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SAMMLUNG TUSCULLM

Sammlung Tusculum
Herausgegeben von
Karl Baver, M a n f r e d F u h r m a n n ,
Rainer Nickel
MARCUS TULLIL'S CICKRO

Die politischen
Reden
BAND I

Lateinisch - deutsch

Herausgegeben, übersetzt und erläutert


von Manfred Fuhrmann

ARTEMIS & WINKLER


Die Deutsche Bibliothek - CIP-Finheitsaufnahme

Cicero, iMarcus Tullius:


Die politischen Reden : lateinisch/deutsch /
Marcus Tullius Cicero.
H r s g . , übers, und erl. von Manfred Fuhrmann. -
München : A r t e m i s u n d Winkler.
(Sammlung Tusculum)
I S B N 3-7608-1676-2
N E : Fuhrmann, Manfred [Hrsg.]; Cicero, Marcus Tullius:
[Sammlung]

Bd. 1 (1993) I S B N 3-7608-1673-8

Artemis & Winkler Verlag


© 1993 Artemis Verlags G m b H , München.
Alle Rechte, einschließlich derjenigen des auszugsu eisen
Abdrucks und der photomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.
Satz: Filmsatz Schröter, München
Druck: Pustet, Regensburg
Printed in G e r m a n v
INHALT

Rede für Sex. Roscius aus Ameria 6


Rede über den Oberbefehl des Cn. Pompeius . . . 140
Krste Rede über das Siedlergesetz 206
Zweite Rede über das Siedlergesetz 230
Dritte Rede über das Siedlergesetz 332
Rede für C. Rabirius 346
Krste catilinarische Rede 382
Zweite catilinarische Rede 414
Dritte catilinarische Rede 444
V ierte catilinarische Rede 476
Rede für L. Murena 504

Anhang
Zu dieser A usgabe 613
Einführung in Ciceros Reden 615
Allgemeine Literatur zu CicerosReden 656
Einleitungen und Erläuterungen zu den
einzelnen Reden 659
Rede für Sex. Roscius aus Ameria 660
Rede überden Oberbefehl des Cn. Pompeius . . 670
Die Reden über das Siedlergesetz 682
Rede f ü r C . Rabirius 700
Die catilinarischen Reden 708
Rede für L. Murena 724
PRO SEX. ROSCIO AMERINO ORATIO

C r e d o ego vos, iudices, mirari quid sit quod, cum tot ι


summi oratores hominesque nobilissimi sedeant, ego
potissimum surrexerim, is qui neque aetate neque inge-
nio neque auctoritate sim cum his qui sedeant compa-
randus. O m n e s hi quos videtis adesse in hac causa
iniuriam novo scelere conflatam putant oportere de-
fendi, defendere ipsi propter iniquitatem temporum
non audent. Ita fit ut adsint propterea quod officium
sequuntur, taceant autem idcirco quia periculum vi-
tant.

Q u i d ergo? audacissimus ego ex omnibus- Minime. 2


A n tanto officiosior quam ceteri? N e istius quidem
laudis ita sum cupidus ut aliis earn praereptam velim.
Q u a e me igitur res praeter ceteros impulit ut causam
S e x . Rosci reciperem? Q u i a , si qui istorum dixisset
quos videtis adesse, in quibus summa auetoritas est
atque amplitudo, si verbum de re publica fecisset, id
quod in hac causa fieri necesse est, multo plura dixisse
q u a m dixisset putaretur. Ego autem si omnia quae 3
dicenda sunt libere dixero, nequaquam tarnen similiter
oratio mea exire atque in volgus emanare poterit.
Deinde quod ceterorum neque dictum obscurum potest
esse propter nobilitatem et amplitudinem neque temere
dicto concedi propter aetatem et prudentiam. Kgo si
quid liberius dixero, vel occultum esse propterea quod
nondum ad rem publicam accessi, vel ignosci adulcs-
R E D E F Ü R SEX. R O S C I U S AUS A M E R I A

Ich möchte annehmen, ihr Richter, ihr seid erstaunt, weshalb


gerade ich mich erhoben habe, da doch zahlreiche Redner von
erstem Rang und Angehörige des höchsten Adels auf ihren
Plätzen bleiben: ich, der ich diesen Männern, was Alter, Kön-
nen oder Ansehen betrifft, durchaus nicht gewachsen bin.
Alle, deren Anwesenheit bei diesem Prozesse ihr bemerkt,
glauben zwar, man müsse ein durch ein neuartiges Verbrechen
begangenes Unrecht abwehren; doch es selbst abzuwehren,
wagen sie wegen der Ungunst der Zeiten nicht. So sind sie
anwesend, weil sie ihrer Pflicht genügen wollen, schweigen
aber, weil sie der Gefahr auszuweichen suchen.
Da hätte denn ich von allen den größten Mut? Keineswegs.
Oder bin ich mir desto mehr meiner Pflicht bewußt als die
anderen? Nicht einmal dieses Verdienst möchte ich in dem
Maße beanspruchen, daß ich es anderen gern entzogen sähe.
Was also hat mich mehr als sonst jemanden bestimmt, die Sa-
che des Sextus Roscius zu übernehmen? Nun: ihr seht hier
Leute von höchstem Einfluß und Ansehen versammelt; wenn
von denen jemand gesprochen und sich, wie es in diesem Pro-
zeß unvermeidlich ist, über die politischen Verhältnisse ge-
äußert hätte, dann wäre die Meinung aufgekommen, er habe
viel mehr gesagt, als er tatsächlich gesagt hätte. Ich hingegen
kann alles, was ausgesprochen werden muß, ofTen ausspre-
chen ; denn es ist völlig unmöglich, daß meine Rede in glei-
chem Maße bekannt wird und sich in der Öffentlichkeit ver-
breitet. Zudem kann bei den übrigen wegen ihres adligen
Ranges und ihres Ansehens kein Wort unbekannt bleiben,
noch läßt ihr Alter und ihre Einsicht zu, daß man ihnen einen
unbedachten Ausspruch zugute hält. Doch wenn ich mich
einmal allzu freimütig äußere, dann braucht es weiter kein
Aufsehen zu erregen, weil ich mich noch nicht politisch be-
8 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

centiae meae poterit; tametsi non m o d o ignoscendi ratio


verum etiam c o g n o s c e n d i c o n s u e t u d o iam de civitate
sublata e s t .

A c c e d i t ilia q u o q u e causa q u o d a c e t e r i s forsitan ita


p e t i t u m sit ut d i c e r e n t , ut u t r u m v i s salvo o f f i c i o se
facere posse a r b i t r a r e n t u r ; a m e autem ei c o n t e n d e r u n t
qui apud m e et amicitia et beneficiis et dignitate pluri-
m u m p o s s u n t , q u o r u m ego n e c b e n i v o l e n t i a m erga m e
ignorare n e c a u c t o r i t a t e m aspernari nec voluntatem
neglegere d e b e b a m .

H i s de causis ego huic causae patronus exstiti, non


electus unus qui m a x i m o ingenio sed relictus ex o m n i -
b u s qui m i n i m o p e r i c u l o possem d i c e r e , n e q u e uti satis
firmo praesidio d e f e n s u s S e x . R o s c i u s verum uti ne
o m n i n o d e s e r t u s esset.

Forsitan q u a e r a t i s qui iste terror sit et q u a e tanta


f o r m i d o q u a e tot ac talis viros i m p c d i a t q u o m i n u s pro
c a p i t e et fortunis alterius q u e m ad m o d u m c o n s u e r u n t
causam velint dicere. Q u o d a d h u c vos ignorare non
m i r u m est, propterea q u o d c o n s u l t o ab a c c u s a t o r i b u s
cius rei q u a e conflavit h o c j u d i c i u m m e n t i o facta non
est.
Q u a e res ea est? B o n a patris h u i u s c e S e x . Rosci q u a e
sunt sexagiens, q u a e de viro f o r t i s s i m o et c l a r i s s i m o
L . S u l l a , q u e m honoris causa n o m i n o , d u o b u s m i l i b u s
n u m m u m sese dicit e m i s s e adulescens vel potentissi-
m u s h o c t e m p o r e nostrae civitatis, L . C o r n e l i u s C h r y -
sogonus. Is a vobis, iudices, hoc postulat ut, q u o n i a m in
alienam p e c u n i a m tam p l e n a m a t q u e praeclaram n u l l o
Ft'R sex. roscils 9
1
tätigt habe , oder man kann es meiner Jugend nachsehen -
wiewohl ja jetzt nicht nur der Grundsatz der Nachsicht, son-
dern auch die Gewohnheit, sich zu unterrichten, aus unserem
Staate entschwunden ist.
Ein weiterer Grund liegt darin, daß man die übrigen wohl
derart um Fürsprache gebeten hat, daß sie ihrer Meinung nach
tun konnten, was sie wollten, ohne ihre Pflicht zu verletzen.
Mir aber redeten Männer zu, deren Freundschaft, fördernde
Hilfe und allgemeines Ansehen größten Einfluß auf mich ha-
ben : ich durfte weder über das Wohlwollen hinwegsehen, das
sie mir erwiesen haben, noch das Gewicht ihrer Person miß-
achten noch schließlich ihre Absichten hintansetzen.
So erklärt sich, daß ich in diesem Prozeß die Fürsprache
übernommen habe: ich bin nicht ausgewählt, als verstünde
gerade ich mit dem größten Geschick zu reden, sondern ich
bin von allen übriggeblieben, weil ich es mit dem geringsten
Risiko tun kann. So empfängt Sextus Roscius zwar keinen
ausreichend starken Schutz zu seiner Verteidigung; er ist aber
wenigstens nicht gänzlich preisgegeben.
Vielleicht fragt ihr euch, welcher Schrecken, welches Maß
von Furcht so zahlreiche und so bedeutende Männer an der
Bereitschaft zu hindern vermag, in gewohnter Weise für Le-
ben und Gut eines Mitbürgers einzutreten. Es ist nicht ver-
wunderlich, daß ihr darüber noch im unklaren seid. Denn mit
Bedacht haben die Ankläger die Umstände, die dieses Verfah-
ren in Gang gesetzt haben, mit keinem Worte erwähnt.
Worum es sich hierbei handelt? Um das Vermögen des Va-
ters dieses Sextus Roscius hier, das einen Wert von sechs Mil-
lionen Sesterzen hat. Ein junger Mann, der gegenwärtig wohl
die größte Macht in unserem Staate hat, L. Cornelius Chryso-
gonus, will es für 2000 Sesterzen von L. Sulla, dem Helden und
erlauchten Manne (ich nenne ihn, um ihn zu ehren), gekauft
haben. Dieser Mensch ist ohne jedes Recht über ein so großes
ΙΟ PRO S E X . ROSCIO AMERINO

i u r e i n v a s e r i t , q u o n i a m q u e ei p e c u n i a e vita S e x . R o s c i
o b s t a r e a t q u e o f f i c e r e v i d e a t u r , d e l e a t i s ex a n i m o s u o
s u s p i c i o n e m o m n e m m e t u m q u e tollatis; sese hoc inco-
l u m i non a r b i t r a t u r h u i u s i n n o c e n t i s P a t r i m o n i u m tarn
a m p l u m et c o p i o s u m p o s s e o b t i n e r e , d a m n a t o et eiecto
s p e r a t se p o s s e q u o d a d e p t u s est p e r s c e l u s , id p e r
luxuriam effundere atque consumere. H u n c sibi ex
a n i m o s c r u p u l u m q u i s e d i e s n o c t e s q u e s t i m u l a t ac
p u n g i t ut e v e l l a t i s p o s t u l a t , ut a d h a n c s u a m p r a e d a m
tarn n e f a r i a m a d i u t o r e s v o s p r o f i t e a m i n i .

S i v o b i s a e q u a et h o n e s t a p o s t u l a t i o v i d e t u r , i u d i c e s , 7
ego contra brevem postulationem a d f e r o et, q u o m o d o
mihi persuadeo, aliquante aequiorem. P r i m u m a C h r y -
s o g o n o p e t o ut p e c u n i a f o r t u n i s q u e n o s t r i s c o n t e n t u s
sit, s a n g u i n e m et v i t a m n e p e t a t ; d e i n d e a v o b i s , i u d i -
c e s , ut a u d a c i u m sceleri r e s i s t a t i s , i n n o c e n t i u m cala-
m i t a t e m l e v e t i s et in c a u s a S e x . R o s c i p e r i c u l u m q u o d
in o m n i s i n t e n d i t u r p r o p u l s e t i s . Q u o d si aut c a u s a 8
c r i m i n i s aut facti s u s p i c i o aut q u a e l i b e t d e n i q u e vel
m i n i m a res r e p e r i e t u r q u a m o b r e m v i d e a n t u r illi n o n
n i h i l tarnen in d e f e r e n d o n o m i n e s e c u t i , p o s t r e m o si
praeter eam p r a e d a m q u a m dixi q u i c q u a m aliud causae
i n v e n e r i t i s , n o n r e c u s a m u s q u i n i l l o r u m libidini S e x .
R o s c i v i t a d e d a t u r . S i n a l i u d a g i t u r n i h i l nisi ut eis n e
q u i d d e s i t q u i b u s satis nihil e s t , si h o c s o l u m hoc
t e m p o r e p u g n a t u r ut ad illam o p i m a m p r a e c l a r a m q u e
praedam damnatio S e x . Rosci velut c u m u l u s accedat,
KLR S F X . ROSCIUS

und stattliches Fremdvermögen hergefallen, und nun glaubt


er, daß das Leben des Sextus Roscius diesem Vermögen im
Wege steht und den Genuß beeinträchtigt. Deshalb sinnt er
euch an, ihr Richter, seiner Seele jeden Argwohn zu benehmen
und jede Furcht zu beseitigen. Denn er meint, es sei unmög-
lich, daß er, solange Sextus Roscius unbehelligt bleibt, den
stattlichen und bedeutenden Besitz dieses unschuldigen Man-
nes behält; ist Roscius jedoch abgeurteilt und verbannt, so
hofft er, was er durch Missetat erworben hat, durch Üppig-
keit verschwenden und aufzehren zu können. Er verlangt, daß
ihr ihm diesen Stachel aus der Seele nehmt, der ihn Tag und
Nacht peinigt und sticht, und daß ihr euch bei dieser Beute,
die er sich auf so niederträchtige Weise angeeignet hat, zu
Helfern erklärt.
Wenn euch die Forderung gerecht und anständig erscheint,
ihr Richter, so möchte ich eine Gegenforderung stellen, die
gering und, wie ich glaube, um einiges gerechter ist. Erstens
verlange ich von Chrysogonus, daß er sich mit unserem Hab
und Gut begnüge und sich nicht an Blut und Leben vergreife.
Zweitens verlange ich von euch, ihr Richter, daß ihr euch der
Missetat Verwegener widersetzt, daß ihr das Unglück Schuld-
loser lindert und anläßlich des Verfahrens gegen Sextus Ros-
cius eine Gefahr beseitigt, die sich gegen die Allgemeinheit
richtet. Gesetzt, es fände sich ein Grund fur die Beschuldi-
gung oder ein Tatverdacht oder überhaupt ein noch so gering-
fügiger Umstand, der den Anschein erweckt, daß jene Leute
sich bei ihrer Anzeige von irgendeinem sachlichen Gesichts-
punkt leiten ließen; gesetzt schließlich, ihr könntet außer der
genannten Beute irgendeine andere Ursache entdecken: es
sollte mir recht sein, daß das Leben des Sextus Roscius ihrem
Belieben überantwortet wird. Wenn es sich aber nur darum
handelt, daß es diesen Nimmersatten an nichts fehlt, wenn der
Kampf jetzt nur darum geht, daß die Verurteilung des Sextus
PRO S E X . ROSCIO AMERINO

nonne cum multa indigna tum vel hoc indignissimum


est, vos idoneos habitos per quorum sententias iusque
iurandum id adsequantur quod antea ipsi scelere et
ferro adsequi consuerunt? qui ex civitate in senatum
propter dignitatem, ex senatu in hoc consilium delecti
estis propter severitatem, ab his hoc postulare homines
sicarios atque gladiatores, non modo ut supplicia vitent
quae a vobis pro maleficiis suis metuere atque horrere
debent verum etiam ut spoliis ex hoc iudicio ornati
auetique discedant?

His de rebus tantis tamque atroeibus neque satis me у


commode dicere neque satis graviter conqueri neque
satis libere vociferari posse intellego. N a m commodi-
tati ingenium, gravitati aetas, libertati tempora sunt
impedimento. H u e accedit summus timor quem mihi
natura pudorque meus attribuit et vestra dignitas et vis
adversariorum et S e x . Rosci pericula. Quapropter vos
oro atque obsecro, iudices, ut attente bonaque cum
venia verba mea audiatis.

Fide sapientiaque vestra fretus plus oncris sustuli ιо


quam ferre me posse intellego. Hoc onus si vos aliqua ex
parte adlevabitis, feram ut potero studio et industria,
iudices; sin a vobis, id quod non spero, deserar, tamen
animo non deficiam et id quod suscepi quoad potero
perferam. Quod si perferre non potero, opprimi me
onere offici malo quam id quod mihi cum fide semel
FÜR SF.X. ROSCILS

Roscius sozusagen die Krönung der fetten und stattlichen


Beute bildet, ist dann nicht unter all der Schmach die ärgste
die, daß sie euch für geeignet halten, durch euren eidlich be-
schworenen Spruch zu erlangen, was sie zuvor durch Missetat
und Gewalt sich selbst zu verschaffen pflegten? Ihr seid wegen
eurer angesehenen Stellung aus der Bürgerschaft in den Senat 1 ,
wegen eurer Strenge aus dem Senat in diesen Gerichtshof er-
wählt, und euch dürfen Meuchelmörder und Banditen ansin-
nen, daß sie nicht nur den Strafen entgehen, die sie für ihre
Missetaten mit Schaudern von euch befürchten müßten, son-
dern sich gar mit Beute geschmückt und bereichert aus diesem
Prozeß davonmachen?
Ich erkenne, daß ich über diese Dinge, so ungeheuerlich
und scheußlich wie sie sind, nicht treffend genug sprechen,
nicht eindringlich genug Klage führen, nicht freimütig genug
meine Stimme erheben kann. Denn dem treffenden Ausdruck
steht mein geringes Können, der Eindringlichkeit mein ju-
gendliches Alter, dem Freimut die Ungunst der Zeiten im
Wege. Hierzu kommen äußerste Befangenheit (sie ist mir von
meiner angeborenen Schüchternheit auferlegt) und eure
Würde, die Macht der Gegner und die Gefahren des Sextus
Roscius. So bitte ich euch denn inständig, ihr Richter: hört
aufmerksam und mit gütiger Nachsicht auf meine Worte.
Im Vertrauen auf eure Gewissenhaftigkeit und Weisheit
habe ich eine größere Bürde auf mich genommen, als ich, wie
ich erkennen muß, tragen kann. Doch wenn ihr mir diese
Bürde ein wenig erleichtern wollt, dann werde ich sie tragen,
ihr Richter, so gut ich kann, mit beharrlicher Mühe; solltet
ihr mich aber im Stich lassen (was ich nicht hoffe), so will ich
mich trotzdem nicht selbst aufgeben und, was ich übernom-
men habe, durchführen, so weit ich kann. Wenn ich es jedoch
nicht ganz durchführen kann, so ist es mir lieber, ich breche
unter der Last der Verpflichtung zusammen, als daß ich, was
•4 PRO SF.X. R O S C I O A M F R 1 N O

impositum est aut propter perfidiam abicere aut prop-


ter infirmitatem animi d e p o n e r e .
Т е q u o q u e m a g n o operc. \1. Fanni, quaeso ut, qua- n
lem te iam antea p o p u l o R o m a n o praebuisti. cum huic
eidem quaestioni iudex praeesscs, talcm te et nobis et
rci publicac hoc t e m p o r e impertias. Q u a n t a m u l t i t u d o
h o m i n u m convenerit ad hoc judicium vides; quae sit
o m n i u m mortalium exspectatio, q u a e cupiditas ut
acria ac severa iudicia fiant intellegis. Longo intervallo
iudicium inter sicarios hoc p r i m u m committitur, c u m
interea caedes indignissimac m a x i m a e q u e factae sunt;
o m n e s hanc quaestionem te praetore manifestis malefi-
ciis cotidianoque sanguine dignissimam sperant fu-
t u r a m . Q u a vociferatione in ceteris iudiciis accusatores 12
uti c o n s u e r u n t , ea nos hoc t e m p o r e u t i m u r qui causam
dicimus. Petimus abs te. M. Fanni, a vobisque, iudices.
ut q u a m acerrime maleficia vindicetis. ut q u a m fortis-
sime h o m i n i b u s audacissimis resistatis, ut hoc cogite-
tis, nisi in hac causa qui vester a n i m u s sit ostendetis, eo
p r o r u m p e r e h o m i n u m c u p i d i t a t e m et scelus et auda-
ciam ut non m o d o clam v e r u m etiam hie in foro ante
tribunal t u u m . M . Fanni, ante pedes vestros. iudices,
inter ipsa subsellia caedes f u t u r a e sint.

Ktenim quid aliud hoc iudicio t e m p t a t u r nisi ut id 13


fieri liceat? Accusant ei qui in f o r t u n a s huius invase-
r u n t , causam dicit is cui praeter calamitatem nihil
reliqucrunt; accusant ei q u i b u s occidi patrem Sex.
Rosci bono fuit, causam dicit is cui non modo lucrum
mors patris attulit verum etiam egestateni; accusant ei
KLR SKX. ROSCIL'S >5

mir einmal zu guten Treuen auferlegt ist, aus Treulosigkeit


von mir werfe oder aus Kleinmut fahren lasse.
Auch an dich, M.Fannius, möchte ich eine inständige Bitte
richten: wie du dich schon früher dem römischen Volke er-
zeigt hast, als du in eben diesem Gerichtshof den Vorsitz inne-
hattest, so widme dich uns und dem römischen Volke auch
jetzt. Du siehst, welche Menschenmenge zu dieser Verhand-
lung zusammengeströmt ist; du erkennst, was alle Welt er-
wartet, wie sehr man auf scharfe und strenge Urteile erpicht
ist. Nach langer Unterbrechung ist dies das erste ordentliche
Verfahren wegen Mordes, das wieder stattfindet, nachdem in
der Zwischenzeit die gemeinsten und ungeheuerlichsten Met-
zeleien begangen worden sind: man erwartet allgemein,daß
diese von dir geleitete Untersuchung so verlaufen wird, wie
erwiesene Untaten und das tägliche Blutvergießen es verdie-
nen. Was sonst bei Strafprozessen die Ankläger vorzubringen
pflegen, bringen dieses Mal wir vor, die wir uns verteidigen:
wir bitten dich, M.Fannius, und euch, ihr Richter, schreitet
mit äußerster Schärfe gegen Verbrechen ein, leistet Leuten,
die vor nichts zurückschrecken, mit größter Energie Wider-
stand, bedenkt, wohin es kommt, wenn ihr nicht in diesem
Prozeß eure Einstellung kundtut: die frevelhafte, tolldreiste
Gier der Menschen würde so zügellos hervorbrechen, daß
nicht nur insgeheim, sondern hier auf dem Forum, vor deinem
Tribunal, M.Fannius, zu euren Füßen, ihr Richter, zwischen
den Bankreihen hier Mordtaten stattfänden.
Denn was anderes sucht man in diesem Prozeß zu erreichen,
als daß derartiges erlaubt sei? Es klagen die an, die sich über
das Vermögen dieses Mannes hergemacht haben; es verteidigt
sich der, dem sie außer seinem Unglück nichts übrigließen.
Es klagen die an, für die es vorteilhaft war, daß der Vater des
Sextus Roscius ermordet wurde; es verteidigt sich der, dem
der Tod des Vaters nicht nur Trauer, sondern auch Armut
l6 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

qui hunc ipsum iugulare s u m m e cupierunt, causam


dicit is q u i c t i a m ad h o c i p s u m j u d i c i u m c u m p r a e s i d i o
venit ne hie i b i d e m a n t e o c u l o s v e s t r o s trucidetur;
d e n i q u e a c c u s a n t ei q u o s p o p u l u s p o s c i t , c a u s a m dicit is
qui u n u s relictus e \ i l l o r u m n e f a r i a c a e d e restat.

A t q u e ut f a c i l i u s i n t e l l e g e r e p o s s i t i s , i u d i c e s , ea q u a e 14
f a c t a sunt i n d i g n i o r a esse q u a m haec sunt q u a e d i c i m u s ,
a b initio res q u e m ad m o d u m gesta sit v o b i s e x p o n e -
m u s , q u o f a c i l i u s et h u i u s h o m i n i s i n n o c e n t i s s i m i m i s e -
rias et i l l o r u m a u d a c i a s c o g n o s c e r e possitis et rei p u b l i -
cae c a l a m i t a t e m .

Sex. R o s c i u s , pater h u i u s c e , m u n i c e p s A m e r i n u s 15
f u i t , c u m g e n e r e et n o b i l i t a t e et p e c u n i a non m o d o sui
m u n i c i p i v e r u m e t i a m e i u s vicinitatis f a c i l e p r i m u s ,
t u m g r a t i a a t q u e hospitiis f l o r e n s h o m i n u m n o b i l i s s i -
m o r u m . N a m c u m M e t e l l i s , S e r v i l i i s , S c i p i o n i b u s erat
ei non m o d o h o s p i t i u m v e r u m e t i a m d o m e s t i c u s u s u s et
c o n s u e t u d o , q u a s , ut a e q u u m e s t , f a m i l i a s honestatis
a m p l i t u d i n i s q u c gratia n o m i n o . I t a q u c cx suis o m n i b u s
c o m m o d i s hoc s o l u m f i l i o r e l i q u i t ; n a m p a t r i m o n i u m
d o m e s t i c ! p r a e d o n e s vi e r e p t u m p o s s i d e n t , f a m a et vita
innocentis ab h o s p i t i b u s a m i c i s q u e p a t e r n i s d e f e n d i -
tur.

H i e c u m o m n i t e m p o r e nobilitatis f a u t o r f u i s s e t t u m 16
hoc t u m u l t u p r o x i m o , c u m o m n i u m n o b i l i u m d i g n i t a s
f t ' R SF.X. R O S C I L S

brachte. Es klagen die an, die alles darauf anlegten, diesen


Mann hier umzubringen; es verteidigt sich der, der sogar zu
dieser Verhandlung mit einer Schutzwache kam, um nicht
hierselbst vor euren Augen niedergemacht zu werden. Und
schließlich: es klagen die an, deren Bestrafung das Volk for-
dert; es verteidigt sich der einzige, der von dem ruchlosen
Morden dieser Gesellen Übriggeblieben und noch am Leben
ist.
Und um euch die Erkenntnis zu erleichtern, ihr Richter,
daß die Wirklichkeit meine Behauptungen an Niedertracht
noch überbietet, will ich euch den Sachverhalt, wie er sich zu-
getragen hat, von Anfang an darlegen. Ihr werdet dann desto
besser imstande sein, das jammervolle Schicksal dieses gänz-
lich unschuldigen Menschen, das verwegene Treiben der An-
kläger und den elenden Zustand unseres Staatswesens zu er-
fassen.
Sextus Roscius, der Vater des Angeklagten, war Bürger von
Ameria 3 . Herkunft, vornehme Geburt und Vermögen ver-
schafften ihm mühelos nicht nur in seiner Heimatstadt, son-
dern auch in deren Umgebung den ersten Platz; überdies ge-
noß er die Gunst und Freundschaft von Männern des höch-
sten Adels. Denn mit den Metellern, Serviliern und Scipionen
verband ihn nicht nur wechselseitige Gastlichkeit, sondern
sogar stetiger vertrauter Umgang - übrigens erwähne ich
diese Familien, wie recht und billig, ihrer angesehenen und
glanzvollen Stellung wegen. So sind denn diese Verbindungen
das einzige, was Roscius dem Sohne von allen seinen Glücks-
umständcn hinterließ. Denn das Vermögen besitzen Räuber
aus der eigenen Familie, die es mit Gewalt an sich gerissen
haben; doch Ehre und Leben des Unschuldigen nehmen die
entfernteren und näheren Freunde des Vaters in Schutz.
Der ältere Roscius war jederzeit dem Adelsregiment forder-
lich gewesen, und er hat sich zumal während der jüngsten
ι8 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

et salus in discrimen veniret, praeter ceteros in ea


vicinitate earn partem c a u s a m q u e opera, studio, aucto-
ritate defendit. E t e n i m rectum putabat pro eorum ho-
nestate se pugnare propter quos ipse honestissimus
inter suos numerabatur. Postea q u a m victoria consti-
tute est ab armisque recessimus, c u m proscriberentur
homines atque ex omni regione caperentur ei qui adver-
sarii fuisse putabantur, erat ille R o m a e frequens atque
in foro et in ore o m n i u m cotidie versabatur, magis ut
exsultare victoria nobilitatis videretur q u a m timere nc
quid ex ea calamitatis sibi accideret.

Erant ei veteres inimicitiae cum d u o b u s Rosciis 17


A m e r i n i s , q u o r u m alterum sedere in accusatorum sub-
selliis video, alterum tria huiusce praedia possidere
audio; quas inimicitias si tarn cavere potuisset quam
metuere solebat viveret. N e q u e e n i m , iudices, injuria
metuebat. N a m d u o isti sunt T . Roscii, q u o r u m alteri
Capitoni cognomen est, iste qui adest M a g n u s vocatur,
homines eius modi: alter p l u r i m a r u m palmarum vetus
ac nobilis gladiator habetur, hie autem nuper se ad eum
lanistam contulit, q u i q u e ante hanc p u g n a m tiro esset
quod sciam, facile ipsum magistrum scelere audaciaque
superavit. N a m c u m hie S e x . Roscius esset A m e r i a e , iH
T . autem iste Roscius R o m a e , c u m hie filius adsiduus
in praediis esset c u m q u e se voluntate patris rei familiari
vitaeque rusticae dedisset, ipse autem frequens R o m a e
esset, occiditur ad balneas Pallacinas rediens a cena
S e x . Roscius. S p e r o ex hoc ipso non esse o b s c u r u m ad
KL'R S F X . ROSCIUS •9

Wirren, als Vorrangstellung und Leben aller Adligen in Ge-


fahr schwebten, mehr als andere in jener Gegend mit tätigem
Eifer und dem Gewicht seiner Person für ihre Partei und Sache
verwendet. Denn er glaubte, es sei recht, für deren Ansehen
zu kämpfen, durch die er selbst als der Angesehenste unter
seinen Mitbürgern galt. Nachdem der Sieg errungen war und
wir die Waffen niedergelegt hatten, als man die Leute, die
Gegner gewesen sein sollten, für vogelfrei erklärte und aller-
orten aufgriff", da weilte er oft in Rom und verkehrte täglich auf
dem Forum und vor aller Augen; man hatte deshalb eher den
Eindruck, daß ihn der Sieg des Adels mit Freude erfüllte, als daß
er befürchtete, ihm könne hieraus ein Unglück erwachsen.
Er war seit jeher mit zwei Rosciern aus Ameria verfeindet.
Den einen sehe ich auf der Anklägerbank sitzen; von dem an-
deren erfahre ich, daß er drei Güter des Angeklagten besitzt.
Hätte sich der ältere Roscius vor diesen Feinden ebenso
schützen können, wie er sie zu fürchten pflegte, er wäre noch
am Leben. Er fürchtete sie nämlich nicht ohne Grund, ihr
Richter. Denn die beiden (sie heißen T . Roscius; der eine hat
den Beinamen Capito, der anwesende wird Magnus genannt)
sind Leute dieses Schlages: der erstere gilt als alterfahrener
und namhafter Gladiator, der zahlreiche Siege erkämpft hat;
doch dieser hier hat ihn unlängst zu seinem Fechtmeister er-
koren, und wenn er, soviel ich weiß, vor der Mordschlacht
nur ein Anfänger war, so hat er nunmehr mühelos den eigenen
Lehrer durch verbrecherischen Wagemut übertroffen 4 . Denn
als der jüngere Sextus Roscius sich in Ameria aufhielt, der
T. Roscius hier jedoch in Rom, als der Sohn ständig auf den
Gütern weilte und sich dem Wunsche des Vaters gemäß der
Verwaltung des Besitzes und dem Leben auf dem Lande ver-
schrieben hatte, T. Roscius aber sich oft in Rom befand, da
wurde der ältere Sextus Roscius, wie er von einer Einladung
zurückkehrte, in der Nähe der pallacinischen Bäder® ermor-
20 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

q u e m suspicio malefici pertineat; v e r u m id q u o d a d h u c


est s u s p i c i o s u m nisi p e r s p i c u u m res ipsa fecerit, hunc
a d f i n e m c u l p a e iudicatote.

O c c i s o S e x . R o s c i o p r i m u s A m e r i a m nuntiat Mallius 19
G l a u c i a q u i d a m , h o m o t e n u i s , libertinus, cliens et fa-
miliaris istius T . R o s c i , et nuntiat d o m u m non fili sed
T . C a p i t o n i s inimici; et c u m post horam p r i m a m noctis
occisus esset, p r i m o d i l u c u l o nuntius hic Ameriam
venit; decern horis nocturnis sex et q u i n q u a g i n t a milia
p a s s u u m cisiis p e r v o l a v i t , non m o d o ut e x o p t a t u m
inimico n u n t i u m p r i m u s adferret sed etiam c r u o r e m
inimici q u a m r e c e n t i s s i m u m t e l u m q u e paulo ante e
corpore e x t r a c t u m ostenderet.

Q u a d r i d u o q u o haec gesta sunt res ad C h r y s o g o n u m 20


in castra L . S u l l a e Yolaterras d e f e r t u r ; m a g n i t u d o pe-
cuniae d e m o n s t r a t u r ; bonitas p r a e d i o r u m - nam f u n d o s
decern et tris reliquit qui T i b e r i m fere omnes tangunt -
huius inopia et solitudo c o m m e m o r a t u r ; d e m o n s t r a n t ,
c u m pater huiusce S e x . R o s c i u s , h o m o tarn s p l e n d i d u s
et g r a t i o s u s , nullo negotio sit o c c i s u s , p e r f a c i l e hunc
h o m i n e m i n c a u t u m et r u s t i c u m et R o m a e i g n o t u m de
medio tolli posse; ad eam rem o p e r a m s u a m pollicentur.
N e diutius teneam, iudices, societas coitur.

C u m nulla iam proscriptionis mentio fieret, c u m 21


etiam qui antea metuerant redirent ac iam d e f u n c t o s
КCR SFX. ROSCILS

det. Ich denke, schon dieser Umstand läßt nicht im ungewis-


sen, wen der Verdacht der Untat trifft; doch wenn die Sache
selbst nicht sonnenklar erweist, was sich bis jetzt nur aus Ver-
dachtsgründen ergibt, dann mögt ihr glauben, daß der Ange-
klagte nicht frei ist von Schuld.
Als Sextus Roscius ermordet war, überbringt als erster ein
gewisser Mallius Glaucia die Nachricht nach Ameria, ein klei-
ner Mann, ein Freigelassener, als Schutzbefohlener dem An-
hang des T . Roscius hier zugehörig, und er überbringt sie
nicht in das Haus des Sohnes, sondern des Feindes T . Capito,
und obwohl Roscius nach der ersten Nachtstunde ermordet
wurde, kommt dieser Bote mit dem ersten Morgengrauen
nach Ameria: in zehn Stunden legte er nächtlicherweile 56
Meilen eilends im Reisewagen zurück 6 . Denn er wollte nicht
nur als erster dem Feinde die ersehnte Botschaft übermitteln,
sondern auch das Blut des Feindes, so frisch wie möglich, und
die Waffe, die man kurz zuvor aus der Leiche herausgezogen
hatte, vorweisen.
Vier T a g e nach diesen Ereignissen wird die Sache dem Chry-
sogonus im Lager des L.Sulla vor Volaterrae 7 hinterbracht;
man weist auf die Größe des Vermögens hin; man erwähnt die
Qualität des Landbesitzes (der ältere Roscius hinterließ näm-
lich dreizehn Güter, die fast sämtlich an den Tiber grenzen)
und die Hilflosigkeit und Verlassenheit des Sohnes; sie legen
dar, daß Sextus Roscius, der Vater des Angeklagten, ein so
angesehener und beliebter Mann, ohne Schwierigkeit umge-
bracht worden sei: da könne man mit ganz leichter Mühe
auch diesen unvorsichtigen und tölpelhaften und in Rom un-
bekannten Menschen aus dem Wege räumen; sie versprechen
hierzu ihre Dienste. Ich will euch nicht länger hinhalten, ihr
Richter: der Pakt wird geschlossen.
Als man der Ächtungen mit keinem Worte mehr gedachte,
als auch die zurückkehrten, die sich zuvor gefürchtet hat-
22 PRO S F X . ROSCIO AMERINO

sese p e r i c u l i s a r b i t r a r e n t u r , n o m e n r e f e r t u r in tabulas
S e x . R o s c i , h o m i n i s studiosissimi nobilitatis; m a n c e p s
fit C h r v s o g o n u s ; tria praedia vel n o b i l i s s i m a C a p i t o n i
propria traduntur, q u a e hodie possidet; in reliquas
o m n i s f o r t u n a s iste T . R o s c i u s n o m i n e Chrysogoni,
quern ad m o d u m ipse d i c i t , i m p e t u m facit.

H a e c o m n i a , i u d i c e s , i m p r u d e n t e L . S u l l a facta esse
c e r t o s c i o . N e q u e e n i m m i r u m , c u m e o d e m t e m p o r e et
ea q u a e p r a e t e r i t a s u n t reparet et ea q u a e v i d e n t u r
i n s t a r e p r a e p a r e t , c u m et pacis c o n s t i t u e n d a e r a t i o n e m
et belli g e r e n d i p o t e s t a t e m solus h a b e a t , c u m o m n e s in
u n u m s p e c t e n t , u n u s o m n i a g u b e r n e t , c u m tot tantis-
q u e n e g o t i i s d i s t e n t u s sit ut respirare libere non p o s s i t ,
si aliquid non a n i m a d v e r t a t , c u m p r a e s e r t i m tam m u l t i
o c c u p a t i o n e m eius o b s e r v e n t t e m p u s q u e aucupentur
ut, s i m u l a t q u e ille d e s p e x e r i t , aliquid h u i u s c e modi
m o l i a n t u r . H u e a c c e d i t q u o d , q u a m v i s ille felix sit,
sicut e s t , t a m e n in t a n t a felicitate n e m o potest esse in
m a g n a familia qui n e m i n e m n e q u e servum n e q u e liber-
tum improbum habeat.

Interea iste T . Roscius, vir o p t i m u s , procurator 23


C h r y s o g o n i , A m e r i a m v e n i t , in praedia huius invadir,
hunc miserum, l u c t u p e r d i t u m , qui n o n d u m etiam
o m n i a p a t e r n o f u n e r i iusta solvisset, n u d u m eicit d o m o
a t q u e focis patriis d i s q u e p e n a t i b u s p r a e c i p i t e m , iudi-
c e s , e x t u r b a t , ipse a m p l i s s i m a c p e c u n i a e fit d o m i n u s .
Q u i in sua re fuisset e g e n t i s s i m u s , erat, ut fit, i n s o l e n s
KÜR S F X . R O S C 1 L S

ten, und schon glaubten, alle Gefahr überstanden zu haben,


da trägt man den Namen des Sextus Roscius in die Listen der
Geächteten ein, eines Mannes, der sich mit größtem Eifer für
den Adel eingesetzt hatte; Chrysogonus wird Käufer des Ver-
mögens; drei, und zwar die allerbesten Güter werden dem
Capito zu eigen übergeben, und er besitzt sie heute noch; auf
alle übrigen Reichtümer stürzt sich der T . Roscius hier, im
Namen des Chrysogonus, wie er selbst zugibt.
Dieses alles, ihr Richter, hat sich, wie mir zuverlässig be-
kannt ist, ohne Wissen des L.Sulla zugetragen. Er renkt wie-
der ein, was vergangen ist, und rüstet sich zugleich für das,
was dem Anschein nach bevorsteht; nur er hat die Mittel,
Frieden zu stiften, und die Macht, Krieg zu führen; alle rich-
ten ihre Blicke einzig auf ihn; er allein vermag alles zu lenken;
er ist durch so viele und wichtige Obliegenheiten beansprucht,
daß er nicht einmal frei aufatmen kann: da ist es wirklich kein
Wunder, wenn ihm etwas entgeht, zumal ja viele ein scharfes
Auge auf seine Beschäftigungen haben und eine Gelegenheit
zu erhäschen suchen, um, sobald er zur Seite blickt, irgend
etwas von dieser Art ins Werk zu setzen. Mag er überdies
noch so sehr vom Glück begünstigt sein 8 (wie er es wirklich
ist): trotz aller Glücksumstände kann es keinen Menschen
geben, der nicht in einer großen Gefolgschaft einen schurki-
schen Sklaven oder Freigelassenen hätte.
Unterdessen kommt unser T. Roscius, der Treffliche, als
Verwalter des Chrysogonus nach Ameria; er macht sich über
die Güter des Angeklagten her; er jagt den Unglücklichen,
von Trauer Gebrochenen, der noch nicht einmal allem Brauch
für das Begräbnis des Vaters Genüge getan hatte, mittellos
aus seinem Haus, vertreibt ihn Hals über Kopf vom Herd der
Vorfahren und von seinen Penaten', ihr Richter; er wird selbst
Herr des riesigen Vermögens. Und er, der mit seinem eigenen
Gut sehr kärglich gewirtschaftet hatte, treibt, wie es zu gehen
PRO S F X . R O S C I O AMFRINO

in aliena; multa palam d o m u m suam auferebat, plura


clam de medio rcmovebat, non pauca suis adiutoribus
large e f f u s e q u e donabat, reliqua constituta auctione
vendebat.

Quod Amcrinis usque eo visum est indignum ut urbe 24


tota fletus gemitusque fieret. Etenim multa simul ante
oculos versabantur, mors hominis florentissimi. S e x .
Rosci, crudelissima, fili autem eius egestas indi-
gnissima, cui de tanto patrimonio praedo iste nefarius
ne iter quidem ad sepulcrum patrium reliquisset, bo-
norum emptio flagitiosa, possessio, furta, rapinae, do-
nationes. N e m o erat qui non audere omnia mallet quam
videre in S e x . Rosci, viri optimi atque honestissimi,
bonis iactantem se ac dominantem Т . Roscium.

Itaque decurionum decretum statim fit ut decern 25


primi proficiscantur ad L . Sullam doceantque eum qui
vir S e x . Roscius fuerit, conquerantur de istorum sce-
lere et iniuriis, orent ut et illius mortui famam et fili
innocentis fortunes conservatas vclit. A t q u e ipsum de-
cretum, quaeso, cognoscite. DECRETUM DECURIONUM.
Legati in castra veniunt. Intellegitur, iudices, id quod
iam ante dixi, imprudente L . Sulla scelera haec et flagi-
tia fieri. N a m statim C h r v s o g o n u s et ipse ad eos accedit
et homines nobilis adlegat qui peterent ne ad S u l l a m
adirent, et omnia C h r y s o g o n u m quae vellent esse fac-
turum pollicerentur.
KÜR S F X . ROSCIUS

pflegt, unmäßigen Aufwand mit fremdem; vieles beförderte


er in aller Öffentlichkeit in sein Haus; mehr noch schaffte er
heimlich beiseite; nicht weniges schenkte er mit freigebiger,
verschwenderischer Hand seinen Gehilfen; den Rest ver-
kaufte er in einer Versteigerung.
Bei den Bürgern von Ameria rief dieses Vorgehen solche
Empörung hervor, daß sie die ganze Stadt mit Klagen und
Seufzern erfüllten. Denn vieles hatte sich gleichzeitig vor ihren
Augen abgespielt: der grausige T o d des Sextus Roscius, eines
Mannes, der auf der Höhe des Lebens stand, die schmachvolle
Armut seines Sohnes, dem dieser gemeine Räuber da nicht
einmal den Zugang zum Grabe des Vaters von einem so statt-
lichen Besitz übrigließ, der schändliche Vermögenskauf, die
Besitzergreifung, die Diebes- und Raubzüge, die Schenkun-
gen. Jedermann war bereit, lieber alles zu wagen als ansehen
zu müssen, wie T . Roscius auf dem Besitz des Sextus Roscius,
dieses trefflichen und ehrenwerten Mannes, prahlerisch den
Herrn spielte.
Und so kommt alsbald ein Beschluß der Ratsherren zu-
stande: die zehn Vorsteher 1 0 sollten zu L.Sulla reisen und ihn
davon unterrichten, was für ein Mann Sextus Roscius gewe-
sen sei; sie sollten über das Verbrechen und die Rechtswidrig-
keiten dieser Leute Klage führen und Sulla bitten, er möchte
die Ehre des Toten und das Vermögen des unschuldigen Soh-
nes retten. Und vernehmt bitte den Wortlaut des Beschlusses.
- (Der Beschluß der R a t s h e r r e n . ) - D i e Abgesandten kommen
in das Lager. Es stellt sich heraus, ihr Richter, was ich schon
früher gesagt habe: daß diese schändlichen Verbrechen ohne
Wissen Sullas geschehen sind. Denn sofort befaßt sich Chry-
sogonus persönlich mit den Abgesandten und ordnet auch
Leute von Rang mit der Bitte an sie ab, keinen Zutritt zu
Sulla zu suchen, und mit dem Versprechen, er werde alle ihre
Wünsche erfüllen.
26 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

U s q u e adeo autem ille pertimuerat ut mori mallet 26


quam de his rebus S u l l a m d o c e r i . Homines antiqui. qui
ex sua natura ceteros fingerent, cum ille confirmaret
sese nomen Sex. Rosci de tabulis exempturum, praedia
vacua filio traditurum, c u m q u c id ita futurum "Г. Ros-
cius Capito qui in decern legatis erat appromitteret,
crediderunt; A m e r i a m re inorata reverterunt. A c primo
rem differre cotidie ac procrastinare isti coeperunt,
deinde aliquanto lentius nihil agere atque deludere,
postremo, id quod facile intellectum est, insidias vitae
huiusce S e x . Rosci parare neque sese arbitrari posse
diutius alienam pecuniam domino incolumi obtinere.

Quod hic simul atque sensit, de amicorum cognato- 27


rumque sententia Romain confugit et sese ad Caeci-
liam, Nepotis sororem, Baliarici filiam, quam honoris
causa nomino, contulit, qua pater usus erat p l u r i m u m ;
in qua mutiere, iudices, etiam nunc, id quod omnes
semper existimaverunt, quasi exempli causa vestigia
antiqui offici remanent. Ea Sex. Roscium inopem,
eiectum domo atque expulsum ex suis bonis, fugientem
latronum tela et minas recepit d o m u m hospitique op-
presso iam desperatoque ab omnibus opitulata est. E i u s
virtute, fide, diligentia factum est ut hic potius vivus in
reos quam occisus in proscriptos referretur.
К CR SF Χ. ROSCIUS

Er war aber von solcher Furcht erfüllt, daß er lieber gestor-


ben wäre, als daß Sulla von diesen Dingen erfahren hätte. Er
versicherte, er werde den Namen des Sextus Roscius aus den
Listen tilgen und dem Sohne die Güter frei von fremden
Rechtstiteln übergeben, und obendrein versprach T. Roscius
Capito, der zu den zehn Abgesandten gehörte, daß man es
wirklich so halten wolle. Die altmodischen Leute, die sich ihre
Mitmenschen so vorstellten, wie sie selbst waren, schenkten
diesen Reden Glauben; sie kehrten nach Ameria zurück, ohne
ihre Sache vorgetragen zu haben. Und jene Schurken began-
nen damit, daß sie die Angelegenheit von Tag zu Tag hinaus-
zögerten und auf einen anderen Termin verschoben; dann
nahmen sie sich mehr Zeit, taten nichts und trieben ein ge-
meines Spiel; schließlich stellten sie, wie leicht begreiflich,
dem Leben unseres Sextus Roscius nach; denn sie waren der
Meinung, daß sie das fremde Vermögen nicht länger würden
behalten können, wenn der wahre Eigentümer unbehelligt
bliebe.
Sobald Roscius diese Anschläge bemerkte, tat er, wie
Freunde und Verwandte ihm rieten: er flüchtete nach Rom
und begab sich in den Schutz der Caecilia, der Schwester des
Nepos und Tochter des Baliaricus, die ich ehrenhalber hier
erwähne. Der Vater hatte sehr oft in ihrem Hause verkehrt.
Bei dieser Frau, ihr Richter, ist auch jetzt noch, als wolle sie
ein Beispiel geben, eine Stätte der einstigen Hilfsbereitschaft
geblieben, und so hat man sie allgemein schon immer beur-
teilt. Sie nahm Sextus Roscius, wie er mittellos, aus seinem
Hause verjagt und von seinem Besitze vertrieben, vor den
Waffen und Drohungen der Räuber flüchtete, bei sich auf und
lieh dem hart bedrängten und schon allgemein aufgegebenen
Freunde ihre Hilfe. Ihre Mannhaftigkeit, Treue und Wach-
samkeit hat es zuwege gebracht, daß Roscius lebend zu den
Angeklagten zählt statt ermordet zu den Geächteten.
28 PRO S E X . ROSCIO A M E R I N O

N a m postquam isti intellexerunt summa diligentia :H


vitam S e x . Rosci custodiri neque sibi ullam caedis
faciendae potestatem dari, consilium ceperunt plenum
sceleris et audaciae ut nomen huius de parricidio defer-
rent, ut ad earn rem aliquem accusatorem veterem
compararent qui de ea re posset dicere aliquid, in qua re
nulla subesset suspicio, denique ut, quoniam crimine
non poterant, tempore ipso pugnarent. Ita loqui homi-
nes: quod iudicia tarn diu facta non essent, condemnari
eum oportere qui primus in judicium adductus esset;
huic autem patronos propter Chrysogoni gratiam d e f u -
turos; de bonorum venditione et de ista societate ver-
bum esse facturum neminem; ipso nomine parricidi et
atrocitate criminis fore ut hic nullo negotio tolleretur,
cum ab nullo defensus esset. Hoc consilio atque adeo 29
hac amentia impulsi quem ipsi, cum cuperent, non
potuerunt occidere, eum iugulandum vobis tradide-
runt.

Quid primum querar aut unde potissimum, iudiccs,


ordiar aut quod aut a quibus auxilium petam? deo-
rumne immortalium, populine Romani, vestramne qui
summam potestatem habetis hoc tempore fidem implo-
rem? Pater occisus nefarie, domus obsessa ab inimicis, 30
bona adempta, possessa, direpta, fili vita infesta, saepe
ferro atque insidiis appetita. Quid ab his tot maleficiis
sceleris abesse videtur? Tarnen haec aliis nefariis cu-
FÜR S F X . ROSCIUS 29

Denn jene Schurken erkannten, daß das Leben des Sextus


Roscius mit größter Sorgfalt bewacht wurde und sich ihnen
keine Möglichkeit bot, den Mord zu begehen; da faßten sie
den verbrecherischen und dreisten Entschluß, Roscius wegen
Verwandtenmordes anzuzeigen und sich hierfür einen einge-
fleischten Ankläger zu beschaffen, der es fertigbrächte, in
dieser keinerlei Verdachtsgründe bietenden Sache irgend-
welche Behauptungen aufzustellen, kurzum, sie beschlossen,
da ihnen ein begründeter Schuldvorwurf verwehrt war, ein-
fach die Zeitumstände als Waffe zu benutzen. So etwa redeten
diese Menschen: da so lange keine Prozesse mehr stattgefun-
den hätten, müsse der erste, dem man wieder den Prozeß
mache, verurteilt werden; Roscius aber werde wegen der
Macht des Chrysogonus keine Fürsprecher finden; niemand
werde über den Vermögensverkauf und den erwähnten Pakt
ein Wort verlieren; schon die Bezeichnung Verwandtenmord
und die Abscheulichkeit dieses Verbrechens müßten genügen,
Roscius, der ja gänzlich unverteidigt wäre, ohne Schwierig-
keit zu beseitigen. Von diesem Plane oder besser von diesem
wahnsinnigen Vorhaben besessen, lieferten sie den Untergang
dessen, den sie selbst wider ihren Wunsch nicht umzubringen
vermochten, in eure Hände.
Worüber soll ich mich zuerst beklagen, oder von welchem
Punkt soll ich hauptsächlich ausgehen, ihr Richter, oder was
für Hilfe soll ich mir ausbitten, und von wem? Soll sich mein
Flehen auf die unsterblichen Götter verlassen, oder auf das
römische Volk, oder auf euch, die ihr gegenwärtig die höchste
Gewalt ausübt? Der Vater ist meuchlings ermordet, das Haus
von den Feinden besetzt, das Vermögen entrissen, in Besitz
genommen, geplündert, das Leben des Sohnes bedroht, ein
häufiges Ziel heimtückischer Waffen. Welches Verbrechen
fehlt wohl noch in dieser Zahl von Schandtaten? Trotzdem
steigern und vergrößern sie das Maß ihrer Schuld mit weite-
PRO S E X . ROSCIO A M E R I N O

mulant atque adaugent, crimen incredibile confingunt.


testis in h u n c et a c c u s a t o r e s h u i u s c e p e c u n i a c o m p a -
r a n t ; h a n c c o n d i c i o n e m m i s e r o f e r u n t ut o p t e t u t r u m
malit cervices Т . Roscio d a r e an i n s u t u s in c u l l e u m per
s u m m u m d e d e c u s vitam a m i t t e r e . P a t r o n o s h u i c d e f u -
t u r o s p u t a v e r u n t ; d e s u n t ; q u i libere d i c a t , q u i c u m fide
d e f e n d a t , id q u o d in hac causa satis est, n o n deest
p r o f e c t o , iudices. Et f o r s i t a n in s u s c i p i e n d a causa te-
mere impulsus adulescentia fecerim; quoniam quidem
semel s u s c e p i , licet h e r c u l e s u n d i q u e o m n e s minae
t e r r o r e s p e r i c u l a q u e i m p e n d e a n t o m n i a , s u c c u r r a m ac
s u b i b o . C e r t u m est d e l i b e r a t u m q u e q u a e ad c a u s a m
p e r t i n e r e a r b i t r o r , o m n i a n o n m o d o d i c e r e v e r u m etiam
l i b e n t e r a u d a c t e r l i b e r e q u e d i c e r e ; nulla res t a n t a ex-
sistet, iudices, ut possit vim mihi m a i o r e m a d h i b e r e
m e t u s q u a m fides. E t e n i m q u i s tarn d i s s o l u t o a n i m o est
q u i h a e c c u m videat tacere ac n e g l e g e r e possit? P a t r e m
m e u m , c u m p r o s c r i p t u s n o n esset, iugulastis, o c c i s u m
in p r o s c r i p t o r u m n u m e r u m rettulistis, m e d o m o mea
per vim expulistis, Patrimonium m e u m possidetis.
Q u i d voltis a m p l i u s ? e t i a m n e ad subsellia c u m f e r r o
a t q u e telis venistis ut hic aut iuguletis aut c o n d e m n e t i s ?

H o m i n e m longe a u d a c i s s i m u m n u p e r h a b u i m u s in
civitate C . F i m b r i a m et, q u o d inter o m n i s c o n s t a t , nisi
i n t e r eos q u i ipsi q u o q u e i n s a n i u n t i n s a n i s s i m u m . Is
c u m c u r a s s e t in f u n e r e C . M a r i ut Q . Scaevola v o l n e r a -
r e t u r , vir s a n c t i s s i m u s a t q u e o r n a t i s s i m u s n o s t r a e civi-
K C R SF.X. ROSCILS 3'

ren Freveln; sie ersinnen einen unglaublichen Vorwurf; sie


verschaffen sich mit dem Geld des Roscius Belastungszeugen
und Ankläger; sie stellen den Unglücklichen vor die Wahl, ob
er lieber dem T. Roscius seinen Kopf hinhalten oder in einen
Ledersack eingenäht" in ärgster Schande sein Leben verlie-
ren wolle. Sie glaubten, es würde ihm an Fürsprechern fehlen.
Jawohl, stimmt; aber jemand, der ein offenes Wort spricht,
der ihn in Treuen verteidigt (was in dieser Sache genügt), der
fehlt wahrhaftig nicht, ihr Richter. Und vielleicht tat ich,
durch meine Jugend verleitet, unbedacht daran, mich dieses
Falles anzunehmen. Doch da ich mich einmal seiner angenom-
men habe, will ich dafür eintreten und Hilfe leisten, selbst
wenn mir, beim Herkules, allerorten Drohungen, Schrecknisse
und Gefahren jeder Art bevorstehen. Es ist ausgemacht und
beschlossen, alles, was meiner Meinung nach zur Sache ge-
hört, nicht nur auszusprechen, sondern auch gern, beherzt
und offen auszusprechen; es kann nichts eintreten, ihr Rich-
ter, was so bedeutend wäre, daß die Furcht eine größere Macht
über mich auszuüben vermöchte als die Treue. Denn wer ist
so kaltherzig, daß er, wenn er dieses Treiben sieht, schweigen
und gleichgültig zusehen kann? «Ihr habt meinen Vater um-
gebracht, obwohl er nicht geächtet war; ihr habt den Ermor-
deten in die Liste der Geächteten aufgenommen; ihr habt
mich gewaltsam aus meinem Hause vertrieben; ihr besitzt
mein Vermögen. Was wollt ihr mehr? Seid ihr mit Schwert
und Spieß auch noch zur Gerichtsbank gekommen, um hier
entweder zu morden oder eine Verurteilung zu erwirken?»
Wir haben kürzlich C. Fimbria in unserem Staate gehabt,
den allerskrupellosesten und zugleich (wie alle zugeben, die
nicht selbst unsinnig sind) unsinnigsten Menschen. Er sorgte
dafür, daß man während der Bestattung des C.Marius dem
QjScaevola eine Wunde beibrachte, dem unsträflichsten und
angesehensten Manne in unserer Bürgerschaft. Doch hier ist
З2 PRO S E X . ROSCIO A M E R I N O

tatis, de cuius laude neque his locus est ut multa


dicantur neque plura tarnen dici possunt quam populus
Romanus memoria retinet, diem Scaevolae dixit,
postea quam comperit eum posse vivere. C u m ab eo
quaereretur quid tandem accusaturus esset eum quem
pro dignitate ne laudare quidem quisquam satis com-
mode posset, aiunt hominem, ut erat furiosus, respon-
disse: quod non totum telum corpore recepisset. Q u o
populus Romanus nihil vidit indignius nisi eiusdem viri
mortem, quae tantum potuit ut omnis occisus perdide-
rit et adflixerit; quos quia servare per compositionem
volebat, ipse ab eis interemptus est.

Estne hoc illi dicto atque facto Fimbriano similli- 34


mum? Accusatis Sex. Roscium. Quid ita? Quia de
manibus vestris e f f u g i t , quia se occidi passus non est.
Illud, quia in Scaevola factum est, magis indignum
videtur, hoc, quia fit a C h r v s o g o n o , non est ferendum.
N a m per deos immortalis! quid est in hac causa quod
defensionis indigeat? qui locus ingenium patroni requi-
rit aut oratoris eloquentiam magno opere desiderat?
Totam causam, iudices, explicemus atque ante oculos
expositam consideremus; ita facillime quae res totum
judicium contincat et quibus de rebus nos dicere opor-
teat et quid vos sequi conveniat intellegetis.

Tres sunt res, quantum ego existimare possum, quae 35


obstent hoc tempore S e x . Roscio, crimen adversa-
riorum et audacia et potentia. Criminis confictionem
accusator Erucius suscepit, audaciae partis Roscii sibi
KÜR SF.\. ROSCIUS 33

nicht die Gelegenheit, viel zum Lobe des Scaevola zu sagen,


noch kann man mehr sagen, als das römische Volk selbst in
der Erinnerung bewahrt. Diesem Scaevola also machte Fim-
bria den Prozeß, nachdem er erfahren hatte, daß jener mögli-
cherweise am Leben bleibe. Da fragte man ihn, was für eine
Anklage er denn gegen den erheben wolle, dessen Verdienste
man nicht einmal ganz angemessen zu loben wisse, und der
Mensch soll, irrsinnig wie er war, geantwortet haben: «Daß
er sich den Dolch nicht ganz in den Leib stoßen ließ.» Eine
größere Schmach hat das römische Volk nicht erlebt, außer
dem Tode dieses Mannes, einem Ereignis, von dessen Folgen
alle heimgesucht und hart getroffen wurden; die er hatte ret-
ten wollen, indem er sich ins Mittel legte, von denen wurde
er selbst getötet".
Ist nicht dieses Stück hier dem Ausspruch und der Tat des
Fimbria ganz ähnlich? Ihr klagt Sextus Roscius an. Warum?
Weil er euren Fängen entronnen ist, weil er sich nicht ermor-
den ließ. Jene Tat erscheint schmachvoller, weil sie einem
Scaevola angetan wurde; diese ist unerträglich, weil sie von
einem Chrysogonus begangen wird. Denn bei den unsterb-
lichen Göttern, wo bedarf es denn in dieser Sache einer Ver-
teidigung? Welcher Punkt benötigt den Scharfsinn eines Sach-
walters oder stellt an die Kunst eines Redners besondere An-
forderungen? Wir wollen einmal den Fall im Ganzen behan-
deln, ihr Richter, ihn uns vor Augen stellen und genau be-
trachten ; dann werdet ihr am ehesten erkennen, worauf es bei
dem ganzen Prozeß ankommt, worüber ich sprechen muß und
wonach ihr euch zu richten habt.
Es sind, soweit ich die Sache beurteilen kann, drei Dinge,
die zu dieser Stunde gegen Sextus Roscius sprechen: der
Schuldvorwurf der Gegner, ihre Skrupellosigkeit und ihre
Macht. Die Erfindung des Schuldvorwurfs übernahm der An-
kläger Erucius; den Anteil der Skrupellosigkeit verlangten die
34 PRO S E X . ROSCIO A M E R I N O

poposcerunt, C h r v s o g o n u s autem, is qui plurimum


potest, potentia pugnat. D e hisce omnibus rebus me
dicere oportere intellego. Quid igitur est? N o n eodem 36
modo de omnibus, ideo quod prima illa res ad meum
o f f i c i u m pertinet, duas autem reliquas vobis populus
Romanus imposuit; ego crimen oportet diluam, vos et
audaciae resistere et hominum eius modi perniciosam
atque intolerandam potentiam primo quoque tempore
exstinguere atque opprimere debetis.

Occidisse patrem S e x . Roscius arguitur. Scelestum, 37


di immortales! ac nefarium facinus atque eius modi q u o
uno maleficio scelera omnia complexa esse videantur!
Etenim si, id quod praeclare a sapientibus dicitur, voltu
saepe laeditur pietas, quod supplicium satis acre repe-
rietur in eum qui mortem obtulerit parenti? pro q u o
mori ipsum, si res postularet, iura divina atque humana
cogebant. In hoc tanto, tarn atroci, tarn singulari male- 38
ficio, quod ita raro exstitit ut, si quando auditum sit,
portenti ac prodigi simile numeretur, quibus tandem
tu, C . E r u c i , argumentis accusatorem censes uti opor-
tere? nonne et audaciam eius qui in crimen vocetur
singularem ostendcre et mores feros immanemque na-
turam et vitam vitiis flagitiisque omnibus deditam,
denique omnia ad perniciem profligata atque perdita?
Q u o r u m tu nihil in S e x . Roscium ne obiciendi quidem
causa contulisti.

Patrem occidit S e x . Roscius. Qui homo? adulescen- 39


tulus corruptus et ab hominibus nequam inductus?
К CR S E X . ROSCIUS 35

beiden Roscier für sich; Chrysogonus aber, der das meiste


vermag, kämpft mit der Waffe seiner Macht. Über alle diese
Punkte habe ich, wie mir deutlich ist, zu sprechen. Doch wie?
Nicht auf gleiche Weise über alles. Denn der erste Punkt ge-
hört zu meinen Obliegenheiten; die beiden übrigen aber hat
das römische Volk euch auferlegt: ich muß den Schuldvor-
w u r f z u n i c h t e machen; ihr seid verpflichtet, der Skrupellosig-
keit die Stirn zu bieten und die verderbliche und unerträgliche
Macht derartiger Individuen bei der ersten Gelegenheit zu
beseitigen und zu unterdrücken.
Sextus Roscius wird beschuldigt, seinen Vater ermordet zu
haben. Eine verbrecherische und ruchlose T a t , ihr unsterb-
lichen Götter! Sie ist von der Art, daß es scheint, als seien in
einer Übeltat sämtliche Verbrechen enthalten! Denn wenn,
wie ein vortrefflicher Ausspruch weiser Männer lautet, oft
schon ein Blick die Kindespflicht verletzt, welche Strafe ließe
sich ersinnen, die schwer genug für den wäre, der dem Vater
den T o d bereitet hat? Für den er selbst nach göttlichem und
menschlichem Recht in den T o d gehen müßte, wenn die Um-
stände es erfordern sollten. Bei einer so großen, so schlim-
men, so außergewöhnlichen Untat (sie ereignet sich so selten,
daß man sie, wenn man irgend davon hört, für so etwas wie
ein Schreckens- und Unglückszeichen ansieht), auf was für
Beweise m u ß sich da der Ankläger deiner Meinung nach
stützen, C. Erucius? M u ß er nicht die außergewöhnliche Skru-
pellosigkeit des Angeschuldigten dartun und seine wüsten Ge-
wohnheiten und seinen bestialischen Charakter und seinen al-
len Lastern und Schandtaten ausgelieferten Lebenswandel und
schließlich,daß alles an ihm dem Verderben verfallen und zerrüt-
tet ist? Von alledem hast du dem Sextus Roscius nichts zur Last
gelegt, nicht einmal, um nur Vorwürfe gegen ihn zu erheben.
Sextus Roscius hat seinen Vater ermordet. Was für ein
Mensch? Ein verdorbener und von Taugenichtsen verleiteter
PRO SEX. ROSCIO AMF.RINO

Annos natus maior quadraginta. Yctus videlicet sica-


rius, homo audax et saepe in caede versatus. At hoc ab
accusatore ne dici quidem audistis. Luxuries igitur
hominem nimirum et aeris alieni magnitude et indo-
mitae animi cupiditates ad hoc scelus impulcrunt. De
luxuria purgavit Erucius, cum dixit hunc ne in convivio
quidem ullo fere interfuisse. Nihil autem umquam
debuit. Cupiditates porro quae possunt esse in eo qui.
ut ipse accusator obiecit, ruri semper habitarit et in agro
colendo vixerit? quae vita maxime disiuneta a cupidi-
tate et cum officio coniuncta est.

Quae res igitur tantum istum furorem Sex. Roscio 40


obiecit? "Patri", inquit, "non placebat." Patri non placc-
bat? quam ob causam? necesse est enim eam quoque
iustam et magnam et perspicuam fuisse. Nam ut illud
incredibile est, mortem oblatam esse patri a filio sine
plurimis et maximis causis, sic hoc veri simile non est,
odio fuisse parenti filium sine causis multis et magnis et
necessariis. Rursus igitur eodem revertamur et quaera- 41
mus quae tanta vitia fuerint in unico filio qua re is patri
displiceret. At perspieuum est nullum fuisse. Pater
igitur amens, qui odisset eum sine causa quem procrea-
rat? At is quidem fuit omnium constantissimus. Ergo
illud iam perspieuum profecto est, si neque amens pater
FÜR SKX. ROSCIUS 37

junger Mann? Er ist über vierzig Jahre alt. Dann ist er also
ein eingefleischter Meuchelmörder, ein verwegener Mensch,
und war oft in Bluttaten verwickelt. Aber dergleichen hat der
Ankläger, wie ihr vernommen habt, nicht einmal zu behaup-
ten versucht. Demnach haben Vergnügungssucht, ungeheure
Schulden und zügellose Leidenschaften den Mann zu diesem
Verbrechen angestiftet. Indes, von dem Vorwurf der Vergnü-
gungssucht hat Erucius ihn gereinigt, indem er sagte, jener
habe fast niemals auch nur an einer Gasterei teilgenommen.
Zudem ist er nie etwas schuldig geblieben. Was für Ixiden-
schaften kann ferner jemand haben, der nach des Anklägers
eigenen, als Vorwurf gemeinten Worten stets auf dem Lande
gewohnt und vom Ackerbau gelebt hat: eine solche Lebens-
weise ist in höchstem Maße von Leidenschaft entbunden und
mit Pflichtbewußtsein verbunden.
Was also hat dem Sextus Roscius diese furchtbare Wahn-
sinnstat eingegeben? «Er mißfiel dem Vater», behauptet der
Ankläger. Er mißfiel dem Vater? Aus welchem Grunde? Denn
notwendigerweise muß dieser Grund sogar gerecht, erheblich
und offenkundig gewesen sein. Wie es nämlich einerseits un-
glaubhaft ist, daß der Sohn dem Vater den Tod bereitet, ohne
sehr viele und sehr gewichtige Gründe zu haben, so ist es an-
dererseits unwahrscheinlich, daß der Vater den Sohn gehaßt
habe, ohne daß zahlreiche, erhebliche und zwingende Gründe
vorlagen. Wir wollen also wieder zu demselben Punkt zurück-
kehren und die Frage stellen, was denn für schwere Charak-
terfehler der einzige Sohn gehabt habe, um derentwillen
er dem Vater hätte mißfallen sollen. Aber es ist ja deutlich:
er hatte keinen. Also war der Vater verrückt, da er seinen
leiblichen Sohn ohne Grund haßte? Aber nein: er war so
besonnen wie nur irgend jemand. In der Tat, dieser Punkt
ist also schon deutlich: wenn weder der Vater verrückt
noch der Sohn grundverdorben war, dann hatte weder der
J8 PRO SFX. ROSCIO AMFR1NO

n e q u c p e r d i t u s f i l i u s f u e r i t , n c q u c odi c a u s a m patri
n e q u e sceleris f i l i o f u i s s e .
" N e s c i o , " inquit. " q u a e causa odi fuerit; f u i s s e o d i u m 42
intellego q u i a a n t e a , c u m d u o s filios h a b e r e t . ilium
a l t e r u m qui m o r t u u s est s e c u m o m n i t e m p o r e v o l e b a t
e s s e , h u n c in praedia rustica r e l e g a r a t . " Q u o d K r u c i o
a c c i d e b a t in m a l a n u g a t o r i a q u e a c c u s a t i o n e , idem mihi
usu v e n i t in causa o p t i m a . Ille q u o m o d o c r i m e n c o m -
m e n t i c i u m c o n f i r m a r e t non i n v e n i e b a t , e g o res t a m
levis q u a ratione i n f i r m e m ac d i l u a m r e p e r i r e non p o s -
s u m . Q u i d ais, E r u c i ? tot p r a e d i a , t a m p u l c h r a , t a m 43
f r u c t u o s a S e x . R o s c i u s f i l i o s u o relegationis ac s u p p l i c i
gratia c o l e n d a ac t u e n d a t r a d i d e r a t ? Q u i d ? hoc p a t r e s
f a m i l i a e qui liberos h a b e n t , p r a e s e r t i m h o m i n e s illius
o r d i n i s ex m u n i c i p i i s r u s t i c a n i s . n o n n e o p t a t i s s i m u m
sibi p u t a n t esse filios suos rei f a m i l i a r i m a x i m e s e r v i r e 44
et in p r a e d i i s c o l e n d i s o p e r a e p l u r i m u m s t u d i q u e c o n -
s u m e r e ? A n a m a n d a r a t h u n c sic ut esset in agro ac
t a n t u m m o d o a l e r e t u r ad v i l l a m , ut c o m m o d i s o m n i b u s
careret? Q u i d ? si c o n s t a t h u n c non m o d o colendis
p r a e d i i s p r a e f u i s s e sed certis f u n d i s p a t r e v i v o f r u i
s o l i t u m e s s e , t a m e n n e haec a te vita eius rusticana
r e l e g a t i o a t q u e a m a n d a t i o a p p e l l a b i t u r ? Y i d e s , F.ruci,
q u a n t u m distet a r g u m e n t a t i o tua a b re ipsa a t q u e a
veritate. Q u o d c o n s u e t u d i n e patres f a c i u n t , id q u a s i
n o v u m r e p r e h e n d i s ; q u o d b e n i v o l c n t i a f i t , id o d i o f a c -
FÜR SK.\. ROStILS 39

Vater Grund zu hassen, noch der Sohn, das Verbrechen zu


begehen.
«Ich weiß nicht», erklärt der Ankläger, «was der Grund
des Hasses war; ich erkenne jedoch, daß Haß bestanden hat.
Denn der Vater verlangte früher, als er noch zwei Söhne hatte,
daß der eine, der inzwischen verstorben ist, ihn allezeit be-
gleite; diesen hier hatte er auf seine Landgüter verbannt.»Was
dem Erucius in seiner schlechten und läppischen Anklagerede
zustieß, das begegnet auch mir bei meiner ausgezeichneten
Sache: Erucius wußte nichts ausfindig zu machen, womit er
den erlogenen Schuldvorwurf hätte bekräftigen können; ich
vermag nicht zu entdecken, wie ich so unbedeutende Dinge
entkräften und widerlegen soll. Denn was sagst du da, Eru-
cius? So viele, so schöne, so ertragreiche Güter hätte Sextus
Roscius seinem Sohne zur Bewirtschaftung und Verwaltung
überlassen, um ihn zu verbannen und zu bestrafen? Was? Wie
steht es mit den Hausvätern, die Kinder haben, zumal mit
Menschen jenes Schlages in den Landstädten? Sehen sie es
nicht als höchstes Ziel ihrer Wünsche an, daß ihre Söhne sich
ganz und gar dem Dienst am Familienbesitz ergeben und alle
Mühe und allen Eifer auf die Bewirtschaftung der Güter wen-
den? Hatte Sextus Roscius den Sohn etwa mit der Maßgabe
aus seiner Nähe verwiesen, daß er auf dem Lande leben und in
einer Meierei die Notdurft des Leibes empfangen sollte, daß
ihm jegliche Bequemlichkeit entzogen wäre? Wie? Es steht
fest, daß er nicht nur die Bewirtschaftung der Güter geleitet,
sondern auch bestimmte Güter schon zu Lebzeiten des Vaters
auf eigene Rechnung genutzt hat, und du willst dennoch die-
ses Leben auf dem Lande als Verbannung und Verweisung be-
zeichnen? Du siehst, Erucius, wie sehr sich deine Beweisfüh-
rung von der Sache selbst und von der Wahrheit entfernt. Was
die Väter nach altem Brauch tun, das tadelst du, wie wenn es
etwas Unerhörtes wäre; was aus Gewogenheit entspringt, das
4° PRO S E X . R O S C I O AMF.RINO

t u m c r i m i n a r i s ; q u o d honoris causa pater filio suo


c o n c e s s i t , id c u m supplici causa f e c i s s c dicis. N e q u e
haec tu non intellegis, sed u s q u e eo q u i d arguas non
h a b e s , ut non m o d o tibi contra nos d i c e n d u m putes
v e r u m etiam contra r e r u m n a t u r a m c o n t r a q u e consue-
tudinem hominum contraque opiniones omnium.

A t e n i m , c u m d u o s filios h a b e r e t , a l t e r u m a se non
dimittebat, alterum ruri esse patiebatur. Quaeso,
E r u c i , ut hoc in b o n a m p a r t e m accipias; non enim
e x p r o b r a n d i causa sed c o m m o n e n d i gratia d i c a m . Si 46
tibi f o r t u n a non d e d i t ut p a t r e c e r t o nascerere ex q u o
intellegere posses q u i a n i m u s p a t r i u s in liberos esset, at
natura certe dedit ut h u m a n i t a t i s non p a r u m haberes;
eo accessit S t u d i u m d o c t r i n a e ut ne a litteris q u i d e m
a l i e n u s esses. E c q u i d t a n d e m tibi v i d c t u r , ut ad f a b u i a s
v e n i a m u s , senex ille C a e c i l i a n u s m i n o r i s f a c e r e K u t v -
c h u m , f i l i u m r u s t i c u m , q u a m illum a l t e r u m , C h a e r e -
s t r a t u m ? - n a m , ut o p i n o r , hoc n o m i n e est - a l t e r u m in
u r b e s e c u m honoris causa h a b e r e , a l t e r u m rus supplici
causa relcgasscr " Q u i d ad istas ineptias a b i s ? " inquies. 47
Q u a s i v e r o mihi d i f f i c i l e sit q u a m v i s multos n o m i n a t i m
p r o f e r r e , 11c longius a b e a m , vel tribulis vel vicinos meos
qui suos liberos q u o s p l u r i m i f a c i u n t agricolas adsiduos
esse c u p i u n t . V e r u m h o m i n e s notos s u m e r e o d i o s u m
est, c u m et illud i n c e r t u m sit v e l i n t n e ei sese n o m i n a r i ,
et n e m o v o b i s m a g i s notus f u t u r u s sit q u a m est hic
E u t v c h u s , et certe ad rem nihil intersit u t r u m h u n c ego
F Ü R SF.X. ROSCILS 4'

schiltst du, als sei es aus Haß geschehen; was der Vater seinem
Sohne zugestand, um ihn auszuzeichnen, das hat er nach dei-
nen Worten getan, um zu strafen. Du bist dir hierüber durch-
aus nicht im unklaren, doch fehlt es dir dermaßen an Beschul-
digungen, daß du glaubst, du müßtest nicht nur mir wider-
sprechen, sondern auch dem natürlichen Lauf der Dinge, dem
Brauch der Leute und den allgemein verbreiteten Ansichten.
Doch nein: als er noch zwei Söhne hatte, da ließ er den ei-
nen nicht von seiner Seite, bei dem anderen brachte er es über
sich, daß er auf dem Lande lebte. Ich bitte, Erucius, nimm's
mir nicht übel; meine Worte sind nicht als Vorwurf, sondern
als Belehrung gemeint. Das Glück mag es dir versagt haben,
daß der Vater feststeht, von dem du abstammst, durch den
du erfahren könntest, wie väterlicher Sinn gegenüber Kindern
beschaffen ist. Doch jedenfalls hat dich die Natur mit einem
reichlichen Maß menschlicher Güte beschenkt; hinzu kommt
dein Bildungseifer, so daß du auch in der Welt des Geistes
kein Fremdling bist. Um nun auf Theaterstücke zu kommen:
hast du denn etwa den Eindruck, daß jener alte Mann bei Cae-
cilius den Eutychus, den bäuerlich-einfachen Sohn, weniger
liebt als den anderen, den Chaerestratus" (denn so heißt er
ja wohl)? Meinst du, daß er den einen ehrenhalber mit sich in
die Stadt genommen, den anderen zur Strafe auf das Land ver-
wiesen hat? «Was schweifst du ab? Rede kein albernes Zeug!»
wirst du sagen. Als ob ich Mühe hätte, beliebig viele Leute
namentlich zu nennen, meine Tribusgenossen 14 oder Nach-
barn, um meine Beispiele nicht von weit her zu holen: sie alle
wünschen, daß sich gerade die Kinder, von denen sie das mei-
ste halten, ihr Leben lang als Landwirte betätigen. Doch es
ist anstößig, sich auf bekannte Leute zu berufen. Denn einer-
seits kann man nicht wissen, ob sie genannt werden wollen;
andererseits kennt ihr niemanden besser als diesen Eutychus,
und jedenfalls macht es keinen Unterschied, ob ich diesen jun-
42 PRO S E X . R O S C I O AMFRINO

c o m i c u m adulescentem an aliquem ex agro Veienti


n o m i n e m . E t e n i m haec c o n f i c t a arbitror esse a poetis ut
e f f i c t o s nostros mores in alienis personis e x p r e s s a m q u e
imaginem nostrae vitae cotidianae v i d e r e m u s . Age 4H
n u n c , r e f e r a n i m u m sis ad veritatem et considera non
m o d o in U m b r i a atque in ea vicinitate sed in his veteri-
b u s m u n i c i p i i s q u a e studia a patribus familias m a x i m e
l a u d e n t u r ; iam p r o f e c t o te intelleges inopia c r i m i n u m
s u m m a m l a u d e m S e x . R o s c i o vitio et culpae dedisse.
A c non m o d o hoc p a t r u m voluntate liberi faciunt sed
p e r m u l t o s et ego novi et, nisi me Fallit a n i m u s , u n u s
q u i s q u e v e s t r u m qui et ipsi incensi sunt studio quod ad
agrum colendum attinet, vitamque hanc rusticam,
q u a m tu p r o b r o et crimini putas esse oportere, et
h o n e s t i s s i m a m et s u a v i s s i m a m esse arbitrantur.

Q u i d censes h u n c i p s u m S e x . R o s c i u m q u o studio et 49
q u a intellegentia esse in rusticis rebus? U t ex his pro-
p i n q u i s e i u s , h o m i n i b u s honestissimis, audio, non tu in
isto a r t i f i c i o accusatorio callidior es q u a m hic in suo.
V e r u m , ut opinor, q u o n i a m ita C h r v s o g o n o videtur qui
huic n u l l u m p r a e d i u m reliquit, et a r t i f i c i u m oblivisca-
tur et Studium deponat licebit. Q u o d tametsi m i s e r u m
et i n d i g n u m est, feret tarnen a e q u o a n i m o , iudices, si
p e r vos vitam et f a m a m potest obtinere; hoc vero est
q u o d ferri non potest, si et in hanc calamitatem venit
p r o p t e r p r a e d i o r u m bonitatem et m u l t i t u d i n e m et q u o d
ea studiose coluit, id erit ei m a x i m e f r a u d i , ut p a r u m
KCR SFX. ROSCILS 43

gen Mann aus der Komödie nenne oder jemanden aus der Mark
von Veji 15 . Denn meines Erachtens haben die Dichter diese
Dinge erdacht, damit wir in der Fremdheit der Masken einen
Spiegel unserer eigenen Sitten und ein anschauliches Abbild
unseres täglichen Lebens sähen. Also denn, sei so freundlich,
wende dich der Wirklichkeit zu und erwäge, welchen Be-
schäftigungen Familienväter das größte Lob spenden, und
zwar nicht nur in Umbrien und den benachbarten Gegenden,
sondern auch in den alten Landstädten hier in der Nähe: wahr-
haftig, du wirst alsbald erkennen, daß du dem Sextus Roscius,
nur weil du um Vorwürfe verlegen warst, höchstes Lob als
Vergehen und Schuld zur Last gelegt hast. Und nicht nur,
weil es die Väter wünschen, geben sich die Kinder dieser Tä-
tigkeit hin, sondern sehr viele, die ich kenne und, wenn ich
mich nicht irre, auch ein jeder von euch, sind selbst von be-
geistertem Eifer für die Landwirtschaft entbrannt, und sie
halten dieses Leben auf dem Lande, das deiner Meinung nach
notwendigerweise Schmach und Schande mit sich bringt, für
höchst ehrbar und angenehm.
Was meinst du, welchen Eifer und welche Sachkunde ge-
rade unser Sextus Roscius in Dingen der Landwirtschaft zeigt?
Wie ich von seinen Verwandten, sehr angesehenen Leuten,
erfahre, verstehst du dich nicht besser auf dein Anklägerge-
werbe als er auf das seine. Indes, ich möchte meinen, es steht
ihm jetzt frei, sein Gewerbe zu vergessen und von seinem
Eifer abzulassen. Denn so hat es Chrysogonus beschlossen,
der ihm kein einziges Landgut übrigließ. Das ist zwar bekla-
genswert und schmählich, doch er wird es mit Gleichmut tra-
gen, ihr Richter, wenn er durch euch Leben und Ehre behalten
kann; unerträglich aber ist es, wenn er wegen der VortrefT-
lichkeit und der großen Zahl seiner Güter auch noch diesen
Verlust erleiden soll und wenn ihm nichts so sehr schadet,
als daß er diese Güter mit Eifer bewirtschaftet hat. Als ob es
44 PRO SEX. ROSCIO ЛМЕШХО

miseriae sit quod aliis coluit поп sibi, nisi etiam quod
o m n i n o coluit crimini fuerit.

N e tu, E r u c i , accusator esses ridiculus, si illis tempo- 50


ribus natus esses c u m ab aratro arcessebantur qui con-
sules fierent. E t e n i m qui praeesse agro colendo flagi-
tium putes, profecto ilium A t i l i u m q u e m sua manu
spargentem semen qui missi erant convenerunt homi-
nem turpissimum atque inhonestissimum iudicares. A t
hercule maiores nostri longe aliter et de illo et de ceteris
talibus viris existimabant itaque ex minima tenuissima-
que re publica m a x i m a m et florentissimam nobis reli-
querunt. S u o s enim agros studiose colebant, поп alie-
nos cupide appetebant; quibus rebus et agris et urbibus
et nationibus rem publicam atque hoc imperium et
populi Romani nomen auxcrunt. N e q u e ego haec eo 51
p r o f e r o quo conferenda sint c u m hisce de quibus nunc
q u a e r i m u s , sed ut illud intellegatur, c u m apud maiores
nostras summi viri clarissimique homines qui omni
tempore ad gubernacula rei publicae sedere debebant
tamen in agris q u o q u e colcndis aliquantum operae tem-
porisque consumpserint, ignosci oportere ei homini qui
se fateatur esse rusticum. cum ruri adsiduus semper
vixerit, cum praesertim nihil esset quod aut patri gra-
tius aut sibi iucundius aut re vera honestius facere
posset.

O d i u m igitur acerrimum patris in filium ex hoc, 52


opinor, ostenditur, E r u c i , quod hunc ruri esse patieba-
Г С И SF.X. ROSCILS 45

noch nicht genug des Jammers wäre, daß er sie für andere be-
wirtschaftet hat, nicht für sich! Da man ihm doch schon dar-
aus einen Vorwurf macht, daß er sie überhaupt bewirtschaftet
hat.
Wahrhaftig, Erucius, du wärest ein lächerlicher Ankläger,
wenn du in jenen Zeiten gelebt hättest, da man die Männer,
die Konsuln werden sollten, vom Pflug herbeirief. Denn dir
gilt eine leitende Stellung in der Landwirtschaft als Schande:
da hättest du gewiß den berühmten Atilius, den die Abge-
sandten antrafen, wie er mit eigener Hand Samen s t r e u t e " ,
für einen ganz schmählichen und ehrlosen Gesellen gehalten.
Doch beim Herkules, unsere Vorfahren dachten ganz anders
über ihn und über die anderen Männer, die so waren wie er,
und so haben sie den Staat, den sie uns hinterlassen haben, aus
dem kleinsten und schwächsten zum größten und mächtigsten
gemacht. Denn sie pflegten mit Eifer ihre eigenen Äcker zu
bebauen und sich nicht voller Gier ал fremden zu vergreifen;
so haben sie durch Land und Städte und Völker den Staat und
das Reich und den Ruhm des römischen Volkes vergrößert.
Ich trage diese Dinge nicht in der Absicht vor, daß man sie
mit dem vergleiche, was wir jetzt untersuchen; ich wünsche
nur, daß man folgendes einsieht: bei unseren Vorfahren haben
die besten und berühmtesten Männer, deren Pflicht es war,
allezeit das Steuerruder des Staates in der Hand zu halten,
gleichwohl ein beträchtliches Maß an Mühe und Zeit auf den
Ackerbau gewandt; da muß man doch einem Menschen ver-
zeihen, der zugibt, daß er ein Landmann ist; denn er hat ja
beharrlich und unablässig auf dem Lande gelebt; er hätte ins-
besondere nichts tun können, was dem Vater willkommener
oder ihm selbst angenehmer oder nach richtigen Maßstäben
ehrenhafter gewesen wäre.
Nicht wahr, Erucius: darin also zeigt sich der bitterböse
Haß, mit dem der Vater den Sohn verfolgte, daß er ihn auf dem
46 PRO S E X . R O S C I O AMF.RINO

tur. N u m q u i d est aliud? " l m m o vero", inquit, "est; nam


istum e x h e r e d a r e in a n i m o h a b e b a t . " A u d i o ; n u n c dicis
aliquid q u o d ad rem p e r t i n e a t ; nam ilia, opinor, tu
q u o q u e c o n c e d i s levia esse a t q u e inepta: " C o n v i v i a c u m
p a t r c non i n i b a t . " Q u i p p c , qui ne in o p p i d u m q u i d e m
nisi perraro veniret. " D o r n u m s u a m istum non fere
q u i s q u a m v o c a b a t . " N e c m i r u m , qui n e q u e in urbe
viveret n e q u e revocaturus esset. V e r u m haec tu q u o q u e
intellegis esse n u g a t o r i a ; illud q u o d c o e p i m u s videa-
m u s , q u o certius a r g u m e n t u m odi reperiri nullo m o d o
potest. "Exheredare pater filium cogitabat." Mitto
q u a e r e r e q u a d e causa; q u a e r o qui scias; tametsi te
d i c e r e a t q u e e n u m e r a r e causas o m n i s o p o r t e b a t , et id
erat certi a c c u s a t o r i s o f f i c i u m qui tanti sceleris argueret
explicare o m n i a vitia ac peccata fili q u i b u s incensus
parens potuerit a n i m u m inducere ut n a t u r a m ipsam
v i n c e r e t , ut a m o r e m ilium penitus i n s i t u m eiceret ex
a n i m o , ut d e n i q u e patrem esse sese o b l i v i s c e r e t u r ; q u a e
sine magnis h u i u s c e p e c c a t i s a c c i d e r e potuisse non
arbitror.

V e r u m c o n c e d o tibi ut ea praetereas q u a e , c u m t a c e s ,
nulla esse c o n c e d i s ; illud q u i d e m , voluisse e x h e r e d a r e ,
c e r t e tu p l a n u m facere d e b e s . Q u i d ergo adfers q u a re id
f a c t u m p u t e m u s ? Vere nihil potes d i c e r e ; finge aliquid
FÜR S E X . ROSCILS 47

Lande leben ließ. Gibt es sonst noch etwas? «Jawohl, es gibt


noch etwas», behauptet er, «der Vater trug sich mit der Ab-
sicht, den Sohn zu enterben.» Ich horche auf: jetzt bringst du
etwas vor, was zur Sache gehört. Denn auch du wirst zugeben,
denke ich, daß jene anderen Punkte geringfügig und läppisch
sind: « E r ging nie gemeinsam mit seinem Vater zu einem
Gastmahl!» Allerdings nicht; er kam ja nicht einmal in eine
Stadt, es sei denn ganz ausnahmsweise. «Fast niemand lud
ihn zu sich ein.» Kein Wunder; denn weder lebte er in Rom,
noch konnte er mit einer Gegeneinladung aufwarten. Doch
dergleichen ist Firlefanz, wie auch du begreifst; wir wollen
daher den Punkt betrachten, den wir schon berührt haben;
denn man könnte durchaus nichts entdecken, was mit grö-
ßerer Gewißheit auf Haß schließen läßt. « D e r Vater gedachte
den Sohn zu enterben.» Ich verzichte darauf, nach dem Grund
zu fragen; ich frage nur, wie du davon Kunde erlangt hast;
gleichwohl hättest du alle Gründe nennen und aufzählen sol-
len, und ein zuverlässiger Ankläger, der den Vorwurf eines so
schweren Verbrechens erhebt, hätte die Pflicht gehabt, sämt-
liche Laster und Verfehlungen des Sohnes darzulegen und zu
erklären, wie es der Vater, hierdurch erbittert, über sich ge-
wonnen habe, die natürlichsten Regungen zu besiegen, sich
jene tiefeingewurzelte Liebe aus dem Herzen zu reißen, kurz-
um, zu vergessen, daß er der Vater sei: ich glaube nicht, daß
sich derlei ohne schwere Verfehlungen des Sohnes j e hätte er-
eignen können.
Doch ich erlaube dir, diese Dinge zu übergehen, obwohl
du durch dein Schweigen einräumst, daß nichts dergleichen
vorlag. Den einen Punkt aber, daß der Vater den Sohn habe
enterben wollen, mußt du wenigstens glaubhaft machen. Was
also bringst du vor, weshalb wir diese Behauptung als T a t -
sache hinnehmen sollen? Der Wahrheit gemäß kannst du
nichts sagen; so denke dir wenigstens gehörig etwas aus, da-
4« PRO S F X . ROSCIO A M E R I N O

saltern c o m m o d e ut ne p l a n e v i d e a r i s id f a c e r e q u o d
a p e r t e f a c i s , h u i u s m i s e r i f o r t u n i s et h o r u m v i r o r u m
talium dignitati iludere. F.xheredare filium voluit.
Q u a m ob causam. " N e s c i o . " Exheredavitne? "Non."
Quis prohibuit? "Cogitabat." Cogitabat? cui dixit:
" N e m i n i . " Q u i d est aliud i u d i c i o ac l e g i b u s ас maiestate
v e s t r a a b u t i ad q u a e s t u m a t q u e ad l i b i d i n e m nisi hoc
m o d o a c c u s a r e a t q u e id o b i c e r e q u o d p l a n u m f a c e r e
non m o d o non p o s s i s v e r u m ne c o n e r i s q u i d e m ? N e m o 55
n o s t r u m est, F.ruci, q u i n sciat tibi i n i m i c i t i a s c u m S e x .
R o s c i o nullas esse; v i d e n t o m n e s q u a d e causa huic
i n i m i c u s v e n i a s ; s c i u n t h u i u s c e p e c u n i a te a d d u c t u m
esse. Q u i d e r g o est? Ita t a m e n q u a e s t u s te c u p i d u m esse
o p o r t e b a t ut h o r u m e x i s t i m a t i o n e m et l e g e m R e m m i a m
putares aliquid valere oportere.

A c c u s a t o r e s m u l t o s esse in c i v i t a t e utile est ut m e t u


c o n t i n e a t u r a u d a c i a ; v e r u m t a m e n hoc ita est utile ut ne
p l a n e i n l u d a m u r a b a c c u s a t o r i b u s . I n n o c e n s est q u i s -
p i a m , v e r u m t a m e n , q u a m q u a m abest a c u l p a , s u s p i -
c i o n e t a m e n non caret; tametsi m i s e r u m est. t a m e n ei
qui h u n c a c c u s e t p o s s i m a l i q u o m o d o i g n o s c e r e . C u m
e n i m a l i q u i d habeat q u o d possit c r i m i n o s e ac s u s p i c i o s e
d i c e r e , a p e r t e l u d i f i c a r i et c a l u m n i a r i sciens non v i d e a -
tur. Q u a re f a c i l e o m n e s p a t i m u r esse q u a m p l u r i m o s 56
a c c u s a t o r e s , q u o d i n n o c e n s , si a c c u s a t u s sit, a b s o l v i
p o t e s t , n o c e n s , nisi a c c u s a t u s f u e r i t , c o n d e m n a r i non
К L R SF Χ . ROSCIL'S 49

mit du nicht geradezu das zu tun scheinst, was du ungeniert


tust: du machst dich über das Schicksal dieses Unglücklichen
und über die Würde dieser trefflichen Männer lustig. Er
wollte seinen Sohn enterben. Weshalb? «Ich weiß es nicht.»
Hat er ihn denn enterbt? «Nein.» Wer hinderte ihn daran?
« E r hatte nur die Absicht.» Er hatte die Absicht? Mit wem
sprach er darüber? « M i t niemandem.» Wie anders kann man
die Rechtsprechung und die Gesetze und eure Hoheit zu
seinem Broterwerb und zu seinem Ergötzen mißbrauchen als
dadurch, daß man so Anklage erhebt und Vorwürfe ausspricht,
die man nicht nur nicht glaubhaft machen kann, sondern nicht
einmal glaubhaft zu machen versucht? Niemandem unter uns
ist unbekannt, Erucius, daß du mit Sextus Roscius nicht ver-
feindet bist; alle sehen, weshalb du hier als sein Feind auf-
trittst; sie wissen, daß dich das Geld des T . Roscius hierzu
bestimmt hat. Wie steht es also? Wenn du schon auf Gewinn
erpicht warst, du hättest wenigstens glauben sollen, daß das
Ansehen dieser Männer und das Remmische G e s e t z " etwas
wert sein müssen.
Es ist nützlich, daß es viele Ankläger in der Bürgerschaft
gibt, damit Furcht die Verwegenheit zügelt; es ist indessen
nur unter der Bedingung nützlich, daß uns die Ankläger nicht
rundheraus zum besten haben. Jemand ist rechtschaffen, in-
des, obwohl er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, er
ist nicht frei von Verdacht: es mag bedauerlich sein; ich habe
trotzdem irgendwie Verständnis für den Mann, der ihn an-
klagt. Denn er hat Gesichtspunkte, die er nennen kann, um
anzuschuldigen und Argwohn hervorzurufen; es hat daher
nicht den Anschein, als wolle er sich unverhohlen belustigen
und wissentlich falsche Anklage erheben. Daher lassen wir
alle es willig geschehen, daß es möglichst viele Ankläger gibt.
Denn einen Unschuldigen kann man, wenn er angeklagt wird,
freisprechen, doch einen Schuldigen kann man, wenn er nicht
5« PRO S F X . R O S C I O AMFRINO

potest; utilius est a u t e m absolvi i n n o c e n t e m q u a m no-


c e n t e m c a u s a m non d i c e r e .

A n s e r i b u s c i b a r i a p u b l i c e l o c a n t u r et c a n e s a l u n t u r in
C a p i t o l i o ut significent si fures v e n e r i n t . A t fures inter-
n o s c e r e non p o s s u n t , significant tarnen si qui n o c t u in
C a p i t o l i u m venerint e t , quia id est s u s p i c i o s u m , t a m -
etsi bestiae s u n t , tarnen in earn p a r t e m potius p e c c a n t
q u a e est cautior. Q u o d si l u c e q u o q u e c a n e s latrent c u m
deos s a l u t a t u m aliqui v e n e r i n t , o p i n o r , eis crura suf-
f r i n g a n t u r , q u o d acres sint e t i a m t u m c u m suspicio
nulla sit. S i m i l l i m a est a c c u s a t o r u m ratio. Alii v e s t r u m
anseres sunt qui t a n t u m m o d o c l a m a n t , nocere non
p o s s u n t , alii c a n e s qui et latrare et m o r d e r e p o s s u n t .
C i b a r i a vobis praeberi v i d e m u s ; vos autem maxime
d e b e t i s in eos i m p e t u m facere qui m e r e n t u r . H o c po-
pulo g r a t i s s i m u m est. D e i n d e , si voletis, etiam t u m
c u m veri simile erit a l i q u e m c o m m i s i s s e , in s u s p i c i o n e
latratote; id q u o q u e concedi potest. S i n a u t e m sic agetis
ut arguatis a l i q u e m p a t r e m o c c i d i s s e n e q u e d i c e r e pos-
sitis aut q u a rc aut q u o m o d o , ас t a n t u m m o d o sine
suspicione l a t r a b i t i s , crura q u i d e m vobis n e m o s u f f r i n -
get, sed, si ego hos b e n e novi, litteram illam cui vos
u s q u e eo inimici cstis ut e t i a m K a l . o m n i s oderitis ita
v e h e m e n t e r ad c a p u t adfigent ut postea n e m i n e m a l i u m
nisi f o r t u n a s vestras accusare possitis.

Q u i d mihi ad d e f e n d e n d u m d e d i s t i , b o n e a c c u s a t o r ?
quid hisce a u t e m ad s u s p i c a n d u m ? " N e e x h e r e d a r e t u r
FÜR S F X . ROSCIl'S 5'

angeklagt wird, nicht verurteilen; es ist aber weniger schäd-


lich, einen Unschuldigen freizusprechen als einen Schuldigen
nicht zur Rechenschaft zu ziehen.
Den Gänsen wird von Amts wegen Nahrung ausgeschrie-
ben und Hunde werden auf dem Kapitol gefuttert, damit
sie anschlagen, wenn Diebe kommen. Doch sie können die
Diebe nicht herauskennen, schlagen aber trotzdem an, wenn
nachts Leute auf das Kapitol kommen, und weil so etwas ver-
dächtig ist, machen sie, obwohl sie Tiere sind, lieber nach der
Seite hin einen Fehler, die ungefährlicher ist. Sollten jedoch
die Hunde auch bei Tage bellen, wenn Leute kommen, um
den Göttern einen Gruß zu entbieten, dann müßte man ihnen
die Schenkel brechen, meine ich, weil sie auch dann scharf
sind, wenn keinerlei Verdachtsgrund besteht. Ganz ähnlich
steht es mit den Anklägern. Die einen von euch sind Gänse,
die nur zetern und keinen Schaden tun können; die anderen
sind Hunde, die sowohl zu bellen wie zu beißen vermögen.
Wir sehen, daß man euch Nahrung gewährt; ihr aber müßt
eure Angriffe vor allem gegen die richten, die es verdienen.
Das ist dem Volk das Liebste. An zweiter Stelle mögt ihr,
wenn ihr wollt, auch dann bellen, wenn die Wahrscheinlich-
keit besteht, daß sich jemand vergangen hat, auf bloßen Ver-
dacht hin; auch das kann man gutheißen. Wenn ihr es aber
so treibt, daß ihr jemandem vorwerft, er habe seinen Vater
ermordet, und nicht sagen könnt, weshalboder wie, und einfach
bellt, ohne einen Verdachtsgrund zu haben, dann wird euch
zwar niemand die Schenkel brechen, doch werden euch diese
Männer hier, wenn ich sie rech t kenne, jenen Buchstaben auf die
Stirn prägen, dem ihr so gram seid, daß ihr sogar alle Kaienden
hasset", und sie werden es so energisch tun, daß ihr hernach
nichts anderes mehr anklagen könnt als euer eigenes Schicksal.
Was hast du mir zu verteidigen gegeben, trefflicher An-
kläger? Was aber diesen Männern hier, Verdacht zu schöpfen?
52 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

veritus est." Audio, sed qua de causa vereri debuerit


n e m o dicit. " H a b e b a t pater in a n i m o . " Planum fac.
N i h i l est; non quicum deliberaverit, quem certiorem
fecerit, unde istud vobis suspicari in mentem venerit.
C u m hoc modo accusas. E r u c i , nonne hoc palam dicis:
" E g o quid acceperim scio, quid dicam nescio; unum
illud spectavi quod C h r y s o g o n u s aiebat neminem isti
patronum futurum; de bonorum emptione deque ea
societate neminem esse qui verbum facere auderet hoc
tempore"? Haec te opinio falsa in istam fraudem impu-
lit; non me hercules verbum fecisses, si tibi q u e m q u a m
responsurum putasses.

Operae pretium erat, si animadvertistis, iudices, 59


neglegentiam eius in accusando considerare. Credo,
c u m vidisset qui homines in hisce subselliis sederent,
quaesisse num ille aut ille defensurus esset; de me ne
suspicatum quidem esse, quod antea causam publicam
nullam dixerim. Postea quam invenit neminem eorum
qui possunt et solent ita neglegens esse coepit ut, cum in
mentem veniret ei, resideret, deinde spatiaretur, non
n u m q u a m etiam puerum vocaret, credo, cui cenam
imperaret, prorsus ut vestro consessu et hoc conventu
pro summa solitudine abuteretur.

Peroravit aliquando, adsedit; surrexi ego. Respirare 60


visus est quod non alius potius diceret. Coepi dicere.
U s q u e eo animadverti, iudices, eum iocari atque alias
FCR S F X . ROSCILS 53

« E r fürchtete, enterbt zu werden.» Ich höre; doch niemand


erklärt, weshalb er das furchten mußte. « D e r Vater hatte die
Absicht.» Mach das glaubhaft. Es ist nichts damit: du kannst
nicht zeigen, wen er um Rat gefragt, wem er's mitgeteilt hat,
wie es euch in den Sinn kam, dergleichen zu vermuten. Wenn
du derart Anklage erhebst, Erucius, gibst du dann nicht offen
zu: «Ich weiß, was ich bekommen habe; was ich sagen soll,
weiß ich nicht; ich habe mich einzig danach gerichtet, daß
Chrysogonus versicherte, niemand werde sich für diesen Mann
als Fürsprecher verwenden; über den Güterkauf und über
diesen Pakt da werde unter den gegenwärtigen Umständen
niemand ein Wort vorzubringen wagen»? Diese falsche Vor-
aussetzung hat dich zu deinem Gaunerstück verleitet; beim
Herkules, du hättest nicht das Wort ergriffen, wenn du ver-
mutet hättest, daß dir jemand antworten würde.
Es war der Mühe wert, wenn ihr es bemerkt habt, ihr Rich-
ter, seine Nachlässigkeit während der Anklage zu beobachten.
Als er bemerkte, was für Leute hier auf den Bänken saßen, da
hat er sich, glaube ich, erkundigt, ob dieser oder jener die Ver-
teidigung übernehmen wolle; von meiner Person hat er nicht
einmal eine leise Ahnung gehabt, weil ich bisher noch in kei-
nem öffentlichen Prozeß als Redner aufgetreten bin. Als er von
denen, die zu sprechen verstehen und· gewöhnlich auftreten,
niemanden entdecken konnte, da begann er sich so nachlässig
zu betragen, daß er sich setzte, wann es ihm einfiel, dann
wieder auf und ab ging, bisweilen auch seinen Sklaven herbei-
rief, um ihm, glaube ich, die Sorge für das Essen aufzutra-
gen; kurzum, er benahm sich in eurer Sitzung und vor die-
ser Versammlung hier, als befände er sich in tiefster Einsam-
keit.
Schließlich beendete er seine Rede; er setzte sich. Ich erhob
mich. Er schien aufzuatmen, da ja kein anderer sprechen
würde. Ich begann zu reden. Ich habe beobachtet, ihr Richter,
54 PRO S E X . ROSCIO AMF.RINO

res agere ante q u a m C h r v s o g o n u m n o m i n a v i ; quem


s i m u l a t q u e attigi, statim h o m o sc e r e x i t , mirari v i s u s
est. Intellexi q u i d e u m p e p u g i s s e t . h e r u m ac tertio
n o m i n a v i . Postea h o m i n e s c u r s a r e ultro et citro non
d e s t i t e r u n t , c r e d o , qui C h r v s o g o n o n u n t i a r e n t esse
a l i q u e m in c i v i t a t e qui c o n t r a v o l u n t a t e m eius d i c e r e
a u d e r e t ; aliter c a u s a m agi a t q u c ille e x i s t i m a r e t , aperiri
b o n o r u m e m p t i o n e m , ve.xari p e s s i m e s o c i e t a t e m , g r a -
tiam p o t e n t i a m q u e eius n e g l e g i , i u d i c e s d i l i g e n t e r at-
t e n d e r e , p o p u l o r e m i n d i g n a m v i d e r i . Q u a e q u o n i a m te 61
f e f e l l e r u n t , E r u c i , q u o n i a m q u e v i d e s versa esse o m n i a ,
c a u s a m p r o S e x . R o s c i o , si non c o m m o d e , at l i b e r e d i c i ,
q u e m dedi putabas defendi intellegis, quos tradituros
s p e r a b a s v i d e s i u d i c a r e , restitue n o b i s a l i q u a n d o vete-
rem t u a m illam c a l l i d i t a t e m a t q u e p r u d e n t i a m , c o n t i -
tere h u e ea spe v e n i s s e q u o d p u t a r e s hic l a t r o c i n i u m ,
non j u d i c i u m f u t u r u m .

D e p a r r i c i d i o causa d i c i t u r ; ratio ab a c c u s a t o r e r e d -
dita non est q u a m o b c a u s a m p a t r e m f i l i u s o c c i d c r i t .
Q u o d in m i n i m i s noxiis et in his l e v i o r i b u s p e c c a t i s 62
q u a e m a g i s c r e b r a et iam p r o p e c o t i d i a n a sunt vcl
m a x i m e et p r i m u m q u a e r i t u r , q u a e causa m a l e f i c i f u e -
rit, id E r u c i u s in p a r r i c i d i o q u a e r i non putat o p o r t e r e .
In q u o s c e l e r e , i u d i c e s , e t i a m c u m m u l t a e c a u s a e c o n v e -
nisse u n u m in l o c u m a t q u e inter se c o n g r u e r e v i d e n t u r ,
tarnen non t e m e r e c r e d i t u r , n c q u e levi c o n i c c t u r a res
KÜR SF Χ . ROSCIUS 55

daß er so lange Späße machte und sich mit anderen Dingen


beschäftigte, als ich nicht Chrysogonus nannte; kaum hatte
ich ihn berührt, da richtete der Mensch sich auf; er schien zu
erstaunen. Ich erkannte, was ihn stach. Abermals und ein
drittes Mal nannte ich den Namen. Hernach rannten unab-
lässig Leute hin und her; sie sollten, denk' ich, dem Chryso-
gonus mitteilen, es sei jemand unter den Bürgern, der es
wage, seinem Wunsche zuwiderzuhandeln und zu sprechen;
die Sache laufe anders, als er angenommen habe; der Ver-
mögenskauf werde aufgedeckt; man spiele dem Pakt in übel-
ster Weise mit; man setze sich über seinen Einfluß und seine
Macht hinweg; die Richter hörten aufmerksam zu; das Volk
sei über die Sache empört. Hierin hast du dich also getäuscht,
Erucius, und du siehst, daß alles ins Gegenteil ausgeschlagen
ist, daß man Sextus Roscius zwar nicht nachdrücklich genug,
aber doch mit Freimut verteidigt; du erkennst, daß man fiir
ihn eintritt, statt ihn, wie du glaubtest, preiszugeben; die
ihn erwartungsgemäß hätten ausliefern sollen, die siehst du
Recht sprechen. So laß uns denn endlich wieder deine altge-
wohnte Schlauheit und Umsicht zugute kommen; gib zu, daß
du in der Erwartung und Annahme hierher gekommen bist,
hier werde ein Raubüberfall stattfinden, kein Strafprozeß.
Es handelt sich in dieser Sache urn Verwandtenmord; der
Ankläger wußte keinen Grund anzugeben, weshalb der Sohn
seinen Vater getötet habe. Bei den geringsten Verfehlungen
und jenen leichten Vergehen, die ziemlich häufig und fast
schon alltäglich sind, wird zu allermeist und an erster Stelle
untersucht, welches Motiv die Übeltat veranlaßt habe; Eru-
cius aber meint, daß man dergleichen bei einem Verwandten-
mord nicht zu untersuchen brauche. Bei diesem Verbrechen,
ihr Richter, pflegt man auch dann nicht blindlings zu glauben,
wenn es den Anschein hat, daß zahlreiche Motive in dieselbe
Richtung weisen und miteinander in Einklang stehen; auch
5б PRO S E X . R O S C I O AMERINO

penditur, neque testis incertus auditur. ncque accusa-


toris ingenio res iudicatur. C u m multa antea commissa
maleficia, cum vita hominis perditissima, tum singula-
ris audacia ostendatur nccesse est, neque audacia solum
sed summus furor atque amentia. I laec cum sint omnia,
tarnen exstent oportet expressa sceleris vestigia, ubi,
qua ratione, per quos, quo tempore maleficium sit
admissum. Q u a e nisi multa et manifesta sunt, profecto
res tarn scelesta, tarn atrox, tarn nefaria credi non
potest. Magna est enim vis humanitatis; multum valet 63
communio sanguinis; reclamitat istius modi suspicioni-
bus ipsa natura; portentum atque monstrum certissi-
m u m est esse aliquem humana specie et figura qui
tantum immanitate bestias vicerit ut, propter quos hanc
suavissimam lucem aspexerit, eos indignissime luce
privarit, cum etiam feras inter sese partus atque educa-
tio et natura ipsa conciliet.

Non ita multis ante annis aiunt T . Caelium quendam 64


Terracinensem, hominem non obscurum, cum cenatus
eubitum in idem conclave cum duobus adulescentibus
filiis isset, inventum esse mane iugulatum. C u m neque
servus quisquam reperiretur neque liber ad quem ea
suspicio pertineret, id aetatis autem duo filii propter
eubantes ne sensisse quidem se dicerent, nomina fi-
liorum de parricidio delata sunt. Quid poterat tarn esse
FÜR S F X . ROSCIL'S 57

wägt man den Fall nicht mit flüchtiger Mutmaßung, noch


hört man auf einen unzuverlässigen Zeugen, noch entscheidet
man die Sache nach der Befähigung des Anklägers. Da ist es
unumgänglich, zahlreiche zuvor begangene Missetaten, die
völlig zerrütteten Verhältnisse dieses Menschen und vor allem
seine außergewöhnliche Brutalität zu erweisen, ja nicht nur
Brutalität, sondern Raserei und Wahnsinn schlimmsten Gra-
des. Wenn alle diese Umstände gegeben sind, dann müssen
gleichwohl bestimmte Spuren des Verbrechens vorhanden
sein: wo, auf welche Weise, mit welchen Gehilfen, zu welcher
Zeit die Missetat begangen wurde. Wenn derlei Spuren nicht
in großer Zahl deutlich vor Augen liegen, wahrhaftig, dann
kann man eine so verbrecherische, so gräßliche, so ruchlose
Tat gar nicht glauben. Denn das Band der Menschlichkeit ist
stark; viel vermag die Gemeinschaft des Blutes. Die Natur
selbst widerstrebt derartigen Vermutungen; es ist das sicher-
ste Unglückszeichen und Merkmal böser Vorbedeutung, wenn
jemand in menschlicher Erscheinung und Gestalt die wilden
Tiere so sehr an Roheit übertrifft, daß er die auf schmachvoll-
ste Weise des Lichtes beraubt, denen er den Anblick dieses so
licblichen Lichtes verdankt. Denn auch bei den wilden Tieren
pflegen Geburt und Aufzucht und das Naturgesetz selbst die
Artgenossen zu verbinden.
Vor nicht allzu vielen Jahren, so wird berichtet, habe sich
ein gewisser T. Caelius aus Terracina 20 , ein nicht unbekannter
Mann, nach dem Essen zur Ruhe begeben, und mit ihm zwei
erwachsene Söhne, die sein Zimmer teilten; da sei er des Mor-
gens ermordet aufgefunden worden. Man konnte weder einen
Sklaven ermitteln noch einen Freien, auf den der Tatverdacht
hätte fallen können; die beiden Söhne aber behaupteten (man
beachte ihr Alter!), sie hätten die Sache nicht einmal bemerkt,
obwohl sie in nächster Nähe gelegen hatten. Da wurden die
Söhne wegen Verwandtenmordes angezeigt. Denn was konnte
5« PRO S F X . ROSCIO A M E R I N O

suspiciosum? ncutrumnc scnsissc? ausum autem esse


quemquam se in id conclave committere eo potissimum
tempore cum ibidem essent duo adulescentes filii qui et
sentire et defendere facile possent? Erat porro nemo in
quem ea suspicio conveniret. Tarnen, cum planum 65
iudicibus esset factum aperto ostio dormientis eos re-
pertos esse, iudicio absoluti adulescentes et suspicione
omni liberati sunt. N e m o enim putabat q u e m q u a m esse
qui, cum omnia divina atque humana iura scelere nefario
polluisset, somnum statim capere potuisset, propterea
quod qui tantum facinus commiserunt non modo sine
cura quiescere sed ne spirare quidem sine metu pos-
sum.

Videtisne quos nobis poetae tradiderunt patris ulcis- 66


cendi causa supplicium de matre sumpsisse, cum prae-
sertim deorum immortalium iussis atque oraculis id
fecisse dicantur. tamen ut eos agitent Furiae neque
consistere umquam patiantur, quod ne pii quidem sine
scelere esse potuerunt? Sic se res habet, iudices: ma-
gnam vim, magnam neccssitatem, magnam possidet
religionem paternus maternusque sanguis; ex q u o si
qua macula concepta est, non modo elui non potest
verum usque eo permanat ad animum ut summus f u r o r
atque amentia consequatur. Nolite enim putare, q u e m 67
ad modum in fabulis saepenumero videtis, cos qui
aliquid impie scelerateque commiserint agitari et per-
terreri Furiarum taedis ardentibus. Sua quemque fraus
et suus terror maximc vexat. suum quemque scelus
agitat amentiaque adficit, suae malae cogitationes con-
KÜR SFX. ROSCILS 59

verdächtiger sein? Keiner hätte etwas gemerkt? Andererseits


sollte jemand gewagt haben, das Zimmer zu betreten, ausge-
rechnet zu der Zeit, da sich dort zwei erwachsene Söhne be-
fanden, die leicht etwas merken und Notwehr üben konnten?
Es war außerdem niemand da, auf den ein Verdacht fallen
konnte. Doch man machte den Richtern deutlich, daß man
die jungen Leute bei offener T ü r schlafend vorgefunden habe;
da wurden sie freigesprochen und jeden Verdachtes enthoben.
Denn kein Mensch mochte glauben, daß jemand Schlaf finden
könne, der unmittelbar zuvor alles göttliche und menschliche
Recht durch ein ruchloses Verbrechen entweiht habe. Denn
wer eine solche T a t begangen hat, der kann sich nicht frei
von Sorge der Ruhe hingeben, ja er kann nicht einmal furcht-
los atmen.
Wie uns die Dichter berichten, hat es Söhne gegeben, die,
um den Vater zu rächen, die Mutter mit dem Tode bestraften,
und es heißt insbesondere, daß sie hiermit die Befehle und
Wahrsprüche der unsterblichen Götter befolgten: ist euch be-
wußt, wie ihnen dennoch die Furien zusetzen und nicht dul-
den, daß sie irgend zur Ruhe kommen, weil sie nicht einmal,
indem sie ihrer Kindespflicht genügten, frei bleiben konnten
von Missetat 2 1 ? So ist es, ihr Richter: eine mächtige Kraft,
ein mächtiger Zwang, eine mächtige heilige Bindung geht aus
von dem Blut des Vaters und der Mutter; der Makel, den man
sich hieran zuzieht, läßt sich niemals beseitigen, ja er dringt
bis zum Kern der Seele vor, so daß schlimmste Raserei und
Besessenheit die Folge ist. Denn ihr dürft nicht glauben, daß
es zugeht, wie ihr es oft auf der Bühne seht: daß die brennen-
den Fackeln der Furien die einer gottlosen und verbrecheri-
schen T a t Schuldigen verfolgen und in Bestürzung versetzen.
Die eigene Tücke und das eigene Grauen quält einen jeden
am meisten; das eigene Verbrechen verfolgt ihn und schlägt
ihn mit Wahnsinn; die eigenen bösen Gedanken und Gewis-
6o PRO S E X . R O S C I O AMFRINO

scientiaeque animi terrent; hae sunt impiis adsiduae


domesticaeque Furiae quae dies noctesque parentium
poenas a consceleratissimis fl Ii is repetant.

Haec magnitudo malefici facit ut, nisi paene manifes- 68


turn parricidium proferatur, credibile non sit, nisi
turpis adulescentia, nisi omnibus flagitiis vita inqui-
nata, nisi sumptus effusi cum probro atque dedecore,
nisi prorupta audacia, nisi tanta temeritas ut non procul
abhorreat ab insania. Accedat hue oportet odium pa-
rentis, animadversionis paternae metus, amici improbi,
servi conscii, tempus idoneum, locus opportune captus
ad earn rem; paene dicam, respersas manus sanguine
paterno iudices videant oportet, si tantum facinus, tarn
immane, tam acerbum credituri sunt. Qua re hoc quo 6y
minus est credibile, nisi ostenditur, eo magis est, si
convincitur, vindicandum.

Itaque cum multis ex rebus intellegi potest maiores


nostros non modo armis plus quam ceteras nationes
verum etiam consilio sapientiaque potuisse, tum ex hac
re vel maxime quod in impios singulare supplicium
invenerunt. Qua in re quantum prudentia praestiterint
eis qui apud ceteros sapientissimi fuisse dicuntur consi-
derate. Prudentissima civitas Atheniensium, d u m ea 70
rerum potita est, fuisse traditur; eius porro civitatis
sapientissimum Solonem dicunt fuisse, eum qui leges
quibus hodie quoque utuntur scripserit. Is cum interro-
garetur cur nullum supplicium constituisset in eum qui
FÜR SF.X . ROSCI U S 6l

sensregungen erschrecken ihn: das sind die Furien, die den


Gottlosen unablässig zusetzen; sie wohnen in der eigenen
Brust und fordern Tag und Nacht von den Kindern, Auswür-
fen der Verruchtheit, Buße flir die Eltern.
Die Ungeheuerlichkeit dieser Missetat ist die Ursache, daß
man sie nicht zu glauben vermag, wenn nicht ein geradezu
handgreiflicher Verwandtenmord aufgedeckt wird, wenn
nicht eine schmähliche Jugend, wenn nicht ein von allen La-
stern beschmutztes Leben, wenn nicht mit Schimpf und
Schande verschwendeter Aufwand, wenn nicht zügellose Ver-
wegenheit, wenn nicht eine solche Tolldreistigkeit erwiesen
wird, daß sie nicht mehr weit von Wahnsinn entfernt ist.
Hierzu muß noch Haß des Vaters kommen, Furcht vor väter-
licher Züchtigung, schlechte Freunde, eingeweihte Sklaven,
eine passende Gelegenheit, ein für den Anschlag günstig ge-
wählter Ort; fast möchte ich behaupten, daß die Richter die
vom väterlichen Blut besudelten Hände sehen müssen, wenn
sie eine so schlimme, eine so entsetzliche, eine so bittere Tat
glauben sollen. Je weniger man sie demnach vermuten darf,
wenn sie nicht dargetan wird, desto härter muß man sie be-
strafen, wenn sie unumstößlich bewiesen wird.
Sosehr sich daher aus vielerlei Dingen ersehen läßt, daß
unsere Vorfahren nicht nur durch Waffengewalt, sondern auch
durch weise Planung mehr vermochten als andere Völker: am
allermeisten ergibt sich dieser Schluß wohl daraus, daß sie
wider die Gottlosen eine einzigartige Strafe ersannen. Denn
bedenkt, wie viel klüger sie sich hierbei erzeigten als diejeni-
gen, die sonst auf der Welt für die Weisesten gelten. Die Bür-
gerschaft von Athen soll, solange sie die Oberherrschaft inne-
hatte, die größte Einsicht besessen haben; doch der weiseste
aus dieser Gemeinde, so sagt man, war Solon, der Mann, der
die heute noch geltenden Gesetze schrieb. Einst fragte man
ihn, warum er keine Strafe für den vorsehe, der den Vater er-
62 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

parentem nccasset, respondit se id neminem facturum


putasse. Sapienter fecisse dicitur, c u m de eo nihil san-
xerit quod antea c o m m i s s u m non erat, ne non tarn
prohibere quam admonere videretur. Q u a n t o nostri
maiores sapientius! qui cum intellegerent nihil esse tarn
sanctum quod non aliquando violaret audacia, suppli-
cium in parricidas singulare excogitaverunt ut, quos
natura ipsa retinere in o f f i c i o non potuisset, ei magnitu-
dine poenae a maleficio summoverentur. Insui volue-
runt in culleum vivos atque ita in flumen deici.

О singularem sapientiam, iudices! N o n n e videntur 71


hunc hominem ex rerum natura sustulisse et eripuisse
cui repente caelum, solem, aquam terramque ademe-
rint ut, qui eum necasset unde ipse natus esset, careret
eis rebus omnibus ex quibus omnia nata esse dicuntur?
N o l u e r u n t feris corpus obicere ne bestiis q u o q u e quae
tantum scelus attigissent immanioribus uteremur; non
sie nudos in flumen deicerc ne, c u m delati cssent in
mare, ipsum polluerent q u o cetera quae violata sunt
expiari putantur; denique nihil tarn vile neque tarn
volgare est cuius partem ullam reliquerint. E t e n i m q u i d -1
tarn est c o m m u n e quam spiritus vivis, terra mortuis,
mare fluetuantibus, litus eiectis? Ita vivunt, d u m pos-
sunt, ut ducere animam de caelo non queant, ita т о -
riuntur ut eorum ossa terra non tangat, ita iactantur
f CR SF.X. R O S C I L ' S

mordet habe. Er antwortete, er habe geglaubt, daß niemand


so etwas tun würde. Man sagt, er handelte weise, da er eine
zuvor noch nie begangene Tat auch nicht mit Strafe bedrohte,
um den Anschein zu vermeiden, als wolle er nicht abschrecken,
sondern anstiften. Wie viel weiser handelten unsere Vorfah-
ren ! Sie sahen ein, daß nichts so heilig ist, daß verwegener
Sinn es nicht irgendeinmal entweiht, und sie ersannen eine
einzigartige Strafe für Verwand ten mörder, um diejenigen, die
nicht schon das Band der Natur zur Pflicht zu bestimmen ver-
möge, durch die Härte der Strafe von der Missetat abzu-
schrecken : sie setzten fest, daß man den Verwandtenmörder
bei lebendigem Leibe in einen Ledersack einnähe und so in
den Fluß werfe 22 .
Welch einzigartige Weisheit, ihr Richter! Scheint es nicht
so, als hätten sie diesen Menschen aus der Welt geschafft und
fortgeräumt, da sie ihm auf einmal Himmel, Sonne, Wasser
und Erde entziehen? So daß er, der Mörder dessen, durch den
er selbst entstanden ist, alles entbehren muß, woraus alles ent-
standen sein soll? Sie wollten nicht, daß man seine Leiche den
wilden Tieren vorwerfe, damit wir nicht mit Bestien zu tun
bekämen, die die Berührung mit einem solchen Verbrechen
noch furchtbarer gemacht habe; sie wollten nicht, daß man
derartige Missetäter ohne Umstände nackt in den Fluß werfe,
damit sie nicht ins Meer hinabtrieben und so gerade den Stoff
besudelten, der, wie man glaubt, alles Schuldbefleckte reinigt.
Kurzum, unsere Vorfahren ließen ihnen auch an den wertlose-
sten und gewöhnlichsten Dingen der Welt keinerlei Anteil.
Denn was ist so allgemein, wie die Luft für die Lebenden, die
Erde für die Toten, das Meer für die Umhertreibenden, das
Ufer für die Gestrandeten? Die Verwandtenmörder hingegen
bleiben zwar am Leben, solange sie können, doch sie dürfen
die Himmcisluft nicht einatmen; sie sterben zwar, doch keine
Erde bedeckt ihr Gebein; sie werden von den Fluten umher-
64 PRO S E X . R O S C I O AMFRINO

fluctibus ut numquam adluantur, ita postremo eiciun-


tur ut ne ad saxa quidem mortui conquiescant.

Tanti malefici crimen, cui maleficio tarn insigne


supplicium est constitutum, probare te, Eruci. censes
posse talibus viris, si ne causam quidem malefici protu-
leris? Si hunc apud bonorum emptores ipsos accusares
eique iudicio C h r v s o g o n u s praeesset, tarnen diligcntius
paratiusque venisses. U t r u m quid agatur non vides, an 73
apud quos agatur? Agitur de parricidio quod sine mul-
tis causis suscipi non potest; apud homines autem pru-
dentissimos agitur qui intellegunt neminem ne mini-
m u m quidem maleficium sine causa admittere.

Esto, causam proferre non potes. Tametsi statim


vicisse debeo, tarnen de meo iure decedam et tibi quod
in alia causa non concederem in hac concedam fretus
huius innocentia. N o n quaero abs te qua re patrem S e x .
Roscius occiderit, quaero quo modo occiderit. Ita
quaero abs te, C . Eruci: quo modo, et sic tecum agam ut
meo loco vel respondendi vel interpellandi tibi potesta-
tem faciam vel etiam, si quid voles, interrogandi. Q u o 74
modo occidit? ipse percussit an aliis occidendum dedit?
Si ipsum arguis, Romae non fuit; si per alios fecisse
dicis, quaero quos? Servosne an liberos? Si liberos,
quos homines? indidemne Ameria an hosce ex urbe
Ft'R S F X . ROSCIUS 65

geworfen, doch niemals benetzt; schließlich stranden sie, doch


nicht einmal an den Felsenklippen kommen die Toten zur
Ruhe.
Eine so beispiellose Strafe ist für diese Missetat festgesetzt,
und du, Erucius, meinst, du könnest den Vorwurf einer sol-
chen Missetat so trefflichen Männern glaubhaft machen, wenn
du nicht einmal ein Motiv dafür vorbringst? Selbst wenn du
Roscius vor den Käufern seines Vermögens anklagtest und
wenn Chrysogonus Vorsitzender des Gerichtes wäre, hättest
du sorgfältiger vorbereitet kommen sollen. Was begreifst du
nicht: worüber verhandelt wird, oder vor wem verhandelt
wird? Es wird über Verwandtenmord verhandelt, eine Tat,
die man nicht ohne zahlreiche Motive zu begehen vermag,
und es wird vor sehr erfahrenen Männern verhandelt, die
wissen, daß sich niemand auch nur die geringste Übeltat ohne
Motiv zuschulden kommen läßt.
Doch meinetwegen - du kannst kein Motiv vorbringen. Da
müßte ich zwar auf der Stelle der Sieger sein, doch ich will
mich meines Rechtes begeben und dir im Vertrauen auf die
Unschuld des Angeklagten zugestehen, was ich in einer ande-
ren Sache nicht zugestehen würde. Ich frage dich also nicht,
weshalb Sextus Roscius seinen Vater getötet hat; ich frage,
wie er ihn getötet hat. Hiernach frage ich dich, C.Erucius:
Wie? Und ich will es so mit dir halten: ich will dir, obwohl
ich an der Reihe bin, Gelegenheit geben, zu antworten oder
mich zu unterbrechen oder auch zu befragen, wann du nur
willst. Wie hat er ihn getötet? Hat er ihn selbst erstochen
oder gab er anderen den Auftrag, ihn zu töten? Wenn du er-
klärst: «Er selbst», so erwidere ich: er war nicht in Rom.
Wenn du behauptest, er habe die Tat durch andere ausführen
lassen, dann frage ich: Durch wen? Durch Sklaven oder
Freie? Wenn durch Freie, durch was für Leute? Durch Leute
von dort, aus Ameria, oder durch Banditen hier aus der Stadt?
66 PRO S E X . R O S C I O AMF.R1NO

sicarios? Si A m e r i a , qui sunt ei? cur non nominantur? si


Roma, unde eos noverat Roscius qui R o m a m multis
annis non venit neque umquam plus triduo fuit? ubi eos
convenit? qui conlocutus est? quo modo persuasit?
" P i e t i u m dedit"; tui dedit? per quem dedit? unde aut
quantum dedit? N o n n e his vestigiis ad caput malefici
perveniri solet?

Et simul tibi in mentem veniat facito quem ad


modum vitam huiusce depinxeris; hunc hominem
ferum atque agrestem fuisse, numquam cum homine
quoquam conlocutum esse, numquam in oppido consti-
tisse. Q u a in re praetereo illud quod mihi maximo 75
argumento ad huius innocentiam poterat esse, in rusti-
cis moribus, in victu arido, in hac horrida incultaque
vita istius modi maleficia gigni non solere. Ut non
omnem frugem neque arborem in omni agro reperire
possis, sie non omne facinus in omni vita nascitur. In
urbe luxuries creatur, ex luxuria exsistat avaritia ne-
cesse est, ex avaritia erumpat audacia, inde omnia
scelera ac maleficia gignuntur; vita autem haec rustica
quam tu agrestem vocas parsimoniae, diligentiae, iusti-
tiae magistra est.

Verum haec missa facio; illud quaero, is homo qui, ut 76


tute dicis, n u m q u a m inter homines fuerit, per quos
homines hoc tantum facinus, tarn occultum, absens
praesertim, conficere potuerit. \lulta sunt falsa, iudi-
ces, quae tarnen argui suspiciose possunt; in his rebus si
FÜR S E X . ROSCILS

Wenn durch Leute aus Ameria: wer sind sie? Warum bleiben
sie ungenannt? Wenn durch Leute aus Rom: wie hatte Ros-
cius sie kennen gelernt, der seit vielen Jahren nicht nach Rom
gekommen war und sich niemals länger als drei Tage dort auf-
hielt? Wo traf er mit ihnen zusammen? Wie hat er mit ihnen
verhandelt? Aufweiche Weise vermochte er sie zu überreden?
«Er gab Geld.» Wem gab er es? Durch wen gab er es? Woher
nahm er es oder wieviel gab er? Nicht wahr, mit Hilfe der-
artiger Spuren dringt man doch gewöhnlich zum Ursprung
der Missetat vor?
Und erinnere dich bitte zugleich, was für ein Bild du von
der Lebensweise des Roscius entworfen hast: er sei ein grober
und bäuerischer Mensch; er habe sich nie mit jemandem un-
terredet und sich nie in einer Stadt aufgehalten. Hierbei über-
gehe ich, was mir als Hauptbeweis für die Unschuld des An-
geklagten dienen könnte: daß der ländliche Brauch, das kärg-
liche Brot, diese rauhe und ungehobelte Lebensweise derartige
Missetaten nicht hervorzubringen pflegen. Wie es unmöglich
ist, auf jedem Acker jede Art von Früchten oder Bäumen an-
zutreffen, so erzeugt nicht jede Lebensweise jede Art von Un-
taten. In der Stadt kommt Verschwendungssucht auf; aus der
Verschwendungssucht muß Habgier entstehen, aus der Hab-
gier Skrupellosigkeit hervorbrechen, lind hieraus entspringen
alle Verbrechen und Missetaten; diese ländliche Lebensweise
hingegen, die du bäuerisch nennst, ist die Schule der Sparsam-
keit, der Besonnenheit, der Gerechtigkeit.
Doch ich lasse diese Dinge auf sich beruhen. Ich frage nur
hiernach: durch wen konnte dieser Mensch, der, wie du sagst,
nie unter Menschen weilte, durch welche Menschen konnte
er, zumal er abwesend war, eine so schlimme Tat in solcher
Heimlichkeit vollbringen lassen? Vieles ist falsch, ihr Richter,
was man gleichwohl als Verdathtsgrund vorbringen kann;
doch wenn sich aus den Umständen dieses Falles Verdacht
68 PRO S E X . R O S C I O AMF.RINO

suspicio reperta erit, culpam inesse concedam. Romae


S e x . Roscius occiditur, cum in agro Amerino esset
filius. Litteras, credo, misit alicui sicario qui Romae
noverat neminem. Arcessivit aliquem. Quem aut
quando? Nuntium misit. Q u e m aut ad quem? Pretio,
gratia, spe, promissis induxit aliquem. Nihil horum ne
confingi quidem potest; et tarnen causa de parricidio
dicitur.

Reliquum est ut per servos id admiserit. О , di im-


mortales, rem miseram et calamitosam! Quid? In tali
crimine quod innocenti saluti solet esse ut servos in
quaestionem polliceatur, id S e x . Roscio facere non
licet? Vos qui hunc accusatis omnis eius servos habetis;
unus puer victus cotidiani administer ex tanta familia
S e x . Roscio relictus non est. Т е nunc appello, P. Sci-
pio, te, M . Metelle; vobis advocatis, vobis agentibus
aliquotiens duos servos paternos in quaestionem ab
adversariis Sex. Roscius postulavit; meministisne
T . Roscium recusare? Quid? ei servi ubi sunt? Chrvso-
gonum, iudices, sectantur; apud eum sunt in honore et
in pretio. Etiam nunc ut ex eis quaeratur ego postulo,
hic orat atque obsecrat. Quid facitis? cur recusatis?

Dubitate etiam nunc, iudices, si potestis, a q u o sit


S e x . Roscius occisus, ab eone qui propter illius mortem
in egestate et in insidiis vtrsatur, cui ne quaerendi
quidem de morte patris potestas permittitur, an ab eis
fCr sfx. roscius 69

schöpfen läßt, dann will ich eingestehen, daß Schuld dahinter-


steckt. Sextus Roscius wird in Rom ermordet, während sich
der Sohn bei Ameria auf dem Lande aufhält. Er schickte wohl
einem Banditen einen Brief, er, der in Rom niemanden kannte.
Er ließ jemanden zu sich kommen. Wen oder wann? Er
schickte einen Boten. Wen oder zu wem? Er stiftete jemanden
an, durch Geld, durch Gunst, durch Erwartungen, durch Ver-
sprechungen. Nichts von alledem läßt sich auch nur erdenken,
und trotzdem verantwortet man sich hier wegen Verwandten-
mordes.
Eines bleibt noch übrig: er könnte die Tat durch Sklaven
begangen haben. Ihr unsterblichen Götter, was ist das für eine
jammervolle und unglückliche Geschichte! Wie? Sextus Ros-
cius soll das nicht tun dürfen, wodurch sich der Unschuldige
bei einem solchen Vorwurf zu retten pflegt: daß er seine Skla-
ven zum peinlichen Verhör ausliefert"! Ihr, die ihr seine An-
kläger seid, habt alle seine Sklaven; Sextus Roscius hat aus
seinem zahlreichen Gesinde keinen einzigen Leibburschen für
die tägliche Bedienung behalten dürfen. Ich berufe mich jetzt
auf dich, P.Scipio, und auf dich, M.Metellus; mit eurem Bei-
stand, auf euer Betreiben hin hat Sextus Roscius seine Gegner
mehrere Male aufgefordert, ihm zwei der vom Vater ererbten
Sklaven für ein peinliches Verhör zu überlassen: erinnert ihr
euch, wie T . Roscius sich weigerte? Wie? Wo sind diese Skla-
ven? Sie sind im Gefolge des Chrysogonus, ihr Richter; bei
ihm stehen sie in Wert und Ansehen. Sie sollen peinlich ver-
nommen werden, so lautet auch jetzt noch mein Antrag und
bittet und fleht der Angeklagte. Doch ihr, was tut ihr? War-
um weigert ihr euch?
So mögt ihr, wenn ihr dazu imstande seid, auch jetzt noch
zweifeln, ihr Richter, wer Sextus Roscius ermordet hat: der
Sohn, dem sein Tod Armut und Nachstellungen gebracht hat,
dem nicht einmal die Befugnis eingeräumt wird, den Tod des
7° PRO SEX. ROSCIO A M F R I N O

qui quaestionem f u g i t a n t , bona possident, in caede


a t q u e ex caede vivunt. O m n i a , iudices, in hac causa
sunt misera a t q u e indigna; tarnen hoc nihil n e q u e acer-
bius n e q u e iniquius proferri potest: mortis paternae de
servis paternis quaestionem habere filio non licet! N e
tarn diu q u i d e m d o m i n u s erit in suos d u m ex eis de
patris m o r t e q u a e r a t u r ? Yeniam, n e q u e ita multo
postea, ad h u n c locum; nam hoc t o t u m ad Roscios
p e r t i n e t , de q u o r u m audacia t u m me d i c t u r u m pollici-
tus s u m , c u m Kruci crimina diluissem.

N u n c , Eruci, ad te venio. Convcniat mihi tecum 7ц


necesse est, si ad h u n c maleficium istud pertinet, aut
ipsum sua m a n u fecisse, id q u o d negas, aut per aliquos
liberos aut servos. Liberosne? quos n e q u e ut convenire
potuerit n e q u e q u a ratione inducere n e q u e ubi neque
per quos n e q u e qua spe aut q u o pretio potes ostendere.
Ego contra ostendo non m o d o nihil e o r u m fecisse Sex.
Roscium sed ne potuisse q u i d e m facere, q u o d neque
Romae multis annis fuerit n e q u e de praediis u m q u a n i
t e m e r e discesserit. Restare tibi videbatur servorum
n o m e n , q u o quasi in p o r t u m reiectus a ceteris suspicio-
nibus c o n f u g e r e posses; ubi scopulum offendis eius
modi ut non m o d o ab hoc crimen resilire videas verum
o m n e m suspicionem in vosmet ipsos recidere intelle-
gas.
FÜR S E X . ROSCIUS 7'

Vaters durch Vernehmungen zu untersuchen, oder die An-


kläger, die der Untersuchung ausweichen, die das Vermögen
in Besitz haben, die in Bluttaten und von Bluttaten leben. In
dieser Sache ist alles beklagenswert und schmachvoll, ihr Rich-
ter; gleichwohl kann man nichts anführen, was bitterer und
ungerechter wäre als dies: es ist dem Sohne verwehrt, die
Sklaven des Vaters über den Tod des Vaters zu befragen! Soll
er nicht einmal so lange Herr seiner Leute sein, als bis er sie
über den Tod des Vaters befragt hat? Ich werde auf diesen
Punkt zurückkommen, und zwar ziemlich bald; die ganze Sa-
che hat mit den Rosciern zu tun, und über deren skrupelloses
Verhalten werde ich, wie angekündigt, sprechen, sobald ich
die Beschuldigungen des Erucius zunichte gemacht habe.
Jetzt wende ich mich noch an dich, Erucius! Hierüber kann
es keinen Streit zwischen uns geben: wenn Sextus Rosaus
für diese Missetat in Betracht kommt, dann hat er sie ent-
weder selbst und mit eigener Hand ausgeführt, was du in
Abrede stellst, oder durch Gehilfen: durch Freie oder Sklaven.
Etwa durch Freie? Wo du nicht zu erklären vermagst, wie er
sich mit ihnen habe treffen, und nicht, wie er sie habe ver-
leiten können? Und nicht wo, und nicht durch wen, und
nicht durch was für Aussichten oder um welchen Preis? Ich
dagegen erkläre: Sextus Roscius hat von alledem nichts ge-
tan, ja er hatte nicht einmal die Möglichkeit hierzu; denn er
war seit vielen Jahren nicht in Rom, noch verließ er je ohne
Grund seine Güter. So blieb dir anscheinend nur die Aus-
kunft, Sklaven vorzutäuschen: hierzu hättest du, wie in einen
Hafen, deine Zuflucht nehmen können, nachdem alle anderen
Verdachtsgründe dich zurückgetrieben hatten; dort aber
stößt du derart gegen eine Klippe, daß du nicht nur den
Schuldvorwurf von unserem Manne hier abprallen siehst,
sondern auch erkennst, wie jeglicher Verdacht auf euch selbst
zurückfällt.
72 PRO S E X . ROSCIO AMFRINO

Q u i d ergo est q u o tarnen a c c u s a t o r inopia a r g u m e n - Ко


t o r u m c o n f u g e r i t ? " E i u s modi t e m p u s e r a t , " i n q u i t , "ut
h o m i n e s volgo i m p u n e o c c i d e r e n t u r ; q u a re h o c tu
p r o p t e r m u l t i t u d i n e m s i c a r i o r u m nullo negotio faccre
p o t u i s t i . " I n t e r d u m mihi videris, Kruci, una m e r c e d e
duas res adsequi velle, nos iudicio p e r f u n d e r e , accusare
a u t e m eos ipsos a q u i b u s m e r c e d e m accepisti. Q u i d ais?
volgo o c c i d e b a n t u r ? Per quos et a q u i b u s ? Nonne
cogitas te a s e c t o r i b u s hue a d d u e t u m esse? Quid
postea? N e s c i m u s per ista t e m p o r a e o s d e m fere sectores
fuisse c o l l o r u m et b o n o r u m ? Ei d e n i q u e qui t u m armati Ηι
dies n o c t e s q u e c o n c u r s a b a n t , qui R o m a e erant adsidui,
qui omni t e m p o r e in praeda et in sanguine v e r s a b a n t u r .
S e x . R o s c i o t e m p o r i s illius a c e r b i t a t e m i n i q u i t a t e m q u e
o b i c i e n t et illam s i c a r i o r u m m u l t i t u d i n e m in qua ipsi
d u c e s ас prineipes erant huic c r i m i n i p u t a b u n t fore? qui
non m o d o R o m a e поп fuit sed o m n i n o q u i d Romae
a g e r e t u r neseivit, propterea q u o d ruri a d s i d u u s , q u e m
ad m o d u m tute c o n f i t e r i s , fuit.

Y e r e o r ne aut molestus sim vobis, iudices, aut ne K:


ingeniis vestris videar d i f f i d e r e , si de tarn perspieuis
rebus diutius d i s s e r a m . E r u c i c r i m i n a t i o t o t a , ut a r b i -
tror, dissoluta est; nisi forte e x s p e c t a t i s ut illa diluani
q u a e de peculatu ac de eius modi rebus c o m m e n t i c i i s
inaudita n o b i s a n t e hoc t e m p u s ac nova o b i e c i t ; q u a e
mihi iste visus est ex alia o r a t i o n c d e c l a m a r e q u a m in
FÜR SF.X. ROSC1LS 73

Doch was nun? Aufweiche Ausflucht verfällt der Ankläger


in seiner Verlegenheit um Beweise? Er sagt: «Die Zeiten
waren derart, daß man allenthalben straflos Menschen tötete;
daher hattest du wegen der großen Zahl der Mordgesellen
unschwer die Möglichkeit, die Tat auszuführen.» Bisweilen
kommt es mir so vor, Erucius, als wollest du für einen Lohn
zwei Dinge erreichen, als sei die Absicht, uns mit dem Prozeß
nur ein kaltes Bad zu verabfolgen, die eigentliche Anklage
aber schlechtweg gegen die zu richten, von denen du deinen
Lohn empfangen hast. Was sagst du da? Man tötete allent-
halben? Wer und durch wen? Bedenkst du nicht, daß Ab-
schneider dich auf diesen Platz gestellt haben? Und was folgt
daraus? Ist uns denn unbekannt, daß sich in jener Zeit un-
gefähr dieselben Leute als Abschneider von Hälsen betätigten,
die Abschneider von Beuteln waren 24 ? Damals liefen sie Tag
und Nacht bewaffnet umher; sie waren ständig in Rom; sie
gaben sich die ganze Zeit über mit Beutezügen und Bluttaten
ab, und jetzt wollen sie gar dem Sextus Roscius die bitter-
böse Rechtlosigkeit jener Zeiten zur Last legen? Und wollen
glauben, man werde aus der großen Zahl von Meuchelmör-
dern, der sie selbst als Anführer und Häuptlinge angehörten,
diesem Manne hier einen Vorwurf machen ? Der sich nicht
nur nicht in Rom aufhielt, sondern überhaupt nicht wußte,
was sich in Rom ereignete, weil er, wie du selbst zugibst,
ständig auf dem Lande lebte.
Ich fürchte, euch zu belästigen, ihr Richter, oder den An-
schein zu erwecken, als mißtraute ich eurem Verstände, wenn
ich noch länger über so durchsichtige Dinge rede. Die Anschul-
digung des Erucius ist, glaube ich, gänzlich entkräftet. Denn
ihr erwartet ja wohl nicht, daß ich dieses Zeug da widerlege,
das er über Unterschied"*5 und derlei phantastische Dinge an-
zubringen wußte: uns war es bis zu diesem Zeitpunkt un-
bekannt und neu, und ich habe den Eindruck, daß er seine
74 PRO SF.X. ROSCIO AMF.RINO

alium reum commentaretur; ita nequc ad crimen parri-


cidi neque ad eum qui causam dicit pertinebant; de
quibus quoniam verbo arguit, verbo satis est negare. Si
quid est quod ad testis reservet, ibi quoque nos, ut in
ipsa causa, paratiores reperiet quam putabat.

Venio nunc eo quo me non cupiditas ducit sed fides. 83


N a m si mihi liberet accusare, accusarem alios potius ex
quibus possem crescere; quod certum est non facere,
d u m utrumvis licebit. Is enim mihi videtur amplissi-
mus qui sua virtute in altiorem locum pervenit, non qui
ascendit per alterius incommodum et calamitatem. De-
sinamus aliquando ea scrutari quae sunt inania; quaera-
mus ibi maleficium ubi et est et inveniri potest; iam
intelleges, Eruci, certum crimen quam multis suspicio-
nibus coarguatur, tametsi neque omnia dicam et leviter
unum quidque tangam. N e q u e enim id facerem, nisi
necesse esset, et id erit signi me invitum facere, quod
non persequar longius quam salus huius et mea fides
postulabit.

Causam tu nullam reperiebas in S e x . Roscio; at ego in 84


T . Roscio reperio. T e c u m enim mihi res est, T . Rosci,
FCR SFX. ROSCIL'S 75

Ausführungen einer anderen Rede entnommen hat, die er


gegen einen anderen Angeklagten aufgesetzt hatte. Denn sie
hingen weder mit dem Schuldvorwurf des Verwandtenmor-
des noch mit der Person dessen, der sich hier verteidigt,
irgendwie zusammen. Da Erucius seine Anwürfe nur mit
dürren Worten kundgetan hat, genügt es auch, sie mit dürren
Worten zu bestreiten. Wenn er sich noch etwas für die Zeu-
genvernehmung aufgespart haben sollte, so wird er uns auch
dort, wie im Hauptvortrag, besser vorbereitet finden, als er
dachte.
Ich komme jetzt zu dem Punkt, auf den mich nicht Ehrgeiz
führt, sondern Pflichttreue. Denn wenn ich als Ankläger auf-
treten wollte, dann würde ich mir andere Persönlichkeiten
aussuchen, deren Anklage meinem Ruf Gewinn bringen
könnte. Ich bin jedoch fest entschlossen, nichts dergleichen
zu tun, solange es mir freisteht, zu verteidigen oder anzu-
klagen. Denn meiner Meinung nach verdient der den größten
Respekt, der sich durch eigene Tüchtigkeit eine höhere
Stellung errungen hat, nicht wer auf Kosten und durch das
Unglück eines anderen aufgestiegen ist. Wir wollen endlich
aufhören, in den Dingen zu stöbern, die nichts hergeben;
suchen wir die Missetat dort, wo sie ist und wo sie sich aus-
findig machen läßt! Du wirst sofort erkennen, Erucius, wie
zahlreich die Verdachtsmomente sind, durch die ein begrün-
deter Schuldvorwurf erwiesen wird, obwohl ich gar nicht
alles aussprechen und die einzelnen Punkte nur oberflächlich
berühren will. Ich würde nämlich überhaupt nicht auf die
Sache eingehen, wenn es nicht notwendig wäre, und daß ich
es ungern tue, mag man daraus schließen, daß ich mich nicht
länger damit befassen werde, als das Heil des Angeklagten
und meine Pflicht gebieten.
Du konntest bei Sextus Roscius kein Motiv finden; aber
ich finde eines bei T. Roscius. Jawohl, ich beschäftige mich
76 PRO S E X . ROSCIO A M E R I N O

quoniam istic sedes ac te palam adversarium esse profi-


teris. D e Capitone post viderimus, si, quem ad modum
paratum esse audio, testis prodierit; tum alias quoque
suas palmas cognosce! de quibus me ne audisse quidem
suspicatur.

L . Cassius ille quem populus Romanus verissimum


et sapientissimum iudicem putabat identidem in causis
quaerere solebat "cui bono" fuisset. Sic vita hominum
est ut ad maleficium nemo conetur sine spe atque
emolumento accedere. H u n c quaesitorem ac iudicem 85
fugiebant atque horrebant ei quibus periculum creaba-
tur ideo q u o d , tametsi veritatis erat amicus, tarnen
natura non tarn propensus ad misericordiam quam
applicatus ad severitatem videbatur.

E g o , q u a m q u a m praeest huic quaestioni vir et contra


audaciam fortissimus et ab innocentia clementissimus,
tarnen facile me paterer vel illo ipso acerrimo iudice
quaerente vel apud Cassianos iudices, quorum etiam
nunc ei quibus causa dicenda est nomen ipsum reformi-
dant, pro S e x . Roscio dicere. In hac enim causa cum 86
viderent illos amplissimam pecuniam possidere, hunc
in summa mendicitate esse, illud quidem non quaere-
rent, cui bono fuisset, sed eo perspicuo crimen et
suspicionem potius ad praedam adiungerent quam ad
egestatem. Quid si accedit eodem ut tenuis antea fueris?
quid si ut avarusr quid si ut audax? quid si ut illius qui
occisus est inimicissimus? num quaerenda causa quae te
FÜR S E X . ROSCIUS 77

jetzt mit dir, T . Roscius, da du ja dort sitzest und offen zu-


gibst, daß du Gegner bist. Um Capito wollen wir uns hernach
kümmern, wenn er, wie dem Vernehmen nach geplant ist,
als Zeuge auftritt; er wird dann auch über seine anderen
Lorbeeren 14 Auskunft erhalten, von denen er sich einbildet,
daß ich sie nicht einmal vom Hörensagen kenne.
Der berühmte L.Cassius", nach Ansicht aller Römer ein
überaus gewissenhafter und weiser Richter, pflegte in Straf-
verhandlungen immer wieder zu fragen, wer denn etwas von
der Tat gehabt habe. So geht es nun einmal zu im Leben der
Menschen: niemand versucht ohne Aussicht auf Gewinn eine
Missetat ins Werk zu setzen. Diesen Mann als Vorsitzenden
und Richter zu haben, scheuten und sträubten sich alle, gegen
die ein Prozeß anhängig gemacht wurde. Denn er war aller-
dings ein Freund der Wahrheit; er schien jedoch von Natur
weniger zum Mitleid geneigt als auf Strenge bedacht.
In diesem Prozeß hier hat zwar ein Mann den Vorsitz, der
der Frechheit mit äußerster Energie und der Unschuld mit
größter Milde begegnet; ich würde mich aber auch dann ohne
Bedenken auf die Verteidigung des Sextus Roscius einlassen,
wenn der genannte Richter, dieser Ausbund der Unnach-
sichtigkeit, in Person die Untersuchung führte, oder auch vor
Richtern von der Art des Cassius, vor deren bloßem Namen
noch jetzt erbebt, wer sich vor Gericht verantworten muß.
Da sie nämlich sähen, daß in dieser Sache die Ankläger ein
stattliches Vermögen besitzen, der Angeklagte jedoch in
äußerster Dürftigkeit lebt, würden sie gar nicht fragen, wer
etwas von der Tat gehabt habe, sondern würden, da dieser
Punkt offensichtlich ist, den Schuldvorwurf und den Verdacht
sofort an die Beute knüpfen statt an die Armut. Wenn nun
noch hinzukommt, daß du zuvor mittellos warst, was folgt
daraus? Daß du habgierig, daß du ein skrupelloser Bursche,
daß du der ärgste Feind des Ermordeten warst? Muß man da
78 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

ad tantum facinus adduxerit? Q u i d ergo horum negari


potest? Tenuitas hominis eius modi est ut dissimulari
non queat atque eo magis eluceat q u o magis occultatur.
Avaritiam praefers qui societatem coieris de municipis 87
cognatique fortunis c u m alienissimo. Q u a m sis audax,
ut alia obliviscar, hinc omnes intellegere potuerunt
quod ex tota societate, hoc est ex tot sicariis, solus tu
inventus es qui c u m accusatoribus sederes atque os
t u u m non m o d o ostenderes sed etiam offerres. Inimici-
tias tibi fuisse cum S e x . Roscio et magnas rei familiaris
controversias concedas necesse est.

Restat, iudices, ut hoc d u b i t e m u s , uter potius Sex. 88


R o s c i u m occiderit, is ad q u e m morte eius divitiae vene-
rint, an is ad q u e m mendicitas, is qui antea tenuis
fuerit, an is qui postea factus sit egentissimus, is qui
ardens avaritia feratur infestus in suos, an is qui semper
ita vixerit ut quaestum nosset nullum, f r u c t u m autem
eum solum q u e m labore peperisset, is qui omnium
sectorum audacissimus sit, an is qui propter fori iudi-
ciorumque insolentiam non m o d o subsellia verum
etiam urbem ipsam reformidet, postremo, iudices, id
quod ad rem mea sententia m a x i m e pertinet, utrum
inimicus potius an filius.

H a e c tu, F.ruci, tot et tanta si nanctus esses in reo, 89


q u a m diu diceres! q u o te m o d o iactares! tempus hercule
te citius q u a m oratio deficeret. Etenim in singulis rebus
eius modi materies est ut dies singulos possis consu-
FÜR SEX. ROSCIUS 79

nach dem Motiv fragen, das dich zu dieser schlimmen Tat


verleitet haben könnte? Ließe sich denn irgend etwas hiervon
bestreiten? Mit der Mittellosigkeit dieses Menschen steht es
so, daß er sie gar nicht verhehlen kann und daß sie desto
mehr in die Augen sticht, je mehr er sie geheimzuhalten
sucht. Deine Habgier trägst du offen zur Schau: du hast ja
mit einem wildfremden Menschen über das Vermögen eines
Mitbürgers und Verwandten einen Pakt abgeschlossen. Wie
skrupellos du bist, das kann, um anderer Dinge nicht zu ge-
denken, jedermann daraus ersehen, daß sich aus der ganzen
Bande, das heißt aus einer solchen Zahl von Meuchelmördern,
außer dir niemand fand, der sich zu den Anklägern gesetzt
und sich nicht nur gezeigt, sondern gar aufgedrängt hätte.
Schließlich mußt du zugeben, daß du mit Sextus Rosaus
verfeindet warst und große Vermögensstreitigkeiten hattest.
Bleibt uns da noch ein Zweifel, ihr Richter, wer den Sextus
Roscius mit größerer Wahrscheinlichkeit ermordet hat: dem
sein Tod Reichtum, oder dem er Bettelarmut eingebracht
hat? Der vorher mittellos war, oder der nachher zum Aller-
ärmsten geworden ist? Der von Habgier entbrannt feindselig
über die Seinen herfällt, oder der sein Leben stets so geführt
hat, daß er keinerlei Handelsgewinn kannte, sondern nur den
durch eigene Arbeit errungenen Lohn? Der von allen Auf-
käufern der skrupelloseste ist, oder der, mit dem Forum und
den Gerichten nicht vertraut, nicht nur die Gerichtsbänke,
sondern die ganze Stadt verabscheut? Schließlich, ihr Richter,
was meiner Meinung nach den Ausschlag gibt: war hierzu
sein Feind eher imstande oder sein Sohn?
Wenn du, Erucius, bei dem Angeklagten so zahlreiche und
so erhebliche Umstände ermittelt hättest, wie lange würdest
du sprechen! Wie würdest du dich in die Brust werfen! Beim
Herkules, die Zeit würde dir eher ausgehen als die Worte.
Denn schon in den einzelnen Punkten steckt so viel Stoff,
8o PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

mere. N e q u e ego non possum; non enim tantum mihi


derogo, tametsi nihil adrogo, ut te copiosius q u a m me
putem posse dicere.

V e r u m ego forsitan propter multitudinem patro-


norum in grege adnumerer, te pugna Cannensis accusa-
torem sat b o n u m fecit. Multos caesos non ad T r a -
s u m e n n u m lacum, sed ad S e r v i l i u m vidimus. Q u i s ibi
non est volneratus ferro P h r y g i o ? N o n necesse est 90
omnis commemorare C u r t i o s , Marios, denique \ l e m -
mios quos iam aetas a proeliis avocabat, postremo Pria-
m u m ipsum senem, A n t i s t i u m q u e m non modo aetas
sed etiam leges pugnare prohibebant. Iam quos nemo
propter ignobilitatem nominat, sescenti sunt qui inter
sicarios et de veneficiis accusabant; qui omnes, q u o d ad
me attinet, vellem viverent. N i h i l enim mali est canes
ibi q u a m plurimos esse ubi permulti observandi multa-
que servanda sunt.

V e r u m , ut fit, multa saepe imprudentibus imperato- 91


ribus vis belli ac turba molitur. D u m is in aliis rebus
erat occupatus qui summam rerum administrabat,
erant interea qui suis volneribus mederentur; qui, tam-
q u a m si o f f u s a rei publicae sempiterna nox esset, ita
ruebant in tenebris omniaque miscebant; a quibus mi-
ror ne quod iudiciorum esset vestigium non subsellia
q u o q u e esse combusta; nam et accusatores et iudices
sustulerunt. H o c commodi est quod ita vixerunt ut
testis omnis, si cuperent, interficere non possent; n a m ,
FÜR S E X . ROSCIUS 8l

daß man jeweils ganze Tage dafür verwenden könnte. Auch


ich könnte es; denn wenn ich mir auch nichts ungerecht-
fertigt zuspreche, so viel spreche ich mir nicht ab, daß ich
glaubte, du könntest wortreicher reden als ich.
Aber ich würde wohl, da es zahlreiche Verteidiger gibt,
zum großen Haufen gerechnet werden; dich aber hat jenes
Cannae zu einem recht tüchtigen Ankläger gemacht: wir
sahen viele Tote, nicht am Trasimenischen, sondern am Ser-
vilischen See1®. «Wer wurde dort nicht vom Schwerte der
Phryger verwundet 2 '?» Es tut nicht not, alle die Curtier,
Marier und Memmier aufzuzählen, die das Alter bereits aus
den Schlachten abberufen hat, schließlich selbst ihren greisen
Priamus, den Antistius, den nicht nur das Alter, sondern auch
die Gesetze zu kämpfen hinderten 30 . Sodann die Leute, die
niemand mehr nennt, unbekannt wie sie waren: unzählige
gab es, die wegen Meuchel- oder Giftmordes Anklage
erhoben. Soviel an mir liegt, könnten sie alle noch leben.
Denn es ist kein Schade, wenn es da die meisten Hunde
gibt, wo auf sehr viele aufgepaßt und vieles bewacht werden
muß.
Doch wie es zu gehen pflegt: die Wut und das Getümmel
des Krieges bewirken oft vielerlei ohne Wissen des Feld-
herrn. Während der Mann, der den Oberbefehl in Händen
hatte, mit anderen Dingen beschäftigt war, da pflegten unter-
dessen manche ihre eigenen W u n d e n " : als ob der Staat in
ewige Nacht gehüllt wäre, so hitzig machten sich diese Leute
in der Dunkelheit zu schaffen und kehrten das Unterste zu-
oberst; ich muß mich wundern, daß sie nicht auch die Bänke
verbrannt haben, um keine Spur von den Gerichten übrig-
zulassen. Denn sowohl die Ankläger wie die Richter haben
sie beseitigt. Die Sache hat ein Gutes: sie führten sich so auf,
daß sie, auch wenn sie wollten, nicht alle Zeugen töten
könnten; denn ohnehin wird es, solange die Menschheit lebt,
82 PRO S E X . ROSCIO A M E R I N O

dum hominum genus erit, qui accuset eos non deerit;


dum civitas erit, iudicia fient.
Verum, ut coepi dicere, et Erucius, haec si haberet in
causa quae commemoravi, posset ea quamvis diu di-
cere, et ego, iudices, possum; sed in animo est, quem ad
modum ante dixi, leviter transire ac tantum modo
perstringere unam quamque rem, ut omnes intellegant
me non studio accusare sed o f f i c i o defendere.

V ideo igitur causas esse permultas quae istum impel- 92


lerent; videamus nunc ecquae facultas suscipiendi ma-
lefici fuerit. Ubi occisus est S e x . Roscius? - Romae. -
Quid? tu, T . Rusci, ubi tunc eras? - Romae. Verum
quid ad rem? et alii multi. - Quasi nunc id agatur quis
ex tanta multitudine occiderit, ac non hoc quaeratur,
eum qui Romae sit occisus utrum veri similius sit ab eo
esse occisum qui adsiduus eo tempore Romae fuerit, an
ab eo qui multis annis R o m a m omnino non accesserit.

A g e nunc ceteras quoque facultates consideremus. 93


Erat tum multitudo sicariorum, id quod commemoravit
Erucius, et homines impune occidebantur. Quid? ea
multitudo quae erat? Opinor, aut eorum qui in bonis
erant occupati, aut eorum qui ab eis conducebantur ut
aliquem occiderent. Si eos putas qui alienum appete-
bant, tu es in eo numero qui nostra pecunia dives es; sin
eos quos qui leviore nomine appellant percussores vo-
FÜR SEX. ROSCIUS

nicht an jemandem fehlen, der sie anklagt, und solange der


Staat besteht, werden Prozesse stattfinden.
Doch wie ich soeben sagte: sowohl Erucius könnte, wenn
er in dem Sachverhalt die genannten Punkte auf seiner Seite
fände, beliebig lange darüber reden, als auch ich, ihr Richter,
habe jetzt diese Möglichkeit; doch es ist meine Absicht, wie
ich schon früher gesagt habe, flüchtig darüber hinwegzu-
gehen und jeden einzelnen Umstand nur oberflächlich zu be-
rühren. Jedermann soll einsehen, daß ich mich nicht beeifere
anzuklagen, sondern meiner Pflicht als Verteidiger genüge.
Ich sehe also, daß sehr viele Gründe vorhanden sind, die
den Mann zur T a t verleiten konnten; wir wollen jetzt prüfen,
ob er irgend die Möglichkeit hatte, das Verbrechen auszu-
fuhren. W o wurde Sextus Roscius ermordet? In Rom. Wie?
Und du, T.Roscius, wo warst d u damals? In Rom. Doch was
t u t ' s : auch viele andere waren in Rom. Als ob es jetzt darum
ginge, wer aus einem so großen Personenkreis den Mord be-
gangen hat, und nicht vielmehr diese Frage zur Erörterung
stünde: ob ein in Rom Ermordeter mit größerer Wahrschein-
lichkeit von jemandem ermordet wurde, der sich zur Zeit der
T a t ständig in Rom aufhielt, oder von jemandem, der Rom
viele Jahre überhaupt nicht betreten hat.
Auf d e n n : wir wollen auch die übrigen Möglichkeiten be-
trachten. Es gab damals, wie Erucius schon erwähnt hat,
Meuchelmörder in Menge, und man konnte straflos Men-
schen töten. Wie? Aus was für Leuten bestand denn diese
Menge? Ich möchte meinen: entweder aus denen, die sich
mit Güterkäufen abgaben' 1 , oder aus denen, die von den
Erstgenannten für die Ausführung eines Mordes gedungen
wurden. Wenn du an die denkst, die sich über fremden Besitz
hermachten: du gehörst zu dieser Zahl; denn du bist durch
unser Vermögen reich geworden. Wenn du jedoch an die
denkst, die man, will man sie mit dem gelinderen Ausdruck
84 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

cant, quaere in cuius fide sint et clientela; mihi crede,


aliquem de societate tua reperies; et, quicquid tu contra
dixeris, id c u m defensione nostra contendito; ita facil-
lime causa S e x . Rosci cum tua conferetur.

Dices: " Q u i d postea, si R o m a e adsiduus f u i ? " Re- 94


spondebo: " A t ego o m n i n o non f u i . " - "Fateor me
sectorem esse, verum et alii m u l t i . " - " A t ego, ut tute
arguis, agricola et r u s t i c u s . " - " N o n continuo, si me in
gregem sicariorum contuli, sum sicarius." - " A t ego
profecto qui ne novi quidem q u e m q u a m sicarium longe
absum ab eius modi c r i m i n e . " Permulta sunt quae dici
possunt qua re intellegatur s u m m a m tibi facultatem
fuisse malefici suscipiendi; quae non modo idcirco
praetereo quod te ipsum non libenter accuso verum eo
magis etiam q u o d , si de illis caedibus velim commemo-
rare quae tum factae sunt ista eadem ratione qua S e x .
Roscius occisus est, vereor ne ad pluris oratio mea
pertinere videatur.

V i d e a m u s nunc strictim, sicut cetera, quae post mor- 95


tem S e x . Rosci abs te, T . Rosci, facta sunt; quae ita
aperta et manifesta sunt ut medius fidius, iudices,
invitus ea dicam. Vereor enim, cuicuimodi es,
Т . R o s c i , ne ita hunc videar voluisse servare ut tibi
o m n i n o non pepercerim. C u m hoc vereor et cupio tibi
aliqua ex parte q u o d salva f i d e possim parcere, rursus
FCR SF.X. R O S C I U S

bezeichnen, Banditen nennt, so prüfe doch, wessen Obhut


und Schutz sie unterstehen: glaube mir, du wirst einen der
Genossen deines Paktes entdecken. Und was du auch an Ein-
wänden vorbringst, miß sie an unserer Rechtfertigung; so
läßt sich am leichtesten die Lage des Sextus Roscius mit der
deinen vergleichen.
Denn du kannst sagen: «Was folgt daraus, daß ich mich
ständig in Rom aufhielt?» Ich kann erwidern: «Doch ich
befand mich überhaupt nicht dort.» «Ich gebe zu, daß ich
Aufkäufer bin, aber viele andere sind dasselbe.» «Doch ich
bin, wie du selbst erklärst, Landwirt und Bauersmann.»
«Wenn ich mich unter die Schar der Meuchelmörder ge-
mischt habe, dann bin ich nicht sofort selbst ein Meuchel-
mörder.» «Doch ich, der ich nicht einmal einen Meuchel-
mörder kenne, bin wahrhaftig weit entfernt von einem der-
artigen Vorwurf.» So lassen sich sehr viele Umstände an-
führen, aus denen man ersehen kann, daß du die beste Ge-
legenheit hattest, das Verbrechen auszuführen. Ich übergehe
diese Dinge nicht nur deshalb, weil ich dich selbst nicht gern
anklage, sondern desto mehr noch, weil ich furchte, man
könnte meine Rede auf mehrere Leute beziehen, wenn ich
mich bei jenen Bluttaten aufhalten wollte, die damals auf die-
selbe Weise ausgeführt wurden wie der Mord an Sextus
Roscius.
Wir wollen uns jetzt noch, wie das übrige, flüchtig an-
sehen, was du nach dem Tode des Sextus Roscius getan hast,
T. Roscius: es liegt so offen zutage, daß ich, so wahr mir Gott
helfe, ihr Richter, nur widerwillig darüber spreche. Denn ich
fürchte eines, T.Roscius, du magst sein, wie du willst: ich
könnte den Eindruck hervorrufen, daß ich den Angeklagten
habe retten wollen, ohne überhaupt auf dich Rücksicht zu
nehmen. Wenn ich mich hiervor furchte und irgendwie auf
dich Rücksicht zu nehmen wünsche, soviel mir nur unbe-
86 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

i m m u t o v o l u n t a t e m m e a m ; venit e n i m mihi in m e n t e m
oris tui. T e n e , c u m ceteri socii tui fugerent ac se
o c c u l t a r e n t , ut h o c i u d i c i u m non d e illorum praeda sed
d e huius m a l e f i c i o fieri videretur, p o t i s s i m u m tibi par-
tis istas d e p o p o s c i s s e ut in iudicio versarere et sederes
c u m a c c u s a t o r e ? Q u a in re nihil aliud adsequeris nisi ut
a b o m n i b u s m o r t a l i b u s audacia tua c o g n o s c a t u r et im-
pudentia.

O c c i s o S e x . R o s c i o q u i s p r i m u s A m e r i a m nuntiat?
Mallius G l a u c i a , q u e m iam antea n o m i n a v i , tuus cliens
et familiaris. Q u i d attinuit eum p o t i s s i m u m n u n t i a r e
q u o d , si n u l l u m iam a n t e c o n s i l i u m d e m o r t e ac de
b o n i s eius inieras n u l l a m q u e s o c i e t a t e m n e q u e sceleris
n e q u e praemi c u m h o m i n e ullo coieras, ad te m i n i m e
o m n i u m p e r t i n e b a t ? - " S u a sponte Mallius n u n t i a t . " -
Q u i d , q u a e s o , eius intererat? A n , c u m A m e r i a m non
h u i u s c e rei causa venisset, casu accidit ut id q u o d
R o m a e audierat p r i m u s n u n t i a r e t ? C u i u s rei causa ve-
nerat A m e r i a m ? " N o n p o s s u m " , i n q u i t , " d i v i n a r e . " F.o
rem iam a d d u c a m ut nihil divinatione opus sit. Q u a
ratione T . Roscio Capitoni primo nuntiavit? Cum
A m e r i a e S e x . R o s c i d o m u s uxor l i b e r i q u e e s s e n t , c u m
tot p r o p i n q u i c o g n a t i q u e o p t i m e c o n v e n i e n t e s , qua
ratione f a c t u m est ut iste tuus c l i e n s , sceleris tui n u n -
tius, T . R o s c i o C a p i t o n i p o t i s s i m u m nuntiaret?
FÜR S E X . ROSCILS 87

schadet meiner Pflicht möglich ist, dann besinne ich mich


wieder eines anderen; denn mir kommt deine dreiste Stirn
zum Bewußtsein. Alle deine Genossen sind geflohen und
halten sich versteckt, damit es so scheine, als ginge es in die-
sem Prozeß nicht um ihre Beute, sondern um die Missetat
des Angeklagten; du aber hättest zu allermeist diese Rolle
hier für dich beansprucht, dich in die Verhandlung einzu-
mischen und neben dem Ankläger zu sitzen? Hierdurch er-
reichst du nichts anderes, als daß alle Welt deine Frechheit
und Unverschämtheit durchschaut.
Als Sextus Roscius ermordet war, wer hat da als erster die
Nachricht nach Ameria hinterbracht? Mallius Glaucia, den
ich schon früher genannt habe, dein Schutzbefohlener und
Gefolgsmann. Was lag daran, daß gerade er hinterbrachte,
was dich am allerwenigsten etwas anging, wenn du nicht
schon vorher einen Anschlag gegen das Leben und Vermögen
des Roscius geplant und wenn du mit keinem Menschen irgend-
einen Pakt wegen der verbrecherischen Tat und ihres Lohnes
geschlossen hättest? «Mallius hinterbrachte die Nachricht
von sich aus.» Ich bitte dich: was lag ihm daran? Kam er etwa
nicht um dieser Sache willen nach Ameria und berichtete er
zufällig als erster, was er in Rom vernommen hatte? Weshalb
kam er nach Ameria? «Ich kann nicht wahrsagen», meint
T . Roscius. Doch ich werde die Sache schon dahin bringen,
daß es keiner Wahrsagekunst mehr bedarf. Aus welchem
Grunde hat Mallius zuerst dem T . Roscius Capito die Nach-
richt hinterbracht? Obwohl Sextus Roscius in Ameria Haus,
Weib und Kinder, obwohl er dort so viele nähere und ent-
ferntere Verwandte hatte, mit denen er sich vortrefflich ver-
trug: aus welchem Grunde wurde es so eingerichtet, daß
dieser Mann, dein Schutzbefohlener, der Bote deines Ver-
brechens, die Nachricht zuallererst dem T. Roscius Capito
hinterbrachte?
88 PRO S E X . R O S C I O AMERINO

O c c i s u s est a c e n a rediens; n o n d u m l u c e b a t c u m
A m e r i a e s c i t u m est. Q u i d hic incredibilis c u r s u s , quid
haec tanta celeritas festinatioque significat? Non
q u a e r o q u i s percusserit; nihil est, G l a u c i a , q u o d m e -
tuas; non e x c u t i o t e , si q u i d forte ferri h a b u i s t i , non
s c r u t o r ; nihil ad m e a r b i t r o r pertinere; q u o n i a m cuius
c o n s i l i o o c c i s u s sit invenio, cuius m a n u sit percussus
non l a b o r o . L ' n u m hoc s u m o q u o d mihi a p e r t u m t u u m
scelus r e s q u e manifesta dat: U b i aut u n d e audivit G l a u -
cia? qui tarn cito scivit? Fac audisse statin); q u a e res
e u m n o c t e una t a n t u m itineris c o n t e n d e r e coegit? q u a e
necessitas e u m tanta p r e m e b a t ut, si sua s p o n t c iter
A m e r i a m faceret, id t e m p o r i s R o m a proficisceretur,
n u l l a m p a r t e m noctis r e q u i e s c e r e t ?

E t i a n i n e in tarn perspicuis rebus a r g u m e n t a t i o q u a e -


renda aut c o n i e c t u r a c a p i e n d a est? N o n n e vobis haec
q u a e audistis c e r n e r e oculis v i d e m i n i , iudices? non
illum m i s e r u m , ignarum casus sui, r e d e u n t e m a cena
videtis, non positas insidias, non i m p e t u m r e p e n t i n u m ?
non versatur a n t e oculos vobis in caede G l a u c i a ? non
adest iste T . R o s c i u s ? non suis m a n i b u s in curru c o n l o -
cat A u t o m e d o n t e m illum, sui sceleris a c e r b i s s i m i n e f a -
riaeque victoriae n u n t i u m ? non orat ut earn n o c t e m
pervigilet, ut h o n o r i s sui causa l a b o r e t , ut C a p i t o n i
q u a m p r i m u m nuntiet?
f C r s f x . roscius 89

Sextus Roscius w u r d e ermordet, als er von einer Einladung


z u r ü c k k e h r t e ; es war noch nicht wieder hell, und man w u ß t e
es in Ameria. W a s bedeutet diese unglaubliche Fahrt, was
die große G e s c h w i n d i g k e i t und Eile? Ich frage nicht, wer ihn
g e t ö t e t hat; du brauchst nichts zu befürchten, Glaucia! Ich
untersuche dich nicht, o b du zufällig eine Waffe bei dir gehabt
hast; ich forsche nicht nach. Ich glaube nicht, daß es etwas
für mich ausmacht: da ich herausbringe, wer seine Ermor-
d u n g geplant hat, k ü m m e r t mich nicht, von wessen Hand er
getötet wurde. Ich greife nur diesen Punkt heraus, den mir
dein offenkundiges Verbrechen und der klare Sachverhalt an
die Hand g i b t : w o oder woher hörte Glaucia davon? W i e
brachte er die Angelegenheit so schnell in Erfahrung? Nehmen
wir an, er habe sofort davon gehört: welcher Umstand z w a n g
ihn, in einer N a c h t eine so große Wegstrecke zurückzulegen?
Welche N o t bedrängte ihn so sehr, daß er, wenn er aus eige-
nem Entschluß nach Ameria reiste, z u dieser Z e i t aus R o m
aufbrach und sich während der ganzen N a c h t keine R u h e
gönnte?
M u ß man bei so durchsichtigen Dingen noch nach einer
Beweisführung fragen oder zu einer M u t m a ß u n g greifen?
G l a u b t ihr nicht, was ihr gehört habt, mit den A u g e n wahr-
zunehmen, ihr Richter? Seht ihr nicht, wie jener Unglück-
liche, sein Schicksal nicht ahnend, von der Einladung zurück-
kehrt, seht ihr nicht den Hinterhalt, den man ihm gelegt hat,
nicht den plötzlichen Überfall? Erscheint nicht bei der Blut-
tat Glaucia v o r euren A u g e n ? Ist nicht der T . R o s c i u s dabei?
Drängt er nicht mit eigener Hand seinen Automedon " in den
Wagen, den Boten seines bitter schmerzlichen Verbrechens
und seines frevelhaften Sieges? Bittet er ihn nicht, er solle
die N a c h t durchwachen, sich um seines Ansehens willen alle
M ü h e geben, dem C a p i t o so schnell w i e möglich die Nach-
richt überbringen?
9° PRO S E X . ROSCIO AMERINO

Q u i d erat quod C a p i t o n e m p r i m u m scire vellet? 99


N e s c i o , nisi hoc video, C a p i t o n e m in his bonis esse
socium; de tribus et decern f u n d i s tris nobilissimos
f u n d o s eum video possidere. A u d i o praeterea non hanc 100
suspicionem nunc p r i m u m in C a p i t o n e m conferri; mul-
tas esse infamis eius palmas, hanc p r i m a m esse tarnen
lemniscatam quae R o m a ei deferatur; nullum modum
esse hominis occidendi q u o ille non aliquot occiderit,
multos ferro, multos veneno. H a b e o etiam dicere quem
contra morem maiorum minorem annis LX de ponte in
T i b e r i m deiecerit. Q u a e , si prodierit atque adeo cum
prodierit - scio enim proditurum esse - audiet. Veniat 101
modo, explicet s u u m volumen illud quod ei planum
facere p o s s u m E r u c i u m conscripsisse; quod aiunt illum
S e x . Roscio intentasse et minitatum esse se omnia ilia
pro testimonio esse dicturum. О praeclarum testem,
iudices! о gravitatem dignam exspectatione! о vitam
honestam atque eius modi ut libentibus animis ad eius
testimonium vestrum ius iurandum accommodetis!
Profecto non tarn perspicue nos istorum maleficia vide-
remus, nisi ipsos caecos redderet cupiditas et avaritia et
audacia.

A l t e r ex ipsa caede volucrem nuntium A m e r i a m ad 102


socium atque adeo magistrum s u u m misit ut, si dissi-
mulare omnes cuperent se scire ad quem maleficium
pertineret, tarnen ipse apertum s u u m scelus ante om-
FCR S F X . ROSCIUS 91
Weshalb wollte er denn, daß Capito zuerst davon erführe?
Ich weiß es nicht; ich sehe nur, daß Capito Teilhaber an dem
Vermögen ist; ich sehe, daß er die drei schönsten Güter von
dreizehn in seinem Besitz hat. Ich höre außerdem, daß man
jetzt nicht zum ersten Male einen derartigen Verdacht gegen
Capito hegt, daß er schon viele schimpfliche Lorbeeren da-
vongetragen hat, daß jedoch dieser hier der erste ist, den
man ihm mit Bändern geschmückt aus Rom überbracht hat 34 ,
daß es keine Art gibt, einen Menschen zu töten, auf die er
nicht schon einige getötet hat: viele mit der Waffe, viele mit
Gift. Ich weiß auch jemanden zu nennen, der von ihm wider
den Brauch der Vorfahren noch nicht sechzig Jahre alt von
der Brücke in den Tiber gestürzt worden ist 35 . Diese Dinge
wird er zu hören bekommen, falls er als Zeuge auftritt, oder
richtiger: sobald er auftritt; denn ich weiß, daß er auftreten
wird. Er mag nur kommen und seine Niederschrift entfalten,
von der ich ihm beweisen kann, daß Erucius sie verfaßt hat;
es heißt, er habe sie dem Sextus Roscius entgegengestreckt
und gedroht, er wolle alles, was darin stehe, als Zeugnis aus-
sagen. Ein hervorragender Zeuge, ihr Richter! Ein fester
Charakter, wert, daß man auf ihn gespannt ist! Ein ehrbares
Leben, und zwar von der Art, daß ihr mit Freuden euer be-
schworenes Urteil von dem Zeugnisse dieses Mannes ab-
hängig macht! Wahrhaftig, wir würden die Missetaten dieser
Schufte nicht so deutlich bemerken, wären sie nicht selbst
mit Blindheit geschlagen vor Eigennutz, Habgier und Ver-
wegenheit.
Der eine entsandte unmittelbar nach dem Mord einen be-
flügelten Boten nach Ameria zu seinem Genossen oder viel-
mehr seinem Lehrmeister: wenn alle verbergen wollten, daß
sie wüßten, wer mit dieser Missetat zu tun habe, er selbst
würde gleichwohl schon hierdurch sein Verbrechen vor aller
Augen ausbreiten. Der andere wird, wenn es den unsterb-
9* PRO S E X . ROSCIO AMERINO

nium oculos poneret. Alter, si dis immortalibus placet,


testimonium etiam in Sex. Roscium dicturus est; quasi
vero id nunc agatur, utrum is quod dixerit credendum,
ac non quod fecerit vindicandum sit. Itaque more
maiorum comparatum est ut in minimis rebus homines
amplissimi testimonium de sua re non dicerent. Africa-
nus qui suo cognomine declarat tertiam partem orbis
terrarum se subegisse tarnen, si sua res ageretur, testi-
monium non diceret; nam illud in talem virum non
audeo dicere: Si diceret, non crederetur. Videte nunc
quam versa et mutata in peiorem partem sint omnia.
C u m de bonis et de caede agatur, testimonium dicturus
est is qui et sector est et sicarius, hoc est qui et illorum
ipsorum bonorum de quibus agitur emptor atque pos-
sessor est et eum hominem occidendum curavit de cuius
morte quaeritur.

Quid? tu, v i r o p t i m e , ecquid habes quod dicas? mihi


ausculta: vide ne tibi desis; tua quoque res permagna
agitur. Multa scelerate, multa audaciter, multa im-
probe fecisti, unum stultissime, profecto tua sponte
non de Eruci sententia: nihil opus fuit te istic sedere.
Neque enim accusatore muto neque teste quisquam
utitur eo qui de accusatoris subsellio surgit. Hue acce-
dit quod paulo tarnen occultior atque tectior vestra ista
cupiditas esset. N u n c quid est quod quisquam ex vobis
audire desideret, cum quae facitis eius modi sint ut ea
dedita opera a nobis contra vosmet ipsos facere videa-
mini?
FCR S F X . ROSCILS 93

liehen Göttern gefallt, sogar Zeugnis gegen Sextus Roscius


ablegen: als ob es jetzt darum ginge, ob man seinen Behaup-
tungen glauben darf, und nicht darum, ob seine Taten be-
straft werden müssen. Deshalb hat es der Brauch der Vor-
fahren so eingerichtet, daß auch bei den geringsten Ange-
legenheiten die angesehensten Leute kein Zeugnis über eine
Sache ablegen dürfen, die sie selbst angeht. Africanus weist
durch seinen Beinamen darauf hin, daß er ein Drittel des
Erdkreises bezwungen hat; gleichwohl hätte er kein Zeugnis
abgelegt, wenn seine eigene Sache verhandelt worden wäre -
denn so etwas wage ich nicht gegen einen solchen Mann
vorzubringen: wenn er Zeugnis abgelegt hätte, wäre ihm
nicht geglaubt worden. Betrachtet nun, wie sehr sich alles
zum Schlechteren gewandelt und verändert hat. Während es
um ein Vermögen und um einen Mord geht, ist ein Auf-
käufer und Bandit willens, Zeugnis abzulegen, das heißt je-
mand, der Käufer und Besitzer eben des Vermögens ist, um
das es sich hier handelt, und der die Ermordung des Mannes
veranlaßte, dessen Tod jetzt untersucht wird.
Wie, bester Mann? Du hast etwas, was du vorbringen
kannst 34 ? Höre auf mich: gib acht, daß du dir nicht schadest;
es geht um eine Sache, die auch für dich von großer Bedeu-
tung ist. Vieles hast du frevelhaft, vieles dreist, vieles unver-
schämt angefangen, eines aber sehr dumm, und wahrhaftig
aus eigenem Entschluß, nicht nach dem Sinn des Erucius: du
hattest keinen Grund, dort zu sitzen. Denn niemand stützt
sich auf einen stummen Ankläger, noch auf einen Zeugen,
der sich von der Anklagebank erhebt. Hierzu kommt, daß
eure Habsucht gleichwohl etwas geheimer und versteckter
wäre. Doch jetzt: was wünschte da jemand von euch zu ver-
nehmen? Denn eure Handlungen sind derart, daß man den
Eindruck hat, ihr handeltet absichtlich zu unseren Gunsten
und euch selbst zuwider.
94 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

A g e nunc ilia videamus, iudices, quae stacim conse- 105


cuta sunt. A d Yolaterras in castra L . Sullae mors S e x .
Rosci q u a d r i d u o q u o is occisus est C h r v s o g o n o nuntia-
tur. Quaeritur etiam nunc quis eum nuntium miserit?
nonne perspicuum est eundem qui A m e r i a m ? C u r a t
C h r v s o g o n u s ut eius bona veneant statim; qui non norat
hominem aut rem. A t qui ei venit in mentem praedia
concupiscere hominis ignoti q u e m omnino numquam
viderat? Soletis, c u m aliquid huiusce modi audistis,
iudices, continuo dicere: " N e c e s s e est aliquem dixisse
municipem aut vicinum; ei p l e r u m q u e indicant, per eos
plerique p r o d u n t u r . " H i c nihil est quod suspicione 106
occupetis. N o n enim ego ita disputabo: " Y e r i simile est
Roscios istam rem ad C h r v s o g o n u m detulisse; erat
enim eis c u m C h r v s o g o n o iam antea amicitia; nam c u m
multos veteres a maioribus Roscii patronos hospitesque
haberent, omnis eos colere atque observare destiterunt
ac se in C h r v s o g o n i f i d e m et clientelam contulerunt."
H a e c possum omnia vere dicere, sed in hac causa 107
coniectura nihil opus est; ipsos certo scio non negare ad
haec bona C h r v s o g o n u m accessissc impulsu suo. Si
eum qui indici causa partem acceperit oculis cernetis,
poteritisne dubitare, iudices, qui indicarit? Qui sunt
igitur in istis bonis quibus partem C h r v s o g o n u s dede-
rit? D u o Roscii. N u m quisnam praeterea? N e m o est,
KÜR S E X . ROSCIUS 95

Weiter denn, ihr Richter, wir wollen die Ereignisse be-


trachten, die unmittelbar folgten. Der Tod des Sextus Roscius
wurde dem Chrysogonus nach Volaterrae in das Lager des
L.Sulla gemeldet, ehe nur vier Tage seit seiner Ermordung
vergangen waren. Fragt man auch jetzt noch, wer diese Bot-
schaft gesandt hat? Ist nicht durchsichtig, daß es derselbe
war, der sie nach Ameria gesandt hatte? Chrysogonus trägt
Sorge, daß der Besitz des Sextus Roscius alsbald verkauft
wird - er, der weder Person noch Sache kannte. Doch wie
kam er auf den Gedanken, die Güter einer ihm unbekannten
Person haben zu wollen, die er in seinem ganzen Leben nicht
gesehen hatte? Wenn ihr etwas derartiges hört, ihr Richter,
dann pflegt ihr sofort zu sagen: «Ein Mitbürger oder Nach-
bar muß es gesagt haben; meist sind es diese Leute, die An-
zeige erstatten; durch sie werden die meisten verraten.»
Doch hier braucht ihr euch nicht auf einen Verdacht zu ver-
lassen. Denn ich werde euch die Sache nicht so auseinander-
setzen: «Es ist wahrscheinlich, daß die beiden Roscier dem
Chrysogonus die Nachricht hinterbracht haben. Sie waren
nämlich schon vorher mit Chrysogonus befreundet. Denn
die Roscier hatten zwar viele von den Vorfahren überkom-
mene Beziehungen zu Sachwaltern und Gastfreunden; sie
pflegten und achteten jedoch keine einzige mehr, sondern
begaben sich in die Obhut und den Schutz des Chrysogonus.»
Alles dies könnte ich der Wahrheit gemäß versichern, doch
bedarf es in dieser Sache keiner Mutmaßung: wie ich mit
Bestimmtheit weiß, geben sie selbst zu, daß sich Chrysogonus
auf ihre Veranlassung hin mit dem Vermögen befaßt hat.
Wenn ihr den Mann, der für eine Anzeige einen Anteil er-
halten hat, vor euch seht, werdet ihr da noch zweifeln können,
ihr Richter, wer die Anzeige erstattet hat? Wer sind also die
Leute, denen Chrysogonus wegen dieses Vermögens einen
Anteil gewährt hat? Zwei Roscier. Etwa außerdem noch je-
96 PRO S E X . ROSCIO A M E R I N O

iudices. N u m ergo dubium est quin ei obtulerint hanc


praedam C h r y s o g o n o qui ab eo partem praedae tule-
runt?
A g e nunc ex ipsius Chrvsogoni iudicio Rosciorum ιυΗ
factum consideremus. Si nihil in ista pugna Roscii quod
operae pretium esset fecerant, quam ob causam a C h r y -
sogono tantis praemiis donabantur? si nihil aliud fece-
runt nisi rem detulerunt, nonne satis fuit eis gratias agi,
denique, ut perliberaliter ageretur, honoris aliquid ha-
beri? C u r tria praedia tantae pecuniae statim Capitoni
dantur? cur quae rcliqua sunt iste Γ. Roscius omnia
cum C h r y s o g o n o communiter possidet? N o n n e perspi-
cuum est, iudices, has manubias Rosciis Chrvsogonum
re cognita concessisse?

Venit in decern primis legatus in castra Capito. Vos 109


totam vitam naturam moresque hominis ex ipsa lega-
tione cognoscite. Nisi intellexeritis, iudices, nullum
esse o f f i c i u m , nullum ius tam sanctum atque integrum
quod non eius scelus atque perfidia violarit et imminuc-
rit, virum optimum esse eum iudicatote. Impedimento no
est quo minus de his rebus Sulla doceatur, ceterorum
legatorum consilia et voluntatem C h r v s o g o n o enuntiat,
monet ut provideat ne palam res agatur, ostendit, si
sublata sit venditio bonorum, ilium pecuniam grandem
amissurum, sese capitis periculum aditurum; ilium
acuere, hos qui simul erant missi fallere, ilium ident-
idem monere ut caveret, hisce insidiose spem falsam
FÜR SF Χ . ROSCILS 97

mand? Nein, ihr Richter. Ist somit noch zweifelhaft, daß dem
Chrysogonus diese Beute von denen dargebracht wurde, die
von ihm einen Teil der Beute erhielten?
Gut denn, beurteilen wir das Verhalten der Roscier jetzt
einmal vom Standpunkt des Chrysogonus aus! Wenn die
Roscier in dieser Schlacht nichts Wesentliches geleistet hat-
ten, weshalb erhielten sie dann von Chrysogonus so große
Belohnungen? Wenn sie ihm die Sache lediglich mitteilten,
genügte es da nicht, ihnen Dank zu sagen, oder gar, damit es
recht großzügig hergehe, eine Erkenntlichkeit zu gewähren?
Warum werden dem Capito auf der Stelle drei so wertvolle
Güter übergeben? Warum besitzt der T.Roscius alles übrige
mit Chrysogonus gemeinsam? Ist nicht durchsichtig, ihr
Richter, daß Chrysogonus, von der Sachlage unterrichtet,
hiermit den Rosciern einen Raubanteil bewilligte?
Capito kommt mit den übrigen neun Vorstehern als Ge-
sandter ins Lager. Gerade aus dieser Gesandtschaft könnt ihr
auf seine gesamte Lebensführung, sein Wesen und Benehmen
Schlüsse ziehen: haltet ihn für einen vortrefflichen Mann, ihr
Richter, wenn euch nicht deutlich wird, daß es keine Pflicht,
keine Satzung gibt, und sei sie noch so heilig und unverletz-
lich, die seine verbrecherische Tücke nicht entweiht und an-
gttastet hätte. Er verhindert, daß Sulla erfährt, was vorge-
fallen war; er teilt dem Chrysogonus die Entschlüsse und
Absichten der übrigen Gesandten mit; er fordert ihn auf,
Sorge zu tragen, daß die Sache nicht vor Zeugen verhandelt
werde; er legt dar, daß Chrysogonus einen bedeutenden Be-
sitz einbüße, er selbst aber sein Leben aufs Spiel setze, falls
der Vermögensverkauf rückgängig gemacht würde; er treibt
den einen an; er täuscht die anderen, die mit ihm abgesandt
waren; er bedeutet dem einen ohne Unterlaß, er solle sich in
acht nehmen; er gaukelt den anderen hinterlistig Trugaus-
sichten vor; im Bunde mit dem einen schmiedet er Ränke
98 PRO S E X . ROSCIO A M E R I N O

ostendere, cum illo contra hos inire consilia, horum


consilia Uli enuntiare, cum illo partem suam depecisci,
hisce aliqua fretus mora semper omnis aditus ad Sullam
intercludere. Postremo isto hortatore, auctore, inter-
cessore ad Sullam legati non adierunt; istius fide ас
potius perfidia decepti, id quod ex ipsis cognoscere
poteritis, si accusator voluerit testimonium eis denun-
tiare, pro re certa spem falsam domum rettulerunt.

