dreiteilung auf Aristoteles zurück51. Im
Expose des AJbinos werden die drei Teile so geordnet, daß die Mathe-
matik als propädeutische Disziplin den ersten Platz bekommt 52 . Die
Theologie und die Physik folgen, und zwar so, daß man mit den höch-
sten, wichtigsten Dingen, den Prinzipien und den theologischen Er-
kenntnissen beginnt, und dann zum Kosmos und zum Menschen her-
untersteigt53. Da die Untergliederung der Physik weitgehend aus dem
platonischen Timaios stammt, kann sie hier außer acht gelassen werden.
D, Dialektik
Es ist hier nicht der Ort) Albinos' Kapitel über Platons Kriteriologie
inhaltlich und historisch zu interpretieren. Trotz der relativ häufigen
Verwendung von aristotelischen und stoischen Ausdrücken leuchtet es
ein, daß unser Autor bemüht ist, Thesen und Argumente aufzustellen,
die bei Platon vorkommen oder zumindest im Einklang mit seiner Philo-
sophie stehen. Daß einige von ihnen auch bei Aristoteles vorkommen,
versteht sich beinahe von selbst und dokumentiert keineswegs den Ein-
fluß, des Aristotelismus auf Albinos. Bemerkenswert ist allerdings die
Unterscheidung von zwei Klassen von Intelligibilien ( ): Die ersten
sind nichts anderes als die platonischen Ideen; die zweiten aber sind „die
der Materie inhärierenden Formen, die von der Materie untrennbar
49
Cic., Tusc. V 71 — 72 (Tugendlehre, Güter- und Teloslehre, Pflichtenleh^ Lebens-
formen, Eudamonie; danach kommen die Politik und die Freundschaftslehre); Luc.
129—141 (Teloslehre, Eudamonie und Güterlehre, Affektlehre, Tugend- und Lust-
lehre), Für spätere Parallelen vgl, unten Anm. 147. Über die Einteilung des
bei den Stoikern vgl, Diog, Laert. VII 84.
SQ
Didask. 3f 153,36-154,4. Ähnlich 7, 160,36-161,8.
S1
Anst,, Metaph. E 1.
" Dies entspricht natürlich der platonischen Auffassung, Vgl. 7, 161,8—162,15.
M
8, 162,21-25. Vgl. Plat., Tim. 27 A.
lung der Gattung in ihre Arten, f hrt Albinos fort, ist heranzuziehen,
um zu erkennen, was jedes Ding seinem Wesen nach (κατά την ούσίαν)
ist, und diese Erkenntnis erfolgt in Verbindung mit der Definition. Die
Definition selbst entsteht aus der διαίρεσίς, und zwar, indem man zu-
erst das Genos des Definiendum ansetzt und dann dieses Genos gem
seinen n chsten Differenzen (κατά τάς προσεχείς δι,αφοράς) einteilt und
so weiter, bis man zu den Arten (είδη) gelangt. Die Definition besteht
aus der Verbindung des Genos mit den προσεχείς διαφοραι59. Diese
Angaben sind so allgemein gefa t, da man schwer sagen kann, ob die
kritischen u erungen des Aristoteles ber die platonische Te ungs-
methode in irgendeiner Weise ber cksichtigt worden sind oder nicht 60 .
Es gen gt wohl zu notieren, da diese kurzen S tze keine Einzelheiten
enthalten, die im Widerspruch zu der Ansicht des Aristoteles stehen61.
Zumindest eine der Definitionen der επαγωγή62 stammt von Aristo-
teles63.
Die Einteilung der Aussagen (προτάσεις) in bejahende (κατάφασις)
und verneinende (άπόφασις) und die Unterteilung jeder der beiden Aus-
sagearten in allgemeine (καθόλου) und partikul re (έπι μέρους)64 ist
M
5, 157,1-9.
60
Aristoteles' Stellungnahme zur διαίρεσίς ist vorwiegend folgenden Texten zu ent-
nehmen: Anal. Pr. I 31; Anal, Post. II 5; De part. an. I 2—3.
61
Albinos behauptet z. B. nicht, da die διαίρεσις den Beweis f r die Definition liefert
bzw. einem συλλογισμός της ουσίας gleichzusetzen ist. Die Bestimmung des γένος
vom Definiendum bezeichnet er genau wie Aristoteles mit dem Verbum λαβείν
157,5; vgl. Anal. Pr. I 31, 46fa 19; 29; 31; Anal, Post. II 5, 91 b 18; 19; 21; 13,
97a 37 etc. Seine Anweisung, das γένος zu teilen κατά τας προσεχείς διαφοράς
κατιόντας μέχρι των είδών, 157,6—7, entspricht der Anweisung des Aristoteles, die
Differenzen des γένος in der richtigen Reihenfolge zu nehmen, Anal. Post. II 13, 96 b
30—35; 97a 23—34. Der Ausdruck προσεχής διαφορά kommt bei Aristoteles aller-
dings nicht vor,
62
5, 157,37—158,2 . . . ή δια λόγων μέθοδος ή άπο του ομοίου επί το ομοιον με-
τιοϋσα ή από των καθέκαστα επί τα καθόλου.
63
Top. Ι 12, 105a 13 — 14 επαγωγή δε ή από των καθ' έκαστον επί τα καθόλου έφο-
δος. Nach Aristoteles1 Auffassung ist der bergang vom ομοιον zum δμοιον charak-
teristisch f r ein rhetorisches Beweisverfahren und hei t παράδειγμα, Rhet. I 2,
1357 b 25-30. Das παράδειγμα ist aber der επαγωγή hnlich, es stellt eine rheto-
rische επαγωγή dar, Rhet. ! 2, 1356b 2-5; 12-15; II 20, 1393a 25-27; Anal. Post.
I I , 71 a 9-10. Von der επαγωγή selbst hei t es Top. I 18, 108 b 10-11 τη καθ'
έκαστα επί των ομοίων επαγωγή το καθόλου άξιοϋμεν έπάγειν. Zum Unterschied
zwischen der επαγωγή, die zum καθόλου hinf hrt, und dem Verfahren durch das
ομοιον, das das καθόλου nicht erreicht, vgl. Top. VIII l, 156b 14-17.
M
6, 158,4-11.
*s Anal, Pr. I l, 24 a 16-22; 2, 25a 1-5, Die προτάσεις αδιόριστοι des Aristoteles l t
Albinos unber cksichtigt. Bemerkenswert ist, da Albinos' Beispiele τις ηδονή αγα-
θόν, τις ηδονή οίικ αγαθόν schon bei Aristoteles vorkommen,
66
6, 158,14-17,
67
6, 158,17-19. Vgl. Arist., Anal. Pr. I l, 24b 18-20 λόγος, εν ω τεθέντων τινών
έτερον τι των κειμένων εξ ανάγκης συμβαίνει τφ ταΐτα είναι. Top. Ι Ι, 100a 25-
27 λόγος, εν ω τεθέντων τινών έτερον τι των κειμένων εξ ανάγκης συμβαίνει δια
των κειμένων.
68
6, 158,19-23.
69
Sein συλλογισμός εξ υποθέσεως, Anal. Pr. I 23, 40b 23—26 ist in Wirklichkeit ein
echter kategorischer Syllogismus, in weichem ein Satz bewiesen wird, von dem aus
man mittels einer „Hypothese" zum Probandum bergeht: vgl. H, Maier, Syllog, d.
Arist. II l, 228-229. I. M, Bochenski, Log. Th. 103-104. G. Patzig, Die arist.
Syllogistik, 3. Aufl. 158, Albinos' Ausf hrungen ber die hypothetischen Syllogis-
men, 6, 159,4—19, gehen auf die stoische Aussagenlogik, nicht auf die aristotelische
Termlogik zur ck und brauchen deswegen hier nicht er rtert zu werden.
70
Vgl. Anal. Pr. I 9, 30a 15sqq. Theophr. ap, Alex., Anal. Pr. 123,18-24 = Fr. 23
Graeser, Mit μϊξις, μικτός etc. bezeichnet auch Alexander Syllogismen mit modal
verschiedenen Pr missen, Er berichtet allerdings, da die αρχαίοι — wie hier Albi-
nos — unter μικτοί die Syllogismen εξ υποθετικής προτάσεως και δεικτικης, τοΐιτ'
εστί κατηγορικής verstehen: Alex,, Anal. Pr. 262, 3t —32. Die Beispiele f r gemischte
Syllogismen (Didask, 6, 159,19—24) zeigen, da Albinos hier unter dem Einflu der
stoischen Aussagenlogik steht.
71
6, 158,27-159,4.
E. Theoretische Philosophie
ist qualic ts- und formlos82; sie ist also nur potentiell ein K rper, und
zwar so, wie das Erz potentiell eine Statue ist, weil es, wenn es die ent-
sprechende Form erh lt, zur Statue wird83. Jeder K rper ist n mlich eine
Verbindung, die aus der Materie und der mit ihr vereinigten Form be-
steht84.
Die Ausf hrungen ber das dritte Prinzip — Gott als h chster In-
tellekt und Vater der Welt — geh ren zu den ber hmtesten der ganzen
Schrift. Auf die Problematik ihrer in der Neuzeit stark umstrittenen
Interpretation wollen wir hier nicht eingehen85. Wir haben uns lediglich
zu fragen, inwiefern typisch aristotelische Gedankeng nge auf diese sich
f r platonisch ausgebende Gotteslehre abgef rbt haben.
Hervorzuheben ist zuerst ein Hinweis auf den Unterschied zwischen
menschlichem und g ttlichem Denken. Da die Menschen von der Sinn-
lichkeit „erf llt" sind, k nnen sie die Intelligibilien nicht ganz rein er-
fassen. Wenn sie das vorhaben, erscheint das Sinnliche mit in der Vor-
stellung, Gr e, Gestalt und Farbe werden oft als Begleiterscheinungen
bei unserem Denken mit erfa t86. Die G tter dagegen sind frei von der
81
8, 162,28-163,6. Auch 11, 166,21-22, Vgl. Plat., Tim. 50 B-E.
83
8, 163,6—9. „Potentiell" (δυνάμει) ist ein aristotelischer Terminus technicus. Das
Beispiel des Erzes und der Statue stammt auch aus Aristoteles: vgL Phys. II 3, 195a
3-8; Metaph. Δ 2, 1013b 3-9; De gener, an. I 18, 724b 23.
84
10, 166,2—4. Obwohl συνδυασμό nicht aristotelisch ist und Aristoteles seine
hylemorphische Theorie nicht auf die K rper beschrankt, erkennt man hier ohne
weiteres die Lehre, nach welcher jede σύνολος ούοία aus ΰλη und είδος besteht.
85
Vgl. J. Freudenthal, Der Platoniker Albinos 284-289 und 317-320. E. Zeller, Phi-
los. d. Gr. III I s , 842-845; III 25, 229 Anm. l und 2. berweg-Praechter", 542-
543. R.E. Witt, Albinus 71-77; 123-134. E. Brehier, Les etudes de philosophic
antique (vg], oben Anm, 16), E, Pelosi, Een Platoonse gedachte bij Gaios, Albinos en
Apuleius van Madaura. Plat. Theait. 176a, in: Studia catholica 15 (1939) 375—394; 16
(1940) 226-242. J.H. Waszink, Art, Albinus, in; RAC (1942) 238-239. A.J. Festu-
giere, Rev. Herrn. Trism. IV, 1954, 95-102; 135-140, C.j. de Vogel, A la recherche
des etapes precises entre Platon et le neo-platomsme, in: Mnemos. Ser. IV 7 (1954)
111 — 122. Ph. Merlan, Monopsychistn Mysticism Metaconsciousness, 1963, 62—69.
W. Theiler, in: Gnomon 37 (1965) 21—23 (kritisiert Merlans Interpretation). J.H.
Loenen, Albinus' Metaphysics (vgl. Anm, 12). H. J. Kr mer, Der Ursprung der Geist-
metaphysik, 1964, 108-115. H, D rrie, Art. Albinos, RE Suppl. XII (1970)
14—22, G. Invernizzi, II Didaskalikos (vgl. oben Anm. 3) I 55sqq. j. Dillon, The
Middle Platonists, 1977, 282-285. P. Donini, Le scuole, 1982, 106-109, C.J. de
Vogel, Der sog, Mittelplatonismus, berwiegend eine Philosophie der Diesseitigkeit?,
in: Platonismus und Christentum. Festschrift f r Heinrich D rrie, M nster 1983,
277-302, dort 296-302.
86
Laut Albinos handelt es sich um die Intellektion vorn νοητόν berhaupt. R.E. Witt,
Wahrnehmung und erfassen daher die νοητά in ihrer Reinheit ohne jede
Einmischung fremder Elemente87. Das erinnert uns an die Beobachtung
des Aristoteles, da der Mensch nicht ohne Vorstellungsbilder denken
kann 88 . Eine unmittelbare, reine Erkenntnis der πρώτα νοητά durch
den menschlichen Intellekt schrankt Albinos an anderer Stelle auf die
Zeit ein, in der die Seele noch nicht mit dem K rper verbunden war89,
W hrend ihrer Verbindung mit dem K rper erinnert sie sich blo an die
Ideen, die sie einst betrachtet hat. Die eigentlichen Gegenst nde ihres
Denkens sind jetzt offenbar die von der Materie untrennbaren Formen 90 ,
und deswegen vermag sie nicht, sie v llig unabh ngig von gewissen ma-
teriellen Aspekten zu betrachten.
Seine eigentliche Gotteslehre er ffnet Albinos mit einer kurzen Dar-
stellung der Hierarchie psychischer und noetischer Wesenheiten; „Da
der Intellekt besser als die Seele ist; da ferner der Intellekt in T tigkeit,
der alles denkt, und zwar gleichzeitig und immer, besser ist als der In-
tellekt in Potentialit t; da sch ner als dieser derjenige ist, der dessen Ur-
sache ist, und eventuell etwas noch H heres als diese Wesenheiten, dann
d rfte der letztgenannte Intellekt der erste Gott sein; er ist die Ursache
davon, da der Intellekt des gesamten Himmels immer in T tigkeit
ist91." Auf dieser Skala befindet sich also unten die Seele, dar ber der
potentielle Nus, es folgt ein aktiver Nus, der offensichtlich identisch ist
mit dem Intellekt des Himmels, an oberster Stelle steht dann als „erster
Gott" die Ursache f r das Wirken des Himmelsintellekts und eventuell
eine noch h here, nicht naher bezeichnete Wesenheit92. Ob es sich in
diesem hierarchischen Aufbau um selbst ndig subsistierende, verschie-
denen Seinsstufen entsprechende Wesenheiten handelt oder ob wir es
wenigstens teilweise mit verschiedenen, axiologisch geordneten Zust n-
Albinus 124 versteht also nicht ganz richtig, wenn er schreibt: Men are prone to
attribute to God such sensible qualities as magnitude, form and color,
87
10, 164,11-16,
88
Arist., De an. Ill 7, 431 a 16-17; 8, 432 a 8-10; De mem. 1, 449 b 30-450a 14.
8!)
4, 155,17-29.
90
4, 155,22-24; 34-36.
ei
1C, 164,16-20.
92
Dazu H, D rrte, Der Ursprung der neuplatonischen Hypostasenlehre, m: Hermes
82 (1954) 331-342 = Plat, Min. 286-296, dort 294: „Albinos . . . wu te anschei-
nend schon von Versuchen, den νους noch durch das H chste Eine zu bergip-
feln , . . Freilich ist bei Albinos keineswegs gesagt, da das αΐιτοάγαθον, von dem
die Rede ist, noch ber dem νους stehe. Aber er wei doch etwas von einer Stufung,
die noch ber den νους hinausf hren k nnte."
den ein und derselben Wesenheit (etwa der Weltseele} zu tun haben, ist
in der Albinos-Interpretation sehr umstritten. Bevor wir versuchen, das
gegenseitige Verhältnis dieser Wesenheiten naher zu bestimmen, wollen
wir einige Angaben über den „ersten Gott" genauer betrachten. Die
einen beziehen sich auf sein eigenes Wesen, die anderen auf sein Wirken
auf den Himmelsnus. „Da der erste Intellekt der schönste ist, muß für
ihn auch das schönste Intelligible vorhanden sein. Nichts ist aber schöner
als er selbst. Also dürfte er sich selbst und seine eigenen Gedanken
immer denken, und diese seine Tätigkeit ist die Idee93." Daß Albinos*
höchster Gott weitgehend identisch ist mit dem Demiurgen aus dem
Timaios, erhellt aus mehreren Angaben aus dem „theologischen" Ka-
pitel und braucht vorläufig nicht nachgewiesen zu werden. Hier liegen
aber die Akzente anders als bei Platon. Dieser hatte seinen Demiurgen
nicht ausdrücklich als Intellekt bezeichnet und das ideelle Modell, das
der Demiurg betrachtet und nach welchem er sich richtet, keineswegs
ausdrücklich mit den eigenen Gedanken des Demiurgen identifiziert.
Erst in einer späteren Interpretation werden die Ideen den Gedanken
Gottes gleichgesetzt94. Die hier vorliegenden Angaben über Gott als
Intellekt und über die Identität des höchsten Intellekts und des höchsten
Intelligiblen stammen offensichtlich aus der Gotteslehre des Aristote-
les95. Einer sicher älteren Tradition gemäß wird hier die platonische
Theologie anhand der aristotelischen Lehre vom höchsten Nus inter-
pretiert und erweitert. Vom höchsten Nus heißt es, daß er die Ursache
93
10, 164,23-26.
** Didask. 2, 153,5; 9, 163,13; 27-31; 10, 164,26-27; 14, 169,33-35. Aus der um-
fangreichen Literatur zu diesem Thema seien hier erwähnt: W, Theiler, Vorher, d.
Neuplat. 16—17. R.M. Jones, The Ideas as the Thoughts of God, in: Class. Philol.
21 (1921) 317-326 (jetzt deutsch in: C. Zintzen, Op, cit, 187-199). C.J. de Vogel,
A la recherche des etapes precises, in: Mnemos. IV 7 (1954) 111-122, dort 118sqq.
A. N. M. Rich, The Platonic Ideas as the Thoughts of God, in: Mnemos. IV 7 (1954)
123-133 (jetzt deutsch in: C. Zintzen, Op. cit. 200-211). J.H, Loenen, Albinus'
Metaphysics 43 — 46 (vgl. oben Anm. 12). H. Dorrie, Die Frage nach dem Transzen-
denten im Mittelplatonismus, in; Entretiens sur l'Antiquite Classique 5 (1957) 193 —
223 = Plat. Min. 211-228, dort 220. A.H. Armstrong, The Background of the
Doctrine „That the Intelhgibles are not outside the Intellect", in: Entretiens sur -
tiquite Classique 5 (1957) 393-425. H.J. Krämer, Geistmetaphysik HO-113. Dazu
K. Oehler, in: Gnomon 40 (1968) bes. 645-646. W. Theiler, Ammonios der Lehrer
des Ongenes, in: Forschungen zum Neuplatomsmus 1966, 21—22. H.R. Schwy-
zer, The Intellect in Plotinus and the Archetypes of C.G.Jung, in: Kephalaion.
Studies . . . C.J. de Vogel, Assen 1975, 214-222,
95
Arist., Metaph. 7, 1072b 18-26; 9, 1074b 17-35.
101
10, 164,20. Vgl. auch 164,17-18,
102
14, 169,26-35. Daß Albinos die Welt nicht für hielt, ob-
wohl sie wegen ihrer Zusammensetzung eine besitzt, berichtet auch
Prokl., In Tim. I 219,2-11 Diehl.
103
Da Albinos sich grundsätzlich gegen die wörtliche und für die allegorische Interpre-
tation der Erzählung von der Weltbildung im Timaios entscheidet, später jedoch
zahlreiche Formulierungen aus diesem Dialog fast wörtlich übernimmt, scheinen
gewisse Diskrepanzen zwischen seinen verschiedenen Angaben über die platonische
Lehre der Welterschaffung zu bestehen. So hat z. B. R. E. Win, AJbinus 133 behaup-
tet, die Angaben des Kap, 10 seien mit denen des Kap. 12 schwer zu vereinbaren.
Wenn Gott ein - ist, wie kann ihm als Demiurg eine wirkende Kausa-
lität zugesprochen werden? Daß dieser und andere angebliche Widersprüche ver-
schwinden, sobald man die wörtlichen Entlehnungen aus dem Timaios im Licht der
Grundsatzposition des Albinos interpretiert, hat J. H. Loenen in seinem Aufsatz über
Albmus' Metaphysics sehr energisch und m, E. mit Recht hervorgehoben.
da der Himmel beseelt ist und Gott irgendwie erkennt, da er sich von
ihm angezogen f hlt. Aber das Ergebnis der finalen Kausalit t Gottes ist
laut Aristoteles die best ndige Kreisbewegung des ersten Himmels.
Ganz anders Albinos. Bei ihm sind es die νοήσεις bzw. die νοήματα des
h chsten Gottes, zu denen sich die Weltseele hingezogen f hlt. Da-
durch, da sie auf die νοητά, d.h. die Ideen als Gedanken Gottes, hin-
schaut, f llt sie sich mit είδη und μορφαί. Somit erh lt sie auch einen
νους, der als ό κατ' ένέργειαν πάντα νοών και άμα και αεί bezeichnet
wird104. Und dieser Himmelsintellekt ist es wiederum, der in dieser
Welt der ganzen Natur ihre Ordnung gibt105. Da die vom Himmelsnus
durchgef hrte Ordnung und Gestaltung der Welt durch das Eingeben
der είδη in die Materie erfolgt, sagt Albinos hier zwar nicht ausdr ck-
lich; das entspricht jedoch sicher seiner Auffassung und wird durch
mehrere Aussagen best tigt106.
In der aristotelischen Perspektive ist die Kausalit t Gottes die eines Be-
wegers; auf Gott gehen die regelm igen Kreisbewegungen des
Himmeis zur ck, und diese wiederum bewirken das Entstehen und Ver-
gehen in der sublunaren Welt. Albinos bernimmt zwar einige Grund-
gedanken der aristotelischen Theologie, vor allem die Auffassung, da
der h chste Gott ein Intellekt ist, der sich selbst denkt und als Finalur-
sache auf den Himmel einwirkt, dennoch bleibt der Kern seiner Gottes-
lehre durchaus platonisch. Sein Hauptanliegen ist nicht die Kausaler-
kl rung der Bewegung, sondern vielmehr das Problem des Verh ltnisses
unseres Kosmos zur Ideenwelt. Die Ideen sind f r ihn die Gedanken des
sich selbst denkenden Gottes. Der Himmelsnus, der sich zu Gott hin-
gezogen f hlt, erkennt und bernimmt die Objekte des g ttlichen Den-
kens und im Rahmen seiner gestaltenden T tigkeit gibt er sie als είδη
und μορφαί an die sublunare Welt weiter, in der sie sich mit der Materie
verbinden.
104
Didask, 10, 164,17-18; 164,35-165,3; 14, 168,30-35.
1ΰί
10, 165,3-4 δς κοσμηθείς ύπο του πατρός διακοσμεί ούμπασαν φύσιν εν τφδε τφ
κόσμψ.
ιο6 Ygi z g g^ 162,28—163,6 ber die ύλη, die πάντα τα είδη aufnimmt und von ihnen
gestaltet wird. 9, 163,15-16, wo die Idee als ως . . . προς την ϋλην μέτρον, ως δε
προς τον αίσθητον κόσμον παράδειγμα bezeichnet wird. 9, 163,31-34: die Ideen
als μέτρα f r die Όλη. 10, 166,2—5: jeder K rper besteht aus einer Materie und dem
mit ihr verbundenen είδος, δπερ έξομοιοΰται ταΐς Ιδέαις και μετέχει αΐιτών δΰσ-
φραστον δη τίνα τρόπον.
k nnen wir uns nun das Verh ltnis der ψυχή = Weltseele zum Intellekt
vorstellen? Obwohl Albinos' Angaben dar ber ziemlich d rftig sind,
wird man auch hier kaum an selbst ndige Stufen denken und bei Albinos
eine Vorbereitung der neuplatonischen Hypostasenlehre finden k nnen.
ber die eigent mliche Funktion der Weltseele erfahren wir zwar nichts
N heres, Tatsache aber ist, da Albinos ihr qua Seele keine Denkt tig-
keit zuschreibt. Sie denkt nur, „nachdem" sie um ihren Intellekt be-
reichert wurde, das bei t in der allegorischen Interpretation, weil sie
wegen der Anziehung, die Gott auf sie aus bt, zu denken f hig ist111.
Wir gehen wahrscheinlich nicht fehl, wenn wir die Seele als solche modo
Platonico als Beweger betrachten. Da die Bewegung, die sie dem
Himmel und dadurch der (sublunaren) Natur eingibt, eine wohlgeord-
nete ist, erkl rt sich allerdings dadurch, da sie im Besitz eines nach dem
Gott-Vater gerichteten Intellekts ist112. Ihrem Wesen nach d rften also
Seele und Intellekt nicht identisch miteinander sein113. Fest steht jedoch,
da sie in Albinos1 Perspektive nicht unabh ngig voneinander existieren.
Die Seele ist n mlich f r die Ewigkeit zu Gott gerichtet, und sie ist des-
wegen f r die Ewigkeit von den νοήματα als Gedanken Gottes erf llt»
die sie an die hiesige Natur weitergibt. Rein axiologisch gesehen liegt
jedoch das eigentliche Wesen der Seele in der Wertskala unter dem
Wesen des Intellekts114.
294. „Albinos gliedert. . . den νους in die Stufen, in denen er δυνάμει (also wohl als
Sch pfer), und die, in denen er ενεργείς wirkt (also als Vorbild = Idee}." Da die
δΰναμις des Nus sich auf seine sch pferische T tigkeit beziehen soll, will mir nicht
einleuchten.
111
10, 164,35-165,3.
111
Wohl deswegen schreibt Albinos dem Himmelsintellekt, nicht der Seele selbst, das
Ausschm cken der Natur zu: 165,3—4 δς (= ό της ψυχής νους) κοσμηθείς ΐιπά του
πατρός διάκοσμε l σύμπασαν φύσιν εν τώδε τφ κόσμφ.
113
In diesem Sinn mu wohl die nicht genug nuancierte Behauptung Loenens, der Nus
sei eine blo e Funktion der Seele, eingeschr nkt werden,
114
So zu verstehen ist die Behauptung von 10, 164,16 "ψυχής νους άμείνων. Auch
H. D rrie, der vorher geneigt war, in Albinos einen Vorl ufer der neuplatonischen
Stufungsvorstellung zu sehen, gibt zu (H. D rrie, Die Frage nach dem Transzenden-
ten im Mittelplatonismus, in: Entretiens sur l'Andquite Classique 5, 1957, 193-
223 = Plat. Min. 221—228, dort 222), da Einschr nkungen erforderlich sind; ,,Vor
kurzem hat J. H, Loenen berzeugend darauf hingewiesen, da man bisher darin viel
zu weit ging, in Albinos einen Vorl ufer der neuplatonischen Stufungslehre zu sehen;
tats chlich kann nur eine einzige u erung des Albinos [gemeint ist 10, 164,16] da-
f r in Anspruch genommen werden." Vgl, J.H. Loenen, op. cit. 304—310 und 47—
48.
meint, die Gott auf das Untere aus bt, sowie die Hinneigung, die das
Untere Gott gegen ber empfindet. Platon selbst hat gewi seinen h ch-
sten Gott niemals so deutlich wie Aristoteles als Finalursache geschil-
dert. Dennoch fehlt es nicht an u erungen in seinem Werk, die auf ein
Hinstreben der unteren Bereiche nach den oberen weisen117. F r den
Platoniker Albinos schien also die Auffassung Gottes als Finalursache
mit dem genuinen Platonismus durchaus vereinbar. In Albinos* Theo-
logie ist der h chste Gott ein sich selbst denkender Intellekt. Diese Auf-
fassung steht nirgendwo expressis verbis bei Platon, Dennoch, wie
bereits oben angedeutet, lie sie sich im Rahmen der Deutung der Ideen
als Gedanken Gottes ziemlich leicht mit dem Platonismus in Einklang
bringen. Nach dem Wortlaut des Timaios gestaltet der Demiurg die Welt
nach dem Modell der Ideenwelt, andererseits hei t es, da er wollte
πάντα cm μάλιστα . . . γενέσθαι παραπλήσια έαυτω118. Sieht man im
Rahmen der allegorischen Interpretation von der handwerklichen T tig-
keit des Derniurgen ab, so bleiben als „Modelle", genauer gesagt als
Finalursachen, die Ideenwelt und der Gott selbst. Sowohl f r die alle-
gorisierenden Interpreten als auch f r die Anh nger der w rtlichen Deu-
tung lag es nahe, Gott und die Ideen irgendwie miteinander zu identi-
fizieren und die Ideen f r Gedanken Gottes zu erkl ren, weil auch auf
der trivialeren Ebene menschlichen Handwerks die Gestaltung des Arte-
fakts sich nicht unbedingt nach einem u eren, bereits vorhandenen Mo-
dell richtet, sondern nur den vom Handwerker selbst entwickelten Vor-
stellungen und Planungen entspricht119.
Wie steht es nun mit der Annahme eines Himmelsintellekts, der
immer in actu ist und die είδη και μορφαί vom transzendenten Gott er-
h lt? Auch hier konnte sich Albinos auf Platon berufen, um den rein
platonischen Charakter dieser Auffassung zu belegen. Der Demiurg
berlegte sich, hei t es im Timaios120, da ein Ganzes ohne Verstand
(άνόητον) niemals sch ner sein k nne als eines, das mit Verstand ver-
sehen sei, und da ein Intellekt nicht ohne Seele bestehen k nne. Des-
wegen vollendete er die Weitgestaltung, indem er den Intellekt in die
Seele und die Seele in den K rper legte. Vom Himmel, der mit dieser
117
Z.B. Anziehungskraft der Idee des Guten, Resp. VI! 537Bsqq., des Sch nen,
Syrnp. 209 Esqq.
118
Tim. 29 E.
119
Ausf hrlicheres zum Problem in der Anm. 94 angef hrten Literatur.
120
Tim. 30 B.
121
Tim, 34 B ούραναν , , , κατέστησεν , , . γνώρι-μον δε και φίλον ίκσνώς αυτόν
αύτώ.
i" Tim.' 37A-C.
123
Didask. 10, 165,37sqq.
Gott seine Einfachheit und den Charakter eines Prinzips124. Ferner hätte
er zur Materie eines der vier Elemente oder etwas aus diesen Zusam-
mengesetztes. Keines der Elemente hat aber den Charakter eines Prin-
zips inne125. Wenn Gott aus Materie bestünde, wäre er später als diese
entstanden. Als Körper wäre er vergänglich, der Entstehung und der
Veränderung unterworfen. So etwas von ihm anzunehmen wäre jedoch
absurd126. Das letzte Argument zugunsten der Nicht-Körperhaftigkeit
Gottes beruht darauf, daß die Qualitäten ( ) unkörperlich sind,
A fortiori muß das Wesen, das sie hervorgebracht hat ( ,
127
), ebenfalls unkörperlich sein . Interessant für uns sind in
diesem Zusammenhang die Beweise für die Unkörperlichkeit der Qua-
litäten; sie stammen nämlich offenbar aus dem Arsenal der Argumente,
mit denen die Peripatetiker die stoische These bekämpften, daß die Qua-
litäten Körper seien128. Wir besitzen sonst noch zwei kleine Schriften,
die gegen diese stoische These gerichtet sind. Die eine, die rein aristo-
telisch ist, stammt von Alexander von Aphrodisias129. Die andere wurde
uns unter Galens Werken erhalten, und ihre Autorschaft ist umstrit-
ten130. Für die Unkörperlichkeit der Qualitäten führt Albinos fünf Ar-
124
10, 166,2-7. Ahnlich Plot. VI l, 26,11-17, Bei Albinos erhält das Argument eine
platonische Färbung dadurch, daß er vom immanenten, mit der Materie verbundenen
sagt, es sei den Ideen ähnlich uncl habe an ihnen auf eine schwer zu erklärende
Art teil. Vgl. oben Anm. !Q6,
125
10, 166,7-9.
6
« 10, 166,9-13.
127
, 166. -32.
128
Gegen diese These polemisiert auch Plut., De comm. not. 50, 1085 E-1086 B.
129
Alex. Aphrod,, De an. mant. 122,37—126,23. Es handelt sich um eine kleine
Schrift hypomnematischen Charakters, Sie besteht aus mehreren kurzen, ziemlich
selbständigen Argumenten, die nur mit aneinander gereiht sind,
130
Galen, XIX 463—483 Kühn, Bereits in der Aldina wie auch später bei Kühn wurde
die kleine Schrift für unecht gehalten. Ein Schüler K, Kalbfleischs, I. Westenberger,
der einen vorzüglichen kritischen Text des Traktats besorgte (Kühns Text ist kaum
brauchbar), befaßte sich auch mit der Echtheitsfrage: Aufgrund von inhaltlichen, vor
allem aber von sprachlichen Argumenten sprach er Galen das Werk ab; er behauptete
auch, daß es 'weder von Albinos noch von Alexander stammen' könne; die Identität
des Autors bleibe uns verborgen (I, Westenberger, Galeni qui fertur de qualitatibus
incorporeis libellus, Diss. Marburg 1906. Zur Autorschaft vgl. bes. XVI—XXV). In
seiner Rezension von Westenbergers Dissertation (Wochenschr. f. klass. Philol. 1907
Nr. 45) hob A. Bonhöffer hervor, daß der Ton der Polemik zu sachlich und nicht
vulgär genug für Galen sei. Ein anderer Rezensent, H. Gossen {ich konnte nicht fest-
stellen, wo diese Rezension, von der ich ein Separat besitze, erschienen ist), bemühte sich
allerdings zu zeigen, daß keine der Beobachtungen Westenbergers gegen die galenische
gurnente an: 1. Jeder K rper ist ein ύποκείμενον, die ποιότης ist aber
kein ύποκείμενον, sondern ein συμβεβηκός. Das ist rein aristotelisch131.
2, Die ποιότης ist εν ύποκειμένω, eine Aussage, die f r K rper keine
G ltigkeit hat. Auch hier ist der aristotelische Charakter des Beweises
evident132. 3. Eine Qualit t kann einer anderen entgegengesetzt sein, ein
Herkunft der Schrift spreche. Gossen selbst ist „fest berzeugt, w re die Schrift namen-
los berliefert, man w rde sie dem Galen vindizieren". Eine berraschende Wendung
erhielt das Problem der Autorschaft mit dem Aufsatz von E. Orth, Les oeuvres d'Al·
binos le Platonicien, in: L'Ant. Class. 16 (1947) 113 — 114. Orth wies auf eine Passage
des Syrers Ephraem (wohl 1. H. des 4. Jh.) hin, in der dieser Autor bestreitet, da
die Platoniker zwischen σώματα und ασώματα unterschieden h tten; das sei eine
Angelegenheit der Stoiker gewesen, mit denen sich Albinos in seinem Buch (?) mit
dem Titel ,Uber das Unk rperliche" befa te. Daraus schlie t Orth, da der im gale-
nischen Corpus erhaltene Traktat von Albinos herr hre. Galen, der bei Albinos ge-
h rt hatte, besa wohl ein Exemplar in seiner Bibliothek, und deswegen sei ihm der
Traktat irrt mlich zugeschrieben worden. In einer sp teren Arbeit, Curae criticae, in:
Emerita 26 (1958) 201—213, wiederholte E. Orth seine Zuschreibung an Albinos. Im
Nachla Galens habe sich eine von Galen selbst angefertigte Kopie der kleinen Schrift
gefunden; die Herausgeber hatten daher Galen f r den Verfasser gehalten. Mit Recht
h lt H. D rrie, Porphyries' „Symmikta Zetemata", 1959, 180 Anrn. l diese Zuschrei-
bung f r voreilig. Der Inhalt der Schrift, meint er, ist rein penpatetisch und ihr Stil
anders als der des Albinos. M. Gmsta, der vor einigen Jahren eine kritische Ausgabe
der kleinen Schrift besorgte (L'opusculo pseudogalenico 6τι αϊ ποιότητες ασώματοι,
Turin 1976), meint, da die Argumente im Didaskalikos und bei Alexander v llig
verschieden sind von denen des PS.-Galen. Die bereinstimmungen seien nicht be-
sonders wichtig. Bereits fr her hatte M, Giusta, Dox. et. II 537 Anm. 3 (unter S. 537)
darauf hingewiesen, da nur das erste und das f nfte Argument aus dem Didaskalikos
auch beim PS.-Galen vorkommen. Die letzte mir bekannte Untersuchung kommt
allerdings zu einem ganz anderen Schlu . R.B. Todd, The Autor of the De qnalita-
tibus incorporeis if not Albinos, who?, in: L'Ant. Class. 46 (1977) 198—204, versucht
zu zeigen — nicht immer mit berzeugenden Argumenten —, da weder Galen noch
ein Platoniker noch ein Aristoteliker als Autor in Frage kommt; da er einige sprach-
liche und inhaltliche bereinstimmungen mit epikureischen Texten zu entdecken
glaubt, vermutet er — as a possible solution of the problem -, da die Schrift von
einem Epikureer stammt. Die spitzfindigen Argumente Todds berzeugen allerdings
nicht. Obwohl die Schrift sich im Stil und Inhalt deutlich vom Hypomnema Alexan-
ders unterscheidet, l t sie sich doch noch trotz Todds hauchd nnen Einwands am
ehesten einem Peripatetiker tuschreiben.
131
hnlich und etwas ausf hrlicher Alex, Aphrod., De an. mant. 322,17—25, der das
σώμα nicht als ύποκείμενον, sondern als ουσία bezeichnet. Vgl. auch PS.-Galen 465,
11-17 K, = 2,20-3,4 W. Nach Arist., Cat. 2, l b 3 - 6 und 5, 3a 8-9 ist die
πρώτη ουσία weder καθ* ύποκείμενον noch εν ύποκειμένφ, sie wird sogar 5, 3b
16 — 17 ύποκείμενον genannt. Die ποιότης dagegen ist εν ύποκειμένφ, 5 Λ 3b 24—27.
132
Vgl. Anm. 131.
K rper als solcher einem anderen jedoch nicht. Das ist genau die Lehre
der Kategorien133. 4. Wenn die Materie qualit tslos ist, mu logischer-
weise die Qualit t frei von Materie sein. Das Argument beruht auf der
aristotelisch-peripatetischen Annahme, da die einfachen K rper aus
qualit tsloser Materie und sie bestimmenden Qualit ten gebildet sind134.
5. W ren die Qualit ten K rper, so w rden sich mehrere K rper am
selben Ort befinden, was in hohem Ma absurd ist135.
In der Darstellung des φυσικός τόπος, die vorwiegend aus einer Zu-
sammenfassung des Timaios (Kap. 12—23) und Ausf hrungen ber die
Seele (Kap, 24—25) besteht, findet sich kaum etwas, das f r unser Vor-
haben von Belang ist136. Spuren aristotelischen Einflusses begegnen uns
erst im letzten Kapitel des Physik-Teiles, in dem der Verfasser auf ει-
μαρμένη und verwandte Begriffe eingeht. Die stoischen Thesen ber die
ειμαρμένη sind bekanntlich auf heftigen Widerspruch bei anderen Schu-
len gesto en. Sowohl die Peripatetiker als auch die Platoniker haben
z.B. den Versuch unternommen, nicht nur die diesbez glichen stoi-
schen Lehrmeinungen zu bek mpfen, sondern auch eine eigene, in Ein-
klang mit den Grundpositionen ihrer Schule stehende Lehre vom Schicksal
und von den diesem nicht unterworfenen Ursachen zu konstruieren 137 .
Nach Albinos f llt zwar alles in den Geltungsbereich der Heimar-
mene, nicht alles wird jedoch von ihr bestimmt138. In der Perspektive
des absoluten Determinismus gibt es keinen Platz f r menschliche Frei-
heit, f r Lob, Tadel und hnliches139. Es ist nicht auszuschlie en, da
1M
Cat. 5, 3b 24-27, kein εναντίον in der Substanz.; 8, 10b 12-25, έναντιότης in der
Qualit t. "* Vgt. Pint., De comm. not. 50, 1085 F-1086 A,
135 £)ie Peripatetiker haben diesen Einwand h ufig gegen die Stoiker erhoben, vor allem
in der Bek mpfung der Lehre von der κράσις δι.' όλων. Im Zusammenhang mit der
Polemik ber die Qualit ten vgl. Alex., De an. man t. 115,36-116,1; 123,12-13.
Ps.-Galen 482,5-8 K. = 17,8-8,11 W.
136
Die wichtigsten Angaben zur nicht-w rtlichen Interpretation des Timaios und zur
T tigkeit Gottes, 14, 169,26sqq., sind bereits oben S. 463 er rtert worden,
137
Bei den Penpatetikern sind mehrere Abhandlungen Alexanders von Aphrodisias zu
erw hnen, vor allem nat rlich De fato (Suppl, Ar. II 2, 164—212), ferner auch των
παρά Άριοτοτέλους περί του εφ' ήμΐν (ibid. II 1, 169 — 175), περί τύχης (ibid,
176-179), περί ειμαρμένης (ibid. 179-186). Bei den Platonikern ist PS.-Plutarch,
De fato (ed. W. Sieveking, Plutarch III, Leipzig 1929, 445-460) von besonderem
Interesse wegen hnlichkeiten mit Albinos, Didask. 26.
138
26, 179,2-6. Diese Unterscheidung wird von Ps.-Plut., De fato 5, 570 C-E; 8,
572 E-F; 11, 574 D ausf hrlich erl utert. Vgl. unten S. 500-501.
139
26, 179,6—7. Auch Ps.-Plut., De fato 11, 574 D erw hnt Ιποανος . - . και ψόγος καΐ
τα τούτων συγγενή in demselben Zusammenhang.
mit der Erw hnung von Lob und Tadel in Verbindung mit der mensch-
lichen Freiheit eine Reminiszenz an Aristoteles vorliegt140. Nicht ohne
den aristotelischen Hintergrund sind die knappen Angaben ber das δυ-
νατόν zu verstehen: „Die Natur des M glichen Hegt irgendwie zwischen
dem Wahren und dem Falschen. Vom M glichen, das seiner Natur nach
unbestimmt ist, wird das in unserer Macht Stehende (το εφ' ήμϊν) gleich-
sam getragen: Was zustande kommen wird s weil wir es gew hlt haben,
das ist es, was entweder wahr oder falsch sein wird141/' In diesen kur-
zen, auf den ersten B ck sehr dunklen S tzen wird, wenn nicht alles
t uscht, die Lehre aus dem schwierigen Kapitel 9 von Aristoteles De
interpretatione zusammengefa t. Die futura contingentia sind, bevor
sich die eine oder die andere M glichkeit verwirklicht, g nzlich unbe-
stimmt, und eine vorherige Aussage ber das Eintreten der einen oder
der anderen M glichkeit kann weder falsch noch wahr sein. Diesbe-
z gliche S tze werden erst dann wahr oder falsch, nachdem das kontin-
gente Ereignis eingetreten bzw. ausgeblieben ist. Dasselbe gilt nat rlich
auch, wie Albinos andeutet, f r freiwillige menschliche Handlungen:
Wir k nnen uns so oder so entscheiden, und erst nachdem wir uns ent-
schieden haben, werden die diesbez glichen Satze wahr oder falsch
sein142.
Da Albinos das M gliche (το δυνατόν) er rtert hat, h lt er es f r
angebracht, auf einen anderen Begriff einzugehen, der mit dem des M g-
lichen nicht verwechselt werden darf. Es handelt sich um das Potentielle
(το δυνάμει), das wiederum gegen zwei h here Wirklichkeitsstufen ab-
gehoben wird, n mlich das καθ' εξιν und das κατ' ένέργειαν143. In-
halt und Sprache des Abschnitts sind durchaus aristotelisch. Das Po-
F. Ethik
Die ethischen Kapitel des Didaskalikos wollen nichts anderes sein als
eine Darstellung der Ansichten Platons146. Da auch hier manches an
Aristoteles erinnert, darf uns nicht wundernehmen. Wie auch in der
Logik und in der theoretischen Philosophie steht die Sprache stark unter
dem Einflu der aristotelischen Terminologie. Die scheinbare Anleh-
nung an den Aristotelismus hat jedoch tiefere Gr nde. Es darf nicht ver-
gessen werden, da bereits die Ethik des Aristoteles mehrere Elemente
aufweist, die auf Platon zur ckgehen oder zumindest von ihm vorbe-
reitet wurden. Man denke z.B. an die Auffassung, da die Seele aus
einem rationalen und einem nicht-rationalen Teil besteht und da die
einzelnen Tugenden dem einen oder dem anderen Seelenteil zuzuordnen
sind bzw. einem bestimmten Verh ltnis dieser Teile zueinander ent-
sprechen. Auch in der nacharistotelischen Tradition ist die platonisch-
aristotelische Ethik oft als eine Einheit empfunden und dargestellt
worden. Etwaige Unterschiede zwischen der platonischen und der ari-
stotelischen Ethik erschienen offenbar weniger wichtig als der allge-
meine Consensus der beiden Systeme. Das erkl rt auch, warum Plato-
niker und Peripatetiker eine gemeinsame Front gegen die stoische Ethik
bildeten und diese mit denselben Argumenten bek mpften. Es soll nicht
unsere Aufgabe sein, diese Feststellung n her zu erl utern und historisch
144
De an. II 5,.417a 22~b 2 (mit dem Beispiel der Grammatik); 417b30-418al (ΐ>ύ-
νασθαι οτρατηγεΐν wird im ersten Sinn vom Kind gesagt, im zweiten vom Mann, der
das erforderliche Alter erreicht hat); III 4, 429 a 21-b 9.
i4s Vgl. z.B. Alex. Aphrod., De an. 81, 13sqq. (δυνάμει νους), 85,11 {ως έξις λεγό-
μενος νους), 86,4sqq. (νους κατ' ένέργειαν).
146
27, 179,30-31 έξης 6s επί κεφαλαίων περί των ηθικώς τφ άνδρΐ είρημένων φη-
τέον.
157
Didask. 30, 184,12—17. Die aristotelische Auffassung der αρετή als μεσάτης braucht
nicht belegt zu werden. Der Satz des Albinos klingt wie ein Echo von EN II 6, 1107a
5—7 διο κατά μεν την ούσίαν και τον λόγο/ν τον τί ην είναι λέγοντα μεσάτης εστίν
ή αρετή, κατά δε το άριστον και το ευ άκρατης. hnlich Plut., De virt. mor. 5,
444 D άκρατης μεν εστί Tft δυνάμει καϊ τη ποιοτητι, τω πόσφ 0έ μεσάτης γίνεται
το υπερβάλλον εξαιρούσα καϊ το έλλειπον, Hippol. ap. Diels, Dox. 569,4-5. Al-
binos' Angabe, da die έλευθεριότης zwischen der μικρολογία und der ασωτία
ihren Platz hat, geht wohl auf MM I 23, 1191 b 39-24, 1192a 11 zur ck: Die έλευ-
θεριότης ist μεοότης ασωτίας και άνελευθερίας; die μικρολογία ist eine der Arten
der άνελευθεριότης, Vgl. auch Plut., De virt. mor. 6, 445 A την ελευθεριότητα (μέ-
σο τ η τα φασιν είναι) μικρό λογίας καϊ ασωτίας.
158
30, 184,17-30.
159
ΕΝ II 5, 1106h 16-27.
166
Vgl. EN VIII 4; MM II 11, 1209a 8-9; b 11-15; 1210a 7-9 etc.
167
Der Ausdruck ύπο της αρετής οίον έπικεχρωσμεναι erinnert an Plat., Epist. VII
340 D οι 5e δντως μεν μη φιλόσοφοι, δόξαις δ' έπικεχρωσμένοι.
169
Didask, 33, 187,13-17.
1Μ
ΕΝ VIII 6, 1157Β 23; 14, 1161 b 11-13; 16, 1163b 24.
170
Vgl. z.B. EN VIII 8, 1158b 11-28.
171
Didask. 34, 188,7 und 30.
172
Arist,, Pol. IV l, 1288b 21-39.
173
G. Müller, Studien zu den Platonischen Nomoi, München 1951, 176.
1
Edition: Anonymer Kommentar zu Platons Theaetet (Papyrus 9782), unter Mitwir-
kung von J . L , Heiberg bearb, von H. Diels und W. Schubart, Berlin 1905. In der
Einleitung XXIV—XXXVII hebt H, Diels die enge Verwandtschaft des Anonymus
mit Albinos hervor; er weigert sich jedoch, vor allem aus stilistischen Gründen, Al-
bmos selbst den Kommentar zuzuschreiben. Wichtige Beobachtungen über den
Kommentar steuert K. Praechter in seiner Rezension der Publikation von H. Diels
und W. Schubart bei, in: Gott. Gel. Anz, 171 (1909) 530-547, nachgedr. in:
K. Praechter, Kleine Schriften, hrsg. v. H. Dörrie, 1973, 264—281. Den philosophi-
schen Standort des anonymen Kommentators untersucht G. Invernizzl, Un com-
mentano medioplatonico al Teeteto e il suo significato filosofico, in: Riv. di Filos,
neoscolast. 68 (1976) 215—233. Vgl. dort bes. 222—226: L'eclettismo: i rapporti con
i l Peripato.
A, Definitionslehre
war, also eine Antwort κατά το τί εστίν verlangte; The tets Antwort sei
aber eine Antwort κατά το προς τι gewesen17. Typisch aristotelische
Begriffe werden also auch hier zur Deutung des Platon-Textes heran-
gezogen.
Am interessantesten f r uns sind zweifellos die Ausf hrungen des
Anonymus ber die von Sokrates 147C vorgeschlagene Definition des
Lehms (πηλός). Aristoteles selbst hat sich n mlich mit dieser Definition
in der Topik kritisch auseinandergesetzt. Der Anonymus kennt diese
Kritik des Aristoteles. Er f hrt sogar w rtliche Ausz ge daraus an und
fragt sich offenbar, ob sie sich rechtfertigen l t.
Wenn wir uns fragen, was der Lehm ist, behauptet Sokrates, sollten
wir keine Umwege machen, indem wir angeben, welche Handwerker
Lehm benutzen. Die schlichte Antwort, da der Lehm „Erde mit
Wasser vermischt" ist, reicht v llig aus18. Nun h lt Aristoteles diese und
hnlich geartete Definitionen f r fehlerhaft. Es gut n mlich seiner Mei-
nung nach, ein πάθος, d.h. eine bestimmte Affektion oder einen be-
stimmten Zustand eines Dinges zu definieren; es sei daher verkehrt, das
Ding selbst, das Tr ger des πάθος ist, als γένος in die Definition aufzu-
nehmen; ein solches Verfahren w rde n mlich voraussetzen, da das
Ding (qna γένος) von seiner Affektion mit Wahrheit pr dizierbar sei,
was keineswegs der Fall ist, Definiert man das πνεϋμα als „bewegte
Luft" (und nicht als „Bewegung der Luft"), so k nnte vielleicht zuge-
geben werden, da das πνεϋμα wirklich Luft ist. Bei anderen F llen ist
dies jedoch nicht m glich. Den Schnee kann man nicht als „gefrorenes
Wasser" definieren und den Lehm ebensowenig als „Erde mit Wasser
vermischt", denn das w rde bedeuten, da „Wasser" mit Wahrheit von
„Schnee" und „Erde" von „Lehm" pr diziert werden kann. Fehlerhaft
ist auch die empedokleische Definition des Weines als „gegorenes Was-
ser", denn der Wem ist einfach kein Wasser19. Der Anonymus referiert
zuerst die Kritik des Aristoteles, z rn Teil mit w rtlichen Zitaten20.
17 18
20,30-37. Theaet. 147 A-C.
19
Arist,, Top. IV 5, 127a 3-19. Zu dieser schwierigen Stelle vgl. J. Brunschwig, ed.
Top. I—IV, 1976, 174 Atim. 3, Die Kritik des Aristoteles scheint mir darauf zu be-
ruhen, da etwa der Schnee die typischen Eigent mlichkeiten des Wassers (Fl ssig-
keit, Durchsichtigkeit etc.) nicht auf weist. Schnee ist also keine Art der Gattung
Wasser, sonst m ten auch alle Wesensmerkmale des Wassers im Schnee vorkom-
men. hnlich verh lt es sich mit dem Lehm und dem Wein.
20
24,30-25,1. Definitionen des Schnees, des Lehms und des Weins, 24,33-41 - 127a
13-19; 24,41-44 = 127a 15-16+19; 24,44-25,1 = fast w rtlich 127a 10-12.
B. Kategorien
Ziemlich banal und nicht besonders aufschlu reich ist der Gegensatz
zwischen Wesen und Relation, den der Anonymus an drei verschiedenen
Stellen erw hnt. Die Bemerkung des Sokrates, er habe nicht gefragt, von
w e l c h e n D i n g e n die Wissenschaft sei (τίνων ή επιστήμη), sondern
vielmehr, was sie sei25, bedeutet nach dem Anonymus, da Sokrates
eine Antwort κατά το τ t εστίν erwartet, w hrend The tet eine Antwort
31
25,2 — 10. Oder wahrscheinlich lieber: aber nicht wieder zu Wasser wird, mit der Er-
g nzung ου anstelle von δε in 25,9. So K, Praechter, Rez. 533.
11
25,10-17.
" 25,17-29. W rtliches Zitat 25,22-26 = 127a 9-10.
24
Hier sei an die Beobachtung von K, Praechter, Rez. 534—535 erinnert: „Manche
Spuren deuten auf vorangegangene l ngere exegetische Besch ftigung mit dem Dia-
log. Wir h ren von aufgestellten Problemen, Kontroversen, Angriffen auf Platon u.
dgl." Unsicher ist also, ob der Vergleich mit der im Wortlaut zitierten Topik die
Belesenheit des Anonymus dokumentiert.
25
146 E.
κατά το προς τι gegeben hat. „Von diesen Dingen sein" geh rt n mlich
zu den προς τι26. Diese Auffassung der προς τι stimmt in der Tat mit
der aristotelischen berein27, es f llt jedoch auf, da Aristoteles auf-
grund dieser Auffassung die Wissenschaft zu den Relativen z hlt28. Ge-
rade im Fall der Wissenschaft d rfte es in der aristotelischen Perspektive
schwierig sein, das Wesen anzugeben, ohne die Relation zu ber cksich-
tigen.
An einer anderen Stelle hebt der Kommentar hervor, da die Linie
(γραμμή) „fr her" ist als die Seite (πλευρά). Die Linie ist n mlich καθ*
αυτήν, w hrend die Seite zu den προς τι, geh rt, denn sie ist die Seite
von etwas29.
In einem kurzen Referat ber die Pyrrhoneer hei t es schlie lich,
da nach ihrer Auffassung alles relativ (πάντα προς τι) und nichts per se
(ουδέν καθ' αυτό) ist30.
Interessanter sind die Er rterungen des Anonymus ber Sokrates5
Schilderung des Mobilismus in 152 D. Nach dieser Lehre, erkl rt er,
gibt es nichts, das ein eigenes Bestehen hat: Alles ist relativ (πάντα προς
τι). In bestimmten Worten des Sokrates glaubt er, Anspielungen auf die
wichtigsten Kategorien zu finden, n mlich auf die ουσία, das ποσόν und
das ποιόν31. Die These der Mobilisten deutet er so, da in keiner dieser
Kategorien etwas vorkommt, das ein „An sich" ist. Gro und klein,
schwer und leicht zum Beispiel sind keine absoluten Bestimmungen,
sondern solche, die sich aus dem Vergleich mit anderen Dingen ergeben,
Ein und dasselbe Ding kann die entgegengesetzten Bezeichnungen er-
halten und als schwer erscheinen, wenn man es mit einem leichteren,
und als leicht, wenn man es mit einem schwereren vergleicht32. Durch
Albinos wissen wir schon, da die Mittelplatoniker die Kategorienlehre
bernommen hatten und sogar glaubten, da die zehn Kategorien bereits
bei Piaton vorkamen33. Dieselbe Tendenz dokumentiert unser Kom-
mentator, der in einem Satz des Sokrates ουσία, προς τι, ποσόν und
26
20,30-37.
27
Vgl. Cat. 7, 6b 6—7 προς τι ούν εστίν δσα αύτα απερ εστίν ετέρων λέγεται.
28
Ibid. 6b 3; 5; 34 etc.
Μ
40,6-12.
30
63,1-5,
31
68,1-15.
κ
68,19-49. Danach fehlt leider der Anfang der n chsten Kolumne (bis 2. 24), und die
Zeilen 25—44 sind so verst mmelt> da s e nicht erg nzt werden k nnen,
" Vgl. oben S. 458.
ποιόν aufsp ren will. Mehr l t sich ber sein Verst ndnis der Lehre
leider nicht feststellen. Die Ausf hrungen ber die Relativit t von Gro
und Klein, Schwer und Leicht wollen n mlich nur die Position der Re-
lativisten erl utern. Die in der Interpretation der Kategorien kontroverse
Frage, ob Gro und Klein zur Quantit t oder zur Relation geh ren,
wird also hier keineswegs tangiert.
Was den Gegensatz καθ' αυτό — προς τι anbelangt, mu man sich
nat rlich daran erinnern, da bereits Xenokrates nur diese beiden Kate-
gorien gelten lie , aus dem προς τι jedoch eine Art „Oberkategorie"
machte, in welcher die Gesamtheit der nichtsubstantiellen Kategorien,
unter anderem auch die Relation im engeren Sinne, ihren Platz hatte 34 .
Aus den knappen Angaben des Anonymus geht leider nicht hervor, ob
er das προς τι wie Aristoteles oder eher wie Xenokrates verstanden hat.
C. Syllogistik
34
Simpl., Cat, 63,21-24. Vgt. dazu H.J. Kr mer, Platonismus und hellenist. Philos.,
1971, 81-83.
35
Vgl, oben S, 446sqq.
36
Albinos, Didask 6, 158,14-17.
" Ibid. 6, 158,33-159,4.
38
66,12-H κατά το τρίτον σχήμα ήρώτηται αύτω ό λόγος.
Wie die Dinge einem jeden erscheinen, so sind sie auch für
ihn.
Wie die Dinge erscheinen, so werden sie auch wahrgenom-
men.
Also: Wie ein jeder die Dinge wahrnimmt, so sind die Dinge
auch für ihn39.
Der erste Satz, fügt er hinzu, ist von Protagoras gesetzt worden, und den
Beweis für den zweiten liefert Platon selbst40.
Rein äußerlich scheint eine „dritte Figur*' vorzuliegen, derselbe
Term (also das aristotelische ) hat nämlich in den beiden Prämissen
dieselbe grammatische Funktion. Bei näherem Zusehen tauchen jedoch
Schwierigkeiten auf. Nach der aristotelischen Theorie fungiert das
als Subjekt der Prädikation In den Prämissen der dritten Figur.
Hier ist schwer zu erkennen, welche Terme als Subjekt und welche als
Prädikate fungieren.
Ferner: Da die beiden Prämissen allgemein-bejahend sind, erwarten
wir (nach Darapti] einen partikulär-bejahenden Schlußsatz; hier aber
erscheint auch der Schlußsatz als allgemein-bejahend41. Die Schwierig-
keiten lösen sich erst dann, wenn wir erkennen, daß keine der Prämissen
ein Prädikat von einem Subjekt aussagt, sondern daß jede von ihnen die
Identität von zwei Termen feststellt. In Wirklichkeit ist die hier formali-
sierte Schlußfolgerung kein aristotelischer Syllogismus, geschweige denn
ein Syllogismus der dritten Figur, sondern schlicht und einfach eine An-
wendung des Grundsatzes: „Sind zwei Dinge einem dritten gleich, so
sind sie untereinander gleich."
Eine weitere Schlußfolgerung Platons versucht der Kommentator zu
einem Syllogismus umzuformen. Es handelt sich um die Fragen des So-
krates, aus denen sich die Identität von Weisheit ( ) und Wissen-
schaft ( ) ergeben soll42. Obwohl die vom Anonymus vorge-
schlagene Formalisierung sich nicht genau mit dem Gedankengang des
Sokrates zu decken scheint und trotz einiger Unklarheiten im
Kommentar, bleibt der Versuch als solcher interessant, denn er bestätigt,
daß die Platoniker nicht nur theoretisches Interesse für die Syllogistik
zeigten, sondern in ihr auch eine willkommene Interpretationshilfe zu
finden glaubten. „Wenn man die Beweise für einige der Sätze beiseite
39
66,14-22. *«» 66,26-43.
41
Albinos, Didask, 6, 159,2-4 führt ein richtiges Beispiel für Darapti an.
42
Theaec. 145 D-E.
l t," schreibt der Anonymus, „so sieht die in den Fragen enthaltene
Schlu folgerung wie folgt aus43:
Wer lernt, wird weiser;
Wer weiser wird, nimmt Weisheit auf;
Die Weisheit ist aber Wissenschaft;
Wer lernt, nimmt also Wissenschaft auf 44 ,"
Der Kommentator konstruiert also einen Syllogismus in Barbara,
allerdings in der nacharistotelischen Form, d.h., da in jeder Pr misse
das Subjekt als erster Term vorkommt und das Pr dikat als zweiter und
da die minor vor der maior steht, um die Funktion des μέσον deutlich
zu machen 45 . Ferner wird die einfache Form von Barbara dahingehend
modifiziert, da mit einem zus tzlichen Satz das eine Extrem, σοφία,
f r identisch mit einem anderen Begriff, επιστήμη, erkl rt wird. In der
conclusio erscheint dementsprechend επιστήμη dort, wo wir σοφία er-
warten. In der rein aristotelischen Form h tten wir also etwa:
σοφίαν αναλαμβάνει παντι σοφωτέρω γινομένω'
σοφώτερον γίνεσθαι παντί μανθάνοντι,
ή δε σοφία επιστήμη εστίν
επιστήμη ν άναλαμβάνειν άρα παντί μανθάνοντι.
Nun, bemerkt der Kommentator, ist dieser Schlu satz nicht von
Platon formuliert worden. Statt dessen hat Platon eine Argumentation
geboten, aus der hervorgehen sollte, da Wissenschaft und Weisheit das-
selbe sind, und zwar deshalb, weil sie „die gleiche Kraft innehaben" 46.
Die oben als Syllogismus rekonstruierte Beweisf hrung h tte ohne den
Zusatz ber die Identit t von Weisheit und Wissenschaft gelautet:
Wer lernt, wird weiser;
Wer weiser wird, nimmt Weisheit auf;
Wer lernt, nimmt also Weisheit auf 47 .
43
16,14-18 ό λόγος ήρώτηται οΰτως, εΕ τις παραλείποι κατασκευήν τίνων λημμά-
των. Damit deutet der Kommentator an, da er in sein Schema die Teile des pla-
tonischen Textes nicht aufnimmt, die keine Pr missen sind, sondern nur zur Unter-
rnauerung der Pr missen dienen. ** 16,18—25,
45
Zu dieser nacharistotelischen Form des Syllogismus vgl, Bd. I 187 mit Anm. 5 und oben
S. 457 mit Anm, 74.
45
16,26—29 ό δε αντί τούτου έπεχειρει/ 'ταϋτον άρα επιστήμη και σοφία', οτι ΐσο-
δυναμοϋσι.
47
16,32—41. In 32—34 mochte ich [ό μ]έν γαρ δια[π]ο[νούμε]νος λόγος erg nzen.
D. Sonstiges
K. Praechter, Rez. 532 schl gt vor: „Vielleicht δι[ε]φ[θαρμέ]νος (der von Platon
hinsichtlich seiner syllogistischen Korrektheit zerst rte Schlu }."
48
16,41-17,24.
49
K. Praechter, Rez, 541 weist darauf hin, da die vom Anonymus vorgeschlagene Re-
duktion auf einen Syllogismus deswegen unstatthaft ist, weil der Schlu satz „weder
explicite noch impliciie in der platonischen Deduktion enthalten ist, Platon vielmehr
nur vom μανθάνειν durch Vermittlung der Zwischenglieder σοφός und σοφία auf
die έτιιστήμη zu gelangen sucht, von der er im Folgenden handeln will." Auch G,
Invermzzi, Commentano 226, bemerkt mit Recht: „Come si vede, questa riduzione
non e corretta, giacche, nel ragionamento sopra riportaco, Platone non cerca di di-
mostrare ehe colui ehe impara guadagna scienza, quanto di concludere alt'idendt di
scienza e sapienza."
Meinung „binden" soll50, schreibt: „Die Dinge kennen wir dann, wenn
wir wissen, nicht nur da sie sind, sondern auch warum 5 1 ."
Problematisch erscheint ein Aristoteles-Zitat mit Namensnennung,
Es handelt sich um die Definition der Wissenschaft, die bei Aristoteles
angeblich lautet: „Eine Annahme mit Beweis"52. Die Schwierigkeit er-
gibt sich daraus, da diese Definition irn Corpus Aristotelicum nicht
vorkommt. Einerseits bezeichnet Aristoteles die επιστήμη als eine be-
stimmte Art der ύπόληψι,ς53, und er pr zisiert, da es sich um eine
ΰπόληψις άμετάπειστος υπό λόγου handelt54. Andererseits hebt er
hervor, da die Wissenschaft „apodiktischer" Natur ist, d.h. da sie
sich der Beweisf hrung bedient 55 . Nur die Kenntnis einer „unmittel-
baren Protase" stelle eine επιστήμη άναπόδεικτος dar36. Die Defini-
tion, die der Anonymus anf hrt, stimmt also inhaltlich mit der Auf-
fassung des Aristoteles berein. Da sie unseres Wissens nicht bei
Aristoteles selbst vorkommt, wird man vermuten d rfen, da sie aus
einer Sammlung von επιστήμη-Definitionen stammt, in der wohl auch
die Definition aus dem Menon und andere standen. Der Anonymus hat
sie f r eine echt aristotelische Formel gehalten.
Schlie lich k nnen auch die Bemerkungen des Anonymus ber das
Verh ltnis von guter Veranlagung (εύφύεια) und Tugend er rtert wer-
den. Kurz vor seinem Tod lernte Sokrates den j ngeren The tet kennen.
Er bewunderte sein Naturell (φύσις) und sagte, da er sicherlich (πασά
ανάγκη) noch em ber hmter Mann werde, wenn er das Mannesalter
erreiche57. Nun, fragt sich unser Kommentator, auf welcher Art von
ανάγκη beruhen Sokrates' Erwartungen? Veranlagungen lassen keine
absolut feste Sicherheit (βέβαιον) der Voraussage zu, eine auf ihnen be-
ruhende Prognose richtet sich vielmehr nach dem, was meistens (κατά
το πλεΐοτον) vorkommt, Sokrates kann also nicht mit einer absolut not-
so Yg] Plat., Men, 98 A. Dieselbe Definition des Wissens f hrt der Anonymus auch
15,18-23 an.
sl
3,3—7 τότε γαρ ΐσμεν τα πράγματα, Οταν μη μόνον εϊδώμεν οτι ί,στιν άλλα. και δια
τί, Vgl. Arist,, Anal. Post. II l, 89b 23-31 etc.
52
15,23-26 "Αριστοτέλης δε ύπόλημ·ψιν μετά αποδείξεως.
« Arist., De an. Ill 3, 427b 24-26. Vgl, auch Phys. V 4, 227b 13-H.
M
Top. V 2, 130b 16; 4, 133b 29; 5, 134b 16 etc.
ss
Zahlreiche Belege, vor allem aus Anal. Pr. und Anal, Post., ber die επιστήμη άπο-
Οεΐ-ίαι,κή u. dgl.
56
Anal. Post. I 3, 72b 18-22; 33, 88b 35-37.
57
Theaet. 142 C-D.
58
4,31-5,3.
59
Theaet. 144 Α-B, mit den Ausf hrungen des Kommentars 9,32-10,12; 10,22-
11,2.
60
9,40-10,1.
61
11,12-22.
62
11,22-31. Obwohl die hier genannten Stoiker von allen Tugenden reden, nehmen sie
offenbar an, da nur der gute Zustand des Hegemonikon die Pr disposition zur Tu-
gend ausmacht.
es nur eine einzige εύφύεια gibt, schlo er, da es nur eine einzige
Tugend geben kann 63 .
Wenn unser Kommentator ber den Unterschied zwischen den An-
sichten der Stoiker und denen der παλαιοί berichtet, so meint er mit den
letzteren zweifellos die Vertreter der platonisch-aristotelischen Tradi-
tion, zu der er sich auch bekennt. Noch Jahrhunderte sp ter sprechen
die neuplatonischen Kommentatoren von den παλαιοί, wenn sie pla-
tonisch-aristotelische Lehrmeinungen (im Gegensatz zu den stoischen)
erw hnen. Ans tze der Diskussion ber das Verh ltnis der vollkom-
menen Tugenden zu den εύφυίαι (auch als φυσικαί άρεταί bezeichnet)
finden sich, wie wir wissen, bei Aristoteles selbst64. In der sp teren Zeit
wird dieselbe Thematik von Platonikern 65 , von Aristotelikern 66 und von
Eklektikern 67 er rtert. Da die Veranlagungen von Individuum zu Indi-
viduum stark variieren und da die Begabung auf einem bestimmten
Gebiet nicht unbedingt mit guten Anlagen auf den anderen Gebieten ge-
koppelt ist, scheint so evident zu sein, da man kaum darauf hinzuwei-
sen braucht 68 . Ohne der stoischen These von der grunds tzlichen Ein-
heit der Tugend beizupflichten, vertreten Platomker und Aristoteliker —
wie auch unser Anonymus — die Meinung, lt άντακολουθοϋσιν αϊ
άρεταί69. Die Ausf hrungen des Anonymus im Zusammenhang mit der
Schilderung der Pers nlichkeit des jungen The tet zeigen zur Gen ge,
da er mit diesem und hnlichen Schuldiskussionen vertraut war.
63
11,31-40. A]s eine Polemik gegen andere Stoiker, die eine Vielheit von Tugenden
annahmen, wird Anstons Syllogismus interpretiert von A . M . loppolo, Aristone di
Chio e lo stoicismo antico, 1980, 120-123 und 234-236.
64
Vgl. z.B. EN VI 3, 1144b 1-17, mit Unterscheidung der φυσική αρετή und der
κυρία. ΕΕ III 7, 1234a 27-33. MM II 3, I199b 36-12QOa 11.
" Albinos, Didask. 30, 183,15-21. Apul., De Plat. 228.
66
Areios Did. ap. Stob. II 7, 18, S. 131,14-17; 19, S. 136,16-21.
67
Galen, vgl. unten S. 793 mit Anm. 429.
68
Vgl. trotzdem die Ausf hrungen Galens unten S. 792sq.
*» Albinos, Didask. 29, 183,2-3. Alex., Dean. mant. 153,28-156,27; Quaest. IV 22,
142,22-143,8.
4
Vgl. Anm, 2, Im Unterschied zu A, Gercke meint E. Valgiglio, da Calcic us den
Text von De fato direkt benutzte. Er neigt zu der Annahme, da unser Autor sich
nicht damit begn gte, eine ltere Quelle zusammenzufassen, sondern selbst zur
Sammlung des heterogenen Materials beitrug.
5
3,568 F τίς μεν οΐν εστίν, επιεικώς άφώριοται' οποία δ' εστίν, έξης φητέον,
6
5,570 Β έξης δε οκεπτέον και τα κατά το προς τι, πώς μεν προς την πρόνοιαν ή
ειμαρμένη έχει, πώς δε προς την τύχην καί το εφ' ήμϊν και το ένδεχόμενον καΐ δσα
τοιαύτα.
gegenw rtig ist, Gott selbst als ουσία jedoch nicht. Gott thront „auf
dem h chsten Gipfel" des Weltgeb udes, seine Kraft setzt sich jedoch in
der ganzen Welt durch, st rker bei den ihm naher liegenden Wesen-
heiten und etwas abgeschw cht bei den entfernteren 7 . Auch Alexander
von Aphrodisias nimmt an, da die Dinge der sublunaren Welt t)Jt της
θείας δυνάμεως entstehen8.
Als Gesetz und Logos mu die Helmarmene begrenzt (πεπερασ-
μένη) sein, w hrend die entstehenden Dinge unendlich in der Zahl und
in der Zeit sind 9 . Die Kreisbewegungen des Himmels bewirken zwar die
ewige R ckkehr der Dinge, die von ihnen abh ngen, es w re jedoch ver-
kehrt anzunehmen, da sie die Ursachen aller Dinge sind10. Damit wird
ein Problem angedeutet, das im 4. Kapitel ausf hrlicher er rtert wird.
Es geht n mlich um die Frage, inwiefern das Partikul re und das Ein-
zelne von der Heimarmene bestimmt werden. Um sie zu beantworten,
geht der Verfasser von der Analogie mit den Staatsgesetzen aus. Ihre
Vorschriften beziehen sich nicht unmittelbar auf die Einzelf lle; sie
haben vielmehr allgemeinen Charakter und erfassen das Individuelle nur
insofern, als es vom Allgemeinen subsumiert wird11. Damit werden wir
an ein bekanntes Thema der Reflexion ber das Gesetz erinnert, das
sowohl bei Platon als auch bei Aristoteles bezeugt ist; weil es nur all-
gemeine Vorschriften enth lt, kann das Gesetz nicht alle konkreten
F lle, die in der Wirklichkeit vorkommen, ber cksichtigen 12 . So verh lt
7
Ps.-Arist-, De mundo 5, 379b 16-398 b 10. Vgl. bereits De caeio I 9, 279a 28-30.
Bei Aristoteles wird nat rlich das Verh ltnis Gottes zur Welt als das des Bewegers
zum Bewegten dargelegt, Auf die bekannten Stellen, etwa aus De gencr. et corr., De
caelo, Meteor, und Metaph,, brauchen wir nicht einzugehen. Es sei hier daran er-
innert, da bereits in der Theologie Phiions Alex, die δυνάμεις θεοϋ eine zentrale
Rolle spielen.
8
Alex., De an. mant. 372, 17-19; Quaest, II 3, S. 47,30sqq.
9
hnlich Albinos, Didask, 26, 179,3-6. Zur Heimarmene-Lehre von Ps.-Piut. vgl.
D. Amand, Fatalisrne et Liberte clans l'Antiquite Classique, 1945 (Neudruck 1973),
104-106.
10
3, 569 A—C. Vgl. bes. 569 B οι) συμβαίνει άπα ιών ουρανίων ως πάντων αίτιων
όντων και το έμέ γράφειν νυνί τάδε και ώδϊ σε τε πράττειν άπερ καΐ όπως τυγχά-
νεις πράττων,
Π
4, 569 D-Ε, bes. ό πολιτικός νόμος . . . τα μεν καθόλου προηγουμένως, τα ο' ύπο-
πίπτοντα επομένως.
11
Bereits Gorgias deutet an, da das starre positive Recht durch die „milde Billigkeit",
die „Richtigkeit der Deutung" und die F higkeit, das Notwendige im notwendigen
Augenblick zu sagen oder zu verschweigen, zu tun oder zu lassen, korrigiert werden
soll, VSS 82 B 6. Vgl. Plat., Pol. 294 Α-B und 294 D-295 A. Das Gesetz kann
es sich auch mit dem Gesetz der Natur. Es regelt das Allgemeine προη-
γουμένως, unmittelbar und vors tzlich, das Individuelle jedoch nur in-
direkt, weil dieses dem Allgemeinen untergeordnet ist. Der g ttlichen
Weisheit ist das Bestimmte (ώρισμένον) zugeordnet, und dieses erscheint
eher im Allgemeinen, w hrend das Unbestimmte im Einzelnen herrscht13.
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, da diese Ausf hrungen
eine deutliche Abgrenzung gegen den absoluten Determinismus der Stoa
bedeuten, nach weichern jede kleinste Einzelheit durch das Schicksal
bestimmt wird. Wohl nicht von ungef hr findet sich eine fast identische
These in der Vorsehungslehre, die von den Peripatetikern gegen den
Panprovidentialismus der Stoa ausgearbeitet wurde. Mit den verschie-
denen Aspekten dieser Lehre werden wir uns sp ter14 befassen. Hier sei
nur darauf hingewiesen, da sie in enger Anlehnung an Aristoteles' Be-
wegungslehre entstand, und zwar so, da die durch den unbewegten Be-
weger angeregte und nach unten weitergeleitete Bewegung im gro en
und ganzen als die Hauptform der providentiellen T tigkeit Gottes an-
gesehen wurde. Es kann uns daher nicht wundernehmen, wenn die
beiden Fragen nach dem Ausma des Determinismus in der Welt einer-
seits und dem Wirkungsbereich der g ttlichen Vorsehung andererseits
ein und dieselbe Antwort erhielten. In den beiden F llen galt es n mlich
zu bestimmen, was direkt oder indirekt unter Einwirkung der h chsten,
g ttlichen Ursache zustandekommt und was nicht.
In diesem Zusammenhang scheinen die Peripatetiker recht fr h zu
der Meinung gekommen zu sein, da Gott sich nicht um das Einzelne
k mmert, sondern sein Wirken darauf beschr nkt, Allgemeines zu be-
stimmen. Mit dieser These opponierten sie nicht nur gegen den stoischen
Panprovidentialismus, sondern auch gegen sokratisch-platonische An-
schauungen, nach welchen Gottes F rsorglichkeit sich bis auf die klein-
sten, unscheinbarsten Einzelheiten erstreckt15. Bereits Kritolaos scheint
Gott mit Perikles verglichen zu haben, der es zwar f r n tig hielt, sich
mit den wichtigen Angelegenheiten zu befassen, kleine Einzelheiten
nicht alle Unterschiede zwischen den Menschen und den Handlungen ber cksich-
tigen; seine Vorschriften sind ως επί το πολύ και επί πολλούς, niemals ακριβώς έ·νί
έκάστφ. hnlich Arist., Pol. Ill 15, 1286a 9-16; 16, 1287b 19-20.
13
4, 569 D-570 A,
14
Vgl. unten Bd. III.
ls
Xen., Memor. I 4,18; IV 3,12. Plat., Nom. IV 709 C, wo allerdings neben Gott als
Leiter der ανθρώπινα σύμπαντα auch τύχη, καιρός und τέχνη genannt sind; X
899 D-903 A.
jedoch nicht pers nlich regelte16. In der Schrift von der Welt, wo die
Frage nach der g ttlichen Vorsehung ausf hrlich er rtert wird, findet
sich zwar kein ausdr cklicher Hinweis darauf, da Gott das Allgemeine
regelt und sich nicht um das Individuelle k mmert; es wird jedoch her-
vorgehoben, da er ebensowenig wie der Gro k nig alles pers nlich
bestimmt; bei diesem n mlich wird einiges untergeordneten Beamten
berlassen, anderes nimmt von allein seinen Gang, nachdem es den
ersten Impuls erhalten hat17. Am greifbarsten aber ist dieser Punkt der
peripatetischen Vorsehungslehre bei Alexander von Aphrodisias, der
sich sehr eingehend mit den Themen Schicksal, Vorsehung, Zufall und
Verwandtem besch ftigt hat und bei dem sich brigens zahlreiche Par-
allelen zu unserer Schrift finden. Alexander setzt sich sehr ausf hrlich
mit dem damals offenbar bereits klassischen Problem auseinander, ob
die Vorsehung προηγουμένως oder κατά συμβεβηκός wirkt, und er ist
bem ht zu zeigen, da dieses kein wirkliches Dilemma ist, weil L sun-
gen denkbar sind, die zwischen diesen Extremen Hegen18. Eine dieser
m glichen L sungen besteht dann, da man annimmt, die Vorsehung
sei καθ3 αυτό f r die καθόλου, und nur κατά συμβεβηκός f r die υπ'
αυτά19. In der Tat war Alexander der Auffassung, da Gott, auf welche
Weise auch immer, f r die Gestaltung und das Fortbestehen der Arten
und Gattungen sorgt und sich nicht um das Individuelle k mmert. Gott
hat z.B. den Menschen mit der F higkeit versehen, die Tugend zu er-
werben, den Gebrauch dieser F higkeit jedoch dem Menschen selbst
berlassen20. Auf keinen Fall, meim er, k nne man annehmen, da alle
Kleinigkeiten unserer sublunaren Welt von Gott geregelt worden
seien21.
16
Kritolaos Fr, 37 W, = Plut., Praec. ger, rei publ, 811 C, Perikles' Regierungsstil
wird in diesem Zusammenhang mit dem des κόσμου βασιλεύς verglichen, der laut
Euripides sich um die wichtigen Dinge k mmert, die kleinen jedoch dem Zufall
berl t. Daraus geht m. E. hervor, da Kritolaos' u erungen ber Perildes ur-
spr nglich in einem Komplex JIEQL προνοίας standen. Da Kritolaos sich mit der
Vorsehungslehre befa t hatte, zeigt das Fr. 15 W.
17
Ps.-Arist., De mundo 5, 398a 6-399a6.
ie
Alex,, Quaesc, II 21.
w
Ibid, S. 68,5-8.
