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JÜRGEN JOACHIMSTHALER
Linking the >spatial turn< with the concept of textuality as deployed in Cultural Studies, this
article seeks to analyse relations between >text< and >space< both synchronically and
diachronocally. After reviewing classical settled cultures, which attempt to underpin their
territories with textual meanings, this essay will focus on the reconfiguration of concepts
such as >nation< or the German >Heimat< in the wake of the mass migration that followed
industrialization. This required new textual determinations of unstable space(s) in both lit-
erature and politics. Cultural Studies themselves constitute one such denotative text.
Die »Wiederkehr des Raumes«,2 der >spatial turn<, die »Wendung zum Raum«3 be-
deutet als »Transformation >klassischer< diskurshistorischer Kritik in den präskripti-
ven Entwurf für eine andere Theorie«4 eine Herausforderung der Kulturwissen-
schaft(en) nicht nur deshalb, weil es trotz zahlreicher Untersuchungen zu Einzelas-
pekten bisher keinen kulturwissenschaftlich wirklich gültigen >Raum<-Begriff gibt. Als
Gegenstand nahezu aller Fächer und Disziplinen fordert >Raum< eben das interdiszi-
plinäre Arbeiten ein, das jenem programmatischen >Gründungsauftrag< der neueren
Kulturwissenschaft einverschrieben ist, demzufolge letztlich alle Zeugnisse menschli-
cher Kultur in einem >kulturwissenschaftlich< gemeinsamen überdisziplinären Zugriff
zu erfassen seien.5 Zugleich jedoch provoziert das Thema >Raum< bereits auf der po-
lemischen Textoberfläche einiger aktueller Diskurse die Kulturwissenschaften in ih-
rem methodischen Selbstverständnis: Der Begriff >Raum< wird häufig in einen er-
kenntnistheoretisch grundsätzlichen Gegensatz zu den Methoden und theoretischen
Grundsätzen gebracht, die sich in den letzten Jahren als innerer Kern kulturwissen-
schaftlichen Arbeitens herausgebildet haben.
6 Vgl. etwa Doris Bachmann-Medick (Hg.), Kultur als Text. Die anthropologische Wende in
der Literaturwissenschaft. Frankfurt/M. 1996. Einen kritischen Überblick versucht Jürgen Joa-
chimsthaler, Glender, Glinn und Gläserne. Kulturwissenschaft(en) als Text. In: Christa
Grimm/Ilse Nagelschmidt/Ludwig Stockinger (Hg.), Theorie und Praxis der Kulturstudien.
Leipzig 2003, S. 25-50.
' Immanuel Kant, Werke in zwolr Banden. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Bd. 3: Kritik der rei-
nen Vernunft. Bd. 1. Frankfurt/M. 1 1. Aufl. 1990, S. 38.
8 Jurij M. Lotman, Über die Semiosphäre. In: Semiotik 12 (1990), S. 287-305.
9 Weigel (Anm. 4), S. 160.
10 Manuel Castells, The Information Age. Economy, Society and Culture. 3 Bde. Oxford
1996-1998.
11 Rudolf Maresch/Ni
Macht. Frankfurt/M. 20
1Z Alexander Hameding
theorie. Eine Auseinande
1998, S. 235 f.
13 Maresch/Werber (Anm
14 Ebd.
15 Hamedinger (Anm. 12), S. 246.
10 Jacques Dernda, Grammatologie. Frankrurt/M. 1983, S. 38.
Ich habe euch aus Ägypten heraufgeführt und euch in das Land gebracht, das ich euren
Vätern mit einem Eid zugesichert hatte. [...] aber ihr dürft keinen Bund mit den Be-
wohnern dieses Landes schließen, und ihre Altäre sollt ihr niederreißen.22
17 Jesaja46,l.
10 Vgl. Hans G. Kippenberg, Die vorderasiatischen hrlosungsreligionen in ihrem Zusammen-
hang mit der antiken Stadtherrschaft. Heidelberger Max-Weber- Vorlesungen 1988. Frank-
furt/M. 1991.
19 Jan Assmann, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur. Frankfurt/M. 2000,
S. 47-82.
zu Das inflationär gewordene Schlagwort >Regionale Identität< spielt in der umtassenden, auf
Individuen und Kollektive konzentrierten Identitätsforschung bisher seltsamer Weise keine sys-
tematische Rolle, vgl. etwa Heiner Keupp u. a., Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der
Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek 1999; und Lutz Niethammer, Kollektive Identität.
Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur. Reinbek 2000.
Z1 Horst Lange, Das Bleibende. In: Ursula Hontsch (Hg.), Mir bleibt mein Lied, bchlesisches
Lesebuch. München, Zürich 1995, S. 274 f.
22 Buch der Richter 2,1 f.
2. Semantische Hüllen
Kein Raum ist nur er selbst. In den Bewusstseinen ist Raum untrennbar verknüpft
mit Sinnzuschreibungen, mentalen Repräsentationen, >Texten< aller Art, Lokalisierun-
gen und lokalen Verkörperungen von Bedeutung(en), ohne dass Text und Raum je
nahtlos ineinander aufgingen. Bereits seit den frühen Hochkulturen versucht Politik,
diese Lücke zu schließen und den Eindruck einer möglichst geschlossenen Einheit von
Sinn-Text und Herrschafts-Raum zu produzieren - nicht nur durch Ausschluss des
Sinnwidrigen oder gar Widersprechenden. In (scheinbar) überschaubaren Räumen
lassen die Raum-Texte sich noch durch vergleichsweise einfache Techniken der Refer-
entialisierung auf das beziehen, wovon sie handeln, indem dort (auch) von dem ge-
sprochen wird, was ohnehin vor Augen steht: Ob in Ägypten der Nil heilig ist oder
bei den Inkas die Sonne ein Gott, immer dient unmittelbar Wahrnehmbares als Sinn-
lichkeitsanker im Text. Auf dem Dionysostheater in Athen wurden die Tragödien von
Aischylos, Sophokles und Euripides so aufgeführt, dass, wann immer vom Meer oder
>der Stadt< (Athen) darin die Rede war, der über die Ränder der Freilichtbühne hi-
nausschweifende Blick der Zuschauer unmittelbar identifikatorische Wirkung haben
musste.24 Man sah, wovon die Rede war - und >sah< meist die Interpretation gleich
mit.
25 Jeffrey Allen Tucker, A Sense of Wonder. Samuel R. Delany, Race, Identity, and Difference.
Middleton/CT2004,S.81.
26 Jürgen Joachimsthaler, Kulturraumformung durch Sprach- und Literaturpolitik. Mit ein-
führenden Bemerkungen zum >Kulturraum<-Begriff. In: Orbis Linguarum 21 (2002),
S. 109-129.
27 Vgl. Jan Assmann, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Eu-
ropa. München, Wien 2000.
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man denke nur an das Arminius-Denkmal oder das Kosciuszko-Denkmal in Krakau:
Landschaft wurde national eingehüllt, >Text< verbreitete sich in jenem nationalen
(Teil-)Raum, dessen Wahrnehmung er mitformte.
3. >Origo<
Im 19. Jahrhundert geraten die Menschen in Bewegung. Die Freisetzung breiter Mas-
sen aus überkommenen Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnissen im Zuge von
Bauern->Befreiung<, migrationsfördernder Pauperisierung und Industrialisierung
bringt als erster allgemeiner Deprivationsschub29 die Lösung älterer, oft Generationen
übergreifender lokaler Bindungen und Unfreiheiten (deren eigentlicher Bezugspunkt
meist weniger der Ort als die Herrschaft war) mit sich. Im Zuge dieser Delokalisierung
entsteht eine neuartige Raumerfahrung, die in Form einer doppelgesichtigen Argu-
mentationsfigur bis heute zahlreiche Raum-Texte (auch der Wissenschaft) bevölkert:
Ein aus überkommenen Deutungswelten befreites (und geographisch prinzipiell je-
derzeit verschiebbares) Subjekt (in dem das erkenntnistheoretische Transzendental-
subjekt der neuzeitlichen Philosophie seit Descartes soziologische Wirklichkeit ge-
28 Vgl. etwa Helmut Berding (Hg.), Mythos und Nation. Frankfurt/M. 1996; Monika Flacke
(Hg.), Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama. München, Berlin 1998.