In privatis rebus si qui rem mandatam non modo in


malitiosius gessisset sui quaestus aut commodi causa
verum etiam neglegentius, eum maiores s u m m u m ad-
misisse dedecus existimabant. Itaque mandati constitu-
tum est iudicium non minus turpe quam furti, credo,
propterea quod quibus in rebus ipsi interesse non pos-
sumus, in eis operae nostrae vicaria fides amicorum
supponitur; quam qui laedit, oppugnat omnium com-
mune praesidium et, quantum in ipso est, disturbat
vitae societatem. N o n enim possumus omnia per nos
agere; alius in alia est re magis utilis. Idcirco amicitiae
comparantur ut commune commodum mutuis officiis
gubernetur. Quid rccipis mandatum, si aut neglecturus 112
aut ad tuum commodum conversurus es? cur mihi te
offers ac meis commodis o f f i c i o simulato o f f i c i s et
obstas? Recede de medio; per alium transigam. Suscipis
FÜR SEX. ROSCIL'S 99

gegen die anderen; er teilt dem einen die Entschlüsse der


anderen mit; er handelt mit dem einen seinen Anteil aus; er
verwehrt den anderen ständig jeglichen Zutritt zu Sulla, da
er sich von einigem Aufschub Erfolg verspricht. Schließlich
verzichteten die Gesandten, indem er ihnen gut zuredete,
seinen Einfluß geltend machte und sich verbürgte, auf den
Zutritt bei Sulla; durch sein Wort, oder richtiger, durch
seinen Wortbruch getäuscht, brachten sie statt eines sicheren
Erfolges eine unbegründete Aussicht nach Hause zurück: ihr
könnt es von ihnen selbst erfahren, wenn sich der Ankläger
herbeilassen sollte, sie als Zeugen aufzubieten.
Wie die Vorfahren glaubten, beging man in privaten An-
gelegenheiten die ärgste Schändlichkeit, wenn man einen
Auftrag, um sich zu bereichern oder einen Vorteil zu erlangen,
mit hinterhältigen Absichten ausgeführt, ja sogar, wenn man
sich hierbei nur ein wenig nachlässig verhalten hatte. Daher
wurde die Klage aus dem Auftragsverhältnis zugelassen, die
keinen geringeren Schimpf einbringt als die Diebstahls-
klage 17 - wie ich glaube, aus folgendem Grund: bei den Ge-
schäften, die wir selbst nicht wahrnehmen können, tritt die
Zuverlässigkeit von Freunden an die Stelle unserer eigenen
Mühewaltung, und wer es hieran fehlen läßt, der bekämpft
eine dem Schutze aller dienende Einrichtung und zerstört, so-
viel an ihm liegt, die menschliche Lebensgemeinschaft. Denn
es ist unmöglich, daß wir alle unsere Angelegenheiten selbst
besorgen; ein jeder eignet sich für etwas anderes. So werden
freundschaftliche Beziehungen angeknüpft: wechselseitige
Dienste sollen das Wohl der Gemeinschaft (ordern. Warum
übernimmst du einen Auftrag, wenn du ihn entweder nach-
lässig ausführen oder zu deinem eigenen Vorteil mißbrauchen
willst? Warum bietest du dich mir an und beeinträchtigst
und hintertreibst durch erheuchelte Dienstfertigkeit mein
Wohl? Pack dich; ich lasse die Sache durch einen anderen er-
ΙΟΟ PRO SEX. ROSCIO AMERINO

onus offici q u o d te putas sustinere posse; quod maxime


videtur grave eis qui minime ipsi leves sunt. Ergo
idcirco turpis haec culpa est, q u o d duas res sanctissimas
violat, amicitiam et f i d e m . N a m n e q u e mandat quis-
q u a m fere nisi amico n e q u e credit nisi ei q u e m fidelem
putat. Perditissimi est igitur hominis simul et amici-
tiam dissolvere et fallere e u m qui laesus non esset, nisi
credidisset.

Itane est? in minimis rebus qui m a n d a t u m neglexe-


rit, turpissimo iudicio c o n d e m n e t u r necesse est, in re
tanta c u m is cui fama m o r t u i , f o r t u n a e vivi c o m m e n d a -
tae sunt atque concreditae, ignominia m o r t u u m , inopia
vivum adfecerit, is inter honestos homines atque adeo
inter vivos n u m e r a b i t u r r In minimis privatisque rebus
etiam neglegentia mandati in crimen iudiciumque infa-
miae vocatur, propterea q u o d , si recte fiat, ilium negle-
gere oporteat qui m a n d a r i t non ilium qui m a n d a t u m
reccperit; in rc tanta quae publico gesta atque commissa
sit qui non neglegentia privatum aliquod c o m m o d u m
laeserit sed perfidia legationis ipsius caerimoniam pol-
luerit maculaque adfecerit, qua is t a n d e m poena adfi-
cietur aut q u o iudicio d a m n a b i t u r ?

Si hanc ei rem privatim Sex. Roscius mandavisset ut


c u m C h r v s o g o n o transigeret atque decideret, i n q u e
FÜR SEX. ROSCIL'S ΙΟΙ

ledigen. Du nimmst die Pflichtenlast auf dich, die du glaubst


tragen zu können: sie erscheint denen am meisten beschwer-
lich, die selbst am wenigsten leichtfertig sind. Deshalb also
ist ein Verschulden dieser Art schimpflich, weil es zwei sehr
ehrwürdige Dinge verletzt: die Freundschaft und die T r e u e .
Denn fast niemand gibt einem anderen Aufträge als seinem
Freunde, noch traut er jemandem, es sei denn, er hält ihn für
treu. N u r ein ganz verworfener Mensch ist somit fähig, zu-
gleich die Freundschaft aufzulösen und den zu täuschen, der
nicht geschädigt worden wäre, hätte er nicht jemandem sein
Vertrauen geschenkt.
So steht es also? Bei den geringsten Angelegenheiten wird
ein nachlässiger Beauftragter notwendigerweise auf G r u n d
einer Klage verurteilt, die größten Schimpf einbringt? Doch
bei einer so wichtigen Sache soll jemand unter die ehrenhaften
Leute oder auch nur unter die Lebenden gerechnet werden,
dem die Ehre eines T o t e n , das Vermögen eines Lebenden an-
vertraut und überantwortet sind und der gleichwohl dem
Toten Schande, dem Lebenden A r m u t gebracht hat? Bei den
geringsten Privatangelegenheiten ist sogar die nachlässige
Erledigung eines Auftrags einem Schuldvorwurf und ent-
ehrenden Verfahren ausgesetzt, weil, wenn es ordentlich zu-
gehen soll, zwar der Auftraggeber, nicht aber der Beauftragte
nachlässig sein darf. Doch wenn jemand bei einer so wichtigen
Sache, die im Namen der Bürgerschaft ausgeführt und ins
Werk gesetzt wurde, nicht irgendeinem privaten Vorteil
fahrlässig zuwidergehandelt, sondern heimtückisch sogar die
Heiligkeit der Gesandtschaft verletzt und geschändet hat,
was für eine Strafe soll er dann eigentlich erhalten, oder in
was für einem Verfahren soll er abgeurteilt werden?
Gesetzt, Sextus Roscius hätte den Capito nach privatem
Recht beauftragt, sich mit Chrysogonus zu vergleichen und
ein Abkommen zu treffen und hierauf nötigenfalls sein Ehren-
юд PRO S E X . ROSCIO AMERINO

earn rem fidem suam, si quid opus esse putaret, interpo-


lieret, ille qui sese facturum recepisset, nonne, si ex eo
negotio tantulum in rem suam convertisset, damnatus
per arbitrum et rem restitueret et honestatem omnem
amitteret? N u n c non hanc ei rem Sex. Roscius manda-
vit sed, id quod multo gravius est, ipse S e x . Roscius
cum fama vita bonisque omnibus a decurionibus pu-
blice T . Roscio mandatus est; et ex eo T . Roscius non
paululum nescio quid in rem suam convertit sed hunc
funditus evertit bonis, ipse tria praedia sibi depectus
est, voluntatem decurionum ac municipum omnium
tantidem quanti fidem suam fecit.

Videte iam porro cetera, iudices, ut intellegatis fingi


maleficium nullum posse quo iste sese non contamina-
n t . In rebus minoribus socium fallere turpissimum est
aequeque turpe atque illud de quo ante dixi; neque
iniuria, propterea quod auxilium sibi se putat adiun-
xisse qui cum altero rem communicavit. Ad cuius igitur
fidem confugiet, cum per eius fidem laeditur cui sc
commiserit? Atque ea sunt animadvertenda peccata
maxime quae difficillime praecaventur. Tecti esse ad
alienos possumus, intimi multa apertiora videant ne-
cesse est; socium cavere qui possumus? quem etiam si
metuimus, ius offici laedimus. Recte igitur maiores
eum qui socium fefellisset in virorum bonorum numero
non putarunt haberi oportere.
KÜR S E X . ROSCIUS

wort zu geben, gesetzt, Capito hätte die Ausführung ver-


sprochen und sich auch nur im geringsten an diesem Handel
bereichert, würde er dann nicht auf Grund eines richterlichen
Urteils das Erlangte zurückerstatten und seiner Ehrenrechte
verlustig gehen? Doch in Wirklichkeit hat nicht Sextus
Roscius ihn hiermit beauftragt, sondern, was viel schwerer
wiegt, Sextus Roscius selber wurde mitsamt seiner Ehre,
seinem Leben und seinem ganzen Besitz dem T . Roscius
namens der Bürgerschaft von den Ratsherren aufgetragen,
und hieran hat sich T . Roscius nicht um irgendeine Kleinig-
keit bereichert, sondern er vertrieb den Sextus Roscius gänz-
lich von seinem Besitz, er handelte für sich selbst drei Güter
aus, er achtete den Willen der Ratsherren und sämtlicher
Bürger genau so gering wie sein eigenes Wort.
Betrachtet nunmehr das Weitere, ihr Richter: ihr sollt er-
kennen, daß sich keine Missetat ausdenken Iäßt, durch die
sich dieser Schuft nicht entehrt hat. Bei geringeren Ange-
legenheiten bringt es die größte Schande ein, seinen Teil-
haber zu betrügen, und zwar ebensoviel Schande wie die Tat,
über die ich soeben sprach.3®. Nicht zu Unrecht. Denn wer
mit einem anderen gemeinsame Sache macht, glaubt sich
einen Beistand zu verschaffen: wessen Treueversprechen kann
ihm denn noch als Zuflucht dienen, wenn er durch das Treue-
versprechen dessen geschädigt wird, dem er sich anvertraut
hat? Man muß nämlich die Vergehen am härtesten bestrafen,
die zu verhüten am schwierigsten ist. Gegen Fremde können
wir uns abschirmen; den Blicken Nahestehender zeigt sich
notwendigerweise vieles in größerer Offenheit; wie aber ver-
mögen wir uns vor einem Teilhaber in acht zu nehmen? Denn
wenn wir ihm mit Zurückhaltung begegnen, verletzen wir
die uns rechtlich auferlegte Treuepflicht. Mit Recht glaubten
also die Vorfahren, daß man jemanden, der seinen Teilhaber
betrog, nicht unter die ehrenhaften Männer rechnen dürfe.
I04 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

A t vero Ί . Roscius поп u n u m rei pecuniariae socium 117


fefellit, q u o d , tametsi grave est, tarnen aliquo modo
posse ferri videtur, verum novem homines honestissi-
mos, eiusdem muneris, legationis, o f f i c i mandatorum-
que socios, induxit, decepit, destituit, adversariis tradi-
dit, omni fraude et perfidia fefellit; qui de scelere
suspicari eius nihil potuerunt, socium o f f i c i metuere
поп debuerunt, eius malitiam поп viderunt, orationi
vanae crediderunt. Itaque nunc illi homines honestis-
simi propter istius insidias parum putantur cauti provi-
dique fuisse; iste qui initio proditor fuit, deinde per-
f u g a , qui primo sociorum consilia adversariis enuntia-
vit, deinde societatcm cum ipsis adversariis coiit, terret
etiam nos ac minatur tribus praediis, hoc est praemiis
sceleris, ornatus.

In eius modi vita, iudices, in his tot tantisque flagitiis


hoc q u o q u e maleficium de q u o iudicium est reperietis.
Etenim quaerere ita debetis: ubi multa avare, multa 118
audacter, multa improbe, multa perfidiose facta videbi-
tis, ibi scclus q u o q u e latere inter ilia tot flagitia pu-
tatote. Tametsi hoc quidem mininie latet quod ita
promptum et propositum est ut поп ex illis maleficiis
quae in illo constat esse hoc intellegatur verum ex hoc
etiam, si quo de illorum forte dubitabitur, convincatur.
Q u i d tandem, quaeso, iudices? num aut ille lanista
FÜR S F X . ROSCILS

T . Roscius jedoch hat nicht den einzigen Teilhaber eines


wirtschaftlichen Unternehmens betrogen, eine Tat, die sich,
so schwer sie ist, immerhin irgendwie ertragen läßt, sondern
er hat neun hochangesehene Männer, die Teilhaber an der-
selben Obliegenheit, Gesandtschaft, Amtspflicht und Voll-
macht, verleitet, getäuscht, im Stich gelassen, den Gegnern
ausgeliefert, dyrch Tücken und Treuebrüche jeder Art be-
trogen; sie aber konnten von seinem Verbrechen nichts
ahnen, sie durften vor dem Teilhaber an ihrer Amtspflicht
keine Scheu tragen, sie bemerkten seine Bosheit nicht, sie
trauten seinen lügenhaften Worten. Und so stehen jetzt die
angesehensten Männer wegen der Heimtücke dieses Schurken
in dem Verdacht, sie seien nicht behutsam und vorsichtig
genug gewesen; er aber, der zu Anfang ein Verräter war,
dann ein Überläufer, der den Gegnern zuerst die Entschlüsse
der Teilhaber mitteilte, dann gar eine Teilhaberschaft mit den
Gegnern abschloß, dieser Mann, im Besitze von drei Gütern,
will sagen dem Lohn seines Verbrechens, sucht auch uns zu
schrecken und Furcht einzuflößen.
In einem derartigen Leben, ihr Richter, unter diesen zahl-
reichen und argen Schändlichkeiten werdet ihr auch die Misse-
tat entdecken, die hier zur Verhandlung steht. Ihr müßt näm-
lich so vorgehen: wo ihr viele aus Habgier, viele aus Drei-
stigkeit, viele aus Bosheit, viele aus Heimtücke begangene Ta-
ten bemerkt, dort, unter so vielen Schändlichkeiten, mögt ihr
auch den Schlupfwinkel eines Verbrechens vermuten. Indes
ist dieses Verbrechen durchaus nicht in einem Schlupfwinkel
verborgen: es zeigt sich offen und vor aller Augen, und man
kann daher nicht nur aus den Übeltaten, die dem Capito er-
wiesenermaßen anhaften, auf das Verbrechen schließen, son-
dern den Beweis auch auf das Verbrechen stützen, wenn über
irgendeine seiner Übeltaten Zweifel bestehen sollten. Ich bitte
euch, ihr Richter, woran fehlt es denn noch! Ist es glaublich,
PRO S F X . R O S C I O A M E R I N O

o m n i n o iam a gladio recessisse videtur aut hie discipu-


lus magistro tantulum de arte concedere? Par est avari-
tia, similis improbitas, eadem i m p u d e n t i a , gemina au-
dacia.

Etenim, quoniam fidem magistri cognostis, cognos- ity


cite n u n c discipuli aequitatem. Dixi iam antea saepe
n u m e r o postulatos esse ab istis duos servos in quaestio-
nem. T u semper, T . Rosci, recusasti. Q u a e r o abs te:
"Eine qui postulabant indigni erant qui impetrarent, an
is te n o n commovebat pro q u o postulabant, an res ipsa
tibi iniqua videbatur?" Postulabant homines nobilis-
simi atque integerrimi nostrae civitatis quos iam antea
nominavi; qui ita vixerunt talesque a populo Romano
p u t a n t u r ut quicquid dicerent n e m o esset qui non
a e q u u m putaret. Postulabant autem pro homine miser-
rimo atque infelicissimo qui vel ipse sese in cruciatum
dari cuperet, d u m de patris morte quareretur.

Res porro abs te eius modi postulabatur ut nihil no


interesset, u t r u m earn rem recusares an de maleficio
confiterere. Q u a e cum ita sint, quaero abs te q u a m ob
causam recusaris. C u m occiditur Sex. Roscius ibidem
f u e r u n t . Servos ipsos, quod ad me attinet, neque arguo
neque purgo; quod a vobis oppugnari video ne in quaes-
tionem dentur, suspiciosum est; quod vero apud vos
ipsos in honore tanto sunt, profecto necesse est sciant
aliquid, quod si dixerint perniciosum vobis f u t u r u m
fCr sex. roscius 107

daß jener Fechtmeister sein Schwert schon gänzlich aus der


Hand gelegt hat oder der Schüler hier seinem Lehrer auch nur
im geringsten an Geschicklichkeit nachsteht"? Und gleich
groß ist ihre Habsucht, ähnlich ihre Gewissenlosigkeit, von
derselben Art ihre Unverschämtheit, verwandt ihre Dreistig-
keit.
Denn wie ihr die Zuverlässigkeit des Lehrers erkannt habt,
so mögt ihr jetzt den Gerechtigkeitssinn des Schülers erken-
nen. Ich sagte schon früher, daß man die beiden zu wieder-
holten Malen gebeten habe, zwei Sklaven für eine peinliche
Vernehmung herauszugeben. Du, T . Roscius, hast dich stets
geweigert. Ich frage dich: waren es die Männer, die dich ba-
ten, nicht wert, Gehör zu finden, oder hattest du kein Mit-
leid mit dem Manne, für den sie baten, oder hieltest du die
Bitte selbst für ungerechtfertigt? Denn es baten dich die an-
gesehensten und lautersten Männer aus unserer Bürgerschaft
(ich nannte sie schon früher); sie haben ein solches Leben ge-
führt und werden vom römischen Volke so hoch geachtet, daß
jedermann jedes ihrer Worte für recht und billig hält. Sie
baten aber für den elendesten und unglücklichsten Menschen,
der sogar sich selbst bereitwillig der Folter übergäbe, damit
nur über den Tod seines Vaters Untersuchung gehalten
würde.
Ferner richtete man eine derartige Bitte an dich, daß es kei-
nen Unterschied machte, ob du sie abschlugst oder die Misse-
tat offen eingestandest. Ich frage dich, warum du sie unter
diesen Umständen abgeschlagen hast. Als Sextus Roscius ge-
tötet wurde, waren die Sklaven an Ort und Stelle. Ich meiner-
seits möchte sie selbst weder beschuldigen noch rechtfertigen;
da jedoch ihr, wie ich sehe, ihrer Herausgabe zum Verhör ent-
gegenarbeitet, erregt ihr Argwohn; da sie vollends gerade bei
euch in hoher Achtung stehen, ist wahrhaftig der Schluß un-
vermeidlich, daß sie etwas wissen, dessen Eingeständnis für
PRO S E X . R O S C I O AMERINO

sit. - "In dominos quaeri de servis iniquum est." - A t non


quaeritur; Sex. enim Roscius reus est; neque enim, cum
de hoc quaeritur, in dominos quaeritur; vos enim domi-
nos esse dicitis. - " C u m C h r v s o g o n o sunt." - Ita credo;
litteris eorum et urbanitate C h r v s o g o n u s ducitur ut
inter suos omnium deliciarum atque omnium artium
puerulos ex tot elegantissimis familiis lectos velit hos
versari, homines paene operarios, ex Amerina disci-
plina patris familiae rusticani. N o n ita est profecto, 121
iudices; non est veri simile ut C h r y s o g o n u s horum
litteras adamarit aut humanitatem, non ut rei familiaris
negotio diligentiam cognorit eorum et fidem. Est quid-
dam quod occultatur; quod quo studiosius ab istis
opprimitur et absconditur, eo magis eminet et apparet.

Quid igiturr C h r v s o g o n u s suine malefici occultandi из


causa quaestioncm de cis haberi non volt? .Vlinime,
iudices; non in omnis arbitror omnia convenire. Ego in
C h r v s o g o n o , quod ad me attinet, nihil cius modi suspi-
cor; neque hoc mihi nunc primum in mentem venit
dicere. Meministis me ita distribuisse initio causam: in
crimen cuius tota argumentatio permissa Erucio est, et
in audaciam cuius partes Rosciis impositae sunt. Quic-
quid malefici, sceleris, caedis erit, proprium id Ros-
ciorum esse debebit. N i m i a m gratiam potentiamque
Chrysogoni dieimus et nobis obstare et perferri nullo
modo posse et a vobis, quoniam potestas data est, non 123
FÜR SEX. ROSCIL'S IO9

euch verderblich wäre. «Es ist ungerecht, Sklaven gegen ihre


Herren zu verhören.» Aber man verhört sie nicht gegen ihre
Herren; denn Sextus Rosaus ist der Angeklagte; wenn man
sie demnach über ihn verhört, dann verhört man sie nicht
gegen ihre Herren; denn ihr behauptet ja, ihre Herren zu sein.
«Sie begleiten Chrysogonus.» Ich glaube es; Chrysogonus ist
über ihre Bildung und Lebensart entzückt, und so wünscht
er, daß sie sich unter seine Bürschchen mischen, die sich auf
allerlei Vergnügungen und allerlei Kunststücke verstehen und
aus zahlreichen Dienerschaften erlesenster Art ausgewählt
sind 40 - diese Gesellen, die nicht viel mehr sind als Hand-
langer, aus Ameria, aus der Zucht eines bäuerlichen Haus-
vaters. Nein, ihr Richter, wirklich nicht: es ist nicht wahr-
scheinlich, daß Chrysogonus die Bildung und feine Art dieser
beiden liebgewonnen, noch, daß er bei einer Vermögensange-
legenheit ihre Sorgfalt und Zuverlässigkeit erkannt hat. Hier
ist ein dunkler Punkt, den man zu verbergen sucht; doch je
geflissentlicher ihn die Ankläger verdecken und verstecken,
desto deutlicher und augenfälliger kommt er zum Vorschein.
Wie? So lehnt denn Chrysogonus die Vernehmung der bei-
den ab, um eine mit eigener Hand begangene Missetat zu ver-
bergen? Keineswegs, ihr Richter. Meiner Meinung nach paßt
nicht alles fur alle, und ich für mein Teil möchte bei Chryso-
gonus nichts derartiges vermuten, noch kommt es mir erst
jetzt in den Sinn, mich so zu äußern. Denn wie ihr euch er-
injiert, habe ich den Fall zu Anfang folgendermaßen einge-
teilt: in den Schuldvorwurf, dessen gesamte Darlegung dem
Erucius anvertraut, und in Skrupellosigkeit, deren Anteil den
Rosciern auferlegt ist. Alles, was sich hier an Gewalttat, Ver-
brechen und Mord findet, muß gewiß den Rosciern zugewie-
sen werden. Von der Person des Chrysogonus aber behaupte
ich, daß ihre allzu große Geltung und Gewalt uns in einer
ganz unerträglichen Weise entgegensteht und daß sie von
I ΙΟ PRO S E X . R O S C I O AMERINO

modo infirmari verum etiam vindicari oportere. Ego sie


existimo, qui quaeri velit ex eis quos constat, cum
caedes facta sit, adfuisse, eum cupere verum inveniri;
qui id recuset, eum profecto, tametsi verbo non audeat,
tarnen re ipsa de maleficio suo confiteri.

Dixi initio, iudices, nolle me plura de istorum scelere


dicere quam causa postularet ac necessitas ipsa cogeret.
N a m et multae res adferri possunt. et una quaeque
earum multis cum argumentis dici potest. Verum ego
quod invitus ас necessario facio neque diu neque dili-
genter facere possum. Q u a e praeteriri nullo modo pot-
erant, ea leviter, iudices, attigi, quae posita sunt in
suspicionibus de quibus, si coepero dicere, pluribus
verbis sit disserendum, ea vestris ingeniis coniecturae-
que committo.

Venio nunc ad illud nomen aureum Chrysogoni sub


quo nomine tota societas latuit; de quo, iudices, neque
quo modo dicam neque quo modo taccam reperirc
possum. Si enim taceo, vel maximam partem relinquo;
sin autem dico, vereor ne non ille solus, id quod ad me
nihil attinet, sed alii quoque plures laesos se putent.
Tametsi ita se res habet ut mihi in communem causam
sectorum dicendum nihil magno opere videatur; haec
enim causa nova profecto et singularis est.

Bonorum S e x . Rosci emptor est Chrysogonus. Pri-


mum hoc videamus: eius hominis bona qua ratione
venierunt aut quo modo venire potuerunt? Atque hoc
FÜR S E X . ROSCIUS

euch, die ihr hierzu befugt seid, nicht nur geschwächt, son-
dern sogar bestraft werden muß. Ich beurteile die Sache so:
wer die Vernehmung derer verlangt, die erwiesenermaßen zu-
gegen waren, als der Mord geschah, der wünscht, daß die
Wahrheit aufgedeckt wird; wer sie jedoch verweigert, der ge-
steht, mag er es mit Worten nicht wagen, gleichwohl durch
sein Verhalten seine Missetat.
Ich erklärte zu Anfang, ihr Richter, ich wolle nicht mehr über
das Verbrechen der Ankläger sagen, als die Sache verlange
und dringende Not erheische. Denn man könnte noch viele
Umstände beibringen und einen jeden mit zahlreichen Bewei-
sen erörtern. Doch ich kann, was ich wider Willen und er-
zwungenermaßen tue, weder lange noch gründlich tun. Was
sich durchaus nicht übergehen ließ, das habe ich flüchtig be-
rührt, ihr Richter; was jedoch auf Verdachtsgründen beruht
und was ich, finge ich erst an, darüber zu sprechen, mit aus-
führlicheren Worten auseinandersetzen müßte, das überlasse
ich eurem Scharfsinn und euren Mutmaßungen.
Ich komme nun zu Chrysogonus, zu diesem Goldnamen 4I ,
unter dessen Schutz sich die ganze Bande versteckt hielt; doch
ich vermag nicht herauszufinden, ihr Richter, wie ich darüber
reden, noch, wie ich schweigen soll. Wenn ich nämlich
schweige, dann lasse ich den allerwichtigsten Teil beiseite;
wenn ich jedoch rede, dann fürchte ich, daß sich nicht nur er
(was mir gleichgültig ist), sondern auch mehrere andere ge-
troffen fühlen. Es steht indes so, daß ich ganz und gar der
Meinung bin, über die Frage der Aufkäufer im allgemeinen
kein Wort verlieren zu müssen; dieser Fall hier ist nämlich
völlig neu und einzigartig.
Chrysogonus ist der Käufer des Vermögens von Sextus Ros-
a u s . Wir wollen zunächst diesen Punkt prüfen: aus welchem
Grunde wurde das Vermögen dieses Mannes verkauft, oder
wie konnte es überhaupt verkauft werden? Und zwar frage
II2 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

non ita quaeram, iudices, ut id dicam esse indignum,


hominis innocentis bona venisse - si enim haec audien-
tur ac libere dicentur, non fuit tantus homo Sex. Ros-
cius in civitate ut de eo potissimum conqueramur -
verum ego hoc quaero: Qui potuerunt ista ipsa lege
quae de proscriptione est, sive Valeria est sive Cornelia
- non enim novi nec scio - verum ista ipsa lege bona
S e x . Rosci venire qui potuerunt? Scriptum enim ita
dicunt e s s e : UT AUT EORUM BONA V E N E A N T QUI PRO-
SCRIPTI SUNT; quo in numero S e x . Roscius non est: AUT
EORUM QUI IN ADVERSARIORUM PRAESIDIIS OCCISI SUNT.
D u m praesidia ulla fuerunt, in Sullae praesidiis fuit;
postea quam ab armis recesserunt, in summo otio red-
iens a cena Romae occisus est. Si lege, bona quoque
lege venisse fateor. Sin autem constat contra omnis non
modo veteres leges verum etiam novas occisum esse,
bona quo iure aut quo modo aut qua lege venierint
quaero.

In quem hoc dicam quaeris, Kruci? Non in cum


quem vis et putas; nam Sullam et oratio mea ab initio et
ipsius eximia virtus omni tempore purgavit. Ego haec
omnia Chrvsogonum fecisse dico, ut ementiretur, ut
malum civem S e x . Roscium fuisse fingeret, ut eum
apud adversarios occisum esse diceret, ut his de rebus a
legatis Amerinorum doceri L. Sullam passus non sit.
KÜR S E X . ROSCIUS "3

ich hiernach nicht mit der Absicht, ihr Richter, zu sagen, es


sei eine Schmach, daß man das Vermögen eines unschuldigen
Menschen verkauft habe. Denn wenn man für diese Dinge ein
Ohr hätte und sie frei äußern könnte, so ließe sich einwenden:
Sextus Roscius war kein so bedeutender Mann in unserem
Staate, daß wir ihn zu allererst beklagen müßten. Mir geht
es jedoch um diese Frage: wie konnte man eigens auf Grund
des Gesetzes über die Ächtung, mag es sich um ein Valerisches
oder Cornelisches Gesetz handeln (ich weiß es nicht und ver-
stehe nichts davon) 42 , wie konnte man eigens auf Grund die-
ses Gesetzes das Vermögen des Sextus Roscius verkaufen?
Es heißt nämlich, der Wortlaut sei folgender: «Es soll das Ver-
mögen derer verkauft werden, die geächtet sind» - hierzu
zählt Sextus Roscius nicht - «und derer, die als Angehörige
feindlicher Schutztruppen gefallen sind.» Solange es über-
haupt Schutztruppen gab, gehörte Sextus Roscius zu den
Schutztruppen Sullas; nach Einstellung der Feindseligkeiten
wurde er im tiefsten Frieden, während er von einer Einladung
heimkehrte, in Rom getötet. Wenn die Tötung gesetzlich war,
dann, gestehe ich, war auch der Vermögensverkauf gesetzlich.
Wenn jedoch feststeht, daß Sextus Roscius wider sämtliche
Gesetze, die alten sowohl wie die neuen 43 , getötet wurde,
dann frage ich, nach welchem Recht oder Grundsatz oder Ge-
setz man das Vermögen verkauft hat.
Du fragst, gegen wen sich diese Worte richten, Erucius?
Nicht gegen den, den du möchtest und meinst; denn die Per-
son Sullas hat mein Vortrag von Anfang an und hat die eigene
hervorragende Tüchtigkeit zu jeder Zeit gerechtfertigt. Ich
sage: dies alles hat Chrysogonus getan; er hat erlogen, er hat
vorgegeben, Sextus Roscius sei ein schlechter Bürger gewe-
sen; er hat behauptet, der Mann sei aufseiten der Feinde ge-
fallen; er hat nicht zugelassen, daß die Abgesandten aus Ame-
ria L.Sulla über den Stand der Dinge unterrichteten.
ιι4 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

D e n i q u e etiam illud suspicor, omnino haec bona non 128


venisse; id quod postea, si per vos, iudices, licitum erit,
aperietur. Opinor enim esse in lege q u a m ad diem
proscriptiones venditionesque fiant, nimirum Kalen-
das Iunias. A l i q u o t post mensis et homo occisus est et
bona venisse dicuntur. Profecto aut haec bona in tabu-
las publicas nulla redierunt nosque ab isto nebulone
facetius eludimur q u a m p u t a m u s , aut, si redierunt,
tabulae publicae corruptee aliqua ratione sunt; nam
lege q u i d e m bona venire non potuisse constat.

Intellego me ante t e m p u s , iudices, haec scrutari et


prope m o d u m errare q u i , cum capiti S e x . Rosci mederi
d e b e a m , reduviam eurem. N o n enim laborat de pecu-
nia, non ullius rationem sui commodi ducit; facile
egestatem suam se laturum putat, si hac indigna suspi-
cione et ficto crimine liberatus sit. V e r u m quaeso a 129
vobis, iudices, ut haec pauca quae restant ita audiatis ut
partim me dicere pro me ipso putetis, partim pro Sex.
Roscio. Q u a e enim mihi ipsi indigna et intolerabilia
videntur quaequc ad omnis, nisi providemus, arbitror
pertinere, ea pro me ipso ex animi mei sensu ас dolore
pronuntio; quae ad huius vitae casum causamque perti-
nent et quid hie pro se dici velit et qua condicione
contentus sit iam in extrema oratione nostra, iudices,
audietis.

E g o haec a C h r y s o g o n o mea sponte remote S e x . 130


Roscio quaero, p r i m u m qua re civis optimi bona venie-
FCR SFX. ROSCILS "5

Endlich habe ich sogar den Verdacht, daß überhaupt kein


Verkauf des Vermögens stattgefunden hat - was sich alsbald,
wenn ihr es gestattet, ihr Richter, zeigen wird 4 4 . Ich möchte
nämlich meinen, daß das Gesetz eine Frist nannte, bis zu der
Ächtungen und Verkäufe möglich waren, und zwar den ersten
Juni. Man sagt, einige Monate später sei der Mann getötet und
sein Vermögen verkauft worden. Wahrhaftig, das Vermögen
kam entweder gar nicht in die staatlichen Rechnungsbücher,
und dieser Schurke treibt mit uns sein Spiel viel neckischer,
als wir ahnen, oder die Bücher wurden, wenn es hineinkam,
irgendwie gefälscht; denn es steht fest, daß man das Vermö-
gen nicht auf G r u n d eines Gesetzes hat verkaufen können.
Doch ich erkenne, ihr Richter, daß ich vor der Z e i t nach
diesen Dingen forsche und geradezu einen Fehler begehe, in-
dem ich mich um Kleinigkeiten kümmere, statt mich, wie ich
sollte, für den Kopf des Sextus Roscius einzusetzen. Denn er
fühlt sich nicht wegen des Geldes b e d r ü c k t ; er k ü m m e r t sich
nicht um irgendeinen Vermögensvorteil; er glaubt, er könne
seine Armut mit Leichtigkeit ertragen, wenn er nur von dem
schmählichen Verdacht und erlogenen Schuldvorwurf befreit
sei. Doch ich bitte euch, ihr R i c h t e r : v e r n e h m t das wenige,
das mir noch zu sagen bleibt, in der Annahme, ich spräche
teils für mich selbst, teils für Sextus Roscius. Denn was mir
persönlich schmachvoll und unerträglich erscheint und was
meines Erachtens alle treffen kann, wenn wir nicht auf der H u t
sind, das trage ich für mich selber vor, wie meine Empfindung
und mein Schmerz mir gebieten; was sich jedoch über Fall
und Lage von dieses Mannes Schicksal sagen läßt und was
er selbst zu seinen Gunsten vorgebracht wissen will und mit
welchem Los er sich b e g n ü g t , ihr Richter, das werdet ihr als-
bald, am Schluß unserer Rede, vernehmen.
Ich möchte aus eigenem Antrieb, unabhängig von Sextus
Roscius, folgendes von Chrysogonus erfahren. Erstens: war-
I 16 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

rint, dcinde qua re hominis eius qui neque proscriptus


neque apud adversarios occisus est bona venierint. cum
in eos solos lex scripta sit, deinde qua re aliquanto post
earn diem venierint quae dies in lege praefinita est.
deinde cur tantulo venierint. Q u a e omnia si. quem ad
m o d u m solent liberti nequam et improbi facere. in
patronum suum voluerit conferre, nihil egerit; nemo est
enim qui nesciat propter magnitudinem rerum multa
multos partim improbante, partim imprudente L . Sulla
commisisse. Placet igitur in his rebus aliquid impru- 131
dentia praeteriri? N o n placet, iudices, sed necesseest.
Etenim si Iuppiter O p t i m u s M a x i m u s cuius nutu et
arbitrio caelum terra mariaque reguntur saepe ventis
vehementioribus aut immoderatis tempestatibus aut
nimio calore aut intolerabili frigore hominibus nocuit,
urbis delevit, fruges perdidit, q u o r u m nihil pernicii
causa divino consilio sed vi ipsa et magnitudine rerum
factum putamus, at contra commoda quibus utimur
lucemque qua f r u i m u r spiritumque quem ducimus ab
eo nobis dari atque impertiri videmus, quid miramur,
iudices, L . S u l l a m , cum solus rem publicam regerct
o r b e m q u e terrarum gubernaret imperiquc maiestatem
q u a m armis receperat iam legibus confirmaret, aliqua
animadvertere non potuisse? nisi hoc mirum est quod
vis divina adsequi non possit, si id mens humana adepta
non sit. Verum ut haec missa faciam quae iam facta 132
sunt, ex eis quae nunc cum m a x i m e fiunt nonne quivis
FÜR S E X . ROSCILS

um wurde das Vermögen eines vortrefflichen Bürgers ver-


kauft? Sodann: warum wurde das Vermögen eines Mannes
verkauft, der weder geächtet noch auf Seiten der Feinde ge-
fallen war, während sich das Gesetz nur gegen diese Gruppen
richtete? Sodann: warum wurde es geraume Zeit nach der im
Gesetz vorgeschriebenen Frist verkauft? Sodann: warum
wurde es für einen so geringen Preis verkauft? Wenn er alle
diese Vorwürfe, wie nichtsnutzige und unredliche Freigelas-
sene zu tun pflegen, auf seinen Schutzherrn abwälzen möchte,
so erreicht er gar nichts; denn es ist allgemein bekannt, daß
der Umfang der Geschäfte vielen vieles zu tun erlaubte, was
L. Sulla zum Teil nicht billigte, zum Teil nicht wußte. So ist
es also gut und recht, daß manches hiervon unbekannt und
straflos bleibt? Nein, ihr Richter, aber es ist unvermeidlich.
Denn auch der allgütige und allmächtige Jupiter, dessen
Wille und Befehl dem Himmel, der Erde und den Meeren ge-
bietet, fügt oft durch allzu heftige Stürme oder entfesselte Un-
gewitter oder allzu große Hitze oder unerträgliche Kälte den
Menschen Schaden zu, zerstört Städte, vernichtet Ernten, und
wir glauben gleichwohl, daß nichts von alledem um des Ver-
derbens willen nach göttlichem Ratschluß geschehe, sondern
unmittelbar durch die furchtbare Gewalt der Elemente ver-
ursacht werde; andererseits aber sehen wir, daß uns die Güter,
die wir nutzen, das Licht, das wir genießen, die Luft, die wir
atmen, von ihm gewährt und zugeteilt werden. Da wundern
wir uns, ihr Richter, daß L. Sulla mancherlei nicht habe bemer-
ken können, als er allein dem Staat gebot und den Erdkreis
beherrschte und nunmehr die Hoheit des Reiches, die er mit
den Waffen wiederhergestellt hatte, durch Gesetze beschützte?
Dann müßte ja wunderbar sein, daß menschlicher Verstand
nicht erreicht hat, was göttliche Kraft nicht bewirken kann.
Indes, ich will auf sich beruhen lassen, was bereits vollendete
Tatsache ist. Die Dinge aber, die sich jetzt in diesem Augen-
Il8 PRO S E X . ROSCIO AMFRINO

potest intellegere o m n i u m architectum et machinato-


rem u n u m esse C h r v s o g o n u m ? qui S e x . Rosci nomen
d e f e r e n d u m curavit, cuius honoris causa accusare se
dixit Erucius . . .

In vico Pallacinae] L o c u s ubi cenaverat Roscius. -


M a x i m e metuit] S u l l a m scilicet. - Derivat tarnen et ait
se] id est suspicionem suam in alium deducit. H o c enim
dicebat C h r y s o g o n u s : " N o n quia timui ne mihi tolle-
r e n t u r b o n a Rosci, i d e o e i u s praedia dissipavi, sed, quia
a e d i f i c a b a m , in Yeientanam ideo de his transtuli." -
Manu praedia praediis] Praediis, occasione, quern ad
m o d u m dicimus: " f a c ad m a n u m ilium codicem". - Hie
ego audire istos cupio] In hoc capite de potentia C h r v s o -
goni invidiam facit, ut enumeret singula deliciarum
genera, quod habeat pluris possessiones, mancipia,
quae omnia dicit de rapinis ipsum habere.

. . . aptam et ratione dispositam se habere existimant,


qui in Sallentinis aut in Bruttiis habent unde vix ter in
anno audire nuntium possunt.

A l t e r tibi descendit de Palatio et aedibus suis; habet 133


animi causa rus amoenum et s u b u r b a n u m , plura prae-
terea praedia neque tamen ullum nisi praeclarum et
p r o p i n q u u m . D o m u s referta vasis Corinthiis et Delia-
cis, in quibus est authepsa ilia q u a m tanto pretio nuper
mercatus est ut qui praetereuntes quid praeco enumera-
FÜR S E X . ROSC1 US 119

blick ereignen, haben sie nicht, wie jedermann erkennen kann,


allein Chrysogonus zum Regisseur und Drahtzieher? Er hat
dafür gesorgt, daß Anzeige gegen Sextus Roscius erstattet
wurde, er, zu dessen Ehre Erucius nach seinen eigenen Worten
Anklage erhebt ... 4ä .
In der Pallacina-Straße 44 . (Der Ort, wo Roscius gespeist
hatte.) Er war in größter Furcht. (Nämlich vor Sulla.) Den-
noch biegt er ab und sagt, er habe ... (das heißt er lenkt den
Verdacht auf einen anderen. Chrysogonus behauptete näm-
lich: «Ich habe die Güter des Roscius nicht aufgeteilt, weil
ich fürchtete, man möchte mir sein Vermögen abnehmen,
sondern weil ich Bauherr war, deshalb habe ich einen Teil
davon auf meinen Besitz von Veji überschrieben.») Durch
die Güter Grundsicherheiten zur Verfügung. (Durch die
Güter, da sich die Gelegenheit dazu bot, wie man zu sagen
pflegt: «Stell mir das Buch zur Verfügung.») Hierzu möchte
ich die Reden dieser Leute hören! (In diesem Kapitel schürt
er Haß gegen die Macht des Chrysogonus: er nennt der
Reihe nach die Arten seiner Vergnügungen; daß er mehrere
Besitzungen und Sklaven habe; alles dies, sagt er, sei die
Beute seiner Raubzüge.)
... und sie glauben, ein passendes und gehörig eingerich-
tetes Landhaus zu besitzen, wenn es im Sallentiner- oder
Bruttierland 47 liegt, von wo sie kaum dreimal im Jahr eine
Nachricht erhalten können.
Der andere aber kommt dir vom Palatin 48 und aus seinem
eigenen Haus in die Stadt herab; er hat zu seinem Vergnügen
einen anmutigen und unmittelbar vor den Toren der Stadt
befindlichen Besitz, außerdem mehrere Güter, die samt und
sonders sehr schön sind und in der Nähe liegen. Sein Haus ist
vollgepfropft mit korinthischem und delischem Geschirr, wo-
zu eine stadtbekannte Kochmaschine gehört 4 ': er hat sie neu-
lich für einen so hohen Preis erstanden, daß Vorübergehende,
I 20 PRO S E X . R O S C I O AMF.RINO

ret a u d i e b a n t f u n d u m venire a r b i t r a r e n t u r . Q u i d prae-


terea caelati a r g e n t i , q u i d s t r a g u l a e vestis, quid pic-
t a r u m t a b u l a r u m . q u i d s i g n o r u m , q u i d m a r m o r i s apud
ilium putatis esse? T a n t u m scilicet q u a n t u m e m u l t i s
s p l e n d i d i s q u c familiis in t u r b a et rapinis coacervari una
in d o m o p o t u i t . F a m i l i a m v e r o q u a n t a m et q u a m variis
c u m artificiis h a b e a t q u i d e g o d i c a m ? M i t t o hasce artis
volgaris, c o q u o s , p i s t o r e s , l e c t i c a r i o s ; animi et a u r i u m
causa t o t h o m i n e s h a b e t ut c o t i d i a n o c a n t u v o c u m et
n e r v o r u m et t i b i a r u m n o c t u r n i s q u e conviviis tota vici-
nitas p e r s o n e t .

In h a c vita, i u d i c e s , q u o s s u m p t u s c o t i d i a n o s . q u a s
e f f u s i o n e s fieri p u t a t i s , q u a e v e r o convivia? h o n e s t a ,
c r e d o , in eius m o d i d o m o , si d o m u s haec h a b e n d a est
potius q u a m o f f i c i n a n e q u i t i a e ac d e v e r s o r i u m flagi-
t i o r u m o m n i u m . I p s e vero q u e m ad m o d u m c o m p o s i t o
et d i l i b u t o c a p i l l o p a s s i m per f o r u m volitet c u m magna
c a t e r v a t o g a t o r u m videtis, i u d i c c s ; vidctis ut o m n i s
d e s p i c i a t , ut h o m i n e m p r a e se n e m i n e m p u t e t , ut sc
s o l u m b e a t u m , s o l u m p o t e n t e m p u t e t . Q u a e vero effi-
ciat et q u a e c o n e t u r si velim c o m m e m o r a r e , vereor,
i u d i c e s , n e q u i s i m p e r i t i o r e x i s t i m e t m e c a u s a m nobili-
tatis v i c t o r i a m q u e voluisse laedere. T a m e t s i m e o iure
p o s s u m , si quid in h a c p a r t e m i h i non p l a c e a t , vitupe-
rare; n o n e n i m vereor ne q u i s a l i e n u m m e a n i m u m
h a b u i s s e a causa n o b i l i t a t i s e x i s t i m e t .
FÜR S F X . R O S C I L ' S

die die vom Ausrufer genannten Zahlen hörten, glaubten, man


verkaufe ein Grundstück. Was meint ihr, was sich außerdem
an ziseliertem Silber, an Teppichen, an Gemälden, an Statuen,
an Marmor bei ihm befinden muß? Doch wohl eine solche
Menge, wie sie sich nur immer aus vielen prächtigen Haus-
haltungen während einer Zeit wüster Räubereien in einem
einzigen Hause aufhäufen ließ. Und was soll ich erst über die
Sklavenschar, die er besitzt, über ihre Zahl und ihre ver-
schiedenartigen Berufe sagen? Ich will gar nicht von den
gewöhnlichen Fertigkeiten reden, von den Köchen, Bäckern,
Sänftenträgern; für Herz und Sinne hält er sich so viele
Leute, daß die ganze Nachbarschaft tagsüber vom Klang der
Stimmen, Saiten und Flöten und nachts von den Gelagen er-
schallt.
Bei einer solchen Lebensführung, ihr Richter, was für ein
Aufwand, welche Verschwendung wird da wohl eurer Mei-
nung nach Tag für Tag getrieben? Was für Gelage finden da
erst statt! Anständige, möchte ich glauben, in einem solchen
Hause - wenn man so etwas noch für ein Haus halten darf,
und nicht für eine Zuchtstätte der Liederlichkeit und für eine
Herberge sämtlicher Laster. Der hohe Herr persönlich: ihr
seht, ihr Richter, wie er sich mit zurechtgemachtem und ge-
striegeltem Haar überall auf dem Forum umhertummelt, ge-
leitet durch eine große Schar von Bürgern 5 0 ; ihr seht, wie er
auf alle herabblickt, wie er niemanden mehr über sich glaubt,
wie er sich allein für reich, sich allein für mächtig hält. Wenn
ich jedoch anführen wollte, ihr Richter, was er treibt und was
er im Sinne hat, dann könnte, fürchte ich, ein noch etwas Un-
erfahrener vermuten, ich hätte die Absicht, die Sache und den
Sieg des Adels zu verunglimpfen. Allerdings könnte ich, wenn
mir dort etwas mißfiele, mit Fug und Recht Vorhaltungen
machen; denn ich fürchte nicht, daß jemand annimmt, ich sei
der Sache des Adels abgeneigt gewesen.
122 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

Sciunt ei qui me norunt me pro mea tenui infirmaque 136


parte, postea q u a m id quod maxime volui fieri non
potuit, ut componeretur, id m a x i m e defendisse ut ei
vincerent qui vicerunt. Q u i s enim erat qui non videret
humilitatem cum dignitate de amplitudine contendere?
q u o in certamine perditi civis erat non se ad eos iungere
quibus incolumibus et domi dignitas et foris auctoritas
retineretur. Q u a e perfecta esse et suum cuique hono-
rem et g r a d u m redditum gaudeo, iudices, vehementer-
que laetor eaque omnia deorum voluntate, studio po-
puli R o m a n i , consilio et imperio et felicitate L . bullae
gesta esse intellego. Q u o d animadversum est in eos qui 137
contra omni ratione pugnarunt, non debeo reprehen-
dere; quod viris fortibus q u o r u m opera eximia in rebus
gerendis exstitit bonos habitus est, laudo. Q u a e ut
fierent idcirco pugnatum esse arbitror meque in eo
studio partium fuisse confiteor. S i n autem id actum est
et idcirco arma sumpta sunt ut homines postremi pecu-
niis alienis locupletarentur et in fortunas unius cuius-
que impetum facerent, et id non m o d o re prohibere non
licet sed ne verbis quidem vituperare, tum vero in isto
bello non recreatus neque restitutus sed subactus op-
pressusque populus R o m a n u s est.

V e r u m longe aliter est; nil horum est, iudices. N o n 138


modo non laedetur causa nobilitatis, si istis hominibus
resistetis, verum etiam ornabitur. E t e n i m qui haec
FÜR S E X . R O S C I U S

Wer mich kennt, weiß: als sich, was ich am liebsten ge-
sehen hätte, eine friedliche Übereinkunft nicht erreichen ließ,
da habe ich mich mit meiner geringen und schwachen Kraft
vor allem dafür eingesetzt, daß die Sieger würden, die es auch
geworden sind. Denn konnte nicht jedermann erkennen, daß
die Gemeinheit mit der Ehre um den Besitz der Macht stritt?
In diesem Kampf brachten es nur verkommene Bürger fertig,
sich nicht denen anzuschließen, deren Unversehrtheit sowohl
die Ehre im Inneren wie die Geltung nach außen hin zu wahren
vermochte. Ich bin froh, ihr Richter, und es erfüllt mich mit
großer Freude, daß dieses Ziel erreicht ist und ein jeder Stel-
lung und Rang zurückerhalten hat, die ihm gebühren, und
ich weiß, daß dies alles durch die Gnade der Götter, durch die
Hingabe des römischen Volkes, durch den Unternehmungs-
geist und die Befehlsgewalt und das gesegnete Wirken des
L. Sulla vollbracht ist. Daß man die bestraft hat, die mit allen
Mitteln Widerstand leisteten, darf ich nicht tadeln; daß man
den tapferen Männern Ehre erwies, die sich während der
Kriegshandlungen durch ihren Einsatz auszeichneten, lobe
ich. Es ist meine Überzeugung, daß um dieses Zieles willen
gekämpft worden ist, und ich bekenne, mich aus diesem
Grunde der Sache des Adels verschrieben zu haben. Wenn es
aber darum ging und man deshalb zu den Waffen gegriffen
hat, damit sich das ärgste Gesindel an fremden Vermögen be-
reichern und über eines jeden Besitz herfallen könne, und
wenn es nicht nur verboten ist, derlei durch die Tat zu ver-
hindern, sondern gar, es mit Worten zu geißeln, dann ist das
römische Volk in diesem Krieg wahrhaftig nicht wiederer-
schaffen und aufs neue gegründet, sondern geknechtet und
unterdrückt worden.
Doch es verhält sich ganz anders; nichts von alledem trifft
zu, ihr Richter. Der Sache des Adels widerfährt kein Schade,
wenn ihr euch solchem Gesindel entgegenstellt, sondern sogar
124 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

vituperare volunt C h r v s o g o n u m tantum posse querun-


tur; qui laudare volunt concessum ei non esse comme-
morant. A c iam nihil est quod quisquam aut tarn stultus
aut tam improbus sit qui dicat: "Vellern q u i d e m liceret;
h o c d i x i s s e m . " Dicas licet. " H o c f e c i s s e m . " Facias licet;
nemo prohibet. " H o c d e c r e v i s s e m . " Decerne, modo
recte; omnes approbabunt. " H o c i u d i c a s s e m . " Lauda-
bunt omnes, si recte et ordine iudicaris.

D u m necesse erat resque ipsa cogebat, unus omnia 139


poterat; qui postea q u a m magistratus creavit legesque
constituit, sua cuique procuratio auctoritasque est re-
stituta. Q u a m si retinere volunt ei qui reciperarunt in
p e r p e t u u m poterunt obtinere; sin has caedis et rapinas
et hos tantos tamque profusos sumptus aut facient aut
approbabunt - nolo in eos gravius q u i c q u a m ne ominis
quidem causa dicere, u n u m hoc dico: nostri isti nobiles
nisi vigilantes et boni et fortes et misericordes erunt, eis
hominibus in quibus haec erunt ornamenta sua conce-
dant necesse est. Q u a p r o p t e r desinant aliquando dicere 140
male aliquem locutum esse, si qui vere ac libere locutus
sit, desinant suam causam cum C h r v s o g o n o communi-
care, desinant, si ille laesus sit, de se aliquid detractum
FÜR S E X . ROSCILS

eine Auszeichnung. Denn wer die jetzigen Verhältnisse tadeln


will, der beklagt sich darüber, daß Chrysogonus so mächtig
sei; wer sie loben will, legt dar, daß man ihm diese Macht
nicht zugestanden habe. Und jetzt darf niemand mehr so tö-
richt oder so unverschämt sein zu behaupten: «Ich wünschte,
es wäre erlaubt; dann hätte ich dies gesagt» - du darfst es ja
sagen!; «ich hätte dies getan» - du darfst es tun; niemand
hindert dich!; «ich hätte dies beschlossen» - beschließe es
nur richtig; alle werden es billigen!; «ich hätte dies Urteil
gesprochen» - alle werden dich loben, wenn du richtig und
ordentlich urteilst.
Solange es unumgänglich war und die Sache selbst dazu
nötigte, hatte ein einziger alle Gewalt in seiner Hand; als je-
doch dieser Mann die Wahlen der Magistrate geleitet 51 und
eine gesetzliche Ordnung eingeführt hatte, da wurde einem
jeden der ihm zukommende Wirkungskreis und Einfluß zu-
rückgegeben. Wenn diejenigen, die ihre Stellung wiederer-
langt haben, sie auch behalten wollen, so steht es in ihrer
Macht, sie auf immer einzunehmen. Wenn sie jedoch diese
Mordtaten und Raubzüge und diesen ungeheuren und ver-
schwenderischen Aufwand entweder sich selbst zuschulden
kommen lassen oder bei einem anderen gutheißen, dann - ich
möchte, schon um kein ungünstiges Vorzeichen zu geben,
nichts Schlimmeres gegen sie äußern; ich sage nur so viel:
wenn unsere adligen Herren nicht wachsam und gütig, nicht
tatkräftig und mitfühlend sind, dann müssen sie ihre Vor-
rechte den Männern abtreten, die diese Eigenschaften haben.
Deshalb mögen sie endlich aufhören zu behaupten, jemand
habe schlecht gesprochen, wenn er wahrheitsgemäß und mit
Freimut sprach; sie mögen aufhören, mit Chrysogonus ge-
meinsame Sache zu machen, mögen aufhören zu glauben, daß
ihnen Abbruch geschieht, wenn er eine Schlappe erleidet; sie
mögen bedenken, ob es nicht schmählich und jammervoll ist,
126 PRO S E X . ROSCIO » M E R I N O

arbitrari, videant ne turpe miserumque sit eos qui


equestrem splendorem pati non potuerunt servi nequis-
simi dominationem ferre posse.
Q u a e quidem dominatio, iudices, in aliis rebus antea
versabatur, nunc vero quam viam munitet et quod iter
adfectet videtis, ad f i d e m , ad ius iurandum, ad iudicia
vestra, ad id quod solum prope in civitate sincerum
sanctumque restat. H i c n e etiam sese putat aliquid 141
posse C h r y s o g o n u s ? hicne etiam potens esse volt? О
rem miseram atque acerbam! N e q u e me hercules hoc
indigne fero, quod verear ne quid possit, verum quod
ausus est, quod speravit sese apud talis viros aliquid ad
perniciem posse innocentis, id ipsum queror.

Idcircone exspectata nobilitas armis atque ferro rem


publicam reciperavit ut ad libidinem suam liberti servo-
lique nobilium bona fortunasque nostras vexare pos-
sent? Si id actum est, fateor me errasse qui hoc malue- 142
rim, fateor insanisse qui cum illis senserim; tametsi
inermis, iudices, sensi. Sin autem victoria nobilium
ornamento atque emolumento rei publicae populoque
R o m a n o debet esse, tum vero optimo et nobilissimo
cuique meam orationem gratissimam esse oportet.
Q u o d si quis est qui et se et causam laedi putet, c u m
C h r y s o g o n u s vituperetur, is causam ignorat, se ipsum
probe novit; causa enim splendidior fiet, si nequissimo
cuique resistetur, ilie improbissimus Chrvsogoni fau-
tor qui sibi cum illo rationem communicatam putat
laeditur, c u m ab hoc splendore causae separatur.
FÜR SEX. ROSC1LS '27

wenn diejenigen, die den Glanz des Ritterstandes nicht zu


dulden vermochten 5I , die Tyrannei des nichtsnutzigsten Skla-
ven ertragen können".
Diese Tyrannei tummelte sich bisher in anderen Bezirken,
ihr Richter, doch ihr seht ja, welchen Weg sie sich jetzt bahnt
und welches Ziel sie sich auserkoren hat: die Pflichttreue, den
Eid, eure Gerichte, das einzige fast, das im Staate noch unver-
sehrt und unangetastet geblieben ist. Glaubt Chrysogonus,
daß er auch hier etwas vermöge? Will er auch hier mächtig
sein? Eine jammervolle und bittere Sache! Beim Herkules, ich
bin darüber nicht deshalb empört, weil ich fürchtete, er könne
etwas erreichen; sondern daß er es gewagt hat, daß er hoffte,
bei solchen Männern etwas zum Verderben eines Unschul-
digen erreichen zu können, darüber beklage ich mich.
Hat der sehnlich erwartete Adel dazu den Staat mit Waffen-
gewalt zurückgewonnen, daß Freigelassene und Sklaven-
bürschchen den Besitz vornehmer Leute und unser Vermögen
nach Herzenslust heimsuchen können? Wenn es darum ging,
dann bekenne ich meinen Irrtum, daß ich der Sache der Ad-
ligen den Vorzug gab, bekenne meine Torheit, daß ich's mit
ihnen hielt - obwohl ich's ohne Waffe tat, ihr Richter. Wenn
jedoch ihr Sieg der Ehre und dem Vorteil des Staates und des
römischen Volkes dienen soll, dann muß allen Rechtschaf-
fenen und Angehörigen des Adels meine Rede in höchstem
Maße willkommen sein. Wenn aber jemand glaubt, sowohl er
selbst wie die Sache leide durch die Mißbilligung eines Chry-
sogonus Schaden, der kennt die Sache nicht, sich selbst aber
kennt er vortrefflich. Denn die Sache gewinnt Strahlkraft,
wenn allen Schurken die Stirne geboten wird. Wer aber den
Chrysogonus begünstigt und sich mit ihm durch gemeinsame
Zwecke verbunden glaubt, dieser Schuft leidet Schaden; denn
er schließt sich von der Teilhabe an dieser glanzvollen Sache
aus.
128 PRO S E X . ROSCIO AMF.RINO

V e r u m haec omnis oratio, ut iam ante dixi, mea est. 14?


qua me uti res publica et dolor meus et istorum iniuria
coegit. S e x . Roscius horum nihil indignum putat, ne-
minem accusat, nihil de suo patrimonio queritur. Putat
homo imperitus m o r u m , agricola et rusticus, ista omnia
quae vos per S u l l a m gesta esse dicitis more, lege, iure
gentium facta; culpa liberatus et crimine nefario solutus
cupit a vobis discedere; si hac indigna suspicione careat, 144
animo aequo se carere suis omnibus commodis dicit.

Rogat oratque te, C h r v s o g o n e , si nihil de patris


fortunis amplissimis in suam rem convertit, si nulla in
re te fraudavit, si tibi optima fide sua omnia concessit,
adnumeravit, appendit, si vestitum quo ipse tectus erat
a n u l u m q u e de digito suum tibi tradidit, si ex omnibus
rebus se ipsum n u d u m neque praeterea quicquam exce-
pit, ut sibi per tc liceat innocenti amicorum opibus
vitam in egestate degere. Praedia mea tu possides, ego 145
aliena misericordia vivo; concedo, et quod animus
aequus est et quia necesse est. Mea domus tibi patet,
mihi clausa est; fero. Familia mea maxima tu uteris, ego
servum habeo nullum; patior et ferendum puto. Quid
vis amplius? quid insequeris, quid oppugnas? qua in re
tuam voluntatem laedi a me putas? ubi tuis commodis
officio? quid tibi obsto? Si spoliorum causa vis homi-
nem occidere, spoliasti; quid quaeris amplius? si inimi-
KÜR S F X . ROSCIL'S 129

Doch alle diese Bemerkungen gehen, wie ich schon früher


sagte, auf meine Rechnung; das Wohl des Staates und mein
Schmerz und das Unrecht dieser Leute haben mich hierzu ge-
nötigt. Sextus Roscius hält nichts von alledem für schmach-
voll, er klagt niemanden an, er beschwert sich überhaupt nicht
wegen seines Vermögens. Der Mann, unkundig unserer Sit-
ten, ein Bauer und Landmann, glaubt, alles das, was nach eurer
Worten im Namen Sullas getan wurde, sei nach Herkommen,
Gesetz und allgemeinverbindlichem Recht geschehen; von
Schuld befreit und von furchtbarer Anklage losgesprochen,
so wünscht er von euch zu scheiden. Wenn er dieses schmäh-
lichen Verdachtes enthoben ist, dann will er es, wie er sagt,
mit Gleichmut ertragen, seines gesamten Vermögens ent-
raten zu müssen.
Dich aber, Chrysogonus, bittet er flehentlich: wenn er von
dem stattlichen Vermögen seines Vaters nichts für sich be-
halten, wenn er dich in keiner Sache betrogen hat, wenn er
dir in bestem Glauben all sein Eigen abgetreten, zugezählt
und zugewogen hat, wenn er dir die Kleidung, die er an sei-
nem Leibe trug, und den Ring von seinem Finger übergeben
hat, wenn er von allem, was er besaß, nur sein nacktes Leben
und sonst nichts für sich beansprucht hat, dann erlaube ihm,
dem Unschuldigen, mit der Hilfe seiner Freunde sein Dasein
in Armut zu fristen. Du besitzest meine Güter; ich lebe von
dem Mitleid anderer: ich gebe es zu, weil ich gefaßt bin und
weil es sich nicht ändern läßt. Mein Haus steht dir offen; mir
ist es verschlossen: ich ertrage es. Du verfügst über mein
zahlreiches Gesinde; ich' habe keinen einzigen Sklaven: ich
dulde es und glaube, es ertragen zu müssen. Was willst du
noch? Warum verfolgst du mich, warum greifst du mich an?
Worin glaubst du deine Absichten durch mich behindert? Wo
wirke ich deinem Vorteil entgegen? Wieso stehe ich dir im
Wege? Wenn du um der Beute willen einen Menschen töten
I30 PRO S E X . ROSCIO AMF.RINO

citiarum, quae sunt tibi inimicitiae cum eo cuius ante


praedia possedisti q u a m ipsum cognosti? si metus, ab
eone aliquid metuis q u e m vides ipsum ab se tarn atro-
cem iniuriam propulsare non posse? sin, quod bona
quae Rosci fuerunt tua facta sunt, idcirco hunc illius
f i l i u m studes perdere, nonne ostendis id te vereri quod
praeter ceteros tu metuere non debeas ne quando liberis
proscriptorum bona patria reddantur?

Facis iniuriam, C h r v s o g o n e , si maiorem spem emp- 146


tionis tuae in huius exitio ponis quam in eis rebus quas
L . Sulla gessit. Q u o d si tibi causa nulla est cur hunc
miserum tanta calamitate adfici velis, si tibi omnia sua
praeter animam tradidit nec sibi quicquam paternum
ne monumenti q u i d e m causa reservavit, per deos im-
mortalis! quae ista tanta crudelitas est, quae tarn fera
immanisque natura? Q u i s u m q u a m praedo fuit tarn
nefarius, quis pirata tarn barbarus ut, cum integram
praedam sine sanguine habere posset, cruenta spolia
detrahere mallet? Scis hunc nihil habere, nihil audere, 147
nihil posse, nihil u m q u a m contra rem tuam cogitassc, et
tarnen oppugnas eum q u e m neque metuere potes neque
odisse debes nec quicquam iam habere reliqui vides
quod ei detrahere possis. N i s i hoc indignum putas,
quod vestitum sedere in iudicio vides quem tu e patri-
monio tamquam e naufragio n u d u m expulisti. Quasi
FÜR SFX. ROSC1LS 131

willst: du hast die Beute genommen; was verlangst du mehr?


Wenn aus Feindschaft: was für eine Feindschaft hegst du ge-
gen den, dessen Güter du eher besaßest, als du ihn selbst
kennenlerntest? Wenn aus Furcht: du fürchtest etwas von
dem, der, wie du siehst, nicht imstande ist, aus eigener Kraft
ein so schreckliches Unrecht abzuwehren? Wenn du aber des-
halb, weil das einst Sextus Roscius gehörige Vermögen jetzt
dir gehört, diesen seinen Sohn zu vernichten suchst, zeigst du
dann nicht Furcht vor etwas, was du weniger als andere zu
befürchten brauchst 5 4 : daß den Kindern der Geächteten ir-
gendwann einmal das väterliche Vermögen zurückerstattet
werden könnte?
Du tust Unrecht, Chrysogonus, wenn du dir für deinen
Kauf mehr durch den Untergang dieses Mannes erhoffst, als
durch die Taten, die L.Sulla vollbracht hat. Wenn du aber
gar keinen Grund hast, weshalb du diesen Elenden in solch
Unglück stürzen wolltest, wenn er dir außer seinem Leben
all sein Eigen übergab und sich nicht einmal zur Erinnerung
etwas aufhob, was dem Vater gehört hatte, bei den unsterb-
lichen Göttern!, was ist das für eine furchtbare Grausamkeit,
was für ein bestialischer und entsetzlicher Charakter! Wel-
cher Wegelagerer war je so schonungslos, welcher Seeräuber
so brutal, daß er, wenn er den Fang unverkürzt ohne Blutver-
gießen bekommen konnte, lieber eine blutige Beute wegge-
nommen hätte? Du weißt: dieser Mann besitzt nichts, wagt
nichts, vermag nichts, hat nie etwas gegen deinen Vorteil im
Schilde geführt, und trotzdem fällst du über ihn her, den du
weder zu fürchten brauchst noch hassen mußt, und dem, wie
du siehst, überhaupt nichts übriggeblieben ist, was du ihm
wegnehmen könntest. Oder du müßtest es fiir eine Schmach
halten, daß du ihn bekleidet im Gericht sitzen siehst, da du
ihn doch nackt wie einen Schiffbrüchigen von seinem Besitz
vertrieben hast. Als ob du nicht wüßtest, daß er Kost und
PRO S E X . R O S C I O A M F R I N O

vero nescias hunc et ali et vestiri a Caecilia Baliarici


filia, N e p o t i s sorore, spectatissima femina, quae cum
patrem clarissimum, amplissimos patruos, ornatissi-
m u m fratrem haberet, tarnen, cum esset mulier, virtute
perfecit ut, quanto honore ipsa ex illorum dignitate
adficeretur, non minora illis ornamenta ex sua laude
redderet.

A n , quod diligenter defenditur, id tibi indignum 148


facinus videtur? M i h i crede, si pro patris huius hospitiis
et gratia vellent omnes huic hospites adesse et auderent
libere defendere, satis copiose defenderetur; sin autem
pro magnitudine iniuriae proque eo quod summa res
publica in huius periculo temptatur haec omnes vindi-
carent, consistere me hercule vobis isto in loco non
liceret. N u n c ita defenditur, non sane ut moleste ferre
adversarii debeant neque ut se potentia superari putent.

Q u a e domi gerenda sunt, ea per Caeciliam transigun- 14ц


tur, fori iudicique rationem M . Messalla, ut videtis,
iudices, suscepit; qui, si iam satis aetatis ас roboris
haberet, ipse pro S e x . Roscio diceret. Quoniam ad
dicendum impedimento est aetas et pudor qui ornat
aetatem causam mihi tradidit quem sua causa cupere ac
debere intellegebat, ipse adsiduitate, consilio, auctori-
tate, diligentia perfecit ut S e x . Rosci vita erepta de
manibus sectorum sententiis iudicum permitteretur.
К CR SF.X. ROSCIUS '33

Kleidung von Caecilia empfängt, der Tochter des Baliaricus


und Schwester des Nepos, einer sehr angesehenen Frau: sie
hat einen erlauchten Vater, hochgeachtete Onkel 55 , einen mit
allen Vorzügen gezierten Bruder, und gleichwohl hat sie, ein
Weib, es durch ihre Mannhaftigkeit erreicht, daß sie, soviel
Ehre sie durch die bedeutende Stellung ihrer Verwandten
empfing, diesen durch eigenes Verdienst keine geringere Aus-
zeichnung zuteil werden ließ.
Oder scheint es dir ein schmähliches Unterfangen, daß er
mit Umsicht verteidigt wird? Glaube mir, wenn alle Gast-
freunde ihm beizustehen und ihn mit Freimut zu verteidigen
wagten, wie es den freundschaftlichen Beziehungen und dem
Einfluß seines Vaters entspräche, dann würde er durch eine
stattliche Zahl von Leuten verteidigt; wenn sie andererseits
sämtlich euer Tun ahnden wollten, wie es der Größe des Un-
rechts und der Tatsache entspräche, daß durch die Gefahr
dieses Mannes hier zugleich das Wohl des Staates bedroht
wird, dann wäre es euch, beim Herkules, nicht erlaubt, auf
diesem Platz da zu bleiben. Wie die Dinge jetzt stehen, wird
er so verteidigt, daß die Gegner wahrhaftig keinen Grund
haben, sich gekränkt zu fühlen, noch glauben können, sie
müßten der Macht unterliegen.
Die häuslichen Angelegenheiten werden von Caecilia er-
ledigt; den Bereich des Forums und des Gerichtes hat, wie
ihr seht, ihr Richter, M. Messalla übernommen: wenn er schon
alt und kräftig genug wäre, würde er selbst für Sextus Roscius
sprechen. Da ihm jedoch sein Alter und die Schüchternheit,
die sein Alter ziert, das Sprechen unmöglich machen, hat er
mir den Prozeß überlassen; denn er wußte, daß ich ihm ge-
wogen und verpflichtet sei. Er selbst hat durch seine Beharr-
lichkeit und Umsicht, durch seinen Einfluß und seine Sorg-
falt erreicht, daß das Leben des Sextus Roscius der Gewalt der
Aufkäufer entzogen und dem Spruch der Richter anvertraut
134 PRO S E X . ROSCIO AMERINO

N i m i r u m , i u d i c e s , p r o h a c n o b i l i t a t e pars maxima civi-


tatis in a r m i s fuit; h a e c acta res est ut ei nobiles resti-
t u e r e n t u r in c i v i t a t e m q u i h o c facerent quod facere
M e s s a l a m videtis, qui c a p u t i n n o c e n t i s d e f e n d e r e n t .
qui iniuriae r e s i s t e r e n t , qui q u a n t u m possent in salute
alterius q u a m in e x i t i o m a l l e n t o s t e n d e r e ; quod si o m -
nes q u i e o d e m loco nati sunt f a c e r e n t , et res p u b l i c a ex
illis et ipsi ex invidia m i n u s l a b o r a r e n t .

V e r u m si a C h r v s o g o n o , i u d i c e s , non i m p e t r a m u s ut
p e c u n i a nostra c o n t e n t u s sit, v i t a m ne petat, si ille
adduci non p o t e s t u t , c u m a d e m e r i t n o b i s o m n i a q u a e
n o s t r a erant p r o p r i a , n e l u c e m q u o q u e h a n c q u a e c o m -
m u n i s est e r i p e r e c u p i a t , si n o n satis habet avaritiam
s u a m p e c u n i a e x p l e r e , nisi e t i a m crudelitati sanguis
p r a e b i t u s sit, u n u m p e r f u g i u m , i u d i c e s , una spes reli-
q u a est S e x . R o s c i o e a d e m q u a e rei p u b l i c a e , vestra
pristina b o n i t a s et m i s e r i c o r d i a . Q u a e si m a n e t , sah i
e t i a m n u n c esse p o s s u m u s ; sin ea crudelitas q u a e hoc
t e m p o r e in re p u b l i c a vcrsata est vestros q u o q u e a n i m o s
- id q u o d fieri p r o f e c t o non potest - duriores a c e r b i o -
r e s q u e reddit, a c t u m est, i u d i c e s ; inter feras satius est
a e t a t e m d e g e r e q u a m in hac tanta i m m a n i t a t e versari.

A d e a m n e r e m vos r e s e r v a t ! estis, ad e a m n e rem


delecti ut eos c o n d e m n a r e t i s q u o s sectores ac sicarii
iugulare non p o t u i s s e n t ? S o l e n t h o c boni i m p e r a t o r e s
f a c e r e c u m p r o e l i u m c o m m i t t u n t , ut in eo loco q u o
f u g a m h o s t i u m fore a r b i t r e n t u r milites c o n l o c e n t , in
q u o s si qui ex acie f u g e r i n t d e improviso incidant.
f C r sf.x. r o s c i l s '35

wurde. So gehört es sich, ihr Richter: für diesen Adel stand


der größte Teil der Bürgerschaft in Waffen; es ging darum,
diejenigen Adligen wieder in ihre Rechte einzusetzen, die tun
würden, was ihr Messalla tun seht, die das Haupt eines Un-
schuldigen schützen, die sich dem Unrecht widersetzen, die
ihre Macht lieber zum Heil als zum Verderben eines Mit-
bürgers bekunden würden. Wenn alle, die von gleich hoher
Abkunft sind, sich so verhielten, dann geriete der Staat we-
niger durch sie und sie selbst weniger durch allgemeine Un-
zufriedenheit in Bedrängnis.
Indes, wenn wir von Chrysogonus nicht erreichen können,
ihr Richter, daß er mit unserem Gelde zufrieden sei und unser
Leben schone, wenn er sich nicht bestimmen läßt, uns nicht
auch noch dieses allen gemeinsame Sonnenlicht rauben zu
wollen, nachdem er uns all unser Eigen genommen hat, wenn
es ihm nicht genügt, seine Habgier mit Geld zu sättigen, er
vielmehr noch seiner Grausamkeit Blut darbringen muß, dann
bleibt für Sextus Roscius nur eine Zuflucht übrig, ihr Richter,
nur eine Hoffnung, dieselbe, die auch für das Wohl der Ge-
samtheit noch übrigbleibt: eure einstige Güte und Barmher-
zigkeit. Wenn die fortbesteht, dann ist unsere R e t t u n g auch
jetzt noch möglich. Wenn aber die Schonungslosigkeit, die
jetzt gerade im Inneren des Staates gewütet hat, auch eure
Gesinnung verhärtet und verbittert (was wahrhaftig niemals
geschehen kann), dann ist es aus, ihr Richter, dann ist es
besser, sein Dasein unter den wilden Tieren hinzubringen als
inmitten dieser fürchterlichen Roheit zu leben.
Seid ihr dazu aufgespart, seid ihr dazu erwählt, daß ihr die
verurteilt, die Aufkäufer und Banditen nicht umzubringen
vermochten? So machen es gewöhnlich gute Feldherren: zu
Beginn einer Schlacht stellen sie dort, wohin sich ihrer Mei-
nung nach die Flucht der Feinde richten wird, Soldaten auf,
denen die aus der Linie Entflohenen unversehens in die Hände
I36 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

N i m i r u m similiter arbitrantur isti bonorum emptores


vos hie, talis viros, sedere qui excipiatis eos qui de suis
manibus e f f u g e r i n t . Di prohibeant, iudices, ne hoc
quod maiores consilium publicum vocari voluerunt
praesidium sectorumexisrimetur! A n vero, iudices, vos 152
non intellegitis nihil aliud agi nisi ut proscriptorum
liberi quavis ratione tollantur, et eius rei initium in
vestro iure iurando atque in S e x . Rosci periculo quaeri?
D u b i u m est ad quem maleficium pertineat, cum videa-
tis ex altera parte sectorem, inimicum, sicarium eun-
d e m q u e accusatorem hoc tempore, ex altera parte egen-
tem, probatum suis f i l i u m , in quo non modo culpa nulla
sed ne suspicio quidem potuit consistere? N u m q u i d hie
aliud videtis obstare Roscio nisi quod patris bona venie-
runt?

Q u o d si id vos suscipitis et earn ad rem operam 153


vestram profitemini, si idcirco sedetis ut ad vos addu-
cantur eorum liberi q u o r u m bona venierunt, cavete,
per deos immortalis! iudices, ne nova et multo crudelior
per vos proscriptio instaurata esse videatur. Illam prio-
rem quae facta est in eos qui arma capere potuerunt
tamen senatus suscipere noluit, ne quid acrius quam
more maiorum comparatum est publico consilio factum
videretur, hanc vero quae ad eorum liberos atque ad
infantium puerorum incunabula pertinet nisi hoc iudi-
cio a vobis reicitis et aspernamini, videte, per deos
immortalis! q u e m in locum rem publicam perventuram
putetis!
FÜR SFX. ROSCIIS '37

fallen sollen. Ohne Zweifel, in ähnlicher Weise glauben diese


Vermögenskäufer, daß ihr, so treffliche Männer, hier sitzt,
um die ihrer Gewalt Entflohenen aufzufangen. Die G ö t t e r
mögen verhüten, ihr Richter, daß dieses Gericht, das die Vor-
fahren als Staatsrat bezeichnet wissen wollten, für eine Schutz-
wache der Aufkäufer gehalten werde! Erkennt ihr etwa nicht,
ihr Richter, daß es nur darum geht, die Kinder der Geäch-
teten auf beliebige Weise zu beseitigen, und daß man den An-
fang hiervon mit eurem Eid und der Gefahr des Sextus Ros-
cius zu machen sucht? Ist zweifelhaft, wer mit der Missetat
zu tun hat, da ihr auf der einen Seite einen Aufkäufer, Feind,
Meuchelmörder und jetzt auch Ankläger seht, auf der ande-
ren aber einen mittellosen, von seinen Verwandten geschätzten
Sohn, an den sich keine Schuld, ja nicht einmal ein Verdacht
heften konnte? Bemerkt ihr etwa, daß dem Roscius etwas
anderes im Wege stehe, als daß das Vermögen seines Vaters
verkauft wurde?
Wenn ihr aber die Aufgabe übernommen habt und hierzu
eure Dienste anbietet, wenn ihr zu dem Zweck hier sitzt, daß
man euch die Kinder derer vorführe, deren Vermögen ver-
kauft wurde, dann seid auf der H u t , bei den unsterblichen
Göttern! Es könnte den Anschein haben, ihr Richter, daß man
durch cuch eine neue und viel schonungslosere Ä c h t u n g ins
Werk gesetzt hat. Die frühere richtete sich gegen die Männer,
die sich nicht scheuten, zu den Waffen zu greifen, und trotz-
dem wollte der Senat sie nicht v e r a n t w o r t e n ; denn er wollte
den Eindruck vermeiden, daß eine staatliche M a ß n a h m e
Härteres durchgesetzt habe, als durch den überkommenen
Brauch vorgesehen ist. Diese Ä c h t u n g aber träfe die Kinder
der ehedem Geächteten und die Wiege unmündiger Knaben:
wenn ihr sie nicht durch diesen Prozeß von euch weist und ver-
werft, bedenkt doch, bei den unsterblichen G ö t t e r n ! , wohin es
dann eurer Meinung nach mit unserem Staate kommen m u ß !
«38 PRO S E X . R O S C I O A M E R I N O

H o m i n e s sapientes et ista auctoritate et potestate 154


praeditos qua vos estis ex quibus rebus maxime res
publica laborat, eis m a x i m e mederi convenit. Yestrum
nemo est quin intellegat populum R o m a n u m qui quon-
dam in hostis lenissimus existimabatur hoc tempore
domestica crudelitate laborare. H a n c tollite ex civitate,
iudices, hanc pati nolite diutius in hac re publica ver-
sari; q u a e non m o d o id habet in se mali quod tot civis
atrocissime sustulit verum etiam hominibus lenissimis
ademit misericordiam consuetudine incommodorum.
N a m c u m omnibus horis aliquid atrociter fieri videmus
aut audimus, etiam qui natura mitissimi sumus adsidui-
tate molestiarum sensum o m n e m humanitatis ex animis
amittimus.
fÜR SFX. ROSCILS 1
39

Verständige Männer, die so viel Ansehen und Macht haben


wie ihr, sind verpflichtet, dem Staate zuallererst bei den An-
gelegenheiten zu helfen, durch die er am schwersten N o t lei-
det. Jeder von euch erkennt, daß das römische Volk, dem man
einst größte Milde gegenüber seinen Feinden zuerkannte,
jetzt durch Schonungslosigkeit gegen seine eigenen Bürger
Not leidet. Entfernt die Schonungslosigkeit aus der Bürger-
schaft, ihr Richter, duldet nicht, daß sie länger in diesem
Staate wütet! Denn sie enthält nicht nur das Übel, daß sie so
viele Bürger auf die grausigste Weise ausgerottet hat: sie hat,
da man sich an die Widerwärtigkeiten gewöhnte, auch den
barmherzigsten Menschen das Mitleid genommen. Denn
wenn wir zu jeder Stunde sehen und hören, daß etwas Grau-
siges geschieht, dann mögen wir die mildeste Sinnesart haben:
unser Herz verliert, wenn die bedrückenden Ereignisse sich
ständig wiederholen, jegliches Empfinden für Menschlichkeit.
D E I M P E R I O C N . PO.MPEI ORATIO

Q u a m q u a m mihi semper frequens conspectus vester ι


multo iucundissimus, hic autem locus ad agendum
amplissimus, ad d i c e n d u m ornatissimus est visus, Q u i -
rites, tarnen hoc aditu laudis qui semper optimo cuiquc
m a x i m e patuit non mea me voluntas adhuc sed vitae
meae rationes ab ineunte aetate susceptae prohibue-
runt. N a m cum antea nondum huius auctoritatem loci
attingere auderem statueremque nihil hue nisi perfec-
tum ingenio, elaboratum industria adferri oportere,
omne m e u m tempus amicorum temporibus transmit-
tendum putavi. Ita neque hic locus vacuus fuit u m q u a m 2
ab eis qui vestram causam defenderent et meus labor in
privatorum periculis caste integreque versatus ex vestro
iudicio fruetum est amplissimum consecutus. Nam
cum propter dilationcm comitiorum ter praetor primus
centuriis cunctis renuntiatus sum, facile intellexi, Q u i -
rites, et quid de me iudicaretis et quid aliis praescribe-
retis. N u n c cum et auetoritatis in me tantum sit quan-
tum vos honoribus mandandis esse voluistis, et ad
agendum facultatis tantum quantum homini vigilanti
ex forensi usu prope cotidiana dicendi exercitatio potuit
adferre, certe et, si quid auetoritatis in me est, apud cos
utar qui earn mihi dederunt et, si quid in dicendo
consequi possum, eis ostendam potissimum qui ei quo-
que rei f r u e t u m suo iudicio tribuendum esse d u x e r u n t .
A t q u e illud in primis mihi lactandum iure esse video 3
quod in hac insolita mihi ex hoc loco ratione dicendi
REDE ÜBER DEN O B E R B E F E H L
DES C N . P O M P E I U S

Wiewohl mir seit jeher der Anblick eurer zahlreichen Ver-


sammlung als der weitaus erfreulichste, diese Stätte aber als
die bedeutendste für Verhandlungen, als die ehrenvollste für
Reden gegolten h a t ' , Quinten, hat mich doch bislang von
dieser Pforte des Ruhmes, die gerade dem Tüchtigen stets
offenstand, zwar nicht mein Wille, wohl aber der Lebensplan
ferngehalten, den ich seit meinem Eintritt in das Mannesalter
verfolgte. Denn da ich es vordem nicht wagte, mich dieser
gewichtigen Stätte zu nähern, und glaubte, daß man hier nur
die Frucht geistiger Reife und sorgsamer Feile darbieten
dürfe, meinte ich, alle meine Zeit den Notzeiten der Freunde
widmen zu sollen. So fehlte es hier nie an Männern, die eure
Sache vertraten, und meine Mühe, die sich lauter und unbe-
stechlich der Fährnisse von Einzelpersonen angenommen
hatte 2 , erlangte durch eure Entscheidung den herrlichsten
Lohn. Denn ich wurde wegen des Abbruchs der Wahlen drei-
mal bei sämtlichen Zenturien an erster Stelle als Prätor aus-
gerufen 1 ; da ersah ich ohne Mühe, Quinten, wie ihr mich
beurteilt und was ihr von anderen erwartet. Ich verfüge jetzt
über so viel Einfluß, wie ihr mir durch die Übertragung ehren-
voller Ämter 4 habt verleihen wollen, und über so viel Ver-
handlungsgeschick, wie die fast tägliche Übung im Reden
einem strebsamen Manne in gerichtlicher Tätigkeit gewähren
konnte; da werde ich jedenfalls, was ich an Einfluß habe, bei
denen geltend machen, die ihn mir zuerkannten, und was
ich etwa durch Reden zu erreichen vermag, vor allem denen
beweisen, die glaubten, sie sollten durch ihr Urteil auch
dieser Fähigkeit ihren I.ohn zuerteilen. Hierbei darf ich, wie
ich sehe, mit gutem Grund vor allem darüber erfreut sein,
daß sich mir bei der mir ungewohnten Weise, an dieser Stelle
DE l M P F R l ü C N . POMPE]

causa talis oblata est in qua oratio deesse nemini possit.


D i c e n d u m est enim de C n . Pompei singulari eximiaquc
virtute; huius autem orationis difficilius est exitum
q u a m principium invenire. Ita mihi non tarn copia
quam modus in dicendo quaerendus est.

A t q u e ut inde oratio mea proficiscatur unde haec 4


omnis causa ducitur, bellum grave et periculosum ves-
tris vectigalibus atque sociis a duobus potentissimis
adfertur regibus, Mithridate et T i g r a n e , quorum alter
relictus, alter lacessitus occasionem sibi ad occupan-
d a m A s i a m oblatam esse arbitratur. F.quitibus Roma-
nis, honestissimis viris, a d f e r u n t u r e x Asia cotidie litte-
rae, q u o r u m magnae res aguntur in vestris vectigalibus
exercendis occupatae; qui ad me pro necessitudine quae
mihi est cum illo ordine causam rei publicae pericula-
que rerum suarum detulerunt: Bithvniae quae nunc 5
vestra provincia est vicos exustos esse compluris, rc-
g n u m Ariobarzanis quod f i n i t i m u m est vestris vectiga-
libus totum esse in hostium potestate; L . L u c u l l u m
magnis rebus gestis ab eo bello discedere; huic qui
successerit, non satis esse paratum ad tantum bellum
administrandum; u n u m ab omnibus sociis et civibus ad
id bellum imperatorem deposci atque expeti, eundeni
hunc unum ab hostibus metui, praeterea neminem.

Causa quae sit videtis; nunc quid agendum sit ipsi 6


considerate. Primurn mihi videtur de genere belli,
deindc de magnitudine, tum de imperatore deligendo
esse dicendum.
ÜBER DEN O B E R B E F E H L DES POMPEILS '43

zu sprechen, ein Gegenstand dargeboten hat, bei dem nie-


mandem die Worte ausgehen können: ich habe nämlich über
die einzigartige und hervorragende Tüchtigkeit des Cn.
Pompeius zu reden; bei diesem Stoff aber ist es schwieriger,
ein Ende als einen Anfang zu finden. Ich muß mich daher
bei meiner Ansprache nicht um Fülle, sondern um Maß be-
mühen.
Und damit meine Rede dort ihren Ausgang nimmt, wo-
durch die ganze Angelegenheit verursacht ist: zwei mächtige
Könige, Mithridates und Tigranes, überziehen eure Tribut-
pflichtigen und Bundesgenossen 5 mit einem furchtbaren, ge-
fährlichen Krieg. Der eine wurde nicht gänzlich unterworfen,
der andere nur herausgefordert; sie glauben, jetzt sei die
Gelegenheit gekommen, Asien in Besitz zu nehmen. Römi-
sche Ritter, hochangesehene Männer, deren große, durch die
Verwaltung eurer Steuern beanspruchte Kapitalien bedroht
sind, erhalten täglich Briefe aus Asien. Sie haben mich wegen
meiner engen Beziehungen zu ihrem Stande über die allge-
meine Lage und die Gefährdung ihrer Obliegenheiten unter-
richtet 6 : in Bithynien, das jetzt eine Provinz von euch ist 7 ,
seien mehrere Dörfer eingeäschert worden; das euren tribut-
pflichtigen Gebieten benachbarte Reich des Königs Ariobar-
zanes befinde sich ganz in Feindeshand; L.Lucullus ziehe
sich nach großen Erfolgen vom Kriege zurück; sein Nach-
folger sei nicht ausreichend gerüstet, einen so schweren Krieg
zu führen; ein Mann werde von allen Bundesgenossen und
Bürgern in diesem Kriege als Oberbefehlshaber gefordert und
erbeten, eben dieser eine vom Feinde gefürchtet, sonst aber
niemand.
Ihr seht, worum es sich handelt; erwägt jetzt selbst, was
geschehen soll. Ich muß, wie mir scheint, zuerst die Be-
schaffenheit dieses Krieges erörtern, sodann seine Größe und
schließlich die Wahl des Oberbefehlshabers.
DE IMPF.RIO CN. POMPF.I

G e n u s est eius belli quod maxime vestros animos


excitare atque inflammare ad persequendi Studium de-
beat. In quo agitur populi Romani gloria quae vobis a
maioribus cum magna in omnibus rebus tum summa in
re militari tradita est; agitur salus sociorum atque ami-
corum pro qua multa majores vestri magna et gravia
bella gesserunt; aguntur certissima populi Romani vec-
tigalia et maxima quibus amissis et pacis ornamenta et
subsidia belli requiretis; aguntur bona multorum ci-
vium quibus est a vobis et ipsorum causa et rei publicae
consulendum.

Et quoniam semper appetentes gloriae praeter cete- 7


ras gentis atque avidi laudis fuistis, delenda vobis est
ilia macula .Vlithridatico bello superiore concepta quae
penitus iam insedit ac nimis inveteravit in populi Ro-
mani nomine, quod is qui uno die tota in Asia tot in
civitatibus uno nuntio atque una significatione omnis
civis Romanos necandos trucidandosque curavit, non
modo adhuc poenam nullam suo dignam scelere susce-
pit sed ab illo tempore annum iam tertium et vicesimum
regnat, et ita regnat ut sc non Ponti neque Cappadociae
latebris occultare velit sed emcrgere ex patrio regno
atque in vcstris vectigalibus, hoc est in Asiae luce,
versari. Etenim adhuc ita nostri cum illo rege contende- К
runt imperatores ut ab illo insignia victoriae, non victo-
riam reportarent. T r i u m p h a v i t L . Sulla, triumphavit
L . Murena de Mithridate, duo fortissimi viri et summi
imperatores, sed ita triumpharunt ut ille pulsus supera-
C B F R D F S O B F R B F F F H L DF.S P O M P F I U S 45

Der Krieg ist so beschaffen, daß er in höchstem Grade eure


Entschlossenheit, ihn durchzufechten, erwecken und ent-
flammen muß. Es geht dabei um den Ruhm des römischen
Volkes, der euch, in allem bedeutend, doch am bedeutendsten
im Kriegswesen, von den Vorfahren hinterlassen wurde; es
geht um das Heil der Bundesgenossen und Freunde, für das
eure Vorfahren zahlreiche große und schwere Kriege geführt
haben; es geht um die sichersten und größten Steuerein-
künfte des römischen Volkes, deren Verlust euch den Rück-
halt des Friedens und die Hilfsmittel des Krieges vermissen
ließe; es geht um das Hab und Gut vieler Bürger, denen ihr
um ihret- und des Staates willen helfen müßt.
Ihr seid doch stets mehr als andere Völker nach Ruhm
begierig und auf Lob versessen gewesen. Also müßt ihr die
Schande tilgen, die ihr euch in dem vorigen Kriege® gegen
Mithridates zugezogen habt; sie hat sich schon tief einge-
fressen und sich allzusehr am Namen des römischen Volkes
festgesetzt. Hat doch der Mann, auf dessen Betreiben sämt-
liche römische Bürger in so vielen Städten ganz Asiens an
einem Tage auf eine Botschaft und ein Zeichen hin getötet und
niedergemacht wurden, bis jetzt noch keine Strafe erhalten,
wie sein Verbrechen sie verdient; ja er hat seither schon
22 Jahre lang die Königsherrschaft inne, und er hat sie so
inne, daß er sich nicht in den Winkeln von Pontus und
Kappadokien verstecken mag, sondern aus dem väterlichen
Reiche hervorzukommen und in den euch tributpflichtigen
Gebieten, das heißt im hellen Lichte Asiens, Aufenthalt zu
nehmen wünscht. Denn bisher haben unsere Feldherren mit
diesem König so gekämpft, daß sie von ihm zwar die Aus-
zeichnungen des Sieges, nicht aber den Sieg nach Hause
brachten. Einen Triumph über Mithridates errang L.Sulla,
einen Triumph errang auch L.Murena', zwei tapfere Sol-
daten und fähige Feldherren; doch sie errangen einen der-
146 DF IMPERIO CN. POMPF-l

tusque regnaret. Verum tarnen illis imperatoribus laus


est tribuenda quod egerunt, venia danda quod relique-
runt, propterea quod ab eo bello Sullam in Italiam res
publica, M u r e n a m Sulla revocavit.

Mithridates autem o m n e reliquum t e m p u s non ad у


oblivionem veteris belli sed ad comparationem novi
contulit. Q u i postea, c u m maximas aedificasset ornas-
setque classis exercitusque permagnos q u i b u s c u m q u e
ex gentibus potuisset comparasset et se Bosphoranis,
finitimis suis, bellum inferre simularet, usque in His-
paniam legatos ac litteras misit ad eos duces quibus-
cum t u m bellum gerebamus, ut, c u m d u o b u s in locis
disiunctissimis maximeque diversis uno consilio a binis
hostium copiis bellum terra marique gereretur, vos
ancipiti contentione district! de imperio dimicaretis.
Sed tamen alterius partis periculum, Sertorianae atque 10
Hispaniensis, quae multo plus firmamenti ac roboris
habebat, C n . Pompei divino consilio ac singulari vir-
tute depulsum est; in altera parte ita res ab L. Lucullo,
s u m m o viro. est administrata ut initia ilia rcrum ges-
tarum magna atque praeclara non felicitati eius sed
virtuti, haec autem extrema quae n u p e r acciderunt non
culpae sed fortunae tribuenda esse videantur. Sed de
Lucullo dicam alio loco, et i t a d i c a m , Quirites, ut neque
vera laus ei detracta oratione mea neque falsa adficta
esse videatur; de vestri imperi dignitate atque gloria, 11
t B F R DFN O B F R B F F F H L DES POMPFILS 47

artigen Triumph, daß Mithridates, wiewohl vertrieben und


besiegt, weiterhin herrschte. Doch diesen Befehlshabern ge-
bührt Lob, daß sie handelten, und Nachsicht, daß sie zu
handeln übrigließen. Denn Sulla wurde von diesem Kriege
durch die allgemeine Lage 10 , Murena durch Sulla nach Italien
abberufen.
Mithridates aber benutzte die ganze ihm verbleibende
Zeit, statt die Erinnerung an den früheren Krieg zu tilgen,
für die Vorbereitung eines neuen. Er ließ riesige Flotten
bauen und ausrüsten; er beschaffte sich gewaltige Truppen-
massen von allen ihm erreichbaren Völkerschaften und gab
vor, gegen die Bosporaner, seine Nachbarn, Krieg zu fuhren " .
Doch alsdann sandte er Boten und Briefe bis nach Spanien,
zu den Anführern, mit denen wir damals im Kriege standen;
er wollte erreichen, daß der Land- und Seekrieg von den
Truppen zweier Feinde geführt würde, auf weit voneinander
entfernten, in völlig entgegengesetzter Richtung liegenden
Schauplätzen, doch nach einheitlichem Plan; ihr solltet, durch
den zwiefachen Kampf gefesselt, um eure Vorherrschaft rin-
gen müssen. Indes vermochten der geniale Plan und die ein-
zigartige Tüchtigkeit des Cn.Pompeius die Gefahr zu bannen,
die von der einen Seite, von Sertorius und Spanien her,
drohte; dort aber hatten sich die bei weitem größeren Hilfs-
mittel und Kräfte befunden. Auf der anderen Seite hat L.
Lucullus, ein ausgezeichneter Mann, unsere Sache so gefuhrt,
daß man die anfänglichen großen und glänzenden Erfolge
offensichtlich nicht seinem Glück, sondern seiner Tüchtigkeit,
jedoch die jüngsten Ereignisse, die sich kürzlich zutrugen,
nicht seiner Schuld, sondern seinem Mißgeschick zuschreiben
muß. Doch über Lucullus will ich mich an anderer Stelle
äußern, und zwar so, Quiriten, daß meine Rede ihm weder
verdientes Lob vorzuenthalten noch unverdientes beizu-
messen scheint. Jetzt geht es um die Ehre und den Ruhm
•4« DE IMPFRIO CN. POMPEI

quoniam is est exorsus orationis meae, videte quem


vobis animurn suscipiendum putetis.

Maiores nostri saepe pro mercatoribus aut navicula-


riis nostris iniuriosius tractatis bella gesserunt; vos tot
milibus civium Romanorum uno nuntio atque uno tem-
pore necatis quo tandem animo esse debetis? Legati
quod erant appellati superbius, Corinthum patres ves-
tri totius Graeciae lumen exstinctum esse voluerunt;
vos eum regem inultum esse patiemini qui legatum
populi Romani consularem vinculis ac verberibus atque
omni supplicio excruciatum necavit? Uli libertatem
imminutam civium Romanorum non tulerunt; vos
ereptam vitam neglegetis? Ius legationis verbo violatum
illi persecuti sunt; vos legatum omni supplicio interfec-
tum relinquetis? Videte ne, ut illis pulcherrimum fuit 12
tantam vobis imperi gloriam tradere, sie vobis turpissi-
mum sit id quod aeeepistis tueri et conservare non
posse.

Quid? quod salus sociorum s u m m u m in periculum


ac discrimen vocatur, quo id tandem animo ferre debe-
tis? Regno est expulsus Ariobarzanes rex, socius populi
Romani atque amicus; imminent duo reges toti Asiae
non solum vobis inimicissimi sed etiam vestris soeiis
atque amicis; civitates autem omnes cuncta Asia atque
Graecia vestrum auxilium exspcctare propter periculi
magnitudinem coguntur; imperatorem a vobis certum
t'BFR DF.N OBFRBFFFHL DF.S POV1PEIUS '49

eurer Herrschaftsgewalt (hiermit befaßt sich ja der erste Teil


meiner Rede): seht selbst, welcher Einstellung ihr euch hier-
zu befleißigen solltet.
Unsere Vorfahren nahmen oft einen Krieg auf sich, wenn
unseren Kaufleuten und Reedern einiges Unrecht zustieß:
welche Haltung geziemt sich vollends für euch, da so viele
Tausende römischer Bürger auf ein Zeichen hin und zur
selben Zeit getötet wurden? Weil man eine Gesandtschaft
ein wenig hochfahrend angeherrscht hatte, deshalb beschlos-
sen eure Väter die Vernichtung Korinths, einer Perle von
ganz Griechenland: doch ihr wollt dulden, daß ein König
unbestraft bleibt, der den Gesandten des römischen Volkes,
einen ehemaligen Konsul, tötete, nachdem er ihn gefesselt,
ausgepeitscht und durch Martern aller Art gepeinigt h a t t e " ?
Sie ertrugen es nicht, daß man die Freiheit römischer Bürger
beschränkte: doch ihr wollt Mordtaten hinnehmen? Sie
schritten ein, wenn das Gesandtschaftsrecht durch ein Wort
gekränkt wurde: doch ihr wollt ungeahndet lassen, daß man
einen Gesandten auf die qualvollste Weise getötet hat? Gebt
acht: wie es für sie der größte Ruhmestitel war, euch ein
Reich von so hohem Ansehen zu hinterlassen, so kann es euch
die größte Schande einbringen, wenn ihr unfähig seid, das
Überkommene zu schützen und zu bewahren.
Wie? Daß sich das Heil eurer Bundesgenossen in größter
Gefahr und Bedrängnis befindet, wie solltet ihr euch vollends
dazu stellen? König Ariobarzanes, der Bundesgenosse und
Freund des römischen Volkes, ist aus seinem Reiche vertrie-
ben; zwei Könige bedrohen ganz Asien, die ärgsten Wider-
sacher, die nicht nur euch, sondern auch euren Bundesge-
nossen und Freunden erwachsen sind; die Städte aber sehen
sich wegen der Größe der Gefahr allesamt, in ganz Asien und
Griechenland, genötigt, auf euren Beistand zu hoffen; sie
wagen jedoch nicht, euch um einen bestimmten Oberbe-
1
5° DE IMPFRIO CN. POMPEI

deposcere, c u m praesertim vos alium miseritis. neque


a u d e n t n e q u e id sc facere sine s u m m o periculo posse
a r b i t r a n t u r . Yident enim et sentiunt hoc idem quod 13
vos, u n u m virum esse in q u o s u m m a sint omnia, et eum
p r o p t e r esse, q u o etiam carent aegrius; cuius adventu
ipso a t q u e nomine, tametsi ille ad m a r i t i m u m bellum
venerit, tarnen i m p e t u s h o s t i u m repressos esse intelle-
g u n t ac retardatos. Hi vos, q u o n i a m libere loqui non
licet, taciti rogant ut se q u o q u e sicut ceterarum provin-
ciarum socios dignos existimetis q u o r u m salutem tali
viro c o m m e n d e t i s , a t q u e hoc etiam magis q u o d ceteros
eius modi in provincias homines c u m imperio mittimus
ut, etiam si ab hoste d e f e n d a n t , tarnen ipsorum adven-
tus in urbis sociorum non m u l t u m ab hostili expugna-
tione d i f f e r a n t , h u n c a u d i e b a n t antea, n u n c praesentem
vident tanta t e m p e r a n t i a , tanta m a n s u e t u d i n e , tanta
h u m a n i t a t e ut ei beatissimi esse videantur apud quos
ille diutissime c o m m o r e t u r .

Q u a re si propter socios nulla ipsi injuria lacessiti ц


maiores nostri c u m Antiocho, c u m Philippo, c u m
Aetolis, c u m Poenis bella gesserunt, q u a n t o vos studio-
sius convenit iniuriis provocatos sociorum salutem una
c u m imperi vestri dignitate d e f e n d e r e . praesertim c u m
de maximis vestris vectigalibus agatur? N a m ceterarum
provinciarum vectigalia, Q u i r i t e s , tanta sunt ut eis ad
ipsas provincias tuendas vix contenti esse possimus,
Asia vero tarn opima est ac fertilis ut et u b e r t a t e
C B F R DF.N OBF.RBF.FF.HL D E S P O M P E I L S '5'

fehlshaber zu ersuchen, zumal ihr schon einen anderen ent-


sandt habt, noch glauben sie, daß sie dergleichen tun können,
ohne sich in größte Gefahr zu bringen". Denn sie gewahren
und denken dasselbe wie ihr: daß ein Mann in höchstem
Grade allen Anforderungen gewachsen ist und daß sich dieser
Mann in ihrer Nähe befindet, weshalb sie ihn denn desto
schmerzlicher vermissen; sie stellen fest, daß schon seine An-
kunft und sein Name, obwohl er nur wegen des Seeräuber-
krieges kam, den Vormarsch der Feinde gehemmt und ver-
zögert hat. Sie alle richten, da sie nicht frei reden dürfen,
stillschweigend die Bitte an euch, ihr möchtet auch sie, wie
die Biindner der übrigen Provinzen 14 , für wert halten, ihr
Heil einem so hervorragenden Manne zu überantworten. Und
hierfür besteht noch ein besonderer Grund: bei den Leuten,
die wir sonst als Oberbefehlshaber in die Provinzen entsen-
den, unterscheidet sich, auch wenn sie den Feind vertreiben,
gleichwohl ihre eigene Ankunft in den Städten der Bündner
nicht wesentlich von einer Eroberung durch Feindeshand;
doch diesen Mann hat zuvor die Kunde, jetzt der Eindruck
seiner Anwesenheit als so gemäßigt, so rücksichtsvoll und so
entgegenkommend erzeigt, daß man die fur die Glücklichsten
halten muß, bei denen er sich am längsten aufhält.
Unsere Vorfahren haben, ohne selbst durch ein Unrecht
herausgefordert zu sein, um ihrer Bundesgenossen willen
gegen Antiochos, gegen Philipp, gegen die Ätoler, gegen die
Karthager Krieg g e f u h r t " ; ihr aber, die man durch Rechts-
brüche in die Schranken gefordert hat, solltet nicht noch viel
entschiedener für das Heil der Bundesgenossen und zugleich
für die Ehre eures Reiches eintreten? Zumal ja auch eure
größten Steuereinkünfte auf dem Spiele stehen. Denn die
Steuereinnahmen aus den übrigen Provinzen sind so gering,
Quinten, daß sie uns kaum für den Schutz der Provinzen
selbst genügen können. Asien dagegen ist so reich und frucht-
DF IMPF.RIO C N . POMPFI

a g r o r u m et varietate f r u c t u u m et m a g n i t u d i n e pastionis
et m u l t i t u d i n e e a r u m r e r u m q u a e e x p o r t e n t u r facile
o m n i b u s terris a n t e c e l l a t . I t a q u e h a e c vobis p r o v i n c i a .
Q u i r i t e s , si et belli utilitatem et pacis d i g n i t a t e m reti-
n e r e voltis, non m o d o a c a l a m i t a t e sed e t i a m a m e t u
c a l a m i t a t i s est d e f e n d e n d a . N a m in c e t e r i s r e b u s c u m
venit c a l a m i t a s , t u m d e t r i m e n t u m a c c i p i t u r ; at in vecti-
g a l i b u s n o n s o l u m a d v e n t u s mali sed e t i a m m e t u s ipse
adfert calamitatem. Nam cum hostium copiae non
longe a b s u n t , e t i a m si i n r u p t i o nulla facta e s t , t a m c n
pecua relinquuntur, agri cultura deseritur, merca-
t o r u m n a v i g a t i o c o n q u i e s c i t . Ita n e q u e ex p o r t u n e q u e
ex d e c u m i s n e q u e ex s c r i p t u r a vectigal c o n s e r v a r i p o t -
e s t ; q u a re saepe totius anni f r u c t u s u n o r u m o r e periculi
a t q u e u n o belli t e r r o r e a m i t t i t u r . Q u o t a n d e m igitur
a n i m o esse e x i s t i m a t i s aut eos qui vectigalia n o b i s p e n -
s i t a n t , aut eos qui e x e r c e n t a t q u e e x i g u n t , c u m d u o
reges c u m m a x i m i s copiis p r o p t e r a d s i n t , c u m una
e x c u r s i o e q u i t a t u s perbrevi t e m p o r e totius anni vectigal
a u f e r r e p o s s i t , c u m p u b l i c a n i familias m a x i m a s q u a s in
salinis h a b c n t , q u a s in agris, q u a s in p o r t i b u s a t q u e in
c u s t o d i i s m a g n o p e r i c u l o se h a b e r e a r b i t r e n t u r ? Pu-
t a t i s n e vos illis r e b u s frui posse, nisi eos qui vobis
f r u c t u i s u n t c o n s e r v a v e r i t i s non s o l u m , ut a n t e d i x i ,
c a l a m i t a t e sed e t i a m c a l a m i t a t i s f o r m i d i n e l i b e r a t o s ?

A c n e illud q u i d e m vobis n e g l e g e n d u m est q u o d m i h i


e g o e x t r e m u m p r o p o s u e r a m , c u m e s s e m d e belli g e n e r e
C B E R DF.N O B F R B F K F H l . DF.S POMPEILS '53

bar, daß es durch die Ergiebigkeit seiner Landwirtschaft, die


Vielfalt seiner Erträgnisse, die Größe seiner Weideplätze und
die Menge der für die Ausfuhr bestimmten Waren mühelos
alle anderen Länder übertrifft. Ihr müßt daher diese Provinz,
wenn ihr das für den Krieg Förderliche und für den Frieden
Geziemende behalten wollt, Quiriten, nicht nur vor Unheil,
sondern sogar vor der Besorgnis eines Unheils bewahren.
Denn sonst hat man den Schaden erst, wenn das Unheil ein-
tritt; doch bei den Steuereinkünften bringt nicht erst der
Eintritt eines Übels, sondern schon die bloße Besorgnis Ver-
luste mit sich. Denn wenn die feindlichen Truppen nicht weit
sind, so braucht noch kein Einfalt stattgefunden zu haben;
man verläßt gleichwohl die Herden, gibt die Feldarbeit auf
und stellt die Handelsschiffahrt ein. So lassen sich weder aus
dem Hafenzoll noch aus dem Zehnten noch aus dem Weide-
geld " Einnahmen erzielen; daher gehen oft die Einkünfte
eines ganzen Jahres verloren, wenn nur einmal das Gerücht
einer Gefahr aufkommt oder ein Krieg auszubrechen scheint.
Wie stellt ihr euch demnach die Stimmung derer vor, die uns
die Steuern zahlen, oder derer, die sie verwalten und ein-
treiben, wenn sich zwei Könige mit riesigen Heeren in un-
mittelbarer Nähe befinden, wenn ein Streifzug der Reiterei
in kürzester Zeit das Steueraufkommen eines ganzen Jahres
wegraffen kann, wenn die Steuerpächter glauben, daß ihre
zahlreichen Bediensteten, die sie bei den Salzfeldern,7, auf
den Ländereien, in den Häfen und an den Aufsichtsplätzen
beschäftigen, sich in großer Gefahr befinden? Glaubt ihr, aus
alledem noch Nutzen ziehen zu können, es sei denn, ihr be-
wahrt diejenigen, die euch von Nutzen sind, nicht allein vor
dem Unheil, sondern, wie ich schon sagte, auch vor dem
Schreckbild eines Unheils?
Und auch den Punkt solltet ihr nicht gering achten, den
ich mir an letzter Stelle vorgenommen hatte, als ich über die
•54 DE IMPERIO CN. ΡΟΜΡΕΙ

dicturus, quod ad multorum bona civium Romanorum


pertinet; quorum vobis pro vestra sapientia. Quirites,
habenda est ratio diligenter. Nam et publicani, homi-
nes honestissimi atque ornatissimi, suas rationes et
copias in illam provinciam contulerunt, quorum ip-
sorum per se res et fortunae vobis curae esse debent.
Etenim, si vectigalia nervös esse rei publicae semper
duximus, eum certe ordinem qui exercet illa firmamen-
tum ceterorum ordinum recte esse dicemus. Deinde ex 18
ceteris ordinibus homines gnavi atque industrii partim
ipsi in Asia negotiantur, quibus vos absentibus consu-
lere debetis, partim eorum in ea provincia pecunias
magnas conlocatas habent. Est igitur humanitatis ves-
trae magnum numerum civium calamitate prohibere,
sapientiae videre multorum civium calamitatem a re
publica seiunctam esse non posse.

Etenim illud primum parvi refert, vos publicanis


amissa vectigalia postea victoria reciperare; neque enim
isdem redimendi facultas erit propter calamitatem ne-
que aliis voluntas propter timorem. Deinde quos nos 19
eadem Asia atque idem iste Mithridates initio belli
Asiatici docuit, id quidem certe calamitate docti memo-
ria retinere debemus. N a m tum, cum in Asia magnas
permulti res amiserunt, scimus Romae solutione impe-
dita fidem concidisse. Non enim possunt una in civitate
multi rem ac fortunas amittere ut non pluris secum in
eandem trahant calamitatem: a quo periculo prohibete
ÜBER DEN O B E R B E F E H L DES POMPE1LS •55

Beschaffenheit des Krieges zu sprechen begann: er betrifft


das Vermögen zahlreicher römischer Bürger. Ihr solltet dar-
auf, wenn ihr vernünftig seid, Quinten, sorgsam Bedacht
nehmen. Denn erstens haben die Steuerpächter, sehr ange-
sehene und vermögende Leute, ihre Gelder und Mittel in
dieser Provinz angelegt. Deren Interessen und Verhältnisse
müssen um ihrer selbst willen eure Teilnahme erregen.
Denn wenn uns die Steuereinnahmen stets als der Nerv
des Staates gegolten haben, so dürfen wir mit Recht be-
haupten, daß der Stand, der sie verwaltet l 8 , die Stütze der
übrigen Stände sei. Da sind zweitens Angehörige der übrigen
Stände, tüchtige und regsame Leute; sie treiben zum Teil
selbst in Asien Handel, und ihr müßt euch in ihrer Abwesen-
heit um sie kümmern; teils haben sie beträchtliche Kapitalien
in dieser Provinz angelegt. Ihr seid es demnach eurer Mensch-
lichkeit schuldig, eine große Zahl von Bürgern vor dem Un-
glück zu bewahren, und eurer Klugheit, einzusehen, daß die
allgemeine Wohlfahrt nicht unabhängig von dem Unglück
vieler Bürger bestehen kann.
Denn einmal will es wenig heißen, daß ihr den Pächtern
die verlorenen Steuern hernach durch euren Sieg wieder ver-
schaffen könnt; denn den bisherigen Bewerbern werden we-
gen der Verluste die Mittel zur Pacht und anderen aus Furcht
die Bereitschaft hierzu fehlen. Zum anderen, was uns dasselbe
Asien und eben dieser Mithridates zu Beginn des asiatischen
Krieges gezeigt haben, das müssen wir, durch Schaden klug
geworden, jetzt unbedingt im Auge behalten. Denn wir
wissen ja, daß damals, als in Asien sehr vielen Leuten große
Vermögenswerte verlorengingen, in Rom die Zahlungen
stockten und der Kredit zusammenbrach. Wenn nämlich in
einem Staate viele Leute Geld und Vermögen einbüßen, so
kann es nicht ausbleiben, daß sie noch andere mit sich in das-
selbe Verderben ziehen: bewahrt unser Staatswesen vor die-
.56 DE I M P E R I O C N . POMPF.I

rem publicam. Etcnim - mihi credite id quod ipsi


videtis - haec fides atque haec ratio pecuniarum quae
Romae, quae in foro versatur, implicata est cum illis
pecuniis Asiaticis et cohaeret; ruere ilia non possunt ut
haec non eodem labefacta motu concidant. Qua re
videte num d u b i t a n d u m vobis sit omni studio ad id
bellum incumbere in quo gloria nominis vestri, salus
sociorum, vectigalia m a x i m a , fortunae plurimorum ci-
vium coniunctae c u m re publica defendantur.

Q u o n i a m de genere belli dixi, nunc de magnitudine 20


pauca dicam. Potest enim hoc dici, belli genus esse ita
necessarium ut sit g e r e n d u m , non esse ita magnum ut
sit pertimescendum. In quo m a x i m e laborandum est ne
forte ea vobis quae diligentissime providenda sunt con-
temnenda esse videantur. A t q u e ut omnes intellegant
me L . L u c u l l o tantum impertire laudis quantum forti
viro et sapienti homini et magno imperatori debeatur,
dico eius adventu maximas Mithridati copias omnibus
rebus ornatas atque instructas fuissc, u r b c m q u e Asiae
clarissimam nobisque amicissimam C y z i c e n o r u m op-
pressam esse ab ipso rege maxima multitudine et oppu-
gnatam vehementissime; quam L . L u c u l l u s \ irtute, ad-
siduitate, consilio summis obsidionis periculis libera-
vit. A b eodem imperatore classem magnani ct ornatam :1
quae ducibus Sertorianis ad Italiam studio atque odio
inflammata raperetur superatam esse atque depressam;
magnas hostium praeterea copias multis proeliis esse
O B E R DF.N O B E R B E F E H L D E S POMPEILS
'57

ser Gefahr! Denn glaubt mir, was ihr ja selber seht: das
Kredit- und Geldwesen, das in Rom, das hier auf dem Forum "
seine Stätte hat, ist mit den asiatischen Kapitalien verflochten
und davon abhängig; jene Kapitalien können nicht zusammen-
brechen, ohne daß der hiesige Geldmarkt, von derselben Be-
wegung erschüttert, in Verfall gerät. Seht daher zu, ob ihr
zögern dürft, mit allem Nachdruck den Krieg zu betreiben,
bei dem es die Ehre eures Namens, das Heil der Bundesge-
nossen, die größten Steuereinkünfte, das Vermögen zahl-
reicher Bürger und hiermit zugleich die allgemeine Wohlfahrt
zu verteidigen gilt.
Ich habe über die Beschaffenheit des Krieges gesprochen;
ich will jetzt einiges über seine Größe sagen. Man könnte
nämlich behaupten, der Krieg sei wegen seiner Beschaffenheit
so dringlich, daß man ihn fuhren müsse, er sei jedoch nicht so
bedeutend, daß man ihn zu fürchten brauche. Hier heißt es
in höchstem Grade darauf bedacht sein, daß ihr nicht etwa
meint, geringschätzen zu dürfen, was in Wahrheit sorgfäl-
tigste Vorbereitung erfordert. Und damit jeder erkennt, daß
ich dem L.Lucullus so viel Lob erteile, wie einem tapferen
Soldaten, verständigen Manne und bedeutenden Feldherrn
gebührt, erkläre ich: als er eintraf, gebot Mithridates über
sehr starke Truppen, die mit allem versehen und ausgerüstet
waren. Die Stadt Kyzikos, ein Kleinod Asiens und mit uns
auf das engste befreundet, wurde unter der Leitung des Kö-
nigs durch ein gewaltiges Aufgebot hart bedrängt und mit
äußerster Heftigkeit belagert; L.Lucullus hat sie durch Tat-
kraft, Beharrlichkeit und Geschick aus dieser überaus gefähr-
lichen Umklammerung befreit. Derselbe Feldherr hat auch
eine große und wohlausgerüstete Flotte, die unter der Füh-
rung von Sertorianern, in Wut und Haß entbrannt, nach Ita-
lien eilen sollte, überwunden und vernichtet". Außerdem
wurden stattliche Verbände des Feindes in zahlreichen Kämp-
DF IMPERIO CN. POMPEI

deletas patefactumque nostris legionibus esse Pontum


qui antea populo Romano ex omni aditu clausus fuisset;
Sinopen atque Amisum, quibus in oppidis erant domi-
cilia regis omnibus rebus ornata ac referta, ceterasque
urbis Ponti et Cappadociae permultas uno aditu adven-
tuque esse captas; regem spoliatum regno patrio atque
avito ad alios se reges atque ad alias gentis supplicem
contulisse; atque haec omnia salvis populi Romani so-
ciis atque integris vectigalibus esse gesta. Satis opinor
hoc esse laudis atque ita, Quirites, ut hoc vos intellega-
tis, a nullo istorum qui huic obtrcctant legi atque causae
L. Lucullum similiter ex hoc loco esse laudatum.

Requiretur fortasse nunc quem ad modum, cum haec 22


ita sint, reliquum possit magnum esse bellum. Cognos-
cite, Quirites; non enim hoc sine causa quaeri videtur.
Primum ex suo regno sic Mithridates profugit ut ex
eodem Ponto Medea ilia quondam fugisse dicitur,
quam praedicant in fuga fratris sui membra in eis locis
qua se parens persequeretur dissipavisse, ut eorum
conlectio dispersa maerorque patrius celeritatem pcrsc-
quendi retardaret. Sic Mithridates fugiens maximam
vim auri atque argenti pulcherrimarumque rerum om-
nium quas et a maioribus acceperat et ipse bello supe-
riore ex tota Asia direptas in suum regnum congesserat
in Ponto omnem reliquit. H a e c dum nostri conligunt
omnia diligentius, rex ipse e manibus effugit. Ita ilium
in persequendi studio maeror, hos laetitia tardavit.
CBF.R D E N O B E R B E F E H L D E S P O M P E I I ' S '59

fen aufgerieben, und unsere Legionen drangen in Pontus ein,


das dem römischen Volke zuvor von keiner Seite her zugäng-
lich gewesen war. Sinope und Amisus", wo sich Paläste des
Königs befanden, mit allem reich versehen und angefüllt, so-
wie zahlreiche weitere Städte in Pontus und Kappadokien
wurden auf einem einzigen Vorstoß im Handstreich genom-
men; der König, seines vom Vater und Großvater ererbten
Reiches beraubt, mußte sich als Bittflehender zu anderen Kö-
nigen und Völkerschaften begeben. Und alles dies wurde voll-
bracht, ohne daß die Bundesgenossen des römischen Volkes
zu Schaden kamen oder die Steuereinnahmen zurückgingen-
Ich glaube, das genügt zum Lobe, und zwar in dem Maße,
daß ihr erkennen könnt, Quiriten: niemand von denen, die
unserem Gesetz und Vorhaben widerstreben, hat dem L.Lu-
cullus an dieser Stelle ein ähnliches Lob ausgesprochen.
Doch jetzt fragt sich vielleicht, wie trotz dieser Erfolge ein
bedeutender Krieg übrigbleiben konnte. Hört zu, Quiriten;
denn diese Frage ist gewiß nicht unbegründet. Zunächst ent-
wich Mithridates ebenso aus seinem Reiche, wie einst auch
Medea aus Pontus geflohen sein soll. Von ihr heißt es, sie habe
auf der Flucht längs des Weges, auf dem ihr Vater sie ver-
folgte, die Gliedmaßen ihres Bruders ausgestreut; so habe die
Suche, die sich bald hierhin, bald dorthin wandte, und dazu
der Schmerz des Vaters die Schnelligkeit der Verfolgung ge-
hemmt. So ließ auch der fliehende Mithridates alle seine rie-
sigen Schätze in Pontus zurück, Gold, Silber und Kostbar-
keiten jeder Art, die er teils von den Vorfahren ererbt, teils
selbst im vorigen Kriege aus ganz Asien geraubt und in sei-
nem Reiche aufgehäuft hatte. Während unsere Leute dies
alles gar zu gründlich zusammentrugen, konnte sich der Kö-
nig selbst ihrem Zugriff entziehen 22 . So wurde die Verfol-
gungsjagd bei dem Vater Medeas durch Schmerz, bei unseren
Soldaten durch Freude aufgehalten.
ι6ο DE IMPERIO CN. POMPEI

H u n c in illo timore et f u g a T i g r a n e s , rex A r m e n i u s , 23


excepit d i f f i d e n t e m q u e rebus suis confirmavit et adflic-
tum erexit p e r d i t u m q u e recreavit. C u i u s in regnum
postea q u a m L . L u c u l l u s cum exercitu venit, plures
etiam gentes contra imperatorem nostrum concitatae
sunt. Erat enim metus iniectus eis nationibus quas
n u m q u a m populus R o m a n u s neque lacessendas bello
neque temptandas putavit; erat etiam alia gravis atque
vehemens opinio quae per animos gentium barbararum
pervaserat, fani locupletissimi et religiosissimi diri-
piendi causa in eas oras nostrum esse exercitum adduc-
tum. Ita nationes multae atque magnae novo quodam
terrore ac metu concitabantur. N o s t e r autem exercitus,
tametsi u r b e m ex T i g r a n i regno ceperat et proeliis usus
erat secundis, tarnen nimia longinquitate locorum ac
desiderio suorum commovebatur.

H i e iam plura non dicam; fuit enim illud e x t r c m u m 24


ut ex eis locis a militibus nostris reditus magis maturus
quam progressio longior quaereretur. .Vlithridates au-
tem se et suam m a n u m iam confirmarat eorum opera
qui ad e u m ex ipsius regno concesserant et magnis
adventieiis auxiliis multorum regum et nationum iuva-
batur. N a m hoc fere sic fieri solere accepimus ut regum
adflictae fortunae facile multorum opes adliciant ad
misericordiam, m a x i m e q u e eorum qui aut reges sunt
aut vivunt in regno, ut eis nomen regale m a g n u m et
sanctum esse videatur. Itaque tantum victus e f f i c e r c 25
potuit q u a n t u m incolumis n u m q u a m est ausus optare.
LBFR DFN OBFRBFFFHL D F S POMPF.IL'S l6l

Tigranes, der König von Armenien, gewährte dem einge-


schüchterten Flüchtling Schutz, er ermutigte den an seinem
Glück Zweifelnden, er richtete den Niedergeschlagenen auf
und gab dem Hoffnungslosen neuen Mut 1 3 . Als nun L.Lucul-
lus mit seinen Truppen in dessen Gebiet einrückte, da wurden
noch mehr Völkerschaften gegen unseren Feldherrn in Auf-
ruhr gebracht. Denn Furcht bemächtigte sich dieser Stämme,
die das römische Volk nie zum Kampf herausfordern oder
reizen zu dürfen geglaubt hatte. Zudem waren die Barbaren-
völker noch von einem anderen schweren und die Gemüter
heftig erregenden Wahne erfüllt: man habe unser Heer in
diese Gegenden geführt, um das reichste und ehrwürdigste
Heiligtum auszuplündern 14 . So wurden zahlreiche große
Stämme durch Befürchtungen und Schrecknisse ungewöhn-
licher Art in Aufruhr gebracht. Unser Heer nahm zwar eine
Stadt ein, die zum Reiche des Tigranes gehörte 15 , und lie-
ferte einige glückliche Schlachten; gleichwohl drückten die
allzu große Abgelegenheit der Gegend und die Sehnsucht
nach den Angehörigen die Stimmung nieder.
Hierüber will ich jetzt nicht mehr sagen; denn es endete
damit, daß unsere Soldaten statt weiteren Vorrückens den
baldigen Rückzug aus jenen Gebieten forderten. Mithridates
aber hatte sich inzwischen erholt und seine Truppen durch
den Zuzug derer aufgefüllt, die aus seinem eigenen Reich zu
ihm gekommen waren; zudem erhielt er Unterstützung durch
starke Hilfsverbände, die zahlreiche Könige und Völkerschaf-
ten ihm schickten. Denn ungefähr so geht es ja, wie die Kunde
uns berichtet, immer wieder zu: das gebeugte Schicksal von
Königen stimmt leicht viele Mächtige zum Mitleid, beson-
ders diejenigen, die selbst Könige sind oder in einem König-
reich leben; offenbar halten sie die Königswürde für etwas
Erhabenes und Heiliges. So vermochte der Besiegte zu errei-
chen, was der Unbesiegte niemals zu hoffen gewagt hätte.
DF 1MPFRI0 CN. ΡΟΜΡΕ1

N a m cum se in regnum suum recepisset, non fuit eo


contentus quod ei praeter spem acciderat, ut illam
postea quam pulsus erat terram umquam attingeret, sed
in exercitum nostrum clarum atque victorem impetum
fecit. Sinite hoc loco, Quirites, sicut poetae solent qui
res Romanas scribunt, praeterire me nostram calamita-
tem, quae tanta fuit ut earn ad auris imperatoris non ex
proelio nuntius sed ex sermone rumor adferret. Hie in 26
illo ipso malo gravissimaque belli offensione L . Lucul-
lus, qui tarnen aliqua ex parte eis incommodis mederi
fortasse potuisset, vestro iussu coactus qui imperi diu-
turnitati modum statuendum vetere exemplo putavis-
tis, partim militum qui iam stipendiis confectis erant
dimisit, partim Μ'. Glabrioni tradidit. Multa praetereo
consulto; sed ea vos coniectura perspicite quantum
illud bellum factum putetis quod coniungant reges
potentissimi, renovent agitatae nationes, suscipiant in-
tegrae gentes, novus imperatur noster accipiat vetere
exercitu pulso.

Satis multa mihi verba fecisse videor qua re esset hoc


bellum genere ipso necessarium, magnitudine pericu-
losum. Restat ut de imperatore ad id bellum deligendo
ac tantis rebus praeficiendo dicendum esse videatur.
Utinam, Quirites, virorum fortium atque innocentium
copiam tantam haberetis ut haec vobis deliberatio d i f f i -
cilis esset quemnam potissimum tantis rebus ac tanto
bello praeficiendum putaretis! N u n c vcro cum sit unus
L'BF.R D F N O B F R B F . F F - H L D F S POMPFIUS .63

Denn als er in sein Reich zurückgekehrt war, da gab er sich


nicht damit zufrieden, daß es ihm wider Erwarten vergönnt
war, die Heimat nach seiner Vertreibung je noch einmal zu
betreten; vielmehr ging er zum Angriff auf unser ruhmbe-
decktes und siegreiches Heer über. Erlaubt mir jetzt, Qui-
rlten, daß ich, wie die Dichter pflegen, wenn sie die Taten
der Römer schildern 2 ', über unser Unglück hinweggehe; es
war so furchtbar, daß es nicht durch einen Boten aus der
Schlacht, sondern durch das Gerede der Einwohner zu den
Ohren des Feldherrn gelangte. L.Lucullus hätte vielleicht
einem Teil der Widerwärtigkeiten zu steuern gewußt; da
glaubtet ihr, der Dauer seines Oberbefehls nach bewährtem
Beispiel ein Ende setzen zu sollen, und er mußte, durch euren
Befehl genötigt, mitten in dieser mißlichen Lage und unmit-
telbar nach der schwersten Schlappe des Krieges einen Teil
der Soldaten, der bereits ausgedient hatte, entlassen, einen
Teil dem M'.Glabrio übergeben". Ich lasse mit Absicht vieles
unerwähnt; ihr aber mögt selbst überschlagen, welches Aus-
maß dieser Krieg angenommen hat, den die mächtigsten Kö-
nige gemeinsam betreiben, den die bereits unbotmäßigen
Stämme erneuern, den frische Völkerschaften beginnen, den
auf unserer Seite ein neuer Oberbefehlshaber mit einem alten,
geschlagenen Heere übernimmt.

Ich habe, glaube ich, in hinlänglicher Ausführlichkeit dar-


getan, weshalb dieser Krieg wegen seiner Beschaffenheit un-
vermeidlich, wegen seiner Größe bedrohlich ist. Offenbar
bleibt noch zu erörtern, wen man für diesen Krieg als Ober-
befehlshaber ausersehen und mit einer so schwierigen Aufgabe
betrauen sollte. Man möchte wünschen, Quiriten, daß euch
tüchtige und unsträfliche Männer in stattlicher Zahl zu Ge-
bote stünden und euch die Entscheidung schwerfallen müßte,
wen ihr am ehesten an die Spitze einer so wichtigen Unter-
nehmung und eines so bedeutenden Krieges stellen sollt! Nun
164 DF 1MPFRIOCN. POMPFI

C n . P o m p e i u s qui non m o d o e o r u m h o m i n u m q u i n u n c
sunt g l o r i a m sed e t i a m a n t i q u i t a t i s m e m o r i a m v i r t u t e
s u p e r a r i t , q u a e res est q u a e c u i u s q u a m a n i m u m in hac
causa d u b i u m f a c e r e possit? K g o e n i m sic e x i s t i m o , in 28
s u m m o i m p e r a t o r e q u a t t u o r has res i n e s s e o p o r t e r e .
s c i e n t i a m rei m i l i t a r i s , v i r t u t e m , a u c t o r i t a t e m , f e l i c i t a -
tem.
Q u i s i g i t u r hoc h o m i n e scientior u m q u a m aut f u i t aut
esse d e b u i t ? qui e l u d o a t q u e e p u c r i t i a e d i s c i p l i n i s hello
m a x i m o a t q u e a c e r r i m i s h o s t i b u s ad p a t r i s e x e r c i t u m
a t q u e in militiae d i s c i p l i n a m p r o f e c t u s e s t , qui e x t r e m a
pueritia miles in e x e r c i t u summi fuit imperatoris,
i n e u n t e a d u l e s c c n t i a m a x i m i ipse e x e r c i t u s i m p e r a t o r ,
qui s a e p i u s c u m hoste c o n f l i x i t q u a m q u i s q u a m c u m
i n i m i c o c o n c e r t a v i t , p l u r a bella gessit q u a m ceteri l e g e -
r u n t , p l u r i s p r o v i n c i a s c o n f e c i t q u a m alii c o n c u p i v e -
r u n t , c u i u s a d u l e s c e n t i a ad s c i e n t i a m rei m i l i t a r i s non
alienis p r a e c e p t i s sed suis i m p e r i i s , n o n o f f e n s i o n i b u s
belli sed v i c t o r i i s , non s t i p e n d i i s sed t r i u m p h i s est
e r u d i t a . Q u o d d e n i q u e g e n u s esse belli p o t e s t in q u o
i l i u m non c x e r c u e r i t f o r t u n a rei p u b l i c a e ? C i v i l e , A f r i -
c a n u m , T r a n s a l p i n u m , H i s p a n i e n s e m i x t u m ex c i v i b u s
atque ex bellicosissimis nationibus, servile, navale
b e l l u m , v a r i a et d i v e r s a g e n e r a et b e l l o r u m et h o s t i u m
non s o l u m gesta ab hoc u n o sed e t i a m c o n f e c t a n u l l a m
r e m esse d e c l a r a n t in usu p o s i t a m militari q u a e h u i u s
viri s c i e n t i a m f u g e r e possit.
ÜBER DEN O B F R B F F F H L DES POMPFILS •65

ist aber Cn. Pompeius der einzige, der durch seine Befähigung
nicht nur den Ruhm der jetzt Lebenden, sondern auch die
Kunde der Vorzeit übertrifft; was könnte da irgend jemandem
in dieser Sache noch Anlaß zu Zweifeln geben? Denn ich für
mein Teil denke so hierüber: ein großer Feldherr muß vier
Eigenschaften mitbringen, Kenntnis des Kriegswesens, Be-
fähigung, Ansehen und Glück.
Wer also hatte je bessere Kenntnisse oder hätte sie haben
sollen, im Vergleich zu diesem Manne? Der aus der Schule
und dem Jugendunterricht in das Heer des Vaters und in die
Schule des Kriegsdienstes eintrat, während ein furchtbarer
Krieg gegen äußerst erbitterte Feinde entbrannt war, der am
Ende seiner Kindheit als Soldat im Heere des tüchtigsten Feld-
herrn diente* 8 , als junger Mann aber selbst ein riesiges Heer
befehligte, der sich öfter mit dem Landesfeinde schlug, als
irgend jemand vor Gericht gegen seine Widersacher stritt, der
mehr Kriege geführt hat, als andere aus Büchern kannten,
mehr Provinzen unterworfen hat, als andere je begehrten, der
sich in jungen Jahren nicht durch fremde Weisungen, sondern
durch eigene Befehlshaberstellen, nicht durch Niederlagen,
sondern durch Siege, nicht durch Dienstjahre, sondern durch
Triumphe 1 ' eine gründliche Kenntnis des Kriegswesens ver-
schafft hat. Was für eine Art von Krieg kann es überhaupt
geben, worin ihn die Mißgeschicke unseres Staates nicht er-
probt hätten? Der Bürgerkrieg, die Kriege in Afrika, jenseits
der Alpen 30 , in Spanien (dort hatten sich römische Bürger mit
den kämpferischsten Völkerschaften vereinigt), gegen die
Sklaven gegen die Seeräuber, alle diese mannigfaltigen und
unterschiedlichen Arten von Kriegen und von Feinden, die
der eine Mann nicht nur auf sich genommen, sondern auch
bestanden hat, beweisen: auf dem Gebiete der Kriegserfah-
rung gibt es nichts, was der Kenntnis dieses Mannes entge-
hen könnte.
DE I M P E R I O C N . P O M P F I

l a m vero virtuti C n . Pompei quae potest oratio par 29


inveniri? Q u i d est quod quisquam aut illo d i g n u m aut
vobis n o v u m aut cuiquam inauditum possit adferre?
N e q u e enim solae sunt virtutes imperatoriae quae volgo
existimantur, labor in negotiis, fortitudo in periculis,
industria in agendo, celeritas in conficiendo, consilium
in providendo, quae tanta sunt in hoc uno quanta in
omnibus reliquis imperatoribus quos aut vidimus aut
audivimus non fuerunt. Testis est Italia quam ille ipse 30
victor L . Sulla huius virtute et subsidio confessus est
liberatam; testis Sicilia quam multis undique cinctam
periculis non terrore belli sed consili celeritate explica-
vit; testis A f r i c a quae magnis oppressa hostium copiis
eorum ipsorum sanguine redundavit; testis Gallia per
q u a m legionibus nostris iter in H i s p a n i a m G a l l o r u m
internicione patefactum est; testis Hispania quae sae-
pissime plurimos hostis ab hoc superatos prostratosque
conspexit; testis iterum et saepius Italia quae, cum
servili bello taetro periculosoque premeretur, ab hoc
auxilium absente expetivit, quod bellum exspectatione
eius attenuatum atque imminutum est, adventu subla-
tum ac sepultum.

Testes nunc vero iam omnes orae atque omnes terrae 31


gentes nationes, maria denique omnia cum universa
tum in singulis oris omnes sinus atque portus. Quis
enim toto mari locus per hos annos aut tarn f i r m u m
habuit praesidium ut tutus esset, aut tarn fuit abditus ut
lateret? Q u i s navigavit qui non se aut mortis aut servi-
CBER DEN OBERBF.FFHL DES POMPFIL'S .67

Doch was die Befähigung des Cn. Pompeius angeht, welche


Worte lassen sich ersinnen, die ihr gerecht würden? Was
könnte man vorbringen, was seiner würdig oder euch neu oder
irgendeinem noch unbekannt wäre? Denn nicht nur die Vor-
züge machen den Feldherrn, die jedermann für erforderlich
hält: angestrengte Tätigkeit im Dienst, Beherztheit in Ge-
fahren, Rührigkeit beim Handeln, Raschheit bei der Ausfüh-
rung, Weitblick bei der Planung. All dies besitzt der eine
Pompeius in einem Maße, wie es alle anderen Feldherrn, die
wir sahen oder von denen wir hörten, nicht besessen haben.
Zeuge ist Italien, das, wie kein anderer als der Sieger L.Sulla
gestand, durch die Schlagkraft und das hilfreiche Eingreifen
des Pompeius befreit wurde; Zeuge ist Sizilien, das er, da es
rings von vielerlei Gefahr umgeben war, nicht durch die
Schrecknisse des Krieges, sondern durch die Schnelligkeit
seiner Entschlüsse der Bedrohung entriß; Zeuge ist Afrika,
das, von starken Truppen der Feinde bedrängt, alsbald von
deren Blut troff; Zeuge ist Gallien, durch das sich unsere Le-
gionen in vernichtenden Schlägen gegen die Gallier den Weg
nach Spanien freikämpften; Zeuge ist Spanien, das immer wie-
der sah, wie Pompeius die Feinde in Scharen überwand und
niederstreckte; Zeuge ist abermals und öfter noch Italien, das
ihn, den Abwesenden, um Hilfe bat, als es von dem scheuß-
lichen und gefährlichen Sklavenkrieg heimgesucht wurde1* -
der Aufruhr wurde durch die Erwartung seiner Ankunft ge-
schwächt und verringert, durch seine Ankunft beseitigt und
vertilgt.
Zeugen sind jetzt vollends alle Küsten und alle Länder,
Stämme, Völkerschaften, schließlich alle Meere in ihrer Ge-
samtheit und an den einzelnen Küsten alle Buchten und Hä-
fen. Denn welcher Platz am ganzen Meere bot während der
letzten Jahre so starken Schutz, daß er Sicherheit gewährte,
und war so entlegen, daß er verborgen blieb? Wer reiste zur
DF I M P E R I O C N . P O M P E 1

tutis periculo committeret, cum aut hierrie aut referto


praedonum mari navigaret? Hoc tantum bellum, tarn
turpe, tarn vetus, tarn late divisum atque dispersum
quis u m q u a m arbitraretur aut ab omnibus imperatori-
bus uno anno aut omnibus annis ab uno imperatore
confici posse? Q u a m provinciam tenuistis a praedoni- 32
bus liberam per hosce annos? quod vectigal vobis tutum
fuit? quem socium defendistis? cui praesidio classibus
vestris fuistis? quam multas existimatis insulas esse
desertas, quam multas aut metu relictas aut a praedoni-
bus captas urbis esse sociorum?

Sed quid ego longinqua commemoro? F'uit hoc quon-


dam, fuit proprium populi Romani longe a d o m o bel-
lare et propugnaculis imperi sociorum fortunas, non
sua tecta defendere. Sociis ego vestris mare per hosce
annos clausum fuisse dicam, cum exercitus vestri num-
quam Brundisio nisi hieme summa transmiserint? Qui
ad vos ab exteris nationibus venirent, captos querar,
cum legati populi Romani redempti sint? Mercatoribus
mare tutum non fuisse dicam, cum duodecim secures in
praedonum potestatem pervenerint? C n i d u m aut Colo- 33
phonem aut S a m u m , nobilissimas urbis, innumerabi-
lisquc alias captas esse commemorem, cum vestros
portus atque eos portus quibus vitam ac spiritum duci-
tis in praedonum fuisse potestate sciatis? A n vero igno-
ratis portum Caietae celeberrimum et plenissimum na-
vium inspectante practore a praedonibus esse direp-
tum, ex Miseno autem eius ipsius liberos qui cum
praedonibus antea bellum gesserat a praedonibus esse
CBFR DEN OBF.RBF.FFHL D F S POMPFILS

See, ohne sich der Gefahr des T o d e s oder der Sklaverei auszu-
setzen, da er entweder im Winter oder auf einem von Piraten
erfüllten Meer reisen mußte? Wer hätte je geglaubt, daß sich
dieser arge Krieg, der so schimpflich, so langwierig, so weit
auseinandergezogen und zerstreut w a r 1 5 , von allen unseren
Feldherrn in einem Jahr oder von einem Feldherrn in allen
seinen Jahren beendigen lasse? Welche Provinz konntet ihr in
diesen Jahren von Raubgesindel freihalten? Welche Steuer-
einnahme war euch sicher? Welchen Bundesgenossen habt ihr
beschützt? Wem habt ihr mit euren Flotten Beistand gewährt?
Wie viele Inseln mögen verlassen, wie viele Bündnerstädte
aus Furcht aufgegeben oder von Räubern besetzt worden sein?
Doch warum führe ich an, was sich in weiter Ferne z u t r u g ?
Das gab es einmal, das war eine Besonderheit des römischen
Volkes: weitab von der Heimat Krieg zu fuhren und mit den
Bollwerken des Reiches das H a b und G u t der Verbündeten,
nicht den eigenen Herd zu verteidigen. Soll ich erwähnen, daß
die See in diesen Jahren für eure Bundesgenossen gesperrt war,
wenn eure Heere nur im tiefen Winter von Brundisium aus
überzusetzen w a g t e n ? Soll ich die Gefangenschaft der Boten
bedauern, die von auswärtigen Völkern zu euch kamen, wenn
Abgesandte des römischen Volkes freigekauft werden muß-
ten? Soll ich vorbringen, daß die See für die Kaufleute nicht
sicher war, wenn zwölf Liktorenbeile in die Gewalt der Pira-
ten fielen34? Soll ich anführen, daß Knidos oder K o l o p h o n "
oder Samos, hochberühmte Städte, und noch unzählige andere
Orte erobert wurden, wenn ihr wißt: eure Häfen, und zwar
die Häfen, durch die ihr lebt und a t m e t 3 6 , waren in der Ge-
walt der R ä u b e r ? Oder blieb euch etwa unbekannt, daß die
Piraten den vielbesuchten und von Schiffen wimmelnden Ha-
fen Cajetas vor den Augen eines Prätors geplündert haben?
Daß aus Misenum die Kinder eben des Mannes, der sich zuvor
mit den Räubern geschlagen hatte, von den Räubern ent-
DF IMPF-RIO C N . POMPF.l

sublatos? N a m quid ego Ostiense i n c o m m o d u m atque


illam labem atque ignominiam rei publicae querar, cum
prope inspectantibus vobis classis ea cui consul populi
Romani praepositus esset a praedonibus capta atque
depressa est?
Pro di immortales! tantamne unius hominis incredi-
bilis ac divina virtus tarn brevi tempore lucem adferre
rei publicae potuit ut vos, qui m o d o ante ostium T i b e -
rinum classem hostium videbatis, ei nunc nullam intra
Oceani ostium p r a e d o n u m navem esse audiatis? A t q u e 34
haec qua celeritate gesta sint, q u a m q u a m videtis, tamen
a me in dicendo praetereunda non sunt. Q u i s enim
u m q u a m aut obeundi negoti aut consequendi quaestus
studio tam brevi tempore tot loca adire, tantos cursus
conficere potuit, q u a m celeriter C n . Pompeio duce
tanti belli impetus navigavit? qui nondum tempestivo
ad n a v i g a n d u m mari Siciliam adiit, A f r i c a m exploravit,
inde S a r d i n i a m c u m classe venit atque haec tria fru-
mentaria subsidia rei publicae firmissimis praesidiis
classibusque munivit. Inde cum se in Italiam recepis- 35
set, d u a b u s Hispaniis et G a l l i a Transalpina praesidiis
ac navibus c o n f i r m a t a , missis item in oram Illyrici
maris et in A c h a i a m o m n e m q u e G r a e c i a m navibus
Italiae d u o maria maximis classibus firmissimisque
praesidiis adornavit, ipse autem ut Brundisio profectus
est, u n d e q u i n q u a g e s i m o die totam ad Imperium populi
Romani Ciliciam adiunxit; omnes qui ubique praedo-
nes fuerunt partim capti interfectique sunt, partim
I B E R DF.N O B E R B E F E H L D F S P O M P F I L S 171

führt wurden? Denn wozu soll ich die Schlappe von Ostia und
diese Schmach und Schande unseres Staates beklagen, als die
Flotte, deren Befehlshaber Konsul des römischen Volkes war,
fast vor euren Augen von den Piraten genommen und ver-
senkt w u r d e " ?
Bei den unsterblichen Göttern! So viel Helligkeit vermochte
die unglaubliche, ja göttliche Tatkraft eines einzigen Mannes
in so kurzer Zeit unserem Staate zu bringen, daß ihr, die ihr
soeben noch eine feindliche Flotte vor der Tibermündung
saht, jetzt von keinem Piratenschiff mehr hört, das sich dies-
seits der Mündung des Ozeans befände? Und mit welcher Ge-
schwindigkeit dies vollbracht wurde, darüber darf ich in mei-
ner Ansprache, wiewohl ihres selbst seht, nicht hinweggehen.
Denn wer vermochte je, um einem Geschäft nachzugehen
oder Gewinn zu erzielen, in so kurzer Zeit so viele Gegenden
zu besuchen, so viele Fahrten auszuführen, im Vergleich zu
der Schnelligkeit, mit der die Kampfkraft eines so bedeuten-
den Krieges unter der Führung des Cn.Pompeius einherse-
gelte? Als die Jahreszeit noch keine Schiffahrt zuließ, da lan-
dete Pompeius in Sizilien, durchsuchte er Afrika, kam er von
dort mit seiner Flotte nach Sardinien und schützte er diese
drei Grundpfeiler der staatlichen Getreideversorgung durch
äußerst starke Stützpunkte und Flottenabteilungen. Von dort
kehrte er nach Italien zurück; er sicherte die beiden spani-
schen Provinzen und das jenseitige Gallien durch Stützpunkte
und Schiffe; auch an die Küste des illyrischen Meeres, nach
Achaia 38 und ganz Griechenland entsandte er Schiffe, und die
beiden Meere Italiens versah er mit sehr großen Flottenab-
teilungen und stark befestigten Schutzposten. Er selbst hat
sodann am 49. Tage nach seiner Abreise von Brundisium ganz
Kilikien dem Reiche des römischen Volkes einverleibt; sämt-
liche Piraten aller Himmelsgegenden wurden teils gefangen-
genommen und getötet, teils ergaben sie sich dem einen Pom-
1/2 DF IMPFRIO CN. POMPF1

unius huius se imperio ac potestati dediderunt. Idem


Cretensibus. cum ad eum usque in P a m p h v l i a m legatos
deprecatoresque misissent, spem deditionis non ademit
obsidesque imperavit. Ita tantum b e l l u m , tarn diutur-
num, tarn longe lateque dispersum, q u o bello omnes
gentes ac nationes premebantur, C n . Pompeius ex-
treme hieme apparavit, ineunte vere suscepit, media
aestate confecit.

Est haec divina atque incredibilis virtus imperatoris. 36


Quid? ceterae quas paulo ante commemorare coeperam
quantae atquc quam multae sunt! N o n enim bellandi
virtus solum in summo ac perfecta imperatore quae-
renda est sed multae sunt artes eximiae huius adminis-
trae comitesque virtutis. A c p r i m u m quanta innocen-
tia debent esse imperatores, quanta deinde in omnibus
rebus temperantia, quanta fide, quanta facilitate,
quanto ingenio, quanta humanitate! quae b r e v i t e r q u a -
lia sint in C n . Pompeio consideremus. S u m m a enim
sunt omnia, Quirites, sed ea magis ex aliorum conten-
tione quam ipsa per sese cognosci atque intellegi pos-
sunt.

Q u e m enim possumus imperatorem ullo in numero 37


putare cuius in cxercitu centuriatus veneant atque ve-
nierint? Quid hunc hominem magnum aut amplum de
re publica cogitare qui pecuniam ex aerario d e p r o m p -
tam ad bellum administrandum aut propter cupidita-
tem provinciae magistratibus diviserit aut propter ava-
ritiam Romae in quaestu reliquerit? Yestra admurmura-
tio facit, Quirites, ut agnoscere videamini qui haec
fecerint; ego autcm nomino neminem; qua re irasci mihi
ÜBFR DEN OBFRBF FEHL DES POMPFIL S
'73

peius auf Gnade und Ungnade. Derselbe Mann machte auch


den Kretern, die ihm eine Bittgesandtschaft bis nach Pamphy-
lien nachgeschickt hatten, Hoffnung auf milde Unterwer-
fungsbedingungen und befahl ihnen, Geiseln zu stellen 39 . Auf
diese Weise hat Cn.Pompeius einen so schlimmen, so lang-
wierigen, so weit in alle Richtungen auseinandergezogenen
Krieg, einen Krieg, der allen Völkern und Staaten zu schaffen
machte, gegen Ende des Winters vorbereitet, zu Anfang des
Frühjahrs begonnen und mitten im Sommer abgeschlossen.
Das ist wahrhaft eine göttliche und unglaubliche Befähi-
gung zum Feldherrn. Wie? Ich habe vorhin noch andere Vor-
züge aufzuzählen begonnen; wie groß und wie zahlreich sind
die erst! Denn von einem vorzüglichen und vollkommenen
Feldherrn darf man nicht nur erwarten, daß er zur Krieg-
führung befähigt ist; vielmehr kommen noch mancherlei
Eigenschaften hinzu, die diese wichtigste Fähigkeit begleiten
und unterstützen. Und zwar an erster Stelle: wie uneigen-
nützig müssen Feldherren sein, ferner: wie gemäßigt in jeder
Hinsicht, wie verläßlich, wie umgänglich, wie reich begabt,
wie menschenfreundlich! Wir wollen kurz betrachten, wie
es hiermit bei Cn.Pompeius bestellt ist. Alle diese Eigen-
schaften sind nämlich in vorzüglichem Maße vorhanden,
Quinten, sie lassen sich jedoch besser durch den Vergleich
mit anderen als aus sich selbst erkennen und würdigen.
Denn welchen Feldherrn können wir auch nur im minde-
sten achten, in dessen Heer Zenturionenstellen käuflich waren
und noch sind? Was wird jemand Großes und Herrliches vom
Gemeinwohl halten, wenn er das Geld, das die Staatskasse
für die Kriegführung gezahlt hat, aus Gier nach einer Pro-
vinz unter die Beamten verteilt 40 oder aus Habsucht gewinn-
bringend in Rom zurückläßt? Wie euer Gemurmel zeigt,
Quiriten, entsinnt ihr euch, wer das getan hat; ich aber nenne
niemanden; dann kann niemand mir zürnen, ohne zuvor ein
'74 DF IMPFR10 CN. POMPFi

nemo poterit nisi qui ante de se voluerit confiteri.


Itaque propter hanc avaritiam imperatorum quantas
calamitates, q u o c u m q u e ventum sit, nostri exercitus
adferant quis ignorat? Itinera quae per hosce annos in 3K
Italia per agros atque oppida civium Romanorum nostri
imperatores fecerint recordamini; turn facilius statuetis
quid apud exteras nationes fieri existimetis. Utrum
pluris arbitramini per hosce annos militum vestrorum
armis hostium urbis an hibernis sociorum civitates esse
deletas? N e q u e enim potest exercitum is continere
imperator qui se ipse non continet, neque severus esse
in iudicando qui alios in se severos esse iudices non volt.
H i e m i r a m u r hunc hominem tantum excellere ceteris, 39
cuius legiones sic in A s i a m pervenerint ut non modo
manus tanti exercitus sed ne vestigium quidem cui-
q u a m pacato nocuisse dicatur? Iam vero quem ad
m o d u m milites hibernent cotidie sermones ac litterae
p e r f e r u n t u r ; non modo ut sumptum faciat in militem
nemini vis adfertur sed ne cupienti quidem quicquam
permittitur. Hiemis enim non avaritiae perfugium
maiores nostri in sociorum atque amicorum tectis esse
voluerunt.

A g e vero, ceteris in rebus quae sit temperantia consi- 40


derate. U n d e illam tantam celeritatem et tam incredibi-
lem cursum inventum putatis? N o n enim ilium eximia
vis remigum aut ars inaudita quaedam gubernandi aut
venti aliqui novi tam celeriter in ultimas terras pertule-
runt, sed eae res quae ceteros remorari solent non
retardarunt. N o n avaritia ab instituto cursu ad praedam
aliquam devocavit, non libido ad voluptatem, non
CBFR D F N O B E R B F F F H L DF.S POMPE1LS '75

Selbstbekenntnis abzulegen. Wem ist daher unbekannt, wel-


ches Verderben unsere Truppen wegen der Gewinnsucht des
Befehlshabers mit sich bringen, wo sie auch erscheinen? Er-
innert euch an die Märsche durch die Fluren Italiens und
durch römische Bürgerstädte, wie unsere Feldherrn sie wäh-
rend der letzten Jahre durchgeführt haben; dann könnt ihr
leichter ermessen, was sich wohl bei den auswärtigen Völkern
zutragen mag. Was glaubt ihr: wurden in den letzten Jahren
mehr feindliche Städte durch die Waffengewalt eurer Soldaten
oder mehr Bündnergemeinden durch die Winterlager zu-
grunde gerichtet? Denn kein Feldherr vermag ein Леег zu
zügeln, der sich nicht selbst zügelt, keiner streng Gericht zu
halten, der nicht wünscht, daß er von anderen streng ge-
richtet werde. Hier wundern wir uns, daß dieser Mann die
anderen so sehr übertrifft? Sind doch seine Legionen nach
Asien gelangt, ohne daß, wie gemeldet wird, eine einzige
Hand dieses riesigen Heeres oder auch nur eine Fußspur je-
mandem Schaden zugefügt hätte, der mit uns in Frieden lebt.
Vollends, wie seine Soldaten sich in den Winterquartieren
verhalten, darüber treffen täglich Berichte und Briefe ein;
niemand wird genötigt, die Soldaten aufwendig zu verpflegen,
vielmehr: selbst wer hierzu bereit ist, darf nicht das Geringste
zusetzen. Denn unsere Vorfahren wollten, daß die Häuser der
Bundesgenossen und Freunde eine Zuflucht vor dem Winter,
kein Hort für die Habgier seien.

Ferner, seht euch an, welche Selbstbeherrschung er in an-


deren Dingen gezeigt hat. Was meint ihr, wie es zu dieser
Blitzgeschwindigkeit, zu einer so unglaublichen Fahrt ge-
kommen ist? Denn ihn haben keine ausnehmende Ruderkraft
oder eine unerhörte Steuerkunst oder irgendwelche bisher
unbekannten Winde so schnell in die entferntesten Länder
gebracht, sondern was andere aufzuhalten pflegt, hat ihn
nicht behindert. Nicht Habgier lockte ihn vom festgesetzten
OF I M P F R I O C N . POMPEI

amoenitas ad delectationem, non nobilitas urbis ad co-


gnitionern, non d e n i q u e labor ipse ad q u i e t e m ; pos-
t r e m o signa et tabulas c e t e r a q u e ornamenta G r a e c o r u m
o p p i d o r u m q u a e ceteri tollenda esse arbitrantur, ea sibi
ille nc visenda q u i d e m existimavit. Itaque o m n e s nunc 41
in eis locis C n . P o m p e i u m sicut aliquem non ex hac
u r b e m i s s u m sed d e caelo d c l a p s u m intuentur; nunc
d e n i q u e incipiunt credere fuisse h o m i n e s R o m a n o s hac
q u o n d a m continentia. q u o d iam nationibus exteris in-
credibile ac falso m e m o r i a e p r o d i t u m videbatur; nunc
imperi vestri splendor illis gentibus lucem adferre coe-
pit; nunc intellegunt non sine causa maiores suos tum
c u m ea temperantia m a g i s t r a t u s h a b e b a m u s servire
p o p u l o R o m a n o q u a m imperare aliis maluisse.

Iam vero ita faciles aditus ad c u m privatorum, ita


liberae q u e r i m o n i a e d e aliorum iniuriis esse dicuntur,
ut is qui dignitate p r i n c i p i b u s excellit facilitate infimis
par esse vidcatur. Iam q u a n t u m consilio. q u a n t u m 4;
dicendi gravitate et copia valeat, in q u o ipso incst
q u a e d a m dignitas imperatoria, vos, Q u i r i t e s , hoc ipso
ex loco saepe cognostis. F i d e m vero eius q u a n t a m inter
socios existimari putatis q u a m hostes omnes o m n i u m
generum sanctissimam iudicarint? Humanitate iam
tanta est ut difficile dictu sit utrum hostes magis virtu-
tem eius p u g n a n t e s timuerint an m a n s u e t u d i n e m victi
dilexerint. Et q u i s q u a m dubitabit quin huic hoc t a n t u m
bellum t r a n s m i t t e n d u m sit qui ad omnia nostrae m e m o -
CBF.R D E N O B F R B F F F . H L D F S P O M P F I L S 177

Wege zu einer Beute, nicht Lüsternheit zu sinnlichem Genuß,


keine anmutige Gegend zu heiterem Zeitvertreib, keine be-
rühmte Stadt zur Besichtigung, auch nicht seine angestrengte
Tätigkeit zur Rast, und schließlich meinte er die Statuen,
Gemälde und sonstigen Schmuckstücke griechischer Städte,
die andere mitnehmen zu müssen glauben, nicht einmal eines
Blickes würdigen zu sollen. Daher wird jetzt Cn.Pompeius
von allen, die in diesen Gegenden wohnen, nicht wie ein
Sendling dieser Stadt, sondern wie ein Bote des Himmels
betrachtet; jetzt beginnen sie endlich zu glauben, daß Römer
einst eine derartige Enthaltsamkeit übten (die auswärtigen
Völker hielten dies schon für unglaubwürdig und für eine
Lüge der geschichtlichen Überlieferung); jetzt schickt der
Glanz eures Reiches sich an, diesen Völkern Helligkeit zu
bringen; jetzt begreifen sie, daß ihre Vorfahren damals, als
wir derart maßvolle Beamte hatten, nicht ohne Grund lieber
dem römischen Volke dienen als anderen befehlen wollten.
Die Bewohner haben sogar, heißt es, so unbehindert Zu-
tritt zu ihm, und Klagen über Ungerechtigkeiten anderer
dürfen so offen vorgebracht werden, daß er, der durch seine
Stellung die Mächtigsten überragt, sich durch seine Umgäng-
lichkeit den Niedrigsten gleichzustellen scheint. Wieviel er
ferner durch seinen Weitblick, wieviel er, der schon an sich
eine gewisse feldherrliche Würde besitzt, durch seinen feier-
lichen und gehaltreichen Vortrag vermag, das habt ihr, Qui-
rlten, an eben dieser Stelle oft wahrgenommen. Wie hoch,
denkt ihr, wird wohl sein Wort von den Bundesgenossen
eingeschätzt, wenn es bei allen Feinden jeglicher Art fiir
völlig unverbrüchlich gilt? Seine Menschenfreundlichkeit
vollends ist so groß, daß man kaum sagen kann, ob sich die
Feinde im Kampf mehr vor seiner Tapferkeit fürchten oder
ob sie, besiegt, mehr seine Milde verehren. Und da zweifelt
jemand, daß man diesen bedeutenden Krieg dem Manne über-
i78 DE IMPERII) CN, PO.MPEI

riae bella conficienda di vino quodam consilio natus esse


videatur?
Et quoniam auctoritas quoque in bellis administran- 43
dis multum atque in imperio militari valet, certe nemini
d u b i u m est quin ea re idem ille imperator plurimum
possit. Vehementer autem pertinere ad bella adminis-
tranda quid hostes, quid socii de imperatoribus nostris
existiment quis ignorat, cum sciamus homines in tantis
rebus ut aut mctuant aut contemnant aut oderint aut
ament opinione nos minus et fama quam aliqua ratione
certa commoveri? Q u o d igitur nomen umquam in orbe
terrarum clarius fuit, cuius res gestae pares? de quo
homine vos, id quod maxime facit auctoritatem, tanta et
tam praeclara iudicia fecistis? A n vero ullam usquam 44
esse oram tam desertam putatis quo non illius diei fama
pervaserit, cum universus populus Romanus referto
foro completisque omnibus templis ex quibus hic locus
conspici potest unum sibi ad commune omnium gen-
tium bellum C n . Pompeium imperatorem depoposcit?
Itaque ut plura non dicam neque aliorum exemplis
confirmem quantum auctoritas valeat in bello, ab eodem
C n . Pompeio omnium rerum egregiarum exempla su-
mantur.

Qui quo die a vobis maritimo bello praepositus est


imperator, tanta repente vilitas ex summa inopia et
caritate rei frumentariae consecuta est unius hominis
spe ac nomine quantum vix in summa ubertate agrorum
diuturna pax efficere potuisset. Iam accepta in Ponto 45
IBER DFN OBERBEFEHL DES POMPEIUS
"79

tragen muß, der nach göttlichem Ratschluß geboren zu sein


scheint, alle Kriege unseres Zeitalters auszutragen?
Und da es bei der Leitung von Kriegen und beim militä-
rischen Oberbefehl auch sehr auf das Ansehen a n k o m m t :
gewiß ist niemandem zweifelhaft, daß gerade unser Feldherr
auch in dieser Hinsicht die besten Voraussetzungen mitbringt.
Wer aber weiß nicht, daß es bei der Durchführung von Krie-
gen sehr viel ausmacht, was die Feinde, was die Bundesge-
nossen von unserem Oberbefehlshaber halten? Wir wissen
ja, daß sich die Menschen bei so wichtigen Dingen nicht
weniger durch den Ruf und die öffentliche Meinung als durch
bestimmte Gründe zu Furcht oder Verachtung, zu H a ß oder
Liebe bestimmen lassen. Welcher Name war denn je berühm-
ter auf Erden, wessen Taten waren den seinen gleich? Uber
den ihr, was am meisten zum Ansehen beiträgt, so gewichtige
und so auszeichnende Urteile abgegeben habt? Oder glaubt
ihr, irgendein Gestade sei so verlassen, daß nicht die Kunde
von jenem T a g dorthin gelangte, da das gesamte römische
Volk sich auf dem Forum drängte, alle Tempel füllte, von
denen aus man diese Stätte erblicken kann, und als einzigen
Feldherrn in dem Krieg, der alle Völker gemeinsam anging,
Cn. Pompeius f ü r sich forderte? Daher will ich, um nicht mehr
zu sagen und um nicht durch fremde Beispiele zu bekräftigen,
wieviel das Ansehen im Kriege vermag, gerade dem Wirken
des Cn. Pompeius die Beispiele für alles Außergewöhnliche
entnehmen.

An dem Tage, da er von euch zum Oberbefehlshaber im


Seeräuberkrieg bestimmt wurde, fiel der Getreidepreis nach
schlimmster Not und T e u e r u n g plötzlich auf einen so nie-
drigen Stand, wie ihn ein anhaltender Friede trotz größter
Fruchtbarkeit des Bodens kaum hätte bewirken können. Das
vermochten die Erwartung und der Name, die sich an einen
Mann knüpften! Als die Schlacht, an die ich euch vorhin
ΐ8θ DE I M P E R I O C N . POMPE]

c a l a m i t a t e ex e o p r o e l i o d e q u o vos paulo a n t e invitus


a d m o n u i , c u m socii p e r t i m u i s s e n t , h o s t i u m o p e s a n i m i -
q u e c r e v i s s e n t , satis f i r m u m p r a e s i d i u m provincia non
h a b e r e t , a m i s i s s e t i s A s i a m , Q u i r i t e s , nisi ad ipsum
d i s c r i m e n eius t e m p o r i s d i v i n i t u s C n . P o m p e i u m ad eas
r e g i o n e s F o r t u n a populi R o m a n i a t t u l i s s e t . H u i u s ad-
v e n t u s et M i t h r i d a t e m insolita i n f l a t u m v i c t o r i a c o n t i -
nuit et T i g r a n e n m a g n i s c o p i i s m i n i t a n t e m A s i a e retar-
davit. Et quisquam dubitabit quid virtute perfecturus
sit q u i t a n t u m a u c t o r i t a t e p e r f e c e r i t , aut q u a m facile
i m p e r i o a t q u e e x e r c i t u socios et vectigalia conserva-
turus sit qui ipso n o m i n e ас r u m o r e d e f e n d e r i t ?

A g e v e r o , ilia res q u a n t a m d e c l a r a t e i u s d e m h o m i n i s
apud hostis populi R o m a n i a u c t o r i t a t e m , q u o d ex locis
tarn l o n g i n q u i s t a m q u e diversis tarn brevi tempore
o m n e s h u i c se uni d e d i d e r u n t ! q u o d a c o m m u n i C r e t e n -
s i u m legati, c u m in e o r u m insula n o s t e r impcrator
e x e r c i t u s q u e e s s e t , ad C n . P o m p e i u m in u l t i m a s p r o p e
terras v e n e r u n t e i q u e se o m n i s C r e t e n s i u m civitates
d e d e r e velle d i x e r u n t ! Quid? idem iste Mithridates
n o n n e ad e u n d e m C n . P o m p e i u m l e g a t u m u s q u e in
Hispaniam misit? c u m q u e m Pompeius legatum sem-
per i u d i c a v i t , ei q u i b u s erat m o l e s t u m ad c u m potissi-
m u m esse m i s s u m s p e c u l a t o r e m q u a m legatum iudicari
m a l u e r u n t . P o t e s t i s i g i t u r iam c o n s t i t u e r e , Quirites,
h a n c a u c t o r i t a t e m m u l t i s postea r e b u s gestis m a g n i s q u e
vestris iudiciis a m p l i f i c a t a m q u a n t u m apud illos r e g e s ,
Ü B E R DEN O B E R B E F E H L D E S POMPF.IL'S I8 I

wider meinen Willen erinnert habe 41 , das Unheil in Pontus


heraufRihrte, waren die Bundesgenossen von Furcht erfüllt,
Macht und Mut der Feinde wuchsen, und die Provinz hatte
keinen ausreichenden Schutz. Da hättet ihr Asien verloren,
Quinten, hätte nicht das gütige Geschick des römischen
Volkes durch göttliche Fügung Cn.Pompeius in die Nähe
jener Gegenden gelangen lassen, als die Gefahr gerade ihren
Höhepunkt erreicht hatte. Seine Ankunft zügelte Mithrida-
tes, der sich ob des ungewohnten Sieges blähte, und hemmte
den Vormarsch des Tigranes, der mit großer Truppenmacht
Asien bedrohte 42 . Und da hegt jemand Zweifel, was der durch
seine Tüchtigkeit erreichen wird, der so viel durch sein An-
sehen erreicht hat? Oder wie mühelos er im Besitz von Ober-
befehl und Heer die Bundesgenossen und die Steuereinkünfte
sichern wird, da er sie allein durch seinen Namen und R u f
beschützt hat?
Ferner: was für ein Ansehen muß derselbe Mann bei den
Feinden des römischen Volkes genießen, wenn sie alle, die
aus so entlegenen und so weit voneinander entfernten Ge-
genden kamen, sich dem einen Pompeius in so kurzer Zeit
ergaben! Wenn die Gesandten des Kretischen Bundes dem
Cn.Pompeius fast bis in die äußersten Länder folgten, ob-
wohl sich auf ihrer Insel ein Feldherr 43 und ein Heer von uns
befanden, und erklärten, sämtliche Staaten der Kreter seien
bereit, sich ihm zu unterwerfen! Wie? Hat nicht auch Mi-
thridates zu demselben Cn.Pompeius einen Gesandten bis
nach Spanien geschickt? Pompeius hat ihn jedenfalls stets als
Gesandten betrachtet; die Leute, denen es nicht behagte,
daß er gerade zu ihm geschickt worden war, wollten ihn
lieber als Kundschafter denn als Gesandten betrachtet wissen.
Könnt ihr jetzt also ermessen, Quiriten, wieviel dieses An-
sehen, das hernach durch viele Erfolge und gewichtige Be-
stätigungen von eurer Seite gesteigert wurde, bei jenen Kö-
182 DE IMPFRIO CN. POMPF-I

quantum apud exteras nationes valituram esse existime-


tis.
Reliquum est ut de felicitate quam praestare de se 47
ipso nemo potest, meminisse et commemorare de altero
possumus, sicut aequum est homines de potestate
deorum, timide et pauca dicamus. E g o enim sic exis-
timo, Maximo, Marcello, Scipioni, Mario ceterisque
magnis imperatoribus non solum propter virtutem sed
etiam propter fortunam saepius imperia mandata atque
exercitus esse commissos. Fuit enim profecto quibus-
dam summis viris quaedam ad amplitudinem et ad
gloriam et ad res magnas bene gerendas divinitus
adiuncta fortuna. D e huius autem hominis felicitate
quo de nunc agimus hac utar moderatione dicendi, non
ut in illius potestate fortunam positam esse dicam sed ut
praeterita meminisse, reliqua sperare videamur, ne aut
invisa dis immortalibus oratio nostra aut ingrata esse
videatur. Itaque non sum praedicaturus quantas ille res 48
domi militiae, terra marique quantaque felicitate gesse-
rit, ut eius semper voluntatibus non modo cives adsen-
serint, socii obtemperarint, hostes oboedierint, sed
etiam venti tempestatesque obsecundarint; hoc brevis-
simc dicam, neminem umquam tam impudentem fu-
isse qui ab dis immortalibus tot et tantas res tacitus
auderet optare quot et quantas di immortales ad C n .
Pompeium detulerunt. Q u o d ut illi proprium ас perpe-
tuum sit, Quirites, cum communis salutis atque imperi
ÜBER DEN O B E R B E F E H L DES POMPEILS

nigen, wieviel es bei den auswärtigen Völkern ausrichten


wird?
So bleibt mir noch, über das Glück zu sprechen, für das
niemand bei sich selbst einzustehen vermag, dessen wir uns
jedoch bei einem anderen erinnern und vergewissern dürfen;
ich will mich kurz und vorsichtig darüber äußern, wie es sich
für Menschen bei einer von den Göttern verliehenen Macht
geziemt. Ich für mein Teil bin nämlich dieser Auffassung:
Fabius Maximus, Marcellus 44 , Scipio, Marius und die übrigen
großen Feldherren wurden nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten,
sondern auch wegen ihres Glücks immer wieder zu Befehls-
habern bestellt und mit Heeren betraut. Denn wahrhaftig,
mancher große Mann war durch göttliche Fügung von einem
freundlichen Geschick begleitet, daß er Glanz und Ruhm
gewinne und bedeutende Unternehmungen erfolgreich aus-
führe. Doch über das Glück des Mannes, um den es sich jetzt
handelt, will ich nur mit Zurückhaltung reden; ich werde
nicht sagen, das Glück liege in seiner Hand; man soll viel-
mehr glauben, daß wir uns des Vergangenen erinnern und
auf das Künftige hoffen. Denn unsere Rede darf auf die un-
sterblichen Götter weder anmaßend noch undankbar wirken.
Ich will daher nicht hervorheben, welch große Unterneh-
mungen Pompeius in Krieg und Frieden, zu Wasser und zu
Lande ausgeführt hat und mit welch glücklichem Erfolg, und
wie seinen Absichten stets nicht nur die Bürger zustimmten,
die Bundesgenossen gehorchten und die Feinde sich beugten,
sondern sogar Wind und Wetter zu Willen waren. Doch das
will ich in aller Kürze sagen: niemand war je so unverschämt,
daß er es gewagt hätte, die unsterblichen Götter auch nur
im stillen um so viele und so große Dinge zu bitten, wie sie
Cn. Pompeius von den unsterblichen Göttern dargebracht
wurden. Möchte ihm diese Gunst ein dauernder Besitz sein:
das müßt ihr, wie ihr es schon tut, hoffen und wünschen,
[«4 DE IMPF.RIO CN. POMPE1

t u m ipsius hominis causa, sicuti facitis, et velle et


optare debetis.
Q u a re c u m et bellum sit ita necessarium ut neglegi
non possit, ita m a g n u m ut accuratissime sit adminis-
t r a n d u m , et c u m ei i m p e r a t o r e m praeficere possitis in
q u o sit eximia belli scientia, singularis virtus, clarissima
auctoritas, egregia f o r t u n a , dubitatis, Q u i r i t e s , quin
hoc t a n t u m boni q u o d vobis ab dis immortalibus obla-
t u m et d a t u m est in rem publicam c o n s e r v a n d a m atque
a m p l i f i c a n d a m conferatis? Q u o d si Romae C n . Pom-
peius privatus esset hoc t e m p o r e , tarnen ad t a n t u m
bellum is erat deligendus a t q u e m i t t e n d u s ; n u n c c u m ad
ceteras s u m m a s utilitates haec q u o q u e o p p o r t u n i t a s
a d i u n g a t u r ut in eis ipsis locis adsit, ut habeat exerci-
t u m , ut ab eis qui habent accipere statim possit, q u i d
exspectamus? aut cur non d u c i b u s dis immortalibus
eidem cui cetera s u m m a c u m salute rei publicae com-
missa sunt hoc q u o q u e bellum regium c o m m e n d a m u s ?

At enim vir clarissimus, amantissimus rei publicae,


vestris beneficiis amplissimis adfectus, Q . C a t u l u s .
i t e m q u e s u m m i s o r n a m e n t i s honoris, fortunae, virtu-
tis, ingeni praeditus, Q . Hortensius, ab hac ratione
disscntiunt. Q u o r u m ego auctoritatem apud vos multis
locis p l u r i m u m valuisse et valere oportere confiteor; sed
in hac causa, tametsi cognostis auctoritates contrarias
virorum fortissimorum et clarissimorum, tarnen omis-
sis auctoritatibus ipsa re ас ratione exquirere p o s s u m u s
veritatem, atque hoc facilius quod ea omnia quae a me
ÜBER DFN O B E R B E F E H L DES POMPE1LS 185

Quiriten, um des Gemeinwohls und des Reiches willen, aber


auch im Hinblick auf ihn selbst.
Der Krieg ist demnach so dringlich, daß man ihn nicht
außer acht lassen darf, und so bedeutend, daß man ihn mit
größter Sorgfalt führen muß; ihr könnt ferner einen Feld-
herrn mit dem Oberbefehl betrauen, dem hervorragende
Kriegserfahrung, einzigartige Befähigung, glänzendes An-
sehen und außergewöhnliches Glück eignen. Tragt ihr da
noch Bedenken, Quiriten, dieses große Gut, das euch die un-
sterblichen Götter dargebracht und geschenkt haben, für die
Erhaltung und Mehrung des Staates zu verwenden? Wenn
sich Cn.Pompeius zur Zeit ohne Amt in Rom befände, dann
müßte man ihn trotzdem für einen so bedeutenden Krieg
ausersehen und hinschicken; so aber verbindet sich mit den
übrigen großen Vorteilen noch die Vergünstigung, daß er
sich an Ort und Stelle befindet, daß er Truppen hat und die
Truppen der anderen Befehlshaber45 sofort übernehmen kann.
Worauf warten wir noch? Oder warum überantworten wir
nicht, den unsterblichen Göttern folgend, demselben Manne
auch den Krieg gegen die Könige, dem wir alles andere zum
größten Heile unseres Staates anvertraut haben?
Indes, Q^Catulus, ein hochangesehener Mann, dem Staate
leidenschaftlich zugetan und von euch mit den größten
Gunstbezeigungen bedacht, sowie Q^Hortensius, dem die
edelsten Güter der Ehre, des Vermögens, der Tatkraft und
des Geistes zuteil wurden, sie raten von dieser Lösung ab.
Ich gebe zu, daß euch deren Gutachten bei zahlreichen Ge-
legenheiten sehr viel bedeutet hat und auch bedeuten muß;
doch in dieser Frage können wir, auch wenn euch entgegen-
gesetzte Gutachten von sehr tüchtigen und hochangesehenen
Männern bekannt sind, die Gutachten beiseite lassen und den
Sachverhalt selbst nach der Wahrheit befragen. Und dies ist
um so leichter, als die Genannten zugeben, daß alles den Tat-
DE I M P E R I O C N . POMPEI

a d h u c dicta sunt idem isti vera esse c o n c e d u n t , et


n e c e s s a r i u m b e l l u m esse et m a g n u m et in uno C n .
P o m p e i o s u m m a esse o m n i a .

Q u i d igitur ait H o r t e n s i u s ? S i uni o m n i a t r i b u e n d a


s i n t , d i g n i s s i m u m esse P o m p e i u m , sed ad u n u m tarnen
o m n i a deferri non o p o r t e r e . O b s o l e v i t iam ista oratio re
m u l t o magis q u a m verbis refutata. N a m tu idem,
Q . H o r t e n s i , m u l t a pro tua s u m m a copia ac singulari
facultate dicendi et in senatu c o n t r a virum fortem,
A . G a b i n i u m , graviter o r n a t e q u e dixisti, c u m is de u n o
i m p e r a t o r e c o n t r a praedones c o n s t i t u e n d o legem p r o -
m u l g a s s e t , et ex hoc ipso loco p e r m u l t a idem c o n t r a
e a m legem verba fecisti. Q u i d ? t u m , per deos i m m o r t a -
lis! si plus apud p o p u l u m R o m a n u m auctoritas tua
q u a m ipsius populi R o m a n i salus et vera causa valuis-
set, hodie hanc g l o r i a m a t q u e hoc orbis terrae i m p e r i u m
t e n e r e m u s ? A n tibi t u m i m p e r i u m hoc esse v i d e b a t u r
c u m populi R o m a n i legati q u a e s t o r e s p r a e t o r e s q u e c a -
p i e b a n t u r , c u m ex o m n i b u s provinciis c o m m e a t u et
privato et p u b l i c o p r o h i b e b a m u r , c u m ita clausa nobis
erant maria o m n i a ut n e q u e privatam rem t r a n s m a r i -
nam n e q u e p u b l i c a m iam o b i r e p o s s e m u s ?

Q u a e civitas u m q u a m fuit antea, non dico A t h e n i e n -


sium q u a e satis late q u o n d a m m a r e tenuisse d i c i t u r ,
non C a r t h a g i n i e n s i u m qui p e r m u l t u m classe ac m a r i t i -
mis rebus v a l u e r u n t , non R h o d i o r u m q u o r u m u s q u e ad
n o s t r a m m e m o r i a m disciplina navalis et gloria p e r m a n -
sit, quae civitas, i n q u a m , antea tarn tenuis aut t a m
ÜBER DEN O B E R B E F E H L DES POMPEIUS

Sachen entspreche, was ich bisher behauptet habe: der Krieg


sei dringlich und bedeutend, und allein bei Cn. Pompeius
seien alle wünschenswerten Eigenschaften in vorzüglichem
Maße vorhanden.
Was also sagt Hortensius? Wenn alles einem Einzigen zu-
erkannt werden müsse, dann sei Pompeius der Würdigste;
indes, man dürfe nicht alles einem Einzigen überantworten.
Dieser Einwand ist schon entkräftet; die Tatsachen haben ihn
viel handgreiflicher widerlegt als alle Worte. Denn als A.
Gabinius, ein vortrefflicher Mann, das Gesetz über den ein-
heitlichen Oberbefehl gegen die Seeräuber ankündigte, da
hat kein anderer als du, Q^ Hortensius, mancherlei gegen
ihn im Senat vorgebracht, gewandt und mit Nachdruck, wie
es deinem außerordentlichen Gedankenreichtum und deiner
einzigartigen Redegabe entspricht; außerdem hast du auch
an dieser Stelle sehr wortreich von dem Gesetz abgeraten.
Wie? Bei den unsterblichen Göttern! Wenn damals beim rö-
mischen Volke deine Willensmeinung mehr vermocht hätte
als die Wohlfahrt des römischen Volkes und die wirklichen
Erfordernisse, besäßen wir dann heute dieses Ansehen und
diese weltbeherrschende Macht? Oder glaubtest du, das sei
Macht, damals, als man Abgesandte des römischen Volkes
sowie Quästoren und Prätoren abfing, als der öffentliche und
private Warenverkehr zwischen uns und allen Provinzen be-
hindert, als uns sämtliche Meere so versperrt waren, daß wir
in Übersee nichts mehr ausrichten konnten, weder in amt-
licher noch in eigener Sache?
Hat es zuvor je einen Staat gegeben (um nicht von Athen
zu reden, das einst, wie es heißt, eine ziemlich ausgedehnte
Seeherrschaft besaß, noch von Karthago, das durch seine
Flotte und seine Seegeltung sehr viel vermochte, noch auch
von Rhodos, dessen Tüchtigkeit und Ansehen zur See bis
heute andauern), gab es früher je einen Staat, sage ich, der
188 DE IMPFRIO CN. POMPFI

parvola fuit quae non portus suos et agros et aliquam


partem regionis atque orae maritimae per se ipsa defen-
deret? At hercules aliquot annos continuos ante legem
G a b i n i a m ίlie populus Romanus, cuius usque ad nos-
tram memoriam nomen invictum in navalibus pugnis
permanserit, magna ac multo maxima parte non modo
utilitatis sed etiam dignitatis atque imperi caruit. Nos
quorum maiores Antiochum regem classe Persenque
superarunt omnibusque navalibus pugnis Carthagi-
niensis, homines in maritimis rebus exercitatissimos
paratissimosque, vicerunt, ei nullo in loco iam praedo-
nibus pares esse poteramus. N o s qui antea non modo
Italiam tutam habebamus sed omnis socios in ultimis
oris auctoritate nostri imperi salvos praestare potera-
mus, tum cum insula Delus tam procul a nobis in
Aegaeo mari posita, q u o omnes undique cum mercibus
atque oneribus c o m m e a b a n t , referta divitiis, parva,
sine muro nihil timebat, idem non modo provinciis
atque oris Italiae maritimis ac portibus nostris sed etiam
Appia iam via carebamus. Et eis temporibus nonne
pudebat magistratus populi Romani in hunc ipsum
locum escendere, cum eum nobis maiores nostri exuviis
nauticis et classium spoliis ornatum reliquissent!

Bono te animo tum, Q . Hortensi, populus Romanus


et ceteros qui erant in eadcm sentcntia dicere existima-
vit et ea quae sentiebatis; sed tamen in salute communi
idem populus Romanus dolori suo maluit quam aucto-
ritati vestrae obtemperare. Itaque una lex, unus vir,
CBER DEN OBERBEFEHL DFS POMPE1LS 189

so schwach oder so winzig war, daß er nicht aus eigener


Kraft seine Häfen, seinen Landbesitz und einen Teil der See-
küste nebst Uferstreifen zu verteidigen vermochte? Indes,
wahrhaftig, ehe das Gabinische Gesetz erging, mußte das
römische Volk, dessen Name bis zu unserer Zeit in See-
schlachten unbesiegt geblieben ist, während etlicher Jahre
auf einen großen, ja auf den weitaus größten Teil seiner Wohl-
fahrt und gar seines Ansehens und seiner Macht verzichten.
Unsere Vorfahren haben mit ihrer Flotte die Könige Antiochos
und Perseus überwunden 44 und die Karthager, die sich vor-
züglich auf die Seefahrt verstanden und sehr gut ausgerüstet
waren, in sämtlichen Seeschlachten besiegt; wir aber konnten
nirgendwo mehr mit den Piraten fertig werden. Früher er-
hielten wir nicht nur in Italien die Sicherheit aufrecht, son-
dern konnten auch allen Bundesgenossen an noch so entle-
genen Küsten durch die Geltung unserer Herrschaft Schutz
gewähren - damals, als die Insel Delos, so weit von uns ent-
fernt im ägäischen Meer gelegen, von aller Welt aus allen
Richtungen mit Waren und Frachten aufgesucht wurde, als
sie, von Reichtümern strotzend und gering an Größe, ohne
Befestigung nichts zu furchten brauchte 4 7 ; doch nunmehr
mußten wir nicht nur auf die Provinzen und die Seeküsten
Italiens und unsere Häfen, sondern sogar auf die appische
Straße verzichten. Und haben sich in jener Zeit die Beamten
des römischen Volkes nicht geschämt, diese Stätte hier zu
besteigen, die unsere Vorfahren uns mit Schiffsrüstungen und
der Beute von Flotten geschmückt hinterlassen hatten4®?
Zwar nahm das römische Volk damals an, du, Q^_Horten-
sius, und die anderen, die derselben Meinung waren, ihr
sprächet in gutem Glauben und eurer Überzeugung gemäß;
gleichwohl wollte sich dasselbe römische Volk, da es um das
Heil aller ging, lieber von seiner Entrüstung als von eurer
Willensmeinung leiten lassen. So hat uns denn ein Gesetz,
DE IMPERIO CN. POMPF1

unus annus non modo nos illa miseria ac turpitudine


liberavit sed etiam effecit ut aliquando vere videremur
omnibus gentibus ac nationibus terra marique impe-
rare. Q u o mihi etiam indignius videtur obtrectatum 57
esse adhuc, G a b i n i o dicam anne Pompeio an utrique. id
quod est verius, ne legaretur A . G a b i n i u s C n . Pompeio
expetenti ac postulanti. L t r u m ille qui postulat ad
tantum bellum legatum quem velit idoneus non est qui
impetret, cum ceteri ad expilandos socios diripiendas-
que provincias quos voluerunt legatos eduxerint, an
ipse cuius lege salus ac dignitas populo Romano atque
omnibus gentibus constituta est expers esse debet eius
imperatoris atque eius exercitus qui consilio ac periculo
illius est constitutus? A n C . Falcidius, Q . Metellus, 58
Q . Caelius Latiniensis, C n . Lentulus, quos omnis ho-
noris causa nomino, cum tribuni plebi fuisscnt, anno
proximo legati esse potuerunt; in uno G a b i n i o sunt tarn
diligentes qui in hoc bello quod lege Gabinia geritur, in
hoc imperatore atque exercitu quem per vos ipse consti-
tuit, etiam praeeipuo iure esse debebat? D e quo legando
consules spero ad senatum relaturos. Qui si dubitabunt
aut gravabuntur, ego me profiteor relaturum; neque me
impediet cuiusquam iniquitas quo minus vobis fretus
vestrum ius beneficiumque d e f e n d a m , ncque praeter
intercessionem quiequam audiam, de qua, ut ego arbi-
tror, isti ipsi qui minitantur etiam atque etiam quid
C B E R DF.N O B F R B F F F H L . D F S P O M P F I L S 191

ein Mann, ein Jahr nicht nur von diesem Elend und dieser
Schande befreit, sondern zugleich bewirkt, daß wir endlich
einmal wahrhaft als die Macht erscheinen, die zu Wasser und
zu Lande über alle Völker und Stämme gebietet. Um so mehr
bin ich empört, daß man bis jetzt soll ich sagen dem Gabinius
oder Pompeius oder allen beiden (was wohl der Wahrheit am
nächsten kommt) entgegengearbeitet hat: A.Gabinius soll
bei Cn. Pompeius, der nachdrücklich darum bat, keine Le-
gatenstelle erhalten 4 '! Verdient es etwa der Fordernde nicht,
fiir einen so bedeutenden Krieg den als Legaten zu erhalten,
den er verlangt, während die anderen, wen sie wollten, als
Legaten mitnahmen, um die Bundesgenossen zu berauben
und die Provinzen auszuplündern? Oder darf der Mann,
dessen Gesetz dem römischen und allen anderen Völkern
Wohlfahrt und Ansehen gebracht hat, nichts mit dem Feld-
herrn und den Truppen zu tun haben, die auf seine Initiative
und Gefahr hin eingesetzt wurden ? Durften denn C. Falcidius,
Q^Metellus, Q^Caelius Latiniensis und Cn.Lentulus, die ich
sämtlich nenne, um ihnen Ehre zu erweisen, im Jahre nach
ihrem Volkstribunat Legaten sein 50 , und einzig bei Gabinius
nimmt man es so genau, der doch in diesem Kriege, der auf-
grund des Gabinischen Gesetzes geführt wird, und bei diesem
Feldherrn und Heere, die er selbst mit eurer Zustimmung
eingesetzt hat, eine bevorzugte Stellung einnehmen müßte?
Wegen der Legatenstelle des Gabinius werden, wie ich hoffe,
die Konsuln dem Senat berichten. Sollten sie jedoch zögern
oder Schwierigkeiten machen, so verbürge ich mich, daß ich
berichten werde, und keines Menschen unrechtmäßiges Ver-
halten wird mich daran hindern, im Vertrauen auf euch die
von euch verliehene Befugnis und Auszeichnung" zu ver-
teidigen, und ich werde hierbei auf nichts hören als auf den
Einspruch eines Tribunen - doch ich denke, eben diejenigen,
die damit drohen, werden sich noch gründlich überlegen, was
192 DF IMPFRIO CN. POMPF.I

liceat considerabunt. Mca quidcm sententia. Quirites,


unus A . G a b i n i u s belli maritimi rerumque gestarum
C n . Pompeio socius ascribitur, propterea quod alter uni
illud bellum suscipiendum vestris suffragiis dctulit,
alter delatum susceptumque confecit.

R e l i q u u m est ut de Q . Catuli auctoritate et sententia 59


dicendum esse videatur. Q u i cum ex vobis quaereret, si
in uno C n . Pompeio omnia ponerctis, si quid eo factum
esset, in q u o spem essetis habituri, cepit magnum suae
virtutis f r u c t u m ac dignitatis, c u m omnes una prope
voce in eo ipso vos spem habituros esse dixistis. Ktenim
talis est vir ut nulla res tanta sit ac tarn difficilis quam
ille non et consilio regere et integritate tueri et virtute
conficere possit. Sed in hoc ipso ab eo vehementissime
dissentio, quod q u o minus certa est hominum ac minus
diuturna vita, hoc magis res publica, dum per deos
immortalis licet, frui debet summi viri vita atque vir-
tute.

A t enim ne quid novi fiat contra exempla atque 60


instituta maiorum. N o n dicam hoc loco maiorcs nostros
semper in pace consuetudini, in bello utilitati paruisse.
semper ad novos casus temporum novorum consiliorum
rationes accommodasse, non dicam d u o bella m a x i m a ,
P u n i c u m atque Hispaniense, ab uno imperatore esse
confecta duasque urbis potentissimas quae huic impe-
rii) m a x i m e minitabantur, C a r t h a g i n e m atque N u m a n -
Ü B E R DF.N O B E R B E F E H L D E S POMPEIUS •93

sie sich erlauben dürfen. Nach meiner Meinung, Quiriten, kann


man neben Cn. Pompeius einzig A. Gabinius als Teilhaber am
Krieg gegen die Seeräuber und am Vollbrachten gelten lassen.
Denn jener hat mit euren Stimmen dem Einen die Durchfüh-
rung des Krieges übertragen, dieser den ihm übertragenen und
von ihm übernommenen Krieg erfolgreich beendet.
Offenbar bleibt mir noch, mich mit der Auflassung und
Empfehlung des Q^Catulus zu befassen. Er hat euch gefragt,
wenn ihr alles auf den einen Cn. Pompeius setzt, auf wen ihr
dann noch hoffen könnt, falls ihm etwas zustoßen sollte. Da
erntete er reiche Frucht für seine Tüchtigkeit und sein An-
sehen ; denn ihr alle riefet wie mit einer Stimme, daß ihr dann
auf keinen anderen hoffen würdet als auf ihn. Denn wahr-
haftig, dieser Mann ist aus dem Holze geschnitzt, daß nichts
so bedeutend und so schwierig ist, was er nicht mit Umsicht
leiten, mit Uneigennützigkeit beaufsichtigen und mit Tat-
kraft durchführen könnte. Doch in diesem einen Punkte muß
ich ihm auf das entschiedenste widersprechen. Denn je un-
gewisser und kürzer das menschliche Leben ist, desto mehr
muß der Staat das Leben und die Fähigkeiten eines großen
Mannes beanspruchen, solange es die unsterblichen Götter
gestatten.
Indes, meinte Catulus, man dürfe keine Neuerung ein-
führen, die nicht mit den vorbildlichen Grundsätzen der Vor-
fahren in Einklang stehe. Ich will an dieser Stelle nicht er-
wähnen, daß sich unsere Vorfahren im Frieden stets vom
Herkommen, jedoch im Kriege von der Zweckmäßigkeit
haben leiten lassen, daß sie die Grundsätze für neue Ent-
schlüsse stets von neuen Zeitereignissen abhängig machten.
Ich will nicht erwähnen, daß ein Feldherr zwei gewaltige
Kriege, den punischen und den spanischen, beendet und daß
derselbe Scipio die beiden mächtigsten, fur unsere Herr-
schaft bedrohlichsten Städte, Karthago und Numantia, zer-
'94 DE IMPF.RIO CN. POMPEI

tiam, ab eodem Scipione esse deletas, non c o m m e m o -


rabo n u p e r ita vobis p a t r i b u s q u e vestris esse visum ut in
u n o C . Mario spes imperi poneretur, ut idem cum
I u g u r t h a , idem c u m C i m b r i s , idem c u m Teutonis
bellum administraret; in ipso C n . Pompeio in q u o novi
constitui nihil volt Q . C a t u l u s q u a m multa sint nova
s u m m a Q . Catuli voluntate constituta recordamini.