M
Quaest. I 25, S. 40,30-41, 19; II 19, S. 63,22-28. Vgl. unten S. 772-773 mit Anm.
358-359.
21
Alex.. Aphrod., De an, mant. 113,12-15; Quaest. II 21, S. 70,1-2; ap. Averroem
(J. Freudenthal, Die durch Averroes erhaltenen Fragmente Alexanders) Fr. 36; ap.
KyrilL, C. luiian. PG 76, 572B. Auch Nemesios, De nat, h rn. 44, S, 348 Matthaei
schreibt Aristoteles die Ansichc zu, da die καθ' έκαστα άπρονόητα sind. Die
These, da die Vorsehung sich um die Gattungen und Arten, jedoch nicht um jedes
Individuum k mmert, wird gelegentlich auch ohne Zuschreibung an bestimmte Phi-
losophen erw hnt. Epikt., Diss. I 12,2 (Ansicht der τέταρτοι). lustin., Dial. I 4.
j. Pepin, Friere et providence au 2e siecle, in: Images of Man, Studia G. Verbeke
dicata, Leuven 1976, 111 — 125, scheint geneigt zu sein, sie auf bestimmte Stoiker zu-
r ckzuf hren, vor allem weil Epiktet sie von der (peripatetischen) These unterschei-
det, nach welcher die G tter sich lediglich um die supralunare Welt k mmern. Da
die beiden erw hnten Vorsehungslehren bei den Aristotelikern vertreten waren, steht
m. E. jedoch au er Zweifei.
12
569 F . . . προηγούμενα συντετάχθαι τα καθ* έκαστα, είναι τε τούτων ένεκα καϊ
τα καθόλου, προηγείσθαι, δε των Ενεκα του το οί Ενεκα.
2i
Alex., Quaest. 125, S. 41,4—19. Alexander geht offenbar von den Ausf hrungen
in De caelo II 3 aus.
24
Quaest, II 2l, S. 68,14-69,31.
15
PS.-Flut., De fato 5 und 8. Die Unterscheidung zwischen εν ειμαρμένη und καθ' εί-
μαρμένην, die unser Autor hier vornimmt, habe ich sonst nur bei Albinos, Didask.
26, 179,1—3 gefunden. Vgl oben S, 472, Bei den Peripatecikern kommt sie meines
Wissens nicht vor, wahrscheinlich weil sie den Geltungsbereich der Heimarmene auf
die sublunare Natur beschr nken. In 5, 570 C, S. 450,8 ist ούδ* εί καθ' είμαρμένην
πάντα wohl nicht richtig; ich schlage von ούδ' εί και εν τη ειμαρμένη πάντα.
36
6, 570 F.
" 6, 570 F-571 Α.
δυνατόν
άναγκαϊον δυνατόν
ένδεχόμενον δυνατόν
ως έπι το πολύ και έπ* έλαττον
επίσης = εφ* ήμίν
εκ πάθους, θύμου, επιθυμίας
εξ έπιλογισμοϋ και διανοίας = κατά προαίρεσιν
Aristotelisches Gedankengut erkennt man ebenfalls deutlich in den
Ausf hrungen ber τύχη und αύτόματον. Der Verfasser erkl rt zuerst
den Unterschied zwischen den αίτια καθ' αυτά und den αίτια κατά
συμβεβηκός. Das Gl ck, τύχη, bemerkt er, geh rt zu den letzteren.
Was zuf llig (κατά συμβεβηκός) in einem Bereich erfolgt, in welchem
etwas auf ein Ziel hin (ένεκα του) gerichtet ist und aufgrund einer ra-
tionalen berlegung (προαίρεσις) unternommen wird, bezeichnet man
als άπο τύχης. Man gr bt beispielsweise, um B ume zu pflanzen, und
entdeckt dabei einen Schatz33. Diese Auffassung der τύχη ist genau
diejenige, die Aristoteles in der Physik ausarbeitet 34 .
Der Begriff Zufall (αύτόματον) hat eine gr ere Ausdehnung als der
Begriff Gl ck (τύχη). Obwohl der Text unseres Traktats hier mehrere
L cken aufweist, l t sich die Auffassung des Autors noch einigerma en
deutlich erkennen. Im Gegensatz zur τύχη, die nur im Bereich der
προαίρεσις walten kann, ereignen sich zuf llige Geschehnisse sowohl
bei lebenden wie auch bei leblosen Wesen35. Die Unterscheidung zwi-
schen τύχη und αύτόματον sowie einige Einzelheiten des Abschnittes
ber das αύτόματον stammen ebenfalls aus der Physik des Aristoteles36.
Die Er rterungen ber die Vorsehung (πρόνοια) und ihr Verh ltnis
zur Heimarmene 37 st tzen sich fast ausschlie lich auf platonisches Ma-
« 7, 571 E-572 B.
34
Phys, II 5. Vgl. bes. die Ausf hrungen ber αίτιον καθ' αυτό und κατά συμβεβη-
κός, mit dem Beispiel des Hausbaus wie bei Ps.-Plut. 196b 23—29. Die Definition
der τύχη, die PS,-Plutarch den από Πλάτωνος zuschreibt, ist w rtlich identisch mit
der von 197a 5—5. Entdeckung eines Schatzes από τύχης EN III 5, 1112 a 27.
is
7, 572 D-Ε.
36
Phys. II 6, Wegen der L cken in De fato 572 D l t sich der Vergleich nur unvoll-
st ndig durchf hren. $72 D το δ' αύτόματον επί πλεΐον της τύχης — 197a 36. An-
spielung auf die Etyrnologie(?) αύτόματον = αυτό μάτην wie 197b 22—32. 572 E
αΰτόμαιον KOLV V έμψυχων τΕ και αψύχων — 197b 13 — 16. εύτυχεΐν = εύδαιμο-
νεϊν, ευδαιμονία εϋπραξία τις— 197b 3—5.
37
Kap. 9 und 10.
terial, besonders aus dem Timaios. Inhaltlich bieten sie nichts, was auf
die aristotelische Tradition zur ckzuf hren ist.
Nachdem der Autor mit der Darstellung der Hauptpunkte der von
ihm vertretenen Theorie fertig geworden ist, weist er auf die entgegen-
gesetzte Theorie hin, nach welcher alles nicht nur εν ειμαρμένη, sondern
auch καθ' είμαρμένην erfolgt. Gemeint ist, obwohl nicht ausdr cklich
genannt, der stoische Determinismus. In einem vielleicht nicht ganz kor-
rekt berlieferten Satz hei t es dort, wenn wir richtig verstehen, da die
Widerlegung dieses Systems dieselbe Thematik zum Gegenstand h tte
wie das soeben Dargelegte38. F nf Hauptmotive werden aufgez hlt, die
gegen die Stoa ausgewertet werden k nnen: 1. das ένΟεχόμενον, 2. das
εφ' ήμΐν, 3. die τύχη und das αύτόματον, 4. der έπαινος und der ψόγος
und 5, die εύχαι θεών καΐ θεραπεϊαι. Es leuchtet also ein, da auch die
damit angedeutete Widerlegung der Stoa sich vorwiegend der Lehren
und Argumente aristotelischer Herkunft bediente. Da die Peripatetiker
selbst mit den hier genannten Argumenten die stoische Heimarmene-
Lehre bek mpft haben, zeigt unter anderem die ausf hrliche
Widerlegung dieser Lehre in der gro en Schrift De fato des Alexander
von Aphrodisias39.
Noch deutlicher als Albinos' Didaskalikos zeigt die pseudo-plutar-
chische Schrift De fato, da ein Platoniker des zweiten Jh, keine Be-
denken hatte, seinen Platonismus mit typisch aristotelischen Lehrmei-
nungen zu bereichern. W hrend Albinos offensichtlich glaubte, da die
von ihm bernommenen aristotelischen Thesen mit dem Platonismus
durchaus vereinbar, ja sogar von Platon selbst bereits konzipiert worden
waren, begn gt sich unser Autor damit, nach der Zusammenfassung
einer aristotelischen Theorie gelegentlich eine Passage aus Platon anzu-
f hren, die sich auf dieselbe Thematik bezieht40. Er scheint berhaupt
nicht das Gef hl gehabt zu haben, da Aristotelismus und Platonismus
38
11, 574 D-Ε. Wohl mit Recht bemerkt Sieveking in seinem Apparat: totus locus
videtur iacunosus esse.
** Alex., De fato 172,17-188,17 befa t sich hintereinander mit folgenden Themen:
τύχη und αύτόματον (172,17-174,28), ένδεχόμενον (174,29-178,7), βουλευεσθαι
(178,8-180,2), εφ' ήμϊν (180,3-186,18), των ανθρώπων βίος: keine Verant-
wortung mehr, daher auch keine Strafe, kein Lob und kein Tadel mehr (186,18-
188,1), πρόνοια (188,1-6), G tterkult und Mantik (188,7-17).
40
Man vergleiche etwa im Kap. 7 das Phaidon-Zitat im Anschlu an die τύχη-Lehre.
1
Überihnvgl. E. Zeller, Philos.d. Gr.III Is,633-635. H. DieIs,Dox.81-82.Fr. Suse-
mihl, Gesch. gr. Litt. Alex. II 293-294. Martini, Art. Eudoros 10, RE VI l, 915-916,
K. Praechter, Nikostratos, in: Hermes 57 (1922) 481-517, dort 510-511. H. Dörrie,
Der Platoniker Eudoros von Alexandria, in: Hermes 79 (1944) 25-38 = H. D., Plat.
Min. 297-309. P. Boyance, Etudes philoniennes, in: REG 76 (1963) 79-82; 96-108
(jetzt deutsch in: C. Zinczen [Hrsg.], DerMittelpIatonisrnus, Darmstadt 1981, 33-51).
W. Theiler, Philo von Alexandria und der Beginn des kaiserzeitlichen Platonismus, in:
Parusia. FestschriftJ. Hirschberger, 1965,199-2]8,bes.204sqq.M. Giusta, Doss. Et.
I—II, passim (vgl, Indice analitko, im Bd. II 561). J. Dillon, The Middle Platonists
115—135. G. Calvetti, Eudorodi Alessandria: medioplatoriismo e neopitagorismo nel I
secoloa. C.,in;Rivistadifilos, neoscolastica 69(1977) 3 —19. J. M, Dillon, Eudorosund
die Anfänge des Mittelplatonismus, in: C. Zintzen, Op.cit. 3—32. P, Donini, Lescuole,
l'anima, l'impero: la filos. antica da Antioco a Plotino 100—101.
J
Cic., Luc. 137, vgl. 70-71.
3
Cic,, Acad. I 18 nibii enim inter Peripaieticos et illam veterem Acaaemiam differebat.
Vgl. De fin. V 7.
ist. Typisch dafür erscheint etwa die von den meisten Vertretern des
Mittelplatonismus übernommene und mit Platonzitaten belegte These,
daß für Platon die , das höchste Ziel der Philosophie dar-
stellt. Eudoros strengt sich offensichtlich an, auf Platon selbst aufzu-
bauen und im Platonismus ein kohärentes, gut durchgegliedertes System
zu finden. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, daß er damit das
Programm des Antiochos ausführen will. In der Methode und in den
Ergebnissen unterscheidet er sich jedoch von Antiochos derart, daß wir
ihn kaum als den Fortsetzer der Bemühungen des Askaloniten betrach-
ten dürfen. Mit ihm wird uns vielmehr eine originelle Orientierung des
Platonismus greifbar, die für die folgenden Jahrhunderte maßgeblich
gewesen ist4. Es ist sicher kein Zufall, daß Eudoros den ,Pythagoreern'
eine Prinzipienlehre zuschreibt, die mit der sogenannten ungeschriebe-
nen Lehre Platons unverkennbar verwandt ist5. Ob Eudoros selbst die
4
Es muß allerdings daran erinnert werden, daß die Frage nach dem Verhältnis zwischen
Antiochos einerseits und Eudoros und dem Mittelplatonismus andererseits ziemlich kon-
trovers ist. Mehrere Gelehrte sehen im Mittelplatonismus die direkte Fortsetzung der Be-
mühungen des Antiochos, Man denke etwa an W. Theiier, Vorber, d, Neuplat,, bes.
37 sqq., und an spätere Arbeiten desselben Gelehrten, Ferner R, E, Witt, Albinos and the
History of Middle Platonism, passim, G, Luck, Der Akademiker Antiochos, bes. 2 7 sqq.
Andere dagegen heben das Trennende hervor und meinen } daß keine Verbindungslinie
von Antiochos zum Mittelplatonismus hinführt. So z. B. H. Dörrie in verschiedenen Ar-
beiten, vor allem in Der Platoniker Eudoros (vgl. oben Anm. 1); Die Erneuerung des Pla-
tonismus im ersten Jahrhundert vor Christus, in: Le Neoplatonisme. Colloques Jnter-
nationauxduC.N.R.S. 1971,17-33 = H. D., Plat. Min. 154-165; Der Platonismus in
der Kultur- und Geistesgeschichte der frühen Kaiserzeit, in: Plat. Min. 166—210, bes.
172— 174 und 177 sqq. Auf derselben Linie G. Reale, Storia della füosofia antica IV 309—
364 (dort 318: Sulla base di quanto s'e detto, risulta evidente l'impossibilitä di agganciare
direttitmente il medioplatomsmo ad Antioco, contrariamente a quanto mold studios!
hanno invece creduto.).
s
SimpI.,Phys. l Sl, 10-30. Überdiesen wichtigen Text vgl. E. Zeller, Philos. d. Gr.,I l 7 ,
466; III Is, 634,1. überweg-Praechter, Philos. d. Altertums12, 531. H. Dörrie, Eu-
doros 25-39 (bes. 32-34} = H.D., Plat. Min. 297-309. J.E. Raven, Pythagoreans
and Eleatics 15. A.J. Festugiere, Revel. Herrn. Trism. IV 24sqq.; 36sqq,; 307sqq,
W. Theiier, Gott und Seele im kaiserzeitlichen Denken, in: Entretiens sur l'Ant. Class.
3, Recherches sur la tradition platonicienne, 1955, 86. P. Boyance, Philon d'Alexandrie,
in: REG 72 (1959) 380. H. Thesleff, An Introd. to the Pythagorean Writings of the
Hellenistic Period, Abo 3961, 48. J.M. Rist, The Neoplatonic One and Plato's Parme-
nides, in: Trans. Amer. Philol. Assoc., 93 (1962) 389-401 (bes. 391-394). W. Burkert,
Weisheit und Wissenschaft 46 Anm. 187; 53-54 u. Anm. 45. H. J. Krämer, Der Ur-
sprung der Geistmetaphysik, 1964, 51-52 u. Anm, 101; 320; 330; 355. W, Theiier,
Philo v. Alexandria 205 sqq, W. Theiier, Ammonios der Lehrer des Origenes, in: For-
schungen zum Neuplatonismus 1966, 23.
dort als pythagoreisch hingestellte Meinung vertrat, daß die ganze Wirk-
lichkeit von einem einzigen Urprinzip, dem Einen, abhängt, läßt sich
zwar nicht mit Sicherheit ermitteln 6 ; es ist jedoch sehr wahrscheinlich,
daß seine philosophischen Positionen in mancher Hinsicht den Neu-
platonismus vorbereitet haben. Wir wissen nicht, ob er Platonismus und
Pythagoreismus für identisch miteinander hielt, und die Vermutung, daß
er irgendwie die Entstehung der weitgehend auf Platonismus und Ari-
stotelismus beruhenden pythagoreischen Fälschungen angeregt habe7,
läßt sich wohl nicht nachweisen. Sein Interesse und seine Sympathie für
den Pythagoreismus stehen jedoch fest. Sie erinnern an die Haltung
einiger Platonschüler der ersten Generation, die, wohl vom Timaios aus-
gehend, im Pythagoreismus die Hauptquelle der platonischen Philoso-
phie sahen und andererseits den Platonismus mit pythagoreischer Wis-
senschaft und Spekulation zu bereichern bemüht waren.
So wichtig sie für die Entwicklung des kaiserzeitlichen Platonismus
auch sein mögen, brauchen diese Aspekte der philosophischen Persön-
lichkeit des Eudoros hier nicht ausführlich dargelegt zu werden 8 . Die
Probleme, die im Rahmen dieser Untersuchung erörtert werden wollen,
sind speziellerer Natur und beziehen sich auf die Stellungnahme des
Mittelplatonikers gegenüber dem Aristotelisrnus, Eine gewisse Unsicher-
heit ergibt sich zunächst einmal daraus, daß wir weder wissen, aus wel-
chen Werken mehrere seiner Äußerungen stammen, noch in welchem
6
Den Angaben von Alex, Aphrod., Metaph. 58,31 — 59, 8 glauben die meisten Forscher
entnehmen zu dürfen, daß Eudoros den Text von Arist., Metaph. A 6, 988a 10-11 ge-
ändert habe, um Placon die pythagoreische Lehre von einem einzigen Urprinzip, dem ,
zuzuschreiben. Ich halte jedoch die Mahnung zur Vorsicht von Überweg—Praechter,
Philos. d. Alt, 12 , 531, für durchaus gerechtfertigt. Aus Alexanders Zeugnis geht meines
Erachtens hervor, daß Eudoros lediglich einen sinnentstellenden Schreibfehler inn Texte
des Aristoteles beseitigt hat; ihm kann keine tendenziöse Verdrehung des Aristoteles-
Zeugnisses über Platons Prinzipienlehre vorgeworfen werden. P. Moraux, Eine Korrek-
tur des Mittelplatonikers Eudoros zum Text der Metaphysik des Aristoteles, in: Beiträge
zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift F. Altheim, 1969, 492—504,
H, Dörrie, der in seinem Eudoros-Aufsatz den Text Alexanders korrigieren wollte, er-
klärt sich von meinen Ausführungen überzeugt und verzichtet jetzt auf seinen damaligen
Versuch einer Textverbesserung: H. Dorrie, Pkt. Min. 309. G. Calvetti, op. cit. 12—17
setzt sich mit meiner Interpretation kritisch auseinander und lehnt sie ab. Für meine
These und gegen Calvettis Schlußfolgerungen äußert sich P. Donini, Le scuole 149
Anm. 6.
7
Eine solche Einwirkung des Eudoros auf die pseudo-pythagoreische Literatur nimmt
W. Theiler an, Philo v. Alexandria 212 Anm. 14,
8
Über Eudoros* Persönlichkeit und philosophische Tendenzen vgl. H, Dörrie, Eudoros,
9
Stob. II 7, 2-3, S. 42,7-45,6 W. ber Eudoros' διαίρεσις der Ethik vgl. H. D rrie,
Eudoros, in: Plat. Min. 301—303: Musterbeispiel f r eine akademische διαφεσις, Eu-
doros gibt nur einen u eren Rahmen, den notfalls jede aufs Ethische gerichtete Philo-
sophie m te ausf llen k nnen, M, Giusta, Doss, et, I, bes. 151 —170und 214-216, der
eine auffallende bereinstimmung zwischen Eudoros' Einteilung und der Disposition
verschiedener Texte der ethischen Doxographie zu beobachten glaubt und daraus weit-
reichende Folgerungen zieht.
10
Aus dem einleitenden Satz des Stobaios geht deutlich hervor, da Eudoros auf die Pro-
bleme der Philosophie einging: II 7,2, S. 42,9 W. βφλ(ον. . . εν ω πάσαν έπεξελήλυθε
προβληματικώς την έπιστήμην. Wie E. Zelier, Philos. d. Gr. Ill 5,634 Anm, 2 richtig
beobachtet, gab er aber auch die Ansichten der verschiedenen Philosophen zu den ein-
zelnen Problemen an. NachderEinteilungderEthikk ndigtStobaios(II 7,3, S. 45,8 W.)
n mlich an, da er sich jetzt den Problemen zuwenden wird; die darauf folgenden
Kapitel enthalten aber nicht nur eine abstrakte Problematik; sie sind mit Doxogra-
phien gef llt. Allem Anschein nach hat Stobaios bis S, 57,12 W. Areios Didymos
abgeschrieben, der selbst aus Eudoros sch pfte. Der doxographische Charakter der
διαίρεσις ist um so wahrscheinlicher, als auch in den Ausz gen aus Eudoros bei dem
Am-Kommentator Achill (vgl. unten S, 513 sqq.) die Meinungen der Philo-
sophen miteinander konfrontiert werden. Aus dem physikalischen Teil der διαίρεσις
stammt m glicherweise ein kurzes Papyrus-Fragment aus der 1. H lfte des 2, Jh.
n. Chr. (B. P. Grenfell-A.S. Hunt, The Oxyrh. Pap. XIII, 1919, Nr. 1609, S. 94-
98). Der Verfasser befaßt sich mit der Entstehung der Spiegelbilder, verweist auf die
Erklärung durch die , , die er in seinem Kommentar zum Timaios dargelegt
hat, und lehnt die Hypothesen von Demokrit, Epikur und Empedokles ab. Wegen
des Verweises auf den Timaios-Kommentar und des doxographischen Charakters des
Fragments vermuten die Herausgeber, daß Eudoros der Verfasser sein könnte. Wir
wissen, daß die Doxographen die Spiegeitheorien in ihren Aufzählungen erwähnten,
Vgl. z.B. Aetius VI 14, S. 405,1-25 Diels Dox., dessen Verwandtschaft mit dem
Papyrus-Text evident ist. In der Erklärung von Plat,, Tim. 46 A-C mußten die
Kommentatoren natürlich auch auf dieses Problem eingehen.
11
Simpl., Phys. 181,10-30.
12
H. Diels, Dox, gr., S. 17-22 und 81-82.
11
Eudoros ist die Quelle für folgende Abschnitte bei E. Maass, Commentariorum in
Aratum reliquiae, 1898: 30,20-29; 32,7-33,16; 35,29-36,7; 36,13-37,6; 37,13-
38,2; 39,5-32; 40,15-17; 40,25-41,11; 41,13-42,7; 50,20-27; 51,11-19; 55,8-
27; 65,15—33; 68,1—8. Auch die anonymen A rat-Scholl as ten schöpfen gelegentlich
aus Eudoros: vgl. 92,7-33; 96,24-97,6; 143,7.
Eudoros sie bei Diodor vorgefunden? Fanden sie sich bereits im Ori-
ginaltext des Poseidonios? Oder sind sie von Eudoros selbst aufgrund
seiner Vertrautheit mit dem Corpus Aristotelicum in seine Vorlage hin-
eingearbeitet? Wir wissen es nicht. Dennoch ist es interessant, die Ari-
stoteles-Zitate in den aus Eudoros entnommenen Teilen von Achills
Kommentar etwas n her zu betrachten; sie zeigen n mlich, welche
Aspekte der Kosmologie des Aristoteles in den gelehrten au erperipa-
tetischen Kreisen des 1. vorchristlichen Jahrhunderts besonders hervor-
gehoben wurden.
Durch einen Bericht des Eudoros erfahren wir zuerst, da der alex-
andrinische Mathematiker Diodoros den Unterschied zwischen Mathe-
matik und Naturwissenschaft folgenderma en erkl rte: Die Mathematik
befasse sich mit den „Begleitumst nden" (παρεπόμενα) der Substanz;
sie frage z. B., woher (πόθεν) und wie (πώς) die Finsternisse entst nden.
Die Naturwissenschaft (φυσιολογία) dagegen untersuche die Substanz
selbst und frage etwa, woraus die Sonne bestehe (τις ή ηλίου φύσις), ob
sie, wie Anaxagoras meinte, eine gl hende Steinmasse sei oder nach der
stoischen These Feuer oder auch nach Ansicht des Aristoteles eine
f nfte Substanz, die mit den vier Elementen nichts gemeinsam habe,
nicht entstanden, unverg nglich und unver nderlich sei. Trotz ihres Un-
terschiedes seien jedoch die beiden Disziplinen aufeinander angewiesen
und in den wissenschaftlichen Untersuchungen k nne die eine nicht
ohne die andere ausge bt werden14. Die Unterscheidung zwischen
ουσία und παρεπόμενα της ουσίας15 erinnert deutlich an die aristote-
lische Unterscheidung von Substanz und Akzidens. Die aristotelische
These, da die Mathematik sich mit dem quantitativen Aspekt (ποσόν) der
Substanzen befa t, scheint hier jedoch nicht ber cksichtigt zu sein; wenn
die angef hrten Beispiele den Vorstellungen des Verfassers genau ent-
sprechen, ist es die mathematische Astronomie, die er als Mathematik
bezeichnet, eine Wissenschaft also, in der ganz anders als in der „reinen"
Mathematik das mathematische und das physikalische Moment aufs
engste ineinander verflochten sind. Wichtiger f r uns erscheint die Er-
w hnung der aristotelischen Lehre von einer f nften Substanz als Ele-
ment der Gestirne16. Die Merkmale dieser Substanz (nicht entstanden,
14
Achill. 30,20-29 Maass.
15
ber das παρεπόμενον in der aristotelisch-peripatetischen Sprache vgl. E. A. Schmidt,
Aristoteles. ber die Tugend, 1965, 31—44, der allerdings aus der F lle des Materials
zu spitzfindige und wohl auch zu einseitige Schlu folgerungen zieht,
16
Achill. 30,25-28 M.
17
Achill. 39,6-9 M.
18
Vgl, De caelo H 7.
» Zahlreiche Parallelstellen bei Amt., bes. De caelo I 2-3; 9, 2 79 a 18-b 3; II I; 3,
286a 10-12 etc.
10
Vgl. De caelo II 12, 292b 18sqq.
21
Achill. 40,29-30 M.
" Achill. 36,13-37,6 M.
23
VgL De caelo II l, 284a 2- .
24
De caelo I 9, 278b 16-18.
25
Achill. 50,20-27 M.
16
Anon. I 92,29-33 M.
37
Vgl, Arisi., De caelo l 3, 269b 29sqq.
28
Achill. 65,15-33. Anon. I 96,24-97,6 M.
29
Strabon XVII l, 5, 788-790.
30
Verschiedene Testimonial über Aristoteles tou findet
man bei V. Rose, Arist. Fr., 1886, 188 — 191, die lateinische Übersetzung der kleinen
Schrift ibid. 191 — 197 und bei D. Bonneau, Liber AristoteJis de imindatione Nüi, in:
Etudes de Papyrologie 9 (1964) 1-33 (tat. Text 3-7; franz. Übers. 7-16).
31
Für die Echtheit der Schrift treten ein: Partsch, in: Abh. Sachs. Ges., Phil,-hist. Kl.
XXVII 16(1909). W. Jaeger, Aristoteles 353 und Anm, 2. A. Rehm, Art. Nilschwelle,
RE XVII l (1936) 571-590. J. Baity-Fontaine, Pour une edition nouvelle du «Liber
Arist. de inund, Nili», in: Chron. d'Egypte 34 (1959) 95-102. D. Bonneau, La crue
du Nil, divintte egyptienne, a travers mille ans d'histoire (332av.-641ap. J.-C.),
Paris 1964,
31
W. Theiler, Philo v. Alexandria 209sqq.
" Photios, BiW. cod. 249.
34
Ibid. 441 a 34-b 14.
« § 12 ed. Bonneau, in; Etudes de Papyrol. 9 (1964) 7.
16
Plut., De procr. anim. 16, 1019 E-1020 C.
der sog. ungeschriebenen Lehre Platons) als eine Darlegung der Ent-
stehung der Zahl aus dem bestimmenden Einen und der unbestimmten
Zweiheit; die Hinzufügung des Gleichen und des Anderen bringe die
Bewegungsfähigkeit, die diese Zahl brauche, um zur Seele zu werden.
Krantor unterstrich dagegen die erkennenden Funktionen der Seele. Da
sie über das Intelligible und das sinnlich Wahrnehmbare zu urteilen und
Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erkennen habe, bestehe die Seele aus
einer Mischung des unveränderlichen Intelligiblen, der körperhaften,
dem Wechsel unterworfenen Natur, der Unterschiedlichkeit und der
Identität. In diesen beiden Interpretationen erschien die Erzählung
selbst als ein bloßes didaktisches Procede; Platon habe dadurch keines-
wegs sagen wollen, daß die Seele in der Zeit entstanden sei, sondern le-
diglich ihre Natur und ihre Kräfte zu analysieren beabsichtigt, etwa in
derselben Weise, wie er auch von der Weltschöpfung gesprochen habe,
obwohl er die Welt für ewig hielt. Nach diesen Angaben, die er vielleicht
von Eudoros übernommen hat37, bemerkt Plutarch, daß Eudoros der
Ansicht war, keiner der beiden Interpretationen fehle es an Wahrschein-
lichkeit38, Die vermittelnde Haltung des Eudoros kennzeichnet sich also
durch die Annahme, daß die Platonstelle unter Berücksichtigung sowohl
der bewegenden wie auch der erkennenden Funktion der Seele inter-
pretiert werden kann, und ferner, daß die platonische Erzählung nicht
als ein Bericht über Geschehnisse, sondern als die Analyse einer ewig
vorhandenen Wirklichkeit gedeutet werden muß39. Man wird sich daran
erinnern, daß Aristoteles sich weigerte, in Platons Erzählung ein bloßes
didaktisches Procede zu sehen, und daher die platonischen Thesen über
die Entstehung der Welt und der Weltseele sehr energisch bekämpfte.
Wollte man aber, wie es z.B. bei vielen Neuplatonikern geschah, die
37
Hinweis von R. Heinze, Xenokrates 10 Anm. 3; 30.
38
Pkt., De procr. anim. l, 1012 D-3,1013 B.
39
H. Dörrie, Eudoros 27 meint, daß Eudoros denen recht gibt, die wie Xenokrates
Seele und Welt für ungeschaffen und seit Urzeiten bestehend erklärten, aber
auch denen, die mit Kran tor die Welt für erschaffen ansahen. Dagegen ist zu
bemerken, daß Plutarch, De procr, anim, 3, 1013 A von den Anhängern des Krantor
und von denen des Xenokrates ( ) sagt, sie hätten eine zeitliche Ent-
stehung der Seele nicht angenommen. Diese Nachricht steht keineswegs in Wider-
spruch mit Prokl., Intim. I, S. 277,8-10, wo es lediglich heißt, Krantor habe die Welt
als bezeichnet, weil sie von einer anderen Ursache abhänge und durch sich
selbst allein weder entstehen noch existieren könne; dies bedeutet aber nicht, daß
Krantor die Welt für „erschaffen" ansah; er wollte nur ihre Koncingenz hervor-
heben.
ziehen. Eudoros scheint einer der ersten, wenn nicht der erste Platoniker
gewesen zu sein, der die Kategorien durcharbeitete und sich mit ihrer
Lehre auseinandersetzte. Aus den Angaben des Simplikios, der als ein-
ziger ber die Bearbeitung der Kategorien durch Eudoros berichtet, geht
ganz deutlich hervor, da dieser haupts chlich auf die Unzul nglichkeit
der aristotelischen Lehre hinwies und mehrere Einw nde dagegen er-
hob40. Einen regelrechten Kommentar wird er wohl nicht verfa t haben,
sondern eher, etwa wie Plotin (VI l, 1—24), eine kritische Monographie,
in der einzelne Punkte der Doktrin auf ihre Richtigkeit hin gepr ft wur-
den41. Es soll daran erinnert werden, da bereits der Penpatenker Boe-
thos von Sidon in seinem Kommentar das Bed rfnis empfand, die Ka-
tegorienlehre gegen Angriffe zu verteidigen und mehrere Einw nde zu
widerlegen, und da Andronikos selber bei weitem nicht immer mit der
Ansicht des Staginten einverstanden war, Eudoros hat also wahrschein-
lich von der fr heren Kategorienliteratur Anregungen zu seiner eigenen
Polemik erhalten.
Diese Polemik richtete sich vorwiegend, wie aus den durch Sim-
plikios tradierten Ausz gen ersichtlich ist, gegen die Zahl und die An-
ordnung der zehn Kategorien und gegen die innerhalb jeder einzelnen
Kategorie durchgef hrten Unterteilungen. Wichtig erscheint, trotz ihrer
K rze, die Nachricht, da Eudoros dem Stagiriten vorwarf, da er das
An-sich-Sein (καθ' αυτό) als Gegenst ck zur Relation (προς τι) hinstelle,
jedoch nur die Relation und nicht das An-sich-Sein behandele 42 . Die an-
gebliche Gegen berstellung von καθ5 αυτό — προς τι mu Eudoros im
Kapitel ber das ποσόν (6,5b 15sqq.) gefunden haben. Dort hei t es
n mlich, da ,,viel" und ,,wenig" sowie „gro " und „klein" nicht in die
Kategorie der Quantit t, sondern in die der Relation fallen^ weil diese
Bezeichnungen nicht dem Ding an sich (αυτό καθ* αυτό) zukommen,
sondern einen Vergleich mit einem anderen Ding voraussetzen. Auf
diese Nebenbemerkung, die nicht einmal m den Ausf hrungen ber die
Relation steht, hat Eudoros wahrscheinlich deswegen so viel Wert ge-
legt, weil sie an eine Zentrallehre der sp tplatonischen beziehungsweise
der akademischen Ontologie erinnert. Xenokrates teilte bekanntlich das
Sein in An-sich-Sein und Relativ-Sein ein43, und diese Unterscheidung
40
Simplikios bezeichnet die u erungen des Eudoros mit Worten wie αίτιαται, έγκα-
λεί, απορεί.
41
So auch C. Prantl, Gesch. d. Log.k I 618. K. Praechter, Nikostratos 510-511.
42
Simpl., Cat. 174,14-16. « Simpl., Cat. 63,21-24.
44
P. Wilpert, Zwei arist. Fr hschriften, 1949, 184sqq. H. J. Kr mer, Arete, 1959, 282-
285 (Parallelstellen aus den Dialogen 282, Anm. 86). K, Gaiser, Platons ungeschrie-
bene Lehre, 1963, 178-179; 353 Anm. 58. 59; 495, Fr. 31; 499, Fr. 32.
45
Vgl. Bd. I 103.
46
Vgl. K. v. Fritz, Art. Nikostratos 26, RE XVII (1936) 550. H. D rrie, Eudoros
29. W. Theiler, Philo v. Alexandria 208-209.
47
Simpl., Cat. 174, 16sqq.
48
Vgl. Simpl., Cat. 174, 16sqq., wo dargelegt wird, ότι εν τω καθ5 αυτό αί εννέα κα-
τηγορίαι θεωρούνται. F r die erste Interpretation — wenn sie berhaupt in Frage
kommt — scheinen mir aber die Ausf hrungen von Simpl., Cat. 63, 21—26, zu
sprechen. Dort unterscheidet Simpltkios zwei Gruppen von Gegnern der angeblich
zu hohen Kategorienzahl: die einen wollen alle Kategorien unter das καθ5 αυτό und
das προς τι subsumieren; die anderen ziehen die Trennungslinie zwischen ουσία und
συμβεβηκός; die. beiden Gruppen scheinen jedoch dasselbe sagen zu wollen, denn die
ersten bezeichnen die Akzidentien als προς τι und die Substanz als καθ' αυτό.
49
Vgl. z. B. Simpl., Cat. 120,27-122,30; 155,33-159,8; 206,3-207,26; 295,17-296,8;
334,7-335,6; 340,15-342,20,
«o Vgl. Bd. I 107sq.
sl
Bocthius, De trinitate 4, kennt die Reihe ουσία, ποιόν, ποσόν, που, ποτέ, ίχειν,
ποιείν, κεϊσθαι, πάσχειν, προς τι. Da die erste H lfte der Aufz hlung die Ordnung
aufweist, die Simplikios dem Eudoros zuschreibt, k nnte diese Reihenfolge die des
Minelplatonikers sein. Vgl. den Hinweis von W. Theiler, Philo v. Alexandria 205;
Theiiers Vermutung, da Eudoros wechselte und zwei verschiedene Anordnungen vor-
schlug, scheint mir allerdings unbegr ndet.
55
Simpl., Cat. 236,28-33.
56
In Simpl. 236,29 ist der Text zweifellos nicht in Ordnung. Heiberg schreibt: φησΐ
πάλιν f εΐπερ είδη αί έξεις και διαθέσεις, und schl gt im Apparat vor, εΰτερ είδη
durch είσϊ δε (vgl, Arist. 9 a 10) zu ersetzen. Ich wurde aber annehmen, da mehrere
Worte nach πάλιν ausgefallen sind und da εΐίιερ εϊδη als Bestandteil des Emwandes
beibehalten werden mu , „Nachdem er die Beweglichkeit als Merkmal der διάθεσις
angegeben hat, sagt Aristoteles wiederum, (da jede έξις eine διάθεοις ist, die δΐά-
θεσις aber nicht unbedingt eine £ξις, was ja nicht geht,} wenn £ξεις und διαθέσεις
Arten (einer Gattung) sind; die Beweglichkeit wird n mlich nicht mehr kennzeich-
nend f r die διάθεσις sein, etc." Der Einwand des Eudoros beruht darauf, da Ari-
stoteles die διάθεσις bald als eine der έξις gleichgestellte Art, bald als die der ε'ξις
bergeordnete Gattung betrachtet hat.
bitus. Die zweite Art der Qualität unterscheidet sich also nicht von der
ersten57.
Mit den Einwänden gegen die dritte Art der Qualität verhält es sich
kaum anders. Aristoteles wird vorgeworfen, daß er als Beispiele von
Dispositionen m den Ausführungen über die erste Art der Qualität Er-
hitzung, Erkaltung, Krankheit und Gesundheit aufzählt 58 und die
gleichen Zustände wiederum als Beispiele für die „passivischen" Quali-
täten59 nennt 60 . Ihm wird ferner vorgeworfen, veränderliche, schnell
wechselnde Zustände irn dritten Paragraphen61 als , im ersten62 als
zu bezeichnen63 und die selbst bald64 als eine Art der
zu betrachten, bald 65 von den zu unterscheiden 66 .
In dem Abschnitt über die äußere Form und die Gestalt, die zur vierten
Art der Qualität gehören, nahm Eudoros Anstoß daran, daß Geradheit
und Krümmung in diese Art der Qualität fallen67, während dies für das
Lockere und das Dichte, das Glatte und das Rauhe nicht der Fall ist68.
Wenn die letzten vier Bestimmungen sich aus der Stellung ( ) der
Bestandteile des jeweiligen Körpers erklärten, bemerkte er, so sei auch
für das Gerade und das Krumme dieselbe Erklärung möglich69. Daß
Aristoteles in einem Fall auf die äußere Form eines Dinges, im anderen
auf die interne Beschaffenheit des Körpers hinweisen wollte, hat Eu-
doros, wenn nicht verkannt, wenigstens absichtlich verschwiegen.
Historisch besonders interessant ist schließlich eine Bemerkung des
Eudoros über die von Aristoteles erwähnte Möglichkeit, noch eine
weitere Art der Qualität zu unterscheiden 70 . Dieser nicht näher erörter-
ten „fünften Art" hatte Andronikos das Lockere und das Dichte, das
Leichte und das Schwere, das Feinteilige und das GrobteiHge zugeord-
net71. Eudoros hat diese Erg nzung der aristotelischen Lehre durch An-
dronikos nicht nur gekannt, sondern auch kritisiert. Wir h ren n mlich,
da er nur das GrobteiHge und das Feinteilige m die f nfte An der
Qualit t einordnete72. Dadurch wird also die Vermutung best tigt, da
ein Teil seiner Einw nde aus der Kategorienparaphrase des Andronikos
stammen k nnte. Ferner zeigt sich» da seine Kritik sich nicht nur gegen
Aristoteles selbst richtete, sondern auch gelegentlich gegen angesehene
Pers nlichkeiten des Peripatos, wie etwa hier gegen Andronikos.
ber die Kategorie der Relation sind uns einige u erungen des
Eudoros berliefert, die das bisher gewonnene Bild nur best tigen. Auf
den Vorwurf gegen Aristoteles, das καθ' αυτό als Gegenst ck zum προς
τι zwar erw hnt, jedoch nicht systematisch behandelt zu haben, sind wir
bereits oben eingegangen. Ziemlich belanglos d rfte die Nachricht sein,
da Eudoros wie seine Zeitgenossen oder Quasi-Zeitgenossen Boethos,
Ariston, Andronikos und Athenodoros den Ausdruck προς τι bald im
Plural, bald im Singular gebrauchte73. Charakteristischer f r die Art,
wie er sich mit der Kategorienschrift auseinandersetzte, erscheinen da-
gegen seine Bemerkungen zu Beispielen, die Aristoteles in seiner Theorie
von der M glichkeit einer Umkehrung der Relativbegriffe anf hrt. Jede
Relation, behauptet Aristoteles, ist umkehrbar: Der Sklave ist Sklave des
Herrn, umgekehrt ist der Herr Herr des Sklaven. Scheinbare Ausnah-
men lassen sich leicht beseitigen. Sagt man z.B., da der Fl gel Fl gel
des Vogels ist, umgekehrt jedoch nicht der Vogel Vogel des Fl gels, so
ist man von einer falsch gebauten Relation ausgegangen; das Korrelat
von „Fl gel" (πτερόν) ist n mlich nicht „Vogel", sondern „befl gelt"
(πτερωτόν). In anderen F llen k nnte der Umstand t uschen, da eines
der Korrelate keinen Namen hat; um dadurch nicht irregef hrt zu wer-
den, soll man dann neue W rter pr gen. Vom Steuerruder wird man
nicht sagen, da es Steuerruder des Schiffes, sondern des „Steuerruder-
baren" (πηδαλιωτόν) ist; hnlich wird man nicht die Relation „Kopf-
Lebewesen", sondern „Kopf-kopfhabend" (κεφαλωτόν) konstruieren.
So weit Aristoteles74. Gerade an den neu gepr gten W rtern nimmt
Eudoros Ansto , „Fl gel", „Steuerruder", „Kopf", behauptet er,
71
Simpl., Cat. 263, 19-26.
72
Ibid. 263,27-28.
73
Ibid. 159,32.
74
7, 6 b 2 8 - 7 a 2 5 .
In seinem Artikel Lukios l, RE XIII 2 {1927} 1791-1797, der vordem Erscheinen von
Praechters Aufsatz geschrieben wurde, schlo sich Capelle zuerst der These Zellers an
und hielt Lukios und Nikostratos f r Stoiker. Seine Meinung nderte er jedoch nach-
tr glich (Sp. 1795) aufgrund von Praechters Ausf hrungen und erkl rte, Zeilers These
erscheine ihm jetzt als unhaltbar.
7
Sirnpl, Cat. 30, 16-22, Dazu K. Praechter, Nikostratos 485 und hier S. 536.
8
Vgl. unten S. 564.
9
K. Praechter, Nikostratos 486-487 betrachtet SimpL, Cat. 58,15-23 als ein w rtli-
ches Zitat des Nikostratos, in dem dieser Bezug auf eine u erung des Herminos ge-
nommen habe. Das trifft aber nicht zu. Nur die Zeilen 58,15—17 geben den Einwand
des Nikostratos wieder: Es ist ματαιολογία, darauf hinzuweisen (vgl. Arist., Cat. 3,
I b 16-20), da ετερογενή wie Lebewesen und Wissenschaft verschiedene Differenzen
haben, denn die Sache ist ohne weiteres klar. Was danach folgt, 58, 17-23, stellt die
Zur ckweisung des Vorwurfs dar: Erstens ist es nicht ohne weiteres klar, da υπάλλη-
λα dieselben Differenzen haben k nnen; Aristoteles mu te daher die beiden αντικεί-
μενα (fremde Gattungen und solche, die in einem Unterordnungsverh ltnis zueinan-
der stehen) er rtern. Zweitens hat Herminos den Ausdruck Ιτερα και μη υπ' ολληλα
mi verstanden (vgl. SimpL, Cat. 57,22-58,1); die von Aristoteles angef hrten Bei-
spiele sind also nicht entbehrlich. Es leuchtet somit ein, da Herminos' Fehlinterpreta-
tion von Simplikios angef hrt wurde, um gegen Nikostratos zu zeigen, da die geta-
delten Ausf hrungen des Aristoteles durchaus notwendig waren. Capelle, Art, Lukios
l, 1794 erw hnt Praechters Kombination, ohne sie zu beanstanden.
10
Zum Problem vgl. E. Zeller, Philos. d. Gr. III I s , 711 Anm. 2 (unter S. 716), Capelle,
Op, cit, und K. Praechter, Nikostratos 502 Anm. l („Etwas Bestimmtes l t sich ber
den Mann nicht sagen."). ber den Stoiker Lucius, der die Musomosreden aufzeich-
nete, vgl. O. Hense, C. Musonii Rufi rel., Leipzig 1905, XIVsqq. K. v. Fritz, An.
Musonbs l, RE XVI (1933) 893-897, dort 895-896. Der von Philostrat., Vit. soph.
II l, S. 64,20-65,27K. erw hnte Freund des Herodes Attikos kommt wohl auch —
trotz Praechter — kaum in Frage,
11
Simpl., Cat. 62,28; 73,27; 127,30.
12
Vgl. oben S. 528.
13
Simpl., Cat, 48,1; 64,18 (gleich davor, 64,13 l περί τον Νικόστρατον); 125,15;
156,17.
14
Das Problem des Verh ltnisses der beiden Autoren zueinander er rtert K. Praechter,
Nikostratos 502 Anm. 2. Er h lt es f r wahrscheinlich, „da Simplikios bzw. seine
Quelle Porphyrios die Aporien, die Eigentum des Lukios waren, aber bei Nikostratos
zu lesen scanden, beliebig bald unter dem einen oder dem anderen, bald unter beiden
Namen zitierte".
15
Simpl., Cat. 1,20-21; vgl. auch 62,28-30.
16
Allem Anschein nach schöpfte Simplikios seine Information über Lukios und Niko-
stratos aus Porphyrios1 großem Kategorienkommentar an Gedalios, der ohnehin eine
seiner Hauptquellen gewesen ist. Wie wir durch Simpl. 2,5-9 erfahren, enthielt Por-
phyrios' Kommentar „die Lösungen sämtlicher Einwände" gegen die Kategorien. Bei
Simplikios selbst folgt des öfteren eine ausdrücklich Porphyrios zugeschriebene
nach der referierten Aporie, Simplikios hat also Referat und Widerlegung aus Porphy-
nos übernommen. In einigen Fällen aber referiert Simplikios eine von Jamblich vorge-
schlagene Lösung, Jamblich, den Simplikios nach eigener Aussage (3,2—4) oft wört-
lich abschreibt, hatte sich also zumindest mit einigen Aporien des Nikostratos beschäf-
tigt. Ob Jamblich das Buch des Nikostratos selbst benutzt hat oder dessen Inhalt nur
durch Porphyrios kannte, läßt sich nicht mehr feststellen. Die letztere Möglichkeit hal-
te ich für die wahrscheinlichere.
B. Die Homonyme
17
SimpL, Cat. 21,2-3. hnliche Frage, allerdings ohne Nennung des Urhebers, bei
Porph,, Cat. 59,34-37, Dex., Cat. 16,14-17. Auch Ammonios, Cat. 16,19-24 be-
fa t sich mit dem Einwand. Vgl. auch Olymp., Cat. 27,36-39. Philop., Cat.
14,24-28. Elias, Cat. 135,3-6. Boethius, Cat. I63B.
f8
SimpL, Cat. 24,6-9; 25,10-14.
19
Ibid. 24,6-7.
20
Ibid. 18,27-19,1.
21
Ibid, 64, 18-19 (οι περί τον Λούκιον). Vgl. unten S. 542.
" Ibid. 24,6-9. Vgl. Porph,, Cat. 61,13-16, Dex., Cat. 17,30-18,2.
23
Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, da die Interpretation der aristoteli-
schen Homonymik und ihr Verh ltnis zur Lehre Speusipps in der Neuzeit umstritten
sind. Vgl. E. Hambruch, Logische Regeln der platonischen Schule, Progr. Berlin 1904,
27—29. J. P. Anton, The Aristotelian Doctrine of Homonyma in the Categories and its
Platonic Antecedents, in; Journ, of the Hist, of, Philos. 6 (1968) 315-326. J, Barnes,
Hornonymy in Aristotle and Speusippus, in: Class. Quart. 21 (1971) 65-80.
E. Heitsch, Die Entdeckung der Homonymie, in: Akad. Mainz. Abh, d, Geistes- und
Soziaiwiss, Kl. 1972 Nr. 11, 29 sqq. L. Tar n, Speusippus and Aristotle on Homony-
my and Synonymy, in: Hermes 106 (1978) 73 — 79.
24
Simp!., Cat. 25,10-14. Vgl. Porph., Cat. 61,31-35. Anrn., Cat. 18,18-20. Olymp,,
Cat., 30,4-9, Philop., Cat. 18,4-6, Elias, Cat. 137,23-25. Boethius, Cat. 164B-C.
Eine sehr hnliche, Ntkostratos ausdr cklich zugeschriebene Aporie wird uns etwas
sp ter begegnen. Vgl, unten S. 535.
25
Simpl., Cat. 26,23-27,5. Ahnlich ohne Namensnennung Dex., Cat. 19,17-30. Zu
dieser Aporie vgi. K, Praechrer, Nikostratos 498 Anm, l, S. Ebbesen, Commentators
and Commentaries on Aristotle's Sophistici Elenchi I, Leiden 1981, 160.
2
* Simpl., Cat. 27,5-15.
27
Ibid. 27,15-24.
28
Ibid. 27,24-29.
29
Ibid. 27,29-33.
3fl
Sie werden in allen Kategorienkomrnentaren angef hrt: Porph, 62,19—28. Amm.
19,10—14 (k ndigt eine τετραχώς-Teilung an, nennt jedoch nur zwei Bedeutungen).
Simpl. 26,11-17. Dex. 18,34-19,16. Olymp, 30,28-31,3. Ph op. 18,25-19,5.
Elias 138,12-18. Boethius, Cat. 164C-D.
In der wohl etwas k rzenden Fassung des Simplikios lassen sich die ein-
zelnen Urheber der Aporien nicht mehr so deutlich erkennen wie es bei
Porphyrios der Fall gewesen sein d rfte31.
Ebenfalls auf die Definition der Homonyme bezieht sich eine weitere
Aporie: Mit dem Ausdruck ό λόγος της ουσίας scheint Aristoteles die
Homonymie auf die Kategorie der Substanz zu beschr nken, obwohl sie
auch in anderen Kategorien vorkommt 32 . Wie die meisten Kommentato-
ren hervorheben, bedeutet ουσία nicht nur „Substanz" im Gegensatz zu
den brigen Kategorien. Das Wort kann auch das in der Definition zum
Ausdruck gebrachte Wesen einer Sache bezeichnen, und gerade in die-
sem Sinn hat es Aristoteles hier gebraucht. Ob Nikostratos diese Dop-
peldeutigkeit von ουσία nicht gekannt oder sie absichtlich nicht ber ck-
sichtigt hat, eben um gegen Aristoteles opponieren zu k nnen, l t sich
nat rlich nicht entscheiden. Wie dem auch sei: Diese Aporie hnelt einer
anderen sehr, die Stmplikios anf hrt, ohne ihren Urheber zu nennen.
Aristoteles ist vorgeworfen worden, da er mit der Angabe ων όνο-
μα μόνον κοινόν die Homonymie auf die Namen beschr nkt, obwohl
sie auch bei Verben, Partizipien und Konjunktionen vorkommt 33 . Die
hnlichkeit der beiden Aporien macht es sehr wahrscheinlich, da auch
die anonym berlieferte auf Nikostratos zur ckzuf hren ist34.
Ausgesprochen sophistisch klingt die Aporie des Nikostratos, aus
der sich ergeben soll, da aufgrund der Definitionen des Aristoteles alle
Homonyme Synonyme (d.h. univok) sein m ssen. Nikostratos geht
31
Wollte man annehmen, da Nikostratos die vier Bedeutungen von κοινόν als bekannt
vorausgesetzt hat, so w re noch zu bestimmen, wer sie bereits vor Porphyrios unter-
schieden hatte. Als m glicher Kandidat k me vielleicht Andromkos in Frage, der, um
das mehrdeutige Wort KOLVOV zu vermeiden, in seiner Paraphrase die Worte ων όνομα
κοινόν durch ων δνομα ταϋτόν ersetzte: vgl. Simpl,, Cat. 26,17-20. Diese Hypothe-
se steht aber auf sehr schwachen F en. Eine Paraphrase war wohl nicht der Ort, an
dem die Vieldeutigkeit eines Wortes er rtert werden konnte. Ob etwa die alexandrini-
schen Grammatiker auf die Vieldeutigkeit von κοινόν hinwiesen, entzieht sich bisher
meiner Kenntnis.
3i
Simp!., Cat. 29,24-28. Vgl. Amm., Cat. 20,23-25. Dex., Cat. 21,15-17. Olymp.,
Cat. 32,30-34. Philop., Cat. 20,4-9. Elias, Cat. 139,8-11. Zur Aporie K. Praech-
ter, Nikostratos 497 („ein sicherlich beabsichtigtes Mi verst ndnis 1 '). S. Ebbesen, Op.
cit. I 181 und 219.
33
Vgl. oben S. 533.
34
So auch S, Ebbesen, Op, cit. I 181. Wenn άποροϋσι in 25,10 tats chlich οι jieoi τον
Νικόστρατον als Subjekt hat, so gewinnt die Annahme, da auch die Aporie 24,6—9
von Nikostratos stammt, betr chtlich an Wahrscheinlichkeit.
von der Definition der Synonyme aus, d. h. von der Tatsache, da sie die
Bezeichnung und die Definition gemeinsam haben. Das trifft aber auch
f r die Homonyme zu: Sie haben das όνομα gemeinsam, wie aus ihrer
Definition hervorgeht, und ferner haben sie alle dieselbe Definition,
n mlich diejenige, die Aristoteles selbst von ihnen gibt, ονομα μόνον
κοινόν, ό οέ κατά τουνομα λόγος της ουσίας έτερος. Die Homonyme
sind also Synonyme35. hnliche Paralogismen, die auf der Verwechs-
lung des Dinges mit seiner Bezeichnung beruhen (Maus ist eine Silbe.
Aber die Maus knabbert K se. Eine Silbe knabbert also K se), scheinen
in der stoischen Literatur besonders beliebt gewesen zu sein36. Die Apo-
ne des Nikostratos ist offensichtlich f r sehr wichtig gehalten worden.
Attikos wiederholt sie, und zwar in einer klareren Formulierung als Ni-
kostratos selbst37. Die griechischen Kommentatoren der Kategorien er-
w hnen sie ebenfalls und bem hen sich, den darin enthaltenen Fehler zu
entlarven.
35
Simpl., Cat, 30,16-22. Vg], Dex., Cat. 20,32-21,3. Amm., Cat. 20,1-7, Philop.,
Cat. 20,22-27, Olymp., Cat. 36,8-12. Elias, Cat. 135,22-27. S, Efabesen, Op. cit. I
218-219,
36
S. Ebbesen, Op. cit. I 217sqq.
37
Simpl,, Cat. 30, 16-17,
3S
Arist., Cat. 2, Ja20-b9.
3f
Vgl. A. Graeser, Aspekte tier Ontotogie in der Kategorienschrift, in; Zweifelhaftes im
Corpus Aristotelieum, Akten des 9, Symposium Aristotelicum, Berlin 1983, 30sqq.
mit der dort zitierten fr heren Literatur.
Bei einer einzigen wird die Herkunft von Simplikios mit ot περί τον
Λούκιον angegeben40. Im Gegensatz zu vielen anderen sophistischen
Einw nden wirft sie ein philosophisches Problem auf. Aristoteles erkl rt
wie folgt, was er unter „in einem Subjekt sein" versteht: „In einem Sub-
jekt befindlich nenne ich, was in etwas nicht als Teil existiert und nicht
ohne das sein kann, in dem es ist." Als Beispiele f r Entit ten, die in
einem Subjekt sind, jedoch nicht von einem Subjekt gesagt werden,
nennt er „die bestimmte (= individuelle) Grammatikkenntnis", die in
der Seele ist, und ,,das bestimmte Wei e", das im K rper ist. Lukios
wies zuerst darauf hin, da es bestimmte Entit ten gibt, die zur Voll-
st ndigkeit des Wesens eines Dinges beitragen {συμπληρωτικά της ου-
σίας). Der wahrnehmbare K rper z. B. w re nicht das, was er ist, wenn
er Farbe, Gestalt, Gr e, kurzum, Qualit t und Quantit t nicht h tte.
Ebenso geh ren wei e Farbe und K lte zum Wesen des Schnees. Diese
Bestimmungen werden daher als Teile (μέρη) des Wesens, dem sie ange-
h ren, bezeichnet. Daraus folgt notwendigerweise, behauptet Lukios,
entweder da diese Bestimmungen nicht in einem Subjekt sind, oder da
in der Beschreibung dessen, was in einem Subjekt ist, die Angabe „nicht
als Teile" unrichtig ist. Die Gestalt des Sokrates z. B. ist nicht in Sokra-
tes als in ihrem Subjekt. Wenn es berhaupt etwas gibt, das in einem
Subjekt ist, so kann es steh nur um Merkmale handeln, die (ihrem Wesen
nach) bereits vollst ndigen Subjekten von au en her hinzukommen. —
So weit also die Ausf hrungen des Lukios. Sie beruhen offensichtlich
darauf, da es Eigenschaften gibt, die so eng mit dem Wesen eines Din-
ges verbunden sind, da dieses ohne sie nicht mehr das w re, was es ist.
Einen warmen oder schwarzen Schnee kann es zum Beispiel nicht geben.
Ebensowenig bliebe Sokrates Sokrates, wenn er seine besondere K rper-
gestalt, seine charakteristischen Gesichtsz ge usw. nicht mehr bes e.
Und ebensowenig kann es einen wahrnehmbaren K rper ohne Ausdeh-
nung und Gestalt geben. Diese Bestimmungen sind also untrennbar vom
Ding selbst, sie stellen Bestandteile seines Wesens dar. Ganz anders ist
das Verh ltnis von „blo en Akzidentien" zu ihrem Tr ger. Ob ein
Mensch etwa grau- oder dunkelhaarig ist, ndert an seinem Wesen ber-
haupt nichts. Das Hauptproblem liegt also f r Lukios darin, da es un-
m glich ist, bei Eigenschaften, die zum Wesen eines Dinges geh ren, die
aristotelische Charakterisierung der εν ύποκειμένφ δντα anzuwenden.
Simp]., Cat. 48,1 — 11. hnlich, ohne Namensnennung, Dex., Cat, 23,17—24,
41
Arist., Cat. 5,3a21-32.
42
Simpl., Cat. 48,11-49,9. Vgl. dazu S. Ebbesen, Op. cit, I 229sqq.
43
Arist., Cat. 3, l a 25.
44
Simpl., Cat. 49,10-14. Ohne Namensnennung Porph., Cat. 79,23-24. Amm., Cat.
28,8-11. Dex., Cat. 25,8-12. Philop., Cat. 35,16-21. OJymp., Cat. 48,32-37.
Eiias, Cat. 152,5-7. Boethius, Cat. 173B.
45
Simpl., Cat. 49,31-50,1, Ohne Namensnennung Porph,, Cat, 79,12-15. Amm.,
Cat. 27,17-21. Dex., Cat. 22,26-31. Philop., Cat. 33,8-12. Olymp,, Cat.
47,39-48,13, Elias, Cat. 151,3-6. Boethius, Cat. 173A.
Auch hier nennt Simplikios den Urheber der Aporie nicht. M glicher-
weise geht sie auf dieselben Opponenten wie die vorhergehende zu-
r ck46.
D. Die Differenzen
Auch gegen das dritte Kapitel der Kategorien hatte Nikostratos eini-
ges einzuwenden 47 . Aristoteles bemerke, da bei verschiedenen, nicht
untereinander geordneten Gattungen auch die Differenzen spezifisch
verschieden sind; die Gattung „Wissenschaft" z.B. weist keine der Dif-
ferenzen auf, die in der Gattung „Lebewesen" vorkommen 48 . Nikostra-
tos halt diesen Hinweis f r v llig berfl ssig: jeder sehe ein, da „zwei-
f ig" und „vierf ig" keine Differenzen der Wissenschaft sein k n-
nen49.
Von einem wirklichen Interpretationsproblem ist m der n chsten
Aporie die Rede50. In der Tat sind die S tze des Aristoteles, auf die sich
46
In 49,31 hat φασίν vielleicht dasselbe Subjekt (τινές) wie απορούσα in 49,10. Ist das
Zitat bei Simplikios einigerma en w rtlich, so wird mit 50, l ως επί της ευωδιάς έλέ-
γετο auf die erste Aporie Bezug genommen. Allerdings deutet Simplikios an (50,2 -9),
da Boethos die Aporie „aus dem Ort" zu l sen scheint. Hat Boethos sie tats chlich
schon gekannt und ber cksichtigt, so ist sie bedeutend alter als Lukios und Nikostra-
tos (vgl, in diesem Sinn oben Bd. I 152 — 153), Man mu allerdings auch mit der M g-
lichkeit rechnen, da Simplikios bzw. seine Quelle Porphyrios es war, der eine u e-
rung des Boethos als Antwort auf eine eventuell erst nach Boethos entstandene Aporie
deutete. So verf hrt auch Simplikios in anderen F llen, z.B. 58,27sqq.: Nachdem er
eine Aporie des Nikostratos referiert hat, bemerkt er αλλ* ό μεν Βοηθός ένδούς τη
άπορίςι κτλ.
47
Simplikios referiert verschiedene Aporien zu diesem Kapitel: 52,9 τινές 6έ άποροΰσι
. .. 53,4 τινές . , , αιτιώνται. 54,8 Ανδρόνικος και άλλοι δε τίνες . . , 54,16 πάλιν
δε φασι . , . Wir wissen leider nicht, ob sie (auch) bei Nikostratos vorkamen.
48
Arist., Cat. 3,lb 16-20.
49
SimpL, Cat, 58,15-17. Der Vorwurf wird 58,17-23 widerlegt. Das diese Zeilen nicht
mehr zur Aporie geh ren, wie K. Praechter, Nikostratos 486—487 irrt mlich an-
nimmt, ist bereits oben S. 529 Anm. 9 gezeigt worden.
50
Simplikios 58,23 f hrt sie mit αίτιώνται δε και ein. Als Subjekt von αίτιώνται wird
man kaum l περί τον Έρμΐνον (58,20) annehmen k nnen, denn Herminos, den Sim-
plikios im Rahmen seiner Widerlegung von Nikostratos anf hrt, wird nur wegen sei-
ner Interpretation erw hnt und nicht etwa, weil er irgendeinen Vorwurf gegen Aristo-
teles erhoben hatte. Mit αίτιώνται δε καϊ kn pft Simplikios offenbar an den oben
58,15 referierten Vorwurf des Nikostratos an: οι περί τον Νικόστρατον tadeln u e-
rungen des Aristoteles als berfl ssig . . . Dar ber hinaus klagen sie ihn wegen einer
Nikostratos' Vorwurf bezieht, alles andere als klar, und auch die moder-
nen Interpreten halten sie f r besonders schwierig. Aristoteles hat so-
eben bemerkt, da verschiedene, nicht einander untergeordnete Gattun-
gen auch verschiedene Differenzen haben. Als Beispiele solcher Diffe-
renzen nennt er nicht etwa die „konstituierenden" Differenzen der Gat-
tung selbst, d.h. Differenzen, die zum Wesen des γένος geh ren (etwa
αίσθητικόν als Differenz von ζωον), sondern Differenzen, nach wel-
chen die Gattung geteilt wird (πεζόν, πτηνόν etc. als Differenzen von
ζφον). Dann f hrt er mit dem Hinweis fort, es gebe bei den untereinan-
der stehenden γένη kein Hindernis (ουδέν κωλύει), da die Differenzen
dieselben seien. Was dieser Satz lediglich als eine M glichkeit hinzustel-
len schien (ούόέν κωλύει, = dem Sinne nach ενδέχεται), wird im n ch-
sten als eine absolute Regel formuliert: „Denn die oberen Gattungen
werden von den ihnen untergeordneten pr diziert, so da alle Differen-
zen des Pr dikats auch dem Subjekt angeh ren werden51." Gerade an
diesem letzten Satz nimmt Nikostratos Ansto . Seine Bedenken veran-
schaulicht er, indem er das Verh ltnis einer bergeordneten Gattung
(ζφον) zu einer ihr untergeordneten (ζφον λογικόν) betrachtet. Die
Differenzen von ζωον sind λογικόν und άλογον. Nach der von Aristo-
teles formulierten Regel sollten nun diese beiden Differenzen auch die
der untergeordneten Gattung {λογικόν ζφον) sein, was nat rlich un-
m glich ist52. Nikostratos geht also von der Annahme aus, da die im
fraglichen Satz genannten Differenzen der oberen Gattung die sog. „tei-
lenden" Differenzen sind, d.h. diejenigen, die diese Gattung aufteilen.
Zu dieser Annahme f hlte er sich wohl deswegen berechtigt, weil Ari-
stoteles gleich davor, im Zusammenhang mit den ετερογενή και μη υπ'
αλλήλων τεταγμένα nur solche Differenzen als Beispiele herangezogen
hatte. Nebenbei bemerkt, ist er weder der erste noch der einzige gewe-
sen, der den getadelten Aristotelessatz f r sinnlos hielt. Bereits Boethos
von Sidon (der entweder selbst auf die Schwierigkeit aufmerksam wurde
oder sie im Werk eines Vorg ngers vorfand) schlug deswegen eine Kor-
rektur am fraglichen Satz vor53. Auch J. L. Ackrill macht sich die von
anderen u erung an. Es kann m, E. kaum bezweifelt werden, da der Urheber des
58,23—27 referierten Vorwurfs eben der kurz vorher genannte Nikostratos war.
sl
Arist., Cat. 3,1 b 22-24.
52
SimpL, Cat, 58,23-27.
53
Simpl., Cat. 58,27-30. Vgl. auch Porph., Cat, 84,34-85,3, Hier nennt Porphyries
Boethos nicht; er schreibt vielmehr, da viele, πολλοί, den Aristotelestext beanstande-
ten und korrigierten. Dex., Cat. 27,21-23. - Boethos nderte den herk mmlichen
Text in οσαι του υποκείμενου διαφοοραί, τοσαϋται καϊ του κατηγορουμένου έσον-
ται. Einige der von den untergeordneten Gattungen allgemein pr dizi erbare n Diffe-
renzen (λογικός von άνθρωπος) k nnen von den bergeordneten partikul r pr diziert
werden (einige Lebewesen sind mit Vernunft begabt). Andere Differenzen jedoch (die
sog. konstituierenden Differenzen der oberen Gattung) kommen in der Gesamtheit
sowohl der oberen wie auch der unteren Gattung vor (Beispiel; θνητόν, von ζωον und
von άνθρωπος).
5
* J. L, Ackrill, Aristotle's Categories and De Interpretations, Oxford 1963, 77.
ss
Dies ist bereits die Interpretation von Porphynos (Simpl., Cat. 59, 4 — 32. Porph., Cat.
56
85,3-86,4). Arise., Cat. 4 , i b 25-2a 4.
58
" Simpl., Cat. 61,19-68,31. Ibid. 62,28-30.
59
Ibid. 64,13-15. Ohne Namensnennung Amm., Cat. 33,16 — 19, Dex,, Cat,
32, i i-52. Olymp., Cat. 54,28-30, Philop., Cat. 44,4-7. Elias, Cat. 160,2-4.
sigt. Sind sie dieselben, wenigstens zum Teil, dann müßten sie synony-
misch (in der Cat. l, I a 6 — 1 2 angegebenen Bedeutung) sein, was kaum
möglich sein dürfte, da sie im Verhältnis des - bzw.
des Modells zu seiner Abbildung stehen. Gibt es aber nur Homonymie
zwischen den und den zehn Kategorien, so wird es mehr
geben als von Aristoteles behauptet. Ferner wird man nicht annehmen
können, daß es im unwandelbaren Intelligiblen einen Platz für die Kate-
gorien des Leidens und der Relation gibt. Auf etwaige Gemeinsamkeiten
zwischen dem InteUigiblen und dem Sinnlichen und auf das jedem der
beiden Bereiche Eigene hat Aristoteles überhaupt nicht hingewiesen.
Fast alle hier aufgezählten Schwierigkeiten begegnen uns, zum Teil mit
denselben Worten, bei Plotin 67 . Nur die Bemerkung, daß das Leiden
und die Relation aus dem Intelligiblen wohl auszuschließen sind, fehlt
beim großen Neuplatoniker. Kam sie bei Nikostratos vor? Oder hat sie
Simplikios (bzw. Porphyries) von sich aus hinzugefügt? Wir wissen es
nicht.
F. Die Substanz
67
Plot. VI i, 1,19-50.
68
StmpL, Cat. 76,13-17. Vgl. Dex,, Cat, 40,13-18. Simplikios'Text stimmt teilweise
wörtlich mit Plot. V I I , 2 , 1 — 8 überein.
69
Vgl. oben S. 542sq.
Annahme aus, da Aristoteles in den Kategorien die γένη του οντος auf-
z hlen will. Ihm wird daher vorgeworfen, da er das platonische Ideen-
reich unber cksichtigt gelassen hat, und da jeder Versuch, die Katego-
rienlehre mit der Ideenlehre in Einklang zu bringen, zu un berwindli-
chen Schwierigkeiten f hrt. Wie wir sahen, schreibt Simplikios einen
Einwand dieser Art ausdr cklich Lukios und Nikostratos zu™. Andere
Einw nde aber setzen voraus, da es die λέξεις σημαντικαί sind, die in
den Kategorien untersucht werden. Der eine wird dem Lukios zugewie-
sen71, wobei nicht ausgeschlossen ist, da er auch bei Nikostratos zu
finden war. Ein anderer, der h chstwahrscheinlich von Lukios und Ni-
kostratos stammt, geht ebenfalls von der Annahme aus, da Aristoteles
in den Kategorien περί λέξεων zu sprechen vorhat 72 . Diese Inkonse-
quenz der beiden Opponenten zeigt zur Gen ge, da sie keineswegs be-
m ht waren, eine positive, konstruktive Interpretation der Kategorien
zu gewinnen, und da die Grundanschauungen, von denen sie ausgin-
gen, um Aristoteles anzugreifen, keineswegs dogmatisch festgelegt wa-
ren. Ihr Hauptanliegen war n mlich, wie Simplikios richtig notiert hat,
die Opposition und nur die Opposition. Sie verschm hten kein Mittel,
um wirkliche oder vermeintliche Mangel der Kategorienschrift aufzu-
decken. Es st rte sie offensichtlich nicht, da sie dabei in Widerspruch
rntt sich selbst gerieten. Eine dezidierte Meinung ber den σκοπός der
Kategorien hatten sie nicht, und wohl deswegen hat sie Simplikios in
seinem doxographischen berblick ber die Antworten auf diese Frage
berhaupt nicht erw hnt. Sie praktizierten die Opposition um der Op-
position willen, und dazu war ihnen jedes Argument recht.
G. Die Quantit t
zur Kategorie der Substanz geh rt, in der Kategorie der Quantit t un-
tergebracht zu haben 74 . Simplikios, wohl nach Porphyrios, beseitigt die
Schwierigkeit, indem er sagt, als Subjekt, der Zahl nach einzig und iden-
tisch mit sich selbst und f hig, gegens tzliche Qualit ten zu erhalten, sei
der K rper eine Substanz, als dreidimensional und me bar sei er aber ein
ποσόν73. Vor Porphyries scheint sich aber Herminos bereits mit dem
Einwand befa t zu haben. Porphyries selbst berichtete, da Herminos
der Ansicht war, da Aristoteles im fraglichen Passus nicht vom physi-
kalischen K rper, der ja eine Substanz sei, sondern vom mathematischen
K rper spreche, der sich lediglich durch die Dreidimensionaht t kenn-
zeichne76. Wenn Herminos sich tats chlich mit dem er rterten Einwand
auseinandergesetzt hat, so kannte er bereits die antiaristoteiische Arbeit
des Lukios, und wenn die Quellenangabe l περί τον Λούκιον bei Sim-
plikios auf Lukios und Nikostratos zu beziehen ist, so hatten wir den
Beweis daf r, da Herminos nach Lukios und Nikostratos anzusetzen
ist77.
Lukios und Nikostratos erhoben ferner zwei wichtige Einw nde ge-
gen die Einteilung der Kategorie der Quantit t. Aristoteles h tte die
Gr e (μέγεθος)78 nicht als ποσόν bezeichnen sollen. Nur die Zahl sei
eine Quantit t, die Gr e sei aber als ein ,,Von-dieser-Gr e" (πηλί-
κον) zu bezeichnen. Das Gemeinsame zwischen πηλίκον und ποσόν sei
aber entweder etwas anderes als das ποσόν, oder die Bezeichnung ποσόν
passe lediglich f r eine der hier gemeinten Arten und k nne f r die ande-
re nur homonymisch verwendet werden79. Obwohl wir ber die Be-
gr ndung des Einwandes nichts N heres wissen, leuchtet es ein, da die
beiden Opponenten die Einheitlichkeit der Kategorie der Quantit t in
74
Simp!., Cat. 125,15-16. Ohne Namensnennung Olymp., Cat. 83,36-38. Philop.,
Cat. 88,3-4.
75
Simpl., Cat. 125,13-15. hnlich Amm., Cat. 5S.7-9. Philop., Cat. 88,4-10.
76
Simp!., Cat, 124,33—35. Nach Simplikios' Referat zu urteilen, bezog sich Herminos'
Bemerkung auf Cat. 6,5a 4—6; inhaltlich mu sie jedoch auch f r 6 , 4 b 2 4 gegolten
haben. Bei Olymp,, Cat. 83,36 — 84,3 erscheint in der Tat die Unterscheidung zwi-
schen dem physikalischen und dem mathematischen K rper als L sung des Einwan-
des, da Aristoteles den K rper, der eine Substanz sei, dem ποσόν zugeordnet habe,
77
Dies spricht gegen die ohnehin abzulehnende chronologische Konstruktion von
K. Praechter, der irrt mlich behauptete, Nikostratos habe Herminos bereits gekannt
und namentlich erw hnt. Vgl oben S. 532 Anm. 9.
78
Gemeint sind die dem ποσόν συνεχές zugeordneten Begriffe Linie, Fl che, K rper,
Zeit, Ort: Arist., Cat. 6,4b 23-25.
79
Simpl., Cat. 127,30-33. Ohne pr zisere Quellenangabe Olymp., Cat. 82,33-36.
Frage stellten: das ποσόν Οιωρισμένον und das ποσόν συνεχές seien
keine glelchrangigen Arten ein und derselben Gattung. Andere Gegner
der Kategorien, insbesondere Plotin, sprachen sich ebenfalls gegen die
Einheitlichkeit des von Aristoteles er rterten ποσόν aus80.
Die n chste Aporie, die Simplikios referiert, geht ebenfalls auf Lu-
kios und Nikostratos zur ck, obwohl sie auch f r andere Opponenten
bezeugt ist81. Sie ist nicht mehr gegen die Einheitlichkeit der Kategorie
der Quantit t gerichtet, sondern tadelt vielmehr die Unvollst ndigkeit
der von Aristoteles vorgetragenen Einteilung: Neben Zahl und Gr e
h tte Aristoteles eine dritte Art des ποσόν erw hnen sollen, n mlich das
Gewicht (βάρος) oder die Schwerkraft (ρΌπή), wie es Archytas und
nach ihm Athenodoros und der Mathematiker Ptolemaios getan ha-
ben82. Die Verbindung der drei Begriffe Menge, Gr e, Gewicht (Z h-
len, Messen, Wiegen) ist in der Tat bereits in der voraristotelischen Lite-
ratur, insbesondere bei Platon, ziemlich gel ufig83, so da es uns nicht
wundern kann, wenn Aristoteles-Gegner sie in den Kategorien vermi t
bzw. die Angaben ber das ποσόν entsprechend erg nzt haben 84 .
80
Vgl. Plotinos' Ausf hrungen VI 1,4, insbesondere den Schlu satz Z, 50—52. Auf der-
selben Linie stehen die von Simpl,, Cat. 126,6—28, Olymp., Cat. 83,3 — 13 und Elias,
Cat. 186,1—13 referierten Aporien.
sl
Als Subjekt von αιτιώνται bei Simpl., Cat. 128,5 kommt nur οί περί τον Λοΰκιον και
Ν t, κ ό στρατό ν in Frage. Man vergleiche die beiden einf hrenden S tze bei Simplifcios:
127,30 έγκαλοΰοι δε οί περί τον Λ. και Ν. τη διαιρέσει ηρώτον μεν , .. 128S5 αΐ-
τιώνται όέ και το εις δύο γενέσθαι την διαίρεοιν. In diesem Sinne auch Capelle, An.
Lukios l, RE XIII 2, 1793.
** Simpl., Cat. 128,5-8. Vgl. auch Amm., Cat. 55,4-10. Olymp., Cat. 82,34-36.
Elias, Cat. 185,8-10; 186,20-21. Capelle, Op. cit. 1793 vertritt die Ansicht, da die
Erw hnung von Archytas, Athenodoros und Ptoiemaios bei Simpl. 128>7—8 von Ni-
kostratos herr hrt: er schlie t daraus, da Nikostratos die Schrift περί ροπών des Pto-
lemaios gekannt und ber cksichtigt hat. K. Praechter, Nikostratos 509 Anm. l fragt
sich jedoch, ob diese Erw hnung nicht ein Zusatz von Simplikios selbst ist. Eine siche-
re Entscheidung scheint kaum m glich zu sein. F r die Chronologie w re sie ohnehin
kaum ergiebig, da Ptolemaios' περί ροπών nicht datierbar ist.
83
Belege bei Th. Szlez k, Archytas 120-121, zu 25, 1-3.
M
Athenodoros (vgl, unten S. 589) ist der lteste uns bekannte Autor, der Aristoteles in
diesem Zusammenhang korrigieren wollte. Er wurde allerdings bereits von Kornutos
bek mpft, der die Schwerkraft als eine Qualit t bezeichnete (Simpl., Cat, 129,1—2).
Lukios und Nikostratos schl ssen sich dem Athenodoros an und tadelten das Fehlen
der φοπή In Aristoteles' Einteilung des ποσόν. Bei Ps-Archytas 25, l —3 werden die
drei Arten der ποσότης angegeben, und zwar φοπή, μέγεθος und πλήθος. Da PS,-
Archytas die fr he exegetische und aporematische Literatur ber die Kategorien kennt
H. Die Relation
und berücksichtigt, ist an mehreren Stellen einer kleinen Schrift ersichtlich. Wie von
Th. Sziezak mit Recht hervorgehoben, ergeben sich daraus wertvolle Anhaltspunkte
für seine Datierung, Im vorliegenden Fall fragt es sich, ob er lediglich von Athenodo-
ros abhängt, was eher für die Entstehung der Fälschung um die Zeitwende sprechen
würde (so Th. Szlezäk, op. cit. 14sqq.), oder ob er nicht vielmehr die ganze Diskus-
sion um das einschließlich des Einwandes des Nikostratos gekannt hat und da-
her wohl in der zweiten Hälfte des 2. Jh. anzusetzen ist. Vgl. unten S. 614.
es
SimpL, Cat. 156,14-20.
8
* Ibid. 157,18-20. Vgl. oben Bd. I 107.
87
Ibid. 206,10-15.
ss
23,21-22 Thesleff.
851
Für die zweite Hypothese scheint Simpl., Cat, 156,20—25 zu sprechen. Hat er diese
Anordnung tatsächlich befürwortet, so ist die Bemerkung von Sirnpl. 206,21-24 auf
ihn zu beziehen. Lukios hätte dann seine Position mit dem Argument untermauert,
daß in der sinnlichen Welt die Quantität gegenüber der Qualität den Vorrang inneha-
be: Die Materie als solche sei zwar qualitätslos, man könne sie jedoch nicht als quanti-
tätslos auffassen.
/. Die Qualität
93
In seinen Ausf hrungen geht Aristoteles allerdings nicht auf solche Farben wie die des
Schnees ein. Er scheint sich vielmehr auf die Gesichtsfarben der Menschen zu be-
schr nken. Die Frage nach der Entstehung der „untrennbaren Farben" scheint trotz-
dem in diesem Zusammenhang traditionell gewesen zu sein. Auch Simplikios befa t
sich mit ihr, und zwar um zu zeigen, da sie die Folgeerscheinung einer vorherigen
nderung im Zustand des betreffenden K rpers ist: vgl. Simpl, 225,22—26; 256, l —3.
94
Vgl, Arist., Cat. 8,9b 28-33. Dar ber Simpl., Cat. 255,26-33.
95
K. Praechter, Nikostratos 498 scheint sie ganz anders zu verstehen. Er schreibt: „Da
die wesenseigenen Farben, wie die Wei e des Schnees, durch έπιγινόμενα πάθη verur-
sacht seien, sagt Aristoteles nicht und gibt auch keinen Anla , es, wie Nikostratos tut,
als seine Annahme zu erschlie en." Aus Simplikios1 Referat geht meines Erachtens
keineswegs hervor, da Nikostratos meinte, Aristoteles habe die wei e Farbe des
Schnees als durch ein έπιγινόμενον πάθος verursacht betrachtet.