29 Zum Begriff der Deprivation vgl. Hubert Ortowski, Von ungleichwertiger Deprivation.
»Verlorene Heimat« in der deutschen und polnischen Literatur nach 1939. In: Ders. (Hg.), Hei-
mat und Heimatliteratur in Vergangenheit und Gegenwart. Poznan 1993, S. 1 17-128.
37 Jean-Paul Sartre, Da
Reinbek 1982, S. 625.
38 Vgl. zur Diskussion u
Thought, and Reality. C
senschaftliche Analyse
Gipper, Gibt es ein spra
these. Frankfurt/M. 1984.
J Im kindlichen Spracherwerb stehen deiktische und andere relationale Ausdrücke denn
auch - sprachenübergreifend - nicht am Beginn der Sprachentwicklung. Vgl. Gisela Klann-De-
lius, Spracherwerb. Stuttgart, Weimar 1999, S. 36-38.
40 Michail M. Bachtin, Formen der Zeit und des Chronotopos im Roman. In: Ders., Formen
der Zeit im Roman. Untersuchungen zur historischen Poetik. Frankfurt/M. 1989, S. 7-209.
41 Von Anfang an gehört zum touristischen Vergnügen deshalb auch der Spott über >die Tou-
risten (von denen man sich dadurch ausnehmen kann), vgl. etwa das schwankhafte Erfolgsstück
Oscar Blumenthal/Gustav Kadelburg, Das Theaterdorf. Berlin 1902.
42 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt/M. 1985, S. 1628.
43 Hoffmann von Fallersleben, Das Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersieben. Me-
lodie nach Joseph Haydn's: »Gott erhalte Franz den Kaiser, / Unsern guten Kaiser Franz!« Ar-
rangirt für die Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre. (Text Eigenthum
der Verleger). 1. September 1841. Hamburg, Stuttgart 1841; Faksimile in: Ulrich Günther, ...
über alles in der Welt? Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne.
Neuwied, Berlin 1966, S. 76-79.
es im Kleinen gleichw
epos Pan Tadeusz mit
und unverlierbare (w
Kindheitsjahre«.44
4. Kulturraumverdich
Unter »Kulturraumve
am gleichen Ort) über
me kategorial versch
mehrerer Agrar- und
sionen, einer oder me
nungen etc. -, die ihr
rigen >eigenen< Raum
ihm >sein< Platz zuge
zumeist literarischen
Teilräume zu einem >
Diskriminierungslin
Leitlandschaften, die
Räume< repräsentiere
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Die Vertextung diese
auch außerhalb der Li
teilweise bereits aus d
und Erzählerinstanzen
portierte politisierte
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Fiktionen außerfiktio
sucht.
Zu unterscheiden sin
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fundene und erzählte
sierenden >origo<-haft
kollektives >wir< ode
stellungen (nach Anle
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figuren), die ihre Vor
mögliche Rezeption
Raum-Inneren angesie
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44 Adam Mickiewicz, Pa
1811 i 1812 we dwunast
45 Vgl. Einführung, ab
Region und die Regional
Literaturwissenschaft. H
furt/M. u. a. 2002, S. 17
46 Jorge Luis Borges, Tlön, Uqbar, Orbis Tertius. In: Ders., Fiktionen. Erzählungen. Frank-
furt/M. 1994, S. 15-34.
47 Vgl. etwa den als ethnologisch >objektiv< und >wissenschaftlich< neutralisierten deutschen
Blick auf den polnischen Blick auf die Deutschen von Kurt Lück, Der Mythos vom Deutschen
in der polnischen Volksüberlieferung und Literatur. Posen 1938.
48 Bezogen auf die Germanistik nannte ich dies einmal »Germanistische Unschärferelation«;
Jürgen Joachimsthaler, Auf dem Weg zu einer künftigen Europäistik? Zur wissenschaftssystema-
tischen Bedeutung der polnischen Germanistik in Schlesien. In: Christa Grimm/Ilse Nagel-
schmidt/Ludwig Stockinger (Hg.), Mannigfaltigkeit der Richtungen. Analyse und Vermittlung
kultureller Identität im Blickfeld germanistischer Literaturwissenschaft. Leipzig 2001,
S. 31 1-335; hier S. 314-321.
49 Vgl. Werner Köster, Die Rede über den >Raum<. Zur semantischen Karriere eines deutschen
Konzepts. Heidelberg 2002.
unausweichlichen Ve
von >Text< und >Raum