Q u i d tarn n o v u m q u a m a d u l e s c e n t u l u m privatum 61
exercitum difficili rei publicae t e m p o r e conficere? C o n -
fecit. H u i c praeesse? P r a e f u i t . Rem o p t i m e d u e t u suo
gerere? Gessit. Q u i d tarn praeter c o n s u e t u d i n e m q u a m
homini peradulescenti cuius aetas a senatorio gradu
longe abesset i m p e r i u m a t q u e exercitum dari, Siciliam
permitti a t q u e A f r i c a m b e l l u m q u e in ea provincia ad-
m i n i s t r a n d u m ? Fuit in his provineiis singulari innocen-
tia, gravitate, virtute, bellum in Africa m a x i m u m con-
fecit, victorem exercitum deportavit. Q u i d vero tarn
i n a u d i t u m q u a m e q u i t e m R o m a n u m t r i u m p h a r e ? At
earn q u o q u e rem p o p u l u s R o m a n u s non m o d o vidit sed
o m n i u m etiam studio visendam et c o n c e l e b r a n d a m pu-
tavit. Q u i d tarn i n u s i t a t u m q u a m ut, c u m d u o consules 6:
clarissimi fortissimique essent, eques R o m a n u s ad
bellum m a x i m u m f o r m i d o l o s i s s i m u m q u e pro consule
mitteretur? Missus est. Q u o q u i d e m t e m p o r e c u m esset
non n e m o in senatu qui diceret non oportere mitti
h o m i n e m p r i v a t u m pro consule, L. Philippus dixissc
CBF.R DF.N OBF.RBF.FF.HL DES POMPFIL'S «95

stört hat. Ich will nicht daran erinnern, daß ihr und eure
Väter es vor einiger Zeit fiir richtig hieltet, alle Hoffnung
des Reiches dem einen C.Marius anzuvertrauen, denselben
Mann gegen Jugurtha, denselben gegen die Kimbern, den-
selben gegen die Teutonen Krieg fuhren zu lassen". Denkt
nur daran, wie viele neue Befugnisse mit vollem Einver-
ständnis des Q^Catulus eben dem Cn.Pompeius zuerkannt
wurden 51 , dem Q^Catulus keine einzige neue Befugnis zu-
erkannt wissen will.
Was war so neuartig, als daß ein junger Mann in bedrängter
Lage des Staates ein Privatheer aufstellte? Er stellte es auf.
Daß er dieses Heer befehligte? Er befehligte es. Daß er auf
seinem Posten große Leistungen vollbrachte? Er vollbrachte
sie. Was war so wider das Herkommen, als daß man einem
sehr jungen Manne, dessen Alter bei weitem nicht fiir die
senatorische Würde ausreichte54, ein Kommando und ein
Heer gab, daß man ihm Sizilien und Afrika anvertraute sowie
den Krieg, den es in dieser Provinz zu leiten galt? Er bewährte
sich in den genannten Provinzen hervorragend durch Un-
eigennützigkeit, feste Haltung und Tatkraft; er führte in
Afrika einen bedeutenden Feldzug durch; er brachte seine
siegreichen Truppen in die Heimat zurück. Was war so un-
erhört, als daß ein römischer Ritter einen Triumph errang?
Doch auch dieses Schauspiel hat das römische Volk nicht nur
erlebt, sondern unter allgemeiner Teilnahme betrachten und
festlich begehen zu müssen geglaubt. Was war so unge-
bräuchlich, als daß ein römischer Ritter mit konsularischen
Vollmachten in einen Uberaus schweren und furchtbaren
Krieg entsandt wurde, obwohl zwei hochangesehene und
äußerst tatkräftige Konsuln zur Verfügung standen 55 ? Er
wurde entsandt. Damals gab es manchen im Senat, der da
sagte, es sei nicht recht, einen Mann, der kein Amt innehabe,
statt eines Konsuls zu entsenden; doch L.Philippus 56 soll er-
196 DE I M P E R I O C N . P O M P E I

dicitur non se ilium sua sententia pro consule sed pro


consulibus mittere. T a n t a in eo rei publicae bene geren-
dae spes constituebatur ut d u o r u m consulum munus
unius adulcscentis virtuti committeretur. Q u i d tam
singulare quam ut ex senatus consulto legibus solutus
consul ante fieret q u a m ullum alium magistratum per
leges capere licuisset? quid tam incredibile quam ut
iterum eques R o m a n u s ex senatus consulto triumpha-
ret? Q u a e in omnibus hominibus nova post hominum
m e m o r i a m constituta sunt, ea tam multa non sunt quam
haec quae in hoc uno homine vidimus. A t q u e haec tot 63
exempla tanta ac tam nova profecta sunt in eodcm
homine a Q . Catuli atque a ceterorum eiusdem dignita-
tis amplissimorum h o m i n u m auctoritate.

Q u a re videant ne sit periniquum et non ferendum


illorum auctoritatem de C n . Pompei dignitate a vobis
comprobatam semper esse, vestrum ab illis de eodem
homine iudicium populique Romani auctoritatem im-
probari, praesertim c u m iam suo iure populus Roma-
nus in hoc homine suam auctoritatem vel contra omnis
qui dissentiunt possit d e f e n d e r e , propterea quod isdem
istis reclamantibus vos u n u m ilium ex omnibus delegis-
tis q u e m bello p r a e d o n u m praeponerctis. Hoc si vos 64
temere fecistis et rei publicae parum consuluistis, recte
isti studia vestra suis consiliis regere conantur. Sin
autem vos plus tum in re publica vidistis, vos eis
repugnantibus per vosmet ipsos dignitatem huic impe-
rio, salutem orbi terrarum attulistis, aliquando isti
ÜBER D F N O B E R B F F F H L D F S P O M P F I L S "97

klärt haben, er sei der Meinung, daß er ihn nicht statt eines
Konsuls, sondern statt der Konsuln entsende. Die Erwartung,
er werde die Geschicke des Staates gut lenken, war so zu-
versichtlich, daß man der Tatkraft eines jungen Mannes die
Aufgabe zweier Konsuln anvertraute. Was war so einzigartig,
als daß er, durch einen Senatsbeschluß von den gesetzlichen
Schranken befreit, Konsul wurde, ehe es ihm von Gesetzes
wegen zustand, irgendein anderes Amt zu bekleiden? Was
war so unglaublich, als daß ein römischer Ritter, durch einen
Senatsbeschluß ermächtigt, zum zweiten Male einen Triumph
beging 57 ? Was man seit Menschengedenken irgendwelchen
Menschen an neuartigen Befugnissen eingeräumt hat, ist ins-
gesamt nicht so zahlreich, wie das, was wir bei diesem einen
Menschen erlebt haben. Und alle jene ebenso gewichtigen
wie neuartigen Beispiele, die man an dem einen Manne er-
probt hat, gehen auf den Ratschluß des Q^Catulus und der
übrigen ausgezeichneten Männer gleichen Ranges zurück.
Es ist daher ganz gewiß sehr unbillig und nicht zu ertragen,
daß ihr stets zugestimmt habt, wenn jene ihre Ansicht über
Amt und Stellung des Cn.Pompeius äußerten5®, daß sie hin-
gegen euer Urteil über denselben Mann und die Willensmei-
nung des römischen Volkes zurückzuweisen versuchen. Über-
dies ist das römische Volk jetzt vollauf befugt, seine Meinung
über diesen Mann gegen alle, die da Widerspruch erheben,
durchzusetzen. Denn ihr habt, obwohl diese Leute laut ihr
Mißfallen kundtaten, aus allen den Einen erwählt, den Krieg
gegen die Seeräuber zu leiten. Wenn ihr das unüberlegt getan
und euch zu wenig um das Wohl des Staates gekümmert habt,
dann versuchen sie mit Recht, eure Bestrebungen durch ihre
Entschlüsse zu lenken. Wenn ihr jedoch damals die Lage des
Staates besser erfaßt und trotz ihres Widerstandes aus eigener
Initiative dem Reiche Ansehen, dem Erdkreis Wohlfahrt ver-
schafft habt, dann mögen diese fuhrenden Männer endlich
198 DE IMPF.RIO CN. POMPFI

principes et sibi et ceteris populi Romani universi auc-


toritati p a r e n d u m esse fateantur.
A t q u e in hoc bello Asiatico et regio, Q u i r i t e s . non
solum militaris ilia virtus q u a e est in C n . Pompeio
singularis sed aliae q u o q u e animi virtutes magnae et
multae r e q u i r u n t u r . Difficile est in Asia, Cilicia, Syria
regnisque interiorum n a t i o n u m ita versari n o s t r u m im-
peratorem ut nihil aliud nisi de hoste ac de laude
cogitet. D e i n d e , etiam si qui sunt p u d o r e ac t e m p e r a n -
tia moderatiores, tarnen eos esse talis propter multitudi-
nem c u p i d o r u m h o m i n u m n e m o arbitratur.

Difficile est d i c t u , Q u i r i t e s , q u a n t o in odio simus


apud exteras nationes p r o p t e r eorum quos ad eas per
hos annos c u m imperio misimus libidines et iniurias.
Q u o d e n i m f a n u m putatis in illis terris nostris magistra-
tibus religiosum, q u a m civitatem sanctam, q u a m do-
m u m satis clausam ac m u n i t a m fuisse? U r b e s iam locu-
pletes et copiosae r e q u i r u n t u r q u i b u s causa belli prop-
ter diripiendi facultatem infcratur. Libcnter haec co-
ram c u m Q . C a t u l o et Q . H o r t c n s i o . s u m m i s et clarissi-
mis viris. d i s p u t a r e m ; n o r u n t enim sociorum volnera,
vident e o r u m calamitates, querimonias a u d i u n t . Pro
soeiis vos contra hostis exercitus mittere putatis an
hostium simulatione contra socios a t q u e amicos? Q u a e
civitas est in Asia quae non m o d o imperatoris aut legati
sed unius tribuni m i l i t u m animos ac spiritus caperc
possit?
C B F R DF.N O B F R B F F F H L DF.S P O M P F I L S 199

einmal zugeben, daß sie und ihr Anhang sich dem Willen des
gesamten römischen Volkes fügen sollten.
Und in diesem asiatischen, gegen Könige geführten Kriege
reicht das militärische Können, über das Cn.Pompeius in ein-
zigartiger Weise verfügt, nicht aus, Q u i n t e n ; vielmehr sind
noch zahlreiche andere große Vorzüge des Charakters erfor-
derlich. Ein Feldherr von uns vermag sich in Asien, Kilikien,
Syrien sowie in den Reichen der binnenländischen Völker nur
mit Mühe so zu verhalten, daß er seine Gedanken einzig und
allein auf den Feind und auf die eigene Ehre richtet. Überdies,
auch wenn sich jemand in bescheidener Zurückhaltung maß-
voll aufführt, so mag gleichwohl niemand daran glauben: so
groß ist die Zahl der Habgierigen.
Es läßt sich kaum schildern, Quiriten, wie verhaßt wir bei
den auswärtigen Völkern wegen des zügellosen Gebarens und
der Ungerechtigkeiten derer sind, die wir in den letzten Jah-
ren mit einer Kommandogewalt dorthin entsandt haben. Denn
welcher geweihte O r t , meint ihr, sei unseren Beamten in die-
sen Ländern heilig, welche Stadt unverletzlich, welches Haus
verschlossen und verwahrt genug gewesen? Man muß schon
nach reichen und wohl versehenen Städten suchen, gegen die
man wegen der Aussicht auf Plünderung einen Kriegsgrund
geltend machen könnte. Hierüber würde ich gern einmal mit
Q^Catulus und Q^Hortensius reden, die ja vortreffliche und
hochangesehene Männer sind; sie kennen nämlich die Wun-
den unserer Bündner, sie sehen deren Unglück, sie hören die
Klagen. Was glaubt ihr: daß ihr eure Heere zum Schutze der
Bundesgenossen gegen den Feind ausschickt? Oder gegen die
Bundesgenossen und Freunde, unter dem Vorwand, es gehe
gegen den Feind? Welche Stadt in Asien vermag der An-
maßung und dem Hochmut nicht etwa eines Oberbefehls-
habers oder Legaten, sondern auch nur eines einzigen Mili-
tärtribunen Genüge zu tun?
200 DE 1MPFR10 CN. POMPFI

Q u a re, etiam si q u e m habetis qui conlatis signis


exercitus regios superare posse videatur, tarnen, nisi
erit idem qui a pecuniis sociorum, qui ab eorum coniu-
gibus ac liberis, qui ab ornamcntis fanorum atque
o p p i d o r u m , qui ab auro gazaque regia manus, oculos,
animum cohibere possit, non erit idoneus qui ad bellum
A s i a t i c u m regiumque mittatur. E c q u a m putatis civita- 67
tern pacatam fuisse quae locuples sit, ecquam esse
locupletem quae istis pacata esse videatur? Ora mari-
tima, Quirites, C n . P o m p e i u m non solum propter rei
militaris gloriam sed etiam propter animi continentiam
requisivit. V i d e b a t enim praetores locupletari quotan-
nis pecunia publica praeter paucos, neque nos quic-
q u a m aliud adsequi classium nomine nisi ut detrimentis
accipiendis maiore adfici turpitudine videremur. N u n c
qua cupiditate homines in provincias, quibus iacturis
q u i b u s q u e condicionibus proficiscantur ignorant vide-
licet isti qui ad u n u m deferenda omnia esse non arbi-
trantur. Quasi vero C n . P o m p e i u m non cum suis virtu-
tibus tum etiam alienis vitiis m a g n u m esse videamus.
Q u a re nolite dubitare quin huic uni credatis omnia qui 68
inter tot annos unus inventus est q u e m socii in urbis
suas cum exercitu venisse gaudcrent.

Q u o d si auctoritatibus hanc causam, Quirites, con-


f i r m a n d a m putatis, est vobis auetor vir bellorum om-
nium m a x i m a r u m q u e rerum peritissimus, P. Servilius,
cuius tantae res gestae terra marique exstiterunt ut,
Ü B E R D E N O B E R B E F E H L DF.S POMPFILS 201

Daher steht fest: ihr mögt jemanden haben, der fähig zu


sein scheint, die Truppen der Könige in einer regelrechten
Schlacht zu besiegen. Gleichwohl ist er ungeeignet, und man
sollte ihn nicht in den asiatischen Königskrieg entsenden,
wenn er nicht auch imstande ist, Hände, Augen und Sinn vom
Geld der Bundesgenossen, von ihren Frauen und Kindern,
vom Schmuck der Heiligtümer und Städte, vom Gold und
von den Schätzen der Könige fernzuhalten. Glaubt ihr, dort
hätte mit irgendeinem Staate Frieden bestanden, der reich
wäre? Irgendeiner wäre reich, mit dem nach Ansicht von Leu-
ten dieses Schlages Frieden bestünde? Die Meeresküste hat
nach Cn. Pompeius nicht nur wegen seines Kriegsruhmes, son-
dern auch wegen seiner Selbstbeherrschung verlangt, Quiri-
ten. Denn sie sah, wie sich die Prätoren mit Ausnahme weni-
g e r " Jahr für Jahr an den öffentlichen Geldern bereicherten
und wir mit unseren sogenannten Flotten nur zuwege brach-
ten, daß uns die Niederlagen, die wir empfingen, einer noch
größeren Schande aussetzten. Von welcher Gier sind die Leute
erfüllt, die jetzt in die Provinzen gehen, welche Mittel haben
sie hierfür aufgewandt und welche Übereinkünfte geschlos-
sen! Freilich, davon wissen die nichts, die da meinen, man
dürfe nicht alles einem einzigen überantworten. Als ob wir
nicht sähen, daß Cn. Pompeius nicht allein durch seine eigenen
Vorzüge, sondern auch durch die Verworfenheit anderer groß
ist. Zögert daher nicht, alles diesem Einen anzuvertrauen:
er hat sich in so vielen Jahren als der einzige erzeigt, über den
unsere Bundesgenossen sich freuten, wenn er mit seinem
Heere in ihre Städte kam.
Doch wenn ihr glaubt, Quiriten, man müsse diesen Stand-
punkt durch Gutachten stützen: als Gutachter erbietet sich
euch ein Mann, der größte Erfahrung in Kriegen aller Art
und in den wichtigsten Angelegenheiten besitzt, P. Servilius.
Er hat zu Wasser und zu Lande so ansehnliche Erfolge errun-
202 DE IMPFRIO CN. PO.MPF.I

c u m d e b e l l o d e l i b e r e t i s , a u c t o r v o b i s g r a v i o r esse n e m o
d e b e a t ; est C . C u r i o , s u m m i s vestris b e n e f i c i i s maxi-
m i s q u e r e b u s g e s t i s , s u m m o i n g e n i o et p r u d e n t i a prae-
d i t u s , est C n . L e n t u l u s in q u o o m n e s p r o a m p l i s s i m i s
v e s t r i s h o n o r i b u s s u m m u m c o n s i l i u m , s u m m a m gravi-
t a t e m esse c o g n o s t i s , est C . C a s s i u s , i n t e g r i t a t e , veri-
tate, c o n s t a n t i a s i n g u l a r i . Q u a re v i d e t e ut h o r u m auc-
t o r i t a t i b u s i l l o r u m orationi q u i d i s s e n t i u n t respondere
posse videamur.

Q u a e c u m ita sint, C . M a n i l i , p r i m u m istam t u a m et 6y


l e g e m et v o l u n t a t e m et s e n t e n t i a m l a u d o v e h e m e n t i s s i -
m e q u e c o m p r o b o ; d e i n d e te h o r t o r ut a u c t o r e p o p u l o
R o m a n o m a n e a s in sententia n e v e c u i u s q u a m v i m aut
m i n a s p e r t i m e s c a s . P r i m u m in te satis esse animi perse-
verantiaeque arbitror; deinde, c u m tantam multitudi-
n e m t a n t o c u m s t u d i o a d e s s e v i d e a m u s q u a n t a m iterum
n u n c in e o d e m h o m i n e p r a e f i c i e n d o v i d e m u s , q u i d est
q u o d aut d e re aut d e p e r f i c i e n d i f a c u l t a t e d u b i t e m u s ?

E g o a u t e m , q u i c q u i d est in m e s t u d i , c o n s i l i , laboris,
i n g e n i , q u i c q u i d h o c b e n e f i c i o p o p u l i R o m a n i atque
hac p o t e s t a t e p r a e t o r i a , q u i c q u i d a u c t o r i t a t e , f i d e , con-
stantia p o s s u m , id o m n e ad h a n c r e m c o n f i c i e n d a m tibi
et p o p u l o R o m a n o p o l l i c e o r ac d e f e r o t e s t o r q u e o m n i s 70
d e o s , et eos m a x i m e q u i h u i c l o c o t e m p l o q u e praesi-
d e n t , q u i o m n i u m m e n t i s e o r u m q u i ad r e m p u b l i c a m
a d e u n t m a x i m e p e r s p i c i u n t , m c h o c n e q u e rogatu fa-
cere c u i u s q u a m , n e q u e q u o C n . P o m p c i g r a t i a m mihi
CBFR DFN OBFRBFFFHL DFS POMPFIUS 203

gen, daß niemand euch als Gutachter mehr bedeuten darf,


wenn ein Krieg Gegenstand eurer Beratungen ist. Es erbietet
sich auch C . C u r i o , von euch mit den höchsten Gunstbezei-
gungen bedacht, durch größte Leistungen erprobt, mit Geist
und Klugheit begabt; es erbietet sich Cn.Lentulus, dem, wie
ihr alle wißt, größte Einsicht und größte Besonnenheit eignen,
den sehr hohen Ämtern entsprechend, mit denen ihr ihn be-
traut habt; es erbietet sich C . Cassius, der sich durch Uneigen-
nützigkeit, Aufrichtigkeit und feste Grundsätze auszeichnet 40 .
Mit den Gutachten dieser Männer können wir gewiß die Re-
den derer, die von dem Vorhaben abraten, zurückweisen.
Da dem so ist, C . Manilius, möchte ich zunächst dein Ge-
setz, deine Absicht und deine Meinung loben und mit größ-
tem Nachdruck billigen; ferner fordere ich dich auf, du mö-
gest, wie es dem Willen des römischen Volkes entspricht, bei
deiner Meinung bleiben und dich von niemandem durch
Z w a n g oder Drohungen einschüchtern lassen. Erstens glaube
ich, daß du genug M u t und Ausdauer besitzest; zweitens,
wenn wir eine so zahlreiche, von so großer Begeisterung er-
füllte Menge erblicken, wie wir sie jetzt zum zweiten Male
fiir den Oberbefehl desselben Mannes versammelt sehen, was
könnte uns da veranlassen, an unserer Sache oder an ihrer
Ausführbarkeit zu zweifeln?
Ich aber verspreche dir und dem römischen Volke: was ich
an Eifer und Einsicht, an Arbeitskraft und Talent mitbringe,
was ich durch die Gunst des römischen Volkes und mein A m t
als Prätor, durch Ansehen, Verläßlichkeit und Beständigkeit
vermag, dies alles stelle ich für die Durchsetzung des Vor-
schlages zur Verfligung. Und ich versichere bei allen Göttern,
bei denen zumal, die diese geweihte Stätte beschützen, die am
besten die Gesinnung aller Sachwalter des Staates durch-
schauen : ich tue dies nicht, um jemandem zu willfahren, noch
weil ich glaube, ich könne aus diesem Anlaß die Gunst des
204 DE IMPERIO CN. POMPEI

per hanc causam conciliari p u t e m , n e q u e q u o mihi ex


c u i u s q u a m a m p l i t u d i n e aut praesidia periculis aut
a d i u m e n t a honoribus q u a e r a m , propterea q u o d peri-
cula facile, ut h o m i n e m praestare o p o r t e t , innocentia
tecti repellemus, h o n o r e m autem n e q u e ab u n o neque
ex hoc loco sed eadem ilia nostra laboriosissima ratione
vitae, si vestra voluntas feret, c o n s e q u e m u r . Q u a m ob 71
r e m , si quid in hac causa mihi s u s c e p t u m est, Quirites,
id ego o m n e m e rei publicae causa suscepisse c o n f i r m o ,
t a n t u m q u e abest ut aliquam mihi b o n a m gratiam quae-
sisse videar, ut m u l t a s m e etiam simultates partim
obscuras, partim apertas intellegam mihi non necessa-
rias, vobis non inutilis suscepisse. Sed ego me hoc
honore p r a e d i t u m , tantis vestris beneficiis a d f e c t u m
statui, Quirites, vestram voluntatem et rei publicae
dignitatem et salutem provinciarum atque sociorum
meis o m n i b u s c o m m o d i s et rationibus praeferre opor-
tere.
ÜBER D E N O B E R B E F E H L D E S P O M P E I U S 205

Cn.Pompeius gewinnen, noch weil ich darauf bedacht wäre,


mir durch den Einfluß einer angesehenen Persönlichkeit
Schutz gegen Bedrängnisse und Unterstützung für Ämter zu
verschaffen. Denn die Bedrängnisse werden wir mit leichter
Mühe, soweit ein Mensch dafür einstehen kann, im Schutze
unsträflichen Verhaltens überwinden; ein Amt aber wollen
wir weder aus der Hand eines Einzelnen noch durch unser
Wirken an dieser Stätte erlangen, sondern, vorausgesetzt,
daß ihr es einmal so wünscht, durch unsere äußerst mühe-
volle Lebensbahn". Daher erkläre ich: wenn ich in dieser An-
gelegenheit etwas auf mich genommen habe, Quinten, so
habe ich es ausnahmslos für das Staatswohl getan. Ich bin weit
davon entfernt anzunehmen, daß ich mir irgendwelche Gunst
und Freundschaft verschafft habe; im Gegenteil: ich bemerke,
daß ich mir zahlreiche Feindschaften, teils versteckte, teils
offene, zuzog, die für mich unnötig, für euch aber nicht ohne
Nutzen sind. Doch ich, dem dieses Amt, diese hohe Auszeich-
nung von eurer Seite zuteil wurde, ich habe es mir zur Pflicht
gemacht, Quinten, euren Willen und das Ansehen des Staates
und die Wohlfahrt der Provinzen und Bundesgenossen für
wichtiger zu halten als jeglichen eigenen Vorteil und alle
Rücksicht auf mich selbst.
DE L E G E AGRARIA ORATIO PRIMA

I Imberba iuventute.
II Capuam colonis deductis occupabunt, Atellam
praesidio communient, Nuceriam, Cumas multitudine
suorum obtinebunt, cetera oppida praesidiis devin-
cient.
III Venibit igitur sub praecone tota Propontis acque
Hellespontus, addicetur omnis ora Lyciorum atque
Cilicum, Mysia et Phrvgia eidem condicioni legique
parebunt.
I V Praedam, manubias, sectionem. castra denique
C n . Pompei sedente imperatore xviri vendent.

* * * quae res aperte petebatur, ca nunc occulte cuni-


culis oppugnatur. Dicent enim xviri, id quod et dicitur
a multis et saepe dictum est, post cosdem consules regis
Alexandri testamento regnum illud populi Romani esse
factum. Dabitis igitur Alexandream clam petentibus eis
quibus apertissime pugnantibus restitistis? Haec, per
deos immortalis! utrum esse vobis consilia siccorum an
vinolentorum somnia, et utrum cogitata sapicntium an
optata furiosorum videntur?

Yidete nunc proximo capite ut impurus helluo turbet


rem publicam, ut a maioribus nostris possessiones relic-
tas disperdat ac dissipet, ut sit non minus in populi
E R S T E R E D E Ü B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z

(gegen den У>olkstribunen P.Servilius Rullus, gehalten im Senat}

In milchbärtiger Jugend.
Sie werden Capua mit den Siedlern, die sie dort ansässig
machen, besetzen, Atella durch eine Wachmannschaft sichern,
Nuceria und Cumae mit ihren zahlreichen Leuten beherrschen,
die übrigen Städte durch Schutztruppen knebeln
Der Ausrufer wird also die ganze Propontis und den Hel-
lespont feilbieten, die gesamte lykische und kilikische Küste
wird neue Eigentümer erhalten, Mysien und Phrygien wer-
den sich derselben Bedingung und Vorschrift beugen.
Die Zehnmänner werden die Beute, den Ertrag des Krieges,
die Versteigerungsmasse, schließlich das Lager des Cn.Pom-
peius verkaufen, während der Feldherr zusieht*.

... was man (zuvor) in aller Offenheit anstrebte, das wird


jetzt insgeheim und unterirdisch erkämpft. Die Zehnmänner
werden nämlich sagen, was viele sagen und schon oft gesagt
worden ist, durch das Testament des Königs Alexander sei
das Königreich nach der Amtszeit der genannten Konsuln in
den Besitz des römischen Volkes übergegangen. Wollt ihr
also Alexandria auf geheime Machenschaften hin denen aus-
liefern, denen ihr euch widersetzt habt, als sie in größter
Offenheit darum kämpften 1 ? Bei den unsterblichen Göttern,
wie kommt euch das vor: Sind's Entschlüsse Nüchterner oder
Träume von Betrunkenen, sind's Pläne Vernünftiger oder
Wünsche von Wahnsinnigen?
Seht jetzt, wie der schändliche Prasser im folgenden Kapitel
die öffentlichen Angelegenheiten durcheinanderbringt, wie
er die Besitzungen, die unsere Vorfahren uns hinterlassen ha-
ben, vertut und verschleudert, wie er sich beim Vermögen
2o8 DE L F G F AGRARIA I

Romani patrimonio nepos quam in suo. Perscribit in


sua lege vectigalia quae xviri vendant, hoc est, proscri-
bit auctionem publicorum b o n o r u m . Agros emi volt
qui dividantur; quaerit pecuniam. Videlicet excogitabit
aliquid atquc adferet. N a m superioribus capitibus di-
gnitas populi Romani violabatur, nomen imperi in com-
m u n e odium orbis terrae vocabatur, urbes pacatae, agri
sociorum, regum status xviris d o n a b a n t u r ; nunc prae-
sens pecunia, certa, numerata quaeritur. Exspecto quid 3
t r i b u n u s plebis vigilans et acutus excogitet. "Veneat",
inquit, "silva Scantia." U t r u m tandem banc silvam in
relictis possessionibus, an in censorum pascuis invenis-
ti? Si quid est quod indagaris, inveneris, ex tenebris
erueris, q u a m q u a m i n i q u u m est, tamen consume sane,
quod c o m m o d u m est, quoniam quidem tu attulisti;
silvam vero tu Scantiam vendas nobis consulibus atque
hoc senatu? tu ullum vectigal attingas, tu populo Ro-
mano subsidia belli, tu ornamenta pacis eripias? T u m
vero hoc me inertiorem consulem iudicabo q u a m illos
fortissimos viros qui apud maiores nostros f u e r u n t ,
q u o d , quae vectigalia illis consulibus populo Romano
parta sunt, ea me consule ne retineri quidem potuisse
iudicabuntur. Vendit Italiae possessiones ex ordinc 4
omnis. Sane est in eo diligens; nullam enim praetermit-
tit. Persequitur in tabulis censoriis totam Siciliam;
nullum aedificium, nullos agros relinquit. Audistis
ÜBFR DAS SIFDLERGESFTZ I 209

des römischen Volkes nicht weniger verschwenderisch zeigt


als bei seinem eigenen. Er zählt in seinem Gesetz die steuer-
pflichtigen Gebiete auf, welche die Zehnmänner verkaufen
sollen, das heißt, er kündigt eine Versteigerung des Staats-
eigentums an. Er wünscht Land zu kaufen, das man verteilen
kann; er benötigt Geld. Also denkt er sich etwas aus und
schlägt es vor. Denn die vorigen Kapitel schädigten das An-
sehen des römischen Volkes, brachten den Namen des Rei-
ches auf dem ganzen Erdkreis in Verruf, händigten den Zehn-
männern friedliche Städte, das Land der Bundesgenossen und
die vertragliche Stellung der Könige aus; jetzt geht es um
bares, sicheres, flüssiges Geld. Ich bin gespannt, was sich der
aufgeweckte und scharfsinnige Volkstribun einfallen läßt.
«Man verkaufe», erklärt er, «den scantischen Forst 4 .» Wo
hast du denn diesen Forst gefunden, unter den aufgegebenen
Besitzungen oder beim Weideland der Zensoren 5 ? Wenn du
etwas aufspürst, entdeckst, aus dem Dunkel hervorziehst, es
mag ein Unrecht sein, trotzdem, verbrauche nur, was dir be-
liebt, du hast es ja beigebracht; du aber willst vor mir, dem
Konsul, und vor diesem Senat den scan tischen Forst verkaufen ?
Du wagst es, an irgendeine Staatseinnahme zu rühren, du
willst dem römischen Volk die Hilfsmittel des Krieges, du
ihm das Rüstzeug des Friedens entreißen? Dann werde ich
wirklich glauben, daß ich ein unfähigerer Konsul sei als die
tüchtigen Männer, die zur Zeit unserer Vorfahren Konsuln
waren, und zwar um so mehr, als man erklären wird, die Ein-
nahmequellen, die das römische Volk unter ihrem Konsulat
erworben habe, hätten sich unter meinem Konsulat nicht ein-
mal erhalten lassen. Er bietet der Reihe nach sämtliche ita-
lischen Besitzungen feil. Hierbei gehter wirklich sorgfältig vor;
er hat nämlich keine einzige vergessen. Er durchforscht nach
den Listen der Zensoren ganz Sizilien; kein Gebäude, kein
Stück Land läßt er aus. Ihr habt vernommen, daß ein Volks-
2 ΙΟ DE LEGE AGRARIA I

auctionem populi Romani proscriptam a t r i b u n o ple-


bis, c o n s t i t u t a m in m e n s e m I a n u a r i u m , et, credo, non
dubitatis q u i n idcirco haec aerari causa non vendiderint
ei qui armis et virtute p e p e r e r u n t , ut esset quod nos
largitionis causa venderemus.

Videte n u n c q u o adfectent iter apertius q u a m antea. j


N a m superiore parte legis q u e m ad m o d u m P o m p e i u m
o p p u g n a r e n t , a me indicati sunt; n u n c iam se ipsi
i n d i c a b u n t . Iubent venire agros A t t a l e n s i u m a t q u e
O l y m p e n o r u m quos p o p u l o R o m a n o P. Servili, fortis-
simi viri, victoria adiunxit, deinde agros in Macedonia
regios qui partim T . Flaminini, partim L. Pauli qui
Persen vicit virtute parti sunt, deinde a g r u m o p t i m u m
et f r u c t u o s i s s i m u m C o r i n t h i u m qui L. M u m m i imperio
ac felicitate ad vectigalia populi Romani a d i u n c t u s est,
post autem agros in Hispania apud C a r t h a g i n e m novam
d u o r u m S c i p i o n u m eximia virtute possessos; t u m vero
ipsam veterem C a r t h a g i n e m v e n d u n t q u a m P. A f r i c a -
nus n u d a t a m tectis ac m o e n i b u s sive ad n o t a n d a m
C a r t h a g i n i e n s i u m calamitatem, sive ad testificandam
n o s t r a m victoriam, sive oblata aliqua religione ad aeter-
n a m h o m i n u m m e m o r i a m consecravit. His insignibus 6
atque infulis imperi venditis q u i b u s o r n a t a m nobis
maiores nostri rem publicam t r a d i d e r u n t , iubent eos
agros venire quos rex Mithridates in Paphlagonia,
Ponto C a p p a d o c i a q u e possederit. N u m obscure viden-
tur p r o p e hasta praeconis insectari C n . Pompei exerci-
C B E R DAS S I F D L E R G F S F T Z Ι 2]I

tribun die Versteigerung des römischen Staatseigentums an-


kündigte, daß er sie auf den Monat Januar festsetzte, und ihr
bezweifelt nicht, möchte ich meinen, daß diejenigen, die diesen
Besitz durch ihre Waffentaten und ihre Tapferkeit erwarben,
ihn nur deshalb nicht zugunsten der Staatskasse verkauft ha-
ben, damit wir etwas verkaufen könnten, um Geschenke zu
machen.
Seht nunmehr, wie sie sich ihren Weg noch offener bahnen
als zuvor. Denn wie sie im vorigen Abschnitt des Gesetzes
gegen Pompeius kämpfen, das habe ich verraten; doch jetzt
verraten sie sich schon selbst. Sie fordern, man solle die Be-
sitzungen von Attaleia und Olympos verkaufen, die der Sieg
des P.Servilius, eines ungemein tüchtigen Mannes, dem rö-
mischen Volke gewonnen hat 4 , ferner die einstigen Krongüter
in Makedonien, die teils durch die Tapferkeit des T.Flamini-
nus, teils durch die des Perseus-Siegers L.Paullus erworben
wurden 7 , außerdem den ausgezeichneten und sehr fruchtbaren
Landbesitz der Korinther, den der erfolgreiche Oberbefehl
des L.Mummius* zu den Einnahmen des römischen Volkes
hinzugefügt hat, sodann aber das bei Neukarthago gelegene
Land in Spanien, das durch die hervorragende Tüchtigkeit
der beiden Scipionen in unseren Besitz gelangte; schließlich
wollen sie gar Alt-Karthago verkaufen, ein Gebiet, das P. Afri-
canus von Häusern und Mauern entblößt und zum ewigen An-
denken der Menschheit den Göttern geweiht hat, wohl um
den Untergang der Karthager sichtbar zu machen oder um
unseren Sieg zu bekunden oder weil fromme Scheu sich seiner
bemächtigte 9 . Wenn diese Schmuckstücke und Wahrzeichen
des Reiches verkauft seien, mit denen unsere Vorfahren den
Staat, den sie uns hinterließen, geziert hatten, dann solle man,
fordern sie, das Land feilbieten, das König Mithridates in
Paphlagonien, Pontos und Kappadokien besessen habe. Kann
da unbemerkt bleiben, wie sie das Heer des Cn. Pompeius mit
2 I2 DE L E G E A G R A R I A 1

tum qui venire iubeant eos ipsos agros in quibus ille


etiam nunc bellum gerat atque versetur?

H o c vero cuius modi est, quod eius auctionis quam 7


constituunt locum sibi nullum definiunt? N a m xviris
q u i b u s in locis ipsis videatur vendendi potestas lege
permittitur. C e n s o r i b u s vectigalia locare nisi in con-
spectu populi Romani non licet; his vendere vel in
ultimis terris licebit? A t hoc etiam nequissimi homines
consumptis patrimoniis faciunt ut in atriis auctionariis
potius q u a m in triviis aut in compitis auctionentur; hic
permittit sua lege xviris ut in quibus c o m m o d u m sit
tenebris, ut in qua velint solitudine, bona populi Ro-
mani possint divendere.

Iam ilia omnibus in provinciis, regnis. liberis populis 8


quam acerba, quam formidolosa, q u a m questuosa con-
cursatio xviralis futura sit, non videtis? Hereditatum
o b e u n d a r u m causa q u i b u s vos legationes dedistis, qui
et privati et privatum ad negotium exierunt non maxi-
mis opibus neque s u m m a auctoritate praediti, tarnen
auditis profecto quam graves eorum adventus sociis
nostris esse soleant. Q u a m ob rem q u i d putatis impen- у
dere hac lege omnibus gentibus terroris et mali, cum
immittantur in orbem terrarum xviri s u m m o cum impe-
rio, s u m m a cum avaritia infinitaque omnium rerum
cupiditate? quorum c u m adventus graves, c u m fasces
formidolosi, tum vero iudicium ac potestas erit non
ferenda; licebit enim q u o d videbitur publicum iudi-
care, quod iudicarint vendere. Etiam illud quod homi-
nes saneti non facient, ut pecuniam aeeipiant ne ven-
C B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z I

dem Stab des Ausrufers geradezu verfolgen 10 ? Fordern sie


doch den Verkauf gerade der Landgebiete, in denen er sich
noch jetzt aufhält und Krieg fuhrt!
Wie aber soll man es verstehen, daß sie für die von ihnen
festgesetzte Versteigerung keinen Ort vorschreiben? Denn
das Gesetz erteilt den Zehnmännern Vollmacht, den Ort des
Verkaufs nach eigenem Ermessen zu bestimmen. Die Zen-
soren dürfen die Steuern nur vor den Augen des römischen
Volkes verpachten, und diesen Leuten soll der Verkauf in den
entferntesten Ländern erlaubt sein? Lassen doch selbst die
ärgsten Taugenichtse, wenn sie ihr Vermögen vergeudet ha-
ben, ihre Sachen lieber in den Versteigerungshallen als auf
den Straßen oder Plätzen ausbieten; dieser Mann aber erlaubt
in seinem Gesetz den Zehnmännern, das Vermögen des römi-
schen Volkes in jedem passenden Schlupfwinkel, in beliebiger
Einsamkeit zu verkaufen.
Ferner das Umherreisen der Zehnmänner in allen Provinzen,
Königreichen, Freistaaten: bemerkt ihr nicht, wie hart, wie
furchtbar, wie ausbeuterisch das sein wird? Ihr habt Leuten
den Gesandtentitel verliehen, die nur eine Erbschaft antreten
wollten; sie reisten als Privatleute und in privater Angelegen-
heit, ohne großen Pomp und großes Ansehen, und doch, ihr
hört ja, wie drückend ihr Erscheinen für unsere Bundesge-
nossen zu sein pflegt". Was meint ihr daher, wie viel Schrek-
ken und Unheil dieses Gesetz für alle Völker heraufbeschwört,
wenn man die Zehnmänner mit höchster Befehlsgewalt, mit
der schlimmsten Habgier und einer unersättlichen Begehr-
lichkeit nach Dingen aller Art auf den Erdkreis losläßt? Ihr
Erscheinen wird bedrückend, ihr Machtgepränge furchter-
regend, ihre Urteils- und Befehlsgewalt vollends unerträglich
sein; es steht ihnen ja frei, nach Gutdünken etwas für Staats-
eigentum zu erklären und, was sie dafür erklärt haben, zu ver-
kaufen. Auch das, was gewissenhafte Leute nicht tun, für Geld
214 DF LEGE AGRARIA I

dant, tamen id eis ipsum per legem licebit. Hinc vos


quas spoliationes, quas pactiones, quam denique in
omnibus locis nundinationem iuris ас fortunarum fore
putatis? E t e n i m , quod superiore parte legis praefini- m
tum fuit, SULLA FT POMPF.IO CONSULIBUS, id rursus
liberum infinitumque fecerunt. Iubet enim eosdem
xviros omnibus agris publicis pergrande vectigal impo-
nere, ut idem possint et liberare agros quos c o m m o d u m
sit et quos ipsis libeat publicare. Q u o in iudicio perspici
non potest utrum severitas acerbior an benignitas
quaestuosior sit futura.

S u n t tamen in tota lege exceptiones duae non tarn


iniquae q u a m suspiciosae. Excipit enim in vectigali
imponendo agrum Recentoricum Siciliensem, in ven-
dendis agris eos agros de quibus cautum sit foedere. Hi
sunt in A f r i c a , qui ab H i e m p s a l e possidentur. H i e п
quaero, si Hiempsali satis est cautum foedere et Recen-
toricus ager privatus est, quid attinuerit excipi; sin et
foedus illud habet aliquam dubitationem et ager Recen-
toricus dicitur non n u m q u a m esse publicus, quem pu-
tet existimaturum duas causas in orbe terrarum repertas
quibus gratis parcerct. N u m quisnam tam abstrusus
u s q u a m n u m m u s videtur quem non architecti huiusce
legis olfecerint? Provincias, civitates liberas, socios,
amicos, reges denique exhauriunt, admovent manus
vectigalibus populi R o m a n i .

N o n est satis. A u d i t e , audite vos qui amplissimo 12


populi senatusque iudicio exercitus habuistis et bella
ÜBER DAS S I E D L E R G E S E T Z I

vom Verkauf abzustehen, selbst das wird ihnen das Gesetz


gestatten. Was meint ihr, was für Erpressungen, was für Über-
einkünfte, schließlich, was für ein Feilschen um Recht und
Vermögen hieraus überall erwachsen wird? Denn was der
vorige Abschnitt des Gesetzes bestimmt hatte - «unter dem
Konsulat des Sulla und Pompeius"» - dies haben sie wieder
schrankenlos und unbestimmt gemacht. Das Gesetz erteilt
nämlich den Zehnmännern die Befugnis, alles Staatsland mit
hohen Abgaben zu belasten; demnach dürfen dieselben Leute
nach Gutdünken Grundbesitz von Steuern befreien und nach
Belieben für steuerpflichtig erklären. Bei diesen Entscheidun-
gen läßt sich nicht voraussehen, was schlimmer sein wird:
ob bedrückende Strenge oder gewinnbringende Milde.
Indes, das Gesetz enthält im ganzen zwei Ausnahmen, die
weniger unbillig als verdächtig sind. Es nimmt nämlich, was
die Belastung mit Abgaben angeht, die recentorische Mark
auf Sizilien aus, beim Land verkauf jedoch die Besitzungen, die
durch einen Bündnisvertrag zugesichert sind. Die liegen in
Afrika; sie befinden sich im Besitz von Hiempsal11. Hier frage
ich, weshalb Ausnahmen erforderlich waren, wenn Hiempsal
durch den Vertrag genügend Sicherheit erhalten hat oder die
recentorische Mark Privateigentum ist; wenn aber der Ver-
trag Zweifel zuläßt und die recentorische Mark bisweilen für
Staatsland gilt, wer, meint unser Mann, soll da glauben, er
habe auf der ganzen Welt zwei Fälle entdeckt, denen er un-
entgeltlich Schonung gewähre? Gibt es noch irgendwo einen
Heller, der so gut versteckt wäre, daß ihn die Baumeister die-
ses Gesetzes nicht gewittert hätten? Die Provinzen, die Frei-
staaten, die Bundesgenossen, die Freunde und schließlich auch
die Könige beuten sie aus; ihre Hände gieren nach den Ein-
künften des römischen Volkes.
Hiermit nicht genug. Gebt acht, gebt acht, ihr, die ihr nach
vollgültigem Beschluß des Volkes und Senats Heere befehligt
2 16 OE LEGE AGRARIA ]

gessistis: quod ad q u e m q u e pervenerit ex praeda, ex


manubiis, ex auro coronario. quod neque consumptum
in m o n u m e n t o neque in aerarium relatum sit, id ad
xviros referri iubet! H o c capite multa sperant; in omnis
imperatores heredesque eorum quaestionem suo iudi-
cio comparant, sed m a x i m a m pecuniam se a Kausto
ablaturos arbitrantur. Q u a m causam suscipere iurati
iudices noluerunt, hanc isti xviri susceperunt: idcirco a
iudicibus fortasse praetermissam esse arbitrantur quod
sit ipsis reservata. D e i n d e etiam in reliquum tempus 13
diligentissime sancit ut, quod q u i s q u e imperator ha-
beat pecuniae, protinus ad xviros deferat. H i e tarnen
excipit P o m p e i u m simillime, ut mihi videtur, atque ut
ilia lege qua peregrini R o m a eiciuntur G l a u c i p p u s exci-
pitur. N o n enim hac exceptione unus adficitur benefi-
cio, sed unus privatur iniuria. S e d cui manubias remit-
tit, in huius vectigalia invadit. Iubet enim pecunia, si
qua post nos consules ex novis vectigalibus recipiatur,
hac uti xviros. Quasi vero non intellegamus haec eos
vectigalia quae C n . Pompeius adiunxerit vendere cogi-
tare.

Videtis iam, patres conscripti, o m n i b u s rebus et 14


modis constructam et coacervatam pecuniam \viralem.
M i n u e t u r huius pecuniae invidia; c o n s u m e t u r enim in
agrorum emptionibus. O p t i m e . Q u i s ergo emet agros
istos? Idem xviri; tu, R u l l e , - missos enim facio ceteros
- ernes quod voles, vendes quod voles; utrumque
horum facies quanti voles. C a v e t enim vir optimus ne
C B F R DAS S I E D L E R G F S F T Z Ι 217

und Kriege gefuhrt habt: was ein jeder an Beute, an Kriegs-


erträgnissen, an Ehrengold erlangt hat 14 , das soll er, verordnet
das Gesetz, bei den Zehnmännern abliefern, wenn er es nicht
für ein öffentliches Bauwerk verwendet oder an die Staats-
kasse abgeführt hat! Von diesem Kapitel versprechen sie sich
viel; sie bereiten gegen alle Befehlshaber und deren Erben
Untersuchungen vor, in denen sie selbst entscheiden, doch
das meiste Geld glauben sie dem Faustus" entreißen zu kön-
nen. Vereidigte Richter weigerten sich, diese Sache anzuneh-
men, doch die Zehnmänner nahmen sie an; sie glaubten wohl,
die Richter hätten sie deshalb nicht verfolgt, weil sie ihnen
vorbehalten sei. Das Gesetz sieht ferner mit größter Genauig-
keit auch für die Zukunft vor, jeder Befehlshaber solle alles
Geld, das er erlange, sofort an die Zehnmänner abfuhren. Hier
aber nimmt es Pompeius aus, genauso, scheint mir, wie in
dem Gesetz, das die Fremden aus Rom verweistGlaukippos
ausgenommen wird. Denn diese Ausnahme erweist nicht ei-
nem Einzigen eine Wohltat, sondern bewahrt einen Einzigen
vor Unrecht. Doch wenn das Gesetz ihm die Kriegserträg-
nisse beläßt, so vergreift es sich an seinen Steuereinkünften.
Es ordnet nämlich an, das Geld, das nach unserem Konsulat
durch neue Steuern aufgebracht werde, stehe den Zehnmän-
nern zur Verfügung. Als ob wir nicht merkten, daß sie die
Abgaben zu verkaufen beabsichtigen, die Pompeius erschlos-
sen hat.
Ihr seht schon, versammelte Väter, wie man da auf jede Art
und Weise Zehnmännergeld zusammengetragen und aufge-
häuft hat. Doch man wird das Anstößige dieser Mittel zu ver-
ringern wissen; man will es ja für den Erwerb von Land aus-
geben. VortrefTlich. Wer wird also dieses Land kaufen? Die-
selben Zehnmänner; du, Rullus (denn von den anderen sehe
ich ab), wirst kaufen, was du willst, wirst verkaufen, was du
willst, beides zu dem Preis, den du bestimmst. Der Treffliche
2 I8 DE LEGF AGRARIA I

emat ab invito. Quasi vero non intellegamus ab invito


emere iniuriosum esse, ab non invito quaestuosum.
Q u a n t u m tibi agri vendet, ut alios omittam, socer tuus,
et, si ego eius aequitatem animi probe novi, vendet non
invitus? Facient idem ceteri libenter, ut possessionis
invidiam pecunia c o m m u t e n t , accipiant quod cupiunt,
dent quod retinere vix possunt.

N u n c perspicite o m n i u m rerum infinitam atque into- 15


lerandam licentiam. Pecunia coacta est ad agros emen-
dos; ei porro ab invitis non ementur. Si consenserint
possessores non vendere, quid f u t u r u m est? Referetur
pecunia? N o n licet. E x i g e t u r ? Vetat. V e r u m esto; nihil
est quod non emi possit, si tantum des quantum velit
venditor. S p o l i e m u s o r b e m terrarum, vendamus vecti-
galia, e f f u n d a m u s aerarium, ut locupletatis aut invidiae
aut pestilentiae possessoribus agri tamen emantur.

Q u i d tum? quae erit in istos agros deductio, quae 16


totius rei ratio atque descriptio? " D e d u c e n t u r " , inquit,
" c o l o n i a e . " Quot? q u o r u m h o m i n u m ? in quae loca?
Q u i s enim non videt in coloniis esse haec omnia consi-
deranda? T i b i nos, R u l l e , et istis tuis harum omnium
rerum machinatoribus totam Italiam inermem tradi-
turos existimasti, q u a m praesidiis confirmaretis, colo-
niis occuparetis, omnibus vinclis devinctam et con-
strictam teneretis? U b i enim cavetur ne in Ianiculo
С В F. R DAS SIF-DLERGF. SETZ I 219

schreibt nämlich vor, daß Zwangskäufe verboten seien. Als ob


wir nicht sähen, daß ein Zwangskauf widerrechtlich, ein frei-
williger Kauf einträglich ist. Wieviel Land wird dir, anderer
nicht zu gedenken, dein Schwiegervater 17 verkaufen, und
zwar durchaus freiwillig, wenn ich seine gefällige Art gehörig
kenne? Auch die übrigen werden gern bereit sein, ihren miß-
liebigen Besitz 1 ' gegen Geld einzutauschen, zu empfangen,
was sie wünschen, und zu geben, was sie kaum behalten kön-
nen.
Bemerkt jetzt die unendliche und unerträgliche Schranken-
losigkeit, die in alledem herrscht! Man hat Geld für den Er-
werb von Grundstücken beschafft; doch diese sollen nicht im
Zwangswege gekauft werden. Wenn die Besitzer überein-
kommen, nicht zu verkaufen, was soll dann geschehen? Wird
man das Geld zurückzahlen ? Das ist nicht erlaubt. Wird man
Zwang ausüben? Das Gesetz untersagt's. Doch sei's; nichts,
was man nicht kaufen könnte, wenn man zahlt, was der Ver-
käufer fordert. Plündern wir also den Erdkreis aus, verkaufen
wir die steuerpflichtigen Gebiete, vergeuden wir die staat-
lichen Mittel, um jedenfalls Land zu erwerben, selbst wenn
wir die Besitzer mißliebiger oder ungesunder Plätze zu reichen
Leuten machen.
Was dann? Wie wird die Ansiedlung auf diesen Gebieten
aussehen, wie wird man die ganze Sache ordnen und einrich-
ten? «Es sollen Kolonien angelegt werden», heißt es. Wie
viele? Mit was für Leuten? An welchen Orten? Denn wer
sieht nicht, daß man bei Kolonien alle diese Punkte berück-
sichtigen muß? Hast du geglaubt, Rullus, wir würden dir und
den Leuten, die dich zu allen diesen Dingen angestiftet haben,
ganz Italien wehrlos ausliefern, damit ihr es durch Wachmann-
schaften sichert, durch Kolonien in Besitz nehmt, durch Fes-
seln aller Art gebunden und geknebelt haltet? Denn wo ist
vorgesorgt, daß ihr nicht auf dem Ianiculum" eine Kolonie
2 2О DE L E G E A G R A R I A 1

coloniam constituatis, ne urbem hanc urbe alia premere


atque urgere possitisr " N o n f a c i e m u s , " inquit. Primiim
nescio, deinde timeo, postremo non committam ut
vestro beneficio potius quam nostro consilio salvi esse
possimus. Q u o d vero totam Italiam vestris coloniis 17
complere voluistis, id cuius modi esset neminemne
nostrum intellecturum existimavistis? Scriptum est
enim: Q U A E IN M U N I C I P I A Q U A S Q U E IN C O L O N I A S XVIRI

V E L I N T , D E D U C A N T COLONOS QUOS VF.LINT ET E I S AGROS

ADSIGNENT QUIBUS IN LOCIS VELINT, Ut, CUm totam

Italiam militibus suis occuparint, nobis non m o d o di-


gnitatis retinendae, verum ne libertatis quidem recupe-
randae spies relinquatur. A t q u e haec a me suspicionibus
et coniectura coarguuntur.

Iam omnis o m n i u m tolletur error, iam aperte osten- 18


dent sibi nomen huius rei publicae, sedem urbis atque
imperi, denique hoc templum Iovis Optimi Maximi
atque hanc arcem o m n i u m gentium displicerc. C a p u a m
deduci colonos volunt, i 11am urbem huic urbi rursus
opponere, illuc opes suas deferre et imperi nomen
transferre cogitant. Qui locus propter ubertatem
agrorum abundantiamque rerum o m n i u m superbiam et
crudelitatem genuisse dicitur, ibi nostri coloni delecti
ad omne facinus a xviris conlocabuntur, et, credo, qua
in urbe homines in vetere dignitate fortunaque nati
copiam rerum moderate ferre non potuerunt, in ea isti
vestri satellites modeste insolentiam suam continebunt.
C B F R DAS S 1 F D L F . R G E S E T Z I 22 1

einrichtet, daß ihr nicht unsere Stadt durch eine andere Stadt
bedrohen und bedrängen könnt? «Das werden wir nicht tun»,
erklärt Rullus. Erstens weiß ich das nicht, zweitens habe ich
Bedenken, schließlich will ich es nicht darauf ankommen las-
sen, daß wir unsere Sicherheit mehr eurer Freundlichkeit als
unserer Vorsicht zu verdanken haben. Da ihr jedoch eure Ko-
lonien über ganz Italien ausbreiten wollt: habt ihr geglaubt,
niemand von uns werde bemerken, was es hiermit auf sich
hat? Es heißt nämlich: «Die Zehnmänner sollen von ihnen
bestimmte Siedler in Landstädten und Kolonien, die sie be-
stimmt haben, ansässig machen und ihnen an Plätzen, die sie
bestimmen, Grundstücke anweisen.» Uns soll also, wenn sie
ganz Italien mit ihren Soldaten besetzt haben, nicht nur keine
Hoffnung bleiben, daß wir unsere Standesrechte behalten; wir
sollen nicht einmal unsere Bürgerfreiheit wiedererlangen dür-
fen. Und dies leite ich wohl nur aus Mutmaßungen und Schlüs-
sen ab.
Doch schon schwindet bei jedermann jedwede Unsicher-
heit, schon geben sie offen zu erkennen, daß ihnen der Name
dieses Staates, der Mittelpunkt der Stadt und des Reiches,
kurz, der Tempel des Jupiter Optimus Maximus und diese
Schutzburg aller Völker20 mißfällt. In Capua wollen sie Siedler
unterbringen; sie beabsichtigen, diese Stadt wieder zur Ge-
genspielerin unserer Stadt zu machen11, dorthin ihre Macht
zu verlegen und den Namen des Reiches zu übertragen. Es
heißt von dieser Stätte, sie habe durch die Fruchtbarkeit des
Landes und den Überfluß an allen Dingen Hochmut und Grau-
samkeit erzeugt; dort werden die Zehnmänner unsere Siedler
einquartieren, für jeden Handel ausgesuchte Leute, und wahr-
haftig, wo die Menschen in ererbter Würde und Vermögens-
lage den Überfluß nicht maßvoll zu ertragen vermochten, in
dieser Stadt werden eure Trabanten ihren Übermut durch
Bescheidenheit zu zügeln wissen. Unsere Vorfahren haben aus
222 DF. L E G F A G R A R I A 1

•Ylaiores nostri Capua magistrates, senatum, consilium iy


c o m m u n e , omnia d e n i q u e insignia rei publicae sustule-
runt, n e q u e aliud q u i c q u a m in urbe nisi inane nomen
Capuae reliquerunt, non crudelitate - quid enim illis
fuit clementius qui etiam externis hostibus victis sua
saepissime reddiderunt? - sed consilio, quod videbant,
si quod rei publicae vestigium illis moenibus continere-
tur, u r b e m ipsam imperio domicilium praebere posse;
vos haec, nisi evertere rem publicam cuperetis ac vobis
novam dominationem comparare, credo, q u a m perni-
ciosa essent non videretis. Q u i d enim cavendum est in 20
coloniis deducendis? Si luxuries, H a n n i b a l e m ipsum
Capua corrupit, si superbia, nata inibi esse haec ex
C a m p a n o r u m fastidio videtur, si praesidium, non prae-
ponitur huic urbi ista colonia, sed opponitur. At quem
ad m o d u m armatur, di immortales! N a m bello Punico
quicquid potuit C a p u a , potuit ipsa per sese; nunc om-
nes urbes quae circum C a p u a m sunt a colonis per
eosdem xviros o c c u p a b u n t u r ; banc enim ob causam
permittit ipsa lex, in omnia quae velint oppida colonos
ut xviri deducant quos velint.

A t q u e his colonis agrum C a m p a n u m et Stellatem


c a m p u m di vidi iubet. N o n queror d e m i n u t i o n e m vecti- 21
galium, non flagitium huius iacturae atque damni, prae-
termitto ilia quae nemo est quin gravissime et veris-
sime conqueri possit, nos caput patrimoni publici, pul-
cherrimam populi Romani possessionem, subsidium
annonae, horreum belli, sub signo claustrisque rei pu-
22
l ' B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z I 3
Capua die Beamten, den Senat, die gemeinsame Beratung",
kurz, jedes Zeichen staatlicher Tätigkeit entfernt, und sie
ließen in der Stadt nichts übrig als den bedeutungslosen Na-
men Capua, nicht aus Grausamkeit (denn wer war milder als
sie, die selbst besiegten auswärtigen Feinden sehr oft ihr Ei-
gen zurückgaben?), sondern aus Einsicht: sie erkannten, wenn
diese Mauern auch nur eine Spur von Staatlichkeit umfingen,
dann könne die Stadt selbst einmal zum Sitz des Reiches wer-
den. Doch ihr, möcht' ich meinen, würdet gar nicht bemer-
ken, wie verderblich das ist - es sei denn, ihr wolltet unseren
Staat umstürzen und euch eine neue Gewaltherrschaft ver-
schaffen. Denn welche Gesichtspunkte muß man bei der Ein-
richtung von Kolonien beachten? Die Vergnügungssucht?
Capua hat selbst einen Hannibal verdorben Die Überheblich-
keit ? Sie ist dort zu Hause, wie der Dünkel der Kampaner zeigt.
Den Sicherungszweck? Diese Kolonie wird nicht vor unserer
Stadt, sondern gegen unsere Stadt errichtet. Doch, ihr un-
sterblichen Götter, wie wird sie gewappnet! Denn was Capua
im punischen Kriege vermochte, das vermochte es aus sich
selbst; jetzt aber werden die Zehnmänner alle Städte, die
Capua umgeben, mit Siedlern besetzen; denn aus diesem
Grunde gestattet das Gesetz, die Zehnmänner sollten von
ihnen bestimmte Siedler in allen Städten, die sie bestimmten,
ansässig machen.
Zudem ordnet es an, diesen Siedlern solle die kampanische
Mark und der stellarische Bezirk14 zugeteilt werden. Ich be-
daure nicht die Verringerung der Staatseinkünfte, nicht die
Schande dieses Schadens und Verlustes; ich übergehe, wor-
über sich ein jeder mit größtem Nachdruck und mit vollem
Recht beklagen könnte: daß wir den Hauptposten des Staats-
vermögens, den schönsten Besitz des römischen Volkes, die
Stütze unserer Getreidewirtschaft, die Vorratskammer für
Kriegszeiten, eine unter Siegel und Verschluß des Staates
224 DE L E G F A G R A R I A I

blicae positum vectigal servare non potuisse, eum deni-


que nos agrum P. Rullo concessisse, qui ager ipse per
sese et Sullanae dominationi et G r a c c h o r u m largitioni
restitisset; non dico solum hoc in re publica vectigal esse
quod amissis aliis remaneat, intermissis non conquies-
cat, in pace niteat, in bello non obsolescat, militem
sustentet, hostem non pertimescat; praetermitto om-
nem hanc orationem et contioni reservo; de periculo
salutis ac libertatis loquor. Quid enim existimatis inte- 22
grum vobis in re publica fore aut in vestra libertate ac
dignitate retinenda, cum Rullus atque ei quos multo
magis quam R u l l u m timetis cum omni egentium atque
improborum manu, cum omnibus copiis, cum omni
argento et auro C a p u a m et urbis circa C a p u a m occupa-
rint?

His ego rebus, patres conscripti, resistam vehemen-


ter atque acriter neque patiar homines ea me consule
expromerc quae contra rem publicam iam diu cogita-
runt. F.rrastis, Rulle, vehementer et tu et non nulli 23
conlegae tui qui spcrastis vos contra consulem veritate,
non ostentatione populärem posse in evcrtenda re pu-
blica populäres existimari. Laccsso vos, in contionem
voco. populo Romano disceptatore uti volo. Etenim, ut
circumspiciamus omnia quae populo grata atque iu-
cunda sunt, nihil tarn populäre quam pacem, quam
concordiam, quam otium reperiemus.

Sollicitam mihi civitatem suspicione, suspensam


metu, perturbatam vestris legibus et contionibus et
ÜBER DAS S I E D L E R G E S E T Z I

stehende Einnahme nicht zu erhalten vermochten, daß wir


dem P. Rullus sogar das Gebiet überlassen haben, das um sei-
ner selbst willen sowohl der sullanischen Gewaltherrschaft
als auch der Freigebigkeit der Gracchen widerstanden hatte;
ich rede nicht davon, daß allein diese Einnahmequelle des
Staates bleibt, wenn die anderen verlorengehen, daß sie nicht
aufhört zu fließen, wenn die übrigen verstopft sind, daß sie
im Frieden glänzt und im Kriege nicht an Wert verliert, daß
sie die Truppen erhält und den Feind nicht zu furchten
braucht; ich übergehe dieses ganze Thema und behalte es der
Volksversammlung vor; ich rede nur von der Gefährdung
unserer Sicherheit und Freiheit. Denn was, glaubt ihr, wird
bei den Staatsgeschäften oder bei der Behauptung eurer Frei-
heit und Vorrangstellung noch in eurer Gewalt stehen, wenn
Rullus und die Leute, die ihr viel mehr furchtet als Rullus,
mit dem ganzen Haufen skrupelloser Habenichtse, mit allen
ihren Truppen, mit all ihrem Silber und Gold Capua und die
umliegenden Städte in Besitz genommen haben?
Diesen Anschlägen will ich mich entschlossen und hart-
näckig widersetzen, versammelte Väter, und ich will nicht zu-
lassen, daß die Leute unter meinem Konsulat mit Dingen her-
vortreten, die sie schon lange gegen den Staat im Schilde füh-
ren. Ihr habt euch gewaltig verrechnet, Rullus, du und einige
deiner Kollegen, wenn ihr hofftet, ihr könntet bei eurem
Putsch im Kampfe gegen einen wahrhaft, nicht dem Scheine
nach volkstümlichen Konsul fur volkstümlich gelten. Ich for-
dere euch heraus, ich lade euch vor die Versammlung, ich will
das römische Volk als Schiedsrichter anrufen. Denn wenn wir
alles mustern, was dem Volke teuer und angenehm ist, dann
finden wir nichts Volkstümlicheres als den Frieden, die Ein-
tracht, die Ruhe.
Ihr habt mir eine Bürgerschaft übergeben, die von Argwohn
erregt, von Ängsten beunruhigt, durch eure Gesetze und Ver-
2 20 DF L E G E A G R A R I A I

seditionibus tradidistis; spem improbis ostendistis, ti-


morem bonis iniecistis, f i d e m de foro, dignitatem de re
publica sustulistis. H o c motu atque hac perturbatione 24
animorum atque rerum c u m populo R o m a n o vox et
auctoritas consulis repente in tantis tenebris inluxerit.
cum ostenderit nihil esse m e t u e n d u m , nullum exerci-
tum, nullam m a n u m , nullas colonias, nullam venditio-
nem vectigalium, nullum imperium n o v u m , nullum
regnum xvirale, nullam alteram R o m a m neque aliam
sedem imperi nobis consulibus f u t u r a m s u m m a m q u e
tranquillitatem pacis atque oti, v e r e n d u m , credo, nobis
erit ne vestra ista praeclara lex agraria magis popularis
esse videatur. C u m vero scelera consiliorum vestrorum 25
f r a u d e m q u e legis et insidias quae ipsi populo R o m a n o a
popularibus tribunis plebis fiant ostendero, pertimes-
c a m , credo, ne mihi non liceat contra vos in contionc
consistere,

praesertim cum mihi deliberatum et constitutum sit


ita gerere consulatum q u o uno m o d o geri graviter et
libere potest, ut neque provinciam neque honorem
neque ornamentum aliquod aut c o m m o d u m neque rem
ullam quae a tribuno plebis impediri possit appetiturus
sim. Dicit frequentissimo senatu consul Kalendis la- 26
nuariis sese, si status hie rei publicae maneat neque
aliquod negotium exstiterit quod honeste subterfugere
non possit, in provinciam non iturum. Sic me in hoc
magistratu g e r a m , patres conscripti, ut possim tri-
b u n u m plebis rei publicae iratum coercere, mihi iratum
contemnere.
ÜBF.R D A S S I F D L F R G E S E T Z [ 22-

sammlungen und aufrührerischen Pläne verstört ist; ihr habt


bei den Gewissenlosen Hoffnungen erweckt, bei den Recht-
schaffenen Furcht hervorgerufen, dem Forum den Kredit 2 5 ,
der Staatsführung das Ansehen entzogen. In dieser Erregung
und Verwirrung der Gedanken und der Dinge leuchtet dem
römischen Volke unversehens aus so dichter Finsternis die
Stimme und der gewichtige Rat des Konsuls auf und zeigt,
daß kein Grund zur Besorgnis besteht, daß es kein Heer, keine
Truppenmacht, keine Kolonien, keinen Verkauf von Staats-
einkünften, keine neue Befehlsgewalt, keine Zehnmänner-
Herrschaft, kein zweites Rom und keinen anderen Sitz des
Reiches geben wird 1 ', solange wir Konsul sind, wohl aber
tiefste Stille des Friedens und der Ruhe - da muß ich mich,
glaube ich, sorgen, daß euer herrliches Siedlergesetz für volks-
tümlicher gelten könnte. Andererseits decke ich eure verbre-
cherischen Pläne und den Trug des Gesetzes und den Hinter-
halt auf, den diese volkstümlichen Tribunen ausgerechnet
dem römischen Volke zu stellen suchen - da werde ich, glaube
ich, befürchten, es sei mir nicht erlaubt, im Kampfe gegen
euch vor einer Volksversammlung zu erscheinen!
Überdies ist für mich beschlossen und entschieden, das Kon-
sulat in der Weise zu handhaben, in der man es allein tatkräf-
tig und unbehindert handhaben kann, das heißt weder eine
Provinz noch eine Ehrung noch irgendeine Auszeichnung oder
einen Vorteil noch überhaupt irgend etwas zu begehren, was
ein Volkstribun bekämpfen kann. Der Konsul erklärt am i.Ja-
nuar vor zahlreich versammeltem Senat, wenn die gegenwär-
tige politische Lage Bestand hat und wenn sich keine Aufgabe
zeigt, der er sich mit Ehren nicht entziehen kann, dann wird
er sich nicht in eine Provinz begeben 27 . Ich werde mich in die-
sem Amte so verhalten, versammelte Väter, daß ich in der
Lage bin, einen Volkstribunen, der gegen den Staat wütet, zu
zügeln, der gegen mich wütet, zu verachten.
228 DE LEGF AGRARIA I

Quam ob rem, per deos immortalis! conligite vos.


tribuni plebis, deserite eos a quibus, nisi prospicitis,
brevi tempore deseremini, conspirate nobiscum, con-
sentite cum bonis, communem rem publicam communi
studio atque amore defendite. Multa sunt occulta rei
publicae volnera, multa nefariorum civium perniciosa
consilia; nullum externum periculum est, non rex, non
gens ulla, non natio pertimescenda est; inclusum
malum, intestinum ac domesticum est. Huic pro se
quisque nostrum mederi atque hoc omnes sanare velle
debemus. Erratis, si senatum probare ea quae dicuntur 27
a me putatis, populum autem esse in alia voluntate.
Omnes qui se incolumis volent sequentur auctoritatem
consults soluti a cupiditatibus, liberi a delictis, cauti in
periculis, non timidi in contentionibus. Quod si qui
vestrum spe ducitur se posse turbulenta ratione honori
velificari suo, primum me consule id sperare desistat,
deinde habeat me ipsum sibi documento, quem eques-
tri ortum loco consulem videt, quae vitae via facillime
viros bonos ad honorem dignitatemque perducat. Quod
si vos vestrum mihi Studium, patres conscripti, ad
communem dignitatem defendendam profitemini, per-
ficiam profecto, id quod maxime res publica desiderat,
ut huius ordinis auctoritas, quae apud maiores nostros
fuit, eadem nunc longo intervallo rei publicae restituta
esse videatur.
ÜBER DAS S I E D L F R G E S E T Z 1 229

Deshalb, bei den unsterblichen Göttern, nehmt euch zu-


sammen, ihr Volkstribunen, verlaßt die, von denen ihr, wenn
ihr euch nicht vorseht, bald verlassen werdet, wirkt auf un-
serer Seite, haltet zu den Rechtschaffenen, verteidigt den ge-
meinsamen Staat mit gemeinsamer Hingabe und Liebe. Zahl-
reich sind die geheimen Wunden unseres Staates, zahlreich
die verderblichen Anschläge ruchloser Bürger; uns droht keine
äußere Gefahr; wir haben keinen König, keinen Stamm, kein
Volk zu furchten; das Übel hat sich hier eingenistet, es sitzt
im Inneren und im eigenen Hause. Dem muß ein jeder von uns
abzuhelfen und dies müssen wir alle zu heilen bereit sein. Ihr
irrt, wenn ihr meint, nur der Senat billige meine Worte, doch
das Volk sei anderer Meinung. Alle, die sich vor Schaden be-
wahren wollen, werden dem Gebot eines Konsuls folgen, der
unbehindert ist von Eigennutz und frei von Vergehen, behut-
sam in Gefahren und nicht ängstlich im Streite. Doch falls je-
manden von euch die Hoffnung leitet, er könne durch Un-
ruhestiften Wind in die Segel seiner Ämterlaufbahn bekom-
men: einmal entschlage er sich dieser Hoffnung, solange ich
Konsul bin; außerdem kann er sich meine Person zum Muster
nehmen. Er sieht ja, daß ich, der ich aus ritterlichem Ge-
schlecht stamme, Konsul bin; diese Lebensbahn fuhrt tüch-
tige Männer gar leicht zu Ehre und Ansehen. Wenn ihr mich
eurer Bereitschaft versichert, versammelte Väter, für unsere
gemeinsame Würde einzutreten, dann werde ich gewiß er-
reichen, was das Staatswohl am dringendsten erheischt: daß
unser Gemeinwesen die Geltung dieses Standes, wie sie bei
unseren Vorfahren geherrscht hat, jetzt nach langer Unter-
brechung zurückgewonnen zu haben scheint.
DE L E G E A G R A R I A ORATIO S E C U N D A

Est hoc in more positum, Quirites, institutoque ι


maiorum, ut ei qui beneficio vestro imagines familiac
suae consecuti sunt earn primam habeant contionem,
qua gratiam benefici vestri cum suorum laude coniun-
gant. Qua in oratione non nulli aliquando digni
maiorum loco reperiuntur, plerique autem hoc perfi-
ciunt ut tantum maioribus eorum debitum esse videa-
tur, unde etiam quod posteris solveretur redundaret.
M i h i , Quirites, apud vos de meis maioribus dicendi
facultas non datur, non quo non tales fuerint qualis nos
illorum sanguine creatos disciplinisque institutos vide-
tis, sed quod laude populari atque honoris vestri luce
caruerunt. D e me autem ipso vereor ne adrogantis sit 2
apud vos dicere, ingrati tacere. N a m et quibus studiis
hanc dignitatem consecutus sim memet ipsum comme-
morare perquam grave est, et silere de tantis vestris
beneficiis nullo modo possum. Q u a re adhibebitur a me
certa ratio moderatioque dicendi, ut quid a vobis acce-
perim commemorem, qua re dignus vestro summo
honore singularique iudicio sim, ipse modice dicam, si
necesse erit, vos eosdem existimaturos putem qui iudi-
cavistis.

Me perlongo intervallo prope memoriae temporum- 3


que nostrorum primum hominem novum consulem
fecistis et eum locum quem nobilitas praesidiis firma-
Z W E I T E R E D E Ü B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z

(gegen den folkstrikunen P. Servilius Rullus, gehalten vor dem Polke

Sitte und Herkommen der Vorfahren wollen es so, Quiriten:


wer durch eure Gunst das Recht erlangt hat, die Bilder seiner
Ahnen aufzustellen 18 , der verbinde in der ersten Ansprache,
die er an euch richtet, den Dank für eure Gewogenheit mit
dem Preis seiner Väter. In dieser Rede zeigt sich mitunter, daß
einige der Stellung ihrer Vorfahren würdig sind. Die meisten
aber rufen nur den Eindruck hervor, man verdanke ihren Vor-
fahren so viel, daß man auch für ihre Nachkommen noch tief
in ihrer Schuld stehe. Ich, Quiriten, habe keinen Anlaß, vor
euch über meine Vorfahren zu reden; sie waren gewiß ebenso,
wie ihr mich hier seht, der ich von ihrem Blute abstamme
und in ihrer Zucht aufgewachsen bin; doch ihnen wurde nie
eine Auszeichnung des Volkes und der Glanz eines von euch
verliehenen Amtes zuteil. Von mir selbst aber bei euch zu
reden, bezeugt, fürchte ich, Dünkel, zu schweigen, Undank-
barkeit. Denn daß ich selbst darlege, welche Bemühungen
mir dieses Amt verschafft haben, ist ganz unerträglich; an-
dererseits kann ich unter keinen Umständen die stattlichen
Beweise eurer Gunst unerwähnt lassen. Ich will daher in mei-
ner Rede ein bestimmtes Verhältnis und Maß anstreben: ich
werde aufführen, was ich von euch empfangen habe; doch
weshalb ich eures höchsten Amtes und auszeichnenden Urteils
würdig bin, das möchte ich selbst nur andeuten, falls es nötig
sein sollte, und meinen, ihr werdet ebenso darüber urteilen
wie bei der Wahl.
Nach einer sehr langen Unterbrechung, die fast die ganze
Zeit unserer Erinnerung ausfüllt, habt ihr mich als ersten Neu-
ling zum Konsul gemacht 2 '; ihr habt unter meiner Leitung
den Platz freigelegt, den der Adel durch Schanzen gesichert
DE L F G F AGRARIA II

t u m a t q u e omni rationc obvallatum tenebat me duce


rescidistis virtutiquc in posterum patere voluistis. Ne-
q u e me t a n t u m m o d o consulem, q u o d est ipsum per
sese a m p l i s s i m u m . sed ita fecistis q u o m o d o pauci
nobiles in hac civitate consules facti sunt, novus ante
me n e m o . N a m perfecto, si recordari volueritis de novis
h o m i n i b u s , reperietis eos qui sine repulsa consules facti
sunt d i u t u r n o labore a t q u e aliqua occasione esse factos,
cum multis annis post pctissent q u a m praetores fuissent,
aliquanto serius q u a m per aetatem ac per leges liceret;
qui autem a n n o suo petierint, sine repulsa non esse
factos; m e esse u n u m ex o m n i b u s novis hominibus de
q u i b u s meminisse possimus, qui c o n s u l a t u m petierim
c u m p r i m u m licitum sit, consul factus sim cum p r i m u m
petierim, ut vester bonos ad mei temporis diem petitus,
non ad alienae petitionis occasionem interceptus, nec
d i u t u r n i s precibus efflagitatus, sed dignitate impetra-
tus esse videatur.

Est illud a m p l i s s i m u m q u o d paulo ante commemo- 4


ravi, Q u i r i t e s , q u o d hoc honore ex novis hominibus
p r i m u m m e multis post annis adfecistis, quod prima
petitione, q u o d a n n o meo, sed tarnen magnificentius
a t q u e ornatius esse illo nihil potest, q u o d meis comitiis
non tabellam vindicem tacitae libertatis, sed vocem
vivam prae vobis indicem vestrarum erga me volun-
t a t u m ac s t u d i o r u m tulistis. I t a q u e me non extrema
diribitio s u f f r a g i o r u m , sed primi illi vestri concursus,
n e q u e singulae voces p r a e c o n u m , sed una vox universi
populi Romani consulem declaravit.
2
ÜBER DAS S I E D L E R G F S E T Z II 33
und auf jede Weise versperrt hatte, und so bekundet, daß er
auch in Zukunft der Tüchtigkeit offenstehen solle. Und ihr
habt mich nicht schlechtweg zum Konsul gemacht, was schon
an sich eine hohe Ehre ist, sondern so, wie nur wenige Adlige
in diesem Staate Konsuln geworden sind und vor mir kein
einziger Neuling. Denn wahrhaftig, wenn ihr einmal die Neu-
linge durchgehen wollt, so werdet ihr feststellen: wer ohne
vorherige Abweisung Konsul wurde, der wurde es erst nach
langwierigen Bemühungen und durch irgendwelche besonde-
ren Umstände, nachdem er sich viele Jahre nach seiner Prätur
und erheblich später beworben hatte, als die gesetzlich vor-
geschriebenen Altersgrenzen zuließen 30 ; wer sich dagegen
zum frühesten Zeitpunkt bewarb, der wurde nicht ohne vor-
herige Abweisung Konsul; ich bin also der einzige unter allen
Neulingen, von denen wir wissen, der sich um das Konsulat
bewarb, als es ihm zum ersten Male gestattet war, und der
Konsul wurde, als er sich zum ersten Male beworben hatte;
hieraus ergibt sich, daß ich mich um euer Amt zu meiner Zeit
und Frist beworben, daß ich es nicht anläßlich einer fremden
Bewerbung ergattert habe, daß es nicht durch langwährende
Bitten abgepreßt, sondern durch Würdigkeit erworben wurde.
Schon dies ist eine hohe Ehre, was ich gerade erwähnt habe,
Quinten: daß ihr mich nach vielen Jahren als ersten Neuling
mit diesem Amt betraut habt, daß es bei der ersten Bewer-
bung, daß es zum frühesten Zeitpunkt geschah. Und trotz-
dem kann nichts großartiger und auszeichnender sein als dies,
daß ihr bei meiner Wahl nicht nur die Stimmtafeln als geheime
Bürgen eurer Freiheit abgegeben habt, sondern in laute Rufe als
Zeichen eurer Geneigtheit und eures Vertrauens zu mir ausge-
brochen seid. So hat mich nicht erst der Schluß der Stimmen-
auszählung, sondern bereits euer erstes Zusammenströmen,
nicht das Rufen der einzelnen Herolde", sondern ein einziger
Ruf des gesamten römischen Volkes zum Konsul erklärt.
DE L E G E A G R A R I A II

Hoc ego tarn insigne, tarn singulare vestrum benefi- 5


d u m , Quirites, cum ad animi mei fructum atque laeti-
tiam duco esse p e r m a g n u m , tum ad curam sollicitudi-
nemque multo magis. Versantur enim, Quirites, in
animo meo multae et graves cogitationes quae mihi
nullam partem neque diurnae neque nocturnae quietis
impertiunt, primum tuendi consulatus, quae cum om-
nibus est difficilis et magna ratio, tum vero mihi praeter
ceteros cuius errato nulla venia, recte facto exigua laus
et ab invitis expressa proponitur; non dubitanti fidele
consilium, non laboranti certum subsidium nobilitatis
ostenditur. Quod si solus in discrimen aliquod adduce- 6
rer, ferrem, Quirites, animo aequiore; sed mihi viden-
tur certi homines, si qua in re me non modo consilio
verum etiam casu lapsum esse arbitrabuntur, vos uni-
versos qui me antetuleritis nobilitati vituperaturi. Mihi
autem, Quirites, omnia potius perpetienda esse duco
quam non ita gerendum consulatum ut in omnibus meis
factis atque consiliis vestrum de me factum consilium-
que laudetur.

Accedit etiam ille mihi summus labor ас difficillima


ratio consulatus gerendi, quod non eadem mihi qua
superioribus consulibus lege et condicione utendum
esse decrevi, qui aditum huius loci conspectumque
vestrum partim magno opere fugerunt, partim non
vehementer secuti sunt. E g o autem non solum hoc in
loco dicam ubi est id dictu facillimum, sed in ipso
senatu in quo esse locus huic voci non videbatur populä-
rem me futurum esse consulem prima illa mea oratione
Kalendis Ianuariis dixi. N e q u e enim ullo modo facere 7
Ü B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z II 2З5

Ein so ausgezeichneter, so einzigartiger Gunstbeweis von


eurer Seite, Quinten, scheint mir ein gewichtiger Anlaß, von
tiefer Befriedigung und Freude, aber noch mehr, von Sorge
und Bangigkeit erfüllt zu sein. Denn mich beschäftigen viele
bedrückende Gedanken, Quinten, die mir weder bei Tage
noch bei Nacht irgendwelche Ruhe gönnen. Hierbei geht es
hauptsächlich um die Wahrung des Konsulats. Das ist schon
für alle eine schwierige und große Aufgabe, doch für mich
noch mehr als fur andere: wenn ich einen Fehler begehe,
wartet keinerlei Nachsicht auf mich, wenn ich's recht mache,
nur geringes und von Widerwilligen erpreßtes Lob; von ad-
liger Seite zeigt sich dem Zweifelnden kein zuverlässiger Rat,
dem Bedrängten keine sichere Hilfe. Wenn man nur mich
einer Probe unterwerfen wollte, Quinten, so würde mich das
weniger anfechten; allein, wenn bestimmte Leute meinen, ich
hätte mich bei einer Sache nicht einmal vorsätzlich, sondern
nur zufällig geirrt, dann werden sie, denke ich, euch allen Vor-
würfe machen, die ihr mich den adligen Herren vorgezogen
habt. Ich aber glaube, lieber alles auf mich nehmen zu sollen,
Quinten, als mein Konsulat nicht so zu fuhren, daß man bei
allen meinen Taten und Beschlüssen lobt, was ihr fur mich
getan und beschlossen habt.

Für mich kommt noch eine sehr große Mühe und ein
äußerst schwieriger Grundsatz der Konsulatsführung hinzu:
ich habe mir vorgenommen, nicht dieselbe Regel und Richt-
schnur zu befolgen wie die früheren Konsuln, die den Zugang
zu dieser Stätte 1 1 und euren Anblick teils peinlich gemieden,
teils nicht sonderlich gesucht haben. Ich aber spreche es nicht
nur hier aus, wo es sich am leichtesten aussprechen läßt, son-
dern habe selbst vor dem Senat, der für diese Verlautbarung
gar nicht geeignet schien, in meiner Antrittsrede am 1.Januar
erklärt, ich wolle ein volkstümlicher Konsul sein' 3 . Denn ich
sehe ja, daß mich nicht das Bestreben Mächtiger, nicht die
236 D E L E G E A G R A R I A II

possum ut, c u m me intellegam non h o m i n u m po-


t e n t i u m studio, non e x c e l l e n t i b u s gratiis p a u c o r u m ,
sed universi p o p u l i R o m a n i iudicio c o n s u l e m ita f a c t u m
ut nobilissimis h o m i n i b u s longe praeponerer, non et in
hoc magistratu et in o m n i vita videar esse popularis.
S e d mihi ad huius verbi v i m et interpretationem
v e h e m e n t e r o p u s est vestra sapientia. Y e r s a t u r enim
m a g n u s error propter insidiosas non n u l l o r u m simula-
tiones q u i , c u m p o p u l i non s o l u m c o m m o d a verum
etiam salutem o p p u g n a n t et i m p e d i u n t , oratione adse-
qui v o l u n t ut p o p u l ä r e s esse v i d e a n t u r . E g o q u a l e m 8
K a l e n d i s Ianuariis a c c e p e r i m rem p u b l i c a m , Q u i r i t e s ,
intellego, p l c n a m sollicitudinis, p l e n a m timoris; in qua
nihil erat mali, nihil adversi q u o d non boni m e t u e r e n t ,
i m p r o b i e x s p e c t a r e n t ; o m n i a t u r b u l e n t a consilia contra
h u n c rei p u b l i c a e s t a t u m et contra v e s t r u m o t i u m par-
tim iniri, partim nobis c o n s u l i b u s designatis inita esse
d i c e b a n t u r ; sublata erat de foro f i d e s non ictu aliquo
novae calamitatis, sed s u s p i c i o n e ac p e r t u r b a t i o n e iudi-
c i o r u m , i n f i r m a t i o n e r c r u m i u d i c a t a r u m ; novae d o m i -
nationes, extraordinaria non i m p e r i a , sed regna quaeri
putabantur.

Q u a e c u m e g o non s o l u m suspicarcr, sed plane cerne- 9


rem - n e q u e e n i m o b s c u r e g e r e b a n t u r - dixi in senatu in
hoc magistratu me p o p u l ä r e m c o n s u l e m f u t u r u m . Q u i d
e n i m est tarn p o p u l ä r e q u a m pax? q u o non m o d o ei
q u i b u s natura s c n s u m d e d i t sed etiam tecta atque agri
mihi laetari v i d e n t u r . Q u i d tarn p o p u l ä r e q u a m liber-
tas? q u a m non solum a b h o m i n i b u s v e r u m etiam a
ÜBF.R D A S S I E D L E R G E S E T Z II 2
37

überragende Gunst weniger, sondern das Urteil des gesamten


römischen Volkes zum Konsul gemacht hat, wobei man mich
Männern von höchstem Adel weit vorzog - da ist es mir ganz
unmöglich, mich in diesem Amte und während meines ganzen
Lebens nicht als volkstümlich zu erweisen.
Doch für den Sinn und die Erklärung dieses Ausdrucks be-
darf ich dringend eurer Einsicht. Denn einige Leute haben
durch ihre trügerischen Vorspiegelungen einen großen Irrtum
verbreitet; sie bekämpfen und behindern nicht nur einzelne
Vergünstigungen des Volkes, sondern seine Wohlfahrt
schlechthin, und suchen durch ihre Reden gleichwohl zu er-
reichen, daß sie für volkstümlich gelten. Ich sehe, was fiir ein
Gemeinwesen ich am i.Januar übernommen habe, Quinten:
erfüllt von Besorgnis, erfüllt von Angst; dort gab es nichts
Übles, nichts Widriges, das die Rechtschaffenen nicht be-
furchtet, die Gewissenlosen nicht erwartet hätten; allerlei auf-
rührerische Anschläge gegen unsere Verfassung und gegen
eure Ruhe würden, so hieß es, vorbereitet oder seien schon
vorbereitet worden, nachdem man uns zum Konsul erklärt
hatte; vom Forum war der Kredit verschwunden, nicht unter
dem Ansturm eines frischen Unglücks, sondern wegen der
Unsicherheit und Verwirrung der Gerichte, wegen der dro-
henden Entkräftung von Urteilen 34 ; die Leute glaubten, man
trachte nach neuen Gewalten, nicht nach außerordentlichen
Befugnissen, sondern nach unbeschränkter Herrschaft.
Als ich diese Dinge nicht bloß vermutete, sondern deutlich
wahrnahm (man betrieb sie ja nicht im geheimen), da erklärte
ich im Senat, ich wolle mein Amt als volkstümlicher Konsul
führen. Denn was ist so volkstümlich wie der Friede? Ich
glaube, über ihn freuen sich nicht nur die Wesen, denen die
Natur Empfindungen verlieh, sondern auch Häuser und Flu-
ren. Was ist so volkstümlich wie die Freiheit? Sie wird, wie
ihr seht, nicht nur von den Menschen, sondern auch von den
D E LF-GF. A G R A R I A II

bestiis expeti a t q u e o m n i b u s r e b u s anteponi videtis.


Q u i d tam populäre q u a m o t i u m ? q u o d ita i u c u n d u m est
ut et vos et maiores vestri et f o r t i s s i m u s q u i s q u e vir
m a x i m o s labores suscipiendos p u t e t , ut a l i q u a n d o in
otio possit esse, praesertim in i m p e r i o ac dignitate.
Q u i n idcirco etiam m a i o r i b u s nostris p r a e c i p u a m lau-
d e m g r a t i a m q u e d e b e m u s . q u o d e o r u m labore est fac-
t u m uti i m p u n e in otio esse p o s s e m u s . Q u a re qui
p o s s u m non esse popularis, c u m v i d e a m haec o m n i a ,
Q u i r i t e s , p a c e m e x t e r n a m , libertatem p r o p r i a m generis
ac nominis vestri, otium d o m e s t i c u m , d e n i q u e o m n i a
q u a e vobis cara a t q u e ampla sunt in f i d e m et q u o d a m
m o d o in patrocinium mei c o n s u l a t u s e s s e conlata? N e - 1«
q u e e n i m , Q u i r i t e s , illud vobis i u c u n d u m aut p o p u l ä r e
debet videri, largitio aliqua p r o m u l g a t e , q u a e verbis
ostentari potest, re vera fieri nisi e x h a u s t o aerario nullo
pacto potest; n e q u e vero ilia p o p u l a r i a sunt existi-
m a n d a , iudiciorum p e r t u r b a t i o n e s , r e r u m i u d i c a t a r u m
infirmationes, restitutio d a m n a t o r u m , qui civitatum
a d f l i c t a r u m perditis iam rebus extremi e x i t i o r u m solent
esse exitus; пес, si qui agros p o p u l o R o m a n o pollicen-
tur, si aliud q u i d d a m o b s c u r e m o l i u n t u r , aliud s p e ac
specie simulationis ostentant, p o p u l ä r e s existimandi
sunt.

N a m vere d i c a m , Q u i r i t e s , g e n u s ipsuni legis agra-


riae vituperare non p o s s u m . Venit enim mihi in men-
tem d u o s clarissimos, i n g e n i o s i s s i m o s , amantissimos
plebei R o m a n a e viros, T i . et С . G r a c c h o s , p l e b e m in
agris publicis constituisse, qui agri a privatis antea
CBF.R D A S S I F D L E R G E S F T Z II

Tieren begehrt und allen anderen Dingen vorgezogen. Was


ist so volkstümlich wie die Ruhe? Sie ist so süß, daß ihr und
eure Vorfahren und alle Tüchtigen glauben, sie müßten die
schwersten Mühen auf sich nehmen, um einmal in Ruhe le-
ben zu können, zumal wenn sie sich in Amt und Würden be-
finden. Gerade deshalb schulden wir auch unseren Vorfahren
besonderen Preis und Dank; denn ihre Mühe hat bewirkt, daß
wir ungestraft in Ruhe leben dürfen. Wie könnte ich daher
nicht volkstümlich sein, Quinten; ich sehe doch,daß all dies,
der äußere Friede, die mit eurem Stamme und Namen ver-
bundene Freiheit, die Ruhe im Inneren, kurz alles, was euch
wert und wichtig ist, der Verläßlichkeit und gewissermaßen
der Schutzmacht meines Konsulats anvertraut ist! Denn jenes
andere darf euch nicht als angenehm oder volkstümlich er-
scheinen, Quiriten, die Ankündigung irgendeines Geschenkes,
das man euch in Worten vor Augen stellen, in Wirklichkeit
aber nur um den Preis einer erschöpften Staatskasse gewähren
kann. Doch auch diese Dinge darf man nicht für volkstümlich
halten: daß die Rechtsprechung gestört, Entscheidungen auf-
gehoben, Verurteilte begnadigt werden 3 5 ; so etwas pflegt in
zerrütteten Staaten, wenn schon alles verloren ist, der äußer-
ste Ausgang des Untergangs zu sein. Und auch wenn Leute
dem römischen Volk Land versprechen, wenn sie dabei ein
bestimmtes Ziel insgeheim verfolgen, ein anderes in Aussicht
stellen, indem sie unter einem erheuchelten Vorwande Hoff-
nungen erwecken, auch dann darf man nicht meinen, diese
Leute seien volkstümlich.

Denn um die Wahrheit zu sagen, Quiriten: grundsätzlich


kann ich die Siedlergesetze nicht tadeln. Ich denke nämlich
daran, daß zwei ebenso berühmte wie geniale Männer, die
dem römischen Volk mit Leidenschaft zugetan waren, Ti. und
C. Gracchus, dem Volk Staatsland verschafften, das sich vor-
her im Besitz von Privatpersonen befunden hatte. Ich aber bin
240 DE LEGE AGRARIA II

possidebantur. N o n sum autem ego is consul qui, ut


plerique, nefas esse arbitrer Gracchos laudare, q u o r u m
consiliis, sapientia, legibus multas esse video rei publi-
cae partis constitutas. Itaque, ut initio mihi designato 11
consuli nuntiabatur legem agrariam tribunos plebis
designatos conscribere, cupiebam quid cogitarent co-
g n o s c e s ; etenim arbitrabar, quoniam eodem anno ge-
rendi nobis essent magistratus, esse aliquam oportere
inter nos rei publicae bene administrandae societatem.
C u m familiariter me in eorum sermonem insinuarem ac 12
darem, celabar, excludebar, et, cum ostenderem, si lex
utilis plebi Romanae mihi videretur, auctorem me at-
que adiutorem f u t u r u m , tarnen aspernabantur hanc
liberalitatem meam; negabant me adduci posse ut ullam
largitionem probarem. Finem feci offerendi mei ne
forte mea sedulitas aut insidiosa aut impudens videre-
tur. Interea non desistebant clam inter se convenire,
privatos quosdam adhibere, ad suos coetus occultos
noctem adiungere et solitudinem. Q u i b u s rebus q u a n t o
in metu fucrimus, ex vestra sollicitudine in qua illis
temporibus fuistis facile adsequi coniectura poteritis.

Ineunt tandem magistratus tribuni plebis; contio ex- 13


spectatur P. Rulli, quod et princeps erat agrariae legis
et truculentius se gerebat q u a m ceteri. Iam designatus
alio voltu, alio vocis sono, alio incessu esse meditaba-
tur, vestitu obsoletiore, corpore inculto et horrido,
capillatior quam ante b a r b a q u e maiore, ut oculis et
aspectu denuntiare omnibus vim tribuniciam et mini-
I ' B F R DAS S 1 E D L F R G E S F T Z II

nicht der Konsul, der es, wie die meisten, für ein Verbrechen
hält, die Gracchen zu preisen; ich sehe doch, daß sich man-
ches Stück unserer Verfassung auf ihre klugen Maßnahmen
und Gesetze gründet. Sobald man daher mir, dem künftigen
Konsul, berichtete, die künftigen Volkstribunen verfaßten
ein Siedlergesetz, da wünschte ich zu erfahren, was sie für Ab-
sichten hätten; ich glaubte nämlich, da unsere Amtszeit in
das gleiche Jahr falle, müsse irgendeine Übereinkunft über
eine sinnvolle Verwaltung des Staates zwischen uns bestehen.
Als ich mich zu einem freundschaftlichen Gespräch mit ihnen
geneigt und bereit zeigte, wahrte man mir gegenüber Still-
schweigen und Schloß mich aus; ich gab zu erkennen, ich
würde mitwirken und helfen, wenn das Gesetz mir Nutzen
für das römische Volk verspreche, doch sie wiesen mein groß-
zügiges Angebot zurück; sie erklärten, ich werde mich nie-
mals bestimmen lassen, eine Vergünstigung gutzuheißen. Ich
hörte auf, mich anzubieten; meine Beflissenheit sollte nicht
berechnend oder aufdringlich wirken. Sie fuhren unterdessen
fort, sich in der Stille zu treffen, bestimmte Privatpersonen
ins Vertrauen zu ziehen und ihren geheimen Zusammen-
künften die Nacht und die Einsamkeit beizugeben. In welche
Besorgnis uns diese Vorgänge versetzten, das könnt ihr leicht
aus der Unruhe schließen, in der ihr selbst euch damals be-
funden habt.
Endlich treten die Volkstribunen ihr Amt a n " ; man wartet
auf die Kundgebung des P. Rullus, weil er der Urheber des
Siedlergesetzes war und hitziger auftrat als die anderen. Schon
unmittelbar nach seiner Wahl übte er sich eine andere Miene,
einen anderen Klang der Stimme, eine andere Ajt zu gehen
ein; er trug schäbigere Kleider, zeigte ein ungepflegtes und
struppiges Äußeres, hatte längere Haare und einen größeren
Bart als zuvor; so sah es aus, als wolle er durch Blicke und
Erscheinung jedermann die tribunizische Gewalt verkünden
242 DE LEG F. AGRARIA II

tari rei publicae videretur. Legem hominis contionem-


q u e exspectabam; lex initio nulla p r o p o n i t u r , contio-
nem in pridie Idus advocari iubet. S u m m a c u m exspec-
tatione concurritur. Explicat orationem sane longam et
verbis valde bonis. L'num erat quod mihi vitiosum
videbatur, q u o d tanta ex frequentia inveniri n e m o po-
tuit qui intellegere posset q u i d diceret. H o c ille u t r u m
insidiarum causa fecerit, an hoc genere eloquentiae
delectetur nescio. Tametsi, qui acutiores in contione
steterant, de lege agraria nescio quid voluisse eum
dicere suspicabantur.

A l i q u a n d o t a n d e m m e designato lex in p u b l i c u m
p r o p o n i t u r . C o n c u r r u n t iussu meo plures uno t e m p o r e
librarii, descriptam legem ad me a d f e r u n t . O m n i hoc 14
ratione vobis c o n f i r m a r e p o s s u m , Q u i r i t e s , hoc animo
me ad legendam legem c o g n o s c e n d a m q u e venisse ut, si
eam vobis a c c o m m o d a t a m atque utilem esse intellege-
r e m , auctor eius atque adiutor essem. N o n enim natura
n e q u e discidio n e q u e odio penitus insito bellum nescio
q u o d habet s u s c e p t u m consulatus c u m t r i b u n a t u , quia
persaepe seditiosis atque improbis tribunis plebis boni
et fortes consules o b s t i t e r u n t , et quia vis tribunicia non
n u m q u a m libidini restitit consulari. N o n p o t e s t a t u m
dissimilitudo, sed a n i m o r u m disiunctio dissensionem
facit. I t a q u e hoc animo legem sumpsi in m a n u s ut eam 15
c u p e r e m esse aptam vestris c o m m o d i s et eius modi
q u a m consul re, non oratione popularis et honeste et
libenter posset d e f e n d e r e .
2
O B E R D A S S I E D L E R G E S E T Z 11 43

und der Verfassung den Kampf ansagen. Ich wartete auf das
Gesetz und die Kundgebung dieses Mannes; das Gesetz er-
scheint zunächst überhaupt nicht, die Kundgebung läßt er
zum 12. Dezember einberufen. In höchster Erwartung strömt
man zusammen. Er breitet eine ziemlich lange Rede aus und
mit sehr schönen Worten. Eines kam mir verfehlt vor: daß
sich in der zahlreichen Versammlung niemand fand, der
den Sinn seiner Ansprache zu begreifen vermochte. Ob er
das tat, um eine Falle zu stellen, oder ob ihm diese Art
von Beredsamkeit Vergnügen macht, weiß ich nicht. Indes,
die scharfsinnigeren Teilnehmer der Kundgebung vermute-
ten, er habe irgend etwas über das Siedlergesetz sagen wol-
len.
Endlich (ich hatte mein Amt noch nicht angetreten) wird
das Gesetz öffentlich angeschlagen. Auf meinen Befehl eilen
gleichzeitig mehrere Schreiber herbei; sie bringen mir eine
Abschrift des Gesetzes. Dies kann ich euch in jeder Weise ver-
sichern, Quinten: als ich mich anschickte, das Gesetz zu lesen
und durchzuarbeiten, hatte ich durchaus die Absicht, daran
mitzuwirken und es zu unterstützen, wenn ich sähe, daß es
für euch geeignet und nützlich sei. Denn das Konsulat ist nicht
von Natur aus noch durch tiefeingewurzelten Zwiespalt oder
Haß bestimmt, wer weiß was fur einen Krieg gegen das T r i -
bunat zu führen, auch wenn sich sehr oft rechtschaffene und
tüchtige Konsuln gewissenlosen Unruhestiftern von Volks-
tribunen widersetzten und wenn die tribunizische Amtsge-
walt mitunter konsularischer Willkür in den Weg trat. Nicht
andersartige Befugnisse, sondern unterschiedliche Gesinnun-
gen rufen Zwietracht hervor. Ich nahm daher das Gesetz mit
der Einstellung in die Hand, daß ich wünschte, es sei auf euren
Vorteil zugeschnitten und so abgefaßt, daß ein wahrhaft, nicht
den Worten nach volkstümlicher Konsul in Ehren und mit
Freuden dafür eintreten könne.
244 D E L E G E A G R A R I A 11

A t q u e ego a primo capite legis usque ad extremum


reperio, Quirites, nihil aliud cogitatum, nihil aliud
susceptum, nihil aliud actum nisi ut χ reges aerari,
vectigalium, provinciarum o m n i u m , totius rei publi-
cae, regnorum, liberorum p o p u l o r u m , orbis denique
terrarum domini constituerentur legis agrariae simula-
tione atque nomine. S i c c o n f i r m o , Quirites, hac lege
agraria pulchra atque populari dari vobis nihil, condo-
nari certis hominibus omnia, ostentari populo Romano
agros, eripi etiam libertatem, privatorum pecunias au-
geri, publicas exhauriri, d e n i q u e , quod est indignissi-
m u m , per tribunum plebis, quem maiores praesidem
libertatis custodemque esse voluerunt, reges in civitate
constitui. Quae c u m , Quirites, exposuero, si falsa vobis 16
videbuntur esse, sequar auctoritatem vestram, mutabo
meam sententiam; sin insidias fieri libertati vestrae
simulatione largitionis intellegetis, nolitote dubitare
plurimo sudore et sanguine maiorum vestrorum partam
vobisque traditam libertatem nullo vestro labore con-
sule adiutore defendere.

Primum caput est legis agrariae q u o , ut illi putant,


temptamini leviter quo animo libertatis vestrae demi-
nutionem ferre possitis. Iubet cnim tribunum plebis
qui earn legem tulerit creare xviros per tribus x v n , ut,
quem villi tribus fecerint, is x v i r sit. I lie quaero quam 17
ob causam initium rerum ac legum suarum hinc duxerit
ut populus Romanus s u f f r a g i o privaretur. Totiens legi-
ÜBER DAS S I E D L E R G E S E T Z II 245

Und ich finde, Quinten, daß man vom ersten bis zum letz-
ten Kapitel des Gesetzes nichts anderes erdacht, nichts ande-
res bezweckt, nichts anderes unternommen hat, als unter dem
Vorwand und Titel eines Siedlergesetzes zehn Könige zu Her-
ren über die Staatskasse, die Steuern und alle Provinzen zu
machen, über den gesamten Staat, die Fürstentümer, die un-
abhängigen Völker, kurz, über die ganze Welt. Das versichere
ich euch, Quinten: dieses schöne und volkstümliche Siedler-
gesetz bringt euch nichts ein und überantwortet bestimmten
Leuten alles, gaukelt dem römischen Volk Landbesitz vor und
nimmt ihm die Freiheit, mehrt die Mittel der privaten und
erschöpft die Mittel der öffentlichen Hand, und schließlich,
was das Ärgste ist, das Werk eines Tribunen, den die Vorfah-
ren zum Hüter und Wächter der Freiheit bestimmten, stellt
Könige an die Spitze unseres Staates. Hierüber werde ich
mich jetzt erklären, Quiriten; wenn ihr das für falsch haltet,
dann will ich mich eurem Willen fügen, will meine Meinung
ändern. Doch wenn ihr zu der Einsicht kommt, daß man mit
dem Köder eines Geschenkes eurer Freiheit nachstellt, dann
zögert nicht, für die Freiheit einzutreten, die eure Vorfahren
mit sehr viel Schweiß und Blut errungen haben, ehe sie euch
anvertraut wurde; der Konsul wird euch helfen, ohne eure
Mühe zu beanspruchen.
Das erste Kapitel des Siedlergesetzes soll euch nach der Ab-
sicht jener Leute ein wenig auf die Probe stellen, mit welchen
Gefühlen ihr eine Verkürzung eurer Freiheit zu ertragen ver-
mögt. Es erteilt nämlich dem Volkstribunen, der das Gesetz
vorgeschlagen habe, den Auftrag, er solle durch siebzehn
Stimmbezirke einen Ausschuß von zehn Männern wählen
lassen; demnach gehört dem Ausschuß an, wer von neun Be-
zirken gewählt ist. Hier frage ich, weshalb Rullus seine Unter-
nehmungen und Gesetze damit beginnen läßt, daß er dem
römischen Volk das Stimmrecht entzieht. Wer weiß wie oft
246 DE LF.GF AGRARIA II

bus agrariis curatores constituti sunt inviri, v v i r i , xviri;


quaero a populari tribuno plebis ecquando nisi per
x x x v tribus creati sint. Etenim c u m omnis potestates,
imperia, curationes ab universo populo R o m a n o profi-
cisci convenit, tum eas profecto maxime quae constitu-
untur ad populi f r u c t u m aliquem et c o m m o d u m , in quo
et universi deligant q u e m populo R o m a n o maxime
consulturum putent, et unus quisque studio et s u f f r a g i o
suo viam sibi ad b e n e f i c i u m impetrandum munire pos-
sit. H o c tribuno plebis potissimum venit in mentem,
p o p u l u m R o m a n u m universum privare s u f f r a g i i s , pau-
cas tribus non certa condicione iuris, sed sortis benefi-
cio fortuito ad u s u r p a n d a m libertatem vocare.

I T E M , i n q u i t , EODEMQUE MODO, c a p i t e a l t e r o , и т с о - i«
MITIIS poNTiFicis MAXIMI. N e hoc quidem vidit, maiores
nostros tarn fuisse popularis ut, quem per populum
creari fas non erat propter religionem sacrorum, in eo
tarnen propter amplitudinem sacerdoti voluerint po-
pulo supplicari. A t q u e hoc idem de ceteris sacerdotiis
C n . D o m i t i u s , tribunus plebis, vir clarissimus, tulit,
quod populus per religionem sacerdotia mandare non
poterat, ut minor pars populi vocaretur; ab ea parte qui
esset factus, is a conlegio cooptaretur. Y i d e t e quid 19
intersit inter C n . D o m i t i u m , tribunum plebis, homi-
nem nobilissimum, et P. R u l l u m qui temptavit, ut
opinor, patientiam vestram, cum se nobilem esse dice-
ret. D o m i t i u s , quod per caerimonias populi fieri non
Ü B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z II 2
47

haben Siedlergesetze Dreimänner, Fünfmänner, Zehnmänner


mit der Durchführung betraut; ich frage den volkstümlichen
Volkstribunen, ob sie je anders als durch 35 Bezirke gewählt
worden sind. Denn es gehört sich, daß alle Ämter, Befehls-
gewalten und Aufsichtsbefugnisse vom gesamten römischen
Volke ausgehen, und das gilt wahrhaftig in besonderem Maße
für diejenigen, die eingerichtet werden, dem Volke einen Vor-
teil und Gewinn zu verschaffen. Hierbei soll die Gesamtheit
den wählen, von dem sie glaubt, daß er am besten für die Be-
lange des römischen Volkes sorgen werde, und jeder einzelne
soll imstande sein, sich durch seine Beteiligung und Stimme
den Weg zum Erwerb der Wohltat zu bahnen. Da kommt es
ausgerechnet einem Volkstribunen in den Sinn, dem römi-
schen Volk in seiner Gesamtheit das Stimmrecht zu entziehen
und ein paar Bezirke nicht nach einem bestimmten Rechts-
grundsatz, sondern aufs Geratewohl durch das Los zur Aus-
übung der Entscheidungsmacht zu berufen.
«Ebenso und auf dieselbe Weise», heißt es im zweiten Ka-
pitel, «wie bei den Wahlen des Oberpriesters.» Nicht einmal
dies hat Rullus bemerkt: unsere Vorfahren waren so volks-
tümlich, daß sie das Volk wegen der Bedeutung des Priester-
amtes sogar bei einem Manne zu befragen wünschten, bei
dem die Kultordnung die Volkswahl nicht zuließ. Und das-
selbe setzte der Volkstribun Cn. Domitius, ein ausgezeichne-
ter Mann, für die übrigen Priesterämter durch: weil das Volk
die Priesterämter aus kultischen Gründen nicht besetzen durf-
te, sollte hierzu eine Minderheit des Volkes berufen werden,
und wen diese Minderheit benannt habe, den solle die Prie-
sterschaft zum Beitritt auffordern 17 . Seht den Unterschied
zwischen dem Volkstribunen Cn. Domitius, einem Manne von
höchstem Adel, und P. Rullus, der, meine ich, eure Gutmütig-
keit strapaziert hat, als er sich für adlig erklärte! Domitius
erreichte durch seine Findigkeit, daß er das, was der Kult-
248 DE LEGE AGRARIA Π

poterat, ratione adsecutus est, ut id, quoad posset,


q u o a d fas esset, quoad liceret, populi ad partis daret;
hie, q u o d populi semper p r o p r i u m f u i t , q u o d nemo
i m m i n u i t , n e m o mutavit quin ei qui populo agros es-
sent adsignaturi ante acciperent a populo beneficium
q u a m d a r e n t , id t o t u m eripere vobis atque e manibus
extorquere conatus est. Ille, q u o d dari populo nullo
m o d o poterat, tarnen q u o d a m m o d o dedit; hie, quod
adimi nullo pacto potest, tamen q u a d a m ratione eripere
conatur.

Q u a e r e t quispiam in tanta injuria t a n t a q u e i m p u d e n - 20


tia q u i d spectarit. N o n d e f u i t consilium; fides erga
plebem R o m a n a m , Q u i r i t e s , aequitas in vos libertatem-
q u e vestram vehementer d e f u i t . Iubet enim comitia
xviris habere creandis e u m qui legem tulerit. Hoc
dicam planius: Iubet Rullus, h o m o non c u p i d u s neque
appetens, habere comitia R u l l u m . N o n d u m repre-
hendo; video fecisse alios; illud q u o d nemo fecit, de
minore parte populi, q u o pertineat videte. Habebit
comitia, volet eos r e n u n t i a r e q u i b u s regia potestas hac
lege q u a e r i t u r ; universo populo n e q u e ipse committit
n e q u e illi h o r u m consiliorum auctores committi recte
p u t a n t posse. Sortietur t r i b u s idem Rullus. H o m o felix 21
educet quas volet tribus. Q u o s vim t r i b u s xviros fece-
rint ab eodem Rulio eductae, hos o m n i u m rerum, ut
iam o s t e n d a m , d o m i n o s h a b e b i m u s . A t q u e hi, ut grati
ac m e m o r e s benefici esse videantur, aliquid se v i i i i
Ü B E R D A S SI F. D L E R G F. S E T Z II 249

brauch dem Volke entzog, soweit es möglich, soweit es schick-


lich, soweit es erlaubt war, Teilen des Volkes überantwortete;
Rullus dagegen suchte euch gänzlich zu entreißen und aus
den Händen zu winden, was stets ein Vorrecht des Volkes war,
was niemand geschmälert, niemand geändert hat: daß die-
jenigen, die dem Volk Land zuweisen sollten, vom Volke eine
Wohltat empfingen, ehe sie eine zu gewähren vermöchten.
Domitius hat, was dem Volke auf keine Weise verliehen wer-
den durfte, ihm trotzdem auf gewisse Weise verliehen; Rullus
schickt sich an, was ihm unter keinen Umständen abgenom-
men werden darf, ihm trotzdem auf bestimmtem Wege zu
entziehen.
Man wird fragen: was bezweckte er mit einem Rechtsbruch
und einer Unverschämtheit von diesem Ausmaß? Es fehlte
nicht an einem Plan; an Treue zum römischen Volk, Quinten,
an Achtung vor euch und eurer Freiheit fehlte es gar sehr. Er
schreibt nämlich vor, die Wahl der Zehnmänner solle leiten,
wer das Gesetz beantragt habe. Ich will mich deutlicher aus-
drücken : Rullus, ein Mann, der nicht Eigennutz noch Selbst-
sucht kennt, schreibt vor, daß Rullus die Wahl leiten solle.
Ich spreche noch keinen Tadel aus; ich sehe: das taten auch
andere. Doch was noch niemand tat, daß eine Minderheit des
Volkes wählen solle, seht, wohin das fuhrt. Er wird die Wahl
leiten; er wird die zu bestätigen wünschen, denen dieses Ge-
setz eine königliche Machtvollkommenheit verschaffen soll;
dem gesamten Volk vertraut er weder selbst, noch glauben die
Urheber dieser Anschläge, daß man ihm ohne Gefahr ver-
trauen könne. Derselbe Rullus wird durch das Los die Bezirke
bestimmen. Sein Glück wird ihn die Bezirke ziehen lassen, die
er sich wünscht. Die Zehnmänner aber, die neun der von
Rullus gezogenen Bezirke wählen, die werden wir, wie ich
sofort zeigen will, zu unumschränkten Herren haben. Und sie
möchten dankbar und für die Auszeichnung erkenntlich
DE L E G E A G R A R I A II

t r i b u u m notis h o m i n i b u s d e b e r e c o n f i t e b u n t u r , reli-
q u i s vero vi et x x t r i b u b u s nihil erit q u o d non p u t e n t
posse suo iure se d e n e g a r e .

Q u o s t a n d e m igitur xviros fieri volt? S e p r i m u m . Q u i


licet? leges e n i m sunt veteres n e q u e eae c o n s u l a r e s , si
q u i d interesse hoc a r b i t r a m i n i , sed t r i b u n i c i a e vobis
m a i o r i b u s q u e vestris v e h e m e n t e r gratae a t q u e i u c u n -
dae; L i c i n i a est lex et altera A e b u t i a , q u a e non m o d o
e u m qui tulerit d e aliqua c u r a t i o n e ac potestate sed
e t i a m conlegas e i u s , c o g n a t o s , adfinis e x c i p i t , ne eis ea
potestas curatiove m a n d e t u r . E t e n i m si p o p u l o c o n s u -
lts, r e m o v e te a s u s p i c i o n e alicuius tui c o m m o d i , fac
f i d e m te nihil nisi populi u t i l i t a t e m et f r u c t u m q u a e -
rere, sine ad alios p o t e s t a t e m , ad te g r a t i a m b e n e f i c i tui
pervenire. N a m hoc q u i d e m vix est liberi p o p u l i , vix
v e s t r o r u m a n i m o r u m ac m a g n i f i c e n t i a e .

Q u i s legem tulit? R u l l u s . Q u i s m a j o r e m p a r t e m po-


puli suffragiis p r o h i b u i t ? R u l l u s . Q u i s c o m i t i i s prae-
fuit, q u i s tribus quas voluit vocavit nullo c u s t o d e sorti-
t u s , quis xviros q u o s voluit creavit? Idem Rullus.
Q u e m p r i n c i p e m renuntiavit? R u l l u m . V i x m e h e r c u l e
servis h o c e u m suis, non m o d o vobis o m n i u m g e n t i u m
d o m i n i s p r o b a t u r u m arbitror. O p t i m a e leges igitur hac
lege sine ulla e x c e p t i o n e t o l l e n t u r ; idem lege sibi sua
c u r a t i o n e m p e t e t , i d e m m a i o r e parte populi suffragiis
CBF.R DAS S I F D L E R G F S E T Z II

scheinen; sie werden zugeben, daß sie den angesehenen Leu-


ten aus den neun Bezirken verpflichtet seien, doch den übri-
gen 26 Bezirken werden sie, wie sie glauben, schlechtweg alles
mit vollem Recht verweigern können.
Wen wünscht er sich denn eigentlich als Mitglied des Zeh-
nerausschusses? Sich selbst zuerst. Wie ist das zulässig? Es
gibt nämlich althergebrachte Gesetze, und zwar nicht kon-
sularische (wenn ihr meint, daß es darauf ankomme), sondern
von Tribunen eingebrachte, euch und euren Vorfahren sehr
willkommen und angenehm: es gibt ein Lizinisches Gesetz und
außerdem ein Äbutisches 3 *; die nehmen nicht nur den An-
tragsteller von jeglicher Aufsichtsbefugnis und hoheitlichen
Gewalt aus, sondern auch seine Amtsgenossen, seine Ver-
wandten und Verschwägerten, daß man ihnen keine Macht-
stellung oder Oberaufsicht anvertraue. Denn wenn du dem
Volke dienen willst, dann meide den Verdacht eines eigenen
Vorteils; erwirb das Vertrauen, daß du nichts als das Wohl
und den Nutzen des Volkes suchst; laß zu, daß anderen die
Macht, dir aber der Dank für deine Wohltat zuteil wird. Denn
dies hier schickt sich schwerlich für ein freies Volk, schwer-
lich für eure Einstellung und stolze Denkungsart.
Wer hat das Gesetz beantragt? Rullus. Wer Schloß die
Mehrheit des Volkes von der Abstimmung aus? Rullus. Wer
leitete die Wahlen, wer berief die Bezirke, die er wollte, nach-
dem er sie unbeaufsichtigt durch das Los bestimmt hatte, wer
ließ, wen er wollte, in den Zehnerausschuß wählen? Derselbe
Rullus. Wen hat er als ersten bestätigt? Den Rullus. Beim
Herkules, damit wird er, meine ich, kaum seine Sklaven zu-
friedenstellen, geschweige denn euch, die Gebieter aller Völ-
ker. Ausgezeichnete Gesetze also sollen durch dieses Gesetz
ohne jeden Vorbehalt aufgehoben werden; der Antragsteller
selbst wird sich nach seinem eigenen Gesetz um das Aufsichts-
amt bewerben; derselbe Mann wird, nachdem er die Mehr-
DE L E G E A G R A R I A II

spoliata comitia habebit, quos volet atque in eis sc


ipsum renuntiabit, et videlicet conlegas suos ascripto-
res legis agrariae non repudiabit, a quibus ei locus
primus in indicc et in praescriptionc legis concessus est;
ceteri fructus omnium rerum qui in spe legis huius
positi sunt communi cautione atque aequa ex parte
retinentur.

A t videte hominis diligentiam, si aut Rullum illud 23


cogitasse aut si Rullo potuisse in mentem venire arbitra-
mini. Viderunt ei qui haec machinabantur, si vobis ex
omni populo deligendi potestas esset data, quaecumque
res esset in qua fides, integritas, virtus, auctoritas
quaereretur, vos earn sine dubitatione ad C n . Pom-
peium principem delaturos. Etenim quem unum ex
cunctis delegissetis ut eum omnibus omnium gentium
bellis terra et mari praeponeretis, certe in xviris facien-
dis sive fides haberetur sive honos, et committi huic
optime et ornari hunc iustissime posse intellegebant.
Itaque excipitur hac lege non adulescentia, non legiti- 24
mum aliquod impedimentum, non potestas, non magis-
tratus ullus aliis negotiis ac legibus impeditus, reus
denique quo minus xvir fieri possit, non excipitur; C n .
Pompeius excipitur, ne cum P. Rullo - taceo de ceteris
- xvir fieri possit. Praesentem enim profiteri iubet',
quod nulla alia in lege umquam fuit ne in eis quidem
Ü B F R D A S S I F . D L F . R G F S E T Z [1

heit des Volkes um das Stimmrecht gebracht hat, die Wahlen


leiten und dort, wen er will, und darunter sich selbst bestäti-
gen, und gewiß wird er seine Amtsgenossen, die mit ihm das
Siedlergesetz vorschlagen, nicht zurückweisen: sie haben ihm
ja im Titel und in der Einleitung des Gesetzes die erste Stelle
eingeräumt"; die übrigen Vorteile aller Art, die sich, wie
man hofft, auf dieses Gesetz gründen, erhält man nach ge-
meinsamer Vereinbarung und zu gleichen Teilen.
Doch seht die Vorsicht unseres Mannes - wenn ihr glauben
wollt, daß ein Rullus das erdacht hat oder daß es einem Rullus
hat einfallen können. Die Leute, die dies ins Werk setzten,
haben bemerkt: wenn man euch die Möglichkeit gäbe, aus
dem ganzen Volk zu wählen, dann würdet ihr ohne Zweifel
jede Aufgabe, die Pflichttreue, Unbestechlichkeit, Tüchtig-
keit und Ansehen erfordert, zuerst dem Cn.Pompeius über-
tragen. Denn ihr habt ihn, den einen Mann, unter allen aus-
ersehen, in allen Kriegen gegen alle Völker unsere Land- und
Seestreitkräfte zu fuhren; daraus schlossen sie, man könne
ihm, ob man nun bei der Wahl der Zehnmänner auf die Zu-
verlässigkeit oder auf die Ehre achten wolle, mit gutem Grun-
de vertrauen und mit vollem Recht die Auszeichnung zuer-
kennen. Daher wird von diesem Gesetz nicht jugendliches
Alter ausgeschlossen, nicht irgendein gesetzlicher Hinderungs-
grund, nicht eine obrigkeitliche Befugnis noch überhaupt ein
Amt, bei dem doch andere Aufgaben und gesetzliche Be-
stimmungen im Wege stehen; ferner wird nicht einmal aus-
geschlossen, daß ein Angeklagter dem Zehnerausschuß ange-
hören dürfe; Cn.Pompeius aber wird ausgenommen, daß er
nicht mit P. Rullus zusammen (von den übrigen zu schweigen)
dem Zehnmännerausschuß angehören kann. Rullus schreibt
nämlich vor, man müsse bei der Bewerbung anwesend sein,
was es in keinem anderen Gesetz je gegeben hat, nicht einmal
bei den Ämtern, deren Ordnung genau festgelegt ist 4 0 ; ihr
2
54 D E L F Ü E A G R A R I A II

magistratibus quorum certus ordo est, ne, si accepta lex


esset, illum sibi conlegam ascriberetis custodem ac
vindicem cupiditatum.
H i e , quoniam video vos hominis dignitate et con-
tumelia legis esse commotos, renovabo illud quod initio
dixi, regnum comparari, libertatem vestram hac lege
funditus tolli. A n vos aliter existimabatis? cum ad 25
omnia vestra pauci homines cupiditatis oculos adiecis-
sent, non eos in primis id acturos ut ex omni custodia
vestrae libertatis, ex omni potestate, curatione, patroci-
nio vestrorum commodorum C n . Pompeius depellere-
tur? Viderunt et vident, si per imprudentiam vestram,
neglegentiam meam legem incognitam acceperitis, fore
uti postea cognitis insidiis, cum xviros creetis, tum
vitiis omnibus et sceleribus legis C n . Pompei praesi-
dium opponendum putetis. Et hoc parvum argumen-
tum vobis erit, a certis hominibus dominationem potes-
tatemque omnium rerum quaeri, cum videatis eum
quem custodem vestrae libertatis fore videant expertem
fieri dignitatis?

Cognoscite nunc quae potestas xviris et quanta detur. 26


Primum lege curiata xviros ornat. Iam hoc inauditum et
plane n o v u m , uti curiata lege magistratus detur qui
nullis comitiis ante sit datus. Eam legem ab eo praetore
populi Romani qui sit primus factus ferri iubet. A t quo
modo? U t ei xviratum habeant quos plebs designaverit.
Oblitus est nullos a plebe designari. Et is orbem ter-
CBFR DAS SIEDLF.RGFSETZ II 2
55

sollt ihm nicht, wenn das Gesetz beschlossen ist, den Mann
zum Amtsgenossen geben, der seine Gelüste bewachen und
bestrafen würde.
Da ich sehe, wie euch das Ansehen des Pompeius und das
entwürdigende Gesetz beeindrucken, will ich hier wieder-
holen, was ich zu Anfang sagte: dieses Gesetz führt die könig-
liche Gewalt ein, es beseitigt von Grund aus eure Freiheit.
Oder urteilt ihr anders? Ein paar Leute haben ihre gierigen
Augen auf alle eure Errungenschaften geworfen: müssen sie
nicht hauptsächlich bestrebt sein, Cn. Pompeius von jeglicher
Hut über eure Freiheit, von jeder Amtsgewalt, Aufsichtsbe-
fugnis und Wahrnehmung eurer Vorteile zu entfernen? Sie
haben vorausgesehen und sehen voraus: wenn das Gesetz
unbekannt bleibt und euer Leichtsinn und meine Nachlässig-
keit zu seiner Annahme führen, dann werdet ihr hernach, so-
bald ihr den Hinterhalt durchschaut, darauf bedacht sein, bei
der Wahl der Zehnmänner alle Mängel und Tücken des Ge-
setzes durch die schützende Hand des Cn. Pompeius abzu-
gleichen. Und dies soll für euch ein geringer Beweis sein, daß
bestimmte Leute nach Herrschaft und unbeschränkter Gewalt
streben ? Ihr bemerkt doch: dem Manne bleibt die Ehre vorent-
halten, der, wie sie sehen, der Hort eurer Freiheit sein würde.
Beachtet jetzt, was für eine Machtbefugnis die Zehnmänner
erhalten sollen und wie groß sie ist. Zunächst stattet Rullus
die Zehnmänner mit einem Kuriengesetz aus41. Schon dies ist
unerhört und gänzlich neu: ein Kuriengesetz verleiht ein Amt,
ohne daß es zuvor durch eine allgemeine Wahl verliehen wor-
den wäre. Dieses Gesetz, schreibt Rullus vor, solle der an
erster Stelle gewählte Prätor 41 des römischen Volkes bean-
tragen. Doch mit welcher Maßgabe? Daß die dem Zehner-
ausschuß angehören sollten, die das Volk bestimmt habe. Da
hat er vergessen, daß keines seiner Mitglieder vom Volke
bestimmt wird. Und der will durch neue Gesetze den Erd-
256 D E L E G F A G R A R I A II

rarum constringit novis legibus qui. quod in secundo


capite scriptum est, non meminit in tertio? A t q u e hic
perspicuum est quid iuris a maioribus acceperitis, q u i d
ab hoc t r i b u n o plebis vobis relinquatur. Maiores de
singulis magistratibus bis vos sententiam ferre volue-
runt. N a m cum centuriata lex censoribus ferebatur,
cum curiata ceteris patrieiis magistratibus, t u m iterum
de eisdem iudicabatur, ut esset reprehendendi potestas,
si p o p u l u m benefici sui paeniteret. N u n c . Quirites.
prima illa comitia tenetis, centuriata et tributa, curiata
tantum auspiciorum causa remanserunt. Hic autem
tribunus plebis quia videbat potestatem n e m i n e m
iniussu populi aut plebis posse habere, curiatis eam
comitiis quae vos non initis confirmavit, tributa quae
vestra erant sustulit. Ita cum maiores binis comitiis
voluerint vos de singulis magistratibus iudicare, hic
homo popularis ne unam quidem populo comitiorum
potestatem reliquit.

Sed videte hominis religionem et diligentiam. Yidit лН


et perspexit sine curiata lege xviros potestatem habere
non posse, quoniam per villi tribus essent constituti;
iubet ferre de his legem curiatam; praetori imperat.
Q u a m id ipsum absurde, nihil ad nie attinet. Iubet
enim, qui primus sit praetor factus, eum legem curia-
tam ferre; sin is ferre non possit, qui postremus sit, ut
aut lusisse in tantis rebus aut profecto nescio quid
spectasse videatur. Verum hoc quod est aut ita perver-
CBF.R D A S S I E D L E R G E S E T Z II 2
57

kreis knechten, der im dritten Kapitel nicht mehr weiß, was


er im zweiten geschrieben hat? Hier aber ist deutlich, welches
Recht ihr von den Vorfahren empfangen habt und welches
Recht dieser Volkstribun euch übrigläßt. Die Vorfahren
wünschten, daß ihr über jedes einzelne Amt zweimal ab-
stimmt. Denn als man ein Zenturiengesetz für die Zensoren 41 ,
als man ein Kuriengesetz für die übrigen patrizischen Ämter
einzubringen pflegte, da wurde abermals über dieselben Per-
sonen ein Urteil abgegeben, damit die Möglichkeit des Wider-
rufs bestünde, falls das Volk seinen Gunsterweis bereuen soll-
te. Jetzt, Quiriten, habt ihr noch die ersten Wahlen, nach
Zenturien und Bezirken; die Wahlen nach Kurien sind nur
wegen der Vogelschau geblieben. Dieser Volkstribun aber sah,
daß niemand ohne Ermächtigung des Gesamtvolkes oder der
Plebs eine Amtsgewalt innehaben könne; daher gründete er
sie auf eine Wahl nach Kurien, die ihr nicht mehr vornehmt,
und beseitigte die Wahl nach Bezirken, die euer Recht war.
Während also die Vorfahren wünschten, daß ihr euch in zwei-
facher Wahl wegen jedes Amtes entscheidet, hat dieser volks-
tümliche Mann dem Volke nicht einmal die Möglichkeit einer
einzigen Wahl übriggelassen.
Doch beachtet die Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt dieses
Mannes. Er bemerkte und durchschaute, daß die Zehnmänner
ohne Kuriengesetz keine Amtsgewalt innehaben können, da
sie ja nur durch neun Bezirke ermächtigt seien; er schreibt
vor, daß man ihretwegen ein Kuriengesetz beantrage; er er-
teilt dem Prätor den Auftrag. Wie sinnlos auch das ist, soll
mich nicht kümmern. Er schreibt nämlich vor, wer an erster
Stelle zum Prätor gewählt worden sei, solle das Kuriengesetz
beantragen; wenn der es aber nicht beantragen könne, dann
der an letzter Stelle gewählte; es scheint also, daß er mit so
wichtigen Dingen sein Spiel getrieben oder ich weiß wirklich
nicht was bezweckt hat. Doch dies ist entweder so albern, daß
DF LEGE AGRARIA II

sum ut ridiculum, aut ita malitiosum ut obscurum sit,


relinquamus; ad religionem hominis revertamur.

Videt sine lege curiata nihil agi per xviros posse.


Q u i d postea, si ea lata non erit? Attendite ingenium. jy
T U M EI XVIRI, inquit, EODEM IURE S I N T QUO QUI OPTIMA

LEGE. Si hoc fieri potest ut in hac civitate quae longe


iure libertatis ceteris civitatibus antecellit q u i s q u a m
nullis comitiis imperium aut potestatem adsequi possit,
quid attinet tertio capite legem curiatam ferre iubere,
cum quarto permittas ut sine lege curiata idem iuris
habeant quod haberent, si optima lege a populo essent
creati? Reges constituuntur, non xviri, Quirites, itaque
ab his initiis f u n d a m e n t i s q u e nascuntur, ut non modo
cum magistratum gerere coeperint, sed etiam cum
constituentur, omne vestrum ius, potestas libertasque
tollatur.

At videte q u a m diligenter retineat ius tribuniciae ?<>


potestatis. Consulibus legem curiatam ferentibus a
tribunis plebis saepe est intercessum - neque tamen nos
id querimur, esse hanc t r i b u n o r u m plebis potestatem;
t a n t u m modo, si quis ea potestate temere est usus,
furiosum existimamus - ; hie tribunus plebis legi curia-
tae q u a m praetor ferat adimit intercedendi potestatem.
A t q u e hoc cum in eo r e p r e h e n d e n d u m est quod per
t r i b u n u m plebis tribunicia potestas minuitur, t u m in eo
d e r i d e n d u m quod consuli, si legem curiatam non ha-
bet, attingere rem militarem non licet, hie, cui vetat
LBF.R DAS S1F.DLFRGFSETZ II 2
59

man lachen muß, oder so hinterhältig, daß man im dunkeln


tappt; wir wollen es auf sich beruhen lassen und uns wieder
mit der Gewissenhaftigkeit unseres Mannes befassen.
Er bemerkt, daß man ohne Kuriengesetz nichts mit den
Zehnmännern ausrichten kann. Was weiter, wenn das Gesetz
nicht eingebracht wird? Beachtet seinen Einfall: «Dann sollen
die Zehnmänner dieselbe Rechtsstellung haben», erklärt er,
«als wären sie durch ein unanfechtbares Gesetz ermächtigt.»
Das soll also möglich sein, daß jemand in diesem Staate, der
die übrigen Staaten durch seine Freiheitsrechte bei weitem
übertrifft, ohne Wahlen eine Befehls- oder Amtsgewalt er-
langen kann! Wozu denn im dritten Kapitel die Einbringung
eines Kuriengesetzes vorschreiben, wenn das vierte zuläßt,
daß die Beamten ohne Kuriengesetz dieselbe Rechtsstellung
haben, die sie hätten, wenn sie durch ein unanfechtbares Ge-
setz vom Volke ermächtigt worden wären ? Hier werden Kö-
nige eingesetzt, nicht Zehnmänner, Quiriten, und ihre Stel-
lung beruht deshalb auf dieser Bedingung und Grundlage, da-
mit nicht erst, wenn sie ihr Amt auszuüben beginnen, sondern
schon, wenn man sie einsetzt, alle eure Rechte, eure Macht und
Freiheit zuschanden werden.
Doch seht, wie sorgsam er am Recht der tribunizischen
Gewalt festhält. Volkstribunen haben oft gegen Konsuln, die
ein Kuriengesetz beantragen wollten, Einspruch erhoben. Und
doch beschweren wir uns nicht, daß die Volkstribunen hierzu
befugt sind; wir halten es nur für unverantwortlich, wenn
jemand diese Befugnis mißbraucht. Dieser Volkstribun aber
schließt bei einem Kuriengesetz, das ein Prätor beantragen
soll, das Einspruchsrecht aus. Und dies muß man einerseits
rügen, weil ein Volkstribun die tribunizische Gewalt ein-
schränkt. Andererseits sollte man darüber lachen: ein Konsul,
der kein Kuriengesetz hat, darf sich mit keiner Kriegsmaß-
nahme befassen; Rullus aber verbietet den Einspruch und
200 DE LF.GF AGRARIA II

intercedi, ei potestatem, etiam si intercessum sit, tarnen


eandem constituit quam si lata esset lex, ut non intelle-
gam qua re aut hic vetet intercedere aut q u e m q u a m
intercessurum putet, c u m intercessio stultitiam inter-
cessoris significatura sit, non rem impeditura.

Sint igitur xviri neque veris comitiis, hoc est, populi 31


s u f f r a g i i s , neque illis ad speciem atque ad usurpatio-
nem vetustatis per x x x lictores auspiciorum causa ad-
umbratis constituti. V i d e t e nunc eos qui a vobis nihil
potestatis acceperint quanto maioribus ornamentis ad-
ficiat q u a m omnes nos adfecti sumus quibus vos amplis-
simas potestates dedistis. Iubet auspicia coloniarum
d e d u c e n d a r u m causa xviros habere pullariosque, EO-
DEM IURE, i n q u i t , QUO HABUERUNT IIIYIRI LEGE SEMPRO-
NIA. A u d e s etiam, R u l l e , mentionem facere legis S e m -
proniae, nec te ea lex ipsa commonet inviros illos
x x x v tribuum s u f f r a g i o creatos esse? Et cum tu a T i .
G r a c c h i aequitate ac pudore longissime remotus sis, id
quod dissimillima ratione factum sit eodem iure putas
esse oportere? Dat praeterea potestatem verbo praeto- 32
riam, re vera regiam; definit in q u i n q u e n n i u m , facit
sempiternam; tantis enim confirmat opibus et copiis ut
invitis eripi nullo m o d o possit. Deinde ornat apparitori-
bus, scribis, librariis, praeconibus, architectis, praeter-
ÜBER DAS SI Ε DL FRG F. S E T Z II 261

bestimmt gleichwohl, daß dem Betroffenen trotz eines Ein-


spruchs dieselbe Amtsgewalt zukommen solle, als wenn das
Gesetz in Kraft getreten wäre. Mir ist daher unverständlich,
weshalb Rullus den Einspruch verbietet oder warum er glaubt,
daß jemand Einspruch erheben könne, da der Einspruch nur
die Torheit dessen bekunden würde, der ihn erhebt, ohne
doch die Sache zu verhindern.
Es gebe also die Zehnmänner, und sie seien weder durch
wirkliche Wahlen, das heißt durch eine Abstimmung des
Volkes, eingesetzt noch durch jene schattenhaften, die man
wegen der Vogelschau zum Scheine und um einen alten
Brauch fortzusetzen mit dreißig Liktoren durchführt. Seht
jetzt, mit wie viel mehr Gepränge Rullus die ausstattet, die
von euch keinerlei Befugnis empfangen haben, als uns allen
zu Gebote steht, denen ihr die weitesten Befugnisse ver-
liehen habt. Er ordnet an, daß den Zehnmännern zum Zwecke
der Koloniegründung Vogelschau und Hühnerwärter 4 4 zu-
stehen sollten, «nach dem gleichen Recht», erklärt er, «wie
es das Sempronische Gesetz 45 den Dreimännern verliehen
hatte.» Du wagst es gar, Rullus, das Sempronische Gesetz zu
erwähnen, und doch erinnert dich dies Gesetz nicht von selbst
daran, daß die Dreimänner durch eine Abstimmung der 35
Bezirke gewählt wurden? Und da du von dem Gerechtigkeits-
sinn und dem Ehrgefühl einej Ti. Gracchus sehr weit entfernt
bist, forderst du, daß nach gleichem Recht bestehen solle, was
auf ganz ungleichartige Weise zustande gekommen ist? Er
verleiht außerdem eine Amtsgewalt, die dem Wortlaut nach
prätorisch, in Wahrheit aber königlich ist; er stellt sie als
fünfjährig dar und begründet sie auf immer; denn er sichert
sie durch solche Machtmittel und Truppen, daß sie den In-
habern auf keine Weise gegen deren Willen entzogen werden
kann. Dann stattet er sie mit Hilfsbeamten aus, mit Schrei-
bern, Buchhaltern, Ausrufern, Baumeistern 46 , überdies mit
202 DF LF.GE A G R A R I A II

ea mulis, t a b e r n a c u l i s , c e n t u n c u l i s , supcllectili; s u m p -
t u m haurit ex aerario, suppeditat a sociis; finitores ex
equestri loco d u c e n t o s , vicenos singulorum stipatores
c o r p o r i s c o n s t i t u i t , e o s d e m ministros et satellites potes-
tatis.
F o r m a m a d h u c h a b e t i s , Q u i r i t e s , et s p e c i e m ipsani
t v r a n n o r u m ; insignia videtis potestatis, n o n d u m ipsam
p o t e s t a t e m . D i x e r i t e n i m fortasse q u i s p i a m : " q u i d m e
ista l a e d u n t , s c r i b a , lictor, praeco, p u l l a r i u s ? " O m n i a
sunt haec huius m o d i , Q u i r i t e s , ut, ea qui habeat sine
vestris suffragiis, aut rex non ferendus aut privatus
furiosus esse videatur. Perspicite q u a n t a potestas per-
m i t t a t u r ; non privatorum i n s a n i a m , sed i n t o l e r a n t i a m
regum esse dicetis. P r i m u m p e r m i t t i t u r infinita potes-
tas i n n u m e r a b i l i s p e c u n i a e c o n f i c i e n d a e vestris vecti-
galibus non fruendis, sed alienandis; deinde orbis ter-
rarum g e n t i u m q u e o m n i u m datur cognitio sine c o n s i -
lio, poena sine p r o v o c a t i o n e , animadversio sine auxilio.
Iudicare per q u i n q u e n n i u m vel de c o n s u l i b u s vel de
ipsis t r i b u n i s plebis p o t e r u n t ; d e illis interea nemo
i u d i c a b i t ; m a g i s t r a t u s eis peterc l i c e b i t , causam d i c e r c
non licebit; e m e r e agros a q u i b u s volent et q u o s volent
q u a m volent m a g n o p o t e r u n t ; colonias d e d u c e r e novas,
renovare veteres, t o t a m Italiam suis coloniis ut c o m -
plere liceat p e r m i t t i t u r ; o m n i s provincias o b e u n d i , libe-
ros populos agris m u l t a n d i , r e g n o r u m vendendorum
s u m m a potestas d a t u r ; c u m vclint, R o m a e esse, c u m
c o m m o d u m sit, q u a c u m q u e velint s u m m o c u m i m p e r i o
CBF.R DAS S I F D L F R G F S F T Z II 263

Maultieren, Zelten, Pferdedecken, Gerätschaften; die Kosten


schöpft er aus der Staatskasse, erlegt er den Bundesgenossen
auf; er sieht zweihundert Feldmesser aus dem Ritterstande
vor, das heißt zwanzig Leibwächter für einen jeden der Zehn-
männer, zugleich als Diener und als Spießgesellen der Macht.
Bis jetzt habt ihr nur das Gepräge und Bild von Tyrannen,
Quiriten; ihr seht die Abzeichen der Macht, noch nicht die
Macht selbst. Denn vielleicht wendet jemand ein: «Was tut
mir das, ein Schreiber, Büttel, Ausrufer, Hühnerwärter?»
Doch alles dies bedeutet so viel, Quiriten, daß jemand, der
ohne eure Stimmen darüber verfügt, entweder ein unerträg-
licher Despot oder eine außer Rand und Band geratene Privat-
person sein muß. Seht zu, welche Macht man hier gewähren
läßt; ihr werdet sagen: das ist nicht die Verrücktheit von
Privatpersonen, sondern die Maßlosigkeit von Despoten. Er-
stens verleiht man ihnen unbeschränkte Vollmacht, beliebige
Geldsummen beizubringen, wofür sie eure Steuerquellen nicht
benutzen, sondern veräußern dürfen. Zweitens überantwortet
man ihnen den Erdkreis und sämtliche Völkerschaften: sie
dürfen richten ohne Beirat, strafen ohne die Möglichkeit der
Berufung, ahnden ohne den Rechtsschutz einer Hilfe 47 . Sie
können während der fünf Jahre Konsuln oder gar Volkstribu-
nen verurteilen; über sie wird unterdessen niemand zu Gericht
sitzen; sie dürfen sich um Ämter bewerben, doch brauchen
sie sich nicht zu verantworten; sie können Land kaufen, von
wem sie wollen, welches sie wollen und zu welchem Preise sie
wollen; man gibt ihnen die Erlaubnis, neue Kolonien anzu-
legen, alte wiederherzustellen, ganz Italien mit ihren Sied-
lungen zu bedecken; man erteilt ihnen die schrankenlose Be-
fugnis, alle Provinzen aufzusuchen, freien Völkern Land ab-
zusprechen, Fürstentümer zu verkaufen; man räumt ihnen
die Vergünstigung ein, sich, wenn sie wollen, in Rom aufzu-
halten, und wenn es ihnen paßt, wo sie wollen mit höchster
264 DE LEGE AGRARIA II

iudicioque rerum omnium vagari ut liceat conceditur;


interea dissolvant iudicia publica, e consiliis abducant
quos velint, singuli de maximis rebus iudicent, quaes-
tori permittant, finitorem mittant, ratum sit quod fini-
tor uni Uli a quo missus erit renuntiaverit. Y e r b u m mihi
deest, Quirites, cum ego hanc potestatem regiam ap-
pello, sed profccto maior est quaedam. N u l l u m enim
regnum fuit umquam quod non se, si minus iure aliquo.
at regionibus tarnen certis contineret. Hoc vero infini-
tum est, quo et regna omnia et vestrum Imperium, quod
latissime patet, et ea quae partim libera a vobis, partim
etiam ignorata vobis sunt, permissu legis continentur.

Datur igitur eis primum ut liceat ea vendere omnia de


quibus vendendis senatus consulta facta sunt M . T u l l i o
C n . Cornelio consulibus postve ea. C u r hoc tarn est
obscurum atque caecum? Quid? ista omnia de quibus
senatus censuit nominatim in lege perscribi nonne po-
tuerunt? Duae sunt huius obscuritatis causac, Quirites,
una pudoris, si quis pudor esse potest in tarn insigni
impudentia, altera sceleris. N a m neque ea quae senatus
vendenda censuit nominatim audet appellare; sunt
enim loca publica urbis, sunt sacella quae post restitu-
tam tribuniciam potestatem nemo attigit, quae majores
in urbe partim ornamenta urbis, partim periculi p e r f u -
gia esse voluerunt. H a e c lege tribunicia xviri vendent.
Accedet eo mons G a u r u s , accedent salicta ad Mintur-
С В F. R DAS S1F-DLERGESETZ II 265

Befehls- und Gerichtsgewalt in allen Angelegenheiten umher-


zureisen; unterdessen dürfen sie die Entscheidungen in Staats-
prozessen aufheben, von den Geschworenenbänken entfernen,
wen sie wollen, einzeln die wichtigsten Dinge aburteilen, sie
dem Quästor überlassen, einen Vermessungsbeamten beauf-
tragen, für gültig erklären, was der Vermessungsbeamte dem
einen Auftraggeber angezeigt hat. Mir fehlt die richtige Be-
zeichnung, Quiriten, wenn ich diese Macht königlich nenne;
sie ist ja wirklich von umfassenderer Art. Denn niemals gab
es eine Königsgewalt, der nicht, wenn auch keinerlei Recht,
so doch ein bestimmtes Gebiet Schranken gesetzt hätte. Aber
diese hier ist unbegrenzt: sie erstreckt sich laut gesetzlicher
Vollmacht auf alle Fürstentümer und auf euer Reich in seiner
riesigen Ausdehnung, ferner auf Gegenden, die euch teils
nicht botmäßig, teils sogar unbekannt sind.
Man erteilt ihnen also zunächst die Befugnis, all das zu ver-
kaufen, über dessen Verkauf während des Konsulats von M.
Tullius und Cn. Cornelius oder hernach Senatsbeschlüsse er-
gangen sind 48 . Warum lautet dies so dunkel und undurch-
sichtig? Wie? Konnte das Gesetz nicht all das, worüber der
Senat beschlossen hat, einzeln aufzählen? Diese Dunkelheit
ist durch zweierlei verursacht, Quiriten: einerseits durch
Scham, wenn es bei einer so beispiellosen Unverschämtheit
noch Scham geben kann, andererseits durch Frevelsinn. Denn
er wagt nicht, das einzeln zu erwähnen, was der Senat zu ver-
kaufen beschlossen hat; es sind nämlich staatliche Grund-
stücke im Stadtgebiet, es sind Heiligtümer, die nach der Wie-
derherstellung der tribunizischen Gewalt 4 ' niemand mehr an-
gerührt hat, die nach dem Willen der Vorfahren in unserer
Stadt teils als Schmuck, teils als Zuflucht vor Gefahren dienen
sollen. Dies werden die Zehnmänner auf Grund eines tribu-
nizischen Gesetzes verkaufen. Dazu kommt noch der Gaurus-
berg, kommen noch die Weidenpflanzungen bei Minturnae;
266 DF LEGE AGRARIA II

nas, a d i u n g e t u r c t i a m i 11 a via v e n d i b i l i s Herculanca


m u l t a r u m d e l i c i a r u m et m a g n a e p e c u n i a e , permulta
alia q u a e senatus p r o p t e r a n g u s t i a s aerari vendenda
c e n s u i t , c o n s u l e s p r o p t e r i n v i d i a m non v e n d i d e r u n t .
V e r u m haec f o r t a s s e p r o p t e r p u d o r e m in lege r e t i c e n - 37
tur. S e d illud m a g i s est c r e d e n d u m et p e r t i m e s c e n d u m
q u o d a u d a c i a e xvirali c o r r u m p e n d a r u m t a b u l a r u m p u -
b l i c a r u m f i n g e n d o r u m q u e senatus c o n s u l t o r u m , q u a e
facta n u m q u a m sint. c u m ex eo n u m e r o qui p e r eos
a n n o s c o n s u l e s f u e r u n t multi m o r t u i sint, m a g n a potes-
tas p e r m i t t i t u r . N i s i f o r t e nihil est a e q u u m nos d e
e o r u m audacia s u s p i c a r i q u o r u m cupiditati nimium
a n g u s t u s o r b i s t e r r a r u m esse v i d e a t u r .
H a b e t i s u n u m v e n d i t i o n i s g e n u s q u o d m a g n u m vi- 38
deri v o b i s intellego; sed attendite a n i m o s ad ea q u a e
consequuntur; hunc quasi g r a d u m quendam atque ad-
i t u m ad cetera f a c t u m intellegetis. Q u i AGRI, QUAF
LOCA, AEDIFICIA. Q u i d est praeterea? M u l t a in m a n c i -
p i i s , in p e c o r e , a u r o , a r g e n t o , e b o r e . veste, s u p e l l e c t i l i ,
ceteris r e b u s . Q u i d d i c a m ? invidiosum putasse hoc
f o r e , si o m n i a n o m i n a s s e t ? N o n m e t u i t i n v i d i a m . Q u i d
ergo? L o n g u m p u t a v i t et timuit ne q u i d p r a e t e r i r e t ;
ascripsit ALIUDVE QUID, qua b r e v i t a t e r e m n u l l a m esse
exceptam videtis. Quicquid i g i t u r sit extra Italiam
quod publicum populi Romani f a c t u m sit L . S u l l a
Q . P o m p e i o c o n s u l i b u s aut p o s t e a , id x v i r o s i u b e t ven-
dere.

H o c c a p i t e , Q u i r i t e s , o m n i s g e n t i s , nationes, p r o v i n - 39
c i a s , regna x v i r u m d i c i o n i , i u d i c i o p o t e s t a t i q u e per-
missa et c o n d o n a t a esse d i c o . P r i m u m hoc q u a e r o .
ÜBFR DAS SIFDLFRGFSFTZ II 2б 7

man wird beim Verkauf auch die herkulanische Straße hinzu-


tun, die sehr reizvoll ist und viel Geld einbringt 50 , und noch
anderes in Fülle, was der Senat wegen der Bedrängnis unserer
Staatsfinanzen zu verkaufen beschloß, die Konsuln aber wegen
der Mißliebigkeit nicht verkauft haben. Doch vielleicht wird
dies in dem Gesetz aus Scham verschwiegen. Doch etwas
anderes muß man eher annehmen und befürchten: daß die
Skrupellosigkeit der Zehnmänner erheblichen Spielraum er-
hält, öffentliche Urkunden zu fälschen und Senatsbeschlüsse
zu erfinden, die nie ergangen sind; von den Konsuln dieser
Jahre 51 sind ja viele verstorben. Allerdings ist es wohl unan-
gemessen, über die Skrupellosigkeit derer Vermutungen an-
zustellen, deren Habgier der Erdkreis zu eng vorkommt.
Da habt ihr eine Gruppe verkäuflicher Gegenstände; wie
ich feststelle, haltet ihr sie für beträchtlich. Doch achtet auf
das folgende; ihr werdet bemerken, daß sie gleichsam nur als
Eingangsstufe für das übrige vorgesehen ist. «Welche Lände-
reien, welche Grundstücke und Gebäude.» Was gibt es noch?
Es sind große Werte an Sklaven vorhanden, an Vieh, Gold,
Silber, Elfenbein, Kleidung, Gerätschaften und sonstigen Din-
gen. Was soll ich sagen: Rullus habe geglaubt, man werde
ihn anfeinden, wenn er alles aufzähle? Er scheute sich nicht
vor Anfeindungen. Was dann? Er hielt es für umständlich und
fürchtete, etwas auszulassen; er fügte hinzu «oder was sonst
noch» - diese bündigen Worte nehmen, wie ihr seht, keinen
Gegenstand aus. Er beauftragt somit die Zehnmänner, den
gesamten Staatsbesitz außerhalb Italiens zu verkaufen, den
das römische Volk während des Konsulats von L.Sulla und
QJPompeius oder hernach 52 erworben hat.
Ich behaupte, Quiriten, daß dieses Kapitel alle Völker,
Stämme, Provinzen und Fürstentümer der Gewalt, Gerichts-
barkeit und Machtvollkommenheit der Zehnmänner überläßt
und preisgibt. Zuerst möchte ich dies fragen: gibt es denn
268 DE LF.GF. AGRARIA [I

ecqui tandem locus usquam sit quem non possint xviri


dicere publicum populi Romani esse factum. N a m cum
idem possit iudicare qui dixerit, quid est quod non
liceat ei dicere cui liceat eidem iudicare? C o m m o d u m
erit Pergamum, S m v r n a m , Trallis. E p h e s u m , Mile-
tum, C y z i c u m , totam denique Asiam quae post L . S u l -
lam Q . Pompeium consules recuperata sit populi Ro-
mani factam esse dicere; utrum oratio ad eius rei dispu- 40
tationem deerit, an, cum idem et disseret et iudicabit,
impelli non poterit ut falsum iudicet? an, si condemnare
A s i a m nolet, terrorem damnationis et minas non quanti
volet aestimabit? Quid? quod disputari contra nullo
pacto potest, quod iam statutum a nobis est et iudica-
tum, quoniam hereditärem iam crevimus, regnum Bi-
thyniae, quod certe publicum est populi Romani fac-
tum, num quid causae est quin omnis agros, urbis,
stagna, portus, totam denique Bithyniam xviri vendi-
turi sint? Quid? Mvtilenae, quae certe vestrae, Quiri-
tes, belli lege ac victoriae iure factae sunt, urbs et natura
ac situ et descriptione aedificiorum et pulchritudine in
primis nobilis, agri iucundi et fertiles, nempe eodem
capite inclusi continentur.

Quid? Alexandrea cunctaque A e g y p t u s ut occulte 41


latet, ut recondita est, ut furtim tota xviris traditur?
Quis enim vestrum hoc ignorat, dici illud regnum
testamento regis Alexae populi Romani esse factum?
Hie ego consul populi Romani non modo nihil iudico
CBF-R D A S S I E D L E R G F . S E T Z Π 269

irgendwo ein Stück Gelände, von dem die Zehnmänner nicht


behaupten könnten, es sei Staatsbesitz des römischen Volkes
geworden? Denn wenn, wer den Anspruch erhebt, auch Rich-
ter sein kann, was darf er dann nicht beanspruchen, da er doch
zugleich auch richten darf? Es wird leicht sein, zu behaupten,
daß Pergamon, Smyrna, Tralles, Ephesos, Milet, Kyzikos,
kurz, ganz Asien, soweit es nach dem Konsulat des L.Sulla
und Q^Pompeius zurückgewonnen wurde 53 , in das Eigentum
des römischen Volkes gelangt sei; wird es etwa an Worten für
eine Behauptung dieser Art fehlen oder sich kein Falschurteil
herbeiführen lassen, da doch derselbe Mann den Anspruch
erhebt und darüber entscheidet? Oder wird er nicht, wenn er
Asien nicht verurteilen will, den Preis für den Schrecken und
die Drohung der Verurteilung so hoch ansetzen, wie es ihm
beliebt? Wie? Das läßt sich doch auf keine Weise mehr be-
streiten, das ist bereits von uns beschlossen und entschieden,
da wir die Erbschaft schon angetreten haben: das Königreich
Bithynien ist zweifellos Staatsbesitz des römischen Volkes
geworden 54 . Was könnte also die Zehnmänner hindern, alle
Landgebiete, Städte, Seen, Häfen, kurz, ganz Bithynien zu
veräußern? Wie? Mytilene ist unbestreitbar, Quinten, nach
dem Gesetz des Krieges und dem Recht des Sieges euer Eigen
geworden 55 , eine Stadt, die sich wegen ihrer natürlichen Lage
und der schönen Anordnung der Gebäude besonderer Be-
rühmtheit erfreut und von anmutigen, fruchtbaren Fluren
umgeben ist: auch sie wird also von demselben Kapitel erfaßt
und einbezogen.

Wie? Daß insgeheim Alexandrien und ganz Ägypten darin


steckt, sich dahinter verbirgt, in seiner Gesamtheit unver-
sehens den Zehnmännern ausgeliefert wird? Denn wer von
euch wüßte nicht, daß dieses Reich durch das Testament des
Königs Alexander in den Besitz des römischen Volkes über-
gegangen sein soll56? Hier will ich, der Konsul des römischen
2 - 0 DF LFGF AGRARIA II

sed ne quid sentiam quidem profero. Magna enim mihi


res non m o d o ad statuendum sed etiam ad dicendum
videtur esse. V i d e o qui testamentum f a c t u m esse con-
firmet; auctoritatem senatus exstare hereditatis aditae
sentio tum cum A l e x a mortuo nos tris legatos T v r u m
misimus, qui ab illo pecuniam depositam recuperarent.
H a e c L . Philippum saepe in senatu c o n f i r m a s s e memo- 42
ria teneo; e u m qui regnum illud teneat hoc tempore
neque genere neque animo regio esse inter omnis fere
video convenire. Dicitur contra nullum esse testamen-
tum, non oportere p o p u l u m R o m a n u m o m n i u m re-
gnorum appetentem videri, demigraturos in ilia loca
nostros homines propter agrorum bonitatem et om-
nium rerum copiam.

Н а с tanta de re P. R u l l u s cum ceteris xviris conlegis 43


suis iudicabit, et utrum iudicabit? N a m u t r u m q u e ita
m a g n u m est ut nullo modo neque conccdendum neque
f e r e n d u m sit. Volet esse popularis; populo R o m a n o
adiudicabit. E r g o idem ex sua lege vendet Alexan-
dream, vendet A e g v p t u m , urhis copiosissimae pul-
c h e r r i m o r u m q u e agrorum iudex, arbiter, dominus, rex
denique opulentissimi regni reperietur. N o n sumet sibi
tantum, non appetet; iudicabit A l e x a n d r e a m regis esse,
a populo R o m a n o abiudicabit. P r i m u m cur de populi 44
Romani hereditate xviri iudicent, cum vos volueritis de
privatis hereditatibus cviros iudicare? Deinde quis aget
C B F R DAS S I F D L F R G E S E T Z II

Volkes, nicht nur kein Urteil aussprechen, sondern nicht ein-


mal vorbringen, was ich davon halte. Denn die Sache kommt
mir zu wichtig vor, darüber zu befinden oder auch nur eine
Meinung zu äußern. Ich sehe, wer versichert, daß das Testa-
ment zustande gekommen sei; ich weiß, daß ein Senatsgut-
achten über den Antritt der Erbschaft besteht - aus der Zeit,
da wir nach dem Tode Alexanders drei Gesandte nach Tyros
schickten, das Geld in Empfang zu nehmen, das Alexander dort
hinterlegt hatte. Ich erinnere mich, daß L.Philippus" dies
oft im Senat bestätigt hat; ich bemerke die fast einhellige
Meinung, daß dem jetzigen Herrn dieses Reiches sowohl die
Herkunft als auch die Eigenschaften eines Königs abgehen 51 .
Auf der anderen Seite verlautet, es gebe gar kein Testament,
es dürfe nicht scheinen, daß sich das römische Volk aller Kö-
nigreiche bemächtigen wolle, unsere Leute würden wegen der
Güte des Landes und des allgemeinen Überflusses in diese
Gebiete auswandern.
Eine so bedeutende Angelegenheit wird P. Rullus mit den
übrigen Zehnmännern, seinen Amtsgenossen, entscheiden?
Und wie wird er sie entscheiden? Denn beide Möglichkeiten
wiegen so schwer, daß man sie durchaus nicht gestatten noch
hinnehmen kann. Er wird volkstümlich sein wollen; er wird
das Land dem römischen Volke zuerkennen. Folglich wird er
auch kraft seines eigenen Gesetzes Alexandrien, wird er Ägyp-
ten verkaufen, wird er sich als Richter, Schiedsmann, Ge-
bieter der wohlhabendsten Stadt und der herrlichsten Fluren,
kurz, als König des üppigsten Reiches erzeigen. Oder er wird
so viel nicht für sich beanspruchen, nicht danach greifen; er
wird befinden, daß Alexandrien dem König gehöre, er wird
es dem römischen Volke absprechen. Erstens: warum sollen
Zehnmänner über eine Erbschaft des römischen Volkes ur-
teilen, während es euer Wille ist, daß Hundertmänner über
private Erbschaften zu Gericht sitzen"? Zweitens: wer wird
DE L E G E A G R A R I A II

causam populi Romani? ubi res ista agetur? qui sunt isti
xviri, quos prospiciamus regnum A l e x a n d r e a e Ptolo-
maeo gratis adiudicaturos? Quod si Alexandrea peteba-
tur, cur non eosdem cursus hoc tempore quos L . Cotta
L . Torquato consulibus cucurrerunt? cur non aperte ut
antea, cur non item ut tum, derecto et palam regionem
illam petiverunt? an qui etesiis, qui per cursum rectum
regnum tenere non potuerunt, nunc caecis tenebris et
caligine se Alexandream perventuros arbitrati sunt?

A t q u e illud circumspicite vestris mentibus una, Qui- 45


rites. Legatos nostros, homines auctoritate tenui, qui
rerum privatarum causa legationes liberas obeunt, ta-
rnen exterae nationes ferre vix possunt. G r a v e est enim
nomen imperi atque id etiam in levi persona pertimesci-
tur, propterea quod vestro, non suo nomine, cum hinc
egressi sunt, abutuntur. Quid censetis, cum isti xviri
cum imperio, cum fascibus, cum ilia delecta finitorum
iuventute per totum orbem terrarum vagabuntur. quo
tandem animo, quo metu, quo periculo miseras natio-
nes futuras? Est in imperio terror; patientur. Est in 46
adventu sumptus; ferent. Imperabitur aliquid muneris;
non recusabunt. Illud vero quantum est, Quirites, cum
is xvir qui aliquam in urbem aut exspectatus ut hospes
aut repente ut dominus venerit ilium ipsum locum quo
venerit, illam ipsam sedem hospitalem in quam erit
2
Ü B E R D A S S I E D L E R G E S E T Z II 73

für das römische Volk eintreten? Wo soll diese Sache verhan-


delt werden? Wer sind die Zehnmänner, von denen wir er-
warten können, daß sie dem Ptolemaios die Herrschaft über
Alexandrien ohne Entgelt zusprechen? Wenn sie es aber auf
Alexandrien abgesehen hatten, warum schlugen sie jetzt nicht
denselben Weg ein wie unter dem Konsulat des L.Cotta und
L.Torquatus 6 ®? Warum haben sie dieses Gebiet nicht offen
wie zuvor, warum nicht ebenso wie damals beansprucht, ohne
Umschweife und unverhohlen? Oder haben sie geglaubt, sie
würden, da sie mit dem Wind im Rücken, da sie auf gerader
Bahn das Land nicht zu erreichen vermochten, jetzt in un-
durchsichtigem Dunkel und Dunst nach Alexandrien gelan-
gen?
Und überlegt euch auch folgendes, Quiriten. Unsere Ge-
sandten, die sich für private Angelegenheiten eine Gesandten-
stelle ohne bestimmten Auftrag verschaffen", haben nur ge-
ringes Ansehen; trotzdem können sich die auswärtigen Völ-
ker nur schwer mit ihnen abfinden. Denn der Name unserer
Herrschaft ist eine Last und wird auch bei einer unbedeuten-
den Person gefürchtet, weil man euren, nicht den eigenen
Namen zu mißbrauchen pflegt, sobald man von hier abgereist
ist. In welcher Stimmung, welcher Furcht, welcher Gefahr,
meint ihr, werden sich die unglücklichen Völker befinden,
wenn diese Zehnmänner mit Befehlsgewalt, mit Rutenbün-
deln, mit der ausgewählten Mannschaft von Feldmessern im
ganzen Erdkreis umherziehen? Die Befehlsgewalt verbreitet
Schrecken; sie werden es dulden. Ihr Erscheinen bedeutet
Aufwand; sie werden es ertragen. Man verlangt irgendeine
Leistung von ihnen; sie werden sich nicht weigern. Doch was
für eine Ungeheuerlichkeit ist das, Quiriten: ein Mann des
Zehnerausschusses kommt in irgendeine Stadt, erwartet wie
ein Gast oder plötzlich wie ein Gebieter, und er erklärt, eben
dieser Ort, den er aufgesucht, eben diese gastliche Stätte, zu
DF. LF.GE AGRA RIA Η

deductus publicam populi Romani esse dicet! At


quanta calamitas populi, si dixerit, quantus ipsi quaes-
tus, si negarit! A t q u e idem qui haec appetunt queri non
numquam solent omnis terras C n . Pompeio atque om-
nia maria esse permissa. Simile vero est multa committi
et condonari omnia, labori et negotio praeponi an prae-
dae et quaestui, mitti ad socios liberandos an ad oppri-
mendos! Denique, si qui est honos singularis, nihilne
interest, utrum populus Romanus eum cui velit deferat,
an is impudenter populo Romano per legis fraudem
surripiatur?

Intellexistis quot res et quantas xviri legis permissu 47


vendituri sint. N o n est satis. C u m se sociorum, cum
exterarum nationum, cum regum sanguine implerint,
incidant nervös populi Romani, adhibeant manus vecti-
galibus vestris, inrumpant in aerarium. Sequitur enim
caput, quo capite ne permittit q u i d e m , si forte desit
pecunia, quae tanta ex superioribus rccipi potest ut
deesse non debeat, sed plane, quasi ea res vobis saluti
futura sit, ita cogit atque imperat ut xviri vestra vestiga-
lia vendant nominatim, Quirites. Kam tu mihi ex ordine 4H
recita de legis scripto populi Romani auctionem; quam
me hercule ego praeconi huic ipsi luctuosam et acerbam
praedicationem futuram puto. - AUCTIO - Ut in suis
rebus, ita in re publica luxuriosus est nepos, qui prius
ÜBER DAS SIF.DLERGFSF.TZ II 2
75

der man ihn geleitet hat, sei Staatsbesitz des römischen Vol-
kes! Welch Unglück aber für die Bewohner, wenn er das
erklärt, welche Einnahme für ihn selbst, wenn nicht! Und
dieselben, die hiernach streben, pflegen sich nicht selten dar-
über zu beschweren, daß man Cn.Pompeius alle Länder und
alle Meere überantwortet habe 62 . Freilich ist es ja wohl ver-
gleichbar, ob man vieles anvertraut oder alles preisgibt, ob
jemand für einen mühevollen Auftrag oder fiir gewinnreiche
Beute ausersehen ist, ob er entsandt wird, die Bundesgenossen
zu befreien oder zu unterdrücken! Schließlich, wenn es um
eine Ehrenstelle besonderer Art geht, macht es dann nichts
aus, ob das römische Volk sie dem Manne seiner Wahl über-
trägt oder ob sie dem römischen Volk durch ein trügerisches
Gesetz schamlos abgelistet wird?
Ihr habt erkannt, was und wieviel die Zehnmänner auf
Grund der Vollmacht des Gesetzes verkaufen dürfen. Das ist
noch nicht genug. Wenn sie sich mit dem Blut der Bundes-
genossen, der auswärtigen Völker, der Könige gemästet ha-
ben, dann sollen sie die Sehnen des römischen Volkes zer-
schneiden, Hand an eure Steuereinnahmen legen, über die
Staatskasse herfallen. Denn es folgt ein Kapitel, worin Rullus
nicht etwa eine Erlaubnis erteilt, falls es etwa noch an Geld
fehlen sollte (mit den zuvor genannten Posten läßt sich ein
so hoher Betrag erzielen, daß es daran nicht fehlen darf) -
vielmehr gebietet er rundheraus und mit zwingender Kraft,
so als ob euer Heil davon abhinge, daß die Zehnmänner eure
Steuereinkünfte Stück für Stück verkaufen sollen, Quinten.
Lies mir aus dem Gesetzestext der Reihe nach diese Verstei-
gerung des römischen Staates vor; beim Herkules, ich möchte
meinen, daß diese Bekanntmachung auch unseren Ausrufer
hier mit Trauer und Bitterkeit erfüllt. - (DIE VERSTEIGE-
RUNG.) - W i e bei seinem eigenen Besitz, so ist er auch bei dem
des Staates ein üppiger Verschwender: er verkauft eher die
276 D E L E G E A G R A R I A II

silvas vendat quam vineas! Italiam percensuisti; perge


in Siciliam. - Nihil est in hac provincia quod aut in
oppidis aut in agris maiores nostri proprium nobis
reliquerint quin id venire iubeat. Quod partum recenti 49
victoria maiores vobis in sociorum urbibus ac finibus et
vinculum pacis et monumentum belli reliqucrunt, id
vos ab illis acceptum hoc auctore vendetis?

H i c mihi parumper mentis vestras, Quirites, com-


movere videor, dum patefacio vobis quas isti penitus
abstrusas insidias se posuisse arbitrantur contra C n .
Pompei dignitatem, t t mihi, quaeso, ignoscite, si ap-
pello talem virum saepius. Vos mihi praetori biennio
ante, Q u i r i t e s , hoc eodem in loco personam hanc impo-
suistis ut, q u i b u s c u m q u e rebus possem, illius absentis
dignitatem vobiscum una tuerer. Feci adhuc quae po-
tui, neque familiaritate illius adductus nec spe honoris
atque amplissimae dignitatis, quam ego, etsi libente
illo, tarnen absente illo per vos consecutus sum. Q u a m 50
ob rem, c u m intellegam totam hanc fere legem at illius
opes evertendas tamquam machinam comparari, et re-
sistam consiliis hominum et perficiam profecto, quod
ego video, ut id vos universi non solum videre verum
etiam tenere possitis.

Iubet venire quae Attalensium, quae Phaselitum,


quae O l v m p e n o r u m fuerint, agrumque Aperensem et
O r o a n d i c u m et G e d u s a n u m . H a e c P. Servili imperio et
victoria, clarissimi viri, vestra facta sunt. Adiungit
agros B i t h v n i a e regios quibus nunc publicani fruuntur;
C B F R DAS S I F D L F R G E S E T Z I[ 277

Wälder als die Weinberge! Du hast Italien durchmustert;


wende dich Sizilien zu. Es gibt nichts in dieser Provinz, was
unsere Vorfahren uns in den Städten oder auf dem Lande zu
eigen hinterlassen haben und was er nicht zu verkaufen be-
fiehlt. Was die Vorfahren euch als frische Frucht des Sieges in
den Städten und Gebieten der Bundesgenossen vermachten,
ein Band des Friedens und zugleich ein Andenken an den
Krieg, das, was ihr von ihnen empfangen habt, das werdet ihr
auf das Geheiß des Rullus verkaufen ?
Hier bereite ich euch, denke ich, einige Unruhe, Quiriten,
während ich euch eröffne, welch tief versteckte Falle diese
Leute der Ehrenstellung des Cn.Pompeius gestellt zu haben
glauben. Und verzeiht mir bitte, wenn ich einen solchen
Mann des öfteren erwähne. Ihr habt mir vor drei Jahren, als
ich Prätor war, Quiriten, hier an derselben Stelle die Rolle
zugewiesen, ich solle nichts unversucht lassen, während sei-
ner Abwesenheit gemeinsam mit euch seine Würde zu schüt-
zen' 3 . Ich habe bisher getan, was ich konnte, ohne daß mich
hierbei die Freundschaft mit ihm oder die Hoffnung auf das
Amt und die höchste Rangstufe bestimmt hätte - die habe ich
ja durch euch erlangt, und wenn auch mit seiner Zustimmung,
so doch während seiner Abwesenheit. Deshalb will ich, da ich
bemerke, daß fast das ganze Gesetz einer Maschine gleich dar-
auf abzweckt, seine Macht zu vernichten, den Anschlägen
dieser Leute Widerstand leisten, und wahrhaftig, ich will
erreichen, daß ihr alle das, was ich sehe, nicht nur sehen, son-
dern auch mit Händen greifen könnt.
Rullus befiehlt zu verkaufen, was den Attalensern, was den
Phaseliten, was den Olympenern gehört habe, ferner die ape-
rensische und die oroandische und die gedusanische Mark.
Diese Gebiete wurden durch den Oberbefehl und Sieg des
P. Servilius, eines ausgezeichneten Mannes, euer Eigen 64 . Er
fügt die königlichen Güter in Bithynien hinzu, deren Nutzung
278 DF LEGF AGRARIA II

deinde Attalicos agros in Cherroneso, in Macedonia qui


regis Philippi sive Persae f u e r u n t , qui item a censoribus
locati sunt et certissimum vectigal adferunt. Ascribit 51
eidem auctioni Corinthios agros opimos et fertilis, et
C v r e n e n s i s qui A p i o n i s fuerunr, et agros in Hispania
propter C a r t h a g i n e m novam et in A f r i c a ipsam veterem
C a r t h a g i n e m vendit, q u a m videlicet P. A f r i c a n u s non
propter religionem sedum illarum ac vetustatis de con-
sili sententia consecravit, nec ut ipse locus eorum qui
cum hac urbe de imperio decertarunt vestigia calamita-
tis ostenderet, sed non fuit tarn diligens quam est
R u l l u s , aut fortasse emptorem ei loco reperire non
potuit.

V e r u m inter hos agros captos veteribus bellis virtute


s u m m o r u m imperatorum adiungit regios agros Mithri-
datis, qui in Paphlagonia, qui in Ponto, qui in C a p p a d o -
cia f u e r u n t , ut eos xviri vendant. Itane vero? non 52
legibus datis, non auditis verbis imperatoris, nondum
denique bello confccto, c u m rex Mithridates amisso
exercitu regno expulsus tarnen in ultimis terris aliquid
etiam nunc moliatur atque ab invicta C n . Pompei manu
Maeote et illis paludibus et itinerum angustiis atque
altitudine montium defendatur, cum imperator in bello
versetur, in locis autem illis etiam nunc belli nomen
reliquum sit, eos agros q u o r u m adhuc penes C n . Pom-
peium o m n e iudicium et potestas more maiorum debet
esse xviri vendent?
CBF.R DAS S I E D L E R G F S F T Z II

jetzt Staatspächter innehaben, ferner die attalischen Güter auf


der Chersones65 und in Makedonien das, was den Königen
Philipp oder Perseus gehört hat 64 ; diese Ländereien sind eben-
falls von den Zensoren verpachtet und werfen eine sehr siche-
re Rente ab. Auf dieselbe Versteigerungsliste setzt er noch
die üppigen und fruchtbaren Güter von Korinth sowie die
kyrenensischen, die Apion gehört haben; ferner möchte er
Land verkaufen, das in Spanien bei Neukarthago liegt, und
in Afrika das alte Karthago selbst 67 ; allerdings hat P.Afri-
canus es ja nicht wegen der Heiligkeit der alten Stätte nach dem
Gutachten seiner Berater den Göttern geweiht, noch sollte
gerade der Wohnsitz derer, die mit unserer Stadt um die Welt-
herrschaft kämpften, die Spuren des Untergangs vor Augen
fuhren; vielmehr war Africanus nicht so umsichtig wie Rullus,
oder vielleicht konnte er für dieses Gebiet keinen Käufer finden.
Doch unter diese Ländereien, die in vergangenen Kriegen
durch die Tüchtigkeit unserer größten Feldherren gewonnen
wurden, mischt er noch die königlichen Güter des Mithri-
dates, die in Paphlagonien, die in Pontos, die in Kappadokien
lagen: die Zehnmänner sollen sie verkaufen. Wirklich, steht
es so? Noch sind keine Gesetze erlassen, noch hat man die
Worte des Feldherrn nicht gehört, noch ist vollends der Krieg
nicht beendet; zwar hat König Mithridates sein Heer verlo-
ren, und er ist aus seinem Reiche vertrieben, doch auch jetzt
noch fuhrt er in den entferntesten Gegenden etwas im Schilde,
und er schützt sich vor dem unüberwindlichen Arm des Cn.
Pompeius durch die Mäotis und die dortigen Sümpfe und die
engen Pässe und die hohen Berge; der Oberbefehlshaber steht
im Felde, und in den Gegenden dort hat der Kriegszustand
auch jetzt noch nicht aufgehört: da werden die Zehnmänner
die Ländereien verkaufen, die nach dem Brauch der Vorfahren
noch stets völlig dem Ermessen und der Verfügungsgewalt
des Cn.Pompeius unterstehen müssen68?
D F L F . G F A G R A R I A II

E t , c r e d o , P. R u l l u s - is e n i m sic se gerit ut sibi iam


xvir d e s i g n a t u s esse v i d e a t u r - ad earn a u c t i o n e m potis-
simurn p r o f i c i s c e t u r ! Is v i d e l i c e t , a n t e q u a m veniat in
P o n t u m , litteras ad C n . P o m p e i u m m i t t e t , q u a r u m e g o
iam exemplum ab istis compositum esse arbitror:
P . SERVILIUS RULLUS TRIBUNUS PLEBIS XVIR S . D . CN.
POMPEIO CN. F . N o n c r e d o a s c r i p t u r u m esse MAGNO,
n o n e n i m v i d e t u r id q u o d i m m i n u e r e lege conatur
concessurus verbo. Т Е VOLO CURARE UT MIHI S I N O P A E

PRAESTO S I S AUXILIUMQUE ADDUCAS, DUM EOS AGROS


QUOS TU T U O LABORE C E P I S T I EGO MEA L E G E V E N D A M . A n
Pompeium non a d h i b e b i t ? in eius p r o v i n c i a vendet
m a n u b i a s i m p e r a t o r i s ? P o n i t e a n t e o c u l o s vobis R u l l u m
in P o n t o i n t e r n o s t r a a t q u e h o s t i u m c a s t r a hasta posita
c u m suis f o r m o s i s f i n i t o r i b u s a u c t i o n a n t e m .

N e q u e in h o c s o l u m inest c o n t u m e l i a , q u a e v e h e -
m e n t e r et insignis est et n o v a , ut ulla res parta b e l l o
n o n d u m l e g i b u s datis e t i a m t u m i m p e r a t o r e bellum
a d m i n i s t r a n t e non m o d o v e n i e r i t v e r u m locata sit. P l u s
s p e c t a n t h o m i n e s c e r t e q u a m c o n t u m e l i a m ; s p e r a n t , si
c o n c e s s u m sit i n i m i c i s C n . P o m p c i c u m i m p e r i o , c u m
iudicio o m n i u m r e r u m , c u m infinita p o t e s t a t e , cum
i n n u m e r a b i l i p e c u n i a non s o l u m illis in locis vagari
v e r u m e t i a m ad ipsius e x e r c i t u m p e r v e n i r e , aliquid illi
i n s i d i a r u m f i e r i , aliquid d e eius e x e r c i t u , c o p i i s , gloria
d e t r a h i posse. P u t a n t , si q u a m s p e m in C n . Pompeio
I'BFR DAS SIF.OLERGF.SF.TZ II 281

Und P. Rullus, möchte ich meinen (er führt sich ja gerade


so auf, als glaubte er, bereits in den Zehnerausschuß gewählt
zu sein), wird sich vor allem zu dieser Versteigerung einfin-
den! Gewiß wird er, bevor er nach Pontos kommt, dem Cn.
Pompeius einen Brief senden; ich vermute, die Leute haben
den Entwurf schon abgefaßt: «P.Servilius Rullus, Volkstri-
bun und Mitglied des Zehnerausschusses, grüßt Cn. Pom-
peius, den Sohn des Gnaeus.» Ich glaube nicht, daß er «den
Großen"» hinzufugen wird; denn es sieht nicht so aus, als
wolle er in Worten zugestehen, was er durch sein Gesetz zu
verkleinern trachtet. «Ich ersuche dich, Sorge zu tragen, daß
du mir in Sinope70 zur Hand bist und Hilfskräfte bereitstellst,
während ich auf Grund meines Gesetzes die Ländereien ver-
kaufe, die du durch deine Bemühungen erworben hast.» Oder
wird er Pompeius nicht hinzuziehen? Wird er die Beute des
Feldherrn in dessen eigener Provinz verkaufen? Stellt euch
vor, wie Rullus in Pontos zwischen unserem und dem feind-
lichen Lager den Stab aufpflanzt und gemeinsam mit seinen
schmucken Vermessungsgehilfen zum Bieten auffordert 71 !
Hierin liegt nicht nur eine Herabsetzung, und die ist schon
ganz unerhört und neuartig: daß man überhaupt einen Kriegs-
ertrag nicht verkauft, sondern auch nur öffentlich ausbietet,
während r.och keine Provinzgesetze erlassen sind und der
Oberbefehlshaber noch die Kriegshandlungen leitet. Die Leute
haben es gewiß auf mehr abgesehen als auf eine Herabsetzung;
wenn es den Feinden des Cn. Pompeius erlaubt sei, mit Be-
fehlsgewalt, mit der Gerichtsbarkeit über alle Angelegenhei-
ten, mit unbegrenzten Befugnissen, mit einer unermeßlichen
Summe Geldes jene Gebiete zu bereisen und sogar sein Heer
aufzusuchen, dann, rechnen sie, werde man ihm eine Falle
stellen, werde man sein Heer, seine Mittel, seinen Ruhm
etwas beschneiden können. Sie glauben, wenn das Heer von
Cn.Pompeius Ackerland oder andere Vorteile erwarte, so
282 DE L E G E AGRARIA II

exercitus habeat aut agrorum aut aliorum commo-


dorum, hanc non habiturum. cum viderit earum rerum
omnium potestatem ad w i r o s esse translatam. Patior
non moleste tarn stultos esse qui haec sperent, tarn
impudentis qui conentur; illud queror, tarn me ab eis
esse contemptum ut haec portenta me consule potissi-
mum cogitarent.
Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis
p e r m i t t i t u r x v i r i s ut v e n d a n t QUIBUSCUMQUE IN LOCIS.
О perturbatam rationem, о libidincm effrenatam, о
consilia dissoluta atque perdita! \ ectigalia locare nus-
quam licet nisi in hac urbe, hoc ex loco, hac vestrum
frequentia. Venire nostras res proprias et in perpetuum
a nobis abalienari in Paphlagoniae tenebris atque in
Cappadociae solitudine licebit? L. Sulla cum bona in-
demnatorum civium funesta ilia auctione sua venderet
et se praedam suam diceret vendere, tarnen ex hoc loco
vendidit nec, quorum oculos offendebat, eorum ip-
sorum conspectum fugere ausus est; xviri vestra vecti-
galia non modo non vobis, Quirites, arbitris sed ne
praecone quidem publico teste vcndcntr

Sequitur OMNIS AGROS EXTRA ITALIAM infinito ex

tempore, non, ut antea, ab Sulla et Pompeio consuli-


bus. Cognitio xvirum, privatus sit an publicus; eique
agro pergrande vectigal imponitur. Hoc quantum judi-
cium, quam intolerandum, quam regium sit, quem
praeterit, posse quibuscumque locis velint nulla discep-
tatione, nullo consilio privata publicare, publica libe-
rare? Excipitur hoc capite ager in Sicilia Recentoricus;
quem ego excipi et propter hominum necessitudinem et
ÜBER DAS S 1 F D L F R G E S E T Z II

werde es diese Hoffnung aufgeben, sobald es bemerke, daß


die Verfügungsgewalt über alle diese Dinge auf die Zehnmän-
ner übergegangen ist. Ich nehme es nicht übel, daß sie so
töricht sind, hierauf zu rechnen, so unverschämt, dies ins
Werk zu setzen; doch darüber beschwere ich mich: sie haben
mich so gering eingeschätzt, daß sie für diese Ungeheuerlich-
keiten gerade mein Konsulat ausersahen.
Und beim Verkauf aller dieser Grundstücke und Gebäude
ist es den Zehnmännern gestattet, «an beliebigen Orten» zu
verkaufen. Welche Verwirrung der Vernunft, welch hem-
mungslose Willkür, was für freche und verwerfliche Anschlä-
ge! Die Steuern dürfen nur in dieser Stadt, an dieser Stelle,
hier vor eurem Andrang verpachtet werden. Da soll es erlaubt
sein, daß man unser Eigentum in den Schlupfwinkeln Paphla-
goniens und in der Einsamkeit Kappadokiens verkauft und
auf immer unserer Verfügung entzieht? Als L.Sulla in seiner
unheilvollen Versteigerung das Hab und Gut nicht verurteil-
ter Bürger 72 verkaufte und erklärte, er verkaufe seine Beute,
da hat er gleichwohl an dieser Stelle verkauft und nicht ge-
wagt, sich dem Anblick eben derer zu entziehen, deren Augen
er beleidigte; doch die Zehnmänner werden eure Steuerein-
künfte verkaufen, ohne daß ihr, Quiriten, zusehen könnt oder
auch nur ein öffentlicher Ausrufer Zeuge ist?
Es folgen die Worte «alles Land außerhalb Italiens», ohne
zeitliche Beschränkung, nicht, wie vorher, vom Konsulat des
Sulla und Pompeius an. Die Zehnmänner entscheiden, ob ein
Grundstück privat oder staatlich sei, und dem staatlichen
Grund wird eine sehr hohe Steuer auferlegt. Wer sieht nicht,
was das für eine Entscheidung ist, wie unerträglich, wie tyran-
nisch: daß sie, wo sie wollen, ohne Verhandlung, ohne Beirat
privaten Grund verstaatlichen, staatlichen Grund für abga-
benfrei erklären können? Dieses Kapitel nimmt die recento-
rische Mark auf Sizilien aus; ich selbst freue mich über diese
284 D E L E G E A G R A R I A 11

propter rei aequitatem, Quirites, ipse vehementer gau-


deo. Sed quae est haec impudentia! Q u i agrum Recen-
toricum possident, vetustate possessionis se, non iure,
misericordia senatus, non agri condicione d e f e n d u n t .
N a m ilium agrum publicum esse f a t e n t u r ; se moveri
possessionibus, antiquissimis sedibus, ac dis penatibus
negant oportere. Ac, si est privatus ager Recentoricus,
quid e u m excipis? sin autem publicus, quae est ista
aequitas ceteros, etiam si privati sint, p e r m i t t e r e ut
publici iudicentur, hunc excipere n o m i n a t i m qui publi-
cum se esse fateatur? Ergo eorum ager excipitur qui
apud Rullum aliqua ratione valuerunt, ceteri agri o m -
nes qui u b i q u e sunt sine ullo dilectu, sine populi Ro-
mani notione, sine iudicio senatus xviris addicentur?

A t q u e etiam est alia superiore capite q u o omnia


veneunt quaestuosa exceptio, quae teget eos agros de
quibus foedere cautum est. Audivit hanc rem non a me,
sed ab aliis agitari saepe in senatu, non n u m q u a m ex hoc
loco, possidere agros in ora maritima regem H i e m p s a -
lem quos P. Africanus p o p u l o R o m a n o adiudicarit; ei
tarnen postea per C. C o t t a m consulem c a u t u m esse
foedere. H o c quia vos foedus non iusseritis, veretur
Hiempsal ut satis f i r m u m sit et r a t u m . Cuicuimodi est
illud, tollitur vestrum iudicium, foedus t o t u m aeeipi-
ÜBER DAS S I F D L F R G F S F T Z II

Ausnahme sehr, Quinten, wegen meiner guten Beziehungen


zu den Einwohnern und um der Gerechtigkeit willen". Doch
was ist das für eine Unverschämtheit! Die Besitzer der recen-
torischen Mark stützen sich auf das Alter ihres Besitzes, nicht
auf einen Rechtsanspruch, auf das Entgegenkommen des Se-
nates, nicht auf die gesetzlichen Merkmale des Landes. Denn
sie geben zu, daß dieses Land dem Staate gehört; sie bestreiten
jedoch, daß man sie aus ihren Besitzungen, ihrer alteinge-
stammten Heimat, und von Haus und Hof vertreiben dürfe.
Und wenn die recentorische Mark Privateigentum ist, wes-
halb nimmt man sie dann aus? Wenn sie hingegen dem Staate
gehört, was ist das für eine Gerechtigkeit! Bei den übrigen
Landgebieten gestattet man, sie für staatlich zu erklären,
auch wenn sie Privateigentum sind, dieses aber nimmt man
namentlich aus, obwohl zugegeben wird, daß es staatlich sei!
Man nimmt also deren Land aus, die aus irgendeinem Grunde
auf Rullus Einfluß nehmen konnten, doch alle übrigen Ge-
biete, wo immer sie liegen, sollen ohne jeden Unterschied,
ohne Kenntnis des römischen Volkes, ohne den Beschluß des
Senates den Zehnmännern überantwortet werden?
Und das vorausgehende Kapitel, worin alles zum Verkauf
ausgeboten wird, enthält noch eine andere gewinnbringende
Ausnahme; sie schützt die Besitzungen, die durch einen Bünd-
nisvertrag zugesichert sind. Ihm kam zu Ohren, daß diese An-
gelegenheit zwar nicht von mir, aber von anderen oft im Se-
nat, bisweilen an dieser Stelle erörtert worden ist: König
Hiempsal besitze an der Seeküste Ländereien, die P. Africanus
dem römischen Volk zugesprochen habe; gleichwohl habe
später der Konsul C. Cotta dem König in einem Bündnisver-
trage Zusicherungen gemacht. Weil ihr diesen Vertrag nicht
bestätigt habt, furchtet Hiempsal, daß er ihm keine hinläng-
liche Gewähr und Sicherheit biete 74 . Wie dem auch sei, man
setzt sich über eure Entscheidung hinweg; der ganze Vertrag
DE L E G E A G R A R I A II

tur, comprobatur. Q u o d minuit auctionem xviralem


laudo, quod regi amico cavet non reprehendo, quod
non gratis fit indico. Yolitat enim ante oculos istorum 59
Iuba, regis filius, adulescens non minus bene numma-
tus quam bene capillatus.

V ix iam videtur locus esse qui tantos acervos pecu-


niae capiat; äuget, addit, accumulat. AURUM, ARGEN-
T U M EX P R A E D A , EX M A N U B I I S , EX CORONARIO AD QUOS-

CUMQUE PERVENIT NEQUE RELATUM EST IN PUBLICUM

N E Q U E IN M O N U M E N T O C O N S U M P T U M , i d p r o f i t e r i apud

xviros et ad eos referri iubet. Hoc capite etiam quaestio-


nem de clarissimis viris qui populi Romani bella gesse-
runt, iudiciumque de pecuniis repetundis ad xviros
translatum videtis. H o r u m crit nullum iudicium quan-
tae cuiusque manubiae fuerint, quid relatum, quid
residuum sit; in posterum vero lex haec imperatoribus
vestris constituitur; ut, quicumque de provincia deces-
serit, apud eosdem xviros quantum habeat praedae.
m a n u b i a r u m , auri coronarii, profiteatur.

H i c tarnen vir optimus eum quem amat cxcipit, C n . 6u


Pompeium. U n d e iste amor tarn improvisus ac tarn
repentinus? Qui honore xviratus excluditur prope no-
minatim, cuius iudicium legumque datio, captorum
agrorum ipsius virtute cognitio tollitur, cuius non in
provinciam, sed in ipsa castra xviri cum imperio, infi-
nite pecunia, maxima potestate et iudicio rerum om-
ÜBFR DAS S 1 F D L E R G F S F . T Z II

wird gutgeheißen und gebilligt. Daß Rullus den Verkauf der


Zehnmänner einschränkt, lobe ich; daß er für einen befreun-
deten König sorgt, tadle ich nicht; daß dies nicht unentgelt-
lich geschieht, gebe ich hiermit bekannt. Denn vor den Augen
dieser Leute tummelt sich Iuba, des Königs Sohn, ein junger
Mann, der nicht weniger gut mit Kleingeld versehen ist als
mit Haaren.
Man möchte glauben, daß es kaum einen Platz mehr gibt,
der solche Haufen Geldes zu fassen vermag; Rullus mehrt,
steigert, vervielfacht. «Das Gold, das Silber, das ein jeder aus
der Beute, aus den Kriegserträgnissen, aus der Ehrenabgabe
erlangt hat und das nicht an die Staatskasse abgeführt noch
für ein öffentliches Bauwerk verwendet worden ist», das soll
man, verordnet Rullus, den Zehnmännern anzeigen und bei
ihnen abliefern. Wie ihr seht, überträgt dieses Kapitel dem
Zehnerausschuß die Prüfung der erlauchten Männer, die die
Kriege des römischen Volkes geführt haben, und die Ent-
scheidung über Erpressungen' 5 . Der Ausschuß jedoch wird
gewiß nicht entscheiden, wie hoch die einstigen Kriegsein-
nahmen eines jeden waren, was abgeliefert, was rückständig
ist 76 . In Zukunft aber gilt für eure Oberbefehlshaber folgende
Vorschrift: wer die Provinz verläßt, der solle demselben Zeh-
nerausschuß anzeigen, wieviel er an Beute, Kriegserträgnissen
und Ehrengold besitzt.
Doch hier nimmt der treffliche Mann den aus, den er hoch-
schätzt : Cn. Pompeius. Woher diese Hochschätzung, so unver-
mutet und so unvermittelt? Man versagt ihm fast namentlich
die Würde des Zehnmänneramtes, man hebt seine Gerichts-
barkeit und Gesetzgebungsbefugnis sowie die Entscheidung
über die Gebiete auf, die seine Tüchtigkeit errungen hat; man
entsendet nicht in seine Provinz, sondern unmittelbar in sein
Heerlager die Zehnmänner, die mit Befehlsgewalt, unbegrenz-
ten Geldmitteln, größten Befugnissen und der Gerichtsbar-
288 D E L E G F. A G R A R I A II

nium mittuntur, cui ius imperatorium. quod semper


omnibus imperatoribus est conservatum, soli eripitur,
is excipitur unus ne manubias referre iubeatur? Utrum
tandem hoc capite bonos haberi homini. an invidia
quaeri videtur?