96
In diesem Sinn Cat. 8,9b 11; 12; 15; 20.
97
Cat. 8,9b29; 32.
In den letzten Zeilen des Kapitels über die Qualität bemerkt Aristo-
teles, daß das Lockere und das Dichte, das Rauhe und das Glatte Quali-
täten zu sein scheinen. Er weigert sich aber, diese Bestimmungen der
Kategorie der Qualität zuzuordnen, und zwar weil sie mehr die Position
( ) der Teile des Körpers zueinander bezeichnen: Im Dichten z.B.
befinden sich die Teile eng nebeneinander, in Lockeren sind sie mehr
voneinander entfernt98. Nach dieser Bemerkung fügt er hinzu, daß es
möglicherweise noch eine weitere Art der Qualität geben könnte". Be-
reits bei den ältesten Kategorien-Interpreten und jahrhundertelang nach
ihnen haben diese Zeilen Anlaß zu sehr unterschiedlichen Stellungnah-
men gegeben. Man fragte sich vor aiiem, ob die genannten Eigenschaften
oder einige von ihnen oder andere mit ihnen verwandte nicht doch als
Qualitäten zu betrachten und dem nicht naher gekennzeichneten
zuzuordnen seien. Simplikios referiert diesbezügli-
che Äußerungen von Andronikos, Eudoros, Achaikos, Plotin und Jam-
blich, auf die wir hier nicht eingehen wollen100. In diesem Zusammen-
hang erfahren wir, daß Nikostratos eifrig bemüht war zu zeigen, daß
„locker" und „dicht' Qualitäten sind, Als Belege zog er das Feuer und
die Luft für das Lockere und die Erde für das Dichte heran: Die genann-
ten Eigenschaften besaßen sie nicht aufgrund der Position ihrer Teile, sie
seien bei ihnen wirklich qualitativ101. Damit sprach sich Nikostratos für
die Hypothese aus, die Aristoteles abzulehnen schien, und er verwarf
diejenige, zu der Aristoteles mehr neigte. Plotin schloß sich der Ansicht
des Nikostratos an102. Jamblich schlug dagegen eine Kompromißlösung
vor: Er nahm zwei Arten des Lockeren und des Dichten an. Die eine,
die in den Elementen vorkomme, bezeichne wesenhafte Qualitäten, die
andere gehe auf die Stellung ( ) der Körperteile zueinander zu-
103
rück .
J. Das Haben
Trotz der Kürze von Aristoteles' Angaben über die Kategorie des
Habens104 weiß Nikostratos einen wichtigen Einwand gegen den Stagi-
98
Cat. 8,10a 16-24. *» Ibid. lOa 25.
100
Simpl., Cat. 263, 13sqq.; 267, 18sqq.
101
Ibid. 268,19-21.
102
Plot, V I I , 11,24-29 zitien von Simpl., Cat. 269,2-6.
103
Simpl., Cat. 267,27-268,11; 268,21-269,2.
104
Cat. 4,2a 3und 9, l i b 13-14.
riten zu richten105. Er zieht das letzte Kapitel der sog. Postpr dikamente
heran106 und fragt Aristoteles, warum er im Zusammenhang mit der Ka-
tegorie des Habens nicht untersucht hat, welche der in den Postpr dika-
menten angegebenen acht Bedeutungen von έχειν f r die Kategorie in
Frage kommt, Bei genauerer Betrachtung, notiert Nikostratos, m sse
man feststellen, da berhaupt keine der aufgez hlten acht Bedeutungen
diejenige von εχειν als Kategorie oder Gattung sein k nne. Die erste (£-
ξις, διάθεσις) ist der Qualit t zuzuordnen. Die zweite (μέγεθος, τρίπη-
χυ) geh rt zur Quantit t. Die dritte (ΐμάτιον έχειν), die vierte (εν χειρι
δακτύλιον εχει,ν) und die siebente (κτήμα εχειν) fallen in die Kategorie
der Relation: Besitz und Besitzer sind n mlich Korrelate. Dasselbe gilt
auch f r die f nfte (μόριον Ιχειν), denn Teil und Ganzes sind ebenfalls
Korrelate, obwohl sie, anders betrachtet, zur Kategorie der Substanz ge-
h ren107. Im Zitat bei Simplikios findet sich keine Erw hnung der sech-
sten und der achten Bedeutung von εχειν. Wahrscheinlich hat es Niko-
stratos f r berfl ssig gehalten, sie speziell zu er rtern, weil sie offenbar
f r die Kategorie nicht m Frage kommen: Die sechste („enthalten",
εχειν ως εν άγγειω) ist wohl zu eng, und von der achten (γυναίκα εχειν)
hei t es in den Postpr dikamenten selbst, da sie ein Zusammenleben
eher als ein eigentliches Haben bezeichnet. Wie dem auch sei: Der zitier-
te Passus schlie t mit dem Vorwurf ab, Aristoteles habe den Fehler ge-
macht, nicht genau mitzuteilen, was die Kategorie des Habens eigentlich
sei.
Diesen Vorwurf hielt JambHch f r nicht gerechtfertigt. Gegen Niko-
stratos wies er darauf hin, da Aristoteles anhand von Beispielen angibt,
was er unter έχειν als Kategorie versteht, und somit einige der acht im
letzten Kapitel der Postpr dikamente aufgez hlten Bedeutungen de fac-
to ausschlie t. Die Beispiele „Schuhe haben", „Waffen haben"108 wei-
sen auf etwas, das man am K rper tr gt; sie entsprechen daher der drit-
ten und der vierten Bedeutung von Ιχειν in den Postpr dikamenten,
n mlich Kleider am K rper bzw. einen Ring am Finger haben109. Niko-
1M
Simpl., Cat. 368,12-369,14.
106
Arise., Cat, 15,15b 17—32. Die Postpr dikamente betrachtet Nikostratos offenbar als
Bestandteil der Katego rienschrift, denn er verweist auf das letzte Kapitel mit den Wor-
ten εν τω τέλει του βιβλίου.
107
Mit dem Nachweis, da μέρος und ολον als Korrelate zu betrachten sind (Simpl., Cat.
369,7-12), scheint sich Nikostratos gegen die Ausf hrungen des Aristoteles, Cat.
7,8a 13-b24 zu u ern.
108
Arist., Cat. 4 , 2 a 3 ; 9 , l l b 13-14. ·«» Ibid. 15,15b21-23.
Stratos irrt sich, wenn er diese beiden Bedeutungen der Relation zuord-
net, Gewi , der Mantel und der Ring sind Besitzt mer, sie unterschei-
den sich aber von den anderen dadurch, da man sie anhat, da sie am
K rper oder an einem K rperteil getragen werden110.
110
Simpl., Cat, 369,14-370,11.
111
Vgl. oben Anm. 106.
112
Simpl,, Cat. 380,22-24; 381,2-17. Vgl. auch Boethius, Cat. 264C-D.
n
* Arist., Cat. 10,1 J b 16.
114
Simpl., Cat. 380,17-381,2; 381,17-22.
115
Ibid. 381,23-24.
116
H tte Nikostratos im Gegenteil daf r pl diert, da die αντικείμενα kein νένος bilden,
sondern πολλαχώς λεγόμενα sind, so h tte ihm Jamblich sicher keinen Fehler vorge-
worfen, sondern ihn vielmehr als einen Vorl ufer seiner eigenen Auffassung betrach-
tet.
117
Ob die von Simp},, Cat. 381,2 — 17 referierte und von Jamblich bek mpfte Argumenta-
tion ,,einiger Peripatetiker" auf Nikostratos zur ckgeht bzw. von ihm bernommen
wurde, l t sich nicht entscheiden.
118
Vgl. Simpl., Cat. 385,4-10. In diesem Sinn wurde Arist., Cat. 10, b 33-37 inter-
pretiert,
119
Simpl,, Cat. 385,10-12. H . J , Kr mer, Platonismus und hellenistische Philosophie,
1971, 90 vermutet, da Nikostratos mit der Annahme, da auch die εναντία unter die
mentation erfahren wir leider nicht. Vermutlich arbeitete er mit dem fol-
genden Syllogismus:
Kontr re Gegens tzlichkeit ist eine Relation.
Wei und Schwarz sind kontr re Gegens tze.
Wei und Schwarz sind also Korrelate120.
Ein anderer Einwand des Nikostratos gegen die Lehre der εναντία
bezieht sich nicht direkt auf Ausf hrungen aus den Postpr dikamenten,
sondern auf die bekannte Definition, nach welcher die εναντία die Din-
ge sind, die in ein und derselben Gattung am weitesten voneinander ent-
fernt sind121, Nikostratos wies darauf hin, da es auch kontr re Gegen-
s tze gibt, die verschiedenen, einander kontr r entgegengesetzten Gat-
tungen angeh ren, wie z.B. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit: Die ei-
ne geh rt der Gattung „Tugend", die andere der Gattung „Laster"
an122.
προς τι fallen, an die akademisch-xenokratUche Zweikategorienlehre ankn pft: Nach
dieser Lehre seien Gegens tze und Korrelativa gemeinsam der Uberkategorte des Zuet-
was (προς τι als προς έτερον) subordiniert. Ibid. 90 Anm. 355 schreibt er: „Die von
Nikostratos vorausgesetzte Zwischenl sung, da zwar nicht τα εναντία, wohl aber το
εναντίον αυτό unter die Korrelation falle, d rfte unter akademischem Einflu in den
Peripatos eingedrungen sein." Ohne mich f r oder gegen diese Vermutungen auszu-
sprechen, m chte ich hervorheben, da die Kritik an der Lehre der Postpradikamente
das Prim re bei Nikostratos gewesen zu sein scheint. Ob diese Kritik auf von Niko-
Stratos selbst anerkannten Lehrmeinungen beruhte, l t sich meines Erachtens ebenso-
wenig wie bei den meisten anderen Einw nden feststellen,
120
Gerade gegen die Legitimit t eines solchen Schlusses spricht sich Simpl., Cat.
385,12 — 17 aus. Der Umstand, da die Gleichheit (το ίσον) eine Relation ist, beweist
keineswegs, da die Dinge selbst, die gleich sind, Korrektive sind; sie geh ren viel-
mehr der Kategorie des ποσόν an. - K. Praechter, Nikostratos 499—500 gibt die The-
se des Nikostratos richtig wieder, f gt jedoch hinzu: ,,Fragt man aber, weshalb denn
wohl Nikostratos sich darauf versteifte, da das προς τι wie f r das εναντίον so auch
f r die darunter befa ten εναντία gelten m sse, so liegt der Gedanke sehr nahe, da
f r ihn, den Platoniker, das Verh ltnis des einzelnen als εΐδωλον zur Idee ma gebend
gewesen set." Mir scheint, da wir im vorliegenden Fall den Platomsrnus nicht zu be-
m hen brauchen. Nikostratos hat wohl das εναντίον (das ein προς τι ist) f r eine Gat-
tung gehalten und die einzelnen εναντία als diesem Gattungsbegriff untergeordnet be-
trachtet. Deswegen glaubte er, das Pr dikat (d.h. προς τι) vom Gattungsbegriff εναν-
τίον auf die einzelnen εναντία bertragen zu k nnen.
121
Vgl. Arist,, Cat. 6,6a 17—18 und anderswo. Nikostratos' Einwand beruht auf Cat,
11,14 a 19—25. Unser Opponent spielt also eine u erung des Aristoteles gegen eine
andere aus,
122
Simpl., Cat. 388,4-7. Dasselbe Problem erw hnt Olymp., Cat. 342,29-32. Wie
K, Kalbfleisch gesehen hat, weist der Text von Simplikios offenbar eine L cke auf.
In den Er rterungen ber die kontr ren Gegens tze, zwischen wel-
chen es ein Mittleres geben kann, bemerkt Aristoteles, da in einigen
F llen dieses mittlere Glied nicht leicht mit einem Namen zu bezeichnen
ist; in solchen F llen lasse es sich durch die Negierung der beiden Extre-
me bestimmen, z.B. „was weder gut noch schlecht ist" oder „was we-
der gerecht noch ungerecht ist"123. Ohne den Zusammenhang zu beach-
ten, der ganz deutlich zeigt, da Aristoteles von einer Mitte zwischen
zwei entgegengesetzten Extremen spricht, tadelt Nikostratos die Un-
Vollst ndigkeit von Aristoteles' Angaben zur Bestimmung des μέσον:
Wenn die Negation auf das Mittlere hinweist, so schreibt er, wird die
Formel „nicht Mensch und nicht Pferd" auf eine Mediet t weisen. Man
mu also pr zisieren, da das Mittlere derselben Gattung entnommen
wird, der auch die Extreme angeh ren 124 . ber die Absurdit t des Ein-
wands brauchen wir kein Wort zu verlieren.
Bedeutend interessanter sind zweifellos die Bemerkungen des Niko-
stratos ber die von Aristoteles vorgeschlagene Unterscheidung zwi-
schen εναντία einerseits und οτέρησις und έξις andererseits. Aristoteles
behauptet, bei kontr ren Gegens tzen sei ein bergang von dem einen
in den anderen m glich, im Falle der Privation aber gebe es nur einen
bergang vom Haben zur Privation, jedoch nicht umgekehrt von der
Privation zum Haben 125 . Gegen das Erste wendet Nikostratos ein, da
der Tugendhafte (σπουδαίος) keineswegs b se werden kann. Offenbar
geht er dabei von der stoischen Auffassung aus, da der Weise seine
Vollkommenheit niemals verlieren kann. Auch die Charakterisierung
der Privation h lt er nicht f r richtig. Genau wie das Beleuchtete, Be-
waffnete oder Angezogene dunkel, unbewaffnet oder nackt werden
kann, so ist auch in diesen F llen ein bergang von der Privation zur
Hexis durchaus m glich. Damit glaubt Nikostratos bewiesen zu haben,
da die von Aristoteles angef hrten Unterscheidungsmerkmale zwi-
schen εναντία und στέρησις — §ξις unzutreffend sind126. Im Endeffekt
zielen also seine Bemerkungen darauf ab, den Unterschied zwischen
Der Sinn der Passage ist jedoch klar. Vgl. Kalbfieischs Apparat zu 388,15 mit sinnge-
m richtigen Erg nzungs vorschlagen,
123
Arist., Cat. 1C, 12a 21-25.
134
Simp!., Cat. 390, 14—17. (Der Hinweis auf το ουκ άνρωπος και οϋχ 'ίππος bei Niko-
stratos ist eine Reminiszenz an Arist., Metaph. Γ 7, 1011 b 31.) Vgl. K. Praechter, Ni-
kostratos 497-498.
Iis
VgL Arist., Cat. 10,13a 18sqq. und 31sqq.
126
Simp]., Cat. 402,12-19.
gel), und da die Mitte als Gutes den beiden fehlerhaften Extremen ent-
gegengesetzt ist130. In diesem Zusammenhang wirft Nikostratos Aristo-
teles vor, da er eine unvollst ndige Einteilung aufstellt: Er h tte hinzu-
f gen m ssen, da ein Gleichg ltiges (άδιάφορον) einem anderen
Gleichg ltigen entgegengesetzt sein kann131 und so auch ein Gut einem
anderen, wie etwa ein „vern nftiges Spazierengehen" einem ,,vern nfti-
gen Stehenbleiben" oder eine „vern nftige Lust" einem „vern nftigen
Schmerz"132. Ob beabsichtigt oder nicht, ist Nikostratos' Denkfehler
evident. Die Kontrariet t zwischen Wei und Schwarz beruht nicht dar-
auf, da diese beiden Farben als ethisch indifferent erscheinen. Ebenso-
wenig geht der Gegensatz von φρόνιμη περιπάτησι,ς und φρόνιμη στά-
σις darauf zur ck, da beide gut sind: Er ist nichts anderes als der Ge-
gensatz von Stehen und Gehen.
Nikostratos war sicher nicht der erste, der sich mit der aristoteli-
schen Lehre der αντικείμενα kritisch auseinandersetzte. Jamblich und
SimpHkios kannten z.B. eine Aristoteles selbst zugeschriebene Schrift
mit dem Titel περί αντικειμένων, die nicht nur alle Grunds tze der Op-
positionslehre darstellte, sondern auch „eine enorme Menge von Apo-
rien" enthielt133. Da diese Schrift wirklich von Aristoteles stammte,
kann zumindest angezweifelt werden, denn das wenige, was Simplikios
aus ihr zitiert, scheint von der Art der aristotelischen Pragmatien sehr
entfernt zu sein. Sicher ist auf jeden Fall, da die kleine Schrift alt war,
denn die Stoiker und insbesondere Chrysippos haben, wenn wir Simpli-
kios glauben d rfen, ausgiebig aus ihr gesch pft 134 . Nun, da die Schrift
130
Arist., Cat. J l , 1 3 b 36-14a 6.
131
Simpl., Cat. 410,25-26.
IM
Ibid. 411,6-9.
m
Ibid. 387,20-22 πάντων τάς άφορμάς ό Αριστοτέλης παρέσχεν εν ένϊ βιβλίφ, ο
Περί αντικειμένων έπέγραψεν, εν φ και αποριών εστί πλήθος άμήχανον. Die Frag-
mente dieser Schrift, die alle bei Simphkios stehen, hat u.a. V. Rose, Arist. Fr. 1886,
dort Fr, 118 —124, herausgegeben,
134
Vgl. Simp!., Cat. 387,18-24; 388,21-24; 389,4-7; 389,21-390,6; 394,31-34;
403,5-6. V. Rose, Arist. pseudepigr. 130 h lt die Schrift f r unecht; wegen ihrer Be-
nutzung durch Chrysipp m sse sie jedoch aus der ersten Generation der Aristoteles-
Sch ler stammen. E. Zeller, Philos. d. Gr. II 2 s , 74 Anm. 2 verweist nur auf die Datie-
rung durch Rose, W. Ross, Arist. Fr. sei. 1955, 105sqq. f hrt die Zitate bei Simplikios
auf die von Aristoteles selbst erw hnte εκλογή bzw. διαίρεσις των εναντίων zur ck.
I. During, Aristoteles, 1966, 54 betrachtet die Schrift offensichtlich als echt; er geht
allerdings auf die Echtheitsfrage nicht ein. O. N. Guariglia, Quellenkritische und logi-
sche Untersuchungen zur Gegensatzlehre des Aristoteles, Hildesheim—New York
1978, 34—40, h lt ebenfalls περί αντικείμενων f r genuin; er vermutet, es handele sich
,,um ein fr hes Werk des Aristoteles, das der Reihe von Schriften zugeordnet werden
kann, die bei der Vorbereitung der Topik dienten". In seiner Interpretation verliert er
allerdings kein Wort ber die Steilen, die als Indizien einer sp teren Herkunft angese-
hen werden k nnen. Seine unkritische Hypothese scheint mir v llig unhaltbar zu sein.
Die Platit de und die Naivit t bestimmter u erungen des Autors sind kaum zu ber-
sehen. Die Schrift setzte sich offenbar kritisch mit der aristotelischen Lehre, die sie
voraussetzt, auseinander und enthielt, etwa wie die des Nikostratos, eine Unmenge
von Aporien. Da sie manches aufwies, was auch bei den Stoikern vorkommt, ist Sim-
plikios selbst aufgefallen, obwohl er ihre Echtheit ebensowenig anzweifelt wie die von
Archytas' Schrift ber die Kategorien.
135
Simpl., Cat, 387,24-388,1.
«6 Ibid. 388,2-4.
w Ibid. 388, 4-13. Vgl. oben S. 554.
138
Ibid. 388,13-14 τοΰτο δε πολλοστόν μεν εστί μέρος, ων 6 "Αριστοτέλης εν τω λόγω
τω περί των έναντιοτήτων ήπορησεν.
u
» Ibid. 402, 12-19. Vgl. oben S. 555.
140
Ibid, 402, 33-403, 1.
141
Simplikios wirft Nikostratos vor verkannt zu haben, da in den Postpr dikamenten
nur von κατά φύσιν έξεις και στερήσεις die Rede ist, und er zitiert περί αντικειμένων
zur Widerlegung des Nikostratos, Daraus ergibt sich jedoch keineswegs, da Niko-
stratos περί αντικειμένων nicht kannte. Das Zitat liefen vielmehr den Beweis daf r,
da dte beiden Opponenten F lle nannten, in denen eine έξις nach einer fr heren
στέρησις entsteht.
142
Ibid. 410, 25-26. Vgl. oben S. 556sq.
143
Ibid. 410,26-29. Ahnlich 409,30-410,2.
144
Ibid. 410,29-30.
keiner Gattung, sondern sind selbst die Gattungen von anderen Dingen
(gut und schlecht z. B,)145. Nikostratos wendet dagegen ein, daß es kei-
ne Gegensätze gibt, die selbst höchste Gattungen sind und die nicht als
Arten einer noch höheren Gattung fungieren. Die Gegensätze ,,gut"
und „schlecht" z.B., die Aristoteles als Beispiele anführt, stellen keines-
wegs höchste Gattungen dar, denn beide sind der Qualität untergeord-
net. Jedes Gegensatzpaar wird in irgendeine der zehn Kategorien fallen,
so daß seine beiden Glieder keineswegs als höchste Gattungen gelten
können. Wenn aber das Gegensatzpaar keiner Kategorie angehört, wird
man zugeben müssen, daß die Liste der zehn Kategorien unvollständig
ist146.
Daß Nikostratos gelegentlich auch auf Diskrepanzen innerhalb des
Corpus Aristotelicum hinwies, zeigt seine Bemerkung zu den Arten der
Bewegung. Ihm ist aufgefallen, daß und in den Postprä-
dikamenten als Bewegungen ( ) angesehen werden, während in
der Physik abgestritten wird, daß sie Bewegungen sind 147 .
Besonders lehrreich ist der letzte Einwand, den Simplikios in seinem
Kommentar referiert. Im Kapitel der Postprädikamente, das von der Be-
wegung handelt, wird unter anderem die Selbständigkeit der qualitativen
Veränderung ( ) den anderen Bewegungsarten gegenüber her-
vorgehoben; ähnlich betont der Verfasser, daß Vergrößerungen stattfin-
den können, ohne von qualitativen Veränderungen begleitet zu werden.
Das Viereck, das durch Hinzufügung eines Gnomons vergrößert wird,
erfährt dadurch keine qualitative Veränderung148. Nikostratos' Bean-
standung dieser These beruht auf der Unterscheidung von zwei Arten
von Figuren: Die einen sind körperlich und materiell. Bei ihnen wird die
Vergrößerung durch das Umlegen des Gnomons gleichzeitig einen Qua-
litätswechsel bedeuten. Es gibt aber auch mathematisch-immaterielle Fi-
guren. Sie sind absolut unveränderlich und da sie mit keiner Materie ver-
bunden sind, können sie weder quantitativ noch qualitativ modifiziert
145
Arist., Cat, 11, Ha 19-25.
146
Simpl., Cat, 414,26—33. Reminiszenzen an Nikostratos' Aporie mit der Frage, ob es
nicht etwa 12 Kategorien gibt, begegnen uns bei Olymp., Cat. 142,29—32, Philop.,
Cat. 190,12-15 und Elias, Cat. 249,31-32.
147
Simpl., Cat. 428,3-5. Ähnlich ohne Nennung des Nikostratos Philop., Cat.
199,9-20. Vgl. Arist., Cat. 14,15a 13-14 und Phys. V I,224b35-225b9. Auf die
angebliche Diskrepanz zwischen Cat, und Phys, macht Simpl,, Phys. 824,20—28 auf-
merksam.
148
Arist., Cat. 14,15a 29-31.
L. Schlu wort
552
Simpi., Cat. 368,12-26.
Ί
" hnlich apostrophiert Attikos Fr. 2>50sqq, den „Peripatetiker", dessen Thesen er be-
k mpft.
ses Wesens betrachten kann. Andere aber scheinen als mehr oder weni-
ger zufällig dem Träger anzugehören und sind völlig unabhängig von
seinem Wesen. Auf dieser Unterscheidung beruhen einige der gegen Äu-
ßerungen des Aristoteles gerichteten Einwände. Man könnte anhand
mehrerer Aporien zeigen, daß Nikostratos nicht nur sophistisch gegen
Aristoteles opponierte, sondern bisweilen auch mit philosophischen Er-
kenntnissen arbeitete, die zum Teil von Aristoteles selbst herrühren.
Als Platoniker zieht er aber auch gelegentlich platonische Philoso-
pheme heran, um Schwierigkeiten der Kategorienlehre aufzudecken.
Lange vor Plotin hat er z. B. die in der platonischen Perspektive äußerst
wichtige Grundsatzfrage aufgeworfen, ob und inwieweit die aristoteli-
schen Kategorien für die Welt der Ideen gelten. Da er keine feste Mei-
nung über den eigentlichen Gegenstand der Kategorienschrift vertrat,
konnte er diese auch von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus angrei-
fen. Wie auch Stoiker vor und nach ihm taten, wies er auf Unzulänglich-
keiten der Schrift im Vergleich mit der Lehre der Grammatiker hin. Die
wenigen erhaltenen Bruchstücke der kritischen Schrift des Nikostratos
lassen also erkennen, daß Ausgangspunkt, Tendenz und Qualität der
einzelnen Aporien recht unterschiedlich waren. Mit Recht hat Simpli-
kios jedoch hervorgehoben, daß sich diese Opposition um der Opposi-
tion willen positiv ausgewirkt hat.
Plotin scheint Nikostratos' Buch stets bei der Hand gehabt zu haben,
als er den ersten Traktat seiner sechsten Enneade schrieb. In seinem gro-
ßen Kategorienkommentar an Gedalios machte es sich Porphyries zur
Aufgabe, die Einwendungen des Nikostratos zu widerlegen. So geschah
es, daß viele Fragen, die Nikostratos aufgeworfen hatte, sozusagen zu
klassischen Problemen der Kategorien-Interpretation wurden. Ein Ver-
gleich von Simplikios, der Nikostratos mit Namen anführt, mit den an-
deren Kommentatoren, die Nikostratos überhaupt nicht nennen, zeigt
zur Genüge, daß seine Aporien und deren Lösung bald völlig unabhän-
gig von ihrer Herkunft als Probleme betrachtet wurden, mit denen sich
jeder Interpret der Kategorien konfrontiert sah.
Vom Platoniker Attikos, der in der zweiten H lfte des 2. Jh. wirkte 1 ,
hat uns Eusebios in seiner Praeparatio Evangelica wertvolle w rtliche
Fragmente erhalten 2 . Die Schrift, aus der sie stammen, scheint den Titel
, Gegen diejenigen, die verhei en, Platons Lehre mittels Aristoteles zu
deuten' getragen zu haben 3 . In der Tat greift Attikos mehrere Lehrmei-
nungen des Aristoteles scharf an, die angeblich vom echten Platomsmus
abweichen. Damit reagiert er zugestandenerma en gegen eine Tendenz,
die bei den Platonikern seiner Zeit stark vertreten war 4 . Wir berlassen
1
Zum J. 176 n. Chr. hei t es in der Chronik des Hieronymos, ed. R. Helm 1956, S. 207
Attictts Ptatonicae sectaephilosophus agnoscttxr. hnlich, ebenfalls nach Eusebios, Ge-
orgios Synkellos, ed. L. Dindorf 1829, 666,11 — 12, wo die Erg nzung ίτει (ι)ε' so
gut wie sicher ist. Attikos wurde also um 136 geboren.
2
Die letzte Ausgabe dieser Fragmente und sonstiger Testimonien mit franz sischer
bersetzung und vielen Anmerkungen wurde von E. des Places, Paris 1977, besorgt.
Sie ersetzt die ltere Sammlung von J, Baudry, 1931, Im folgenden wird Attikos nach
E. des Places (Fragmentnummer und -zeilen) zittert.
3
E us., P. E, XI 1,2 verweist auf Αττικός διαφανής άνήρ των Πλατωνικών φιλο-
σόφων . . , εν οίς ισταται. Προς τους διίί των Αριστοτέλους τα Πλάτωνος ύτησχ-
νουμένους. Dieser Titel dokumentiert eine Tendenz, die de facto gegen Aristoteles-
freundliche Platoniker gerichtet war, und die sp ter, besonders von Neuplatomkern,
mi billigt wurde. Hierokles wird z.B. die Ansicht vertreten, da die Pronoia- und
Heimarmene-Lehre des Aristoteles identisch mit der platonischen ist und da alle In-
terpreten, die Unterschiede festzustellen glaubten, sich gewaltig geirrt haben. Vgl.
Hierokles, περί προνοίας και ειμαρμένης ap. Phot., Bibl. cod, 214,171b 33 —172 a 2;
172a 12-13; 173a 25-32; cod. 251, 461 a 24-32. Freilich gab es auch Platoniker, die
behaupteten, Aristoteles habe sich zum Vorsehungsproblem gar nicht ge u ert. Gegen
sie will Alexander von Aphrodisias nachweisen, da es eine aristotelische Vorsehungs-
lehre durchaus gibt: Alex., Quaest. I 21, S. 70, 33-71,2. Attikos war zweifellos nicht
der erste, der die Unterschiede zwischen Aristoteles und Platon hervorhob. Von Tau-
ros (Suda, s. v, Ταϋρος Βηρΰτιος) hei t es z. B. ( da er έγραψε περί της των δογ-
μάτων διαφοράς Πλάτωνος καΐ Αριστοτέλους.
4
Vgl. bes. Fr. 4,14-19; 29-35; 57-64, wo er in aller Freundschaft Mitgliedern der
platonischen Schule vorwirft, sie h tten sich in der Lehre von der Weltentstehung von
den Einw nden des Aristoteles beeindrucken lassen und daher die w rtliche Timaios-
Interpretation abgelehnt. Attikos ist offenbar bestrebt, die anderen Platoniker nicht zu
provozieren. Seine massiven Angriffe gelten einzig und allein Aristoteles.
In der Ethik hat sich Aristoteles von Platon in einer der wesentlich-
sten Fragen getrennt: Er hat erkl rt, da die Tugend allein zur Eud mo-
nie nicht ausreiche; sie ben tige auch die Gl cksg ter6. Was man in sei-
nen ethischen Abhandlungen, der EE, der EN und den MM, ber die
Tugend finde, sei daher kleinlich, niedrig und gemein; es gehe nicht ber
das Niveau hinaus, das man von einem Laien, einem Ungebildeten, ei-
nem J ngling oder einer Frau erwarten k nne 7 . Die Tugend stehe auf
5
Auf mehrere Parallelen zwischen Attikos und Plotin weist Ph. Merlan, Cambridge Hi-
story of Later Greek and early Medieval Philosophy, 1967, 73 — 78, hin. Der soeben
erschienene Samrnelband Platonismus und Christentum. Festschrift f r Heinrich D r-
rie, M nster 1983, enth lt einen wertvollen Beitrag ber Attikos: M. Bahes, Zur Phi-
losophie des Platomkers Attikos, dort 38 — 57, Der Verfasser analysiert vor allem die
Reste des Kommentars zum Tinnaios (Prinzipien- und Seelenlehre); auf die Polemik
gegen Aristoteles geht er nicht ein.
6
Fr, 2,9 — 17, Attikos selbst ist offenbar der Meinung, da laut Platon „die Tugend zur
Gl ckseligkeit ausreicht", την άρετήν αυτάρκη προς ευ δαιμόνια ν είναι. Darin sp rt
Ε. Zelter, Philos. d. Gr. Ill 1s, 839-840 eine Beeinflussung durch die Stoa auf: „Er
eifert gegen die Vermengung der platonischen Lehre mit der peripatetischen; aber er
selbst vermengt sie mit der stoischen, wenn er der aristotelischen G terlehre eine Au-
tarkie der Tugend entgegenstellt, welche sich von der stoischen h chstens in den Wor-
ten unterscheidet," Ohne zu bestreiten, da die Stoiker diese These vertreten haben,
w rde ich lieber sagen, da die Fragestellung an sich stoisch ist. Sie hat die Doxogra-
phen dahingehend beeinflu t, da diese sich regelm ig gefragt haben, ob die von ih-
nen behandelten Philosophen f r oder gegen die Autarkie der Tugend waren. Was Pla-
ton anbetrifft, war ihre Antwort bejahend. Vgl. u. a. Diog. Laert. III 78 την δ' άρετήν
αυτάρκη μεν είναι ίΐρος ευδαιμονίαν. Die k rperlichen und die u eren G ter wer-
den zwar als ,Instrumente*, δργανα, benutzt, sind jedoch nicht unbedingt erforder-
lich, ουδέν 6έ ήττον εΰδαίμονα έσεσθαι τον σοφόν, καν ταύτα μη παρτ). Allerdings
scheint Attikos die k rperlichen und die u eren G ter f r reine αδιάφορα gehalten
zu haben: Vgl. Anon., EN (CAG XX) 248,18-29, nur unvollst ndig als Fr. 43 von E.
des Places angef hrt. Ist das wirklich der Fall gewesen, so m ssen wir mit einer Ann -
herung an die Stoa rechnen, wenigstens auf dem Gebiete der Ethik. Dazu ber-
weg -Praechter12 549-550.
7
Fr. 2,63—67, Dieser Text ist unseres Wissens der ltere, in dem die drei Ethiken aus-
dr cklich Aristoteles zugeschrieben werden.
derselben Ebene wie der Reichtum, der Ruhm, die Geburt, die Gesund-
heit, die Sch nheit und hnliche Vorz ge, die auch mit dem Laster ver-
bunden sein k nnen: Keiner von ihnen reiche ohne die Tugend zur
Gl ckseligkeit aus, aber die Tugend ohne sie k nne auch die Eudamonie
nicht sichern8. Attikos' Angriffe richten sich gegen die bekannte These
des Aristoteles, da die sogenannten Gl cksg ter neben der Tugend ih-
ren Beitrag zur Eudamonie liefern9. Auch m der Doxographie wird diese
These als besonders charakteristisch f r die Ethik des Aristoteles er-
w hnt10. Da Aristoteles die Tugend h her stellt als die brigen G ter,
ndert nichts daran, da sie allein die Gl ckseligkeit nicht ausmacht11.
Wer auf dem Rad gefoltert oder vom Schicksal eines Priamos getroffen
wird, kann eben nicht gl cklich sein12.
B. G terlehre
Mit Verachtung erw hnt Attikos jene Einteilungen der G ter, die of-
fenbar bei den Penpatetikern beliebt waren. Seiner Meinung nach liefern
sie keinen Beitrag zur echten Tugendlehre. Ferner lassen sie die Kluft
zwischen Platon und Aristoteles bestehen13. Seine Ausf hrungen ber
die διαιρέσεις των αγαθών sind f r uns von besonderem Interesse, weil
sie fast in derselben Form auch in der Epitome des Areios Didymos vor-
kommen, wie aus den folgenden Synopsen ersichtlich ist.
was schwieriger zu erkl ren ist die Einteilung in τέλη, ύλοα, όργανα, die
meines Wissens sonst nirgends vorkommt. Vielleicht ist die Erw hnung
der υλαι als eine Anspielung auf jene hylemorphische Tugendlehre zu
verstehen, nach welcher der λόγος die Form der Tugend und die πάθη
ihre Materie bilden21.
Auch der Satz, mit dem Attikos seine Ausf hrungen ber die
αγαθών διαιρέσεις abschlie t, enth lt einen interessanten Vorwurf an
die aristotelische G terlehre: „Selbst wenn man bei dir lernte, eine
Zehnteilung der G ter vorzunehmen, analog zu den zehn Kategorien, in
welchem Verh ltnis w rde diese Lehre zu Platons Anschauung stehen?
Denn solange du die Eigenschaften der Tugend „homonymisch" oder
irgendwie anders als G ter bezeichnest, dabei aber andere Dinge als un-
entbehrlich f r die Eud mome hinzuf gst. , , (kann es nichts Gemeinsa-
mes zwischen uns geben) 22 /' Auch Areios Didymos bemerkt im An-
schlu an seine διαιρέσεις) da das Gute kein einheitliches γένος ist,
sondern sich nach den zehn Kategorien richtet; Es ist n mlich ein „ho-
monymer" Begriff 23 . Da das Gute auf die einzelnen Kategorien verteilt
werden kann und daher ein Homonymem ist, entspricht einer echt ari-
stotelischen, vielfach belegten Auffassung 24 .
Bereits jetzt mu die Frage aufgeworfen werden, ob Attikos1 Kritik
auf eine direkte Auseinandersetzung mit den drei Ethiken des Aristote-
les zur ckgeht oder ob er seine Kenntnis der hier hervorgehobenen Un-
terschiede zwischen Platon und Aristoteles einer anderen, handbucharti-
gen Quelle verdankt. Mehrere Indizien sprechen eher f r die letztere
M glichkeit. Er ist keineswegs bem ht, auf die Argumentation des Ari-
stoteles einzugehen und sie auch argumentativ zu bek mpfen, Er nennt
vielmehr nur dessen Thesen, die mit dem Platonismus nicht vereinbar
sind, verherrlicht Piaton und verurteilt Aristoteles, weil er vom Plato-
21
Vgi. dar ber P. L. Donini, Tre studi 93-98, der auf Plut., De virt, mor. 440D ver-
weist. Hinzuzuf gen w re Metopos ap. Stob. III 1,105, S, 71,16 τα δε πάθεα τας
άρετάς ΐλα. In seiner Epitome der aristotelischen Ethik teilt Areios Didymos die καθ'
αϋθ' αί.ρετά in τελικά und ποιητικά ein. Die ποιητικά sind τα υλικά των αρετών
(Stob. II 7,19, S. 134,17-19).
32
Fr. 2,136—145. Zeile 136 mu wohl, wie bereits von Stephanus vorgeschlagen, καν
(κατά) τάς δέκα erg nzt werden,
23
Areios Did. ap. Stob. II 7,19, S. 137,8-12. Vgl. oben Bd, I 376.
24
E N I 4 , 1096a 19-29 (ίσαχώς λέγεται τω δντι);ΕΕ 18, 1217b 25-33 ( hnlich); MM I
l, 1183a 9-30 und II 7, 12 5a 8-11 (τάγαθον εν ίϊάοαις ταίς κατηγορίαις εστίν);
Top. Ι 15, I07a5-12 (όμώνυμον το αγαθόν).
C. Vorsehungslekre
Mit dem langen Zitat, das das Fragment 3 des Attikos bildet, will Eu-
sebios nachweisen, da die Vorsehungslehre des Aristoteles sowohl von
der Ansicht Moses' und der hebr ischen Propheten wie auch von der
Vorsehungslehre Platons abweicht. Aristoteles habe n mlich die Ansicht
vertreten, da das G ttliche nur bis zum Mond hinabgehe und da die
brigen Teile der Welt (also die sublunare Region) nicht von Gott ver-
waltet w rden. Diese Ansicht sei von Attikos widerlegt worden27. In
Wirklichkeit aber enth lt der Auszug aus Attikos keine eigentliche Wi-
derlegung der aristotelischen Vorsehungslehre. Der Verfasser hebt viel-
mehr hervor, da die Ansichten des Aristoteles ber die Seele und ber
Gott — im Gegensatz zu denen Platons — zur Folge haben, da der
Mensch sich hemmungslos von seinen Begierden leiten l t und ohne
Furcht unmoralisch leben kann. Er deutet an, da die aristotelische See-
lenlehre dem Menschen jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft
ζί
Man vergleiche etwa Diog. Laert, V 30 την τε άρετην μη είναι αυτάρκη προς εύδαι-
μονίαν mit Fr. 2,12; 75; 106, sowie προσδεΐσθαι γαρ των τε περί σώμα και των
έκτος αγαθών mit Fr. 2,14-15, Auch Formeln wie ίίπεσθαι τη αρετή την εϋδαιμο-
νίαν (24), άκΌλουθεΓν . . . την εύδαιμονίαν τοις την άρετην Ιχουσι (89) erinnern an
den Sprachgebrauch der Doxographen,
26
Da Attikos nicht direkt aus Areios sch pft, scheint mir daraus ersichtlich zu sein, da
die letzte διαίρεσις des Attikos (Fr. 2,134—136) bei Areios nicht vorkommt. Mit dem
Hinweis και άλλως δε πολλαχώς διαιρεϊοθαι τάγαθά (Stob. II 7, 19, S. 137,8) deutet
Areios m glicherweise an, da seine Quelle noch mehr διαιρέσεις enth lt als er wie-
dergibt.
27
Eus., P. E. XV 5,1, S. 355,13-17 Mras.
nimmt 28 . Ausf hrlicher geht er auf die Gotteslehre ein, und zwar um zu
zeigen, da , wenn die G tter sich nicht um die Menschen k mmern,
diese sich beinahe zwangsl ufig der αδικία hingeben werden. Wie Atti-
kos das Verh ltnis Gottes zur Welt und zu den Menschen in der aristote-
lischen Perspektive Schilden, wollen wir etwas n her betrachten. De fac-
to, meint er, hat Aristoteles die πρόνοια aufgehoben, selbst wenn er
glaubt, da die Himmelswesen in einer wohlgeordneten Disposition ein-
gerichtet sind29. Damit wird offensichtlich auf die Auffassung ange-
spielt, da die g ttliche Vorsehung im Bereich oberhalb des Mondes
waltet und f r die Regelm igkeit der Gestirnbewegungen sorgt. Um
die Menschen dagegen k mmern sich die G tter nicht30, Der Bereich, in
dem die Menschen leben, wird n mlich nicht von der Berechnung Got-
tes, sondern von der Natur regiert31. Die Vorsehungslehre, gegen die
Attikos opponiert, zeichnet sich also durch drei Thesen aus: 1. Die F r-
sorge Gottes gilt einzig und allein den Himmelswesen. 2. Gott k mmert
sich weder um das Wohlergehen noch um das ethische Verhalten der
Menschen. 3, In der sublunaren Welt waltet nicht Gott, sondern die Na-
tur. Da keine dieser Thesen von Aristoteles expressis verbis formuliert
wurde, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Sie gehen vielmehr auf
eine peripatetische Vorsehungslehre zur ck, die man aus einigen Grund-
anschauungen der aristotelischen Theologie und Naturphilosophie her-
ausgearbeitet hatte. Wie wir noch sehen werden, war Alexander von
Aphrodisias bem ht, eine wohldifferenzierte aristotelische Vorsehungs-
28
Fr, 3,27—28; 36—37; 73 —74, Ist die Seele sterblich, so kann sie keine Belohnung post
mortem erwarten, und ebensowenig wird sie sich vor einer etwaigen Bestrafung im
Jenseits f rchten. Auf die hier erw hnte Seelenlehre des Aristoteles kommen wir noch
sp ter (S. 576) zu sprechen. G, Bozonis, A Criticism of two Atticus' Arguments
against Aristotle, in: Diotima 4 (1976) 53—57 untersucht die beiden Fragmente, in de-
nen Atttkos sich mit der Vorsehungslehre (= Fr. 3 des Places) und der Unzerst rbar-
keit der Welt (= Fr, 4 des Places) befa t. Seine Interpretation ist im gro en und ganzen
unergiebig. Attikos wird als ein Vorg nger der Scholastik gekennzeichnet, weil bei ihm
der Glaube den Vorrang vor der Vernunft habe und er die Meinung vertrete, da Gott
sich um die Angelegenheiten der Menschen k mmert,
29
Fr. 3,69-71 . . . ει και τα κατ' οίιρανον εν τάξει τινί και κοσμώ διοικείται,.
30
Fr. 3, 58 t εκ θεών αμελές είς τους ανθρώπους. 84 τάνθρώπννα πράγματα . . .
εΐαοεν ατημέλητο καί άφρόντιστα. M glicherweise hat Attikos dem Gott des Aristo-
teles eine gewisse Kenntnis der menschlichen Angelegenheiten zugeschrieben, wie aus
Fr. 3,83 — 84 hervorzugehen scheint, ΐιπ' αυτήν την όψιν των θεών τάνθρώπινα
πράγματα ΰποθείς. Dennoch ist das Desinteresse der G tter sicher.
sl
Fr. 3,85 φύσει tivi και ου θεοϋ λογισμώ διοικούμενα.
lehre aufzubauen 32 . Lange vor ihm aber hatte die Doxographie die an-
geblich aristotelische Position mit einfacheren Formeln zusammenge-
faßt, die sich jahrhundertelang behaupten sollten und etwa so lauten:
Die Vorsehung walte nur bis zum Mond; was unterhalb des Mondes He-
ge, sei nicht von ihr geregelt worden, oder nur . Dort
33
walte vielmehr die Natur , Es dürfte einleuchten, daß Attikos seine In-
formation über die aristotelische Vorsehungslehre weder aus dem Cor-
pus Aristotelicum geschöpft hat noch späteren Aristoteükern verdankt,
die sich eingehend mit dem Problem beschäftigt hatten. Sie geht einzig
und allein auf die vielfach bezeugte, stark vereinfachende doxographi-
sche Tradition zurück.
D. Naturwissenschaftliches
Im nächsten Fragment ist von der Erschaffung der Welt die Rede.
Auch hier hebt Attikos den Gegensatz zwischen Platon und Aristoteles
hervor. Seine Darstellung von Platons Lehre beruht auf der wörtlichen
Interpretation des Timaios-Berichtes über die Gestaltung der Welt
durch den Demiurgen. Mit Entschiedenheit lehnt er die Interpretation
derjenigen Platoniker ab, die die Timaios-Erzahlung nicht wörtlich neh-
men und in ihr nur die Darstellung ontologischer Verhältnisse sehen
wollten, sie hätten sich von den Einwendungen des Aristoteles derart
beeindrucken lassen, daß sie in der nicht wörtlichen Interpretation die
einzige Möglichkeit sahen, Platon vor der Kritik des Aristoteles zu
32
Seme Verdienste in diesem Zusammenhang hebt er Quaest. II 21, S. 70,24—71,3 her-
vor.
33
Unter den vielen Texten, m denen diese Ansicht Aristoteles zugeschrieben wird, seien
hier angeführt Aet. II 3,4 (Dox. 330,8-15), Epiktet., Diss. I 12,2 (Ansicht der ,
ohne Namensnennung). Tatian., Or. ad Graecos, S. 2,23 und 3,4—8 Schwartz. Athe-
nagoras, Lib. pro Christ. 25, S, 33,25 Schwanz. Hippolytos, Refut. omn. haer, VII
19,2 und 4 Wendland. Justin., Dial. c. Tryph. I 4 (Anspielung ohne Namensnen-
nung). Diog. Laert, V 32, PS.-Galen, Hist. phil. 46 (Dox. 621,15-19). Epiphan,,
Adv. haer. III 2,9 (Dox. 592,11-13). Clem. Alex., Protr. V 66,4, S. 51,2-5 Stählin;
Strom, V 14, S.385,19sqq. Stählin. Origenes, C, Cels. I 21, S. 72,11-14; III 75,
S. 266,25 Koetschau; Comm. in Epist, ad Rom. III 1,927B Migne PG 14, Calcid., In
Tim, 250, Andere Texte, in denen die Vorsehungslehre des Aristoteles nuancierter dar-
gelegt wird (etwa so, daß auch die Erhaltung der Gattungen der Lebewesen der Vorse-
hung zugeschrieben wird), erwähne ich hier nicht.
sch tzen34. Aristoteles hat n mlich die Thesen aufgestellt, da , wenn et-
was entstanden ist, es notwendigerweise vergehen mu , und da umge-
kehrt, wenn etwas nicht vergehen wird, es notwendigerweise nicht ent-
standen sein kann35. In der Tat sind das Thesen, f r die Aristoteles in
einem langen Kapitel von De caelo sehr ausf hrlich argumentiert 36 . At-
tikos hebt hervor, da Aristoteles diesen Nachweis nicht ohne Anla
und nicht nur f r sich selbst gef hrt hat; seine Argumentation ist direkt
gegen Platon gerichtet37. Damit spielt er unverkennbar auf jene Stelle in
De caelo an, in der Aristoteles ausdr cklich bemerkt, da er die im Ti-
maios vertretene Ansicht bek mpft, nach welcher die Welt entstanden
ist und dennoch ewig dauern wird38. Der Fehler des Aristoteles, den At-
tikos im ganzen Fragment blo zulegen bem ht ist, besteht darin, da er
die Macht und die G te des demiurgischen Gottes v llig au er acht ge-
lassen hat. In Wirklichkeit stand es Gott frei zu beschlie en, da sein
Werk niemals untergehen wird39. Andererseits stimmt die Annahme,
da die Welt entstanden ist, mit der g ttlichen πρόνοια besser berein
als die These, nach welcher die Welt nicht entstanden ist. Im letzteren
Fall h tte die Weit n mlich weder eines Werkmeisters noch eines Be-
sch tzers bedurft; gerade urn seine πρόνοια f r die Welt walten zu las-
sen, hat Gott die Welt erschaffen40.
Gegen die typisch aristotelische Lehre vom „f nften Element" pole-
misiert Attikos ebenfalls sehr heftig. Urn seinen Scharfsinn zur Schau zu
stellen, hat Aristoteles den vier traditionellen Elementen eine „f nfte
Substanz" hinzugef gt41. Damit ist nat rlich jenes πρώτον σώμα ge-
meint, aus dem nach Aristoteles die Gestirnwelt besteht42 und das Atti-
kos wie brigens auch die nacharistotelische Tradition als πέμπτη ουσία
(bzw, πέμπτον σώμα) bezeichnet. Da nun die Ureigenschaf ten der K r-
per — das Warme und das Kalte, das Trockene und das Feuchte, das
34
Fr. 4,14-19; 29-35; 57-64.
35
Fr. 4,44-46; 52-54; 63-64; 67-69. Fr. 25,3-5.
35
De caelo 1 1 2 ,
37
Fr. 4,50-52.
38
De caeio l 10, 28Qa 28-34.
19
Attikos st tzt sich besonders auf Tim. 41 B, eine Stelle, die er Fr. 4,26-29 w rtlich
anf hrt. Alex., Quaest. I 18 ist dagegen bem ht, den peripatetischen Standpunkt ge-
gen die Platoniker zu bekr ftigen.
40
Fr. 4,8 —13. Zur Interpretation des Fr, 4 vgl. H, D rrie, Die andere Theologie, in:
Theologie und Philosophie 56 (1981) 1-46, dort 34-35.
41
Fr. 5,9-12,
42
Vgl. bes. De caelo 12-3.
Weiche und das Harte, das Leichte und das Schwere, das Lockere und
das Dichte — nur in den vier Elementen vorkommen und den Beweis
daf r liefern, da es nur vier Elemente geben kann, hat Aristoteles seiner
„f nften Substanz" alle diese Eigenschaften abgesprochen, sie sei weder
schwer noch leicht, weder weich noch hart, weder feucht noch trocken.
De facto spricht er also von einem K rper, der kein K rper ist und nur
den Namen eines K rpers hat, denn ihm fehlen alle f r einen K rper
charakteristischen Eigenschaften43. In Wirklichkeit hat Aristoteles aus-
f hrlich nachgewiesen, da der Gestirnk rper weder schwer noch leicht
sein kann 44 ; die brigen von Attikos erw hnten Qualit ten hat er ihm
nicht ausdr cklich abgesprochen. Attikos' Extrapolation ist trotzdem
legitim, zumal Aristoteles hervorhebt, da sein ,,erster K rper" au er-
halb der Gegens tze steht45. Attikos weist ferner darauf hin, da die
f nfte Substanz ber den anderen Elementen steht (επί των άλλων),
leidlos (απαθής), unverg nglich (άφθαρτον) und unver nderlich
(άτρεπτος) ist46. Das entspricht genau, zum Teil sogar w rtlich, der
Ansicht des Aristoteles47. Die Kreisbewegung, die Platon der Seele zu-
gewiesen hatte, wird von Aristoteles als charakteristisch f r den f nften
K rper betrachtet, der genau wie die brigen K rper eine ihm eigent m-
liche Bewegung besitzen mu 48. Damit spielt Attikos auf den Passus an,
in dem Aristoteles erkl rt, da jede Bewegungsrichtung, die kreisf rmi-
ge wie auch die geradlinige, mit einem besonderen K rper vertreten
ist49. Im Gegensatz zu den anderen K rpern, die, wenn man sie gewalt-
sam von ihrem eigenen Ort entfernt, zu diesem von sich aus wieder hin-
« Fr. 5,15-32,
" De caelo I 3, 269b 18-270a 12.
45
Ibid. 270a21.
46
Fr. 5,41-42.
47
De caelo I 3, 270a !2-b4.
48
Fr. 6,52—53, Der berlieferte Text des danach folgenden Einwandes, den E, des Pla-
ces abdruckt, ist sicher nicht in Ordnung, und die von P. Thillet vorgeschlagene ber-
setzung (E, des Places, S. 59 Anm. 4) befriedigt auch nicht. Ich m chte vorschlagen
. . . το δε πέμπτον σώμα, μήτε βάρους μετέχον μήτε κουφότητας, ακινησίας μάλλον
(sc, αίτιαν Εχει), αλλ' ου της εν κύκλω κινήσεως, (ως ουδέ) τοις έπ' ευθείας κινή-
σεως κτλ. Bei den geradlinig bewegten K rpern ist es nicht die Gestalt (σχήμα), son-
dern die Neigung (nach oben oder nach unten), die f r die Richtung der Bewegung
ausschlaggebend sit. Ebensowenig darf man sagen, da die Kugelf rmigkeit des f nf-
ten K rpers die Ursache f r seine Kreisbewegung ist. Da er weder Schwere noch
Leichte besitzt, m te er vielmehr unbewegt bleiben,
49
De caelo I 2,269a 2-18.
streben, kann der fünfte seinen eigenen Ort niemals verlassen. Daher,
meint Attikos, würde ihm die Bewegungslosigkeit besser als die Kreis-
bewegung passen50. Mit der Angabe, daß der „fünfte Körper" immer an
seinem Ort bleibt und von diesem nicht entfernt werden kann, erwähnt
er wieder einmal eine von Aristoteles selbst ausdrücklich vertretene
Lehrmeinung 51 . Erwähnenswert ist auch die Erklärung, die Attikos für
die Entstehung der ihm so unhaltbar erscheinenden Lehre vom fünften
Körper vorschlägt. Aristoteles sei so verfahren wie Bildhauer, die etwas
Originales herzustellen glauben, wenn sie Einzelteile verschiedener Sta-
tuen nachahmen und diesen nicht immer miteinander harmonierenden
Elemente zu einem neuen Ganzen zusammenfügen. Er habe nämlich in
der Meinung, daß die Himmelswesen göttlich, unvergänglich und leid-
los sind, Eigenschaften auf sie übertragen, die Platon der
zusprach, und zwar Unkörperhaftigkeit, Unveränderlichkeit etc.32. Es
ist vielleicht nicht ganz auszuschließen, daß diese Erklärung wenigstens
teilweise durch jene Passagen angeregt wurde, in denen Aristoteles die
grundsätzliche Übereinstimmung seiner Ätherlehre mit den herkömmli-
chen Auffassungen über die Götter und das Göttliche hervorhebt53.
Was die Gestirne selbst angeht, notiert Attikos einige Einzelheiten,
bei denen die aristotelische Theorie angeblich von der platonischen ab-
weicht. Die Gestirne bestehen nicht zum großen Teil aus Feuer, wie Pla-
ton meinte, und das Sonnenlicht rührt nicht direkt aus diesem Gestirn
her34. Die damit referierte Meinung stammt wirklich von Aristoteles.
Dieser behauptet ausdrücklich, daß die Gestirne nicht aus Feuer, son-
dern aus jenem Kreiskörper bestehen, in dem sie sich bewegen. Ihre
Wärme und ihr Licht gehen nicht darauf zurück, daß sie aus Feuer sind.
Vielmehr ist es die unter ihnen befindliche Luft, die durch die Reibung
erwärmt wird und Feuer fangt55. Ob Platon wirklich angenommen hat,
daß die Substanz der Gestirne Verluste erleidet und sich wieder davon
erholt, wie Attikos annimmt, mag hier dahingestellt bleiben56. Aristote-
so
Fr. 6,67-70.
51
De caelo I 3,270a 3-12; 9,279b 2-3.
« Fr. 5,41-65.
« Vgl. z.B. De caelo I 3,270b 4-11; 9,279a 30-b3,
54
Fr. 6,1-11.
ss
De caelo II 7. Vgl. auch Areios Did. Fr. 10 (Dox. 450,22-451,3). Daß diese Erklä-
rung nicht ganz leicht mit den sonstigen Vorstellungen des Aristoteles in Einklang zu
bringen ist, habe ich anderswo hervorgehoben. Vgl, P, Moraux, An. Quinta essentia,
RE XXIV (1963) 1203-1205.
S6
Fr. 6,11-18.
kann nicht als unten, und die Peripherie als oben bezeichnet werden63.
Dem will aber Aristoteles unbedingt widersprechen. Er bezeichnet als
schwer, was sich zur Mitte hin bewegt, und als leicht, was zur Peripherie
emporsteigt; er behauptet, der Ort in der Mitte der Welt sei das Unten
und die Peripherie das Oben64. Daß Aristoteles diese Ansicht tatsächlich
vertreten hat, braucht kaum nachgewiesen zu werden65.
Wie wir bereits gesehen haben, hält Attikos zwei Punkte der aristote-
lischen Philosophie für besonders verhängnisvoll, weil sie dem ethischen
Leben des Menschen die wichtigsten Begründungen entziehen. Es han-
delt sich um die Einschränkung des Glaubens an die Vorsehung und die
Leugnung der Unsterblichkeit der Seele66. Im Fr. 7 kommt er wieder auf
das Thema Seele zu sprechen. Nachdem er die Vorzüge der platonischen
Seelenlehre, insbesondere des Unsterblichkeitsglaubens, ausführlich
erörtert hat, kritisiert er Aristoteles als Widersacher dieser Lehre. Nie-
mand vor Aristoteles hat es gewagt, der Seele die Unsterblichkeit und
ihre sonstigen Vorzüge abzusprechen67. Aristoteles aber hat sie ernied-
rigt und entehrt und ihre Existenz beinahe abgestritten. Sie sei weder
Hauch noch Feuer, kein Körper überhaupt. Sie sei aber auch nicht un-
körperlich, nicht fähig, für sich zu existieren und sich selbst zu bewegen.
Insofern sie aber mit dem Körper verbunden sei, bleibe sie nicht einmal
unbewegt, sie sei sozusagen eine „seelenlose Seele"68. Die Angaben, daß
die Seele weder Hauch noch Feuer, weder ein Körper noch unkörperlich
ist, erinnern mehr an die doxographische Anordnung der Theorien über
das Wesen der Seele als an konkrete Äußerungen des Aristoteles. Daß
die Seele nicht für sich selbst existieren kann, läßt sich leicht von der
Entelechielehre ableiten, und Aristoteles selbst hat die Auffassung be-
kämpft, daß die Seele ein Sich-selbst-Bewegendes sei69. Attikos fährt mit
dem Vorwurf fön, Aristoteles habe der Seele ihre „Urbewegungen" ab-
H
Fr. 6,73 — 83, wo Attikos die Hauptthesen von Tim. 62C 3—63E S zusammenfaßt.
*" Fr. 6,83-87,
65
Vgl, bes. De caelo IV J.308a 14-29.
** Vgi. oben S. 569 zu IT. 3,
*7 Fr. 7,28-31.
*e Fr. 7,31-42.
6
Bes. De an. I 3. Die Tragweite des Fr. 7,41 formulierten Emwandes ' '
, ist etwas schwieriger zu bestimmen. Wahrscheinlich
spielt Attikos auf die Lehrmeinung an, daß die Seele per acddens mit dem Körper be-
wegt wird. Es genügt Aristoteles nicht, scheint Attikos zu sagen, daß er die Selbstbe-
wegung der Seele leugnet; er erniedrigt die Seele noch mehr, indem er sie vom Körper
bewegt werden laßt.
gesprochen, etwa das Beraten, das Denken, das Ahnen, das Sich-Erin-
nern, das Berechnen; dies seien T tigkeiten nicht der Seele, sondern des
Menschen70. Damit gibt er eine Lehre aus De anima ziemlich getreu wie-
der 71 . Vielleicht k nnte man als gemeinsame Meinung von Platon und
Aristoteles die u erung des letzteren anf hren, da der Intellekt g tt-
lich und unsterblich ist, Die wesentlichen Fragen ber den Nus hat Ari-
stoteles aber v llig im dunkeln gelassen, Was ist er seiner Substanz und
seiner Natur nach? Woher kommt er, woher dringt er in den Menschen
ein? Wohin begibt er sich, wenn er den Menschen verl t? Dar ber hat
sich Aristoteles u erst unklar ge u ert! Ferner ist in seiner Nuslehre
ein gro er Unterschied zu Platon zu registrieren, Aristoteles erkl rt, da
der Nus von der Seele getrennt ist, und da er nur getrennt von der Seele
berleben kann. Platon hatte dagegen die Trennung von Nus und Seele
f r unm glich gehalten 72 . Es geht aus diesen Bemerkungen hervor, da
Attikos bzw. seine Quelle die sp rlichen u erungen des Aristoteles
ber den Nus miteinander verglichen und unklar und unvollst ndig ge-
funden hatte73. Zum Schlu sei noch bemerkt, da Attikos die Defini-
tion der Seele als εντελέχεια σώματος φυσικού οργανικού kennt und
meint, sie sei genauso „sch ndlich" wie die materialistischen Definitio-
nen der Stoiker oder der Atomisten74.
E. Wehseele
gem erfolgt. Aristoteles aber billigt keine dieser Thesen. Die φύσις ist
f r ihn keineswegs identisch mit der ψυχή. Die irdischen Dinge werden
von der Natur und nicht von der Seele verwaltet. F r jeden Bereich gibt
es n mlich verschiedene Ursachen. Die Himmelswesen, die immer in
demselben Zustand verharren, unterliegen der Heimarmene. Bei den
sublunaren Dingen hat die Natur die Kausalit t inne. Im menschlichen
Bereich schlie lich hei en die Ursachen Weisheit, Vorsehung und See-
le75. Diese Angaben stammen offensichtlich aus jener doxographischen
Tradition, die uns bereits in der Vorsehungslehre begegnet ist. Charak-
teristisch f r sie ist die Teilung der Welt in zwei verschiedene Regionen.
Oberhalb des Mondes ist alles streng geregelt. Viel lockerer erscheint die
Ordnung, die unterhalb des Mondes herrscht. Gewi , die Scheidung ei-
ner supralunaren und einer sublunaren Region kann als echt aristotelisch
gelten. Die Doxographie aber vereinfacht und verzerrt die Dinge da-
durch, da sie kaum fragt, ob der untere Bereich von dem oberen ir-
gendwie bestimmt wird. Statt dessen hebt sie sehr einseitig die Hetero-
genit t der beiden Regionen hervor. Da in der oberen absolute Ord-
nung und Regelm igkeit herrschen, dar ber ist sich die doxographische
Tradition v llig einig. Die strenge unab nderliche Kausalit t, die dort
waltet, bezeichnet Attikos als Heimarmene. Einige Jahrzehnte sp ter
wird Alexander von Aphrodislas die „aristotelische" Heimarmene ganz
anders auffassen. Genauso wenig wie bei der Ausarbeitung einer aristo-
telischen Pronoia-Lehre konnte er sich bei der Heimarmene-Lehre mit
der doxographischen Tradition zufriedengeben. Was den sublunaren
Bereich angeht, so heben alle doxographischen Texte hervor, da er
nicht so durchorganisiert und unab nderlich ist wie der supralunare, ih-
re Erkl rungen f r diese Situation sind jedoch etwas unterschiedlich.
Die meisten behaupten, da die Vorsehung nur bis zum Mond waltet,
und nicht unter ihm; die sublunare Welt sei v llig άπρονόητον. Andere
scheiden zwischen einem προηγουμένως-Wirken der Vorsehung (ober-
halb des Mondes) und einem κατά συμβεβηκός (unterhalb). Andere
wiederum, wie etwa Attikos, schreiben der Kausalit t der Natur das Ge-
schehen unterhalb des Mondes zu76. Als guter Platoniker emp rt sich
7i
Fr. 8,7-17.
76
Vgl. z. B. Hippol., Refut. omn. haer, VII 19,2; 4; 7. Den Bereich der φύσις definiert
Aet. I l, Dox. 274,27—275,3. Auch die wahren Philosophen unter den Peripatetikern
sprechen nat rlich der φύσις den sublunaren Bereich zu. Aber im Gegensatz zu den
Doxographen versuchen sie zu eruieren, in welchem Verh ltnis diese φύσις zu den
Attikos dar ber, da Aristoteles die φύσις als αρχή κινήσεως betrach-
tet, sie jedoch als Seele nicht anerkennen will, obwohl die Seele es ist, die
nach Platon Prinzip und Quelle der Bewegung ist77. Ansto nimmt er
auch daran, da es bei Aristoteles von der φύσις (und nicht etwa von
einer mit Vernunft begabten Seele) hei t, da sie „nichts umsonst
macht"78.
F. Ideenlehre
Die Ideenlehre betrachtet Attikos als den Gipfel und den Schl ssel-
Stein der ganzen platonischen Philosophie. Aristoteles aber war unf hig,
eine so erhabene, g ttliche Lehre zu begreifen, denn solch ein hohes Ni-
veau vermochte sein auf das Irdische gerichteter Scharfsinn niemals zu
erreichen. Er hat also die Existenz dieser besonderen Naturen, die Pla-
ton erkannt hatte, geleugnet; er hat es sogar gewagt, die h chsten aller
Wesenheiten als dummes Zeug (λήροι), Gezwitscher (τερετίσματα) und
unn tzes Geschw tz (φλυαρίαι) zu bezeichnen79. Attikos scheint also
hier ebensowenig wie anderswo auf den Gedanken gekommen zu sein,
da rein philosophische Motive die Haltung des Aristoteles hatten be-
dingen k nnen. Nur weil sein Geist unf hig war, die H he der platoni-
schen Spekulation zu erreichen, habe Aristoteles der Ideenlehre seine
Zustimmung verweigert! Im sehr knappen Bericht des Attikos hei t es,
da Aristoteles die Dreistigkeit hatte, die Ideen als λήροι, τερετίσματα
und φλυαρίαι zu bezeichnen. Die drei W rter h ren sich wie w rtliche
Zitate an. In der Tat aber kommt nur das zweite im Corpus Aristoteh-
cum im Zusammenhang mit der Ideenlehre vor80. Ob Attikos die beiden
anderen als eine An Erkl rung der etwas dunklen τερετίσματα hinzuge-
f gt oder m irgendwelcher Quelle gefunden hat, l t sich nicht feststel-
len.
Kreisbewegungen der Gestirne und zur θεία δύναμις steht, Vgl. z.B. Alex,, Meteor,
6,5-17; 7,9-14; Quaest, II 3 etc.
77
Fr. 8,25-29.
78
Fr. 8,29—33. Die Formel ή φύσις ουδέν μάτην ποιεί kommt bei Aristoteles mehrmals
vor: De caelo I! 11, 291 a 13; De part. an. II13,658a 9; III 1,661 b 24; De gener, an. Π
5,741b 4; 6,744a 37; Pol, I 8,1256 a 21. Ein einziges Mal, De caelo I 4,271 a 33 hei t
es ό θεός και ή φύσις ουδέν μάτην πσιοϋσι. Das ist Attikos vielleicht entgangen.
™ Fr. 9,4-16,
80
Anal. Post. I 22,83a 32-33 τα γαρ είδη χαιρετώ* τερετίσματα τε γαρ εστί .. .
G, Schlußwort
aus, und hält es daher für gerechtfertigt, jede anders lautende Ansicht
ohne weiteres zu verurteilen. Eine etwas besser begründete Kritik bietet
er nur im Zusammenhang mit der aristotelischen Auffassung der Eudä-
monie, der Güter, der Vorsehung und der Seele. Die Thesen des Aristo-
teles seien für die Ethik deswegen verhängnisvoll gewesen, weil sie im
Endeffekt die begünstigten. Wenn der Mensch glaube, daß sein
Verhalten den Göttern gleichgültig sei, und wenn er nicht mehr mit ei-
ner Belohnung oder Bestrafung im Jenseits rechne, habe er de facto kei-
nen Grund mehr, tugendhaft zu leben.
Während die Kritik an Aristoteles kaum sachlich begründet wird, äu-
ßert sich Attikos relativ häufig über vermeintliche persönliche Motive,
die Aristoteles dazu bewogen haben sollen, vom Platonismus abzuwei-
chen. Hervorgehoben wird z.B. die diesseitige Orientierung des aristo-
telischen Denkens und Forschern. Aristoteles habe zwar die Natur sehr
sorgfältig untersucht, sein Interesse für das Diesseitige sei aber mit einer
gewissen Kurzsichtigkeit verbunden gewesen; er habe es daher nicht
vermocht, das Erhabene der platonischen Philosophie zu verstehen und
sich zu eigen zu machen 81 . Das Niveau seiner Ethik sei sehr niedrig und
übersteige nicht, was ein Laie, ein Ungebildeter, ein Jüngling oder eine
Frau hätten von sich geben können 82 . Trotz eines gewissen Scharfsinns,
den man ihm nicht absprechen könne, sei es ihm nicht gelungen, etwa in
seinen Einteilungen zwingende Beweise beizubringen 83 . Er habe den
Logos zugunsten der Wahrnehmung zu stark vernachlässigt 84 . Seine Ge-
lehrsamkeit im Hinblick auf die äußeren Dinge habe ihn nicht daran ge-
hindert, die eigene Seele völlig zu verkennen 85 .
Neben diesem Vorwurf der Kurzsichtigkeit wird auch die unmäßige
Ruhmsucht des Aristoteles hervorgehoben. Mehrere seiner angeblichen
Entdeckungen zielen darauf ab, seine Originalität um jeden Preis zu do-
kumentieren. So zum Beispiel die Erfindung eines ,,fünften Körpers",
mit welcher er die Natur nach seinen eigenen Gesetzen gestalten woll-
f u86
81
VgL bes. Fr. 9,7-16.
92
Fr. 2,17-19; 63-67, VgL auch die Bemerkung über die Seelenlehre Fr. 7,34-39.
83
Fr. 8,16-17,
8a
Fr.3,94; Fr. 6,31-34; 42-44.
85
Fr. 7,45-51.
86
Fr. 5,9-15; 43-44. Fr. 6,45-48.
Die Opposition gegen Platon wird bisweilen auch der Streitsucht des
Aristoteles zugeschrieben87 und als verwegen (τολμαν)88 und sch ndlich
(αισχρόν u. dgl.) abgestempelt89. Dazu kommt noch, da Aristoteles
bei schwierigen Problemen (etwa bei den Er rterungen ber den
menschlichen Intellekt) sich mit der Unklarheit seiner Aussagen zu ret-
ten versucht, genauso wie sich der Tintenfisch mit einer schwarzen Fl s-
sigkeit seinen Feinden entzieht90.
In seiner fragmentarisch erhaltenen Schrift hat sich Attikos vorge-
nommen zu zeigen — offenbar gegen eine bei den Platonikern seiner Zeit
stark vertretene Tendenz — , da Aristoteles zur Platon-Interpretation
nicht herangezogen werden kann. Diese These bekr ftigt er, indem er
auf den un berbr ckbaren Gegensatz zwischen Aristoteles und Platon
in der Ethik, der Naturphilosophie und der Theologie hinweist. Um ei-
ne regelrechte Widerlegung der aristotelischen Thesen bem ht er sich
kaum. Statt dessen l t er manche absch tzigen, nicht belegbaren Be-
merkungen ber Aristoteles fallen, die die leidenschaftliche Animosit t
eines Polemikers, der eben nicht sine ira et Studio Partei ergreifen kann,
ausreichend dokumentieren.
87
Fr. 6,72. Fr. 7,37 (φιλονικεΐν). Oft stellt Attikos die Thesen des Aristoteles so dar, als
w ren sie aus reinem Oppositionsgeist entstanden. Vgl. Fr, 2,6—9. Fr. 4,48—56;
Fr. 5,18. Fr. 6,83-87. Fr. 7,28-32,
88
Fr. 2,71. Fr, 7,42. Fr. 9,16.
89
Fr. 7 bis, 3 und 10.
90
Fr. 7,75-81.
1
Vgl. unten S, 593 mit Anm, 4,
2
Über Athenodoros Sandonos {auch Kalvos genannt): E, Zeller, Philos, d. Gr. III l 5 ,
606 Anm, 1. F. Susemihl, Gesch. gr. Litt. Alex. II 248-250, H. v, Arnim,. Art, Athe-
nodoros 19, RE II (1896) 2045. Philippson, Art. Athenodoros 19, RE Suppl. V (1931)
47-55. B, L. Hijmans, Athenodorus on the Categories and a pun on Athenodorus, in:
Kephalaion. Studies C. J. de Vogel, Assen 1975, 105-114,
3
Über ihn E. Zeller, a.a.O. Susemihl, Op. cit. 246. H, v, Arnim, Art. Athenodoros
18, RE II (1896) 2045.
mit Athen und Alexandrien rivalisieren konnte, obwohl die Schulen nur
von Einheimischen besucht waren, die nach ihrer Studienzeit gern aus-
wanderten und nur selten in Ihre Heimatstadt zur ckkehrten4. ber
Athenodoros selbst erfahren wir, da er einer der Philosophielehrer Ok-
tavians war und da der Herrscher ihn sch tzte5. Wenn er mit dem
Athenodorus Calvus identisch ist, den Cicero im November 44, w h-
rend er an seinem Buche De officiis arbeitete, aus Puteoli um eine Zu-
sammenstellung von κεφάλαια schriftlich bat6, so befand er sich bereits
im Jahre 44 in Rom. Nach dem Sturz des Antonius, also urn 30 v. Chr.
oder in den zwanziger Jahren, kehrte er nach Tarsos zur ck; mit einer
Vollmacht des Augustus versehen befa te er sich sehr energisch mit ei-
ner Reform der Verfassung und vertrieb schlie lich die skrupellosen
Staatsm nner, die bis dahin an der Macht gewesen waren7. Er starb in
seiner Heimatstadt im hohen Alter von 82 Jahren 8 . Sein Geburtsdatum
l t sich leider nicht mit Sicherheit ermitteln. In seiner Chronik nennt
zwar Eusebios das Jahr 8/9 n. Chr. als dasjenige, in dem der Ruhm eines
Stoikers Athenodoros aus Tarsos seinen Gipfelpunkt erreichte9. Es fragt
sich jedoch, ob es sich um den Sohn des Sandon handeln kann. Ist dieser
tats chlich gemeint, so mu Eusebios ακμή und Todesjahr verwechselt
haben. Athenodoros w re somit im Jahre 74/73 v. Chr. geboren. Von
Strabon erfahren wir allerdings, da Athenodoros bereits ein alternder
Mann (ήδη γηραιός) war, als er in Tarsos seine politischen Reformen
durchf hrte. Wenn diese Reformen bald nach Actium (31 v. Chr.) statt-
fanden und wenn andererseits Strabons Angabe ganz w rtlich zu neh-
men ist, sollte man jedoch das Geburtsjahr des Athenodoros Sandonos
bedeutend fr her ansetzen, sch tzungsweise um 85 v. Chr., und etwa 3
v. Chr. als Todesdatum annehmen 10 . Die Nachricht des Eusebios ber
einen im Jahre 8/9 n. Chr. auf der H he seines Ruhmes stehenden Stoi-
ker Athenodoros aus Tarsos w rde sich dann nicht auf den Sohn San-
B. Die Schrift
13
Dex., Cat. 5,16-24.
M
Porph., Cat. 86,22 spricht von βιβλία, SimpL, Cat. 62,26 nur von einem βιβλίον,
15
Der Titel wird bei Porph., Cat. 86,23 und Simpl,, Cat. 62,25-26 genannt.
16
Simpl., Cat. 62,24-30.
17
Vgl. unten S. 589. Auch dieser Einwand h ngt mit der Kritik an der διαίρεσις zusam-
men.
18
Porph., Cat. 59,6-14. Simpl., Cat. 18,26- 19, l; 62,24-27. Nichts in diesen Nach-
richten begr ndet die Annahme von M. P hlenz, Die Stoa I 294, da Athenodoros'
Kritik dazu dienen sollte, ,,die eigene Schullehre von den vier Gattungen des Seins zu
sichern". Athenodoros verstand die aristotelische Kategorienschrift als eine Untersu-
chung ber die W rter und tadelte daher ihre angeblichen L cken. Richtig K. Praech-
ter, Nikostratos 509-510. B, L. Hijmans, Op.cit. 108 glaubt, einen scheinbaren Wi-
derspruch zwischen den verschiedenen Angaben ber Athenodoros zu erkennen, Ei-
nerseits h ren wir (Simp!., Cat. 18, 26sqq. Porph., Cat. 59, lOsqq.), da er und Kor-
nutos die Kate gonenauf z h lung des Aristoteles f r unvollst ndig hielten. Andererseits
aber wird Athenodoros (Simpl., Cat. 62,24sqq.) ?,u den κατηγορούντΕς της EIC το-
σούτον πλήθος διαιρέσεως gezahlt, d. h, nach Hijmans' Interpretation „Athenodo-
rus denounced the division into so large a number." Hijmans meint offenbar, da
Athenodoros dieser letzteren Nachricht gem die Zahl der (aristotelischen) Katego-
nen f r zu hoch hielt (πλεονασμός, περιττοτης). Den Widerspruch versucht er mit der
Hypothese aufzuheben, da Athenodoros und Kornutos verschiedener Meinung wa-
ren. Athenodoros lie weniger Kategorien gelten als Aristoteles, Kornutos dagegen
mehr (Op.cit. 111). Diese Konstruktion ist jedoch v llig berfl ssig. Zwischen den
verschiedenen Nachrichten ber Athenodoros gibt es berhaupt keinen Widerspruch.
Der fragliche Ausdruck είς τοσούτον πλήθος enth lt keinen Hinweis auf eine zu hohe
Zahl der Kategonen, sondern nur einen Verweis auf die εις δέκα διαίρεσις, die Sim-
plikios kurz vorher (62,22) erw hnt hat. Hier wird τοσούτος auf das Vorhergehende
bezogen (K hner—Genh I, § 467,7, S, 646) und bedeutet — wie oft schon m der klas-
sischen Sprache — „so viel gerade" (und nicht mehr).
19
Simp!., Cat. 64, 18-65,3. Vgl. oben S. 542.
20
Simpl., Cat. 128,5-8.
21
Simpl., Cat, 128,5-129,1 nennt Archytas, den Mathematiker PtolernaSos und Jam-
blich. Zur Dreiteilung der Quantit t bei Archytas v^l. unten S, 6]4 und Th. SiJez k,
Archytas 120-121 zu 25, l-3. Auf das Problem kommt Simpl., Cat. 151,32-152,31
zur ck. Er berichtet, da Alexander die φοπή nicht als ποσόν, sondern als ποιόν be-
trachtete, wahrend die „j ngeren Interpreten", die an der Dreiteilung des ποσόν fest-
~~ hielten, gegen ihn opponierten.
Ά
Simpl., Cat, 159,31-160,1.
ging lediglich vom Sprachlichen aus und erkl rte, das προς τι sei f r Ari-
stoteles etwas, bei dessen blo er Nennung man sich angeregt f hle, das
Korrelat zu suchen, auf welches es bezogen werde (εφ1 ου ή προση-
γορία επιζητεί το προς ο λέγεται.): Wer z. B. das Wort „Sklave" h re,
stelle sich die Frage nach dem Herrn dieses Sklaven23. Wichtig f r ihn ist
also nicht eine etwaige reale Bezogenheit der Korrelate aufeinander, son-
dern vielmehr die psychologische Reaktion, die durch den Namen des
einen Korrelats ausgel st wird, Dieser Name verlangt sozusagen als Er-
g nzung die Nennung des anderen Korrelats. Die Kategonenlehre wird
nicht mit der Ontologie verbunden; sie wird als eine Wissenschaft vom
Worte interpretiert 24 .
Wir k nnen jetzt auf Simplikios' Hinweis zur ckkommen, der be-
sagt, da Athenodoros sich ausschlie lich mit Problemen befa t habe,
die sich auf die Zehnzahl der Kategorien bez gen 25 . Gegen die Richtig-
keit dieser Angabe scheint der Umstand zu sprechen, da Athenodoros
eine eigene Definition des προς τι vorschlug. Der Widerspruch ist je-
23
Ibid. 187,28—30. Auf die Interpretation des προς ιι durch Athenodoros geht B. L.
Hijmans, Op, cit, 109—110 kurz ein. Seine bersetzung von Simplikios' Testimonium
enth lt leider mehrere Ungenauigkeiten: ή οχέσις ή συντακτική (187,31) ist z. B.
nicht „the condition of combination", sondern einfach „das syntaktische Verh ltnis"
(wie etwa zwischen vox activa und vox passiva, ως επί των εχόντων και έχομένων); ή
προς ύπόστασιν σχέσις ist nicht „the condition of essence", sondern „das Verh ltnis
im Hinblick auf die Existenz",
24
In seinem berblick ber die Einw nde und Schwierigkeiten, die die Kritiker (άντιλέ-
γοντες) des Aristoteles gegen Cat. 7 , 6 b 3 6 — 7 a 3 5 erhoben haben (SimpL, Cat.