Remittit hoc Rullo C n . Pompeius; beneficio isto 61


legis, benignitate xvirali nihil utitur. Nam si est
aequum praedam ac manubias suas imperatores non in
monumenta deorum immortalium neque in urbis orna-
menta conferre, sed ad xviros tamquam ad dominos
reportare, nihil sibi appetit praecipui Pompeius, nihil;
volt se in c o m m u n i atque in eodem quo ceteri iure
versari. S i n est i n i q u u m , Quirites, si turpe, si intole-
randum hos xviros portitores omnibus o m n i u m pecu-
niis constitui, qui non m o d o reges atque exterarum
nationum homines sed etiam imperatores vestros excu-
tiant, non mihi videntur honoris causa excipere Pom-
p e i u m , sed metuere ne ille eandem contumeliam quam
ceteri ferre non possit. Pompeius autem c u m hoc animo 62
sit ut, quidquid vobis placeat, sibi ferendum putet,
quod vos ferre non poteritis, id profecto perficict nc
diutius inviti ferre cogamini. Verum tarnen cavet ut, si
qua pecunia post nos consulcs cx novis vectigalibus
recipiatur, ea xviri utantur. N o v a porro vectigalia videt
ea fore quae Pompeius adiunxerit. Ita remissis manu-
biis vectigalibus eius virtute partis se frui putat opor-
tere.
ÜBFR DAS SIF.DLF-RGF.SFTZ II 289

keit über alle Angelegenheiten versehen sind; man entreißt


ihm allein das Recht der Befehlsgewalt, das man bei allen Ober-
befehlshabern stets beachtet hat, und dann nimmt man ihn als
einzigen aus und befreit ihn von der Pflicht, die Kriegserträg-
nisse abzuliefern? Wie stellt sich dieses Kapitel denn dar: soll
es dem Manne Ehre erweisen oder Mißgunst verschaffen?
Doch Cn.Pompeius erläßt dem Rullus diese Gunst; er
macht von der Wohltat des Gesetzes, von der Großzügigkeit
der Zehnmänner keinen Gebrauch. Denn wenn es recht ist,
daß die Feldherren ihre Beute und ihre Kriegseinnahmen nicht
für Gebäude der unsterblichen Götter noch zum Schmucke
der Stadt verwenden, sondern bei den Zehnmännern wie bei
ihren Gebietern abliefern, dann verlangt Pompeius keine Ver-
günstigung für sich, keine; er will dem allgemeinen Recht
unterstehen und demselben, das auch für die anderen gilt.
Doch wenn es unrecht, wenn es schändlich, wenn es uner-
träglich ist, Quiriten, daß die Zehnmänner als Einziehungs-
behörde für alle Geldmittel aller niedergesetzt werden und
sie nicht nur Könige und Angehörige auswärtiger Völker, son-
dern auch eure Feldherren prüfen sollen, dann, scheint mir,
nimmt man Pompeius nicht ehrenhalber aus; man befürchtet
vielmehr, daß er die Schande nicht ebenso, wie die anderen,
hinzunehmen vermöge. Pompeius aber ist einerseits so ge-
sonnen, daß er hinnehmen zu müssen glaubt, was ihr gut-
heißt; andererseits wird er gewiß durchsetzen, daß man euch
nicht länger nötigt, wider euren Willen hinzunehmen, was
ihr nicht hinnehmen könnt. Rullus indessen ordnet an, das
Geld, das nach unserem Konsulat durch neue Steuern aufge-
bracht werde, solle den Zehnmännern zur Verfügung stehen.
Er sieht nun aber, daß an neuen Steuern nur die in Betracht
kommen, die Pompeius erschlossen hat. So erläßt er ihm zwar
die Kriegseinnahmen, glaubt jedoch, sich die Steuern aneignen
zu sollen, die Pompeius durch seine Tüchtigkeit beschafft hat.
290 DF LF.GE AGRARIA [I

Parta sit pecunia. Quirites, xviris tanta quanta sit in


terris, nihil praetermissum sit, omnes urbes, agri, re-
gna denique, postremo etiam vectigalia vestra venierint,
accesserint in c u m u l u m manubiae vestrorum impera-
torum; quantae et q u a m immanes divitiae xviris in
tantis auctionibus, tot iudiciis, tam infinita potestate
rerum o m n i u m quaerantur videtis. Cognoscite nunc 63
alios immensos atque intolerabilis quaestus, ut intelle-
gatis ad certorum h o m i n u m importunam avaritiam hoc
populäre legis agrariae nomen esse quaesitum.

Н а с pecunia iubet agros emi quo deducamini. N o n


consuevi homines appellare asperius, Quirites, nisi la-
cessitus. Vellern fieri posset ut a me sine contumelia
nominarentur ei qui se xviros sperant f u t u r e s ; iam
videretis quibus hominibus omnium rerum et venden-
darum et emendarum potestatem permitteretis. Sed 64
quod ego nondum statuo mihi esse d i c e n d u m , vos
tamen id potestis cum animis vcstris cogitare; u n u m hoc
certe videor mihi verissime posse dicere: tum cum
haberet haec res publica L u s c i n o s , Calatinos, A c i d i n o s ,
homines non solum honoribus populi rebusque gestis
verum etiam patientia paupertatis ornatos, et tum cum
erant Catones, Phili, Laelii, q u o r u m sapientiam tem-
perantiamque in publicis privatisque, forensibus do-
mesticisque rebus perspexeratis, tamen huiusce modi
res commissa nemini est ut idem iudicaret et venderet et
hoc faceret per q u i n q u e n n i u m toto in orbe terrarum
ÜBER DAS S I F D L F R G F S F T Z II 291

Mögen die Zehnmänner so viel Geld beschlagnahmen, Qui-


nten, als es in der Welt gibt, mag nichts verschont bleiben,
mögen alle Städte, Landgebiete, selbst Königreiche, schließ-
lich auch eure Besteuerungsrechte zu Verkauf stehen und zum
Überfluß noch die Kriegseinnahmen eurer Feldherren hinzu-
kommen ; ihr seht, wie große und was für ungeheure Reich-
tümer die Zehnmänner durch so umfangreiche Versteige-
rungen, so viele Entscheidungen, so unbegrenzte Befugnisse
in allen Angelegenheiten erlangen. Nehmt jetzt weitere uner-
meßliche und unerträgliche Erwerbsquellen zur Kenntnis; ihr
könnt daraus ersehen, daß man sich die volkstümliche Be-
zeichnung «Siedlergesetz» nur für die rücksichtslose Habgier
bestimmter Leute beigelegt hat.
Rullus schreibt vor, man solle mit diesem Geld Land kaufen,
auf dem man euch ansiedeln kann. Ich pflege Leute nicht zu
ihrem Nachteile namentlich anzuführen, Quinten, es sei denn,
man hätte mich herausgefordert. Ich wünschte, ich könnte,
ohne beleidigend zu werden, die nennen, die auf die Mitglied-
schaft im Zehnerausschuß hoffen; ihr würdet sofort sehen,
was für Leuten ihr eine allgemeine Vollmacht, zu verkaufen
und zu kaufen, einräumt. Doch was ich, wie ich glaube, noch
nicht sagen darf, das könnt ihr euch trotzdem selber denken;
doch dies eine, möchte ich meinen, kann ich gewiß mit größ-
tem Recht behaupten: einst standen unserem Staat Männer
wie Luscinus, Calatinus, Acidinus zur Verfügung, die sich
nicht nur durch Gunsterweise des Volkes und Leistungen,
sondern auch durch die Zufriedenheit mit ihrer Armut aus-
zeichneten, und einst gab es Männer wie Cato, Philus, Lae-
lius, deren Klugheit und Mäßigung ihr bei staatlichen und
privaten, bei auswärtigen und einheimischen Angelegenheiten
erkannt hattet 7 7 ; trotzdem hat man damals niemandem so
etwas anvertraut: daß ein und derselbe Mann Richter sein
und verkaufen dürfe, und dies fiir f ü n f j a h r e im gesamten Erd-
292 D E L E G E A G R A R I A II

idemque agros vectigalis populi Romani abalienaret et,


cum summam tantae pecuniae nullo teste sibi ipse ex
sua voluntate fecisset, tum denique emeret a quibus
vellet quod videretur. Committite vos nunc, Quirites, 65
his hominibus haec omnia quos odorari hunc w i r a t u m
suspicamini; reperietis partem esse eorum quibus ad
habendum, partem quibus ad consumendum nihil satis
esse videatur.

H i e ego iam illud quod expeditissimum est ne dis-


puto quidem, Quirites, non esse hanc nobis a maioribus
relictam consuetudinem ut emantur agri a privatis quo
plebes publice deducatur; omnibus legibus agris publi-
cis privatos esse deductos. Huiusce modi me aliquid ab
hoc horrido ac truce tribuno plebis exspectasse confi-
teor; hanc vero emendi et vendendi quaestuosissimam
ac turpissimam mercaturam alienam actione tribunicia,
alienam dignitate populi Romani semper putavi.

Iubet agros emi. Primum quaero quos agros et quibus 66


in locis? N o l o suspensam et incertam plebem R o m a n a m
obscura spe et caeca exspectatione pendere. A l b a n u s
ager est, Setinus, Privernas, Fundanus, Y e s c i n u s , Fa-
lernus, Literninus, C u m a n u s , Nucerinus. Audio. A b
alia porta Capenas, Faliscus, Sabinus ager, Reatinus;
ab alia Venafranus, A l l i f a n u s , Trebulanus. H a b e s tan-
tam pecuniam qua hosce omnis agros et ceteros horum
similis non modo emere verum ctiam coacervare possis;
cur eos non definis neque nominas, ut saltem deliberare
plebes Romana possit quid intersit sua, quid expediat.
Ü B E R D A S S I E D L F . R G E S E T Z II 2
93

kreis, und daß derselbe Mann die abgabepflichtigen Landge-


biete des römischen Volkes veräußern und, sobald er sich
selbst ohne Zeugen und nach eigenem Belieben eine so große
Summe Geldes verschafft habe, dann erst kaufen solle, von
wem er wolle und was ihm gut dünke. Vertraut jetzt alles
dies den Leuten an, Quinten, von denen ihr vermutet, daß
sie auf den Zehnerausschuß erpicht sind; ihr werdet feststel-
len, daß ihnen teils kein Besitz, teils kein Aufwand groß ge-
nug dünkt.
An dieser Stelle möchte ich jetzt nicht einmal das erörtern,
was ganz und gar auf der Hand liegt, Quiriten; daß uns die
Vorfahren nicht die Gewohnheit hinterlassen haben, von Pri-
vatleuten Land zu kaufen, um dort von Staats wegen Bürger
anzusiedeln; daß allen Gesetzen zufolge Privatleute von Staats-
land entfernt worden sind. Ich muß sagen, daß ich etwas Der-
artiges von unserem ungehobelten und trotzigen Volkstribun
erwartet habe; doch diesen äußerst profitlichen und schänd-
lichen Handel durch Kauf und Verkauf hielt ich stets für un-
verträglich mit der Tätigkeit eines Tribunen, für unverträg-
lich mit der Würde des römischen Volkes.
Rullus befiehlt, Land zu kaufen. Ich frage zuerst: welches
Land und in welchen Gegenden? Ich wünsche nicht, daß das
römische Volk schwankend und unsicher in trüber Hoffnung
und dumpfer Erwartung schwebt. Es gibt die Mark von Alba,
Setia, Privernum, Fundi, Vescia, die falernische, liternische,
cumanische, nucerische. Das ließe sich hören. Von einem an-
deren Tor aus erreicht man die capenatische, faliskische, sa-
binische, reatinische Mark, wieder von einem anderen aus die
venafranische, allifanische, trebulanische7®. Du hast so viel
Geld, daß du alle diese Landgebiete und weitere, ihnen ähn-
liche, nicht nur kaufen, sondern sogar aufhäufen könntest;
warum bestimmst und nennst du sie nicht, damit das römi-
sche Volk wenigstens abwägen kann, was ihm die Sache ein-
-94 DF L F G F AGRARIA Π

q u a n t u m t i b i in e m e n d i s et in v e n d e n d i s r e b u s c o m m i t -
t e n d u m putetr " D e f i n i o " , inquit, " I t a l i a m . " Satis certa
regio. Etenim quantulum interest u t r u m in Massici
r a d i c e s , a n in S i l a m s i l v a m d e d u c a m i n i ?

Age, nondefinis locum; quid? naturamagri? "Yero." 67


i n q u i t , "QUI ARARI A L T COLI POSSIT." " Q u i p o s s i t a r a r i " ,
i n q u i t , " a u t c o l i " , non q u i aratus aut c u l t u s sit. U t r u m
h a e c l e x e s t , an t a b u l a Yeratianac auctionis? in q u a
s c r i p t u m f u i s s e a i u n t : IUGF.RA CC IN QUIBUS OLIVETLM
F I E R I P O T E S T , I U G E R A C C C UBI I N S T I T U I V I N E A E P O S S U N T .
H o c tu e m e s ista i n n u m e r a b i l i p e c u n i a q u o d a r a r i aut
c o l i p o s s i t ? Q u o d s o l u m t a m e x i l e et m a c r u m est q u o d
a r a t r o p e r s t r i n g i non p o s s i t , aut q u o d est tam a s p e r u m
s a x e t u m in q u o a g r i c o l a r u m c u l t u s n o n e l a b o r e t ? " I d -
circo". inquit. "agros nominare non possum quia tan-
g a m n u l l u m a b i n v i t o . " H o c , Q u i r i t e s , m u l t o est q u a e s -
t u o s i u s q u a m si a b i n v i t o s u m e r e t ; i n i b i t u r e n i m r a t i o
q u a e s t u s d e v e s t r a p e c u n i a , et t u m d e n i q u e a g e r e m e t u r
c u m i d e m e x p e d i c t e m p t o r i et v e n d i t o r ! .

S e d v i d c t e v i m l e g i s a g r a r i a e . N e ei q u i d e m q u i a g r o s 6«
p u b l i c o s p o s s i d e n t d e c e d e n t d e p o s s e s s i o n e , nisi e r u n r
d e d u c t i o p t i m a c o n d i c i o n e et p e c u n i a m a x i m a . Con-
versa ratio. A n t e a c u m erat a t r i b u n o plebis m e n t i o legis
agrariae facta, continuo qui agros publicos aut qui
possessiones invidiosas tenebant extimescebant; haec
lex eos h o m i n e s fortunis locupletat, invidia liberat.
Q u a m m u l t o s e n i m , Q u i r i t e s , existimatis esse qui lati-
CBFR DAS SI F DL F. RG F-SETZ 11 2
95

bringt, wozu sie dient, wie viel es dir seiner Meinung nach
beim Kauf und Verkauf anvertrauen soll? «Ich bestimme ja
das Gebiet», erklärt Rullus, «Italien.» Die Gegend steht also
hinlänglich fest. Denn was macht es schon aus, ob man euch
am Fuße des Massicus oder im Silawalde 79 ansiedelt?
Gut, du bestimmst den Ort nicht. Wie - etwa die Beschaf-
fenheit des Landes? «Ja», sagt Rullus, «Land, das man pflügen
oder bebauen kann.» «Das man pflügen oder bebauen kann»,
sagt er, und nicht: das gepflügt oder bebaut worden ist. Ist
dies ein Gesetz oder die Anzeige der veratianischen Verstei-
gerung? Dort, heißt es, stand geschrieben: «200 Morgen, in
denen man Ölbaumgärten einrichten, 300 Morgen, wo man
Rebpflanzungen anlegen kann.» Das wirst du für diese Un-
summe Geldes kaufen, was man pflügen oder bebauen kann?
Welcher Boden ist so kümmerlich und mager, daß man ihn
nicht mit dem Pfluge anritzen kann, oder welche Felsenge-
gend so rauh, daß die Wartung der Bauern nicht Mühe darauf
wendet? «Ich kann die Grundstücke deshalb nicht nennen»,
erklärt er, « weil ich keines gegen den Willen des Besitzers an-
rühren will.» Dies ist viel einträglicher, Quinten, als wenn er
es einem Widerstrebenden abnähme; man wird nämlich von
eurem Gelde eine Gewinnrechnung aufmachen, und das Land
wird man erst dann kaufen, wenn derselbe Handel dem Käufer
und dem Verkäufer Vorteil bringt.
Doch beachtet auch die Folgen des Siedlergesetzes. Nicht
einmal die Besitzer von Staatsland werden von ihrem Besitze
weichen, wenn man sie nicht zu günstigen Bedingungen und
für einen sehr hohen Preis zur Abgabe veranlaßt. Verkehrte
Welt! Wenn früher ein Volkstribun von einem Siedlergesetze
sprach, dann erschrak sofort, wer Staatsland oder wer miß-
fällige Besitzungen innehatte; dies Gesetz verschafft derlei
Leuten Wohlstand und befreit sie von dem Mißfallen. Denn
was glaubt ihr, Quiriten, wie viele ihre ausgedehnten Besit-
296 DF L E G F A G R A R I A II

tudinem possessionum tueri. qui invidiam Sullanorum


agrorum ferre non possint, qui vendere cupiant, empto-
rem non reperiant, perdere iam denique illos agros
ratione aliqua vclint? Q u i paulo ante diem noctemque
tribunicium nomen horrebant, vestram vim metue-
bant. mentionem legis agrariae pertimescebant, ei nunc
etiam ultro rogabuntur atque orabuntur ut agros partim
publicos, partim plenos invidiae, plenos periculi quanti
ipsi velint xviris tradant.

A t q u e hoc carmen hie tribunus plebis non vobis, sed


sibi intus canit. H a b e t socerum, virum optimum, qui 69
tantum agri in illis rei publicae tenebris occupavit
q u a n t u m concupivit. H u i c subvenire volt succumbenti
iam et oppresso, Sullanis oneribus g r a v i , sua lege, ut
liceat illi invidiam deponere, pecuniam condere. Et vos
non dubitatis quin vectigalia vestra vendatis plurimo
maiorum vestrorum sanguine et sudore quaesita, ut
Sullanos possessores divitiis augeatis, periculo libere-
tisr

Nam ad hanc emptionem xviralem d u o genera 70


agrorum spectant, Quirites. E o r u m u n u m propter invi-
diam domini f u g i u n t , alterum propter vastitatem. S u l -
lanus ager a ccrtis hominibus latissime continuatus
tantam habet invidiam ut veri ac fortis tribuni plebis
stridorem u n u m perferre non possit. H i e ager omnis,
q u o q u o pretio coemptus erit, tamen ingenti pecunia
nobis inducetur. A l t e r u m genus agrorum propter steri-
2
OBER DAS S I F D L E R G F . S F . T Z II 97

zungen nicht unterhalten, wie viele das Mißfallen, das die


sullanischen Güter verursachen, nicht ertragen können, wie
viele zu verkaufen wünschen, keinen Käufer finden, ja sich
dieses Landes sogar auf jede beliebige Weise entledigen möch-
ten? Vor kurzem noch zitterten sie Tag und Nacht vor dem
Amt des Tribunen, fürchteten sie sich vor eurer Macht, er-
schraken sie, wenn von einem Siedlergesetz die Rede war, und
die will man jetzt ohne Not sogar auffordern und bitten, sie
möchten ihr Land, das teils staatlich, teils dem Mißfallen aus-
gesetzt und mit Risiken belastet ist, zu dem von ihnen ge-
wünschten Preise den Zehnmännern übergeben.
Und dieses Lied singt unser Volkstribun nicht euch, son-
dern allein sich selber vor*0. Er hat einen Schwiegervater*';
der ist ein grundanständiger Mann, der in jenen finsteren
Zeiten unseres Staates so viel Land in Besitz genommen hat,
wie er sich nur wünschte. Diesem Manne, der schon am Bo-
den liegt und vom Gewicht der sullanischen Last erdrückt
wird, will Rullus mit seinem Gesetz zu Hilfe kommen: ihm
soll erlaubt sein, den Anfeindungen zu entgehen und Geld da-
für einzustecken. Und da tragt ihr keine Bedenken, eure
Steuereinnahmen zu verkaufen, die eure Vorfahren mit sehr
viel Blut und Schweiß erworben haben - damit ihr die sulla-
nischen Besitzer mit Reichtümern mästet und von der Bedro-
hung befreit?
Denn auf diesen Kauf durch die Zehnmänner warten zwei
Sorten von Landgütern, Quiriten. Die eine wird von den Be-
sitzern wegen der Anfeindungen, die andere wegen des ver-
ödeten Zustandes verlassen. Das sullanische Land, von be-
stimmten Leuten zu riesigen Flächen ausgedehnt, hat solchen
Haß hervorgerufen, daß es kein einziges Fauchen eines echten
und entschlossenen Volkstribunen auszuhalten vermag. Die-
ses ganze Land mag noch so billig erworben sein; man wird
es uns trotzdem für ungeheure Summen verschaffen. Die an-
298 DE L F G F AGRARIA II

litatem i n c u l t u m , p r o p t e r p c s t i l e n t i a m vastum a t q u e
d e s e r t u m e m e t u r ab eis qui eos vident sibi esse, si non
v e n d i d e r i n t , r e l i n q u e n d o s . E t n i m i r u m id est q u o d a b
hoc t r i b u n o p l e b i s d i c t u m est in s e n a t u , u r b a n u m ple-
b e m n i m i u m in re publica posse; e x h a u r i e n d a m esse;
h o c e n i m v e r b o est usus, quasi de aliqua sentina ac non
d e o p t i m o r u m c i v i u m genere loqueretur.

Vos v e r o , Q u i r i t e s , si m e audire voltis, retinete i s t a m 71


p o s s e s s i o n e m gratiae, libertatis, s u f f r a g i o r u m , d i g n i t a -
tis, u r b i s , fori, l u d o r u m , f e s t o r u m d i e r u m , c e t e r o r u m
o m n i u m c o m m o d o r u m , nisi forte mavoltis relictis his
r e b u s a t q u e h a c luce rei p u b l i c a e in S i p o n t i n a s i c c i t a t e
aut in S a l p i n o r u m plenis pestilentiae f i n i b u s R u l l o d u c e
c o n l o c a r i . A u t dicat q u o s agros e m p t u r u s sit; o s t e n d a t
et q u i d et q u i b u s d a t u r u s sit. U t vero, c u m o m n i s u r b i s ,
agros, vectigalia, regna v e n d i d e r i t , t u m h a r e n a m ali-
q u a m aut paludes e m a t , id vos potestis, q u a e s o , c o n c e -
d e r e ? Q u a m q u a m illud est e g r e g i u m q u o d hac lege a n t e
o m n i a v e n e u n t , ante p e c u n i a e c o g u n t u r et c o a c e r v a n t u r
q u a m g l e b a una e m a t u r . D e i n d e emi iubet, ab i n v i t o
vetat. Q u a e r o , si qui velint vendere non f u e r i n t , q u i d 72
p e c u n i a e fict? R e f e r r e in a e r a r i u m lex vetat, exigi p r o h i -
b e t . I g i t u r p e c u n i a m о т л е т xviri t e n e b u n t , vobis ager
non e m e t u r ; v e c t i g a l i b u s abalienatis, soeiis vexatis, re-
g i b u s a t q u e o m n i b u s g e n t i b u s exinanitis illi p e c u n i a s
h a b e b u n t , vos agros non h a b e b i t i s . " F a c i l e " , inquit,
ÜBER DAS S I E D L E R G E S E T Z II 299

dere Sorte von Landgütern ist wegen ihrer Unfruchtbarkeit


verwildert, wegen der ungesunden Lage wüst und verlassen;
man wird sie Leuten abkaufen, denen klar ist, daß sie sie auf-
geben müssen, wenn kein Verkauf zustande kommt. Und ge-
wiß, das hat dieser Volkstribun gemeint, als er im Senat er-
klärte, das Stadtvolk sei im Staate allzu mächtig; man müsse
es abschöpfen. Diesen Ausdruck hat er nämlich gebraucht, als
ob er von irgendwelchem Schiffswasser und nicht von einer
Schicht ehrenwerter Bürger redete.
Doch ihr, Quinten, wenn ihr auf mich hören wollt, haltet
fest an dem, was ihr habt: an dem Einfluß, der Freiheit, dem
Stimmrecht, der Geltung, an der Stadt, dem Forum, den Spie-
len, den Festtagen und all den übrigen Vorteilen, es sei denn,
ihr wollt diese Dinge und den Glanz unseres Gemeinwesens
preisgeben und euch unter der Führung des Rullus in der
sipontinischen Dürre oder der verderblichen Stickluft des Sal-
pinergebietes ansiedeln lassen*2. Oder er soll sagen, welches
Land er kaufen will; er soll zeigen, was er wem zu geben ge-
denkt. Doch daß er, wenn er alle Städte, Landgebiete, Steuern,
Fürstentümer veräußert hat, dann irgendeine Sandwüste oder
Sümpfe einkauft, könnt ihr das, frage ich, gestatten? Gleich-
wohl, etwas anderes ist hervorragend: nach diesem Gesetz
wird alles veräußert, werden Geldsummen zusammengebracht
und gehortet, ehe man auch nur eine Scholle einkauft. Dann,
heißt es, solle man kaufen, aber nicht mit Zwang. Ich frage:
wenn sich niemand findet, der verkaufen möchte, was ge-
schieht dann mit dem Geld? Das Gesetz verbietet die Ablie-
ferung an die Staatskasse, es unterbindet die Rückzahlung.
Also werden die Zehnmänner das ganze Geld behalten, und
euch wird man kein Land kaufen; man veräußert die Steuern,
sucht die Bundesgenossen heim, plündert die Könige und alle
Völker aus, und sie werden das Geld, doch ihr kein Land ha-
ben. « Man wird die Besitzer durch die Höhe des Preises leicht
D E L E G E A G R A R I A II

" a d d u c e n t u r p e c u n i a e m a g n i t u d i n e ut velint v e n d e r e . "


E r g o ea lex est q u a nostra v e n d a m u s q u a n t i p o s s i m u s ,
aliena e m a m u s quanti p o s s e s s o r e s v e l i n t .

A t q u e in hos agros qui hac lege e m p t i sint c o l o n i a s ab 73


his x v i r i s d e d u c i iubet. Q u i d ? o m n i s n e locus eius m o d i
est ut nihil intersit rei p u b l i c a e , colonia d e d u c a t u r in
e u m l o c u m n e e n e , an est locus qui c o l o n i a m p o s t u l e t ,
est qui p l a n e recuset? Q u o in g e n e r e sicut in c e t e r i s rei
publicae partibus est operae pretium diligentiam
m a i o r u m r e c o r d a r i , qui c o l o n i a s sie idoneis in locis
c o n t r a s u s p i c i o n e m p e r i c u l i c o n l o c a r u n t ut esse n o n
o p p i d a Italiac, sed p r o p u g n a c u l a i m p e r i v i d e r e n t u r . H i
d e d u c e n t colonias in eos a g r o s q u o s e m e r i n t ; e t i a m n e si
rei p u b l i c a e non e x p e d i a t ?

E T IN QUAE LOCA PRAETEREA VIDF.BITUR. Q u i d i g i t u r 74


est c a u s a e q u i n c o l o n i a m in l a n i c u l u m possint d e d u c e r e
et s u u m p r a e s i d i u m in capite a t q u e c e r v i c i b u s n o s t r i s
c o n l o c a r e ? T u non d e f i n i a s q u o t c o l o n i a s , in q u a e l o c a ,
q u o n u m e r o c o l o n o r u m d e d u c i v e l i s , tu o c c u p e s l o c u m
q u e m i d o n e u m ad v i m t u a m i u d i c a r i s , c o m p l e a s n u -
mero, confirmes praesidio quo velis, populi Romani
vectigalibus atque omnibus copiis ipsum p o p u l u m R o -
m a n u m c o e r c e a s . o p p r i m a s , redigas in istam x v i r a l e m
d i c i o n e m ac p o t e s t a t e m ?

U t v e r o totam I t a l i a m suis p r a e s i d i i s o b s i d e r e a t q u e 75
occupare cogitet, quaeso, Quirites, cognoscite. Permit-
tit x v i r i s ut in o m n i a m u n i e i p i a , in o n m i s colonias t o t i u s
Italiac c o l o n o s d e d u c a n t q u o s v e l i n t , e i s q u e c o l o n i s
Ü B E R D A S S I E D L E R G E S E T Z II 301

dazu bringen », wendet Rullus ein, «daß sie bereit sind zu ver-
kaufen.» Also läuft das Gesetz darauf hinaus, daß wir unser
Gut verkaufen, so teuer wir können, und fremdes Gut einkau-
fen, so teuer die Besitzer wollen.
Und in den Gebieten, die man nach diesem Gesetz erworben
hat, sollen die Zehnmänner Kolonien anlegen; so befiehlt Rul-
lus. Wie? Hat jeder Ort die Eigenschaften, daß es für das
Staatswohl gleichgültig ist, ob man dort eine Kolonie anlegt
oder nicht, oder gibt es Orte, die eine Kolonie erfordern, und
andere, die ihr gänzlich widerstreben? Es ist der Mühe wert,
bei dieser Frage ebenso wie in den anderen Bereichen der
Staatsverwaltung über die Umsicht unserer Vorfahren nach-
zudenken; sie haben die Kolonien an geeigneten Stellen gegen
mutmaßliche Gefahren errichtet, so daß sie offenbar nicht ein-
fach Städte Italiens, sondern Bollwerke des Reiches waren.
Die Zehnmänner werden Kolonien in den Gebieten anlegen,
die sie gekauft haben - auch wenn es für den Staat von Nach-
teil ist?
«Und dort, wo man es außerdem für richtig befindet.» Was
hindert sie also, auf dem Ianiculum eine Kolonie anzulegen
und zu unseren Häupten und in unserem Nacken ihre Bastion
zu errichten®3? Du läßt offen, wie viele Kolonien, an welchen
Orten, mit wie vielen Siedlern du anlegen willst, du besetzest
die Stelle, die dir für deine Zwangsherrschaft geeignet scheint,
füllst sie mit einer Mannschaft, sicherst sie mit einer beliebig
großen Besatzung, hältst mit den Steuern und allen Macht-
mitteln des römischen Volkes das römische Volk selbst im
Zaume, unterdrückst es, bringst es in die Botmäßigkeit und
Gewalt der Zehnmänner?
Nehmt bitte zur Kenntnis, Quiriten, wie er sogar ganz Ita-
lien mit seinen Schutztruppen zu besetzen und einzunehmen
beabsichtigt. Er gestattet den Zehnmännern, in allen Land-
städten, in allen Kolonien ganz Italiens wen sie wollen als
DF. LEGF AGRARIA II

agros dari iubet. N u m obscure maiores opes quam


l i b e r t a s vestra pati p o t e s t , et maiora p r a e s i d i a q u a e r u n -
tur, n u m o b s c u r e r e g n u m c o n s t i t u i t u r , n u m o b s c u r e
libertas vestra tollitur? N a m c u m i d e m o m n e m p e c u -
niam, maximam multitudinem obtinebunt, idem totam
Italiam suis o p i b u s o b s i d e b u n t , i d e m v e s t r a m l i b e r t a -
t e m suis praesidiis et c o l o n i i s i n t e r c l u s a m tenebunt.
q u a e spes t a n d e m , q u a e f a c u l t a s r e c u p e r a n d a e v e s t r a e
libertatis r e l i n q u e t u r ?

A t e n i m ager C a m p a n u s hac l e g e d i v i d e t u r o r b i 76
terrae p u l c h e r r i m u s et C a p u a m c o l o n i a d e d u c e t u r , ur-
b e m a m p l i s s i m a m a t q u e o r n a t i s s i m a m . Q u i d ad haec
possumus dicere? D e c o m m o d o prius vestro dicam.
Q u i r i t e s ; d e i n d e ad a m p l i t u d i n e m et d i g n i t a t e m r e v e r -
ter, ut, si q u i s agri aut o p p i d i b o n i t a t e d e l e c t a t u r , ne
q u i d e x s p e c t e t , si q u e m rei i n d i g n i t a s c o m m o v e t , ut
h u i c s i m u l a t a e largitioni resistat. A c p r i m u m d e o p p i d o
d i c a m , si q u i s est f o r t e q u e m C a p u a m a g i s q u a m R o m a
d e l e c t e t . V milia c o l o n o r u m C a p u a m scribi i u b e t ; ad
hunc numerum quingenos sibi singuli sumunt.
Q u a e s o , nolite v o s m e t ipsos c o n s o l a r i ; v e r e et d i l i g e n t e r --
c o n s i d e r a t e . N u m v o b i s aut vestri s i m i l i b u s i n t e g r i s ,
q u i e t i s , otiosis h o m i n i b u s in hoc n u m e r o l o c u m f o r e
putatis? Si est o m n i b u s v o b i s m a i o r i v e v e s t r u m p a r t i ,
q u a m q u a m m e v e s t e r h o n o s vigilare d i e s a t q u e n o c t c s et
intentis oculis o m n i s rei p u b l i c a e p a r t i s intueri i u b e t ,
t a m e n p a u l i s p e r , si ita c o m m o d u m v e s t r u m f e r t , c o n i -
v e b o . S e d si ν h o m i n u m m i l i b u s ad v i m , f a c i n u s c a e -
ÜBFR DAS SIFDLERGESETZ II 3°3

Siedler ansässig zu machen, und befiehlt, diesen Siedlern Land


zu geben. Ist nicht deutlich, daß man sich größere Macht-
mittel, als eure Freiheit vertragen kann, und größere Schutz-
truppen zu verschaffen sucht; ist nicht deutlich, daß man eine
Tyrannei errichtet; ist nicht deutlich, daß man eure Freiheit
beseitigt? Denn wenn dieselben Männer über alles Geld und
eine sehr starke Mannschaft gebieten, dieselben ganz Italien
mit ihrer Macht beherrschen, dieselben mit ihren Besatzungen
und Kolonien eure Freiheit unter Schloß und Riegel halten,
welche Hoffnung bleibt dann noch, welche Aussicht, daß ihr
eure Freiheit wiedererlangt?
Allerdings, diesem Gesetz zufolge wird man die kampani-
sche Mark aufteilen, die schönste auf Erden, und in Capua
eine Kolonie anlegen, in der bedeutendsten und ansehnlich-
sten Stadt. Was können wir hierzu sagen? Ich will zuerst von
eurem Vorteil reden, Quiriten, und mich sodann dem Ge-
sichtspunkt des Glanzes und Ansehens zuwenden; wenn sich
jemand über die Vorzüge des Landes oder der Stadt freut, so
soll er nichts erwarten, wenn jemanden die Unwürdigkeit der
Sache empört, so soll er sich dem Truggeschenk widersetzen.
Und vor anderem will ich von der Stadt sprechen, falls etwa
jemandem Capua besser gefällt als Rom. Rullus befiehlt, 5000
Siedler für Capua einzuschreiben; für diese Anzahl sucht sich
jedes Mitglied 500 Leute aus. Ich bitte euch, versucht nicht,
euch selbst zu beschwichtigen; seht euch die Sache ernstlich
und sorgfältig an. Glaubt ihr etwa, für euch und euresgleichen,
für anständige, ruhige und friedliche Leute, werde sich in die-
ser Zahl ein Platz finden ? Wenn sich einer findet, für euch alle
oder für den größeren Teil von euch, dann mag das von euch
verliehene Amt mir gebieten, Tag und Nacht zu wachen und
mit scharfem Auge auf alle Bereiche des Staates achtzugeben;
ich will trotzdem, wenn euer Vorteil es so verlangt, ein wenig
Nachsicht üben. Doch wenn man 5000 Leute für Gewalt, Fre-
3°4 D E L E G E A G R A R I A II

d e m q u e delectis locus atque urbs quae bellum facere


atque instruere possit quaeritur. tamenne patiemini
vestro nomine contra vos firmari opes, armari praesi-
dia, urbis, agros, copias comparari? N a m agrum qui- 7«
d e m C a m p a n u m q u e m vobis ostentant ipsi concupive-
runt; deducent suos, q u o r u m nomine ipsi teneant et
fruantur; coement praeterea; ista dena iugera continua-
bunt. N a m si dicent per legem id non licere, ne per
Corneliam quidem licet; at videmus, ut longinqua mit-
tamus, agrum Praenestinum a paucis possideri. Neque
istorum pecuniis q u i c q u a m aliud deesse video nisi eius
modi f u n d o s q u o r u m subsidio familiarum magnitudi-
nes et Cumanorum ac Puteolanorum praediorum
sumptus sustentare possint. Q u o d si vestrum com-
m o d u m spectat, veniat et coram mecum de agri C a m -
pani divisione disputet.

Quaesivi cx eo Kalendis Ianuariis quibus hominibus 77


et q u e m ad m o d u m illum agrum esset distributurus.
Respondit a Romilia tribu se initium esse facturum.
P r i m u m quae est ista superbia et contumelia ut populi
pars amputetur, o r d o tribuum neglegatur, ante rusticis
detur ager, qui habent, quam urbanis, quibus ista agri
spes et iucunditas ostenditur? A u t , si hoc ab se dictum
negat et satis facere omnibus vobis cogitat, profcrat; in
iugera dena discribat, a S u b u r a n a usque ad Arniensem
nomina vestra proponat. Si non m o d o dena iugera dari
CBF.R DAS SIF.DLF.RGF.SF.TZ II

vel und Mord bereitstellt und für sie ein Gebiet und eine Stadt
sucht, von wo aus sich ein Krieg fuhren und ausrüsten läßt,
wollt ihr dann trotzdem zulassen, daß man in eurem Namen
gegen euch Machtmittel sammelt, Schutztruppen bewaffnet,
Städte, Landbezirke und Truppen beibringt? Denn die kam-
panische Mark, die sie euch verheißen, beanspruchen sie für
sich selbst; sie werden ihre Leute hinbringen, durch die sie
das Land selbst besitzen und nutzen können; außerdem wer-
den sie aufkaufen, werden sie aus den Zehn-Morgen-Grund-
stücken einen zusammenhängenden Besitz machen. Denn sie
mögen zwar erklären, das sei nach dem Gesetze nicht erlaubt;
es ist nicht einmal nach dem Cornelischen Gesetz erlaubt; wir
sehen indes (um Entfernteres nicht zu erwähnen), daß sich
die pränestinische Mark im Besitz weniger befindet* 4 . Und
zu ihrem Gelde fehlt ihnen, wie ich bemerke, nur eines: Grund-
stücke, die geeignet sind, durch ihren Ertrag die Dienerscha-
ren und den Aufwand der cumanischen und puteolanischen
Landsitze zu unterhalten 85 . Wenn RuIIus auf euren Vorteil
bedacht ist, dann mag er kommen und gemeinsam mit mir
die Verteilung der kampanischen Mark erörtern.
Ich habe ihn am i.Januar gefragt, an was für Leute und auf
welche Weise er die Mark verteilen wolle. Er antwortete, er
werde mit dem romilischen Bezirk beginnen. Erstens: was ist
das für eine Anmaßung und Kränkung, einen Teil des Volkes
auszuschließen, sich über die Reihenfolge der Bezirke hinweg-
zusetzen, eher den ländlichen Bezirken, die schon versehen
sind, Grundbesitz zu gewähren, als den städtischen, denen
man doch die erfreuliche Aussicht auf Land vor Augen stellt?
Oder, wenn er leugnet, so etwas geäußert zu haben, und euch
alle zufriedenstellen will, dann gebe er seinen Plan bekannt;
er teile das Gebiet in Stücke von je zehn Morgen; er schlage
eure Namen an, vom suburanischen bis zum arniensischen
Bezirk". Wenn ihr merkt, daß man euch keine zehn Morgen
D E L F G F A G R A R I A II

vobis sed ne constipari quidem tantum numerum ho-


minum posse in agrum C a m p a n u m intellegetis, ta-
menne vexari rem publicam, contemni maiestatem po-
puli Romani, deludi vosmct ipsos diutius a tribuno
plebis patieminir
Quod si posset ager iste ad vos pervenire, nonne eum Ho
tarnen in patrimonio vestro remanere malletisr
U n u m n e f u n d u m pulcherrimum populi Romani, caput
vestrae pecuniae, pacis ornamentum, subsidium belli,
fundamentum vectigalium, horreum legionum, sola-
cium annonae disperire patieminir A n obliti estis Ita-
lico bello amissis ceteris vectigalibus quantos agri C a m -
pan i fructibusexercitus alueritis? an ignoratis cetera illa
magnifica populi Romani vectigalia perlevi saepe mo-
mento fortunae inclinatione temporis pendere? Quid
nos Asiae portus, quid S y r i a e ora, quid omnia transma-
rine vectigalia iuvabunt tenuissima suspicione praedo-
num aut hostium iniecta? A t vero hoc agri Campani 81
vectigal, Quirites, eius modi est ut cum domi sit et
omnibus praesidiis oppidorum tegatur, tum neque bel-
lis infestum nec fructibus varium nec caelo ac loco
calamitosum esse soleat.

.Vlaiores nostri non solum id quod de Campanis


ceperant non imminuerunt verum etiam quod ei tene-
bant quibus adimi iure non poterat coemerunt. Q u a de
causa nec duo Gracchi qui de plebis Romanae commo-
dis plurimum cogitaverunt, nec L . Sulla qui omnia sine
ulla religione quibus voluit est dilargitus, agrum C a m -
panum attingere ausus est; Rullus exstitit qui ex ea
ÜBER DAS SIF.DLF.RGF.SFTZ II
3°7

geben, ja eine solche Zahl von Menschen in der kampanischen


Mark nicht einmal gedrängt aufstellen kann, wollt ihr dann
noch länger den Staat der Plünderung, die Hoheit des römi-
schen Volkes der Verachtung, euch selber dem Spott des
Volkstribunen aussetzen?
Wenn ihr dieses Land bekommen könntet, würdet ihr es
nicht trotzdem lieber in eurem Vermögen behalten? Wollt ihr
den schönsten Besitz des römischen Volkes, den Hauptposten
eurer Einnahmen, die Zierde des Friedens, den Rückhalt des
Krieges, die wichtigste Steuerquelle, die Vorratskammer der
Legionen, die Zuflucht der Getreidewirtschaft zugrunde ge-
hen lassen? Oder habt ihr vergessen, wie viele Truppen ihr
im italischen Kriege* 7 nach Verlust der übrigen Einkünfte
mit den Erträgen der kampanischen Mark versorgt habt?
Oder wißt ihr nicht, daß alle die anderen herrlichen Einkünfte
des römischen Volkes oft, wenn die Zeiten sich ändern, von
ganz geringen Einwirkungen des Zufalls abhängen? Was hel-
fen uns die Häfen Asiens, was die Küste Syriens, was sämt-
liche überseeischen Steuern, wenn sich die leiseste Furcht vor
Räubern oder Feinden regt? Doch die Einkünfte aus der
kampanischen Mark befinden sich in unserem Lande, Quiri-
ten, und werden durch alle die Schutzwachen in den Städten
gedeckt; sie pflegen daher weder in Kriegszeiten gefährdet
noch wechselnd im Ertrag noch durch Witterung und Ge-
gend großen Schäden ausgesetzt zu sein.
Unsere Vorfahren haben nicht nur ungeschmälert behalten,
was sie den Kampanern abverlangt hatten, sondern sogar
Land von Besitzern aufgekauft, denen etwas wegzunehmen
kein Grund bestand. Deshalb haben weder die beiden Grac-
chen, die am meisten auf Vorteile für das römische Volk be-
dacht waren, noch L.Sulla, der skrupellos alles wem er wollte
verschenkt hat, die kampanische Mark anzurühren gewagt;
ein Rullus mußte auftreten, dem Staat den Besitz zu entzie-
Зо8 D F LF.GE A G R A R I A II

possessione rem publicam demoveret e.\ qua nec Grac-


chorum benignitas earn nec Sullae dominatio deiecis-
set. Quern agrum nunc praetereuntes vestrum esse
dicitis et q u e m per iter qui faciunt, externi homines,
vestrum esse audiunt, is, cum erit divisus, neque erit
vester neque vester esse dicetur. At qui homines possi-
d e b u n t ? Primo q u i d e m acres, ad vim prompti, ad sedi-
tionem parati qui, simul ac xviri concrepuerint, armati
in civis et expediti ad caedem esse possint; deinde ad
paucos opibus et copiis adfluentis t o t u m agrum Cam-
p a n u m perferri videbitis. Vobis interea, qui illas a
maioribus pulcherrimas vectigalium sedis armis captas
accepistis, gleba nulla de paternis atque avitis posses-
sionibus relinquetur.

At q u a n t u m intererit inter vestram et privatorum


diligentiam! Q u i d ? C u m a maioribus P. Lentulus, qui
princeps senatus fuit, in ea loca missus esset ut privatos
agros qui in publicum C a m p a n u m incurrebant pecunia
publica coemeret, dicitur renuntiasse nulla se pecunia
f u n d u m cuiusdam emere potuisse, e u m q u e qui nollet
vendere ideo negasse se adduci posse uti venderet q u o d ,
cum pluris fundos haberet, ex illo solo f u n d o n u m q u a m
malum n u n t i u m audisset. Itane vero? privatum haec
causa commovit; p o p u l u m R o m a n u m ne agrum C a m -
p a n u m privatis gratis Rullo rogante tradat non commo-
vebit? At idem populus Romanus de hoc vectigali
potest dicere quod ille de suo f u n d o dixisse dicitur. Asia
C B F . R D A S S I E D L E R G E S E T Z II

hen, von dem ihn weder die Freigebigkeit der Gracchen noch
die Gewaltherrschaft Sullas vertrieben hatte. Jetzt sagt ihr,
wenn ihr an diesem Gebiet vorbeikommt, daß es euch gehöre,
und Ausländer, die dort vorüberziehen, erfahren, es gehöre
euch; doch wenn es verteilt ist, dann wird es euch nicht mehr
gehören, noch wird man sagen, es gehöre euch. Doch was fur
Menschen werden es besitzen? Zunächst einmal Hitzköpfe,
zu Gewalttaten bereit, zu Aufruhr geneigt, so daß sie, sobald
die Zehnmänner ein Zeichen geben, in Waffen gegen Bürger
und schlagfertig zum Blutvergießen antreten können; dann
aber werdet ihr sehen, daß die gesamte kampanische Mark
an einige wenige gelangt, die von Reichtum und Wohlstand
strotzen. Euch aber, die ihr diese herrliche, mit den Waffen
errungene Steuerquelle von den Ahnen empfangen habt,
bleibt unterdessen keine Scholle von dem Besitz der Väter und
Vorväter übrig.
Doch wie viel mehr Umsicht als ihr zeigen dann die ge-
wöhnlichen Privatleute! Wie? Unsere Vorfahren entsandten
P.Lentulus 8 *, der es bis zum ranghöchsten Senatsmitglied
gebracht hat, in diese Gegend; er sollte private Grundstücke,
die in das kampanische Staatsland hineinragten, mit öffent-
lichen Mitteln aufkaufen. Doch der berichtete, heißt es, er
habe ein bestimmtes Grundstück um keinen Preis erwerben
können, und der Mann, der nicht bereit war zu verkaufen,
habe erklärt, er lasse sich deshalb nicht zum Verkauf bestim-
men, weil er, Besitzer mehrerer Güter, allein von diesem Gut
niemals eine schlechte Nachricht empfangen habe. Steht es
so? Einen Privatmann hat dieser Gesichtspunkt zurückge-
halten; das römische Volk aber wird er nicht zurückhalten,
auf Antrag des Rullus die kampanische Mark unentgeltlich
Privatleuten zu übergeben? Und doch kann das römische
Volk dasselbe von dieser Steuereinnahme sagen, was jener
Mann von seinem Landgut gesagt haben soll. Asien brachte
DF. L F G F A G R A R I A II

multos annos vobis f r u c t u m Mithridatico bello non


tulir. Hispaniarum vectigal t e m p o r i b u s Sertorianis
nullum fuit, Siciliae civitatibus bello fugitivorum M'.
Aquilius etiam m u t u u m f r u m e n t u m dedit; at ex hoc
vectigali n u m q u a m malus nuntius auditus est. Cetera
vectigalia belli difficultatibus adfliguntur; hoc vectigali
etiam belli difficultates sustentantur.
Deinde in hac adsignatione agrorum ne i 1 lud quidem
dici potest quod in ceteris, agros desertos a plebe atque
a cultura h o m i n u m liberorum esse non oportere. Sic
enim dico, si C a m p a n u s ager dividatur, exturbari et
expelli plebem ex agris, non constitui et conlocari.
Totus enim ager C a m p a n u s colitur et possidetur a
plebe, et a plebe optima et modestissima; quod genus
h o m i n u m optime m o r a t u m , o p t i m o r u m et aratorum et
militum, ab hoc plebicola tribuno plebis f u n d i t u s eici-
tur. A t q u e illi miseri nati in illis agris et educati, glebis
subigendis exercitati, q u o s e s u b i t o c o n f e r a n t non habe-
bunt; his robustis et valentibus et audacibus xvirum
satellitibus agri Campani possessio tota tradetur. et, ut
vos nunc de vestris maioribus praedicatis: " h u n c agrum
nobis maiores nostri reliquerunt," sic vestri posteri dc
vobis praedicabunt: " h u n c agrum patres nostri acccp-
t u m a patribus suis p e r d i d e r u n t . "

Equidem existimo: si iam campus Martius dividatur


et uni cuique vestrum ubi consistat bini pedes adsignen-
tur, tarnen promiscue toto q u a m proprie parva frui
parte malitis. Q u a re etiam si ad vos csset singulos
I'BFR DAS SIFDLFRGFSETZ 11 3"

euch während des mithridatischen Krieges viele Jahre keinen


Ertrag; die spanischen Steuern fielen in den Zeiten des Ser-
torius aus; den Gemeinden Siziliens mußte M'.Aquilius im
Sldavenkriege sogar Getreide leihen*®; doch über diese Steu-
ereinnahme hat man nie eine schlechte Nachricht erhalten.
Die übrigen Steuern werden durch die Nöte des Krieges be-
einträchtigt; diese Steuer lindert sogar die Nöte des Krieges.
Ferner kann man bei dieser Landanweisung nicht einmal
den sonst üblichen Grund anführen: das Ackerland solle nicht
daliegen, ohne von Bürgern besiedelt und von freien Men-
schen bebaut zu sein. Denn ich behaupte: wenn man die
kampanische Mark verteilt, dann wird der Bürgerstand vom
Lande vertrieben und verjagt, nicht eingesetzt und angesie-
delt. In der ganzen kampanischen Mark leben nämlich Bür-
gersleute als Bauern und Besitzer, und zwar vortreffliche und
äußerst bescheidene Bürgersleute; dieser wohlgesittete Men-
schenschlag, der aus tüchtigen Pächtern und Soldaten besteht,
wird von unserem volksfreundlichen Volkstribunen gänzlich
entwurzelt. Und die Unglücklichen, die in der.Gegend dort
geboren und aufgewachsen und an die Bearbeitung der Scholle
gewöhnt sind, werden gar nicht wissen, wohin sie sich auf
einmal wenden sollen; man übergibt den Besitz an der ge-
samten kampanischen Mark den handfesten, vierschrötigen
und verwegenen Trabanten der Zehnmänner. Und wie ihr
jetzt von euren Vorfahren versichert: «Dieses Land haben
uns unsere Vorfahren hinterlassen», so werden eure Nach-
kommen von euch versichern: «Dieses Land hatten unsere
Väter von ihren Vätern empfangen; sie haben es vertan.»
Ich möchte jedenfalls meinen: wenn man das Marsfeld ver-
teilen und jedem von euch zwei Fuß Gelände zuweisen wollte,
wo er sich aufstellen kann, so würdet ihr es trotzdem vorzie-
hen, gemeinschaftlich die ganze Fläche als privat einen kleinen
Teil zu benutzen. Selbst wenn daher jeder Einzelne von euch
DF L E G E A G R A R I A II

aliquid ex hoc agro perventurum qui vobis ostenditur,


aliis comparatur, tarnen honestius cum vos universi
q u a m singuli possideretis. N u n c vero c u m ad vos nihil
pertineat, sed paretur aliis, eripiatur vobis, nonne acer-
rime, tamquam armato hosti, sie huic legi pro vestris
agris resistetis?

A d i u n g i t Stellatem c a m p u m agro C a m p a n o et in eo
duodena discribit in singulos homines iugera. Quasi
vero paulum d i f f e r a t ager C a m p a n u s a Stellati; sed 86
multitudo, Quirites, quaeritur qua ilia omnia oppida
compleantur. N a m dixi antea lege permitti ut quae
velint munieipia, quas velint veteres colonias colonis
suis occupent. Calenum munieipium complebunt,
Teanum oppriment, Atellam, Cumas, Neapolim,
Pompeios, N u c e r i a m suis praesidiis devincient, Putco-
los vero qui nunc in sua potestate sunt, suo iure liber-
tateque utuntur, totos novo populo atque adventieiis
copiis occupabunt.

T u n c illud vexillum C a m p a n a e coloniae vehementer


huic imperio timendum C a p u a m a xviris inferetur, tunc
contra hanc R o m a m , c o m m u n e m patriam omnium nos-
trum, ilia altera Roma quaeretur. In id o p p i d u m homi- 87
nes nefarie rem publicam vestram transferre conantur,
q u o in oppido maiores nostri nullam omnino rem publi-
cam esse voluerunt, qui tris solum urbis in terris omni-
bus, C a r t h a g i n e m , C o r i n t h u m , C a p u a m , statuerunt
posse imperi gravitatem ac nomen sustinere. Dcleta
C a r t h a g o est, quod cum hominum copiis, tum ipsa
natura ac loco, succincta portibus, armata muris, ex-
Ü B E R DAS S 1 F D L F . R G E S F T Z II З'З

ein Stück von dieser Mark erhielte, die man euch vorgaukelt
und für andere bestimmt, es würde sich trotzdem besser
schicken, ihr besäßet sie alle gemeinsam als jeder einzelne für
sich. Doch in Wirklichkeit soll euch gar nichts davon zu-
kommen; man beschafft sie vielmehr für andere und raubt sie
euch: müßt ihr euch nicht, euer Land zu schützen, diesem
Gesetz ebenso wie einem bewaffneten Feinde mit äußerster
Härte widersetzen ?
Rullus fügt zur kampanischen Mark noch den stellatischen
Bezirk 90 hinzu und weist dort einem jeden Siedler zwölf Mor-
gen an. Als ob sich die stellatische Mark nur geringfügig von
der kampanischen unterschiede; man ist vielmehr auf eine
große Anzahl aus, Quiriten, mit der man alle die Städte dort
vollstopfen kann. Denn wie ich schon sagte, das Gesetz ge-
stattet den Zehnmännern, beliebige Landstädte, beliebige
ältere Kolonien mit ihren Siedlern zu besetzen. Sie werden die
Stadt Cales füllen, Teanum beherrschen, Atella, Cumae, Nea-
pel, Pompeji, Nuceria mit ihren Schutztruppen knebeln, Puteoli
vollends, das jetzt seine eigene Verwaltung hat, nach eigenem
freiheitlichen Rechte lebt, gänzlich mit der neuen Bevölkerung
und den Scharen der Einwanderer in Beschlag nehmen".
Dann werden die Zehnmänner die Standarte der kampani-
schen Kolonie, für unser Reich ein Zeichen schlimmer Ängste,
nach Capua bringen; dann wird man diesem Rom, der ge-
meinsamen Heimat von uns allen, jenes zweite Rom entge-
genstellen®1. In diese Stadt suchen die Leute frevlerisch den
Sitz eures Staates zu verlegen, dorthin, wo unsere Vorfahren
überhaupt keinen Staat geduldet haben, da sie glaubten, daß
in der ganzen Welt nur drei Städte, Karthago, Korinth und
Capua, den bedeutenden Rang einer Vormacht einzunehmen
vermöchten. Karthago ist zerstört; diese Stadt, von Häfen
umschlossen, von Mauern bewehrt, schien durch die Fülle
der Bewohner, vor allem schon durch die natürliche Lage
3 '4 DF L F G F AGRARIA II

currere ex A f r i c a , imminere duabus fructuosissimis


insulis populi Romani videbatur. Corinthi vestigium
vix relictum est. Erat enim posita in angustiis atque in
faucibus G r a e c i a e sic ut terra claustra locorum teneret
et d u o maria maximc navigation! diversa paene coniun-
geret, cum pertenui discrimine separentur. H a e c quae
procul erant a conspectu imperi non solum adflixerunt
sed etiam, ne q u a n d o recreata exsurgere atque erigere
se possent, funditus, u t d i x i , sustulerunt.

D e C a p u a multum est et diu consultatum; exstant 88


litterae, Quirites, publicae, sunt senatus consulta com-
plura. Statuerunt homines sapientes, si agrum C a m p a -
nis ademissent, magistratus. senatum, publicum ex ilia
urbe consilium sustulissent, imaginem rei publicae nul-
lam reliquissent, nihil fore quod C a p u a m timeremus.
Itaque hoc perscriptum in monumentis veteribus repe-
rietis, ut esset urbs quae res eas quibus ager C a m p a n u s
coleretur suppeditare posset, ut esset locus comportan-
dis condendisque fructibus, ut aratorcs cultu agrorum
defessi urbis domiciliis uterentur, idcirco ilia aedificia
non esse deleta.

V i d e t e quantum intervallum sit interiectum inter 89


maiorum nostrorum consilia et inter istorum hominum
dementiam. Illi C a p u a m receptaculum aratorum, nun-
dinas rusticorum, cellam atque horreum Campani agri
esse voluerunt, hi expulsis aratoribus, e f f u s i s ac dissi-
patis fructibus vestris eandem C a p u a m sedem novae rei
publicae constituunt, molem contra veterem rem publi-
Ü B E R D A S S I F D L E R G E S E T Z [1 3«5

über Afrika hinauszustreben und die beiden fruchtbarsten


Inseln des römischen Volkes" zu bedrohen. Von Korinth ist
kaum eine Spur Übriggeblieben Denn es lag so günstig an
einem engen Durchgang Griechenlands, daß es zu Lande den
Schlüssel der Gegend innehatte und zwei Meere, deren Schiff-
fahrt in völlig entgegengesetzte Richtungen fuhrt, beinahe
verband; sie sind nämlich nur durch einen sehr geringen Ab-
stand voneinander getrennt. Diese Städte waren durch ihre
Entfernung dem Gesichtskreis unserer Herrschaft entzogen;
die Vorfahren haben sie daher nicht nur geschwächt, sondern,
wie ich sagte, völlig vernichtet, damit sie niemals mehr in
neuer Kraft sich aufschwingen und erheben könnten.
Über Capua ging man gründlich und lange zu Rat; die
amtlichen Schreiben sind noch vorhanden, Quiriten; es be-
stehen mehrere Senatsbeschlüsse. Die einsichtsvollen Männer
meinten, daß wir uns vor Capua nicht zu fürchten brauchten,
wenn man den Kampanern i h r Land wegnähme, die Beamten,
den Senat, die öffentliche Beratung aus der Stadt entfernte
und nicht den Schatten eines Staates übrigließe". Daher wer-
det ihr in alten Urkunden geschrieben finden: damit es eine
Stadt gebe, die zu liefern vermöge, was man für die Bebauung
der kampanischen Mark brauche, damit ein Platz vorhanden
sei, die Ernten einzubringen und aufzubewahren, damit die
von der Feldarbeit ermüdeten Pächter die Wohnhäuser der
Stadt benutzen könnten, deshalb habe man die Gebäude nicht
zerstört.
Seht, welch Abstand zwischen den Beschlüssen unserer Vor-
fahren und dem Wahnwitz dieser Leute klafft! Jene wollten,
daß Capua der Zufluchtsort der Pächter, der Wochenmarkt
der Landleute, die Vorratskammer und Scheuer der kampani-
schen Mark sei; sie aber verjagen die Pächter, vergeuden und
verschleudern eure Einkünfte, erheben dasselbe Capua zum Sitz
eines neuen Staates, schaffen ein Bollwerk gegen den alten
Jl6 DF LFGF AGRARIA II

cam c o m p a r a n t . Q u o d si maiores nostri existimassent


q u e m q u a m in t a m inlustri impcrio et tam praeclara
populi Romani disciplina M. Bruti aut P. Rulli similem
f u t u r u m - hos enim nos duos a d h u c vidimus qui banc
rem publicam C a p u a m totam transferre vellent - pro-
fecto n o m e n illius urbis rion reliquissent. Verum arbi- 90
t r a b a n t u r Corinthi et Carthagini, etiam si senatum et
magistratus sustulissent a g r u m q u e civibus ademissent,
tamen non defore qui ilia restituerent atque qui ante
omnia c o m m u t a r e n t q u a m nos audire possemus; hie
vero in oculis senatus p o p u l i q u e Romani nihil posse
exsistere quod non ante exstingui a t q u e opprimi posset
q u a m plane e x o r t u m esset ас n a t u m .

N e q u e vero ea res fefellit homines divina mente et


consilio praeditos. N a m post Q . Fulvium Q . Fabium
consules, q u i b u s consulibus C a p u a devicta atque capta
est, nihil est in ilia u r b e contra hanc rem publicam non
dico f a c t u m , sed nihil o m n i n o est cogitatum. Multa
postea bella gesta c u m regibus, Philippo, Antiocho,
Persa, Pseudophilippo, Aristonico, Mithridate et cete-
ris; multa praeterea bella gravia, Carthaginiense III,
C o r i n t h i u m , N u m a n t i n u m ; multae in hac re publica
seditiones domesticae quas praetermitto; bella c u m so-
ciis, Fregellanum, M a r s i c u m ; q u i b u s omnibus domes-
ticis externisque bellis C a p u a non m o d o non o b f u i t sed
o p p o r t u n i s s i m a m se nobis praebuit et ad bellum instru-
e n d u m et ad exercitus o r n a n d o s et tectis ac sedibus suis
recipiendos. H o m i n e s non inerant in urbe qui malis yi
U B E R D A S S I E D L F R G F S E T Z II 3 «7

Staat. Wenn unsere Vorfahren vermutet hätten, trotz einer so


glanzvollen Machtstellung und so vorzüglicher Grundsätze des
römischen Volkes werde jemand einem M.Brutus 9 4 oder P.
Rullus gleichen (bislang haben wir ja diese beiden erlebt, die
den Plan verfolgten, unser gesamtes Staatswesen nach Capua
zu verlegen), wahrhaftig, sie hätten von dieser Stadt nicht ein-
mal den Namen übriggelassen. Doch sie glaubten, in Korinth
und Karthago helfe es nichts, wenn sie den Senat und die Be-
amten abschafften und den Bürgern ihr Land wegnähmen; es
werde trotzdem nicht an Leuten fehlen, die jene Dinge wie-
derherstellten und die schneller alles änderten, als wir davon
erfahren könnten; doch hier vor den Augen des Senates und
des römischen Volkes könne nichts aufkommen, was sich nicht
vertilgen und unterdrücken lasse, ehe es richtig eingetreten
und entstanden sei.
Und hierin haben sich jene Männer, die mit göttlicher
Klugheit und Einsicht begabt waren, nicht getäuscht. Denn
seit dem Konsulat des Q^Fulvius und QJFabius 9 7 (damals
wurde Capua besiegt und erobert) hat man in dieser Stadt
gegen unser Staatswesen nicht das geringste unternommen,
ja nicht einmal irgend etwas im Sinne gehabt. Hernach wur-
den zahlreiche Kriege gegen Könige gefuhrt, gegen Philipp,
Antiochos, Perseus, Pseudophilippos, Aristonikos, Mithrida-
tes und die übrigen; es fanden noch viele andere schwere
Kriege statt, der dritte punische, der korinthische, der nu-
mantinische; es gab zahlreiche Aufstände im Inneren unseres
Staates, die ich übergehe, und Kriege mit Bundesgenossen,
den fregellanischen und marsischen 98 . Bei allen diesen inneren
und äußeren Kriegen war Capua nicht nur kein Hindernis;
es hat sich uns sogar als überaus brauchbar erzeigt, den Krieg
vorzubereiten, Truppen auszurüsten und sie in den Häusern
und Wohnungen einzuquartieren. Es gab keine Leute in der
Stadt, die durch schlimme Volksversammlungen, hitzige
318 DE LFÜF AGRARIA II

c o n t i o n i b u s , t u r b u l e n t i s senatus c o n s u l t i s , iniquis i m -
perils r e m p u b l i c a m m i s c e r e n t et r e r u m n o v a r u m c a u -
s a m a l i q u a m q u a e r e r e n t . N e q u e e n i m c o n t i o n a n d i po-
testas erat c u i q u a m n e c consili c a p i e n d i p u b l i c i ; non
gloriae cupiditate efferebantur, propterea quod. ubi
h o n o s p u b l i c e non e s t , ibi gloriae c u p i d i t a s esse non
p o t e s t ; n o n c o n t e n t i o n e , non a m b i t i o n e d i s c o r d e s . N i -
hil e n i m s u p e r e r a t d e q u o c e r t a r e n t , nihil q u o d contra
p e t e r e n t , nihil ubi d i s s i d e r e n t . I t a q u c illam C a m p a n a m
a d r o g a n t i a m a t q u e i n t o l e r a n d a m f e r o c i a m ratione et
c o n s i l i o m a i o r e s nostri ad i n e r t i s s i m u m ac desidiosissi-
m u m o t i u m p e r d u x e r u n t . S i c et c r u d e l i t a t i s i n f a n i i a m
e f f u g e r u n t q u o d u r b e m ex Italia p u l c h e r r i m a m non
s u s t u l e r u n t , et m u l t u m in p o s t e r u m p r o v i d e r u n t q u o d
n e r v i s u r b i s o m n i b u s e x s e c t i s u r b e m ipsam solutam ac
debilitatam reliquerunt.

H a e c consilia m a i o r u m M . B r u t o , ut antea dixi, re- 92


p r e h e n d e n d a et P. R u l l o visa s u n t ; n e q u e t e , P. R u l l e ,
o m i n a ilia M . B r u t i a t q u e auspicia a simili f u r o r e deter-
rent. N a m et ipse qui d c d u x i t , et qui magistratum
C a p u a e illo c r e a n t e c e p e r u n t , et qui a l i q u a m p a r t e m
illius d e d u c t i o n i s , h o n o r i s , m u n e r i s a t t i g e r u n t , oninis
a c e r b i s s i m a s i m p i o r u m p o c n a s p e r t u l e r u n t . Kt q u o n -
iam M . B r u t i a t q u e illius teniporis feci mentionem,
c o m m e m o r a b o id q u o d e g o m e t vidi, c u m venisseni
C a p u a m c o l o n i a iam d e d u c t a L . C o n s i d i o et S e x . S a l -
t i o , q u e m ad m o d u m ipsi l o q u e b a n t u r , " p r a e t o r i b u s " ,
ut intellegatis q u a n t a m locus ipse adferat s u p e r b i a m ,
q u a e paucis d i e b u s q u i b u s illo c o l o n i a d e d u c t a est
perspici a t q u e intellegi p o t u i t .
CBF.R DAS SIF.DLFRGFSFTZ II 3 '9

Senatsbeschlüsse und ungerechte Machtsprüche das Gemein-


wesen durcheinander brachten und einen Vorwand zum Um-
sturz suchten. Niemand hatte nämlich die Befugnis, in einer
Versammlung aufzutreten oder einen amtlichen Beschluß her-
beizuführen ; sie ließen sich nicht durch Ruhmsucht hinreißen,
denn wo es kein öffentliches Ehrenamt gibt, dort kann sich
auch keine Ruhmsucht einstellen; nicht Wetteifer, nicht Ehr-
geiz führte zu Zwietracht. Es gab ja nichts mehr, worüber sie
streiten, nichts, wogegen sie aufbegehren, nichts, worin sie
uneins sein konnten. So haben unsere Vorfahren durch ihren
vernünftigen Entschluß die kampanische Anmaßung und den
unerträglichen Übermut in die kraftloseste und untätigste
Ruhe verwandelt. So entgingen sie dem Makel der Grausam-
keit, weil sie die schönste Stadt Italiens vor der Vernichtung
bewahrten, und sorgten nachhaltig für die Zukunft, weil sie
alle Sehnen der Stadt wegschnitten, die Stadt selbst aber,
schlaff" und geschwächt wie sie war, verschonten.
Diese Maßnahmen der Vorfahren haben, wie ich schon
sagte, bei M.Brutus und P.Rullus Anstoß erregt, und dich,
P. Rullus, schrecken auch nicht die Vorboten und drohenden
Zeichen des M.Brutus von ähnlichem Wahnwitz a b " . Denn
der Koloniegründer selbst und wer, von ihm gewählt, ein Amt
in Capua bekleidete und wer überhaupt irgendwie mit dieser
Gründung, Obliegenheit und Aufgabe in Berührung kam, sie
alle haben mit den furchtbarsten Strafen von Frevlern dafür
gebüßt. Und da ich auf M. Brutus und jene Zeit gekommen
bin, will ich berichten, was ich selbst gesehen habe, als ich
mich in Capua aufhielt; die Kolonie war schon angelegt, und
man schrieb das Jahr des L.Considius und Sex.Saltius, der
«Prätoren», wie sie selber sich ausdrückten - damit ihr er-
kennt, welche Anmaßung schon der Ort verursacht; sie ließ
sich bereits in den wenigen Tagen, da man die Kolonie dort
einrichtete, deutlich wahrnehmen und bemerken.
DE LEGE AGRARIA 11

N a m p r i m u m . id quod dixi, cum ceteris in coloniis 9?


nviri appellentur, hi se praetores appellari volebant.
Quibus primus annus hanc cupiditatem attulisset.
nonne arbitramini paucis annis fuisse consulum nomen
appetituros? Deinde anteibant lictores non cum bacil-
lis, sed, ut hic praetoribus urbanis anteeunt, cum fasci-
bus bini. Erant hostiae maiores in foro constitutae,
quae ab his praetoribus de tribunali, sicut a nobis
consulibus, de consili sententia probatae ad praeconem
et ad tibicinem immolabantur. Deinde patres conscripti
vocabantur. Iam vero voltum Considi videre ferendum
vix erat. Q u e m hominem "vegrandi macie torridum"
Romae contemptum, abiectum videbamus, hunc C a -
puae C a m p a n o fastidio ac regio spiritu cum videremus.
Blossios mihi videbar ilios videre ас \ ibellios. Iam vero 94
qui metus erat tunicatorum illorum! et in A l b a n a et
Seplasia quae concursatio percontantium quid praetor
edixisset, ubi cenaret, quo denuntiasset! N o s autem.
hinc Roma qui veneramus, iam non hospites, sed per-
egrini atque advenae nominabamur.

Haec qui prospexerint, maiores nostras dico, Quiri- 95


tes, non eos in deorum immortalium numero veneran-
dos a nobis et colendos putatis? Quid enim viderunt?
H o c quod nunc vos, quaeso, perspicite atque cognos-
cite. N o n ingenerantur hominibus mores tarn a Stirpe
generis ас seminis quam ex eis rebus quae ab ipsa natura
nobis ad vitae consuetudinem suppeditantur, quibus
Ü B E R DAS S I F D L F R G E S F T Z II

Denn erstens, wie ich sagte, wünschten die Beamten dort


«Prätoren» genannt zu werden, während sie in den übrigen
Kolonien «Zweimänner» heißen. Wenn ihnen das erste Jahr
diese Gelüste brachte, glaubt ihr nicht, daß sie nach wenigen
Jahren den Konsultitel verlangt hätten ? Ferner gingen ihnen
je zwei Büttel voraus, nicht mit Stäben, sondern mit Ruten-
bündeln, wie sie hier den Stadtprätoren vorausgehen. Auf
dem Forum waren ausgewachsene Tiere 100 zum Opfer aufge-
stellt ; sie wurden durch diese Prätoren von der Tribüne herab,
wie durch uns, die Konsuln, gemäß dem Spruche der Berater
gutgeheißen und im Beisein eines Herolds und eines Flöten-
spielers geschlachtet. Dann rief man die Mitglieder des Senats
herbei. Jetzt war es kaum noch erträglich, die Mienen des
Considius zu betrachten. Ich hatte diesen Menschen «ausge-
mergelt von furchtbarer Magerkeit» 101 in Rom gesehen, er-
bärmlich und verzagt; als ich ihn in Capua wiedersah, von
kampanischem Dünkel und tyrannischer Selbstherrlichkeit
durchdrungen, da glaubte ich, jemanden vom Schlage der
Blossier und Vibellier 101 wahrzunehmen. In welcher Furcht
lebte vollends das einfache Volk dort! Und in der Albana- und
Scplasiastraße 103 , welch Gewimmel und Erkunden, was der
Prätor befohlen habe, wo er speise, wohin man von ihm ent-
boten sei! Wir aber, die wir von hier aus Rom gekommen
waren, wurden nicht mehr Gäste genannt, sondern Ausländer
und Fremdlinge.
Die das vorausgesehen haben, ich meine unsere Vorfahren,
Quiriten, glaubt ihr nicht, daß wir sie wie die unsterblichen
Götter verehren und heilighalten müssen? Denn was haben
sie gesehen? Das, was jetzt auch ihr, ich bitte euch, erkennen
und feststellen sollt. Der menschliche Charakter wird zwar
auch durch die Abstammung, den Schlag und die Herkunft
geprägt, doch stärker noch durch die Dinge, die uns die Natur
zu unserer gewöhnlichen Lebensweise darbietet, die uns er-
DF L F G F AGRARIA [I

a l i m u r e t vivimus. Carthaginienses fraudulent! et men-


daces non genere, sed natura loci, q u o d propter portus
suos multis et variis m e r c a t o r u m et a d v e n a r u m sermo-
nibus ad Studium fallendi studio q u a e s t u s vocabantur.
Ligures duri a t q u e agrestes; docuit ager ipse nihil fe-
rendo nisi multa cultura et m a g n o labore quaesitum.
C a m p a n i semper superbi bonitate agrorum et f r u c t u u m
m a g n i t u d i n e , urbis salubritate, descriptione, pulchri-
t u d i n e . Ex hac copia a t q u e o m n i u m rerum adfluentia
p r i m u m ilia nata est adrogantia qua a maioribus nostris
alterum C a p u a consulem p o s t u l a r u n t , d e i n d e ea luxu-
ries q u a e ipsum H a n n i b a l e m armis etiam t u m invictum
voluptate vicit.

H u e isti xviri c u m ю э colonorum ex lege Rulli d e d u -


xerint, с decuriones, χ augures, vi pontifices constitue-
rint, q u o s illorum animos, quos i m p e t u s , q u a m fero-
ciam fore putatis? R o m a m in m o n t i b u s positam et
convallibus, cenaculis sublatam a t q u e suspensam, non
optimis viis, angustissimis semitis, prae sua Capua
pianissimo in loco explicata ac praeclarissime sita inri-
d e b u n t atque c o n t e m n e n t ; agros vero Yaticanum et
Pupiniam c u m suis opimis atque u b e r i b u s campis con-
ferendos scilicet non p u t a b u n t . O p p i d o r u m autem fini-
t i m o r u m illam copiam c u m hac per risum ac iocum
c o n t e n d e n t ; Yeios, Fidenas, Collatiam, ipsum hercle
L a n u v i u m , Ariciam, T u s c u l u m c u m Calibus, Teano,
Neapoli, Puteolis, C u m i s , Pompeiis, Nuceria com-
Ü B E R DAS SIF.DLERGF.SFTZ II 323
nähren und unser Dasein bedingen. Die Karthager waren nicht
ihrer Anlage nach, sondern wegen der Beschaffenheit ihres
Wohnortes betrügerisch und lügenhaft; ihre Häfen veran-
laßten nämlich viele und mannigfaltige Gespräche mit den
Kaufleuten und Fremdlingen, und so rief bei ihnen Gewinn-
sucht den Hang zur Täuschung hervor. Die Ligurer sind harte
Bauern; ihr Land hat sie hierzu erzogen, denn es trägt nichts,
was man ihm nicht durch viel Pflege und mit großer Mühe
abringen muß. Die Kampaner sind seit jeher dünkelhaft: we-
gen des guten Bodens und der großen Ernten, wegen der
gesunden Lage, der Übersichtlichkeit und der Schönheit ihrer
Stadt. Diese Fülle und dieser Überfluß an allen Dingen hat
zunächst den Hochmut verursacht, mit dem sie von unseren
Vorfahren verlangten, der eine Konsul müsse Kampaner sein , 0 4 ,
und sodann die Vergnügungssucht, die mit ihren Lockungen
selbst einen Hannibal, den im Felde noch stets Unbezwing-
lichen, bezwungen hat 1 0 5 .
Wenn dort die Zehnmänner nach dem Gesetz des Rullus
5000 Siedler ansässig gemacht, 100 Ratsherren, 10 Auguren
und 6 Oberpriester ernannt haben, was glaubt ihr, welches
Selbstvertrauen, welchen Tatendrang, welchen Ubermut sie
zeigen werden? Rom ist auf Hügeln und in engen Tälern er-
baut, die Stockwerke streben und drängen dort in die Höhe,
die Straßen sind nicht gut, die Gassen äußerst schmal; sie
werden unsere Stadt verhöhnen und verachten, wenn sie auf
ihr Capua blicken, das sich auf einer gänzlich ebenen Fläche
ausbreitet und herrlich gelegen ist. Die vatikanische und
pupinische Mark 1 0 6 vollends, werden sie gewiß meinen, dürfe
man mit ihren fetten und fruchtbaren Äckern durchaus nicht
vergleichen. Doch ihren Reichtum an Nachbarstädten werden
sie lachend und im Spaß dem unsrigen gegenüberstellen: sie
werden Veji, Fidenae, Collatia, beim Herkules, selbst Lanu-
vium, Aricia und Tusculum an Cales, Teanum, Neapel, Pu-
DF. LFGF AGRARIA II

parabunt. Q u i b u s illi rebus elati et inflati fortasse non 97


continuo, sed certe, si paulum adsumpserint vetustatis
ac roboris, non continebuntur; p r o g r e d i e n t e , cuncta
secum ferent. Singularis homo privatus, nisi magna
sapientia praeditus, vix cancellis et regionibus o f f i c i
magnis in fortunis et copiis continetur, nedum isti ab
R u l l o et Rulli similibus conquisiti atque electi coloni
C a p u a e in domicilio superbiae atque in sedibus luxurio-
sis conlocati non statim conquisituri sint aliquid sceleris
et flagiti, i m m o vero etiam hoc magis quam illi veteres
g e r m a n i q u e C a m p a n i , q u o d in vetere fortuna illos natos
et educatos nimiae tarnen rerum o m n i u m copiae de-
pravabant, hi ex s u m m a egestate in eandem rerum
abundantiam traducti non solum copia verum etiam
insolentia c o m m o v e b u n t u r .

H a e c tu, P. R u l l e , M . Bruti sceleris vestigia quam 98


monumenta maiorum sapicntiac sequi maluisti, haec tu
cum istis tuis auctoribus excogitasti, ut vetera vectigalia
nostra expilaretis, exploraretis nova, urbem novam
huic urbi ad certamen dignitatis opponeretis; ut sub
vestrum ius, iuris dictionem, potestatem urbis, natio-
nes, provincias, liberos populos, reges, terrarum deni-
que orbem subiungeretis; ut, cum o m n e m pecuniam ex
aerario exhausissetis, ex vectigalibus redegissetis, ab
omnibus regibus, gentibus, ab imperatoribus nostris
coegissetis, tarnen omnes vobis pecunias ad nutum
vestrum penderent; ut idem partim invidiosos agros a
Sullanis possessoribus, partim desertos ac pestilentis a
IBER DAS S I F D L E R G E S E T Z II 325

teoli, Cumae, Pompeji und Nuceria messen 107 . Hiervon über-


heblich und aufgebläht, werden sie vielleicht nicht sofort,
aber sicherlich, wenn sie einige Dauer und Festigkeit erlangt
haben, außer Rand und Band geraten; sie werden ausgreifen
und alles mit sich reißen. Ein einzelner Privatmann, der in
großem Reichtum und Überfluß lebt, vermag sich nur mit
Mühe in den Schranken und Grenzen der Pflicht zu halten,
wenn er nicht über viel Vernunft gebietet. Wie sollen da nicht
die von Rullus und seinesgleichen angeworbenen und ausge-
suchten Siedler, sobald man sie nach Capua, in den Wohnsitz
der Anmaßung und die Stätte der Üppigkeit, bringt, sofort
irgendeinem Frevel und Verbrechen nachgehen! Ja das gilt
für sie noch mehr als fur die angestammten, echten Kampaner.
Denn die Kampaner sind zwar in altererbtem Wohlstand ge-
boren und aufgewachsen, doch hat sie der allzu große Über-
fluß an allen Dingen verdorben; die Siedler aber gelangen aus
bitterster Armut in denselben Überfluß, so daß sie nicht nur
die Fülle, sondern auch die ungewohnte Lebensweise berau-
schen wird.
Du hast dich lieber nach den verbrecherischen Spuren des
M.Brutus gerichtet, P.Rullus, als nach den Zeichen, die uns
die Weisheit der Vorfahren hinterließ. Du hast dir gemeinsam
mit deinen Gewährsleuten diese Dinge ausgedacht: ihr wolltet
unsere altüberkommenen Steuern rauben und neue auskund-
schaften, unserer Stadt eine neue Stadt zum Streit um den
Vorrang entgegenstellen; ihr wolltet eurem Recht, eurer Ge-
richtshoheit und Gewalt die Städte, Stämme und Provinzen,
die freien Völker und Fürsten, kurz, den Erdkreis unterwer-
fen ; ihr wolltet alles Geld aus der Staatskasse nehmen, aus den
Steuern eintreiben, von allen Königen und Völkern, von un-
seren Feldherren beibringen, und doch sollte euch dann noch
alle Welt auf euren Wink Geld entrichten; zugleich wolltet
ihr teils den sullanischen Grundherren abscheuerregende Be-
32б DE L F G F AGRARIA II

vestris necessariis et а vobismet ipsis emptos quanti


velletis populo Romano induceretis; ut omnia munici-
pia coloniasque Italiae novis colonis occuparetis; ut
q u i b u s c u m q u c in locis vobis videretur ac quam multis
videretur colonias conlocaretis; ut omnem rem publi- 99
cam vestris militibus, vestris urbibus. vestris praesidiis
cingeretis atque oppressam teneretis; ut ipsum C n .
Pompeium, cuius praesidio saepissime res publica con-
tra acerrimos hostis et contra improbissimos civis mu-
nita est, exercitu victore atque horum conspectu pri-
vare possetis; ut nihil auro et argento violari, nihil
numero et servitiis declarari, nihil vi et manu perfringi
posset quod non vos oppressum atque ereptum tenere-
tis; ut volitaretis interea per gentis, per regna omnia
cum imperio summo, cum iudicio infinito, cum omni
pecunia; ut veniretis in castra C n . Pompei atque ipsa
castra, si commodum vobis esset, venderetis; ut interea
magistratus reliquos legibus omnibus soluti sine metu
iudiciorum, sine periculo petere possetis; ut nemo ad
populum Romanum vos adducere, nemo producere.
nemo in senatum cogerc, non consul cocrcerc, non
tribunus plebis retinere posset.

H a e c ego vos concupisse pro vestra stultitia atque 100


intemperantia non miror. sperasse me consule adsequi
posse demiror. N a m cum omnium consilium gravis in
re publica custodienda cura ac diligentia debet esse,
tum eorum maxime qui поп in cunabulis, sed in c a m p o
sunt consules facti. Nulli populo R o m a n o pro me maio-
CBFR DAS SIFDLFRGESF.TZ II 327

Sitzungen, teils euren Verwandten und euch selbst öde und


verpestete Grundstücke abkaufen, um sie, so hoch euch be-
liebt, dem römischen Volke anzurechnen; ihr wolltet alle
Landstädte und Kolonien Italiens mit neuen Siedlern besetzen;
ihr wolltet, an welchen und wie vielen Orten es euch gefiele,
Kolonien anlegen; ihr wolltet den ganzen Staat mit euren Sol-
daten, euren Städten, euren Bollwerken umschließen und in
Botmäßigkeit halten; ihr wolltet die Macht haben, selbst ei-
nem Cn. Pompeius, dessen Beistand den Staat sehr oft vor den
ärgsten Feinden und vor den skrupellosesten Bürgern be-
wahrt hat, das siegreiche Heer und den Anblick der hier Ver-
sammelten zu entziehen; ihr wolltet als euren Machtbereich
und Raub besitzen, was immer man mit Gold und Silber ent-
weihen, mit Truppen und Sklavenscharen befehlen, mitZwang
und Gewalt durchbrechen kann; ihr wolltet unterdessen durch
sämtliche Länder und Königreiche eilen, versehen mit höch-
ster Befehlsgewalt, mit schrankenloser Gerichtsbarkeit, mit
allen Geldern; ihr wolltet im Lager des Cn.Pompeius erschei-
nen und sogar das Lager verkaufen, wenn es euch genehm
wäre; ihr solltet euch unterdessen um die übrigen Ämter be-
werben können, von allen Gesetzen entbunden, ohne Furcht
vor Prozessen und ohne Gefahr; niemand sollte euch vor das
römische Volk bringen, niemand vorführen, niemand vor den
Senat laden dürfen, kein Konsul euch zurechtweisen, kein
Volkstribun zurückhalten können.
Daß ihr hiernach Verlangen t r u g t , wundert mich bei eurer
Torheit und Maßlosigkeit nicht; daß ihr hofftet, eure Ziele
während meines Konsulates erreichen zu können, wundert
mich hingegen sehr. Denn alle Konsuln müssen ernstlich be-
müht und besorgt sein, den Staat zu schützen, ganz besonders
aber diejenigen, die nicht in der Wiege, sondern auf dem Mars-
feld Konsuln geworden sind. Ich habe keine Vorfahren, die
sich für mich vor dem römischen Volke verbürgten; man hat
D F L F G F A G R A R I A II

res mei spoponderunt; mihi creditum est; a me petere


quod debeo, me ipsum appellare debetis. Q u e m ad
m o d u m , cum petebam, nulli me vobis auctores generis
mei commendarunt, sic. si quid deliquero, nullae sunt
imagines quae me a vobis deprecentur. Q u a re, m o d o
mihi vita suppetat, q u a m ego conabor ab istorum sce-
lere insidiisque d e f e n d e r e , polliceor hoc vobis, Quiri-
tes, bona fide: rem publicam vigilanti homini, non
timido, diligenti, non ignavo, commisistis. E g o sum is 101
consul qui contionem m e t u a m , qui tribunum plebis
perhorrescam, qui saepe et sine causa tumultuer, qui
timeam ne mihi in carcere habitandum sit, si tribunus
plebis duci iusserit? E g o c u m vestris armis armatus sim,
imperio, auctoritate insignibusque amplissimis exorna-
tus, non horreo in hunc locum progredi vobisque.
Quirites, auctoribus improbitati hominis resistere, nec
vereor ne res publica tantis munita praesidiis ab istis
vinci aut opprimi possit. Si antea timuissem, tamen hac
contione, hoc populo certe non vererer. Quis enim
u m q u a m tam secunda contione legem agrariam suasit
quam ego dissuasi? si hoc dissuaderc est ac non distur-
bare atque pervertere. Ex q u o intellegi, Quirites, potest m:
nihil esse tam populäre q u a m id quod ego vobis in hunc
annum consul popularis adfero, pacem, tranquillita-
tem, otium. Q u a e nobis designatis timebatis. ea ne
accidere possent consilio meo ac ratione provisa sunt.
N o n modo vos eritis in otio qui semper esse volucratis.
ÜBER DAS S I E D L E R G E S E T Z II 329

mir vertraut; ihr müßt bei mir einfordern, was ich schulde,
müßt die Mahnung an mich selber richten. Wie ich euch bei
meiner Bewerbung von keinerlei Gewährsleuten meines
Stammbaumes empfohlen wurde, ebenso habe ich, wenn ich
versage, keine Ahnenbilder, die euch für mich um Vergebung
bitten. Wenn nur mein Leben erhalten bleibt (ich will ver-
suchen, es gegen den Frevelmut und die Heimtücke dieser
Gesellen zu verteidigen), dann verspreche ich euch dies, Qui-
rlten, auf Ehr und Gewissen: ihr habt den Staat einem wach-
samen Manne, keinem ängstlichen, einem umsichtigen, kei-
nem nachlässigen anvertraut. Ich soll der Konsul sein, der sich
vor einer Versammlung furchtet, der vor einem Volkstribunen
erzittert, der oft und ohne Grund Lärm schlägt, der bangt, er
müsse im Kerker wohnen, wenn ein Volkstribun ihn abfuhren
läßt Ι0β ? Ich bin mit euren Waffen gerüstet, mit der Amtsge-
walt, der Macht und den Abzeichen des höchsten Ranges ver-
sehen; ich scheue mich nicht, an dieser Stelle aufzutreten und
mit eurem Beistand, Quiriten, der Skrupellosigkeit dieses
Menschen die Stirne zu bieten, noch fürchte ich, der Staat,
der durch solche Bollwerke gesichert ist, könne von diesen
Leuten besiegt oder überwältigt werden. Wenn ich vorher
Bedenken gehabt hätte, so würde ich doch angesichts dieser
Versammlung, dieser Volksmenge gewiß nicht mehr bangen.
Denn wer konnte je vor einer so geneigten Zuhörerschaft ein
Siedlergesetz befürworten, wie ich sie hatte, um davon abzu-
raten? Wenn das noch abraten heißt und nicht vielmehr über
den Haufen werfen und vernichten. Hieraus habe ich ersehen,
Quinten, daß nichts so volkstümlich sein kann wie das, was
ich, der volkstümliche Konsul, euch in diesem Jahre bringe:
Frieden, Stille, Ruhe. Was ihr nach unserer Wahl befurchtet
habt, kann sich nicht ereignen; dafür ist durch meine Maß-
nahmen und Vorkehrungen gesorgt. Nicht nur ihr werdet in
Ruhe leben, die ihr das seit jeher gewollt habt; ich werde auch
D F L F G F A G R A R I A II

v e r u m e t i a m istos q u i b u s o d i o est o t i u m q u i e t i s s i m o s
a t q u e otiosissimos r e d d a m . E t e n i m illis h o n o r e s , p o -
t e s t a t e s , divitiae ex t u m u l t u a t q u e ex d i s s e n s i o n i b u s
c i v i u m c o m p a r a r i solent; vos, q u o r u m gratia in s u f f r a -
giis c o n s i s t i t , libertas in legibus, ius in iudiciis et a e q u i -
t a t e m a g i s t r a t u u m . res familiaris in p a c e , o m n i r a t i o n e
o t i u m r e t i n e r e d e b e t i s . N a m si ei q u i p r o p t e r d e s i d i a m им
in o t i o v i v u n t , tarnen in sua t u r p i inertia c a p i u n t vo-
l u p t a t e m ex ipso o t i o , q u a m vos f o r t u n a t i eritis, si in
h o c s t a t u q u e m h a b e t i s vestra non ignavia q u a e s i t u m ,
sed v i r t u t e p a r t u m , o t i u m t e n u e r i t i s , Q u i r i t e s ! Rgo ex
c o n c o r d i a q u a m m i h i c o n s t i t u i c u m c o n l e g a , invitissi-
m i s eis h o m i n i b u s q u i n o s in c o n s u l a t u i n i m i c o s esse et
f o r e a i e b a n t , p r o v i d i o m n i b u s , p r o s p e x i a n n o n a e , revo-
cavi f i d e m , t r i b u n i s p l e b i s d e n u n t i a v i n e q u i d t u r b u -
lent! m e c o n s u l e c o n f l a r e n t . S u m m u m et f i r m i s s i m u m
est illud c o m m u n i b u s f o r t u n i s p r a e s i d i u m , Q u i r i t e s ,
u t , q u a l i s vos h o d i e r n o d i e m a x i m a c o n t i o n e m i h i p r o
salute vestra p r a e b u i s t i s , talis reliquis t e m p o r i b u s rei
p u b l i c a e p r a e b e a t i s . P r o m i t t o , reeipio, polliceor h o c
vobis a t q u e c o n f i r m o , m e esse p e r f e c t u r u m u t iam
t a n d e m illi q u i h o n o r i i n v i d e r u n t m e o tarnen vos u n i -
versos in c o n s u l e d e l i g e n d o p l u r i m u m vidisse f a t e a n -
tur.
CBFR DAS S1FDLFRGESETZ II 33'

die, denen die Ruhe verhaßt ist, zu den friedlichsten und ru-
higsten Menschen machen. Denn ihnen pflegen aus den Wir-
ren und Mißhelligkeiten der Bürger Ämter, Machtbefugnisse
und Reichtümer zu erwachsen; doch ihr, deren Einfluß auf
den Abstimmungen, deren Freiheit auf den Gesetzen, deren
Recht auf den Gerichten und der Rechtlichkeit der Beamten,
deren Wohlstand auf dem Frieden beruht, müßt in jeder Weise
an geordneten Verhältnissen festhalten. Denn schon wer nur
aus Trägheit in Ruhe lebt, findet trotzdem in seiner beschä-
menden Untätigkeit an dieser Ruhe Gefallen; wie glücklich
werdet ihr erst sein, wenn ihr in diesen Verhältnissen, die ihr
nicht durch eure Bequemlichkeit herbeigeführt, sondern durch
eure Tüchtigkeit geschaffen habt, an der Ruhe festhaltet, Qui-
rlten ! Ich habe mir zu einem guten Einvernehmen mit mei-
nem Amtsgenossen verholfen, ganz gegen die Absicht derer,
die da behaupteten, wir würden während unseres Konsulates
Feinde sein und b l e i b e n H i e r d u r c h habe ich für alle ge-
sorgt, mich des Kornpreises angenommen, den Kredit wieder-
hergestellt und die Volkstribunen davor gewarnt, während
meines Amtsjahres irgendwelche Unruhen zu stiften. Der
beste und sicherste Schutz für unsere gemeinsame Wohlfahrt
besteht darin, Quiriten, daß ihr euch in Zukunft ebenso dem
Staate erzeigt, wie ihr euch am heutigen Tage in dieser ge-
waltigen Kundgebung mir um eures Heiles willen erzeigt
habt. Ich versichere, ich verspreche, ich gelobe euch dies und
erkläre: endlich sollen auch die, die mir mein Amt nicht ge-
gönnt haben, zugeben, daß ihr alle bei der Wahl des Konsuls
größten Weitblick bewiesen habt - das werde ich gewiß er-
reichen.
DE L E G E A G R A R I A O R A T I O T E R T I A

C o m m o d i u s fecissent tribuni plebis, Quirites, si, quae ι


apud vos de me d e f e r u n t , ea coram potius me praesente
dixissent; nam et aequitatem vestrae disceptationis et
consuetudinem superiorum et ius suae potestatis reti-
nuissent. S e d q u o n i a m adhuc praesens ccrtamen con-
tentionemque f u g e r u n t , nunc, si videtur eis, in meam
contionem prodeant et, q u o provocati a me venire
noluerunt, revocati saltem revertantur. V i d e o quos- 2
d a m , Quirites, strepitu significare nescio quid et non
eosdem voltus quos proxima mea contione praebuerunt
in hanc contionem mihi rettulisse. Q u a re a vobis qui
nihil de me credidistis ut eam voluntatem quam semper
habuistis erga me retineatis peto; a vobis autem quos
leviter immutatos esse sentio p a r v a m cxigui temporis
usuram bonae de me opinionis postulo, ut earn, si quae
dixcro vobis probabo, perpctuo retineatis; sin aliter,
hoc ipso in loco depositam atque abiectam relinquatis.

Completi sunt animi auresque vestrae, Quirites, me 3


gratificantem Septimiis, Turraniis ceterisque Sul-
lanarum adsignationum possessoribus agrariae legi et
commodis vestris obsistere. Hoc si qui crediderunt,
illud prius crediderint necesse est, hac lege agraria quae
promulgata est adimi Sullanos agros vobisque dividi,
D R I T T E R E D E Ü B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z

ζ gegen den Volhtribunen P.Servilivs Rullus,


gehalten vor dem Felke}

Die Volkstribunen hätten besser daran getan, Quinten, wenn


sie das, was sie euch über mich zu hinterbringen haben, lieber
in meiner Gegenwart behauptet hätten; dann hätten sie näm-
lich an der Unparteilichkeit eurer Entscheidung und amBrauch
ihrer Vorgänger und an einer Befugnis ihres Amtes festge-
halten. Doch da sie sich bislang einem unmittelbaren Streit
und Wortwechsel entzogen haben, mögen sie immerhin jetzt,
wenn sie es für richtig halten, in meiner Versammlung auf-
treten und wenigstens, da ich sie zurückrufe, wiederkommen,
wohin sie, da ich sie herbeirief, nicht kommen wollten. Ich
stelle fest, Quiriten, daß einige durch ihre Unruhe wer weiß
was zu erkennen geben und mir nicht dieselben Gesichter in
diese Versammlung mitgebracht haben, die sie mir in meiner
letzten gönnten. Daher bitte ich euch, die ihr den Reden über
mich nicht geglaubt habt, an der mir gegenüber stets erzeig-
ten Einstellung festzuhalten; von euch aber, die ihr, wie ich
bemerke, ein wenig umgeschwenkt seid, verlange ich für
kurze Zeit einen kleinen Vorschuß an guter Meinung über
mich; ihr sollt sie, wenn ich euch meine Behauptungen glaub-
haft machen kann, stets behalten, sonst aber hier an Ort und
Stelle ablegen, preisgeben und von euch tun.
Man hat euch die Ohren und Köpfe damit vollgestopft,
Quiriten, ich widersetzte mich dem Siedlergesetz und euren
Vorteilen, um Leuten wie Septimius, Turranius und anderen
Besitzern des von Sulla angewiesenen Landes einen Dienst zu
erweisen. Wer das geglaubt hat, der muß zunächst geglaubt
haben, das jetzt vorgeschlagene Siedlergesetz enteigne die
sullanischen Grundstücke und teile sie euch zu oder es ver-
334 DF LFGF AGRARIA III

aut d e n i q u e rmnui p r i v a t o r u m p o s s e s s i o n e s ut in eas vos


d e d u c a m i n i . S i o s t e n d o non m o d o non adimi c u i q u a m
g l e b a m d e S u l l a n i s a g r i s , sed e t i a m g e n u s id a g r o r u m
c e r t o c a p i t c legis i m p u d e n t i s s i n i e c o n f i r m a r i a t q u e san-
c i r i , si d o c e o agris eis q u i a S u l l a sunt dati sic d i l i g c n t c r
R u l l u m sua lege c o n s u l e r e ut facile appareat c a m legem
non a v e s t r o r u m c o m m o d o r u m p a t r o n o , sed a Valgi
g e n e r o esse c o n s c r i p t a m , n u m q u i d est c a u s a e , Q u i r i -
t e s , q u i n ilia c r i m i n a t i o n e q u a in m e a b s e n t e m usus est
non s o l u m m e a m sed e t i a m v e s t r a m d i l i g e n t i a m pru-
dentiamquc despexerit?

C a p u t est legis XL d e q u o e g o c o n s u l t o , Q u i r i t e s , 4
n e q u e apud vos a n t e feci m e n t i o n e m . n e aut r e f r i c a r e
o b d u c t a m i a m rei p u b l i c a e c i c a t r i c e m viderer aut ali-
quid alienissimo tempore novae dissensionis c o m m o -
vere, n e q u e vero n u n c ideo d i s p u t a b o q u o d h u n c sta-
t u m rei p u b l i c a e n o n m a g n o o p e r e d e f e n d e n d u m pu-
t e m , p r a e s e r t i m qui oti et c o n c o r d i a e p a t r o n u m m e in
h u n c a n n u m p o p u l o R o m a n o p r o f e s s u s s i m . sed ut
d o c e a m R u l l u m p o s t h a c in eis saltern tacere r e b u s in
q u i b u s d e sc et d e suis factis taceri velit.

O m n i u m l e g u m i n i q u i s s i m a m d i s s i m i l l i m a m q u e le-
gis esse a r b i t r o r earn q u a m L . F l a c c u s i n t e r r e x d e S u l l a
t u l i t , ut o m n i a q u a e c u m q u e ille fecisset essent rata.
N a m c u m c e t e r i s in c i v i t a t i b u s t v r a n n i s institutis leges
o m n e s e x s t i n g u a n t u r a t q u e t o l l a n t u r , hie rei p u b l i c a e
t v r a n n u m lege c o n s t i t u i t . Kst invidiosa l e x , sicuti d i x i .
Ü B F R DAS S I F D L F R G F S F T Z III 335

kleinere Uberhaupt die privaten Besitzungen, damit ihr dort


Hofstellen erhalten könnt. Wenn ich nun zeige: das Gesetz
entzieht niemandem auch nur einen Fußbreit der sullanischen
Grundstücke, ja ein bestimmtes Kapitel verbürgt und be-
stätigt diese Art von Grundstücken auf das schamloseste;
wenn ich beweise: Rullus nimmt sich in seinem Gesetz der
von Sulla zugeteilten Grundstücke so sorgfältig an, daß man
mühelos erkennt, daß nicht der Anwalt eurer Interessen, son-
dern der Schwiegersohn des Valgius 1 1 0 dieses Gesetz entwor-
fen hat - muß man dann nicht glauben, Quiriten, daß er mit
seiner Bezichtigung, die er in meiner Abwesenheit gegen mich
vorbrachte, nicht nur meine, sondern auch eure Aufmerksam-
keit und Einsicht verächtlich gemacht hat?
Es handelt sich um das 40. Kapitel, das ich vorher mit Ab-
sicht euch gegenüber nicht zur Sprache gebracht habe, Qui-
riten: man sollte nicht glauben, ich wolle eine bereits ver-
harschte Wunde unseres Gemeinwesens wieder aufreißen oder
zu ungelegensterZeit neue Mißhelligkeiten hervorrufen. Auch
jetzt werde ich auf das Kapitel nicht etwa deshalb eingehen,
weil ich den gegenwärtigen Zustand unseres Staates nicht für
höchst schutzwürdig hielte; gerade ich habe ja dem römischen
Volke zugesichert, ich wolle in diesem Jahre der Anwalt von
Frieden und Eintracht sein. Ich möchte vielmehr dem Rullus
eine Lehre erteilen; er soll künftig wenigstens von den Dingen
schweigen, bei denen er wünscht, daß man über ihn und seine
Unternehmungen Stillschweigen wahrt.
Unter allen Gesetzen war, meine ich, keines so ungerecht
und einem Gesetze so unähnlich wie jenes, das der Zwischen-
könig L.Flaccus über Sulla eingebracht hat: alles, was Sulla
getan habe, solle gültig s e i n 1 " . Denn während in den übrigen
Staaten alle Gesetze entkräftet und aufgehoben sind, sobald
Zwingherren gebieten, hat Flaccus den Zwingherrn unseres
Staates durch ein Gesetz gutgeheißen. Es ist, wie gesagt, ein
DF LEGE AGRARIA III

verum tarnen habet excusationem; non enim videtur


hominis lex esse, sed temporis.

Q u i d si est haec multo impudentior? N a m Valeria 6


lege C o r n e l i i s q u e legibus eripitur civi, civi datur, con-
iungitur impudens gratificatio cum acerba iniuria; sed
tarnen imbibit ίIiis legibus spem non nullam cui ademp-
tum est, aliquem scrupuluni cui datum est. Rulli cautio
e s t h a e c : Q u i POST С . M A R I U M C N . P A P I R I U M C O N S U L E S .
Q u a m procul a suspicione fugit, quod eos consules qui
adversarii Sullae m a x i m e fuerunt potissimum nomina-
vit! Si enim S u l l a m dictatorem nominasset, perspi-
cuum fore et invidiosum arbitratus est. Sed quem
vestrum tarn tardo ingenio fore putavit cui post eos
consules S u l l a m dictatorem fuisse in mentem venire
non posset? Q u i d ergo ait Marianus tribunus plebis, qui 7
nos Sullanos in invidiam rapit? Q u i POST MARIUM F.T
C A R B O N E M CONSULES AGRI, AEDIFICIA, LACUS, STAGNA,
LOCA, POSSESSIONES - caelum et mare praetermisit,
c e t e r a c o m p l e x u s e s t - P U B L I C E D A T A A D S I G N A T A , VF.N-
DITA, CONCESSA SUNT - a q u o , Rulle? post M a r i u m et
C a r b o n e m consules quis adsignavit, quis dedit, quis
concessit praeter S u l l a m ? - FA OMNIA EO IURE SINT -
q u o iure? labefactat videlicet nescio quid. Nimium
acer, nimium vehemens tribunus plebis Sullana rescin-
dit - UT Q U A E OPTIMO IURE PRIVATA SUNT. Ktiamne
meliore q u a m paterna et avita? Meliore.

A t hoc Valeria lex non dicit, Corneliae leges non К


sanciunt, Sulla ipse non postulat. Si isti agri partem
ÜBFR DAS SIFDLF-RGF.SETZ III 337

verhaßtes Gesetz, doch es gibt trotzdem eine Entschuldigung


dafür; denn offensichtlich hat nicht ein Mensch, sondern die
Not der Zeit das Gesetz erzeugt.
Wie steht es nun, wenn das Gesetz des Rullus noch viel
rücksichtsloser ist? Denn das Valerische und die Cornelischen
Gesetze" 1 berauben Bürger und beschenken Bürger, sie ver-
binden schamlose Willfährigkeit mit bitterem Unrecht; doch
trotzdem erregen diese Gesetze bei dem Beraubten ein wenig
Hoffnung, bei dem Beschenkten einige Unsicherheit. Die Be-
stätigung des Rullus aber lautet so: «Was nach dem Konsulat
des C.Marius und Cn.Papirius.» Wie weit ist er doch dem
Verdacht entronnen, da er gerade die Konsuln genannt hat,
die Sullas erbittertste Feinde waren! Wenn er den Diktator
Sulla genannt hätte, dann, meinte er, würde seine Absicht
offenbar werden und Mißfallen erregen. Doch wen von euch
hielt er für so stumpfsinnig, dem nicht hätte auffallen können,
daß Sulla nach diesen Konsuln Diktator war? Was also sagt
der marianische Volkstribun, der mich, den Sullaner, anzu-
schwärzen sucht? «Was nach dem Konsulat des Marius und
Carbo an Grundstücken, Gebäuden, Seen, Teichen, Plätzen,
Besitzungen» - den Himmel und das Meer ließ er aus, alles
übrige hat er einbezogen - «von Amts wegen übergeben, zu-
gewiesen, verkauft oder abgetreten worden ist» - von wem,
Rullus? Nach dem Konsulat des Marius und Carbo, wer hat
da zugewiesen, wer übergeben, wer abgetreten, wenn nicht
Sulla? - «alles dies soll von Rechts wegen so behandelt wer-
den» - von Rechts wegen wie? Er bringt doch gewiß irgend
etwas ins Wanken; ein allzu hitziger, allzu stürmischer Volks-
tribun macht die sullanischen Maßnahmen zunichte - «wie
das, was nach bestem Recht Privateigentum ist.» Selbst nach
besserem Recht als väterliches und großväterliches Erbgut?Ja.
Doch das schreibt das Valerische Gesetz nicht vor, erkennen
die Cornelischen Gesetze nicht an, verlangt selbst Sulla nicht.
33* DE LF.GE AGRARIA I I I

aliquam iuris, aliquam similitudinem propriae posses-


sionis, aliquam spem diuturnitatis attingunt, nemo est
tarn impudens istorum quin agi secum praeclare arbi-
tretur. Tu vero, Rulle, quid quaeris? Q u o d habent ut
habeant? Q u i s vctat? Ut privatum sit? Ita latum est. L't
meliore iure tui soceri f u n d u s H i r p i n u s sit sive ager
H i r p i n u s - totum enim possidet - q u a m meus paternus
avitusque f u n d u s Arpinas? Id enim caves. O p t i m o 9
enim iure ea sunt profecto praedia quae optima condi-
cione sunt. Libera meliore iure sunt q u a m serva; capite
hoc omnia quae serviebant non servient. Soluta meliore
in causa sunt q u a m obligata; eodcm capite subsignata
omnia, si m o d o Sullana sunt, liberantur. I m m u n i a
commodiore condicione sunt q u a m ilia quae pensitant;
ego Tusculanis pro aqua Crabra vectigal p e n d a m . quia
mancipio f u n d u m accepi; si a Sulla mihi datus esset,
Rulli lege non p e n d e r e m .

Video vos, Quirites, sicuti res ipsa cogit, commoveri 10


vel legis vel orationis impudentia, legis quae ius melius
Sullanis praediis constituat q u a m paternis, orationis
quae eius modi in causa insimulare q u e m q u a m audeat
rationes Sullae nimium vehementer defendere. At si ilia
solum sanciret quae a Sulla esscnt data, tacerem, m o d o
ipse se Sullanum esse confiteretur. Sed non m o d o illis
C B F R DAS S I E D L E R G F S E T Z III 339

Wenn jene Grundstücke nur einen gewissen Rechtsschutz,


einige Ähnlichkeit mit privatem Eigentum, ein wenig Aus-
sicht auf Dauer erlangen, dann ist keiner dieser Leute so un-
verschämt, daß er nicht vorzüglich behandelt zu werden
glaubt. Doch du, Rullus, worauf willst du hinaus? Daß sie be-
halten, was sie haben? Wer hindert sie daran? Daß es Privat-
land sei? So steht es schon geschrieben. Daß der hirpinische
Hof deines Schwiegervaters oder die hirpinische Mark (er be-
sitzt nämlich alles) nach besserem Recht Privatland sei als
mein vom Vater und Großvater ererbtes Gut in Arpinum" 1 ?
Das ist nämlich der Sinn deiner Vorschrift. Denn wahrhaftig,
das beste Recht haben die Grundstücke, die sich der günstig-
sten Bedingungen erfreuen. Die unbelasteten haben ein bes-
seres Recht als die mit Dienstbarkeiten belasteten; nach die-
sem Kapitel werden alle dienenden Grundstücke nicht mehr
dienen. Schuldenfreie befinden sich in günstigerer Lage als
verschuldete; dasselbe Kapitel befreit alle urkundlich ver-
pfändeten Grundstücke, vorausgesetzt, sie kommen von Sulla.
Abgabenfreie weisen eine vorteilhaftere Beschaffenheit auf als
zinspflichtige; ich soll den Tuskulanern für das Wasser der
Crabra eine Abgabe entrichten, weil ich das Grundstück durch
Rechtsgeschäft erworben habe; hätte ich es von Sulla erhal-
ten, so brauchte ich sie nach dem Gesetz des Rullus nicht zu
entrichten.
Ich sehe, Quiriten, daß euch, wie es die Sache selbst be-
dingt, die Dreistigkeit seines Gesetzes oder seiner Rede em-
pört - seines Gesetzes, weil es den sullanischen Grundstücken
eine bessere Rechtsstellung einräumt als den vom Vater er-
erbten, seiner Rede, weil sie unter diesen Umständen jeman-
den zu verdächtigen wagt, er trete allzu eifrig für die Maß-
nahmen Sullas ein. Indes, wollte er nur das bestätigen, was
Sulla gewährt hat, dann würde ich schweigen, vorausgesetzt,
er gäbe selbst zu, daß er ein Sullaner ist. Doch er schützt nicht
34° DF LEGF AGRARIA [II

cavet verum etiam aliud quoddam genus donationis


inducit; et is qui a me Sullanas possessiones defendi
criminatur non eas solum sancit verum ipse novas
adsignationes instituit et repentinus Sulla nobis exori-
tur. N a m attendite quantas concessiones agrorum hie 11
noster obiurgator uno verbo facere conetur: QUAF.
DATA, DONATA, CONCESSA, VF.NDITA. Patior, audio.
Q u i d deinde? POSSESSA. Hoc tribunus plebis promul-
gare ausus est ut, quod quisque post Marium et C a r b o -
nem consules possideret, id eo iure teneret quo quod
optimo privatum est? Etiamne si vi deiecit, etiamne si
c l a m , si precario venit in possessionem? E r g o hac lege
ius civile, causae possessionum, praetorum interdicta
tollentur.

N o n mediocris res neque parvum sub hoc verbo 12


f u r t u m , Quirites, latet. Sunt enim multi agri lege C o r -
nelia publicati nec cuiquam adsignati neque venditi qui
a paucis hominibus impudentissime possidentur. I i i s
cavet, hos defendit, hos privatos facit; hos, inquam,
agros quos Sulla nemini dedit Rullus non vobis adsi-
gnarc volt, sed eis condonare qui possident. Causam
quaero cur ea quae maiores vobis in Italia, Sicilia,
A f r i c a , d u a b u s Hispaniis, Macedonia, Asia reliquerunt
venire patiamini, cum ea quae vestra sunt condonari
possessoribus eadem lege videatis. Iam totam legem 13
intellegetis, cum ad paucorum dominationem scripta
sit, tum ad Sullanac adsignationis rationes esse accom-
Ü B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z III 34'

nur diese Dinge, sondern führt noch eine andere Art von Schen-
kung ein, und er, der mir vorwirft, ich begünstigte die sulla-
nischen Besitzungen, er bestätigt sie nicht nur, sondern ord-
net auch selbst neue Zuweisungen an und entpuppt sich uns
plötzlich als neuer Sulla. Denn beachtet, welche Zugeständ-
nisse an Land mein Kritiker mit einem Worte zu bewilligen
versucht: «Was übergeben, verschenkt, abgetreten, verkauft
worden ist.» Das lasse ich gelten; ich bin einverstanden.
Was folgt? «Was man in Besitz genommen hat.» Das wagt ein
Volkstribun vorzuschlagen: was ein jeder nach dem Konsulat
des Marius und Carbo in Besitz genommen hat, das soll er
mit gleichem Recht behalten wie eine Sache, die nach bestem
Recht Privateigentum ist? Auch wenn er jemanden gewalt-
sam vertrieben, auch wenn er den Besitz heimlich, wenn
er ihn durch Leihe erlangt hat? Demnach hebt dieses Gesetz
das bürgerliche Recht, die Besitztitel,die prätorischen Schutz-
verfügungen auf" 4 .
Keine unerhebliche Sache und kein geringer Diebstahl ver-
birgt sich in diesem Worte, Quiriten. Es gibt nämlich zahl-
reiche Güter, die das Cornelische Gesetz enteignet, aber nie-
mandem zugewiesen noch verkauft hat; wenige Leute haben
sie auf die schamloseste Weise in Besitz genommen. Für diese
Güter sorgt er, diese schützt er, diese macht er zu privaten
Grundstücken; die Güter, sage ich, die Sulla niemandem über-
tragen hat, die will Rullus nicht euch zuweisen, sondern denen
schenken, die sie besitzen. Ich möchte den Grund erfahren,
weshalb ihr den Verkauf dessen hinnehmen wollt, was die Vor-
fahren in Italien, Sizilien, Afrika, in beiden Spanien, in Make-
donien und Asien für euch erworben haben; ihr seht doch,
daß durch dasselbe Gesetz euer Eigen den Besitzern geschenkt
werden soll. Jetzt werdet ihr begreifen: das ganze Gesetz ist
für die Herrschaft von wenigen gemacht; vor allem ist es vor-
züglich darauf zugeschnitten, die sullanischen Anweisungen
342 OF LEGE AGRARIA III

modatissimam. N a m socer huius vir multum bonus est;


neque ego nunc de illius bonitate, sed de generi impu-
dentia disputo. Ille enim quod habet retinere volt neque
se S u l l a n u m esse dissimulat; hie, ut ipse habeat quod
non habet, quae dubia sunt per vos sancire volt et, cum
plus appetat quam ipse Sulla, quibus rebus resisto,
Sullanas res defendere me criminatur. " H a b e t agros 14
non nullos", inquit, "socer meus desertos atque longin-
quos; vendet eos mea lege quanti volet. Habet incertos
ac nullo iure possessos; c o n f i r m a b u n t u r optimo iure.
H a b e t publicos; reddam privatos. Denique eos fundos
quos in agro Casinati optimos fructuosissimosque con-
tinuavit, cum usque eo vicinos proscriberet quoad an-
gulos c o n f o r m a n d o ex multis praediis unam fundi re-
gionem n o r m a m q u e perfeccrit, quos nunc cum aliquo
metu tenet, sine ulla cura possidebit."

Et quoniam qua de causa et quorum causa ille hoc 15


promulgarit ostendi, doceat ipse nunc ego quem posses-
sorem d e f e n d a m , c u m agrariae legi resisto. Silvam
Scantiam vendis; populus Romanus possidet; defendo.
C a m p a n u m agrum dividis; vos estis in possessione; non
cedo. Deinde Italiae. Siciliae ceterarumque provin-
ciarum possessiones venalis ac proscriptas hac lege
video; vestra sunt praedia, vestrae possessiones; resi-
stam atque repugnabo neque patiar a q u o q u a m po-
ÜBER DAS S I F O L F . R G E S F T Z MI 343

zu bestätigen. Denn der Schwiegervater des Rullus ist ein vor-


trefflicher Mann; doch ich rede jetzt nicht von seiner Treff-
lichkeit, sondern von der Unverschämtheit des Schwieger-
sohnes. Denn der Schwiegervater möchte gern behalten, was
er hat, und verhehlt nicht, daß er Sullaner ist; doch Rullus
will Zweifelhaftes durch euch bestätigen lassen, um zu erhal-
ten, was er gar nicht hat, und während er noch weitergehen
will als Sulla selbst (wogegen ich mich zur Wehr setze), be-
schuldigt er mich, ich begünstigte den sullanischen Besitz.
«Mein Schwiegervater», erklärt er, «hat einige unbebaute
und entlegene Grundstücke; er wird sie meinem Gesetz zu-
folge so teuer verkaufen, wie er will. Er hat Grundstücke, de-
ren Rechtslage unbestimmt ist und die er unberechtigter-
weise in Besitz genommen hat; sie sollen ihm zu bestem Recht
bestätigt werden. Er hat staatliches Land; ich will Privatei-
gentum daraus machen. Schließlich hat er in der casinatischen
Mark" 5 die besten und fruchtbarsten Äcker zusammenge-
bracht, indem er so lange seine Nachbarn in die Acht erklären
ließ, bis er durch Abrundung der Ecken aus vielen Gütern ein
einziges, in sich geschlossenes Landgebiet gemacht hatte; die-
ses Land, das er jetzt mit einiger Bangigkeit innehat, soll er
frei von jeder Sorge besitzen.»
Und da ich gezeigt habe, warum und zu wessen Gunsten
Rullus dies vorschlägt, mag er jetzt seinerseits beweisen, für
wessen Besitz ich eintrete, wenn ich mich gegen das Siedler-
gesetz wende. Du verkaufst den scantischen Forst" 6 ; er ge-
hört dem römischen Volk; ich nehme ihn in Schutz. Du ver-
teilst die kampanische Mark; ihr seid die Besitzer; ich gebe
sie nicht her. Außerdem sehe ich, daß dieses Gesetz Liegen-
schaften in Italien, auf Sizilien und in den übrigen Provinzen
ausbietet und für verkäuflich erklärt; es sind eure Grund-
stücke, eure Besitzungen; ich werde mich zur Wehr setzen
und dagegen ankämpfen und nicht zulassen, daß jemand wäh-
344 DE LF.GF AGRARIA III

pulum Romanum de suis posscssionibus mc consule


demoveri, praesertim, Quirites, cum vobis nihil quae-
ratur. Hoc enim vos in errore versari diutius поп opor- ιό
tet. N u m quis vestrum ad vim, ad facinus, ad caedem
accommodatus est? Nemo. Atque ei generi hominum,
mihi credite, C a m p a n u s ager et praeclara ilia Capua
servatur; exercitus contra vos, contra libertatem ves-
tram, contra Cn. Pompeium constituitur; contra hanc
urbem Capua, contra vos manus hominum audacissi-
morum, contra Cn. Pompeium χ duces comparantur.
Yeniant et coram, quoniam me in vestram contionem
vobis flagitantibus evocaverunt, disserant.
CBF.R DAS SI F DL F. RG FS ETZ III 345

rend meines Konsulats das römische Volk von seinen Besit-


zungen vertreibt, vor allem, Quinten, wenn ihr keinen Vorteil
davon habt. Denn in diesem Irrtum dürft ihr nicht länger be-
fangen sein. Ist etwa jemand von euch zu Gewalt, zu Ver-
brechen, zu Mord geneigt? Niemand. Doch Leuten dieses
Schlages, glaubt mir, will man die kampanische Mark und das
herrliche Capua vorbehalten; man stellt ein Heer zusammen,
gegen euch, gegen eure Freiheit, gegen Cn.Pompeius; gegen
unsere Stadt bietet man Capua auf, gegen euch die Scharen
der verwegensten Gesellen, gegen Cn.Pompeius die zehn An-
führer. Sie mögen kommen und sich öffentlich erklären, da sie
mich auf euren dringenden Wunsch in eure Versammlung ent-
boten haben.
PRO С. RABIRIO P E R D L E L L I O M S REO

E t s i , Q u i r i t e s , non est ш е а е c o n s u e t u d i n i s initio di- ι


cendi rationem reddere qua de causa q u e m q u e defen-
d a n t , p r o p t e r e a q u o d c u m o m n i b u s c i v i b u s in e o r u m
periculis s e m p e r satis iustam m i h i c a u s a m necessitudi-
n i s e s s e d u x i , t a m e n in h a c d e f e n s i o n e c a p i t i s , f a m a e
fortunarumque omnium C. Rabiri proponenda ratio
videtur esse offici mei, propterea q u o d , quae iustissima
mihi causa ad h u n c d e f e n d e n d u m esse visa est, e a d e m
vobis ad absolvendum debet videri. Nam me cum 2
amicitiae vetustas, c u m dignitas hominis, cum ratio
h u m a n i t a t i s , c u m m e a e vitae p e r p e t u a c o n s u e t u d o ad
C . R a b i r i u m d e f e n d e n d u m e s t a d h o r t a t a , t u m v e r o , ut
i d s t u d i o s i s s i m e f a c e r e m , s a l u s rei p u b l i c a e , c o n s u l a r e
o f f i c i u m , consulatus denique ipse mihi una a vobis c u m
s a l u t e rei p u b l i c a e c o m m e n d a t u s c o e g i t .

Non enim (λ Rabirium culpa dclicti, non invidia


vitac, Quirites, non d e n i q u e vcteres iustae gravesque
i n i m i c i t i a e c i v i u m in d i s c r i m c n c a p i t i s v o c a v c r u n t , s e d
ut illud summum auxilium maiestatis atque imperi
quod nobis a maioribus est t r a d i t u m de re publica
tolleretur, ut nihil posthac auctoritas senatus, nihil
consulare I m p e r i u m , nihil conscnsio b o n o r u m contra
pestem ac p e r n i c i e m civitatis valeret, i d c i r c o in his
rebus evertendis unius hominis senectus. infirmitas
R E D E F Ü R С. R A B I R I U S

(dir wegen Hochverrats angeklagt ist, vor dem römischen folke)

Es ist eigentlich nicht meine Gewohnheit, Quiriten, am


Anfang einer Rede zu begründen, weshalb ich jemanden ver-
teidige. Denn ich habe stets geglaubt, daß die freundschaft-
lichen Beziehungen, die mich mit allen Bürgern verbinden,
mein Auftreten in deren Bedrängnissen hinlänglich rechtfer-
tigen. Gleichwohl ist es angebracht, daß ich bei dieser Ver-
teidigung, in der es um die Existenz, den Ruf und das gesamte
Vermögen des C. Rabirius geht, die Gesichtspunkte vortrage,
die mich zur Übernahme meines Amtes bestimmt haben. Denn
ein Grund erschien mir als besonders triftig, diesen Mann zu
verteidigen; er muß auch euch so erscheinen, ihn freizuspre-
chen. Gewiß haben mich teils alte Freundschaft, teils die an-
gesehene Stellung der Person, teils mitmenschliche Regungen,
teils mein stets ausgeübter Lebensberuf aufgefordert, für C.
Rabirius einzutreten; doch daß ich dies mit größtem Nach-
druck tue, dazu zwangen mich das Staatswohl, der Pflichten-
krcis des Konsuls, überhaupt das Konsulat, das ihr mir zu-
sammen mit dem Wohl des Staates anvertraut habt.
Denn nicht Verbrechensschuld, noch Erbitterung über die
Lebensführung, Quiriten, noch schließlich alte, ebenso wohl-
begründete wie schwere Feindschaft unter Mitbürgern hat
C. Rabirius der Gefährdung seiner Existenz ausgesetzt. Man
will vielmehr dem Staat jenen äußersten Schutz seiner Hoheit
und Macht entziehen, den uns die Vorfahren hinterlassen
haben; nichts soll hernach die Meinung des Senats, nichts die
konsularische Gewalt, nichts der übereinstimmende Wille der
Rechtschaffenen gegen Verderben und Untergang des Ge-
meinwesens ausrichten können: um dies alles zu vernichten,
deshalb hat man sich an dem Alter, der Schutzlosigkeit und
34« PRO С. RABIRIO

solitudoque temptata est. Q u a m ob rem si est boni ?


consulis, cum cuncta auxilia rei publicae labefactari
convellique videat, ferre opem patriae, succurrere sa-
luti fortunisque c o m m u n i b u s , implorare civium fidem,
suam salutem posteriorem salute c o m m u n i ducere, est
etiam bonorum et fortium civium, quales vos omnibus
rei publicae temporibus exstitistis, intercludere omnis
seditionum vias, munire praesidia rei publicae, sum-
m u m in consulibus Imperium, s u m m u m in senatu con-
silium putare; ea qui secutus sit, laude potius et honore
q u a m poena et supplicio d i g n u m iudicare. Quam ob 4
rem labor in hoc d e f e n d e n d o praecipue meus est, Stu-
d i u m vero conservandi hominis c o m m u n e mihi vobis-
cum esse debebit. Sic enim existimare debetis, Quiri-
tes, post hominum memoriam rem nullam maiorem,
magis periculosam, magis ab omnibus vobis providen-
dam neque a tribuno pi. susceptam neque a consule
d e f e n s a m neque ad p o p u l u m R o m a n u m esse delatam.
A g i t u r enim nihil aliud in hac causa, Quirites, nisi ut
nullum sit posthac in re publica publicum consilium,
nulla b o n o r u m consensio contra improborum furorem
et audaciam, nullum extremis rei publicae temporibus
p e r f u g i u m et praesidium salutis.

Q u a e cum ita sint, p r i m u m , quod in tanta dimica-


tione capitis, famae f o r t u n a r u m q u e omnium fieri ne-
cesse est, ab love O p t i m o M a x i m o ceterisque dis dea-
busque immortalibus, q u o r u m ope et auxilio multo
magis haec res publica q u a m ratione hominum et consi-
lio gubernatur, pacem ac veniam peto precorque ab eis
ut hodiernum diem et ad huius salutem conservandam
FÜR RABIRIL'S 349

Verlassenheit eines einzelnen Mannes vergriffen. Daher heißt


es für einen guten Konsul, wenn er sieht, wie alle Stützen des
Staates ins Wanken gebracht und untergraben werden: dem
Vaterland beistehen, dem Wohl und Gedeihen der Allgemein-
heit zu Hilfe eilen, die Treue der Bürger anrufen, das eigene
Wohl für geringer achten als das Gemeinwohl; daher heißt es
auch flir rechtschaffene und tatkräftige Bürger, als die ihr
euch in allen Wechselfällen unseres Staates erzeigt habt: alle
Wege des Aufruhrs sperren, die Bollwerke der Verfassung
schützen, die oberste Gewalt den Konsuln, die maßgeblichen
Entschlüsse dem Senat zurechnen und jeden, der diese Grund-
sätze befolgt, eher des Lobes und der Ehre als der Strafe und
Verdammung für würdig erachten. Deshalb fällt die Mühe,
diesen Mann zu verteidigen, in der Hauptsache mir zu, doch
die Bereitschaft, ihn zu retten, muß meine und eure gemein-
same Aufgabe sein. Ihr müßt nämlich die Lage so beurteilen,
Quiriten: seit Menschengedenken wurde keine wichtigere,
gefährlichere, mehr der Vorsorge von euch allen bedürftige
Angelegenheit von einem Volkstribunen angezettelt oder von
einem Konsul vertreten oder dem römischen Volke unterbrei-
tet. Denn in diesem Prozeß geht es um nichts anderes, Quin-
ten, als daß es hernach in unserem Gemeinwesen keine allge-
meinverbindlichen Entschlüsse, kein Einverständnis der
Rechtschaffenen gegen das verantwortungslose Wüten von
Frevlern, keine Zuflucht und Schutzwehr des Heils in äußer-
ster Notlage des Staates mehr geben soll.
Unter diesen Umständen geschehe zuerst, was in einem
solchen Kampf um die Existenz, den Ruf und das gesamte
Vermögen unbedingt geschehen muß: ich bete zu Jupiter
Optimus Maximus und zu den übrigen unsterblichen Göttern
und Göttinnen, durch deren Macht und Beistand dieses
Staatswesen weit mehr gelenkt wird als vom Plan und Rat
der Menschen, sie möchten sich huldvoll und gnädig erzeigen,
PRO С. RABIRIO
35°

et ad rem publicam constituendam inluxisse patiantur.


Deinde vos, Quirites, quorum potestas proxime ad
deorum immortalium numen accedit, oro atquc obse-
cro, quoniam uno tempore vita С . R a b i r i , hominis
miserrimi atque innocentissimi, salus rei publicae ves-
tris manibus s u f f r a g i i s q u e permittitur, adhibeatis in
hominis fortunis misericordiam, in rei publicae salute
sapientiam quam soletis.

N u n c q u o n i a m , T . L a b i e n e , diligentiae meae tempo- 6


ris angustiis obstitisti m e q u e ex comparato et constituto
spatio defensionis in semihorae articulum coegisti, pa-
rebitur et, quod iniquissimum est, accusatoris condi-
cioni et, quod m i s e r r i m u m , inimici potestati. Q u a m -
quam in hac praescriptione semihorae patroni mihi
patris reliquisti, consulis ademisti, propterea quod ad
d e f e n d e n d u m prope m o d u m satis erit hoc mihi tempo-
ris, ad conquerendum vero parum.

N i s i forte de locis religiosis ac de lucis quos ab hoc 7


violatos esse dixisti pluribus verbis tibi respondendum
putas; quo in crimine nihil est u m q u a m abs te dictum,
nisi а С . Macro obiectum esse crimen id C . Rabirio. In
quo e g o d e m i r o r meminisse tc quid obiccerit C . Rabirio
Macer inimicus, oblitum esse quid aequi et iurati iudi-
ces iudicarint.

A n de peculatu facto aut de tabulario incenso longa К


oratio est expromendar quo in crimine propinquus
C . Rabiri iudicioclarissimo, C . C u r t i u s , pro virtute sua
FÜR RABIRIUS 35'
und ich bitte sie zu gestatten, daß der heurige Tag angebro-
chen ist, diesen Mann zu retten und zu bewahren und die
Verfassung des Staates zu festigen. Dann aber wende ich
mich flehentlich an euch, Quinten, denn eure Macht unter-
scheidet sich nur wenig vom Walten der unsterblichen Göt-
ter: da zugleich das Leben des C. Rabirius, eines ebenso be-
klagenswerten wie unsträflichen Mannes, und das Wohl des
Staates eurer Hand und eurem Urteil anvertraut sind, laßt,
wie es eure Gewohnheit ist, dem Schicksal der Einzelperson
Mitleid, dem Wohl des Staates Einsicht zuteil werden.
T.Labienus, du hast meiner Sorgfalt durch enge Zeit-
schranken vorgebeugt und mich, statt meinem Plädoyer die
vorgesehene und festgesetzte Dauer zu gewähren, in die kurze
Frist einer halben Stunde gezwängt 1 . Ich muß mich jetzt
fügen, und zwar zugleich der Bedingung des Anklägers und
der Macht des Feindes; jenes ist krasses Unrecht, dies eine
bittere Notlage. Indes, du hast mir bei der Beschränkung auf
eine halbe Stunde die Rolle des Anwalts gelassen und nur die
des Konsuls entzogen; denn für die Verteidigung dürfte mir
diese Frist in etwa genügen, doch für mißbilligende Klagen
ist sie zu knapp.
Oder glaubst du etwa, ich müsse dir ausführlich über die
heiligen Stätten und Haine Bescheid geben, die, wie du sag-
test, vom Angeklagten entweiht worden sind? Bei dieser Be-
zichtigung hast du einzig und allein erklärt, daß C. Macer sie
gegen C. Rabirius vorgebracht habe. Da wundere ich mich,
daß du dich erinnerst, was Macer seinem Feinde C. Rabirius
vorgeworfen hat, und vergißt, welches Urteil gerechte Rich-
ter ihrem Eid getreu gefällt haben*.
Oder soll ich wegen der Unterschlagung oder des Archiv-
brandes 3 zu einer langen Rede ausholen? Von dieser Anklage
wurde ein Verwandter des C. Rabirius, C. Curtius, in einem
aufsehenerregenden Prozeß auf die ehrenvollste Weise frei-
352 PRO С. RABIRIO

est honestissime liberatus, ipse vero Rabirius non modo


in iudicium h o r u m c r i m i n u m , sed ne in tenuissimam
q u i d e m suspicionem verbo est u m q u a m vocatus.

An de sororis filio diligentius r e s p o n d e n d u m est?


q u e m ab hoc n e c a t u m esse dixisti, c u m ad iudici moram
familiaris funeris excusatio quaereretur. Q u i d enim est
tam veri simile q u a m cariorem huic sororis maritum
q u a m sororis filium fuisse, atque ita cariorem ut alter
vita crudelissime privaretur, c u m alteri ad prolationem
iudici b i d u u m quaereretur?

A n de servis alienis contra legem Fabiam retentis, aut


de civibus Romanis contra legem Porciam verberatis
aut necatis plura dicenda sunt, c u m tanto studio C. Ra-
birius totius Apuliae, singular· voluntate Campaniae
o r n e t u r , c u m q u e ad eius p r o p u l s a n d u m periculum non
m o d o homines sed p r o p e regiones ipsae convenerint,
aliquanto etiam latius excitatae q u a m ipsius vicinitatis
nomen ac termini postulabant?

N a m quid ego ad id longam orationem comparem


q u o d est in eadeni m u l t a e inrogatione praescriptum,
h u n c nec suae nec alienae pudicitiae pepercisse? Q u i n у
etiam suspicor eo mihi semihoram ab Labieno praesti-
t u t a m esse ut ne plura d e pudicitia dicerem. Krgo ad
haec crimina quae patroni diligentiam desiderant intel-
legis mihi semihoram istam n i m i u m longam fuisse.

Illam alteram p a r t e m de nece Saturnini nimis exi-


g u a m atque angustam esse voluisti; quae non oratoris
Fl'R RABIRIL'S

gesprochen, wie es seiner Rechtschaffen hei t zukommt; doch


Rabirius selbst war weder in den Prozeß verwickelt, der diese
Vorwürfe behandelte, noch hat man je auch nur die geringste
Andeutung eines Verdachtes gegen ihn vorgebracht.
Oder muß ich wegen des Sohnes der Schwester gründlich
antworten? Du sagtest, Rabirius habe ihn getötet, als man
sich, um einen Prozeßaufschub zu erwirken, die Entschuldi-
gung eines Familienbegräbnisses verschaffen wollte. Denn
was ist so wahrscheinlich, als daß dem Rabirius der Gatte
der Schwester teurer war als der Schwester Sohn, und zwar
derart, daß diesem auf die grausamste Weise das Leben ge-
nommen wurde, als es galt, jenem einen Prozeßaufschub von
zwei Tagen zu verschaffen ?
Oder soll ich hierüber ausführlich reden: über die fremden
Sklaven, die C. Rabirius wider das Fabische Gesetz zurückbe-
halten, über die römischen Bürger, die er wider das Porzische
Gesetz ausgepeitscht oder getötet habe 4 ? Ehrt ihn doch die
große Anteilnahme ganz Apuliens, die außergewöhnliche Zu-
neigung Kampaniens, und haben sich doch, seiner Bedräng-
nis zu wehren, nicht allein die Bewohner, sondern geradezu
die Bezirke selbst eingefunden, die sogar in erheblich größerer
Ausdehnung aufgescheucht wurden, als das Band und die
Grenzen der Nachbarschaft erheischten!
Denn was soll ich mich deshalb zu einer langen Rede rüsten,
weil in demselben Antrag auf Verhängung einer Buße* ge-
schrieben steht, Rabirius habe weder die eigene noch die Scham-
haftigkeit anderer geschont? Ich habe sogar den Verdacht, daß
Labienus mir deshalb eine halbe Stunde vorgeschrieben hat,
damit ich nicht des längeren über Schamhaftigkeit rede. Du
siehst also, für diese Vorwürfe, welche die Sorgfalt des Anwalts
erfordern, war mir die halbe Stunde mehr als lang genug.
Du wolltest indes, daß der zweite Teil, der von der Ermor-
dung des Saturninus, allzu gering und dürftig ausfalle; der
354 PRO С. RABIRK)

i n g e n i u m sed c o n s u l i s a u x i l i u m i m p l o r a t et flagitat.
N a m d e p e r d u e l l i o n i s i u d i c i o , q u o d a m e s u b l a t u m esse ιо
c r i m i n a r i soles, m e u m c r i m e n e s t , n o n R a b i r i . Q u o d
u t i n a m , Q u i r i t e s , e g o id aut p r i m u s aut solus ex hac re
p u b l i c a s u s t u l i s s e m ! u t i n a m h o c , q u o d ille c r i m e n esse
volt, p r o p r i u m t e s t i m o n i u m m e a e laudis esset. Q u i d
e n i m optari potest q u o d e g o m a l l e m q u a m m e in c o n s u -
latu m e o c a r n i f i c e m d e f o r o , c r u c e m d e c a m p o sustu-
lisse? S e d ista laus p r i m u m est m a i o r u m n o s t r o r u m ,
Q u i r i t e s , qui e x p u l s i s r e g i b u s n u l l u m in libero populo
v e s t i g i u m c r u d e l i t a t i s regiae r e t i n u e r u n t , d e i n d e m u l -
torum virorum fortium qui vestram libertatem non
a c e r b i t a t e s u p p l i c i o r u m i n f e s t a m sed lenitate legum
m u n i t a m esse v o l u e r u n t .

Q u a m o b r e m u t e r n o s t r u m t a n d e m , L a b i e n e , popu- 11
laris e s t , t u n e qui c i v i b u s R o m a n i s in c o n t i o n e ipsa
c a r n i f i c e m , qui vincla a d h i b e r i p u t a s o p o r t e r e , qui in
c a m p o M a r t i o c o m i t i i s c e n t u r i a t i s a u s p i c a t o in loco
c r u c e m ad c i v i u m s u p p l i c i u m defigi et c o n s t i t u i i u b c s ,
an e g o q u i funestari c o n t i o n e m c o n t a g i o n e carnificis
v e t o , qui e x p i a n d u m f o r u m populi R o m a n i ab illis
nefarii sceleris vestigiis e s s e d i c o , q u i c a s t a m c o n t i o -
nem, sanctum c a m p u m , inviolatum corpus omnium
c i v i u m R o m a n o r u m , i n t e g r u m ius libertatis d e f c n d o
servari o p o r t e r e ?

P o p u l a r i s vero t r i b u n u s pl. c u s t o s d e n f e n s o r q u e iuris 12


et l i b e r t a t i s ! Porcia lex virgas a b o m n i u m c i v i u m R o m a -
kCr r a b i r i l s 355

aber heischt und erfordert nicht die Fähigkeit des Redners,


sondern den Beistand des Konsuls. Denn was den Hochver-
ratsprozeß 4 angeht, dessen Beseitigung du mir vorzuwerfen
pflegst: dieser Vorwurf richtet sich gegen mich, nicht gegen
Rabirius. Ach, hätte ich doch, Q u i n t e n , den Prozeß als erster
oder einziger aus unserem Staate entfernt! Wäre doch, was
Labienus für einen Vorwurf ausgibt, ein mir allein zukom-
mender Beweis meines Verdienstes! Denn was könnte ich
mir lieber wünschen, als daß ich in meinem Konsulat den
Henker vom Forum, das Kreuz vom Marsfelde beseitigt hät-
te? Doch dieses Verdienst gebührt an erster Stelle unseren
Vorfahren, Quinten, die nach der Vertreibung der Könige
keine Spur königlicher Grausamkeit in einem freien Volke zu-
rückließen, an zweiter Stelle den vielen tüchtigen Männern,
die da wollten, daß eure Freiheit nicht durch harte Strafen
furchtbar, sondern durch milde Gesetze gesichert sei.
Daher frage ich dich, Labienus: wer von uns ist eigentlich
ein Freund des Volkes? Du? Du glaubst, man müsse römi-
schen Bürgern vor versammeltem Volke den Henker, man
müsse ihnen Fesseln verabfolgen; du befiehlst, man solle auf
dem Marsfelde, auf geweihter Stätte, vor den Zenturiatko-
mitien' ein Kreuz für die Hinrichtung von Bürgern einpflan-
zen und aufrichten. Oder ich? Ich lehne es ab, daß die Volks-
versammlung durch die Berührung mit dem Henker besudelt
wird; ich erkläre, daß man das Forum des römischen Volkes
von den Spuren dieses ruchlosen Frevels reinigen solle; ich
verfechte den Standpunkt, man müsse die Volksversammlung
unbefleckt, das Marsfeld unentweiht, den Leib eines jeden
römischen Bürgers unverletzt, das Recht der Freiheit unan-
getastet erhalten.
Wirklich, ein volksfreundlicher Volkstribun, ein Hüter und
Verteidiger von Recht und Freiheit! Das Porzische Gesetz
hat der Rute den Rückcn aller römischen Bürger entzogen;
356 PRO С. RAB[RIO

norum corpore amovit, hic miscricors flagclla rettulit;


Porcia lex libertatem c i v i u m lictori eripuit, Labienus,
homo popularis, carnifici tradidit; C . G r a c c h u s legem
tulit ne de capite civium R o m a n o r u m iniussu vestro
iudicaretur, hic popularis a liviris iniussu vestro non
iudicari de cive R o m a n o sed indicta causa civem Ro-
manum capitis condemnari coegit.

T u mihi etiam legis Porciae, tu C . G r a c c h i , tu horum 13


libertatis, tu cuiusquam denique hominis popularis
mentionem facis, qui non m o d o suppliciis invisitatis
sed etiam verborum crudelitate inaudita violare liberta-
tem huius populi, temptare mansuetudinem, commu-
tare disciplinam conatus es? N a m q u e haec tua, quae te.
hominem d e m e n t e m p o p u l a r e m q u e . delectant, I, LIC-
TOR, CONLIGA MANUS, non m o d o huius libertatis man-
suetudinisque non sunt sed ne Romuli quidem aut
N u m a e Pompiii; T a r q u i n i , superbissimi atque crude-
lissimi regis, ista sunt cruciatus carmina quae tu, homo
lenis ac popularis, libentissinie commemoras: CAPUT
OBNUBITO, ARBORI iNFELici susPFNDiTO, quae verba,
Quirites, iam pridem in hac re publica non solum
tenebris vetustatis verum etiam luce libertatis oppressa
sunt.

A n vero, si actio ista popularis esset et si ullam 14


partem aequitatis haberet aut iuris, C . G r a c c h u s cam
reliquisset? Scilicet tibi graviorcm dolorem patrui tui
mors artulit quam C . G r a c c h o fratris, et tibi acerbior
eius patrui mors est q u e m n u m q u a m vidisti quam illi
FÜR RABIRILS 357

dieser barmherzige Mann führte die Peitsche wieder ein! Das


Porzische Gesetz hat die Bürgerfreiheit dem Büttel entrissen;
Labienus, der Freund des Volkes, lieferte sie dem Henker aus.
C.Gracchus brachte das Gesetz ein, kein römischer Bürger
dürfe ohne eure Zustimmung zum Tode verurteilt werden';
dieser Volksfreund setzte durch, daß die Zweimänner ohne
eure Zustimmung über einen römischen Bürger nicht etwa
Recht sprechen, sondern ihn ohne Verhör zum Tode verur-
teilen.
Du sprichst mir gar vom Porzischen Gesetz, du von C.
Gracchus, du von der Freiheit dieser Männer hier, du über-
haupt von irgendeinem Freunde des Volkes? Hast du doch
versucht, nicht nur durch nie gesehene Strafmaßnahmen,
sondern auch durch Worte von unerhörter Grausamkeit der
Freiheit dieses Volkes Gewalt anzutun, seine Milde zu krän-
ken, seine Lebensordnung zu verändern! Denn deine Formel,
die dir, einem milden und volksfreundlichen Menschen, Freu-
de macht: «Geh, Büttel, binde ihm die Hände!» - sie wider-
streitet unserer jetzigen Freiheit und Milde und sogar der
Zeit des Romulus oder des Numa Pompilius; Tarquinius, der
anmaßendste und grausamste König, hat diesen Marterge-
sang erfunden, den du, ein sanfter und volksfreundlicher
Mensch, mit größtem Vergnügen im Munde führst: «Ver-
hülle ihm das Haupt, knüpfe ihn an den Baum des Unheils*.»
Diese Worte, Quiritcn, sind in unserem Staate schon längst
verblichen, nicht nur in der Finsternis uralter Zeit, sondern
auch im Lichte der Freiheit.
Wenn diese Formel dem Volke förderlich und irgendwie
mit Recht und Billigkeit vereinbar wäre, hätte ihr C.Grac-
chus dann keine Beachtung geschenkt? Freilich, der Tod dei-
nes Onkels hat dich schwerer getroffen als C.Gracchus der
Tod des Bruders, und für dich war der Tod eines Onkels, den
du nie gesehen hast, bitterer als für C. Gracchus der Tod des
35« PRO С. R Л В1RIО

eius fratris q u i c u m concordissime vixerat. et simili iure


tu ulcisceris patrui mortem atquc ille persequcretur
fratris, si ista ratione agere voluisset, et par desiderium
sui reliquit apud p o p u l u m R o m a n u m Labienus iste,
patruus vester, quisquis fuit, ac T i . G r a c c h u s relique-
rat. A n pietas tua maior q u a m С . G r a c c h i , an animus,
an consilium, an opes, an auctoritas, an eloquentia?
quae si in illo minima fuissent, tamen prae tuis facul-
tatibus maxima putarentur. C u m vero his rebus omni- 15
bus C . G r a c c h u s omnis vicerit, quantum intervallum
tandem inter te atque ilium interiectum putas? Sed
moreretur prius acerbissima morte miliens C . G r a c -
chus quam in eius contione carnifex consisteret; quem
non modo foro sed etiam caclo hoc ac spiritu censoriae
leges atque urbis domicilio carere voluerunt.

H i e se populärem dicere audet, m c alienum a com-


modis vestris, cum iste omnis et suppliciorum et ver-
borum acerbitates non ex memoria vestra ac patrum
vestrorum sed ex annalium monumentis atque ex re-
g u m commentariis conquisierit, ego omnibus meis opi-
bus, omnibus consiliis, omnibus dictis atque factis
repugnarim et restiterim crudelitati? nisi forte hanc
condicionem vobis esse voltis quam servi, si libertatis
spem propositam non haberent, ferre nullo m o d o pos-
sent. Misera est ignominia iudiciorum publicorum, 16
misera multatio b o n o r u m , miserum exsilium; sed ta-
men in omni calamitate retinetur aliquod vestigium
libertatis. Mors denique si proponitur, in libertate πιο-
FÜR RABIRILS 359

Bruders, mit dem er in innigster Eintracht gelebt hatte, und


du ahndest mit etwa gleichem Recht den Tod deines Onkels,
wie C.Gracchus den seines Bruders verfolgt hätte, wäre er
willens gewesen, in dieser Weise vorzugehen, und dieser La-
bienus, euer Onkel, er sei was immer gewesen, hinterließ
beim römischen Volke ein ebenso großes Verlangen wie Ti.
Gracchus. Ist deine Anhänglichkeit größer als die des C.
Gracchus, oder dein Mut, oder deine Klugheit, oder dein
Einfluß, oder dein Ansehen, oder deine Beredsamkeit? Wären
diese Dinge auch sehr gering bei ihm gewesen, man würde
sie dennoch, gemessen an deinen Fähigkeiten, für überragend
halten. Doch da es C.Gracchus in alledem allen zuvortat,
welcher Abstand, glaubst du eigentlich, liegt zwischen dir
und ihm? C.Gracchus aber wäre eher tausendfach auf die bit-
terste Art umgekommen, als daß sich in einer von ihm gelei-
teten Volksversammlung ein Henker hätte aufstellen dürfen;
die zensorischen Gesetze schreiben ja vor, daß dieser Person
nicht nur das Forum, sondern auch der Himmel und die Luft
hier und der Wohnsitz in der Stadt verwehrt sei".
Dieser Labienus wagt es, sich einen Volksfreund zu nennen
und mich einen Feind eurer Interessen? Hat er doch alle
Schrecknisse von Strafen und Rechtsformen nicht etwa aus
eurer und eurer Väter Erinnerung, sondern aus den Ge-
schichtswerken und Aufzeichnungen der Königszeit 11 zusam-
mengesucht, während ich mit aller meiner Macht, mit allen
Maßnahmen, allen Worten und Taten der Grausamkeit ent-
gegenwirke und Widerstand leiste! Oder wollt ihr euch etwa
mit der Rechtsstellung begnügen, die für Sklaven unerträg-
lich wäre, wenn sie nicht die Aussicht auf Freilassung hätten?
Elend ist die Schande der öffentlichen Prozesse, elend die
Vermögensstrafe, elend die Verbannung; aber dennoch bleibt
bei allem Unheil eine Spur von Freiheit erhalten! Wenn voll-
ends der Tod angedroht wird, so wollen wir in Freiheit ster-
PRO С. RABIRIO

riarnur, carnifex vero ct obductio capitis et nomen


ipsum crucis absit non m o d o a corpore civium Roma-
norum sed etiam a cogitatione, oculis, auribus. H a r u m
enim o m n i u m rerum non solum eventus atque perpes-
sio sed etiam condicio, exspectatio, mentio ipsa deni-
que indigna cive R o m a n o atque homine libero est. A n
vero servos nostros horum suppliciorum omnium metu
d o m i n o r u m benignitas vindicta una liberat; nos a ver-
beribus, ab unco, a crucis denique terrore neque res
gestae neque acta aetas neque vestri honores vindica-
buntr

Q u a m ob rem fateor atque etiam, L a b i e n e , profiteor 17


et prae me fero te ex ilia crudeli, importuna, non
tribunicia actione sed regia, meo consilio, virtute, auc-
toritate esse d e p u l s u m . Q u a tu in actione q u a m q u a m
omnia exempla m a i o r u m , omnis leges, omnem auctori-
tatem senatus, omnis religioncs atque auspiciorum pu-
blica iura neglexisti, tarnen a me haec in hoc tarn exiguo
meo tempore non audies; liberum tempus nobis dabitur
ad istam disceptationem.

N u n c de Saturnini crimine ac de clarissimi patrui tui iS


morte dicemus. Arguis occisum esse a C . R a b i r i o
L . S a t u r n i n u m . A t id C . Rabirius multorum testimo-
niis, Q . Hortensio copiosissime defendente, antea
falsum esse docuit; ego autem, si mihi esset integrum,
susciperem hoc crimen, agnoscerem, confiterer. Uti-
nam hanc mihi facultatem causa concederet ut possem
hoc praedicare, C . R a b i r i manu L . S a t u r n i n u m , hos-
tem populi R o m a n i , interfectum! - N i h i l me clamor
FÜR RABIRIUS 361

ben, doch der Henker, die Verhüllung des Hauptes und die
bloße Bezeichnung «Kreuz» sei nicht nur von Leib und Leben
der römischen Bürger verbannt, sondern auch von ihren Ge-
danken, Augen und Ohren. Denn alle diese Dinge sind eines
römischen Bürgers und freien Menschen unwürdig: nicht nur
daß sie eintreten können und man sie erleiden muß, sondern
auch daß sie zulässig sind, daß man mit ihnen rechnet, ja
selbst, daß sie erwähnt werden. Unseren Sklaven nimmt die
Milde der Herren durch eine einzige Berührung mit dem
Freiheitsstabe alle Furcht vor diesen M a r t e r n " ; sollen uns
etwa weder Taten noch das Alter noch die von euch verlie-
henen Ehren vor Peitschenhieben, vor dem Haken des Hen-
k e r s " , kurz, vor dem Schrecken des Kreuzes bewahren?
Daher gebe ich zu, Labienus, und bekenne gar und erkläre
öffentlich, daß dich mein Entschluß, meine Tatkraft und
mein Einfluß an dieser harten, grausamen, nicht tribunizi-
schen, sondern tyrannischen Prozedur gehindert hat. Du aber
hast dich mit dieser Prozedur über alle Beispiele der Vorfahren,
alle Gesetze, alle Gutachten des Senats, alle religiösen Ver-
pflichtungen und staatsrechtlichen Grundsätze der Vogelschau
hinweggesetzt. Gleichwohl wirst du hierüber in der mir so
knapp zugemessenen Frist nichts hören; für diese Auseinan-
dersetzung steht uns später unbeschrankt Zeit zur Verfügung.
Ich will mich jetzt mit dem Verbrechen an Saturninus und
mit dem Tode deines hochverehrten Onkels befassen. Du be-
schuldigst C. Rabirius, er habe den L. Saturninus getötet.
Doch C. Rabirius hat bereits durch zahlreiche Zeugnisse und
das ungemein ausführliche Plädoyer des Q^Hortensius die
Haltlosigkeit dieses Vorwurfs dargetan. Ich aber würde, wenn
ich noch freie Hand hätte, das Verbrechen auf mich nehmen,
anerkennen und eingestehen. Gäbe mir doch die Verhandlung
Gelegenheit, dies behaupten zu können: L.Saturninus, der
Feind des römischen Volkes, sei von der Hand des C. Rabi-
PRO С. RABIRIO

iste commovet scd consolatur, cum indicat esse quos-


dam civis imperitos sed non multos. N u m q u a m , mihi
credite, populus Romanus hie qui silet consulem me
fecisset, si vestro clamore perturbatum iri arbitraretur.
Quanto iam levior est acclamatio! Quin continetis vo-
cem indicem stultitiae vestrae, testem paucitatis!

Libenter, inquam, confiterer, si vere possem aut


etiam si mihi esset integrum, С . Rabiri manu L. Satur-
ninum esse occisum, et id facinus pulcherrimum esse
arbitrarer; sed, quoniam id facere non possum, confite-
bor id quod ad laudem minus valebit, ad crimen non
minus. Confiteorinterficiendi Saturnini causa C. Rabi-
rium arma cepisse. Q u i d est, Labiene? quam a me
graviorem confessionem aut quod in hunc maius cri-
men exspectas? nisi vero interesse aliquid putas inter
eum qui hominem occidit, et eum qui cum telo occi-
dendi hominis causa fuit. Si interfici Saturninum nefas
fuit, arma sumpta esse contra Saturninum sine scelere
non possunt; si arma iure sumpta concedis, interfectum
iure concedas necesse est.

Fit senatus consultum ut C. Marius L. Valerius con-


sules adhiberent tribunos pi. et praetores, quos eis
videretur, operamque darent ut imperium populi Ro-
mani maiestasque conservaretur. Adhibent omnis tri-
bunos pi. praeter Saturninum, praetores praeter Glau-
ciam; qui rem publicam salvam esse vellent, arma ca-
FÜR RABIRIUS

rius getötet worden! Die Zwischenrufe da regen mich nicht


auf, sondern beruhigen mich: sie zeigen, daß es zwar ahnungs-
lose Bürger gibt, ihre Zahl jedoch klein ist. Das römische Volk
steht schweigend da, und glaubt mir, es hätte mich niemals
zum Konsul gewählt, wenn es annähme, ich ließe mich durch
euer Geschrei in Verwirrung bringen. Wie viel schwächer
sind schon die Zurufe! Werdet ihr endlich euren Mund halten,
der nur eure Torheit verrät und eure geringe Zahl bekun-
det!
Mit Freuden, sage ich, würde ich gestehen, daß L.Satur-
ninus von der Hand des C. Rabirius den Tod empfing, wenn
ich das der Wahrheit gemäß gestehen könnte und es mir noch
freigestellt wäre, und ich würde meinen, dies sei eine herrliche
Tat. Doch da ich's nicht tun kann, will ich etwas gestehen,
was zwar das Verdienst verringert, nicht aber den Schuld-
vorwurf. Ich gestehe, daß C. Rabirius zu den Waffen griff, um
Saturninus zu töten. Wie steht's, Labienus? Welch belasten-
deres Geständnis erwartest du von mir oder welchen schlim-
meren Vorwurf gegen den Angeklagten? Denn du glaubst
doch nicht etwa, daß es etwas ausmacht, ob jemand einen
Menschen getötet hat oder ob er, um einen Menschen zu
töten, Waffen trug? Wenn es ein Frevel war, Saturninus zu
töten, so ist undenkbar, daß man gegen Saturninus zu den
Waffen griff, ohne damit ein Verbrechen zu begehen; wenn
du zugibst, man habe mit Recht zu den Waffen gegriffen, so
mußt du auch zugeben, die Tötung sei mit Recht erfolgt.
Es ergeht der Senatsbeschluß, die Konsuln C. Marius und
L.Valerius sollten nach ihrem Ermessen Volkstribunen und
Prätoren heranziehen und nichts unversucht lassen, daß Herr-
schaftsgewalt und Hoheit des römischen Volkes erhalten blie-
ben14. Sie ziehen alle Volkstribunen außer Saturninus zur
Unterstützung heran und alle Prätoren außer Glaucia; sie be-
fehlen, wer da wünsche, daß der Staat bestehen bleibe, der
364 PRO С. RABIRIO

p e r e et se sequi i u b e n t . Parent o m n e s ; ex aede S a n c u s


armamentariisque publicis arma populo R o m a n o C.
Mario consule distribuente dantur.

H i e i a m , ut o n i i t t a m c e t e r a , de te i p s o , Labiene,
quaero. C u m Saturninus Capitolium teneret armatus,
esset una C . G l a u c i a , C . S a u f e i u s , e t i a m ille ex c o m p e -
d i b u s a t q u e e r g a s t u l o G r a c c h u s ; a d d a m , q u o n i a m ita
vis, c o d e m Q . L a b i e n u m , p a t r u u m t u u m ; in foro autem
C . M a r i u s et L . V a l e r i u s F l a c c u s c o n s u l e s , post c u n c -
tus s e n a t u s , a t q u e ille s e n a t u s quern e t i a m vos ipsi, qui
hos patres c o n s c r i p t o s qui n u n c sunt in invidiam voca-
tis, q u o facilius d c hoc s e n a t u d e t r a h e r e possitis, lau-
dare consuevistis, cum equester ordo - at quorum
e q u i t u m , di i m m o r t a l e s ! p a t r u m n o s t r o r u m a t q u e eius
a e t a t i s , qui t u m m a g n a m p a r t e m rei p u b l i c a e a t q u e
omnem dignitatem iudiciorum tenebant, - cum omnes
o m n i u m o r d i n u m h o m i n e s qui in salute rei p u b l i c a e
s a l u t e m s u a m r e p o s i t a m esse a r b i t r a b a n t u r arma c e p i s -
s e n t : q u i d t a n d e m C . R a b i r i o f a c i e n d u m fuitr D e te 21
ipso, i n q u a m , L a b i e n e . q u a e r o .

C u m ad a r m a c o n s u l e s ex senatus c o n s u l t o vocavis-
s e n t , c u m a r m a t u s M . A e m i l i u s , p r i n c e p s s e n a t u s , in
c o m i t i o c o n s t i t i s s e t . qui c u m ingredi vix p o s s e t , non ad
i n s e q u e n d u m sibi t a r d i t a t e m p e d u m sed ad f u g i e n d u m
i m p e d i m e n t o fore p u t a b a t , c u m d e n i q u e Q . S c a e v o l a
c o n f e c t u s s e n e c t u t e , p e r d i t u s m o r b o , m a n c u s et m e m -
bris o m n i b u s c a p t u s ac d e b i l i s , hastili nixus et a n i m i
vim et i n f i r m i t a t e m c o r p o r i s o s t e n d e r e t , c u m L . M e t e l -
lus, S c r . G a l b a , C . S e r r a n u s , P. R u t i l i u s , C . F i m b r i a ,
КCR RABIRILS

solle sich bewaffnen und ihnen folgen. Der Gehorsam ist all-
gemein; das römische Volk empfängt Waffen aus dem Tempel
des Sancus 15 und den staatlichen Zeughäusern; der Konsul
C. Marius führt die Verteilung durch.
An dieser Stelle will ich jetzt, um nicht auf das Weitere ein-
zugehen, von dir selbst Auskunft erhalten, Labienus: als sich
Saturninus in Waffen auf dem Kapitol verschanzt hatte, als
C. Glaucia, C.Saufeius, ferner dieser Fußfessel- und Arbeits-
haus-Gracchus dabei waren und ich will ihnen noch, da du
es so willst, Q^. Labienus, deinen Onkel, beigeben, als sich hin-
gegen auf dem Forum die Konsuln C. Marius und L. Valerius
Flaccus befanden, hinter ihnen der ganze Senat, und zwar der
Senat, den auch ihr Verleumder der jetzt lebenden Väter zu
preisen pflegt, um unseren Senat desto leichter in den Staub
ziehen zu können, und der Ritterstand - doch von was für
Rittern, bei den unsterblichen Göttern! von unseren Vätern
und von der Zeit, da sie einen großen Teil der hoheitlichen
Befugnisse sowie alle Würde und Gewalt der Gerichtsbarkeit
innehatten 17 ! - als alle Menschen aller Stände, die glaubten,
ihr eigenes Heil beruhe auf dem Heil des Staates, zu den Waf-
fen gegriffen hatten: was in aller Welt mußte C. Rabirius da
tun? Von dir selbst, sage ich, möchte ich Auskunft erhalten,
Labienus.
Als die Konsuln dem Senatsbeschluß gemäß zu den Waffen
gerufen hatten, als sich M. Aemilius, der Ranghöchste im Se-
nat, bewaffnet auf dem Komitium aufgestellt hatte (er konnte
kaum noch gehen; er hat gewiß geglaubt, daß ihn die Lang-
samkeit seiner Füße nicht an der Verfolgung, sondern nur an
der Flucht hindern werde), als überdies Q^Scaevola, vom
Alter erschöpft und von Krankheit zermürbt, gebrechlich und
an allen Gliedmaßen gelähmt und geschwächt, auf eine Lanze
gestützt ebenso seine geistige Kraft wie seine leibliche Hin-
fälligkeit zeigte, als L. Metellus, Ser.Galba, C.Serranus, P.
збб PRO С. RABIRIO

Q . Catulus omnesque qui tum erant consulares pro


salute communi arma cepissent, cum omnes praetores.
cuncta nobilitas ac iuventus accurreret, C n . et L . Do-
mitii, L . C r a s s u s , Q . M u c i u s , C . C l a u d i u s . M . Dru-
sus, cum omnes O c t a v i i , Metelli, Iulii, Cassii, Catones,
Pompeii, cum L . Philippus, L . S c i p i o , c u m M . Lepi-
d u s , cum D . Brutus, c u m hie ipse P. Servilius, quo tu
imperatore, L a b i e n e , meruisti, cum hie Q . Catulus,
a d m o d u m tum adulescens, cum hie C . C u r i o , cum
denique omnes clarissimi viri cum consulibus essent:
quid tandem C . R a b i r i u m facere convenit? utrum in-
clusum atque abditum latere in occulto atque ignaviam
suam tenebrarum ac parietum custodiis tegere, an in
C a p i t o l i u m pergere atque ibi se cum tuo patruo et
ceteris ad mortem propter vitae turpitudinem confu-
gientibus congregare, an cum M a r i o , Scauro, Catulo,
Metello, Scaevola, cum bonis denique omnibus coire
non m o d o salutis verum etiam periculi societateni?

T u denique, L a b i e n e , quid faceres tali in re ac tem- 22


pore? C u m ignaviae ratio te in f u g a m atque in latebras
impelleret, improbitas et furor L . Saturnini in Capito-
lium arcesseret, consules ad patriae salutem ac liberta-
tem vocarent, quam tandem auctoritatem, quam vo-
cem, cuius sectam sequi, cuius imperio parere potissi-
m u m velles? " P a t r u u s " , inquit, " m e u s c u m Saturnino
f u i t . " Q u i d ? pater q u i c u m ? quid? propinqui vestri,
equites Romani? quid? omnis praefectura, regio, vici-
nitas vestra? quid? ager Piccnus universus utrum tri-
bunicium furorem, an consularem auctoritatem secutus
FÜR RABIRIL'S

Rutilius, С. Fimbria, Q^Catulus sowie sämtliche ehemalige


Konsuln, die damals lebten, für das gemeinsame Heil zu den
Waffen gegriffen hatten, als alle Prätoren, der gesamte Adel
und die wehrpflichtige Jugend herbeieilte, Cn. und L.Domi-
tius, L.Crassus, Q^Mucius, C.Claudius und M.Drusus, als
alle Oktavier, Meteller, Julier, Cassier, Catonen und Pom-
pejer, als L.Philippus und L.Scipio, als M.Lepidus, als D.Bru-
tus, als der P.Servilius in Person, unter dessen Kommando du,
Labienus, gedient hast, als der Q^Catulus hier, damals noch
ein ganz junger Mann, als hier der C. Curio '*, als schließlich
sämtliche hochangesehenen Männer bei den Konsuln standen:
was in aller Welt war C. Rabirius da zu tun verpflichtet? Sollte
er sich eingesperrt und unauffindbar in einem Schlupfwinkel
verborgen halten und seine Feigheit hinter der Schutzwehr
finsterer Wände verstecken? Oder sollte er sich aufs Kapitol
begeben und sich dort deinem Onkel und den anderen beige-
sellen, die wegen der Schändlichkeit ihres Lebens ihre Zu-
flucht zum Tode nahmen? Oder sollte er mit Marius, Scaurus,
Catulus, Metellus, Scaevola, kurzum, mit allen Rechtschaf-
fenen einen Bund nicht nur der Rettung, sondern auch der
Gefahr eingehen?
Was hättest du eigentlich bei diesem Stand der Dinge ge-
tan, Labienus? Da die Denkart der Feigheit dich in die Flucht
und ins Versteck trieb, der frevlerische Wahnsinn des L. Satur-
ninus aufs Kapitol zog, die Konsuln zur Rettung des Vater-
landes und zur Freiheit herbeiriefen, welchem Gebot, welcher
Stimme, welcher Partei hättest du am liebsten folgen, wessen
Befehl am liebsten gehorchen wollen? «Mein Onkel», sagt
Labienus, «stand auf der Seite des Saturninus.» Wie? Auf
wessen Seite stand dein Vater? Wie? Eure Verwandten, die
römische Ritter waren? Wie? Der ganze Kreis, der Bezirk, die
Gegend in eurer Nachbarschaft? Wie? Die gesamte picenische
M a r k " : folgte sie der Raserei des Tribunen oder dem Befehl
PRO С. RAB1RIO

est? E q u i d e m hoc a d f i r m o q u o d tu n u n c de t u o p a t r u o
p r a e d i c a s , n e m i n e m u m q u a m a d h u c d e se esse c o n f e s -
s u m ; n e m o e s t , i n q u a m , i n v e n t u s tarn p r o f l i g a t u s , tarn
p e r d i t u s . tarn a b o m n i non m o d o h o n e s t a t e sed e t i a m
s i m u l a t i o n e h o n e s t a t i s r e l i c t u s . qui se in C a p i t o l i o fu-
isse c u m S a t u r n i n o f a t e r e t u r . A t fuit v e s t e r patruus.
F u e r i t , et fuerit nulla vi, nulla d e s p e r a t i o n e rerum
s u a r u m , nullis d o m e s t i c i s v o l n e r i b u s c o a c t u s ; induxerit
e u m L . S a t u r n i n i f a m i l i a r i t a s ut a m i c i t i a m p a t r i a e prae-
p o n e r e t ; i d c i r c o n e o p o r t u i t C . R a b i r i u m d e s c i s c c r c a re
p u b l i c a , n o n c o m p a r e r e in illa a r m a t a m u l t i t u d i n e b o -
n o r u m , c o n s u l u m voci a t q u e i m p e r i o n o n o b o e d i r e ?
A t q u i v i d e m u s h a e c in r e r u m n a t u r a tria fuisse, ut aut 24
c u m S a t u r n i n o e s s e t , aut c u m b o n i s , aut lateret. L a t e r e
m o r t i s erat instar t u r p i s s i m a e , c u m S a t u r n i n o esse fu-
roris et s c e l e r i s ; virtus et h o n e s t a s et p u d o r c u m c o n s u l i -
b u s esse c o g e b a t . H o c tu igitur in c r i m e n vocas, q u o d
c u m eis fuerit C . R a b i r i u s q u o s a m e n t i s s i m u s fuisset si
o p p u g n a s s e t , t u r p i s s i m u s si r e l i q u i s s e t ?

A t С . D e c i a n u s , d e q u o tu saepe c o m m e m o r a s , q u i a ,
c u m h o m i n e m o m n i b u s i n s i g n e m notis t u r p i t u d i n i s ,
P. F u r i u m , a c c u s a r e t s u n i m o studio b o n o r u m o m n i u m ,
queri est ausus in c o n t i o n e de m o r t e S a t u r n i n i , c o n -
d e m n a t u s e s t , et S e x . T i t i u s , q u o d h a b u i t i m a g i n e m
L . S a t u r n i n i d o m i s u a e , c o n d e m n a t u s est. S t a t u e r u n t
e q u i t e s R o m a n i illo i u d i c i o i m p r o b u m c i v e m esse et non
r e t i n e n d u m in c i v i t a t e , q u i h o m i n i s h o s t i l e m in m o d u m
FÜR RABIRIUS 369

der Konsuln? Ich versichere dir, was du jetzt von deinem


Onkel behauptest, das hat bislang noch niemand je von sich
selber zugestanden; niemand, sage ich, hat sich als so charak-
terlos und verworfen erwiesen, als derart von allem Ehrgefühl,
ja auch vom Schein des Ehrgefühls verlassen, daß er zugäbe,
er habe sich mit Saturninus auf dem Kapitol befunden. Doch
euer Onkel befand sich dort. Mag er, und mag er sich dort be-
funden haben, ohne durch eine Zwangslage, durch hoffnungs-
lose Vermögensverhältnisse, durch häusliche Zerrüttung ge-
nötigt worden zu sein; mag ihn die enge Bindung an L.Sa-
turninus verleitet haben, die Freundschaft dem Vaterlande
vorzuziehen: war deshalb C. Rabirius verpflichtet, dem Staate
untreu zu werden, sich nicht der bewaffneten Menge der
Rechtschaffenen anzuschließen, dem R u f und Befehl der Kon-
suln den Gehorsam zu verweigern? Vielmehr, wir sehen doch,
daß es drei Möglichkeiten gab: er konnte aufseiten des Sa-
turninus oder auf Seiten der Rechtschaffenen stehen oder sich
versteckt halten. Sich versteckt zu halten kam dem schimpf-
lichsten Tode gleich, aufseiten des Saturninus zu stehen ver-
brecherischem Wahnsinn; Mut und Anstand und Ehrgefühl
zwangen ihn, den Konsuln zu folgen. Daraus also machst du
ein Verbrechen, daß C. Rabirius aufseiten derer stand, die zu
bekämpfen heller Wahnsinn, die im Stich zu lassen die
schlimmste Schande gewesen wäre?

Hingegen wurde der häufig von dir erwähnte C.Decianus


bestraft, weil er es gewagt hatte, in einer Volksversammlung
den Tod des Saturninus zu bedauern (er klagte zur größten
Genugtuung aller Rechtschaffenen den P.Furius an, einen
Menschen, der mit allen Zeichen der Schande gebrandmarkt
war); auch Sex. Titius wurde bestraft, weil er bei sich zu Hause
ein Bildnis des L. Saturninus besaß 10 . Durch dieses Urteil be-
kräftigten römische Ritter, daß ein schlechter Bürger sei und
nicht länger der Bürgerschaft anzugehören verdiene, wer
37° PRO С. RABIRIO

seditiosi imagine aut m o r t e m eius honestaret. aut desi-


deria i m p e r i t o r u m misericordia c o m m o v e r e t . aut suam
s i g n i f i c a n t imitandae improbitatis voluntatem. Itaquc
mihi m i r u m videtur u n d e hanc tu, Labiene, imaginem
q u a m habes inveneris; nam Sex. T i t i o d a m n a t o qui
istam habere auderet inventus est n e m o . Q u o d tu si
audisses aut si per aetatem scire potuisses, n u m q u a m
profecto istam imaginem quae domi posita pestem at-
q u e exsilium Sex. T i t i o attulisset in rostra atque in
contionem attulisses, nec tuas u m q u a m ratis ad eos
scopulos appulisses ad quos Sex. Titi adflictam navem
et in q u i b u s C . Deciani n a u f r a g i u m f o r t u n a r u m vide-
res. Sed in his rebus o m n i b u s i m p r u d e n t i a laberis.
Causam enim suscepisti antiquiorem memoria tua,
quae causa ante m o r t u a est q u a m tu natus es; et qua in
causa tute profecto fuisses, si per aetatem esse potuis-
ses, earn causam in iudicium vocas.

An non intellegis, p r i m u m quos homines ct qualis


viros mortuos summi sceleris arguas, deinde quot ex his
qui vivunt eodem crimine in s u m m u m periculum capi-
tis arcessasr N a m si C . Rabirius f r a u d e m capitalem
admisit quod arma contra L. S a t u r n i n u m tulit, huic
q u i d e m adferet aliquam deprecationem periculi aetas
ilia qua t u m fuit; Q . vero C a t u l u m , patrem huius, in
q u o s u m m a sapientia, eximia virtus, singularis humani-
tas f u i t . M. S c a u r u m . ilia gravitate, illo consilio, ilia
FÜR RABIRUS 37'
durch das Bildnis eines Aufrührers und Feindes dessen Tod
verherrliche oder bei Unwissenden Mitleid und Wunschvor-
stellungen erwecke oder seine Bereitschaft zeige, der Verwor-
fenheit nachzueifern. Ich muß mich daher wundern, wo du das
Bildnis aufgetrieben hast, Labienus, das du dein eigen nennst;
denn nach der Verurteilung des Sex.Titius fand sich niemand
mehr, der es gewagt hätte, dergleichen zu besitzen. Wenn du
davon gehört hättest oder dein Alter dir das zu wissen er-
laubte, wahrhaftig, du hättest niemals dieses Bildnis, das, zu
Hause aufgestellt, dem Sex.Titius Verderben und Landesver-
weisung eintrug, auf die Rednerbühne und in die Versamm-
lung gebracht, noch hättest du je dein Boot auf die Klippen
zugesteuert, an denen, wie du hättest sehen können, das Schiff
des Sex. Titius zerschellte und in deren Mitte das Glück des
C.Decianus Schiffbruch erlitt. Doch in allen diesen Dingen
strauchelst du aus Unwissenheit. Du hast dich nämlich einer
Sache angenommen, die älter ist als deine Erinnerung, die ge-
storben war, ehe du geboren wurdest, und du bringst eine
Sache vor Gericht, an der du dich sicherlich beteiligt hättest,
wäre es dir nicht aus zeitlichen Gründen unmöglich gewesen.
Oder bemerkst du nicht, was du einerseits den Verstor-
benen antust, welche Leute und was für Männer du des
schlimmsten Verbrechens bezichtigst, und andererseits, wie
viele der Lebenden du mit demselben Schuldvorwurf in größte
Not und tödliche Gefahr bringst? Denn wenn C.Rabirius
einen todeswürdigen Frevel beging, indem er gegen L.Satur-
ninus in den Kampf zog, so wird ihm jedenfalls die Berufung
auf sein damaliges Alter einigen Schutz vor der Gefahr ge-
währen. Doch wie sollen wir die Verstorbenen rechtfertigen:
Q^Catulus, den Vater des Anwesenden d o r t " , dem größte
Klugheit, hervorragende Tatkraft und außergewöhnliche
Menschenfreundlichkeit eigneten, M.Scaurus, einen derart
charakterfesten, einsichtsvollen und verständigen Mann, die
372 PRO С. RABIRIO

prudcntia. duos Mucios, L . C r a s s u m . M . Antonium.


qui tum extra urbem cum praesidio fuit, quorum in hac
civitate longe maxima consilia atque ingenia fuerunt.
ceteros pari dignitate praeditos custodes gubernatores-
que rei publicae quem ad modum mortuos defende-
mus? Q u i d de illis honestissimis viris atque optimis 27
civibus, equitibus Romanis, dicemus qui tum una cum
senatu salutem rei publicae defenderunt? qui de tri-
bunis aerariis ceterorumque ordinum omnium homini-
bus qui tum arma pro communi libertate ceperunt?

S e d quid ego de eis omnibus qui consulari imperio


paruerunt loquor? de ipsorum consulum fama quid
f u t u r u m est? L . Flaccum, hominem cum semper in re
publica, tum in magistratibus gerendis, in sacerdotio
caerimoniisque quibus praeerat diligentissimum, nefa-
rii sceleris ас parricidi mortuum condemnabimus?
adiungemus ad banc labem ignominiamque mortis
etiam C . Mari nomen? C . M a r i u m , quem vere patrem
patriae, parentem, inquam, vestrae libertatis atque
huiusce rei publicae possumus dicere, sceleris ас par-
ricidi nefarii mortuuni condemnabimus? Etenim si
С . R a b i r i o , quod iit ad arma, crucem Г. Labienus
in c a m p o Martio defigendam putavit, quod tandem
excogitabitur in cum supplicium qui vocavit?

A c si fides Saturnino data est. quod abs te saepissimc


dicitur, non earn C . Rabirius sed C . Marius dedit,
idemque violavit, si in fide non stetit. Quae fides,
L a b i e n e , qui potuit sine senatus consulto dari? Adeone
FÜR RABIRIUS 373

beiden Mucier, L. Crassus, M. Antonius", der sich damals mit


einer Schutztruppe vor der Stadt befand, lauter Männer, de-
ren Weisheit und Geistesgaben in unserer Bürgerschaft weit
an der Spitze standen, sowie die übrigen Hüter und Lenker
des Staates, die ebenso großes Ansehen genossen? Was sollen
wir von den hochachtbaren Männern und vortrefflichen Bür-
gern, den römischen Rittern sagen, die damals gemeinsam
mit dem Senat für die Rettung des Staates stritten? Was von
den Ärartribunen 13 und Leuten aller übrigen Stände, die da-
mals für die gemeinsame Sache der Freiheit zu den Waffen
griffen ?
Doch was rede ich von allen denen, die nur dem Befehl der
Konsuln gehorchten? Was wird aus dem Rufe der Konsuln
selbst? Wollen wir L.Flaccus nach seinem Tode eines ruch-
losen Verbrechens und Mordes schuldig sprechen,einen Mann,
der stets in den öffentlichen Angelegenheiten größte Gewis-
senhaftigkeit zeigte, zumal bei der Führung von Ämtern, in
seiner Priesterwürde und bei den heiligen Handlungen, die
er leitete* 4 ? Wollen wir dieser Schmach und Schande über
Tote auch den Namen des C.Marius beigesellen? C.Marius,
den wir wahrhaft den Vater des Vaterlandes, den Gründer,
sage ich, von eurer Freiheit und von diesem Staatswesen nen-
nen können, ihn wollen wir nach seinem Tode eines ruch-
losen Verbrechens und Mordes schuldig sprechen? Denn
wenn T . Labienus meinte, man müsse fur С. Rabirius auf dem
Marsfelde ein Kreuz errichten, weil er zu den Waffen gegriffen
hat, welche Marter wird man sich dann schließlich für den
ausdenken, der zu den Waffen rief?
Ur.d wenn dem Saturninus, wie du ja sehr oft betonst, ein
Sichelheitsversprechen gegeben wurde: nicht C.Rabirius,
sondern C.Marius hat es gegeben, und er hat es auch ver-
letzt, wenn er sich nicht daran hielt. Wie konnte man über-
haupt ohne Senatsbeschluß ein Sicherheitsversprechen geben,
374 PRO С. RABIRIO

hospes es huiusce urbis, adeonc ignarus disciplinae


consuetudinisque nostrae ut haec nescias, ut peregri-
nari in aliena civitate, non in tua magistratum gcrere
videare?
"Quid iam ista C . Mario", inquit, "nocere possunt. 24
quoniam sensu et vita caret?" Itane vero? tantis in
laboribus C . Marius periculisque vixisset. si nihil lon-
gius quam vitae termini postulabant spe atque animo de
se et gloria sua cogitasset? At, credo, cum innumerabi-
lis hostium copias in Italia fudisset atque obsidione rem
publicam liberasset, omnia sua secum una moritura
arbitrabatur. Non est ita, Quirites; neque quisquam
nostrum in rei publicae periculis cum laude ас virtute
versatur quin spe posteritatis fructuque ducatur. Ita-
que cum multis aliis de causis virorum bonorum mentes
divinae mihi atque aeternae videntur esse, tum maxime
quod optimi et sapientissimi cuiusque animus ita prae-
sentit in posterum ut nihil nisi sempiternum spectarc
videatur. Quapropter cquidem et С . Mari et ceterorum 30
virorum sapientissimorum ac fortissimorum civium
mentis, quae mihi videntur ex hominum vita ad dcorum
religionem et sanctimoniam demigrasse, testor nie pro
illorum fama, gloria, memoria non sccus ac pro patriis
fanis atque delubris propugnandum putare. ac, si pro
illorum laude mihi arma capienda essent, non minus
strenue caperem, quam illi pro communi salute сере-
runt. Ktenim. Quirites, exiguum nobis vitae curri-
FÜR RABIRIL'S 375

Labienus? Bist du so fremd in dieser Stadt, kennst du dich so


wenig mit unseren Grundsätzen und Gepflogenheiten aus,
daß du dies nicht weißt, daß es aussieht, als seiest du auf Rei-
sen in einem auswärtigen Gemeinwesen und nicht Inhaber
eines Amtes in deinem eigenen?
«Was können meine Vorwürfe dem C.Marius noch scha-
den?» meint Labienus; «er ist ja fühllos und tot.» Wirklich,
steht es so? Hätte C.Marius ein so mühevolles und gefahren-
reiches Leben geführt, wenn er sein Hoffen und Trachten für
sich und seinen Ruhm nicht weiter gerichtet hätte, als die
Schranken seines Daseins erheischten? Doch nein, ich glaube
schon: als er in Italien ungezählte Scharen von Feinden 25 ge-
schlagen und den Staat von der Bedrängnis befreit hatte, da
meinte er gewiß, alle seine Taten würden mit ihm zusammen
zugrunde gehen. Das ist nicht wahr, Quiriten, und niemand
unter uns steht in den Nöten des Staates rühmlich und tat-
kräftig seinen Mann, ohne sich von der Hoffnung auf den
Lohn der Nachwelt leiten zu lassen. Ich halte daher den Geist
vortrefflicher Männer aus mancherlei anderen Gründen für
göttlich und unvergänglich, vor allem aber deshalb, weil die
Seele eines jeden wahrhaft hervorragenden und weisen Man-
nes derart für die Zukunft vorausdenkt, daß sie sich einzig
auf die Ewigkeit zu richten scheint. Ich glaube daher, daß sich
die Geister des C.Marius und der übrigen durch Weisheit
und Tatkraft ausgezeichneten Männer aus dem Leben der
Menschen zur hochheiligen Behausung der Götter begeben
haben, und ich rufe sie zu Zeugen für meine Auffassung an,
daß man ihren Ruf, ihren Ruhm und ihr Andenken ebenso
verteidigen muß wie die Heiligtümer und Tempel des Vater-
landes. Und wenn ich um ihres Ansehens willen die Waffen
ergreifen müßte, ich würde sie nicht weniger entschlossen
ergreifen, als jene sie für das gemeinsame Heil ergriffen haben.
Denn, Quiriten, die Natur hat uns eine kurze Bahn für das
376 PRO С. RABIRK)

culum natura circumscripsit, immensum gloriae. Qua


re, si eos qui iam de vita decesserunt ornabimus, iustio-
rem nobis mortis condicionem relinquemus.

Sed si illos, Labiene. quos iam vidcre non possumus


neglegis, ne his q u i d c m quos vides consuli putas opor-
tere? N e m i n e m esse dico ex his o m n i b u s , qui illo die 31
R o m a e f u e r i t , q u e m tu diem in iudicium vocas, pubes-
que tum fuerit, quin arma ceperit, quin consules secu-
tus sit. O m n e s ci q u o r u m tu ex aetate coniecturam
facere potes quid tum fecerint abs te capitis C . Rabiri
nomine citantur. A t occidit S a t u r n i n u m Rabirius. Uti-
nam fecisset! non supplicium deprecarer sed praemium
postularem. E t e n i m , si S c a e v a e , servo Q . Crotonis. qui
occidit L . S a t u r n i n u m , libertas data est, quod equiti
R o m a n o praemium dari par fuissetr et, si C . Marius,
quod fistulas quibus aqua suppeditabatur Iovis Optimi
M a x i m i templis ac sedibus praecidi imperarat, quod in
clivo C a p i t o l i n o improborum civium * * *

* * * aret. Itaque non senatus in ea causa cognoscenda 32


me agente diligentior aut inclenientior fuit q u a m vos
universi, cum orbis terrae distributionem atque iHum
ipsum a g r u m C a m p a n u m animis, manibus, vocibus
repudiavistis.
Idem ego quod is qui auctor huius iudicii est clamo, 33
praedico, denuntio: N u l l u s est rcliquus rex, nulla gens,
nulla natio quam pertimescatis; nullum adventicium,
nullum extraneum m a l u m est quod insinuare in hanc
rem publicam possit. Si immortalem hanc civitatem
FÜR RABIRIUS 377

Leben zugemessen, doch eine unermeßliche für den Ruhm.


Wenn wir daher diejenigen auszeichnen, die bereits aus dem
Leben geschieden sind, so hinterlassen wir auch uns selbst
ein besseres Todeslos.
Doch wenn du dich schon um die nicht kümmerst, die un-
seren Blicken entzogen sind, Labienus, glaubst du dann nicht
einmal derer achten zu müssen, die du hier erblickst? Ich be-
haupte: wer immer sich an jenem Tage, den du zum Gegen-
stand des Prozesses machst, in Rom befand und bereits er-
wachsen war, der hat zu den Waffen gegriffen, der ist den
Konsuln gefolgt. Du kannst aus dem Alter eines jeden schlie-
ßen, was er getan hat; sie alle werden von dir unter dem Na-
men des C. Rabirius auf Tod und Leben vor Gericht geladen.
Doch nein, Rabirius hat ja den Saturninus getötet. Hätte er
es nur getan! Ich würde nicht eine Strafe abzuwenden suchen,
sondern eine Belohnung verlangen. Denn Scaeva, ein Sklave
des Q^Croto, der den L. Saturninus getötet hat, wurde im-
merhin mit der Freiheit beschenkt; welche Belohnung wäre
da für einen römischen Ritter angemessen gewesen? Und
wenn C. Marius, weil er befohlen hatte, die Leitungen zu un-
terbrechen, die den Tempel und Sitz des Jupiter Optimus
Maximus mit Wasser versahen, weil... auf der kapitolinischen
Straße ... der frevlerischen Bürger ... 24
... Dennoch ging der Senat, der sich unter meinem Vorsitz
mit der Sache befaßte, nicht verständiger oder strenger vor
als ihr alle: ihr habt ja die Aufteilung der Welt und vor allem
die kampanische Mark mit Herzen, Mund und Händen ab-
gelehnt* 7 .
Ich rufe, erkläre und verkünde dasselbe wie der Urheber
dieses Prozesses: Es gibt keinen König mehr, kein Volk und
keinen Stamm, vor dem ihr euch zu fürchten braucht; es gibt
kein von außen, kein aus der Fremde kommendes Übel, das in
diesen Staat eindringen könnte. Wenn ihr wollt, daß dieses
37« PRO С. RABIRIO

esse voltis, si aeternum hoc imperium, si gloriam sem-


piternam manere, nobis a nostris cupiditatibus, a tur-
bulentis hominibus atque novarum rerum cupidis, ab
intestinis malis, a domesticis consiliis est cavendum.
H i s c e autem malis magnum praesidium vobis maiores 34
vestri reliquerunt, vocem illam consults: "qui rem pu-
blicam salvam esse vellent." H u i c voci favete, Quirites,
neque vestro iudicio abstuleritis mihi neque
eripueritis rei publicae spem libertatis, spem salutis,
spem dignitatis.

Q u i d facerem, si T . Labienus caedem civium fecisset 35


ut L . S a t u r n i n u s , si carcerem refregisset, si Capitolium
cum armatis occupavisset? Facerem idem quod C . M a -
rius fecit, ad senatum referrem, vos ad rem publicam
d e f e n d e n d a m cohortarer, armatus ipse vobiscum ar-
mato obsisterem. N u n c quoniam armorum suspicio
nulla est, tela non video, non vis, non caedes, non
Capitoli atque arcis obsessio est, sed accusatio perni-
ciosa, judicium acerbum, res tota a tribuno pi. suscepta
contra rem publicam, non vos ad arma vocandos esse,
verum ad s u f f r a g i a cohortandos contra oppugnationem
vestrae maiestatis putavi. Itaque nunc vos omnis oro
atque obtestor hortorque. N o n ita mos est, consulem

* * * timet; qui hasce ore adverso pro re publica 36


cicatrices ac notas virtutis accepit, is ne quod accipiat
famae volnus pertimescit; quem n u m q u a m incursiones
hostium loco movere potuerunt, is nunc impetum ci-
FÜR RABIRIUS 379

Gemeinwesen unvergänglich sei, daß dieses Reich auf ewig,


daß sein Ruhm auf immerdar bestehen bleibe, dann müssen
wir uns vor unseren Begierden hüten, vor aufrührerischen
und umstürzlerischen Elementen, vor Mißständen im Inneren,
vor Anschlägen im eigenen Lande. Gegen diese Übel wieder-
um hinterließen euch eure Vorfahren ein festes Bollwerk, den
Ruf des Konsuls: «Wer da wünscht, daß der Staat bestehen
bleibt.» Schützt diesen Ruf, Quiriten; nehmt durch euer Ur-
teil nicht mir ... und raubt dem Gemeinwesen nicht die Aus-
sicht auf Freiheit, die Aussicht auf Wohlfahrt, die Aussicht
auf Ehre.
Was würde ich tun, wenn T.Labienus ein Blutbad unter
Bürgern angerichtet hätte wie L.Saturninus, wenn er das Ge-
fängnis gestürmt, wenn er mit bewaffneten Leuten das Kapi-
tal besetzt hätte? Ich würde dasselbe tun, was C.Marius tat:
ich würde dem Senat berichten, ich würde euch auffordern,
den Staat zu verteidigen, ich würde, selbst bewaffnet, mit
euch zusammen dem bewaffneten Feinde Widerstand leisten.
Doch jetzt läßt zwar nichts auf Waffen schließen; ich erblicke
keine Geschosse; es gibt keine Gewalt, keinen Mord, keine
Besetzung des Kapitols und der Burg18. Aber es findet eine
verderbliche Anklage statt, ein bitterböser Prozeß, das Un-
ternehmen eines Volkstribuns, das ganz und gar gegen den
Staat gerichtet ist. Da habe ich geglaubt, ich müsse euch nicht
zu den Waffen rufen, sondern zur Abstimmung gegen den
Sturmangriff auffordern, der eure hoheitliche Gewalt bedroht.
Deshalb bitte ich jetzt euch alle, ich flehe euch an und er-
mahne euch: so ist es nicht Brauch, daß ein Konsul...
... fürchtet; er hat diese Narben und Male seiner Tapfer-
keit, dem Feinde zugewandt, für das Vaterland empfangen,
doch er fürchtet sich vor dem Gedanken, sein Ruf möchte eine
Wunde erhalten; ihn haben die Angriffe der Feinde nie einen
Fußbreit zurückzudrängen vermocht, doch jetzt bebt er vor
PRO С. RABIRIO

v i u m , cui necessario cedendum est, perhorrescit. N e - 37


que a vobis iam bene vivendi sed honeste moriendi
facultatem petit, neque tarn ut d o m o sua fruatur quam
ne patrio sepulcro privetur laborat. N i h i l aliud iam vos
orat atque obsecrat nisi uti ne se legitimo funere et
domestica morte privetis, ut eum qui pro patria nullum
u m q u a m mortis periculum fugit in patria mori patia-
mini.

Dixi ad id tempus quod mihi a tribuno pi. praestitu- 38


tum est; a vobis peto quaesoque ut hanc meam defensio-
nem pro amici periculo f i d e l e m , pro rei publicae salute
consularem putetis.

* * * et cum universo populo Romano, tum vero eques-


tri ordini longe carissimus.
FÜR RABIRIUS 38«

dem Ansturm seiner Mitbürger, dem er sich unweigerlich beu-


gen muß. Und er bittet euch nicht mehr um die Möglichkeit
eines glücklichen Lebens, sondern um die Gunst eines Todes
in Ehren, und nicht so sehr der Verlust seines Hauses peinigt
ihn wie die Vorstellung, ihm möchte die ererbte Grabstätte
entzogen werden. Nur darum noch bittet er euch inständig:
verwehrt ihm nicht ein rechtmäßiges Begräbnis und den Tod
in der Heimat; duldet, daß er, der für das Vaterland vor keiner
tödlichen Gefahr auswich, in seinem Vaterland den Tod er-
leiden darf.
Ich habe jetzt bis zu dem Zeitpunkt gesprochen, den der
Volkstribun mir vorgeschrieben hat. Ich bitte euch nach-
drücklich, nehmt meine Verteidigung als Opfer der Treue fiir
die Gefahr des Freundes, als Beisteuer des Konsuls fur das
Heil des Staates.

... und der dem gesamten römischen Volk, vor allem aber
dem Ritterstand weitaus der teuerste war1®.
I N L. C A T I LI N A M O R A T I O P R I M A
Η Α ΒΙΤΑ IN S E N A T U

Q u o u s q u e t a n d e m a b u t e r e , C a t i l i n a , patientia nostra? ι
q u a m d i u e t i a m furor iste t u u s non e l u d e t ? q u e m ad
f i n e m sese e f f r e n a t a iactabit a u d a c i a r N i h i l n e te noctur-
n u m p r a e s i d i u m Palati, nihil u r b i s vigiliae, nihil timor
p o p u l i , nihil c o n c u r s u s b o n o r u m o m n i u m , nihil hie
m u n i t i s s i m u s habendi s e n a t u s locus, nihil h o r u m ora
v o l t u s q u e m o v e r u n t ? Patere tua consilia non sentis,
c o n s t r i c t a m iam h o r u m o m n i u m scientia teneri coniu-
r a t i o n e m t u a m non v i d e s ? Q u i d p r o x i m a , q u i d supe-
riore nocte egeris, ubi f u e r i s , q u o s convocaveris, q u i d
consili ceperis q u e m n o s t r u m ignorare arbitraris?

О t e m p o r a , о m o r e s ! S e n a t u s haec intellegit, consul 2


v i d e t ; hie t a m e n vivit. V i v i t ? i m m o vero e t i a m in
s e n a t u m venit, fit publici consili particeps, notat et
d e s i g n a t oculis ad c a e d e m u n u m q u e m q u e n o s t r u m .
N o s a u t e m fortes viri satis facere rei publicae v i d e m u r ,
si istius f u r o r e m ac tela v i t a m u s . Ad mortem te, C a t i -
lina. duci iussu consiilis iam p r i d e m oportebat. in te
conferri pestem q u a m tu in nos o m n i s iam diu m a c h i n a -
ris. A n vero vir a m p l i s s i m u s , P. S c i p i o , pontifex maxi- 3
mus, T i . Gracchum mediocriter labefactantem statum
rei p u b l i c a e p r i v a t u s interfecit: C a t i l i n a m orbem terrae
c a c d e a t q u e incendiis vastare c u p i c n t e m nos consules
p e r f e r e m u s ? N a m ilia n i m i s a n t i q u a praetereo, quod
C . S e r v i l i u s A h a l a S p . M a e l i u m novis rebus s t u d e n t e m
ERSTE CATILINARISCHE REDE

Wie lange noch, Catilina, willst du unsere Geduld mißbrau-


chen? Bis wann soll deine Tollheit uns noch verhöhnen? Wie
weit wird zügellose Dreistigkeit sich noch vermessen? Er-
schütterte dich nicht der nächtliche Posten auf dem Palatin,
nicht die Wachen in der Stadt, nicht die Furcht des Volkes,
nicht die Zusammenkunft aller Rechtschaffenen, nicht diese
fest verwahrte Stätte der Senatssitzung 1 , nicht die Mienen
und Blicke der Anwesenden ? Spürst du nicht, daß deine An-
schläge aufgedeckt sind? Siehst du nicht, daß die Kenntnis
aller derer, die hier sind, deine Verschwörung bereits gebän-
digt hat? Was du in der letzten, was in der vorletzten Nacht*
getan, wo du dich befunden, wen du herbeigerufen, was für
einen Entschluß du gefaßt hast, wer von uns, glaubst du,
wüßte das nicht?
Welche Zeiten, welche Sitten! Der Senat bemerkt's, der
Konsul sieht's; doch dieser Mann lebt. Er lebt? Schlimmer
noch: er kommt gar in den Senat, er nimmt teil am Staatsrat,
seine Augen bezeichnen und bestimmen einen jeden von uns
für den Mord. Doch wir mutigen Männer glauben dem Staats-
wohl Genüge zu tun, wenn wir dem Wüten und den Waffen
dieses Gesellen ausweichen. Zum Tode hätte man dich schon
längst, Catilina, auf Befehl des Konsuls abfuhren, auf dich das
Verderben lenken sollen, das du gegen uns alle seit langem
anstiften willst. Der Oberpriester P.Scipio, ein Mann von
größtem Ansehen, hat, ohne eine Amtsgewalt zu besitzen,
Ti. Gracchus getötet, der nur mit Maßen an der Staatsver-
fassung zu rütteln suchte 1 ; da sollen wir, die Konsuln, Cati-
lina ertragen, der mordend und brennend die Welt zu ver-
wüsten trachtet? Denn auf die allzu fernen Ereignisse möchte
ich mich nicht einlassen: daß C. Servilius Ahala den Sp. Mae-
lius, wie er einen Umsturz anzettelte, mit eigener Hand ge-
3 84 IN L. CATILINAM I

manu sua occidit. F u i t . fuit ista q u o n d a m in hac re


publica virtus ut viri fortes acrioribus suppliciis civcm
p e r n i c i o s u m q u a m a c e r b i s s i m u m hostem coercerent.

H a b e m u s senatus c o n s u l t u m in te, C a t i l i n a . vehe-


mens et grave, non deest rei publicae consilium neque
auctoritas huius ordinis: nos, nos, d i c o aperte, consules
d e s u m u s . D e c r e v i t q u o n d a m senatus uti L . O p i m i u s
consul videret ne quid res publica d e t r i m e n t ! caperet:
nox nulla intercessit: i n t e r f e c t u s est propter quasdam
seditionum suspiciones C . G r a c c h u s , clarissimo patre,
avo, m a i o r i b u s , occisus est c u m liberis M . Fulvius c o n -
sularis. Simili senatus c o n s u l t o C . M a r i o et L . Yalerio
c o n s u l i b u s est permissa res publica: n u m unum diem
postea L . S a t u r n i n u m t r i b u n u m plebis et С . Servilium
praetorem mors ac rei publicae poena remorata est? A t
vero nos v i c e s i m u m iam d i e m p a t i m u r hebescere aciem
h o r u m auctoritatis. H a b e m u s enim eius modi senatus
c o n s u l t u m , verum i n c l u s u m in tabulis, tamquam in
vagina r e c o n d i t u m , q u o ex senatus consulto confestim
te i n t e r f e c t u m esse, C a t i l i n a , c o n v e n i t . Y i v i s , et vivis
non ad d e p o n e n d a m , sed ad c o n f i r m a n d a m audaciam.
C u p i o , patres c o n s c r i p t i , m e esse d e m e n t e m , cupio in
tantis rei publicae periculis non dissolutum videri, sed
iam me ipse inertiae n e q u i t i a e q u e c o n d e m n o .

Castra sunt in Italia contra p o p u l u m R o m a n u m in


F.truriae faucibus c o n l o c a t a , crescit in dies singulos
hostium n u m e r u s ; eorum autem castrorum imperato-
rem d u c e m q u e hostium intra moenia atque adeo in
С ATILINA RISC Η Ε REDEN I З85
4
tötet hat . Es gab sie einst, es gab in unserem Staatswesen
diese Entschlossenheit; tatkräftige Männer zügelten den
schädlichen Bürger mit härteren Strafen als den bittersten
Feind.
Wir haben einen Senatsbeschluß wider dich, Catilina, wirk-
sam und scharf; dem Staate fehlt nicht der Rat noch die Voll-
macht dieser Versammlung: wir, ich gestehe es offen, wir,
die Konsuln, lassen es fehlen. Einst beschloß der Senat, der
Konsul L.Opimius solle Sorge tragen, daß der Staat keinen
Schaden leide. Keine Nacht verging: getötet war, da einiger
Verdacht aufrührerischer Umtriebe bestand, C. Gracchus, der
Sohn, Enkel und Abkömmling hochberühmter Männer; er-
schlagen war mitsamt seinen Kindern der ehemalige Konsul
M.Fulvius 5 . Durch einen ähnlichen Senatsbeschluß wurde
der Staat den Konsuln C.Marius und L.Valerius überant-
wortet: hat daraufhin der Tod, die Strafe des Staates, den
Volkstribunen L. Saturninus und den Prätor C. Servilius auch
nur einen Tag warten lassen6? Wir indessen dulden bereits
den zwanzigsten Tag 7 , daß die Klinge der vom Senat erteilten
Vollmacht abstumpft. Denn wir haben ja einen derartigen
Senatsbeschluß; er liegt jedoch verriegelt in der Kanzlei; er
steckt wie ein Schwert in der Scheide. Hiernach hättest du
auf der Stelle tot sein sollen, Catilina. Du aber lebst, und du
lebst nicht, um von deiner Verwegenheit abzulassen, sondern
um dich darin bestärkt zu fühlen. Ich wünsche milde zu sein,
versammelte Väter, ich wünsche andererseits, daß es nicht
heißt, ich hätte mich in einer derartigen Notlage des Staates
unachtsam verhalten; doch nunmehr muß ich mich selbst der
Untätigkeit und Fahrlässigkeit bezichtigen.
Ein Heerlager ist in Italien, in den Pässen Etruriens* gegen
das römische Volk aufgeschlagen; von Tag zu Tag wächst
die Zahl der Feinde; doch den Befehlshaber dieses Lagers und
Anführer der Feinde sehn wir innerhalb der Mauern und gar
3«6 IN L. CAT1LINAM I

senatu videmus intestinam aliquam cotidie perniciem


rei publicae molientem. Si te iam, Catilina, compre-
hendi, si interfici iussero, credo, erit verendum mihi ne
non hoc potius omnes boni serius a me quam quisquam
crudelius factum esse dicat. V e r u m ego hoc quod iam
pridem factum esse oportuit certa de causa nondum
adducor ut faciam. Tum denique interficiere, cum iam
nemo tam improbus, tam perditus, tam tui similis
inveniri poterit qui id non iure f a c t u m esse fateatur.
Q u a m diu q u i s q u a m erit qui te defendere audeat, vi ves, 6
et vives ita ut nunc vivis, multis meis et firmis praesidiis
obsessus ne c o m m o v e r e te contra rem publicam possis.
M u l t o r u m te etiam oculi et aures non sentientem, sicut
adhuc fecerunt, speculabuntur atque custodient.

E t e n i m quid est, Catilina, quod iam amplius exspec-


tes, si neque nox tenebris obscurare coetus nefarios nec
privata domus parietibus continere voces coniurationis
tuae potest, si inlustrantur, si erumpunt omnia? Muta
iam istam mentem, mihi crede, obliviscere caedis atque
incendiorum. Teneris undique; luce sunt clariora nobis
tua consilia omnia, q u a e iam m e c u m licet recognoscas.

Meministine me ante diem x n k a l e n d a s N o v e m b r i s 7


dicere in senatu fore in armis certo die, qui dies futurus
esset ante diem vi K a l . N o v e m b r i s , C . M a n l i u m , auda-
ciae satellitem atque administrum tuae? N u m me f e f e l -
lit, Catilina, non m o d o res tanta tam atrox tamque
incredibilis, v e r u m , id quod multo magis est admiran-
CATILINARISCHF REDEN I 3«7

im Senat, wie er täglich von innen her einen verderblichen


Schlag gegen den Staat ausheckt. Wenn ich jetzt befehle,
Catilina, man solle dich verhaften, man solle dich hinrichten,
dann muß ich wohl befurchten, daß auch nur ein Rechtschaf-
fener sagt, ich hätte allzu scharf durchgegriffen, und nicht
vielmehr, daß alle behaupten, ich hätte zu spät gehandelt.
Doch mich veranlaßt ein bestimmter Grund, noch nicht zu
tun, was schon längst hätte getan sein sollen. Du wirst erst
dann hingerichtet, wenn sich niemand mehr ausfindig machen
läßt, so schlecht, so verworfen, so sehr dir ähnlich, daß er nicht
zugäbe, dies sei zu Recht geschehen. Solange jemand fur dich
einzutreten wagt, wirst du leben, und du wirst so leben, wie
du jetzt lebst: von meinen zahlreichen und starken Mann-
schaften niedergehalten, so daß du keine Hand gegen den
Staat zu rühren vermagst. Vieler Augen und Ohren werden
dich, ohne daß du es merkst, wie bisher beobachten und
überwachen.
Denn worauf wartest du noch weiter, Catilina, wenn nicht
die Finsternis der Nacht die ruchlosen Zusammenkünfte in
Dunkel hüllen noch ein Privathaus die Stimmen deiner Ver-
schwörung in seinen Wänden bergen kann, wenn alles ans
Licht kommt, alles hervorbricht? Ändere nunmehr deinen
Plan, hör auf mich; entschlage dich des Mordens und Bren-
nens. Man hat dich überall gefaßt, alle deine Anschläge sind
für uns so klar wie der T a g ; du magst sie dir jetzt mit meiner
Hilfe ins Gedächtnis zurückrufen.
Erinnerst du dich: ich erklärte am 21.Oktober im Senat,
C. Manlius, der Gefolgsmann und Helfer deiner Verwegen-
heit, werde an einem bestimmten Tage die Waffen erheben,
und dieser T a g werde der 27. Oktober sein. Habe ich mich
etwa getäuscht, Catilina, nicht nur, was den ungeheuerlichen,
so scheußlichen und so unglaublichen Sachverhalt angeht,
sondern, worüber man sich noch viel mehr wundern muß,
3 88 IN L. CATILINAM I

d u m , dies? Dixi ego i d e m in s e n a t u c a e d e m te o p t i m a -


t i u m c o n t u l i s s e in a n t e d i e m ν R a l e n d a s N o v e m b r i s ,
t u m c u m m u l t i p r i n c i p e s civitatis R o m a n o n t a m sui
conservandi quam tuorum consiliorum reprimen-
d o r u m causa p r o f u g e r u n t . N u m infitiari potes te illo
ipso d i e meis praesidiis, m e a diligentia c i r c u m c l u s u m
c o m m o v e r e te c o n t r a r e m p u b l i c a m n o n p o t u i s s e , c u m
tu discessu c e t e r o r u m n o s t r a t a m e n q u i r e m a n s i s s e m u s
caede contentum te esse dicebas? Quid? cum te 8
P r a e n e s t e K a l e n d i s ipsis N o v e m b r i b u s occupaturum
n o c t u r n o i m p e t u esse c o n f i d e r e s , sensistin illam colo-
n i a m m e o iussu m e i s praesidiis, c u s t o d i i s , vigiliis esse
m u n i t a m ? N i h i l agis, nihil moliris, nihil cogitas q u o d
n o n e g o n o n m o d o a u d i a m sed e t i a m v i d e a m p l a n e q u e
sentiam.

R e c o g n o s c e m e c u m t a n d e m n o c t e m illam s u p e r i o -
r e m ; i a m intelleges m u l t o m e vigilare a c r i u s ad s a l u t e m
q u a m te ad p e r n i c i e m rei p u b l i c a e . D i c o te priore n o c t e
venisse i n t e r falcarios - n o n agam o b s c u r e - in M . Lae-
cae d o m u m ; c o n v e n i s s e e o d e m c o m p l u r i s eiusdem
a m e n t i a e s c e l e r i s q u e socios. N u m negare audes? q u i d
taces? C o n v i n c a m , si negas. V i d e o e n i m esse hie in
s e n a t u q u o s d a m q u i t e c u m u n a f u e r u n t . О di i m m o r t a - 9
les! u b i n a m g e n t i u m s u m u s ? q u a m r e m p u b l i c a m h a b e -
m u s ? in q u a u r b e v i v i m u s ? H i e , hie s u n t in n o s t r o
n u m e r o , p a t r e s c o n s c r i p t i , in hoc o r b i s t e r r a e sanctis-
s i m o g r a v i s s i m o q u e consilio, qui d e n o s t r o o m n i u m
i n t e r i t u , q u i d e h u i u s u r b i s a t q u e a d e o d e o r b i s ter-
r a r u m exitio c o g i t e n t . H o s ego v i d e o consul et d e re
С ATI LI N AR I SC HF RFDFN I 389

hinsichtlich des Termins? Ich erklärte ebenfalls im Senat, du


habest die Ermordung des Adels auf den 28.Oktober anbe-
raumt - damals sind zahlreiche maßgebliche Männer unseres
Staates aus Rom entwichen, nicht so sehr, um sich selbst in
Sicherheit zu bringen, als um deine Anschläge zu vereiteln.
Kannst du leugnen, daß du an diesem Tage nichts gegen den
Staat zu unternehmen vermochtest, weil meine Mannschaf-
ten, meine Bereitschaft dich umstellt hatten? Da du versicher-
test, du seiest nach dem Fortgang der übrigen auch mit der
Ermordung von uns zufrieden, die wir zurückgeblieben wa-
ren? Wie? Als du glaubtest, du könnest Präneste * genau am
i.November durch einen nächtlichen Handstreich einneh-
men, hast du da gemerkt, daß die Kolonie auf meinen Befehl
durch meine Posten, Mannschaften und Wachen gesichert
war? Du tust nichts, du planst nichts, du denkst nichts, ohne
daß ich's erfahre und sogar sehe und genau bemerke.
Mustere endlich mit mir zusammen die vorletzte Nacht;
dann wirst du vollends einsehen, daß ich schärfer für die
Sicherheit des Staates wache als du für sein Verderben. Ich
erkläre, daß du während der vorletzten Nacht in der Sichel-
machergasse , 0 , und zwar (ich will mich deutlich ausdrücken)
im Hause des M.Laeca, erschienen bist; dort fanden sich noch
mehrere Genossen deines wahnwitzigen Frevels ein. Wagst
du zu leugnen? Was schweigst du? Ich werde dich überfuhren,
wenn du leugnest. Ich sehe nämlich einige hier im Senat sit-
zen, mit denen du dort zusammengetroffen bist. Bei den un-
sterblichen Göttern! Wo auf der Welt befinden wir uns? Was
haben wir für einen Staat? In welcher Stadt leben wir? Hier,
hier in unserer Mitte, versammelte Väter, in dieser ehrwür-
digsten und bedeutendsten Ratsversammlung des Erden-
runds, gibt es Leute, die auf unser aller Verderben, die auf den
Untergang dieser Stadt und gar des Erdkreises sinnen. Ich,
der Konsul, sehe sie und frage sie nach ihrer Meinung über
39° IN I.. С ATI LINAM I

p u b l i c a s e n t e n t i a m rogo, et q u o s f e r r o t r u c i d a r i o p o r t e -
b a t , eos n o n d u m voce volnero!

Fuisti igitur a p u d L a e c a m ilia n o c t e , C a t i l i n a , d i s t r i -


buisti p a r t i s Italiae, statuisti q u o q u e m q u e proficisci
p l a c e r e t , delegisti q u o s R o m a e r e l i n q u e r e s , q u o s t e c u m
e d u c e r e s , discripsisti u r b i s p a r t i s ad i n c e n d i a , c o n f i r -
masti te i p s u m iam esse e x i t u r u m , dixisti p a u l u m tibi
esse e t i a m n u n c m o r a e , q u o d ego v i v e r e m . R e p e r t i s u n t
d u o e q u i t e s R o m a n i q u i te ista cura l i b e r a r e n t et se ilia
ipsa n o c t e p a u l o a n t e l u c e m m e in m e o lecto i n t e r f e c -
t u r o s esse p o l l i c e r e n t u r . H a e c ego o m n i a v i x d u m e t i a m m
coetu vestro dimisso comperi; d o m u m meam maioribus
praesidiis m u n i vi a t q u e f i r m a v i , exclusi eos q u o s tu ad
m e s a l u t a t u m m a n e m i s e r a s , c u m illi ipsi v e n i s s e n t q u o s
ego iam m u l t i s ac s u m m i s \ iris ad m e id t e m p o r i s
v e n t u r e s esse p r a e d i x e r a m .

Q u a e c u m ita sint, C a t i l i n a , p e r g e q u o cocpisti:


e g r e d e r e a l i q u a n d o ex u r b e ; p a t e n t p o r t a e ; p r o f i c i s c e r e .
N i m i u m diu te i m p e r a t o r e m tua ilia M a n l i a n a castra
d e s i d e r a n t . E d u c t e c u m e t i a m o m n i s t u o s , si m i n u s ,
q u a m p l u r i m o s ; p u r g a u r b e m . M a g n o m e m e t u libera-
veris, m o d o inter m e a t q u e te m u r u s i n t e r s i t . N o b i s c u m
versari iam d i u t i u s n o n p o t e s ; n o n f e r a m , non p a t i a r ,
n o n s i n a m . M a g n a dis i m m o r t a l i b u s h a b e n d a est a t q u e 11
h u i c ipsi Iovi S t a t o r i , a n t i q u i s s i m o c u s t o d i h u i u s u r b i s ,
gratia, quod hanc tam taetram, tam horribilem t a m q u e
i n f e s t a m rei p u b l i c a e p e s t e m t o t i e n s iam e f f u g i m u s .
N o n est saepius in u n o h o m i n e s u m m a salus pericli-
t a n d a rei p u b l i c a e . Q u a m d i u mihi consuli d e s i g n a t o .
С ATI LI N ARISCH F. REDEN I 39'

die Sicherheit des Staates, und ich verwunde sie, die man mit
dem Schwerte niedermachen sollte, noch nicht einmal mit
meinem Wort.
Du befandest dich also in jener Nacht bei Laeca, Catilina,
du verteiltest die Gebiete Italiens, du setztest fest, wohin ein
jeder sich begeben solle, du suchtest aus, wen du in Rom
zurücklassen, wen du mit dir nehmen wolltest, du grenztest
die Stadtviertel für die Brandlegung ab, du beteuertest, du
selbst wollest Rom nunmehr verlassen, du erklärtest, du
werdest jetzt nur dadurch ein wenig aufgehalten, daß ich
noch lebte. Es fanden sich zwei römische Ritter, die dich
von dieser Sorge befreien wollten und die sich anheischig
machten, mich in derselben Nacht kurz vor Tagesanbruch auf
meinem Ruhebett zu ermorden. Dies alles erfuhr ich, kaum
daß eure Versammlung sich aufgelöst hatte. Ich sicherte und
verwahrte mein Haus durch verstärkte Wachen; ich Schloß
die aus, die du mir zur morgendlichen Begrüßung" sandtest.
Ich hatte bereits vielen Männern von hohem Rang vorausge-
sagt, wer um diese Zeit zu mir kommen würde, und eben
diese kamen auch.
Da es so steht, Catilina, führe aus, was du begonnen hast;
verlaß endlich die Stadt; die Tore sind geöffnet; brich auf!
Allzu lange schon wartet dein manlisches Lager auf dich, auf
den Feldherrn. Nimm auch alle deine Leute mit, oder jeden-
falls möglichst viele; säubere die Stadt. Du befreist mich von
großer Furcht, wenn sich nur die Mauer zwischen mir und
dir befindet. In unserer Mitte kannst du nicht länger weilen;
ich ertrage, ich dulde, ich gestatte es nicht! Den unsterblichen
Göttern und zumal dem Jupiter Stator hier", dem ältesten
Hüter der Stadt, gebührt großer Dank, daß wir so oft schon
diesem Scheusal, einer derart entsetzlichen und derart staats-
gefährlichen Geißel entronnen sind. Doch das gesamte Staats-
wohl darf nicht noch öfters durch eine Person in Bedrängnis
392 IN L. CAT1L1NAM I

C a t i l i n a , i n s i d i a t u s c s . non p u b l i c o m e p r a e s i d i o . sed
p r i v a t a diligentia d e f e n d i . C u m p r o x i m i s c o m i t i i s con-
s u l a r i b u s m e c o n s u l e m in c a m p o et c o m p e t i t o r e s tuos
i n t e r f i c e r e v o l u i s t i , c o m p r e s s i c o n a t u s tuos n e f a r i o s
a m i c o r u m p r a e s i d i o et c o p i i s n u l l o t u m u l t u publice
c o n c i t a t o ; d e n i q u e , q u o t i e n s c u m q u e m e petisti, p e r me
tibi obstiti, q u a m q u a m v i d e b a m p e r n i c i e m m e a m c u m
m a g n a c a l a m i t a t e rei p u b l i c a e esse c o n i u n c t a m .

N u n c iam aperte rem publicam universam petis. 12


t e m p l a d e o r u m i m m o r t a l i u m , tecta u r b i s , v i t a m o m -
n i u m c i v i u m , Italiam t o t a m ad e x i t i u m et v a s t i t a t e m
v o c a s . Q u a re, q u o n i a m id q u o d est p r i m u m , et q u o d
h u i u s imperi d i s c i p l i n a e q u e m a i o r u m p r o p r i u m est,
f a c e r e n o n d u m a u d e o , f a c i a m id q u o d est ad severita-
t e m l e n i u s , ad c o m m u n e m salutem utilius. N a m si te
i n t e r f i c i i u s s e r o , r e s i d e b i t in re p u b l i c a reliqua c o n i u r a -
t o r u m m a n u s ; sin tu, q u o d te iam d u d u m hortor,
e x i e r i s , e x h a u r i e t u r ex u r b e t u o r u m c o m i t u m m a g n a et
p e r n i c i o s a sentina rei p u b l i c a e .

Q u i d est, C a t i l i n a ? n u m d u b i t a s id m e i m p e r a n t e 13
f a c e r e q u o d iam tua s p o n t e f a c i e b a s ? E x ire ex u r b e iubet
c o n s u l h o s t e m . I n t e r r o g a s m e , n u m in e x s i l i u m ? N o n
i u b e o , s e d , si m e c o n s u l i s , s u a d e o . Q u i d est e n i m ,
C a t i l i n a , q u o d te iam in hac u r b e delectare possit? in
q u a n e m o est extra istam c o n i u r a t i o n e m perditorum
h o m i n u m qui te non m e t u a t , n e m o qui non oderit.
Q u a e nota d o m e s t i c a e t u r p i t u d i n i s non inusta vitae t u a e
est? q u o d p r i v a t a r u m r e r u m d e d e c u s non haeret in
С ATILINARISC Η F. REDEN I 393

geraten. Du stelltest mir nach, Catilina, als ich zum Konsul


bestimmt war; damals habe ich mich nicht durch staatliche
Wachen, sondern durch meine persönliche Vorsicht geschützt.
Während der letzten Konsulwahlen hast du mich, den Konsul,
und deine Mitbewerber" auf dem Marsfelde ermorden wol-
len ; ich habe deine ruchlosen Absichten mit einer Wachmann-
schaft von Freunden unterdrückt, ohne von Amts wegen zu
den Waffen zu rufen. Schließlich hast du mich wieder und
wieder bedroht; ich aber habe mich dir aus eigener Kraft
widersetzt, obwohl ich sah, daß mein Verderben großes Un-
heil für die Allgemeinheit nach sich ziehen würde.
Jetzt greifst du schon offen das gesamte Staatswesen an;
die Tempel der unsterblichen Götter, die Dächer der Stadt,
das Leben aller Bürger, ganz Italien weihst du dem Untergang
und der Verwüstung. Ich wage noch nicht zu tun, was das
Erste wäre und was meiner Amtsgewalt und den Grundsätzen
der Vorfahren entspräche. Ich will daher das tun, was weniger
streng, aber nützlicher für das Gemeinwohl ist. Denn wenn
ich deine Hinrichtung befehle, so wird die übrige Schar der
Verschworenen in unserem Staate zurückbleiben; wenn du
jedoch abziehst, wozu ich dich schon lange auffordere, dann
entleert sich die Stadt auch von dem Haufen deiner Genossen,
von dem verderblichen Abschaum unseres Gemeinwesens.
Was ist, Catilina? Zögerst du, wo ich's befehle, das zu tun,
was du schon aus eigenem Entschluß tun wolltest? Der Kon-
sul befiehlt dem Staatsfeinde, sich aus der Stadt zu entfernen.
Du fragst mich: «Doch nicht in die Verbannung?» Das be-
fehle ich nicht; doch wenn du mich fragst: ich rate es dir.
Denn was könnte dir in dieser Stadt noch behagen, Catilina?
Außer deiner Schwurgemeinschaft Verworfener gibt es dort
niemanden, der dich nicht fürchtet, der dich nicht haßt.
Welches Schandmal ist deinem Familienleben nicht einge-
brannt? Welcher Schimpf privaten Umgangs haftet nicht an
394 IN L. CATILINAM I

fama? quae libido ab oculis, quod facinus a manibus


u m q u a m tuis, quod flagitium a toto corpore afuit? cui
tu adulescentulo quern corruptelarum inlecebris inre-
tisses non aut ad audaciam ferrum aut ad libidinem
facem praetulisti? Q u i d vero? nuper cum morte supe- 14
rioris uxoris novis nuptiis locum vacuefecisses. nonne
etiam alio incredibili scelere hoc scelus cumulavisti?
quod ego praetermitto et facile patior sileri, ne in hac
civitate tanti facinoris immanitas aut exstitisse aut non
vindicate esse videatur. Praetermitto ruinas fortu-
narum tuarum quas omnis proximis Idibus tibi impen-
dere senties: ad ilia venio quae non ad privatam ignomi-
niam vitiorum tuorum, non ad domesticam tuam d i f f i -
cultatem ac turpitudinem, sed ad s u m m a m rem publi-
cam atque ad o m n i u m nostrum vitam salutemque perti-
nent.

Potestne tibi haec lux, Catilina, aut huius caeli spiri- 15


tus esse iucundus, cum scias esse horum neminem qui
nesciat te pridie Kalendas Ianuarias Lepido et T u l l o
consulibus stetisse in comitio cum telo, manum con-
sulum et principum civitatis interficiendorum causa
paravisse, sceleri ac furori tuo non mentem aliquam aut
timorem tuum sed Fortunam populi Romani obstitisse?
A c iam ilia omitto - neque enim sunt aut obscura aut
non multa commissa postea - quotiens tu me designa-
tum, quotiens vero consulem interficere conatus es!
quot ego tuas petitiones ita coniectas ut vitari posse non
CATILINARISCHF REDFN I 395

deinem Ruf? Welche Ausschweifung blieb fern von deinen


Augen, welche Untat je von deinen Händen, welcher Schmutz
von deiner ganzen Person? Welchem Jiingelchen, das du in
die Lockungen der Laster verstrickt hattest, trugst du nicht
zum verwegenen Streich das Schwert oder zur schnöden Lust
die Fackel voraus? Was weiter? Du hattest kürzlich durch den
Tod deiner vorigen Gattin Platz für eine neue Hochzeit ge-
macht: hast du nicht noch ein anderes unglaubliches Ver-
brechen auf dieses Verbrechen getürmt 1 4 ? Ich lasse es auf sich
beruhen und dulde gern, daß man es verschweigt: es soll
nicht heißen, daß in unserer Bürgerschaft eine so entsetzliche
Missetat vorgekommen oder unbestraft geblieben sei. Ich
lasse auf sich beruhen, daß dir der völlige Zusammenbruch
deines Vermögens droht (du wirst es an den nächsten Iden
spüren"); ich wende mich den Dingen zu, die nicht mit der
persönlichen Schmach deiner Laster, nicht mit den häuslichen
Schulden und Schändlichkeiten zusammenhängen, die viel-
mehr das Ganze des Staates und unser aller Leben und Wohl-
fahrt berühren.

Kann dir dieses Licht oder die Luft dieses Himmels beha-
gen, Catilina? Du weißt doch: niemand ist unter den An-
wesenden, der nicht wüßte, daß du am 3 1 . Dezember im
Konsulatsjahr des Lepidus und Tullus bewaffnet auf dem
Komitium standest, daß du dir eine Bande verschafft hattest,
um die Konsuln und die ersten Männer im Staate zu ermorden,
daß sich deinem verbrecherischen Wahnsinn nicht ein Ent-
schluß oder eine Furchtanwandlung von deiner Seite, sondern
das gnädige Geschick des römischen Volkes widersetzt h a t " ?
Und schon sehe ich auch von diesen Dingen ab: sie sind ja
nicht unbekannt, noch fehlt es an späteren Missetaten. Wie
oft hast du versucht, mich zu ermorden, als ich zum Konsul
bestimmt war, wie oft erst, seit ich Konsul bin! Wie vielen
Angriffen von dir - sie waren so geführt, daß sie unvermeid-
396 IN L. CATILINAM 1

viderentur parva q u a d a m declinatione et, ut aiunt,


corpore e f f u g i ! N i h i l agis, nihil adsequeris, neque ta-
rnen conari ac velle desistis. Quotiens iam tibi extorta 16
est ista sica de manibus, quotiens excidit casu aliquo et
elapsa est! Q u a e q u i d e m quibus abs te initiata sacris ac
devota sit nescio. q u o d earn necesse putas esse in consu-
lis corpore defigere.

N u n c vero quae tua est ista vita? S i c enim iam tecum


loquar, non ut odio permotus esse videar, q u o debeo,
sed ut misericordia, quae tibi nulla debetur. Yenisti
paulo ante in senatum. Q u i s te ex hac tanta frequentia,
tot ex tuis amicis ac necessariis salutavit? Si hoc post
h o m i n u m m e m o r i a m contigit nemini, vocis exspectas
contumeliam, cum sis gravissimo iudicio taciturnitatis
oppressus? Q u i d , quod adventu tuo ista subsellia va-
cuefacta sunt, quod omnes consulares qui tibi persaepe
ad caedem constituti f u e r u n t , simul atque adsedisti,
partem istam subselliorum nudam atque inanem reli-
querunt, q u o tandem animo tibi f e r e n d u m putas?

S e r v i mehercule mei si me isto pacto metuerent ut te 17


metuunt omnes cives tui, d o m u m meam relinquendam
putarem: tu tibi urbem non arbitraris? et si me meis
civibus iniuria suspectum tarn graviter atque o f f e n s u m
viderem, carere me aspectu civium q u a m infestis om-
nium oculis conspici mallem: tu, cum conscientia sce-
lerum tuorum agnoscas odium omnium iustum et iam
diu tibi d e b i t u m , dubitas q u o r u m mentis sensusque
volneras, eorum aspectum praesentiamque vitare? Si te
С ATILINARISC Η F. REDEN I 397

lieh schienen - bin ich mit einer kleinen Biegung und, wie
man sagt, nur mit dem Körper17 entronnen! Du erreichst
nichts, bringst nichts zuwege, und doch hörst du nicht auf,
es zu versuchen und zu wollen. Wie oft schon wurde dir dein
Dolch aus den Händen entwunden, wie oft entglitt er dir von
ungefähr und fiel zu Boden! Ich weiß nicht, mit welchen Be-
schwörungen du ihn geweiht und verzaubert hast, daß du
glaubst, du müßtest ihn in die Brust des Konsuls stoßen.
Doch jetzt erst, wie sieht dein Leben aus! Denn nunmehr
will ich so mit dir reden, als sei ich nicht von dem Haß erfüllt,
den ich dir schulde, sondern von Mitleid, das dir niemand
schuldet. Du bist soeben in den Senat gekommen. Wer in
dieser zahlreichen Versammlung, aus dem großen Kreise dei-
ner Freunde und Bekannten hat dich begrüßt? Das ist seit
Menschengedenken noch niemandem zugestoßen; du aber
wartest auf den Schimpf der Worte, da dich das Schweigen,
das strengste Urteil, vernichtet hat? Wie? Daß man bei deiner
Ankunft die Bänke geräumt hat, daß alle ehemaligen Konsuln,
die du schon oft zum Tode bestimmt hattest, diesen Teil der
Bänke leer und unbenutzt ließen, sobald du Platz nahmst, wie
glaubst du dich vollends damit abfinden zu sollen?
Beim Herkules, wenn meine Sklaven mich derart fürchte-
ten, wie dich alle deine Mitbürger fürchten, ich würde den-
ken, daß ich mein Haus verlassen müsse: du aber hältst es
nicht für nötig, die Stadt zu verlassen? Und wenn ich sähe,
ich sei bei meinen Mitbürgern zu Unrecht einem so schweren
Verdacht und Unwillen ausgesetzt, ich würde lieber auf den
Anblick der Mitbürger verzichten als mich den feindlichen
Blicken eines jeden aussetzen: du aber gibst im Bewußtsein
deiner Verbrechen zu, daß du die allgemeine Abneigung,
berechtigt wie sie ist, schon lange verdient hast, und du zö-
gerst, deren Anblick und Gegenwart zu meiden, deren Ge-
danken und Empfindungen du kränkst? Wenn deine Eltern
398 IN L. C A T I L I N A M I

parentes timerent atque odissent tui neque eos ratione


ulla placare posses, ut opinor, ab eorurn oculis aliquo
concederes. N u n c tc patria, quae c o m m u n i s est parens
o m n i u m nostrum, odit ac metuit et iam diu nihil te
iudicat nisi de parricidio suo cogitare: huius tu neque
auctoritatem verebere nec indicium sequere nec vim
pertimesces?

Q u a e tecum, Catilina, sic agit et q u o d a m m o d o tacita 1«


loquitur: " N u l l u m iam aliquot annis facinus exstitit nisi
per te, nullum flagitium sine te; tibi uni multorum
civium neces, tibi vexatio direptioque sociorum im-
punita fuit ac libera; tu non solum ad neglegendas leges
et quaestiones verum etiam ad evertendas perfringen-
dasque valuisti. Superiora ilia, q u a m q u a m ferenda non
f u e r u n t , tarnen 11t potui till 1; nunc vero me totam esse in
metu propter unum te, q u i c q u i d increpuerit, Catilinam
timeri, nullum videri contra me consilium iniri posse
quod a tuo scelere abhorreat, non est f e r e n d u m . Q u a m
ob rem discede atque hunc mihi timorem eripe; si est
verus, ne opprimar, sin falsus, ut tandem aliquando
timere d e s i n a m . "

H a e c si tecum, ut dixi, patria loquatur, nonne impe- ig


trare debeat, etiani si vim adhibcre non possit? Q u i d ,
quod tu te in custodiam dedisti, quod vitandae suspicio-
nis causa ad M'. L e p i d u m te habitare velle dixisti? A
quo non rcccptus etiam ad me venire ausus es, atque ut
domi meae te adservarem rogasti. C u m a me q u o q u e id
responsum tulisses. me nullo modo posse isdem parieti-
CATILINARISCHF REDEN 1 399

dich fürchteten und haßten und du dich auf keine Weise mit
ihnen aussöhnen könntest, du würdest dich, meine ich, wohin
es auch sei, vor ihren Blicken verkriechen. Nun aber haßt und
fürchtet dich das Vaterland, der gemeinsame Ursprung von
uns allen, und es befindet, daß du schon seit langem an nichts
denkst als an seine Vernichtung: willst du weder seine Mei-
nung achten noch sein Urteil befolgen noch vor seiner Macht
erzittern?
Das Vaterland, Catilina, spricht so zu dir und erhebt ge-
wissermaßen schweigend seine Stimme: «Seit einigen Jahren
schon ist kein Verbrechen zustande gekommen außer durch
dich, keine Schandtat ohne dich; allein bei dir blieb der Mord
an vielen Bürgern, blieben Mißhandlung und Plünderung der
Bundesgenossen frei und ungestraft; du hast es vermocht,
Gesetze und Prozesse nicht nur geringzuachten, sondern zu
zerschmettern und zu v e r n i c h t e n D e i n e früheren Taten
habe ich, obwohl sie unerträglich waren, ertragen, wie ich
konnte. Doch daß ich jetzt allein deinetwegen von Furcht
erfüllt bin, daß man sich vor Catilina ängstigt, was immer
sich regt, daß sich offenbar kein Anschlag gegen mich ersin-
nen läßt, bei dem dein Frevelmut nicht beteiligt wäre: das
ist vollends unerträglich. Geh daher fort und nimm mir diese
Furcht, wenn sie begründet ist, damit ich nicht überwältigt
werde, wenn unbegründet, damit ich endlich einmal aufhören
kann, mich zu fürchten.»
Wenn das Vaterland so, wie ich sagte, zu dir spräche, müßte
es nicht sein Ziel erreichen, auch wenn es keine Gewalt anzu-
wenden vermöchte? Wie? Hast du dich nicht selbst in Haft
begeben und erklärt, du wolltest, um keinen Verdacht zu er-
regen, bei M'.Lepidus wohnen? Der nahm dich nicht auf; du
aber wagtest auch zu mir zu kommen und batest, ich solle
dich in meinem Hause bewachen. Von mir erhieltest du eben-
falls die Antwort, ich könne mich mit dir unter einem Dache
400 IN L. CAT1LINAM I

bus t u t o esse t e c u m , quia m a g n o in periculo essem quod


isdem m o e n i b u s c o n t i n e r e m u r . ad Q . Metellum prae-
torem venisti. A q u o repudiatus ad sodalem t u u m ,
virum o p t i m u m , .VI. Metellum demigrasti, q u e m tu
videlicet et ad c u s t o d i e n d u m te diligcntissimum ct ad
s u s p i c a n d u m sagacissimum et ad v i n d i c a n d u m fortissi-
m u m fore putasti. Sed q u a m longe videtur a carcere
atque a vinculis abesse debere qui se ipse iam d i g n u m
custodia iudicarit? Q u a e c u m ita sint, Catilina, dubitas, 20
si emori aequo a n i m o non potes, abirc in aliquas terras
et vitam istam multis suppliciis iustis debitisque crep-
t a m fugae solitudinique mandare?

"Refer", inquis, "ad s e n a t u m " ; id enim postulas et, si


hie o r d o placere sibi decreverit te ire in exsilium, ob-
t e m p e r a t u r u m te esse dicis. N o n referam, id quod
abhorret a meis m o r i b u s , et tarnen faciam ut intellegas
quid hi d e te sentiant. Egredere e \ u r b e , Catilina, libera
rem publicam m e t u , in exsilium, si hanc vocem exspec-
tas, proficiscere. Q u i d est? ecquid attendis, ccquid
animadvertis h o r u m silentium? Fatiuntur, tacent.
Q u i d exspectas auctoritatem l o q u e n t i u m , q u o r u m vo-
luntatem tacitorum perspicis? At si hoc idem huic 21
adulesccnti o p t i m o P. Sestio, si fortissimo viro .N1. Mar-
cello dixissem, iam mihi consuli hoc ipso in templo
senatus iure o p t i m o vim et m a n u s intulisset. De te
a u t e m , Catilina, c u m quiescunt, p r o b a n t , cum patiun-
tur, d e c e r n u n t , c u m tacent, clamant, n e q u e hi solum
q u o r u m tibi auctoritas est videlicet cara, vita vilissima.
CATILINARISCHF RFDEN I 4OI

keineswegs sicher fühlen; ich sei schon in großer Gefahr, weil


wir uns innerhalb derselben Mauern befänden. Da gingst du
zum Prätor Q^Metellus. Der wies dich ab, und du zogst zu
deinem Genossen M. Metellus, einem trefflichen Manne; ohne
Frage glaubtest du, er sei imstande, dich besonders gewissen-
haft zu bewachen, mit größtem Spürsinn zu bespitzeln und
ungewöhnlich streng zu bestrafen Doch wie fern muß je-
mand wohl dem Gefängnis und den Fesseln stehen, der sich
schon selber der Haft fur würdig hält! Unter diesen Umstän-
den zögerst du, Catilina, wenn du schon nicht mit Gleichmut
zu sterben weißt, wenigstens in irgendein Land zu gehen und
dein Leben, das du zahlreichen gerechten und verdienten
Strafen entzogen hast, der Flucht und der Einsamkeit anzu-
vertrauen ?
Du sagst: «Berichte hierüber dem Senat.» Denn das for-
derst du, und du erklärst, du wollest gehorchen, wenn diese
Versammlung beschließe, sie halte es fiir richtig, daß du in
die Verbannung gehst. Ich werde ihm nicht berichten; das
widerspräche meiner Wesensart. Und doch will ich dir zeigen,
was die Anwesenden von dir denken. Verlaß die Stadt, Cati-
lina, erlöse den Staat von seiner Bedrängnis, geh in die Ver-
bannung, wenn es dir auf dieses Wort ankommt. Wie steht's?
Beobachtest du, bemerkst du, wie diese hier schweigen? Sie
lassen es zu, sie bleiben still. Was wartest du auf ein ausge-
sprochenes Gebot, wenn du den unausgesprochenen Willen
erkennst? Doch wenn ich dasselbe zu P.Sestius, einem vor-
trefflichen jungen Manne, wenn ich es zum wackeren M.
Marcellus gesagt hätte*0, mit vollem Recht wäre der Senat
hier im Tempel gegen mich, den Konsul, handgreiflich und
tätlich geworden. Bei dir aber verhalten sie sich ruhig, Cati-
lina - also stimmen sie zu; sie dulden es - also beschließen
sie; sie schweigen - also rufen sie laut. Und das gilt nicht nur
für die, deren Gebot dir offenbar viel, doch deren Leben dir
402 IN L . C A T I L I N A M I

sed etiam illi equites R o m a n i , honestissimi atque op-


timi viri, ceterique fortissimi cives qui circumstant
senatum, quorum tu et frequentiam videre et studia
perspicere et voces paulo ante exaudire potuisti.
Q u o r u m ego vix abs te iam diu manus ac tela contineo,
eosdem facile adducam ut te haec quae vastare iam
pridem studes relinquentem usque ad portas prose-
quantur.

Q u a m q u a m quid loquor? te ut ulla res frangat, tu ut


u m q u a m te corrigas, tu ut ullam f u g a m meditere, tu ut
ullum exsilium cogites? U t i n a m tibi istam mentem di
immortales duint! tametsi video, si mea voce perterri-
tus ire in exsilium animum induxeris, quanta tempestas
invidiae nobis, si minus in praesens tempus recenti
memoria scelerum tuorum, at in posteritatem impen-
deat. Sed est tanti, d u m modo tua ista sit privata
calamitas et a rei publicae periculis seiungatur. S e d tu
ut vitiis tuis c o m m o v e a r e , ut legum poenas pertimes-
cas, ut temporibus rei publicae cedas non est postu-
landum. N e q u e enim is cs, Catilina, ut te aut pudor a
turpitudine aut metus a periculo aut ratio a furore
revocarit. Q u a m ob rem, ut saepe iam dixi, proficiscere 23
ac, si mihi inimico, ut praedicas, tuo conflare vis invi-
diam, recta perge in exsilium; vix feram sermones
h o m i n u m , si id feceris, vix molem istius invidiae, si in
exsilium iussu consulis iveris, sustinebo. Sin autem
servire meae laudi et gloriae mavis, egredere cum im-
С ATI LI N ARISCH Ε REDEN I 4°3
sehr wenig bedeutet: es gilt auch für die römischen Ritter,
hochangesehene und vortreffliche Männer, und für die übri-
gen wackeren Bürger, die sich um den Senat versammelt ha-
ben. Du konntest soeben ihre große Zahl sehen und ihren
Willen erkennen und ihre Rufe vernehmen. Ich vermag kaum
noch ihre Fäuste und Waffen von dir fernzuhalten; ich werde
sie ohne Mühe überreden, dich bis zum Tore zu geleiten,
wenn du all dies verläßt, was du schon seit langem zu ver-
wüsten suchst.
Doch was rede ich? Dich sollte je etwas beugen, du könn-
test je dich bessern, du sännest irgend auf Flucht, du däch-
test irgend an Verbannung? Ach, gäben dir die unsterblichen
Götter diesen Vorsatz ein! Indes, ich sehe schon: wenn du,
von meinen Worten eingeschüchtert, dich entschließest, in
die Verbannung zu gehen, welch ein Sturm von Anfeindungen
steht uns bevor! Vielleicht nicht sofort, während die Erin-
nerung an deine Freveltaten noch frisch ist, wohl aber in
späterer Zeit. Doch dieser Preis ist mir nicht zu hoch, wenn
es sich nur um mein persönliches Unglück handelt und keine
Gefahren für den Staat daraus erwachsen. Von dir hingegen
kann man nicht verlangen, daß deine Laster dich erschüttern,
daß du die Strafen der Gesetze fürchtest, daß du der Notlage
des Staates ein Opfer bringst. Denn so bist du nicht geartet,
Catilina, daß dich Scham von einer Schandtat oder Furcht
von einer Gefahr oder vernünftiges Denken von Raserei zu-
rückhielte. Daher, wie ich schon oft gesagt, brich auf, und
wenn du gegen mich, deinen Feind, wie du behauptest, ge-
hässige Vorwürfe aufrühren willst, so geh geradewegs in die
Verbannung: wenn du das tust, so werde ich nur mit Mühe
das Gerede der Leute ertragen; wenn du auf Befehl des Kon-
suls in die Verbannung gehst, so werde ich mit genauer Not
die Last der Anfeindungen aushalten. Willst du jedoch mei-
nem Ansehen und Ruhm einen Dienst erweisen, so rücke mit-
4°4 IN L. CATILINAM 1

portuna sceleratorum manu, confer te ad Manlium,


concita perditos civis, secerne te a bonis, infer patriae
bellum, exsulta impio latrocinio, ut a me non eiectus ad
alienos, sed invitatus ad tuos isse videaris.

Quamquam quid ego te invitem, a quo iam sciam esse 24


praemissos qui tibi ad forum Aurelium praestolarentur
armati, cui sciam pactam et constitutam cum Manlio
diem, a quo etiam aquilam illam argenteam quam tibi ас
tuis omnibus confido perniciosam ac funestam fu-
turam, cui domi tuae sacrarium sceleratum constitutum
fuit, sciam esse praemissam? T u ut ilia carere diutius
possis quam venerari ad caedem proficiscens solebas, a
cuius altaribus saepe istam impiam dexteram ad п е с е т
civium transtulisti? Ibis tandem aliquando quo te iam 25
pridem tua ista cupiditas effrenata ac furiosa rapiebat;
neque enim tibi haec res adfert dolorem, sed quandam
incredibilem voluptatem. A d hanc te amentiam natura
peperit, voluntas exercuit, fortuna servavit. N u m q u a m
tu поп modo otium sed ne bellum quidem nisi nefarium
concupisti. Nactus es ex perditis atque ab omni поп
modo fortuna verum etiam spe derelictis conflatam
improborum manum. H i c tu qua laetitia perfruere, 26
quibus gaudiis exsultabis, quanta in voluptate baccha-
bere, cum in tanto numero tuorum neque audies virum
bonum quemquam neque videbis! A d huius vitae Stu-
dium meditati illi sunt qui feruntur labores tui, iacere
С ATILINA RISCHF REDEN I
4°5

samt deinem üblen Verbrecherhaufen aus, begib dich zu Man-


lius, sammle die heillosen Mitbürger um dich, sondere dich
von den Rechtschaffenen ab, überziehe dein Vaterland mit
Krieg, überhebe dich in ruchlosen Raubzügen: dann ist offen-
bar, daß ich dich nicht in die Fremde hinausgetrieben, son-
dern aufgefordert habe, zu den Deinen zu gehen.
Indes, was fordere ich dich auf? Ich weiß doch bereits, daß
du Leute hast vorausziehen lassen, die mit ihren Waffen bei
Forum Aurelium" auf dich warten sollen; ich weiß, daß du
mit Manlius einen bestimmten Tag festgesetzt und verein-
bart hast; ich weiß, daß du jenen Silberadler" vorausschick-
test, für den in deinem Hause ein verruchtes Heiligtum ein-
gerichtet war und der, wie ich überzeugt bin, dir und allen
deinen Leuten Verderben und Unheil bringen wird. Wie soll-
test du auch längere Zeit ohne ihn auskommen: du pflegtest
ihn anzubeten, wenn du dich zum Blutvergießen aufmachtest;
du hast oft deine ruchlose Rechte von seinem Altar zum Bür-
germord gewandt. Du wirst endlich einmal dorthin gehen,
wohin dich deine hemmungslose und rasende Leidenschaft
schon seit langem zieht; denn dein Vorhaben erfüllt dich
nicht mit Schmerz, sondern mit einer ganz unglaublichen
Lust. Zu diesem Wahnsinn hat dich die Natur geschaffen,
dein Wille geübt, das Schicksal aufbewahrt. Nie war dir der
Friede erwünscht, nicht einmal der Krieg - außer einem ver-
brecherischen. Du hast dir eine Bande von Schurken ver-
schafft; sie ist aus verworfenen Gesellen und aus Leuten zu-
sammengewürfelt, die nicht nur jede Schicksalsgunst, sondern
auch alle Hoffnung verlassen hat. Welches Glücksgeflihl
wirst du dort genießen, in welchen Freuden schwelgen, in
welcher Lust taumeln, wenn du inmitten der großen Zahl der
Deinen keinen einzigen ehrlichen Mann hören oder sehen
mußt! Aus Hang zu diesem Leben hast du dich in den Stra-
pazen geübt, die man dir nachsagt: du liegst auf der Erde,
4o6 IN L. С ATI Li NAM I

h u m i non solum ad o b s i d e n d u m s t u p r u m verum etiam


ad facinus o b e u n d u m , vigilare non solum insidiantem
somno maritorum verum etiam bonis otiosorum. H a b e s
ubi o s t e n t e s t u a m illam p r a e c l a r a m patientiam f a m i s ,
frigoris, inopiae rerum o m n i u m q u i b u s te brevi t e m -
pore c o n f e c t u m esse senties. T a n t u m p r o f e c i , c u m te a 27
c o n s u l a t u reppuli, ut exsul potius t e m p t a r e q u a m c o n -
sul vexare rem p u b l i c a m posses, a t q u e ut id q u o d esset a
te s c e l e r a t e s u s c e p t u m l a t r o c i n i u m potius q u a m b e l l u m
nominaretur.

N u n c , ut a m e , patres c o n s c r i p t i , q u a n d a m p r o p e
iustam patriae q u e r i m o n i a m d e t e s t e r ac d e p r e c e r , per-
c i p i t e , q u a e s o , diligenter q u a e d i c a m , et ea p e n i t u s
a n i m i s vestris m e n t i b u s q u e m a n d a t e . E t e n i m si m e c u m
patria, q u a e mihi vita mea m u l t o est carior, si c u n c t a
Italia, si o m n i s res p u b l i c a l o q u a t u r : " M . T u l l i , q u i d
agis? T u n e e u m q u e m esse h o s t e m c o m p e r i s t i , q u e m
d u c e m belli f u t u r u m vides, q u e m exspectari i m p e r a t o -
rem in castris h o s t i u m sentis, a u c t o r e m sceleris, p r i n c i -
p e m c o n i u r a t i o n i s , e v o c a t o r e m servorum et c i v i u m per-
d i t o r u m , exire patiere, ut abs te non emissus ex u r b e ,
sed i m m i s s u s in u r b e m esse videaturr N o n n e h u n c in
vincla d u c i , non ad m o r t e m rapi, non s u m m o s u p p l i c i o
mactari i m p e r a b i s ? Q u i d t a n d e m te impedit? m o s n e 2H
m a i o r u m ? A t persaepe etiam privati in hac re p u b l i c a
p e r n i c i o s o s civis m o r t e m u l t a r u n t . An leges q u a e de
c i v i u m R o m a n o r u m supplicio rogatae sunt? A t n u m -
CATILINARISCHE REDEN I

nicht nur um auf Unzucht zu lauern, sondern auch um ein


Verbrechen zu begehen; dein Wachen stellt nicht allein dem
Schlaf der Ehemänner nach, sondern ebenso dem Vermögen
friedliebender Leute. Dort kannst du sie nun zeigen, deine
berühmte Fähigkeit, Hunger, Kälte und allerlei Entbehrungen
zu ertragen; du wirst schon merken: in kurzer Zeit bist du
gänzlich entkräftet davon. So viel habe ich erreicht, als ich
dich vom Konsulate vertrieb: du vermagst nur noch als Ver-
bannter den Staat zu belästigen, statt ihn als Konsul zu er-
schüttern und was du auf verbrecherische Weise angezet-
telt hast, das wird man eher einen Raubzug nennen als einen
Krieg.
Jetzt möchte ich mich, versammelte Väter, in eindringli-
cher Bitte gegen eine nahezu berechtigte Klage des Vater-
landes verwahren; seid so gütig, hört genau auf das, wr.s ich
sage, und prägt es tief eurem Herzen und Gedächtnisse ein.
Wenn nämlich das Vaterland, das mir weit teurer ist als mein
Leben, wenn ganz Italien, wenn das gesamte Staatswesen so
zu mir spräche: «M.Tullius, was tust du? Willst du zulassen,
daß dieser Mann davongeht? Du hast doch zuverlässig er-
fahren, daß er ein Staatsfeind ist; du siehst, daß er den Krieg
leiten wird; du spürst, daß ihn das Lager der Feinde als seinen
Feldherrn erwartet - den Urheber des Verbrechens, das Haupt
der Verschwörung, den Aufwiegler von Sklaven und heillosen
Elementen der Bürgerschaft! Gewiß wird man meinen, du
habest ihn nicht aus der Stadt hinaus, sondern gegen die
Stadt losgeschickt! Willst du nicht befehlen, ihn ins Gefäng-
nis zu führen, ihn zum Tode zu schleppen, ihn die äußerste
Strafe erleiden zu lassen? Was hindert dich eigentlich? Der
Brauch der Vorfahren? Aber in diesem Staate haben doch sehr
oft Männer ohne Amtsgewalt verderbliche Bürger hinge-
richtet! Oder die Gesetze, die man über die Todesstrafe an
römischen Bürgern erlassen hat 24 ? Aber in dieser Stadt haben
4o8 IN L. CATILINAM I

q u a m in hac u r b e qui a re publica d e f e c e r u n t civium


iura t e n u e r u n t . An invidiam posteritatis times? Prae-
claram vero p o p u l o R o m a n o refers gratiam qui te,
h o m i n e m per te c o g n i t u m , nulla c o m m e n d a t i o n e
m a i o r u m tam m a t u r e ad s u m m u m i m p e r i u m per omnis
h o n o r u m gradus extulit. si propter invidiam aut ali-
cuius periculi m e t u m salutem civium t u o r u m neglegis.
Sed si quis est invidiae m e t u s , non est vehementius
severitatis ac fortitudinis invidia q u a m inertiae ac ne-
quitiae pertimescenda. A n , c u m bello vastabitur Italia,
v e x a b u n t u r urbes, tecta a r d e b u n t , t u m te non existimas
invidiae incendio c o n f l a g r a t u r u m ? "

H i s ego sanctissimis rei publicae vocibus et eorum


h o m i n u m qui hoc idem sentiunt m e n t i b u s pauca re-
s p o n d e b o . Ego, si hoc o p t i m u m factu iudicarem, patres
conscripti, Catilinam m o r t e multari, unius usuram ho-
rae gladiatori isti ad v i v e n d u m non dedissem. Etenim si
summi viri et clarissimi civcs Saturnini et G r a c c h o r u m
et Flacci et s u p e r i o r u m c o m p l u r i u m sanguine non
m o d o se non c o n t a m i n a r u n t sed etiam honestarunt,
certe v e r e n d u m mihi n o n erat ne quid hoc parricida
civium interfecto invidiae mihi in posteritatem redun-
daret. Q u o d si ea mihi maxime i m p e n d e r e t , tamen hoc
animo fui semper ut invidiam virtute partam gloriam,
non invidiam p u t a r e m .

Q u a m q u a m non nulli sunt in hoc ordine qui aut ea


quae i m m i n e n t non videant aut ea q u a e vident dissimu-
lent; qui spem Catilinae mollibus sententiis aluerunt
С A T I LI N A R I S C H F. R E D F N I

doch niemals Leute, die der Verfassung untreu wurden, die


Vorrechte der Bürger behalten! Oder furchtest du die An-
feindungen der Folgezeit? Das römische Volk hat dich, der
sein Ansehen nur sich selbst verdankt, ohne empfehlenden
Stammbaum so frühzeitig über alle Ämterstufen hinweg zur
höchsten staatlichen Gewalt erhoben; da erweisest du ihm
wahrhaftig einen vortrefflichen Dank, wenn du wegen der
Anfeindungen oder aus Furcht vor einer Gefahr die Wohl-
fahrt deiner Mitbürger geringachtest. Doch wenn du irgend
gehässige Vorwürfe scheust: du brauchst den Vorwurf der
Strenge und Unerschrockenheit nicht stärker zu furchten als
den der Untätigkeit und Fahrlässigkeit. Oder meinst du etwa,
wenn der Krieg Italien verwüstet, die Städte heimsucht, die
Häuser in Brand steckt, dann werde dich nicht eine wahre
Feuersbrunst des Hasses niedersengen?»
Auf diese ehrwürdige Rede des Vaterlandes und auf die
Ansichten derer, die ebenso denken, will ich mit wenigen
Worten antworten. Wenn ich es für das Beste hielte, Catilina
mit dem Tode zu bestrafen, versammelte Väter, so hätte ich
diesem Banditen nicht eine einzige Stunde den Genuß des
Lebens vergönnt. Denn Männer von höchstem Rang, sehr
angesehene Bürger, haben sich durch das Blut des Saturninus,
der Gracchen, des Flaccus und anderer in früherer Zeit keines-
wegs befleckt15, sondern sogar Ehre verschafft; ich brauchte
daher gewiß nicht zu befürchten, daß ich später einmal allzu
viele Anfeindungen ernten würde, wenn ich diesen Mord-
brenner unserer Bürgerschaft hinrichten ließe. Falls mir aber
noch so große Anfeindungen bevorstehen sollten, so war es
doch stets meine Einstellung, Haß, den mir meine Tatkraft
zuzog, für Ruhm, nicht fur Haß zu halten.
Indes, einige in dieser Versammlung sehen nicht, was uns
droht, oder lassen sich nicht merken, was sie sehen; sie haben
die Hoffnung Catilinas durch milde Meinungsäußerungen
IN L . С AT I LI N A M I

coniurationemque nascentem non credendo conrobora-


verunt; quorum auctoritate multi non solum improbi
verum etiam imperiti, si in hunc animadvertissem,
crudeliteret regie factum esse dicerent. N u n c intellego,
si iste, quo intendit, in Manliana castra pervenerit,
neminem tam stultum fore qui non videat coniuratio-
nem esse factam, neminem tam improbum qui non
fateatur.

H o c autem uno interfecto intellego banc rei publicae


pestem paulisper reprimi, non in perpetuum comprimi
posse. Quod si sese eiecerit secumque suos eduxerit et
eodem ceteros undique conlectos naufragos adgregarit,
exstinguetur atque delebitur non modo haec tam adulta
rei publicae pestis verum etiam stirps ac semen ma-
lorum omnium. Etenim iam diu, patres conscripti, in 31
his periculis coniurationis insidiisque versamur, sed
nescio quo pacto omnium scelerum ac veteris furoris et
audaciae maturitas in nostri consulatus tempus erupit.
N u n c si ex tanto latrocinio iste unus tolletur, videbimur
fortasse ad breve quoddam tempus cura et metu esse
relevati, periculum autem residebit et erit inclusum
penitus in venis atque in visceribus rei publicae. Ut
saepe homines aegri morbo gravi, cum aestu febrique
iactantur, si aquam gelidam biberunt, primo relevari
videntur, deinde multo gravius vehementiusque adflic-
tantur, sic hie morbus qui est in re publica relevatus
istius poena vehementius reliquis vivis ingravescet.
С ATI LI N ARISC Η Ε REDEN I 4"

genährt und der entstehenden Verschwörung durch ihren


Unglauben zu Kräften verholfen. Deren Einfluß hätte nicht
nur gewissenlose, sondern auch unerfahrene Leute in großer
Zahl bestimmt, von einer grausamen und tyrannischen Tat
zu reden, wenn ich Catilina bestraft h ä t t e " . Er gelange jetzt
in das Lager des Manlius, wohin es ihn ja zieht; dann wird,
denke ich, niemand mehr so töricht sein, die vollzogene Ver-
schwörung nicht zu bemerken, niemand so gewissenlos, ihr
Bestehen zu leugnen.
Wenn ferner nur der eine hingerichtet wird, so läßt sich
dadurch, meine ich, dies Verderben unseres Staates zwar für
kurze Zeit aufhalten, jedoch nicht fiir immer aufheben. Wenn
er aber davoneilt, seine Leute mitnimmt und auch die übrigen
gestrandeten Existenzen, die er überall aufgelesen hat, an
einer Stelle um sich schart, dann kann man nicht nur das ge-
genwärtige Verderben, das derart in unserem Staate wuchert,
sondern auch die Wurzel und Ursache jeglichen Übels besei-
tigen und vertilgen. Denn schon lange umgeben uns die Ge-
fahren und Fallstricke dieser Verschwörung, versammelte
Väter, aber irgendwie sind alle Verbrechen, die längst be-
stehende Raserei und Tollheit, erst in der Zeit meines Kon-
sulats herangereift und ausgebrochen. Wenn jetzt nur der
eine aus dem großen Komplott beseitigt wird, dann kommt
es uns vielleicht fur kurze Zeit so vor, als seien wir von der
Sorge und Furcht befreit; die Gefahr aber wird haftenbleiben
und tief im Mark und in den Eingeweiden unseres Gemein-
wesens weiterschwären. Oft spüren Schwerkranke, wenn die
Fieberhitze sie schüttelt, zunächst Erleichterung, sobald sie
kaltes Wasser trinken; doch werden sie hernach viel stärker
und heftiger heimgesucht. Ebenso steht es mit der Krankheit
im Inneren unseres Staates: wenn man sie nur durch die Be-
strafung Catilinas zu lindern sucht, so wird sie sich durch die
übrigen, die am Leben bleiben, erheblich verschlimmern.
412 IN L . C A T I L I N A M I

Qua re secedant improbi, secernant se a bonis, unum in 32


locum congregentur, muro denique, quod sacpe iam
dixi, secernantur a nobis; desinant insidiari domi suae
consuli, circumstare tribunal praetoris urbani, obsidere
cum gladiis curiam, malleolos et faces ad inflamman-
dam urbem comparare; sit denique inscriptum in fronte
unius cuiusque quid de re publica sentiat.

Polliceor hoc vobis, patres conscripti, tantam in no-


bis consulibus fore diligentiam, tantam in vobis aucto-
ritatem, tantam in equitibus Romanis virtutem, tantam
in omnibus bonis consensionem ut Catilinae profec-
tione omnia patefacta, inlustrata, oppressa, vindicata
esse videatis. H i s c e o m i n i b u s , Catilina, cum summa rei 33
publicae salute, cum tua peste ac pernicie c u m q u e
eorum exitio qui se tecum omni scelere parricidioque
iunxerunt, proficiscere ad impium bellum ас nefarium.
T u , Iuppiter, qui isdem quibus haec urbs auspiciis a
Romulo es constitutus, quem Statorem huius urbis
atque imperi vere nominamus, hunc et huius socios a
tuis ceterisque templis, a tectis urbis ac moenibus, a
vita fortunisque civium omnium arcebis et homines
bonorum inimicos, hostis patriae, latrones Italiae sce-
lerum foedere inter se ac nefaria societate coniunctos
aeternis suppliciis vivos mortuosque mactabis.
CATILINARISCHE REDEN I 41 3

Daher sollen die Frevler entweichen, sich von den Recht-


schaffenen absondern und an einer Stelle versammeln, kurz,
wie ich schon oft gesagt, sie seien durch die Mauer von uns
geschieden; sie mögen aufhören, dem Konsul in seinem Hause
nachzustellen, das Tribunal des Stadtprätors zu umdrängen 17 ,
in Waffen die Kurie 18 zu belagern, Brandpfeile und Fackeln
für die Einäscherung der Stadt heranzuschaffen; mit einem
Wort, ein jeder trage es an der Stirn geschrieben, wie er über
den Staat denkt.
Ich versichere euch, versammelte Väter, wir, die Konsuln,
werden so viel Umsicht, ihr so viel Einfluß, die römischen
Ritter so viel Tatkraft und alle Rechtschaffenen eine so ein-
hellige Gesinnung zeigen, daß ihr nach dem Abzug Catilinas
alles aufgeklärt und ans Licht gebracht, unterdrückt und
geahndet seht. Im Zeichen dieser prophetischen Worte zieh
aus, Catilina, in den verbrecherischen und ruchlosen Krieg -
zum Heil des gesamten Staates, zu deinem Unglück und Ver-
derben sowie zum Untergang derer, die sich mit dir durch
Verbrechen und Mordtaten jeder Art verbunden haben. Ju-
piter! Dein Bild wurde unter denselben Wahrzeichen wie die-
se Stadt von Romulus gestiftet 19 , und wir nennen dich mit
Recht den Schirmer von Stadt und Reich: du wirst diesen
Mann mitsamt seinen Genossen von den Tempeln, deinen
eigenen und den übrigen, von den Dächern und Mauern der
Stadt, vom Leben und Besitz aller Bürger fernhalten; du wirst
die Widersacher der Wohlgesinnten, die Feinde des Vater-
landes, die Freibeuter Italiens, die sich durch das Band des
Verbrechens und einen frevlerischen Pakt miteinander ver-
schworen haben, im Leben und im Tode mit ewigen Strafen
heimsuchen.
IN L. C A T I L I N A M O R A T I O S E C U N D A
HABITA AD POPULUM

Tandem aliquando, Quirites, L. Catilinam, furentem ι


audacia, scelus anhelantem, pestem patriae nefarie mo·
Hentern, vobis atque huic urbi ferro flammaque mini-
tantem ex urbe vel eiecimus vel emisimus vel ipsum
egredientem verbis prosecuti sumus. Abiit, excessit,
evasit, erupit. Nulla iam pernicies a monstro illo atque
prodigio moenibus ipsis intra moenia comparabitur.
Atque hunc quidem unum huius belli domestici ducem
sine controversia vicimus. Non enim iam inter latera
nostra sica ilia versabitur, non in campo, non in foro,
non in curia, non denique intra domesticos parietes
pertimescemus. Loco ille motus est, cum est ex urbe
depulsus. Palam iam cum hoste nullo impediente
bellum iustum geremus. Sine dubio perdidimus homi-
nem magnificeque vicimus, cum ilium ex occultis insi-
diis in apertum latrocinium coniecimus. Quod vero non 2
cruentum mucronem, ut voluit, cxtulit, quod vivis
nobis egressus est, quod ei ferrum e manibus extorsi-
mus, quod incolumis civis, quod stantem urbem reli-
quit, quanto tandem ilium maerore esse adflictum et
profligatum putatis? Iacet ille nunc prostratus, Quiri-
tes, et se perculsum atque abiectum esse sentit et retor-
quet oculos profecto saepe ad hanc urbem quam e suis
faucibus ereptam esse luget: quae quidem mihi laetari
videtur, quod tantam pestem evomuerit forasque proie-
cerit.
ZWEITE CATILINARISCHE REDE

Endlich, Quinten! L.Catilina raste vor Verwegenheit,


schäumte vor Frevelmut, sann ruchlos auf das Verderben des
Vaterlandes, bedrohte euch und diese Stadt mit Feuer und
Schwert - wir haben ihn aus der Stadt hinausgejagt oder fort-
geschickt oder ihm, wie er freiwillig von dannen zog, mit un-
seren Worten das Geleit gegeben. Er ging weg, er entwich,
er verschwand, er stürzte davon. Jetzt kann das Scheusal und
Ungeheuer den Mauern der Stadt im Innern der Mauern kein
Verderben mehr bereiten. Und diesen einen Anfuhrer des Auf-
ruhrs im eigenen Lande haben wir unzweifelhaft besiegt. Denn
sein Dolch wird unsere Brust nicht mehr bedrohen; wir brau-
chen ihn nicht mehr zu fürchten, nicht auf dem Marsfelde,
nicht auf dem Forum, nicht in der Kurie' 0 , noch auch in un-
seren eigenen vier Wänden. Er hat seine günstige Stellung
verloren, da er aus der Stadt vertrieben ist. Wir können nun-
mehr gradheraus den gerechten Krieg gegen den Staatsfeind
führen, ohne daß jemand uns hindert. Kein Zweifel, wir haben
den Mann zugrunde gerichtet und glänzend besiegt, indem
wir ihn aus seinem verborgenen Hinterhalt in den offenen
Aufruhr trieben. Überdies, welche Betrübnis, glaubt ihr,
beugt ihn nieder und vernichtet ihn? Denn er trug ja nicht,
wie er wollte, ein blutiges Schwert davon; er ging fort, ohne
uns getötet zu haben; wir haben ihm die Waffe aus den
Händen gewunden; er ließ die Bürger unversehrt und die
Stadt unbeschädigt zurück. Jetzt liegt er zu Boden ge-
streckt, Quiriten, und er spürt, daß er niedergeworfen und
überwältigt ist, und wahrhaftig, oft wendet er seine Augen
nach dieser Stadt zurück, die zu seiner Trauer seinem Ra-
chen entrissen wurde; sie aber, scheint mir, ist froh, daß
sie ein derartiges Unheil ausgespien und hinausgeworfen
hat.
4i6 IN L. CATILINAM [I

A c si quis est talis qualis esse omnis oportebat. qui in 3


hex: ipso in quo exsultat et triumphat oratio mea me
vehementer accuset, quod tam capitalem hostem non
comprehenderim potius quam emiserim, non est ista
mea culpa, Quirites, sed temporum. Interfectum esse
L . Catilinam et gravissimo supplicio adfectum iam pri-
dem oportebat, idque a me et mos maiorum et huius
imperi severitas et res publica postulabat. Sed quam
multos fuisse putatis qui quae ego deferrem non crede-
rent, quam multos qui propter stultitiam non putarent,
quam multos qui etiam defenderent, quam multos qui
propter improbitatem faverent? A c si illo sublato de-
pelli a vobis omne periculum iudicarem, iam pridem
ego L . Catilinam non modo invidiae meae verum etiam
vitae periculo sustulissem. Sed cum viderem, ne vobis 4
quidem omnibus etiam tum re probata si ilium, ut erat
meritus, morte multassem, fore ut eius socios invidia
oppressus persequi non possem, rem hue deduxi ut tum
palam pugnare possetis cum hostem aperte videretis.

Quem quidem ego hostem, Quirites, quam vehe-


menter foris esse timendum putem, licet hinc intellega-
tis, quod etiam illud moleste fero quod ex urbe parum
comitatus exierit. Utinam ille omnis secum suas copias
eduxisset! Tongilium mihi eduxit quem amare in prae-
texta coeperat, Publicium et Minucium quorum aes
alienum contractum in popina nullum rei publicae mo-
tum adferre poterat: reliquit quos viros, quanto aere
alieno, quam valentis, quam nobilis! Itaque ego ilium 5
exercitum prae Gallicanis legionibus et hoc dilectu
quem in agro Piceno et Gallico Q . Metellus habuit, et
СATIL1NARISCHF. RF.DEN II 41 7

Vielleicht denkt jemand so, wie alle denken sollten, und er


macht mir gerade deshalb heftige Vorwürfe, weswegen meine
Rede frohlockt und triumphiert: ich hätte einen derart ge-
fährlichen Feind nicht laufen lassen, sondern verhaften sollen.
Doch das liegt nicht an mir, Quiriten, sondern an den Ver-
hältnissen. Schon längst hätte man L.Catilina töten und der
schwersten Strafe ausliefern müssen: so forderten es von mir
der Brauch der Vorfahren und die Strenge dieser Amtsgewalt
und das Wohl des Staates. Aber wie viele, denkt ihr, hätten
meine Anschuldigungen nicht geglaubt, wie viele sie aus Tor-
heit angezweifelt, wie viele gar zu rechtfertigen gesucht, wie
viele die Sache aus Gewissenlosigkeit begünstigt? Wäre ich
ferner der Meinung gewesen, die Beseitigung L.Catilinas
werde jede Gefahr von euch abwenden, ich hätte ihn schon
längst beseitigt, um den Preis bitteren Hasses und selbst des
Lebens. Aber ich sah, daß nicht einmal ihr damals alle von der
Sache überzeugt wäret und daß ich, von Anfeindungen be-
drängt, seine Genossen nicht verfolgen könne, wenn ich ihn,
wie er es verdiente, mit dem Tode bestraft hätte; ich führte
daher eine Lage herbei, die es euch ermöglicht, ofFen gegen den
klar erkannten Feind zu kämpfen.
Wie sehr man ihn meiner Meinung nach als Feind außer-
halb der Stadt fürchten muß, Quiriten, das könnt ihr daraus
ersehen: ich bedaure es, daß er die Stadt mit allzu geringer
Begleitung verlassen hat! Ach, hätte er doch alle seine Scharen
mitgenommen! Er nahm mir den Tongilius mit, der noch ein
Knabe war, als er sich in ihn verliebte, ferner den Publicius
und Minucius, deren Wirtshausschulden den Staat bestimmt
nicht hätten erschüttern können. Doch was fiir Männer ließ
er zurück, mit welchen Schulden, wie mächtig, wie hochge-
boren ! Wenn ich daher die gallischen Legionen in Betracht
ziehe und die Aushebung, die Q^Metellus in der picenischen
und gallischen Mark durchgeführt h a t " , und die Truppen,
4·« IN L. CAT1L1NAM I]

his copiis q u a e a nobis cotidie c o m p a r a n t u r , magno


opere c o n t e m n o , c o n l e c t u m ex senibus desperatis. ex
agresti luxuria, ex rusticis decoctoribus, ex eis qui
vadimonia deserere q u a m ilium exercitum maluerunt;
q u i b u s ego non m o d o si aciem exercitus nostri, verum
etiam si e d i c t u m praetoris ostendero, concident.

H o s quos video volitare in foro, q u o s stare ad curiam,


quos etiam in senatum venire, qui nitent unguentis, qui
fulgent p u r p u r a , mallem secum suos milites eduxisset:
qui si hie p e r m a n e n t , m e m e n t o t e non tarn exercitum
ilium esse nobis q u a m hos qui exercitum deseruerunt
pertimescendos. A t q u e hoc etiam sunt timendi magis
q u o d q u i d cogitent me scire sentiunt n e q u e tamen
p e r m o v e n t u r . Video cui sit Apulia a t t r i b u t a , quis ha- 6
beat E t r u r i a m , quis a g r u m P i c e n u m , quis Gallicum.
quis sibi has u r b a n a s insidias caedis a t q u e incendiorum
depoposcerit. O m n i a superioris noctis consilia ad me
perlata esse sentiunt; patefeci in senatu hesterno die;
Catilina ipse p e r t i m u i t , profugit: hi quid exspcctant?
N e illi vehementer e r r a n t , si illam meam pristinam
lenitatem p e r p e t u a m sperant f u t u r a m .

Q u o d exspectavi, iam sum adsccutus ut vos omnes


factam esse aperte coniurationem contra rem publicam
videretis; nisi vero si quis est qui Catilinae similis cum
Catilina sentire non p u t e t . N o n est iam lenitati locus;
severitatem res ipsa flagitat. U n u m etiam n u n c conce-
d a m : exeant, proficiscantur, ne p a t i a n t u r desiderio sui
С ATILINA RI SC Η Ε REDEN II 4'9

die wir Tag für Tag bereitstellen, dann habe ich für jene
Armee nur Verachtung übrig: sie ist zusammengewürfelt aus
hoffnungslosen alten Männern aus bäurischer Genußsucht,
aus Verschwendern vom Lande, aus Leuten, die lieber Ge-
richtstermine verabsäumen wollten als diese Armee. All diesen
brauche ich nicht die Schlachtreihe unserer Truppen, sondern
nur das Edikt des Prätors 31 zu zeigen: sie brechen ohnmächtig
zusammen.
Doch ich sehe manch einen auf dem Forum sein Wesen trei-
ben, bei der Kurie stehen und gar den Senat besuchen; sie
glänzen von Pomade und schimmern in Purpur; von denen
wär' es mir lieber, Catilina hätte sie als seine Soldaten mitge-
nommen. Wenn die hier bleiben, dann seid versichert: wir
müssen uns nicht so sehr vor dem Heere fürchten als vor die-
sen, die dem Heere untreu wurden. Und wir müssen uns desto
mehr vor ihnen fürchten, als sie spüren, daß ich von ihren Ab-
sichten weiß, und sich gleichwohl nicht beunruhigen lassen.
Ich sehe, wem man Apulien zugeteilt hat, wer Etrurien er-
hielt, wer die picenische, wer die gallische Mark, wer den
tückischen Anschlag auf die Stadt, das Morden und Brennen,
für sich beansprucht hat. Sie merken, daß man mich von allen
Entschlüssen der vorletzten Nacht 3 4 unterrichtet hat; ich habe
sie gestern im Senat kundgemacht; Catilina selbst bekam
Angst und lief davon: doch diese Leute, worauf warten sie?
Wahrhaftig, sie irren sich gewaltig, wenn sie annehmen, daß
meine bisherige Milde ewig dauern werde.
Was ich erhoffte, habe ich jetzt erreicht: ihr alle seht, daß
man sich offen gegen den Staat verschworen hat, es sei denn,
jemand bezweifelt, daß, wer Catilina gleicht, auch mit Cati-
lina zusammenhält. Jetzt ist kein Platz mehr fur Milde; die
Lage selbst erheischt strenge Maßnahmen. Eines will ich auch
jetzt noch gestatten: sie mögen fortgehen und davonziehen;
sie sollen nicht zulassen, daß Catilina aus Sehnsucht nach
420 IN L. CATILINAM II

C a t i l i n a m m i s e r u m t a b e s c e r e . D e m o n s t r a b o iter: A u r e -
lia via p r o f e c t u s est; si a c c e l e r a r e v o l e n t , ad v e s p e r a m
consequentur.
О f o r t u n a t a m r e m p u b l i c a m , si q u i d e m b a n c senti- 7
n a m u r b i s eiecerit! L n o m e h e r c u l e C a t i l i n a e x h a u s t o
levata mihi et recreata res p u b l i c a v i d e t u r . Q u i d e n i m
mali aut sceleris f i n g i aut cogitari potest q u o d non ille
c o n c e p e r i t ? q u i s tota Italia v e n e f i c u s , q u i s g l a d i a t o r ,
q u i s latro, q u i s s i c a r i u s , q u i s p a r r i c i d a , q u i s t e s t a m e n -
torum subiector, quis circumscriptor, quis ganeo, quis
nepos, quis adulter, quae mulier infamis, quis corrup-
ter iuventutis, quis corruptus, quis perditus inveniri
potest q u i se c u m C a t i l i n a non f a m i l i a r i s s i m e v i x i s s e
f a t e a t u r ? q u a e c a e d e s p e r h o s c e a n n o s sine illo f a c t a est,
q u o d n e f a r i u m s t u p r u m non p e r i l i u m ? I a m v e r o q u a e 8
tanta u m q u a m in ullo i u v e n t u t i s i n l e c e b r a f u i t q u a n t a in
illo? q u i alios ipse a m a b a t t u r p i s s i m e , a l i o r u m a m o r i
f l a g i t i o s i s s i m e s e r v i e b a t , aliis f r u c t u m l i b i d i n u m , aliis
m o r t e m p a r e n t u m non m o d o i m p e l l e n d o v e r u m e t i a m
a d i u v a n d o p o l l i c e b a t u r . N u n c v e r o q u a m s u b i t o non
s o l u m ex u r b e v e r u m e t i a m ex agris i n g e n t e m n u m e r u m
p e r d i t o r u m h o m i n u m c o n l e g e r a t ! N e m o non m o d o R o -
m a e sed ne ullo q u i d e m in a n g u l o totius Italiae o p p r e s -
sus aere alieno f u i t q u e m non ad hoc i n c r e d i b i l e s c e l e r i s
f o e d u s a s c i v e r i t . A t q u e ut eius d i v e r s a studia in dissi- i;
mili rationc p e r s p i c e r e p o s s i t i s , n e m o est in l u d o g l a d i a -
torio p a u l o ad f a c i n u s a u d a c i o r qui sc non intimum
C a t i l i n a e esse f a t e a t u r , n e m o in scaena levior et n e q u i o r
CATILiNARlSCHE REDEN Π

ihnen elend verschmachtet. Ich will den Weg weisen: er zog


auf der aurelischen Straße 35 davon; wenn sie geneigt sind,
sich zu beeilen, dann können sie ihn gegen Abend einholen.
Welch ein Segen für unser Gemeinwesen, wenn es sich die-
ses Abschaums der Stadt entledigt hat! Schon die Entfernung
Catilinas hat, wie mir scheint, unser Gemeinwesen aufgerich-
tet und gestärkt. Denn welches Unheil oder Verbrechen kann
man sich vorstellen und ausdenken, das er nicht geplant hätte?
Welcher Giftmischer läßt sich in ganz Italien ausfindig ma-
chen, der nicht zugäbe, daß er mit Catilina auf vertrautestem
Fuße stand? Und welcher Bandit, welcher Räuber, welcher
Halsabschneider, welcher Meuchelmörder, welcher Testa-
mentsfälscher, welcher Betrüger, welcher Schlemmer, wel-
cher Verschwender, welcher Ehebrecher, welches verrufene
Frauenzimmer, welcher Jugendverderber, welcher verdorbene,
welcher verworfene Mensch? Welche Mordtat wurde in die-
sen Jahren ohne ihn begangen, welche frevelhafte Unzucht
nicht durch ihn? Und vollends, wer vermochte je die Jugend
derart an sich zu locken wie er? Zu einigen war er selbst in
schimpflichster Begierde entbrannt, bald gab er sich in schand-
barster Weise der Leidenschaft anderer preis; einigen verhieß
er Befriedigung ihrer Lüste, anderen den Tod der Eltern, in-
dem er sie nicht nur dazu anstiftete, sondern auch tätige Hilfe
leistete. Jetzt erst, wie schlagartig hatte er nicht nur aus der
Stadt, sondern auch vom Lande eine ungeheure Anzahl ver-
worfenen Gesindels zusammengebracht! Kein bankrotter
Schuldenmacher, nicht in Rom und nicht einmal in irgendei-
nem Winkel ganz Italiens, den er nicht in diesen unglaub-
lichen Bund des Verbrechens einbezogen hätte. Und damit
ihr die Vielfalt seiner Neigungen in ganz verschiedenen Be-
reichen ermessen könnt: niemand von einigem Draufgänger-
tum im Gladiatorenhaus, der nicht zugäbe, aufs engste mit
Catilina befreundet zu sein, kein Windbeutel und Schelm auf
422 IN L. CATILINAM 11

qui se non e i u s d e m p r o p e s o d a l e m f u i s s e c o m m e m o r c t .
A t q u e i d e m tarnen s t u p r o r u m et s c c l e r u m exercitatione
a d s u e f a c t u s frigore et f a m e et siti et vigiliis p e r f e r e n d i s
fortis ab istis p r a e d i c a b a t u r , c u m i n d u s t r i a e subsidia
a t q u e i n s t r u m e n t a v i r t u t i s in l i b i d i n c a u d a c i a q u e con-
sumeret.

H u n c vero si secuti e r u n t sui c o m i t e s , si ex u r b e ιо


exierint d e s p e r a t o r u m h o m i n u m flagitiosi g r e g e s , о nos
beatos, о r e m p u b l i c a m f o r t u n a t u m , о p r a e c l a r a m lau-
d e m c o n s u l a t u s m e i ! N o n e n i m iam sunt mediocres
h o m i n u m l i b i d i n e s , non h u m a n a e et t o l e r a n d a e auda-
ciae; nihil cogitant nisi c a e d e m , nisi i n c e n d i a , nisi
r a p i n a s . P a t r i m o n i a sua p r o f u d e r u n t , f o r t u n a s suas
o b l i g a v e r u n t ; res eos i a m p r i d e m , f i d e s n u p e r d e f i c e r e
coepit: e a d e m t a m e n ilia q u a e erat in a b u n d a n t i a libido
p e r m a n e t . Q u o d si in v i n o et alea c o m i s s a t i o n e s solum
et scorta q u a e r e r e n t , essent illi q u i d e m d e s p e r a n d i , sed
t a m e n essent f e r e n d i : hoc vero q u i s ferre possit, inertis
h o m i n e s f o r t i s s i m i s viris i n s i d i a r i , s t u l t i s s i m o s p r u d e n -
t i s s i m i s , ebrios sobriis, d o r m i e n t i s v i g i l a n t i b u s ? qui
mihi a c c u b a n t e s in c o n v i v i i s , c o m p l e x i m u l i e r e s i m p u -
d i c a s , vino l a n g u i d i , conferti cibo, sertis r e d i m i t i , un-
g u e n t i s obliti, d e b i l i t a t i s t u p r i s e r u c t a n t s e r m o n i b u s
suis c a e d e m b o n o r u m a t q u e u r b i s i n c e n d i a .

Q u i b u s e g o c o n f i d o i m p e n d e r e f a t u m aliquod et 11
p o e n a m iam d i u i m p r o b i t a t i , n e q u i t i a e , sceleri, libidini
d e b i t a m aut instare iam p l a n e aut c e r t e a p p r o p i n q u a r e .
С A T I L I N A R I S C Η F. RF.DF.N II

der Bühne, der nicht vorbringen könnte, daß er fast zu den


vertrautesten Genossen Catilinas gehört habe 1 '. Und doch
hat sich derselbe Mann durch die Ausübung von Unzucht
und Verbrechen daran gewöhnt, Kälte und Hunger und Durst
und durchwachte Nächte zu ertragen; seine Genossen rühm-
ten daher seine Ausdauer; in Wahrheit verzehrte er die Mittel
seiner Tatkraft und das Rüstzeug seiner Tüchtigkeit in Wol-
lust und Wagemut.
Wenn ihm erst seine Anhänger folgen, wenn die Schand-
rotten heilloser Menschen die Stadt verlassen, welch ein Glück
für uns, welch ein Segen für den Staat, welch glänzender
Ruhmestitel meines Konsulats! Denn nicht gewöhnlich sind
die Ausschweifungen dieser Gesellen, unmenschlich und un-
erträglich ihre verwegenen Absichten; sie sinnen auf nichts
als auf Mord, auf Brand, auf Raubzüge. Ihr Vermögen haben
sie verschwendet, ihre Güter verpfändet; ihre Geldmittel be-
gannen sich schon längst, ihr Kredit vor einiger Zeit zu er-
schöpfen; doch die Genußsucht dauert an wie beim einstigen
Überfluß. Wenn sie nur nach Gelagen und Dirnen bei Wein
und Würfel trachteten, so wären sie zwar heillos, doch wären
sie erträglich; wer aber kann dulden, daß Tagediebe den
Tüchtigsten nachstellen, ausgemachte Toren den Einsichts-
vollsten, Trunkenbolde den Mäßigen, Schlafmützen den
Wachsamen? Da liegen sie mir bei ihren Schmausen, scham-
lose Frauenzimmer in den Armen haltend, vom Weine schlaff,
übersättigt von Speisen, mit Blumengewinden bekränzt, mit
Salben bestochen, durch Unzucht geschwächt, und so rülp-
sen sie mit ihren Reden Mord für die Wohlgesinnten und
Feuersbrünste für die Stadt aus.
Ich bin überzeugt, daß ihnen ein Unheil droht und daß die
Strafe, die ihre Gewissenlosigkeit,Nichtsnutzigkeit, Verrucht-
heit und Genußsucht schon lange verdient hat, entweder be-
reits unmittelbar bevorsteht oder jedenfalls herannaht. Wenn
424 IN L. CAT1L1NAM 1]

Q u o s si m e u s consulatus, q u o n i a m sanare n o n potest,


sustulerit, non breve nescio q u o d t e m p u s sed multa
saecula propagarit rei publicae. Nulla e n i m est natio
q u a m p e r t i m e s c a m u s , nullus rex qui bellum populo
R o m a n o facere possit. O m n i a sunt externa unius vir-
t u t e terra m a r i q u e pacata: d o m e s t i c u m bellum manet,
intus insidiae sunt, intus inclusum p e r i c u l u m est, intus
est hostis. C u m luxuria nobis, c u m amentia, cum sce-
lere c e r t a n d u m est. H u i c ego me bello d u c e m profiteor,
Quirites; suscipio inimicitias h o m i n u m p e r d i t o r u m ;
quae sanari p o t e r u n t q u a c u m q u e ratione sanabo, quae
resecanda erunt non patiar ad perniciem civitatis ma-
nere. Proinde aut exeant aut quiescant aut, si et in u r b e
et in eadem m e n t e p e r m a n e n t , ea q u a e m e r e n t u r ex-
spectent.

At etiam sunt qui dicant, Quirites, a me eiectum esse 12


Catilinam. Q u o d ego si verbo adsequi possem, istos
ipsos eicerem qui haec l o q u u n t u r . I l o m o enim videlicet
timidus aut etiam p e r m o d e s t u s vocem consulis ferre
non potuit; simul atque ire in exsilium iussus est,
paruit. Q u i n hesterno die, c u m domi meae paene inter-
fectus cssem, senatum in aedem Iovis Statoris convo-
cavi, rem o m n e m ad patres conscriptos detuli. Q u o
cum Catilina venisset, quis cum senator appellavit, quis
salutavit, quis d e n i q u e ita aspexit ut p e r d i t u m civem ac
non potius ut i m p o r t u n i s s i m u m hostem? Q u i n etiam
principes eius ordinis p a r t e m illam subselliorum ad
q u a m ille accesserat n u d a m atque inanem reliquerunt.
H i e ego veheniens ille consul qui vcrbo civis in exsilium 13
C A T I L 1 N A R I S C H E R E D E N II

mein Konsulat sie beseitigt (es kann sie ja nicht heilen), dann
sichert es den Fortbestand des Staates nicht für irgendeine
kurze Frist, sondern fur viele Jahrhunderte. Denn es gibt kein
Volk mehr, das wir fürchten müßten, und keinen König, der
Rom mit Krieg überziehen könnte. Dem gesamten auswär-
tigen Machtbereich hat die Tatkraft eines Mannes" zu Was-
ser und zu Lande Frieden verschafft; der Krieg im Inneren
dauert an; hier drinnen lauert der Hinterhalt, hier steckt die
Gefahr, hier ist der Feind. Wir müssen gegen die Genußsucht,
gegen den Aberwitz, gegen das Verbrechen kämpfen. Für die-
sen Krieg biete ich mich als Führer an, Quiriten; ich nehme
die Feindschaft verworfenen Gesindels auf mich; was man
heilen kann, werde ich auf jede Weise heilen, was man fort-
schneiden muß, werde ich nicht bis zum Untergang des Staa-
tes bestehen lassen. Daher mögen sie verschwinden oder Ruhe
halten, oder, wenn sie in der Stadt und bei derselben Gesin-
nung verharren, dann sollen sie das gewärtigen, was sie ver-
dienen.
Indes, Quiriten, noch behaupten manche, ich hätte Catilina
hinausgeworfen. Wenn ich das mit einem bloßen Wort er-
reichen könnte, ich würde eben die hinauswerfen, die so etwas
behaupten. Freilich, der schüchterne oder gar allzu folgsame
Mensch konnte die Rede des Konsuls nicht ertragen; er ge-
horchte, sobald man ihm befahl, in die Verbannung zu gehen.
Vielmehr habe ich gestern, nachdem ich beinahe bei mir zu
Hause ermordet worden wäre, den Senat in den Tempel des
Jupiter Stator berufen und die versammelten Väter von der
ganzen Sache unterrichtet. Als Catilina dort erschien, welcher
Senator hat ihn da angeredet, wer ihn gegrüßt, kurz wer ihn
nicht angeblickt wie einen verruchten Mitbürger oder viel-
mehr wie den ärgsten Feind? Ja die Häupter der Versamm-
lung ließen gar den Teil der Bänke leer und unbenutzt, auf den
er seine Schritte gelenkt hatte. Da habe ich, der brutale Kon-
426 IN L. C A T I L 1 N A M II

eicio quaesivi a Catilina in nocturno conventu ad


M . L a e c a m fuissct necne. C u m ille homo audacissimus
conscientia convictus p r i m o reticuisset, patefeci cetera:
quid ea nocte egisset, ubi fuisset, quid in proximam
constituisset, quam ad m o d u m csset ei ratio totius belli
descripta edocui. C u m haesitaret, cum teneretur, quae-
sivi quid dubitaret proficisci eo quo iam pridem pararet,
c u m arma, c u m securis, c u m fascis, c u m tubas, cum
signa militaria, cum aquilam illam argenteam cui ille
etiam sacrarium domi suae fecerat scirem esse praemis-
sam. In exsilium eiciebam q u e m iam ingressum esse in 14
bellum videram? E t e n i m , credo, M a n l i u s iste centurio
qui in agro Faesulano castra posuit bellum populo
R o m a n o suo nomine indixit, et ilia castra nunc non
Catilinam ducem exspectant, et ille eiectus in exsilium
se Massiliam, ut aiunt, non in haec castra confert.

О condicionem miseram non m o d o administrandae


verum etiam conservandae rei publicae! N u n c si L . C a -
tilina consiliis, laboribus, periculis meis circumclusus
ac debilitatus subito pertimuerit, sententiam muta-
verit, deseruerit suos, consilium belli faciendi abiecerit,
et ex hoc cursu sceleris ас belli iter ad f u g a m atque in
exsilium converterit, non ille a me spoliatus armis
audaciae, non obstupefactus ac perterritus mea diligen-
tia, non de spe conatuque depulsus, sed indemnatus
С ATI LIN ARISCH Ε REDEN II 427

sul, der mit seinem Worte Bürger in die Verbannung schickt,


Catilina gefragt, ob er an der nächtlichen Versammlung bei
M.Laeca teilgenommen habe oder nicht. Zunächst schwieg
dieser tolldreiste Mensch, von seinem Gewissen überführt;
dann teilte ich das übrige mit: ich legte dar, was er in jener
Nacht getan, wo er sich aufgehalten, was er für die folgende
Nacht beschlossen und wie er den ganzen Kriegsplan festge-
setzt habe**. Als er nicht weiter wußte, als er gefaßt war, da
fragte ich ihn, weshalb er zögere, das längst in Aussicht ge-
nommene Ziel aufzusuchen; mir sei ja bekannt, daß er Waffen
und Beile und Rutenbündel, daß er Trompeten und Feldzei-
chen, daß er den Silberadler vorausgeschickt habe, für den er
in seinem Hause sogar ein Heiligtum eingerichtet h a t t e " .
Ich soll jemanden in die Verbannung geschickt haben, von
dem ich wußte, daß er bereits die Bahn des Krieges beschritten
hatte? Denn dieser Hauptmann Manlius, der in der Mark von
Faesulae40 ein Lager aufschlug, der hat ja wohl in seinem ei-
genen Namen dem römischen Volke den Krieg erklärt, und
dieses Lager wartet jetzt nicht auf Catilina, seinen Anführer,
und er, der Hinausgeworfene, begibt sich, wie es heißt, in die
Verbannung nach Massilia 41 , und nicht in das Lager.
Welch elende Aufgabe, den Staat zu leiten, und noch mehr,
ihn zu erhalten! Gesetzt, L.Catilina, von meinen Vorberei-
tungen, Mühen und gefahrvollen Maßnahmen umstellt und
lahmgelegt, bekommt jetzt plötzlich Angst, ändert seinen
Entschluß, läßt seine Leute im Stich, gibt die Kriegsabsichten
auf und wendet sich von der Bahn des Frevels und Krieges
zur Flucht und in die Verbannung: dann wird es heißen -
nicht, daß er von mir seiner verwegenen Waffenmacht be-
raubt, nicht, daß er durch meine Umsicht in Bestürzung und
Schrecken versetzt, nicht, daß er von seinem hoffnungsvoll
begonnenen Unternehmen abgebracht worden sei; man wird
vielmehr sagen, der Konsul habe ihn, den Schuldlosen, ohne
428 IN L. CATILINAM II

i n n o c e n s in e x s i l i u m eiectus a c o n s u l e vi et m i n i s esse
d i c e t u r : et e r u n t qui i l i u m , si hoc f e c e r i t , non im-
p r o b u m sed m i s e r u m , m e non d i l i g e n t i s s i m u m c o n s u -
l e m s e d c r u d e l i s s i m u m t y r a n n u m e x i s t i m a r i velint! E s t
m i h i t a n t i , Q u i r i t e s , h u i u s invidiae f a l s a e a t q u e i n i q u a c 15
tempestatem subire, d u m m o d o a vobis huius horribilis
belli ac n e f a r i i p e r i c u l u m d e p e l l a t u r . D i c a t u r sane eiec-
t u s e s s e a m e , d u m m o d o eat in e x s i l i u m .

S e d m i h i c r e d i t e , non est iturus. N u m q u a m e g o ab


d i s i m m o r t a l i b u s o p t a b o , Q u i r i t e s , i n v i d i a e m e a e rele-
v a n d a e c a u s a ut L . C a t i l i n a m d u c e r e e x e r c i t u m hos-
t i u m a t q u e in a r m i s v o l i t a r e a u d i a t i s , sed t r i d u o t a m e n
a u d i e t i s ; m u l t o q u e m a g i s illud t i m e o ne mihi sit invi-
d i o s u m a l i q u a n d o q u o d i l i u m e m i s c r i m potius q u a m
q u o d e i e c e r i m . S e d c u m sint h o m i n e s qui i l i u m , c u m
p r o f e c t u s sit, e i e c t u m esse d i c a n t , i d e m , si i n t e r f e c t u s
e s s e t , q u i d d i c e r e n t ? Q u a m q u a m isti q u i C a t i l i n a m 16
M a s s i l i a m ire dictitant non tam hoc q u e r u n t u r q u a m
v e r e n t u r . N e m o est i s t o r u m tam m i s e r i c o r s qui i l i u m
n o n ad M a n l i u m q u a m ad M a s s i l i c n s i s ire m a l i t . 111c
a u t e m , si m e h e r c u l e hoc q u o d agit n u m q u a m antea
cogitasset, tamen latrocinantcm sc interfici mallet
q u a m e x s u l e m v i v e r e . N u n c v e r o , c u m ei nihil a d h u c
praeter ipsius voluntatem cogitationemque accidcrit,
nisi q u o d v i v i s n o b i s R o m a p r o f e c t u s est, optemus
p o t i u s ut eat in e x s i l i u m q u a m q u e r a m u r .
CAT1LINARISCHE REDEN II 429

Urteil durch Gewalt und Drohungen in die Verbannung ge-


schickt, und sicherlich wollen ihn manche, wenn er dies tut,
nicht für gewissenlos, sondern fur unglücklich, und mich nicht
für einen sehr umsichtigen Konsul, sondern für einen höchst
grausamen Tyrannen angesehen wissen4*! Doch der Preis ist
mir nicht zu hoch, Quinten, den Sturm dieses falschen und
ungerechten Vorwurfes über mich ergehen zu lassen, wenn
ich nur von euch die Gefahr dieses scheußlichen und verruch-
ten Krieges abwenden kann. Man sage meinetwegen, er sei
von mir hinausgeworfen worden, wenn er nur in die Ver-
bannung geht.
Doch glaubt mir, er wird nicht dorthin gehen. Niemals
werde ich, nur um den Vorwürfen gegen mich das Gewicht
zu nehmen, die unsterblichen Götter bitten, Quiriten, ihr
sollet vernehmen, daß L. Catilina an der Spitze des feindlichen
Heeres stehe und sich in Waffen umhertummle; aber dennoch,
innerhalb von drei Tagen werdet ihr's vernehmen, und es
wird mir, fürchte ich, einst viel eher Anfeindungen einbringen,
daß ich ihn habe abziehen lassen, als daß ich ihn hinausge-
worfen hätte. Doch es gibt Leute, die ihn, der davonzog, für
hinausgeworfen erklären: was würden die erst sagen, wenn
man ihn hingerichtet hätte? Indes, wer da behauptet, Cati-
lina gehe nach Massilia, den erfüllt diese Aussicht nicht so
sehr mit Bedauern wie mit Besorgnis. Von diesen Leuten ist
niemand so mitleidig, daß er ihn nicht lieber zu Manlius als
zu den Massilioten gehen sähe 43 . Doch Catilina würde, auch
wenn er, beim Herkules, sein jetziges Unternehmen niemals
zuvor im Sinne gehabt hätte, trotzdem lieber als Räuber um-
kommen, statt als Verbannter sein Leben zu fristen. In Wahrheit
aber ist ihm noch nie etwas wider sein Sinnen und Trachten
zugestoßen, außer daß er Rom verließ, ohne mich ermordet
zu haben; da wollen wir lieber wünschen, daß er in die Ver-
bannung geht, als uns darüber beschweren.
43° IN L. CATll.lNAM II

Sed c u r tarn diu de uno hoste l o q u i m u r et de eo hoste 17


qui iam fatetur se esse hostem, et q u e m . quia, quod
s e m p e r volui, m u r u s interest, non timeo: de his qui
dissimulant, qui Romae r e m a n e n t , qui nobiscum sunt
nihil dicimus? Q u o s q u i d e m ego, si ullo m o d o fieri
possit, non tarn ulcisci studeo q u a m sanare sibi ipsos.
placare rei publicae, n e q u e id qua re fieri non possit, si
iam m e audire volent, intellego. Exponam enim vobis,
Q u i r i t e s , ex q u i b u s generibus h o m i n u m istae copiae
c o m p a r e n t u r ; d e i n d e singulis medicinam consili atque
orationis meae, si q u a m potero, a d f e r a m .

U n u m genus est e o r u m qui m a g n o in aere alieno iX


maiores etiam possessiones habent q u a r u m amore ad-
ducti dissolvi nullo m o d o possunt. H o r u m h o m i n u m
species est honestissima - sunt enim locupletes - volun-
tas vero et causa impudentissima. T u agris, tu aedifi-
ciis, tu argento, tu familia, tu rebus o m n i b u s o r n a t u s et
copiosus sis, et d u b i t e s de possessione detrahere, ad-
quirere ad fidem? Q u i d enim exspectas? bellum? Q u i d
ergo? in vastatione o m n i u m tuas possessiones sacro-
sanctas f u t u r a s putes? an tabulas novas? Krrant qui istas
a Catilina exspectant: m e o bcneficio tabulae novae pro-
f e r u n t u r , verum auctionariae; neque enim isti qui pos-
sessiones habent alia ratione ulla salvi esse possunt.
Q u o d si m a t u r i u s facere voluissent neque, id quod
stultissimum est, certare cum usuris fructibus prac-
d i o r u m , et locupletioribus his et melioribus civibus
uteremur. Sed hosce homines m i n i m e p u t o pertimes-
CATILINAR1SCHF. R F D F N II 43'

Doch warum reden wir so lange von diesem einen Feind?


Und zwar von dem Feind, der schon zugibt, daß er unser
Feind ist, und den ich nicht fürchte, weil er, wie ich es stets
gewollt habe, durch die Mauer von uns geschieden ist? Doch
über die heimlichen Feinde, die sich noch in R o m aufhalten,
die unter uns sind, sagen wir nichts? Diese Leute möchte ich,
wenn es irgend geschehen kann, nicht bestrafen, sondern
ihrer gesunden Vernunft zurückgeben und mit dem Staate
aussöhnen, und ich sehe nicht, warum das unmöglich sein
sollte, wenn sie jetzt auf mich hören wollen. Ich möchte euch
nämlich erklären, Q u i n t e n , aus welchen Gruppen von Leuten
die Scharen Catilinas Zulauf erhalten; dann will ich, wenn
ich kann, ratend und redend einer jeden ein Heilmittel vor-
schlagen.
Eine G r u p p e besteht aus den Leuten, die große Schulden,
aber noch größere Besitzungen haben; sie hängen daran und
bringen es durchaus nicht fertig, sich ihrer Schulden zu ent-
ledigen. Diese Art von Leuten ist hochangesehen (sie sind ja
vermögend), doch ihre Einstellung und ihr Ziel läßt jegliche
Scham vermissen. Du bist mit Grundstücken, mit Gebäuden,
mit Silber, mit Sklaven, mit allen Dingen versehen und reich-
lich ausgestattet, und d u zögerst, deinen Besitz zu verringern,
deinen Kredit zu vergrößern? Denn worauf wartest d u ? Auf
den Krieg? Wie? Meinst du, deine Besitzungen seien inmitten
der allgemeinen Verwüstung unantastbar? Oder auf T i l g u n g
der Schulden? Der irrt sich, der das von Catilina e r w a r t e t 4 4 ;
icb werde die Schuldentilgung durchführen, aber auf dem
Wege der Versteigerung; denn wer Besitzungen hat, kann
auf keine andere Weise wieder gesunden. Wenn sie sich zei-
tiger hierzu entschlossen und nicht versucht hätten (was die
größte Torheit ist), die Zinsen mit den Erträgnissen ihrer
Güter zu bestreiten, dann hätten wir an ihnen sowohl ver-
mögendere als auch bessere Mitbürger. Ich glaube indes, daß
IN L. CATIL1NA.M II

cendos, q u o d aut deduci de scntcntia possunt aut. si


p e r m a n e b u n t , magis mihi videntur vota facturi contra
rem p u b l i c a m q u a m arma laturi.

A l t e r u m genus est eorum qui, q u a m q u a m p r e m u n - ly


tur aere alieno, dominationem tamen exspectant, rerum
potiri volunt, honores quos quieta re publica desperant
p e r t u r b a t a se consequi posse arbitrantur. Q u i b u s hoc
p r a e c i p i e n d u m videtur, u n u m scilicet et idem quod
reliquis o m n i b u s , ut desperent id quod conantur se
consequi posse: p r i m u m o m n i u m me ipsum vigilare.
adesse, providere rei publicae; deinde magnos animos
esse in bonis viris, magnam concordiam, magnas prae-
terea m i l i t u m copias; deos denique immortalis huic
invicto p o p u l o , clarissimo imperio. pulcherrimae urbi
contra t a n t a m vim sceleris praesentis auxilium esse
laturos. Q u o d si iam sint id quod s u m m o f u r o r e c u p i u n t
adepti, n u m ±11* in cinere urbis et in sanguine civium,
q u a e m e n t e conscelerata ac nefaria concupiverunt, con-
sules se aut dictatores aut etiam reges sperant futuros?
N o n vident id sc cupere quod, si adepti sint. fugitivo
alicui aut gladiatori concedi sit necesse?

T e r t i u m genus est aetatc iam adfcctum, sed tamen 20


exercitatione robustum; quo ex genere iste est Manlius
cui n u n c Catilina succedit. Hi sunt homines ex eis
coloniis quas Sulla constituit; quas ego universas ci-
vium esse o p t i m o r u m et fortissiniorum virorum sentio.
sed tamen ei sunt coloni qui se in insperatis ac repenti-
nis pecuniis sumptuosius insolentiusque iactarunt. Hi
С ATI LI NA RISC HF- REDFN II 433

man sich vor diesen Leuten am wenigsten zu fürchten braucht:


sie lassen sich entweder von ihrer Meinung abbringen oder
sie werden, wenn sie daran festhalten, eher ihre Wünsche,
scheint mir, als ihre Waffen gegen den Staat richten.
Die zweite Gruppe besteht aus Leuten, die trotz ihrer
Schuldenlast nach Herrschaft streben, die Macht an sich brin-
gen wollen und glauben, sie könnten in verworrener Lage des
Staates die Ämter erlangen 45 , denen sie, wenn R u h e herrscht,
entsagen müssen. Ihnen muß man offenbar folgendes raten -
eines nämlich und dasselbe wie allen anderen: sie mögen die
HofTnung aufgeben, daß sie ihr Ziel erreichen werden; zu-
allererst passe ich selbst auf, bin auf dem Posten und sorge für
die Sicherheit des Staates; groß ist ferner die Zuversicht der
Wohlgesinnten, groß ihre Eintracht, groß auch ihre T r u p p e n -
macht; schließlich werden die unsterblichen Götter dem un-
besiegten Volke, dem ruhmvollen Reich und der herrlichen
Stadt gegen ein so verruchtes Unternehmen tätige Hilfe lei-
sten. Doch gesetzt, sie hätten einmal erreicht, was sie in ihrer
schlimmen Raserei begehren: glauben sie denn, sie könnten
in den Trümmern der Stadt und im Blute der Bürger, wie sie
es sich in ihrem verbrecherischen und frevelhaften Sinn ge-
wünscht haben, Konsuln oder Diktatoren oder gar Könige
sein? Sehen sie nicht, daß sie etwas begehren, was sie, sobald
sie es erreicht haben, einem flüchtigen Sklaven oder einem
Gladiator überlassen müssen 4 '?
Die dritte Gruppe ist schon vom Alter geschwächt, aber
wegen ihrer Geübtheit noch leistungsfähig; zu ihr gehört der
Manlius, an dessen Stelle jetzt Catilina tritt. Dies sind Leute
aus den Kolonien, die Sulla gegründet hat 4 7 . Zwar wohnen
dort, wie ich meine, im großen ganzen vorzügliche Bürger
und sehr tüchtige Männer; es gibt aber doch Siedler, die sich
von dem unverhofften und plötzlichen Gelde zu einem allzu
aufwendigen und unbescheidenen Wandel verleiten ließen.
434 IN L. CATILINAM II

d u m aedificant t a m q u a m beati. d u m praediis lectis.


familiis magnis. conviviis apparatis delectantur. in tan-
t u m aes alienum inciderunt ut, si salvi esse velint, Sulla
sit eis ab inferis excitandus: qui etiam non nullos agres-
tis homines tenuis atque egentis in eandem illam spcm
r a p i n a r u m veterum impulerunt. Q u o s ego utrosque in
eodem genere praedatorum d i r e p t o r u m q u e pono, sed
eos hoc moneo, desinant furere ac proscriptiones et
dictaturas cogitare. T a n t u s enim illorum t e m p o r u m
dolor inustus est civitati ut iam ista non modo homines
sed ne pecudes quidem mihi passurae esse videantur.

Q u a r t u m genus est sane varium et mixtum et t u r b u - 21


lentum; qui iam pridem p r e m u n t u r , qui n u m q u a m
e m e r g u n t , qui partim inertia, partim male gerendo
negotio, partim etiam sumptibus in vetere aere alieno
vacillant, qui vadimoniis, iudieiis, proscriptione bo-
n o r u m defetigati permulti et ex urbe et ex agris se in ilia
castra conferre dicuntur. Hosce ego non tam milites
acris q u a m infitiatores lentos esse arbitror. Qui homi-
nes q u a m p r i m u m , si stare non possunt, conruant, sed
ita ut non m o d o civitas sed ne vicini quidem proximi
scntiant. N a m illud non intellego q u a m ob rem, si
vivere honeste non possunt. perire turpiter velint, aut
cur minore dolore perituros sc cum multis quam si soli
pereant arbitrentur.

Q u i n t u m genus est parricidarum. sicariorum, deni- 22


que o m n i u m facinerosorum. Q u o s ego a Catilina non
revoco; n a m neque ab eo divelli possunt et pereant sane
С ATILINARISC Η Ε RFDEN Π 435

Sie bauen, als wären sie steinreich; sie finden Gefallen an


Mustergütern, großem Gesinde, prächtigen Gastmählern,
und schon sind sie derart in Schulden geraten, daß sie Sulla
aus der Unterwelt herbeirufen müßten, wenn sie gerettet sein
wollten; sie haben auch einige Leute vom Lande, arme Schluk-
ker, zur gleichen Hoffnung auf die altgewohnten Raubzüge 4 8
verleitet. Ich rechne sie beide zu derselben Gruppe von Räu-
bern und Plünderern; doch ich rate ihnen dringend, von ihrer
Raserei, von dem Gedanken an Ächtungen und Diktaturen
abzulassen. Denn jene Zeiten haben unserem Gemeinwesen
eine so tiefe Wunde eingebrannt, daß, wie mir scheint, kein
Mensch und nicht einmal das Vieh gewillt ist, diese Dinge
hinzunehmen.
Die vierte Gruppe ist ein recht buntes und verworrenes
Gemisch. Diese Leute stecken schon seit langem in der Klem-
me, sie kommen nie empor; mit ihren alten Schulden, der
Folge teils von Unfähigkeit, teils von schlechter Geschäfts-
führung, teils auch von hohem Aufwand, stehen sie aufäußerst
wackligen Füßen. Sie sind von Terminen, Prozessen und Kon-
kursen zermürbt; es heißt, daß sie in großer Zahl von der
Stadt und vom Lande aus das Lager Catilinas aufsuchen. Ich
möchte meinen, diese Leute sind nicht so sehr schneidige Sol-
daten wie lahme Ausflüchtemacher. Sie mögen schnellstens
zusammenbrechen, wenn sie sich nicht halten können, doch
so, daß die Gesamtheit und selbst die nächsten Nachbarn
nichts davon merken. Denn das verstehe ich nicht, weshalb
sie, wenn sie nicht in Ehren leben können, mit Schande zu-
grunde gehen wollen oder warum sie glauben, sie gingen ge-
meinsam mit vielen weniger schmerzlich zugrunde als allein.
Die fünfte Gruppe besteht aus Meuchelmördern, Halsab-
schneidern und Kriminellen aller Art. Diese Leute will ich
nicht von Catilina abbringen; denn sie sind untrennbar mit
ihm verbunden, und sie sollen auch auf ihrem Raubzug zu-
436 IN L. C A T 1 L 1 N A M II

in latrocinio, quoniam sunt ita multi ut cos carcer


capere non possir.
Postremum autem genus est non solum numero
verum etiam genere ipso atque vita quod proprium
Catilinae est, de eius dilectu, immo vero de complexu
eius ac sinu; quos pexo capillo, nitidos, aut imberbis aut
bene barbatos videtis, manicatis et talaribus tunicis.
velis amictos, non togis; quorum omnis industria \ itae
et vigilandi labor in antelucanis cenis expromitur. In his 23
gregibus omnes aleatores, omnes adulteri, omnes im-
puri i m p u d i c i q u e versantur. H i pueri tam lepidi ac
delicati non solum amare et amari neque saltare et
cantare sed etiam sicas vibrare et spargere venena didi-
cerunt. Q u i nisi exeunt, nisi pereunt, etiam si Catilina
perierit, scitote hoc in re publica seminarium Catili-
narum f u t u r u m . V e r u m tamen quid sibi isti miscri
volunt? num suas secum mulierculas sunt in castra
ducturi? Q u e m ad m o d u m autem illis carere poterunt,
his praesertim iam noctibusr Q u o autem pacto illi
A p p e n n i n u m atque illas pruinas ac nivis perferent? nisi
idcirco se facilius hiemem toleraturos putant, quod
nudi in conviviis saltare didiccrunt.

О bellum magno opere pcrtimescendum, cum hanc 24


sit habiturus Catilina scortorum cohortem praetoriam!
Instruite nunc, Quirites, contra has tam praeclaras
Catilinae copias vestra praesidia vestrosque exercitus.
Et p r i m u m gladiatori illi confecto et saucio consules
imperatoresque vestros opponite; deinde contra illam
naufragorum cicctam ac debilitatam manum florem
totius Italiae ac robur educitc. Iam чего urbcs colo-
СATILINARISCHE REDEN II 437

gründe gehen, da sie so zahlreich sind, daß sie das Gefängnis 4 '
nicht fassen kann.
Die letzte Gruppe aber ist Catilinas eigenes Gewächs, der
Zahl und besonders der Art und Lebensführung nach, seine
Auserwählten, ja seine Herzens- und Busenfreunde. Ihr seht
sie mit gestriegeltem Haar, schmucke Burschen, teils bartlos,
teils mit stattlichem Barte; ihre Tunica hat Ärmel und reicht
bis an die Knöchel hinab 5 0 ; sie drapieren sich mit Stoff, statt
eine Toga zu tragen; alle Tatkraft ihres Lebens und Ausdauer
im Wachen entfaltet sich bei Mahlzeiten, die sich bis zum
frühen Morgen hinziehen. In diesen Kreisen tummeln sich
alle Spieler, alle Ehebrecher, alle Lüstlinge und Wüstlinge.
Diese jungen Leute, so hübsch und so verwöhnt, haben nicht
nur gelernt, zu lieben und sich lieben zu lassen, zu tanzen und
zu singen, sondern auch Dolche zu schleudern und Gift zu
verspritzen. Wenn die nicht weggehen, wenn die nicht zu-
grunde gehen, so wißt: auch wenn Catilina zugrunde geht,
wird in unserem Staatswesen immer noch diese Pflanzschule
von Catilinariern bestehen. Indes, was haben diese Unglück-
lichen vor? Sie werden doch nicht ihre Frauenzimmer mit
sich ins Lager nehmen? Doch wie können sie auf sie verzich-
ten, zumal in diesen Nächten 5 1 ? Wie aber werden sie den
Apennin und den Frost und Schnee aushalten? Es sei denn,
sie glauben, sie könnten den Winter deshalb leichter ertragen,
weil sie gelernt haben, bei den Gelagen nackt zu tanzen.
Ein gar fürchterlicher Krieg; denn über diese Leibwache
von Buhlknaben wird Catilina gebieten! Rüstet jetzt, Quiri-
ten, gegen diese wahrhaft prächtigen Truppen Catilinas euren
Landsturm und eure Heere! Und stellt zuerst diesem entnerv-
ten und angeschlagenen Banditen eure Konsuln und Feld-
herren entgegen; führt sodann wider die gestrandete und
entkräftete Schar Schiffbrüchiger die Blüte und die Kraft ganz
Italiens ins Feld. Gewiß werden ja auch die Mauern der Kolo-
43» IN I.. CATILINAM I

niarum ac municipiorum respondebunt Catilinae


t u m u l i s silvestribus. N e q u e ego cctcras copias. o r n a -
m e n t a , praesidia vestra c u m illius latronis inopia a t q u e
egestate c o n f e r r e d e b e o .
Sed si, omissis his r e b u s q u i b u s nos s u p p e d i t a m u r .
eget ille, s e n a t u , e q u i t i b u s R o m a n i s , u r b e , aerario.
vectigalibus, c u n c t a Italia, provinciis o m n i b u s , exteris
n a t i o n i b u s , si his r e b u s omissis causas ipsas q u a e inter
se c o n f l i g u n t c o n t e n d e r e v c l i m u s , ex eo ipso q u a m
v a l d e illi iaceant intellegere p o s s u m u s . Ex hac e n i m
p a r t e p u d o r p u g n a t , illinc p e t u l a n t i a ; hinc p u d i c i t i a ,
illinc s t u p r u m ; h i n c f i d e s , illinc f r a u d a t i o ; hinc pietas,
illinc scelus; h i n c c o n s t a n t i a , illinc f u r o r ; hinc h o n e s t a s ,
illinc t u r p i t u d o ; hinc c o n t i n e n t i a , illinc libido; h i n c
denique aequitas, temperantia, fortitudo, prudentia,
v i r t u t e s o m n e s c e r t a n t c u m i n i q u i t a t e , luxuria, ignavia.
t e m e r i t a t e , c u m vitiis o m n i b u s ; p o s t r e m o copia c u m
e g e s t a t e , b o n a ratio c u m p e r d i t a , m e n s sana c u m a m e n -
tia, b o n a d e n i q u e spes c u m o m n i u m r e r u m d e s p e r a -
t i o n e confligit. In eius modi c e r t a m i n e ac p r o e l i o
n o n n e , si h o m i n u m s t u d i a d e f i c i a n t , di ipsi i m m o r t a l e s
c o g a n t a b his p r a e c l a r i s s i m i s v i r t u t i b u s tot et tanta vitia
superari?

Q u a e c u m ita sint, Q u i r i t e s , vos, q u e m ad m o d u m


iam a n t e a dixi, vestra tecta vigiliis c u s t o d i i s q u e d e f e n -
dite; mihi ut u r b i sine v e s t r o m e t u ac sine ullo t u m u l t u
satis esset pracsidi c o n s u l t u m a t q u e p r o v i s u m est. C o -
loni o m n e s m u n i c i p e s q u e vestri ccrtiores a m c facti d e
С ATILINARISC HF REDEN II 439

nien und Landstädte den Waldschanzen Catilinas gewachsen


sein, und ich brauche nicht erst eure übrigen Mittel, Waffen
und Wehren mit der Dürftigkeit und Armut dieses Räubers
zu vergleichen.
Doch wenn wir auch diese Dinge beiseite lassen, die uns zu
Gebote stehen und ihm fehlen, den Senat, die römischen Rit-
ter, die Stadt, die Staatskasse, die Steuereinkünfte, ganz Ita-
lien, sämtliche Provinzen, die auswärtigen Völker, wenn wir
also dies alles beiseite lassen und allein die Grundsätze ver-
gleichen wollen, die miteinander ringen, dann können wir
gerade daran ablesen, wie tief die Gegner darniederliegen.
Denn auf dieser Seite kämpft die Gewissenhaftigkeit, dort der
Leichtsinn, hier die Keuschheit, dort die Unzucht, hier die
Treue, dort der Trug, hier die Pflicht, dort das Verbrechen,
hier die Beständigkeit, dort die Raserei, hier die Ehre, dort
die Schande, hier die Selbstbeherrschung, dort die Zügellosig-
keit; kurz, hier streiten die Gerechtigkeit, die Mäßigung, die
Tapferkeit, die Umsicht und sämtliche Tugenden gegen das
Unrecht, die Üppigkeit, die Feigheit, die Planlosigkeit, gegen
sämtliche Laster; endlich schlägt sich der Überfluß mit der
Dürftigkeit, die vernünftige Einstellung mit der heillosen, das
gesunde Denken mit dem Aberwitz, überhaupt die wohlbe-
gründete Hoffnung mit völliger Verzweiflung. Wenn nun in
einem derartigen Kampf und Streit die Bemühungen der
Menschen erlahmen sollten, werden dann nicht die unsterb-
lichen Götter selbst darauf dringen, daß diese glänzenden
Tugenden so viele und so schwere Laster überwinden?
Da dem so ist, Quinten: verteidigt ihr, wie ich schon früher
gesagt habe, eure Häuser mit Wachen und Posten; ich habe
Sorge getragen und vorgesehen, daß die Stadt hinlänglich
durch Mannschaften gesichert ist, ohne daß ihr euch zu äng-
stigen braucht und es eines allgemeinen Aufgebots bedürfte.
Alle eure Mitbürger in den Kolonien und Munizipien wurden
44° IN L. CAT1L1NAM II

hac n o c t u r n a e x c u r s i o n e C a t i l i n a e facile u r b i s suas


f i n i s q u e d e f e n d e n t ; g l a d i a t o r c s , q u a m sibi ilie m a n u m
c e r t i s s i m a m fore p u t a v i t , q u a m q u a m a n i m o m e l i o r e
sunt q u a m pars p a t r i c i o r u m , p o t e s t a t e t a m e n nostra
continebuntur. Q . Metellus q u e m ego hoc prospiciens
in a g r u m G a l l i c u m P i c e n u m q u e praemisi aut o p p r i m e t
h o m i n e m aut eius o m n i s m o t u s c o n a t u s q u e p r o h i b e b i t .
Reliquis autem de rebus constituendis, maturandis.
agendis iam ad s e n a t u m r e f e r e m u s . q u e m vocari vide-
tis.

N u n c illos qui in u r b e r e m a n s e r u n t a t q u e adeo qui


c o n t r a u r b i s s a l u t e m o m n i u m q u e v e s t r u m in u r b e a
C a t i l i n a relicti s u n t , q u a m q u a m sunt h o s t e s , t a m e n .
q u i a nati s u n t c i v e s , m o n i t o s e t i a m a t q u e e t i a m volo.
M e a lenitas a d h u c si cui solutior visa e s t , h o c e x s p e c t a -
vit ut id q u o d latebat e r u m p e r e t . Q u o d r e l i q u u m e s t .
iam n o n p o s s u m o b l i v i s c i m e a m h a n c esse p a t r i a m , m e
h o r u m esse c o n s u l e m , m i h i aut c u m his v i v e n d u m aut
p r o his esse m o r i e n d u m . N u l l u s est portis c u s t o s , nul-
lus insidiator viae: si qui e x i r e v o l u n t , c o n i v e r e p o s s u m ;
qui vero se in u r b e c o m m o v e r i t c u i u s e g o non m o d o
f a c t u m sed vel i n c e p t u m u l l u m c o n a t u m v e c o n t r a pa-
t r i a m d e p r e h e n d e r o , s e n t i e t in h a c u r b e esse c o n s u l e s
vigilantis, esse egregios m a g i s t r a t u s , esse f o r t e m sena-
t u m , esse a r m a , esse c a r c e r e m q u e m v i n d i c e m nefa-
r i o r u m ac m a n i f e s t o r u m s c e l e r u m m a i o r e s nostri esse
voluerunt.

A t q u e haec o m n i a sic a g e n t u r ut m a x i m a e res m i n i m o


m o t u , pericula s u m m a nullo t u m u l t u . b e l l u m intes-
С ATI LINARISC HF RFDFN II 441

von mir über den nächtlichen Auszug Catilinas unterrichtet;


sie können ohne Mühe ihre Städte und Bezirke verteidigen.
Von den Gladiatoren glaubte Catilina, sie würden seine zu-
verlässigste Truppe sein; meine Amtsgewalt wird sie in
Schranken halten, obwohl sie zuverlässiger sind als mancher
Patrizier. Ich habe vorsorglich Q^Metellus in die gallische und
picenische Mark vorausgesandt 51 ; er wird den Mann über-
wältigen oder sich allen seinen Bewegungen und Unterneh-
mungen in den Weg stellen. Was man aber sonst noch be-
schließen und eilends ausführen sollte, darüber will ich nun-
mehr dem Senat berichten, der, wie ihr seht, gerade einbe-
rufen wird.
Nun zu denen, die in der Stadt geblieben sind, ja von Cati-
lina dort zurückgelassen wurden, der Stadt und euch allen
zu schaden: sie sind Feinde, doch möchte ich sie, weil sie als
Bürger geboren sind, immer wieder gewarnt haben. Meine
bisherige Milde ist gewiß manchem zu weit gegangen; doch
sie hat nur darauf gewartet, daß ans Licht käme, was verbor-
gen war. In Zukunft kann ich nicht mehr außer acht lassen,
daß dies mein Vaterland ist, daß ich der Konsul dieser Bürger
hier bin und daß ich mit ihnen leben oder für sie sterben muß.
Kein Wächter steht an den Toren, kein Posten lauert am
Wege; wenn jemand fortgehen will: ich kann ein Auge zu-
drücken. Doch wer sich in der Stadt zu rühren wagt und wen
ich nicht nur nach vollendeter Tat, sondern schon bei irgend-
einem Beginnen oder Vorhaben gegen das Vaterland ent-
decke, der wird spüren: diese Stadt hat wachsame Konsuln,
hat hervorragende Beamte, hat einen tatkräftigen Senat, hat
Waffen, hat ein Gefängnis, von unseren Vorfahren zur Be-
strafung verruchter und offenkundiger Verbrechen be-
stimmt".
Und all dies geht so vonstatten: die wichtigsten Dinge
werden mit möglichst geringer Unruhe, die äußersten Gefahren
442 IN L. CAT1L1NAM II

tinum ac domesticum post hominum memoriam cru-


delissimum ct maximum me uno togato duce et impera-
tore sedetur. Quod ego sic administrabo, Quirites, ut.
si ullo modo fieri poterit, ne improbus quidem quis-
quam in hac urbe poenam sui sceleris sufferat. Sed si vis
manifestae audaciae, si impendens patriae periculum
me necessario de hac animi lenitate deduxerit, illud
profecto perficiam quod in tanto et tam insidioso bello
vix optandum videtur, ut neque bonus quisquam inter-
eat paucorumque poena vos omnes salvi esse possitis.
Q u a e quidem ego neque mea prudentia neque humanis 29
consiliis fretus polliceor vobis, Quirites, sed multis et
non dubiis deorum immortalium significationibus, qui-
bus ego ducibus in banc spem sententiamque sum
ingressus; qui iam non procul, ut quondam solebant, ab
externo hoste atque longinquo, sed hie praesentes suo
numine atque auxilio sua templa atque urbis tecta
defendunt. Quos vos, Quirites, precari, venerari, im-
plorare debetis ut, quam urbem pulcherrimam flo-
rentissimam potentissimamque esse voluerunt, hanc
omnibus hostium copiis terra mariquc superatis a per-
ditissimorum civium nefario scelere defendant.
СATILINARISCHF. RFDFN II 443

ohne allgemeines Aufgebot beigelegt; ein innerer und im


eigenen Lande geführter Krieg, der grausamste und furcht-
barste seit Menschengedenken, wird allein durch mich, den
Führer und Feldherrn in der Toga 54 , beseitigt. Ich will dabei
so vorgehen, Quiriten, daß in unserer Stadt, wenn irgend
möglich, nicht einmal ein Frevler die Strafe für sein Verbre-
chen erleiden muß. Doch vielleicht zwingt mich der Druck
handgreiflicher Vermessenheit oder die dem Vaterlande dro-
hende Gefahr, von meiner Milde abzugehen; dann will ich
jedenfalls erreichen, was man sich wohl in einem so furcht-
baren und tückischen Krieg kaum wünschen darf: kein Recht-
schaffener soll zugrunde gehen und die Bestrafung weniger
euch allen die Rettung verschaffen. Dies verspreche ich euch
nicht im Vertrauen auf meine eigene Umsicht noch über-
haupt auf menschliches Planen, Quiriten; vielmehr haben
mich zahlreiche und unbezweifelbare Zeichen der unsterb-
lichen Götter zu dieser Erwartung und Auffassung geführt.
Die schützen durch ihr Walten und Wirken ihre Tempel und
die Dächer der Stadt, zwar nicht mehr, wie sie einst zu tun
pflegten, weit weg gegen einen fremden und fernen Feind,
sondern hier vor unseren Augen. Ihr müßt sie bitten, ver-
ehren und anflehen, Quiriten: sie möchten diese Stadt, nach
ihrem Willen die schönste, blühendste und mächtigste, die es
gibt, nunmehr, da alle Heere der Feinde zu Wasser und zu
Lande überwunden sind, gegen den ruchlosen Anschlag zu-
tiefst verworfener Bürger verteidigen.
IN L. C A T I L I N A M ORATIO T E R T I A
HABITA A D PO PULL" Μ

Rem publicam, Quirites, vitamquc omnium vcstrum. ι


b o n a , f o r t u n a s . c o n i u g e s l i b e r o s q u e v e s t r o s a t q u e hoc
domicilium clarissimi imperi, fortunatissimam pul-
cherrimamque u r b c m , hodierno die deorum immorta-
l i u m s u m m o erga v o s a m o r e , l a b o r i b u s , c o n s i l i i s , p e r i -
culis m e i s e flamma a t q u e f e r r o ac p a e n e ex f a u c i b u s fati
e r e p t a m et v o b i s c o n s e r v a t a m ac r e s t i t u t a m v i d e t i s . E t 2
si non m i n u s n o b i s i u c u n d i a t q u e inlustres sunt ei dies
q u i b u s c o n s e r v a m u r q u a m illi q u i b u s n a s c i m u r , q u o d
salutis certa laetitia e s t , n a s c e n d i incerta c o n d i c i o et
q u o d s i n e sensu n a s c i m u r , c u m v o l u p t a t e s e r v a m u r ,
p r o f e c t o , q u o n i a m i l i u m q u i hanc u r b e m c o n d i d i t ad
deos i m m o r t a l i s b e n i v o l e n t i a f a m a q u e s u s t u l i m u s , esse
a p u d v o s p o s t e r o s q u e v e s t r o s in h o n o r e d e b e b i t is qui
eandem hanc u r b c m conditam a m p l i f i c a t a m q u e serva-
vit. N a m toti u r b i , t e m p l i s , d e l u b r i s , tectis ac m o e n i b u s
s u b i e c t o s p r o p e iam ignis c i r c u m d a t o s q u e r e s t i n x i m u s .
i d e m q u e gladios in r e m p u b l i c a m d c s t r i c t o s r e t t u d i m u s
m u c r o n e s q u e e o r u m in i u g u l i s v c s t r i s d e i e c i m u s . Q u a e 3
q u o n i a m in senatu i n l u s t r a t a , p a t e f a c t a , c o m p e r t a sunt
p e r m e , v o b i s iam c x p o n a m b r c v i t e r ut et q u a n t a et
q u a m m a n i f e s t a et q u a ratione investigata et c o m p r e -
hcnsa sint vos qui et i g n o r a t i s et e x s p e c t a t i s scire p o s s i -
tis.

P r i n c i p i o , ut C a t i l i n a p a u c i s ante d i e b u s c r u p i t ex
u r h e , c u m sceleris sui socios h u i u s c e n e f a r i i belli a c e r r i -
DRITTE CATILINARISCHE REDE

Ihr seht, Quinten: der Staat und euer aller Leben, euer Hab
und Gut, eure Frauen und Kinder sowie dieser Wohnsitz des
herrlichsten Reiches, die gesegnetste und schönste Stadt, all
dies wurde am heutigen Tage durch die unsterblichen Götter,
die euch ihre übergroße Liebe erzeigten, sowie durch meine
Mühen, Vorkehrungen und Fährnisse der Flamme und dem
Schwert und fast dem Rachen des Schicksals entrissen und
euch erhalten und wiedergegeben. Und gewiß ist uns der Tag
unserer Rettung nicht minder angenehm und bedeutend als
der Tag unserer Geburt, weil die Freude über unsere Rettung
bestimmt, das Los aber, zu dem wir geboren werden, unbe-
stimmt ist, und weil wir ohne Bewußtsein geboren, jedoch zu
unserer Lust gerettet werden; dann aber muß wahrhaftig, da
wir ja den Gründer dieser Stadt durch unser dankbares Urteil
zu den unsterblichen Göttern erhoben haben", derjenige bei
euch und euren Nachkommen in Ansehen stehen, der eben
diese Stadt nach ihrer Gründung und Erweiterung gerettet
hat. Denn wir haben das Feuer gelöscht, das fast schon die
ganze Stadt, die Tempel und Heiligtümer, Häuser und Mau-
ern von allen Seiten ergriff; wir haben ebenfalls die Schwerter
zurückgestoßen, die gegen den Staat gezückt waren, und ihre
Spitzen von euren Kehlen weggeschlagen. Dies wurde im
Senat ans Licht gebracht, bekanntgegeben und genau er-
mittelt, und zwar durch mich. So will ich nunmehr auch euch
in Kürze unterrichten: ihr, die ihr noch in Unkunde und vol-
ler Erwartung seid, sollt wissen, welch ungeheuerliche Dinge
aufgespürt und entdeckt wurden und mit welcher Klarheit
und auf welche Weise.

Um zu beginnen: Catilina war vor einigen Tagen aus der


Stadt davongeeilt, hatte jedoch die Genossen seines Verbre-
chens und eifrigsten Anführer dieses ruchlosen Krieges in
44^ IN L. С ATI LINAM III

m o s d u c e s R o m a e r c l i q u i s s e t , s e m p e r vigilavi et p r o -
vidi, Q u i r i t c s , q u e m ad m o d u m in t a n t i s et tarn a b s c o n -
d i t i s insidiis salvi esse p o s s e m u s . N a m t u m c u m ex u r b e
C a t i l i n a m e i c i e b a m - n o n e n i m iam v c r e o r h u i u s v e r b i
i n v i d i a m , c u m ilia magis sit t i m e n d a , q u o d vivus exie-
rit —, sed t u m c u m ilium e x t e r m i n a r i v o l e b a m . aut
r e l i q u a m c o n i u r a t o r u m m a n u m s i m u l e x i t u r a m aut eos
q u i restitissent i n f i r m o s sine illo ac debilis f o r e p u -
t a b a m . A t q u e ego, u t vidi, q u o s m a x i m o f u r o r e et 4
scelere esse i n f l a m m a t o s s c i e b a m , eos n o b i s c u m esse et
R o m a e r e m a n s i s s e , in eo o m n i s dies n o c t e s q u e c o n -
s u m p s i u t q u i d a g e r e n t , q u i d m o l i r e n t u r s e n t i r e m ac
v i d e r e m , ut, q u o n i a m a u r i b u s vestris p r o p t e r i n c r e d i b i -
lem m a g n i t u d i n e m sceleris m i n o r e m f i d e m faceret o r a -
tio m e a , r e m ita c o m p r e h e n d e r e m ut t u m d e m u m a n i -
mis saluti v e s t r a e p r o v i d e r e t i s c u m oculis m a l e f i c i u m
i p s u m videretis.

I t a q u e ut c o m p e r i legatos A l l o b r o g u m belli T r a n s a l -
pini et t u m u l t u s Gallici e x c i t a n d i causa a P. L e n t u l o
esse sollicitatos, e o s q u e in Cialliam ad suos civis e o d e m -
q u e itinere c u m litteris m a n d a t i s q u e ad (Catilinam esse
missos, c o m i t e m q u e eis a d i u n c t u m esse T . Y o l t u r -
c i u m , a t q u e h u i c esse ad C a t i l i n a m d a t a s litteras, f a c u l -
t a t e m mihi o b l a t a m p u t a v i u t . q u o d erat d i f f i c i l l i m u m
q u o d q u e ego s e m p e r o p t a b a m a b d i s i m m o r t a l i b u s , tota
res n o n s o l u m a m e sed e t i a m a s e n a t u et a vobis
m a n i f e s t o d e p r e n d e r e t u r . I t a q u e h e s t e r n o d i e L . Flac-
c u m et С . P o m p t i n u m praetores, fortissimos atque
С ATI LINARISC HF REDEN III 447

Rom zurückgelassen. Da habe ich stets achtgegeben und


mich darum gesorgt, Quinten, wie wir einen so schlimmen
und so versteckten Anschlag überstehen könnten. Denn da-
mals, als ich Catilina aus der Stadt hinauswarf (mich ängstigt
nämlich der gehässige Sinn dieses Wortes nicht mehr, da ich
mich mehr vor dem Anwurf fürchten muß, daß er lebend
davongekommen sei), als ich ihn also entfernt wissen wollte,
da glaubte ich, die übrige Schar der Verschwörer werde zu-
gleich abziehen oder die Zurückgebliebenen seien ohne ihn
schwach und kraftlos. Ich mußte jedoch gewahr werden, daß
diejenigen noch unter uns weilten und in Rom zurückgeblie-
ben seien, von denen ich wußte, daß sie am schlimmsten von
Raserei und Bosheit erfaßt waren. Da verwendete ich alle
Tage und Nächte darauf, zu erfahren und zu sehen, was sie
trieben, was sie vorhätten. Denn da meine Rede euren Ohren
wegen der unglaublichen Ausmaße des Verbrechens nicht
sonderlich vertrauenswürdig erschien, wollte ich die Sache
so fest in die Hand bekommen, daß ihr die Missetat unmittel-
bar vor Augen sähet und dann endlich mit ganzer Überzeu-
gung für eure Rettung sorgtet.
Man berichtete mir nun, daß die Gesandten der Allobroger
von P. Lentulus aufgewiegelt worden seien, jenseits der Alpen
Krieg und im diesseitigen Gallien Aufruhr zu erregen**; man
habe sie nach Gallien zu ihren Landsleuten und auf demselben
Wege mit Briefen und Aufträgen für Catilina abgefertigt, und
als Begleiter sei ihnen T.Volturcius beigegeben, dem man
Briefe an Catilina ausgehändigt habe. Da glaubte ich, die
Gelegenheit sei für mich gekommen, daß die ganze Sache
(was sehr schwierig war und was ich mir stets von den un-
sterblichen Göttern gewünscht hatte) nicht nur von mir,
sondern auch vom Senat und von euch handgreiflich aufge-
deckt würde. Ich rief daher gestern die Prätoren L.Flaccus
und C.Pomptinus zu mir, zwei ungemein tüchtige und dem
448 IN L. С ATI LINA Μ III

amantissimos rci publicae viros. ad me vocavi. rem


exposui, quid fieri placeret ostendi. Uli autem. qui
omnia de re publica praeclara atque egregia sentirent,
sine recusatione ac sine ulla mora negotium susceperunt
et, cum advesperasceret, occulte ad pontem Mulvium
pervenerunt atque ibi in proximis villis ita bipertito
fuerunt ut T i b e r i s inter eos et pons interesset. Modem
autem et ipsi sine cuiusquam suspicione multos fortis
viros eduxerant, et ego ex praefectura Reatina complu-
ris delectos adulescentis quorum opera utor adsidue in
rei publicae praesidio cum gladiis miscram.

Interim tertia fere vigilia exacta, cum iam pontem 6


M u l v i u m magno comitatu legati Allobroges ingredi
inciperent unaque Volturcius, fit in eos impetus; du-
cuntur et ab illis gladii et a nostris. Res praetoribus erat
nota solis, ignorabatur a ceteris. Tum intcrventu
Pomptini atque Flacci pugna quae erat conimissa seda-
tur. Litterae q u a e c u m q u c erant in eo comitatu integris
signis praetoribus traduntur; ipsi comprehcnsi ad me.
cum iam dilucesceret, deducuntur. A t q u e horum om-
nium scelerum improbissimum machinatorem, C i m -
brum G a b i n i u m , statim ad me nihil d u m suspicantem
vocavi; deinde item arcessitus est L . Statilius et post
eum Cethegus; tardissime autem Lentulus venit. credo
quod in litteris dandis praeter consuctudinem proxima
nocte vigilarat.

C u m summis et clarissimis huius civitatis viris qui 7


audita re frequentes ad me mane convenerant litteras a
me prius aperiri q u a m ad senatum deferri placeret. ne.
CATILINARISCHF R E D E N 111 449

Staat ganz ergebene Männer; ich legte den Sachverhalt dar;


ich setzte ihnen auseinander, was geschehen solle. Sie aber, die
dem Gemeinwohl gegenüber nur ausgezeichnete und vor-
bildliche Grundsätze kannten, übernahmen die Aufgabe ohne
Weigerung und ohne Säumen. Und als es Abend wurde, ge-
langten sie insgeheim zur mulvischen Brücke" und besetzten
dort auf zwei Seiten die angrenzenden Landgüter, und zwar
so, daß sich der Tiber und die Brücke zwischen ihnen befan-
den. An diesen Platz hatten sie nun teils selbst, ohne bei je-
mandem Verdacht zu erregen, zahlreiche beherzte Männer
mitgenommen, teils hatte ich einige ausgewählte junge Leute
aus dem Bezirk von Reate* 8 , die mir ständig für den Schutz
des Staates zu Diensten stehen, mit Schwertern bewafTnet
dorthin gesandt.
Mittlerweile ging die dritte Nachtwache zu E n d e " ; da be-
gannen die Gesandten der Allobroger mit großem Gefolge
die mulvische Brücke zu überschreiten, und mit ihnen Vol-
turcius. Man greift sie an; man zieht auf ihrer wie auf unserer
Seite das Schwert. Nur die Prätoren waren eingeweiht; die
übrigen wußten nichts. Da legen sich Pomptinus und Flaccus
ins Mittel; man stellt den Kampf, der sich erhoben hatte,
wieder ein. Alle Schriftstücke, welche der Zug bei sich führte,
werden mit unversehrten Siegeln den Prätoren ausgehändigt;
die Festgenommenen selbst fuhrt man mir vor, als es eben
zu tagen begann. Und ich ließ den gewissenlosesten Rädels-
führer aller dieser Verbrechen, Gabinius Cimber, sofort zu
mir rufen (er ahnte noch nichts); ebenso wurde dann L.Stati-
lius herbeigeholt und nach ihm Cethegus. Lentulus aber kam
erst sehr spät, wohl weil er wider seine Gewohnheit die Nacht
zuvor bei der Ausfertigung der Briefe durchwacht hatte 60 .
Als die Sache bekannt wurde, fanden sich morgens die
Häupter unseres Staates, hochangesehene Männer, in großer
Zahl bei mir ein. Sie empfahlen mir, ich solle die Schriftstücke
45° IN L. С AT [I-1 ΝΑ Μ III

si nihil esset inventum, temere a me tantus t u m u l t u s


iniectus civitati videretur, negavi me esse facturum ut
de periculo publico non ad consilium publicum rem
integram d e f e r r e m . Etenim, Quirites, si ea quae erant
ad me delata reperta non essent. tamen ego non arbitra-
bar in tantis rei publicae periculis esse mihi nimiam
diligentiam pertimescendam.

S e n a t u m f r e q u e n t e m celeriter. ut vidistis, coegi. At- 8


q u e interea statim admonitu Allobrogum C . Sulpicium
p r a e t o r e m , fortem virum, misi qui ex aedibus Cethegi
si quid telorum esset efferret; ex q u i b u s ille m a x i m u m
sicarum n u m e r u m et gladiorum extulit. Introduxi Yol-
turcium sine Gallis; fidem publicam iussu senatus dedi;
hortatus s u m ut ea quae sciret sine timore indicaret.
T u m ille dixit, cum vix se ex magno timore recreassct, a
P. Lentulo se habere ad Catilinam mandata et litteras ut
servorum praesidio uteretur, ut ad u r b e m q u a m pri-
m u m c u m exercitu accederet; id autem eo consilio ut,
cum u r b c m ex omnibus partibus quem ad m o d u m
d e s c r i p t u m d i s t r i b u t u m q u e erat inccndisscnt cacdem-
q u e infinitam civium fecissent, praesto esset ille qui et
fugientis exciperet et se cum his urbanis ducibus con-
iungeret.

Introducti autem Galli ius i u r a n d u m sibi et litteras а у


P. Lentulo, Cethego, Statilio ad suam gentem datas
esse d i x e r u n t , atque ita sibi ab his et a L. Cassio esse
praescriptum ut cquitatum in Italiam quam p r i m u m
mitterent; pedestris sibi copias non defuturas. Len-
CATILINARISCHF REDEN III 45'

öffnen, che ich sie dem Senat vorlegte: es solle, falls sich nichts
darin fände, nicht heißen, ich hätte die Bürgerschaft unnötig
in solche Aufregung versetzt. Ich weigerte mich, in gefähr-
licher Lage des Staates dem Staatsrat vorzugreifen. Denn
auch wenn man nicht gefunden hätte, was mir angezeigt wor-
den war, Quinten, so glaubte ich doch nicht, mich in einer
derart großen Gefahr unseres Staates vor einem Übermaß an
Sorgfalt fürchten zu müssen.
Wie ihr gesehen habt, rief ich eilends den Senat zusammen;
man kam in großer Zahl. Und unterdessen beauftragte ich
auf Anraten der Allobroger alsbald den Prätor C.Sulpicius,
einen tüchtigen Mann, er solle aus dem Hause des Cethegus
herbeischaffen, was sich dort an Waffen fände, und wirklich
brachte er eine große Menge Dolche und Schwerter mit. Ich
führte Volturcius vor, ohne die Gallier; ich gab ihm auf Ge-
heiß des Senates das staatliche Sicherheitsversprechen 41 ; ich
forderte ihn auf, ohne Furcht auszusagen, was er wisse. Da
erklärte er, nachdem er sich mit Mühe von seiner großen
Furcht erholt hatte: P.Lentulus habe ihm den brieflichen
Auftrag an Catilina übergeben, Catilina solle sich auf die
Hilfe der Sklaven stützen und möglichst bald mit seinem Heer
gegen die Stadt vorrücken; dies aber solle deshalb geschehen,
damit er zur Stelle sei, die Flüchtenden aufzufangen und sich
mit den Anführern in der Stadt zu vereinigen, sobald man die
Stadt an allen Ecken, wie es geplant und eingeteilt war, in
Brand gesteckt und ein unermeßliches Blutbad unter den
Bürgern angerichtet habe.
Die Gallier aber, die nunmehr hereingeführt wurden, sag-
ten aus, sie hätten von P.Lentulus, Cethegus und Statilius
eidliche Versprechen sowie Briefe an ihre Landsleute erhalten;
ferner sei ihnen von den Genannten und von L.Cassius" be-
fohlen worden, sie sollten möglichst bald Reiterei nach Italien
schicken; an Fußtruppen werde kein Mangel sein. Lentulus
I N L . С A T I LI N A M III

t u l u m a u t e m sibi c o n f i r m a s s e ex fatis S i b v l l i n i s harus-


p i c u m q u e responsis se esse t e r t i u m ilium C o r n e l i u m
ad q u e m r e g n u m h u i u s u r b i s a t q u e i m p e r i u m p e r v e n i r e
esset n e c e s s e : C i n n a m a n t e se et S u l l a m fuisse. E u n -
d e m q u e d i x i s s e fatalem h u n c a n n u m esse ad i n t e r i t u m
h u i u s u r b i s a t q u e imperi qui csset a n n u s d e c i m u s post
v i r g i n u m a b s o l u t i o n e m , post C a p i t o l i a u t e m i n c e n s i o -
nem vicesimus. H a n c autem Cethego cum ceteris con- ю
t r o v e r s i a m fuisse d i x e r u n t q u o d L e n t u l o et aliis S a t u r -
nalibus caedem fieri a t q u e u r b e m i n c e n d i placeret.
C e t h e g o n i m i u m id l o n g u m videretur.

A c ne l o n g u m sit, Q u i r i t e s , tabellas proferri i u s s i m u s


quae a q u o q u e dicebantur datae. Primo ostendimus
C e t h e g o : s i g n u m c o g n o v i t . N o s l i n u m i n c i d i m u s ; legi-
m u s . E r a t s c r i p t u m ipsius m a n u A l l o b r o g u m senatui et
p o p u l o sese q u a e e o r u m legatis c o n f i r m a s s e t f a c t u r u m
esse; o r a r e ut item illi f a c e r e n t q u a e sibi e o r u m legati
recepissent. Tum C e t h e g u s , qui p a u l o a n t e aliquid
tarnen d e gladiis ac sicis q u a e apud ipsum erant d e p r e -
h e n s a r e s p o n d i s s e t d i x i s s e t q u e se s e m p e r b o n o r u m fer-
r a m e n t o r u m s t u d i o s u m fuisse, recitatis litteris d e b i l i -
tatus a t q u e a b i e c t u s c o n s c i e n t i a r e p e n t e c o n t i c u i t . I n -
t r o d u c t u s S t a t i l i u s c o g n o v i t et s i g n u m et m a n u m s u a m .
R e c i t a t a e sunt t a b e l l a e in e a n d e m fere s e n t e n t i a m ; c o n -
fessus e s t .

T u m ostendi tabellas L e n t u l o et quaesivi c o g n o s c e -


retne s i g n u m . A d n u i t . " E s t vero", i n q u a m , " n o t u m qui-
d e m s i g n u m , i m a g o avi tui, c l a r i s s i m i viri, qui a m a v i t
u n i c e p a t r i a m et civis suos; q u a e q u i d e m te a t a n t o
CAT1L1NARISCHE REDEN III 453

aber habe ihnen versichert, er sei gemäß den sibyllinischen


Sprüchen und nach den Auskünften der Opferschauer jener
dritte Cornelius, an den die Herrschaft und Gewalt über diese
Stadt gelangen solle; vor ihm seien es Cinna und Sulla gewe-
sen. Er habe auch behauptet, dieses Jahr sei vom Schicksal
für den Untergang von Stadt und Reich bestimmt; es sei das
zehnte nach der Freisprechung der vestalischen Jungfrauen,
nach dem Brande des Kapitols jedoch das zwanzigste. Über
diesen Punkt aber, erklärten sie, habe sich Cethegus mit den
übrigen gestritten, daß Lentulus und andere meinten, man
solle das Massaker und die Einäscherung der Stadt an den
Saturnalien durchführen, während Cethegus diese Frist ftir
allzu lang hielt 61 .
Und um es kurz zu machen, Quiriten: ich befahl, die Brief-
tafeln hervorzuholen, die ein jeder ausgefertigt haben sollte.
Zuerst zeigte ich sie Cethegus; er erkannte sein Siegel. Ich
durchschnitt das Band 64 ; ich verlas den Brief. Er hatte ihn
mit eigener Hand an Senat und Volk der Allobroger gerichtet:
er werde ausführen, was er ihren Gesandten zugesichert habe;
er bitte sie, ebenfalls zu tun, was ihre Gesandten ihm ver-
sprochen hätten. Cethegus hatte noch kurz zuvor irgend et-
was über die Schwerter und Dolche vorgebracht, die bei ihm
entdeckt worden waren, und behauptet, er sei stets ein Lieb-
haber von gutem Eisengerät gewesen - da aber, nachdem der
Brief verlesen war, verstummte er plötzlich, gelähmt und
entmutigt durch sein böses Gewissen. Statilius wurde herein-
geführt; er bestätigte sein Siegel und seine Hand. Man verlas
den ungefähr gleichlautenden Brief; Statilius war geständig.
Da zeigte ich Lentulus die Tafeln und fragte, ob er das
Siegel anerkenne. Er sagte: «Ja.» «Gewiß», erwiderte ich,
«es ist ein bekanntes Siegel, das Bildnis deines Großvaters,
eines hochangesehenen Mannes, der sein Vaterland und seine
Mitbürger über alles geliebt hat6®; das Bild hätte dich, stumm
454 IN I-. (ΛΤΙ1.ΙΝΛΜ III

scelere etiam muta revocare d c b u i t . " L e g u n t u r e a d e m π


ratione ad senatum A l l o b r o g u m p o p u l u m q u c litterae.
Si quid de his rebus dicere vellet. feci potestatem.
A t q u e ille p r i m o q u i d e m negavit; post autem aliquanto.
toto iam indicio exposito atque edito. surrexit, quaesi-
vit a G a l l i s q u i d sibi esset c u m eis, q u a m o b rem d o m u m
suam venissent, i t e m q u e a Yolturcio. Q u i c u m illi
breviter constanterque respondissent per q u e m ad e u m
q u o t i e n s q u e venissent, q u a e s i s s e n t q u e ab eo nihilne
secum esset de fatis S i b v l l i n i s locutus, tum ille subito
scelere d e m e n s quanta conscientiae vis esset ostendit.
N a m , c u m id posset infitiari, repente praeter opinio-
nem o m n i u m c o n f e s s u s est. Ita e u m non m o d o inge-
n i u m illud et dicendi exercitatio qua s e m p e r valuit sed
etiam propter v i m sceleris manifesti atque deprehensi
impudentia q u a s u p e r a b a t omnis i m p r o b i t a s q u e d e f e -
cit. Y o l t u r c i u s vero subito litteras proferri atque aperiri 12
iubet quas sibi a L e n t u l o ad C a t i l i n a m datas esse dice-
bat. A t q u e ibi v e h e m e n t i s s i m e p e r t u r b a t u s L c n t u l u s
tarnen et s i g n u m et m a n u m suam c o g n o v i t . Krant autem
sine n o m i n e , sed ita: " Q u i s sim scies ex eo q u e m ad tc
misi. C u r a ut vir sis et cogita q u e m in locum sis progres-
sus. V i d e ecquid tibi iam sit necesse et cura ut o m n i u m
tibi auxilia adiungas, etiam infimorum." Gabinius
d e i n d e i n t r o d u c t u s , c u m p r i m o i m p u d e n t e r respondere
coepisset, ad e x t r e m u m nihil ex eis q u a e G a l l i i n s i m u -
labant negavit. A c mihi q u i d e m , Q u i r i t e s , c u m illa 13
certissima visa sunt a r g u m e n t a atque indicia sceleris,
tabellae, signa, m a n u s , d e n i q u e unius c u i u s q u e c o n f e s -
С ATIL1NARISCHE REDEN III 455

wie es ist, von einem solchen Frevel zurückrufen sollen.» Man


verliest einen Brief gleichen Sinnes an Senat und Volk der
Allobroger. Ich gab ihm Gelegenheit, ob er sich hierzu äußern
wolle. Und zuerst lehnte er ab; einige Zeit darauf aber, nach-
dem bereits der ganze Inhalt der Anzeige zu Protokoll gege-
ben und verlesen war, erhob er sich; er fragte die Gallier, was
er mit ihnen zu tun habe, weshalb sie in sein Haus gekommen
seien, und ebenso den Volturcius. Als die ihm kurz und fest
geantwortet hatten, durch wessen Vermittlung und wie oft
sie zu ihm gekommen seien, und ihn fragten, ob er ihnen nichts
über die sibyllinischen Sprüche gesagt habe, da zeigte er, in
seiner Verruchtheit plötzlich von Sinnen, welche Macht das
Gewissen hat. Denn obwohl er das hätte leugnen können, fand
er sich wider aller Erwarten auf einmal zum Geständnis bereit.
So ließ ihn nicht nur sein Talent und seine Redefertigkeit im
Stich, worin er stets stark war, sondern, unter dem Druck
des handgreiflich erwiesenen Verbrechens, ebenso seine Un-
verschämtheit und Gewissenlosigkeit, durch die er alle über-
traf. Volturcius aber verlangte plötzlich, man möge den Brief
vorzeigen und öffnen, den Lentulus ihm, wie er sagte, für
Gatilina mitgegeben habe. Und da geriet Lentulus in größte
Verwirrung; gleichwohl bestätigte er sein Siegel und seine
Hand. Der Brief war ohne Anrede und Absender, sondern
lautete so: «Wer ich bin, erfährst du von dem, den ich zu dir
sende. Erzeige dich als Mann und bedenke, wie weit du ge-
gangen bist. Sieh zu, was du jetzt zu tun gezwungen bist, und
kümmere dich darum, daß du dir von jedermann Hilfe ver-
schaffst, auch von den Niedrigsten 44 .» Darauf wurde Gabi-
nius herbeigeführt; nachdem er sich zunächst auf unver-
schämte Antworten verlegt hatte, leugnete er schließlich
nichts mehr von dem, was die Gallier ihm vorwarfen. Und ich
war nun zwar der Meinung, Quiriten, die Briefe, Siegel,
Schriftzüge und schließlich das Geständnis eines jeden seien
456 IN L. СATILINAM III

sio, tum multo certiora ilia, color, oculi, voltus, tacitur-


nitas. Sic enim obstupuerant, sic terram intuebantur,
sic furtim non n u m q u a m inter sese aspiciebant ut non
iam ab aliis inilicari sed indicare se ipsi viderentur.

Indiciis expositis atque editis, Quirites, senatum


consului de summa re publica quid fieri placeret. Dic-
tae sunt a principibus acerrimae ac fortissimae sentcn-
tiae, quas senatus sine ulla varietate est secutus. Et
quoniam nondum est perscriptum senatus consultum,
ex memoria vobis, Quirites, quid senatus censuerit
exponam. Primum mihi gratiae verbis amplissimis 14
aguntur, quod virtute, consilio, Providentia mea res
publica maximis periculis sit liberata. Deinde I.. Flac-
cus et С . Pomptinus praetores, quod eorum opera forti
fidelique usus essem, merito ac iure laudantur. A t q u e
etiam viro forti, conlegae meo, laus impertitur, quod
eos qui huius coniurationis participes fuissent a suis et a
rei publicae consiliis removisset.

A t q u e ita censuerunt ut P. Lentulus, cum se praetura


abdicasset, in custodiam tradcretur; itemque uti C . C e -
thegus, L . Statilius, P. G a b i n i u s qui omnes praesentes
erant in custodiam traderentur; atque idem hoc decre-
tum est in L . C a s s i u m qui sibi procurationem incen-
dendae urbis depoposcerat, in M . C e p a r i u m cui ad
sollicitandos pastores A p u l i a m attributam esse erat in-
dicatum, in P. Furium qui est ex eis colonis quos Faesu-
las L . Sulla deduxit, in Q . A n n i u m C h i l o n e m qui una
cum hoc Furio semper erat in hac Allobrogum sollici-
С AT I LI N A R I S C H F- R E D E N III 457

ganz untrügliche Beweise und Anzeichen des Verbrechens;


allein für viel untrüglicher noch hielt ich dies: die Farbe des
Gesichts, die Blicke, die Mienen, das Schweigen. Denn die
Beschuldigten waren so bestürzt, starrten so auf den Boden,
sahen einander bisweilen so verstohlen an, daß man nicht
mehr den Eindruck hatte, sie würden von anderen angezeigt,
sondern sie zeigten sich selbst an.
Die Anzeigen waren zu Protokoll gegeben und verlesen,
Quinten; da fragte ich den Senat, was für das Wohl von Staat
und Verfassung getan werden solle. Die maßgeblichen Mit-
glieder 67 gaben sehr scharfe und entschiedene Erklärungen ab,
denen sich der übrige Senat ohne Ausnahme anschloß. Und
da der Senatsbeschluß noch nicht aufgezeichnet ist, will ich
euch aus dem Gedächtnis mitteilen, Quinten, was der Senat
für gut befunden hat. Zunächst dankt man mir mit sehr ehren-
vollen Worten, daß durch meine Entschlossenheit, Umsicht
und Vorsorge der Staat von schlimmster Gefahr befreit wor-
den sei. Dann erhalten die Prätoren L.Flaccus und C. Pomp-
tin us berechtigtes und verdientes Lob: sie hätten mir mutig
und zuverlässig Hilfe geleistet. Und auch meinem tüchtigen
Kollegen wird Anerkennung ausgesprochen: er habe die Teil-
nehmer an dieser Verschwörung von seinen eigenen und den
staatlichen Angelegenheiten ferngehalten4®.
Und man beschloß weiterhin, daß P.Lentulus, nachdem er
sein Amt als Prätor niedergelegt habe, in Haft genommen
werden solle, und ebenso sollten C. Cethegus, L. Statilius und
P. Gabinius, die alle anwesend waren, in Haft gelangen, und
dasselbe wurde gegen L.Cassius verfügt, der fur sich die Auf-
gabe beansprucht hatte, die Stadt in Brand zu stecken, gegen
M.Ceparius, dem, wie die Anzeige lautete, Apulien zugewie-
sen war, die dortigen Hirten aufzuwiegeln, gegen P.Furius,
der zu den von Sulla nach Faesulae gebrachten Siedlern ge-
hört, gegen Q^Annius Chilo, der sich gemeinsam mit Furius
458 IN 1.. CATILINAM III

tatione versatus. in P. Umbrcnum, libertinum homi-


nem, a quo primum Gallos ad Gabinium perductos esse
constabat. Atque ea lenitate senatus est usus, Quirites,
ut ex tanta coniuratione tantaque hac multitudine do-
mesticorum hostium novem hominum perditissi-
moram poena re publica conservata reliquorum mentis
sanari posse arbitraretur.

Atque etiam supplicatio dis immortalibus pro singu- 15


lari eorum merito meo nomine decreta est, quod mihi
primum post banc urbem conditam togato contigit, et
his decreta verbis est: "quod urbem incendiis, caede
civis, Italiam bello liberassem." Quae supplicatio si
cum ceteris supplicationibus conferatur, hoc interest,
quod ceterae bene gesta, haec una conservata re publica
constituta est.

Atque illud quod faciendum primum fuit factum


atque transactum est. Nam P. Lentulus, quamquam
patefactis indieiis, confessionibus suis, iudicio senatus
non modo practoris ius verum etiam civis amiserat,
tamen magistratu se abdicavit, ut quae religio С . Ma-,
rio, clarissimo viro, non fuerat quo minus C. Glauciam
de quo nihil nominatim erat decretum praetorem occi-
deret, ea nos religione in privato P. Lentulo puniendo
liberaremur.

Nunc quoniam, Quirites, conscelcratissimi pericu- 16


losissimique belli nefarios duces captos iam et comprc-
hensos tenetis, existimare debetis omnis Catilinae co-
pias, omnis spes atque opes his depulsis urbis periculis
concidisse. Quem quidem ego cum ex urbe pellebam.
С AT I LINARISC HF REDEN 111 459

immer wieder bemüht hatte, die Allobroger zum Aufruhr zu


verleiten, sowie gegen den Freigelassenen P. Umbrenus, von
dem erwiesen war, daß er zuerst die Gallier zu Gabinius ge-
führt h a t t e " . Der Senat ließ also eine solche Milde walten,
Quiriten, daß er glaubte, man könne die übrigen, sei der Staat
einmal gerettet, wieder zur Vernunft bringen, wenn man aus
einer derart weitreichenden Verschwörung und einer so gro-
ßen Anzahl einheimischer Feinde nur die neun verworfensten
Gesellen bestrafe.
Und ferner wurde den unsterblichen Göttern für ihre ein-
zigartige Hilfe zu meiner Ehre ein Dankfest bewilligt, was mir
als erstem Zivilbeamten seit der Gründung der Stadt begegnet
ist 70 , und es wurde mit dem Wortlaut beschlossen, «weil ich
die Stadt vor der Einäscherung, die Bürger vor dem Tode,
Italien vor dem Kriege bewahrt hätte ». Wenn man dieses Dank-
fest mit den übrigen Dankfesten vergleicht, so zeigt sich der
Unterschied: die übrigen wurden wegen guter Verwaltung,
nur dieses aber wegen der Rettung des Staates festgesetzt.
Und das, was zuerst getan werden mußte, ist getan und
ausgeführt. Denn P.Lentulus hatte gewiß durch die vorge-
führten Beweise, durch seine Geständnisse, durch das Urteil
des Senates nicht nur die Vorrechte des Prätors, sondern auch
die des Bürgeis verloren; gleichwohl legte er in aller Form
sein Amt nieder. Zwar hatte einst der hochberühmte C. Ma-
rius keinerlei Bedenken, den C. Glaucia, über den kein aus-
drücklicher Beschluß vorlag, als Prätor zu t ö t e n " ; wir aber
wollten uns diesem Bedenken nicht aussetzen und P.Lentulus
erst bestrafen, wenn er Privatperson sei.
Da ihr nunmehr die ruchlosen Anführer eines überaus ver-
brecherischen und gefährlichen Krieges in Haft und Gewahr-
sam habt und die Stadt aus ihrer bedrängten Lage befreit ist,
dürft ihr glauben, Quiriten, daß jetzt die gesamte Macht Cati-
linas, alle seine Aussichten und Auskünfte zunichte geworden
460 [Ν 1.. (.ΆΤΙLINAM III

hoc providebam aniirio, Quirites, remoto Catilina non


mihi esse P. Lentuli somnum nec L . Cassi adipes nec
C . Cethegi furiosam temeritatem pertimescendam. Ille
erat unus timendus ex istis o m n i b u s , sed tarn diu d u m
urbis moenibus continebatur. O m n i a norat. omnium
aditus tenebat; appellare, temptare, sollicitare poterat,
audebat. Erat ci consilium ad facinus aptum. consilio
autem neque lingua neque manus deerat. Iam ad certas
res conficiendas certos homines delectos ac descriptos
habebat. N e q u e vero, cum aliquid mandarat, confec-
tum putabat: nihil erat quod non ipse obiret, occurre-
ret, vigilaret, laboraret; f r i g u s , sitim, f a m e m ferre pot-
erat. H u n c e g o hominem tam acrem, tam audacem, tam 17
paratum, tam callidum, tam in scelere vigilantem, tam
in perditis rebus diligentem nisi ex domesticis insidiis
in castrense latrocinium compulissem - dicam id quod
sentio, Quirites - non facile hanc tantam molem mali a
cervicibus vestris depulissem. N o n ille nobis Saturnalia
constituisset, neque tanto ante exiti ac fati diem rei
publicae denuntiavisset neque commisisset ut signum,
ut litterae suae testes manifesti sceleris deprehende-
rcntur. Q u a e nunc illo absente sic gesta sunt ut nullum
in privata d o m o f u r t u m u m q u a m sit tam palam inven-
tum quam haec in tota re publica coniuratio manifesto
comprehensa est. Q u o d si Catilina in urbe ad hanc diem
remansisset, q u a m q u a m , quoad fuit, omnibus eius con-
siliis occurri atque obstiti, tamen, ut levissime dicam,
d i m i c a n d u m nobis cum illo fuisset, neque nos um-
CATILINARISCHF RFDF.N [II 461

sind. Als ich diesen Mann aus der Stadt vertrieb, da sah ich
voraus, Quiriten, daß ich nach seiner Entfernung weder den
Schlaf des P. Lentulus noch den Wanst des L. Cassius noch
auch das blindwütige Treiben des C. Cethegus würde fürch-
ten müssen. Von ihnen allen war allein Catilina furchtbar,
doch nur, solange er sich im Mauerring der Stadt befand. Er
kannte alles, er hatte Zugang zu allem; er konnte die Leute
ansprechen, beeinflussen, aufwiegeln, und er wagte es. Er war
fähig, eine Untat zu planen, seinem Plane aber fehlte weder
die Zunge noch die Hand. Er hatte bereits bestimmte Leute
für die Ausführung bestimmter Aufgaben ausgesucht und ein-
geteilt. Doch wenn er einen Auftrag erteilt hatte, so hielt er
ihn noch nicht für erledigt; es gab nichts, wo er nicht selbst
dabei war und herzueilte, wachte und sich mühte; er ver-
mochte Kälte, Hunger und Durst zu ertragen. Dieser Mann
war so hart, so verwegen, so schlagfertig, so gewitzt, so wach-
sam bei der Freveltat, so umsichtig bei heillosen Unterneh-
mungen : hätte ich ihn nicht aus seinem Hinterhalt an Ort und
Stelle in das Räuberdasein des Feldlagers getrieben, dann (ich
will sagen, was ich denke, Quiriten) wäre es mir nicht leicht
geworden, euch dieses schwer lastende Unheil vom Halse zu
schaffen. Er hätte fiir uns nicht erst die Saturnalien vorgese-
hen noch den Unglücks- und Scliicksalstag des Staates so
lange zuvor angekündigt noch sich so ungeschickt verhalten,
daß sein Siegel, daß ein Brief von ihm als Zeuge des hand-
greiflichen Verbrechens abgefangen wird. Doch jetzt, während
seiner Abwesenheit, hat man diese Dinge so ausgeführt, daß
nie ein Diebstahl in einem Privathause so offen aufgedeckt
wurde, wie diese im ganzen Staatswesen verzweigte Ver-
schwörung sichtbar enthüllt ist. Zwar habe ich, solange Ca-
tilina in der Stadt war, allen seinen Plänen entgegengearbeitet
und sie durchkreuzt; wäre er jedoch bis zum heutigen Tage
geblieben, so hätten wir, gelinde ausgedrückt, mit ihm kämp-
4 62 IN L. CATIL1NAM III

quam, cum ille in urbe hostis esset, tantis periculis rem


publicam tanta pace, tanto otio. tanto silentio liberasse-
mus.
Quamquam haec omnia, Quirites, ita sunt a me 18
administrata ut deorum immortalium nutu atque consi-
lio et gesta et provisa esse videantur. Idque cum coniec-
tura consequi possumus, quod vix videtur humani con-
sili tantarum rerum gubernatio esse potuisse, tum vero
ita praesentes his temporibus opem et auxilium nobis
tulerunt ut eos paene oculis videre possimus. Nam ut
ilia omittam, visas nocturno tempore ab occidente faces
ardoremque caeli, ut fulminum iactus, ut terrae motus
relinquam, ut omittam cetera quae tam multa nobis
consulibus facta sunt ut haec quae nunc fiunt canere di
immortales viderentur, hoc certe, Quirites, quod sum
dicturus neque praetermittendum neque relin-
quendum est.

Nam profecto memoria tenctis Cotta et Torquato 19


consulibus compluris in Capitolio res de caelo esse
percussas, cum et simulacra deorum depulsa sunt et
statuae veterum hominum deiectae et legum aera lique-
facta et tactus etiam ille qui hanc urbem condidit Ro-
mulus, quem inauratum in Capitolio, parvum atque
lactantem, uberibus lupinis inhiantem fuisse meminis-
tis. Quo quidem tempore cum haruspices ex tota
Etruria convenisscnt, caedis atque incendia et legum
interitum et bellum civile ас domesticum et totius urbis
atque imperi occasum appropinquare dixerunt, nisi di
CAT1LINARISCHF RFDFN III

fen müssen, und wir hätten, solange dieser Feind in den Mau-
ern weilte, den Staat niemals in solchem Frieden, solcher Ruhe,
solcher Stille aus derartigen Nöten befreien können.
Indes, die Ausführung von alledem durch mich ging so von-
statten, Quiriten, daß man glauben möchte, es sei durch das
Walten und Wirken der unsterblichen Götter vollbracht und
vorbereitet worden. Dies können wir einmal aus der Erwägung
ableiten, daß die Lenkung derart bedeutender Ereignisse wohl
kaum menschlichem Planen zu entspringen vermochte; zum
anderen aber ließen die Götter uns in dieser Notzeit so un-
mittelbar ihre Hilfe und ihren Beistand zuteil werden, daß
wir sie geradezu leibhaft wahrnehmen konnten. Ich will mich
gar nicht damit aufhalten, daß man zu nächtlicher Zeit von
Westen her den Feuerschein von Fackeln am Himmel be-
merkt hat, ich will das Zucken der Blitze, die Erdbeben auf
sich beruhen lassen, ich will alles andere übergehen, was sich
während meines Konsulats in solcher Fülle begeben hat, daß
man glauben muß, die unsterblichen Götter hätten die jetzi-
gen Ereignisse genau vorausgesagt. Doch wovon ich jetzt re-
den will, Quiriten, das darf man gewiß nicht unberührt noch
unbeachtet lassen.
Denn sicherlich erinnert ihr euch: als Cotta und Torquatus
Konsuln waren7*, da schlug an mehreren Stellen auf dem Ka-
pitel der Blitz ein; die Götterbilder fielen zu Boden, und die
Statuen von Männern der Frühzeit stürzten um, und die eher-
nen Gesetzestafeln zerschmolzen, und auch er, der diese Stadt
gegründet hat, Romulus, wurde getroffen; ihr wißt, er stand
vergoldet auf dem Kapitol, wie er sich als kleiner Säugling
nach den Zitzen der Wölfin reckt. Damals fanden sich aus
ganz Etrurien die Opferschauer 73 ein, und sie erklärten, daß
Mord und Feuersbrunst, die Aufhebung der Gesetze, ein
Krieg unter Bürgern und im eigenen Lande sowie der völlige
Untergang von Stadt und Reich bevorstünden, wenn nicht
4 6 4 I N I.. C A T I L 1 N A M 111

immortales omni ratione placati suo n u m i n e p r o p e fata


ipsa flexissent. Itaque illorum responsis t u m et ludi per 20
decern dies facti sunt n e q u e res ulla quae ad placandos
deos pertineret praetermissa est. I d e m q u e iusserunt
simulacrum Iovis facere maius et in excelso conlocare et
contra atque antea fuerat ad orientem converterc; ac se
sperare d i x e r u n t , si illud signum q u o d videtis solis
o r t u m et f o r u m c u r i a m q u e conspiceret, fore ut ea consi-
lia quae clam essent inita contra salutem urbis atque
imperi i n l u s t r a r e n t u r ut a senatu p o p u l o q u e Romano
perspici possent. A t q u e illud signum conlocandum
consules illi locaverunt; sed tanta fuit operis tarditas ut
n e q u e superioribus consulibus n e q u e nobis ante ho-
d i e r n u m diem conlocaretur.

H i s quis potest esse tam aversus a vero, t a m prae- 21


ceps, t a m m e n t e captus qui neget haec omnia quae
videmus p r a e c i p u e q u e banc u r b e m d e o r u m immorta-
lium n u t u ac potestate administrari? Ktenim c u m essct
ita r e s p o n s u m , caedis, incendia, intcritum rei publicae
comparari, et ea per civis, q u a e t u m propter magnitudi-
nem scelerum non nullis incredibilia videbantur, ea non
m o d o cogitata a nefariis civibus verum etiam suscepta
esse sensistis. Illud vero n o n n e ita praesens est ut nutu
Iovis O p t i m i Maximi f a c t u m esse videatur, ut, cum
h o d i e r n o die m a n e per f o r u m meo iussu et coniurati et
e o r u m indices in aedem Concordiae d u c e r e n t u r , eo ipso
t e m p o r e signum statueretur? Q u o conlocato a t q u e ad
vos s e n a t u m q u e converso omnia et senatus et vos quae
С ATILINARISC Η F. REDEN Ш 4б5

die unsterblichen Götter auf jede Weise versöhnt würden und


durch ihr Eingreifen geradezu das Schicksalswalten selbst ab-
änderten. Daher veranstaltete man damals gemäß diesen Aus-
künften Spiele von zehntägiger Dauer und unterließ nichts,
was geeignet war, die Götter zu versöhnen. Die Opferschauer
empfahlen auch, ein noch größeres Bild des Jupiter anzuferti-
gen und an erhöhter Stelle aufzurichten und im Gegensatz zu
früher nach Osten zu wenden. Und sie erklärten, wenn dieses
Standbild, das ihr dort seht, gen Sonnenaufgang und auf das
Forum und auf die Kurie blicke, so hofften sie, die Anschläge,
die man insgeheim gegen das Heil von Stadt und Reich an-
zettele, würden ans Licht kommen, so daß der Senat und das
Volk von Rom sie zu durchschauen vermöchten. Und die ge-
nannten Konsuln gaben die Errichtung des Standbildes in Auf-
trag; doch das Werk verzögerte sich derart, daß es weder
während der Amtszeit der früheren Konsuln noch in meinem
Konsulat vor dem heutigen Tage aufgestellt werden konnte.
Wer vermag da so der Wahrheit abhold, so eilfertig, so be-
schränkt zu sein, daß er leugnete, dies alles, was wir hier se-
hen, und zumal unsere Stadt werde durch den Willen und die
Macht der unsterblichen Götter gelenkt? Denn der Bescheid,
der ergangen war, lautete: Mord, Brand, der Untergang des
Staates werde vorbereitet, und zwar von Bürgern. Das schien
damals manchem wegen der Größe der Verbrechen unglaub-
lich, doch ihr habt jetzt erkannt: ruchlose Bürger haben das
nicht nur geplant, sondern auch ins Werk gesetzt. Dies aber
hat doch wohl ganz offenkundig der Wille des Jupiter Opti-
mus Maximus verursacht, daß man am Morgen des heutigen
Tages auf meinen Befehl hin die Verschworenen und ihre Ent-
decker über das Forum zum Tempel der Concordia 74 geführt
und genau zur gleichen Zeit das Standbild aufgestellt hat? Es
war gerade aufgerichtet und zu euch und zum Senate hinge-
wandt, da ersahen der Senat und ihr, daß alle Pläne gegen
466 IN L. CATILINAM 111

erant contra salutem omnium cogitata inlustrata et


patefacta vidistis.
Q u o etiam maiore sunt isti odio supplicioque digni 22
qui non solum vestris domiciliis atque tectis sed etiam
deorum templis atque delubris sunt funestos ac nefarios
ignis inferre conati. Q u i b u s ego si me restitisse dicam,
nimium mihi sumam et non sim ferendus: ille. ille
Iuppiter restitit; ille Capitolium, ille haec templa, ille
cunctam urbem, ille vos omnis salvos esse voluit. Dis
ego immortalibus ducibus banc mentem voluntatem-
que suscepi atque ad haec tanta indicia perveni. Iam
vero ilia Allobrogum sollicitatio, iam ab Lentulo cete-
risque domesticis hostibus tarn dementer tantae res
creditae et ignotis et barbaris commissaeque litterae
numquam essent profecto, nisi ab dis immortalibus
huic tantae audaciae consilium esset ereptum. Quid
vero? ut homines Galli ex civitate male pacata, quae
gens una restat quae bellum populo Romano facere
posse et non nolle videatur, spem imperi ac rerum
maximarum ultro sibi a patriciis hominibus oblatam
neglegerent vestramque salutem suis opibus antepone-
rent, id non divinitus esse factum putatis, praesertim
qui nos non pugnando sed tacendo superare potuerunt?

Q u a m ob rem, Quirites, quoniam ad omnia pulvina- 23


ria supplicatio decreta est, celebratote illos dies cum
coniugibus ac liberis vestris. N a m multi saepe honores
dis immortalibus iusti habiti sunt acdebiti, sed profecto
CATILINARISCHE REDEN III 4б7

das Heil der Gesamtheit ans Licht gebracht und aufgedeckt


waren.
Desto größere Verachtung und Bestrafung verdienen daher
diese Gesellen, die sich vorgenommen hatten, nicht nur eure
Wohnungen und Häuser, sondern auch die Tempel und Hei-
ligtümer der Götter mit verderblichem und verruchtem
Brande heimzusuchen. Wenn ich behaupten wollte, ich hätte
das verhindert, dann würde ich mir allzu viel anmaßen und
wäre unausstehlich: der, der dort, Jupiter 7 5 , hat es verhin-
dert; er wollte, daß das Kapitol, er, daß die Tempel, er, daß
die ganze Stadt, er, daß ihr alle gerettet würdet. Da die un-
sterblichen Götter mich führten, wurden mir diese Einsichten
und Entschlüsse zuteil und gelangte ich zu diesen bedeutenden
Beweisen. Und erst die Aufwiegelung der Allobroger! Auch
wären Lentulus und die übrigen inneren Feinde wahrhaftig
niemals so töricht gewesen, unbekannten Barbaren so ge-
wichtige Dinge anzuvertrauen und ihnen Briefe auszuhändi-
gen, hätten nicht die unsterblichen Götter diesen furchtbaren
Frevelmut der Vernunft beraubt. Und schließlich gar: die
Gallier kamen von einem kaum befriedeten Stamme; ihr Volk
bleibt als einziges übrig, das in der Lage und nicht abgeneigt
zu sein scheint, gegen das römische Volk Krieg zu führen.
Müßt ihr nicht glauben, es sei nach göttlichem Ratschluß ge-
schehen, daß diese Leute die Hoffnung auf Macht und größte
Vorteile, die ihnen Patrizier von sich aus antrugen, ausge-
schlagen und euer Heil ihrem eigenen Nutzen vorgezogen
haben? Zumal sie uns ja nicht durch Kampf, sondern durch
Schweigen überwinden konnten?
Deshalb, Quiriten, da das beschlossene Dankfest allen Göt-
tersitzen gilt, feiert diese Tage mit euren Frauen und Kin-
dern. Denn schon oft hat man den unsterblichen Göttern mit
Recht verdiente Ehrungen in großer Zahl dargebracht, doch,
wahrhaftig, noch niemals mit größerem Recht. Denn ihr seid
468 IN L. СATILINAM III

iustiores n u m q u a m . E r e p t i e n i m estis ex c r u d e l i s s i m o
ac m i s e r r i m o interitu, erepti sine c a e d c , sine s a n g u i n e ,
sine e x e r c i t u , sine d i m i c a t i o n e ; togati m e u n o togato
d u c e et imperatore vicistis. E t e n i m r e c o r d a m i n i , Q u i r i -
tes, o m n i s civilis d i s s e n s i o n e s , non s o l u m cas q u a s
audistis sed eas q u a s v o s m e t ipsi m e m i n i s t i s atque
vidistis. L . Sulla P. S u l p i c i u m o p p r e s s i t : C . M a r i u m .
c u s t o d e m huius u r b i s , m u l t o s q u e fortis viros p a r t i m
e i e c i t e x c i v i t a t e , partim i n t e r e m i t . C n . O c t a v i u s c o n s u l
armis expulit ex urbe c o n l e g a m : o m n i s hie locus acervis
c o r p o r u m et civium s a n g u i n e r e d u n d a v i t . Superavit
postea C i n n a c u m M a r i o : t u m vero c l a r i s s i m i s viris
interfectis lumina civitatis e x s t i n c t a s u n t . U l t u s est
huius victoriae c r u d e l i t a t e m postea S u l l a : n e dici q u i -
d e m opus est q u a n t a d e m i n u t i o n e c i v i u m et q u a n t a
c a l a m i t a t e rei publicae. D i s s e n s i t M . L e p i d u s a claris-
simo et fortissimo viro Q . C a t u l o : attulit n o n tam ipsius
interitus rei publicae l u c t u m q u a m c e t e r o r u m .

A t q u e iliac dissensiones erant eius modi q u a e non ad


d e l e n d a m sed ad c o m m u t a n d a m r e m p u b l i c a m p e r t i n e -
rent. N o n illi nullam esse r e m p u b l i c a m sed in ea q u a e
esset se esse principes, n e q u e h a n c u r b e m c o n f l a g r a r e
sed se in hac urbe florere v o l u e r u n t . A t q u e iliac t a m e n
o m n e s dissensiones, q u a r u m nulla e x i t i u m rei p u b l i c a e
quaesivit, eius modi f u e r u n t ut non reconciliatione
c o n c o r d i a e sed i n t e r n i c i o n e c i v i u m d i i u d i c a t a e sint. In
h o c autem uno post h o m i n u m m e m o r i a m m a x i m o c r u -
d e l i s s i m o q u e bello, q u a l e b e l l u m nulla u m q u a m bar-
СATILINARISCHE REDEN III 469

der grausamsten und elendsten Vernichtung entrissen; ihr


seid ihr entrissen ohne Mord, ohne Blutvergießen, ohne Heer,
ohne Kampf; als Bürger in Zivil habt ihr gesiegt, einzig von
mir, dem Zivilbeamten, geleitet und befehligt. Denn verge-
genwärtigt euch alle die Auseinandersetzungen unter Bür-
gern, Quiriten, die, von denen ihr gehört habt, und besonders
die, an die ihr euch als Augenzeugen erinnert. L. Sulla über-
wältigte den P.Sulpicius: er hat C.Marius, den Schützer die-
ser Stadt, und viele tüchtige Männer teils aus dem Vaterland
verbannt, teils getötet. Der Konsul Cn.Octavius vertrieb sei-
nen Kollegen mit Waffengewalt aus der Stadt: dieser ganze
Platz hier war mit Leichenhaufen und Bürgerblut bedeckt.
Hernach gewann Cinna zusammen mit Marius die Oberhand:
da sind vollends durch die Ermordung der angesehensten
Männer die Leuchten unserer Bürgerschaft ausgelöscht wor-
den. Darauf nahm Sulla Rache für die Grausamkeit dieses Sie-
ges : ich brauche nicht einmal zu erwähnen, mit welchem Ver-
lust an Bürgern und zu welchem Verderben für den Staat.
M.Lepidus überwarf sich mit dem hochangesehenen und
überaus tüchtigen Q^Catulus: nicht so sehr sein eigener, wie
der Untergang der übrigen brachte dem Gemeinwesen
Trauer 7 6 .
Doch diese Auseinandersetzungen bezweckten nicht den
Untergang, sondern die Veränderung des Staates. Denn die
Genannten wünschten nicht, daß kein Staat mehr bestehe,
sondern verlangten im bestehenden Staat die ersten zu sein,
noch wollten sie diese Stadt einäschern, sondern in dieser
Stadt Macht und Ansehen genießen. Und doch spitzten sich
alle diese Streitigkeiten, von denen keine die Vernichtung des
Staates anstrebte, derart zu, daß sie nicht durch die friedliche
Wiederherstellung der Eintracht, sondern durch Bürgermord
beigelegt wurden. Dieser Krieg aber war einerseits der weit-
aus größte und grausamste seit Menschengedenken, wie ihn
47° IN L. С ATI LI NAM [I]

baria c u m sua g e n t e g c s s i t , q u o in bello lex haec fuit a


L e n t u l o , C a t i l i n a , C e t h e g o , Cassio constituta ut o m n e s
qui salva u r b e salvi esse possent in hostium n u m e r o
d u c e r e n t u r , ita m e gessi, Q u i r i t e s , ut salvi o m n e s c o n -
s e r v a r e m i n i , e t , c u m hostes vestri t a n t u m c i v i u m s u p e r -
f u t u r u m p u t a s s e n t q u a n t u m infinitae caedi restitisset,
t a n t u m a u t e m u r b i s q u a n t u m f l a m m a obire non p o t u i s -
set, et u r b e m et civis integros i n c o l u m i s q u e servavi.

Q u i b u s p r o tantis r e b u s , Q u i r i t e s , n u l l u m ego a v o b i s
p r a e m i u m v i r t u t i s , n u l l u m insigne honoris, nullum
m o n u m e n t u m laudis p o s t u l a b o p r a e t e r q u a m huius diei
m e m o r i a m s e m p i t e r n a m . In animis ego vestris o m n i s
triumphos meos, omnia ornamenta honoris, monu-
m e n t a g l o r i a e , laudis insignia condi et conlocari volo.
N i h i l m e m u t u m potest d e l e c t a r e , nihil taciturn, nihil
d e n i q u e eius modi q u o d etiam m i n u s digni adsequi
p o s s i n t . M e m o r i a vestra, Q u i r i t e s , nostrae res a l e n t u r ,
s e r m o n i b u s c r c s c e n t , litterarum m o n u m e n t i s invete-
rascent et c o n r o b o r a b u n t u r ; e a n d e m q u e diem intcl-
lego, q u a m s p e r o a e t e r n a m fore, propagatam esse et ad
s a l u t e m u r b i s et ad m e m o r i a m consulatus m e i , u n o q u e
t e m p o r e in h a c re p u b l i c a duos civis exstitisse q u o r u m
alter finis vestri imperi non terrae sed caeli r e g i o n i b u s
terminaret, alter huius imperi d o m i c i l i u m sedisque
servaret.