386,21-189,16), legt Simplikios (187,24-36) die These nicht n her bezeichneter Kri-
tiker (δλλοι, irn Gegensatz zum vorher genannten Eudoros) dar, nach welcher Fl gel,
Steuerruder und Kopf keine Relativbegnffe sein k nnen, weil sie Substanzen oder Tei-
le von Substanzen sind. Weder die Definition des προς τι von Athenodoros noch die
von Kornutos lassen sich auf diese Begriffe anwenden. Bereits Boethos scheint sich mit
einem solchen Einwand auseinandergesetzt zu haben (vgl, oben Bd. I 159sq.). Viel-
leicht kam er schon bei Athenodoros vor und wurde dann von Kornutos und anderen
mit jeweils etwas verschiedenen Begr ndungen bernommen. Volle Sicherheit dar ber
l t sich allerdings aus Simplikios' Ausf hrungen nicht gewinnen. — Es sei daran erin-
nert, da im Mittelalter die erste Definition des προς τι (Cat, 7,6a36—37) als eine
Definition secundum did interpretiert wurde, weil sie angeblich auf eine sprachliche
Eigent mlichkeit hinweist; Relative wie „gr er als . . . ", „ hnlich . . ,"etc. verlan-
gen als Pr zisierung die Nennung eines zweiten Etwas, auf welches das erste bezogen
ist. ber diese Interpretation und ihre Unzul nglichkeit vgl. F. Caujolle—Zaslawskyj
Les relatifs dans les Categories, in: P. Aubenque, Concepts et Categories, Paris 1980,
167—195, dort 185sqq. Die Verfasserin erw hnt Athenodoros' Definition leider nicht.
25
Vgl. oben S. 588.
doch vieileicht nicht so gravierend, wie man zuerst glauben k nnte. Die
Einw nde des Athenodoros gegen die Zahl der Kategorien beruhten dar-
auf, da er in den λέξεις als solche den eigentlichen Gegenstand des
aristotelischen Traktats sehen wollte. Allem Anschein nach hat er diese
seine Auffassusng des σκοπός mit verschiedenen Argumenten zu unter-
mauern versucht, wie auch andere Anh nger derselben Interpretation es
taten 26 . Es liegt daher nahe zu vermuten, da er mit seiner Definition
des προς τι anhand eines sprachlichen Kriteriums nachweisen wollte,
wie sich Aristoteles auch im Hinblick auf diese Kategorie die Untersu-
chung einer λεξις vorgenommen hatte. Wenn dem so ist, l t sich Sim-
plikios' allgemeine Charakterisierung der Schrift ohne weiteres aufrecht-
erhalten. Die Angabe ber das προς τι beweist nicht, da Athenodoros
einzelne Thesen aus den Kategorien f r sich analysiert und somit eine
umfassende Kritik an der ganzen Schrift ge bt hatte.
Diese sehr sp rlichen Nachrichten ber Athenodoros' Werk reichen
nat rlich nicht aus, um ein genaueres Urteil ber dessen Inhalt zu er-
m glichen. Es soll jedoch bemerkt werden, da die Schrift des Stoikers
keine unwichtige Rolle in den Kontroversen um die Kategorien spielte.
Kornutos schlo sich offensichtlich der Meinung des Athenodoros ber
den σκοπός der Kategorien an und bernahm mehrere Einw nde seines
Vorg ngers, was ihn dennoch nicht daran hinderte, seine Kritik gleich-
zeitig gegen Athenodoros und Aristoteles zu richten. Die akademische
Opposition gegen die Kategorienlehre, die mit den Aporien von Lukios
und Nikostratos ihren H hepunkt erreichte und erst von Porphyries
aufgegeben wurde, arbeitete ebenfalls viele Einwendungen des Atheno-
doros aus. Es ist sogar durchaus wahrscheinlich, da das Werk des Ni-
kostratos, das Porphyries offenbar noch vorlag, als Zwischenquelle der
meisten, wenn nicht aller Nachrichten ber die fr heren Gegner der Ka-
tegorien zu betrachten ist. Porphyrios selbst, der Athenodoros zweimal
in seinem kleinen erhaltenen Kategorienkommentar erw hnt, ging in
seinem gro en Kommentar an Gedaleios allem Anschein nach ausf hrli-
cher auf seine Thesen ein; diese kannte er allerdings wohl nur aus zwei-
ter Hand. In Porphyries' gro em Kommentar hat Simp kios seine In-
formation ber Athenodoros gefunden. Sp tere Kommentatoren schei-
nen kein Interesse mehr an ihm gehabt zu haben.
26
Vgl. oben S. 588.
1
ber Kornutos' Leben und Werk findet man Auskunft in den meisten Literatur- und
Philosophiegeschichten. VgJ. ferner H, v, Arnim, Art. Annaeus 5, RE I 2 (1894)
2225—2226 (d rftig). R. Reppe, De L. Annaeo Cornuto, Diss. Leipzig 1906 (sammelt
und kommentiert die Fragmente ohne die „Theologie"). Nock, Art. Kornutos, RE
Suppl, 5(1931)995-1005. Wichtig sind ferner dieilteren Arbeiten von G. I. de Marti-
ni, De L. Annaeo Cornuto philosopho stoico, Leiden 1825. O. Jahn, Proleg, zur Per-
sius-Ausg. 1843,
2
I. Graeven, Cornuti Artis Rhetoricae Epitome, Berlin 1891, bes. XXVsqq.
1
Die Kategonenschnft behandeln, meistens ziemlich summarisch, Chr. A, Brandis, in:
Abh. Akad. Berlin 1833, 275. O. Jahn, Op.cit. C. Prantl, Gesch. d, Logik I, 1855,
538-539. E, Zelter, Phiios. d, Gr. III I s , 717-718. R. Reppe, Op.cit. 18-25.
4
Simp!., Cat. 62,27 verweist auf diese Schrift mit den Worten εν οίς προς Άθηνόδω-
ρον καΐ Άρισιοτέλην έπέγραψεν. Porph., Cat. 86,24 nennt sie einfach ή προς Άθη-
νόδωρον αντιγραφή. Μ. Pohlenz, Rez, v, R. Reppe, in: Berl. philol. Wochenschr. 28
(1908) 132-136, dort 133-134, glaubt nicht, da Kornutos' Schrift gegen seinen Sek-
tengenossen Athenodoros gerichtet war; αντιγραφή sei nicht als (Gegenschrift', son-
dern vielmehr als .Antwortschreiben' zu verstehen. Bei Stmplikios m chte Pohlenz am
liebsten εγραψεν statt έπέγραψεν lesen. Aus unserer sp rlichen Information geht je-
doch hervor, da Kornutos gelegentlich gegen Interpretationen des Athenodoros Stel-
lung nahm. Besonders deutlich distanziert er sich von ihm in der Charakterisierung des
προς τι.
s
Porph., Cat. 86,23 εν ταίς ρητορικαΐς τέχναις.
6
Porph., Cat. 59,6-14; 86,20-24. Simpl., Cat. 38,26-19,1; 62,24-27; 359,3. Vgl.
oben S. 588. Aufgrund dieser bereinstimmung vermutet R. Reppe, Op. «t. 22, Kor-
nutos sei Sch ler des Athenodoros gewesen.
7
Simpl,, Cat. 129,1—2, der anschlie end die Kritik dieser These durch Jamblich wie-
dergibt. Zum Problem vgl. D. O'Brien, Anstote et la categone de quantite. Divisions
de ia quantite, in: Les Etudes Philosophiques (1978) 25—40, dort 36—39.
8
Simpl., Cat. 128,8-10.
Dichte (πυκνόιης), die Grobtei gkeit (παχύτης) und ihre Gegens tze,
die Qualit ten sind.
Die Opposition gegen Athenodoros erscheint ebenfalls deutlich in
der Schilderung des προς τι. W hrend Athenodoros sich auf der Ebene
der Sprache bewegte, um das Charakteristikum der Relation zu bestim-
men, betont Kornutos, das das Verh ltnis der Korrelate zueinander
nicht „syntaktischer" Natur ist, sondern etwas Reales darstellt. „Kor-
nutos sagt, da jene Dinge relativ sind, bei denen das Verh ltnis auf ein
anderes mit hinf llt, allerdings nicht das syntaktische Verh ltnis wie bei
,Haltenden' und ,Gehaltenen', sondern das auf die Realit t bezogene
Verh ltnis, (was der Fall ist,) wenn etwas aufgrund seines Seins seine
Neigung (= Bezogenheit) zu etwas anderem hat9." Athenodoros wollte
die Relation anhand einer sprachlichen Beobachtung veranschaulichen.
„Sklave*' stellt f r ihn einen unvollst ndigen Ausdruck dar; das Wort
verlangt eine Erg nzung; wer es h rt, denkt daran, da der Sklave einen
Herrn hat. Mit dieser Erkl rung gibt sich Kornutos nicht zufrieden. Er
will sich vielmehr nach dem ontologischen Inhalt des Begriffs richten.
Der Begriff „Sklave" ist so beschaffen, da es zum Wesen des Sklaven
geh rt, auf einen anderen Begriff bezogen zu sein. Wenn ein Sklave da
ist, mu es auch einen Herrn dieses Sklaven gegen. Der Unterschied ist
keineswegs unbedeutend, denn er zeigt, da Kornutos trotz seines prin-
zipiellen Bekenntnisses zur Xs^i^-Interpretation der Kategorien ver-
suchte, den wahren Sinn der Lehre besser zu erfassen, als sein Vorg nger
und Schulgenosse Athenodoros es getan hatte10.
Aus einer kurzen Bemerkung des Simplikios geht hervor, da Kor-
nutos (allem Anschein nach m seiner Kategorienschrift) sich mit der
9
Simpl., Cat. 187,31—33. Dort Zeile 33 ist mir die Lesart αύτφ tcp φ είναι, f r die sich
Kalbfleisch entscheidet, unverst ndlich. Die angeblichen Parallelen (188,5 und 39) ver-
m gen sie nicht zu rechtfertigen; sie w rden eher f r τω τοϋτο είναι, ο εστί oder hn-
liches sprechen. Die andere Lesart, αϋτω τω είναι, ist also vorzuziehen. — Auf diese
Nachricht geht B. L, Hijmans, p. cit. {oben Anm. 2) 109-110 ein. Er meint, da
Kornutos sein Bestes zu tun scheint, um in seine Definition eine sorgf ltige Unter-
scheidung zwischen der dritten und der vierten stoischen Kategorie einzuarbeiten. Ich
verstehe nicht, worauf diese Bemerkung beruht,
lu
Die Tragweite dieses Unterschieds hat R. Reppe meines Erachtens v llig verkannt, Er
schreibt (S. 24): in relationis explicatione cum Athenodoro consentit in re, dissentit in
verbis, curn aliter definiat notionem illius categonae. Fast dieselbe Ansicht vertritt
B. L. Hijmans (Op.cit. 110), der schreibt: „Cornutus" definition of the προς τι seems
to be meant as an improvement, rather than an attack, on Athenodorus' phrasing."
Definition der Zeit befa t hatte 11 . Diese Bemerkung, deren Sinn auf den
ersten Blick nicht ganz klar ist, steht in einem umfangreicheren Komplex
περί της ουσίας του χρόνου, in dem Simplikios Ausz ge aus Jamblich
abschreibt und sich in der neuplatonischen Problematik seines Vorg n-
gers bewegt12. Um das Zeugnis ber Kornutos richtig zu verstehen, ist
es unumg nglich, den Zusammenhang, in dem es steht, zu ber cksichti-
gen. Jambiich sch tzt die beiden Zeitdefinitionen aus der von ihm f r
echt gehaltenen Schrift des Archytas ber die Kategorien sehr hoch. Sie
lauten: „Die Zeit ist die Dimension einer bestimmten Bewegung" oder
„Allgemein ist die Zeit die Dimension der Allnatur"13. Er deutet sie
neuplatonisch: Seiner Meinung nach hob Archytas den prinzipienhaften
Charakter der Zeit hervor und setzte sie in Beziehung zu einer prinzi-
pienhaften Bewegung, die selbst Ursache aller brigen Bewegung ist.
Archytas sprach n mlich von der Zeit, die von sich aus das ist (αυτο-
φυής) und die Entstehung bewirkt (γενεσιουργός); die Zeit gehe von
der Bewegung der Seele als Monade hervor, und die Bewegung der Seele
sei auch als Monade der Zeit zu betrachten. Kurz gesagt, Jamblich setzt
die Zeit mit der Urbewegung, die in der Seele ist und aus ihr hervorgeht,
gleich. In dieser Perspektive erscheinen ihm die Auffassungen des Ari-
stoteles und der Stoiker weniger befriedigend. Aristoteles dachte z. B.
an eine Zahl, die nicht von sich aus da ist, sondern als Akzidens und
sozusagen von au en her etwas Kontinuierliches mi t. Auch die Stoiker,
die die pythagoreischen Definitionen modifizierten, verkannten offen-
bar den Prinzipcharakter der Zeit und bezogen sie auf k rperliche Bewe-
gungen. Bei Simplikios, der hier m glicherweise weiterhin Jamblichs
Ansichten bernimmt oder zumindest dessen Gedankeng nge weiter-
f hrt, lesen wir dann folgendes: ,,Die Stoiker, die folgende Definition
11
Simpl., Cat. 351,23.
« Ibid. 350,10-352,21.
13
Simpl., Cat, 350,10-12, Vgl. PS,-Archytas 24,15-16. Der Text der direkten berlie-
ferung von Archytas ist allerdings nicht ganx identisch mit dem der Zitate bei Simpli-
kios. In cod. Ambr. A 92 sup. hei t es και εστίν ό χρόνος κίνησίς τίνος ή αριθμός ή
και καθόλου διάστημα της του παντός κινήσεως („Die Zeit ist Bewegung von etwas
oder Zahl oder allgemein Dimension der Bewegung des Alls"), wahrend Jambiich und
Simplikios {Simpl., a.a.O. und Phys. 786,12-13) zitieren εστίν ό χρόνος κινάσιός
τίνος (bzw. τις) αριθμός ή καϊ καθόλω διάσταμα τάς τω παντός φύσιος. Th, Szle-
z k, Archytas 117 h lt die Fassung mit της του παντός κινήσεως f r sinnvoller als die
mit της του παντός φύσεως. Jamblich und Simp kios kennen allerdings nur die letzte-
re, interpretieren sie aber so, als w re von der Bewegung der Allnatur die Rede.
14
Simpl., Cat. 351,19-29.
sung der Zeit kam? K nnte man vielleicht nieinen, da SimpHkios damit
auf eine Entwicklung bei Kornutos selbst anspielt und andeutet, da die-
ser erst in seinen letzten Jahren die genannte Auffassung vertreten hat?
F r viel wahrscheinlicher halte ich eine andere Interpretation. Allem
Anschein nach hebt SimpHkios hervor, da innerhalb der Geschichte der
stoischen Zeittheorie Kornutos* Pr zisierung eine sp te Erscheinung
darstellt: Erst lange nach der Entstehung der Stoa habe ein Stoiker den
blichen Irrtum (πλημμελοϋσιν) seiner Sektengenossen zu berichtigen
versucht.
Kornutos hat sich auch mit der Kategorie des Wo kritisch auseinan-
dergesetzt. Da Aristoteles diese Kategorie zwar erw hnt, sie jedoch nir-
gends ausf hrlich behandelt, darf man von vornherein annehmen, da
Kornutos' Aporien nicht direkt gegen die aristotelische Schrift, sondern
vielmehr gegen bestimmte, von den Interpreten vorgetragenen Ausf h-
rungen ber die Kategorie des Wo gerichtet waren. Simplikios berichtet:
„Kornutos wirft folgende Aporie auf: Wenn das Wo sich vom Ort und
das Wann von der Zeit gem der Beschaffenheit der sprachlichen Aus-
dr cke unterscheiden und eigenen Kategorien zugewiesen wurden, weil
es das Vorhaben (des Verfassers) war, sich mit den sprachlichen Charak-
teren zu besch ftigen, warum hat er nicht Ausdr cke wie ,von Dion
kommend' (Διωνόθεν) oder ,zu Dion hin' (εις Δίωνα) und die Aus-
dr cke dieser An, deren es viele gibt, eben dieser Kategorie (des Wo)
hinzugef gt? Sie sind n mlich den Ausdr cken ,von Athen her' (Άθή-
νηθεν) und ,nach Athen* (εις Αθήνας) hnlich 15 ."
Daraus geht zuerst hervor, da Kornutos eine Interpretation ber ck-
sichtigt, nach welcher die Kategorie des Wo nicht einfach mit dem Ort
zu identifizieren ist und ebensowenig die des Wann mit der Zeit. Bereits
Andronikos hatte, wie sp ter Archytas und Plotin, Wo und Ort wie
auch Wann und Zeit jeweils einer einzigen Kategorie zugewiesen16. Vie-
le Interpreten teilten diese Meinung jedoch nicht. Boethos ist wohl der
erste gewesen, der gegen sie opponierte. Die Zeit, sagte er, ist von dem
zu scheiden, was an der Zeit teilhat oder in der Zeit ist17. Genau auf
derselben Linie steht die Unterscheidung zwischen dem Ort selbst und
dem, was an einem Ort ist18. Das Ausemanderhahen von Wo und Ort
15
Ibid. 359,1-6,
« Ibid. 342,22-25; 347,6-12; 357,27-29; 358,8-1L Vgl. oben Bd. I 111 sqq.
17
Simpl, Cat., 348,2-7.
18
Ibid. 358,12-16,
13
Ibid. 359,15-16.
24
Ibid. 358,27-28.
1S
Ibid. 359,20-24,
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß Kornutos die An-
sicht vertreten zu haben scheint, daß bei dem Tode die Seele noch vor
dem Körper oder gleichzeitig mit ihm zerstört wird30. Die Tragweite der
Nachricht ist jedoch umstritten31. Sicher ist auf jeden Fall, daß Kornu-
tos* Äußerung keinen Bezug auf eine peripatetische Lehre nimmt. Wir
brauchen sie also nicht näher zu untersuchen.
30
Iambi., De an. ap. Stob. I 49,43, S. 383,24-384,2. Französische Übersetzung und
Kommentar bei A.J. Festugiere, Revel. Herrn. Trism, III 232—233.
11
Die meisten Interpreten neigen zu der Annahme, daß Jamblich eine echte Lehrmei-
nung des Kornutos referiert. Vgl. E, Zeller, Phi los. d. Gr. III I s , 718. R, Reppe, Op.
eil. 26—27. A . J . Festugiere, Op.cit, 231 Anm. l (unter S. 232). Dagegen opponiert
M. Pohlenz, Rez. v, R. Reppe, in: Berl. philol. Wochenschr. 28 (1908) 134. Jambüchs
Bemerkung bedeute nicht, daß Kornutos den gleichzeitigen Untergang von Seele und
Leib lehne. Pohlenz paraph rasier t: „Wenn man eine dieser (d. h. der soeben von Jam-
blich geschilderten) Todesarten annehmen wollte, so ist nach Cornutus die logische
Folge die Leugnung der Unsterblichkeit."
Es kann nat rlich nicht unsere Aufgabe sein, ber diese Probleme
und die vorgeschlagenen L sungen ausf hrlich zu berichten. Da wir uns
hier f r den Aristotelismus in den beiden ersten Jahrhunderten n. Chr.
interessieren, sehen wir uns trotzdem gezwungen, auf die Datierungs-
frage kurz einzugehen 3 . Die Schrift des Okellos Lukanos περί της του
παντός φύσεως, die bereits Varro und Philon von Alexandrien zitieren,
d rfte im 2. oder irn 1. Jh, v. Chr. entstanden sein 4 . Obwohl sie ziem-
lich viel Aristotelisches, vor allern erkl rende Zusammenfassungen und
w rtliche Zitate aus De gener, et corr. II l —4 enth lt, wird sie hier nicht
ber cksichtigt werden. In die unmittelbare N he von Okellos ist allem
Anschein nach auch Philolaos' περί ψυχής einzuordnen. Auszuschlie-
en haben wir auch eine nachweislich ganz sp te Schrift, n mlich Ar-
chytas 3 καθολικοί λόγοι δέκα, die eine Darstellung der aristotelischen
Kategorienlehre mit einem Zitat aus Porphyrios' Isagoge bietet und der
Sp tstufe der Kategonenauslegung, etwa des 6. Jh., entspricht 5 . Die an-
dere Schrift des „Archytas" ber die Kategorien, κερί τω καθόλου
λόγω, setzt, wie Th, A. Szlez k nachgewiesen hat, die Arbeiten der er-
sten Generationen der Kategorienkommentatoren voraus. H chstwahr-
scheinlich f llt also ihre Abfassung in den hier untersuchten Zeitraum.
Was die zahlreichen brigen, nur fragmentarisch erhaltenen pseudo-py-
thagoreischen Schriften angeht, so scheint die bisherige Forschung noch
keine definitiven Ergebnisse erzielt zu haben. In der oben angef hrten
Monographie schl gt H. Thesleff f r die meisten von ihnen eine sehr
fr he Datierung (3. bzw. 2. Jh. v. Chr.) vor. Gegen diese These spricht
aber, wie wir noch feststellen werden, der Umstand, da das in ihnen
enthaltene peripatetische Gedankengut nicht selten Problemstellungen
voraussetzt, die wohl erst seit der T tigkeit der Aristoteles-Kommen-
tatoren bezeugt sind. Vorwiegend anhand der sprachlichen Analyse
kommt Louis Delatte zu dem Schlu , da die Traktate ber das K nig-
3
Ausf hrlicher Status quaestionis bei H. Thesleff, An Introduction to the Pythagorean
Writings of the Hellenistic Period, Abo 1961, bes. 30-45. Vgl. ferner W, Burkert, Zur
geistesgeschtchtlichen Einordnung einiger Pseudopythagorica, in; Entretiens sur 1'An-
tiquite Classique XVIII. Pseudepigrapha I, Genf 1972, 25-55. H. Thesleff, On the
Problem of the Doric Pseudo-Pythagonca. An alternative Theory of Date and Purpo-
se, in; Entretiens XVIII (wie oben) 59-87.
* So H. Diels, Do*. 186sqq. R, Harder in seiner Edition 1926, W. Theiler, Rez, v. Har-
der, in: Gnomon 2 (1926) 585-597, bes. 59Qsqq, R. Beutler, Art. Okellos, RE XVII
(1937) 2361-2380. Mehrere andere nach ihnen.
5
Th. A. Szlez k, Pseudo-Archytas ber die Kategorien, Berlin-New York 1972,19sqq.
6
L. Delatte, Les Traites de la Royaute d'Ecphante, Diotogene et Sthenidas, Liege —
Paris 1942.
7
F. Wilhelm, Die Oeconomica der Neupythagoreer Bryson, Kallikratidas, Periktione,
Phintys, in: Rh. Mus, 70 (1915) 161-223.
8
H.Dörrie, An. Pythagoras 1C, RE XXIV 2 (1963) 271.
9
Es sei hier nochmals betont, daß unsere kurzen Angaben zum Datierungsproblem kei-
nerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Es galt nur, an einigen Beispielen zu ver-
anschaulichen, wie unterschiedlich die Ansichten darüber lind. Ein einigermaßen
komplettes Referat über die diversen Thesen und ihre Untermauerung hätte den Rah-
men dieses Kapitels gesprengt.
A, Kategorien
Die unter dem Namen des Archytas von Tarent vollst ndig erhaltene
kleine Schrift περί του καθόλου λόγου ήτοι δέκα κατηγοριών10 h ngt
ganz deutlich von der Kategorienschrift des Aristoteles ab11. Dar ber
hinaus enth lt sie Stellungnahmen und Anspielungen, die nur vor dem
Hintergrund einer bereits umfangreichen, vielseitigen Diskussion ber
die Kategorienschrift erkl rbar sind. Eine Datierung ms erste oder gar
ins zweite Jh. n, Chr, erscheint daher als durchaus m glich12.
Charakteristisch f r unsere Schrift ist der Umstand, da der Autor
die Disposition des aristotelischen Traktats nicht bernimmt, sondern
die Materie systematisch auf einige Sachgruppen verteilt. Er erkl rt zu-
erst anhand von Beispielen, was die zehn Kategorien sind13, geht dann
auf ihre Reihenfolge (τάξις) ein14, gibt die Unterteilung (διαίρεσις) je-
der einzelnen an15 und z hlt schlie lich die Merkmale der Kategorien
auf, wobei er zwischen solchen unterscheidet, die bergreifend (κοινά)
sind und sich in mehreren Kategorien wiederfinden16, und solchen, die
den einzelnen Kategorien eigen (Ιδια) sind17. Nachdem er auf diese Wei-
10
Slmpl., Cat, f hrt zahlreiche Ausz ge an, und zwar in der dorischen Fassung des Ori-
ginals, Andererseits ist der Text des kleinen Traktats in einer Koine-Ubertragung in
einem Ms. des 16. Jh, auf uns gekommen, Vgl. Th. A. Szlezak, Archytas, der 1 — 7 auf
den Stand der berlieferung und die fr heren Ausgaben eingeht. Wie Szlezak selbst
zitieren wir hier die Koine-Fassung nach den Seiten und Zeilen von H. Thesleff, The
Pythagorean Texts of the Hellenistic Period, 1965. Der Einfachheit halber wird hier
und bei den anderen Pythagoreern auf den Zusatz ,Pseudo-' verzichtet, Selbstver-
st ndlich bedeutet das nicht, da wir an die Echtheit der Schriften glauben,
11
Jamblich und Simplikios, die nicht an der Echtheit des kleinen Traktats zweifelten,
hielten ihn f r die Quelle der aristotelischen Kategonenlehre.
12
H. Thesleff, Introduction 114 datiert sie, wie viele andere pseudopythagoreische
Schriften, ins 3. Jh. v. Chr., was v llig auszuschlie en ist.
13
22,8-23,16.
14
23,17-24,16,
15
24,17-26,15. '* 26,16-27,15.
17
27,16—30,36, Die Disposition des Hauptteiles von Archytas' Schrift gibt Simp!., Cat,
2,15—20 sehr pr zise an.
19
>·* 30,17-31,5. 31,6-29.
2Q
31,30-32,9.
15
32,10-23.
2Z
Erg nzt von Th.Szlezak, Archytas 98,
13
22,8-13.
14
Vgl. Simpl., Ot. 9,8 — 10,8 περί φωνών απλών, περί των οντων αυτών, περί των
απλών νοημάτων.
2ί
Ibid. 10,8-20.
16
Ibid. 13,16-18.
Ϊ1
22,31-23,16.
2K
30,33 — 31,5, Diese deutliche Erkl rung des Pythagoreers hat Simplikios allerdings
nicht daran gehindert zu vermuten s da Archytas als τοις νοητοίς εϊδεσι φίλος sich
beim Vorschieben der Qualit t gleich hinter die Substanz (vgl. unten S, 6Π) durch die
Ber cksichtigung der νοηταΐ ούσίαι habe leiten lassen. Ohne die Qualit t h tten die
intelhgiblen Substanzen ebensowenig wie die an ihnen partizipierenden Substanzen ih-
re ιδιώματα und χαρακτήρες. Die Qualit t sei daber mit dem νοη-εόν enger verwandt
als die Quantit t, deren Aufhebung nur die αισθητά tangieren w rde. Vgl. Simpl.,
Cat. 121,20-122,8 und 157,25-31.
29
Simpl., Cat. 73, 15-28; 76, 13-17. Vgl. oben S. 542sq.
M
Ibid. 78,4-5. Vgl. oben Bd. I 147sqq.
31
Diese Ansicht teilen H. Dorrie, Eudoros v. Alexandreia, in: Hermes 79 (1944) 25—39.
dort 29, und Th. Szlez k, Archytas 105. Sie weisen auf Eudoros als m gliche Quelle
des Einwandes hin. L. Tar n, in: Gnomon 53 (1983) 743sqq, glaubt dagegen nicht,
da Boethos bem ht war, fr here Einwendungen gegen die Kategorienlehre zu wider-
auf die Anf nge der Kategorieninterpretation zur ck, denn bereits Boethos nahm ge-
gen ihn Stellung: Simpl,, Cat. 302,5-16, Vgl. oben Bd. I 160. Mit dieser Schlu folge-
rung w re L. Tar n wohl nicht einverstanden, vgl, Anm, 31. Archytas h lt trotz seiner
Bemerkung an der herk mmlichen Kategorienlehre fest.
37
In der Aufz hlung der Kategorien, 22,15 und 27-29; 30,22; 31,3 (Simplikios-Zitat!)
und in den Οιαφοραί, 25,17 (Simplikios-Zitat!).
38
Simpl., Cat. 334,15-20.
39
Allerdings benutzt er που 22,15 und 29 und ποτέ 22,15 und 30; 26,12; 29,11 (το ποτέ
και 6 χρόνος); 30,23; 31,3,
40
Arise., Cat. &, 4b 24-25.
41
Simpl., Cat. 347,6-17. Vgl. oben Bd. I 111-112.
42
Obwohl einige Interpreten diese M glichkeit in Erw gung gezogen haben, vg!, Simpl.,
Cat. 155,33-156,3.
4ϊ
Da die Frage nach der Anordnung der Kategonen zu den obligaten Themen der Er-
kl rung geh rte, zeigt unter anderen Simpiikios, der am Anfang seiner Behandlung der
einzelnen Kategorien auf deren τάξις eingeht und dabei mehrere altere Stellungnahmen
zu diesem Problem referiert,
44
SimpL, Cat, 206,10 — 15. In 206,15—21 f hrt Simpiikios meines Erachtens weitere Be-
gr ndungen f r die von Eudoros und Archytas vorgeschlagene Folge ουσία — ποιότης
— ποσότης an. Die Textverderbnisse d rften nicht ganz so gravierend sein, wie Kalb-
fleisch annimmt. Ich schlage vor: 15 ει delendum. 18 ποιότης <, ή δε ποσότης>
εστίν. 19 διακριθέντων, ή" ως (πώς codd.) ό Αρχύτας φησιν (ohne L cke), επειδή
κτλ. Die Abiolge ουσία, ποιόν, ποσόν kommt ebenfalls vor bei Philon Alex., De
decal. 30 (der dann προς τι, ποιεΐν, πάσχειν, έχειν, κεϊσθαι, χρόνος, τόπος aufz hlt)
und bei Areios Did. ap. Stob. II 7,2, S. 42,1—6 W, (ουσία, ποιότης, ποσότης, προς
τι. Kein Referat, sondern eigene Ansicht des Areios).
45
Simpl., Cat. 156, 16-23. Vgl. oben S. 547.
Jede Kategorie teilt Archytas in mehrere Arten ein. Das ist ein Be-
weis daf r, da er die Kategorie f r eine wahre h chste Gattung hielt
und nicht, wie gewisse Opponenten, die Einheitlichkeit der einzelnen
Kategorien in Frage stellte, geschweige denn die Kategorien als blo e
ομώνυμα betrachtete. Der Umstand, da er in diesem und in den n ch-
sten Abschnitten seiner Abhandlung relativ ausf hrlich auf die letzten
vier Kategorien eingeht, die in der aristotelischen Kategorienschrift
nicht behandelt sind, zeigt andererseits, da er oder seine Quellen be-
m ht waren, anhand anderweitiger Angaben des Aristoteles die Katego-
rienlehre nach M glichkeit zu vervollst ndigen.
Letzeres ist bei der Einteilung der Substanz ersichtlich. Dort wurden
als ουσίας διαφοραί die ΰλη, die μορφή und das συναμφότερον εκ
τούτων genannt 46 . Die Unterscheidung von πρώται und δευτεραι οΰ-
σίαι wird dagegen mit keinem Wort erw hnt. Die Dreiteilung der ουσία
geht offensichtlich auf bekannte u erungen des Aristoteles zur ck47.
Bereits Boethos hatte mit dieser Dreiteilung der ουσία gearbeitet, aller-
dings um auf folgende Schwierigkeit hinzuweisen: Die Merkmale der er-
sten Substanz, hob er hervor, finden sich nur in der ύλη und im σϋνθε-
τον, im είδος jedoch nicht; folglich mu das εΐδος einer anderen Kate-
gorie angeh ren48. Die Aporie des Boethos hat Archytas nicht ber ck-
sichtigt. Auch bei der Einteilung der Quantit t weicht er von der Kate-
gorienschrift ab. Was Aristoteles συνεχές nannte, bezeichnet er als εν
μεγέθει, und das διωρισμενον hei t bei ihm εν πλήθει. Vor allem f gt
er das Gewicht (εν φοπή) hinzu49. Durch Simplikios erfahren wir, da
Athenodoros und der Mathematiker Ptolemaios diese dritte Art der
Quantit t angesetzt hatten und da Lukios und Nikostratos Aristoteles
vorwarfen, sie nicht ber cksichtigt zu haben30. Einmal mehr stellt sich
also heraus, da Archytas von der Aristoteles-Exegese der ersten nach-
christlichen Jahrhunderte abh ngt. In der Einteilung der Relation zeigt
sich ebenfalls, da unser Autor sich nicht genau an die Ausf hrungen
der Kategorienschrift h lt. W hrend Aristoteles die Meinung vertritt,
da in jeder Relation die Korrelate „austauschbar" sind, obwohl diese
Umkehrbarkeit nicht immer mit derselben Formulierung zum Ausdruck
** 24,17-19.
47
Z.B. Metaph, Z3, 1029a2-3; 10, 1035a2; H l , I042a26-31; De an. II 2,
414al4-16.
46
Simpl-, Cat. 78,4-20. Vgj. oben Bd. I S. I55sq.
49
25, 1-3.
so
Simpl., Cat. 128, 5-8. Vgl. oben S. 546.
Sl
25,4-9. Diese Bemerkung geht offenbar auf Cat. 7, 7 b 2 2 - 8 a l 2 zur ck. Sie stellt
jedoch ein grobes Mi verst ndnis der aristotelischen Lehre dar, denn f r Aristoteles
schlie t das Vorhandensein einer Relation nicht aus, da eines der Korrelate in seiner
Eigenschaft etwa als Ding, jedoch nicht als Korrelat, fr her als das andere bestehen
kann. Den Vater als Mann gibt es nat rlich vor dem Sohn, aber die Relation als solche
existiert nur, wenn der Sohn da ist. F r Aristoteles h tte eine einseitige Relation ber-
haupt keinen Sinn.
« 25,10-13, hnlich Porph., Cat. 113,3-9.
53
Vgl. unten S, 627.
54
25,13-16.
55
Cat. 15, 15bl7sqq.
5
* In seinem Kommentar bietet Szlez k das Wichtigste.
" 26,18-27,2.
In den n chsten Abschnitten ist von den κοινά und von den ίδια der
einzelnen Kategorien die Rede. Die κοινά sind solche Merkmale, die in
mehreren Kategorien vorkommen k nnen. Sie werden nur f r die ersten
vier Kategorien angegeben58. Nach dem Beispiel des Aristoteles fragt
unser Autor, ob diese Kategorien das Mehr-und-weniger und die Kon-
tran et t zulassen. In der Kategorie der Substanz gibt es kein Mehr-und-
weniger und keine Kontrariet t. Die Qualit t dagegen l t diese beiden
Merkmale zu. Von der Quantit t wird lediglich notiert, da sie kein
Mehr-und-weniger aufweisen kann. In der Relation schlie lich gibt es
Korrelate, bei denen das Mehr-und-weniger vorkommt, und andere, bei
denen dies nicht der Fall ist. Die K rze und die L ckenhaftigkeit des
Abschnittes ber die κοινά fallen besonders auf. Einige Angaben aus der
Kategorienschrift, die der Autor hatte m helos verwenden k nnen, er-
w hnt er einfach nicht59. Der Hinweis auf den καθ' αυτό-Charakter der
Substanz, der sie von den συνυπάρχοντα und συμβεβηκότα unterschei-
det60, geh rt eigentlich nicht in die Ausf hrungen ber die κοινά, da es
sich nach der Auffassung des Autors eher um eine Eigent mlichkeit aller
Substanzen handelt61.
W hrend Archytas nur f r die ersten vier Kategorien die κοινά auf-
z hlt, bem ht er sich, das Ιδιον jeder einzelnen Kategorie anzugeben 62 .
Im Rahmen des M glichen verwendet er dabei Angaben aus der Katego-
nenschrift selbst, allerdings nicht ohne gelegentliche Abweichungen.
F r die von Aristoteles nicht behandelten Kategorien zeigen seine Aus-
f hrungen, da andere Aristoteles-Schriften herangezogen worden sind.
Die individuelle Substanz kann, allerdings nicht gleichzeitig, entgegen-
gesetzte Bestimmungen erhalten 63 . Der Qualit t sind hnlichkeit und
Un hnlichkeit eigent mlich 64 , der Quantit t Gleichheit und Ungleich-
heit 65 , Als charakteristisches Merkmal der Relation wird angegeben und
se 26,17-27,15.
59
Etwa die Frage nach dem εναντίον im ποσόν, Cat, 6, 5b 11-6 a 18, und im προς τι,,
ibid. 7, 6b 15—19. Ebensowenig erw hnt er die έναντι,ότης und das μάλλον καΐήττον
bei ποιείν und πάσχειν, Cat. 9, l i b 1—8.
60
26,21-27,1.
61
N heres dar ber bei Szlezak 130—131.
62
27,16-30,16. Nur das κεΐσθαι wird nicht er rtert. Da unser Autor diese Kategorie
manchmal nicht ber cksichtigt, ist bereits S. 612 beobachtet worden. Es l t sich aller-
dings nicht feststellen, ob er das κεΐσθαι einer anderen Kategorie zuordnete.
« 27,16-22. Vgl. Arist., Cat. 5, 4 a l Q - b l 9 .
64
27,22-28,4. Vgl. Cat. S, H a 15-19.
65
28,4-6. Vgl. Cat. 6, 6a 26-35.
mit einer Reihe von Beispielen belegt, da die Korrelate gleichzeitig mit-
einander existieren und einander Ursache sind66. Der Autor scheint v l-
lig vergessen zu haben, da er in der διαίρεαις der Relation F lle er-
w hnt hat, in denen eines der Korrelate angeblich fr her existiert als das
andere 67 . Die Behauptung aus den P stpr dikamenten, nach welcher et-
wa „Doppelt" und „Halb" αντιστρέφει, ohne da das eine die Ursache
der Existenz des anderen ist68, ber cksichtigt er auch nicht69. Angaben
ber das Ιδιον von Tun und Leiden fehlen in der aristotelischen Katego-
rienschrift. Sozusagen als Ersatz daf r verwendet unser Autor die For-
mel, die Aristoteles als Wesensbestimmung der φύσις gab. Im Gegen-
satz zu den k nstlich gefertigten Dingen, bei denen das Prinzip der Be-
wegung in einem anderen zu suchen ist, haben die Naturdinge ihr Bewe-
gungsprinzip in sich selbst. Diese bekannte Lehre des Aristoteles ber-
tr gt unser Autor auf das Tun und das Leiden. Beim Tun liegt die Ursa-
che der Bewegung im T tigen selbst, beim Leiden befindet sich die Ursa-
che der Bewegung in einem anderen 70 . Das εχειν wird in jenem engeren
Sinn aufgefa t, der sich aus den sp rlichen Angaben der Kategorien-
schrift zu ergeben scheint71, und nicht κατά πλείονας τρόπους wie in
den Postpr dikamenten 72 . Der Autor bezieht es auf ein k rperliches
Hinzuerworbenes, das getrennt ist von der Substanz, die es besitzt7·3.
Seit den Anf ngen der Kommentierung der Kategorien stritt man sich
ber das Verh ltnis des Postpr dikamentenkapitels ber die τρόποι des
έχειν zur eigentlichen Kategorie des εχειν. Viele Exegeten, wie bereits
Boethos74 und hier Archytas, schr nkten die Kategorie auf die κράτησις
επικτήτου τινός ein, w hrend Opponenten wie Lukios und Nikostra-
tos75 Aristoteles daf r tadelten, da er nicht angegeben hat, nach wel-
chem τρόπος der Postpr dikamente die Kategorie des Habens eigentlich
aufzufassen ist. Die Eigent mlichkeit des Ortes (der hier die Kategorie
6
* 28,6-17,
67
Vgl. oben S. 615 mit Anm. 51.
6H
Arist., Cat. 13, 14b27-32.
69
Wie Sxlezik 135 mit Recht hervorhebt, ia t Archytas die Gleichzeitigkeit der Relativa
als strikte omologische Korrelation auf, und deswegen behauptet er, da sie sich wech-
selseitig begr nden.
70
28,17-29,1.
71
Cat. 4, 2 a 3 ; 9, b 13-14.
71
Ibid. Kap. 15.
73
29,1-5.
74
Simpl., Cat. 373, 7-32.
75
VgJ. oben S. 551.
des που ersetzt) besteht darin, da die Dinge in ihm sind, er aber an
keinem Ort ist, Sonst g be es einen regressus ad infinitum. Der Ort ver-
h lt sich zu den Dingen wie die Grenzen zu dem, was in ihnen enthalten
ist. Der Ort des Weltalls stellt die Grenze aller Dinge dar 76 . Hier liegen
wohl einige, wenn auch nicht sehr pr zise Reminiszenzen an die aristo-
telische Ortslehre77 vor. Insbesondere scheint die Aporie Zenons78 die
Stellungnahme unseres Autors bedingt zu haben. Auch die Ansicht des
Aristoteles, da das Weltall alles brige umfa t, selbst aber nicht an ei-
nem On ist, weil es au erhalb des Kosmos nichts gibt79, findet hier ein
gewisses Echo. Am ausf hrlichsten sind die Angaben des Autors ber
die Kategorie des Wann bzw. der Zeit80. Merkw rdigerweise werden
zuerst die Nicht-Teilbarkeit (άμερές) und die Nicht-Best ndigkeit (άνυ-
πόστατον) als Ιδιον angegeben. Jedes Nun ist n mlich unteilbar; es bil-
det die Grenze zwischen Gewesenem und Zuk nftigem, und es vergeht,
sobald es da ist. Individuell (κατ' αριθμόν) ist also jedes Nun verg ng-
lich und verschieden von den anderen. Der Art nach (κατά το είδος)
sind sie jedoch alle identisch, und ihre ununterbrochene Abfolge ge-
w hrleistet die Kontinuierlichkeit der Zeit81. Die Zeit ist n mlich konti-
nuierlich und nicht etwa diskontinuierlich wie Zahl, Rede und Harmo-
nie. Vielmehr ist sie ein Kontinuum wie auch Zeile, Fl che und K rper.
Sie bedingt die Existenz der Natur und der Bewegung, die ohne Zeit
nicht sein k nnten, Von den brigen Kontinua unterscheidet sie sich al-
lerdings dadurch, da ihre Teile sofort vergehen, w hrend die der ande-
ren Kontinua bestehen bleiben. Die Zeit existiert daher berhaupt nicht,
oder ihre Existenz ist nur schwach und undeutlich 82 . Obwohl unser Au-
tor sich mit ziemlich oberfl chlichen Bemerkungen begn gt, lassen sich
gewisse Reminiszenzen an die Zeitlehre der aristotelischen Physik nicht
verkennen 83 .
76
29,5-11.
77
Arist., Phys. IV 1-5.
78
Phys. IV l, 209a23-26,
79
Phys, IV 5, 212b7-12; De caelo I 9, 279a 11-18,
80
29,11-30,7.
81
29,11-30,1.
81
30,1-16.
83
ber die Zeit, die fj Ολως ουκ εστίν ή μόλις και άμυδρώς, weil sie aus bereits Vergan-
genem und noch Zuk nftigem besieht, Phys. IV 10, 217b 32-218a3. Die Teile der
Zeit haben keine Best ndigkeit, ibid. 10, 218a3—6. Frage, ob das Nun identisch mit
sich selbst bleibt oder immer wieder ein anderes wird, 10, 218a8 — 1 1 ; l l , 2 1 9 b 9—16.
Auch Aristoteles unterstreicht den Zusammenhang von Zeit und Bewegung.
zwar die affirmative (εν καταφάσει), die negative (εν άποφάσει,) und die
privative (εν στεοήσει) Aussage89. Mit der privativen Pr dikation (Bei-
spiele: ,,Der Mensch ist tot", „das Ding hat keine Qualit t" etc.) wird
angegeben, meint wohl der Autor, da etwas eine Eigenschaft nicht
mehr besitzt, die es von Natur aus besitzen sollte und fr her tats chlich
auch besessen hat. Formal l t sich diese privative Pr dikation nicht von
der affirmativen bzw. von der negativen unterscheiden, und Aristoteles
hat sie selbstverst ndlich nirgends neben der affirmativen und der nega-
tiven erw hnt. Warum unser Autor einer privativen Pr dikation neben
der affirmativen und der negativen einen Platz einger umt hat) wissen
wir eigentlich nicht. Diese sonderbare »Erg nzung" der Pr dikations-
lehre kommt } soweit wir wissen, in der aristotelischen Literatur sonst
nicht vor. Bemerkenswert ist allerdings, da man sich relativ fr h ge-
fragt hat, wie Negationen und Privationen in der Kategorienlehre unter-
zubringen sind. Bereits Lukios und Nikostratos scheinen in ihren Apo-
rien diese Frage aufgeworfen zu haben. Simplikios verweist in diesem
Zusammenhang auf heute verschollene Schriften des Aristoteles, um die
Ap rie zu l sen; nach diesen geh ren Negationen und Privationen zu
derselben Kategorie wie die entsprechenden Affirmationen 90 . Daraus
d rfte Archytas (oder seine Quelle) gefolgert haben, da Negationen
und Privationen genauso wie die entsprechenden positiven Kategorien
von einem Subjekt ausgesagt werden k nnen. Und daraus hat er wieder-
um erschlossen, da die privative Pr dikation ihren Platz neben der be-
jahenden und der verneinenden haben soll.
Nachdem er daran erinnert hat, da die Wahrheit und die Falschheit
in der bereinstimmung bzw. Nicht- bereinstimmung zwischen dem
wirklichen Tatbestand und unseren Aussagen dar ber bestehen91, be-
trachtet er seine Ausf hrungen ber die Kategorien und ihre Verwen-
dung in der Pr dikation als abgeschlossen92. In einer An Schlu wort
tr gt er jedoch berlegungen vor, die sich aus seinem Expose ergeben
oder mit ihm in Zusammenhang stehen.
Aus unseren Ausf hrungen, bemerkt er, geht hervor, da der
Mensch Ma stab und Richtschnur (κανών καί στάθμη) der wirklichen
lassen. Ausf hrlicher befa t sich Aristoteles mit Affirmation und Negation in De int,
5, 17a 8sqq.
89
31,9-29.
90
Simpl., Cat. 65,2-13. hnlich Dex., Cat. 32,7-21.
91
31,22-29.
« 31,30-32,
·» 31,32-32,9.
94
Hier sei vor allem an die Ausf hrungen von Sext. Emp. erinnert, bes. Adv. math, VII
27—262. Bereits bei Ciceros Quellen war die Kriteriologie ein fester Bestandteil der
Logik bzw. der Dialektik. Areios Didymos {vgl. oben Bd, I 302) und andere (z. B.
Albinos, vgj. oben S. 453) befa ten sich ebenfalls mit diesem Problem.
»s Sext. Emp., P. H. II 16 = Adv. math, VII 35.
96
Vgl, auch Archytas, De sapient. Fr. 2 Th., wo es hei t, da Gott dem Menschen το τω
παντός λόγω σύοταμα, εν φ το ΐε εΐδεα πάντα τω έόντος ένδεοασται κτλ. eingepr gt
hat.
97
32,10—23. Der Text dieses Abschnittes ist leider nicht einwandfrei berliefert und
weist wahrscheinlich mehrere L cken auf. Dennoch l t sich das allgemeine Anliegen
des Autors noch deutlich erkennen.
auf hin, da jede Wissenschaft von einer begrenzten Zahl von eigenen
στοιχεία ausgeht und zur Erkenntnis einer unendlichen Zahl von Din-
gen gelangt. Das gilt ganz besonders f r die Wissenschaft vom Seienden,
die eine endlose Zahl von existierenden, vergangenen und zuk nftigen
Dingen erfa t, obwohl ihre Elemente zehn an der Zahl sind. Mit der
Annahme, da die h chsten Pr missen jeder Wissenschaft zahlenm ig
begrenzt sind, gibt unser Autor eine bekannte aristotelische Lehre wie-
der. In seiner Auffassung sind diese h chsten στοιχεία bei der Wissen-
schaft vom Seienden wohl nichts anderes als Aussagen, in denen die Ka-
tegorien vom jeweiligen Subjekt pr diziert werden, oder genauer gesagt,
die zehn Kategorien selbst. Auffallend hnlich sind die Erl uterungen
Alexanders von Aphrodisias zum Kapitel der Anal. Post., in dem Ari-
stoteles nachweisen will, da in positiven Beweisf hrungen die Zahl der
Terme notwendigerweise begrenzt ist98. Alexander verfolgt die Pr mis-
sen gem der Hierarchie der Gattungen nach oben zur ck und zeigt,
da man bei der Pr dikation εν τφ τί έοτι schlie lich bei der ουσία ste-
hen bleiben mu , weil es in diesem γένος nichts H heres gibt. Dasselbe
R sonnement gilt auch f r die brigen neun γένη". Bekanntlich spielte
die Zehnzahl eine zentrale Rolle m der pythagoreischen Zahlenspekula-
tion. Der Umstand, da auch die στοιχεία der Wissenschaft vom Seien-
den zehn an der Zahl sind, wurde daher von unserem Pythagoreer als
eminent bedeutsam hervorgehoben100.
Unter dem Namen des Archytas ist uns eine andere Schrift ber die
Kategorien erhalten101. Ihre Disposition ist nicht ohne hnlichkeit mit
der der soeben analysierten Schrift. Die zehn Kategorien werden zuerst
vorgef hrt; danach kommt der Nachweis, da es nur zehn Kategorien
geben kann; ihre Reihenfolge wird begr ndet; nach einigen Angaben
ber das ίδιον folgen detailliertere Ausf hrungen ber die διαιρεσις der
98
Arist., Anal, Post. I 22.
99
Alex. Aphrod., Anal. Post. Fr. 24 bei P. Moraux, Le commentaire d'Alexandre d'A-
phrodise aux „Seconds Analytiques" d'Aristote, Berlin 1979, 51 sqq.
100
Interessante Beobachtungen zu weiteren Einzelheiten aus diesem letzten Abschnitt,
auf die ich hier nicht naher eingehen m chte, finden sich im Kommentar von Th. Szle-
z k. Ich denke insbesondere an die beiden Niveaus des Lebens (das blo e Leben, dem
die handwerkliche Techne zugewiesen wird, und das bessere Leben, das durch die
επιστήμη gew hrleistet wird) und an die Bezeichnung der Wissenschaft als τεταγμένον
τι και ώρισμένον: Szlez k verweist auf den aristotelischen Protreptikos und meint,
da diese Schrift den Pseudopythagoreern bekannt war.
101
Archytas, καθολικοί λόγοι δέκα, ed. Thesleff, Pyth. Texts 3,9—8,19 = Szlez k, Ar-
chytas 61-68 (Text), 80-85 ( bersetzung) und 158-183 (Kommentar),
einzelnen Kategorien. Da. nun dieser kleine Traktat nicht vor dem 6. Jh.
n. Chr, entstanden sein kann 102 , m ssen wir hier auf eine Analyse des
Inhalts verzichten.
B. De oppositis
Jen 16,21 -23 και των άλλων εναντίων εύρεθήσεταί τι μέσον, ή και ώνυμασμένον ή
κσΐ άνώνυμον beziehen sich ebenfalls auf die Frage nach dem μέσον zwischen εναν-
τία, obwohl sie zwischen dem Abschnitt ber die προς τι und dem Abschnitt ber
κατάφασις und άπόφασις stehen. Sie fassen Cat. 10,12a20-25 zusammen. Man
w rde sie eher hinter 16,13 ισοταχές erwarten.
113
16, 13 — 19. Die Frage, ob es ein μέσον zwischen έξις und στέρησις gibt, wird in den
Postpr dikamemen nicht aufgeworfen, Vgl. jedoch Arist,, Metaph, I 4, 5G55b 8-25.
Archytas er rtert die M glichkeit eines μέσον zwischen Blindsein und Sehen. Diese
Zwischenstufe kann jedoch keine v llige στέρησις bedeuten, Vgl, Arist., Metaph.
Δ 22, 1022b 27—29 {blind ist man nicht in jedem Alter, sondern nur m dem Alter, in
dem man normalerweise sehen kann) und I 4, 1055a 33-b29. Auch Simpl., Cat,
392,23-25 hebt hervor, da die Welpen, die noch nicht sehen, oder die Babies, die
noch keine Zahne haben, keineswegs als τυφλά bzw. νωδά bezeichnet werden k nnen:
Um eine τελεία στέρησις handelt es sich bei ihnen nicht; sie haben das Alter noch
nicht erreicht, in dem die £ξις da sein m te.
114
16,19-21.
lls
Auch Simpl., Cat, 384,11—13 weist daraufhin, da Archytas hier vom echten Aristo-
telismus abweicht,
116
16,23-31.
3. Archytas schlagt drei Einteilungen der kontr ren Gegens tze vor.
Die erste scheidet zwischen εναντία ohne μέσον und solchen, die ein
μέσον haben117. Die zweite ist dreigliedrig: Es gibt Kontrariet ten zwi-
schen einem Guten und einem bel, zwischen einem bel und einem
anderen bel, zwischen einem Wertneutralen und einem anderen Wert-
neutralen118. Nur f r die ersten zwei Glieder (Gut/ bel, bel/ bel)
konnte sich Archytas auf die Postpr dikamente berufen119. Das dritte
dagegen stellt eine Erg nzung dar s die, wie wir gesehen haben, auch f r
περί αντικειμένων und Nikostratos belegt ist120. Drittens lassen sich die
εναντία nach der Rangordnung ihrer Gattung in der Begriffspyramide
einteilen: Die einen haben ihren Platz in den h chsten Gattungen (γένη
γενών = πράτα γένη), was z. B. f r die Gegens tzlichkeit von „gut"
und „schlecht" der Fall ist. Andere kommen in Gattungen vor, die
selbst andere Gattungen ber sich und unter sich haben (γένη ειδών); so
z.B. das Gegensatzpaar „Tugend — Laster". Andere schlie lich sind
Gegens tze zwischen den untersten Arten (έσχατα είδη), die keine wei-
teren Arten unter sich haben; so z. B. die Gegens tze zwischen den Ein-
zeltugenden Mut — Feigheit, Gerechtigkeit — Ungerechtigkeit 121 . Diese
dritte διαίρεσις geht offensichtlich auf Cat. I l , 1 4 a l 9 — 2 5 zur ck, eine
Stelle, deren Interpretation sehr umstritten war122. SimpHkios, der, wie
wir wissen, die archyteische Schrift f r lter als die Kategorien h lt, be-
merkt, da Aristoteles in seinen ersten Ausf hrungen ber die εναν-
τία123 diese dritte διαφορά wohl deswegen nicht erw hnte, weil er sie
f r nicht ganz wichtig (ου πάντη πραγματειώΟης) hielt124. Und nach-
dem er ber verschiedene Interpretationsschwierigkeiten der Zeilen
14a 19—25 berichtet hat, deutet er an, da die Angaben des Archytas
ber diese dritte Einteilung zuverl ssiger (ασφαλέστεροv) als die des
Aristoteles zu sein scheinen125. Die Einteilung der Privation stammt
117
37,4-20. Entspricht Cat. 10,11 b38-12a25.
us 17,20-23.
119
Arist.. Cat. 11,13b 3fc-14a 6.
120
Vgl. oben S, 556sq.
121
17,23 —18, J. Die letzten Zeilen des Abschnitts sind sicher korrupt bzw. l ckenhaft
und haben in der berlieferten Fassung keinen Sinn, Kalbfleisch vermutet L cken.
Vgl. seine E rg nzungs vorschlage in CAG VIII S. 574, zu 392,7 und 392,9.
122
Vgl. Simpl., Cat. 414,21-416,7.
123
Arist., Cat. 10, l i b 33-12a25,
124
Simpl., Cat, 392,9-13.
125
Ibid. 416,8—9. Fraglich ist allerdings, ob Simplikios alles richtig versteht. Nach seiner
Interpretation h tte Archytas die gegens tzlichen πρώτα γένη als von einer noch h he-
nicht aus den Postpr dikamenten, Von Privation redet man, behauptet
unser Autor, a) wenn die gemeinte F higkeit v llig fehlt, wie etwa bei
Blinden, b) wenn sie in zu geringem Ausma vorhanden ist, wie bei
Schwerh rigen oder Sehbehinderten, c) wenn sie nicht in der blichen
Form vorhanden ist, wie bei Krummbeinigen 126 , Diese Dreiteilung der
στέρησις ist meines Wissens sonst nicht belegt. M glicherweise geht sie
auf eine Sammlung von διαιρέσεις zur ck, in der verstreute Angaben
des Aristoteles ber die στέρησις miteinander kombiniert waren 127 . Die
Einteilung der προς τι ergibt sich aus Unterschieden im Korrelations-
verh ltnis. Es gibt F lle, in denen jedes Korrelat mit dem anderen ver-
tauschbar ist (A ist Bruder von B, B ist Bruder von A; A ist gr er als B,
B ist kleiner als A etc.). Es gibt aber auch F lle, in denen das Korrela-
tionsverh ltnis nicht umkehrbar ist (Die Wissenschaft bezieht sich auf
ihr Objekt, die Wahrnehmung auf das Wahrnehmbare» umgekehrt je-
doch nicht). Der Grund daf r ist, da der Gegenstand einer Erkenntnis
unabh ngig von dieser Erkenntnis bestehen kann. Bei vertauschbaren
Korrelaten lassen sich wiederum zwei M glichkeiten unterscheiden:
Entweder macht die Vertauschung gar keinen Unterschied im Verh lt-
nis; es ist v llig gleich, ob das Verh ltnis A gleich B hei t oder B gleich
A. Oder aber die Korrelate sind vertauschbar, jedoch nicht ohne weite-
res; eine Modifizierung ist erforderlich; wenn A Vater von B ist, dann ist
B Sohn von A; wenn A gr er als B ist, dann ist B kleiner als A128. Diese
Einteilung der προς τι stammt nicht aus den Postpr dikamenten, wo das
Problem der Vertauschbarkeit der Korrelate nicht tangiert wird. Sie ist
vielmehr dem Kapitel 7 der Kategorien seh rift abgewonnen worden 129 ,
Dort finden wir allerdings nichts ber ein nicht umkehrbares Korrela-
tionsverh ltnis. Aristoteles hebt zwar die Priorit t des έπιστητόν und
des αίσθητόν der επιστήμη und der αίσθησις gegen ber hervor130,
schlie t jedoch daraus nicht auf die Einseitigkeit ihres Verh ltnisses,
ren Gattung subsumiert betrachtet (416,15—20), was sich mit der auf uns gekomme-
nen Fassung des Archytas-Textes kaum vereinbaren l t.
126
18,12-17.
117
Zur vollen und partiellen Privation als Gegens tze vgl. Arist., Metaph. Δ 22,
1022b36-IQ2.ia2; Θ l, 1046a31-34. Der Hinweis auf organische Mi bildungen als
(dritte) Art der στέρησι,ς erinnert an Metaph. Δ 22, 1022 b 35—36 , . . και άπουν και
τφ μη ϊχειν ΟΧως πόδας και τφ φαύλους,
128
18,21-19,2.
w Vgl. bes. 6b23-8al2.
»° Cat. 7, 7bl5-8al2.
Der Streit zwischen der Stoa und der skeptischen Akademie scheint
es gewesen zu sein, der das Augenmerk der Philosophen auf das Pro-
blem lenkte, ob es ein „Kriterion der Wahrheit" gibt und welches dieses
Kriterion ist, wenn es ein solches berhaupt gibt. Die auf diese Weise
entstandene Knteriologie fand ihren Platz in der Dialektik, neben ande-
ren Unterabteilungen dieser Disziplin wie etwa der Horistik, der Dih -
retik, der Analytik usw. Das Interesse f r die Kriteriologie bewirkte es,
da man die Problematik auf fr here Denker zur ckprojizierte und sich
fragte, welches Kriterion die Vorsokratiker, Platon, Aristoteles usw. an-
genommen hatten133. Es kann also nicht wundernehmen, wenn Archy-
tas auf das Problem des Knterions kurz eingeht134. Trotz ihres ober-
fl chlichen Charakters erinnern seine Angaben in mancher Hinsicht an
das, was uns in der fr heren Kaiserzeit als die Kriteriologie von Platon
und Aristoteles geboten wird. Prinzipien der Erkenntnis des Seienden
sind Dinge, die von sich aus evident sind, d . h . die νοατά und die αί-
σθατά. Kriterion der νοατά ist der νόος, Kriterion der αίσθατά die α'ί-
σθασίς. Nicht von sich aus evident sind dagegen die Objekte der Wis-
senschaft (έπιστατά) und der Meinung (δοξαστά). Die diskursive Rede
(λόγος), die sich auf sie bezieht, wird vom Intellekt mit dem νοατόν
verglichen, wenn sie etwas ber die νοατά aussagt, und mit dem αίσθα-
τόν, wenn sie αίσθατά zum Inhalt hat. Es ist hier nicht der Ort, auf die
viel ausf hrlicheren Exposes von Sextus und Albinos einzugehen. Wir
m chten lediglich darauf hinweisen, da Sextus ausdr cklich hervor-
hebt, da Aristoteles, Theophrast und die Peripatetiker im allgemeinen
die Wahrnehmung f r das Kriterion des Sinnlich-Wahrnehmbaren und
die Intellektion f r das Kriterion des Intelligiblen hielten. Wie Theo-
133
Bereits bei Antiochos bildete die Kriteriologie einen Unterteil der Logik oder der Dia-
lektik, vgl. Cic., Acad.130-32; Luc. 112- Π3; Brut. 12; Grat. 115; De fin. IV 9, Die
Frage nach dem Kriterion wird von Sext. Emp, systematisch und historisch er rtert,
P. H. II 14-79; Adv. math. VII 27-446. Pistons Kritertologie legt Albinos, Didask.
4, 154,8—156,20 dar. Wichtig ist ebenfalls die kleine Schrift des Pcolemaios περί κρι-
τηρίου και ηγεμονικού, ed. F. Lammen 1952,
134
Archytas, De incell. 36,14-25.
phrast bemerkte, zeichnen sich diese beiden Kriterien durch das εναργές
aus135. Auch von Platon schreibt Sextus, da er das Seiende in νοητά
und αισθητά aufteilte und den λόγος f r das Kriterien der Erkenntnis
der Dinge hielt; mit dem Logos sei allerdings die ενάργεια, die sich aus
der Wahrnehmung ergibt, zu verbinden136. Auch in der Darstellung der
platonischen Kriteriologie bei Albinos finden sich mehrere Parallelen zu
Archytas' Angaben137. Es kann als sicher gelten, da die Kriteriologie
des Archytas im gro en und ganzen dieselbe ist, die unter anderem bei
Sextus und Albinos Platon und Aristoteles zugeschrieben wird. In den
letzten Zeilen des soeben er rterten Fragments kommt aristotelisches
Gedankengut noch deutlicher zum Ausdruck: „Im allgemeinen k nnen
wir das Warum (το δια τ L) bei jedem Ding nicht erkennen, wenn wir
nicht vorher sein Was-ist (το τι έντι) wissen. Das Was-ist von jedem
Ding wird mittels des Nus festgestellt. Da das Ding ist oder da es so
beschaffen ist, wird durch die Vernunft und die Wahrnehmung festge-
stellt, durch die Vernunft, wenn wir mittels eines Syllogismus beweisen,
da etwas notwendigerweise vorliegt; durch die Wahrnehmung, wenn
wir die Vernunft durch das Zeugnis der Wahrnehmung best tigen138."
Auf derselben Linie wie Archytas steht Brotinos mit seiner Unterschei-
dung von νόος und διάνοια, νοατόν und δκχνοατόν. Er hebt hervor,
da der νόος einfach und nicht zusammengesetzt ist. Den anderen Din-
gen gegen ber ist das είδος das Prim re; es ist gleichzeitig das erste Den-
kende und das erste Gedachte; es ist ungeteilt und nicht zusammenge-
setzt. Die διάνοια dagegen zeichnet sich durch Multiplizit t und Teil-
barkeit aus, und ihre Objekte, die δίανοατά, sind auch die Objekte der
Wissenschaft (έπιοτατά) und der Demonstration (άποδεικτά)139. Es
leuchtet ein, da diese sehr allgemeinen Angaben genausogut auf Platon
wie auf Aristoteles zur ckgehen k nnen. Ausgesprochen platonisch er-
»s Sext. Emp., Adv. math. VII216-218. Vgl. auch Cic., De fin. IV 9: Nach der akade-
misch-peripatetischen Meinung m ssen sensus und ratio in Verbindung miteinander als
Kriteria herangezogen werden.
136
Sext. Emp., Adv. math. VII Hl-144.
137
Besonders die Zur ckf hrung des επιστημονικός λόγος auf die νοητά und des δοξα-
στικός λόγος auf die αισθητά, 154,22—25, Die νόησις ist also Prinzip der επιστήμη,
die αΐσβησις Prinzip der δόξα, 154,25—29. Um die weiteren hnlichkeiten zwischen
Archytas und Albinos aufzuzeigen, m ten wir Albinos' Referat ausf hrlich interpre-
tieren, was hier leider nicht m glich ist,
138
Archytas, De intell. 37,7—12. Diese Bemerkungen gehen letzten Endes auf die Anal.
Post, zur ck, bes. auf II l und 19, allerdings nicht ohne entstellende Vereinfachungen.
»* Brotinos, De intell. 55,22-29.
143
Archytas, De sapient, 44,22—28. Periktione, De sapient. 146,6—17. Ein Satz des Ar-
chytas bereitet eine gewisse Schwierigkeit. Von der σοφία hei t es 44,24—25 δει μη
πρώταν ανταν τάς άρχος αύτάς άνευρέσθαι, αλλά τάς κοινάς των έόντων. Welche
anderen Prinzipien werden hier den gemeinsamen Prinzipien des Gesamtseienden ge-
gen bergestellt und somit den Bem hungen der σοφία entzogen? Bedeutet der Satz,
wie man wohl erwarten k nnte, da die σοφία sich nicht mit den Prinzipien schlecht-
hin, besonders nicht mit solchen, die nur Teilgebieten angeh ren, sondern nur mit den
Prinzipien des Seienden in seiner Gesamtheit befa t? Die Formulierung bleibt etwas
unklar, und die vorgeschlagenen Korrekturen (statt αύτάς r αϋτάς vel αΐιταύτας Vitel-
li) helfen nicht weiter: Man sieht nicht ein, warum die σοφία sich nicht mit ihren eige-
nen Prinzipien, sondern nur mit denen des Seienden zu besch ftigen h tte.
M4
Es sei daran erinnert, da Archytas an anderer Stelle die οοφία als die Wissenschaft
των θείων και δαιμονίων betrachtet (De vir, bon, 11,25, vgl. unten S. 659), hnliche
Diskrepanzen kommen bei unseren Autoren nicht selten vor.
14S
Periktione, De sapient. 146,10-17.
Archytas (oder seine Quelle) zu seiner Bemerkung von lteren Texten angeregt worden
sein, z. B. vom ber hmten Fragment aus Aristoteles1 περί ευχής. Vgl. dar ber
J. Pepm, De la pnere, in: Anstote, Fragments et temoignages, Pans 1968, 47—77, ins-
bes. 74 — 75 ber die Pseudo-Pythagoreer. ber den πρώτος θεός und sein Verh ltnis
zum νους του σύμπαντος ουρανοί bei Albinos vgl, oben S, 460 sqq, In der soeben zitier-
ten Arbeit ber Aristoteles' περί ευχής kommt Pepin zu folgendem Schlu : ,,Le theme
du Dieu situe au-del de ['intellect, avant de devenir l'une des pieces maitresses de I'edi-
fice plotinien, etait un topos dans le moyen platonisme."
149
Bei Albinos, der auch eine Dreiprinzipienlehre vertritt, liegen die Dinge etwas anders:
Das paradeigmatische Prinzip besteht aus der Vielheit der Ideen, die als Gedanken
Gottes aufgefa t werden. Vgl, Didask. 9, 163,10sqq.
150
Ganz anders bei Albinos, Didask. 10, 164,6sqq., wo der Einflu des Aristotelismus
viel st rker ist, vgl. oben S, 463sqq.
151
R. Harder, .Ocellus Lucanus', 1926, Kommentar S. 54-87. R. Beutler, An. Okellos,
RE XVII 2 (1937) bes. 2365-2370. Vgl. auch B. Effe, Studien zur Kosmologie und
Theologie der Aristotelischen Schrift „ ber die Philosophie", M nchen 1970, 31—72.
153
Arist., De caelo I 10, 279 b 12.
153
Okellos, De um'v. nat. §13, 128,15-24 Tb. Ph olaos, De an. 150,7-8.
154
Fr. 19 Rose3 = 19a Walzer und Ross.
»« Philolaos, De an. 150,12-20. Okellos, De univ. nat. § 19, 130,4-10 Th. Vgl. auch
Damippos, De prud, et beat. 68,21—23. Zur Gegen berstellung der Gestirnwelt als
αεικίνητος und der sublunaren Region als άειπαθές vgl. B. Effe, Op. cit. 34-39.
156
Philolaos, De an. 150,20. Ahnlich Okellos, De univ. nat. § 37, 134,3. Ekphantos, De
regn. 79,17.
157
Arist., De caelo I 3, 270b 22-24 αιθέρα προσωνόμασαν (οι αρχαίοι.) τον άνωτάτω
τόπον άπο του θειν αεί τον άίδι,ον χρόνον θέμενοιτην έπωνυμίαν αΰτφ. Vgl. Mete-
or. 13, 339b 21-27,
158
Aristaios, De harm, 52,21-53,2,
159
Arist., De caelo II 6, 288a27-b7.
160
Arist., De philos. Fr. 20 Ross neque enim ortum esse unqudm mundumt quod nulld
fuerit novo consilio inito tarn praeclari opens inceptio. Vgl. B, Effe, Op. cit, 32—31.
161
Vgl. z. B, Aetios, Dox. 300a 18-28. Cic., De nat. cieor. 122. Lukrez V 168-173.
Boethos v. Sidon ap. Philon Alex., De aet. m. 16, 83-84 = S. 26,15-27,7 Cumont
(Unt tigkeit Gottes nach der έκπύρωσις, Gott w rde dann einen αβίωτος βίος haben,
und seine Ruhe wurde den Tod bedeuten).
162 Orig., De princ. I 2,10; 4,3; II 3,1. Im 8, Anathematismos aus dem J. 543 hei t es ει
τις λέγει , . . τα κτίσματα συναίδια είναι τφ θεώ, ανάθεμα έστω.
163
Philop., De aet. m. 42,1-43,24 Rabe.
164
Arisiombrotos, De vis. 53,25—54,7.
165
Arist., De an. II 7.
166
Metopos, De virt. 119,15-17.
167
Pythagoras 386,5-21 Th.
168
Onatas, De deo 139,3-140,19,
1M
J. P. Maguire, The Sources 109-167, bes. 154sqq. Ph. Merlan, Rez. v, H. Thesieff,
Introduction, in: Mind 72 (1963) 303-304.
170
Onatas, De deo 139,11-140,5.
geb ude umfa t", kann als Meinung des Aristoteles gelten171. Der Ver-
gleich des Reigens der Gestirne mit den T nzen eines Chores geht wohl
auf Platon zur ck172. Er kommt auch zusammen mit dem Armee-Ver-
gleich in De mundo173 und mehrmals in der Literatur der Zeit vor174,
Der h chste Gott selbst, der Geist und Seele ist, ist weder sichtbar
noch berhaupt wahrnehmbar, nur durch die Vernunft und den Geist
kann er betrachtet werden175. Seine Kr fte (δυνάμιες) aber, seine Werke
und seine Handlungen offenbaren sich allen Menschen und sind wahr-
nehmbar176.
171
Arist., Phys. VIII 10,267b6-9. Vgl. auch Aetios I 7,32, Dox. 305 a 2-4 Αριστο-
τέλης τον . , , άνωτάτω θεόν . . . έπιβεβηκότα τη σφαίρα του παντός, Areios Did.
Fr. 9, Dox. 450,14-15 οσας δε είναι τάς σφαίρας, τοσούτους ύπάρχειν και τους
κινοϋντας θεούς ταύτας, ων μέγιστον τον πάσας περιέχοντα, Ps,-Arist., De mundo
6, 397b 24-27 την , , . άνωτάτω και πρώτην έδραν αυτός έλαχεν, ύπατος τε δια
τοϋτο ώνόμασται, κατά τον ποιητην 'ακρότατη κορυφή5 τον σύμπαντος εγκαθιδρυ-
μένος ουρανού.
™ Plat., Phaidr. 247A; Tim, 40C; Epin. 982Ε.
"·> Ps.-Arist., De mundo 6, 399a 12-24; 35-b 10.
174
Sen,, Epist. 84,9. Dion Chrys. XII 34. Max. Tyr. XIX 3 Ende. Vergleich mit dem
στρατηγός Sen., Epist. 59,7. Epict,, Diss, III 24,34sqq.; 26,29. Sext, Emp,, Adv,
math. IX 26sqq. Philon Alex., De provid. II 102. Max. Tyr. X9; XVI 9; XIX 3.
175
Onatas, De deo 139,8—10. Die Zeilen 139,3—4, die m glicherweise dieselbe Ansicht
enthielten, sind leider heillos korrupt (wahrscheinlich ist hinter 139,3 έπαίει eine L k-
ke anzunehmen), Vgl. auch Kriton, De prud. 109,10-15, Nach Archytas, De sapient.
44,33—34 und Penktione, De sapient. 146,20—21 besitzt der Weise, der die Methode
des άναλϋσαι und συνθεΐναι beherrscht, eine sch ne σκοπιά, von der aus er τον θεον
κατόψεσθαι kann. Da die intelligible Wirklichkeit des ύπερουράνιος τόπος nur
durch die vom Geist gef hrte Seele betrachtet werden kann, sagt schon Plat., Phaidr.
247C. In demselben Sinne Cic., Tusc. I 51. Sen., N.Q. VII 30,3-4. Max. Tyr. XVI!
9. PS,-Arist., De mundo l,391 a 11 — 16; 6,399a 31. Orpheus, zitiert von Aristobulos
ap. Eus., P. E. XIII 12,5. . . ο-ύδέ τις αυτόν είσοράα ψυχήν θνητών, νώ δ' είσοράα-
ται. Bei den Pythagoreern vgl, auchTtm. Locr., De univ. nat. 24,213,20 Marg bei Th.
176
Onatas, De deo 139,7—8; 10—11. Die Unterscheidung zwischen Gottes ούοία und
der δΰναμις, durch welche er die Welt leitet, spielt eine zentrale Rolle in De mundo,
vgl, 6,397b 16—30. Bei Philon Alex, fungieren die hypostasierten δυνάμεις als Ver-
mittler zwischen Gott und Welt. Vgl, ferner Alex,, Quaest, II 3. Der Gedanke, da
die Bewegungen in der irdischen Region durch die der Gestirne, insbesondere der Son-
ne, bedingt sind, und diese wiederum vom ersten Beweger abh ngen, ist nat rlich echt
aristotelisch. Die Ansicht, da Gott in seinem Werk sichtbar ist, kommt bereits in der
klassischen Zeit vor und wird sp ter oft wiederholt, Vgl. Xen., Mernor. IV 3,13 — H
(diese Stelle wird bei heidnischen und christlichen Schriftstellern mehrmals erw hnt
oder zitiert: A, S, Pease, ed. Cic., De nat. deor. Anm. zu I 31). Cic., Tusc. I 70. Mark
Aurel XII 28 (da man die δύναμις der G tter erlebt, kann man auf ihre Existenz
Onatas bezeichnet Gott als Geist (νόος), Seele (ψυχά) und leitendes
Prinzip (άγεμονικόν) der ganzen Welt177; diese kosmische Bezogenheit
Gottes steht durchaus im Einklang mit der platonisch-aristotelischen
Gottesvorstellung, Wie wir oben sahen, vertritt Archytas eine andere
Meinung, indem er erkl rt, Gott sei besser als der Intellekt178. Was das
Wirken Gottes angeht, stehen die Pythagoreer dem Platonismus viel n -
her als dem Aristotelismus. F r sie ist Gott nicht nur der erste Beweger,
der mittels der Himmelsbewegungen auch die Ursache der Bewegung in
der sublunaren Welt ist. Seine T tigkeit besteht haupts chlich darin, da
er die Welt gestaltet, durchwaltet und erh lt179. Insbesondere f r den
Menschen hat er liebevoll gesorgt, er hat ihm die Sprache und das logi-
sche Denken verliehen180. Ihm allein unter allen sterblichen Lebewesen
hat er den Sinn f r Gesetz und Gerechtigkeit gegeben181. Gott ist also
wirklich der Erzieher, der Lehrer aller sch nen Dinge, der Gesetzgeber
par excellence182. Die Meinung, da er sich gar nicht um die Menschen
k mmere, mu entschieden zur ckgewiesen werden183. Wenn der
Mensch einen Antrieb zum Guten und die M glichkeit hat, das Gute zu
erlangen, so verdankt er es Gott; Gott hat ihn so gestaltet, da er seinen
Blick auf den Himmel richten kann; er hat ihm den νους geschenkt,
dank welchem er Gott selbst zu betrachten vermag184.
Die Peripatetiker, die versucht haben, eine aristotelische Vorse-
hungslehre zu konstruieren, haben unter anderem die Frage aufgewor-
schlie en). Sext, Emp., Adv. math, IX 76. Galen, V De dogm. Hippocr, et Plat. ΪΧ
8, 789,13-9, 792,17; De sent. 2,1-5 Nutton (vgl. unten S. 765 Anm. 324).
177
Onatas, De deo 139,5-7.
178
Vgl. oben S. 633.
179
Eine hnliche Kombination der Lehre vom ersten Beweger mit der Annahme demiur-
gischer bzw. wefterhaltender Funktionen Gottes kommt auch in De mundo zum Aus-
druck: Gott ist die των ολων συνεκτική αιτία (6,397b9); er gew hrleistet die
σωτηρία aller Dinge (6,397b 13 —16; 398a4), ist σωτήρ απάντων και γενέτωρ
(6,398b2Q-21), πάντων ήγεμών τε και γενέτωρ (6,398b 30-31} etc.
tso
Archytas, De sapient. 44,6-15.
181
Aresas, De nat. horn. 49,8-9.
182
Sthenidas, De regn. 188,4-9.
1S3
Hippodamos, De rep. 101,25-102,2.
184
Kriton, De prud. 109,5-16. Es sei hier an Plat., Tim. 90A-D erinnert. Auch die
Stoiker sind wie unsere Pythagoreer der Ansicht, da „der Mensch dazu erschaffen ist,
Gott aus seinen Werken, namentlich den Wundern des Himmels, zu erkennen und zu
verehren (M. Pohlenz, Anm, zu Cic., Tusc. I 69)". Vgl. Cic., Tusc, I 69; De leg.
I 24—25; De nat. deor, II 140 (mit den von A. S. Pease S. 914—915 angegebenen Pa-
rallelstellen).
fen, ob die Vorsehung unmittelbar und hauptsächlich das Wohl der Welt
zum Ziel hat oder dieses Wohl nur nebensächlich erzeugt185. Eine ver-
gleichbare Fragestellung kommt bei den Pythagoreern vor. Sie behaup-
ten, daß Gottes Herrschaft über die Welt weder ausschließlich das für
die Welt Zuträgliche noch ausschließlich das eigene Interesse Gottes
selbst anstrebt. Ihr Ziel ist das gemeinsame Interesse des Herrschers und
der Beherrschten. Sie ist also eine „politische" Herrschaft und nicht eine
„despotische", die nur das Interesse des Herrschers berücksichtigt, und
auch nicht eine „Aufsichtsherrschaft", unter welcher primär das Wohl-
ergehen der Beherrschten herbeigeführt werden soll186.
Während der Mensch der Glücksgüter zur Glückseligkeit bedarf, ist
Gott von Natur aus glücklich. Im Gegensatz zum Menschen ist er voll-
kommen und braucht daher nichts, was von außen kommt187. Auch
Gottes Tugend unterscheidet sich wesentlich von der menschlichen. Er
hat sie nicht von jemandem erlernt, sondern ist von Natur aus gut188. Im
Gegensatz zum tugendhaften Menschen besitzt Gott eine Tugend, die
nicht nur frei von jeder sterblichen Eigenschaft, sondern auch unzerstör-
bar und unangreifbar ist189. Mit diesen Hinweisen auf die grundsätzli-
chen Unterschiede zwischen der göttlichen und der menschlichen Tu-
gend distanzieren sich die Pythagoreer deutlich von der stoischen Auf-
fassung, nach welcher die Tugend dieselbe bei Göttern und Menschen
sei190. Ihre Position erinnert an die des Aristoteles und der Peripatetiker.