S e d q u o n i a m e a r u m rerum quas e g o gessi non e a d e m


est f o r t u n a a t q u e c o n d i c i o quae iilorum qui e x t e r n a
bella g e s s e r u n t . q u o d mihi c u m eis vivendum est q u o s
CATILINARISCHF. REDEN III 47'

kein Barbarenreich je gegen das eigene Volk geführt hat; denn


Lentulus, Catilina, Cethegus und Cassius hatten für ihn das
Gesetz aufgestellt, daß jeder als Feind gelten solle, der nur in
der Sicherheit der Stadt die eigene Sicherheit finde. Doch
andererseits habe ich mich in diesem Kriege so verhalten,
Quinten, daß ihr allesamt heil und bewahrt bliebt. Und wäh-
rend eure Feinde glaubten, nur so viele Bürger würden über-
leben, als dem unendlichen Blutbad entgingen, nur so viel
bleibe von der Stadt übrig, als die Flamme nicht habe errei-
chen können, habe ich Stadt und Bürger unangetastet und
unversehrt gerettet.
Für so Großes, Quiriten, will ich von euch keinen Lohn
meiner Tüchtigkeit, keine Zeichen meiner Ehre, kein Denk-
mal meines Ruhmes verlangen, sondern nur das ewige An-
denken an diesen Tag. Ich möchte alle meine Triumphe, alle
Zierden meines Ansehens, Denkzeichen meines Ruhmes und
Anerkennungen meines Verdienstes in euren Herzen geborgen
und aufbewahrt wissen. Nichts Stummes vermag mich zu er-
freuen, nichts Schweigendes, überhaupt nichts von der Art,
was auch weniger Würdige erlangen können. Mein Ruf wird
durch euer Andenken genährt, Quiriten; er wächst durch Ge-
spräche, er verfestigt sich und erstarkt durch die geschicht-
liche Überlieferung. Ich bin auch überzeugt, daß ein und der-
selbe Tag, dessen Wirkung, wie ich hoffe, ewig währen wird,
die Erhaltung der Stadt und das Andenken an mein Konsulat
verbürgt, und daß zur gleichen Zeit in diesem Staat zwei Bür-
ger hervorgetreten sind, von denen der eine die Grenzen eures
Reiches nicht durch Landstriche, sondern durch die Himmels-
gegenden festgesetzt 77 , der andere die Wohnstatt und den
Sitz dieses Reiches gerettet hat.
Indes, meine Taten und die Leistungen derer, die auswär-
tige Kriege führten, unterscheiden sich nach ihrer Beschaffen-
heit und ihren Voraussetzungen: ich muß mit denen zusam-
47 2 IN L. ATI LI ΝΑ Μ III

vici ac subegi, illi hostis aut interfcctos aut oppressos


reliquerunt, vestrum est, Q u i r i t c s , si ceteris facta sua
recte p r o s u n t , mihi mea ne q u a n d o obsint providere.
Mentes e n i m h o m i n u m audacissimorum sceleratae ac
nefariac ne vobis nocere possent ego providi. ne mihi
noceant vestrum est providere. Q u a m q u a m . Quirites,
mihi q u i d e m ipsi nihil ab istis iam noceri potest. Ma-
g n u m enim est in bonis praesidium quod mihi in perpe-
t u u m c o m p a r a t u m est, magna in re publica dignitas
q u a e me semper tacita d e f e n d e t , magna vis conscientiae
q u a m qui neglegunt, c u m me violare volent, se indica-
b u n t . Est e n i m nobis is animus, Quirites. ut non m o d o
nullius audaciae c e d a m u s sed etiam omnis improbos
ultro semper lacessamus. Q u o d si omnis impetus domes-
ticorum hostium depulsus a vobis se in me u n u m
convcrterit, vobis erit v i d e n d u m , Quirites, qua condi-
cione posthac eos esse velitis qui se pro salute vestra
obtulerint invidiae periculisque omnibus: mihi q u i d e m
ipsi quid est q u o d iam ad vitae f r u c t u m possit adquiri,
c u m praesertim n e q u e in honore vestro neque in gloria
virtutis q u i c q u a m videam altius q u o mihi libeat ascen-
dere? Illud perficiam profecto, Quirites, ut ea quae
gessi in consulatu privatus tuear atque ornem, ut, si qua
est invidia in conservanda re publica suscepta, laedat
invidos, mihi valeat ad gloriam. D e n i q u e ita me in re
publica tractabo ut m e m i n c r i m semper quae gesserim,
c u r e m q u e ut ea virtute non casu gesta esse videantur.
С ATILINARISC Η Ε REDEN III 473

men leben, die ich besiegt und bezwungen habe, doch jene
ließen ihre Feinde getötet oder überwältigt zurück. Deshalb
müßt ihr dafür sorgen, Quinten, daß, wenn den anderen ihre
Taten mit Recht Vorteil bringen, mir die meinigen nicht der-
einst Schaden zufügen. Denn ich habe verhindert, daß die ver-
brecherischen und ruchlosen Absichten höchst verwegener
Menschen euch schaden; ihr müßt verhindern, daß sie mir
schaden. Indes, Quiriten, auch mir selbst können diese Bur-
schen keinen Schaden mehr antun. Denn groß ist der Schutz
bei den Wohlgesinnten, den ich mir für immer verschafft habe,
groß das Ansehen unserer Verfassung, das stets stillschwei-
gend für mich eintreten wird, groß ist auch die Macht des Ge-
wissens - wer sie mißachtet, indem er mich verwunden will,
wird sich selbst verraten. Wir sind nämlich gesonnen, Qui-
riten, vor niemandes Verwegenheit zurückzuweichen und so-
gar von uns aus stets alle Böswilligen herauszufordern. Wenn
sich die gesamte Stoßkraft der inneren Feinde, die ich von
euch abgewandt habe, gegen mich allein kehrt, so m ü ß t ihr
zusehen, Quiriten, welche Lage ihr in Z u k u n f t denen gewähr-
leisten wollt, die sich für euer Wohl Anfeindungen und Ge-
fahren jeder Art ausgesetzt haben; doch ich selbst, was kann
ich noch zum Ertrag meines Lebens hinzugewinnen? Denn
weder an Ehren, die ihr verleiht, noch an R u h m für Verdienste
wüßte ich Höheres, wozu ich noch aufsteigen möchte. Das
aber will ich wahrhaftig erreichen, Quiriten, daß ich die Ta-
ten meines Konsulats nach Beendigung des Amtes verteidige
und hochhalte: falls ich mir durch die R e t t u n g des Staates
Mißgunst zugezogen habe, soll sie den Mißgünstigen selbst
schaden, mir aber Ruhm einbringen. Überhaupt werde ich
mich bei der Wahrnehmung staatlicher Belange so verhalten,
daß ich stets bedenke, was ich geleistet habe, und dafür sorge,
daß meine Taten als Erfolg meiner Tüchtigkeit, nicht als Er-
gebnis des Zufalls angesehen werden.
IN L. C A T I L I N A M III
474

Vos, Quirites, quoniam iam est nox, venerati Iovem


ilium custodem huius urbis ac vestrum in vestra tecta
discedite et ea, quamquam iam est periculum de-
pulsum, tamen aeque ac priore nocte custodiis vigiliis-
que defendite. Id ne vobis diutius faciendum sit atque
ut in perpetua pace esse possitis providebo, Quirites.
С ATI LINARISC Η F. RF-DFN III 475

Es ist schon Nacht, Quiriten; betet daher zu Jupiter, der


euch und diese Stadt beschirmt, und geht fort in eure Häuser
und schützt sie, obwohl die Gefahr bereits abgewendet ist,
ebenso wie in der vorigen Nacht durch Posten und Wachen.
Ich werde dafür sorgen, Quinten, daß ihr das nicht länger zu
tun braucht und ihr auf immer in Frieden leben könnt.
IN L. C A T I L I N A M O R A T I O Q U A R T A
HABITA IN SEN AT U

V i d e o , patres c o n s c r i p t i , in m e o m n i u m v e s t r u m ora ι
a t q u c o c u l o s esse c o n v e r s o s . video vos non s o l u m d e
vestro ac rei p u b l i c a e v e r u m e t i a m , si id d e p u l s u m sit,
d e m e o periculo esse sollicitos. F.st mihi iucunda in
malis et grata in dolore vestra erga m e voluntas, sed earn
per d e o s i m m o r t a l i s ! d e p o n i t e a t q u e obliti salutis m e a e
de vobis ac de vestris liberis cogitate. M i h i si haec
c o n d i c i o c o n s u l a t u s data est ut o m n i s a c e r b i t a t e s , o m -
nis dolores c r u c i a t u s q u e p e r f e r r e m , f e r a m non s o l u m
fortiter verum etiam libenter, d u m m o d o meis l a b o r i -
b u s vobis p o p u l o q u e R o m a n o dignitas salusque paria-
tur. F.go sum ille c o n s u l , patres c o n s c r i p t i , cui non '
f o r u m in q u o o m n i s aequitas c o n t i n e t u r , non c a m p u s
c o n s u l a r i b u s auspiciis c o n s e c r a t u s , non c u r i a , sum-
m u m a u x i l i u m o m n i u m g e n t i u m , non d o m u s , com-
m u n e p e r f u g i u m , non lectus ad q u i e t e m d a t u s , non
d e n i q u e haec sedes honoris u n i q u a m vacua mortis peri-
c u l o a t q u e insidiis fuit. F g o multa t a c u i , multa p e r t u l i ,
m u l t a c o n c e s s i , multa m e o q u o d a m dolore in v e s t r o
t i m o r e sanavi. N u n c si h u n c e x i t u m consulatus mei di
i m m o r t a l e s esse voluerunt ut vos p o p u l u m q u c Ro-
m a n u m ex caede m i s e r r i m a , coniuges l i b e r o s q u e ves-
tros v i r g i n e s q u e Yestalis ex a c e r b i s s i m a vexatione,
templa atque delubra, hanc pulcherrimam patriam om-
n i u m n o s t r u m ex foedissima f l a m m a , t o t a m Italian! ex
b e l l o et vastitate e r i p e r e m , q u a e c u m q u e mihi uni pro-
p o n e t u r fortuna subeatur. F.tenim si P. L e n t u l u s s u u m
n o m e n i n d u c t u s a vatibus fatale ad p c r n i c i c m rei p u b l i -
VIERTE CATILINARISCHE REDE

Ich sehe, versammelte Väter, wie euer aller Mienen und


Bliclce auf mich gerichtet sind; ich sehe, wie euch nicht nur
eure eigene und die Gefahr des Staates, sondern auch, flir den
Fall, daß diese gebannt ist, die meinige Sorge bereitet. Euer
Mitgefühl mir gegenüber ist mir willkommen im Unglück
und tröstlich im Schmerz, doch, bei den unsterblichen Göt-
tern !, laßt davon ab und denkt, ohne euch um meine Rettung
zu kümmern, an euch und eure Kinder. Wenn mir mein Kon-
sulamt unter der Bedingung anvertraut ist, daß ich alle Bitter-
nisse, alle Schmerzen und Martern ertrüge: ich will sie er-
tragen und nicht nur gefaßt, sondern auch mit Freuden, wenn
nur meine Mühen euch und dem römischen Volke Ehre und
Heil einbringen. Ich bin der Konsul, versammelte Väter, für
den nichts je sicher war vor tödlicher, tückischer Gefahr:
nicht das Forum, von dem alle Gerechtigkeit ausgeht, nicht
das Marsfeld, das durch die konsularischen Auspizien ge-
weiht ist, nicht die Kurie, der höchste Hort aller Völker, nicht
das Haus, jedermanns Zuflucht, nicht das Bett, zur Ruhe
bestimmt, und endlich auch nicht dieser E h r e n s i t z I c h habe
vieles verschwiegen, vieles ertragen, vieles zugestanden, vie-
les, während ihr in Furcht wart, durch meinen einsamen
Schmerz geheilt. Wenn jetzt der Wille der unsterblichen
Götter mein Konsulat so enden läßt, daß ich euch und das
römische Volk dem jammervollsten Blutbad, eure Frauen und
Kinder und die vestalischen Jungfrauen der bittersten Unbill,
die Tempel und Heiligtümer sowie unser aller herrliche Vater-
stadt der scheußlichsten Feuersbrunst, ganz Italien dem Krieg
und der Verwüstung entreiße: jedes Geschick soll ertragen
werden, das über mich allein verhängt ist. Denn wenn P.Len-
tulus, von den Wahrsagern verleitet, glaubte, sein Name sei
schicksalhaft für das Verderben des Staates79, warum soll ich
47« IN L. С ATILINAM IV

cae fore putavit, cur ego non laeter meum consulatum


ad salutem populi Romani prope fatalem exstitisse?
Qua re. patres conscripti, consulite vobis, prospicite 3
patriae, conservate vos, coniuges, liberos fortunasque
vestras, populi Romani nomen salutemque defendite;
mihi parcere ac de me cogitare desinite. Nam primum
debeo sperare omnis deos qui huic urbi praesident pro
eo mihi ас mereor relaturos esse gratiam; deindc, si quid
obtigerit, aequo animo paratoque moriar. N a m neque
turpis mors forti viro potest accidere neque immatura
consulari nec misera sapienti. Nec tamen ego sum ille
ferreus qui fratris carissimi atquc amantissimi praesen-
tis maerore non movear horumque omnium lacrimis a
quibus me circumsessum videtis. Neque meam men-
tern non domum saepe revocat exanimata uxor et ab-
iecta nietu filia et parvolus filius, quem mihi videtur
amplecti res publica tamquam obsidem consulatus mei,
neque ille qui exspectans huius exitum diei stat in
conspectu meo gener. Moveor his rebus omnibus, sed
in earn partem uti salvi sint vobiscum omnes, etiam si
me vis aliqua oppresserit, potius quam et illi et nos una
rei publicae peste pereamus.

Qua re, patres conscripti, incumbite ad salutem rei 4


publicae, circumspicite omnis procellas quae impendent
nisi providetis. Non T i . Gracchus quod iterum tribu-
nus plebis fieri voluit, non C . Gracchus quod agrarios
concitare conatus est, non L. Saturninus quod
С AT I LI N A R I S C H F R E D E N IV 479

mich nicht freuen, daß mein Konsulat geradezu schicksalhaft


für die Rettung des römischen Volkes geworden ist?
Denkt daher an euch, versammelte Väter, sorgt für das
Vaterland, schützt euch, eure Frauen, Kinder und Vermögen,
verteidigt Ansehen und Heil des römischen Volkes; laßt ab,
mich zu schonen und auf mich Rücksicht zu nehmen. Denn
einmal darf ich hoffen, daß mir alle Götter, die diese Stadt
beschirmen, meinem Verdienste gemäß ihre Dankbarkeit er-
zeigen; zum anderen werde ich, falls mir etwas zustößt, ge-
faßt und bereitwillig sterben. Denn kein schimpflicher Tod
kann dem Tapferen zustoßen, kein allzu früher dem Konsular,
kein beklagenswerter dem Weisen. Doch bin ich nicht der
Fels, der sich nicht von der Trauer seines anwesenden Bruders,
des teuersten und geliebtesten, noch von den Tränen aller
derer rühren ließe, von denen ihr mich umgeben seht. Und
keineswegs wenden sich meine Gedanken nicht oft nach Hau-
se zurück zu meiner niedergeschlagenen Gattin, zu meiner
vor Furcht vergehenden Tochter und zu meinem kleinen
Sohne, den mir das Gemeinwesen als Bürgen für mein Kon-
sulat in Gewahrsam zu halten scheint, endlich zu meinem
Schwiegersohne, den ich dort stehen sehe, wie er den Ausgang
des heutigen Tages erwartet' 0 . Alles dies beeindruckt mich,
doch nur iri dem Sinne, daß ich wünsche, sie alle möchten
mit euch zusammen überleben, auch wenn mich irgendeine
Macht vernichten sollte, statt daß sowohl sie als auch wir
durch eine und dieselbe Katastrophe des Staates zugrunde
gehen.
Seid daher auf das Heil des Staates bedacht, versammelte
Väter, achtet auf die Stürme, die ringsum drohen, wenn ihr
euch nicht vorseht. Nicht Ti. Gracchus wird zur Aburteilung
und vor euer strenges Gericht geführt, weil er zum zweiten
Male Volkstribun werden wollte, noch C.Gracchus, weil er
versucht hat, die Landbevölkerung aufzuwiegeln, noch L.
48o IN 1.. CAT1L1NAM IV

C . M e m m i u m occidit, in discrimen aliquod atque in


vestrae severitatis judicium adducitur: tenentur ei qui
ad urbis incendium, ad vestram o m n i u m caedem, ad
Catilinam accipiendum R o m a e restiterunt, tenentur
litterae, signa, m a n u s , d e n i q u e unius cuiusque confes-
sio: sollicitantur A l l o b r o g e s , servitia excitantur, Cati-
lina arcessitur, id est initum consilium ut interfectis
omnibus nemo ne ad d e p l o r a n d u m q u i d e m populi R o -
mani nomen atque ad lamentandam tanti imperi cala-
mitatem relinquatur. H a e c omnia indices detulerunt. 5
rei confessi sunt, vos multis iam iudiciis iudicavistis,
primum quod mihi gratias egistis singularibus verbis
et mea virtute atque diligentia perditorum hominum
coniurationem patefactam esse decrevistis, deinde
quod P. L e n t u l u m se abdicare praetura coegistis; tum
quod eum et ceteros de q u i b u s iudicastis in custodiam
dandos censuistis, m a x i m e q u e quod meo nomine sup-
plicationem decrevistis, qui honos togato habitus ante
me est nemini; postremo hesterno die praemia legatis
Allobrogum T i t o q u e Yolturcio dedistis amplissima.
Q u a e sunt omnia eius modi ut ei qui in custodiam
nominatim dati sunt sine ulla dubitatione a vobis dam-
nati esse videantur.

Sed ego institui referre ad vos, patres conscripti, 6


tamquam integrum, et de facto quid iudicetis et de
poena quid censeatis. Ilia praedicam quae sunt consu-
lis. E g o magnum in re publica versari furorem et nova
quaedam misceri et concitari mala iam pridem vide-
bam, sed hanc tantam. tam exitiosam haberi coniuratio-
nem a civibus n u m q u a m putavi. N u n c quicquid est.
С A T I L I N A R 1 S C H F . RF.DF.N IV

Saturninus, weil er С. Memmius getötet hat*1: wir haben die


in unserer Gewalt, die in Rom blieben, die Stadt in Brand
zu stecken, euch alle zu ermorden, Catilina aufzunehmen; wir
haben ihre Briefe, Siegel, Schriftzüge, schließlich das Geständ-
nis jedes Einzelnen. Man stiftet die Allobroger zum Aufruhr
an, wiegelt die Sklaven auf, ruft Catilina herbei; man hat ein
Komplott von der Art geschmiedet, daß nach dem allgemei-
nen Blutbad nicht einmal mehr jemand übrigbleibt, der den
Namen des römischen Volkes beweinen und das Unglück
eines solchen Reiches beklagen könnte. Dies alles haben die
Anzeigenden berichtet, die Beschuldigten gestanden, habt
ihr bereits durch manches Urteil anerkannt. Denn erstens
habt ihr mich mit einzigartigen Worten eures Dankes ver-
sichert und befunden, daß durch meine Tüchtigkeit und Um-
sicht eine Verschwörung verworfener Menschen aufgedeckt
worden sei; ferner habt ihr P.Lentulus gezwungen, sein Amt
als Prätor niederzulegen; außerdem habt ihr beschlossen, ihn
und die übrigen Verurteilten in Haft zu nehmen; vor allem
habt ihr um meinetwillen ein Dankfest anberaumt, eine Ehre,
die vor mir keinem Zivilbeamten zuteil wurde 8 '; schließlich
habt ihr am gestrigen Tage für die Gesandten der Allobroger
und für Titus Volturcius sehr hohe Belohnungen festgesetzt.
Alles dies berechtigt ohne jeden Zweifel zu der Annahme,
daß die von euch auch für schuldig befunden wurden, die ihr
mit Nennung des Namens in Haft gegeben habt.
Doch ich habe beschlossen, versammelte Väter, euch zu
befragen, als stünde noch alles offen: was ihr von der Tat
haltet und wie ihr über die Strafe urteilt. Ich will nur voraus-
schicken, worauf zu dringen der Konsul verpflichtet ist. Ich
sah schon seit langem, daß unser Staat von einer großen Ra-
serei befallen sei, daß sich ein Umsturz zusammenbraue und
man Übles im Schilde führe, aber daß Mitbürger von uns eine
so große und verderbliche Verschwörung anzetteln, hätte ich
482 IN L. C A T 1 L I N A M IV

q u o c u m q u e vcstrae mentes inclinant atque sentcntiac,


s t a t u e n d u m v o b i s a n t e n o c t e m est. Q u a n t u m f a c i n u s ad
vos d e l a t u m sit v i d e t i s . H u i c si p a u c o s p u t a t i s a d f i n i s
esse, v e h e m e n t e r crratis. L a t i u s o p i n i o n e d i s s e m i n a t u m
est h o c m a l u m ; m a n a v i t n o n s o l u m p e r I t a l i a m v e r u m
e t i a m t r a n s c e n d i t A l p i s et o b s c u r e s e r p e n s m u l t a s iam
p r o v i n c i a s o c c u p a v i t . Id o p p r i m i s u s t e n t a n d o et p r o l a -
t a n d o n u l l o p a c t o p o t e s t ; q u a c u m q u e r a t i o n c placet
c e l e r i t e r vobis v i n d i c a n d u m est.

V i d e o d u a s a d h u c esse s e n t e n t i a s , u n a m D . Silani 7
q u i c e n s e t eos q u i h a e c d e l e r e c o n a t i s u n t m o r t e esse
m u l t a n d o s , a l t e r a m C . C a e s a r i s q u i m o r t i s p o e n a m re-
movet, ceterorum suppliciorum omnis acerbitates a m ·
p l e c t i t u r . L t e r q u e et p r o sua d i g n i t a t e et p r o r e r u m
m a g n i t u d i n e in s u m m a s e v e r i t a t e v e r s a t u r . A l t e r eos
qui n o s o m n i s , q u i p o p u l u m R o m a n u m vita p r i v a r e
conati s u n t , q u i d e l e r e i m p e r i u m , q u i p o p u l i R o m a n i
n o m e n e x s t i n g u e r e , p u n c t u m t e m p o r i s f r u i vita et h o c
c o m m u n i spiritu non putat oportere atque hoc genus
p o e n a e s a e p e in i m p r o b o s civis in h a c re p u b l i c a esse
u s u r p a t u m r e c o r d a t u r . A l t e r intellegit m o r t e m a d i s
i m m o r t a l i b u s n o n esse s u p p l i c i causa c o n s t i t u t a m , sed
aut n e c e s s i t a t e m n a t u r a e aut l a b o r u m ac m i s e r i a r u m
q u i e t e m . I t a q u e earn s a p i e n t e s n u m q u a m inviti, f o r t e s
saepe e t i a m l i b e n t e r o p p e t i v e r u n t . \ incula vero et ea
s e m p i t e r n a c e r t e ad s i n g u l a r e m p o e n a m nefarii sceleris
invents sunt. Municipiis dispertiri iubet. H a b e r e vide-
С ATI LINARISC Η f. RFDFS IV 483

niemals gedacht. Jetzt müßt ihr, wohin auch eure Meinungen


und Ansichten sich neigen mögen, vor Einbruch der Nacht
einen Beschluß fassen , J . Ihr seht, was für ein Verbrechen euch
kundgetan wurde. Wenn ihr glaubt, nur wenige seien darin
verwickelt, so irrt ihr euch sehr. Dieses Übel hat sich weiter
verbreitet, als man denken möchte; es hat sich nicht nur über
Italien ergossen, sondern auch die Alpen überstiegen und im
verborgenen vorankriechend schon viele Provinzen erfaßt.
Durch Aufschieben und Hinhalten kann man es keineswegs
beseitigen; wie ihr euch auch entscheiden wollt, ihr müßt
rasch durchgreifen.
Wie ich sehe, liegen bis jetzt zwei Anträge vor. Den einen
hat D.Silanus gestellt; er meint, diejenigen, die all dies hier
zu vernichten suchten, seien mit dem Tode zu bestrafen. Den
anderen hat C.Caesar vorgebracht 8 4 ; er sieht von der Todes-
strafe ab, will jedoch alle Härten sonstiger Strafmaßnahmen
angewandt wissen. Ein jeder befleißigt sich äußerster Strenge,
wie es seinem eigenen Ansehen und dem Gewicht der Sache
entspricht. Silanus meint, wer uns allen, wer dem römischen
Volk das Leben zu rauben, wer das Reich zu zerstören, wer
den Namen des römischen Volkes auszulöschen versucht hat,
der dürfe sich keinen Augenblick mehr des Lebens und der
allen gemeinsamen Atemluft erfreuen, und hierbei erinnert er
sich, daß diese Art von Strafe in unserem Staate oft über ge-
wissenlose Bürger verhängt worden ist. Caesar berücksichtigt,
daß die unsterblichen Götterden Tod nicht als Strafe, sondern
als natürliche Notwendigkeit oder zur Ruhe von Mühsal und
Elend eingerichtet haben. Deshalb haben Weise ihn niemals
mit Sträuben, Standhafte oft sogar freudig auf sich genommen.
Die Haft aber, und jedenfalls die lebenslängliche, ist sicherlich
als äußerste Strafe eines ruchlosen Verbrechens vorgesehen.
Caesar empfiehlt, die Häftlinge auf die Landstädte zu verteilen.
Dieser Vorschlag brächte wohl Ungerechtigkeiten mit sich,
484 IN L. СATILINAM IV

tur ista res iniquitatem, si imperare velis, difficultatem,


si rogare. Decernatur tarnen, si placet. Kgo enim susci- н
piam et, ut spero, reperiam qui id quod salutis om-
nium causa statueritis non putent esse suae dignitatis
recusare. Adiungit gravem poenam municipiis, si quis
eorum vincula ruperit; horribilis custodias circumdat et
dignas scelere h o m i n u m perditorum; sancit ne quis
eorum poenam quos condemnat aut per senatum aut
per populum levare possit; eripit etiam spem quae sola
hominem in miseriis consolari solet. Bona praeterea
publicari iubet; vitam solam relinquit nefariis homini-
bus: quam si eripuisset, multas uno dolore animi atque
corporis miserias et omnis scelerum poenas ademisset.
Itaque ut aliqua in vita formido improbis esset propo-
sita, apud inferos eius modi quaedam illi antiqui suppli-
cia impiis constituta esse voluerunt, quod videlicet
intellegebant his remotis non esse mortem ipsam perti-
mescendam.

Nunc, patres conscripti, ego mea video quid intersit. у


Si eritis secuti sententiam C. Caesaris, quoniam hanc is
in re publica viam quae popularis habetur secutus est,
fortasse minus erunt hoc auctore et cognitore huiusce
sententiae mihi populäres impetus pertimescendi; sin
illam alteram, nescio an amplius mihi negoti contraha-
tur. Sed tamen meorum periculorum rationes utilitas
rei publicae vincat. H a b e m u s enim a Caesare. sicut
ipsius dignitas et maiorum eius amplitudo postulabat,
sententiam t a m q u a m obsidem perpetuae in rem publi-
CATILINARISCHF REDEN IV 485

wenn man befehlen, Schwierigkeiten, wenn man bitten woll-


te. Doch man mag sich für ihn entscheiden, wenn er einleuch-
tet. Denn ich werde die Ausführung übernehmen und, wie
ich hoffe, Leute finden, die nicht glauben, im Namen ihrer
Würde ablehnen zu müssen, was ihr zum Wohle aller be-
schlossen habt. Caesar fügt eine hohe Buße für die Landstädte
hinzu, falls jemand die Verurteilten entkommen lassen sollte;
so umgibt er sie mit furchtbarer Bewachung, wie es dem Ver-
brechen verworfener Menschen angemessen ist. Er setzt fest,
daß niemand die Strafe derer, die er verurteilt wissen will,
über den Senat oder über die Volksversammlung mildern
dürfe; so beraubt er sie auch der Hoffnung, die allein den
Menschen im Elend zu trösten pflegt. Er empfiehlt außerdem,
ihr Vermögen einzuziehen; nur das nackte Leben läßt er die-
sen ruchlosen Menschen. Nähme er's ihnen, so würde er sie
durch die Pein eines Augenblicks von vieler Qual an Leib und
Seele und von der Buße für ihre Verbrechen befreien. Deshalb
hat man einst, damit den Gewissenlosen bei Lebzeiten ein
Schreckbild vor Augen stehe, angenommen, derartige Strafen
seien in der Unterwelt über die Frevler verhängt; denn offen-
sichtlich erkannte man, daß ohne sie der Tod an sich nichts
Furchtbares habe.
Nun sehe ich, versammelte Väter, was für mich von Vor-
teil ist. Wenn ihr den Antrag des C. Caesar billigt, so werde ich
vielleicht, da er für diesen Beschluß eintritt und bürgt, die
Angriffe der Volksfreunde weniger zu fürchten haben; denn
er hat ja in der Politik den Weg eingeschlagen, der für volks-
freundlich gilt. Billigt ihr jedoch den anderen, so erwachsen
mir möglicherweise größere Schwierigkeiten. Doch trotzdem
siege das Staatswohl über die Rücksicht auf meine Risiken.
Wir haben ja von Caesar, wie es sein eigenes Ansehen und der
Glanz seiner Vorfahren erheischte, ein Urteil, das gleichsam
als Bürge fur seine dauernde Loyalität gegenüber dem Staate
4 Κ6 IN 1.. CATILINAM IV

cam voluntatis. Intellectum est quid interessct inter levi-


tatem contionatorum et animum vere populärem saluti
populi consulentem. Video de istis qui se popularis 10
haberi volunt abesse non neminem, ne de capitc videli-
cet civium Romanorum sententiam ferat. Is et nudius
tertius in custodiam civis Romanos dedit et supplicatio-
nem mihi decrevit et indices hesterno die maximis
praemiis adfecit. Iam hoc nemini dubium est qui reo
custodiam, quaesitori gratulationem, indici praemium
decrerit, quid de tota re et causa iudicarit. At vero
C . Caesar intellegit legem Semproniam esse de civibus
Romanis constitutam; qui autem rei publicae sit hostis
eum civem esse nullo modo posse: denique ipsum lato-
rem Semproniae legis iussu populi poenas rei publicae
dependisse. Idem ipsum Lentulum, largitorem et prod-
igum, non putat, cum de pernicie populi Romani,
exitio huius urbis tam acerbc, tam crudeliter cogitarit,
etiam appeliari posse populärem. Itaque homo mitissi-
mus atque lenissimus non dubitat P. Lentulum acternis
tenebris vinculisque mandare et sancit in posterum ne
quis huius supplicio levando sc iactare et in pernicie
populi Romani posthac popularis esse possit. Adiungit
etiam publicationem bonorum, ut omnis animi crucia-
tus et corporis etiam egestas ac mendicitas consequatur.

Quam ob rem, sive hoc statucritis, dederitis mihi 11


comitem ad contionem populo carum atque iucundum,
sive Silani sententiam sequi malucritis, facile me atque
vos crudclitatis vituperatione populus Romanus libera-
С ATI LINARISC HF REDEN IV 487
dienen kann. Hier ist ersichtlich, wodurch sich die Leicht-
fertigkeit der Demagogen von einer wahrhaft volksfreund-
lichen Gesinnung unterscheidet, die für das Wohl des Volkes
Sorge trägt. Ich bemerke ja, daß mancher von denen, die für
volksfreundlich gelten wollen, fehlt; sie möchten eben nicht
über den Kopf römischer Bürger abstimmen. Und doch haben
sie vorgestern römische Bürger der Haft überantwortet und
mir zu Ehren ein Dankfest beschlossen; ferner haben sie am
gestrigen Tage den Anzeigern sehr hohe Belohnungen zu-
erkannt. Da ist doch niemandem mehr zweifelhaft, wie die über
den ganzen Fall und Sachverhalt urteilen, die für den Be-
schuldigten Haft, für den Untersuchenden eine Danksagung,
für den Anzeigenden eine Belohnung festsetzen. C. Caesar hin-
gegen erkennt, daß für römische Bürger das Sempronische
Gesetz besteht, daß jedoch ein Staatsfeind keinesfalls Bürger
sein könne; endlich habe der Urheber des Sempronischen Ge-
setzes auf Befehl des Volkes selber dem Staate gebüßt". Auch
glaubt er nicht, daß man eben den Lentulus, der doch mit
Geschenken um sich warf, noch einen Volksfreund nennen
könne, da er so schlimm, so grausam auf das Verderben des
römischen Volkes, auf den Untergang dieser Stadt bedacht
war. Caesar, ein Mann von größter Milde und Nachgiebigkeit,
zögert daher nicht, P. Lentulus immerwährender Finsternis
und Haft auszuliefern, und er sieht vor, daß in Zukunft nie-
mand auf eine Straferleichterung für diesen Mann pochen und
später einmal zum Verderben des römischen Volkes als Volks-
freund auftreten kann. Er fugt noch die Einziehung des Ver-
mögens hinzu, damit alle Pein der Seele und des Leibes noch
von Dürftigkeit und Bettelarmut begleitet sei.
Wenn ihr daher in diesem Sinne entscheidet, so gebt ihr
mir einen Begleiter für die Volksversammlung mit, der ihr
teuer und angenehm ist; wenn ihr euch aber lieber der Mei-
nung des Silanus anschließen wollt, so wird das römische Volk
4 88 IN I.. CATIl.INAM IV

bit, a t q u e o b t i n e b o earn m u l t o leniorem fuisse. Q u a m -


q u a m , patres conscripti. q u a e potest esse in tanti scele-
ris i m m a n i t a t e p u n i e n d a crudelitas? F.go enim de meo
sensu iudico. N a m ita mihi salva re publica vobiscum
perfrui liceat ut ego, q u o d in hac causa vehementior
s u m , non atrocitate animi moveor - quis enim est me
mitior? - sed singular) q u a d a m h u m a n i t a t e et miseri-
cordia.

Videor enim mihi videre hanc u r b e m , lucem orbis


t e r r a r u m atque arcem o m n i u m g e n t i u m , subito u n o
incendio c o n c i d e n t e m . C e r n o animo sepulta in patria
miseros atque insepultos acervos civium, versatur mihi
ante oculos aspectus Cethegi et f u r o r in vestra caede
bacchantis. C u m vero mihi proposui regnantem Len- 12
t u l u m , sicut ipse se ex fatis sperasse confessus est,
p u r p u r a t u m esse huic G a b i n i u m , c u m exercitu venisse
Catilinam, t u m lamentationem m a t r u m familias, t u m
f u g a m virginum a t q u e p u c r o r u m ac vexationem vir-
g i n u m Vestalium pcrhorresco, et, quia mihi vehemen-
ter haec videntur misera atque miseranda, idcirco in eos
qui ea perficere v o l u e r u n t me severum v e h e m e n t e m q u e
praebebo. Etenim q u a e r o , si quis pater familias, liberis
suis a servo interfectis, uxore occisa, incensa d o m o ,
supplicium de servis non q u a m acerbissimum sumpse-
rit, u t r u m is clemens ac miscricors an inhumanissimus
et crudelissimus esse videatur? Mihi vero i m p o r t u n u s
ac ferreus qui non dolore et cruciatu nocentis s u u m
dolorem c r u c i a t u n i q u e lenierit. Sic nos in his homini-
С AT I LIN ARISCHE REDEN IV 489

mich und euch ohne Zögern von dem Vorwurf der Grausam-
keit freisprechen, und ich werde beweisen, daß diese Ent-
scheidung weit milder gewesen sei. Indes, versammelte Väter,
wie kann von Grausamkeit überhaupt die Rede sein, wenn
es ein derart ungeheuerliches Verbrechen zu bestrafen gilt?
Ich urteile nämlich nach meinem Empfinden. Denn so wahr
ich wünsche, mit euch zusammen in einem heilen Gemein-
wesen zu leben: wenn ich diese Sache mit größerem Nach-
druck verfolge, so lasse ich mich nicht von Härte bestimmen
(denn wer wäre milder als ich?), sondern von ungewöhnlicher
Menschlichkeit und Barmherzigkeit.
Ich glaube nämlich vor Augen zu sehen, wie diese Stadt,
die Leuchte des Erdenrundes und die Schutzburg aller Völker,
plötzlich in einer Feuersbrunst zusammenstürzt. Mein Geist
nimmt am Grabe unseres Vaterlandes die bejammernswerten
und unbegrabenen Leichenhaufen von Bürgern wahr; mir
schwebt der Anblick des Cethegus vor Augen und sein Tau-
mel, wie er über eure Ermordung frohlockt. Wenn ich mir
vollends vorstelle, Lentulus sei König (dies hatte er sich, wie
er selbst gestand, von den Schicksalssprüchen erhofft), Ga-
binius sei sein Minister und Catilina erscheine mit dem Heer,
dann erschaudere ich über die wehklagenden Mütter, über
die fliehenden Mädchen und Knaben, die mißhandelten Jung-
frauen der Vesta, und weil ich glaube, daß all dies überaus
jammervoll und bejammernswert ist, deshalb will ich denen
gegenüber, die das ins Werk setzen wollten, streng und scharf
verfahren. Denn ich möchte fragen: gesetzt, einem Familien-
vater hat ein Sklave die Kinder getötet, die Frau ermordet,
das Haus in Brand gesteckt - wenn er nun seine Sklaven nicht
mit äußerster Härte bestraft, gilt er dann für milde und mit-
leidig oder für höchst unmenschlich und grausam? Ich jeden-
falls halte den für gefühllos und hartherzig, der nicht durch
die Qual und Marter des Schädigers seine eigene Qual und
49° IN I.. СATILINAM IV

bus qui nos, qui coniuges, qui liberos nostros trucidarc


voluerunt, qui singulas unius cuiusque nostrum domos
et hoc universum rei publicac domicilium delere conati
sunt, qui id egerunt ut gentem Allobrogum in vestigiis
huius urbis atque in cincrc deflagrati imperi conloca-
rent. si vehementissimi fuerimus, misericordes habebi-
mur; sin remissiores esse voluerimus, summae nobis
crudelitatis in patriae civiumque pernicie fama sub-
eunda est.

Nisi vero cuipiam L. Caesar, vir fortissimus et aman- 13


tissimus rei publicae, crudelior nudius tertius visus est,
cum sororis suae, feminae lectissimae, virum praesen-
tem et audientern vita privandum esse dixit, cum avum
suum iussu consulis interfectum filiumque eius impu-
berem legatum a patre missum in carcere necatum esse
dixit. Q u o r u m quod simile factum, quod initum delen-
dae rei publicae consilium? Largitionis voluntas t u m in
re publica versata est et partium quaedam contentio.
Atque illo tempore huius avus Lentuli, vir clarissimus,
armatus G r a c c h u m est persecutus. Ille etiam grave tum
volnus accepit, ne quid de summa rei publicae minuere-
tur; hie ad evertenda f u n d a m e n t a rei publicae Gallos
arcessit, servitia concitat, Catilinam vocat, attribuit nos
trucidandos Cethego et ccteros civis interficicndos Ga-
binio, u r b e m inflammandam Cassio, totam Italian) vas-
tandam diripiendamque Catilinae. Yereamini minus
CATIL1NAR1SCHE REDEN IV 49'

Marter lindert. So werden auch wir für mitleidig gelten,


wenn wir bei diesen Leuten mit äußerster Schärfe vorgehen,
bei Leuten, die uns, unsere Frauen, unsere Kinder nieder-
metzeln wollten, die es unternahmen, das Haus eines jeden
Einzelnen von uns und die gesamte Wohnstatt unseres Ge-
meinwesens zu vernichten, die es darauf anlegten, den Stamm
der Allobroger auf den Überresten dieser Stadt und auf der
Asche des niedergebrannten Reiches anzusiedeln. Wenn wir
jedoch allzu milde sein wollen, so müssen wir den Makel auf
uns nehmen, wir seien in tödlicher Gefahr für Vaterland und
Mitbürger äußerst unbarmherzig gewesen.
Oder hat etwa jemand am vorgestrigen Tage L. Caesar, einen
überaus tüchtigen und vaterlandsliebenden Mann, für allzu
hart gehalten? Erklärte er doch, der Mann seiner Schwester,
einer vortrefflichen Frau, habe das Leben verwirkt, und der
war anwesend und hörte zu! Erklärte er doch auch, schon sein
Großvater sei auf Befehl des Konsuls hingerichtet und dessen
noch nicht erwachsener Sohn, den der Vater als Unterhändler
entsandt hatte, im Gefängnis getötet worden". Was haben
die Vergleichbares begangen; welches Komplott, den Staat
zu vernichten, haben sie geschmiedet? Damals war in unse-
rem Staate die Bereitschaft zum Geschenkemachen verbreitet,
und es gab etwas Streit unter den politischen Richtungen.
Und doch hat in jener Zeit der Großvater des Lentulus* 7 , ein
erlauchter Mann, mit bewaffneter Hand den Gracchus ver-
folgt. Er trug damals sogar eine schwere Verwundung davon,
damit das Ganze der Verfassung nicht irgendwie Schaden
erleide; dieser Mann aber ruft die Gallier herbei, um die
Grundlagen des Staates zu zerstören, er wiegelt die Sklaven
auf, holt Catilina, weist dem Cethegus die Aufgabe zu, uns
niederzumetzeln, und dem Gabinius, die übrigen Mitbürger
zu ermorden, dem Cassius, die Stadt in Brand zu stecken, und
dem Catilina, ganz Italien zu verwüsten und auszuplündern.
492 IN L. CATILINAM IV

censeo ne in hoc scclere tam immani ac n e f a n d o aliquid


severius statuisse vidcamini: m u l t o magis est v e r e n d u m
ne remissione poenae crudeles in patriam q u a m ne
severitate animadversionis nimis vehementes in acer-
bissimos hostis fuisse videamur.

Sed ea q u a e exaudio, patres conscripti, dissimularc 14


non p o s s u m . Iaciuntur e n i m voces q u a e p e r v e n i u n t ad
auris meas e o r u m qui vereri videntur ut habeam satis
praesidi ad ea quae vos statueritis hodierno die trans-
igenda. O m n i a et provisa et parata et constituta sunt,
patres conscripti, c u m mea s u m m a cura atque diligentia
t u m m u l t o etiam maiore populi Romani ad s u m m u m
i m p e r i u m r e t i n e n d u m et ad c o m m u n i s f o r t u n a s conser-
vandas voluntate. O m n e s a d s u n t o m n i u m o r d i n u m
homines, o m n i u m g e n e r u m , o m n i u m d e n i q u e aetatum;
p l e n u m est f o r u m , plena templa circum f o r u m , pleni
o m n e s aditus huius templi ac loci. Causa est e n i m post
u r b e m conditam haec inventa sola in qua o m n e s senti-
rent u n u m atque idem praeter eos qui, c u m sibi vidc-
rent esse p e r e u n d u m , cum o m n i b u s potius q u a m soli
pcrire voluerunt. I Iosce ego homines excipio et secerno 15
libentcr, n e q u c in i m p r o b o r u m civium sed in acerbissi-
m o r u m hostium n u m e r o habendos puto.

Ceteri \ его, di immortales! qua frequentia, q u o stu-


dio, qua virtutc ad c o m m u n c m salutem d i g n i t a t e m q u e
consentiunt! Q u i d ego hie equites Romanos c o m m e m o -
rem? qui vobis ita s u m m a m ordinis consilique conce-
CAT1LINARISCHE REDEN IV 493

Ich möchte meinen, ihr solltet weniger den Anschein fürchten,


ihr hättet bei einem so ungeheuerlichen und frevelhaften
Verbrechen irgendwie zu streng geurteilt; wir müssen uns
viel mehr davor hüten, daß man glaubt, wir hätten uns mit
einer milden Strafe unbarmherzig gegen das Vaterland
verhalten, als davor, wir seien durch die Strenge der Ahn-
dung allzu scharf gegen die gefährlichsten Feinde vorgegan-
gen.
Doch was ich da vernehme, versammelte Väter, kann ich
nicht überhören. Mir kommen nämlich die Stimmen derer zu
Ohren, die zu befürchten scheinen, ich sei nicht ausreichend
mit Schutzmannschaften versehen, die Dinge, die ihr am
heutigen Tage beschließt, durchzuführen. Alles ist vorgese-
hen, angeordnet und festgesetzt, versammelte Väter, teils
durch äußerste Sorgfalt und Aufmerksamkeit von meiner
Seite, und noch weit mehr durch die Bereitschaft des römi-
schen Volkes, die Staatsgewalt aufrechtzuerhalten und die all-
gemeine Wohlfahrt zu schützen. Jedermann ist zur Stelle,
jeden Standes, jeder Art und auch jeden Alters; dicht besetzt
ist das Forum, dicht besetzt sind die Tempel rings um das
Forum, dicht besetzt alle Eingänge dieser heiligen S t ä t t e " .
Denn diese Sache hat sich seit Gründung der Stadt als die
einzige erwiesen, von der man allgemein eines und dasselbe
denkt - außer jenen, die, den sicheren Untergang vor Augen,
lieber alle darin einbeziehen als allein untergehen wollten.
Diese Leute nehme ich gern aus und sondere sie ab, und ich
meine, daß man sie nicht für schlechte Mitbürger, sondern
für äußerst gefährliche Feinde halten muß.
Doch die übrigen, bei den unsterblichen Göttern! In wel-
cher Zahl, mit welcher Bereitschaft, mit welcher Tatkraft
treten sie gemeinsam für das Wohl und die Ehre der Allge-
meinheit ein! Was soll ich hier die römischen Ritter eigens
erwähnen? Sie überlassen euch die Ordnungs- und Entschei-
494 IN L. С ATILINA Μ IV

d u n t ut vobiscum de amore rei publicae certent; quos ex


multorum annorum dissensione huius ordinis ad socie-
tatem concordiamque revocatos hodiernus dies vobis-
cum atque haec causa coniungit. Q u a m si coniunctio-
nem in consulatu confirmatam mco perpetuam in re
publica tenuerimus, confirmo vobis nulluni posthac
malum civile ас domesticum ad ullam rei publicae
partem esse v e n t u r u m . Pari studio defendendae rei
publicae convenisse video tribunos aerarios, fortissi-
mos viros; scribas item universos quos. cum casu hic
dies ad aerarium frequentasset, video ab exspectatione
sortis ad salutem c o m m u n e m esse conversos. O m n i s 16
ingenuorum adest multitudo, etiam tenuissimorum.
Quis est enim cui non haec templa, aspectus urbis,
possessio libertatis, lux denique haec ipsa et commune
patriae solum cum sit carum tum vero dulce atque
iueundum? Operae pretium est, patres conscripti, li-
bertinorum h o m i n u m studia cognoscere qui, sua vir-
tute fortunam huius civitatis consecuti, vere hanc suam
patriam esse iudicant q u a m quidam hic nati, et s u m m o
nati loco, non patriam suam sed urbem hostium esse
iudieaverunt. Sed quid ego hosce ordines atque homi-
nes commemoro quos privatae fortunae, quos commu-
nis res publica, quos denique libertas ea quae dulcis-
sima est ad salutem patriae defendendam excitavit?
Servus est nemo, qui modo tolerabili condicione sit
servitutis, qui non audaciam civium perhorrescat, qui
non haec stare cupiat, qui non q u a n t u m audet et quan-
tum potest conferat ad salutem voluntatis.
С AT I LINARISC Η F RF.DF.N IV 495

dungsgewalt, doch wetteifern sie mit euch an Vaterlandsliebe.


Sie sind nach langjähriger Zwietracht mit unserem Stande zu
gemeinsamem und übereinstimmendem Handeln zurückge-
kehrt ; der heutige T a g und dieses Ereignis hier verbindet sie
mit euch; wenn wir dieses Bündnis, das mein Konsulat ge-
festigt hat, in unserer Politik ständig aufrechterhalten, dann
versichere ich euch: in Zukunft wird kein die Bürger trennen-
des, inneres Übel mehr irgendeinen Teil unseres Staatswesens
antasten. Mit gleicher Bereitschaft, die Verfassung zu vertei-
digen, haben sich, wie ich sehe, die Ärartribunen eingefunden,
lauter tüchtige Männer, ebenso sämtliche Schreiber, die heute
zufällig in großer Zahl bei der Schatzkammer versammelt
waren und sich, wie ich sehe, von der Erwartung ihrer beson-
deren Aufgabe dem Gesamtwohl zugewandt haben* 9 . Die
ganze Zahl der freigeborenen Bürger, auch der geringsten,
ist zur Stelle. Denn wem wären nicht diese Heiligtümer, der
Anblick der Stadt, der Besitz der Freiheit, endlich das Tages-
licht selbst und der gemeinsame Boden des Vaterlandes teuer,
ja süß und wonnevoll? Es verlohnt die Mühe, versammelte
Väter, die Bereitschaft der Freigelassenen zur Kenntnis zu
nehmen; sie haben den Vorzug unseres Bürgerrechts durch
eigene Tüchtigkeit erlangt und glauben aufrichtig, dies sei
ihre Heimat, die einige von hier und aus bestem Hause Stam-
mende nicht für ihre Heimat, sondern für eine feindliche Stadt
angesehen haben. Doch wozu erwähne ich diese Leute und
Gruppen, die der eigene Besitzstand, die das gemeinsame
Staatswesen, die endlich die Freiheit, das teuerste Gut, auf-
gerufen hat, für die R e t t u n g des Vaterlandes einzutreten? Es
gibt keinen Sklaven, vorausgesetzt, daß ihm seine Unfreiheit
erträgliche Bedingungen gewährt, der nicht verabscheut,
wozu Bürger sich erdreisten, der nicht wünscht, daß all dies
hier Bestand hat, der nicht seinen guten Willen, so viel er
wagt und so viel er vermag, zum Gemeinwohl beisteuert.
496 IN L. С ATI I.1NAM IV

Q u a re si quem vestrum forte commovct hoc quod 17


auditum est, lenonem quondam Lentuli concursare
circum tabernas, pretio sperare sollicitari posse animos
egentium atque imperitorum, est id quidem coeptum
atque temptatum, sed nulli sunt inventi tam aut fortuna
miseri aut voluntate perditi qui non ilium ipsum sellae
atque operis et quaestus cotidiani locum, qui non cubile
ac lectulum suum, qui denique non cursum hunc
otiosum vitae suae salvum esse velint. Multo vero ma-
xima pars eorum qui in tabernis sunt, immo vero - id
enim potius est dicendum - genus hoc universum aman-
tissimum est oti. Etenim omne instrumentum, omnis
opera atque quaestus frequentia civium sustentatur,
alitur otio; quorum si quaestus occlusis tabernis minui
solet, quid tandem incensis futurum fuit?

Q u a e cum ita sint, patres conscripti, vobis populi 18


Romani praesidia non desunt: vos ne populo Romano
deesse videamini providete. Habetis consulem ex piuri-
mis periculis et insidiis atque ex media mortc non ad
vitam suam sed ad salutem vcstram reservatum. O m n e s
ordines ad conservandam rem publicam mente, volun-
tate, voce consentiunt. Obsessa facibus et telis impiae
coniurationis vobis supplex manus tendit patria com-
munis, vobis se, vobis vitam omnium civium, vobis
arcem et Capitolium, vobis aras Penatium, vobis ilium
ignem Yestae sempiternum, vobis omnium deorum
templa atque delubra, vobis muros atque urbis tecta
commendat. Praeterea de vestra vita, de coniugum ves-
C A T I L I N A R I S C H F . R F . D F N IV 497

Wenn also etwa jemanden von euch das Gerücht beein-


druckt, ein Kuppler im Dienste des Lentulus laufe bei den
Verkaufsläden umher und hoffe, Bedürftige und Unerfahrene
gegen Bezahlung aufwiegeln zu können: man hat das zwar
angezettelt und versucht; doch hat sich niemand in so erbärm-
licher Lage oder von so verworfener Gesinnung gefunden, der
nicht eben diesen Platz seines Schemels, seiner Betätigung und
seines täglichen Broterwerbs, der nicht seine Schlafstatt und
sein Bett, der nicht überhaupt den ruhigen Verlauf seines
Lebens bewahrt wissen möchte. Wirklich, der größte Teil
der Leute in den Verkaufsbuden, vielmehr (denn man muß
sich eher so ausdrücken) dieser ganze Schlag schätzt nichts
so sehr wie die Ruhe. Denn jeder Betrieb, jedes Handwerk
und Verdienst erhält Auftrieb, wenn die Bürger sich drängen,
und nährt sich von ruhigen Verhältnissen; da die Einkünfte
zurückzugehen pflegen, wenn die Geschäfte schließen, was
würde dann erst geschehen, wenn sie in Flammen aufgingen?
Da es so steht, versammelte Väter, fehlt es euch nicht an
Schutz von Seiten des römischen Volkes; seht ihr zu, daß man
nicht glaubt, ihr lasset es dem römischen Volke gegenüber
fehlen. Ihr habt einen Konsul, der aus zahlreichen Gefahren
und Nachstellungen und vom Angesicht des Todes nicht um
seines Lebens willen, sondern zu eurem Heil gerettet worden
ist. Alle Stände bekunden gemeinsam durch Gesinnung, Be-
reitschaft und Rufe ihren Willen, die Staatsordnung zu wah-
ren. Unser von den Fackeln und Geschossen einer ruchlosen
Verschwörung bedrängtes gemeinsames Vaterland streckt
euch bittflehend die Arme entgegen; euch vertraut es sich
selber an, euch das Leben aller Bürger, euch die Burg und das
Kapitol, euch die Altäre der Penaten, euch das ewige Feuer
der Vesta dort 90 , euch die Tempel und Heiligtümer aller
Götter, euch die Mauern und Dächer der Stadt. Außerdem
habt ihr am heutigen Tage über euer Leben, über das Schick-
49« IN L. СATILINA.M IV

trarum atque liberorum anima, de fortunis omnium,


d e s e d i b u s , d e focis vestris h o d i e r n o d i e vobis iudi-
c a n d u m est. H a b e t i s d u c e m m e m o r e m vestri, o b l i t u m iy
sui, q u a e n o n s e m p e r facultas d a t u r ; h a b e t i s o m n i s
ordines, omnis homines, universum populum Ro-
m a n u m , id q u o d in civili causa h o d i e r n o die p r i m u m
videmus, u n u m atque idem sentientem. Cogitate quan-
tis l a b o r i b u s f u n d a t u m i m p e r i u m , q u a n t a v i r t u t e stabi-
litam l i b e r t a t e m , q u a n t a d e o r u m b e n i g n i t a t e auctas
e x a g g e r a t a s q u e f o r t u n a s u n a nox p a e n e d e l e r i t . Id ne
u m q u a m p o s t h a c n o n m o d o n o n confici sed ne cogitari
q u i d e m possit a civibus h o d i e r n o d i e p r o v i d e n d u m est.
A t q u e haec, n o n ut vos q u i mihi s t u d i o p a e n e p r a e c u r r i -
tis e x c i t a r e m , l o c u t u s s u m , sed u t mea vox q u a e d e b e t
esse in re p u b l i c a p r i n c e p s o f f i c i o f u n c t a consulari
videretur.

N u n c a n t e q u a m ad s e n t e n t i a m r e d e o , d e m e pauca w
d i c a m . Ego, q u a n t a m a n u s est c o n i u r a t o r u m , q u a m
videtis esse p e r m a g n a m , t a n t a m m e i n i m i c o r u m multi-
t u d i n e m suscepisse video; sed earn t u r p e m iudico et
i n f i r m a m et a b i e c t a m . Q u o d si a l i q u a n d o alicuius f u -
rore et scelerc concitata m a n u s ista p l u s valuerit q u a m
vestra ac rei p u b l i c a e d i g n i t a s , m e t a m e n meorum
factorum atque consiliorum n u m q u a m , patres con-
scripti, p a e n i t e b i t . E t e n i m m o r s , q u a m illi fortasse mi-
n i t a n t u r , o m n i b u s est p a r a t a : vitae t a n t a m laudem
q u a n t a vos m e vestris d e c r e t i s h o n e s t a s t i s n e m o est
a d s e c u t u s ; ceteris e n i m s e m p e r b e n e gesta, mihi uni
c o n s e r v a t a re p u b l i c a g r a t u l a t i o n e m decrevistis.
CATILINARISCHF. REDEN IV 499

sal eurer Frauen und Kinder, über das H a b und G u t aller,


über euer Haus und euren Herd zu befinden. Ihr h a b t einen
Leiter, der an euch d e n k t und sich selbst vergißt, eine Lage,
die nicht immer gegeben ist; ihr habt auf eurer Seite alle
Stände, alle Bürger, das gesamte römische Volk, das eines und
dasselbe d e n k t - was wir bei einer innenpolitischen Angele-
genheit am heutigen T a g e zum ersten Male erleben. Bedenkt,
unter welchen M ü h e n das Reich gegründet, durch welche
A n s t r e n g u n g die Freiheit gefestigt, durch welchen Segen der
Götter unser Besitz vermehrt und vergrößert worden ist, und
all dies h ä t t e eine N a c h t " beinahe zerstört. Daß dies in Z u -
kunft niemals mehr von Bürgern nicht nur nicht vollbracht,
sondern nicht einmal geplant werden kann, dafür m u ß man am
heutigen T a g e sorgen. U n d dies habe ich nicht gesagt, um
euch, die ihr mir in eurem Eifer fast vorauseilt, anzutreiben,
sondern damit man sieht, daß ich mit meiner Stimme, die
sich in unserem Staate als die erste erheben m u ß , meiner kon-
sularischen Pflicht genüge.
Jetzt will ich, bevor ich auf den Beschlußantrag zurück-
komme, einiges über mich sagen. Ich stelle fest, daß ich, so
groß die M e n g e der Verschworenen ist (und ihr seht, sie ist
sehr groß), eine ebenso große Zahl von Feindschaften auf
mich genommen habe; aber sie ist, meine ich, ehrlos und
schwach und verachtet. Wenn einmal dieser Haufe, von ir-
gend jemandem in verbrecherischer Raserei aufgepeitscht,
mehr vermögen sollte als eure und des Staates hoheitliche
Gewalt, dann werde ich gleichwohl meine T a t e n und Ent-
schlüsse niemals bereuen, versammelte Väter. Denn der T o d ,
mit dem diese Leute vielleicht drohen, steht jedem bevor; im
Leben aber hat niemand so hohes Lob erlangt, wie ihr es mir
durch eure Ehrenbeschlüsse zuerkannt h a b t ; den anderen
nämlich habt ihr stets wegen guter Leitung, mir allein wegen
der Erhaltung des Staates eine Danksagung zugesprochen' 2 .
5<ю IN L. C A T I L I N A M IV

Sit S c i p i o clarus ille cuius consilio atque virtute 21


Hannibal in A f r i c a m redire atque Italia decedere coac-
tus est, ornetur alter eximia laude A f r i c a n u s qui duas
urbis huic imperio infestissimas k a r t h a g i n e m N u m a n -
tiamque delevit, habeatur vir egregius Paulus ille cuius
currum rex potentissimus quondam et nobilissimus
Perses honestavit, sit aeterna gloria Marius qui bis
Italiam obsidione et metu servitutis liberavit, antepona-
tur omnibus Pompeius cuius res gestae atque virtutes
isdem quibus solis cursus regionibus ac terminis con-
tinentur: erit profecto inter horum laudes aliquid loci
nostrae gloriae, nisi forte maius est patefacere nobis
provincias q u o exire possimus quam curare ut etiam ill·
qui absunt habeant q u o victores revertantur.

Q u a m q u a m est uno loco condicio melior externae 22


victoriae q u a m domesticae, quod hostes alienigenae aut
oppressi serviunt aut recepti beneficio se obligatos pu-
tant, qui autem ex numero civium dementia aliqua
depravati hostes patriae semel esse coeperunt, cos, cum
a pernicie rei publicae reppuleris, nec vi coercere nec
beneficio placare possis. Q u a re mihi cum perditis
civibus aeternum bellum susceptum esse video. Id ego
vestro b o n o r u m q u e o m n i u m auxilio memoriaque tan-
torum periculorum. quae non modo in hoc populo qui
servatus est sed in o m n i u m gentium sermonibus ac
mentibus semper haerebit, a me atque a meis facile
propulsari posse c o n f i d o . N e q u e ulla profecto tanta vis
C A T I L I N A R I S C H F . R F D F . N IV 5OI

M a g jener Scipio b e r ü h m t sein, dessen Plan und T a t k r a f t


Hannibal zwang, nach Afrika zurückzukehren und Italien zu
verlassen; man mag den anderen Africanus durch höchstes
Lob auszeichnen, der die Städte Karthago und Numantia,
zwei Todfeindinnen unseres Reiches, vernichtet h a t ; man
mag Paullus für einen ausgezeichneten Mann halten, dessen
T r i u m p h w a g e n Perseus, einst der mächtigste und erlauchteste
König, geziert hat; der R u h m des Marius m a g ewig währen,
der Italien zweimal von Besetzung und F u r c h t vor Sklaverei
befreit h a t ; man m a g allen Pompeius voranstellen, dessen
T a t e n und Fähigkeiten dieselben Länder und Grenzen er-
reicht haben wie der Sonne L a u f " : Wahrhaftig, der Lobpreis
dieser Männer wird auch für unseren R u h m etwas R a u m
übriglassen - es sei denn, es wäre wichtiger, uns Provinzen
zu erschließen, in die wir ziehen können, als Sorge zu tragen,
daß auch die in der Ferne Weilenden wissen, wohin sie als
Sieger zurückkehren können.
Indes, in einem P u n k t e ist es mit einem auswärtigen Siege
besser bestellt als mit einem einheimischen: fremdländische
Feinde werden unterjocht und versklavt, oder sie glauben
sich, in Gnaden angenommen, der guten Behandlung wegen
verpflichtet; doch wer sich einmal aus der Zahl der Bürger,
durch irgendeine Wahnsinnsvorstellung betört, zum Feind
des Vaterlandes aufgeworfen hat, den kann man, wenn man
ihn gehindert hat, den Staat z u g r u n d e zu richten, weder mit
Gewalt im Zaume halten noch durch g u t e Behandlung zur
Vernunft bringen. So sehe ich denn, daß ich einen Krieg ohne
Ende gegen verworfene Bürger auf mich genommen habe.
Aber ich bin fest überzeugt, daß ich und d i e Meinen sich
seiner leicht erwehren können, dank eurer und aller Recht-
schaffenen Hilfe und dank der Erinnerung an derart schwere
Gefahren, die sich auf immer nicht nur in diesem, dem geret-
teten Volke, sondern im Gespräch und Gedächtnis aller Na-
JO- IN L. C A T I L I N A M IV

reperictur quae coniunctionem vestram equitumque


R o m a n o r u m et t a n t a m c o n s p i r a t i o n e m b o n o r u m o m -
n i u m c o n f r i n g e r e et l a b e f a c t a r e possit.

Q u a e c u m ita s i n t , p r o i m p e r i o , pro e x e r c i t u . p r o 23
p r o v i n c i a q u a m n e g l e x i . p r o t r i u m p h o c e t e r i s q u e laudis
insignibus quae sunt a m e propter urbis vestraeque
salutis c u s t o d i a m r e p u d i a t a , p r o c l i e n t e l i s h o s p i t i i s q u e
p r o v i n c i a l i b u s q u a e tarnen u r b a n i s o p i b u s non m i n o r e
l a b o r e t u e o r q u a m c o m p a r e , p r o his igitur o m n i b u s
r e b u s , pro m e i s in vos s i n g u l a r i b u s studiis p r o q u e h a c
q u a m p e r s p i c i t i s ad c o n s e r v a n d a m r e m p u b l i c a m dili-
g e n t i a nihil a vobis nisi h u i u s t e m p o r i s t o t i u s q u e mei
c o n s u l a t u s m e m o r i a m p o s t u l o : q u a e d u m erit in vestris
fixa m e n t i b u s , t u t i s s i m o m e m u r o s a e p t u m esse a r b i t r a -
tor. Q u o d si m e a m s p e m vis i m p r o b o r u m fefellerit
a t q u e s u p e r a v e r i t , c o m m e n d o vobis p a r v u m m e u m fi-
l i u m , cui p r o f e c t o satis erit praesidi non solum ad
s a l u t e m v e r u m e t i a m ad d i g n i t a t e m , si eius qui haec
o m n i a suo solius p e r i c u l o c o n s e r v a r i t ilium filium esse
memineritis.

Q u a p r o p t e r d e s u m m a salute vestra p o p u l i q u e R o - 24
m a n i , d e vestris c o n i u g i b u s ac l i b e r i s , de aris ac f o c i s ,
de fanis a t q u e t e m p l i s , d e t o t i u s u r b i s tectis ac s e d i b u s ,
d e i m p e r i o ac ü b e r t ä t e , d e salute I t a l i a c . de universa re
p u b l i c a d e c e r n i t e d i l i g e n t e r , ut i n s t i t u i s t i s , ac fortiter.
H a b e t i s e u m c o n s u l e m qui et p a r e r e vestris d c c r e t i s non
d u b i t e t et ea q u a e s t a t u e r i t i s , q u o a d vivet, d e f e n d e r e et
per sc i p s u m p r a e s t a r e p o s s i t .
CATILINARISCHF- R F D F N IV

tionen erhalten wird. Und wahrhaftig, es wird sich keine


Macht von solchem Ausmaß finden, die imstande wäre, das
Bündnis zwischen euch und den römischen Rittern und eine
derart große Übereinstimmung unter allen Rechtschaffenen
zu zerbrechen und ins Wanken zu bringen.
Da es so steht: für die Befehlsgewalt, für das Heer, für die
Provinz, auf die ich verzichtet habe' 4 , für den Triumph und
die übrigen Ruhmesauszeichnungen, die ich verschmäht habe,
um über der Stadt und eurem Heil zu wachen, für die Bande
der Gefolgschaft und Gastfreundschaft in der Provinz, die ich
freilich durch meinen Einfluß in der Stadt mit großem Eifer
erhalte und anknüpfe, für alle diese Opfer also, für meine
einzigartige Bereitschaft euch gegenüber und für die von euch
bemerkte Umsicht, den Staat zu erhalten, verlange ich nichts
von euch als die Erinnerung an diese Zeit und an mein ganzes
Konsulat: solange die in eurem Gedächtnis haftet, werde ich
glauben, von der stärksten Mauer umgeben zu sein. Sollte
indes die Macht der Gewissenlosen wider meine Erwartung
die Oberhand gewinnen, so lege ich euch meinen kleinen Sohn
ans H e r z " : er wird sich wahrlich in guter Obhut nicht nur
für seine Sicherheit, sondern auch für sein Ansehen befinden,
wenn ihr daran denkt, daß er der Sohn dessen ist, der durch
sein persönliches Wagnis all dies hier gerettet hat.
Entscheidet daher mit Umsicht und Tatkraft, wie ihr be-
gonnen habt, über euer und des römischen Volkes gesamtes
Wohl, über eure Frauen und Kinder, über Herd und Altar,
über Tempel und Heiligtümer, über die Häuser und Zinnen
der ganzen Stadt, über Herrschaftsmacht und Freiheit, über
das Heil Italiens, über das gesamte Staatswesen. Ihr habt
einen Konsul, der nicht zögert, eure Beschlüsse zu befolgen,
und der bis zu seinem letzten Atemzuge für das, was ihr fest-
setzt, einzutreten und sich selbst zu verbürgen vermag.
P R O L. M U R E N A ORATIO

Q u a e precatus a dis immortalibus sum, iudices, more ι


institutoque maiorum illo die quo auspicato comitiis
centuriatis L. \lurenam consulem renuntiavi, ut ea res
mihi fidei magistratuique meo, populo plebique Roma-
nae bene atque feliciter eveniret, eadem precor ab
isdem dis immortalibus ob eiusdem hominis consula-
tum una cum salute obtinendum, et ut vestrae mentes
atque sententiae cum populi Romain voluntatibus suf-
fragiisque consentiant, eaque res vobis populoque Ro-
mano pacem, tranquillitatem, otium concordiamque
adferat. Quod si illa sollemnis comitiorum precatio
consularibus auspiciis consecrata tantam habet in se
vim et religionem quantam rei publicae dignitas postu-
lat, idem ego sum precatus ut eis quoque hominibus
quibus hie consulatus me rogante datus esset ea res
fauste feliciter prospereque eveniret. Quae cum ita sint, 2
iudices, et cum omnis deorum immortalium potestas
aut translata sit ad vos aut certe communicata vobis-
c u m , idem consulem vestrae fidei commendat qui antea
dis immortalibus commendavit, ut eiusdem hominis
voce et declaratus consul et defensus beneficium populi
Romani cum vestra atque omnium civium salute tue-
atur.

E t q u o n i a m in h o c o f f i c i o S t u d i u m m e a e d e f e n s i o n i s
ab accusatoribus atque etiam ipsa susceptio causae re-
prensa est, ante quam pro L. Murena dicere instituo,
pro me ipso pauca dicam, non quo mihi potior hoc
R E D E F Ü R L. M U R E N A

Ihr Richter! Ich habe an jenem Tage, da ich in geweihter


Versammlung der Zenturien die Wahl des L.Murena zum
Konsul verkündete 1 , nach Brauch und Satzung der Vorfahren
zu den unsterblichen Göttern gebetet, daß dieses Ereignis
mir und den Obliegenheiten meines Amtes, dem Gesamtvolk
und der Plebs von Rom zu Glück und Segen ausschlagen
möge. Dieselbe Bitte richte ich jetzt abermals an die unsterb-
lichen Götter, um das Konsulat und zugleich das Heil dessel-
ben Mannes zu bewahren und daß eure Meinung und Ent-
scheidung mit dem Willen und der Wahl des römischen Vol-
kes übereinstimmen möchte und diese Tatsache euch und
dem römischen Volke Frieden, Ruhe und ungestörte Ein-
tracht bringe. Wenn das feierliche und durch die Zeichen-
schau des Konsuls geheiligte Gebet der Komitien die Kraft
und Weihe enthält, wie die Hoheit unseres Staates sie er-
heischt: niemand anders als ich hat gebetet, daß dies auch den
Männern, denen unter meiner Leitung die Konsulwürde ver-
liehen worden ist, zu Glück, Heil und Segen ausschlagen
möge. Da es so steht, ihr Richter, und da die Macht der un-
sterblichen Götter entweder ganz oder jedenfalls zum Teil auf
cuch übergegangen ist, empfiehlt jetzt derselbe Fürsprecher
einen Konsul eurem Ermessen, der ihn zuvor den unsterb-
lichen Göttern empfohlen hat: er soll, von desselben Mannes
Stimme als Konsul ausgerufen und verteidigt, die Auszeich-
nung des römischen Volkes zu eurem und aller Bürger Heil
behalten dürfen.
Und da die Ankläger mir einen Vorwurf daraus machten,
daß ich in dieser Angelegenheit die Verteidigung mit Eifer
betrieben, und sogar, daß ich mich überhaupt der Sache an-
genommen habe, will ich einiges zu meinen Gunsten sagen,
ehe ich für L.Murena zu sprechen beginne. Es kommt mir
5<>6 P R O I-. MIRFNA

quidem tempore sit offici mei quam huiuscc salutis


defensio. sed ut meo facto vobis probato maiore auctori-
tate ab huius honore fama fortunisquc omnibus inimi-
corum impetus propulsarc possim.

Et primum M. Catoni vitam ad certam rationis nor- 3


mam derigenti et diligentissime perpendenti momenta
officiorum omnium de officio meo respondebo. Negat
fuisse rectum Cato me et consulem et legis ambitus
latorem et tam severe gesto consulatu causam L. Mure-
nae attingere. Cuius reprehensio me vehementer mo-
vet, non solum ut vobis, iudices, quibus maxime debeo,
verum etiam ut ipsi Catoni, gravissimo atque integer-
rimo viro, rationem facti mei probem.

A quo tandem, M. Cato, est aequius consulem de-


fendi quam a consult? Quis mihi in re publica potest aut
debet esse coniunctior quam is cui res publica a me iam
traditur sustinenda magnis meis laboribus et periculis
sustentata? Quod si in cis rebus repetendis quae man-
cipi sunt is periculum iudici praestare debet qui se nexu
obligavit, profecto etiam rectius in iudicio consulis
designati is potissimum consul qui consulem declaravit
auctor benefici populi Romani defensorque periculi
esse debebit. Ac si, ut non nullis in civitatibus fieri 4
solet, patronus huic causae publice constitueretur, is
FOR MURESA

hierbei in dieser Stunde nicht so sehr darauf an, meine Hilfs-


bereitschaft zu rechtfertigen, als flir das Heil dieses Mannes
einzutreten. Ich möchte euch nämlich meine Handlungs-
weise nur deshalb verständlich machen, um mit desto größe-
rem Nachdruck die Ehre, den Ruf und die gesamte Existenz
Murenas gegen die Angriffe der Gegner in Schutz nehmen zu
können.
Und zuerst will ich M. Cato wegen meiner Hilfsbereitschaft
Antwort stehen; er unterwirft ja das Leben einem festen Maß-
stab der Vernunft und wägt mit größter Sorgfalt das Gewicht
aller Verpflichtungen ab. Cato erklärt, ich hätte nicht recht
daran getan, mich mit der Sache des L. Murena zu befassen:
ich sei Konsul, ich hätte das Gesetz wegen Amtserschleichung
eingebracht und mein Konsulat nach strengen Grundsätzen
gehandhabt. Sein Vorwurf bestimmt mich ernstlich, nicht nur
euch, ihr Richter, denen ich's am meisten schulde, von der
Richtigkeit meines Tuns zu überzeugen, sondern gerade auch
Cato, einen überaus bedachtsamen und gänzlich unbestech-
lichen Mann.
Von wem wird denn ein Konsul mit größerem Recht ver-
teidigt, M.Cato, als von einem Konsul? Wer kann oder muß
mir im öffentlichen Leben näher stehen als der, dem ich be-
reits die Wahrnehmung der Staatsgeschäfte übergebe, nach-
dem ich selbst sie unter großen Mühen und Gefahren wahrge-
nommen habe? Bei einer Klage auf Herausgabe von Sachen,
die der Manzipation unterliegen, muß der die Prozeßgefahr auf
sich nehmen, der sich durch den Kaufvertrag hierzu verpflich-
tet hat 2 : wahrhaftig, dann sollte in einem Prozeß gegen einen
gewählten Konsul mit noch größerem Recht vor allem der
Konsul, der den Konsul ausgerufen hat, der Gewährsmann für
den Gunstbeweis des römischen Volkes und der Verteidiger
in der Prozeßgefahr sein. Und gesetzt, für diesen Sachverhalt
würde, wie es in einigen Gemeinden üblich ist, der Anwalt
,-o8 P R O L . ML'RF.NA

p o t i s s i m u m surnmo h o n o r e a d f e c t o d e f e n s o r d a r e t u r
qui e o d e m h o n o r e praeditus non m i n u s adferrct ad
d i c e n d u m auctoritatis q u a m facultatis. Q u o d si e portu
s o l v e n t i b u s ei qui iam in p o r t u m ex alto i n v e h u n t u r
praecipere s u m m o studio solent et t e m p c s t a t u m ratio-
n e m et p r a e d o n u m et l o c o r u m , q u o d n a t u r a adfert ut eis
faveamus qui eadem pericula q u i b u s nos p e r f u n c t i su-
m u s ingrediantur, q u o t a n d e m m e esse a n i m o o p o r t e t
prope iam ex magna iactatione t e r r a m v i d e n t e m in h u n c
cui video m a x i m a s rei p u b l i c a e t e m p e s t a t e s esse s u b -
eundas? Q u a re si est boni consulis non s o l u m videre
quid agatur v e r u m etiam providere q u i d f u t u r u m sit,
o s t e n d a m alio loco q u a n t u m salutis c o m m u n i s intersit
duos c o n s u l e s in re p u b l i c a K a l e n d i s Ianuariis esse.
Q u o d si ita est, non tam m e o f f i c i u m d e b u i t ad h o m i n i s
amici fortunas q u a m res p u b l i c a c o n s u l e m ad c o m m u -
n e m salutem d e f e n d e n d a m vocare. N a m q u o d legem d e
a m b i t u tuli, c e r t e ita tuli ut earn q u a m m i h i m e t ipsi iam
p r i d e m t u l e r i m de c i v i u m periculis d e f e n d e n d i s non
a b r o g a r e m . E t e n i m si largitionem f a c t a m esse c o n f i t e -
rer i d q u e recte f a c t u m esse d e f e n d e r e m , f a c e r e m im-
p r o b e , etiam si alius legem tulisset; c u m vcro nihil
c o m m i s s u m c o n t r a legem esse d e f e n d a m , q u i d est q u o d
m e a m d e f e n s i o n e m latio legis impediat?

N c g a t esse e i u s d e m severitatis C a t i l i n a m e x i t i u m rei 6


p u b l i c a e intra m o e n i a m o l i e n t e m verbis ct p a e n e i m p e -
FÜR M L R F N A

von Staats wegen bestellt: dann gäbe man jemandem, der für
das höchste Amt bestimmt ist, vor allem den zum Verteidiger,
der, mit demselben Amte betraut, ebensoviel Ansehen wie
Befähigung für sein Plädoyer mitbringt. Wenn jemand den
Hafen verläßt, dann pflegen ihn die Leute, die bereits von der
hohen See in den Hafen einfahren, mit größter Bereitwillig-
keit darüber zu unterrichten, wie es sich mit der Witterung,
mit den Piraten und der Route verhält; denn wir hegen von
Natur aus für diejenigen Sympathie, die denselben Gefahren,
wie wir sie überstanden haben, entgegengehen: was sollte
ich dann wohl dem gegenüber empfinden, der, wie ich sehe,
die schlimmsten Stürme der Politik auf sich nehmen muß,
während ich nach schwerem Schlingern fast schon das Land
erblicke? Ein guter Konsul sollte nicht nur bemerken, was
jeweils geschieht, sondern auch voraussehen, was bevorsteht;
ich will daher an anderer Stelle zeigen, wie viel für das Ge-
meinwohl davon abhängt, daß sich am I.Januar zwei Konsuln
der Staatsgeschäfte annehmen 3 . Wenn es sich so verhält, dann
müßte weniger die Pflicht mich persönlich auffordern, für die
Zukunft eines befreundeten Mannes einzutreten, als der Staat
den Konsul, sich für das allgemeine Wohl zu verwenden. Denn
allerdings habe ich das Gesetz über Amtserschleichung ein-
gebracht, jedoch gewißlich so, daß ich das schon längst bei
mir selbst eingebrachte Gesetz über die Verteidigung be-
drängter Bürger nicht aufhob. Wenn ich nämlich zugeben
müßte, man habe Wahlgeschenke verteilt 4 , und behauptete,
diese T a t sei Rechtens, dann würde ich gewissenlos handeln,
auch wenn ein anderer das Gesetz eingebracht hätte; da ich
indes erkläre, das Gesetz sei nicht verletzt worden, wie sollte
dann die Einbringung des Gesetzes meiner Verteidigung im
Wege stehen?

Cato behauptet, ich handelte nicht mit gleicher Strenge,


wenn ich Catilina, während er innerhalb der Mauern den
PRO L. MLRFNA

rio ex u r b e e x p u l i s s e et n u n c p r o L . M u r e n a d i c e r e . L g o
a u t e m has partis lenitatis et m i s e r i c o r d i a e quas me
n a t u r a ipsa d o c u i t s e m p e r egi l i b e n t e r , illam \ его gravi-
tatis s e v e r i t a t i s q u c p e r s o n a m non a p p e t i v i , sed a b re
p u b l i c a m i h i i m p o s i t a m s u s t i n u i , sicut huius imperi
dignitas in s u m m o p e r i c u l o c i v i u m p o s t u l a b a t . Q u o d si
t u m , c u m res p u b l i c a v i m et s e v e r i t a t e m d e s i d e r a b a t ,
vici n a t u r a m et tarn v e h e m e n s fui q u a m c o g e b a r , non
q u a m v o l e b a m , n u n c c u m o m n e s m e c a u s a e ad m i s e r i -
c o r d i a m a t q u e ad h u m a n i t a t e m v o c e n t , q u a n t o t a n d e m
s t u d i o d e b e o n a t u r a e m e a e c o n s u e t u d i n i q u e servire? A c
d e o f f i c i o d e f e n s i o n i s m e a e ac de r a t i o n e a c c u s a t i o n i s
tuae fortasse e t i a m alia in p a r t e o r a t i o n i s dicendum
nobis erit.

S e d m e , i u d i c e s , non m i n u s h o m i n i s sapientissimi
atque ornatissimi, Ser. Sulpici, conquestio quam Cato-
nis a c c u s a t i o c o m m o v e b a t qui g r a v i s s i m e et a c e r b i s s i m e
se ferre d i x i t m e f a m i l i a r i t a t i s n e c e s s i t u d i n i s q u c o b l i -
t u m c a u s a m L . M u r e n a e c o n t r a se d e f e n d e r e . I i u i c e g o ,
i u d i c e s , satis facere c u p i o v o s q u e a d h i b c r c arbitros.
N a m c u m grave est vere accusari in a m i c i t i a , tum,
e t i a m si falso a c c u s e r i s . non est n e g l c g e n d u m .

F.go, S e r . S u l p i c i , m e in p e t i t i o n e tua tibi o m n i a


studia a t q u e officia p r o n o s t r a n e c e s s i t u d i n c et d e b u i s s e
c o n f i t e o r et praestitisse a r b i t r o r . N i h i l tibi c o n s u l a t u m
p e t e n t i a m e d c f u i t q u o d esset aut ab a m i c o aut a
FÜRMLRENA 5"

Untergang des Staates anzettelte, durch Worte und fast durch


einen Machtspruch 5 aus der Stadt vertrieben hätte und jetzt
für L. Murena einträte. Ich aber habe den Part der Milde und
des Erbarmens, den mich die Natur selbst gelehrt hat, stets
gern ausgeübt; die Rolle des Ernstes und der Strenge jedoch
habe ich nicht begehrt, sondern auf mich genommen, da der
Staat sie mir übertrug, so wie es der Rang dieses Amtes in der
größten Bedrängnis der Mitbürger erheischte. Ich habe mich
damals, als die allgemeine Lage ein strenges Machtgebot ver-
langte, über meine Natur hinweggesetzt und so scharf durch-
gegriffen, wie ich genötigt wurde, nicht, wie ich wollte. Doch
jetzt, da mich alle Gründe zum Mitleid und zur Menschlich-
keit auffordern: mit welcher Bereitschaft muß ich mich da
wohl von meinem Wesen und meiner Gewohnheit leiten las-
sen? Und vielleicht muß ich noch an einer anderen Stelle der
Rede 6 über meine Pflicht zur Verteidigung und deine Gründe
zur Anklage sprechen.
Indes, ihr Richter, nicht minder als der Vorwurf Catos hat
mich die Beschwerde des Ser.Sulpicius, eines sehr klugen und
hochangesehenen Mannes, beeindruckt; er sagte, er sei ganz
aufgebracht und erbittert darüber, daß ich, ohne an unsere
engen Freundschaftsbande zu denken, gegen ihn die Sache
des L. Murena vertrete. Es ist mein Wunsch, ihr Richter, ihn
zufriedenzustellen, und ihr sollt die Schiedsleute sein. Denn
es ist gewiß bedrückend, in Freundschaftsdingen berechtigte
Vorwürfe zu erhalten; doch auch, wenn man fälschlich be-
zichtigt wird, darf man sich nicht darüber hinwegsetzen.
Ich gestehe, Ser. Sulpicius, daß ich dir während deiner Amts-
bewerbung, wie es unserer Freundschaft entsprach, jede Mü-
he und jeden Dienst geschuldet habe, und ich glaube auch,
daß ich allen Verpflichtungen nachgekommen bin. Während
deiner Bewerbung um das Konsulat fehlte es dir von meiner
Seite an nichts, was du von einem Freunde oder einem dir
PRO 1 MIRENA

g r a t i o s o aut a c o n s u l e p o s t u l a n d u m . A b i i t illud t e m p u s ;
m u t a t a r a t i o est. S i c e x i s t i m o , sic mihi p e r s u a d e o . m e
t i b i c o n t r a h o n o r e m .Vlurenae q u a n t u m tu a m e p o s t u -
lare ausus sis, t a n t u m d e b u i s s e , c o n t r a s a l u t e m nihil
d e b e r e . N e q u e e n i m . si tibi t u m c u m peteres c o n s u l a - Я
t u m s t u d u i , n u n c c u m M u r e n a m ipsum p e t a s , a d i u t o r
e o d e m p a c t o esse d e b e o . A t q u e h o c non m o d o non
laudari sed n e c o n c e d i q u i d e m p o t e s t ut a m i c i s n o s t r i s
a c c u s a n t i b u s non e t i a m a l i e n i s s i m o s d e f e n d a m u s . M i h i
a u t e m c u m M u r e n a , i u d i c e s , et m a g n a et vetus a m i c i t i a
e s t , q u a e in c a p i t i s d i m i c a t i o n e a S e r . S u l p i c i o n o n
i d c i r c o o b r u e t u r q u o d a b e o d e m in h o n o r i s c o n t e n t i o n e
superata est.

Q u a e si causa non e s s e t , tarnen vel dignitas h o m i n i s


vel h o n o r i s eius q u e m a d e p t u s est amplitude) s u m m a m
m i h i s u p e r b i a e c r u d e l i t a t i s q u e i n f a m i a m i n u s s i s s e t , si
h o m i n i s et suis et populi R o m a n i o r n a m e n t i s a m p l i s -
simi c a u s a m tanti periculi r e p u d i a s s e m . N e q u e e n i m
iam m i h i licet n e q u e est i n t e g r u m ut m e u m laborem
h o m i n u m p e r i c u l i s s u b l e v a n d i s non i m p e r t i a m . Nam
c u m p r a e m i a mihi tanta p r o hac industria sint data
q u a n t a antea n e m i n i , sie e x i s t i m o , labores q u o s in
p e t i t i o n e e x c e p e r i s , eos, c u m adeptus sis, d e p o n e r e ,
esse h o m i n i s et astuti et ingrati. Q u o d si licet d e s i n e r e , <;
si te a u e t o r e p o s s u m , si nulla inertiae i n f a m i a , nulla
s u p e r b i a e t u r p i t u d o , nulla i n h u m a n i t a t i s culpa s u s e i p i -
tur, e g o vero l i b e n t e r d e s i n o . S i n autem fuga l a b o r i s
FÜR M I R E N A 513

gewogenen Manne oder einem Konsul verlangen konntest.


Diese Zeit ist vorbei; die Verhältnisse haben sich geändert.
Dies ist meine Ansicht, dies meine Überzeugung: im Kampf
gegen die Auszeichnung Murenas war ich dir so viel schuldig,
wie du von mir zu fordern wagtest; im Kampf gegen sein Heil
schulde ich dir nichts. Denn wenn ich mich für dich bemüht
habe, da du das Konsulat verfolgtest, so muß ich dir nicht in
gleicher Weise behilflich sein, da du Murena selbst verfolgst 7 .
Und dies verdient nicht nur kein Lob, sondern ist sogar uner-
laubt, daß wir uns weigern, auch noch so Fremde zu vertei-
digen, wenn unsere Freunde Anklage erheben. Doch zwischen
mir und Murena besteht eine enge und langjährige Freund-
schaft, ihr Richter, und die kann Ser. Sulpicius im Kampf um
die Existenz nicht deshalb zunichte machen, weil sie im Streit
um eine Auszeichnung vor ihm zurücktreten mußte.
Wenn dieser Grund nicht bestünde, so hätte mich gleich-
wohl das Ansehen dieses Mannes oder die Würde des Amtes,
das er erlangt hat, mit dem ärgsten Schimpf der Anmaßung
und Roheit gebrandmarkt, falls ich einen derart bedrohlichen
Prozeß eines Mannes abgelehnt hätte, der es durch seine Ver-
dienste und die Auszeichnungen des römischen Volkes zu
hoher Ehre brachte. Es ist mir nämlich nicht mehr gestattet
noch unbenommen, daß ich meine Mühe nicht darauf ver-
wende, den Leuten in ihren Bedrängnissen beizustehen. Denn
diese Dienstwilligkeit hat mir so großen Lohn eingebracht
wie niemandem zuvor, und da meine ich, nur ein ebenso ver-
schlagener wie undankbarer Mensch werde sich den Mühen,
die er während seines Strebens nach Ämtern auf sich nahm,
entziehen, sobald er sein Ziel erreicht hat. Wenn es freisteht
aufzuhören, wenn du dich verbürgst, daß ich's kann, wenn ich
keinen Schimpf der Trägheit, keine Rüge der Anmaßung,
keinen Vorwurf der Unmenschlichkeit auf mich nehme, dann
will ich wahrhaftig gern aufhören. Wenn es jedoch Bequem-
PRO L. ML'RFNA

d e s i d i a m , repudiatio s u p p l i c u m s u p e r b i a m , a m i c o r u m
neglectio i m p r o b i t a t e m coarguit, nimirum haec causa
est eius m o d i q u a m nee industrius q u i s q u a m пес mise-
ricors пес o f f i c i o s u s deserere possit.

A t q u e h u i u s c e rei coniecturam d e tuo ipsius studio.


S e r v i , facillime ceperis. N a m si tibi necesse p u t a s etiam
a d v e r s a r i i s a m i c o r u m t u o r u m d e iure consulentibus
r e s p o n d e r e , et si t u r p e existimas te a d v o c a t o ilium
i p s u m q u e m contra veneris causa cadere, noli t a m esse
i n i u s t u s ut, c u m tui fontes vel inimicis tuis pateant,
n o s t r a s e t i a m amicis putes c l a u s e s esse oportere. Et- m
e n i m si m e tua familiaritas a b hac causa removisset, et si
hoc i d e m Q . H o r t e n s i e , M . C r a s s o , clarissimis viris, si
item ccteris a q u i b u s intellego t u a m gratiam magni
aestimari accidisset, in ea civitate consul d e s i g n a t u s
d e f e n s o r e m поп haberet in q u a nemini u m q u a m i n f i m o
m a i o r e s nostri p a t r o n u m d e e s s e voluerunt. E g o vcro,
iudices, ipse m e existimarem n e f a r i u m si amico, crude-
lem si m i s e r o , s u p e r b u m si consuli d e f u i s s e m . Q u a re
q u o d d a n d u m est amicitiac, large dabitur a me, ut
t e c u m a g a m , Servi, поп secus ac si m e u s esset frater,
qui mihi est c a r i s s i m u s , isto in loco; q u o d t r i b u e n d u m
est o f f i c i o , fidei, religioni, id ita m o d e r a b o r ut m e m i n e -
rim m e contra amici Studium pro amici periculo dicere.

Intellego, iudices, tris totius accusationis partis fu- 11


issc, et e a r u m unam in reprehensione vitae, alteram in
FÜR MURFNA

lichkeit verrät, Mühen zu meiden, Anmaßung, Bittsteller ab-


zuweisen, und Gewissenlosigkeit, sich um die Freunde nicht
zu kümmern, dann ist diese Sache wirklich von der Art, daß
kein dienstwilliger, hilfsbereiter oder pflichtgetreuer Mann
sich ihr entziehen kann.
Und dies kannst du sehr leicht aus deinem eigenen Berufe
schließen, Servius. Denn du hältst dich für verpflichtet, auch
den Widersachern deiner Freunde, die dich in einer Rechts-
frage aufsuchen, Bescheid zu geben, und du meinst, es sei so-
gar schimpflich, wenn die Gegenpartei, während du als Bei-
stand tätig bist, wegen eines Formfehlers den Prozeß ver-
liert 8 : sei dann nicht so ungerecht zu glauben, daß, während
deine Quellen selbst deinen Feinden zugänglich sind, die mei-
nigen auch den Freunden verschlossen sein müßten. Denn
wenn mich die Freundschaft mit dir von dieser Sache fernge-
halten, wenn sich dasselbe mit Q^Hortensius und M. Crassus,
zwei erlauchten Männern, wenn es sich ebenso mit den übri-
gen begeben hätte, die, wie ich weiß, deine Gunst hoch ein-
schätzen, dann fände ein fur das kommende Jahr gewählter
Konsul in dem Staate keinen Verteidiger, in dem nach dem
Willen unserer Vorfahren auch dem Geringsten niemals ein
Anwalt fehlen sollte. Ich jedenfalls, ihr Richter, hielte mich
selbst für niederträchtig, wenn ich dem Freunde, für hart-
herzig, wenn ich dem Bedrängten, für hochfahrend, wenn ich
dem Konsul nicht beistünde. Daher will ich, was der Freund-
schaft gebührt, ihr reichlich gewähren; ich werde mit dir nicht
anders verfahren, Servius, als wenn sich mein Bruder, der mir
das Teuerste ist, an jener Stelle dort 9 befände; was der Pflicht,
der Treue, der Rücksichtnahme zukommt, will ich so bemes-
sen, daß ich mir bewußt bin, gegen den Wunsch eines Freun-
des für einen bedrängten Freund zu sprechen.

Wie ich feststelle, ihr Richter, bestand die Anklage im gan-


zen aus drei Teilen, und hiervon galt der eine dem Tadel der
5 ι6 PRO L. MLRENA

c o n t e n t i o n e d i g n i t a t i s , t e r t i a m in c r i m i n i b u s a m b i t u s
esse v e r s a t a m . A t q u e h a r u m t r i u m p a r t i u m prima ilia
q u a e gravissima d e b e b a t esse ita fuit infirma et levis ut
illos lex magis q u a e d a m accusatoria q u a m vera m a l e
dicendi facultas de vita L . M u r e n a c dicere aliquid c o e -
gerit.

O b i e c t a est e n i m Asia; q u a e ab hoc non ad v o l u p t a -


tem et l u x u r i a m expetita est sed in militari labore
peragrata. Q u i si adulescens patre suo imperatore n o n
m e r u i s s e t , aut h o s t e m aut patris i m p e r i u m t i m u i s s e aut
a p a r e n t e repudiatus videretur. A n c u m sedere in e q u i s
triumphantium praetextati potissimum filii soleant,
huic d o n i s m i l i t a r i b u s patris t r i u m p h u m d e c o r a r e fu-
g i e n d u m fuit, ut rebus c o m m u n i t e r gestis paene s i m u l
c u m patre triumpharet? H i e vero, iudices, et fuit in Asia
et viro f o r t i s s i m o , parenti suo, m a g n o a d i u m e n t o in p e -
riculis, solacio in l a b o r i b u s , gratulationi in victoria f u i t .
E t si h a b e t Asia s u s p i c i o n e m luxuriae q u a n d a m , n o n 12
A s i a m n u m q u a m vidisse sed in Asia c o n t i n e n t e r vixis-
se l a u d a n d u m est. Q u a m o b rem non Asiae n o m c n
o b i c i e n d u m M u r e n a e fuit ex qua laus familiae, m e m o -
ria g e n e r i , h o n o s et gloria nomini constituta e s t , sed
aliquod aut in Asia s u s c e p t u m aut ex Asia d e p o r t a t u m
flagitium ac d e d e c u s . Meruisse vero stipendia in eo
b e l l o q u o d t u m populus R o m a n u s non m o d o m a x i m u m
sed etiam solum gerebat virtutis, patre i m p e r a t o r e li-
b e n t i s s i m e m e r u i s s e pietatis, f i n e m s t i p e n d i o r u m pa-
FÜR ML'RF.NA 5'7

Lebensführung, der zweite einem Vergleich der Würdigkeit


und der dritte den Vorwürfen der Amtserschleichung. Und
von diesen drei Teilen war der erste, welcher der gewichtigste
sein müßte, so kraftlos und geringfügig, daß die Gegner mehr
eine Art Anklägerbrauch als ein wirklicher Anlaß zu Bezich-
tigungen bestimmt hat, sich über das Vorleben des L. Murena
zu äußern.
Man warf ihm nämlich Asien vor; diese Provinz hat er indes
nicht zu Vergnügen und Üppigkeit aufgesucht, sondern in
mühevollem Kriegsdienst durchzogen. Hätte er nicht als jun-
ger Mann unter dem Oberbefehl seines Vaters gedient, so
würde man annehmen, er habe den Feind oder das väterliche
Kommando gefürchtet oder er sei vom Vater abgelehnt wor-
den. Die jugendlichen Söhne pflegen doch mit Vorliebe den
Triumphatoren zu Pferde voranzuziehen; hätte er es da mei-
den sollen, den Triumph des Vaters durch seine Kriegsaus-
zeichnungen zu zieren und nach gemeinsam vollbrachten Ta-
ten sozusagen zugleich mit seinem Vater zu triumphieren 10 ?
Indes, er war in Asien, ihr Richter, und er hat seinen Vater,
einen überaus tüchtigen Mann, in den Gefahren kräftig unter-
stützt, in den Bedrängnissen aufgerichtet und nach dem Siege
beglückwünscht. Und wenn Asien einen gewissen Verdacht
der Üppigkeit erregt: nicht Asien niemals gesehen, sondern
in Asien enthaltsam gelebt zu haben, ist lobenswert. Daher
hätte man Murena nicht das bloße Wort Asien vorwerfen
sollen, woraus seiner Familie Lob, seinem Geschlecht ein blei-
bendes Andenken, seinem Namen Ehre und Ruhm erwachsen
ist, sondern irgendeinen Schimpf und Makel, den er in Asien
auf sich geladen oder aus Asien mitgebracht habe. Doch daß
er in jenem Kriege diente, nicht nur dem schwersten, sondern
auch dem einzigen, den das römische Volk damals führte, be-
kundet Tapferkeit, daß cr's mit größtem Eifer unter dem
Kommando des Vaters tat, die Liebe des Sohnes, daß der
5.8 PRO I.. MIRFNA

tris victoriam ac triumphum fuisse felicitatis fuit. Male-


dicto quidem idcirco nihil in hisce rebus loci est quod
omnia laus occupavit.
Saltatorem appcllat L. Murenam Cato. Maledictum
est, si vere obicitur, vehcmcntis accusatoris, sin falso,
maledici conviciatoris. Qua re cum ista sis auctoritate.
non debes, M. Cato, adripere maledictum ex trivio aut
ex scurrarum aliquo convicio neque temere consulem
populi Roman, saltatorem vocare, sed circumspicere
quibus praeterea vitiis adfectum esse necesse sit sit eum
cui vere istud obici possit. Nemo enim fere saltat
sobrius, nisi forte insanit, neque in solitudine neque in
convivio moderato atque honesto. Tempest.vi convivi,
amoeni loci, multarum deliciarum comes est extrema
saltatio. T u mihi adripis hoc quod necesse est omnium
vitiorum esse postremum, relinquis ilia quibus remotis
hoc vitium omnino esse non potest? Nullum turpe convi-
vium, non amor, non comissatio, non libido, non sump-
tus ostenditur, et, cum ea non reperiantur quae volup-
tatis nomen habent quamquam vitiosa sunt, in quo
ipsam luxuriam reperirc non potes, in eo te umbram
luxuriae reperturum putas?

Nihil igitur in vitam L. Murenae dici potest, nihil. 14


inquam, omnino, iudices. Sic a me consul designatus
defenditur ut eius nulla fraus, nulla avaritia, nulla
perfidia, nulla crudelitas, nullum petulans dictum in
vita proferatur. Bene habet; iacta sunt fundamenta
defensionis. Nondum enim nostris laudibus, quibus
F Ü R ML R F N A 5'9

Dienst mit Jem Sieg und Triumph des Vaters endete, die
Gunst des Schicksals. Jedenfalls ist hierbei für eine Verleum-
dung deshalb kein Platz, weil alles durch Ix>b besetzt ist.
Cato nennt L. Murena einen Tänzer. Das ist die Rüge eines
scharfen Anklägers, wenn sie zu Recht vorgebracht wird, und
die eines schmähsüchtigen Zänkers, wenn zu Unrecht. Daher
ist es dir, der du solches Ansehen genießest, M.Cato, nicht
erlaubt, dir ein .Schimpfwort von der Gasse oder aus einem
Streit von Possenreißern anzueignen und aufs Geratewohl den
Konsul des römischen Volkes als einen Tänzer zu bezeichnen;
du solltest vielmehr beachten, welchen Lastern der sonst noch
ergeben sein muß, dem man so etwas mit Recht vorwerfen
könnte. Fast niemand tanzt nämlich in nüchternem Zustande,
es sei denn, er ist verrückt, noch in der Einsamkeit oder bei
einer maßvollen und ehrbaren Gasterei. Der Tanz ist die
äußerste Begleiterscheinung eines Mahles, das schon früh-
zeitig beginnt", einer reizvollen Gegend und vieler Sinnen-
freuden. Du bringst mir das an, was mit Notwendigkeit unter
allen Lastern das letzte ist, und läßt die Dinge beiseite, ohne
die dieses Laster gar nicht auftreten kann? Kein schimpfliches
Gelage, kein Liebesverhältnis, keine Zecherei, keine Wollust,
keinerlei Verschwendung wird nachgewiesen, und da sich
nicht finden läßt, was, wiewohl lasterhaft, Genuß genannt
wird, glaubst du, bei einem Manne den Schatten der Üppig-
keit entdecken zu können, bei dem du die Üppigkeit selbst
nicht zu entdecken vermagst?
Nichts läßt sich also gegen das Vorleben des L. Murena vor-
bringen, rein gar nichts, sage ich, ihr Richter. Meine Vertei-
digung eines gewählten Konsuls kann davon ausgehen, daß
man keinerlei Trug, keine Habgier, keinen Treuebruch, keine
Hartherzigkeit, kein anmaßendes Wort in seinem Leben auf-
zustöbern weiß. Gut so; die Grundlage der Verteidigung ist
fertig. Denn wir verteidigen einen Mann, dessen Anstand und
5 20 PRO 1.. ML'RF.NA

utar postea, sed prope inimicorum confessionc virum


bonum atque integrum hominem defcndimus. Quo
constituto facilior est mihi aditus ad contentionem di-
gnitatis, quae pars altera fuit accusationis.

Summam video esse in te, Ser. Sulpici, dignitatem 15


generis, integritatis, industriae ceterorumque orna-
mentorum omnium quibus fretum ad consulatus peti-
tionem adgredi par est. Paria cognosco esse ista in
L. Murena, atque ita paria ut neque ipse dignitatc vinci
a te potuerit neque te dignitate superarit. Contempsisti
L . Murenae genus, extulisti tuum. Quo loco si tibi hoc
sumis, nisi qui patricius sit, neminem bono esse genere
natum, facis ut rursus plebes in Aventinum sevocanda
esse videatur. Sin autem sunt amplae et honestae fami-
liae plebeiae, et proavus L. Murenae et avus praetor
fuit, et pater, cum amplissime atque honestissime ex
praetura triumphasset, hoc faciliorem huic gradum
consulatus adipiscendi reliquit quod is iam patri debi-
tus a filio petebatur.

Tua vero nobilitas, Ser. Sulpici, tametsi summa est. 16


tarnen hominibus litteratis et historicis est notior, po-
pulo vero et suffragatoribus obscurior. Pater enim fuit
equestri loco, avus nulla inlustri laude celebratus. Ita-
que non ex sermone hominum recenti sed ex annalium
vetustate eruenda memoria est nobilitatis tuae. Qua re
ego te semper in nostrum numerum adgregare soleo,
quod virtute industriaque perfecisti ut, cum equitis
FCR MURENA

Rechtschaffenheit nicht unser Lob (hiervon will ich erst spä-


ter Gebrauch machen), sondern fast schon das Geständnis
seiner Feinde bewiesen hat. Da dies feststeht, habe ich desto
bequemer Zugang zum Vergleich der Würdigkeit; dies war
ja der zweite Teil der Anklage.
Ich sehe, Ser. Sulpicius, daß Abkunft, Charakter, Tä-
tigkeitsdrang und alle übrigen Vorzüge, deren Besitz zur Be-
werbung um das Konsulat berechtigt, dir größte Würdigkeit
verleihen. Doch wie ich feststelle, kommen diese Vorzüge
L. Murena in gleichem Maße zu, und so sehr in gleichem Maße,
daß weder du ihn an Würdigkeit übertreffen kannst noch er
dir an Würdigkeit etwas voraus hat. Du hast das Geschlecht
des L. Murena geringschätzig behandelt und das deinige her-
ausgestrichen. Wenn du hierbei beanspruchst, daß nur ein Pa-
trizier aus guter Familie stamme, so nimmst du an, man müsse
die Plebs wieder zum Auszug auf den Aventin veranlassen
Doch wenn es hervorragende und angesehene plebejische
Familien gibt: sowohl der Urgroßvater als auch der Groß-
vater des L. Murena waren Prätoren; sein Vater aber errang
durch die Prätur auf die glänzendste und ehrenvollste Weise
einen Triumph; er hinterließ ihm also einen Rang, der ihm den
Erwerb des Konsulats desto mehr erleichterte, als er, der Sohn,
nur forderte, was man schon seinem Vater geschuldet hatte.
Dein Adel jedoch, Ser.Sulpicius, ist zwar sehr erlaucht;
doch kennen ihn nur belesene und in der Geschichte bewan-
derte Leute einigermaßen, dem Volke hingegen und den Wäh-
lern ist er ziemlich dunkel. Dein Vater hatte nämlich den Rang
eines Rätters; kein hervorragendes Lob verschaffte deinem
Großvater Hochschätzung. Man kann daher die Erinnerung
an deinen Adelsstand nicht dem frischen Gespräch der Leute,
sondern nur alten Chroniken entnehmen. Deshalb pflege ich
dich immer unserer Klasse" zuzurechnen: deine unermüd-
liche Tüchtigkeit hat erreicht, daß man dich des höchsten
PRO L. MLRFNA

Romani esses filius, summa tarnen amplitudinc dignus


putarere. N e c mihi u m q u a m minus in Q . Pompeio.
novo homine et fortissimo viro, virtutis esse visum est
q u a m in homine nobilissimo, M . A e m i l i o . K t e n i m e i u s -
dem animi atque ingeni est posteris suis, quod Pom-
peius fecit, amplitudinem nominis quam non accepcrit
tradere et, ut S c a u r u s , m e m o r i a m prope intermortuam
generis sua virtute renovare.

Q u a m q u a m ego iam p u t a b a m , iudices, multis viris 17


fortibus ne ignobilitas generis obiceretur meo labore
esse p e r f e c t u m , qui non m o d o C u r i i s . C a t o n i b u s , Pom-
peiis, antiquis illis fortissimis viris, novis hominibus,
sed his recentibus, Mariis et Didiis et Caeliis, comme-
morandis id agebam. C u m vero ego tanto intcrvallo
claustra ista nobilitatis refregissem, ut aditus ad consu-
latum posthac, sicut apud maiores nostras fuit, non
magis nobilitati q u a m virtuti pateret, non arbitrabar,
cum ex familia vetere et inlustri consul designatus ab
equitis Romani filio consule defenderetur, de generis
novitate accusatores esse dicturos. Ktenim mihi ipsi
accidit ut c u m d u o b u s patriciis, altero improbissimo
atque audacissimo, altero modestissimo atque optimo
viro, peterem; superavi tamen dignitate C a t i l i n a m , gra-
tia G a l b a m . Q u o d si id crimen homini novo esse debe-
ret. profecto mihi neque inimici neque invidi d e f u i s -
sent. O m i t t a m u s igitur de genere dicere cuius est ma- iH
gna in utroque dignitas; videamus cetera.
КCRMLRFNA

Ansehens für würdig erachtete, obwohl du der Sohn eines rö-


mischen Ritters bist. Und ich habe niemals geglaubt, daß
(^Pompeius, ein Neuling und zugleich ein überaus tüchtiger
Mann, weniger fähig war als M. Aemilius, ein Sproß aus höch-
stem Adel M . Denn es erfordert dieselbe Tatkraft und Bega-
bung, seinen Nachkommen, wie Pompeius tat, einen Glanz
des Namens zu hinterlassen, den man nicht ererbt hat, oder,
wie Scaurus, das fast erstorbene Andenken an das Geschlecht
durch eigene Leistung zu erneuern.
Indes, ich glaubte schon, ihr Richter, ich hätte durch meine
Anstrengung erreicht, man werde einer großen Zahl von
tüchtigen Männern keinerlei Vorwurf mehr aus ihrer unbe-
kannten Herkunft machen; ich habe ja hierfür den Boden be-
reitet, indem ich nicht nur Männer wie Curius, Cato, Pom-
peius, überaus tüchtige Neulinge der früheren Zeit, in die Er-
innerung zurückrief, sondern auch die der jüngsten Vergan-
genheit, einen Marius und Didius und Caelius 15 . Ich hatte
aber die Schranken des Adelstitels nach so langer Pause durch-
brochen, daß der Zugang zum Konsulat nunmehr wie bei un-
seren Vorfahren ebenso der Tüchtigkeit wie dem Adel frei-
gegeben war; da glaubte ich nicht, daß die Ankläger über das
Fehlen eines Stammbaumes reden würden, wenn der gewählte
Konsul, Sproß einer alten und berühmten Familie, den Kon-
sul und Sohn eines römischen Ritters zum Verteidiger habe.
Denn auch bei mir traf es sich, daß ich mich zugleich mit zwei
Patriziern bewarb; der eine war von äußerster Skrupellosig-
keit und Verwegenheit, der andere ein sehr bescheidener und
vortrefflicher Mann; gleichwohl übertraf ich Catilina an Wür-
digkeit, Galba 16 an Einfluß. Wenn man dem Neuling daraus
einen Vorwurf machen müßte, so hätte es mir wahrhaftig we-
der an Feinden noch an Neidern gefehlt. Wir wollen also auf-
hören, über die Abkunft zu reden; sie ist bei beiden überaus an-
gesehen ; betrachten wir das übrige.
524 PRO L. MLRFNA

" Q u a e s t u r a m una petiit et sum ego factus prior."


N o n est respondendum ad omnia. N e q u e enim vestrum
q u e m q u a m fugit, cum multi pares dignitate fiant. unus
autem p r i m u m solus possit obtinere. non eundem esse
ordinem dignitatis et renuntiationis, propterea quod
renuntiatio gradus habeat, dignitas autem sit persaepe
eadem omnium. Sed quaestura utriusque prope
m o d u m pari momento sortis fuit. H a b u i t hie lege Titia
provinciam tacitam et quietam, tu illam cui, cum quaes-
tores sortiuntur, etiam adclamari solet, Ostiensem,
non tarn gratiosam et inlustrem q u a m negotiosam et
molestam. Consedit utriusque nomen in quaestura.
N u l l u m enim vobis sors c a m p u m dedit in q u o excurrere
virtus cognoscique posset.

Reliqui temporis spatium in contentionem vocatur. 19


A b utroque dissimillima ratione tractatum est. Servius
hie nobiscum hanc urbanam militiam respondendi,
scribendi, cavendi plenani sollicitudinis ac stomachi
secutus est; ius civile didicit, multum vigilavit, labora-
vit, praesto multis fuit, multorum stultitiam perpessus
est, adrogantiam pertulit, d i f f i c u l t a t e m exsorbuit; vixir
ad aliorum arbitrium, non ad suum. \ i a g n a laus et grata
hominibus u n u m hominem elaborare in ea scientia quae
sit multis profutura.

Q u i d iVturena interea? Fortissimo et sapientissimo


viro, s u m m o imperatori legatus, L . L u c u l l o , fuit; qua
in legatione duxit exercitum, signa contulit, manum
conseruit, magnas copias hostium f u d i t , urbis partim
vi, partim obsidione cepit, A s i a m istam refertam et
Fl'R MURENA 525

«Er bewarb sich zugleich um die Quästur, und ich wurde


vor ihm gewählt' 7 .» Man muß nicht auf alles antworten.
Denn niemandem von euch entgeht: da viele gleich würdig
sind, aber nur einer die erste Stelle erhalten kann, halten sich
Würdigkeit und Bekanntgabe der Wahl nicht an dieselbe
Rangfolge, weil die Bekanntgabe Stufen hat, die Würdigkeit
aber sehr oft bei allen gleich groß ist. Doch beider Quästur
hatte durch das Los nahezu dasselbe Gewicht. Das Titische
Gesetz wies dem Murena eine stille und ruhige Provinz zu,
dir aber jene, bei der man, wenn die Quästoren losen, sogar
in Spottrufe auszubrechen pflegt: Ostia, eine weniger einfluß-
reiche und angesehene als mühevolle und beschwerliche Auf-
gabe 18 . Euer beider Name wurde während der Quästur nicht
weiter genannt. Denn das Los gab eurer Tüchtigkeit kein
Betätigungsfeld, auszugreifen und sich zu zeigen.
Man macht den übrigen Zeitraum zum Gegenstand des
Vergleichs. Die beiden haben ihn auf die verschiedenste Weise
verwendet. Servius unterzog sich mit uns dem Dienste hier
in der Stadt: er gab Auskünfte, schrieb, setzte Urkunden auf,
ein Geschäft, das viel Unruhe und Ärger mit sich bringt. Er
erlernte das bürgerliche Recht, er wachte und arbeitete viel,
er war vielen zur Hand; bei vielen bereitete ihm Dummheit
Pein, mußte er Anmaßung ertragen, nahm er Widerspenstig-
keit hin; er richtete sein Leben nach dem Gutdünken anderer
ein, nicht nach seinem eigenen. Es ist ein großes und den Men-
schen willkommenes Verdienst, daß einer sich in der Wissen-
schaft abmüht, die vielen Nutzen bringt.
Was tat Murena inzwischen? Er war Legat bei einem äus-
serst tüchtigen und gescheiten Manne, bei dem hervorragen-
den Feldherrn L. Lucullus " . Er führte in dieser Stellung ein
Heer, blies zum Angriff, lieferte Gefechte, trieb starke feind-
liche Truppen auseinander; er nahm die Städte teils im Hand-
streich, teils durch Belagerung; er durchzog dieses wohlha-
5 26 PRO L. ML'RFNA

e a n d e m d c l i c a t a m sic o b i i t u t in ea n e q u e avaritiae
n e q u e l u x u r i a e v e s t i g i u m r e l i q u e r i t , m a x i m o in b e l l o
sic est v e r s a t u s u t h i e m u l t a s res et m a g n a s s i n e i m p e r a -
tore gesserit, nullam sine hoc imperator. A t q u e haec
q u a m q u a m p r a e s e n t e L . L u c u l l o l o q u o r , tarnen ne a b
ipso propter periculum nostrum concessam videamur
h a b e r e l i c e n t i a m f i n g e n d i , p u b l i c i s litteris t e s t a t a s u n t
omnia, quibus L. Lucullus tantum laudis impertiit
quantum neque ambitiosus imperator neque invidus
t r i b u e r e alteri in c o m m u n i c a n d a g l o r i a d e b u i t .

Summa in u t r o q u e est h o n e s t a s , s u m m a d i g n i t a s ; 21
q u a m e g o , si m i h i p e r S e r v i u m l i c e a t , pari a t q u e e a d e m
in l a u d e p o n a m . S e d n o n l i c e t ; a g i t a t r e m m i l i t a r e m ,
i n s e c t a t u r t o t a m h a n c l e g a t i o n e m , a d s i d u i t a t i s et o p e -
rarum harum contidianarum putat esse consulatum.
" A p u d exercitum mihi fueris", inquit; "tot annos forum
n o n a t t i g e r i s ; a f u e r i s tarn d i u e t , c u m l o n g o i n t e r v a l l o
v e n e r i s , c u m h i s q u i in f o r o h a b i t a r i n t d e dignitate
c o n t e n d a s ? " P r i m u m ista n o s t r a a d s i d u i t a s , S e r v i , n e -
scis q u a n t u m i n t e r d u m a d f e r a t h o m i n i b u s f a s t i d i , q u a n -
t u m satietatis. M i h i q u i d e m v e h e m e n t e r expediit posi-
t a m in o c u l i s e s s e g r a t i a m ; s e d tarnen e g o m e i s a t i e t a t e m
m a g n o m e o l a b o r c s u p e r a v i et t u i t e m f o r t a s s e ; v e r u m
tarnen u t r i q u e n o s t r u m d e s i d e r i u m nihil o b f u i s s e t .

S e d u t h o c o m i s s o ad s t u d i o r u m a t q u e a r t i u m c o n t e n -
t i o n e m r e v e r t a m u r , q u i p o t e s t d u b i t a r i q u i n ad c o n s u -
l a t u m a d i p i s c e n d u m m u l t o p l u s a d f e r a t d i g n i t a t i s rei
FÜR MURENA 527

bende und zugleich weichliche Asien, ohne dort irgendeine


Spur von Habsucht und Üppigkeit zu hinterlassen; er führte
sich in diesem gewaltigen Kriege so, daß er viele bedeutende
Dinge ohne den Feldherrn vollbrachte, der Feldherr keines
ohne ihn. Und dies sage ich zwar in Anwesenheit des L.
Lucullus; es könnte jedoch so scheinen, als hätte er uns we-
gen unserer Bedrängnis die Erlaubnis gegeben, uns etwas
auszudenken. Indes, es ist alles durch amtliche Schreiben
bezeugt; dort hat L.Lucullus ihm so hohes Lob zuerkannt,
wie es ein Feldherr, der frei war von Ehrgeiz und Mißgunst,
einem anderen bei der Teilung des Ruhmes bewilligen
mußte.
Beide genießen größte Ehren, größtes Ansehen; den Wert
würde ich, wenn Servius es erlaubte, als völlig gleich veran-
schlagen. Aber er erlaubt es nicht; er bekrittelt den Heeres-
dienst, er greift die ganze Legatentätigkeit an; er glaubt, das
Konsulat sei die Frucht der Beharrlichkeit und der erwähnten
täglichen Bemühungen. «Du warst bei der Trupp«», sagt er,
«so viele Jahre hast du das Forum nicht betreten; so lange
warst du abwesend, und jetzt, da du nach einer beträchtlichen
Zwischenzeit zurückgekehrt bist, willst du es mit denen an
Würdigkeit aufnehmen, die auf dem Forum ihre Wohnstatt
hatten?» Erstens zu dieser von uns geübten Beharrlichkeit,
Servius: du bedenkst nicht, wie viel Abneigung, wie viel
Überdruß sie bisweilen bei den Leuten hervorruft. Es hat mir
zwar großen Nutzen gebracht, daß mein Einfluß vor aller
Augen lag; gleichwohl habe ich nur unter großen blühen ver-
hindert, daß man meiner überdrüssig wurde, und du viel-
leicht ebenfalls ; es hätte indes keinem von uns geschadet, wenn
man Gelegenheit gehabt hätte, uns zu vermissen.
Doch ich will dies auf sich beruhen lassen; ich kehre zum
Vergleich der Leistungen und Berufe zurück. Wie kann man
bezweifeln, daß Kriegsruhm zum Erwerb des Konsulats viel
528 PRO L. MLRFNA

militaris q u a m iuris civilis gloria? Y i g i l a s tu d e n o c t e ut


tuis c o n s u l t o r i b u s r e s p o n d e a s , ille ut e o q u o intendit
m a t u r e c u m e x e r c i t u p e r v e n i a t ; t e g a l l o r u m , ilium b u c i -
narum cantus cxsuscitat; tu a c t i o n e m instituis, ille
a c i e m i n s t r u i t ; tu caves n e tui c o n s u l t o r e s , ille n e u r b e s
aut c a s t r a c a p i a n t u r ; ille t e n e t et seit ut h o s t i u m c o p i a e ,
tu ut a q u a e pluviae a r c e a n t u r ; ille e x e r c i t a t u s est in
propagandis finibus, t u q u e in r e g e n d i s . A c n i m i r u m -
d i c e n d u m est e n i m q u o d s e n t i o - rei militaris virtus
praestat ceteris o m n i b u s . Haec nomen populo Ro-
m a n o , haec h u i c urbi a e t e r n a m g l o r i a m p e p e r i t , h a e c
orbem terrarum parere huic imperio coegit; omnes
u r b a n e s r e s , o m n i a h a e c n o s t r a p r a e c l a r a studia et h a e c
f o r e n s i s laus et industria latet in tutela ac p r a e s i d i o
bellicae virtutis. S i m u l a t q u e i n c r e p u i t s u s p i c i o tu-
m u l t u s , artes ilico n o s t r a e c o n t i c i s c u n t .

E t q u o n i a m mihi videris istam s c i e n t i a m iuris t a m - 23


q u a m filiolam osculari t u a m , n o n patiar te in t a n t o
e r r o r e versari ut istud n e s c i o q u i d q u o d t a n t o o p e r e
didicisti p r a e c l a r u m aliquid esse a r b i t r e r e . Aliis e g o te
v i r t u t i b u s , c o n t i n e n t i a e , g r a v i t a t i s , iustitiae, fidei, c e -
teris o m n i b u s , c o n s u l a t u et o m n i h o n o r e s e m p e r d i g n i s -
s i m u m iudicavi; q u o d q u i d e m ius civile d i d i c i s t i , non
d i c a m o p e r a m p e r d i d i s t i , sed illud d i c a m , n u l i a m esse
in ista d i s c i p l i n a m u n i t a m ad c o n s u l a t u m v i a m . O m n e s
e n i m a r t e s , q u a e n o b i s populi R o m a n i studia c o n c i l i e n t ,
et a d m i r a b i l e m d i g n i t a t e m et p e r g r a t a m u t i l i t a t e m de-
bent habere.
FÜR ΜL"RENA 529

mehr Gewicht verleiht als Ansehen im bürgerlichen Recht!


Du wachst vor Tagesanbruch, um deinen Klienten Bescheid
zu geben, er, um mit seinem Heer beizeiten das Marschziel
zu erreichen; dich weckt der Hahnenschrei, ihn der Klang der
Trompeten; du bereitest den Prozeß vor, er stellt die Schlacht-
reihe auf; du suchst zu verhindern, daß deine Klienten, er,
daß Städte und Lager überrumpelt werden; er weiß und kennt
sich aus, wie man feindliche T r u p p e n , du, wie man Regen wasser
a b w e h r t " ; er versteht sich darauf, die Grenzen auszuweiten,
du, sie zu z i e h e n " . Und begreiflicherweise - ich muß ja sagen,
was ich denke - geht die kriegerische Tüchtigkeit allem an-
deren vor. Sie hat dem römischen Volk seinen Namen, sie der
Stadt ewigen R u h m verschafft; sie zwang den Erdkreis, sich
unserem Befehl zu beugen; alle städtischen Angelegenheiten,
alle unsere hervorragenden Bemühungen und das Ansehen
und die Beflissenheit auf dem Forum sind geborgen im Schutz
und in der O b h u t kriegerischer Tüchtigkeit. Sobald sich auch
nur der Verdacht eines Aufruhrs regt, verstummen unsere
Künste auf der Stelle.
Und da du mir deine Rechtswissenschaft wie eine kleine
Tochter zu herzen scheinst, kann ich nicht zulassen, daß d u
dich einem solchen Irrtum hingibst, dieses Etwas, das du mit
Eifer gelernt hast, für eine herrliche Sache zu halten. Andere
Vorzüge (so habe ich jedenfalls stets geurteilt), dein beherrsch-
tes und gesetztes Wesen, dein Gerechtigkeitssinn, deine Ver-
läßlichkeit und alles übrige geben dir Anspruch auf das Kon-
sulat und jede ehrenvolle Stellung; daß du das bürgerliche
Recht erlernt hast, hiervon will ich nicht sagen, du habest
deine Mühe vergeudet, sondern vielmehr: von dieser Wissen-
schaft führt kein Weg zum Konsulat. Denn alle Berufe, die uns
die Gewogenheit des römischen Volkes verschaffen sollen,
müssen ein blendendes Ansehen und hochwillkommenen Nut-
zen mit sich bringen.
53° PRO L. MIRENA

S u m m a dignitas est in eis qui militari laude antecel- 24


lunt; omnia enim quae sunt in imperio et in statu
civitatis ab his defendi et firmari putantur; summa
etiam utilitas, si quidem eorum consilio et periculo cum
re publica tum etiam nostris rebus perfrui possumus.
G r a v i s etiam ilia est et plena dignitatis diccndi facultas
quae saepe valuit in consule deligendo, posse consilio
atque oratione et senatus et populi et eorum qui res
iudicant mentis permovere. Quaeritur consul qui di-
cendo non n u m q u a m comprimat tribunicios furores,
qui concitatum p o p u l u m flectat, qui largitioni resistat.
N o n m i r u m , si ob hanc facultatem homines saepe etiam
non nobiles consulatum consecuti sunt, praesertim cum
haec eadcm res plurimas gratias, firmissimas amicitias,
maxima studia pariat.

Q u o r u m in isto vestro artificio, S u l p i c i , nihil est. 25


P r i m u m dignitas in tam tenui scientia non potest esse;
res enim sunt parvae, propc in singulis littcris atquc
interpunctionibus v e r b o r u m occupatae. D e i n d e , etiam
si quid apud maiores nostros fuit in isto studio admira-
tionis, id enuntiatis vestris mysteriis totum est con-
temptum et abiectum. Posset agi lege necne pauci
quondam sciebant; fastos enim volgo non habebant.
F.rant in magna potentia qui consulebantur; a quibus
etiam dies tamquam a Chaldaeis pctebatur. Inventus
est scriba q u i d a m , C n . Flavius, qui cornicum oculos
confixerit et singulis diebus ediscendis fastos populo
proposuerit et ab ipsis his cautis iuris consultis eorum
FÜR ML'RENA 53'

Das größte Ansehen genießen diejenigen, die sich durch


kriegerischen Ruhm auszeichnen; man glaubt nämlich, daß
sie alles verteidigen und schützen, was zum Reich und zur
bürgerlichen Sphäre gehört. Sie erweisen uns auch den größ-
ten Nutzen, da ihr Können und ihr Einsatz uns in den Stand
setzen, den Staat und auch die eigenen Angelegenheiten zu
handhaben. Bedeutsam und mit großem Ansehen verbunden
ist auch die Gabe der Rede, die oft bei der Konsulwahl den
Ausschlag gab: man ist fähig, durch seinen Rat und Vortrag
auf die Ansichten des Senats, des Volkes und der Richter ein-
zuwirken. Von einem Konsul wird verlangt, daß er durch
seine Rede hin und wieder die von den Tribunen entfesselte
Raserei zu bändigen, das erregte Volk umzustimmen, dem
Geschenkemachen entgegenzutreten vermag. Es ist kein Wun-
der, daß um dieser Fähigkeit willen oft auch Nichtadlige die
Konsulwürde erreicht haben, zumal gerade sie vielfältige
Dankbarkeit, beständige Freundschaften und größte Gewo-
genheit hervorruft.
Von alledem findet sich bei eurem Handwerk nichts, Sul-
picius. Erstens kann eine so enge Wissenschaft kein Ansehen
haben; es geht nämlich um kleine Dinge, die sich beinahe in
einzelnen Buchstaben und in Worttrennungen erschöpfen".
Zweitens mag dieses Fach bei unseren Vorfahren einige Be-
wunderung erregt haben: nachdem man eure Geheimnisse
verraten hat, ist es gänzlich der Verachtung und Gering-
schätzung anheimgefallen. Ob man prozessieren könne oder
nicht, wußten einst nur wenige; der Kalender war nämlich
nicht allgemein bekannt. Die Rechtskundigen hatten eine
große Macht; man bat sie auch um die Benennung von Ta-
gen, als wären sie Astrologen. Da fand sich ein Schreiber, Cn.
Flavius; der hackte den Krähen die Augen aus, gab dem Volke
den Kalender bekannt, indem er die Tage einzeln auswendig-
lernte, und stahl sich just bei den vorsichtigen Rechtsgelehr-
PRO L. MIRENA

sapientiam compilarit. Itaque irati illi. quod sunt veriti


ne dierum rationc pervolgata et cognita sine sua opera
lege agi posset, verba q u a c d a m composuerunt ut omni-
bus in rebus ipsi Interessent.

C u m hoc fieri bellissime posset: " F u n d u s Sabinus 26


meus est." " I m m o meus", deinde iudicium, noluerunt.
F U N D U S , i n q u i t , QUI EST IN AGRO QUI SABINUS VOCA-
TUR. Satis verbose; cedo quid postea? EUM EGO EX
IURE Q U I R I T I U M MEUM ESSE AIO. Q u i d turn? INDE IBI
EGO ТЕ EX IURE MANUM CONSERTUM VOCO. Q u i d huic
tarn loquaciter litigioso responderet ille u n d e petebatur
non habebat. Transit idem iuris consultus tibicinis
Latini modo. U N D E TU ME, inquit, EX IURE MANUM
CONSERTUM VOCASTI, INDF. IBI F.GO ТЕ RF.VOCO. Praetor
interea ne pulchrum se ac beatum putaret atque aliquid
ipse sua sponte loqueretur, ei q u o q u e carmen composi-
tum est cum ceteris rebus a b s u r d u m t u m vero in illo:
Suis UTRISQUF SUPERSTITIBUS PRAF.SENTIBUS ISTAM
VIAM DICO; ITE VIAM. Praesto aderat sapiens ille qui
inire viam doceret. REDITF. VIAM. F.odem duce red-
ibant. Haec iam tum apud illos barbatos ridicula. credo,
videbantur, homines, cum recte atque in loco constitis-
sent, iuberi abire ut, u n d e abissent, eodem statim red-
irent. Isdem ineptiis fucata sunt ilia omnia: Q U A N D O ТЕ
IN IURF CONSPICIO et haec: A N N E TU DICAS QUA EX
CAUSA VINDICAVERIS? Q u a e d u m erant occulta, neces-
FCR ML RENA 533
13
ten deren Kenntnisse zusammen . Sie erzürnten darob und
fürchteten, man könne ohne ihre Mitwirkung prozessieren,
da das Verzeichnis der Tage allgemein verbreitet und bekannt
sei; sie setzten daher bestimmte Formeln 14 auf, um sich selbst
in alle Angelegenheiten einzumischen.
Es könnte ja bestens so zugehen: «Das sabinische Grund-
stück gehört mir» - «Nein, mir» - daraufhin der Prozeß.
Doch sie wollten nicht. «Das Grundstück», heißt es, «das in
der Mark liegt, welche die sabinische genannt wird.» Reich-
lich umständlich, und bitte schön, was folgt? «Von dem be-
haupte ich, daß es nach dem Recht der Quiriten mein Eigen-
tum ist.» Was dann? «Ich rufe dich, von dort aus und dort
dem Rechte gemäß um das Grundstück zu streiten.» Da
wußte der Beklagte nicht, was er einem derart gesprächigen
Streithahn hätte antworten sollen. Doch der Rechtsgelehrte
geht wie ein latinischer Flötenspieler* 5 zu ihm hinüber: «Von
wo aus ich dem Rechte gemäß nach deinem Ruf um das
Grundstück streiten soll, von dort aus und dort rufe ich dich
meinerseits.» Damit dem Prätor nicht in der Zwischenzeit
zu wohl würde und er nicht nach Belieben einherredete, hat
man für ihn ebenfalls einen Spruch aufgesetzt, der in allem
übrigen und zumal hierin sehr sonderbar lautet: «Ich weise
in Anwesenheit der Umstände 24 beider Parteien diesen Weg;
beschreitet den Weg.» Zur Stelle war der Weise, der den Weg
zu beschreiten lehrte. « Kehrt den Weg zurück.» Und sie kehr-
ten mit demselben Führer zurück. Das wirkte schon einst bei
den bärtigen Männern, meine ich, lächerlich: nachdem sie
richtig an Ort und Stelle angelangt waren, sollten sie fortge-
hen, um sofort dahin zurückzukehren, von wo sie fortgegangen
waren 17 . Mit denselben Albernheiten ist all dies Zeug aus-
staffiert: «Da ich deiner vor Gericht ansichtig werde» und
«Willst du dich erklären, aus welchem Grunde du das Eigen-
tum beanspruchst 1 *?» Solange diese Dinge geheim waren,
PRO L. ML'RFNA

sario ab cis qui ca tencbant pctebantur; postea vero


pervolgata atque in manibus iactata et excussa, inanis-
sima prudentiae reperta sunt, fraudis autem et stultitiae
plenissima.
N a m , cum permulta praeclare legibus essent consti- 27
tuta, ea iure consultorum ingeniis pleraque corrupta ac
depravata sunt. Mulieres omnis propter infirmitatem
consili maiores in tutorum potestate esse voluerunt; hi
invenerunt genera tutorum quae potestate mulierum
continerentur. Sacra interire illi noluerunt; horum in-
genio senes ad coemptiones faciendas interimendorum
sacrorum causa reperti sunt. In omni denique iure civili
aequitatem reliquerunt, verba ipsa tenuerunt, ut, quia
in alicuius libris exempli causa id nomen invenerant.
putarunt omnis mulieres quae coemptionem facerent
" G a i a s " vocari. l a m illud mihi quideni mirum videri
solet, tot homines, tam ingeniosos, post tot annos etiam
nunc statuere non potuisse utrum "diem tertium" an
" p e r e n d i n u m , " " i u d i c e m " an " a r b i t r u m , " " r e m " an "li-
t e m " dici oporteret.

Itaque, ut dixi, dignitas in ista scientia consularis 2K


n u m q u a m fuit, quae tota ex rebus fictis commenticiis-
que constaret, gratiae vero multo etiam minus. Q u o d
enim omnibus patct et aeque p r o m p t u m est mihi et
adversario meo, id esse gratum nullo pacto potest.
Itaque non modo benefici conlocandi spem sed etiani
illud quod aliquamdiu fuit LICF.T CONSULFRF? iam
perdidistis. Sapiens existimari nemo potest in ea pru-
FÜR MIRENA 535

fragte man zwangsläufig die danach, die sich darauf verstan-


den; doch spater, da sie allgemein bekannt wurden und man
sie in Händen wendete und prüfte, da fand sich, daß sie aller
Weisheit bar, aber randvoll von T r u g und T o r h e i t waren.
Denn während die Gesetze sehr vieles vorzüglich geregelt
hatten, wurde das meiste hiervon durch die Einfälle der
Rechtsgelehrten verdorben und verfälscht. Unsere Vorfahren
wünschten, daß alle Frauen wegen der Unsicherheit ihres
Urteils der Gewalt eines Vormundes u n t e r s t ü n d e n ; doch sie
erfanden Arten von Vormündern, die von der Gewalt der
Frauen abhängen Die Vorfahren wünschten, daß der Ah-
nenkult nicht erlösche; doch ihre Erfindungsgabe brachte die
mit Greisen geschlossenen Scheinehen auf, den Ahnenkult zu
beseitigen 1 0 . Überhaupt gaben sie bei allen Fragen des bür-
gerlichen Rechts die Gerechtigkeit preis und hafteten am
bloßen Wortlaut, wie sie zum Beispiel glaubten, alle Frauen,
die eine Kaufehe 3 1 abschlössen, müßten Gaia heißen, weil sie
diesen Namen als Beispiel in jemandes Schriften gefunden
hatten. Auch dies k o m m t mir immer wieder sonderbar vor,
daß es so vielen, so erfinderischen Leuten auch jetzt noch
nicht gelungen ist festzusetzen, o b man « d r i t t e r T a g » oder
« übermorgen»,« Richter» oder «Schiedsmann», «Sache» oder
«Streitgegenstand» sagen soll.
Deshalb verlieh diese Wissenschaft, wie ich sagte, niemals
konsularisches Ansehen (sie besteht ja ganz und gar aus er-
künstelten und erdichteten Dingen); doch noch viel weniger
verlieh sie Einfluß. Denn was allen zugänglich ist und in
gleicher Weise mir und meinem Gegner zu Gebote steht, das
kann auf keine Weise einflußreich sein. Deshalb habt ihr nicht
nur die Hoffnung, Verpflichtungen zu begründen, sondern
sogar jenes «Darf ich um Rat f r a g e n ? » 3 ' eingebüßt, das es
eine Zeitlang gegeben hat. Niemand kann in einer Wissen-
schaft für weise gehalten werden, die weder irgendwo außer-
PRO L. MIRENA

dentia quae neque extra R o m a m usquam neque Romae


rebus prolatis q u i c q u a m valet. Peritus ideo haberi
nemo potest quod in eo quod sciunt omnes nullo modo
possunt inter se discrepare. D i f f i c i l i s autem res ideo
non putatur quod et perpaucis et minime obscuris
litteris continetur. Itaque si mihi, homini vehementer
occupato, stomachum moveritis, triduo me iuris con-
sultum esse profitebor. Etenim quae de scripto agun-
tur, scripta sunt omnia, neque tamen q u i c q u a m tam
anguste scriptum est quo ego non possim QUA DE RE
AGITUR addere; quae consuluntur autem, m i n i m o peri-
culo respondentur. Si id quod oportet responderis,
idem videare respondisse q u o d S e r v i u s ; sin aliter, etiam
controversum ius nosse et tractare videare.

Q u a p r o p t e r non solum ilia gloria militaris vestris 29


formulis atque actionibus anteponenda est verum etiam
dicendi consuetudo longe et multum isti vestrae cxerci-
tationi ad honorem antecellit. Itaque mihi videntur
plerique initio multo hoc maluisse, post, cum id adse-
qui non potuissent, istuc potissimum sunt dclapsi. L t
aiunt in G r a e c i s artificibus eos auloedos esse qui citha-
roedi fieri non potuerint, sic nos v i d e m u s , qui oratores
evadere non potuerint, eos ad iuris Studium devenire.
M a g n u s dicendi labor, magna res, magna dignitas,
summa autem gratia. E t e n i m a vobis salubritas quae-
d a m , ab eis qui dicunt salus ipsa petitur. D e i n d c vestra
responsa atque decreta et evertuntur saepe dicendo et
s i n e d e f e n s i o n e orationis firma esse non possunt. In qua
FÜR ML'RF.NA 537

halb Roms noch in Rom selbst etwas gilt, wenn Gerichts-


ferien sind. Als erfahren kann deshalb niemand angesehen
werden, weil sich bei etwas allgemein Bekanntem keiner vom
anderen zu unterscheiden vermag. Für schwierig aber gilt
die Sache deshalb nicht, weil sie auf sehr wenigen und keines-
wegs dunklen Schriftwerken beruht. Wenn ihr daher mich,
einen stark beschäftigten Menschen, erbosen solltet, so mache
ich mich anheischig, in drei Tagen ein Rechtsgelehrter zu
sein. Denn was auf Grund von Schriftformeln verhandelt
wird, ist alles schriftlich festgehalten, und doch ist nichts so
eng geschrieben, wo ich nicht einfügen könnte «worum es
sich handelt» 33 ; was aber mündlich gefragt wird, darauf kann
man mit sehr geringem Risiko antworten. Wenn man das
Übliche antwortet, so sieht es aus, als habe man ebenso geant-
wortet wie Servius; wenn nicht, dann sieht es so aus, als kenne
und behandele man auch die umstrittenen Rechtsfragen.
Deswegen gebührt nicht nur dem Kriegsruhm vor euren
Floskeln und Prozeßformularen der Vorzug, sondern auch der
Rednerberuf übertrifft eure Routine bei weitem und erheb-
lich durch sein Ansehen. Ich glaube daher, daß die meisten
zunächst weit mehr hierauf erpicht waren, doch hernach,
wenn sie dieses Ziel nicht zu erreichen vermochten, gerade
in den anderen Beruf abgesunken sind. Man sagt, unter den
griechischen Künstlern seien diejenigen Flötisten, die nicht
Zitherspieicr werden konnten; ebenso sehen wir, daß diejeni-
gen, die es nicht zum Redner gebracht haben, an die Rechts-
wissenschaft geraten. Sehr mühsam ist die Beredsamkeit, sehr
wichtig, sehr angesehen, doch vor allem von größtem Einfluß.
Denn von euch wird eine Art Heilmittel, von den Rednern
aber das Heil selbst erbeten. Außerdem werden eure Aus-
künfte und Bescheide oft durch ein Plädoyer über den Haufen
geworfen, und sie können ohne das Bollwerk einer Rede gar
keinen Bestand haben. Wenn ich es hierin schon weit genug
53« PRO L. MURFNA

si satis p r o f e c i s s e m , p a r c i u s d e eius laude d i c e r e m ;


n u n c nihil d e m e d i c o . sed d e eis qui in d i c e n d o magni
s u n t aut f u e r u n t .
D u a e sint artes igitur q u a e p o s s i n t locare h o m i n e s in
a m p l i s s i m o g r a d u d i g n i t a t i s , una i m p e r a t o r i s , altera
o r a t o r i s b o n i . A b h o c e n i m pacis o r n a m e n t a r e t i n e n t u r ,
a b illo belli p e r i c u l a r e p e l l u n t u r . C e t e r a e tarnen virtutes
ipsae p e r se m u l t u m v a l e n t , iustitia, fides, p u d o r , t e m -
p e r a n t i a ; q u i b u s te, S e r v i , e x c c l l e r e o m n e s i n t e l l e g u n t .
S e d n u n c d e studiis ad h o n o r e m a p p o s i t i s , non d e insita
c u i u s q u e v i r t u t e d i s p u t o . O m n i a ista n o b i s studia d e
m a n i b u s e x c u t i u n t u r , s i m u l a t q u e aliqui m o t u s novus
b e l l i c u m c a n e r e c o e p i t . E t e n i m , ut ait i n g e n i o s u s poeta
et a u c t o r valde b o n u s , " p r o e l i i s p r o m u l g a t i s p e l l i t u r e
m e d i o " non s o l u m istra vestra v e r b o s a s i m u l a t i o pru-
d e n t i a e sed e t i a m ipsa ilia d o m i n a r e r u m , " s a p i e n t i a ; vi
g e r i t u r res, s p e r n i t u r o r a t o r " n o n s o l u m o d i o s u s in
d i c e n d o ac l o q u a x v e r u m e t i a m " b o n u s ; h o r r i d u s miles
a m a t u r , " v e s t r u m vero Studium t o t u m iacet. " N o n ex
iure m a n u m c o n s e r t u m , sed m a g e f e r r o " , i n q u i t , " r e m
repetunt." Quod si ita e s t , cedat, opinor, Sulpici,
f o r u m c a s t r i s , o t i u m m i l i t i a e , stilus gladio, u m b r a soli;
sit d e n i q u e in ci vitate ea p r i m a res p r o p t e r q u a m ipsa est
civitas o m n i u m p r i n c e p s .

V e r u m h a e c C a t o n i m i u m nos n o s t r i s v e r b i s m a g n a
facere d e m o n s t r a t et o b l i t o s esse b e l l u m illud o m n e
M i t h r i d a t i c u m c u m m u l i e r c u l i s esse g c s t u m . Q u o d ego
longe s e c u s e x i s t i m o , i u d i c e s ; d e q u e eo pauca d i s s e r a m ;
FÜR MIRENA 539

gebracht hätte, dann würde ich mich vorsichtiger zu ihrem


Lobe äußern; jetzt aber spreche ich nicht von mir, sondern
von denen, die bedeutende Redner sind oder waren.
Es gibt also zwei Fähigkeiten, die den Menschen zur höch-
sten Stufe des Ansehens verhelfen können, erstens die des
Feldherrn, zweitens die des guten Redners. Denn der eine
schützt die Vorzüge des Friedens, der andere wendet die
Fährnisse des Krieges ab. Sonstige gute Eigenschaften haben
zwar für sich selbst großen Wert: Gerechtigkeitssinn, Zuver-
lässigkeit, Taktgefühl, Ausgeglichenheit, und jedermann
weiß, daß du dich darin auszeichnest, Servius. Doch jetzt rede
ich über Berufe, die als Ausweis fiir ein Amt gelten, nicht über
den persönlichen Charakter. Alle diese Betätigungen werden
uns aus der Hand genommen, sobald irgendein neuer Aufruhr
das Kriegssignal zu blasen anhebt. Denn wie ein geistreicher
Dichter und sehr kompetenter Autor* 4 sagt, «sobald Kämpfe
sich ankündigen, muß sie den Platz räumen» - nicht nur euer
wortreiches Scheinbild der Klugheit, sondern auch die Ge-
bieterin aller Dinge selbst, «die Weisheit; Gewalt entscheidet,
man verachtet den Redner» - nicht nur den langweiligen und
geschwätzigen, sondern auch «den guten; man schätzt den
furchtbaren Soldaten»; doch euer Beruf liegt gänzlich dar-
nieder. «Nicht dem Recht gemäß streiten sie», sagt der Dich-
ter, «sondern fordern lieber mit dem Schwert ihr Eigen zu-
rück.» Wenn es sich so verhält, dann sollte, meine ich, Sulpi-
cius, der Markt dem Lager, die Muße dem Kriegsdienst, die
Feder dem Schwert, der Schatten dem Sonnenschein nach-
stehen, kurz, dann sollte in unserem Staate das für das erste
gelten, weswegen der Staat selbst der erste von allen ist.
Doch Cato erklärt, wir machten allzu große Worte darüber
und hätten vergessen, daß wir den ganzen mithridatischcn
Krieg gegen Weiber geführt haben. Da bin ich ganz anderer
Meinung, ihr Richter; doch ich will darüber nur weniges
54« PRO L. ML'RFNA

neque enim causa in hoc continetur. N a m si omnia bella


quae cum Graecis gessimus contemnenda sunt, deri-
deatur de rege P v r r h o t r i u m p h u s M'. C u r i , de Philippo
T . Flaminini, de Aetolis Μ. Fulvi, de rege Perse
L. Pauli, de Pseudophilippo Q . Metelli, de Corinthiis
L. M u m m i . Sin haec bella gravissima victoriaeque
eorum bellorum gratissimae f u e r u n t , cur Asiaticae na-
tiones atque ille a te hostis contemnitur? Atqui ex
veterum rerum m o n u m e n t i s vel m a x i m u m bellum po-
p u l u m R o m a n u m cum Antiocho gessisse video; cuius
belli victor L. Scipio aequa parta c u m P. fratre gloria,
q u a m laudem ille Africa oppressa cognomine ipso prae
se ferebat, eandem hie sibi ex Asiae nomine adsumpsit.
Q u o q u i d e m in bello virtus enituit egregia \ 1 . Catonis, 32
proavi tui; q u o ille, cum esset, ut ego mihi statuo, talis
qualem te esse video, n u m q u a m c u m Scipione esset
profectus, si cum mulierculis bellandum arbitraretur.
N e q u e vero cum P. Africano senatus egisset ut legatus
fratri proficisceretur, cum ipse paulo ante H a n n i b a l e ex
Italia expulso, ex Africa eiecto, Carthagine oppressa
maximis periculis rem publicam liberasset, nisi illud
grave bellum et veheniens putaretur.

Atqui si diligenter quid Mithridates potuerit et quid


effecerit et qui vir fuerit consideraris, o m n i b u s quibus-
cum populus Romanus bellum gessit hunc regem ni-
m i r u m antepones. Q u e m L. Sulla maximo et fortissimo
exercitu, pugnax et aceret non rudis imperator, ut aliud
Fl'R MIRENA 54'

sagen; es kommt nämlich nicht entscheidend darauf an. Denn


wenn alle Kriege, die wir gegen die Griechen geführt haben,
Geringschätzung verdienen, dann mache man sich auch über
den Triumph lustig, den M \ Curius über König Pyrrhos er-
rungen hat, und T.Flamininus über Philipp, M.Fulvius über
die Ätoler, L.Paullus über König Perseus, Q^Metellus über
Pseudophilippos, L. Mummius über die Korinther". Doch
wenn diese Kriege schlimm waren und ihre siegreiche Be-
endigung hochwillkommen, weshalb verachtest du dann die
asiatischen Völker und zumal diesen Landesfeind? Indes, ich
ersehe aus den Aufzeichnungen der Vorzeit, daß das römische
Volk keinen größeren Krieg geführt hat als gegen Antiochos;
der damalige Sieger L.Scipio, der seinen Ruhm mit seinem
Bruder teilte, erwarb sich dieselbe Auszeichnung mit dem
Namen Asiens, wie jener sie nach der Niederwerfung Afrikas
durch seinen Beinamen zur Schau trug. In diesem Kriege er-
glänzte die hervorragende Tapferkeit des M.Cato, deines
Urgroßvaters; da er nach meiner Überzeugung von derselben
Art war, wie ich sie an dir kenne, wäre er niemals mit Scipio
dorthin gezogen, wenn er geglaubt hätte, er müsse gegen
Weiber kämpfen 1 '. Auch hätte der Senat gar nicht mit P.
Africanus verhandelt, er solle als Legat mit seinem Bruder ins
Feld ziehen, wenn er nicht geglaubt hätte, es handele sich um
einen schweren und furchtbaren Krieg - Africanus selbst hatte
ja kurz zuvor Hannibal aus Italien vertrieben und aus Afrika
verjagt, Karthago niedergeworfen und so den Staat aus höch-
ster Not befreit.

Doch wenn du genau bedenkst, was Mithridates vermochte


und was er erreicht hat und was für ein Mann er war, dann
stellst du diesen König ohne Frage an die Spitze aller, mit
denen das römische Volk je Krieg geführt hat. L.Sulla, ein
kampferprobter und energischer und nicht unerfahrener Feld-
herr (um nichts weiter zu sagen), gebot über ein stattliches
542 PRO L. MLRFNA

nihil dicam, cum bello invectum totam in Asiam c u m


pace dimisit; q u e m L. Murena, pater huiusce. vehe-
mentissime vigilantissimeque vexatum repressum ma-
gna ex parte, non oppressum reliquit; qui rex sibi
aliquot annis sumptis ad confirmandas rationes et co-
pias belli t a n t u m spe conatuque valuit ut se Ocean um
c u m Ponto, Sertori copias cum suis coniuncturum pu-
taret.

Ad q u o d bellum d u o b u s consulibus ita missis ut alter 33


.Vlithridatem persequeretur, alter Bithvniam tueretur,
alterius res et terra et mari calamitosae vehementer et
opes regis et n o m e n auxerunt; L. Luculli vero res tantae
exstiterunt ut neque maius bellum commemorari possit
n e q u e maiore consilio et virtutc gestum. N a m c u m
totius i m p e t u s belli ad Cvzicenorum moenia constitis-
set e a m q u e u r b e m sibi Mithridates Asiae ianuam fore
putasset qua effracta et revolsa tota pateret provincia,
perfecta a Lucullo haec sunt omnia ut urbs fidelissi-
m o r u m sociorum defenderetur et omnes copiae regis
d i u t u r n i t a t e obsessionis consumerentur. Q u i d ? illam
p u g n a m navalem ad T e n e d u m , cum contento cursu
acerrimis d u c i b u s hostium classis Italiam spe atque
animis inflata peteret, mediocri certamine et parva
d i m i c a t i o n e c o m m i s s a m arbitraris? Mittoproelia. prae-
tereo oppugnationes o p p i d o r u m : expulsus regno tan-
d e m aliquando t a n t u m tamen consilio atque auctoritate
FÜR MURF.NA 543

und tapferes Heer; gleichwohl hat er Mithridates, der im


Krieg ganz Asien überfallen hatte, im Frieden davonziehen
lassen. L. Murena, der Vater des Beklagten, hatte Mithridates
mit größter Schärfe und Schlagfertigkeit zugesetzt; gleich-
wohl konnte er ihn nur auf breiter Front zurückwerfen, nicht
n i e d e r w e r f e n D i e s e r König nahm sich einige Jahre Zeit,
seine Mittel und Rüstungen für den Krieg zu verstärken: da
gedieh er mit seinem Hoffen und Planen so weit, daß er mein-
te, er könne den Ozean mit dem Schwarzen Meer, die T r u p -
pen des Sertorius mit seinen eigenen vereinigen 5 *.
In diesen Krieg wurden zwei Konsuln entsandt; der eine
sollte Mithridates verfolgen, der andere Bithynien decken 3 '.
Bei dem einen nahmen die Dinge zu Wasser und zu Lande
einen sehr unglücklichen Verlauf, und sie trugen so zur Macht
und zum Ansehen des Königs bei. L.Lucullus hingegen tat
sich derart hervor, daß man keinen Krieg zu nennen ver-
möchte, der größer gewesen und mit mehr Umsicht und T a t -
kraft geführt worden wäre. Denn Mithridates hatte die ganze
Wucht seiner Kriegsmacht gegen die Mauern von Kyzikos
geworfen: er glaubte, diese Stadt werde ihm als Pforte Asiens
dienen, die er nur zu durchbrechen und aufzustoßen brauche,
um die ganze Provinz offen vor sich zu haben. Lucullus aber
erreichte schlechthin alles; er verteidigte die Stadt unserer
getreuesten Bundesgenossen und zerrieb durch die langwie-
rige Belagerung die gesamte Streitmacht des Königs. Wie?
Die Seeschlacht von Tenedos, als die Flotte der Feinde, von
Hoffnung und M u t erfüllt, in eiliger Fahrt mit den wage-
mutigsten Führern auf Italien lossteuerte - glaubst du, dieses
Treffen habe sich bei mäßigem Kampf und geringem Ge-
plänkel abgespielt 40 ? Ich übergehe die Schlachten, ich lasse
die Belagerungen von Städten unerwähnt; als er endlich ein-
mal aus seinem Reiche vertrieben war, brachten es seine Klug-
heit und sein Ansehen gleichwohl zustande, daß er sich mit
544 PRO L. MLRFNA

valuit ut se rege A r m e n i o r u m adiuncto novis o p i b u s


copiisque renovarit. Ac si mihi nunc de rebus gcstis
esset nostri exercitus imperatorisque d i c e n d u m , plu-
rima et maxima proelia commemorare possem; sed non
id agimus.
Hoc dico: Si bellum hoc, si hie hostis, si ille rex 34
contemnendus fuisset, neque tanta cura senatus et po-
pulus Romanus suscipiendum putasset neque tot annos
gessisset neque tanta gloria L. Lucullus, neque vero
eius belli conficiendum exitum tanto studio p o p u l u s
Romanus ad C n . Pompeium detulisset. Cuius ex omni-
bus pugnis, quae sunt innumerabiles. vel acerrima mihi
videtur ilia quae cum rege commissa est et s u m m a
contentione pugnata. Q u a ex pugna cum se ille eripuis-
set et Bosphorum confugisset quo exercitus adire non
posset, etiam in extrema fortuna et fuga nomen tarnen
retinuit regium. Itaque ipse Pompeius regno possesso
ex omnibus oris ac notis sedibus hoste pulso tamen
t a n t u m in unius anima posuit ut, cum omnia q u a e ille
tenuerat, adierat, sperarat, victoria possideret, t a m e n
non ante quam ilium vita expulit bellum c o n f e c t u m
iudicarit. H u n c tu hostem, Cato, contemnis q u o c u m
per tot annos tot proeliis tot imperatores bella gesse-
runt, cuius cxpulsi et eiecti vita tanti aestimata est ut
morte eius nuntiata denique bellum confectum arhi-
trarentur? Hoc igitur in bello L. Murenam iegatum
fortissimi animi, summi consili, maximi laboris cogni-
tum esse defendimus, et hanc eius operam non m i n u s ad
consulatum adipiscendum quam hanc nostram foren-
sem industriam dignitatis habuisse.
FÜR MLRENA 545
41
dem König der Armenier verbündete und er so durch neue
Machtmittel und Truppen wieder zu Kräften kam. Und wenn
ich jetzt über die Erfolge unseres Heeres und Befehlshabers
zu sprechen hätte, dann könnte ich an zahlreiche große
Schlachten erinnern; doch darum geht es hier nicht.
Ich sage nur: wenn dieser Krieg, wenn dieser Feind, wenn
dieser König Verachtung verdient hätte, dann hätten der
Senat und das Volk von Rom nicht geglaubt, sich seiner mit
solcher Sorge annehmen zu müssen, noch L.Lucullus ihn so
viele Jahre mit solchem Beifall geführt, noch schließlich das
römische Volk mit solchem Nachdruck Cn.Pompeius mit der
Beendigung dieses Krieges betraut. Der aber bestand unzäh-
lige Schlachten, doch die härteste von allen war, scheint mir,
diejenige, die er gegen den König führte und die mit äußerster
Erbitterung ausgefochten wurde 42 . Als jener der Schlacht ent-
ronnen und an den Bosporus geflohen war, wohin kein Heer
zu gelangen vermochte, da bewahrte er selbst in der äußer-
sten Not und Bedrängnis noch sein königliches Ansehen. Des-
halb genügte es auch Pompeius nicht, das Reich besetzt und
den Feind von allen Küsten und bekannten Wohnsitzen ver-
trieben zu haben, und obwohl der Sieg ihm alles verschaffte,
was jener beherrscht, erobert und erstrebt hatte: auf das
Leben dieses einen setzte er so viel, daß er meinte, der Krieg
sei erst beendet, wenn er ihn des Lebens beraubt habe 43 . Die-
sen Feind verachtest du, Cato, gegen den während so vieler
Jahre in so vielen Schlachten so viele Feldherren Krieg geführt
haben, dessen Leben, als er vertrieben und verjagt war, so viel
galt, daß man erst bei der Nachricht von seinem Tode an die Be-
endigung des Krieges glaubte? In diesem Kriege also, behaup-
ten wir, hat sich L. Murena als Legat von äußerster Tapferkeit,
größter Umsicht und höchster Ausdauer bewährt, und dieser
Einsatz hat ihm nicht weniger Ansehen für den Erwerb des
Konsulats verschafft als unsere Beflissenheit auf dem Forum.
546 PRO I.. MLRFNA

At enim in praeturae petitione prior rcnuntiatus est


Servius. Pergitisnc vos t a m q u a m ex syngrapha agere
c u m p o p u l o ut. q u e m locum semel honoris cuipiam
dederit, e u n d e m in reliquis honoribus debeat? Q u o d
enim f r e t u m , q u e m K u r i p u m tot motus, tantas, tam
varias habere putatis agitationes c o m m u t a t i o n e s q u e
f l u c t u u m , q u a n t a s p e r t u r b a t i o n e s et quantos aestus
habet ratio c o m i t i o r u m ? Dies intermissus aut nox inter-
posita saepe p e r t u r b a t o m n i a , et totam opinionem parva
non n u m q u a m c o m m u t a t aura rumoris. Saepe etiam
sine ulla a pert a causa fit aliud atque existimaris, ut non
n u m q u a m ita factum esse etiam p o p u l u s admiretur,
quasi vero non ipse fecerit.

Nihil est incertius volgo, nihil obscurius voluntate


h o m i n u m , nihil fallacius ratione tota comitiorum. Quis
L. P h i l i p p u m s u m m o ingenio, opera, gratia, nobilitatc
a M . H e r e n n i o superari posse arbitratus est? quis
Q . C a t u l u m h u m a n i t a t e , sapientia, integritate antecel-
lentem a C n . Mallio? q u i s M. S c a u r u m , h o m i n c m gra-
vissimum, civem egregium, fortissimum senatorem, a
Q . Maximo? N o n m o d o h o r u m nihil ita fore p u t a t u m
est sed, ne c u m esset f a c t u m q u i d e m , qua re ita factum
esset intellegi potuit. N a m , ut rempestates saepe certo
aliquo caeli signo c o m m o v e n r u r . saepe improviso nulla
ex certa ratione obscura aliqua ex causa concitantur. sic
in hac c o m i t i o r u m tempestatc populari saepe intellegas
q u o signo c o m m o t a sit, saepe ita obscura causa est ut
casu excitata esse videatur.
кCr m l r f n a 547

Doch freilich, bei der Bewerbung um die Prätur wurde Ser-


vius zuerst ausgerufen 44 . Wollt ihr immer noch wie nach ei-
nem Vertrage mit dem Volke rechten, daß es verpflichtet sei,
jemandem die Rangstelle, die es ihm einmal bei einem Amte
eingeräumt hat, auch bei den übrigen Ämtern zu gewähren?
Denn welche Meerenge, welcher Euripos 45 , glaubt ihr, hat
so viele Strömungen, so erhebliche, so vielfältige Schwankun-
gen und Veränderungen der Fluten, wie sich bei Ämterwah-
len Wirbel und Wallungen einstellen? Die Zwischenfrist eines
Tages oder einer Nacht bringt oft alles durcheinander, und
bisweilen verwandelt der leise Hauch eines Gerüchts die ge-
samte öffentliche Meinung. Oft geschieht auch ohne erkenn-
bare Ursache etwas anderes, als man erwartet hat, so daß sich
mitunter sogar das Volk über den Ausgang wundert, als ob
es ihn nicht selbst herbeigeführt hätte.
Nichts ist unsicherer als die Menge, nichts undurchdring-
licher als der Wille der Leute, nichts trügerischer als der ganze
Hergang der Wahlen. Wer hätte geglaubt, daß L.Philippus,
den Fähigkeit, Tatkraft, Einfluß und Adel auszeichneten, dem
M.Herennius würde unterliegen können? Oder Q X a t u l u s ,
der sich durch Umgänglichkeit, Klugheit und Unbestechlich-
keit hervortat, dem Cn. Mallius? Oder M.Scaurus, ein Mann
von würdevollem Wesen, ein vorbildlicher Bürger, ein über-
aus tüchtiger Senator, dem Q^Maximus 46 ? Bei alledem hat
man nicht nur nicht vermutet, daß es so kommen würde,
sondern auch nachdem es gekommen war, vermochte nie-
mand zu begreifen, warum es so gekommen sei. Denn wie
sich Stürme oft nach einem bestimmten Himmelszeichen er-
heben, oft aber unversehens ohne erkennbaren Grund aus
einer verborgenen Ursache aufbrausen, ebenso kann man bei
diesen stürmischen Willensbekundungen des Volkes oft er-
kennen, welches Zeichen sie erregt hat, oft ist der Anlaß so
unklar, daß man glaubt, der Zufall habe sie hervorgerufen.
54« PRO L. ML'RKNA

Sed tamen si est reddenda ratio, d u a e res vehementer


in praetura desideratae sunt quae a m b a e in consulatu
m u l t u m M u r e n a e p r o f u e r u n t , una exspectatio m u n e r i s
q u a e et r u m o r e n o n nullo et studiis s e r m o n i b u s q u e
c o m p e t i t o r u m crcvcrat, altera q u o d ei quos in provincia
ac legatione omni et liberalitatis et virtutis suae testis
h a b u e r a t n o n d u m decesserant. H o r u m u t r u m q u e ei
f o r t u n a ad consulatus petitionem reservavit. N a m et
L. Luculli exercitus qui ad t r i u m p h u m convenerat
idem comitiis L. M u r e n a e praesto f u i t . et m u n u s am-
plissimum q u o d petitio p r a e t u r a e desiderarat praetura
restituit.

N u m tibi haec parva videntur adiumenta et subsidia


consulatus, voluntas m i l i t u m , q u a e q u e cum per se valet
m u l t i t u d i n e , c u m a p u d suos gratia, t u m vero in consulc
d e c l a r a n d o m u l t u m etiam apud universum p o p u l u n i
R o m a n u m auctoritatis habet, suffragatio militaris? Im-
peratorcs enim comitiis consularibus, non v e r b o r u m
interpretes deliguntur. Q u a re gravis est illa oratio: "Me
saucium recreavit, m e praeda donavit; hoc duce castra
c e p i m u s , signa c o n t u l i m u s ; n u m q u a m iste plus militi
laboris imposuit q u a m sibi sumpsit, ipse c u m fortis t u m
etiam felix." H o c q u a n t i putas esse ad famam h o m i n u m
ac voluntatem? E t e n i m , si tanta illis comitiis religio est
ut a d h u c semper omen valuerit praerogativum, quid
FÜR ΜUREΝΑ 549

Doch wenn trotzdem Gründe genannt werden sollen: bei


der Prätur machte sich das Fehlen zweier Dinge deutlich fühl-
bar, die sich beide beim Konsulat als großer Vorteil für Mu-
rena auswirkten: einmal die Erwartung von Spielen, die eini-
ges Gerede und die böswilligen Behauptungen der Mitbe-
werber gesteigert hatten, zum anderen die Tatsache, daß die
Leute, die in der Provinz und während seiner ganzen Amts-
zeit als Legat seine Großzügigkeit und Tüchtigkeit kennen-
gelernt hatten, noch nicht nach Rom zurückgekehrt waren.
Beides bewahrte ihm das Schicksal für die Bewerbung um das
Konsulat auf. Denn einerseits war das Heer des L.Lucullus,
das sich zum T r i u m p h eingefunden hatte, für die Wahl des
L. Murena zur Stelle, andererseits brachte die Prätur die groß-
artigen Spiele, welche die Bewerbung um die Prätur hatte
vermissen lassen 47 .
Glaubst du etwa, dies sei eine geringe Hilfe und Unter-
stützung für das Konsulat: der Wille der Soldaten und die
Zustimmung des Heeres, die an sich schon wegen der Menge
zählt und wegen des Einflusses bei den Angehörigen, vor
allem aber, wenn ein Konsul bestimmt werden soll, sogar
beim ganzen römischen Volke große Bedeutung hat? Bei den
Konsulwahlen werden nämlich Feldherren, nicht Worterklä-
rer ausgesucht. Daher wiegen solche Reden schwer: «Mich
hat er, als ich verwundet war, wiederhergestellt; mir hat er
von der Beute geschenkt; unter seiner Führung haben wir
das Lager eingenommen, den Feind angegriffen; niemals hat
er dem gemeinen Mann größere Anstrengungen zugemutet,
als er selbst auf sich nahm, er, der selbst Tapferkeit mit Glück
verband.» Was meinst du, wieviel das zur günstigen Meinung
und Geneigtheit der Leute beiträgt? Denn wenn unsere Wah-
len so sehr von abergläubischen Rücksichten abhängen, daß
bis jetzt stets das Vorzeichen maßgeblich war, das die zuerst
wählende Zenturie gegeben hatte 4 ®, was Wunder, wenn sich
55° PRO L MUBFNA

rnirum est in hoc felicitatis f a m a m sermonemque valu-


isse?
S e d si haec leviora ducis quae sunt gravissima et hanc
urbanam s u f f r a g a t i o n e m militari anteponis, noli lu-
dorum huius elegantiam et scaenae magnificentiam tam
valde contemnere; quae huic a d m o d u m profuerunt.
N a m quid ego dicam p o p u l u m ac volgus imperitorum
ludis m a g n o opere delectari? M i n u s est m i r a n d u m .
Q u a m q u a m huic causae id satis est; sunt enim populi ac
multitudinis comitia. Q u a re, si populo ludorum ma-
gnificentia voluptati est, non est mirandum earn L . \ l u -
renae apud p o p u l u m profuisse. S e d si nosmet ipsi qui et 39
ab delectatione communi negotiis i m p e d i m u r et in ipsa
occupatione delectationes alias multas habere possu-
m u s , ludis tarnen oblectamur et d u c i m u r , quid tu adrni-
rere de multitudine indocta? L . O t h o , vir fortis. meus 40
necessarius, equestri ordini restituit non solum dignita-
tem sed etiam voluptatem. Itaque lex haec quae ad
ludos pertinet est o m n i u m gratissima, quod honestis-
simo ordini cum splendore fructus q u o q u e iucunditatis
est restitutus. Q u a re delectant homines, mihi crede,
ludi, etiam illos qui dissimulant, non solum eos qui
fatentur; quod ego in mea petitione sensi. N a m nos
q u o q u e habuimus scaenam competitricem. Q u o d si ego
qui trinos ludos aedilis feceram tamen Antoni ludis
commovebar, tibi qui casu nullos feceras nihil huius
istam ipsam quam inrides argenteam scaenam adversa-
tam putas?
FOR ML'RENA 55'

bei Murena das Gerücht und die Kunde von seiner glück-
haften Art ausgewirkt hat?
Doch wenn du dies für geringfügig hältst, während es von
größter Bedeutung ist, und du der Willensbekundung der
Stadtbevölkerung mehr Gewicht beimißt als der des Heeres,
dann hüte dich, die erlesenen Spiele und großartigen Theater-
aufführungen Murenas so überaus gering zu veranschlagen:
sie kamen ihm in hohem Maße zustatten. Denn wozu soll ich
erst noch versichern, daß das Volk und der unwissende Hau-
fen an Spielen großen Gefallen findet? Man braucht sich kaum
darüber zu wundern. Doch für ihn ist das Grund genug; auch
die Wahlen sind ja Sache des Volkes und der Menge. Wenn
daher dem Volke großartige Spiele Vergnügen bereiten, so
ist's kein Wunder, daß sie dem L. Murena beim Volke zustat-
ten kamen. Doch wenn auch wir, die wir durch unsere Pflich-
ten von den allgemeinen Zerstreuungen ferngehalten werden
und in unserer Tätigkeit selbst mancherlei andere Zerstreu-
ung finden können, uns trotzdem von Spielen vergnügen und
fesseln lassen, was soll man sich über die ungebildete Menge
wundern? L.Otho, ein tüchtiger Mann, ein Freund von mir,
hat dem Ritterstand nicht nur sein Ansehen, sondern auch
sein Vergnügen zurückgegeben. Dieses Gesetz über die Spiele
ist deshalb das beliebteste von allen, weil es einem hochan-
gesehenen Stande außer seinem Glanz auch den Vorteil einer
Annehmlichkeit wiederverschafft hat 4 9 . Demnach haben die
Leute an Spielen Freude, glaub mir's, auch diejenigen, die
es nicht zeigen, nicht die allein, die es offen zugeben; das habe
ich selbst bei meiner Bewerbung gespürt. Denn auch bei mir
hat die Bühne mitgeworben. Ich hatte drei ädilizische Spiele
veranstaltet, und doch machten mich die Spiele des Antonius
besorgt; da glaubst du, der du zufällig gar keine gegeben
hattest, daß dir eben die von dir verspottete Silberbühne des
Murena nicht entgegengearbeitet hat 3 0 ?
55 2 PRO L. MIRENA

Sed haec sane sint paria omnia, sit par forensis opera 41
militari, militaris suffragatio urbanae, sit idem magnifi-
centissimos et nullos umquam fecisse ludos; quid? in
ipsa praetura nihilne existimas inter tuam et huius sor-
tem interfuisse? Huius sors ea fuit quam omnes tui
necessarii tibi optabamus, iuris dicundi; in qua gloriam
conciliat magnitudo negoti, gratiam aequitatis largitio;
qua in sorte sapiens praetor qualis hie fuit offensionem
vitat aequabilitatc decernendi, benivolentiam adiungit
lenitate audiendi. Kgregia et ad consulatum apta pro-
vincia in qua laus aequitatis, integritatis, facilitatis ad
extremum ludorum voluptate concluditur.

Quid tua sors? Tristis, atrox, quaestio peculatus ex 42


altera parte lacrimarum et squaloris, ex altera plena
accusatorum atque indicum; cogendi iudices inviti, reti-
nendi contra voluntatem; scriba damnatus, ordo totus
alienus; Sullana gratificatio reprehensa, multi viri for-
tes et prope pars civitatis offensa est; lites severe aesti-
matae; cui placet obliviscitur, cui dolet meminit.

Postremo tu in provinciam ire noluisti. Non possum


id in te reprehendcre quod in me ipso et praetore et
consule probavi. Sed tarnen L. Murenae provincia mul-
tas bonas gratias cum optima existimatione attulit.
1 labuit proficiscens dilectum in Umbria; dedit ei facul-
FÜR MURF-ΝΛ 553

Doch nehmen wir an, dies alles sei einander völlig gleich-
wertig; die Mühewaltung auf dem Forum sei dem Militär-
dienst gleich und die Stimmen der Soldaten denen der Stadt-
bevölkerung; es bedeute dasselbe, ob jemand die großartig-
sten Spiele veranstaltet hat oder überhaupt keine. Was dann?
Meinst du, daß während der Prätur selbst keinerlei Unter-
schied zwischen deinem und Murenas Amtsbereich bestanden
hat? Ihm fiel die Aufgabe zu, die wir, deine Freunde, allesamt
dir gewünscht hatten, die der Zivilgerichtsbarkeit 5 '; hierbei
verschafft das Gewicht der Tätigkeit Ansehen, das Gewähren
von Gerechtigkeit Einfluß; in diesem Amt vermeidet ein klu-
ger Prätor, wie er einer war, Mißhelligkeiten durch gerechte
Entscheidungen und verschafft sich Wohlwollen durch freund-
liches Anhören. Also ein vorzüglicher und für das Konsulat
geeigneter Amtsbereich; das Lob des unbestechlichen Ge-
rechtigkeitssinnes und des umgänglichen Wesens wird
schließlich durch das Vergnügen der Spiele bekrönt.
Wie aber steht es mit deinem Amt? Es war bedrückend und
furchtbar: die Strafverfolgung von Unterschleif, einerseits von
Tränen und Niedergeschlagenheit, andererseits mit Anklä-
gern und Denunzianten erfüllt; die Richter mußten wider
ihren Willen herbeigeholt, entgegen ihrer Absicht festgehal-
ten werden; ein Schreiber erhielt Strafe, und der ganze Stand
war verstimmt; die Begünstigungen Sullas wurden gerügt,
was bei vielen tüchtigen Männern und fast bei einem Teil der
Bürgerschaft Anstoß erregte 5 1 ; die Festsetzung der Straf-
summen war streng - wem das behagt, der vergißt's; wen es
ärgert, der trägt es nach.
Schließlich hast du nicht in die Provinz gehen wollen. Ich
kann bei dir nicht tadeln, was ich bei mir selbst als Prätor und
Konsul gutgeheißen habe. Nichtsdestoweniger verschaffte die
Provinz L. Murena viele gute Beziehungen und einen ausge-
zeichneten Ruf. Als er aufbrach, hob er in Umbrien Truppen
554 PRO L. ML'RFNA

tatem res publica liberalitatis, qua usus multas sibi


tribus quae municipiis U m b r i a e conficiuntur adiunxit.
Ipse autem in G a l l i a ut nostri homines desperatas iam
pecunias exigerent aequitate diligentiaque perfecit. T u
interea R o m a e scilicet amicis praesto fuisti; fateor; sed
tamen illud cogita non nullorum amicorum studia mi-
nui solere in eos a q u i b u s provincias contemni intelle-
gunt.

Et quoniam ostendi, iudices, parem dignitatem ad 43


consulatus petitionem, disparem fortunam provincia-
lium negotiorum in Murena atque in S u l p i c i o fuisse,
dicam iam apertius in q u o meus necessarius fuerit
inferior, S e r v i u s , et ea dicam vobis audientibus amisso
iam tempore quae ipsi soli re integra sacpe dixi. Petere
consulatum nescire te, S e r v i . persaepe tibi dixi; et in eis
rebus ipsis quas te m a g n o et forti animo et agere et
dicere videbam tibi solitus sum dicere magis te fortcm
accusatorem mihi videri q u a m sapientem candidatum.

P r i m u m accusandi terrores et minac quibus tu coti-


die uti solebas sunt fortis viri, sed et populi opinionem a
spe adipiscendi avertunt et amicorum studia debilitant.
N e s c i o quo pacto semper hoc fit - neque in uno aut
altero a n i m a d v e r s u m est sed iam in pluribus - simul
atque candidatus accusationem meditari visus est, ut
honorem despcrasse videatur. Q u i d ergo? acceptam 44
iniuriam persequi non placet? I m m o vehementer pla-
fCr murena 555

aus; der Staat gab ihm Gelegenheit zu großzügigem Geba-


r e n " ; er ergriff sie und verpflichtete sich in großer Zahl die
Wahlbezirke, die aus den umbrischen Landstädten bestehen.
In Gallien 54 aber erreichte er es durch Gerechtigkeit und Um-
sicht, daß unsere Leute schon aufgegebene Forderungen ein-
brachten. Du warst allerdings unterdessen in Rom deinen
Freunden zur Hand, zugestanden; doch denke daran, daß
mancher Freund in seinem Eifer denen gegenüber nachzulas-
sen pflegt, von denen er feststellt, daß sie Provinzen ausschla-
gen".
Ich habe gezeigt, ihr Richter, daß Murena und Sulpicius
gleich würdige Konsulatsbewerber waren, jedoch eine un-
gleich glückliche Hand in der Frage der Provinz hatten; dar-
aufhin will ich jetzt ganz offen sagen, worin mein Freund Ser-
vius unterlegen war, und ich will euch gegenüber, da er das
Spiel bereits verloren hat, dasselbe sagen, was ich oft zu ihm
allein gesagt habe, als die Sache noch nicht entschieden war.
Ich habe dir sehr oft gesagt, Servius, daß du dich nicht auf die
Konsulatsbewerbung verstehst, und bei eben den Dingen, die
ich dich zuversichtlich und beherzt sagen und tun sah, pflegte
ich dir zu erklären, daß ich dich eher fur einen tüchtigen An-
kläger hielte als für einen geschickten Kandidaten.
Erstens die Schreckgespenster der Anklage und die Dro-
hungen, die du täglich zu bemühen pflegtest: sie bekunden
mannhaften Mut, doch lassen sie beim Volke die Meinung
aufkommen, daß du dich nicht durchsetzen werdest, und
schwächen den Eifer der Freunde. Ich weiß nicht, warum es
immer wieder so zugeht (man hat's ja nicht nur bei einem
oder zweien beobachtet, sondern schon bei ziemlich vielen):
sobald der Verdacht aufkommt, der Kandidat richte sich auf
eine Anklage ein, glaubt man, er habe die Hoffnung auf das
Amt aufgegeben.Wie? Soll man empfangenes Unrecht nicht
verfolgen? Allerdings, das soll man durchaus, doch jedes zu
556 PRO L. MLRKNA

cet; sed aliud tempus est petendi, aliud persequendi.


Petitoren! ego, praesertim consulatus, magna spe, ma-
gno animo, magnis copiis et in forum et in campum
deduci volo. Non placet mihi inquisitiocandidati, prae-
nuntia repulsae. non testium potius quam suffraga-
torum comparatio, non minae magis quam blanditiae,
non denuntiatio potius quam pcrsalutatio, praesertim 45
cum iam hoc novo more omnes fere domos omnium
concursent et ex voltu candidatorum coniecturam fa-
ciant quantum quisque animi et facultatis habere videa-
tur. "Yidesnc tu ilium tristem, dcmissum? iacet, diffi-
dit, abiecit hastas." Serpit hie rumor. "Scis tu ilium
accusationem cogitare, inquirere in competitores, testis
quaerere? Alium fac iam, quoniam sibi hie ipse despe-
rat." Eius modi rumoribus candidatorum amici intimi
debilitantur, studia deponunt; aut certam rem abiciunt
aut suam operam et gratiam iudicio et accusationi reser-
vant.

Accedit eodem ut etiam ipse candidatus totum ani-


mum atque omnem curam operam diligentiamque
suam in petitione non possit ponere. Adiungitur enim
accusationis cogitatio, non parva res sed nimirum om-
nium maxima. Magnum est enim te comparare ea qui-
bus possis hominem e civitate, praesertim non inopem
neque infirmum, exturbare, qui et per se et per suos et
vero etiam per alienos defendatur. Omnes enim ad
pericula propulsanda concurrimus et qui non aperte
inimici sumus etiam alienissimis in capitis periculis
FÜR MIRENA 557

seiner Zeit: entweder man bewirbt sich, oder man verfolgt das
Unrecht. Ich verlange zumal von einem Konsulatsbewerber,
daß er sich, seines Erfolges sicher und selbstbewußt, von zahl-
reichem Anhang auf das Forum und das Marsfeld geleiten läßt.
Mir gefallt es nicht, wenn jemand seinen Mitbewerber über-
wacht und so seine Niederlage im voraus ankündigt, wenn er
sich lieber Zeugen verschafft als Wähler, wenn er mehr droht
als sich freundlich zeigt, wenn er lieber laut eifert als nach
allen Seiten grüßt, zumal ja jetzt nach neuer Gepflogenheit
fast jedermann jedermanns Haus aufsucht und aus der Miene
der Kandidaten Schlüsse zieht, wie viel Zuversicht und Selbst-
vertrauen ein jeder zu haben scheint. «Siehst du, wie betrübt
und niedergeschlagen der ist? Er liegt am Boden, er ist ohne
Hoffnung, er hat das Rennen aufgegeben.» Diese Kunde brei-
tet sich aus. «Weißt du, daß er auf eine Anklage sinnt, die
Mitbewerber überwacht, Zeugen sucht? Halte es jetzt mit
einem anderen, da er ja selbst an seiner Sache verzweifelt.»
Durch derlei Gerüchte werden die engsten Freunde der Kan-
didaten entmutigt, und sie geben ihre Bemühungen auf; sie
lassen die ganze Angelegenheit fallen oder sparen ihre Dienste
und ihren Einfluß für Verfahren und Anklage auf.
Es kommt hinzu, daß auch der Kandidat selbst nicht mehr
seine ganze Aufmerksamkeit und alle seine Sorge, Mühe und
Umsicht auf seine Bewerbung wenden kann. Der Plan der An-
klage belastet ihn zusätzlich, keine geringfügige Sache, sondern
gewiß die allerschwierigste. Denn es ist schwierig, sich die
Voraussetzungen zu verschaffen, mit denen man jemandem
das Bürgerrecht entziehen k a n n " , zumal, wenn der andere
nicht wehrlos und schwach ist; er verteidigt sich ja aus eigener
Kraft und durch seinen Anhang und sogar durch Außenste-
hende. Denn wir eilen alle herbei, Gefahren abzuwehren, und
wenn wir nicht erklärte Feinde sind, bringen wir auch ganz
Fremden, wird ihre Existenz bedroht, die Dienste und Be-
55» PRO I.. ML RFS'A

amicissimorum officia et studia pracstamus. Qua re ego 46


expertus et petendi et defendendi et accusandi moles-
tiam sic intellexi in petendo Studium esse acerrimum,
in d e f e n d e n d o o f f i c i u m , in accusando laborem. Itaque
sic statuo fieri nullo m o d o posse ut idem accusationcm
et petitionem consulatus diligenter adornet atque in-
struat. Unum sustinere pauci possunt. utrumque
nemo.

T u cum te de curriculo petitionis deflexisses ani-


m u m q u e ad accusandum transtulisses, existimasti te
utrique negotio satis facere posse. Vehementer errasti.
Q u i s enim dies fuit, postea quam in istam accusandi
denuntiationem ingressus es. quem tu non totum in
ista ratione consumpseris? L e g e m ambitus flagitasti.
quae tibi non deerat; erat enim severissime scripta
C a l p u r n i a . G e s t u s est mos et voluntati et dignitati tuae.
S e d tota iIIa lex accusationem tuam, si haberes nocen-
tem reum, fortasse armasset; petitioni vero refragata
est. Poena gravior in plebem tua voce efflagitata est; 47
commoti animi tenuiorum. Kxsilium in nostrum ordi-
nem; concessit senatus postulationi tuae, sed non liben-
ter duriorem fortunae communi condicionem te auctore
constituit. Morbi excusationi poena addita est; voluntas
o f f e n s a multorum quibus aut contra valetudinis c o m ·
m o d u m laborandum est aut incommodo morbi etiam
ceteri vitae fructus relinquendi. Q u i d ergo? haec quis
tulit? Is qui auctoritati senatus, voluntati tuae paruit.
FÜR MLRFNA 559

mühungen der engsten Freunde dar. Daher bin ich, der ich
das beschwerliche Geschäft der Amtsbewerbung, der Vertei-
digung und der Anklage aus eigener Erfahrung kenne, zu fol-
gender Einsicht gelangt: bei der Amtsbewerbung ist die Be-
flissenheit, bei der Verteidigung die Hilfsbereitschaft, bei der
Anklage die aufgewandte Mühe am wichtigsten. Deshalb
meine ich, daß in keiner Weise dieselbe Person eine Anklage
und die Bewerbung um das Konsulat gehörig zu versehen und
vorzubereiten vermag. Eines können nur wenige vollbringen,
beides niemand.
Als du dich von der Bahn der Bewerbung abgewandt und
deinen Sinn auf die Anklage hinübergelenkt hattest, da glaub-
test du, beiden Tätigkeiten genügen zu können. Du hast dich
gehörig verrechnet. Denn welcher Tag verging, nachdem du
dich darauf verlegt hattest, diese Anklage in Aussicht zu stel-
len, ohne daß du ihn ganz und gar hierfür verwendet hättest?
Du verlangtest ein Gesetz gegen Amtserschleichung, obwohl
es dir hieran nicht fehlte; das Calpurnische Gesetz enthielt
nämlich sehr strenge Bestimmungen. Man fügte sich deinem
Willen und Ansehen. Doch dieses ganze Gesetz 57 hätte viel-
leicht deine Anklage gewappnet, wenn du einen schuldigen
Täter hättest; deiner Bewerbung jedoch war es hinderlich.
Deine Stimme forderte eine schwerere Strafe für die gemeinen
Bürger; die kleinen Leute waren hiervon betroffen. Sie for-
derte für unseren Stand die Verbannung; der Senat fügte sich
zwar deinem Verlangen, doch setzte er nur ungern auf deine
Veranlassung eine härtere Bedingung für die gemeinsame
Sache fest. Die Entschuldigung wegen Krankheit wurde mit
Strafe bedroht; das verletzte viele Gutwillige, die sich entwe-
der zum Schaden ihrer Gesundheit abmühen oder wegen des
Nachteils einer Krankheit auch auf die übrigen Früchte des
Lebens verzichten müssen. Wie nun? Wer brachte diese Be-
stimmungen ein? Jemand, der dem Wunsche des Senats, der
)6o PRO L. ML'RKNA

denique is tulit cui minime proderant. Ilia quidem quae


rnea summa voluntate senatus frequens repudiavit mc-
diocriter adversata tibi esse existimas? Confusionem
suffragiorum flagitasti, + praerogationum legis Mani-
liae t , aequationem gratiae, dignitatis, suffragiorum.
Graviter homines honesti atque in suis vicinitatibus et
municipiis gratiosi tulerunt a tali viro esse pugnatum ut
omnes et dignitatis et gratiae gradus tollerentur. Idem
editicios iudices esse voluisti, ut odia occulta civium
quae tacitis nunc discordiis continentur in fortunas
optimi cuiusque erumperent. Haec omnia tibi accu- 48
sandi viam muniebant, adipiscendi obsaepiebant.

Atque ex omnibus ilia plaga est iniecta petitioni tuae


non tacente me maxima, de qua ab homine ingeniosis-
simo et copiosissimo, Q . I Iortensio, multa gravissime
dicta sunt. Quo etiam mihi durior locus est dicendi
datus ut, cum ante me et ille dixisset et vir summa
dignitate et diligentia et facultatc dicendi, M. Crassus,
ego in extremo non partem aliquam agcrem causae sed
de tota re dicerem quod mihi videretur. Itaque in isdem
rebus fere versor et quoad possum, iudices, occurro
vestrae satietati.

Sed tarnen, Servi, quam te securim putas iniecisse


petitioni tuae, cum populum Romanum in cum metum
adduxisti ut pertimesceret ne consul Catilina fieret.
dum tu accusationem comparares deposita atque ab-
iecta petitioner F.tenim te inquirere videbant, tristem 44
FÜR MU'RFNA

deinem Willen gehorchte, überhaupt brachte der sie ein, dem


sie am wenigsten von Nutzen waren 5 *. Jene Anträge, die der
stark besuchte Senat mit meiner uneingeschränkten Zustim-
mung ablehnte - glaubst du, sie hätten dir nur mäßig gescha-
det? Du fordertest die Vermischung der Stimmklassen... und
die Gleichheit von Einfluß, Geltung und Stimmrecht 5 *. An-
gesehene und in ihren Bezirken und Landstädten einflußreiche
Männer nahmen es sehr übel, daß ein solcher Mann sich be-
mühte, alle Unterschiede der Geltung und des Einflusses auf-
zuheben. Du wünschtest ebenfalls, daß die Richter vom An-
kläger bestimmt würden 40 , damit der verborgene Haß der
Bürger, der jetzt von unausgetragener Zwietracht zurück-
gehalten wird, gegen die Stellung zumal der Tüchtigsten
ausbricht. Dies alles hat dir den Weg der Anklage geebnet,
den Weg des Wahlerfolges versperrt.
Und dann wurde deiner Bewerbung entgegen meinem Rat
die allerschwerste Wunde zugefügt. Hierüber hat bereits ein
in hohem Maße begabter und redegewandter Mann, QJ-Ior-
tensius, ausführlich und mit großem Nachdruck gesprochen.
Desto ungünstiger ist der Platz, den ich für meine Rede er-
hielt: vor mir hat sowohl Hortensius gesprochen als auch M.
Crassus, ein Mann, der sich ebenso durch sein Ansehen wie
durch Sorgfalt und Redetalent auszeichnet; ich muß daher an
letzter Stelle, statt einen Teil der Sachc zu behandeln, vom
Ganzen erörtern, was mir beliebt. Daher befasse ich mich so
ziemlich mit denselben Gegenständen, und ich will, soviel ich
kann, eurer Langeweile entgegenwirken, ihr Richter.
Indessen, was glaubst du, Servius, was für einen Beilhieb
du gegen deine Bewerbung kehrtest, als du das römische Volk
in Angst versetztest? Es mußte ja fürchten, daß Catilina Kon-
sul würde, während du die Bewerbung aufgabst und von dir
warfst und die Anklage vorbereitetest. Denn man sah ja, wie
du Nachforschungen anstelltest; du selbst warst erbittert,
5 б2 PRO L ML'RF.NA

ipsum, maestos amicos; observationes, testificationcs.


seductiones testium, secessiones subscriptorum anim-
advertebant. quibus rebus certe ipsi candidatorum vol-
tus obscuriores videri solent; Catilinam intcrca alacrem
atque laetum, stipatum choro iuventutis, vallatum indi-
cibus atque sicariis, inflatum cum spe militum tum
conlegae mei, quem ad modum dicebat ipse, promissis,
circumfluentem colonorum Arretinorum et Faesu-
lanorum exercitu; quam turbam dissimillimo ex genere
distinguebant homines perculsi Sullani temporis cala-
mitate. Yoltus erat ipsius plenus furoris, oculi sceleris,
sermo adrogantiae, sic ut ei iam exploratus et domi
conditus consulatus videretur. Murenam contemnebat,
Sulpicium accusatorem suum numerabat non competi-
torem; ei vim denuntiabat, rei publicae minabatur.

Q u i b u s rebus qui timor bonis omnibus iniectus sit 50


quantaque desperatio rei publicae. si ille factus esset,
nolite a me commoneri velle; vosmet ipsi vobiscum
recordamini. Meministis enim, cum illius nefarii gla-
diatoris voces percrebruissent quas habuisse in con-
tione domestica dicebatur, cum miserorum fidelem
defensorem negasset inveniri posse nisi eum qui ipse
miser esset; integrorum et fortunatorum promissis sau-
cios et miseros credere non oportere; qua re qui con-
sumpta replere, erepta reciperare vellent, spectarent
quid ipse deberet, quid possideret, quid auderet; mi-
nime timidum et valde calamitosum esse oportere eum
qui esset futurus dux et signifercalamitosorum.
КCRMLRFNA

deine Freunde bedrückt; man bemerkte, wie Beobachtungen


angestellt und Zeugnisse aufgenommen wurden, wie die Zeu-
gen beiseite traten und sich in der Stille die Mitankläger ver-
sammelten, Dinge, bei denen sich gewiß auch die Mienen der
Bewerber zu verfinstern pflegen. Unterdessen sah man Catali-
na beflissen und vergnügt, vom Chor der Jugend begleitet,
von Verrätern und Mördern umgeben, aufgebläht von der
Hoffnung auf die Soldaten und von den Versprechungen mei-
nes Kollegen (wie er selbst behauptete), umwogt vom Heer
der Siedler aus Arretium und Faesulae*1; in dieser bunt zu-
sammengewürfelten Schar stachen Leute hervor, die durch
die unglückliche Zeit Sullas entwurzelt waren". Catilinas
Miene verriet Wahnsinn, seine Augen Verbrechen, seine Re-
den Anmaßung; man hatte den Eindruck, daß er das Konsu-
lat bereits fiir ausgemacht hielt und bei sich zu Hause auf-
bewahrte. Murena verachtete er; Sulpicius galt ihm als sein
Ankläger, nicht als sein Mitbewerber: ihm kündigte er Ge-
walt an, dem Staate drohte er.
Welche Angst diese Dinge bei allen Rechtschaffenen er-
regten und welche Verzweiflung an der politischen Lage,
falls er gewählt würde - verlangt nicht, daß ich euch darauf
hinweise; ruft euch das selbst ins Gedächtnis zurück. Ihr er-
innert euch ja, wie die Worte dieses abgefeimten Banditen
bekannt wurden, die er, wie es hieß, in einer Versammlung
bei sich zu Hause geäußert hatte, wie er behauptete, man
könne keinen getreuen Verteidiger der Elenden finden, es sei
denn jemanden, der selbst im Elend stecke. Wer angeschlagen
und entrechtet sei, dürfe den Versprechungen der Unversehr-
ten und Begüterten nicht glauben; wer Verbrauchtes erset-
zen, Geraubtes wiedererlangen wolle", solle beachten, was
er selbst 64 fiir Schulden habe, was er besitze, was er riskiere;
der künftige Anführer und Bannerträger der Unglücklichen
müsst· gänzlich frei von Furcht und überaus unglücklich sein.
564 PRO L. MLRFNA

T u m igitur, his rebus auditis, meministis fieri sena- 51


tus consultum referente me ne postero die comitia
haberentur, ut de his rebus in senatu agere possemus.
Itaque postridie frequenti senatu Catilinam excitavi
atquc e u m de his rebus iussi, si quid vellet, quae ad m e
adlatae essent dicere. A t q u e ille, ut semper fuit apertis-
simus, non se purgavit sed indicavit atque induit. Tum
enim dixit d u o corpora esse rei publicae, u n u m debile
i n f i r m o capite, alterum f i r m u m sine capite; huic. si ita
de se meritum esset, caput se vivo non d e f u t u r u m .
C o n g e m u i t senatus f r e q u e n s neque tamen satis severe
pro rei indignitate decrevit; nam partim ideo fortes in
decernendo non erant, quia nihil timebant, partim,
quia omnia. Krupit e senatu triumphans gaudio quem
omnino v i v u m illinc exire non oportuerat, praesertim
cum idem ille in eodem ordine paucis diebus ante
C a t o n i , fortissimo viro, judicium minitanti ac denun-
tianti respondisset, si quod esset in suas fortunas incen-
d i u m excitatum, id se non aqua sed ruina restincturum.

H i s tum rebus commotus et quod homines iam tum 52


coniuratos cum gladiis in c a m p u m deduci a Catilina
sciebam, descendi in c a m p u m cum firmissimo praesi-
dio fortissimorum virorum et cum ilia lata insignique
lorica, non quae me tegeret - etenim sciebam Catilinam
f C r murena 565

Daraufhin, als dies bekannt wurde, kam, wie ihr wißt, auf
meinen Vortrag hin ein Senatsbeschluß zustande, daß am
folgenden Tage keine Wahlen stattfinden sollten, damit wir
die Angelegenheit im Senat beraten könnten. So rief ich denn
am folgenden Tage in einer stark besuchten Sitzung Catilina
auf und gebot ihm, er möge sich, wenn er wolle, über die
Dinge äußern, die man mir hinterbracht habe. Und er, von
größter Offenheit, wie er immer war, rechtfertigte sich nicht,
sondern bezichtigte sich selbst und verstrickte sich in seine
Schuld. Denn er sagte damals, der Staat bestehe aus zwei
Leibern 65 ; der eine sei gebrechlich und habe ein schwaches
Haupt, der andere sei stark und habe gar kein Haupt; diesem
Leib werde, wenn er sich ihm gegenüber entsprechend ver-
halte, zu seinen Lebzeiten das Haupt nicht fehlen. Der zahl-
reich versammelte Senat ächztc auf, und doch befand er in
Anbetracht der ungeheuerlichen Sache nicht streng genug;
denn teils waren die Senatoren deshalb nicht tatkräftig in
ihren Entschlüssen, weil sie nichts, teils, weil sie alles fürch-
teten. Er stürzte aus dem Senat, triumphierend vor Freude,
er, der gar nicht mehr lebend dort hätte herauskommen dür-
fen ; hatte doch derselbe Catilina wenige Tage zuvor in der-
selben Versammlung dem wackeren Cato, der einen Prozeß
androhte und in Aussicht stellte, geantwortet, wenn man
einen Brand gegen seine Aussichten entfache, dann werde er
ihn nicht mit Wasser, sondern durch einen allgemeinen Ein-
sturz löschen.
Diese Vorkommnisse stimmten mich damals bedenklich;
außerdem wußte ich, daß Catilina schon in jener Zeit seine
Mitverschworenen bewaffnet auf dem Marsfeld aufziehen
ließ. Ich begab mich daher mit einer sehr starken Schutztrup-
pe mutigster Männer auf das Marsfeld 44 und trug hierbei
jenen breiten und auffälligen Brustpanzer - nicht um mich
zu schützen (ich wußte ja, daß Catilina nicht auf die Flanke
P R O I.. MLRFNA

n o n latus aut v e n t r e m sed c a p u t et Collum solere petere


- v e r u m ut o m n e s b o n i a n i m a d v e r t e r e n t e t . c u m in
m e t u et p e r i c u l o c o n s u l e m v i d e r e n t , id q u o d est fac-
tum, ad o p e m praesidiumquc concurrerent. Itaque
c u m t e . S e r v i , r e m i s s i o r e m in p e t e n d o p u t a r e n t , C a t i l i -
n a m et s p e et c u p i d i t a t e i n f l a m m a t u m v i d e r e n t , o m n e s
qui illam a b re p u b l i c a p e s t e m d e p e l l e r e c u p i e b a n t ad
M u r e n a m se s t a t i m c o n t u l e r u n t .

M a g n a est a u t e m c o m i t i i s c o n s u l a r i b u s repentina
voluntatum inclinatio, praesertim cum incubuit ad
v i r u m b o n u m et m u l t i s aliis a d i u m e n t i s p e t i t i o n i s o r n a -
tum. Q u i c u m honestissimo patre atque maioribus,
m o d e s t i s s i m a a d u l e s c e n t i a , c l a r i s s i m a l e g a t i o n e , prae-
tura p r o b a t a in iure, grata in m u n e r e , o r n a t a in p r o v i n -
cia petisset d i l i g e n t e r . et ita petisset ut n e q u e m i n a n t i
c e d e r e t n e q u e c u i q u a m m i n a r e t u r , h u i c m i r a n d u m est
magno adiumento Catilinae subitam spem consulatus
a d i p i s c e n d i fuisse?

N u n c m i h i t e r t i u s ille locus est r e l i c t u s o r a t i o n i s , de


a m b i t u s c r i m i n i b u s , p e r p u r g a t u s ab eis qui a n t e m e
d i x e r u n t , a m e . q u o n i a m ita M u r e n a v o l u i t , r e t r a c t a n -
d u s ; q u o in loco C . P o s t u m o , familiari m e o , o r n a t i s -
s i m o viro, d e di v i s o r u m indieiis et d e d e p r e h e n s i s p e c u -
niis, a d u l e s c e n t i i n g e n i o s o et b o n o , S e r . S u l p i c i o , d e
e q u i t u m c e n t u r i i s , M . C a t o n i , h o m i n i in o m n i v i r t u t e
FÜR MLRENA 5б7

oder den Leib, sondern auf den Kopf und den Hals zu zielen
pflegte); vielmehr sollten alle Rechtschaffenen aufmerksam
werden und, da sie den Konsul in Furcht und Bedrängnis
sahen, zu seiner Hilfe und zu seinem Schutz herbeieilen, wie
es denn auch eingetreten ist. Als man daher glaubte, du be-
treibest deine Bewerbung allzu nachlässig, Servius, und als
man sah, wie Catilina von Hoffnung und Gier entflammt war,
da wandten sich alle, die dieses Verderben vom Staate fern-
zuhalten wünschten, unverzüglich Murena zu.
Eine plötzliche Zuneigung des Willens hat nun aber bei
den Konsulwahlen großes Gewicht, besonders wenn sie sich
auf einen tüchtigen Mann richtet, den auch viele andere Ei-
genschaften bei der Bewerbung empfehlen. Der Vater und
die Vorfahren Murenas genossen hohes Ansehen; seine Jugend
zeichnete sich durch Bescheidenheit aus; sein Legatenamt
war glanzvoll; bei seiner Prätur billigte man die Rechtspre-
chung, hieß man die Spiele willkommen und bewunderte
man die Verwaltung der Provinz. Als er sich nun mit Um-
sicht bewarb und sich so bewarb, daß er sich weder durch
Drohungen einschüchtern ließ noch seinerseits jeman-
dem drohte, nimmt es da wunder, daß ihm Catilinas plötz-
liche Zuversicht, das Konsulat zu erlangen, wesentlich gehol-
fen hat?
Jetzt bleibt mir noch der dritte Punkt meiner Rede übrig,
der die Vorwürfe der Amtserschleichung betrifft; meine Vor-
redner haben ihn als völlig gegenstandslos erwiesen, doch ich
muß ihn, da Murena es so wünscht, noch einmal behandeln.
Hierbei will ich dem C.Postumus, meinem Freunde, einem
ausgezeichneten Manne, wegen der Anzeigen der Spenden-
verteiler und wegen des beschlagnahmten Geldes antwor-
ten 47 , ferner dem begabten und trefflichen jungen Manne Ser.
Sulpicius wegen der Ritterzenturien 4 8 sowie dem M.Cato,
einer Persönlichkeit, die in allen guten Eigenschaften hervor-
568 PRO L. MIRFNA

excellent!, de ipsius accusatione. de senatus consulto.


de re publica respondebo.
Sed pauca quae meum animum repente moverunt
prius de L. Murenae fortuna conquerar. Nam cum
saepc antea, iudices. et ex aliorum miseriis et ex meis
curis laboribusque cotidianis fortunatos eos homines
iudicarem qui remoti a studiis ambitionis otium ac
tranquillitatem vitae secuti sunt, tum \ его in his L. Mu-
renae tantis tamque improvisis periculis ita sum animo
adfectus ut non queam satis neque communem omnium
nostrum condicionem neque huius eventum fortunam-
que miserari. Qui primum, dum ex honoribus conti-
nuis familiae maiorumque suorum unum ascendere
gradum dignitatis conatus est, venit in periculum ne et
ea quae ei relicta, et haec quae ab ipso parta sunt
amirtat, deinde propter Studium novae laudis etiam in
veteris fortunae discrimen adducitur.

Quae cum sunt gravia, iudices, tum illud acerbissi-


mum est quod habet eos accusatores, non qui odio
inimicitiarum ad accusandum, sed qui studio accusandi
ad inimicitias descenderint. Nam ut omittam S e n ium
Sulpicium quem intellego non iniuria L. Murenae sed
honoris contentionc permotum, accusat paternus ami-
cus, C. Postumus. vetus, ut ait ipse, vicinus ac necessa-
rius, qui necessitudinis causas compluris protulit. si-
multatis nullam commemorare potuit. Accusat Ser.
Sulpicius, sodalis filius, cuius ingenio paterni omnes
necessarii munitiores esse debebant. Accusat M. Cato
qui cum a Murena nulla re umquam alienus fuit, tum ea
condicione nobis erat in hac civitate natus ut eius opes,
FCR Μ LR Κ Ν Λ 569

ragt, wegen seiner eigenen Anschuldigungen, wegen des Se-


natsbeschlusses und wegen des Staatsinteresses.
Doch zuvor will ich, wie es mich gerade bewegt, ein wenig
über das Los des L.Murena Klage führen. Denn schon früher
haben mich die Mißgeschicke anderer und meine eigenen
täglichen Sorgen und Mühen oft veranlaßt, ihr Richter, die-
jenigen für glücklich zu halten, die sich fern vom Drange des
Ehrgeizes zu einem gemächlichen und ruhigen Leben ent-
schlossen. Um so mehr bin ich bei diesen ebenso schweren
wie unvorhersehbaren Bedrängnissen des L. Murena in einer
Verfassung, daß ich weder unser aller Lage noch das Los und
Geschick dieses Mannes genug beklagen kann. Er hat ver-
sucht, um eine Rangstufe über die gleichartigen Ämter seiner
Familie und seiner Vorfahren hinauszugelangen"; da gerät
er einmal in die Gefahr, sowohl die ererbte als auch die durch
eigene Leistung erworbene Würde zu verlieren, zum anderen
setzt er durch sein Streben nach neuem Ansehen auch seine
ganze bisherige Stellung aufs Spiel.
Das ist schon drückend, ihr Richter, das Bitterste aber ist,
daß Leute ihn anklagen, die sich nicht aus feindseligem Haß
zum Prozessieren, sondern aus Prozeßwut zur Feindschaft
entschlossen haben. Denn um Ser.Sulpicius nicht zu erwäh-
nen, den, wie ich sehe, nicht ein Unrecht des L.Murena, son-
dern der Wettstreit um das Amt veranlaßt hat: Ankläger ist
ein väterlicher Freund, C.Postumus, seit alters, wie er selbst
sagt, Murenas Nachbar und guter Bekannter, der zwar meh-
rere Gründe für die enge Beziehung vorbrachte, jedoch keinen
für sein feindseliges Verhalten zu nennen vermochte. Anklä-
ger ist Ser. Sulpicius, der Sohn des Vereinsgenossen 70, dessen
Talent den Schutz aller väterlichen Freunde verstärken müß-
te. Ankläger ist M.Cato; der aber hat sich niemals in irgend-
einer Angelegenheit mit Murena überworfen; vor allem wur-
de er uns in diesem Staate zu der Bestimmung geschenkt, daß
57« PRO L. ML'RFNA

ut i n g e n i u m praesidio m u l t i s etiam alienis, e x i t i o vix


c u i q u a m i n i m i c o esse d e b c r e t .
R e s p o n d e b o igitur P o s t u m o p r i m u m qui n e s c i o q u o
p a c t o mihi videtur praetorius c a n d i d a t u s in c o n s u l a r e m
quasi desultorius in q u a d r i g a r u m c u r r i c u l u m incur-
rere. C u i u s c o m p e t i t o r e s si nihil d e l i q u e r u n t , dignitati
e o r u m c o n c e s s i t , c u m petere destitit; sin autem e o r u m
aliquis largitus est, e x p e t e n d u s a m i c u s est qui a l i e n a m
potius i n i u r i a m q u a m suam p e r s e q u a t u r .

D E P O S T U M I C R I M I N I B U S , DE S E R V I A D U L E S C E N T I S .

V e n i o n u n c ad M . C a t o n e m , q u o d est f u n d a m e n t u m
ac r o b u r totius accusationis; qui t a m e n ita gravis est
a c c u s a t o r et v e h e m e n s ut m u l t o magis eius a u c t o r i t a t e m
q u a m c r i m i n a t i o n e m p e r t i m e s c a m . In q u o ego a c c u s a -
t o r e , i u d i c e s , p r i m u m illud d e p r e c a b o r ne quid L . M u -
renae dignitas illius, ne quid e x s p e c t a t i o t r i b u n a t u s , n e
quid totius vitae splendor et gravitas n o c e a t , d e n i q u e n e
ea soli h u i c o b s i n t b o n a M . C a t o n i s q u a e ille adeptus est
ut m u l t i s prodesse possit. Bis consul fuerat P. A f r i c a -
nus et duos terrores huius imperi, C a r t h a g i n e m NU-
m a n t i a m q u e , deleverat c u m accusavit L . C o t t a m . E r a t
in eo s u m m a e l o q u e n t i a , s u m m a fides, s u m m a i n t e g r i -
tas, auctoritas tanta q u a n t a in i m p e r i o populi R o m a n i
q u o d illius opera t e n e b a t u r . S a e p e hoc m a j o r e s natu
d i c e r e audi vi, hanc accusatoris e x i m i a m vim et d i g n i t a -
t e m p l u r i m u m L . C o t t a e profuisse. N o l u e r u n t s a p i c n -
tissimi h o m i n e s qui t u m rem illam iudicabant ita q u e m -
q u a m c a d e r e in iudicio ut nimiis adversarii viribus
Fl'R ML'RFNA

seine Macht, daß seine Begabung selbst manchen Unbekann-


ten retten und kaum je einen Feind verderben solle.
Ich will also zunächst dem Postumus antworten - er scheint
mir, ich weiß nicht wie, als Kandidat für die Prätur auf einen
Konsulatsbewerber loszustürmen wie das Pferd eines Kunst-
reiters auf das Wettrennen der Viergespanne". Wenn sich
seine Mitbewerber nichts zuschulden kommen ließen, dann
machte er ihrer Würdigkeit ein Zugeständnis, indem er die
Bewerbung aufgab; doch wenn einer von ihnen Geschenke
verteilt hat, dann muß Postumus einen Freund herbeiholen,
da er selbst lieber fremde Unbill verfolgt als die eigene.
(Über die Anschuldigungen des Postumus.
Uber die Beschwerden des jüngeren Servius".)
Ich will mich jetzt mit M.Cato befassen, der Hauptstütze
und dem Rückgrat der ganzen Anklage; er ist freilich nur
insofern ein bedrohlicher und starker Ankläger, als ich das
Gewicht seiner Person viel mehr fürchten muß als seine Be-
schuldigungen. Bei diesem Ankläger möchte ich zuerst darum
bitten, ihr Richter, daß nicht sein Ansehen, daß nicht das
bevorstehende Tribunat, daß nicht der Glanz und die Bedeu-
tung seines ganzen Lebens dem L. Murena schadet, kurz, daß
nicht die Vorzüge, die M.Cato besitzt, um vielen helfen zu
können, diesem einen Manne hinderlich sind. P. African us
war zweimal Konsul gewesen und hatte zwei Schrecknisse
unseres Reiches, Karthago und Numantia, vernichtet, als er
gegen L.Cotta Anklage erhob". Er besaß die größte Rede-
gabe, die größte Pflichttreue, die größte Lauterkeit und so
viel Ansehen wie die Herrschaft des römischen Volkes, die
sich auf seine Taten stützte. Oft habe ich Ältere sagen hören,
diese außergewöhnliche Machtstellung des Anklägers sei dem
L. Cotta von größtem Nutzen gewesen. Nach der Ansicht der
hochweisen Männer, die damals diesen Fall entschieden, sollte
niemand unter solchen Umständen einen Prozeß verlieren,
572 PRO L. MIRENA

abiectus videretur. Quid? Ser. Galbam - nam traditum 59


memoriae est - nonne proavo tuo, fortissimo atque
florentissimo viro, \ 1 . Catoni, incumbenti ad eius per-
niciem populus Romanus eripuit? Semper in hac civi-
tate nimis magnis accusatorum opibus et populus uni-
versus et sapientes ac multum in posterum prospicien-
tes iudices restiterunt. Nolo accusator in iudicium po-
tentiam adferat, non vim maiorem aliquam, non aucto-
ritatem excellentem, non nimiam gratiam. Yaleant
haec omnia ad salutem innocentium, ad opem impo-
tentium, ad auxilium calamitosorum, in periculo vero
et in pernicie civium repudientur. Nam si quis hoc forte 60
dicet, Catonem descensurum ad accusandum non fu-
isse, nisi prius de causa iudicasset, iniquam legem,
iudices, et miseram condicionem instituet periculis ho-
minum, si existimabit iudicium accusatoris in reum pro
aliquo praeiudicio valere oportere.

Kgo tuum consilium. Cato, propter singulare animi


mei de tua virtute iudicium vitupcrare non possum; non
nulla forsitan conformare et leviter emendare possim.
"Non multa peccas," inquit ille fortissimo viro senior
magister, "sed peccas; te regere possum." At ego non te;
verissime dixerim peccare te nihil neque ulla in re te
esse huius modi ut corrigendus potius quam leviter
inflectendus esse videare. Finxit enim te ipsa natura ad
honestatem, gravitatem, temperantiam, magnitudinem
animi, iustitiam, ad omnis denique virtutes magnum
hominem et excelsum. Accessit istuc doctrina non nio-
FCR m l r f n a 573

daß man glauben konnte, er sei von der Übermacht des Geg-
ners zerschmettert worden. Wie? Hat nicht das römische
Volk deinem Urgroßvater M.Cato, dem tüchtigsten und an-
gesehensten Manne, den Ser. Galba (das ist ja überliefert) ent-
rissen, als jener sich bemühte, ihn zu vernichten' 4 ? Stets ha-
ben sich in diesem Staate das gesamte Volk und einsichtsvolle,
weit in die Z u k u n f t blickende Richter der allzu großen Macht
von Anklägern widersetzt. Ich wünsche nicht, daß ein An-
kläger Macht in den Prozeß einbringt, keine überlegene Stär-
ke, kein hervorragendes Ansehen, keinen allzu großen Ein-
fluß. All dies mag dem Heil Unschuldiger, dem Beistand
Schwacher, der Unterstützung Unglücklicher forderlich sein,
doch wenn es um die Not und das Verderben von Mitbürgern
geht, dann weise man dergleichen zurück. Denn gesetzt, je-
mand behauptet, Cato hätte sich nicht zur Anklage entschlos-
sen, wenn er den Fall nicht zuvor beurteilt hätte: der würde
bedrohte Menschen einer ungerechten Bedingung und einer
elenden Lage aussetzen, glaubte er doch, das Urteil des An-
klägers müsse als Vorentscheidung gegen den Beschuldigten
gelten.
Ich kann deinen Entschluß wegen meines überaus günsti-
gen Urteils über deine Trefflichkeit nicht tadeln, Cato; einige
Punkte vermag ich vielleicht zurechtzurücken und ein wenig
zu verbessern. «Du machst nicht viele Fehler», sprach der
ältere Lehrmeister zu einem äußerst tüchtigen Manne, «doch
du machst Fehler; ich kann dich anleiten 7 3 .» Nicht aber ich
dich; am richtigsten würde ich sagen: du machst niemals
einen Fehler, noch verhältst du dich bei irgendeiner Sache so,
daß man glauben könnte, man müsse dich zurechtweisen und
dich nicht vielmehr nur ein wenig umlenken. Denn schon die
Natur hat dir Lauterkeit, Strenge, Selbstbeherrschung, See-
lengröße, Gerechtigkeitssinn, kurz alle Tugenden verliehen
und dich so zu einem großen und bedeutenden Menschen
PRO 1
574 · ML'Rf'NA

derata nec mitis sed, ut mihi videtur, paulo aspcrior ct


durior quam aut Veritas aut natura patitur.

F.t quoniam non est nobis hacc oratio habenda aut in 61


imperita multitudine aut in aliquo conventu agrestium,
audacius paulo de studiis humanitatis quae et mihi et
vobis nota et iueunda sunt disputabo. In M. Catone,
iudices, haec bona quae videmus divina et egregia ipsius
scitote esse propria; quae non numquam requirimus. ea
sunt omnia non a natura verum a magistro. Fuit enim
quidam summo ingenio vir, Zeno, cuius inventorum
aemuli Stoici nominantur. Huius sententiae sunt ct
praeeepta eius modi. Sapientem gratia numquam mo-
veri, numquam cuiusquam delicto ignoscere; neminem
misericordem esse nisi stultum et levem; viri non esst·
neque exorari neque placari; solos sapientes esse, si
distortissimi sint, formosos, si mendicissimi, divites, si
servitutem serviant, reges; nos autem qui sapientes non
sumus fugitivos, exsules, hostis, insanos denique esse
dicunt; omnia pcccata esse paria; omne delictum scelus
esse nefarium, nec minus delinquere cum qui gallum
gallinaceum, cum opus non fuerit, quam eum qui pa-
trem suffoeaverit; sapientem nihil opinari, nullius rei
paenitere, nulla in re fall·, sententiam mutarc num-
quam.

Hoc homo ingeniosissimus, M. Cato, auetoribus 62


eruditissimis induetus adripuit. neque disputandi
causa, ut magna pars, sed ita vivendi. Petunt aliquid
FÜR MLRFNA 575

gebildet. Hierzu kamen noch philosophische Grundsätze, die


nicht gemäßigt und duldsam, sondern, wie mir scheint, etwas
strenger und härter sind, als die Wirklichkeit und das mensch-
liche Wesen zulassen.
Und da ich nicht vor einer unwissenden Menge oder einer
Zusammenkunft von Bauern zu reden habe, will ich mich
etwas herzhafter über jene höhere Bildung äußern, die euch
ebenso bekannt und angenehm ist wie mir. Diese göttlichen
und überragenden Vorzüge, die wir an M.Cato bemerken:
seid euch bewußt, ihr Richter, daß sie seinem eigenen Wesen
entspringen; was wir bisweilen an ihm vermissen, das ist alles
nicht durch seinen Charakter, sondern durch seinen Lehrmei-
ster bedingt. Einst lebte nämlich ein Mann von größter
Geisteskraft, Zenon 7 4 ; die seinen Erkenntnissen anhängen,
heißen Stoiker. Dessen Grundsätze und Vorschriften lauten
folgendermaßen: Der Weise lasse sich nie durch Nachsicht
bestimmen; nie verzeihe er jemandem ein Vergehen; nur ein
Tor und Leichtfuß sei mitleidig; ein Mann lasse sich nicht
erbitten noch beschwichtigen; einzig die Weisen seien schön,
auch wenn sie noch so verkrüppelt sind, seien reich, auch
wenn sie bettelarm sind, seien Könige, auch wenn sie als Skla-
ven dienen. Doch von uns, die wir keine Weisen sind, behaup-
ten die Stoiker, wir seien Flüchtlinge, Verbannte, Feinde, ja
Geisteskranke; alle Fehler seien gleich schlimm; jedes Ver-
sehen sei ein ruchloses Verbrechen; wer ohne Not einen Haus-
hahn tote, fehle nicht minder als derjenige, der seinen Vater
erdrosselt. Der Weise hingegen sei nie auf Vermutungen an-
gewiesen, er bereue nichts, irre sich in keinem Falle und än-
dere niemals seine Meinung.
Diese Anschauungen hat sich der hochbegabte M.Cato,
von grundgelehrten Gewährsleuten angeleitet, zu eigen ge-
macht, nicht um sich mit ihnen auseinanderzusetzen, wie die
meisten, sondern um sein Leben danach einzurichten. Die
576 PRO L. Ml'RFNA

publicani; cave ne q u i c q u a m habeat momenti gratia.


S u p p l i c e s aliqui v c n i u n t miseri ct c a l a m i t o s i ; s c e l e r a t u s
et n e f a r i u s f u e r i s , si q u i c q u a m m i s e r i c o r d i a a d d u c t u s
feceris. F a t e t u r aliquis se peccasse ct sui delicti v e n i a m
p e t i t ; " n e f a r i u m est f a c i n u s i g n o s c e r e . " A t leve delic-
t u m est. " O m n i a p e c c a t a s u n t p a r i a . " Dixisti q u i p p i a m :
" f i x u m et s t a t u t u m e s t . " N o n re d u c t u s es sed o p i n i o n e ;
" s a p i e n s nihil o p i n a t u r . " E r r a s t i aliqua in re; m a l e dici
p u t a t . Н а с ex d i s c i p l i n a n o b i s ilia s u n t : " D i x i in s e n a t u
m e n o m e n consularis candidati d e l a t u r u m . " Iratus dixis-
ti. " N u m q u a m " , i n q u i t , " s a p i e n s i r a s c i t u r . " A t t e m -
p o r i s c a u s a . " I m p r o b i " , i n q u i t , " h o m i n i s est m e n d a c i o
fallere; m u t a r e s e n t e n t i a m t u r p e e s t , exorari scelus,
misereri flagitiuni."

N o s t r i a u t e m illi - f a t e b o r e n i m , C a t o , m e q u o q u e in ήι
adulescentia diffisuni ingenio meo quaesisse adiumenta
d o c t r i n a e - n o s t r i , i n q u a m , illi a P i a t o n e et A r i s t o t e l e ,
m o d e r a t i h o m i n e s et t e m p e r a t i , a i u n t a p u d s a p i e n t e m
valere a l i q u a n d o g r a t i a m ; viri boni esse m i s e r e r i ; di-
stincta g e n e r a esse d e l i c t o r u m et d i s p a r i s p o e n a s ; esse
apud h o m i n e m constantem ignoscendi locum; ipsum
s a p i e n t e m saepe illiquid o p i n a r i q u o d nesciat, irasci n o n
n u m q u a m , exorari e u n d e m et placari, q u o d dixerit
i n t e r d u m , si ita r e c t i u s sit, m u t a r e , d e s e n t e n t i a d e c e -
FÜR MURENA 577

Steuerpächter bringen ein Gesuch vor: «Hüte dich, daß Ge-


fälligkeit auch nur den geringsten Einfluß hat!» Elende und
Unglückliche kommen hilfeflehend zu dir: «Du bist ein Ver-
brecher und Frevler, wenn irgend Mitleid dein Handeln be-
stimmt!» Jemand gesteht, daß er fehlte, und bittet für sein
Versehen um Verzeihung: «Nachsicht ist ein ruchloses Ver-
brechen.» Doch die Missetat ist gering. «Alle Verfehlungen
sind gleich schlimm.» Du hast irgend etwas gesagt: «Es ist be-
schlossen und festgesetzt.» Du hast dich nicht durch Tatsa-
chen, sondern durch eine Mutmaßung bestimmen lassen: « Der
Weise stützt sich nie auf Vermutungen.» Dir ist irgendein Irr-
tum unterlaufen: derStoiker glaubt, hiermit werde ein Schimpf
ausgesprochen. Nach dieser Lehre kommt man uns mit fol-
gendem: «Ich habe im Senat gesagt, ich würde gegen den
Konsulatsbewerber Anklage erheben.» Du hast es im Zorne
gesagt. «Ein Weiser», erwidert er,«zürnt niemals.» Oder der
Umstände wegen. «Nur ein gewissenloser Mensch täuscht
durch Lügen», wirft er ein; «seine Meinung zu ändern ist
schimpflich, Bitten nachzugeben ein Verbrechen, Mitleid zu
haben eine Schande.»
Doch unsere Gewährsleute (ich will nämlich zugeben, Cato,
daß auch ich mich in meiner Jugend nach Hilfe bei der Philo-
sophie umgetan habe, weil ich meiner Veranlagung nicht
sicher war), unsere Lehrer, sage ich, die Nachfolger des Piaton
und Aristoteles, gemäßigte und vernünftige Männer, erklä-
ren, auch beim Weisen gebe einmal Nachsicht den Ausschlag;
es zeige einen guten Charakter, Mitleid zu haben; die Arten
der Vergehen seien unterschiedlich und ungleich die Strafen;
auch der Beständige gebe der Verzeihung Raum; sogar der
Weise müsse oft vermuten, was er nicht wisse, er zürne mit-
unter, er lasse sich auch durch Bitten bestimmen und be-
schwichtigen, er nehme bisweilen eine Behauptung zurück,
wenn es so richtiger sei; er weiche auch einmal von seiner
57« PRO L. MIRFNA

dere aliquando; omnis virtutes mediocritate q u a d a m


esse m o d e r a t a s .
H o s ad m a g i s t r o s si q u a te f o r t u n a , C a t o , c u m ista 64
natura d e t u l i s s e t , non tu q u i d e m v i r m e l i o r esses nec
f o r t i o r nec t e m p e r a n t i o r nec iustior - n e q u e e n i m esse
potes - sed p a u l o ad l e n i t a t e m p r o p e n s i o r . N o n a c c u s a -
res nullis a d d u c t u s i n i m i c i t i i s , nulla lacessitus i n i u r i a ,
p u d e n t i s s i m u m h o m i n e m s u m m a d i g n i t a t e a t q u e ho-
nestate p r a e d i t u m ; p u t a r e s , c u m in e i u s d e m anni c u s t o -
dia te a t q u e L . M u r e n a m f o r t u n a p o s u i s s e t , a l i q u o te
c u m h o c rei p u b l i c a e v i n c u l o esse c o n i u n c t u m ; q u o d
atrociter in s e n a t u d i x i s t i , aut non d i x i s s e s aut, si
p o t u i s s e s , m i t i o r e m in p a r t e m interpretarere.

A c te i p s u m , q u a n t u m e g o o p i n i o n e a u g u r o r , n u n c et 65
a n i m i q u o d a m i m p e t u c o n c i t a t u m et vi n a t u r a e a t q u e
ingeni e l a t u m et r e c e n t i b u s p r a e c e p t o r u m studiis fla-
g r a n t e m iam u s u s f l e c t e t , d i e s leniet, aetas m i t i g a b i t .
E t e n i m isti ipsi m i h i v i d e n t u r vestri p r a e c e p t o r e s et
virtutis m a g i s t r i f i n i s o f f i c i o r u n i p a u l o l o n g i u s q u a m
natura vellet p r o t u l i s s e ut, c u m ad u l t i m u m animo
contendissemus, ibi tarnen ubi oporteret consistere-
mus. "Nihil i g n o v e r i s . " I m m o a l i q u i d . non omnia.
" N i h i l g r a t i a e c a u s a f e c e r i s . " I m m o resistito g r a t i a e ,
c u m o f f i c i u m et f i d e s p o s t u l a b i t . " M i s e r i c o r d i a c o m m o -
tus ne s i s . " F.tiam, in d i s s o l v e n d a sevcritate; sed t a m c n
est laus aliqua h u m a n i t a t i s . " I n sententia p e r m a n e t o . "
V e r o , nisi s e n t e n t i a m sententia alia vicerit melior.
KÜR MLRFNA 579

Meinung ab; alle guten Eigenschaften seien durch ein be-


stimmtes Mittelmaß bedingt.
Wenn dich mit deiner Wesensart, Cato, ein gütiges Ge-
schick zu diesen Lehrern hätte gelangen lassen, dann wärst
du zwar nicht besser noch mutiger, nicht beherrschter noch
gerechter (das könntest du ja gar nicht sein), aber du würdest
etwas mehr zur Milde neigen. Du würdest nicht gegen den
anständigsten Menschen, den größte Würde und Ehrenhaftig-
keit zieren, Anklage erheben, ohne durch Feindschaft gereizt,
durch einen Rechtsbruch herausgefordert zu sein; du würdest
denken, du seiest durch ein politisches Band mit L. Murena
verknüpft, da doch das Schicksal dich und ihn als Wächter
für dasselbe Jahr bestellt hat; was du drohend im Senate sag-
test, das hättest du entweder gar nicht gesagt, oder du wür-
dest es, wenn du könntest, gelinder auslegen.
Und dich mag jetzt eine seelische Wallung aufgebracht
und die Macht deines Charakters und deiner Wesensart er-
hoben und die frische Beschäftigung mit den Morallehren
entflammt haben: auch dich wird, soviel ich vermutungs-
weise voraussagen kann, die Erfahrung verändern, die Zeit
mildern, das Alter sanfter stimmen. Denn mir scheint, selbst
eure Gebieter und Tugendlehrer haben die Grenzen der Pflicht
nur deshalb etwas weiter hinausgeschoben, als unsere Natur
zuläßt, damit wir, indem wir unseren Willen auf das Äußerste
anspannen, gleichwohl dort stehen bleiben, wo es sich ge-
bührt. «Du darfst nichts verzeihen.» Doch, einiges; nicht
alles. «Du darfst nichts aus Gefälligkeit tun.» Doch, weise
vielmehr die Gefälligkeit nur dann von dir, wenn Pflicht und
Redlichkeit es fordern. «Laß dich nicht durch Mitleid be-
stimmen.» Ganz recht, wenn sonst jede Strenge aufhörte;
aber dennoch gebührt auch der Menschlichkeit einiges Lob.
« Bleibe bei deiner Meinung.» Jawohl, es sei denn, deine Mei-
nung wird durch eine andere, bessere Meinung besiegt.
j8o PRO L. ML'RFNA

H u i u s c e modi Scipio ille fuit q u e m non paenitebat 66


facere idem quod tu, habere eruditissimum hominem
Panaetium domi; cuius oratione et praeceptis, q u a m -
q u a m erant eadem ista quae te delectant, tarnen aspe-
rior non est factus sed, ut accepi a senibus, lenissimus.
Q u i s vero C . Laelio comior fuit, quis iucundior eodem
ex studio isto, quis illo gravior, sapientior? Possum de
L . Philo, de С . G a l l o dicere haec eadem, sed te d o m u m
iam deducam tuam. Q u e m q u a m n e existimas C a t o n e ,
proavo tuo, c o m m o d i o r e m , c o m m u n i o r e m , moderatio-
rem fuisse ad o m n e m rationem humanitatis? D e cuius
praestanti virtute c u m vere graviterque diceres, domes-
ticum te habere dixisti e x e m p l u m ad imitandum. Est
illud quidem e x e m p l u m tibi propositum domi, sed
tarnen naturae similitudo illius ad te magis qui ab illo
ortus es q u a m ad unum q u e m q u e nostrum pervenire
potuit, ad imitandum vero tarn mihi propositum
exemplar illud est q u a m tibi. Sed si illius comitatem et
facilitatem tuae gravitati severitatique asperseris, non
ista q u i d e m erunt meliora, quae nunc sunt optima, sed
certe condita iucundius.

Q u a re, ut ad id quod institui revertar, tolle mihi e 67


causa nomen Catonis, remove v i m , praetermitte aucto-
ritatem quae in iudiciis aut nihil valere aut ad salutem
debet valere, congredere m e c u m criminibus ipsis. Q u i d
accusas, C a t o , quid adfers ad iudicium, quid arguis?
A m b i t u m accusas; non defendo. M e reprehendis, quod
FÜR ML'RENA 58,

Von dieser Art war Scipio; er scheute sich nicht, dasselbe


zu tun wie du: er hatte Panaitios, den gelehrtesten Menschen,
bei sich zu Hause. Dessen Reden und Grundsätze waren die-
selben, welche dir behagen, und doch machten sie Scipio nicht
strenger, sondern, wie ich von alten Leuten erfahren habe,
äußerst milde. Wer war vollends freundlicher als C.Laelius,
der aus derselben philosophischen Schule hervorgegangen ist,
wer liebenswürdiger, wer war zugleich charakterfester und
weiser als er? Ich könnte dasselbe von L.Philus, von C.Gallus
behaupten", doch ich will dich jetzt in dein eigenes Haus
führen. Glaubst du, irgend jemand sei freundlicher, umgäng-
licher, schonender in jeder Art von menschlicher Rücksicht
gewesen als Cato, dein Urgroßvater? Als du treffend und ein-
dringlich über dessen hervorragende Tüchtigkeit sprachst,
da sagtest du, du habest an ihm ein Vorbild deines Hauses,
dem du nacheifern könntest. Gewiß, dir steht in deinem Hau-
se dieses Vorbild vor Augen; gleichwohl konnte nur die Ähn-
lichkeit seines Wesens eher auf dich, der du von ihm ab-
stammst, als auf jemanden von uns übergehen; als nachah-
mungswürdiges Beispiel aber steht er ebenso mir vor Augen
wie dir. Doch wenn du deinen strengen Ernst ein wenig mit
seiner freundlichen Umgänglichkeit versetztest, dann werden
zwar diese Züge von dir, die schon jetzt vollkommen sind,
nicht besser sein; gewiß aber werden sie eine mildere Würze
haben.
Laß mir daher (um zum begonnenen Thema zurückzukeh-
ren) den Namen Cato aus dem Spiel, halte deine Macht fern,
sieh vom Gewicht deiner Person ab, das sich in Prozessen ent-
weder gar nicht oder nur heilbringend auswirken darf; streite
mit mir um greifbare Schuldvorwürfe. Was enthält deine
Anklage, Cato, was trägst du zum Prozeß bei, was tust du
dar? Du klagst die unlautere Ämterjagd an - ich verteidige
sie nicht. Du tadelst mich: ich wolle eben das rechtfertigen,
PRO L. Μ LR F ΝΑ

idem defendam quod lege punierim. Punivi ambitum.


non innocentiam; ambitum vero ipsum vel tecum accu-
sabo, si voles. Dixisti senatus consultum me referente
esse f a c t u m , si mercede obviam candidatis issent, si
conducti sectarentur, si gladiatoribus volgo locus tribu-
tim et item prandia si volgo essent data, contra legem
Calpurniam factum videri. F.rgo ita senatus iudicat,
contra legem facta haec videri, si facta sint; decernit
quod nihil opus est, d u m candidatis morem gerit. N a m
factum sit necne vehementer quaeritur; sin factum sit,
quin contra legem sit dubitare nemo potest. Est igitur 6K
ridiculum, quod est d u b i u m , id relinquere incertum,
quod nemini d u b i u m potest esse, id iudicare. A t q u e id
decernitur omnibus postulantibus candidatis, ut ex
senatus consulto neque cuius intersit, neque contra
quem sit intellegi possit. Qua re doce ab L . Murena ilia
esse commissa; tum egomet tibi contra legem commissa
esse concedam.

"Multi obviam prodierunt de provincia d c c c d e n t i . "


Consulatum petenti solet fieri; eccui autem non prod-
itur revertenti? " Q u a e fuit ista multitudo?" P r i m u m , si
tibi istam rationem non possim reddere, quid habet
admirationis tali viro advenienti, candidato consulari,
obviam prodisse multos? quod nisi esset factum, magis
mirandum viderctur. Q u i d ? si etiam illud addam quod 69
FÜR ML'RENA 583

was ich durch ein Gesetz mit Strafe bedroht habe. Doch ich
habe die Ämterjagd mit Strafe bedroht, nicht die Unschuld;
die Ämterjagd selbst aber werde ich auch mit dir gemeinsam
anklagen, wenn du es wünschest. Du sagtest, auf meinen Vor-
trag hin sei folgender Senatsbeschluß ergangen: wenn jemand
gegen Entgelt zum Empfang der Kandidaten ausziehe, wenn
gemietete Leute ihnen das Geleit gäben, wenn das Volk be-
zirksweise für Fechterspiele Plätze erhalte und ebenso wenn
man dem Volke Festschmäuse ausrichte, so solle dies als
Verstoß gegen das Calpurnische Gesetz gelten 7 *. Der Senat
urteilt demnach so: dies gelte als Verstoß gegen das Gesetz,
wenn es geschehen sei; er beschließt somit etwas, dessen es
gnr nicht bedarf, indem er den Amtsbewerbern zu willfahren
sucht 7 *. Denn ob es geschehen ist oder nicht, das fragt sich
gar sehr; wenn es geschehen ist, dann kann niemand bezwei-
feln, daß es dem Gesetz zuwiderläuft. Es ist wirklich lächer-
lich: was zweifelhaft ist, das läßt man im ungewissen; was
niemandem zweifelhaft sein kann, das setzt man fest. Und
man trifft diese Bestimmung, weil alle Amtsbewerber danach
verlangen, so daß sich aus dem Senatsbeschluß nicht ersehen
läßt, wem er zugute kommt und gegen wen er sich richtet.
Beweise daher, daß L.Murena dergleichen begangen hat;
dann will ich dir zugeben, es sei dem Gesetz zuwider began-
gen worden.
«Viele zogen ihm entgegen, als er aus der Provinz zurück-
kam.» So ist es bei einem Konsulatsbewerber üblich; doch
kehrt überhaupt jemand heim, ohne daß man ihm entgegen-
zieht? «Was war das für eine Menge?» Erstens, wenn ich dir
das nicht erklären könnte: Was ist Wunderbares daran, daß
viele Leute einem solchen Manne, einem Konsulatsbewerber,
bei seiner Ankunft entgegenzogen? Wenn das nicht gesche-
hen wäre, dann müßte man sich wohl noch mehr wundern.
Wie? Wenn ich noch hinzufüge, was dem Brauche nicht wider-
5»4 PRO L. MLRF-NA

a consuetudine non abhorret, rogatos esse multos, num


aut criminosum sit aut mirandum, qua in civitate rogati
infimorum hominum filios prope de nocte ex ultima
saepe urbe deductum venire soleamus, in ea non esse
gravatos homines prodirc hora tertia in campum Mar-
tium, praesertim talis viri nomine rogatos? Quid? si
omnes societates venerum quarum ex numero multi
sedent iudices; quid? si multi homines nostri ordinis
honestissimi; quid? si ilia officiosissima quae neminem
patitur non honeste in urbem introire tota natio candi-
datorum, si denique ipse accusator noster Postumus
obviam cum bene magna caterva sua venit, quid habet
ista multitude admirationis? Omitto clientis, vicinos,
tribulis, exercitum totum Luculli qui ad triumphum
per eos dies venerat; hoc dico, frequentiam in isto
o f f i c i o gratuitam non modo dignitati nullius umquam
sed ne voluntati quidem defuisse.

" A t sectabantur multi." Doce mercede; concedam 70


esse crimen. Hoc quidem remoto quid reprendis? " Q u i d
opus est", inquit, "sectatoribus?" A me tu id quacris,
quid opus sit eo quo semper usi sumus? I lomines
tenues unum habent in nostrum ordinem aut prome-
rendi aut referendi benefici locum, hanc in nostris
petitionibus operam atque adsectationem. N e q u e enim
fieri potest neque postulandum est a nobis aut ab equiti-
bus Romanis ut suos necessarios candidatos adsecten-
tur totos dies; a quibus si domus nostra celebratur, si
interdum ad forum deducimur, si uno basilicae spatio
FÜR MURFNA 585

spricht: daß man viele gebeten hat? In unserer Bürgerschaft


pflegen Geladene sich einzufinden, um die Söhne einfachster
Leute fast noch bei Nacht und oft vom äußersten Stadtrand
aus zu geleiten 8 0 , und dann soll es anrüchig oder sonderbar
sein, daß die Leute nicht anstanden, zur dritten Stunde auf
dem Marsfelde zu erscheinen, zumal man sie um eines solchen
Mannes willen gebeten hatte? Wie? Wenn alle Pächterge-
nossenschaften kamen, von deren Mitgliedern viele hier zu
Gericht sitzen? Wie? Wenn auch zahlreiche hochangesehene
Männer unseres S t a n d e s " ? Wie? Wenn jene äußerst dienstbe-
flissene Schar, das ganze Volk der Amtsbewerber, das nie-
mandem den ehrenvollen Einzug in die Stadt versagt, wenn
selbst unser Ankläger Postumus mit einem ziemlich großen
Haufen angerückt kam: was ist dann an jener Menge wunder-
bar? Ich übergehe die Hörigen, die Nachbarn, die Bezirks-
genossen, das ganze Heer des Lucullus, das sich in jenen Ta-
gen zum T r i u m p h eingefunden hatte; ich sage nur: bei dieser
Gefälligkeit hat niemals jemandem die unentgeltliche Betei-
ligung einer großen Menge gefehlt, nicht nur, wenn er sie
verdiente, sondern auch, wenn er sie verlangte.
« Doch viele gaben ihm das tägliche Geleit.» Beweise, daß
es entgeltlich geschah; dann gebe ich gern zu, daß es ein Ver-
gehen ist. Doch was hast du zu tadeln, wenn diese Voraus-
setzung fehlt? Du sagst: «Wozu dienen die Begleiter?» Du
fragst mich, wozu etwas diene, was bei uns immer üblich
war? Die kleinen Leute haben eine Gelegenheit, unserem
Stande einen Dienst zu erweisen oder zu erwidern: die Mühe
der Begleitung bei unseren Bewerbungen. Denn es ist weder
möglich noch zumutbar, daß Männer unseres Standes oder
römische Ritter ihre nach einem Amte strebenden Freunde
tagelang begleiten; von ihnen glauben wir gewissenhafte
Huld und Ehre zu empfangen, wenn sie unser Haus aufsuchen,
wenn sie hin und wieder mit uns auf das Forum gehen, wenn
,-86 PRO L. ML'RFNA

honestamur. diligenter observari videmur et coli; tenui-


orum amicorum et ηυη occupatorum est ista adsidui-
tas, quorum copia bonis viris et beneficis deesse non
solet. Noli igitur eripere hunc inferior! generi ho- 71
minum fructum offici, Cato; sine cos qui omnia a nobis
sperant habere ipsos quoque aliquid quod nobis tri-
buere possint. Si nihil erit praeter ipsoruni suffragium,
tenues, etsi suffragantur. nil valent gratia. Ipsi deni-
que, ut solent loqui, non dicere pro nobis, non spon-
dere, non vocare domum suam possunt. Atque haec a
nobis petunt omnia neque ulla re alia quae a nobis
consequuntur nisi opera sua compensari putant posse.
Itaque et legi Fabiae quae est de numero sectatorum, et
senatus consulto quod est L. Caesare consule factum
restiterunt. Nulla est enim poena quae possit observan-
tiam tenuiorum ab hoc vetere instituto officiorum e \ -
cludere.

"At spectacula sunt tributim data et ad prandium 7:


volgo vocati." Ktsi hoc factum a Murena omnino, iudi-
ces, non est, ab eius amicis autem more et modo factum
est, tarnen admonitus re ipsa recordor quantum hae
conquestiones in senatu habitae punctorum nobis.
Servi, detraxerint. Quod enim tempus fuit aut nostra
aut patrum nostrorum memoria quo haec sive ambitio
est sive libcralitas non fuerit ut locus et in circo et in foro
daretur amicis et tribulibus? Haec homines tenuiores
praemia commodaque a suis tribulibus vetere instituto
adsequebantur ***
KÜR ML'RF.NA 587

sie uns einer Basilikenlänge 82 würdigen. Diese dauernde Ge-


genwart ist Sache befreundeter kleiner Leute, die nicht be-
schäftigt sind; sie pflegen tüchtigen und hilfsbereiten Män-
nern in großer Zahl zur Verfügung zu stehen. N i m m also dem
niederen Volke nicht den Vorteil dieser Dienstleistung, Cato;
laß zu, daß diejenigen, die alles von uns erhoffen, auch ihrer-
seits etwas haben, was sie uns gewähren können. Wenn die
kleinen Leute nichts besitzen als ihre Stimme, dann ist ihr
Einfluß trotz des Stimmbeistandes wirkungslos. Schließlich
können sie selbst, wie sie zu sagen pflegen, nicht für uns vor
Gericht sprechen, nicht Bürgschaft leisten und uns nicht zu
sich einladen. Und von uns erwarten sie dies alles, und sie
glauben, daß sie, was sie von uns erhalten, nur durch ihre
Dienste zu entgelten vermögen. Deshalb widersetzten sie sich
sowohl dem Fabischen Gesetz über die Zahl der Begleiter als
auch dem Senatsbeschluß, der während des Konsulats von L.
Caesar zustande k a m ' 1 . Denn keine Strafe vermöchte den
Pflichteifer der einfachen Leute von diesem alten Brauch der
Dienstleistungen abzuhalten.
«Indes, man hat bezirksweise Plätze für Schauspiele ver-
schenkt und öffentlich zum Mahle geladen.» Murena hat dies
zwar überhaupt nicht getan, ihr R i c h t e r ; seine Freunde aber
taten es nach dem Herkommen und mit M a ß ; indes, die
Sache selbst erinnert mich daran, wie viele Stimmen wir da-
durch eingebüßt haben, daß wir dem Senat derartige Be-
schwerden vortrugen. Denn zu welcher Zeit hat, so weit
unsere und unserer Väter Erinnerung reicht, dieser Brauch -
er sei eine Wahlbeeinflussung oder ein uneigennütziges Ge-
schenk - nicht bestanden, daß man seinen Freunden und Be-
zirksgenossen einen Platz im Zirkus und auf dem Forum* 4
verschaffte? Die kleinen Leute erhielten diese Belohnungen
und Vorteile nach altem Herkommen von ihren Bezirksge-
nossen ...
,-88 PRO L. MIRENA

Praefectum f a b r u m semel locum tribulibus suis de- 73


disse, quid statuent in viros primarios qui in circo totas
tabernas tribuliuni causa compararunt? H a e c omnia
sectatorum, spectaculorum, prandiorum item crimina a
multitudine in tuam nimiam diligentiam, S e r v i , con-
iecta sunt, in q u i b u s tarnen Murcna ab senatus aucto-
ritate defenditur. Q u i d enim? senatus n u m obviam
prodire crimen putat? N o n , sed mercede. Convince.
N u m sectari multos? N o n , sed conductos. Doce. N'um
locum ad spectandum dare aut ad p r a n d i u m invitare?
Minime, sed volgo, passim. Q u i d est volgo? Universos.
N o n igitur, si L . N a t t a , s u m m o loco adulescens, qui et
quo animo iam sit et qualis vir futurus sit videmus, in
equitum centuriis voluit esse et ad hoc o f f i c i u m necessi-
tudinis et ad reliquum tempus gratiosus, id erit eius
vitrico fraudi aut crimini, nec, si virgo Vestalis, huius
propinqua et necessaria, locum suum gladiatorium con-
cessit huic, non et ilia pie fecit et hie a culpa est
remotus. O m n i a haec sunt officia necessariorum, com-
moda tenuiorum, munia candidatorum.

A t enim agit m e c u m austere et Stoice C a t o , negat 74


verum esse adlici benivolentiam cibo, negat judicium
hominum in magistratibus mandandis corrumpi volup-
tatibus oportere. E r g o , ad cenam petitionis causa si quis
vocat, condemnetur? " Q u i p p e " , inquit, "tu mihi sum-
m u m imperium, tu s u m m a m auctoritatem, tu guberna-
FÜR Μ LR Ε NA 589

...daß der Befehlshaber der Pioniertruppe einmal Plätze an


seine Bezirksgenossen verschenkt hat, was wird man dann
gegen die vornehmen Herren beschließen, die für ihre Be-
zirksgenossen ganze Zirkuslogen errichten ließen? Das Volk
hat alle diese Vorwürfe über Begleiter, Schauspiele und Fest-
schmäuse deiner allzu großen Genauigkeit zugeschrieben,
Servius; Murena indes wird hierbei von der Willensmeinung
des Senats gedeckt. Wie denn? Hält der Senat es für ein Ver-
brechen, jemandem zum Empfang entgegenzuziehen? «Nein;
sondern nur, wenn es entgeltlich geschieht.» Überführe mich!
Oder sich von vielen Leuten begleiten zu lassen? «Nein, son-
dern nur, wenn es Mietlinge sind.» Beweise mir das! Oder
Zuschauerplätze zu verschenken oder zu einem Festschmaus
einzuladen? «Keineswegs, sondern nur, wenn es insgemein
und überall getan wird.» Was heißt insgemein? «Für alle.»
Wenn sich also L.Natta, ein sehr vornehmer junger Herr
(wir sehen ja, welche Geistesart er schon jetzt zeigt und was
für ein Mann einmal aus ihm wird) - wenn der sich vor den
Hundertschaften der Ritter bei diesem verwandtschaftlichen
Dienst und zugleich für die Zukunft in Gunst setzen wollte,
so kann daraus seinem Stiefvater kein Schaden oder Vorwurf
erwachsen, und wenn ihm die Vestalin, seine Verwandte und
Angehörige, ihren Platz bei den Fechterspielen abtrat, dann
hat sie pflichtgemäß gehandelt, und er ist frei von Schuld.
Dies alles sind Dienste von Verwandten, Vergünstigungen
für kleine Leute, Obliegenheiten von Amtsbewerbern.
Indes, Cato geht streng und stoisch gegen mich vor; er hält
es für nicht richtig, durch Schmause nach Beliebtheit zu kö-
dern; er behauptet, das Urteil der Leute dürfe bei der Ver-
gebung von Ämtern nicht durch Lustbarkeiten bestochen
werden. Soll man also jeden verurteilen, der anläßlich seiner
Bewerbung zu Tische lädt? «Freilich», wirft er ein, «du willst
mir nach der obersten Befehlsgewalt, nach der größten Macht,
59° PRO L. MLRFNA

cula rei publicae petas fovendis hominum sensibus et


deleniendis animis et adhibendis voluptatibus? U t r u m
lenocinium", inquit, "a grege delicatae iuventutis. an
orbis terrarum imperium a populo Romano petebas?"

Horribilis oratio; sed earn usus, vita, mores, civitas


ipsa respuit. N'eque tarnen Lacedaemonii, auctores
istius vitae atque orationis. qui cotidianis epulis in
robore a c c u m b u n t , neque vero Gretes quorum nemo
gustavit u m q u a m Cubans, melius quam Romani homi-
nes qui tempora voluptatis laborisque dispertiunt res
publicas suas retinuerunt; quorum alteri uno adventu
nostri exercitus deleti sunt, alteri nostri imperi praesi-
dio disciplinam suam legesque conservant. Q u a re noli, 75
C a t o , maiorum instituta quae res ipsa, quae diuturnitas
imperi comprobat nimium severa oratione reprehen-
dere.

Fuit eodem ex studio vir cruditus apud patres nostros


et honestus homo et nobilis, Q . Tubero. Is. cum
epulum Q . Maximus P. A f r i c a n i , patrui sui, nomine
populo R o m a n o daret, rogatus est a Maximo ut tricli-
nium sterneret, cum esset Tubero eiusdem Africani
sororis filius. A t q u e ille, homo eruditissimus ac Stoi-
cus, stravit pelliculis haedinis lectulos Funicanos et
exposuit vasa S a m i a , quasi vero esset Diogenes C y n i c u s
mortuus et non divini hominis Africani mors honestare-
tur; q u e m c u m supremo eius die Maximus laudaret.
gratias egit dis immortalibus quod ille vir in hac re
publica potissimum natus esset; necesse enim fuisse ibi
FÜR MLRFNA 59'

nach dem Steuerruder des Staates streben, indem du den Be-


gierden der Leute schmeichelst und ihre Sinne köderst und
ihnen Lustbarkeiten vorsetzest? Hast du dich bei einer Rotte
genußsüchtiger junger Leute um den Lohn der Verfuhrung»,
fährt er fort, «oder beim römischen Volk um das höchste Amt
des Weltreiches beworben?»
Eine schreckliche Rede; allein die Gewohnheit, der Alltag,
das Herkommen, die Bürgerschaft selbst lehnt sie ab. Die
Spartaner, die Urheber dieser Art von Lebensführung und
Grundsätzen, nehmen zu ihren täglichen Mahlzeiten auf
Holzbänken Platz, und kein Kreter ließ sich je zu Tische nie-
der' 5 ; trotzdem vermochten sie ihre staatlichen Belange nicht
besser wahrzunehmen als die Römer, die ihre Zeit auf Ver-
gnügen und Arbeit verteilten. Die einen wurden vernichtet,
als unser Heer ein einziges Mal anrückte; die anderen halten
im Schutze unseres Oberbefehls an ihren Sitten und Gesetzen
fest". Laß daher von deinen allzu strengen Reden ab, Cato,
und tadle die Bräuche der Vorfahren nicht, deren Zweck-
mäßigkeit die Sache selbst und das lange Bestehen unseres
Reiches beweisen.
Zur Zeit unserer Väter lebte ein Mann derselben Richtung,
gebildet, angesehen und aus vornehmem Hause, Q/Tubero.
Als Q^Maximus dem römischen Volke zu Ehren seines
Oheims P.Africanus einen Leichenschmaus gab, da bat er
Tubero, für die Gedecke zu sorgen; denn dieser war ebenfalls
ein Neffe des Africanus. Und er, ein Stoiker und grundge-
lehrter Mann, ließ auf punische Art gefertigte Pritschen mit
Bocksfellen bedecken und samisches Tongeschirr aufstellen*7,
als wäre der Kyniker Diogenes gestorben und als solle nicht
der Tod des Africanus, des göttlichen Mannes, geehrt werden.
Maximus hingegen, der ihm am Tage der Bestattung die
Leichenrede hielt, dankte den unsterblichen Göttern, daß
dieser Mann gerade in unserem Staate geboren sei; denn
PRO L. MLRFNA

esse t e r r a r u m i m p e r i u m ubi ille esset, H u i u s in m o r t e


c e l e h r a n d a g r a v i t e r tulit p o p u l u s R o m a n u s h a n c per-
versam sapienciam I u b e r o n i s , itaque homo integerri-
m u s , c i v i s o p t i m u s , c u m esset L . Pauli n e p o s , P. A f r i -
c a n i , ut d i x i , sororis f i l i u s , his haedinis pelliculis p r a e - 76
tura d e i e c t u s est. O d i t p o p u l u s R o m a n u s privatam
l u x u r i a m , p u b l i c a m m a g n i f i c e n t i a m diligit; non amat
p r o f u s a s e p u l a s , s o r d i s et i n h u m a n i t a t e m m u l t o m i n u s ;
d i s t i n g u i t r a t i o n e m o f f i c i o r u m ac t e m p o r u m , v i c i s s i t u -
d i n e m l a b o r i s ac v o l u p t a t i s .

N a m q u o d ais nulla re adlici h o m i n u m m e n t i s o p o r -


tere ad m a g i s t r a t u m m a n d a n d u m nisi d i g n i t a t e , hoc tu
ipse in q u o s u m m a est d i g n i t a s non s e r v a s . C u r e n i m
q u e m q u a m ut studeat tibi, ut te a d i u v e t rogas? R o g a s tu
m e ut m i h i p r a e s i s , ut c o m m i t t a m e g o m e tibi. Q u i d
t a n d e m ? istuc m e rogari o p o r t e t abs te, an te potius a m e
ut p r o m e a salute l a b o r e m p e r i c u l u m q u e suscipias?
Q u i d q u o d h a b e s n o m e n c l a t o r e m ? in eo q u i d e m fallis et 77
decipis. N a m , si n o m i n e appellari abs te c i v i s tuos
h o n e s t u m est, t u r p e est cos notiores esse s e r v o t u o
q u a m tibi. S i n iam n o r i s , t a m e n n e p e r monitorem
a p p e l l a n d i sunt c u m p e t i s , quasi i n c c r t u s sis? Quid
q u o d , c u m a d m o n e r i s , t a m e n , q u a s i tute n o r i s , ita
s a l u t a s ? Q u i d , postea q u a m es d e s i g n a t u s , m u l t o salu-
tas n e g l e g e n t i u s ? H a e c o m n i a ad r a t i o n e m civitatis si
d e r i g a s , recta s u n t ; sin p e r p e n d e r e ad d i s c i p l i n a e p r a e -
Fl'R ML'RENA 593

zwangsläufig sei die Weltherrschaft dorthin gelangt, wo er


gelebt habe. Das römische Volk rechnete dem Tubero seine
verkehrte Weisheit bei der Totenfeier dieses Mannes übel an,
und so brachten die Bocksfelle den lautersten Menschen und
trefflichsten Bürger um die Prätur, obwohl er ein Enkel des
L. Paullus und, wie gesagt, ein Neffe des P. Africanus war. Das
römische Volk verabscheut den Aufwand Einzelner, doch
staatliches Gepränge weiß es zu schätzen; verschwenderische
Schmause liebt es nicht, doch Geiz und mangelnde Lebensart
noch viel weniger; es unterscheidet die Art der Verpflich-
tungen und Anlässe, den Wechsel von Arbeit und Vergnü-
gen.
Denn wenn du sagst, man dürfe den Willen der Leute ein-
zig durch seine Würdigkeit zur Verleihung eines Amtes be-
stimmen, so hältst du selbst, der du in höchstem Maße wür-
dig bist, diesen Grundsatz nicht ein. Denn warum bittest du
jemanden, er möge sich für dich verwenden, er möge dir hel-
fen ? Du bittest mich, daß du meine Obrigkeit seiest, daß ich
mich in deine Gewalt begebe. Was soll das? Mußt du mich
um diese Gunst bitten oder nicht vielmehr ich dich, du mö-
gest zu meinem Besten Mühe und Gefahr auf dich nehmen?
Was bedeutet es, daß du einen Bediensteten hast, der dir die
Namen n e n n t " ? In dieser Hinsicht betrügst und täuschst du
jedenfalls. Denn wenn es sich gehört, daß du deine Mitbürger
namentlich begrüßest, so ist es eine Schande, daß dein Sklave
sie besser kennt als du. Doch wenn du sie schon kennst, mußt
du sie dir trotzdem bei einer Amtsbewerbung von einem Ein-
helfer nennen lassen, als ob du unsicher wärest? Wie aber,
wenn du, obwohl man dich belehrt hat, trotzdem die Leute
so grüßest, als ob du selbst sie kenntest? Wie, wenn du viel
nachlässiger grüßest, nachdem du gewählt bist? Alle diese
Dinge sind recht, wenn du sie nach den Gepflogenheiten un-
seres öffentlichen Lebens beurteilst; willst du sie aber nach
594 PRO L. MLRFNA

cepta velis, reperiantur pravissima. Qua re nec plebi


Romanae eripicndi fructus isti sunt ludorum, gladia-
t o r u m , conviviorum, quae omnia maiores nostri com-
paraverunt, nec candidatis ista benignitas adimenda est
quae liberalitatem magis significat q u a m largitionem.

At enim te ad accusandum res publica adduxit.


Credo, Cato, te isto animo atque ea opinione venisse;
sed tu imprudentia laberis. Kgo quod facio, iudices,
c u m amicitiae dignitatisque L. Murenae gratia facio,
t u m me pacis, oti, concordiae, libertatis, salutis, vitae
denique o m n i u m nostrum causa facere clamo atque
testor. Audite, audite consulem, iudices, nihil dicam
adrogantius, t a n t u m dicam totos dies atque noctes de re
publica cogitantem! N o n usque eo L. Catilina rem
publicam despexit atque contempsit ut ea copia q u a m
secum eduxit se hanc civitatem oppressurum arbitrare-
tur. Latius patet illius sceleris contagio quam quisquam
putat, ad pluris pertinet. Intus, intus, inquam, est
equus Troianus; a quo n u m q u a m me consule d o r m i e n -
tes opprimemini.

Quaeris a me ecquid egoCatilinam metuam. Nihil, et


curavi ne quis metueret, sed copias illius quas hie video
dico esse metuendas; nec tam timendus est nunc exerci-
tus L. Catilinae q u a m isti qui ilium cxercitum deseru-
isse dicuntur. Non enim deseruerunt sed ab illo in
speculis atque insidiis relicti in capite atque in cervici-
bus nostris restiterunt. Hi et integrum consulem et
Ft'R ML'RENA 595

den Vorschriften deines Lehrsystems abwägen, so erweisen


sie sich als grundverkehrt. Daher darf man weder die römi-
sche Bevölkerung um jene Vorteile bringen, um die Spiele,
Fechtkämpfe und Schmäuse (alles dies haben ja unsere Vor-
fahren eingerichtet), noch den Amtsbewerbern jene Gunst-
erweise verbieten, die eher auf Freigebigkeit deuten als auf
Bestechung.
Doch freilich, dich trieb das Staatswohl zur Anklage. Ich
bin überzeugt, Cato, daß du in diesem Glauben und in dieser
Annahme hier erschienen bist; allein, du strauchelst, ohne es
zu wollen. Was ich tue, ihr Richter, das tue ich einmal um
meiner Freundschaft mit L. Murena und um seiner Würdig-
keit willen, zum anderen aber erkläre und beteuere ich, daß
es um des Friedens, der Ruhe, der Eintracht, der Freiheit, des
Heiles, kurz und gut, um unser aller Leben willen geschieht.
Hört, hört auf euren Konsul, ihr Richter, der - ich will nichts
Ungebührliches ^agen, ich sage nur: der alle Tage und Näch-
te über das Staats wohl nachsinnt! L.Catilina denkt nicht so
geringschätzig und verächtlich von unserem Staat, daß er
glaubt, die Schar, die er mit sich führte, genüge, dieses Ge-
meinwesen zu vernichten. Die ansteckende Wirkung dieses
Verbrechens reicht weiter, als man ahnt; sie hat eine größere
Zahl ergriffen. Hier drinnen, hier drinnen, sage ich, steht das
trojanische Pferd; solange ich Konsul bin, wird es euch nie-
mals, während ihr schlaft, überwältigen.
Du fragst mich, ob ich mich etwa vor Catilina fürchte.
Durchaus nicht, und ich habe dafür gesorgt, daß niemand ihn
zu fürchten braucht; doch vor seiner Gefolgschaft, die ich
hier erblicke, muß man sich, sage ich, fürchten, und nicht
einmal das Heer des L.Catilina ist jetzt so besorgniserregend
wie jene Leute, von denen es heißt, daß sie sein Heer verlassen
haben. Denn sie haben es gar nicht verlassen, sondern blieben
auf Catilinas Weisung zurück, uns im Hinterhalte aufzulauern
596 PRO L. ML'RENA

b o n u m imperatorem et natura et fortuna c u m rei publi-


cae salute coniunctum deici de urbis praesidio et de
custodia civitatis vestris sententiis deturbari volunt.
Q u o r u m ego ferrum et audaciam reieci in campo, debi-
litavi in foro, compressi etiam domi meae saepe, iudi-
ces, his vos si alterum consulem tradideritis. plus multo
erunt vestris sententiis q u a m suis gladiis consecuti.
Magni interest, iudices, id quod ego multis repugnanti-
bus egi atque perfeci, esse k a l e n d i s Ianuariis in re
publica d u o consules.

N o l i t e arbitrari, mediocribus consiliis aut usitatis 8υ


viis eos uti. N o n lex improba, non perniciosa largitio,
non auditum aliquando aliquod m a l u m rei publicae
quaeritur. Inita sunt in hac civitate consilia, iudices,
urbis delendae, civium trucidandorum, nominis R o -
mani exstinguendi. A t q u e haec cives, cives, inquam, si
eos hoc nomine appellari fas est, de patria sua et cogi-
tant et cogitaverunt. H o r u m ego cotidie consiliis oc-
curro, audaciam debilito, sceleri resisto. Sed moneo,
iudices. In exitu iam est meus consulatus; nolite mihi
subtrahere vicarium meae diligentiae, nolite adimere
eum cui rem publicam cupio tradere incolumem ab his
tantis periculis d e f e n d e n d a m .

A t q u e ad haec mala, iudices, quid accedat aliud non 81


videtis? Т е , te appello, C a t o ; nonne prospicis tempesta-
tem anni tui? Iam enim in hesterna contione intonuit
F Ü R ML'RF.NA 597

und unserem Haupt und Nacken zu drohen. Sie wünschen


nur, daß euer Urteil einen verfassungstreuen Konsul und
tüchtigen Truppenführer, den Wesensart und Umstände auf
Gedeih und Verderb mit dem Staate verbinden, vom Schutz
der Stadt und von der Obhut über unser Gemeinwesen ver-
treibt. Ich habe ihre Waffen und ihren Frevelmut auf dem
Marsfeld zurückgewiesen, auf dem Forum geschwächt und
oft auch in meinem Hause niedergezwungen; wenn ihr diesen
Leuten den einen Konsul ausliefert, ihr Richter, dann haben
sie durch euer Urteil mehr erreicht als durch ihre eigenen
Schwerter. Es ist von großer Bedeutung, ihr Richter, daß es
(was ich gegen zahlreiche Widerstrebende betrieben und
durchgesetzt habe*') am i.Januar in unserem Staate zwei
Konsuln gibt.
Glaubt nicht, daß jene Leute mit gewöhnlichen Plänen oder
mit den üblichen Machenschaften umgehen. Nicht ein arges
Gesetz, nicht ein verderbliches Geschenk, nicht irgendein
schon bekanntes Übel unseres Staates ist ihr Ziel. Man hat in
unserem Gemeinwesen Pläne entworfen, ihr Richter, die Stadt
zu zerstören, die Bürger zu ermorden, den römischen Namen
auszulöschen. Und dies denken sich Bürger, Bürger, sage ich,
wenn man sie noch mit diesem Namen bezeichnen darf, gegen
ihr Vaterland aus, dies haben sie sich schon ausgedacht! Ich
aber durchkreuze täglich ihre Anschläge, breche ihren Frevel-
mut, widersetze mich ihrem Verbrechen. Doch ich warne
euch, ihr Richter. Mein Konsulat nähert sich schon dem Ende;
entzieht mir nicht den Stellvertreter meiner Umsicht, nehmt
mir nicht den Mann, dem ich unser Staatswesen in unver-
sehrtem Zustande übergeben will und der es vor diesen furcht-
baren Gefahren beschützen muß.
Und seht ihr nicht, ihr Richter, welches andere Übel zu
diesen noch hinzukommt? Ich rufe dich auf, dich, Cato: siehst
du nicht das Unwetter deines Amtsjahres voraus? Denn schon
598 PRO L. Ml'RKNA

vox perniciosa designati tribuni, conlegae tui; contra


quem multum tua mens, m u l t u m omnes boni provide-
runt qui te ad tribunatus petitionem vocaverunt. O m -
nia quae per hoc triennium agitata sunt, iam ab eo
tempore q u o a L . Catilina et C n . Pisone initum consi-
lium senatus interficiendi scitis esse, in hos dies, in hos
mensis, in hoc tempus e r u m p u n t .

Q u i locus est, iudices, quod tempus, qui dies, quae «2


nox c u m ego non ex istorum insidiis ac mucronibus non
solum meo sed multo etiam magis divino consilio eri-
piar atque evolem? N e q u e isti me meo nomine interfici
sed vigilantem consulem de rei publicae praesidio de-
moveri volunt. N e c minus vellent. C a t o , te q u o q u e
aliqua ratione, si possent, tollere; id q u o d , mihi crede,
et agunt et moliuntur. \ ident quantum in te sit animi,
q u a n t u m ingeni, q u a n t u m auctoritatis, quantum rei
publicae praesidi; sed, cum consulari auctoritate et
auxilio spoliatam v i m tribuniciam viderint, tum se faci-
lius inermem et debilitatum te oppressuros arbitrantur.
Nam ne s u f f i c i a t u r consul non timent. \ ident in
tuorum potestate conlegarum fore; sperant sibi D. Si-
lanum, clarum v i r u m , sine conlega, te sine consule, rem
publicam sine praesidio obici posse.

H i s tantis in rebus tantisque in periculis est tuum, 83


M . C a t o , qui mihi non tibi, sed patriae natus esse
videris, videre quid agatur, retinere adiutorem, defen-
FÜR M I R E N A 599

ertönte in der gestrigen Versammlung die verderbliche Stim-


me des künftigen Tribunen, deines Kollegen* 0 ; ihm gegen-
über zeigte deine Klugheit, zeigten alle Rechtschaffenen viel
Vorsicht, die dich aufforderten, du mögest dich um das Tri-
bunat bewerben. Alles, was man während der letzten drei
Jahre angezettelt hat, bereits von dem Augenblick an, da, wie
ihr wißt, L.Catilina und Cn.Piso den Entschluß faßten, den
Senat auszurotten' 1 , all das kommt in diesen Tagen, in diesen
Monaten, in dieser Zeit zum Ausbruch.
An welcher Stelle, ihr Richter, und bei welcher Gelegen-
heit, an welchem Tage und in welcher Nacht werde ich nicht
genötigt, mich nicht durch meinen eigenen, sondern viel
mehr noch durch den Ratschluß der Götter dem Hinterhalt
und den Dolchen dieser Gesellen zu entreißen und zu ent-
ziehen? Sic aber wollen mich nicht um meinetwillen töten,
sondern einen wachsamen Konsul von der Leitung des Staates
entfernen. Und ebenso würden sie auch dich, wenn sie könn-
ten, gern auf irgendeine Weise beseitigen, Cato, und glaube
mir: das betreiben sie und führen sie im Schilde. Sie erken-
nen, welchen Mut, welchen Verstand, welche Geltung du
hast und welchen Schutz der Staat durch dich erhält; doch sie
wollen die tribunizische Gewalt erst der Macht und Hilfe des
Konsuls beraubt sehen; sie glauben, daß sie dich, wenn du
waffenlos und geschwächt bist, um so leichter niederzwingen
können. Denn daß ein Konsul nachgewählt wird, furchten sie
nicht. Sie sehen, daß dies in der Macht deiner Kollegen liegt 9 1 ;
sie hoffen, daß ihnen D. Silanus", ein trefflicher Mann, ohne
Kollegen, deine Person ohne Konsul und der Staat ohne Lei-
tung zur Beute wird.
Angesichts dieser bedeutsamen Umstände und inmitten so
großer Gefahren ist es deine Pflicht, Cato, der du, wie ich
glaube, nicht für dich, sondern für das Vaterland geboren bist,
zu erkennen, was auf dem Spiele steht, dir den Helfer, Schüt-
6ου P R O I.. MLRFNA

s o r e m , s o c i u m in re p u b l i c a , c o n s u l e m n o n c u p i d u m .
c o n s u l e m , q u o d m a x i m e t e m p u s hoc p o s t u l a t , f o r t u n a
constitutum ad amplexandum otium, scientia ad
b e l l u m g e r e n d u m , a n i m o et usu ad q u o d velis n e g o t i u m
sustinenduni.

Q u a m q u a m h u i u s c e rei p o t e s t a s o m n i s in vobis sita


est, i u d i c e s ; t o t a m r e m p u b l i c a m vos in hac causa
tenetis, vos g u b e r n a t i s . S i L . C a t i l i n a c u m s u o consilio
n e f a r i o r u m h o m i n u m q u o s s e c u m c d u x i t hac d e re
posset i u d i c a r e , c o n d e m n a r e t L . M u r e n a m , si interfi-
cere p o s s e t , o c c i d e r e t . P e t u n t e n i m r a t i o n e s illius ut
o r b e t u r auxilio res p u b l i c a , ut m i n u a t u r c o n t r a s u u m
f u r o r e m i m p e r a t o r u m c o p i a , ut m a i o r facultas t r i b u n i s
plebis d e t u r d e p u l s o a d v e r s a r i o seditionis ac d i s c o r d i a e
c o n c i t a n d a e . I d e m n e i g i t u r delecti ex a m p l i s s i m i s ordi-
nibus h o n c s t i s s i m i a t q u c s a p i e n t i s s i m i viri i u d i c a b u n t
q u o d ille i m p o r t u n i s s i m u s gladiator, hostis rei p u b l i c a e
iudicaret?

M i h i c r e d i t e , i u d i c e s , in hac causa non solum d e


L . M u r e n a e v e r u m e t i a m de vestra salute s e n t e n t i a m
feretis. In d i s c r i m e n e x t r e m u m v e n i m u s ; nihil est iam
unde nos r e f i c i a m u s aut ubi lapsi r e s i s t a m u s . Non
solum m i n u e n d a non s u n t auxilia q u a e h a b e m u s seil
etiam n o v a , si fieri possit, c o m p a r a n d a . H o s t i s est c n i m
non apud A n i e n e m , q u o d b e l l o P u n i c o g r a v i s s i m u m
visum est, sed in u r b e , in foro - di i m m o r t a l e s ! sine
g e m i t u h o c dici n o n potest - non n e m o e t i a m in illo
sacrario rei p u b l i c a e , in ipsa, i n q u a m , curia non n e m o
FCR MLRFNA 601

zcr und Verbündeten bei der Lenkung des Staates zu erhalten,


einen uneigennützigen Konsul, einen Konsul (und das er-
heischt diese Zeit am dringlichsten), den seine Verhältnisse
bestimmen, den Frieden hochzuhalten, sein Können, Krieg zu
führen, sein M u t und seine Erfahrung, jede beliebige Aufgabe
zu meistern.
Indes, hierüber zu befinden, liegt ganz bei euch, ihr Rich-
ter; ihr haltet, ihr verwaltet in diesem Prozeß das gesamte
Staatswohl. Wenn L.Catilina mit seinem Beirat von ruchlosen
Menschen, die er mit sich nahm, in dieser Sache entscheiden
könnte, dann würde er L . M u r e n a verurteilen; wenn er ihn
vernichten könnte, würde er ihn töten. Denn seine Pläne hei-
schen, daß der Staat seine Stütze verliert, daß sich die Zahl
der Feldherren verringert, die seinem wahnsinnigen Beginnen
die Stirne bieten könnten, daß die Volkstribunen größere
Macht erhalten, indem der Gegner des Aufruhrs und der
Zwietracht, die es zu erregen gilt, vertrieben wird. Da können
sich die höchst ehrenhaften und einsichtsvollen Männer,
die Erwählten der oberen Stände, ebenso entscheiden, wie
jener rücksichtslose Bandit, der Feind des Staates, urteilen
würde?
Glaubt mir, ihr Richter, in diesem Prozeß stimmt ihr nicht
nur über das Heil L. Murenas, sondern auch über euer eigenes
ab. Wir befinden uns in äußerster Gefahr; wir haben nichts
mehr, womit wir uns aufhelfen oder wo wir im Sturze F u ß fassen
könnten. Wir dürfen nicht nur die Hilfsmittel, die wir haben,
nicht verringern, sondern müssen uns auch, wenn irgend
möglich, neue beschaffen. Der Feind steht nämlich nicht am
Anio, was im punischen Kriege als das Schlimmste galt' 4 ,
sondern in der Stadt, auf dem Forum - bei den unsterblichen
Göttern, man kann es nicht sagen, ohne zu seufzen: manch
einer befindet sich sogar im Heiligtum unseres Staates, man-
cher Feind, sage ich, hält sich in der Kurie' 5 selbst auf. Geben
6θ2 PRO L. MIRENA

hostis est. Di faxint ut meus conlega, vir fortissimus,


hoc Catilinae nefarium latrocinium armatus opprimat!
ego togatus vobis bonisque omnibus adiutoribus hoc
quod conceptum res publica periculum parturit consi-
lio discutiam et comprimam.

Sed quid tandem fiet, si haec elapsa de manibus


nostris in eum annum qui consequitur redundarint?
Unus erit consul, et is non in administrando bell« sed in
sufficiendo conlega occupatus. H u n c iam qui impedi-
turi sint * * * ilia pestis immanis importuna Catilinae
prorumpet, qua po * * * minatur; in agros suburbanos
repente advolabit; versabitur in urbe furor, in curia
timor, in foro coniuratio, in campo exercitus, in agris
vastitas; omni autem in sede ac loco ferrum flammam-
que metuemus. Q u a e iam diu comparantur, eadem ista
omnia, si ornata suis praesidiis erit res publica, facile et
magistratuum consiliis et privatorum diligentia com-
primentur.

Q u a e cum ita sint, iudices, primum rei publicae


causa, qua nulla res cuiquam potior debet esse, vos pro
mea summa et vobis cognita in re publica diligentia
moneo, pro auctoritate consulari hortor, pro magnitu-
dine periculi obtestor, ut otio, ut paci, ut saluti, ut vitae
vestrae et ceterorum civiuni consulatis; deinde ego idem
et defensoris et amici officio adductus oro atquc obse-
cro, iudices, ut ne hominis miscri et cum corporis
morbo tum animi dolore confecti, L. Murenae, recen-
tem gratulationem nova lamentatione obruatis. Modo
FÜR MIRENA

die Götter, daß mein Kollege, der Tapfersten einer, den ruch-
losen Raubzug Catilinas mit Waffengewalt unterdrückt**! Ich
aber will als Zivilbeamter mit eurer und aller Rechtschaffenen
Hilfe durch meine Maßnahmen diese Krise ersticken und ver-
tilgen, mit der unser Staat schwanger ist, die zu gebären er
sich anschickt.
Doch was soll eigentlich geschehen, wenn sie sich unseren
Händen entwindet und auf das folgende Jahr übergreift? Es
wird nur einen Konsul geben, und der ist nicht mit der Lei-
tung des Krieges, sondern mit der Nachwahl des Kollegen
beschäftigt. Schon sind, die ihn hierbei behindern wollen...
die furchtbare, entsetzliche catilinarische Seuche wird aus-
brechen, so viel... sie droht; sie wird plötzlich in die Gemar-
kung vor der Stadt eindringen; in der Sta'dt selbst wird der
Wahnsinn herrschen, in der Kurie Schrecken, auf dem Forum
die Verschwörung, auf dem Marsfelde das Heer, auf dem
Lande Wüstenei; an jedem Platz und jeder Stätte werden wir
uns vor Feuer und Schwert fürchten. Was sich schon lange
vorbereitet, gerade dies alles, läßt sich leicht durch die Maß-
nahmen der Beamten und die Umsicht der Bürger unterdrük-
ken, wenn der Staat mit seinen Stützen versehen ist.
Da dem so ist, ihr Richter, vernehmt mich zunächst um des
Staates willen, der einem jeden mehr bedeuten muß als alles
andere: so wahr ich, wie euch bekannt ist, bei der Leitung des
Staates größte Umsicht bewiesen habe, warne ich euch, so
wahr mir als Konsul Achtung zukommt, mahne ich euch, so
wahr eine schlimme Gefahr droht, beschwöre ich euch: sorgt
für Waffenruhe, für Frieden, für die Rettung, für euer und der
übrigen Bürger Leben! Außerdem aber veranlaßt mich ebenso
die Pflicht des Verteidigers und Freundes, euch flehentlich zu
bitten, ihr Richter: begrabt nicht die frischen Glückwünsche,
die L. Murena, ein unglücklicher, von Krankheit und zumal
von seelischem Schmerz zermürbter Mann, empfing, unter
PRO L. MLRFNA

maximo beneficio populi Romani ornatus fortunatus


videbatur, quod primus in familiam vcterem. primus in
municipium antiquissimum consulatum attulisset:
nunc idem in squalore et sordibus, confectus morbo,
lacrimisac maerore perditus vestcrest supplex. iudices,
vestram fidem obtestatur. vestram misericordiam im-
plorat, vestram potestatem ac vestras opes intuetur.

Nolite, p e r d e o s immortalis! iudices, hac eum cum re 87


qua se honestiorem fore putavit etiam ceteris ante partis
honestatibus atque omni dignitate fortunaque privare.
A t q u e ita vos L . Murena, iudices, orat atque obsecrat,
si iniuste neminem laesit, si nullius auris voluntatemve
violavit, si nemini, ut levissime d i c a m , odio nec domi
nec militiae fuit, sit apud vos modestiae locus, sit
demissis hominibus p e r f u g i u m , sit auxilium pudori.
Misericordiam spoliatio consulatus magnam habere de-
bet, iudices; una enim eripiuntur cum consulatu omnia;
invidiam vero his temporibus habere consulatus ipse
nullam potest; obicitur enim contionibus seditiosorum,
insidiis coniuratorum, telis Catilinac, ad omne denique
periculum atque ad omnem iniuriam solus opponitur.
Qua re quid invidendum Murenae aut cuiquam nos- 88
trum sit in hoc praeclaro consulatu non video, iudices;
quae vero miseranda sunt, ea et mihi ante oculos versan-
tur et vos videre et perspicere potestis.

S i , quod I u p p i t e r o m e n avertat! hunc vestris senten-


tiis adflixeritis, quo se miser vertetr domumne? ut earn
FÜR MURENA 605

neuem Jammer. Soeben noch schien er, von der größten Gunst
des römischen Volkes ausgezeichnet, ein glücklicher Mensch,
weil er als erster in eine alte Familie, als erster in eine uralte
Landstadt das Konsulat eingebracht hatte; derselbe liegt jetzt
in Trauer und Unansehnlichkeit, durch Krankheit abgezehrt,
von Tränen und Leid gebrochen, zu euren Füßen, ihr Richter,
er beschwört euer Pflichtbewußtsein, er ruft euer Mitleid an,
er starrt auf eure Befugnis und eure Macht.
Bei den unsterblichen Göttern! Beraubt ihn nicht, ihr Rich-
ter, zugleich mit diesem Amt, durch das er größeres Ansehen
zu erlangen hoffte, auch seiner übrigen, zuvor erworbenen
Ehren sowie seiner ganzen Würde und Stellung. Und L. Mu-
rena bittet und beschwört euch so, ihr Richter: so wahr er
niemanden zu Unrecht verletzt, so wahr er niemandes Ohren
oder Gesinnung beleidigt, so wahr er bei niemandem, um
auch das Geringste auszusprechen, Haß erregt hat, weder in
der Heimat noch im Felde, gewährt bei euch der Redlichkeit
eine Stelle, gewährt den Bedrückten Zuflucht, gewährt dem
Anstand Unterstützung. Die Entziehung des Konsulats er-
heischt viel Mitleid, ihr Richter; denn zugleich mit dem
Konsulat geht alles verloren; das Konsulat selbst aber kann
in diesen Zeitläuften keinerlei Neid erregen; es ist ja den Zu-
sammenrottungen der Aufrührer, den Anschlägen der Ver-
schwörer, den Geschossen Catilinas ausgeliefert, kurz, es ist
allein jeder Gefahr und jeder Verunglimpfung ausgesetzt.
Weshalb man daher Murena oder jemanden von uns um dieses
herrliche Konsulat beneiden sollte, sehe ich nicht ein, ihr
Richter; was aber Beklagenswertes damit verbunden ist, das
steht mir vor Augen und könnt auch ihr erkennen und ein-
sehen.
Falls euer Urteil - doch Jupiter möge das Vorzeichen ent-
kräften! - diesen Mann hart treffen sollte, wohin kann sich
der Unglückliche dann wenden? Nach Hause? Damit er das
боб PRO I.. MURFNA

imaginem clarissimi viri, parentis sui, quam paucis ante


diebus laureatam in sua gratulatione conspexit, eandcm
deformatam ignominia lugentemque videat? A n ad
matrem quae misera m o d o consulem osculata filium
suum nunc cruciatur et sollicita est ne eundem paulo
post spoliatum omni dignitate conspiciat?

Sed quid eius matrem aut d o m u m appello quem nova 89


poena legis et d o m o et parente et o m n i u m suorum
consuetudine conspectuque privat? Ibit igitur in exsi-
lium miser? Q u o ? ad Orientisne partis in quibus annos
multos legatus fuit, exercitus duxit, res maximas gessit?
A t habet magnum dolorem, unde cum honore decesse-
ris, eodem cum ignominia reverti. A n se in contrariam
partem terrarum abdet, ut Gallia Transalpina, quem
nuper summo cum imperio libentissime viderit, eun-
dem lugentem, maerentem, exsulem videat? In ea porro
provincia quo animo C . .Vlurenam fratrem suum aspi-
ciet? Quis huius dolor, qui illius maeror erit, quae
utriusque lamentatio, quanta autem perturbatio fortu-
nae atque sermonis, c u m , quibus in locis paucis ante
diebus factum esse consulem Murenam nuntii litterac-
que celebrassent et unde hospites atque amici gratula-
tum R o m a m concurrerent. repente exstiterit ipse nun-
tius suae calamitatis!

Q u a e si acerba, si misera, si luctuosa sunt, si alienis- yu


sima a mansuetudine et misericordia vestra, iudices,
conservate populi Romani beneficium, reddite rei pu-
blicae consulem, date hoc ipsius pudori, date patri
FÜR Μ LR F. Ν A 607

Bildnis seines erlauchten Vaters, das er vor wenigen Tagen


bei der Feier seines Erfolges mit Lorbeer bekränzt hat, von der
Schande entstellt und in Trauer gewahre? Oder zu seiner
Mutter, der Unglücklichen, die gerade noch ihren Sohn als
Konsul umarmt hat und die sich jetzt quält und sorgt, sie
werde ihn in wenigen Augenblicken aller Würden entkleidet
Wiedersehen ?
Doch was nenne ich seine Mutter oder sein Haus, da ihn
doch die neue gesetzliche Strafe des Hauses, der Mutter, des
Umgangs und Anblicks aller Lieben beraubt? Der Elende
wird also in die Verbannung gehen? Wohin? In den Osten,
wo er viele Jahre Legat gewesen, wo er Truppen gefuhrt und
die größten Dinge vollbracht hat? Allein, es ist sehr schmerz-
lich, von wo du in Ehren geschieden bist, dorthin in Schanden
zurückzukehren. Oder soll er sich in der entgegengesetzten
Weltgegend verbergen, damit das jenseitige Gallien denselben
Mann, den es kürzlich mit größter Freude als Oberbefehls-
haber erblickt hat, als Trauernden, Betrübten, des Landes
Verwiesenen wiedersehe? Wie wird ihm außerdem zumute
sein, wenn er in dieser Provinz seinen Bruder C. Murena
trifft* 7 ? Welcher Schmerz auf der einen, welche Betrübnis auf
der anderen, welcher Jammer auf beiden Seiten! Und welche
Verkehrung des Schicksals und der Sprache: wo wenige Tage
zuvor Boten und Briefe verbreitet haben, Murena sei zum Kon-
sul gewählt, und wo Bekannte und Freunde nach Rom eilten,
ihm Glück zu wünschen, dort erscheint er plötzlich selbst als
der Bote des eigenen Sturzes!
Wenn das bitter, wenn es jammervoll, wenn es beklagens-
wert ist, wenn es eurer Milde und eurem Mitgefühl gänzlich
widerstrebt, ihr Richter, dann erhaltet die Auszeichnung des
römischen Volkes, dann gebt dem Staate den Konsul zurück,
gewährt diese Gunst seinem Ehrgefühl, gewährt sie dem ver-
storbenen Vater, gewährt sie seinem Hause und Geschlecht,
6υ8 PRO L. ML'RF-NA

rnortuo, date generi et familiae, date etiam Lanuvio,


municipio honestissimo, quod in hac tota causa fre-
q u e n s m a e s t u m q u e vidistis. Nolite a sacris patriis Iuno-
nis Sospitae, cui omnis consules facere necesse est,
d o m e s t i c u m et s u u m consulem potissimum avellere.
Q u e r n ego vobis, si quid habet aut momenti commenda-
tio aut auctoritatis confirmatio niea, consul consulem,
iudices, ita c o m m e n d o ut cupidissimum oti, studiosis-
s i m u m b o n o r u m , acerrimum contra seditionem, fortis-
s i m u m in bello, inimicissimum huic coniurationi quae
n u n c rem publicam labefactat f u t u r u m esse promittam
et s p o n d e a m .
FÜR MURF.NA 609

gewährt sie auch der hochangesehenen Stadt Lanuvium 9 *, die


ihr während des ganzen Prozesses zahlreich vertreten und in
tiefer Trauer hier gesehen habt. H ü t e t euch, dem altererbten
Dienst der Iuno Sospita, zu dem alle Konsuln verpflichtet
sind, gerade den Konsul zu entreißen, den die gemeinsame
Herkunft mit der Göttin verbindet**! Wenn meine Empfeh-
lung etwas bedeutet oder meine Beteuerung etwas auszu-
richten vermag, dann empfehle ich euch diesen Mann, ihr
Richter, der Konsul den Konsul, folgendermaßen: ich ver-
spreche und gelobe, daß er ein leidenschaftlicher Anhänger
des Friedens, ein eifriger Freund der Rechtschaffenen, ein
scharfer Gegner des Aufruhrs, ein tapferer Soldat im Kriege
und der Todfeind dieser Verschwörung sein wird, die gegen-
wärtig unseren Staat erschüttert.
ANHANG
ZU D I E S E R AUSGABE

In diesen drei Bänden wird eine großzügig bemessene A u s -


wahl aus dem rednerischen CEuvre Ciceros vorgelegt. Sie ist
nach dem Kriterium der politischen und literarischen Be-
deutsamkeit zusammengestellt: sie enthält alle Staatsreden,
das heißt alle A n s p r a c h e n , die Cicero sei es an den Senat, sei
es an das römische Volk gerichtet hat, sowie die herausra-
genden, politisch wichtigen Plädoyers in Strafprozessen.
Hierbei blieb allerdings das umfängliche C o r p u s der Verres-
Reden außer Betracht.
Die A u s g a b e ist zweisprachig. Die Übersetzungen wur-
den unverändert aus der siebenbändigen Gesamtausgabe
übernommen. Von dort stammen auch die E i n f ü h r u n g in
Ciceros Reden insgesamt sowie die Einleitungen zu den
einzelnen Reden und die Erläuterungen. D i e Literaturhin-
weise wurden auf den jetzigen Stand gebracht; der Heraus-
geber hat jedoch davon abgesehen, den Wortlaut der Einlei-
tungen und Erläuterungen an die Ergebnisse der dort zitier-
ten neueren Untersuchungen anzupassen.
Die lateinischen T e x t e entstammen der sechsbändigen
O x f o r d - E d i t i o n von Clark und Peterson. D e r Herausgeber
hat indes in A b w e i c h u n g hiervon die Fassung hergestellt,
die er seiner Übersetzung glaubte zugrunde legen zu sollen.

Überlingen, im Herbst 1993 .Manfred Fuhrmann


E I N F Ü H R U N G IN
CICEROS REDEN

Vorbemerkung

Es ist mißlich, ja unmöglich, in kurzen Worten über Cicero


berichten zu wollen. Keine Gestalt der Antike hat so gründ-
liche Kunde von sich selbst hinterlassen wie er. Und diese
Kunde zeigt eine schlechthin universale Persönlichkeit, sie
zeigt den Staatsmann, Advokaten, Juristen, Philosophen
und Prosaschriftsteller, den größten Witzkopf der römi-
schen Gesellschaft, den Grandseigneur mit prächtigen Vil-
len und beträchtlichen Schulden, den eifrigsten Korrespon-
denten seiner Epoche, der durch vielerlei Beziehungen mit
fast allen bedeutenden Zeitgenossen verknüpft war, den sich
aufopfernden Freund, den zärtlich liebenden Vater, den
seinen Stimmungen preisgegebenen, bald von Hochgefühl
erfüllten, bald hypochrondisch-verzagten, den irrenden und
bisw eilen schwächlichen Menschen.
Wenn irgend jemand, so eignet sich Cicero, daß man die
Spanne seines Lebens nach ihm benenne und vom ciceroni-
schen Zeitalter rede. Nicht als ob er geschichtlich handelnd
seine Welt verändert hätte (diese Rolle fiel Caesar zu), wohl
aber in dem Sinne, daß bei ihm die Fäden zusammenlaufen,
daß er wie niemand sonst die Epoche spiegelt und repräsen-
tiert. S o ist Ciceros literarische Hinterlassenschaft zunächst
in eminentem Maße Dokument: für die griechische Geistes-
geschichte seit Sokrates, zumal für Philosophie und Rheto-
rik des Hellenismus, für die römische Staatstradition seit
den Anfängen der Republik und vor allem für viele Bereiche
6l6 UNFÜHRLNC; IS CICFROS RFOFN

der eigenen Zeit: f ü r die Politik und ihren ideologisch-


propagandistischen Ausdruck, für den komplizierten Auf-
bau der römischen Gesellschaft, für das Recht und für die
Verwaltung des Weltreiches, f ü r vielerlei Erscheinungen
des geistigen Lebens, insbesondere f ü r die T h e o r i e der
literarischen Prosa.
Bei Cicero ist daher das Biographische n u r ein Aspekt,
und das Literarische ein zweiter; mindestens ebensoviel
G e w i c h t kommt stets den Sachbezügen zu, ü b e r die und aus
denen er in seinen Werken spricht. Z w a r vermochte er zu
reflektieren und klar und übersichtlich darzustellen wie
kaum einer seiner Zeitgenossen. Gleichwohl ist sein literari-
sches (Euvre weniger aus sich selbst verständlich als etwa die
homerischen F.pen oder die platonischen Dialoge, als die
Dichtungen \ ergils oder die Geschichtsschreibung des Ta-
citus. In dieses Werk ist so viel W irklichkeit eingegangen,
daß die historische Distanz allenthalben vorgängiges W issen
und zumal einen vorgängigen Totaleindruck von der Kpoche
und von deren Voraussetzungen erforderlich macht - am
meisten bei den Briefen, in kaum geringerem Maße bei den
Reden, vielleicht am wenigsten bei den philosophischen
Schriften.
So viel über die eine, über die gegenstandsbedingte Ursa-
che der Unmöglichkeit, in kurzen Worten von Cicero zu
berichten. Die andere Ursache ergibt sich aus dem S t a n d -
punkt des gegenwärtigen Betrachters. Cicero hat nicht n u r
f ü r die eigene Zeit e n t w o r f e n , geschrieben und auf Begriffe
gebracht; er rückte bald in die Reihe der großen Lehrmei-
ster, und aus dem Exponenten der Epoche w u r d e der Expo-
nent der antik-europäischen Bildungstradition. Wer sich mit
Cicero befaßt, der befaßt sich, er mag wollen oder nicht,
zugleich mit der immensen Geschichte von Ciceros Wir-
kung, und alle Beschäftigung mit Cicero selbst vollzieht sich
E I N F Ü H R U N G IN C1CEROS REDEN 617

von vornherein im Horizont des von Cicero geprägten H u -


manismus. H i e r a u s aber erwächst jedem, der angemessen
von Cicero handeln wollte, eine zweite umfängliche T h e m a -
tik: er müßte die Wirkungsgeschichte einbeziehen, und er
sollte sie nicht nur beschreiben, sondern gerade jetzt Anlaß
nehmen, sie von seinem gegenwärtigen Standpunkt aus
kritisch zu p r ü f e n .
Diese Aufgabe brächte teils geringere, teils größere
Schwierigkeiten mit sich. Denn einige Bereiche des Cicero-
nianismus sind o f f e n b a r ziemlich unproblematisch: jene Be-
reiche, die unbestrittenermaßen der Vergangenheit angehö-
ren, in denen die ciceronische Substanz assimiliert und im
S t r o m e der sich immer weiter von den Ursprüngen entfer-
nenden E n t w i c k l u n g aufgegangen ist. Hierzu könnte man
vor allem die formalsprachliche Seite von Ciceros Wirkung
rechnen: C i c e r o , den S c h ö p f e r einer philosophischen Ter-
minologie in lateinischer Sprache, und Cicero, das unüber-
treffliche Muster des lateinischen Prosastils. Die philosophi-
sche Terminologie ist seit jeher eine elementare Tatsache
der europäischen Geistestradition, die man ohne viel A u f h e -
bens anerkennt und hinnimmt, und f ü r das Stilideal, das im
L a u f e der J a h r h u n d e r t e bald stärker, bald schwächer ge-
wirkt hat, im ganzen aber bis in die Neuzeit unangefochten
gültig blieb, fehlt seit langem die wichtigste Voraussetzung,
der G e b r a u c h der lateinischen Sprache.
Nun hat man sich zumal während der Neuzeit, der
Hauptphase von Ciceros Wirkung, auch des Gegenstandes
selbst angenommen: man beschäftigte sich intensiv mit dem
Politiker, dem Philosophen, dem Menschen Cicero. Aus
diesem C i c e r o - S t u d i u m erwuchs im 19. J a h r h u n d e r t die
Cicero-Diskussion, und mancherlei A n g r i f f e gegen die an-
gebliche Unzulänglichkeit des Politikers und Literaten rie-
fen ebenso viele Apologien hervor. D a s 20. J a h r h u n d e r t
618 E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S REDEN

endlich, minder positivistisch und eher dem Idealisieren


zugeneigt, ersetzte die Cicero-Debatte durch vielfältige Be-
mühungen um ein Cicero->Bild<. Aller Wandel der Auffas-
sungen indes vollzog sich auf einer gleichbleibenden Basis:
das T h e m a Cicero galt für gewichtig, weil es die institutio-
nelle Garantie der höheren Schulbildung genoß.
Diese institutionelle Garantie schmilzt nunmehr dahin.
Entsprechend schrumpft das Forum der Cicero-Forschung:
was einst weite Kreise der gebildeten Welt beschäftigte,
wird mehr und mehr zu einem Internum von Experten.
Hiermit ist der neuralgische Punkt angedeutet, das heikle
Problem, um dessentwillen jetzt weniger eine dargestellte
als eine kritisch geprüfte Geschichte des Ciceronianismus
erforderlich scheint. Darf man, unbekümmert um das
schwindende Publikum, die >Bild<- und >Gestalt<-Bemü-
hungen der letzten Jahrzehnte fortsetzen? O d e r muß man
sich eingestehen, daß nicht nur Teile von Ciceros Lebens-
werk, sondern der ganze Cicero der Vergangenheit ange-
hört? O d e r gibt es ein Drittes: Enthält die Hinterlassen-
schaft Ciceros Potenzen, die, von den Fachleuten noch nicht
hinlänglich erschlossen, auch die der institutionellen Garan-
tie entwachsene Gegenwart zu erreichen vermöchten? Viel-
leicht ist die zuletzt formulierte Vermutung nicht gänzlich
unbegründet; sie eignet sich jedoch noch weniger für eine
gedrängte Darbietung als die Sachbezüge oder die VYir-
kungsgeschichte des ciceronischen (Euvres.
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N 619

Zur Biographie Ciceros


Zeittafel
v. Chr. v. Chr.
106 Geburt des Pompeius 106 Geburt Ciceros
ίου Geburt Caesars
91-89 Bundesgenossenkrieg bis 82 Lehrjahre in Rom:
89-85 1. mithridatischer Krieg Jurisprudenz
88-82 Marianisch-sullanischer Rhetorik
Bürgerkrieg Philosophie
8 2 - 7 9 Diktatur Sullas 8 1 - 7 9 Erste Anwaltstätigkeit
7 9 - 7 7 Bildungsreisenach
Griechenland und
Kleinasien: Rhetorik,
Philosophie
75 Eintritt in die senatori-
sche Laufbahn: Quästur
7 4 - 6 3 3. mithridatischer Krieg
70 ι. Konsulat des Pom- 70 Anklage gegen Verres
peius und Crassus 69 Adilität
67 Oberbefehl des Pom-
peius im Seeräuberkrieg
6 6 - 6 2 Oberbefehl des Pom- 66 Prätur; erste politische
peius in Asien Rede (Ȇber den Ober-
befehl des Pompeius«)
63 Konsulat; catilinarische
Verschwörung
62 -59 Verteidigung der Kon-
sulatspolitik
6u Bündnis des Pompeius,
Caesar und Crassus
(1. Triumvirat)
59 Caesars Konsulat
58-5 Caesars gallische Statt- 5 8 - 5 7 Exil in Thessalonike
halterschaft; gallischer und Dyrrhachion
Krieg
>6 Erneuerung des Trium- 5 6 - 5 2 Politik im Dienste der
virats Triumvirn; erste Phase
55 2. Konsulat des Pom- der philosophischen
peius und Crassus Schriftstellerei (Ȇber
020 F I N F Ü H R L N G IN CICF.ROS RFDF.N

53 Parthert'eld/ug; Unter- den R e d n e r - , » Ü b e r d e n


gang des Crassus Staat«)
52 PomjX'ius consul sine
cnllega
5 1 - 5 0 Statthalterschaft in
Kilikien
49-45 Pompejanisch-caesari- 4 9 - 4 8 Aufenthalt im pompeja-
scher Bürgerkrieg nischen Hauptquartier
48 Ermordung des Pom-
peius
4 8 - 4 4 Diktatur Caesars
47 Begnadigung durch
Caesar
4 6 - 4 4 Zw eite Phase der philo-
sophischen Schriftstel-
lerei
45 T o d der Tochter Tullia
44 Ermordung Caesars
4 4 - 4 3 Mutinensischer Krieg 4 4 - 4 3 K a m p f gegen Antonius
(»Philippische Reden«)
43 Bündnis des Antonius, 43 E r m o r d u n g Ciceros
Lepidus und Oktavian
(2. Triumvirat)

D i e S p a n n e v o n C i c e r o s L e b e n f ä l l t in d a s Z e i t a l t e r der
R e v o l u t i o n , in d i e E p o c h e d e s Ü b e r g a n g s v o n d e r A d e l s r e -
publik zur Monarchie. Soziale Mißstände hatten das Ge-
s c h e h e n in G a n g g e b r a c h t ; d i e G r a c c h e n u n d i h r e N a c h f o l -
ger wollten den Bauernstand regenerieren, den B e w o h n e r n
Italiens das römische Bürgerrecht v e r s c h a f f e n . D i e s e Phase
g i n g m i t d e m B u n d e s g e n o s s e n k r i e g zu E n d e . S e i t d e m J a h r -
zehnt, das durch Sulla seine S i g n a t u r erhielt, bestimmten
w e n i g e r s a c h l i c h e Z i e l e als d i e M a c h t k ä m p f e d e r g r o ß e n
Revolutionsführer die E.reignisse. Marius hatte hierfür
durch seine H e e r e s r e f o r m das Instrument g e s c h a f f e n ; Sulla
benutzte es z u m ersten M a l e f ü r die i n n e n p o l i t i s c h e n Aus-
einandersetzungen. D i e Militarisierung der R e v o l u t i o n be-
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N

wirkte eine Klimax der G r e u e l , die in den sullanischen


Proskriptionen gipfelte (82/81 v. Chr.). A u f die Schreckens-
zeit der achtziger J a h r e folgten drei Dezennien verhältnis-
mäßiger Ruhe ( 8 0 - 4 9 v. Chr.); obwohl auch damals einzelne
Große - zunächst Pompeius allein, seit Caesars Konsulat das
Bündnis der Dreimänner - die politische Bühne beherrsch-
ten, w a r es die letzte Periode, in der die republikanische
Verfassung mit ihren Wahlen und Jahresämtern noch recht
und schlecht funktionierte. Erst Caesars Konflikt mit dem
Senat führte abermals in den Bürgerkrieg und abermals in
die Diktatur; das ungeheure Ringen, das die E r m o r d u n g des
Diktators nach sich zog, zerrieb die letzten K r ä f t e der R e p u -
blik und mündete über das Interim einer Dreimännerherr-
schaft endgültig in die Monarchie (30 v. Chr.).
Cicero verfolgte seit seiner J u g e n d ehrgeizige Ziele; er
hatte einen Lebensplan, der, wie seine A u s b i l d u n g zeigt,
von seiner U m w e l t gefördert wurde: die Kunst der Bered-
samkeit sollte ihm eine führende Position im Staate verschaf-
fen. A l s unmittelbares Vorbild diente wohl der erfolgreiche
Redner L . Licinius Crassus, der im J a h r e 95 v. C h r . das
Konsulat und drei J a h r e darauf die Z e n s u r bekleidet hatte.
Ciceros Plan gründete sich zunächst auf die eigene A n l a g e ,
auf ein hervorragendes Talent in der H a n d h a b u n g des
Worts; diese Fähigkeit ging, wie sich zeigen sollte, durch
ihre geistig-künstlerischen Elemente über die Erfordernisse
des angestrebten Zieles weit hinaus. Cicero kalkulierte au-
ßerdem das Haupthindernis ein, das sich seinen Absichten
in den Weg stellen würde: daß er ritterlicher H e r k u n f t war,
daß er in der festgefügten O r d n u n g der römischen Gesell-
schaft nicht dem Stande angehörte, dessen Mitglieder schon
die G e b u r t zu öffentlicher Wirksamkeit berief. Cicero
mußte daher seine ungünstige Ausgangsposition durch de-
sto größere Leistungen zu kompensieren suchen; er hat
622 E I N F Ü H R U N G IN C I C F R O S R F D F N

selbst des öfteren auf diese Triebfeder seiner Aufstiegszeit


hingewiesen. A u f der anderen Seite begrenzten zwei von
ihm selbst nicht richtig eingeschätzte Faktoren seine politi-
schen Möglichkeiten: er w a r kein Soldat und besaß w e d e r
Talent noch N e i g u n g zu militärischem Führcrtum; er maß
das Geschehen und orientierte sein Handeln an einer tradi-
tionalistischen N o r m , an einem verklärten, nicht mehr reali-
sierbaren Bild von der römischen Adelsrepublik.
Verfassung, Politik und Recht w u r d e n in Rom der jeweils
heranwachsenden G e n e r a t i o n kaum durch Bücher und noch
weniger durch theoretischen Unterricht vermittelt; man
machte sich mit den überlieferten Regeln, die das öffentliche
Leben steuerten, bekannt, indem man die Volksversamm-
lungen und G e r i c h t s v e r h a n d l u n g e n besuchte, indem man
zuhörte, wenn die maßgeblichen Juristen einem jeden, der
da Rat suchte, ihre Rechtsauskünfte erteilten. S o auch C i -
cero; hierbei fehlte es ihm nicht an nützlichen oder gar
unentbehrlichen Beziehungen zu maßgeblichen Senatoren-
kreisen. Seit der .Mitte des 2. J a h r h u n d e r t s v . C h r . hatten
sich griechische Redelehrer in R o m etabliert; als Cicero
heranwuchs, gehörte der rhetorische Unterricht bereits zu
den unabdingbaren Bildungsmitteln des künftigen Politi-
kers. Dieser Unterricht unterschied sich von der römischen
Weise der Traditionsvermittlung durch seinen rigoros svstc-
matischen A u f b a u ; man absolvierte in mehrjährigen Kursen
ein festes Programm von Ü b u n g e n . Cicero machte sich das
formale Instrument aller öffentlichen T ä t i g k e i t , das die
Rhetorik ihm anbot, in täglicher B e m ü h u n g zu eigen. Doku-
ment dieser Studien ist der unvollendete literarische Frst-
ling » U b e r die rednerische E r f i n d u n g « (De inz-entione). C i -
cero gibt dort im großen ganzen lediglich wieder, w as er
damals gelernt hatte; in der F.inleitung aber, die ein Bündnis
von Rhetorik und Philosophie, von formalem Können und
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N 623

moralischen Maßstäben fordert, kündigt sich bereits das


idealistische Konzept des »vollkommenen Redners« an. Daß
Cicero derartige Gedanken vorzubringen vermochte, dankte
er der Begegnung mit einer dritten Bildungsmacht, die nicht
mehr zum üblichen Repertoire des angehenden Sachwal-
ters, Redners und Politikers gehörte: der griechischen Phi-
losophie. Hier halfen die Zeitumstände. Im allgemeinen
mußte sich, wer Philosophie studieren wollte, nach Athen
begeben. Damals, zu Beginn der achtziger Jahre, war Philon
von Larissa, das bedeutende Schulhaupt der platonischen
Akademie, vor Mithridates nach Rom entflohen; er lehrte
dort, und Cicero folgte mit großem Enthusiasmus seinen
Vorlesungen.
Seit dem Jahre 90 v. Chr. trug Cicero das Männerkleid;
daß er sich dann noch nahezu ein Jahrzehnt (die nicht allzu
lange Rekrutenzeit während des Bundesgenossenkrieges ab-
gerechnet) seinen Studien und Übungen, seiner Lektüre und
auch mancher poetischen Liebhaberei widmete, ist wohl
abermals durch die Zeitumstände bedingt. Während Sulla,
der Führer der Senatsaristokratie, den pontischen König
Mithridates aus Griechenland vertrieb, unterstand Italien
der Gewaltherrschaft des Marius und Cinna; der nackte
Terror, zu dem sich das revolutionäre Regime zumal wäh-
rend seiner Schlußphase verstand, hinderte Cicero, den
ersten Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Er hielt sich
zurück, bis Sulla Italien erobert, die politischen Feinde
furchtbar bestraft und die wiederhergestellte Senatsherr-
schaft durch eine reaktionäre Verfassung gesichert hatte.
Mit dem Jahre 81 v . C h r . begann ein neuer Lebensab-
schnitt, die Zeit des Aufstiegs. Sie fiel in das einigermaßen
ruhige Intervall zwischen den Bürgerkriegen, in eine
Spanne, in der auch die unblutige Revolution des Jahres 70
v. Chr. - damals wurde ein gut Teil der sullanischen Verfas-
624 E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S REDF.N

sung liquidiert - keine allzu scharfe Z ä s u r ausmachte. Im


wesentlichen verlief alles planmäßig und nach Wunsch;
Cicero e r w a r b sich durch seine forensische Tätigkeit den
R u f des besten Redners seiner Z e i t ; er überwand ohne
ernstliche Schwierigkeiten die ersten H ü r d e n der republika-
nischen A m t e r l a u f b a h n .
A u s den A n f ä n g e n seiner öffentlichen Wirksamkeit sind
die Reden f ü r P. Quinctius und f ü r S e x . Roscius aus Ameria
erhalten; zumal das zweite Plädoyer, die Verteidigung in
einem Xlordprozeß, w a r ein großer Krfolg. Doch die A n -
strengungen schädigten Ciceros G e s u n d h e i t , zumal seine
S t i m m e ; er brach die Anwaltstätigkeit ab und begab sich auf
Reisen in den griechischen Osten, nach A t h e n und Klein-
asien. Hauptzweck dieses Unternehmens w a r die Erler-
nung einer minder angreifenden Sprechtechnik; Cicero
folgte außerdem seinen Neigungen und oblag abermals dem
S t u d i u m der Philosophie. N a c h Rom zurückgekehrt, trat er
wieder als Sachwalter auf. In den Jahren 71/70 v.Chr.
errang er seinen größten forensischen F.rfolg. D i e Sizilier,
deren Vertrauen er während seiner Quästur erworben hatte,
baten ihn, Anklage gegen C . Verres, den erpresserischen
und gewalttätigen Statthalter der J a h r e 7 3 - 7 1 v . C h r . . zu
erheben; Cicero nahm den A u f t r a g an und betrieb den
Prozeß trotz aller Hindernisse, die ihm die C l i q u e des Ver-
res in den Weg legte, mit so viel G e s c h i c k , Energie und M u t ,
daß der Angeklagte in die Verbannung ging, ehe das Urteil
gefällt war. Der Sieg traf auch Hortensius, den A n w a l t des
G e g n e r s , den einzigen Redner, der Cicero bis dahin den
Vorrang streitig gemacht hatte. Das J a h r 66 v. C h r . brachte
mit der Prätur die erste Gelegenheit zu einer politischen
Ansprache: Cicero trat f ü r den Gesetzesvorschlag ein, der
Pompeius mit dem Oberbefehl im 3. mithridatischen Kriege
betraute.
E I N F Ü H R U N G IN C I C F R O S RFDFN 625

D a s K o n s u l a t des Jahres 63 v. C h r . w ar ein W e n d e p u n k t ,


w o h l der b e d e u t s a m s t e in C i c e r o s L e b e n . D e r R e d n e r hatte
das Z i e l seiner A n s t r e n g u n g e n erreicht, jedenfalls d e n äuße-
ren R a n g ; er h o f f t e , von n u n an z u d e m e n g e n K r e i s derer zu
g e h ö r e n , d i e , w i e es ü b l i c h war, im S e n a t d i e innere und
äußere Politik R o m s b e s t i m m e n w ü r d e n . D e r E r f o l g w a r
v e r d i e n t ; a n d e r e r s e i t s hatten die U m s t ä n d e g e h o l f e n . D e n n
z u n ä c h s t z e i g t e sich die A r i s t o k r a t i e , die starr a m V o r r e c h t
d e r a d l i g e n H e r k u n f t festhielt, w e n i g g e n e i g t , d e m N e u l i n g
das h ö c h s t e A m t e i n z u r ä u m e n ; sie w u r d e erst d u r c h die
p o l i t i s c h e B e d e n k l i c h k e i t der M i t b e w e r b e r , z u m a l C a t i l i -
nas, v e r a n l a ß t , d i e Wahl C i c e r o s z u u n t e r s t ü t z e n . D a s K o n -
sulatsjahr selbst n a h m einen z i e m l i c h d r a m a t i s c h e n \ erlauf.
D e r D r u c k d e r revolutionären K r ä f t e w u c h s ; w i e d e r h o l t e
V o r s t ö ß e s u c h t e n das S e n a t s r e g i m e n t z u e r s c h ü t t e r n . Ci-
c e r o indes s c h l u g alle A n g r i f f e z u r ü c k ; i n s b e s o n d e r e g e l a n g
es i h m , d i e h o c h v e r r ä t e r i s c h e n U m t r i e b e C a t i l i n a s z u entlar-
ven und u n s c h ä d l i c h z u m a c h e n . E r ü b e r s c h ä t z t e f r e i l i c h das
G e w i c h t seiner T a t e n ; er w a g t e sich u n d a n d e r e n e i n z u r e -
d e n , d a ß sein S i e g ü b e r C a t i l i n a die seit d e n Gracchen
s c h w ä r e n d e K r i s e des Staates b e e n d e t h a b e . S e i n e D e v i s e
lautete concordia ordinum, » E i n t r a c h t aller S t ä n d e « - mit
d i e s e m S c h l a g w o r t g l a u b t e er d i e tiefe, u n h e i l b a r e Z e r k l ü f -
tung innerhalb der römischen Bürgerschaft überwunden
und einem ausgehöhlten, gebrochenen Regierungssystem
B e s t a n d v e r l i e h e n z u h a b e n . D i e concordia ordinum, d i e , w i e
C i c e r o m e i n t e , aus der g e m e i n s a m e n A b w e h r C a t i l i n a s her-
v o r g e g a n g e n w a r , e r w i e s sich bald d a r a u f als bare Illusion.
R e c h t u n d Politik w a r e n im r e p u b l i k a n i s c h e n R o m e n g
m i t e i n a n d e r v e r z a h n t . C i c e r o hatte d a h e r a u c h in seinen
Prozeßreden häufig Gelegenheit, sein p o l i t i s c h e s Urteil
kundzutun. Seine Äußerungen zeigen situationsbedingte
U n t e r s c h i e d e . S c h o n die antike G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g be-
626 EINFÜHRUNG IN CICFROS RFDEN

nutzte derartige N u a n c e n zu polemischen Bemerkungen;


erst recht leitete man hieraus im 19. J a h r h u n d e r t den Vor-
wurf der Gesinnungslosigkeit ab. Diese A u f f a s s u n g verfehlt
die Sache. Ciceros politisches Denken zeigt eher ein Z u v i e l
als ein Z u w e n i g an unverrückbaren Leitsätzen. Von A n f a n g
an und während seines ganzen L e b e n s betrachtete er die
überlieferte republikanische V e r f a s s u n g als eine absolute,
nicht als eine historische und veränderliche Größe. Kr ver-
kannte die S c h ä d e n nicht, an denen das S y s t e m krankte; er
sah die G r e n z e n der privilegierten Schicht. Andererseits
schätzte er diese G e g e b e n h e i t e n unrichtig ein; sein ober-
flächliches Bild von der ihn umgebenden Realität verleitete
ihn zu der A n n a h m e , das Senatsregiment lasse sich durch
geschicktes Taktieren und zumal durch moralische A p p e l l e
an die Einsicht der Verantwortlichen retten. Diese optimi-
stische A x i o m a t i k , der G l a u b e an die überkommene Verfas-
sung und an die Regenerationsfähigkeit der herrschenden
Schicht, bestimmte sein politisches Urteil. Hiernach exi-
stierten zu seiner Z e i t zwei staatsfeindliche Richtungen:
einmal die revolutionären K r ä f t e , die unmittelbaren G e g n e r
der legitimen O r d n u n g , zum anderen der radikale Flügel der
Senatsaristokratie, der seine Machtposition skrupellos aus-
nutzte, der somit die T h e s e n der Revolutionäre zu bestäti-
gen schien und daher mittelbar zum Verderben der Repu-
blik beitrug. C i c e r o rückte hiermit sowohl von den »Populä-
rem ab als auch von den extremen Repräsentanten der
Nobilität, und wenn seine A n g r i f f e bald mehr der einen,
bald mehr der anderen R i c h t u n g galten, seine G r u n d p o s i -
tion, jene V e r b i n d u n g von Konservativismus und R e f o r m -
bereitschaft, blieb sich im wesentlichen gleich. F ü r dieses
Programm suchte er die Mehrheit der römischen Bürger-
schaft zu gewinnen: das Volk, die Ritterschaft, den besseren
Teil des Senates; er bot den Z u s a m m e n s c h l u ß aller gesun-
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N 627

den K r ä f t e als Heilmittel an. die extremen Oligarchien und


ebenso die radikalen U m s t ü r z l e r zu isolieren und so die
G e f a h r einer Ausbreitung der revolutionären K r i s e zu ban-
nen. I lierbei machte er sich nicht nur von der Aristokratie,
sondern auch von den Mächten der Revolution eine falsche
Vorstellung; die eigentlich bestimmenden Faktoren, die
Truppen und ihre F ü h r e r , entzogen sich seiner Reflexion,
und überdies war er geradezu blind f ü r die soziale G ä r u n g
und ihre beklagenswerten U r s a c h e n . S o stellten sich ihm die
politischen Verhältnisse seiner Z e i t in verzerrter Perspek-
tive dar; zu den Fehlerquellen seiner R e c h n u n g gehörte seit
d e m J a h r e 63 v. C h r . auch die U b e r b e w e r t u n g der eigenen
Person und ihrer E r f o l g e .
Caesars A u f s t i e g , sein G r i f f nach der Macht schuf einen
gründlichen Wandel im politischen Kräfteverhältnis; ein
zielbew ußter Wille sammelte und lenkte n u n m e h r alle G e g -
ner des Senatsregiments. C i c e r o bemerkte die Veränderung
nicht oder wollte sie nicht w a h r h a b e n . E r hielt an seinem
Konzept fest, das der überlieferten V e r f a s s u n g , den revolu-
tionären Kräften und der eigenen Person f i x e Rollen zuwies;
er h o f f t e und wähnte, er sei imstande, eine selbständige
Politik zu treiben und an der Spitze aller » G u t w i l l i g e n « , wie
er sich ausdrückte, den Staat zu leiten. Diese Verkennung
der L a g e bedingte mancherlei W i d e r s p r ü c h e und Peinlich-
keiten; sie bedingte insbesondere, daß C i c e r o mehr und
mehr an politischer G e l t u n g verlor.
E r hatte die A n h ä n g e r Catilinas ohne ordentliches Ver-
fahren hinrichten lassen; er glaubte sich hierzu legitimiert,
weil der Senat zuvor den Staatsnotstand erklärt hatte. Die
populäre Seite befehdete die Notstandserlasse, seit sie exi-
stierten. A u c h C i c e r o sah sich alsbald heftigen A n g r i f f e n
ausgesetzt, und er w a n d t e viel M ü h e a u f , sein Handeln zu
rechtfertigen. Da konstituierte sich der D r e i b u n d , eine A r t
628 FINFÜHRU'NG IN C1CFROS RFDEN

Revolutionskomitee, das, auf Truppen gestützt, die G e -


schicke des Staates steuerte, während die republikanische
Verfassung als Fassade bestehen blieb. Die verbündeten
Machthaber, zumal Caesar, suchten Cicero f ü r ihre Sache zu
gewinnen. Als er sich ihnen versagte, beschlossen sie. seinen
Widerstand zu brechen; sie beauftragten seinen Todfeind
Clodius, ihn wegen der H i n r i c h t u n g der Catilinarier zur
Rechenschaft zu ziehen. Cicero wich d e r D r o h u n g ; er ging
ins Exil. Nach anderthalb Jahren d u r f t e er zurückkehren. Er
fügte sich n u n m e h r den W ünschen der Dreimänner; er
befolgte ihre Weisungen und unterstützte im Senat und vor
den Gerichten ihre Politik. Er wagte es jedoch nicht, sich das
Mißliche seiner Rolle voll einzugestehen; er suchte vielmehr
sein Verhalten mit seiner Theorie in Einklang zu bringen
und gab als w a h r h a f t >verfassungstreu< aus, was er selbst in
besseren Zeiten als >revolutionär< verurteilt härte. Diese
quälende Dialektik wiederum, die seine Briefe und Reden
aus den fünfziger Jahren durchzieht, vermochte nicht ein-
mal ihn selbst gänzlich zu überzeugen. Er n a h m Z u f l u c h t
zur Philosophie und verfaßte die Schriften »Über den Red-
ner« und »Über den Staat« (De oratore, De republica).
Mit diesen beiden Dialogen begründete Cicero die philo-
sophische Prosaliteratur in lateinischer Sprache. Die Schrift
»Über den Redner«, sein rhetorisches H a u p t w e r k , fragt
nach den Voraussetzungen, nach der enzyklopädischen,
rhetorischen und philosophischen Bildung des »vollkomme-
nen Redners« (oratorperfectus). Sic sucht den Zw iespalt von
formaler Rhetorik und normgebender Philosophie zu über-
winden und erstrebt eine Totalität, die ein vielseitiges Wis-
sen und Können zumal im politisch-sozialen Bereich an das
Kriterium des Sittlich-Guten bindet. In der unvollständig
erhaltenen Schrift »Über den Staat« hat Cicero sein politi-
sches Glaubensbekenntnis formuliert. Die Frage nach d e m
E I N F Ü H R U N G IN C I C F R O S R F . D E N 629

besten Staat, das Grundthema der griechischen Staatsphi-


losophie. wird teils abstrakt, teils am historischen Modell
Roms untersucht. Mit dem Ideal des »leitenden Staatsman-
nes« (rector civitatis) nähert sich die Erörterung dem Gegen-
stand des rhetorischen Werkes; der orator perfectus und der
rector civitatis sind im Grunde miteinander identisch, und
während der »Redner« die Ausbildung dieser Leitfigur be-
handelt hatte, widmet sich der »Staat« ihrem Wirkungsbe-
reich. Die idealistische Haltung der beiden Schriften weist
auf Piaton; den Stoff gaben die gesamte hellenistische Phi-
losophie und Rhetorik sowie die politische Tradition der
Römer. Auf der anderen Seite sind die beiden Dialoge durch
Cicero selbst und seine Situation bedingt. Im Konzept des
»vollkommenen Redners« spiegelt sich deutlich der Reich-
tum von Ciceros eigener Begabung, und der »Staat« sucht
im literarischen Werk festzuhalten, was die Wirklichkeit
versagte: ein Musterbild von der überkommenen Verfas-
sung und von der Rolle des leitenden Mannes.
Die ungern übernommene Statthalterschaft in Kilikien
blieb Episode. Als Cicero nach Rom zurückkehrte, war der
Bürgerkrieg zwischen Caesar und dem von Pompeius ge-
führten Senat eine nahezu vollendete Tatsache; vergeblich
suchte Cicero zu vermitteln. Am weiteren Geschehen betei-
ligte er sich nur noch als mißmutiger, unentschlossener
Zuschauer. Spät erst reiste er nach Griechenland; zeitiger
als andere Senatoren kehrte er nach der Schlacht bei Pharsa-
lus in Caesars Herrschaftsbereich zurück. Der Diktator
begnadigte ihn nach fast einjährigem Zwangsaufenthalt zu
Brundisiuin. Der Untergang der Republik erfüllte ihn da-
mals mit tiefer Niedergeschlagenheit, und der Verlust der
einzigen Tochter Tullia traf ihn schwer. Gleichwohl ermu-
tigte ihn Caesars Programm der Versöhnung zu gelegentli-
chem politischem Wirken; vor allem aber fand er die Kraft,
F I N F C H R L N G IN C I C F R O S R F D F N

sich literarisch z u b e t ä t i g e n : in den Jahren 4 6 - 4 4 v. C h r .


e n t s t a n d d e r H a u p t a n t e i l seines r h e t o r i s c h - p h i l o s o p h i s c h e n
CEuvres.
W ä h r e n d d e r I l e r r s c h a f t d e r D r e i m ä n n e r hatte C i c e r o bei
allem U n b e h a g e n d i e R e p u b l i k u n d eine e i g e n e e i n f l u ß r e i -
c h e Position n o c h n i c h t a u f g e g e b e n . M i t seinen d a m a l i g e n
D i a l o g e n s u c h t e er d i e p o l i t i s c h - s o z i a l e W i r k l i c h k e i t z u be-
e i n f l u s s e n ; er w a r b d a r i n f ü r I d e e n , die er d u r c h a u s n i c h t als
eitle T h e o r i e b e t r a c h t e t w i s s e n w o l l t e . D i e S c h r i f t e n d e r
v i e r z i g e r J a h r e h a b e n ein a n d e r e s Z i e l . N i c h t d e r S t a a t ,
sondern das G l ü c k des Einzelnen macht dort die beherr-
s c h e n d e M i t t e aus. U n d m i t d e r T h e m a t i k ä n d e r t e sich d i e
Rolle d e s V e r f a s s e r s : n i c h t d e r Politiker, s o n d e r n d e r ge-
lehrte S c h r i f t s t e l l e r w a n d t e sich n u n m e h r an seine L a n d s -
leute; er s u c h t e ihnen d a s G a n z e d e r g r i e c h i s c h e n P h i l o s o -
phie z u ü b e r m i t t e l n ; er w o l l t e d a r t u n , d a ß die l a t e i n i s c h e
S p r a c h e g e e i g n e t sei, d i e s u b l i m s t e n E r k e n n t n i s s e d e r G r i e -
c h e n w i e d e r z u g e b e n , u n d d a s r ö m i s c h e P u b l i k u m f ä h i g , sie
sich a n z u e i g n e n . D i e s e m B i l d u n g s g e d a n k e n sollte j e d e n f a l l s
die philosophische E n z y k l o p ä d i e d i e n e n , in die sich die
m e i s t e n , nicht alle W e r k e jener Jahre e i n o r d n e n lassen; der
Plan z u d e m g r o ß e n U n t e r n e h m e n reifte erst a l l m ä h l i c h ,
w ä h r e n d d e r A r b e i t an e i n i g e n r h e t o r i s c h e n und s o n s t i g e n
G e l e g e n h e i t s s c h r i f t e n . I n n e r h a l b des A u s g e f ü h r t e n n i m m t
die E t h i k die erste S t e l l e ein; d i e s e m T h e m a sind i n s b e s o n -
dere d i e » G e s p r ä c h e in T u s c u l u m « (Tusculanae disputationes)
g e w i d m e t . In a n d e r e n S c h r i f t e n b e h a n d e l t e C i c e r o d i e Er-
kenntnistheorie und die Theologie; die A b s i c h t , auch die
P h v s i k e i n z u b e z i e h e n , g e d i e h ü b e r V o r a r b e i t e n n i c h t hin-
aus. C i c e r o s literarischer E i f e r hielt a u c h n a c h d e r E r m o r -
d u n g C a e s a r s unv e r m i n d e r t an. D e r d e m S o h n e g e w i d m e t e
T r a k t a t » Ü b e r d i e P f l i c h t e n « (De offieiis) b e s c h l o ß d i e stattli-
che R e i h e seiner p h i l o s o p h i s c h e n S c h r i f t e n ; als er an d i e s e m
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N 631

Werk arbeitete, begann die Politik ihn wieder ganz und gar
zu beanspruchen.
Das Jahr nach Caesars Tod gehört zu den verworrensten
Abschnitten der römischen Geschichte. Die Republikaner
waren zunächst untätig; im Lager der Caesarianer stritten
sich Antonius und Caesars Erbe Oktavian um die führende
Stellung. Im Dezember 44 v. Chr. trat Cicero an die Spitze
des Senats. Er hielt Antonius für den eigentlichen Feind der
Republik und glaubte an die Möglichkeit eines dauerhaften
Bündnisses mit Oktavian. Der Kampf gegen Antonius, den
er in seinen »Philippischen Reden« austrug, war der letzte
Höhepunkt seines an Wechselfällen reichen Lebens. Die
Ereignisse schienen ihm recht zu geben: im Mutinensischen
Krieg kämpfte Oktavian gemeinsam mit den Konsuln erfolg-
reich gegen Antonius. Doch nach wenigen Wochen folgte
die tragische Wende. Oktavian verständigte sich mit Anto-
nius und Lepidus; Cicero gehörte zu den ersten Opfern der
Proskriptionen, mit denen der neue Dreibund seine Herr-
schaft begann.

Zur antiken Rede

Die antike Rede ist eine eigenartige Erscheinung. Man hat


stets Reden gehalten und wird stets Reden halten; doch in
Griechenland und Rom konnten aus derlei Reden zu be-
stimmten Zeiten Literaturwerke entstehen, ja die Rede
wurde zur antiken Prosagattung par excellence. Ihre Eigen-
art läßt sich sofort daran ablesen, daß sie anders als die
großen poetischen Gattungen der Epoche verhaftet blieb:
Mittelalter und Neuzeit haben nichts Vergleichbares her-
vorgebracht, weder aus sich selbst noch unter dem Eindruck
der antiken Muster.
632 E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N

Diese Feststellung gilt allerdings nicht uneingeschränkt.


D i e antike Rhetorik pflegte drei Arten von Reden zu unter-
scheiden: die politische Ansprache, das Plädoyer vor G e -
richt, den Festvortrag. Dieses durch seine Finfachheit beste-
chende S c h e m a trügt, weil es sehr Ungleichartiges zusam-
menfaßt. D e n n nur die politische Ansprache und das Plä-
d o y e r vor G e r i c h t sind wirkliche >Rede<, der es lediglich in
A u s n a h m e f ä l l e n gelingt, >Literatur< zu werden. D e r Fest-
vortrag hingegen und alles, was ihm verwandt ist, ähnelt
zwar der eigentlichen Rede in der Weise der Darbietung;
doch der S a c h e nach gehört er stets und von A n f a n g an zur
Literatur. N u r auf die eigentliche, aus bestimmten G r ü n d e n
gelegentlich literarisierte Rede trifft die Behauptung zu, daß
ihr eine erhebliche W irkung auf spätere Epochen versagt
blieb. D e r Vortrag hingegen, das rhetorische Bravourstück,
der panegyrische Preis, der unterhaltsame moralische A p -
pell erfreuten sich einer schier ungestörten Kontinuität; aus
dieser Tradition ging insbesondere die christliche Predigt
hervor.
D i e antike Beredsamkeit hat ihren Ursprung noch auf
einem anderen Felde überdauert: die Theorie der Rede, die
Rhetorik, w a r bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts das
Fundament aller >höheren Bildung<. Diese Entwicklung
hatte bereits in hellenistischer Zeit eingesetzt. Die Rhetorik
w a r a u f g e k o m m e n , als man begann, besondere A n s p r ü c h e
an die Form der öffentlichen Rede zu stellen; sie artikulierte
diese A n s p r ü c h e und machte sich anheischig, das Rüstzeug
zu ihrer B e f r i e d i g u n g zu vermitteln. Sie hielt f ü r ihre A d e p -
ten ein weitläufiges Lehrgebäude von A n w e i s u n g e n und
Regeln bereit. Den Hauptinhalt des rhetorischen Unter-
richts machten einmal die Technik des Argumentierens und
zum anderen die Stilistik aus; weiterhin lehrten die T h e o r e -
tiker der Rede mancherlei, was man als E i n f ü h r u n g in das
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N

öffentliche Leben bezeichnen könnte: elementare B e g r i f f e


vom Recht, von der Ethik, von der Politik sowie Faustregeln
f ü r die Führung und Beeinflussung von Menschen. Dieses
Regelsystem war in wenigen Jahrzehnten, etwa in der
ersten H ä l f t e des 4. Jahrhunderts v . C h r . , entstanden. E s
diente ursprünglich der Ausbildung eines >modernen< T y p s
von Advokaten und Politikern, dessen die zahlreichen grie-
chischen G e m e i n d e n f ü r ihre inner- und zwischenstaatli-
chen Angelegenheiten bedurften. Das Mittel überlebte den
anfänglichen Z w e c k : auch in hellenistischer Zeit lehrte und
lernte man unverdrossen Rhetorik, obwohl es mit der Politik
und den politischen Prozessen der G e m e i n d e n vorbei war,
obwohl kaum mehr Gelegenheit bestand, durch ö f f e n t l i c h e
Reden die Meinung von Massen zu beeinflussen. J a das
Schulwesen nahm gerade damals großen A u f s c h w u n g , und
hiervon profitierte vor allem die T h e o r i e der Rede. E s ist
nicht leicht, aber auch nicht unmöglich, die G r ü n d e f ü r
dieses paradox erscheinende Beharrungsvermögen anzuge-
ben; hier genüge der H i n w e i s , daß die Schulmeister o f f e n -
bar glaubten, in der Rhetorik ein fundamentales Mittel der
Allgemeinbildung zu besitzen. U n d diesen G l a u b e n hielten
sie über zwei Jahrtausende hinweg aufrecht.
Die beiden Erscheinungen waren zunächst eng miteinan-
der verwandt: was die T h e o r i e der Rede in abstracto lehrte,
wollte der Festvortrag am exemplarischen Modell veran-
schaulichen. N u r sie überdauerten also die B e d i n g u n g e n
ihres Entstehens; nur sie, die ursprünglich als Hilfsmittel
und gleichsam als Hüllen gedient hatten, teilten sich späte-
ren Zeiten mit. Doch der K e r n der Sache, die große Staats-
und Prozeßrede, blieb auf kurze Phasen der griechischen
und römischen Geschichte beschränkt: andere Epochen
kannten dergleichen als historisches Dokument oder als
unverwechselbaren Ausdruck bedeutender Persönlichkei-
6?4 EINFÜHRUNG IN CICFROS RFDFN

ten, nicht aber als literarische G a t t u n g . Was hat es mit


dieser, der eigentlichen Rede auf sich?
Die eigentliche Rede ist von H a u s e aus nicht-literarisch;
sie ist eine Spezies des H a n d e l n s . Sie will, wie schon die
antike T h e o r i e feststellte, überreden; sie sucht die I lörer zu
einem b e s t i m m t e n , vom Redner g e w ü n s c h t e n Verhalten zu
veranlassen, indem sie bei ihnen die Ü b e r z e u g u n g weckt,
d a ß gerade dieses Verhalten richtig sei. Es verdient Beach-
t u n g , daß sich d e r Z w e c k der eigentlichen Rede niemals
darin e r s c h ö p f t , etwas Allgemeines, zum Beispiel ethische
Maximen oder juristische G r u n d s ä t z e , zu propagieren; der-
gleichen gehört bereits zur D o m ä n e des Vortrags, des mora-
lischen Appells, d e r Predigt. Die eigentliche Rede zielt
vielmehr auf die unverzügliche E n t s c h e i d u n g eines einzel-
nen Problems oder Falles. Sie ist daher an eine konkrete
Situation g e b u n d e n , die m e h r e r e Möglichkeiten des Verhal-
tens zuläßt, und die H ö r e r sind aus irgendeinem G r u n d e
verpflichtet, die eine oder andere Möglichkeit zu wählen.
Sie ist also f ü r den Augenblick b e s t i m m t , und sie geht unter,
sobald sie ihren Z w e c k erfüllt oder verfehlt hat, wie jede
Phase menschlichen H a n d e l n s im kontinuierlichen Strome
des G e s c h e h e n s u n t e r g e h t . Sie ist außerdem ihrem Wesen
nach dialektisch: da die Situation, auf die sie sich bezieht,
mehrere Möglichkeiten e r ö f f n e t , kann ein Redner diese, ein
anderer jene Möglichkeit vorschlagen; zu jeder Rede gehört
potentiell m i n d e s t e n s eine G e g e n r e d e .
Aus diesen Merkmalen resultiert, daß die eigentliche und
noch nicht literarisierte Rede ein anderes Verhältnis zur
Wahrheit hat als ein L i t e r a t u r w e r k . Die Wahrheit eines
literarischen Erzeugnisses b e s t i m m t sich aus dem Werke
selbst, die Wahrheit einer Rede hingegen aus dem Rohstoff
d e r Wirklichkeit, den sie f ü r eine Entscheidung zubereitet.
Das L i t e r a t u r w e r k bringt seine Wahrheit gleichsam aus sich
E I N F Ü H R U N G IN C I C F R O S R F D F N 635

hervor; die Rede reproduziert gegebene Tatsachen. Nicht


als oh deshalb die Wahrheit bei der Rede besonders gut
aufgehoben wäre; im Gegenteil, aus ihrem spezifischen
Verhältnis zur Wirklichkeit folgt, daß sie die Wahrheit viel
gründlicher entstellen kann als jedes Literaturwerk. In ge-
wisser Weise gehört die Entstellung der Wahrheit sogar zu
ihren Obliegenheiten. Eine gute Rede wird allerdings weder
etwas behaupten, was jedermann widerlegen kann, noch
leugnen, was jedermann weiß; durch so grobe Mittel würde
sie sich sofort um ihre Überzeugungskraft bringen. Sie soll
vielmehr den Spielraum der Bedeutungen ausnutzen, den
die einzelnen Tatsachen dem Deutenden zu gewähren pfle-
gen, und soll hieraus eine in sich widerspruchsfreie Deutung
des Ganzen ableiten. Die richtige Rede verzichtet also auf
Objektivität, weil sie nicht im Dilemma enden darf; sie hat
eine Tendenz, weil sie sich auf eine wirkliche Situation
bezieht und weil sie diese Situation, die problematisch,
nicht eindeutig, nach mehreren Seiten hin offen ist, in einem
bestimmten Sinne interpretiert.
Die Rede ist für den Augenblick bestimmt, sie gründet
sich auf eine konkrete Situation, sie zielt auf eine einzelne,
unwiederholbare Entscheidung, sie verschreibt sich einer
spezifischen Tendenz: aus allen diesen Kennzeichen, durch
die sie sich deutlich vom Literaturwerk unterscheidet, folgt,
daß ihr eigentlicher Adressat, der >Hörer<, eine andere Rolle
hat als das >Publikum< eines Literaturwerks. Das literarische
Publikum nimmt zwar ebenfalls wahr, es betrachtet, hört
und läßt sich mitreißen; dann aber tut es nichts mehr: es legt
das Buch aus der H a n d , es verläßt das Theater. Denn das
Literaturwerk bringt sich nur in Bezirken zur Geltung, die
aus dem Fluß der alltäglichen Obliegenheiten herausgeho-
ben sind; die wirkliche Zeit scheint suspendiert zu sein,
wenn die fiktive Zeit des Literaturwerks abläuft. Gewiß
6}6 FIN'fCHRLNG IN C1CKROS RFDEN

steht auch die k ü n s t l i c h e Welt des L i t e r a t u r w e r k s nicht


gänzlich für s i c h ; sie hat einen B e z u g z u r W i r k l i c h k e i t , doch
dieser B e z u g ist k o m p l i z i e r t und j e d e n f a l l s nur m i t t e l b a r .
D e r H ö r e r einer R e d e hingegen b e f i n d e t sich n i c h t in einer
dem A l l t a g e n t r ü c k t e n S o n d e r w e l t ; er b l e i b t e n g an die
W i r k l i c h k e i t a n g e p f l o c k t , die ihn u m g i b t und a u f die er
selbst e i n w i r k e n soll. E r geht nicht e i n f a c h w e g , w e n n er die
R e d e v e r n o m m e n h a t , sondern er t r i f f t e i n e E n t s c h e i d u n g ;
d e m H ö r e r , d e r sich alsbald in einen H a n d e l n d e n v e r w a n -
d e l t , fehlt somit von A n f a n g an die D i s t a n z des literarischen
Publikums.
S o e t w a steht es mit der e i g e n t l i c h e n , d e r n i c h t - l i t e r a r i -
s c h e n R e d e ; h i e r m i t drängt sich die F r a g e auf, w ie aus ihr bei
den G r i e c h e n und R ö m e r n n i c h t n u r h i s t o r i s c h e o d e r b i o g r a -
p h i s c h e D o k u m e n t e , s o n d e r n w i r k l i c h e L i t e r a t u r w e r k e her-
vorgehen k o n n t e n . D i e w i c h t i g s t e V o r a u s s e t z u n g , die es
e r m ö g l i c h t e , daß die R e d e die t r e n n e n d e K l u f t z u m L i t e r a -
t u r w e r k ü b e r w a n d , w a r sicherlich die F o r m . N u n hat gew iß
alle z u s a m m e n h ä n g e n d e m e n s c h l i c h e R e d e irgendwelche
F o r m , u n d zwar sowohl im ä s t h e t i s c h e n als auch im logi-
schen S i n n e , als F o r m des Wortes und als F o r m des G e d a n -
kens. D i e G r i e c h e n und hernach auch ihre S c h ü l e r , die
R ö m e r , haben jedoch den Kult der F o r m auf die Spitze
g e t r i e b e n ; sie huldigten i h m mit M e t h o d e und brachten
einen S t a n d a r d d e r bis in alle E i n z e l h e i t e n formalisierten
R e d e hervor. D i e T e c h n i k des B e w e i s e n s und die T e c h n i k
der stilistischen W i r k u n g e n m a c h t e n ja d e n H a u p t i n h a l t des
r h e t o r i s c h e n U n t e r r i c h t s aus; das A r g u m e n t und die P o i n t e ,
d e r T r u g s c h l u ß und der p a t h e t i s c h e F.rguß waren gleich
legitime M i t t e l d e r Ü b e r r e d u n g . W e l c h u m f a s s e n d e s R e p e r -
toire an f o r m a l e n K u n s t g r i f f e n dem a n t i k e n R e d n e r zu G e -
b o t e stand (es reichte von d e r A n o r d n u n g des G a n z e n bis
zum R h y t h m u s eines jeden Satzes und zur w o h l b e r e c h n e t e n
E I N F Ü H R U N G IN C1CEROS REDEN 637

Cicstik, welche die H o r t e begleitete), braucht an dieser


Stelle nicht geschildert zu werden; die Fülle der Einzelhei-
ten läßt sich den in stattlicher Zahl überlieferten antiken
L e h r b ü c h e r n der Rhetorik oder einer modernen Darstellung
mühelos e n t n e h m e n . Hier ist vielmehr von Belang, daß auch
die aufdringlichste Form einer Rede zunächst ganz und gar
im Dienste der je konkreten Situation und d e r je spezifischen
Absicht des Redners stand; so sehr die rhetorischen Kunst-
mittel und Wirkungsweisen den Kunstmitteln und Wir-
kungsweisen literarischer Werke glichen, so deutlich be-
dingte eben dieses hierarchische Verhältnis von dienender
Form und herrschendem Zweck einen Unterschied.
Der Prozeß, der n u n m e h r einsetzte, war sicherlich zualler-
erst d u r c h die Rhetorik bedingt. D e n n man darf a n n e h m e n ,
daß gerade sie nicht nur bei den Rednern selbst, sondern
auch bei vielen H ö r e r n ein vorher unbekanntes Bewußtsein
von der Relevanz der Form erzeugt hat. Sie verbreitete
Konventionen und förderte die Einsicht, daß sich die Form
vom Inhalt trennen lasse, daß sie f ü r sich betrachtet und
genossen werden könne. In dieser A t m o s p h ä r e , zu der, wie
angedeutet, Redner und H ö r e r gleichermaßen beitrugen,
taten die Redner einen wichtigen Schritt: sie brachten ihre
Erzeugnisse nachträglich zu Papier und verbreiteten sie als
Buch. Mit der Publikation aber löste sich die Rede von ihrem
ursprünglichen Anlaß und Zweck; sie sollte jetzt nicht mehr
eine einzelne, unwiederholbare FLntscheidung h e r b e i f ü h r e n ,
sondern allgemein f ü r das advokatorische Können oder die
politischen Ideen des Verfassers w e r b e n . Diese neue Be-
s t i m m u n g w i e d e r u m bewirkte, daß die Form erheblich an
Terrain g e w a n n , daß die Rede >literarischer< w u r d e . Der
antike Redner stellte zunächst n u r ein Konzept her, das er
sich gründlich einprägte; er verlas kein Manuskript, sondern
sprach frei, so daß viel Raum f ü r Improvisationen blieb. Die
638 E I N F Ü H R U N G IN CICF.RUS RFDFN

Buchausgabe hingegen nötigte ihn. auf alle Hinfalle des


Augenblicks, die meist von den U m s t ä n d e n abhingen, zu
verzichten; die Rede konnte jetzt n u r noch aus sich selbst
wirken. Sie mußte sich daher der Kritik des Lesers in
vollendeter Gestalt präsentieren: bis ins einzelne ausgearbei-
tet und sorgfältiger Heile u n t e r w o r f e n . Der Brauch der
Publikation wirkte sich noch in anderer Weise auf die Form
der Rede aus. Der ursprüngliche Vortrag w ar kein in sich
geschlossenes Ganzes; er war feil einer Volksversammlung
oder G e r i c h t s v e r h a n d l u n g mit all den notwendigen oder
zufälligen Begleiterscheinungen, die sich dort einzustellen
pflegten. Überdies mußte der Redner seine Darlegungen des
öfteren unterbrechen; Gesandte oder Zeugen kamen zu
Wort oder U r k u n d e n w u r d e n verlesen. Die Rhetorik be-
zeichnete alle diese Dinge als »untechnische Beweismittel«,
weil sie Rohstoff blieben, der sich der Kunst des Redners
entzog. U n d der Redner, der aus seinem Vortrag ein Buch
machte, pflegte sie fortzulassen; er deutete lediglich durch
einen Titel an, daß seine Darlegungen in dieser oder jener
Phase der ursprünglichen Verhandlung durch eine Zeugen-
aussage, ein D o k u m e n t usw. bekräftigt worden waren. Die
moderne, auf U r k u n d e n erpichte Forschung bedauert die-
sen Brauch; andererseits handelte der antike Redner nur
konsequent: er wollte sein Können oder seine D e n k « eise zur
Schau stellen, und zu diesem Zweck brauchte er nicht auch
das Material v o r z u f ü h r e n , das seinen Zeitgenossen bekannt
oder leicht zugänglich war.
So w u r d e die Rede äußerlich und in ihrer Substanz dem
Literaturwerk angenähert. Immerhin befand sie sich n u n -
mehr, da sie lediglich f ü r ihren U r h e b e r werben sollte, noch
im verletzlichen Stadium der Flugschrift, der Broschüre:
der Redner hatte erreicht, daß sein Erzeugnis den u r s p r ü n g -
lichen Anlaß überlebte; doch daß es ihn selbst überlebe, lag
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N 639

zunächst weder in seiner Absicht noch in seiner Macht. Jetzt


nahm sich die Allgemeinheit der Sache an, insbesondere die
Schule. Die Rede w u r d e pädagogischen Z w e c k e n dienstbar
gemacht, und dieser Schritt vollendete ihre Literarisierung.
Die Lehrer benutzten die Werke bestimmter Redner als
Muster für ihren rhetorischen Unterricht, und bei ihrer
Wahl ließen sie sich wohl nicht nur von der exemplarischen
Form leiten, sondern auch vom exemplarischen S t o f f , zum
Beispiel von der heroischen oder patriotischen Haltung des
Autors: schließlich w u r d e die ganze Epoche, welche die
großen Redner hervorgebracht hatte, zum ästhetischen und
moralischen Paradigma. S o w u c h s der ursprünglich f ü r den
Augenblick konzipierten Rede immer mehr Dauer und All-
gemeingültigkeit zu. Dieser Prozeß der Monumentalisie-
rung brachte freilich eine unliebsame Begleiterscheinung
mit sich: die wachsende historische Distanz bewirkte, daß
man sich immer schlechter mit den Prämissen auskannte, die
eine jede Rede bedingt hatten. Man bemühte sich daher, die
konkrete Wirklichkeit wieder einzufangen, aus der die Rede
einst erwachsen w a r ; der Text wanderte in das Studierzim-
mer des Philologen und kehrte von dort mit einem histori-
schen K o m m e n t a r versehen in die Öffentlichkeit zurück.
S o viel über den Prozeß, der zur Literarisierung der
Gerichtsrede und der politischen A n s p r a c h e geführt hat. E r
wurde der Deutlichkeit halber ein wenig schematisiert. D i e
überlieferten Tatsachen gewähren ein vielfältigeres Bild;
zumal die Wechselbeziehungen zwischen Rhetorik und
praktischer Beredsamkeit waren komplizierter, als diese
Skizze erkennen läßt. Außerdem konnte, nachdem sich die
Rede als G a t t u n g durchgesetzt hatte, das einzelne Werk den
hier beschriebenen Weg schneller zurücklegen. Cicero zum
Beispiel hat seine Reden nicht nur publiziert, um f ü r seine
Politik zu w e r b e n ; er selbst verband hiermit alsbald die
640 E I N F Ü H R U N G IN C I C F R O S RF.DFN

E r w a r t u n g , sie m ö c h t e n in d i e r ö m i s c h e L i t e r a t u r e i n g e h e n
u n d d e r J u g e n d als M u s t e r f ü r ihre r h e t o r i s c h e n Studien
dienen.
D i e E n t w i c k l u n g , w e l c h e d i e a n t i k e Prozeß- und S t a a t s -
r e d e w ä h r e n d ihrer b e i d e n p r o d u k t i v e n P h a s e n g e n o m m e n
hat, zeigt m a n c h e a u f f ä l l i g e A n a l o g i e . D i e g r i e c h i s c h e B e -
r e d s a m k e i t f a n d e i n z i g in A t h e n ihre S t ä t t e ; e b e n s o be-
s c h r ä n k t e sich d i e r ö m i s c h e auf d i e H a u p t s t a d t R o m . In
G r i e c h e n l a n d e n t f a l t e t e sich d i e R e d e e t w a in d e m J a h r h u n -
d e r t v o n 4 3 0 bis 3 3 0 v. C h r . ; d i e r ö m i s c h e E p o c h e hatte ihren
S c h w e r p u n k t in d e r Z e i t v o n 1 3 0 bis 30 v . C h r . D i e E n t -
w i c k l u n g d e r l i t e r a r i s c h e n R e d e e r s t r e c k t e sich somit jew eils
ü b e r v i e r bis f ü n f G e n e r a t i o n e n ; ihr g i n g b e i d e M a l e eine
lange nicht-literarische Phase voraus. W i e in A t h e n , so
n a h m d i e p o l i t i s c h e E l o q u e n z auch in R o m ein jähes E n d e ,
das d u r c h äußere E r e i g n i s s e b e d i n g t w a r : d i e staatlichen
I n s t i t u t i o n e n , w e l c h e sie e r m ö g l i c h t u n d hervorgebracht
h a t t e n , v e r l o r e n ihre H a n d l u n g s f r e i h e i t . D i e attische B e r e d -
s a m k e i t b ü ß t e d u r c h eine a u ß e n p o l i t i s c h e W e n d e , d e n B e -
ginn der makedonischen V o r h e r r s c h a f t , ihr Daseinsrccht
ein; in R o m e n t z o g ein i n n e n p o l i t i s c h e s E r e i g n i s , der Ü b e r -
gang zur Monarchie, den republikanischen Staatsorganen
d i e b i s h e r i g e S e l b s t ä n d i g k e i t . C h a i r o n e i a und P h i l i p p i , d i e
S c h l a c h t e n der J a h r e 3 3 8 u n d 42 v. C h r . , besiegelten j e w e i l s
d a s S c h i c k s a l einer B l ü t e z e i t d e r p o l i t i s c h e n R e d e .
D i e Ä h n l i c h k e i t d e s äußeren V e r l a u f s v e r w e i s t auf Ä h n -
lichkeiten d e r staatlichen I n s t i t u t i o n e n . D e n n s o s e h r sich d i e
r ö m i s c h e A d e l s r e p u b l i k von d e r attischen D e m o k r a t i e u n -
t e r s c h i e d , in d i e s e r H i n s i c h t läßt sie sich mit ihr v e r g l e i c h e n :
sie b e r i e f e b e n f a l l s eine V ielzahl v o n B ü r g e r n zur M i t w i r -
k u n g an b e d e u t s a m e n Entscheidungen. Hiermit war die
e l e m e n t a r e V o r a u s s e t z u n g aller p o l i t i s c h e n Beredsamkeit
g e g e b e n : daß E i n z e l n e einer M a s s e g e g e n ü b e r t r a t e n und sie
E I N F Ü H R U N G IN C1CEROS R E D E N 64I

in diesem oder jenem Sinne zu beeinflussen suchten. In


Athen war die Volksversammlung das maßgebende Organ.
Im spätrepublikanischen Rom fiel dem Senat die beherr-
schende Rolle zu; Ansprachen an das Volk sollten dort
weniger bestimmte Entscheidungen herbeiführen als allge-
mein auf die öffentliche Meinung einwirken. Und in beiden
Staaten waren gerade die wichtigen Zw eige der Justiz gro-
ßen Gerichtshöfen anvertraut, die sich aus Laien zusammen-
setzten. Zumal diese Tatsache pflegt auf den modernen
Betrachter befremdlich zu wirken; er kennt die Rechtspflege
als Domäne, die im wesentlichen vom wissenschaftlich aus-
gebildeten Fachmann verwaltet wird. Jene vielköpfigen G e -
richtshöfe (in Athen urteilten Hunderte; die Geschworenen-
bänke des spätrepublikanischen Rom waren immerhin von
dreißig bis sechzig Richtern besetzt) deuten auf die enge
Verzahnung von Recht und Politik, die sich auch an anderen
Indizien ablesen läßt; sie erklären insbesondere, weshalb
sich die Prozeßrede derselben Mittel bedienen durfte und
sich ebenso entfalten konnte wie die politische Ansprache.
Die offensichtlichen Analogien des Staatsaufbaus sowie
anderer geschichtlicher Voraussetzungen bewirkten also,
daß die Beredsamkeit auch in Rom eine Stätte fand und daß
sie sich dort auf ähnliche Weise entwickelte wie drei Jahr-
hunderte zuvor in Athen. Die literarische Gattung freilich,
die strenge und kunstvolle Form der Rede, brauchten die
Römer nicht mehr aus sich selbst hervorzubringen; sie
brauchten sie nur noch von den Griechen zu übernehmen.
Mittler des Rezeptionsprozesses war die zeitgenössische, die
hellenistische Rhetorik, die um die Mitte des 2. Jahrhun-
derts v. Chr. in Rom eindrang; erst später, zur Zeit Ciceros,
griff man auch auf die praktische Beredsamkeit der Grie-
chen, auf die Paradigmen der Klassik, zurück. Die Rhetorik
also, die aufgekommen war, die Politiker mit dem erforderli-
642 EINFÜHRUNG IN TICFROS RFDFN

chen R ü s t z e u g zu v e r s e h e n , und die sich dann mit d e r Rolle


e i n e r J u g e n d e r z i e h e r i n h a t t e b e g n ü g e n m ü s s e n , sie f a n d i m
spätrepublikanischen R o m noch einmal die Bedingungen
ihres U r s p r u n g s u n d b i l d e t e d o r t a b e r m a l s P o l i t i k e r a u s .
H e r n a c h , z u B e g i n n d e r K a i s e r z e i t , z o g sie s i c h e n d g ü l t i g in
die S c h u l e zurück.

Zu den Reden Ciceros

C i c e r o hat s e l b s t a u s g i e b i g ü b e r s e i n V e r h ä l t n i s z u r Tradi-
tion d e r r ö m i s c h e n Beredsamkeit reflektiert; das w i c h t i g s t e
D o k u m e n t s e i n e r B e t r a c h t u n g e n ist d i e S c h r i f t »Brutus«,
e i n e l i t e r a r h i s t o r i s c h e M o n o g r a p h i e , d i e ihren G e g e n s t a n d ,
e b e n d i e B e r e d s a m k e i t , v o n d e n A n f ä n g e n bis a u f d i e e i g e n e
Zeit erörtert. Die eingehende Darstellung beginnt dort mit
d e m Z e n s o r i e r C a t o ( g e s t . 149 v . C h r . ) . D e n n e r h a t t e als
erster planmäßig seine Reden publiziert und hiermit Kpoche
g e m a c h t ; s e i t h e r v e r s t a n d es s i c h g e r a d e z u v o n s e l b s t , d a ß
der b e d e u t e n d e Politiker die Krzeugnisse seiner K l o q u e n z
a u c h als B u c h e r s c h e i n e n ließ. C i c e r o , d e m alle d i e s e W e r k e
noch zugänglich w a r e n , überblickte somit die K n t w i c k l u n g
eines vollen Jahrhunderts. In d e r P o r t r ä t g a l e r i e v o n Red-
n e r n , d i e sein » B r u t u s « d a r b i e t e t , m a c h t d i e K a t e g o r i e d e s
Fortschritts, der formalen, zumal der stilistischen Vervoll-
kommnung, die verbindende K l a m m e r aus. Ihren ersten
H ö h e p u n k t , behauptet Cicero, habe die römische Bered-
s a m k e i t w ä h r e n d d e r i h m v o r a u s g e h e n d e n G e n e r a t i o n er-
reicht; die Hinterlassenschaft des Rednerpaares L. Licinius
C r a s s u s (gest. 91 v. C h r . ) u n d M . A n t o n i u s (gest. 87 v. C h r . )
v e r d i e n e , d e n b e s t e n L e i s t u n g e n d e r G r i e c h e n an d i e S e i t e
g e s t e l l t z u w e r d e n . C i c e r o s D a r s t e l l u n g läßt a l s b a l d e i n e n
z w e i t e n , den ersten überragenden G i p f e l folgen, den aber-
EINFÜHRUNG IN C1CEROS REDF.N 64З

mals ein Rednerpaar einnimmt: Q . Hortensius Hortalus


(gest. 50 v. Chr.) und seine eigene Person. Der etwas ältere
Hortensius habe sich vor ihm den ersten Platz auf dem
Forum erobert; er sei indes als Verteidiger des Yerres im
Jahre 70 v. Chr. von ihm selbst geschlagen worden. Cicero
deutet, wie begreiflich, diese Rangordnung lediglich an,
und mit ähnlicher Vorsicht äußert er sich über die Gründe,
die ihn veranlaßten, sich selbst für den größten Redner
Roms zu halten. Niemand, gibt er zu verstehen, sei so in der
Literatur bewandert gewesen, habe so gründlich Philoso-
phie studiert, das Zivilrecht erlernt und sich mit der römi-
schen Geschichte beschäftigt wie er; zugleich hätten seiner
Kunst sämtliche emotionale und logische Überredungsmit-
tel zu Gebote gestanden. Cicero spricht sich hiermit den
Kreis der Kenntnisse und Fähigkeiten zu, den er selbst in
seinem rhetorischen Hauptwerk vom vollkommenen Red-
ner gefordert hatte: die enzyklopädische Bildung, in die er
außer der rhetorischen Technik zumal die Philosophie, das
Recht und die Geschichte einbezog. Cicero nennt noch ein
zweites, ein stilistisches Kriterium, seinen Vorrang zu be-
gründen. Sein Konkurrent Hortensius habe sich stets des
>asianischen< Stils befleißigt, das heißt der zeitgenössischen,
überaus manierierten Schreibart, welche die griechischen
Redelehrer zugleich mit der rhetorischen Theorie nach Rom
gebracht hatten; er selbst hingegen sei bald bei den griechi-
schen Rednern des 4. Jahrhunderts, insbesondere bei De-
mosthenes, in die Schule gegangen. Diese Gegenüberstel-
lung läßt erkennen, was Cicero als seine eigentliche Leistung
betrachtet w issen wollte: daß er durch den Rückgriff auf die
griechischen Klassiker die römische Beredsamkeit zu ihrer
klassischen Höhe geführt habe.
Die Nachwelt besitzt nur noch Reden von Cicero; aus
ihrer Perspektive stehen die ciceronischen Erzeugnisse für
E I N F Ü H R U N G IN C1CFROS RFDEN

die ganze G a t t u n g . Sie vermag daher nicht durch eigene


Vergleiche zu p r ü f e n , ob Cicero richtig geurteilt hat. Im-
merhin ist Ciceros hohe Selbsteinschätzung auf dem Felde
der Beredsamkeit von vorneherein besser legitimiert als in
der Politik. Schon die Tatsache, daß einzig Ciceros oratori-
sches ( E u v r e die Ungunst der Zeiten überdauert hat, darf als
Bestätigung gelten. Außerdem stimmte ihm die Geschichte
noch in einer Weise zu, die er selbst am wenigsten ge-
wünscht hätte: die großen Veränderungen, die sich nach
seinem T o d e zutrugen, bereiteten der politischen und foren-
sischen Beredsamkeit überhaupt ein baldiges E n d e . Auch
literarhistorische G r ü n d e legen die E r w ä g u n g nahe, daß
Ciceros A n s p r u c h auf den Rang eines Klassikers zu Recht
besteht. Einerseits hatte er sich vom zeitgenössischen Helle-
nismus abgewandt; er betrachtete die Redner des 4. Jahr-
hunderts u n d - z u m i n d e s t f ü r die S c h r i f t » Ü b e r den Staat« -
den platonischen Dialog als verbindlichen Maßstab des eige-
nen Hervorbringens. N u n gehört der R ü c k g r i f f auf die
griechischen Klassiker zu den wichtigsten Merkmalen der
römischen Klassik überhaupt; was Cicero tat, taten auch
L u k r e z , Sallust und die augusteischen Dichter. Anderer-
seits w u r d e Ciceros Kompositions- und Darstellungskunst,
w u r d e seine Prosa alsbald selbst zur verbindlichen N o r m ,
zum Beispiel schon f ü r den Historiker Livius. N o c h ein
drittes wichtiges Kennzeichen verbindet Cicero mit Lukrez
und anderen Klassikern: erst die römische Klassik hat sich
mit E r f o l g bemüht, große Werke >aus einem Guß< hervorzu-
bringen, das heißt erst damals wandte man sich ernstlich
dem Problem der Einheit und des streng gegliederten A u f -
baus zu.
Die Klassizität der ciceronischen Rede läßt sich auch an
inneren Kriterien ablesen. Cicero hat sicherlich mit Recht
behauptet, daß das breite Fundament seiner B i l d u n g , insbc-
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S REDEN 645

sondere sein philosophisches und historisches W issen, sei-


ner Beredsamkeit zugute gekommen sei. N u n macht stoffli-
che Vielfalt noch keinen Klassiker, wohl aber die Art, wie
sich diese Vielfalt im Werke präsentiert. Der Reichtum der
ciceronischen Rede hat nichts mehr mit d e r Buntheit der
vorklassischen Literatur gemein. Die f r ü h e n Plädoyers ent-
halten noch einige gewaltsam eingefügte Exkurse; in der
.Meisterzeit dient alle Mannigfaltigkeit, jedes Bild, jedes
Kxempel, jede moralische Betrachtung wie von selbst und
unaufdringlich der G e s a m t t e n d e n z der Rede, dem Ziel, die
H ö r e r von der Richtigkeit des eigenen S t a n d p u n k t e s zu
überzeugen.
Die Klassizität der ciceronischen Rede ergibt sich vor
allem aus der Form, zum Beispiel aus der Strenge des
Wortgebrauchs und d e m schier mühelosen Fluß der Spra-
che. Ein Vergleich mit der hölzernen u n d schwerfälligen
Prosa der Vorklassik zeigt sofort, was Cicero auf d e m Gebiet
der Syntax geleistet hat. Sein Stil scheint sich weniger
klassischen Maßstäben zu fügen. Er schwelgt in patheti-
schen Ergüssen; er neigt zur Breite. G e r a d e das zuletzt
genannte Merkmal tut sich in auffälliger Weise hervor.
Cicero zeigt eine große Vorliebe f ü r Wiederholungsfiguren,
zum Beispiel f ü r die Anapher. Er h ä u f t gern s y n o n y m e
W e n d u n g e n , besonders in der gefeilten Form des zweiglied-
rigen Ausdrucks, der sogenannten oratio bimembris. Schon
die zeitgenössische Kritik hat an diesen u n d ähnlichen Kenn-
zeichen seines Stils Anstoß g e n o m m e n ; sie warf ihm
Schwulst und Sinnlichkeit vor und rügte seine weitschwei-
fige Darstellungswcise. Sie bestritt ihm sogar die Richtung,
zu der er selbst sich bekannt hatte: er täusche sich, w e n n er
glaube, die griechischen Klassiker n a c h z u a h m e n , er befolge
in Wahrheit die >asianische<, die hellenistische Schreibart.
Diese Kritik kam freilich aus dem Lager d e r >Attizisten<, das
646 F.INFCHRVNG IN CICF.ROS RF.DFN

heißt der Anhänger eines rigoros klassizistischen Stilideals.


Sie schießt offensichtlich über das Ziel hinaus. Ciceros
Reden wollten nicht auf Leser w i r k e n , sondern auf Hörer,
und zwar auf römische Hörer. D i e eine Bedingung erklärt
die Wiederholungen, die Breite: der Leser kann Unverstan-
denes noch einmal lesen, er kann sogar zurückblättern; der
Hörer ist ganz auf sein O h r und sein unmittelbares Ver-
ständnis angewiesen. Die andere B e d i n g u n g erklärt die
Freude am üppigen Wohllaut; der aufdringliche K l a n g e f f e k t
ist ein Kennzeichen der gesamten römischen Literatur, zu-
mal der f ü r ein breites Publikum berechneten Gattungen.
Die Kontroverse zwischen den Attizisten und Cicero scheint
eher individuelle Geschmacksunterschiede anzuzeigen als
einen prinzipiellen Stilgegcnsatz. D e r E r f o l g lehrt, daß C i -
cero die Erfordernisse der G a t t u n g und die Erwartungen
seiner Hörer besonders gut zu befriedigen wußte.
E r hat wohl noch in anderer Hinsicht ein Äußerstes
verwirklicht: in der Fähigkeit, die B e w e i s f ü h r u n g der jewei-
ligen Situation anzupassen. Diese Feststellung gilt vor allem
f ü r seine Prozeßreden. Dort w ar er nicht durch seine eigenen
Vorurteile behindert; er konnte unbefangen versuchen, das
Beste aus der Sache herauszuholen, die er sich zu eigen
gemacht hatte. S o nahm sich etw a ein Erpressungsfall gänz-
lich anders aus, wenn er ihn als A n k l ä g e r (w ie bei Yerres)
oder als Verteidiger behandelte (wie zum Beispiel bei Fon-
teius). Selbst Catilina, der in den schwärzesten Farben
gemalte politische Feind des Konsulatsjahres, erschien in
milderem Lichte, als es darum ging, Caelius zu entlasten,
der einst zur G e f o l g s c h a f t Catilinas gehört hatte. D e m anti-
ken H ö r e r w a r das Prinzip geläufig; C i c e r o konnte auf
Verständnis rechnen, wenn er erklärte, man d ü r f e ihn nicht
auf Äußerungen festlegen, die er in einem früheren Prozeß
getan habe. Geradezu gefürchtet aber w a r das G e s c h i c k , mit
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S REDF.N 647

dem Cicero dieses Prinzip zu handhaben wußte. Seine takti-


sche K r a f t erschöpft sich durchaus nicht in der A n w e n d u n g
allgemein bekannter rhetorischer Regeln; sie geht bisweilen
so raffiniert zu Werke, daß auch die sorgfältigste A n a l y s e des
modernen Kritikers M ü h e hat, sie zu entlarven. Es bedarf
kaum des H i n w e i s e s , daß sich die Suggestivkraft der cicero-
nischen Rede dem moralischen Urteil entzieht: sie erfüllt
ebenso ein G e s e t z der G a t t u n g wie die vollendete Form. Mit
gutem G r u n d waren Ciceros forensische E r f o l g e vor allem
durch diese Fähigkeit bedingt.
Ciceros früheste R e d e entstammt dem J a h r e 81 v . C h r . ;
seine spätesten sind im J a h r e 43 v. C h r . verfaßt. Sein redne-
risches CEuvre erstreckt sich somit über nahezu vier Jahr-
zehnte. E r habe, so versichert er selbst, erst im Vollbesitz
seiner Fähigkeiten begonnen, als Sachwalter aufzutreten.
Seine Reden bestätigen dieses Urteil; der Ü b e r s c h w a n g , den
die ersten Proben seiner Kunst noch gelegentlich bekunden,
w a r nach wenigen Jahren abgetan. Spätestens seit dem
Prozeß gegen Verres läßt die ciceronische Beredsamkeit
keine innere E n t w i c k l u n g mehr erkennen. Cicero hat bis
zum J a h r e 69 v. C h r . sowohl Z i v i l - als auch Strafsachen
übernommen; nachdem er es zu R a n g und Ansehen gebracht
hatte, beschränkte er seine Anwaltstätigkeit auf Strafpro-
zesse. Dort trat er stets als Verteidiger auf; er hat nur ein
einziges Mal, im Prozeß gegen Verres, die Anklage g e f ü h r t .
Die Prätur g a b ihm zum ersten Male Gelegenheit zu einer
politischen R e d e ; weitere A n s p r a c h e n , die er teils an den
Senat, teils an die Volksversammlung gerichtet hat, ent-
stammen dem Konsulat, der Zeit nach der Rückkehr aus
dem Exil und dem letzten Lebensjahr.
Die moderne Literaturwissenschaft pflegt die Reden C i -
ceros nach chronologischen Gesichtspunkten zu gliedern.
Eine erste Phase macht die Aufstiegszeit aus; ihr gehören alle
648 F I N F C H R L ' N G IN C 1 C F R O S RFDFN

Reden an. die vor dem J a h r e 63 v. C h r . entstanden sind. Die


zweite Phase umfaßt das Konsulat und die Z e i t , da sich
Cicero vergebens bemühte, seine Konsulatspolitik zu recht-
fertigen ( 6 3 - 5 9 v . C h r . ) . Hierauf folgen die trüben J a h r e
von der Rückkehr aus dem Exil bis zur Statthalterschaft in
Kilikien; Cicero mußte sich damals den Weisungen des
Dreibundes fügen ( 5 7 - 5 2 v. Chr.). Die vierte Stelle nimmt
die kleine G r u p p e der sogenannten Caesar-Reden ein, das
heißt der Reden, die Cicero während der Diktatur Caesars
und vor dem Diktator gehalten hat ( 4 6 - 4 5 v . C h r . ) . Einen
letzten Höhepunkt erreichte Ciceros Eloquenz im K a m p f
gegen Antonius ( 4 4 - 4 3 v . C h r . ) ; die vom Verfasser selbst
geprägte Bezeichnung »Philippische Reden« verweist auf
das griechische Vorbild, auf die Ansprachen, mit denen
Demosthenes zum Widerstand gegen Philipp von Makedo-
nien aufgerufen hatte. Diese fünf Phasen sind jew eils durch
einschneidende Ereignisse, oft auch durch längere Intervalle
voneinander getrennt; sie unterstanden je verschiedenen
Voraussetzungen, da sich Ciceros eigene Position und die
politischen Verhältnisse überhaupt von Mal zu Mal gewan-
delt hatten. Das rednerische CEuvre spiegelt diesen G a n g der
Ereignisse; die Reden der einzelnen Phasen sind jeweils
durch eine bestimmte Atmosphäre und, da Cicero sich oft
wiederholte, durch gemeinsame Motive miteinander ver-
bunden. Die Reden der Aufstiegszeit zeigen die größte
Mannigfaltigkeit; ihr von Ehrgeiz erfüllter Verfasser ergriff
ohne Z ö g e r n den reichen S t o f f , den die Umw elt ihm darbot.
Während des Konsulats kam die Thematik der ciceronischcn
Beredsamkeit gleichsam zu sich selbst: der strebsame N e u -
ling hatte gesprochen, wie es sich f ü r seine noch bescheidene
Stellung geziemte; mit der Leitung des höchsten Staatsam-
tes änderte sich die Perspektive, und Cicero w u c h s nunmehr
reichlich Gelegenheit zu, seine politischen G r u n d s ä t z e zu
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N 649

verkünden. S o nahm jetzt das Denken und Handeln der


eigenen Person die beherrschende Mitte ein. Diese Tendenz
steigerte sich unter dem Regime der Dreimänner zu einem
Übermaß an Subjektivität; Denken und Handeln klafften
damals auseinander, und die wortreichen Reden jener J a h r e
sind von Schönfärberei und Selbsttäuschung erfüllt. Die
Caesar-Reden zeigen w ieder ein angemessenes Verhältnis
zur Wirklichkeit; sie wollen einzelnen Personen helfen und
suchen aus den je gegebenen Umständen das Mögliche
herauszuholen. In den Philippiken endlich aktualisierte sich
noch einmal Ciceros gesamte politische Vorstellungswelt.
D e m Redner kam nunmehr die bedeutsame Rolle wirklich
zu, die er stets erstrebt und nicht selten sich eingebildet
hatte: sein letzter K a m p f war zugleich der letzte K a m p f des
souveränen, in freier Entscheidung handelnden Senats.
Die Handschriften haben von Cicero insgesamt 58 Reden
bewahrt; ein Teil ist durch mehr oder minder beträchtliche
Lücken entstellt. Außerdem übermitteln Zitate anderer
Schriftsteller Bruchstücke aus 17 weiteren Reden. Schließ-
lich weiß man durch die Quellen von etwa 30 gänzlich
verlorenen Reden. H i e r ist indes Vorsicht geboten. Cicero
hat, sei es als A n w a l t , sei es als Staatsmann, sehr oft vor der
Öffentlichkeit gesprochen; als Reden im eigentlichen Sinne
können nur die Darlegungen gelten, die von Cicero nach
dem mündlichen Vortrag als Buch publiziert w u r d e n . Bei
jenen 30 Titeln ist meist ungewiß, ob sie auf schriftlich
fixierte Reden verweisen. Eine besondere Bewandtnis hat es
mit dem zweiten Plädoyer gegen Verres und der zweiten
Philippischen Rede: diese Reden erschienen nur schriftlich,
ohne vorausgehenden mündlichen Vortrag.
Cicero hat seine Reden gründlich ausgearbeitet, ehe er sie
veröffentlichte. In der Antike kannte man mitunter noch die
ursprünglichen Fassungen, die ohne Ciceros Willen in U m -
650 F I N F C H R I NG IN CICF.ROS RFDF.N

lauf gekommen waren. S o hatte man zum Beispiel das


Plädoyer f ü r Milo nachgeschrieben, während Cicero sprach;
wie antike G e w ä h r s l e u t e bezeugen, unterschied sich dieser
Text erheblich von dem Meisterwerk, das Cicero hernach
am Schreibtisch daraus gemacht hat. Bei den handschrift-
lich überlieferten oder durch Zitate bezeugten Reden han-
delt es sich mit Sicherheit stets um die endgültige Fassung.
Bisweilen vermag man noch zu erkennen, daß die Bearbei-
tung beträchtlich vom ursprünglichen Wortlaut abweicht.
Die Reden gegen Catilina zum Beispiel enthalten Äußerun-
gen, die Cicero schwerlich schon im J a h r e 63 v. Chr. getan
hat; er hat sie offensichtlich erst im J a h r e 60 v. Chr. einge-
f ü g t , als er die Reden seines Konsulatsjahres f ü r die schriftli-
che Publikation vorbereitete.
Die Uberlieferung der griechischen Redner läßt einige
O r d n u n g erkennen; die Handschriften enthalten jeweils
denselben Inbegriff von Reden in übereinstimmender Rei-
henfolge. Demgegenüber bietet sich das rednerische CKuvre
Ciceros als ein gigantischer Trümmerhaufen dar. Cicero
selbst hat seine Erzeugnisse teils einzeln, teils, wie im Falle
der Konsulatsreden, zu einem Korpus gebündelt veröffent-
licht. Andererseits pflegen die modernen Fditionen den
gesamten Bestand der Überlieferung zu präsentieren. Wel-
che Pflege den Reden Ciceros in der Zw ischenzeit zuteil
w u r d e , ist kaum bekannt und kaum noch erkennbar. Finige
dürftige Nachrichten lassen vermuten, daß T i r o , der Freige-
lassene Ciceros, eine Gesamtausgabe veranstaltet hat. Sein
Beispiel fand o f f e n b a r wenig N a c h f o l g e . Wahrscheinlich hat
sich Ciceros rednerisches CEuvre schon während der Antike
in lauter Einzelstücke aufgelöst. Eine Ausnahme machten
lediglich die Reden gegen Yerres und gegen Catilina, die
Caesar-Reden und die Philippiken; diese G r u p p e n sind auch
in den mittelalterlichen Handschriften meist noch vereinigt.
E I N F Ü H R U N G IN C I C F R O S RF.DFN 6jl

Hille A u s n a h m e machte wohl ferner die Vorlage einer karo-


lingischen Handschrift, des Codex Parisinus 7794. Dieser
Codex enthält in chronologischer Reihenfolge zehn Reden
aus den Jahren 5 7 - 5 6 v. C h r . ; man möchte annehmen, daß
er von einer Gesamtausgabe abstammt, die ein Philologe
der Spätantike hergestellt hatte. Die Zersplitterung des
Materials bedingte, daß es bei einer jeden Rede von den
jeweiligen Umständen abhing, ob sich Kopisten f ü r sie
fanden oder nicht; es ist daher nicht verwunderlich, daß der
ursprüngliche Bestand im L a u f e der Jahrhunderte manche
Einbuße erlitt. Die Zersplitterung des Materials bedingte
weiterhin, daß jede Rede ihre eigene Überlieferungsge-
schichte hat; ein Teil der Texte ist durch spätantike oder
karolingische Codices, ein Teil erst durch Handschriften
des hohen Mittelalters oder des H u m a n i s m u s bezeugt.
Cicero gehört zu den großen N a m e n der Weltliteratur.
Hierzu haben gewiß auch die Reden, seine selbständigste
Leistung, in erheblichem Maße beigetragen; sie w u r d e n
immer wieder gelesen, erklärt und nachgeahmt. Allerdings
haben sie die G a t t u n g selbst nicht wieder zum L e b e n zu
erwecken vermocht; das strengen künstlerischen Gesetzen
unterworfene Plädoyer, die bis ins einzelne geformte politi-
sche Ansprache sind seit der römischen Kaiserzeit unterge-
gangen. U n d der S t o f f der ciceronischen Rede gehört der
Geschichte an, der einmaligen, unwiederholbaren Situa-
tion. S o bleibt die Wirkung des Stils; sie ist indes durch
Ciceros Prosa schlechthin bedingt, nicht allein durch die
Reden. S o bleiben weiterhin motivische Übernahmen: man
hat aus Ciceros Reden allerlei Wendungen und Pointen,
Sentenzen und Argumentationsformen, ja ganze Werk-
strukturen entlehnt, sporadisch während des Mittelalters,
häufiger in humanistischer Z e i t , mit größter Intensität wäh-
rend der Französischen Revolution. Im ganzen hat Cicero
6S2 EINFÜHRUNG IN CICFROS RFDF.N

vornehmlich als Meister des Worts, als Mittler philosophi-


scher G e d a n k e n und als Persönlichkeit die Aufmerksamkeit
der N a c h w e l t auf sich gezogen. Z u allem haben auch die
Reden ihr Teil beigesteuert; dieser Teil läßt sich freilich
nicht so deutlich abgrenzen wie bei den philosophischen
Schriften und bei den Briefen.
Die jüngste Phase der ciceronischen Wirkung, der N e u -
humanismus, scheint sich nunmehr dem E n d e zu nähern.
Im humanistischen G y m n a s i u m gehören Ciceros Reden mit
Recht zum unverzichtbaren Bestand der Lektüre. Man traf
jedoch, wie die stark divergierenden A u f l a g e z i f f e r n der
Schulkommentare anzeigen, seit jeher eine ziemlich starre
A u s w a h l ; manches w u r d e immer behandelt, anderes nie.
Diese A u s w a h l ist mitunter durch die Sache bedingt, zum
Beispiel bei den Reden gegen Catilina. A n d e r e Reden wur-
den wohl nur deshalb bevorzugt, weil ihr S t o f f und ihre
Haltung den A u f f a s s u n g e n des 19. Jahrhunderts entgegen-
kamen; diesem Umstände scheinen insbesondere die Reden
f ü r Pompeius und f ü r den Dichter Archias die A u f n a h m e in
den Lesekanon zu danken. Man sollte diesen Kanon über-
prüfen. Vielleicht haben bisher zwei Merkmale der ciceroni-
schen Beredsamkeit nicht so viel Aufmerksamkeit g e f u n d e n ,
wie sie verdienten: die Kunst der Krzählung und die Sugge-
stivkraft der B e w e i s f ü h r u n g . Für beides enthalten vor allem
die Prozeßreden reichlichen S t o f f . U n d zumal die von C i -
cero befolgte Technik der Manipulation von Meinungen ist
wohl wichtig genug, daß sie nicht auf den engen Wirkungs-
radius des humanistischen G y m n a s i u m s beschränkt bleiben
sollte.
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N 65З

Zur Übersetzung

Diese Übersetzung ist ein Versuch. Der deutsche Sprachbe-


reich hat anders als etwa der französische oder englische
keine feste Tradition der Wiedergabe von antiker Kunst-
prosa. Ciceros Reden jedenfalls blieben stets im Bannkreis
• wörtlichen« Übersetzens: man suchte sich möglichst eng an
die Ausdrucksweise und zumal an die S y n t a x des Originals
anzuschließen; man vernachlässigte andererseits die künstle-
rischen Mittel der ciceronischen Sprache. Die bisherige A r t
des Übersetzens w a r offensichtlich vor allem auf den Latein-
unterricht und auf verbreitete Kenntnis des Lateinischen
zugeschnitten: sie sollte den Z u g a n g zum Original erleich-
tern.
Die veränderten Voraussetzungen fordern einen neuen,
minder anspruchslosen Z w e c k . Die K u n s t f o r m der Rede ist
an den Zeitablauf gebunden; ihre Energien teilen sich nur
dem mit, der sie in dem ihr zukommenden T e m p o aufzuneh-
men vermag. Wer die ciceronischen Originale lesen und ihre
ursprünglichen Wirkungsqualitäten erfahren will, muß die
lateinische Sprache ungefähr ebensogut beherrschen w i e
Ciceros einstige Hörerschaft. Diesem Erfordernis hat wohl
selbst das humanistische G y m n a s i u m des 19. Jahrhunderts
nicht immer genügen können. Die vorliegende Übersetzung
ist daher vor allem bestrebt, die Form der ciceronischen
Rede wiederzugeben; sie sucht diese F o r m auch denen zu
vermitteln, denen das Original nicht oder nur mit M ü h e
zugänglich ist.
Z u r Form der Rede gehört zunächst der sinnenfällige Bau
der Sätze, gehören die parallelen Satzglieder und die nach
festen Regeln rhythmisierten Satzschlüsse. In dieser H i n -
sicht hätte Originaltreue Manier bedeutet. S o w u r d e ledig-
lich darauf geachtet, daß die Sprache sich nicht staut und
U N K C H R L N G IN C I C F R O S RFDFS

nicht zerfließt. Hingegen wurde auf die Wied ergäbe der


ciceronischen Klauseln verzichtet. Die deutsche Prosa kennt
nichts Ahnliches; eine strenge Folge von Längen und Kür-
zen oder richtiger von betonten und unbetonten Silben
würde sich, wenn überhaupt, nur unliebsam bemerkbar
machen.
Zur Form der Rede gehören w eiterhin die rhetorischen
Figuren, insbesondere alle Spielarten der Klang- und Wort-
u iederholung. In diesem Falle ist die genaue Wiedergabe
meist möglich und angezeigt. Die deutsche Prosa kennt die
Paronomasie, die Anapher, das Asyndeton ebenso wie die
lateinische; sie sträubt sich lediglich gegen das Hvperbaton.
Die vorliegende Übersetzung hielt sich allerdings nicht für
verpflichtet, die Figur stets in demselben Material auszu-
drücken wie der lateinische Text; ein anaphorisches cum
zum Beispiel ist bisweilen durch die Wiederholung eines
anderen Wortes, etwa eines Pronomens, angedeutet. In
ähnlicher Weise wie die Figuren wurde auch die ciceroni-
sche oratio bimembris getreulich bewahrt, obwohl die Gren-
zen des deutschen Wortschatzes nicht selten Schwierigkei-
ten verursachen; wie soll man zum Beispiel die Verbindung
amicus et hospes wiedergeben, w ie mit dem Ausdruck wech-
seln, w enn der lateinische Kontext überdies noch die Worte
familiaris und necessarius enthält? Schließlich suchte die
Übersetzung auch an der Art der Satzgliederung festzuhal-
ten: breite und abgehackte Kola bedingen ein je verschiede-
nes Yortragstempo.
Zur Form der Rede gehört schließlich der Wechsel der
Stillagen und der affektischen Haltung. Auch auf diesem
Felde war die deutsche Wiedergabe bestrebt, das Mögliche
zu verwirklichen. Vielleicht hätte sie das bisweilen recht
aufdringliche Pathos des Originals dämpfen sollen; anderer-
seits ist es nicht Aufgabe einer Übersetzung, die Dosierung
E I N F Ü H R U N G IN C 1 C E R O S REDEN 655

der Ausdrucksmittel dem eigenen Zeitgeschmack anzupas-


sen.
Die Bemühung um die Form machte Freiheiten bei der
Wiedergabe der grammatischen Struktur erforderlich. Jede
Übersetzung vom Lateinischen ins Deutsche verlängert den
T e x t ; die Artikel und Pronomina, oft auch Präpositionen,
Konjunktionen und zusammengesetzte Yerbalformen be-
wirken eine erhebliche Zunahme der Wortzahl. Ciceros
Perioden nutzen die Möglichkeiten des Lateinischen. Sie
verlieren oft jeden Schwung oder werden gar unverständ-
lich, wenn man versucht, sie auch im Deutschen beizubehal-
ten. Längere Satzgebilde wurden daher nicht selten aufge-
löst und Hvpo- in Parataxe verwandelt.
Auch in lexikalischer Hinsicht kann vermeintliche Treue
die Wirkung des Originals beeinträchtigen. Nicht nur die
Bedeutungen der Wörter differieren, sondern auch die E m -
phase, die ihnen jeweils eignet, ihr Gewicht. Das Lateini-
sche kennt keinen bestimmten Artikel; oft tritt ein Demon-
strativpronomen für ihn ein. Es hat dann nicht mehr die
deiktische Kraft, die ihm eigentlich zukommt; seine Wieder-
gabe durch ein deutsches Demonstrativum würde einen
Akzent setzen, der dem Original fremd ist. Die Rechnung
des >Wort für Wort« geht auch sonst nicht immer auf; iam,
ipse oder videri zum Beispiel kamen dem Römer so leicht über
die Lippen, daß sich die Verwendung des lexikalischen
Äquivalentes nicht selten verbietet.
ALLGEMEINE LITERATUR
ZU CICEROS REDEN

Wichtige Literatur zu einzelnen Reden - Kommentare, kommen-


tierte Ausgaben, Abhandlungen - ist jeweils an Ort und Stelle
genannt.
Ausgaben:

M . Tulli Ciceronis Orationes, ed. A . C . Clark - W. Peterson, 6


Bde. (Oxford Classical Texts), O x f o r d 1 9 0 5 - 1 9 1 8 ( z . T .
2. A u f l . ) .
Ciceron, Discours, ed. H . de la Y i l l e de Mirmont u . a . , 20 Bde.
(Collection B u d i ) , Paris 1 9 1 8 f f . (mit französischer Übersetzung;
ζ. T . 2. und 3. A u f l . ) .
M . Tulli Ciceronis Orationes, ed. Λ . Klotz u. a., 5 Bde. = 23 Fasz.
(Bibliotheca Tcubneriana), Leipzig 192 1 f f .
M . Tullius Cicero, T h e Lost and Unpublished Orations, ed. J . \V.
C r a w f o r d (Hypomnemata 80), Göttingen 1934.

Übersetzungen:

M . Tullius Cicero, Sämtliche Reden, eingeleitet, übersetzt und


erläutert von M. Fuhrmann, 7 Bde. (Bibliothek der Alten Welt),
Zürich-Stuttgart-München 1 9 7 8 - 1 9 8 5 (7.. T . 2. A u f l . )
Cicero, Staatsreden, übersetzt von H . Kasten, 3 Bde. (Akademie-
Verlag), Berlin 1 9 8 0 - 1 9 8 1

Lexikon:

H . Merguet, Lexikon zu den Reden Ciceros, 4 Bde., Jena


1 8 7 7 - 1 8 8 4 (Nachdruck Flildesheim 1962).

Zur Biographie Ciceros:

M . Fuhrmann, Ciccro und die römische Republik, München-


Zürich 1991
M. Geizer, Cicero - F'.in biographischer Versuch, Wiesbaden 1969.
E I N F Ü H R U N G IN C I C E R O S R E D E N 657

P. G r i m a l , C i c e r o n , Paris 1986 (in deutscher Übersetzung: Cicero:


Philosoph - Politiker - Rhetor, M ü n c h e n 1988).
(;hr. I labicht, Cicero der Politiker, M ü n c h e n 1990.
C h r . Meier, C i c e r o - D a s erfolgreiche Scheitern des Neulings in der
alten Republik, in: D i e O h n m a c h t des allmächtigen Dictators
Caesar, Frankfurt/M. 1980, 101 ff.
T h . N . Mitchell, Cicero: T h e A s c e n d i n g Y e a r s / C i c e r o : T h e Senior
Statesman, 2 B d e . , New H a v e n - L o n d o n 1 9 7 9 - 1 9 9 1 .
О . Seel, Cicero: Wort - Staat - Welt, Stuttgart 1953.

Zur Geschichte des ciceroniscben Zeitalters:

II. Bengtson, G r u n d r i ß der römischen G e s c h i c h t e , Bd. 1 ( H a n d -


buch der Altertumswissenschaft 3,5,1), M ü n c h e n 1967, 1 5 3 f f .
J. Bleicken, D i e Verfassung der römischen Republik, Paderborn
1982'.
M . G e i z e r , Pompeius, M ü n c h e n 1959 2 .
D e r s . , Cäsar, der Politiker und Staatsmann, Wiesbaden i960 6 .
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schichte, Bd. 4, Berlin - Frankfurt/M. - W i e n 1963, 175 ff.
W. Kroll, D i e Kultur der ciceronischen Z e i t (Das Erbe der A l t e n ,
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F. B. Marsh, A History of the Roman World from 146 to 30 В. C . ,
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(ihr. Meier, Res publica amissa - Eine Studie zu Verfassung und
G e s c h i c h t e der späten römischen R e p u b l i k , Wiesbaden 1966.
F.. M e y e r , Römischer Staat und Staatsgedanke, Z ü r i c h 1 9 6 1 ' .
R. S v m e , T h e Roman Revolution, O x f o r d 1951 2 (in deutscher
Übersetzung: Die römische Revolution, Stuttgart 1957).

Zur antiken Beredsamkeit:

M . L. Clarke, Rhetoric at R o m e , L o n d o n 1968 4 (in deutscher


Übersetzung: D i e Rhetorik bei den R ö m e r n , G ö t t i n g e n 1968).
M . Fuhrmann, D i e antike Rhetorik, M ü n c h e n - Z ü r i c h 1990'.
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H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 2 Bde., Mün-


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A. D. Leeman, Orationis ratio - T h e Stilistic Theories and Practice
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G . Ueding - B. Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, Stuttgart
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Zu den Reden Ciceros:

D. Berger, Cicero als Erzähler - Forensische und literarische Stra-


tegien in den Gerichtsreden, Frankfurt/M. - Bern - Las Vegas
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C . J . Classen, Recht - Rhetorik - Politik: üntersuchungen zu
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Eloquence et rhetorique chez Ciciron (Entretiens sur I'antiquite
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Chr. Neumeister, Grundsätze der forensischen Rhetorik, gezeigt
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\V. Stroh, Taxis und Taktik - Die advokatorische Dispositions-
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A. VVeische, Ciceros Nachahmung der attischen Redner, Heidel-
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T h . Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte, Leipzig 1 9 1 2 1
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EINLEITUNGEN UND
ERLÄUTERUNGEN
ZU DEN EINZELNEN
REDEN
R K D K F Ü R S E X . R O S C I L S A L S A M KR IΛ

Einleitung

Die Rede f ü r Sextus Roscius aus Ameria ist Ciceros erstes


Plädoyer in einem Kriminalprozeß (causa publica)·, sie ent-
stand im J a h r e 80 v. C h r . , während der Diktatur Sullas. Sic
dokumentiert die N e u o r d n u n g , die Sulla der römischen
Strafgerichtsbarkeit hatte zuteil werden lassen.
Die A h n d u n g schwerer Verbrechen gehörte ursprünglich
zu den Kompetenzen der Volksversammlung. Im 2. J a h r -
hundert v. C h r . kamen Geschworenengerichte auf; sie wur-
den zunächst f ü r einzelne Fälle und sodann f ü r die ständige
Behandlung bestimmter Deliktskategorien niedergesetzt
(1quaestiones perpetuae). Die sullanische R e f o r m s c h a f f t e das
Volksgericht ab; die Kriminaljustiz oblag jetzt nur noch den
G e r i c h t s h ö f e n , die jeweils f ü r einzelne Verbrechen, wie
Hochverrat, Amtserschleichung, Erpressung u s w . , zustän-
dig waren. Den Vorsitz führte ein Prätor oder ein eigens
bestellter sogenannter iudex quaestionis. Die Mitglieder der
G e r i c h t s h ö f e , im allgemeinen etwa dreißig bis sechzig an der
Z a h l , wurden f ü r jeden einzelnen Prozeß aus der Richterli-
ste ausgelost. Die Zusammensetzung der Richterliste war
lange Zeit ein Gegenstand heftigen politischen Streites.
C . G r a c c h u s nahm den Senatoren das Privileg des G e s c h w o -
renenamtes und übertrug es auf die Ritter (122 v.Chr.);
Sulla stellte den ursprünglichen Z u s t a n d wieder her; ein
Gesetz des Jahres 70 v. C h r . verteilte das A m t zu gleichen
Teilen an die drei Rangklassen der Senatoren, Ritter und
Ärartribunen. Die Geschworenengerichte arbeiteten nach
dem Prinzip der Popularanklage; das heißt sie w urden nur
tätig, wenn ein unbescholtener römischer Bürger Anzeige
erstattete (nomen deferre, Hominis de!atio)\ ihre A n n a h m e bc-
FÜR S E X . ROSCIL'S

gründete f ü r den Anzeigenden die Pflicht, als Ankläger


(accusator) zu fungieren.
S e x . Roscius w u r d e beschuldigt, seinen Vater ermordet
zu haben; f ü r dieses Verbrechen, einen Verwandtenmord
(parricidium), war der Gerichtshof f ü r Mordsachen (quaestio
inter sicarios et de veneßeiis) zuständig. D e r Bürgerkrieg hatte
die ordentliche Gerichtsbarkeit zum Erliegen gebracht; das
V erfahren gegen Roscius w a r die erste Mordsache, die nach
dem Siege Sullas anhängig w u r d e . Die Rolle des Anklägers
hatte ein gewisser Erucius übernommen; Vorsitzender des
Mordgerichts war der Prätor M . Fannius; über die Z a h l und
Zusammensetzung des Richterkollegiums, das der sullani-
schen O r d n u n g gemäß aus Senatoren bestand, ist nichts
Näheres bekannt.
Der Prozeß gegen Roscius ist das Produkt von Zeitereig-
nissen, die eines der dunkelsten Kapitel der römischen
Geschichte ausmachen. Sulla hatte nach der Entscheidungs-
schlacht am collinischen T o r (Oktober 82 v. C h r . ) seine
politischen G e g n e r , die Anhänger des Marius und C i n n a ,
pauschal f ü r vogelfrei erklärt; bald d a r a u f l i e ß er die N a m e n
der Geächteten auf T a f e l n veröffentlichen (proscribere, pro-
scriptio). Wer proskribiert war, d u r f t e von jedermann getötet
werden; seine N a c h k o m m e n waren von den öffentlichen
A m t e r n ausgeschlossen; sein Vermögen verfiel dem Staate.
Die konfiszierten Werte wurden auf dem Forum versteigert;
die gewerblichen A u f k ä u f e r von Staatsgut (sectores) fanden
ein reiches Betätigungsfeld.
Ciceros Plädoyer f ü r Roscius bekundet, welche Mißbräu-
che die sullanischen Proskriptionsgreucl mit sich brachten.
D e r Vater Sex. Roscius w u r d e einige Monate nach dem
i . J u n i 81 v . C h r . , dem gesetzlichen Schlußtermin f ü r die
Proskriptionen und Vermögenseinziehungen, ermordet.
Z w e i mit ihm verfeindete Verwandte, T . Roscius Capito
FINLFITl'NG

u n d 'Γ. R o s c i u s M a g n u s , u n t e r r i c h t e t e n d e n F r e i g e l a s s e n e n
L . Cornelius C h r v s o g o n u s . einen G ü n s t l i n g Sullas, von die-
sem E r e i g n i s . C h r v s o g o n u s v e r a n l a ß t e , d a ß d e r N a m e d e s
E r m o r d e t e n , eines t r e u e n A n h ä n g e r s d e r s u l l a n i s c h e n Par-
tei, n a c h t r ä g l i c h auf d i e P r o s k r i p t i o n s l i s t e g e s e t z t w u r d e ; er
erstand das bedeutende V e r m ö g e n des G e ä c h t e t e n f ü r einen
S p o t t p r e i s u n d ließ s e i n e n H e l f e r n , d e n b e i d e n Rosciern,
r e i c h l i c h e n L o h n zuteil w e r d e n . D e r S o h n R o s c i u s f l ü c h t e t e
n a c h R o m zu e i n f l u ß r e i c h e n G ö n n e r n d e s V a t e r s . C h r v s o -
g o n u s u n d seine K o m p l i z e n f ü h l t e n sich i h r e r B e u t e nicht
m e h r s i c h e r ; sie s u c h t e n d e n j u n g e n R o s c i u s d u r c h eine
A n k l a g e w e g e n V a t e r m o r d e s zu b e s e i t i g e n . D e r S c h u l d v o r -
w u r f b e r u h t e auf ü b e r a u s schw a c h e n I n d i z i e n ; d i e G e g n e r
g l a u b t e n j e d o c h , d a ß n i e m a n d sich g e t r a u e n w e r d e , den
A n g e k l a g t e n zu v e r t e i d i g e n u n d d a s v e r b r e c h e r i s c h e K o m -
plott a u f z u d e c k e n , an d e m ein C h r v s o g o n u s beteiligt w a r .
D i e s e R e c h n u n g g i n g n i c h t a u f . Z w a r m o c h t e kein A n g e h ö -
r i g e r des A d e l s sich s e l b s t d e s h e i k l e n F a l l e s a n n e h m e n ; m a n
sorgte jedoch durch die A n w altschaft Ciceros f ü r hinlängli-
chen Schutz.
Ciceros Plädover geht mit Recht davon aus. daß die
E n t k r ä f t u n g des T a t v o r w u r f s e b e n s o leicht w i e u n w e s e n t -
lich sei. D e r S a c h v e r h a l t läßt, w i e er v o n C i c e r o g e s c h i l d e r t
w i r d , in d e r Position d e s A n g e k l a g t e n a l l e n f a l l s eine s c h w a -
chc Stelle erkennen: man v e r m a g nicht einzusehen, w e s h a l b
Roscius die beiden S k l a v e n , die einzigen v e r f ü g b a r e n T a t -
z e u g e n (77 f. 1 1 9 f f . ) , nicht unmittelbar nach dem Mord
b e f r a g t u n d d a s E r g e b n i s d e r B e f r a g u n g in e i n e m P r o t o k o l l
f e s t g e h a l t e n hat. D o c h o f f e n b a r w a r d e r A n k l ä g e r auf d i e s e n
P u n k t nicht e i n g e g a n g e n ; so b e s t a n d w o h l a u c h f ü r C i c e r o
kein A n l a ß , das V e r s ä u m n i s d e s R o s c i u s zu e r k l ä r e n . Im
ü b r i g e n k a m alles d a r a u f a n , d i e I n t r i g e d e r G e g n e r , ihre
V o r a u s s e t z u n g e n u n d Z i e l e , in d a s r e c h t e L i c h t zu s e t z e n .
FÜR S F X . ROSCILS

hierbei Mut zu zeigen und die Richter zu einer ebenso


mutigen Kntscheidung zu bestimmen. Diesem Z w e c k die-
nen insbesondere die Partien, in denen Cicero den mächti-
gen C h r y s o g o n u s von Sulla isoliert: der Diktator habe von
dem verbrecherischen K o m p l o t t nicht das mindeste gewußt
(21 f. 2 5 Γ 9 1 . 1 1 0 . 1 2 7 . i j o f . ) . Demselben Z w e c k dient
weiterhin der deutliche H i n w e i s , daß sich das von Sulla
wiedereingesetzte Regiment des Adels nur behaupten
könne, wenn es sich mit Entschiedenheit von dem Treiben
eines C h r y s o g o n u s und seiner H e l f e r distanziere ( 1 3 5 ff.).
V o r allem bestimmt die A b s i c h t , aufs G a n z e zu gehen, die
A u s w a h l und A n o r d n u n g des S t o f f e s . Ciceros Rede befolgt
in ihrem äußeren A u f b a u das konventionelle Schema der
Rhetorik; sie gliedert sich in die Einleitung ( 1 - 1 4 ) , die
Schilderung des Sachverhalts ( 1 5 - 2 9 ) , den Überblick über
die T h e m e n der B e w e i s f ü h r u n g ( 2 9 - 36), die B e w e i s f ü h r u n g
selbst ( 3 7 - 1 4 2 ) und den E p i l o g ( 1 4 3 - 1 5 4 ) . Die K u n s t des
A n w a l t s zeigt sich an der A r t , wie dieses Schema verwendet
w i r d , zumal an d e m wichtigsten und längsten Abschnitt der
R e d e , an der B e w e i s f ü h r u n g . Cicero zerlegt das Komplott
der G e g n e r in drei je verschiedene Anteile; er unterscheidet
die Anklage des E r u c i u s , die Skrupellosigkeit der beiden
Roscier und die M a c h t des C h r y s o g o n u s (35 f.). Diese drei
Funktionen sind f ü r die B e w e i s f ü h r u n g maßgeblich. Die
erste S t u f e der A r g u m e n t a t i o n weist die V o r w ü r f e des
Erucius zurück ( 3 7 - 8 2 ) ; die zweite und dritte erheben eine
A r t Widerklage gegen die Hintermänner: die beiden Roscier
w e r d e n als die w a h r h a f t Tatverdächtigen entlarvt ( 8 3 - 1 2 3 ) ,
und C h r y s o g o n u s erweist sich als der >Schirmherr< des
ganzen Unternehmens ( 1 2 4 - 1 4 2 ) . Der parallele A u f b a u der
beiden ersten A b s c h n i t t e steigert die Suggestivkraft dieser
K l i m a x : Cicero befaßt sich jeweils zunächst mit der Frage
des Tatmotivs ( 3 8 - 7 3 und 8 4 - 9 1 ) sowie mit der Möglichkeit
EINLFITCNG

d e r T e i l n a h m e an d e r A u s f ü h r u n g des M o r d e s ( 7 4 - 8 2 und
9 2 - 1 0 4 ) ; der zweite Abschnitt b r i n g t in einer weiteren
Partie Indizien aus d e m V e r h a l t e n nach d e r T a t . die auf die
beiden R o s c i e r als d i e w a h r e n M ö r d e r w e i s e n ( 1 0 5 - 1 2 3 ) .
W i e die D i s p o s i t i o n d e s G a n z e n , so unterstützt auch die
geschickte Vorbereitung wichtiger Bewertungsmaßstäbe
das Z i e l , die K i n s t e l l u n g d e r R i c h t e r in d e m von C i c e r o
g e w ü n s c h t e n S i n n e zu b e e i n f l u s s e n . Z u m a l die S c h i l d e r u n g
d e s S a c h v e r h a l t e s ist auf die Z w e c k e der A r g u m e n t a t i o n hin
angelegt. S o b e f a ß t sich C i c e r o alsbald mit d e r politischen
E i n s t e l l u n g d e s V a t e r s R o s c i u s ( 1 5 f . ) ; diese Partie, deren
F u n k t i o n z u n ä c h s t nicht e r k e n n b a r ist, trägt z u m a l im drit-
ten A b s c h n i t t d e r B e w e i s f ü h r u n g ihre F r ü c h t e ( 1 2 5 f f . ) .
N o c h r a f f i n i e r t e r w e i ß C i c e r o d e n C h a r a k t e r des A n g e k l a g -
ten als g e g e b e n e G r ö ß e hinzustellen: daß der j u n g e R o s c i u s
ein b i e d e r e r L a n d w i r t sei, d e r sich in d e m hauptstädtischen
T r e i b e n nicht a u s k e n n e , w i r d zuerst als A n s i c h t d e r G e g n e r
r e f e r i e r t (20); h e r n a c h m a c h t d e r M a n g e l an G e w a n d t h e i t ,
die z u r ü c k g e z o g e n e L e b e n s w e i s e des R o s c i u s eines d e r L e i t -
m o t i v e aus, das C i c e r o m e h r e r e M a l e zu S c h l u ß f o l g e r u n g e n
b e n u t z t (39. 42 f f . 7 4 f r 88. 92 f f . ) .
D e r Stil s o w i e m a n c h e r rhetorische K x k u r s zeigen j u g e n d -
lichen U b e r s c h w a n g ; C i c e r o hat sich später selbst von d e r
b e s o n d e r s m a n i e r i e r t e n Partie 7 1 f. distanziert (Orator 107).
D a s P l ä d o y e r w a r e r f o l g r e i c h ; d e r A n g e k l a g t e w u r d e frei-
g e s p r o c h e n ( P l u t a r c h , C i c e r o 3.6). C i c e r o g e h ö r t e seither zu
den ersten A n w ä l t e n R o m s ( B r u t u s 3 1 2 . D e o f f i e i i s 2 , 5 1 ) .