Allerdings betonen die Pythagoreer nicht so stark wie die Peripatetiker,
daß Gottes Tugend nicht in zum Ausdruck kommt; das hängt
wohl mit ihrer oben besprochenen Ansicht zusammen, daß Gott sich
liebevoll um die Welt kümmert 191 .
tes
Vgl. Alex., Quaest. II 21,
186
Kallikratidas, De dorn, felic. 105,20-106,1. Vgl. darüber P. Moraux, Sur la Justice,
bes. 82 — 86, wo im Rahmen einer Untersuchung über die Theorie der Herrschaftsfor-
men bei Aristoteles versucht wird nachxuweisen, daß Kallikratidas' Ausführungen
weitgehend auf Aristoteles zurückgehen.
187
Euryphamos, Devit. 85,15 — 18. Hippodamos, De felic. 95,9—13. Zur Autarkie Got-
tes vg], Arist., EE VII12, I244b7-12; Vill 3,12<49b 16; MM II15,1212b35-36 und
38-39,
lee Hippodamos a.a.O. Ähnlich Cic., Top. 76. Sen,, Epist. 124,14.
1W
Archytas, De vir. bon. 9,8-11.
1M
SVF I Fr. 564, S. 129; III Fr. 149, S. 36; Fr. 245-252, S. 58-59.
191
Wenn es bei Aristoteles gelegentlich heißt, daß Gott keine besitzt, so ist wohl
die typisch menschliche ethische Tugend gemeint. Zur Frage nach der Gottes
und seiner Eudämonie vgl. EN X 8,1178b 8-32; auch VII l, 1145a 25-26; EE VII
A. Eudämonie lehre
lieh von denjenigen, die verkennen, da die k rperlichen und u eren G ter ποιητικά
sind, und meinen, αυτά συμπληροϋν την εΐδαιμονίαν. Weitere Zeugnisse (Klem.
Alex,, Diog, Laert., Philon Alex.) ber den Gehrauch von στμπληοηί'ν in diesem Zu-
sammenhang bei M. Giusta, LJ s. ut. l 406—4Qb'. Dali mit diesem U u« .utt Kriiolaos'
These angespielt wird, ergibt sich aus Areios Did, ap. Stob. II 7,3b, S, 46,10—13.
204
Areios Did,, vg). oben Bd. I S. 357sqq. Aspasios, vgl. oben S. 278.
205
Diog. Laert. V 30 ως κακοδαιμονήσοντος του αοφσΰ καν εν ΐΐόνοις η* καν εν πενία
και τοις όμοίοις, την μέντοι κακίαν αυτάρκη προς κακοδαιμονίαν.
»* Archytas, De educ. 40,19-24; 42,26-29.
207
Archytas, De vir. bon. 10,27—11,2, Hier wird neben ατυχία und ευτυχία die M g-
lichkeit einer dritten Lage erw hnt, τα μεταξύ τούτων. In der ersten Situation sei der
Tugendhafte κακοδαίμων, in der zweiten ευδαίμων, in der mittleren Lage ουκ ευ-
δαίμων. Man vergleiche mit Areios Did. ap. Stob, II 7,18, S. 133,6—11, wo von ei-
nem μέσος βίος die Rede ist, in welchem man weder ευδαίμων noch κακοδαίμων ist.
Sen., Epist. 92,19 scheint auf diese Lehre anzuspielen: inveniiur qui icat sapientem
corpore parum prospero usum nee miserum esse nee beatum. Th. Gaertner, Op. cit.
(oben Anrn. 192) 12 und W, Burkert, Einordnung 34 — 35 weisen auf den Widerspruch
der beiden u erungen bei Archytas hin. - Auch Hippodamos, Defe c. 96, l verbin-
det κακοδαιμονία und ατυχία.
ί08
Archytas, De vir. bon. 9,18-24.
B, G terlehre
Ι. τω άνθρώπω = εύοαιμοσύνα
Π. των μερέων
Α. ψυχάς
φρόνασις
ανδρεία
δικαιοσύνα
σωφροσύνα
Β. σώματος
κάλλος
ύγίεια
εύεκτία
ευαισθησία
211
Κ. Praechter a.a.O. Vgl. oben Bd. I 375 (Tabelle).
222
Archytas, De vir. bon. 10,16-20. Areios Did. ap. Stob. II 7,13, S. 123,17-20,
223
Archytas, De vir. bon. 11,3-12.
Vgl. bes. Cic., De fin, V 37sqq. (aus dem Trieb zur conseruatio stti ergibt sich notwen-
digerweise die Hinneigung zu den panes siti, Seele und Leib, und deren Vorz gen);
65sqq, (sozialer Trieb und u ere G ter), Areios Did. ap. Stob. II 7,13,
S. 119,22 — 122,9 (Nachweis, da die u eren G ter ΟΓ αΰθ' αιρετά sind);
119,9—124,14 (a fortiori die G ter, die sich auf uns selbst beziehen; die μέρη του
ανθρώπου und ihre G ter sind daher ebenfalls L' αΐθ' αιρετά). Auf die „auffallende
bereinstimmung" zwischen Archytas, Cicero und Areios weist K. Praechter, Meto-
pos 55—56 hin. Vgl. auch W. Burkert, Einordnung 36—38. Zur Oikeiosis-Lehre bei
Areios vgl, oben Bd. I 316sqq., bes. 320—325. Man wird sich auch daran erinnern,
da Areios ap. Stob. a. a. O. 124,15 —125,13 eine αναλογία zwischen vier seelischen,
vier leiblichen und vier u eren G tern konstruiert. Wohl nicht zuf llig z hlt Archy-
tas, De vir. bon, 11,8-12 vier G ter pro Klasse auf, wobei die vier seelischen G ter
wie bei Areios die vier Kardinaltugenden sind.
hen. Auffallend ist seine Behauptung, daß Einsicht, Mut, Mäßigung und
Gerechtigkeit (also die kurz vorher genannten seelischen Güter) den In-
tellekt der Seele unterstützen, und der Intellekt selbst den Gott. Dieser
sei nämlich der Beste und der Herrschende, und seinetwegen sollten
auch die anderen Güter dasein225. Ein ähnlicher Gedanke begegnet uns
bei ändern226. Daß die menschlichen Güter in Gott gipfeln und seinet-
wegen da sein sollen, steht nirgends in den auf uns gekommenen Prag-
matien des Aristoteles. Diese Ansicht ist wohl eher dem Platonismus zu-
zuordnen. Es sei trotzdem daran erinnert, daß Areios Didymos erklärte,
der Mensch stehe auf halbem Weg zwischen den unsterblichen Wesen
und den sterblichen und berühre die beiden Bereiche, den göttlichen mit
der Denkkraft seiner Seele, den Sterblichen mit seinem Körper. Es sei
also logisch, daß er die Vollkommenheit der beiden anstrebe227.
C. Tugendlehre
Neben den Schriften von Metopos und Theages, die, wie aus ihrem
Titel hervorgeht, der Tugendlehre gewidmet waren, finden sich zahlrei-
che Angaben über diese Lehre in anderen Traktaten, vor allem bei Ar-
chytas, Euryphamos, Hippodamos, Kleinias und Kriton, Trotz indivi-
dueller Unterschiede leuchtet es ein, daß die Grundlagen der Tugendleh-
re dieser Autoren bei Platon und Aristoteles und in der von diesen ab-
hängigen Tradition zu suchen sind. Oft stehen das Aristotelische und
das Platonische friedlich nebeneinander oder sind sogar miteinander
kombiniert, als hätten unsere Autoren keinen Unterschied zwischen
Aristotelismus und Platonismus wahrgenommen oder nur das Gemein-
same und Verbindende berücksichtigt. Von den stoischen Lehrmeinun-
gen dagegen distanzieren sie sich deutlich, und gelegentlich polemisieren
sie sogar direkt gegen sie. Der unverkennbare Versuch, die platonisch-
aristotelische Tugendlehre pythagoreisch zu färben, wird uns hier
selbstverst ndlich weniger besch ftigen als die Ber hrungen mit dem
Aristotelismus228.
Wie bereits Aristoteles heben unsere Autoren hervor, da die άρετά
eines jeden Dinges den H hepunkt (άκρότας) und die Vollkommenheit
(τελειότας) seiner Natur darstellt. Als Beispiele nennen sie unter ande-
rem die άρετά des Pferdes, der Augen, der Ohren, der F e. Beim Men-
schen selbst verh lt es sich genauso, die Tugend des Menschen ist die
Vollkommenheit der menschlichen Natur 229 . Die Tugend l t keinen
Exze (ύπερβολά) zu. Sie richtet sich nach dem, was sein soll (το δέον),
sie bildet den ορός dessen, was sein soll, sie ist die έξις του δέοντος εν
τοις πρακτοΐς. Dem μη δέον entsprechen dagegen Exze und Mangel.
Daraus ergibt sich, da das δέον und die ihm zugeordnete Tugend so-
wohl ein Gipfelpunkt (άκρον) als auch eine Mitte (μέσον) sind230.
Zum Erwerben der Tugend tragen mehrere Faktoren bei. Obwohl
die Tugend — im Gegensatz zu den Gl cksg tern — „in unserer Macht
liegt" (εφ' άμίν) und deshalb lobenswert ist231, mu ber cksichtigt wer-
den, da der Mensch, im Gegensatz zu Gott, in sich unvollkommen
ist232. Gerade deswegen kann er ohne die Gunst des Gl cks die Eud -
228
Auf zahlreiche Parallelen weist bereits K. Praechter, Metopos, hin,
229
Metopos, De virt. 116,23-117,2. hnlich Euryphamos, De vit. 87,1-5. Hippoda-
mos, De felic. 95,1-4. Phintys, De mul. mod. 151,21-152,3. Bereits Platon, Resp. I
352 D—353D weist darauf hm, da die Dinge, die ein eigenes έργον auszuf hren ha-
ben, wie etwa das Pferd, die Ohren, das Winzermesser, die Augen, ihre Funktion am
besten erf llen, wenn sie ihre αρετή besitzen; diese Feststellung gilt auch f r die Seele,
353Dsqq. Vgl. auch Arist., EN I 5,1106a 15—24: die αρετή bewirkt es, da ihr Inha-
ber sein ei besitzt und sein Εργον gut erf llt; Beispiele des Pferdes und des Auges und
Anwendung auf den Menschen, Ahnlich definiert Areios Did. ap. Stob. U 7,15,
S. 128,11 — 16 die Tugend als die αρίστη διάθεσις, καθ' ην άριστα διάκειται το Εχον,
Vgi. Albinos, Didask. 29, 182,14 διάθεσις 'ψυχής τελεία και βέλτιστη. Mit Recht
macht K. Praechter, Metopos 50 Anm. 3 darauf aufmerksam, da die Pythagoreer hier
Aristoteles n her stehen als Platon, insofern es sich bei ihnen „nicht nur um das σπου-
δαίον έργον, sondern um die Beschaffenheit des Subjekts selbst handelt".
230
Archytas, De vir. bon. 12,7-10. Metopos, De virt. 119,27-120,8. Theages, De virt,
191,25-192,4. Die Tugend als μεσάτης und άκρότης: Aristoteles, EN II
6,1107a 5-7, hnlich Albinos, Didask. 30, 184,12-17. Flut., De virt. mor. 5,444 D.
HippoL ap. Diels, Dox, 569,4-5. In MM II3,1200a 12-35 wird die Frage er rtert,
ob die υπερβολή der Tugend uns schlechter macht, und negativ beantwortet, eben weil
die Tugend eine μεσότης ist. Vgl. auch EN II 6,1107a 22—23.
231
Archytas, De vir bon. 8,31-32; 11,31-32.
232
Hippodamos, De feiic. 94,18-24. Euryphamos, De vit, 85,15.
monie nicht erreichen. Aber auch das Erwerben der Tugend kann von
Faktoren beg nstigt oder beeintr chtigt werden, die unabh ngig vom
Menschen sind. Mehrmals unterstreichen die Pythagoreer, da der
Mensch verschiedene F higkeiten und Qualit ten, die ihm die Vervoll-
kommnung seiner Natur erm glichen, Gott zu verdanken hat: „Der
Mensch bedarf der Hilfe, die zum Teil von seiner eigenen berlegten
Wahl (προαίρεσις), zum Teil aber von Gott kommt. Da er f hig ist,
seine Vernunft zu gestalten, das Sch ne und das Sch ndliche geistig zu
erfassen, aufrecht auf der Erde zu stehen, sein Auge auf den Himmel zu
richten und die h chsten G tter geistig zu erfassen, das alles geht auf die
Hilfe der G tter zur ck. Er besitzt aber Willen und Entscheidungsfrei-
heit (προαίρεσις) und hat in sich ein Prinzip, nach welchem er entschei-
den kann, ob er die Tugend pflegt oder dem Laster fr nt, den G ttern
folgt oder sich von ihnen abwendet; in dieser Hinsicht ist er also dazu
f hig, sein Verhalten selbst zu bestimmen. Deswegen erh lt man Tadel
und Lob, Ehre und Verachtung zum Teil wegen der g ttlichen, zum Teil
wegen der menschlichen Hilfe, wenn man entweder die Tugend oder die
Schlechtigkeit anstrebt233." Solche Gedanken sind dem Aristotelismus
fremd und d rften wohl in der platonischen Tradition, nach welcher
Gott oder die G tter als Gestalter des Menschen angesehen werden, ent-
standen sein. Auf dem Boden des Aristotelismus bewegen sich aber un-
sere Autoren, wenn sie von den drei Ursachen oder Prinzipien, die die
Tugend hervorbringen, sprechen. Sie erw hnen ein Moment der morali-
schen St rke, das uns Kraft, Ausdauer und Widerstandsf higkeit verleiht
und das sie als δύναμις bezeichnen. Dazu kommt ein Moment der gei-
stigen Erkenntnis, der λόγος oder die γνώσι,ς, dank welcher wir die
ethischen Werte zu beurteilen verm gen. Drittens kommt die ιτροαί-
233
Euryphamos, De vit. 85,20-86,3. Vgl. auch Kriton, De prud. 109,5-10 (Gott hat
den Menschen so gestaltet, da er f hig ist, die καλά anzustreben, dies jedoch nicht
ohne berlegte Entscheidung tut. Er hat in ihm ein Prinzip eingepflanzt, das sowohl
die F higkeit als auch die Entscheidung umfa t, damit der Mensch selbst die Ursache
f r die Aneignung und das Behalten der G ter ist; f r das Anstreben dieser G ter und
die Begleitung (?) gem der richtigen Vernunft ist aber Gott die Ursache). Wenn Hip-
podamos, De felic. 95,18 — 19 schreibt, da der Mensch die Tugend δια την θείαν
μοίραν besitzt, das Gl ck aber δια τάν θνατάν, so meint er wohl nicht, da die Tu-
gend eine Gabe Gottes sei, sondern vielmehr, da wir wegen des G ttlichen in uns und
unserer Orientierung zu Gott zur Tugend gelangen, w hrend das Gl ck sich auf das
Sterbliche m uns bezieht.
keineswegs eine Ann herung an die stoische Lehre dar, nach welcher der
Weise unter keinen Umst nden die Tugend verliert. Archytas gibt n m-
lich zu, da auch der T chtige sich gelegentlich z gellos, ungerecht oder
feige verhalten kann, ohne deswegen gleich den κακοί zugeordnet wer-
den zu m ssen. Auch gute Handwerker und K nstler machen gelegent-
lich Fehler, ihr eminentes K nnen wird jedoch deswegen nicht in Frage
gestellt. Will man jemanden richtig einsch tzen, so soll man sich nicht
nach isolierten Handlungen, sondern vielmehr nach seinem ganzen Le-
ben richten242. Auch Aristoteles weist gelegentlich auf die Stabilit t der
Tugend hin243; als έξις mu sie πολυχρονιώτερον und μονιμώτερον als
eine vor bergehende Disposition sein244. Da der Tugendhafte gele-
gentlich vom tugendhaften Handeln abweichen kann, ohne die Eigen-
schaft eines Tugendhaften zu verHeren, sagt Aristoteles meines Wissens
nicht. Diese Bemerkung des Archytas kann man wohl als eine indirekte
Kritik an dem unerreichbaren Ideal des stoischen Weisen und als ein Zu-
gest ndnis an das wirkliche Leben betrachten245. Andererseits bemerkt
Archytas, diesmal im Einklang mit Aristoteles, da einige richtige
Handlungen nicht ausreichen, um jemanden gleich in die Gruppe der
αγαθοί einzuordnen246. Wenn er erkl rt, da man bei der Beurteilung
eines Menschen sein ganzes Leben betrachten mu , so erinnert er sich
wahrscheinlich an das gefl gelte Wort, da eine einzige Schwalbe noch
keinen Fr hling macht und da das άνθρώπινον αγαθόν im tugendhaf-
ten Handeln εν βίφ τελείω besteht247.
Ganz auf der Linie des Aristotelismus stehen auch die Angaben ber
verschiedene Faktoren, die den Weg zur Tugendhaftigkeit beg nstigen
oder erschweren. Was Archytas von der Philosophie im allgemeinen
sagt, n mlich da sie aus φύσις, άοτςησις und μάθησις entsteht248, gilt
nat rlich auch f r die Tugend, Die Pythagoreer heben ferner die positive
Rolle des Verkehrs mit den Mitmenschen und des Lebens unter guten
Gesetzen hervor249. Andere Momente k nnen das Erwerben der Tu-
gend behindern, etwa schlechte Veranlagung, stark eingewurzelte
schlechte Gewohnheiten, berflu an materiellen G tern usw.250. Die
Gewohnheiten werden durch den Menschen selbst und durch u ere
Faktoren verdorben; der Mensch, der unter allen Umst nden die Unlust
melden will, wird keine M hen ertragen, und derjenige, der nur die Lust
anstrebt, wird sich eo ipso vom Guten entfernen. Auch das Beispiel und
der Einflu von Mitmenschen k nnen da sehr negativ wirken. Gef hr-
lich ist auch das Treiben der Sophisten mit ihrer Umwertung aller ethi-
schen, gesellschaftlichen und religi sen Werte. Schlie lich k nnen Ge-
setze und Staatsformen ebenso verh ngnisvoll werden, wenn sie schlecht
sind, wie zutr glich, wenn sie gut sind251.
Die ethische Verderbtheit der φαύλοι nimmt drei Grundformen an:
Schlechtigkeit (κακία), Unbeherrschtheit (άκρατία) und Wildheit (θη-
ριότης)252. Obwohl jede dieser drei Formen mit einem der platonischen
Seelenteile (λογιστικόν, έπιθυμητι,κόν, θυμοειδές) in Verbindung ge-
bracht wird, geht ihre Unterscheidung auf Aristoteles zur ck253.
Die Verschmelzung platonischen und aristotelischen Gedankengutes
in der pythagoreischen Ethik kommt wohl nirgends so deutlich zum
Ausdruck wie in der Zur ckf hrung der Tugenden und Untugenden auf
die einzelnen Seelenteile. Was die Seele selbst angeht, so erscheint die
platonische Dreiteilung bald in ziemlich reiner Form mit der Scheidung
von διανοητικόν, θυμοειδές und έπιθυμητικόν254, bald wird sie aber
auch mit der eher aristotelischen Gegen berstellung von λόγον έχον und
αλογον kombiniert, wobei das άλογον das θυμοει,δές und das έπιθυμη-
τικόν umfa t255. Obwohl Konsens dar ber herrscht, da die Einteilung
249
Hippodamos, De felic. 94,18-24; De rep. 100,24-27, Vgl. Arist., ΕΝ Χ
10,1179b 20-U80b25.
250
Archytas, De vir. bon. 9,11-15.
251
Hippodamos, De rep, 100,27-102,20.
252
Metopos, De vir:. 118,13-22,
2sa
Arist., EN VII l,1145a 16-S7 κακία, άκρασία, θηριότης. An anderen Steilen be-
zeichnet Aristoteles den Mangel an σωφροσύνη, d.h. die ακολασία, als θηριώδης,
EN III 13,lllSa 23-25; b2-4.
254
So z.B. Theages, De virt. 190,7-11. Auch Aresas, De nat. hom. 49,2-5,
255
So z.B. Metopos, De virt, 137,28-118,6. hnlich Areios Did. ap. Stob. II 7,13,
S. 117,16-18.
der Tugenden von der Struktur der Seele abzuleiten ist, schlie en sich
einige Autoren in diesem Zusammenhang dem Platonismus enger an,
andere aber stehen deutlicher unter dem Einflu des Aristotelismus. Die
vier Kardinaltugenden werden so erkl rt, da die Einsicht (φρόνησις)
als Tugend des λογιστικόν, der Mut als Tugend des θυμοειδές, die M -
igung als Tugend des έπιθυμητικόν erscheinen, w hrend die Gerech-
tigkeit als Tugend der ganzen Seele bezeichnet wird256. Es kommt aber
h ufiger vor, da der Akzent auf dem Verh ltnis der Seelenteile zueinan-
der liegt, Tugenden und Untugenden werden unter anderem dadurch
charakterisiert, da ein Seelenteil die Oberherrschaft gewinnt und einen
anderen in seiner Gewalt hat257. In dieser Perspektive sind haupts chlich
zwei M glichkeiten zu betrachten. In der ersten leben die Seelenteile im
Einklang miteinander; zwischen ihnen entsteht kein Konflikt; die Seele
ist dann im Besitz der Tugend. M glich ist aber auch, da ein Seelenteil
Gewalt aus ben mu , um einen anderen in seine Macht zu zwingen.
Zwingt z, B. die Vernunft das Vernunftlose zum Gehorsam, so haben
wir es mit Standhaftigkeit (καρτερία) und Beherrschtheit (εγκράτεια)
zu tun, dank der einen k nnen wir Anstrengungen (πόνοι) ertragen,
dank der anderen lassen wir uns nicht von der Lust verf hren. Diese
beiden Haltungen werden von Unlust (λύπα) begleitet, denn ein See-
lenteil mu sich widerwillig dem anderen f gen. Ist es umgekehrt das
Vernunftlose, das die Oberherrschaft ber die Vernunft gewinnt und sie
in seine Gewalt bringt, so wird dieser Zustand als Unbeherrschtheit
(άκρασία) und Weichheit (μαλακία) bezeichnet258. Allerdings sind εγ-
κράτεια und καρτερία keine Tugenden im vollen Sinne des Wortes,
sondern nur Halbtugenden, und genauso sind άκρασία und μαλακία
keine κακίαΐ schlechthin. In allen diesen F llen bleibt n mlich der Lo-
gos gesund, gleichg ltig, ob er Sieger oder Besiegter ist, w hrend das
άλογον krank ist. Dazu kommt, da in solchen Konflikten der besiegte
Teil sich nur widerwillig f gt, was nicht ohne Unlust erfolgen kann.
Rein tugendhafte Handlungen werden aber immer von einem Lustgef hl
256
Metopos, Devirt. 117,20-118,13. Auch bei Ekkelos, De iust. 77,16-78,3 wird die
Gerechtigkeit als „Harmonie und Frieden" der ganzen Seele definiert.
JS7
Bekanntlich vertrat bereits Pkton die Ansicht, da die Vernunft herrschen soll und die
Begierde zu unterdr cken hat, wobei das Mutartige ihr behilflich sein kann. Diese An-
sicht wurde von Aristoteles im Rahmen der Opposition zwischen λόγον έχον und
άλογον z.T. bernommen, z.T. modifiziert und erweitert.
258
Metopos, De virt. 117,10-24, Theages, De virt. 190,11-18.
begleitet259. Der Vergleich mit der EN, insbesondere mit VII 1 — 11,
zeigt zur Gen ge, da diese Lehrmeinungen der Pythagoreer rein aristo-
telisch sind260.
In den Pythagoreerfragmenten sind die Angaben ber die sogenann-
ten ethischen Tugenden relativ selten und ziemlich mager. Archytas de-
finiert die ethische Tugend als die βέλτιστα έξις τω άλόγω μέρεος τας
ψυχας, καθ' αν και ποιοι τίνες λεγόμεθα κατά το ήθος261. Metopos
und Theages bieten eine andere, b ndigere Formel, έξις του δέοντος262.
Metopos erkl rt, da das δέον die richtige Mitte zwischen dem Exze
und dem Mangel ist, die beide fehlerhaft sind, Er f hrt einige Beispiele
von Untugenden an, zwischen denen die richtige Mitte steht. Sie erin-
nern deutlich an Aristoteles263. Als rein platonisch erscheint dagegen die
Zuschreibung der Tapferkeit an das θυμοειδές und der M igung an das
259
Theages, De virt. 192,21-193,4.
260
Ohne auf den aristotelischen Charakter der Lehre von der εγκράτεια und Verwandtem
bei den Pythagoreern n her einzugehen, mochte ich nur auf speziellere Ber hrungs-
punkte hinweisen, εγκράτεια und άκρασία auf die ηδονή, καρτερία und μαλακία auf
άκλύπαι bzw. πόνοι bezogen: ΕΝ VII 8,1150a 13-15; MM II 6,12G2b 29-37. Die
άκρασία ist eigentlich keine κακία, ΕΝ VII 9,1151 a 5-11. Der άκρατης ist nut-ήμι-
πόνηρος, EN VII 11,1152 a 15—24. ουκ Εστίν,,. ή εγκράτεια αρετή, αλλά τις μικτή,
ΕΝ IV 15,1128b 33-34, vgl. VII I,1145a35-b2. Auch Pint., De virt. mor.
6,445 C-E kennzeichnet die εγκράτεια als Ελαττον αρετής und die άκρασία als ίλατ-
τον κακίας. - ηδονή und λύπη sowohl in der εγκράτεια als auch in der άκρασία, ΕΕ
II 8,1224b 15-21.
261
Archytas, De vir. bon, 11,27—29. Inhaltlich deckt sich diese Definition mit der aristo-
telischen Auffassung, denn sie bezeichnet die ethische Tugend als Ιξις und impliziert,
da nicht die Beschaffenheit der Handlung, sondern die des Subjekts ausschlaggebend
ist. Auch Aristoteles schreibt diese Tugend dem άλογον zu, EE II l,1220a 10 und
MM I 5,1185b 6—8, allerdings nicht, ohne den Einklang mit dem λόγον έχον zu er-
w hnen. Auch Areios Did. ap. Stob. II 7,20, S. 137,21 —23 bezieht die ethischen Tu-
genden auf das άλογον.
2
" Metopos, De virt. 120,2 — 3. Theages, De virt. 191,27. Diese Definition kommt bei
Aristoteles nicht vor, ist aber m glicherweise den Ausf hrungen von EN II
5,1106b 20-23 abgewonnen,
263
Metopos, De virt. 120,18—23. θρασύτας und δειλότας im Hinblick auf die Gefahr,
vgl. EN II 7,1107a 33-b4; III 8-12; EE II3,1220b 39; MM 19,1186b 19-23. ασω-
τία und άνελευθερία im Hinblick auf Geldausgaben, vgl, EN II 7,1107b 8—14;
IV 1-3', bes. 1119b 27-28; EE II 3,1221a5; III 4,1231 b 36-38; MM I
23,1191b 39—1192a 6. οργά und αναλγησία im Hinblick auf die ορμά θυμώ, vgl.
EN II 7,1108a 4-9 (όργιλότης/ άοργησία); IV Π (όργιλότης / άοργησία); ΕΕ II
3,1220b 38 {όργιλότης/ αναλγησία); MM I 7,1186a 22-24 (οργή/ αναλγησία);
22,1191 b 24-25 (όργιλότης/ άοργησία).
„Wissenschaft" scheint also hier den Platz der δι,ανοητικαι άρεταί ein-
zunehmen. Merkw rdig ist allerdings, da sie nicht nur aus einem auf
das menschliche Handeln orientierten Wissen besteht, sondern auch die
als σοφία bezeichnete Erkenntnis der θεια και δαιμόνια umfa t. Ob-
wohl Aristoteles die φρόνησις im engeren Sinn, d.h. als περί τα ανθρώ-
πινα πράγματα πρακτική, mit Nachdruck von der επιστήμη unter-
scheidet269, verwendet er auch das Wort im weiteren Sinn als quivalent
von επιστήμη oder σοφία270. Die These, nach welcher die rein theoreti-
sche T tigkeit ein wesentlicher Faktor der Eud monie sein und sogar zu
einem βίος κρείττων ή καθ' ανθρωπον f hren kann, wird von Aristote-
les in einem der ber hmtesten Kapitel der EN vertreten271. Die Einbe-
ziehung der θεωρίαι und der πράξιες in die Eud monie kann also als
durchaus aristotelisch angesehen werden.
Auf derselben Linie stehen die Ausf hrungen des Archytas zur klas-
sischen Frage nach der besten Lebensform, Seiner Meinung nach ist
n mlich die beste Lebensform diejenige, die Theorie und Praxis sinnvoll
und harmonisch miteinander kombiniert. Es w re verkehrt, sich nur der
Praxis zu widmen und die Wissenschaft beiseite zu lassen oder ein v llig
„unpraktisches" theoretisches Leben zu f hren. Der νόος hat n mlich
zwei F higkeiten inne: Die eine ist auf die praktische T tigkeit orientiert
und f hrt zur „Politik", die andere ist wissenschaftlich und f hrt zur
„Betrachtung aller Dinge"272.
Έχοντα und ist dann επιστημονικός και θεωρητικός. Wenn er sich mit den πώς Εχον-
τα προς ημάς befa t, ist er βουλευτικός και πρακτικός. In jenem Fall ist seine Tu-
gend die σοφία, in diesem die φρόνησις. Anders als Archytas hebt Metopos nur die
Bedeutung der Erkenntnis f r die Eud monie hervor. De virt. 119,25—26 schreibt er,
da die των θείων και τιμιωτάτων έπίγνωσις Prinzip, Ursache und Regel der Eud -
monie ist.
IM EN VI 9,1142b 23-25; MM I 34,li97a 16-20.
270
Vgl. H.Bonitz, Ind. Ar. 83ib4-12.
171
ΕΝ Χ 7,
172
Archytas, De educ, 42,5—20. Mehrere Denker der fr hen Kaiserzeit bekennen sich
ebenfalls zum Ideal des „gemischten" Lebens: Areios Did. ap. Stob. II 7,24 (
S. 143,24—345,10, vgl. oben Bd. I 403sqq. Antiochos und Varro laut Augustin., De
civ. Dei XIX 3, S. 372,26sqq. Hoffmann. Ps.-Plut., De lib. educ. 10.7F-8B. Albi-
nos, Didask. 2, bes. 153,18—20 (Vorrang des θεωρητικός βίος, der trotzdem mit dem
πρακτικός verbunden werden mu , vgl. oben S. 448). ApuL, De Plat. II 23,253. Zu
diesen und anderen Texten vgl. auch R. Joly, Genres de vie 171 — 177.
D, Affektlehre
27i
Theages, Devirt. 192,5-6. Vgl. unter anderem Arist., E N I I 2 , 1 1 0 4 b 4-24. Aristo-
teles begr ndet seine These mit zweierlei Betrachtungen. Als Begleit- oder Folgeer-
scheinungen der Handlungen und der πάθη lassen Lust und Unlust auf die Εξεις des
Subjekts schlie en. Andererseits k nnen Lust und Unlust bewirken, da wir Schlech-
tes tun oder uns vom ethisch Sch nen fernhaken. hnlich unterstreichen die Pythago-
reer, da die Lust das tugendhafte Handeln begleitet, wahrend wir im Falle eines Kon-
flikts zwischen den Seeienteilen sowohl Lust als auch Schmerz empfinden; Theages,
De virt. 192,24-193,7. Metopos, De virt. 119,8-10. Vgl. oben S. 657. Sie heben
aber auch hervor, da das Anstreben der Lust und das Meiden des Schmerzes negative
Folgen f r das ethische Handeln nach sich ziehen: Hippodamos, De rep. 1 0 1 , 1 — 7 ;
hnlich Arist-, EN II 2,1104 b 9- I I .
274
Metopos, De virt. 119,8.
i7S
Areios Didymos, der behauptet (Stob. II 7,20, S. 142,11), da der Logos den Tugen-
den „ihre Form verleiht" (ειδοποιεί), d rfte sie bereits gekannt haben. Sie kommt bei
Ptut.,Devirt. mor. 1,440D und bei Aspas. EN 42,15-26 vor. Vgl, P. L. Donini, Tre
Studi 93sqq.; 101-105.
Z7&
Theages, De virt, 192,6 των δε παθέων άδονο καΐ Χΰπα υπέρτατα. Dieselbe Ansicht
scheint Metopos, De virt. 119,8 — 30 zu vertreten.
jedem πάθος und jeder πραξις vorkommen 277 . In der sp teren Interpre-
tation wurde aber die Frage aufgeworfen, ob Lust und Schmerz die
obersten Gattungen des πάθος sind oder nicht 278 . Sehr lehrreich ist in
dieser Hinsicht der lange Exkurs des Aspasios ber das πάθος279. Aspa-
sios fragt sich, wie man die Behauptung des Aristoteles verstehen soll,
laut welcher Lust und Schmerz auf jedes πάθος folgen. Er erinnert dar-
an, da einige Leute die Ansicht vertraten, Lust und Schmerz seien die
h chsten Gattungen des πάθος und alle brigen πάθη lie en sich auf
diese zur ckf hren280. Gegen diese Meinung, die er als umstritten (αμ-
φισβητήσιμος) bezeichnet, f hrt er mehrere Einw nde an281 und be-
richtet dann, da einige Interpreten sie ablehnten, weil Aristoteles Lust
und Schmerz als Folgeerscheinungen des πάθος betrachtet habe 282 . Wir
haben es also offenbar mit einer innerperipatetischen Kontroverse zu
tun, die Aspasios vorgefunden hat und zu welcher er auch Stellung neh-
men mu te. Bemerkenswert ist, da die Kontrahenten oder Aspasios
selbst in diesem Zusammenhang auch Platon ben tzten; an vielen Stellen
habe Platon auf Lust und Schmerz als auf die ανωτάτω πάθη hingewie-
sen283; es komme aber auch vor, da er sechs wichtige πάθη aufz hle284.
Jahrhundertelang hat die peripatetische Tradition darauf hingewie-
sen, da in der aristotelischen Perspektive die Affekte nicht g nzlich
ausgerottet, wie die Stoiker es empfehlen, sondern nur auf das richtige
Ma gebracht werden sollen. Zu diesem Ideal der „Metriopathie" be-
kennen sich auch unsere Pythagoreer285. Es w rde zu weit f hren, die
277
Vgl. bes. EN II 2,1104b4-24; VII 12,1152b5-6; X 1,1172a 19-23; EE II
l,122Qa34-35; 2,1220a 38-39; 4,1221b 37-1222a2.
278
Bei Areios Did. ap. Stob. II 7,21, S, 142,20—22 wird die Entstehung jedes πάθος auf
ηδονή και λίπη bezogen; die These, da diese die γενικώτατα πάθη sind, wird jedoch
nicht expressis verbis formuliert.
279
Vgl. oben S. 280sqq.
M0
Aspas., EN 42,28-43,2. Vgl. auch Anon, Lond, II 34-38 (nach den αρχαίοι sind die
γενικώτατα unter den πάθη περί ψυχής die ηδονή und die δχλησις; die brigen ent-
stehen aus ihrer Mischung). Albinos, Didask, 32, 185,37 (εστί δε πάθη άπλα και
στοιχειώδη δύο, ηδονή τε και λύπη,
281 282
Aspas., ΕΝ 43,2-44,3. Ibid. 44,3-7,
183
Ibid. 46,6-10, mit Ziuu ΛΙΙΪ Plat., Norn, l 636D.
284
Ibid. 46,10-12. Vgl, Plat., Resp. IV 430 Α-B (ηδονή, λύπη, φόβος, επιθυμία); Tim.
69C-D (ηδονή, λύπη, θάρρος, φόβος, θυμός, έλπίς). Aspasios' Liste (ηδονή, λύπη,
φόβος, θάρσος, επιθυμία, θυμός) kann aus der Kombination dieser beiden Stellen
entstanden sein.
285
Mit einer einzigen Ausnahme; In einem Fragment der unter Archyus' Namen tradier-
ten Schrift περί νόμου και δικαιοσύνης hei t es, da , wenn die Vernunft herrscht und
das Vernunftlose beherrscht wird, beide zusammen die Oberhand ber die Affekte
gewinnen; die Tugend entstehe aus der Zusammenf gung der beiden Seelenteile und
f hre die Seele weg von der Lust und der Unlust zur Seelenruhe und Affektlosigkeit
(εις άρεμίαν και άπάθειαν) hin (Archytas, De leg. 33,15-18). W. Theiler, in: Gno-
mon 2 (1926) 152 erinnert an Arist., EE II 4,1222a 2-5, wo es hei t da alle Men-
schen die Tugenden voreilig als απάθεια και ηρεμία περί ήδονάς και λύπας definie-
ren. In anderen Schriften des „Archytas" dagegen, vor allem in De educ.> bekennt sich
der Verfasser ganz deutlich zur Metriopathie. Daraus darf man wahrscheinlich schlie-
en, da De leg. von einem anderen Autor herr hrt als De educ.
Ygj Cic., Luc. 135; Tusc. III 12 (mit Berufung auf Kran tor und Panaitios); IV 38;
•42—44. Sen., De ira I 5,lsqq, (in der Bek mpfung der peripatetischen Lehre soll un-
tersucht werden, ob die ira. naturgem und n tzlich ist); Epist. 85,3—4, Ps.-Plut.,
Cons, ad Apoll. 3,102 C (die απάθεια ist ίξω και του δυνατού και του συμφέρον-
τος). Plut., De virt. mor. 3,443C {die Ausrottung der Affekte ist weder m glich noch
n tzlich). Herodes Attikos ap. Gell. XIX 12,3. Tauros ap. Getl. XII 5,7-10 (betont,
da der Affekt naturgem ist und nicht v llig ausgerottet werden kann),
ygj besonders die Ausf hrungen des Archytas, De educ. 41,9—18 im Rahmen eines
heftigen Angriffs auf die stoische απάθεια. Bei Sen,, Epist. 85, 15-16 ist von Leuten
(wohl Peripatetikern) die Rede, die meinten, der Weise k nne, obwohl nicht iracitn-
tfs, doch bisweilen irasci, wobei extrinsecus cattsae unter Umst nden eine Rolle spiel-
ten. De ira I 12, l und 3: Theophrast meint, da auch der vir bonus z rnen wird, wenn
er z.B. sieht, da seine Eltern mi handelt werden.
genauso unentbehrlich wie etwa der Schatten und die Zeichnung in ei-
nem Gem lde, das nicht nur aus Farben bestehen kann, wenn es leben-
dig und realistisch erscheinen soll288.
Da die Tugend auf die Affekte bezogen ist, w rde man sie zerst ren,
wenn man die Affekte v llig austriebe. Auch die Gesundheit, die eine
richtige Mischung der k rperlichen Eigenschaften ist, wird nicht da-
durch hergestellt, da man die entgegengesetzten Qualit ten, wie warm
und kalt, trocken und feucht, einfach beseitigt, sondern vielmehr da-
durch, da man diese richtig miteinander kombiniert und in das richtige
Verh ltnis zueinander bringt. hnliches gilt f r die musikalische Har-
monie. Sie entsteht aus der Zusammenf gung von h heren und tieferen
T nen, nicht aus deren Zerst rung289. Die v llige Affektlosigkeit
(απάθεια) und ihr extremer Gegensatz, die v llige Unterwerfung unter
den Affekt (εμπάθεια), sind also beide abzulehnen. Die richtige Hal-
tung den Affekten gegen ber ist die sog, Metriopathie 290 . Die ethische
Tugend selbst wird sogar als μεσότας των παθέων definiert291.
288 Metopes, De virt. 120,25-121, !2. VgL auch Archytas, De educ. 41,13-15 (die von
den Stoikern gepriesene Affekttosigkeii εκλύει τας άρετας το γενναίον). Unter den
zahlreichen Parallelstellen, in denen der Nutzen der Affekte erw hnt bzw. nachgewie-
sen wird, seien hier angef hrt: Cic., Luc. 135; Tusc. III 12. Sen., De ira I 7,1; 9,2
(Aristoteles!); 17, l (Aristoteles!). Herodes Attikos ap. GelL XIX 12,5 und 10. Anon.
Lond, II20—22 (nach der Ansicht der αρχαίοι, sind gem igte Affekte die νεϋρα tcbv
πράξεων). Philon Alex., Leg. all. II 8. Philodem, De ira XXXI 3ί-39 Wilke (wer
οργή und θυμός beseitigt, schneidet nach der Ansicht einiger Peripatetiker die νεΰρα
της ψυχής ab).
289
Theages, De virt. 192,5-18. Wenn Theages 2. 17-18 schreibt, da die gute Zusam-
menf gung von θυμός und έπιθυμίαι es bewirkt, da αϊ μεν κακίαι και τα πάθεα
έξαιρέονται, αί δ' άρεταΐ και τα ήθεα έγγίγνσνται, so bedeutet das keineswegs, da
er sich doch schlie lich zum Ideal der Apathie bekennt; die πάβεα, die er in einem
Atemzug mit den κακίαι erw hnt, sind offensichtlich nicht die harmlosen bzw. n tzli-
chen πάθεα, vor deren Beseitigung er kurz vorher gewarnt hat, sondern vielmehr die
ungeb ndigten und daher sch dlichen Affekte. — Auch Plut., De virt. mor. 6,444 E
betont, da die Tugend nicht absolut frei von παθητικοί όρμαί sein kann, und ver-
gleicht die tugendhafte μεσάτης mit der μεσάτης περί φθόγγους καΐ αρμονίας.
290
Archytas, De educ. 41,16 — 17 (man soll sich zur μετριοπάθεια trainieren und das άν-
άλγητον und das εμπαθές meiden), Metopos, De virt. 120,23 — 121,2 (als μεσότας
των παθέων ist die Tugend weder απαθής noch εμπαθής). Es sei daran erinnert, da
Jamblich berichtet, Pythagoras habe τας μετριοπάθειας gepflegt, Vit. Pyth. 131,
S. 74 S 21—22 Deubner. Da das Metriopathie-Ideal f r ein Charakteristikum der aka-
demisch-peripatetischen Ethik {im Gegensatz zur stoischen) galt, geht aus vielen Zeug-
nissen hervor: Ck., Tusc. IV 38 und 42 (Peripatetiker); Acad, I 38—39 (die supenores
bzw. &ntu{Hi im Gegensatz zum Stoiker Zenon); Luc, 135 (die Academici; Verweis auf
Kramor), Anon, Lond, II 20—22 (die αρχαίοι im Gegensatz zu den Stoikern). Sen.,
Epist. 85)4 (die Peripatetiker); 116, l (die Peripatetiker); De Lra I 15,3 (Anspielung auf
den temperattts affecttts im Rahmen der Polemik gegen die peripatetische Lehre der
ira). Albinos, Didask. 30, 184,17-30 (Platons Lehre! Der μετριοπαθής als Inhaber
der richtigen Mitte zwischen dem απαθής und dem ύπερπαθής τε και άμετροπαθής).
Diog. Lien, V 31 (nach Aristoteles ist der Weise nicht απαθής, sondern μετριο-
παθής), Proklos, In Plat, remp, I 42,10—16 und 49,13—20 Kroll (Einwendungen ge-
gen Platons Verurteilung der Trag die, die z.T. auf Aristoteles zur ckgehen: Es ist
nicht m glich, die Affekte παντάπασιν αποκλίνει ν, und nicht ungef hrlich, sie zu
έμπιμπλάναι; durch die Trag die aber kann man έμμέτρως άποπιμπλάναι τα πάθη).
Andere Texte, in denen die Metriopathie ohne Angaben ber die Herkunft dieser Leh-
re erw hnt wird, brauchen wir hier nicht zu zitieren. Die Pathos-Lehre der Pythago-
reer vergleicht K, Praechter mit den Zeugnissen ber Krantor in seinem Aufsatz Kran-
tor und Ps.-Archytas, in: Arch. f. Gesch. d, Philos. 10 (1897) 186-190. Die meisten
Zeugnisse ber die akademisch-peripatetische Affektlehre findet man bei M. Giusta,
Doss. et. II 294-315.
Metopos, De virt. 120,24. hnlich Plut., De virt. mor. 4,443C . , . τας ήθικάς άρε-
τάς, ουκ απάθειας ούσας αλλά συμμετρίας παθών και μεσότητας. Nuancierter er-
kl rt Albinos, Didask· 30, 184,27—30, da die ethischen Tugenden deswegen 6ιά με-
σότητος sind, διότι μέσως Εχοντας ημάς εν τοις πάθεσι παρέχονται. Die Formel ή
αρετή των παθών . . , μεσάτης kommt bereits MM I 8,1186a 33 vor; vgl. auch I
9,1186b33-35.
Vgl. z.B. EN II 7,1108a30-bl7.
tionen erst dann, wenn sie sich aus unserer tugendhaften έξις ergeben,
aus einer έξις also, die wir zielbewu t und im Einklang mit dem Logos
erworben haben. Die einfache Definition der Tugend als μετριότης των
παθών ist also deswegen unvollst ndig, weil sie ein wichtiges Element
der Tugendhaftigkeit nicht erw hnt.
293
Das ist im großen und ganzen die Ansicht von A. Delatte, der in seinem Buch Essai sur
la politique pythagoricienne, Liege-Paris 1922, 70 — 176 die uns hier interessierenden
Texte sehr ausführlich interpretiert. Mit bewundernswerter Gelehrsamkeil führt er
zahlreiche Parallelstellen an und kommt zu dem Schluß, daß die fraglichen Texte die
geistige Atmosphäre und die philosophische Problematik des 4. Jh, v. Chr, widerspie-
geln.
194
Hier sei vor allem auf die kritischen Anmerkungen W. Theilers zum Buch von A. De-
latte, in: Gnornon2 (1926) bes, 150—154 verwiesen. Wichtig sind auch die Ausführun-
gen von F. Wilhelm, Die Oeconornica der Pythagoreer Bryson, Kaliikratidas, Perik-
tione, Phmtys, in: Rh. Mus. 70 (1915) 161-223, Ferner K. Praechter, Hierokies der
Stoiker, Leipzig 1901 (abgedr, in K, P,, Kleine Schriften, hrsg. v, H. D rrie 1973, dort
137—141). K. Praechter, Bespr, v. I. de Heyden-Zielwkz, Prolegomena in Pseudocelli
de universi natura, in: Wochenschr. f. kl. Philol. 19 (1902) 431-438, K. Praechter,
Art. Kallikratidas 2, RE X (1919) 1642-1643.
2 s
» Plat., Pol. 258E-259C.
296
Xen., Mem. Ill 4,12 und 6,14.
297
In meinem Buch A la recherche de i'Aristote perdu, Le dialogue „Sur la Justice", Lou-
vain—Paris 1957, habe ich versucht zu zeigen, da die Lehre der Herrschaftsarten aus-
f hrlich und in systematischer Form im Dialog περί δικαιοσύνης dargelegt war. In
den Sch lschriften, besonders in der Politik und in den Ethiken, verweist Aristoteles
des fteren auf diese Lehre, deren Gestaltung er offenbar als sein eigenes Verdienst be-
trachtet.
198
Kallikratidas, De dorn, felic. 105,10-106,13.
299
Vgl. Arist., Pol. III 6,1278b 30-1279a 16 und anderswo.
300
Bereits Aristoteles a, a. O, 1279a t f hrte die ιατρική und die γυμναστική als Beispiele
f r diesen Herrschaftstyp an.
301
Der Ansicht A. Delactes ber das Verh ltnis von Kailikratidas zu Aristoteles vermag
ich nicht beizupflichten. Er schreibt (Essai 165): ,,La classification de Callicratidas est
plus complete et plus systematique. On ne saurait done pretendre que le Systeme de
Callicratidas est ernprunte Aristote, II est vraisemblabie, au contraire, que celui-ci
critique des theories analogues celies que nous venons d'analyser et qui ont pu etre
exposees dans des ouvrages perdus, dont Callicratides s'est inspire."
302
Arist., Pol. III 6,1279a 17-21.
30i
Arist., EE VII 9,1241b 33-40, Vgl. P. Moraux, Sur la Justice 31-33.
304
Archytas, De leg. 34,3-10, Inhaltlich identisch Boethius, Inst, arithm. II 45.
ws
In diesem Sinn Arist., EN VIII 13,1161a 30-blO; Pol. III 17,1287b 39.
306
Sie steht in einem wohl als echt zu betrachtenden Fragment des Archytas, VS 47B2.
3
<" Arist., EE VII 9,1241 b 35; Pol, V l, 1301b 29-39; VI 2,1317b 3-7 etc. Plat., Nom,
VI 75 7B.
ioe
Plat., Gorg. 508A; Nom. VI 757B-C, Arist., EN V 6,1131 a 29-7,1131 b 16. Plut.,
Quaest. conv. VIII 2,2 ordnet wie Platon und Aristoteles die αριθμητική αναλογία
der Demokratie zu, w hrend die γεωμετρική der „gem igten Oligarchie" und dem
gesetzm igen K nigtum zukommt.
(ιδέαι τας διανομας, gemeint sind die drei soeben beschriebenen mathe-
matischen Proportionen) in den Verfassungen und in den H usern sicht-
bar sind. Ehrungen, Bestrafungen und mter (bzw. Befehlsgewalten)
werden n mlich entweder gleichm ig auf die H heren und die Kleine-
ren verteilt oder ungleichm ig, in dem Ma e wie bestimmte B rger an-
deren an T chtigkeit (άρετά), Reichtum (πλούτος) oder Macht (60va-
μις) berlegen sind. Die gleichm ige Verteilung ist demokratisch, die
ungleichm ige aristokratisch oder oligarchisch309. An Aristoteles erin-
nert uns310 die Bemerkung, da diejenigen, die sich f r berlegen halten
und daher mehr Rechte f r sich in Anspruch nehmen, diese berlegen-
heit an unterschiedlichen Kriterien messen. Nach zahlreichen u erun-
gen des Aristoteles in der Politik und in der Ethik sind es bald die T ch-
tigkeit (αρετή), bald die Erziehung (παιδεία), bald die edle Herkunft
(ευγένεια), bald auch der Reichtum (πλούτος), nach welchen sich die
Anspr che dieser B rger richten. Aristoteles unterscheidet bekanntlich
mehrere Unterarten der Aristokratie, der Oligarchie etc., und dadurch
sind seine Analysen nuancierter als das einfachere Schema der Archytas.
Im allgemeinen verbindet er jedoch die αρετή als Wertkriterion mit der
Aristokratie und den πλούτος mit der Oligarchie311. Die edle Geburt ist
oft von T chtigkeit und Reichtum begleitet 312 , und die παιδεία geht
Hand in Hand mit der αρετή313. Daher l t sich wohl schlie en, da
diese Faktoren kein eindeutiges Merkmal darstellen, nach welchem man
etwa eine Aristokratie von einer Oligarchie unterscheiden k nnte. Was
die tats chliche Macht (δύναμις) im Staat angeht, erw hnt sie Aristoteles
nur selten als ein m glicherweise von bestimmten Leuten oder Gruppen
zur Begr ndung ihrer Anspr che herangezogenes Kriterion314. Auf die
feineren Unterschiede des Aristoteles hat Archytas verzichtet. Er be-
gn gt sich mit drei m glichen berlegenheitsmerkmalen, der αρετή, die
er mit der Aristokratie verbindet, dem πλούτος, der offenbar f r die
309
Archytas, De leg. 34,10-14.
310
Abgesehen nat rlich von dem beinahe gerneinpl tzigen Unterschied zwischen der Ver-
teilung εξ Εσω (bei Aristoteles κατ* αριθμόν) und εξ άνίσω (bei Aristoteles κατ' άνο>
λογίαν, κατ' άξίαν).
311
Pol. IV 3,3289b33-1290a2; IV 7,1293bl-5; 8,1294 a 10-11; EN V 6,1131a
28-29 etc.
3« Pol. IV 8,1294a 20-22.
313 Pol. Ill 13,1283a23.
314
Z.B. Pol, IV 3,1289b 33-40, wo sie als Folge des Reichtums erscheint. Vgl. auch
1290a 9.
Oligarchie charakteristisch ist, und der δύναμις, die sich wohl der Oli-
garchie, vielleicht aber auch der mit dieser zusammen genannten Tyran-
nei zuordnen l t.
Von dem Gesetz verlangt Archytas unter anderem, da es m der
Wirklichkeit m glich, d.h. realisierbar sein soll. Dies wird der Fall sein,
wenn es den Menschen, f r die es gilt, gut angepa t ist. Viele sind n m-
lich nicht dazu f hig, das von Natur aus h chste Gut (το τφ φύσει καΐ
πράτον αγαθόν) zu erhalten; sie verm gen nur das auf sie bezogene und
f r sie m gliche Gut (το ποθ' αυτούς και το ένδεχόμενον) aufzuneh-
men. hnlich verh lt es sich mit der Pflege, die kranke und leidende
Menschen erhalten315. Dies erinnert deutlich an einen Punkt des aristo-
telischen Programms der politischen Wissenschaft. Es gilt, nicht nur die
im Absoluten beste Staatsform zu definieren, sondern auch zu fragen,
welche Staatsform f r bestimmte Menschen die passende ist. Viele eig-
nen sich n mlich nicht f r die Verwirklichung der besten Staatsform.
Der Staatstheoretiker wird sich also nicht nur mit der besten, sondern
auch mit der jeweils m glichen zu befassen haben. Auf vielen anderen
Gebieten, z.B. in der Gymnastik, der Medizin etc., bem hen sich die
Spezialisten ebenfalls um das Machbare 316 . Nicht nur den Gedanken ha-
ben die beiden Autoren gemeinsam, auch mehrere Ausdr cke des Ar-
chytas machen es sehr wahrscheinlich, da hier eine Reminiszenz an
Aristoteles vorliegt, wenn auch vielleicht ber eine uns nicht bekannte
Zwischenquelle317.
„Das Gesetz", schreibt Archytas weiter, „soll auch den Boden und
die Ortslagen ber cksichtigen. Denn die Erde bringt nicht ( berall) die-
selben Fr chte, und die Seele des Menschen ist nicht ( berall) f hig, die-
selbe Tugend aufzunehmen 318 ." Trotz der Knappheit des Hinweises
Jls
Archytas, De leg. 33,25-28.
316
Arist., Pol. IV I, bes. 1288b 24-27. Auch in De caelo II 12,292a 22-28 und
292 b 13 — 17 la t Aristoteles die Bemerkung fallen, da es Menschen gibt, die irn Sport
oder in der Krankengymnastik das h chste Ziel nicht erreichen k nnen und sich mit
niedrigeren Zielen begn gen m ssen. Auch Plat., Nom. V 739 A-E deutet an, da der
Idealstaat kaum realisierbar ist; er will jetzt die Plane f r einen zweitbesten Staat darle-
gen und k ndigt an, da er sich sp ter sogar mit dem drittbesten befassen wird.
an Vergleich mit der Medizin bei Archytas und Aristoteles, δυνατός in der Bedeutung
von realisierbar, Archytas 33,20 und 25, vgl, 1288b 38. Archytas 33,25-26 ιιοτΐ τους
νομοθέτου με νου ς , . . συναρμογά, zu vergleichen mit ]288b 12 το περί εκ αστό ν γέ-
νος άρμόττον und 24 τίς τίσιν άρμόττουσα. Archytas 33,26 το τα; φύσει και πράτον
αγαθόν ond 27 το ποθ' αύιοΰς και το ένδεχόμενον klingt auch sehr aristotelisch,
318
Archytas, De leg. 33,31-34,3.
leuchtet es ein, daß der Autor auf zwei verschiedene Dinge hinweist,
Einerseits kann die Beschaffenheit des Bodens sehr unterschiedlich sein,
und dies hat eine große Bedeutung für die Ernährung und die Wirtschaft
des Staats. Andererseits bewirkt es die geographische Lage ihres Wohn-
orts, daß die Menschen nicht überall dieselben psychischen Eigenschaf-
ten besitzen. Diese beiden Tatsachen soll der Gesetzgeber berücksichti-
gen. Nur unter dieser Bedingung wird er einen Staat einrichten, der
wirklich den Menschen und den Umständen angepaßt ist. Die Angaben
des Archytas lassen sich sowohl mit Ausführungen Platons in den No-
moi als auch mit solchen des Aristoteles in der Politik vergleichen. Pla-
ton hebt hervor, daß bestimmte Orte günstiger für Siedler sind als ande-
re, weil das Klima, die Winde, die Fruchtbarkeit des Bodens nicht über-
all die gleichen sind. Nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen wer-
den von diesen Faktoren beeinflußt, Deswegen soll der Gesetzgeber die-
se Dinge sehr aufmerksam untersuchen319. Ebenso deutlich weist Ari-
stoteles, wenn er die Voraussetzungen für die ' unter-
sucht, darauf hin, daß die Fruchtbarkeit des Bodens besonders wichtig
ist; er erörtert die Frage, ob die Stadt am Meer liegen soll oder nicht; er
hebt hervor, daß Klima und geographische Lage bestimmte psychische
Eigenschaften fördern oder ihnen schaden320.
Aus der Beobachtung, daß Orte und Lagen der Staaten sehr unter-
schiedlich sind, schließt Archytas, daß es verschiedene Formen der
Staatsstrukturen, eine aristokratische, eine demokratische und eine oli-
garchisch-tyrannische, gibt321. Auch Aristoteles notiert, daß die Gelän-
deformen irgendwie in Beziehung mit der Verfassungsform stehen322.
Ferner deutet er an, daß der sich aus den klimatischen Verhältnissen er-
gebende Charakter der Völker die einen unfähig zur politischen Organi-
sation macht, andere zum Beherrschtwerden prädestiniert, anderen wie-
derum politisches Können und Fähigkeit zum Herrschen verleiht323.
Die soeben analysierten Thesen des Archytas geben zwar kein aus-
schließlich aristotelisches Gedankengut wieder, dennoch läßt sich kaum
abstreiten, daß sie von den entsprechenden platonisch-aristotelischen
Überlegungen abhängen.
319
Plat., Nom. V 74 7 D-E. Vgl. auch IV 704 B-705 B.
330
Arise., Pol. VII 4-7.
i21
Archytas, De leg. 34,3sqq. Vgl. oben S. 673.
322
Arist., Pol. VII 12,133Gb 17-21.
»a Arist., Pol. VII 7.
Ein weiteres Motiv aus der Reflexion des Aristoteles über die Poüs
kommt in einem Fragment des Archytas zum Ausdruck. Daß der Staat
autark sein soll, unterstreicht Archytas mit folgenden Worten: „Am be-
sten ist es, wenn die ganze Polis so organisiert ist, daß sie nichts von
außen braucht, weder in Hinblick auf die Tugend, noch auf die Macht,
noch auf eine andere Angelegenheit. In derselben Weise sind ein Körper,
ein Haus, ein Heer gut organisiert, wenn sie in sich selbst die Ursache
ihrer Erhaltung haben und sie nicht äußeren Faktoren verdanken324."
Nach dieser kurzen Angabe begründet er seine These mit der Bemer-
kung, daß autarke Menschen oder Gruppen frei und nicht von der Ver-
sklavung bedroht sind, weil sie nicht viel zu ihrer Subsistenz benötigen,
sondern sich mit wenig und leicht Anzuschaffendem begnügen. Damit
geht er zum Lob der Standhaftigkeit und der Enthaltsamkeit und zur
Verurteilung des Luxuslebens über325.
Die Bedürfnisse des Menschen sind nach Aristoteles eine der Ursa-
chen, die zur Entstehung der Polis aus der Hausgemeinschaft und dem
Dorf geführt haben. Das Ziel der Polis ist daher die Autarkie; wenn sie
dieses Ziel erreicht hat, kann sie auch als vollendet gelten326. Diese
Selbstgenügsamkeit der Polis wird dadurch gewährleistet, daß die Ge-
meinschaft aus ihrem eigenen Boden möglichst alles gewinnt, was sie
zum Leben braucht337, und daß die verschiedenartigen Beschäftigungen
der Einwohner anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zugute kom-
men328. Was das Erwerben von materiellen Gütern angeht, bildet die
Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse die Grenze des Natur-
gemäßen; grenzenloses Erwerben dagegen entspricht nicht mehr der na-
türlichen Tendenz zur Autarkie329. Die Staatsgemeinschaft soll aber
nicht nur das Leben, sondern auch das „gute Leben" ( ) der
Bürger ermöglichen; dieses gemeinsame „gute Leben" ist um eines voll-
kommenen und autarken Lebens willen da330. Nach Aristoteles' Ansicht
setzen tugendhaftes Leben und Eudämome den Rahmen einer gut orga-
nisierten Polis voraus. Mit seinem Ideal der autarken Polis glaubt Ari-
stoteles, in gewisser Hinsicht gegen Platon zu opponieren. Piaton hatte
eine möglichst große Einheitlichkeit des Staats zum Hauptziel seiner
Staatsbildung erklärt. Dagegen wendet Aristoteles ein, daß das Errei-
chen der von Platon selbst erkannten Tendenz zur Autarkie eine gewisse
Vielfalt und Diversität innerhalb des Staats verlange331. Dadurch gibt er
indirekt zu verstehen, daß er gegen Platon und wohl als erster die Autar-
kie für das Hauptziel der Polis erklärt habe.
Bei Archytas werden die Dinge nicht so ausführlich dargelegt. Es
wird kaum erklärt, warum die Autarkie des Staates in bezug auf „die
Tugend, die Macht und jede andere Angelegenheit" das Allerbeste ist.
Enthaltsamkeit und Standhaftigkeit, die etwas weiter unten gepriesen
werden, sind Tugenden des Individuums und nicht des Staates, Viel-
leicht war in der Quelle des Archytas dargelegt, daß diese Eigenschaften
der einzelnen Bürger zur Autarkie des Staates beitragen und daß sie
durch das Staatsgesetz erzeugt werden333. Der kurze Vergleich mit ei-
nem Körper, einem Haushalt und einem Heer bringt auch nicht viel wei-
ter. Nur die Bemerkung, daß die Autarkie die Freiheit fördert und vor
der Versklavung schützt, stellt ein überzeugendes Argument für die
These dar. Alles in allem leuchtet es ein, daß Archytas seine These als
Behauptung hinstellt, ohne allzusehr bemüht zu sein, sie wirklich zu er-
läutern und zu begründen. Wichtig für uns ist auf jeden Fall, daß seine
These einer der charakteristischsten Anschauungen des Aristoteles in
seiner Politik entspricht.
Auf andere Aspekte der politischen Lehre unserer Autoren brauchen
wir nicht einzugehen, weil sie keine präzisen Parallelen im Corpus Ari-
stotelicum oder bei späteren Peripatetikern haben. Das ist z.B. der Fall
für die von Archytas vertretene These, daß eine Mischung der Verfas-
sungsformen Königtum, Aristokratie, Oligarchie und Demokratie der
Stabilität des Staates zuträglich sei und daß die lakedämonische Verfas-
sung ein gutes Beispiel für eine solche Mischung biete. Dort stellten die
Könige das monarchische Element dar, die Geronten das aristokrati-
sche, die Ephoren das oligarchische, während Hippagreten und Koren
dem demokratischen entsprächen. Keines dieser Ämter könne eine abso-
lute Herrschaft ausüben; jedes habe mit der Opposition eines anderen zu
rechnen. Die Ephoren stellten sich gegen die Könige, die Geronten wie-
331
Ibid. II 2, bes. 126Ib 10-15,
332
Vgl, 35,23 . (sc. ).
derum gegen die Ephoren; Hippagreten und Koren, die in der Mitte
stünden, würden gegebenenfalls das Gleichgewicht zwischen den un-
gleich starken Kräften der anderen Ämter wiederherstellen333.
Auch die Reste der drei Abhandlungen über das Königtum von Ek-
phantos, Diotogenes und Sthemdas enthalten keine nennenswerten Spu-
ren einer unmittelbaren oder mittelbaren Beeinflussung durch die politi-
schen Theorien des Aristoteles. Die Autoren heben besonders hervor,
daß die Königsherrschaft von Gottes Gnaden stammt: Gott habe den
König als überragenden Menschen zum Regieren der Menschen be-
stimmt. Ferner betrachten sie die Königsherrschaft als ein Abbild der
Verwaltung der Welt durch Gott; genauso wie der König sich nach dem
Beispiel Gottes richte, hätten die Untertanen ihren König nachzuah-
men334.
3i3
Archytas, De leg. 34,15-27. VgL die Ausführungen von A. Delatte, Essai 109—114,
mu Parallelen aus cler Literatur des 4, Jh. und der hellenistischen Zeit.
334
Diotogenes, De regn. 71,16-75,16. Ekphantos, De regn.79, l — 84,8. Sthenidas, De
regn. 187,8—188,13. Diese Fragmente sind gründlich unrersucht worden von L. De-
iatte, Les Tranes de la Royaute d'Ecphante, Diotogene et Sthenidas, Liege—Paris
1942. VgL dort bes. die Seiten 120-163 {Les idees) und 164-281 (Commentaire: tief-
gehende Interpretation mit Berücksichtigung unzähliger Paralleltexte).
335
Hier sei nur auf einige wichtige Zeugnisse hingewiesen. Archytas, De leg. 33,3—6 (das
Gesetz ist f r den Menschen, was die Musik f r das Geh r und die Stimme ist; es hat
eine erzieherische Wirkung); 35,8 — 14 (Vorz ge der Autarkie f r Staat, K rper, Haus-
halt und Heer); 35,21-30 (die Wirkung des Gesetzes ist derjenigen der Sonne in der
Welt hnlich; die ευκρασία των ωρών gleicht der ευνομία. Auch die kithar dischen
Nomoi, die άρμονύ,ι και ρυθμοί ς καϊ μέτροις ausgef hrt werden, bewirken die
„Ordnung" der Seele). Euryphamos, De vit. 86,15—27 (das tugendhafte Leben des
Menschen ist das Abbild einer gut gebauten, richtig gestimmten und kunstvoll gespiel-
ten Leier). Ekkelos, De iust. 78,3 (die Gerechtigkeit ist die Harmonie der ganzen See-
le). Okellos, De leg. 124,18—20 (Vergleich des Lebenwesens, des Haushaltes und des
Staates mit der Welt, die von der Harmonie zusammengehalten wird; Ursache der
Harmonie ist Gott). Hippodamos, De felic. 96,16—97,12 (Harmonie, Symphonie und
Zahl bestehen aus vielen unselbst ndigen Teilen, die ein Ganzes ausmachen. hnlich
die Eud monie und die Tugend sowie auch die Organisation der ganzen Natur, die des
Staates, die des einzelnen Lebenwesens). Hippodamos, De rep, 99,18sqq. (Vergleich
der politischen Gemeinschaft mit der Leier). Kallikratidas, De dorn. feL J04,3sqq.
(Vergleich der Hausgemeinschaft mit dem ψαλτήριον). Diotogenes, De regn.
72,9—14 (der K nig verteilt das Recht in derselben ΑΓΕ, wie Gott gem der Harmo-
nie die Welt regiert).
340
einer . Es ist ein Lieblingsthema der stoischen
Spekulation, daß die Welt ähnlich einer großen Polis ist, in der die Gott-
heit die Herrschaft innehat 341 ; der König soll daher das fürsorgliche
Wirken Gottes nachahmen 342 . Ökonomik und Politik sind dem Wesen
nach gleich; zwischen ihnen gibt es nur einen Größenunterschied wie
zwischen Haus und Staat343. Wie Gott in der Welt, so soll auch die Seele
im Menschen herrschen 344 . Dieselben Motive kommen auch bei Phi-
lon345 und in der Schrift De mundo, die bekanntlich viele Ähnlichkeiten
mit den pseudo-pythagoreischen Texten aufweist, vor346. Die bei unse-
ren Pythagoreern häufig vorkommende ParalleHsierung von Welt, Staat,
Haushalt und Seele war also in der frühen Kaiserzeit fast zu einem Ge-
meinplatz geworden. Zu ihrer Verbreitung hat die platonisch-aristote-
Hsch-stoische Tradition wesentlich beigetragen. Selbst der Vergleich mit
der Harmonie ist dieser Tradition nicht fremd. Unter diesen Umständen
läßt sich schwer entscheiden, ob die diesbezüglichen Äußerungen unse-
rer Pythagoreer unmittelbar an den Altpythagoreismus anschließen oder
vielmehr Motive der Reflexion ihrer eigenen Zeit in einer systematisch-
schematischen Form wiedergeben.
Da wir uns hier mit dem Einfluß des Aristotelismus auf die Pseudo-
Pythagoreer beschäftigt haben, wird es wohl nicht unwichtig sein zu no-
tieren, daß mehrere typisch aristotelische Termini und Wendungen in
ihren Schriften vorkommen 347 . Nur in seltenen Fällen ersetzen unsere
340
Arist., Pol. I 5,1254a 32-34; EE VII I,I235a 28-28; 9,1241 b 27-29, Vgl. P. Mo-
raux, Sur la Justice 48—50,
341
SVFIIFr. 528, S, 169,25-30; Fr. 645; 1129, S, 327,21-25; 1130; 1131; 1141; III Fr,
323; 333-339. Mark Aurel IV 4; XII 36 etc.
342
Sen., De clem. I 7,1. Dieses Thema kommt in vielen Schriften über das Königtum und
sonst vor, z. B. Plut., Ad princip. inerud. 3,780 D—F. Dion Chrys. I 45; III 50. Klem.
Alex., Strom, I 24, 159,5 etc. Vgl, K. Praechter, Hierokles 46 mit Anm. i .
343
SVF I! Fr. 733, S. 209,25-29; III Fr, 624, S. 160,8-31. Vgl. auch die Parellelisierung
von Eltern und Gott, bzw. Eltern, Herrscher und Gott bei Philon Alex., De prov. II
15 (= Eus., P. E. VIII 14,3); De par. col. 1,5.9 Mai. Weitere Belege bei K. Praechter,
Hierokles 47,
344
Sen., Epist. 65,24.
345
De opif. m, 143-144; MJgr. Abr. 185-186; De Cherub. 125; De prov. I 23etc.
346
De mundo 6,398a 1-bIO; 399a 12-18 (Harmonie!); 400a 3-4; b6-8.
147
Leider besitzen wir keinen vollständigen Index der pseudopythagoreischen Termino-
logie. Der Select Greek Index von H. Thesleff, Pyth, Texts 253—258 ist für uns nutz-
los, da dort „common Platonic and/or Aristotelian terms have normally not been li-
sted". Mit Recht schreibt W, Burkert, in: Gnomon 39 (1967) 549: „Wo so viele Fragen
der Interpretation und historischer Einordnung offen sind, wäre ein vollständiger
Wortindex, zumindest ein Index aller relevanten W rter, gerade auch der platoni-
schen, aristotelischen, stoischen Termini dringend n tig." Hier gebe ich nur einige
Ausdr cke an, die deutlich an den aristotelischen Sprachgebrauch erinnern: αρετή
ήβι κή. - ό τις άνθρωπος im Gegensatz zu αυτός ό άνθρωπος. - £ξις. - καθ' έκα-
στυν. — κατά μέρος, — προαίρεσις. — συμβεβηκότα. — τόδετι είναι. — ϋλη. — υπο-
κείμενα. — το φύσει και πρώτον αγαθόν im Gegensatz zu το προς αυτούς και
ένδεχόμενον, — χορηγία. Diese Liste ist bei weitem nicht vollst ndig.
34S
Das sch nste Beispiel liefert Archytas in seiner Darstellung des Hylemorphismus, Du
princ. 19, 14sqq., wo die aristotelische ΐλη als έστω (vgl. Philolaos VS 44B 6,
S, 408,13} bzw. ουσία bezeichnet wird, w hrend μορφώ anstelle des erwarteten είδος
steht. Es sei daran erinnert, da auch die Stoiker ουσία oft im Sinn von ϋλη verwen-
den, Belege im Index von M. Adler (SVF IV) 107b, s. v. ουσία.
349
Archytas, Cat. 24,17-26,15.
jso Verschiedene Einteilungen der G ter, Archytas, De vir. bon. 9,26sqq.; 10,11 sqq. —
Die καιροί im menschlichen Leben, ibid. 10,27sqq. — Die αύτόθεν φαινόμενα, Ar-
chytas, De intell. 36,14sqq. — Die Vta, ibid. 38,12sqq. — Die Erkenntnisse κατά
ψυχάν, ibid, 38,19sqq. — Die Seelenteile, Aresas, De nat. hom. 49,3sqq. — Die Be-
deutungen von δούλος, Bryson, Oecon. 57, l sqq. — Die Εργα des K nigs, Diotoge-
nes, De regn. 71,23sqq. - Die Qualit ten der Leier, Euryphamos, De vit, 86,16sqq,
- Die Herrschaftsformen, Kaflikratidas, De dorn, felic. 105,10sqq. — Die Faktoren
der Tugend, Metopos, De virt. 117,2sqq, und Theages, De virt. 190,3 sqq. - Der
Staat, Hippodamos, De rep. 98,12sqq. etc.
gab, mit welchen man sich leicht ber die Einteilung von philosophi-
schen Begriffen orientieren konnte351. Wir wissen auch, da zu Jam-
blichs Zeiten eine sich f r pythagoreisch ausgebende Sammlung von
διαιρέσεις existierte. Jamblich hat sie benutzt, um anhand von dort auf-
gezeichneten Einteilungen Argumente f r seine Aufforderung zur Phi-
losophie auszuarbeiten. Betrachtet man die von Jamblich herangezoge-
nen διαιρέσεις, so kann man allerdings feststellen, da sie weitgehend
aus der platonisch-aristotelischen Tradition herr hren und kaum etwas
typisch Pythagoreisches enthalten 352 . Obwohl Jamblich nur einige die-
ser angeblich pythagoreischen διαιρέσεις heranzieht und sie nicht w rt-
lich zitiert, f llt ihre Verwandtschaft mit dem, was wir bei den Pseudo-
Pythagoreern finden, besonders auf. Andererseits kann man nicht an-
nehmen, da Jamblich die uns vorliegenden Schriften exzerpiert habe,
um die dort erhaltenen Einteilungen herauszusch len. Er selbst sagt
deutlich, da er „die pythagoreischen διαιρέσεις" (und nicht etwa py-
thagoreische Traktate) heranziehen will353. Daher dr ngt sich der Schlu
auf, da Jamblich einerseits und unsere Pythagoreer andererseits aus ein
und derselben Quelle sch pfen, n mlich aus jenem von Jamblich zitier-
351
Die sog, Divisiones Aristoteleae (ed. H. Mutschmann 1907) sind uns in verschiedenen
Fassungen erhalten. Die dort angegebenen Einteilungen, gehen gr tenteils auf Platon
und Aristoteles zur ck. Alexander v. Aphrodisias (ap. Philop., De gener, et corr,
226,17sqq.) hielt die διαιρέσεις die unter Platons Namen umliefen, f r unecht,
SimpL, Cat. 65,5 erw hnt διαιρέσεις des Aristoteles, die wohl nicht identisch waren
mit der auf uns gekommenen Sammlung. Bei den Peripatetikern der fr hen Kaiserzeit
scheint Areios Didymos eine Sammlung von διαιρέσεις gelegentlich herangezogen zu
haben, vgl, oben Bd, I 367sqq. - Im Vorwort seiner Edition (XXXVI!-XXXVIII)
macht H. Mutschmann darauf aufmerksam, da viele Einteilungen der Pseudopytha-
goreer auch in den sog. Divis. Anst. vorkommen, und schlie t auf eine gemeinsame
Quelle: Nam apud Pythagoreos in Stobaei Florilegio tot divisionum nostrarum inve-
niuntur, ut ex uno f nte fluxisse putandae smt.
352
larnbl., Protr, 24,14—36,25. 1. Einteilung: seelische, k rperliche und u ere G ter,
Das ορθώς χρήσθαι ist wichtiger als die blo e χρήσις etc. (24,22—27,11). 2. Eintei-
lung: Der Mensch besteht aus Seele und Leib; die Seele herrscht, der K rper wird be-
herrscht (27,12—21). 3. Einteilung: Die ημέτερα sind Seele, K rper, τα του σώματος
(27,22—28,18). 4. Einteilung: αυτός έκαστος (= ψυχή), το εαυτού (= σώμα), δ εστί
των αΐιτοϋ (die χρήματα) (28,19—29,14). 5. Einteilung: Das Herrschende und das
Dienende in den ημέτερα (29,15 — 30,11). 6, Einteilung: Die drei (platonischen) See-
lenteile (30,12—34,4), 7, Einteilung: Unterordnungsverh ltnisse zwischen Dingen,
die ένεκα τίνος sind (34,5—36,24).
353
Iambi., Protr, 24,14-15 δεϊ δε το λοιπόν αύταϊς ταϊς Πυθαγορικαίς διαιρέσεσι
ίτροσχρήσθαι εις το ιτροτρέπειν.
354
H. Mutschmann, ed, Div. Arist. XXXIX Nunc id tantum coniecerim: caput quintum
(sc. Iambi. Protreptici) e divisionibus Plaionicis, fortasse a Neopythagoreo quodam,
confectum esse, quem larnblichus exscnpsisse videtur. Divisiones Platonicas vel An-
stotelicas a Neopythagoreis suum in usum vocatas, quin etiam pia fraude disciplinae
auton tnbutas esse mhil habet min, cum Neopythagoreos omnia fere sua a cetens
mutuatos esse notum sit.
Als Galen sich mit 16 Jahren auf Wunsch seines Vaters für das Stu-
dium der Medizin entschied, hatte er bereits zwei Jahre lang bei berühm-
ten Vertretern der damals blühenden Philosophenschulen in seiner Hei-
matstadt Pergamon gehört. Am längsten genoß er den Unterricht bei ei-
nem Schüler des Stoikers Philopator. Ein Schüler des Platonikers Gaios
war nur kurze Zeit sein Lehrer, weil er sich bald ganz der Politik widme-
te. Er studierte dann bei einem gerade von einer langen Auslandsreise
zurückgekehrten Schüler des Peripatetikers Aspasios und danach bei ei-
nem Epikureer aus Athen1. Das Studium der Medizin lenkte ihn jedoch
1
V De cogn. an, morb. 8, 41,11—42,4, — Der Einfachheit halber zitiere ich Galen in
den meisten Fällen nur nach der Gesamtausgabe von C. G. Kühn, Leipzig 1821 — 1833
(Nachdruck Hildesheim 1964-1965). Die Zitate enthalten die Bandnummer (rö-
misch), den abgekürzten Titel der Schrift, eventuell Buch und Kapitel und schließlich
Seiten und Zeilen der Kühnschen Ausgabe. Für mehrere Einzelschriften liegen moder-
nere kritische Ausgaben vor; ich habe sie selbstverständlich herangezogen. Da diese
Ausgaben die Kühnschen Seiten angeben (meistens am Rand), wird der Leser die er-
wähnten Passagen ohne Schwierigkeit wiederfinden. Für die nicht bei Kühn enthalte-
nen Schriften gebe ich die jeweils vorhandene Ausgabe an. Die wichtige Schrift
ist nur bnichstückhaft im Urtext erhalten (= IV De subsiantia
facultatum naturalium 757—766). V. Nutton, der eine Ausgabe der vollständigeren
arabisch-lateinischen Übersetzung (De sentendis} vorbereitet, hatte die Güte, mir sein
Manuskript zur Verfügung zu stellen. Ich zitiere also De sent, nach den Kapiteln und
Paragraphen Nuttons. — Der Aspasios-Schüler, bei dem Galen irgendwann zwischen
143 und 149 gehört hat, ist möglicherweise jener Peripatetiker Eudemos von Pergamon
gewesen, den er in Rom in den Jahren 162—166 wiedertraf. Galen redet ihn mit -
an (XIV De praenot, 4, 624,3) und weist darauf hin, daß er sich bereits
seit mindestens zehn Jahren, also etwa seit 152, in Rom aufhielt (ibid. 623,14—624,2),
Eudemos wußte sogar, daß ein Traum des Vaters den jungen Galen dazu bewogen
hatte, Medizin zu studieren. Er selbst betrachtete Galen als einen hervorragenden Phi-
losophen, dachte jedoch zuerst, daß er sich mit Medizin nur so nebenbei beschäftigt
hatte (2, 608,11-18), In Rom tnerapiene ihn Galen mit Erfolg im Winter 162/3
(2, 506,13sqq.}. Den anatomischen Demonstrationen Galens wohnte er regelmäßig
bei (II De anat. adm. I l, 218,4 — 6). Über seine philosophischen Lehrmeinungen ist
uns leider nichts Näheres bekannt. Vgl. V. Nutton, CMG V 8,1 (1979), S. 157.
nicht ganz von der Philosophie ab. Nach dem Tod seines Vaters begab er
sich nach Smyrna und hörte dort nicht nur Medizin bei Pelops, sondern
auch Philosophie bei dem Platoniker Albinos 2 . Daß die Logik in dieser
philosophischen Ausbildung den größten Raum einnahm, geht schon
aus dem Umstand hervor, daß fast alle Jugendschriften Galens, die ir-
gendwie durch sein Philosophiestudium angeregt wurden, logischen In-
halts sind3. In Galens Augen stellt die , die Lehre
vom wissenschaftlichen Beweis, zweifellos den wichtigsten Teil der Lo-
gik dar. Sie hat eine doppelte Funktion zu erfüllen: Sie ermöglicht eine
genaue Beurteilung der Beweisführungen anderer Gelehrter, und sie ver-
setzt denjenigen, der sie beherrscht, in die Lage, eigene wissenschaftli-
che Untersuchungen mit Erfolg durchzuführen 4 . Es wundert also nicht,
daß laut Galen die Logik als erste philosophische Disziplin und noch vor
der Beschäftigung mit der Naturphilosophie und der Naturwissenschaft
gepflegt werden muß5. Auch der Mediziner soll sie nicht nur theoretisch
kennen, sondern sich auch in ihr fleißig üben, wenn er verhängnisvolle
Denkfehler vermeiden will 6 .
Der Unterricht, den Galen bei seinen Lehrern genoß, enttäuschte ihn
jedoch in mancher Hinsicht: Bei berühmten Stoikern und Peripatetikern
seiner Zeit habe er eine Menge gelernt, die im Hin-
blick auf die Beweisführung völlig nutzlos seien, und nur sehr wenige,
die sich praktisch anwenden ließen. Ferner seien die Widersprüche zwi-
schen den verschiedenen Schulen und sogar innerhalb jeder Schule selbst
so gravierend, daß er zum Skeptiker geworden wäre, wenn das Vertrau-
en auf die Sicherheit der mathematisch-geometrischen Methoden ihn
nicht davor bewahrt hätte7. Solche Widersprüche ließen sich allerdings
am wenigsten in der perlpatetischen Logik beobachten, während sie bei
Stoikern und Platonikern oft vorkämen 8 . Den Peripatetikern bescheinigt
Galen, daß sie im allgemeinen eine solide logische Ausbildung aufwie-
sen; die Stoiker dagegen trieben eine Menge nutzloser logischer Übun-
gen, und in den wirklich nützlichen Bereichen der Logik seien sie in
2
XIX De libr. propr. 2, 16,6-10 = Scr, min, II 91,6-11.
3
Vgl. darüber das Kap. II der Schrift XIX De libr. propr. 39sqq. = Scr, min. II
115,19 sqq.
4
XIX De libr. propr. 11,39,1-14 = Scr. min. II 115,21-116,12.
5
I De temp, I 5, 534,11-535,3.
* Vgl. unten S. 710; 718.
7
XIX De libr. propr. 5, 39,14-40,8 = Scr. min, II 116,12-26.
8
XIX De libr. propr. 5, 40,19-41,5 = Scr. min. II 117,7-13.
h chstem Ma unge bt 9 . Galen selbst ist zwar mit der stoischen Aussa-
genlogik gut vertraut 10 , und sein Wortschatz ist, wie es damals blich
war, mit logischen Termini stoischer Herkunft durchsetzt, die Grundla-
gen seiner Beweislehre und seiner Wissenschaftstheorie verdankt er je-
doch der peripatetischen, insbesondere der aristotelischen Logik. Dem
Platonismus entlehnt er haupts chlich das Einteilungsverfahren (διαίρε-
σις), allerdings nicht, wie wir noch sehen werden, ohne die von Aristo-
teles ausgearbeiteten Pr zisierungen und Modifizierungen zu ber ck-
sichtigen.
Der aristotelischen Logik hatte Galen zahlreiche Schriften - Kom-
mentare und Monographien ber Spezialprobleme — gewidmet. Die
meisten von ihnen sind heute restlos verschollen. In seinen erhaltenen
medizinischen Werken aber verwendet er des fteren Lehrs tze oder
vertritt Auffassungen, deren aristotelische Herkunft einleuchtet, so da
wir uns noch eine gewisse Vorstellung seiner Verpflichtungen gegen ber
dem Organon machen k nnen 11 .
Nicht um sie zu publizieren, sondern lediglich als bung f r sich
selbst (γυμνάζων έμαυτόν) hatte Galen als junger Mann Kommentare
zu De interpretatione (3 B cher), zu den Anal. Pr. (je 4 B cher zum
ersten und zum zweiten Buch) und zu den Anal. Post. (6 B cher zum
ersten Buch und 5 zum zweiten), sowie zu Theophrasts περί καταφά-
σεως καί αποφάσεως und zu Eudems περί λέξεως geschrieben12. Der
15
Auf dieses Werk verweist Galen des fteren. Aus diesen Verweisen und sonstigen Te-
stimomen gehi hervor, da Galen sich keineswegs ausschlie lich mit Fragen der Logik
und der Wissenschaftstheorie befa te. Er er rterte vielmehr auch viele Probleme der
Naturwissenschaft und der Medizin. Die Fragmente und Testimonien sind in der
grundlegenden Abhandlung von I. v, M ller, ber Galens Werk vom wissenschaftli-
chen Beweis, in; Abh, d. philos.-philol. Cl, d . k g l . bayer. Akad, d. Wiss. XX 2, 1897,
gesammelt und untersucht worden. Die Araber besa en noch einen guten Teil dieser
Schrift. Hunain ibn Ish q berichtet, da er sich bem ht hat, Galens Schrift περί απο-
δείξεως zu finden. Er hat nur Bruchst cke entdeckt und ms Syrische bersetzt. Es
handelte sich um ein Fragment von Buch II, den gr ten Teil von III, die erste H lfte
von IV, IX ohne den Anfang, X—XV ohne den Schlu teil von XV. Sp ter wurde eine
arabische bersetzung von diesen Resten besorgt, und zwar von 'Is ibn Yahy f r die
B cher II—XI und von Ish q ibn Hunain f r die B cher XII—XV. Vgl. G, Bergstr s-
ser, Op. cit. (oben Anm. 12) Nr. 115, S. 38—39. Fr. Rosenthal, The technique and ap-
proach of Muslim scholarship, 1947 {= Anal. Orient. 24} 18. N. Rescher, Galen and
the Syllogism, 1966, 5—6, — S. Pines, Razi critique de Galien, in: Actes du septieme
Congres Internationa] d'Histoire des Sciences, Jerusalem 1953, 480—487, dort 485,
weist darauf hm, da R zl im ersten Teil seiner Dubitationes Galens περί αποδείξεως
eingehend kritisiert und zahlreiche Stellen aus dieser Schrift zitiert. Das von M ller
herangezogene Material k nne anhand dieser Zitate vervollst ndigt werden.
16
XIX Deord, libr, 52,15-53,10 = Scr. min. II 82,20-83,6. Vgl. auch XIX De libr.
propr. 11, 41,5-9 = Scr. min. II 117,16-20.
17
XIX De libr. propr. 12, 45,3 = Scr. min. II 120,20 σύνοψις της αποδεικτικής θεω-
ρίας, εν.
18
Vgl, unten S, 724sqq.
B. Kategorienlehre
Obwohl Galen sich mehrmals damit begn gt, die f r ihn wichtigsten
Kategorien, ουσία, ποιόν, ποσόν und προς τι zu erw hnen, kommt es
auch vor, da er die zehn Kategorien des Aristoteles vollst ndig auf-
z hlt. Er nennt sie z. B. im Zusammenhang mit der Frage, welcher Kate-
gorie das Gro e und das Kleine zuzuordnen seien19. Er klassifiziert die
Aussagen und die Schl sse nach den zehn Kategorien20. Um so merk-
w rdiger erscheint daher die Nachricht bei Elias, Galen habe die Zahl
der Kategorien auf f nf reduziert, n mlich auf ουσία, ποσόν, ποιόν
προς τι und προς τί πως έχον21. In der Widerlegung dieser angeblich
galenischen Lehre deutet Elias an, da Galen das προς τί πως ίχον als
die gemeinsame Gattung der letzten sechs aristotelischen Kategorien,
που, ποτέ, κεϊσθαι, έχειν, ποιεΐν, πάσχειν, betrachtet habe; diese seien
„zusammengesetzt" (σύνβεται) insofern, als sie ,,ein Verh ltnis in Ver-
bindung mit der Materie" (σχέσις μεθ' ύλης) bezeichnen; in ihnen sei
die Substanz mit der Quantit t oder der Qualit t oder der Relation kom-
biniert 22 . Wie diese „Kombination" zu verstehen ist, erfahren wir bei
anderen Kommentatoren, welche die These vertreten, da das που und
das ποτέ sich aus der Verbindung der ουσία mit dem ποσόν ergeben,
das ποιεΐν und πάσχειν aus der Verbindung der ουσία mit dem ποιόν
hervorgehen und das κεΐσθαι und das εχειν schlie lich aus der Verbin-
dung der ουσία mit dem προς τι entstehen 23 . Es ist allerdings fraglich,
ob man sich auf die Nachricht bei Elias verlassen kann. Abgesehen da-
von, da Nachl ssigkeiten und Verwechslungen bei Elias nicht selten
vorkommen, findet sich meines Wissens im erhaltenen Werk Galens
nicht die geringste Spur einer solchen Reduzierung der Kategorien auf
f nf und einer Subsumierung der letzten sechs aristotelischen Katego-
rien unter das (stoische) προς τί πως έχον. Andererseits schreibt Simpli-
kios nicht Galen, sondern den Stoikern eine hnliche Reduzierung der
Kategorien zahl zu, und zwar in einem Zusammenhang, in dem er offen-
bar bem ht ist, alle von Aristoteles abweichenden Thesen ber die Zahl
der Kategorien zu referieren 24 . Allem Anschein nach beruht also die
Nennung Galens bei EHas auf einem Fehler oder einer Verwechslung25.
19
VIII De dignosc. puis. II l, 839,5-840,1. " i nst . log. II l und XIII.
21
El., Cat. 160,20-22. " Ibid. 160,22-31.
23
Amm., Cat. 92,6-12. Philop,, Cat. 163,4-164,5. Olymp., Cat. 54,4-26.
24
Simpl., Cat. 66,32-67,8.
25
In diesem Sinn bereits C. Prantl, Gesch. d, Log. I 564 mit Anm, 85.
sondere von den Methoden der Einteilung und der Synthese berhaupt
keinen Gebrauch gemacht hat. Er erw hnt eine ganze Reihe von „Puls-
qualit ten", ohne sich ernsthaft zu fragen, in welchem Verh ltnis sie zu-
einander stehen und ob sie sich nach Arten und Gattungen klassifizieren
lassen. Ein einwandfreies methodisches Vorgehen h tte seinen Aus-
gangspunkt in den zahllosen individuellen Erscheinungen nehmen sol-
len, um von dort aus durch die spezifischen und generischen Differen-
zen hindurch bis zur h chsten Gattung zu gelangen. Und wiederum h t-
te man denselben Weg absteigend von der h chsten Gattung bis zum
Individuellen hinunter gehen k nnen29. Ist der zu untersuchende Ge-
genstand ein σύνθετον, so soll man ihn in seine ersten und einfachsten
Komponenten zerlegen und zwar in begrifflich fa bare Komponenten
und nicht in solche, von denen man erwarten k nnte, da sie f r sich
aliein existieren30. Es gibt n mlich viele Dinge, die in der Wirklichkeit
nicht unabh ngig voneinander existieren, aber durch einen Denkakt aus-
einander gehalten werden k nnen 31 . Die Geometrie z. B. befa t sich mit
Linien und Fl chen, obwohl diese nicht unabh ngig vom K rper existie-
ren k nnen32. hnlich verh lt sich auch die medizinische Kunst. Sie ist
nicht auf dieses kranke Individuum bezogen, ebensowenig befa t sie
sich mit dem kranken Menschen schlechthin; vielmehr setzt sie sich aus
Art- und Gattungsbegriffen zusammen33. Solche Aussagen, die sich ver-
mehren lie en, sind eminent charakteristisch f r die philosophische
Grundhaltung Galens, die der aristotelischen Abstraktionslehre sehr na-
he steht und in der es offenbar keinen Platz f r subsistierende Art- und
Gattungsideen und ebensowenig f r selbst ndige mathematische Gegen-
st nde gibt.
In seiner eigenen Klassifizierung der Pulsmerkmale ist Galen be-
m ht, das jeweils Gemeinsame zwischen zwei oder mehreren Merkma-
len so lange zur ckzuverfolgen, bis er die πρώτα γένη erreicht hat.
Quantitative Pulsmerkmale, die dem ποσόν zugeordnet sind, haben we-
gen der Heterogenit t der Kategorien keine gemeinsame Gattung mit
29
Ibid. II 6,600,15-602,3.
3° Ibid. II, 7, 609,11-610,2.
31
Ibid. 611,12-612,1.
32
Ibid. 612,17-613,2.
33
Ibid. 612,6—7 εν ταίς ϊδικαϊς τ ε και γενικαϊς έπι,νοίαις αί τέχναι συνίστανται. Vgl.
auch XVIIIA Adv. Lye. 3, 209,6-12: Die τέχναι bestehen aus der Kenntnis der Un-
terschiede zwischen den οντά, wie es von Platon, Aristoteles, Theophrast, Chrysipp
und Mnesitheos dargelegt wurde.
denen, die in der Kategorie der Qualit t oder in der der Relation ihren
Platz haben. Ein besonderes Problem werfen jedoch Gruppen von Puls-
eigenschaften auf, die zwar ein und derselben Kategorie angeh ren und
dennoch v llig verschiedener Natur sind. Betrachten wir z, B. die Be-
schaffenheit der Pulsbewegung. Sie kann zu langsam, normal oder zu
schnell sein. Wir werden also von der „Qualit t der Bewegung", το ποι-
ον της κινήσεως, sprechen. Andererseits m ssen wir auch die Beschaf-
fenheit der Gef wand betrachten. Sie kann zu weich, normal oder zu
hart sein. Davon h ngen andere Merkmale des Pulses ab, die wir der
„Qualit t des K rpers der Arterie", το ποιον του σώματος της αρ-
τηρίας, zuordnen wollen. Die beiden Gruppen sind selbstverst ndlich
der Kategorie der Qualit t zuzuordnen. Kann in solchen F llen die
Qualit t als die gemeinsame h chste Gattung der beiden Gruppen ange-
sehen werden? Galens Antwort auf die Frage lautet: „Wenn die beiden
untersuchten Gruppen auf eine einzige Kategorie zur ckgef hrt wer-
den, es jedoch ber ihnen keine gemeinsame Gattung gibt, wollen wir
uns von der Gemeinsamkeit der Kategorie nicht st ren lassen, wie die
meisten der pedantischen und unge bten Pseudo-Dialektiker es tun. Sie
meinen, da man dort, wo es eine gemeinsame Kategorie gibt, auch eine
gemeinsame Gattung finden wird, weil sie die identische Bezeichnung
(Homonymie) nicht differenzieren k nnen. So verh lt es sich n mlich
mit der Qualit t, die sich auf die Bewegung, und derjenigen, die sich auf
den K rper der Arterie bezieht. Die Kategorie der Qualit t ist zwar bei-
den Gattungen gemeinsam, eine gemeinsame Gattung ber den beiden
gibt es jedoch nicht. Die beiden werden n mlich homonymisch und
nicht synonymisch als ποια bezeichnet. In den beiden ist das ποιόν
nicht ein und dasselbe, wie es bei dem Wei en und dem Schwarzen oder
dem Kalten und dem Warmen der Fall ist. Die Bewegung hat eine eigene
Qualit t, die einer besonderen Gattung angeh rt, und der K rper der
Arterie wiederum eine eigene, die einer anderen Gattung angeh rt. Die
Bewegung und die Zusammensetzung des Arterienk rpers befinden sich
n mlich nicht in derselben Gattung34." Dasselbe gilt nat rlich auch f r
Gruppen von Pulsmerkmalen, die der Kategorie der Quantit t zugeord-
net werden, doch v llig heterogener Natur sind: „Auch m diesem Fall",
hei t es bei Galen, „werden sie auf dieselbe Kategorie zur ckgef hrt, es
gibt jedoch f r die beiden keine gemeinsame Gattung. Die Quantit t der
sich ausdehnenden K rper ist n mlich generisch v llig verschieden von
34
VIII De diff. puls. II 9, 622,5-623,2.
der zeitlichen Quantit t . . ,35." Auf den ersten Blick berrascht es viel-
leicht, da Galen sich weigert, die Kategorie bedingungslos als h chste
Gattung zu betrachten, und die Meinung vertritt, da ein und dieselbe
Kategorie von mehreren Gattungen homonymisch pr diziert werden
kann. Letztes Endes geht jedoch diese Auffassung auf einen Satz der Ka-
tegorienschrift selbst zur ck. Am Anfang des Kapitels ber die Qualit t
hei t es n mlich εστί δε ή ποιότης των πλεοναχώς λεγομένων36, Of-
fenbar haben daraus einige Interpreten gefolgert, da die von Aristoteles
aufgez hlten verschiedenen Arten der Qualit t, qua πλεοναχώς λεγόμε-
να, blo e Homonyma seien. Diese Schlu folgerung erw hnt z. B. Sim-
plikios, um sie dann zu widerlegen: „Aristoteles sagt, da die Qualit t
zu den Termini mit mehrfacher Bedeutung geh rt. Da die Termini mit
mehrfacher Bedeutung die Homonyma zu sein scheinen, wird geschlos-
sen, da die Qualit t ein Homonymen ist. Das Homonymen ist aber
keine Gattung, denn die Gattungen sind Synonyme. Daraus folgt, da
die Qualit t nicht in Arten eingeteilt wird, wie es bei den Gattungen der
Fall ist, sondern in vier Bedeutungen, wie die Homonyma37." In diesem
Zusammenhang mu daran erinnert werden, da auch Plotin sich wei-
gerte, in der aristotelischen Kategorie ein einheitliches Genos zu sehen,
und der Kategorie dieselbe An der Einheitlichkeit zuschrieb, die auch
zwischen Homonyma zu finden ist38, Was die Qualit t anbetrifft, spielt
er offenbar auf den zitierten Satz des Aristoteles an, wenn er schreibt ει
πολλαχώς αϊ ποιότητες, ούχ εν αν εΐη γένος39. Aus Galens u erun-
gen geht hervor, da Plotin nicht der erste war, der den einzelnen Kate-
gorien die Einheitlichkeit eines Genos absprach. Es ist kaum anzuneh-
men, da Galen selbst der Urheber dieser Auffassung gewesen ist. Viel-
mehr mu es sich um eine Interpretation handeln, die in der Kategorien-
exegese des ersten oder zweiten Jahrhunderts vertreten war, und die Ga-
len sozusagen als Schulgut bernommen hat. Unsere sehr l ckenhafte
Information ber den vorgalenischen Aristotelisrnus erm glicht es uns
leider nicht, die hier angesprochene Kategorieninterpretation n her ein-
zuordnen.
35
Ibid. 623,15—624,1. Zur These, da die Kategorie mehrere verschiedene γένη umfa t
und nicht als deren h chste Gattung gelten kann vgl. auch II 10, 623,18—633,6.
36
Cat. 8, 8b25-26.
37
Simpl., Cat. 220,5-10. Vgl. auch Olymp., Cat, 119,2-3.
ϊβ
Das ist eine der Hauptthesen der ersten Abhandlung περί των γενών του δντος, Enn.
VI 1. ber diese Frage vgl. u.a. Chr. Kutten, Les categories du monde sensible dans
les Enneades de Plotin, 1961, 43sqq. *» Plot. VI I, 10,4.
In seinen Er rterungen ber den Puls spielt Galen auf ein anderes, zu
seiner Zeit umstrittenes Problem an. Er fragt sich, welcher Kategorie das
Gro e und das Kleine zuzuordnen sind, und zwar ob sie ein ποσόν oder
προς τι sind, „Ich wei ", bemerkt er, „da es dar ber eine nicht unbe-
deutende Diskussion gegeben hat". Er selbst neigt zu der Annahme, da
sie als eine Relation in der Kategorie der Quantit t zu betrachten sind 40 .
Mehrere sp tere Kommentatoren der Kategorien setzen sich mit dieser
Frage auseinander. Einige von ihnen schlie en sich Aristoteles an, der in
seinen Ausf hrungen ber das ποσόν nachweist, da das Gro e und das
Kleine dem προς τι zuzuordnen sind41. Andere aber vertreten die An-
sicht, da das Gro e und das Kleine als ποσά, und zwar δια το ύποκεί-
μενον, und auch als προς τι, und zwar δια την σχέσιν, gelten k nnen 42 .
Durch Simpiikios erfahren wir, da die letztere Ansicht auf Andronikos
zur ckgeht: Gro und Klein seien nicht nur προς τι, sondern auch ποσά
αόριστα43. Auf dasselbe Problem kommt Galen auch sp ter noch zu
sprechen44. „Gr er" und „kleiner", bemerkt er, deuten immer auf ein
Verh ltnis zu etwas anderem. Wie steht es aber mit „gro " und „klein"?
Geh ren sie zu den καθ' έαυτά λεγόμενα? In diesem Fall kommt nur
die Kategorie des ποσόν in Frage. Es ist aber dann u erst schwierig zu
bestimmen, wie gro oder wie klein etwas sein mu , um als „gro " oder
„klein" bezeichnet zu werden. Ein Berg ist klein, wenn er ein Stadion
hoch ist, und eine Ameise kann gro sein, obwohl sie nicht einmal eine
Elle gro ist, Galen verweist dann auf die L sung, die einer seiner
Freunde vorschlug: „Gro " und „klein" sind keine abgegrenzten,
durch Ma e zu bestimmenden Quantit ten; diese Bezeichnungen wer-
den μετά ποσότητος αορίστου verwendet, und zwar im Hinblick auf
die normale Gr e des jeweils betrachteten Gegenstandes. Die Frage-
stellung und die von Galen angef hrten Beispiele erinnern an die Dis-
kussion der Kategorien ber die Zuordnung des Gro en und des Klei-
40
VIII De diff. puls. II 4, 580,11-16 sowie II 6, 594,10-17. Die Frage, ob das Gro e
und das Kleine laut Aristoteles zur Kategorie des ποσόν oder des προς τι geh ren, und
mehrere damit verbundene Probleme er rten D, O'Brien, Aristote; Quarmte et con-
trarieie, in: Concepts et Categories dans ia pensee antique, hrsg. v. P, Aubenque,
1980, 89-165.
41
Cat. 6, 5 b l 5 - 6 a l l .
42
Porph,, Cat, 108,13-34, der notiert, Aristoteles selbst habe diese beiden M glichkei-
ten nicht erw hnt, sondern nur an die Kategorie des προς τι gedacht. Olymp., Cat.
113,27-31,
43
SimpL, Cat. 144,7-14; 151,5-7. Vgl. oben Bd. I 106.
"" VIII De dignosc. puls. H l, 839,5-841,12.
nen zum προς τι45. Die von Galen referierte L sung seines Freundes,
„gro " und „klein" als ποσά αόριστα zu betrachten, kann sicher kei-
nen Anspruch auf Originalit t erheben. Es w re m ig, alle Stellen der
Kommentatoren anzuf hren, bei denen sie in irgendeiner Form vor-
kommt 46 . Auch sie geht letzten Endes auf Andronikos zur ck 47 ,
An anderer Stelle48 weist er darauf hin, da die Aristoteliker sowohl
in den mit Qualit ten versehenen K rpern wie auch im Bereich der
Quantit t eine Gegens tzlichkeit finden, die sie allerdings nicht als έν-
αντίωσις, sondern als άντιθεσις bezeichnen. Sie behaupten n mlich,
da das „Gro e" nicht Gegenteil (εναντίον) des „Kleinen", das „Viele"
nicht Gegenteil des ,,Wenigen", sondern ihm jeweils entgegengesetzt
(άντικείμενον) in der Relation ist. hnlich verhalte es sich mit der Ge-
gens tzlichkeit von „locker" und „dicht", „zusammengezogen" und
„auseinanderklaffend", „naturgem " und „naturwidrig". Die hier re-
ferierte Lehrmeinung geht ebenfalls auf eine Passage der Kategorien zu-
r ck49, die vielleicht etwas gewaltsam anhand der Ausf hrungen ber
die αντικείμενα aus den Postpr dikamenten systematisiert wurde50. Be-
merkenswert ist allerdings, da auch die Kontrariet 't in der Kategorie
der Relation, die Aristoteles anerkannte51, auf eine Relation zur ckge-
f hrt wird.
Galen notiert ebenfalls, da die Relation in vielen Kategorien vor-
kommen kann. „Wei er" und „schw rzer" weisen auf eine Relation in
der Gattung der Farbe, und die Farbe ist ein ποιόν. hnlich verh lt es
sich mit „h her" und „niedriger" in der Kategorie des που, mit „fr -
her" und „sp ter" in der Kategorie des ποτέ etc.52. Dieselbe Ansicht
begegnet uns mehrmals bei sp teren Kommentatoren. Die Kategorie des
προς τι hat keine eigene ΰλη, sie gleicht einem Nebenwuchs53 und
« Cat. 6, 5b 15-25.
46
Vgl. Porph., Cat. 108,15-16; 108,36-109,3 und fast alle nach ihm,
47
Simpl., Cat. 144,7-11; 151,2-7.
48
X De meth. med. XI 12, 771,10-17.
49
Cat. 6, 5 b l l - 6 a l l ; 7, 6b6-ll.
50
Vgl. Cat. 10, Hbl7-12a25.
51
Cat. 8, 10bl2-25.
S3
VIII De diff. puls. II 6, 594,10—17. In ihrer gediegenen Monographie ber das 7.
Kap. der Kategorienschrift schreibt F. Caujolle-Zaslawsky (Les relanfs dans les Ca-
tegories, in: Concepts et Categories, 167—194, dort 180): „. .. y a dans chaque ca-
tegorie des choses qui peuvent etre envisagees au point de vue de leur propre categorie
et au point de vue de la relation."
S3
παραφυάδι Εοικε, Reminiszenz an EN I 4, 1096a I,
X De meth. med. II 7,
X De meth. med. II 7, 134,18-335,6; 137,15-17; 142,1-4. Vgl. Arist., Top. I
7, 103a6-14; Metaph. 6, 1016a24-25; b31-1017a2; 9, 1018a5-ll etc.
XVIIIA Adv. Lye. 4, 271,1-15.
keine Menschen".) Die Operation, die aus AaB auf BaA f hrt, nennt
Galen άναστρέφειν, „Vertauschung" der Satztermini, und die andere,
die aus AaB auf — AeB f hrt, bezeichnet er als αντιστρέφεLV, „Konver-
sion". „In den logischen Theorien", f gt er hinzu, „ist bewiesen wor-
den, da die Konversionen wahrer S tze wahr sind, w hrend die Vertau-
schungen nicht in jedem Fall wahr sind" 67 . Der Verweis Galens auf die
λογικαί μέθοδοι zeigt, da er diese Lehre nicht selbst erfunden hatte,
sondern seiner logischen Ausbildung verdankte. Die Unterscheidung
zwischen αντιστροφή und αναστροφή findet sich bei Philoponos wie-
der68.
D, Syllogistik
Die meisten Schriften Galens zur Logik sind heute verschollen. Wir
besitzen lediglich einen kurzgefa ten Abri der Syllogistik, die εισ-
αγωγή διαλεκτική (Institutio logica), die Galen selbst in seinen autobio-
graphischen Angaben und im Verzeichnis seiner Schriften nicht er-
w hnt. Die kleine Schrift wurde von Minoides Minas in einem stark be-
sch digten Manuskript des 13. Jh. in einem Athos-Kloster entdeckt69.
Kurz darauf besorgte der auf diesem Gebiet ganz inkompetente Mmas
eine sehr schlechte Ausgabe (Paris 1844). In seiner Geschichte der Logik
im Abendland analysierte C. Prantl die Schrift sehr ausf hrlich und trug
eine Menge von wertvollen Korrekturen bei70. Er hielt sie allerdings f r
unecht. Karl Kalbfleisch, der 1896 eine neue, vorz gliche Ausgabe der
Institutio besorgte (Leipzig, Teubner), wies jedoch in einer Abhandlung
berzeugend die Echtheit nach71. Seit ihrer Entdeckung ist die Institutio
oft untersucht worden. Wir verf gen sogar ber gute bersetzungen
und Kommentare 72 .
Die Institutio erhebt keinen Anspruch auf Ausf hrlichkeit, Vollst n-
digkeit und Wissenschaftlichkeit. Wie Galen selbst zugibt, ist sein B ch-
lein nur ein Abri der Logik und kein ausf hrlicher Kursus73. Viele
Punkte, die er hier nur erw hnt, hatte er eingehend in anderen Schriften
behandelt, besonders in περί αποδείξεως und περί των ισοδυνα-
μουσών προτάσεων, auf die er mehrmals verweist74. Trotzdem geh rt
die Institutio zu den wertvollsten Dokumenten der nacharistotelischen
Logik, die wir berhaupt besitzen. Ein vergleichbares Handbuch der
Syllogistik aus der Antike gibt es nicht. Dazu kommt, da sie — trotz
der angestrebten Einfachheit — von jemandem verfa t ist, der sich mit
der Materie eingehend besch ftigt und sehr viel dar ber geschrieben hat-
te. Schlie lich, und das ist f r uns wohl das Wichtigste, zeichnet sie sich
aus durch das „Bem hen, die bis dahin getrennten Systeme der aristote-
lisch-platonischen Begriffslogik und der stoisch-megarischen Aussagen-
logik unter einer h heren Einheit zusammen zu sehen"75. Von Eklekti-
zismus oder gar von Synkretismus zu sprechen, w re hier jedoch fehl am
Platz. Galen trifft n mlich keine Auswahl, und er versucht auch nicht,
zwei verschiedene Systeme miteinander in Einklang zu bringen. Seine
bernahme der stoischen Syllogistik h ngt keineswegs mit irgendeiner
pers nlichen Sympathie f r die Stoa und die Stoiker zusammen. F r
71
J. W. Stakelum, Galen on the Logic of Propositions, 1940 befa t sich haupts chlich
mit den hypothetischen S tzen und Syllogismen, also mit den stoischen Bestandteilen
der Lehre Galens in der Institutio. Die anderen Teile seiner Dissertation (vgl. S. V)
sind meines Wissens nicht publiziert worden. J. Mau, Galen. Einf hrung in die Logik,
1960, bietet rieben einer deutschen bersetzung einen hervorragenden Kommentar,
der nicht nur den Text logisch-historisch erl utert, sondern auch viele Konjekturen
und Verbesserungen zum Text Kalbfleischs enthalt, J. Sp, Kieffer, Galen's Institutio
Logica, 1964 (Einleitung, englische bersetzung und Kommentar) kennt die Arbeit
von Mau und verdankt ihr viel, hat jedoch seinen eigenen Wert. Es sei hier darauf
hingewiesen, da die Institutio im Orient bekannt war und ins Syrische und ins Arabi-
scher bersetzt wurde, Vgl, G. Bergstr sser, Hunain ibn Ishaq 42 Nr. 126. M. Ull-
mann, Die Medizin im Isiam, in: Handb, d. Orienta stik, Erg.-Bd. VI l, 1970,
Nr. 63. R. Degan, Galen im Syrischen: Eine bersicht ber die syrische berlieferung
der Werke Galens, in: Galen: Problems and Prospects, 1981, 131 — 166, don 154
Nr. 93,
73
X! 2 t νυν γαρ υπογραφή ecrct της λογικής θεωρίας, οΐ> κατά διέξοδον διδασκα-
λία.
74
XI 2; XII 1; XVII Ι. 5; XIX 1. 2, 5,
75
J. Mau, Op. cit. VI.
Chrysipp, den „Vater" der stoischen Syllogistik, hat er sogar sehr harte
Worte76. Trotz seiner anderweitig bekannten Sympathie für den Peripa-
tos hat Galen hier offensichtlich nicht vor, die peripatedsche Syllogistik
allein, sondern die Syllogistik schlechthin zu umreißen. Die Aussagenlo-
gik der Stoiker betrachtet er als eine willkommene Ergänzung der peri-
patetischen Begriffslogik und als einen wesentlichen Beitrag zu Logik
überhaupt, und daher kann er sie nicht einfach übergehen. Jenseits der
Schulgrenzen will er die Fortschritte der syllogistischen Theorie berück-
sichtigen, und den Beitrag der Stoiker, der wohl schon vor ihm zum Ge-
meingut der Fachleute geworden war, muß er daher gebührend berück-
sichtigen77. Bereits Theophrast hatte mit der Umdeutung kategorischer
Urteile in hypothetische operiert78. Auch Boethos, ein Peripatetiker
strikter Obödienz, scheint seiner Logik stoische Bestandteile integriert
zu haben, indem er zum Beispiel die hypothetischen Schlüsse nicht nur
für , sondern auch für „primär" erklärt79. Höchstwahr-
scheinlich beruht also Galens Darstellung auf einer älteren Tradition der
Dialektikschulen, die sich bereits vor ihm in Handbüchern niederge-
schlagen hatte. Dies schließt allerdings nicht jede Originalität aus. Galen
hat das vorgefundene Material selbst überarbeitet, mit eigenen Bemer-
kungen versehen und mit originellen Beiträgen bereichert 80 .
Unser Augenmerk wollen wir hier nur auf die Passagen der Institutio
richten, in denen Galen die Grundzüge der peripatetischen Syllogistik
darstellt81. Die aristotelische Terminologie behält er hier weitgehend
76
XIX 6.
77
Vgl. J. Mau, Stoische Logik, in: Hermes 85 (1957) 147-158, dort 158: „Es gab im
Alterrum durchgangig eine logische Schulung, die den Vertretern aller philosophischen
Richtungen gemeinsam war." K, Berka und R, Hosek, Textbemerkungen zu Galens
Einleitung in die Logik, in: Sbornik Praci Fak, Bruenske Univ. R. Arch,-Kl, 8 (1959)
77—82, weisen auf Schwankungen in der logischen Terminologie Galens hin: „In eini-
gen Fällen bringt Galen unbefugt die Termini, die nur in der stoischen Logik ihre Be-
deutung besitzen, in seine Auslegung der peripatetischen Logik hinein und umge-
78
kehrt," L M. Bochenski, Log. Th. 107sqq., bes. 114.
TO
Galen, Inst. log. VII 2. Vgl. oben Bd, I 168,
80
Darauf weist J. Sp. Kieffer m seiner Analyse der Inst, log., Op. cit, 19—28 hm. Galens
eigene Beiträge glaubt er besonders m den Kapiteln I und XVI—XIX zu erkennen.
Ferner finden sich hier und dort Bemerkungen, die Anspruch auf Originalität erheben,
z. B. XIII 11 und XVI 1. Auf die von Kieffer 28-30 vertretene Meinung, Galen habe
in der Inst. log. Poseidonios viel zu verdanken, brauchen wir hier nicht einzugehen.
81
Wir können uns mit allgemeinen Angaben begnügen. Für die Detailinterpretation sei
auf die Fachliteratur und besonders auf die Kommentare von Mau und Kieffer verwie-
sen.
K2
VII 8, Bet Aristoteles werden κατηγορεϊ/v und κατηγορικός stets f r bejahende Urteile
verwendet, also gleichbedeutend wie καταφάναι, καταφατικός. Die Aussage, die so-
wohl bejahend als auch verneinend sein kann, nennt Aristoteles άπόφανοις. Alex,,
Anal, Pr. 11,24 benutzt κατηγορείν in demselben Sinn wie Galen.
83
VIII 1. hnlich Alex,, Anal. Pr. 24,2. Der Ausdruck ist wohl stoischer Herkunft.
84
IX 4, Erl uterung der reauctio IX 5 und der Ekthese IX 6. ber die Ekthese vgl.
K. Berka, Der „Beweis durch Heraushebung" bei Galenos, in: Phronesis 3 (1958)
150-153.
85
X 6. Reauctio X 7, Ekthese X 8.
86
X 5-6. Bei Aristoteles, Anal. Pr. I 6, 2 8 b l 5 Bocardo, 28b31 Ferison.
87
hnliche Anordnung von Ferison und Bocardo auch bei Theophrast und Apuleius, vgl.
Mau 27-28.
88
XI.
89
Mau 29.
90
X! 1.
91
ζφον - άνθρωπος - ίππος und ζφον - ανθρωπος - λίθος f r AaB & BeC in der
ersten Figur, Anal. Pr, I 4, 26a 8—9 etc.
« XI 2.
93
XI 3. Der Text weist L cken und Fehler auf. Die subalternen Modi erw hnt Aristote-
les nicht. Anston von Aiexandnen und „einige j ngere Penpatetiker" dagegen hatten
bereits mit ihnen operiert, vgl, oben Bd, I 1S6—189.
94
XI 5, In der ersten Figur kann man i. B, aus AaB & BeC sowie aus AiB und BeC
indirekt schlie en {XI 6: AaB & BeC wird nach Umkehrung und Vertauschung auf
Ferio zur ckgef hrt (CeB & BiA —* Co A). AiB & BeC wird nach Umkehrung und
Vertauschung ebenfalls auf Ferio zur ckgef hrt (CeB & BiA —*· CoA). Die drei weite-
ren indirekten Modi waren m glicherweise in XI 7 erl utert; der Text scheint aller-
dings nicht ganz m Ordnung zu sein, vgl. Mau 31—32.
95
Anal. Pr. I 7, 29a 19-29.
96
Vgl. I. M. Bochenski, Log. Th. 56-60.
97
XII 1.
98
Die vierte Figur "wird durch die besondere Folge der Terme in den Pr missen charakte-
risiert, z.B. BaA & CeB: der Mittelbegriff ist Pr dikat in der Maior und Subjekt in der
Minor. In der ersten Figur ist es genau umgekehrt, AaB & BaC.
99
Vgl. J. Lukasiewicz, Aristotle's Syllogistic, 2. Aufl. 1957, 38-42. Gaien wird als „Va-
ter" der vierten Figur in einem von Minas zusammen mit der Institutio publizierten
Fragment, bei loannes Italos und bei Averroes bezeichnet. In einem von M, Waliies,
CAG IV 6, S. IX publizierten anonymen Fragment hei t es, es gebe 3 Figuren der
απλοί συλλογισμοί und nach Galen in seiner eigenen αποδεικτική {gemeint ist wohl
περί αποδείξεως) vier Figuren der σύνθετοι, d, h. der Syllogismen mit 4 Termen. Lu-
kasiewicz vermutet, da diese Nachricht mi verstanden wurde; „Galen divided syllo-
gisms into four figures, but these were the compound syllogisms of four terms, not the
simple syllogisms of Aristotle," Seit Lukasiewicz ist es zur communis opinio gewor-
den, da die vierte Figur nicht von Galen „erfunden" wurde. In einer sehr gelehrten
Monographie bem ht sich allerdings N. Rescher nachzuweisen, da Galen tats chlich
die vierte Figur eingef hrt hat: N. Rescher, Galen and the Syllogism. An Examination
of the Thesis that Galen originated the fourth Figure of the Syllogism in the Light of
new Data from Arabic Sources, 1966. Seine Argumente sind etwa die folgenden r Wenn
man nur die Pr missen betrachtet, ohne die Funktion der extremen Terme im Schlu -
satz zu ber cksichtigen, sind nur drei Figuren m glich, und deswegen spricht Galen in
einigen Stellen von nur drei m glichen Figuren. Betrachtet man aber die Funktionen
der Terme m den drei S tzen des Syllogismus, so ergeben sich vier m gliche Kombina-
tionen, die den vier Figuren entsprechen. Da Galen in diesem Sinne vier Figuren un-
terschieden hat, h lt der Vf. f r sicher. Averroes' Bericht ber Galen als Entdecker der
vierten Figur sei nicht isoliert, sondern vor dem Hintergrund einer langen logischen
arabischen Tradition zu betrachten: allem Anschein nach gehe er auf al-F r bi zur ck.
Da die Araber ber Galens Logik viel besser informiert waren als wir, h lt der Vf. f r
absolut sicher. Er zieht ferner einen bis dahin unedierten arabischen Text heran, der
seine These best tigen soll, n mlich Ibn al-$al hs (1090—1153) Abhandlung „ ber die
Galen zugeschriebene vierte Figur des kategorischen Syllogismus" (engl. bers, dort
In den folgenden zwei Kapiteln untersucht Galen den Wen der kate-
gorischen Syllogismen f r den wissenschaftlichen Beweis. Da wissen-
schaftliche Messungen, wie etwa die der Erdkreise, der Gr e der Son-
ne, des Mondes und ihrer Abst nde, haupts chlich auf den kategori-
schen Schl ssen der ersten Figur beruhen, wird behauptet100, jedoch
52-74, Edition 75—87), Durch diesen Text erfahren wir unter anderem, da es zu der
Zeit von al-Kindl (ca. 870) eine syrische bersetzung von Galens Traktat ber die vier-
te Figur gab. Ibn al-Sal h selbst konnte das Buch eines syrischen Christen (Denha,
wohl um 800) benutzen, der mit Anerkennung von Galens vierter Figur sprach,
M, Maroth, Galenos und die vierte Figur (vgl. oben Anm. 67), setzt sich ebenfalls mit
dem Problem ausf hrlich auseinander. Er schlie t sich der These Keschers an und ver-
sucht, sie mit neuen Belegen und Argumenten zu bekr ftigen. Er zieht nicht nur neue
arabische Texte heran (darunter ein Zeugnis des Ibn Sin ), aus denen hervorgeht, da
die Lehre der vierten Figur und ihre Zuschreibung an Galen auf eine relativ alte, be-
stimmt voraverroische Tradition zur ckgehen, sondern f hrt auch systemimmanente
Betrachtungen an, die zeigen sollen, da die Definition der vierten Figur durchaus auf
der Entwicklungslinie der nacharistotelischen Logik steht. Sie setze n mlich voraus,
da der Syllogismus als das Verh ltnis von drei S tzen verstanden worden sei. Diese
Auffassung, die bereits von Theophrast vorbereitet wurde, sei diejenige gewesen, die
Galen, Apuleius und Albinos vertraten. Vgl. auch M. Maroth, A g r glogika keleten,
Budapest 1980, 67-90, Die Behauptung Galens in der Inst. log,, nach welcher es nur
drei Figuren gebe, halten Rescher und Maroth nicht f r absolut g ltig. Da die Inst,
log, in Galens eigener Bibliographie nicht erw hnt ist, m sse man sie noch sp ter als
diese Bibliographie ansetzen. Die Ausarbeitung der vierten Figur und die diesbez gli-
che Schrift Galens seien noch sp ter als die Institutio zu datieren. — Ob diese Kombi-
nation stichhaltig ist, wage ich nicht zu entscheiden. Mir scheint es sehr unwahrschein-
lich, da der vielbesch ftigte Arzt Galen in seinen allerletzten Lebensjahren noch ber
ein sehr spezielles Problem der formalen Logik geschrieben habe. Ferner beweist das
Fehlen der Institutio in der Schrift De propr. libr. nicht unbedingt, da jene Arbeit
nach dieser, d.h. in Galens letzten Jahren, entstanden sei. Andererseits mu es den
Orientalisten and den Historikern der Logik berlassen werden zu bestimmen, ob die
syrischen und die arabischen Zeugnisse so zuverl ssig sind, wie Rescher und Maroth
annehmen. Aus den Arbeiten dieser beiden Gelehrten ergibt sich auf jeden Fall, da
die von Lukasiewicz aufgestellte Hypothese einer Verwechslung der vierten Figur mit
den aus vier Termen zusammengesetzten Syllogismen nicht aufrechterhalten werden
kann. Ich m chte ferner darauf hinweisen, da ein t chtiger Sammler und bersetzer
von Galen-Schriften wie Hunain ibn Ish q nichts von der Existenz einer Abhandlung
ber die vierte Figur wu te. Die einzigen logischen Schriften, von denen er berset-
zungen kennt oder die er selbst eingesehen hat, sind die εισαγωγή διαλεκτική, περί
του των συλλογισμών άριθμοϋ und der Kommentar zu De int. Vgl. G, Bergstr sser,
Hunain ibn Ish q 42 Nr. 126—128. Allerdings k nnte man vermuten, da die Er rte-
rungen ber die vierte Figur ihren Platz in περί του των συλλογισμών άριθμοϋ hatten,
einer Schrift, die von Ish q ibn Hunain ins Arabische bersetzt wurde.
100
XII 4.
nicht klar begr ndet. Mit der These, da Barbara den wissenschaftli-
chen Beweisen am meisten angemessen ist101, schlie t sich Galen der
Meinung des Aristoteles an102, er ist aber auch bem ht zu zeigen, da
Schl sse mit partikul rer bejahender und sogar mit verneinender Kon-
klusion f r die Wissenschaft von Nutzen sein k nnen103. Interessant ist
eine Nebenbemerkung ber die grammatische Formulierung allgemeiner
S tze. Nach dem griechischen Sprachgebrauch, hei t es, kann das Sub-
jekt einen Quantifikator haben {παν τρίγωνον), es kann aber auch im
Plural (τα τρίγωνα) oder sogar im Singular (το τρίγωνον) stehen. Im
letzten Fall wird die betreffende Art als Einheit hingestellt, im Gegen-
satz zur Vielheit der wirklich existierenden Individuen 104 .
Im Zusammenhang mit Galens Syllogistik wollen wir uns noch mit
einem „logischen Theorem" befassen, das er in der Schrift De temp,
simpl. med. erw hnt und das er in seiner gro en verschollenen Abhand-
lung περί αποδείξεως ausf hrlich behandelt zu haben scheint. In der
Schrift ber die einfachen Heilmittel besch ftigt sich Galen neben ande-
ren mit zwei pflanzlichen Medikamenten, die eine Absonderung des
Schleimes bewirken. Es handelt sich um das Knidische Korn {ΚνίΟιος
κόκκος105) und das Spindelkraut (κνίκος106). Er wirft die Frage auf, ob
diese beiden Pflanzen einen schleimartigen Saft enhalten. Die Untersu-
chungen dar ber bringen keine Evidenz zutage. Sie f hren lediglich auf
eine M glichkeit, auf eine Wahrscheinlichkeit hin. Dennoch, bemerkt
Galen, l t sich daf r ein zwingender, notwendiger Beweis erbringen,
indem man den als nur m glich hingestellten Schlu satz auf notwendige
Pr missen zur ckf hrt. Das Theorem, auf welches er anspielt, besagt al-
so, da ein nur kontingenter Schlu satz zu einem notwendigen erhoben
werden kann, wenn es gelingt, ihn aus notwendigen Pr missen abzulei-
ten. Dies scheint wenigstens der Sinn des folgenden Passus zu sein: „Da
ich mich in diese Diskussion eingelassen habe, m chte ich an ein logi-
sches Theorem erinnern, da auch in den Ausf hrungen ber die Bewei-
se nachgewiesen wurde und das f r unser gegenw rtiges Anliegen von
101
XIII 1.
102
Arial. Post. I 14, 79a 17-25,
>« XII 5-6; XIII 2-5,
'·* XII 7-9.
105
Κν[διος κόκκος, Daphne Gmdium nach A. J. Brock, ed. De fac. nat. 1963, 67
Anm. 5.
106
κνίκος, Catbarnus tinctorius, ibid. Anm. 4.
Nutzen ist. Das Theorem hat etwa folgenden Inhalt. Unter den Bewei-
sen gibt es solche, die folgern, da dies diesem mit Notwendigkeit zu-
kommt, und solche, die folgern, da es zukommen kann (ύπάρχειν εν-
δέχεται). Einige der letzteren schlagen aber in das notwendige Zukom-
men um, wenn sie aus notwendigen Anfangss tzen (άρχαί) gewonnen
werden, wie es auch gerade bei dem von uns soeben gef hrten Beweis
der Fall ist. Es l t sich n mlich nicht mit Evidenz (έναργώς) nachwei-
sen, da der schleimige Saft im Knidischen Korn und im Spindelkraut
vorhanden ist; dieser Annahme kommen nur M glichkeit, Wahrschein-
lichkeit und Kontingenz zu. Da wir aber gezeigt haben, da die Anzie-
hungen infolge der hnlichkeit der Substanzen stattfinden - denn es ist
des fteren nachgewiesen worden, da in den Reinigungen eine Anzie-
hung von Substanzen, die mit dem reinigenden Medikament verwandt
sind, jedoch keine qualitative Ver nderung aller S fte zugleich erfolgt -,
m ssen notwendigerweise die beiden Substanzen, die des reinigenden
Mittels und die des Abgesonderten, eine gewisse hnlichkeit aufweisen.
Da nun das Abgesonderte Schleim ist, ist es wohl eine absolute Notwen-
digkeit, da auch das Anziehende schleimiger Natur ist107." Um seine
These „mit Notwendigkeit" zu beweisen, benutzt Galen als Pr missen
Erkenntnisse, die er bereits in seiner Schrift ber die nat rlichen Kr fte
wissenschaftlich demonstriert zu haben glaubt. Sein Raisonnement la t
sich mit zwei Syllogismen zusammenfassen;
Jede Anziehung findet infolge einer hnlichkeit der beiden beteilig-
ten Substanzen statt108.
Die Reinigungsprozesse lassen sich als Anziehungen deuten 109 .
Das Abgesonderte und das reinigende Mittel enthalten also hnliche
Substanzen110.
Die Conclusio dieses Schlusses wird dann als maior des n chsten Syl-
logismus verwendet:
107
XI De simpl. med. III 25, 612,15-613,15. Vgl, l. v. M iler, Wiss. Beweis 425.
108
XI De simpl. med. III 24, 610,18-611,3; 25, 611,15-612,1; 613,8-9. IIDefac. nat.
I 12, 28,6-7; 13, 38,16; II 3, 80,12-14; 81,4; III l, 143,1-144,13; 12, 182,15-17.
109
XI De simpl. med. III 25, 613,9-12.
"« Ibid. ΙΠ 24, 611,8-9; 25, 612,1-7; 613,11-13, II De fac. nat. I 13, 44,7-9,
E. Wissenschaftstheorie
111
XI De simpl. med. III 24, 610,17-18; 25, 612,8-15.
112
XI De simpl. med. III 24, 613,13-15.
113
Ist diese Interpretation richtig, so lassen sich Galens Ausf hrungen nicht als eine An-
spielung auf die Lehre der gemischten Syllogismen deuten, d, h, jener Syllogismen,
deren Pr missen unterschiedliche Modalit ten haben. Das von Galen formulierte
Theorem habe ich sonst nirgends gefunden.
einem bestimmten Fall die Natur oder der Zufall ohne ärztliches Zutun
Heilung oder Verschlechterung herbeiführt. In einem anderen Fall stellt
er fest, daß eine von ihm versuchsweise angeordnete Medikation wirk-
sam oder nutzlos ist. Er sammelt in seinem Gedächtnis Beobachtungen
über ähnlich geartete Fälle und daraus entsteht ein in allen so gearteten
Fällen anzuwendendes medizinisches Theorem, Die medizinische Kunst
( ) ist nichts anderes als die Sammlung der Theoreme, die der Arzt
selbst auf diese Weise gesammelt hat oder der Erfahrung seiner Vorgän-
ger und Zeitgenossen verdankt. In Fällen, denen er noch nicht begegnet
ist oder die überhaupt noch nie beobachtet wurden, weiß er sich zu hel-
fen, indem er „Vergleichbares überträgt" ( ).
Dieses Verfahren, das die Ebene der nicht verläßt, ermöglicht es
ihm, die dem neuen Fall angemessenen Heilmittel zu entdecken.
Die Empiriker, die sich auf die praktischen Bedürfnisse des Arztes
beschränken wollen, lehnen jede Form von rationalen Untersuchungen
und Schlußfolgerungen als unnütz, unfruchtbar und irreführend ab. Sie
halten eine sichere Erkenntnis des menschlichen Körpers für unmöglich
und überflüssig. Deswegen wollen sie von systematischen anatomisch-
physiologischen Studien ganz absehen. Der Versuch, nach den Ursachen
der Krankheit zu forschen, erscheint ihnen als zwecklose theoretische
Grübelei, Ebensowenig wollen sie eruieren, warum ein Medikament
wirksam ist und ein anderes nicht. Ihnen genügt die Beobachtung, daß
das Medikament wirkt oder nicht wirkt.
Die Dogmatiker sehen die Dinge ganz anders. In ihren Augen ist die
Erkenntnis der Ursachen unentbehrlich, Sie versuchen also nicht nur,
eine präzise Kenntnis des menschlichen Körpers zu erwerben, sondern
wollen auch wissen, welche Kräfte im Körper es bewirken, daß er ge-
sund oder krank ist. Auch auf die äußeren Faktoren der Gesundheit und
der Krankheit richten sie ihr Augenmerk. Erst wenn der Arzt weiß, wie
das Klima, die Ernährung, die Lebensweise etc. auf den Menschen wir-
ken, wird er in der Lage sein, schädliche Einflüsse zu beseitigen und
günstige zu fördern. Dasselbe gilt auch für die Medikamente. Nur wer
weiß, warum ein Medikament in einem so oder so gearteten Fall wirk-
sam ist, wird bei Bedarf andere Medikamente entdecken und richtig an-
wenden können. Dieses rationale Verfahren, das immer bemüht ist, die
Ursachen zu entdecken und die Therapie nach ihnen zu richten, halten
sie für fruchtbarer als die reine Empirie ihrer Gegner, Ein bestimmter
Fall mit allen seinen individuellen Merkmalen, sagen sie, wiederholt sich
selten, so daß die Empirie keine festen Grundlagen hat. Mag sein, daß
man m ganz einfachen Fällen mit ihr auskommen kann, für komplizier-
tere Fälle reicht sie jedoch nicht mehr aus. Dazu kommt, daß sie, weil sie
unsystematich verfährt, lediglich eine chaotische Masse von unmethodi-
schen und ungeordneten Teilerkenntnissen verschafft.
Schon diese kurzen Angaben über Empiriker und Dogmatiker zeigen
deutlich, daß die Opposition der beiden Schulen aus philosophisch ent-
gegengesetzten Grundanschauungen hervorging. Der Konflikt spielte
sich vorwiegend auf der Ebene der Erkenntnislehre und der Wissen-
schaftstheorie ab: Ablehnung der rationalen Erkenntnis, der rationalen
Beweisführung und jeder Systematisierung zugunsten der bloßen Erfah-
rung einerseits stand gegen den Glauben an den Primat und an die
Fruchtbarkeit rationalen Denkens und Forschens andererseits, verbun-
den mit der Ansicht, daß das wahre wissenschaftliche Erkennen vor-
nehmlich ein Erkennen der Ursachen ist114.
Galen hebt mehrmals hervor, daß er sich zu keiner Schule bekennt.
Er will frei von jeder Voreingenommenheit bleiben und völlig unabhän-
gig urteilen 115 . Sowohl bei den Empirikern wie bei den Dogmatikern
154
Auf die Fehde der Dogmatiker und der Empiriker spielt Galen des öfteren an, Ansich-
ten, Argumente und Methoden der beiden Schulen legt er systematisch in einigen
Schriften dar, Vgl, besonders I De sectis ad eos qui introducuntur 64sqq. = Scr. min,
III l sqq. I Ars med, 305 sqq, I Ad Thras. de opt. secta 7, ab 7,14. Demeth. med,
Isqq. Die Fragmente der Empiriker und die Zeugnisse über sie hat K. Deichgräber,
Die griechische Empirikerschule, Berlin 1930, Neudruck Berlin—Zürich 1965,
S. 37sqq. gesammelt. Die nur lateinisch erhaltene, der empirischen Schule gewidmete
Schrift Subfiguratio empenca ( ) gibt er 42—9C mit einer griechi-
schen Rückübersetzung heraus. In den Nachträgen und Zusätzen des Neudrucks
400—406 findet man breite Auszüge (in englischer Übersetzung) aus der nur arabisch
erhaltenen Schrift Über die medizinische Erfahrung (Galen on medical Experience,
First ed. of the arable version with engl. transl. and notes by R. Walzer, Oxford 1944).
Über die Empiriker informiert sehr ausführlich M. Wellmann, Art. Empirische Schu-
le, RE V (1905) 2516—2524. Einen vorzüglich enn Überblick über die verschiedenen
medizinischen Schulen der hellenistischen und der frühkaiserlichen Zeit bietet H. v.
Staden, Hairesis and Heresy: The Case of the haireseis iatrikai, in: Jewish and Christian
Self-Definition, III, Self-Definition in the Graeco-Roman World, ed, by Ben F. Meyer
und E. P, Sanders, Philadelphia 1983, 76-100 und 199-206. Der Vf. hebt unter ande-
rem hervor, daß die Gruppe der sog. Rationalisten keine Einheit bildete, sondern Ärz-
te verschiedener Ansichten und Tendenzen umfaßte. Stärker war die Einheitlichkeit
der Gruppen der Empiriker und der Methodiker, Zu Galens Erkenntnistheorie vgl,
jetzt M. Frede, On Galen's Epistemology, in; Galen; Problems and Prospects, 98 ,
65-81.
115
XIII De comp. med. sec. loc. VIII 1,116,1-117,5. V De cogn, an. morb.
findet er eine Reihe von brauchbaren Ans tzen, die er sich zu eigen
macht. Keine der beiden Richtungen vermag ihn jedoch v llig zu befrie-
digen. Er lehnt vor allem ihre Einseitigkeit ab. F r ihn sind n mlich so-
wohl die Wahrnehmung und die Erfahrung als auch" der logische Ver-
stand Quellen der Erkenntnis und Kriterien der Wahrheit 116 . Es gibt
Dinge, die allen Menschen einleuchten (εναργή), sowohl auf der Ebene
der αισθησις, auf die man sich, wenn es um ihre eigenen Objekte geht,
verlassen kann, wie auch auf der Ebene der νόησι,ς117. In allen K nsten
und im ganzen Leben gehen die Menschen von Wahrnehmungen und
vom Denken aus und spontan, ohne besonderen Unterricht, halten sie
diese beiden Erkenntnisquellen f r zuverl ssig118. Auch In der Medizin
erweisen sich beide als unentbehrlich. Es gibt n mlich Entdeckungen,
die wir der πείρα allein verdanken, andere, die nur auf rationalem Weg
erzielt werden, in vielen F llen jedoch tragen πείρα und λόγος zusam-
men zum Erkennen bei119. Aus didaktischen Gr nden ist es empfehlens-
wert, πείρα und λόγος trotz ihrer Zusammengeh rigkeit getrennt zu
behandeln120.
Wir wollen also zun chst die Wahrnehmung und die von ihr abh n-
gige Empirie betrachten. Nicht dem Syllogismus und dem rationalen Be-
weis, sondern einzig und allein der Wahrnehmung verdanken wir be-
111
XI De simpl. rned. I 30, 434,8-31, 435,13. De temp. 533,9-15.
122
XI De simpl. med. II l, 460,18-461,14. IV De semine I l, 513,2-4. Man vergleiche
z.B. Arist., Anal. Post. I 18. Der aristotelische Charakter mancher Lehrmeinung Ga-
lens auf dem Gebiet der Apodiktik und der Wissenschaftstheorie ist für den Kenner
des Aristoteles so evident, daß es in vielen Fällen müßig ist, auf die Parallelstellen bei
Aristoteles zu verweisen,
133
V D e d o g m , Hipp, et Piat. l i, 187,13-17; 8, 201,5-7; 10, 206,8-12. II De anat.
adm. VII 10, 621,2-5. IV De foet. form. 652,1-653,4; 676,12-677,8.
124
XIII De comp. rned. p. gener. I 4, 376,2-5.
115
II De fact. nat. l 13, 34,6-38,9.
"* XI De simpl. med. II l, 460,18-461,14; 2, 462,13-463,4.
127
XDerneth. med. X 10, 707,5-14. XIII De comp. med. p. gener, III 2, 582,11-13.
128
X De rneth. med. I 4, 30,17-33,7.
129
De subf. emp, 89,4-20. V De dogm. Hipp, et Plat. IX l, 722,13-725,18. X De
meth. med. III 6, 204,2-6. »^ XI De simpl. med. I 30, 434,8-31, 435,13.
131
XI De purg. med. fac. 5, 342,7-10.
131
XI De simpl. med. I 28, 430,14-431,2; 36, 444,13-445,4.
133 £)er Vorwurf kommt bei Galen sehr h ufig vor. Ich begn ge mich hier mit einigen
Belegen. XI De simpl. med. II l, 459,1-460,5. X De meth. med. I 4, 30,17-33,7; II
6, 122,10-123,17. VII Defebr. diff. I 3, 280,5-17. IV An in arter, sanguis 729,4-8.
134
I De elem. sec. Hipp. I 6, 460,11-465,1.
135
I De temp. I 5, 536,3-13, V De peccat, dignot. l, 58,4-59,4. VIII De diff. puls. II
3, 571,574,9. XI Desimpl. med. 112, 462,13-463,4. ber die Fehlschl sse aus ομω-
νυμία und αμφιβολία vgl. Arist., Soph. El. 4, 165b3Q-166a21 und 9, 177a9-32.
136
VIII De diff. puls. IV 2, 704,5-706,3 (Galen erinnert daran, da er sich mit diesen
Dingen im dritten und im vierten Buch seines Kommentars zu dem zweiten Buch der
Anal. Post, besch ftigt hat. In der Tat erinnert die hier angef hrte Passage an Anal.
Post. II 10). Vgl. auch VIII De d ff. puls. IV 14, 756,9-16 (Galen lobt Athenaios
daf r, da er sich nicht mit einer οΐισιώΟης-Defintion des Pulses begn gt, sondern
dar ber hinaus auch die Ursache angibt, genau wie die Dialektiker es vorschreiben,
wenn es etwas zu definieren gilt, das sein Wesen im Bereich des Werdenden hat).
137
X De meth, med. I 5, 40,2—42,17. Das Verfahren, das Galen hier erw hnt, ist sehr
wahrscheinlich dasjenige, das Aristoteles, Anal. Post. II 7-8 beschreibt,
138
VIII De diff. puls. IV 17, 764,7-765,5.
139
Ibid. II 3, 569, l—574,9, mit Erw hnung weiterer Fehler. ber diese und andere Feh-
ler in der Definition vgl. Arist., Top. VI.
140
VIII De diff. puls. IV 3, 725,6-11. Galen definiert den Puls als die wahrnehmbare
Bewegung der Arterien und des Herzens und will die an sich nicht erforderliche Anga-
be „wahrnehmbar" rechtfertigen. Mit seinem Verweis auf Aristoteles bezieht er sich
wahrscheinlich auf De int. 6, 17a35-37 προσδιοριξόμεβα προς τας σοφιστικός
ενοχλήσεις, Vgl. auch Meuph. Γ 3, 1005b20-22.
141
V De dogm. Hipp, et Plat. IX 5, 753,10-754,4. VIII De diff. puls. II6, 601,2-17. X
De meth. meci. I 3, 27,6-13. XI De cur. rat. p. venae sect. 3, 258,12-259,2.
142
X De meth. med. I 5, 40,2-42,17; II 6, 115,11-17. Vgl. 123,5-7 κακών μαγείρων
δίκην ου κατ' άρθρα τέμνουσι, άλλα συντρίβουσί τε καΐ θλώσι καί διασπώσιν.
143
Χ De rneth. med. I 3, 23,10-24,10. Galen erinnert sich offenbar an einige Punkte der
aristotelischen Kritik der platonischen διαίρεσις-Methode, vgl, bes. De part, an. I
3, 643a27-b8.
an, so darf man nicht irgendwo auf dem Weg nach unten stehen bleiben.
Man mu das Verfahren so lange fortsetzen, bis man bei den untersten,
nicht mehr teilbaren είδη angekommen ist144. Danach wird man durch
eine άπόδειξις zu beweisen haben, da die Zahl der entdeckten Arten
nicht h her als die soeben festgestellte sein kann 145 . Auf die σύνθεσις,
die von den untersten Arten bis zur h chsten Gattung aufsteigt, geht
Galen kaum ein. Es leuchtet jedoch ein, da diese Methode dazu f hrt,
Gattung oder generische Merkmale irgendeiner Art zu pr dizieren, Sie
verhilft also zur Gewinnung der wissenschaftlichen S tze, die im apo-
deiktischen Beweisverfahren als Pr missen verwendet werden.
Dieses apodeiktische Beweisverfahren soll der Arzt nach Galens
Meinung nicht nur theoretisch beherrschen, er soll es auch st ndig prak-
tizieren, denn nur die bung kann ihm die erforderliche Sicherheit in
der Handhabung der Methode verleihen. Wie stellt sich nun Galen diese
Methode vor, die er ber alles preist? In einem sehr lehrreichen autobio-
graphischen Zeugnis berichtet er ber die bittere Entt uschung, die ihm
in seinen Studienjahren widerfahren ist. Er hatte vor, die αποδεικτική
θεωρία zu erlernen, um die Schl sse anderer Leute beurteilen und selbst
Neues anhand dieser Methode entdecken zu k nnen. Bei den ber hmte-
sten Stoikern und Peripatetikern h rte er aber unn tzes Zeug und sogar
einander widersprechende Meinungen, Das h tte ihn beinahe zur pyr-
rhonischen Skepsis gedr ngt. Zum Gl ck hatte er sich schon zu Hause
mit der allgemein anerkannten Methode der Arithmetik und der Geo-
metrie vertraut gemacht, und das rettete ihn. Er beschlo n mlich, sei-
nen eigenen Beweisf hrungen den Charakter der mathematsichen γραμ-
μικαί αποδείξεις zu verleihen146. Der Vorteil dieser Methode liegt dar-
in, da die nach komplizierten Operationen erzielten und manchmal un-
glaubw rdig erscheinenden Resultate berpr ft werden k nnen. Der
Weg, der z.B. von den einfachen Elementen der Geometrie zur Kon-
struktion von Sonnenuhren oder zur Voraussage von Finsternissen
f hrt, ist lang und m hselig. Von der Richtigkeit der Methode kann man
sich aber leicht berzeugen, indem man z.B. die Stundeneinteilung der
Sonnenuhr mit den Messungen einer Klepsydra vergleicht oder feststellt,
da die Finsternis zu der vorberechneten Zeit eintritt. Im Endeffekt ist
144
X De meth. med. I 3,24,10-26,1. Vgl, Arist., De pan. an. I 3, 643al6;
4, 643B26-28.
145
X De meth. med. I 5, 45,1-15.
146
XIX De libr. propr. 11,39,1-41,5 = Scr. min. II 115,19-117,16.
147
V De peccat, dignot. 66,5-70,7; 78,10-89,10.
148
V De dogm. Hipp, et Plat. H 8, 273,1 -6, Dieselbe Klassifizierung kommt bei Albi-
nos, Didask, 3, 153,27—32 vor. Ste ist wohl aus der Systematisierung verschiedener
Angaben des Aristoteles hervorgegangen. Vgl. Top. I l, 100a25—101 a4; Anal, Pr. l
l, 24a22-bl5; Rhet. 12, 1358alQ-ll; II 24, 1402a2-8. Auf Top. I l, 100b21-22
verweist Galen, wenn er VIII De diff. puls. II 4, 579,10—12 schreibt παρά μεν γαρ
Αριστοτέλους ένδοξα λήμματα ήκουσα τα πασιν όνθρώποις ή τοις πλείστοις ή τοις
σοφοϊς δοκοΰντα.
149
V De dogm. Hipp, et Pkt. II 3, 221,1-222,14. Vgl. auch VIII l, 650,15-651,3.
1S
° IV De sem. 512,6-513,2,
st nde, die sich mit Notwendigkeit aus dieser ουσία ergeben (συμβεβη-
κότα ιδίως, εξ ανάγκης επόμενα)151. Wissenschaftliche Pr missen sol-
len ferner dem er rterten Problem eigen, angemessen sein. Diese typisch
aristotelische These erl utert Galen nicht n her; er verweist lediglich auf
seinen eigenen (heute verschollenen) Traktat περί αποδείξεως und auf
die Kommentare zu den Analytica Postenora des Aristoteles153. Von
solchen Pr missen geht also die Beweisf hrung aus. Sie sind entweder
unmittelbar einleuchtend oder haben sich aus fr heren Beweisen erge-
ben153. Nur wenn die Pr missen diese Voraussetzungen erf llen und
wenn das Schlu verfahren formal korrekt ist, erreicht man einen wissen-
schaftlich g ltigen Schlu . Falsche Schl sse ergeben sich daraus, da die
Pr missen Falsches enthalten oder da sich ein Formfehler ins Schlu -
verfahren eingeschlichen hat154. Obwohl man vom bereits Bewiesenen
ausgehen kann, ist ein regressus ad infinitum auszuschlie en. Letzten
Endes geht jede Beweiskette auf h chste, nicht beweisbare Prinzipien
zur ck. Es fragt sich also, wie wir in den Besitz dieser Prinzipien kom-
men und warum wir uns auf sie verlassen k nnen. In dieser bekanntlich
umstrittenen Frage scheint Galens Position etwa die folgende zu sein:
Die Prinzipien sind uns Menschen angeboren; wir verdanken sie dem
allen Menschen gemeinsamen Verstand (κοινός νους). Sie sind weder er-
funden noch irgendwie erworben worden. Wir besitzen sie von Anfang
an, vor jeder Anwendung der logisch-apodiktischen Methode, und wir
verlassen uns auf sie sozusagen von Natur aus, unabh ngig von jedem
Unterricht (άοιδάκτως). Aufgrund einer έννοια σύμφυτος leuchtet uns
z. B. ein, da zwei S tze in Widerspruch (μάχη) zueinander oder im Ein-
klang miteinander stehen bzw. sich folgerichtig auseinander ergeben
(ακολουθία)155.
Die Anwendung der „logischen Methode", die Galen empfiehlt und
die, wir wir gesehen haben, aus einer sinnvollen Kombination von empi-
rischen und rationalen Erkenntnisprozessen besteht, f hrt zur Gewin-
nung jener „Theoreme", aus denen die medizinische Wissenschaft be-
151
I Arsmed. 4, 314,12-15, V De dogm. Hipp, et Plat, III l, 286,5-13. XI De simpl.
med. I 30, 434,8-31, 435,13. Vgl. Arist., Anal, Post. I 4, 73a34-b24.
152
V De dogm. Hipp, et Plat. II 2, 212,11-214,13; 3, 219,1-14. Vgl, Arist., Anal,
Post. I 7; 9,75b37-76a3.
1!
" I De temp. II 2, 587,15-588,4, Vgl. u.a. Arist., Top, I l,100a27-29.
154
V De peccat. dignot. 72,5-74,8.
1
« V De dogm. Hipp, et Plat. IX l, 722,13-725,18. X Demeth. med. IX 16, 655,6-12.
II De fac. nat. I 12, 28,11-29,4.
steht. Jedes Theorem weist die Charaktere auf, die nach Aristoteles'
Lehre ein wissenschaftlicher Satz besitzen mu : Es ist allgemein g ltig
(καθολικός) und feststehend (βέβαιος)156. Der Ursprung der Theoreme
und der Weg, ber den sie gewonnen werden, ist jedoch sehr unter-
schiedlich. Galen z hlt vier Hauptm glichkeiten auf.
1. Man beobachtet sinnliche Erscheinungen (φαινόμενα) und ge-
langt durch logische Operationen (λογισμός) zu einem allgemeinen
Theorem, das sich folgerichtig (καθ' άκολουθίαν) aus dem Beobachte-
ten ergibt und sich direkt darauf bezieht.
2. Man geht von Beobachtungen aus, die nur indirekt mit dem Ob-
jekt des zu gewinnenden Theorems zusammenh ngen (έ| έτερων κατα-
λαμβανόμενοι). Aus verschiedenen Symptomen kann man z.B. auf die
Erkrankung eines Organs schlie en,
3. Aus S tzen, die bereits vorher bewiesen worden sind (προαποδε-
δειγμένα), lassen sich neue Theoreme erschlie en. Hat man z. B. vorher
Natur und Mechanismus des Verdauungsprozesses wissenschaftlich er-
kannt, so kann man davon ausgehen, um Theoreme ber die f r den Fie-
berkranken zutr gliche Di t herzuleiten.
4. Aus unmittelbar einleuchtenden S tzen kann man ebenfalls medi-
zinische Theoreme gewinnen. Es ist z.B. evident, da Exze und Man-
gel Feinde der Natur sind. Daraus lassen sich diverse therapeutische
Theoreme ableiten157.
Keine dieser vier Arten der Theoreme entsteht ohne die Beteiligung
des denkenden Verstands, berall sind es bestimmte Denkoperationen,
die zum Ziel f hren. Galens Position gegen die empirischen Lehren wird
dadurch bestens dokumentiert. Niemals kann die Empirie allein zu ei-
nem allgemeing ltigen Theorem f hren. Dennoch l t sich die Rolle der
sinnlichen Erkenntnis keineswegs abstreiten, denn m den ersten beiden
F llen geht man von Daten aus, die man der Beobachtung verdankt. Im
dritten Fall nimmt die angesprochene Schlu folgerung ihren Ausgangs-
punkt zwar nicht m einer empirischen Erkenntnis, es leuchtet jedoch
ein, da jene προαποδεοειγμένα, die als Pr missen benutzt werden,
letzten Endes auf diverse sinnliche Beobachtungen zur ckgehen. Nur
den vierten Fall scheint Galen so hinzustellen, als sei der Verstand allein
an der Erschlie ung des Theorems beteiligt. Den Satz ber Exze und
Mangel als Feinde der Natur betrachtet er als einen unmittelbar ein-
156
I Ad Thras. de opt. secta 114,12-13.
157
Ibid. 112,9-114,12.
159
Vg). oben S. 720sq.
159
Im Gegenteil; Es ist unm glich, die ειδοποιοί διαφοραί zu entdecken, ohne Genaue-
res ber den λόγος της ουσίας anzugeben: X De metri, rned. I 7, 24,7—10; II
6, 115,15-17.
160 Porphyrios wird sp ter, wohl nicht als erster, zwischen κοινώς, ιδίως und ίδιαίτατα
F, De captionibus
1M
2, 586,2sqq. K hn.
166
3, 589,15sqq.
εν ονόματι εν λόγω
ενεργεία παρά την όμωνυμίαν παρά την άμφιβολίαν
(κύων) (γένοιτο καταβαλείν
τον ύν έμέ)
δυνάμει τη προσωδία
(ορός - ορός)
συνθέσει διαιρέσει
(αύλητρίς) (αυλή τρίς)
φαντασία παρά το σχήμα της ?
λέξεως (ακούω)
These auszuarbeiten und zu begründen. Galen ist sicher nicht der einzi-
ge gewesen, der solche Untersuchungen anstellte. In den Quaestiones
Alexanders von Aphrodisias z. B. finden sich nicht selten Versuche, Be-
hauptungen des Aristoteles bis in ihre letzten logischen Begründungen
zurückzuverfolgen, und auch spätere Kommentatoren haben sich be-
kanntlich des öfteren bemüht, Darlegungen des Aristoteles in formge-
rechte vollständige Syllogismen zu übersetzen. Wahrscheinlich hat Ga-
len diese Methode nicht selbst erfunden; sie muß schon eine Form des
philosophischen Unterrichts gewesen sein, der ihm von den Peripateti-
kern und vielleicht anderen erteilt wurde.
Übrigens ist die kleine Schrift historisch auch deswegen lehrreich,
weil sie uns zeigt, daß zu Galens Zeiten oder bereits früher die Sophistici
Elenchi von verschiedenen Kommentatoren, sei es mündlich sei es
schriftlich, interpretiert wurden.
Bemerkenswert ist schließlich die Tatsache, daß auch die Stoiker sich
mit den Fehlschlüssen in dictions befaßt hatten. In Galens Augen ist ihre
Klassifizierung jedoch unvollständig und methodisch nicht einwandfrei,
während an der aristotelischen nichts zu beanstanden ist.
gen von πρότερον — ΰστερον h tten keinen Bezug auf die Zeit und pa ten daher f r
die Definition nicht; diese sei nur dann sinnvoll, wenn man pr zisiere, da es sich um
das πρότερον — ΰστερον in der Zeit handele: Them., Phys. 149,4—7, Simpl., Phys,
718,13-18. Auch Ibn Abi Sa'Id (vgl. S. Pines, Op. cit. 110-114) schreibt Galen Ein-
w nde gegen die Verbindung von Zeit und Bewegung zu, Galen habe die Zeit f r eine
selbst ndige, unabh ngig von der Bewegung existierende Realit t gehalten. Die Bewe-
gung messe die Zeit, ohne deren Existenz zu bedingen, etwa wie der Landmesser einen
Acker vermesse. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehen diese Referate ber Galen bei
den griechischen Kommentatoren auf eine verschollene Schrift Alexanders gegen Ga-
len ber die Ort- und die Zeittheorie zur ck, die bei al-Nadim, Fihrist S, 253 Z. 5
Fl gel erw hnt wird. Die von Alexander und anderen kritisierten u erungen Galens
standen vermutlich im 8. Buch der Schrift περί αποδείξεως, auf das Simplikios einmal
verweist. Aus einer nur arabisch erhaltenen Abhandlung Alexanders von Aphrodisias
geht hervor, da Galen die These aus Phys. VII l > da jedes Bewegte notwendigerwei-
se von einem Beweger bewegt wird, scharf kritisierte. Er scheint Platon gegen Aristo-
teles ausgespielt und die Lebewesen, vielleicht sogar die schweren und die leichten
K rper als Beispiele von Dingen, die sich ohne Beweger bewegen, betrachtet zu haben.
Vgl, S, Pines, Omne quod movetur necesse es t ab ahquo moven: A Refutation of Ga-
len by Alexander of Aphrodisias and the Theory of Motion, in: Isis 52 (196t) 21 — 54.
N, Rescher—M. E. Marmura, The Refutation by Alexander of Aphrodisias of Galen's
Treatise on the Theory of Motion, Islamabad 1964 (Einleitung, Engt. bersetzung
und Edition des arabischen Textes). Da Galen sich mit der Beweisf hrung aus Phys.
VII l kritisch auseinandersetzte, bezeugt auch Simpl., Phys. 1039,13—15.
171
Erw hnt I De eiern, sec, Hipp. I 9, 487,14-15.
172
Erw hnt I De elem. sec, Hipp, I 9, 487,15, II De fac. nat. III 7, 167,19. VIII De diff.
puls, III 7, 688,9-15 (bezieht sich auf II 2, 33Qa8-14, mit Quellenangabe), Vgl, VIII
De diff. puls. III 7, 687,7-17 (zitiert II 2, 330a8-9); 692,10-16 (spielt auf II 2,
329b 16-20 an).
»« II De fac. nat. III 7, 167,13-15 (zitiert w rtlich IV 3, 381 b 7 mit Quellenangabe). XI
De simp!, med. IV 20, 690,8-695,7 (zahlreiche Reminiszenzen an II 3, 359a 11-24,
Galen scheint jedoch ber eine j ngere, ausf hrlichere Quelle zu verf gen). V De
dogm. Hipp, et Plat, VII 7, 638,18-639,5 (scheint auf III 2, 372a32-b6 und 4,
373b 17-24 anzuspielen); VII 7, 639,19-640,15 (gegen III 2-5. Mit 640,6-8 spielt
Galen auf III 4, 374b 22—24 an). Zahlreiche fast w rtliche Zitate aus Meteor. II 4—6
hat G. Kaibel, Antike Windrosen, in: Hermes 20 (1885) 579-624 in XVI In Hipp, de
humor, entdeckt. Sie sind f r uns jedoch unbrauchbar, weil die Kommentare zu De
humoribus eine F lschung der Renaissancezeit sind.
174
II De instr. odor. 871,6 (Erw hnung); 871,10-15 (w rtliches Zitat von II 9,
421 b 32—422 a 3). Sonst zahlreiche Anspielungen auf Aristoteles* Seelenlehre.
175
II De instr. odor. 871,7—10 (Verweis und Bemerkungen ber den Titel der Schrift.
Galen nennt sie, wie auch unsere handschriftliche berlieferung, περί αϊσθήσεως
καί αισθητών, f gt aber dann hinzu, da sie auch περί αΐσθήσεως και αισθητηρίων
genannt wird, weil Aristoteles die Sinnesorgane als αισθητήρια zu bezeichnen pflegt.