Literatur

Kommentar:

G . L a n d g r a f . K o m m e n t a r zu C i c e r o s Rede P r o S e x . R o s c i o A m e -
rino, L e i p z i g - Berlin н ; 1 4 г ( N a c h d r u c k H i l d e s h e i m 1966).
FÜR SF.X. R O S C I L ' S

Kommentierte Ausgaben:

K. Halm - W. Sternkopf, Ciccros Reden für Sex. Roscius aus


Ameria und über das Imperium des Cn. Pompeius (Ciceros
ausgew ählte Reden, Bd. i), Berlin 1 9 1 ο ' 1 .
Г. Richter - G . Ammon, Ciceros Rede für Sex. Roscius, Leipzig
iyo6 4 .

Abhandlungen:
T. F.. Kinsev, T h e Dates of the Pro Roscio Amerino and Pro
Quinctio, Mnemosvne 20, 1967, 6 1 - 6 7 .
Ders., Cicero's Speech for Roscius of Ameria, Symbolae Osloenses
50, 1 9 7 5 , 9 1 - 1 0 4 .
Ders., Cicero's Case against Magnus, Capito and Chrysogonus in
the Pro Sex. Roscio Amerino and its Use for the Historian,
L'Antiquite Classique 49, 1980, 1 7 3 - 1 9 0 .
Y . Buchheit, Chrysogonus als Tyrann in Ciceros Rede für Roscius
aus Ameria, Chiron 5, 1975, 1 9 3 - 2 1 1 .
Ders., Ciceros Kritik an Sulla in der Rede für Roscius aus Ameria,
Historia 24, 1975, 5 7 0 - 5 9 1 .
A. Yasaly, T h e Masks of Rhetoric - Cicero's Pro Roscio Amerino,
Rhetorica3, 1985, 1 - 2 0 .

Erläuterungen
' Cicero bekleidete erst fünf Jahre später (75 v. Chr.) sein erstes
Amt, die Quästur.
2
Sulla hatte durch Yolkswahl 300 neue Senatsmitglieder bestellt
(81 v.Chr.); im allgemeinen befand das Volk mittelbar, durch
die Wahl der Beamten, über die Mitgliedschaft im Senat.
' In Umbrien, zirka 80 km nördlich von Rom (heute Amelia).
4
Gladiator, Siege, Fechtmeister, Anfänger: die bildlich gemein-
ten Ausdrücke deuten an, daß Capito schon manche Bluttat
begangen habe, während Magnus ihn in der jüngsten Mord-
schlacht, das heißt durch die Tötung des Roscius, ausstach.
Vgl. 84. 100. 118.
5
Neben dem Circus Flaminius am Südrande des Marsfeldes.
6
1 römische Meile = 1,480 km.
7
Stadt in Etrurien (heute Yolterra), die noch von den Resten der
.Marianer verteidigt wurde.
FRLXUTFRLNGFN

Anspielung auf Sullas Beinamen Felix.


Die römischen Hausgötter, Beschützer der Familie, die am
Herde kultische Ehren empfingen.
Der Rat einer italischen Landstadt (municipium) pflegte aus ιυο
Mitgliedern (decuriones) zu bestehen; die Vorsteher der 10 Abtei-
lungen hießen decern primi.
Die Strafe des Verwandtenmörders (parncida). V g l . 70.
Fimbria war einer der rabiatesten Marianer. Marius starb am
13. Januar 86 v . C h r . Q. Mucius Scaevola, Pontifex Maximus
und bedeutender Jurist, Lehrer Ciceros, wurde als Anhänger
der aristokratischen Partei im Jahre 82 v. Chr. von den .Maria-
nern ermordet, als Sulla gegen Rom vorrückte.
Komödienrollen. Die Stücke des Caecilius (gest. 168 v . C h r . )
sind nicht erhalten.
Die römische Bürgerschaft gliederte sich in 35 Abteilungen
(tribus), die vielfältigen Yerwaltungszwecken, insbesondere
auch als Wahlbezirke, dienten. Unter den Mitgliedern dersel-
ben Tribus bestand ein gewisser Zusammenhalt.
Stadt in Etrurieren, zirka 15 km nördlich von Rom.
Als man ihm mitteilte, daß er zum Konsul gewählt sei (257
v.Chr.). Dieses Ereignis soll ihm den Beinamen Serranus,
»Sämann«, eingebracht haben.
Das Remmische Gesetz bedrohte die wissentlich grundlose
Anklage mit Strafe. Vgl. 57.
Die heiligen Gänse der Juno hatten angeblich durch ihr G e -
schnatter einen nächtlichen Überfall der Gallier auf das Kapitol
(387 v. Chr.) vereitelt.
Dem böswilligen Ankläger wurde der Buchstabe К (calumniator,
»Verleumder«, »Schikaneur«) auf die Stirn gebrannt; К diente
ebenfalls als Abkürzung für die Kaienden, den Monatsersten.
Küstenstadt in Latium, zirka l o o k m südöstlich von Rom.
Die Mythen von den Muttermördern Alkmeon und Orest w ur-
den auch auf der römischen Bühne dargestellt. Alkmeon erhielt
den Befehl, die Mutter zu töten, von seinem Vater, Orest vom
Orakel des Apoll. Beide wurden alsbald von den Furien (Erin-
ven) verfolgt.
Vgl. 30.
Sklaven wurden in Rom unter Anwendung der Folter verhört.
Es war unzulässig, einen Sklaven gegen seinen Herrn zu befra-
gen, doch konnte der Herr die Befragung gestatten. Vgl. 1 1 9 f.
FOR S F X . ROSCIUS 667

Die Übersetzung sucht einen Wortwitz des Textes wiederzuge-


ben. Der Begriff sector bezeichnet den gew erblichen Aufkäufer
der vom Staate eingezogenen Vermögen, der das Erstandene
mit erheblichem Gewinn weiterzuveräußern pflegte. Cicero
führt das Wort auf secure, »schneiden«, zurück und verwendet es
in dieser von ihm unterstellten ursprünglichen Bedeutung; secto-
res collorum sind also »Zerschneider von Hälsen« und sectores
bonorum -Zerschneider von Vermögen«. Eis seien dieselben
Leute, meint Cicero, die die Proskribierten getötet und sodann
deren Vermögen erstanden hätten.
Das heißt über Entwendung von Staatsgut. Der Ankläger hatte
offenbar behauptet, Roscius habe Gegenstände, die zum konfis-
zierten Vermögen des Vaters gehörten, beiseitegeschafft.
Eigentlich »Siegespalmen«; Cicero spielt auf die Mordtaten an,
die der •Gladiator· Capito vollbracht habe. V g l . 17.
L. Cassius Longinus Ravilla, Konsul des Jahres 127 v . C h r . ,
hatte sich als Richter den Ruf ungewöhnlicher Strenge erwor-
ben.
»Jenes Cannae« sind die Proskriptionen, denen zumal die zum
Opfer fielen, die sich während der Herrschaft der Marianer als
Ankläger betätigt hatten. A m Trasimenischen See hatte Hanni-
bal den Römern im Jahre vor der Schlacht bei Cannae (217
v. Chr.) eine schwere Niederlage beigebracht. A m Servilischen
See, einem Bassin in der Nähe des Forums, wurden die Köpfe
der getöteten Proskribierten ausgestellt.
Zitat aus der Tragödie »Achilles« von Ennius.
Über die hier Genannten ist nichts bekannt, auch nicht Uber
Antistius, den ältesten Ankläger, den Cicero sarkastisch als
»greisen Priamus« bezeichnet; er war offenbar w egen wissent-
lich falscher Anklage verurteilt worden.
Das heißt sie benutzten die Proskriptionen, ihre Gläubiger oder
Feinde zu beseitigen.
Das heißt die sectores. V g l . 8of.
Wagenlenker des Achill, hier bildlich f ü r den Gehilfen Glaucia.
Ein mit Bändern geschmückter Palmzweig (palma lemniscata)
war eine besonders hohe Auszeichnung des erfolgreichen Fech-
ters. Cicero verwendet abermals einen bildlichen Ausdruck aus
der Berufssphäre des Gladiators (vgl. 17.84): der Mord an
Roscius sei das erste Verbrechen Capitos, das Rom zum Schau-
platz hatte.
668 ERLAt'TFRLNGFN

15
A n s p i e l u n g auf die sprichw örtliche Redensart »einen S e c h z i g -
jährigen von der B r ü c k e w e r f e n « (sexagenartum de ponte deicere).
H e r k u n f t und Sinn der Wendung sind dunkel. F.ine E r k l ä r u n g ,
der auch C i c e r o folgt, besagt, daß man in grauer Vorzeit alljähr-
lich einen Sechzigjährigen als O p f e r g a b e in den T i b e r gestürzt
habe.

C i c e r o wendet sich an M a g n u s , der o f f e n b a r M i e n e gemacht
hatte, etwas zu e r w i d e r n .
>' In beiden Fällen zog die Verurteilung Bescholtenheit (infamia)
nach sich.
,s
A u c h die Verurteilung wegen Verletzung eines G e s e l l s c h a f t s -
vertrages w a r mit I n f a m i e v e r k n ü p f t . V g l . i m .
>'' C i c e r o kommt ein letztes Mal auf seine G l a d i a t o r e n - M e t a p h o r i k
zurück. V g l . 1 7 . 84. 100.
4
" D a s heißt aus den D i e n e r s c h a f t e n der Proskribierten. V g l . 1 3 3 .
41
A n s p i e l u n g auf die B e d e u t u n g des N a m e n s C h r v s o g o n u s
( » G o l d g e b o r e n e r « ) und auf die R e i c h t ü m e r , die sich C h r v s o g o -
nus als Proskriptionsgew innler v e r s c h a f f t hatte.
4S
D a s heißt u m ein von L . Valerius Flaccus oder ein von Sulla
selbst erlassenes G e s e t z . Valerius Flaccus hatte Sulla d u r c h ein
von ihm eingebrachtes G e s e t z formell mit der D i k t a t u r betraut.
C i c e r o stellt sich u n w i s s e n d , um seinen A b s c h e u vor den Pro-
skriptionen auszudrücken.
45
D i e alten, die das L e b e n des Bürgers schützten; die neuen, das
heißt die B e s t i m m u n g e n des Proskriptionsgesetzes, die unter be-
stimmten V oraussetzungen die T ö t u n g von Bürgern erlaubten.
44
Diesen B e w e i s hat C i c e r o o f f e n b a r in der jetzt fehlenden Partie
( 1 3 2 ) erbracht.
45
L ü c k e in der handschriftlichen Ü b e r l i e f e r u n g . Von d e m Inhalt
sind nur ein paar zusammenhanglose Bruchstücke erhalten, die
ein a n o n y m e r C i c e r o - E r k l ä r e r , der sogenannte Scholiasta G r o -
novianus, bewahrt hat; der folgende A b s a t z bringt diese Fetzen
mitsamt den zugehörigen Erklärungen.
* Vgl. .8.
47
Italische L a n d s c h a f t e n östlich und westlich des G o l f e s von
Tarent.
4
" D e r Palatin galt als das vornehmste Wohnviertel R o m s .
4V
K o r i n t h i s c h e und delische G e f ä ß e aus E r z waren ein L u x u s -
artikel der Römer. K o c h m a s c h i n e : eigentlich »Selbstkocher«
(aulbepsa), der mit einer praktischen Vorrichtung versehen war.
FÜR S E X . R O S C I U S

F.igcntlich »von T o g a t r ä g e r n « ; C i c e r o deutet an, daß diese


L e u t e der T r a c h t des römischen B ü r g e r s U n e h r e machten.
Sulla setzte schon w ä h r e n d seiner Diktatur die ordentliche
V e r f a s s u n g wieder in G a n g .
V o m T r i b u n a t des C . G r a c c h u s bis zur sullanischen N e u o r d -
nung hatten zum L e i d w e s e n der Senatoren die Ritter das R i c h -
teramt ausgeübt.
A n s p i e l u n g auf die H e r k u n f t des C h r y s o g o n u s .
A l s G ü n s t l i n g Sullas.
L . Caecilius Metellus D i a d e m a t u s ( K o n s u l 1 1 7 v . C h r . ) und
M . Caecilius Metellus (Konsul 1 1 5 v . C h r . ) .
REDE ÜBER DEN OBERBEFEHL
DES CN. POMPEIUS

Einleitung

Die Rede über den Oberbefehl des G n a e u s Pompeius ist


Ciceros erste politische Ansprache. Sie entstand zu Beginn
des Jahres 66 v. C h r . Cicero wandte sich als Prätor in einer
K u n d g e b u n g an das römische Volk; er befürwortete die
A n n a h m e eines Gesetzes, das der T r i b u n C . Manilius vorge-
schlagen hatte. Das G e s e t z betraute Pompeius mit dem
Oberbefehl gegen Nlithridates und Tigranes; es übertrug
ihm die Provinzen Kilikien und Bithynien und verlieh ihm
weitere ausgedehnte Vollmachten.
Die R ö m e r hatten zunächst, während der ersten H ä l f t e
des 2 . J a h r h u n d e r t s v . C h r . , versucht, den hellenistischen
Osten mittelbar zu beherrschen: durch ein S y s t e m gleichge-
wichtiger, ziemlich selbständiger Staaten, deren Kräftever-
hältnis von ihnen überwacht w u r d e . Die römische Einfluß-
sphäre erstreckte sich dort auf insgesamt zehn größere
Mächte; in Griechenland bestanden die makedonische Mo-
narchie sowie die Bünde der Atoler und Achäer, und der
außereuropäische Osten gliederte sich in die Staaten Bithy-
nien, Pontos, Kappadokien, Pergamon, Rhodos sowie in das
Seleukiden- und Ptolemäerreich. Diese O r d n u n g erzeigte
sich bald als brüchig. Romfeindliche Stimmungen riefen
Kriege hervor, die mehr von Leidenschaften als von Ver-
nunft eingegeben waren und deren Ausgang von A n f a n g an
feststand; ein Teil der östlichen Staaten befand sich in
unaufhaltsamem innerem Z e r f a l l . Zunächst verschwand das
Königreich Makedonien von der Landkarte (168 v . C h r . ) ;
bald darauf richteten die R ö m e r dort ihre erste östliche
Provinz ein (146 v. Chr.). Hiermit w ar die w eitere Entw ick-
CBF.R DF.N OBF.RBF.FF.HL D E S P O M P E 1 U S 67 I

lung vorgezeichnet: das I legemonialsvstem w u r d e Schritt


f ü r Schritt durch die Ü b e r n a h m e der unmittelbaren Verant-
w o r t u n g ersetzt. D e r nächste Anstoß ging von Pergamon
aus. D e r letzte König hinterließ, von inneren Schwierigkei-
ten bedrängt, den Römern testamentarisch sein Reich; so
entstand die Provinz A s i e n , die sich von der Westküste
Kleinasiens bis etwa 250 Kilometer ins Landesinnere er-
streckte ( 1 3 3 - 1 2 9 v. Chr.).
Das folgende Geschehen w u r d e vor allem durch Mithri-
datesVI., König von Pontos, bestimmt. Dieser geniale
Herrscher, Roms gefährlichster G e g n e r seit Hannibal, hatte
erfaßt, daß der römische Staat seit der gracchischen Revolu-
tion in eine schwere innere K r i s e geraten w a r ; sein über
fünfzigjähriges Regiment ( 1 2 1 - 6 3 v . C h r . ) verfolgte das
Z i e l , gegen den Willen R o m s in Kleinasien und im südlich-
sten Rußland eine pontische Großmacht zu gründen. Z u -
nächst brachten einige glückliche Feldzüge das sogenannte
bosporanische Reich auf der K r i m in seine Abhängigkeit.
E t w a seit der J a h r h u n d e r t w e n d e suchte Mithridates auch in
Kleinasien seine Herrschaft auszudehnen. D i e ersten A n -
griffsziele waren die südlich an Pontos angrenzenden Län-
der Paphlagonien und K a p p a d o k i e n , bald darauf, bei der
günstigen Gelegenheit eines Thronwechsels (um 92
v. C h r . ) , auch der westliche N a c h b a r Bithynien; das B ü n d -
nis mit T i g r a n e s , dem K ö n i g von A r m e n i e n ( 9 7 - 5 6 v. Chr.),
gewährte Mithridates bei diesen Vorstößen einige Rücken-
deckung. Die Römer antworteten mit diplomatischen
Schritten; Gesandtschaften der J a h r e 95, 92 und 90 v. C h r .
setzten jeweils die Wiederherstellung der Ausgangslage
durch; in Kappadokien w u r d e der schwache Ariobarzanes
zum K ö n i g bestellt ( 9 5 - 6 2 v. Chr.).
D i e römische Gesandtschaft des Jahres 90 v. C h r . ver-
leitete den bithynischen König Nikomedes I V . (92-74
672 EINLEITUNG

v. C h r . ) zu einem Beutezug in das pontische Reich; hierüber


kam es zum ι . mithridatischen Krieg ( 8 9 - 8 5 v . C h r . ) · M i -
thridates bemächtigte sich in kürzester Zeit ganz K l e i n -
asiens; fast überall ö f f n e t e ihm der seit langem aufgestaute
Haß gegen R o m die Tore. N a c h genau verabredetem Plane
wurden an einem T a g e sämtliche italischen B e w o h n e r der
Provinz Asien ermordet (88 v. Chr.). Eine Flotte des ponti-
schen Königs erschien auf der A g ä i s ; Makedonien u n d fast
ganz Griechenland wurden besetzt. Sulla führte den römi-
schen Gegenstoß; er schlug sich glücklich in G r i e c h e n l a n d ,
konnte jedoch die Macht des G e g n e r s nicht völlig brechen,
da er durch das ihm feindliche Regiment der Marianer von
Italien abgeschnitten war. Der Friede von Dardanos ver-
pflichtete Mithridates zur Herausgabe seiner sämtlichen
Eroberungen.
Ein A n g r i f f des römischen Statthalters von A s i e n , L . L i -
cinius Murena, verursachte den sogenannten 2. mithridati-
schen Krieg ( 8 3 - 8 1 v . C h r . ) . Sullas Machtspruch beendete
das leichtfertige Unternehmen; es blieb bei den Bedingun-
gen des Dardanos-Friedens.
T i g r a n e s , der armenische Verbündete des Mithridates,
vergrößerte mit Geschick seine Macht, unter anderem durch
die Besetzung Kappadokiens (77 v. Chr.). U m dieselbe Z e i t
traf der pontische König mit Q . Sertorius, dem aufständi-
schen .Marianer, der sich in Spanien einen eigenen Herr-
schaftsbereich geschaffen hatte, ein A b k o m m e n . A l s bald
darauf Bithynien durch das Testament des letzten Königs an
die R ö m e r fiel, entschloß sich Mithridates zum dritten
Kriege gegen Rom ( 7 4 - 6 3 v . C h r . ) . Sein Plan, die Provinz
Asien zum Schauplatz der Auseinandersetzungen zu ma-
chen, mißlang; L . Licinius Lucullus, der römische Feldherr,
suchte den Feind alsbald im eigenen Lande auf. Pontos
w u r d e erobert ( 7 3 - 7 0 v . C h r . ) ; Mithridates floh zu T i g r a -
ÜBFR DEN OBFRBFFFHL DFS POMPF.ILS б??

lies; Lucullus zog dem Gegner nach. Der armenische Feld-


zug brachte trotz großer Anfangserfolge einen empfindli-
chen Rückschlag: die Truppen des Lucullus begannen zu
meutern; Mithridates gewann sein Land zurück und brachte
dem römischen Legaten Triarius eine schwere Niederlage
bei. Lucullus wurde abberufen, der unfähige ΛΓ. Acilius
Glabrio zu seinem Nachfolger bestimmt; beide Befehlsha-
ber verharrten in Untätigkeit. So war die Lage, als Manilius
sein Gesetz vorschlug.
Die glanzvolle Laufbahn des Cn. Pompeius (106-47
v. Chr.) war ein Erzeugnis des Revolutionszeitalters; sie
bestand von Anfang an aus verfassungsrechtlichen Abnor-
mitäten. Pompeius stellte sich im Jahre 83 v. Chr., ohne ein
Amt zu bekleiden, mit einer Hausmacht von drei Legionen
auf die Seite Sullas; er kämpfte in Italien, Sizilien und Afrika
erfolgreich gegen die Marianer. Im Jahre 81 v. Chr. ertrotzte
er seinen ersten Triumph; diese Ehre war bislang nur Kon-
suln und Prätoren bewilligt worden. Die Aufstände des
M. Aemilius Lepidus (77 v. Chr.) und des Sertorius (bis 72
v. Chr.) sorgten für weitere militärische Aufgaben; für den
schwierigen, an VVechselfällen reichen sertorianischen Krieg
in Spanien erhielt Pompeius eine prokonsularische Befehls-
gewalt. Im Jahre 70 v. Chr. hatte er als Konsul sein erstes
ordentliches Amt inne; er nutzte es für Reformen, die wich-
tige Stützen der sullanischen Verfassung beseitigten. Bald
darauf konnte er sich selbst übertreffen und eine ungeheure
Macht in seiner Hand vereinigen; ein Ermächtigungsgesetz
des Jahres 67 v. Chr. (lex Gabinia) übertrug ihm zur Bekämp-
fung des Seeräuberunwesens eine auf drei Jahre befristete
außerordentliche Befehlsgewalt. Hiernach unterstanden
ihm das ganze Mittelmeer sowie sämtliche Küsten bis zu 75
Kilometer landeinwärts; man bewilligte ihm ein Aufgebot
von 20 Legionen und 500 Schiffen; er durfte 15 Legaten
674 FINLFITING

ernennen. Mit dieser Hilfsmacht vollbrachte er sein Mei-


sterstück; in einem Vierteljahr w ar das Mittelmcer gesäu-
bert und das Reich von einer Plage befreit, deren man sich
seit längerem vergebens zu erwehren gesucht hatte. Als
Manilius das zweite Ermächtigungsgesetz beantragte, hielt
sich Pompeius in Kilikien auf (seit 102 v . C h r . römische
Provinz); dort hatte sich der Hauptstützpunkt der Piraten
befunden.
Ciceros Ansprache gehört zur Gattung der beratenden
Rede; der Preis des Pompeius (27-50) ist der Tradition der
Panegyrik verpflichtet. Die Rede ergeht sich in gleichmäßig
feierlicher Stillage; sie zeigt eine geradezu pedantisch abge-
zirkelte Gliederung. Die Einleitung beginnt mit einer Ver-
beugung vor dem Volke und skizziert sodann den Stand des
asiatischen Geschehens ( 1 - 5 ) . Die Beweisführung besteht
aus drei Hauptabschnitten, die zuvor in einer Einteilung
angekündigt werden (6): sie befaßt sich zunächst mit der
Beschaffenheit des Krieges (genus belli), das heißt mit den
Dingen, die im Kampf gegen Mithridates auf dem Spiele
stehen (6-19); sie handelt sodann von der Größe und Gefähr-
lichkeit des Krieges (20-26) und widmet sich schließlich der
Wahl des geeigneten Oberbefehlshabers (27-50). Ein w eite-
rer Abschnitt gilt der Widerlegung abw eichender Meinun-
gen (51-68); die Senatoren Q. Hortensius Hortalus (der
bekannte Redner; Konsul 6g v. Chr.) und Q. Lutatius Catu-
lus (Konsul 78 v.Chr.) hatten sich gegen den Antrag des
Manilius erklärt. Im Schlußwort fordert Cicero den Volks-
tribunen auf, an seinem Vorhaben festzuhalten; er ver-
spricht seine Unterstützung ( 6 7 - 7 1 ) .
Ciceros Darlegungen sind vor allem in zweifacher Hin-
sicht anfechtbar. Einerseits vermitteln sie von der Gefähr-
lichkeit der Kriegslage eine übertriebene Vorstellung. Lu-
cullus hatte Großes vollbracht; der Rückschlag war durch
C B F R DEN O B E R B E F E H L D E S POMPEIUS 675

Meuterei und durch mangelnde Unterstützung aus Rom


bedingt. Mithridates konnte gegen die überlegene T r u p p e n -
macht des Pompeius nur noch Rückzugsgefechte führen; er
entwich in das bosporanische Reich (65 v . C h r . ) . Lucullus
oiier ein anderer tüchtiger Feldherr hätte den Krieg mit
denselben Mitteln gewiß ebenso rasch beendet. Anderer-
seits hatten Hortensius und Catulus erklärt, daß der Antrag
des Manilius die republikanische Verfassung erneut einer
harten Probe u n t e r w e r f e ; Cicero weiß gegen ihre Bedenken
nur wenig überzeugende Einwände vorzubringen, und
w enn er die L a u f b a h n des Pompeius mit Recht als Kette von
Ausnahmen schildert (61 f.), so bestand f ü r einen Verfechter
der republikanischen Sache um so mehr Anlaß, diese dem
G e i s t und Buchstaben der Verfassung widerstreitende Pra-
xis nicht gutzuheißen.
Als Cicero sprach, stand bereits fest, daß die Volksver-
sammlung den Vorschlag des Manilius bestätigen werde. E r
konnte daher ohne großes Wagnis die Gelegenheit ergreifen,
sich der G u n s t des mächtigen Pompeius zu versichern;
hierbei bemühte er sich, bei den Männern der Senatsaristo-
kratie möglichst w e n i g Anstoß zu erregen. Cicero hat sich
zur Art seines Vorgehens gewiß auch dadurch bestimmen
lassen, daß er sich in absehbarer Z e i t um das Konsulat zu
bewerben gedachte. Viel später, in seinem letzten Lebens-
jahre, hat er das G e s e t z des Manilius mit einer scharfen R ü g e
bedacht ( 1 1 . Philippische Rede 18). D e r Geschichtsschrei-
ber Cassius Dio behauptet, das Eintreten f ü r den O b e r b e -
fehl des Pompeius erweise Ciceros politische Unzuverlässig-
keit; der Redner, der bis dahin stets die Sache des Senats
vertreten habe, mache sich nunmehr eine Unternehmung
der Volkspartei zu eigen (36, 43). Dieses überspitzte Urteil
wird Cicero nicht gerecht.
6;6 FRLALTFRLNGFN

Literatur

Kommentierte Ausgabe:
Siehedie Einleitung zur Rede für Sex. Roscius aus Ameria. S. 665.

Abhandlungen:
S. Mendner, Aporien in Ciccros Pompeiana, Gymnasium 73, 1966,
413-429.
M. R. Torelli, La De imperio Cn. Pompei: una politics per l'econo-
mia dell'impero, Athenaeum 6υ, 1982, 3 - 4 9 .

Erläuterungen
1
Cicero spricht von der Rednerbühne (rostra) auf dem Forum
(vgl. 55). Von dort verhandelten die Beamten mit dem Volk
(agere cum populo). Für sonstige Ansprachen w ar sie nur dem
zugänglich, dem ein Beamter die Erlaubnis erteilt hatte.
2
Cicero meint seine Tätigkeit als Gerichtsredner.
J
Die Prätorenwahl für das Jahr 66 v. Chr. mußte offenbar zwei-
mal abgebrochen werden, wahrscheinlich wegen ungünstiger
Vorzeichen. Die römische Bürgerschaft gliederte sich bei Ge-
setzesbeschlüssen und bei den meisten Wahlen in 193 Abstim-
mungseinheiten (centuriae). Seit Sulla wurden jährlich acht Prä-
toren gewählt. Man gab die Namen der erfolgreichen Bewerber
zenturienweise in der Reihenfolge bekannt, in der sich eine
Mehrheit für sie gefunden hatte.
4
Cicero hatte im Jahre 75 die Quästur und im Jahre 69 v. Chr. die
Adilität bekleidet.
5
Mit den Tributpflichtigen sind die Bew ohner römischer Provin-
zen gemeint; als Bundesgenossen galten von Rom abhängige
Staaten wie Kappadokien.
6
Die Bezeichnung Asien gilt allein für die römische Prov inz
dieses Namens. Der römische Staat pflegte seine Steuern zu
verpachten; Pächter (pubticani) waren die Ritter, der Kapitali-
stenstand, dem Cicero von Hause aus selbst angehörte. Die
Pächter zogen die Steuern ein; vgl. 16f.
7
Seit dem Tode des Königs Nikomedes IV. (74 v. Chr.).
* Das heißt w ährend des 1. mithridatischen Krieges, in den Ci-
cero, wie das folgende lehrt, die Feldzüge Murcnas einbezieht.
ÜBER DEN O B E R B E F E H L DES POMPEIUS 677

Sulla triumphierte im Jahre 81 v . C h r . , nach Beendigung des


Bürgerkrieges, Murena im Jahre darauf. Bei Murena bestand
wenig AnlaB für einen Triumph.
Durch die Revolution der Mariancr, die Italien und den Westen
des Reiches beherrschten.
Bosporaner: die Völker am kimmerischen Bosporus (heute
Straße von Kertsch). Die hier erwähnte Unternehmung fand
bereits vor den Feldzügen Murenas statt.
Cicero meint einerseits die römische Gesandtschaft des Jahres
148 v. Chr., die auf der Versammlung des achäischen Bundes in
Korinth ausgepfiffen wurde; der Krieg, der daraufhin ausbrach,
endete mit der Zerstörung Korinths (146 v. Chr.). Der Redner
spielt andererseits auf das Haupt der Gesandtschaft im Jahre 90
v. Chr., auf \1'. Aquilius, an; der pontische König betrachtete
ihn mit gutem Grund als den Urheber des 1. mithridatischen
Krieges, und als er sich seiner bemächtigt hatte, tötete er ihn
nach mancherlei Quälereien, indem er ihm zur Strafe für seine
Habsucht geschmolzenes Gold in den Mund gießen ließ. Der
übernächste Satz enthält dieselbe Antithese.
M\ Acilius Glabrio hielt sich in seiner Provinz Bithynien auf;
die Bitte um einen anderen Feldherrn konnte seinen Zorn
erregen.
Wohl eine Anspielung auf das Gesetz des Gabinius, das Pom-
peius sämtliche Küstengebiete bis zu 75 km landeinwärts unter-
stellt hatte.
Der Krieg gegen Antiochos III. von Syrien ( 1 9 2 - 1 8 8 v . C h r . )
w urde u. a. durch die Unterjochung kleinasiatischer Griechen-
städte verursacht, die Rom für frei erklärt hatte. Philipp V . von
Makedonien hatte sich Ubergriffe gegen Rhodos, Pergamon
und Athen erlaubt; diese Ereignisse führten zum 2. makedoni-
schen Krieg (202-197 v · Chr.). Die Ätoler waren Bundesgenos-
sen des Königs Antiochos III.; sie hatten Demetrias in Thessa-
lien besetzt. Die Eroberung von Sagunt, einer mit Rom verbün-
deten Stadt in Spanien (219 v.Chr.), veranlaßte den 2.puni-
schen Krieg ( 2 1 8 - 2 0 2 v. Chr.).
Der Zehnte belastete die landwirtschaftlichen Erzeugnisse; das
Weidegeld wurde für das Vieh erhoben, das auf öffentlichen
Triften weidete.
In den sahnae gewann man Salz, indem man Meerwasser ver-
dampfen ließ. Auch das Salz wurde besteuert.
8 ERLÄUTERUNGEN

Vgl. 4-
Dort befanden sich die römischen Banken.
Durch die Einnahme von Kvzikos am Marmarameer wollte sich
Mithridates eine feste Ausgangsstellung für die Eroberung der
Provinz Asien verschaffen; der Plan wurde durch den rechtzeiti-
gen Entsatz Luculis vereitelt (73 v. Chr.). Bald darauf rieb der
römische Feldherr in der Nähe der Insel Lemnos eine Flotte des
Mithridates fast völlig auf; einer ihrer Befehlshaber war der von
Sertorius entsandte M . Marius.
Hafenstädte an der Südküste des Schwarzen Meeres. In Sinope
residierten die pontischen Könige. Die Städte wurden in Wahr-
heit erst nach längerer Belagerung erobert ( 7 3 - 7 0 v . C h r . ) .
Nach der Schlacht bei Kabeira (72 v . C h r . ) hätten die Römer
Mithridates gefangennehmen können. Ihre Beutegier ließ ihn
entrinnen.
Ungenau. Tigranes nahm seinen Schwiegervater zunächst mit
großer Kälte auf. Erst ein römisches Auslieferungsbegehren
veranlaßte ihn, seine Zurückhaltung aufzugeben.
Welchem Tempel diese Befürchtungen galten, ist ungewiß.
Tigranokerta, eine Gründung des Tigranes (nördl. des Tigris).
Cicero meint vor allem die historischen Epen des Cn. Naevius
(Bellum Poenicum) und des Q. Ennius (Annales). Das Unglück,
über das er hinweggehen will, ist die Niederlage des Legaten
Triarius (67 v. Chr.); vgl. 45.
Die Abberufung Luculis war hauptsächlich ein Werk der Rit-
ter, die ihn haßten, weil er die Schuldenlast der Bewohner von
Asien ermäßigt hatte. Da Glabrio in Bithynien blieb, hat Luculi
seine Truppen nicht ihm, sondern erst später dem Pompcius
übergeben.
Z u r Zeit des Bundesgenossenkrieges, in den Jahren 8y—H7
v. Chr. Sein Vater w a r C n . Pompeius Strabo(Konsul 89 V. Chr.).
81 v . C h r . (für den afrikanischen Feldzug) und 71 v. Chr. (für
den spanischen Krieg).
Gegen gallische Völkerschaften, die ihm den Durchzug nach
Spanien zu verwehren suchten (77 v. Chr.). Vgl. 30.
Als er aus Spanien zurückkehrte, stieß er in Oberitalien auf ein
Überbleibsel vom Heere des Spartacus, das er mit leichter
Mühe vernichtete (71 v. Chr.). Vgl. 30.
Vom Kriege des Spartacus ( 7 3 - 7 1 v.Chr.). Man hat lediglich
erwogen, Pompeius um Hilfe zu bitten.
ÜBER DEN OBERBEFEHL DES POMPEIUS 679

Teilerfolge der Jahre 1 0 2 - 1 0 0 und 7 8 - 7 6 v . C h r . hatten die


Piratenplage nicht zu beseitigen vermocht; das Unternehmen
des.M. Antonius ( 7 4 - 7 1 v. Chr.) schlug gänzlich fehl.
Das heißt zwei Prätoren, die von je sechs Liktoren begleitet
waren.
Knidos: auf einer Halbinsel im Südwesten Kleinasiens. Kolo-
phon: nördlich von Ephesos, etwa 20 km von der Küste entfernt.
Die Häfen an der tyrrhenischen Küste; dort wurde das unent-
behrliche sizilische und afrikanische Getreide eingeführt.
Welcher Prätor in Cajeta (bei Terracina, heute Borgo di Gaeta)
versagte, ist unbekannt. Der bekannte Redner M. Antonius
hatte nach einem Siege über die kilikischen Seeräuber (102
v. Chr.) triumphiert; die Piraten entführten seine Tochter aus
Misenurn (auf der Halbinsel gegenüber Ischia, heute Miseno).
Über die Schlappe von Ostia sind keine Einzelheiten überlie-
fert.
Das heißt zur Peloponnes.
Q . Caecilius Metelius Creticus bekämpfte als Konsul und Pro-
konsul die kretischen Seeräuber (69-67 v. Chr.). Er mißachtete
den Befehl des Pompeius, den Krieg einzustellen; hierüber wäre
es beinahe zu bew affneten Auseinandersetzungen zwischen den
beiden römischen Befehlshabern gekommen. Vgl. 46. Pamphy-
lien: Küstenlandschaft westlich von Kilikien.
Cnter die einflußreichsten Magistrate in Rom, die sich für eine
Verlängerung der Statthalterschaft verwenden sollten. Die
Quellen berichten nichts von den offenbar stadtbekannten
Skandalen, auf die Cicero anspielt. Vgl. 67.
V g l . 25.
Cicero wiederholt und steigert die groben Übertreibungen des
§.3.
Q . Caecilius Metelius; vgl. 35.
Q . Fabius Maximus Cunctator und M . Claudius Marcellus, die
berühmten Feldherren des 2. punischen Krieges.
Des Luculi und des Glabrio, ferner des Q. Marcius Rex, des
Statthalters von Kilikien.
Die Seestreitkräfte des Königs Antiochos III. von Syrien erlit-
ten in der Bucht von Ephesos zwei Niederlagen (191 und 190
v.Chr.). Die Flotte des Perseus von Makedonien ergab sich
nach der Schlacht bei Pydna kampflos den Römern (168
v.Chr.).
ERLÄUTERUNGEN

Die Insel Delos, von den Römern zum Freihafen erklärt (167
v. Chr.), war der wichtigste Handelsplatz der Agäis. Sie wurde
im Jahre 88 v. Chr. von der Flotte des Mithridates und im Jahre
69 v. Chr. von Seeräubern schwer heimgesucht.
Die Rednerbühne war mit den Schnäbeln der S c h i f f e ge-
schmückt, die die Römer im Kampf gegen Antium (388 v. Chr.)
erobert hatten; sie gaben ihr den Namen rostra.
Pompeius hatte zwar Vollmacht erhalten, die für den Seeräu-
berkrieg erforderlichen Legaten selbst zu ernennen; die lex
Licinia et Aebutia schrieb jedoch vor, daß niemand eine Befehls-
haberstelle bekleiden dürfe, die er selbst beantragt hatte.
Über die hier von Cicero genannten Gegenbeispiele ist nichts
Näheres bekannt.
Das heißt das dem Pompeius eingeräumte Recht, die Legaten
selbst zu ernennen.
Der jüngere Scipio beendete sowohl den 3.punischen Krieg
( 1 4 9 - 1 4 6 v. Chr.) als auch den gegen Numantia ( 1 4 3 - 1 3 3
v. Chr.); er wurde zum Konsul für das Jahr 147 v. Chr. gewählt,
obwohl er noch nicht einmal die Adilität erreicht hatte, und sein
zweites Konsulat (134 v . C h r . ) verstieß gegen das Verbot der
Wiederwahl. Marius war im Jahre 107 v. Chr. zum ersten Male
Konsul; er erhielt damals den Oberbefehl gegen Jugurtha. Er
wurde von 104 bis 100 v. Chr. wegen der Kimbern- und Teuto-
nengefahr Jahr für Jahr wiedergewählt.
Cicero meint die Befehlshaberstellen, die Pompeius bis zum
Jahre 70 v. Chr. erhalten hatte. Vgl. 63.
Für die Quästur, die den F.intritt in den Senat gewährte, war ein
Mindestaltcr von 30 Jahren erforderlich. Pompeius zählte wäh-
rend seines sizilischen und afrikanischen Kommandos erst
2 4 - 2 5 Jahre.
D. Iunius Brutus und Mam. Aemilius Lepidus, die Konsuln des
Jahres 77 v. Chr. Cicero meint den Krieg gegen Sertorius.
Ein eifriger Parteigänger Sullas, der den jungen Pompeius
begünstigte (Konsul 91 v.Chr.).
V g l . 28.
Ihr: das Volk. Jene: der Senat, der die Befehlshaberstellen gegen
M. Aemilius Lepidus und Sertorius beschlossen hatte; einer
formellen Zustimmung des Volkes bedurfte es hierzu nicht.
Z u m Beispiel des im folgenden genannten P. Servilius.
P. Servilius Vatia Isauricus (Konsul 79 v.Chr.) hatte in den
ÜBER DEN O B E R B E F E H L DES POMPEILS 68 1

J a h r e n 7 8 - 7 6 erfolgreich gegen die S e e r ä u b e r g e k ä m p f t .


C . S c r i b o n i u s C u r i o : K o n s u l 76; C n . C o r n e l i u s L e n t u l u s C l o -
dianus: K o n s u l 72; C . C a s s i u s L o n g i n u s : K o n s u l 73 v. C h r . .
'" D a s heißt durch die g e w o h n t e T ä t i g k e i t als G e r i c h t s r e d n e r .
DIE REDEN ÜBER DAS S I E D L E R G E S E T Z

Einleitung

Die Reden über das Siedlergesetz des Rullus sind politische


Ansprachen, die Cicero zu Beginn seines Konsulatsjahres (63
v. Chr.) gehalten hat. Die erste w urde am 1. Januar im Senat
vorgetragen. Sie ist unvollständig überliefert; der Anfang,
etwa ein Drittel des Ganzen, ging verloren. Mit der zweiten
und dritten Rede, die ohne Texteinbußen erhalten sind,
wandte sich Cicero an das römische Volk. Wie sich aus
einem Brief an Atticus ergibt, hat der Redner insgesamt
viermal wegen des Siedlergesetzes das Wort ergriffen (2, 1,
3); von der vierten Ansprache ist nichts bewahrt geblieben.
Im Dezember des Jahres 62 v. Chr. hatte der Volkstribun
P. Servilius Rullus eine lex agraria, ein aus mindestens 40
Kapiteln bestehendes Siedlergesetz, veröffentlicht. Der
Vorschlag gab sich als großangelegter Versuch, besitzlose
römische Bürger in Italien mit auskömmlichen Bauernstel-
len zu versorgen. Die bisherigen Grundbesitzer sollten ent-
schädigt, die hierfür erforderlichen Mittel durch den Ver-
kauf staatlichen Provinzialbodens beschafft werden. Cicero
riet der römischen Bürgerschaft, das Gesetz abzulehnen.
Rom pflegte seit jeher besiegten Feinden einen Teil ihrer
Gemarkungen abzunehmen und zu Staatsland (agerpublicus)
zu erklären. Diese Gebiete dienten der Gründung von Kolo-
nien; den Siedlern wurden Landlose von bestimmter Größe
zu freiem Eigentum überwiesen (adsignatio). Staatsland, das
nicht an Siedler gelangte, durfte von jedermann in Nutzung
genommen werden (ager occupatorius)\ der Benutzer entrich-
tete eine Gebühr (vectigal) an die Staatskasse. Dieses Verfah-
ren bewährte sich bis etwa zum ersten Drittel des 2. Jahr-
hunderts v. Chr. Damals hörten die Koloniegründungen
I'BF.R D A S S1EDLERGFSFTZ 683

auf. Neues Staatsland stand seit dem 2. punischen Kriege in


Italien nicht mehr zu Gebote. Andererseits verschärfte das
Okkupationsrecht die Gegensätze; es war im allgemeinen
nur denen förderlich, die sich im Besitz flüssiger Mittel
befanden. Das Okkupationsrecht sowie die aus dem helleni-
stischen Osten einströmenden Kapitalien und Sklavenmas-
sen ließen einen Großgrundbesitz entstehen, der nach dem
Prinzip des größtmöglichen Ertrages arbeitete; zahlreiche
mittlere und kleine Bauern verloren ihre Existenz. Dieser
Lage suchte die Bodenreform der Gracchen zu steuern. Ein
Gesetz des Tiberius Gracchus schrieb vor, daß niemand
mehr als 500 bis 1000 Morgen Staatsland nutzen dürfe (133
v. Chr.); der durch diese Maßnahme zurückgewonnene
G r u n d wurde für Bauernstellen verwendet. Gaius G r a c c h u s
plante Kolonien in Capua und Tarent; vor allem suchte er
das große Sozialwerk auf außeritalischem Boden, in Kar-
thago, fortzusetzen (122 v. Chr.).
Mit der Gesetzgebung der Gracchen begann das ein volles
Jahrhundert währende Zeitalter der römischen Revolution.
Die Auseinandersetzungen zerklüfteten die römische Bür-
gerschaft, die italischen Bundesgenossen und schließlich,
seit caesarischer Zeit, die gesamte Reichsbevölkerung. In
Rom entstand eine dieser Sachlage entsprechende politische
Terminologie. Die konservativen Kräfte, das heißt das Gros
des die überkommene Vorrangstellung verteidigenden sena-
torischen Adels, nannten sich nach gut aristokratischem
Brauch die »Besten« (optimates). Der G e g e n b e g r i f f lautete
»volkstümlich« (popularis). Dieser oft mißverstandene Aus-
druck bezeichnete weder eine in sich geschlossene G r u p p e ,
eine »Klasse«, die en bloc den Führungsanspruch des Senats
bekämpft hätte, noch ein umfassendes, zum Beispiel auf
»demokratische« Regierungsformen zielendes Programm;
für beides fehlten im spätrepublikanischen Rom nahezu
684 FINLF.ITLNG

sämtliche Voraussetzungen. Als »populär« galten vielmehr


einzelne, meist dem A d e l entstammende Politiker, die mit
einzelnen Projekten, zum Beispiel mit Siedlergesetzen, ge-
gen die bestehenden Verhältnisse angingen; als »populär«
galten weiterhin diese Projekte selbst.
Die G r a c c h e n hatten sich, um ihre Pläne zu verwirkli-
chen, des Yolkstribunats bedient; sie brachten dieses A m t
nach einer langen Z e i t der Zusammenarbeit w i e d e r in
schärfsten Gegensatz zum Senat. Hiermit w a r den populä-
ren Politikern der folgenden Jahrzehnte der Weg vorgezeich-
net; andererseits erschien das A m t in konservativer Sicht als
die wichtigste Plattform aller revolutionären U m t r i e b e . Die
sullanische Verfassung schränkte daher die B e f u g n i s s e der
T r i b u n e n erheblich ein; insbesondere nahm sie ihnen das
Recht der selbständigen Gesetzesinitiative. Auch dieser Z u -
stand währte nicht lange. Die Reformen des J a h r e s 70
v. C h r . gaben den T r i b u n e n ihre alten Kompetenzen zu-
rück. Inzwischen hatten sich freilich die Verhältnisse ge-
wandelt. Seit dem marianisch-sullanischen Bürgerkrieg
(88 — 81 v. Chr.) w aren nicht mehr die Volkstribunen und ihr
A n h a n g , die stadtrömische Plebs, sondern die T r u p p e n f ü h -
rer mit ihren Heeren die Größe, die das revolutionäre G e -
schehen letztlich bestimmte. Tribunen w ie L . A p p u l e i u s
Saturninus (103 und 100 v . C h r . ) , M . Livius ü r u s u s (91
v. C h r . ) und P. Sulpicius R u f u s (88 v. C h r . ) hatten aus eige-
ner Initiative gehandelt; die nachsullanische Zeit hingegen
kannte nur noch den T v p des tribunizischen G e h i l f e n , der
im Dienste eines Mächtigeren die stadtrömische G e s e t z g e -
bungsmaschine betätigte. S o betrachteten es die T r i b u n e n
A . G a b i n i u s und C . Manilius (67 und 66 v . C h r . ) als ihre
wichtigste A u f g a b e , die außerordentlichen Befehlshaber-
stellen zu erwirken, die Pompeius mit dem Krieg gegen die
Seeräuber und gegen Mithridates betrauten. A u c h der T r i -
CBF.R DAS S I E D L ERG Ε S E T Z 685

bun Kullus handelte wahrscheinlich nicht aus eigener


Machtvollkommenheit, sondern auf Weisung von Caesar
und Crassus.
D i e Bodenreform machte in nachgracchischer Zeit bei
weitem nicht den einzigen Konfliktstoff aus. S o hatte in den
neunziger und achtziger Jahren die sogenannte Bundesge-
nossenfrage im Mittelpunkt der Ereignisse gestanden; die
Senatsaristokratie sträubte sich mit größter Hartnäckigkeit
gegen die längst fällige Verleihung des Bürgerrechts an
sämtliche Italiker. Außerdem begannen die revolutionären
K r ä f t e sich zu verselbständigen; Parteienhaß und Machtstre-
ben, durch Phrasen und Schlagworte notdürftig verbrämt,
w u r d e n zu bestimmenden Antrieben des G e s c h e h e n s . A b e r
auch die Landanweisungen selbst rückten durch das Fort-
schreiten der Revolution in einen neuen Z u s a m m e n h a n g .
Marius gliederte das hauptstädtische Proletariat, dem die
G r a c c h e n zu einer bäuerlichen Existenz hatten verhelfen
wollen, in seine A r m e e n ein; seither gehörte es zu den
A u f g a b e n eines jeden H e e r f ü h r e r s , seinen ausgedienten Sol-
daten eine Siedlerstelle zu verschaffen. In der Gesetzgebung
des Appuleius Saturninus fand das Problem der Veteranen-
versorgung zum ersten Male greifbaren Ausdruck. T r o t z der
veränderten Prämissen gehörten Siedlergesetze noch im
Zeitalter Ciceros zum G r u n d b e s t a n d populärer Politik, ja
sie waren neben der Versorgung mit billigem G e t r e i d e das
populäre T h e m a schlechthin. Allerdings ging es bei diesen
Projekten weniger um reale Ziele als um propagandistische
Wirkungen; zumal die Vorlage des Rullus scheint von derar-
tigen Absichten diktiert zu sein.
Das Dezennium zwischen dem 1. Konsulat des Pompeius
und der G r ü n d u n g des Dreibundes Caesar - Pompeius -
Crassus ( 7 0 - 6 0 v . C h r . ) verlief im ganzen einigermaßen
ruhig. Die Regierung zeigte zwar meist die übliche Unsi-
686 EINLEITUNG

cherheit und Planlosigkeit; andererseits beschränkten sich


die scnatsfeindlichen Kräfte auf einen Kleinkrieg, der sich
an den verschiedensten Tagesfragen entzündete. So be-
herrschte, während Pompeius, der mächtigste Mann im
Staate, auf dem östlichen Kriegsschauplatz weilte, ein diffu-
ses Einzelgeschehen die hauptstädtische Bühne. Im Hinter-
grund standen Caesar und Crassus, die sich eine der pompe-
janischen ähnliche Position zu verschaffen suchten. In wel-
chem Maße sie an den jeweils gegen das Senatsregiment
vorgetragenen Attacken beteiligt waren, vermochten schon
die Zeitgenossen nicht immer deutlich zu erkennen. Zu
diesen Einzelaktionen gehört auch das Siedlergesetz des
Rullus.
Die ciceronischen Reden geben über den Inhalt des Vor-
schlages hinlänglich Auskunft. Zunächst wollte Rullus ei-
nen Zehnerausschuß eingesetzt wissen, dem die Durchfüh-
rung des Gesetzes obliegen sollte und dem hierfür eine
Amtszeit von fünf Jahren zugebilligt wurde. Das Wahlver-
fahren war genau vorgeschrieben; insbesondere sollten nicht
sämtliche 35, sondern nur 17 Bezirke (iribus) ihre Stimme
abgeben, so daß bereits 9 Bcz.irke die Mehrheit ausmachten.
Die damaligen Gepflogenheiten lassen nur die Erklärung zu,
daß man auf diese Weise die Bestechung der Wähler erheb-
lich zu verbilligen hoffte. Sodann erklärte sich das Gesetz
über die Aufgaben des Zehnerausschusses. Sie w aren von
zweifacher Art. Einmal sollten beträchtliche Geldmittel
beschafft w erden. Z u diesem Zweck erhielt der Ausschuß
Vollmacht, bestimmte staatliche Liegenschaften in Italien
sowie sämtliche Besitzungen in den Provinzen zu veräußern,
die der Staat seit dem Jahre 88 v. Chr. erworben hatte. Der
Ausschuß durfte weiterhin den Pachtzins für das nicht
verkaufte Staatsland neu festsetzen und von früheren Be-
fehlshabern rückständige Beutegelder eintreiben. Zum an-
CBFR DAS SIFDLF.RGESETZ

deren w u r d e der Ausschuß beauftragt, in ganz Italien


Grundstücke für Bauernstellen zu beschaffen und zu vertei-
len. H i e r f ü r waren teils staatliche Besitzungen, insbeson-
dere die wertvolle Mark von Capua (ager Campanus), vorgese-
hen. Vor allem sollte der Ausschuß die von ihm bereitge-
stellten Geldmittel verwenden, Land aus privater H a n d zu
kaufen; hierbei durfte keinerlei Z w a n g ausgeübt werden.
Kür alle diese A u f t r ä g e erhielten die Z e h n m ä n n e r umfas-
sende Vollmachten; sie waren insbesondere befugt, im
Streitfalle zu entscheiden, ob ein Grundstück staatliches
oder privates Eigentum sei. Das G e s e t z schrieb jedoch vor,
daß die Position derer nicht angetastet werden dürfe, denen
die sullanischen Proskriptionen zu Landbesitz verholfen
hatten.
Die beiden ersten Reden Ciceros machen ein Paar aus. Sie
behandeln dieselben Gegenstände in übereinstimmender
A n o r d n u n g ; Cicero geht offensichtlich die wichtigsten Be-
stimmungen des Rullischen Gesetzes der Reihe nach durch.
Hierbei kommt es ihm darauf an, die S c h w ä c h e n des Vor-
schlages aufzudecken; er sucht die gefährlichen oder absur-
den Konsequenzen darzulegen, die sich aus seiner V e r w i r k -
lichung ergäben. Ciceros A n g r i f f e gruppieren sich um vier
Materien: ein erster Abschnitt erörtert jeweils den Zehner-
ausschuß selbst, seine Wahl und seine Befugnisse (in der
e n
ι. Rede verloren. 2 , 1 6 - 3 5 ) ; ' zweiter Teil befaßt sich mit
der G e l d b e s c h a f f u n g ( 1 , 1 - 1 3 . 2,35—62); an dritter Stelle
nimmt Cicero den geplanten A n k a u f von Grundstücken
durch ( 1 , 1 4 - 1 5 . 2 , 6 2 - 7 2 ) , und schließlich widmet er sich
den Grundsätzen, nach denen die Siedlerkolonien einge-
richtet werden sollen ( 1 , 1 6 - 2 2 . 2 , 7 3 - 9 7 ) . Seine A r g u m e n -
tation zielt einerseits auf die politische Bedenklichkeit des
Projektes und zumal des außerordentlichen A m t e s , das sei-
ner D u r c h f ü h r u n g dienen soll; andererseits hebt sie hervor,
688 F1NLF1TLNG

w e l c h e ruinösen Folgen f ü r die S t a a t s f i n a n z e n die A n n a h m e


des R u l l i s c h e n G e s e t z e s mit sich b r ä c h t e . D i e s e Kritik be-
kräftigt die sofort zu B e g i n n v e r k ü n d e t e H a u p t t h e s e , daß
d e r soziale Z w e c k des U n t e r n e h m e n s lediglich v o r g e s c h ü t z t
sei; in Wahrheit beabsichtige R u l l u s . die Z e h n m ä n n e r zu
u n u m s c h r ä n k t e n H e r r e n des gesamten S t a a t s w e s e n s zu ma-
chen ( 2 , 1 5 ) . C i c e r o b e g n ü g t sich nicht mit d e r E r ö r t e r u n g
des G e s e t z e s selbst; die E i n l e i t u n g e n u n d S c h l u ß w o r t e ver-
suchen ü b e r d i e s , den Plan des G e g n e r s u n d den eigenen
S t a n d p u n k t in das K o o r d i n a t e n s v s t e m d e r d a m a l s g ä n g i g e n
politischen Schlagworte einzutragen (1,22-27. 2,1-10.
2 , 9 8 - 1 0 3 ) . N i c h t R u l l u s , so lautet das p a r a d o x e E r g e b n i s ,
sondern C i c e r o sei der w a h r h a f t » p o p u l ä r e « Politiker, nicht
der Y o l k s t r i b u n , d e r ein S i e d l e r g e s e t z e i n z u b r i n g e n s u c h e ,
sondern d e r K o n s u l , d e r f ü r F r i e d e n , E i n t r a c h t und R u h e ,
das heißt f ü r die E r h a l t u n g der B e s t e h e n d e n , f ü r die G r u n d -
sätze d e r O p t i m a t e n eintrete. Diese D i a l e k t i k , die den Z i e -
len des G e g n e r s einen bestimmten S i n n unterlegt und sie
dann f ü r die eigene S a c h e b e a n s p r u c h t , g e h ö r t zu den t y p i -
schen E r s c h e i n u n g e n des R e v o l u t i o n s z e i t a l t e r s ; man darf
allerdings a n n e h m e n , daß sich w e n i g e so g u t darauf verstan-
den w i e C i c e r o .
D i e U n t e r s c h i e d e d e r beiden ersten R e d e n sind vor allem
d u r c h den Wechsel des A d r e s s a t e n b e d i n g t . I m S e n a t sprach
C i c e r o zu seinesgleichen; er konnte d a v o n a u s g e h e n , daß die
ü b e r w i e g e n d e M e h r h e i t die A b l e h n u n g d e s R u l l i s c h e n Vor-
schlages w ü n s c h t e . H i e r genügten kurze H i n « eise auf den
Inhalt und seine B e d e u t u n g ; außerdem mußte C i c e r o den
Senatoren mitteilen, w i e er selbst ü b e r die A n g e l e g e n h e i t
urteilte und w a s er zu tun gedachte. E r s t mit d e r zweiten
R e d e betrat er den eigentlichen K a m p f p l a t z ; es ging d a r u m ,
das G e s e t z des R u l l u s möglichst ü b e r z e u g e n d v o r der ö f f e n t -
lichen M e i n u n g zu diskreditieren. D i e z w e i t e R e d e macht
С В F. R DAS S I F D L F R G F S E T Z 689

daher den k e r n des Ganzen aus; sie erörtert ihren G e g e n -


stand mit der gebotenen Ausführlichkeit und verwendet
hierbei alle Mittel einer ebenso drastischen wie tempera-
mentvollen Überredungskunst. Die kurze dritte, in einer
späteren Volksversammlung vorgetragene Rede ist ledig-
lich ein A n h a n g ; Cicero weist dort die Verdächtigung des
Rullus zurück, sein Widerstand gegen das Gesetz suche
lediglich die Nutznießer der sullanischen Proskriptionen zu
decken.
Das G e s e t z des Rullus suchte ein G r u n d ü b e l der späten
Republik zu beseitigen, gegen das man seit gracchischer Zeit
stets nur mit unzulänglichen Maßnahmen vorgegangen war.
Es enthielt neben manchem Konventionellen auch kühne
N e u e r u n g e n ; hierzu gehört insbesondere die Vorschrift,
daß die f ü r die Bauernstellen erforderlichen Landgebiete
durch K a u f beschafft werden sollten. Andererseits setzte
sich der Vorschlag ohne Not über wichtige Grundsätze der
römischen V e r f a s s u n g hinweg, und der Zuschnitt des G a n -
zen grenzte ans Phantastische. Ciceros Polemik wiederum
schießt erheblich über das Ziel hinaus. Allerdings war dem
propagandistischen Stil der ganzen Epoche nichts so fremd
wie eine gemäßigte Sprache; Cicero, der das G e s e t z um
seiner verfassungsgefährdenden Tendenzen willen ab-
lehnte, scheint also durchaus die richtigen Mittel eingesetzt
zu haben. Besonders wirksam waren gewiß seine Darlegun-
gen über das Wahlverfahren ( 2 , 1 6 - 2 2 ) ; außerdem mußten
die kaum verhüllten Hinweise auf Caesar und Crassus als die
eigentlichen U r h e b e r Eindruck machen, denen nur darum
zu tun sei, die Machtstellung des Pompeius zu untergraben
( 2 , 2 3 - 2 5 . 2 , 4 9 - 5 0 . 2,54. 2 , 9 8 - 9 9 . 3,16).
Ciceros Demagogie erreichte vollauf ihren Z w e c k . Rullus
scheint den Vorschlag zurückgezogen zu haben, ehe es zur
A b s t i m m u n g kam. Der Sieg der optimatischen Sache blieb
690 EINLFITL'NG

freilich Episode. Z w e i Siedlergesetze, die der Konsul Caesar


e i n b r a c h t e ( 5 9 v . C h r . ) , v e r w i r k l i c h t e n in v e r n ü n f t i g e n M a -
l>cn d i e s o z i a l p o l i t i s c h e n Z i e l e d e r R u l l i s c h e n V o r l a g e .

Literatur

Kommentar:

E . J . J o n k e r s , Social and E c o n o m i c C o m m e n t a r y on Cicero's D e


L e g e agraria orationes tres, Leiden 1963.

Kommentierte Λ usgabe:

A . W . Z u m p t , M . Tulli Ciceronis orationes tres de lege agraria,


Berlin 1 8 6 1 .

Abhandlungen:

O . H a e n i c k e , Z u Ciceros Reden D e lege agraria, P r o g r a m m des


K ö n i g - W i l h e l m - G y m n a s i u m s , Stettin 1 8 8 3 .
Ε . T . S a g e , C i c e r o and the A g r a r i a n Proposals of R u l l u s in 63 B . C . ,
Classical J o u r n a l 16, 1 9 2 1 , 2 3 0 - 2 3 6 .
E . G . H a r d v , S o m e Problems in Roman H i s t o r v , O x f o r d 1924,
68 f f .
A . A f z e l i u s , D a s Ackerverteilungsgesetz des P. Servilius R u l l u s ,
Classica et Mediaevalia 3, 1940, 2 1 4 - 2 3 5 .
G . I. Luzzatto, A n c o r a sulla proposta di legge agraria di P. S e r v i l i o
R u l l o , Bollettino dell'Istituto di Diritto romano 69, 1966,
85-108.
E . G a b b a , N o t a sulla Rogatio agraria di P. Servilio R u l l o , M f l a n g e s
A . Piganiol, Paris 1966, 7 6 9 - 7 7 5 .
C h r . H e l m , Z u r Redaktion der ciceronischen K o n s u l a t s r e d e n ,
Diss. G ö t t i n g e n 1979.
J . - L . F e r r a r y , Rogatio Servilia agraria, A t h e n a e u m 66, 1988,
141-164.
A . Y a s a l v , A r s dispositionis - Cicero's S e c o n d Agrarian S p e e c h ,
Hermes 116, 1 9 8 8 , 4 0 9 - 4 2 7 .
C B E R DAS S I E D L F R G F . S F T Z 691

Erläuterungen

V g l . 2,86.
V g l . 2 , 5 1 - 5 4 . 2,99.
Das umstrittene Testament stammte angeblich von König Pto-
lemaios X I . Alexander II. (gest. 80 v. Chr.). Im Jahre 65 v. Chr.
unternahmen der Z e n s o r Crassus und der Adil Caesar den
vergeblichen Versuch, Agvpten zur römischen Provinz erklä-
ren zu lassen; sie gedachten sich hierdurch eine stärkere Stel-
lung gegenüber Pompeius zu verschaffen.
In Kampanien; er wurde an Viehzüchter verpachtet. Da er sehr
einträglich war, stellt Cicero ihn den »aufgegebenen Besitzun-
gen«, das heißt unfruchtbarem Staatsland, das keinen Abneh-
mer fand, gegenüber.
Der Begriff »Weideland« (pascua) bezeichnete in der Sprache der
Zensoren jede Art von steuerpflichtigem Staatsland.
Attaleia: in Pamphvlien; Olvmpos: in Lvkien. Die beiden
Städte wurden von P. Servilius Vatia Isauricus (Konsul 79
v . C h r . ) erobert, während er von Kilikien aus die Seeräuber
b e k ä m p f t e ( 7 8 - 7 4 v. Chr.).
T . Quinctius Flaminius: der Sieger über Philipp V . von Make-
donien (Schlacht bei Kvnoskephalai, 197 v . C h r . ) . L . Aemilius
Paullus: der Sieger über Perseus von Makedonien (Schlacht bei
Pydna, 168 v . C h r . ) .
Des Zerstörers von Korinth (146 v. Chr.).
Neukarthago (Carthago nova, heute Cartagena), eine G r ü n d u n g
des Karthagers Hasdrubal Barkas, wurde im Jahre 209 v. Chr.
vom älteren Scipio (P. Cornelius Scipio Africanus maior) er-
obert. Mit den beiden Scipionen scheint Cicero dessen Vater
P. Cornelius Scipio (Konsul 218) und dessen Onkel C n . Corne-
lius Scipio Calvus (Konsul 222 v. Chr.) zu meinen, die bis zum
Jahre 2 1 1 v. Chr. erfolgreich gegen die Karthager gekämpft
hatten. P. Africanus: der jüngere Scipio, der Zerstörer Kartha-
gos (146 v. Chr.).
Paphlagonien, Pontos und Kappadokien gehörten damals noch
zum Befehlsbereich des Pompeius. Bei öffentlichen Versteige-
rungen pflegte als Hoheitszeichen ein Spieß (basta) aufgesteckt
zu werden.
Den Adjutanten der Statthalter (legati) standen A u f w a n d s e n t -
schädigung, freie Beförderung und anderes zu; die hier von
2 FRLALTFRL'NGFN

Cicero erwähnte sogenannte legal 10 libera ist eine Unsitte der


späten Republik: einflußreiche Senatoren ließen sich, wenn sie
eine Privatreise antraten, vom Senat die Stellung eines Legaten
verleihen, um dessen Vorrechte beanspruchen zu können. Vgl.
-•45·
Nach einer Bestimmung des Rullischen Gesetzes durften die
Zehnmänner sämtliche außeritalischen Besitzungen veräußern,
die der römische Staat seit dem Konsulat des L. Cornelius Sulla
und des Q. Pompeius R u f u s (88 v. Chr.) erworben hatte. Vgl.
2,38.
Recentorische Mark: Lage unbekannt. Vgl. 2,57· Hiempsal:
König von Numidien ( 1 0 6 - 6 0 v. (Ihr.). Vgl. 2,58.
Kriegserträgnisse: die manubiae waren ein Teil der Beute, den
der Feldherr für gemeinnützige Zwecke zu verwenden pflegte.
Ehrengold: die Provinzen brachten dem triumphierenden Feld-
herrn ein Goldgeschenk (aurum coronarium) dar.
Faustus Cornelius Sulla, dem Sohne des Diktators. Vgl. die
Rede für Cluentius, 94.
Die lex de cr-uaie des Volkstribunen C. Papius (65 v. Chr.).
Valgius. Vgl. 2,69. 3,3. 3,8. 3 , 1 3 f .
Das heißt den Besitz, den ihnen die sullanischen Proskriptionen
verschafft hatten.
Hügelrücken vor Rom, am rechten Tiberufer (heute Gianicolo).
Das Kapitol mit dem gleichnamigen Jupiter-Tempel, in dem
sich der Senat alljährlich am 1. Januar, wenn die neuen Kon-
suln ihr Amt antraten, zu einer feierlichen Sitzung versam-
melte.
Anspielung auf bekannte Ereignisse des 2. punischen Krieges.
Capua trat nach der Schlacht bei Cannae (216 ν. (Ihr.) auf die
Seite Hannibals. Die Römer eroberten die Stadt und nahmen
ihr die Autonomie; ihr Gebiet, der ager Campanus, wurde zu
römischem Staatsland erklärt (211 v. Chr.).
Das heißt die Volksversammlung.
Anspielung auf das Winterquartier 2 16/215 v. Chr.
Ebenfalls in Kampanien, südlich von Cales.
Catilina hatte bei seiner Bewerbung um das Konsulat des Jahres
63 v . C h r . einen großen Schuldenerlaß versprochen. V g l . 2,8.
Abermaliger Hinweis auf die geplante Kolonie in Capua.
Der Senat hatte für die Konsuln des Jahres 63 v. Chr. Makedo-
nien und Gallia citerior als Provinzen ausersehen. Cicero erhielt
Ü B E R DAS SI E D L E R G Ε S E T Z 693

das reichere Makedonien; er tauschte sofort mit seinem schwer


verschuldeten Kollegen C . Antonius, wodurch er ihn nötigte,
seine Beziehungen zu Catilina zu lockern. Hier erklärt Cicero,
daß er nicht einmal nach Gallien gehen werde.
N u r Adlige, die ein kurulisches Amt erreicht hatten, sowie
deren Nachkommen durften Ahnenbilder in der Vorhalle des
Hauses aufstellen (ius imaginum).
Als »Neuling« (bomo novus) bezeichnete man jemanden, der als
erster seines Geschlechts in den Senat eintrat, und im engeren
Sinne den, der als gebürtiger Ritter das höchste Amt erreichte.
Dieser Fall war vor Cicero im Jahre 94 v. Chr. zum letzten Male
eingetreten (C. Coelius Caldus).
Das .Mindestalter für das Konsulat war auf 43 Jahre festgesetzt.
Die Herolde verkündeten die Ergebnisse der einzelnen Stimm-
abteilungen.
Z u r Rednerbühne (rostra) auf dem Forum.
Vgl. , , 2 3 .
Vgl· 1,23.
Der Volkstribun L. Caecilius Rufus hatte ein Gesetz vorge-
schlagen, das mit rückwirkender Kraft die Strafe für Amtser-
schleichung (ambitus) ermäßigen sollte.
Die Tribunen übernahmen ihr A m t bereits am 10. Dezember.
Die Priesterkollegien (pontiftces, augures, decemviri) ergänzten
sich ursprünglich selbst (cooptatio). Seit dem 3. Jahrhundert
v. Chr. wurde der Oberpriester (pontifex maximus) durch die auf
17 Stimmbezirke beschränkte Volksversammlung gewählt. Ein
Gesetz des Volkstribunen Cn. Domitius Ahenobarbus er-
streckte dieses Verfahren auf die Gesamtheit der genannten
Kollegien (104 v. Chr.). Sulla hob die lex Domitia auf; ein Gesetz
des Volkstribunen T . Labienus unterwarf die Besetzung der
Priesterämter abermals der Volkswahl (63 v. Chr.).
Antragsteller und Datum dieser Gesetze sind ungewiß.
Tribunizische Gesetze pflegten von allen oder von den meisten
Tribunen gemeinsam vorgeschlagen zu werden; der an erster
Stelle genannte galt als der eigentliche Antragsteller und gab
dem Gesetz den Namen. Index und praescriptio bedeuten das-
selbe.
Die persönliche Meldung der Kandidaten wurde offenbar erst
nach dem Jahre 63 v. Chr. allgemein vorgeschrieben.
Die eigentlichen Wahlen waren Sache der nach Zenturien oder
FRLÄLTFRLNGFN

Tribus abstimmenden Bürgerschaft. Die höheren Beamten be-


durften zur Ausübung ihrer Amtsgewalt einer Bestätigung; sie
wurde von der nach Kurien abstimmenden Bürgerschaft erteilt
und hieß lex curiata de imperio. In historischer Zeit war das
Kuriengesetz nur noch ein formaler Akt; die 30 Kurien stimm-
ten nicht mehr selbst ab, sondern ließen sich durch ebenso viele
Liktoren vertreten; außerdem pflegten drei Auguren mitzuwir-
ken. Cicero meint, die Kurienwahl habe ursprünglich dem Volk
Gelegenheit geben sollen, das Ergebnis der ersten Wahl ernst-
lich zu prüfen. Diese rationalistische Erklärung ist sicherlich
unrichtig. Die lex curiata entstammt wahrscheinlich der Königs-
zeit, die eigentliche Wahlen noch nicht kannte; das Volk ver-
pflichtete sich in diesem Akt zum Gehorsam gegenüber dem
neuen Herrscher. Der Brauch hätte demnach seit Beginn der
Republik keinen ernstlichen Zweck mehr erfüllt; er wurde
lediglich aus religiösen Gründen beibehalten. Rullus war pe-
dantisch genug, ihn auch für den außerordentlichen Zehner-
ausschuß seines Gesetzes vorzuschreiben, obwohl man ihn
in spätrepublikanischer Zeit, wenn überhaupt, so nur noch bei
•der militärischen Befehlsgewalt der Konsuln für unerläßlich
ansah.
Die Namen erfolgreicher Bew erber wurden in der Reihenfolge
bekanntgegeben, in der sich eine Mehrheit für sie gefunden
hatte.
Daß die Wahl der Zensoren durch ein Zenturiengesetz. bestätigt
werden mußte, ist nur an dieser Stelle überliefert. Da die
Bürgerschaft auch bei der Wahl der Zensoren nach Zenturien
abstimmte, hätte es, solange der Brauch bestand, für jedes
Zensorenpaar zweier Zenturienversammlungen bedurft.
Bei der Gründung von Kolonien wurden auspicia eingeholt, das
heißt man befragte durch Beobachtung der Vögel den göttlichen
Willen. Als Zeichen diente meist das Fressen von Hühnern, die
eigens in Käfigen bereitgehalten wurden.
Das Siedlergesetz des Tiberius Gracchus, dessen Durchfüh-
rung einem Dreierausschuß anvertraut war.
Mit Ausrufern: für den Verkauf der staatlichen Ländereien. Mit
Baumeistern: für die Anlage der Kolonien.
Das heißt ohne daß die Tribunen ihr Einspracherecht (ius atixilii)
ausüben durften, das ihnen sonst bei gerichtlichen Entschei-
dungen zustand.
C B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z 695

4
* Μ. Tullius Decula und Cn. Cornelius Dolabella w aren im Jahre
81 v. Chr. Konsuln.
4
'' Im Jahre 70 v. Chr. Sulla hatte die Befugnisse der Tribunen
erheblich eingeschränkt.
' " Gaurusberg: in Kampanien, an der Bucht von Puteoli (heute
Monte Barbaro). Minturnae: Stadt an der Mündung des Liris
(heute Minturno); die Weiden wurden für Schilde und Körbe
verwendet. Herkulanische Straße: entweder eine Straße, die
von Baiae nach Puteoli führte, oder die Verbindung von Hercu-
laneum am Vesuv.
" Der Jahre 81 bis 63 v. Chr.
51
Das heißt seit dem Jahre 88 v. Chr. Vgl. 1,10.
iJ
Mithridates hatte in seinem ersten Krieg gegen die Römer
(89-85 v. Chr.) fast ganz Kleinasien besetzt. Cicero nennt hier
die bedeutendsten Städte der Provinz Asia.
54
Nikomedes I V , der letzte Herrscher von Bithvnien (92-74
v.Chr.), hatte sein Reich testamentarisch den Römern ver-
macht.
" Mytilene auf Lesbos hatte sich im Jahre 88 v. Chr. dem Mithri-
dates angeschlossen; die Stadt wurde im Jahre 80 v. Chr. von
den Römern erobert.
>* Vgl. 1,1
57
L. Marcius Philippus, Konsul 91 v. Chr.
58
Gemeint ist Ptolemaios XII. Auletes, der seit dem Jahre 80
v. Chr. regierte; er galt als unebenbürtiger Sohn des Ptolemaios
Lathyros. Er wurde erst im Jahre 59 v. Chr. von den Römern
anerkannt.
Für Erbschaftssachen w ar der mit 105 Geschworenen besetzte
Gerichtshof der centumviri zuständig.
6
" L. Aurelius Cotta und L. Manlius Torquatus waren im Jahre 65
v.Chr. Konsuln. Vgl. 1 , 1 .
61
Vgl. 1,8.
Durch die Gesetze des Gabinius und Manilius, die Pompeius
mit dem Krieg gegen die Seeräuber und gegen Mithridates
beauftragt hatten (67/66 v. Chr.).
6j
Hinweis auf den Beifall, den Cicero mit seiner Rede über den
Oberbefehl des Cn. Pompeius gefunden hatte.
64
Vgl. 1,5. Phaseiis, Aperai: Städte in Lykien. Oroanda: Stadt in
Pisidien. Gedusanische Mark: unbekannt.
Ehemalige Besitzungen der Attaliden, der Herrscher des Rei-
ERLÄUTERUNGEN

c h e s von P c r g a m o n , auf d e r t h r a k i s c h e n C h e r s o n e s ; sie w a r e n


d u r c h d a s T e s t a m e n t d e s letzten K ö n i g s . A t t a l o s I I I . , an d i e
R ö m e r gelangt (13 3 v. C h r . ) .
Vgl- · , 5 ·
V g l . 1,5. P t o l e m a i o s A p i o n , H e r r s c h e r von K v r e n e (gest. 96
v . C h r . ) , h a t t e sein Reich d u r c h T e s t a m e n t d e n R ö m e r n ver-
macht.
V g l . 1,6. M i t h r i d a t e s w a r , von P o m p e i u s b e s i e g t , in sein b o s p o -
r a n i s c h e s Reich auf d e r t a u r i s c h e n C h e r s o n e s ( K r i m ) e n t f l o h e n ;
d o r t w u r d e er im J a h r e 63 v. C h r . e r m o r d e t . M ä o t i s : d a s A s o w -
sche M e e r . D i e h o h e n Berge: d e r K a u k a s u s .
D e n B e i n a m e n , d e n Sulla d e m P o m p e i u s v e r l i e h e n h a t t e .
H a u p t s t a d t von P o n t o s .
V g l . 1.6.
Der geächteten Marianer.
V g l . 1 , 1 0 . C i c e r o spielt auf seine Q u ä s t u r in Sizilien (75 v. C h r . )
u n d seinen P r o z e ß g e g e n Verres (70 v. C h r . ) a n .
V g l . 1,10. P. A f r i c a n u s : d e r j ü n g e r e S c i p i o . C . A u r e l i u s C o t t a :
K o n s u l 7 j v. C h r . .
Vgl. 1 , 1 2 . Wegen E r p r e s s u n g e n (pecuniae repetundae) w u r d e n
v o r n e h m l i c h B e a m t e a n g e k l a g t , d i e sich in i h r e r P r o v i n z auf
u n g e r e c h t f e r t i g t e Weise b e r e i c h e r t h a t t e n .
Ironie? W a h r s c h e i n l i c h ist d e r T e x t k o r r u p t .
C . F a b r i c i u s L u s c i n u s , F e l d h e r r im K r i e g e g e g e n P v r r h o s ( K o n -
sul 2 8 1 u n d 278). A . A t i l i u s C a l a t i n u s , F e l d h e r r im 1. p u n i s c h e n
K r i e g e ( K o n s u l 258 u n d 254, D i k t a t o r 249/248). L. M a n l i u s
A c i d i n u s Fulvianus (Konsul 179). M . Porcius C a t o , d e r b e r ü h m t e
Z e n s o r (Konsul 195). L. F u r i u s P h i l u s ( K o n s u l 136). C. Laelius,
d e r F r e u n d d e s j ü n g e r e n S c i p i o ( K o n s u l 140 v. C h r . ) .
A l b a , Setia, P r i v e r n u m : in L a t i u m . F u n d i : bei T e r r a c i n a . Ves-
cia: a m U n t e r l a u f d e s Liris. F a l e r n i s c h e M a r k : a m M ö n s M a s s i -
c u s in K a m p a n i e n . L i t e r n u m , C u m a e , N u c e r i a : in K a m p a n i e n .
Alle d i e s e G e b i e t e e r r e i c h t e m a n ü b e r d i e via Appia, d i e von
R o m n a c h S ü d o s t e n f ü h r t e . C a p e n a , Falerii: im s ü d l i c h e n E t r u -
rien. Reatc: im S a b i n e r l a n d . V e n a f r u m , Allifae: in S a m n i u m .
T r e b u l a (Mutusca): im S a b i n e r l a n d . D i e s e O r t e k o n n t e m a n
ü b e r d i e via Flaminia, d i e via Salaria o d e r d i e via Latina e r r e i c h e n
(von d e r porta Carmentalis o d e r d e r porta Collina aus: d i e via
Latina z w e i g t e von d e r via Appia ab).
G e b i r g e im B r u t t i e r l a n d e .
Ü B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z 697

K
" Sprichwörtliche Wendung. Vgl. die zweite Rede gegen Yerres,
".53
Vgl. 1 , 1 4 . 3,3. 3,8. 3,13t'.
Hl
Sipontum (heute S. Maria di Siponto bei Manfredonia) und
Salpia (heute Lago di Salpi): apulische Küstenstädte.
\ gl. 1 . 1 6 .
" 4 Rullus sah in der kampanischen Mark Bauernstellen zu je zehn
Morgen vor und verbot, sie zu veräußern. Wie die Erfahrung
lehre, meint Cicero, sei nach einiger Zeit das Siedlungsland
trotz derartiger Verbote wieder in den Händen weniger Groß-
grundbesitzer; er beruft sich auf den Erfolg der Versorgung, die
Sulla seinen Veteranen hatte zuteil werden lassen. Praeneste (in
Latium, heute Palestrina) hatte besonders hartnäckig auf maria-
nischer Seite gekämpft; Sulla gründete dort eine Kolonie.
* s Cumae und Puteoli (Kampanien): bevorzugte Orte f ü r Luxus-
villen.
Die Bezirke (tribus) hatten eine feste Reihenfolge. Die vier
städtischen gingen den 31 ländlichen voraus; unter den ländli-
chen stand die tribus Romulia an erster Stelle. Wenn Rullus
erklärte, er wolle zunächst die Bürger des romulischen Bezirks
berücksichtigen, so gab er zu erkennen, daß er gerade die
Angehörigen der großen städtischen Bezirke zu übergehen ge-
dachte. Cicero fordert, Rullus solle einen genauen Plan vorle-
gen, der sämtliche Bezirke vom ersten städtischen, der tribus
Suburana, bis zum letzten ländlichen, der tribus Arniensis, auf-
führe.
" 7 Im Bundesgenossenkriege ( 9 1 - 8 8 v. Chr.).
KH
P. Cornelius Lentulus, nachgewählter Konsul des Jahres 162
v. Chr.
" v Cicero meint vor allem den 1. mithridatischen Krieg (89-85
v. Chr.). In den Zeiten des Sertorius: 8 0 - 7 2 v. Chr. M\ Aqui-
lius, Konsul 101 v . C h r . , beendete den 2. sizilischen Sklaven-
krieg ( 1 0 4 - 1 0 0 v. Chr.).
40
Vgl. 1 , 2 1 .
41
Die hier genannten Städte lagen sämtlich in Kampanien.
V!
Vgl- 1.24.
'·" Sizilien und Sardinien.
'•'4 Korinth wurde im gleichen Jahre zerstört wie Karthago (146
v. Chr.).
Vgl. i , i 8 f .
698 ERLÄLTFRUNGFN

46
Μ . Iunius Brutus (Yolkstribun 83 v. C h r . ) hatte kurz vor A u s -
bruch des marianisch-sullanischen B ü r g e r k r i e g e s versucht, in
C a p u a eine K o l o n i e zu g r ü n d e n . V g l . 1 , 9 2 .
41
Q . Fulvius Flaccus und Q . Fabius M a x i m u s Verrucosus waren
im J a h r e 209 v. C h r . K o n s u l n . C a p u a fiel in Wahrheit bereits
im J a h r e 2 1 1 v. C h r .
v
" K r i e g gegen P h i l i p p V . von M a k e d o n i e n : 2 0 0 - 1 9 7 v . C h r .
G e g e n A n t i o c h o s I I I . von S y r i e n : 1 9 2 - 1 8 8 v . C h r . G e g e n Per-
seus von Makedonien: 1 7 1 - 1 6 8 v. C h r . G e g e n P s e u d o p h i l i p p o s
(Andriskos), d e r sich als S o h n des Perseus von Makedonien
ausgab: 1 5 0 - 1 4 8 v . C h r . G e g e n A r i s t o n i k o s von Pergamon:
1 3 3 - 1 2 9 v . C h r . G e g e n .Mithridates V I . von Pontos: 8 9 - 8 5 ,
8 3 - 8 1 und ab 74 v . C h r . 3 . p u n i s c h e r K r i e g : 1 4 9 - 1 4 6 v . C h r .
K o r i n t h i s c h e r K r i e g : 146 v. C h r . N u m a n t i n i s c h e r K r i e g :
1 4 3 - 1 3 3 v. C h r . K r i e g gegen das a u f s t ä n d i s c h e Fregellae (vols-
kische Stadt am L i r i s , heute Ceprano): 125 v. C h r . Marsischer
K r i e g : der B u n d e s g e n o s s e n k r i e g ( 9 1 - 8 8 v. C h r . ) .
w
Brutus k ä m p f t e im B ü r g e r k r i e g auf Seiten der M a r i a n e r und
w u r d e von Pompeius hingerichtet.
'"" A l s o ein anspruchsvolles O p f e r ; man unterschied »ausgewach-
sene« und »saugende O p f e r t i e r e « (bosliae maiores und lactentes).
"" Wahrscheinlich ein Z i t a t .
"" F ü h r e n d e G e s c h l e c h t e r der großen Z e i t von C a p u a , karthago-
freundlich.
A l b a n a und Seplasia: Stadtteile von C a p u a .
"4 Diese F o r d e r u n g stellte C a p u a vor d e m A b f a l l zu H a n n i b a l
(216 v.Chr.).
105
Vgl. 1,20.
| л
" Vatikanische Mark: auf d e m rechten T i b e r u f e r , nördlich des
Ianiculum. Pupinische Mark: südöstlich von R o m , galt f ü r
unfruchtbar.
Iu:
D a s heißt sie w e r d e n die bescheidenen O r t e in d e r U m g e b u n g
R o m s mit den kampanischen Städten vergleichen.
"'* D i e T r i b u n e n d u r f t e n auch die höchsten B e a m t e n in H a f t
nehmen. I m J a h r e 60 v. C h r . machte der T r i b u n L . F l a v i u s
gegenüber d e m K o n s u l Q . Caccilius Metellus C e l e r von diesem
Recht G e b r a u c h .
""> Vgl. 1,26.
"" V g l . . , 1 4 . 2,69. 3,8. 3 , i 3 f .
"' B e i m T o d e des K ö n i g s w u r d e n vom S e n a t f ü r je f ü n f T a g e
l ' B E R DAS S I E D L E R G E S E T Z 699

• Z w i s c h e n k ö n i g e « bestellt, bis ein neuer K ö n i g die H e r r s c h a f t


antrtat. In republikanischer Z e i t f ü h r t e ein interrex die G e -
s c h ä f t e . w e n n die K o n s u l n gestorben waren oder bis z u m E n d e
ihrer A m t s z e i t keine gültige Wahl der N a c h f o l g e r hatten
d u r c h f ü h r e n können. D i e K o n s u l n von 82 v. C h r . , der jüngere
C . M a r i u s und C n . Papirius C a r b o , fielen d e m Bürgerkrieg
z u m O p f e r . D e r interrex L . Valerius Flaccus brachte noch im
gleichen J a h r e ein G e s e t z ein, das S u l l a die Diktatur verlieh
und seine bisherigen H a n d l u n g e n , darunter die Proskriptio-
nen, f ü r rechtmäßig erklärte.
D a s G e s e t z des interrex Flaccus und Sullas B e s t i m m u n g e n über
die Proskriptionen.
H i r p i n i s c h e M a r k : das G e b i r g s l a n d zwischen K a m p a n i e n und
A p u l i e n . A r p i n u m : Volskerstadt im Liristal (heute A r p i n o ) ,
Ciceros Heimat.
D e r prätorische Besitzschutz (interdicta) galt im allgemeinen
nicht f ü r Besitzer, die ihren Besitz g e w a l t s a m , heimlich oder
d u r c h L e i h e erlangt hatten.
In der M a r k von C a s i n u m , einer Volskerstadt an der via Latina
(heute C a s s i n o , am Fuße des M o n t e Cassino).
Vgl. .,3.
R E D E F Ü R С. RABIRIUS

Einleitung

D i e R e d e f ü r C . R a b i r i u s gilt einem politischen S t r a f p r o z e ß ;


C i c e r o spricht als Verteidiger. D a s P l ä d o y e r e n t s t a m m t der
ersten H ä l f t e von C i c e r o s K o n s u l a t s j a h r (63 v. C h r . ) . E s ist
u n v o l l s t ä n d i g erhalten. E i n e r größeren L ü c k e fielen der
S c h l u ß d e r B e w e i s f ü h r u n g und d e r A n f a n g des E p i l o g s zum
O p f e r ; d e r E p i l o g enthält einige v e r s t ü m m e l t e Partien.
Der Jugurthinische Krieg (111-105 v.Chr.) und die
Kämpfe gegen die Kimbern und Teutonen (113-101
v. C h r . ) hatten d e m A n s e h e n der S e n a t s h e r r s c h a f t s c h w e r e
Einbußen gebracht. Im Jahre 1 0 0 v . C h r . schlossen sich
starke p o p u l ä r e K r ä f t e * zu einem A n g r i f f auf die bestehende
O r d n u n g z u s a m m e n : C . M a r i u s , der gefeierte S i e g e r über
die T e u t o n e n und K i m b e r n , der z u m sechsten M a l e das
K o n s u l a t innehatte, d e r Y o l k s t r i b u n L . A p p u l e i u s S a t u r n i -
nus und d e r Prätor C . S e r v i l i u s G l a u c i a . D e r A n g r i f f endete
kläglich. E s gelang z w a r , ein S i e d l e r g e s e t z zu e r z w i n g e n ,
das vor allem die S o l d a t e n des M a r i u s versorgen sollte. A l s
jedoch die K o n s u l w a h l e n f ü r das J a h r 99 v. C h r . zu einer
s c h w e r e n Schlägerei ausarteten, erklärte der S e n a t kurzer-
hand den A u s n a h m e z u s t a n d ; M a r i u s erhielt den A u f t r a g ,
mit W a f f e n g e w a l t g e g e n seine politischen F r e u n d e v o r z u g e -
hen. G l a u c i a endete auf der Straße. S a t u r n i n u s verschanzte
sich auf d e m K a p i t o l ; er ergab sich, n a c h d e m M a r i u s ihm das
L e b e n zugesichert hatte, und w u r d e in der K u r i e g e f a n g e n -
gehalten. E i n e B a n d e junger O p t i m a l e n deckte das D a c h ab
und e r s c h l u g den T r i b u n e n mit S t e i n w ü r f e n .

* Ü b e r diesen B e g r i f f siehe die E i n l e i t u n g /u d e n R e d e n ü b e r das S i e d l e r -


geset7.. S . 683 f.
FÜR RABIRILS

Diese I at w u r d e 37 J a h r e später dem Senator C . Rabirius


zum Y o r w u r f gemacht. Die Anklage lautete nicht auf Mord,
sondern wegen der L'nverletzlichkeit des T r i b u n e n auf
Hochverrat (perduellio). Ankläger war der T r i b u n T . Labie-
nus, der. wie jedermann wußte, den Weisungen Caesars
folgte. Außer Cicero trat auch Hortensius als Yerteidiger
auf; Cicero sprach an zweiter Stelle. Die Verhandlung
w u r d e nicht, wie damals üblich, vor dem f ü r Staatsverbre-
chen zuständigen Geschworenengericht (quaestio matestatis),
sondern vor der Yolksversammlung geführt.
Der Prozeß war Teil der von Caesar betriebenen Z e r m ü r -
bungspolitik. E r sollte am Beispiel des Rabirius einschärfen,
daß der Senat nicht befugt sei, den Ausnahmezustand zu
verhängen. Diese Einrichtung w a r im L a u f e des zweiten
Jahrhunderts aufgekommen: bei schweren Störungen der
öffentlichen O r d n u n g beauftragte der Senat die K o n s u l n ,
alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen; sie w u r d e n ins-
besondere ermächtigt, römische Bürger ohne Urteil der
Yolksversammlung hinrichten zu lassen. Hiermit hob der
Senat f ü r die Dauer des Ausnahmezustandes ein Kernstück
der römischen Verfassung auf: die sogenannten Provoka-
tionsgesetze, die dem Beamten das Recht über L e i b und
Leben des Bürgers entzogen. Seit gracchischer Z e i t diente
der Ausnahmezustand als Waffe im K a m p f gegen die revolu-
tionären K r ä f t e ; er w u r d e »äußerster Senatsbeschluß« (sena-
tum consultum ultimum) genannt. Im J a h r e 132 v. C h r . verur-
teilten die Konsuln die Anhänger des T i b e r i u s G r a c c h u s ,
ohne die Yolksversammlung anzurufen; im J a h r e 122
v. Chr. erlagen G a i u s G r a c c h u s und seine Gefolgsleute dem
Ausnahmerecht. Die populäre Seite hat das senatus consultum
ultimum nie anerkannt; insbesondere bestritt sie, daß es dem
Beamten die Befugnis verleihe, ohne das Urteil eines ordent-
lichen G e r i c h t s einen Bürger zu töten. G a i u s G r a c c h u s hatte
7<>2 FINl.FITLNü

vergeblich versucht, diesem vom Senat angemaßten Recht


durch ein neuerliches Provokationsgesetz zu begegnen; wäh-
rend Ciceros Konsulat bemühten sich Caesar und Labienus,
dem im Jahre ιυο v.Chr. beschlossenen Ausnahmezustand
durch ein Gerichtsurteil die rechtliche Grundlage zu entzie-
hen.
L'm die abschreckende Wirkung zu steigern, ersannen die
Ankläger eine seltsame Prozedur. Ein Yolksbeschluß setzte
eigens gegen Rabirius eine besondere Behörde nieder, die
»Zweimänner für den Hochverrat« (duoviri perduellionis).
Die Zweimänner sollten den Beschuldigten verhaften und
aburteilen; der Verurteilte wiederum durfte die Volksver-
sammlung anrufen. Falls auch die Volksversammlung den
Angeklagten für schuldig befand, erwartete ihn eine grau-
same, sonst nur über Sklaven verhängte Todesstrafe: das
Gesetz schrieb vor, ihn sofort vor versammeltem Volke
auszupeitschen und zu kreuzigen. Die Ankläger hatten die-
ses Verfahren, wie Cicero wohl zutreffend feststellt (15), aus
alten Chroniken hervorgeholt; es verstieß gegen den seit
langem gültigen Grundsatz, daß sich der wegen eines politi-
schen Verbrechens Angeklagte dem Vollzug der lodes-
strafe durch die Selbstverbannung (exilium) entziehen dürfe.
Der Prozeß nahm einen anderen V erlauf, als ihn das von
den Anklägern erwirkte Gesetz bestimmt hatte. Ciceros
Plädoyer läßt deutlich erkennen, daß der Angeklagte nicht
mehr die verschärfte Todesstrafe zu gew ärtigen brauchte; er
kämpfte nur noch um Vermögen und Bürgerrecht, das heißt
er durfte im Falle der V erurteilung außer Landes gehen (5.
36f.). Cicero hatte selbst zu dieser Wendung erheblich
beigetragen (10. 17). Im übrigen ergeben die Berichte der
Historiker und Ciceros Rede kein eindeutiges Bild. Man
weiß, daß Gaius Caesar und Lucius Caesar (Konsul 64
v.Chr.) für die Zweimänner-Behörde ausersehen wurden;
PCR RABIRIUS 7°3

man w eiß außerdem, daß ein Prätor die Volksversammlung


auflöste, ehe sie das Urteil der Zweimänner bestätigen
konnte. Labienus scheint sodann einen anderen Weg einge-
schlagen zu haben; er verzichtete auf die verschärfte Proze-
dur und beantragte eines der herkömmlichen Verfahren,
nach denen die Volksversammlung bis zur Einführung des
Geschworenengerichts über politische Verbrechen befun-
den hatte. Hierbei standen ihm zwei Möglichkeiten offen: er
konnte die Kapitalstrafe (der sich der Verurteilte durch das
Kxil entziehen durfte) oder eine Geldbuße (die vielleicht
unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls zum Exil
führte) zu erwirken versuchen. Welchen Weg er gewählt
hat, ist unbestimmt.
Cicero steuert sogleich in der Einleitung ( 1 - 5 ) auf den
Kern der Sache los: man habe es nicht auf die Person des
Angeklagten, sondern auf das Ausnahmerecht des Senates
abgesehen. Die B e w e i s f ü h r u n g ( 6 - 3 1 ) gliedert sich in drei
Abschnitte. Zunächst fertigt der Redner rasch allerlei son-
stige Vorwürfe ab, die der Ankläger gegen Rabirius vorge-
bracht hatte ( 6 - 9 ) . Sodann verwendet er einen bereits in den
Reden über das Siedlergesetz erprobten Kunstgriff: nicht
Labienus, der Volkstribun, der sich für volksfreundlich
(pupularis) halte, sondern Cicero, der Konsul, sei der wahre
Volksfreund; als Beweis dient das barbarische Verfahren,
das Labienus geplant und Cicero bekämpft habe ( 9 - 1 7 ) .
Schließlich befaßt sich der Redner mit dem eigentlichen
Schuldvorw urf. Der Angeklagte sei, wie Hortensius gezeigt
habe, nicht der Urheber des Todes von Saturninus. E r habe
jedoch, als der Ausnahmezustand verkündet wurde, wie
jeder pflichtbewußte Bürger zu den Waffen gegriffen und
sich den Konsuln zur Verfügung gestellt. Wenn man ihn
bestrafen wolle, dann gelte das Urteil f ü r alle, die damalsdas
Vaterland verteidigt hätten ( 1 8 - 3 1 ) . Das Schlußwort mahnt
EINLEITUNG

die Versammlung, f ü r das Bollwerk des Staates, das man


jetzt einreißen wolle, und zugleich f ü r einen verdienten
Mitbürger einzutreten ( 3 2 - 3 8 ) .
Der rechtlichen Fragen, der Widerlegung des Schuldvor-
w u r f s , hatte sich Hortcnsius angenommen (18); Cicero geht
daher vornehmlich auf die politische Bedeutung des Prozes-
ses ein. Hiermit sucht er indes zugleich die S c h w ä c h e n zu
überspielen, die seiner Position anhafteten: wenn Rabirius
zu jener G r u p p e junger Leute gehört hatte, die den gefange-
nen Saturninus durch S t e i n w ü r f e tötete, dann war sein
Verhalten nicht mehr unbedingt durch das senatus consultum
ultimum gedeckt. Überdies hatte der Konsul Marius dem
aufrührerischen Tribunen das Leben zugesichert: Cicero
eilt über diesen Punkt, auf den der Ankläger ausführlich
eingegangen war, mit dürftigen Argumenten hinweg (28).
Rabirius wurde offenbar freigesprochen. Wortwahl,
Satzbau und Haltung der Rede zielen von A n f a n g bis E n d e
auf Würde und Pathos; Cicero hat selbst bestätigt, daß sein
Plädoyer f ü r Rabirius ganz und gar den Mitteln der erhabe-
nen Stilart verpflichtet ist (Orator 102).

Literatur

Kommentar:

W. B. T y r r e l l , Α Legal and Historical C o m m e n t a r v to Cicero's


Oratio Pro C . R a b i r i o perduellionis reo, A m s t e r d a m 1978.

Abbandlungen:

E . G . H a r d v , S o m e P r o b l e m s in Roman H i s t o r y , O x f o r d 1 9 : 4 ,
27ff., 99ff.
C . L o u t s c h , C i c i r o n et l ' a f f a i r e R a b i r i u s (63 av. J . - C . ) , M u s e u m
Helveticum 39, 1982, 3 0 5 - 3 1 5 .
A . P r i m m e r , D i e Uberredungsstratcgie in Ciceros R e d e pro C . R a -
birio, S B W i e n , Phil.-hist. K l . 459, Wien 1985.
KÜR R A B I R I U S 70S

Erläuterungen

Der Tribun war im Verfahren vor der Volksversammlung


sowohl Ankläger als auch Verhandlungsleiter; er durfte daher
für die Plädovers der Verteidigung bestimmte Fristen anordnen.
Rabirius wurde demnach von C . Licinius Macer (Volkstribun
-3 v . C h r . ) wegen Tempelfrevels (sacrilegium) angeklagt; die
Geschworenen sprachen ihn frei.
' Das Archiv (tabularium) befand sich an dem zum Forum ge-
wandten Abhang des Kapitols. C . Curtius war Steuerpächter.
4
Fine lex Fabia (Antragsteller und Datum unbekannt) bedrohte
die Anmaßung des Herrenrechts über fremde Sklaven (plagium)
mit einer Geldbuße. Es gab mehrere leges Porciae, die wichtige
Bestimmungen des Provokationsrechts enthielten. Hier ist wohl
das Gesetz des P. Porcius Laeca (Prätor 195 v . C h r . ) gemeint,
das den zuvor nur für Rom geltenden Provokationsschutz auf
das gesamte Reichsgebiet erstreckte; wahrscheinlich entzog es
auch der militärischen Befehlsgewalt die Befugnis, Soldaten,
die das römische Bürgerrecht besaßen, standrechtlich zum
Tode zu verurteilen. Rabirius kann sich als Offizier gegen die lex
Porcia vergangen haben. Vgl. 12.
5
Das heißt in dem Klagantrage, der den Prozeß wegen der soeben
genannten Vergehen eingeleitet hatte.
'' Eigentlich: den Perduellionsprozeß. Die Römer kannten zwei
allgemeine Kategorien für das Staatsverbrechen: ptrduellio und
laesa maiestas. Der Tatbestand des ursprünglich von Labienus
eingeleiteten Verfahrens hieß perdueUio\ die Anklage in dem
hernach durchgeführten Prozeß lautete wohl auf laesa maiestas.
Cicero meint hier das Perduellionsverfahren mit allen seinen
Besonderheiten.
7
Die wichtigste Form der römischen Volksversammlung, die
sich in 193 Abteilungen (centuriae) gliederte. Die Zenturiatko-
mitien beschlossen Gesetze und vollzogen die meisten Wahlen;
sie waren außer den Geschworenengerichten das einzige Organ,
das Kapitalstrafen über römische Bürger verhängen durfte. Sie
traten auf dem Marsfeld zusammen; der leitende Beamte mußte
sich durch Beobachtung des Vogelflugs (auspicia) des göttlichen
Einverständnisses versichern.
8
Porzisches Gesetz: Cicero meint an dieser Stelle das vom Zensor
Cato eingebrachte Gesetz, das den römischen Bürger vor der
F-RLÄL'TKRL N G F N

Prügelstrafe schützte; vgl. 8. Dem Büttel (haor) oblag die


Geißelung; I linrichtungen scheint damals nur noch der 1 lenker
(carnifex) vollzogen zu haben. Das Provokationsgesetz des Gains
Gracchus richtete sich gegen die vom Senat beanspruchte Be-
fugnis, die leitenden Beamten durch Erklärung des Ausnahme-
zustandes zur Tötung römischer Bürger zu ermächtigen.
Diesem altertümlichen Ritual war das Verfahren nachgebildet,
das Labienus zunächst eingeleitet hatte; vgl. Livius 1 , 2 6 , 6 - 1 1 ,
wo der vollständige Wortlaut der Formel zitiert wird. Baum des
Unheils: eigentlich »unfruchtbarer Baum-, der den unterirdi-
schen Göttern geweihte Pfahl, an dem die Hinrichtung vollzo-
gen wurde.
Der Henker galt als ehrlos und mußte außerhalb der Stadt
wohnen. Mit den censoriae leges sind die einschlägigen polizeili-
chen Vorschriften gemeint, die zum Amtsbereich der Zensoren
gehörten.
Spätrepublikanische Sammlungen von Rechtssätzen, die an-
geblich der Königszeit entstammten.
Anspielung auf die w ichtigste Form der Freilassung, die ma-
numissio vindicta. Sie war dem Freiheitsprozeß nachgebildet: ein
Bürger erschien mit dem Sklaven vor dem Prätor und be-
hauptete, der Sklave sei frei; hierbei berührte er ihn mit einem
Stabe. Der ebenfalls anwesende Herr ließ diesen Akt schwei-
gend geschehen; der Prätor bestätigte die Freiheit des bisheri-
gen Sklaven.
Mit dem der Henker die Leichen der Hingerichteten beseitigte.
Diesem Satze geht eine kleinere Icxtlücke voraus. Cicero gibt
hier den Wortlaut des senatus consult um ultimum vom Jahre 100
v. Chr. wieder.
Der Tempel des Schwurgottcs Semo Sancus stand auf dem
Quirinal.
C . Saufeius war damals Quästor. Der hier erwähnte Gracchus
gab sich für einen Sohn des Tiberius Gracchus aus; er war
angeblich ein Freigelassener; Cicero spielt auf seine ursprüngli-
che Sklavenstellung an.
Die lex iudiciaria des Gaius Gracchus (123 v. Chr.) hatte das
Richteramt in den Geschworenengerichten auf die Ritter über-
tragen. Im Jahre 62 v . C h r . galt die lex Aurelia (70 v.Chr.);
hiernach setzten sich die Gerichtshöfe zu je einem Drittel aus
Senatoren, Rittern und Arartribunen zusammen.
FÜR RABIRIIS

Μ. Aemilius Scaurus: Konsul H J . Q . Mucius Scaevola: der


Augur, Konsul 117. L. Caecilius Metellus Diadematus: Konsul
117. Ser. Sulpicius Galba: Konsul io8. C. Atilius Serranus:
Konsul 106. P. Rutilius Rufus: Konsul 105. С . Flavius Fimbria:
Konsul 104. Q. Lutatius Catulus: Konsul 102. Cn. Domitius
Ahenobarbus: Konsul 96. L. Domitius Ahenobarbus: Bruder
des vorigen, Konsul 94. L. Licinius Crassus: der berühmte
Redner, Konsul 95. Q. Mucius Scaevola: der Pontifex, Konsul
95. C . Claudius Pulcher: Konsul 92. M. Livius Drusus, Volks-
tribun 9 1 . L. Marcius Philippus: Konsul 9 1 . L . Cornelius Sci-
pio Asiaticus: Konsul 83. M. Aemilius Lepidus: Konsul 78.
I). Iunius Brutus: Konsul 77. P. Servilius Yatia Isauricus: Kon-
sul 79. Q. Lutatius Catulus Capitolinus: Konsul 78. C . Scribo-
nius Curio: Konsul 76 v. Chr..
Landstrich in Mittelitalien, zwischen Apennin und Adria.
C . Appuleius Decianus (Volkstribun 98 v. Chr.) klagte vor dem
Volke seinen Amtsvorgänger P. Furius (Volkstribun 99 v. Chr.)
an. Sex. Titius: ebenfalls Volkstribun des Jahres 99 v. Chr.
Der anwesende Sohn des Q. Lutatius Catulus (Konsul 102
v . C h r . ) war Q. Lutatius Catulus Capitolinus, Konsul 78
v. Chr.
Der bekannte Redner, Konsul 99 v. Chr.
Wahrscheinlich die Angehörigen der unmittelbar auf die Ritter
folgenden Vermögensklasse.
L. Valerius Flaccus war Jupiterpriester (flamen Dialis).
Die Kimbern (Schlacht bei Vercellae, 101 v. Chr.).
Tempel des Jupiter: das Kapitol. Die Unterbrechung der Was-
serleitungen zwang Saturninus zur Kapitulation. Kapitolini-
sche Straße: der Fahrweg, der in mehreren Windungen vom
Forum auf das Kapitol führte.
Cicero weist auf den Beifall hin, den seine Einsprache gegen das
Rullische Siedlergesetz beim Senat und beim Volke gefunden
hatte.
Die nördliche, mit einer Befestigung versehene Kuppe des
kapitolinischen Hügels.
Zitat des Grammatikers Servius (4./5.Jh. n . C h r . ) , das wahr-
scheinlich der nicht erhaltenen Partie zwischen den §§ 31 und 3 2
entstammt.
D I K С A T I L I N A R I S C H F.N R E D E N

Einleitung

Ü b e r den Futschversuch Catilinas berichten die vier cicero-


nischen Reden und die Monographie Sallusts, ferner die
Griechen Plutarch, Appian und Cassius Dio. Daher sind
wenige Ereignisse der untergehenden römischen Republik
so gut bekannt wie diese Episode, die das letzte Vierteljahr
von Ciceros Konsulat (63 v . C h r . ) ausfüllte. Allerdings be-
fassen sich die Quellen vor allem mit den äußeren Begeben-
heiten; der Hintergrund der sozialen N ö t e , der das A b e n -
teurertum Catilinas ermöglicht hat, zeigt sich nur unirißhaft
und in einseitiger Perspektive.
Ciceros Reden schließen sich zu zwei Paaren zusammen.
Das erste Paar gibt die Ansprachen wieder, die Cicero am 7.
und 8. N o v e m b e r , die eine im S e n a t , die andere vor dem
Volke, gehalten hat. Es befaßt sich mit Catilina selbst; das
gemeinsame T h e m a ist Ciceros Bestreben, Catilina zu o f f e -
nem staatsfeindlichen Handeln zu nötigen. Das zweite Paar
gilt dem stadtrömischen A n h a n g Catilinas, seiner Entdck-
kung und Bestrafung. Cicero richtete die erste dieser beiden
Ansprachen am A b e n d des 3. D e z e m b e r an das römische
Volk; die zweite trug er in der Senatssitzung v o m 5. Dezem-
ber vor. Die beiden Senatsreden sind argumentierender A r t ,
da sie unmittelbar auf die Entscheidungen anderer einwir-
ken wollen; in den beiden Volksreden herrscht der Bericht
über Geschehenes vor. Cicero scheint alle vier Ansprachen
gründlich umgearbeitet zu haben, als er im J a h r e 60 v. Chr.
eine A u s g a b e seiner Konsulatsreden vorbereitete.
L . Sergius Catilina (geb. 108 v. C h r . ) entstammte einem
alten Patriziergeschlecht. Der Werdegang vermittelt ein
düsteres Bild von den Verhältnissen, die ihn ermöglicht
С ATI LIN ARI SC Η Ε R E D E N

haben. W ä h r e n d d e r s u l l a n i s c h e n Proskriptionen betätigte


sich C a t i l i n a als M o r d s c h e r g e d e r siegreichen A r i s t o k r a t i e .
Im J a h r e 73 v . C h r . stand er w e g e n der S c h ä n d u n g einer
Vestalin vor G e r i c h t . K r d u r c h l i e f g l e i c h w o h l die A m t e r k a r -
riere; im J a h r e 68 v. C h r . erreichte er die Frätur. D i e Statt-
h a l t e r s c h a f t in A f r i k a (67/66 v. C h r . ) diente ihm zu skrupel-
loser A u s b e u t u n g d e r P r o v i n z i a l e n . Jetzt begann d e r Staats-
a p p a r a t ihm S c h w i e r i g k e i t e n zu m a c h e n : er d u r f t e sich nicht
um das K o n s u l a t d e s J a h r e s 65 v. C h r . b e w e r b e n , u n d an der
K a n d i d a t u r f ü r das f o l g e n d e J a h r hinderte ihn d e r E r p r e s -
s u n g s p r o z e ß , den m a n g e g e n ihn anstrengte. Er wurde
allerdings nicht v e r u r t e i l t , d a e r den A n k l ä g e r u n d die
Richter bestochen hatte. Während dieser Zeit (66/65
v. C h r . ) w i r k t e er bei e i n e m K o m p l o t t gegen die S t a a t s f ü h -
rung mit. D i e Z i e l e u n d H i n t e r g r ü n d e dieser U m t r i e b e , d e r
sogenannten 1. catilinarischen Verschwörung, sind un-
d u r c h s i c h t i g ; man b e h a u p t e t e , C r a s s u s u n d C a e s a r hätten
das U n t e r n e h m e n g e f ö r d e r t . Die Anschläge scheiterten;
w e d e r C a t i l i n a noch a n d e r e B e t e i l i g t e w u r d e n v o r G e r i c h t
gestellt. I m S o m m e r 64 v. C h r . b e w a r b sich Catilina u m das
K o n s u l a t . E r v e r b a n d sich mit C . A n t o n i u s , der d a s s e l b e
Z i e l e r s t r e b t e , zu g e m e i n s a m e r W a h l k a m p a g n e ; Crassus
und C a e s a r f i n a n z i e r t e n den S t i m m e n k a u f . D i e skrupellosen
W a h l u m t r i e b e f ü h r t e n zu V e r h a n d l u n g e n im S e n a t ; eine
I n v e k t i v e C i c e r o s , d i e » R e d e im K a n d i d a t e n g e w a n d « (Oratio
in toga Candida·, bis auf e i n i g e F r a g m e n t e verloren), deckte
s c h o n u n g s l o s die d u n k l e V e r g a n g e n h e i t u n d die u m s t ü r z l e -
rischen A b s i c h t e n d e r beiden M i t b e w e r b e r a u f . D i e S e -
natsaristokratie sah sich n u n m e h r veranlaßt, die K a n d i d a t u r
C i c e r o s , d e r sie z u n ä c h s t mit R e s e r v e begegnet w a r , nach-
d r ü c k l i c h zu f ö r d e r n ; C i c e r o u n d A n t o n i u s w u r d e n g e w ä h l t .
Im S o m m e r 63 v. C h r . b e w a r b C a t i l i n a sich a b e r m a l s u m das
K o n s u l a t . E r v e r s c h a f f t e sich A n h ä n g e r ; er verhieß S c h u l -
F I N L F I T l NG

denerlaß; er warf sich zum I laupt der Besitzlosen auf. Cicero


bemühte sich vergebens, einen Senatsbeschluß gegen Cati-
lina herbeizuführen; andererseits verliefen die Wahlen ohne
Z w i s c h e n f a l l , und Catilina wurde zum zweiten Male abge-
wiesen.
Catilina bereitete nunmehr den gewaltsamen Umsturz
vor. Ende Oktober spitzten sich die Ereignisse zu. A n o n v m e
Briefe warnten vor Mordanschlägen, die gegen führende
Männer des Senats geplant seien; Cicero, durch einen Spit-
zel über die Absichten der Catilinarier unterrichtet, gab in
der Senatssitzung vom 2 1. Oktober bekannt, daß der o f f e n e
A u f r u h r am 27. Oktober in F.trurien beginnen solle. Der
Senat beschloß daraufhin den Ausnahmezustand und er-
teilte den Konsuln unbeschränkte Vollmacht (senatus consul-
tant ultimum)*. Der A u f s t a n d begann, wie von Cicero ange-
kündigt; C . Manlius, ebenfalls ein ehemaliger Sullaner,
übernahm das K o m m a n d o . Catilina, der wohl noch stets
einflußreiche Stützen im Senat hatte, blieb in Rom und
spielte den Unschuldigen. In der Nacht vom 5. zum 6. N o -
vember hielt er eine Beratung ab; man beschloß die Ermor-
dung Ciceros. Das Attentat scheiterte, da Cicero gew arnt
war. In der Senatssitzung, die daraufhin einberufen w u r d e
(7. November), erschien zu allgemeiner Überraschung auch
Catilina; er wollte offensichtlich bekunden, daß er an dem
Aufstand in Etrurien nicht beteiligt sei und zu Unrecht
staatsfeindlicher Umtriebe bezichtigt werde. E r verlangte
sogar, daß der Senat über ihn abstimme; er wolle sich, wenn
man ihn schuldig spreche, f ü r den Staat opfern und in die
Verbannung gehen.
Auf diesem Stand der Dinge beruht die erste Rede. Cicero
mußte von mehreren Prämissen ausgehen, die den Spiel-

* Siehe hierüber die Kinlcitune zur Rede für (λ Rabirius. S . - π ι .


CATILINAR1SCHE RFDFN

rauni des Möglichen erheblich einschränkten. Die entschie-


denen O p t i m a l e n * drangen auf energisches Mandeln. Die
Populären* lehnten Maßnahmen gegen Catilina ab, solange
es an untrüglichen Beweisen fehlte. Eine weitere G r u p p e
von Senatsmitgliedern w ar aus Skepsis oder Vorsicht noch
nicht zu d u r c h g r e i f e n d e n Beschlüssen bereit. Cicero konnte
sich daher auf das Ansinnen Catilinas nicht einlassen, noch
wollte er von seinem Ausnahmerecht G e b r a u c h machen und
auf eigene V e r a n t w o r t u n g gegen Catilina vorgehen. Ande-
rerseits war er ü b e r z e u g t , daß sich Catilina von dem Auf-
stand in Etrurien nicht mehr distanzieren könne, und er sah
mit Recht den S c h w e b e z u s t a n d , den der G e g n e r aufrechtzu-
erhalten suchte, f ü r bedrohlicher an als eine klare T r e n n u n g
der Fronten. Aus alledem ergab sich Ciceros Entscheidung,
von rechtlichem Z w a n g abzusehen und alle Mittel des mora-
lischen Drucks gegen Catilina einzusetzen: er sollte genötigt
w e r d e n , die Maske fallen zu lassen und sich zu seinen
Truppen zu begeben. Der Bluff gelang; Catilina erlag dem
Druck und reiste ab. Die ausgearbeitete Rede mag die
ursprüngliche Improvisation stark verändert haben; immer-
hin meidet auch sie einen planen A u f b a u ; Cicero trägt von
verschiedenen Seiten her leidenschaftliche Angriffe vor, die
sämtlich d e m Z w e c k dienen, Catilina den weiteren Aufent-
halt in der Stadt unmöglich zu machen.
A m Morgen des 8. N o v e m b e r , wenige S t u n d e n nach Cati-
linas Abreise, hielt Cicero vor d e m römischen Volk die
zweite Rede. Die beiden einander entgegengesetzten Auf-
fassungen, von d e n e n er bereits im Senat ausgegangen war,
kehren hier in situationsbedingter A b w a n d l u n g wieder.
D e m Verlangen nach sofortiger Bestrafung Catilinas, er-
klärt Cicero, habe er aus mancherlei G r ü n d e n nicht nachge-
* S i e h e h i e r ü b e r die E i n l e i t u n g zu d e n Reden ü b e r das Siedlergesetz.
S. 6 8 t f .
FIM.FITLNG

ben dürfen (3 f.); andererseits sei der Y o r w u r f unberechtigt,


daß er sich zu einem Machtwort habe hinreißen lassen: er
habe Catilina nicht »hinausgeworfen«, das heißt das um-
strittene Ausnahmerecht benutzt, die ungesetzliche Strafe
der Verbannung über ihn zu verhängen, er habe ihn viel-
mehr »fortgeschickt« ( 1 2 - 1 5 ) . Den eigentlichen Gegenstand
der Rede macht die catilinarische Bewegung und ihre mut-
maßliche Gefährlichkeit aus. Catilina ging, doch mancher
G e f o l g s m a n n blieb in R o m ; diese Tatsache d ä m p f t , wie
Cicero nicht völlig verhehlen kann, die Freude über den
E r f o l g ( 4 - 6 ) . Andererseits braucht man die Scharen, die in
o f f e n e m A u f r u h r stehen, nicht sonderlich zu fürchten. C i -
cero bedenkt den Führer und seinen A n h a n g zunächst mit
einer kräftigen Invektive ( 7 - 1 0 ) . Später sucht er mit etwas
minder emotionalen B e g r i f f e n die K r ä f t e zu analysieren, die
sich um Catilina gesammelt haben; hierbei werden sechs
G r u p p e n von Gefolgsleuten unterschieden ( 1 7 - 2 3 ) . G e g e n
die Machtmittel des römischen Staates, so lautet das Fazit,
vermöge dieser buntscheckige H a u f e nichts auszurichten
( 2 4 - 2 6 ) . Diese Partie ist besonders aufschlußreich f ü r die
Einstellung, mit der Cicero und die von ihm repräsentierte
Senatsaristokratie der sozialen Krise begegneten: man w a r
lediglich darauf bedacht, den Staatsapparat und die beste-
henden Besitzverhältnisse gegen zerstörerische K r ä f t e zu
behaupten; man nahm jedoch keinerlei Anlaß, sich über die
Ursachen der catilinarischen B e w e g u n g Gedanken zu ma-
chen und zu fragen, wie sich dem Übel von G r u n d auf
abhelfen lasse.
Mit der dritten Rede wandte sich Cicero am A b e n d des
3. Dezember an das römische Volk. Sie enthält in ihrem
Kern den Bericht über einen gelungenen C o u p : es war
Cicero geglückt, die Catilinarier, die in der Hauptstadt auf
eine Gelegenheit zum Losschlagen warteten, zu entlarven
CATILINARISCHF. REDEN 74

und vor dem Senat durch Urkunden und Geständnisse des


I lochverrats zu überführen; der Senat hatte beschlossen, die
Schuldigen in H a f t zu nehmen ( 3 - 1 5 ) . L'm diesen Hauptab-
schnitt rankt sich einiges Beiwerk, das sich zum Teil als
Zutat der späteren Ausarbeitung zu erkennen gibt: der
vernichtende Schlag gegen die Catilinarier bekundet sicht-
barlich die H i l f e der G ö t t e r ( 1 8 - 2 2 ) ; andererseits hat Cicero
so Großes vollbracht, daß man ihn, den Retter, als zweiten
Stadtgründer betrachten darf; zum Lohn h o f f t er auf das
ehrende Andenken der Mitbürger und auf ihren tätigen
Schutz, falls ihn die inneren Feinde wegen seiner Politik
bedrängen sollten (1 f. 2 3 - 2 9 ) .
A m 5. Dezember fragte Cicero den Senat, was mit den
Verhafteten geschehen solle. A n sich w a r er durch das
senatus consult um ultimum ermächtigt, überführte Hochverrä-
ter ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren hinrichten zu
lassen, eine Maßnahme, die sich um so mehr e m p f a h l , als der
römische Staat o f f e n b a r nicht mehr imstande gewesen wäre,
politische G e f a n g e n e f ü r längere Zeit hinter Schloß und
Riegel zu halten. Andererseits bestritten die Populären die
Legitimität des vom Senat verhängten Ausnahmezustandes,
und das Problem, das sich Cicero schon bei der > Verban-
nung« Catilinas gestellt hatte, kehrte um so dringlicher
wieder, als es sich dieses Mal um die Todesstrafe handelte.
Cicero suchte sich dem Dilemma zu entwinden, indem er
den Senat befragte und so das Quasi-Urteil einer Behörde
erwirkte, die noch weniger zu standrechtlichen Maßnahmen
befugt w a r als er selbst. Die vierte Rede beruht auf einer
bestimmten Situation während der Senatsdebatte: D . Iu-
nius Silanus, der zum Konsul f ü r das J a h r 62 v. C h r . gewählt
war, hatte f ü r die Todesstrafe plädiert, Caesar hingegen
e m p f o h l e n , die Verbrecher zu lebenslänglicher H a f t zu
verurteilen (7 f.). Cicero gibt zu, daß Caesars Vorschlag ihm
74 EINLEITUNG

größeren Schutz gegen populäre A n g r i f f e gewähre ( 9 - 1 1 ) ;


der Senat solle sich indes bei seiner Entscheidung allein
durch das Wohl des Staates, nicht durch die Rücksicht auf
seine Person bestimmen lassen ( 1 - 3 ) . Die staatsfeindlichen
K r ä f t e seien nicht imstande, die Vollstreckung zu verhin-
dern - Cicero nimmt diesen H i n w e i s zum Anlaß, seinen
politischen Lieblingsgedanken von der Einigkeit aller
Stände und G r u p p e n ausführlich darzulegen ( 1 4 - 1 9 ) . A u c h
bei der vierten Rede lassen zumal A n f a n g und Schluß die
Bearbeitung des Jahres 60 v. C h r . erkennen; sie spiegeln
deutlich den populären Druck, dem sich Cicero damals
ausgesetzt sah.
Die Debatte des 5. Dezember w u r d e durch den A n t r a g
Catos entschieden; der Senat verhängte mit großer Mehrheit
die sofortige Todesstrafe; Cicero verkündete am späten
A b e n d den Vollzug. In den ersten Monaten des Jahres 62
v. Chr. w u r d e n die Scharen Catilinas aufgerieben, und Cati-
lina selbst fand im K a m p f e den T o d . Cicero aber mußte trotz
des taktischen G e s c h i c k s , das er bewiesen hatte, f ü r die
Folgen seiner senatstreuen Politik einstehen; schon während
der letzten Wochen seines Konsulats begann die populäre
Agitation; fünf J a h r e später diente die Hinrichtung der
Catilinarier als Vorwand f ü r seine Verbannung (58/57
v. Chr.).
Die Catilinarischen Reden haben mit Recht seit jeher als
ein Höhepunkt von Ciceros brillanter Eloquenz gegolten.
Andererseits treten dort zum ersten Male die Grenzen und
S c h w ä c h e n des bedeutenden Verfassers unübersehbar her-
vor; das maßlose Selbstlob und die kolossale Überschätzung
eines episodischen Ereignisses, das chimärische Wunschbild
von der Einigkeit aller Stände und jene simplifizierende
Schwarzweißmalerei, die den bewegenden Kräften einer aus
den Fugen geratenen Zeit mit den Kategorien der »Recht-
С ATI LI N ARISC Η Ε REDEN 715

s c h a f f e n e n « (boni) u n d d e r » B ö s e w i c h t e r « (improbi) g e r e c h t
zu « e r d e n g l a u b t e . D i e s e S c h w ä c h e n s i n d i n d e s in e r h e b l i -
c h e m M a ß e n i c h t s als d e r i n d i v i d u e l l e A u s d r u c k e i n e r a l l g e -
m e i n e n V e r l e g e n h e i t , d e r f u n d a m e n t a l e n V e r l e g e n h e i t ei-
ner Ü b e r g a n g s e p o c h e , d i e i h r e e i g e n e n Z i e l e n o c h nicht
kannte. D i e Catilinarischen Reden dokumentieren endlich
w i d e r die A b s i c h t ihres U r h e b e r s ein gänzlich ausgehöhltes,
unmittelbar vor d e m Z u s a m m e n b r u c h stehendes Staatsge-
f ü g e ; sie d a n k e n ihr D a s e i n d e r I l l u s i o n , d a ß s i c h e i n S y s t e m
durch U m s i c h t , G e s c h i c k und d u r c h die Meisterschaft des
W o r t e s r e t t e n lasse, in d e m c a t i l i n a r i s c h e E x i s t e n z e n ein
P o l i t i k u m , und nicht v i e l m e h r d e n G e g e n s t a n d einer Poli-
zeiaktion ausmachen.

Literatur

Kommentierte A usgabe:

K . Malm - VV. Sternkopf, Ciceros Reden gegen L. Sergius Catilina


und für den Dichter Archias (Ciceros ausgewählte Reden,
Bd. III), Berlin 1 9 1 6 ' ' .

Abhandlungen:
F.. Norden, Aus Ciceros Werkstatt, S B Berlin, Phil.-hist. K l . ,
1913, 6—12 = Kleine Schriften, Berlin 1966, 137-144.
K. Vretska, Das Datum der 1. Catilinaria, Ciceroniana I, 1959,
185-196.
H. Fuchs, Eine Doppelfassung in Ciceros catilinarischen Reden,
Hermes 87, 1 9 5 9 , 4 6 3 - 4 6 9 .
Z . Yavetz, T h e Failure of Catiline's Conspiracy, Historia 12, 1963,
485-499.
A . Primmer, Historisches und Oratorisches zur ersten Catilinaria,
G y m n a s i u m 84, 1977, 18-38.
Chr. Ratkowitsch, Ein 'Hymnus« in Ciceros erster Catilinaria,
Wiener Studien 94, 1981, 157-167.
С . Loutsch, L'exorde dit ex abrupto de la Premitre Catilinaire de
Ciceron, Revue des Etudes Latines68, 1990, 31-49.
6 ERLÄUTERUNGEN

Erläuterungen

D e r T e m p e l des J u p i t e r Stator, am N o r d h a n g des Palatin. V g l .


1,11.
D a s heißt in der N a c h t v o m 6. auf den 7. sowie in der N a c h t vom
5. auf den 6. N o v e m b e r . In der vorletzten N a c h t hatte die
V e r s a m m l u n g im H a u s e des M . Porcius Laeca stattgefunden;
w a s in der N a c h t v o m 6. auf den 7. N o v e m b e r g e s c h a h , ist
unbekannt. V g l . 1 , 8 .
D e r K o n s u l P. M u c i u s Scaevola weigerte sich, gegen T i . G r a c -
chus, der sich u m das zweite T r i b u n a t b e w a r b , G e w a l t anzu-
w e n d e n . D a w a r f sich P. Cornelius S c i p i o N a s i c a zum F ü h r e r
der Optimaten auf; T i . G r a c c h u s und dreihundert seiner A n -
hänger w u r d e n erschlagen (13 3 v. Chr.).
Ein legendäres Ereignis der römischen Frühzeit (440 v. C h r . ) .
C . Servilius A h a l a w a r A d j u t a n t (magisterequitum) des Diktators
L. Quinctius Cincinnatus.
» D e r Konsul L . O p i m i u s solle S o r g e tragen« u s w . : die Formel
des senatus consultum ultimum. D a r a u f h i n w u r d e n C . G r a c c h u s ,
dessen Freund M . F u l v i u s Flaccus (Konsul 125 v . C h r . ) sowie
zahlreiche A n h ä n g e r des G r a c c h u s erschlagen ( 1 2 1 v . C h r . ) .
C . G r a c c h u s war der S o h n des Fi. S e m p r o n i u s G r a c c h u s ( K o n -
sul 177 und 163 v . C h r . ) und der Enkel des älteren S c i p i o
Africanus.
Im J a h r e 100 v. C h r . w u r d e n die K o n s u l n C . Marius und L . Va-
lerius Flaccus durch ein senatus consultum ultimum ermächtigt,
mit W a f f e n g e w a l t gegen die Populären L . A p p u l e i u s S a t u r n i -
nus und C . Servilius G l a u c i a vorzugehen.
Seit dem 2 1 . O k t o b e r , also genau gerechnet erst seit 18 T a g e n .
Vgl· 2,14.
Stadt in L a t i u m , zirka 30 km östlich von R o m (heute Palestrina).
In R o m ; L a g e unbekannt.
D i e A n g e h ö r i g e n der Aristokratie pflegten in den ersten Mor-
genstunden den Besuch ihrer F r e u n d e und Hörigen zu e m p f a n -
gen.
C i c e r o wies auf die S t a t u e des G o t t e s . V g l . 1 , 3 3 .
D . Iunius Silanus und L . Licinius M u r e n a , die gewählt wur-
den, ferner Ser. S u l p i c i u s R u f u s .
E s hieß, daß Catilina nicht nur seine erste G a t t i n , sondern auch
einen erwachsenen S o h n ermordet habe.
CATILINARISCHE REDEN ΤΙ?

Weil man dann die Darlehen kündigen werde, die Catilina


autgenommen hatte.
Cicero erinnert hier an die sogenannte 1. catilinarische Ver-
schwörung. M'. Aemilius Lepidus und L . Yolcatius Tullus wa-
ren im Jahre 66 v. Chr. Konsuln, komitium: ein an das Forum
angrenzender Platz für Volksversammlungen. Die Verschwö-
rer beabsichtigten, am 1. Januar 65 v . C h r . die neuen Konsuln
L. Aurelius Cotta und L. Manlius Torquatus sowie einige ange-
sehene Mitglieder des Senats zu ermorden; der Anschlag wurde
nicht ausgeführt. Auch ein zweites, auf den 5. Februar anbe-
raumtes Attentat miBglückte.
Also nicht durch Parieren mit einer Waffe. Der Ausdruck
entstammt der Fechtersprache.
Mord an vielen Bürgern: während der sullanischen Proskriptio-
nen (82/81 v. Chr.). MiBhandlung und Plünderung der Bundes-
genossen: während der Statthalterschaft in Afrika (67/66
v.Chr.). Gesetze und Prozesse: Catilina hatte den Gerichtshof
bestochen, vor dem er wegen Erpressungen angeklagt war.
Mit dem freiwilligen Arrest wollte Catilina, der wegen Auf-
ruhrs angeklagt war, seine Unschuld dartun. M'. Aemilius Le-
pidus: Konsul 66 v. Chr. Q. Caecilius \letellus Celer: Prätor 63,
Konsul 60 v. Chr. M . Metellus: unbekannt; er wird von Cicero
mit beiBender Ironie bedacht, da er Catilina nicht gehindert
hatte, an der Zusammenkunft im Hause des Laeca teilzuneh-
men.
P. Sestius: damals Quästor. Er betrieb als Volkstribun die
Rückberufung Ciceros aus der Verbannung (57 v. Chr.); Cicero
verteidigte ihn in einem Strafprozeß (Rede für Sestius, 56
v.Chr.). .M.Claudius Marcellus: Konsul 51 v . C h r . Für ihn
hielt Cicero die Dankrede an Caesar (46 v. Chr.).
Marktflecken in Etrurien, an der via Aurelia, zirka 100 km
nordwestlich von Rom (heute Montalto, zwischen Orbetello
und Civitavecchia).
Die Standarte der römischen Legion. Der Raum, in dem sie
aufbewahrt w urde, galt als heilig. Vgl. 2 , 1 3 .
Hinweis auf die Konsulwahlen für das Jahr 62 v. Chr. Cicero
behauptet, durch seine Vorkehrungen verhindert zu haben, daß
Catilina mit offener Gewalt auf die Wahlen einzuwirken suchte.
Der Text enthält ein unübersetzbares Wortspiel (exsul - consul).
Die sogenannten Provokationsgesetze. Hiernach durfte kein
y.8 ERLÄUTERUNGEN

römischer Bürger mit dem Tode bestraft werden, der nicht


durch ein ordentliches Gericht verurteilt war.
25
Vgl. ι , 3 f -
2i
So hätten die Populären geurteilt. Vgl. 2 , 1 4 f .
' ' Um ihn einzuschüchtern.
18
A m Komitium; der gewöhnliche Versammlungsraum des Se-
nats.
24
V g l . 1 , 1 1 . Cicero beruft sich hier auf eine durchaus legendäre
Tradition.
"> Vgl. , , 3 2 .
' ' Q. Metellus Celer war damals Prätor; vgl. 1 , 1 9 . Picenische und
gallische Mark: zwei einander benachbarte Landstriche an der
Adriaküste.
J2
Cicero meint die Veteranen Sullas; vgl. 2,20.
" Das heißt die Grundsätze, nach denen der Prätor die Zivilge-
richtsbarkeit ausübte.
34
Cicero meint offensichtlich die Beschlüsse, die in der Nacht
vom 5. zum 6. November gefaBt wurden; es müßte also eigent-
lich heißen »der drittletzten Nacht«. Vgl. 1 , 1 . 1 , 8 f .
" Die via Aurelia führte von Rom an der tvrrhenischen Küste
entlang nach Pisa. V g l . 1,24.
j6
Die Gladiatoren rekrutierten sich meist aus Kriegsgefangenen
und Sklaven; wer sich freiwillig verdingte, stand in übelstem
Rufe. Auch die Schauspieler waren als Stand schlecht beleu-
mundet.
' 7 Des Cn. Pompeius. Vgl. 3,26. 4,2 1.
jS
Vgl. 1 , 1 . i , 8 f . 2,6.
" Catilina staffierte demnach seine Bewegung mit allen Insignien
römischer Befehlsgewalt aus. Vgl. 1,24.
4
° Etruskische Stadt am Fuße des Apennin (heute Fiesole).
4
' .Vlassilia gehörte zu den bevorzugten Aufenthaltsorten römi-
scher Verbannter.
4!
Vgl. 1,30.
45
Wer »mitleidig« wäre, würde wünschen, daß sich Catilina
durch den Rückzug in die Verbannung vor dem Untergang
bewahren möchte.
44
Catilina hatte tabulae novae, das heißt eine allgemeine Herabset-
zung der Schulden, verheißen. Die herabgesetzten Beträge
pflegten bei derartigen Maßnahmen in »neue Bücher« über-
schrieben zu werden.
CATILINARISCHE REDEN
7·9
4i
Catilina hatte seinen Anhängern ausdrücklich zugesichert, daß
er ihnen staatliche Machtstellungen verschaffen werde.
46
Das heißt Catilina und seine Freunde wären alsbald von den
Kräften, die sie selbst entbunden hatten, aus ihrer führenden
Stellung verdrängt worden.
4
~ In F.trurien, Rampanien und Samnium. Sulla nahm den Ge-
meinden, die bis zuletzt auf der Gegenseite gekämpft hatten,
große Landgebiete ab und besiedelte sie mit seinen Soldaten.
48
Das heißt auf die Umwälzung der Besitzverhältnisse, die der
Sieg Sullas mit sich gebracht hatte.
47
Der carcer am Fuß des Kapitols. Er diente zur vorübergehenden
Haft und zur Vollstreckung von Todesurteilen. Eigentliche
Haftstrafen waren dem Recht der Republik nicht geläufig.
5
" Die Männertunica war ärmellos und reichte bis zu den Knien.
Ein Mann, derdie hier beschriebene Frauentunica trug, verstieß
gegen den Anstand.
! 1
Das heißt während der langen VVinternächte.
5!
Vgl. 2,5.
51
Cicero meint die Todesstrafe, die im carcer vollzogen zu werden
pflegte. Vgl. 2,22.
54
Cicero zog nicht selbst gegen die Aufständischen zu Felde; er
trug daher die Toga, nicht den Kriegsmantel des Oberbefehls-
habers (paludamentum).
55
Romulus war, w ie die Sage berichtete, zu den Göttern entrückt
worden; man setzte ihn dem alten Kriegsgott Quirinus gleich.
-f' Die Allobroger, ein großer gallischer Stamm, wohnten zwi-
schen Rhone und Isfcre. Sie wurden im Jahre 121 v.Chr. von
den Römern unterworfen; ihr Gebiet gehörte der bald darauf
gegründeten Provinz Gallia Narbonensis an. P. Cornelius Len-
tulus Sura, Konsul 71 v.Chr., hatte im Jahre 63 v.Chr. zum
zweiten Male die Prätur inne; vgl. 3 , 1 4 f . Das diesseitige Gallien
(Gallia cisalpina, das heutige Oberitalien) war bis zum Jahre 42
v. Chr. Provinz.
57
5 km nördlich von Rom, für die nach Norden führenden Straßen
(heute Ponte molle).
i<
' Stadt im Sabinerland, zirka 80 km nordöstlich von Rom (heute
Rieti).
59
Die Römer teilten die Nacht in vier »Wachen« (vigiliae) ein; die
dritte reichte von Mitternacht bis 3 Uhr morgens.
6
" P. Gabinius Capito (Cimber) und L. Statilius waren römische
720 ERLÄUTERUNGEN

Ritter; С . Cornelius Cethegus gehörte dem Senatorenstande an.


Ciccros ironische Bemerkung über Lentulus (vgl. 3,16) spielt
mit dem Namen (lentus: -träge«, »langsam-); der Brief, den er
geschrieben hatte, war drei Zeilen lang; vgl. 3 , 1 2 .
61
Das heißt man sicherte ihm zu, daß man ihn, wenn er aussage,
nicht für seine Mittäterschaft bestrafen werde. Vgl. 4,5.
62
L. Cassius Longinus, Prätor 66 v . C h r . , hatte sich vergeblich
um das Konsulat des Jahres 63 v. Chr. bew orben.
6>
Sibvllinische Sprüche: in griechischer Sprache abgefaßte Ora-
kel, die zumal in Krisenzeiten massenhaft umliefen. Cinna und
Sulla gehörten wie Lentulus der gern Cornelia an. Freisprechung
der vestalischen Jungfrauen: wahrscheinlich ist der Prozeß ge-
meint, in dem sich auch Catilina wegen eines strafbaren Ver-
hältnisses zu der Yestalin Fabia, einer Schwägerin Ciceros,
verantworten mußte. Der Jupiter-Tempel auf dem kapitol
brannte im Jahre 83 v . C h r . aus unbekannter Ursache nieder;
der neue Tempel wurde im Jahre 69 v. Chr. geweiht. Saturna-
lien: das fröhliche Saturn-Fest, das damals am 19. Dezember
begann.
64
Die innen mit Wachs überzogenen Holztafeln, die man für
briefliche Mitteilungen zu verwenden pflegte, wurden mit ei-
nem Faden umwickelt und versiegelt.
6
> P.Cornelius Lentulus, nachgewählter Konsul 162 v . C h r . , be-
teiligte sich am Kampf gegen C. Gracchus; vgl. 4 , 1 3 .
66
Das heißt von den Sklaven.
л
" Die Senatoren wurden in bestimmter Reihenfolge aufgefordert,
ihre Meinung zu äußern.
6tt
Ciceros Kollege Antonius hatte zunächst mit den Catilinariern
sympathisiert; Cicero überließ ihm seine Provinz Makedonien
und gewann ihn so für die Sache des Senates. Vgl. 4,23.
69
Der Senat beschloß also insgesamt neun Verhaftungen. Außer
den Anwesenden konnte nur M. Ceparius ergriffen werden; den
übrigen gelang die Flucht. Faesulac: vgl. 2 , 1 4 und 20.
Supplicationes, Bitt- oder Dankfeste von mehrtägiger Dauer,
pflegten von Fall zu Fall anberaumt zu werden, vor allem, wenn
ein Feldherr einen bedeutenden Sieg errungen hatte.
71
Vgl. 1,4.
"2 L. Aurelius Cotta und L. Manlius Torquatus, Konsuln des
Jahres 65 v. Chr.
'' Die etruskischen baruspkes wurden in unruhigen Zeiten von
CATILINARISCHF. REDEN 72I

Amts wegen beauftragt, Zeichen göttlichen Zornes zu deuten


und Sühnemaßnahmen anzuordnen.
Dem Ort der Senatssitzung vom 3. Dezember, an der Westseite
des Forums.
Cicero wies bei diesen Worten auf die neue Statue des Gottes.
Der Yolkstribun P. Sulpicius Rufus entzog Sulla durch Volks-
beschluB den Oberbefehl im Kriege gegen Mithridates; Sulla
besetzte Rom und erklärte eine Anzahl seiner Feinde, darunter
Marius, für vogelfrei; Sulpicius Rufus fand den Tod (88
v.Chr.). Nachdem Sulla in den mithridatischen Krieg aufge-
brochen war, entstand Streit unter den Konsuln; Cn. Octavius
zwang Cinna, Rom zu verlassen; Cinna rief Marius zurück,
sammelte ein Heer und eroberte die Hauptstadt; zahlreiche
führende Optimaten wurden getötet (87 v. Chr.). Sullas Rache:
der Krieg gegen die Marianer und die Proskriptionen ( 8 3 - 8 1
v.Chr.). M. Aemilius Lepidus und Q . Lutatius Catulus waren
die Konsuln des Jahres 78 v. Chr.; die populäre Erhebung des
Lepidus wurde rasch niedergeworfen (77 v. Chr.).
Cn. Pompeius. Vgl. 2,11. 4,21.
Auf dem .Marsfeld fanden die wichtigsten Volksversammlungen
statt; der leitende Beamte erkundete vor jeder Versammlung
durch Beobachtung des Vogelflugs (auspicia) den göttlichen
Willen. Kurie: vgl. 1,32. Nicht das Haus, nicht das Bett: An-
spielung auf das Attentat; vgl. i , 9 f . Ehrensitz: der mit Elfen-
bein ausgelegte Sessel des Konsuls (sella curulis).
Vgl. 3.9· 4 · ' 2 .
Ciceros Bruder Quintus hatte im Jahre 62 v. Chr. die Prätur
inne. Die Gattin: Terentia. Die Tochter: Tullia. Ciceros Sohn
Marcus war damals zwei Jahre alt. Tullia war in erster Ehe mit
C. Calpurnius Pisa Frugi verheiratet, der damals noch nicht
dem Senat angehörte; er hielt sich am Eingang des Versamm-
lungsraumes auf.
Vgl. 1,3 f. C . Memmius (Prätor 104 v. Chr.) bewarb sich neben
Glaucia um das Konsulat für das J a h r 99 v . C h r . ; er wurde
während der Unruhen erschlagen, die dem senatus consultum
ultimum vorausgingen.
Vgl. 3 , i 4 f . 4,20.
Nach Sonnenuntergang konnte kein gültiger Beschluß mehr
gefaßt werden. Cicero befürchtete einen Gewaltstreich zur
Befreiung der Gefangenen.
F.RLÄLTFRL NGFN

Nach der Geschäftsordnung des Senats wurde Silanus zuerst


um seine Meinung befragt, da er zum Konsul für das kommende
J a h r gewählt war (consul designatus). Dann durfte sich Caesar als
designierter Prätor äußern.
Die lex Sempronia des C . Gracchus verbot, römische Bürger mit
dem Tode zu bestrafen, die nicht durch ein ordentliches Gericht
verurteilt waren; sie wandte sich hiermit gegen das vom Senat
beanspruchte Recht, den Ausnahmezustand zu verhängen und
den Konsuln unbeschränkte Vollmachten zu verleihen. Die
Behauptung, daß C . Gracchus »auf Befehl des Volkes« getötet
worden sei, läßt sich nicht ohne Zw ang mit den geschichtlichen
Tatsachen vereinbaren; vielleicht ist der Text fehlerhaft über-
liefert.
L. Iulius Caesar, Konsul des Jahres 64 v . C h r . Seine Schwester
Iulia hatte in zweiter Ehe den Catilinarier Lentulus geheiratet.
Sein Großvater mütterlicherseits war M. Fulvius Flaccus, der
Freund des C . Gracchus; vgl. 1,4.
P. Cornelius Lentulus, nachgew ählter Konsul 162 v . C h r . V g l .
3,10.
Des Concordia-Tempels. Vgl. 3 , 2 1 .
Die Ärartribunen, die sich seit dem Jahre 70 v. Chr. mit den
Senatoren und Rittern in das Richteramt teilten, waren wohl die
Angehörigen der unmittelbar auf die Ritter folgenden Vermö-
gcnsklasse. Die Staatsschreiber (scribae) genossen hohes Anse-
hen; sie nahmen die nächste Stufe in der streng nach Ständen
gegliederten römischen Gesellschaft ein. Die Schatzkammer
(aerarium) befand sich im Saturn-Tempel an der Südwestecke
des Forums. Die Schreiber hatten sich dort eingefunden, weil
am 5. Dezember die Quästoren ihr Amt antraten; an diesem
läge wurde durch das Los ermittelt, welcher Schreiber bei
welchem Quästor Dienst tun solle.
Burg: die befestigte nördliche Kuppe des kapitolinischen Hü-
gels. Penaten: die Götter der Vorratskammer, die in jedem
römischen Hause verehrt wurden. Es gab auch staatliche Pena-
ten; sie gehörten zum Kult der Vesta, deren ewiges Feuer in dem
Rundtempel auf dem südöstlichen Teil des Forums gehütet
wurde.
Die Nacht, in der die Gesandten der Allobroger festgenommen
wurden (2./3. Dezember).
Vgl. 3 , 1 5 . 4 , 5 .
CATILINARISCHE REDEN 723

Der jüngere Scipio A f r i c a n u s zerstörte K a r t h a g o ( 1 4 6 v . C h r . )


und Numantia in S p a n i e n , das sich zehn J a h r e lang gegen die
Römer behauptet hatte ( 1 3 3 v . C h r . ) . .41. Aemilius Paullus,
Konsul 182 und 168 v. C h r . , besiegte Perseus, den letzten König
von Makedonien ( S c h l a c h t bei P y d n a , 168 v. C h r . ) . Marius
schlug bei A q u a e Sextiae die T e u t o n e n ( 1 0 2 v . C h r . ) und bei
Yercellae die K i m b e r n ( 1 0 1 v . C h r . ) . Ü b e r Pompeius vgl. 2 , 1 1 .
3,26.
Der Senat hatte für die K o n s u l n des J a h r e s 63 v. C h r . die
Provinzen Makedonien und Gallia cisalpina ausersehen; C i c e r o
war durch das Los das reiche Makedonien zugefallen. E r
tauschte mit Antonius und b r a c h t e ihn hierdurch von seiner
Verbindung mit Catilina ab; er verzichtete sodann auf G a l l i e n .
Hiermit begab er sich der M ö g l i c h k e i t , einen T r i u m p h zu
erringen und sich A n h a n g unter den P r o v i n z b e w o h n e r n zu
verschaffen.
V g l · 4.3-
R F . D F F Ü R L. M U R F N A

Einleitung

Die Rede für L. Murena, ein Verteidigungsplädover. gilt


einem politischen Strafprozeß. Sie entstammt dem Konsu-
latsjahr Ciceros (63 v.Chr.). Die Verhandlung gegen Mu-
rena fand in der zweiten Hälfte des November statt; das
ciceronische Plädoyer fällt somit in die Zeit zwischen der
zweiten (8. November) und dritten Ansprache gegen Cati-
lina (3. Dezember). Cicero hat einige Punkte des mündli-
chen Vortrags nicht in die Buchausgabe aufgenommen (57);
die veröffentlichte Rede ist bis auf eine Lücke in der Beweis-
führung (72/73) und einige unerhebliche Verderbnisse (85)
vollständig erhalten.
L. Licinius Murena hatte sich erfolgreich um das Konsu-
lat des Jahres 62 v. Chr. beworben; er wurde alsbald wegen
unerlaubter VVählerbeeinflussung (ambitus) angeklagt. Diese
Deliktskategorie sollte den leidenschaftlichen Wettlauf um
die Amter zügeln, der zumal während der späten Republik
überaus unerfreuliche Begleiterscheinungen mit sich
brachte. Die Frühzeit hatte den krassesten Mißbrauch, den
Stimmenkauf, mit der Todesstrafe bedroht; ein weiteres
Gesetz verbot dem Bewerber, sich durch ein glänzendes
Kleid kenntlich zu machen, ein drittes, aufden Märkten und
in den Dörfern umherzuziehen. Alle diese Vorschriften
scheinen indes wenig gefruchtet zu haben. Die geringe
Wirkung der beiden späteren Gesetze läßt sich vor allem
daran ablesen, daß der Bewerber nach seinem glänzenden
Kleide candidatus und die Bewerbung nach dem I Ierumge-
hen ambire genannt wurde. Von diesem Verbum wiederum
leitete man zwei Begriffe ab: w ährend ambitio die erlaubte
Wahlbewerbung bezeichnete, diente ambitus als Terminus
FÜR M U R E N A

technicus für alle strafbaren Formen der Wählerbeeinflus-


sung. Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. versuchte der Gesetz-
geber immer wieder, gegen mancherlei Mißbräuche einzu-
schreiten; doch je rascher die Vorschriften einander folgten,
desto deutlicher offenbarte sich die Ohnmacht des Rechts
gegenüber der Korruption. Um das Jahr 115 v. Chr. wurde
ein ständiger Gerichtshof (quaestio) für die Behandlung von
ambit us-V'&Wen niedergesetzt*; die Jahre 81, 67 und 63
v. Chr. brachten gesetzliche Bestimmungen über Tatbe-
stand, Strafe und Verfahren (lex Cornelia, lex Calpurnia, lex
Tullia de ambitu). Diese Maßnahmen richteten sich vor allem
gegen den organisierten Handel, der mit den Stimmen
ganzer Wählergruppen getrieben wurde; ferner suchten sie
für die Zeit der Bewerbung geschenkähnliche Vergünsti-
gungen wie Festschmäuse und öffentliche Spiele zu unter-
binden; schließlich verboten sie dem Bewerber, durch ein
gemietetes Gefolge übertriebene Vorstellungen von seinem
Prestige zu erwecken. Die Bestimmungen richteten sich im
allgemeinen nur gegen die aktive Wählerbeeinflussung. Wer
wegen ambitus verurteilt wurde, verlor das auf rechtswidrige
Weise erwirkte Amt. Sulla schrieb außerdem vor, daß der
Täter zehn Jahre von weiteren Amtsbewerbungen ausge-
schlossen sein solle; das Calpurnische Gesetz gebot den
lebenslänglichen Verlust der Senatorenwürde; die von Ci-
cero eingebrachte lex Tullia bestrafte das Delikt mit zehnjäh-
riger Verbannung aus Italien.
Der Murena-Prozeß war ein Streit unter Optimaten. Der
berühmte Jurist Ser. Sulpicius Rufus hatte sich ebenfalls um
das Konsulat des Jahres 62 v. Chr. beworben; seine Nieder-
lage veranlaßte ihn, gegen den einen der erfolgreichen Riva-

* Ü b e r d i e quaestiones s i e h e d i e E i n l e i t u n g z u r R e d e f ü r S e x . R o s c i u s aus
Ameria. S. 66of.
EINLEITUNG

len Anklage zu erheben. Ihm schloß sich M. Porcius Cato


an, der schon damals ein hohes moralisches Ansehen genoß;
er war wohl durch seine strengen, der stoischen Ethik
verpflichteten Grundsätze zur Mitwirkung bestimmt w or-
den. Als Nebenankläger traten ferner ein gewisser C . Pos-
tumus sowie ein jüngerer Ser. Sulpicius Rufus, ein Ver-
wandter des Juristen, auf. Die Gegenseite hatte ebenfalls
starke Kräfte aufgeboten: Murena wurde von Q. Hortensius
Hortalus (Konsul 69 v. Chr.), M. Licinius Crassus (Konsul
70 v. Chr.) und Cicero verteidigt. Cicero ergriff als letzter
das Wort; er befaßte sich vor allem mit der politischen
Bedeutung des Prozesses. Die Verhandlung fand vor der
zuständigen quaestio de ambitu statt; der Name des Vorsitzen-
den ist nicht bekannt.
In der Einleitung ( 1 - 1 0 ) spricht Cicero von sich selbst.
Die Gegenseite hatte ihn hierzu genötigt; sie hatte gerügt,
daß er sich zur Übernahme der Verteidigung habe bereit
finden lassen. Cicero wiederum sucht diese Beschwerden als
gegenstandslos zu erweisen. Derartige Vorgeplänkel über
die moralische Position eines Anwalts, über seine sachlichen
und persönlichen Motive, waren durchaus üblich; sie hatten
vor allem bei politischen Prozessen ein erhebliches Gewicht.
Der Hauptteil {11 — 83) folgt der dreigliedrigen Disposition
der Anklage. Ein erster, sehr kurzer Abschnitt weist die
Rügen zurück, mit denen man die Lebensführung Murenas
bedacht hatte ( 1 1 - 1 4 ) . Der zweite Abschnitt befaßt sich mit
den Wahlchancen der beiden Rivalen ( 1 5 - 5 3 ) . Die Gegner
hatten sich dieses Themas angenommen, um darzutun, wie
schlecht es mit den relativen Aussichten Murenas bestellt
gewesen sei; sie konnten dann mit desto größerer Überzeu-
gungskraft behaupten, daß er seinen Sieg mit unlauteren
Mitteln erfochten habe. Cicero läßt diese nachträgliche
Wahlprognose nicht auf sich beruhen; er zeigt mit großer
FÜR MLRFNA 727

dialektischer Kunst, daß die Anklage die von ihr ins Feld
geführten Gegebenheiten unrichtig bewertet habe. Das Re-
nommee der Herkunft, behauptet Cicero, sei auf beiden
Seiten gleich ( 1 5 - 1 7 ) ; durch seine bisherige Laufbahn aber
habe der Offizier Murena dem Juristen Sulpicius Rufus
einen erheblichen Vorsprung abgewonnen ( 1 8 - 4 2 ) . Zumal
in dieser Partie läßt Cicero seinem Witz die Zügel schießen:
er konfrontiert die öffentliche Bedeutung, die der Offiziers-
und auch der Rednerlaufbahn zukomme, mit einer Karika-
tur der Rechtsgutachtertätigkeit: sie sei auf ihren Formel-
kram eingeschworen und gebe sich mit Gegenständen ab,
die jedermann mühelos zu erfassen vermöge (22-30). Nach
diesen erheiternden Darlegungen weiß Cicero gewichtigere
Gründe für den Erfolg Murenas vorzubringen: Murena
habe, anders als sein Rivale, während seiner Prätur großar-
tige Spiele veranstaltet; er habe weiterhin, abermals im
Gegensatz zu Sulpicius Rufus, eine Provinz verwaltet; er sei
schließlich bei den Wahlen selbst von den Truppen seines
Feldherrn Lucullus unterstützt worden, die sich damals
nach ihrer Rückkehr aus dem 3. mithridatischen Kriege zum
Triumph in Rom eingefunden hatten (37-42). Schließlich
ergreift Cicero die Offensive; er bemängelt die Wahltaktik
des Gegners. Statt mit ganzer Kraft die eigenen Aussichten
zu verbessern, sei Sulpicius Rufus schon damals mit der
Vorbereitung des ambitus-Prozesses beschäftigt gewesen.
Durch diesen Beweis mangelnden Selbstvertrauens habe er
sich viele Wähler abspenstig gemacht; die Stimmen seien bei
der allgemeinen Furcht vor Catilina, der sich ebenfalls um
das Konsulat bewarb*, zwangsläufig Murena zugute ge-
kommen (43-52). Der dritte Abschnitt des Flauptteils gilt
den eigentlichen Anschuldigungen (54-83). Cicero sucht

* S i e h e d i e K i n l e i t u n g zu d e n C a t i l i n a r i s c h e n R e d e n , S . 709.
728 EINLEITUNG

zunächst die T a t s a c h e zu e n t k r ä f t e n , daß g e r a d e ein C a t o sie


vorgebracht hat; C a t o habe sich d u r c h ein Ü b e r m a ß an
T u g e n d zu seiner A n k l a g e verleiten lassen ( 6 1 - 6 6 ) . Auf
diese heitere Partie, die nicht o h n e I r o n i e den R i g o r i s m u s
der stoischen Ethik d u r c h n i m m t , folgt d i e W i d e r l e g u n g d e r
A n k l a g e p u n k t e ; sie ist ziemlich k u r z u n d nicht s o n d e r l i c h
ü b e r z e u g e n d a u s g e f a l l e n ( 6 7 - 7 7 ) . ü m so s c h l a g e n d e r ver-
m a g C i c e r o die politische V e r k e h r t h e i t des Prozesses d a r z u -
tun: w e r w ü n s c h e , daß a m 1. J a n u a r n u r ein K o n s u l sein
A m t antreten könne, d e r a r b e i t e C a t i l i n a u n d allen F e i n d e n
der V e r f a s s u n g in die H ä n d e ( 7 8 - 8 3 ) . D a s e i n d r i n g l i c h e
Pathos dieser A u s f ü h r u n g e n leitet ü b e r z u m E p i l o g ( 8 3 - 9 0 ) :
C i c e r o appelliert an die R i c h t e r , bei d e r E n t s c h e i d u n g auf
die d r i n g e n d e n E r f o r d e r n i s s e d e s S t a a t s w o h l s bedacht zu
sein.
C i c e r o s D a r l e g u n g e n lassen v e r m u t e n , daß sich M u r e n a
- gelinde ausgedrückt - b e s s e r auf die K ü n s t e d e r B e w e r -
b u n g verstanden hatte als sein korrekter R i v a l e S u l p i c i u s
R u f u s . A n d e r e r s e i t s w i r d er sich nicht e r h e b l i c h v o m d a m a l s
Üblichen entfernt haben. D e r von C i c e r o v e r ö f f e n t l i c h t e Teil
der Widerlegung befaßt sich mit ziemlich g e r i n g f ü g i g e n Ver-
gehen: Murena habe sich von allzu vielen Leuten in die
Hauptstadt einholen lassen, als er aus d e r Provinz zurück-
kehrte; er sei bei seinen täglichen A u s g ä n g e n von einem
überaus großen G e f o l g e begleitet w o r d e n ; man habe in seinem
N a m e n Frei platze f ü r Schaustellungen verschenkt und zu
S c h m a u s e n eingeladen ( 6 7 - 7 7 ) . C i c e r o hatte daher sicherlich
die besseren G r ü n d e auf seiner Seite, w enn er die A n g e l e g e n -
heit zuallererst nach K r i t e r i e n d e r politischen Z w e c k m ä ß i g -
keit beurteilt wissen w o l l t e ; w ä h r e n d d e s S c h w e l e n s der
catilinarischen K r i s e w a r die g e n a u e E i n h a l t u n g aller ambi-
/<w-Vorschriften von g e r i n g e r e m G e w i c h t als die F r a g e , o b
R o m am 1. J a n u a r 62 eine s c h l a g k r ä f t i g e R e g i e r u n g haben
FÜR m u r e n a 729

w ü r d e . A u s dieser g r u n d s ä t z l i c h e n E n t s c h e i d u n g ergab sich


für C i c e r o die taktische A u f g a b e , den Streit im eigenen
I l a u s e so z u b e h a n d e l n , d a ß k e i n e n a c h h a l t i g e V e r s t i m m u n g
d a r a u s e r w u c h s . E r e n t h i e l t sich d a h e r a l l e r p e r s ö n l i c h e n
A n g r i f f e ; die heiter-ironischen Partien, die er der Jurispru-
denz und der stoischen Ethik g e w i d m e t hat, gelten vorgege-
benen S y s t e m z w ä n g e n , nicht individuellem Versagen. C i -
c e r o ließ a l l e n f a l l s d u r c h b l i c k e n , daß die A n k l a g e Welt-
fremdheit und S t a r r s i n n b e k u n d e ; er n a h m j e d o c h auch
d i e s e n V o r w ü r f e n d i e S p i t z e , i n d e m er d a r a u f b e d a c h t w a r ,
seine D a r l e g u n g e n m i t d e m E t h o s d e r f r e u n d s c h a f t l i c h e n
Verbundenheit und des Einverständnisses im Wesentlichen
zu d u r c h d r i n g e n . D a s P l ä d o y e r verfehlte seine Wirkung
n i c h t ; M u r e n a w u r d e f r e i g e s p r o c h e n ( C i c e r o , P r o F l a c c o 98
u n d D e d o m o sua 134).
Die Rede für M u r e n a zeigt eine reiche Skala der T ö n u n -
g e n u n d H a l t u n g e n ; sie ist e r f ü l l t v o n W i t z , S c h w u n g u n d
P a t h o s . S i e b e h a n d e l t e i n e p i s o d i s c h e s E r e i g n i s aus d e m
A l l t a g d e r R e p u b l i k ; g e r a d e d e s h a l b v e r m i t t e l t sie e i n ü b e r -
aus a n s c h a u l i c h e s B i l d v o n d e m Z u s a m m e n s p i e l d e r g e s e l l -
schaftlichen B e d i n g u n g e n , die das T r i e b w e r k der republika-
n i s c h e n V e r f a s s u n g in G a n g h i e l t e n .

Literatur

Kommentierte Л usgabe:

k . H a l m - G . Laubmann, Ciceros Reden für L. Murena und für


P, Sulla (Ciceros ausgew ählte Reden, Bd. VII), Berlin 1893 5 .

Abhandlungen:

J . - H . Michel, Lc droit romain dans le Pro Murena et l'oeuvre de


S^rvius Sulpicius R u f u s , Ciceroniana - Hommages ä K . Kuma-
niiecki, Leiden 1975, 181 — 195.
73" ERLÄUTERUNGEN

P. M o r e a u , C i c i r o n , C l o d i u s et la publication du P r o M u r e n a ,
R e v u e des E t u d e s Latines 58, 1980, 2 2 0 - 2 3 7 .
A . D . L e e m a n , T h e T e c h n i q u e of Persuasion in C i c e r o ' s P r o M u -
rena, in: E l o q u e n c e et rhetorique chez C i c e r o n , Vandoeuvres -
Genfeve 1982, 1 9 3 - 2 3 6 .
J . A d a m i e t z , Ciceros V e r f a h r e n in den A m b i t u s - P r o z e s s e n gegen
Murena und Plancius, G y m n a s i u m 9 3 , 1986, 1 0 2 - 1 1 7 .

Erläuterungen

1
D i e K o n s u l n w u r d e n durch die Z e n t u r i a t k o m i t i e n , das heißt die
nach 193 S t i m m a b t e i l u n g e n (centuriae) gegliederte F o r m der
V o l k s v e r s a m m l u n g , g e w ä h l t . Die L e i t u n g d e r Wahl o b l a g ei-
nem der amtierenden K o n s u l n . E r b e f r a g t e v o r Beginn des
A k t e s durch B e o b a c h t u n g des V o g e l f l u g s (auspicia) den Willen
J u p i t e r s ; er stellte das E r g e b n i s der A b s t i m m u n g fest und g a b es
der V e r s a m m l u n g bekannt.
1
D i e mancipatio w ar ein f o r m g e b u n d e n e s R e c h t s g e s c h ä f t , das der
Ü b e r e i g n u n g bestimmter S a c h e n , d e r res mancipi, diente; hierzu
gehörten insbesondere G r u n d s t ü c k e und S k l a v e n . D u r c h M a n -
zipation w u r d e n vor allem K a u f v e r t r ä g e vollzogen. D a n n haf-
tete der V e r k ä u f e r d e m K ä u f e r f ü r R e c h t s m ä n g e l d e r verkauften
S a c h e , das heißt er w a r d e m K ä u f e r zu E r s a t z v e r p f l i c h t e t , w e n n
ein Dritter erfolgreich geltend m a c h t e , daß er der E i g e n t ü m e r
der S a c h e sei.
3 Vgl. 78ff.
4
D e r verschleiernde A u s d r u c k » S c h e n k u n g « (largitio) bezeich-
nete den unmittelbaren S t i m m e n k a u f .
5
D u r c h die 1. R e d e gegen Catilina.
6
Vgl. 78ff.
7
C i c e r o spielt mit der doppelten B e d e u t u n g von petere (»begeh-
ren«, »angreifen«).
8
S u l p i c i u s R u f u s w ü n s c h t e , daß allein die materielle Rechtslage
f ü r die E n t s c h e i d u n g maßgeblich sei; er g r i f f d a h e r ein, w e n n
der G e g n e r sich anschickte, einen V e r f a h r e n s f e h l e r zu begehen.
9
D a s heißt unter den A n k l ä g e r n .
L . L i c i n i u s M u r e n a , der Vater des A n g e k l a g t e n , führte den
2. mithridatischen K r i e g ( 8 3 - 8 1 v . C h r . ) ; Sulla berief ihn ab
und g e w ä h r t e ihm den T r i u m p h .
FÜR MURENA 731

Schwelgerische Mähler pflegten vor der üblichen Essenszeit zu


beginnen.
Die Licinier gehörten zum plebejischen Adel. Cicero spielt auf
das bekannte Ereignis der römischen Frühzeit an, das die Über-
lieferung dem Jahre 494 v. Chr. zuschreibt; nach einer anderen
Version zog die Plebs auf den I leiligen Berg.
Den Neulingen (bomines noii), die vom Ritterstand zur Senats-
aristokratie aufgestiegen waren.
Q . Pompeius war der erste Konsul der plebeischen^e/w Pompeia
(141 v.Chr.). M . Aemilius Scaurus (Konsul 115 v . C h r . ) ent-
stammte einem sehr alten Patriziergeschlecht.
M'. Curius Dentatus, der Sieger über Pyrrhus: Konsul 290; vgl.
3 1 . M. Porcius Cato, der berühmte Zensor: Konsul 195. T . Di-
dius: Konsul 98. C . Caelius Caldus: Konsul 94 v. Chr. In der
Zeit von Caelius bis Cicero erreichte kein bomo novus das Konsu-
lat.
P. Sulpicius Galba.
Das heißt Sulpicius Rufus erhielt vor .Yiurena die erforderliche
Mehrheit. Sein Name wurde daher früher ausgerufen; seine
Wahl galt somit für ehrenvoller.
Datum und Antragsteller der lex Titia sind unbekannt. Sie
enthielt offenbar Vorschriften über die Geschäftsbereiche der
Quästoren. Von den zwanzig Quästoren der sudanischen Ver-
fassung hatten vier ihren Amtssitz in italischen Städten, einer
von ihnen in Ostia, der die Getreideeinfuhr beaufsichtigte.
L. Licinius Lucullus, Konsul 74 v. Chr., Oberbefehlshaber im
3. mithridatischen Kriege (bis 67 v.Chr.).
Das heißt Sulpicius Rufus weiß, welche Klage jemand anstren-
gen kann, auf dessen Grundstück ein Nachbar Regenwasser
ableitet.
Murena weitet die Grenzen des römischen Reiches aus; Sulpi-
cius R u f u s schlichtet privatrechtliche Grenzstreitigkeiten.
Cicero karikiert die juristische Auslegung. Schwierigkeiten
konnten sich unter anderem daraus ergeben, daß man die Wör-
ter ohne Zwischenräume niederzuschreiben pflegte; INCULTO-
LOCO zum Beispiel bedeutet entweder in culto loco (»auf angebau-
tem Lande«) oder inculto loco (»auf unangebautem Lande«).
Der römische Kalender enthielt in unregelmäßiger Folge »er-
laubte« (dies fasti) und »unerlaubte Tage« (dies nefasti); Handlun-
gen vor Gericht waren nur an dies fasti möglich. Der Rechtscha-
2 ERLÄUTERUNGEN

rakter eines jeden Tages wurde ursprünglich von den Priestern


(pontifices), die zugleich den überlieferten Rechtsbrauch bewahr-
ten, durch Ausruf oder Anschlag bekanntgegeben. Cn. Flavius:
kurulischer Adil 304 v. Chr. Den Krähen die Augen aushacken:
sprichwörtlich von jemandem, der selbst die Vorsichtigsten zu
täuschen vermag.
Die Parteien brachten ihre Rechtsbehauptungen beim Prätor
ursprünglich nicht in formloser Rede vor, sondern bedienten
sich bestimmter, genau festgelegter Sprüche (legis actiones). In
ciceronischer Zeit verwendete man statt mündlicher Sprüche
meist Schriftformeln.
Sie begleiteten den dramatischen Yortrag und traten jeweils
dem Schauspieler zur Seite, der sprechen mußte. Sie waren
Latiner, nicht römische Bürger.
Das heißt der Umstehenden, der Zeugen. Der alte deutsche
Rechtsausdruck entspricht dem Archaismus, den die lateinische
Formel bewahrt hat.
Cicero persifliert in diesem Abschnitt den alten Eigentumsstreit
um ein Grundstück. Die Parteien erschienen vor Gericht, such-
ten gemeinsam mit dem Prätor das strittige Grundstück auf und
kehrten zum Gericht zurück. Dieses in ältester Zeit übliche
Verfahren diente offensichtlich der Identifikation des Streitge-
genstandes. Später fanden sich die Parteien mit einer Scholle,
die das Grundstück symbolisierte, vordem Gericht ein, und alle
für die Prozeßeinleitung erforderlichen Handlungen wurden
sofort an Ort und Stelle vollzogen.
Der Kläger fragte den Beklagten nach dem Rechtstitel (Kauf,
Erbschaft usw.), auf den er seinen Anspruch gründete.
Alle Frauen, die nicht der Gewalt ihres Vaters (patria potestas)
oder ihres Ehemannes (manus) unterstanden, hatten einen Vor-
mund. Wenn eine Frau den Vormund zu wechseln wünschte, so
begab sie sich zum Scheine in die ehemännliche Gewalt eines
Dritten. Dieser übertrug sie, abermals zum Scheine, in die
Herrengewalt (maneipium) dessen, der die Vormundschaft über-
nehmen sollte. Sobald dieser sie »freiließ«, erwarb er als Quasi-
patron von Gesetzes wegen die Vormundschaft. Das republika-
nische Recht kannte eine Reihe derartiger Prozeduren, die ältere
Normen zu anderen Zw ecken benutzten.
Die kostspielige Sorge für den Ahnenkult (sacra) oblag den
Erben. Wenn sich eine Frau dieser Verpflichtung entziehen
fCr mlrf.na 733

wollte, so begab sie sich zum S c h e i n e in die ehemännliche


Gew alt eines kinder- und vermögenslosen G r e i s e s . D e r G r e i s
übernahm die A h n e n o p f e r und setzte sie auch nach der alsbaldi-
gen A u f h e b u n g der »Ehe« fort; h i e r f ü r zahlte ihm die Frau eine
Vergütung. Mit seinem T o d e erlosch die K u l t v e r p f l i c h t u n g .
Das heißt die E h e f o r m , die wohl aus einem Brautkauf hervorge-
gangen w ar; sie hatte die W i r k u n g , daß die G e w a l t über die Frau
vom Vater auf den E h e m a n n überging. D e r A b s c h l u ß der
coemptio w a r von S p r u c h f o r m e l n begleitet.
Hiernach hieß der römische J u r i s t iuris consultus. E r betätigte
sich w e d e r als Richter noch als A n w a l t ; er stand vielmehr allen
Ratsuchenden (den Parteien, A n w ä l t e n , G e r i c h t s b e a m t e n , G e -
schworenen) mit seinen R e c h t s a u s k ü n f t e n zu G e b o t e .
Eine in juristischen Formeln o f t gebrauchte Wendung.
Q . E n n i u s . Die Z i t a t e entstammen seinem E p o s » A n n a l e s « .
M'. C u r i u s Dentatus: vgl. 17. T . Q u i n c t i u s Flaminius (Konsul
198 v . C h r . ) ; sein G e g n e r w a r P h i l i p p V . von Makedonien
(Schlacht bei K y n o s k e p h a l a i , 197). M . Fulvius N o b i l i o r ( K o n -
sul 189) k ä m p f t e erfolgreich in Ätolien (bis etwa 187). L . A e m i -
lius Paullus (Konsul 182 und 168) besiegte Perseus von M a k e d o -
nien (Schlacht bei P y d n a , 168). Q . Caecilius Metellus M a c e d o -
nicus (Konsul 143) ü b e r w a n d im J a h r e 148 Pseudophilippos
(Andriskos), der als angeblicher S o h n des Perseus in M a k e d o -
nien einen A u f r u h r erregt hatte. L . M u m m i u s , K o n s u l 146, d e r
Z e r s t ö r e r Korinths.
Der K r i e g gegen A n t i o c h o s I I I . von S y r i e n ( 1 9 2 - 1 8 8 v . C h r . )
w u r d e durch L . C o r n e l i u s S c i p i o Asiaticus (Konsul 190) und
P. C o r n e l i u s S c i p i o A f r i c a n u s maior zu E n d e g e f ü h r t (Schlacht
bei Magnesia am S i p y l o s , 190). M . Porcius C a t o C e n s o r i u s
( K o n s u l 195) diente in Wahrheit unter M \ A c i l i u s G l a b r i o
( K o n s u l 1 9 1 ) , der Antiochos bei den T h e r m o p y l e n besiegt
hatte.
M i t h r i d a t e s V I . von Pontos hatte in seinem ersten K r i e g e gegen
die R ö m e r ( 8 9 - 8 5 v . C h r . ) A s i e n und G r i e c h e n l a n d besetzt.
Sulla f ü h r t e den römischen G e g e n s t o ß ; er Schloß nach einigen
E r f o l g e n in G r i e c h e n l a n d den milden Frieden von D a r d a n o s , da
er möglichst rasch freie H a n d haben wollte, die marianische
R e v o l u t i o n zu unterdrücken. C i c e r o s Darstellung beschönigt
die z w e i f e l h a f t e n Verdienste M u r e n a s , des Feldherrn im
2. mithridatischen K r i e g e ( 8 3 - 8 i v . C h r . ) ; vgl. 1 1 .
734 ERLÄUTERUNGEN

>8 Mithridates verbündete sich zu Beginn seines dritten Krieges


gegen die Römer ( 7 4 - 6 7 v . C h r . ) mit dem .Marianer Q . Serto-
rius, der Spanien besetzt hatte und sich dort fast ein Jahrzehnt
gegen die Reichsregierung zu behaupten vermochte ( 8 0 - 7 2
v.Chr.).
äv
L . Licinius Lucullus und M. Aurelius Cotta, die Konsuln des
Jahres 74 v. Chr. Cotta wurde in Kalchedon am Bosporus
eingeschlossen und von Lucullus befreit.
4
° Belagerung von Kyzikos an der Propontis: 74/73 v. Chr.; Lucul-
lus vermochte den Belagerer einzuschlieBen. Seeschlacht von
Tenedos oder Lemnos: 73 v. Chr.; einer der feindlichen Flotten-
führer war der von Sertorius entsandte M. Marius.
41
Mit seinem Schwiegersohn Tigranes ( 9 7 - 5 6 v. Chr.); das Bünd-
nis bestand bereits seit längerem. Der Krieg gegen Armenien
begann im Jahre 69 v. Chr.
4J
Pompeius erhielt im Jahre 66 v. Chr. durch das Gesetz des
Manilius den Oberbefehl im Kriege gegen Mithridates und
Tigranes. Die härteste von allen Schlachten: bei Nikopolis in
Armenien; das Heer des Mithridates wurde völlig zersprengt.
4
' Mithridates entfloh nach dem endgültigen Verlust von Pontos
in sein Reich am kimmerischen Bosporus (Krim, Straße von
Kertsch); er nahm sich im Jahre 63 v. Chr. das Leben.
44
Vgl. 18. Sulpicius R u f u s und Murena hatten die Prätur im Jahre
65 v. Chr. inne.
45
Der etwa 30 m breite Sund zwischen Böotien und Euböa. Die
täglich mehrmals w echselnde Strömung war von sprichwörtli-
cher Berühmtheit.
46
L. Marcius Philippus: Konsul 91 v. Chr. M. Herennius: Konsul
93. Q. Lutatius Catulus: Konsul 102. Cn. Mallius Maximus:
Konsul 105. M. Aemilius Scaurus: Konsul 115. Q. Fabius .Ma-
ximus Eburnus: Konsul 116. Cicero meint also die Konsulwah-
len für die Jahre 93, 105 und 116 v . C h r .
47
Murena war nicht Ädil gewesen, noch hatte er als Privatmann
Spiele veranstaltet. Er holte während seiner Prätur das Ver-
säumnis nach: zum Geschäftsbereich des praetor urbanus (vgl. 4 1 )
gehörten die luäi Apollinares(6.-13. Juli, mit szenischen Darbie-
tungen und Zirkuswettkämpfen).
48
In den Zenturiatkomitien stimmten zuerst die Zenturien der
Ritter und der ersten Vermögensklasse, dann der Reihe nach die
übrigen Klassen. Aus der ersten Klasse wurde eine Abteilung
FÜR MURENA 735

erlöst, die mit der Wahl begann (centuria praerogativa)·, ihr Vo-
tum wurde als göttlicher Hinweis betrachtet, wie die Wahl
ausfallen solle.
Die Senatoren saßen bei Theateraufführungen in der Orche-
stra. Eine lex Roscia des Yolkstribunen L. Roscius Otho (67
v . C h r . ) behielt den Rittern die ersten vierzehn Sitzreihen des
eigentlichen Zuschauerraumes vor. Offenbar hatten die Ritter
dieses Privileg schon einmal genossen.
Cicero gab die Spiele während seiner Ädilität (69 v. Chr.), sein
Rivale C . Antonius als Prätor (66 v. Chr.). Murena hatte offen-
bar für die Ausstattung der Bühne viel Silber verwendet.
Von den acht Prätoren der sullanischen Verfassung verwalteten
zwei, der praetor urbanus und der praetor peregrinus, die Zivilge-
richtsbarkeit; die übrigen waren Vorsitzende von Schwurge-
richten.
Die quaestiopeculatus ahndete Unterschlagungen von Staatsgut.
Sulla hatte über die großen Werte, die durch die Proskriptionen
an den Staat gefallen waren, ziemlich willkürlich verfügt.
Da nicht viele Soldaten benötigt wurden, durfte Murena Aus-
nahmen zulassen.
Im jenseitigen Gallien (Gallia Transalpina oder Narbonensis).
Vgl. 89.
Die Statthalter pflegten ihren Freunden einträgliche Posten zu
verschaffen.
Die Verbannungsstrafe der lex Tullia führte zum Verlust des
Bürgerrechts.
Die lex Tullia.
Eine schwerere Strafe f ü r die gemeinen Bürger: wahrscheinlich
eine Geldbuße, welche die bestochenen Wähler bedrohte. Die
Entschuldigung wegen Krankheit: hiermit sollten offenbar die
Geschworenen der quaestio de ambitu getroffen werden, die sich
mit dieser Begründung dem Richterdienst zu entziehen such-
ten. Jemand: Cicero selbst. Der Redner behauptet hier, er habe
das ambitus-Gesetz auf Drängen des Sulpicius R u f u s beantragt;
diese Darstellung rückt die Dinge um der Verteidigungszwecke
willen zurecht; vgl. 67f.
Sulpicius Rufus hatte offenbar beantragt, daß die Zenturien
nicht mehr klassenweise, sondern in erlöster Reihenfolge ab-
stimmen sollten. Statt der Lücke enthält der Text die verderb-
ten Worte praerogationum legis Maniliae; sie scheinen auf einen
736 FRLÄL'TFRLNGFN

Gesetzesvorschlag des V o l k s t r i b u n e n С . M a n i l i u s (67 v . C h r . )


zu v e r w e i s e n , der den Freigelassenen ein besseres S t i m m r e c h t
v e r s c h a f f e n sollte.
60
D i e Besetzung eines G e r i c h t s h o f e s p f l e g t e d u r c h d a s L o s ent-
schieden zu w e r d e n ; außerdem hatten A n k l ä g e r w i e A n g e k l a g -
ter das Recht, eine b e s t i m m t e A n z a h l von G e s c h w o r e n e n zu
verwerfen.
61
C i c e r o meint die von S u l l a bei A r r e t i u m (in E t r u r i e n , heute
Arezzo) und Faesulae (ebenfalls in E t r u r i e n , heute Fiesole)
angesiedelten und inzwischen v e r a r m t e n Veteranen.
D i e O p f e r der Proskriptionen und deren N a c h k o m m e n .
6
' D a s erste G l i e d bezieht sich auf die sullanischen V e t e r a n e n , das
zweite auf die O p f e r d e r P r o s k r i p t i o n e n .
64
Das heißt Catilina, der sich mit diesen Worten z u m F ü h r e r
erbietet.
6
' A u s Senat und Volk.
66
A m T a g e der Konsulatsw ahlen (im J u l i o d e r A n f a n g A u g u s t ) .
67
D i e divisores verteilten regelmäßige S p e n d e n an die einzelnen
Bezirke; sie pflegten auch die W ä h l e r b e s t e c h u n g e n d u r c h z u f ü h -
ren. D e r K a n d i d a t mußte den vereinbarten Betrag v o r d e r Wahl
bei einem Vermittler (sequester) hinterlegen; die divisores lösten
das G e l d nach der Wahl ein und bezahlten die Wähler.
68
Vgl. 7 3 .
64
Vgl. ,5.
"u D e r Vater des jüngeren S u l p i c i u s und M u r e n a waren also
Mitglieder derselben religiösen V e r e i n i g u n g (sodalilas).
Die Wagenrennen galten f ü r v o r n e h m e r als die W e t t k ä m p f e von
Kunstreitern.
'' Diese beiden T i t e l bezeichnen T h e m e n des m ü n d l i c h e n Vor-
trage, die nicht in die B u c h a u s g a b e a u f g e n o m m e n w u r d e n .
71
D e r jüngere S c i p i o , K o n s u l 147 und 1 3 4 v . C h r . , d e r Eroberer
von K a r t h a g o und N u m a n t i a ( 1 4 6 und 1 3 3 v . C h r . ) , klagte
L . A u r e l i u s Cotta ( K o n s u l 144 v. C h r . ) w e g e n E r p r e s s u n g e n an.
74
Ser. S u l p i c i u s G a l b a ( K o n s u l 144 v. C h r . ) w u r d e im J a h r e 149
v. C h r . von M . Porcius C a t o C e n s o r i u s w e g e n des M a s s e n m o r -
des angeklagt, den er an den besiegten L u s i t a n e r n , einem
S t a m m in S p a n i e n , begangen hatte.
75
Z i t a t aus einem D r a m a .
7IS
Z e n o n von K i t i o n , der G r ü n d e r d e r stoischen S c h u l e (etwa
3 3 4 - 2 6 3 v. Chr.).
FÜR M I R E N A 737

Die hier Genannten waren mehr oder minder eng mit dem
sogenannten Kreis des jüngeren Scipio verbunden. Panaitios
von Rhodos (etwa 180-110 v.Chr.), der angesehenste Stoiker
seiner Zeit. C. Laelius, der Freund Scipios: Konsul 140. L. Fu-
rius Philus: Konsul 136. C. Sulpicius Gallus: Konsul 166.
Dieser Senatsbeschluß diente offenbar als Grundlage der lex
Tallin. Zum Empfang der Kandidaten: bei der Rückkehr aus der
Provinz. Das Geleit gäben: bei ihren täglichen Ausgängen auf
das Forum.
"" V 8 ' 4 6 f"
*" Ks war Sitte, die Söhne befreundeter Familien, die das Männer-
kleid (toga virihs) erhalten hatten, zu ihrem ersten Besuche des
Forums abzuholen.
*1 Das Geschäft der Steuerpacht wurde von Rittern betrieben .Die
Geschworenengerichte bestanden seit dem Jahre 70 v. Chr. zu
je einem Drittel aus Senatoren, Rittern und Ärartribunen.
Unseres Standes: des senatorischen.
Basiliken: Säulenhallen am Forum, die unter anderem als Ge-
richtsgebäude dienten.
J
* Fabisches Gesetz: Datum und Antragsteller unbekannt. L. Iu-
lius Caesar: Konsul 64 v. Chr.
" 4 Dort fanden damals die Gladiatorenkämpfe statt.
Die Spartaner lagen auf Holzbänken; die Kreter saßen. Beides
galt als Zeichen harter Lebensweise.
Α
* Die einen wurden vernichtet: Cicero meint offenbar den Feld-
/.ug gegen den Spartanerkönig Nabis (195/194 v. Chr.); Befehls-
haber war T. Quinctius Flamininus (Konsul 198 v. Chr.). Kreta
wurde von Q. Caecilius Metellus Creticus (Konsul 69 v. Chr.)
unterworfen (69 bis 67 v. Chr.).
Q. Aelius Tubero, ein Schüler des Panaitios. Q. Fabius Maxi-
mus Allobrogicus: Konsul 121 v. Chr. P. Africanus: der jüngere
Scipio (gest. 129 v.Chr.). Der jüngere Scipio war ein Sohn,
Iubero und Fabius Maximus waren Enkel des L. Aemilius
Paullus (Konsul 182 und 168 v.Chr.). Bei derartigen Schmäu-
sen pflegten nicht Holzpritschen, sondern kostbare Polster und
Decken, nicht Tongeschirr, sondern Gefäße aus Silber und
Bronze verwendet zu werden.
як
Kandidaten pflegten auf dem Forum umherzugehen, jeden
einzelnen Bürger anzusprechen und um seine Stimme zu bitten.
Sie waren von einem nomenclator, einem Sklaven mit großer
73« ERLÄUTERUNGFN

Personenkenntnis, begleitet, der ihnen jeweils den Namen des


Bürgers zuflüsterte.
- Vgl. 5 i .
90
Des Q . Caecilius Metellus Nepos; er war damals ein entschiede-
ner Gegner der Politik Ciceros.
91
Hinweis auf die 1. catilinarische Verschwörung (66/65 v. Chr.),
an der sich auBer Catilina vor allem C n . Calpurnius Piso betei-
ligt hatte.
91
Die Tribunen konnten die Wahl durch Interzession verhindern.
9J
D . Iunius Silanus, der Kollege Murenas.
94
Hannibal rückte im Jahre 211 v. Chr. bis zur Aniobrücke bei
Rom vor.
95
Dem gewöhnlichen Versammlungsort des Senats.
96
C . Antonius bereitete damals den Feldzug gegen Catilina vor.
97
C . Murena war Legat seines Bruders; er verwaltete dessen
Provinz bis zum Eintreffen des Nachfolgers.
98
Stadt in Latium, zirka 35 km südöstlich von Rom (heute Civitä
Lavinia), die Heimat Murenas.
99
Der Kult der »Retterin Iuno«, dem in Rom zwei Tempel
geweiht waren, stammte aus Lanuvium. Die Konsuln brachten
der Göttin alljährlich ein Opfer dar.
Von Ciceros Werken sind in der
Sammlung Tusculum
lieferbar:

Atticus-Briefe Orator
Hrsg. von Helmut Kasten Hrsg. von Bernhard Kytzler
4. Auflage, 1216 Seiten 3. Auflage, 268 Seiten

An seine Freunde Vom rechten Handeln


Hrsg. von Helmut Kasten Hrsg. von Karl Büchner
4. Auflage, 1076 Seiten 3. Auflage, 420 Seiten

Brutus Der Staat


Hrsg. von Bernhard Kytzler Hrsg. von Karl Büchner
4. Auflage, 365 Seiten 5. Auflage, 404 Seiten

Cato der Alter (Ober das Alter) Ober die Wahrsagung


Laelius (Ober die Freundschaft) (De divinatione)
Hrsg. von Max Faltner Hrsg. v. Christoph Schäublin
2. Auflage, 268 Seiten 420 Seiten

Gespräche in Tusculum Vom Wesen der Götter


Hrsg. von Olof Gigon Hrsg. von Wolfgang Gerlach
6. Auflage, 544 Seiten und Karl Bayer
3. Auflage, 894 Seiten
Hortensius, Lucullus,
Ober die Ziele des
Academici Libri
menschlichen Handelns
Hrsg. von Laila Straume-
Hrsg. von Olof Gigon und
Zimmermann, Ferdinand
Laila Straume-Zimmermann
Broemser und Olof Gigon
640 Seiten
498 Seite

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