Selbstverst ndlich hat er sich ganz besonders mit den gro en Tierb -
chern besch ftigt. Er zitiert mehrmals aus der Historia animalium 178
und kennt zahlreiche Einzelheiten aus dieser Schrift 179 . Die Schrift aber,
die er wohl am meisten bewundert und der er seine eigene berzeugung
von der Zweckm igkeit des K rperbaus bei den Lebenwesen verdankt,
ist ganz offenbar De partibus animalium. Er zitiert das Werk mehr-
mals180. Die Grundanschauungen, die Aristoteles in diesem Traktat ver-
tritt, macht er sich zu eigen181. Auch in Detailfragen billigt er die Er-
16, 659b 17-19, wo ebenfalls vom εμφυτον πνεύμα die Rede ist). Galens Hinweis
scheint sich aber auf eine selbst ndige, dem πνεύμα gewidmete Schrift zu beziehen,
also auf eine Abhandlung περί πνεύματος, die wohl keine andere ist als unser De spiri-
tu; die darin er rterten Fragen werden ja gleich mit dem ersten Satz formuliert, l,
481 a 1—2 τίς ή του εμφύτου πνεύματος διαμονή, και τις ή αυτού αΰξηοις;
ι«8 χνΐΐ Β In Hipp, epid. VI comm. III 29,6 — 17. Zur Frage, warum die Melancholiker
zum Liebesgenu neigen, kann einiges aus Aristoteles' Problemen angef hrt werden.
Zitiert wird dann Probl. IV 30, 88Qa 30—33, mit geringf gigen Abweichungen im
Text.
189 ly Q uo d an, rnor. 7, 794,17. Es handelt sich um die Behauptung, da die Eigenschaf-
ten der Seele von der Beschaffenheit des Blutes abh ngen. Gemeint ist wohl Probl. X
10, 898a3-8.
«ο χι rje simpl. med. II 3, 467,3 — 8. Es handelt sich um die gegenseitigen Beziehungen
zwischen K tte und Wohl· und Ubelgeriichen, Zwei B cher der Probl. sind dem ευώ-
δες (XII) und dem δυοώδες (III) gewidmet, und dort wird mehrmals nach der Rolle
des θερμόν in deren Erzeugung gefragt,
191
XI De simpl. med. II 5, 474,12-477,5. Es fragt sich, warum die in l gekochten
Dinge die eigene Feuchtigkeit verlieren, die im Wasser gekochten aber nicht, Diokles
hat sich wohl nicht geirrt, methodisch h tte er aber anders verfahren sollen, und zwar
wie Aristoteles und Theophrast. Galen f hrt dann eine Reihe von rein physikalischen
Problemstellungen an. Danach gibt er Beispiele f r ein anderes είδος an, δ κοινόνήδη
και τοις από των τεχνών ist und bei dem eine rein empirische Erkl rung m glich ist.
Der Arzt braucht jedoch eine echte Kausalerkl rung. Die Beispiele, die jeweils mit δια
τ£ eingef hrt werden, erinnern nat rlich an die Art und Weise, in der in unseren Pro-
blemata die Frage jeweils gestellt wird. Da Galen an eine andere, in derselben Art
konzipierte Sammlung gedacht haben kann, ist jedoch nicht auszuschlie en. Wie wir
gleich sehen werden, ist unsere Sammlung von Problemata wohl nicht die einzige, die
er gekannt und f r aristotelisch gehalten hat. Es l t sich nicht mit Sicherheit ausma-
chen, an welche Sammlung von Problemata Galen denkt, wenn er in seinen Einw nden
gegen einen angeblichen Widerspruch in der Lehre des Aristoteles ber das Sehen
schreibt: „Wenn die falsche Meinung alle partikul ren Ursachen f r wahrscheinlicher
h lt als die wahre Meinung, dann wird man alle seine B cher von Problemen f r un-
glaubw rdig halten (V De dogm. Hipp, et Plat, VII 7, 641,7-9)."
192
Die meisten Beispiele kommen in der Schrift De simplicium rnedicamentorum tempe-
rameneis ae facultatibus vor. In den Sammlungen der Aristoteles-Fragmente von
V. Rose und E. Heitz werden sie einer verschollenen Sammlung von προβλήματα φυ-
σικά zugeschrieben. XI De simpl. med. IV 3, 629,4—630,2, ber die Verwandlung
von Wein in Essig, = V. Rose, Arist. Pseud. (= R1) S. 228 Fr. 204; Ae. Heitz, Fr.
Arist. 1869 {= H) Fr. 326; V. Rose, Arist. Fragm, 1870 (= R 2 ) 213; V. Rose, Ar, qu. f.
libr. fr. 1886(= R3) 222. - XI De simpl. med. IV 11, 654,4-18, ber die eigene und
die erworbene W rme im S en; Aristoteles und Theophrast sagen, da eine Art έμ-
πύρωμα aus der Sonnenw rme das Weiterreifen von bestimmten Obstsorten bewirkt
= S. 232 Fr. 208R1, Fr. 331 H, Fr. 217R 2 , Fr. 226R 3 , - XI De simpl. med. IV 12,
657,8—14: Aristoteles bat Recht mit seiner Erkl rung der Verwandlung von Wein in
Essig = S. 228 Fr. 204 R 1 , Fr. 326H, Fr. 313 R 2 , Fr. 222R 3 . - XI De simpl. med. IV
14, 664,4—665,4, richtige Erkl rung der Verwandlung von Wein in Essig bei Aristote-
les und Theophrast = S. 227 Fr. 203 R1, Fr. 325H, Fr. 212R J , Fr. 221R S . - XII De
simpl. med. IX Prooem,, 164,4 — 17: Die Produkte der Verbrennung sind nie g nzlich
kalt; in ihnen befindet sich, wie Aristoteles sagt, OLOV έμπΰρωμά τι = S. 231 Fr,
207R 1 , Fr. 330H, Fr. 216 R 2 , Fr. 225 R 3 . - Hinzuzuf gen ist wohl XVII B In Hipp,
aphor. 416,9 — 17: Aristoteles erkl rt, warum die angeborene W rme im Winter st rker
wird. Ahnliche Erkl rung bei Plut., Qu. conv. 112 = S. 235 Fr. 214 R 1 , Fr, 337H, Fr.
222R 2 , Fr. 231R 3 .
J! 3
> Vgl. C. Prantl, ber die Probleme des Aristoteles, in: Abh. Akad. M nchen VI (1850)
366 (mir nicht zug nglich). V. Rose, Aristoteles Pseudepigraphus 1863, 215—239. Ae.
Heitz, Aristotelis Fragmenta 1869, 194-211. F. Susemihl, Gesch. gr. Litt. Alex. I
Von einer einzigen (uns nicht vollst ndig erhaltenen) Schrift bemerkt
Galen, da sie zwar als aristotelisch bekannt ist, jedoch von einem Sch -
ler des Aristoteles stammt. Nachdem er auf Thcophrasts των φυσικών
δόξων έπιτομαί verwiesen hat, f gt er hinzu: „ hnlich auch, wenn du
die Lehrmeinungen der lteren rzte erfahren willst, kannst du die B -
cher der ιατρική συναγωγή lesen, die Aristoteles zugeschrieben sind,
anerkannterma en aber von Menon, der sein Sch ler war, verfa t wur-
den. Darum werden diese B cher auch als Μενώνεια angesprochen194."
B. Die Lehre
Wir wollen uns jetzt fragen, wie Galen die Naturphilosophie des
Aristoteles beurteilt hat und was er ihr berhaupt verdankt. Selbstver-
st ndlich kann nicht alles, was bei ihm irgendwie an Aristoteles und den
Aristotelismus erinnert, hier ber cksichtigt werden. Alle Ankl nge und
Reminiszenzen entdecken und auswerten zu wollen, w re im Rahmen
dieser Arbeit wenig sinnvoll. Galens Werk hat solche Ausma e und ist
so vielseitig, da die Arbeit eines ganzen Lebens wohl n tig w re, um
solche Reminiszenzen einigerma en vollst ndig zu erfassen und quellen-
m ig zu untersuchen. Wir werden uns also vorwiegend auf jene Stellen
beschr nken, in denen er sich ausdr cklich auf Aristoteles beruft. Dane-
ben finden sich aber bei ihm auch u erungens die den Einflu des Ari-
stotelismus mehr oder weniger deutlich verraten. Ob sie auf eine direkte
Kenntnis des aristotelischen Corpus zur ckgehen oder Auffassungen
wiedergeben, die sozusagen der aristotelischen Tradition angeh rten
oder gar zum gemeinsamen Gedankengut der platonisch-aristotelischen
Philosophie berhaupt geworden waren, l t sich nur in wenigen F llen
mit Sicherheit entscheiden. Im Prinzip wollen wir uns nur dann mit ih-
nen befassen, wenn sie als wesentliche Tragelemente von Galens Denken
und Forschen angesehen werden k nnen.
162 — 164 mit Anm, 846. Einen vorz glichen status quaesdonis ber die verlorenen
Problemata bietet F, Flashar, Aristoteles. Problemata Physica, 1962, 303-316.
194 XY jn Hipp, de nat. hom. 25,15-26,3. Die latrica Menonis sind vom Anonymus
Londinensis f r den doxographischen Teil seines Werkes (IV 31 -XXXI 9} herangezo-
gen worden, vg], H. Diels, ber die Excerpte von Menons latrica in dem Londoner
Papyrus 137, in: Hermes 28 (1893) 4Q7-434;Suppl. Arist. III I, S. XV. Gaicns Zeug-
nis = Fr. 335R1, Fr, 373R 3 , Fr. I Diels, Suppl. Arist III 1 , 5 , 77.
a) Die Elemente
194> jy Quod an mor. 9, 805,1 —6 hebt Galen hervor, daß er Hippokrates bewundert und
ihm folgt, nicht etwa weil er ihn als eine Autorität betrachtet und daher seine Lehrmei-
nungen für wahr hält, sondern wegen der guten Qualität seiner Beweisführungen.
Über Galen und Hippokrates vgl. u. a. O. Temkin, Gesch. des Hippokratismus im
ausgehenden Altertum, in: Kyklos 4 (1932) 1-80, dort 14sqq. H. Diller, Zur Hippo-
krates a u if as sun g des Galen, in: Hermes 68 (1933) 167-182, L. Garcia Ballester, El
Hipocratismo de Galeno, in: Boietin Sociedad Espanol de Hist, de la Med, 8 (1968)
22—28. Zu Galens Naturphilosophie P. Moraux, Gahen comme philosophe: la philo-
sophic de la nature, in: Galen: Problems and Prospects, hrsg. v, V. Nutton 1981,
87-116.
"5 X De meth. med. 12, 15,7-14; 16,2-4; II 6, 118,2-8; VII 3, 462,10-463,2. XV In
Hipp, de nat. horn. I 5, 37,5-7. XVIII A Adv. lulian, 4, 258,11-259,7;
263,18-264,4. V De dogm. Hipp, et Plat. V 3, 450,1-6.
iw
Vgl. Anm. 195 und auch XVIII A Adv. lulian. 5, 269,11-270,3.
197
Hipp., De nat. hörn. 2,13-15, zitiert I De elem, sec. Hipp, 12,415,14-16 und kom-
mentiert XV In Hipp, de nat. hom. I 6, 35,17sqq. Vgl. auch De sent. 4,1. W. Jaeger,
Nemesios von Emesa 78—81 weist darauf hin, da Nemesios. De nat. hom. V, S. 168
Match, dasselbe Hippokrateszitat anf hrt, jedoch vollst ndiger. Er nimmt an, da Ne-
mesios dieses Zitat nicht aus Galen gewonnen und Hippokrates selbst nicht aufgeschla-
gen hat. Das Zitat k nne auch nicht im XIII. Buch von Galens περί αποδείξεως ge-
standen haben. Im Kapitel „Der Kreislauf der Elemente" (S. 68 — 96) analysiert W. Jae-
ger die Ausf hrungen ber die Elemente bei Nemesios, Basileios und Calcidius. Sie
weisen mehrere Motive auf, die auch bei Galen vorkommen. Sie gehen alle, meint Jae-
ger, auf eine gemeinsame, vorgalenisehe Urquelle zur ck, die mit Poseidontos zu iden-
tifizieren sei.
198
I De elem. sec. Hipp. I 4,448,4-5,449,4, im Anschlu an Arist., Phys. I 2-3.
199
Auffallend ist bei Galen die Tendenz, Prozesse, die Aristoteles als Entstehen und Ver-
gehen bezeichnete, als qualitative Ver nderungen anzusehen. Vgl. XI De simpl. med.
III 4, 545, U -547,12: Die κυρίως και πρωτως αλλοιώσεις sind diejenigen, die ein
μεταβάλλειν εξ είδους εις είδος bewirken. Ein ihnen unterliegender K rper κατά την
οΐισίαν δλην άλλοιοϋται και της αρχαίας έξίσταται φύσεως, εις έτερον είδος με6-
ιοτάμενος. Vgl, jedoch die Aufz hlung der Bewegungsarten II De fac. nat. I 2,
2,14-3,17 κατά ποιότητα, φορά, αΰξησις και φθίσις, γένεσις (= ή εις ούσίαν
αγωγή), φθορά.
ιοο ι De elem sec> Hipp I 2, 419,10-422,9; 3, 431,3-432,2.
101
Ibid. I 4, 442,12-444,3. II De fac. nat. I 2, 4,9-5,1.
102
I De elem, sec. Hipp. I 9, 484,6—485,13. Da solche Qualit ten nicht prim r sind,
hebt Arist., De part. an. II l, 646a 17—20 hervor.
und K lte, Trockenheit und Feuchtigkeit. Nur diese k nnen also als
Grundquaht ten angesehen werden und spielen eine Rolle bei den Ver-
nderungen im eigentlichen Sinne des Wortes203. Die Eiementark rper
bestehen daher aus der Verbindung einer dieser Qualit ten mit der Ma-
terie, welche an sich qualit tsios, ewig, ungeworden und unverg nglich
ist204. Das Element selbst ist ελάχιστον μόριον, οΰπερ αν f] στοιχεΐον,
„der kleinste Teil dessen, wovon es Element ist". Selbstverst ndlich sind
nicht die kleinsten wahrnehmbaren Teile damit gemeint, sondern die in
der Wirklichkeit kleinsten205, In dieser Definition ist das Wort ελάχι-
στον, „kleinster", nicht auf die Ausdehnung (κατά μέγεθος) der Teile
bezogen, sondern auf ihre Form (κατ5 είδος); es bedeutet, da das Ele-
ment nicht mehr in weitere, von ihm der Form nach verschiedene K r-
per aufgel st werden kann206. Es mu ferner zwischen στοιχεΐον und
αρχή unterschieden werden. Das Prinzip geh rt n mlich nicht unbe-
dingt derselben Gattung an wie das, wovon es Prinzip ist, w hrend das
f r das Element der Fall ist. Anders ausgedr ckt: Das Element ist ein
K rper, wie auch die aus Elementen zusammengesetzten K rper; Mate-
rie und Grundqualit ten dagegen, die Prinzipien der Elemente sind,
k nnen keineswegs als K rper gelten207.
i03
I Const, art. med. 8, 251,15-253,2. I De eiern, sec. Hip. I 7, 473,13-16; 9,
484,6-486,2. II De fac. nat. II 4, 88,14-89,4; III 7, 167,56-368,2. V De dogm.
Hipp, et Plat. V 3, 450,1-6. X De meth. med. I 2, 15,7-9; 16,7-15; VII 3,
462,10-463,2; VIII l, 530,4-9. XI De s mpl. med. 1114,546,17-547,12. XVIII A
Adv. lulian. 4, 263,18-264,4; 5, 269,11-270,3 (zum Teil mit Verweis auf Aristote-
les), Vgi. auch Nemesios, De nat. hom. V, S. 152 M,
204
I De dem. sec. Hipp. I 6, 469,15-470,4.
105
I De elem. sec. Hipp. I l, 413,1-415,3. Am Anfang der Elementenlehre des Neme-
sios (De nat, hom. V, S. 1 50 M.) steht eine sehr hnliche Definition des (kosmischen)
Elements, μέρος έλάχι,οτον του συγκρίματος των σωμάτων, W. Jaeger, Nemesios
von Ernesa 71 — 72 bezeichnet sie als „offenbar schulma ig gel ufige Definition" untl
vergleicht sie mit der galenischen. Zur Unterscheidung der wirklich kleinsten Teile und
der f r die Wahrnehmung kleinsten vgl. P, Moraux, Galien comme philosophe
Anm. 15. — V De dogm. Hipp, et Plat. VIII 2, 663,3—5 weist Galen darauf hin, da er
dem Element ein ganzes Buch seiner (im Urtext verschollenen) Schrift ber die medizi-
nischen Namen gewidmet hatte.
2M
XV In Hipp, de nat. hom. I Prooem. 7,4-14.
2m
l De elem. sec. Hipp, I 6, 470,4-9; 8,480,3-8. XV In Hipp, de nat. hom. I 3,
30,4-14. Die Diskussion ber den Unterschied zwischen στοιχείον, αρχή und αίτία
ist sicher vorgalenisch, vgl, z. B, Aet. I 2, l = Dox, S. 275a 15 — 17. Auch Alexander
und vor ihm wohl bereits Eudem hatten sich mit dem Problem befa t, vgl, SimpL,
Phys. 10,8-24.
b) Die Mischung
Aus der Mischung der Elemente bzw. ihrer Grundqualit ten entste-
hen die homogenen K rper und die Gewebe der Lebewesen, die Ari-
stoteles als Horn omere bezeichnet, Bronze, Eisen, Gold, Fleisch,
Nerv, Knorpel usw, 208 . Verschiedene hom omere Gewebe sind in den
anhom omeren Organen der Lebewesen vorhanden.
Mehrere Einzelheiten von Galens Mischungslehre zeigen, wie die
Problematik sich seit Aristoteles, insbesondere unter dem Einflu stoi-
scher Theorien, entwickelt hat. Zun chst einmal unterstreicht Galen,
da die Elemente in ihrer echten, reinsten Form nur durch einen Denk-
akt (λογίσμφ) erkannt werden k nnen und nirgends in unserer Welt in
unvermischtem Zustand anzutreffen sind. Der K rper Erde z.B., den
wir wahrnehmen, besteht bereits aus einer Mischung aller Elemente; sei-
nen Namen verdankt er dem in ihm berwiegenden Element, und so
verh lt es sich auch mit den scheinbar einfachen K rpern unserer
Welt209. Bezeichnungen wie „das Warme", „das Kalte" usw. sind daher
mehrdeutig. Damit k nnen wir meinen a) die reine Qualit t, b) das Ele-
ment im eigentlichen Sinn und c) einen gemischten K rper, in dem die
genannte Qualit t bzw. das genannte Element berwiegt210. Die Unter-
308
IV Quod an. mor. 3, 773,15. X De meth. med. VIII l, 530,4-9. XV In Hipp, de nat.
hom. I Prooem. 7,11-14. Vgl. Arist,, Meteor. IV 10, 388a 13-20; De gener, an. I l,
715a 10—11 und weitere Stellen bei Bonitz, Ind. Ar. 510b 14sqq, Bemerkenswert -
und meines Wissens von Galen nicht ber cksichtigt — ist der Umstand, da Aristote-
les, De part. an. II l, 646a 12—22 zwischen zwei verschiedenen Kombinationen der
Elemente zu unterscheiden scheint; diejenige, aus welcher ή των όμοιομερών φύσις εν
τοις ζώοις (Knochen, Fleisch usw.) entsteht, ist die zweite. — In der nur arabisch
erhaltenen Abhandlung περί της όμοιομερών σωμάτων διαφοράς erkl rte sich Galen
nicht einverstanden mit der Bildung des Wortes όμοιομερής. Die Teile einer hom o-
meren Substanz seien n mlich einander nicht nur schlechthin „ hnlich", sie seien ein-
ander „gleich", der Art nach identisch. In derselben Schrift bek mpfte er die Lehre des
Arztes Erasistratos, nach welcher der ganze menschliche K rper aus nichts anderem
bestehe als aus Arterien, Venen und Nerven, und er schlo sich der aristotelischen
Auffassung an, da die einzelnen K rperteile aus jeweils verschiedenen hom omeren
Substanzen bestehen. Vgl. G. Strohmaier, Eine bisher unbekannte Galenschrift, in:
Helikon 6 (1966) 608-620, bes. 614-618. CMC Suppl. Or. Ill (1970) 1,10-11,
S. 47-49.
109
IDeelem.sec. Hipp. I 5, 453,4-9; 454,2-7; 6, 465,10-469,15. XII De simpl, med.
I l, 165,18-168,8.
210
I De elem, sec. Hipp. I 6, 464,11-15; 8, 476,8-14. I De temp. I 3, 510,2-15. XV In
Hipp, de nat. hom. I 14, 51,11-53,2. Vgl. De sent. 4,3-4.
Scheidung zwischen dem reinen Elementark rper und seinen uns wahr-
nehmbaren, in unserer Welt vorhandenen Erscheinungsformen kommt
auch in der sp teren Literatur vor211. Ihre Anh nger meinten wohl, sie
gehe auf Aristoteles zur ck212.
Galen hebt ferner den grunds tzlichen Unterschied zwischen einfa-
cher Zusammensetzung und echter, vollkommener Mischung hervor. In
der ersten behalten die Bestandteile ihre qualitativen Bestimmungen. Die
Steine, Ziegel, Bretter etc. des Hauses bleiben das, was sie vorher wa-
ren213. In der echten Mischung dagegen erh lt das Produkt neue quali-
tative Bestimmungen, die keiner der Bestandteile vor der Mischung be-
sa . Ein beliebtes Beispiel daf r ist die sogenannte τετραφάρμακος214.
In diesem Zusammenhang war schon vorher eine Diskussion zwischen
Aristotelikern und Stoikern entstanden. Die Stoiker behaupteten, da in
solchen Mischungen die Substanzen (ούσίαι) der Ingredienzen g nzlich
miteinander vermischt werden, w hrend die Peripatettker von einer Mi-
schung der Qualit ten allein (ποιότητες) redeten. Galen kennt zwar die-
se Diskussion, l t die Frage jedoch offen, weil sie f r Mediziner be-
langlos ist315. Wie dem auch sei, fest steht f r ihn, da bei einer echten
Mischung der Elemente (irn Unterschied zur einfachen Zusammenset-
zung durch Nebeneinanderstellung) qualitative Ver nderungen erfol-
211 Vgl. P. Moraux, Galien comme philosophy, bes. Anm. 21—25, Den dort Anm. 21 an-
gef hrten Parallel t ex ten (Calcidms, Basileios, Nikephoros Blemmydes) sind hinzuzu-
f gen Iamb!., Vit. Pyth. 130 und Nemesios, De nat, hom. V, S. 151 M. Dazu W, Jae-
ger, Nemesios v, Ernesa 72; „So wie die Elemente unseren Sinnen sich darbieten, be-
sitzen sie jene urspr ngliche Unvermischtheic (der Grundqualit ten} bereits nicht
mehr, doch ist der Grundqualit t nur so viel Fremdes beigemischt, da sie sich in der
Mischung siegreich behauptet."
21i
Arist., De gener, et corr. II 3, 330b21-25, Vgi. dazu Philop., De gener. et corr.
227,26-228,19, Auch Hipp., De prisca med. XV (CMC I 1,46) konnte als Anspie-
lung auf eine solche Unterscheidung interpretiert werden,
2
« I De elem. sec. Hipp. I 3, 428,7-429,14.
214
I De eiern, sec. Hipp. I 5, 452,2-13. XV In Hipp, de nat. hom. I 3, 32,3-7. I De
const, art. med. 6, 242,5—8. De causis cont., CMG Suppl. Or. II, Kap, 3 § 2. Das
Beispiel der ιετραφάρμακος kommt nicht nur bei Galen vor: Philon Alex., De conf,
lingu. 187;Deaet. m, 79. Anon. Lond. XIV 19 (Suppl. Ar. III l, S. 21). Nemesios, De
nat. hom. V, S. 159M. Vgl, auch Alex., De mixt. 216,22-25.
115
I De elem. sec. Hipp. I 9, 489,5-9. H De fac, nat. I 2, 5,11 -15. IV Quod an, rnor, 3,
774,7-17. IV De subst. fac. nat. 762,9-16. VI De san. tuenda I, 2, 3,9-14. X De
meth. med. 12, 16,10-15. XV In Hipp, de nat. hom. I 3, 32,7-11. Zu diesem Pro-
blem vgl. oben Bd. I 282-283 und R. B. Todd, Aiex. of Aphrod. on Stoic Physics,
1976, 59.
gen, aus denen ein genensch von den Bestandteilen verschiedenes Pro-
dukt hervorgehen kann. Auf diese Weise wird zum Beispiel nach mehre-
ren Mischungen und qualitativen Ver nderungen ein mit der Wahrneh-
mung versehener Organismus aus nicht wahrnehmenden Bestandteilen
entstehen 216 ; das neue είδος ist also aus den sukzessiven Mischungen der
urspr nglich ganz anders gearteten Elemente bzw. ihrer Grundqualit -
ten hervorgegangen. In dieser Perspektive wird Galen in einer seiner
letzten Schriften die aristotelische Lehre von der Seele als Form des K r-
pers interpretieren und behaupten, da die Seele irgendwie mit einer be-
stimmten Mischung der vier Grundqualit ten oder der vier Elemente
identisch ist217. Diese Auffassung, auf die wir noch zur ckkommen
werden, ist historisch deswegen besonders wichtig, weil Alexander von
Aphrodisias, der wohl drei ig oder vierzig Jahre j nger war als Galen,
sich zu einer Seelenlehre bekennt, die m mancher Hinsicht an die Gale-
nische erinnert218. Alexander erkl rt, da , wenn die einfachen K rper
miteinander gemischt werden und daraus kompliziertere K rper entste-
hen und letztere wiederum miteinander und so weiter, die ,,Formen"
der jeweiligen Bestandteile miteinander gemischt werden und auf diese
Weise eine neue Form hervorbringen, die sozusagen die Form der For-
men ist. Diese neue Form ist um so reicher und kann um so vielf ltigere
Bewegungen bewirken, als jeder Bestandteil der Mischung bereits vor
der Mischung eine reiche, aus fr heren Mischungen entstandene Form
besa 219. Deswegen sind die „Formen" der Pflanzen komplizierter und
vielf ltiger als die der leblosen K rper und die der Tiere wiederum kom-
plizierter und vielf ltiger als die der Pflanzen220. Die Seele selbst, meint
Alexander ferner, ist eigentlich nicht die Mischung der K rper, aus de-
216
I De elem, sec, Hipp. I 3, 430, 11—14 δύναται γαρ εν πολλαϊς ταΐς μετάξι) γενομέ-
ναις μεταβολαϊς το τέως μέλαν αύθις γενέσθαι λευκόν . , . και το νυν άναίσθητον
αΰθις αίσθητικόν,
217
IV Quod an, mor 3, 774, 7—15 (Text nach Scr. min. II 37) και μην εΐπερ ες ΰλης και
είδους απαντά συνέστηκε τα τοιαύτα σώματα, Οοκεϊ δ' αϋτφ τω "Αριστοτέλει των
τεττάρων ποιοτήτων έγγιγνο μένων εν Tfj ύλη το φυσικό ν γίγνεσθαι σώμα, την εκ
τούτων κράσιν άναγκαΐον αυτού τίθεσθαι το είδος, ώστε πως και ή της ψυχής ου-
σία κρασίς τις έσται των τεττάρων εΐτε ποιοτήτων έθέλεις λέγειν, θερμότητας τε καί
ψυχρότητος ξηρότητας τ ε και ύγρότητος, είτε σωμάτων, Θέρμου και ψυχρού ξηρού
τε καί υγρού. So sind auch die Ausf hrungen ber die Seele als Form des K rpers in
De sent. 7,2 — 3 zu verstehen.
218
Vgl. unten Bd. III.
219
Alex., De an, 2,25-8,25.
"° Ibid. 8,25-11,13.
nen das Lebewesen besteht, sondern eine neue, aus der Mischung her-
vorgegangene Kraft, die wir mit der aus der Mischung verschiedener me-
dizinischer Substanzen entstandenen neuen Heilkraft des Mischpro-
dukts vergleichen können221. Daraus schließt Alexander, daß die Seele,
sofern sie Form eines vergänglichen Körpers ist, untrennbar vom Kör-
per ist und mit ihm zusammen vergeht222. Die Verwandtschaft der See-
lentheorien Galens und Alexanders ist in letzter Zeit und bereits früher
mehrmals hervorgehoben worden223.
kommt, von dem wir jetzt zu sprechen vorhaben. Es ist nunmehr nicht
meine Aufgabe, über die Zahl der Mägen bei den Wiederkäuern zu re-
den, ebensowenig über die anderen Organe der Ernährung, denn alle
diese Dinge hat Aristoteles vorzüglich behandelt223". Ebensowenig wie
Aristoteles selbst denkt Galen an eine Evolution, an eine sukzessive Ent-
wicklung von niederen zu höheren Lebensformen. Er schildert vielmehr
die Stufenordnung der Natur, wo er, wie Aristoteles, eine allmähliche
Steigung von ganz bescheidenen Lebensformen bis zum denkenden
Menschen beobachtet226. Innerhalb des Tierreichs selbst läßt sich eine
ähnliche Stufenleiter beobachten: „Wie Aristoteles ausführlich nachge-
wiesen hat, gibt es auch nicht geringfügige Unterschiede der Natur in
den Tieren. Die einen zuerst sind von den Pflanzen nicht viel entfernt;
unter allen Tieren sind sie die unvollkommensten, da sie den Tastsinn als
einzige Wahrnehmung besitzen. Das ist z.B. der Fall bei den meisten
Schaltieren, die nicht nur kein einziges Wahrnehmungsorgan besitzen,
sondern fast noch Pflanzen sind. In größerem Abstand von ihnen sind
diejenigen, die einen Geschmackssinn innehaben; und in noch größerem
Abstand von diesen befinden sich diejenigen, die darüber hinaus ein Ge-
ruchsorgan besitzen, und in noch viel größerem Abstand von diesen die-
jenigen, die das Organ des Gehörs haben. Bereits in der Nähe der voll-
kommenen ist man mit den Tieren angekommen, bei denen sowohl die
genannten Sinneswahrnehmungen als auch das Organ des Sehens vor-
handen sind. Diese Beschaffenheit weisen auch die Fische auf, sie haben
jedoch weder Füße noch Hände. Die Löwen aber und die Hunde haben
nicht nur Füße, sondern auch etwas wie Hände, und noch deutlicher als
bei diesen ist das bei Bären und Affen der Fall. Eine vollkommene Hand
ist dagegen nur bei den Menschen vorhanden, sowie auch die Vernunft,
die die Hand benutzen soll und das Göttlichste darstellt, was in einem
sterblichen Lebewesen vorkommt, Nun, genau wie der Mensch das voll-
kommenste aller Lebewesen ist, so ist bei ihm der Mann wiederum voll-
kommener als die Frau. Die Ursache dieser Vollkommenheit ist das grö-
ßere Maß an Wärme, welches ja das erste Instrument der Natur ist227".
d) Die Zeugung
Die Fortpflanzung ist eine Funktion, die, wenn auch sehr unter-
schiedlich, bei allen Lebewesen vorkommt. Galen untersucht sie natür-
lich vorwiegend beim Menschen. Den Problemen der Zeugung widmet
er die Abhandlung De semine233, eine Schrift, in der die Polemik gegen
Aristoteles einen außergewöhnlich großen Platz einnimmt. Im ersten
Buch fragt Galen nach dem Beitrag des Mannes zur Zeugung und setzt
sich gleich mit der aristotelischen These auseinander, nach welcher der
männliche Samen nur wirkende Ursache, „Prinzip der Bewegung" für
das Menstrualblut sei und keinerlei Materie zur Gestaltung des Keim-
lings liefere. Wenn dem aber so ist, was wird aus der Materie des männli-
chen Samens nach der Zeugung234? Bleibt sie im Uterus oder entweicht
sie, wird sie irgendwie abgeführt? Einige zeitgenössische Philosophen,
die sich zu Aristoteles bekennen, behaupten, daß laut Aristoteles der Sa-
men irn Uterus eine Bewegung auslöst und dann herausfließt und gar
keinen materiellen Beitrag zur Bildung des Keimlings liefert. Andere
meinen, daß nach Aristoteles der männliche Samen auch Materie für den
Keimling abgibt235. Beide Interpretationen sind falsch und beruhen laut
Galen auf einer unvollständigen und unaufmerksamen Lektüre von De
generatione animalium, Aristoteles selbst war der Meinung, daß nach
der Zeugung der Samen sich im Uterus auflöst und verdunstet ( -
236
) . Aus mehreren Gründen, die wir hier
nicht anzuführen brauchen, hält Galen diese Annahme für unhaltbar; er
ist mit Hippokrates der Meinung, daß der Samen im Uterus bleibt und
zunächst zur Bildung einer den Keimling umgebenden Haut beiträgt237.
Auch die Materie des Samens wird also für die Bildung des Keimlings
verwendet; das will Galen — gegen Aristoteles — aus dem Umstand ab-
leiten, daß die Urorgane des Keimlings, Arterie, Vene und Nerv, blutlos
sind. Es wäre unökonomisch von Seiten der Natur, diese Organe nach
233
IV 512—651. Die in De semine dargestellte Zeugungslehre Galens wird mit älteren An-
sichten, insbesondere mit den Theorien des Aristoteles, in einem wertvollen Aufsatz
von A. Preus verglichen: Galen's Criticism of Aristotle's Conception Theory, in:
journal of the History of Biology 10 (1977) 65-85.
234 iv £)e senli j j^ 512,1—513,6. Die angesprochene These des Aristoteles ist vielfach
bezeugt. VgS. u.a. De gener, an. I 21, 729 a 34 -b 33; 730a24-28 etc.
235
IV De sem. I 3, 516,5-519,18,
236
Ibid. I 4, 520,1-6.
237
Ibid. 14, 526,6-527,16.
238
Ibid. I 5, 527,17-533,4.
"» Ibid. I 9, 544,10-546,14; 11, 553,9-554,4.
M
« Ibid. ab 112.
241
Ibid. I 12, 556,9-15; 13,558,10-16; 14,561,13-562,9. Für die These, daß der Sa-
men nur in den mit den Hoden verbundenen Arterien und Venen entsteht, führt Galen
keinen Beleg aus Aristoteles an; er ist offenbar der Meinung, daß sie sich aus der Be-
hauptung ergibt, daß die Hoden nicht zur Samenbildung beitragen, Die hier erwähn-
ten Arterien und Venen sind wohl die ipermaticite intemae und der plexus pampifor-
mis, die man irgendwie mit dem dttctus deferens verwechselte. Es ist nicht unsere Auf-
gabe, auf Einzelheiten der aristotelischen bzw. der galenischen Anatomie der Ge-
schlechtsorgane einzugehen. Dazu vgl. z. B. E. Lesky, Die Zeugungs- und Verer-
bungslehre der Antike und ihr Nachwirken 1950 (Akad. Mainz, Ab h, d. geistes- u.
soziatw. Kl. 19), 128-134; 160; 177sqq. R. E. Siegel, Galen's System of Physiology
and Medicine, 1968, 224-230.
also die Samengänge an, bewirken, daß ihr Weg länger wird, und verhin-
dern ihr Zuriickgleiten nach oben 242 .
Es würde zu weit führen, alle Einwände Galens gegen diese zwei
Thesen darzustellen. Es sei lediglich daran erinnert, daß er selbst sowohl
den erwähnten spermatischen Arterien und Venen als auch den Hoden
eine samenbildende Funktion zuschreibt, so daß er auch diejenigen kriti-
siert, die den Samen ausschließlich in den Hoden entstehen lassen243.
Auf einen beträchtlichen Mangel in Aristoteles' These über die Funktion
der Hoden geht Galen besonders ausführlich ein; sie vermag die Folge-
erscheinungen der Kastration nicht adäquat zu erklären. Kastrierte sind
nicht nur unfähig zu zeugen, ihr ganzer körperlicher und seelischer Ha-
bitus verändert sich244, Aristoteles hat zwar das Problem nicht ganz ver-
kannt. Er begnügt sich aber mit der Bemerkung, daß Änderungen von
kleinen Teilen große Auswirkungen auf den ganzen Körper haben kön-
nen245; er erklärt jedoch nicht, warum die Kastration solche weitgehen-
den Folgen nach sich zieht, Im fünften Buch von De generatione anima-
lium zum Beispiel, wo von hohen und tiefen Stimmlagen die Rede ist,
bemerkt er so nebenbei, daß nach der Kastration das Herz nicht mehr
dieselbe Kraft hat wie vorher 246 . Diese Erklärung kann jedoch nicht be-
friedigen. Besitzt das Herz nicht von sich aus die erforderliche Kraft und
Spannung, so wird es sie von anderen, größeren Organen, wie z. B. Nie-
ren, Milz, Magen und vor allern Leber eher erhalten als von den Hoden,
deren Gewicht ja unbedeutend ist und die zahlreiche Windungen vom
Herzen trennen. Ferner gibt es Tiere, deren Hoden nicht wie die der Men-
schen hängen und bei denen die Kastration trotzdem dieselben Folgen
hat, was ja im Licht der aristotelischen Theorie nicht erklärbar ist.
Schließlich muß Aristoteles daran erinnert werden, daß er an anderen
Stellen die angeborene Wärme oder das innere Pneuma oder die ange-
messene Mischung als Ursachen der Stärke der Organe betrachtet. Seine
Erklärung für die Folgen der Kastration ist also zu verwerfen, und es
242
IV Desem, I 15, 564,3-8; 574,16-575,3. Galen beruft sich auf das 4. K.ap. von De
gener, an. I; vgl. auch V 7, 787b 22-26.
i« IV De sem. l 14, 562,9-563,13.
144
Ibid. I 15, 569,7sqq.
245
Ibid. I 15,573,14-17. Vgl. Arist., Degener, an. 12, 716b3-12;IV l, 766a 24-30; V
7, 788a 13-16.
246
IV De sem, I 15, 575,6 — 576,12, mit wörtlichem Zitat von De gener, an, V 7,
787b 19-28 und Zusammenfassung von 788a3 —16,
wäre sicher besser gewesen, wenn er darüber geschwiegen hätte 247 . Ga-
len selbst glaubt eine bessere Lösung des Problems anbieten zu können.
Genau wie bestimmte giftige Substanzen — selbst in winzigen Mengen —
auf den ganzen Körper einwirken, so auch die von den Hoden erzeugte
Flüssigkeit. Nicht ihre Substanzmenge selbst wird auf den ganzen Kör-
per verteilt, sondern ihre Qualität; diese bedingt Aussehen und Habitus
des männlichen bzw. weiblichen Lebewesens, und ihr Fehlen verursacht
tiefgreifende Veränderungen248.
Im zweiten Buch der Schrift De sernine befaßt sich Galen mit dem
Beitrag des Weibchens zur Zeugung. Sehr ausführlich setzt er sich mit
der Lehre des Athenaios von Attalia (l, Jh. n. Chr.) auseinander. Da
dieser Arzt aus der sog. pneumatischen Schule die Hauptpunkte der ari-
stotelischen Zeugungslehre übernommen und ausgearbeitet hatte, gut
mancher der Einwände, die Galen gegen ihn erhebt, auch für die Lehre
des seltener genannten Aristoteles249. Mit einigen Grundsätzen dieser
Lehre erklärt sich Galen einverstanden. Er billigt zum Beispiel die The-
se, daß das Sperma durch einen Kochungsprozeß aus dem Blut entstehe
und nicht aus allen Teilen des Organismus stamme, wie die Anhänger
der Pangenesislehre behaupten 250 . Er schließt sich der Annahme an, daß
das Weibchen von Natur aus schwächer und unvollständiger als das
Männchen ist und aus diesem Grund die Fortpflanzungsorgane im In-
nern des Leibes hat251. Selbstverständlich teilt er auch die Ansicht des
Aristoteles und zahlreicher anderer Philosophen und Ärzte, daß die Na-
tur den Lebewesen die Fähigkeit gegeben hat, ihre Organe zu benutzen,
Selbst wenn das Herz viele Nerven hätte, wäre das noch kein Beweis
dafür, daß es Prinzip der Nerven ist; man müßte nachweisen, daß diese
Nerven sich auf alle Teile des Körpers erstrecken, was nicht der Fall ist,
Zwei der Behauptungen, von denen Aristoteles ausgeht, sind an sich
wahr. Eine außergewöhnliche Kraft ist für die freiwillige Bewegung er-
forderlich, und das Gehirn besitzt eine solche Kraft nicht. Das reicht
jedoch nicht aus, um die Rolle des Gehirns als Prinzip der freiwilligen
Bewegung zugunsten des Herzens auszuschließen, Instrumente dieser
Bewegung sind nämlich die Muskeln, die durch Nerven mit dem Gehirn
verbunden sind. Das Herz selbst ist keineswegs Prinzip der Nerven. Es
kann weder als Zentrum der Wahrnehmungen noch als Ursprung der
freiwilligen Bewegungen angesehen werden. Seine Funktionen sind viel-
mehr auf unfreiwillige Bewegungen beschränkt. Es ist Ursprungsort der
Arterien und Prinzip des Pulsierens, so daß es das Arterienblut an den
Organismus verteilt261.
Galen betrachtet das Gehirn bekanntlich als den Sitz der höheren
psychischen Funktionen, Wahrnehmung, Gedächtnis, Vorstellung und
Denken hängen vom Gehirn ab, und von ihm gehen auch die Befehle an
den Körper aus, sogenannte freiwillige Bewegungen auszuführen. Das
höchste, leitende Prinzip des Menschen ( ) hat also zweifellos
seinen Sitz im Gehirn. Aristoteles dagegen hat die Rolle des Gehirns völ-
lig verkannt. Daß zahlreiche Nerven das Gehirn mit den Wahrneh-
mungsorganen und anderen Teilen des Körpers verbinden, hat er nicht
erkannt, und ebensowenig war er bemüht, den Nutzen vieler Teile des
Gehirns zu erläutern262. Obwohl er die anatomischen Beobachtungen
keineswegs verachtet, schreibt er dem Gehirn eine Rolle zu, die ihm am
allerwenigsten zukommt. Es habe keine andere Funktion als das Abküh-
len der das Herz umgebenden Wärme. In Wirklichkeit aber, so meint
Galen, kann man sich schon durch bloßes Berühren des Gehirns davon
überzeugen, daß es wärmer ist als die uns umgebende Luft, Andererseits
vergißt Aristoteles, daß er der Atmung die Abkühlung der Herzenswär-
me zugeschrieben hatte, was auch der Wahrheit entspricht263.
an. II; VgL V De dogm. Hipp, et Plat. I 8, 202,15-203,7. Daß Aristoteles mit
nicht unbedingt „Nerven" meinte, scheint Galen nicht berücksichtigt zu haben,
Die Kritik an Aristoteles formuliert Galen vor allem in V De dogm. Hipp, et Plat, I
6, 187,12-188,8; 8,200,7-203,14; 10,206,4-210,3.
III De usu part. VIII 3, 623,3-624,10.
III De usu part. VIII 3, 620,4-62i, 13; 624,10-625,7. V De plac. Hipp, et Plat, VII
f) Die Wahrnehmung
hinzu, ist die Wahrnehmung mehr als die passive Veränderung des Or-
gans. Hatten wir zum Beispiel keine sensitiven Nerven, könnte das Or-
gan affiziert werden, ohne daß wir uns dessen bewußt würden. Die
Wahrnehmung ist also nicht nur Veränderung, sie ist die Erkenntnis die-
ser Veränderung 265 . Es ist hier nicht der Ort, Galens eigene Ansichten
über jede einzelne der fünf Wahrnehmungen darzustellen266. Wir wollen
uns auf die Punkte beschränken, bei denen ausdrücklich Stellung zu Ari-
stoteles genommen wird,
Was den Tastsinn anbetrifft, hebt Aristoteles hervor, daß Dinge, die
genauso warm, kalt, hart oder weich wie unser diesbezügliches Wahr-
nehmungsorgan sind, nicht wahrgenommen werden. Wir nehmen nur
das wahr, was diese Qualitäten in höherem oder niedrigerem Ausmaß
besitzt als wir. Das zeigt, daß unser Organ des Tastens eine Art Mittel-
stellung ( ) zwischen den gegensätzlichen Qualitäten der wahr-
zunehmenden Objekte einnimmt267. Galen schließt sich dieser Auffas-
sung an und weist ausdrücklich darauf hin, daß Aristoteles unseren Tast-
sinn als eine gekennzeichnet hat268. Im Gegensatz zu den ande-
ren wahrnehmbaren Qualitäten, die nicht alle einen Namen haben und
deswegen nur bezeichnet werden, besitzt jede durch den
Tastsinn wahrgenommene Qualität eine eigene Bezeichnung. Diese Be-
zeichnungen hat Aristoteles vollständig aufgezählt, und Galen gibt seine
Liste wieder: Wärme, Kälte, Trockenheit, Feuchtigkeit, Schwere,
Leichtigkeit, Härte, Weichheit, Klebrigkeit, Sprödigkeit, Rauheit, Glät-
sich verbindet und ,verwachst'." In diesem Smn auch I, Heinemann, Poseidomos' me-
taphysische Schriften 456—457. Gestützt auf Notizen des damals schon verstorbenen
R. M. Jones kritisiert H. Cherniss, Galen and Posidonius' Theory of vision, in: Amer.
Journ. of Philol, 44 (1933) 154- 161 diese Auffassung und weist dabei auf einige Fehl-
interpretationen Reinhardts hin: „Galen's theory is simply that of Plato influenced in
one detail by Aristotle and made more explicit by Galen's better knowledge of the
brain and nerves. There is one common Stoic element in it also, the use of the word
instead of Plato's . There is nothing ,vitalistic' about the doctrine . . . "
265
V De dogm. Hipp, et Plat. VII 6, 636,3-4. Wörtlich identisch Nemesios, De nat.
horn. VI, S. 175-176M. Ausführlicher Galen, V De dogm. Hipp, et Plat. VII
8, 644,4—645,12, mit Verweis auf Aristoteles und die Stoiker.
266
R. E. Siegel, Galen on Sense Perception, 1970, befaßt sich sehr ausführlich mit der
Anatomie der Wahrnehmungsorgane und den physiologischen Aspekten der Wahr-
nehmung nach Galens Auffassung. Wichtig sind auch die Ausführungen von W, Jae-
ger, Nemesios v. Emesa 12 — 19 (Die fünf Wahrnehmungen und ihre Zuordnung zu
den Elementen bei Nemesios und Galen); 25 —53 (Die Sinnesorgane).
26?
Arist., De an, II 11, 424al-5.
J 8
* XI De simpl. med. V 4, 715,10-716,10.
te, dichte und lockere Zusammenf gung 269 . Allerdings zeigt Aristoteles
in De genera one et corruptione, da „feucht" und „trocken" mehr-
deutige Termini sind; das sagt er aber nicht von ,,weich" und ,,hart",
weder in dieser Schrift noch anderswo270. Das Harte und das Weiche
definiert Aristoteles viel genauer als Platon. Dieser sagte, hart seien die
K rper, denen unser Fleisch zur ckweicht, weich diejenigen, die unse-
rem Fleisch zur ckweichen. Aristoteles f gt aber hinzu, da das Weiche
in sich selbst zur ckweicht und nicht an eine andere Stelle ausweicht.
Damit gibt er Merkmale an, die ausschlie lich dem Weichen geh ren 271 .
F r den Geschmackssinn zeigt Galen ein besonderes Interesse vor
allem deswegen, weil wir durch diese Wahrnehmung besser als durch
jede andere die Eigenschaften und Unterschiede der arzneilichen Sub-
stanzen zu erkennen verm gen272. Die galenische Lehre vom Ge-
schmack hat mit der aristotelischen kaum etwas Gemeinsames. W hrend
Aristoteles die Meinung vertrat, da der Geschmack von der Zunge
durch das Blut an das Herz, das zentrale Wahrnehmungsorgan, geleitet
wird, gelang es Galen, die Innervatlon der Zunge richtig zu erkennen
und den Beweis daf r zu liefern, da die Geschmacksnerven aus dem
Gehirn stammen. Ferner deutet Galen an, da die Geschmackseindr k-
ke durch feine Partikeln ausgel st werden, die in Kontakt mit dem
Wahrnehmungsorgan treten und es reizen273. Statt dessen hatte Aristo-
teles eine rein qualitative Erkl rung vorgeschlagen: Die Zunge ber-
nimmt bestimmte Qualit ten des jeweiligen Objekts und leitet sie wei-
ter274. Lediglich in seinen Ausf hrungen ber die verschiedenen Ge-
schmacksqualit ten nimmt Galen gelegentlich zu Ansichten des Aristo-
teles Stellung. Er erinnert zum Beispiel daran, da die Anh nger von
Theophrast und Aristoteles sowie der Arzt Mnesitheos das Schmeckbare
an einer Substanz (γευστή δύναμις) als χυμός bezeichnen, w hrend sie
unter χυλός eine „gekochte" Zusammensetzung aus Feuchtem und
Trockenem verstehen. Die lteren Attiker und lonier, zum Beispiel Pla-
»» Vlli De diff. puls. III 7, 692,10-16. Diese Liste ist Arist., De gener, et corr, II
2, 329b 16-20 entnommen.
170 vill De diff. puls. III 7, 688,9-15. Vgl. Arist,, De gener, et cor. II 2, 33Qa8-14.
271
VIII De diff. puls. III 7, 687,5-688,4 (in 687,7 ist το ϋποκείμενον wahrscheinlich in
το ύπείκον μόνον zu korrigieren). Die angesprochene Definition kommt bei Arist,,
De gener, et corr. II 2, 33Qa8—9 vor,
272
XI De simpl. med. IV 23, 700,4-6; 703,13-16,
273
Ibid. IV 23, 702,11-15.
374 Vgl. R.E. Siegel, Galen on Sense Perception 158sqq.
ton, Hippokrates und die alten Komiker, h tten f r beides das Wort
χυμός verwendet. Galen selbst will χυμός f r die geschmackbildende Ei-
genschaft und χυλός f r die S fte in Tieren und Pflanzen benutzen 275 .
Im gro en und ganzen geht Galens Liste der Geschmacksqualit ten auf
diejenige zur ck, die Platon aufgestellt hatte. Die entsprechende Steile
aus dem Timaios zitiert er sogar in extenso; er kommentiert sie und f gt
lediglich einige Erg nzungen und Pr zisierungen, zum Teil aus The-
ophrast, hinzu 276 . Es gibt von alters her, bemerkt er noch, verschiedene
Bezeichnungen f r die Geschmacksqualit ten. Deswegen sollte man sich
h ten, sie durcheinanderzuwerfen. Vielmehr m sse man untersuchen,
aus welcher Mischung, Disposition oder Zusammensetzung des mit ei-
nem Geschmack versehenen K rpers jede dieser Qualit ten stammt. Be-
reits Platon, Aristoteles und Theophrast haben sich bem ht, das genauer
zu bestimmen277. Was zum Beispiel das Scharfe (Οριμύ) anbetrifft,
braucht man keine Beweisf hrung, um zu erkennen, da es die w rmste
aller Geschmacksqualit ten ist. Schon die Wahrnehmung macht das evi-
dent, und niemand zweifelt daran. Platon hat sich in diesem Sinne ge u-
ert, und Aristoteles, Theophrast und die lteren und die j ngeren rzte
teilen diese Ansicht278. Das Meerwasser ist eher salzig als bitter, und es
enth lt eine gro e Menge trinkbares Wasser, wie von Aristoteles ausrei-
chend nachgewiesen wurde 279 . Im Zusammenhang mit anderen Fragen,
die sich auf den Geschmack beziehen, beruft sich Galen ebenfalls auf
Aristoteles. Allem Anschein nach sch pft er seine Information jedoch
nicht aus dem uns erhaltenen Corpus Anstotehcum, sondern aus einer
verschollenen, Aristoteles und Theophrast zugeschriebenen Sammlung
von Problemata physica290.
27S
XI De simpl. med. I 38, 449,15-450,3. Die Stelle f hrt Bonitz, Ind. Ar. 858a25 an.
M glicherweise erinnert sich Galen an Arist,, De sensu 4, 441 a21—23, wo von ταύτην
την δύναμιν, fjv καλοΰμεν χυμόν die Rede ist. Bei Aristoteles ist allerdings die Unter-
scheidung zwischen χυμός und χυλός nicht so deutlich wie Galen angibt, und das
Wort χυλός wird nur sehen verwendet.
176
XI De simpl. med. I 37, 445,5-39, 455,7. Vgl. Plat., Tim. 65B-66C.
277
XI De simpl. med. I 39, 454,6-16.
278
Ibid. IV 18, 679,11-16. Vgl. Plat., Tim. 65E-66A. Eine entsprechende u erung
findet sich meines Wissens im Corpus Anstotehcum nicht,
179
XI De simpl. med. IV 20, 690,5-8. Galen spielt m glicherweise auf Arist., Meteor. II
3 an, bes. 358a 15-b34; man vergleiche jedoch auch Probl. XXIIJ 30. Da das Meer
salzig und bitter 1st, wird Probl. XXIII 35 behauptet.
280
Vgt. oben S. 754 Anm. 192.
z81
II De instr. odor. 857-886, vollständiger CMC Suppl. V. Über Galens Lehre vgl.
R. E. Siegel, Galen on Sense Perception 140—157.
282
II De instr. odor. 4, 870,6—9. Eine eindeutige Angabe darüber ist bei Aristoteles aller-
dings nicht zu finden. Aber Galen glaubte zu wissen, daß Aristoteles dem Gehirn kei-
ne wahrnehmenden Funktionen zuschreibt, und andererseits schienen ihm die unten
(Anm. 283) angeführten Stellen den Schluß x,u gestatten, daß das Riechen in der Nase
selbst stattfindet. In Wirklichkeit fehlt es bei Aristoteles nicht an Stellen, an denen das
Gehirn mit der Wahrnehmung der Gerüche in Verbindung gebracht wird. Vgl, u. a.
De sensu 5, 444a8-15; 28-b2.
283
II De instr. odor. 5, 871,5-872,5, mit wörtlichen Zitaten aus Aristoteles (De an. II
9, 42lb32-422a3; De sensu 5, 444b21~28).
2M
II De instr. odor. 5, 872,6sqq.
285
Ibid. 5, 878,15-880,10.
286
Ibid. 5, 881,16-882,12.
287
VgL R. E. Siegel, Galen on Sense Perception 127-139.
288 v De dogm. Hipp, et Plat. VII 7, 637,11-638,4.
289
Arist., De an, II 7, 418a31-b2 etc.
290
Alex., De an. 42,16—19; „Oft kann man beobachten, daß Menschen, die einer farbi-
gen Wand gegenüber (stehen), und auch der Boden gleichsam gefärbt werden durch
die Farbe des benachbarten Gegenstands, und so geschieht es auch, wenn man zufällig
daneben steht. Die erleuchtete (Luft) wird von den Farben modifiziert und gibt eine
derartige Farbe an die anderen Gegenstände weiter," Möglicherweise ist diese Stelle
mit Lücken und Fehlern überliefert worden. Die hebräische Übersetzung {deutsch im
Apparat von B runs ad loc.) scheint einen vollständigeren Text vorauszusetzen: „Häu-
fig sehen wir die Wände, welche einer von jenen Farben gegenüberstehen, und die Er-
de (der Boden) der Pflanze von den Farben derselben (desselben) gefärbt werden [i. e.
Wände und Boden werden gefärbt, jene von der gegenüberstehenden Farbe, dieser von
der Farbe der Pflanze], ebenso auch, wenn es sich trifft, daß ein Mensch in der Nähe
derselben steht, so wird er von ihren Farben gefärbt, weil das Licht von ihnen affiziert
wird und die Farbe, die er empfängt, auch zu diesen Dingen bringt." Vgl, auch Alex.,
De an. mam. 145,25 — 30 und Alex. ap. Averr., Comm. magn. in de an. libr, II
men, daß Alexander seine Beispiele aus Galens Schrift über die Lehren
von Hippokrates und Platon geschöpft hat. Offensichtlich gehen hier
Galen und Alexander unabhängig voneinander auf eine ältere, nicht
mehr identifizierbare Quelle zurück. Vielleicht könnte man an einen äl-
teren Kommentar zu De anima denken. Wahrscheinlich jedoch ist, daß
sie aus einer Monographie über die aristotelische Theorie des Sehens
schöpfen. Aristoteles hat ferner laut Galen richtig erkannt, daß Licht
und Farbe sich in durchsichtigen Körpern wie etwa der Luft nicht suk-
zessiv fortpflanzen, wie es bei einer Ortsbewegung der Fal] wäre, son-
dern in diesen Körpern auf einmal ( ), sofort ( ), auf der
Stelle ( ), ohne daß es Zeit in Anspruch nimmt ( ),
291
eine qualitative Veränderung bewirken . Daß das Licht ein
verursacht, hat Aristoteles tatsächlich in De sensu292 be-
hauptet, und die Kommentatoren haben auch, wie Galen, auf diese An-
sicht hingewiesen293. An anderen Thesen der aristotelischen Theorie des
Sehens nimmt Galen Anstoß. Er schreibt: „Wie wir die Stellung oder die
Größe oder den Abstand eines jeden Wahrnehmungsobjekts erkennen,
hat Aristoteles nicht gesagt. Aber viele seiner Nachfolger, die über diese
Lehrmeinung Überlegungen anstellen, irren sich ganz offensichtlich,
denn weder die Gerüche noch die Geräusche geben Auskunft über den
Ort, aus dem sie stammen, wie im ersten Buch unserer Schrift ,Uber den
Beweis1 nachgewiesen wurde 294 ." Galen weiß also, daß Aristoteles die
Erkenntnis der sog. sensibilia communia nicht auf die einzelnen Wahr-
nehmungen zurückführen wollte295. Die von Aristoteles vorgeschlagene
Erklärung läßt er unberücksichtigt. Ihn stört aber offenbar, daß nur die
Farben und nicht etwa auch die Stellung, die Größe und der Abstand als
eigentliche Objekte des Sehens von Aristoteles angegeben wurden. Er
weiß ebenfalls, daß spätere Aristoteliker sich mit dem Problem der sensi-
67,39—45, S. 231—232 Crawford (Die Luft scheint auch von der Farbe, die wir durch
sie hindurch sehen, gefärbt zu werden. So werden Wände und der Boden von der Far-
be der Pflanzen gefärbt, wenn Wolken vorüberziehen. Also, würde die Luft von der
Farbe der Pflanzen nicht gefärbt, so wäre das auch für die Wände und den Boden nicht
der Fall.)
J9!
V De dogm. Hipp, et Plat. VII 7, 638,4-12.
2
« 6, 446b28-447all.
293
Vgl. u. a, Alex,, De an, 43,11; De an. mant. 142,13-16; 143,18-23; 145,2-5; De
sensu 132,2 — 5 etc.
J 4
» V De dogm. Hipp, et Pkt. VII 7, 638,12-17. Zum Problem vgl. W, Jaeger, Nemesios
v. Emesa 39—42.
MS
VgL Arist., De an. II 6, 418al7-19; III l, 425al4-19; De sensu 4, 442b4-7.
296
A«. IV 6 = Dox. 395 b l-5. W. Jaeger, Nemesios v. Emesa 40 hebt richtig hervor,
daß Galen „dem Auge allein das Erkennen der Lage eines Gegensunds vorbehielt,
dem Gehör und Geruch sie absprach", und fügt hinzu: „Mir 1st es wahrscheinlich, daß
er auch diese Polemik bereits fenig vorfand und mitübernahm. Sonst würde er sich in
seinen Behauptungen über Aristoteles wohl gerechter oder richtiger ausdrücken, als er
es jetzt rut."
297
Alex., De an. 50,18-26; 51,5-6.
298
V De dogm. Hipp, et Plat, VII 7, 638,17-639,18.
M9
Daß die Reflexion vom Objekt zum Auge {und nicht umgekehrt) kommt, sagt Arist.,
De an. II 12, 435a5-10; vgj. auch Top. I 14, 105b6-7. Die erwähnten meteorologi-
schen Erscheinungen behandelt er Meteor. III 2-6, 378al4,
macht, ob man eine Reflexion der Sehstrahlen annimmt oder meint, daß
die uns umgebende Luft von den gesehenen Gegenständen her Verände-
rungen erfährt 300 . Aber, wirft Galen ein, warum hat Aristoteles auf die
Erklärung verzichtet, die er für die wahre hielt, und sich einer anderen
angeschlossen, die er als weniger plausibel betrachtete301? Da die Be-
hauptungen, die Galen Aristoteles zuschreibt, nicht so klar und präzise
im Corpus Aristotelicum vorkommen, muß man wohl vermuten, daß
Galens Referat nicht unmittelbar auf Schriften des Aristoteles zurück-
geht, sondern vielmehr auf eine systematisierende Darstellung seiner
Theorie des Sehens. Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, daß auch
Alexander von Aphrodisias in derselben Art wie Galen über den Wider-
spruch zwischen der Lehre von De anima und De sensu und der Ver-
wendung der Sehstrahlen in der Meteorologie hinweist. Selbstverständ-
lich hält Alexander als treuer Aristoteliker das Verfahren des Aristoteles
für durchaus gerechtfertigt. Trotzdem fällt die Verwandtschaft seiner
Ausführungen mit denen Galens auf. Die beiden schöpfen offenbar aus
einer älteren, kritischen Monographie über Aristoteles* Theorie des Se-
hens 302 . Wie dem auch sei, Galen selbst spricht sich entschieden gegen
eine stoische Lehre aus, nach welcher die Luft mit einem Stab verglichen
wird, mit dem unser Auge die gesehenen Gegenstände berühren wür-
de303. Besser ist in diesem Punkt die epikureische Lehre und vor allem
die aristotelische, nach welcher eine Veränderung der uns umgebenden
Luft von den sichtbaren Dingen bewirkt wird, die dann von unserem
Auge wahrgenommen wird304.
3UU
In den angeführten Kapiteln der Meteor, operiert Aristoteles in der Tat mit den von
den Optikern angenommenen Reflexion der Sehstrahlen, vgl. z, B. III 2, 372a29—32.
Das läßt sich mit der Lehre von De an, und De sensu schwer vereinbaren. Aristoteles
sagt allerdings nicht ausdrücklich, daß die beiden Theorien auf dasselbe hinauslaufen.
Möglicherweise sind Sätze wie Meteor, III 4, 374b22 —24 und 6, 3 7 7 b l l — 1 3 in die-
sem Sinn verstanden worden.
301
V De dogm. Hipp, et Plat. VII 7, 639,18-641,9.
302
Alex., Meteor. 141,3-142,20. Vgl. Bd, III.
3
« V De dogm. Hipp, et Plat. VII 7, 642,12-643,3. Zu dieser Lehre vgl. auch Alex., De
an. mam. 130,13-134,27. Diog. Laert. VII 157.
304 De dogm. Hipp, et Plat. VII 643,3—9, Auf weitere Einzelheiten von Gaiens Sehens-
lehre können wir nicht eingehen. Offenbar hat er sich der von Platon im Timaios
(45 B-D; 67C-68C) dargelegten Lehre insofern angeschlossen, als er einen Weg hin
und zurück zwischen Auge und Objekt annahm. Von dem Auge geht ein Pneuma aus,
das die Zwischenluft verändert, das Objekt erreicht und von dort aus als Träger des
Bildes zum Auge zurückkehrt (Vgl. R. E. Siegel, Galen on Sense Perception 46sqq.).
Galens Sehenslehre, die auch in dargelegt war, ist von Räzi in den
Dubitationes kritisiert worden, und zwar zugunsten der Annahme eines Bildes, das
vom Objekt ausgeht und zum Auge gelangt, Vgl. S. Pines, Razi critique de Gaben (s,
oben Anm. 14) 4S5-487.
ans V De dogm. Hipp, et Plat, VII 5, 624,4 und 12; 6, 634,8; 7, 638,17 {wo wahrschein -
lieh εν τω πέμπτω z,u schreiben ist statt εν τφ πρώτοι).
** Alex., De sensu 84,11-13.
307
IV De usu part. XVI 3, 273,13-274,8.
308
Diese Einschr nkung geht wahrscheinlich auf Arist., De sensu 4, 442B5-7 zur ck.
309
V De dogm. Hipp, et Plat. VII 5, 625,11 -626,16. Parallelste e bei Nemesios, De nar.
hom. VII, S. 182-183M. Vgl. W. Jaeger, Nemesios v. Emesa 34-37, der meint
(S, 38), „da Nemesios uns mit seiner Sehlehre ein gro es St ck der galemschen Wis-
senschaftslehre beschert".
310
V De dogm. Hipp, et Pkt. VII 5,626,7-14; 7, 638,14-17.
der Größe völlig außer acht gelassen zu haben311. Allerdings gibt er zu,
daß die Erkenntnis der Gestalt, der Bewegung und der Zahl nicht aus-
schließlich eine Angelegenheit der Wahrnehmung sei; sie erfolge nicht
nur durch das Sehen und den Tastsinn, sondern schließe eine gewisse
Beteiligung des Gedächtnisses und der Berechnung ( ) ein312.
Obwohl Galen den Vorrang des Sehens in der Erkenntnis der sog,
kräftiger als Aristoteles unterstreicht, scheint er mit seinen An-
gaben über die Rolle von Gedächtnis und Vernunft in der Erkenntnis
von Gestalt, Bewegung und Zahl den wahren Intentionen des Aristote-
les gerecht zu werden313.
In Einzelfragen der Physik, der Anatomie und der Physiologie zollt
Galen dem Stagiriten des öfteren Lob und Anerkennung; er zögert je-
doch nicht, auf Mängel und Irrtümer hinzuweisen, wenn er, aus wel-
chen Gründen auch immer, die Meinung des Aristoteles nicht teilen
kann.
g) Teleologie
311
Ibid. VII 7, 639,12-18.
311
Ibid. VII 6, 634,5-10.
313
L. Robin, Aristote, 1944, 185: ,,. . . il n j y a pas de sens special pour les sensibles com-
muns, rnais une discursion elementaire, concornitante de la representation elle-rneme;
bref, une sorte de sensation commune. Voila !a premiere function du sens comrnun: de
ce point de vue, il nous apparah comme une acnvite de l'esprit, superieure . , . a la
simple sensation, puisque, avec cette activite, commence l'organisation de l'experien-
ce."
s'4 III De usu part. I 8, 21,4-10; 22,81,12-14; IV 17, 328,7-15 etc.
h) Ursachenlehre
Auch in seinen Ausf hrungen ber die Ursachen hebt Galen — unter
Berufung auf Platon — die eminente Bedeutung der Finalursache hervor.
Will man etwa erkl ren, warum jemand zum Markt geht, reicht der Hin-
weis auf den rein mechanischen Aspekt der Handlung (die Bewegung
der Beine) keineswegs aus. Die erste, wichtigste Ursache, die es anzuge-
ben gilt, ist vielmehr der Zweck dieser Handlung; man begibt sich zum
Markt, weil man dort etwas kaufen oder einen Freund treffen will 317 .
Die Liste der f nf Ursachen, die Galen m diesem Zusammenhang auf-
z hlt, ist nichts anderes als die etwas erweiterte Vierursachenliste des
Aristoteles. Die Zweckursache (οι' δ γίνεται τι, αιτία εκ του τέλους)
erscheint als die wichtigste. F r jedes Organ des Lebewesens wird man
z. B. zeigen, da es im Hinblick auf seine Funktion zweckm ig einge-
richtet und lokalisiert ist. Die zweite ist die wirkende Ursache (ύφ* ου
γίνεται), die Galen auch die demiurgische (ή εκ του δημιουργού) nennt.
315 VDedogm. Hipp, et Plat. I 8, 202,3-203,14, mit Verweis auf Arist., Dean, (wohl II
l, 412b9-413a3) und De pan. an. (wohl I l, 64Qb4-641al4).
316
IV De usu part. XIV l, 142,1-143,4.
S1T
III De usu part. VI 12, 464,6-465,3.
Die dritte ist die materielle Ursache (εξ ου, ή εκ της ύλης). Als vierte
nennt er die organische Ursache, das Instrument ( L' ου, ή εκ tt v ορ-
γάνων). Als f nfte schlie lich kann man die Form (t καθ' , ή κατά το
είδος) hinzuf gen318. Es ist hier nicht der Ort, auf diese und hnliche
Ursachentabellen aus vor- und nachgalenischer Zeit einzugehen319. Da
Galen neben den vier Ursachen des Aristoteles auch die Instrumentalur-
sache erw hnt, die auf Platon zur ckgeht, d rfte keine Neuerung von
ihm sein, sondern einer lteren Tradition entsprechen320,
»1S Ibid, VI 12,465,3-13, 471,15, Fast idemische Liste De sympt. diff, l, 47,14-18 und
Jn der lateinisch erhaltenen Schrift De causis procatarcticis §55—67 (ed, K. Bardong,
CMG Suppl. II, 1937), wo allerdings die Form fehlt, — Auf drei weitere Ursachen,
αιτία συνεκτική, αιτία προηγουμένη und αιτία προκαταρκτική, deren Unterschei-
dung wohl auf die Stoa zur ckgeht und die Galen vorwiegend m der Krankheits tioio-
gie verwendet, brauche ich hier nicht einzugehen. Vgl. P. Moraux, Galien comme phi-
losophe, Anm. 6. — P, Donmi, Motivi filosofici in Galeno, in: La parola del passato,
fasc, 194 (1980) 333-370, dort 357-364, analysiert die Ursachenlehre Gaiens in III De
usu part. VI 12—13. Die Formursache (καθ' δ), die als letzte in der Aufz hlung er-
scheint, lasse sich weder mit der platonischen Idee als Modell noch mit der aristoteli-
schen immanenten Form identifizieren. Galen scheine sie nicht f r so wichtig zu halten
wie die brigen Ursachen, Sie sei der u eren Gestalt (σχήμα) sehr hnlich und er-
scheine als Ergebnis der demiurgischen T tigkeit eher denn als eine Voraussetzung f r
die Entstehung der Dinge. In der Ursachenliste von VII De sympt. diff. l, 47,16—18
wird das είδος nicht mehr genannt (statt dessen die χρεία). Auch Alexander von
Aphrodisias habe in seiner Seelenlehre die Form als ein Ergebnis (έιιιγινόμενον) eher
denn als eine echte Ursache betrachtet.
319
Vgl. W. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplatomsmus, 1930, ISsqq.
320
VgJ. P. Moraux, Galien comme philosophe 88—89 mit Anm. 9-13.
321
III-IV De usu part. I 18,65,11-12; VI 10,448,6-7; IX 13,735,5-9; X
8, 795,8-10; XIV 3, 145,10-13; XV i, 21 ί, l-6; 7,248,7-10.
IV De usu part. XIV 3, 147,15-17; XVII I, 347,17-350,4. Vgl. auch I De eiern, sec.
Hipp, II 2, 495,5—6, wo die Natur als guter Demiurg bezeichnet wird.
I De temp, U 6, 636,2-4; vgl. auch I 9, 566,16-567,4.
De sent, 2,1—5: Galen weiß nicht, ob die Welt entstanden ist, und auch nicht, ob
etwas außerhalb der Welt existiert. Ebensowenig weiß er, ob der Demiurg körperlich
oder unkörperlich ist und wo er seinen Sitz hat. Trotzdem ist er fest davon überzeugt,
daß Gott existiert, denn die ganze Welt zeugt von seinem Wirken.
V De dogm. Hipp, et Plat. IX 8, 789,13-9, 792,17. Die hier zugrunde liegende An-
sicht, daß man vorn Kunstwerk (Statue, Gemälde, Haus, Schiff, Stadt, Sonnenuhr etc.)
auf seinen Schöpfer schließen kann, auch wenn dieser nicht sichtbar ist, kommt in der
philosophischen Literatur häufig vor, besonders um die These zu veranschaulichen,
daß die Ordnung und die Schönheit der Weh von einem göttlichen Urheber herrühren.
Vgl. Cic., De nat. deor. II 87. Philon Alex., De prov. I 72 (dazu P, Wendland, Philos
Schrift über die Vorsehung, 1892, 14); Leg. all, III 97-99; De special, leg, I 33-35.
Epikt., Diss. I 6,7. Sext. Emp., Adv. math. IX 27; 75; 99-100; 115; 197. Theon,
Progymn. 12, S, 127 Spengel. Herrn. Trism. V 8 Nock-Festugiere. Theophil., Ad Au-
tolyc, 1,5. Theodoret., Gr. äff. III 19.
daß wir es mit dem Werk eines hohen Verstandes zu tun haben. Bereits
im Schmutz und im Schlamm, in den Sümpfen, in faulen Pflanzen und
Früchten entstehen Tiere, deren Gestaltung unsere Bewunderung er-
zwingt. Die Erde selbst Ist die Heimat genialer Denker wie Platon, Ari-
stoteles, Hipparch und Archimedes gewesen. Überlegt man, daß die
Substanz der himmlischen Wesen viel reiner und edler als die der irdi-
schen Dinge ist, so wird man annehmen müssen, daß ein hervorragender
Intellekt in der Sonne, im Mond und in den übrigen Gestirnen waltet.
Das Wirken dieses himmlischen Intellekts steigt bis zur irdischen Welt
herunter, so daß diese an seiner Macht etwa in der Weise teilhat, wie die
uns umgebende Luft am Glanz der Sonne326. Die hier vertretene Auffas-
sung, daß die wohldurchdachte Organisation der sublunaren Welt auf
die von der Bewegung des Himmels und der Gestirne ausgehende Kraft
zurückgeht, scheint von den Peripatetikern im Rahmen ihrer Vorse-
hungslehre ausgearbeitet worden zu sein. Sie kommt unter anderem in
der pseudo-aristotelischen Schrift De mundo 327 sowie bei Alexander
von Aphrodisias328 vor.
So groß die Güte und die Macht und die Weisheit des göttlichen De-
miurgen auch sein mögen, sie vermögen jedoch nicht alles. Der galeni-
sche Gott wird niemals — im Gegensatz zum Gott Moses* — etwas ver-
wirklichen, das von Natur aus unmöglich ist329. Er strebt zwar immer
das Bestmögliche an, aber seine gestaltende Tätigkeit setzt die Verwen-
dung einer Materie voraus. Er entwirft den Plan, den er für den besten
hält, und benutzt die Materie, die dafür am besten geeignet ist. Die Ma-
terie ist ihm also unentbehrlich, sie stellt jedoch ein Hindernis oder zu-
mindest eine Grenze in der Verwirklichung des Bestmöglichen dar. Das
als wirkende als auch als materielle Ursachen f r die Bildung des Keim-
lings. Dar ber hinaus gilt es aber zu erkl ren, welche Ursachen es be-
wirken, da das junge Lebewesen im Mutterleib und nach der Geburt
sich sozusagen programm ig entwickelt und die ihm zur Verf gung
stehenden Organe benutzen kann. Hier k nnen wir nur auf die wichtig-
sten Punkte seiner Ausf hrungen hinweisen. Eine Auffassung, die er
Chrysipp sowie vielen Stoikern und Peripatetikern zuschreibt, lehnt er
entschieden ab. Nach diesen Gelehrten erscheine das Herz als erstes Or-
gan im jungen Lebewesen, und das Herz sei es, das dann die weiteren
Teile des Keimlings erzeuge336. Gegen diese Auffassung sprechen zuerst
embryologische Beobachtungen. Im Gegensatz zu seiner fr heren An-
sicht glaubt Galen nicht mehr, da das Herz als erstes Organ im Keim-
ling gebildet werde337. Ferner zeigt die Analogie mit den τέχναι, da
kein Handwerker sich damit begn gt, nur den ersten Teil seines Werkes
selbst herzustellen, und das Vollenden dieses Werkes anderen berl t.
Die Logik zwingt uns vielmehr anzunehmen, da bei der Gestaltung der
Lebewesen ein und dieselbe Kraft vom Anfang bis zum Ende am Werk
ist338. Es w re nicht sinnvoll anzunehmen, da das demiurgische Prinzip
sich von seinem Werk entfernt, nachdem es einen bereits vorhandenen
Teil (gemeint ist das Herz) beauftragt hat, die Vollendung des Werkes zu
gew hrleisten339. Das Problem wird noch dadurch erschwert, da die
Entstehung der Organe irgendwie parallel mit den Fortschritten in deren
Benutzung l uft. Es fragt sich daher, ob das Prinzip der γένεσις und der
διάπλασις identisch ist mit dem Prinzip der διοίκησις. Was die Benut-
zung der Organe anbetrifft, erscheint es r tselhaft, wie das Kind dazu
kommt, eine Reihe von komplizierten Bewegungen, wie zum Beispiel
die der Hand beim Greifen oder die der Zunge beim Sprechen, mit bewun-
dernswerter Sicherheit auszuf hren, obwohl es nicht die geringste
Kenntnis der daran beteiligten Muskel besitzt340. Es scheint sich also ei-
336
IV De foet. form. 4, 674,6-11; 677,2-8; 5, 683,12-14; 698,4-7.
337
Ibid. 3, 663,11-665,4. Vgl. De sent. 11,2-9, wo er sich ausdr cklich von der Mei-
nung distanziert, die er in libra . . . de iuvamento membrornm (= De usu pari.) vertre-
ten hatte. Da das Herz als erstes gebildet wird, schreibt er auch in IV De setn. I
8, 541,6-12; 9, 542,11-17,
«" IV De foet. form. 4, 674,11-17; 5, 683,3-6; 686,14-687,14.
339
Ibid. 5, 683,3-684,6,
340
Ibid. 6, 689,9-691,5; 692,18-693,4; 694,5-695,3; 696,3-11, Galen ist sicher nicht
der einzige gewesen, der sich fragte, wie das Lebewesen seine Organe benutzen kann,
ohne sie eigentlich zu kennen. Mit demselben Problem befa te sich z.B. der Stoiker
Hierokles (2. Jh. n, Chr.) im Rahmen seiner Oikeiosis-Lehre. Die sichere Benutzung
der Organe zog er als Argument dafür heran, daß jedes Lebewesen sich selbst von
Anfang an wahrnimmt. Es kennt seine eigenen Glieder und gebraucht sie zweckent-
sprechend; es kennt und gebraucht ebenfalls die Waffen, die ihm die Natur 211 Angriff
und Verteidigung verliehen hat. Vgl. Hierokles, Eth. Elementarlehre, ed. H. v. Ar-
nim, 1906, Kol. l,51 sqq.
st' Ibid. 4, 674,17-675,6; 5, 687,3-4.
3« Ibid. 6, 693,7-10,
343
Ibid. 6, 688,17-689,3.
344
Ibid. 6,688,10-15; 692,1-5, Der Vergleich geht auf Arist., De gener, an. II
l, 734b9—16 zurück und kommt in der spateren Literatur häufig vor. Ich beabsichti-
ge, die verschiedenen Aspekte dieses Gleichnisses an anderer Stelle zu untersuchen,
345
Ibid. 6, 692,4-5.
346
Ibid. 6, 700,5-12. Vgl. auch De sent. 11,1.
3 7
* Ibid. 6, 699,3-7; 700,12-17.
3 8
* Ibid. 6,696,3-11; 697,2-4.
349
Ibid. 6,695,3-17.
JSO
Ibid. 6, 696,16—697,2. Es wird sich wohl um Platoniker handeln, welche die Kosmo-
gonie des Timaios nicht wörtlich verstanden und möglicherweise auch stoische Gedan-
ken übernommen hatten. Vgl. P. Moraux, Galien gornme pbilosophe, Anm, 114.
351
Ibid. 6, 700,17-701,1. Zu dieser Theorie und Galens Einwänden vgl. P. Moraux, Ga-
lien comme philosophe 104—105 mit Anm. 146—147,
3
« Ibid. 6,699,7-13.
Schreiben wir der φύσις die Gestaltung der Lebewesen zu, so benutzen
wir em leeres Wort, denn wir wissen nicht, was diese φύσις eigentlich
ist353. Ebensowenig wissen wir, was die Seele ist354. Das einzige, das wir
mk Sicherheit behaupten k nnen, ist, da die Ursache, die die Entste-
hung und die Entwicklung der Lebewesen bewirkt, eine hohe Weisheit
besitzt und ber eine wunderbare Kraft verf gt. Was sie aber eigentlich
ist, entzieht sich unserer Erkenntnis355.
Wie wir bereits angedeutet haben, scheint Galen in seinem Suchen
nach der Entstehung und der Entwicklung der Lebewesen zwischen
zwei verschiedenen M glichkeiten zu schwanken. Einerseits spricht er
von einem g ttlichen Demiurgen oder von der demiurgischen Kraft der
Natur, andererseits stellt er Untersuchungen ber die immanente Kraft
an, die das Lebewesen sozusagen von innen her gestaltet und entwickelt
und die er trotz aller Unsicherheit ber ihr echtes Wesen als Seele zu
bezeichnen geneigt ist. Es fragt sich daher, in welchem Verh ltnis diese
beiden L sungen zueinander stehen. Sind sie berhaupt miteinander
vereinbar? Meiner Meinung nach schlie en sie sich keineswegs gegensei-
tig aus, sie stellen vielmehr zwei verschiedene Momente ein und dersel-
ben Erkl rung dar, einer Erkl rung, die, wie wir feststellen werden, an
die nacharistotelische peripatetische Lehre von der g ttlichen Vorsehung
erinnert. Betrachten wir zuerst das Wirken des Demiurgen. Die Eigen-
t mlichkeit in der Organisation der Lebewesen und in den Funktionen
ihrer Organe, m denen Galen Beweise f r das Wirken des Demiurgen
erkennt, sind selbstverst ndlich Eigent mlichkeiten, die in der Regel in
allen Individuen einer bestimmten Spezies vorkommen. Nirgends deutet
Galen an, da der Demiurg sich unmittelbar um das Wohl des Individu-
ums als solches k mmert. Vielmehr hat der Demiurg den Menschen, das
Pferd, den Hund etc. so organisiert, da alle Vertreter ein und derselben
Art dieselbe wohldurchdachte Struktur aufweisen und denselben Ent-
wicklungsproze durchmachen 356 . Die Entwicklung eines einzelnen Le-
bewesens ist daher nichts anderes als eine individuelle Verwirklichung
353
Ibid. 6,687,5-12.
3M
Ibid. 6,701,14-702,4.
«J Ibid. 6, 687,12-688,2; 693,10-15; 695,3-17; 701,7-702,4,
JS6
IX De dieb, decr. II 2, 843,17—18 hei t es καθ' Εκαστον . . , ζωον ή του γένους οι-
κεία προθεσμία τοις κυομένοις απασιν ακριβώς φυλάτιεται,. Da Galen in seinen
Ausf hrungen ber die Organisation der Lebenwesen das Spezifische schildert und et-
waige individuelle Abweichungen als Ausnahmen und Abnormit ten betrachtet, ist so
evident, da es nicht n her nachgewiesen zu werden braucht.
re von der Vorsehung scheint Gott, auf welche Weise auch immer, für
die Gestaltung der Gattungen und Arten gesorgt zu haben. Er hat z. B.
den Menschen die Fähigkeit gegeben, Tugenden zu erwerben; wie die
einzelnen Menschen davon Gebrauch machen, hat er diesen selbst über-
lassen. Auch das ewige Fortbestehen der Arten geht auf Gott zurück 359 .
Offensichtlich hat also Galen weder den Determinismus und den Pan-
providentialismus der Stoiker gebilligt, noch hat er sich der Auffassung
Platons angeschlossen, nach welcher die göttliche Fürsorge sich bis auf
die kleinsten, unbedeutendsten Dinge erstreckt360. Seine Auffassung ist
im Grunde genommen diejenige, die auch spätere Peripatetiker als die
eigentlich aristotelische hinstellten. Wenn der Versuch, eine systemati-
sche aristotelische Vorsehungslehre auszuarbeiten, uns vorwiegend
durch Alexander bekannt ist, dürfen wir nicht daraus erschließen, daß
der Aphrodisier der Initiator solcher Konstruktionen gewesen ist. Aus
Galens Anschauungen scheint sich vielmehr zu ergeben, daß es bereits
zu seiner Zeit bei den Peripatetikern üblich war, das Wirken der Vorse-
hung auf das Art- und Gattungsmäßige zu beschränken und ihm ein di-
rektes Eingreifen auf der Ebene des Individuellen abzusprechen.
k) Seelenlehre
359
Alex., Quaest. I 25, S. 40,30-41, 19; II 19, S. 63,22-28. Auf Alexanders Lehre von
der Vorsehung gedenke ich unten Bd. 111 ausführlicher einzugehen. Vgl. vorläufig
P. Moraux, Alexandre d'Aphrodise, 1942, 195-202; P. Moraux, D'Aristote ä Bessa-
rion, 1970, 41—65, P, Thillet, Un traite inconnu d'AIexandre d'Aphrodise sur la Pro-
vidence, in: Actes du Premier Congres International de Philosophie Medievale:
L'Homme et son Destin, 1960f 312—324. Die nur arabisch erhaltene Abhandlung
Alexanders über die Vorsehung wurde (mit deutscher Übersetzung) von H. J. Ruland,
Die arabischen Fassungen von zwei Schriften des Alexander von Aphrodisias, ediert:
Über die Vorsehung und über das liberum arbitrium, Diss. Saarbrücken 1976. F. P.
Hager, Proklos und Alexander von Aphrodisias über ein Problem der Lehre der Vor-
sehung, in: Kephalaion, Studies . , , C, J. De Vogel, 1975, 171-182. S, Pines, Moses
Maimonides. The Guide of the Perplexed, 1963, LX1V-LXVII und Kap. 17 des Tex-
tes, 464-466.
*60 Plat., Nom. IV 709C; X 899D-903B. Vgl. auch Xertoph., Mem. I 4,18; IV 3,12.
die er als Arzt und Naturforscher mit Sicherheit überprüfen oder aus
beobachteten Tatsachen folgerichtig ableiten kann. Diese Haltung ist
wohl nirgends so deutlich wie in seinen Äußerungen über die Seele. Auf
die Frage nach dem Wesen der Seele, nach ihrem unkörperlichen oder
körperlichen Charakter und nach ihrer Unsterblichkeit wagt er keine fe-
ste Antwort zu geben. Diese Fragen übersteigen nämlich die Kompetenz
des Arztes und entziehen sich jeder strengen Beweisführung361. Was die
Philosophen darüber lehren, überzeugt ihn offenbar nicht, und, wie wir
noch sehen werden, begnügt er sich oft damit, daß er verschiedene mög-
liche Lehrmeinungen erwähnt und vergleicht, ohne sich selbst mit Ent-
schiedenheit für die eine oder die andere auszusprechen.
Hier kann es nicht unsere Aufgabe sein, alle Aspekte von Galens See-
lenlehre auf ihren Inhalt und ihre etwaigen Quellen zu untersuchen. Da
wir Galens Verhältnis zum Aristotelismus näher zu bestimmen vorha-
ben, werden wir uns vorwiegend mit seiner Interpretation der aristoteli-
schen Auffassung der Seele beschäftigen, und wir werden auch versu-
chen festzustellen, was er den Äußerungen des Aristoteles über die Seele
verdankt und was er an ihnen nicht billigen kann. Um seine Haltung zu
beleuchten, müssen wir jedoch zuerst an einige charakteristische Züge
seiner Auseinandersetzung mit der Problematik der Seele erinnern. In
der für uns äußerst wertvollen Abhandlung „Über seine eigenen Lehr-
meinungen" faßt Galen die Erkenntnisse, die er für sicher hält, zusam-
men und legt auch die Gründe dar, die eine einwandfreie Beantwortung
anderer Fragen beinahe unmöglich machen. Unbestreitbar erscheint ihm
— wie allen Menschen im allgemeinen — die Tatsache, daß wir eine Seele
haben. Wir können nämlich die Tätigkeiten beobachten, die sie in Ver-
bindung mit dem Körper ausübt, z. B. die freiwilligen Bewegungen und
die Sinneserkenntnisse. Die Schwierigkeit beginnt, wenn es gilt zu be-
stimmen, was die eigentliche Ursache dieser Tätigkeit ist. Gewiß, man
kann von einer Tätigkeitskraft ( ) sprechen, dies besagt
jedoch nichts über das Wesen dieser Kraft. Auch die Wirkung der Medi-
kamente können wir beobachten, ohne immer in der Lage zu sein, die
Ursache dieser Wirkung zu bestimmen. Über die Ursachen derartiger
Wirkungen gehen die Meinungen der Naturphilosophen auseinander.
Die einen behaupten, daß unkörperliche Kräfte ( )
den körperlichen Substanzen innewohnen. Andere meinen, daß die kör-
perlichen Substanzen selbst ihrer eigenen Beschaffenheit gemäß wirken,
sei es, da diese Wirkung sich aus der jeweiligen Mischung der vier Ele-
mente ergibt, sei es, da sie aus irgendwelcher anderen Kombination der
„ersten K rper" hervorgeht. Was die Seele angeht, halten sie die einen
f r eine unk rperliche Substanz, andere f r ein Pneuma, andere wieder-
um schreiben ihr keine eigene Substanzhaftigkeit zu; sie betrachten sie
als eine blo e Eigenschaft des K rpers selbst; dieser besitze eigene T tig-
keitskr fte, dank welcher er seine verschiedenen T tigkeiten ausf hre.
In diesem Zusammenbang erkl rt Galen ferner, da er nicht, wie in an-
deren F llen, sagt, dieses wisse er, jenes wisse er nicht; er will lediglich
Wahrscheinliches ausarbeiten, sich jedoch davor h ten, dieses Wahr-
scheinliche als ein gesichertes Wissen hinzustellen362. In der Tat bemerkt
er mehrmals, in fr heren wie auch in sp teren Schriften, da er nicht
genau wei , was die eigentliche ουσία der Seele ist363. Ebensowenig ver-
mag er zu entscheiden, ob die Seele ganz oder wenigstens teilweise un-
sterblich ist364.
3
« IV De subst. fac. nar, 760,3-761,17 = De sent. 14,3-4.
ίω
II! De usu part. VII 8, 542,2-5; IV De util. resp. l, 472,3; IV De foet. form.
6, 700,2-5; XVII B In Hipp. eptd. VI 5, 247,12-13; V De dogm. Hipp, et Plat. IX
9, 793,6—8. Nemesios, De nat. hom, II, S. 86—87M. schreibt Γαληνός δε αποφαίνε-
ται μεν ουδέν, αλλά και διαμαρτύρεται εν τοϊς αποδεικτικοί? λόγοις (= wohl in
περί αποδείξεως), ως ουδέν εΕη περί ψυχής άποφηνάμενος' έοικε δε, ως λέγει, δο-
κιμάζειν μάλλον το κράσιν είναι την ψυχήν. Diese Auffassung der Seele widerlegt
Nemesios p. 87-91 M.
36
" IV De subst. fac. nat, 762,16-18 = De sent. 15,3; IV De foet. form. 6, 702,1-4; IV
Quodan, mor. 3, 773,2-3; V De dogm. Hipp, et Plat. 1X9, 794,11-18. In der ara-
bischen Zusammenfassung der verschollenen Schrift περί ηθών, die wohl zwischen
185 und 192 entstanden ist, finden sich allerdings Bemerkungen ber die Seele und ihre
Teile, die von Galens sonst belegten Meinungen stark abzuweichen scheinen. Es wird
vorausgesetzt, da die Seele bzw. ihr rationaler Teil unser wahres Ich ist. Die Vereini-
gung von Seele und Leib wird als die zweier selbst ndiger Substanzen erw hnt. Ferner
wird, wenn auch mit gewissen Einschr nkungen, vom g ttlichen Leben des Intellekts
nach dem Tode gesprochen und die όμοίωσις τφ θεφ als Ideal hingestellt. ,,Du sollst
wissen, da der K rper mit dir vereinigt wurde, damit er dir zur Ausf hrung deiner
T tigkeiten als Instrument dient; da die begehrende Seele dir lediglich um des K r-
pers willen gegeben wurde und das θυμοειδές, damit es dich in deinem Streit gegen die
begehrende Seele unterst tzt . . . Nun, da du einzig und allein durch deine rationale
Seele ein menschliches Wesen bist, das nur durch sie f hig ist, am Leben zu bleiben
und zu denken und zu handeln ohne die mutartige und die begehrende Seele, wenn die
rationale Seele von den beiden frei w re, h tte sie niemals in eine schlechte Lebensart
verwickelt werden k nnen . , . Und wenn du, nachdem du vom K rper und den bei-
den (unteren Seelen) befreit worden bist, noch in der Lage bist, zu berlegen und zu
denken - dies nach den Aussagen der besten Philosophen ber den Zustand des Men-
schen nach dem Tod — , sollst du wissen, da du nach dieser Befreiung vom K rper ein
Wie wir soeben gesehen haben, erwähnt Galen in seiner Schrift über
seine eigenen Lehrmeinungen drei mögliche Antworten auf die Frage
nach dem Wesen der Seele. Ist die Seele eine Substanz, so ist sie entwe-
der unkörperlich oder körperlich. Es kann aber auch sein, daß sie keine
Substantialität besitzt und nur eine besondere Eigenschaft des lebenden
Körpers darstellt. Keine dieser drei Möglichkeiten schließt Galen defini-
tiv aus, keiner schließt er sich ohne Einschränkung an. Von Anfang an
gibt es aber eine Feststellung, die seine ganze Reflexion über das Seelen-
problem beherrscht, die Feststellung nämlich, daß das Psychische und
das Somatische eng miteinander verflochten sind und sich gegenseitig
beeinflussen. Das Thema habe ihn seit jeher gefesselt; er habe sich bereits
mit seinen Lehrern darüber unterhalten; er habe sich nach der Meinung
der besten Philosophen erkundigt, und bis in seine letzten Jahre sei er
davon überzeugt geblieben, daß der Zustand des Körpers für die Tätig-
keiten der Seele von eminenter Bedeutung ist365.
Betrachten wir zuerst die platonische Lehre, nach welcher die imma-
terielle Seele bei der Geburt in den Körper eingeht und bei dem Tod
diesen Körper verläßt. Diese Lehre kann man nur dann in Einklang mit
der gegenseitigen Abhängigkeit von Körper und Seele bringen, wenn
man zugibt, daß nicht irgendeine Seele in irgendeinen Körper eingeht;
der Körper muß dazu geeignet sein, die Seele aufzunehmen und sie für
eine gewisse Zeit zu beherbergen366. Ferner muß man zugeben, daß der
Körper nicht von der Seele beherrscht wird. Die Seele ist es, die sich
nach den Zuständen des Körpers ändert; sie ist also dem Körper unter-
Leben wie die Götter (im arabischen: wie die Engel) führen wirst. Aber wenn du noch
nicht sicher bist, daß dein Geist unsterblich ist, dann ist nichts leichter als zu versu-
chen, daß deine Lebensart dem Leben der Götter (arabisch: der Engel) ähnlich wird,
während du noch am Leben bist." De moribus, S. 39,20sqq. der arabischen Ausgabe
von P. Kraus, in: Bull, of the Faculty of Arts of the Univ. of Egypt, V 1 (1937), Sectio
arabica, Kairo 1939. Ich habe die englische Übersetzung von R. Walzer benutzt: A
Diatribe of Galen, in: The Harvard Theol. Rev. 47 (1954) 243-254, abgedruckt in:
R. Walzer, Greek into Arabic, 1963,164-l 74, dort 366 Anm, l. Daß die soeben ange-
führten Sätze aus dem arabischen Resume Galens Äußerungen getreu wiedergeben,
scheint mir beinahe ausgeschlossen, R. Walzer selbst gibt zu, daß von Engeln dort die
Rede ist, wo das Original von Göttern sprach. Ich halte den Eingriff des Arabers für
noch tiefer gehend. Er hat wahrscheinlich Gedankengänge eingearbeitet, die kaum in
dieser Form im Text Galens vorkommen konnten.
Vg]. das Zeugnis am Anfang der Spätschrift IV Quod an, mor. l, 767,1 — 7.
IV Quod an, mor. 3, 775,3-16,
worfen 367 . Dazu kommt noch, da die immaterielle Seele auf einen K r-
per angewiesen ist, um in Kontakt mit den k rperhaften Dingen der Au-
enwelt zu treten368. Das Gehirnpneuma, das bei den h heren Erkennt-
nis- und Bewegungst tigkeiten eine entscheidende Rolle spielt, wird
man im Rahmen dieser Lehre f r den eigentlichen Sitz der Seele hal-
ten369. Obwohl Galen sich ber das Wesen der Seele nicht festlegen will,
gibi er in einer seiner sp ten Schriften deutlich zu erkennen, da die pla-
tonische Seelenlehre auf viele Schwierigkeiten st t, die weder Platon
noch die Platoniker haben beseitigen k nnen370. Unter den drei genann-
ten Auffassungen ist also die platonische offenbar diejenige, die Galen
am wenigsten zusagt, eben weil sie sich schwer mit den Tatsachen ver-
einbaren l t, die das Einwirken des Somatischen auf das Psychische do-
kumentieren.
Nach der zweiten der L sungen, die Galen erw hnt, ist die Seele eine
k rperhafte Substanz. Der K rper, der in diesem Fall am ehesten als
Seele betrachtet werden kann, ist jenes πνεύμα, das in der ganzen Phy-
siologie Galens eine u erst wichtige Rolle spielt371. Bemerkenswert ist
in diesem Zusammenhang die Behauptung, da die Seele, wenn sie k r-
perhaft ist, ein lichtartiger (αύγοειδές), therischer (αίθερώδες) K rper
sein mu ; dies sei der Schlu , den man aus den Auffassungen der Stoiker
und des Aristoteles ableiten k nne, selbst wenn diese Philosophen sich
dagegen wehren372. Wahrscheinlich haben wir es hier mit einer Reminis-
zenz an jene Konstruktion zu tun, nach welcher die Substanz der Seele
identisch ist mit der Substanz der Gestirne, eine Konstruktion, die allem
Anschein nach uns bereits bei Herakleides Pontikos begegnet373.
367
IV De subst. fac. nat. 763,1-4 = De sent. 15,4 εκείνο μέντοι φαίνεται μοι σαφώς,
ti, κφν είσοικίζηται τοίς σώμασι, δουλεύει, ταίς φΰσεσιν αυτών, αΐπερ είσίν, ως
έ"φην, εκ της των στοιχείων ποιας κράσεως γιγνόμεναι.
see γ De dogm. Hipp, et Plat. VII 7, 643,12-18.
369
Ibid. Vn 3, 605,18-606,4,
"« IV Quod an. mor, 3, 775,3-16.
m V De dogm. Hipp, et Plat. VII 3,606,3-4; XVII B In Hipp, epid, VI
5, 247,16-248,3 (Das Gehirnpneuma ist das erste Organ der Seele, man kann beinahe
sagen, es ist die Seele selbst. ber das Pneuma bei Galen vgl. O. Temkin, On Galen's
Pneumatology, in: Gesnerus 8 (1951) 180-189. R. E. Siegel, Galen's System of Philo-
logy and Medicine 104-115 und 183-195.
"ϊ V De dogm. Hipp, et Plat. VII 7,643,12-16. Man vergleiche auch VII
4, 612,16—613,2, wovon dem in den Nerven vorhandenen πνεύμα αΐιγο είδε ς die Re-
de ist.
37j vgl. P. Moraux, Art. Quinta Essentia, RE XXIV (1963) 1193sqq.
374
III De usu part. I 2, 2,5-3, 7,17. Nemesios, De nat. hörn. II, S. 123-124M. zitiert
wörtlich De usu part. I 1, 2,2-5 und I 22, 80,12-14. Er interpretiert Galens Ansicht
dahingehend, daß bei jeder Tierart das Aussehen des Körpers von der Beschaffenheit
der Seele abhängt: Der Körper sei ja das Instrument der Seele.
375
V De dogm. Hipp, et Plat. V 5, 464,15-465,4.
376
l De temp. I 9, 565,17-567,4,
377
Ibid. II 6, 635,7-656,8.
J7B
IX De praes. ex puls. II 8, 305,3-306,4.
jT9 iv Quod an. mor. 2, 768,6—17. Ausf hrliche Interpretation der Schrift Quod an,
mor. bei P. L, Donini, Tre studi 134- 148.
380
Ibid. 2, 769,8-15.
381
Ibid. 3, 773,9-16.
382
Ibid. 3, 774,7-15. Vgl. oben S. 741 Anm. 217,
K rpers richtet383. Die Seele selbst bezeichnet er als eine ποιότης oder
ein είδος oder ein πάθος oder eine Ούναμις des K rpers, weil diese Auf-
fassungen die beobachteten Ph nomene leichter erkl ren als etwa die
Annahme einer unk rperlichen Seele384. Er ist ebenfalls bem ht zu zei-
gen, da auch Hippokrates, Platon und Aristoteles den Einflu des K r-
pers auf die Seele hervorgehoben haben. Besonders interessant f r uns
sind die w rtlichen Zitate aus De partibus animalium, aus denen hervor-
geht, da Aristoteles die unterschiedliche Beschaffenheit der δυνάμεις
der Seele als eine Folge der unterschiedlichen Zusammensetzung des
Mutterblutes betrachtete385. Stellen aus der Historia animalium, die
physiognomische Beobachtungen enthalten, zeigen andererseits die
bereinstimmung zwischen dem Somatischen und dem Psychischen;
bei jeder Tierart entsprechen die ήθη und δυνάμεις der Seele einer be-
sonderen u eren Gestalt des Tierk rpers386.
Ob Galens Interpretation der aristotelischen Seelendefinition die
wahren Intentionen des Stagiriten treu wiedergibt oder sie — wenigstens
teilweise — verkennt, kann hier dahingestellt bleiben. Fest steht auf je-
den Fall, da Galen keineswegs der erste war, der die Seele und ihre
Kr fte als Folgeerscheinungen der Zusammensetzung des K rpers be-
trachtete, und ferner, da er nicht als einziger die Seelenlehre des Aristo-
teles in diesem Sinn verstanden hat. F r die Autoren des Corpus Hippo-
craticurn war die Einheit des Physischen und des Seelischen sozusagen
ein Axiom387. Fast zwangsl ufig ergab sich, da das Seelische als eine
blo e Funktion des physischen Organismus erschien388. Besonders
wichtig waren unter den physiologischen Erkl rungen diejenigen, die ei-
ne Mehrzahl von Stoffen oder Kr ften ansetzten und dadurch die M g-
lichkeit gaben, den Gleichgewichtsgedanken Alkmaions vom K rperli-
chen auf das Geistige zu bertragen. Man nahm also an, da die Seele
ber keine eigene Substanz verf ge, sondern durch die Kr fte- oder Mi-
schungsverh ltnisse des physischen Substrats dargestellt werde389. Bei
^ Ibid, 5, 785,9-12.
M
* Ibid. 5, 788,3-8.
395
Ibid. 7, 791,5-794,15. Vgl. oben Anm. 189.
386
Ibid. 7, 795,3-797,15. Vgl. oben Anm. 179.
387
Vgl. W. M ri, Bemerkungen zur hipp kratischen Psychologie, in: Festschrift f r Ed.
Tieche, 1947, 71, F. Wehrli, Ethik und Medizin, in: Mus, Heiv. 8(1951) 36-62, dort
48.
se p Wehrli, Op. cit. 49, mit Belegen.
389
Ibid, 49sqq.
len der vorgalcnischen Zeit die Annahme, da die Seele nichts anderes
sei als das »Temperament" des K rpers, zu den m glichen Antworten
auf die Fragen nach der Natur der Seele und dem wahren Wesen des
Menschen geh rt zu haben. Plutarch wirft z.B. die Frage auf, was das
wahre Wesen des Menschen sei, und er z hlt vier Antworten auf: l. Das
aus Seele und Leib Zusammengesetzte, 2. Die Seele, die den Leib be-
nutzt (Instramentalismus), 3. Die Vernunft, die die brigen Seelenteile
und den K rper als όργανα hat, 4. Es gebe berhaupt keine eigene ου-
σία der Seele; der K rper sei es, der auf Grund seiner besonderen Mi-
schung (κεκραμένον) die Denk- und Lebenskraft besitze397. In einer
pseudo-plutarchischen Schrift wird ebenfalls die These erw hnt, da so-
gar δόξα und διαλογισμός dem K rper zuzuschreiben seien. Die Seele
besitze keine eigentliche ουσία. Die genannten T tigkeiten erfolgten τη
του σώματος διάφορη και ποιότητι και δυνάμει398. Auch ein treuer
Anh nger des Aristoteles wie Alexander von Aphrodisias glaubte sich
nicht vom echten Aristotelismus zu entfernen, indem er die Seele als die
aus einer bestimmten Mischung der Bestandteile des K rpers entstande-
ne Kraft definierte399. Lange Zeit nach Alexander waren sich die Peripa-
tetiker immer noch nicht einig ber die Interpretation der aristotelischen
Definition der Seele als είδος des K rpers, wie aus einem Zeugnis Jam-
vier Elemente ist; er und Aristoteles hielten die Seele f r ανούσιος. Man vergleiche
ferner Nemesios' Bemerkung, II, S. 92—93M. Αριστοτέλης δε την ψυχήν έντελέ-
χειαν λέγων ουδέν ήττον συμφέρεται, τοίς ποιότητα λέγουσιν αυτήν.
Μ* Phit., Adv. Col. 21, Π19 Α-B.
398
Ps.-Plut., De libid. et aegr. 5, S. 40,11-21 Pohlenz. Diese Auffassung fand der Autor
in einem Buch περί των εν "£δου, das vielleicht zu Unrecht unter dem Namen des
Herakleides Pontikos umlief, Vgl. dazu P. Corssen, Der Abaris des Heraklides Ponti-
cus, in: Rh. Mus. 67 (1912) 20-47, dort 26-27. F. Wehrli, Komm, zu Herakl. Pont.
Fr. 72.
399 Ygi ODen $, 741. p. Thillet, Materia sme et theorie de Tarne et de Tintellect chez
Alexandre d'Aphrodise, in: Rev, philosophique (1981) 7—24, dort 8 — 14, versucht, die
Angaben Alexanders ber die Seele als Produkt der Mischung jener Qualit ten, die m
den k rperlichen Bestandteilen des Lebewesens vorhanden waren, zu relativieren. Da-
mit wolle Alexander nur die Vielfalt der Funktionen (δυνάμεις) der Seele begr nden
und nicht etwa ihr Wesen (ουσία) definieren; κατ' οΰσίαν sei die Seele n mlich sub-
stantielle Form und als solche k nne sie nicht entstehen. Die Beweisf hrung hat mich
nicht berzeugt. Alexanders Ausf hrungen in De an. 91,24-92,11, auf die Thillet
12 — 13 gro es Gewicht legt, besagen lediglich, da die Seele keineswegs mit den k r-
perlichen Elementen identifiziert werden kann, denn sie w re dann selbst k rperlich.
Die Verwandtschaft zwischen Galens letzter Ansicht ber die Seele und Alexanders
Lehre bleibt also trotz Thillets geistreicher Interpretation bestehen.
400
lamblich, De anima ap. Stob. 149,32, S. 363,19-25 W.: Einige Aristoteliker meinen,
die Seele sei είδος το περί τοις σώμασι, ή ποιότης απλή ασώματος ή ποιότης ου-
σιώδης τελεία, larnblich f gt eine, wie er sagt, nicht berlieferte, dennoch durchaus
wahrscheinliche Meinung hinzu: Die Seele sei „das Zusammenkommen aller Qualit -
ten und vielmehr das Eine, das unter ihnen Vorrang hat, sei es, da es daraus entsteht
oder vorher bestand" (συνδρομή των Ολων ποιοτήτων και το Εν αυτών κεφάλοαον,
είτε το έπιγιγνόμενον είτε το προϋπάρχον). Trotz ihrer K rze und einer gewissen
Unklarheit d rfte diese Formel wenigstens zum Teil an die Auffassung Galens bzw.
Alexanders erinnern.
401
Philop., De an. 33,2-3.
402
Philop,, De an, 9,3—35, bes. 33—35, wo die Entelechie als το εΐδοςτό έπιγιγνόμενον
εκ της τοιάσδε συνθέσεως των στοιχείων rfj ϋλβ definiert wird.
40ϊ
Nemesios, De nat. horn, II, S. 86—87M. Die Ansicht Galens ber die ήθη wird auch
bei Procl., In Tim. III 342,21 sqq. Diehl erw hnt,
404
Michael Ephes., Parva Nat. 135,22-30. «os Vgl, oben S. 741 sq.
und a fortiori wohl auch für die Seele. Alexander dürfte also lediglich
deutlich ausgedrückt haben, was in Galens Äußerungen über die Seele
als implizit enthalten war.
1) Agnostizismus
*» Vgl.obenS, 774.
407
De sent. 2,1-5 Vgi. oben Anm. 324.
4oe vgl. oben S. 770sq. mit den Anm. 349-355.
409
De sent, 2, l igitur dico quad non haheo saentiam utrum mttndits sit generatxs et utrum
illiquid sit extra. Vgl. oben Anm. 324.
410
De sent. 4,1 de corporibtts supracaelesttbus recxso me hahere sctentiam.
tim, daß er als Arzt in die Welt des und des Transzendenten
eindringt? Hat es tatsächlich bei ihm eine Spannung zwischen Physiolo-
gie und Philosophie gegeben, eine Spannung, die er erst in seinen letzten
Jahren dadurch überwinden konnte, daß er die transzendente bzw. ex-
traphysische Realität naturalistisch zu erklären vermochte? Wenn diese
Erklärung411 zutrifft, bedeutet sie, daß Galen nur als Arzt spricht, je-
doch der Meinung ist, daß die Philosophen jene Probleme zu lösen ha-
ben und dazu in der Lage sind, über die er, Galen, sich als Arzt nicht
äußern kann. Trotz seines Interesses für die Philosophie hätte sich also
Galen keineswegs als Arzt und Philosoph in einer Person betrachtet.
Demgegenüber steht der Versuch, Galens positive Äußerungen, etwa
über den Demiurgen und das Transzendente, im Rahmen der zeitgenös-
sischen Bemühungen des Mittelplatonismus zu deuten412. In der Tat
fehlt es bei Galen nicht an Angaben, die — besonders m seinen Ausfüh-
rungen über die Modalitäten des demiurgischen Wirkens Gottes — de-
nen der Mittelplatoniker durchaus ähnlich sind. Dies schwächt jedoch
die Aussagekraft seines Bekenntnisses zu einem beschränkten Agnosti-
zismus nicht ab.
Die Frage bleibt daher offen, warum er so ausdrücklich zu erkennen
gibt, daß bestimmte Probleme seiner Meinung nach nicht mit Sicherheit
gelöst werden können. Daß er den Philosophen die Lösung überläßt und
sich selbst nicht dazu äußert, eben weil er ein Arzt und kein Philosoph
sein will, erscheint mir als eine ziemlich unbegründete Hypothese, die in
den Texten selbst keine Unterstützung findet. Ich halte es dagegen für
sicher, daß sein Agnostizismus rein philosophisch begründet ist und in
unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Epistemologie steht. Gewiß,
er gibt gelegentlich zu, daß bestimmte umstrittene Fragen der Philoso-
phie für den Arzt belanglos sind413. Der Arzt muß sich damit zufrieden
411
Sie wird in mehreren Arbeiten von L. Garcia Ballester zumindest angedeutet. Vgl. un-
ter anderen La „Psique" en el somatidsmo medico de la Antiguedad: La actltud de
Gaieno, in: Episteme 3 (1969) 195-209, bes. 196 (Galen vertritt) „la incompetencia
del medico para penetrar en el mundo de los . . . " er wili „explicaciones
extrafisiologicas en el campo de esa porcion de la ciencia que es La medicina" nicht
anerkennen. Ferner Lo medico füosofico-moral en las relaciones entre alma y en-
fermedad: el pensamiento di Gaieno, in: Asclepio 20 (1968) 99 — 134, wo der Vf, zwei
unvereinbare Haltungen Galens gegenüber dem Problem der Seele aufdeckt: Einerseits
erörtert es Galen als Arzt, andererseits als Moralphilosoph,
412
Vgl. P. Donini, Motivi filosofici in Gaieno bes. 333—357.
*ls Z.B. die Frage, ob in der nur die Qualitäten oder auch die Körper selbst mit-
einander kombiniert werden. Vgl. oben S, 740,
geben, da ihm das Wesen der Seele unbekannt bleibt. Ihm gen gt die
Feststellung, da das Leben eng von der κρασις des Gehirns und dem in
den Gehirnkammern enthaltenen Pneuma abh ngt414. Auch die Ent-
scheidung dar ber, ob επιθυμητικόν und θυμοειδές sterblich oder un-
sterblich sind, nutzt dem Mediziner und dem ethisch-politischen Philo-
sophen kaum. Die Mediziner und viele Philosophen haben sich deswe-
gen nicht damit besch ftigt 415 .
Galens Interesse f r philosophische Probleme ist jedoch so stark, da
er, wenn er eine dezidierte Meinung ber diese kontroversen Fragen ge-
habt hatte, sie seinen Lesern nicht vorenthalten h tte. Das gilt insbeson-
dere f r die Frage nach der Natur der Entwicklungskraft im Embryo,
Hier ist das Interesse des Mediziners ganz offenkundig. Galen selbst hat
lange dar ber nachgedacht, und nur schweren Herzens gibt er zu, da er
keine sichere Antwort zu bieten hat. Der Umstand, da einige philoso-
phische Probleme nicht in die Kompetenz eines Arztes fallen, reicht also
nicht aus, um Gaiens Agnostizismus zu erkl ren, Werfen wir aber einen
Blick auf jene Stellen, an denen er sein Nichtwissen ausdr cklich ver-
k ndet, so f llt uns auf, da er fast berall dieselbe Begr ndung angibt:
Er besitzt dar ber keine stichhaltigen, rein wissenschaftlichen Beweise
(αποδείξεις); selbst ein Platon ist nicht ber das Wahrscheinliche und
das Plausible hinausgekommen. Es w re daher verwegen, sich dazu zu
u ern416. Seiner berzeugung nach gibt es also Probleme, die sich ei-
ner streng apodiktisch verfahrenden Er rterung entziehen und deren an-
gebliche L sung niemals den notwendigen Charakter eines wissen-
schaftlichen Beweises innehat. Das mu wohl daran liegen, da wir in
«" XVII B In Hipp. epid. VI 5,248,11-16.
*1S V De dogm. Hipp, et Plat, IX 9, 794,11-18.
4
« XVII B In Hipp. epid. VI 5, 247,12-13: Galen hat kein festes Wissen (έπίοτασθαι
βεβαίως) ber das Wesen der Seele; 248,9: keine άπόδειξις βεβαία; 248,9-11: Wer
zu dieser Frage etwas sagt, tut es aufgrund seiner Voreiligkeit, προπετείφ, eher als
aufgrund seiner Weisheit, οοφίςι. De sent. 14,4 = IV De subst. fac. nat. 761,10—17:
Es gibt Gebiete, z. B. die Seelenlehre, auf denen man nur bis z rn πιθανόν kommen
kann und keine βεβαία γνώσις erreicht, weil es eben keine άπόδειξις βεβαία gibt, IV
De foet, form. 6, 700,2—5: ber die Natur der Seele hat Galen keine wissenschaftlich
begr ndete Meinung, δόξα αποδεδειγμένη επιστημονικώς, und er kann sogar nicht
einmal bis zum πιθανόν gelangen. V De dogm. Hipp, et Plat. IX 9, 793,6—16: In
seinen Ausf hrungen ber die Natur der Seele hat Platon nur das πιθανόν und das
εικός erreicht; deswegen will Galen selbst nichts τολμηρώς άποφήνασθαι; was die
Dreiteilung der Seele anbetrifft, verf gt er aber ber αποδείξεις επιστημονικά t. Ibid.
794,18—795,1: Die αποδείξεις ber die Sterblichkeit oder Unsterblichkeit der zwei
unteren Seelenteile haben kein βέβαιον inne; das bat auch Platon eingesehen.
417
IV De foet. form. 6, 695,3-17.
418
ber die Editionen dieser Schrift vgl, unten Anm 469,
419
V De peccat. dignot. 5, 93,4-16; 7, 101,12-103,1.
410
Ibid. 7,98,11-15.
411
Ibid. 7, 100,3-5.
411
Ibid. 7, 99,3-101,3.
433
XIX De ord. script, l, 50,4—52,1. Das Wort αϊςεσις l t sich schwer bersetzen.
Einerseits sind die bestehenden, ein bestimmtes System von Lehrmeinungen vertreten-
den Schulen und Sekten gemeint. Andererseits bezeichnet Galen mit ή αρίστη αϊρεσις
nicht die beste unter den etablierten Schulen, sondern ein angestrebtes System von
Lehrmeinungen, in dem jede These kritisch berpr ft wurde und aJs festes Wissen an-
gesehen werden kann. Da Galen frei von Schulbindungen sein und jede Ansicht auf
ihren wissenschaftlichen Wert untersuchen will, sagt er auch in V De cogn. an. morb.
8, 42,11 — 15 und 43,6—8. Dies erinnert an Aussagen Oceros, der meint, bei der Er r-
terung kontroverser Fragen wiege die Autorit t eines Denkers weniger als der Wen
einer Argumentation. De nat. deor, 115 non .. . tarn auctoritatis in difpxtando qttam
rationis momenta qttaerenda suntj hnlich De rep. I 59 (Laelius) apud ms, itt apttd
bonttm ixdicem, argumenta pltti qu,am testesvalent. Vgl. bereits Plat., Charm. 161C
πάντως . . . ου τοΰτο σκεπτέον, όστις αυτό είπεν, άλλα πότερον αληθές λέγεται ή
Das sind also die programmatischen Grundsätze, von denen Galen sich
in seinem ganzen Leben leiten ließ: Ohne jede Form von sektarischem
Eifer und ohne sich blindlings zu einer Schule zu bekennen, hat er ver-
sucht, die ihn interessierenden Thesen auf ihren wissenschaftlichen
Wahrheitsgehalt hin zu prüfen, um sie dann mit gutem Grund anneh-
men oder verwerfen zu können. Sein Elektizismus und sein partieller
Agnostizismus sind in Wirklichkeit nichts anderes als die Verwirkli-
chung dieses hohen wissenschaftlichen Ideals.
. Später Minuc. Fei,, Oct, 16,6 nihilit&que indignandum vel dolendum, uqmcum-
que de divmis quaerat, seniütt, proferat, cum non disputantis aucioritas, sed disputatio-
nis ipsins veritas requiratnr. Aug., De civ. Dei XIX 3, S. 373, l —3 Hoffmannpotius de
rebus ipsis iudicare debemus, quampro magno de kominibus quis quisque senserit scire.
A. Pradisposition
Galen legt großen Wert auf die Feststellung, daß Säuglinge und
Kleinkinder von Natur aus, vor jeder Erziehung und sonstiger Beein-
flussung durch die Umwelt, individuell verschiedene Tendenzen und
Reaktionen aufweisen. Die einen sind z. B, feige und schreckhaft, andere
uners ttlich und naschhaft, andere frech, andere wiederum besitzen die
entgegengesetzten Eigenschaften. Daraus geht hervor, da ihre Seelen
von Natur aus verschiedenartig sind, sonst w re n mlich die Verhaltens-
weise aller Kleinkinder dieselbe426. Deswegen kommt es vor, da in ei-
ner Gruppe von Kindern, die dieselbe Erziehung genie en, die einen
sich charakterlich ganz anders entwickeln als die anderen427. Von An-
fang an besitzen also die jungen Menschen ganz verschiedene Vorausset-
zungen, die ihnen das Erwerben der Tugend leichter oder schwieriger, ja
bisweilen fast unm glich machen. Die Philosophen, die behaupten, der
Mensch sei von Natur aus gut, nur die Mitmenschen und die Umwelt
h tten ihn verdorben, befinden sich also im Irrtum. Ebensowenig kann
man der These beipflichten, da niemand von sich aus zur Gerechtigkeit
neige, das hei t, da der Mensch von Natur aus amoralisch sei428. Ga-
lens berzeugung, da die Menschen von Natur aus ungleich und auf
Grund ihrer Anlagen mehr oder weniger geeignet sind, zu einer tugend-
haften Lebensweise erzogen zu werden, begegnet uns bei mehreren Phi-
losophen seiner Zeit429. Selbstverst ndlich haben die meisten Erzieher
und Moralisten auf die Wichtigkeit der Veranlagung hingewiesen, und es
w re m ig, entsprechende Aussagen anzuf hren. Es sei hier lediglich
daran erinnert, da auch Aristoteles von der φυσική αρετή und den φυ-
σικαί έξεις, z.B. bei den Kindern, spricht430, allerdings um gleich hin-
zuzuf gen, da die Beteiligung der Vernunft f r das Zustandekommen
426 iv Quod an. mor. 2, 768,6-769,8. V De cogn. an. morfa. 7, 37, H-39,12. Auch in
der in Rom zwischen 185 und 192 verfa ten Schrift περί ηθών zeigte sich Galen f r die
unterschiedlichen Veranlagungen der Kleinkinder sehr interessiert. Das geht aus der
arabischen Zusammenfassung dieser Schrift hervor, die auf der bersetzung des Hu-
nain ibn Ish q basiert und die R. Walzer in einer gelehrten Analyse den des Arabischen
unkundigen Lesecn vorgestellt hat. R, Walzer, New light on Galen's moral philoso-
phy, in: Class. Quart. 43 (1949) 82-96, abgedruckt in: R. Walzer, Greek into Arabic,
1963, 142-163, dort bes. 155-157.
«7 IV Quod an. mor. 11, 816,14-817,9.
*la Ibid. 11, 814,10-16; 816,7-817,9,
*29 Auch Albinos hebt die Wichtigkeit der εύφυίαι. f r eine gute Erziehung hervor, Di-
dask. l, 152,7-23; 30, 183,15-20. Vgl, auch Anon. Komm, zum Theat., edd.
H. Diels-W, Schubert, 4,39-5,3 (zu 142D); 9,37-10,3 (zu 144A). Apuleius, De
Pkt. 228 zahlt zu den virtittes inperfectae diejenigen, quae in omnibus benefitio solo
naturae proveniunt. hnlich Areios Did. ap. Stob. II 7,18, S, 131,17; 19,
S. 136,16-18. Plot. I 3, 6,14-24,
430
Vgl. etwa EN VI 13, 1144 b l-14.
437 v De cogn. an. morb, 7, 40,1—8. Der Vergleich der Erziehung mit der Kultur einer
Pflanze kommt in der vorgalenischen Literatur mehrmals vor, etwa um zu zeigen, wie
vorteilhaft die Kombination von günstigen Anlagen und adäquater Pflege ist. Das älte-
ste mir bekannte Beispiel bezieht sich auf das Erlernen der Medizin, Hipp., Lex 3: Die
angeborene Fähigkeit des Lernenden gleicht dem Boden, und die Ansichten der Lehrer
der Saat. Der Lernprozeß entspricht dem Bestellen des vorbereiteten Bodens zur pas-
senden Zeit. Der Ort, an dem der Unterricht stattfindet, ist der umgebenden Luft ver-
gleichbar, aus der die junge Pflanze sich ernährt. Der Lerneifer entspricht der Pflege
des Ackers. Auf den beiden Gebieten, Lernen und Wachsen, trägt die Zeit zur voll-
ständigen Entwicklung bei. Sehr ähnlich Ps.-Plut., De lib. educ, 4,2A-B. Plat.,
Resp. VI 491 D — E weist darauf hin, daß eine gute Seele, der eine schlechte Erziehung
zuteil wird, sich so schlecht entwickelt wie eine Pflanze, die sich nicht richtig ernähren
kann, Arist., 10, 1179b23-26 bemerkt, daß vor dem ethischen Unterricht die
Seele des Hörers durch die so vorbereitet werden soll wie der Boden, der die Saat
ernähren wird. Vgl. dazu Michael Ephes., EN 607,2-7. Cic., De fin. V 39-40 (vgl.
auch IV 38) hebt hervor, daß bei den Pflanzen wie bei den Menschen die angeborenen
Anlagen und Tendenzen durch die Erziehung vervollkommnet werden können. Dazu
F. Dirlmeier, Oikeiosislehre 61—64, der verrnuiet, daß hier Gedankengänge The-
ophrasts vorliegen. Schließlich sei an die hübsche Anekdote des Herodes Atcikos (bei
Gell, XIX 12,7—10) erinnert, die die Sinnlosigkeit des Apathie-Ideals dokumentieren
soll. Ein Barbar, der von der Landwirtschaft nichts verstand, hatte ein Grundstück mit
ölbä'umen und Weinstöcken erworben. Er beobachtete einen Nachbarn, der seine
Baume kunstvoll zurückschnitt, und erfuhr von ihm, daß diese Behandlung eine besse-
re Ernte zur Folge haben würde. Daraufhin schnitt der Barbar seine eigenen Bäume so
rücksichtslos ab, daß sie nichts mehr trugen. So verfahren auch diejenigen, die ihre
Affekte restlos ausmerzen wollen.
438
IV Quod an. mor. 11,815,18-816,7.
C, Die Affekte
Mit der Lehre von den Affekten hat sich Galen sehr eingehend be-
sch ftigt, insbesondere um die Auffassung der alten Stoiker und den in-
tellektualistischen Monismus Chrysipps zu widerlegen. Die Affekte,
meint er, sind weder Urteile (κρίσεις) noch irgendwelche Folgeerschei-
nungen von Urteilen (κρίσεσιν επόμενα, έπιγινόμενα κρίσεσιν und
444
Ibid. 9, 807,17-808,12, bes. 808,4-9,
445
Ibid. Π, 820,16-821,2.
44«. γ £)e C0gn an morb. l, 2,15—3,1, Der Unterschied zwischen den Fehlern, die sich
aus einer μοχθηρά δόξα ergeben, und denjenigen, die auf das πάθος zur ckgehen,
erl utert Galen V De peccat, dignot. 3, 77,4—12.
447
V De cogn, an. morb. l, 3,1-5. V De peccat. dignot. l, 58,4-59,4.
448
V De cogn. an. morb. 3, 7,12-13.
dgl. mehr). Er billigt die Ansicht des Poseidonios und der παλαιοί mit
folgenden berlegungen: Die παθητικοί κινήσεις entstammen dem ir-
rationalen Seelen teil; es komme vor, da sie sich unserem Willen entz -
gen und ein Konflikt zwischen λόγος und πάθος entstehe. Diese Lehr-
meinung des Poseidonios sei auch die von Aristoteles und Platon gewe-
sen, und Poseidonios f hre sie sogar auf Pythagoras als ihren Urheber
zur ck449. Als πάθη, die alle anerkennen, nennt Galen θυμός, οργή,
φόβος, λύπη, φθόνος, επιθυμία σφοδρά und f gt bertriebene Liebe
und bertriebenen Ha hinzu450. Den θυμός und die brigen Affekte
betrachtet er als „Krankheiten der Seele". Damit meint er wohl kaum
Krankheiten im streng medizinischen Sinn und sicher nicht die Geistes-
krankheiten der modernen Psychiatrie451.
Wie wir uns den Affekten gegen ber zu verhalten haben, werden wir
noch sp ter sehen. Bevor wir unsere Fehler irgendwie zu beseitigen ver-
suchen, m ssen wir sie n mlich deutlich erkennen; die διάγνωσις soll
der έπανόρθωσις vorangehen452. Praktische Ratschl ge, wie man zur
Erkenntnis der eigenen Fehler am sichersten gelangt, enth lt die Schrift
De cognoscendis eurandisque animi morbis, aus der wir nur einige
Punkte hier zusammenfassen wollen. Von uns aus sind wir blind f r die
4W
Besonders lehrreich sind die B cher IV und V von V De dogrn. Hipp, et Plat., in
denen Galen Poseidonios heranzieht, um Chrysipp zu widerlegen. Vgl. dazu die ein-
gehende Untersuchung von M. Pohlenz, De Posidonii libris περί παθών, in: Jahrb, f.
klass, PhiloL, Suppl. 24 (1898) 535-634. ber Pythagoras, Platon und Aristoteles als
Vorg nger des Poseidonios in der Affektlehre: V De dogm. Hipp, et Plat. IV
7, 425,13-17.
*so y £>e cogn. an. morb. 3, 7,13—17: Die παλαιοί z hlten f nf πάθη auf, und zwar
λύπη, οργή, θυμός, επιθυμία, φόβος. Vgl. auch 5, 24,5 — 7.
451
Dies wurde hervorgehoben von L, Garcia Ballester, Diseases of the Soul (Nosemata les
Psyches) in Galen; The Impossibility of a Galenic Psychotherapy, in: Clio Medica 9
(1974) 35—43. In lteren Arbeiten dagegen wird Galen wegen seines Interesses f r die
„Krankheiten der Seele" oft als Vorg nger der modernen Psychotherapie hingestellt.
Vgl. z.B. die Einleitung zur franzosischen bersetzung von V De peccat. dignot. von
R. Van der Eist, Tratte des passions de l' me et de ses erreurs, Paris 1914, und die
Ausf hrungen von W. Riese in der englischen bersetzung derselben Schrift von
P. W. Harkins, On the Passions and Errors of the Soul, Ohio 1962. Auch die umfang-
reiche Monographie von J. Pigeaud, La maladiede l' me. Etude sur la relation de Tarne
et du corps dans la tradition medko-philosophique antique, Paris 1981 { ber Galen
dort 47—80), leidet darunter, da nicht sorgf ltig genug zwischen den Seelenkrankhei-
ten im antiken (ethischen) Sinn und der modernen Psychopathologie unterschieden
wird.
5Ϊ
* V De cogn. an. morb. 3, 8,1-2; 6, 34,7-11.
eigenen Verfehlungen und Irrt mer, vor allem, wenn sie geringf gig
sind453. Auch Freunde oder Schmeichler k nnen da wenig helfen. Fer-
ner w re es absurd, mit der Unterst tzung jemandes zu rechnen, der
selbst ein ausgelassenes Leben f hrt. Am besten werden wir uns auf lte-
re Menschen verlassen, die vorbildlich gelebt haben und mit denen wir
uns in Privatgespr chen ganz aufrichtig ber unsere Verfehlungen unter-
halten werden454.
In der sp tantiken Ethik kommen im Hinblick auf die Frage, wie wir
uns den Affekten gegen ber zu verhalten haben, zwei grunds tzlich ver-
schiedene Haltungen zum Ausdruck. Nach der einen, die uns vorwie-
gend in der Stoa begegnet, seien die Affekte als Widersacher der Ver-
nunft absolut schlecht und verwerflich. Sie seien daher g nzlich auszu-
rotten. Der Weise zeichne sich durch seine v llige απάθεια aus. Nach
der anderen, die auf der Linie der platonisch-aristotelischen Tradition
steht, k nnen sich die Affekte unter Umst nden als n tzlich erweisen.
Sie k nnen sich den Anweisungen der Vernunft unterwerfen und dem
tugendhaften Handeln zutr glich sein. Naturwidrig und sch dlich seien
dagegen ihr v lliges Fehlen und wohl noch mehr ihr unkontrolliertes
berwuchern. Daher sollten sie nicht g nzlich ausgerottet, sondern
vielmehr auf das richtige Ma gebracht werden. Anstelle der stoischen
απάθεια wird das Ideal der μετριοπάθεια gepriesen. Auf die vielfach
belegte Opposition der beiden Haltungen brauchen wir nicht n her ein-
zugehen. Wir haben uns lediglich zu fragen, ob und wie Galen in dieser
sozusagen klassischen Debatte Stellung genommen hat. Mit dem theore-
tischen Aspekt des Problems scheint er sich allerdings nicht besch ftigt
zu haben. Die Alternative απάθεια oder μετριοπάθεια formuliert er
nirgends, und er hebt auch kaum hervor, da im Ma gehaltene Affekte
f r das Aus ben der Tugend von Nutzen sein k nnen. Die Affekte, die
er in der Schrift De cognoscendis curandisque animi morbis schildert
und vor denen er warnt, sind vorwiegend ungehemmte Exzesse, etwa in
Wut- und Zornausbr chen, Neid, Geldgier und dgl., so da im gro en
und ganzen seine Haltung den Affekten gegen ber ablehnend ist. Den-
noch fehlt es nicht an u erungen, die zeigen, da er der platonisch-ari-
stotelischen Lehre n her steht als der altstoischen. In unserer Seele gibt
es zwei irrationale δυνάμεις. Die eine bewirkt es, da wir sofort in Zorn
453
Auf die Schwierigkeit der Selbsterkenntnis wird schon in den MM II 15, 1213al3—20
hingewiesen.
454
Vgl. in der genannten Schrift die Kap, 2 und 3.
und Wut ausbrechen, wenn wir uns falsch behandelt f hlen. Die andere
zieht uns zum scheinbar Angenehmen hin, noch bevor wir berlegt ha-
ben, ob es n tzlich und gut oder sch dlich und schlecht ist455. Gemeint
sind offenbar das platonische θυμοειδές und das έίΐιθυμητι,κόν456. Nun
verlangt jede dieser beiden irrationalen Machte eine andere Behandlung.
Mit dem θυμοειδές soll man so verfahren wie mit einem Tier, das es zu
b ndigen und zu z hmen gilt. Seine Kraft darf man nicht niederschlagen
(την . . . Εσχύν ου χρή καταβαλεϊν), man soll es vielmehr zum Gehor-
sam trainieren (την εύπείθειαν άσκεϊν). Man kann es n mlich als Ver-
b ndeten gegen die andere Macht, gegen jene Begierde, die uns blind-
lings zu den k rperlichen Gel sten hinf hrt, benutzen. F r den begeh-
renden Seelenteil dagegen ist keine Erziehung zum Gehorsam m glich.
Die Alten sagten, da man ihn z chtigen (κολάζειν) soll, ihn nicht in
den Genu des Objekts seiner Begierde kommen lassen darf, damit er
klein und schwach bleibt und sich wegen dieser Schw che, und nicht
etwa seines Gehorsams wegen, der Vernunft unterwirft 457 . Hier sind die
Reminiszenzen an Platon offenkundig, typisch aristotelisch-peripateti-
sche Z ge finden sich dagegen nicht. Auf den Nutzen des θυμοειδές
und der aus ihm entstehenden Affekte geht Galen nicht n her ein. Da
seine Analyse und seine Ratschl ge praktisch nur die exzessiven, ma lo-
sen Affekte ber cksichtigen, nimmt es nicht wunder, wenn er empfiehlt,
sich so lange wie nur m glich frei von Affekten zu halten und den Affekt
so auszurotten, da nicht einmal seine Wurzeln in uns erhalten blei-
ben458. Die Abhandlung, aus der diese Angaben stammen, will aller-
dings keine philosophische Theorie der Affekte darlegen. Dem Verfasser
liegt vielmehr daran, seinem Leser konkrete, praktische Ratschl ge f r
eine bessere Gestaltung des Alltagslebens zu erteilen. Obwohl der theo-
retische Hintergrund seiner Empfehlungen ziemlich undeutlich bleibt,
455
V De cogn, an. morb. 6, 28,17-29,7.
456 £)le platonische Trichotorme der Seele zog Galen ebenfalls f r seine Ausf hrungen
ber die ήθη in der verschollenen Schrift περί ηθών heran. VgL R. Walzer, Greek into
Arabic 145.
457
V De cogn. an. morb. 6, 26,17-28,10.
4SB
In diesem Zusammenhang kommt das Verbum έκκόπτειν, „austilgen, ausrotten, aus-
merzen", mehrmals vor: V De cogn. an. morb. 3, S, 1; 6, 29,13; 7, 36, l; 27; 10, 55,9,
Vgl. ferner 5,23,10—12 (Man soll bei jeder Handlung berlegen, was χωρίς του
πάθους das Beste ist); 5, 24,7—11 (Das Beste ist zuerst, επί πολ,ΰ έχειν άνευ των
εΐρη μένων παθών); 10, 54,15—17 (Es ist f r uns von Vorteil, wenn die Menschen, mit
denen wir verkehren, £|ω των ψυχικών παθών sind).
459 Vgl. I. Hadot, Seneca und die griechisch-r mische Tradition der Seelenleitung, Berlin
1969, wo S, 66 auf Galens Traktat verwiesen wird.
ήο
< Vgl. u . a . VDecogn, an. morb. 4, 14,11-12; 16,10-17,2; 6, 32,3-6; 33,2-6; 10,
55,15-57,1.
461
Vgl. t. B. EN II l, 1103a 17ή δε ηθική (αρετή) έ| έθους πεςιγίνεται und das ganze
Kapitel II l sowie die Ausf hrungen von II 3 und X 10, 1179b 20 sqq. Die Gew h-
nung setzt uns in den Besitz einer £ξις, die es bewirkt, da wir beinahe automatisch
gem der richtigen Vernunft handeln. Diese £ξις ist jedoch keine echte Tugend, son-
dern eine Voraussetzung zum Erwerben der Tugend.
462
De consuetudinibus = περί έθών, ed. L M ller, GaL Scr. Min. II 9—31 (nicht bei
K hn), CMG SuppL III (1941). Vgl, auch den Vortrag von H. J. Drossaan Lulofs,
Galenus over Gewoomen, m: Bijdragen tot de Geschiedenes der Geneeskunde 8 (1928)
305-314.
und durch neue, erworbene ersetzt werden, welche den Platz der ur-
spr nglichen Veranlagungen einnehmen. Die Gewohnheit ist sozusagen
zur zweiten Natur geworden. Und damit wird der ethische Determinis-
mus, der sich aus den unterschiedlichen Veranlagungen der Kinder zu
ergeben schien, schlie lich doch berwunden. Im Kindesalter, schreibt
Galen, ist es die Natur, die von gro er Bedeutung f r die Vollkommen-
heit des Lebens ist, sp ter aber der Unterricht und das Trainieren468.
«β γ De cogn. an. morb. 7, 57,12-14 και γαρ και την φύσιν εν απαοί,ν . . , δύνασθαι
μέγα εν τη των παιδιών ηλικία εις ζωής τελείωσιν, είθ' ύστερον τα τε δόγματα και
την ασκησιν. Die Ansicht, da die ήθη angeboren sind, dennoch durch Training und
Belehrung modifiziert werden, war auch eine der Hauptthesen der verschollenen
Schrift περί ηθών. Vgl. R. Walzer, Greek into Arabic 142-163, bes. 158sqq.
4«> y rje peccat, dignot. 58-103. Nach K hn neuere Edition von I. Marquardt, Gal. Scr.
min. I, 1884, 45-81. Aufgrund von Galens Angaben betrachtet Marquardt unsere
Schrift als das zweite Buch des XIX De hbr. propr. 45,11 —12 erw hnten Werkes περί
των ιδίων έκάστω παθών και αμαρτημάτων της διαγνώσεως β . Der ziemlich kor-
rupte, stellenweise l ckenhafte Text liegt jetzt in einer besseren Ausgabe vor: ed, W.
de Boer, CMC V 4, 1.1, Leipzig-Berlin 1937, 39-68. Ich benutze de Boers Text,
zitiere jedoch nach den Seiten und Zeilen K hrts,
«™ V De peccat, dignot, l, 59,2-4. Vgl. auch V De cogn. an, morb. l, 3,1-5.
einen affektm igen (κατά πάθος) Fehler, "Wenn einer dagegen beschlos-
sen hat, da er sich selbst Lust oder Ungest rtheit egoistisch anschaffen
soll, und aus diesem Grund es vermeidet, unrecht behandelten Mitb r-
gern oder Verwandten zu helfen, der begeht einen Fehler auf Grund ei-
ner schlechten Meinung (δι,ά μοχθηρών δόξαν), nicht auf Grund eines
Affekts (ου δια πάθος)471".
Im Gegensatz zur Schrift ber die Heilung der Affekte, die vorwie-
gend konkrete Ratschl ge zur B ndigung bertriebener affektm iger
Reaktionen enth lt, legt Galen in der Schrift De pecc. dignot. eher eine
Methodik des ethischen Denkens dar. Er erkl rt nicht etwa — wie wir
erwarten konnten —, was er f r das h chste Ziel im Leben h lt, und
auch nicht, was als Gut und was als bel zu gelten hat. Ihm liegt viel-
mehr daran, die Ursachen f r das Entstehen von falschen ethischen
Grunds tzen aufzudecken und vor ihnen eindringlich zu warnen. Im-
mer wieder weist er auf die Gefahr der voreiligen Zustimmung (προ-
πετης ουγκατάθεοις) hin. Oft ist das Falsche dem Wahren t uschend
hnlich, wie die sophistischen Schlu folgerungen zeigen. In vielen F l-
len leuchtet es zwar ein, da der Schlu satz falsch ist, nur der ge bte
Logiker vermag jedoch den versteckten Fehler zu entdecken472. In den
S tzen, die sich auf die Beurteilung von Gut und bel, auf das Anzu-
strebende oder zu Meidende u. dgl. beziehen, verh lt es sich nicht an-
ders. u erste Vorsicht ist daher geboten, wenn wir einem ethischen
Grundsatz zustimmen wollen. Nur derjenige, der die apodiktische Me-
thode kennt und lange praktiziert hat, wird in der Lage sein, das Wahre
vom Falschen zu unterscheiden und einen Satz als g ltig anzuerkennen
oder ihm seine Zustimmung zu verweigern. Es gibt aber viele Philoso-
phen und Doxosophisten, die es wagen, ethische Lehrmeinungen zu
verk nden, ohne sich um die apodiktische Methode zu k mmern, und
die diese sogar f r v llig berfl ssig halten 473 . Galen selbst h lt die An-
wendung der apodiktischen Methode auf die Ethik f r absolut unent-
behrlich. Die Ansicht der skeptischen Akademiker und der Pyrrhoneer
lehnt er dezidiert ab. Diese bestritten die M glichkeit einer wissen-
schaftlichen άπόδειξις und erkl rten daher jede συγκατάθεσις f r vor-
eilig, denn wir k nnten niemals wissenschaftlich entscheiden, ob wir
471
V De peccat. dignot. 3, 77,6-12. Ahnlich V De dogm. Hipp, et Plat. IV 2,
371,16-372,15.
472
V De peccat. dignot. 2, 62,9-63,10; 3, 72,5-74,8.
473
Ibid. 2, 61,16-62,9; 64,8-65,7,
474
Ibid. l, 60,12-61,4; 6, 94,2-7.
475
Ibid. 3, 66,5-69,7; 4, 79,13-5, 89,5. Vgl, oben S. 718.
47
* Ibid. l, 61,4 — 15; 3, 68,8 — 13, Galen nimmt also an, da die Erkenntnis des h chsten
Zieles menschlichen Handelns durch ein diskursives Verfahren nicht nur erfolgen
kann, sondern auch erfolgen mu . Dies scheint nicht die Ansicht zu sein, die Aristote-
les in der EN vertritt, obwohl die Interpreten sich dar ber keineswegs einig sind. Die
Unsicherheit dar ber h ngt mit der sehr umstrittenen Interpretation des φρόνησις—
Begriffs zusammen. Die einen sind der Meinung,da die φρόνησις, eine lehrbare intel-
lektuelle Tugend, das richtige Erfassen der h chsten Normen des Handelns gew hrlei-
stet. Andere dagegen heben hervor, da das h chste ethische Ziel ein Prinzip und als
solches unbeweisbar ist; die φρόνησες k nne daher keine rationale Methode zur Ent-
deckung des Zieles beinhalten; sie sei auf die Bestimmung der richtigen Mittel zum
unabh ngig von ihr anerkannten Telos beschr nkt. Vgl. die ausf hrlichen Er rterun-
gen von R. Bode s, Le Philosopbe et la Cite, Paris 1982, bes. 60sqq. mit eingehender
Besprechung der fr heren Literatur. Galen scheint sich der Schwierigkeit des Problems
nicht bewu t gewesen zu sein.
477
V De peccat. dignot. 3, 74,8-11; 4, 77,13-16.
478
Ibid. 3, 76,11 -13 άλλα τα μεν έζητημένα πολλάκις ήμϊν άμα πολλοίς άνδράσι περί
των ακολούθων έκάστφ τέλει βίων εν έτέροις ύπομνήμασιν έχεις. Vgl. 76,3sqq.
aber auch vorkommen, da man das τέλος richtig definiert und sich
trotzdem beim Ausarbeiten einzelner Konsequenzen aus diesem τέλος
irrt. Das τέλος bleibt auf jeden Fall das Allerwichtigste479, In der vorlie-
genden Schrift verzichtet Galen auf konkrete Beispiele f r richtige und
falsche Telos-Bestimmungen und f r die Handlungsweisen, die sich je-
weils daraus ergeben. Mit dieser Materie hat er sich, wie bereits ver-
merkt, an anderer Stelle ausf hrlich besch ftigt480.
Von der ethischen Theorie verlangt Galen, wie wir gesehen haben,
dasselbe wissenschaftliche Beweis verfahren und dieselbe strenge Folge-
richtigkeit wie von der Geometrie. Trotz seiner enthusiastischen Huldi-
gung an eine in ihren Hauptz gen aristotelische Apodiktik leuchtet es
ein, da er sich nicht unwesentlich von der Anschauung des Aristoteles
in seinen Ethiken entfernt481. Galens Hauptgedanke, da die Ethik eine
exakte, nach dem Modell der Geometrie konstruierte Wissenschaft sein
soll, steht vielmehr auf der Linie des aristotelischen Protreptikos, die
W. Jaeger auf Platons Philebos zur ckf hrt482. Damit will ich allerdings
keineswegs andeuten, da Galen den Protreptikos gekannt oder sich an
den Philebos erinnert habe. Seine Ausf hrungen erscheinen vielmehr als
eine dezidierte Stellungnahme in der ber hmten Diskussion ber die
Teile der Philosophie und ihre gegenseitigen Beziehungen. Hier kann
nur auf einige Punkte hingewiesen werden.
Umstritten war unter anderem die Frage, ob die Ethik sich selbst ge-
nug ist und die Hilfe der logischen Disziplinen v llig entbehren kann
oder ob sie auf diese Disziplinen so angewiesen ist, da man sich mit ihr
erst dann besch ftigen kann, wenn man die Logik beherrscht. Galen kri-
tisiert mehrmals die Kyniker und andere, die von der λογική θεωρία
nichts wissen wollten und meinten, sie k nnten ohne sie ihre Ethik rasch
und sicher aufbauen483. Ob im cursus studiorum die Ethik vor oder
Auch in der Liste seiner ethischen Schriften f hrt er seine Abhandlung mit diesem Titel
περί των ακολούθων έκάστω τέλει βίων Ιν an (so richtig von Marquardt korrigiert;
berliefert ist περί των ακολούθων εκάστου των βιβλίων εν).
•*7S Ibid. 4, 77,16-78,1. 48
° Ibid. 4, 78,1-3.
481
VgL die Angaben ber die Methode der Ethik, EN 11, 1094b 11 -27: Es gen gt, wenn
man παχυλώς και τύπφ das Wahre nachweist. Die Schl sse beziehen sich auf das επί
το πολύ und hnliches. ΓΙ 7, 1107a29-32: In den Er rterungen ber das Handeln
sind die allgemeinen S tze ziemlich leer, die partikul ren wahrer, denn die Handlun-
gen beziehen sich auf Einzelf lle.
481
W. Jaeger, Aristoteles 86-91.
48
-·» V De peccat. dignot. 3, 71,2-14; 5, 89,5-12; 91,6-14. Vgl. ber An ti s then es Diog.
Laert, VI 11 την τ' άρετην των έργων είναι, μήτε λόγων πλείστων δεομένην μήτε
nach der Logik ihren Platz haben soll, ist eine Frage, die sp tere Aristo-
teles-Kommentatoren gern er rtern. Sie berichten ber die Argumenta-
tion derjenigen, die empfehlen, die Ethik als erste Disziplin zu pflegen.
Es gilt zuerst, sagten sie, unsere Sitten in Ordnung zu bringen (τα
ήθη κατακοομεΐν), damit der Verstand nicht durch die Affekte getr bt
wird und wir nicht ungenaue Urteile ber die Dinge f llen484. Auch Ga-
len hebt hervor, da αλαζονεία, φιλαυτία, φιλοτιμία, φιλοδοξία, δο-
ξοσοφία, φιλοχρηματία Hindernisse auf dem Wege sind, der zur Wahr-
heit f hrt, und man sich zuerst von ihnen befreien soll. Diese und andere
πάθη k nnen sogar den Logos so stark beeinflussen, da er falsch beur-
teilt485. Diese notwendige Selbstdisziplinierung h lt er jedoch wohl we-
der f r die einzige noch f r die wichtigste Aufgabe der Ethik. F r die
Bestimmung des Telos und seiner Konsequenzen erscheint ihm die An-
wendung der apodiktischen Methode unentbehrlich. Dieselbe Ansicht
begegnet uns ebenfalls bei Aristoteles-Kommentatoren, die zwar die
Notwendigkeit der vorherigen Reinigung unserer ήθη zugeben, jedoch
hinzuf gen, da sie ziemlich unabh ngig von der eigentlichen Ethik er-
folgt; diese sei ohne Anwendung der apodiktischen Methode undenk-
bar; in einem sozusagen vorethischen Stadium dagegen k nnten wir nur
auf Grund einer „richtigen Meinung" (όρθοδοξαστικώς) gem den
Forderungen der Ethik leben486. Wenn nicht alles t uscht, d rfte sich
μαθημάτων. hnliches wird auch ber die Kyrenaiker und Epikur berichtet, vgt. u. a.
Sext, Emp,, Adv. math, VII 11: Nach einigen Autoren haben sich die Kyrenaiker nur
mit dem ethischen Teil der Philosophie besch ftigt und die Physik und die Logik fallen
lassen, in der Meinung, da sie nichts zum gl ckseligen Leben beitragen. Sen., Epist.
89,12 — 13: Die Kyrenaiker beschr nken sich auf die Ethik; Ariston von Chios verur-
teilt die Naturphilosophie und die Logik als unn tz und sch dlich, Sext. Emp., Adv.
math. VII 14: Einige behaupten, da Epikur die λογική θεωρία aus der Philosophie
verbannt habe. Cic., De fin. I 30: Nach einigen Epikureern werden Lust und Schmerz
unmittelbar als gut bzw. bel wahrgenommen; quorum nibil oportere exquisitis ratio-
nibus confirmare. Auffassung anderer Epikureer ibid. 151. Vgl. auch I 63: Die Dialek-
tik hilft nicht ad mehus vivendxm.
484
Philop,, Cat. 5,23-27, Vgl. auch Amm., Cat. 5,31-6,2, Olymp,, Proleg. 8,32-37.
Elias, Cat, 117,25-118,8, mit Zitat aus dem Phaidon 67B.
4SS
V De peccat. dignot. 3, 70,7-15, V De cogn. an. morb. 3, 7,13-13.
486
Philop., Cat. 5,27-33, Atnm., Cat, 6,2-6. Olymp., Proleg. 9,5-11. Simpl., Cat.
5,23—6,5: „Wenn die Ethik des Aristoteles lediglich aus ermunternden, unbewiesenen
Anweisungen best nde , . ., w re es richtig, mit diesen anzufangen und durch sie zu-
erst unsere Sitten in Ordnung zu bringen. Da aber Aristoteles sie mit den wissenschaft-
lichsten Einteilungen und Beweisen bergeben hat, wie werden wir Fortschritte ma-
chen k nnen, wenn wir sie ohne die apodiktischen Methoden angehen? Gewi also
bedarf es der ethischen Voranweisung, jedoch nicht derjenigen, die in der aristoteli-
Gaiens Ansicht über das Verhältnis der Apodiktik zur Ethik ziemlich
genau mit derjenigen decken, die die Kommentatoren der Kategorien
mit einigen kurzen Sätzen formuliert haben. Ohne Gaiens Verdienste
schmälern zu wollen, neige ich zu der Annahme, daß die Erörterung
dieses Problems nicht erst in der Ammonios-Schule einsetzte, sondern
bereits zu Gaiens Zeit, wahrscheinlich sogar schon früher ein beliebtes
Thema der philosophischen Diskussion bildete487.
sehen Ethik überliefen ist; vielmehr benötigen wir MitteJ, die unser Ethos durch unbe-
schriebene Angewöhnung und durch die nicht kunstmäßigen Ermunterungen, ohne
schriftliche Fixierung und mit einer solchen, verbessern. Und erst dann brauchen wir
die logische und die apodiktische Methode. Und nachdem wir diese besitzen, werden
wir in der Lage sein, uns die wissenschaftlichen Aussagen über die Ethik und diejeni-
gen, die sich auf die Erforschung des Seienden beziehen, auf wissenschaftliche Weise
anzueignen." Elias, Cat. 518,25-119,12.
487
Für diese Vermutung sprechen mehrere Indizien. Es sei z. B. daran erinnert, daß be-
reits Sext. Emp. bemerkt, daß die Philosophen sich nicht darüber einig waren, wel-
chem der drei Teile der Philosophie der erste Platz zukommt, Adv. math. VII 20-23.
Bereits bei den Stoikern war das Problem umstritten, Diog. Laert. VII 40-41. Chry-
sipp selbst hatte sich Gedanken darüber gemacht, in welcher Reihenfolge die philoso-
phischen Disziplinen den jungen Leuten beizubringen seien, Plut., Stoic, rep, 9,
1035 A sqq. Plotins Äußerungen über das Verhältnis der Dialektik zur Ethik, I 3,6,
sind inhaltlich den galemschen sehr ähnlich.
Verzeichnis der in Abk rzung zitierten modernen Schriften (erg nzt Bd. l 517—520)
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Die nachstehenden Indices erheben keinen Anspruch auf Vollst ndigkeit, Nur in
Belegen und Literaturangaben vorkommende Autorennamen wurden in der Regel
nicht aufgenommen. Das Sternchen hinter einem modernen Autorennamen bedeutet,
da dieser Name auch anderswo erscheint. Der dritte Band wird ein ausf hrliches
Gesamtregister mit einem Index der eingehender besprochenen Stellen enthalten.
I, Allgemeiner Index
Hermaion, Schlacht am -: 329, Jamblich: 350. 364. 476. 550. 551, 553. 784.
Hermirios: 226. 240. 241. 243. 342. 344. Seine διαιρέσεις: 682. 683.
361-398. 529. 545. 610. J nglinge, fromme - von Aetna: 62,
Herminos, der Stoikerr 363.
Herpyllis: 143. KALBFLEISCH, K.: 701.
Herrschaftsformen: 264. 668-670. 679. Kallikratidas: 607. 668, 669.
Herz: 744. 747. 749-751. 768. Kallippos: 345, 348. 349. 352. 354.
Hesiod: 329. Kallisthenes: 330.
Hierokles: 5643, Kaspisches Meer: 17,
Himmel, Bewegung: 224. 225. 240-243. Kastration: 747.
636. Regelm igkeit seiner Bewegung: Kataklysmen: 97.
396-398. Himmelsintellekt: 465. 468. Kategorien, sind angeboren: 621. Anord-
Hipparchos, der Astronom: 304. 305, nung der —: 611. Einteilung der -: 614,
Hippokrates: 736. 745. 765. 781. 802. 615, Die - bei Galen: 692-700, Gegen-
Hoden: 746. 747. stand der Kategorienschrift: 532. 562.
Homer: 191. 192.329. 587. 591. 593. 609. 610. Geltung der -
Homo-mensura-Satz: 192. nur im sinnlich wahrnehmbaren
Homonyme: 532-536. Bereich: 610. - gehen nur f r den Ein-
Hylemorphismus: 661. - in der Tugend- zelrnenschen: 619. Frage nach ihrer
lehre: 568. G ltigkeit im intelligiblen Bereich: 542.
563. — homonymisch: 695, 696. κοινά
Ideen: 579. - als Gattungsbegriffe: 600. - und ίδια in den -: 616-618. Liste der
als Gedanken Gottes: 461. 462. 468, - -: 369. 541-543. Die 10 - bereits bei
und mathematische Dinge: 694. Platon: 458.486. Die - als h chste Prin-
Immanenz des g ttlichen Intellekts: 417. zipien der Wissenschaft: 621, Reihen-
425. folge der — ; 522, Titel προ των τόπων:
IMMISCH, O.: 145. 146, 373. 374. Zahl der - 588. 692, 693.
Inder, der — und Sokrates: 136. 137, Kausalit t Gottes: 462.
Inschrift aus Delphi: 528, Kephisodoros: 139.
Instrumentalismus: 778. al-Kindl: 424.
Intellekt; 577, Der g ttliche - durchwaltet Kleinkinder, von Natur aus ungleich: 780.
die sublunare Weh: 419, Ein g ttlicher Klemens v. Alexandrien: 211,
— auch in den wertlosesten Dingen: K rper: 544, F nfter: 76. 358. 359. Ist der
421. Hyperkosmischer — : 467. — des — eine Quantit t oder eine Substanz?
Himmels: 467. — in den Gestirnen: 371.
766. Menschlicher — : 417. F hrt die Kommentare, Geschichte der Corpora der
Seele in den Himmel: 63. Der mensch- EN-Kommentare: 250-253.
liche — ist aus der Mischung des K r- Konjunktionen: 542,
pers hervorgegangen: 419. Kontra n et t, in den Kategorien: 616. — in
Intelligibilien (νοητά), zwei Klassen von der Relation: 553. — in dreigliedrigen
-:453. Urteilen: 378-382. - in nicht quantifi-
loannes Philoponos: 92-94, 784. zierten Urteilen: 233. 376. 377,
lonier: 128. Kornutos: 52. 216. 437. 585. 592-601,
Isokrates: 326. Kosmologie, der pythagoreischen Pseud-
epigraphs: 635—637.
JACOBY, F.*; 144. 146. Kosmos, seine Definitionen: 10. G ttlich-
JAEGER, W,*: 96. 100. 146, keit des -i 29, Loblied auf den -T 27,
Nikostratos: 431. 432. 523. 528-563. 588. Planeten, Anordnung: 12. Beweger: 48.
591. 600. 610. 614. 617, 625. Bewegungen: 309.
Nil: 516. Platon: 105. 262. 263. 736. 781. 787. 792.
Noetik: 406-425, 802. Epinomis: 107. 111. Eutbyd.: 476.
Notwendigkeit, absolute und bedingte: 340 Nomoi: 56. Phaed,: 782. Politeia: 679.
bis 343. Theatet: 193. 481-493. Tim: 47. 294.
297-313. 434. 458. 472. 517. 679. -
Oberbegriff: 383. bet Aristokles: 127-137, Ungeschrie-
Oikeiosis (οίκείωσις): 436. 650. bene Lehre: 510. 518. 634.
Oikumene, ist eine Insel: 16. Plexippos der Tragiker: 323.
Okellos; 605. 606. 635. 637. Pllnius der ltere: XXVIII.
Oligarchie: 670. 672. Plotin: 228. 424. 519. 523. 530. 543. 546.
Oiympiodor: 145. 146. 548. 550. 552. 563. 597. 600. 610. 696.
Onatas: 44. 638. Plutarch: 108. 783. De fatoi XXVIII. 430.
Omoiogie, der pythagoreischen Pseudepi- 495-505. De virtute maratii XXVIII.
grapha: 632-634. Polemarchos v. Kyzikos: 348-350. 354.
Oppositionsarten, ihre Unterscheidungs- Polis: 24. 65.
merkmale: 624. 625. Politik: 274. - der pythagoreischen Pseud-
Organ der Wahrnehmung: 752. epigrapha: 667-677.
Origenes: 637. Porphyries: 211. 213. 23L 233. 234. 364.
Orpheus: 42, 365. 367. 375. 382. 432. 530. 531". 534.
Orphika: 51. 563. Kat.-Kommentar an Gedaleios:
Ort: 236. 371. 372. 611. 617. Bei Galen: 229. 591, hagoge:367.
729 no. Poseidonios: 6. 23. 50, 52. 78. 96. 100. 101.
Orthodoxie: XXL XXII. XXV. 359. 513. 514. 516. 794. 798.
Ovid: 64. Postpr dikameme: 551. 552-561. 617.
Postulate der Mathematiker: 243. 244.
Pandaros: 203, 206. Potamon v. Mytilene: 211.
Panprovidentiahsmus: 78. PRAECHTER, K.*: XXI. 528. 529. 556. 561,
Papyrus, B, M. Inv.-Nr. 815: 215-216. Pr dikation: 318. 320. 321. Privative -:
Parmenides: 199. 200. 317. 321. 620.
Partikul res und Heimarmene: 497. Pr disposition: 792-794.
Patrokies, seine K sten fahr ten: 18. 19, Pr missen: 720.
Pe!ops, Lehrer Galens: 688. Pr positionen: 542.
Periktione: 607. 632. PRANTL, C.*: 701.
Perserk nig: 66. Praxis und Theorie: 270.
Persius: 592. Prinzipien: 720. 723. - nach Platon: 458.
Phidias: 767. Sein Standbild der Athena: 70. Privation: 214. 558. Ihre Einteilung: 626.
Ph ochoros: 144, 627.
Philolaos: 782, De anima\ 606. 635. Proklos: 95. 637.
Philon v. Alexandrien: XXVIII. 42-44. 87. Proportionen: 670. 671.
Philopator: 687. Protagoras v, Abdera: 191-194. 197.
Philosophie, Lob der — : 60. Teile der —: Protrepsis: 60.
449-453, Psychisches und Somatisches: 776.
Phokylides: 326. 329, Ptolemaios, Kkudios: XXVIII. 296. 350.
Photios, Leben des Pythagoras: 517. 546", 614. οπτικά: 360.
Physik der Stoiker bei Aristokles: 147-153. Pulsiehre:693.
bel: 31.
Umkehrung: 700. 701. 705. Zeit: 236. 372, 595. 601. - bei Galen:
Universalienfrage: 600. 7291^0
Unklarheit des Aristoteles: 5S2. Zenon v. Elea: 199-201. 618.
Unsterblichkeit: 416. 772. Zenonv, Kittium: 147-149. 153. 736.
Unterbegriff: 383. Zeugung: 637. 745-749.
Urfeuer als Samen: 150, Zeus: 51.
Ursachenlehre Galens: 763. 764. Zusammensetzung: 740.
Aristoteles Graecus
Die griechischen Manuskripte des Aristoteles
Untersucht und beschrieben von Paul Moraux, Dieter Harffinger,
Dieter Reinsch, Jürgen Wiesner
KLAUS BRINKMANN
PAUL MORAUX
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